RIEMANN
MUSIK
LEXIKON
SACHTEIL
1967
B. SCHOTT'S SOHNE- MAINZ
SCHOTT & CO. LTD., LONDON • SCHOTT MUSIC CORP., NEW YORK
B. SCHOTT'S SOHNE (EDITIONS MAX ESCHIG), PARIS
Die erste Auflage des Werkes ist im Jahre 1882 ersduenen unter dem Tltel
HUGO RIEMANN MUSIK-LEXIKON
Theorie und Geschidite der Musik, die Tonkiinstler alter und neuer Zeit
mit Angabe ihrer Werke, nebst einer vollstandigen Instrumentenkunde
© B. Sohott's Sonne ■ Mainz 1967
Satz und Druck: Mainzer Verlagsanstalt und Druckerei Will und Rothe KG, Mainz
Notenstich: B. Schott's Sohne, Mainz ■ Schutzumschlag und Einband: Giinter Hadeler
Samtliche Rechte fiir alle Lander vorbehalten, im besonderen jede Verwertung des Werkes,
einzelner Artikel oder Ausziige daraus in unveranderter, bearbeiteter oder umgestalteter Form
sowie in Ubersetzungen. Jede photomechanische Vervielfaltigung und Mikrokopie ist ohne
ausdruckliche Zustimmung des Verlages unzulassig. Printed in Germany
RIEMANN MUSIKLEXIKON
RIEMANN
MUSIK
LEXIKON
Zwolfte vollig neubearbeitete Auflage
in drei Banden
PERSONENTEIL
A-K
PERSONENTEIL
L-Z
herausgegeben von
WILIBALDGURLITT
SACHTEIL
begonnen von Wilibald Gurlitt
fortgefuhrt und herausgegeben von
HANS HEINRICH EGGEBRECHT
B.SCHOTT'S SOHNE- MAINZ
SCHOTT& CO. LTD., LONDON • SCHOTT MUSIC CORP., NEW YORK
B. SCHOTT'S SOHNE (EDITIONS MAX ESCHIG), PARIS
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Das Musiklexikon von Hugo Riemann (1849-1919) erschien in der ersten Auflage 1882, in der letzten (8.) Auf-
lage aus Riemanns Hand 1916. Das Lexikon wurde mehrfach in fremde Sprachen iibersetzt und darf als ein
Standardwerk des deutschen Musikschrifttums gelten. Die spateren Auflagen besorgte Alfred Einstein (1880 bis
1952), die letzte (11.) Auflage in zwei Banden 1929. In der vorliegenden zwolften Auflage wurde der immer
starker anwachsende Stoff aus Griinden der besseren Handlichkeit und Ubersichtlichkeit erstmals in zwei Bande
Personenteil und einen Band Sachteil aufgeteilt.
Bei der Neubearbeitung des Sachteils bestand die Aufgabe, die Zeitspanne ab 1916 im Zeichen des »Riemann-
Lexikons« lexikalisch neu zu bewaltigen (Einstein hatte die Sachartikel nach Wahl und Inhalt der Stichworter im
wesentlichen unangetastet gelassen). Dabei handelt es sich um ein halbes Jahrhundert tief eingreifender Verande-
rungen des geistigen, sozialen und politischen Lebens, musikgeschichtlich im besonderen um die Entstehung und
Entfaltung der Neuen Musik, um die Bereicherung und Veranderung des Wissens durch die Forschungsergeb-
nisse der sich immer weiter ausbreitenden, verzweigenden und spezialisierenden Musikwissenschaft und um die
Wandlungen des Musiklebens, der Musikerziehung und Musikauffassung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in
eine abermals neue, bis heute anhaltende Zeit der UngewiBheit und des Suchens gerieten. DaB das Lexikon auch
in der auBerlich und inhaltlich veranderten Form weiterhin durch den Namen Riemanns gekennzeichnet bleibt,
bedeutete fur den Herausgeber die Verpflichtung, bei der Wahl der Stichworter und bei der Darstellung der
Begriffswort- und Sachgeschichten soweit wie moglich an Riemanns Werk anzukniipfen und seine grandiosen
Leistungen als Musikforscher und -lehrer besonders zu wiirdigen und kritisch zu verarbeiten. Zugleich erhebt
Riemanns Schaffen den Anspruch, die von ihm fiir seine Zeit gultig und unersetzlich bewakigte Spannung
zwischen System und Geschichte im Zeichen heutigen Wissens neu zu durchdenken und darzustellen. Doch auch
fiir den Sachteil mit seiner besonderen Problematik galten sowohl das Gebot des Verlages, die Erstellung des
Manuskripts in Einklang zu bringen mit Umfang und Erscheinungstermin des Bandes, als auch Riemanns Grund-
satz der »Gemeinverstandlichkeit« und Gurlitts im Vorwort des Personenteils erhobene Forderung, den un-
zweifelhaft gesicherten Bestand sachlicher und historischer Einzeldaten festzuhalten, von Oberflachenerscheinungen und
Tagesmoden das Wesentlkhe und Bleibende zu unterscheiden und dazu beizutragen, der Musikkultur der Gegenwart
zum rechten Verstandnis ihrer selbst zu verhelfen.
Unter der Leitung von Wilibald Gurlitt (1889-1963), dem Schiiler Hugo Riemanns, dem Herausgeber des
Personenteils, wurden auch die Arbeiten am Sachteil begonnen. Bis zum Erscheinen des zweiten Bandes des
Personenteils hat den Sachteil Herr Professor Dr. Rolf Dammann in dankenswerter Weise bearbeitet. Ab 1961
stand auch das Redaktionsbiiro im Verlag B. Schott's Sohne in Mainz fiir den Sachteil voll zur Verfiigung,
zunachst unter Aufsicht von Herrn Dr. Karl Heinz Holler, ab 1962 unter der Leitung von Herrn Dr. Kurt Oehl;
im gleichen Jahr (und bis 1965) ubernahm Herr Dr. Bernhard Hansen beim Herausgeber in Freiburg die Koordi-
nation der Redaktionsarbeiten. Im Spatherbst 1963 lag knapp einViertel des Manuskripts mit Gurlitts Impri-
matur vor; fast alle zentralen Artikel standen noch aus. Zufolge abnehmender Krafte war es Gurlitt in der Zeit
nach dem Erscheinen des zweiten Personenbandes nicht mehr vergonnt, fiir den Sachteil eine nennenswerte
Zahl von Stichwortern selbst zu bearbeiten ; in seinem NachlaB f anden sich keine Artikel oder Entwurf e.
Als Wilibald Gurlitt auf seinem Krankenlager im November 1963 mich mit der Herausgabe des Sachteils be-
auftragte, sah ich es als meine Aufgabe an, den Entwurf meines Lehrers mir zu eigen zu machen und doch -
wo es sich aus der Arbeit und deren Durchfiihrung ergab - auch neue Oberlegungen zur Geltung zu bringen.
Der Mitarbeiterstab wurde wesentlich vergroBert. Der bereits vorliegende Teil des Manuskripts wurde aufs
neue in den Arbeitsgang einbezogen. Die geplante Zahl der Stichworter konnte verringert werden, um Raum
zu gewinnen fiir eine iiber die lexikalische Information hinausgehende Durchdringung des Stoffes und fiir die
Einbeziehung von Stichwortern, die fiir ein Musiklexikon bisher ungewohnlich, im Gesamtbild des vorliegenden
Bandes jedoch wichtig erschienen (z. B. Terminologie, Symbol, Symmetrie). Beim Abwagen zwischen den
Anspriichen des Laien einerseits und den Erwartungen des gebildeten Musikers, der studierenden Jugend und
des Mannes der Wissenschaft andererseits habe ich das Wissensbediirfnis und die Verstehensfahigkeit des heu-
tigen Musikliebhabers hoch eingeschatzt. Die Erstellung des Manuskripts wurde von den engeren Mitarbeitern
als eine unter der Leitung des Herausgebers stehende Teamarbeit aufgefaBt und durchgefuhrt. Nur durch das
Zusammenarbeiten aller Beteiligten, durch gegenseitige Kritik und Hilfe, konnte das Einzelne reifen und sich
in ein Ganzes fiigen und konnte versucht werden, eine Konzeption durchzufuhren. Es versteht sich von selbst,
daB diese in der Wahl der Stichworter und in vielen Artikeln und Partien des Lexikons aufscheinende Konzep-
tion im AnschluB an das Lebenswerk meines Lehrers vor allem die geschichtliche (auch z. B. begriffs- und sozial-
geschichtliche) Auffassung der Musik in all ihren Erscheinungen betrifft sowje das BewuBtsein des fruchtbaren
Spannungsverhaltnisses zwischen historischer und systematischer Fragestellung, europaischer und auBereuro-
paischer Musik, Vergangenheit und Gegenwart. In einer breiten Front von Stichwortern, von denen viele
erstmalig in einem Lexikon behandelt werden, wurden Musik und Musikleben der Gegenwart in ihren neuen
kompositorischen und experimentellen, physikalischen, psychologischen und soziologischen, liturgischen und
juristischen Erscheinungen lexikalisch zu bewaltigen versucht.
Auch in dem vorliegenden Sachteil wurde auf die sorgfaltige Auswahl und Obersicht der belangvollen ein-
schlagigen deutschen und auslandischen Fachliteratur und der Ausgaben besonderer Wert gelegt. Bei den
Landerartikeln war in Riicksicht auf den geplanten Umfang des Lexikons mancher Verzicht geboten. Die Wahl
der Stadteartikel erfolgte nach dem Gesichtspunkt der vorliegenden wichtigeren Literatur. Ab Januar 1966
(Redaktionsschlufi des Buchstabens A) konnten die neuerscheinenden Veroffentlichungen nur jeweils bis zum
Redaktionsschlufi der einzelnen Buchstaben beriicksichtigt und nachgetragen werden.
Von den jiingeren musikalischen Nachschlagewerken wurden, ohne da8 bei den einzelnen Artikeln eigens
darauf hingewiesen ist, die auf S. IX genannten Veroffentlichungen haufiger zu Rate gezogen. Aus dem Nach-
lafl von Alfred Einstein konnte der Verlag die Vorarbeiten fiir eine Neuauflage des Lexikons erwerben. Fiir
freundliche Unterstiitzung sei besonders den Universitatsbibliotheken Freiburg im Breisgau und Mainz gedankt.
Wertvolle Dienste leistete das Mikrofilmarchiv des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universitat Freiburg
im Breisgau. Die Vorarbeiten fiir das von Wilibald Gurlitt begonnene, von mir fortgefiihrte Handworterbiich
der musikalischen Terminohgie wurden mit Einverstandnis der Akademie der Wissenschaften und der Literatur
in Mainz in vollem Umfang zur Verfugung gestellt.
Fiir zahlreiche spezielle Artikel konnte eine Reihe bewahrter Musikologen des In- und Auslandes gewonnen
werden, deren Beitrige mit ihren Initialen gekennzeichnet sind. Die Artikel der engeren Mitarbeiter wurden
auf deren Wunsch als Teamarbeit betrachtet und nicht gezeichnet. Bei den groCeren Artikeln des Herausgebers
glaubte dieser, seine Verantwortlichkeit durch Zeichnung bekunden zu sollen. Doch auch sehr viele der sig-
nierten Artikel entstanden im Zeichen der Zusammenarbeit zwischen den Verf assern, dem Herausgeber und dem
engeren Kreis der Mitarbeiter, und immer wieder gait es, Opfer zu bringen im Gedanken an den geplanten
Umfang des Werkes und aus der Notwendigkeit des Ineinandergreifens der Artikel und Sachgruppen. Diese
Rucksichten auf das Ganze erforderten ein strenges Regiment, und es gibt kaum einen der Mitarbeiter, den ich
nicht wegen mancher temperamentvollen Ausbriiche um Entschuldigung zu bitten habe.
Unter den Mitarbeitern danke ich, auch im Namen Gurlitts, an erster Stelle in Freiburg Herrn Dr. Bernhard
Hansen, der auch nach seiner Ubersiedlung nach Hamburg (1965) die ubernommene Arbeit fortfiihrte, und
Herrn Dr. Christoph Stroux fiir ihren selbstlosen Einsatz und ihre unermiidliche Hilfe bei der Erarbeitung des
Manuskripts sowie fiir die zahlreichen Artikel aus ihrer Feder (neben vielen anderen z. B. Klaviermusik und So-
ziologie von Herrn Hansen, Humanismus, Tempo und Notenschrift von Herrn Stroux) und in Mainz Herrn
Dr. Kurt Oehl fiir die tagliche Zuverlassigkeit in alien organisatorischen Fragen und fiir die Betreuung der
Fachgebiete Oper und Ballett sowie Herrn cand. phil. Horst Adams (Sachgebiete Musikbibliographie und
Schlaginstrumente) fiir die redaktionelle Mitgestaltung des Bandes, besonders fiir die Sorge um die Herstellung
von Satz und Notenstich. Die technische Abwicklung der Verlagsarbeiten lag in den Handen von Herrn Karl
Heinz Kahl, dem Herstellungsleiter des Verlages.
In Freiburg haben mir aufierdem zur Seite gestanden Fraulein cand. phil. Ines Groh (Redaktionsarbeiten, Be-
treuung des Sachgebietes Tanze) und in den Jahren ab 1965 als Assistent des Lexikons Herr Dr. Helmut Haack
(der wahrend dieser Zeit u. a. auch die Artikel Phrasierung, Schuloper und Streichquartett schrieb), dazu die
Assistenten und Doktoranden des Musikwissenschaftlichen Seminars der Freiburger Universitat, voriibergehend
auch die Herren Dr. Reinhard Gerlach (Mitarbeit am Artikel Quellen) und Dr. Giinter Birkner. - Als Mitarbeiter
im Redaktionsbiiro in Mainz waren tatig auch Fraulein Use Lang und die Herren cand. phil. Dieter Thoma (ab
1965; er schrieb u. a. die Artikel Libretto und Sonate), Heinz Merling (bibliographische Arbeiten), Magisterphil.
Tadeusz Okuljar, Dr. Jorg Martin (ab 1966) und Wolfgang Weber; die Manuskriptabschriften betreuten Frau-
lein Hela Ebrecht und Frau Eva von Marillac de St. Julien. Den Damen und Herren des Mainzer Arbeitskreises
spreche ich fiir ihren rastlosen Einsatz ein besonderes Lob aus.
Als Mitarbeiter und Berater half en mir bereitwillig die Herren Dr. Horst Ochse (Romanische Philologie),
Professor Dr. Carl Dahlhaus und Dr. Frieder Zaminer. Fiir einzelne Fachgebiete standen mir zur Seite die Herren
Professor Giinter Baum (Gesangskunst), Dieter Behne (Systematische Musikwissenschaft, Zeichnungen und Ab-
bildungen), Professor Dr. Fritz Bose (Musikethnologie), Dr. Wilfried Daenicke (Systematische Musikwissen-
schaft), Dr. Karl- Werner Giimpel (Katholische Kirchenmusik), Dr. Erwin R. Jacobi (vollstandige Bearbeitung
des Sachgebiets Verzierungen), Dr. Max Kandler (Militarmusik), Oberregierungsrat Dr.-Ing. Werner Lotter-
moser (Akustik), Dr. Hans-Peter Reinecke (Systematische Musikwissenschaft), Pfarrer Ernst Karl RoBler
(Orgel), Dr. Elmar Seidel (Harmonielehre), Dr. Jan Slawe (Vorarbeiten zum Sachgebiet Jazz), Dr. Wilhelm
Vimeisel (Hilfe bei bibliographischen Arbeiten), Dr. Ernst Ludwig Waeltner (Jazz) und Professor Dr.-Ing.
Fritz Winckel (Elektroakustik).
Allen Mitarbeitern und Helf ern, auch den ungenannten, danke ich von ganzem Herzen fiir ihren Beistand und
fiir ihre geleistete Arbeit. Nur mit ihrer Hilfe, zumal nur durch den unermudlichen Einsatz des engeren Mit-
arbeiterstabes, konnte diese Arbeit durchgefiihrt werden. Besonderen Dank schulde ich dem Seniorchef des
Hauses B. Schott's Sonne, Herrn Dr. phil. h. c. Dr. jur. Ludwig Strecker. Er hat das Entstehen des Manuskripts
mit lebhafter Anteilnahme, tatiger Hilfe und vielen Ratschlagen verfolgt und ihm ein HochstmaB an ideeller
und materieller Forderung zugute kommen lassen.
VI
Ich betrachte den vorliegenden Sachband als einen Versuch, in relativ kurzer Frist eine Aufgabe zu erfiillen, deren
Bewaltigung mir oft ans Unmogliche zu grenzen schien. Ich hoffe, daB es in Fortfiihrung der Arbeit Wilibald
Gurlitts gelungen ist, ein Werk zu schaffen, das sich bewahrt und das in der Geschichte des Riemann Musikkxi-
kons Giiltigkeit gewinnt als ein neues Fundament, auf dem die Zukunft weiterarbeiten kann. Und ich hoffe auch,
dafi es mir vergonnt ist, eine Zeitlang diese Arbeit noch selbst durchzufiihren. Alle Benutzer des Sachteils bitte
ich — mit den Worten Hugo Riemanns (Vorwort zur 3. Auflage dieses Lexikons) — mir Verbesserungen und
Zusatze aller Art zukommen zu lassen, um recht viel von dem, was in dieser Auflage schlecht geblieben ist, in einer
dereinstigen weiteren Auflage gut machen zu konnen.
Freiburg im Breisgau, Herbst 1967 Hans Heinrich Eggebrecht
VORWORT DES VERLAGES
Dem in seinem Vorwort fur sich selbst in Zuriickhaltung gebliebenen Herausgeber, Dr. Hans Heinrich Egge-
brecht, dem ordentlichen Professor £iir Musikwissenschaft an der Universitat Freiburg im Breisgau, mochte der
Verlag auch an dieser Stelle seinen herzlichsten Dank aussprechen. Eggebrecht ist fur seinen Lehrer, den tief-
betrauerten gemeinsamen Freund Wilibald Gurlitt, eingetreten und hat etwas unersetzlich Scheinendes durch
ein neues Ereignis ersetzt. Dies war ohne die heutigen ihm zur Verfugung stehenden wissenschaftlichen Voraus-
setzungen und ein volliges Versenken in die grofie Aufgabe als Vermachtnis und Schopfung nicht moglich.
Er empfand dabei wie der Verlag die Fortfiihrung des Unternehmens im Geiste Riemanns und Gurlitts auch
der Offentlichkeit gegeniiber als Verpflichtung. Kritik des Berufenen und Erfahrung des Lesers werden ent-
scheiden, ob das durch die unglucklichen Umstande verzogerte Erscheinen nicht zeitwert gewesen ist.
Mainz, Herbst 1967 B. Schott's Sonne
vn
Initialen der Mitarbeiter
AS
Arnold Schmitz
HiA
Higini Angles
AW
Albert Wellek
HiH
Hilmar Hockner
AWF
Armin Wilhelm Fett
HK
Hellmut Kiihn
BB
Bernhard Billeter
HOc
Horst Ochse
BDS
Bartolomeo Di Salvo
HPR
Hans-Peter Reinecke
CD
Carl Dahlhaus
JAW
Sir Jack Westrup
ClS
Claudio Sartori
KJS
Klaus-Jurgen Sachs
EB
Elmar Budde
KS
Kurt Stephenson
ED
Erich Doflein
KWG
Karl Werner Giimpel
EGK
Edith Gerspn-Kiwi
LA
Lars Ulrich Abraham
EJ
Ewald Jammers
LRi
Lukas Richter
EK
Erich Kohler
LW
Lisbeth Weinhold
EKu
Ernst KuBerow
MG
Martin Geek
ERJ
Erwin R. Jacobi
MH
Michel Huglo
ESc
Erich Schenk
MR
Martin Ruhnke
ESe
Elmar Seidel
NJ
Norbertjeanjour
ET
Ernst Thomas
OK
Otto Koehler
EWa
Ernst Ludwig Waeltner
PA
Peter Andraschke
FB
Fritz Bose
PP
Pierre Pidoux
FeR
Felix Raugel
PS
Peter Schnaus
FrR
Fritz Reckow
PSch
Pierre Schaeffer
FW
Fritz Winckel
RB
Reinhold Brinkmann
FZ
Franz Zagiba
RG
Reinhard Gerlach
FZa
Frieder Zaminer
RSt
Rudolf Stephan
GB
Giinther Baum
RW
Rudolf Walter
GBa
Gottfried Bach
SC
Suzanne Clercx-Lejeune
GH
Glen Haydon
SG
Siegfried Goslich
GK
Giinter Kehr
StK
Stefan Kunze
GKa
Georg Kandler
ThG
Thrasybulos G. Georgiades
GMa
Giinther Massenkeil
UM
Ulrich Michels
GR
Georg Reichert
VR
Volker Rahlfs
GWi
Giinther Wille
WB
Werner Braun
HA
Heinz Arnold
WBl
Walter Blankenburg
HaH
Hans Hickmann
WBr
Werner Breig
HB
Heinrich Besseler
WD
Werner Danckert
HBe
Hermann Beck
WG
Walter Gerstenberg
HF
Helmut Federhofer
WHR
Walter Howard Rubsamen
HGL
Hans-Gerhard Lichthorn
WiD
Wilfried Daenicke
HHa
Helmut Haack
WL
Werner Lottermoser
HHE
Hans Heinrich Eggebrecht
WoD
Wolfgang Domling
HHS
Hans Heinz Stuckenschmidt
WoS
Wolfgang Schmieder
VIII
Benutzte neuere Nachschlagewerke
W. Apel, Harvard Dictionary of Music, Cambridge (Mass.) 15 1964. - Bibliographic des
Musikschrifttums, herausgegeben von W Schmieder, Frankfurt am Main 1950ff . -M. Bre-
net, Diccionario de la miisica, iibersetzt und bearbeitet von J. Barbera Humbert, J. Ricart
Matas und A. Capmany, Barcelona (1946). - H. M. Brown, Instrumental Music Printed
Before 1600, A Bibliography, Cambridge (Mass.) 1965. - Diccionario de la miisica Labor,
herausgegeben von J.Pena und H. Angles, 2 Bande, Barcelona 1954. - Dictionnaire
d'Archeologie Chretienne et de Liturgie, herausgegeben von F. Cabrol OSB und H. Le-
clercq OSB, 15 Bande, Paris 1924-53. - R.Eitner, Biographisch-bibliographisches Quel-
len-Lexikon, Nachdruckin 1 1 Banden, Wiesbaden und Graz 1959-60. -Enciclopedia della
musica, herausgegeben von CI. Sartori und R.Allorto, 4 Bande, (Mailand 1963-64). -
Enciclopedia dello spettacolo, herausgegeben von S. D'Amico, 9 Bande, Rom (1954-62),
Aggiornamento 1955-65, Rom (1966). - Encyclopedie de la musique, herausgegeben
von Fr. Michel, 3 Bande, Paris (1958-61). - Grove's Dictionary of Music and Musicians,
herausgegeben von E. Blom, 9 Bande, London 51954, Supplement 1961 . - Handbuch der
Liturgiewissenschaf t, herausgegeben von A.-G. Martimort, Deutsche Ubersetzung vom
Liturgischen Institut Trier, 2 Bande, Freiburg im Breisgau (1963-65). - G.Kinsky, Mu-
sikhistorisches Museum von W.Heyer in Coin, Katalog I— II, Koln 1910-12. - J.Kunst,
Ethnomusicology, Den Haag 3 1959. - Larousse de la musique, herausgegeben von N.
Dufourcq, 2 Bande, Paris (1957). - Leiturgia, Handbuch des evangelischen Gottesdien-
stes, herausgegeben von K.F.Miiller und W. Blankenburg, Kassel 1954ff. - H.Leucht-
mann und Ph. Schick, Langenscheidts Fachworterbuch Musik, Englisch-Deutsch,
Deutsch-Englisch, Berlin und Miinchen 1964. - Lexikon fur Theologie und Kirche,
herausgegeben von J.Hofer und K.Rahner SJ, 10 Bande, Freiburg im Breisgau 2 1957-
65, dazu Erganzungsband: Das Zweite Vatikanische Konzil I, 1966, und Registerband
1967. - A.Loewenberg, Annals of Opera. 1597-1940, 2 Bande, Genf (21955). - H.J.
Moser, Musiklexikon, 2 Bande, Hamburg 4 1955, Erganzungsband A-Z 1963. - Die
Musik in Geschichte und Gegenwart, herausgegeben von Fr.Blume, Kassel 1949ff. -
Pauly's Realenzyclopaedie der classischen Altertumswissenschaft, Neue Bearbeitung
herausgegeben von G. Wissowa, Stuttgart 1894ff. - Die Religion in Geschichte und Ge-
genwart, herausgegeben von K. Galling, 6 Bande, Tubingen 3 1957-62, dazu Register-
band 1965. - Repertoire International des Sources Musicales, Miinchen und Duisburg
1960ff. - C.Sachs, Real-Lexikon der Musikinstrumente, neu herausgegeben von E.
Winternitz, New York (1964). - P. A. Scholes, The Oxford Companion to Music,
London »1955. - N.Slonimsky, Music Since 1900, New York 31949. - Sohlmanns
Musiklexikon, herausgegeben von G. Morin, C.-A. Moberg und E. Sundstrom, 4 Bande,
Stockholm (1948-51). - Tonkonsten, herausgegeben von N. Broman, J. Norrby und
F.H.T6rnblom, 2 Bande, Stockholm (1955-57).
Alphabetische Ordnung
Umlaute sind wie wirkliche Diphthonge behandelt: a = ae, 6 = oe, u = ue. Alle
ubrigen Zusatzzeichen verandern die alphabetische Anordnung nicht (I, 0, 4, 5, h, I
usw. = a, o, a, c, h, 1, auch B = ss).
DC
Abkurzungen und Siglen
Die Abkurzungen geltenjeweils fur samtliche Casus und Numeri sowiefremdsprachliche Formen des betreffenden Wortes
A.
Alt
Abb.
Abbildung
Abh.
Abhandlung
Abk.
Abkiirzung
Abt.
Abteilung
Acad., Accad.
Academia, Accademia
ADB
Allgemeine Deutsche Biographie
Handbuch der Musikgeschichte, herausgegebeh von G. Adler, 2 Bande, Berlin
(21930)
J. Adlung, Musica mechanica organoedi, herausgegeben von J.L.Albrecht, 2
AdlerHdb.
Adlung Mus. mech. org.
Bande, Berlin 1768
AfMf
Archiv f iir Musikf orschung
AfMw
Archiv fur Musikwissenschaft
ahd.
althochdeutsch
Akad.
Akademie
AM
Anuario Musical
AMI
Acta Musicologica
AMz
Allgemeine Musikzeitung
AmZ
Allgemeine musikalische Zeitung
Anh.
Anhang
Anm.
Anmerkung
Ann. Mus.
Annales Musicologiques
anon.
anonym
Ant., Anth.
Antologia, Anthologie
ApelN
W. Apel, Die Notation der Polyphonen Musik, 900-1600, Leipzig 1962
Arch.
Archiv
Ass.
Association
Ausg.
Ausgabe
ausgew., Ausw.
ausgewahlt, Auswahl
B.
BaB
Bach Versuch
C. Ph. E.Bach, Versuch ttber die wahre Art das Clavier zu spielen, 2 Teile, BerUn
1753-62
Bar.
Bariton
B.c.
Basso continuo
Bd, Bde
Band, Bande
bearb., Bearb.
bearbeitet, Bearbeitung
Beitr.
Beitrag
Ber.
Bericht
Bibl.
Bibliothek
Bibliogr., bibliogr.
Bibliographie, bibliographisch
BIMG
Publikationen der Internationalen Musikgesellschaft, Beihefte
Biogr., biogr.
Biographie, biographisch
Bin
Berlin
Boll. Bibl. Mus.
Bollettino Bibliografico Musicale
BrossardD
S. de Brossard, Dictionaire de musique, Paris 1703
Biicken Hdb.
Handbuch der Musikwissenschaft, herausgegeben von E. Biicken, 10 Bande,
Wildpark-Potsdam (1927-34)
Bull.
Bulletin
BUM
Bulletin de la Societe Union Musicologique
BWV
W. Schmieder, Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke
von J. S.Bach, Leipzig 1950
BzAfMw
Beihefte zum Archiv fur Musikwissenschaft
bzw.
beziehungsweise
C.
Cantus
Cap.
Capitel
Cat.
Catalog
X
Cemb.
Cent.
C.f.
CFMA
CHM
Chw.
CMM
Cod.
Coll. mus.
CS
CSM
D
d.
Davison-Apel Anth.
DDT
Delia Corte Scelta
ders., dies., dass.
d.h.
Diss.
DMK
DM1
DMT
DTB
DTG
DVjs.
ed., Ed.
EDM
Einstein Beisp.
EMS
engl.
ev.
Expert Maitres
Expert Monuments
f.,f£.
f., fol.
f.
Fag.
Faks.
Ffm.
Fl.
frc., frz.
Fs.
GA
Gb.
gegr.
gem. Chor
Ges.
Gesch.
GMD
griech.
Grove
GS
Guilmant-Pirro
H.
Habil.-Schrift
Hbg
Hdb.
Hist., hist.
hi.
HM
Cembalo
Century
Cantus flrmus
Classiques f rancais du moyen age
Collectanea Historiae Musicae
Das Chorwerk
Corpus Mensurabilis Musicae
Codex
Collegium musicum
Scriptorum de musica medii aevi novam seriem . . . edidit E. de Coussemaker,
4 Bande, Paris 1864-76
Corpus Scriptorum de Musica
O.E.Deutsch, Schubert, Thematic Catalogue of All His Works, London (1951)
der, die, das
Historical Anthology of Music, herausgegeben von A. Th. Davison und W. Apel,
2 Bande, Cambridge, Massachusetts, I 21950, II 1950
Denkmaler Deutscher Tonkunst (Erste Folge)
A. Delia Corte, Scelta di musiche, Mailand 31949
derselbe, dieselbe, dasselbe
das heiBt
Dissertation; wo nicht anders vermerkt = von der Philosophischen Fakultat
einer Universitat angenommene Inauguraldissertation
Deutsche Musikkultur
Documenta musicologica
Dansk Musiktidsskrift
Denkmaler Deutscher Tonkunst, Zweite Folge: Denkmaler der Tonkunst in
Bayern
Denkmaler der Tonkunst in Osterreich
Deutsche Vierteljahrsschrift fur Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte
edidit, Edition
Das Erbe Deutscher Musik
A.Einstein, Beispielsammlung zur Musikgeschichte, Leipzig und Berlin 4 1930
The English Madrigal School, herausgegeben von E. H. Fellowes
englisch
evangelisch
Les Maitres musiciens de la renaissance francaise, herausgegeben von H. Expert
Monuments de la musique francaise au temps de la renaissance, herausgegeben
von H. Expert
folgende
folio
fur
Fagott
Faksimile
Frankfurt am Main
Flote
francais, franzosisch
Festschrift
Gesamtausgabe
GeneralbaB
gegriindet
gemischter Chor
Gesellschaft
Geschichte
Generalmusikdirektor
griechisch
Grove's Dictionary of Music and Musicians, herausgegeben von E. Blom,
9 Bande, London 51954, Supplement 1961
Scriptores ecclesiastici de musica . . ., herausgegeben .von M. Gerbert OSB,
3 Bande, St. Blasien 1784
Archives des Maitres de l'Orgue, herausgegeben von A.Guilmant und A.Pirro
Heft
Habilitations-Schrift
Hamburg
Handbuch
Historia, historisch
heilig
Hortus Musicus
XI
Hob.
hrsg.
Hs., Hss., hs.
IGNM
Inst.
Instr., instr.
ISCM
ital.
JAMS
JASA
Jb.
JbP
Jg-
Jh-
Kap.
Kat.
kath.
Kb.
Kgr.-Ber.
Kl.
K1.-A.
Klar.
klass.
Kmjb
KochL
Kod.
K.-V.
lat.
LD
Lit.
Lpz.
MA, ma.
MAB
Maldeghem Tresor
maschr.
Mattheson Capellm.
MD
Mf
MfM
Mg., mg.
MGG
MGkK
mhd.
Migne Patr. gr.
Migne Patr. lat.
Mitt.
Mk
ML
MMBelg
MMD
MMEsp
MMMLF
MMR
Mozart Versuch
MQ
MR
Ms., Mss.
MSD
MuK
mus.
Mus. Brit.
Mw., mw.
A. van Hoboken, J.Haydn, Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis I,
Instrumental werke, Mainz (1957)
herausgegeben
Handschrift, Handschriften, handschriftlich
Internationale Gesellschaf t f iir Neue Musik
Institut
Instrument, instrumental
International Society for Contemporary Music
italienisch
Journal of the American Musicological Society
Journal of the Acoustical Society of America
Jahrbuch
Jahrbuch der Musikbibliothek Peters
Jahrgang
Jahrhundert
Kapitel
Katalog
katholisch
KontrabaB
Kongrefi-Bericht
Klavier
Klavier-Auszug
Klarinette
klassisch
Kirchenmusikalisches Jahrbuch
H.Chr.Koch, Musikalisches Lexikon, Frankfurt am Main 1802
Kodex
L. Ritter von Kochel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis samtlicher Ton-
werkeW.A.Mozarts, bearbeitet von A.Einstein, Leipzig ^1937
lateinisch
Das Erbe Deutscher Musik, Zweite Reihe: Landschaftsdenkmale
Literatur
Leipzig
Mittelalter, mittelalterlich
Musica Antiqua Bohemica
Tresor musical, herausgegeben von R.J. Van Maldeghem
maschinenschriftlich
J. Mattheson, Der Vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739
Musica Disciplina
Die Musikforschung
Monatshefte fur Musikgeschichte
Musikgeschichte, musikgeschichtlich
Die Musik in Geschichte und Gegenwart, herausgegeben von Fr. Blume, Kassel
und Basel seit 1949
Monatsschrift fur Gottesdienst und kirchliche Kunst
mittelhochdeutsch
Patrologiae cursus completus, series graeca, herausgegeben von J. P. Migne
Patrologiae cursus completus, series latina, herausgegeben von J. P. Migne
Mitteilung
Die Musik
Music & Letters
Monumenta Musicae Belgicae
Musikalische Denkmaler, herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften
und der Literatur in Mainz
Monumentos de la Musica Espafiola
Monuments of Music and Music Literature in Facsimile
The Monthly Musical Record
L.Mozart, Versuch einer grundlichen Violinschule, Augsburg 1756
The Musical Quarterly
Music Review
Manuskript, Manuskripte
Musicological Studies and Documents
Musik und Kirche
musikalisch
Musica Britannica
Musikwissenschaft, musikwissenschaftlich
XII
NA
NDB
N. F.
nhd.
nld.
NMA
Nr.Nrn
N. S.
NY
NZfM
Ob.
OCist
OESA
OFM
o.J.
OMCap
o. O.
OP
op.
Orch.
Org.
Organum
OSA
OSB
P3M
PAMS
Pauly-Wissowa RE
P-C
Pedrell Teatro
Pfte
PGfM
Plur.
port.
Pos.
Praetorius Synt.
Proc. Mus. Ass.
Proc. R. Mus. Ass.
prov.
P.-V.
Quantz Versuch
R
Rass. mus.
RBM
RD
rde
Rev.
Rev. de Musicol.
Riemann Beisp.
Riemann MTh
RISM
RM
RMI
russ.
s.
S.
S.
Sachs Hdb.
SachsL
Sb.
Schering Beisp.
Neuausgabe
Neue Deutsche Biographie
Neue Folge
neuhochdeutsch
niederlandisch
Nagels Musik-Archiv
Nummer, Nummern
Neue Serie
New York
Neue Zeitschrift fur Musik
Oboe
Ordo Cisterciensium
Ordo Eremitarum Sancti Augustini
Ordo Fratrum Minorum
ohne Jahr
Ordo Fratrum Minorum Capuccinorum
ohne Ort
Ordo Praedicatorum
opus
Orchester
Orgel
Organum, Ausgewahlte altere vokale und instrumentale Meisterwerke
Ordo Sancti Augustini
Ordo Sancti Benedicti
Publikationen alterer Musik
Papers of the American Musicological Society
Pauly's Realenzyclopaedie der classischen Altertumswissenschaft, Neue Bearbei-
tung von G. Wissowa
A.Pillet und H. Carstens, Bibliographic der Troubadours, = Schriften der K6-
nigsberger Gelehrten Gesellschaft, Sonderreihe Band III, Halle 1933
Teatro lirico espafiol anterior al siglo XIX, herausgegeben von F. Pedrell
Pianoforte
Publikation Aelterer Praktischer und Theoretischer Musikwerke
Plural
portugiesisch
Posaune
M. Praetorius, Syntagma musicum, 3 Bande, Wolfenbiittel 1614-19
Proceedings of the Musical Association
Proceedings of the Royal Musical Association
provenzalisch
M.Pincherle, A.Vivaldi et la musique instrumentale II, Inventaire thematique,
Paris (1948)
J.J. Quantz, Versuch einer Anweisung die Flote traversiere zu spielen, Berlin 1752
G. Raynauds Bibliographic des altfranzosischen Liedes, neu bearbeitet . . . von
H. Spanke, =Musicologica I, Leiden (1955)
Rassegna musicale
Revue Beige de Musicologie
Das Erbe Deutscher Musik, Erste Reihe: Reichsdenkmale
rowohlts deutsche enzyklopadie
Revue
Revue de Musicologie
H. Riemann, Musikgeschichte in Beispielen, Leipzig 1912
H. Riemann, Geschichte der Musiktheorie, Berlin ( 2 1921)
Repertoire International des Sources Musicales
La Revue Musicale
Rivista Musicale Italiana
russisch
saeculum
Seite
Sopran
C. Sachs, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, = Kleine Handbiicher der
Musikgeschichte nach Gattungen XII, Leipzig 2 1930
C. Sachs, Real-Lexikon der Musikinstrumente, neu herausgegeben von E.Win-
ternitz, New York (1964)
Sitzungsberichte; wo nicht anders vermeTkt = Sitzungsberichte der philoso-
phisch-historischen Klasse einer Akademie
A. Schering, Geschichte der Musik in Beispielen, Leipzig 1931
XIII
SchillingE
Encyclopadie der gesammten musikalischen Wissenschaften, herausgegeben von
G. Schilling, 6 Bande, Stuttgart 21840, Supplement 1842
SCJ
Congregatio Sacerdotum a Sacro Corde Jesu
SIMG
Sammelbande der Internationalen Musikgesellschaft
Sing.
Singular
Singst.
Singstimme
SJ
Societas Jesu
SJbMw
Schweizeriscb.es Jahrbuch fiir Musikwissenschaft
Slg, Slgen
Sammlung, Sammlungen
SMZ
Schweizerische Musikzeitung
s. o.
siehe oben
Soc.
Societa
Sp.
Spalte
span.
spanisch
St., st.
Stimme, stimmig
staatl.
staatlich
STMf
Svensk Tidskrift for Musikforskning
StMw
Studien zur Musikwissenschaft
stor.
storico
s. u.
siehe unten
Suppl.
Supplement
s. v. w.
so viel wie
T.
Tenor
Tagliapietra Ant.
G. Tagliapietra, Antologia di musica antica e moderna per il pianoforte,
18 Bande, Mailand 1931-32
TH
Technische Hochschule
TMw
Tijdschrift voor Muziekwetenschap
Torchi
L'arte musicale in Italia, herausgegeben von L. Torchi
Trp.
Trompete
TVer
Tijdschrift der Vereeniging vor Nederlandse Muziekgeschiedenis
u., u. a.
und, und andere, unter anderem
Ubers.
Ubersetzung
Univ.
Universitat
u. 6., usf.
und ofter, und so fort
usw.
und so weiter
V.
Violine
v.
von
V.
vox
Va
Viola
Vc.
Violoncello
Ver.
Verein
Veroff.
Veroffentlichung
Verz.
Verzeichnis
VfMw
Vierteljahrsschrift fiir Musikwissenschaft
vgl.
vergleiche
Vorw.
Vorwort
WaltherL
J. G. Walther, Musicalisches Lexicon, Leipzig 1732
Wiss., wiss.
Wissenschaft, wissenschaftlich
WolfN
J. Wolf, Handbuch der Notationskunde, 2 Bande, = Kleine Handbiicher der
Musikgeschichte nach Gattungen VIII, 1-2, Leipzig 1913-19
WoO
Werk ohne Opuszahl
z. B.
zum Beispiel
Zflb
Zeitschrift fiir Instrumentenbau
ZfM
Zeitschrift fiir Musik
ZfMw
Zeitschrift fiir Musikwissenschaft
ZIMG
Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft
Zs., Zss.
Zeitschrift, Zeitschriften
Hinweis auf ein Stichwort des Lexikons; weitere Einzelheiten unter dem be-
zeichneten Stichwort (eine beigefiigte Zahl weist auf Unterteilung des Artikels
hin).
XIV
Aussprachebezeichnungen
aus dem System der Association phonitique Internationale
se ganz offenes e bzw. a, wie englisch cat
c stimmloses z, wie deutsch Zahl
c vorderer Reibelaut, wie deutsch ich
x Kehllaut, wie deutsch ach
e geschlossenes e, wie deutsch Beet
e offenes e, wie deutsch Bett, lang wie deutsch Bar
3 unbetontes kurzes e (Murmelvokal), wie deutsch Gelage
i wie kurzes u mit i-Farbung
A verschleiftes lj, wie italienisch battaglia
p. verschleiftes nj, wie franzosisch agneau
rj nasaliertes ng, wie deutsch lang
d offenes o, wie deutsch Spott
o geschlossenes o, wie deutsch Hohn
oe offenes 6, wie deutsch Spotter
a offenes 6 mit a-Farbung, wie englisch cut
geschlossenes 6, wie deutsch hohnen
j stimmhaft, im Unterschied zum deutschen r kein Reibelaut, wie englisch bread
s stimmloses s, wie deutsch essen
z stimmhaftes s, wie deutsch Rasen
J stimmloses sch, wie deutsch Schale
3 stimmhaftes sch, wie franzosisch garage
8 stimmloser Lispellaut, wie englisch thin
5 stimmhafter Lispellaut, wie englisch then
a u mit u-Farbung, wie schwedisch hus
v schwach stimmhaftes w, wie deutsch warten
w stark stimmhaftes w, wie englisch wait
u ganz stimmhaftes w, ahnlich einem ganz offenen u, wie polnisch zloto
Hilf szeichen :
'a betonter Vokal
a: langer Vokal
a nasalierter Vokal
l, ii, Halbvokale
(Konsonanten werden nur doppelt geschrieben, wo zwei Laute gesprochen werden,
wie deutsch Rebberg.)
XV
A, - 1) Ton-Name: In der lateinischen-*- Buchstaben-
Tonschrift begann die Reihe meist mit A, das im Sy-
stem der Kirchentbne Confinalis des Dorischen ist.
Glarean (1547) fiigte auf A den Aeolius hinzu. Seit
Zarlino (1571) ist der Ionius auf C primo modo; da-
durch riickte der Anfangsbuchstabe des Alphabets an
die 6. Stelle (C D E F G A H). Bei den romanischen
Volkern hat die Solmisationssilbe La den Buchstaben
verdrangt. Die Erniedrigung um einen Halbton heifit
As (engl. A flat; frz. la bemol; ital. la bemolle), um 2
Halbtone Asas (engl. A double flat; frz. la double be-
mol; ital. la doppio bemolle), die Erhohung um einen
Halbton Ais (engl. A sharp; frz. la diese; ital. la diesis),
um 2 Halbtone Aisis (engl. A double sharp; frz. la
double-diese; ital. la doppio diesis). -2) Stimmton: Im
allgemeinen wird nach dem eingestrichenen A (a 1 ) ein-
gestimmt; doch gibt es auch Stimmgabeln, die statt
des Kammertons al das a 2 oder (wie f riiher in England)
c 2 angeben. - 3) Seit Anfang des 19. Jh. werden in theo-
retischen Werken Akkorde mit ->■ Buchstaben-Ton-
schrift bezeichnet (A bedeutet den A dur-Dreiklang, a
den A moll-Dreiklang) ; im -*■ Klangschliissel treten
Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart nur
durch ihren Grundton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh.
entsprechend den Akkordbezeichnungen so ausgelegt,
daB A fiir A dur, a fur A moll stand. Doch ware es
heute irref uhrend, den Zusatz dur oder moll bei einer
Tonartbezeichnung auszulassen, da ein Titel wie »Sere-
nade in A« (Strawinsky) erweiterte Tonalitat mit Terz-
freiheit meint. Bis um 1800 wurde auch Ajjf fiir A dur,
A oder a fiir A moll gebraucht. - 4) Abk. fiir Altus
oder Antiphon.
Aachen.
Lit. : A. v. Reumont, A.er Liederchronik, A. 1873 ; W. Lu-
ders, Die Hofkapelle d. Karolinger, Arch. f. Urkunden-
f orschung II, 1909 ; O. Gatzweiler OFM, Die liturgischen
Hss. d. A.er Miinsterstifts, = Liturgiegeschichtliche Quel-
len u. Forschungen X, Munster i. W. 1926 ; Beitr. zur Mg. d.
Stadt A., hrsg. v. C. M. Brand u. K. G. Fellerer, = Beitr.
zur rheinischen Mg. VI, Koln u. Krefeld 1954; H. Frei-
stedt, Introituspsalmodie in A.er Hss. d. ausgehenden MA,
in: Studien zur Mg. d. Rheinlandes, = Beitr. zur rheini-
schen Mg. XX, Koln 1956; Le prosaire d'Aix-la-Chapelle,
hrsg. v. R.-J. Hesbert OSB, = Monumenta Musicae
Sacraelll, Rouen 1961.
abattuta (ital.) -► Battuta.
Abblasen bedeutet vom Turm abeblasen, herabblasen
(e turri tibiis canere, WaltherL) zu bestimmten Stunden
und Anlassen, spater auch Turmblasen genannt. Es ge-
horte - wie auch das ->■ Anblasen - zu den Obliegen-
heiten {dinst uffm Thorme) des Tiirmers oder Haus-
manns (fiir Halle um 1550: soil er alwege wie vor alters,
auff zwene orthe oder gegent blasen, Serauky, S. 312),
spater zu den Pflichten der -»■ Stadtpfeifer undRatsmu-
siker, so fiir Halle 1571 : Des Mittages umb il Ohr, des
Abendts umb 7, undfrue Morgens umb drei schlege sollen
sie wie von alters her alzeit Breuchlich gewest . . . , des-
gleichen alle Sonnabendt nachmittage umb ein Ohre uffm
Rathause sein und alle vier daselbst vom gange herab blasen
(Serauky, S. 282). Das A. diente zur Probe der Wach-
samkeit und Verkiindung der Stunden, ferner zu bea-
rer Zierde der Stadt bey denen Frembden (Zeitz 1701,
bei Werner S. 51) und zur Erweckung christlicher An-
dacht. Derm wenn unsere Stadt-Pfeiffer etwa zur Fest-
Zeit ein geistliches Lied mit lauter Trombonen vom Thurme
blasen, so werden wir iiber alle massen dariiber beweget, und
bilden uns ein, als horen wir die Engel singen (J. Kuhnau
1700). Von den Tiirmen der Stadttore, der Plattform
des Kirchen-, Rathaus- oder Schlofiturmes (»Blaser-
turm« des Stiftes St. Florian, »Schmetterhaus« am
Stadtturm in Troppau) bliesen die Musiker Fanfaren
und Signale, Choralsatze und »Abblase-Stiickgen«
(Tanzsatze, Sonaten, »Turmsonaten«) in ihre pfeifen,
krumhbrner, zincken oder schalmeien (so laut Bestimmun-
gen fiir Trier 1593/94), mit Posaunen und Zincken . . .
Cornetten und Trombonen (so fiir Leipzig 1670 und 1694),
wofiir seit Mitte des 16. Jh. eigenstandige -*■ Turm-
musik iiberliefert ist. Ununterbrochene Tradition des
A.s bestand teilweise bis ins 19. Jh. So verpflichteten
sich die Musiker von Zeitz 1836, das bisher iibliche Ab-
blasen vom Rathaus wochentlich und bei besonderen Festen
unentgeltlich zu verrichten (Werner, S. 53). In neuerer
Zeit erfuhr das Turmblasen eine Wiederbelebung und
wird auch heute noch mancherorts von Posaunencho-
ren namentlich als Weihnachts- und Neujahrsblasen
gepflegt.
Lit.: J. Kuhnau, Der Mus. Quack-Salber, Dresden 1700,
hrsg. v. K. Benndorf, = Deutsche Literaturdenkmale,
N. F. XXXIII-XXXVIII, Bin 1900, S. 210; R. Kade, Die
Leipziger Stadtpfeifer, MfM XXI, 1889; H. J. Moser, Die
Musikergenossenschaften im deutschen MA, Diss. Ro-
stock 1910; ders., Zur ma. Mg. d. Stadt Coin, AfMw I,
1918/19; ders., Tonende Volksaltertiimer, Bin (1935); A.
Aber, Die Pflege d. Musik unter d. Wettinern u. wettini-
schen Ernestinem, = Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. mw.
Forschung zu Biickeburg IV, 1 , Buckeburg u. Lpz. 1921, S.
57 u. 1 50 ; A. Werner, Stadtische u. f urstliche Musikpflege
in Zeitz bis zum Anfang d. 19. Jh., ebenda IV, 2, 1922; A.
Schering, Mg. Lpz. II, Lpz. 1926, S. 271ff. u. Ill, Lpz.
1941, S. 153; W. Serauky, Mg. d. Stadt Halle I, = Beitr.
zur Musikforschung I, Halle u. Bin 1935, S. 280ff., 310ff.;
H. Federhofer, Die Stadtturmermeister v. Leoben, Blatter
f. Heimatkunde XXIII, 1949.
Abbreviaturen (Abkiirzungen) gibt es sowohl fiir die
Notenschrift selbst als auch fiir die beigefiigten Vor-
trags- und Instrumentenbezeichnungen. Die gebrauch-
lichsten A. der Notenschrift sind: - 1) die Wiederho-
lungszeichen (-> Reprise, -> da capo, -»■ dal segno,
-*■ primo) anstelle des nochmaligen Ausschreibens
einer Anzahl Takte oder eines ganzen Formteils ; auch
wird statt dessen (besonders in Manuskripten) bei so-
fortiger Wiederholung eines einzelnen Taktes oder
weniger Takte die Bezeichnung bis oder due volte
(zweimal) angewandt. - 2) die Wiederholung einer
Abbreviaturen
Gruppe von mehreren Takten oder eines friiheren
Formabschnittes durch come sopra oder durch Takt-
bezifferung, wobei die zu wiederholenden Takte mit
Zahlzeichen oder Buchstaben versehen sind und an-
stelle ihrer Wiederkehr nur die betreffenden Zeichen in
oder iiber den leeren Takten stehen. - 3) das Zeichen
fur die Wiederholung desselben Taktes:
m
m
aber 2
gelesen, audi wenn kein segue oder simile dabeisteht.
Die aus repetierten Einzeltonen und tremolando kom-
binierten Figuren werden abbreviiert:
das auch fur die "Wiederholung eines halben Taktes
oder auch nur fur eine einzelne Figur verwendet wird:
n i i i i 1 — i i II ' ' ~i ;
S JJJJJJ [I »• J 1
das Zeichen fiir die Wiederholung eines Doppel taktes :
- 7) Fiir das Glissando werden nur Anfangs- und Ziel-
ton notiert und die Zwischentone durch einen Strich
ersetzt:
Anstelle dieser (alteren) Zeichen fiir ein- oder mehrtak-
tige Wiederholungen wird heute im allgemeinen f ol-
gendes Zeichen (scherzhaft »Faulenzer« genannt) ver-
wandt:
- 8) In ahnlicher Weise wird die Fortsetzung einer
Passage oder Figuration durch A. bezeichnet:
- 4) das Zeichen fiir die Tonrepetition (Aufteilung ei-
nes grofieren Notenwertes in eine Trommelfigur), wo-
bei die Abbreviatur anzeigt, in welche Notengattung
die langeren Noten aufgelost werden:
- 9) das Oktavzeichen zur Vermeidung vieler Hilfs-
linien fiir sehr hohe oder sehr tiefe Noten:
- 5) die Zeichen fiir den fortgesetzten Wechsel ver-
schiedener Tone (tremolando). Die Anzahl der beide
Noten miteinander verbindenden Querbalken bezeich-
net die Notengattung, in der die Ausf iihrung erfolgen
soil (-> Brillenbasse) :
(Achtel)
(Sechzehntell (ZweiunddreiBigstel)
- 6) Besonders in alterer Musik wurde die Fortsetzung
einer Form der Akkordbrechung durch die Beischrift
segue (oder simile), auch ->- Arpeggio verlangt:
simile
Abbreviatur 2
Iwird 2=
r r I
ausgefiihrt,
8 va bassa
Seltener ist 16ma ( a lta oder bassa; heute auch, richtiger,
15 iiblich) fiir die Versetzung um zwei Oktaven. Die
Bezeichnung c. 8™ . . . (iiber oder unter einzelnen No-
ten auch blofi 8) bedeutet con (coll')ottava oder con
ottava bassa, anstatt ausgeschriebener Oktaven. - 10) In
Partituren (besonders handschriftlichen) erspart man
das Ausschreiben gekoppelter Stimmen durch Anwei-
sungen wie: flauto col violino in 8 va ; fagotto col basso
(»mit dem BaB«, d. h. dieselben Noten wie dieser),
Oboe lido col I«n° usw. Ahnlich wurde friiher in der
Klaviermusik bei in Oktaven parallel gefiihrten Passa-
gen nur der Part der einen Hand ausgeschrieben und
der der anderen, nachdem durch wenige Noten die
Entfernung der Hande voneinander festgestellt war,
mit (all')unisono bezeichnet.
In Orchester- oder Chorstimmen wird eine langere
Folge von -*■ Pausen durch besondere Pausenzeichen
mit Zahlenangabe der pausierenden Takte zusammen-
gefaBt. Die -> Zeichen fiir Verzierungen sind nur zum
Teil A.
Die wichtigsten Wort-A. sind:
abb. = abbassamento (ital.), Sinkenlassen
(der Stimme)
Ace, ace. = Accompagnamento, Accompagnato
(ital.) ; Accompagnement, accom-
pagne (frz.), -> Begleitung
accel. -*■ accelerando
Accomp. — Accompagnato, ->■ Begleitung
Abendmusik
Ad°
ad lib.,
ad libit.
All
AU tto
And.
And ino
arc.
arp.
a t.
B.C.
c
Cad.
C.t.
cone.
Cont.
cont.
cres. t cresc.
Dal S.
B.C.
decresc.
dim., dimin.
div.
dol.
espr.
// JJ, JJT
ft'z
fP
fz
gliss.
G. O.
G. P.
l.H.
m
marc,
m.d.
m.g.
nif
M.M.
mod.
nip
m.s.
m.v.
obi.
op. (posth.)
P
P, VV, WPP
pass.
Ped.
Pf
princ.
rail.
rf, rfz
r.H.
rini.
rip.
rit.
Adagio
ad libitum
Allegro
Allegretto
Andante
Andantino
coll'arco, ->• arco
arpeggio
a tempo
Basso continuo
con, col (ital.), mit
Cadenza, ->■ Kadenz
Cantus firmus
concertato, concertant
Continuo, -*■ Basso continuo
contano
crescendo
dal segno
da capo
decrescendo
diminuendo
divisi
dolce
espressivo
forte, fortissimo, forte fortissimo
forzatissimo, -*■ sforzato
fortepiano, ->■ forte
forzato, -*■ sforzato
glissando
Grand Orgue
Generalpause
linke Hand
1) meno (ital.), weniger;
2) mezzo (ital.), halb
- marcato
mano destra (ital.), main droite (frz.),
rechte Hand
main gauche (frz.), linke Hand
mezzoforte, -*■ forte
Metronom Malzel
moderato
mezzopiano, -> piano
mano sinistra (ital.), linke Hand
mezza voce
obligat, obligato (ital.), oblige (frz.)
Opus (post(h)umum)
1) piu (ital.), mehr; 2) poco (ital.),
wenig
piano, pianissimo, pianissimo piano
passionato (ital.), passionne (frz.),
appassionato
Pedal
1) poco forte, -> forte, -»■ piano;
2) piu forte
principale
rallentando
rinforzando
rechte Hand
rinforzando
ripieno
ritardando, ritenuto
S.
seg.
sf
sfp
smorz.
sord.
sost.
spice.
stacc.
string.
ten.
U- t h —
trem.
T.S.
unis.
v. s.
Lit.: L.
WolfN.
-»■ Segno
->- segue
-»■ sforzato
= sforzato piano, -»■ sforzato
-> sforzato
= smorzando (ital.), ersterbend
= con -> sordino
-+ sostenuto
->■ spiccato
-> staccato
-> stringendo
-»■ tenuto
-> Triller
-»■ tremolo, tremolaiido
-»■ Tasto solo
-> unisono
= 1) -*■ volti subito; 2) vide sequens
(lat.), siehe das Folgende
Farrenc, Traite des abriviations, Paris 1897;
Abendmusik hieB im 17. und 18. Jh. der Zyklus
offentlicher Konzerte, den die Organisten der Lii-
becker Marienkirche regelmaBig an den beiden letzten
Trinitatis-Sonntagen und dem 2. bis 4. Adventssonntag
im AnschluB an den Nachmittagsgottesdienst veran-
stalteten sowie die an diesen 5 Sonntagen aufgefiihrte
zusammenhangende, oratorienartige Komposition. So-
wohl fiir die Geschichte des Konzertwesens als auch
fiir die des Oratoriums kommt der A. besondere Be-
deutung zu. Ihren Ursprung soil die A. in Orgelkon-
zerten haben, die die Liibecker Organisten vor Eroff-
nung der auf dem offenen Markt gehaltenen Borse
veranstalteten. SchonTunder (Marienorganist 1641-67)
hat fiir sein »Abendspielen« Hilfskrafte herangezogen.
Buxtehude gab wahrend seiner Amtszeit (1668-1707)
der A. ihre endgiiltige Form und begriindete ihren
Ruhm. Eintrittsgeld wurde nicht erhoben. Der Orga-
nist versandte die gedruckten Textbucher und erhielt
dafiir freiwillige Spenden. Einen festen Betrag stellte
die Kaufmannschaft zur Verfiigung. In Ausnahmefal-
len kam auch die Kirche fiir besondere Unkosten auf.
Fiir die A. standen dem Organisten der Schulchor, die
Ratsmusiker und die Instrumentisten der sogenannten
Kostenbriiderschaft zur Verfiigung; wenn notig, wur-
den Gesangssolisten aus Hamburg und Kiel verpflich-
tet. Damit war die A. weitaus reicher besetzt als die
sonn- und festtagliche Figuralmusik des Kantors. Bux-
tehude hat noch nicht immer eine zusammenhangende,
sich iiber die 5 Sonntage erstreckende A. aufgefiihrt,
wie es unter den Amtsnachfolgern Schieferdecker,
J. P. und A. C.Kunzen und v.Konigslow zur Regei
wurde, sondern gelegentlich auch gemischte Program-
me mit Kantaten und Choren geboten. Ob es sich bei
dem anonym und ohne Titel in Uppsala aufgefunde-
nen, Buxtehude zugeschriebenen sogenannten »Jung-
sten Gericht« um eine Liibecker A. handelt, ist neuer-
dings umstritten. Von diesem Werk abgesehen, haben
sich von den A.en Buxtehudes nur wenige Textbucher
erhalten (1678 und 1700), ferner von zwei als »extraor-
dinare A.« bezeichneten Gelegenheitskompositionen,
die zwar an Wochentagen aufgefiihrt wurden, aber in
Aufbau und Besetzung den A.en gleichzustellen sind;
die Titel zweier f iinf teiliger oratorischer Werke Buxte-
hudes finden sich 1684 in Mefikatalogen unter den
Druckankiindigungen. Unter seinen Nachf olgern wur-
den die StoSe meist dem Alten Testament entnommen
und haufig, aber nicht immer, zum Leben oder zur
Ankunft Christi in Beziehung gesetzt. Die A. wurde
a bene placito
stets vom Organisten selbst komponiert; erst seit 1789
kamen gelegentlich auch Werke anderer Komponisten
zur AuffUhrung. Seit 1752 wurde Interessenten auch
der Besuch der Generalproben gegen Eintrittsgeld ge-
stattet. 1789 wurde die A. zum letzten Mai in der Kir-
che aufgefiihrt; 1810 endeten auch die Auffiihrungen
im Konzertsaal. Partituren von A.en waren erst aus
der 2. Halfte des 18. Jh. iiberliefert; sie sind seit 1945
verschollen.
Lit.: C. Stiehl, Die Organisten an d. St. Marienkirche
u. d. A. in Liibeck, Lpz. 1886; A. Schering, Gesch. d.
Oratoriums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III,
Lpz. 1911 ; W. Stahl, Fr. Tunder u. D. Buxtehude, Lpz.
1926; ders., Die Lubecker A. im 17. u. 18. Jh., Liibeck
1937; O. Sohngen, Die Lubecker A. als kirchengeschicht-
liches u. theologisches Problem, MuK XXVII, 1957; G.
Karstadt, Die »Extraordin3ren« A. D. Buxtehudes, Lii-
beck 1962. MR
a bene placito (a b'e:ne pl'a:tfito, ital.), nach BeUeben,
frei im Vortrag; -> ad hbitum.
Abgesang -> Bar.
Abo -> Turku.
Abruptio (lat., das AbreiBen), in der Kompositions-
lehre des 17. und 18. Jh. eine musikalische Figur ohne
rhetorisches Vorbild dieses Namens. Ihr allgemeines
Merkmal ist das unerwartete Abbrechen oder Zerrei-
fien des musikalischen Kontextes, besonders statt des
Eintretens einer Auflosung. Im Stilus recitativus ist die
A. nach Bernhard (urn 1650) und J.G.Walther (1732)
gegeben, wenn die Singstimme in der Quarte endet
(ohne Auflosung in die Terz) und der BaB die Kadenz
allein zu Ende fiihrt:
oder (nach Bernhard) wenn statt eines Verlangerungs-
punktes eine Pause gesetzt wird:
jrrrrr ^ \ m
?
¥
Koch (1802) beschreibt sie als Abbrechen des Satzes an
ungewohnlichem Ort, z. B. wenn nach Subdominante
und Dominante eine Generalpause folgt, ehe die Toni-
ka erscheint. Die A. ist verwandt mit der ->• Ellipsis.
Absetzen, Terminus des 16.-18. Jh. fiir die Ubertra-
gung eines Vokalstiickes in die -> Tabulatur eines
Soloinstruments.
Absolute Musik meint reine Musik, losgelost von
Bedingungen, die auBerhalb ihrer selbst liegen, na-
mentlich von Verbindungen zu anderen Kunsten,
namlich frei von der Absicht, Sprachformen und -in-
halte zum Erklingen zu bringen, Begriffliches und
Gegenstandliches nachzuahmen, zu malen oder abzu-
bilden, Affekte oder Gefiihle darzustellen oder auszu-
driicken, dabei zugleich frei von Riicksichten auf Zeit,
Ort und Gelegenheit, - Musik also, die sich selbst das
Gesetz gibt, und deren Existenz und Aussage in solcher
Autonomic des musikalischen Formens und Fiigens
griindet. - Wohl erstmalig in bezug auf Musik be-
gegnet der Ausdruck »absolut«, - der im Deutschen
Idealismus neben dessen Begriff des Absolut-Schdnen
so noch nicht hatte gedacht werden konnen -, bei
Hanslick (1854; S. 20): nur die Instrumentalmusik sei
reine, absolute Tonkunst im Sinne jenes spezifisch Musi-
kalisch-Schonen, das einzig in den Tonen und ihrer kiinst-
lerischen Verbindung liegt. Doch kiindigt sich diese Vor-
stellung'seit Ende des 18. Jh. in zunehmendem Mafie
an, zunachst namenthch bei Herder (1769; S. 122, und
1800; S. 185f.), der die Musik eine eigenmdchtige Kunst
nennt, die sich ohne Worte, bios durch und an sich . . . zur
Kunst ihrer Artgebildet habe. Deutlich laBt Tieck (1799,
I, S. 305) die zentrale Geltung der Instrumentalmusik
aufscheinen: in ihr sei die Kunst unabhdngig und frei, sie
schreibt sich nur selbst ihre Gesetze vor, sie phantasiert
spielend und ohne Zweck. Und in ausgesprochenem
Bezug auf Beethoven als Hohepunkt einer Entwick-
lung identifiziert dann E. T. A . Hoffmann Musik als selb-
stdndige Kunst mit der Instrumentalmusik (der roman-
tischsten aller Kiinste), welche das eigentiimliche, nur in ihr
zu erkennende Wesen dieser Kunst rein ausspricht und deren
Zauber . . . jede Fessel einer andern Kunst zerreifien muB-
te. Musik als reine Kunst, - denn der Musiker nimmt das
Wesen seiner Kunst aus sich - auch nicht der leiseste Ver-
dacht von Nachahmung kann ihn treffen (Novalis 1799, S.
164) -, scheint das Paradigma gewesen zu sein fiir den
Reinheitsanspruch anderer Kiinste, fiir Erzdhlungen
ohne Zusammenhang, jedoch mit Association, wie Trdume,
Gedichte, bloji wohlklingend und voll schoner Worte, aber
auch ohne alien Sinn und Zusammenhang, wie es Novalis
(1799, II/l, S. 279) voraussah. Im Streben nach Absolut-
heit nicht nur in abstrakten »Kompositionen« der bilden-
den Kiinste, sondern auch in der Dichtung, in Erorte-
rungen etwa iiber das »poem per se« (E. A. Poe 1850), die
spoesie pure« (Mallarme, um 1870; H.Bremond 1926)
und das »absolute Gedicht« (G.Benn 1951) schwingt
oft ein wesentlich musikalisches (und seiner Herkunft
nach zugleich romantisches) Moment mit : Der Lyriker
wird zum Klangmagier (Friedrich, S. 37).
Das Entstehen von Vorstellung und Begriff der A.n M.
bezeichnet offensichtlich einen bestimmten Punkt in
der Geschichte der Musik. Denn im Blick auf die ihren
Gang charakterisierende Entstehung und Heranbildung
der Mehrstimmigkeit, der Harmonik als eigenstandi-
gem Faktor und der Instrumentalmusik sowie unter
Hinweis auf die Emanzipation der Musik zunachst aus
dem Verband der Artes liberales und dann aus dem der
Schonen Kiinste kann die Geschichte der Musik ver-
standen werden als Entfaltung der in ihrer Seinsart an-
gelegten Eigenstandigkeit und Instrumentalitat, bis hin
zu dem - mit Hoffmanns Worten - tiefern, innigeren
Erkennen des eigentiimlichen Wesens der Musik durch
Haydn, Mozart und Beethoven, auf deren Instrumen-
talmusik sich der Begriff A. M. zunachst bezog. In
abermaliger Steigerung solcher Reinheit und Freiheit -
denn frei ist die Tonkunst geboren und frei zu werden ihre
Bestimmung (so beschrieb dies 1907 Busoni) - erscheint
die tonalitatsfreie Musik der Wiener Schule nach 1900
als »absolute Komposition«, insofern sich hier das mu-
sikalisch autonome Zustandekommen der Tonsetzun-
gen in hohem MaBe nun auch der begrifflichen Re-
flexion entzieht, so daB sich das kompositorische Den-
ken als ein Instinkt versteht, d. h. sich nicht mehr im
friiheren Sinne theoretisch und regulativ, sondern als
rein kompositorische BewuBtheit nur mehr durch den
Akt der Tonsetzung selbst rechtfertigen kann: der
Kiinstler folgt dem Willen einer Macht in ihm, deren
Gesetze er nicht kennt und ist nur der Ausfiihrende eines
ihm verborgenen Willens, des Instinkts, des XJnbewufiten in
ihm (Schonberg, Harmonielehre, S. 500).
Die kritischen Einwande gegen eine schlagwortartige
Uberspitzung des Begriffs A. M. richten sich sowohl
gegen den Glauben, daB er einen »Fortschritt« der Mu-
sik bezeuge, und gegen die Tendenz abzuwerten, was
a cappella
ihm nicht entspricht, als auch gegen die Erweiterung
seines historisch datierbaren Geltungsbereichs. Frag-
wiirdig ist der Begriff A. M. iiberhaupt, soweit er auf
der Annahme beruht, da8 alles liber »das freie Spiel mit
der Form« Hinausgehende schon als auBermusikalisch
zu betrachten sei und daB Musik »sich selbst zum In-
halt setzen«, »sich selbst bedeuten« solle. Eine solche
Auffassung, die Schonberg und Webern ebenso fremd
war wie etwa Beethoven, unterschatzt die Vielschich-
tigkeit des Sinngef iiges der Kunst im allgemeinen und
der Musik im besonderen und verkennt, daB auch in
der abstraktesten musikalischen Struktur, sofern es um
Kunst sich handelt, etwas zur Sprache kommt, das an
den Asthetiker den Anspruch des Erkennens und An-
sprechens stellt.
Lit. : J. G. Herder, Viertes Kritisches Waldchen (1769) u.
Kalligone (1800), in d. GA seiner Werke, hrsg. v. B.
Suphan, Bd. IV u. XXII, Bin 1878 u. 1880; L. Tieck, in:
W. H. Wackenroder, Werke u. Briefe, hrsg. v. F. v. der
Leyen, 2 Bde, Jena 1910; Novalis, Fragmente (1799),
Kritische NA v. E. Heilborn, 2 Teile, Bin 1901 ; E. T. A.
Hoffmann, Beethovens Instrumental-Musik (1814) u.
Rezension v. Beethovens 5. Symphonie (1810), in: Dich-
tungen u. Schriften sowie Briefe u. Tagebiicher, GA, 15
Bde, hrsg. v. W. Harich, Weimar 1924, Bd XII; H. G.
Nageli, Vorlesungen uber Musik, Stuttgart u. Tubingen
1826; G. W. Fr. Hegel, Vorlesungen uber d. Aesthetik,
Samtliche Werke, Jubilaumsausg., 20 Bde, hrsg. v. H.
Glockner, Stuttgart 1953, Bd XIV, S. 133 u. 21 1 ; E. Hans-
lick, Vom Mus.-Schonen. Ein Beitr. zur Revision d.
Aesthetik d. Tonkunst, 1. Aufl. Lpz. 1854; H. Riemann,
Die Elemente d. mus. Asthetik, Bin u. Stuttgart (1900),
frz. Paris 1906, span. Madrid 1914; F. Busoni, Entwurf ei-
ner neuen Asthetik d. Tonkunst, Triest 1907, Lpz. 2 1916,
Wiesbaden 1954; A. Schonberg, Harmonielehre, Wieh
191 1, 51960, engl. NY 1947 ; H. Friedrich, Die Struktur d.
modernen Lyrik. Von Baudelaire bis zur Gegenwart, = rde
XXV, Hbg 1956. HHE
Absolutes Gehor heiBt der unmittelbare Sinn und
das darauf beruhende Dauergedachtnis fur die Eigen-
art der Tone und Tonarten als solchen (die meist so ge-
nannte absolute Tonhohe), d. h. das mehr oder minder
sichere Erkennen des Einzeltones oder -akkordes ohne
Anhaltspunkte (Vergleichstone) und Hilfsmittel. Diese
Fahigkeit ist am sichersten in der Mittellage des musi-
kalischen Tonbereichs. Nicht immer damit verbunden
ist die Fahigkeit der absoluten Intonation, auch werden
nicht immer alle Instrumente gleich gut beurteilt. BloB
rezeptive Absoluthorer (ohne absolute Intonation) sind
regelmaBig an wenige Instrumentalklangfarben ge-
bunden. Das A. G. ist erbbedingt; es ist schon bei Kin-
dern im 3. Lebensjahr beobachtet worden und ent-
wickelt sich zu um so groBerer Vollkommenheit, je
friiher es einsetzt. Es ist relativ selten und keineswegs
alien guten Musikern eigen; z. B. Weber, Schumann,
Wagner besaBen das A. G. nicht oder nur in unvoll-
kommener Form (als absolutes Tonartengehor). Ent-
wicklung und Leistung des A.n G.s werden durch die
Schwankungen und Uneinheitlichkeit der Stimmung
der Instrumente beeintrachtigt. Orchestermusiker und
Sanger sind durch Ubung haufig in der Lage, einen be-
stimmten Ton, aber nicht alle, absolut zu erkennen.
Dieses Standardtongehbr ist im Gegensatz zum A.n G.
weitgehend lernbar. Es gibt drei Typen des A.n G.s mit
mehreren Untertypen : linear, vorwiegend an der Hel-
ligkeit und Hohe der Tone orientiert, daher zur Halb-
tonverwechslung neigend; polar oder zyklisch, vor-
wiegend an der -»■ Tonigkeit orientiert, zur Verwechs-
lung im Quint- und Quartverhaltnis neigend; farbig,
ganz oder teilweise an Photismen, d. h. am -»■ Farben-
horen orientiert. Der 3. Typ findet sich besonders bei
Erblindeten. Da das A. G. selten ist, kann es keine un-
erlaBliche Voraussetzung f iir hohe musikahsche -*■ Be-
gabung sein, ist aber in der Regel ein Symptom dafiir;
ausgesprochen unmusikalische Absoluthorer gibt es
nicht. Allerdings kann das A. G. der musikalischen
Praxis gewisse Hindernisse bereiten, namlich dasTrans-
ponieren erschweren oder auch den Trager dazu ver-
leiten, sein -> Relatives Gehor nicht zu bilden, das fiir
alle Musikiibung entscheidend ist. Andererseits gewahr-
leistet das A. G. ein leichteres Erkennen der Modulatio-
nen, der genauen Stimmung und Intonation, des Ab-
sinkens der Stimmung usw. und wird deshalb z. B. von
Dirigenten mit Recht geschatzt.
Lit. : O. Abraham, Das absolute TonbewuBtsein, SIMG
III, 1901/02 u. VIII, 1906/07; F. Auerbach, Das absolute
TonbewuBtsein, SIMG VIII, 1906/07; H. Riemann, Ton-
hohenbewuBtsein u. Intervallurteil, ZIMG XIII, 1911/12;
G. Revesz, Ober d. beiden Arten d. a. G., ZIMG XIV,
1912/13; ders., Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern
1946; J. Kobelt, Das Dauer-Gedachtnis f. absolute Ton-
hohen, AfMw II, 1919/20; L. Weinert, Untersuchungen
uber d. a. G., Arch. f. d. gesamte Psychologie LXXIH,
1929 ; H. Hein, Neues uber d. a. G., ZfMw XII, 1929/30; A.
Wellek, Das A. G. u. seine Typen, = Zs. f. angewandte
Psychologie u. Charakterkunde, Beih. LXXXIII, Lpz.
1938, Ffm. 2 1966 ; ders., Musikpsychologie u. Musikasthe-
tik, Ffm. 1963 ; D. M. Neu, A Critical Review of the Lit. on
»absolute pitch«, Psychological Bull. XLIV, 1947. AW
Absorption (von lat. absorbere, verschlucken) wird
die Umwandlung von Strahlungsenergie in andere
Energieformen genannt. Bei Schall-A. handelt es sich
im wesentlichen um die Umwandlung von Schallener-
gie in Warme durch Reibung. Die bei der Schallaus-
breitung zu beobachtende Abnahme der Schallintensi-
tat durch Energie-Umwandlung im Medium der Aus-
breitung (Luft) ist verhaltnismaBig klein; die A. an den
Begrenzungsflachen laBt sich aus dem Verhaltnis der
reflektierten zur einfallenden Schallenergie errechnen.
Lit. : L. Cremer, Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik I
u. II, Stuttgart 1948-61, III, Lpz. 1950; E. Skudrzyk, Die
Grundlagen d. Akustik, Wien 1954.
Abstrich PI, Aufstrich V (frz. tirez, poussez; engl.
downstroke, upstroke; ital. in giu, in su) bezeichnen
beim Streichinstrumentenspiel die Richtung, in der die
Bogenbewegung erfolgt. Sie verlauft beim A. vom
Frosch zur Spitze, beim Aufstrich umgekehrt. Bei Bo-
genfiihrung mit Untergriff (Viola da gamba) werden
betonte Tone mit dem Aufstrich gespielt. Bei den mo-
dernen Streichinstrumenten mit Obergriffhaltung ist
der A. gewichtiger; mit ihm werden auch Akkorde ge-
spielt. Der Aufstrich hingegen eignet sich besonders zur
Ausf iihrung der Stricharten -> staccato, -*■ portato u. a.
Abzug, - 1) im 16./17. Jh., besonders auf der Laute, die
einfachste Art der ->■ Scordatura, namlich das Herab-
stimmen (Herabziehen) des tiefsten Chores um einen
Ganzton. Eine so umgestimmte Laute »steht im Abzug«
(ital. liuto descordato; frz. luth a corde avalee), ein da-
fiir bestimmtes Stiick »geht im Abzug« (z. B. bei New-
sidler 1536, 1540). Bei den Lautenisten war der A. nicht
beliebt; statt des A.s wurde schon von Agricola 1545
die Zufiigung eines 7. Chores empfohlen. Praetorius
(1619) nennt die theorbierte Laute: Laute mit Abzii-
gen. - 2) eine Spielmanier, ivenn eine simple leise Note
nach einem Vorschlagfolgt (C. Ph. E.Bach 1753). - 3) im
Orgelbau eine Bezeichnung fiir ->■ Transmission, »ab-
gezogener«, abgesonderter BaB, auch Auszug genannt.
a cappella (ital., friiher auch a, alia capella) heiBt seit
Anfang des 17. Jh. eine Musik nach Art der Sanger-
Kapellen. Die Deutung des Begriffs hat auszugehen
von dem geschichtlichen Sachverhalt, daB um 1560 ne-
ben der Vokalpolyphonie der f ranko-flamischen Tradi-
tion andere Kompositionsweisen zu gleichem Rang auf-
stiegen, so die ->■ Mehrchorigkeit, die -> Seconda pra-
a cappella
tica der spaten Madrigalisten, der Stile recitativo und
der concertierende Stil. Die a c.-Kunst wurde weiter-
hin gepflegt und gait gegeniiber den neuen Musikarten
als Grundlage des kompositorischen Wissens (Schiitz,
Vorrede zur Geistlichen Chor-Music). Der Klang ist der
des Vokalchors, d. h. mit mehrfacher Besetzung jeder
Stimme; Instrumente konnen (colla parte) hinzutreten.
Der Satz ist der des Contrapunctus gravis, der strengen,
reinen oder gebundenen Schreibart; er ist imitierend
und nimmt besonders auf Sangbarkeit und melodische
Selbstandigkeit aller Stimmen Riicksicht; auch in neue-
rer Zeit bleibt er durchaus diatonisch und an die Kir-
chentone gebunden. Als angemessene Notation gelten
grofie {sfotenwerte mit Vorzeichnung des a c.-Taktes
(->- Allabreve). Der Stil wurde als altertiimlich (stilus
antiquus), wiirdevoll (stilus gravis) und kirchlich (stilus
ecclesiasticus) angesehen; fiir ihn gilt, dafi er aus nicht
allzugeschwinden Noten, wenig Arten des Gebrauchs der
Dissonantzen besteht, und nicht so sehr den Text als die
Harmonic in Acht nimmt (Harmonia Orationis Domina;
Bernhard, S. 42 und 83). Seit G.Gabrieli (1592) wur-
de die Bezeichnung a c. (oder Capella) auch als blofie
Besetzungsvorschrift verwendet; sie zeigt nach so-
listischen Partien den Eintritt des vollen Chores an,
bei dem die Instrumente mitgehen. Erst seit dem 19.
Jh. schliefk die Angabe a c, die nun auch inweltlichen
Werken begegnet, jede Begleitung durch Instrumente
aus.
In der Musikforschung wurde die Diskussion des a c-
Ideals im Zusammenhang mit dem musikalischen
Historismus des 19. Jh. zumeist auf die Frage vokaler
oder instrumentaler Auffuhrung eingeengt; anderer-
seits blieb die geschichtliche Abgrenzung unbestimmt.
Es empfiehlt sich, die Bezeichnung nicht mit dem Be-
griff der -»■ Prima pratica Monteverdis (der Meister von
Ockeghem bis Clemens non Papa, jedoch nicht Pale-
strina nennt) gleichzusetzen, sondern erst auf die spate-
ren Stufen der franko-namischen Tradition zu bezie-
hen, die von der humanistischen Forderung nach
Wortverstandlichkeit und von den Diskussionen des
-+ Tridentiner Konzils gepragt wurden. Als alteste Au-
toren des Stilus a c. nennt Bernhard Josquin und Gom-
bert. Palestrina hat dann eine neue, vor allem von der
papstlichen Kapelle festgehaltene Tradition gestiftet,
die sich von der Entwicklung anderer Zweige des kom-
positorischen Schaffens trennte und fiir die seine Werke
musterhaft blieben. Dagegen erscheint Lassus schon bei
Bernhard nicht unter den Autoren des a c.-Stils, der zu-
nehmend mit dem Palestrina-Stil gleichgesetzt wurde.
Im 19. Jh. wurde die a c.-Musik zum Ideal kirchlicher
Tonkunst erhoben. Wortfiihrer waren E. T.A.Hoff-
mann und Winterfeld in Berlin, Thibaut in Heidel-
berg, Baini in Rom, Ett und Aiblinger in Munchen,
spater in Regensburg Proske, Witt (Griinder des Allge-
meinen deutschen Cacilienvereins, 1867) und Haberl
(Griinder der Regensburger Kirchenmusikschule,
1874), die durch Nachahmung und Wiederbelebung
des a c.-Ideals eine Erneuerung der Kirchenmusik ihrer
Zeit erstrebten.
Lit.: Praetorius Synt. Ill; Die Kompositionslehre H.
Schutzens in d. Fassung seines Schiilers Chr. Bernhard,
hrsg. v. J. Muller-Blattau, Lpz. 1926, Kassel 2 1963 ; Th.
Kroyer, A c. oder Conserto, Fs. H. Kretzschmar, Lpz.
1918; ders., Zur a c.-Frage, AfMwII, 1919/20; ders., Das
a c.-Ideal, AMI VI, 1934; O. Ursprung, Restauration u.
Palestrina-Renaissance ..., Augsburg 1924; ders., Die
kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb. ; E. Katz, Die mus.
Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1926; K. G.
Fellerer, Der Palestrinastil ..., Augsburg 1929; J.
Handschin, Die Grundlagen d. A c.-Stils, in: H. Hauser-
mann u. d. Hausermannsche Privatchor, Zurich 1929; H.
Besseler, Die Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken
Hdb. ; R. Haas, Auffiihrungspraxis d. Musik, ebenda; W.
Ehmann, Der Thibaut-Behaghel-Kreis, AfMf III-IV,
1938-39; H. Zenck, Artikel ac, in: MGG 1, 1949-51.
accelerando (attjeler'ando, ital.; Abk. : accel.), be-
schleunigend, allmahlich schneller werdend, wie
-> stringendo.
Accent (aks'a, frz.) ->• Vorschlag (Nachschlag) ; bei
Mersenne (1636) als a. plaintif fiir Vorschlag von unten.
Accentus (lat.) ->- Akzent.
Acciaccatura (attjakkat'u:ra, ital.; von lat. acciaccare,
zerdriicken; »Quetschung«, Zusammenschlag ; frz. pin-
ce etouffe; engl. crushed oder simultaneous appoggia-
tura) ist der zuerst bei Fr. Gasparini (L'armonico pratico
..., 1708) vorkommende Name einer nur auf Tastenin-
strumenten ausfiihrbaren Verzierung, die im deutsch-
franzosischen Schrifttum vom -*■ Mordent, im engli-
schen vom kurzen -> Vorschlag abgeleitet wird. Sie
besteht aus dem gleichzeitigen Anschlag einer Note
und ihrer unteren (meist chromatischen) Nebennote,
wobei die Nebennote sof ort nach ihrem Anschlag wie-
der losgelassen, die Hauptnote dagegen entsprechend
ihrem notierten Wert ausgehalten wird. Eine solche
Ausfuhrungsart fiir den Mordent beschreibt bereits H.
Buchner (urn 1520) fur die Orgel. - C. Ph. E.Bach
nennt 1753 diese Verzierung eine besondere
Art, den Mordenten, wenn ergantz kurtz seyn
soil, zu machen:
Marpurg spricht (1755), bei gleichem Notenbeispiel,
von einem abgeschnappten Mordent. Turk (Klavierschule,
1789) nennt den »Zusammenschlag« eine nicht sehr be-
kannte Manier, die man ehedem wohl wahrscheinlich unter
der . . . Bezeichnung Beisser verstanden habe:
^N
Bei Akkorden hat vor allem D. Scarlatti die A. haufig
benutzt; ein typisches Beispiel findet sich bei J. S.Bach
in der Partita A moll fur Cemb. (BWV 827, Scherzo,
Takt 28). - Eine andere Art der A. besteht in der Bre-
chung von Akkorden mit chromatischen (oder auch
mit diatonischen) Fremdnoten (-»- Arpeggio), frz. ar-
pegement figure im Gegensatz zum arpegement simple
(vgl. auch die bekannte, steigende und fallende tierce
coulee). Solche gebrochenen Acciaccaturen haben vor
allem auf dem Cembalo eindriickliche Wirkung und
wurden im 18. Jh. haufig bei Begleitung von Rezitati-
ven angewendet (Heinichen 1728). Ein Beispiel fiir
solche Acciaccaturen im solistischen Spiel bietet J. S.
Bachs Sarabande der Partita E moll (BWV 830). Auch
in den franzosischen Preludes non mesure's von L. Cou-
perin, d'Anglebert oder G. Le Roux finden sich zahl-
reiche derartige Acciaccaturen. ERJ/BB
Accompagnamento (akkompapam'ento, ital.), Ac-
compagnement (akapajim'a, frz.), -*■ Begleitung.
Accompagnato (akkompan'a:to, ital., begleitet; Abk.:
Ace. oder Accomp.), das fnit ausgearbeiteter (in
Stimmen notierter) Begleitung versehene -»■ Rezitativ
der alteren Oper im Gegensatz zum Seccorezitativ, das
nur einen bezifferten BaB hat. Die ersten Opern kennen
iiberhaupt keine andere Art der Begleitung des Sologe-
sangs als die mit GeneralbaB durch ein Akkordinstru-
ment, und das erste Beispiel des A.s im 4. Akt von Mon-
teverdis Orfeo (1607) stand zunachst vereinzelt da. Erst
uber 30 Jahre spater fiihrten die Venezianer (Cavalli)
das A. (ausgehaltene Streicherklange) fiir -»■ Ombra-
Szenen ein; das Vorbild war auch hier vermuthch ein
Werk Monteverdis, namlich dessen dramatische Kom-
position II combattimento di Tancredi e Clorinda (1624).
Agyptische Musik
H. Schiitz lieB bereits 1623 (in der Auferstehungshisto-
rie) den Evangelisten iiber ausgehaltenen Streicher-
akkorden tezitieren. Noch im spaten 17. Jh. war aber
das (ausgearbeitete) A. selten, wahrend das Seccorezi-
tativ in weltlicher Musik durch Zuziehung von Instru-
mental bereichert werden konnte. Das A. fand seinen
Hohepunkt in der weltlichen Musik des 18. Jh.
Accordatura (ital.) heifit die normale Einstimmungs-
weise der Saiteninstrumente; die Abweichung von den
Einstimmungsnormen (Umstimmung) heiBt ->■ Scor-
datura.
Lit. : WolfN ; ApelN.
Accord parfait (ak'o : r parf 's, f rz. ; ital. accordo per-
fetto; engl. common chord), konsonanter ->• Drei-
klang.
Achtelnote (ital. croma; frz. croche; engl. quaver; in
den USA auch eighth note): J); Pause (frz. demi-
soupir) : i , altere Form : -\ .
Actus (lat.), im 17. Jh. s. v. w. feierliche Handlung
(Taufe, Konigskronung u. a.), dann auch Bezeichnung
fiir Festdarbietungen. Deren musikalische Ausgestal-
tung (z. B. schrieb M. Franck fiir den A. oratorius zum
Geburtstag des Herzogs J. Casimir von Sachsen, 1630,
die musikalischen Zwischensatze) fiihrte zur Ubertra-
gung der Bezeichnung A. auf kantatenhafte oder ora-
torische Kompositionen: A.Fromm, A. musicus De
Divite et Lazaro; J. Schelle, A. musicus auf Weyh-Nach-
ten; G. Oesterreich, A. funebris Plotzlich miissen alle
Menschen sterben; J.S.Bach, A. tragkus, BWV 106.
Acuta (lat.) ->■ Scharf.
Adagio (ad'a:d30, ital.; Abk. : Ad°), bequem, ge-
machlich, auch behutsam, hat aber als Tempovorschrift
den Sinn von langsam erhalten (Walther 1732, L. Mo-
zart 1756). Im'17. Jh. bezeichnet A. einerseits eine (ge-
ringe) Verlangsamung des gewohnlichen, durch die
Taktart oder den Tanztypus bestimmten ZeitmaBes
(Tempo ordinario), andererseits einen Wechsel der
Zahlzeit, den Ubergang zu einem langeren Notenwert
als Schlagzeit (A. J J statt Allegro J J ; Banchieri 1611,
Frescobaldi 1628). Auch die Dehnung von kurzen Ab-
schnitten, besonders von SchluBtakten, wurde durch
die Vorschrift A. gefordert (Frescobaldi 1635). Die
Tempodifferenz zwischen A. und Largo war im 17.
und friihen 18. Jh. gering und keiner festen Norm un-
terworfen; die Vorstellung, daB ein Largo langsamer
als ein A. sei, wird zwar schon von Brossard (1703) als
Regel formuliert, setzte sich aber erst im Laufe des 18.
Jh. allgemein durch. Handel differenziert oft im entge-
gengesetzten Sirme, und auch bei Bach sind die A.-
Satze, die im allgemeinen reicher ausgeziert wurden,
nicht selten langsamer als die Largosatze der gleichen
Taktart. Wesentlicher als die Tempodifferenz ist der
Unterschied zwischen dem gewichtigeren Vortrag des
Largo und dem behutsameren des A.; Quantz (1752)
charakterisiert das A. als »zartlich« und spricht von ei-
nem angenehmen Ziehen und Tragen der Stimme. - In ge-
raden Taktarten ist im 18. und noch im 19. Jh. die
Zahlzeit im allgemeinen etwas langsamer als in Tripel-
takten (Mozart, K.-V. 516, 3. und 4. Satz), und neben
der Taktart ist der Satztypus fiir den Sinn der A.- Vor-
schrift entscheidend. Das A. im Allabrevetakt er-
scheint bei Mozart, sofern nicht das Allabreve des Kir-
chenstils gemeint ist (Zauberflote, Nr 18), als Dehnung
eines Allegro cantabile (Idomeneo, Nr 31; Entfuhrung
aus dem Serail, Nr 15), das A. im 2/4-Takt bei Haydn
und Mozart als Verlangsamung eines bedachtig schrei-
tenden Andante (Mozart, Lespetits riens, Nr 7) ; aus dem
A. im 2/4-Takt entwickelte Beethoven den Typus des
beschwert kantablen A. (op. 10, op. 59 1, op. 101). - A.
assai und A. molto bedeuten sehr langsam, un poco A.
ein wenig langsam. Der Superlativ Adagissimo wird
selten verwendet (Bach, Orgeltoccata D moll). Das Di-
minutiv Adagietto bedeutet ziemlich langsam; als
Uberschrift kennzeichnet es einen langsamen Satz von
kiirzerer Dauer (G. Mahler, V. Symphonie, Adagietto
mit der Tempovorschrift Molto a.).
Lit. : R. E. M. Hardino, Origins of Mus. Time and Expres-
sion, London 1938; R. Steglich, Ober Mozarts A.-Takt,
Mozart- Jb. 1951; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich-
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959; C.
Dahlhaus, Zur Entstehung d. modemen Taktsystems im
1 7. Jh., Af Mw XVIII, 1 96 1 . CD
Adaptation (von lat. adaptare, anpassen) bedeutet
Anpassung der Empfindlichkeit eines Sinnesorganes an
das mittlere Reizniveau des Umfeldes. Sie ist auch fiir
das Horen von groBem Einflufi. So konnen z. B. Schall-
vorgange gleicher Intensitat je nach den Umstanden
verschieden laut erscheinen. Ebenso laBt sich die Tat-
sache, daB die Molekularbewegung der Luft (Brown-
sche Bewegung) gerade nicht mehr gehort wird, als
Anpassungsverhalten des Ohres auffassen.
Lit. : G. v. Bekesy, Zur Theorie d. Horens. Uber d. Be-
stimmung d. einem reinen Tonempfinden entsprechenden
Erregungsgebietes d. Basilarmembran vermittelst Ermii-
dungserscheinungen, Physikalische Zs. XXX, 1929 ; O. Fr.
Ranke, Physiologie d. Gehors, in : Lehrbuch d. Physiolo-
gie, hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. Schutz, Bin, Gottingen
u. Heidelberg 1953.
Adiaphon (von griech. <£8(.a<ji<ovov, das Unverstimm-
bare), - 1) ein 1820 von dem Uhrmacher Schuster in
Wien konstruiertes, im Klang der Glasharmonika ahn-
liches Tasteninstrument. - 2) Gabelklavier, von Fischer
und Fritzsch in Leipzig erbaut (1882 patentiert), mit ab-
gestimmten Stimmgabeln statt derSaiten; Umfang F-f 3 .
Adjuvantchore.VereinigungenmusikkundigerDorf-
bewohner, die sich als Gehilfen des Dorfkantors oder
-schulmeisters eine reichere musikalische Ausgestaltung
der Gottesdienste zum Ziel setzten, zunachst ohne feste
organisatorische Bindung, seit der Mitte des 17. Jh.
vor allem in Sachsen und Thiiringen auch mit vereins-
maBigen Satzungen nach dem Vorbild der stadtischen
-> Kantorei.
Lit. : A. Werner, Vier Jh. im Dienste d. Kirchenmusik,
Lpz. 1932 ; ders., Freie Musikgemeinschaften alter Zeit im
mitteldeutschen Raum, Halle 1940.
ad ljbitum (lat.; Abk.: ad libit., ad lib.), nach Belie-
ben, - 1) als Vortragsbezeichnung (gleichbedeutend
mit rezitativisch, senza misura, senza tempo, a suo ar-
bitrio, a piacere, a capriccio, a piacimento, a bene pla-
cito), s. v. w. frei in Tempo und Vortrag (Gegensatz:
a tempo). - 2) als Besetzungsvorschrift fiir Instrumen-
te, die in einem Ensemble mitspielen konnen, oder de-
ren Beteiligung nicht erforderlich ist, s. v. w. nicht un-
bedingt notig, eventuell entbehrlich (Gegensatz: obli-
ge).
Adufe (span.; von arabisch duff), Schellentrommel
(Tamburin).
Agyptische Musik ist die Musik ernes der altesten ge-
schichtlichen Lander der Erde. Vorgeschichtliche und
pradynastische Grabfunde von Bumerangklappern, ei-
oder fruchtf ormigen Rasseln, Schellen, Gef aBfloten aus
Ton, Muschelpfeifen und Schwirrholzern zeugen da-
fiir, daB die Musik vor der Griindung des vereinten
Reiches noch starke magische Bindungen hatte. Einzi-
ges melodiefahiges Instrument war die LangsflSte. Seit
der IV. Dynastie (2723-2563) trifft man bereits auf ein
intensives Musikleben und kann auf Grund der literari-
schen und bildlichen Quellen deutlich zwischen Kult-
Agyptische Musik
und Profan- bzw. Hofmusik unterscheiden. Neue
Klapperarten, primitive GefaBtrommeln und Sistren,
die mundstiicklose Flote (mat) und die Doppelklari-
nette (memet), beide aus Rohr, im Totenkult verwen-
dete Trompeten und die schaufelformige Bogenharfe
(bent) bereicherten das Instrumentarium. Cheirono-
men leiteten die Vokal- und Instrumentalgruppen. Die
Analyse der dargestellten Szenen sowie der gleichzeitig
ausgefiihrten Handzeichen ergibt, daB die Kunstler
nicht nur homophon oder heterophonisch verziert
musizierten, sondern auch neben der melodischen Linie
ein- oder mehrstimmige, bordunierende Haltetone,
also eine Art primitiver Mehrstimmigkeit ausfiihrten.
Die kultischen Gesange wurden solistisch mit Instru-
mentalbegleitung oder unter Mitwirkung von Einzel-
oder Doppelchoren sowie Vorsangern im Sinne re-
sponsorischen oder antiphonischen Musizierens vorge-
tragen, haufig auch von Tanzgruppen begleitet. Sehr
alte, kultische Lieder zu Ehren Hathors, der Gottin der
Liebe und der Musik, wurden nur gesungen. Wenn
auch Dokumente jeder Art noch immer fehlen, das
Melodiengut also vollig unbekannt ist, so gelang es
doch, die sehr gut erhaltenen Klangwerkzeuge des Al-
ten Reiches (3. vorchristliches Jahrtausend) und einige
der wichtigsten Tanze zu rekonstruieren sowie eine
Reihe entsprechender cheironomischer Zeichen zu ent-
ziffern. Aus der gleichen Zeit stammen auch die ersten
biographischen Nachrichten von beriihmten Musikern.
Der alteste ist ein gewisser Khufu-'anch, »Hofmusikdi-
rektor«, Flbtenvirtuose und Sanger, der erste historisch
bekarmte Berufsmusiker. Andere Namen von Sangern
und Sangerinnen (Hetep-chnemt, Iti), Flotisten (Ipi,
Meschets, Sen-anch-wer), Harfenvirtuosen (Hekenu)
usw. vervollstandigen das Bild, das man sich heute
vom Musikleben einer der Altkulturen machen kann.
Besonders sei die Familie der Snefrunofer (um 2400)
hervorgehoben, die durch mehrere Generationen hin-
durch Talent und Amt vererbten und den koniglichen
Hof mit Musik versorgten. Im Mittleren Reich (2160-
1580), einer Epoche, die etwa dem Ende des Neolithi-
kums in Europa entspricht, vermehrte sich das Instru-
mentarium um eine Anzahl neuer Klapperformen und
ritueller, zum Teil kunstvoll als Schmuckstiicke verar-
beiteter Klangwerkzeuge (Rasseln, Schellen), die gro-
Ben FaBtrommeln (wahrscheinlich afrikanischen Ur-
sprungs), Kastagnetten, hornartige Instrumente, die
asymmetrische Leier. Auch unterscheidet man nun-
mehr deutlich zwischen zwei Sistrenformen, dem bo-
gen- (sekhem, iba) und naosformigen Sistrum (sesch-
escht). Dazu treten im Neuen Reich (1580-1090) runde
und 4kantige Trommeln, Becken (zunachst aus Mu-
schelschalen, dann aus Bronze), Doppeloboen, sym-
metrische Leiern (kenner), Lauten, Winkelharfen und
Riesenleiern (um 1360) asiatischen Ursprungs sowie
kellenf ormige Bogen- und naviforme Harf en verschie-
dener GroBe (die kleineren als Schulterharf en bekannt) ;
dazu kommen in der Spatzeit (1090-332) weitmen-
surige Trommeln, Glockchen, Gabelbecken, GefaB-
trommeln vom Darabukkatypus, unter der Herrschaft
der Ptolemaer verbesserte Formen aller erwahnten In-
strumente, Horner, Panfloten, verschiedene Aulosfor-
men, Querflote, Hydraulis und Vorformen der Sack-
pfeife. Auch fur diesen, mehr als 2000 Jahre umfassen-
den Zeitabschnitt sind uns die Namen einer nahezu
liickenlosen Reihe von Instrumental- und Vokalvirtuo-
sen bekannt, die die Elemente fiir eine provisorische
Geschichtsschreibung des pharaonischen Musiklebens
bilden. Erwahnenswert sind besonders wegen ihrer
historischen Bedeutung die ersten Kastagnettenspieler
Ukh-hotep und Eje (unter Sesostris I.), die Harfner
Amenmosis, Amosis und Amenemheb (XVIII. Dyna-
stie), die ersten Lauten-, Trommel- und Trompeten-
spieler der Musikgeschichte Harmosis (um 1500), Em-
hab und Hosy (letzterer unter Ramses II.). - Fiir die
gleiche Zeit ist eine allmahliche Verkleinerung der
Tonschritte und die Herausbildung jenes Tonsystems
zu verzeichnen, das unvermerkt in das des modernen
Orients iibergehen sollte. Unsere Kenntnisse des Ton-
systems der Agypter beruhen auf der theoretischen
Vermessung der Abstande zwischen den Biinden be-
stimmter Lauten und den Grifflochern besonders gut
erhaltener Blasinstrumente. Floten aus dem Mittleren
Reich haben anhemitonische Skalen, im Gegensatz zur
Engstufigkeit der Oboen und Lauten des Neuen Rei-
ches. Bevorzugte Formen waren offenbar ein im Sinne
des alten Dor komponiertes Rondo sowie hymnische
und bestimmten Regeln unterliegende Liedtypen. Ge-
wisse Ansatze zur Notierung klanglicher Erscheinun-
gen sind seit dem Mittleren Reich nachweisbar. Spuren
volkstiimlichen Musizierens finden sich seit dem Neuen
Reich, der Militarmusik seit den Erobererkonigen der
XIX. Dynastie, besonders unter Ramses II. Musika-
lische Dokumente im modernen Sinne erscheinen erst
seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert. - Dem EinfluB
des aufbluhenden Christentums (-»• Koptische Musik)
verdankt Agypten neue liturgische Formen. Eine
grundlegende Umformung der Musik erfolgte aber
erst nach der Eroberung durch die Araber und die Is-
lamisierung des Landes. Wahrend das alte Musiziergut
nach Oberagypten zuriickgedrangt wurde und zur
heutigen Volksmusik abgesunken ist, hat sich die unter
arabisch-iranischen, spater unter tiirkischen und end-
hch abendlandischen Einfliissen stehende Kunstmusik
der Stadte in mehrere Richtungen aufgespalten. Die
Vertreter der konservativen Schule richten sich nach
dem Vorbild der altorientalischen Musik aus, die der
jungagyptischen Schule nehmen dagegen immer mehr
Elemente abendlandischen Musizierens auf. - Einige
der alten Klangwerkzeuge haben sich bis heute erhal-
ten. Die antike Langsflote lebt im Nay der Kunstmusik
und in der bauerlichen 'Uffata weiter fort, die Doppel-
klarinette in der volkstiimlichen Zummara. Neue In-
strumente ostlichen Ursprungs sind die Kurzhalslaute
( l Ud), die mit Streichbogen gespielte Rabab und die
Kamanga, endlich ein zitherahnliches, Qaniin genann-
tes Instrument. Die Erforschung altagyptischer Musik
begann im 17. Jh. mit A. Kircher und B. Bacchini, im 19.
mit G. A. Villoteau, Kiesewetter und Fetis.
Lit. : C. Sachs, Die Musikinstr. d. alten Agyptens, = Staatl.
Museen zu Bin, Mitt, aus d. agyptischen Slg III, Bin 1921 ;
ders., Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937
u. London 1938, frz. Paris 1938; ders., The Hist, of Mus.
Instr., NY (1940) ; ders., The Rise of Music in the Ancient
World, East and West, = The Norton Hist, of Music I, NY
1943; E. Brunner-Traut, Der Tanz im alten Agypten,
Diss. Miinchen 1937, = Agyptologische Forschungen VI,
Gliickstadt 1938 ; H. Hickmann, Cat. g6n6ral des antiqui-
tes egyptiennes du Musee du Caire. Instr. de musique, Kai-
ro 1 949 ; ders., Les problemes et l'etat actuel des recherches
musicologiques en Egypte, AMI XXVIII, 1956 ; ders., 45 s.
de musique dans FEgypte ancienne, Paris 1956 ; ders., Mu-
sicologie pharaonique, = Slg mw. Abh. XXXIV, Kehl
1956; ders., Mg. in Bildern II, 1: Agypten, Lpz. 1961;
ders., Ein neuentdecktes Dokument zum Problem d. alt-
agyptischen Notation, AMI XXXIII, 1961. - Recueil des
travaux du Congres de musique arabe (1932), Kairo 1934
(dazu Zs. f. vergleichende Mw. I, 1933); A. Berner, Stu-
dien zur arabischen Musik auf Grund d. gegenwartigen
Theorie u. Praxis in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl.
Inst. f. deutsche Musikforschung II, Lpz. 1937 ; A. Mokh-
tar, Modes in Modern Egyptian Music, Proceedings of the
Mathematical and Physical Soc. of Egypt I, 3, Kairo 1939;
H. Hickmann u. Ch. Gr. Due de Mecklembourg, Cat.
d'enregistrement de musique folklorique egyptienne, = Slg
mw. Abh. XXXVIII, StraBburg u. Baden-Baden 1958; C.
Asthetik
Gr. Herzog zu Mecklenburg, Agyptische Rhythmik,
Rhy thmen u. Rhythmusinstr. im heutigen Agypten, ebenda
XL, 1960. HaH
Aeoline, Aeolodion, Aeolodikon, ein -> Har-
monium, auch ein urspriingliches Harmoniumregister
als Orgelstimme; im spaten 19. Jh. ein engmensurierter
Streicher, das leiseste Register der Orgel.
Aolisch ->- Systema teleion, ->• Kirchentone.
Aolsharfe, Windharfe, Wetterharfe, Geisterharfe, ein
langer schmaler Resonanzkasten mit oder ohne Schall-
loch und mit 2 Stegen, iiber den eine (beliebig groBe)
Anzahl im Einklang (meist in g) gestimmter Darmsai-
ten von verschiedener Dicke gespannt ist. Strafit ein
Luftzug die Saiten, so fangen sie an zu tonen und erge-
ben infolge der unterschiedlichen Spannungsgrade
verschiedene Obertone des gemeinschaftlichen Grund-
tones. Der Klang ist von zauberischer Wirkung, da je
nach Starke des Windes die Akkorde vom zartesten
Pianissimo zum rauschenden Forte anschwellen und
wieder verhallen. Das Prinzip der A. ist altbekannt;
mit ihm befafiten sich im Abendland der Erzbischof
Dunstan von Canterbury (10. Jh.), G. B. Porta aus Ne-
apel (16. Jh.), A.Kircher (1650), Pope (1792), W.Jones
(urn 1781), H.Chr.Koch (1802), W.Mehlkop (1841),
I.Pleyel (1845). In Goethes spater Lyrik werden die
A.n zu einem Gleichnis des Zwiegesanges. Sein Ge-
dicht A.n ist ein Eintrag vom 6.8. 1822 in das Stamm-
buch V.Tomaseks; E.Morikes An eine A. vertonten
Brahms und H. Wolf. - Eine Verbindung der A. mit
einer Klaviatur ist das -*Anemochord.
Lit.: J. F. v. Dahlberg, Die A., Erfurt 1801 ; G. Fr. Lich-
tenberg, Vermischte Schriften VI, Gottingen 1845; J. G.
Kastner, La harpe d'Eole et la musique cosmique, Paris
1856; M. Hecker, A., Jb. d. Goethe-Ges. XXI, 1935; C.
Brink, Harps in the Wind, NY 1947.
Aequal (von lat. aequalis, gleich), in der Tonhohe
gleich der normal geschliisselten Singstimme, d. h. im
8'-Ton. Ae. ist auch eine Bezeichnung fur Instrumente
und Stimmen (voces aequales) in gleicher Lage. Als
Equale fur 4 Pos. sind 3 Trauermusikstucke bezeichnet,
die Beethoven 1812 f iir den Allerseelentag in Linz kom-
ponierte; auch Bruckner schrieb 1847 ein Ae. fur 3 Pos.
Aerophone heiBen nach der Systematik der Musikin-
strumente von v. Hornbostel und Sachs (1914) die In-
strumente, bei denen die Luft (griech. ayjp) das schwin-
gende Medium ist. Ist die Luftsaule nicht begrenzt, so
handelt es sich um f reie Ae. (z. B. f reie, durchschlagende
->• Zunge; -*■ Schwirrholz) ; ist die Luftsaule einge-
schlossen, so handelt es sich um -»• Blasinstrumente. v.
Hornbostel und Sachs folgten der Systematik Mahillons
(1880), der von instruments a vent sprach; A. Schaefmer
(1932) nannte die Ae. instruments a air vibrant.
Aerophor, Tonbinde-Apparat, ein von dem Schwe-
riner Flotisten B.Samuels 1911 konstruierter (1912 pa-
tentierter) Apparat, der durch einen mit dem FuB re-
gierten kleinen Blasebalg Luft durch ein Rohrchen
blast, das neben dem Mundstiick eines Blasinstruments
in den Mund gefiihrt wird. Der Mund wird so zur
Windkammer ; das Blasen kann vom Atmen unabhan-
gig erfolgen. Der Apparat fand den Beifall von Bla-
sern, Komponisten (R. Strauss, Eine Alpensinfonie) und
Dirigenten.
Asthetik. Die Wissenschaf t vom musikalisch Schonen
ist ein Teilgebiet der allgemeinen A. (griech. ala&YjTi-
x6?, das sinnliche Wahrnehmen betreffend). Ihr Ge-
genstandsbereich umfafit einerseits das musikalische
Kunstwerk in der Fiille und Totalitat seiner Wertge-
halte (als Objektseite), andererseits dessen Zugang
(Erfahrensweise) im musikalischen Horen (als Sub-
jektseite). Ihre Geschichte reicht weit in die griechi-
sche Antike zuriick. Ihren neuzeitlichen Namen emp-
fing die A. durch A.G.Baumgarten, einen fiihren-
den Systematiker der deutschen Schulphilosophie.
Seine Aesthetica (1750/58) ist als theoria liberalium artium
(-> Ars musica) bezeichnet. Im Unterschied zur fran-
zosischen und englischen Geschmackskritik und Zer-
gliederung des asthetischen Eindrucks entwirft Baum-
garten die A. im Rahmen der durch G.W.Leibniz
(t 1716) und Chr. Wolff (f 1754) erneuerten Ontologie
als eine nachgeborene Schwester der Logik. Er betitelt sie
mit ars pulchre cogitandi, d. h. Fahigkeit zur Erkenntnis
des Schonen sowie scientia cognitionis sensitivae, d. h.
Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren, im Ge-
gensatz zur geistigen Erkenntnis. Schonheit wird als
Vollkommenheit der sensitiven Erkenntnis, als Zu-
sammenstimmen von Vielheit in der Einheit begriffen,
das Schone als Erscheinung des Logischen im Sinnli-
chen, die Kunst als sinnliche Vergegenwartigung des
harmonikalen Baues der Welt, der Harmonie des Uni-
versums. Auf dieser Grundlage erwuchs das stolze Ge-
baude der idealistischen A., das H. Lotze in seiner Ge-
schichte der A. in Deutschland (1868) kritisch nachge-
zeichnet hat. Dort heiBt es (S. 846) von der »Aufgabe
der Tonkunst«: das tiefe Gliick auszudriicken, das in die-
sem Baue der Welt liegt, und von welchem die Lust jedes
einzelnen empirischen Gefiihls nur ein besonderer Wider-
schein ist. - Die musikalische A. hat ihre Herkunft aus
der mittelalterlichen Musiklehre niemals verleugnet.
Im Fortgang zu einer mehr positivistischen Betrach-
tungsweise (mit einem Anklang an Schopenhauer)
weist H. Riemann ihr drei Untersuchungsbereiche zu :
1) die elementaren Wirkungen der Tonhohe, Tonstar-
ke, Bewegungsart (Musik als Wille) ; 2) die Ordnung
und Einheitlichkeit in der Formgestaltung (Musik als
Vorstellung) ; 3) die Fahigkeit der Musik, Assoziationen
zu wecken, AuBermusikalisches zu charakterisieren
und darzustellen (Musik als vorgestellter Wille). Was
von Riemann in systematischer Sicht fur zeitlos giil-
tig angesehen worden war, zeigte sich in historischer
Betrachtung als eine bestimmte Stilstufe der Musik
der Wiener Klassik. In dem MaBe wie das klassizi-
stische Schonheitsideal mehr und mehr zuriickgedrangt
wurde, konnte die dem klassizistischen Geschmack so
fremde Schonheit der Musik des Barockzeitalters und
des Mittelalters eigentlich erst entdeckt und gewiirdigt
werderi. An der Freilegung des dazu erforderlichen
historischen Stilbegriffs hat H. Riemann entscheiden-
den Anteil. Musik wurde danach als eine stilgeschicht-
liche Erscheinung neben anderen Erscheinungen der
geistigen Welt erfaBt, wobei allerdings die Gefahr ei-
ner Relativierung der asthetischen Werte drohte. -
Seitdem dann gleichzeitig der Sturz der idealistischen
Metaphysik die A. in ihren Zusammenbruch mit hin-
eingezogen hatte, machte sich in der Wissenschaft vom
musikalisch Schonen eine wachsende Unsicherheit so-
wohl hinsichtlich ihres Ausgangspunktes als auch ihrer
Verfahrensweise geltend. Als Ausgangspunkt wurde
bald die Idee der Musik, bald das komponierte Kunst-
werk, bald die Schaffensweise des Komponisten, bald
das musikalische Horen in seinen beiden Arten des
Mit- und Zuhorens (H. Besseler) angesetzt. Methodisch
verfuhr man bald metaphysisch, bald empirisch, bald
normativ, bald deskriptiv, wie es H. Nohl (1935) im An-
schluB anW.Dilthey eindrucksvoll geschildert hat. Je
nachdem das Wesen der Musik als Ideen-, Inhalts- oder
Formkunst betrachtet wird, f altet sich die musikalische
A. in eine A. der Form und des Inhalts auseinander.
Dabei war das Form-Inhalt-Problem dann immer mehr
festgefahren. - Es hangt mit der Verlegung des philo-
Asthetik
sophischen Interesses vom Subjekt zu den Sachen, vom
BewuBtsein zum Sein und Seienden zusammen, wenn
die neue Ontologie bei ihrem Riickgang von Kant zu
Leibniz und Wolff auch die A. aus ihrer idealistischen
Systematik und Deutung herausnimmt und nach dem
Vorbild von E. Husserl, M. Scheler und M. Heidegger
einer phanomenologischen Betrachtung unterwirft,
um die ganze Breite und Tiefe des asthetischen For-
schungsfeldes auszumessen. Hierbei geht es vor allem
um die Erforschung der Seinsweise des Kunstwerks,
wobei dem Form-Inhalt-Problem insofern eine neue
Wendung gegeben wird, als Form und Inhalt nach dem
Prinzip der Schichtung und der Schichtungsordnung
zueinander in ein Verhaltnis der Fundierung gebracht
werden, das nicht mehr erlaubt, eine der beiden Seiten
dieses Verhaltnisses zu isolieren. N. Hartmann (fl950)
unterscheidet das Realgebilde der Formgestalt des
Kunstwerks als Vordergrund von einem mehrschich-
tigen irrealen Hintergrund (als Inhalt oder Ausgedriick-
tes), der in dem Vordergrund erscheint. Wahrend der
Vordergrund unabhangig von einem BewuBtsein vor-
handen ist (an sich), existiert der Hintergrund nur fur
ein kunstlerisch empfangliches Subjekt (fiir jemanden).
Wenn schon Hegel das Schone als sinnliches Scheinen
der Idee definiert hatte, so kommt nun alles auf das
Verstandnis des Scheinens an. Dieses betrifft nicht die
erdichtete und ertraumte Welt des schonen Scheins,
jenes Trugbild der Wirklichkeit, das bei Schopenhauer
und Nietzsche der Erlosung vom Willen und Werden
dient. Vielmehr bedeutet es ein aufleuchtendes Sich-
zeigen, Sichdarbieten von kunstlerischen Gegebenhei-
ten, sei es z. B. der barocken Darstellung von Affekten
freudiger oder trauriger Art, sei es eine Stimmung, von
der wir sagen, daB eine Komposition uns traurig
stimmt, sei es ein subjektiver Ausdruck des Kompo-
nisten, des Nachschaffenden oder des Zuhorers, wobei
es wohl heiBt, es sei »ein ausdrucksvolles Stiick« oder
»er spiele ausdrucksvoll«. Demnach halten sich die as-
thetischen Werte in jenem Erscheinungs-Verhaltnis
(eines ungeformten Irrealen in einem geformten Re-
alen) auf, worin das eigentiimlich »Schwebende« im
Dasein des musikalisch Schonen und Wohlgelungenen
besteht. Zu seinem Gegenpol gehort mehr als das musi-
kalisch HaBliche und MiBlungene, das musikalisch
Langweilige, Sentimentale und Kitschige. - Wie zu al-
ien Zeiten, so steht auch heute hinter jeder fruchtbaren
musikasthetischen Arbeit das lebendige Musikleben der
Zeit. Wertvolle asthetische Einsichten werden entwe-
der unmittelbar in dem kunstlerischen Kampf um eine
Neue Musik oder in der Besinnung und Vertiefung auf
die Geschichte der Musik, ihre Gestaltenfulle und Stil-
richtungen gewonnen. So sind in der heutigen Diskus-
sion iiber Neoklassizismus, Dodekaphonie und Elektro-
nische Musik wichtige Ansatze fiir eine musikalische A.
sichtbar geworden. Auch in der jiingeren wissenschaft-
lichen Musikgeschichtsschreibung, Tonpsychologie
und Musikkritik treten musikasthetische Neuansatze
hervor.
Lit.: A. G. Baumgarten, Aesthetica, 2 Bde, Frankfurt
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Zum Problem einer Stilgesch. d. »asthetischen Qualita-
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Studien zur engl. Musika. d. 18. Jh., = Britannicaet Ameri-
cana VI, Hbg 1960; W. Seifert, Chr. G. Korner, = For-
schungsbeitr. zur Mw. IX, Regensburg 1960; A. Wellek,
Musikpsychologie u. Musika., GrundriB d. systematischen
Mw., Ffm. 1963.
Aetherophon, auch Theremingerat, Thereminovox.
Das erste elektrophonische Musikinstrument von prak-
tischem Musizierwert war das Ae. (Atherwelleninstru-
ment) des russischen Physikers L. -> Theremin. Nach
langerer Erprobung in RuBland wurde das Gerat 1927
erstmals in Frankfurt am Main und in einem Konzert
des Berliner Philharmonischen Orchesters eingesetzt.
Das Prinzip der Schwingungserzeugung besteht darin,
das Pfeifen eines durch Riickkopplung zur Eigenerre-
gung gebrachten Rundfunkempfangers in einer mu-
sikalischen Skala abstimmbar zu machen. Das Gerat be-
steht aus zwei Hochfrequenzgeneratoren, deren (Si-
nus-) Schwingungen iiberlagert werden. Die Differenz-
frequenz wird nach Filterung und Verstarkung im
Lautsprecher horbar. Der eine Generator ist mit einer
Stabantenne versehen. Nahert man die Hand dieser
10
Affektenlehre
»Spielantenne«, so tritt durch Verbindung des Spielers
mit der Erde eine kapazitiye Verstimmung des einen
Generators ein, somit eine Anderung der Differenzfre-
quenz und damit der Tonhohe. Der Umfang von 3
Oktaven ist fiir musikalische Zwecke nicht wesentlich
iiberschreitbar. Die Lautstarke kann durch einen mittels
FuBpedals betatigten Widerstand oder iiber eine zweite
Antenne verandert werden. Ein »Klangfarben«-Re-
gister ist nicht vorhanden.
Lit. : P. Lertes, Elektrische Musik, Dresden u. Lpz. 1933 ;
W. Meyer-Eppler, Elektrische Klangerzeugung, Bonn
(1949); Fr. Winckel, Hdb. f. Hochfrequenz- u. Elektro-
techniker, Bin 1953; Fr. K. Prieberg, Musica ex machina,
Bin, Ffm. u. Wien (1960).
AEUIA (oder AEVIA, Aeuia, auch Aeua), eine vor
allem in mittelalterlichen Choralhandschrif ten verwen-
dete palaographische Kurzform des Wortes Alleluia,
entstanden durch Auslassung der Konsonanten. Sie
findet sich bereits in Codex 359 der Stiftsbibliothek
St. Gallen(9.Jh.).
Affektenlehre, Lehre von den die menschliche Seele
bewegenden Leidenschaften und Gemiitsbewegungen,
die im musikalischen Barock zum Mittelpunkt theore-
tischer Erorterungen wird. - Affekt (griech. mx9-0(;,
das Erleiden; lat. perturbatio, zuerst bei Cicero, Tusc.
4, 10, affectus, von lat. afficere, antun, zuerst bei Seneca,
oder passio; frz. passion) bezeichnet den leidenschaft-
lichen Erregungszustand, in dem der Mensch von der
AuBenwelt abhangig ist. - Die musikalische A. geht
auf die griechische Antike zuriick, wo sie im Zusam-
menhang mit der Ethik stand. Damon von Athen (5.
Jh. v. Chr.) stellt einen Zusammenhang her zwischen
den rhythmischen und melodischen Bewegungen und
denen in der Seele des Horers, die von jenen hervorge-
rufen werden (Athenaios XIV, 628 c). Auch bei Platon
spielen, im AnschluB an Damon, die Af fekte eine wich-
tige Rolle: Wertgeltung hat nur diejenige Musik, die
sich als ethisch positiv auszeichnet und im Gefiige des
platonischen Idealstaates der Erziehung dient (Politeia
III, 3. Kap.). - In der romischen Spatantike und im
Mittelalter waren die Affekte des ofteren Gegenstand
theoretischer Erorterung (Cassiodor, Isidor von Sevil-
la). Auch Johannes Affligemensis (J. Cotton) vermittelt
in seiner Epistola ad Fulgentium (zwischen 1 100 und 1 121)
eine affektbestimmte "Wirkungslehre. Bei Ramos de
Pareja (Musica practica, 1482) entsprechen die 4 Tempe-
ramente den 4 authentischen Kirchentonen. - Im Zeit-
alter des Humanismus und der Renaissance erwuchs die
Frage der Darstellung, der exphcatio textus, mithin
der dem Textvorwurf eingelagerten Affekte, zu einer
neuen Aufgabenstellung des Komponisten. Wieder-
holt ist im Rahmen der Musica vocalis vom »Darstellen
der Affekte« die Rede, z. B. affectus exprimere oder, was
das gleiche bedeutet, sensus textuum exprimere. Das be-
sagt: die im Text objektivierten Affekte sollen mit den
kompositionstechnischen Mitteln »dargestellt« werden.
Die -> Musica reservata und das italienische Madrigal
der Spatrenaissance bieten hervorragende Zeugnisse
der musikalischen Affektdarstellung. Zarlino (Istitutioni
harmoniche, 1558) verbindet die A. mit der Intervall-
lehre und mit dem von ihm theoretisch entwickelten
Akkordbegrifl. Die Intervalle ohne Halbton (Sekun-
de, groBe Terz, groBe Sexte, groBe Tredezime) verge-
genwartigen den Affekt der Freude, die Intervalle mit
Halbton (kleine Terz, kleine Sexte, kleine Tredezime)
den der Traurigkeit. Die Affektwirkung des Dur-Drei-
klangs ist allegro (freudig), die des Moll-Dreiklangs
dagegen mesto (traurig). Im Barock-Zeitalter riickte
die Fragc der Affektendarstellung in den Mittelpunkt
der Musiklehre. Melodik (Intervallehre), Harmonik,
Rhythmik, Tempostufung, Klanglagen, Dynamik und
sogar StiUstik wurden in den Dienst der Nachahmung
von Affekten gestellt. CI. Monteverdis Stillehre gipfelt
in dem stile concitato, der bei G. B. Doni (Annotazioni,
1640) stile espressivo heiBt und seiner pathetischen und
dramatischen Wucht (esprimere gli affetti) wegen nur
auf der Biihne zu horen sei. Auch die Vortragstechnik
wird auf die affektuose Darstellung bezogen, z. B. soil
der Sanger bei traurigen Affekten die Intervalle schlei-
fen, wie es noch der Schiitz-Schiiler Chr. Bernhard
verlangt. In seinen Nuove musiche (Florenz 1601), der
fiir den Stilwillen des Barockprogrammatischen Samm-
lung von generalbaBgestiitzten Solomadrigalen und
-arien, fordert Caccini vom Sanger das cantare con af-
fetto. Der Philosoph R. Descartes leitet in seiner be-
riihmten Abhandlung Les passions de Vame (1649) aus
den 6 Grundformen der Verwunderung (admiration),
Liebe (amour) und HaB (haine), Verlangen (desir), Freude
(joie) und Trauer (tristesse) die mannigfaltigen Arten
und Unterarten von Affekten ab. Zu gleicher Zeit eror-
tert A.Kirchers Musurgia universalis(1650) die Affekte
als Typen seelischer Erregungszustande und ihre musi-
kalische Darstellung, indem er sie mit beispielhaften
Ausschnitten aus Werken bedeutender Komponisten
belegt. Dabei bringt er die Temperamentenlehre mit
der A. zusammen und nennt die affektdarstellende Mu-
sik Musica pathetica, A. Werckmeister (f 1706) verbin-
det die A. mit theologischen Wertbegriffen und mit
seiner mathematisch f undierten und naturphilosophisch
durchsetzten Vollkommenheitslehre. Grundsatzlich
lassen sich folgende Regeln erkennen: der Affekt der
Freude wird durch Durtonarten dargestellt, durch
schnelles Tempo, vorwiegend konsonante und groBe
Intervalle, durch welche die Lebensgeister (spiritus
animales) inBewegung geraten, sowie durch einehohere
und glanzvolle Klanglage ; der Affekt der Traurigkeit
hingegen durch Molltonarten, haufige Verwendung
von Dissonanzen, von Querstanden (relationes non har-
monicae) und engen Intervallen (Ganz- und Halbtone),
durch welche die Lebensgeister sich zusammenziehen,
sowie durch langsameres Tempo und dunklere (mitt-
lere oder tiefe) Lagen. Die musikalische Rhetorik kennt
zahlreiche -»■ Figuren zur Darstellung von Affekten.
So ist der vom Grundton zu dessen Unterquart in Halb-
tonen (»chromatisch«) fallende LamentobaB (z. B. in
Purcells Dido and Aeneas, in Bachs Kantate Weinen,
Klagen, Sorgen, Zagen, BWV 12, bzw. im Crucifixus
der H moll-Messe), auch -> Passus duriusculus genannt,
eine der Figuren fiir die Darstellung eines schmerzlichen
Affekts bzw. Sinngehalts des Textes, so auch die Ver-
wendung tonleiterfremder Halbtone iiberhaupt (->Pa-
thopoiia). M. Mersenne erklart in seiner Harmonie uni-
verselle 1636 die unterschiedlichen Wirkungen von
groBer und kleiner Terz ; jene hat vorwartsdrangende
Kraft, diese dagegen ist schlaff und entbehrt der Dyna-
mik; in der Dissonanzbehandlung erblickt Mersenne
den Vorrang der Kunstmusik gegeniiber der Volks-
musik. Zuriickhaltend ist er den Affektcharakteren der
Musikinstrumente gegeniiber, wahrend etwa 50 Jahre
vorher bei V.Galilei Ansatze zu einer affektuosen
Wirkungslehre der Instrumente sichtbar waren : Vio-
len und Lauten seien zur Darstellung der ernsten und
traurigen Affekte geeignet, nicht dagegen die Tasten-
instrumente. Auch die Elemente der musikalischen
Zeitgestaltung dienen im Barockzeitalter der Dar-
stellung bestimmter Affekte, etwa allegro fiir den
Affekt der Freude, adagio fiir den der Traurigkeit; das
schnelle Tempo wird jedoch auch als Darstellungs-
mittel des Zorns verwendet (affectus cholericus). Hinzu
kommt die affektgesteuerte Veranderung des Tempos,
die des ofteren fiir hochpathetische Musik gefordert
11
affettuoso
wird und die neben das weiterbestehende strenge Tem-
pogleichmaB tritt. Monteverdi etwa unterscheidet in
der Vorrede seines 8. Madrigalbuches (1638) die Stetig-
keit des traditionellen tempo de la mano und das moderne
tempo del affetto del ammo e non quello de la mano. Auch
Frescobaldi fordert fur den Vortrag seiner Tokkaten
die affektuose Temponahme. Des ofteren bezeichnen
Angaben wie senza battuta oder sans mesure (z. B. bei
Froberger) die affektbestimmte Differenzierung des
Tempos. - Die dargestellten Affekte werden als typi-
sche Verhaltensweisen des Menschen erfaBt. Sie verge-
genwartigen nicht etwa eine subjektive Selbstkundgabe
des Komponisten. Auch werden sie nicht naturalistisch
geschildert, sondern ins Idealtypische erhoben. Im Aus-
gang des Barockzeitalters wurde auch die A., mithin
die musikalische Darstellung der Affekte aufgelost.
J.J. Quantz (f 1773) spricht bereits vom Wechsel der
Affekte innerhalb eines Satzes und lost sie von der Ein-
heit des barocken Zentralaffekts. In dem Traditions-
bruch der Geniezeit, des empfindsamen Stils und des
musikalischen Sturm und Drang versank die barocke
A. Aus der objektiven Darstellung von Affekten wurde
ein subjektiver -»■ Ausdruck von Empfindungen und
Gefiihlen, die den Komponisten bewegen.
Lit.: H. Kretzschmar, Allgemeines u. Besonderes zur
A. I— II, JbP XVIH-XIX, 1911-12; H. Goldschmidt, Die
Musikasthetik d. 18. Jh., Zurich 1915; M. Kramer, Beitr.
zu einer Gesch. d. Affektbegriffs in d. Musik v. 155<M70O,
Diss. Halle 1924, maschr. ; R. Schafke, Quantz als Asthe-
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mungsasthetik im Zeitraum v. 1700-1850, = Universitas-
Arch. XVII, Munster i. W. 1929; A. Schering, Das Sym-
bol in d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz. 1941 ; H. H. Eg-
gebrecht, Das Ausdrucksprinzip im mus. Sturm u. Drang,
DVjs XXIX, 1955; R. Dammann, Zur Musiklehre d. A.
Werckmeister, AfMw XI, 1954; ders., Die Struktur d. Mu-
sikbegriffs im deutschen Barock, Habil.-Schrift, Freiburg
i.Br. 1958, maschr.; Fr. T. Wessel, The Affektenlehre in
the 18 th Cent., Diss. Bloomington 1955, maschr.
affettuoso, affettuosamente, con affetto (ital.), af-
fectueusement (frz.), s. v. w. gemiitsbewegend, mit
Affekt; eine besonders im Barockzeitalter gebrauch-
liche Vortragsbezeichnung, nach Walther (1732):
sehnlich, nachdriicklich, hertzbeweglich, als Tempoangabe
nach Koch (1802) eine mdfiig langsame Bewegung, die
zwischen Adagio und Andante das Mittel halt (Mittelsatz
des 5.Brandenburgischen Konzerts BWV 1050 von
J.S.Bach).
affrettando (ital.), beschleunigend, s. v. w. stringen-
do ; af f rettato, beschleunigt, s. v. w. piu mosso.
Afrikanische Musik. Die altesten Quellen zur Mu-
sikgeschichte Afrikas liefern die Felsbilder in den
Gebirgen Nord- und Siidafrikas, die denen aus
Spanien und Siidfrankreich weitgehend gleichen. Sie
zeigen ein Musikleben mit kultisch-magischen Tanzen,
die von Gesang, FuBstampfen und Handeklatschen be-
gleitet waren und ahnlich noch heute in Afrika vor-
kommen. Die altesten dieser Zeichnungen stammen
aus dem Neolithikum; in Sudafrika wurden sie von
den Buschmannern noch zur Zeit der Entdeckung
durch die Europaer angefertigt. - Der erste nachweis-
bare EinfluB A.r M. auf Europa ging von Agypten aus,
das seine hochentwickelte Musikkultur schon in bibli-
scher Zeit nach Kleinasien und Griechenland, in der
Spatantike auch nach Italien iibertrug (->■ Agyptische
Musik). In der Vblkerwanderungszeit kam es durch die
Goten in Nordafrika zu erneuten Kontakten zwischen
europaischer und nordafrikanischer Musik, deren Spu-
ren in der Musik der nordafrikanischen Berber vermu-
tet werden. Umgekehrt beeinfluBten nordafrikanische
Stile der friihchristlichen Gemeinden in Agypten, Ly-
bien und Karthago die Entwicklung der abendlandi-
schen Kirchenmusik. Der hi. -*■ Augustinus (f 430),
dessen 6 Biicher De Musica sowie andere Schriften ent-
scheidenden EinfluB auf die Musik der westromischen
Kirche hatten, war Afrikaner. Von den afrikanischen
Sangerschulen gingen wichtige Impulse aus, die f iir die
Gestaltung von Liturgie und Hyrrmendichtung eben-
so bedeutsam waren wie die syrischen und griechi-
schen Schulen. Die christliche Kirchenmusik Nord-
afrikas lebt noch heute in der koptischen Kirche Agyp-
tens und Abessiniens (-»- Koptische Musik). - Mit der
Eroberung Agyptens durch die Araber 640 n. Chr. be-
gann eine neue Epoche. In wenigen Jahrzehnten stand
der ganze Norden des Kontinents unter der Herrschaf t
des Islams, der dann auch nach Spanien und Portugal
heriibergriff. Uber Spanien gelangten Elementc der
arabisch-afrikanischen Musik nach West- und Mittel-
europa, vor allem die Laute und die Form des welt-
lichen Sololiedes mit Instrumentalbegleitung und
-zwischenspielen. Arabisch-islamische Musik verdrang-
te oder iiberdeckte in Nordafrika die einheimischen
Stile und drang mit der islamischen Missionstatigkeit
auch nach Siiden zu den hamitischen und negroiden
Volkern siidhch der Sahara vor. Vom Mittelalter bis
zur Gegenwart scheidet sich die Musik Afrikas somit
in zwei deutlich gegeneinander abgesetzte Stilkreise:
den islamisch-arabischen im Norden, der bis in den
Sudan hineinreicht, und den negroiden im Siiden
(-> Arabisch-islamische Musik, -> Negermusik). Trotz
aller Abhangigkeit von den Vorbildern der arabisch-
orientalischen Musik kann man die Musik Nordafrikas
nicht schlechtweg arabisch nennen. Sie hat in der langen
Zeit ihrer Geschichte und in der zeitweise volligen Iso-
lierung vom Ursprungsland, vor allem auch durch die
Einbeziehung der Musik der einheimischen Volker, zu-
mindest den Charakter eigener Dialekte angenom-
men. - Die Musikkultur Nordafrikas ist stadtisch ; ihr
hofisch-feudaler Ursprung ist jedoch nicht vergessen.
Die Musik der landlichen Siedlungen unterscheidet
sich nicht nennenswert von der stadtischen. Nomadi-
sierende Beduinen, in Arabien die Hiiter der hofischen
Musikiiberlieferungen, sind in Nordafrika an Zahl und
Bedeutung gering. Einzig die nichtsemitischen Berber
haben in ihrer Musik eine gewisse Eigenstandigkeit be-
wahrt, die allerdings weniger im Stofflichen und For-
malen als im Klang und Vortrag zum Ausdruck kommt.
Im Gegensatz zur f rohlich-larmenden Musik der Neger
Afrikas erscheint die der Araber in Nordafrika unauf-
dringlich. Diese Zuruckhaltung in der Ausiibung der
Musik mag auf den EinfluB des Islams zuruckgehen,
der nicht musikfreundlich ist. AuBerhalb des Kults
gibt es jedoch eine Kunstmusik, die auf der religiosen
Dichtung beruht. Sie ist, wie auch die von ihr hergelei-
tete weltliche Musik »Kammermusik«, ausgeftihrt von
Gesangs- und Instrumentalsolisten, eine im Prinzip ein-
stimmige Musik in kunstvoller Verschrankung von
Melos und Rhythmus. Das instrumentale Ensemble
besteht dabei in der Regel aus mehreren Spielern bei
gleichstarker Beteiligung von Melodie- und Rhyth-
musinstrumenten. Von letzteren sind die wichtigsten
eine Schellen-Rahmentrommel (Tar), die ebenso wie
die vasenformige GefaBtrommel Darabukka mit der
Hand geschlagen wird, und die stets paarweise ge-
brauchte Hand-Kesselpauke (Naqqarat), die mit leich-
ten Schlageln geschlagen wird. Die wichtigsten Melo-
dieinstrumente sind die Kurzhalslaute ('Ud), dieLang-
halslaute (Tanbur) sowie die Stachelgeige (Rabab) und
Zither (Qaniin). An Blasinstrumenten finden sich die
agyptischen Langsfloten (Nay), wahrend die verschie-
denen Schalmeitypen f iir die Kunstmusik von geringer
Bedeutung sind. - Wie in der europaischen Musik
12
Afrikanische Musik
werden auch in der nordafrikanischen altiiberlieferte
Formen und Stile neben neuen gepflegt, die mehr oder
weniger im Banne der alten Tradition stehen, aber
starker mit Elementen der Folklore durchsetzt sind.
Europaische Einfliisse zeigen sich nur im Bereich der
volkstiimlicheren Abarten und der reinen Unterhal-
tungsmusik. - Wahrend sich die Musikgeschichte
Nordafrikas dank der agyptischen Quellen bis ins 2.
vorchristliche Jahrtausend zuruckverfolgen laBt, ist die
Musik siidlich der Sahara nur in ihren gegenwartigen
AuBerungen bekannt. Zwar ist den Mythen und Sagen
der Negervolker ein gewisser Grad historischer Wahr-
heit zuzumessen, manche Ursprungs- und Wande-
rungssagen sind auch nachpriifbar und bestatigt. Sie
erklaren z. B. das Vorkommen bestimmter Instrumen-
te, die auf oft noch ungeklarten Wegen aus den Hoch-
kulturen des Nordens und Ostens, sogar aus Indonesien
weit in den Kontinent hinein gelangten. Die gegenwar-
tige Musik der schwarzen Afrikaner ist erst durch die
europaische Kolonisation und Mission bekannt ge-
worden, wird heute aber bereits wesentlich von einge-
borenen weiBen und schwarzen Afrikanern erforscht.
Sie zeigt eine bunte Vielfalt der Stile, die in etwa den
rassischen, sprachlichen und kulturellen Gruppierun-
gen der Bevolkerung entspricht. An das semitisch-
arabische Nordafrika schlieBen sich die hamitischen
Volker an, von denen einige in ihrer Musik stark von
den Arabern Nordafrikas beeinfiuBt sind. Siidlich der
Sahara zieht sich in breitem Giirtel der Stilkreis der
Sudanneger hin, deren Musik trotz hofischer Her-
kunf t den Gharakter der afrikanischen Gemeinschaf ts-
kunst aufweist. Zwischen Kongo im Westen und Sam-
besi im Osten erstreckt sich die Zone der Bantuneger-
musik mit reich ausgebildeten mehrstimmigen For-
men. Die Bantusprachen sind Tonsprachen, bei denen
die relative Tonhohe einer Sprachsilbe deren Bedeu-
tung ebenso bestimmt wie der Lautbestand. Neben
diesen vier Hauptstilkreisen der A.n M. gibt es noch
eine Reihe kleinerer. Unter ihnen sind die der anthro-
pologisch selbstandigen Gruppen der Buschmanner
und Hottentotten hervorzuheben, Volkerschaften im
Siiden des Kontinents, die als offenbar altere Bevolke-
rungsschicht eine weitaus primitivere Musik als die
benachbarten Bantuneger haben, obwohl sie viele
Elemente derselben iibernommen haben. Die zur Ur-
bevolkerung Afrikas zahlenden Zwergvolker, die
Pygmaen, wohnen iiber ganz Zentralafrika und im
westlichen Kiistenbereich verstreut in Riickzugsgebie-
ten langs des Aquators. Ihre Musik scheint jedoch viel
Lehngut der benachbarten Bantu- und Sudanstamme
zu enthalten. Eine besondere musikalische Kulturpro-
vinz ist das Kaiserreich Athiopien, das alteste, ge-
schlossene Staatsgebilde auf afrikanischem Boden. Die
Insel Madagaskar hat eine eigene Musikkultur ent-
wickelt, bei der negroide und malaiische Stilelemente
eine Verbindung eingegangen sind. Durch die islami-
schen und christlichen Missionen sind die Musikstile
Negerafrikas verandert worden. Hierbei ist die Chri-
stianisierung von kaum geringerem EinfluB gewesen
als der Islam, der vollig wesensfremde Ziige in die Ne-
germusik Afrikas brachte. Er hat heute bereits groBe
Teile des Kontinents erf aBt und ist im Vordringen.
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13
Afro-amerikanische Musik
Afro-amerikanische Musik. Ab etwa 1530 wurdet.
von den Kolonialmachten Spanien, Portugal, Nieder-
lande, Frankreich und England Negersklaven, vorwie-
gend aus Westafrika, auf den amerikanischen Kon-
tinent gebracht. Zwischen der Musik der Neger, der
WeiBen, der amerikanischen Ureinwohner (Indianer)
f anden gegenseitige Beeinflussungen statt, die regional
zu verschiedenen Stilen fiihrten. Der bedeutendste ist
der -Vfazz, der zuweilen audi mit A.-a.r M. schlecht-
hin bezeichnet wird.
Lit. : H. E. Krehbiel, Afro-American Folksongs, NY u.
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Negro y tambor, Buenos Aires 1952; M. M. Fisher,
Negro Slave Songs in the United States, Ithaca 1953;
A. M. Dauer, Der Jazz, Kassel (1958).
Afro-Cuban Jazz, eine im Zusammenhang mit detn
-»• Be-bop bekanntgewordene Stromung des Jazz, die
Ende der 1940er Jahre als Cuban bop (Cu-bop) ihren
Hohepunkt erreichte. Im A.-C. J. sind melodische und
vor allem rhythmische Elemente der lateinamerika-
nischen Musik beherrschend in den Jazz einbezogen
(Rumba, Conga, Mambo, Calypso). Die Rhythmus-
gruppe der Band wird dazu durch verschiedene ku-
banische Schlaginstrumente, wie Bongo, Conga, Cla-
ves (mit den speziell zu ihnen gehorigen Rhythmus-
figuren) bereichert. - Auf Grund der Einwanderung
von Negersklaven aus Kuba und den lateinamerika-
nischen Gebieten bis zum Ende des 19. Jh. in die Siid-
staaten der USA waren Elemente der afro-amerika-
nischen Musik bereits in friihe kreolische Lieder einge-
drungen. (Der Tango wurde schon 1914 in den USA
Mode.) Sporadisch begegnen solche Elemente audi
im New-Orleans-Jazz und im Ragtime. In den Vorder-
grund traten sie jedoch erstmalig in der Swing-Ara
(Ellington). Innerhalb der Be-bop-Bewegung gab
(1947-48) die Band von Gillespie mit dem kubanischen
Bongo-Trommler Chano Pozo den AnstoB zur welt-
weiten Popularisierung des A.-C. J., der dann sowohl
im -> Progressive Jazz (Stan Kenton) kompositorisch
verarbeitet, als auch von kleineren Ensembles iiber-
nommen wurde. - Umgekehrt iibernahmen in den
1940er Jahren siidamerikanische Tanzkapellen Jazz-
elemente (Frank Grillo Machito) und spielten teilweise
mit beruhmten Be-bop-Musikern (Charlie Parker).
Von dieser Seite fiihrte der Weg zur jiingsten kom-
merziellen Verbreitung lateinamerikanischer Tanz-
musik mit modischen Tanzen (Mambo, Cha-Cha-Cha) .
Agende (lat. agenda, s. v. w. : was getan werden soil),
seit der 2. Synode von Karthago (390) Name gottes-
dienstlicher Handlungen (z. B. agendam celebrare,
agenda diei), in spaterer Zeit Bezeichnung liturgischer
Biicher, die die gottesdienstlichen Formulare enthal-
ten, besonders in der evangelischen Kirche, wahrend
in der katholischen Kirche, vor allem nach der Refor-
mation, der Name Rituale gebrauchlicher ist. Auch
die A.n der evangelischen Kirchen tragen haufig an-
dere Bezeichnungen : im 16. und 17. Jh. erschienen sie
oft unter dem Namen und als Teil der Kirchenord-
nung. Agenda heiBt hier erstmals die 2. Auflage der
Kirchenordnung Herzog Heinrichs zu Sachsen (1540,
Agenda, das ist Kyrchenordnung, wie sich die Pfarrer und
Seelsorger in iren Ampten und Diensten halten sollen . . .);
ihr gingen A.n mit anderen Namen voraus, z. B.
Luthers Formula Missae (1523), Deudsche Messe und
Ordnung Gottesdiensts (1526), Th. Muntzers Deutzsch
kirchen ampt (1523). In neuerer Zeit wird die A. auch
Kirchenbuch genannt, vor allem in der reformierten
Kirche ; in England heiBt sie book of common prayer. -
In ihren musikalischen Teilen beschranken sich die A.n
meist auf die vom Liturgen gesungenen Stiicke; die
Gesange des Chores und der Gemeinde dagegen stehen
in den Kantionalien und Gesangbuchern. A. und Ge-
sangbuch vereinigt z. B. J. Keuchenthal in Kirchen Ge-
senge Latinisch und Deudsch, sampt alien Evangelien,
Episteln, undCollecten, auffdie Sontage undFeste . . . Aus
den besten Gesangbuchern und A.n . . . zusamen gebracht
(1573). - Als Quelle zur Geschichte der evangelischen
Liturgie und Kirchenmusik spiegeln die A.n die durch
Luther und seine Zeitgenossen begonnene Reform des
Kirchengesanges und der Liturgie wider sowie deren
Verfall wahrend der Zeit des Rationalismus und die
verschiedenen Restaurations- und Erneuerungsbestre-
bungen im 19. und 20. Jh., die teils bei der reformatori-
schen Uberlieferung, teils bei vorreformatorischen
Formen ankniipfen. J. F. Naues Versuch einer musikali-
schen A. (1818, 2 1823) greift auf die sachsische A. von
1539 zuriick; im wesentlichen hierauf stiitzt sich Fried-
rich Wilhelms III. Kirchenagendefiir die Hof- und Dom-
kirche zu Berlin (1822), dieAusgangspunktfiirdiejetzige
A.fiir die Kirche der Altpreufiischen Union ist. In neuerer
Zeit sind unter anderem wichtig die Bestrebungen der
Alpirsbacher Bewegung (z. B. Alpirsbacher Antiphonale,
1951), des Berneuchener Kreises (z. B. Die Ordnung
der Messe . . . mit den musikalischen Formen des Ordina-
riumsfiir Pfarrer, Chor und Gemeinde, 1950) , der Michaels-
bruderschaft (z. B. Die Heilige Woche. Ordnungen fitr
die Gottesdienste der Karwoche und die Feier der Osternacht,
1951) und die beiden Bande der A.fiir ev.-luth. Kirchen
und Gemeinden (1955-60).
Lit.: R. v. Liliencron, Liturgisch-mus. Gesch. d. ev.
Gottesdienstes v. 1523-1700, Schleswig 1893; Die ev.
Kirchenordnungen d. 16. Jh., hrsg. v. E. Sehlino, Bd.
I-V, Lpz. 1902-13, fortgefuhrt seit 1955; Fr. Blume, Die
ev. Kirchenmusik, Biicken Hdb.; P. Graff, Gesch. d.
Auflosung d. alten gottesdienstlichen Formen in d. ev.
Kirche Deutschlands, 2 Bde, Gottingen 1937-39; G.
Rietschel, Lehrbuch d. Liturgik, bearb. v. P. Graff,
Gottingen 2 1951 ; H. J. Moser, Die ev. Kirchenmusik in
Deutschland, Bin u. Darmstadt 1954; Leiturgia, Hdb. d.
ev. Gottesdienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. Blanken-
burg, 4 Bde, Kassel 1954-61 ; Chr. Mahrenholz, Die Kir-
chenmusik in d. neuen Lutherischen A., MuK XXV, 1955 ;
Jb. f. Liturgik u. Hymnologie, hrsg. v. K. Ameln, Chr.
Mahrenholz u. K. F. Muller, Kassel seit 1955.
Agnus Dei (lat., Lamm Gottes), der abschlieBende Ge-
sang des Ordinarium missae in Form eines 3maligen
An- und Bittrufes nach dem feierlichen FriedensgruB
(Pax Domini). Sein Text setzt sich zusammen aus den
Worten Agnus Dei qui tollis peccatamundi (= Anrufung;
nach Joh. 1, 29, vgl. auch Joh. 1, 36) und darauf folgen-
dem Miserere nobis, welches bei der 3. Anrufung durch
das bereits in Troparien aus dem 10. Jh. (St. Martial,
Winchester, Reichenau) vorkommende Dona nobis pa-
cem ersetzt wird. In den Totenmessen lautet die Bitte
seit dem 11. Jh. Dona eis requiem bzw. Dona eis requiem
sempiternam. Der ursprungliche Brauch, alle Anrufun-
gen mit dem Miserere nobis ausklingen zu lassen, blieb bis
heute in der Lateranbasilika und im Abendmahlsamt
vom Grundonnerstag erhalten. - Gleich dem Kyrie elei-
son war das A. D. offenbar schon vor seiner gegen Ende
des 7. Jh. erf olgten Einf iihrung in die romische MeBf eier
14
Air
Bestandteil der Allerheiligenlitanei. (Vgl. ferner den
Christusruf A. D. im -> Gloria in excelsis Deo.) Nach
dem Liber Pontificalis bestimmte Papst Sergius I. (687-
701), daB es von Klerus und Volk wahrend der liturgi-
schen Brotbrechung vorgetragen werden solle (Con-
fractorium). Von seiner Ausfiihrung im papstlichen
Stationsgottesdienst durch die Schola berichtet der
1. Romische Ordo (7. Jh.). Die zunachst praktizierte
Form fortlauf ender Wiederholung des Textes bis zum
Ende der Confractio wurde schon in einigen Quellen
aus dem 9. Jh. zugunsten der Dreizahl von An- und
Bittruf aufgegeben, nachdem die Brotbrechung all-
mahlich auBer Gebrauch kam (9./10. Jh.). Damit erhielt
das A. D. die Stellung eines Begleitgesanges zum Frie-
denskufi oder auch eines Kommuniongesanges. - Un-
ter den 20 A. D., die das Graduale Romanum und
Kyriale (Editio Vaticana) enthalt, diirf te in Ordinarium
XVIII (und im Requiem) die alteste Melodie vorlie-
gen. Im Gegensatz zu den jiingeren Weisen beruht sie
auf einfacher Rezitation bei geringstem Ambitus und
melodischer Obereinstimmung der 3 Textabschnitte.
Vermutlich blieb hier die Melodie der Agnus-Teile aus
der altromischen Allerheiligenlitanei erhalten (vgl.
diese im Formular der Osternachtsfeier u. a.). Als
grundlegendes Bauprinzip laBt sich auch in den iibrigen
Melodien eine Identitat zwischen alien drei oder we-
nigstens zwei An- und Bittrufen feststellen.
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLVII, hrsg. v. Cl.
Blume u. H. M. Bannister, Lpz. 1905, Neudruck Ffm.
1961 (A. D.-Tropen).
Lit.: J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia II, Wien,
Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; P. Wagner, Einfiihrung
in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 3 1911 u.
1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders.,
Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattun-
gen XI, 1, Lpz. 1913; W. Apel, Gregorian Chant,
Bloomington (1958). KWG
Agogik (von griech. licyeiv, fiihren; dyuy^ bezeich-
net in der griech. Rhythmik die »Temponuancierung«,
in der Harmonik den melodischen »Stufengang«),
von H. Riemann 1884 als Korrelat zu Dynamik einge-
fiihrter Terminus f iir die durch einen lebendigen Aus-
druck bedingten kleinen, im Notenbild nicht vermerk-
ten Modifikationen des Tempo. Gemeint ist so etwas
vom Treiben einer lebendigen Kraft, die sich nicht vollig ab-
zirkeln und in Masse fassen lasst, jedoch seit Mitte des
18. Jh. aus der Sphare des kiinstlerischen Instinkts iiber die
Schwelle des Bewusstseins tritt, das den Ausdruck bis ins
Allerkleinste verstehen, kontrolieren, kritisiren will (Uber
A., S. 88f.). Der agogisch richtige Vortrag dient zu-
gleich der Verdeutlichung von Taktart, motivischer
Gliederung und harmonischem Aufbau und geht par-
allel mit der Dynamik: geringes Treiben (mit cre-
scendo) bei Auftakten, kleine Dehnung (»agogischer
Akzent« ^~ iiber der Note) bei Schwerpunktstonen,
Abnehmen der Dehnung (mit diminuendo) bei weib-
lichen Endungen. Das Beispiel zeigt eine Stelle aus dem
Adagio der 9. Sinfonie von Beethoven mit Riemanns
dynamisch-agogischen Zeichen:
Gegeniiber solcher A. im kleinen bedeutet A. im gro-
Ben z. B. das Treiben bei Sequenzen, die »agogische
Stauung«, namlich die Hemmung des Ansturms bei
Steigerungen, das Zogern und Pausieren vor dem
Themaeintritt. Das -> Tempo rubato, obwohl schon
von Riemann mit A. gleichgesetzt, ist ein Spezialfall
der A., insofern der Ausdruck rubato sich urspriinglich
nicht auf Temposchwankungen bezieht, sondern auf
den ausdrucksvollen Vortrag der Hauptstimme bei
streng im ZeitmaB fortlaufender Grund- bzw. BaB-
bewegung.
Lit.: H. Riemann, Mus. Dynamik u. A., Hbg u. St.
Petersburg 1884; ders., Uber A. (1889), in: Praludien u.
Studien II, Lpz. 1900.
Agrements (agrem'a, frz.) ->• Verzierungen.
»Aida«-Trompete (frz. trompette thebaine), eine
nach Verdis Oper Aida genannte Fanfarentrompete
von schlanker Bauart (1,52 m) und scharfem, glanz-
vollem Ton. Sie wird in C, B, H, As und mit 1-3 Ven-
tilen gebaut.
Air (e:r, frz.; ea, engl.), Bezeichnung fiir Lied oder
Melodie. Im engeren Sinne ist A. vom spaten 16. bis
ins 18. Jh., von Frankreich und England ausgehend, ein
metrisch klares und periodisch einfaches Lied oder In-
strumentalstiick. - In England ist A. (auch Ayr, Ayre),
neben der Bedeutung von Modus, Melodiecharakter
(->• Arie), seit J. Dowland (The first booke of Songes or
Ayres, 1597) ein von italienischen Balletti und Kanzo-
netten angeregtes populates Lied zu 4 Stimmen, auch
reduziert auf Sologesang mit Lauten-, auch Streicher-
begleitung. Meist hat das A. beschwingten Tanzsatz-
charakter, seltener sind Schmerz und Klage sein Inhalt,
wie zum Teil bei J. Dowland, Morley und Leighton.
In der 1. Halfte des 17. Jh. ist das englische A. haufig
rein instrumental, teils polyphon angelegt, teils (in
Suiten) mit Tanzsatzcharakter (Holborne schon 1599,
W. Lawes, J.Jenkins, Locke, Adson; Cr. Gibbons
schrieb solche Ayres fiir die Masque Cupid and Death,
1653). Doch wurde das Lautenlied vorherrschend, wie
die Sammlungen von Playford (1652-84) zeigen. Be-
deutende A.-Komponisten sind J. Dowland, Weelkes,
Morley, Rosseter, Campian, Jones, Greaves, Pilking-
ton, Hume, Cooper, A. Ferrabosco. Ayrs begegnen
auch in der Cembalomusik Purcells. - In Frankreich
wurden mehrstimmige A.s, homophone weltliche
Chansonsatze mit Oberstimmenmelodik, seit Mitte
des 16. Jh. bis ins friihe 17. Jh. veroffentlicht (Vingt-
quatrieme \ivre d'a.s et chansons a 4 parties, Paris 1569,
Ballard; A.s mis en musique a quatre parties par F. M.
Caietain, 1578). Sie wurden dann aber von Lautenlie-
dern verdrangt, wie sie seit Mitte des 16. Jh. bei At-
taingnant und Phalese erschienen waren und denen
1571 Le Roy und Ballard mit einem Buch A.s de Cour
den fiir ein Jahrhundert gebrauchlichen Namen gaben.
(Ab Mitte des 17. Jh. hieBen leichtere Stiicke auch
brunettes.) Die zweiteiligen, auf Liebestexte kompo-
nierten und anfangs noch recht volkstiimlich gehal-
tenen Lautenlieder treten als a.s a boire (einfach und
frisch) und a.s serieux (kunstvoller und rezitativisch)
auf, zum Teil auch wie in England in Dialogform. Sie
sind, vor allem in Sammeldrucken von Ballard bis
weit ins 18. Jh. verbreitet. Ihre Beliebtheit auBerhalb
Frankreichs bezeugen Kontrafakturen in Liedern
(Arien) von Albert und Voigtlander. Wie in England
ist die Lautenstimme in Tabulatur zu den mensural
gedruckten Gesangsnoten gesetzt. Die wichtigsten
Komponisten sind Guedron, A. Boesset, Tessier, Ba-
taille, Mouline, Boyer, Cambefort, M. Lambert. Auch
von Rameau sind A.s erhalten. Im Ballet de cour ist das
A. nicht wesentlicher Bestandteil, sondern dient als
episodenhaftes Couplet, dagegen werden in der fran-
zosischen Ballettoper und -suite des 17. und 18. Jh.
(Lully, Rameau) Orchester-A.s haufig ohne Bindung
an bestimmte Tanztypen frei eingesetzt und in der
Ballettoper oft mit charakteristischen Adjektiven (ten-
dre, infernal, majestueux, gracieux) oder Angabe der
Tanzer versehen. Das A. in franzosischen Opern ist wie
das A. de cour ein zweiteiliges, kurzes Lied mit Beglei-
15
Air de cour
rung, begegnet audi in 3teiliger Da-Capo-Form. -
Das A. der deutschen Suite und Partita ab Mitte des
17. Jh. bis Bach (Partita VI, BWV 830; Ouverture D
dur, BWV 1068) und Handel (Cembalosuiten D moll,
E dur, »Wassermusik«) stammt von der Ballettsuite
Lullys ab, braucht wie dort keinen bestimmten Tanz-
typ zu verkorpern und unterscheidet sich von den
iibrigen Satzen weniger durch rhythmische als me-
lodische Ausgepragtheit.
Ausg. : Expert Maitres I, 1908; The Engl. School of Lu-
tenist Song Writers, hrsg. v. E. H. Fellowes, 32 Bde, Lon-
don 1920ff. ; Chansons au luth et a. de cour frc. du 16 me s.,
hrsg. v. A. Mairy u. L. de La Laurencie, = Publications
de la Soc. frc. de musicologie, I, 3/4, Paris 1934; J. Dow-
land, Ayres for four Voices, hrsg. v. E. H. Fellowes, Th.
Dart u. N. Fortune, Mus. Brit. VI, London 1953 ; 90 A. de
cour, hrsg. v. A. Verchaly, = Publications de la Soc. frc.
de musicologie I, 16, Paris 1961.
Lit. : A. Arnheim, Ein Beitr. zur Gesch. d. einstimmigen,
weltlichen Kunstliedes in Frankreich im 17. Jh., SIMG
X, 1908/09; P. Reyher, Les masques anglais, Paris 1909;
H. Prunieres, Le ballet de cour en France avant Ben-
serade et Lully, Paris 1914; E. H. Fellowes, The Engl.
Madrigal Composers, Oxford 1921 ; L. de La Laurencie,
L'ecole frc. de violon . . . , 3 Bde, Paris 1 922-24 ; P.-M. Mas-
son, L'opera de Rameau, Paris 1930; P. Warlock, The
Engl. Ayres, Oxford 1 932 ; G. Bontoux, Chanson en Angle-
terre au temps d'Elisabeth, Paris 1936; P. Alderman, A.
Boesset and the a. de cour, Diss. Los Angeles (Calif.)
1946, maschr.; B. Pattison, Music and Poetry in the
Engl. Renaissance, London 1948.
Air de cour (e:rdaku:r, frz.)-» Air.
Akademie (ital. accademia; frz. academie; engl.
academy) , hieB ein nach dem Heros Akademos benann-
ter Garten bei Athen, in dem Platon um 387 v. Chr.
seine Schuler zu philosophischem Gesprach zu versam-
meln begann, dann auch die hieraus erwachsene phi-
losophisch-wissenschaftliche Lehrstatte, die bis 529 n.
Chr. bestand. An ihre Tradition kniipf ten die von Psel-
los in der Mitte des 1 1 . Jh. in Konstantinopel gegriinde-
te Akad. und die um 1450 unter Mitwirkung griechi-
scher Gelehrter in Florenz, Rom und Neapel entstehen-
den platonischen Akad.n an. Die iiber 1000 italienischen
Akad.n der Renaissance- und Barockzeit, durch Beitra-
ge ihrer (zum grofien Teil adligen) Mitglieder oder von
einem Hof unterhalten, waren Zentren des Humanis-
mus. Sie verstanden sich als Gemeinschaften, die - in
ihrer Arbeit von jeder Bindung an staatliche oder
kirchliche Institutionen frei - die wissenschaftliche und
kiinstlerische Bildung ihrer Mitglieder fordern und
durch korrespondierende Mitglieder Verbindung mit
anderen Stadten und Landern halten wollten. Neben
Akad. begegnet als Bezeichnung auch Ridotto und
Camerata. Eine der altesten Akad.n, die um 1500 ge-
griindete Accad. degl'Incatenati in Verona (ab 1564
mit der 1543 gegriindeten Accad. Filarmonica verei-
nigt), beschaftigte einen Komponisten, der die Dich-
tungen der Mitglieder zu vertonen hatte, sowie einen
Maestro di musica f iir den Unterricht ihrer Mitglieder.
In Baiifs Acad, de Poesie et de Musique in Paris (1567-
87, 1570 von Karl IX. bestatigt) taten sich Dichter und
Musiker zusammen, um mit der Musique mesuree die
Tradition der antiken Musik zu erneuern. Viele Akad.n
wandten sich auch der Veranstaltung von Theater-
Auffiihrungen mit Berufskiinstlern zu, so die Accad.
Olimpica in Vicenza (1555-1843), die 1585 ihr Theater
mit Sophokles' »K6nig Odipus« in der Obersetzung
von O.Giustiniani und mit den Choren A.Gabrielis
eroffnete, die Accad. degl'Invaghiti in Mantua, vor
der 1607 Monteverdis Orfeo uraufgefiihrt wurde, und
die 1651 gegriindete Accad. degl'Immobili in Florenz,
die 1657 das Teatro della Pergola baute. In London
schuf 1719-29 die Royal Acad, of Music die finanzielle
Grundlage der von Handel geleiteten italienischen
Oper. Die GroBe Oper in Paris heiBt seit ihrer Griin-
dung (1669) Acad, nationale (royale, imperiale) de
musique. Zur Tatigkeit der Akad. gehoren oft auch
Konzerte (abwechselnd privat und offentlich), bei de-
nen - wie in den Collegia musica Deutschlands, der
Schweiz und der Niederlande - bis um die Mitte des
19. Jh. meist Dilettanten und Berufsmusiker zusam-
menwirkten. Akad.n dieser Art sind die Acad, of An-
cient Music in London (um 1710-92), die von C.Fr.
Fasch 1791 gegriindete Sing-Akad. in Berlin und die
Accad. Filarmonica in Rom (gegriindet 1821). Das
Wort Akad. kann daher seit dem 18. Jh. jedes -> Kon-
zert (- 2) bezeichnen; bekannt wurden unter diesem
Namen vor allem die Abonnementskonzerte der Thea-
terorchester von Mannheim (ab 1779) und Miinchen
(ab 1811). In Bologna entwickelte sich die von Ban-
chieri 1608 gegriindete Accad. dei Floridi (1622 mit
Giacobbis Accad. dei Filomusi vereinigt und 1666 zur
Accad. dei Filarmonici umgewandelt) zu einer berufs-
standischen Vereinigung, die sich 1804 an der Griin-
dung des Liceo filarmonico beteiligte. Ihr ahnelt die
Accad. di S. Cecilia in Rom, 1839 durch Umbildung
der 1566 gegriindeten Congregazione di S. Cecilia ent-
standen, die 1876 das Liceo musicale eroffnete; auch
nachdem dieses 1919 (als Conservatorio di S. Cecilia)
von der Akad. abgelost wurde, hat sie sich die Veran-
staltung eigener Meisterkurse vorbehalten. Meister-
klassen fur Komposition bestehen seit 1832 auch an der
Akad. der Ktinste in Berlin; hier unterrichteten u. a.
Meyerbeer, Bruch, Gernsheim, Humperdinck, Pfitz-
ner, Kaminski, R. Strauss, Busoni und Schonberg. In
Stockholm steht die Musikhochschule unter der Auf-
sicht der Kunglig Musikaliska Akad., die (1771 aus den
Kavalierkonzerten hervorgegangen) auch Zentrum
des schwedischen Musiklebens und Forschungsstatte ist.
In neuerer Zeit heifien viele Lehranstalten Akad., im
Ausland vor allem Hochschulen (Royal Acad, of Music
in London, gegriindet 1822, und die entsprechenden
Akad.n f iir Irland in Dublin seit 1848, fiir Schottland in
Glasgow seit 1929, ferner in Basel seit 1954, in Zurich
seit 1891, Akad. fiir Musik und darstellende Kunst in
Wien seit 1908, Sibelius- Akad. in Helsinki seit 1939), in
Deutschland neben der Nordwestdeutschen Musik-
Akad. in Detmold (gegriindet 1946, mit Hochschul-
rang) vor allem solche Anstalten, die zwischen Hoch-
schule und Konservatorium eingestuft werden. Der ur-
spriinglichen Zielsetzung der platonischen Renaissance-
Akad. sind die wissenschaftlichen und kiinstlerischen
Akad.n der Neuzeit nahe geblieben, die eine begrenzte
Zahl hervorragender Fachleute zur Beschaftigung mit
Fragen allgemeiner Bedeutung versammeln. Ihre Ar-
beitsgebiete sind: Sprachkritik (Accad. della Crusca in
Florenz, gegriindet 1582, Acad. Francaise in Paris, ge-
griindet 1635), Wissenschaften und Kiinste (Acad.
Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts in
Briissel, seit 1772, Akad. der Wissenschaften und der
Literatur in Mainz, gegriindet- 1 949) j Wissenschaften
(in Deutschland die Akad. in Berlin von 1700, in Got-
tingen von 1751, in Miinchen von 1759, in Leipzig von
1846 und in Heidelberg von 1909), Kiinste (in Deutsch-
land die Akad. der Kiinste in Berlin, gegriindet 1696,
und die Bayerische Akad. der Schonen Kiinste in Miin-
chen, gegriindet 1948). Zu den vornehmsten Aufgaben
der Akad.n gehort neben der Veroffentlichung ihrer
Sitzungsberichte und Abhandlungen die Forderung
solcher Arbeitsvorhaben, die die Kraft eines einzelnen
iibersteigen; z. B. unterstiitzt die Union Acad. Inter-
nationale die Monumenta Musicae Byzantinae (seit
1935) ; die Akad. der Wissenschaften und der Literatur
16
Akademische Grade
in Mainz verbffentlicht Musikalische Denkmaler (seit
1955) und tragt die Arbeiten am Handworterbuch der
musikalischen Terminologie; die Bayerische Akad. der
Wissenschaf ten in Miinchen bereitet das Lexicon mu-
sicum latinum vor und tragt gemeinsam mit der Acad.
Royale de Belgique die Neue Reihe der Lassus-Gesamt-
ausgabe (seit 1956).
Lit. : A. Canobbio, Breve trattato . . . sopra le Acad., Vene-
dig 1 577 ; J. C. C. Oelrichs, Hist. Nachrichten v. d. akade-
mischen Wurden in d. Musik u. offentlichen mus. Akad.,
Bin 1752; A. v. Harnack, Gesch. d. Koniglich-PreuBi-
schen Akad. d. Wiss. zu Bin, 3 Bde, Bin 1900; A. Della
Torre, Storia dell'Accad. Platonica di Firenze, Florenz
1902; P. L. Landsberg, Wesen u. Bedeutung d. platoni-
schen Akad., in: Schriften zur Philosophie u. Soziologie,
hrsg. v. M. Scheler, Bonn 1923; M. Maylender, Storia
delle Accad. d'ltalia, 5 Bde, Bologna 1926-30; Fr. Wal-
ther, 1 50 Jahre Mus. Akad. d. Mannheimer Nationalthea-
ter-Orch. 1779-1929, Mannheim, Bin u. Lpz. (1929); G.
Schunemann, Die Singakad. zu Bin, Regensburg 1941 ; D.
P. Walker, Mus. Humanism in the 16" 1 and Early 17 tb
Cent., MR II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus. Hu-
manismus . . ., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; Fr. A.
Yates, The French Acad, in the XVI" 1 Cent., = Univ. of
London, Warburg Inst., Studies XV, London 1947.
Akademische Grade werden von Universitaten nach
Bestehen einer mundlichen Priifung, nach Anerken-
nung einer schriftlichen Arbeit, bei hoheren Graden
nach langerer Zeit der Bewahrung im Universitats-
dienst verliehen und weisen den Inhaber aus als fahig
zu wissenschaftlicher Arbeit und Lehre. An der mittel-
alterlichen Universitat war die Bestatigung musik-
wissenschaftlicher Fahigkeit in der Facultas artium et
philosophiae moglich (->- Ars musica). Der AbschluB
dieses Studium generale war Voraussetzung fiir die
Examina an anderen Fakultaten. Der Studiengang be-
gann mit dem Horen aller Grundvorlesungen und der
Teilnahme an Disputationen innerhalb zweier Studien-
jahre ; anschliefiend konnte man nach einer mundlichen
Priifung den Grad eines ->- Baccalarius erhalten, der
etwa dem heutigen Abiturientenexamen entspricht.
Den Nachweis fiir das Horen musikalischer Vor-
lesungen (Lesen und Kommentieren von Musik-
traktaten) muBte der Bakkalar nach weiteren 2-3
Jahren bei der Meldung zur Magister artium-Prii-
fung erbringen. Es wurden Kcnntnisse verlangt iiber
»irgendein Such iiber Musik« (Wien 1389), »irgend
etwas in Musik« (Prag 1390), »Musik« (Leipzig 1409,
gemeint ist die Musica speculative! von J. de Muris),
»Euclid oder ein anderes Buch iiber . . . Musik« (Hei-
delberg 1452). Der Magister erhielt nach bestandener
miindlicher Priifung die Licentia doctorandi, entspre-
chend dem heutigen Dr. phil. ; Lehrtatigkeit und Tra-
gen desDoktorhutes wurden ihm erst durch die Licentia
docendi bzw. das Ius ubique legendi gestattet. Nach
etwa 2jahriger Lehrtatigkeit wurde der Magister nach
Leistung des Fakultatseides in das Professorenkollegium
aufgenommen als Magister regens studium. Beruhm-
te Universitatslehrer waren J. de Grocheo (regens
Parisius) und J. de Muris (magister regens) Anfang
des 14. Jh. an der Sorbonne, R. Grosseteste (magister)
1210-35 in Oxford, Ramos de Pareja und Spataro um
1500 in Bologna, Gaffori (musicae professor publicus)
um 1500 in Mailand, J. de Garlandia (magister) 1 229-32
in Toulouse, Cochlaeus (magister artium) um 1500 in
Koln und Glarean in Basel und Freiburg in der 1 . Half te
des 16. Jh. Sehr erwunscht waren graduierte Akade-
miker in musikalischen Kirchenamtern. Fiir hohere
Kleriker wie den Cantor war akademische Ausbildung
Bedingung. Mit den Auswirkungen des Humanismus
auf die Universitat schied die Musik als theoretisches
Fach aus dem Lehrplan aus und erfuhr ihre wissenschaf t-
liche Behandlung nur noch in Disziplinen wie Physik,
Medizin und Theologie, aus denen zahlreiche Doktor-
arbeiten mit musikalischen Themen hervorgingen.
Lediglich in England haben sich seit dem Mittelalter
durchgehend A. Gr. erhalten, wie der Bachelor of
Music (zuerst belegt in Oxford 1499, in Cambridge
1463) und der Doctor of Music (Oxford 1511, Cam-
bridge 1463), die nicht fiir wissenschaftliche Leistun-
gen, sondern fiir kompositorische Fahigkeiten ver-
liehen wurden und keinen Weg zur Lehrtatigkeit er-
offneten. Bis zum Ende des 18. Jh. blieb die kontinentale
Universitat fiir die Verleihung A.r Gr. an Musiker und
Musikwissenschaftler verschlossen. Erst die Professu-
ren Breidensteins (1826 Bonn), A. B. Marx' (1830 Ber-
lin) und die ordentlichen Professuren Hanslicks (1870
Wien), Jacobsthals (1897 StraBburg), Kretzschmars
(1904 Berlin) eroffneten der Musikwissenschaft in
Deutschland wieder den Weg zur Universitat inner-
halb der philosophischen Fakultat. Heute gibt es an
jeder deutschen Universitat einen Lehrstuhl fiir Musik-
wissenschaft. Der Studiengang sieht nach AbschluB
einer hoheren Schulausbildung ein mindestens 4jahriges
Studium vor, dem sich nach Ausarbeitung einer Dis-
sertation und miindlicher Priifungen in Hauptfach und
2 Nebenfachern die Promotion zum Doctor philoso-
phiae anschlieBen kann. Die Habilitation (Einreichung
und Annahme einer weiteren Facharbeit, Colloquium
mit den Mitgliedern der Philosophischen Fakultat,
offentliche Probevorlesung) bedeutet die Verleihung
der Venia legendi im Fach Musikwissenschaft. Der
Privatdozent kann weiterhin zum Wissenschaftlichen
Rat und zum auBerplanmaBigen Professor ernannt
und zum auBerordentlichen und ordentlichen Pro-
fessor und Inhaber eines Lehrstuhls fiir Musikwissen-
schaft berufen werden. Vielfach wurde der philo-
sophische Doktortitel ehrenhalber (honoris causa) von
Universitaten vergeben. Neuerdings wird in Deutsch-
land nach englischem Vorbild der dem Range nach
unter dem Dr. phil. stehende Grad eines Magister
Artium (Abk. : M. A.) wieder eingefiihrt. - In Eng-
land brach die 1893 von Stanford (Cambridge) durch-
gefiihrte Reform mit dem alteren Brauch, lediglich
durch Vorlage einiger Probekompositionen oder Be-
stehen schriftlicher Kompositionsprufungen zur Pro-
motion zu gelangen. An den britischen Universitaten
Cambridge, Birmingham, Durham und Wales gibt
es heute die 3 Grade Bachelor of Music (B. Mus.),
Master of Music (M. Mus.) und Doctor of Music (D.
Mus. oder Mus. D.). In den Universitaten wird der
Master-Grad nicht verliehen. Das Erreichen der Grade
erfordert ein mehrjahriges Studium und das Bestehen
einer musikgeschichtlichen und musikalisch-prakti-
schen Priifung. In Oxford und Cambridge ist seit 1950
bzw. 1945 der Grad eines Bachelor of Arts (B. A.) als
Vorbereitung fiir den B. Mus. eingefiihrt; an beiden
Universitaten wird der D. Mus. nur fiir den Nachweis
hervorragender Kompositionsf ahigkeit verliehen, wah-
rend in Belfast und Birmingham eine musikgeschicht-
liche Arbeit genugt und in Edinburgh und Glasgow
beides erforderlich ist. Der D. Mus. wird auch ehren-
halber verliehen. Das Recht zur Verleihung des Dok-
tortitels der Musik hat auch der Bischof von Canter-
bury mit dem sogenannten Lambeth degree. Fiir eine
Forschungsarbeit, die nach Erlangung der vorgenann-
ten Grade entstanden ist, wird oft der Grad eines Bache-
lor of Letters (B. Litt., Oxford), Master of Letters (Litt.
M., Cambridge) oder Master of Arts (M. A., iibrige
Universitaten) vergeben, bei besonders hervorragen-
den Leistungen der Doctor of Philosophy (Ph. D., in
Oxford D. Phil.). - An den 37 Colleges und Universi-
taten, die 1961 in den USA A. Gr. verliehen, kann nach
17
Akathistos hymnos
etwa 4jahrigem Studium der Grad ernes Bachelor of
Arts erlangt werden, nach weiteren 2 Jahren der eines
Master of Arts, nach Ablegung einer miindlichen Prii-
fung und Einreichen einer groBeren schriftlichen Ar-
beit der des Doctor of Philosophy. Der M. A. ist Vor-
aussetzung fur die Stelle eines Unterlehrers (instructor)
am College, der Ph. D. fiir den Assistant- und Asso-
ciate-Professor und fiir den Leiter (chairman) des De-
partment of music eines College. Der Grad eines Mus.
D. wird nur ehrenhalber verliehen. - Nicht so giinstig
wie in Deutschland und GroBbritannien und in Lan-
dern wie der Schweiz, Tschechoslowakei, Polen, Finn-
land, Danemark, Holland (erster Lehrstuhl jeweils
1859, 1900, 1911, 1918, 1926, 1930) sind die Bedingun-
gen fiir das musikwissenschaftliche Studium in den
Mittelmeerlandern, wo entweder - wie in Griechen-
land und Spanien (nur 1933-36 Professorat H. Angles
an der Universitat Barcelona) - kein Lehrstuhl besteht
oder erst in letzter Zeit ein solcher eingerichtet wurde
(1957 Ronga ord. Prof, in Rom, andere Lehrstiihle
jetzt auch in Florenz, Palermo, Mailand und Turin).
Das Fach Musikwissenschaf t gehort in Frankreich der
Faculte des Lettres et Sciences humaines an und wird
in Paris (1930 Pirro Professeur titulaire an der Sor-
bonne), StraBburg und Poitiers gelesen. Nach mehr-
jahrigem Studium kann die Licence es Lettres erlangt
werden. Sie berechtigt zum Unterricht an Schulen und
ist Voraussetzung fiir den hoheren Schuldienst oder
die Stellung eines Assistenten bzw. Lehrbeauftragten
einer Universitat. Weitere Stufen der Universitatslauf-
bahn sind Charge de Cours, Maitre de Conference
(beide etwa dem deutschen auBerordentlichen Pro-
fessor entsprechend), Professeur titulaire (dem ordent-
lichen Professor entsprechend) und Professeur honorai-
re (emeritierter Professeur titulaire). Nach der Licence
es Lettres konnen 2 Arten des Docteur es Lettres er-
langt werden. Fiir den staatlichen Grad (Diplome
d'Etat) sind zwei schriftliche Arbeiten (theses) abzu-
liefern: eine Forschungsarbeit und eine quellenkund-
liche Arbeit. Zur Erlangung des Doktorgrades der
Universitat (Diplome de l'Universite), der dem staat-
lichen Grad an Bedeutung nachsteht, sind eine miind-
liche und praktische Priifung sowie ein wissenschaft-
licher Vortrag erforderlich.
Lit.: C. Williams, Degrees in Music, London 1893; S.
Nystrom, Die deutsche Schulterminologie in d. Periode
1300-1740, Helsinki 1915; P. Wagner, Univ. u. Mw„
Lpz. 1921 ; ders., Zur Mg. d. Univ., AfMw HI, 1921 ; A.
Schering, Mg. Lpz. II, Lpz. 1926 u. Ill, Lpz. 1941; A.
Goetze, Akad. Fachsprache, Heidelberg 1929; T. Haa-
panen, Gegenwartiger Stand d. Mw. in Finnland seit
1923, AMI I, 1929; D. Iselin, Die Mw. an d. schweize-
rischen Univ., ebenda; C. A. Moberg, Musik u. Mw. an
d. schwedischen Univ., ebenda u. AMI II, 1930; E. J.
Dent, The Scientific Study of Music in England, AMI II,
1930; A. Pirro, L'enseignement de la musique aux univ.
frc., ebenda; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d.
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf I, III,
V-VII, 1936-42; M. v. Crevel, A. P. Coclico, Den Haag
1940; S. Clasen, Der Studiengang an d. Kolner Artisten-
fakultat, in: Artes Liberates, hrsg. v. J. Koch, Leiden u.
Koln 1959; J. LaRue, Some Details of Musicology in the
United States, AMI XXXIII, 1961.
Akathistos hymnos (griech. axafti(TTO<; uu-voi;), ein
Kontakion von 24 Strophen, deren Anf angsbuchstaben
als Akrostichon das Alphabet ergeben. Alle geradzahli-
gen Strophen enden mit dem Alleluia, alle ungerad-
zahligen mit: x a ^Q e vvfitpr) dvvfiqpevTe! (»Salve sposa
inviolata!«). Die letzteren heiBen j(aip£Tia[ioi (Be-
griiBungen), weil in ihnen der Dichter eine Reihe von
Titeln der Jungfrau Maria nennt, an die er sich jeweils
mit dem Wort x a 'Q £ ("GegruBest seist du«) wendet.
Als Dichter des A. h. wurden genannt der hi. Romanos
»der Melode« (5.-6. Jh.), Patriarch Sergios von Kon-
stantinopel (610-638), sein Zeitgenosse Georgios von
Pisidia, der hi. Germanos (f um 733) u. a. Die heutige
Forschung schreibt den Hymnus allgemein dem hi.
Romanos zu. Nach den Vorschriften des Typikon von
Konstantinopel wird heute an den Freitagen der Fasten-
zeit ein Viertel, in der Matutin vom Samstag der 5.
Fastenwoche der ganze Hymnus gesungen. Die alteste
bekannte Melodie steht in Handschriften des 13. Jh.,
ist jedoch wahrscheinlich alter. Stilistisch gehort sie
zum Genos psaltikon. Andere Melodien, von Maistores
wie Johannes Klada (14. Jh.) geschaffen und in spateren
Handschriften iiberlief ert, nahern sich dem Genos kalo-
phonikon. Heute wird das Kontakion in einer ein-
fachen, den Evangelienlesungen ahnlichen Melodie ge-
sungen; das Kukulion und das Troparion apolytikon
besitzen eigene Melodien.
Ausg. : The A. H., hrsg. v. E. Wellesz, = Monumenta Mu-
sicae Byzantinae, Transcripta IX, Kopenhagen 1957, dazu
B.Di Salvo in :Orientalia Christiana PeriodicaXXIII, 1957,
Lit.: TuniK6v tfj? toO XpiaxoO Msy&AiK 'EKKX.naia<;.
Athen o. J. ; A. Dmitrijevskij, TuiciKd, Kiew 1 895 ; N. Nil
les, Calendarium manuale II, Innsbruck 1897; K. Krum-
bacher, Gesch. d. byzantinischen Lit., = Hdb. d. klass
Altertumswiss. IX, 1, Munchen 1890, erweitert 21897
griech. v. G. Soteriades, Athen 1897; P. v. Winterfeld.
Ein abendlandisches Zeugnis iiber d. Ouvoi dKd3icrroi, Zs
f. deutsches Altertum XLVII, 1904; P. F. Krypiakiewicz
De h. a. authore, in: Byzantinische Zs. XVIII, 1909
Romano il Melode, (8) Inni, griech. u. ital., hrsg. v. G.
Cammelli, = Testi cristiani II, Florenz 1930; C. Del
Grande, L'inno acatisto, Florenz 1948; ders., L'inno
acatisto, Neapel 1956; M. Huglo OSB, L'ancienne ver-
sion lat. de l'hymne a., Museon LXIV, 1951 ; E. Wellesz,
Das Prooemium d. A., Mf VI, 1953; ders., The A., in:
Dumbarton Oaks Papers IX/X, 1956; G. G. Meersseman
OP, Der H. A. im Abendland, 2 Bde, = Spicilegium Fri-
burgense II— III, Freiburg i. d. Schweiz 1958-60; G. Marzi,
Melodia e nomos nella musica bizantina, Bologna 1960;
B. Di Salvo, A proposito della pubblicazione del »Con-
tacarium Ashburnhamense«, Bolletino della Badia Greca
di Grottaferrata, N. S. XIV, 1960. BDS
Akklamationen (von lat. acclamare, zurufen; auch
acclamatio, conclamatio, clamor, laudatio, vox; griech.
eu<po)V7)[J.a, cu<pa>vY)cri?, 7TOAUXpovt,ov) sind urspriing-
lich Zurufe in langerer oder kurzerer Form, die ge-
wohnlich vom Volk oder Heer, in der Liturgie von
der Gemeinde ausgefuhrt worden sind. Im Altertum
begegnen sie - nach orientalischem und griechischem
Vorbild auch in Rom - bei Spielen und Reden, im
Theater und bei Totenfeiern zur BegriiBung f uhrender
Staatsmanner und siegreicher Feldherrn, bei kirchlichen
Festen und Synoden zur BegriiBung geistlicher Wiir-
dentrager; ihr Inhalt waren Beifall und Gliickwunsch,
aber auch Forderung und Verwiinschung. Die recht-
liche Bedeutung der A. war auBerordentlich hoch; sie
galten - im weltlichen wie im kirchlichen Bereich -
als Volksbeschliisse (Abstimmungen in der griechischen
Volksversammlung, im romischen Senat, bei Bischofs-
wahlen) und wurden als gottliche Eingebung ange-
sehen. Die musikalische Gestalt dieser A. ist bis auf ei-
nige spate Zeugnisse aus dem byzantinischen Hofzere-
moniell nicht mehr erreichbar. - Als rufartige Ant-
worten der Gemeinde sind A. - zum Teil sicher schon
auf Grund synagogaler Anregungen - auch in die christ-
liche Liturgie aufgenommen worden: das Volk horte
den Gebeten des Priesters nicht nur schweigend zu,
sondern bestatigte und bekraftigte sie durch haufige
spontane Amen-(AUeluia-)Rufe. Wichtige Teile der
Liturgie wurden iiberhaupt aus Ruf und Gegenruf ge-
bildet (Beginn des Eucharistiegebetes), und die Be-
teiligung des Volkes verlieh sogar den Ordinariums-
18
Akkord
gesangen, alien voran dem Kyrie, einen mehr oder
weniger akklamatorischen Charakter. Wurden auch
die spontanen Amen-Rufe schon um die Jahrtausend-
wende stark vernachlassigt, so hat sich das A.-Prinzip
selbst dennoch in einzelnen festgelegten Formen bis
zur Gegenwart in der Liturgie erhalten. In der kon-
zertanten Kirchenmusik der Neuzeit (etwa in den Ora-
torien Handels, am ausdrucklichsten wohl im Hallelujah
des Messiah, und in den Messen der Wiener Klassik,
z. B. dem Gloria aus Beethovens Missa solemnis) hat es
in Gestalt melodisch schmuckloser, syllabisch dekla-
mierter, stark akzentuierter und haufig wiederholter
Rufe des Chores als des Vertreters der kultischen Ge-
meinde eine charakteristische Verwirklichung gefun-
den. - Eine besonders feierliche und bedeutungsvolle
Form der A. entstand in den mittelalterlichen Laudes
regiae (auch Rogationes, Regale carmen, Triumphus
genannt), welche sich dem Aufbau und der musikali-
schen Gestaltung nach eng an das Vorbild der Litanei
anlehnten (deshalb mitunter auch als Laetania bezeich-
net), wenngleich ihr Inhalt nicht so sehr von demiiti-
gem Flehen, als vielmehr von freudigem Lobpreis
Christi gepragt war. Die Laudes beginnen mit einem
Abschnitt gliickwiinschender Heilrufe f iir die einzelnen
geistlichen und weltlichen Herrscher - gewohnlich
wurden Papst und Kaiser (Konig) zusammen akkla-
miert, doch bestehen Ausnahmen vor allem in den
Laudes papales seit dem 12. Jh. und den Laudes im-
periales seit 1209 - sowie fiir deren wichtigste Stellver-
treter (z. B. Hludovvico a Deo coronato magno et pacifico
regi vita et gloria), immer litaneimaBig erweitert durch
Invokationen Christi (Exaudi Christe und Tu ilium
adiuva) und zahlreicher Heiliger, eroffnet und beschlos-
sen durch das Trikolon Christus vincit, Christus regnat,
Christus imperat; es folgen ein weiterer Abschnitt mit
Lobpreisungen Christi, die in eine dreifache Doxologie
ausmiinden, und in der Regel ein SchluBabschnitt mit
kurzen Einzelbitten oder dem Kyrie eleison. Die musi-
kalische Gestalt der Laudes umfaCt syllabisch-rezitie-
rende Partien in den eigentlichen A. und der Doxologie
sowie oft leicht melismatische Partien im Trikolon und
in den Anrufungen. Im Gegensatz zur Psalmodie (die
Laudes haben keinen Psalmtext) werden die Laudes
nicht nach einem kurzen, wiederholbaren Melodie-
modell gesungen, sondern sind in den Quellen stets
vollstandig notiert. Die Darbringung der Laudes war
den Tagen der Kaiser- und Papstkronung, Bischofs-
weihe und kirchlichen Hochfesten (Festkrbnungen)
vorbehalten; ihre liturgische Stellung hatten sie im
Pontifikalamt, meist nach der Messoration, vor der
Epistellesung, wo sie den BeschluB des Eingangsteiles
der Messe bildeten, gelegentlich auch vor dem Gloria
in excelsis oder nach der SchluBoration. Ausgefiihrt
wurden sie im litaneiahnlichen Wechselgesang zwi-
schen zwei Sangergruppen bzw. Vorsangern und einer
groBeren Gemeinschaft (Schola cantorum, Klerus).
Die liturgischen Bemiihungen des 20. Jh. haben, be-
sonders in Zusammenhang mit dem 1925 eingefiihrten
Christkonigsfest, auch zu einer Neubearbeitung der
Laudes regiae fiir den modernen kirchlichen Gebrauch
gefiihrt.
Ausg. : Ordines Coronationis Imperialis, hrsg. v. R. Elze,
= MGH Fontes Iuris Germanici Antiqui IX, Hannover
1960.
Lit. : H. J. W. Tilly ard, The Acclamations of Emperors
in Byzantine Ritual, Annual of the British School of
Athens XVIII, 1911/12; J. M. Hanssens, De laudibus
carolinis, Periodica de re morali canonica liturgica XXX,
1941; E. H. Kantorowicz, Laudes Regiae. A Study in
Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship,
Univ. of California Press, Berkeley u. Los Angeles 1946,
darin Appendix I: M. F. Bukofzer, The Music of the Lau-
des; B. Opfermann, Die liturgischen Herrschera. im Sa-
crum Imperium d. MA, Weimar 1953 ; R.-J. Hesbert OSB,
L'6vangeliaire de Zara, Scriptorium VIII, 1954; M. Pfaff
OSB, Die Laudes-A. d. MA, Kgr.-Ber. Wien 1956; H.
Hucke, Eine unbekannte Melodie zu d. Laudes Regiae,
KmJb XLII, 1 958 ; E. Wellesz, A Hist, of Byzantine Music
and Hymnography, Oxford 21961 ; A. Schmitz, Zum Ver-
standnis d. Gloria in Beethovens Missa solemnis, Fs. Fr.
Blume, Kassel 1963. FrR
Akkolade (frz. accolade, Klammer; engl. brace, Band)
heiBt die Klammer, die in Partituren, Orgel- und Kla-
viermusik 2 oder mehr Systeme zusammenfafit und
damit die darin untergebrachten Stimmen als gleich-
zeitig erklingend kennzeichnet, in iibertragenem Sinn
auch die Gesamtheit der durch diese Klammer verbun-
denen Systeme.
Akkord (ital. accordo; frz. accord; engl. chord; von
spatlat. accordare, iibereinstimmen, aus lat. ad, zu, und
cor, cordis, Herz), - 1) der Zusammenklang mehrerer
Tbne (wenigstens drei) verschiedener -> Tonigkeit.
Lyonel Power und Pseudo-Chilston (um 1450, Ms.
Brit. Mus. Lansdowne 763, Nr 15 und 16) sprechen
von den acordis oder cordis im Sinne von Konsonan-
zen, wahrend der franzosische Anonymus XIII (um
1400, CS III, 496ff.) die acors als Intervalle in perfekte,
imperfekte und dissonante unterteilt. In der spateren
Musiklehre wurde der A.-Begriff von dem Willaert-
Schiiler Zarlino etitwickelt (Istitutioni harmoniche, 1558).
Er bestimmt den A. nach den Proportionalzahlen, die
den einzelnen (simultanen) Konkordanzen zugrunde
liegen. Das Wesentliche des A.s liegt in seinem verti-
kalen Gefiige, das nicht mehr - wie in der Kontra-
punktlehre des 15. und 16. Jh. - als Ergebnis des Zu-
sammentreffens einzelner (horizontal gedachter) Stim-
men, sondern von einem als -»• Basis oder -*■ Funda-
mentum geltenden Klangtrager her verstanden wird,
der das harmonische Geschehen stiitzt und fiihrt. Das
A.-Phanomen in diesem Sinne ergab sich aus der zu-
nehmenden klanglichen Verfestigung des Satzgefiiges,
die im Laufe des 15. und beginnenden 16. Jh. zunachst
vor allem in der italienischen und englischen Musik
greifbar wird. Bei J. G. Walther (1732) zeigt sich die
Festlegung des A.-Begriff s in der Erklarung : ein Accord
oder Zusammenstimmung, bestehet aus drey unterschiedenen,
und doch zusammen Mingenden Sonis, nemlich dem funda-
mental-Tone, dessen Terz undQuint. z. E. c eg. dfa. . . .,
wogegen es bei ihm friiher hieB: Accord, ist eine jede
harmonische Zusammenstimmung (Praecepta der Musicali-
schen Composition, 1708). Fiir die asthetische wie psy-
chologische Beurteilung eines A.s sind seine harmoni-
sche Funktion (-> Funktionsbezeichnung, -> Kadenz- 1)
sowie seine Sonanz (->- Konsonanz/Dissonanz) aus-
schlaggebend. - 2) Angabe einer Einstimmung bei Sai-
teninstrumenten (-> Accordatura, -> Scordatura). Das
frz. accorder und ital. accordare, »stimmen«, geht offen-
bar auf die Einwirkung des lat. chorda (altfrz. corde),
Saite, zuriick. - Accord a l'ouvert heiBt ein Mehrklang,
der auf Saiteninstrumenten auf leeren Saiten hervorge-
bracht wird. - 3) im 15.-17. Jh. s. v. w. ein Chor oder
Stimmwerk von Instrumenten derselben Familie, aber
verschiedener GroBe (Floten, Krummhorner, Posau-
nen).
Lit.: zu 1): Riemann MTh; M. Kolinski, Konsonanz als
Grundlage einer neuen Akkordlehre, Briinn, Prag, Lpz.
u. Wien 1936; H. Federhofer, Akkordik u. Harmonik in
friihen Motetten d. Trienter Kodices, Diss. Wien 1936,
maschr.; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I,
Mainz 1937, 21940, II Mainz 1939, engl. als: Craft of
Mus. Composition, I London 1942, II 1941 ; H. H. Egge-
brecht, Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d. Wiss.
u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. KJasse, Jg.
1955, Nr 10. - zu 3) : Praetorius Synt. II.
19
Akkordeon
Akkordeon, Bezeichnung fiir den technisch und mu-
sikalisch hochst entwickelten Typus aus der Familie der
->• Harmonika-Instrumente, ein polyphon spielbares,
im Diskant und BaB gleichtbniges, chromatisches Balg-
instrument mit durchschlagenden Zungen. Seinen Na-
men verdankt das A. den in ihrer Lage unverander-
lichen, feststehenden, verkoppelten Akkorden, die
durch Niederdriicken nur eines Knopfes des BaBteils
zum Klingen gebracht werden. Nach der Tastenform
der Diskantseite ist das - geschichtlich altere - Knopf-
griff-A. vom Piano-A. zu unterscheiden. Auf der BaB-
seite sind beide Instrumente gleich ausgebildet. Wah-
rend das Piano-A. die iiberlieferte Klaviertastatur iiber-
nahm, sind beim Knopfgriffinstrument die Tone in
drei senkrecht nebeneinander stehenden, in ihrer Hohe
aber geringfiigig gegeneinander verschobenen Tasten-
reihen angeordnet und folgen in Schragreihen chro-
matisch aufeinander. Die Tonfolge von auBen nach
innen (c in der 1. Reihe) wird als C-Griff-Tastatur
oder italienische (norwegische bzw.hollandische) Ton-
anordnung bezeichnet; liegt der Ton c in der 3. Reihe,
spricht man von B-Griff-Tastatur bzw. Wiener (schwe-
discher) Tonanordnung. Eine zusatzlich vorhandene
4. und 5. Tastenreihe ist mit der 1. bzw. 2. mechanisch
verkoppelt und nur als Spielhilfe zu betrachten. Auf
der Diskantseite ist das A. im Rahmen des gesamten
Tonumfanges (beim Piano-A. in der Regel f-a 3 , beim
Knopfgriff-A. E-cis 4 ) grundsatzlich mehrchbrig: ne-
ben der Grundreihe (8') sind die tiefe Oktave (16'), die
hohe Oktave (4') und eine oder zwei Schwebeton-
Reihen (Ober- bzw. Untertremolo) zur Grundreihe
vorhanden; bei Spezialinstrumenten wird haufig noch
eine Mixturstimme (22/3') mitgefiihrt. Die einzelnen
Stimmzungenreihen konnen durch Register beliebig
miteinander kombiniert werden. Auf der BaBseite
verzichtet das A. auf eine den Diskant nach unten wei-
terf iihrende, durchlaufende Stimmzungenreihe ; es ver-
fiigt hier nur iiber einen Ausschnitt im Rahmen einer
groBen Septime (chromatisch durchlaufend), der aller-
dings in meist 5facher Oktavierung ubereinander liegt
und verkoppelt ist. Tonhohenrichtiges Melodiespiel ist
streng genommen nur in diesem Raum (bei Serien-
Instrumenten von G-Fis, bei groBen Modellen neuer-
dings von E-Dis) moglich. Die mehrfache Oktavver-
kopplung laBt das Ohr einen melodischen »Knick«
aber kaum empfinden (»unendliche Oktave«). Die
Akkorde (in der Regel Dur- und Molldreiklange, Sep-
timenakkorde und verminderte Dreiklange) werden
aus den drei oberen Oktavreihen gebildet und er-
klingen normalerweise deshalb neunfach, Septimen-
akkorde meist zwblffach, konnen aber durch Register
klanglich reduziert werden. Die mehrfache Verkopp-
lung der zumeist in 5 Oktaven ubereinander liegenden
Tone der BaBseite und die damit gegebene Verkopp-
lung der Akkorde gehbren zu den charakteristischen
Merkmalen des A.s. Um aber auch tonhohenrichtiges
Melodiespiel zu ermbglichen, wurden die beiden Ma-
nuale der BaBseite (BaB- und Akkordwerk) durch
ein 3. Manual, das EinzelbaBwerk, erganzt. Dieses
bringt - in 3reihiger Knopfgriffanordnung - Einzel-
tone (ein- und zweichorig schaltbar) im Tonumfang
von jE-cis 4 , also von nahezu 6 Oktaven. DerVorteil
dieses Einzeltonwerkes (wenig zutreffend »Bariton-
Basse« genannt) gegeniiber den Versuchen einer Auf-
losung der Akkordkopplungen in Einzeltbne liegt dar-
in, alle 3 Manuale im BaB gleichzeitig oder nacheinan-
der verwenden zu konnen. - Tonbildung und Tonge-
staltung hangen beim A. weitgehend von der Balg-
fiihrung ab, die als zentrales spielmethodisches Problem
anzusehen ist. Mafigeblich beeinfluBt wurde die ktinst-
lerische Entwicklung durch die (von H- Herrmann
1927 begriindete) Originalliteratur fiir A. Sie erfaBte
- vom Einzelspiel ausgehend - im Laufe der Zeit die
gebrauchlichen Musikformen unserer Zeit (Kammer-
musik, Orchesterspiel, Zusammenspiel mit anderen
Instrumenten und mit Singstimmen und Chor). - Von
den Sonderformen des A.s hat sich nur das BaB-A.
(BaB-Orgel) im Gebrauch erhalten, das ausschlieBlich
im Harmonikaorchester verwendet wird.
Lit. : H. Herrmann, Einfuhrung in d. {Composition f. A.,
Trossingen 1955; A. Fett, Die Register u. ihre Anwen-
dung, = Kieine Biicherei d. Harmonika-Freundes XII,
Trossingen (1955, 21964); ders., Das A., ebenda XIV,
(1956); ders., 30 Jahre Neue Musik f. Harmonika 1927-
57, Trossingen (1957, 31964); ders., Harmonika-Tabellen,
= Kieine Hdb. d. Harmonika-Freundes I, Trossingen
(■•1964). AWF
AKM, staatlich genehmigte Gesellschaft der Auto-
ren, Komponisten und Musikverleger fiir Oster-
reich (-> CISAC). Sie bildete 1916-38 zusammen
mit den damaligen deutschen Verwertungsgesellschaf-
ten (-»■ GEMA) einen Musikschutzverband mit dem
Sitz in Berlin und war 1938-46 mit diesen vereinigt.
Akoluthia (griech. dxoXou&fa, Folge) heifit in der grie-
chischen Kirche die Ordnung des Offiziums und der
anderen nichteucharistischen Gottesdienste sowie die
Gesamtheit der liturgischen Funktionen eines bestimm-
ten Tages.
Lit.: L. Petit, Bibliogr. des a. grecques, Briissel 1926. -
A. Raes SJ, Introductio in liturgiam orientalem, Rom
1947; F. Halkin, A. greco-turques, in: Memorial L.
Petit, Paris 1948.
Akt (von lat. actus, Handlung), Benennung der Haupt-
abschnitte dramatischer Werke. Seit dem 17. Jh. ist die
Bezeichnung Aufzug (abgeleitet vom Aufziehen der
Personen oder des Vorhangs) gleichbedeutend mit A.,
im 19. Jh. auch Abteilung. Schon das antike romische
Theater kannte zum Teil die Gliederung des Dramas in
A.e. Neben der Dreiteilung war eine Gliederung des
Dramas in 5 A.e (Horaz, Ars poetica 189) bekannt, die
fiir die franzosische Tragbdie, aber auch fiir die deut-
sche, italienische und englische Buhnendichtung weit-
gehend verbindlich wurde. Die Sturm-und-Drang-
Dichtung und der Expressionismus setzten vielfach an
die Stelle der A.-Einteilung die Bildfolge. Die A.-Ein-
teilung der Oper ist sehr verschieden. Die friihe
italienische Oper (auBer der Opera buffa) ist vielfach
3aktig (aber schon Monteverdis Orfeo, 1607, ist auf
5 A.e gesteigert), die deutsche Oper meist 3aktig, die
franzosische seit Lully (nach dem Vorbild der ge-
sprochenen Tragbdie) bei der Tragedie lyrique 5aktig,
bei der Opera-comique 3aktig, oft auch einaktig.
Akustik (von griech. <xxou(mx6(;, hbrbar) ist die
Lehre vom Hbrbaren, genauer, die Lehre vom Schall
und seinen Wirkungen. Die A. als eigenstandiges Ge-
biet ist erst auf dem Boden der Aufklarung entstanden
mit dem Anspruch, die Objekte des Hbrens auf mathe-
matische Gesetze der Physik zuruckzufuhren und sie
dadurch zu erklaren. Der Begriff A. taucht erstmalig
gegen Ende des 17. Jh. auf (S. Reyher 1693). Seitdem
gehen viele Fragen bislang vornehmlich musiktheore-
tischer Erbrterung auf dieses mehr oder minder eigen-
standige Gebiet iiber. Obwohl sie damit oft der Gefahr
»physikalischer« Interpretation ausgesetzt sind, vor
allem der direkten (»ein-eindeutigen«) Verkniipfung
musikalischer Begriffe mit elementaren physikalischen
GroBen (z. B. Tonhbhe mit Frequenz, Lautstarke mit
Intensitat), geriet die systematische Erforschung aku-
stischer Probleme rasch in FluB und fiihrte in der 2.
Half te des 19. Jh. zu einem Hbhepunkt dieser Disziplin
mit H. von Helmholtz. - Einzelne Fakten, die heute der
20
Akustik
A. zugerechnet werden, wurden lange vor der Etablie-
rung dieser Disziplin als eigenstandigem Zweig der
Wissenschaft erkannt. Zu den Beobachtungen und
Deutungen akustischer Erscheinungen in der Antike
durch Pythagoras (Theorie der Zahlenverhaltnisse als
Grundlage der Musik), Aristoteles (Verhaltnisse von
Schwingungszahlen zu Saitenlangen und Saitenspan-
nung), Euklid (Monochord) u. a. kamen mit der Wen-
dung zur Naturwissenschaft in der Neuzeit, etwa mit
G. Galilei, in rascher Folge neue Erkenntnisse und Be-
obachtungen hinzu, nach wie vor in erster Linie im Zu-
sammenhang mit musiktheoretischen Oberlegungen.
Neue methodologische Aspekte (z. B. Galileis verein-
fachende Annahme, daB die gesamte Masse einer
schwingenden Saite als in ihrem Mittelpunkt vereinigt
anzusehen sei) erlaubten die iibersichtliche mathemati-
sche Behandlung bis dahin scheinbar unlosbarer phy-
sikalischer Probleme. Stand die physikalische Beschrei-
bung der schwingenden Saite audi weiter im Vorder-
grund (-»• Euler, -»■ Mersenne u. a.), so wurde beson-
dere Aufmerksamkeit in zunehmendem MaBe auch
den Erscheinungen beim gleichzeitigen Erklingen
mehrerer Tone gewidmet, so z. B. den -»■ Schwebun-
gen (-»• Sauveur) und den -> Kombinationstonen
(-> Sorge,-*- Tartini u. a.). Die Position der A. um die
Wende des 19. Jh. spiegelt sich in der von -*■ Chladni
gegebenen Darstellung, wonach sie folgende Gebiete
zu untersuchen hat: 1) (im arithmetischen Teil) die
Zeitverhaltnisse der schwingenden Bewegungen iiberhaupt
. . . Tonlehre genannt, ferner (im mechanischen Teil) 2)
die Schwingungsgesetze einesjeden elastischen Korpers so-
wie 3) die Verbreitung des Schalles, dazu 4) (im physio-
logischen Teil) die Empfindung desselben vermittelst der
Gehorwerkzeuge. Diese Konzeption wurde 60 Jahre
spater durch H. von Helmholtz zu einer im physikali-
schen Denken verhafteten »objektiven« Empfindungs-
lehre in umfassender Weise spekulativ ausgebaut. An-
gelpunkt seines Systems ist die auf dem Theorem
von Fourier aufgebaute Resonanztheorie des Horens
(-> Hortheorie). v. Helmholtz gab die fiir die nachsten
Jahrzehnte als giiltig anerkannten Definitionen und
Axiome der A. Die seinem Gedankengebaude zugrun-
de liegende Hypothese der klassischen Psychophysik,
namlich der ein-eindeutigen Beziehungen zwischen
Reiz und Reaktion, verfiihrte spater oft zu einem die
tatsachlichen Sachverhalte unzulassig vereinfachenden
Reduktionismus trotz der Einwande durch inzwischen
immer weiter vorangetriebene tonpsychologische For-
schungen. v. Helmholtz' Interesse gait nicht in erster Li-
nie der A. schlechthin ; vielmehr ging es ihm um die Auf-
findung von objektiven Gesetzen der Musikasthetik.
DaB seinhypothetisches Gebaude, obwohles sich spater
nicht in der Form aufrechterhalten lieB, damals so plau-
sibel erschien, ist um so verstandlicher, als das Reduk-
tiqns-Vorurteil auch heute hoch manche Ansatze in-
nerhalb der akustischen Forschung bestimmt.
In der 1. Halfte des 20. Jh. eritfernte sich die akustische
Forschung in zunehmendem MaBe von dem Aufga-
benbereich der Musiktheorie; sie behielt die musikali-
schen Fragen nur mehr gelegentlich im Auge. Musika-
lisch und zugleich physikalisch wichtige Erkenntnisse
der A. formulierte in den 1920er Jahren E.Schumann,
ein Schiiler Max Plancks und C. Stumpfs, auf Grund
umfangreicher akustischer und tonpsychologischer
Untersuchungen von Instrumentenklangen in den so-
genannten Klangfarbengesetzen (-> Klangfarbe). Die
moderne akustische Forschung ist pluralistisch, d. h. sie
vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen mit stark ab-
weichenden Fragestellungen. Heute lassen sich hinsicht-
lich der methodischen Ebenen folgende Hauptrichtun-
gen unterscheiden: 1. Physikalische A. als allgemeine
Schwingungs- und Wellenlehre bzw. ihre Anwen-
dung auf physikalische Probleme ; 2. Physiologische A.
als Forschungszweig der Obertragung von Schallreizen
in der Nervenbahn ; 3. Psychologische A. (auch Psycho-
akustik genannt, das ist der das Gehor betreffende Teil
der Psychophysik) ; hierzu gehoren die Variablen der
akustischen Wahrnehmung hinsichtlich ihrer Inten-
sitat (Lautstarke), des Belastigungsgrades (Klang - Ge-
rausch- Larm), der Kategorien des musikalischen Ho-
rens (in ihren einfachsten Formen etwa: ->-Tonh6he,
->- Tonigkeit, ->■ Klangfarbe, -> Lautstarke, -*■ Konso-
nanz/Dissonanz, ->• Akkord, -*■ Melodie u. a.). Dieser
Bereich unterscheidet sich methodisch sehr weitge-
hend von dem der physikalischen oder physiologi-
schen A. (die Pramissen der alten Psychophysik haben
sich fiir die Erforschung dieser komplexen Sachverhal-
te als unzureichend erwiesen) ; handelt es sich doch um
mehr-mehrdeutige Beziehungen zwischen den Varia-
blen der Wahrnehmung und jenen des physiologischen
bzw. physikalischen Bereichs. Dieses Gebiet ist am
meisten in FluC ; es gelangen zur Anwendung die Me-
thoden der quantitativen Psychologie (z. B. Faktoren-
analyse oder manche Gesichtspunkte der -> Informa-
tionstheorie). Ihren Anwendungen nach laBt sich die
A. abermals unterteilen: Zur technischen A. gehort vor
allem die Elektro-A., zu der auch Schalliibertragungs-
und Aufzeichnungstechnik zu rechnen sind. Weitere
Anwendungen ergeben sich aus den Begriffen Raum-
und Bau-A. ; schlieBlich sei die musikalische A. vor
allem in ihrer Blickrichtung auf das Musikinstrument
erwahnt; mit ihren verfeinerten Methoden und Er-
kenntnissen kann sie dem Instrumentenbau dienen.
Doch haben alle Einteilungen mehr theoretischen bzw.
hypothetischen Charakter insofern, als die Gebiete
sich in mannigfaltiger Weise iiberschneiden.
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Akzent
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Univ. Hbg III, Hbg 1964. • HPR
Akzent (lat. accentus, von ad, dazu, und cantus, Ge-
sang; Lehniibersetzung von griech. 7rpoacp8ta; seit
Gottsched auch durch »Betonung« wiedergegeben),
- 1) der aus der antiken griechischen Sprachwissenschaft
stammende Begriff erfafke ursprunglich die mit den
Lauten verbundenen »gesanglichen« Momente der
griechischen Sprache (-> Prosodie). Im Lateinischen
wurde die Hervorhebung der akzenttragenden Silbe
eines Wortes jedoch nicht, wie im Griechischen der
alteren Zeit, durch Hebung und Senkung der Stim-
me bewirkt (musikalischer A.), sondern wohl ahnlich
wie in den meisten jndogermanischen Sprachen und
im Griechischen nach der Zeitenwende primar durch
Atemdruck (Druck-, dynamischer, exspiratorischer
A.). Der Sachverhalt ist im Lateinischen allerdings
besonders kompliziert und umstritten, weil die klas-
sische Dichtung der Romer nicht auf der Unter-
scheidung betonter und unbetonter Silben beruhte,
wie dies fiir die Dichtung in Sprachen mit Druck-A.
meist gilt, sondern weil sie nach griechischem Vorbild
quantitierend war. Denn so ergaben sich haufig Wider-
spriiche zwischen Wort-A. und Vers-A. (->-Metrum,
-> VersmaGe). Gegenuber den alteren lateinischen Aus-
driicken (acuta vox, tres soni, Cicero, Orator 57f.)
und gegenuber anderen Bezeichnungen (tenor, vo-
culatio, fastigium, cacumen) haben sich die beiden auf
griechische Termini zuriickgehenden Worter accentus
(Quintilian, Inst. or. I, 5, 22) und tonus allmahlich
durchgesetzt. Doch diirften es hqffnungslose Betnuhungen
(M. Leumann) gewesen sein, die verschiedenen grie-
chischen A.e im Lateinischen wiederzufinden. Die
spatromischen Grammatiker gaben die prosodische
Lehre der Griechen schlieBlich nur noch in schemati-
sierter Form und mit den iibersetzten griechischen Ter-
mini weiter, ohne zwischen eigentlichen (1-5) und un-
eigentlichenprosodischenZeichen (6-10) zu unterschei-
den (zusammengefaBt etwa bei Isidor von Sevilla,
Etymol. I, 19):
1 ' o^sta acutus (hoch)
2 s Papsia gravis (tief)
3 ~ 7ccpt<jTrto(i£vr) circumflexus (hoch-tief)
4 - (jtaxp6? longa (lange Silbe)
5 ^ Ppaxu? brevis (kurze Silbe)
6 w u<p£v coniunctio (Verbindung
zweier Worter)
7 , SiaaToXr) distinctio (Trennung zweier
Worter, heutiges
Kommazeichen)
8 ' [a7r6aTpotpoi;] apostrophus (Apostroph)
9 \- SaasTa aspiratio (h im Anlaut)
10 -H (|;tXr] siccitas sive (ohne h im Anlaut)
purum
Ein Teil dieser Zeichen wurde spater in die byzantini-
sche Notenschrif t und in die Neumenschrift ubernom-
men. Die nota dasia (Nr 9) liegt den im 9. Jh. geschaf-
fenen -> Dasia-Zeichen zugrunde. - 2) Accentus (lat.)
und Concentus (lat.) sind in der Chorallehre gebrauch-
liche Termini, welche die Gattungen des einstimmigen
liturgischen Repertoires unter dem Gesichtspunkt ihrer
vorwiegend sprachlichen oder melodischen Konzeption
klassifizieren. Ihre Gegeniiberstellung war den mittel-
alterlichen Theoretikern unbekannt. Sie wird erstmals
ausfuhrlich von Ornitoparchus (1517) erlautert. Da-
nach umfaBt der Accentus alle »gelesenen«, d. h. in ih-
rem musikalischen Verlauf primar nach dem Text aus-
gerichteten Formen (Orationen, Lektionen, Epistel,
Evangelium, Prophetien usw.). Der rezitierende, von
einem Reperkussionston durchzogene Vortrag dieser
Stiicke erfolgt anhand bestimmter Formeln (accentus
ecclesiastici, toni communes), die neben den Einzelglie-
dern und Interpunktionsstellen (distinctiones, pausatio-
nes) im Sinne musikalisch geordneter Rezitative auch
weitgehend die sprachlichen A.e des jeweiligen Texts
beriicksichtigen. Demgegeniiber sind im Concentus
alle »gesungenen« Gattungen enthalten, z. B. Antiphon,
Responsorium, Introitus. In ihnen bildet die eigenstan-
dige musikalisch-melodische Gestaltung das entschei-
dende Element. Fiir die evangelische Kirchenmusik hat
der Accentus durch Luthers Deutsche Messe (1526) und
die von J.Walter bis ins 17. Jh. reichende Tradition
der Choralpassion Bedeutung erlangt. - 3) Vom Aus-
gang des 16. bis zum 19. Jh. bildet in der europaischen
Musik der Takt eine Ordnung von abgestuften A.en.
Den gemessenen Schritten und Spriingen der Tanzen-
den entsprechend treten zuerst in der Tanzmusik be-
tonte und unbetonte Stufen des Taktes, schwere und
leichte Zahlzeiten auf, deren Hauptgewicht in der Re-
gel unmittelbar nach dem Taktstrich wiederkehrt
(Taktschwerpunkt). Dieser neuzeitliche A.-Stufentakt
(Besseler) hebt sich deutlich gegen den alteren men-
suralen Tactus ab, der die Akzentuierung nicht festlegt.
Neben dem regularen A. , der in den metrischen Schwer-
punkten der Taktf olge vorgegeben ist, gibt es eine An-
zahl anderer Mittel, in Komposition und Vortrag mu-
sikalisch zu akzentuieren, die zuerst Rousseau zusam-
menfassend behandelt. Riemann nennt sie Extraver-
starkungen, welche den selbstverstandlichen Verlauf
der dynamischen Entwicklung (-> Ausdruck, ->■ Dyna-
mik, ->• Motiv) storen, eventuell sogar vollstandig auf
den Kopf stellen, und die der Komponist daher durch
besondere Abbreviaturen und Zeichen fordert (qf, > ,
v, a ). Ein besonders haufiger und wichtiger A. ist der
Anfangs-A., die Hervorhebung der ersten Note einer
Phrase oder eines Motivs ; er dient in hervorstechender
Weise der Klarlegung des thematischen Aufbaues,
doch wirkt seine fortgesetzte Anwendung, wo die
Zeichnung ohnehin klar ist, aufdringlich. Gewisse
rhythmische Bildungen, besonders die synkopischen
Antizipationen von Tonen, deren voile harmonische
Wirkung erst auf dem nachfolgenden guten Taktteil
zur Geltung kommt, verlangen Akzentuation (rhyth-
mischer A.), desgleichen miissen kompliziertere Har-
monien, auffallige Dissonanzen, Modulationsnoten
usw. hervorgehoben werden (harmonischer A.), und
endlich sind auch oft die Spitzen der Melodie, wo sie
nicht ohnehin durch ihre Stellung im Takt mit den
22
Akzidentien
Hohepunkten der dynamischen Entwickluhg zusam-
menf alien, verstarkt zu geben (melodischer A.). Eine
Art negativen A.s ist nach vorausgehendem crescendo
die Ersetzung des Hohepunkts der Tonstarke durch ein
plotzliches piano, ein Mittel, dessen bereits von J. Sta-
mitz gefundene faszinierende Wirkungen besonders
Beethoven zur Geltung gebracht hat (»Beethovensches
piano«). - 4) Der Accentus als Gesangsmanier ent-
stammt dem rezitativischen Stil urn 1600. Praetorius be-
schreibt ihn als Ausf Ullung eines Intervalls (auch Uni-
sonus) durch 1-5 Zwischennoten, deren letzte oft den
Zielton vorwegnimmt. Er kann bei Praetorius durch
Verkiirzung der ersten oder der zweiten Hauptnote ge-
wonnen werden. Bei Bernhard wird er beyEndigung ei-
ner Note mit einem gleichsam nur anhenckenden Nachklange
geformiret (S. 33) und mit der Bezeichnung Superjectio
unter die Figurae Superficiales aufgenommen (S.148).
Im 18. Jh. beschreibt ihn noch Marpurg als -*Nach-
schlag, dagegen C. Ph. E.Bach und L.Mozart als (lan-
gen) -*■ Vorschlag.
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Akzidentien heiBen jene Zeichen, welche, einer Note
vorangesetzt, deren Erhohung oder Erniedrigung um
einen bzw. 2 Halbtone oder die Aufhebung einer vor-
angehenden Erhohung oder Erniedrigung bewirken,
also Kreuz # (frz. diese; ital. diesis; engl. sharp): Er-
hohung um einen Halbton; -*■ Doppelkreuz x: Er-
hohung um 2 Halbtone; Be \> (frz. bemol; ital. be-
molle; engl. flat): Erniedrigung um einen Halbton;
Doppel-Be U, (frz. double bemol; ital. doppiobemolle;
engl. double-flat): Erniedrigung um 2 Halbtone;
-> Auflosungszeichen \ : Aufhebung der bisher gelten-
den Erhohung oder Erniedrigung. - Alle drei Grund-
zeichen (l> jj If) haben sich aus dem Tonbuchstaben b
entwickelt, der seit Einfiihrung des Hexachord-Sy-
stems zwei verschiedene Tonstuf en vertrat : im Hexa-
chordum molle das (moderne) b (b fa, geschrieben als
brotundum), im Hexachordum durum das (moderne)
h (b mi, geschrieben als bquadratum ; die neuzeitliche
deutsche Tonbezeichnung h geht auf den Brauch
deutscher Drucker des 16. Jh. zuriick, fur das bqua-
dratum den Buchstaben h zu verwenden). Aus dem
bquadratum entstanden durch fliichtiges Schreiben be-
reits im 13. Jh. die noch heute gebrauchlichen Formen
von Kreuz und Auflosungszeichen, die ihrer Bedeutung
nach jedoch selbst im 15. Jh. noch selten unterschieden
wurden. Das bis ins 18. Jh. vorherrschende )&cancella-
tum, dessen Erfindung in dieJosquin-Zeitfallt.hobsich
dann zwar sehr deutlich von den traditionellen For-
men des bquadratum, vor allem dem eigentlichen Auf-
losungszeichen, ab, doch blieb es bis ins 18. Jh. Brauch,
Erhohungen einfach durch ein \>, Erniedrigungen
durch ein J riickgangig zu machen. A. im Sinne von
Versetzungszeichen wurden die verschiedenen Gestal-
ten des b aber erst, - als sie, von der Tonstuf e b gelost,
auch anderen Tonstufen zur Angabe ihrer Erhohung,
Erniedrigung oder der Wiederherstellung ihrer origi-
nalen Tonhohe zugeordnet wurden. Aufgabe dieser
(»zusatzlichen«) Zeichen war es zunachst, die Position
der betreffenden Tonstufe im jeweiligen Hexachord
und zugleich den fur die Solmisation obligatorischen
Hexachordraum selbst festzulegen. So erklart sich die
Tatsache, daB z. B. ein bquadratum vor f diese Ton-
stufe zwar zum fis erhob (als mi innerhalb des Hexa-
chordes auf d), daB aber ein tmolle vor f dieselbe
Tonstufe nur als fa innerhalb des Hexachordum na-
turale (auf c) bestatigte und keineswegs zum fes er-
niedrigte. Nicht jede angezeigte Erhohung oder Er-
niedrigung muBte zwangslaufig eine Hexachord-
Transposition veranlassen; besonders die entlegeneren
Halbtone wurden - entsprechend den theoretischen
Ausf iihrungen iiber die -»■ Musica ficta - vielfach au-
Berhalb des gerade verbindlichen Hexachord-Zusam-
menhanges gebildet. - Bis ins 17. Jh. finden sich, vor
allem in den Quellen der kirchentonalen Vokalmusik,
relativ wenige A., da der Sanger selbst die Regeln be-
herrschen sollte, die ihm (zusammen mit Hinweisen
durch A.) eine einwandfreie Ausfiihrung seiner Stim-
me ermoglichten; -> Solmisation, ->■ Klausel-Lehre,
einige Standardregeln (z. B. Una nota supra la semper est
canendafa), GesetzmaBigkeiten der Stimmfuhrung und
ausgepragte kirchentonale Melodiebildung machten
eine generelle Bezeichnung durch A. haufig unno-
tig. Da sich die Bedeutung dieser Regeln in Hinblick
auf die Entwicklung der Tonalitat und auf das zeitbe-
dingte, wohl oft sehr individuelle Klangempfinden je-
doch nur schwer festlegen laBt, gehSrt die Frage nach
Art und Umfang des tatsachUchen A.-Gebrauchs
vom 13. bis zum 16./17. Jh. noch immer zu den vor-
dringlichen Themen der Forschung. Erst mit zuneh-
mender harmonischer Verselbstandigung gegeniiber
den Kirchentonen und der Bevorzugung instrumen-
taler Notationsprinzipien seit dem 16. Jh. wurde
auch die A.-Setzung regelmaBiger und exakter. Ge-
geniiber der mittelalterllchen Praxis wurde die Gel-
tungsdauer eines jeden Akzidens auf die unmittelbar
nachfolgende Note (bzw. bei Tonwiederholungen auf
alle weiteren Noten gleicher Tonhohe) eingeschrankt,
so daB das Akzidens selbst nach nur einer f remden No-
23
Akzidentien
te wiederholt werden muBte, andererseits erstreckte
sich die Geltung eines Akzidens zwischen zwei gleich
hohen Tonen auch auf den vorangehenden; bei chro-
matischer Melodiebewegung wurden noch im 17. Jh.
auch die nicht erhohten bzw. erniedrigten Tone durch
Auflosungszeichen eigens gekennzeichnet. Die Ein-
fiihrung und allmihliche Verbreitung von Taktstrich
und gleichschwebender Temperatur bestimmten die
Entwicklung um und nach 1700 und konnen als die
eigentliche Ursache fur die Ausbildung des modernen
A.-Systems und A.-Gebrauchs angesehen werden.
Denn wie nun erst fiir jedes Akzidens die Geltungs-
dauer auf einen Takt festgesetzt werden konnte, so gab
auch erst die ErschlieBung des gesamten Quintenzir-
kels AnlaB zur Erfindung der Zeichen fiir doppelte
Halbtonerhohung und -erniedrigung. Nach verschie-
denen Vorschlagen fiir die Gestaltung der neuen Zei-
chen (Mattheson empfahl als Zeichen der doppelten
Erniedrigung den griechischen Buchstaben (3, J. G.
Walther verwandte fiir doppelte Erhohung das ge-
doppelte Andreaskreuz M, L. Mozart neben dem An-
dreaskreuz ein aufrechtstehendes Kreuz + ) setzten
sich noch im 18. Jh. die bis heute gebrauchlichen For-
men (x, tt) durch. Die heutige Anwendung derVer-
setzungszeichen erfolgt nach dem Grundsatz, daB jedes
Akzidens nur fiir den bestimmten Takt und Oktav-
raum gilt, in dem es vorkommt; Ausnahmen bilden
lediglich in den nachsten Takt iibergebundene Noten,
von denen das Akzidens nicht wiederholt zu werden
braucht. Folgen verschiedenartige A. aufeinander, so
bewirkt das jeweils neue die Aufhebung der voran-
gehenden Erhohung oder Erniedrigung, ohne daB -
wie noch im 19. Jh. - ein eigenes Auflosungszeichen
vorangesetzt werden muBte (z. B. \\> nach ((). Selbst-
verstandlich konnen der besseren Durchschaubarkeit
halber auch mehr A. verwendet werden, als nach den
strengen Regeln erforderlich ware; vor allem in der
Neuen Musik finden sich haufig zusatzliche Angaben,
die von gelegentlichen Hinweiszeichen bis zur konse-
quenten Kennzeichnung jeder Einzelnote reichen.
Vielfach wird dann iiberhaupt eine Regelung vorge-
zogen, die die Geltung des Akzidens auf die unmittel-
bar nachfolgende Note einschrankt.
Eine wesentliche Vereinfachung der A.-Setzung ergibt
sich aus dem seit dem 18. Jh. (abgesehen von einigen kir-
chentonalen Relikten) fast allgemein geiibten Brauch,
die der jeweiligen Tonart eigenen Erhohungen bzw.
Erniedrigungen gegeniiber der Grundskala (c d e f
g a h) in der Tonartvorzeichnung (frz. armature; ital.
armatura di chiave ; engl. key signature) generell anzu-
geben: alle einschlagigen Versetzungszeichen werden
zu Beginn eines jeden Liniensystems (unmittelbar nach
dem Schlussel, vor dem Taktzeichen) zusammenge-
fafit, so daB aus der Vorzeichnung bereits die Tonart
abgelesen werden kann, wenn auch ohne Unterschei-
dungsmoglichkeit zwischen Dur und parallelem Moll.
Der Geltungsbereich der Vorzeichnung umfaBt den
gesamten verfiigbaren Tonraum. - Die Anfange der
Vorzeichnung reichen ebenfalls bis ins Mittelalter zu-
riick. Schon in den handschriftlichen Aufzeichnungen
des Notre-Dame'-Repertoires (13. Jh.) ist das !>molle
nicht selten an den Anfang einer Zeile vorgezogen,
dies jedoch nur fiir die Tonstufe b (als Hinweis auf die
Solmisation nach dem Hexachordum molle, also im
dorischen und lydischen Modus) und auch nicht immer
in alien Stimmen, sondern meist nur dort, wo die zu
fixierende Tonstufe b tatsachlich vorkommt. Erst im
Laufe des 15. Jh. biirgerte sich die Vorzeichnung eines
weiteren t (fiir die Tonstufe e) zur Kennzeichnung der
immer haufiger transponierten Modi ein. Die bis dahin
sehr unregeLmaBige Setzung von Vorzeichen erhielt
nun eine gewisse Systematik, da sie zugleich das Trans-
positionsverhaltnis zwischen den Stimmen (am deut-
lichsten beim Quintkanon) zum Ausdruck brachte: in
der Regel muBte aus Tonalitatsgriinden in den Unter-
stimmen ein \> mehr vorgezeichnet werden als in den
Oberstimmen. Diese auch noch fiir das 16. und 17. Jh.
charakteristische Praxis, sich bei der Vorzeichnung nur
nach dem Transpositionsgrad des jeweiligen Kirchen-
tones zu richten, lebte vereinzelt bis ins 18. Jh. fort:
noch J. S. Bachs Dorische Toccata und Fuge (BWV
538) ist ohne Vorzeichnung notiert; C moll kommt
mitunter noch mit nur zwei vorgezeichneten |> als
transponiertes Dorisch vor. - Neben der eigentlichen,
tonartlich bestimmten Vorzeichnung finden sich seit
dem 16. Jh. am Zeilenbeginn haufig weitere Zeichen,
die nur der Warming oder der besseren Orientierung
dienen sollen und nicht als Versetzungszeichen aufzu-
fassen sind. So erinnert die Vorzeichnung eines |> auf
der f-Linie an das Verbot der Erhohung zum fis, ein
\ oder % auf der h-Linie an das Verbot der Erniedri-
gung zum \> ; verschiedenartige Versetzungszeichen am
Zeilenbeginn der -* Tabula compositoria markieren
lediglich die jeweilige Tonstufe, ohne eine tatsachliche
Erhohung oder Erniedrigung nach sich zu Ziehen. -
Die atonale Musik des 20. Jh. verzichtet auf jegliche
Vorzeichnung und gebraucht A. ausschlieBlich im
Laufe der Komposition.
Lit.: G. Jacobsthal, Die chromatische Alteration im
liturgischen Gesang d. abendlandischen Kirche, Bin 1 897 ;
Th. Kroyer, Die Anfange d. Chromatik im ital. Madrigal
d. XVI. Jh., = BIMG I, 4, Lpz. 1902; ders., Zum Akzi-
dentienproblem im Ausgang d. 16. Jh., Kgr.-Ber. Wien
1909; J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation v. 1250-1460
I, Lpz. 1904; ders., Die A. im 15. u. 16. Jh., Kgr.-Ber.
Wien 1909; R. Schwartz, Zur Akzidentienfrage im
16. Jh., ebenda; E. Bernoulli, Hinweis auf gewisse Al-
terationszeichen in Drucken d. 16. Jh., ebenda; O. Chile-
sotti, Le alterazioni cromatiche nel s. XVI°, ebenda;
R. v. Ficker, Beitr. zur Chromatik d. 14. bis 16. Jh.,
StMw II, 1914; ders., Die Kolorierungstechnik d. Trien-
ter Messen, StMw VII, 1920; J. Borremans, Le sort du
Sil] dans les melodies chromatiques gregoriennes, Tri-
bune deSt.-Gervais XXI, 1920; E. Frerichs, Die Acciden-
tien in Orgeltabulaturen, ZfMw VII, 1924/25; W. Apel,
Accidentien u. Tonalitat in d. MusikdenkmSlern d.
15. u. 16. Jh., Bin 1936; ders., The Partial Signatures in
the Sources prior to 1450, AMI X, 1938; ApelN; E.E.
Lowinsky, The Function of Conflicting Signatures in
Early Polyphonic Music, MQ XXXI, 1945; ders., Con-
flicting Views on Conflicting Signatures, JAMS VII, 1954;
G. Reaney, Musica ficta in the Works of Guillaume de
Machaut, Les Colloques de Wegimont II, 1955 ; S. Clercx-
Lejeune, Les accidents sous-entendus et la transcription
en notation moderne, ebenda ; R. H. Hoppin, Partial Signa-
tures and Musica ficta in Some Early 1 5 th -Cent. Sources,
JAMS VI, 1953; ders., Conflicting Signatures Reviewed,
JAMS IX, 1956. FrR
Alala ist ein Volksliedtyp der spanischen Provinz Ga-
licien ; er hat seinen Namen von dem auf Vokalisen ge-
sungenen La la la. Die Melodien werden vor allem
wahrend der Landarbeit gesungen.
Lit.: F. Pedrell, Cancionero mus. popular espanol II,
Vails 1 9 1 8 ; H. Angles, Das span. Volkslied, Af Mf III, 1 938.
Alba (lat. und prov.) ->- Tagelied.
Albanien.
Lit.: St. Djoudjeff, Melodies bulgares de l'Albanie du
Sud, Belgrad 1936; Y. Arbatsky, Proben aus d. albani-
schen Volksmusikkultur, Siidost-Forschungen VIII, 1943 ;
E. Stockmann, Kaukasische u. albanische Mehrstimmig-
keit, Kgr.-Ber. Hbg 1956; ders., Albanische Volksmusik-
instr., Kgr.-Ber. Wien 1956 ;DERS.,VolkskundlicheBibliogr.
A. v. 1945-56, Deutsches Jb. f. Volkskunde IV, 1958;
ders., Zur Slg u. Untersuchung albanischer Volksmusik,
AMI XXXII, 1960; R. Sokoli, Les danses populaires et les
24
Aleatorik
instr. mus. du peuple albanais, Tirana 1958; D. Stock-
mann, Zur Vokalmusik d. siidalbanischen Camen, Journal
of the International Folk Music Council XV, 1963.
Albertische Basse (bis um die Mitte des 19. Jh. auch
Harfenbasse genannt) werden nach D. -> Alberti die
fortgesetzten gleichartigen Akkordbrechungen im ho-
mophonen Klaviersatz genannt. Sie werden meist fur
die linke Hand als Begleitung einer von der rechten Hand
gespielten Melodie geschrieben (Mozart, K.-V. 545) :
Allegro
P
k Yi ' lL n i j i j i j ^ j i J i ^f
aber auch die umgekehrte Anordnung kommt vor
(Mozart, Rondo D dur, K.-V. 485). In Deutschland
wandten A. B. zuerst an: Fr. A. Maichelbeck (op. 1,
1736), Telemann (Fugues legeres 1739), J.Chr.Bach;
W.A.Mozart ab K.-V. 5a (1763).
Lit.: W. Wormann, Die Klaviersonate D. Albertis, AMI
XXVII, 1955; G. A. Marco, The Alberti Bass before Al-
berti, MR XX, 1959; W. Gerstenberg, Uber Mozarts
Klaviersatz, AfMw XVI, 1959.
Albisiphon, eine 1910 von A. Albisi konstruierte BaB-
flote aus Metall in C (eine Oktave unter der sogenann-
ten GroBen Flote) mit einsetzbarem FuBstiick fiir H
(Umfang H-fis2).
Alborada (span.) ->Tagelied, -»Aubade.
Albumblatt wurde im 19. und beginnenden 20. Jh.
als Bezeichnung fiir ein ->• Charakterstiick beliebiger
Form gewahlt, das den Eindruck eines schnell hinge-
worfenen Einfalls erweckt. Beispiele stammen von
Schumann (Fiinf Albumblatter fiir Kl. in op. 99; Album-
blatter op. 124 als Sammelbezcichnung fiir 20 anders
betitelte Klavierstiicke), Reger (op. 36 Nr 2 und op. 44
Nr 1, beide fur Kl. ; op. 87 Nr 1 fur V. und KL), Skrja-
bin (Feuillet a" album op. 58, um 1910) und Busoni (3 Al-
bumblatter fur Kl., 1917 und 1921; A. fur Fl. und Kl.,
1917).
Aleatorik (von lat. alea, Wurfel), nach 1950 in der
Kompositionspraxis der Neuen Musik aufgekomme-
ner Begriff . Aleatorisch nennt W. Meyer-Eppler (1955)
Vorgange, deren Verlauf im groben festliegt, im einzelnen
aber vom Zufall abhangt. Rechnerisch konnen solche Vor-
gange mit den Methoden der Statistik erfafit werden. Musi-
kalisch umfafit das Gebiet des Aleatorischen alles, was nicht
nn den Noten« steht. Historisch kann die A. in Bezie-
hung gesetzt werden zu Praktiken der Ars inveniendi,
so zu Guido von Arezzos Anweisung, jedem Vokal
eines Gesangstextes einen Ton zuzuordnen und so zu-
fallige melodische Folgen zu erzielen, auch zu dem
Verfahren des Prager Zisterziensers Mauritius Vogt,
verschieden gebogene Hufnagel, die melodische Wen-
dungen kennzeichnen sollen, durcheinanderzuschut-
teln und aus der so entstehenden Reihenfolge Musik-
stiicke zusammenzusetzen, schlieBlich zu den musi-
kalischen Wiirfelspielen Kirnbergers, Haydns und
Mozarts (Erwiirfein der Taktfolgen und Perioden
eines Menuetts, Walzers und dergleichen). In der
Neuen Musik tritt die A. zunachst in Erscheinung
als Reaktion auf die rechnerisch-mechanistische Ver-
fahrensweise, in der die serielle Kompositionstechnik
zu veroden drohte. Gewisse Anregungen gingen
dabei von dem Amerikaner Cage aus, der auf den Do-
naueschinger Musiktagen 1954 Music for prepared pianos
vorfiihrte, deren Klanggestalt und f ormaler Ablauf im
groBen wie im einzelnen vollig dem Zufall iiberlassen
bleiben, wobei Cage sich auf chinesische Denkweisen
beruf t. Gegen die Ubernahme einer orientalisch getunch-
ten Philosophie wandte sich Boulez in seinem Vortrag
Alea auf den Darmstadter Internationalen Ferienkur-
sen fiir Neue Musik 1957, der bis heute die fundamen-
tal Auseinandersetzung mit der A. seitens der Kom-
ponisten geblieben ist. Was Boulez unter aleatorisch,
d. h. zuf allig, in der Musik verstanden haben will, leitet
er aus seinen kompositorischen Erfahrungen ab, nach
denen es ausgeschlossen sei, alle Moglichkeiten uorauszu-
sehen, die einem Ausgangsmaterial einbeschrieben sind . . .
Komposition ist es sich schuldig, in jedem Augenblick eine
Vberraschung in Bereitschaft zu halten trotz aller Rationali-
ty, die man im ubrigen sich auferlegen mufi, um etwas Ge-
diegenes zustandezubringen. Boulez' Auffassung, daB Zu-
fall in der Komposition identisch mit Uberraschung sei,
deckt sich mit der philosophischen Definition des Zu-
falls als eines Eintretens unvorhergesehener Ereignisse. Mit
der Bemerkung, daB der Zufall stets in die Ausarbeitung
hineinfahre, daB er also integraler Bestandteil eines
Kompositionsprozesses sei, unterwirft Boulez den Be-
griff der A. zugleich einer Einschrankung : Wie in Mo-
zarts Wurfelspiel kann auf die Ausarbeitung vonWerk-
partikeln, die nicht dem Zufall unterworf en sind, nicht
verzichtet werden. Bestatigt werden diese Gedanken-
gange durch zwei ebenfalls im Jahr 1957 erschienene
Kompositionen: die 3. Klaviersonate von Boulez und
das Klavierstiick XI von K. Stockhausen. Beide Stiicke
gehorchen insofern dem aleatorischen Prinzip, als ihr
formaler Ablauf im groben festliegt, und zwar durch
jeweilige Abfolgen auskomponierter Partikel, im ein-
zelnen jedoch vom Zufall abhangt, namlich von der
nicht vorherbestimmten Wahl der Partikel, die aufein-
anderfolgen sollen. Boulez gebraucht den Vergleich
von verschiedenen Fahrbahnen innerhalb eines Wer-
kes, wobei der Zufall die Rolle der Weichenstellung
spiele, die erst in dem Augenblick einer Realisation er-
f olge, in dem sich der Interpret fiir eine der Fahrbahnen
entscheiden miisse. Symptomatisch wird, daB dem In-
terpreten die Rolle des Weichenstellers zufallt, daB
Realisation also nicht mehr allein nachschopferischer,
sondern nebenschdpferischer Akt wird, allerdings von
Boulez folgendermaBen begrenzt: Darf der Interpret
nach seinem Belieben den Text modifizieren, so mufi diese
Modifikation im Notentext bereits impliziert sein. . . . Auf
diese Weisefuhre ich durch den Notentext eine Notwendig-
keit desZufalls in die Interpretation ein: den dirigierten Zu-
fall. Zur formalen Entwicklung innerhalb der seriellen
Kompositionstechnik hat die A. insofern beigetragen,
als sie die sogenannte ojfene Form ermoglichte, d. h.
eine formale Konzeption, die auf Austauschbarkeit von
Werkpartikeln, wie auf standigen, vom Aleatorischen
hervorgerufenen Variierungen beruht. Darin beriihrt
sich die musikalische A. mit gewissen Tendenzen der
neueren franzosischen Literatur (Mallarme), denen
auch Boulez wesentliche asthetische Einsichten ver-
dankt. Im Gegensatz zur primitiven Zufalligkeit bei
Cage konnte die A. als Lehre vom »gelenkten Zufall«
bezeichnet werden.
Lit. : A. Schering, Geschichtliches zur ars inveniendi in d.
Musik, JbP XXXII, 1925 u. in: Das Symbol in d. Musik,
hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz. 1941; P. Lowenstein, Mozart-
Kuriosa, Zf Mw XII, 1929/30 ; O. E. Deutsch, Mit Wurfeln
komponieren, ebenda; H. Geriok, Wurfelmusik, ZfMw
XVI, 1934; A. Feil, Satztechnische Fragen in d. Kompo-
sitionslehren v. Fr. E. Niedt, J. Riepel u. H. Chr. Koch,
Diss. Heidelberg 1955, S. 66ff. ; W. Meyer-Eppler, Statisti-
sche u. psychologische Klangprobleme, in: die Reihe I,
Wien 1955; P. Boulez, Alea, in: Darmstadter Beitr. zur
Neuen Musik I, Mainz (1958); E. Thomas, Was ist A.?,
Melos XXVIII, 1961; W. S. Newman, Kirnberger's Me-
thod for Tossing ofFSonatas, MQXLVII, 1961. ET
25
Aliquotsaiten
Aliquotsaiten, Resonanzsaiten, Sympathiesaiten, sind
Saiten, die nur durch ->• Resonanz zum Klingen ge-
bracht werden. Sie finden sich z. B. an der indischen
Sarangi und der Hardanger Fiedel. Playford (1661) zu-
folge wurden sie, aus dem islamischen Raum kom-
mend, zuerst um 1600 durch das Mitglied der Chapel
royal Daniel Farrant auf die -»■ Viola bastarda iibertra-
gen. A. haben die -*■ Viola d'amore, das -*■ Bary ton - 1)
und gelegentlich das Pianoforte (Aliquotfliigel).
Aliquotstimmen heiBen die Register der Orgel, die
zu den Grundstimmen als selbstandige Realisierung
von Obertonen (Aliquoten) hinzutreten, also Quinten,
Terzen, Septimen, Nonen und (selten) noch hohere
Teiltbne, dazu auch zuweilen die Oktaven von 2' auf-
warts. Sie stehen in reinen (nicht temperierten) Inter-
vallen zu den Grundstimmen, um mit ihnen zu einem
synthetischen Klang zu verschmelzen. Zu welchen
Grundstimmen die A. als Obertone gehoren, ersieht
man, wenn man die FuBtonbezeichnung in einen einfa-
chenBruch verwandelt, z. B.: Quinte 2 2 / 3 ' = 8/3', d. h.
3. Teilton zu einer 8'-Stimme; Terz 13/ 5 ' = 8/ 5 ' ( d. h.
S.TeiltonzueinerS'-StimmeiQuinteSVs' = 16 /3',ih-
3. Teilton zu einer 16'-Stimme. Die Taste C ergibt also
in diesen Registern f olgende Tone :
Quinte
22/3'
Terz
1 ■%'
Quinte
5W
Die Vereinigung mehrerer Aliquoten in einem Re-
gister ergibt -*■ Gemischte Stimmen.
Aliquottone ->• Teiltone.
Allabreve (ital.) ist ein 2/2- oder 4/2-Takt mit der
halben Note als Zahlzeit; der 2/2-Takt wird durch die
Zeichen 0, C2 oder 2 gefordert, der 4/2-Takt, auch
alia cappella oder groBer A.-Takt genannt, durch das
Zeichen . - Der Schlag nach der Brevis (Tactus alia
breve) umfaBte im 15. und 16. Jh., im Unterschied zur
neueren Praxis, je eine Semibrevis (ganze Note) im
Nieder- und Aufschlag : o o . Bezogen auf das unver-
kiirzte Tempus (Tempus non diminutum), das unter
dem Zeichen C notiert und in der Regel alia semibreve
A A geschlagen wurde, bedeutete das durch die Zeichen
<t und C2 geforderte und alia breve taktierte verkiirzte
Tempus (Tempus diminutum) eine Halbierung des
Zeitwertes, der realen Dauer der Noten; der ->• Tactus
hatte - wenigstens in der Theorie - immer das gleiche
ZeitmaBC A A = (t o » . Seit dem spaten 16. Jh. wurde
MM
allmahlich der Tactus alia semibreve A A des unver-
i t
kiirzten Tempus durch den 2/4- oder 4/4-Schlag
J J oder J J J J verdrangt und entsprechend der Tac-
M *->--t
tus alia breve des verkiirzten Tempus <$ durch den
2/2- oder 4/2-Schlae J J oder sJ J J J ; die Bezeich-
M. + -- t
nung A. aber wurde beibehalten, obwohl der 2/2-
Schlag eigentlich ein Tactus alia semibreve ist. Um
1700 wurden vor allem Tanze in raschem ZeitmaB
(Gavotte, Bourree, Rigaudon) im 2/2-A. notiert; J.
Pezel (1669 und 1686) undR.I.Mayr(1692) gebrauchen
A. auch als Satzbezeichnung. Vom kleinen A., dem
2/2-Takt, ist der groBe A., der 4/2-Takt, zu unterschei-
den, der im 17. und 18. Jh. in Satzen im alten Stil (stile
antico, stylus gravis) verwendet wurde (Gratias der
H moll-Messe von Bach).
Lit. : G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, = Kleine
Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; Fr. Roth-
schild, The Lost Tradition in Music, London 1953, dazu
A. Mendel, MQ XXXIX, 1953; I. Herrmann-Bengen,
Tempobezeichnungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I,
Tutzing 1959; C. Dahlhaus, Zur Entstehung d. modernen
Taktsystems im 17. Jh., AfMw XVIII, 1961 ; ders., Zur
Taktlehre d. M. Praetorius, Mf XVII, 1964 ; H. O. Hiekel,
Der Madrigal- u. Motettentypus in d. Mensurallehre d.
M. Praetorius, AfMwXIX/XX, 1962/63.
alia polacca (ital.), nach Art der -> Polonaise, im
Polonaisentakt (z. B. Beethoven, Rondo a. p. im Tri-
pelkonzert op. 56).
allargando, slargando (ital), s.v.w. breiter (lang-
samer) werdend; oft statt ritardando (rallentando) ge-
braucht, wenn die Tonstarke wachsen soil (agogische
Stauung).
alia siciliana ('alia sitfilj'a:na, ital.), nach sizilianischer
Weise, in der Art des -> Siciliano (z. B. CM. v. We-
ber, op. 60/5).
alia turca (ital.), s. v. w. auf turkische Art; -> Jani-
tscharenmusik.
alia zingarese (ital.), in der Art der Zigeunerweisen
(z.B. Brahms, Finale des Klavierquartetts G moll op.
25, Rondo a. z.).
Allegretto (ital.; Abk.: Alltto, Diminutiv von Al-
legro), bedeutet ein wenig munter, oderfrolich, aber dock
auf eine angenehme, artige und liebliche Art (J. G. Walther
1732, nach Brossard 1703). Das Diminutiv erweckt die
Vorstellung einer leichten und anmutigen Bewegung,
d'un mouvement gracieux et leger (Castil-Blaze 1821).
Das metronomische ZeitmaB eines A. kann sich einer-
seits dem eines Allegro moderato (Beethoven, op. 14, 1),
andererseits dem eines Andante con moto nahern
(Beethoven, op. 92) ; die graziose Akzentuierung aber
wirkt als MaBigung des Tempos, als Verlangsamung
des Allegro und als Beschleunigung des Andante. Das
Muster der A.-Bewegung ist das (stilisierte) Menuett
des 18. Jh. (D. Scarlatti, J. Haydn).
Lit.: I. Herrmann-Bengen, Tempobezeichnungen, =
Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959.
Allegro (ital. ; Abk. : Alio) bedeutet heiter, lustig, hat
aber als Tempobezeichnung die Bedeutung von schnell
erhalten und wird in Zusammensetzungen gebraucht,
die gegenuber dem italienischen Wortsinn pleonastisch
(A. giocoso, lustig-heiter) oder widersinnig (A. irato,
lustig-zornig) erscheinen. - In Oberschriften wie Fan-
tasia allegra (A.Gabrieli 1596) und Symphonia allegra
(B.Marini 1611) bedeutet A. nichts anderes als heiter;
noch L.Mozart (1756) halt am ursprunglichen Wort-
sinn fest. Andererseits war A. bereits im friihen 17. Jh.,
als man anfing, Wortbezeichnungen fiir musikalische
Bewegungsarten zu gebrauchen, eher eine Tempo- als
eine Affektvorschrift (Banchieri, La Battaglia, 1611;
Frescobaldi, 1628 und 1635). Ein Unterschied zwischen
A. und Presto bestand im 17. Jh. noch nicht oder nur in
schwachen Ansatzen. Erst im 18. Jh. setzte sich die Re-
gel durch, daB Presto ein schnelles und A. ein zwar
heiter bewegtes, aber nicht hastiges ZeitmaB sei (Bros-
sard 1703; J.J.Rousseau 1767). Das A.-Temposchlie6t
die Moglichkeit eines singenden A. (A. cantabile) ein.
Das von Quantz angegebene ZeitmaB entspricht M. M.
120. Doch ist der Versuch, eine Norm festzusetzen,
nicht unbedenklich. Der Sinn der A.-Vorschrift ist so-
wohl von der Taktart als auch vom Notenwert der
Zahlzeit abhangig. Das ZeitmaB der Tripeltakte ist im
allgemeinen rascher als das der geraden Takte (J. Gras-
sineau 1740), und die Achtelnote eines A. im 3/8-Takt
ist etwas schneOer als die Viertelnote eines A. im 3/4-
26
Alleluia
Takt, nicht doppelt so schnell (Achtelnote = Achtel-
note) und nicht ebenso schnell (Zahlzeit = Zahlzeit). -
Piu a. und A. molto bedeuten eine Steigerung, meno
a., A. moderato, A. ma non troppo und A. ma non
tanto eine MaBigung des A.-Tempos. Die Vorschrift
A. con brio (feurig) schlieBt oft, aber nicht immer eine
Beschleunigung ein. Der Zusatz assai (ital. sehr, genug)
ist doppeldeutig; nach L.Mozart (1756), dessen Erkla-
rung dem vorherrschenden Wortgebrauch entspricht,
bedeutet assai eine Beschleunigung des A., nach J.-J.
Rousseau (1767) eine geringe Verlangsamung. Der
Superlativ Allegrissimo ist seit dem 17. Jh. nachweis-
bar (V.Jelich 1622; C.Pallavicino 1687), wird aber
selten verwendet.
Lit.: BrossardD, engl. v. J. Grassineau, London 1740;
Mozart Versuch ; A. Scherino, Zur Entstehungsgesch. d.
Orchestera., Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz.
1930; R. E. M. Harding, Origins of Mus. Time and Ex-
pression, London 1938; St. Deas, Beethovens »A. assai«,
ML XXXI, 1950; H. Beck, Bemerkungen zu Beethovens
Tempi, Beethoven-Jb. II, 1955/56; I. Herrmann-Bengen,
Tempobezeichnungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I,
Tutzing 1959 ; C. Dahlhaus, Zur Entstehung d. modernen
Taktsystems im 17. Jh., AfMw XVIII, 1961. CD
Alleluia ist die in der Vulgata und damit auch im
gregorianischen Choral gebrauchliche Form des he-
braischen Gebetsrufes hallelu-jah - Preiset Jah(we),
welcher sich erstmals um 700 v. Chr. im Alten Testa-
ment bei Tobias 13, 22 (Vulgatazahlung) findet, vor
allem jedoch als Zusatz (d.h. Unter- oder tjberschrift)
zu mehreren Psalmen uberliefert wird. Nach dem
Zeugnis Augustins wurde dieser Ruf von der christ-
lichen Antike propter sanctiorem auctoritatem in seiner
hebraischen Form belassen (De doctrina Christiana,
lib. II, 11, Corpus Christianorum XXXII, 42). Inner-
halb des jiidischen Gottesdienstes bildete das A. eine
feierliche liturgische -» Akklamation (Responsum),mit
der die Gemeinde auf den solistischen Psalmengesang
antwortete. Von hier fand es Eingang in die Psalmodie
der friihchristlichen Kirche (altester Hinweis um 200
bei Tertullian, De oratione, cap. XXVII, Corpus Chri-
stianorum I, 273). Seit dem 4. Jh. mehren sich die Be-
richte iiber seine (auch auBerliturgische) Verwendung.
Wie aus ihnen erhellt, wechselte diese nach den einzel-
nen Kirchen-Gebieten, indem man den jiidischen
Brauch, das A. nur in den A.-Psalmen zu singen, teils
erweiterte, teils beibehielt. Uber den A.-Gesang im
Stundengebet der agyptischen Monche liegen einige
Angaben des Johannes Cassianus vor (De institutis
coenobiorum, entstanden 419-26, lib. II, 5 u. II, 11, Cor-
pus scriptorum ecclesiasticorum latinorum XVII, 22 u.
27) ; Benedikt von Nursia widmete diesem Gegenstand
Kapitel 15 seiner Ordensregel (Corpus scriptorum . . .
LXXV, 63£.). Wann das A. in die romische MeBfeier
aufgenommen wurde, ist nicht gesichert uberliefert.
Die briefliche Erklarung Papst Gregors des GroBen,
nach welcher es unter Damasus I. ("f" 384) auf Rat des hi.
Hieronymus eingefiihrt worden sei (Epist. lib. IX, 12,
Migne Patr. lat. LXXVII, 956, auch bei Wellesz), lafit
sich ebensowenig uberzeugend stiitzen wie der Bericht
des griechischen Kirchenhistorikers Sozomenus uber
eine ausschlieBliche Verwendung in der Messe vom
1. Ostertag (Kirchengeschichte, um 440-50, Buch VII,
19, ed. J.Bidez, S.330). Doch diirfte der, zunachst wohl
auf die Osterzeit beschrankte, Gebrauch des A. seit
dem spaten 4.Jh. allmahlich weiter ausgedchnt worden
sein und die noch heute verbindliche Regelung zur
Zeit Gregors ihren AbschluB gefunden haben. - Unter
den verschiedenen Formen, in denen das A. in Messe
und Offizium begegnet, stellt das responsorische A.
der Missa in cantu einen liturgisch wie musikalisch
gleichermaBen bedeutsamen Hohepunkt dar (3. Ge-
sang des Proprium missae). Im romischen und mailan-
dischen Gottesdienst vor dem Evangelium erklingend,
ist es gleich den ubrigen Zwischengesangen (Graduale,
Tractus, Sequenz) als »selbstandiges Glied«(Jungmann)
der liturgischen Handlung ausgezeichnet. Sein Vor-
trag erstreckt sich uber das ganze Kirchenjahr ohne
Fasten- und Vorfastenzeit (ab Septuagesima), in der es
gewohnlich durch den Tractus ersetzt wird (ebenso im
Requiem). Ohne A. bleiben ferner die Quatembertage
im Advent und im September. Demgegeniiber enthalt
das MeBformular vom Samstag der Osterwoche bis
zum Quatemberfreitag nach Pfingsten unter Fortfall
des Graduale zweifachen A.-Gesang.
Das gregorianische MeB-A. wird durch eine meist
kurzgliedrige melodische Phrase iiber den Silben des
Wortes A. eroffnet, welcher sich der sogenannte Ju-
bilus (neuma), d.h. ein auf dem SchluBvokal gesunge-
nes langeres Melisma, anschlieBt (-* Sequenz). Hierauf
folgt der Versus (V) mit seinen weitgespannten,
auflerst kunstvollen Melismen. Schon in den altesten
erreichbaren Quellen ist eine Koppelung von A. und
einem oder 2 Versus durchgef iihrt (vgl. Codex Monza,
8.Jh., in: Antiphonale Missarum Sextuplex, hrsg. von
R.-J.Hesbert, Brussel 1935). Die Frage nach der Her-
kunft des Versus - ob Uberrest der alten responsori-
schen Psalmodie oder spaterer Zusatz - konnte noch
nicht einheitlich gelost werden. Seine Texte sind vor-
wiegend dem Psalter entnommen. Den AbschluB des
A.-Gesanges bildet die Repetition von A. + Jubilus. Im
einzelnen gesehen griindet sich die melodische Struk-
tur der Jubili mit wenigen Ausnahmen auf das Prinzip
der (exakten oder leicht veranderten) Wiederholung,
wobei die Form a a b absoluten Vorrang hat. Hingegen
greifen die Versus gewohnlich auf das melodische
Material des A.-Abschnittes zuriick. Auch klingen sie
fast immer in eine Wiederholung des Jubilus aus. Un-
tersuchungen stilistischer Kriterien ermoglichen eine
chronologische Abgrenzung. So gehoren jene weni-
gen, vornehmlich im 2. und 8. Modus stehenden A.,
deren Versus ohne Repetition des Jubilus endet, einer
archaischen Schicht an (A. der 3 Weihnachtsmessen),
wahrend die in den meisten Melodien nachweisbare
Identitat von Verscoda und Jubilus, d. h. deren »sym-
metrische Melismatik« (P.Wagner), auf eine spatere
Entstehung (vermutlich ab 8./9. Jh.) schlieBen laBt.
Innerhalb der zweiten Gruppe bildet die zunehmende
Ausweitung des Ambitus neben stufenformigen me-
lodischen Wendungen weitere Ansatzpunkte fur eine
zeitliche Differenzierung. - Zahlreiche A.-Gesange ent-
standen auch durch das bereits im Mittelalter weitver-
breitete Verfahren, bestimmten A.-Melodien neue
Texte zu unterlegen. Ihre Zahl umfaBt im heutigen
Graduale etwa ein Drittel aller Stiicke (P.Wagner, Ein-
fiihrung III, S. 404f.). - Seiner responsorischen Form
entsprechend verteilt sich der Vortrag des A. auf So-
list(en) und Chor (Graduale Romanum: De ritibus
servandis in cantu Missae IV, so auch schon im Ordi-
narium von Baycux, 13. Jh.) : A. (Solist) - A. + Jubilus
(Chor) - Versus (Solist mit Verscoda durch den Chor)
-Wiederholung von A. (Solist) + Jubilus (Chor). Letz-
tere unterbleibt an den Bittagen und an den Quatem-
bertagen nach Pfingsten. Bringt das Formular zwei
aufeinanderf olgende A., so entfallt am Ende des 1 . Stiik-
kes die Wiederholung von A. + Jubilus und zu Beginn
des 2. Gesanges die A.-Repetition durch den Chor.
Im Unterschied zum gregorianischen A. besitzen die
A.-Gesange der mailandischen (hier: Hallelujah) und
altspanischen Liturgie, ebenso diejenigen des altromi-
schen Chorals, eine weitaus reichere musikalische Ge-
stalt. Ihre Bezeichnung im altspanischen Ritus ist Lau-
27
Allemande
des (heute Lauda). AuBer in seiner responsorischen
Form findet das A. Verwendung 1) als A.-Antiphon,
so genannt nach dem Text, der sich aus der ein- oder
mehrfachen Wiederholung des Wortes A. zusammen-
setzt. Die Melodie dieser nur in der Psalmodie des Of-
fiziums und in der Osternachtsfeier befindlichen Stiicke
ist haufig von Modellen gepragt; 2) als Anhang zu ei-
ner Reihe liturgischer Formen in Messe und Stunden-
gebet. So schlieBen die Introitus-, Offertoriums- und
Communio-Gesange der Messe, desgleichen die Anti-
phonen und Responsorien des Offiziums wahrend der
osterlichen Zeit durchgehend mit dem A., in der Oster-
woche auch die Entlassungsrufe he missa est (Messe)
und Benedicamus Domino (Offizium: Laudes und Ves-
per, in letzterer ebenfalls am Samstag vor Septuagesi-
ma). Als ein Element der Verfeierlichung stent das A.
hingegen am Ende der Doxologie zu den Eingangs-
worten des Stundengebetes (Deus in adiutorium meum
intende; in der Vorfasten- und Fastenzeit hier an Stelle
des A. : Laus tibi, Domine, Rex aeternae gloriae) sowie am
SchluB der Versikel und Responsa in Laudes und Ves-
per aller hoheren Feste (vgl. dazu die entsprechenden
Abschnitte der Toni communes von Graduale und Anti-
phonale, ferner die Neuregelungen im Novus Codex
Rubricarum von 1960).
Lit. : U. Chevalier, Ordinaire et coutumier de 1'eglise ca-
thedrale de Bayeux, = Bibl. liturgique VIII, Paris 1902; P.
Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I
u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wies-
baden 1962; D. Johner OSB, Die Sonn- u. Festtagslieder
d. vatikanischen Graduale, Regensburg 1928; A. Atjda,
Les modes et les tons, Liittich 1931 ; P. Ferretti OSB, Es-
tetica Gregoriana I, Rom 1934, frz. v. A. Agaesse als Esth6-
tique gregorienne I, Tournai 1938; J. Glibotic, De cantu
»Alleluja« in Patribus s. VII antiquioribus, Ephemerides
liturgicae L, 1936, frz. in: Rev. du chant gregorien XLI-
XLII, 1937-38; C. Callewaert, L'ceuvre liturgique de S.
Gregoire, Rev. d'hist. ecclesiastique XXXIII, 1937; D. J.
Froger, L'A. dans l'usage romain et dans la reforme de
SaintGregoire, Ephemerides liturgicae LXII, 1948 ; L. Brou
OSB, L'A. dans la liturgie mozarabe, AM VI, 1951 ; M. B.
Cochrane, The A. in Gregorian Chant, JAMS VII, 1954;
E. Wellesz, Gregory the Great's Letter on the »A.«, Ann.
mus. II, 1954; H. Husmann, A., Vers u. Sequenz, ebenda
IV, 1956; ders., Die A. u. Sequenzen d. Mater-Gruppe,
Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., Iustus ut palma . . ., RBM X,
1956 ; ders., Zum GroBaufbau d. Ambrosianischen A., AM
XII, 1957; ders., A., Sequenz u. Prosa im altspan. Choral,
Fs. H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; ders., Das Graduale
v. Ediger, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962; W. Irten-
kauf, Die A.-Tropierungen d. Weingartner Hss., in: Fs.
zur 900-Jahrfeier d. Klosters Weingarten, 1956; W. Apel,
Gregorian Chant, Bloomington (1958); E. Jammers, Ein
spatma. A., Mf XII, 1 959 ; E. Werner, The Sacred Bridge,
London u. NY 1959; Die griech. christlichen Schriftsteller
d. ersten Jh. L, hrsg. v. J. Bidez, Bin 1960; E. Gerson-Ki-
wi, Halleluia and Jubilus in Hebrew-Oriental Chant, Fs.
H. Besseler, Lpz. 1961 ; P. Rado, Enchiridion Liturgicum,
2 Bde, Rom, Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961 ; Br. Stab-
lein, Zur Fruhgesch. d. Sequenz, AfMw XVIII, 1961;
ders., Der Tropus »Dies sanctificatus« zum A. »Dies
sanctificatus«, StMw XXV, 1962; ders., Das sogenannte
aquitanische »A. Dies sanctificatus« . . ., in: H. Albrecht
in memoriam, Kassel 1 962 ; ders., Zwei Textierungen d. A.
Christus resurgens in St. Emmeram-Regensburg, in: Or-
ganicae voces, Fs. J. Smits van Waesberghe, Amsterdam
1963; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien,
Freiburg i. Br. u. Basel 51962. - F. Cabrol, Artikel A.
(Acclamation liturgique), in: Dictionnaire d'archeologie
chretienne et de liturgie I, Paris 1924; H. Engberding, Ar-
tikel A., in: Reallexikon f. Antike u. Christentum I, Stutt-
gart 1950; R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u.
Munchen (1962). KWG
Allemande (alm'a:d, eigentlich danse a., frz.; ital.
allemanda; engl. alman; s. v. w. »deutscher« Tanz),
einer der bekanntesten geradtaktigen Tanze im 16. Jh.
und vor allem im Barockzeitalter. Gegen 1550 begeg-
net sie erstmals gleichzeitig in England, Frankreich und
den Niederlanden : in einem Lautendruck von P. Pha-
lese als Almanda (in: Carmina pro Testudine 1546/47),
zwischen 1546 und 1550 fur Laute bei Attaingnant,
und 1551 in einer niederlandischen Tanzsammlung bei
Susato. Diese friihe Form der franzosisch-niederlandi-
schen A. steht im geraden Takt von mittlerem Tempo
und wird oft mit einem schnellen, gesprungenenNach-
tanz im Dreiertakt (Recoupe, Saltarello) verbunden.
Arbeau erklart die A. in seiner Orchhographie (1588)
als hoffahigen Tanz und gibt eine ausf uhrliche choreo-
graphische Beschreibung an Hand eines Notenbeispiels.
Demnach wird die A. von mehreren Paaren getanzt,
wobei keine bestimmte Taktzahl vorgeschrieben ist.
Der Aufbau zweier A.n schematisch :
||: A :||: B :||: C :||
(Takte) 4+4 4 4+4
oder
A
6
B : : C
4 8
f"r J t? k 1 }t
^
«
J J
^
J «> J J
f=^
M
$mm
m
j j j
j^m
i
m
j j
^
P. Phalese, Liber primus leviorum carminum (1571),
Nr 9 Almande d' amours.
Bei den englischen »Virginalisten« wird die A. zum
stilisierten Spielstiick. Der Englander W. Brade mach-
te mit seinen 1609-21 in Hamburg erschienenen fiinf
groBen Tanzsammlungen die Deutschen mit der A.
bekannt. Gleichzeitig veroffentlichte Th. Simpson in
Deutschland drei umfangliche Tanzsammlungen, in
Stimmbuchern gedruckt und fur instrumentales En-
semble bestimmt. Diese A.n sind jenen in Deutschland
bekannten Tanzen des 16. Jh. ahnlich, die schlicht
»Dantz« hieBen. Wahrend diese jedoch vierstimmig
gesetzt und vom (gesungenen) Tanzlied (Ballo) abhan-
gig sind, zeigen die englischen A.n im 5st. Satz kontra-
punktische Ziige sowie starker instrumentalen Charak-
ter. Schein ist der erste deutsche Musiker, der den Na-
men A. von den Englandern aufgreift, ohne jedoch
damit auch deren Satztechnik zu ubernehmen. In sei-
nem Banchetto Musicale (1617) bestehen die Suiten aus
5st. Padouana und Gagliarda, meist 5st. Courente und
dem 4st. Tanzpaar A.-Tripla. Die A.n unterscheiden
sich in nichts von dem alteren deutschen »Dantz«. Sie
sind zwei- bis dreiteilig mit folgendermaBen propor-
tionierten Taktverhaltnissen : 8/6/8, 4/6/6, 8/8/12, 4/6,
4/8, 8/6. In diesen Zusammenhang gehbren auch die
3 A.n von S. Scheidt (Paduana, Galliarda, Couranta, Ale-
mande, Intrada ..., 1621). Scheins und Scheidts A.n
entsprechen dem, was Morley und dann M. Praetorius
(Synt. Ill, 25) iiber die A. schreiben. Bei jiingeren
deutschen Musikern zeigt die A. im Unterschied zu
Schein die Stilisierungsabsicht, etwa bei Rosenmiiller
(Studenten-Music 1654 und Sonate da camera 1667).
Hier fehlen die gleichmaBig abgegrenzten Einzelglie-
der zugunsten einer weitraumiger angelegten Melodik
und rhythmischen Reichhaltigkeit. Es folgen J.Pezel
(Musica vespertina Lipsiaca 1669), dessen 3-5st. A.n in
ihrem feierlich-gravitatischen Charakter und den
rhythmischen Punktierungen franzosische Einwirkung
erkennen lassen. Diese wird mit den 1670er Jahren zu-
28
Alma redemptoris mater
nehmend deutlicher. Schon Bleyer z. B. schreibt die A.
(sowie die anderen Tanze) in seiner Lust-Music nach
ietziger Frantzosischer Manier, ebenso dann ReuBner.
Kennzeichnend sind der kurzatmige, franzosisch punk-
tierte Stil, Leichtigkeit und Eleganz in der Stimmbe-
wegung. Die letzten Ensemble-A.n finden sich bei R. I.
Mayr (Pythagorische Schmids-Funcklein 1692), G.Muffat
(Florilegium Primum 1695) und Schmierer (Zodiaci Mu-
sici in XII Partitas Balleticas I, 1689). - Einen neuen A.n-
Typus schaffen die franzosischen Lautenmeister des
17. Jh. Im Unterschied zu der in 2- und 4-Taktgruppen
bestehenden alteren franzosischen Lauten-A. ver-
schwinden in diesem neuen Typus die liedartigen Zii-
ge sowie die scharfe tanzmaBige Akzentuierung. Da-
fiir wird die freie Fortspinnung der melodischen Linie
gepflegt und eine vorgetauschte Polyphonie (style
brise). Die A. ist hier ein Spielstuck von zartem Cha-
rakter. Sie steht meist am Anfang einer Folge vonTan-
zen und wird oft mit mythologischen Titeln verbun-
den. Ihre 3teiligen Formen verschwinden zugunsten
der 2teiligen. Die Stilisierung laBt immer haufiger un-
gerade Taktzahlen entstehen, und ein praludienhafter
Grundzug setzt sich durch. Um 1650 wurde diese Lau-
ten-A. von den franzosischen »Clavecinisten« iiber-
nommen (Chambonnieres, L.Couperin, Le Begue,
d'Anglebert). Einen zusatzlichen EinfluB durch die
franzosische Oper und die italienische Kammermusik
zeigen die A.n von Fr. Couperin; auffallend ist die
italienische Sequenztechnik, die auf Chambonnieres
zuriickgreifenden Kopfmotive und die italienischen
weiblichen Phrasenschliisse. Klangpracht und bestrik-
kende Grazie kennzeichnen den Charakter der A.
Majestueusement, sans lenteur
" -J-
Fr. Couperin, La Logiviere,
A. aus Pieces de Clavecin, Primier Livre,
Paris 1713, CinquiSme Ordre, Nr 1.
Die wenigen A.n Rameaus zeigen den italienischen
EinfluB noch deutlicher. - In Italien begegnen A.n seit
dem beginnenden 17. Jh. B.Marini hat in seinen Affetti
musicali (1617) einen Balletto Alemano (II monteverde)
mit der italienischen Besetzung V., BaB und Continuo;
seine Sammlung von 1626 mit 3 Baletto Alemano ge-
nannten Stiicken, die ebenfalls eine italienische Be-
setzung haben (2 V. und Chitarrone), zeigen unver-
kennbar deutschen EinfluB, etwa in den typischen
SchluBkadenzen, den codaartigen Anhangseln und den
Wiederholungen 2taktiger Phrasen auf verschiedenen
Stufen. C. Farina bringt in seinen 5 Buchern mit Tan-
zen (Dresden 1626/28) Balletti Allemanni. In die italieni-
sche Kammersonate ist die A. jedoch offensichtlich um
1660 iiber die franzosische Lautenmusik gelangt (Co-
relli, Vivaldi, Veracini). Eine aus der Kanzone gewon-
nene neue Form der A. zeigt die variierte Wiederholung
des l.Teils als SchluB des zweiten: ||: A :||: B+A' :||,
so daB eine Dreiteiligkeit innerhalb der 2teiligenWie-
derholungsform erscheint. In der italienischen Trio-
sonate begegnet die A. mit noch verstarkter Stilisie-
rung. Auf Frobergers A. paBt die Charakterisierung,
mit der Mattheson die A. allgemein bedenkt: sie sei
eine gebrochene, ernsthaffte und wol ausgearbeitete Har-
monie, welche das Bild eines zufriedenen und vergniigten
Gemiiths tragt, das sich an guter Ordnung und Ruhe er-
getzet. Es f olgen mit A.n : Poglietti, F. T. Richter, J.J.
Fux, Gottl. Muffat, Pachelbel, J.Krieger, J. C.F.Fi-
scher, Kuhnau, V. Lubeck, Handel und J. S. Bach. Bachs
A.n, die auf proportionierter Zweiteiligkeit beruhen
(z.B. 16/16, 12/12, 12/16, 8/12, 24/32), fassen die viel-
faltigen Moglichkeiten der franzosischen und italieni-
schen A.n zusammen und bilden einen abschliefienden
Hbhepunkt dieses Tanzes. - Die A. in der Gestalt des
Pariser Hoftanzes scheint in Bohmen noch in der 2.
Halfte des 19. Jh. getanzt worden zu sein. Die noch in
Schwaben und der Schweiz iibliche lebhafte A. im
3/4-Takt ist von den A.n des Barock wesensverschie-
den. Sie steht vielmehr dem Schnellwalzer (-»■ Walzer)
nahe (die »Deutschen«, A.n oder Alia Tedesca in Haydns
Es dur-Trio, Hob. XV, 29, bei Beethoven u. a.).
Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie (1 588), NA v. L. Fonta,
Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948 ; Th. Morley, A
Plaine and Easie Introduction to Practicall Musicke . . . ,
London 1597, NA v. R. A. Harman, London (1952);
WaltherL; Mattheson Capellm.; E. v. Werra, Orche-
stermusik d. 17. Jh., DDT X, 1902; P. Nettl, Die Wiener
Tanzkomposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII,
1921 ; ders., The Story of Dance Music, NY (1947); Fr.
Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite itn 15. u.
16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925 ; E. Mohr,
Die A., 2 Teile, Zurich u. Lpz. 1932; A. Anders, Unter-
suchungen iiber d. A. als Volksliedtyp d. 1 6. Jh., Diss. Ffm.
1940; I. Herrmann-Benoen, Tempobezeichnungen, =
Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959.
allentando (ital.) -> rallentando.
Alliteration -> Stabreim.
Alma redemptoris mater (lat.), Marianische Anti-
phon (Antiphona Beatae Mariae Virginis), seit dem
12. Jh. nachweisbar. In dem aus sechs daktylischen
Hexametern bestehenden Text lassen sich Riickgriffe
auf den Hymnus -^-Ave maris Stella und die Antiphon
Sancta Maria succurre miseris feststellen. Die Frage, ob
Hermannus contractus der Verf asser sei, ist noch immer
umstritten. Nach Ausweis der Quellen fand das A.r. m.
urspriinglich in der Sext des Offiziums von Maria
Himmelfahrt (Assumptio) Verwendung und wurde
ab 1249 von den Franziskanern, seit dem 14. Jh. auch
vom Weltklerus im Wechsel mit den iibrigen Marien-
antiphonen zu einer bestimmten Zeit des Kirchenjahres
nach der Komplet gesungen. Diesem Brauch entspricht
auch die heutige Offiziumspraxis, in welcher die Anti-
phon vom Vortag des 1 . Advent bis zum 1 . Februar den
regelmaBigen AbschluB der Komplet bildet. Neben
der »historischen«, melodisch weitgespannten und
reichgegliederten Melodie im 5. tonus entstand im 17.
Jh. (oder spater) eine weitere Vertonung des A. r. m.,
die als Cantus simplex in das Antiphonale aufgenom-
men wurde.
Lit. : Analecta hymnica medii aevi LI, Lpz. 1908, S. 142 ; P.
Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melodien I u.
Ill, Lpz. 3191 1 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesba-
den 1 962 ; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1 958) ;
H. Oesch, Berno u. Hermann v. Reichenau als Musiktheo-
retiker, = Publikationen d. Schweizerischen Musikfor-
schenden Ges. II, 9, Bern (1961) ; P. Rad6, Enchiridion Li-
turgicum II, Rom, Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961.
29
Alphorn
Alphorn, eine einfache Holztrompete (im Mittelalter
als Engelstrompete auf Abbildungen), kommt in euro-
paischen und auBereuropaischen Gebirgslandern vor
und hat sich in der Schweiz, wo es als Nationalinstru-
ment gilt, bis heute gehalten. In den Alpen wird es aus
einem trockenen, in zwei Halften geschnittenen Tan-
nenstamm herausgeschnitzt und mit Baumwurzeln
oder Bast zusammengebunden. Neben der wohl alte-
ren gerade-konischen Form gibt es die bis zu 4 m lange
mit abgebogenem Schallbecher und eine kleinere
trompetenartig gewundene. Die A.-Melodien sind in
den Alpen der Jodlermelodik ahnlich. Charakteristisch
ist das A. -fa, der zu hohe ll.Naturton, der auch in die
Melodien der Alpler eingegangen ist (-> Kuhreigen)
und in der Kunstmusik z. B. im 4. Satz der 1 . Symphonie
von Brahms nachgeahmt wird:
Also blus das Alphorn heut :
Hoch auf'm Berg, tief im Tal, griifl' ich dich
#
^
viel tau-send-mal!
J.Brahms an Clara Schu-
mann (12. 9. 1868).
Eine Holztrompete verlangt Wagner £iir die »frohliche
Hirtenweise« im 3. Akt von Tristan und Isolde, doch
wird hier meist ein Rohrblattinstrument (Englisch
Horn, Sopransaxophon, Tarogato) als Ersatz geblasen.
Lit. : Praetorius Synt. II ; H. Szadrowsky, Die Musik u.
d. tonerzeugenden Instr. d. Alpenbewohner, Jb. d.Schwei-
zer Alpenclub IV, 1 867/68 ; H. in der Gand, Volkstiimliche
Musikinstr. in d. Schweiz, Schweizerisches Arch. f. Volks-
kunde XXXVI, 1937; A. Pfleger, Das Schweizer A. in d.
Hochvogesen, ebenda XLIX, 1953; K. M. Klier, Volks-
tumliche Musikinstr. in d. Alpen, Kassel 1956.
al segno (al s'e : jio, ital. ; Abk. : al S.), bis zum Zeichen,
Anweisung zur Wiederholung bis zu der mit S. ( % )
bezeichneten Stelle.
Alt (von lat. altus, hoch; ital. contr'alto, alto; frz.
haute-contre; engl. contralto, -> Meane; lat. Bezeich-
nung der Lagenstimme : Contratenor altus, Altus, Vox
alta). - 1) Beim Ubergang von der Drei- zur Vierstim-
migkeit um 1450 (Dufay) spaltete sich der -► Contra-
tenor in Contratenor altus und bassus. Da noch bis zur
Zeit Ockeghems die Polyphonie instrumentale Ziige
aufweist, entspricht der Umfang dieser Lagenstimmen
haufig nicht dem der Singstimme, die heute A. ge-
nannt wird, doch stellt die Vokalisierung des polypho-
nen Satzes gegen Ende des 15.Jh. diese Beziehung her.
Der Altus wurde im 4st. Satz des 16. Jh. als letzte Stim-
me komponiert, klausulierte in der Regel auf der Quin-
te des AbschluBklanges und war bei Imitationen oft
eine der zuletzt einsetzenden Stimmen. In der Folge-
zeit ist er an diese Charakteristika nicht mehr gebun-
den und iibernimmt haufig die Aufgabe akkordlicher
Fiillung. - 2) Nach dem neueren (physiologischen)
Sprachgebrauch bezeichnet A. die tiefere der beiden
Arten der Frauen- und Knabenstimmen. Sein Normal-
umfang reicht von a, beim tiefen A. von f (ausnahms-
weise von e,'d) bis e 2 , f 2 (ausnahmsweise h 2 , c'), bei
Manneraltisten von c-c 2 . Der A. wurde seit dem 15. Jh.
und noch lange danach von falsettierenden Manner-
stimmen gesungen, den Tenorini, die ab Mitte des 16.
Jh. auch Alti naturali (-»■ Falsettisten) genannt wurden.
In England ist fur das Singen von -*■ Glees das Falsettie-
ren der hohen Stimme noch heute gebrauchlich. In den
im 16. Jh, auftretenden Satzen ad voces aequales wurden
mehrere (meist 2) A.e mit anderen Stimmlagen kom-
biniert, meist mit einer oder 2 Sopranstimmen (letzte-
res ist auch im Frauenchorsatz des 19. Jh. zu finden).
Noch bis ins 19. Jh. verwendete man falsettierende
Manner-A.e, in englischen Kirchenchoren sogar bis
heute (-> Countertenor). - Eine bedeutende Rolle
spielt der Frauen-A. in den solistischen Opernpartien.
Am bekanntesten aus der altitalienischen Oper ist die
aus Venedig gebiirtige Faustina Hasse, geb. Bordoni,
deren kraftvoller Mezzosopran sich nach der Tiefe hin
entfaltete. Im Unterschied etwa zu Handel schrieb
Mozart kaum Partien fur Frauen-A., wahrend in der
Oper des 19. Jh. Frauen-A.e haufiger Verwendung fin-
den. Dennoch stand die Sopranstimme in der Oper
gegeniiber der A.-Stimme stets im Vordergrund. Von
einem dramatischen A. kann bei Wagner (Ortrud,
Erda, Fricka), Verdi (Amneris) und R.Strauss (Kly-
temnastra) gesprochen werden. Der Stimmurnfang
wurde stark nach der Hohe zu erweitert (Ortrud hat
das b 2 zu singen). - 3) In den Stimmwerken von In-
strumenten des 16./17. Jh. sind entsprechend den
menschlichen Stimmlagen jeweils auch A.e disponiert,
ebenso in den im 19. Jh. entstandenen Familien von
Blechblasinstrumenten wie den Fliigelhomern und
Saxhornern. Im allgemeinen steht die Tonlage der A.-
Instrumente eine Quart oder Quint unter den Nor-
malinstrumenten. In der Instrumentation des Hoch-
barock wurde der A. der Blockflote (in absoluter Hohe
dem Sopran entsprechend) fur die Familie reprasenta-
tiv. Der besondere Reiz von A.-Instrumenten, wie
Bratsche (Viola), Bassetthorn und Englisch Horn, mit
ihrem weichen, verschleierten Klang, wurde in der
Romantik entdeckt.
Lit. : zu 2) : Fr. Habock, Die Kastraten u. ihre Gesangs-
kunst, Bin u. Lpz. 1927 ; M. Kunath, Die Charakterologie
d. stimmlichen Einheiten in d. Oper, ZfMw VIII, 1925/26 ;
M. Hogg, DieGesangskunstd.F.Hasseu.d. Sangerinnen-
wesen ihrer Zeit, Diss. Bin 1931.
alta (instrumenta oder musica, lat.) ->■ haut.
Altchristliche Musik ist die Musik der altchristlichen
Periode, der Zeit, in der das Christentum der antiken
Welt noch eng verhaftet war. Aus abendlandischer
Sicht ergibt sich die Spanne von der apostolischen Zeit
bis zur endgultigen Zerstorung des Imperium Ro-
manum durch den Langobardeneinfall in Italien (ab
568), somit bis zur Zeit des Wirkens von Papst Gregor
dem Grofien (590-604). Mit Ausnahme des in griechi-
scher Notation auf einem agyptischen Papyrus frag-
mentarisch erhaltenen Oxyrhynchos-Hymnus (3. Jh.)
sind keine musikalischen Zeugnisse altchristlicher Mu-
sikubung bekannt. Die noch sehr liickenhaf te Kenntnis
von ihr basiert allein auf literarischen Zeugnissen (vor
allem dem Neuen Testament, den apokryphen Schrif-
ten des Neuen Testaments und den Schriften der Kir-
chenvater), die zudem in ihrer keineswegs fixierten
Terminologie der Interpretation einen weiten Raum
lassen. DaB Elemente altchristlicher Gesange in spater
aufgezeichneten Melodien enthalten sind, darf als sehr
wahrscheinlich angenommen werden, wenn auch
Identifizierung und Datierung unlosbare Probleme
bieten. Es diirfte sich dabei eher um formelhafte Ge-
staltungsprinzipien als um exakte, mehr oder weniger
umfangreiche Melodierelikte handeln. - Von entschei-
dender Bedeutung fiir die Ausbildung der A.n M.
war die schon vor der Zeitwende liegende Beriihrung
von Judentum und Hellenismus, wie sie besonders im
hellenistischen Diaspora] udentum deutlich wird, aus
dessen Kreis in Alexandria in den letzten drei vor-
christlichen Jahrhunderten die Bibeliibersetzung der
Septuaginta entstand. Von den Personlichkeiten, die
hier eine Vermittlerrolle einnehmen, ist vor allem ein
Zeitgenosse Christi, Philo von Alexandrien ( * um 25-
10 v. Chr., f nach 40 n. Chr.) zu nennen. So erwachst
30
Altchristliche Musik
die Musik der altchristlichen Kirche aus einer Ver-
schmelzung von Elementen jiidischer Liturgie und
geistlichen Singens mit solchen orientalischer und an-
tiker Dicht- und Tonkunst, wobei auch Einwirkungen
aus dem Bereich volksmaBiger Musikiibung als sehr
wahrscheinlich anzunehmen sind. Eine genauere Be-
grenzung der verschiedenen EinfluBschichten ist, von
der sparlichen Quellenlage abgesehen, schon insofern
kaum moglich, als in den ersten Jahrhunderten in
Opferfeier und privater Andacht charismatisch impro-
visierendes Singen einen breiten Raum einnahm. Auf
dieses diirften die von Paulus (Eph. 5,19 und Kol. 3, 16)
genannten Psalmen, Hymnen und geistlichen Lieder
zu beziehen sein, die sicher nicht drei voneinander ge-
sonderte Gattungen bezeichnen sollen. Seit der Apostel-
zeit ist eine immer tiefer gehende hellenistische Durch-
dringung des Christentums festzustellen, und mit der
Gleichsetzung von Judenchristen und Heidenchristen
auf dem Apostelkonzil von Jerusalem (um 49/50) wur-
de der Weg fiir die Aufnahme griechischer Musikele-
mente in die Liturgie noch weiter geoffnet. Fiir den
griechischen wie fiir den lateinischen Kreis ist dabei zu
unterscheiden zwischen liturgischem Lied, das sich in
Inhalt und Form an die Dichtung des Alten Testaments
anschlofi, und dem bei aller geistlichen Orientierung
der Kunstdichtung zugehorigen Lied, das die Tradition
der antiken Poesie im christlichen Bereich weiterfuhrte.
Neben dem ausschlieBlich einstimmigen Gesang wur-
de die Verwendung von Musikinstrumenten im Got-
tesdienst nicht gestattet, aber in der hauslichen Privat-
feier geduldet. In der sich aus dem Herrenmahl ent-
wickelnden Eucharistiefeier (-> Messe) und dem aus
den Vigilien hervorgegangenen -»■ Offizium bestand
bis zum 4. Jh. noch eine relative Freiheit in der Wahl
der Gebetstexte und Gesange, wenn auch die romischen
Schemata des 2. und 3. Jh. im Osten eine weitgehende
Entsprechung fanden. Der Hauptgottesdienst der Ge-
meinde fand anfanglich vielfach mit den Juden zu-
sammen am Sabbat in den Synagogen statt, wurde je-
doch - vom jiidischen Gottesdienst abgesondert - bald
auf den Sonntagmorgen verlegt. Viele Teile der alt-
christlichen Liturgie habenimjiidischen Ritus ihreVor-
bilder. Zu Lesung und Predigt trat der Psalmengesang
(jiidischer Herkunft) ; bereits fiir das 4. Jh. ist das Kyrie
eleison in Jerusalem bekannt. Mancherlei Parallelen
zum jiidischen Ritus finden sich auch im Offizium.
Von Anfang an vorhandene Besonderheiten regionaler
Traditionen bildeten sich vor allem seit dem 4. Jh.
deutlicher faGbar heraus und waren bald als besondere
Liturgietypen an die jeweiligen kirchlichen Zentren
gebunden. Im Osten entvvickelten sich so koptischer,
syrischer und byzantinischer Ritus und Gesang. Die ur-
spriinglich vorherrschende griechische Kultsprache
wurde in Rom im 4. Jh. aufgegeben, was zu einer
eigenen Tradition des lateinischen Westens fiihrte, der
im (alt-)romischen (gultig auch fiir Nordafrika mit
Karthago), ambrosianischen, gallikanischen und moz-
arabischen Liturgietypus eigene Gesangsiiberlieferun-
gen ausbildete.
Eine Beschrankung der Melodien der A.n M. auf theo-
retisch erfafite, diatonische und chromatische Tonstu-
fen ist wenig wahrscheinlich, vielmehr diirfte eine
weitergehende, rational nicht zu fixierende Differen-
zierung auch im lateinischen Westen noch lange iiblich
gewesen sein. Grundformen der melodischen Gestal-
tung waren psalmodisches Rezitieren zu einfachem
Textvortrag, syllabische Fuhrung mit schlichter, aber
doch in sich reicherer Melodiebildung, die in ihrer An-
lage noch weitgehend der Textstruktur verhaf tet blieb,
schlieBlich eine in weiten Melodiebogen gefiihrte und
reich verzierte Melismatik, die das musikalische Ele-
ment ganz in den Vordergrund treten lieB. Inf olge feh-
lender schriftlicher Fixierung wurden die miindlich
tradierten Gesange auswendig vorgetragen oder an-
hand iiberlieferter Melodieformeln und -modelle im-
provisiert. Eine eigene Notation der christlichen Mu-
sik entwickelt sich erst spater und tritt in Byzanz und
Syrien ebenso wie bei den Kopten und Juden zunachst
in der Ekphonesis (lectio solemnis; ->• Ekphonetische
Notation) mit Akzent- und Interpunktionszeichen
auf. - Schon in der Musik der altchristlichen Kirche ist
die Stellung des Kirchensangers (psaltes, erst bei Nike-
tas von Remesiana cantor) institutionell weitgehend
festgelegt, wobei ihm die solistischen Gesange, die In-
tonation und die Fuhrung des Gemeindegesangs iiber-
tragen waren. Da ein Chor geschulter Sanger fiir die
Friihzeit nicht anzunehmen ist, diirfte neben dem Psal-
tes der Chor der Gemeinde gestanden haben, der mit
der Ausfuhrung wohl einfacherer Gesange betraut
war. Hieraus ergibt sich die vorherrschende Stellung
des Wechselgesangs in der A.n M., der solistische Par-
tien des Psalmes mit refrainartigen Einwurfen des Ge-
meindechors verbindet und den antiphonischen Vor-
trag der Psalmen mit melodischen »Hymnen« unter-
bricht (Aufkommen der Doppelchorigkeit erst ab et-
wa 350). Als bedeutende Autoren sind zu nennen: im
griechischen Bereich Clemens von Alexandrien (um
150 - um 215), Origines (um 185 - um 254), Methodius
(t um 311), Basilius (330-379), Cyrillus von Jerusalem
(315-386), Gregor von Nazianz (f um 390), Johannes
Chrysostomus (um 354-407), Synesius von Cyrene
( * zwischen 370 und 375) , Romanos (um 490 - um 560)
und Sophronios von Jerusalem ("j" 638) ; im lateinischen
Kreis Tertullian (um 160- um 240, aus Karthago), Hi-
larius von Poitiers (um 315-367), Marius Victorinus
Afer (f 370), Damasus (um 305-384), Ambrosius von
Mailand (f 397), Prudentius (f nach 405), Niketas von
Remesiana (f kurz nach 414; -*■ Ambrosianischer Ge-
sang), Sedulius (um 430), Augustinus (f 430), Paulinus
von Nola (f 431), Cassiodor (um 485-580) und Ve-
nantius Fortunatus (um 530 - kurz nach 600) ; im syri-
schen Bereich Bardesanes (f 222) und dessen Sohn
Harmonios, Ephram der Syrer (f 373), Balai (4Jh.),
Isaac von Antiochien (f 460/61), Narses von Nisibis
(399-502) und Jakob von Saruch (* 451).
Lit.: H. Abert, Die Musikanschauung d. MA u. ihre
Grundlagen, Halle 1905; ders., Ein neu entdeckter friih-
christlicher Hymnus mit antiken Musiknoten, ZfMw IV,
1921/22; ders., Das alteste Denkmal d. christlichen Kir-
chenmusik, in: Ges. Schriften u. Vortrage, Halle 1929; W.
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tum, Zs. f. Kirchengesch. XXVI, 1905, XXVII, 1906 u.
XXIX, 1908 ; F. Leitner, Der gottesdienstliche Gesang im
jiidischen u. christlichen Altertum, Freiburg i. Br. 1906; L.
Duchesne, Origines du culte Chretien, Paris 5 1909; P.
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syrien, Journal Asiatique XX, 1912; A. Baumstark, Psal-
menvortrag u. Kirchendichtung d. Orients, Gottesminne
VII, 1912/13; J. Kroll, Die christliche Hymnodik bis zu
Clemens v. Alexandrien, Beilage zum Verz. d. Vorlesungen
an d. Akad. zu Braunsberg, Konigsberg 1921 ff. ; A. Z. Idel-
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orientalischen Gesangsweisen, ZfMw IV, 1921/22; ders.,
Der Kirchengesang d. Jakobiten, AfMw IV, 1922; E.
Wellesz, Aufgaben u. Probleme auf d. Gebiete d. byzan-
tinischen u. orientalischen Kirchenmusik, = Liturgiege-
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31
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vorgregorianischen Gesang, = Veroff. d. Gregofianischen
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1938 u. XLIII, 1939; E. Jammers, Rhythmische u. tonale
Studien zur Musik d. Antike u. d. MA, AfMf VI, 1941 u.
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Griechenstadt«, AfMf VII, 1 942 ; E. Werner, Notes on the
Attitude of Early Churchfathers towards Hebrew Psalmo-
dy, Review of Religion VII, 1943; ders., The Modes of
Psalmody in the Eastern Churches and the Synagogue,
Musica Hebraica II, 1943; ders., The Conflict between
Hellenism and Judaism in the Music of the Early Christian
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book of American Musicological Soc. 1947 ; ders., Hebrew
and Oriental Christian Metrical Hymns, a Comparison,
Hebrew Union College Annual XXIII, 1950/51 ;ders., The
Sacred Bridge, London u. NY 1959 ; C. Sachs, The Rise of
Music in the Ancient World, East and West, = The Nor-
ton Hist, of Music I, NY (1943); H. Hucke, Die Entwick-
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einigen Problemen d. Choralforschung, Mf XI, 1958; H.
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Early Jewish and Christian Chant, MD VII, 1953; ders.,
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Testament, Amsterdam 1962.
Altenburg (Thiiringen).
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Theaterfreunde A., A. 1930; Fr. Merseberg, Die kiinstle-
rische Entwicklung d. A.er Hofkapelle, Zs. d. Ver. f. Thu-
ringische Gesch. u. Altertumskunde XXXII, 1936; Chro-
nik d. Theaters in A., hrsg. v. B. Lurgen, Lpz. 1937.
Alteration (lat. alteratio, Anderung). - 1) In der
Mensuralnotation erhalt seit Franco von Koln die
zweite von zwei gleich aussehenden Breves, die zu-
sammen eine perfekte (3zeitige) Longa ausmachen, 2
Drittel des gesamten Werts; sie ist also doppelt so lang
wie die erste Brevis (recta) und heiBt Brevis altera.
Dasselbe gilt bei perfekter Teilung der Brevis in Semi-
brevis minor und maior, seit Ph. de Vitry auch bei per-
fekter Teilung der Semibrevis in Minima und Altera
minima. So muB im Tempus perfectum cum pro-
latione maiori die Folge
©B H H0-000 B
verstanden werden als (auf ein Viertel verkiirzt; der
Punkt ist Punctus divisionis) :
| J- 1 J JlJ-lJ JljJl JlJ-l
Es ist umstritten, ob schon in der Musik vor 1300 auch
die kiirzeren Notenwerte mit A. zu ubertragen sind,
weil zufolge des raschen Tempos die unterschiedliche
Dauer der beiden Noten in der Ausf iihrung nicht her-
vortreten wiirde. - 2) A. heiBt auch die Veranderung
ernes Tones um 1-2 Halbtone nach oben oder unten.
Die Art der Vorzeichnung (Akzidentien) und der Be-
nennung (z. B. : c wird alteriert zu cis oder ces, doppelt
alteriert zu cisis oder ceses) weisen darauf hin, daB der
alterierte Ton nicht als selbstandig, sondern als Far-
bung (vgl. Marchettus de Padua : propter aliquam con-
sonantiam colorandam, GS III 73b) des leitereigenen Tons
aufgefaBt wird, den er vertritt. In der Musik des 14-
16. Jh. bedeutet die Einfiihrung leiterfremder Tone
durch Vorzeichen (Akzidentien), daB der betreffende
Ton als mi ( \ ) oder fa ( 1>) charakterisiert ist, d. h. daB
die Stimme zeitweilig in ein anderes Hexachord oder
auch eine andere Tonart ausweicht (-> Mutation,
-> Musica ficta). Dagegen wird die eigentliche A.
nicht notiert. Ihre Ausfuhrung gilt als selbstverstand-
lich; sie bleibt den Sangern iiberlassen und wird haupt-
sachlich durch folgende Regeln bestimmt: a) in der
Paenultima der Diskant-Tenor-Klausel muB eine von
beiden Stimmen Leitton sein; b) geht eine Stimme nur
um einen Schritt iiber la hinaus, so ist dieser Schritt ein
Halbton (una nota supra la semper est canendum fa) ;
im strengen Sinn gilt diese Regel nur fiir den 1. und
2. Kirchenton, z. B. in Isaacs Choralis Constantinus III
(hrsg. v. L. Cuyler, = Univ. of Michigan Publications,
Fine Arts, Vol. II, Ann Arbor 1950, S. 27 und 181):
c) zuerst wohl bei Aaron erscheint die Vorschrift, die
kleine Terz eines SchluBklangs zur groBen zu alterie-
ren. Gaffori bestatigt, daB in Klauseln bei A. des vor-
letzten Tons die Solmisationssilbe unverandert bleibt ;
z. B.:
Notierung :
w
3E Ausfuhrung
: ffi fl J i.
Solmisation : la-sol-la.
R.v.Fickers Annahme, daB die mittelalterliche Theo-
rie die A. als Musica falsa bezeichne und gegen die als
Transposition und Mutation verstandene Musica ficta
unterscheide, wird durch die Quellen nicht hinreichend
gestiitzt. - Drucke des 16. Jh. fiir Tasteninstrumente
bezeichnen A. durch einen Alterationspunkt, z.B.:
Lit. : zu 1 ) : Franco v. Koln, in : Hieronymus de Moravia
OP, Tractatus de Musica, hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Frei-
burger Studien zur Mw. II, 2, Regensburg 1935, S. 236ff.;
Ph. de Vitry, Ars nova, hrsg. v. G. Reaney, A. Gilles u.
J. Maillard, CSM VIII, (Rom) 1964; E. Praetorius, Die
Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius . . ., = BIMG II, 2, Lpz.
1905. - zu 2) : Marchettus de Padua, Lucidarium, in : GS
III; Fr. Gaffori, Practica Musice, Mailand 1496; P.
Aaron, Thoscanello de la musica, Venedig 1 523 u. 6. ; G.
Jacobsthal, Die chromatische A. im liturgischen Gesang
. . ., Bin 1897; Riemann MTh; R. v. Ficker, Beitr. zur
Chromatik d. 14. bis 16. Jh., StMw II, 1914; L. H. Skr-
bensky, Leitton u. A. . . ., Diss. Prag 1928, maschr.; J.
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948).
Alterierte Akkorde, seit H. Riemann die Bezeich-
nung fiir solche Klange innerhalb des funktionalhar-
monischen Systems, in denen einer oder mehrereTone
eines urspriinglich leitereigenen Akkordes chroma-
tisch verandert sind, wodurch eine aufwarts oder ab-
warts gerichtete Strebewirkung erzeugt bzw. ver-
starkt wird. Die Theorie des 18. und 19.Jh.bezeichnet
32
Altslawischer Kirchengesang
sie als dissonierende, uneigentliche, anomalische, chro-
matische, zufallige oder leiterfremde Akkorde. Die
Zunahme immer komplizierterer A.r A. mit der damit
verbundenen intensivierten Leittonspannung ist ein
bestimmendes Merkmal spatromantischer Musik seit
Wagners Tristan und Isolde (1859). R.Strauss setzt z.B.
in Till Eulenspiegels lustige Streiche, op. 28 (1895), einen
B 5 « - Akkord mit vierf acher chromattscher Auf losung :
Ob.
Kl.
Engl. H.
Kl.
Dieser Prozefi der Haufung starkster Gleit- und Span-
nungswirkungen fiihrte von sich aus an die Grenze der
dominantisch-tonalen Musik, und so sind die A.n A.
von den Schopfern der Neuen Musik im 20. Jh. als ein
wichtiger Ausgangspunkt zur Auflosung und Uber-
windung der Tonalitat angesprochen worden.
Lit. : J. Volek, Die Bedeutung Chopins f. d. Entwicklung
d. a. A. in d. Musik d. 20. Jh., Kgr.-Ber. Warschau 1960.
alternatim (lat., wechselweise), bezeichnet seit dem
spaten Mittelalter die Ausf iihrung liturgischer Stiicke,
derart, daB der eine Teil der Ausfiihrenden die ein-
stimmigen choralen Teile vortragt und der andereTeil
(meist mehrstimmig) fortfahrt. Die a.-Praxis geht zu-
riick auf den antiphonischen Gesang (-»• Antiphon) der
Psalmen und Hymnen und dehnt sich auf die verschie-
densten Teile der liturgischen Musik aus. Seit dem Auf-
kommen der Mehrstimmigkeit erwuchsen dem a.-
Musizieren im Wechsel von einstimmigem Choralge-
sang und (mehrstimmigem) Figuralgesang oder Orgel
neue Moglichkeiten (-* Messe, -*■ Magnificat). Die a.-
Ausfiihrung zwischen Chor und Orgel (beide je ein-
oder mehrstimmig) erf olgte iiberwiegend in dieser Art :
1. Kyrie Orgel 2. Kyrie Chor 3. Kyrie Orgel
1. Christe Chor 2. Christe Orgel 3. Christe Chor
1. Kyrie Orgel 2. Kyrie Chor 3. Kyrie Orgel
Die a.-Praxis wurde in die evangelische Kirche iiber-
nommen; von M.Praetorius sind ihre verschiedensten
Kombinationen beschrieben und ausgefiihrt worden.
Bis ins 18. Jh. hinein war die a.-Praxis im Gebrauch, bis
der Orgel die Begleitung aller Strophen des Gemeinde-
gesangs iibertragen wurde. In jiingster Zeit sind man-
nigfache Bemuhungen im Gange, die a.-Praxis wieder
zu beleben.
Lit. : G. Rietschel, Die Aufgabe d. Org. im Gottesdienst,
Lpz. 1 893 ; P. Wagner, Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb.
d. Mg. nach Gattungen XI, 1, Lpz. 1913; Y. Rokseth, La
musique d'orgue au XV e s. . . . , Paris 1 930 ; L. Sohner, Die
Gesch. d. Begleitung d. gregorianischen Chorals in
Deutschland, = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Frei-
burg i. d. SchweizXVI, Augsburg 1931 ; O. Ursprung, Die
kath. Kirchenmusik, Bucken Hdb. ; A. Schering, Zur a.-
Orgelmesse, Zf Mw XVII, 1935 ; L. Schrade, Die Messe in
d. Orgelmusikd. 15. Jh., AfMf I, 1936;Chr. Mahrenholz,
Der 3. Bd v. S. Scheidts Tabulatura nova 1 624 u. d. Gottes-
dienstordnung d. Stadt Halle, Mf I, 1948; D. Stevens, A
Unique Tudor Organ Mass, MD VI, 1952; Kn. Jeppesen,
Eine friihe Orgelmesse . . ., AfMw XII, 1955; ders., Die
ital. Orgelmusik am Anfang d. Cinquecento, 2 Bde, Ko-
penhagen 2 1960; J. D. Bergsagel, On the Performance of
Ludford's A. Masses, MD XVI, 1962.
alternative (ital.), auch alternativement (frz.), ab-
wechselnd ; altere Bezeichnung fur 2teilige Tanzstiicke,
deren beide Teile nach Belieben mehrmals wechselnd
gespielt werden (Menuetto a.) ; auch erscheint in me-
nuettartigen Satzen der 2. Teil (Trioteil) des ofteren
mit a. iiberschrieben.
Alti naturali (ital.) ->• Falsettisten.
Alto (ital.), - 1) Altstimme (Contr'alto), ->■ Alt. -2) Alt-
viola, Bratsche, ->• Viola. - 3) im Jazz gebrauchliche
Kurzform fur Altsaxophon (von engl. a. saxophone;
frz. saxophone a.).
Alt orientalische Musik -»■ Sumerische Musik,
-> Agyptische Musik, -»■ Jiidische Musik.
Altslawischer Kirchengesang. Die aus Saloniki
stammenden Briider Konstantinos (Kyrillos, 826-69)
und Methodios (820-85), die ab 863 im Gebiet der Erz-
diozese Salzburg unter den Slawen missionarisch tatig
waren, begriindeten durch ihre mit ZustimmungRoms
unternommene Ubersetzung des Ordinarium missae
sowie des Proprium de tempore und de Sanctis ins
Kirchenslawische den A.n K. Fur ihre Ubersetzung
schuf en sie die glagolitische Schrif t ; nach ihr heifit der
A. K. auch Glagolitischer Kirchengesang. Fur den A.n
K. romischer Liturgie sind als einziges Zeugnis aus
der Zeit der Slawenapostel die Kiewer Sacramentar-
Fragmente erhalten. Sie bieten Texte des Ordinarium
missae, iibersetzt nach einer Fassung des Missale (wie
sie zu jener Zeit in der Erzdiozese Salzburg und im
Patriarchat Aquileja verwendet wurde) und versehen
mit Neumen vom St. Galler Typus. Es handelt sich
demnach um Texte, die im Gesangston der romischen
Kirche des 7./8. Jh. vorgetragen wurden (Secreta-Tex-
te). Nach dem Tode Methods wurden seine Schuler
aus der Erzdiozese Salzburg verwiesen. Sie gingen teils
nach Bohmen, wo der A. K. bis ins 11. Jh. im Kloster
Sazawa gepflegt wurde, teils nach Kroatien auf die In-
sel Krk (Veglia) und ins Kustenland. Dort erhielt sich
diese Tradition bis heute. Nachdem auf mehreren Kon-
zilien iiber die Berechtigung des A.n K.s verhandelt
worden war, erteilte Papst Innozenz IV. 1248 endgiiltig
fur Kroatien die Bewilligung, die Messe in slawischer
Sprache zu zelebrieren. Unter Kaiser Karl IV. wurden
kroatische Monche in das Prager Kloster Emaus beru-
f en, um so eine Wiederbelebung der im 1 1 . Jh. verbo-
tenen slawischen Liturgie in Bohmen zu ermoglichen.
Aus dieser Zeit des 14./15. Jh. stammen die einzigen
Kompositionen slawischer Mefitexte, die mit Melo-
dien erhalten sind. Die heute in Kroatien und Bohmen
geltende Praxis ist im Missale Romanum Slavonico idio-
mate (Rom 1905, Neuausgabe 1927) festgehalten. Auf
ihr beruht auch Janaceks "Glagolitische Messe« (1926).
- Ein Teil der Schuler Methods ging nach Bulgarien
und fiihrte dort den A.n K. nach byzantinischem Ritus
ein, der sich vom 10. Jh. an in RuGland, sparer auch in
Rumanien und Ungarn verbreitete. Die Niederschrift
erfolgte hier im kyrillischen Alphabet, das (wie schon
das glagolitische) aus dem griechischen entwickelt
wurde. Zentren des A.n K.s byzantinischer Liturgie
waren vor allem die Kloster Ochrid (in Jugoslawien)
und Preslav (in Bulgarien).
Lit.: J. Stefanelli, Liturgica lisericei ortodoxecatolice,
Bukarest 1 886 ; F. Pasternek, Dejiny slovanskych apoSto-
lu Cyrila a Methoda, Prag 1902 ; A. Baumstark, Die Messe
im Morgenland, Kempten 1906; V. Jagic, Entstehungs-
gesch.d. kirchenslavischen Sprache, Bin 1913; J. Szabo, A
gorog katolikus magyarsag utolso kalvaria utja 1896-1912,
Budapest 1913 ; F. Dvornik, Les Slaves, Byzance et Rome
au IX e s., Paris 1926; J. M. Hanssens, Institutiones Litur-
gicae de ritibus orientalibus, Rom 1930-32; J. Stanislav,
Risa Verkomoravska, Prag 1933, 2 1935; J. Vajs, Jakeho
obfadu byla slovanska liturgie, in: Pax XI, 1936, lat. in:
Acta Acad. Velehradensis VII, Olmiitz 1937; L. C. Mohl-
berg OSB, II messale glagolitico di Kiew, = Atti della
Pontificia Accad. Romana di archeologia III, 1937/38; R.
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slovesnost VI, Prag 1940; E. Koschmieder, Die ekphone-
tische Notation in kirchenslawischen Sprachdenkmalern,
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Akzentzeichen d. Kiewer Blatter, in: Slovo 4/5, Zagreb
33
amabile
1955; J. VaSica, Slovanska liturgie nove osvetleni kijev-
skymi listy (»Die slawische Liturgie in neuer Beleuchtung
durch d. Kiewer Blatter«), in: Slovo a slovesnost VI, Prag
1940; Fr. Zagiba, Dejiny slovenskej hudby (»Gesch. d.
slovakischen Musik«), PreBburg 1943 ; ders., Die Salzbur-
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LXXXVI/LXXXVII, 1947; ders., Zur Frage d. Verbotes
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Salzburg 1948; ders., Die Entstehung d. slavischen litur-
gischen Gesanges im 9. Jh., Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders.,
Die deutsche u. slavische Choraltradition, KmJb XXXVII,
1953; ders., Die »Conversio Bagoariorum et Carantanor-
um« als mg. Quelle, Miscelanea en homenaje H. Angles II,
Barcelona 1958-61 ; ders., Der Cantus Romanus in lat.,
griech. u. slavischer Kultsprache in d. Karolingischen Ost-
mark, KmJb XLIX, 1960; E. Wellesz, Eastern Elements
in Western Chant, = Monumenta Musicae Byzantinae,
Subsidia II (= American Series I), Boston 1947; E. Ivan-
ka, Ungarn zwischen Byzanz u. Rom, in : Blick nach Osten
II, Wien 1949; E. Georgiev, Kiril i Metodij, Sofia 1956;
Kl. Gamber, Das glagolitische Sakramentar d. Slaven-
apostel Cyrill u. Method u. seine lat. Vorlage, in: Ostkirch-
liche Studien VI, 1957; D. Stefanovic, Einige Probleme
zur Erforschung d. slavischen Kirchenmusik, KmJb
XLIII, 1959; St. Smrzik, The Glagolitic or Roman-Sla-
vonic Liturgy, Rom 1959 ; Fr. Grivec, Konstantin (Cyrill)
u. Method, Wiesbaden 1960. FZ
amabile, amabilmente (ital.), liebenswiirdig, lieb-
lich, freundlich, Charakterbezeichnung, die einen sanf-
ten, gefalligen Vortrag fordert.
Ambitus (lat.), der Umfang einer Melodie (Entfer-
nung des hochsten vorkommenden Tons vom tiefsten),
einer Stimme oder eines Instruments. Der A. der
-*■ Kirchentone entscheidet weitgehend dariiber, ob es
sich um einen Tonus authenticus oder plagalis, com-
positus oder mixtus handelt.
Ambo (griech. <5tu.(3a>v, von avaf3aiv<o, hinaufsteigen),
Vorlaufer der Kanzel, namlich ein erhohtes, spater mit
Lesepult und Brustung versehenes Podium in friih-
christlichen und mittelalterlichen Kirchen, bestimmt
zum feierlichen Vortrag von Lektionen, liturgischen
Gesangen, vereinzelt auch der Predigt. Entweder frei-
stehend oder in die Chorschranke eingebaut, besaB er
einen, haufig auch zwei Aufgange, auf deren Stufen (in
gradibus ambonis) das darum so genannte Graduale
gesungen wurde.
Ambofi (engl. anvil; frz. enclume; ital. incudine), ent-
weder ein echter A. oder auch eine langliche Stahl-
platte (auch -rohre), die liegend in einem Kasten ange-
bracht ist. Der Anschlag erfolgt mit einem Hammer
aus Metall. Die Stimmung differiert je nach GroBe,
etwa von f '-a 3 ; die Notierung erfolgt eine oder 2 Ok-
taven tiefer. R.Wagner schreibt in Rheingold 3 A.-
Gruppen (F-f-f • notiert) vor. Orff verlangt in Antigonae
einen kleinen A. (notiert a 2 ). Gelegentlich findet man
auch einen A. mit unbestimmter Tonhohe verwendet.
Ambrosianischer Gesang, eine der vier groBen li-
turgischen Gesangstraditionen der lateinischen Kirche
(neben dem Gregorianischen, Gallikanischen und Moz-
arabischen Gesang), heute noch giiltig als liturgischer
Gesang der mailandischen Kirchenprovinz, gepflegt
auch in den sogenannten Ambrosianischen Talern (die
Taler Leventina, Blenio und Riviera im Schweizer
Kanton Tessin ; 57 Pf arreien mit ambrosianischem Ri-
tus in Messe und Offizium). Er war in fruherer Zeit
iiber den groBten Teil Oberitaliens verbreitet, hatte
daneben im 14. Jh. eine Pflegestatte im Ambrosius-
kloster in Prag, das auf Wunsch seines Griinders (Karl
IV.) Offizium und Messe nach ambrosianischer Tra-
dition feierte. Im Bistum Augsburg, das urspriinglich
der Metropole Mailand unterstellt war, wurde bis 1584
eine aus ambrosianischem und romischem Ritus ver-
mischte Liturgie gefeiert. - Der Gesang der Mailander
Kirche ist nach dem Bischof ->Ambrosius (333-397)
benannt, wird aber erst seit dem 8. Jh. mit seinem
Namen in Verbindung gebracht. Wenn Ambrosius
auch entscheidenden EinfluB auf die Geschichte des
liturgischen Gesangs nahm (-> Antiphon, -> Hymnus),
ist doch die Regulierung und Fixierung der Mailander
Liturgie und ihres Gesanges nicht sein Werk. Noch zu
seiner und des Augustinus (354—430) Zeit begann die
Opferfeier erst mit den Lesungen, so daB die davorlie-
genden Gesange (wie die Ingressa) sich als spatere Ein-
fiihrungen erweisen. Die alteste bekannte Quelle fur
den A.n G. ist das aus dem 12. Jh. stammende (unvoll-
standige) Antiphonarium Ambrosianum des British
Museum in London (Cod. add. 34209). In den mittelal-
terlichen Quellen des A.n G.s sind - im Gegensatz zum
Gregorianischen Gesang - Antiphonarium missae und
Antiphonarium officii nicht voneinander getrennt.
Hauptgesangsstucke der Mailander Messe sind: die In-
gressa, eine dem romischen Introitus entsprechende An-
tiphon, aber ohne Psalm vers und ohne Doxologie ; der
Psalmellus mit Versus (Gegenstiick des romischen Gra-
dualresponsorium) ; das Alleluia mit einer nur be-
schrankten Zahl von Melodien, in der Fastenzeit er-
setzt durch den dem romischen Tractus entsprechenden
Cantus ; die Antiphona post evangelium (ohne Versus) ,
die in der romischen Messe ohne Entsprechung bleibt ;
das Offertorium (oder Offerenda), wie im Gregoriani-
schen Gesang von mehr responsorialem als antiphona-
lem Charakter; das Confractorium, eine vor dem Pa-
ter noster gesungene Antiphon ohne Versus an der
Stelle des Agnus Dei im Gregorianischen Gesang (die-
ses letztere findet sich im ambrosianischen Ritus nur in
der Totenmesse) ; das Transitorium als Gegenstiick der
romischen Communio. Von den gregorianischen Re-
zitativen mit ihrem QuintschluB unterscheiden sich die
mailandischen, die in der mittelalterlichen Tradition
weder Initium noch Mediante kennen, durch ihren
QuartschluB. In der Psalmodie ist bei dem auf die An-
tiphon folgenden Psalm die relativ grofie Freiheit in
der Wahl des Rezitationstons auffallend. - Innerhalb
der 4 Choralrepertoire scheinen sich einerseits das galli-
kanische und das mozarabische, andererseits das mailan-
dische und das altromische zu stilistisch verwandten
Gruppen zusammenzuschlieBen. Die beiden letzteren,
die eine ganze Reihe gemeinsamer Melodien besitzen,
unterscheiden sich stark von der neuromischen Fassung
des Gregorianischen Gesangs (2. Halfte des 7. Jh.). DaB
der A. G. im Laufe des Mittelalters mit Elementen des
romischen Gesangs durchsetzt und sein Gultigkeitsbe-
reich mehr und mehr eingeschrankt wurde, ist auf po-
litische Ereignisse und die wiederholten Versuche sei-
ner Beseitigung zuruckzufiihren, denen sich die mai-
landische Kirche energisch widersetzte. Nach dem Be-
richt des Landulfus (2. Halfte des 11. Jh.) geht ein erster
Angriff gegen den A.n G. auf die Einheitsbestrebungen
Karls des Grofien zuriick, wobei alle erreichbaren litur-
gischen Biicher verbrannt oder entfuhrt wurden. Die-
ser Versuch war ebenso erfolglos wie der des im Auf-
trag von Papst Nikolaus II. handelnden Petrus Damia-
nus (1059) und ein weiterer von Papst Eugen IV.
(1440). Noch im 16. Jh. hatte der Mailander Bischof
Karl Borromaus die lokale Tradition gegen den spani-
schen Statthalter Ayamonte (1573-80) zu verteidigen.
Seither blieb die Pflege des A.n G.s unangef ochten. Sei-
ne heute offiziell gultige Fassung enthalt das Antipho-
nale Missarum juxta ritum s. eccl. Mediolanensis (Rom
1935) und der Liber Vesperalis juxta ritum s. eccl. Medio-
lanensis (Rom 1939).
34
Anabole
Ausg. : Antiphonarium Ambrosianum du Musee Britanni-
que, XII € s., Cod. add. 34209, in: Paleographiemus., Serie
1, V u. VI, Solesmes 1896 u. 1900.
Lit. : Beroldus, sive Ecclesiae ambrosianae mediolanensis
Kalendarium et ordines s. XII, hrsg. v. M. Magistretti,
Mailand 1894; A. Kienle, Uber ambrosianische Liturgie
u. A. G., in: Studien u. Mitt, aus d. Benedictiner- u. d.
Cistercienser-Orden V, 1884, separat: Raigern 1884; L.
Duchesne, Origines du culte Chretien, Paris 1889, 51909
(vgl. auch L. Duchesne in : Rev. d'hist. et de lit. religieuse,
Paris 1900, April, S. 31); Fr. A. Gevaert, Les origines du
chant liturgique de l'6glise lat., Gent 1890, deutsch v. H.
Riemann, Lpz. 1891 (dazu: VfMw VII, 1891, S. 116); G.
Morin, Les veritables origines du chant gregorien, Mared-
sous 1890; A. M. Ceriani, Notitia liturgiae Ambrosianae,
Mailand 1895; P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregoriani-
schen Melodien I, Freiburg i. d. Schweiz 1895, 21901, Lpz.
31911, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; A.
Mocquereau OSB, Notes sur l'influence . . . dans le chant
ambrosien, = Ambrosiana IX, Mailand 1897; W. C. Bi-
shop, The Mozarabic and Ambrosian Rites : Four Essays
in Comparative Liturgiology, hrsg. v. C. L. Feltoe, London
1 924 ; E. Jammers, Rhythmische u. tonale Studien zur Mu-
sik d. Antike u. d. MA II, AfMf VIII, 1943 ; Br. Stablein,
Ambrosianisch-Gregorianisch, Kgr.-Ber. Basel 1949; H.
Hucke, Die gregorianische Gradualeweise d. 2. Tons u.
ihre ambrosianischen Parallelen, AfMw XIII, 1956; M.
Huglo OSB, L. Agustoni, E. Cardine OSB, E. Moneta
Caglio, Fontiepaleografia del canto ambrosiano, = Arch.
Ambrosiano VII, Mailand 1956 ; H. Husmann, Zum GroB-
aufbau d. Ambrosianischen Alleluia, AM XII, 1957; E.
Moneta Caglio, I Responsori ,cum infantibus' . . ., in:
Studi in onore di Mons. C. Castiglione, Mailand 1957;
R. H. Jesson, Ambrosian Chant, in: W. Apel, Gregorian
Chant, Bloomington (1958).
Ambrosianischer Lobgesang -> Te Deum.
Amener (amn'e; frz. amener, heranfiihren), aus
Frankreich stammender Tanz des 17. Jh. ; Beispiele fin-
den sich u. a. bei Pezel (1669), Gradenthaler (1675),
J. C. F. Fischer, Biber. Vgl. den A. von A.Poglietti
(DTO XXVIII, 2, S.63):
!>: - \>. , , - ,*•
Amerikanische Musik ->- L a t e i n a m e r i k a , ->• U S -
amerikanische Musik.
Amerikanische Orgel (Cottage Organ), ein -> Har-
monium, das nicht durch komprimierte ausstromende,
sondern durch verdiinnte eingesogene Luft die Zun-
gen zum Ansprechen bringt und daher nicht so grell
klingt. Die iiber den starker gebogenen Zungen ange-
brachten Windkanale sind den Zungen langengleich.
Die A.O. ist meist mit einer ->-Vox humana-Stimme
und einem Knieschweller ausgestattet. Sie scheint
(1835) von einem Arbeiter der Harmoniumfabrik J.
Alexandre in Paris erfunden worden zu sein, der nach
den USA auswanderte. Die A.O. wurde verbreitet in
Amerika ab 1860 durch die Firma Mason & Hamlin in
Boston, in Deutschland ab 1889 durch die Firma K. Th.
Mannborg in Borna (Sachsen), spater Leipzig.
Amiens (Somme).
Lit.: G. Durand, La musique de la Cathddrale d'A., A.
1922; P. Leroy, La Soc. des Concerts d'A., Bull, de la Soc.
des Antiquaires de Picardie, 1 948 ; J. Nattiez, Melanges de
critique et d'hist. La renaissance mus. a A. au XIX e s., A.
1954.
AMMRE (AMRE), Anstalt fur mechanisch-musikali-
sche Rechte, ehemalige Anstalt, die sich mit der Ver-
wertung der mechanischen Rechte durch Vergebung
von Lizenzen an Hersteller befaBte und die damit ver-
bundenen Kontroll- und Inkassoarbeiten besorgte. Die
Gesellschaft wurde von den Musikverlegern 1909 als
GmbH gegriindet. Ihre beiden Gesellschafter waren
bis 1936 zu gleichen Teilen der Deutsche Musikalien-
verlegerverein (DMVV) und die Societe Generale In-
ternationale de l'Edition Phonographique et Cinema-
tographique (EDIFO), Paris. 1935 wurde die Anstalt
von den deutschen Berufsorganisationen der Kompo-
nisten, Textdichter und Musikverleger ubemommen,
nachdem seit 1933 in Deutschland Bestrebungen be-
standen, die AMMRE in eine rein deutsche Gesell-
schaft umzuwandeln. 1938 wurde die Anstalt sodann
der STAGMA (-»■ GEMA) als Abteilung angegliedert.
Seit der Umbenennung der STAGMA in GEMA war
die AMMRE als AMRE eine Abteilung dieser Gesell-
schaft, bis sie 1963 unter Aufgabe des Namens aus or-
ganisatorischen Grunden ganz in die GEMA tiberge-
gangen ist.
Lit. : E. Schulze, Das deutsche Urheberrecht an Werken
d. Tonkunst u. d. Entwicklung d. mechanischen Musik,
Bin 1950; ders., Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche
Urheberrechtsges., Bin 2 1956; ders., Die Zwangslizenz,
Ffm. 1960; GEMA, Magnettongerate u. Urheberrecht,
Slg v. Rechtsgutachten, Munchen u. Bin 1952.
Amorschall (Klappenhorn), ein Waldhorn mit (ver-
mutlich 2) Klappen; die Stiirze hat die Gestalt einer
Halbkugel. Ein durchlocherter Deckel gleicher Ge-
stalt kann iiber den Trichter gestiilpt werden, um die
Stimmung zu verandem. Der Erfinder des A. ist K61-
bel (Petersburg, um 1760). Seine Erfindung vermochte
sich zunachst nicht durchzusetzen. Erst durch die mit
Klappenmechanik ausgestatteten Signalhorner des 19.
Jh. trat die Kolbelsche Erfindung in veranderter Form
ans Licht. - Der Name A. wurde offensichtlich wegen
der halbkugelformigen Deckung des Trichters analog
dem -»• LiebesfuB bei Holzblasinstrumenten gewahlt.
Amplitude -> Schwingung.
Amsterdam.
Lit. : D. Fr. Scheurleer, Het Muziekleven van A. in de
17 e Eeuw, in: A. in de 17 e Eeuw III, Den Haag 1904; S. A.
M. Bottenheim, Muziek te A. gedurende de achttiende
eeuw, A., = Zeven eeuw A., hrsg. v. A. E. d'Ailly, Teil IV
(um 1945); ders., Geschiedenis van het Concertgebouw,
I— III, A. 1948-50; A. W. Ligtvoet, Muziekinstr. uit het
Rijksmuseum te A., Den Haag 1952.
Amusje, pathologischer Ausfall (Mangel oder Ver-
lust) der musikalischen ->• Begabung, oft schon der
Auffassungsfahigkeit (sensorische A.) oder aber der
Gestaltungsfahigkeit (motorische A.), meist auf er-
worbener, selten auf angeborener Grundlage (Hirn-
schadigungen). Im weiteren Sinne werden zur A. auch
umschriebene »periphere« Storungen oder Defek-
te (->• Parakusis) des Gehororgans oder der Nervenlei-
tung gerechnet. Pathologische Formen der A. ent-
ziehen sich nicht selten der Beobachtung, weil die
Storung vielfach fiir den Patienten nicht lebenswichtig
ist und ihm kaum auffallt.
Anabasis (griech., Aufstieg; lat. ascensio, ascensus),
eine in der Musiklehre des 17.-18. Jh. (Kircher 1650,
Janowka 1701, Vogt 1719, Walther 1732, Spiefi 1745)
gelaufige Bild- und Affektfigur: die prononciert auf-
warts fiihrende melodische Bewegung. Sie wird ange-
wendet bei Textstellen wie Er ist auferstanden oder der
soil erhohet werden. Die entgegengcsetzte Figur ist die
->■ Katabasis. Ascensus wird in der Rhetorik auch fiir
-> Climax bzw. Gradatio gebraucht.
Anabole (griech., Anfang), seit Pindaros (5. Jh. v.
Chr.) bezeugt fiir Einleitung eines Gesanges, ahnlich
->Prooemium; im 16. Jh. humanistische Bezeichnung
fiir ein frei praludierendes Instrumentalstiick, so die
'AvafSohj in fa von Kotter.
35
Anacaria
Anacaria (lat.) -»■ Nacaire.
Anacrouse (anakr'u:z, frz. ; von griech. ixvaxpouoi^,
Aufschlag) ->■ Auf takt.
Anadjplosis (griech., Verdopplung), in der Kompo-
sitionslehre des 17.-18. Jh. eine emphatische Wieder-
holungsfigur. In der Rhetorik ist eine A. gegeben, wenn
das Wort, das den Schlufi des einen Satzes macht, gleich im
Anfang desfolgenden wiederholet wird (Gottsched). Ahle
(1697 und nach ihm Walther 1732 und SpieB 1745)
gibt als Beispiel Singet und riihmet / riihmet und lobet,
und Vogt erklart: A., cum initiumfacimus ex praecedentis
fine, ut:
Finis periodi Principium alterius
Er unterscheidet von der A. noch die Epanadiplosis,
die er als Wiederholung der Anfangswendung eines
Abschnittes am SchluB beschreibt (also gleichbedeu-
tend mit -> Complexio). - Burmeister (1606) hingegen
definiert die A. als eine doppelte ->- Mimesis; hierbei
besteht die Anlehnung an die Rhetorik nur in der un-
mittelbaren Wiederholung.
Analepsis (griech., Aufnahme, Wiederholung), in
der Kompositionslehre des 17.-18. Jh. eine im AnschluB
an die rhetorische Figur der ->-Epanalepsis durch Bur-
meister (1606) gebildete Bezeichnung £iir eine musika-
lisch-rhetorische Figur: Aufeinanderfolge zweier Noe-
men (-»■ Noema), die im Unterschied zur ->• Mimesis
auf gleicher Tonhohe stehen. Das die musikalische Fi-
gur der A. und die rhetorische Epanalepsis verbindende
Moment ist die Wiederholung.
Analyse (griech. liviiXuctt?) ist die Auflosung eines
Gegebenen in seine Bestandteile oder Voraussetzun-
gen. (Die Analytiken des Aristoteles behandeln, im
Unterschied zur Topik, der »Findekunst«, die Reduk-
tion von Schliissen auf ihre Pramissen.) Unter einer
musikalischen A. wird generell die Zuruckiiihrung
von Werken auf ihre rhythmischen, harmonischen
oder formalen Elemente und Prinzipien, speziell die
Formen-A. verstanden. Die technisch-asthetische A. von
Musikwerken ist die Untersuchung ihres formalen Aufbaues
nach ihrer Gliederung in Themen, Phrasen und Motive und
deren Verkettung und Umbildung, Feststellung des Perio-
denbaues, der Modulationsordnung usw., der Inbegriffwirk-
licher musikalischer Formenlehre (Riemann). - Eine Vor-
stufe der A. bildete die Kritik satztechnischer Details;
sie war entweder von didaktischen (J. Tinctoris) oder
von polemischen Absichten getragen (M. Scacchi,
Cribrum musicum, 1643). Ein Einzelfall einer umfassen-
den A. ist J. Burmeisters Beschreibung der modalen
Struktur, der formalen Gliederung und der musikali-
schen Rhetorik (-> Figuren) einer Motette von Lassus
(Musica poetica, 1606). Zur literarischen Gattung wur-
de die Werk-A. in der musikalischen Publizistik des
18.Jh., die vom Interesse des aufgeklarten Publikums
an rationaler und empirischer Begriindung des Gege-
benen getragen wurde (J.Matthesons Kritik der Johan-
nes-Passion von Handel, Critica musica II, 1725). Ein
Modell der Formen-A. bildete die Gerichtsrede; ihr
Schema wurde von Mattheson (1739) in einer Arie
von B. Marcello, von J.N. Forkel (1788) in der Sona-
tenform wiedererkannt. Die Vorbilder der musikali-
schen A. im 19. Jh., E.T. A. Hoffmanns Aufsatz iiber
Beethovens 5. Symphonie und Schumanns Kritik der
Symphonie fantastique von Berlioz, verbinden eine Be-
schreibung der Form und der Struktur mit einer Cha-
rakteristik der besondern Idee und des Geistes, der uber
Form, Staff und Idee waltet (Schumann). - H. Riemann
trennte die A., fur die er eine differenzierte Termino-
logie entwickelte, von der ->Hermeneutik. Die For-
men-A. umfaBt, wenn unter Form der Zusammenschlufi
der Teile des Kunstwerks zum einheitlichen Ganzen (Rie-
mann) verstanden wird, auBer einer Beschreibung der
Umrisse und Proportionen und der motivisch-thema-
tischen Entwicklung auch die harmonische, satztech-
nische und rhythmisch-metrische A. Im Gegensatz zu
Riemanns Verfahren, die Struktur eines Werkes aus
den Funktionen und Beziehungen der Teile und Ele-
mente zu erklaren, betont die energetische Interpretation
den ubergreifenden Bewegungszug (E.Kurth) und die
Verlaufsspannung und Verlaufskurve (K.Westphal) mu-
sikalischer Vorgange, die Gestalttheorie die unmittel-
bar gegebene Einheit eines musikalischen Ganzen, die
Wirkungsform statt der Daseinsform (A.Hildebrand).
Man kann die Gestalttheorie als Gegensatz zur A., aber
auch als deren Erganzung verstehen, denn um zeigen
zu konnen, daB das Ganze einer Melodie mehr sei als
die Summe der Tonbeziehungen, muB man die Sum-
me zuvor gezogen haben. Der Methode Riemanns
liegt das Modell einer Rede, einer dialektischen Entwick-
lung (Riemann) zugrunde, der energetischen Erklarung
die Vorstellung eines Kraftespiels, dem Aufdecken von
»Substanzgemeinschaften« der Themen und Motive
(A. Halm, H.Mersmann, W. Engelsmann) die Idee
eines Organismus, der sich aus einem Keim entfal-
tet. H. Schenker erklart den musikalischen Zusammen-
hang eines Werkes durch Reduktion des Vordergrundes
auf einen Hintergrund; eine Urlinie, z. B. ein Terzzug
(e-d-c), bildet das verborgene Tongeriist, von dem die
Ereignisse des musikalischen Vordergrundes getragen
werden. - Aus der Erkenntnis der historischen und der
ethnologischen Forschung, daB Begriffe wie Motiv
und Thema in ihrer Geltung begrenzt werden miissen,
wenn sie nicht ihren Inhalt verlieren sollen, konnen
verschiedene Konsequenzen gezogen werden. Will
man nicht an der gewohnten Nomenklatur festhalten
und durch bloBe Anf uhrungsstriche den uneigentlichen
Gebrauch der Termini anzeigen, so muB man entwe-
der die Terminologie, die der A. zugrunde liegt, histo-
risch verstehen, also Veranderungen des Begriffsin-
halts auf Veranderungen der Sache beziehen, oder aber
versuchen, ein Begriffs- und Zeichensystem zu ent-
werfen, das geniigend differenziert ist, um ohne Um-
deutungen der Vielfalt geschichtlicher und ethnischer
Sachverhalte gerecht zu werden (-> Interpretation).
Lit.: I. Krohn, Uber d. Methode d. mus. A., Kgr.-Ber.
Wien 1909; H. Riemann, L. van Beethovens samtliche
Klaviersonaten, Asthetische u. formaltechnische A. mit
hist. Notizen, 3 Bde, = M. Hesses illustrierte Hdb. LI-
LHI, Bin 1918-19, "1920; G. Becking, »H6ren« u. »Ana-
lysieren«, ZfMw I, 1918/19; A. Schering, Mus. Bildung,
Lpz. "1924; ders., Mus. A. u. Wertidee, JbP XXXVI, 1929 ;
H. Mersmann, Versuch einer Phanomenologie d. Musik,
ZfMw V, 1922/23; E. Kurth, A. Bruckner, 2 Bde, Bin
(1925) ; A. Halm, Uber d. Wert mus. A., Mk XXI, 1928/29 ;
W. Engelsmann, Beethovens Kompositionsplane, Augs-
burg 1931 ; W. Danckert, Beitr. zur Bach-Kritik, Kassel
1934; H. Schenker, Neue mus. Theorien u. Phantasienlll,
Wien 1935, 21956; D. Fr. Tovey, Essays in Mus. Analysis,
6 Bde, London 1935-39; H. Grabner, Lehrbuch d. mus.
A., Lpz. o. J.; H. Federhofer, Beitr. zur mus. Gestalta.,
Graz 1950; ders., J. N. Davids A. v. Werken J. S. Bachs,
AfMw XIX/XX, 1962/63; R. Reti, The Thematic Process
in Music, NY 1951; G. GCldenstein, Synthetische A.,
SMZ XCVI, 1956; R. Traimer, Zum Problem d. mus.
Werka., NZfM CXVII, 1956; H. Keller, Functional
Analysis, MR XVIII, 1957; ders., Wordless Functional
Analysis, MR XIX, 1958 ; J. LaRue, A System of Symbols
for Formal Analysis, JAMS X, 1957; W. Fucks, Mathe-
matische A. d. Formalstruktur v. Musik, Koln u. Opladen
1958; Br. Nettl, Some Linguistic Approaches to Mus.
Analysis, Journal of the International Folk Music Council
X, 1 958 ; E. T. Cone, Analysis Today, MQ XLVI, 1 960 ; F.
36
Andante
Salzer, Strukturelles Horen, Wilhelmshaven 1960; I.
Bengtsson, On Relationships between Tonal and Rhyth-
mic Structures in Western Multipart Music, STMf XLIII,
1961; H. Goldschmidt, Zur Methodologie d. mus. A.,
Beitr. zur Mw. Ill, 4, Bin 1961 ; R. Smith, This Sorry
Scheme of Things . . ., MR XXII, 1961 ; W. Kolneder,
Visuelle u. auditive A., in: Der Wandel d. mus. Horens,
Bin 1962. CD
Ananeanes. Der byzantinische Kirchengesang stellt
einem Gesang oder einer Strophe zuweilen melodische
Formeln voran, die die wichtigsten Intervalle der Ton-
art auf gedrangtem Raume zusammenf assen. Sie heiflen
rjXT)U.a, auch EV7)x?)|ia oder a7nf)x?)(Aa. Die Worter oder
Silbenfolgen, auf die diese Formeln gesungen werden,
sind nicht erklart und nicht iiberall gleich iiberliefert;
Wellesz nennt: ananeanes (I. authentischer Kirchen-
ton), neanes (II. auth.), nana (III. auth.), hagia (IV.
auth.), aneanes (I. plagialer Kirchenton), neeanes (II.
pi.), aanes (III. pi.), neagie (IV. pi.). Auch die Herkunft
dieser Worter ist unklar; Werner verweist auf he-
braisch nin'ua', Triller, Melisma, Riemann auf die an-
tike griechische Solmisation mit te xa -rrj tu, Wellesz
auf Silben oder Worter ohne Bedeutung, wie sie in
alterer und neuer Cantillation verschiedentlich einge-
schaltet werden. Die Technik, langere Melismen auf
anene, nenena und andere Silbenfolgen zu singen, war
auch in Rufiland (wo sie Anenaika oder Chomonie
hiefl) bekannt.
Lit.: O. Fleischer, Die spatgriech. Notenschrift, = Neu-
menstudien III, Bin 1904; H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2,
Lpz. 1905, S. 57ff.; ders., Te Ta Tn Tco u. No E A Ne,
ZIMG XIV, 1912/13, S. 273ff.; O. v. Riesemann, Die No-
tationen d. altruss. Kirchengesanges, Moskau 1908, auch
= BIMG II, 8, Lpz. 1909; H. J. W.Tillyard, Hdb. of the
Middle Byzantine Notation, = Monumenta Musicae By-
zantinae, Subsidia I, 1, Kopenhagen 1935; L. Tardo,
L'antica melurgia bizantina, Grottaferrata 1938; G. Ree-
se, Music in the MA, NY 1 940 ; E. Werner, The Psalmodic
Formula Neannoe . . ., MQ XXVIII, 1942; O. Strunk,
Intonations and Signatures of the Byzantine Modes, MQ
XXXI, 1945; E. J. Wellesz, A Hist, of Byzantine Music
and Hymnography, Oxford 1949, 21961.
Anaphora (griech., Wiederholung; lat. repetitio,
auch relatio), in der Kompositionslehre des 17. und 18.
Jh. eine im AnschluB an die Rhetorik erklarte musikali-
sche Figur. In der Rhetorik ist A. die Wiederholung
eines Wortes zu Beginn aufeinanderfolgender Satzab-
schnitte oder Satze. Burmeister (1606) beschreibt die A.
als Durchfiihrung (Wiederholung) eines Soggetto nur
in einigen Stimmen, Thuringus (1625) im AnschluB an
Burmeister (1599) als ostinate Fiihrung des Basses; in
letzterer Bedeutung (dergleichen in Ciaconen geschiehet)
wird sie von Walther (1732) unter Punkt 2) iibernom-
men. Kircher (1650) definiert die A. : cum ad energiam
exprimendam una periodus saepius cxprimatur, ahnlich
Walther (1732) : wenn ein periodus, oder auch nur ein
eintzelnes Wort, absonderlichen Nachdrucks halber, in einer
Composition qffters wiederholet wird.
Anaploke (griech., Verflechtung) nennt Burmeister
1606 eine musikalisch-rhetorische Figur: in mehrcho-
rigen Satzen wird ein — »■ Noema ein oder mehrereMale
derart wiederholt, daB zugleich mit der Klausel von
Chorus I der Beginn des Noemas in Chorus II erklingt
usw. Burmeister schuf die Bezeichnung A. in Anleh-
nung an die Ploke der Rhetorik ; diese ist die Wieder-
holung eines gleichlautenden Wortes mit anderer Be-
deutung oder die Wiederholung eines Satzes mit Um-
stellung der Worter.
Anblasen, s. v. w. entgegen- oder herabblasen, ge-
schah vom Turme herab mit Trompeten zur Meldung
und Ehrung herannahender Fremden, so belegt fur
Niirnberg um 1620: die Raisigen . . . melden, vnd bifi in
die Statt herein anblasen (Moser, S. 37) und am Ernestini-
schen Hof 1653 : dehr Turmbldser, welcher unfi angeblasen
(Aber, S.150). Das A. war aber nicht nur Sache der
Hoftrompeter und der Trompeterzunfte an freien
Reichsstadten, sondern gehorte - so wie das ->■ Abbla-
sen - zu den Pflichten der Tiirmer und Stadtpf eifer : sie
sollen wache uffm Thorme halten . . . und wan Reuter am
tage aus oder einziehen, dieselben der Stadt zu ehren, mit
der Trommete melden, unnd anblasen, so fur Halle 1571
(Serauky, S. 281).
Lit. : H. J. Moser, Die Musikergenossenschaften im deut-
schen MA, Diss. Rostock 1910; A. Aber, Die Pflege d.
Musik unter d. Wettinern u. wettinischen Ernestinern,
.= Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biicke-
burg IV, 1, Buckeburg u. Lpz. 1921 ; W. Serauky, Mg. d.
Stadt Halle I, = Beitr. zur MusikforschungI, Halle u. Bin
1935.
Andalusien.
Lit.: M. de Falla, El canto jondo: canto primitivo anda-
luz, Granada 1922, frz. in: RM IV, 1923 ; J. Ribera y Tar-
rago, La musica andaluza medieval ..., 3 Bde, Madrid
1923-25; F. Cuenca, Galeria de miisicos andaluces con-
temporaneos, La Habana 1927; C. u. P. Caba, Andalucia,
su comunismo y su cante jondo, Madrid 1933; W. Starkie,
The Gypsy in Andalusian Folk-lore and Folk-music, Proc.
Mus. Ass. LXII, 1936; ders., Auf Zigeunerspuren, Miin-
chen 1957; M. J. Kahn, Chant populaire andalou et mu-
sique synagogale, in: Cahiers d'art, Nr 5-10, XIV, 1939;
I. Rodriguez Mateo, La copla y el cante popular en An-
dalucia, Sevilla 1946; R. Menendez Pidal, Cantos ro-
manicos andalusies cintinuadores de una lirica lat. vulgar,
Boletin de la Real Acad. Espafiola XXXI, 1951; A. Ba-
lough, Cante jondo. Su origen y evolucion, Madrid 1955;
B. Caballero u. J. Manuel, El cante andaluz, = Colec-
ciones temas espanoles, H. 62, Madrid 2 1956; dies., An-
dalusian Dances, Barcelona 1957.
Andamento (ital., Gang), - 1) einer der Namen flir
die Zwischenspiele in einer Fuge. - 2) Bezeichnung fur
Fugenthemen von groBerer Ausdehnung (J.S.Bach,
Fuge A moll, BWV -543), deutlicher Zweiteiligkeit
(Handel, Fuge aus Belshazzar: Begin with pray'r, and
end with praise) oder in sich geschlossener Melodik
und Rhythmik (J. S. Bach, Chromatische Fuge D moll,
BWV 903), speziell im Gegensatz zum -> Soggetto,
worunter im 18. Jh. meist ein altertiimliches Thema
von stilistischer Herkunft aus dem Ricercar des 16. Jh.
verstanden wurde.
Andante (ital., gehend) ist als Tempovorschrift seit
dem spaten 17. Jh. nachweisbar (C.Pallavicino 1687)
und bezeichnet eine mittlere, gelassen ruhige Bewe-
gung, die weder als schnell noch als langsam empfun-
den wird. (Ein A. in einer Haydn-Symphonie ist nicht
an sich, sondern in Bezug auf ein vorausgcgangenes
Allegro ein »langsamer« Satz.) Es ist ohne inneren Wi-
derspruch moglich, von einem langsam gehenden (An-
dante ma adagio, Mozart K.-V. 135) oder einem lebhaf t
gehenden Zeitmafi (Andante vivace, Beethoven op. 82)
zu sprechen. - Das mittlere A.-Tempo, das z.B. durch
die (stilisierte) Allemande und die Polonaise (Mozart,
K.-V. 284) reprasentiert wird, ist im 18. Jh. ungefahr
M.M. 75 ; im 19. Jh. setzte sicK ein langsameres ZeitmaB
als Norm des A. durch. Nicht weniger wesentlich als
ein Tempo, das nicht laufend noch kriechend wirkt (Niedt
1706), ist fur den A.-Eindruck ein Rhythmus, der es zu-
laBt, auBer der schreitenden Bewegung der Zahlzeiten
auch die Unterteilungswerte, z.B. die Achtelnoten ei-
nes 4/4-Taktes, als »gehend« zu empfinden (Bach, Kan-
tate BWV 71). Auf die Unterteilungswerte scheint
sich J. G.Walthers Charakteristik des A. zu beziehen,
in der von General-Bdssen, die in einer ziemlichen Bewe-
gung sind, die Rede ist (1732; nach Brossard 1703). So-
fern im 3/4-Takt die Zahlzeit, die Viertelnote, bestim-
37
Andantino
mend hervortritt, ist A. ein mittleres ZeitmaB (Bach,
2. Brandenburgisches Konzert); wird dagegen primar
die Achtelnote als »gehend« empfunden, so nahert sich
das Tempo der iibergeordneten Viertelnoten dem
Adagio (Bach, Italienisches Konzert). Die Differenz
zwischen iiber- und untergeordneter A.-Bewegung
verscharft sich im 19. Jh. ; Weber bezieht in Euryanthe
das A.-Tempo M.M. 75 einerseits auf die Viertelnote
eines 3/4-Taktes (Nr 2, Andante con moto), anderer-
seits auf die Achtelnote eines 2/4-Taktes (Nr 5, Andan-
tino). - Zusatzbestimmungen zu A. sind nicht immer
eindeutig. Die Bezeichnung con moto (bewegt) kann
sich bei Beethoven auf die Zahlzeit (op. 138) oder den
Unterteilungswert beziehen (op. 58), und mehr im
Sinne einer Beschleunigung (op. 86) oder einer Intensi-
vierung (op. 58) gemeint sein. Die Vorschriften piii a.
und A. molto fordern ein gesteigertes A., meno a. und
A. moderato ein gemaBigtes. Wird die A.-Bewegung
als fester Gang empfunden, so bedeutet der Zusatz
molto eine Intensivierung des Nachdrucks (Haydn,
Symphonie Hob. 1, 18). Gilt dagegen ruhige Gelassen-
heit als primares Bestimmungsmerkmal des A., so ist
ein A. molto ein langsameres A. (Brahms, op. 5).
Lit. : Fr. E. Niedt, Handleitung zur Variation, wie man d.
Gb. u. dariiber gesetzte Zahlen variiren, artige Inventiones
machen . . . konne, Hbg 1 706, 2 1 72 1 ; R. Steglich, Takt u.
Tempo, DMK IV, 1939/40; ders., Uber d. Mozart-Klang,
Mozart- Jb. 1950; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich-
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959; W.
Gerstenberg, A., Kgr.-Ber. Kassel 1962. CD
Andantino (ital., Diminutiv von Andante) deutet
einen musikalischen Bewegungscharakter an, der sich
vom festeren Gang des Andante durch eine leichtere,
schwebende Akzentuierung unterscheidet. Die Mei-
nung, daB sich die Bezeichnung A. auf eine geringere
Ausdehnung der Satze beziehe, beruht, wie Mozarts
Don Giovanni erkennen laBt, auf einem MiBverstand-
nis ; und auch die Temporelation zuin Andante, die oft
als Bestimmungsmerkmal des A. angesehen wird, ist
ein sekundares Moment. Nach J.-J. Rousseau (1767)
bedeutet A. eine Verlangsamung, nach Castil-Blaze
(1821) dagegen eine Beschleunigung des Andante-
Tempos; Beethoven schrieb 1813 an G.Thomson, der
Ausdruck A. sei »von so unbestimmter Bedeutung,
daB einmal A. sich dem Allegro nahert und ein ander-
mal fast wie Adagio ist«. Der Gegensatz zwischen
Rousseau und Castil-Blaze diirfte in dem Sachverhalt
begriindet sein, daB eine leichtere Akzentuierung (ohne
Veranderung des absoluten Tempos) als MaBigung
wirkt, also als Verlangsamung des Raschen und als Be-
schleunigung des Langsamen; das Andante aber war
im friihen 19. Jh. im allgemeinen ein ruhigeres Zeit-
maB als im mittleren 18. Jh. Andererseits kennt Mozart
sowohl ein langsameres A. sostenuto e cantabile (K.-V.
316) als auch ein rascheres A. im Tempo di Menuetto
(K.-V. 236). Das einzige gemeinsame Merkmal samt-
licher A.-Satze ist ihr Bewegungscharakter.
Anemochord, eine Konstruktion des Pianofortefabri-
kanten J. J. Schnell zu Paris (1789), bei der eine Aols-
harfe mit Balgen, einer Klaviatur und Registerziigen
verbunden war. Die Idee wurde spater von F.W.M.
Kalkbrenner und auch von H. Herz wieder auf genom-
men (Piano eolien, 1851).
Anenaika -*• Ananeanes.
Angelica (and3'e:lika, ital.; frz. angelique), einegroBe
theorbierte Laute mit 17 diatonisch gestimmten Darm-
saiten: CDEFGAHc (Bordune) ; d e f g a h ci di d*
(Spielsaiten). Die A. wird nach Walther (1732) wie ein
Clavier, Ton-weise gestimmet, und soil leichter als die Lau-
te zu spielen seyn. J. Kremberg gab fur Singstimme und
A. heraus: Musicdlische Gemiiths-Ergoetzung oder Arien
... (in Tabulatur), Dresden 1689. -> Vox angelica.
Lit.: WaltherL, Artikel Angelique; J. Mattheson, Das
Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713.
Angklung, hauptsachlich in Java beheimatetes Schiit-
telidiophon, das aus zumeist drei in Oktaven abge-
stimmten Bambusrohren besteht. Die Rohren hangen
in einem Bambusgitter frei nach unten; beim Schiitteln
schlagen sie in unregelmaBiger Folge an die unterste
Gitterstange und erzeugen dabei sanftklingende Tone.
A.-Orchester, gewohnlich aus 9 oder 14 verschieden
gestimmten Instrumented zusammengesetzt, lassen die
pentatonische -»• Slendro-Skala iiber mehrere Oktaven
hinweg erklingen.
Lit. : C. McPhee, Angkloeng Gamelans in Bali, in: Djawa
XVII, 1937; J. Kunst, Music in Java, 2 Bde, Den Haag
1949.
Anglaise (agl'e:z, frz.; span, inglesa; »englischer«
Tanz), der alte, im 18. Jh. aufgekommene kontinental-
europaische Name fur Tanze, die auf den britischen
Inseln bekannt, urspriinglich Volkstanze waren und im
2- oder 3teiligen Takt verliefen (2/4, 3/4, auch 3/8).
Einige Tanze gelangten im spaten 17. Jh. von dort nach
Frankreich und erhielten hier den Namen A. Die A.,
in Deutschland auch Francaise genannt, ist zumeist
geradtaktig. Doch hat man auch andere englische Tan-
ze A.n genannt (Ballads, Contredanses - beide im 2/2-,
4/4- oder 2/4-Takt -, Hornpipes, im 3/4-, auch im 2/2-
Takt, als Kettenform auch Chaine anglaise). In der
deutschen Klaviersuite kommt die A. mitunter vor;
J. S. Bach f iigte sie in die 3. seiner Franzosischen Suiten
(BWV 814) ein. Haufig stimmt A. - bis auf den etwas
anderen Schritt - auch mit Ecossaise uberein. Die A.
kommt noch bis ins spate 19. Jh. vor.
Lit.: Mattheson Capellm. ; A. Magriel, Bibliogr. of
Dancing, NY 1936.
Anhall nennt man das Einschwingcn eines Schallvor-
ganges in einem Raum vom Beginn bis zu dem Zeit-
punkt, in dem die Schallenergiedichte im Raum einen
Grenzwert erreicht hat. Der A. kommt dadurch zu-
stande, daB dem direkten Schall nach und nach Schall-
ruckwiirfe von den Begrenzungsflachen des Raumes
folgen, deren Uberlagerung schlieBlich zu einem sta-
tionaren Zustand maximaler Energiedichte fiihrt. Je
kleiner der Raum und je groBer seine Dampfung ist,
um so kiirzer ist der A.-Vorgang.
Lit. : W. Furrer, Raum- u. Bauakustik f. Architekten, Ba-
sel u. Stuttgart 1956; L. Cremer, Statistische Raumaku-
stik, = Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik II, Stutt-
gart 1961.
Anhemitonisch (griech.), halbtonlos, -> Pentatonik.
Anonym (griech., namenlos) iiberliefert ist eine Schrif t
oder ein Musikstiick dann, wenn aus der Handschrift
oder dem Druck der Name des Verfassers nicht un-
mittelbar hervorgeht. Entweder fehlt der Name ganz,
oder er wird verborgen durch -> Pseudonym (Aristp-
xen der Jungere fur Mattheson), Anagramm (Melante
fur Telemann), Monogramm (MPC fur Michael Prae-
torius Creuzbergensis) oder Akrostichon (Anfangs-
buchstaben der 7 Bucher des Speculum musicae). Zu den
a.en Schriften zahlen auch solche, deren Zuschreibung
sich als falsch erwiesen hat (Hucbald), wobei dieSchrift
den unrechtmafiigen Namen mit dem Zusatz Pseudo
(unecht) weitertragt, oder die sich auf einen beriihmten
Theoretiker meist mit dem Zusatz secundum beziehen
(Ars discantus secundum], de Muris). A. sind Musikstiicke
auch dann iiberliefert, wenn ihr Verfasser durch Se-
kundarquellen erschlossen werden kann (die Motetten
Vitrys durch Nennung der Texte in Traktaten). A.e
Schriften werden durch Zahlen (die Anonymi I-XIII
38
bei CS III), durch Angabe der Herausgeber (Anonymus
Bellermann), durch Fundorte (Mailander Traktat)
oder durch Bibliothekssignatur (Vatikanischer Orga-
numtraktat Ottob. lat. 3025) unterschieden. - Wah-
rend in der hofischen Literatur des Mittelalters Anony-
mitat eine Ausnahme ist, bleiben bis ins spate Mittelal-
ter Musik und Musiktheorie zu einem grofien Teil a.
iiberliefert. Allerdings sind gerade wichtige, die Wand-
lung der Musik verursachende oder spiegelnde Schrif-
ten mit Verfassernamen bekannt (Guido von Arezzo,
Johannes Affligemensis, Johannes de Garlandia, Franco
von Kdln, Marchettus von Padua, Muris, Vitry). Zu
den Griinden fiir die Anonymitat gehoren neben »de-
miitiger Gesinnung« (Schwietering 1921) das Abschrei-
ben aus Vorlagen, die Berufung auf Autoritaten, das
Nachschreiben von Vorlesungen (secundum J. de Mu-
ris) und bruchstiickhafte Uberlieferung. - A.e Traktate
haben gesammelt und veroffentlicht Gerbert (1784,
GS), Coussemaker (1852, Histoire; 1864-76, CS), La-
fage (1856) und Mettenleiter (1866).
Gerbert: Anonymus I (GS I) gehort zur Reichenauer
Schule; die Musica Enchiriadis und deren Scholien
wie der Traktat De alia musica (GS I) sind a. oder miis-
sen als Pseudo-Hucbaldsche Schriften bezeichnet wer-
den; die Summa musicae (GS III) ist wahrscheinlich vor
1300 in Deutschland entstanden.
Coussemaker: Mailander Traktat (Coussemaker, Hi-
stoire), Teile bei Zaminer (1959), Varianten bei Stein-
hard (1921), Organumtraktat des 12. Jh. ; Anonymus I
(CS I) : Tractatus de consonantiis musicalibus, in Wahrheit
vom jungen Jacobus von Liittich (Bragard 1954);
Anonymus II (CS I) : Tractatus de discantu, 13. Jh., Fran-
co-Nachfolge (Wolf 1904); Anonymus III (CS I): De
cantu mensurabili, 14. Jh., lateinische Ubersetzung von
Quiconques veut deschanter (Coussemaker, Histoire; Bu-
kofzer 1954) ; Anonymus IV (CS I) : De tnensuris et dis-
cantu, iiberliefert Nachrichten liber die Notre-Dame-
Schule, nennt Perotin und Leonin, englischer Verfasser,
urn 1300 (Hiekel 1962); Anonymus V (CS I): De dis-
cantu, Satzregeln wie bei Anonymus IV, 14. Jh. (Bu-
kofzer 1954) ; Anonymus (CS II) : Tractatus de musica,
auch Lowener Traktat genannt, um 1200 (Smits
1939), fragmentarisch; zu ihm der Traktat Cuiusdam
Carthusiensis (CS II), dem Inhalt nach ins 12. Jh. ge-
horend, aber erst nach 1380 geschrieben. Anonymus
I (CS III) : De musica antiqua et nova, weitgehend iden-
tisch mit IV. Principale (CS IV) ; Anonymus II (CS
III) : De musica antiqua et nova, Notationstraktat, nach
Vitry, erwahnt die Taktpunkte des Marchettus von Pa-
dua (v. Fischer 1956); Anonymus III (Gilles 1961) und
IV (CS III) : wie Anonymus II ; Anonymus V (CS III) :
Ars cantus mensurahilis, aus der Muris-Schule (Besseler
1926), beschreibt die italienische Notation (Wolf 1904),
kennt Machaut; Anonymus VI (CS III): De musica
mensurabili (Muris-Schule, von einem englischen Ver-
fasser) ; Anonymus VII (CS III) : De diversis manieribus
in musica mensurabili, Notationstraktat, vermutlich von
einem italienischen Verfasser (v. Fischer 1956), um 1400
(v. Fischer 1959) ; Anonymi X, XI und XII (CS III) : De
minimis notulis, Tractatus de musica plana et mensurabili,
Compendium cantus figurati, drei Traktate des 15. Jh., XI
und XII sind willkiirlich getrennt (Bartha 1936);
Anonymus XIII (CS III): Tractatus de discantu, fran-
zosisch geschrieben, 14. Jh. (Bukofzer 1954) ; Anony-
mus (CS IV) : Tractatus de musica figurata et de contra-
puncto, Satze von Busnois und Jaspart.
Mehrere Traktate tragen Verfassernamen, die sich als
Irrtum herausgestellt haben. Neben dem Pseudo-Ari-
stoteles (CS I, -»-Lambertus) ist die Schrift Discantus
Positio vulgaris (CS I; Coussemaker, Histoire; Cserba
1935) zu erwahnen, die nicht von Garlandia stammt,
Anonym
sondern zum Teil vorher entstanden sein muG; eben-
falls unter dem Namen Garlandia steht die Optima in-
troductio in contrapunctum (CS III), die, weil aus dem
14. Jh. stammend, zur Hypothese eines Johannes de
Garlandia des Jiingeren verleitet hat. Auch die Princi-
palia (CS IV) sind a. (Reaney 1962) ; die Rubricae breves
des Marchettus (CS III) sind nicht von ihm (v. Fischer
1959). Die Traktate secundum Johannem de Muris
sind zum Teil Vorlesungsnachschriften, gehoren teil-
weise erst ins 15. Jh. (Arsdiscantus, CS III).
Lafage (1856) veroffentlicht einen nach ihm benannten
Organumtraktat aus dem 12. Jh. (Teile bei Handschin
1942, vollstandig hrsg. v. Seay 1957). Zu den verstreut
edierten Choraltraktaten zahlt der Anonymus Wolf
(1893), auch Anonymus Basiliensis genannt, der zur
Reichenauer Schule gehort. Zur Liitticher Schule wer-
den eine Reihe von a.en Traktaten gerechnet: Anony-
mus in Micrologum Guidonis Aretini Commentarius (Vi-
vell 1917), um 1070; Expositio de motu (Smits 1939) um
1070; Quaestiones de Musica (Steglich 1911) um 1090;
Tractatus de Musica (Smits 1939) um 1150; iiber die Zu-
sammenhange berichtet Smits (1949). Von den ver-
streut edierten Organumtraktaten seien genannt: Der
BambergerDialog.derPariser Organumtraktat (Waelt-
ner 1955) und der Kolner Traktat (Muller 1884 und
Waeltner 1955), Scholien zur Musica Enchiriadis; der
Londoner Traktat (Teile bei Schneider 1935), der Trak-
tat von Montpellier (Handschin 1930), der Vatikani-
sche Organumtraktat (Zaminer 1959). Von den ver-
streut edierten Traktaten gehoren ins 14. Jh. ein von
Wolf (1908) und ein von Angles (1958) edierter Men-
suraltraktat sowie eine Musica (Federhofer-Konigs
1962), ins 15. Jh. ein italienischer Mensuraltraktat (Ca-
rapetyan 1957), bei Bukofzer (1936) edierte englische
Diskanttraktate, ein Tractatus de musica mensurabili
(Wolf 1918) aus Breslau und Ein tutsche Musica 1491
(Geering 1962 und 1964). Aus dem friihen 16. Jh.
stammt ein unbekanntes Druckwerk (Mantuani), das
mit dem a. iiberlieferten Introductorium musices von
Cochlaeus (Riemann 1897) weitgehend ubereinstimmt,
sowie eine deutsche Kompositionslehre (Dahlhaus
1956). Unter der grofien Zahl von GeneralbaBleh-
ren linden sich einige A.e: eine Carissimi und eine
dem Fraulein von Freudenberg zugeschriebene (Ober-
dorfer 1955), zwei Anleitungen aus dem 18. Jh. (Eitner
1898), doch die Zahl ist klein. Dagegen greift der
Hang zum Verschweigen des Verfassernamens (Mer-
ker/Stammler 1958) im 18. Jh. auch auf das Musik-
schrif ttum uber.
Die mehrstimmige Musik wird bis ins 14. Jh. hinein
(Machaut) nicht mit Autorennamen notiert (Ausnah-
me: Adam de la Halle), wahrend die vorwiegend hofi-
sche einstimmige Musik wie die meiste mittelhoch-
deutsche Dichtung mit Verfassernamen iiberliefert ist.
Mehr als ein uberwiegend sakraler Zweck und Inhalt
der kiinstlerischen Aussage (Pohlmann 1962) begriin-
det die Anonymitat wohl der bis ins 13. Jh. seinem
Wesen nach a.e Vorgang mittelalterlichen Komponie-
rens (->• Discantus). DaB erst Machauts Kompositionen
mit Verfassernamen iiberliefert sind, wahrend die Mo-
tetten Vitrys zwar von Theoretikern genannt, aber in
den Handschriften mit Ausnahme dreier Stiicke in spa-
ten Codices a. bleiben, erklart sich dann wohl auch dar-
aus, daB die Machaut-Codices das gesamte lyrische und
epische Werk uberlief ern : die Musik ist ein Teil davon,
und es ist moglich, daB durch den literarischen Brauch
der Namensnennung diese in den musikalischen Be-
reich ubernommen wurde. Der f riiheste Codex mit Tre-
centomusik (->• Quellen: Rs, um 1350, v. Fischer 1956)
iiberliefert die Musik noch a. ; erst die Codices um 1400
bringen Komponistennamen, nun in groBer Zahl(fW,
39
Anonym
FP, Pit, Sq). In Frankreich sind in dem Codex Apt aus
dem spaten 14. Jh. eine Reihe Kompositionen mit Ver-
fassemamen notiert (auch MeBfragmente). Die Hand-
schrift PR I-III uberliefert 96%, Randquellen wie die
Handschrif ten Lo 37% und TuB alles a. Im 15. Jh. wird
die Nennung des Verfassers zur Regel. Zugleich setzt
die Oberlieferung falscher Namen ein. Teilweise wur-
den die Verf asser vergessen, namentlich in spaterer Zeit
sind dann die Stiicke a. uberliefert (zu Dufay: Besseler
1954), teilweise standen geschaftliche Griinde im Vor-
dergrund (Josquin, fiir dessen Beriihmtheit auch die
geringe Zahl a. uberlieferter Werke spricht), teilweise
lagen Verwechslungen mit Meistern ahnlichen Na-
mens vor (Lupus-Lupi-Hellinck). Die falschen Zu-
schreibungen reichen bis in die Zeit der Wiener Klassik
(Symphonien und Streichquartette Haydns) ; samtliche
grbBeren BibUotheken sind im Besitz a.er Symphonien
(Eitner 1898). - Im Zusammenhang mit der Uberwin-
dung der Anonymitat wachst das BewuBtsein des
Komponisten vom Eigentum an seinem Werk, dessen
Sicherung durch urheberrechtliche MaBnahmen (Nach-
druckprivilegien, Honoraranspriiche gegen Verleger)
gewahrleistet wird.
Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica,
in: CS I u. hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien
zur Mw. II, 2, Regensburg 1935; M. GerbertOSB, Scrip-
tores ecclesiastici de musica sacra potissimum . . . , 3 Bde,
St. Blasien 1784, Neudruck Graz 1905, Mailand 1931, Hil-
desheim 1963; J. Fr. Bellermann, Anonymi scriptio de
musica. Bachii senioris introductio artis musicae . . . , Bin
1841 ; Ch.-E.-H. de Coussemaker, Hist, de l'harmonie au
moyen age, Paris 1 852 ; ders., Scriptorum de musica medii
aevi . . . , 4 Bde, Paris 1864-76, Neudruck Graz 1908, Mai-
land 1931, Hildesheim 1963; A. de Lafage, Essais de
diphtherographie mus., 2 Bde, Paris 1856; D. Mettenlei-
ter, Aus d. mus. Vergangenheit bayrischer Stadte: Mg. d.
Stadt Regensburg, Regensburg 1866; H. Muller, Hue-
balds echte u. unechte Schrif ten iiber Musik, Lpz. 1 884 ; J.
Wolf, Ein a.er Musiktraktat d. 1 1 .-1 2. Jh., Vf Mw IX, 1 893 ;
ders., Gesch.d.Mensural-NotationI, Lpz. 1904;ders., Ein
a.er Musiktraktat aus d. ersten Zeit d. »Ars nova«, KmJb
XXI, 1908 ; ders., Ein Breslauer Mensuraltraktat d. 1 5. Jh.,
AfMw 1, 1918/19; H. Riemann, Anonymi Introductorium
Musicae, Mf M XXIX, 1 897 u. XXX, 1 898 ; Riemann MTh ;
R. Eitner, Biogr.-Bibliogr. Quellen-Lexikon d. Musiker u.
Musikgelehrten, 10 Bde, Lpz. 1900-04; J. Mantuani, Ein
unbekanntes Druckwerk (Das »Tetrachordum musicae«
v. Cochlaeus), = Mitt. d. osterreichischen Ver. f. Biblio-
thekswesen VI, 1902; R. Steglich, Die Quaestiones in
Musica, = BIMG II, 10, Lpz. 191 1 ; C. Vivell, Commen-
tarius Anonymus in Micrologum Guidonis Aretini, = Stu-
dien u. Mitt, zur Gesch. d. Benediktinerordens XXXV,
N. F. IV, 1914, u. Sb. Wien CLXXXV, 5, 1917; J. Schwie-
tering, Die Demutsformel mhd. Dichtung, Bin 1921 ; E.
Steinhard, Zur Friihgesch. d. Mehrstimmigkeit, AfMw
III, 1921; H. Besseler, Studien zur Musik d. MA II,
AfMw VIII, 1926; J. Handschin, Der Organum-Traktat
v. Montpellier, in : Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u.
Lpz. 1930; ders., Aus d. alten Musiktheorie, AMI XVI,
1944; H. Sowa, Ein a.er glossierter Mensuraltraktat 1279,
Kassel 1930; ders., Textvariationen zur Musica Enchiri-
adis, ZfMw XVII, 1935; R. v. Ficker, Der Organumtrak-
tat d. Vatikanischen Bibl. (Ottob. 3025), KmJb XXVII,
1932; M. Schneider, Gesch. d. Mehrstimmigkeit II, Bin
1935, Rom 2 1964; D. Bartha, Studien zum mus. Schrift-
tum d. 15. Jh., AfMf I, 1936; M. F. Bukofzer, Gesch. d.
engl. Diskants, = Slgmw. Abh. XXI, StraBburg 1936; J.
Smits van Waesberghe S J, Muziekgeschiedenis d. Middel-
eeuwen I, Tilburg 1936; ders., Some Music Treatises and
Their Interrelation, MD III, 1949; ders., Cymbala (Bells
in the MA), = Studies and Documents I, Rom 1951 ; ders.,
(Hrsg.), The Theory of Music from the Carolingian Era up
to 1400, I, Munchen u. Duisburg 1961 (RISM); R. Bra-
gard, Le Speculum Musicae du Compilateur Jacques de
Liege, MD VIII, 1 954 ; E. L. Waeltner, Das Organum bis
zur Mitte d. 11. Jh., Diss. Heidelberg 1955, maschr.; K. v.
Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen
Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen Mu-
sikforschenden Ges., II, 5, Bern (1956); ders., Zur Ent-
wicklung d. ital. Trecento-Notation, AfMw XVI, 1959 ; C.
Dahlhaus, Eine deutsche Kompositionslehre d. friihen
16. Jh., KmJb XL, 1956; A. Carapetyan, Anonimi No-
titia del valore delle note del canto misurato, CSM V, 1957 ;
A. Seay, An Anon. Treatise from St. Martial, Ann. Mus. V,
1957 ; H. Angles, De cantu organico Tratado de un autor
Catalan del S. XIV, AM XIII, 1958; H. Federhofer, Zur
hs. tlberlieferung d. Musiktheorie in Osterreich in d. 2.
Halfte d. 17. Jh., Mf XI, 1958; Merker/Stammler, Real-
lexikon d. deutschen Literaturgesch., Bin 2 1958 ; F. Blum,
Another Look at the Montpellier Organum Treatise, MD
XIII, 1959; Fr. Zaminer, Der Vatikanische Organum-
Traktat (Ottob. lat. 3025), = Miinchner Veroff. zur Mg. II,
Tutzing 1959; Anonymus IV, hrsg. u. fibers, v. L. A.Ditt-
mer, Brooklyn 1959; R. Federhofer-Konigs, Ein a.er
Musiktraktat aus d. 1. Halfte d. 16. Jh., KmJb XLV, 1961 ;
dies., Ein a.er Musiktraktat aus d. 2. Halfte d. 14. Jh.,
KmJbXLVI, 1962; A. Gilles, L'Anonyme III de Cousse-
maker, Scriptores III, MD XV, 1961 ; A. Geering, Ein
tutsche Musica d. figurierten Gesangs 1491, Fs. K. G. Fel-
lerer, Regensburg 1 962 ; Ein tutsche Musica, hrsg. v. dems.,
2 Teile, = Schriften d. literarischen Ges. Bern IX, Bern
1964; H. O. Hiekel, Zur tlberlieferung d. Anonymus IV,
AMI XXXIV, 1962; G. Reaney, Zur Frage d. Autoren-
zuweisung in ma. Musiktraktaten, Kgr.-Ber. Kassel 1962;
H. Pohlmann, Die Friihgesch. d. mus. Urheberrechts, =
Mw. Arbeiten XX, Kassel 1962. HK
Ansatz, - 1) bei Blasinstrumenten die Stellung der
Lippen beim Anblasen (frz. embouchure, was auch
->■ Mundstiick heiBt). Bei der ->■ Querflote formen die
Lippen ohne Stiitze durch ein Mundstiick ein Luf tband,
das gegen die Kante des Mundlochs geblasen wird. Bei
Doppelrohrblattinstrumenten wird entweder das Rohr
ganz in den Mund genommen (Windkapsel-A.) oder
mit Lippen und Zahnen gefaBt. Der Windkapsel-A. ist
heute nur noch im Orient iiblich; im Abendland fand
der Ubergang zum modernen A., der die Beeinflus-
sung des Tons und das tjberblasen ermbglicht, in der
1. Halfte des 17. Jh. statt. Ein ahnlicher Ubergang lag
der Beschreibung des Theophrast zufolge beim Spiel
des Aulos um 350 v. Chr. vor. Bei Instrumenten mit
Kesselmundstiick wirken die an das Mundstiick gesetz-
ten Lippen annahernd wie Gegenschlagzungen. Beim
Ansetzen werden Ober- und Unterlippe von jeweils
der Halfte des Mundstiicks bedeckt, beim Einsetzen
die Oberlippe von etwa 2/3. - 2) Beim Gesang werden
unter A. verstanden : die Einstellung der an der Stimm-
bildung beteiligten Organe, die beginnende oder en-
dende Tatigkeit der Stimmlippen und auBerdem das
Ergebnis der Tonbildung. Im engeren Sinne spricht
man je nach der Art, wie die Stimmlippen zu schwin-
gen beginnen oder enden, vom gehauchten, weichen,
gepreBten oder festen (Glottisschlag) Ein- bzw. Ab-
satz. Der Sanger zieht, um gute Intonation zu erzielen,
einen fast harten, besser festen Einsatz vor, wahrend
der Absatz weich ist, weil die Stimmlippen dabei ohne
nachfolgendes Hauchgerausch und unter schneller
Dampfung auseinandergehen. Der A. der Konsonan-
ten erfolgt im Ansatzrohr.
Lit.: zu 1): H. Hofmann, fJberd. A. d. Blechbl., Kassel 1956.
Ansatzrohr -> Stimme.
Ansbach (Mittelfranken).
Lit.: H. Mersmann, Beitr. zur A.er Mg. bis 1703, Lpz.
1916; Fr. W. Schwarzbeck, A.er Theatergesch. bis ...
1686, = Die Schaubuhne XXIX, Emsdetten i. W. 1939 ; A.
Bayer, St. Gumprechts Kloster u. Stift in A., = Veroff. d.
Ges. f. Frankische Gesch. IX, 6, Wilrzburg 1948; G.
Schmidt, Die Musik am Hofe d. Markgrafen v. Branden-
burg- A. vom ausgehenden MA bis 1806, Kassel 1956.
Anschlag, - 1) Doppelvorschlag (frz. port de voix
double; engl. double appoggiatura), bellebte Verzie-
40
Anthem
rung des mittleren und spaten 18. Jh., die zur -»■ Vor-
schlag-Gruppe gehort. Er besteht aus einer unteren
und aus einer oberen Vorschlagsnote, wird stets mit
kleinen Noten dargestellt und auf den Schlag ausge-
fiihrt. Die 2. Note mufl eine (obere oder - seltener -
untere) Nebennote sein, die 1. Note kann, als untere, in
beliebigem (haufig Terz-) Abstand zu dieser stehen. Man
unterscheidet den kurzen A. (2 gleichwertige Noten) :
und den langen (punktierten) A.,
der jedoch nur in langsamen
Satzen vorkommt:
Wahrend der kurze A. prinzipiell
unbetont ausgefiihrt wird, so daB
die Betonung der Hauptnote sich
gegen den Takt verschiebt, wird
der lange A. immer betont; bei-
de werden an die Hauptnote an-
gebunden. Der kurze A. kommt
noch in der Romantik (Chopin)
in gleicher Weise vor wie im 18. Jh. - 2) (engl. touch),
beim Klavierspiel die Bewegung der Finger, die auf
die Tasten wirkt und damit den Ton auslost; der A.
ist der -> Bogenfuhrung der Streicher vergleichbar.
Die Beobachtung, daB durch den A. die Tonquali-
tat beeinfluBt wird, wurde auch fiir das Cembalo ge-
macht (u. a. Quantz XVII, VI, 18). Die Klavierschulen
des 16.-18. Jh. gehen bei der Behandlung der Artiku-
lation auf Clavichord, Cembalo und Orgel nur am
Rande auf die Bewegungsvorgange ein. Eine von der
Bewegung her orientierte Lehre der verschiedenen
A.s-Arten entwickelten erst die Lehrwerke fiir das
Pianoforte des 19. Jh. (u. a. -> Chiroplast). Daneben
trat, hervorgerufen durch die virtuose Klaviertechnik
und die massiveren Instrumente mit groBerem Tasten-
druck, die Diskussion um den physiologisch richtigen
A. Da eine isolierte Finger- oder Handgelenktechnik
nicht mehr ausreichte, wurde auf die Kraftquellen der
grolkrcn Muskcln (Arm, Rumpf) und den »freien Fall«
der Armmasse zuriickgegriffen (Gewichtstechnik). Fiir
die moderne Klaviertechnik gilt eine bestimmte phy-
siologische Methode nicht mehr; wichtig ist der Aus-
gleich von Spannung und Entspannung sowie das Ver-
meiden isolierter Bewegung, das Erzielen eines schonen
Klaviertons, die Beherrschung einer moglichst ausgedehnten
dynamischen Skala sowie die Sicherheit in der bewufiten
Anwendung der verschiedenen Arten des Legato- und
Staccato-Spiels (Gieseking).
Lit.: zu 1): Bach Versuch II, 6; Fr. W. Marpurg, Anlei-
tung zum Clavierspielen, I, IX, 3, Bin 1755; Mozart Ver-
such ; D. G. Turk, Klavierschule IV, §§ 12-17, Lpz. u. Halle
1789,Faks.hrsg.v.E.R.Jacobi, = DMlI,23,1962.-zu2):
Quantz Versuch ; J. N. Forkel, Ueber J. S. Bachs Leben,
Kunst u. Kunstwerke, Lpz. 1802, 21855, NA v. J. M. Mul-
ler-Blattau, Augsburg 1925, Kassel 41950; A. Kullak, Die
Kunst d. A., Lpz. 1855; ders., Asthetik d. Klavierspiels,
Bin 1860, 7-81920; H. Riemann, Hdb. d. Klavierspiels, Bin
u. Lpz. 1888, 5 1916; A. Ritschl, Die Anschlagsbewegun-
gen beim Klavierspiel, Bin 1888, 21911; M. Jaell, Le tou-
cher, 3 Bde, Paris 1895-99, deutsch Bd I Lpz. 1901; E.
Sochting, Die Lehre v. freien Fall, Magdeburg 1898; E.
Caland, Die Deppesche Lehre d. Klavierspiels, Stuttgart
1897, 51921 ; R. M. Breithaupt, Die naturliche Klavier-
technik, I Lpz. 1907, 71927, II 1906, "1925; T. Matthay,
The Act of Touch, London 1905, deutsch Lpz. 1914; T.
Bandmann, Die Gewichtstechnik d. Klavierspiels, Lpz.
1907; F. A. Steinhausen, tjber d. physiologischen Fehler
u. d. Umgestaltung d. Klaviertechnik, Lpz. 1907, M929;
E. Tetzel, Das Problem d. modernen Klaviertechnik, Lpz.
1909, 31929; M. Lamm-Natannsen, Die Entwicklung d.
pianistischen Anschlagskunst, Bin 1916; W. Gieseking,
Moderne Anschlagsprobleme, Fs. d. Deutschen Akad. f.
Musik u. darstellende Kunst in Prag 1920-30, Prag 1931,
auch in: W. Gieseking, So wurde ich Pianist, Wiesbaden
1963; M. F. Schneider, Beitr. zu einer Anleitung, Clavi-
chord u. Cemb. zu spielen, Lpz. u. StraBburg 1934; W.
Krause, Der pianistische A., Graz u. Wien 1962.
Anschlufi-Motiv nennt H. Riemann ein Motiv, das
an eine SchluBwendung angehangt ist und (sie bestati-
gend oder verandernd) deren Gewicht iiberbietet, ohne
doch die Taktordnung und den Periodenbau zu storen.
Ein A.-M. ist gewissermaBen eine fortentwickelte
Weibliche Endung. Wenn Clementi (op. 4, 6) statt der
Endung (*)
f'^JHr pir J Mf i r *
das A.-M. 265
pc/ctf/ir
schreibt, so
A.-M.
hebt er damit die SchluBwirkung nicht auf, verstarkt
aber die weibliche HalbschluBbildung {T-D) durch
die Entwicklung des zusatzlichen Motivs, das aus der
SchluBwirkung herausstrebt und die Dominantbedeu-
tung verstarkt. A.-M.e zeigen im Vortrag selbstandige
dynamische Ausstattung (crescendo-stringendo nach
ihrem Schwerpunkt hin), sind aber von weiterfiihren-
den, neue Anfange bildenden Motiven dadurch unter-
schieden, daB ihr Tempo gehemmt ist.
Lit. : H. Riemann, System d. mus. Rhythmik u. Metrik,
Lpz. 1903.
Anthem ('senoam, engl., von lat. antiphona; altengl.
antefn; mittelengl. antem, antym) bezeichnet nach
einem Bedeutungswandel von Antiphon zu Motette
seit der Mitte des 16. Jh. im allgemeinen die national-
sprachliche geistliche, liturgisch nicht gebundene, meist
iiber Bibeltexte komponierte Chormusik Englands,
die haufig im Morgen- und Abendgottesdienst der
anglikanischen Kirche gesungen wurde (z. B. nach der
dritten Kollekte und nach der Predigt). Im neueren
Sprachgebrauch bedeutet A. in ubertragenem Sinn
auch Lobeshymne (National A.). - Die Entstehung des
A. ist eng verknupft mit der Forderung der Reforma-
toren nach besserer Verstandlichkeit des Bibelwortes
und Abschaffung der lateinischen Sprache im Gottes-
dienst. Die Herkunft des chorischen, sogenannten Full
A. von der Motette bezeugen die bis ins spate 16. Jh.
vorkommenden Umarbeitungen lateinischer Motetten
sowie die Tatsache, daB die ersten Komponisten von
A.s, Tye, Tallis und White, sowohl Motetten als auch
Full A.s geschaffen haben. Indessen unterscheidet sich
das Full A. des 16. Jh. vom Typus der durchimitieren-
den Motette durch vorwiegend syllabische Textver-
tonung, haufige Verwendung homophoner Satzweise
und kurzgliedrige, dem Textrhythmus angepaBte Me-
lodik. Schon in den A.s der elisabethanischen Zeit und
zu Beginn des 17. Jh., bei Byrd, Morley und O. Gib-
bons, begegnet neben dem meist a cappella auf gef iihrten
Full A. auch das Verse A., bei dem die Chorpartien mit
»Verse«-Partien fiir ein oder mehrere Solisten alternie-
ren. Die stimmig ausgeschriebene Begleitung wurde
dabei meist der Orgel, bei Gibbons und Morley haufig
einem Violenensemble iibertragen. Von der 1. Halfte
des 17. Jh". bis zur Restauration unter Karl II. (1660)
machte sich in den fiir private Andachtszwecke ge-
schriebenen Kompositionen von Child, Humfrey u. a.
41
Anthologie
der EinfluB des italienischen Sologesanges mit General-
baB bemerkbar, der schlieBlich in den Restauration
A.s von Blow und Purcell seinen Hohepunkt erreichte.
Hier naherte sich das A. der konzertanten Kantate fur
Solostimmen, Chor und Orchester, besonders nach
Einfiihrung instrumentaler Zwischenspiele durch Pur-
cell, die in der liturgischen Praxis allerdings entweder
fiir die Orgel gekiirzt oder ganz ausgelassen wurden.
Weitere Kennzeichcn des Restauration A. sind die fast
allgemein ubliche Hinzuf iigung des Alleluia, die Vor-
liebe fiir Mannerstimmenterzette (Contralto, Tenor,
BaB) in den Verses und die Virtuositat in den Solopar-
tien. Im 18. Jh. griffen die Komponisten englischer
Kirchenmusik (Croft, Greene und Boyce) je nach Be-
darf auf die Formen des Full A. oder des Verse A. zu-
riick, wahrend andererseits eine groBe Zahl von Samm-
lungen alter A.s veroffentlicht wurde. Handels A.s,
meist Auftragskompositionen (Chandos A.s 1716-18,
Coronation A.s 1727, Dettingen A. 1743), sind prunkvol-
le Reprasentationskantaten im Oratorienstil. Obwohl
sich seit dem 19. Jh. in Stil und Repertoire der engli-
schen Kirchenmusik weitgehend kontinentale Ein-
fliisse geltend gemacht haben, wurde die traditionelle
Pflege des A. durch Wesley, spater Stanford und Shaw
weitergefiihrt.
Ausg. : G. Fr. Handel, GA XXXIV-XXXVI, hrsg. v. Fr.
Chrysander, Lpz. 1871-72; H. Purcell, GA XIII(a),
XIV, XVII, XXVIII, XXIX, XXXII, hrsg. v. d. Purcell
Soc., London 1921-(62); Tudor Church Music, II (Byrd),
IV (O. Gibbons), V (R. White), hrsg. v. P. C. Buck, E. H.
Fellowes, A. Ramsbotham, R. R. Terry, S. Townsend
Warner, London 1922-26; W. Byrd, GA XI-XIV, hrsg.
v. E. H. Fellowes, London 1948-49; J. Blow, Coronation
A., A. with Strings, hrsg. v. A. Lewis u. H. W. Shaw, = Mus.
Brit. VII, London 1953.
Lit.: E. H. Fellowes, Engl. Cathedral Music, London
1925, 2 1943 ; M. F. Bukofzer, Music in the Baroque Era,
NY (1947) ; R. Th. Daniel, The A. in New England before
1800, Diss. Cambridge (Mass.) 1955, maschr. ; ders., Engl.
Models for the First American A., JAMS XII, 1959; P. Le
Huray, The Engl. A. 1580-1640, Proc. R. Mus. Ass.,
LXXXVI, 1959/60; W. J. King, The Engl. A. from the
Early Tudor Period through the Restoration Era, Diss.
Boston (Mass.), 1962, maschr.
Anthologie -> Beispielsammlung.
Antike Musik -> Griechische Musik, -»• Etrus-
kische Musik, ->• Romische Musik.
Antiphon (lat. antiphona; ital. und span, antifona;
frz. antienne; engl. antiphon, auch antiphony). - 1) A.
als Gesangsvortrag. Im griechischen Sprachgebrauch
bezeichnet dcvxiqxovoc; die allgemein verbreitete Praxis
des sukzessiven Gegeneinandersingens von 2 Sangern
oder Choren. Der erste Beleg hierfiir scheint bei Philo
von Alexandrien, einem Zeitgenossen Christi, gegeben
zu sein, der als Ubung der Therapeuten den Wechsel-
gesang eines Manner- und Frauenchores schildert. Fin-
det sich hier diese Praxis noch im Bereich des Synago-
galgesangs, so wurde sie doch offensichtlichvom Chri-
stentum des Ostens aufgenommen, wie es die seit dem
Anf ang des 2. Jh. (Plinius) sich haufenden Belege be-
statigen. Der groBe Aufschwung, den das antiphoni-
sche Singen im 4. Jh. nahm, hangt mit den Glaubens-
kampfen der Zeit zusammen, in deren Verlauf es mit
Erfolg zunachst von den Arianern und in deren Ab-
wehr schlieBlich von den Christen allgemein einge-
setzt wurde. Der antiphonale Gesang ist hier mit der
Psalmodie verbunden, in der ursprunglich solistischer
Psalmvortrag von refrainartigen Rufen des Volkes un-
terbrochen wurde. Statt dieses Wechselgesangs von
Solisten und Volk konnte vor allem seit dem 4.Jh.
dem letzteren eine Gruppe geschulter Sanger gegen-
iiberstehen. Die endgiiltige Ausbildung der schlichten
wechselchorigen (antiphonischen) Psalmodie ist um
350 in Antiochien vollzogen worden, das dann zum
Ausstrahlungszentrum fiir das ganze christliche Abend-
land wurde. Die Datierung der Aufnahme antiphoni-
schen Singens in Rom ist nicht gesichert (Ende 4. oder
Anfang 5.Jh.). Verbiirgt ist es in der Zeit von Papst
Coelestin (422^132), wo der ursprunglich mit den Le-
sungen beginnenden Opferfeier ein Einleitungspsalm
(-> Introitus) vorangestellt wurde. Fiir Mailand ver-
band es sich mit dem Namen des Ambrosius, der im
Jahr 386, bei der Auseinandersetzung mit den Arianern
in seiner Basilika eingeschlossen, die Gemeinde durch
antiphonisches Singen und den Gesang von Hymnen
in ihrem Glauben und Widerstandswillen starkte. Mai-
land war seit dieser Zeit der Ausgangspunkt antipho-
nischer Singweise fiir den ganzen Westen. Waren am
Anfang die klosterlichen Gemeinschaften ihre wesent-
lichen Pflegestatten (vgl. um 420 Cassian, um 529 die
Regel des hi. Benedikt), so ging sie doch bald auch auf
die Weltkirchen liber, gebrauchlich in den Traditionen
des romischen, ambrosianischen, gallikanischen und
mozarabischen Gesangs und in der Gregorianik bis
heute lebendig als zentrale Gesangsart neben dem re-
sponsorialen Gesang, wie seit der Friihzeit vor allem
im ->■ Offizium gepflegt.
- 2) A. als Gesangsstiick. Die friihen Einwiirfe und
Antwortrufe des Volkes (hypopsalma) bezeichnen die
Einbruchsstelle eines ursprunglich kurzen, sich aber
zunehmend ausweitenden und in seiner musikalischen
Faktur verselbstandigenden Gesangs. Mindestens seit
dem 4. Jh. wurde neben dem Wechselvortrag der Psal-
men auch dieser Einschub mit dem Namen A. belegt,
wie es der um 380/90 zu datierende Reisebericht der
Aetheria aus Jerusalem erkennen laBt. Der am Anfang
dem Volk zugewiesene Ruf wurde seit dem 4. Jh. eben-
falls vom Chor der geschulten Sanger ubernommen,
was eine reichere Gestaltung dieses Gesanges gestattete.
Die Verwendung der A. aber war Jahrhunderte hin-
durch schwankend; die Uberlieferung berichtet von
verschiedenen Gepflogenheiten : refrainartige Wieder-
holung nach jedem Psalmvers; Vortrag der A. am
Anfang und SchluB des ganzen Psalms (wie es, durch
das Trienter Konzil festgelegt, bis heute iiblich ist);
schlieBlich auch lassiges, rasches Absingen der Psalm-
verse, wobei die A. ganz wegfiel. Antiphonischer
Psalmvortrag in der Messe war, wie es -> Offertorium
und -> Communio zeigen, Begleitgesang liturgischer
Handlungen, deren Zuriicktreten die Einschrankung
des Gesanges zur Folge hatte. Als eine gegeniiber der
schlichten Psalmodie reiche musikalische Form be-
hauptete sich die A. in der Messe und verdrangte den
Psalm im Introitus bis auf einen Vers, in Offertorium
und Communio vollig. Gegeniiber der A. der Messe
ist die des Of fiziums, in dem das Hauptgewicht auf dem
Psalmvortrag liegt, von schlichter musikalischer Ge-
staltung. Ohne Psalmverbindung bleiben die im Offi-
zium mindestens schon im 10. und 11. Jh. auftretenden
»Marianischen A.en«, von denen heute im Gebrauch
stehen: -»■ Alma redemptoris mater (1. Adventssonn-
tag bis LichtmeB einschlieBlich), ->■ Ave regina coelo-
rum (LichtmeB bis Ostern), -»- Regina coeli (Oster-
zeit) und -*■ Salve regina (restiiches Kirchenjahr).
- 3) A. als Zugleichsingen im Oktavabstand. Neben
der Bedeutung von A. als Wechselgesang versteht
Philo von Alexandrien darunter auch ein gleichzeitiges
Singen im Oktavabstand, wie es sich aus dem Zusam-
menwirken eines Manner- und Frauenchores bei den
Therapeuten ergab. Im gleichen Sinn findet sich der
Begriff auch in den pseudo-aristotelischen Problemata,
die alexandrinischen Ursprungs sind (1. oder 2. Jh.).
42
Die weitere griechische Musiklehre kennt diese Be-
deutung von A. noch bis zu Manuel Bryennios um 1320.
Lit. : Fr. A. Gevaert, La melopee antique dans le chant de
l'eglise lat. , Gent 1 895 ; A. G astou£, Les origines du chant
romain. L'antiphonaire gregorien, Paris 1907 ; P. Wagner,
Einfuhrung in d. gregorianischen Melodien I u. HI, Lpz.
31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962;
A. Mocquereau OSB, Le nombre mus. gregorien II, Rom
u.Tournai 1927; E. Omlin OSB, Die St. Gallischen Tonar-
buchstaben. Ein Beitr. zur Entwicklungsgesch. d. Offizi-
umsa., Regensburg 1934; H. Lietzmann, Gesch. d. Alten
Kirche, Bd 3, Kap. XI : Der Kultus, Bin 1938 ; E. Wellesz,
Eastern Elements in Western Chant, = Monumenta Musi-
cae Byzantinae, Subsidia II (= American Series I), Bos-
ton 1947; H. Hucke, Untersuchungen zum Begriff »A.«
u. zur Melodik d. Offiziumsa., Diss. Freiburg i. Br. 1952,
maschr. ; G. Benoit-Castelli OSB, L'Antienne »Ecce
nomen Domini Emmanuel«, in: Etudes gregoriennes II,
1957; ders., L'antienne »Jam fulget Oriens«, ebenda IV,
1961 ; J. Lemarie, Les antiennes .Veterem hominem' . . .,
in: Ephemerides liturgicae LXXII, 1958.
Antiphonarium, Antiphonale, Bezeichnung fur die
Sammlung der antiphonalen und responsorialen Ge-
sange des Offiziums, in der offiziellen Fassung (Editio
typica) erstmals erschienen 1912 als Antiphonale sacro-
sanctae Romanae Ecclesiae pro diurnis horis. Es enthalt
dariiber hinaus die Psalmen und Psalmtone, Hymnen,
die kleinen Lektionen und Versikel, alles allerdings
nur fur die Tageshoren (Laudes, Prim, Terz, Sext,
Non, Vesper und Komplet; -»■ Offizium). Die Ge-
sange zum nachtlichen Stundengebet (Officium noc-
turnum, heute: Matutin) sind bisher nur in Teilaus-
gaben erschienen. - Im fruheren Mittelalter kann
die Bezeichnung A. verwendet werden: 1) fiir die
Sammlung der Antiphonen des Offiziums (erganzt
durch das Responsoriale) ; 2) fiir die Zusammenstellung
der Antiphonen der Messe (Introitus, Offertorium,
Communio, - erganzt durch das Cantatorium oder
den Liber gradualis, -*■ Graduale) ; 3) wie heute fiir die
Vereinigung der Antiphonen und Responsorien des
Offiziums, wobei aber der Inhalt des Buches in ver-
schiedener Weise erweitert werden kann. Eine deut-
lichere Unterscheidung gestatten die spater aufkom-
menden Bezeichnungen Antiphonarium officii und
Antiphonarium missae. Die Gesange des A. fanden
sich seit dem 11. Jh. auch in den Voll-Brevieren, hier
verbunden mit alien nicht gesungenen Texten (Ent-
sprechung im Bereich der Messe: Missale plenarium).
Ausg. : Antiphonale Monasticum pro diurnis horis ... a
Solesmensibus monachis restitutum, Tournai 1 934 (weitere
Auflagen). Teilausg. (Editio typica): Officium pro defunc-
tis (1909) ; Officium et Missae in Nativitate Domini (1926) ;
Cantus Gregoriani ad Ordinem Hebdomadae Sanctae in-
stauratum, Graduali et Antiphonali Romano inserendi
(1956).
Lit.: S. Baumer, Gesch. d. Breviers, Freiburg i. Br. 1895
(erweitert frz. v. R. Biron: Hist, du Breviaire, 2 Bde, Paris
1905); A. Gastoue, Les origines du chant romain. L'anti-
phonaire gregorien, Paris 1907 ; ders., Le graduel et l'anti-
phonaire romains, Lyon 1913 ; V. Leroquais, Les breviai-
res mss. des bibl. publiques de France I, Paris 1934; W.
Lipphardt, Gregor d. GroBe u. sein Anteil am romischen
A., Kgr.-Ber. Rom 1950.
Antftheton (griech., das Entgegengesetzte; lat. con-
trapositum, contentio, vgl. Quintilian IX, 3, 81), im
AnschluB an das A. der Rhetorik gewonnene musikali-
sche Figur des Gegensatzes. Die Rhetorik versteht un-
ter A. (auch Antithesis, Oppositio, Traductio) die ver-
gleichende Gegeniiberstellung von sachlich Gegen-
satzlichem in einem Parallelismus (Isokolon), z. B.:
Ich siegte gestern in der Schlacht./Er verlor heute im
Spiel. - Kircher erklart (1650) : A., sive Contrapositum,
est periodus harmonica, qua oppositos affectus exprimimus;
Warmer definiert (1732) A. als musikalischen Satz,
Antizipation
wodurch sokhe Sachen, die einander contrair und entgegen
sind, exprimirt werden sollen. Z. E. ich schlaffe, aber mein
Hertz wachet (vgl. Schiitz' Kleine Geistliche Konzerte
II, 5: Ich liege und schlafe, und erwache). Weitere Erkla-
rungen gabenjanowka (1701), SpieB (1745), Scheibe
(1745), Forkel (1788). Demnach kann der Gegensatz
musikalisch ausgedriickt werden simultan z.B. durch
Kontrast zwischen Thema und Gegenthema (subjec-
tum-contrasubjectum) oder in oppositione dissonantia-
rum (wann . . . denen erwartenden Consonantien die Dis-
sonantien entgegen gesetzt werden, SpieB 1745), sukzessiv
z. B. durch Abschnittskontrast im Wechsel der Bewe-
gung, der Klanggruppen und -lagen, der homophonen
und polyphonen Scfireibart oder in Gegeniiberstellung
von Dur und Moll (mutatio per tonum) oder Chro-
matik und Diatonik (mutatio per genus ; Schiitz' Kleine
Geistliche Konzerte II, 1 1 : Wann unsre Augen schlafen ein) .
Antizipation (lat. anticipatio, Vorausnahme), - 1) A.
bedeutet in der Harmonielehre das Vorausandeuten
einer Harmonie, den verfriihten Eintritt von T6nen,
die dem auf den nachsten schweren Taktteil folgenden
Akkord angehoren; zu der Harmonie, wahrend der sie
eintreten, dissonieren sie meist, werden aber gar nicht
auf sie bezogen, sondern als vorausgenommen, anti-
zipiert verstanden, z. B. :
- 2) Rhythmische A. (H.J.Mosers »pathetische A.«)ist
die Bezeichnung fiir dieVorwegnahme, d.h. das durch
den Ausdruck bedingte verfriihte Eintreten (») einer
betonten Wortsilbe, z. B. Beethoven, 9. Symphonie :
4*
was die Mo -de streng ge-teilt: Al-
- - le Men-sdien wer-den Brii - der
- 3) Als Verzierung (engl. cadent) die Vorausnahme
der folgenden Melodienote innerhalb des Wertes der
vorangehenden Note (im 17. Jh.: Anticipatione della
nota ): * Stall: so:
haufig bei der vorletzten Note einer SchluBkadenz
(mit Triller) :
Wenn die A. an die vorangehende Note angebunden
ist (Nachschlag), wird sie auch -»• Aspiration, -*■ Plain-
te oder Chute genannt (Jean Rousseau, Monteclair). -
Die Anticipatione della sillaba bedeutet in der Ge-
sangspraxis des Barocks eine Art Vorschlag, der an die
f olgende Hauptnote angebunden ist und ihre Textsilbe
vorausnimmt - haufig zur Verbindung einer Sekunde,
seltener als Durchgangsnote bei fallender oder bei stei-
gender Terz (Beispiel nach Chr. Bernhard) :
Ex-ul-ta-te Do-mi-no Ex-ul - ta
Do-mi-no
43
Antwerpen
Antwerpen.
Lit. : E. G. J. Gregoir, Notice hist, sur les soc. et ecoles de
musique a Anvers, A. 1869 ; F. Donnet, Les cloches d'An-
vers, Les fondeurs anversois, A. 1899; A. de Gers (A.
Gersdorff), L'hist. complet du theatre royal d'Anvers
1834-1914, A. 1914; J. Koepp, Untersuchungen iiber d.
A.er Liederbuch v. Jahre 1544, A. 1929; J. A. Stellfeld,
Bronnen tot de geschiedenis der Antwerpsche Clavecim-
bel- en Orgelbouwers in de XVI e en XVII C Eeuw, Vlaamsch
Jaarboek voor Muziekgeschiedenis V, 1942; W. Dehen-
nin, Bronnen voor de Geschiedenis van het Muziekleven
teA.,RBMVIII,1954.
Aoden (von griech. dcoi86i;, Sanger), zunftmaBig zu-
sammengeschlossene, hochgeachtete Berufssanger der
Griechen zu Homers Zeit, die bei Fest und Mahl zur
Phorminx Episoden aus den Heldensagen vortrugen
(in der Odyssee A. Phemios und Demodokos). Im 7. Jh.
traten an ihre Stelle die rezitierenden Rhapsoden.
a piacere (a pjatf'e:re, ital.), auch a piacimento, nach
Gefallen, frei im Vortrag, gleichbedeutend mit -> ad
libitum (- 1).
Apokope (griech., Abschneidung), in der Komposi-
tionslehre des 17./18. Jh. eine musikalische Figur, ein-
gefiihrt und erklart im AnschluB an die grammatische
A. (meist metrisch begriindete »Abschneidung« eines
Buchstabens oder einer Silbe am Ende eines Wortes,
z. B. Ich hab mein Sack Gott heimgestellt). Beabsichtigte
Unvollstandigkeit eines Bauelements ist auch das Merk-
mal der musikalischen A., die in zwei Arten auftreten
kann: in der altesten Bestimmung durch Burmeister
(1606) als unvollstandige Fuga, bei der das Imitations-
motiv in einer Stimme eine Verkiirzung (amputatio)
erfahrt, also nicht ganz durchgefiihrt wird; in der Er-
klarung durch Thuringus (1625) ist A. die ungewohn-
liche Kiirzung des Finaltones, die beispielsweise emp-
fohlen wird zur Darstellung des et divites ditnisit inanes
(und lasset die Reichen leer; vgl. Schiitz, Symphoniae Sa-
crae II, Nr 4). Diese zweite Deutung der A. iibernahm
Walther (1732) : wenn bey der letzten Note eines Periodi
harmonicae nicht ausgehalten, sondern behende abgeschnappt
wird, und zwar bey solchen Worten, die solches zu erfor-
dern scheinen. Ein charakteristisches Beispiel der A. im
letztgenannten Sinne findet sich in den Musicalischen
Exequien von Schiitz: verbirge dich einen kleinen Augen-
blick.
Aposiopesis (griech., Beginn des Schweigens; lat.
interruptio), in der Kompositionslehre des 17./18. Jh.
eine musikalisch-rhetorische Figur. In der Rhetorik ist
A. eine hochaffektive Wortfigur, die ein unvermittel-
tes Verstummen der Rede, aber auch das Schweigen
bezeichnet. In der Musik ist A. die Generalpause (so
noch bei Koch 1802) ; sie wird z. B. bei H. Schiitz (Die
Sieben Worte) zur Darstellung des Todes verwendet:
und gab sei-nen Geist auf.
Augenblick verlassen'; also auch ,Himmel und Erde ver-
gehen'; oder ,Des Friedens kein Ende'. Nucius (1613),
Thuringus (1625) und Walther (1732) unterteilen die
A. in -»■ Homoioteleuton und Homoioptoton. Noch
Beethoven notiert im Hinblick auf seine Egmont-Ou-
vertiire: Der Tod kbnnte ausgedriickt werden durch eine
Pause.
Apotome (griech., Abschnitt) hiefi in der griechischen
Antike der chromatische Halbton. Der diatonische
Halbton wurde Limma (-»■ Diesis) genannt. Das Limma
errechnet sich pythagoreisch aus 3 Oktaven weniger 5
Quinten, also
/2\ 3 , /3\5 _ 256
, \l) : \2l ~243
bzw.
3 • 1200 - 5 ■ 701,96 = 90,2 Cent,
und die A. als DiSerenz von 7 Quinten und 4 Oktaven,
also
, \2J : U/ "~2048
bzw.
7 • 701,96 - 4 • 1200 = 113,7 Cent.
Somit ist bei den Griechen der chromatische Halbton
um das pythagoreische Komma groBer als der dia-
tonische.
4 t f
J.A.Herbst verweist 1643 auf HaBler: ,Ich scheid' und
stirbe', da alle Stimmen stille schweigen. Speer gibt 1697
einige Hinweise auf Textvorwiirfe, die eine musikali-
sche A. nach sich ziehen konnen: Wenn eines Dinges
Untergang oder eine Sache verloren gehet, oder wann die
Textworte expresse ohne Ende sich ereignen, nemlich : ,Der
Qottlosen Weg vergehet'; item ,Ich habe dich einen kleinen
— 90,2 —
Ummo
—!].S-
fiylhagoi
Komma
Apotom*
HJ.7 —
e des cis
Anschaulicher ist die Darstellung des Limma als Rest
der Quarte (y = 498 Cent) nach Abzug der pytha-
81
goreischen grofien Terz (gj = 407,8 Cent) und der A.
als Rest des Ganztones (— = 203,9 Cent) nach Abzug
des Limma; die Ergebnisse sind die gleichen.
appassionato (ital.), leidenschaftlich, mit Hingabe.
Der Name Sonata appassionata fur Beethovens Kla-
viersonate op. 57 geht nicht auf den Komponisten zu-
riick, doch verwendet Beethoven die Bezeichnung a.
in den Sonaten op. 106 und 111 und im Streichquartett
op. 132. - Aus einem Allegro a. mit Introduktion be-
steht R. Schumanns Conzertstiick G dur op. 92 f iir Kl.
und Orch.
Applikatur -*■ Fingersatz.
Appoggiatura (appodd3at'u:ra, ital. ; frz. appoggia-
ture) -> Vorschlag.
Appoggio (app'Ddd30, von ital. appoggiare, stiitzen),
ein in der Stimmbildung haufig angewandter Begriff,
der aus den altitalienischen Gesangsschulen stammt.
Dort wurde das Wort gebraucht als appoggiarsi in testa
und appoggiarsi in petto, sich in den Kopf und sich in
dieBrustlehnen. Demnachistunter A. beim Singen ein
gleichmaBiges Stutzgefiihl fiir die Resonanz im Scha-
del und fiir den Atem in der Brust zu verstehen.
Apsidenchore bezeichnet die in der ->• Mehrchorig-
keit getrennt aufgestellten Chore (-> Coro spezzato)
gemaB der baulichen Gegebenheit der Apsiden, die
sich fiir solche Auf stellung anbieten. Ober den italieni-
schen Terminus Choro palchetto referieren Praetorius
(Synt. Ill, S. 115) und WaltherL.
Arabeske (frz. arabesque) bezeichnet in seiner Grund-
bedeutung ein nach arabischer Art gebildetes Ranken-
ornament in Architektur und Malerei, daher in der
44
Arabisch-islamische Musik
Musik s. v. w. reiche Figuration und Verzierung einer
Melodic Als musikalischer Begriff erscheint das Wort
erst im 19. Jh. (->■ Charakterstiick). A. nennt R. Schu-
mann sein mehrgliedriges Klavierstiick op. 18 C dur
(1839). Fur Debussy, unter dessen friihen Kompositio-
nen sich 2 A.n fur Kl. (1888) befmden, hat das Wort
die allgemeine Bedeutung von freier Entfaltung oder
Zusammenspiel von Linien. Eine A. von M.Reger
findet sich in dessen Klavierstucken Aus meinem Tage-
fcuc/> (op. 82, IV, Nr 4, 1912).
Lit.: R. Schumann, Briefe, N. F., hrsg. v. F. G. Jansen,
Lpz. 1886, 21904; Cl. Debussy, Monsieur Croche, Anti-
dilettante, Paris 1917 u. 6., deutsch Potsdam 1948, 31951.
Arabisch-islamische Musik ist die stadtische Kunst-
musik der arabisch sprechenden mohammedanischen
Volker Vorderasiens und der Mittelmeerlander, im
weiteren Sinn auch die Musik der z. B. neupersisch
und tiirkisch sprechenden und der islamischen Ko-
lonialvolker. Sie hat auch viel Gemeinsames mit der
Musik der nichtmohammedanischen Religionen im
Bereich des Islam, beziehungsweise mit der orienta-
lisch-christlichen und der jiidischen Musik. Bis auf we-
nige, von Theoretikern des Mittelalters in Buchstaben
aufgezeichnete Beispiele kennt die A.-i. M. keine No-
tenschrift. Ihre Geschichte ist ausschlieBlich aus mittel-
baren Quellen zu erschlieBen, wahrend die Musik selbst
nur in ihrem gegenwartigen Zustand aufgesucht wer-
den kann. Die mittelbaren Quellen entstammen drei
sehr verschiedenen Bereichen der Kultur. Eine erste
Gruppe beurteilt die Musik vom Standpunkt der isla-
mischen Theologie. Der Islam- erscheint hier als neue
Kultur; die Zeit vor der Hidschra (622 n. Chr.) ver-
schwimmt in den Tagen der Unwissenheit (gahiliyya) ;
von der spateren Entwicklung soil nach Moglichkeit
nur dasjenige gelten, was durch die wenigen Jahrzehnte
um den Propheten Mohammed, die »ersten Genossen«
und die drei »orthodoxcn« Kalifen 'Umar, 'Utman und
'Ali (622-661) gerechtfertigt wird. Eine zweite Gruppe
von Quellen verehrt gerade die »altarabische« Dich-
tung und Musik vor der Ankunf t des Propheten als be-
sonders reinen Spiegel arabischen Wesens, der nach der
Griindung des Weltreiches durch zahlreiche Einfiiisse
aus benachbarten Volkern, Religionen und Sprachen
getriibt sei. Eine dritte Gruppe bilden die eigentlichen
Lehrschrif ten. Eine in sich selbst gegriindete Geschichts-
schreibung A.-i.r M. ist noch Aufgabe der Zukunft.
Wichtige Anregung in dieser Richtung bot der Musik-
KongreB in Kairo 1932. Er fiihrte zu einer Revision der
Forschungsaufgaben und -mittel, zur systematischen
Phonographie der musikalischen Landerstile, zur Neu-
ordnung der Maqam-Lehre und zu einer Renaissance
der arabischen Musikpflege. Forschungsinstitute in Ra-
bat, Tetuan, Kairo, Jerusalem, Ankara und Istanbul be-
schaftigen sich seitdem mit Sammlung und Sichtung
des Materials. Die Geschichte der A.-i.n M. kniipft un-
mittelbar dort an, wohin die Entwicklung vor dem Is-
lam gefiihrt hatte. Am Rande dieser Epoche steht die
»altarabische« Musik der Steppe, die durch den Eintritt
des Islam in die Geschichte nicht wesentlich beriihrt
wird; neue Entwicklungen sind die geistliche Musik,
die weltliche Kunstmusik der Kalif enhof e und die Ton-
systematik des arabischen Musikschrif ttums. - Die Kul-
tur der Beduinen in der Steppe des arabischen Hoch-
landes war und ist eine geschichtslose Hirten-Krieger-
Kultur. Viehzucht, Raub, Kampf und die Verwaltung
tributpflichtiger Volker betrachtet der Hirtenkrieger als
einzige seiner wiirdigeBeschaftigungen.DieselbenMo-
tive beherrschen die realistische Dichtung der altarabi-
schen Stamme, von der durch Chronisten der Hochkul-
tur einige Texte iiberlief ert sind. Wort und Weise schei-
nen untrennbar verbunden gewesen zu sein, denn im
Gefolge des »ritterlichen« Herrn befand sich in der Re-
gel ein Spielmann, »Uberlieferer« (rawl) genannt. -
Die gegenwartige Musik von Beduinen und Bauern
(Fellachen) liegt heute aus verschiedenen Teilen der
arabischen Welt in phonographischen Sammlungen
sowie in analytischen Arbeiten vor. Als Beispiele echter
Beduinenmusik mbgen die zur Geige Rabab kantillier-
ten Volksepen gelten, ebenso die Instrumentalsoli auf
der Rohrflote Qasaba mit illustrativer Darstellung le-
gendarer Stoffe. Eine im Fruhjahr 1927 von einem Be-
duinen in Tunesien auf der Rohrflote geblasene »Weise
vom L6wen« schildert programmatisch das alte Thema
des Steppenkriegers, einen Kampf mit dem Lowen und
die Belohnung des siegreichen Helden durch die Braut.
Wenn der Beduine singt, tragt er »Vers fiir Vers nach
der gleichen einformigen Weise« vor, und diese be-
wegt sich »auf wenigen Tonen von geringem Gesamt-
umfang« (Lachmann). Zahlreiche andere Formen der
landlich-arabischen Musik sind aus Siidarabien, dem
Jemen und Hadramaut, bekannt (Serjeant). Hierzu ge-
horen u. a. Gesange, die politische Fragen erortern,
halblegendare Reiselieder, »Katalog«-Lieder mit Auf-
zahlung von Gewerben, Dattel- oder Fischarten, der
Namen von Moscheen, Sternen, Winden oder Volks-
stammen. Unter den Hadrami-Gesangen sind vor al-
lem die schon aus vorislamischer Zeit erwahnten Ka-
meltreiberlieder (huda') zu verzeichnen, des weiteren
die Beduinentanze (raqs) und Summlieder mit Be-
gleitung des Mizmar und (oder) der Trommel Hadir;
Jagerlieder mit pantomimischen Stocktanzen, bauerli-
che Messertanze und hochzeitliche Prozessionslieder
mit drei bis vier Volkspoeten, die im Wettstreit ihre
Verse improvisieren. Unter den vielerlei Arbeitsliedern
der Fellachen treten die Brunnenlieder als interessante
Gattung hervor. Dazu kommen noch die volksreligio-
sen Pilger-, Ramadan- und Sufi-Lieder sowie die Cho-
re der singenden Frauen mit ihren magischen Weiber-
trillern (zagarid, 'alwa) und den nur ihnen eigenen Ar-
beits-, Hochzeits- und Wiegenliedern. - Aus den nord-
lichen Bezirken (Libanon, Syrien, Palastina-Israel, Jor-
danien, Irak) ist unter den volkstumlichen Gattungen
die 'Ataba (Anklage) hervorzuheben, ein als Zwiege-
sprach auf gebauter Gesang mit dem Wechsel von stark
emotionalen Solorczitativen und kiirzeren Antwor-
ten. Einzelne Zeilen im 'Ataba-Stil als Zitate in andere
Lieder einzuflechten, gilt als Zeichen groBen Konner-
tums. Gute Sanger-Poeten improvisieren dabei und ge-
nieBen dieser Gabe wegen besondere Verehrung im
Volk. Neben 'Ataba und Migana (Zwillingsform) sind
die zahlreichen ortlichen Varianten der Dabka-Tanz-
heder (Mannertanze), der Hadadi- und Rigali-Tanze
zu vermerken, die bei Arabern wie Drusen gleicher-
maBen beliebt sind.
Die geistliche Musik des Islam baut auf den liturgi-
schen und musikalischen Elementen weiter, die in der
jiidischen und christlichen Liturgie vor dem Auftreten
des Propheten ausgebildet waren. Auch der Islam kennt
die taglichen Gebetszeiten und die einmal wochentlich
stattfindende Hauptfeier. Die islamische Liturgie mei-
det Instrumentalmusik und bestreitet die gottesdienst-
liche Feier mit antiphonaler und responsorialer Psalmo-
die zwischen Vorbeter, Vorsanger und Gemeinde und
der Lesung des Koran. Jedoch die f iinf mohammedani-
schen Gebetszeiten (subh, zuhr, 'asr, magrib, 'i5a') und
die Salat am Freitag nachmittag, die der synagogalen
Sabbatfeier und der christlichen Sonntagsmesse ent-
spricht, sind liturgisch weit formelhafter als ihre Vor-
ganger. Entsprechend ist die Organisation der litur-
gisch-musikalischen Amter einfacher gehalten. Den die
Gemeinde vertretenden Chor hatte schon das Juden-
45
Arabisch-islamische Musik
turn friihzeitig abgelehnt. Ahnlich kennt auch die Frei-
tags-Salat aufier den Niederwerfungen und gesproche-
nen Bekraftigungen nur die wenigen Dialogreste zwi-
schen Gebetsansage und Gemeinde im zweiten 'adan.
Der islamische Vorbeter ('imam, hatib) ist Lektor und
Prediger zugleich. Bei der auBerliturgischen »Lesung«
wird er durch besondere Lektoren (fuqaha, Sing, faqih)
unterstiitzt, deren Stellung vom Monch oder Lehrer
bis zum beriihmten Gesangsvirtuosen reicht und mit
den Aufgaben des Gebetsrufers (mu'addin) viel Ge-
meinsames hat. Die geistliche Volksmusik sowie der
Gesangsstil der Hymnen harren noch der Erforschung.
Mehr weiB man von der Musik in den islamischen Or-
densgemeinschaften der Derwische. Die in der Tiirkei
ansassigen Orden, darunter der alteste der Mevlevi
(Maulawiya) aus dem 13. Jh., wurde zwar 1925 durch
Kemal Pascha aufgehoben, doch liegt eine Studie (H.
Ritter) vor iiber ihre mystischen Tanze und ihre eigen-
artige mystisch-religiose Liebeslyrik. In den ekstatisch
kreisenden Tanzbewegungen der Derwische wurde der
Kreislauf alien Werdens, nach Vorstellungen des neu-
platonischen Stufenkosmos, auf wundersame Weise
eingefangen. - Der Islam kennt keine allgemein ange-
nommene musikalische Liturgie. Mittelpunkt bildet die
Korankantillation, wie im Hebraischen Lesung (qira'a)
genannt, und als solche vom rein musikalischen »Sin-
gen« (gina') unterschieden. Der Ornamentierungsgrad
bildet hier dieGrenzscheide. Obwohl um 1400 eine pro-
sodische Punktation von Ibn al-Gazari ausgearbeitet
wurde, blieb die Koranlesung ohne ein verbindliches
System von Leseakzenten, im Gegensatz zu den jiidi-
schen und christlichen Formen der Bibellesung. Der
Koran wird heute auf zweierlei Art rezitiert: im »offi-
ziellen« liturgischen Stil (sar'i), und im »konzertanten«
(bil-'alhan). Der offizielle Stil ist die zwischen gehobe-
ner Sprache und Gesang schwebende »lectio«, wie hei-
hge Texte in fast alien Religionen der Hochkulturen
vorgetragen werden. Gregorianische Bezeichnungen
treffen auch auf diesen Stil zu; es gibt den tieferen Aus-
gangston (initium), den Tenor und Finalton, und In-
terpunktionsmelismen. Der vollmusikalische Stil nahert
sich dem des weltlichen Kunstgesanges. Der Sanger
singt in steigenden Stimmlagen, die Melodie bewegt
sich in den instrumental bedingten weltlichen Weisen-
typen (maqamat), ist reich an Melismen und zerdehnt
die Worte iiberlang auf stimmhaften Konsonanten, an-
dererseits sind auch Gebetsrezitationen im straffen
Rhythmus iiblich. Da der Hadit schon im 9. Jh. zwi-
schen Kantillieren und Singen des Koran unterscheidet,
da ferner die singende Vortragsweise schon friih in der
Theologie umstritten ist, darf angenommen werden,
daB weltlicher Kunstgesang etwa seit dem 9. Jh. in die
mohammedanische Liturgie eindrang, ein Vorgang,
der sich in der byzantinischen Kirchenmusik (Konta-
kion) bereits im 6. Jh. ankiindigte. - Eine der eigenar-
tigsten Schopfungen islamischer Musik sind die Ge-
betsrufe ('adan ; urspriinglich Strafienrufe) auf den Tiir-
men der Moscheen. Ihre Form entspricht den rhapso-
disch freien Einleitungen (mawwal) des weltlichen Ge-
sanges. Die arabische Oberlieferung macht Mekka
und Medina, die beiden Geburtsstatten des Islam, zum
Paradies der »ersten Sanger«. Das trifft nur soweit zu,
als nach Verlegung der Hauptstadt des Reiches nach
Damaskus (660) die beiden rasch in den Hintergrund
gedrangten Residenzen der Aristokratie eine Kunst-
pflege fiir wenige Jahrzehnte begiinstigten. Die patrizi-
sche Umgebung, die diese Musik brauchte, war an den
Sitzen des persischen Adels vorgebildet. Auch im ara-
bischen Reich zog es die Sanger an die Residenzen, da-
her strebten sie sehr bald von Mekka und Medina nach
Damaskus und spater nach Bagdad (Kalifat ab 750).
Unter dem Abbasiden Harun ar-Ra5Id (Regierungs-
zeit 786-809) erreichte die weltliche Kunstmusik ihre
hochste Bliite. Obwohl die Musiker teils als Sklaven
galten, teils als Freigelassene dem unfreien Stand eben
entwachsen waren, errangen sie doch rasch hohes ge-
sellschaftliches Ansehen und wurden fiirstlich ent-
lohnt, so daB selbst Freigeborene den Eintritt in den
biirgerlichen Berufsstand der Sanger nicht verschmah-
ten. Als die beiden bedeutendsten Meister der Erfin-
dung und des Vortrags galten die beiden Perser Ibra-
him und Ishaq al-Mausili. Jedoch erlangten auBer Per-
sern und Arabern auch Berber, Neger, Tiirken und
Musiker aus alien in diesen Landern denkbaren Misch-
rassen Beruhmtheit. Der einzige den beiden Mausili
vielleicht ebenbiirtige Kiinstler, Ziryab (um 800), wur-
de von den Rivalen nach Spanien abgedrangt. Unter
seiner Fiihrung entstand jene weltliche andalusische
Schule, die spater von Granada, dem Bollwerk der
maurischen Kultur in Spanien, nach Nordafrika und
Sizilien iibergriff und der ostlichen, in Persien, Syrien
und Mesopotamien verankerten Gruppe selbstandig
gegeniibersteht. Noch heute betrachten die Musiker
des Western sich als Erben andalusischer Oberlieferung,
wahrend die ostliche Gruppe heute in Kairo und Kon-
stantinopel die wichtigsten Stiitzpunkte besitzt.
Die geschichtliche Gemeinsamkeit arabisch-islamischer
Musikkultur sammelt sich in ihrer Tonsystematik. Die
Jahrhunderte zwischen der Spatantike und der Kultur
der Araber waren angefiillt mit Arbeit am kultischen
Gesang. Erst die arabische »Aufklarung« (mu'atazila),
der Aufschwung des von Instrumenten begleiteten
Kunstgesanges im arabischen Reich, machten eine em-
pirische Tonsystematik wieder moglich. Das einschla-
gige Schrifttum der Antike, das wahrend der christli-
chen Jahrhunderte schwerem Verfall ausgesetzt war,
geriet wieder auf fruchtbaren Boden. Musiklehrschrif-
ten von Platon, Aristoteles, Galenus, Aristoxenos, Eu-
klid, Ptolemaios und Nikomachos wurden in Ober-
setzungen zuganglich gemacht. Die antike Musiklehre
war selber an einer weitgehend orientalisch durchsetz-
ten Musik entwickelt worden. Auch auf der arabischen
Kurzhalslaute ('Od) umspannt der Tonvorrat die bei-
den Oktaven des Systema teleion, in Tetrachorden sind
die leeren Saiten gestimmt, und der letzte Bund, den
der kleine Finger greift, teilt eine Quarte ab. Die feinen
Zwischenwerte dieser Musik konnen sinnvoll gar nicht
anders als nach antiker Art durch Oktavengattung
('asba'), Transpositionsskala (tanin, von griech. tonos)
und Tongeschlecht (gins, vielleicht von griech. genos)
begrifflich dargestellt werden; die pythagoreischen In-
tervals Apotome (infisal), Limma (baqiya, fadla) und
der eigentiimlich unbestimmte »Tonschnitzel« Diesis
('irha', Erweichung) erklingen _auch auf dem 'Od.
Die Bestimmung der auf dem 'Ud und der Langhals-
laute -> Tanbur gegriffenen Instrumentalleitern ist eine
der selbstandigstenLeistungen arabisch-islamischer Mu-
siklehre. Aus tausendjahriger Geschichte sind zahlreiche
Teilungen von Lautengriffbrettern iiberliefert, welche
die Entwicklung der Tonsystematik in dieser Kultur
veranschaulichen. Drei feste Biinde sind fast alien Griff -
brettern gemeinsam: Zeigefinger (sabbaba), Ringfin-
ger (binsir), Kleinfinger (hinsir), aufierdem ein Mittel-
finger (wusta). Das ergibt die »pythagoreischen« oder
»ditonischen« Werte von grofiem Ganzton (204 Cent),
kleiner Terz (294 Cent), groBer Terz (Ditonos, 408
Cent) und reiner Quarte (498 Cent), in der Oktave eine
diatonische Siebentonreihe in »pythagoreischer« oder
»ditonischer« Stimmung. Die diatonische Siebenton-
reihe ist bis heute die Grundlage jeder vorderorientali-
schen Kunstmusik, wie sie es in der Antike seit der rei-
fen stadtischen Zeit gewesen war. - AuBer den festen
46
Arabisch-islamische Musik
Biinden gibt es zahlreiche bewegliche, sogenannte
»Nachbarn des Zeigefingers« (mugannab) und verschie-
dene Mittelfinger-Lagen. Die Zahl der beweglichen
Biinde ist bei al-Farabi (f 950) am groBten, so daB seine
Materialleiter am 'Ud iiber 25 Stuf en in der Oktave ver-
fiigt. Zugleich sind die Werte al-Farabi's die unregel-
maBigsten, die je in arabischen Traktaten aufgezeich-
net wurden. Die Theorie beschrankt sich in diesem
Stadium darauf, eine Reihe von Personalstilen der gro-
Ben Meister und von landschaftlichen Dialekten ohne
Zutaten wiederzugeben. Eines der beriihmtesten der
durch geometrische Streckenteilung ausprobierten In-
tervalle der Praktiker war die nach dem Virtuosen Zal-
zal (t 791) benannte neutrale Terz (355 Cent). Schon
bei einem ebenf alls von al-Farabi beschriebenen Tanbiir
zeigt sich indessen das Bestreben, die aus der Praxis ent-
standene unregelmaBige Materialleiter einem theoreti-
schen Prinzip zu unterwerfen. Die Oktave besteht hier
aus 6 Ganztonen zu je 2 Limma (=90 Cent) plus einem
pythagoreischen Komma (=24 Cent); vom sechsten
Ganzton ist das Komma, womit die Oktave iiberschrit-
ten wiirde, abgeschnitten:
5(90 + 90 + 24) + (90 + 90) = 1200 Cent.
Einen Anlauf zu dem Schematismus dieser 17stufigen
Materialleiter hatte am 'Ud schon al-Kindi (f urn 874)
unternommen, wenngleich seine im ganzen nur 12 + 3
Stufen zahlende Skala nur einen Ausschnitt aus der von
al-Farabi 100 Jahre spater festgehaltenen Wirklichkeit
erfaBt. Erst Avicenna (t 1037) versucht die zuerst an
der Langhalslaute durch gefiihrte »Temperatur« der
schmiegsamen Zwischenwerte auch au£ den 'Ud zu
iibertragen. Am Tanbiir al-Farabi's lief die Folge 2 Lim-
ma + Komma noch schematisch iiber die beiden Te-
trachorde in der Oktave hinweg, und der iibrigblei-
bende Rest wurde kurzerhand an den SchluB gesetzt.
Safi-ad Din dagegen weist einen Teil des Uberschusses
den beiden Tetrachorden zu, so daB zum SchluB genau
ein »diazeuktischer« Ganzton steht:
[2(90 + 90 + 24) + 90] + [2 (90 + 90 + 24) + 90]
+ (90 + 90 + 24) = 1200 Cent.
Durch die Beriicksichtigung der Tetrachordik ist diese
»Temperatur« die vollendetste, die in der arabisch-isla-
mischen Musikkultur iiberhaupt moglich war. Gleich-
wohl erstrebt die Theorie nach dem Verfall des arabi-
schen Rcichcs noch weitere Verfeinerungen. Die be-
kanntesten derartigen Versuche aus neuerer Zeit zielen
auf eine Materialleiter mit 24 Stufen. Vom tiirkischen
Tanbur war die 17stufige ditonische Temperatur bei
al-Farabi ausgegangen, ein Tiirke vervollstandigte 1000
Jahre spater an dem gleichen Instrument die gleiche
Skala durch f unf malige Addition und zweimalige Sub-
traktion je eines pythagoreischen Kommas. Diese 1913
von Rauf Yekta in Konstantinopel aufgestellte 24-Ton-
Reihe bereichert die 17stufige des 13. Jh. nur in unwe-
sentlichen Einzelheiten. Dagegen durchbricht ein zwei-
ter Versuch, der von dem europaisch gebildeten M.
MeSaqa (1800-88) in Damaskus unternommen wurde,
das ditonische Prinzip. Obgleich eine Temperatur im
Mittelmeerraum seit der Antike durchfiihrbar ist nur
bei moglichst schematischer Verteilung moglichst re-
gelmaBiger Folgen von ungleichen Intervallen, geht
MeSaqa von dem europaischen Gedanken akustisch
gleicher Einheiten aus. Sein Ergebnis ist in der A.-i.n M.
unmoglich, da sogar einige von den »festen« Biinden,
die alle Griffbretter seit dem 9. Jh. gemeinsam haben,
angetastet werden, selbst die Quinte fallt empfindlich
zu klein aus (698 statt 702 Cent). In Mesaqa's 24-Ton-
Reihe widerlegt ein Araber selber die Moglichkeit ei-
ner im europaischen Sinn gleichschwebenden Tempe-
ratur von »Vierteltonen« im Orient. Dasselbe gilt von
dem zuerst von dem Franzosen Villoteau um 1800 ge-
faBten Gedanken akustisch gleicher »Dritteltone«, der
1888 von Ibrahim Bey Mustafa, einem Mitglied des
agyptischen Instituts in Kairo, aufgegriffen wurde. Die
»gleichschwebenden« Viertel- und Dritteltontempera-
turen sind Anzeichen fiir die seit 1800 beginnende Aus-
einandersetzung der A.-i.n M. mit der europaischen,
ein Vorgang, der sich bis heute in vollem FluB befin-
det. - Die A.-i. M. hat eine eigene Theorie der melodi-
schen (->■ Maqam) und metrisch-rhythmischen Gebil-
de. Die A.-i. M. ist keine symmetrisch-betonende wie
die abendlandische oder die chinesische, sondern eine
reihende, Betonungen frei verteilende. Die Theorie
miBt deshalb mit einer kleinen MaBzeit, dem chronos
protos der Antike, dessen Dauer durch gesprochene
Silben ungefahr bestimmt wird: turn = starke, tak
= schwache, ka = mittlere Betonungen. Auch sonst
werden in dieser vom Gesang beherrschten Musik Be-
ziehungen zwischen musikalischer Rhythmik und
sprachlicher Metrik gern aufgesucht. wazn heiBt Me-
trum, sprachlich und musikalisch; erst Tqa' (das Fallen)
bezeichnet den besonderen musikalischen Rhythmus.
Der Musiker merkt sich die haufigsten Figuren, zu de-
nen die MaBzeiten aneinandergereiht werden, nach
Modellworten wie :
mutafa'ilatun: ^ ^ - | ^ =3 + 3
mustaf'ilatun: -- | u- - =2 + 3
(Avicenna: Kitab aS-Sifa)
Musikalisch sind die rhythmischen Figuren den melo-
dischen Maqamat selbstandig gegeniibergestellte Be-
wegungstypen. Sie durchlaufen ihre rhythmische Pe-
riodizitat mit bemerkenswerter Unabhangigkeit vom
Melodiebild, so daB sich zwischen Melodietrager und
begleitendem Rhythmusinstrument haufig verschie-
dene Kreuzungen von Bewegungsformen ergeben.
Die gangbarsten Bewegungsformen sind:
Sama'i = 10 Achtel: flj AJ «T3 J Afl
Aksak = 9 Achtel :nJ J~~ 2 i J J Ah
£2*= 8Viertel: »:J J J I J fr J J ; ,
S - 7 Achtel: ^O— 1 J L^
Dem Abendlinder erscheint die Rhythmik arabischer
Musik mit ihren mitunter endlos langen »Takten« un-
faBbar vielgliedrig, unregelmaBig und unbestimmt
schwankend. Fiir den arabischen Musiker aber hat jede
Bewegungsform wie die Melodiegestalt ein bestimm-
tes Ethos, womit er die antike Ethoslehre des Rhyth-
mus unmittelbar fortsetzt. - Mehrstimmigkeit kennt
die arabische Musik nicht als harmonikale Erscheimmg,
sondern nur als Variantenheterophonie. Die dabei ent-
stehenden Formen sind sehr vielfaltig, weil systemlos,
von Bordun- und »Organum«-Bildungen an bis zur
freien Variantenpolyphonie.
Wie in jeder Hochkultur, wird auch in der arabischen
Musik in sehr verschiedenen Stilbereichen musiziert.
Den hbchsten Rang nimmt jene »klassische« Kammer-
musik ein, die sich im Westen auf andalusische oder
granadische Uberlieferung beruft (nauba garnata). In
den Cafes werden als leichtere Kost gewohnlich »Sui-
ten« von Romanzen und Liebesliedern geboten (naqla-
ba). Die gesamte geistliche Volksmusik, besonders die
sogenannten Klagen (qasida), ferner die den Sangcrin-
nen vorbehaltenen Liebesliedchen (qadriyat) gehoren
in den gleichen, schon an das Volkstumliche grenzen-
den Stilbereich. Gegeniiber den groBeren Stadten gilt
die »arabische« Musik der Provinzorte als riickstandig.
47
Arabisch-islamische Musik
DaB die Musik der »armen kleinen Leute« aus der Um-
gebung der Stadte fauzi) und die kurzlebigen Schlager
der Gasse (qadriyat zindani) verschiedene Dinge sind,
weiB auch der arabische Musikkenner. In alien stilisti-
schen Schichten der stadtischen Musik herrscht jedoch
nur ein formales Prinzip: das der losen Reihung von
Teilen. Es gibt improvisierte freie und reproduzierte
f este Formen, meist auch identisch mit solistischer bzw.
Ensemble-Ausfiihrung. Frei improvisiert wird in den
instrumentalen oder vokalen Einleitungen zu Beginn
der Nauba, in denen der Musiker Instrument und Stim-
me vorbereitend erprobt und vor allem den Maqam
der folgenden festen Stiicke in seinen typischen Wen-
dungen auseinanderlegt. Ein solches Vorspiel heiBt
Taqsim, »in Teile zerlegen«. Ob die Improvisation von
einem Bordun ausgeht und in den Bordun immer wie-
der einsinkt, ob der Bordun sich rhythmisch und
schlieBlich melodisch zum Ostinato verfestigt ('ala-'l-
wahda), stets wird der Maqam Teil fur Teil in suiten-
hafter Reihung durchgegangen. Und wo das rhyth-
misch und melodisch verf estigte Ostinato als Orchester-
ritornell dem frei »konzertierenden« Solisten gegen-
iibertritt (tahmila), wird bereits in jener rondoartigen
Form musiziert, womit die freie Form in die feste un-
merklich ubergleitet. - AuBerdem gibt es fertige kleine
Modellieder volkstiimlichen Charakters, die als Im-
provisations-Stiitzen an gewissen Stellen des Taqsim
eingeflochten werden. Hier vereinen sich wieder die
getrennten Bezirke von Kunst- und Volksmusik. Nach
der freien Einleitung entfaltet der Sanger seine orna-
mentalen Kiinste in einem Stuck maBigen ZeitmaBes
(masdar). Es besteht aus mehreren Versen ('abyat), je-
der Vers aus 3 Abschnitten, von denen der dritte von
den vorangehenden durch ein instrumentales Ritornell
abgetrennt ist. Alle weiteren zur Begleitung von In-
strumenten gesungenen Teile und jedes rein instrumen-
tale Stuck (basrav) der Nauba folgen verwandten Sche-
mata, lediglich durch immer rascheres ZeitmaB ins
Rauschhafte gesteigert. - Zwei Moglichkeiten des Zu-
sammenspiels bestehen bei der fortgesetzten Reihung
von Teilen: entweder halten Vorsanger und Begleiter
sich streng an die kompositorische Vorlage (tausih).
Oder aber das Zusammengehen ist ein lockeres, und
der Vorsanger zersetzt die Form durch individuelle
Vortragsmanieren, und der laute Beifall der H6rer am
SchluB jedes solistischen Abschnitts tut ein iibriges, daB
die Komposition nicht als Ganzes, sondern Teil fiir Teil
in Erscheinung tritt (qasida). Die Formgebung in der
arabischen Musik verlauft ohne dynamische Hohe-
punkte und ohne eine zielstrebige Entwicklung, sie
vertieft das einzelne bis zum Zerfall in einzelne Teile.
Verschwendcrischer Reich turn an Ornamenten und das
Sich-einspinnen in magischen Rausch, wenn Gleiches
unermiidlich in anderen Wendungen wiederholt wird,
ist der Sinn dieser Form. Darin stimmt die Musik mit
der iippigen Ornamentik der Architektur, der wort-
reichen Bildersprache der Dichtung, der mehr aus-
schmiickenden und erlauternden als systematisch auf-
bauenden Wissenschaft iiberein.
Die wichtigsten Rhythmusinstrumente sind die einfel-
lige Schellentrommel Tar, Riqq, die einfellige GefaB-
trommel Darabukka, endlich kleine Pauken Naqqarat,
paarweise mit leichten Staben geschlagen. Als KSnigin
der Melodieinstrumente gilt die bundlose Kurzhals-
laute 'Ud, neben der seit alters her die Langhalslaute
mit wenigen Saiten und zahlreichen Bunden (Pandura,
Tanbur) eine bedeutende Rolle spielt, besonders im
persisch-bucharisch-kaukasischen Bezirk. Die mit ei-
nem Plektron angerissene Trapezzither Qaniin, ebenso
auch das mit Stbckchen geschlagene Hackbrett Santur
gelangten durch die neupersische und turkische Musik
zu Ansehen. Als Streichinstrumente verdrangt heute
die europaische Violine ihre vorderorientalischen Ah-
nen, Kamanga und Rabab. Von den Blasinstrumenten
hat die schon in Altagypten gespielte Langsflote Nay
in der Kammermusik Sitz und Stimme, wahrend die
verschiedenen Zungenpfeifen ('Argul, Zummara) zum
Bestand der Fellachen- und Beduinenmusik gehoren.
Alle diese Instrumente wurden in mehreren tausend
Jahren nur geringfugig verandert. In der Klangfarbe,
den schmiegsamen Intervallen und in den melismen-
reichen Figuren paBt sich das Spiel auf den melodie-
fahigen Instrumenten getreu dem Vortrag der Sanger
an, so auf Langsflote und der europaischen Violine, die
in der Hand des arabischen Musikers einen vollig an-
deren Klang bekommt. Das Klangideal in der A.-i.n M.
ist durch den Gesang und die menschliche Stimme be-
dingt. Die Klanggebung der Sanger ist kehlig und na-
sal, der Vortrag erscheint gepreBt und vibrierend. Cha-
rakteristisch sind lang ausgehaltene Tone, die schluch-
zerartig abgerissen werden. - Das arabische Schrifttum
des Mittelalters hatte sich auf neue Weise das musikali-
sche Erbe der Antike zuruckerarbeitet. Das Einfiigen
des fremden Stoffes in die eigene Denk- und Sprach-
welt, die Anpassung des ungef iigen orientalischen Me-
los an das enge Gewand der rationalen griechischen
Musiklehre war bemerkenswert vor allem durch seine
Auswirkungen auf das christliche Abendland. Das an-
dalusische Spanien, AuBenposten der ostlichen Welt,
wurde mit seinem toleranten und kunstfreudigen Ka-
lifentum zum Sammelpunkt der neuen kosmopoliti-
schen Wissensforschung, an der gleichermaBen mosle-
mische, christliche und judische Gelehrte teilnahmen.
Hier setzte im Sinne des islamischen Renaissancegeistes
die Umschmelzung der scholastischen Musikauff assung
ein, die Befreiung aus ihrer liturgischen Gebundenheit
und ihre Wiedergeburt als freie Kunst. Gleichzeitig
bliihen philosophische Spekulation und Klassifikations-
versuche zur Musik im Rahmen des Gesamtwissens.
Ubersetzer- und Kommentatorentatigkeit taten hier
das entscheidende Werk, zahlreiche arabische und auch
hebraische Werke nach griechischen Quellen finden
nunmehr ihren Weg in die lateinische Welt.
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la casa de los reyes de Aragon, AM XI, 1956.
Archicembalo ^arkitj'embalo, ital., »Erzcembalo«),
ein von N. -»■ Vicentino gebautes und 1555 beschriebe-
nes Cembalo, auf dem die drei antiken Tongeschlech-
ter spielbar sein sollten. Dazu besaB das A. 6 Tasten-
reihen, die auf (wahrscheinlich) 2 Manualen angeord-
net waren. Die Klaviaturen hatten gebrochene Ober-
tasten und 2 zusatzliche, zwischen e-f und h-c einge-
schobene Tasten. Vicentino baute in Rom und Mai-
land je ein A., auBerdem ein Arc(h)iorgano; auch Pa-
lestrina lieB sich wahrscheinlich ein A. anfertigen. Do-
ni, iiber dessen Instrument audi Kircher 1650 berichtet,
erfand ein ahnliches Instrument mit 3 Manualen. Wei-
tere spekulative Versuche in der Art des A. unternah-
men K.Luython (Universalklavizymbel, 1585, 18 To-
ne in der Oktave, 77 Tasten), Transuntino (1606, 5 Ta-
stenreihen, 31 Tone in der Oktave, 125 Tasten), F. Co-
lonna (Sambuca Lincea oder Instrumentum perfectum,
um 1618). Moderne Nachfahren sind die Instrumente
(meist Harmoniums) zur Darstellung der reinen Stim-
mung (->-Tanaka; ->Eitz).
Lit. : N. Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna
prattica, Rom 1555, Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, = DM1
I, 17, 1959; ders., Descrizione dell'arciorgano, Venedig
1561 ; H. Bottrigari, II Desiderio . . ., Venedig 1594, Bo-
logna 2 1599, Faks. hrsg. v. K. Meyer, = Veroff. d. Musik-
bibl. P. Hirsch V, Bin 1924; P. Cerone, El Melopeo, Ne-
apel 1613 ; F. Colonna, La Sambuca Lincea, Neapel 1618;
Praetorius Synt. II ; G. B. Doni, Lyra Barberina I, hrsg. v.
A. F. Gori u. G. B. Passed, Florenz 1763 ; A. Kircher, Mu-
surgia universalis, Rom 1650; H. v. Helmholtz, DieLehre
v. d. Tonempfindungen ..., Braunschweig 1863, '1913;
Sh. Tanaka, Studien im Gebiet d. reinen Stimmung, Vf Mw
VI, 1890; Th. Kroyer, Die Anfange d. Chromatik im ital.
Madrigal d. 16. Jh., = BIMG 1, 4, Lpz. 1902; A. Koczirz,
Zur Gesch. d. Luython'schen Klavizimbels, SIMG IX,
1907/08 ; O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh.,
Lpz. 1910.
Arciviolata lira (art r iviol'a:ta l'i:ra, ital.) -> Lira.
arco, col(F) arco (ital.), mit dem Bogen; Vorschrift
fur die Streichinstrumente, daB nach vorausgegange-
nem pizzicato wieder gestrichen werden soil.
Argentinien.
Lit. : J. Canteloube, El canto popular - Documentos para
el estudio del folk-lore argentino I, Musica precolombiana,
Buenos Aires 1923 ; C. Vega, La musica de un codice co-
lonial del s. XVI, ebenda 1931; ders. , Los instr. mus. abori-
genes y criollos, ebenda 1946 ; ders., El origen de las danzas
folkloricas, ebenda 1955; A. Fiorda Kelly, Cronologia
de las operas, dramas liricos, oratorios, himnos . . . can-
tandos en Buenos Aires, ebenda 1934; A. A. Chazaretta,
Coreografia descriptiva de las danzas nativas, Buenos
Aires 1941 ; A. T. Luper, The Music of Argentina, Wash-
ington 1942; O. Schiuma, Miisicos argentinos contempo-
raneos, Buenos Aires 1948; ders., Poemas mus. argen-
tinas, ebenda 1954; ders., Cien afios de musica argentina,
ebenda 1956; J. Viggiano Esain, Musica argentina de la
zone cordobese, Cordoba 1948 ; ders., La escuela musico-
logica argentina, ebenda 1948; ders., Musicologia nativa,
ebenda 1953; ders., La musicalidad des los Tupi guarani,
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gentinos durante la dominicacion hispanica, Buenos Aires
1945; I. Aretz-Thiele, Musica tradicional argentina, Tu-
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res 1952; J. T.Wilkes, Genesis hispanica del cancionero
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1954; ders., Documentos para la hist. mus. argentina, Je-
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tores argentinos (grabada en disco), ebenda 1955 ; M. Gar-
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organization nacional, Buenos Aires 1961 ; V. Gesualdo,
Hist, de la musica en la Argentina I (1536-1851), II (1852-
1900), Buenos Aires 1961-62.
'Argul (arg'u:l, arabisch), ein gedoppeltes Rohrblatt-
instrument mit einfachem, aufschlagendem Blatt. Die
beiden Rohren sind verschieden lang; die Spielpfeife
49
Arie
hat meist 6 Grifflocher, die Bordunpfeife kann durch
Einsatzstiicke verlangert werden. Der A. wird (u. a. in
Agypten, wo der Typ dieses Instruments von hohem
Alter ist) mit Windkapselansatz gespielt.
Arie (engl. u. ital. aria; frz. air; entlehnt von altfrz.
air, aire, Nest, Herkunf t, Art und Weise, spater sprach-
lich angeglichen an ital. aria, Luft, Atmosphare, Er-
scheinung), ein instrumental begleitetes Sologesangs-
stiick, das vom 16. Jh. bis zur Mitte des 17. Jh. die Form
eines Strophenliedes hatte. Erst danach erlangte das
Wort A. den Sinn, der ihm heute in der Unterschei-
dung zwischen A. und Lied gegeben wird, namlich den
eines groBeren, nicht mehr streng an den Textbau ge-
bundenen Gesangsstiicks, dessen Textstrophen nicht die
gleiche Melodie haben. - Schon 1460 ist ital. aere und
aria als Modus bzw. Charakter eines Musikstiickes ge-
brauchlich und begegnet in dieser Bedeutung in Eng-
land (als air) noch bei Morley (A Plaint and Easie In-
troduction, 1597, 3. Teil, Fantasies) und in spateren theo-
retischen Schriften. Im engeren Sinn aber ist Aria in
Italien im 16. und friihen 17. Jh. ein rhythmisch-melo-
disches Schema fur das Singen bestimmter VersmaBe,
die »Art und Weise« ihres Vortrages (C. v. Brescia, Aer
de cantar versi latini, in Petruccis Frottolen-Sammlungen
1504-08; R. Radio, Aeri raccolti . . . dove cantano So-
nette, Stanze e Terze rime, 1577; Fr. Negri, Aria per Ot-
tave, in Arie musicali, 1635). Aus dem Stegreifvortrag
gereimter Dichtung entstanden als Improvisationsge-
riiste fur das Rezitieren italienischer Epen in Ottave-
rime zahlreiche Arten der Aria di Ottava (G.B.Doni,
Trattato delta musica scenica, etwa 1635-39). Diese ist
eine BaBformel (StrophenbaB), iiber der fortgesetzt
Distichen der Ottavarima nach einer bestimmten, zum
Teil variierten Melodie gesungen wurden. Beispiele
sind die Aria di -> Ruggiero, die Aria della ->• Roma-
nesca, die Aria di Gazella, di Zeffiro, di Siciliane, di Fi-
renze, di Fedele. Die Vorliebe fur solche Strophenbasse
ist als Teil des Kampfes gegen Textverfalschungen in
der durchimitierten Polyphonie zu verstehen. (Da im
16. Jh. zuweilen auch Villanellen und homophone Ma-
drigale als Aria bezeichnet wurden, war die Aria mog-
licherweise auch allgemeine Benennung fiir Musik-
stiicke, in denen sich der strophische Bau des Textes
auf die Musik ubertragt). Schon fiir die Mitte des 16.
Jh. sind Strophenbasse als Gruridlage fiir Instrumental-
musik in der Art von Ostinatovariationen belegt (Or-
tiz 1553) und begegnen, losgelost vom Epentext, in der
1. Halfte des 17. Jh. in Italien und Deutschland haufig
im instrumentalen und vokalen Bereich. Sie bieten,
zur Wiederholung bestimmt, Variationsmoglichkeiten
der iibrigen Stimmen (d'India 1609, S. Rossi 1613, Cifra
1617, Caccini 1620, Frescobaldi 1637, Kittel 1638). Da-
bei werden die Strophenbasse fast stets als Fundament
verwendet, selten als verarbeitetes Motiv (so z. B. der
Ruggiero-BaB im 1 . Buch der Capricci von Frescobaldi) .
Diese Bedeutung von Aria als zur Variation bestimm-
tes Modell erhielt sich neben der eines Sologesangs bis
ins 18. Jh. fiir eine kurtze, in zween Theile unterschiedene,
singbare . . . Melodie, darum so einfaltig . . . , dafi man sie
aufunzehlige Art krauseln, verbrdmen und verandern moge
(Mattheson 1739) ; Beispiele bieten Pachelbel im Hexa-
chordum Apollinis, Handels Cembalosuite B dur, Bachs
Goldberg- Variationen und die Airs varies der franzbsi-
schen Violinliteratur um die Mitte des 18Jh. - In An-
lehnung an die aus dem Stegreifvortrag gewonnenen
Strophenbasse begann um 1600 die Komposition frei
erfundener Vokalarien. Der BaB zu jeder Textstrophe
bleibt gleich, die Oberstimme kann dem Textinhalt
nach abgewandelt oder durchkomponiert werden
(Beispiele bei Caccini, Le Nuove Musiche, 1601). Diese
arie in Opern (schon bei Peri und Caccini 1600, dann
bei Agazzari 1606) und als Einzelstiicke sind bei durch-
komponierter Oberstimme wohl nicht als Ostinato-
variationen anzusprechen, da die Gestaltung der Ober-
stimme eher der Textausdeutung als der melodischen
Abwandlung zur bleibenden BaBformel entspringt.
Die gliedernde Aufgabe des Strophenbasses, seit Mon-
teverdi (1607) auch vom Ritornefi iibernommen, ist im
friihen 17. Jh. auch ein Merkmal der -»• Kantate, da die-
se ebenf alls strophischen Text hat, der die gleiche Kom-
positionstechnik nahelegt. Aria synonym mit Kantate
(Cantata) im Sinne eines durchkomponierten, mehr-
stimmigen Gesanges iiber gleichbleibendem Strophen-
baB begegnet bei Grandi 1620, Kittel 1638, Cazzati
1649. In der Kantate werden StrophenbaBabschnitte
(z. B. bei Carissimi, Cesti, Cavalli) im Wechsel mit
Rezitativen verwendet. Mit Ausbildung der zyklischen
Kantatenform (Rezitativ - A. - Rezitativ - A.) und da-
mit der klaren Scheidung von Rezitativ und A. bei
Stradella, L.Rossi und Cazzati verliert der Strophen-
baB an Bedeutung und tritt um die Jahrhundertmitte
zuriick. Der zur gleichen Zeit auftretende Ostinato-
KurzbaB in der A. (in Kantaten bei Manelli 1636, Fer-
rari 1637, in Opern bei Monteverdi und Cavalli 1642)
konnte durch Verkiirzung des Strophenbasses bei
gleichbleibender Strophenlange entstanden sein und
tragt zur Losung vom BaBgeriist bei. Aria verlor nun
die Bedeutung eines rhythmisch-melodischen Stro-
phenbasses.
In der Oper zeigt sich die gleiche Entwicklung : fiir die
StrophenbaB- Aria und andere A.n-Formen (Da-Capo-
A. schon 1607, dann 1642 bei Monteverdi, 1647 bei L.
Rossi; 3teilige Liedform 1607 bei Monteverdi, 1619 bei
Landi) der romischen und venezianischen Oper ist die
liedhafte Obereinstimmung von Musik- und Textbil-
dung noch gemeinsames Merkmal. Gleichzeitig mit
der klaren Scheidung von Rezitativ und A. um 1640
(vor allem in der venezianischen Oper) nahmen Zahl
und Gestaltungsmoglichkeiten der A. zu. Die einfache,
jetzt auch vom Tanzlied beeinfluBte A. bleibt Neben-
personen vorbehalten. In den A.n der Hauptpersonen
(in Opern Landis 1634, Cavallis 1642 und L.Rossis
1647) begann durch Mittel wie Textwiederholung,
nach Lange und Tonart unterschiedliche Strophenver-
tonung, Einschiebung von Rezitativen und durch Ko-
loraturen die Loslosung der Arie vom Strophenlied
und damit die Geschichte der A. im heutigen Sinn.
Ihre Hauptform, die vor allem in der venezianischen
Oper ausgebildet wurde, ist die Da-Capo-A. Sie ver-
drangte um 1700 die 2teiligen Formen vom -> Arietta-
Typ (diese vor allem bei Ziani und Draghi) und die
dreiteiligen vom Formtyp abb' und beherrschte fiir
lange Zeit die europaische Oper. Sie ist als 3teilige
Refrainf orm angelegt (a b a, nach 1720 a a' b a a') ; der
Mittelteil weist meistens selbstandige Thematik auf.
Die Gestaltung der Da-Capo-A. in der venezianischen
Oper ist noch recht vielseitig: in der Cembalo-A., die
seit dem Spatwerk Monteverdis bis zum Anfang des
18. Jh. lebendig war, wird der Gesang vom Continuo-
Cembalo begleitet und von Orchesterritornellen ge-
rahmt. In der Orchester-A. wird die Begleitung des
Gesanges ausgefiihrt durch Orchestereinwurfe oder
durch das Konzertieren obligater Instrumente, wobei
zunachst die Trompete (Trompeten-A.), spater auch
andere Bias- und Streichinstrumente verwendet wer-
den. Die Devisen-A. des spaten 17. Jh. verbindet in
einem -*■ Devise genannten A.n-Beginn Gesang und
Orchesterritornell durch gleiche Thematik. - In Frank-
reich ist die Trennung von Rezitativ und A. nicht so
ausgepragt vollzogen wie in Italien, auch fehlen die
gegen Ende des 17. Jh. in Italien aufkommenden vir-
50
Arie
tuosen Koloraturen. Das -»■ Air der franzosischen Oper
ist einfach und syllabisch komponiert und folgt lied-
haft dem Textbau. Die italienische A. dringt um 1700
in die franzosische Oper ein und wird durch den Na-
men -> Ariette von der in eigener Tradition entwickel-
ten Form unterschieden. - Ebenso erhalt sich in der in-
strumentalen und vokalen deutschen Aria, die nach
dem Muster des Air oder - wie bei Kittel 1638 - nach
der italienischen Manier gebildet wurde, die Bedeutung
von A. als eines klar und einfach periodisierten, stro-
phisch-liedhaften Gebildes. In diesem Sinne begegnet
A. im 17. Jh. als ein- und mehrstimmiges Strophenlied
(mehrstimmige A.n schon bei Caccini 1600, und L.
Rossi 1637), meist mit Ritornell (Kittel 1638, Albert
1638-50, Voigtlander 1642, A.Krieger 1657, 67, 76,
J. R. Able 1660-62). Wahrscheinlich von hier aus fin-
det die liedhafte A. mit Ritornell Eingang in die deut-
sche Kantaten- und Oratorienkunst (Buxtehudes Kanta-
ten und Abendmusiken, Theiles Matthauspassion 1673,
Funckes Lukaspassion 1683), doch hat sie dann rasch,
wie uberhaupt alle uormals gebrduchlichen . . . sogenann-
ten Lieder oder stances, denen jetzigen A.n . . . weichen
mussen (J.G.Walther 1732). Der EinfluB der italieni-
schen Opern-A. zeigt sich im Liedschaffen etwa bei
Erlebach (1697) und J.W.Franck (1681), in der Oper
vor allem bei Kusser und Reiser (bei ihm auch eine
vollig unbegleitete A. im Inganno fedele) in koloratur-
reichen Da-Capo-A.n, die neben einfachen, volkstiim-
lichen Liedern auftreten. In den Kantaten-A.n Bachs
und Telemanns ist der italienische Formtyp ubernom-
men und die Beteiligung obligater Instrumente ver-
starkt. Aria in deutschen Suiten seit Mitte des 17. Jh.
(J.E.Kindermann 1643, Funck 1677, Scheiffelhutl685,
Handels »Wassermusik«) ist wohl Umbenennung von
franzosischer Air, wie die BezeichnungTraHcoiic/ie Arien
bei Hammerschmidt 1636 nahelegt. Die Aria ist hier,
wie das synonym gebrauchtc Air, ein 2teiliger Tanz-
satz unbestimmten Charakters. Aria bedeutet aber auch
Tanzstiick und Melodie uberhaupt: dies zeigen die
synonyme Verwendung von anderter Tanz und Aria
secunda in einer Ballettmusik von Schmelzer und De-
finitionen von Praetorius (1619: Aria vel air ist eine
hiibsche Weise oder Melodei) und Walther (1732: Aria
heisset uberhaupt eine jede Melodie). In der Bedeutung
eines melodisch reizvollen, auf keinen bestimmten
Tanztyp festgelegten Satzes begegnet Aria in Klavier-
musik (Bach, Partita IV, BWV 828) und Violin-Kam-
mermusik (Mondonville um 1734, Senaillie 1710-27).
- Zahl und Formenreichtum der italienischen A. nah-
men seit etwa 1720 ab, so daB in den A.n-Ketten der
Opera seria nur noch etwa 20 groBe, orchesterbegleite-
te A.n vorkommen (gegeniiber oft mehr als 50 A.n in
Opern des 17. Jh.), die vom Komponisten auf die San-
ger entsprechend deren Rangordnung verteilt wurden.
Die erweiterte 5teilige Da-Capo-A. war alleinherr-
schend. Dadurch verlor der Aufbau der Oper an Be-
weglichkeit. In der fiir die *-> Neapolitanische Schule
typischen »A.n-Oper«, die aus einer Reihung von Re-
zitativen und A.n besteht, ist die Fortfiihrung der dra-
matischen Idee so von musikalischen Riicksichten be-
stimmt, daB der Handlungsablauf nun immer aus-
schlieBlicher in den kurzen Rezitativen wiedergegeben
wird. Die A.n folgen einander, dem Fortgang der
Handlung entsprechend, in stufenartiger Steigerung,
sind in sich selbst aber statisch. Oft wird in ihnen der
seelische Zustand der handelnden Person in einem Ver-
gleich mit einem Naturbild verdeutlicht (Gleichnis-A.).
Bei den Komponisten der neapolitanischen Schule, vor
allem bei Hasse, ist die Ausformung der A. auf be-
stimmte Affekttypen festgelegt: durch die Aria di bra-
vura werden Wut, Rache, Triumph ausgedriickt; ihre
koloraturreichen, schnellen Gesangspartien sind oft auf
die Fahigkeiten einzelner Sangerstars zugeschnitten.
Leidenschaftliche Ausbriiche gibt die rezitativische Aria
parlante (sprechende A.) wieder, Anmut und Weich-
heit die langsamere Aria di mezzo carattere. Fiir Affek-
te der Trauer, des Schmerzes und der Sehnsucht stehen
getragene Largo- und Adagiosatze. Freiere Behand-
lung erfahrt diese oft recht Starr wirkende Typisierung
in den Opern Handels. Von der jiingeren Generation
der Neapolitaner (Jommelli, Majo) wird auch die Da-
Capo-Form freiziigiger gehandhabt. Seit der Mitte des
18. Jh., vor allem durch die Opernreform Glucks, ver-
liert die A. ihre Bedeutung als stereotyp wiederkehren-
de Aflekttragerin und wird in Form und Stellung im
Werk den Riicksichten der dramatischen Handlung
untergeordnet. Die Herrschaft des Da-Capo-Schemas
wird gebrochen. Andere Formen wie die 2teilige
-*■ Kavatine und die in der Opera buffa entwickelte
Rondo-A. (z. B. Mozart, Konzert-A.n K.-V. 217, 1775
und K.-V. 374, 1781) treten auf, und die A. ist in der
Folgezeit freier dem Handlungs- und Gefiihlsablauf
angepaBt; so ist die Da-Capo-Form in der Konzert-A.
K.-V. 486a (1778) von Mozart durch Verschleierung
des Uberganges zwischen Anfangs- und Mittelteil
und durch Einschiebung eines freien Rezitatives vor
den stark geanderten Da-Capo-Teil zu einer freien
Gesangsszene umgestaltet. Ahnliches findet sich in
den spaten Opern Mozarts. Diese szenenartige Stei-
gerungsform der A. (»Szene und A.«) wurde von den
italienischen Opera buffa-Komponisten des 18. Jh.
(Piccinni, Paisiello, Anfossi) vorgebildet. Ihre fiir das
19. Jh. bis hin zum mittleren Verdi typische Gestalt be-
steht in einer Folge rezitativischer und liedartiger Teile
(Ballade, Romanze, Kavatine). Beispiele sind: Flore-
stan-A. am Anfang des 3. Aktes in Beethovens Fidelio,
Szene und A. der Anna am Anfang des 2. Aktes in
Marschners Hans Heiling, Rezitativ und A. der Isabella
am Anfang des 2. Aktes in Meyerbeers Robert le Diable.
In der Stretta-A. wird noch ein schnellerer, steigernder
AbschluBteil angefiigt: Szene und A. des Lysiart am
Anfang des 2. Aktes in Webers Euryanthe, A. der Teresa
am Anfang des 1. Aktes in Berlioz' Benvenuto Cellini,
Scena e Cavatina der Leonore im 1. Akt von Verdis II
Trovatore. AuBer in einigen italienischen Opern (Belli-
ni, Donizetti) wird im 19. Jh. das Koloraturwesen ein-
geschrankt und die Gliederung der Gesangsmelodik der
des Textes wieder angenahert. Der Text jedoch geht im
Laufe des Jahrhunderts von nichtstrophischer Dichtung
der Rezitative und strophischer der A.n zu durchgehend
nichtstrophischer iiber. Strophenartige Versgruppen
werden seit der Mitte des Jahrhunderts selten. Seit dem
Musikdrama Wagners und dem Spatwerk Verdis ist die
Scheidung von Rezitativ und A. weitgehend aufgeho-
ben. Nur noch vereinzelt kommen liedhafte Stiicke vor
(Trinklied im 1. Akt von Verdis Otello, Stolzings Lied
in Wagners Die Meistersinger). Am Anfang des 20. Jh.
bewirken sowohl die Reaktion auf das Musikdrama als
auch die Riickbesinnung auf das musikalische Erbe des
Barock und Rokoko, daB die alte, in klar begrenzte
Abschnitte unterteilte »Nummernoper« wieder auf lebt,
vor allem in Werken, die bewuBt an Opernformen des
17. und 18. Jh. anschlieBen, wie Ariadne aufNaxos (1912)
und Die schweigsame Frau (1935) von R. Strauss und The
Rake's Progress (1951) von Strawinsky. Die Bezeich-
nung A. fiir die von rezitativischen Teilen abgegrenz-
ten Gesangsnummern findet sich u. a. bei Hindemith
(Cardillac, 1926; Neues vom Tage, 1929; Das Nusch-
Nuschi, 1920, hier eine A. mit Variationen), Schonberg
{Von heute aufmorgen, 1939).
Lit.: H. Goldschmidt, 2ur Entstehungsgesch. d. A.- u.
Symphonie-Formen, MfM XXXIII, 1901 ; ders., Studien
51
Arietta
zur Gesch. d. ital. Operim 17. Jh., 2 Bde, Lpz. 1901-04; H.
Abert, N. Jomelli als Opernkomponist, Halle 1908; H.
Springer, Zu L. Giustiniani u. d. Giustinianen, SIMG XI,
1909/10; A. Einstein, Die Aria di Ruggiero, SIMG XIII,
1911/12; H. Riemann, Der »basso ostinato« u. d. Anfange
d. Kantate, ebenda; ders., Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912;
K. Nef, Gesch. d. Sinfonie u. Suite, = Kleine Hdb. d. Mg.
nach Gattungen XIV, Lpz. 1921; P. Nettl, Die Wiener
Tanzkomposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII,
1921 ; R. Gerber, Der Operntypus J. A. Hasses u. seine
textlichen Grundlagen, Berliner Beitr. zur Mw. II, Lpz.
1925; A. Lorenz, Die Jugendopern A. Scarlattis, 2 Bde,
Augsburg 1 927 ; B. Flogel, Studien zur Arientechnik in d.
Opern Handels, Handel-Jb. II, 1929 ; G. Fr. Schmidt, Die
friihdeutsche Oper u. d. mus. Kunst G. Schiirmanns, 2 Bde,
Regensburg 1933-34; I. Schreiber, Dichtung u. Musik d.
deutschen Operna., 1680-1700, Diss. Bin 1934; S. Gos-
lich, Beitr. zur Gesch. d. deutschen romantischen Oper,
= Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f. deutsche Musikfor-
schung I, Lpz. 1937; H. Chr. Wolff, Die venezianische
Oper in d. 2. Halfte des 1 7. Jh., Bin 1937 ; L. Walther, Die
Ostinato-Technik in d. Chaconne- u. A.-Formen d. 17. u.
1 8. Jh., Wiirzburg 1940; H. H. Eggebrecht, Aus d. Werk-
statt d. terminologischen Worterbuchs, Kgr.-Ber. Utrecht
1952; ders., Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d.
Wiss. u. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse,
Jg. 1955, Nr 10; M. F. Robinson, The Aria in Opera Seria,
1725-80, Proc. R. Mus. Ass., LXXXVIII, 1961/62; B.
Hjelmborg, Aspects of the Aria in the Early Operas of Fr.
Cavalli, Natalicia Musicologica, Fs. Kn. Jeppesen, Ko-
penhag^n 1962.
Arietta (ital., kleine Arie), im 17. und 18. Jh. eine kur-
ze, einfache, oft in Art der -> Kavatine 2teilige Arie
der italienischen Oper, zuweilen auch Synonym fiir
Arie, z. B. in Landis // San Alessio (1634).
Ariette (arj'et, frz, Nachbildung von -> Arietta),
- 1) in der 1. Halfte des 18. Jh. die in die franzosische
Oper ubernommene virtuose italienische Arie in Da-
Capo-Form. Deren Benennung als »kleine Arie« ist
zwar nicht treffend, diente aber zu sprachlichen Unter-
scheidung vom vorherrschenden schlichten -*■ Air. Im
Unterschied zur Arie in Italien trat die A. fast nie im
Opeminneren auf, sondern wurde nur in den Diver-
tissements geduldet, da sie ausschlieBlich als Schaustel-
lung stimmlicher Gewandtheit und »angenehme Ne-
bensache« verstanden wurde und deshalb als dramatisch
unergiebiges Element erschieh. - 2) In der Opera-co-
mique, der Comedie melee d'ariettes, des 18. Jh. er-
scheint im gesprochenen Dialog die A. als volkstiim-
lich komponiertes Lied im Gegensatz zum -*■ Vaude-
ville, in dem bekannten Melodien Texte unterlegt
wurden. Von dem Kampf der beiden Gattungen, in
dem gegen 1670 das Vaudeville verdrangt wurde,
zeugt die Opera-comique Le Proces des Ariettes et des
Vaudevilles (1760) von Favart. Eine schlichte A. er-
scheint auch bei R.Strauss im Burger als Edelmann (1.
Fassung).
Arioso (ital., arienhaft), - 1) ein kurzer Gesangsab-
schnitt, dessen Text den Gehalt eines Rezitativs zusam-
menfaBt. Das A. ist durch einfache, liedhafte Melodik,
klare Taktordnung und Textwiederholungen vom
Rezitativ abgehoben, es fehlen ihm aber die Ausdeh-
nung, die ausgepragte Thematik und der festgelegte
Formplan der Arie. Das A. ist, oft als Bindeglied zwi-
schen Rezitativ und Arie, wesentlicher Bestandteil der
italienischen Kantate und Oper im 17. Jh. (Monteverdi,
Cesti), verliert aber in diesen Gattungen mit der klaren
Scheidung von Rezitativ und Arie (besonders in der
Neapolitanischen Schule) an Bedeutung. Seit etwa
1700 wird in der protestantischen Kirchenmusik das A.
zur einpragsamen Vertonung einer Betrachtung oder
moralischen Lehre wichtig (J.S.Bach, Kantate BWV
80 und Johannespassion: Betrachte meine Seek). - 2) A.
als Vortragsbezeichnung (arienhaft zu spielen oder zu
singen, gesanglich; auch substantivisch) ist nicht an
einen bestimmten Satztyp gebunden (J.S.Bach, Jo-
hannespassion: Recitativo accompagnato Mein Herz,
in dem dieganze Welt, und Weihnachtsoratorium : Cho-
ralzitate Er ist aufErden kommen arm im Rezitativ Wer
kann die Liebe recht erhoh'n ; Kuhlau, Sonatine fiir Kl. zu
4 Handen, op. 44, Nr 1, 2. Satz; Beethoven, Klavier-
sonate op. 110, 3. Satz). A. genannte Gesangsstucke be-
gegnen auch in neueren, der Tradition des 18. Jh. ver-
bundenen Opern wie Cardillac von Hindemith und
The Rake's Progress von Strawinsky.
ArithmetischeTeilung->HarmonischeTeilung.
Armeemarsche (Truppenmarsche), eine Militarmu-
sik, die mit der Einf iihrung des reglementierten Gleich-
schritts der Truppen im 17./18. Jh. aufkam und die Auf-
gabe ubernahm, die beim Feldmarsch der Landsknechte
der Trommelschlag hatte. Bei den A.n sind zu unter-
scheiden: Parademarsche im langsamen Schritt (frz.
pas ordinaire), der als Stechschritt eingeubt wurde
(Tempo bei der preuBischen Armee zunachst 60, spa-
ter bis zu 80 Schritt pro Minute, bei der sachsischen95),
Geschwindmarsche, auch Quickmarsche genannt (bei
der preuBischen Armee 108, bei der sachsischen 115
Schritt pro Minute) und Sturmmarsche, auch De-
ployiermarsche genannt, die bei Bajonettattacken usw.
gespielt und nur vom Trommelschlag begleitet wur-
den (120 Schritt pro Minute). Die modernen Tempi
der A. sind erheblich schneller, so ist das Tempo der
deutschen A. 114, das der italienischen 120 und das der
franzosischen 140 Schritt pro Minute. - Seit dem spa-
ten 17. Jh. wurde es Brauch, daB jedes Regiment seinen
eigenen Marsch bekam. Gute Marsche wurden zu A.n
ernannt und als Prasentier- oder Parademarsche an
Truppenteile verliehen. Auf Anordnung Ludwigs XIV.
legte Lully eine Sammlung von A.n an. Bekannt ist
auch die Sammlung Philidors l'aine von 1705 (Biblio-
thek Versailles). 100000 A. soil Ernst Ludwig von Hes-
sen gesammelt oder komponiert haben. In Sachsen gab
Giinther 1782 A. heraus. Die Koniglich PreuBischen A.,
deren Sammlung Friedrich Wilhelm III. 1817 anord-
nete, gab Wieprecht in Zentralpartitur fiir ->-Militar-
musik heraus ; von Anf ang an enthielt sie auch auslan-
dische (russische, osterreichische) A. In Osterreich
gab es ein Verzeichnis der historischen Marsche fiir das
k. u. k. Heer. Die Melodien sind oft Opern entnom-
men (Olimpia, »Belisar«, »Die weiBe Dame«, »Der
Brauer von Preston«, »Die Zigeunerin«, »DieHugenot-
ten«, »Indra«, »Margarete«, Das goldene Kreuz). - Be-
riihmte A. sind u. a. : Yorckscher Marsch, von Beethoven
(WoO 18) komponiert als Zapfenstreich fiir tiirkische
Musik 1809; Beethoven fiigte spater ein Trio hinzu,
das aber kaum bekannt wurde. Der Marsch des Yorck-
schen Korps wurde zu einem der bekanntesten A., der
noch heute bei feierlichen Anlassen gespielt wird, so
beim Anmarsch zum GroBen Zapfenstreich. Wegen
seines anfeuernden Rhythmus wurde er beim Avan-
cieren 1864 bei Diippel gespielt. - Prinz Eugen der edle
Ritter, die Melodie mit Taktwechsel, zum Teil im 5/4-
Takt, hafviele Komponisten zur Bearbeitung gereizt,
so A.Leonhardt (Prinz Eugen- Marsch), A.Boettge
(Prinz Eugen-Variationen) und Hindemith (Variationen
in der Konzertmusikfiir Blasorchester op. 41). - RdkSczi-
Marsch, ungarischer Nationalmarsch eines unbekann-
ten Komponisten, gewidmet dem Fuhrer der Freiheits-
bewegung gegen die Habsburger Monarchic, Franz II.
Rakoczy (f 1735). Die heutige Fassung stammt von
W.Ruziczka (f 1823). Die feurige Melodie ist oft be-
arbeitet worden, so von Liszt (XIV. Ungarische Rhap-
sodie) und Berlioz (»Fausts Verdammnis«). - Fridericus
52
Arpeggio
Rex, Lied von W. Alexis aus dem historischen Roman
Cabanis (1832), vertont von C.Loewe; die Melodie ist
nach dem Hohenfriedberger Marsch gebildet. Das Lied
verwendete F. Radeck als Trio in seinem Fridericus Rex-
Grenadier- Marsch. Hohenfriedberger Marsch, oft ohne
Beleg Friedrich dem GroBen zugeschrieben, gait als
Ruhmesfanfare der preuBischen Reiterei. Die alteste
iiberlieferte Fassung ist fur Klavier gesetzt. Der 2teilige
Armeemarsch wurde im Koniggratzer Marsch von Pief-
ke als Trio verwendet. - Radctzky-Marsch von Johann
StrauB Vater; 1848 gait dieser Marsch als reaktionares
Stiick, trat aber dann seinen Siegeszug an als ein aus
dem Geiste des Wiener Walzers geborener echter
Militarmarsch.
Ausg. : Die Churpfalz-Bayerischen u. Koniglich-Bayeri-
schen Ordonnanz-Marsche u. -Signale f. Pfte bearb. v. C.
Hunn, Miinchen o. J. ; A. Kalkbrenner, Die Koniglich-
PreuBischen A., Lpz. 1896; O. Schmid, Altsachsische A.,
in : Musik am Sachsischen Hofe 1X/X, Lpz. 1905 ; Deutsche
A. Neue Ausg. in 3 Bden : I : Prasentiermarsche f . FuBtrup-
pen - Langsame Marsche - Prasentiermarsche u. Parade-
marsche im Schritt f. berittene Truppen - Zapfenstreiche,
II : Parademarsche f . FuBtruppen, III : Parademarsche im
Trabe u. im Galopp, Bin u. Wiesbaden 1 962.
Lit. : G. Kandler, Deutsche A., Bad Godesberg 1962.
GKa
Armenien.
Lit.: P. Bianchini, Les chants liturgiques de l'eglise ar-
menienne (armenisch, ital., frz.), Venedig 1877; M. Ekma-
lean, »Gesange d. hi. Messe d. armenischen Kirche in
Etschmiadzin« (armenisch), Lpz. 1 896 ; P. Aubry, Le ryth-
me tonique dans la poesie liturgique et dans le chant des
eglises chretiennes au Moyen-Age, Paris 1903; A. Hissar-
lean, »Gesch. d. armenischen Notation u. Biogr. d. arme-
nischen Sanger 1768-1909« (armenisch), Konstantinopel
1914; F. Macler, La musique en Armenie, Paris 1917; E.
Wellesz, Die armenische Kirchenmusik, Musica Divina
VI, 1918; ders., Das armenische Hymnar, ebenda; ders.,
Die armenische Messe u. ihre Musik, JbP XXVII, 1920 ; A.
Gastou£, L' Armenie et son art traditionnel, Rev. de Mu-
sicol. XIII, 1929; S. Poladian, Armenian Folk Songs,
= Univ. of California Publications in Music II, 1, Berkeley
1942; D. H. Hovhannissian, Armenian Music I/II, Diss.
Ann Arbor 1956, maschr. ; L. Dayan, II pluricromatismo
nella musica armena, Kgr.-Ber. Wien 1956; R. A. Atajan,
Armjanskaja chasowaja notopis . . . (»Die armenische
kiinstlerische Notenschrift. Fragen d. Studiums u. d. Ent-
zifferung«), Erewan 1959.
Arnstadt (Thiiringen).
Lit. : W. Toelle, Arnstadter Theater im Wandel d. Zeiten,
A. 1938 ; Arnstadter Bachbuch, hrsg. v. K. Muller u. Fr.
Wiegand, A. 21957.
Arpa (ital.) -»■ Harf e.
Arpanetta (ital.) -> Spitzharfe.
Arpeggio, arpeggiando (arp'eddjo, ital., von arpa,
Harfe; frz. arpege, arpegement, harpegement; engl.
auch broken chord; deutsch friiher auch Brechung,
Zergliederung), eine Spielweise auf Zupf-, Streich-
und Tasteninstrumenten, die darin besteht, die zu einem
Akkord gehorenden Tone nicht gleichzeitig (wie no-
tiert), sondern mehr oder weniger rasch hintereinander
zum Erklingen zu bringen, wobei die Reihenfolge ver-
schieden sein kann und einzelne Tone auch wiederholt
werden konrien. Das A., dem besonders fur ein kunst-
volles GeneralbaBspiel (Rezitativbegleitung) groBe Be-
deutung zukam, wurde bei Tasteninstrumenten im 17./
18. Jh. zu den -> Verzierungen gerechnet. Hierbei un-
terschied man zwischen dem Arpegement simple und
dem Arpegement figure, das auch akkordf remde Noten
enthalt (sogenannte gebrochene -»■ Acciaccaturen), die
aber sofort nach ihrem Anschlag wieder losgelassen
wurden, wogegen man die akkordeigenen Noten wah-
rend der ganzen Dauer des notierten Akkords aushielt.
- Als Verzierung bei einzelnen Akkorden konnte das A.
mit verschiedenen Zeichen angedeutet oder auch mit
kleinen Noten ausgeschrieben werden. Als Spielweise
fur ganze Stiicke oder Teile daraus schrieb man das A.
oft in den ersten Takten in groBen Noten aus und for-
derte die Fortsetzung derselben Spielart durch Beifii-
gung des Wortes A. (Abk. : arp. oder arpegg.) oder
auch segue in den dazu nur in Form von Akkorden no-
tierten Harmonien (Beispiele: J.S.Bach, Praeludium
C dur aus dem Wohltetnperierten Klavier I, BWV 846,
Urform im Klavierbuchlein fur W.Fr.Bach, sowie
Chromatische Fantasie D moll, BWV 903). In anderen
Fallen wurde die Art des A. dem Spieler freigestellt
und bereits dem ersten der zu arpeggierenden Akkor-
de eine entsprechende Bezeichnung beigefiigt. Hau-
fig aber wurde iiberhaupt die Moglichkeit eines A.
dem Spieler anheimgesteUt und keinerlei Bezeichnung
angebracht.
Bei den mehrsaitigen Zupfinstrumenten aller Zeiten
und Volker (in der abendlandischen Kunstmusik vor
allem bei Harfe, Laute und Gitarre) ist das A. die einzig
mogliche Art der Ausfiihrung von Akkorden (Th.
Mace spricht in seinem Mustek's Monument, 1676, von
raking play bei der Laute). Ahnliches gilt fur das mehr-
griffige Spiel auf Streichinstrumenten, wo sich aus der
solistischen Gambenmusik des 16./17. Jh. (Anweisung
fiir das A. auf der Gambe bei Th. Mace) das mehrstim-
mige Spiel auf der Violine im 17./18. Jh. entwickelte.
Fr. Geminiani, L' Abbe le Fils und L. Mozart behandeln
in ihren Violinschulen die Technik des A. ausfuhrlich
(Geminiani fiihrt 18 verschiedene Ausf iihrungsarten fiir
das A. von 3- und 4st. Akkorden an). Beispiele fiir die
Moglichkeiten mehrstimmigen Spiels auf der Violine
unter Verwendung der A.-Technik finden sich in J. S.
Bachs Sonaten und Partiten fiir Violine solo sowie in
J.H.Romans Assaggi a Violino Solo. Unter den ver-
schiedenen Tasteninstrumenten ist es vor allem das
Cembalo (mit seinen gezupften Saiten), auf dem das A.
von besonders guter Wirkung ist, wie J.D.Heinichen
in seinen GeneralbaBlehrbiichern (1711, 1728) mit der
Feststellung bezeugt, daB das Harpeggio auf dem Clave-
cembal von sonderlicher Wiirckung, und gleichsam diesem
Instrument eigen ist. Bereits 1672 empfiehlt L.Penna in
Li Primi Albori Musicali (III, 20, § 19) das A. beim Ge-
neralbaBspiel, um keine »Leere im InstrumenU auf-
kommen zu lassen (Procuri d'arpeggiare per non lasciar
vuoto I'Instrumento). Heinichen beschreibt (1728, Kap.
VI, Vom manierlichen Generalbafi) die »Harpeggiaturen«
ausfuhrlich: er unterscheidet zwischen dem einfachen
A. (von der BaBnote in der linken Hand bis zur hoch-
sten Note in der rechten Hand in'einem raschen Zug),
dem doppelten A. (von der tiefsten bis zur hochsten
Note herauf und sofort wieder herunter zur Bafinote)
und dem vielfachen A. (Wiederholung des doppelten
A. sowie vielerlei andere Arten von Brechungen).
AuBerdem gibt er zahlreiche Beispiele fiir 2-, 3- und
4st. A. der linken und der rechten Hand, wobei die an-
dere Hand jeweils ohne A. zu spielen hat. Noch im
Jahre 1801 gibt der Kirnberger-Schuler A.Fr.C.Koll-
mann in seinem Practical Guide to Thorough Bass eine
ausfiihrliche Tabelle mit moglichen »Harpeggios« fiir
Dreiklange und Dominantseptakkorde sowie deren
Umkehrungen, als Illustration zu seinen Anweisungen
fiir die Rezitativbegleitung. Auch auf der Orgel be-
gegnet das A. sowohl beim solistischen Spiel als auch
beim GeneralbaB; fiir den ersten Fall sei auf G.Fresco-
baldis Vorreden zu seinen Capricci (1626) und zu seinen
Toccate (1637) verwiesen, fiir den zweiten auf D.G.
Turks Angaben (1787). - Handelt es sich um A. einzel-
ner Akkorde bei einer f ortlaufenden Melodie, so muB
die Ausfiihrung des A. der deutlichen Horbarkeit der
53
Arpeggione
melodischen Fortschreitung angepaBt werden (Bach,
Praeludium B dur, Wohltemperiertes Klavier I, Takt
17; vgl. A.Dolmetsch). Dasselbe meint Rameau im
Avis pour la viole (Pieces de clavecin en concerts, 1741):
»An Stellen, wo man zwei oder mehrere Noten nicht
leicht zusammen spielen kann, arpeggiert man sie ent-
weder, wobei man auf derjenigen Note anhalt, von
welcher aus die Melodie weitergeht ...«.- D.G.Tiirk
zeigt in seiner Klavierschule (1789) die verschiedenen
Notationsarten fur das Aushalten aller oder nur be-
stimmter Noten im A. Ferner erklart er die Ausfiih-
rung von langen und kurzen Vorschlagen in Verbin-
dung mit einem A. :
oder
(kurzer Vorschlag)
Wahrend im 17./18. Jh. das A. im allgemeinen auf den
Schlag beginnt, vertritt J.P.Milchmeyer (1797) erst-
mals die auftaktige A.- Ausfuhrung (es handelt sich um
das erste ausdriicklich f iir das Hammerklavier geschrie-
beneLehrbuch). In W.A.MozartsKlavierkompositio-
nen sollten jedoch A.s wie etwa im Menuett der Kla-
viersonate A dur (K.-V. 331) auf den Schlag genom-
men werden, im Gegensatz zu solchen der linken Hand
wie im letzten Satz dieser Sonate, die besser auftaktig
gespielt werden. - Im 19. Jh. wird das A. als Spielweise
aufeinander folgender Akkorde mehr und mehr in
groBen Noten ausgeschrieben und von den Kompo-
nisten in den Takt eingeteilt. In den Begleitfiguren der
linken Hand war dieses ausgeschriebene A. in Form
der -> Albertischen Basse voriibergehend ein ausge-
sprochenes Merkmal fiir einen bestimmten Stil.
Lit.: G. Mantel, Zur Ausfuhrung d. Arpeggien in J. S.
Bachs »Chromatischer Phantasie«, Bach-Jb. XXVI, 1929;
Fr.-H. Neumann, Die Theorie d. Rezitativs im 17. u. 18.
Jh., Diss. Gottingen 1955, maschr., S. 344if. — »Verzierun-
gen, — > GeneralbaB. ERJ
Arpeggione (arpedd3'o : ne, ital. ; frz. guitare d'amour),
ein wie ein Violoncello gespieltes Streichinstrument,
das von der Gitarre den 8formigen CorpusumriB, die
Biinde sowie die Stimmung E a d g h el hat. Es wurde
1823 von G.Staufer in Wien konstruiert. Schubert
schrieb fiir A. und Kl. 1824 eine Sonate in A moll (D
821; heute als Violoncell- oder Bratschensonate ge-
spielt), die V. Schuster als erster spielte, der auch eine
Schule fiir A. herausgab.
Arpicordo (ital.), spinettartiges, jedoch an den
Schmalseiten spitzes, 5-6eckiges Tasteninstrument, et-
wa in Form einer liegenden Harfe, mit meist 4 Oktaven
Tonumfang. Praetorius nennt unter A. nur ein Cem-
baloregister mit Harf enklang, ebenso Walther, der da-
neben Harpicordo als Bezeichnung fiir das Spinett an-
fiihrt.
Lit. : V. Galilei, Dialogo della musica antica et della mo-
derna, Florenz 1581, Faks. hrsg. v. F. Fano, Rom 1934;
Praetorius Synt. II; WaltherL; L. Cervelli, Ital. Mu-
sikinstr. in d. Praxis d. Gb.-Spiels: Das A., Kgr.-Ber.
Koln 1958.
Arrangement (frz. und engl.), s. v. w. Einrichtung
eines Musikstiicks fiir eine durch gegebene Verhalt-
nisse bedingte oder fiir sie bestimmte andere Besetzung
als die urspriingliche ; z.B. ist der -» Klavierauszug ein
A., wie es die Instrumentierung einer Klavierkompo-
sition sein kann. DaB der Ausdruck A. den Beige-
schmack des Minderwertigen hat, hangt mit der heuti-
gen Auff assung vom musikalischen Kunstwerk zusam-
men, die eine stilgerechte Auffiihrung in Originalbe-
setzung fordert und die ein A. als unserios ablehnt, so-
fern es nicht als -> Bearbeitung eigenkiinstlerischen
"Wert hat und von historischem Interesse ist, wie vor
allem die Neueinrichtungen eigener Werke bei Bach,
Beethoven und Brahms. Andererseits haben die im
19. Jh. auf gekommenen A.s fiir Salon- und Kaffeehaus-
musik, mit deren inadaquater Besetzung und haufig
unzulanglichem Vortrag, zur Abwertung beigetxa-
gen. - Im Jazz wird durch das A. der Ablauf eines
Stiickes harmonisch und stimmenmaBig festgelegt.
Das A. begegnet schon im New-Orleans-Jazz als Head-
A. in Form von Absprachen (die Ausfiihrenden konn-
ten meist keine Noten lesen) und ging hervor teils aus
erstarrten Improvisationen, teils aus Konzeptionen, die
der Band-Pianist den Musikern bei Proben vorspielte.
Die 1920er Jahre brachten eine exaktere Festlegung
des A.s : fiir Aufnahmen von Schallplatten waren An-
fang, SchluB, Anzahl der Wiederholungen des Chorus
sowie wirksame Stimmenablaufe festzulegen. Das A.
wurde aufgezeichnet (Morton, Beiderbecke), wobei
die Soli weiterhin improvisiert werden konnten. Ver-
breitet war das Rahmen-A. (Skeleton-A.), in dem ne-
ben der Einleitung nur der erste und letzte Chorus or-
chestriert ist. Die Big bands verlangten eine noch ge-
nauere Fixierung des Gesamtablaufs. Es entstand das
als Partitur ausgeschriebene A. (Henderson), das den
entscheidenden Ansatzpunkt fiir die moderne Jazz-
komposition ergab. Jedoch konnen auch hier die So-
li ausgespart sein (-> Background). Die rhythmische
Ausfuhrung (-»• swing, -> Beat) und die -> Hot-Into-
nation, die im A. nicht zu erfassen sind, bleiben den
Musikern iiberlassen. Haufig sind die Leader der Big
bands selbst Arrangeure und Jazzkomponisten (El-
lington, Whiteman, Lunceford). Der -> Progressive
Jazz versuchte, iiber das A. die Verbindung zu kompo-
nierter symphonischer Musik zu schaffen. Im Be-bop
und Modern Jazz soil das A. auch bei kleineren Grup-
pen als Basis fiir die Improvisation dienen (John Lewis,
Gerry Mulligan).
Arras.
Lit. : P. Fanien, Hist, du chapitre d'A., A. 1 868 ; A. de Car-
devacque, La musiquea A., in: Memoires de l'Acad. d'A.
XVI, A. 1885, separat 1886; A. Guesnon, La Confrerie des
jongleurs d'A. et le tombeau de l'6veque Lambert, in : Me-
moires de la Commission departementale des monuments
hist, du Pas-de-Calais, A. 1913; L. Petitot, La musique a
A. au XIX e s., A. 1942; G. Birkner, Entretiens d'A. 1954,
MfVII, 1954.
Ars antiqua (lat., alte Lehre) kam um 1320 in Frank-
reich als Gegenbegriff zu -*■ Ars nova auf. Regnat nova
[ars), exulat antiqua (»Es regiert die neue ars, verbannt
ist die alte«; CS II, 429b), stellte gegen 1330 Jacobus von
Liittich fest. Entsprechend der zentralen Bedeutung, die
im Mittelalter der Status des Zur-Schrift-Bringens von
Musik fiir die Kompositionsart hatte, bezieht sich der
Name A. a. (oder Ars vetus) vor allem auf die Men-
suralnotation, wie sie nach Ansatzen bei -*■ Garlandia
und neben Bestrebungen des ->- Lambertus von ->■ Fran-
co von Koln um 1250 in seiner Ars cantus mensurabilis
in den Grundlinien festgelegt, von -> Petrus de Cruce
vor 1300 in Motettenkompositionen und in seiner
durch R. de Handlo (CS I, 387f.) und J. Hanboys (CS I,
424) bezeugten Lehre erweitert worden war. Zugleich
verstand man als A. a. die nach diesem Modus notandi
aufgezeichneten Organa und Conductus und die seit
der neuen Notationsart ebenfalls antiquierten Kom-
54
Ars musica
positionsarten in Motetten, Hoqueti und Kantilenen-
satzen (Rondeaux). Aus den Traktaten der Ars nova ist
jedoch deutlich zu ersehen, daB es deren Verf assern voll-
standig fern lag, gegen die alte Ars notandi zu pole-
misieren. Das Fundament ihrer Darstellung bildet die
alte Lehre, aus deren Prinzipien sie das Neue ableiten
und entwickeln (51c videmus in veteri arte . . . sic est in
nova arte), so namentlich in der Ars nova Ph. de Vitrys
in der Fassung Paris, Bibl. Nat. lat. 7387A (CSM VIII),
und im Compendiolum artis veteris ac novae (Anon. Ill,
CS III) ; in der bekannten Fassung von Vitrys Traktat
in der Bibl. Vat., Barb. lat. 307 (CSM VIII) ist vor
der Darstellung der neuen Notierungsart did der Ars
vetus hochstwahrscheinlich nur eliminiert. - Polemisch
wurde die A. a. seitens der Kirche, apologetisch seitens
der alteren Generation der Ars nova gegeniibergestellt.
Im Bereich der Kirchenmusik verordnete Papst -»■ Jo-
hannes XXII. in der Constitutio Docta sanctorum 1324/25
in Avignon die Wahrung der modesta gravitas des Sin-
gens gegeniiber der lascivia, den novae notae, den Ho-
queti und vulgarsprachlichen Motetten der novellae
scholae discipuli, die den Choral und die Tonarten ver-
nachlassigen und deren Kompositionen unter Straf-
androhung aus der Kirche verbannt werden; damit
wurde die Trennung von weltlicher und kirchlicher
mehrstimmiger Musik offiziell gemacht, indem letzte-
re eine alte Art bewahren soflte. Als konservativer
Vertreter der alteren Generation verteidigte der um
1260 geborene Jacobus von Liittich in seinem Speculum
musicae (lib. VII, gegen 1330) den modus antiquus notan-
di und cantandi gegeniiber der nach seiner Meinung
iibersteigerten subttlitas und speculatio, der lasciva curio-
sitas und intricatio der neuen Ars, in der der Text ver-
dorben (littera perditur), die Harmonie gemindert (ar-
monia consonantiarum minuitur), die perfectio unter-
driickt, die imperfectio erhoht und die Mensur in Un-
ordnung gebracht werde (perfectio deprimitur; imper-
fectio sublimatur mensur aque confunditur, CS II, 432a). -
Als Epoche ist die A. a. raumlich und zeitlich einzu-
grenzen auf diejenige Musik, die den franzosischen
Musikern, welche den Begriff zu Beginn des 14. Jh.
pragten und verwendeten, bekannt bzw. zufolge der
mensurierten Notation verstandlich war. Auszuschlie-
Ben sind demnach sowohl die Organa dupla als auch
die modal notierte Organum- und Diskantkunst der
-* Notre-Dame-Epoche, sofern deren Repertoire (can-
tus antiqui organici, CS II 394b, 429a) nicht auch in men-
surierten Umschriften tradiert ist, wie im Codex Mo,
dessen 1. Faszikel (geschrieben um 1280) u. a. zwei 3st.
Organa von Perotin enthalt. Somit umgrenzt der
Epochenbegriff A. a. die auf Paris zentrierte Musik und
Musiklehre der Zeit etwa von 1230/40 bis 1315/25. In
deren Mittelpunkt stehen die Kodifizierung der Men-
suralnotation durch Franco von Koln, die noch wesen-
haft anonyme Kompositionsart des Discantus in der
Motette als f uhrender Gattung neben Conductus, Ho-
quetus und dem neu entstehenden Kantilenensatz der
Rondeaux von Adam de la Halle und an ->■ Quellen
die Motettencodices Ba, Mo und Tu.
Lit.: Jacobus Leodiensis, Speculum musicae VII, CS II;
Johannes XXII., Constitutio »Docta sanctorum«, n:
Corpus Iuris Canonici II, hrsg. v. E. L. Richter u. E. Fried-
berg, Lpz. 1881, S. 1255ff.; dies., hrsg. v. Fr. X. Haberl,
VfMwIII, 1887, S. 210, = Bausteinef. Mg. Ill, Lpz. 1888,
S. 22 ; K. G. Fellerer, Kirchenmus. Vorschriften im MA,
KmJb XL, 1956; ders., La »Constitutio Docta sanctorum
patrum« di Giovanni XXII e la musica nuova del suo tem-
po, in: L'Ars nova ital. del Trecento, Kgr.-Ber. Certaldo
1959; K. W. Gumpel, Der Toledaner Kapellmeister B. de
Quevedo u. sein Kommentar zu d. Extravagante Docta
sanctorum Johannes' XXII., Span. Forschungen d. Gor-
res-Ges. I, 21, Miinster i. W. 1963. HHE
Arsis — Thesis (griech.), urspriinglich das Heben und
Senken des FuBes beim Tanz. Seit dem Aufkommen
der Metrik (-> Metrum) werden beide Termini zur Be-
schreibung von VersfiiBen verwendet; dabei gilt A. als
Kiirze und Th. als Lange. Spatantike Grammatiker
deuten jedoch A. als Hebung (elevatio, sublatio), Th.
als Senkung (positio) der Stimme im akzentuierenden
Vortrag. An diesen Sprachgebrauch kniipft die neu-
zeitliche wissenschaftliche Metrik an, die das betonte
Verselement als Hebung, das unbetonte als Senkung
bezeichnet. - In der Musiklehre des 16.-18. Jh. wird
unter A. das Aufheben der Hand beym Tactgeben; und
demnach die zweyte Helffte so wohl des tactus aequalis, als
inaequalis verstanden, unter Th. der erste Tact-Theil,
wenn nemlich die Rede nur von 2 Theilen ist; weil aufsol-
chem die Hand niedergelassen wird (WaltherL; -> Tac-
tus). - Der Zusatzper arsin et thesin ist mehrdeutig und
meint z. B. nach WaltherL beim Canon den Krebs-
kanon, nach Marpurg (1753/54) bei imitatio die unter
Austausch von leichter und schwerer Taktzeit eng fol-
gende Nachahmung.
Ars musica (lat.) bezeichnet die Stellung der Musik
im Rahmen des Schulwissensystems der septem artes
liberales. Diese 7 »Freien Kiinste« umfassen das Trivium
mit den 3 sprachlichen artes (Grammatica, Rhetorica,
Dialectica), die den Gegenstand des Unterrichts in den
mittelalterlichen Lateinschulen (Trivialschulen) bilden,
sowie das Quadrivium mit den 4 mathematischen artes
(Arithmetica, Geometria, ->- Musica, Astronomia). Der
quadriviale Unterrichtsstoff drang in einige bevorzug-
te Klosterschulen, wie St. Gallen und Reichenau, und
im Laufe der 2. Half te des 10. Jh. im Zuge der Boethius-
Renaissance in die Kathedral-, Dom- und Stiftsschulen
ein, die ihrerseits noch den Unterricht (auch in der
A. m.) an der »Artisten«-Fakultat (facultas artium) der
mittelalterlichen Universitat befruchteten. Sie verlieh
den Grad eines Magister artium (-*■ Akademische Gra-
de). Der Wortbegriff ars, der dem lateinischen Mittel-
alter aus der Spatantike iiberkommen ist, nimmt eine
vermittelnde Stellung zwischen der hochgeistigen sci-
entia und dem geistarmen usus ein. So riihmt Guido
von Arezzo sich, im Bereich des christlichen Kirchen-
gesangs eine A. m. durchgefiihrt zu haben, indem er
dem usus eines bloB gedachtnismaBigen Singens nach
linienlosen Neumen eine diastematische, durch ein Sy-
stem von Linien- und Schlusselbuchstaben ausgezeich-
nete Intervallnotenschrift gegeniiberstellt : den neu-
mae usuales die neumae regulares (regula = Linie).
Die neue Notenschrift brachte die Melodie in ihrem
rationalen Gefiige zur anschaulichen Darstellung und
erhob das Singen damit zum Gegenstand eines dem
Prinzip von scientia folgenden Lehrverfahrens (scientia
canendi). Noch Hugo Spechtshart v.Reutlingen feiert
(1332) den cantor artificialis, der das Singen iiber den
usus zur ars und per artem zur Schriftkunst erhebt.
Philippe de Vitry hat seine neue Lehre von der ge-
messenen Notenschrift (und Rhythmik) in einer Ars
nova (notandi) nach 1320 niedergelegt und an men-
suralen Motettenbeispielen erlautert. Im 14. Jh. wurde
ein Komponist (Nicolaus de Aversa) getadelt, weil er
in seinen Kompositionen (in suis cantilenis) anders ver-
f ahre, als er es in seiner Lehrschrif t f ordere : . . . quam-
vis in arte teneat contrarium (CS III, 396). A. m. wurde
dann - im Zusammenhang mit dem Vorriicken der
Musica practica, die seit je den sprachlichen artes ver-
schwistert war - in einzelne Sondergebiete auf geteilt :
ars cantus plani, mensurabilis, contrapuncti, compo-
nendi usw. - Am treffendsten ubersetzt wird ars mit
Wissens- oder Lehrfach, auch Lehre, A. m. entspre-
chend mit Musiklehrfach, auch Musiklehre. Dies in
55
Ars nova
dem Sinne, wie noch J. S.Bach sein Musicalisches Opfer
(1747) eine ars canonica nennt. Das deutsche Wort
Kunst (von konnen, wie Brunst von brennen), das seine
eigene Bedeutungsgeschichte mitbringt, ist in der Neu-
zeit nicht ohne weiteres geeignet, den Sinn von ars zu
ubernehmen, wenn es auch berufen war, den antik-
mittelalterlichen Inhalt von ars nach Deutschland zu
leiten. Vielmehr wird »Music-Kunst« im 18. Jh. durch
das neuartige, bezeichnenderweise das sensitive Ele-
ment der Musik hervorkehrende Wort »Tonkunst«
ersetzt und in die Reihe der Schonen Kiinste (frz.
beaux-arts) eingereiht. Erst dann ging der ursprung-
liche Sinngehalt der A. m. an die ->Asthetik iiber.
Lit.: E. R. Curtius, Europaische Lit. u. lat. MA, Bern
(1948, 31961); G. Pietzsch, Der Unterricht in d. Dom- u.
Klosterschulen vor u. um d. Jahrtausendwende, AM X,
1955; dazu ders. in: Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins CIV,
1956; W. Gurlitt, Ber. iiber d. Arbeiten zur mus. Termi-
nologie, Jb. d. Akad. d. Wiss. u. d. Lit., Mainz 1956;ders.,
A. m., in: Konkrete Vernunft, Fs. E. Rothacker, Bonn
1958; H. Huschen, Die Musik in d. artes liberates, Kgr.-
Ber. Hbg 1956; H. H. Eggebrecht, A. m., Musikanschau-
ung d. MA u. ihre Nachwirkungen, in : Die Sammlung XII,
1957 ; K. G. Fellerer, Die Musica in d. artes liberates, in:
Artes liberates, hrsg. v. J. Koch, Leiden u. Koln 1959; Fr.
Schalk, Zur Entwicklung d. Artes in Frankreich u. Italien,
in: Studien u. Texte zur Geistesgesch. d. MA V, Leiden u.
Koln 1959; U. Ricken, »Gelehrter« u. »Wissenschaft« im
Franzosischen, Beitr. zu ihrer Bezeichnungsgesch. v. 12.-
17. Jh., = Deutsche Akad. d. Wiss. zu Bin, Veroff. d. Inst,
f. Romanische Sprachwiss. XV, Bin 1961.
Ars nova (lat., neue Lehre) ist der Titel einer nach
1320 entstandenen Schrift von Philippe de -*■ Vitry. Sie
lehrt in konsequenter Fortentwicklung von Prinzipien
der bisherigen Mensuralnotation, die nun den Namen
einer ->Ars antiqua erhielt, die Notationsneuerungen,
die in Motetten Vitrys bereits 1316 erscheinen (-> Quel-
len: Fauv), namlich die Signierung der kleinen Noten-
werte bis zur Semiminima, den Aufbau des Mensuren-
systems in 5 gradus (modus major und minor, tempus
und prolatio) bei Gleichrangigkeit drei- und zweizeiti-
ger (perfekter und imperfekter) Teilung der Werte, so
daB fiir das Tempus 4 Prolationen bestehen; ferner die
Mensurzeichen, die roten Noten in mensuraler Gel-
tung und die Synkopation. Bereits 1319/21 hatte auch
der mit Vitry bekannte Pariser Mathematiker Johannes
de -»Muris in einer Ars nove musice die neue Notation
erortert, die auf der Basis dieser beiden Theoretiker
bald in zahlreichen Lehrschriften behandelt wurde.
Zwar bezog man den Begriff A. n. in erster Linie auf
die neue Ars notandi, zugleich jedoch auf die neuen
Kompositionsarten, die sie ermoglichte und die durch
das Streben nach gesteigerter rhythmischer Feinheit
(subtilitas) gekennzeichnet sind, verbunden mit melo-
discher und harmonischer SUfie (dulcedo). Im Mittel-
punkt der neuen Kompositionskunst, bestimmt teils
fur den offentlichen AnlaB, teils fiir das Consortium
der Kenner oder fiir die aristokratische Gesellschaft,
steht das Schaffen Vitrys, des Schopfers der isorhyth-
mischcn Motettc, und das Werk Machauts, der diese
Form aufgriff und verfeinerte, in Balladen, Rondeaux
und Virelais den Kantilenensatz zu einer der C. f.-
Motette gleichrangigen Kompositionsart erhob und
eine der friihen Vertonungen des Ordinarium missae
schuf. - Als Epochenbegriff der neueren Musikge-
schichtsschreibung umfafit A. n. die Zeit von etwa
1315/25, da das Neue bei Vitry und Muris sowie in der
Polemik des Jacobus von Liittich und in der Abwehr
seitens der Kirche .greifbar wird, bis etwa zum Tode
Machauts (1377), der im Zeitraum der spateren A. n.-
Traktate und nirgends im Widerspruch zu ihnen die
Neuerungen kompositorisch zu vollendeter Auspra-
gung fiihrte. Raumlich ist die A. n. - wie schon die
Ars antiqua, deren Notationsweise, Kompositionsar-
ten und -gattungen sie erneuerte - auf Frankreich
zentriert und strahlt von hier auf die Nachbarlander
aus, nach der Jahrhundertmitte namentlich auf Italien.
Doch ist die Musik des Trecento selbst nicht eine A. n.
zu nennen, da ihrem eigenstandigen Ansatz der Kon-
trapost einer Ars antiqua fehlt und dementsprechend
die Gegenuberstellung A. n./Ars antiqua hier nicht
begegnet. Die Zeit, die in Frankreich der A. n. folgte
(bis um 1400), wurde von Besseler »franzosische Spat-
zeit«, von U.Giinther neuerdings Ars subtilior ge-
nannt. Letzteres in dem Sinne, daB in Neuerungen der
Mensuralnotation (Erfindung neuer Formen fiir kleine
Notenwerte) und in Kompositionen (-> Quellen: Ch
und Mod) die rhythmische Subtilitas crncut sich stei-
gerte. Dabei handelt es sich um die Spatstufe einer Ent-
wicklung. Schon der gelehrte, freilich konservative Ja-
cobus hatte iiber die A. n. resiimiert, daB sie als subtiler
erachtet werde als die Ars antiqua, doch sei sie deswe-
gen keineswegs vollkommener (CS II, 428a: Cum ergo
dicitur ars nova subtilior est quam antiqua, dicendum quod
hoc concesso non sequitur quod sit perfectior).
Lit.: H. Besseler, Artikel A. n„ MGG I, 1949-51; L.
Schrade, The Chronology of the A. N. in France, Les
Colloques de Wegimont II, 1955; N. Pirrotta, Crono-
logia e denominazione dell'a. n. ital., ebenda; ders., »Dul-
cedo« e »subtilitas« nella pratica polifonica franco-ital. al
principio del '400, Rev. Beige de Musicologie II, 1948; S.
Clercx, Propos sur l'a. n., ebenda IX, 1955 ; K. v. Fischer,
Trecentomusik - Trecentoprobleme. Ein kritischer For-
schungsber., AMI XXX, 1958; H. H. Eggebrecht, Der
Begriff d. »Neuen« in d. Musik v. d. A. n. bis zur Gegen-
wart, Kgr.-Ber. NY 1961 ; U. Gunther, Das Ende d. a. n.,
Mf XVI, 1963. HHE
Artikulation bedeutet in der Sprache die Bildung der
Laute und ihre deutliche Unterscheidung (-> Aus-
sprache), in der Musik die Verbindung oder Trennung
der einzelnen Tone. Jedem Ton kann unmittelbar ein
weiterer Ton oder eine mehr oder weniger groBe Un-
terbrechung folgen, wobei die A.s-Anweisungen, die
der Komponist durch graphische Zeichen wie Punkt,
Keil, -> Bogen - 1) (SuBerlich nicht zu unterscheiden
vom Phrasierungsbogen) oder durchWorte geben kann,
nicht nur diese zeitliche Abgrenzung der Tone unter-
einander bestimmen, sondern als Vortragsbezeichnun-
gen auch den Charakter der Tone beeinflussen. Im
Unterschied zur Phrasierung als der strukturellen Sinn-
gliederung der Komposition in Motive, Motivgruppen
usw. dient die A. so wie Dynamik und Tempo der
Chopin, op. 21, 3. Satz.
Gestaltung der Komposition im Erklingen, was ihre
Festlegung schon durch den Komponisten nicht aus-
56
Atonalitat
schlieBt. A. deckt sich oft mit Phrasierung; so entspre-
chen die Bindebogen als A.s-Anweisungen in Beispiell
Phrasierungsbogen, die die Motive des 4taktigen The-
mas anzeigen. In Beispiel 2 dagegen gestaltet die A. das
tonlich fast gleiche Thema in den ersten 3 Takten an-
ders als es seiner trotzdem noch erkennbaren Phra-
sierung entspricht.
Die Skala der A.s-M6glichkeiten reicht vom streng-
sten Legato (legatissimo) bis zum scharfsten Staccato
(martellato). Die wichtigsten Zwischenstufen sind das
Tenuto, Non legato, Portato, Marcato, womit jeweils
eine bestimmte Spieltechnik gef ordert wird, um einen
eigenen musikalischen Ausdruck zu erreichen. So ist
die Bezeichnung Alia breve et staccato in J. S.Bachs Or-
gelfuge G dur (BWV 550) sicherlich mehr als Affekt-
bezeichnung denn als reine A.s-Anwcisung zu ver-
stehen. Dies entspricht der allgemein giiltigen Be-
ziehung zwischen Satztypen und A. : z. B. soil die Leb-
haftigkeit des Allegro . . . gemeiniglich in gestossenen No-
ten und das Zartliche des Adagio in getragenen und ge-
schleiften Noten vorgestellet werden (C.¥h.E.Bachl753).
Mittel der A. auf den Instrumenten sind die zeitliche
Tonbegrenzung und die Tonintensitat, bei Streichern
also die -»Bogenfiihrung, bei Blasern die durch die
Zunge bzw. Lippen geregelte Atemgebung (->■ Zun-
genstoB), bei Tasteninstrumenten -»■ Fingersatz, -> An-
schlag und Tondauer. Als Ausdruckskunst ist die A.
fur Orgel und Cembalo von besonderer Bedeutung:
hier vermag sie den Mangel an Dynamik im Anschlag
auszugleichen (unbetonte Noten wirken durch Ver-
kiirzung schwacher). - A.s-Anweisungen werden erst
seit Anfang des 17. Jh. notiert und sind am Ende des
18. Jh. voll ausgepragt. Zunachst zeigten kleine Bogen
iiber 2 Noten dem Violinspieler an, welche Noten er
ohne Bogenwechsel, d. h. legato spielen soil. Diese Bo-
gen ubernahm Scheidt 1624 als imitatio violistica in seine
Tabulatura nova. Wie stark die Bezeichnung der A. an
die Bogentechnik der Streicher gekniipft war, zeigt
noch die Legatodefinition bei Walther (1732) : ...
daft vocaliter nur eine Sylbe unter solche (Noten) gelegt,
instrumentaliter aber dergleichengezogen, und mit einetn Bo-
gen-Strich absolvirt werden sollen. Zugleich wird hier die
Beziehung zwischen der A. in der Vokalmusik und in
der Sprache deutlich, denn die Silbe wird als Einheit
gebunden vorgetragen. Die Vokalmusik artikuliert
sinngemaB nach der natiirlichen Sprechweise (-»• De-
klamation) und verzichtete zunachst auf zusatzliche
A.s-Anweisungen. Mit dem Hervortreten der Instru-
mentalmusik im Laufe des GeneralbaBzeitalters wur-
de die A. auch in der Vokalmusik zunehmend vom In-
strument her bestimmt, jedoch nur selten aufgezeich-
net. Sie muB heute aus dem Wissen um die damahge
Spielpraxis erschlossen werden. Mit dem Aufkommen
des galanten und empfindsamen Stiles ab etwa 1740
und der neuen Auffassung der Musik als einer Klang-
rede (Mattheson 1739) nehmen im Dienste der neuen
Ausdruckskunst die A.s-Anweisungen zu. Die Ent-
wicklung fiihrte zu Beethoven, der seine A.s-Vorstel-
lungen detailliert aufzuzeichnen pflegte. Der Bogen
bleibt das Zeichen fur das Legato, Punkte, senkrechte
Striche oder Keile fur die Spielarten des Staccato, die
Beethoven bewuBt unterscheidet und z.T. durch zu-
satzliche Bezeichnungen wie marcato bei Strichen oder
leggiero bei Punkten verdeutlicht. Je starker die Musik
im Laufe des 19. Jh. sich von einer vorgedachten bzw.
abstrahierbaren Logik der Struktur in Richtung der
poetischen Interpunktion (Schumann) und der abso-
luten Komposition (->• Atonalitat) der Wiener Schule
entfernte, desto mehr drang die A., das Bezeichnen
des gemeinten Sinnes, integrierend in den Komposi-
tionsprozeB selbst ein.
Lit. : Bach Versuch ; Mozart Versuch ; Quantz Versuch ;
D. G. Turk, Klavierschule (1789), Faks. hrsg. v. E. R. Ja-
cobi, = DM1 1, 23, 1962; H. Riemann, Mus. Dynamik u.
Agogik, Hbg u. St. Petersburg 1884; O. Kinkeldev, Org.
u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., Lpz. 1910; J. Th. Wiehmayer,
Mus. Rhythmik u. Metrik, Magdeburg 1917; A. Moser,
Gesch. d. Violinspiels, Bin 1923 ; H. Keller, Die mus. A.
insbesondere bei J. S. Bach, = Veroff. d. Musik-Inst. d.
Univ. Tubingen II, Stuttgart 1925; ders., Phrasierung u.
A., Ein Beitr. zu einer Sprachlehre d . Musik, Kassel 1955;
H.-P.ScHMiTz,DieTontechnikd.PereEngramelle, = Mw.
Arbeiten VIII, Kassel 1953 ; Kl. Speer, Die A. in d. Orgel-
werken J. S. Bachs, Bach-Jb. XLI, 1954, S. 66rT. ; Die Be-
deutung v. Keil, Strich u. Punkt bei Mozart, 5 Losungen
einer Preisfrage, hrsg. v. H. Albrecht, = Mw. Arbeiten X,
Kassel 1957 ; H. Unverricht, Die Eigenschriften u. d. Ori-
ginalausg. v. Werken Beethovens in ihrer Bedeutung f. d.
moderne Textkritik, = Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960;
W. Thoene, Zur Frage d. A. im Cembalo- u. Clavichord-
spiel, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962, S. 535ff. UM
ASCAP, American Society of Composers, Authors
and Publishers (USA), Mitglied der -> CISAC; Ver-
wertungsgesellschaft musikalischer Rechte; vor der
spateren -> BMI. - Aufbau und Aufgaben dieser Ge-
sellschaften entsprechen etwa denen der -> GEMA.
Asperges me (Ps. 50, 9), Antiphon bei der seit dem
9. Jh. nachweisbaren f eierlichen Austeilung des Weih-
wassers (Aspersion) vor dem sonntaglichen Hochamt
(mit Psalmvers Miserere, Ps. 50, 3, und kleiner Doxo-
logie, die jedoch am Passions- und Palmsonntag fort-
fallt). In der osterlichen Zeit wird statt des A. m. die
Antiphon Vidi aquam (inhaltlich entnommen Ezech.
47, 2) mit Confitemini (Ps. 117, 1) und kleiner Doxo-
logie gesungen. Beide Antiphonen werden vom Zele-
branten »utroque genu« intoniert; die Melodien stehen
im ->■ Kyriale.
Aspiration, - 1) -> Antizipation; - 2) bei Fr. Coupe-
rin (Pieces de Clavecin, 1713) :
3
BeiJ.-Ph.Rameau (1724) als Son Coupe:
Gleichbedeutend mit dem spateren, ebenfalls mit ei-
nem kleinen Vertikalstrich bezeichneten -*■ staccato,
eine von der Lautenmusik ubernommene Verzierung
(D.Gaultier 1669: estouffement; Th.Mace 1676: Tut).
Assonanz -> Reim.
Assyrien.
Lit. : Ch. G. Cummings, The Assyrian and Hebrew Hymnes
of Praise, NY 1934; M. Wegner, Die Musikinstr. d. alten
Orients, = Orbis antiquus II, Miinster i. W. 1950; H. G.
Farmer, The Mus. Instr. of the Sumerians and Assyrians,
in: Oriental Studies : Mainly Mus., London (1953); Fr. W.
Galpin, The Music of the Sumerians and Their Immediate
Successors the Babylonians and Assyrians, = Slg mw. Abh.
XXXIII, StraBburg 1955.
a tempo (ital.), im Tempo, bedeutet (wie tempo pri-
mo) die Wiederaufnahme des vorangegangenen und
nur zeitweilig durch accelerando, ritardando oder
freien Vortrag (-> ad libitum, senza tempo, ->■ Tempo
rubato usw.) unterbrochenen HauptzeitmaBes (-> gius-
to, -»■ misurato) ; al rigore di tempo, Intensivum zu a
-> battuta, ganz streng im Takt.
Atonalitat. Der Nachteil dieses nach 1900 aufgekom-
menen Begriffsworts, das allerdings bis heute nicht
durch ein anderes ersetzt wurde, besteht in seinem bloB
negativen Sinn: atonale Musik bedeutet nichttonale,
d. h. melodisch und harmonisch nicht nach den bis da-
hin bekannten modalen oder harmonisch-funktionalen
Gesetzen der -*■ Tonalitat gebildete Musik. Das Wort
57
Atonalitat
A., vielfach auf Schonberg und die Wiener Schule ge-
miinzt, stieB dort auf Ablehnung. Nach Schonberg
(Hartnonielehre, in der Auflage von 1922), da er tonal
definiert als die v on Ton zu Ton bestehende Beziehung,
ist A. nicht realisierbar (er laBt allenfalls die Begriffe
polytonal oder pantonal gelten), - abgesehen davon,
daB vielleicht bloB noch nicht erkannt sei, was an die
Stelle der bisher nachweisbaren Grundtonbezogen-
heit der Tone getreten ist (wahrscheinlich die Tonalitat
einer Zwolftonreihe). Berg (1930) nennt das Wort atonal
eine Erfindung des leibhaftigen Antichrist, da es bei
Gegnern neuer Musik nicht in seinem speziell harmo-
nischen Sinne (- keine Bezugnahme auf ein harmoni-
sches Zentrum im Sinne der Dur- oder Mollskala und
alien Tonika -) verstanden werde, sondern sich dazu
angeboten habe, ein Sammelbegriff fur ,Unmusik' zu
werden. Auch Webern (1932) nennt atonal ein schreck-
liches Wort, es bedeute ohne Tone (gemeint ist im Sinne
Schonbergs: ohne Tonbeziehungen). Doch beschrieb
auch er das Hauptmerkmal der musikalischen Situation
der Wiener Schule vor 1910 ganz im Sinne der tra-
ditionellen Bedeutung von Tonalitat/A. : Die Beziehung
aufeinen Grundton - die Tonalitat - ist verlorengegangen.
Im Unterschied zu den genannten Komponisten be-
dient sich Hauer (1920 und spater) des Wortes atonal
zur Kennzeichnung dessen, was er musikalisch erstrebt.
In eigenwilligen Definitionen unterscheidet er den
rein tonalen Pol des Musikalischen, bei dem es keine Be-
wegung in Tonstufen und nur Rhythmus gibt, und den
rein atonalen Pol des im Idealfall zwolfstufigen, jedoch
arhythmischen, auch dynamisch und farblich wenig
differenzierten Melos. Die atonale Musik bewegt sich
nach Hauer von dem rein atonalen (melischen, geisti-
gen) Pol in Richtung des tonalen (rhythmischen, na-
tiirlichen) Pols, ihn aber nur beriihrend. - Gegeniiber
der Problematik des Wortes A. bedeutet die Sache,
auf die es sich richtet, das Umwalzende der Neuen Mu-
sik. Nach einer Periode der »schwebenden Tonalitat«
(der Grundton selbst . . . war im Raume schwebend, un-
sichtbar, Webern) trat A. erstmalig und nahezu ruck-
artig, dabei sogleich in voller kiinstlerischer Giiltigkeit
in Erscheinung in den 5 George-Liedern op. 3 (1907/
08) von Webern und in den 3 Klavierstiicken op. li
(1909) von Schonberg. Grundprinzipien der A. sind:
Vermeiden von tonalen Bezugspolen (doch nicht Be-
zugspolen schlechthin) und Ignorieren oder Paralysie-
ren (Lahmlegen) aller Fortschreitungs- und Auflo-
sungstendenzen; Abwesenheit von Klang-»Funktio-
nen«; Gleichrangigkeit der Tone (die Verbindung aller
Tone mit alien, Hauer); Geltung der Intervalle als
qualitativ abgestufte Sonanzen anstelle des Dualismus
Konsonanz/Dissonanz, - insgesamt die Befreiung des
Tones aus den Vorentscheidungen der Tonalitat, um
ihn im Sinne gesteigerter -> Absoluter Musik desto
ausschlieBlicher dem kompositorischen ProzeB verfiig-
bar zu machen. Die wichtigsten gegen die A. erhobe-
nen Einwande richten (oder richteten) sich gegen die
Absicht, den natiirlichen Gegebenheiten des Tonma-
terials ausweichen zu wollen (Hindemith) und gegen
die Erhebung der gleichschwebenden Temperatur vom
KompromiB zum Ideal. Indessen entscheidet iiber
Geltung und Sprachfahigkeit der Tone nicht die Na-
tur, sondern die Geschichte, und nicht ein Prinzip der
Stimmung, sondern der kompositorische Kontext.
Charakteristisch fiir Weberns atonale Klangtechnik
ist sogleich sein op. 3, z. B. aus dem IV. Lied, eine pp-
Struktur derart, daB vornehmlich groBe Septimen den
Konsonanzcharakter und die Strebigkeit einzelner Be-
standteile des Melos und Klanges aufheben, die so ein
In-sich-Ruhendes darstellen, gesattigt von Farbe,
schwebend wie »Duft«.
Fiir die atonale Komposition stellte sich das Problem,
die formbildenden, FaBlichkeit und Zusammenhang
stiftenden Krafte der Tonalitat zu ersetzen. Charakte-
ristisch fiir die Zeit der »freien« A. war die Gattung des
Liedes, bei welcher der Text als formativer Faktor
wirkt, in der Instrumentalmusik die Bagatelle (Webern,
op. 9) und das kleine »Stuck« (Schonberg, Klavier-
stiicke op. 11 und 19, 5 Orchesterstucke op. 16; We-
bern, Stiicke fiir Orch. op. 6 und 10, Stiicke fiir V. bzw.
Vc. und Kl. op. 7 und 11). Die an die -* Zwolftontech-
nik »gebundene« A. hat kurz nach 1920 Forderungen
atonalen Komponierens zur Methode erhoben und da-
mit zugleich ein verstarktes Aufgreifen geschichtUcher
musikalischer Techniken und Formen ermoglicht.
Atonal aber sind in der Tat sowohl die auf der Zwolf-
tonmethode basierende und die -»■ Serielle Musik als
auch etwa die ->■ Elektronische Musik, sofern der Be-
griff tonal im traditionellen Sinne als Finalis- oder
Grundtonbezogenheit verstanden wird. Nimmt man
aber an, daB - wie Webern im Einklang mit Schon-
berg und Berg sagt - auch bei uns doch ein Grundton vor-
handen ist - ich glaube bestimmt daran - aber dieser in-
teressierte uns im Ablauf des Ganzen nicht mehr (was in
dieser Formulierung allerdings fragwiirdig ist), oder
daB - wie Analysen ergeben - an die Stelle von Grund-
tonen andere Bezugspole (etwa eine bestimmte, fiir
ein Stuck feststehende Melos- oder Klangstruktur)
gesetzt sind, oder definiert man den Begriff Tonali-
tat - entsprechend der durch die Neue Musik gewon-
nenen Erfahrungen - als »Aufeinander-Bezogensein«
der Tone schlechthin (zudem etwa in der bestandigen
Wiederkehr einer -* Reihe), so wird der Begriff A.
allerdings sinnlos.
Lit.: A. Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1960,
engl. NY 1947; A. Bauer, Atonale Satztechnik, Cham
1923, 21925; D. Milhaud, Polytonalite et atonalite, RM
IV, 1923 ; J. M. Hauer, Atonale Musik, Mk XVI, 1923/24;
ders., Vom Wesen d. Mus., Lpz. u. Wien 1920, 2. Aufl.
(mit d. Untertitel: Ein Lehrbuch d. atonalen Musik), Bin
u. Wien 1923 (hierzu: R. Stephan, t)ber J. M. Hauer,
AfMw XVIII, 1961); ders., Zur Einfuhrung in meine
»Zwolftonmusik«, Sonder-H. zum IV. Donaueschinger
Kammermusikfest 1924; ders., Vom Melos zur Pauke,
Eine Einfuhrung in d. Zwolftonmusik, = Theoretische
Schriften I, Wien u. NY (1925); H. Eimert, Atonale Mu-
siklehre, Lpz. 1924; L. Deutsch, Das Problem d. A. u. d.
Zwolftonprinzips, Melos VI, 1927; A.HABA.NeueHarmo-
nielehre d. diatonischen, chromatischen Viertel-, Drittel-,
Sechstel- u. Zwolfteltonsystems, Lpz. 1927; Ch. Koech-
lin, Trait6 de l'harmonie, Paris 1928-30; ders., Tonal ou
atonal, in: Le Menestrel XCVIII, 1936; A. Berg, Was ist
atonal ?, Rundfunkdialog Radio Wien 1930, Erstdruck in:
Wiener Musikzs. »23«, Nr 26/27, 1936, ferner in: J. Rufer,
Musiker iiber Musik, Darmstadt 1955, u. in: Kontrapunk-
te, Schriften zur deutschen Musik d. Gegenwart, hrsg. v.
H. Lindlar, Bd II, Die Stimme d. Komponisten, Roden-
kirchen/Rhein 1958 ; D. Paque, L'atonalite, ou mode chro-
matique unique, RMXI, 1930; A. Machabey, Dissonance,
polytonalite, atonalite, RM XII, 1931 ; A. Webern, Wege
58
Auffiihrungspraxis
zur Neuen Musik (Vortrage Wien 1932/33), hrsg. v. W.
Reich, Wien 1960; E. Krenek, Uber neue Musik, Wien
1 937, engl. als : Music Here and Now, NY 1 939 ; P. Hinde-
mith, Unterweisung im Tonsatz (Theoretischer Teil),
Mainz 1937, 21940; N. Obuchow, Traite d'harmonie to-
nale, atonale et totale, Paris 1946; H. Pfrogner, Die
Zwolfordnung d. Tone, Zurich, Lpz. u. Wien 1953; Fr.
Neumann, Tonalitat u. A., = Beitr. zu Gegenwartsfragen
d. Musik I, Landsberg am Lech 1955; R. Reti, Tonality -
Atonality - Pantonality, London 1958; G. Perle, Serial
Composition and Atonality, Berkeley, Los Angeles u. Lon-
don 1962 ; K. H. Ehrenforth, Ausdruck u. Form, Schon-
bergs Durchbruch zur A. in d. George-Liedern op. 15,
= Abh. zur Kunst-, Musik- u. Lit.-Wiss. XVIII, Bonn
1963. HHE
attacca (ital.), falle ein; Vorschrift bei Tempowechsel
oder am Ende eines ganzen Satzes, das Folgende un-
mittelbar anzuschlieBen; attacca subito: sofort weiter.
Attacco (ital., »Angriff«), ein kurzes, aus wenigen T6-
nen bestehendes Motiv, das imitierend verarbeitet
wird. Im Gegensatz zu ->■ Andamento und -»■ Soggetto
ist A. im 18. Jh. ein Thementyp, der auf Grund seiner
gedrangten Knappheit zwar selten als Kopfthema (wie
in J.S.Bachs Fugen A dur aus Teil I und Cis dur aus
Teil II des Wohltemperierten Klaviers, BWV 864 und
872), aber haufig als Imitationsimpuls im Satzinneren
verwendet wird.
Attack (at'sek, engl., »Angriff«), das fiir den Jazz typi-
sche laute, vehemente Anspielen eines Tones, wobei
die Tonhohe nicht direkt, sondern in kurzem, attackie-
rendem Anlauf erreicht wird. Der A. hat seine Wurzeln
im naturhaften, vitalen Musizieren der Neger (-> Hot-
Intonation), spiel te dann aber als expressives Element
im Jazz bis in die Swing- Ara eine entscheidende Rolle.
. Im modernen Jazz kann der A. zugunsten der Jazz-
phrasierung in den Hintergrund treten.
Aubade (ob'ad, frz. ; span, alborada; prov. alba; von
frz. aube, Tagesgrauen, Morgenrote), ->■ Tagelied. -
Im 17./18. Jh. wurden A.s an den Hofen als Morgen-
standchen musiziert wie die abendlichen Serenaden.
Im 19. Jh. kam A. als Titel von Charakterstiicken auf,
z. B. das Klavierlied A. von Bizet, A. et Allegretto fiir
Streicher und Blaser von E.Lalo (1872), die A. fur Kl.
und 18 Instrumente von Fr.Poulenc (1929) und Albo-
rada delgracioso aus den Miroirs fiir Kl. von Ravel.
Aube (o:b, altfrz.) -> Tagelied.
au chevalet (o Jval'e, frz.) -*■ sul ponticello.
Audition colore* (odisj'5 kalor'e, frz.) -*■ Farben-
horen.
Auffassungsdissonanz (auch Scheinkonsonanz). In-
nerhalb der Funktionstheorie sind A.en 1) alle Klange,
die isoliert betrachtet nur konsonante Verhaltnisse auf-
weisen, auf Grund ihres musikalischen Zusammenhan-
ges jedoch als Dissonanzen empfunden werden (z. B.
die Quarte als Vorhalt vor der Terz; die Sexte als Vor-
halt vor der Quinte; der Jj-Akkord als Vorhalt vor
einem |-Akkord) ; 2) alle Klange, die enharmonisch
verwechselt zwar mit konsonanten identisch, doch
musikalisch als Dissonanzen gedacht sind. So ist z. B.
das Intervall c-dis mathematisch eine Konsonanz (klei-
ne Terz), doch auf Grund seines musikalischen Zusam-
menhanges eine Dissonanz (ubermaBige Sekunde), die
sich als Vorhalt in die groBe Terz c-e auf 16 sen muB.
Die A.en gewahren dem musikalischen Satz sehr wich-
tige Freiheiten, die fiir die absoluten Dissonanzen (Sep-
time, Sekunde, verminderte Quinte bzw. ubermaBige
Quarte) ausgeschlossen sind. In H.Riemanns Funk-
tionstheorie und in seiner Fassung der Kontrapunkt-
lehre spielen die A.en (dort Scheinkonsonanzen ge-
nannt) eine wichtige Rolle.
Auffiihrungspraxis ist generell der Inbegriff der
Techniken, Regeln und Gewohnheiteff, die zwischen
Notentext und erklingender Musik vermitteln, speziell
als »A. alter Musik« die Rekonstruktion geschichthcher
Ausfiihrungsweisen in der heutigen Praxis. - In der
Geschichte der Mehrstimmigkeit ist die Differenz zwi-
schen Schrift und Klangbild, also der Anteil der Im-
provisation, um so groBer, je weiter man zuriickgeht.
Seit dem letzten Drittel des 18. Jh. ist die musikalische
Schrift annahernd vollstandig, ohne daB das nicht und
das nur partiell Notierte, wie die Agogik, die Phra-
sierung, die Art der Akzentuierung (Dynamik), be-
deutungslos waren. Das entgegengesetzte Extrem bil-
den Aufzeichnungen des friihen 12. Jh., die ein Or-
ganum als bloBes Konsonanzengeriist notieren; nicht
nur die Besetzung und das Tempo, sondern sogar die
Rhythmik und die melodische AusfiiUung des Tonge-
riistes sind hier eine Sache der Auffuhrung. - Die Diffe-
renz zwischen der Schrift und dem Klangbild alter
Musik ist in der Palestrina-Renaissance des 19. Jh. ver-
kannt worden; das zerdehnte ZeitmaB, das aus der
Gleichsetzung der Semibrevis des 16. Jh. mit der gan-
zen Note des 19. Jh. resultierte, erschien als schwerer, ge-
wichtiger Fortgang echter Kirchenmusik (Wackenroder).
Die Solesmer Choralrestauration sah sich'dem Problem
des Choralrhythmus, die Bach-Renaissance dem des
Generalbasses gegeniiber. In welchem AusmaB mit
verlorengegangenen Selbstverstandlichkeiten (H. Riemann)
zu rechnen ist, zeigte sich allerdings erst bei dem Ver-
such, Musik des Mittelalters zu reproduzieren (W.
Gurlitts Vorfiihrungen mittelalterlicher Musik in
Karlsruhe 1922 und in Hamburg 1924). Und seit den
20er Jahren wurde der Sachverhalt, daB die Musikge-
schichte auch eine Geschichte des Klanges und des Horens
umfafit (H.Besseler), mit einem Nachdruck betont, der
seine Wirkung auf das musikalische BewuBtsein der
reproduzierenden Musiker und des Konzertpublikums
nicht verfehlte. - Es mag in der Natur des Gegenstan-
des begriindet sein, daB die Erforschung der A. zu ei-
nem nicht geringen Teil eine Geschichte von Kontro-
versen ist. In Polemiken, Repliken und Dupliken ist
das Material iiber den Choralrhythmus und die Musica
ficta, iiber die vokale oder instrumentale oder vokal-
instrumentale Besetzung der Notre-Dame-Organa,
des Trecentomadrigals oder der niederlandischen Po-
lyphonie, iiber das Chiavettenproblem und die gleich-
oder ungleichschwebende Stimmung, iiber das wenig-
oder vielstimmige GeneralbaBspiel und das einfache
oder manierliche (ausgezierte) Akkompagnement,
iiber die Besetzung der Motetten und der Passions-
chorale Bachs, iiber die rhythmischen Bedeutungen
der punktierten Note und die »harmonische Ausfiil-
lung« des 2st. Klaviersatzes im 18. Jh. zusammengetra-
gen worden. Die Auseinandersetzungen lassen erken-
nen, daB eine Erforschung der A., die zu sicheren Er-
gebnissen kommen will, kaum ohne Verbindung ver-
schiedener Methoden moglich ist; Abbildungen miis-
sen mit Kapellverzeichnissen, literarische Zeugnisse
iiber Gesangs- und Spielweisen mit rezenten Traditio-
nen verglichen werden. Andererseits zwingt die Art
der Quellen oft zu zuriickhaltender Interpretation.
Auff iihrungsberichte schildem eher denkwiirdige Aus-
nahmen als die Normen des Alltags; notierte Muster
der Improvisations- oder Verzierungskunst sind keine
Protokolle der musikalischen Wirklichkeit ; und wer
in Theoretikerzeugnissen reale von spekulativen Mo-
menten oder in Musikdarstellungen der bildenden
59
Auffiihrungspraxis
Kunst und der Dichtung deskriptive von allegorischen
Ziigen zu unterscheiden versucht, begegnet der Schwie-
rigkeit, daB die Frage nach dem empirischen Gehalt
quer zum urspriinglichen Sinn der Dokumente steht. -
Die Quellen zur A. des 14. bis 17. Jh. vermitteln das
Bild einer bunten Mannigfaltigkeit. Der Begriff der
»authentischen« Wiedergabe muB, wenn nicht preis-
gegeben, so doch modifiziert werden. Denn die A.
war in einem heute ungewohnten MaBe von der Funk-
tion und »Gelegenheit« der Auffiihrung, dem Raum
und den verfiigbaren Mitteln oder den Fahigkeiten der
Musiker abhangig. Der musikalische Text wurde, wie
der eines Dramas, »in Szene gesetzt«. Die Besetzung
war vokal, instrumental oder vokal-instrumental ge-
mischt; man lieB Stimmen weg oder improvisierte Zu-
satzkontrapunkte aus dem Stegreif (alia mente), und
der Notentext wurde unverandert oder mit Verzierun-
gen und Diminutionen vorgetragen. Aus der Vielfalt
der MoglMikeiten heben sich feste Typen wie die al-
ternatim-Praxis und die Gruppierung der Instrumente
in »hauts« und »bas« (»starke« und »stille«) heraus. An-
dererseits ist es nicht »unhistorisch«, essentielle von ak-
zidentellen Auffiihrungspraktiken zu unterscheiden;
daB die durchimitierten Motetten des 16. Jh. in vokal-
instrumental gemischter Besetzung aufgefiihrt oder
auf die Orgel iibertragen (abgesetzt) werden konnten,
andert nichts an ihrer primar vokalen Struktur. - Die
instrumentalen Besetzungen beruhten bis zum friihen
17. Jh. auf dem Prinzip, die Stimmen zu differenzieren
(»Spaltklang«). Bei doppelter Besetzung einer Stimme
wurden verschiedene Instrumente gekoppelt; das erste
Orchester, in dem die mehrfache Besetzung einer Stim-
me durch das gleiche Instrument zum Prinzip erhoben
ist, sind im 17. Jh. die 24 Streicher des franzosischen
Konigs (vingt-quatre violons du Roy). - Der Rekon-
struktion des auBeren Klangbildes muB, wenn sie als
Interpretation gelten soil, eine Ergriindung des Musika-
lisch-Organischen (R.v.Ficker), der Phrasierung und
Artikulation, des Tempos und der Dynamik, entspre-
chen. Die Vorstellung, daB die Vokalmusik und die in-
strumentale Ensemblemusik des 17. und des friihen
18. Jh. in einem undifferenzierten, einzig durch abrup-
ten Forte-Piano-Wechsel (»Terrassendynamik«) ge-
gliederten GleichmaB vorgetragen worden seien, hat
sich als »neu-sachliche« Obertreibung erwiesen. Be-
reits die Ablosung der Falsettisten durch Kastraten um
1600 war mit einer Verfeinerung der Dynamik (Cres-
cendo und Diminuendo auf lang ausgehaltenen T6-
nen) und der Stimmfarbung verbunden; und in Eror-
terungen iiber das Tempo, den Vortrag und das Ver-
zierungswesen herrscht im 17. und 18. Jh. der Grund-
satz der Affektdarstellung. Urteile iiber die Dynamik
und Phrasierung vor 1600 sind hypothetisch ; doch ist
»Einf uhlung « eine unverachtliche historische Methode.
- Die Restauration der A. alter Musik in der musikali-
schen Praxis der Gegenwart hat gegeniiber naiven
Verzerrungen geschichtlicher Klang- und Vortrags-
stile das Recht auf ihrer Seite, ist aber selbst nicht un-
problematisch. Einerseits ist es unvermeidlich, daB
Mangel im historischen Wissen als positive musikali-
sche Merkmale erscheinen; aus dem Sachverhalt, daB
wir iiber dynamische Abstufungen nicht unterrichtet
sind, resultiert das Verfahrcn, Musik des 14. bis 16. Jh.
in gleichmaBigem Mezzoforte vorzutragen. Anderer-
seits ist eine Rekonstruktion des akustischen Faktums,
ware sie auch liickenlos, nicht das gleiche wie eine
Wiederherstellung des musikalischen Phanomens. Und
aus der Einsicht, daB wir zwar den Klang, aber nicht
die Musiker, die ihn vollzogen, restaurieren konnen,
sind verschiedene Konsequenzen gezogen worden,
die auf divergierende geschichtsphilosophische Voraus-
60
setzungen zuruckgefiihrt werden konnen. Wird Ge-
schichte als bloBe Bedingung des Entstehens und Wir-
kens eines in seinem Gehalt ihr enthobenen Werkes
begriffen, so ist es moglich, alte Musik in die Gegen-
wart zu »transponieren«; Bearbeitungen sind dann le-
gitim, denn der Gehalt muB, um in der Wirkung der
»gleiche« zu sein, in einem anderen Klang erscheinen.
Unter der Voraussetzung aber, daB der Gehalt eines
Werkes an das vergangene Klangbild gebunden sei, ist
eine Veranderung eine Verfalschung. Der geschicht-
liche Abstand braucht jedoch keine Entfremdung zu
bedeuten, denn das BewuBtsein von Vergangenem (als
Vergangenem) gehort zur Gegenwart (Thr.Georgia-
des). SchlieBlich kann der Sachverhalt, daB ein Werk
heute andere Ziige hervorkehrt als zu seiner Entste-
hungszeit, als Veranderung des Werkes selbst, als seine
Entfaltung in der Geschichte, interpretiert werden
(Th. W. Adorno) ; eine Bearbeitung wie A. v. Weberns
Instrumentation des 6st. Ricercars aus dem Musicali-
schen Opfer ist dann weder die Transposition eines der
Vergangenheit enthobenen noch die Verfalschung
eines an sie gebundenen, sondern die Auspragung eines
sich geschichtlich entwickelnden Gehalts.
Lit. : Allgemeines : G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens,
= Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; J.
Wolf, Uber d. Wert d. A. f iir d. hist. Erkenntnis, Kgr.-Ber.
Lpz. 1 925 ; W. Gurlitt, Die Wandlungen d. Klangideals d.
Org in : Ber. iiber d. Freiburger Tagung f . deutsche Or-
gelkunst, Augsburg 1926; W. Landowska, Music of the
Past, London u. NY 1926; A. Schering, Hist. u. nationale
Klangstile, JbP XXXIV, 1927; ders., Vom mus. Vortrage,
JbP XXXVII, 1930; ders., A. alter Musik, = Musikpad-
agogische Bibl. X, Lpz. 1931; R. Haas, A. d. Musik,
Bucken Hdb. ; E. Bodkv, Der Vortrag alter Klaviermu-
sik, Bin 1932; G. Pietzsch, Der Wandel d. Klangideals
in d. Musik, AMI IV, 1932; E. Borrel, L'interpretation
de la musique frc., Paris 1934; H. Besseler, Musik u.
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The Lost Tradition - Mus. Performance in the Times of
Mozart and Beethoven, London 1961; Th. W. Adorno,
Neue Tempi, in: Moments mus., Ffm 1964. CD
Auffiihrungsrecht ist ein Bestandteil des ->-Urheber-
rechts und bedeutet das Recht, ein Werk der Musik
durch personliche Darbietung offentlich zu Gehor zu
bringen oder ein Werk offentlich buhnenmaBig darzu-
stellen. Hierzu zahlen die Wiedergabe inner- und au-
Berhalb geschlossener Raume, im Rahmen der Vor-
fiihrung von Filmen, durch Abspielen von Schallplat-
ten und anderen Tontragern, sowie die Wiedergabe
durch Lautsprecher in offentlichen Lokalen. Fur alle
diese Auffiihrungen, soweit sie ah offentliche gelten,
gesteht das (Urheber-)Gesetz dem Berechtigten eine
Vergiitung zu. Diese Vergiitungsanspruche werden in
der Berufssprache »Kleine Auffuhrungs-Rechte« ge-
nannt. Die Wiedergabe eines Werkes ist offentlich,
wenn sie fur eine Mehrzahl von Personen bestimmt
ist, es sei denn, daC der Kreis dieser Personen bestimmt
abgegrenzt ist und sie durch gegenseitige Beziehun-
gen oder durch Beziehung zum Veranstalterpersonlich
untereinander verbunden sind. Die Offentlichkeit
beginnt also dort, wo der hausliche oder private Kreis
aufhort. Als solcher ist nur anzusehen ein Familien-
und enger Bekanntenkreis ; auch Tanzunterrichtsstun-
den im kleineren Rahmen fallen hierunter, desglei-
chen die Gemeinschaft von Lehrern und Schulern.
Auffiihrungen innerhalb von Vereinen sind offentlich,
wenn es an einem engeren personlichen Band zwischen
den Vereinsmitgliedern fehlt. Es kommt hier auf die
Anzahl der Vereinsmitglieder und die Beziehungen
zwischen ihnen an. Die Auffiihrung in einem Musik-
verein, dessen Mitglieder sich zu gemeinsamem Mu-
sizieren zusammengeschlossen haben, kann privaten
Charakter tragen. Wenn der Kreis der Zuhorer jedoch
erheblich erweitert wird durch passive Mitglieder oder
Gaste, wird die Auffiihrung offentlich. - Offentlichkeit
ist auch gegeben bei Auffiihrung von Musik in Betrie-
ben mit Ausnahme ausgesprochener Kleinbetriebe.
Das gilt auch fur die sogenannte Betriebsmusik, wor-
unter man Musikauffuhrungen bei der Arbeit selbst
versteht. Offentliche Auffiihrungen sind nur ausnahms-
weise genehmigungs- und vergutungsfrei, wenn kei-
nerlei gewerbliches Interesse vorliegt, weder vom
Veranstalter selbst, noch von Dritten. Wenn z. B. ein
Verein die offentliche Auffiihrung in einem von ihm
gemieteten Saal eines Gasthauses veranstaltet und der
Gastwirt die Lief erung der Speisen und Getranke iiber-
nommen hat, dient die Veranstaltung dem gewerb-
lichen Zweck des Gastwirtes. Sie ist damit genehmi-
gungspflichtig. Auch die Wiedergabe von Musik bei
61
Auflosung
Betriebsfeiern dient dem gewerblichen Zweck eines
Untemehmens, da sie die Betriebsgemeinschaft und
die Verbundenheit fordern soil. Aber selbst bei Fehlen
des gewerblichen Zweckes sind Auffuhrungen geneh-
migungs- und vergiitungspflichtig, wenn ein Eintritts-
geld erhoben wird. Gleichgiiltig ist hierbei, ob an
Stelle von Eintrittskarten das Entgelt in Form von
Garderobengebtihren, Programmverkauf en, Kurtaxen,
Abonnements usw. gefordert wird. Da die einzelnen
Urheber oder sonstigen Berechtigten die ihnen unter
Umstanden aus Hunderttausenden von Auffuhrungen
zustehenden Vergiitungen nicht selbst ubersehen und
kassieren konnen, werden die A.e zur Wahrnehmung
an Verwertungsgesellschaften iibertragen. In Deutsch-
land verwaltet die -> GEMA die »Kleinen Rechte« der
Komponisten, Textdichter und Verleger. Mit Auf-
kommen des Rundfunks entstand eine neue wichtige
Art der mechanischen Wiedergabe von Musikwerken :
die Hor- und die Fernsehsendung (in DeutschlandHbr-
funk seit 1923; Fernsehen seit 1952). Senderecht ist das
Recht, das Werk durch Funk, wie Ton- und Fernseh-
rundfunk, Drahtfunk oder ahnliche technische Ein-
richtungen, der Offentlichkeit zuganglich zu machen.
Es wird, soweit es als »Kleines Recht« gilt, ebenfalls der
GEMA zur kollektiven Wahrnehmung iibertragen.
Neben den »Kleinen Rechten« gibt es die »Gro6en (Auf-
fiihrungs-)Rechte«; hiervon ist die Rede bei musikdra-
matischen Werken (Opern, Balletten usw.), also bei
Werken, die szenisch aufgefiihrt werden oder werden
konnen. Diese Rechte werden meist von den Verlegern
im Auftrag des Komponisten verwaltet, da hier eine
sehr individuelle Behandlung erf orderlich ist, die bei der
gegebenen Pauschalverwaltung durch die GEMA nicht
moglich ware. Die Auffiihrungsgebiihren der Biihnen
heiBen Tantiemen. In Deutschland war bis zum In-
krafttreten des Urheberrechtsgesetzes von 1901 die
Verwertung des A. an die Formalitat gebunden, daB
es ausdrucklich durch einen Aufdruck auf den Musik-
noten vorbehalten werden muBte. Im Ausland hat es
eine solche Vorschrift nicht gegeben. Das A. und das
Senderecht sind heute durch die Urheberrechtsgesetze
und die Rechtsprechung aller Lander international
anerkannt und gewahrleistet.
Lit. : W. Bappert u. E. Wagner, Internationales Urheber-
recht, Kommentar zur revidierten Berner Ubereinkunft u.
zum Welturheberrechtsabkommen, Miinchenu. Bin 1956;
E. Schulze, Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche Ur-
heberrechtsges., Bln 2 1956; M. Rintelen, Urheberrecht u.
Urhebervertragsrecht, Wien 1958; H. Hubmann, Urhe-
ber- u. Verlagsrecht, Munchen u. Bin 1959; E. Ulmer, Ur-
heber- u. Verlagsrecht, Bin, GSttingen u. Heidelberg
2 1960; Deutscher Bundestag, Drucksache IV/270 v. 23.
Marz 1962, S. 68ff.
Auflosung (lat. resolutio) nennt man sowohl das
Weiterfiihren einer Dissonanz in eine Konsonanz als
auch das Fortschreiten eines Klanges in seine ihm zu-
gehorige Tonika oder in den durch seine alterierten
Tone geforderten Zielakkord (->■ Alterierte Akkorde).
Da im allgemeinen die A. als Entspannung empfunden
wird, kann sinnvoll nur bei der Art von Musik von A.
gesprochen werden, deren Fortschreitungsprinzip auf
der Polaritat von Spannung (Dissonanz bzw. Domi-
nante) und Entspannung (Konsonanz bzw. Tonika)
beruht, der also ein gewisser Zwang zur A. innewohnt.
Fur die europaische Musik gilt dies vom Aufkommen
des Dur-Moll-Prinzips im ausgehenden 15. Jh. bis zu
dessen Auflosung im spaten 19. und beginnenden 20.
Jh. Wahrend die mittelalterliche Mehrstimmigkeit die
A. im obengenannten Sinne noch nicht kennt, da die
Art ihrer Fortschreitung im wesentlichen auf der Fiih-
rung von Stimmen zwischen perfekten Klangen be-
ruht, die vom Cantus prius factus in ihrer Abfolge ge-
regelt werden, kennt die Neue Musik die A. nicht
mehr, sofern f iir sie zwischen Intervallen oder Klangen
einzig graduelle, nicht prinzipielle Unterschiede gel-
ten; d. h. indem fiir sie die Einteilung der Klange in
dissonante und konsonante nicht mehr geboten ist,
wird der Zwang zur A. hinfallig. Die Funktionshar-
monik als Theorie des Dur-Moll-Prinzips unterscheidet
auf der Basis der Kadenz zwei Arten von A.en, die mit
schlieBender und die mit fortschreitender Wirkung.
Mit der ersteren ist durchweg das Weiterfiihren eines
Klanges in die ihm zugehSrige Tonika gemeint (z. B.
D^-T), aber auch das Weiterfiihren eines klangfrem-
den Tones in einen dem Klang eigenen Ton (z. B.
-*■ Vorhalt und -> Wechselnote). Unter der zweiten
versteht man im allgemeinen den TrugschluB mit sei-
nen verschiedenen Variationsmoglichkeiten. Diese Art
der A. ist also vieldeutig. Sie f iihrt entweder in einen
die Tonika vertretenden Klang (z. B. D 7 -Tp) oder
aber in einen solchen, der durch Einsetzen einer Disso-
nanz (z.B. Septime) sogleich umgeformt wird und sei-
nerseits der A. bedarf (z. B. Sequenzketten von Do-
minantseptakkorden wie ^ 7 -® 7 -D 7 -T). Zur letztge-
nannten Art der A. gehort im erweiterten Sinne das
bereits im Barock theoretisch erfaBte {-*■ Abruptio),
namentlich dann im 19. Jh. immer' haufigere Abbre-
chen eines dissonanten Klanges, ohne daB eine A. er-
folgt. Vielmehr ist in diesen Fallen die Absicht des
Komponisten, die A. vom Horer auf Grund des schon
Gehorten bewuBt oder unbewuBt nachvollziehen zu
lassen; die A. ist gewissermaBen eine ideelle. Die pri-
mare Wirkung der A.en mit fortschreitendem Cha-
rakter besteht darin, daB sie im Horer Erwartungen
hervorrufen, die sie erfullen oder nicht erfiillen. Auf
der Erfiillung solcher Erwartungen beruht die Selbstuer-
stdndlkhkeit musikalischer Entwicklung, auf ihrer Nicht-
erfiillung das Uberraschende von Anderswendungen (Rie-
mann). Satztechnisch werden die verschiedenen Arten
der A.en nach den in der Harmonie- bzw. Kontra-
punktlehre aufgestellten Gesetzen der -*■ Stimmfiih-
rung geregelt. EB
Auflosungszeichen (engl. natural; frz. becarre), \,
hebt die Geltung von ->-Akzidentien ( # , \>, x, tb) auf
und stellt den Stammton wieder her. Soil nach einem
versetzten Ton ein anderer versetzter derselben Stufe
eintreten, so geniigt durchaus das diesen deutlich for-
dernde neue Zeichen, und es bedarf nicht auBerdem
noch eines \ , das das alte aufhebt. \ jt » l| l> w ie auch \ \
sind zwar korrekte und oft verwendete, jedoch nicht
notwendige Zeichenhaufungen. Zeichen, die nur als
Lesehilfen im Takt hinzugef iigt oder wiederholt wer-
den, sind oft durch Einklammerung oder kleineren
Druck gekennzeichnet.
Aufsatze heiBen in der Orgel die Schallbecher der
-*■ Lingualpfeifen. Sie sind trichterformig (Trompete,
Posaune, Oboe) oder zylindrisch (Dulzian, Krumm-
horn, Regal). Auch kompliziertere Formen sind haufig
(Barpfeife, Kopftrompete, Knopfregal). Die A. dienen
nicht der Schallerzeugung, sondern wirken als -^Re-
sonator. Bei der »natiirlichen« Lange des Bechers
stimmt dessen Eigenfrequenz mit der Zungenfrequenz
iiberein. Sie ist fiir zylindrische A. gleich der Halfte
der Lange einer offenen Labialpfeife, also fiir 8'-Re-
gister gleich 4'. Fiir trichterformige A. liegt die natiir-
liche Becherlange etwa bei 2 Dritteln, also 51/3' fiir die
8'-Lage. 1st der Becher verkiirzt, wie bei der Familie
der Regale, so treten die hoheren Eigenschwingungen
der Zunge scharfer hervor; der Klang wird obertonig.
Geht der Becher iiber die natiirliche Lange hinaus, so
dampft die im Verhaltnis zu tiefe Eigenfrequenz des
62
Bechers die hoheren Teilschwingungen der Zunge;
der Klang wird rund, die Obertone treten zuriick.
Becher dieser Art bevorzugte der Orgelbau des spaten
19. Jh.
Aufstrich ->■ Abstrich.
Auftakt (frz. anacrouse; ital. anacrusi; engl. upbeat)
heiCt der Anfang einer Melodie auf unbetontem Takt-
teil. Er kann aus nur einer (haufig im deutschen Volks-
lied) oder aus mehreren Noten bestehen (z. B. Mar-
seillaise, Fugenthemen der Barockzeit). Beim Dirigie-
ren bezeichnet man als A. den Taktschlag vor dem
Einsatz von Orchester oder Chor, unabhangig davon,
ob dieses Einsatzzeichen auf betonten oder unbetonten
Taktteil fallt. - Bis um 1800 sind ein kurzer und ein
langerer A. zu unterscheiden. Der kurze A., oft nur in
der Melodiestimme, gilt als Zusatz zum 1. Takt. Daher
schlieCen solche Satze - wie in neuerer Zeit auch bei
Hindemith (z. B. op. 11, 2, 3. Teil) - mit einem vollen
Takt. Der langere A. gilt dagegen als unvollstandiger
Takt ; f iir seine Umbildung zu einem ganzen Takt gibt
es vor allem 3 Mittel: Dehnung des Anfangsmotivs,
das dann erst beim 2. Einsatz auftaktig erscheint, z.B.:
J J J J wird am Anf ang zu J J J (besonders haufig im
16. Jh.); nur die Melodiestimme setzt auftaktig ein,
die Begleitstimmen beginnen vorher volltaktig (be-
sonders haufig in Generalbafistucken) ; Notierung mit
Pause zu Anfang (noch bei Beethoven, z. B. 5. Sym-
phonic, 1. Satz). Seit dem 19. Jh. gilt die Regel, daB
auch der langere A. ohne vorausgehende Pause notiert
wird; A. und SchluB sollen sich zu einem Takt ergan-
zen. - Auftaktigkeit als Grundprinzip der musikali-
schen Motiv- und Formbildung hat zuerst Momigny
1806 erkannt; H.Riemann hat darauf seine Lehre von
der musikalischen Rhythmik, Metrik und Phrasierung
aufgebaut: Unsere Notenschrift macht dutch den Takt-
strich und dutch die Liicken ztvischen den dutch gemeinsame
Balken vetbundencn Achteln usw. die relativ schweten
Wette leicht etkennbat, weckt abet dadutch leichtet den
Schein det engeten Zusammengehorigkeit det zwischen
zwei Taktstrichen stehenden odet dutch einen Balken ver-
bundenen Noten. Es kannjedoch nichts Vetkehttetes geben,
als fottgesetzt von einet schweten Note bis vot die nachste
schwete Motive zu technen und eine beginnende leichte so-
zusagen Jut sich allein, ah votausgegeben zu bettachten
odet wohl gat mit det Schlufinote zu vettechnen. Die Auf-
taktigkeit det Motive ist nicht nut eine mogliche Fotm, son-
detn det eigentliche Ausgang, die Utfotm alles musikalischen
Lebens. Nach dieser Theorie gehort im allgemeinen
der Taktschwerpunkt nicht mit der folgenden, son-
dern mit der vorangehenden leichten Taktzeit zur en-
geren Einheit des Taktmotivs zusammen, z. B. :
Beethoven, op. 49, 2, Menuett.
Vom zentralen Begriff des Taktmotivs ausgehend ha-
ben Momigny und Riemann die Auftaktigkeit auch
auf kiirzere und groBere Zusammenhange ubertragen.
Alle Figuration bringt danach im Prinzip neue A.-
Werte, z. B. :
mut
HI
'^JJJJlA
Augenmusik
zweiten und d eines dtitten Gtades. Umgekehtt konnen
abet auch mehtete Taktmotive zut hoheren Einheit der
Phrase zusammentreten, werden dann aber (wenigstens in
der rhythmischen Theorie) gewohnlich nicht mehr Motiv,
sondern Zweitaktgruppe oder weiterhin Halbsatz (Vorder-
satz, Nachsatz) und Periode und endlich Thema genannt.
Diesen Sachverhalt hat Riemann in seinen Analysen
und Studienausgaben mit Phrasierungsbezeichnung
auch graphisch dargestellt, z. B. :
Beethoven, op. 110, 1. Satz, Takt 12.
Hier ist nach Riemann {Handbuch ..., 51916, S. 79) a
ein Taktmotiv, b Unterteilungsmotiv ersten, c ein solches
Beethoven, op. 13, 1. Satz, Hauptthema.
Fur eine sinnvolle Interpretation der Musik des 17.-19.
Jh. ist dieses auf der Auftaktigkeit basierende System
grundlegend; es laBt sich jedoch nicht, wie Riemann
annahm, ausnahmslos durchfiihren. Problematisch ist
insbesondere, daB der Zusammenhang einer schweren
Taktzeit mit der ihr folgenden leichten danach nur als
-*■ Weibliche Endung begriffen werden kann. Die Kon-
sequenz zwingt Riemann, die Taktstriche bei solchen
Themen um je einen halben Takt zu versetzen, in de-
nen die Taktmotive volltaktig sind (z. B. 1. Satz der
Klaviersonaten K.-V. 331 von Mozart und op. 27, 1
von Beethoven). Der Geltungsbereich der Auftaktig-
keit wirdierner dadurch eingeschrankt, daB Sprachen
wie das Ungarische und Tschechische, die ausschlieB-
lich auf der 1. Silbe betonen, die Musik dieser Lander
volltaktig pragen, und daB die Formgestaltung der
Musik vor dem Aufkommen des akzentuierenden
Takts zu Anfang des 17. Jh. sowie in der Neuen Musik
des 20. Jh. nicht in erster Linie auf der Taktordnung
beruht. Mocquereau hat sich bemiiht, die Geltung des
Prinzips der Auftaktigkeit auch fur die rhythmische
Gliederung des Chorals nachzuweisen. -> General-
auftakt.
Lit.: KochL, Artikel Aufschlag u. Casur; J. J. de Mo-
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1884; ders., Katechismus d. Klavierspiels, Lpz. 1888, als
Hdb. d. Klavierspiels 5 1 9 1 6 ; ders. mit C. Fuchs, Katechis-
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( 8 1912); ders., Praludien u. Studien, 3 Bde, Heilbronn
1895, Lpz. 1900-01 ; ders., System d. mus. Rhythmik u.
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phie mus., Serie 1, VII, Solesmes u. Touraai 1901-05, S.
356ff. ; ders., Le nombre mus. gregorien, 2 Bde, Rom u.
Touraai 1908-27; A. Palm, J.-J. de Momigny, Diss. Tu-
bingen 1957, maschr.
Aufzug, - 1) eine Art der -> Intrada; - 2) ->■ Akt.
Augenmusik, in der Niederschrift von Musik be-
stimmte Erscheinungen, deren Sinngehalt nicht fur das
Ohr, sondern nur oder primar fiir das Auge erfaBbar
ist. Sie dienten vor allem im Madrigal aber auch in
Motetten und Messesatzen seit etwa Willaert und C. de
Rore im Zusammenhang mit der asthetischen Theorie
von der imitazione della natura (Vicentino 1555, Zar-
lino 1558) zur realistischen Darstellung des Textes. Man
benutzte die schwarzen und weiBen Noten der Men-
suralnotation bei Wortern wie schwarz, Schatten,
Beelzebub, blind bzw. weiB, Licht, Tag. Der durch
63
Augmentation
den -»• Color - 1) bedingte Mensurwechsel wurde zum
Teil durch Punktierungen wieder ausgeglichen (aus:
A. Gabrieli, Psalmi Davidici, 1583, VII, l.Teil):
I 6 ♦• ♦ I ♦• ♦• A 1
(collo) ca-vit me in ob-scu-ris si-cut
Wahrend Cerone (El Melopeo, 1613) diese Art der
»imitacion« als Muster hinstellt, auBert sich Herbst
(Musica poetica, 1643) kritisch: Weil aber dieses nichtfur
die Ohren . . . sondem alleinfiir die Augen . . . angesehen
ist, lafit man es in seinem Werth und Unwerth beruhen.
Die Moglichkeit dieser Art von A. endete mit dem
Aufkommen der modernen Notation. - Als A. anzu-
sprechen sind auch jene Melodiefuhrungen in den
Passionen J. S.Bachs, deren
Noten das Zeichen des Kreu-
zes bilden, z. B. in der Mat-
thaus-Passion: kreu - - - (zigen)
Das Kreuzmotiv begegnet ahnlich schon vor Bach, so
bei H.I.Fr.Biber (Passionssonaten), aber auch in neue-
rer Zeit, z. B. bei H.Wolf (Morikelied Schlafendesje-
suskind) und Dallapiccola {Cinque canti per baritono e al-
cuni stromenti, 1956). - Scheibe (Der critische Musicus, 9.
Stuck) spricht von doppelten Kontrapunkten, Krebs-
und Zirkelkanons als A.en, die den Erfinder . . . lacher-
lich, den Zuhorer . . . verdriefilich machen.
Lit.: A. Einstein, A. im Madrigal, ZIMG XIV, 1912/13;
ders., The Ital. Madrigal I, Princeton 1949, S. 234-244;
L. Schrade, Von d. »Maniera« d. Komposition in d. Mu-
sikd. 16.Jh.,ZfMwXVI, 1934,S. 3ff.,98ff., 152ff.
Augmentation (lat. augmentatio, VergroBerung).
- 1) In der Mensuralnotation heiBt A. die Verlangerung
einer Note um die Half te ihres Wertes, angezeigt durch
einen nachgestellten Punkt (punctus augmentationis,
z.B. B-). - 2) Seit Pr. de Beldemandis bezeichnet A.
auch, als Gegenstiick zur Diminution, eine Notierungs-
art, bei der die geschriebenen Noten in der Ausf iihrung
auf doppelte oder dreifache (nu'r im Modus maior cum
tempore perfecto) Dauer gedehnt werden. Zu ihrer
Bezeichnung dient: \ (proportio subdupla), 3 (subtrip-
la), in der Zeit Ockeghems, Obrechts und Isaacs auch
das Zeichen der Prolatio perfecta ( O , C- ). Die A. spielt
in der Kanontechnik bis zuj. S. Bach eine wichtige Rol-
le: Musicalisches Opfer, Kanon a 2. per A.em, contrario
Motu. - 3) Als Kompositionsverfahren begegnet A.
haufig in Fugen, aber auch in Sonatensatzen. So bringt
J.S.Bach in der Fuge C moll des Wohltemperierten
Klaviers II A. des Themas in der Mittelstimme mit
dessen gleichzeitiger Umkehrung im BaB (Takt 14ft.) :
Zur Schlufisteigerung verwendet M. Reger die A. in
den Hiller-Variationen op. 100, Fuge, wo das Varia-
tionsthema in A. mit den beiden Themen der Doppel-
fuge kombiniert ist. Ebenfalls der SchluBbildung kann
A. in Symphoniesatzen des 19. Jh. dienen, wie in Schu-
berts 7. Symphonie C dur (D 944), 1. Satz, Takt 641ff.
(Vorbereitung auf den Wiedereintritt des Einleitungs-
Themas, in dem uberdies Takt 7-8 A. von Takt 6 ist).
In der Durchf iihrung bringt sie Bruckner (8. Sympho-
nie C moll, 1. Satz, Takt 37fL, A. von Takt 51f.), zu
Beginn der Reprise Brahms in seiner 4. Symphonie
E moll (1 . Satz, Takt 246ff .) .
Lit. : zu 2) : CS III, 246 (Pr. de Beldemandis) u. 1 18ff. (Ph.
de Caserta oder E. de Murino); CS IV, 167ff. (Tinctoris);
E. Praetorius, Die Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius,
= BIMG II, 2, Lpz. 1905; Cl. Sartori, La notazione ital.
del Trecento in una redazione inedita . . . di Pr. de Belde-
mandis, Florenz 1938.
Augsburg.
Lit.: F. A. Witz, Versuch einer Gesch. d. theatralischen
Vorstellungen in A., A. 1876; A. Greiner, Die A.er Sing-
schule . . ., A. 1924; ders., Die Volkssingschule in A., A.
u. Kassel 1934; H. J. Moser, Eine A.er Liederschule im
Mittelbarock, Fs. Th. Kroyer, Regensburg 1933 ; ders., A.
in d. deutschen Mg., in: Die Musikpflege VII, 4, Lpz. 1936;
E. Fr. Schmid, A.er Mozartbuch, Zs. d. Hist. Ver. f.
Schwaben LV/LVI, A. 1942/43; R. Schaal, Zur Musik-
pflege im Kollegiatstift St. Moritz zu A., Mf VII, 1954;
A. Layer, Musik u. Musiker d. Fuggerzeit, A. 1959; B.
Paumgartner, Zur Musikkultur A. in d. Fuggerzeit, in:
Jacob Fugger, Kaiser Maximilian u. A A. 1959; Fr.
Schnell, Zur Gesch. d. A.er Meistersingerschule, = Abh.
zur Gesch. d. Stadt A. XI, A. 1959; Neues A.er Mozart-
buch, = Zs. d. Hist. Ver. f . Schwaben LXII/LXIII, A. 1962;
Musik in d. Reichsstadt A., hrsg. v. L. Wegele, A. (1965).
Aulos (griech. auX6?, R6hre),indergriechischenAn-
tike Sammelname fur die gedoppelten Blasinstrumente
(daher meist Mehrzahl auXot), in der neueren Litera-
tur meist als Doppelrohrblattinstrument verstanden
(-»Phorbeia). Nach der Beschreibung des Theophrast
ist der A. dreiteilig: erbesteht ausMundstiick (£euyo£,
Joch), Zwischenstuck (8Xu,o£ und u<p6Xf/.iov) und
Spielrohre ((36(x(3ui;). Auf altgriechischen Darstellun-
gen ist oft auch das groBe Futteral (au(3r]VY)) aus ge-
gerbtem Tierfell zu sehen, ein Doppelsackchen fiir die
beiden Rohren mit dem Mundstiickbehalter. Nach
Theophrast hatte das abnehmbare Mundstiick eine aus
dem Rohr herausgeschnittene Aufschlagzunge. Die
Spielrohre war zyhndrisch oder auch konisch und be-
stand nach Pindar (12. Pythische Ode) aus Erz und
Schilfrohr, nach anderen Autoren aus Holz (Buchs-
baum, libyscher Lotos), Knochen oder Elfenbein. A.-
Funde zeigen bis zu 15 Bohrlocher (Tpu7r»j(xaTa). Das
Daumenloch liegt auf der Ruckseite zwischen dem
ersten und zweiten vorderen Griffloch; daraus ergibt
sich die charakteristische Haltung mit abgespreiztem
Zeigefinger. Der kleine Finger wurde oft als Stiitze
unter die Spielrohre gesteckt. Die Locher wurden
nicht mit der Fingerkuppe, sondern mit dem Mittel-
glied gedeckt. Beide Rohren wurden zusammen in den
Mund gesteckt und in V-Form auseinandergespreizt,
wobei die Hande symmetrisch auf beiden Rohren
griffen. Sind die Auloi verschieden lang, so ergibt sich
ein Spielen in Parallelklangen. Beim Wechsel der Ton-
art muBte das Instrumentenpaar gewechselt werden.
Pronomos, der Lehrer des Alkibiades, schuf die Mog-
lichkeit, auf demselben Instrument verschiedene Ton-
lochreihen anzuordnen mit einem VerschluB fiir die
nicht verwendeten Locher. So bestehen vier in Pom-
peii gefundene Exemplare aus einem Rohrkern mit
zahlreichen Drehringen, so daB die Grifflbcher ver-
schlossen und geoffnet werden konnten. Die Ringe
sind mit kleinen Haken versehen, um das Drehen zu
erleichtern. Dieses Ringsystem setzte sich in der grie-
chisch-romischen Spatantike durch. Ein A. (Votiv)
aus Pergamon hat sogar Schieber zum Offnen und
SchlieBen einiger Locher. Auf jiingeren griechisch-
romischen Abbildungen kommt der phrygische A.
vor, bei dem das langere Rohr gebogen ist (SXujxoi;,
krummer Rohransatz). Das Altertum kannte nach
Athenaios 4 GroBen des A. : Madchen-A., Knaben-A.,
das »vollkommene« Instrument des mannlichen A.
(Tenor) und das »ubervollkommene« des ebenfalls
mannlichen A. (BaB). Sopran und Tenor, Alt und BaB
standen im Oktawerhaltnis. Der Abstand zwischen
dem hochsten Ton des Soprans und dem tiefsten des
64
Ausdruck
Basses betragt nach Aristoxenos iiber 3 Oktaven. Die
Instrumente fur das Zusammenspiel mit der Kithara
(auXol xt-9-apta-a)pioi) standen zwischen Alt und
Tenor. Die Attribute fur das A.-Spiel sind verschieden:
volltonend (7ia(i<ptovoi;, Pindar), schon tonend (xoca-
At(36a?, Stesichoros, Sophokles), suB (yXuxu?, Pin-
dar, Sophokles). - Der A. gehorte urspriinglich nicht
zum Bereich der [ioucnxY], gait vielmehr als Instru-
ment der Unfreien und Barbaren. Er erklang bei Op-
ferumzugen und -feiern, besonders in ekstatischen
Kulten, ferner bei Hochzeitsumziigen, Maskeraden,
Reigen und Einzeltanz, zur Arbeit sowie zu gymnasti-
schen Wettkampfen und Ubungen, auch als Marsch-
musik. Beim Symposion trat eine A.-Spielerin auf.
Als Heimat des A. gait Kleinasien; der Mythos nennt
als A.-Spieler die Silene im Gefolge des Dionysos so-
wie die Phrygier Marsyas und Olympos. Im 7. Jh. v.
Chr. soil Klonas den aulodischen Nomos (Gesang zur
A.-Begleitung) erfunden haben. Seit dieser Zeit gilt
vor allem Bootien als Pflegestatte des A. 586 v. Chr.
drang die Auletik (solistisches A.-Spiel, ohne Gesang)
in das Wettkampfprogramm der delphischen Spiele
ein; Sakadas von Argos stellt in diesem Jahr in seinem
»pythischen Nomos« den Kampf Apollons mit dem
Drachen dar. Von den siegreichen Auleten der spate-
ren delphischen Spiele ist Midas von Akragas dadurch
bekannt, daB Pindar auf ihn seine 12. Pythische Ode
dichtete. In der alteren griechischen Dichtung sind vor
allem die Vorformen der Elegie und der Komodie mit
dem A. verbunden. Die rhythmische Kraft seines
durchdringenden Klanges und die Eignung des A. zur
abbildenden Darstellung machen es verstandlich, daB
die A.-Kunst im 4. Jh. v. Chr., besonders im Dithy-
rambos, zuerst die neue virtuose, zuweilen exzentri-
sche Musik verkorpert, die sich aus dem iiberlieferten
Zusammenhang von Rhythmos, Harmonia und Logos
als eigengesetzliche Kunst heraiislost.
Lit.: Theophrast, Ilepi cpuicbv iaxopia, 2 Bde, hrsg.v. A.
Hort, London 1948 ; Plutarque de la musique, hrsg. v. Fr.
Lasserre, = Bibl. helvetica romana I, Olten u. Lausanne
1954; C. Bartholinus, De tibiis veterum, Rom 1679; F.
Blanchinus, De tribus generibus instrumentorum musi-
cae veterum, Rom 1742; Fr. A. Gevaert, Hist, et the'orie
de la musique de l'antiquit6 II, Gent 1881 ; K. v. Jan, Ar-
tikel Fl., in: Baumeister, Denkmaler d. klass. Altertums,
Munchen u. Lpz. 1885-88; ders., Artikel A., Pauly-Wis-
sowa RE; A. Howard, The A. or Tibia, Harvard Studies
in Class. Philology IV, 1893 ; ders., The Mouthpiece of the
A., ebenda X, 1 899 ; H. Huchzermeyer, A. u. Kithara in d.
griech. Musik . . . , Diss. Miinster i. W. 193 1 ; O. Broneer,
Excavations in Corinth . . . , in : American Journal of Ar-
cheology XXXIX, 1935; K. Schlesinger, The Greek A.,
London 1 939, dazu J. Handschin, in : AMI XX, 1 948 ; N. B.
Bodley, The A. of Meroe, American Journal of Archeo-
logy L, 1946; M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen,
Bin 1949; ders., Griechenland, = Mg. in Bildern, hrsg. v.
H. Besseler u. M. Schneider, II, 4, Lpz. (1963) ; J. D. Beaz-
ley, Hydria-Fragments in Corinth, in: Hesperia XXIV,
1955; Thr. Georgiades, Musik u. Rhythmus bei d. Grie-
chen, = rde LXI, Hbg 1958, darin Pindars 12. Pythische
Ode; H. Becker, Studien zur Entwicklungsgesch. d. Rohr-
blattinstr., Habil.-Schrift Hbg 1961, maschr.; ders., Zur
Spielpraxis d. griech. A., Kgr.-Ber. Kassel 1962; H. Rol-
ler, Musik u. Dichtung im alten Griechenland, Bern u.
Munchen (1963).
Aurresku (baskisch, Vorderhand), auch Baile real,
Danza real oder Eskudanza genannt; ein Tanz von
hohem Alter, der im spanischen Baskenland (in Gui-
piizcoa, Vazcaya und im auBersten Norden Navarras)
gepflegt wird. Sein alter baskischer Name Sokadantza
(Seiltanz, Kettentanz) besagt, daB die Tanzer eine Kette
(Seil) bildeten und sich dabei die Hande gaben. Der
erste Tanzer heiBt A. (die Vorderhand), der letzte ist
der Atzesku (auch atzeneskulari, Hinterhand). Der ur-
spriinglich gravitatische Tanz ist im Laufe der Ge-
schichte mit fremden Momenten durchsetzt wor-
den (Fandango, Jota, Walzer). Der altere A. besteht
aus einem im Vierertakt stehenden Einleitungsstiick,
GruB der Autoritat durch den ersten Tanzer mit Spriin-
gen und lebhaften Wendungen, tiefer Verbeugung
und Ziehen der Baskenmiitze; dann Wahl eines Mad-
chens* durch den A., das von 4 Tanzern zur Platzmitte
gefiihrt und mit dem getanzt wird zur Melodie eines
alten katalanischen Volkstanzes, des ->• Contrapas. Es
folgt der -* Zortziko (5/8- Allegretto), ein Wechsel
von Reihentanz und Solotanz durch den A. (einge-
streute Tanzspriinge und Pirouetten) ; dann der Pasa-
mano, wobei die Paare durch einen vom A. und seiner
Partnerin gebildeten Bogen schreiten; daraufhin der
Desafio (Herausforderung) oder Oilarrauzka (Hah-
nenkampf), wobei A. und Atzesku konfrontiert ab-
seits der Reihe um die Wette tanzen. Damit endet der
klassische A. Heute werden angeschlossen die »Brucke«,
wobei samtliche Tanzpaare unter den hoch erhobe-
nen Armen des ersten und dann, in umgekehrter Rich-
tung, unter denen des letzten Paares hindurchschreiten,
woraufhin der ->■ Fandango (3/8-Allegro), eine Kund-
gabe der Frohlichkeit iiber den Sieg einer der beiden,
und der Arifi, arin (»schnell«), eine Art Finalgalopp fol-
gen. Alle genannten Tanzmelodien haben zwei 8taktige
Teile. Die wichtigsten Instrumente sind Flabiol, Txis-
tu (-»■ Einhandflote) und Tamboril (kleine Trommel).
Lit. : Fr. Gascue, L'aurrescu basque, Rev. mus. de la Soc.
internationale de musique VIII, 1912; ders., El a. en Gui-
piizcoa a fines del s. XVIII, San Sebastian 1 9 1 6 ; V. Alford,
Ceremonial Dances of the Span. Basques, MQ XVIII, 1932.
Ausdruck (frz. expression; ital. espressione) verbin-
det - als ausgesprochen neuzeitlicher Begriff - Musik
mit einem beabsichtigten, zur Wirkung gelangenden
Moment des Bedeutens: Musik »driickt aus« (stellt dar)
Wort- und Textgehalte, Affekte, Bilder, Geschehnisse,
Empfindungen, Gefiihle. Gegeniiber der in sich selbst
begriindeten musikalischen oder sprachlich-musikali-
schen Struktur, wie sie die als ->■ Ars musica und Ars
cantus begriffene quadriviale (mathematisch-kosmo-
logische) und triviale (an Sprachformen gebundene
und orientierte) Art der mittelalterlichen Musik ver-
wirklicht, sind jene Zielsetzungen des A.s ein von
auBen Kommendes, das die Musik bedingt und mo-
tiviert, die ihrerseits auf Grund eines Systems musi-
kalisch geltender Werte zu solcher Motivierung hi-
storisch pradestiniert sein muB. Kompositorisch beab-
sichtigter, in Lehre und Asthetik reflektierter musikali-
scher A. setzte in der Tat zusammen mit dem Entstehen
der (physikalisch begriindbaren) funktionalharmoni-
schen Tonalitat im 15./16. Jh. ein und steigerte sich mit
deren Entwicklung. Derm die auf den (Tonika-)Drei-
klang bezogene Harmonik (Melodik, auch Dynamik)
reprasentiert die "Welt auf der Ebene des Klingenden
als einen zielstrebigen ProzeB von Bewegungskraften,
in denen dingliche und seelische Bewegungsvorgange
zum A. gelangen konnen und sollen. Die Begriffe
-> Musica poetica und musikalisch-rhetorische -»■ Fi-
guren, -»■ Aflektenlehre, -> Musica reservata und-* Se-
conda pratica bezeichnen Marksteine dieser Steige-
rung, zugleich die-iestimmte friihneuzeitliche und
barocke, »gegenstandliche« (nachahmende) Art des
musikalischen A.s: zwischen der zu komponierenden
Musik und dem auszudriickenden Objekt (Textge-
halt, Sprechductus, Seelenzustand, Naturlaute usw.)
werden - in Bezug auf Bewegung, Dynamik (Kon-
trast), Spannungsgrade - partielle Ubereinstimmungen
(Analogien) ausfindig gemacht und verwirklicht, die
der Musik das Ausdriicken (Nachahmen, Abbilden,
Schildern, Malen) ermoglichen. Dieses rationalistisch
65
Ausdruck
»auf etwas« gerichtete Verfahren des A.s, wobei das
Objekt als typische Seins- und Verhaltensweise zur
Darstellung gelangt, verwandelte sich - nach Vorstu-
fen zumal in CI. Monteverdis Modernitat - in der »Ge-
niezeit« des 18. Jh. zur subjektiven Weise des indivi-
duellen »Sich selbst«-Ausdriickens : seine Ichheit in der
Musik heraustreiben (-> Schubart) ; Empjindungen aus
dem Innersten seiner Brust stofien (-*- Herder) ; Jeder Ton
ist das Resultat unserer momentanen Existenz (-*Heinse).
Musik gilt - in der Zeit C.Ph.E.Bachs, J.Stamitz',
Glucks - als le langage du caur (Rousseau), »Empfin-
dungssprache«, deren Ursprung als tonleidenschaftlicher
A. (Forkel) und deren Wirkung als successiver Ausbruch
der Gefuhle (KochL, Artikel A.) begriffen wird. DaB
sich ein individuelles Ich in der Musik auszudriicken
vermag, ist das neue musikalische Grunderlebnis des
Jahrhunderts, begleitet von der Ausbildung der -*■ As-
thetik und dem Vordringen der Begriffe Geschmack,
Originalitat und Charakter sowie des »freien« Phan-
tasiekunstwerkes. Dieser egopsychischen Bedeutsam-
keit der Musik entspricht im System des musikalisch
Geltenden die Intensiviervmg der funktionsharmo-
nischen Beziehungen in Verbindung mit der Aus-
bildung von Charakterthema und Expressivmelodik
(Besseler) vorab in der Instrumentalmusik, Diskonti-
nuitat des Satzes, Dynamisierung und Dramatisierung
des Klanggeschehens, das von primarer Struktur- zu
primarer A.s-Form sich zu wandeln begann. - Zeich-
net die Wiener »Klassik« sich aus durch die Kongruenz
von Tonsetzung und A. derart, daB der ausdrucksvolle
vokale und vor allem instrumentale Tonsatz »reine«
Musik zu sein, d. h. vollkommen sich selbst zu moti-
vieren scheint, - mag auch schon bei Beethoven oft ein
willensmaBiger, ethischer und programmatisch-poeti-
scher Impuls wirksam sein -, so charakterisiert die Zeit
nach 1830 den Verlust jener klassischen Einsheit, die in
einem ProzeB des Reflektierens der Klassik (wie nun
der Geschichte iiberhaupt) in »Form« und »Inhalt« aus-
einanderbricht: ->■ Form wird als abstrahierbar ge-
dacht (es entsteht die ->■ Formenlehre) und als solcher
tritt ihr der A. antithetisch gegeniiber. Mit der Bewal-
tigung dieser Antithese beschaftigt sich alsbald ein un-
iibersehbares Schrifttum, das - die musikalische Welt
in Schulen und Parteien zerreiBend - einerseits in einer
Form- oder Autonomic- Asthetik den Begriff der -> Ab-
soluten Musik nun pragt und sie fordert (Hanslick),
andererseits in einer A.s- oder Inhalts-Asthetik die
schon vorklassische Bestimmung des Tons als mensch-
lichen A., des Kunstwerks als Ausdrucksaufierung (Fr. v.
Hausegger), weiterhin kultiviert. Doch auch kompo-
sitorisch ist das 19. Jh., und zwar generell, gekennzeich-
net durch Steigerung des A.s, der mit der Chromati-
sierung der tonalen Harmonik unausweichlich sich er-
eignete, wobei der A. zugleich auch »von auBen kom-
mend« die musikalische Formung motiviert. Das Mo-
tivierende ist in Berlioz' Symphonie jantastique (1830)
das - aus der Intimsphare des Erlebens gewonnene -
Programm (welches in der Musik motive le caractere et
V expression), in Schumanns -*■ Charakterstiick das
»Poetische«, in Wagners (selbst wiederum stark ideo-
logisch motiviertem) Gesamtkunstwerk die »dichte-
rische Absicht«, in Bruckners Symphonik die uniiber-
horbare »Ich will«-Gestik des Sagens, bei Brahms und
Reger das reflektierende (teils historisierende) Sich-
Verhalten gegeniiber der Form, bei Mahler noch ein-
mal das »Erleben« (Meine Musik ist ,gelebt', Brief an
O.Bie vom 3. 4. 1895). Doch erweist - iiber Berlioz,
Wagner, Mahler - der A. als Motivierendes (sowie als
Rest, der in Form als abstrahierter Form nicht mehr
aufgeht) zugleich die Kraft zu (»freien«) Formungen,
die nun iiberhaupt nicht mehr abstrahierbar sind, und
somit die Tendenz, die Form-Inhalt-Antithese auf ei-
ner neuen Ebene wieder auf zuheben. Die wachsende In-
teresselosigkeit gegeniiber dem Begriff des A.s und da-
mit der Abbau sowohl der asthetischen Fragestellung
als auch der kompositorischen Polaritat gehen zusam-
men mit der Steigerung dieser neuen Einsheit, die mit
der Krise der Tonalitat zunahm und nach deren Ober-
windung, zumal in der -> Atonalitat, als Zeugnis eines
neuen »Vorrangs der Sach-Welt vor der Ich-Welt«
(Gurlitt) vollkommen verwirklicht sein kann.
H. Riemann entwickelte eine praktische A.s-Lehre, wo-
bei er den seit dem 18. Jh. geltenden A.s-Begriff zum
Dogma erhob: alle Tongebung sei in ersterLinie A., der
von dem Standpunkt des Subjekts aus zu werten ist, das sei-
nem Empfinden diesen A. gibt (1900, S. 67). Wie schon
Koch 1802 den A. auf seiten der Ausfiihrer als den
guten Vortrag beschrieb, so verstand Riemann lexika-
lisch unter A. allein die feinere Nuancierung im Vor-
trage musikalischer Kunstwerke, welche die Noten-
schrift nicht im einzelnen auszudriicken vermag, d. h.
alle die kleinen Verlangsamungen und Beschleunigun-
gen sowie die dynamischen Schattierungen, Akzentu-
ierungen und verschiedenartigen Tonfarbungen durch
die Art des Anschlags (Klavier), Strichs (Violine), An-
satzes (Blasinstrumente, Singstimme) usw., welche in
ihrer Gesamtheit als ausdrucksvoller Vortrag bezeich-
net werden. Wollte der Komponist alle die kleinen
Akzente mit tf , >, v, a bezeichnen, die beim kunstge-
rechten Vortrag eines Werkes unerlaBlich sind, so
wiirde er die Notenschrift iiberladen, zugleich auch
den Ausfuhrenden in der freien Entfaltung lebendigen
Vortrages behindem. Beim Zusammenspiel im Or-
chester pflegt sich das Espressivo auf solistische Stellen
einzelner Instrumente zu beschranken, wahrend das
Tutti sich an die vorgeschriebenen Zeichen bzw. an
die des Dirigenten zu halten hat. Versuche, zu all-
gemeinen Gesichtspunkten des A.s zu gelangen, sind
erst in neuerer Zeit von verschiedenen Theoretikem
gemacht worden. Das beste in friiherer Zeit Gelei-
stete ist - neben den bekannten Lehrwerken von
Quantz, C. Ph. E.Bach und L.Mozart - der von J. A.
P. Schulz geschriebene Artikel Vortrag in Sulzers Theo-
rie der schonen Kiinste (1772); auBerdem sind zu nennen:
M.->Lussy, Traite de ['expression musicale (Paris 1874);
H. Riemann, Musikalische Dynamik und Agogik (Ham-
burg und St. Petersburg 1884) und System der musikali-
schen Rhythmik undMetrik (Leipzig 1903) ; C. D. J. Fuchs,
Die Zukunft des musikalischen Vortrags (2 Bande, Danzig
1884) und Die Freiheit des musikalischen Vortrags (Danzig
1885) ; Fr.Kullak, Der Vortrag in der Musik am Ende des
19. Jh. (Berlin 1898); A.Moser, Vom Vortrag, 10 Auf-
satze aus seiner Violinschule (1906); R. Cahn-Speyer,
Handbuch des Dirigierens (Leipzig 1919); E.Tetzel,
Rhythmus und Vortrag (Berlin 1926). - Der dynamisch-
agogische A. eines Motivs (-»■ Agogik) ist nach H. Rie-
mann allgemein zu charakterisieren durch :
Auftakt : Endung :
stringendo abnehmende Dehnung
In der Regel geht die melodische Bewegung damit
derart zusammen, daB die sich steigernde Phrase zu-
gleich melodisch steigend, die abnehmende fallend
ist. Abweichungen von diesen allgemeinsten Regeln
wird der Komponist meist anzeigen, z. B. ein Dimi-
nuendo bei steigender Melodie oder beim Stringendo.
Ferner gilt als Regel, daB das Besondere, d. h. im ein-
fachen melodischen, rhythmischen, harmonischen
Verlauf Auf f allende hervorgehoben (akzentuiert) wird,
zunachst in harmonischer Beziehung das Auftreten
von Akkorden, die der Tonart sehr fremd sind, oder
66
Ausgleichsvorgange
A :i
PP
A
300 T(msec)
300 Tbmecl
A k
ff
A k
/ : '/ V
0/ i /W^.
MO
*00
J00 riiraec)
100
1. Harmonische
S.
Harmonische
2.
7.
»
3.
6. und 9.
4.
9. und W.
..
30GT(msec)
10. - 12.
Verlauf derTeilschwingungenbeimEinschwingen einer Geige im pp und ff (nach Reinecke).
die Einfiihrung von Vorhalten vor Akkordtonen. Die
Modulation in eine andere Tonart wird in der Regel
crescendo geschehen; au£ die Akkorde oder Tone,
welche sie bewirken, muB die Aufmerksamkeit hin-
gelenkt werden. Eine scharfe Dissonanz durch akzent-
loses Spiel mildern wollen, hieBe sie vertuschen; die
Wirkung ware ein nicht geniigendes Auffassen dieser
Scharfe, ein Nichtverstehen, eine Unklarheit. Doch
kann der Komponist die gegenteilige Vortragsweise
verlangen, im Diminuendo die gewagtesten Modula-
tionen machen und die scharfsten Dissonanzen im
Pianissimo bringen; der erzielte Eindruck wird dann
der des Fremdartigen, Sonderbaren, Marchenhaften,
Unheimlichen sein, eben zufolge der absichtlich ver-
miedenen vollen Klarheit. Aber auch hier muB das
Abnorme, die Abweichung vom schlichten Vortrag,
vom Komponisten besonders verlangt werden.
Lit. : E. Hanslick, Vom Mus.-Schonen, Lpz. 1 854 ; Fr. v.
Hauseoger, Die Musik als A., Wien 1885; H. Riemann,
Die Elemente d. mus. Asthetik, Bin u. Stuttgart 1900; H.
Kretzschmar, Anregungen zur Forderung mus. Herme-
neutik, JbP IX, 1 902 ; ders., Neue Anregungen zur Forde-
rung mus. Hermeneutik: Satzasthetik, JbP XII, 1905; L.
Klages, Ausdrucksbewegung u. Gestaltungskraft, Lpz.
1913; ders., Grundlegung d. Wiss. v. A., Lpz. 1936; K.
Buhler, Ausdruckstheorie, Jena 1933; K. Huber, Der A.
mus. Elementarmotive, Lpz. 1923; A. Wellek, Gefiihl u.
Kunst, in: Neue Psychologische Studien XIV, 1, 1939;
ders., Musik, ebenda XII, 1, 1934; H. Besseler, Bach als
Wegbereiter, AfMw XII, 1955; ders., Der A. d. Indivi-
dualitat in d. Musik, Beitr. zur Mw. V, 1963 ; H. H. Eoge-
brecht, Das A.-Prinzip im mus. Sturm u. Drang, DVjs.
XXIX, 1955 ; ders., Musik als Tonsprache, AfMw XVIII,
1961. HHE
Ausgaben -»- Denkmaler, ->■ Editionstechnik,
-> Gesamtausgaben, -> Quellen.
Ausgleichsvorgange (engl. transient motions). An
einem Schallereignis unterscheidet man je nach der
Art des Ablaufs den stationaren Zustand der Stetig-
keit, des GleichmaBes sowie den nichtstationaren Teil
der Veranderung akustischer GroBen. Ein stationarer
Schallvorgang verlauft im allgemeinen periodisch.
Zu den nichtstationaren Vorgangen gehoren die A.,
die dreierlei Art sein konnen: Ubergang Ruhe - sta-
tionarer Teil (Einschwingen), Ubergang stationarer
Teil - Ruhe (Ausklingen) oder Ubergang von einem
stationaren Teil in einen anderen:
schw/ngen
stationar
Ubergang
Die zeitabhSngigen VerSnderungen der Amplituden
einzelner Teilfrequenzen verlaufen wahrend der A.
unregelmaBig, weil die ->• Dampfung eines schwin-
genden Systems sehr stark frequenzabhangig ist (vgl.
Abbildung oben).
Andererseits sind die A. fur einzelne Instrumente je-
weils typisch und von wesentlichem EinfluB auf die
Klanggestalten. Sowohl die Art der Zusammensetzung
aus Teilfrequenzen als auch deren zeitliche Veranderun-
gen ermoglichen dem Horer das Erkennen eines be-
stimmten Schalles (Stumpf 1926, Kreichgauer 1932,
5»
67
Auslosung
Backhaus 1932). Auch dermusikalische Lautstarkeein-
druck wird hauptsachlich durch die A. beeinfluBt, wah-
rend die Intensitat dabei nur eine untergeordnete Rolle
spielt (Reinecke 1953). Fiir das Zustandekommen des
Richtungs- und Entfernungshorens sind die A. eben-
f alls von Bedeutung, besonders in ■geschlossenen Rau-
men, wo durch Reflexionen die an den Ohren auftre-
tenden Phasen- und Intensitatsunterschiede weit-
gehend verdeckt werden. Der Vorgang des Einschwin-
gens ist bei den einzelnen Instrumenten je nach der
Frequenz verschieden lang (zwischen 0,02 und ,1 sec).
Lit.: C. Stumpf, Die Sprachlaute, Bin 1926; A. Kreich-
gauer, Ueber MaBbestimmungen freier Intonationen,
Bin 1932; H. Backhaus, Ober d. Bedeutung d. A. in d.
Akustik, Zs. f. technische Physik XIII, 1932; F. Trende-
lenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Klangeinsatze an d.
Org., Akustische Zs. 1, 1936, u. Ill, 1938 ; K. KupfmuCler,
Systemtheorie d. elektrischen Nachrichteniibertragung,
Stuttgart 1952 ; H.-P. Reinecke, Ober d. doppelten Sinn d.
Lautheitsbegriffes beim mus. Horen, Diss. Hbg 1953,
maschr. ; W. Lottermoser, Akustische Untersuchungen
an alten u. neuen Org., in: Klangstruktur d. Musik, Bin
(1955); E. Skudrzyk, Psychoakustische Erscheinungen
bei d. Bildung v. natiirlichen u. synthetischen Klangen,
Gravesaner Blatter III, 1957, H. 9; W. Linhardt, Uber
Laden- u. Traktursysteme d. Org. u. ihre Einflusse auf d.
Ein- u. Ausschwingvorgange d. Pfeifen, Diss. TH Braun-
schweig I960, maschr.; Fr. Winckel, Phanomene d. mus.
Horens, Bin u. Wunsiedel (1960).
Auslosung (frz. echappement) -*■ Mechanik.
Aussprache bringt das Wort zur klingenden Wie-
dergabe. Diese besteht aus Vokalen (Selbstlauten),
Konsonanten (Mitlauten) und dem, Tonfall. Sie voll-
zieht sich auf den Ebenen der nachlassigen sogenannten
Gossensprache, der gepflegteren Umgangssprache, der
Mundart und der Hochsprache. Fiir die deutsche Hoch-
lautung ist die Bildungsweise aller ->■ Vokale und
-> Konsonanten durch ein Gremium von Biihnenf ach-
leuten und Wissenschaftlern unter Leitung von Th.
Siebs 1898 untersucht und erstmals festgelegt worden.
Auch hat man sich auf gewisse A.-Regeln geeinigt wie :
b, d, g werden im Ausfaut zu p, t, k (also »urit« statt
»und«, »Kriek« statt »Krieg«) u. a. In den A.-W6rter-
biichern von Siebs und Duden ist auBerdem die A. der
deutschen und der gebrauchlichsten Fremdworte ver-
bindlich festgelegt worden, woran sich, wie auch an
den A.-Regeln, infolge der lebendigen Entwicklung
der Sprache immer wieder Veranderungen ergeben.
So ist die grundsatzliche Forderung nach Zungen-r
statt Gaumen-r 1957 aufgegeben worden. - Die A.
des gesungenen Wortes unterscheidet sich beim ariosen
Gesang von der des gesprochenen vor allem dadurch,
daB an die Stelle der unablassigen Bewegung der Ar-
tikulationsorgane Lippen, Unterkiefer, Zunge und
Gaumensegel die Forderung nach dem »statischen Vo-
kal« tritt. Damit die Vokale als die Trager des Stimm-
klangs nicht durch die Konsonanten beeintrachtigt
werden, gilt die Regel, alle Konsonanten so kurz wie
moglich und so deutlich wie notig vor den folgenden
Vokal zu werf en und dabei den Dualismus von Voka-
len und Konsonanten in einen einheitlich flieBenden
Vorgang aufzulosen. Die Verstandlichkeit des gesun-
genen Wortlautes wird durch detailliertes Studium
und prazise Artikulation der Konsonanten erzielt, wen
bei das Zungen-r dem Gaumen-r unbedingt vorzu-
ziehen ist. Wichtig ist stets ein klares BewuBtsein fiir
den" Textinhalt und der Wille, diesen ebenso eindring-
lich vorzutragen wie die Musik. Auch die* Vokalbe-
handlung unterliegt im Gesang besonderen Gesetzeti,
da der ausgeglichene Wohllaut des Singens den Vor-
rang vor der Vokaldeutlichkeit zu haben pflegt und
besonders in den Hochlagen jeder Stimmgattung die
Charakteristika der einzelnen Vokale sich abschleifen.
Besondere Beachtung erfordert das beim gesprochenen
Wort vernachlassigte e der Vor- und Endsilben (bg-
ginnen). Fiir Diphthonge gilt beim Gesang die Regel,
daB ihr Hauptlaut (a in ei und au, o in eu) fast den gan-
zen Notenwert iiber rein zu erklingen und der Ne-
benlaut (e in ei, S in au, in eu) nur kurz vor dem fol-
genden Konsonanten oder dem Tonende zu erscheinen
hat. Im Rezitativ dominiert der Wortvortrag, doch
darf er nicht zum bloBen Sprechen auf Tonhohen her-
absinken. Der dramatische Gesang (R. Wagner) erfor-
dert im Vergleich zum ariosen Gesang gesteigerte De-
klamation.
Lit.: Th. Siebs, Deutsche Hochsprache. Biihnenausspra-
che, Lpz. 1898, 17. Aufl. hrsg. v. H. de Boor u. P. Diels,
Bin 1958; Chr. Winkler, Lautreines Deutsch, Braun-
schweig 1 950 ; J. Hey, Die Kunst d. Sprechens (nach d. Ur-
text neu hrsg. v. Fr. Reusch), Mainz 1955; R. Keldor-
fer, Die A. im Gesang, = Sprecherziehung IX, Wien 1955 ;
Fr. Martienssen-Lohmann, Der wissende Sanger, Zurich
u. Freiburg i. Br. 1956; M. Weller, Das Sprechlexikon,
Diisseldorf 1 957 ; C. u . P. Martens, Phonetik d. deutschen
Sprache, Miinchen 1961 ; Duden-Ausspracheworterbuch,
Mannheim 1962. GB
Austr alien.
Lit. : K. Hagen, Ober d. Musik einiger Naturvolker (Au-
stralier, Melanesier, Polynesier), Diss. Jena 1892; Ch. H.
Bertie, Australia's First Composer, Sidney 1922; E. I.
Moresby, Australia makes Music, Melbourne 1948, Lon-
don 1950; W. A. Orchard, Music in Australia, Melbour-
ne 1952; E. A. Worms, Australian Ghost Drums, Trum-
pets and Poles, in: Anthropos XLVIII, 1953 ; A. P. Elkin,
Australian and New Guinea Mus. Records, Oceania
XXVII, 1957; A. M. Moyle, Sir Baldwin Spencer's Re-
cordings of Australian Aboriginal Singing, Memoirs of the
National Museum Melbourne XXIV, 1959; A. Silber-
mann, Zur Gesch. d. Musiklebens in A., Mf XII, 1959; C.
J. Ellis, Aboriginal Music Making: A Study of Central
Australian Music, Adelaide 1964.
Ausweichung -> Modulation, ->■ Zwischendo-
mifianten. _
Auszierungen, deutsche Bezeichnung im Barock (bei
Quantz, L. Mozart u. a.) fiir -> Verzierungen.
authentisch (von griech. au&evxix6t;; lat. authentus
oder authenticus, echt, selbstandig), - 1) seit dem Mit-
telalter gebrauchliche Bezeichnung fiir den 1 ., 3., 5. und
7. Kirchenton (alteste musiktheoretische Belege im 9.
Jh.: GS I, 26a f. und 39b; -+ Kirchentone) ; - 2) die
-> Kadenz D-T.
Autograph (griech., von aux6<; und ypa<p<i>, selbst
schreiben) heiBt eine Niederschrift von der Hand des
Verfassers (Eigenschrift). Fiir die Herausgabeeines Mu-
sikwerkes (-> Erstdruck) ist das A. von einzigartiger
Bedeutung, besonders wenn der Autor die Anf ertigung
einer Kopie oder die Drucklegung (-> Urtext) nicht
selbst iiberwachte. Auch bei Fragen nach der Echt-
heit und der Entstehungszeit eines Werkes gibt das A.
Auskunft. Als Zentralstelle der iiber die ganze Welt
verstreuten offentlichen und privaten A.-Sammlungen
ist das von A. van Hoboken 1927 gegriindete Archiv
fiir Photogramme musikalischer Meisterhandschriften
(»Meisterarchiv«) bei der Osterreichischen National-
bibliothek in Wien anzusehen, das iiber 35000 Photo-
kopien der wichtigsten A.en besitzt.
Lit.: H. Schenker, Eine Rettung d. klass. Musiktexte . . .,
in: Der Kunstwart XLII, 1929; G. Schunemann, Musi-
kerhss. v. Bach bis Schumann, Bin 1936, 31943 ; W. Schmie-
der, Musikerhss. in drei Jh., Lpz. 1939; W. Altmann, Ist
d. Originalhs. oder d. Erstdruck maBgebend ?, AMzLXVII
1940; O. E. Albrecht, A Census of A. Music Mss. of Eu-
ropean Composers in American Libraries, Philadelphia
1953 ; E. Winternitz, Mus. A. from Monteverdi to Hinde-
68
Ave regina caelorum
mith, 2 Bde, Princeton 1955; P. Mies, Etwas iiber Musik-
A., in: Musikhandel VIII, 1957; Das Arch. f. Photogram-
me mus. Meisterhss. . . . Widmung A. van Hoboken,
= Biblos-Schriften XVIII, Wien 1958; H. Unverricht,
Die Eigenschriften u. Originalausg. v. Werken Beethovens
in ihrer Bedeutung f. d. moderne Textkritik, = Mw. Ar-
beiten XVII, Kassel 1960; Musikerhss., 3 Bde, hrsg. v. W.
Gerstenberg u. M. Hurlimann, Zurich (1960-61) ; W. M.
Luther, Der Komponist u. seine Eigenschrift, in : Aus d.
Welt d. Bibliothekars, Fs. R. Juchhoff, Koln 1961; G.
Mecklenburg, Vom Autographensammeln. Versuch ei-
ner Darstellung seines Wesens u. seiner Gesch. im deut-
schen Sprachgebiet, Marburg 1963.
Automaten -> Mechanische Musikwerke,
-> Music box.
Auto (sacramental) (span.; port, auto; von lat. ac-
tus, Handlung), bezeichnet zunachst feierliche religio-
se und gerichtliche Veranstaltungen, dann kurze dra-
matische Auffiihrungen an kirchlichen Festtagen, die
sich aus dem spatmittelalterlichen geistlichen Schauspiel
herausgebildet hatten und im 16. Jh. die genuin spani-
sche Form eines A. s., des Fronleichnamsspiels, annah-
men. Seit dem Tridentiner Konzil war die Verherr-
lichung und Erklarung der Eucharistie (Altarsakra-
ment) in zunehmendem Mafie der eigentliche dogma-
tische und intellektuelle Inhalt der A.s s.es geworden
und diese damit zu dramatischen Verkiindigungen von
Glaubenswahrheiten am alljahrlichen Fronleichnams-
fest. Diese Spiele erfreuten sich - nicht zuletzt ihrer
handlungsreichen, teilweise auch pompos spektakula-
ren Inhalte wegen - einer ungewohnlichen Popularitat
und haben von den grofien spanischen Biihnendichtern
des Siglo de oro (Lope de Vega, Tirso de Molina, Cal-
deron de la Barca) ihre literarisch representative Ge-
staltung erhalten. Regieanweisungen und die uberlie-
ferten Auffiihrungsberichte lassen auf vokale (Solo-
und Chorgesange) und instrumentale Vertonung ein-
zelner Partien schlieBen. Das Orchester (Blech- und
Holzblaser, dazu Zupfinstrumente) spielte auch ton-
malerische Stiicke zu den Vorgangen auf der Biihne
(Donnerschlage, Explosionen, Trommelwirbel). Als
Komponisten von Musik zu den A.s s.es konnen u. a.
genannt werden Cristobal Galan, Manuel de Leon
Marchante, Fray Juan Romero, Gregorio de la Rosa,
wenngleich fiir die einzelnen A.s s.es noch keine Kom-
positionen nachgewiesen werden konnten.
Lit. : M. Latorre y Badillo, Representaciondelos A.s. en
el periodo de su mayor florecimiento (1620-81), Revista de
Arch., Bibl. y Museos XXV/XXVI, 1911/12; M. Batail-
lon, Essai de l'explication de FA., Bull, hispanique XLII,
1940; A. A. Parker, The Allegorical Drama of Calderon,
London u. Oxford 1 943 ; J. Sage, Calderon y la musica
teatral, Bull, hispanique LVIII, 1956; N. D. Shergold u.
J. E. Varey, Los A.s en Madrid en la epoca de Calderon
1637-81, Estudios y documentos, Madrid 1961. HOc
Auxesis (griech.) -> Climax.
Ave Maria (lat.), der Englische GruB. Er enthalt die
biblischen GruBworte des Engels Gabriel und der
Elisabeth an die Jungfrau Maria, gefolgt von einer
Anrufung des Namens Jesu und dem Bittgebet Sancta
Maria, mater Dei . . . Wahrend sich die Verbindung
der Lukas-Stellen 1, 28 (Vulgata: Ave gratia plena;
Dominus tecum; benedicta tu in mulieribus) und 1, 42 (et
benedictus fructus ventris tui) schon seit dem 6. Jh. nach-
weisen laBt, wurden Anrufung und Furbitte erst im
hohen bzw. spaten Mittelalter hinzugefiigt. Letztere
erhielt ihre endgultige Form durch das Pianische
-»■ Brevier von 1568. In frankischen Quellen aus dem
9. Jh. als Offertoriumsgesang (4. Advent) uberliefert,
fand das A. M. ein Jahrhundert darauf auch Eingang
in das Officium parvum Beatae Mariae Virginis. Bis
heute bildet es an bestimmten Tagen des Kirchenjahres
einen festen Bestandteil in Messe und Offizium. Den
gregorianischen Melodien zum A. M. liegt stets nur
der Lukas-Text (ohne Anrufung und Bittgebet) zu-
grunde.
Ave maris Stella (lat.), Hymnus zu Ehren Marias
aus dem Offizium der romisch-katholischen Kirche.
Er gehort als Vespergesang zum liturgischen Repertoire
der meisten Marienf este. Sein erstmals im 9. Jh. fiir das
Fest der Annuntiatio Beatae Mariae Virginis greifbarer,
offenbar jedoch alterer Text enthalt 7 Strophen mit je
vier trochaischen 6Silblern wobei die Anfangsstrophe
den Sinngehalt der folgenden 5 Strophen voraus-
nimmt : Ave (entspricht dem Sinngehalt von Strophe 2),
maris stella (Strophe 3), Dei mater alma (Strophe 4), at-
que semper virgo (Strophe 5),felix caeli porta (Strophe 6).
Den AbschluB bildet eine Doxologie (Strophe 7). Die
Choralmelodien zum A. m. st. spiegeln in ihrer Viel-
falt den Reichtum mittelalterlicher Hymnenkompo-
sitionen wider. Unter ihnen gewann die noch heute
gesungene Melodie im 1. tonus (Monumenta Mono-
dica I, Nr 67) den Vorrang. Zuerst in friihen zister-
ziensischen Quellen, desgleichen als Weise eines pro-
venzalischen Marienliedes (O Maria den maire, Paris,
Bibl. Nat., lat. 1139, Wende ll./12.Jh.) belegt, fand
sie seit dem 13. Jh. weite Verbreitung. Altester Her-
kunft ist ebenfalls die in zahlreichen Manuskripten
uberlieferte Melodie im 4. tonus (Monumenta Mono-
dica I, Nr 149), deren Niederschrift bereits fiir das 11.
Jh. nachgewiesen werden kann. In der Vatikanischen
Ausgabe des Antiphonale blieben insgesamt fiinf, im
Antiphonale Monasticum dagegen nur drei 1st. Ver-
tonungen des A. m. st. erhalten. Wie aus den Quel-
len hervorgeht, wurden die Melodien zum Teil auch
mit anderen, metrisch gleichgebauten Texten verse-
hen (z. B. Lucis hujusfesta oder Ave Katherina, Monu-
menta Monodica I, Nr 67, 2 und 67, 4 sowie 149, 6),
der Originaltext selbst mehrfach umgedichtet, tro-
piert, als Glossenlied gestaltet und vulgarsprachlich
iibersetzt.
Ausg.: Monumenta Monodica Medii Aevi I, hrsg. v. Br.
Stablein, Kassel 1956, Melodien Nr 67, 149, 174, 191,
208, 507, 737, 1031.
Lit. : J. Gajard OSB, Notre Dame et Fart gregorien, in :
H. Du Manoir, Maria. Etudes sur la Sainte Vierge II, Pa-
ris 1952; A. Seay, An »A. m. st.« by Johannes Stochem,
RBM XI, 1 957 ; P. Rado, Enchiridion Liturgicum II, Rom,
Freiburgi. Br. u. Barcelona 1961. KWG
Ave regina caelorum (lat.), Marianische Antiphon
(Antiphona Beatae Mariae Virginis) am SchluB der
Komplet von Maria LichtmeB (Purificatio, 2. Februar)
bis zum Mittwoch der Karwoche. Ihre schriftliche
Oberlieferung setzt im 12. Jh. ein. Anfanglich der Non
des Festes Maria Himmefiahrt (Assumptio) zugeho-
rend, wurde sie Mitte des 13. Jh. erstmals von den
Franziskanern fiir einen bestimmten Abschnitt des
Kirchenjahres als SchluBantiphon der Komplet vorge-
schrieben. Der aus 2 Strophen mit je 4 paarweise ge-
reimten Zeilen bestehende Text wendet sich an die
Himmelskonigin und stellt einen engen Bezug zur
Himmelfahrt Mariens her. Die altere Melodie des
A. r. c. im 6. tonus transpositus (mit Finalis c) ist durch
eine starke Vereinheitlichung der Abschnitte und Glie-
der gekennzeichnet, die vor allem in der melodischen
Ubereinstimmung einzelner Textzeilen bzw. Zeilen-
schliisse greifbar ist. Antiphonale Romanum und Mo-
nasticum enthalten eine leicht voneinander abweichen-
de Fassung. In der Choralpraxis gibt es noch eine zwei-
te Melodie (in cantu simplici), deren Entstehung in das
17. Jh. (oder spater) fallt.
69,
Avignon
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I u. Ill, Lpz. M911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962; A. Weissenbach A. R. c, in: Musica
Divina XVI, 1928; W. Apel, Gregorian Chant, Blooming-
ton (1938); P. Rado, Enchiridion Liturgicum II, Rom,
Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961.
Avignon.
Lit.: P. Aubry, Les fetes mus. d'A., Paris 1899; J.-B. Ri-
pert, Musique et musiciens d'A., A. 1916; L. Bonelli,
Les joueurs de flute avignonnais . . . au XV e s., Actes du
Congres d'hist. de l'art III, 1921; H. Angles, La musica
sagrada de la capilla pontificia de A. en la capilla real ara-
gonesa durante el s. XIV, AM XII, 1957; J. Robert, Con-
trats d'apprentissage et d'association de musiciens en A.
sous Louis XIV, Bull, du Comity des travaux hist, et scien-
tifiques, Paris 1962.
AW A, Anstalt zur Wanning der Auffuhrungsrechte
auf dem Gebiete der Musik seit 1. 1. 1951 fur die DDR
und Ost-Berlin; sie verwaltet auch die mechanischen
Auffuhrungsrechte. Die -> GEMA hat mit der AWA
denselben Gegenseitigkeitsvertrag wie mit den Gesell-
schaften anderer Lander.
Ayr(e) (ea, engl.) -> Air.
Azione sacra (ital., geistliche Handlung), am Ende
des 17. Jh. hauptsachlich in Wien Bezeichnung fur die
in Musik gesetzten Passionsschauspiele in italienischer
Sprache, die zur Feier des Santo Sepolcro in der Kar-
woche aufgefiihrt wurden (hierfiir gleichbedeutend
auch die Bezeichnung-* Rappresentazione sacra) Wich-
tigster Textdichter dieser Gattung war N.Minato,
dessen Werke A. Draghi (z. B. Epitafii sopra il Sepolcro
di Christo, 1671), Kaiser Leopold I. (z. B. L'Ingratitudine
rimproverata, 1675) u. a. vertonten. Im Stoff und in
Einzelheiten der musikalischen Gestaltung beruhrt
sich die A. s. mit dem Oratorio volgare, unterscheidet
sich aber von diesem durch die szenische Auffiihrung.
Spater ist dieser Unterschied nicht mehr gegeben,
vielmehr wird in der 1. Halfte des 18. Jh. - ebenfalls in
Wien - mit A. s. jene Sonderart des italienischen Ora-
toriums bezeichnet, dem vor allem die einfluBstarken
Dichtungen von A. Zeno und P. Metastasio zugrunde
liegen. Es handelt sich hierbei um Stiicke, die zwar
meist fiir die Karwoche bestimmt waren, die aber nicht
nur das Passionsgeschehen behandeln (wie etwa Me-
tastasios La Passione di Gesit Cristo, komponiert von
A. Caldara 1730), sondern auch alttestamentliche Stoffe
zum Vorwurf haben (z. B. Metastasios La Betulia
liberata, komponiert von G.Reutter 1734).
Lit. : A. Schering, Gesch. d. Oratoriums, = Kleine Hdb.
d. Mg. nach Gattungen III, Lpz. 1911; G. Pasquetti,
L'oratorio mus. in Italia, Florenz 1914.
Azione teatrale (ital.) ist (wie die Festa teatrale oder
-> Serenata teatrale) im 17. und 18. Jh. die Bezeich-
nung fur ein Huldigungsfestspiel an f urstlichen Hofen
eine prunkvolle, kurze Oper (mit Soli, Chor und
Ballett), z. B. Mozarts Ascanio in Alba (K.-V. Ill, 1771,
zur Vermahlung des Erzherzogs Ferdinand) oder II
sogno di Scipione (K.-V. 126, 1772, als Huldigung fiir
Erzbischof Hieronymus).
70
B
B, - 1) Ton-Name : In der lateinischen ->■ Buchstaben-
Tonschrift reichte die Oktavreihe im allgemeinen
von A bis G mit B als 2. Stufe, einen Ganzton iiber A.
Im 12. Jh. verfestigte die Einfiihrung des Hexachordum
molle auf F eine Spaltung des B in 2 Tonstufen: der
Ganzton iiber A hiefi nun B durum (tj) und war als
tjmi grofie Terz iiber G, bildete also mit F einen Trito-
nus; der Halbton iiber A hiefi B molle (b) und war als
bfa Quarte iiber F. Da die mittelalterliche Lehre der
Musica ficta chromatische Alteration einer Tonstufe als
Transposition des mi oder fa erklarte, wurden die ver-
schiedenen Schrif tzeichen des B auch zu anderen Tonen
gesetzt. Das B rotundum (b) zeigt demnach Erniedri-
gung, das B quadratum (h), seit dem 18. Jh. (J.G.
Walther 1732) unterschieden in Auflosungszeichen I;
und Kreuz j) , Erhohung um einen Halbton an. B be-
zeichnet in England noch heute unser H, B flat unser B.
In den anderen Landern gilt H (£rz. und ital. si) als
Hauptton; B (frz. si bempl; ital. si bemolle) ergibt sich
durch Erniedrigung des H um einen Halbton, weitere
Erniedrigung um einen Halbton ergibt Heses (engl.
double flat; frz. si double bemol; ital. si doppio bemol-
le). Erhohung des B um einen Halbton fiihrt zum H.
- 2) Seit Anfang des 19. Jh. werden in theoretischen
Werken Akkorde mit -»■ Buchstaben-Tonschrift be-
zeichnet (B bedeutet den B dur-Dreiklang, b den B
moll-Dreiklang) ; im -> Klangschliissel treten Zusatz-
zeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart nur durch ih-
ren Grundton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh. ent-
sprechend den Akkordbezeichnungen so ausgelegt, dafi
B fiir B dur, b fur B moll stand. - 3) Abk. fur Bassus.
Babylonien.
Lit. : St. Langdon, Babylonian Mus. Terms, Journal of the
Royal Asiatic Soc. of Britain and Ireland, 1921 ; C. Sachs,
Die Entzifferung einer babylonischen Notenschrift, Sb. Bin
XVIII, 1924; ders., Ein babylonischer Hymnus, AfMw
VII, 1925 ; ders., The Mystery of the Babylonian Notation,
MQ XXVII, 1941 ; ders., Das Geheimnis d. babylonischen
Notenschrift, Stimmen I, 1947/48; Br. Landsberger, Die
angebliche babylonische Notenschrift, Arch. f. Orientfor-
schung I, 1933 ; Fr. W. Galpin, The Music of the Sumeri-
ans . . . , London 1937, Neudruck = Slg mw. Abh. XXXIII,
StraBburg 1955; M. Wegner, Die Musikinstr. d. alten
Orients, = Orbis antiquus II, Miinster i. W. 1950; Sumeri-
sche u. akkadische Hymnen u. Gebete, hrsg. v. A. Falken-
stein u. W. v. Soden, Zurich 1953 ; M. Duchesne-Guille-
min, Decouverte d'une gamme babylonienne, Rev. de Mu-
sicol.XLIX,1963.
Baccalarius (lat., auch Baccalaureus; frz. bachelier;
engl. bachelor), der unterste der -> Akademischen Gra-
de in der Facultas artium der mittelalterlichen Univer-
sitat, zu dessen Erlangung auch das Horen von Musik-
vorlesungen gefordert wurde. Seit dem 15. bis ins 18.
Jh. bezeichnet B. den Hilfslehrer der Lateinschule. In
England und den USA kann nach 4jahrigem Studium
der Grad des Bachelor of arts (B. A.) oder bei besonde-
rer Spezialisierung auf musikalische Fragen der des
Bachelor of music (B. Mus.) erworben werden.
»Bach«-Trompete -> Clarino.
Background (b'aekgiaund, engl., Hintergrund), im
Jazz die rhythmisch-harmonische Basis der Blaser- und
Rhythmusgruppen fiir die Solisten. Der B. entstand, als
nach dem kollektiven Chorusspielen (New Orleans)
im Chicago-, mehr noch im Kansas-City-Jazz das Solo'"
in den Vordergrund trat, und die jeweils iibrigen Mu-
siker einer Band die Begleitung zu iibernehmen hatten.
Die Festlegung des B. erfolgte zuerst durch Absprache
(Head-Arrangement), spater fiir die Big bands der
Swing-Ara im -»■ Arrangement, das den Solisten be-
tont gegeniiber dem B. herausstellt (feature). Als ent-
scheidender Bestandteil des Arrangements kann der B.
verschieden angelegt sein: entweder erklingen die
Grundharmonien einfach akkordisch, oder der B. ist
rhythmisch-melodisch selbst pragnanter gestaltet. Eine
besonders markante Art des B. ist das -> Riff. Nach der
Swing-Ara wurde der arrangierte B. auch von kleine-
ren Ensembles iibernommen. Seine extremste Verwen-
dung f and er als Kompositionsmittel im -> Progressive
Jazz. - In Unterhaltungs- und Schlagermusik ist der B.
reine Stimmungskulisse, die als Schablone im Gegen-
satz zum B. im Jazz kein konstruktives Element dar-
stellt.
Baden.
Lit. : E. Stitzenberger, Grundlinien einer Gesch. d. Ton-
kunst im Lande B., 1 883 ; L. Schiedermair, Die Oper an d.
badischen Hofen d. 17. u. 18. Jh.,SIMG XIV, 1912/13 ;H.
Rott, Kunst u. Kunstler am B.-Durlachischen Hof e, 1917;
J. Kunzig, Das Volkslied in B. einst u. jetzt. I: Gesch. d.
Volksliedinteresses in B., Diss. Heidelberg 1922, maschr. ;
W. Weitzel, Die kirchenmus. Verhaitnisse in B. u. Hohen-
zollern, Karlsruhe 1927; O. C. A. zur Nedden, Die Kan-
torei am Hofe d. Markgrafen Philipp II. v. Baden-Baden,
ZfMw XII, 1929/30; ders., Quellen u. Studien zur ober-
rheinischen Mg. im 15. u. 16. Jh., =Veroff. d. Musik-Inst.
d. Univ. Tubingen IX, Kassel 1931 ; K. F. Leucht, Die ba-
dische Hofmusik u. ihr Reorganisator J. A. Schmittbaur,
Diss. Wien 1933, maschr.; I. Rucker, Die deutsche Org.
am Oberrhein um 1750, Freiburg i. Br. 1940; Fr. Baser,
Musikheimat B.-Wurttemberg, Freiburg i. Br. u. Zurich
1963.
Badinage (badin'a:3, frz., Spafi.Tandelei), Badinerie,
bezeichnet im 18. Jh. einen Suitensatz schnellen, scher-
zoartigen Charakters im geraden Takf 2/4, (z. B.
Bach, 2. Orchester-Suite BWV 1067, letzter Satz).
Bankelsang. Aus dem 16. Jh. sind Flugblattdrucke er-
halten, die von Zeitungssangern vorgetragen und feil-
geboten wurden. Diese Sanger sind die Vorganger der
Bankelsanger, die seit dem 17. Jh. auf Gassen und Mark-
ten aktuelle Ereignisse des ofientlichen wie des privaten
Lebens (Katastrophen, Verbrechen, Hinrichtungen) in
belehrender Absicht vortrugen und gedruckt verkauf-
ten. Noch um die Mitte der 1920er Jahre waren Ban-
kelsanger auf den Jahrmarkten (vor allem ostdeutscher
Stadte) anzutreffen. Der Ausdruck B. kommt von Ban-
kel (Diminutiv von Bank), auf dem der Vortragende
stand, und erscheint zum ersten Mai als »Banklein-
71
Barte
Sanger« in B.Neukirchs Gedichtsammlung (1697-
1709; VI, 343). Oft trat ein Paar Bankelsanger auf, wo-
bei meist die Frau den Gesang vortrug. Es war iiblich,
den Vortrag durch groBe Bildtafeln (Schilder) zu er-
ganzen, auf denen wichtige Phasen der Begebenheit
dargestellt waren. Nach einem improvisierten Vorspiel
(Laute, Harfe oder Violine, spater Drehorgel) sang der
Bankelsanger einige instrumental begleitete (4-, 8- oder
16zeilige) Liedstrophen, oft auf eine bekannte Choral-
oder Kirchenliedmelodie, dabei mit einem Stab auf die
Bilder weisend. Nach einer erganzenden Prosadarstel-
lung der Vorgange folgten wieder Liedstrophen, die
eine moralische Nutzanwendung enthielten, dann ein
Nachspiel. Die Drehorgel wurde auch vielf ach nur zur
instrumentalen Umrahmung benutzt und der Liedvor-
trag mit Laute (Harfe) oder Violine begleitet. Die ero-
tische Sphare wurde vom B. kaum beriihrt, hochstens
deren todlich-schicksalhafte Aspekte. (Lieder lustigen
oder f rivolen Inhalts gehoren zum Repertoire des Leier-
manns oder Orgeldrehers.) - In der 2. Halfte des 18. Jh.
glaubte man im B. wertvolle Zeugnisse volkstumlichen
Liedgutes zu entdecken, und man literarisierte den B.
Der literarisch parodierte B. reicht von Gleim und
Burger bis in die heutige Zeit, in der u. a. Ringelnatz,
Brecht und Erich Kastner wiederholt nach Art des B.s
dichteten (-*- Song). Im 19. Jh. kam fur Bilder und Ge-
schichten der Bankelsanger die Bezeichnung Moritat
auf (wohl von Moralitat, wenn auch »Mordtat« be-
schrieben wird; erster Beleg im Lahrer Kommersbuch
1862, S-. 502); unter der Benennung Moritat wurde
dann der literarisierte B. auf Schaubuhnen, auf dem
Brettl und im Kabarett in Deutschland beliebt. Die
Moritaten, wie sie Wedekind u. a. um die Wende des
19./20. Jh. dichteten, sind weniger satirische B.-Mori-
taten, als vielmehr, dem Zeitgeist entsprechend, »so-
ziale Balladen«.
Ausg. u. Lit. : Th. Hampe, Die f ahrenden Leute . . . , = Mo-
nographien zur deutschen Kulturgesch. X, Lpz. 1902; Fr.
REBrczEK, Der Wiener Volks- u. Bankelgesang in d. Jahren
1800-48, Wien u. Lpz. 1913 ; Arien u. Bankel aus Altwien,
hrsg. v. O. Wiener, Lpz. 1914; H. Naumann, Studien iiber
d. Bankelgesang, Zs. d. Ver.f. Volkskunde XXXI, 1920/21 ,
auch in: Primitive Gemeinschaftskultur, Jena 1921; G.
BOhme, Bankelsangermoritaten, Diss. Munchen 1922,
maschr.; O. Gorner, B., Mitteldeutsche Blatter f. Volks-
kunde VII, 1932; E. Sternitzke, Der stilisierte B., Diss.
Marburg 1933; A. Becker, B. in d. Pfalz, in: Volkskund-
liche Gaben, Fs. J. Meier, Bin 1934; Fr. Bruggemann,
Bankelgesang u. Singspiel vor Goethe, = Deutsche Lit.,
Reihe AufklarungX, Lpz. 1937; M. Kuckei, Moritat u. B.
in Niederdeutschland, = Niederdiitsch Volk singt II, Hbg
1941 ; ders., Edvardo, d. schrecklichste d. Rauber, Wedel
1943; G. Gugitz, Die Bankelsanger im josephinischen
Wien, = Osterreichische Heimat XVIII, Wien (1954); H.
Goertz, Lieder aus d. Kiiche, Munchen (1957) ; Die Mori-
tat v. B. . . . , hrsg. v. E. Janda u. Fr. Notzoldt, Munchen
(1959); Fr. Kluge, Etymologisches Worterbuch d. deut-
schen Sprache, bearb. v. W. Mitzka, Bin "1963 ; K.V. Rie-
del, Der B., = Volkskundliche Studien I, Hbg 1963;Schau-
derhafte Moritaten, hrsg. v. Th. F. Meysels, Salzburg
(1964).
Barte (auch Fliigel, lat. alae, auricolae) heiBen bei den
Labialpfeifen der Orgel die zu beiden Seiten des La-
biums angebrachten Metall- oder Holzbacken und
Leisten, die zur Sicherung der Ansprache einiger Re-
gister dienen und bestimmte Obertone hervortreten
lassen. Sie treten auf als Seiten-, Vorder- und Kasten-B.
Bagatelle (frz., unbedeutende Kleinigkeit, von ital.
bagatella, kleiner Gegenstand), Musikstiick geringen
Umfangs, oft in 2- oder 3teiliger Liedform, bisweilen
von aphoristischer Kiirze, z. B. Beethoven op. 119, 10
(12 Takte). Fr.Couperin nannte ein Stuck seiner Pieces
de clavecin (Livre 2, Ordre 10, 1717) Les B.s. In der 2.
Halfte des 18. Jh. diente das Wort zur Bezeichnung von
Sammlungen kleiner Stiicke unterschiedlicher Gattung
und Besetzung, so des Pariser Verlegers J. Boivin Milk
et une B.s um 1753 (Menuets, Pastorales, Ariettes, Duos
usw.) oder C.W.Maizier, Musikalische B.n I, 1797
(Tanzstiicke und Lieder). Als Werktitel fiir nicht zyk-
lisch gebundene, kleine Klavierstiicke von behebiger
Form und beliebigem Charakter - auch verdeutscht,
z. B. G.S.Lohlein, Musikalische Kleinigkeiten fiir Kl.,
vor 1780 - begegnet es seit Ende des 18. Jh. haufig.
Hohen kunstlerischen Rang erlangte die Klavier-B.
durch Beethovens 3 Sammlungen B.n op. 33 (erschie-
nen 1803), op. 119 (erschienen 1823; Nr 1-6 als Kleinig-
keiten fiir den Stich geplant, Nr 7-11 schon 1821 als
Kleinigkeiten in Fr. Starkes Wiener Piano-Forte-Schule
abgedruckt), op. 126 (erschienen 1825). Sie erhielten
im 19. Jh. keine ebenbiirtige Nachfolge, obwohl eine
Fulle von B.n entstand (auBerhalb der Klaviermusik,
z. B. A. Dvorak, 4 B.n fiir Harmonium oder Kl., 2 V.
u. Vc, op. 47, eischienen 1880), denn das lyrische Kla-
vierstiick (-»■ Charakterstiick) der Romantik hatte an-
dere Voraussetzungen. Erst im 20. Jh. gewann der Be-
griff wieder an Bedeutung; zu den wichtigen Wer-
ken zu Beginn des Jahrhunderts gehbren die 14 B.n fiir
Kl. op. 6 (entstanden 1908) von Bartok und die Sechs
B.n fiir Streichquartett op. 9 (entstanden 1913) von
Webern.
Lit. : W. Kahl, Aus d. Friihzeit d. lyrischen Klavierstiicks,
ZfM LXXXIX, 1922; Th. v. Frimmel, Beethoven-Hdb.,
2 Bde, Lpz. 1926; W. Hess, Unbekannte Klavierb. Beetho-
vens, Mk XXXI, 1938/39; H.Erfmann, Formuntersuchun-
gen an d. B. Beethovens, Diss. Miinster i. W. 1 942, maschr. ;
W. Georgii, Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Frei-
burg i. Br. 4 1965; H. Pousseur, A. Weberns organische
Chromatik (1. B., op. 9), in: die Reihe II, Wien 1955; A.
Tyson, The First Ed. of Beethoven's Op. 1 1 9 B. , MQ XLIX,
1963. ESe
Baiao (baj'au, port.), ein aus Brasilien stammender,
nach dem Staat und der Stadt Bahia benannter Tanz
im maBig bewegten 2/4-Takt, in der Art einer langsa-
men -»■ Samba. Der B. wurde nach 1950 in Europa
bekannt. Sein Rhythmusschema:
| J^l J~3 oder J~l «h 7 oder ft f «h«h 7
oder JTfi f^^ oder J~J^ J~J I J J I
> > >
Balafo(n) -*■ Marimba.
Balalaika (russ.), das russische Nationalinstrument,
ein volkstiimliches Zupfinstrument, das zum ersten-
mal wahrend der Regierungszeit Peters des GroBen
(um 1700) erwahnt wird. Die B. wird von der alteren
kirgisischen -> Domra hergeleitet, die um 1700 durch
die ukrainische B. verdrangt wurde. Die B. hat ein
meist 3eckiges Corpus aus Tannenholz mit gebauch-
tem Boden, in der Decke ist ein Schalloch (auch mit
Rosette). Der lange Hals tragt 4-21 Darmbiinde; ur-
spriinghch (um 1 700) waren 2 Saiten (Darm oder Stahl),
heute meist 3 (seltener 4) vorhanden, von denen 2 auf
denselben Ton, die dritte (angeblich zuerst von einem
aus der Ukraine stammenden blinden Panduristen um
1750 zusatzlich verwendet) in der Oberquart gestimmt
sind. Die Saiten laufen von einem am unteren Rand
des Corpus befindlichen Saitenhalter iiber den Steg zur
Wirbelplatte, wo sie mit hinterstandigen Wirbeln ge-
stimmt werden. Der Ton wird durch Schlagen der Sai-
ten mit einer Schlagfeder oder mit der bloBen Hand
hervorgebracht. Die B. wird seit der Reform W.W.
Andrejews (1861-1918) in 6 GroBen gebaut: Piccolo-
B. (hi e2 a2 oder e* e^ a2), Prim-(Sopran-)B. (el el ai),
Sekund-(Alt-)B. (a a di), Alt-(Tenor-)B. (e e a), BaB-
B. (E A d) und KontrabaB-B. (,E ^ D). Das B.-En-
72
Ballade
semble besteht aus 4-25 Instrumenten (z. B. 2 Piccolo-
B.s, 6 Prim-B.s, 3 Sekund-B.s, 3 Alt-B.s, 3 BaB-B.s,
2 KontrabaB-B.s, und Domra-Sextett).
Lit. : A. S. Faminzyn, Domra i srodnyje jej mus. instr. (»Die
Domra u. d. ihr verwandten Musikinstr. d. russ. Volkes«),
St. Petersburg 1891; A. Rose, The B., Proc. Mus. Ass.
XXVII, 1900/01 ; A. A. Nowoselskij, Otscherki po istorii
russkich narodnych mus. instr. (»Skizzen zu einer Gesch.
d. russ. Volksmusikinstr.«), Moskau 1931 ; A. S. Iljuchin,
Schkola dlja b. (»B.-Schule«), Moskau u. Leningrad 1 947 ;
A. TschaGadajew, W. W. Andrejew, Moskau u. Lenin-
grad 1948.
Baldwin-Orgel ->■ Elektrophone, -> Connso-
nata-Orgel.
Balg (Blasebalg) heiBt eine nicht am Bauch aufge-
schlitzte, sondern moglichst intakt abgestreifte Tier-
haut, die sich mit wenig Nachhilfe als Schlauch oder
Windbehalter benutzen laBt. Die einfachste Gestalt des
B.es findet sich beim Dudelsack, einem der Vorahnen
der Orgel ; trotz veranderter Konstruktion werden de-
ren Windbehalter noch heute Balge genannt. Der alte-
ste B. der Orgel ist wie der noch heute gebrauchliche
Schmiede-B. gebaut, ein ein- oder mehrfaltiger Falten-
B. aus Leder, der allerdings die Orgelpfeifen nur un-
gleichmafiig mit Wind versorgt, so daB die Orgel
»windstoBig« klang. Der Falten-B. wurde Ende des 14.
Jh. durch den Keil- oder Span-B. abgelost, dessen
Wandungen aus scharnierartig mit Leder verbundenen
Brettern (ahd. span, Holzbrettchen) besteht. Im 19. Jh.
kamen der Kasten-B. (ohne Falten), der Schopf- und
der -»■ Magazin-B. auf. Ahnlich dem Magazin-B. sind
bei grofieren Orgeln in den Windkanal Ausgleichsbal-
ge (Konkussionsbalge) eingebaut, die etwaige plotzli-
che Windschwankungen (durch Unvorsichtigkeit des
Kalkanten oder beim Spiel vollgriffiger Akkorde) ab-
fangen und fur einen gleichmaBigen Orgelwind wah-
rend des Spiels sorgen. Die Orgelbalge wurden von
BSlgetretern (-> Kalkant) bedient. Die Stange, durch
deren Niedertreten oder -ziehen ein B. aufgezogen
wird, hieB B.-Clavis. Seitdem die Elektrizitat zum Er-
zeugen des Orgelwindes benutzt wird, tritt anstelle des
Schopf-B.es ein Elektromotor mit Windschleuderge-
blase (Ventilator), der den Organisten vom Balgetreter
unabhangig macht. Nach ihrer Form unterscheidet
man Quer- und Parallelbalge, nach der Art ihrer Be-
dienung Tritt- und Handbalge. Wie Portativ, Positiv
und Regal werden auch Akkordeon, Bandonion und
Ziehharmonika mit Hand-B. gebaut. Die Grofie der
Balge richtet sich nach dem vorhandenen Raum, ihre
Anzahl nach der GroBe und Anzahl der Register.
Ballabile (ital., tanzmaBig), als Vortragsbezeichnung :
tanzerisch, tanzartig ; auch Bezeichnung von Tanzepi-
soden, vor allem in der Oper des 19. Jh.
Ballade (frz. ; altfrz. balade aus altprov. balada, von
balar, tanzen), - 1) im hohen Mittelalter ein einstim-
miges volkstiimliches Tanzlied, dessen feste Form von
den Trobadors und Trouveres ausgebildet wurde. Die
B. ist strophisch mit Vorsanger- und Chorref rain ;
damit gehort sie zur Gruppe der Refrainformen wie
Rondeau, Virelai und Ballata. Seit dem Beginn des 14.
Jh. wurden fur die B. als lyrische Gattung typisch: drei
isometrischc (mcist 8- oder lOSilbler) durchgereimte
Strophen (d. h. die Strophen haben die gleichen Reim-
bestandteiie) mit einer kiirzeren Geleitstrophe (envoi).
Der Refrain gehort zu jeder Strophe; der Vorsanger-
refrain vor der Strophe kann auch fehlen. Die Strophe
ist in Stollen und Gegenstollen ausgebildet, deren Me-
lodie in ouvert- und clos-Schliissen (-> Klausel) endet.
Auf den Gegenstollen kann ein StrophenabschluB (eine
oder mehrere Zeilen) folgen, der in der 1st. B. melo-
disch den Refrain vorausnehmen kann. So ist die B.n-
Strophe Bone est la dolours von Guillaume le Vinier (vor
1227) nach dem folgenden typischen Schema gebaut:
a PySySsaa |3
AAbcbccaAA
1st. B.n von Jehannot de L'Escurel sind im Roman de
Fauvel (-> Quellen: Fauu) uberliefert. Als eine der be-
vorzugten lyrischen Gattungen des 14. Jh. wurde die
B. auch mehrstimmig gesetzt. Der Hauptmeister der
Ars nova-B. ist Machaut,'der neben einer grofien Zahl
von B .n-Texten 42 Balades notees (ohne Envoi) schrieb,
da von eine einstimmige, 19 zweistimmige (davon eine
streng isorhythmisch geformt), 15 dreistimmige, 4
vierstimmige sowie eine Doppel- und zwei Tripel-B.n.
Die Strophenform ist jetzt auf das Stollenpaar, den
StrophenabschluB und eine Refrainzeile reduziert. In
seinen Riicklauf-B.n nimmt Machaut im Refrain die
Melodie des Stollenschlusses wieder auf. Die zentrale
Quelle fur die B. des spaten 14. Jh. ist (neben TuB) die
Handschrift Ch (-»■ Quellen) mit 70 B.n, davon 1 1 vier-
stimmige neben durchweg dreistimmigen und 4 Dop-
pel-B.n. Die mehrstimmige B. des 14. Jh. ist im -*■ Kan-
tilenensatz komponiert; dabei wird die Oberstimme
(von einer hohen Mannerstimme) gesungen, Tenor
und Contratenor (gegebenenfalls auch das Triplum)
werden instrumental ausgefiihrt. Bei der nach dem
Vorbild der zeitgenossischen Motette angelegten Dop-
pel- und Tripel-B. tragen 2 oder 3 Singstimmen ver-
schiedene, in der Regel franzosische Texte vor. Im 15.
Jh. ging dieBeliebtheitderB. zuriick, musikalisch glich
sie sich der Chanson an. Unter den spateren Kompo-
nisten von B.n ragen heraus Dufay (7 B.n, darunter Se
la face ay pale) und Binchois. - 2) B. als Gattungsbe-
zeichnung im Deutschen fiir ein erzahlendes Gedicht
sagenhaften Inhalts kam in den 1770er Jahren auf und
ist mehr von der englischen Ballad als von der franzosi-
schen Ballade beeinfluBt. Die in der 1765 in Schottland
von Thomas Percy herausgegebenen Sammlung Re-
liauies of ancient English Poetry enthaltenen alten Volks-
B.n wirkten in Deutschland auf Herder u. a. in ihren
Bemiihungen um das Volkslied. Balladeske Lieder fin-
den sich seit dem Mittelalter im volkstiimlichen Lied-
gut; ihre groBte Verbreitung liegt im 15./16. Jh. Da-
bei unterscheidet sich die B. durch die volkstiimlichere
Haltung von der mehr kunstmaBigen Romanze. Einer
der ersten, der miindlich iiberlieferte B.n sammelte
und ihre Melodien notieren lieB, war Goethe (1771).
Das Ritterliche und Schauerliche dieser B.n kam dem
Geschmack der Sturm-und-Drang-Epoche entgegen,
und so entstanden zahlreiche B.n, teils als Umdichtun-
gen, teils als Neuschopfungen, von denen die bekann-
teste Burgers Lenore (1774) ist, die mehrfach vertont
wurde (Kirnberger, Reichardt, Andre, Zumsteeg). Die
musikalische Form dieser neueren B. ging vom Stro-
phenlied aus und nahm Einfliisse der Opernszene und
des Melodramas auf (eingeschobene Rezitative und
Marsche) mit oft tonmalerischer Klavierbegleitung
und Verwendung von Leitmotiven. Obwohl auch die
durchkomponierte B. vielfach vorkommt, scheint
auch in der B. (z. B. Loewes) die strophische Anlage
meistens durch und erleichtert damit die Aufnahme
der meist sehr langen B.n. Die bedeutendsten B.n-
Komponistcn des spaten 18. und des 19. Jh. sind Zum-
steeg, Neefe, C.Loewe, Schubert (nach Schiller: Ritter
Toggenburg, Der Taucher, Die Biirgschaft; nach Goethe:
Der Sanger, Der Schatzgraber, Der Gott und die Bajadere,
Der Erlkonig), Schumann (BlondelsLied; nach Chamisso:
Die rote Hanne), Brahms (nach Uhland: Das Lied vom
Herrn von Falkenstein) und H. Wolf (nach MSrike: Der
Feuerreiter). Die bekanntesten Opern-B.n sind die B.
der Senta in Wagners Derfiiegende Hollander und die B.
73
Ballade
des Warlaam in Mussorgskijs Boris Godunow. Chor-
B.n schrieben Schumann (op. 67, op. 145 und 146),
Mendelssohn (Die erste Walpurgisnacht nach Goethe),
Gade, Bruch, Grieg, Humperdinck, Hegar, Janacek
und Distler. Die instrumentale B. im 19. Jh. ging zu-
nachst von literarischen B.n aus, so die ersten Belege
der Gattung von Chopin (4 B.n fur Kl. op. 23, op. 38,
op. 47 und op. 52, um 1831-42, wahrscheinlich nach
Gedichten von Mickiewicz), Brahms (Edward op. 10
nach Herder), doch sind daneben ganz freie Stiicke vor
allem fur Kl. als B.n bezeichnet, so von Liszt, Brahms
und Grieg; fiir V. und Kl. von Vieuxtemps; fur Kl.
und Orch. von Faure. Die bekannteste B. fiir Orch. ist
L'apprenti sorrier von Dukas (nach Goethes Der Zau-
berlehrling). Im spaten 19. Jh. wurden Stiicke verschie-
dener Besetzung und Form als B.n bezeichnet, die als
Charakterstiicke in der Nahe der Phantasie, der Rhap-
sodie oder des Capriccio stehen.
Ausg.: zu 1): Rondeaux, Virelais u. B., hrsg. v. Fr. Genn-
rich, I u. II, = Ges. f. romanische Lit. XLIII u. XLVII,
Dresden 1921 u. Gottingen 1927, III, Das altfrz. Rondeau
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Langen 1963; G. de Machaut, Mus. Werke I— II, hrsg. v.
Fr. Ludwig, = PaM I, 1 u. Ill, 1, Lpz. 1926-27 ; DERS.,The
Works II, hrsg. v. L. Schrade, = Polyphonic Music of the
Fourteenth Cent. HI, Monaco (1956); Zehn datierbare
Kompositionen d. Ars nova, hrsg. v. U. Gunther, = Schrif-
tenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg II, Hbg 1959; French
Secular Music of the Late Fourteenth Cent., hrsg. v. W.
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Chansons, hrsg. v. W. Rehm, = MMD II, Mainz (1957);
Les musiciens de la cour de Bourgogne, hrsg. v. J. Marix,
Paris 1937. - zu 2): Engl, and Scottish Popular Ballads,
hrsg. v. Fr. J. Child, 6 Bde, Boston 1883-98 (Texte); The
Traditional Tunes of the Child Ballads, hrsg. v. B. H. Bron-
son, Princeton u. London seit 1959; J. Goss, Ballads of
Britain, London 1937 ; J. A. Lomax, American Ballads and
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lodien, hrsg. v. J. Meier u. a., Bin seit 1934; Die B., hrsg. v.
H. J. Moser, = Mus. Formen in hist. Reihen III, Bin 1930;
Das deutsche Sololied u. d. B., hrsg. v. dems., = Das Mu-
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frz. Balladenform, Halle 1914; Fr. Gennrich, Mw. u. ro-
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sangswettstreit im »Parfait du Paon«, Romanische For-
schungen LVIII/LIX, 1947; E. Hoepffner, Virelais et B.
dans le Chansonnier d'Oxford, Archivum Romanicum IV,
1924; W. Gurlitt, Burgundische Chanson- u. deutsche
Liedkunst d. 1 5. Jh., Kgr.-Ber. Basel 1924 ; E. Dannemann,
Die spStgotische Musiktradition in Frankreich u. Bur-
gund, =Slg mw. Abh. XVII, StraBburg 1936; B. Patti-
son. Music and Poetry of the Engl. Renaissance, London
1 948 ; W. Apel, Rondeaux, Virelais, and B. in French 1 3 th -
Cent. Song, JAMS VII, 1954; G. Reaney, G. de Machaut:
Lyric Poet, ML XXXIX, 1958; ders., The Poetic Form of
Machaut's Mus. Works I, MD XIII, 1959; ders., The De-
velopment of the Rondeau, Virelai and Ballad Forms from
Adam de la Hale to G. de Machaut, Fs. K. G. Fellerer, Re-
gensburg 1962; U. Gunther, Der mus. Stilwandel d. frz.
Liedkunst in d. 2. Half te d. 1 4. Jh., Diss. Hbg 1957, maschr. ;
dies., Datierbare B. d. spaten 14. Jh. I u. II, MD XV, 1961,
u. XVI, 1962.-zu2): Ph. Spitta, B„ in: Mg. Aufsatze, Bin
1894; K. Mertens, Die Entwicklung d. engl. u. schotti-
schen Volksb. im Verhaltnis zu d. danischen Folkewiser,
Diss. Halle 1920, maschr.; R. Graves, The Engl. Ballad,
Oxford 1927; G. H. Gerould, The Ballad of Tradition,
Oxford 1932; M. Axel, Die Klavierb., Diss. Wien 1934,
maschr.; W. Kayser, Gesch. d.deutschenB., Bin 1936; W.
J. Entwistle, European Balladry, Oxford 1939 ; ders., No-
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Language Ass. LV, 1940; O.Druner, Die deutsche Volksb.
in Lothringen, = Schriften d. Wiss. Inst. d. ElsaB-Lothrin-
ger im Reich an d. Univ. Ffm., N. F. XXI, 1939 ; S. Baldi,
SulPorigine del significato romantico di »ballata«, Annali
della R. Scuola Normale Superiore di Pisa XIX, 1941 ; S.
Northcote, The Ballad in Music, Oxford 1942; E. Bouil-
lon, Zum Verhaltnis v. Text u. Melodie in d. schottisch-
engl. Volksb., Diss. Bonn 1960, maschr.; Chr. Engel-
brecht, Zur Vorgesch. d. Chopinschen Klavierb., Kgr.-
Ber. Warschau 1960.
Ballad opera (b'aebd 'opaw, engl., »Lieder-Oper«),
eine Art Liederspiel, das aus gesprochenen Dialogen
und Liedern bestand, die nach volkstiimlichen (engli-
schen, schottischen, irischen) Weisen (ballad tunes) und
bekannten Melodien zeitgenossischer Opernkompo-
nisten bearbeitet waren. Die Wurzeln der B. o. liegen
in der wahrend der 2. Halfte des 17. Jh. nach England
gelangten Dialogoper, im Parodieverf ahren auf Werke
ernsten Charakters (die dadurch im Lichte des Burles-
ken und Komischen erschienen) sowie in der satirisch-
polemischen englischen Komodie. Vor allem um 1730
entstand eine grofie Anzahl solcher Werke. Der kiinst-
lerische Hohepunkt der Entwicklung wurde bereits
Ende der 30er Jahre uberschritten. In der 2. Halfte des
18. Jh. war man mehr und mehr bestrebt, statt der Bal-
lad tunes Musik bekannter englischer Komponisten (so
von S. Arnold, Ch. Dibdin, Th. Linley, St. Storace) auf-
zunehmen, ohne aber das Verfahren des -»■ Pasticcio
fallen zu lassen. Im 19. Jh. hatten romantische Oper
und Operette die B. o. verdrangt. - Das beriihmteste
Beispiel der Gattung ist J. Gay's The Beggar's Opera
(Bettleroper; Ouvertiire sowie GeneralbaG fiir die
Songs von Pepusch, 1728), in der auf allbekannte Me-
lodien die Liedtexte Gay's mit scharfer sozialkritischer
Tendenz die Gesellschaft und deren »unnatiirlichen
Geschmack fiir die italienische Musik« (Swift) persi-
nierten. Gay-Pepuschs Beggar's Opera wurde mehrfach
neubearbeitet (1920 von Fr. Austin, deutsch 1928 ; 1948
von B.Britten, deutsch 1950). Eine vollig neue, mo-
derne textliche und musikalische Gestaltung des Wer-
kes durch B.Brecht und K.Weill unter dem Titel Die
Dreigroschenoper (1928) errang einen Welterfolg. Cof-
fey's B. O.s The Devil to Pay (1731) und The Merry
Cobbler (1735) sind von besonderer Bedeutung fiir die
Geschichte des deutschen Singspiels.
Ausg.: The Beggar's Opera, hrsg. v. H. Bishop, London
1 805; Engl. B. O., hrsg. v. J. Oxenford u. J. L. H atton, Lon-
don 1874; G. Calmus, Zwei Opernburlesken aus d. Roko-
kozeit, Bin 1912; Ch. E. Pearce, Polly Peachum: the Story
of »Polly« and »The Beggar's Opera«, London 1 923 ; Faks.
d. Original-Ausg. d. Beggar's Opera, London 1921, dass.,
Glasgow 1923; The Plays of J. Gay, 2 Bde, London 1923
(mit Melodien zu »Beggar's Opera« u. »Polly«); Twelve
Famous Plays of the Restoration and Eighteenth Cent.,
NY 1933; Davison- Apel Anth. II, 264 (2 Stiicke aus The
Beggar's Opera); Ouvertiire zur Beggar's Opera, hrsg. v.
J. Horton, London 1960.
Lit. : G. Calmus, Die »Beggar's Opera« v. Gay u. Pepusch,
SIMG VIII, 1906/07; W. Barclay Squire, An Index of
Tunes in the B.-O., Mus. Antiquary II, 1910/1 1 ; G. Tufts,
B. O. : a List and some Notes, ebenda IV, 1912/13; L. Mel-
vill, Life and Letters of J. Gay, 1685-1732, London 1921 ;
W. H. Gr. Flood, The Beggar's Opera, ML III, 1922; Fr.
Kidson, The Beggar's Opera, Cambridge 1922 ; W. J. Law-
rence, Early Irish B. O. and Comic Opera, MQ VIII, 1922;
W. E. Schultz, Gay's »Beggar's Opera«, New Haven
(Conn.) 1923; A. Nicoll, A Hist, of Early Eighteenth-
Cent. Drama, 1700-50, Cambridge 1925; J. A. Westrup,
French Tunes in the »Beggar's Opera« and »Polly«, The
Mus. Times LXIX, 1928; C. Tolksdorf, J. Gay's »Beg-
gar's Opera« u. B. Brechts »Dreigroschenoper«, Diss. Bonn
1934; A. V. Berger, The Beggar's Opera, the Burlesque
and Ital. Opera, ML XVII, 1936 ; E. M. Gagey, B. O., NY
1937; W. H. Rubsamen, The Ballad Burlesques and Ex-
travaganzas, MQ XXXVI, 1950; ders., Mr. Seedo, B. O.,
and the Singspiel, in: Misceldnea en homenaje a H. Ang-
74
Ballata
les II, Barcelona 1958-61 ; G. Handley-Taylor u. Fr.
Granville Barker, J. Gay and the B. O., in : Hinrichsen's
9 th Music Book, 1957 (dort auch Bibliogr.).
Ballata (ital.) ist die zentrale literarisch-musikalische
Form Italiens in der 2. Halfte des 13. Jh. und im 14. Jh.
Bereits die friihen Benennungen (seit 1260) - neben b.
auch danza und canzone a ballo - weisen auf eine Tanz-
liedform hin. Die fruhe Ausfiihrung der B. bestand im
Wechsel einer vom Vorsanger gesungenen Strophe
(stanza) und eines vom Chor regelmaBig wiederholten
SchluBabschnittes (ripresa). Obwohl Dante in seinem
Traktat De vulgari eloquentia (»t)ber das Dichten in der
Volkssprache«) die B. als Gattung der Kanzone ein- und
dem Sonett nachordnet, ist sie bereits im Dolce stil nuo-
vo zur Kunstlyrik gerechnet worden. Die altesten B.-
Texte enthalten die Memoriali Bolognesi (Akten des No-
tariatsarchivs in Bologna) aus der 2. Halfte des 13. Jh.
Die Metriker des 14. Jh. (Antonio da -> Tempo und
1350 Gidino Sommacampagna) verstehen unter B. .
uberwiegend Liebeslieder, die gesungen und getanzt
wurden; dabei wurde die Ripresa nach jeder Stanze
wiederholt. Uber die Auffiihrung der B. im 14. Jh. be-
richtet Boccaccio in seinem Decamerone, wenn er die
Tanzspiele beschreibt, mit denen der Tag beschlossen
wird. Als Domenico da Piacenza sein Tanzlehrbuch
schrieb (De la arte di ballare ed danzare, 1416), war die
Bliitezeit der B. als Tanz schon vorbei, wenngleich sie
als musikalisch stilisierte Form (ohne Tanz) weiter be-
stand. Der alteste ausfuhrliche choreographische Beleg
fur die B. stehtbei G. delVirgilio(J7Dia|jfom<s, III. Cap.,
urn 1314; mitgeteilt: AMI XXXI, 1959, S. 33f.). Das
Beispiel einer friihen B. - vermutlich bald nach 1266
entstanden - gibt der Florentiner Dichter Guido von
Arezzo (Vegna, vegna chi vol giocurtdare). Die B. tritt,
ebenfalls einstimmig, in enge Verbindung zu den Lau-
den (lauda-b.). Die chorische Ausfiihrung der Ripresa
(auch ritornello) verschwand allmahlich, und die B.
wurde auf dem Wege dieser Oberformung durch die
->• Lauda zu einer hochst verfeinerten musikalisch-
literarischen Form. Die B. loste sich jedoch bald wieder
aus ihrer geistlichen Bindung (friihes 14. Jh) und nahm
uberwiegend Stoffe aus der Liebesdichtung zum Vor-
wurf. - Die B. hatte von jeher hohes Ansehen unter
den Dichtern des Dolce stil nuovo. Sie stieg im 14. Jh.
zur zentraleri Form der verfeinerten weltlichen Musik
auf und verdrangte im 14. Jh. die beiden, ebenfalls der
hoheren Gesellschaftsschicht zugehorenden Formen
des Madrigals und der Caccia. Von Instrumenten (be-
sonders Viola und Laute) begleitet, wurde die B. zum
Tanz wie auch als nur musikalisch dargebotenes Stuck
verwendet. Ihr musikalischer Aufbau entspricht der
metrischen Form des Textes. Die B. wird eingeleitet
von einer Ripresa, die 1-5 Verszeilen umfaBt. Daran
schlieBt sich die Stanza an, die sich in 2 Piedi (oder Mu-
tationi) und eine Volta (metrisch gleich der Ripresa)
gliedert. Der uberwiegende B.-Vers ist der 7- oder
HSilbler. Schema:
Chor
Solist
(Stanza)
Chor
Die Theoretiker unterscheiden als B.-Typen 6 Grund-
formen nach der Verszahl der Ripresa:
B. minima Ripresa besteht aus einem 7Silbler
B. piccola Ripresa besteht aus einem HSilbler
B. minore Ripresa besteht aus 2 Verszeilen
B. mezzana Ripresa besteht aus 3 Verszeilen
B. grande Ripresa besteht aus 4 Verszeilen
B. stravagante Ripresa besteht aus 5 Verszeilen
Text
Musik
A A = Ripresa
b c = 1° piede
b c = 11° piede
x a = Volta
A A = Ripresa
a p
Y S (verto = HalbschluB)
a p
a p (chiuso = Ganzschl.)
(vokal)
Mit der Wiederkehr der Ripresa wird dem H6rer der
Leitgedanke, die Sentenz oder Moral, eingescharft,
worauf der Solist in seinen Stanzen durch Begriindung,
Spezifikation oder Abwandlung Bezug nimmt. Die
Ripresa bildet inhaltlich und formal (Reim, VersmaB,
Rhythmus, Melodie) den Kern der B. Aufbau und Ter-
mini der Stanze kommen von der Kanzonenstrophe
(piede und volta). Dieser Aufbau gilt fur die ein- und
mehrstimmigen Formen der B. und entspricht dem
franzosischen -»■ Virelai, von dem die franzosische Ba-
lade (-> Ballade) unterschieden ist. - Die Stimmenan-
ordnung der mehrstimmigen B. ergibt folgendes Bild
(C = Cantus, CT = Contratenor, T = Tenor) :
2st. : L, / VO i, a 1 v 3st. : CT (instrumental)
li (vokal) [ T (yokal)
Zuweilen ist sie auch von der italienischen -*■ Caccia
bestimmt: ^ m ■ s
rC (Primus)
rlc (Secundus)
I T (instrumental)
Die B. als lyrische Form der Dichtung wird um 1365
zur wichtigen Vorlage £iir die mehrstimmige Kompo-
sition. Ob die Textwahl auf Dante, Petrarca oder auch
auf Kiinstler geringeren Ranges fiel, war gleichgiiltig,
wenn nur der mehrstimmige Satz den hohen Ansprii-
chen geniigte. An Komponisten ragen hervor Andrea
dei Servi (f 1415: 30 Werke, ausschliefilich Ballate),
Paolo da Firenze, Niccolo da Perugia (41 Werke, da-
von 21 Ballate, 20 mehrstimmig, eine einstimmig),
Donato da Cascia und der Dichter-Musiker Fr. -*■ Lan-
ding der allein 141 Ballate (92 zweistimmig und 49
dreistimmig, von seinen insgesamt 154 Werken)
schrieb. - Musikalische Wesenszuge der B. sind: ver-
zierte Oberstimme - ruhige Unterstimme(n), rhyth-
mische Unabhangigkeit der Stimmen, gelegentlicher
Mensurwechsel innerhalb ein und derselben Kompo-
sition, das Fehlen symmetrischer Periodenbildung so-
wie tanzartiger Rhythmik. - Im 15. Jh. finden sich von
der musikalischen B. nur noch wenige Spuren, dage-
gen ist sie als rein literarische Form ofter anzutreffen
(vereinzelt auch noch im 16. Jh.). Als eine literarisch
wiederbelebte Spatform der B. erscheint um 1500 die
-»• Frottola, deren homophone Satzanlage von der B.
des 14. Jh. wesentlich unterschieden ist.
Ausg. : J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation, II— III, Lpz.
1904; ders., Die Rossi-Hs. 215 . . ., JbP XLV, 1938; Der
Squarcialupi-Codex Pal. 87 d. Bibl. Medicea Laurenziana
zu Florenz, hrsg. v. dems., Lippstadt 1955 ; N. Pirrotta, II
Sacchetti e la tecnica mus., Firenze 1935 ; ders., The Music
of Fourteenth-Cent. Italy I, = CMM VIII, 1954 (1st. B. d.
Gherardellus de Florentia), II, 1960 (1st. B. d. Codex Ros-
si), III, 1962 (B. v. Laurentius Masii de Florentia, Donatus
de Florentia u. Anonymi) ; Fr. Landini, The Works, hrsg.
v. L. Ellinwood, Cambridge (Mass.) 1939; F. Ghisi, Ital.
Ars Nova Music, Journal of Renaissance and Baroque
Music 1, 1 946/47 ; Davison-Apel Anth. 1, 51 u. 53 (Giov. da
Florentia u. Fr. Landini); 3 B. in: Die ma. Mehrstimmig-
keit, hrsg. v. H. Husmann, = Das Musikwerk IX, Koln
(1955); The Works of Francesco Landini, hrsg. v. L. Schra-
de, = Polyphonic Music of the Fourteenth Cent. IV, Mo-
naco (1958) ; C. Corsi, Madrigale e b. inedite del Trecento,
in : Belfagor XII, Florenz 1959.
Lit. : Antonio da Tempo, Trattato delle rime volgari, hrsg.
v. G. Grion, Bologna 1869; Gidino Sommacampagna,
Trattato dei ritmi volgari, hrsg. v. G. B. Giuliari, Bologna
1 870 ; E. Monaci, Per la storia della b., Rivista critica della
letteratura ital. I, 1884; S. Benedetti, Un trattatello del s.
XIV sopra la poesia mus., Studi medievali II, 1906/07; H.
Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920; G. Car-
ducci, Archeologia poetica, Bologna 1908 ; D. Alaleona,
Le laudi spirituali ital. nei s. XVI e XVII e i loro rapporti
coi canti profani, RMI XVI, 1909; E. Levi, Cantilene e b.
dei s. XIII e XIV, Studi medievali IV, 1912/13 ; P.-M. Mas-
son, Chants du carnaval florentin, Paris 1914; M. Schnei-
75
Ballet de cour
der, Die Ars Nova d. XIV. Jh. in Frankreich u. Italien,
Potsdam 1 930 ; N. Pirrotta, Lirica monodica trecentesca,
Rass. mus. IX, 1936; K. Vossler, Die Dichtungsformen d.
Romanen, hrsg. v. A. Bauer, Stuttgart 1951 ; K. v. Fischer,
Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen Quattrocento,
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden
Ges. II, 5, Bern (1956); L. Meierhans, Die B., = Studio-
rum Romanicorum Collectio Turicensis, Bern 1956; W.
Th. Marrocco, The B. - A Metamorphic Form, AMI
XXXI, 1959.
Ballet de cour (bal's cbku :r, f rz., Hofballett) zwischen
1580 und 1660 ein prachtvoll ausgestattetes Ballett
mit Vokal- und Instrumentalmusik, vornehmlich am
Hofe der franzosischen Konige, mit mythologischem
Stoff, allegorischem Charakter und einer pantomi-
mischen Leitidee, wobei die »Verzauberung« ein wich-
tiger Gegenstand war. Dem B. de c. ist zunachst
ein aristokratisch-dilettantischer Grundzug eigen, nur
wenige Berufstanzer wurden herangezogen, wahrend
die Hauptmitwirkenden der hofischen Gesellschaft an-
gehorten; z. B. wirkte Ludwig XIV. in einer ganzen
Reihe von Balletten personlich mit. Spater vollzog
sich im B. de c. eine sozialgeschichtlich und kiinstle-
risch eingreifende Veranderung ; es wurde zum Schau-
tanz gegen Eintrittsgeld und damit halboffentlich zu-
ganglich. Die Ausf-iihrenden waren jetzt durchweg Be-
rufstanzer. Diese Wandlung fiihrte zu einem groBen
kiinstlerischen Aufstieg der Tanzkunst iiberhaupt. -
Wichtig fiir das B. de c. sollten die asthetischen Be-
strebungen von Bai'fs Academie de Poesie et de Mu-
sique werden. Das B. de c. bestand aus der Ouvertiire,
der die einzelnen -s- Entrees (hochstens 5 Szenen) folg-
ten, und dem Grand ballet. Chants und->- Recits waren
im einf achen 4-5st. Satz oder einstimmig angelegt. Die
Musik wurde zum Teil von den agierenden Personen
(vokal) und zum Teil von einem Orchester auBerhalb
der Biihne (Begleitung, Tanzmusik) ausgefiihrt. Das
friiheste iiberlieferte B. de c. ist das Balet comique de la
Royne (1581). Die Choreographie (ordonnances geo-
metriques) entwarf der Italiener -v Baltazarini, die
Musik schrieben Lambert de Beaulieu und Jacques
Salmon. Eine deutsche Nachahmung des B. de c. war
das Singballett.
Ausg. : Balet comique de la Royne 1581, hrsg. v. G. A.
Caula, Turin 1963.
Lit.: H. Prunieres, Le b. de c. en France avant Benserade
et Lully, Paris 1914 (darin auch S. 25 1 ff. N A v. La Delivran-
ce de Renaud) ; ders., Ronsard et les fetes de cour, RM V,
1924; W. Storz, Der Aufbau d. Tanze in d. Opern u. Bal-
letts Lully's, Diss. Gottingen 1928 ; M. Paquot, Les etran-
gers dans le b. de c, Rev. du 16 e s. XIX, 1932; N. Ivanoff,
Les fetes a la cour des derniers Valois, ebenda ; P. Melese, Le
theatre et le public a Paris sous Louis XIV (1659-1715),
Paris 1934; J. Gregor, Kulturgesch. d. Balletts, Wien
1946; J. Rousset, La lit. de l'age baroque en France, Paris
1953 ; Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Pa-
ris 1956; M. M. McGowan, L'art du b. de c. en France
(1581-1643), Paris 1963.
Ballett (von ital. -> balletto, Diminutiv von ballo,
->■ Tanz ; engl. und frz. ballet) ist eine in der Regel mit
Musik verbundene Tanzdarbietung. Diese erscheint
unter vielfaltigen Aspekten, denen stets zwei Kompo-
nenten gemeinsam sind, die kiinstlerisch stilisierte Kor-
perbewegung und der Bezug auf ein Publikum; sie
kann als Tanzeinlage in Biihnenwerken sowie als selb-
standige Tanzgattung auftreten. Dariiber hinaus be-
zeichnet B. die Komposition und die Gesamtheit der
ausfiihrenden Tanzer. - Vorstadien solcher Tanzdar-
bietungen in der Neuzeit finden sich in den festlichen
Aufziigen der Renaissance, vom allegorischen Huldi-
gungsspiel bis hin zum Trionfo oder zur Entree solen-
nelle, im Maskenspiel (-> Masque) und ->■ Interme-
dium. Wesentliche Ausgangspunkte liegen auch im
mittelalterlichen Volkstheater, vor allem aber im italie-
nischen und franzosischen -*■ Gesellschaftstanz des 14.
und 15. Jh. In Italien erschienen im 14./15. Jh. die
ersten Tanzbiicher, verfafit von Tanzmeistem wie
-»■ Guglielmo Ebreo oder C. ->• Negri, mit deren Wir-
ken die Entwicklung des akademischen Tanzes begann.
Ausbau und Versuche zur Festlegung des Schrittma-
terials im Sinne einer -> Choreographie (Arbeau,
Feuillet) erfolgten in Frankreich. Tanzerische Auffiih-
rungen, deren Sujets meist der griechischen Mythologie
entnommen sind, waren schon im 15. Jh. in Komodien
und Tragodien oder bei Hoffestlichkeiten in Italien
und Frankreich nicht selten (Tanzspiel 1473 zu Castel
Gandolfo; Mailander »Hochzeitstafelschauspiel« 1488).
- Nach 1580 entstand am franzosischen Hof das ->■ Bal-
let de cour, in dem alle Elemente des hofischen Fest-
zugs und des Maskenspiels vereinigt sind. Mit Balta-
zarinis Balet comique de la Royne (1581) kann vom Be-
ginn einer franzosischen B.-Kunst im Sinne einer
theatralischen Gattung gesprochen werden. Hohe-
punkte des franzosischen Hof-B.s in der 2. Halfte des
17. Jh. waren Les muses (1667) und Les TrioMphes de
V Amour von Lully (1681 ; zum ersten Mai traten hier
Berufstanzerinnen auf). - Seit Anfang des 17. Jh. wur-
den in Frankreich auch volkstumliche Arten des B.s
gepflegt, so das Ballet comique (oder Ballet a scenes
declamees) und das Ballet mascarade, das im Laufe sei-
ner Entwicklung dutch dramatische und lyrische Buh-
nenszenen zum Ballet melodramatique erweitert wur-
de, wie eines der vollendetsten dieser Art, La dilivrance
de Renaud (1617) von Guedron, Boesset und Bataille.
In den 20er Jahren des 17. Jh. entstand auch eine Art
von Maskeraden, die burleske Stoffe bevorzugten und
noch in der 2. Jahrhunderthalfte unter der Bezeich-
nung Ballet a entree beliebt waren. Diese Ballets a
entree setzten sich aus mehreren Teilen zusammen,
deren jeder im Aufbau dem Ballet mascarade (namlich:
Anfangs-Recit, Entrees, SchluBchor, auch -pantomi-
me) entsprach, wie das Ballet des Fees des Forks de St.
Gervais (1625). 1664 begann die Zusammenarbeit
von Moliere und Lully auf dem Gebiet der -*■ Come-
die-ballet. Nach 1673 gingen wesentliche Ziige des
Ballet de cour in die ->■ Tragedie lyrique ein. Gegen
Ende des 17. Jh. entstand auch das -*■ Opera-ballet. -
In Italien war das B. zuerst Teil eines Intermediums
und wurde dann selbst Intermedium innerhalb der
Kunstgattung der Oper. Bereits Ende des 16. Jh. wur-
de die -> Moresca zum B. -Intermezzo. In diesem Sinne
sind die Moresken in Cavalieris Rappresentazione di
anima e di corpo (1600) und in Monteverdis Orfeo (1607)
zu verstehen. Im 17. jh. lieferten Cavalli, Sacrati, Rossi
bedeutende Beispiele. Ein B. im Stil der hofischen
Maskenspiele komponierte bereits Monteverdi mit den
Scherzi musicali (1607). 1608 wurde sein Ballo dell'Ingrate
aufgefiihrt, der sich an das Vorbild des franzosischen
Ballet de cour anschlieBt und bereits den neuen Typ
des Balletto melodrammatico darstellt. La liberazione di
Ruggiero . . . von Fr.Caccini (1625), eine Verbindung
von Choroper und reich ausgestattetem B., blieb fiir
ein Jahrhundert Vorbild fiir die festliche Barockoper.
- In Deutschland waren es vor allem die Hofhaltungen
in Wien und Miinchen, dann Stuttgart (mit dem ersten
nachweisbarcn deutschen B. zur Hochzeit Herzog Jo-
hann Friedrichs 1609), Dresden, Heidelberg, Halle,
Hannover, Kassel und Braunschweig, wo szenische
B.e auf der Biihne oder im Freien mit Instrumentalmu-
sik, Sologesang und Choren als ->- Festmusik aufge-
fiihrt wurden. Diese B.e verbanden starke franzosische
(Ballet de cour), italienische (Intermedium) und ein-
heimische Elemente (Ringrennen, Jagden, Tumierauf-
ziige). In Wien, wo sich schon in der 1. Halfte des 17.
76
Ballett
Jh. die Opern- und B.-Kunst in besonders groBer
Pracht entfaltete, komponierten Musiker wie W.Eb-
ner oder J.H. ->■ Schmelzer zahlreiche B.e. Die B.-
Einschiibe in den Zwischenakten und am SchluB von
Opern bildeten auch hier in erster Linie franzosische
und italienische Tanze (Allemande, Courante, Galliar-
de, Gigue, Bourree, Bransle, Chaconne, Passacaglia). -
Besondere Hohepunkte hofischer B.-Kunst stellten
die Militar-, Tumier- oder RoB-B.e (balletto a cavallo)
dar, so in Italien Laguerra d'amore (1616) mit der Musik
von G. B. Signorini, G. Del Turco, P. Grazi und J. Peri ;
in Wien 1667 Germania esultante von Cesti. Die Ein-
fuhrung des B.s (als mythologisches, historisches oder
Marchen-B.) in die Oper, mit deren Handlung es oft
in keinem Zusammenhang stand, f iihrte zu einer sche-
matischen Erstarrung der Gattung. Der Wunsch nach
der Wiedergeburt des B.s aus dramatischem Geist rief
im 18. Jh. Reformversuche hervor. Die entscheidenden
Neuerungen, die parallel mit Glucks Reformen der
Oper lief en, kamen durch den Franzosen J. G. ->■ No-
verre, daneben durch den Italiener G. ->• Angiolini,
Schiiler des osterreichischen Choreographen Franz Hil-
verding von Weven (1710-68). Noverre setzte in sei-
nem Ballet d'action (»Handlungs-B.«) das Libretto ei-
nes (in Akte geteilten, oft bereits vorhandenen Wort-)
Dramas ohne Hilfe des gesprochenen oder gesungenen
Textes in Tanzbewegungen und Pantomime um. 1760
heiBt es in Noverres fiir die B.-Kunst Europas grund-
legenden Lettres sur la danse, et sur les ballets in Lessings
Ubersetzung : »BefleiBet euch einer edlen Pantomime,
vergesset nie, daB sie die Sache eurer Kunst ist ... «
Der Musik weist Noverre eine dienende, untermalen-
de Rolle zu. Er versuchte, in zahlreichen Choreogra-
phien, von denen viele in Kompositionen bekannter
Musiker (Fl.G. -» Deller; J.J.Rudolph; W.A.Mozart,
Lespetits riens, 1778) aufgefiihrt wurden, seine Plane zu
verwirklichen. In den von Fr. Aspelmayr und J. -»■ Star-
zer komponierten Tanzdramen kam Noverre seinen
Zielen am nachsten. G. Angiolini choreographierte
1761 (ein Jahr nach den Lettres Noverres) Lefestin de
Pierre (Don Juan, nach Moliere) mit der Musik von
Gluck, die erste B.-Pantomime, in der Szenarium, Mu-
sik und Choreographie vollkommen ubereinstimmen.
Einen Hohepunkt ihrer Entwicklung findet die B.-
Pantomime bei S. -> Vigano. Fiir ihn schrieb Beetho-
ven die Musik zu Die Geschopfe des Prometheus (1801).
An bedeutenden Choreographen der 2. Halfte des 18.
Jh. seien noch genannt : der Angiolini-Schiiler Vincen-
zo Galeotti (1733-1816), dessen B. »Die Launen Cupi-
dos und des Ballettmeisters« noch heute mit der Musik
von Jens Lolle in der uberkommenen Originalchoreo-
graphie in Kopenhagen getanzt wird; der Noverre-
Schtiler Jean Dauberval (1742-1806; von ihm stammt
das 1786 uraufgef iihrte und heute noch zum internatio-
nalen Repertoire zahlende B. Lafille mal gardie). Die
beiden grofien franzosischen Ballerinen waren Maria
Camargo (1710-70; sie schuf das Tutu, das kurze B.-
Rockchen) und Maria Salle (1710-56), die erste bedeu-
tende Tanzerin in der B.-Pantomime. Die Salle errang
auch gfoBe Erfolge in London, wo Handel fiir sie und
ihre Tanzgruppe u. a. den B.-Prolog Terpsichore zu sei-
nem umgearbeiteten Pastor fido (1734) schrieb.
Fiir die Entwicklung des B.s und der B.-Technik im
19. Jh. waren C. de -»- Blasis und E. ->■ Cecchetti be-
deutend. Maria -» Taglioni verhalf mit ihrer Interpre-
tation der Titelrolle in La Sylphide (1832) mit der Mu-
sik von Jean Schrieitzhoeffer, einem typischen Mar-
chen-B., dem romantischen Stil zum Durchbruch. Mit
ihr begann sich der Spitzentanz durchzusetzen. Den Ge-
'gentyp zur Taglioni, die eine echte sdanseuse aerienne«
war, stellt Fanny -»■ ElBler dar als eine ihre Tanze mit
dramatischer Ausdruck$kraft gestaltende »danseuse
terre a terre«. Als Typ zwischen diesen beiden stand
Carlotta ->■ Grisi, die 1841 in Paris die Hauptrolle in
dem B. Giselle von A. Adam kreierte, das sich bis heute
im Repertoire gehalten hat. - Das B. wurde in der 1.
Halfte des 19. Jh. vielfach von 3 auf 4 und 5 Akte er-
weitert; es umfaBte bis zu 20 Musiknummern, die for-
mal auf Tanze wie Walzer, Polka, Fandango, Mazurka
und B.-Bewegungsablaufe wie Adagio, Pas de deux,
Pas de trois usw. zuriickgreifen (Auber; Fr.Benoist;
M.Costa; L.-J.-F.Herold; Th.Labarre). Von den zahl-
reichen in der 2. Halfte des 19. Jh. entstandenen B.-
Musiken (u. a. von Widor und Messager) sind heute
noch im B.-Repertoire: Delibes' Coppilia (1870.; Cho-
reographie von A. ->• Saint-Leon) und Sylvia (1876).
Zu erwahnen ist auch J. Bayers Erfolgs-B. Die Puppen-
fee (1888) und auf dem Gebiet des Opern-B.s das dra-
maturgisch ganz mit der Opernhandlung verwobene
B. in Saint-Saens Samson et Dalila (1877). - In RuBland
wurde bereits 1738 in St. Petersburg eine kaiserliche
B.-Schule gegriindet (erster Direktor J.-B.Lande,
f 1746). 1810 kam Didelot nach St. Petersburg, wo er
bis 1811 und dann 1816-28 tatig war und das russische
B. im Sinne Noverres erneuerte. Die besten Grundzii-
ge der sensibleren franzosischen und der im Stil robu-
steren italienischen Schule wurden vereinigt. Nach
dem Krieg von 1812 entstanden in RuBland zahlreiche
B.e, so von A.Aljabjew, A.G.Warlamow und C.
->• Pugni. Zu nennen sind auch L. -*■ Minkus und R.
-»■ Drigo. Der franzosische Choreograph M. -> Petipa
f orderte entscheidend die Entwicklung in streng kon-
servativem Rahmen mit Betonung des Marchenhaf ten
und einer »Poetisierung« der Tanztechnik. Seine be-
deutendsten choreographischen Leistungen waren
Tschaikowskys B.e »Dornroschen« (1890), »Der NuB-
knacker« (1892) und »Schwanensee« (1894) sowie Gla-
sunows Rajmonda (1897).
Die Einleitung einer neuen Epoche der B.-Kunst iiber-
haupt lag in der Zusammenarbeit des russischen Im-
presarios S. -> Diaghilew mit einer Reihe bedeutender
Choreographen und Tanzer (M. -> Fokin, W. -> Ni-
schinskij und dessen Schwester Bronislawa, B. -*■ Koch-
no, L. ->■ Massin, G. -> Balanchine, S. -> Lifar, Ta-
mara -» Karsawina, Alexandra -> Danilowa, Alicia
->■ Markova) und Schriftsteller (Jean Cocteau), Maler
(Bakst, Braque, Chirico, Derain, Matisse, Picasso,
Utrillo) und Musiker begriindet. Ihr Ziel war eine Art
Gesamtkunstwerk aus Poesie, Musik, Tanz und Ma-
lerei, das die kunstlerischen Stromungen der Zeit in
der Formstrenge des B.s zusammenfassen sollte. Dia-
ghilews B.-Truppe, Ballet russe genannt, der kurze
Zeit auch die beruhmte Anna ->■ Pawlowa angehorte,
trat 1909 zum ersten Mal auf und untemahm alsbald
groBe Gastspielreisen. Nach dem 1. Weltkrieg stellte
Diaghilew sein B. in Frankreich neu zusammen. Unter
Beibehaltung der traditionellen Tanztechnik erweiter-
te Fokin die choreographische Kunst, indem er Anre-
gungen des von Isadora -> Duncan propagierten neuen
»Ausdruckstanzes« aufnahm und dem Corps de ballet
individuellere Aufgaben •zuteilte. Fokin forderte, fiir
jeden einzelnen Fall eine neue Bewegungsform zu fin-
den, anstatt Kombinationen von fertigen Schrittfor-
men zu verwcnden. - In den 20 Jahrcil seines Bertehcns
brachte das Diaghilew-B. rund 60 B.e heraus, unter
denen die von Strawinsky an hervorragender Stelje
stehen. Die erste Phase Strawinskys war getragen von
den 3 B.en »L'oiseau de feu« (1910; Choreographie:
Fokin), Petrouchka-(\9\\; Fokin) undLe Sacre du Prin-
temps (1913; Nischinskij). In tiieser Folge lag eine fiir
die Entwicklung der B.-Musik (und Strawinsky selbst)
bedeutende Losung vom Impressionismus, in der Ver-
77
Ballett
arbeitung folkloristischer Elemente und in der Steige-
rung in eine vom Tanz gepragte vitale Rhythmik.
Nach Strawinskys B. Le Sacre und Saties »kubistischem
Manifest« Parade (1917; Massin) trat in der B.-Musik
und Choreographic eine Wendung zum Klassizismus
ein, die schon bei Strawinskys Pulcinella (1920; Massin)
und Les Noces (1923) zu beobachten ist und in spateren
Werken wie Apollon musagke (1928; Balanchine) und
vor allem dem formstrengen Jeu des Cartes (1937), mit
dem die Zusammenarbeit Strawinskys mit Balanchine
in eine neue Phase trat, sich bestatigt. Von den fur
Diaghilews Ballet russe komponierten B.en seien noch
genannt: Ravel, Daphnis et Chloe (1912; Fokin); De-
bussy, Jeux (1913; Nischinskij) ; R.Strauss, »Mimo-
dram« Josephslegende (1914; Fokin) ; de Falla, Le tricome
(»Der Dreispitz«, 1919; Massin); Respighi-Rossini, La
boutique fantasque (1919; Massin); Prokofjew, »Le
Chout« (1921; Larinow) und L' 'Enfant prodigue (1929;
Balanchine); Milhaud, Le train bleu (1924; Br.Ni-
schinska) ; Poulenc, Les Biches (1925 ; Br. Nischinska) ;
Auric, Les Fdcheux (1924; Br. Nischinska) und Lei Ma-
telots (1925; Massin). - Fur das B. von Ida -> Rubin-
stein schrieb Debussy Le Martyre de Saint Sebastien
(1911 ; Text von d'Annunzio), Strawinsky Le baiser de
la fee (1928). - An der Pariser Oper erneuerte (ab 1929)
Serge -> Lifar das franzosische Opern-B. und choreo-
graphierte neben den Repertoire-B.en hervorragende
avantgardistische Stiicke, so Prelude dominical (1931)
von G.Ropartz, Bacchus et Ariane (1931) von Roussel,
Sur le Borysthene (1932) von Prokofjew und L'Orchestre
en Liberie von Sauveplane. Meisterchoreographien
schuf Lifar mit Le Chevalier et la Demoiselle (1941) von
Ph. Gaubert, Joan von Zarissa (1942) von W.Egk, Les
Mirages (1947) von H.Sauguet und Phedre (1950) von
Auric. Mit Icarus (1935) begann Lifar Versuche mit
B.en ohne Musik. In England haben grofie Verdienste
um die Entwicklung des modernen B.s Marie Rambert
(* 1888), die 1931 in London den Ballet Club (spater
Ballet Rambert genannt) griindete, und Ninette de Va-
lois (* 1898), die (ebenfalls 1931) das Vic Wells Ballet
(spater Sadler's Wells Ballet) mitbegrundete. Von
Vaughan Williams brachte Ninette de Valois 1931 das
B. Job heraus, 1935 The Rake's Progress von G. Gordon,
1937 Checkmate von A. Bliss. An englischen Tanzern
und Choreographen haben internationalen Ruf u. a.
Margot -> Fonteyn, Moira -»■ Shearer, Fr. -*■ Ashton,
R. -> Helpman, Anthony Tudor (* 1909), der Lilac
Garden (1936) von Chausson und Undertow (1945) von
W. Schuman herausbrachte, Andree Howard (* 1910),
eine der bedeutendsten Personlichkeiten aus dem Ballet
Rambert (Paris Soir, 1932, von Poulenc; Croquis de
Mercure, 1938, von Satie; Lady into Fox, 1939, von
Honegger), Walter Gore (* 1910), ebenfalls aus der
Rambert-Schule (La damnee, 1951, von S.Barber;
Carte blanche, 1953, von John Addison), Kenneth
MacMillan (Diversions, 1961, von A. Bliss). - In den
USA setzte um 1930 die Entwicklung des modernen
B.s ein. GroBen EinfluG hatten Vertreter des Ausdrucks-
tanzes, Isadora -> Duncan, Ruth St. Denis (mit Ted
Shawn) sowie Martha -*■ Graham, fur die eine Reihe
bekannter Komponisten B.e schrieben, so Milhaud
(Jeux de Printemps, 1944), Hindemith (Herodiade), Cop-
land, S.Barber, Chavez, Hunter Johnson, Menotti,
McBride, W. Schuman. Fur die Choreographen Doris
Humphrey und Charles Weidmann komponierten
Riegger, Lloyd und A.L.Engel B.e. Hervorragende
Choreographien schufen auch Agnes de -> Mille so-
wie Jerome Robbins (* 1918), fur den L.Bernstein
Fancy Free (1944) und The Age of Anxiety (1953) und
M. Gould das von Jazzelementen belebte Interplay
(1945) schrieben, ferner Ruth -> Page (Americans in
Paris von Gershwin, 1936; The Bells von Milhaud,
1946). Zu nennen sind u. a. auch die Choreographen
Todd Bolender, William Dollar und B.Stone. - 1934
griindeten Lincoln Kirstein und Edward M.Warburg
in New York die School of American Ballet, die im
gleichen Jahr als American Ballet unter Balanchine
auch B.e zu produzieren begann. 1948 ging die Truppe
im New York City Ballet auf . Balanchine entwickelte
als Leiter des New York City Ballet einen eigenen,
neoklassizistischen amerikanischen B.-Stil, in dem
klassisch-akademischer Tanz Petersburger Herkunft
mit Elementen des amerikanischen Modern dance ver-
bunden sind. Kennzeichnend ist fur Balanchine die
Hervorhebung des rein Tanzerischen, das Zuriick-
drangen oder der Verzicht auf pantomimische Dar-
stellung, literarische Vorwurfe oder Handlung. We-
sentlich fur Balanchines choreographisches Schaffen
wurde die Zusammenarbeit mit Strawinsky, als Hohe-
punkte Orpheus (1948) und Agon (1957). - Um das
schwedische B. erwarb sich in neuerer Zeit Rolf de
->■ Mare Verdienste. Mit dem Choreographen Jean
Borlin (1893-1930) griindete er 1920 in ParisdieBallets
Suedois, die als avantgardistisches Ensemble bekannt
waren. Honegger schrieb fur die Ballets Suedois Skating
Rink (1922), Milhaud La creation du monde (1923). -
Neue Moglichkeiten erschlossen dem B. in Europa
Tanzer und Choreographen wie A. von -> Milloss,
Janine -> Charrat (Milhaud, Adame Miroir, 1948), R.
-+ Petit (Ibert, Les Amours de Jupiter, 1946; J.Francais,
Les Demoiselles de la Nuit, 1948), Jean Babilee (* 1923)
und Maurice Bejart (* 1928), der mit seinem seit 1960
am Theatre Royal de la Monnaie in Briissel bestehen-
den Ballet du XX' me Siecle experimentierfreudige
Choreographien bietet, so das Tanzdrama Orphie mit
der Musik von Pierre Henry (* 1927), das B. Gala mit
Musik von G.Confalonieri oder die Symphonie pour un
homme seul von P.Henry und P.Schaeffer. - In der
UdSSR wird die grofie russische B.-Tradition intensiv
weitergepflegt. Agrippina Jakowlewna Waganowa
(1879-1951) machte sich um die Heranbildung einer
neuen Tanzer-Generation verdient. Neben ihr ist Olga
Lepeschinskaja (* 1916) als Padagogin zu nennen. Das
Bolschoi-B. in Moskau (die eng mit ihm zusammen-
arbeitende Staatliche Choreographenschule ist mit iiber
200 Tanzern bzw. 300 Studierenden das groBte B.-
Institut der Welt) bereist seit 1950 auch westliche Lan-
der. Das Bolschoi-B. zeichnet sich aus durch groBe
Ensembledisziplin und virtuose Technik, verbunden
mit emotionaler Ausdruckskraft. Daneben gibt es in
der UdSSR weitere B.-Truppen sowie zahlreiche
Volkstanzensembles. Vielfach wurden auf lebensnahe
(oft realistische) Libretti symphonisch breit ausgebaute
B.e - in Fortsetzung der von Tschaikowsky begonne-
nen Linie - geschrieben. Glieres »Roter Mohn« (1927;
nach einem Stoff aus dem Befreiungskampf des chine-
sischen Volkes) war die erste groBe B.-Schopfung des
sozialistischen Realismus. Genannt seien auch: B. W.
Assafjew, »Der Gefangene aus dem Kaukasus« (1938);
Chatschaturjan, Gajaneh (1942), »Spartacus« (1956);
A.A.Krejn, Laurencia (1937), Tatjana (1947); Prokof-
jew, »Romeo und Julia« (1940), »Aschenbrodel« (1945),
»Das Marchen von der steinernen Blume« (1954);
Schostakowitsch, »Das goldene Zeitalter« (1930), »Der
Bolzen« (1931). -InDeutschlandentwickelteR.v.-* La-
ban den sogenannten »Ausdruckstanz« (spater als »Freier
Tanz« bezeichnet), eine Bewegungslehre im Gegensatz
zur Positionslehre des akademischen Tanzes. Nach La-
bans Idee sollte der Tanz selbstandiger Ausdruck von
Gefuhl und Stimmung sein, befreit von traditioneller
Technik, pomphaf tem Kostum und der Fessel der Mu-
sik. Von groBem EinfluB waren die Tanzschopfungen
78
Ballett
der Laban-Schiilerin MaryWigman (* 1886 zu Hanno-
ver). Der Laban-Schiiler K. -»■ Looss verwendete in sei-
ner Tanzpantomime Dergriine Tisch (1932) mit der Mu-
sik von Fritz Cohen einen expressionistischen freien
Tanzstil in Verbindung mit klassischer Technik. - Das
erste groCe Ereignis fiir das deutsche B.-Theater nach
dem 2.Weltkrieg war 1948 in Miinchen die Urauffiih-
rung des »Faust«-B.s Abraxas vcnW. Egkin der Choreo-
graphic von Marcel Luipart. Egk fordert von einer B.-
Musik : Die Musik ah ein Wesensbestandteil des B.s mufi
formal klar und iiberschaubar gegliedert sein und mit den
Formgesetzen der klassischen Bewegungsmethoden harmo-
nieren. Sie soil dabei in ihrem Ablaufvor allem rhythmisch
kontinuierlich sein, damit sie den Schwung der Bewegung
nicht hemme, sondern trage . . . Nach 1945 ist in Deutsch-
land ein Auftrieb der B.-Entwicklung zu beobachten.
Von den in Deutschland wirkenden Choreographen
und Tanzern seien genannt : Yvonne -> Georgie, Tat-
jana -> Gsovsky, Todd Bolender, Alan Carter, John
Cranko, Peter van Dyk, Herbert Freund, H. -> Kreutz-
berg, Gerd Reinholm, Erich Walter. - An weiteren
B.en des 20. Jh. seien angefiihrt: Bartok, »Der holzge-
schnitzte Prinz« (1917), »Der wunderbare Mandarin«
(1925); Blacher, Hamlet (1950), Der Mohr von Venedig
(1955), Demeter (1964) ; Bliss, Adam Zero (1946) ; Blom-
dahl, Play for Eight (1962) ; Britten, The Prince of the Pa-
godes (1957) ; J. Chailly, La dame a la Licorne (»Die Dame
und das Einhorn«, 1953); A.Copland, El Salon Mexico
(1936), Billy the Kid (1938), Rodeo (1942); L.Dalla-
piccola, Marsyas (1956) ; Egk, Die chinesische Nachtigall
(1953); G.v.Einem, Prinzessin Turandot (1944), Rondo
vom Goldmen Kalb (1952), Pas de Coeur (1952), Medusa
(1957) ; de Falla, El Amor Bmjo (1925) ; W. Former, Die
weijie Rose (1951), Ballet blanc; J.Francais, Le roi nu
(1936), Le Roi Midas (1957), Madame dans la Lune
(1958); H.HeiB, Die Tat (1961, elektronische B.-Pan-
tomime); H.W.Henze, fack Pudding (1950), Anrufung
Apolls (1949), Die schlafende Prinzessin (1951), Der Idiot
(1952), Maratona di Danza (1956), Undine (1958; nach
De la Motte-Fouque), Des Kaisers Nachtigall (1959);
Hindemith, Der Damon (1923), die Tanzlegende Nobi-
lissima Visione (1938), The Four Temperaments (1946);
Fr.Lhotka, »Der Teufel im Dorf « (1935) ; Nono, Der
rote Mantel (1954); H.Reutter, Die Kirmes von Delft
(1937), Topsy (1950), Notturno Montmartre (1952); V.
Tommasini, Le Donne di buon Umore (1917) ; R. Strauss,
Schlagobers (1924); K.Weill, Die sieben Todsiinden der
Kleinburger (Libretto B.Brecht, Paris 1933, deutsche
Erstauffiihrung Frankfurt am Main 1960); B.A.Zim-
mermann, Kontraste (1953), Alagoana (1955), Perspek-
tiven (1955), Presence (1961).
Die Anregung zur Komposition einer B.-Partitur
kommt vielfach vom Choreographen. Vor allem in
der Vergangenheit waren die Choreographen zumeist
in einem sehr wbrtlichen Sinn die Urheber ihrer B.e, . . .
Librettisten, Komponisten und Ausstatter hatten sich direkt
an die von den Choreographen gegebenen Anweisungen zu
halten (Koegler, S. 6). Das moderne B. bezieht die
Stoffe und Anregungen zu den Libretti aus Mythen,
Sagen und Marchen, aus verschiedenen Gattungen der
Literatur (Drama, Roman), aus symphonischen Dich-
tungen und bildlichen Darstellungen ; auch das Leben
und die Probleme des modernen Menschen - be-
ginnend schon mit Debussys feux (1913) - werden auf
das B.-Theater gebracht. - Hochst problematisch - vor
allem vom musikalischen Standpunkt her gesehen - ist
die »bildliche Sichtbarmachung«, die Umsetzung in
tanzerische Bewegung, von symphonischer, konzer-
tanter oder Kammermusik. Unter den zahllosen Ver-
suchen (mit denen zuerst Isadora Duncan begonnen
hatte) seien genannt: Balanchine: J.S.Bach, Konzert
fur 2 V. D moll (BWV 1043) als »Concerto barocco«
(1945), Bizet, Symphonie C dur als »Le Palais de
Cristal«, Brahms, 4. Symphonie als: »Choreartium«
(1933); Massin: Schubert, Symphonie C dur als »La-
byrinthe« (1941). Restlos gescheitert ist das Experiment
von Bejart, die 9. Symphonie von Beethoven (Briissel
1964) zu vertanzen. Weniger problematisch ist die
Choreographie von Programmusiken, wie z. B. R.
Strauss' Till Eulenspiegel, der of ter (zuletzt von J. Ba-
bilee, 1949, und Balanchine, 1952) choreographiert
wurde. Unter den nach arrangierter Musik choreo-
graphierten B.en ist erwahnenswert das noch heute im
internationalen Repertoire zu findende B. Les Sylphides
von Fokin (1908 in St. Petersburg unter dem Titel
»Chopiniana« uraufgefuhrt) nach Klavierstiicken von
Chopin, die verschiedene Komponisten instrumentier-
ten. Mit Les Sylphides ist eine Abkehr vom abendfiil-
lenden B. und die Einfuhrung eines im wesentlichen
undramatischen B.-Typus markiert, der in der Folge-
zeit immer starker zum abstrakten B. hinfiihrte. - Die
Entwicklung des internationalen Tanztheaters wird
- vor allem nach 1945 - auch wesentlich mitbestimmt
von Folkloretanzern undTanzensembles, so aus Spanien,
der UdSSR, Siidamerika, Indien, China, Japan usw.
- Wichtige Aufgaben fallen dem mit der Handlung
verkniipften B. in der Oper zu, so bei Gluck (Orpheus),
Verdi (Macbeth, Aida), Wagner (Tannhduser), Boro-
din (»Fiirst Igor«), Smetana (»Verkaufte Braut«); in
der modernen Oper in Henzes Konig Hirsch, Biom-
dahls Aniara. - Im dramatischen Oratorium (Honeg-
ger, feanne a" Arc au bucher; Egk, Columbus; Orff,
Trionfi) kann das B. die Ausfiihrung der chorischen
Handlung ubernehmen. In der in neuerer Zeit (vor
allem von deutschen Komponisten) gepflegten B.-
Oper verbinden sich Gesangs-, Tanz- und Sprech-
szenen, so in Henzes Wundertheater (1948), Blachers
Preufiischem Marchen (1950) oder Killmayers La Buffo-
nata (1961). - Unter den B.-Filmen ragen heraus The
Red Shoes (»Die roten Schuhe«, 1947) und Carroussel
(1953) in der Choreographie von L. Massin. Zu den
eigens fiir das Fernsehen konzipierten B.en gehort
Mardi Gras mit der Musik von Heinz Pauels, in der
Choreographie von Gerd Bruckner (ARD 1963).
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chen), - 1) ->• Ballett; - 2) Tanzfolge (besonders Ende
des 17. Jh.) im Sinne von -» Suite oder Sonata da
camera ; - 3) allgemeine Bezeichnung f iir Tanz, syno-
nym mit Ballo. Im 15. und noch im 16. Jh. galten als
Balletti Hoftanze, die entsprechend dem Titel der
Sammlung Intavolatura de Unto di varie sorte de balli
(I, Venedig 1554) sehr unterschiedlichen Charakters
waren und zu deren Ausfuhrung Tanzmeister oft je-
weils besondere Vorschrif ten veroffentlichten ; - 4) Aus
dem bei der hofischen Gesellschaft beliebten B. des 16.
Jh. , das nach G. Mainerio sowohl vokal als auch instru-
mental ausfiihrbar war, sonderte sich kurz vor 1600 ein
bestimmter Tanz aus, ebenfalls B. oder Ballo genannt
(Praetorius, Synt. III). Er ist zweiteilig und geradtaktig
mit oder ohne Auftakt, in raschem Tempo, hat melo-
diefuhrende Oberstimme, periodisch klar gegliederten
homophonen Satz und Fa-la-la-Refrain.
l yw f t}
Piu d'ogri al-tro Clo-ri Tuseibel-iae va - ge
Dieser Typ des Tanzliedes wurde durch G.Gastoldis
Balletti a cinque voci con li suoi versi di cantare, sonare
& ballare. (1591, daraus das Beispiel) und Balletti a
tre voci con la intauolatura del liuto (1594) giiltig gepragt.
Er fand schnell zahlreiche Nachahmer: Th.Morley,
The first book of Ballets to 5 voyces (1595), O. Vecchi, H.
L.Hassler, J. Staden u. a. Hofische Maskenspiele auf
Grund mehrerer solcher Tanzlieder (zusammenhan-
genden Textes), denen eine instrumentale Intrada vor-
ausging, sind in CI. Monteverdis Scherzi musicali (1607)
iiberliefert. Bald nach der Jahrhundertwende ver-
schwand jedoch der B. mit gesungenem Text. Dage-
gen erfreute sich der B. als Instrumentaltanz durch das
ganze 17. Jh. hin als Einzeltanz wie als Suitenbestand-
teil groBer Beliebtheit, deren Grund darin gesehen
werden kann, daB der B. nicht in den Stilisierungspro-
zeB der Tanze einbezogen wurde, sondern seine ur-
spriinglich einfache Faktur und damit seine elementare
Beschwingtheit stets bewahrte. Gegen Ende des Jahr-
hunderts wurden Balletti (in Abarten) zu szenischen
-»■ Ballets de cour vereint. In Deutschland kann der B.
oder Ballo noch bis zum Anfang des 18. Jh. nachge-
wiesen werden (zweifelhaft ist Bachs Autorschaft bei
den in der alten Bach-GA wiedergegebenen Balletti).
Ausg. : G. Mainerio, II primo libro de balli, (1 578), hrsg. v.
M. Schuler, MMD V, 1961.
Lit. : H. Riemann, Tanze d. 1 6. Jh., Mk VI, 1906/07 ; ders.,
Eine 7satzige Tanzsuite v. Monteverdi, SIMG XIV, 1912/
13; P. Aubry, Estampies et danses royales, Mercure mus.
1906, Sonderdruck Paris 1907; K. Nef, Gesch. d. Sinfonie
u. Suite, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen XIV, Lpz.
1921 ; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite,
= Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; C. Sachs, Eine
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London
1938, frz. Paris 1938; I. Brainard, Die Choreographie d.
Hoftanze in Burgund, Frankreich u. Italien im 15. Jh.,
Diss. Gottingen 1956, maschr.
Ballo (ital.) ->- Balletto.
Bamberg.
Lit.: E. v. Marschalk, Die B.er Hofmusik . . ., B. 1885;
Fr. Leist, Gesch. d. Theaters in B. bis zum Jahre 1 862, Ber.
d. Hist. Ver. B. LV, 1893; O. Kaul, Zur Gesch. d. B.er
Hofmusik im 18. Jh., B.er Blatter f. Frankische Kunst u.
Gesch. II, 1 925 ; B. Wernsdorfer, Org.- u. Musikpflege im
B.er Dom, ebenda VII, 1930; M. Kunzel, Die B.er Sym-
phoniker, ZfM CXII, 1951 ; J. Nusslein, Das Gesangbuch
d. J. Degen v. 1628, Frankisches Land IV, 1956/57.
Band (basnd, engl.), Bezeichnung fiir das in der An-
zahl der Musiker schwankende Jazzensemble unter
der Leitung eines B.-Leaders. Schon seit dem New-
Orleans-Jazz - der einzigen Jazzspielweise, in der sich
iiberhaupt eine Standardbesetzung herausgebildet hat
- ist jede B. in 2 Gruppen geteilt: Melodic section (Me-
lodie-, Blasergruppe, im New-Orleans-Jazz: Kornett
oder Trompete, Posaune, Klarinette) und Rhythm sec-
tion (Rhythmusgruppe : Schlagzeug, Gitarre, Schlag-
baB, Piano, im New-Orleans-Jazz: SchlagbaB oder
Tuba, Schlagzeug, Banjo oder Gitarre, Klavier). Seit
dem Chicago-Jazz spielt das Saxophon in der B. eine
wesentliche Rolle. In der Swing-Ara entstanden die
-> Big bands, in denen die Melodiegruppe noch in ein-
zelne Instrumentengruppen (brass section, reed section)
unterteilt wurde. Ein kleineres Ensemble (bis zu et-
wa 8 Musikern) — haufig Mitglieder einer Big band -
heiBt im modernen Jazz Combo (Abk.' fiir combi-
nation) oder Small band. Bekannte Comboformatio-
nen sind : Duo, Trio, Quintett, Swingtett, Septett, wo-
bei im modernen Jazz gegeniiber dem fruheren die
Verwendungsmoglichkeiten von Instrumenten erwei-
tert sind (Vibraphon, Harfe, F16te).'Besteht eine B. aus
lauter beruhmten Musikern, so bezeichnet man sie als
All-star b. (All-stars). Eine Studio-B. ist jeweils spe-
ziell zu Schallplattenaufnahmea zusammengestellt.
80
Bar
Banda (ital.), Bande (frz.), Band (engl.), eine Grup-
pe von Musizierenden, ein Instrumentalensemble. So
hieBen die 24 violons Ludwigs XIV. La grande bande
(zur Unterscheidung von den 16 petits violons), die 24
Fiddlers Karls II. von England The King's private band.
Im Jazz ist -> Band ein Ensemble nicht bestimmter
Grofie. Im Orchester bezeichnet B. den Chor der Blech-
blaser, auch das Biihnenorchester; B.istauch die -*Har-
moniemusik, B. turca die->-Janitscharenmusik.
Bandola (span., auch vandola), ein kleines lautenarti-
ges Zupfinstrument mit birnenformigem Corpus, kur-
zem Hals und 4-6 doppelchorigen Saiten. Die Stim-
mung war nach Amat im 16./17. Jh. d g c e a d.
Bandonion, eine um 1846 von dem Krefelder Musi-
ker H. Band (1821-60) verbesserte -> Konzertina mit
zunachst 64, dann 88 und 130 Tonen. Die Grundan-
ordnung der Konzertina wurde beibehalten, die Knopf-
anlage au£ 5 Reihen verteilt. Die aufiere Form blieb
viereckig. Spater wurde der Tonumfang erweitert (bis
zu 200 Tonen), aber ohne systematische Anordnung.
1924 schuf die Bundestagung des damaligen Deut-
schen Konzertina- und B.-Bundes in Essen eine 144to-
nige Einheitstabelle. Die Notierung erfolgte anfang-
lich, wie bei der Konzertina, im Waschleinensystem,
spater auch in Grifftonschrift. Den Mangel an Uber-
sichtlichkeit in der Tonanordnung des wechseltonigen
B.s wollte der Berliner Instrumentenbauer J. Zademack
(1874-1941) 1902 mit seinem chromatischen B. be-
seitigen, das auf alien Knopfen gleiche Tone im Auf-
und Zudruck hatte. Fur die noch unvollkommene
Tonanordnung der linken Hand entwickelten 1926
R.Micklitz (* 1898) und E.KuBerow (* 1897) eine
neue Anlage, in der die 12 Halbtone in 4 Quer- und 3
Langsreihen liegen. Ahnliche Anlagen, die aber meist
nach kurz'er Zeit wieder verschwanden, waren u. a.:
das Chromatiphon von H.Stark, die Chroma-Con-
zertina von Mathai, das Tetrachord-B. von J. Franke,
die chromatische Konzertina von H.Meyer, das Ban-
do-Piano der Firma Topel. Das Spielgut der B.-Grup-
pen beschrankte sich zunachst auf Unterhaltungsmusik.
Seit 1930 wurde unter dem EinfluB von E. G. Naumann
eine kiinstlerische Belebung der B.-Literatur bemerk-
bar. Fur B. solo und Spielgruppen komponierten u. a.
H.Ambrosius, F.Fr. Finke, G.Lampe, K.Schwaen. B.-
Schulen schrieben u. a. A. und H.Band, J.Dupont, L.
Gnaust, E.KuBerow, H.Pfundt, H.Schlegel.
Lit. : Allgemeine Bandonionzeitung, spater als : Allgemeine
Konzertina- u. Bandonionzeitung, Lpz. 1895-1906; A.
Roth, Gesch. d. Harmonika-Volksmusikinstr., Essen
1954. EKu
Bandura (russ.), ein cister- oder lautenartiges Instru-
ment mit ovalem bis rundem Corpus, das in einen kur-
zen Hals iibergeht. Ahnlich der Zither hat die B. neben
(meist 6-8) Melodiesaiten, die zum Wirbelkasten am
Hals laufen, unverkiirzbare Saiten (bis zu etwa 40), die
tiber das Corpus vom Saitenhalter bis an die Zarge ver-
laufen. Die B. wird mit Plektron gespielt. Wahrschein-
lich aus dem Orient oder Siideuropa kam sie im 15./16.
Jh. nach RuBland, wo sie besonders in der Ukraine
volkstiimlich wurde und die Kobza (-* Qopuz) ver-
drangte. Die B. panskaja (»herrschaftliche« B., russ.
auch Torban, von Theorbe) hatte 2 Wirbelkasten.
Lit. : A. S. Faminzyn, Domra i srodnyje jej mus. instr.
(»Die Domra u. d. ihr verwandten Musikinstr. d. russ.
Volkes«), St. Petersburg 1891.
Bandurria, eine spanische Diskantcister, nach Ber-
mudo mit 3 Saiten, die im Abstand von Quinte und
Quarte gestimmt sind, mit 6-7 oder 10 Biinden, dane-
ben auch bundlos. Im 18. Jh. ist sie mit sechs doppel-
chorigen Saiten (gis cisi fis 1 h 1 e 2 a 2 ) und 12 Biinden
nachgewiesen.
Lit.: J. Bermudo, Declaracion de instr. mus., (Osuna)
1555, Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, = DM1 1, 11, 1957.
Banjo, urspriinglich ein Instrument der afrikanischen,
dann der nordamerikanischen Neger, eine Schlaggi-
tarre mit langem Hals und einem dem Tamburin ahn-
lichen Schallkorper. Der Bezug besteht meist aus 5-7
(seltener bis 9) Darmsaiten. Die gebrauchlichen Stim-
mungen (eine Oktave tiefer klingend als notiert) sind:
g 2 1 c 1 g 1 h 1 d 2 oder g d 1 g 1 h 1 d 2 oder g 2 1 g c 1 d 1 g 1 hi d 2 .
Die kiirzeste Saite, links bzw. oben, unmittelbar ne-
ben der tief sten gelegen, ist die Melodiesaite, die f iir das
Daumenspiel bestimmt ist. Vom Saitenhalter laufen
die Saiten tiber einen auf der Fellbespannung ange-
brachten Steg zur Wirbelplatte mit hinterstandigen
Wirbeln, wahrend die Melodiesaite mit einem links
des Halses angebrachten Wirbel gestimmt wird. Das
B. wird in seiner primitivsten Form (Kiirbisschale,
Pferdehaarsaiten) gegen Ende des 18. Jh. zum ersten
Mai beschrieben. Es gelangte im 19. Jh. nach Portugal
und England und nach Nordamerika und schlieBlich
nach Europa, wo es auch mit (etwa 20) Metallbiinden
versehen und mit Metallsaiten bespannt wird. Das B.
findet sowohl zur Gesangsbegleitung als auch solistisch
Verwendung. Es wird entweder mit den Fingern
(Daumen, Zeige- und Mittelfinger) oder mit einem
Plektron gespielt. Es gibt verschiedene Arten von B.s
(Zither-B., Tenor-B., BaB-B., Kontrabafi-B., B.-Man-
doline, Piccolo-B. u. a.). Im Jazz und in der lateiname-
rikanischen Tanzmusik war das B. das wichtigste Be-
gleitinstrument der Ballads und der Minstrels (-> Min-
strelsy) in der 2. Halfte des 19. Jh. Es hielt sich bis etwa
1930 als wichtiger, wenn auch nicht vielseitig verwen-
deter Bestandteil der Rhythm section der Jazzband,
wo es als 4saitiges Tenor-B. (Stimmung: c 1 g 1 d 2 a 2 ),
seltener als 5saitiges Plektron-B. vorkam. Wegen der
technischen und klanglichen Beschranktheit seiner Mit-
tel wurde das B. im Jazz bald von der ->■ Gitarre ver-
drangt und tauchte erst wieder in der bewufit archaisie-
rendenKlangwelt derRevival-Bewegung in den 1940er
Jahren auf. Seitdem kann das Tenor-B. seinen Platz
als Begleit- und Soloinstrument in den Dixieland-
Bands der Jazzamateure behaupten. - Bedeutende B.-
Spieler waren u. a. im 19. Jh. Horace Weston, Edward
C.Dobson; im Jazz der 1920er und 30er Jahre John
StCyr, Bud Scott, Elmer Snowden, Buddy Christian,
Charlie Dixon. Eine Tenor-B.-Schule verfaBte Kl.
Buhe (Mainz 1962, mit Schallplatte).
Lit. : G. A. Keeler, Notes on Trick Solo Playing on the B.,
London 1 940 ; A. P. Sharpe, The B. and You, London 1 952.
Bar (Barform) bezeichnet im ->• Meistersang die fur
das Meisterlied verbindliche Form des Strophenbaues.
Die Strophe besteht aus einem ersten Teil, dem Stol-
len, auch Gesatz genannt, dem ein metrisch gleichfor-
miger Gegenstollen (oder Gebaude) folgt, die zusam-
men den Aufgesang bilden. Der dritte, abschlieBende
Strophenteil, der Abgesang, ist metrisch vom Aufge-
sang verschieden und kiirzer als dieser, jedoch linger
als ein einzelner Stollen. Der Umfang dieser Meister-
singerstrophe kann bis zu 100 Versen betragen. Die
Zahl der Strophen eines Liedes ist meist ungerade (3, 5,
7 bis 13 Strophen). Das 3strophige Lied ist am haufig-
sten. Eindeutig gelangt der B. als Formprinzip des Mei-
sterliedes erst musikalisch zur Darstellung, indem die
fur das Gesatz festgelegte Melodie im Gegenstollen
wiederholt wird, und der Abgesang eine eigene Melo-
die erhalt, so daB sich die einfachste musikalische Form
des B. als A A/B darstellt. Bei dem Reprisen-B. wird
das Gesatz im AnschluB an den Abgesang wiederholt
81
Barbat
(A A/B A), audi variiert (A A/B A'). Diese musikali-
schen Wiederholungen sind nicht immer an die sprach-
lich-metrische Form des Textes gebunden. Die Form
des Reprisen-B. wird im friihen Meistersang (Kolmarer
Handschrift) bevorzugt. - Formungen nach Art des B.,
die ein Grundprinzip liedhaf ter Bildung auspragt, fin-
den sich u. a. auch bei den spatantiken und friihmittel-
alterlichen Hymnen, in der Trobadorlyrik (->• Kanzo-
ne), im Minnesang, im evangelischen Kirchenlied, in
geistlichen und weltlichen Liedern der Barockzeit und
im romantischen Klavierlied (Schubert, Schumann,
Brahms). Mit Hilfe eines erweiterten Verstandnisses
des B. versuchte A.->-Lorenz, die musikalische Gliede-
rung kleinerer und groBerer Abschnitte in R. Wagners
Musikdramen zu erfassen. Wagners Erklarung von
»Bar« (Die Meistersinger von Niimberg, 1. Akt, 3. Szene,
und 3. Akt, 2. Szene) ist historisch nicht gerechtfertigt.
Lit. : A. Lorenz, Das Geheimnis d. Form bei R. Wagner,
4 Bde, Bin 1924-33; A. Heusler, Deutsche Versgesch., 3
Bde, Bin u. Lpz. 1925-29; Fr. Gennrich, GrundriB einer
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932 ; K. Gudewill, Die
Barform u. ihre Modifikation, Kgr.-Ber. Liineburg 1950;
W. Serauky, Die Todesverkiindigungsszene in R. Wag-
ners »Walkure« als mus.-geistige Achse d. Werkes, Mf XII,
1959.
Barbat (persisch), ein Zupfinstrument, wahrschein-
lich eine Kurzhalslaute, das vom 4. Jh. an bei den sas-
sanidischen Persern nachgewiesen ist. Von den arabi-
schen Theoretikern des Mittelalters nennt es Avicenna
als ein dem 'Ud ahnliches Instrument.
Lit.: Avicenna, Kitab as-Sifa, frz. in: R. d'Erlanger, La
musique arabe II, Paris 1935; H. G. Farmer, Studies in
Oriental Mus. Instr. II, Glasgow 1939.
Barbershop harmony (b'a:baj3p h'a:m3ni, engl.-
amerikanisch), Slangbezeichnung fur parallele Stimm-
fiihrung in Vokalgruppen. Bevorzugt werden dabei
zur Begleitung einer Liedmelodie vor allem Quint-,
Quart- und Terzparallelen, wodurch der klangliche
Eindruck besonders kompakt wirkt und sich haufig
Zusammenklange ergeben, die nicht f unktional zu ver-
stehen sind. Namen und Entstehung verdankt die B. h.
dem Friseursalon in kleinen Stadten - oft mit Alkohol-
ausschank verbunden -, in dem als allgemeinem Treff-
punkt zum Zeitvertreib auch gesungen wurde. Die
B. h. entstand zwar als volkstumliche Gesangsmanier
der weiBen amerikanischen Bevolkerung, verband sich
aber unter den Negern bald mit der Vokaltechnik im
-*■ Negro spiritual. Seit der Swing-Ara fand die B. h.
auch im Vokalgruppengesang des Jazz Verwendung,
ist jedoch heute weitgehend in den Bereich der Unter-
haltungsmusik abgegUtten.
Barbitos (griech. pdtpPrax;, spathellenistisch auch
(3<xp(3i.Tov), - 1) ein der altgriechischen -> Lyra ahnli-
ches, von ihr aber bereits in der Antike nicht immer
klar unterschiedenes Saiteninstrument asiatischer Her-
kunft. Der Name B. scheint erstmals durch Sappho
(fr. 176 Lobel-Page) bezeugt zu sein. Auf Grund von
Pindar fr. 125 nimmt man an, daB das Instrument ver-
haltnismaBig tief geklungen hat und daher moglicher-
weise groBer als die gewohnliche Lyra war. Versuche,
auf Vasendarstellungen zwischen B. und Lyra zu un-
terscheiden, sind iiber das Stadium bloBer Hypothesen
noch nicht hinausgekommen. - 2) im 17. Jh. seltener
antikisierender Name verschiedener tiefklingender
Saiteninstrumente (Violon, Viole, BaBlaute).
Barcelona.
Lit.: F. Virella Cassanes, La opera en B., B. 1888; A.
EiJas de Molins, Diccionario biogr.-bibliogr. de escritores
y artistas catalanes del s. XIX, 2 Bde, B. 1889; Fr. de P.
Baldello, La miisica de l'antic concell barceloni, B. 1929 ;
ders., La miisica en B., B. 1943; ders., Los organos de la
basilica parroquial de Nuestra Seftora de los Reyes (Pino)
de B., AM IV, 1949; H. Angles, La miisica a Catalunya
fins al s. XIII, = Publicaciones del Departamento de miisi-
ca de la Bibl. de Catalufla X, B. 1935; M. J. Bertran, El
Gran Teatro de Liceo de B. 1837-1930, B. 1931 ; J. L. de
Grignon, Musique et musiciens fr?. a B., musique et musi-
ciens Catalans a Paris, B. 1935; J. Subira, La opera en los
teatros de B., 2 Bde, B. 1946 ; J. M.a Madurell, Documen-
tos para la hist, de maestros de capilla ... (u. ahnliches),
AM III, 1948 - VI, 1951 ; M. Valls, La miisica catalana
contemporanea, B. 1960.
Barden (keltisch + bardo; galisch, irisch, kymrisch
bard, Sanger; lat. bardus, von dort als barde im 16. Jh.
ins Franzosische und seit der Mitte des 17. Jh. als Barde
ins Deutsche), Sanger und Dichter der Kelten (in Gal-
lien, England, Schottland, Irland), bildeten mit den
Druiden die oberste Kaste und hatten zum Crwth Hel-
denlieder und religiose Gesange vorzutragen. Von ihrer
esoterisch gepflegten Kunst ist aus der friihen, vorro-
mischen Zeit nichts uberliefert. Im hohen Mittelalter
gab es B. als hofische Dichter eigenen Standes in Wales,
Irland und Schottland; ihre letzten Nachfahren wirk-
ten noch bis ins 18. Jh. Die Germanen kannten keine
B. - Klopstocks Hermanns Schlacht. Ein Bardietfiir die
Schaubiihne (1769) erneuerte das Wort im Gedanken an
Barde. Doch beruht diese Emeuerung auf dem sachlich
und sprachlich miBverstandenen barditus des Tacitus
(Germania III), womit der Schildgesang der Germanen
beim Beginn der Schlacht bezeichnet war.
Lit. : J. C. Walker, Hist. Memoirs of the Irish Bards, Lon-
don 1 786 ; E. Jones, Mus. and Poetical Relicks of the Welsh
Bards, London 1784, 21794; Sketches of the Origin, Pro-
gress, and Effects of Music, with an Account of the Ancient
Bards and Minstrels, hrsg. v. R. Eastcott, Bath 1793; G.
deLaRue, Essaishist. surlesbardes . . .,3 Bde, Caen 1834;
H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905, 21920; V. Lede-
rer, fiber Heimat u. Ursprung d. mehrst. Tonkunst, Lpz.
1906 ; G. Borrow, Celtic Bards, Chiefs and Kings, London
1928 ; W. Evans, The Bards of the Isle of Britain . . . , Lon-
don 1930; I. Williams, Lectures on Early Welsh Poetry,
Dublin 1944.
Bariolage (bariol'a:;, frz. ; von lat. variolagium, Ab-
wechslung), Bezeichnung fur die Vertauschung von
Klangfarben auf der Violine, wenn bei raschem Saiten-
wechsel der hohere Ton auf der tieferen Saite gespielt
wird, besonders gebrauchlich beim Wechsel von leerer
Saite und gegriffenem Ton, z. B. in J. S.Bachs Violin-
konzert A moll, BWV 1041, 3. Satz:
oder im Praludium der Partita f iir V. solo E dur, BWV
1006.
Bariton (ital. baritono, von griech. papuxovo?, tief-
tonend), - 1) Baritonans (lat.) oder Baritonus bezeich-
net im 16. Jh. gelegentlich anstelle von Bassus oder Ba-
sis die tiefste Stimme eines Satzes, so bei Ornitoparch
1517 und Galliculus 1520, wohl zuerst bei Gaffori 1496
(Practica Musice III, 11), der den Baritonans als pars seu
processus gravior in compositions cantilenae definiert und
mit contratenor gravis gleichsetzt. - 2) Im 17. und 18. Jh.
wurde im mehr als 4st. Satz die zwischen Tenor und
BaB liegende Stimme Bar. genannt (frz. -»- Concor-
dant), so schon bei Viadana 1612. Praetorius (1619)
verwendet Barytonus synonym mit Tenor, Quintus
und Vagans fiir Stimmen, die im f-Schliissel, der auf
der Mittellinie steht, aufgezeichnet sind und c nicht un-
terschreiten. - Bezeichnet das Wort Bar. demnach zu-
nachst eine Lagenstimme, so wurde es spater zur Be-
nennung einer Stimmlage im Umfang A-e^g 1 (frz.
baryton; engl. baritone), der schonsten alter mannlichen
82
Barock
Stimmgattungen, welche die Wtirde und Kraft der Bafi-
stimme mit dem Glanz der Tenorstimme vereinigt (Rie-
mann). Etwa seit Mozarts Don Giovanni (1787) wird
der Bar. in Opern oft als Hauptpartie im Kontrast zu
den meist dominierenden Tenorpartien verwendet.
Man unterscheidet einen hohen Bar. (friiher Tenor-
Bar, genannt) und einen tiefen Bar., den BaB-Bar. (frz.
basse chantante, friiher basse-taille). Die Biihnenpraxis
unterscheidet verschiedene Facher. Der lyrische Bar.,
der meist auch die Aufgaben des Spiel-Bar.s iiber-
nimmt (Figaro im Barbiere di Siviglia, Papageno in der
Zauberftote), ist das reichhaltigste Fach der Manner-
stimme (Mozart: Don Giovanni, Graf in Le Nozze di
Figaro; zahlreiche Partien bei Verdi; Wagner: Wolf-
ram im Tannhauser; Puccini: Sharpless in Madama
Butterfly)- Dem Charakter-Bar. fallen Partien zu wie
z. B.: Amonasro (Aida), Scarpia (Tosca), Mandryka
(Arabella), Amfortas (Parsifal). Der Helden-Bar. be-
notigt dramatische Wucht und groBe Stimmkraft,
z. B. Wotan, Wanderer (Ring des Nibelungen), Telra-
mund (Lohengrin) und die Titelpartie in Der Fliegende
Hollander. - 3) Das in der Harmoniemusik verwendete
Blechblasinstrument Bar. (auch Euphonium, Tenortu-
ba, TenorbaB, Baritonhorn; engl. euphonium, frz. bas-
se a pistons; ital. eufonio; span, bombardino) ist ein
Ventilhorn, das um die Mitte des 19. Jh. erfunden wur-
de und wie das Tenorhorn in B und C steht, 3-4 Ven-
tile hat und in aufrechter wie ovaler Form vorkommt.
Es ist jedoch weiter mensuriert, hat deshalb einen mas-
sigeren Klang und spricht besonders gut in der Tief e an
(sogar der erste Naturton). Aus diesem Grund wird ihm
im Blasersatz meist nicht die Tenorlage zugewiesen
wie dem Tenorhorn, sondern es ubernimmt mit der
BaBtuba BaBfunktion.
Lit.: zu 2): M. Kunath, Die Charakterologie d. stimm-
lichen Einheiten in d. Oper, Zf Mw VIII, 1925/26 ; P. Bruns,
Der B.-Tenor, Bin (1932).
Barkarole (ital. barcaruola von barca, Boot, Barke;
frz. barcarolle), Arbeitslied der Gondelfiihrer in Vene-
dig, die von der schaukelnden Bewegung ihrer Schiffe
und dem Ruderschlag zur Erfindung ihrer auf Dialekt-
Texte vorzugsweise im 6/8-Takt gesungenen B.n an-
geregt worden sein mochten. Bezeichnend fiir die B.
ist auBer ungeradem Takt auch weiche Mollmelodik;
in der seit Beginn des 18. Jh. nachweisbaren Kunstform
B. wurden beide Charakteristika bewahrt. Die pitto-
reske Staffage des venezianischen Gondelliedes trug
ebenso zu seiner Verbreitung in der Oper bei, wie sie
ihm den Salon der Biedermeierzeit offnete: von A.
Campras Ballettoper Les fetes uenitiennes (1710) iiber
Paisiellos Re Teodoro, Webers Oberon, Opern von He-
rold, Auber, Donizetti, Rossini, Verdis Otello, Offen-
bachs »Hoffmanns Erzahlungen« bis zu J. StrauB' Eine
Nacht in Venedig reicht die Reihe der Opern-B.n; durch
Mendelssohn wurde die B. in der Klaviermusik hei-
misch (Lieder ohne Worte op. 19, 6, op. 30, 6 und op. 62,
5), wahrend Schubert als einer der ersten Kunstlieder
als B.n zu stilisieren begann (Auf dem Wasser zu singen;
Des Fischers Liebesgliick). B.n fiir Klavier komponierten
u. a. auch Chopin (Barcarolle op. 60), Liszt (Gondoliera
in Venezia e Napoli der Annies de Pelerinage), G.Faure
(13 B.n) und B.Bartok (B. in: Im Freien, 1926).
Barock. Der Terminus B. (heute meist der, friiher
das B.; ital. barocco; frz. baroque), bezieht sich ent-
stehungsgeschichtlich auf das Schiefrunde der Perlen-
muschel und wurde, wie alle nichtklassizistischen Ter-
mini, zunachst in einem geringschatzigen Sinn ge-
braucht. In der Baukunst bezeichnete er das Bizarre,
Unformige, Ausladende im Gegensatz zu der edlen
Einfalt und dem EbenmaB der Kunst des Klassizismus,
sei es der Renaissance, sei es der Aufklarung. J.-J. Rous-
seau schreibt in seinem Dictionnaire de musique (1767)
unter dem Stichwort Baroque: Une Musique Baroque
est celle dont VHarmonie est confuse, chargee de Modulations
et de Dissonnances, le Chant dur peu nature!, I'Intonation
difficile, le Mouvement contraint. In dem Musikalischen
Lexikon von H.Chr. Koch (1802) heiBt es unter dem
Stichwort B. : Mit diesem Kunstausdrucke bezeichnet man
ein Tonstiick, in welchem die Melodie oft in schwer zu in-
tonirenden Intervallen fortschreitet, die Harmonie verwor-
ren, und der Satz mit Dissonanzen und ungewohnlichen
Ausweichungen uberladen ist; und unter dem Stichwort
Singend : Insbesondere verstehet man aber darunter das Fafi-
liche und Zusammenhdngende der Melodie, welches man
dem Holperichten und dem, was man barock nennet, entge-
gensetzt. Der Geschmack fiir den B. (gout baroque)
war aus Italien und Frankreich nach Deutschland
iibertragen worden und bevorzugt in der Architektur
und Plastik das »Malerische«, in der Musik den con-
certierenden Stil. Aus der Architekturgeschichte wurde
die Bezeichnung auf die Musik- und die Literaturge-
schichte, schlieBlich auf die Gesamthaltung der euro-
paischen Kunst von etwa 1600 bis etwa 1740 iibertra-
gen. Die anf angliche Auffassung des B.s als einer kiinst-
lerischen Verfallserscheinung ist zuerst von C.Gurlitt
(Geschichte des Barockstiles, 3 Bande, 1887-89) und H.
Wolff lin (Renaissance undB., 1888) griindlich revidiert
und ins Positive gewendet worden. Seither ist der Ter-
minus B. weit verbreitet, auch in der Musikgeschichte,
aber keineswegs allgemein gebrauchlich, weder in den
deutschsprachigen noch in den romanischen Landern,
wo er iibrigens meist abgelehnt wird. Eine gewisse Un-
scharfe und Widerspriichlichkeit hat B. mit denjenigen
Begriffswortern gemeinsam, die sehr viel spater liegen
als der historische Sachverhalt, der mit ihnen bezeich-
net wird. H. Riemann gebraucht den Terminus B. nicht
und benennt die B.-Epoche Generalbafizeitalter. Der B.
in der Musik greift mit seiner Friihstufe bis 1570 zu-
riick, seine Hochstufe wird bis 1680 gerechnet, und
seine Spatstufe lauft breit in das 18. Jh. aus, bis sie im
Sturm und Drang der »Geniezeit« ihrer Formen un-
sicher wird, zerfallt und untergeht. Demnach erstreckt
sich der Musik-B. zwischen dem Jahrhundert der Kir-
chenspaltung und dem Jahrhundert Goethes; musik-
geschichtlich zwischen den groBen Meistern Senfl und
Gluck. Im Allgemeinbewufitsein der Musiker und Mu-
sikfreunde ist der spate B. bekannter als seine Friihzeit,
wobei nur an Vivaldi und D.Scarlatti in Italien, Fr.
Couperin und Rameau in Frankreich, Purcell in Eng-
land sowiej. S. Bach, Handel und Telemann in Deutsch-
land zu denken ist. Das epochal Neue der B.-Musik ist
die GeneralbaBmonodie und die neue Musizierform
des -> Concerto. Sie verbreiteten sich von Italien aus
iiber die alteuropaische Musikwelt. Die Vorherrschaft
Frankreichs und der Niederlande wurde von derjeni-
gen Italiens abgelost. Kantate, Madrigal, Oper, Ora-
torium, Arie und Rezitativ sind Gattungen der italieni-
schen Musik, die sich die anderen Lander Europas zum
Vorbild nahmen. Von iiberall her wanderten Musiker
nach Italien; italienische Komponisten und Kapellmei-
ster, Sanger und Sangerinnen, Instrumentalvirtuosen
und Impresarios fanden Anstellung an den Hofen und
Kirchen aufierhalb Italiens. In Paris z. B. schuf der Ita-
liener Lully das barocke Musiktheater mit seiner Tra-
gedie lyrique und seiner Comedie-ballet. Das Neue
war in Itahen mit einer Kampfstellung gegen die alte
Kunst des Kontrapunkts hervorgetreten. Kontrapunk-
tische Chorpolyphonie, so hieB es, verstiimmele den
Text bis zur Unkenntlichkeit infolge der sich iiberla-
gernden Stimmen und der damit zusammenhangen-
den Ungleichzeitigkeit des Textvortrags. Ihr Vorbild
83
Barock
fur eine neue Monodie wollten die Musiker der Flo-
rentiner Camerata in der Einstimmigkeit der antiken
Musik sehen. Caccini, Sanger und Lautenist am Hof
der Mediceer in Florenz, veroffentlichte 1602 seine
Nuoue musiche, deren Entstehung zum Teil bis 1585 zu-
riickreicht. Es sind strophische und durchkomponierte
Arien und Madrigale fur 1 Singstimme mit General-
bafi. In der Vorrede spricht Caccini von una certa nobile
sprezzatura di canto. . . senza sottoporsi a misura ordinata
(»einer gewissen vornehmen Leichtigkeit des Gesangs
. . . ohne sich einem vorgeordneten ZeitmaB zu un-
terwerfen«). Als Solosanger, der auf der Laute sich
selbst zum Gesang begleitete, machte Caccini sich von
der Bindung an eine objektive Zeitordnung (con misu-
ra) leichter frei als es der Sanger im Verband einer
Chorgemeinschaft vermochte. Im solistischen Gesang
sollte die Dichtung inhaltsgemaBer dargestellt und der
Gehalt der Textworte durch affettuose Deklamation
besser ausgeschopft werden. Bei dem mit Caccini be-
freundeten Monteverdi erlangt die neue Art von Mu-
sik und Musizieren senza misura ihre geniale Verwirk-
lichung. Im 8. Buch seines Madrigalwerkcs (1638) fin-
det sich die szenische Kantate Lamento della Ninfa, wo
die polyphonen Chore in Einzelstimmen gedruckt
sind, perche si cantano al tempo de la mano (nach dem
ZeitmaB des gleichmaBigen Auf- und Niederschlages
der Hand des Kantors), wahrend das Lamento (mit 3
Singstimmen und Gb.) in Partitur gedruckt ist, qual va
cantato a tempo del'affetto del animo e non a quelle de la
mano (nach dem freien ZeitmaB des Affekts der Seele,
nicht nach dem Mensurschlag der Hand des Kantors).
So heftig in der Friihzeit der B.-Musik der Kampf ge-
gen den Kontrapunkt gefiihrt wurde, so stark sind
andrerseits auch wiederum die Bindungen an die alte
motettische Kunst. Sie wird beibehalten und mit den
neuen concertierenden Errungenschaften ausgestattet.
.Es entsteht aus dem durch die imitierende Motette be-
stimmten Ricercar des 16. Jh. das monothematische
Ricercar (Sweelinck, Bach im Musicalischen Opfer) und
die auf ein einziges Thema (subjectum) konzentrierte
Fuge, die bei Handel und Bach ihre Kronung findet,
auch erweitert zur Doppel- und Tripelfuge. Die Ko-
existenz der beiden Stile, des alteren mensuralen, alt-
niederlandischer Herkunft, wie er in der Motetten-
und Orgelkomposition fortlebte, und des neuen con-
certierenden Stils italienischer Herkunft, der in der
Monodie und im Rezitativ sich auswirkt, ist fur den B.
in Deutschland kennzeichnend. So schreibt H. Schiitz
in seiner Ceistlichen Chor-Music (1648) 5- bis 7st. Mo-
tetten im Stilus gravis (antiquus) und fordert von den
jungen Komponisten die Beherrschung des alten Stylus
ohne den Bassum continuum als Grundlage fiir den neuen
madrigalischen und concertierenden Stil. Das Fortbe-
stehen des alten Stils bildet ein beharrendes Prinzip in der
B.-Musik, hesonders in der Kirchenmusik. Neue Ten-
denzen richten sich auf eine gesteigerte Wirkung der
Musik, die den Horer erregen (stile concitato) , ihn iiber-
reden und iiberzeugen will. Dabei ist u. a. an die mehr-
chorige Klangfiille der deutschen Psalmenkompositio-
nen fiir Soli, Chore und Orchester zu denken, mit de-
nen M.Praetorius und H. Schiitz 1619 die Epoche der
B.-Musik in Deutschland eingeleitet haben, oder an
den vielstimmigen Kolossalstil der Festmesse fiir die
Einweihung des Salzburger Doms von O.Benevoli
(1628) mit 53 Stimmen, 16 vokalen in 4 Choren, 34 in-
strumentalen, 2 Orgeln und Basso continue Die Stei-
gerung des Ausdrucks und der Wirkung zeigt sich
auch in der musikalischen Oratorie (-»■ Figuren); die
musikalisch-rhetorische Figurenlehre erfahrt im B. ih-
ren systematischen Ausbau. Monteverdi hatte die neue
Stilbildung als seconda prattica bezeichnet und ihr den
alten Stil als prima prattica gegeniibergestellt. Die For-
derung der Seconda pratica lautet: L'orazione sia pa-
drona dell'armonia e non serva. Auch in Frankreich rich-
tet eine Gruppe von Dichtern und Musikern der 1570
von A. de Baif und T. Courville in Paris gegriindeten
Academie de Poesie et de Musique ihre Bemuhungen
auf eine engere Verbindung von Sprache und Musik
nach antiken metrischen Schemata. Sie unternahmen
Versuche mit einer musique mesuree a I 'antique, die auch
in Italien Eingang fand. Noch wichtiger fiir die B.-
Musik sollte die Umbildung des musikalischen Gefii-
ges im Sinne des Dreiklangs (-*• Trias harmonica) wer-
den. Homophone Klange verwendete in gesteigertem
MaBe bereits Josquin, und homophon waren zu seiner
Zeit vor allem die italienischen Lauden und Frottolen
angelegt. Fiir die B.-Musik ist der vertikal-klangliche
Bezug der Harmonik verbindlich; die Ausbildung des
GeneralbaBstils hangt mit einer auf die BaBstimme be-
zogenen akkordlichen Klanglichkeit zusammen, wah-
rend die Mittelstimmen, von einer der AuBenstimmen
abhangig, nur mehr eine fullende Bedeutung haben
und durch Bezifferung der BaBstimme angegeben
werden. Im 16./17. Jh. sind die Dur-Moll-Akkorde
noch vornehmlich im modalen Sinne, d. h. nach dem
Prinzip der Kirchentone, miteinander verknupft; im
spaten 17. Jh. dagegen setzt eine Beziehung der Akkor-
de auf bestimmte tonale Schwerpunkte ein (Tonika,
Dominante, Subdominante) und bestimmt ein neuar-
tiges harmonisches Spannungsverhaltnis den Werkab-
lauf der spatbarocken Komposition. Analog zu diesem
harmonischen Vorgang wird der Tactus zum Takt
umgeformt. War die motettische Kunst noch weithin
vom Tactus bestimmt, der in gleichmaBiger Folge die
mensuralen Einheiten anzeigte, so hatte sich in der
gleichzeitigen Tanzmusik bereits eine Folge von
»Schwer und Leicht« durchgesetzt, die als Taktschwer-
punkte auch in die Kunstmusik eindrangen. Der Takt-
strich, der Gruppen einer Schwereordnung markiert,
ist eine Erfindung der B.-Musik. In der spatbarocken
Instrumentalmusik kommt die mechanische Taktord-
nung zu allgemeiner Geltung, wenn auch mit kunst-
vollen Ausnahmen rhythmischer Gestaltung. Unter
den verschiedenen Formbildungen der B.-Musik ragen
hervor: Motette, Ricercar, Fuge; Kantate, Oper (seria
und buff a), Oratorium; Suite, Partita, Variation, Kan-
zone, Da-Capo-Arie, Gruppenformen des Concerto,
Trio als Kernform kammermusikalischer Satzkunst;
Rezitativ (secco und accompagnato), Arioso, Praelu-
dium, Toccata, Fantasie; Neapolitanische Sinfonia,
Franzosische Ouvertiire, Ensemble- und Solosonate
(da chiesa und da camera), mehr- und einstimmiges
Lied. Seit etwa 1650 setzte sich in der B.-Musik die so-
ziologische Einteilung nach selbstandigen Musikberei-
chen durch, denen je verschiedene musikalische For-
men und Gattungen mehr oder weniger fest zugeord-
net waren: Musica ecclesiastica (Kirchen-), musica cubicu-
laris (Kammer-) und musica theattalis (szenische Musik).
Lit.: C. Sachs, Barockmusik, JbP XXVI, 1919/20; Th.
Kroyer, Zwischen Renaissance u. B., JbP XXXIV, 1927;
R. Haas, Die Musik d. B., Biicken Hdb.; E. Wellesz,
Renaissance u. B., Zf Mw XI, 1 928/29 ; A. Della Corte, II
barocco e la musica, in: Melanges de Musicologie, Fs. L.
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Wesen d. mus.,B., ZfMw XVII, 1935; E. H. Meyer, Die
Vorherrschaft d. Instrumentalmusik im nld. B., TVer XV,
1939; W. Gurlitt, Der Bedeutungsanspruch deutscher
Barockmusik, Neues Musikblatt LXIX, Mainz 1941 ;
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men d. Barockzeitalters, hrsg. v. R. Stamm, = Slg Dalp
LXXXII, Bern u. Munchen 1956; A. Liess, Wiener B.,
= Wiener Musikbucher III, Wien 1946; M. F. Bukofzer,
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84
Bas-dessus
Lit.-Verz.); S. Clercx, Le baroque et la musique, Briissel
1948 ; W. Gerstenberg, Die Krise d. Barockmusik, AfMw
X, 1953 ; H. Tintelnot, Zur Gewinnung unserer Barock-
begrifTe, in : Die Kunstf ormen d. Barockzeitalters, hrsg. v.
R. Stamm, = Slg Dalp LXXXII, Bern u. Munchen 1956;
H. H. Eggebrecht, B. als mg. Epoche, in : Aus d. Welt d. B.,
Stuttgart 1957; R. Dammann, Die Struktur d. Musikbe-
griffs im deutschen B., Habil.-Schrift, Freiburg i. Br. 1958,
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cultura moderna 545, Bari 1960; Fr. Blume, Begriff u.
Grenze d. B. in d. Musik, STMf XLIII, 1961 : Le baroque
mus., = Les Congres et Colloques de l'Univ. de Liege,
Luttich 1964.
Barrd (frz., s. v. w. quergelegt, versperrt), in der
Technik des Lauten- und Gitarrenspiels Bezeichnung
fiir den Quergriff eines Fingers iiber mehrere Saiten;
dabei wirkt der greifende Finger als kiinstlicher Sattel
(-> Capotasto). Der B.-GrifE ist die Grundlage fiir das
Akkordspiel in den hoheren Lagen und fiir die Bewal-
tigung schwierigerer Tonarten. Der moderne Tanz-
gitarrist verwendet um der rhythmischen Prazision
willen vorzugsweise den B.-Griff.
Barrel-house style, Barrel-house piano (b'asisl-
haus stail, engl. barrel-house, Fafihaus; Lokal, in dem
Schnaps aus Fassern ausgeschenkt wurde). In den
Stadten der Sudstaaten der USA wurden die Barrel-
houses vor allem von Negern besucht. Die dort auftre-
tenden Musiker waren ebenfalls Neger, vor allem Pia-
nisten, die den B.-h. st. pflegten. Der B.-h. st. entstand,
als man begann, Blues auf dem Piano zu spielen (blues-
piano, d. h. Improvisieren iiber Bluesschemata) und
entwickelte sich seit der Mitte des 19. Jh. aus dem Jig-
piano, einem Vorlaufer des -> Ragtime. Es herrschen
ein harter, gestoBener Anschlag, in der linken Hand
rhythmisches Herausstellen des Basses und der Grund-
funktionen. Das Pedal wird nicht zur Tonverlange-
rung, sondern nur zum Treten des -»■ Beat verwendet,
in starkem MaBe treten Clusters auf. Zum Repertoire
derB.-h.-Pianistengehortenauch->- Stomp und -*■ Rag-
time, vor allem aber spater der -> Boogie-Woogie.
Dieselbe Spielweise des Pianos findet sich auch im Ne-
gerviertel Chicagos, in House-rent parties (auch -*■ Skiff-
le), die die Farbigen veranstalteten, um durch den Erlos
daraus die Miete abdecken zu konnen. Der B.-h. st.
wird haufig - ebenfalls iiber Bluesschemata - in Grup-
pen praktiziert, wobei zum Klavier noch Gitarre, Ban-
jo, Schlagzeug, Kazoo (Rohr mit Membrane), Jug (ir-
dener King, in den hineingesungen wird) und Wash-
board treten konnen. Dieselben Instrumentalgruppen
konnen aber auch Bluessanger oder -sangerinnen be-
gleiten. Bekannte Beispiele fiir diese Art des B.-h. st.
als Bluesvortrag sind die Race record-Aufnahmen von
Ma Rainey mit ihrer Tub-Jug-Washboard-Band.
Barrel-organ
Baryton (ital. Viola di bordone oder Viola di bardo-
ne, auch kurz Bardone), - 1) ein Streichinstrument,
von dem ein Exemplar zuerst 1656 belegt ist und das
bis ins friihe 19. Jh. bekannt war. Es ist aus der -»■ Viola
bastarda entwickelt und hat die GroBe der Tenor-
Gambe. Der UmriB des Corpus ist vielfaltig geschwun-
gen ; kennzeichnend sind die langgezogenen und weit-
ausladenden Mittelbiigel. Oft sind doppelte Schallocher
in gewundener Schlangen- oder Flammenschwertf orm
angebracht. Der Boden ist - ahnlich dem der Gambe -
flach und zum Oberteil hin leicht abgeschragt. Das B.
hat 6-7 Griffsaiten aus Darm (1. Saitenbezug), dazu 9-
28 (iiberwiegend 10-15 ->• Aliquotsaiten) aus Metall
(b'asjal 'o:g3n, engl.) ->■ Drehorgel.
(2. Saitenbezug). Diese laufen, von einem eigenen Sai-
tenhalter unter dem an seinem linken Unterteil ver-
breiterten Steg hindurch, unterhalb des Griffbretts ent-
lang und miinden im Wirbelkasten, wo sie durch Holz-
wirbel oder Metallschrauben gestimmt werden kon-
nen. Die Besonderheit des B. besteht darin, daB die
Aliquotsaiten nicht nur der Resonanzverstarkung die-
nen, sondern auch zum Anzupfen durch die Daumen-
spitze der linken Hand bestimmt sind. Daher ist der
Hals des B. ruckseitig offen. Ein seltener 3. Saiten-
bezug besteht aus BaBsaiten (Bordunen, aus Darm).
Diese befinden sich auf der Deckenseite und werden
mit dem kleinen Finger der rechten, den Bogen fiih-
renden Hand angeschnellt. Die Stimmung der Griff-
saiten ist nach Speer (1687) und Majer (1741) die
der Tenorgambe (iA) D G c e a d 1 , nach J. G.A1-
brechtsberger (1719) ein Ganzton hoher; die Stim-
mung der Resonanz- und Begleitsaiten ergibt eine
diatonische Skala. Albrechtsberger zufolge sind die 11
Saiten diatonisch (E-a) zu stimmen, bei groBerer An-
zahl wahlte man eine entsprechende VergroBerung der
diatonischen Skala oder untermischte sie mit Halbto-
nen; die auBerste Grenze war eine vollstandige chro-
matische Skala. Ober den Klang schreibt L.Mozart:
. . . eines der anmuthigsten Instrumente, und Koch (1802) :
ein Instrument von sehr lieblichem Tone. Das B. war vor
allem in Siiddeutschland und Osterreich beliebt. Die
altesten iiberlieferten Kompositionen fiir B. sind die
IX. Partien / auf die Viola Paradon / aus unterschiedlichen
Tonen . . . von Johann Georg Krause, die dieser dem
1704 verstorbenen Herzog Christian Ullrich von Wiirt-
temberg widmete. Ftirst Nikolaus Joseph Esterhazy,
Haydns Gonner, war ein bekannter Liebhaber dieses
Instruments ; Haydn hat daher 1766-75 Kompositionen
fiir das B. mit 6 Griffbrettsaiten D G c e a d' und 9 Be-
gleitsaiten G (A) d e fis g a h cisi d' geschrieben (et-
wa 175, teilweise 1799 beim SchloBbrand zerstort; mit
Sicherheit heute 165 nachweisbar, darunter 126 Diver-
timenti a tre per il B., Viola e Basso, ferner Duette, So-
naten, Kassationen, Konzerte). Auch A.Tomasini (24
Divertissements fiir B., V. und Vc), J. Burgkstein,
Neumann, A.Lidl, A.Kraft (Trios fiir 2 B.s und Vc),
Niemecz, F.Paer, J.Weigl, J.L.Eybler, V.Pichl (148
Stiicke fiir B.) schrieben fiir B. Mit dem 18. Jh. ging
die Bliitezeit des B. zu Ende. Es begegnet danach nur
noch vereinzelt, so wurde es noch von S.L. Friedel
(f 1842; Konigliche Kapelle Berlin) gespielt. - 2) eine
kleinere Abart des Violoncello (Stimmung eine Okta-
ve unter der Violine G d a e 1 ), von C.Henry (Paris
1847) erfunden, vermutlich auf Anregung des Pariser
Violoncellisten F.Battanchon (1814-93).
Ausg. : J. Haydn, 9 Divertimenti f. B., Va u. BaB, hrsg. v.
W. Woehl, 3 H., Kassel 1939-52; B.-Trios, Haydn-GA,
Reihe 14, Nr 25-96, hrsg. v. H. Unverricht, Munchen u.
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Lit.: J. Fr. B. C. Majer, Museum musicum (1732), Faks.
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KochL; C. F. Pohl, J. Haydn,.Bln u. Lpz. 1875-82, 1, S.
249ff., u. II, S. 304ff. ; G. Kinsky, Kat. d. Musikhist. Mu-
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Vorber. zu d. IX. Partien v. J. G. Krause); D. Fryklund,
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1962.
bas (ba, frz.) -> haut.
Bas-dessus (bads'u, frz.), mittlere Frauenstimme
(Mezzosopran oder Alt). -> Dessus.
85
Basel
Basel.
Lit. : K. Nef, Die Stadtpfeifereien u. d. Instrumentalmusi-
ker in B. 1385-1814, SIMG X, 1908/09; ders., Die Musik
an d. Univ. B., Fs. zur Feier d. 450jahrigen Bestehens d.
Univ. B.,B. 1910; W.Merian.B. Musiklebenim 19. Jh.,B.
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Jb. 1920, 1921, 1922; Fr. Berger, Das B.er Trommeln, B.
1928 ; M. F. Schneider, Alte Musik in d. Bildenden Kunst
B., B. 1940; Fr. Ernst, Die Spielleute im Dienste d. Stadt
B. im ausgehenden MA, B.er Zs. f. Gesch. u. Altertums-
kunde XLIV, 1945; Alte u. neue Musik. Das B.er Kam-
merorch. unter Leitung v. P. Sacher 1 926-5 1 , Zurich 1 9 52 ;
Fr. Morel, Org. u. Organisten im B.er Miinster, in: Die
Org. im B.er Miinster, B. 1956; ders., Schweizerische Mu-
sik im B.er Konzertleben friiherer Zeit, B.er Stadtbuch
1963 ; W. Nef, 25 Jahre Schola Cantorum Basiliensis, Jah-
resber. d. Musik-Akad. d. Stadt B. 1958/59 ; H. P. Schanz-
lin, B. private Musikpfiege im 19. Jh., B. 1961.
Basilarmembran ->■ Ohr.
Basis (griech., Sockel, Grundlage) begegnet in der
Summa musicae bei Beschreibung der dyaphonia und
triphonia basilica im Sinne des »Haltetons« im Orga-
num (->■ Diaphonia). Im 16./17. Jh. bezeichnet B.,
gleichbedeutend mit -> Fundamentum, die BaBstim-
me (Zarlino, Istitutioni harmoniche, 1558, III, 58: ... il
Basso . . . e posto per Basa et fondamento delV Harmonia) ,
auch den Grundton eines Akkords.
Basken.
Lit. : Ch. Bordes, La musique populaire des Basques, Paris
1 899 ; J. A. de Donostia, La musica popular vasca, Bilbao
1918 ; ders., Notas acerca de las canciones de trabajo en el
pais vasco, AM III, 1948; ders., Musica y miisicos en el
pais vasco, = Monografias vascongadas V, San Sebastian
1951 ; ders., Instr. mus. del pueblo vasco, AM VII, 1952;
ders., Hist. delasdanzasdeGuipuzcoa . . ., AM IX, 1954;
R. Gallop, The Development of Folksong in Portugal and
the Basque Country, Proc. Mus. Ass. LXI, 1935; J. Perez
Vidal, Endechas populares en tristrofos monorrimos s.
XV-XVI, La Laguna 1952.
Bafi (ital. basso, von mittellat. bassus, fest, dick, nied-
rig; frz. basse, seit dem 17. Jh.; engl. bass; span, bajo),
- 1) die tiefste Stimme einer Komposition, die als reale
oder abstrakt-theoretische die Bedeutung einer Grund-
stimme haben kann und die als Stiitze, Grundlage des
harmonischen Geschehens eine besondere ->• Stimm-
fiihrung aufweist. - Bereits frei erfundene Tenores na-
mentlich in Caccien des Trecento und in Motetten von
Ciconia um 1400 pragen in ihxer sprunghaften Fuh-
rung den Charakter einer Stutzstimme aus (-> Bor-
dun). Ab etwa 1430 (Dufay, Binchois) klausuliert der
-*■ Contratenor statt in herkommlicher Parallel- und
Oktavsprungkadenz zunehmend mit Quintfall (Dop-
peloktavkadenz). Damit war der Contratenor als Tief-
stimme legitimiert und - zunachst in Kadenzen - Tra-
ger einer dominantischen Klangbeziehung. Um 1450
spaltete er sich in Contratenor altus und bassus, letzterer
bald einfach bassus, auch -> Basis, Baritonans oder
-» Fundamentum genannt. Im Zusammenhang mit
dieser Entwicklung steht die ErschlieBung des tiefen
Klangraums, auch durch Instrumente wie die ->■ Zug-
trompete. Friihe Vorschriften fiir die Bildung einer B.-
Stimme gibt Guilelmus _ j
Monachus (um 1480 ; CS '""
III, 296f.), wobei er den Cantus
je vorletzten und letzten
Ton der Stimmen in ih-
rem Verhaltnis zum Te-
nor (C. f.) und in der
Reihenfolge Contrate-
nor bassus, Cantus (Su-
pranus), Contratenor al-
tus beschreibt. Bassus
Altus
Tenor
J J J J
m
j j j j
m
r r ' r
In der alle Stimmen gesanglich und gleichwertig be-
handelnden Chorpolyphonie seit Ockeghem pragte
sich der harmonische Fundamentcharakter des Basses
nur zogernd aus, um so mehr jedoch etwa in den volks-
tiimlichen italienischen Tanzliedern (Frottola, Villanel-
la), bald im einfachen Akkordsatz (Contrapunctus sim-
plex) auch anderer Gattungen und speziell in den seit
der Jahrhundertmitte gepflegten vielstimmig-mehr-
chorigen Kompositionen, die als erste den Bassus pro
organo fordern, eine Fruhform und als Basso seguente
eine der Arten des Generalbasses. Dieser bezeichnet ge-
wissermaften ein Ziel in der Entwicklung der B. -Stim-
me seit dem 15. Jh. : das Diskant-Tenor-Geriist ist nun
durch den Primat der AuBenstimmen verdrangt, wo-
bei der B. die Harmoniefolge tragt und fiihrt und in
Erfiillung dieser Aufgabe eine wesenhaft instrumentale
Stimme ist, sowohl in seinem Duktus als auch in seiner
Forderung nach kraftigerem Hervortreten. Der Gene-
ralbaB, eine gleichzeitig reale und theoretische Stimme,
wurde ausgefuhrt durch die -> Fundamentinstrumen-
te und durch die mit dem spaten 16. Jh. vermehrt auf-
kommenden Instrumente der B.- und KontrabaBlage,
deren Entwicklung erst mit der Tuba im 19. Jh. abge-
schlossen wurde. Viele Arten des Basses unterscheidet
das 17. Jh.: nach Lage (Schliisselung) den Bassus rectus,
major (hoher B.), minor (tiefer B.) und -*■ Bassett; im
Concertostil den Basso concertante und -> Basso ri-
pieno; undje nach Art und Bewegung der B.-Stimme
kennzeichnet man diese als -»• Ostinato, »figurierten«
B. (ital. basso figurato), »gehenden« oder »liegenden«B.
Nach dem Ende der GeneralbaBzeit gab es den B. wei-
terhin auch in der Art einer theoretischen Fundament-
stimme, so in der -»- Basse fondamentale Rameaus und
in Theorien Sechters, Schenkers, Riemanns und Hinde-
miths. In der weitgehend von der Melodie her konzi-
pierten funktionalharmonischen Musik des spateren
18. und beginnenden 19. Jh. wurde der B. als reale
Stimme oft zuriickgebildet und erscheint in der Kla-
viermusik haufig in den Formeln der Alberti-Basse
und Murkys. Namentlich seit Brahms jedoch wurde
wieder von einem fundierenden, zugleich aber als voll-
gultige Stimme ausgebildeten B. aus komponiert;
gleichzeitig wurden die konstruktiven Moglichkeiten
des Basso ostinato wiederentdeckt. Dagegen vermeidet
die Atonale Musik nach der Jahrhundertwende so wie
die Vorherrschaft eines Tones oder Klanges auch die
einer Stimme. - 2) die tiefste der Stimmgattungen. Die
Bezeichnung Bassist ist deutsch zuerst 1517 belegt. Man
unterscheidet den tiefen (zweiten) B. und hohen (er-
sten) B. (B.-Bariton, -> Bariton). DerUmfang des Bas-
ses ist regular E-d 1 , bei Beruf ssangern bis f 1 ; der tiefe
B. (ital. basso profondo; frz. basse profonde; engl. deep
bass) reicht etwas weiter hinab (etwa bis D, C), in ein-
zelnen Fallen bis (Kontra-)B. und tiefer, der hohe (ital.
basso; frz. basse, auch basse noble, basse chantante;
engl. basse, auch singing bass) nur bis A, wahrend in
der Hohe bei beiden die Grenze dieselbe ist oder hoch-
stens um I-IV2 Tone differiert (es^fis 1 ). Die Biihnen-
praxis unterscheidet zwischen B.-Buffo und seriosem
B. Der B.-Buffo, Vertreter des heiteren Fachs, benotigt
Sonoritat, stimmliches Charakterisierungsvermogen,
bravourose Deklamation und darstellerische Begabung.
Hauptpartien sind: Bartolo (Barbiere di Siviglia), Ba-
culus (Wildschiitz), van Bett (Zar und Zimmermann) ,
Ochs von Lerchenau (Rosenkavalier) . Der seriose B. er-
fordert stromende Fiille des Tones bei ausgiebiger Tie-
fe. Bekannte Partiensind: Sarastro(Zawfeer/io(e), Kaspar
(Freischiitz), alle B.-Partien Verdis und Wagners.
Bassanello (ital.), Holzblasinstrument des 16. und 17.
Jh., dem ->• Kortholt verwandt, mit Doppelrohrblatt,
86
Bassett
zylindrischer Bohrung, geradem Luftkanal und An-
blasrohr. Zum Stimmwerk gehorten BaB (C-e oder £),
Tenor-Alt (G-ci) und Diskant (d-gi). - Bassanelli 8'
und 4' stehen in alteren Orgeln als Zungenwerk von
»stillem« Klangcharakter, sind jedoch selten.
Basse contrainte (ba:s c5tr'e:t, frz.) -*■ Ostinato,
->• Basso continuo (- 2).
Basse-contre (bask'5:tr, frz.), s. v. w. sehr tiefe BaB-
stimme (Basse profonde).
Basse danse (ba : s da: s, frz. ; ital. bassa danza), Hof tanz
der Zeit um 1450-1525; nach Arbeau (1588) danse par
has ou sans sauter. Die B. d. ist in Frankreich, den Nie-
derlanden und Italien nachweisbar. Uber die eigentli-
che Bedeutung einer spezifischen Tanzform hinaus be-
zeichnet B. d. auch andere Schreittanze, wie sie an den
Fiirstenhofen und in der Adelswelt iiblich waren. Die
B. d. bestand aus einfachen und Doppelschritten, Seit-
warts- und Riickwartsschritten in mannigfacher Folge.
Sie ist vorwiegend geradtaktig mit 3facher Untertei-
lung. Eine zentrale Quelle der B. d. ist ein kostbares
Manuskript der Koniglichen Bibliothek in Briissel,
das aus dem Besitz der Margarete von Osterreich
(f 1530) stammt und neben einem einleitenden Trak-
tat 59 in schwarzen Breven (quadratische Choralnote)
aufgezeichnete Melodien nebst beigefugten Tanz-
schritten enthalt. Diese Melodien wurden als C. f. ver-
wendet, wozu die Spieler eine oder zwei andere Stim-
men improvisierend erfanden. Einige B. d.-Melodien
konnten als Chanson-Tenores nachgewiesen werden.
B. d.-Melodien wurden auch als Tenor-C. f . von Mes-
sen benutzt. Es war iiblich, auf eine gravitatische B. d.
einen ungeradtaktigen Springtanz folgen zu lassen
(Tourdion, Gaillarde, Saltarello). Die Attaingnant-
schen Sammlungen von 1529-30 enthalten 4st. B.s d.s,
die so angelegt sind, daB dieselbe Notierung im gera-
den Takt als Schreittanz und im ungeraden Takt als
Nachtanz dienen konnte. An Musikinstrumenten zur
Begleitung der B. d. sind verschiedene Zusammenstel-
lungen gebrauchlich gewesen, z. B. Schalmeien und
Trompete; oder Laute, Harfe, Trommel; oder Zink,
Posaune und Schnabelflote mit kleiner Trommel.
Ausg.: LeMs. ditdesB. d.delaBibl.deBourgogne, = Soc.
des Bibliophiles et Iconophiles de Belgique, Faks. hrsg. v.
E. Closson, Brussel 1912.
Lit. : H. Riemann, Die rhythmische Struktur d. B. d. d. Hs.
9085 d. Briisseler Kgl. Bibl., SIMG XIV, 1912/13 ; E. Clos-
son, La structure rythmique des B. d. du ms. 9085 de la
Bibl. Royale de Bruxelles, ebenda ; W. Gurlitt, Burgundi-
sche Chanson- u. deutsche Liedkunst d. 15. Jh., Kgr.-Ber.
Basel 1924; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orche-
stersuite im 1 5. u. 16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz.
1925; E. Hertzmann, Studien zur B. d. im 15. Jh., ZfMw
XI, 1928/29; C. Sachs, Der Rhythmus d. B. d., AMI III,
1931; O. Gombosi, Der Hoftanz, AMI VII, 1935; ders.,
About Dance and Dance Music in the Late Middle Ages,
MQ XXVII, 1941 ; Ch. Van den Borren, in: Melanges E.
Closson, Brussel 1948; M. F. Bukofzer, A Polyphonic B.
d. of the Renaissance, in : Studies in Medieval and Renais-
sance Music, NY (1950); M. Reimann, Zur Entwicklungs-
gesch. d. Double, Mf V, 1952, u. VI, 1953 ; K. Meyer-Baer,
Some Remarks on the Problems of the B. d., TMw XVII,
1948/55 ; O. Kinkeldey, Dance Tunes of the 1 5 th Cent., in :
Instrumental Music, hrsg. v. D. G. Hughes, Cambridge
(Mass.) 1 959 ; E. Southern, Some Keyboard Basse Dances
of the 15'" Cent., AMI XXXV, 1963 ; D. HEARTZ.The Basse
Dance. Its Evolution circa 1450-1550, Ann. Mus. VI,
1958-63.
Basse double (ba : s du : bl, frz. ; engl. double bass) »ge-
doppelter BaB«, -> KontrabaB, nach J.G.Walther
(1732) so benannt, weil erfast zweymahl so grofi, als ein
ordinairer Frantzbsischer Bafi-Violon ist, und folglich eine
Oktau tiefer klingt.
Basse fondamentale (ba:s fddamat'al, frz., Funda-
mentalbaB), in der Theorie J.-Ph. Rameaus die aus den
Grundtonen der Harmonien gebildete Fundamental-
stimme; sofern die reale BaBstimme (basse continue)
von der Folge der Grundtone abweicht, ist die B. f. ei-
ne gedachte Stimme. Rameau lieB ausschlieBlich Kon-
sonanzen, steigende und fallende Terzen und Quinten,
als Fundamentschritte gelten. Um den steigenden Se-
kundschritt zwischen Akkordgrundtonen (z. B. in C:
C-D) auf einen Quintschritt zuriickzufuhren, nahm er
an, daB entweder unter dem 2. Akkord eine Terz hin-
zugefiigt (also urspriinglich C-F) oder unter dem 1.
Akkord eine Terz »verschwiegen« sei (also urspriing-
lich A-D).
^S-
m
Basse
^
P
continue
f? o"
z8b
Basse fondamentale
Im 3. Akkord des Beispiels aus dem Traite de I'harmonie
ist dem eigentlichen Fundamentton d, der durch Quint-
schritte mit A und G verbunden ist, die Terz B sub-
struiert (TrugschluB). Der 6. Akkord ist doppeldeutig;
der zum F dur-Akkord hinzugedachte Fundamentton
d gilt in bezug auf den vorausgehenden Akkord (Fun-
damentschritt C-F) als hinzugefiigte Sexte (sixte ajou-
tee), in bezug auf den folgenden Akkord (Fundament-
schritt D-G) als Fundamentton (verschwiegenes Fun-
dament). - S. Sechter nahm ein verschwiegenes Funda-
ment auBer beim aufsteigenden Sekundschritt auch
beim absteigenden an; in der Akkordfolge II— I sei die
(scheinbare) 2. Stufe als Fragment des Nonenakkords
der 5. Stufe zu verstehen. Schonberg deutete die Ak-
kordfolge II— I als Abkiirzung von II-V-I, als Auslas-
sung von Selbstverstandlichem.
Lit.: J.-Ph. Rameau, Traite de I'harmonie reduite a ses
principes naturels, Paris 1722; ders., Demonstration du
principe de I'harmonie, Paris 1750, deutsch v. E. Lesser,
= Quellenschriften d. Musiktheorie I, Wolfenbuttel u. Bin
1930; J. D'Alembert, Elements de musique theorique et
pratique, suivant les principes de M. Rameau, Paris 1752,
deutsch v. Fr. W. Marpurg, Lpz. 1757; S. Sechter, Die
Grundsatze d. mus. Komposition, 3 Bde Wien 1853-54 ; A.
Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1950, engl. NY
1947; E. Kurth, Die Voraussetzungen d. theoretischen
Harmonik u. d. tonalen Darstellungssysteme, Bern 1913;
Riemann MTh. ; R. Wangermee, Le traite du chant sur le
livre de P. L. Pollio, M61anges Ch. Van den Borren, Ant-
werpen 1945; J. Ferris, The Evolution of Rameau's Har-
monic Theories, Journal of Music Theory HI, 1959. CD
Bassett (ital. bassetto, s. v. w. kleiner Bafi), findet sich
bei Viadana (1612), Praetorius u. a. als Name des Basses
eines Chors hoher Stimmen und sollte von einem Te-
nor gesungen werden. - In Zusammensetzung mit Na-
men von Instrumenten bedeutet B. Tenor- oder Alt-
lage (Bassetthorn). Besonders ist B. (Bassettl, BaBl,
Basso di camera, HalbbaB) ein zwischen Violoncello
und KontrabaB stehendes 3-4-(als Deutscher BaB 5-6-)
saitiges Streichinstrument, das um 1840 nicht mehr ge-
brauchlich war. Im Unterschied zum spateren -> Cel-
lone hatte es die Form der Viola da gamba. Bei L. Mo-
zart (1756) ist B. das Violoncell. - Auch eine Orgel-
stimme (Rohrwerk mit engem Schallbecher) mit die-
sem Namen kommt in alteren Orgelwerken vor, auch
als Labialregister (Hohlflote 4').
Lit. : A. Planyavsky, Der Kb. in d. Kammermusik, Oster-
reichischeMusikzs.XIII, 1958.
87
Bassetthorn
Bassetthorn (ital. corno di bassetto, auch clarone;
frz. cor de basset), eine um 1770 von Mayrhofer in
Passau erfundene Altklarinette in F. Der Umfang ist
F-f 3 (notiert in neueren Partituren stets im Violin-
schliissel c-c*). Das B. bestand in seiner alteren Form
aus zwei halbmondf ormigen, zusammengeleimten und
mit Leder iiberzogenen Holzteilen. Ab etwa 1800 wur-
de es geknickt gebaut, mit einer meist dreifachen, von
einem Kasten (»Buch«) umgebenen Knickung dicht
vor der Stiirze. Bei der neueren Form (Versuche dazu
ab 1808) ist die eng gebohrte, diinnwandige Schallroh-
re gerade, das Mundstiick im flachen Winkel angesetzt
und der messingne Schalltrichter wie beim Saxophon
abgebogen. Die Mechanik wurde u. a. durch A. und J.
Stadler ausgebildet, die im friihen 19. Jh. zu den bereits
bestehenden Klappen fur klingend F und G weitere fur
Fis und Gis zufiigten. Das moderne B. hat die gleiche
Applikatur wie die Klarinette. Der Klang ist dunkel
und nicht durchdringend. Er eignet sich daher gut zur
Kombination mit tiefen Tonen der Holzblasinstru-
mente, aber auch der Bratschen und der menschlichen
Stimme. Mozart hat das B. mit Vorliebe eingesetzt
(u. a. Serenade K.-V. 370a, 1781 ; Maurerische Trauer-
musik K.-V. 479a, 1785 ; Requiem K.-V. 626, 1791). Im
19. Jh. wurde es wenig verwendet. Mendelssohn Bar-
tholdy schrieb 2 Konzertstiicke fur Klar. u. B.; R.
Strauss setzte das B. seit Elektra (1909) wieder mit wich-
tigen Aufgaben im Orchester ein. - Das Kontra-B.
steht eine Oktave tiefer als das B. Es wurde zuerst ge-
baut von G. Streitwolf in Gottingen (1. Halfte des 19.
Jh.) und danach mehrfach verbessert.
Bafihorn, um 1800 von A.Frichot in London kon-
struiertes und daher auch Englisches B. genanntes Bias-
instrument aus Holz oder Metall, mit Kesselmundstiick
an einer S-R6hre und mit Blechsturze, 9 Grifflochern
und 4 Klappen (Umfang: lB-g 1 ), von schwerer An-
sprache und dumpfem Klang. Es ging aus dem um 1789
durch fagottartige Knickung des Serpents entstandenen
Ophibariton (»Russisches Fagott«) hervor. Das B. wur-
de nur einige Jahrzehnte zu Anfang des 19. Jh. gebaut.
Der Gbttinger Instrumentenmacher G. Streitwolf ent-
wickelte um 1820 aus ihm das Chromatische B. (10
Klappen, 2 offene Locher).
Basso concertante (b'asso kontfert'ante, ital.) ->
Basso ripieno.
Basso continuo (ital.; neulat. bassus continuus; frz.
basse continue ; engl. ubersetzt als thorough-bass) , Abk. :
B. c, Kurzform: Continuo, kontinuierlicher, ununter-
brochener BaB. - 1) s. v. w. ->• Generalbafi. - 2) J. G.
Walther (1732) nennt im AnschluG an BrossardD (. . .
Basse-Continue . . . obligee ou contrainte, Artikel Obligato)
B. c. obligato jenen GeneralbaB, der an einegewisseZahl
Tacte, die stets repetirt werden, gebunden ist oder der alle-
mahl ein gewisses mouvement halten oder nur gewisse No-
ten machen mufi u. d. g. (Car il y en a d'une infinite de ma-
nieres, Brossard).
Basson (bas'o, frz.), Bassoon (bss'u:n, engl.) — >- Fa-
gott.
Basso ostinato (ital.) ->• Ostinato.
Basso ripieno (ital.), RipienbaB, in der GeneralbaB-
praxis der stark registrierte oder besetzte BaB des vol-
len Chores, der beim Concertieren per choros in den
Tutti-(Ripieno-)Partien zur Verstarkung einfallt, im
Gegensatz zum Basso concertante (ital. ; frz. auch basse
recitante) der solistisch concertierenden Partien oder
Satze.
Basso seguente (ital.), die im letzten Viertel des 16.
Jh. als Intavolierungsersatz motettischer Kompositio-
nen entstandene Friihform und Art des Generalbasses,
die in der Weise eines »Exzerp t-Basses « zustande kommt
(daher auch Basso cavato genannt), indem die jeweils
tiefste Stimme des meist vielstimmigen, oft mehrcho-
rigen Satzes zu einer fortlaufenden Tiefstimme heraus-
gezogen wird, welche nach Art des Basso continuo
auszufuhren ist. Urspriinglich und bis um 1600 war der
B. s. unbeziffert und fur den Organisten bestimmt, da-
her auch Basso pro organo genannt.
Lit. : H. H. Eggebrecht, Arten d. Gb. im friihen u. mittle-
renl7.Jh.,AfMwXIV, 1957.
Bathyphon (griech., »tieftonend«) hieB ein von E.
Skorra (1839) und W.Wieprecht in Berlin konstruier-
tes, zur Familie der Klarinette gehorendes, geknicktes
Holz- oder Metallblasinstrument mit S-formigem An-
blasrohr und Metallstiirze in KontrabaBlage (iD-c) mit
stumpfer Klangfarbe zur Tiefe hin. Nach voriiber-
gehender Einfiihrung in Militarmusiken wurde es
durch die verbesserte BaBklarinette verdrangt.
Battaglia (batt'a : Aa, ital., Schlacht), Bezeichnung fur
die musikalische (klangmalerische) Schilderung einer
Schlacht oder eines kriegerischen Aufzugs. Der Kampf
mit dem Drachen ist Gegenstand eines Intermediums
von 1491 (Florenz) und hat sich als Sujet bis ins 19. Jh.
fortgesetzt (Lully, Cadmus, 1673; Mozart, Zauberftote;
R.Wagner, Siegfried). Daneben ist der Venuskrieg, der
Liebeskampf der Geschlechter, im 17.-19. Jh. vielfach
musikalisch dargestellt worden : Guerra d'Amore, Text
von Salvadori (Florenz 1615), Musik von Peri; Com-
battimento di Tancredi e Clorinda von Monteverdi (1624),
in dem der Komponist neuartige, den Kampf nachah-
mende musikalische Mittel einsetzt, z. B. das Tempo
pirrichio J J J im Stile concitato (pirrichio vom pyrrhi-
schen Waffentanz der Antike) und das Violintremo-
lo ; Tannhauser und Parsifal von R. Wagner. Zu erwah-
nen sind auch die Moresca sowie die Battaglien, die in
den Canti camascialeschi oder den Mascherate enthal-
ten sind. - Battaglien im Chorstil fmden sich seit dem
15. Jh.; von Isaac ist eine vierstimmige instrumentale
B. uberliefert (etwa 1485, wahrscheinlich die Ubertra-
gung einer vokalen Vorlage). Eine beruhmte vokale B.
ist die 4st. Chanson La Guerre (genannt La Bataille de
Marignan) von Janequin (auf die Schlacht von Marig-
nano 1515), in deren Text Schlachtenlarm onomato-
poetisch nachgeahmt wird. Charakteristisch fur Ja-
nequinsLa Guerre - wie iiberhaupt fur die B.-Kompo-
sitionen des 16. Jh. - ist die Konzeption vom Instru-
mental her (gleichbleibende Harmonie, Bordun-
technik, Dreiklangstruktur) mit bewegterem Rhyth-
mus (etwa bei der Nachahmung von Trompetenklan-
gen). Die B. Janequins hatvokal wie instrumental viel-
faltige Nachahmung gefunden (8st. Bearbeitungen fiir
Blaser von A.Gabrieli und von A.Padovano). A.Ga-
brieli schrieb anlaBlich der Siegesfeier zur Seeschlacht
bei Lepanto gegen die Tiirken (1571) eine mit Vittoria-
Rufen schlieBende doppelchbrige B.; Monteverdi
komponierte Canti guerrini (1630) , Mancinus die Schlacht
fiir Sievershausen (1553), Demantius das Tympanum tni-
litare (1615). Instrumentale Battaglien schrieben Byrd
(fiir Virginal), Sweelinck, Frescobaldi, Fr.Couperin
u. a. Besonders bekannt ist der Kampf zwischen David
und Goliath in der 1. Sonate fiir Kl. aus Kuhnaus Mu-
sicalischer Vorstellung Einiger Biblischer Historien . ■ .
(1700). In der Oper des 18. Jh. fmden sich haufig Bei-
spiele fiir Battaglien, auch im 19. und 20. Jh., (Verdi,
Laforza del destino; R.Strauss, Ein Friedenstag), ebenso
im Oratorium (Loewe, Zerstbrung Jerusalems) und im
Lied (Mussorgsky, »Feldherr«). Fiir fast jede Schlacht
der Kriege Friedrichs II. (z. B. C.H.Graun, La b. del
Re di Prussia, 1757) und des Zeitalters der Franzosischen
88
Beantwortung
Revolution wurde eine B. komponiert; das bedeutend-
ste Beispiel ist Beethovens »Schlachtsymphonie« auf
Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91.
Spatere Zeugnisse fur die B. sind die Hunnenschlacht
(1857) von Liszt, die Festouvertiire 18i2 (Kampf zwi-
schen Russen und dem napoleonischen Heer) von
Tschaikowsky (1880), die VII. Symphonie (C dur,
1942, Belagerung Leningrads 1941) von Schostako-
witsch, die Symphonische Ouvertiire China kampft
(1942) von K. A. Hartmann, die IV. Symphonie (zum
Gedachtnis der Revolution von 1848) von Milhaud
(1948).
Lit. : E. Bienenfeld, t)ber ein bestimmtes Problem d. Pro-
grammusik (Darstellung v. Schlachten), ZIMG VIII, 1906/
07; E. Bucken, Der heroische Stil in d. Oper, = Veroff. d.
Filrstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg V, 1,
Lpz. 1924; R. Glasel, Zur Gesch. d. B., Diss. Lpz. 1931 ;
B. Becherini, La canzona »alla b.« de H. Isaac, RBM VII,
1953; D. Arnold, A. Gabrieli u. d. Entwicklung d. »cori-
spezzati«-Technik, Mf XII, 1959; St. Kunze, Die Instru-
mentalmusik G. Gabrielis, = Miinchner Veroff. zur Mg.
VIII, Tutzing 1963.
Battement (batm'a, frz. ; ital. battimento) -* Mor-
dent, ->■ Vibrato.
Batterie (batr'i, frz.), Bezeichnung fiir das Schlag-
zeug, daneben auch fiir Trommelwirbel und fiir mili-
tarische Trommelsignale.
Battuta (ital.), Schlag, Takt; Taktschlag auf dem be-
tonten Taktteil; ritmo di tre (di quattro) battute (z. B.
im Scherzo von Beethovens 9. Symphonie) verlangt
die metrische Zusammenfassung von je 3 oder 4 Tak-
ten zu GroGtakten. - a battuta (im Takt) zeigt wie
misurato und a tempo nach vorausgegangenem colla
parte, a piacere, ad libitum den Wiedercintritt strenger
Taktordnung an.
Batuque Batucada (bat'uks, port.), ein negroider
Tanz aus Brasilien; der B. ist eine Abart der -> Samba
in langsamerem Tempo und im 2/4-Takt mit dem
Rhythmusschema: * Jj J Jj J
Bauernflote, Bauernpfeife (lat. tibia rurestris), ei-
ne in alteren Orgeln im Pedal nicht seltene kleine Flo-
ten- oder Gedacktstimme 2' oder 1'. Anfangs nannte
man alle weiter mensurierten Orgelfloten B.
Bauernleier -> Drehleier.
Bautzen.
Lit.: H. Biehle, Mg. v. B. bis zum Anfang d. 19. Jh.,
= Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biicke-
burg IV, 3, Biickeburg u. Lpz. 1924.
Bay em.
Lit. : F. J. Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, Miinchen
1811 ; D. Mettenleiter, Registratur f . d. Gesch. d. Musik
in B. I, Brixen 1868 ; Fr. W. v. Ditfurth, Die hist. Volks-
Iieder d. bairischen Heeres v. 1 620-1 870, Nordlingen 1 878 ;
A. Sandberger, Beitr. zur Gesch. d. bayerischen Hofkapel-
le unter Orlando di Lasso, Habil.-Schrift Miinchen 1894, 1
u. Ill Lpz. 1 894-95 ; L. Schiedermair, Zur bayerischen Mg.
d. 17. Jh., Mk I, 1901/02; ders., Kiinstlerische Bestrebun-
gen am Hofe d. Kurfiirsten Ferdinand Maria v. B., Diss. Er-
langen 1902, = Forschungen zur Gesch. B. X, 1 902 ; O. Ur-
sprung, Kirche u. Musikkultur in B., in : Die Kulturarbeit
d. kath. Kirche in B., hrsg. v. M. Buchberoer, Miinchen
1920; K. Huber u. P. Kiem, Oberbayerische Volkslieder
mit Bildern u. Weisen, Miinchen 1930, 21935, 31937; dies.,
Altbayerisches Liederbuch, Mainz 1936 ; K. Huber, Volks-
lied u. Volksmusik, Bayernland XLIV, 1933 ; ders., Volks-
lied u. Volkstanz im bajuwarischen Raum, DMK III, 1938/
39; ders., Volkslied u. Volkstanz. Aufsatze zur Volkslied-
kunde d. bajuwarischen Raumes, hrsg. v. CI. Huber u. O.
A. v. Miiller, Ettal (1959); ders. u. L. Simbeck, Niederbai-
risches Liederbuch, Miinchen o. J. ; P. Kiem, Slg Oberbay-
rischer Volkslieder, Miinchen 1934; H. O. Laber, Auslan-
dische Kunstler in B. v. Anfang d. 16. bis Ende d. 18. Jh.,
Diss. Miinchen 1 936 ; W. Klemm, Benediktinisches Barock-
theater in Siidbayern, insbesondere d. Reichsstifts Otto-
beuren, Diss. Miinchen 1938, = Studienu. Mitt.zurGesch.
d. Benediktiner Ordens LIV, N. F. XXVII, 1937; B. Ph.
Baader, Der bayerische Renaissancehof Herzog Wilhelms
V. (1568-79), Diss. Miinchen 1943; L. Kusche, Musik u.
Musiker in Baiern, Miinchen 1963.
Bayreuth.
Lit. : M. Seiffert, Aus B. mus. Vergangenheit, AMz XXI,
1894; L. Schiedermair, B.er Festspiele im Zeitalter d. Ab-
solutismus, Lpz. 1908 ; A. v. Puttkamer, 50 Jahre B., Bin
1927 ; E. Schenk, Zur Mg. B., Arch. f. Gesch. u. Altertums-
kunde v. Oberfranken XXX, 1927; ders., G. A. Paganelli
..., nebst Beitr. zur Mg. B., Diss. Miinchen 1928; P. Bij-
low, B.-DieStadt u. ihre Festspiele, 1 876-1936, Lpz. 1936 ;
G. Rudloff-Hille, Die B.er Hofbiihne im 17. u. 18. Jh.,
Arch. f. Gesch. u. Altertumskunde v. Oberfranken XXXIII,
1936; Offizieller B.er Festspielfiihrer, Jubilaums-Ausg.
1897-1937, hrsg. v. O. Strobel, B. 1937; Zd. v. Kraft,
Das Festspielhaus in B., B. 1958 ; H. Barth, Internationale
Wagner-Bibliogr. 1956-60 u. K. Neupert, Die Besetzung
d. B.er Festspiele 1876-1960, B. 1961.
B. c, Abk. fiir -> Basso continue
Beantwortung nennt man in der Exposition einer
Fuge das zweite Auftreten des Themas (Comes) sowie
das Verfahren seiner Bildung und Zuordnung zum
Thema in seiner Grundgestalt (Dux). Bei der B. wird
das Thema dadurch verandert, daB es auf einer neuen
Tonstufe und gegebenenfalls mit geringen melodi-
schen Abwandlungen auftritt. Die zwei Gestalten des
Themas, Dux und Comes, sind voneinander abhangig,
weshalb sie vergleichsweise auch als »Frage« und «Ant-
wort« verstanden werden. Ihr Wechsel, der sich bei
entsprechender Stimmenzahl auch in weiteren Thema-
Einsatzen der Exposition wiederholt, steht gewohnlich
in Verbindung mit der harmonischen Entwicklung:
je nachdem, ob das Thema (als Dux) moduliert oder
nicht, leitet der Comes entweder in die Haupttonart
zuriick oder moduliert seinerseits. Vorherrschend ist
die Quint-B. (Comes in der Oberquinte oder Unter-
quarte des Dux) ; in der Quarte ist die B. ebenfalls ge-
brauchlich (Comes in Oberquarte oder Unterquinte),
wahrend sie in den ubrigen Intervallen weitaus seltener
vorgenommen wird. Grundsatzlich unterscheidet man
zwei weitgehend von der Melodik des Themas abhan-
gige Arten der B. : In der realen B. sind Dux und Co-
mes entweder streng inter- fl _
vallgleich (Comes ist trans- (h <*' . -. i*._ r *
ponierter Dux) : «T 7 f- ff |"' fcJUJ
J. S.Bach, Wohltemperiertes Klavier I,
Fuge C dur, BWV 846.
oder, was in der Bach-Zeit jedoch Sonderfall ist, ein-
geschrankt intervallgleich (Sekunde bleibt Sekunde,
Terzbleibt Terzusw.,aber a , ^
kleines und groBes Inter- /Lb \ if, m I J I
vail konnen sich gegensei- i/ ' ^ p- ^
tig ersetzen) :
Trrr r
J. S. Bach, Kyrie Gott Vater in Ewig
BWV 669.
text,
In Quint-B. (auf die sich die Notenbeispiele beschran-
ken) werden hauptsachlich nicht modulierende The-
89
Beantwortung
men, die im Grundton beginnen und sich stufenweise
aufwarts bewegen, real beantwortet. Die reale B. in
anderen Intervallen als der Quinte und Quarte ist in 51-
terer Musik wenig gebrauchlich (Beethoven, Klavier-
sonate op. 101), findet sich aber in neueren Fugen (Hin-
demith, Ludus Tonalis, Fuga tenia in F, Fuga quarta in
A). Die tonale B., bei der Dux und Comes stets inter-
vallverschieden sind, stellt eine Verbindung von Quint-
und Quart-B. dar. Sie dient zwei voneinander unab-
hangigen Zielen, denen zwei charakteristische Erschei-
nungen entsprechen: der Quintton-Grundton-Aus-
tausch, d. h. die B. des Quinttones (V) aus dem Dux
durch den Grundton (I) meist beim Beginn des Comes,
bewirkt die Erhaltung der Haupttonart im Comes-
Einsatz und verzogert die Modulation. Es vollzieht
sich ein Ubergang von der Quart-(4) in die Quint-
(5)B., wobei der ausgetauschte Grundton die erstere,
der weitere Verlauf des Comes die letztere reprasen-
tiert. Mit Ausnahme solcher Themen, die sich gegen
diesen melodischen Eingriff sperren (diese konnen in
Quart-B. real erhalten bleiben : J. S. Bach, Fuge aus der
Sonate fur Solovioline G moll, BWV 1001), erfahren
die mit dem Quintton beginnenden Themen tonaleB. :
J.S.Bach, Ouverture Nr 1 C dur, BWV 1066.
Die zahlreichen aus dem Quintsprung I-V entwickel-
ten Themen werden ebenfalls vorwiegend tonal, nam-
lich durch den Quartsprung V-I, beantwortet (Aus-
nahme mit realer B.: J.S.Bach, Brandenburgisches
Konzert Nr 2 F dur, BWV 1047, 3. Satz) : 5 _
i-v ► =v—
Quart
ftfF
J.S.Bach, Fuge C moll, BWV 537.
Die zweite Erscheinung der tonalen B., der Abstand-
wechsel, besteht aus dem Ubergang von der Quint-(5)
in die Quart-(4)B. mit dem Ziel, die Haupttonart zu-
riickzugewinnen; diese Weise der B. ist den modulie-
renden Themen vorbehalten (Beispiel eines solchen in
ausnahmsweise realer B. und daher mit Modulation
in die Doppeldominante : J.S.Bach, WoMtemperiertes
Klavier I, Fuge E moll, BWV 855). Der Abstandwech-
sel wird im Comes an moglichst verdeckter Stelle vor-
genommen, damit die charakteristischen Ziige des
Themas erhalten bleiben: 5-4
Beide Erscheinungen der tonalen B., der Quintton-
Grundton-Austausch und der Abstandwechsel, konnen
gemeinsam auftreten:
5 4 tonal
I V ►=V I
J. S.Bach, Der Herr hat Guts an unsgetan,
aus der Kantate BWV 119.
Tonale und reale B. konnen in ein und defselben Ex-
position miteinander wechseln:
5 real
J. S. Bach, Magnificat D dur, Sicut locutus est, BWV 243.
90
Ebenda (3. und 4. Themeneinsatz).
Weitere kompositorische Moglichkeiten ergeben sich,
wenn die B. in Engfiihrung, Umkehrung, Augmen-
tation oder Diminution erfolgt (J. S.Bach, Wohltetnpe-
riertes Klavier II, Fuge Cis dur, BWV 872, und Con-
trapunctus 5, 6 und 7 aus der Kunst der Fuge, BWV
1080). - Die Vorgeschichte der B. geht bis zur Ent-
stehung des Intervallkanons zuriick (frtihe Belege bei
Landini, Ciconia, Dufay und H. de Lantins). Ramos de
Pareja (1482) bezeichnet die -> Fuga (Kanon, aber auch
schon Imitation) in der Quarte, Quinte und Oktave als
»beste Art der Komposition« (modus organizandi opti-
mus). Vicentino (1555) bevorzugt ausdriicklich die
Quarte und die Quinte als Abstandsintervalle, weil Ein-
klang und Oktave zu wenig Verschiedenheit (varieta)
bieten. Er zeigt zugleich als erster, allerdings nur bei
der Umkehrung, das Verfahren, welches spater tonale
B. heifit und das trotz seiner Verwendung seit dem
16. Jh. (auch in Zarlinos Beispielen) theoretisch erst
vonJ.G. Walther (1708) unter dem EinfluB der Secon-
da pratica begriindet wird. Die reale B. bewahrt die
Tonbedeutungen, die tonale dient der Einhaltung des
tonartlichen Modus, der sich aus Quintraum und
Quartraum zusammensetzt und je nach deren Lage
authentisch oder plagal ist. Mit der Fuge entwickelte
sich im 17./18. Jh. aus dem modalen ein harmonischer
Sinn der B., der durch die Tonikabindung des Dux
und durch den Tonika-Dominant-Wechsel zwischen
den Themagestalten gekennzeichnet ist und zum Ruck-
gang der zuvor sehr verbreiteten Quart-B. ftihrte. In
der Fuge des 20. Jh. werden die tonalharmonischen
Merkmale der B. oft bewuBt verschleiert oder haben
unter dem EinfluB neuer Tonordnungen ihre Berech-
tigung verloren.
Lit.: B. Ramos de Pareja, Musica practica, hrsg. v. J.
Wolf, = BIMG I, 2, Lpz. 1901 ; N. Vicentino, L'antica
musica ridotta alia moderna prattica (1555), Faks. hrsg. v.
E.E.Lowinsky, = DM1I, 17, 1959;G.Zarlino, Istitutioni
harmoniche, Venedig 3 1573, 4 1593, Neudruck Rochester
1954, Teil III libers, u. mit Kommentar hrsg. v. G. A. Mar-
co, Chicago 1956; Die Kompositionslehre H. Schiitzens in
d. Fassung seines Schiilers Chr. Bernhard, hrsg. v. J. Mul-
ler-Blattau, Lpz. 1926, Kassel 21963; J. G. Walther,
Praecepta d. Mus. Composition, hs. Weimar 1708, hrsg. v.
P. Benary, =Jenaer Beitr. zur Musikforschung II, Lpz.
1955; M. Zulauf, Zur Frage d. Quint-B. bei J. S. Bach,
ZfMw VI, 1923/24; Fr. Reuter, Die B. d. Fugen-Themas
(Wohltemperiertes Klavier), Lpz. 1929; E. P. Schwarz,
Die Fugen-B. vor Bach, Diss. Wien 1932; H. Federhofer,
Tonale u. reale B. bei J. S. Bach in : Beitr. zur mus. Gestal-
analyse, Graz u. Wien 1950 ; A. Fornerod, Traite de la re-
ponse, SMZ CII, 1962; K. H. Holler, G. M. Bononcinis
»Musico prattico« in seiner Bedeutung f. d. mus. Satzlehre
d. 17. Jh., = Slg mw. Abh. XLIV, StraBburg u. Baden-Ba-
den 1963; C. Dahlhaus, Chr. Bernhard u. d. Theorie d.
modalen Imitation, AfMw XXI, 1964. KJS
Bearbeitung
Bearbeitung ist im Sinne des modernen Urheber-
rechts jede Veranderung eines Werkes, die darauf ab-
zielt, das Originalwerk einem bestimmten Zweck an-
zupassen. An der Bearb. entsteht ein eigenes Urheber-
recht, wcnn sie eine individuelle Leistung ist (so meist
beim -> Arrangement, dem Klavierauszug, der Instru-
mentation), nicht jedoch, wenn sie rein handwerklich-
mechanischer Art ist (z. B. eine Transposition). Ob ei-
ne schutzfahige Bearb. vorliegt, ist nicht generell zu
entscheiden, z. B. nicht hinsichtlich Neuausgaben al-
terer Musik mit ausgesetztem GeneralbaB. Das Ver-
wertungsrecht einer Bearb. ist vom Urheberrecht an
dem Originalwerk abhangig. Nicht eine Bearb. im
Sinne des Urheberrechts, sondern eine selbstschopferi-
sche Leistung liegt vor bei einem Werk, das in freier
Benutzung eines anderen entstanden ist wie die Haydn-
Variationen von Brahms oder die Meditation sur lei"
Prelude de J.S.Bach von Gounod. Die Grenzen zwi-
schen freier Benutzung und Bearb. sind flieBend. - In
der musikwissenschaftlichen Terminologie gilt als
Bearb. die Komposition, die als Neugestaltung eines
Vorgegebenen entstand, wobei audi hier die Neuge-
staltung (im Gegensatz etwa zur Oberarbeitung und
Neufassung) die Vorlage nicht als uberholt abwertet,
jedoch die Motivierungen der Bearb. sehr unterschied-
lich sind (Modernisieren, Lernen und Lehren, Huldi-
gen, schopferisches Experimentieren und Adaptieren).
Hier also bezieht sich der Begriff Bearb. gerade auf jene
letztgenannten Beispiele, die bei einer urheberrecht-
lichen Behandlung als Bearb. ausscheiden, da sie nicht
bloB als zweckbestimmte Anderungen eines Original-
werks zu definieren sind. Die historisch unterschiedli-
che Rolle der Bearb. im wissenschaftlichen Sinn ergibt
sich aus der verschiedenen Bewertung der Kompo-
sition als individuelle Leistung. Trat diese bis ins 18. Jh.
gegeniiber der mehr handwerklich-lehrbaren und un-
reflektiert traditionsstarken Art des Schaffens zuriick,
so daB Komponieren und Bearbeiten weitgehend
gleichrangig nebeneinanderstanden, so lieB der friih-
neuzeitliche Individualismus, vor allem dann die mit
dem Geniekult des 18. Jh. verbundene Schatzung des
»Originalen«, das Weiterarbeiten am fremden Werk
mehr als Nebenform musikalischen Gestaltens er-
scheinen.
Unter den vielfaltigen Moglichkeiten von Bearb. im
historisch-wissenschaf tlichen Sinn sind mehrere Haupt-
arten zu unterscheiden, die zugleich geschichtliche
Traditionszusammenhange bezeichnen: - 1) die kom-
positorische Bearb. einer vorgegebenen melodischen
Substanz (C. f., Soggetto, Thema, Choral, Lied). Sie
setzt mit den Anfangen der von liturgischen Melodien
ausgehenden Mehrstimmigkeit ein und bleibt als
-*■ Choralbearbeitung zunachst der geistlichen Vokal-
musik verbunden. Mit der Ubernahme der Polyphonie
in den weltlichen Bereich (-* Motette) findet sie auch
in die Instrumentalmusik Eingang (etwa die In saecu-
/MW-Stiicke des Bamberger Codex). Auf dieser Art
von Bearb. beruht der Hauptteil der mehrstimmigen
Musik vor 1600, doch blieb sie bis heute als Technik
sowohl in der Vokal- als auch in der Instrumentalmu-
sik gebrauchlich. Besondere Arten der Bearb. stellen
die Liedsatze und Volkslied-Bearb.en von Haydn, Beet-
hoven, Brahms u. a. dar. - 2) die Bearb. einer mehr-
stimmigen Komposition im Sinne ihrer adaquaten Er-
schlieBung fur einen anderen als den ursprunglichen
Bereich, wobei der Bearbeiter die vorgegebene Sub-
stanz so weit wie moglich zu erhalten sucht. Ihre ge-
schichtlichen Anfange diirften im Mittelalter in der
Ubernahme von Vokalkompositionen in die rangma-
Big tieferstehende Instrumentalmusik zu suchen sein.
Diese Ubertragung wird in notierter Form am deut-
lichsten greifbar in den Intavolierungen, auch mit fest-
gelegter ->■ Kolorierung. Eine Ubernahme von ur-
spriinglichen Instrumentalwerken in die Vokalmusik,
die iiber bloBe Textierung (->• Kontrafaktur) hinaus-
geht, ist erst fur eine Zeit anzunehmen, in der Vokal-
und Instrumentalmusik in ihrem Rang einander ange-
glichen sind. Dieser Gruppe sind auch neue Instrumen-
tierungen zuzurechnen, die darauf ausgerichtet sind,
eine Komposition und ihre Struktur durch verander-
ten Klang neu zu interpretieren. Beispiele hierzu bieten
als Selbst-Bearb.en etwa die Neueinrichtungen eigener
Werke bei Bach (z. B. das IV. Brandenburgische Kon-
zert als Klavierkonzert; das Doppelkonzert fiir 2 V.
D moll als Konzert fiir 2 Kl.) und Beethoven (z. B. die
2. Symphonie als Klaviertrio; das Septett op. 20 als
Klaviertrio op. 38; das Klaviertrio C moll op. 1, 3 als
Streichquintett op. 104; die Klaviersonate op. 14, 1
E dur zu einem Streichquartett in F dur; das Blaserok-
tett op. 103 zum Streichquintett op. 4), als Fremd-Be-
arb.en die Streichtrio- und -quartett-Bearb.en von Fu-
gen aus dem Wohltemperierten Klavier durch W. A.Mo-
zart (K.-V. 404a, Echtheit fraglich, und 405) zum Teil
mit neuen Praludien und Beethovens Bearb.en der
Fuge H moll fiir Streichquartett und der Fuge B moll
fiir Streichquintett aus dem I. Teil des Wohltemperierten
Klaviers; -*■ Orchestrationen, die in der ursprunglichen
Komposition enthaltene Moglichkeiten klanglich ent-
falten (Hindemith, Das Marienleben op. 27, 1922/23,
und die Bearb. von 4 Liedern daraus fiir S. und Orch.,
1939), werden eher dem Bereich der Bearb. zuzurech-
nen sein als Reduzierungen in der Besetzung, die in der
Regel mehr dem -*■ Arrangement zugehoren. Ein Ein-
griff in die Substanz liegt grundsatzlich auch bei Ou-
vertiiren nicht vor, die urspriinglich in den ersten Akt
iiberleiten und zum Zwecke selbstandiger Auffiihrung
mit einem »KonzertschluG« versehen wurden, wie
Glucks Ouvertiire zu »Iphigenie in Aulis« durch R.
Wagner (eine altere Gestaltung dieses Schlusses wurde
W.A.Mozart, K.-V. Anh. 292a zugeschrieben).-3)die
kompositorische Umgestaltung und Neufassung eines
Werkes, wobei die Grade des Eingriffs von der bloBen
Veranderung oder Zutat einzelner Noten bis zur ganz-
lichen Neufassung reichen konnen, die mitunter einer
Neukomposition nahekommt. Die friihesten Beispiele
solcher Bearb. bieten die verschiedenen Stadien des
-> Organum der Notre-Dame-Zeit sowie im 13. Jh.
das Hinzufiigen von Stimmen im -»■ Discantus. In der
Musik des 15.-16. Jh. zeigt zu dieser Gruppe von Be-
arb.en die ->• Parodie eine gewisse Beziehung. Aus der
spateren Zeit sind zu erwahnen: das Konzert Es steh
Gott auf von Schiitz (Symphoniae sacrae II) als eine
Bearb. zweier Madrigale von Monteverdi und die Be-
arb.en von Werken Vivaldis, Marcellos, Telemanns
und des Herzogs Johann Ernst von Sachsen- Weimar
durch J.S.Bach (BWV 592-597, 972-987 und 1065).
Werke Bachs wurden von verschiedenen Meistern be-
arbeitet, so schrieb u. a. Mendelssohn Bartholdy eine
Klavierbegleitung zur Chaconne D moll fiir V. solo,
Schumann Klavierbegleitungen zu den Violin- und
Violoncello-Solosonaten und -suiten Bachs, Reger ar-
beitete die 2st. Inventionen zu Trios um, Strawinsky
bearbeitete die kanonischen Veranderungen iiber das
Weihnachtslied Vom Himmel hoch, da komm' ich her;
Grieg versah 4KlavierwerkeMozarts(K.-V. 189h,475,
533 und 545) mit frei hinzugefiigten Begleitungen
eines zweiten Klaviers. Bearb.en von Buhnenwerken
sind haufig, so W. A.Mozarts Handel-Bearb.en {Acts
und Galathea, K.-V. 566; Alexander/est, K.-V. 591;
Caecilienode, K.-V. 592). Beethovens Festspielmusik zu
den Ruinen von Athen ist mehrfach fiir Konzertauffiih-
rungen bearbeitet worden, so von Fr. C. Griepenkerl,
91
Bearbeitung
von R.Strauss und H. v. Hofmannsthal, von H.J.Mo-
ser und von J.Urzidil; die Kantate Der glorreiche Au-
genblick (spater Preis der Tonkunst) als Europakantate von
R.Pessenlehner und als Friedenskantate von H. Scher-
chen. Die »Nachtwandlerin« von Bellini wurde durch
H.W.Henze, der Boris Godunow von Mussorgsky
durch N.Rimskij-Korsakow wie durch D.Schostako-
witsch und Bizets Carmen durch E. Guiraud bearbeitet.
- Zahlreiche Beispiele fur Umarbeitung mit der Ab-
sicht der Verbesserung, die an die Stelle der Ausgangs-
fassung treten soil, bietet das Werk Beethovens, etwa
die Umarbeitung der Oper Leonore-Fidelio, vor allem
mit den verschiedenen Fassungen der Ouverture und
der Marzellinen-Arie, oder Schumanns Umarbeitung
der urspriinglich 2. zur 4. Symphonie D moll, 1851,
ebenso die teilweise tiefgreifenden Umarbeitungen
Bruckners an seinen Symphonien. - Entgegen dem all-
gemeinen Sprachgebrauch sind bloBe Umstellungen
und Kiirzungen (Beethoven-Symphonien von L. Sto-
kowski) nicht als Bearb.en anzusprechen. Rekonstruk-
tionen oder Vollendungen von Bruchstiicken stehen
als Versuche, die urspriingliche bzw. beabsichtigte
Gestalt eines Werkes zu erstellen, im Dienst der Erfiil-
lung des ideellen Kompositionsplans und beabsichtigen
keine Neugestaltung (z. B. die Vollendung von Mo-
zarts Requiem K.-V. 626 durch Fr.X. SuBmayr).
Lit.: R. Franz, Offener Brief an E. Hanslick, iiber Bearb.
alterer Tonwerke, Lpz. 1871 ;'W. Voigt, Uber d. Original-
gestalt v. J. S. Bach's Konzert f. 2 Kl. in C moll (Nr 1),
VfMw II, 1886; K. Grunsky, Bachs Bearb. u. Umarbei-
tungen eigener u. fremder Werke, Bach-Jb. IX, 1912; A.
Aber, Studien zu Bachs Kl.-Konzerten, Bach-Jb. X, 1913 ;
W. Altmann, Beethovens Umarbeitung seines Streichtrios
op. 3 zu einem Klaviertrio, ZfMw III, 1920/21 ; A. Orel,
Beethovens Oktett op. 1 03 u. seine Bearb. als Quintett op. 4,
ZfMw III, 1920/21 ; ders., Original u. Bearb. bei Bruckner,
DMK I, 1936; J. Braunstein, Beethovens Leonore-Ou-
verturen, = Slg mw. Einzeldarstellungen V, Lpz. 1927; J.
Handschin, Zur Frage d. melodischen Paraphrasierungim
MA, ZfMw X, 1927/28; J. Mathei, Bearb. u. freie Be-
nutzung im Tonwerkrecht, Diss. Lpz. 1928; A. Landau,
Spatromantische Schubert-Erganzung, ZfMw XI, 1928/29;
F. Lederer, Beethovens Bearb. schottischer u. anderer
Volkslieder, Diss. Bonn 1934; Fr. Munter, Beethovens
Bearb. eigener Werke, Neues Beethoven- Jb. VI, 1935; F.
Kxose, Zum Thema »Original u. Bearb. bei Bruckner«,
DMK I, 1936; M. Auer, R. Pergler u. H. Weisbach, A.
Bruckner, Wiss. u. kunstlerische Betrachtungen zu d. Ori-
ginalfassungen, Wien (1937) ; Fr. Oeser, Die Klangstruk-
tur d. Bruckner-Symphonie. Eine Studie zur Frage d. Ori-
ginal-Fassungen, Lpz. 1939-; G. Troeger, Mussorgsky u.
Rimskij-Korsakoff . . . , = Breslauer Studien zur Mw. II,
Breslau 1941 ; H. Boettcher, Bachs Kunstd. Bearb., dar-
gestellt am Tripelkonzert a moll, in: Von Deutscher Ton-
kunst, Fs. P. Raabe, Lpz. 1942; E. Th. A. Armbruster,
Erstdruckfassung oder »Originalfassung«7, (Lpz. 1946);
H. Engel, Bearb. in alter u. neuer Zeit, Das Musikleben I,
1948; P. Mies, Kritik an Bearb., Deutsche Sangerbundes-
zeitung XLI, 1952; W. Kolneder, Vivaldi als Bearbeiter
eigener Werke, AMI XXIV, 1952; W. Hess, Beethovens
Oper Fidelio u. ihre 3 Fassungen, Zurich (1953) ; ders., Ei-
ne Bach-Bearb. Beethovens, SMZ XCIII, 1953 ; ders., Eine
Bach- u. Handelbearb. Beethovens, SMZ XCIV, 1954; G.
Feder, Bachs Werke in d. Bearb. 1750-1950. 1. Die Vokal-
werke, Diss. Kiel 1955, maschr. ; Br. Vondenhoff, Die
beiden Fassungen d. d-moll-Symphonie R. Schumanns,
NZfM CXVII, 1956; R. Craft, Strawinsky komponiert
Bach, Melos XXIV, 1957 ; H. L. Schilling, I. Strawinskys
Erweiterung u. Instrumentation d. Canonischen Orgelva-
riationen »Vom Himmel hoch, da komm ich her« v. J. S.
Bach, MuK XXVII, 1957 ; U. Siegele, Kompositionsweise
u. Bearbeitungstechnik in d. Instrumentalmusik J. S. Bachs,
Diss. Tubingen 1957, maschr. ; E. J. Simon, Sonata into Con-
certo, AMI XXXI, 1 959 ; A. Holschneider, Handels »Mes-
sias« in Mozarts Bearb., Diss. Tubingen 1960, maschr. ; Fr.
Kaiser, Die authentischen Fassungen d. D-dur-Konzertes
op. 61 v. L. van Beethoven, Kgr.-Ber. Kassel 1962.
Beat (bi : t, engl., Schlag), - 1) Bezeichnung fur das me-
trische Fundament des Jazz: ein gleichmaBig durchge-
haltenes Schlagen, das nur die geradzahlige Gruppie-
rung von Zahleinheiten erlaubt (two beat, four beat).
Der B. beherrscht Metrik und Rhythmik der gesamten
musikalischen Negerfolklore der USA, trat deshalb
auch schon imfriihestenjazzmusizierenauf und erlangte
auf diesem Wege seine zentrale Bedeutung in alien »Sti-
len« des Jazz. Der vom Schlagzeuger und der Rhyth-
musgruppe (->- Band) durchgehaltene B. ermoglicht
das fiir den Jazz charakteristische Phanomen des ->■ Off-
beat der Melodiegruppe. Durch das gleichzeitige Ge-
geneinander und durch das Uberlagern von B. und
Off-beat kommt die fiir den Jazz typische metrisch-
rhythmische Spannung (-> Drive) zustande, deren Er-
gebnis mit -»■ swing bezeichnet ist. Unterbrochen wird
der durchgehaltene B. im Jazz lediglich an entscheiden-
den Einschnitten, z. B. bei der -> Stop time-Technik
und beim -> Break. Da der B. zu den wesentlichen
Merkmalen des Jazz gehort, wird haufig die Qualitat
einer Band nach dem B. ihres Schlagzeugers bzw.
ihrer Rhythmusgruppe beurteilt. - 2) engfische Be-
zeichnung fur verschiedene Verzierungen: -> Vor-
schlag von unten, gleichbedeutend mit engl. forefall;
-*■ Mordent; ebenso fiir die ubliche Verbindung eines
Vorschlags von unten mit einem Mordent; ->• Anschlag
(in J. Callcotts Musical Grammar, London 1806).
Bebisation, die von D.Hitzler 1628 in seiner Newen
Musica veroffentlichte Tonsilbenskala 1A Be Ce De
mE Fe Ge 1A, bei der die chromatischen Tone durch
Umwandlung des Vokals e in i (Be, Bi; Ce, Ci usw.)
angezeigt werden. Die aus den Tonbuchstaben gebil-
dete B.s-Reihe erlangte jedoch im Gegensatz zu ande-
ren neueren Solmisationssystemen wegen ihrer schlech-
ten stimmbildnerischen Eigenschaften keine nennens-
werte Verbreitung.
Be-bop (b'i:-bop; auch Re-bop, Bop), Bezeichnung
fiir eine seit den 1940er Jahren herrschende Jazzspiel-
weise, in der als im Vordergrund stehendes melodi-
sches Intervall die verminderte Quinte (flatted fifth)
angesehen wird. In der Bezeichnung soil durch die be-
deutungslosen Silben »be-bop« - angebhch erfunden
von Dizzy Gillespie - die Flatted fifth sprachlich nach-
geahmt sein. Der Be-b. - vorbereitet in der Swing-Ara
durch die Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins,
Lester Young im Zusammenhang mit dem -*■ Kansas-
City-Jazz (Count Basie) - entstand etwa 1941 durch
Jam sessions in Harlem, an denen sich vor allem die
Musiker Thelonius Monk, Charlie Parker, Dizzy Gil-
lespie, Kenny Clarke beteiligten. Den harmonischen
Mitteln nach ist der Be-b. die intellektuellradikalisierte
Fortf iihrung des -*■ Swing in Anlehnung an die erwei-
terte Harmonik der modernen Musik (EinfluB Schon-
bergs, Strawinskys). Schlagzeuggrundlage des Be-b.
ist das dauernd klingend gehaltene Becken mit frei
dazwischenfallenden Trommelakzenten (Max Roach).
Dazu tritt eine nahezu durchlaufende, haufig die ka-
denzalen Einschnitte des Harmoniegeriists iiberspie-
lende Phrasierung der Melodieinstrumente in Sechzehn-
telbewegung, meist in kolorierungsartigen Formeln
oder abgerissenen Wendungen, wodurch der Be-b.
den Charakter einer brillanten, aber auch nervos-hasti-
gen Musizierweise erhalt. Im Bereich des Gesangs ent-
sprechen dieser melodischen Phrasierung die Be-b.-
vocals (bop-scat, ->■ Scat). Die instrumentalen Soli
konnen im Be-b. an jeder Stelle des -»■ Chorus begin-
nen oder sich sogar iiberschneiden. Dadurch ist im Be-
b.-Musizieren der zugrunde liegende Chorus, der im
Gegensatz zum friiheren Jazz nicht mehr vor allem ein
bekannter Schlager, sondern sehr haufig auch ein neu
92
Begabung
komponiertes Thema in Lied- oder Bluesform sein
kann, meist nur schwer herauszuhoren. Typisch fur
das Klangbild des Be-b. sind die Ausnutzung der ex-
tremstenlnstrumentenregister (hochste Lage derTrom-
pete) und die Verwendung des Vibraphons. Die In-
tonation ist im Gegensatz zur friiheren -> Hot-Into-
nation undynamisch, weich, legatohaft, ohne Vibrato.
Sie wurde um 1950 zum -> Cool-Ideal fortentwickelt.
Seit seiner Entstehung fiihrte der Be-b. immer starker
zum modernen experimentellen Jazz, weshalb kleinste
Besetzungen bevorzugt sind (typisch : Dizzy Gillespies
Quintett). Durch Gillespie wurde der Be-b. jedoch
auch in das Big band-Musizieren iiberfuhrt. Im Zu-
sammenhang mit dem experimentellen Charakter des
Be-b. stehen auch die bewuBten Riickgriffe auf afro-
kubanische Rhythmen (-> Afro-Cuban-Jazz) und die
neuartige Verwendung des Arrangements auch fiir
kleinere Gruppen (Gil Fuller), wodurch der Be-b. ent-
scheidenden Einflufi auf den ->- Progressive Jazz ge-
wann. Der Be-b. bildet Ausgangspunkt und Grundlage
des gesamten modernen Jazz und erscheint darin selbst
in immer neuen Varianten, etwa als Hard bop oder
Cool bop.
Lit.: L. Feather, Inside B.-b., NY 1949; C. Bohlander,
Jazz-Gesch.u. Rhythmus, = Jazz studio I, Mainz (1960).
EWa
Bebung, im Barock haufig verwendete allgemeine Be-
zeichnung fur Vibrato ; im besonderen eine nur auf dem
Clavichord ausfiihrbare Verzierung, die in einer Ver-
bindung von Schwankungen der Tonhohe (-s- Vibrato)
mit solchen der Tonintensitat (-*- Tremolo) besteht. Die
letztgenannte B. kommt durch eine wiegende Vertikal-
bewegung des Fingers auf der Taste zustande, wobei die
Tangente standig in Beriihrung mit der Saite bleibt.
Sie wurde in alien maBgebenden deutschen Klavier-
schulen des 18. Jh. beschrieben und vor allem bei einer
langen und ajfecktuosen Note (C.Ph. E.Bach 1753) sowie
besonders in Tonstiicken von traurigem etc. Charakter (D.
G.Tiirk 1789) mit Erfolg angebracht. Nach Marpurg
(1755) bringet man sie auf wenig Ciavichorden ertraglich
heraus, hingegen kann man sie auf dem hohlfeldischen Bo-
genfliigel auf das vollkommenste ausuben ; auch Turk be-
statigt, dafi diese Manier . . . nur auf einem sehr guten
Klaviere heraus zu bringen ist. Haufig wurde sie durch
das Zeichen
m
(C.Ph. E.Bach) angedeutet, das
aber - wie alle Verzierungszeichen im Barock - keines-
wegs obligatorisch war (Beispiele fiir dieses Zeichen in
C.Ph.E.Bachs Probestiicken zum Versuch, Sonate IV,
Largo maestoso, sowie in der 1 . Sammlung fiir Kenner
und Liebhaber, Sonate II, Andante). Nach Marpurg
pflegt man allezeit so viele Puncte i'tber die Note zu setzen,
als Bewegungen mit dem Finger gemacht werden sollen. -
Die B. war eines der charakteristischen Merkmale des
»seelenvollen« Spiels auf dem Clavichord im Zeitalter
der Empfindsamkeit.
becarre (frz.), unter den -* Akzidentien das -> Auf-
losungszeichen l{ , der Bezeichnung und der Gestalt
nach entstanden aus dem bquadratum (-> B).
Becher (Schallbecher) heiBen die -> Auf satze der Zun-
genpfeifen der Orgel, die meist eine becherformige
Gestalt haben (oben weiter sind) ; auch das erweiterte
Ende der Schallkorper der Holzblasinstrumente (be-
sonders der Klarinetten) wird B. (Schalltrichter) ge-
nannt, das der Blechblasinstrumente -»- Stiirze.
Becken (ital. piatti oder cinelli; engl. cymbals; frz.
cymbales), Schlaginstrument von unbestimmter Ton-
hohe mit grellem, lang anhaltendem Klang, das zu-
meist aus einem Paar tellerformiger Metallscheiben
(Messinglegierungen, friiher auch Bronze) besteht.
Die breiten, flachen Rander sind der klingende Teil,
der durchbohrte, konkave Mittelteil, an dem die als
Handgriffe dienenden Lederriemen befestigt sind,
schwingt nicht mit. Ihren Ursprung haben die B. in
einem Kultinstrument der Hochkulturen Asiens (ge-
geneinandergeschlagene Leerglockchen, die mit der
Zeit flacher wurden), in der Antike waren sie als
-> Kymbala bekannt. Mittelalterliche Bilddarstellun-
gen zeigen sowohl B., die der heutigen Form ahnlich
sind, als auch besonders kleine B., die an Stielen be-
festigt sind (Gabel-B.). Der erste Beleg fiir das Wort
B. findet sich Anfang des 15. Jh. in Heinrich Witten-
wilers Ring (Uber all das bekk erschal). In die abendlan-
dische Kunstmusik gelangte das Instrument durch die
-*■ Janitscharenmusik der Militarkapellen im friihen
18. Jh. (N.A.Strungk.Esrter, 1680; R. Reiser, Claudius,
1703 ; spater Gluck, Skythenchor in Iphigenie en Tauride,
1779), wie iiberhaupt die Tiirken bis in die neueste
Zeit Meister in der Herstellung von B. (tiirkisch zil)
waren. Seitdem sind die B. Stamminstrument im Or-
chesterschlagzeug. Man unterscheidet die etwas tiefe-
ren chinesischen (etwa 35 cm ) und die flachen, im
Klang besseren tiirkischen B. (40-50 cm 0). Die spiel- .
technischen Moglichkeiten sind mannigf ach : Kraf tiges
Gegeneinanderschlagen (forte), Aneinander-»Reiben«
der Rander (piano) ; kurze markierte Schlage erfordern
sofortiges Abdampfen (Anpressen an die Brust). Das
hangende B. besteht aus nur einem B. -Teller; es wird
entweder frei in der Hand gehalten oder ist auf einem
Stander (auch in Verbindung mit groBer Trommel) be-
festigt; angeschlagen wird es mit den verschiedensten
Arten von Schlageln am Rand. In modernen Partituren
wird das B.-Paar durch das Zeichen HF, das hangende
B. durch _i_ gefordert. Die Neue Musik bedient sich
der Klangmoglichkeiten der B. in reichem MaBe, eben-
f alls der Jazz, hier besonders in der Form des -> Hi-hat
und des hangenden B.s, das anstelle von Schlageln oft
mit dem —>■ Besen geschlagen wird.
Lit. : Sachs Hdb. ; C. Sachs, Geist u. Werden d. Musik-
instr., Bin 1929; H. Kunitz, Die Instrumentation, X
(Schlaginstr.), Lpz. 1960.
Bedon (bad's, frz.), altfranzosische Bezeichnung fiir
Trommel; b. de Biscaye, s. v. w. tambour de basque
(Schellentrommel, Tamburin).
Begabung. Die musikalische B. oder Musikbegabung
(»Musikalitat«) ist eine Sonderbegabung, die in ihren
elementaren Voraussetzungen gleichwohl zum »ge-
sunden«, vollentwickelten Menschen gehort, nur frei-
lich sehr oft nicht geweckt wird. Radikale Unmusikali-
tat (-»- Amusie) gilt als pathologisch. Das bloBe Nicht-
singenkonnen, oft fiir ein Anzeichen volliger Unmu-
sikalitat gehalten, kann auf einem Defekt der Innerva-
tion der Kehlkopfmuskulatur beruhen, der weit ver-
breitet ist. Es gibt produktive Musiker von Rang, die
»nicht singen konnen«, zuweilen sogar wenn sie -> Ab-
solutes Gehor besitzen. Letzteres ist kein eindeutiger
Gradmesser, auch keine Voraussetzung hoher musika-
lischer B.; doch ist es eine Ubertreibung, daB es auch
unmusikalische Absoluthorer geben konne. Ebenso-
wenig steht eine besonders feine Untcrschiedsempfind-
lichkeit fiir Tone oder ein hoch ausgebildetes Relatives
Gehor in einem eindeutigen Zusammenhang mit mu-
sikalischer B. Entscheidender ist das musikalische ^-Ge-
dachtnis und Vorstellungsvermogen, dies besonders
beim produktiven Musiker. Von der klanglichen ist die
rhythmische Auffassungs- und Gestaltungsfahigkeit zu
unterscheiden. Bei der rhythmischen B. hebt sich die
metrische B. von der fiir rhythmische Erfiillung der
93
Beggar's Opera
Zeitgestalten ab. Nicht nur die musikalische B. iiber-
haupt, sondern auch ihre Faktoren sind weitgehend
erbbedingt. Das beriihmteste Beispiel fur die Verer-
bung der Musikbegabung ist die Familie Bach. - Bei
den Begabungspriifungen in der padagogischen Praxis
handelt es sich um Tests, in denen die einzelnen Bega-
bungsfaktoren festgestellt werden (Nachklopfen von
Rhythmen; Nachsingen oder -pfeifen von Tonfolgen,
auch transponiert; Auffinden von Fehlern in bekann-
ten Melodien und dergleichen).
Lit. : Th. Billroth, Wer ist mus. ?, hrsg. v. E. Hanslick,
Bin 1896, "1912; G. Revesz, E. Nyiregyhazy. Psychologi-
sche Analyse eines mus. hervorragenden Kindes, Lpz.
1916; ders., Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern
1 946 ; ders., Die Vererbung d. mus. Anlage, Universitas V,
1950; ders., Talent u. Genie, Grundziige einerBegabungs-
psychologie, Bern 1952; C. E. Seashore, The Psychology
of Mus. Talent, Boston 1919; J. v. Kries, Wer ist mus.?,
Bin 1926;Th. Lamm, ZurexperimentellenUntersuchungd.
rhythmischen Veranlagung, Zs. f. Psychologie CXVIII,
1930; A. Wellek, Typologie d. Musikbegabung im deut-
schen Volke, Munchen 1939; ders'., Musikpsychologie u.
Musikasthetik, Ffm. 1963; H. Wing, Tests of Mus. Abi-
lity and Appreciation, British Journal of Psychology, Mo-
nograph Suppl. XXVIII, 1948 ; L. Kayser, Pruning d. Mu-
sikbegabung, Musik im Unterricht (Allgemeine Ausg.)
LIII, 1962. AW
Beggar's Opera (b'egaz 'apaw, engl.) -> Ballad
opera.
Begleitung (frz. accompagnement; ital. accompagna-
mento ; engl. accompaniment) ist in der neueren abend-
landischen Musik alles, was auBer den melodiefiihren-
den Hauptstimmen erklingt, ihnen untergeordnet ist
und dabei ihren metrischen und harmonischen Bau
verdeutlicht. Dies leistet bereits eine einfache Akkord-
unterstiitzung. Meist aber ist die B. ein Komplex
aus Klangen, Rhythmen und verschieden individuali-
sierten Stimmen in wechselnder Anzahl. - Aufierhalb
der funktionalharmonischen Musik ist es problema-
tisch, einen Teil der Komposition als B. anzusprechen.
Nur mit Vorsicht konnen etwa folgende Arten freier
instrumentaler Zutaten der Ausfiihrenden so bezeich-
net werden: Verwendung von Schlaginstrumenten zu
einfacher Schwerpunktakzentuierung (bei Aufziigen
und Tanzen) oder in komplizierten rhythmischen For-
meln (wie in der afrikanischen und orientalischen Mu-
sik) ; stereotype Haltetone oder -intervalle (Dudelsack-
quinten); Umspielung und Auszierung der Melodie
nach Art der ->■ Heterophonie. In der mittelalterlichen
Mehrstimmigkeit fehlt eine Qualitatsabstufung der
Stimmen im Sinne von Melodie und B. Das gilt sowohl
fur das Mitgehen von Instrumenten mit den gesunge-
nen Stimmen (wie in der Friihzeit des organalen Ge-
sanges) als auch fur die Falle strenger Parallelfiihrung
in -> Organum oder ->■ Fauxbourdon; auch im be-
weglichen Quartenorganum ist die dem Cantus re-
spondierende Stimme durch Gleichrangigkeit charak-
terisiert; ->• Diaphonia, -> Discantus und Contrapunc-
tus widersprechen schon als Begriffe der Vorstellung
begleitender Stimmen. So sind auch die kunstvoll dis-
kantierenden Liedformen des Spatmittelalters nicht so
sehr begleiteter Sologesang als vielmehr ein vokal-in-
strumentaler Verband selbstandiger Stimmen. - Ein-
deutige, als Res facta gestaltete B. ist ein Charakteristi-
kum neuzeitlicher Musik. Sie entstand, als die Harmo-
nie sich auf dem Wege zur dominantischen Tonalit'at
als eigene musikalische GroBe konstituierte und als zu-
gleich spezifisch instrumentale und vokale Stimmfiih-
rungen in der Komposition unterschieden wurden.
Ansatze finden sich in den homophonen Liedgestaltun-
gen des friihen 16. Jh., z. B. in der italienischen -»■ Frot-
tola. Die erste vollgiiltige Ausbildung einer Begleit-
struktur brachte jedoch erst der -> GeneralbaB in sei-
nen verschiedenen Formen und Stadien. Erst seitdem
gibt es auch ein Wort (accompagnato), das den musi-
kalischen Tatbestand benennt. Im GeneralbaB tritt ein
tiefes Melodie- und ein Akkordinstrument, das die har-
monische Ausfiillung nach einer andeutenden Beziffe-
rung iibernimmt, der fiihrenden Vokal- oder Instru-
mentalstimme gegeniiber. Diese Art der B., Grundla-
ge des solistischen Concerto und der Monodie, wurde
zum bestimmenden Stilmerkmal einer musikalischen
Epoche. Ihre Anwendung erstreckte sich auf fast alle
musikalischen Bereiche.Wichtig wurde z. B. dieOrgel-
B. des Gemeindegesangs in der Kirche, die B. des In-
strumental- oder Gesangssolisten beim Konzertieren
sowie die B. des Sangers in der Oper, wo sich die Ar-
ten des Seccorezitativs und des ->■ Accompagnato her-
ausbildeten. - Nach dem Ende des Generalbafizeit-
alters begann sich in der Instrumentalmusik die Tren-
nung und deutliche Gegeniiberstellung von Melodie
und B. zunehmend zu verwischen. Starkere Durch-
formung und motivische Beteiligung aller Stimmen
fiihrte um 1780 in der Kammermusik und Sympho-
nik zu einer Satztechnik, bei der eine in -> Durch-
brochener Arbeit aufgegliederte Hauptmelodie und
das ihr zugeordnete -> Obligate Akkompagnement
oft nahtlos ineinander iibergehen. Im Instrumentalkon-
zert und in der Oper konnte der neue Orchestersatz als
Ganzes der fiihrenden Stimme als B. gegeniibertreten.
Ein analoger ProzeB fiihrte zu einem neuen, differen-
zierten Klaviersatz und ermdglichte die neuartige Be-
deutung des Klaviers sowohl in der Kammermusik,
wo es iiber die stiitzende Akkord-B. weit hinausgehend
zum fiihrenden und Zusammenhang stiftenden Instru-
ment aufstieg, als auch im Lied. Hier vor allem erhielt
die B. einen neuen Sinn; sie wurde zur charakterisie-
renden Untermalung und - seit Schubert - zu einem
Mittel tiefsinniger Ausdeutung des Dichterworts. In
der 2. Halfte des 19. Jh. ist in der Instrumentalmusik ein
Stadium starkster satztechnischer Verflechtung von
Solo und Tutti erreicht (Brahms, Klavierkonzerte), in
der Oper (Wagner) und im Sololied (H. Wolf) zudem
auBerste psychologische und symbolische Ausdrucks-
fahigkeit des ehemals begleitenden Parts, so daB das
Wort B. kaum noch sinnvoll darauf angewendet wer-
den kann. Die Entwicklung setzte sich konsequent fort
in einem Teil der neuen und neuesten Musik, dort nam-
lich, wo das Verhaltnis Fiihrung-Unterordnung der
Stimmen in die Gleichrangigkeit der musikalischen
Elemente iibergeht, womit die iiber 300 Jahre wahren-
de Trennung in Melodie und B. aufgehoben wird.
Lit. : Bach Versuch ; Fr.-J. Fetis, Traite de l'accompagne-
ment de la partition, Paris 1 829 ; V. Ch. P. Dourlen, Trait6
d'accompagnement, Paris 1840; A. A. E. Elwart, Le
chanteur-accompagnateur, Paris 1844; Fr. A. Gevaert,
Methode pour l'enseignement du plain-chant et de la ma-
niere de l'accompagner, Gent 1856; Fr. X. Mathias, Hist.
Entwicklung d. Choralb., StraBburg 1905 ; L. Landshoff,
Uber d. vielst. Accompagnement u. andere Fragen d. Gb.-
Spiels, Fs. A. Sandberger, Munchen 1918; K. G. Fellerer,
Instr.-B. d. Werke Palestrinas im 18. Jh., Musica Sacra LV,
(Regensburg) 1925; Fr.Th.Arnold, The Art of Accompa-
niment from a Thorough-Bass, London 1931 ; L. Sohner,
Die Gesch. d. B. d. gregorianischen Chorals in Deutsch-
land, = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d.
Schweiz XVI, Augsburg 1931 ; G. Moore, Singer and Ac-
companist, London 1953; Fr. Oberdorffer, Uber d. Gb.-
B. zu Kammermusikwerken Bachs u. d. Spatbarock, Mf
X, 1957; ders., Uber d. Gb.-B. zu Kammermusikwerken
Bachs, Mf XI, 1958; M. Blindow, Die Choralb. d. 18. Jh.
in d. ev. Kirche Deutschlands, = Kolner Beitr. zur Musik-
forschungXIII, Regensburg 1957; W. Fischer, Die»nach-
schlagende Akkord-B.« bei W. A. Mozart, Mozart-Jb.
1959; C. Eccher, Accompagnamento Gregoriano, Rom
1960. PS
94
Belcanto
B£guine(beg'in, frz.), negroider Tanz aus Martinique
und Santa Lucia. Die B., die urn 1930 auch in Europa
bekannt wurde, ist eine Abart der -> Rumba und ver-
lauft in maBig bewegtem bis raschem Tempo im 2/4-,
4/4- oder 2/2-Takt mit dem Rhythmusschema:
id) pui rm oder n , *rm
Beispielsammlung (engl. anthology ; frz. anthologie ;
ital. antologia), eine Zusammenstellung ausgewahlter
Noten- oder Schallplattenbeispiele, die den Verlauf
der Musikgeschichte im allgemeinen, in einzelnen
Landern, Stilepochen oder die Entwicklung bestimm-
ter Gattungen und Formen aufzeigen. Von diesen B.en
zur Musikgeschichte sind im deutschen Sprachbereich zu
unterscheiden die musikalischen Anthologien (griech.,
Blumenlese; lat. florilegium), altere Sammlungen zu-
meist zeitgenossischer Komponisten, z. B. E.Boden-
schatz' Motettensammelwerk Florilegium portense (2
Teile, Leipzig 1618-21), die Blumenlese und Neue Blu-
menlese (1782-87) von H.Ph. -»■ Bossier und seine Mu-
sikalische Anthologie (bis 1799). Der historisch ausge-
richteten B. der neueren Zeit verwandt ist schon die
1765 in Paris erschienene 4bandige Chansonsammlung
Anthologie francaise von J. -> Monnet. An wichtigen
allgemeinen B.en sind seit O. Kades Supplement (Leip-
zig 1882) zu Band III von Ambros' Geschichte der Mu-
sik und H.Riemanns Musikgeschichte in Beispielen (150
Nummern, mit Erlauterungen von A. Schering, Leip-
zig 1912, *1929) zu nennen: A.Einstein, B. zur alteren
Musikgeschichte ( = Aus Natur und Geisteswelt 439,
Leipzig 1917, 51934, englische Ausgabe London 1949
und ofter); J. Wolf, Sing- und Spielmusik aus alterer
Zeit, herausgegeben als Beispielband zur allgemeinen
Musikgeschichte ( = Wissenschaft und Bildung 218,
Leipzig 1926); A. Delia Corte - G.M.Gatti, Antologia
delta storia della musica (2 Bande, Turin 1927-29, *1945) ;
H. Martens, Musikalische Formen in historischen Reihen
(Spiel- und Singmusik fur den Musikunterricht und
fur das hausliche Musizieren, 20 Hefte, nach Formen
getrennt, Berlin 1930-37, 2. Auflage, mit W.Drang-
meister und H.Fischer, Wolfenbiittel 1958ff.); A.
Schering, Geschichte der Musik in Beispielen (350 Ton-
satze aus 9 Jahrhunderten, Leipzig 1931, 2 1954, engli-
sche Ausgabe New York 1954); A. Th. Davison - W.
Apel, Historical Anthology of Music (2 Bande, Cam-
bridge/Mass. 1947-50, 1 21950); D.Bartha, A Zenetor-
tinet AntolSgidja (»Anthologie der Musikgeschichte«,
bis 1750, Budapest 1948) ; die von K. G. Fellerer heraus-
gegebene B. Das Musikwerk (bisher 28 Hefte von 50
geplanten, Koln 1951ff., englisch als The Anthology of
Music, bisher 20 Hefte). Nationale B.en sind u. a.: die
von A. Smijers im Auf trag der Vereeniging voor Ne-
derlandse Muziekgeschiedenis herausgegebene Reihe
Van Ockeghem tot Sweelinck (Nederlandse Muziekge-
schiedenis in voorbeelden, Amsterdam 1939fL, bisher
7 Lieferungen) sowie Stijlproeuen van nederlandse mu-
ziek, 1890-1960, zusammengestelltvonE.Reeser, Band
I, Amsterdam 1963; S.Lw. Ginsburg, Istorija russkoj
musyki w notnych obraszach (»Geschichte der russischen
Musik in Notenbeispielen«, 3 Bande, Moskau und Le-
ningrad 1940-52); J.Pohanka, Dejiny ceske hudby v
pfikladech (»B6hmische Musik in Beispielen«, Prag
1958). (Weitere nationale B.en unter Ausgaben der
betreffenden Landerartikel.) - GroBe Schallplatten-
B.en sind: Anthologie sonore, begonnen 1934 in Paris
imd veranstaltet unter Mitarbeit von C.Sachs, F. Ago-
stini, B. Steele und F.Raugel (nach Serien zu je 20 Plat-
ten angelegte Sammlung); Archiv-Produktion der
Deutschen Grammophongesellschaft, begonnen 1949
unter Fr.Hamel, fortgefiihrt unter H.Hickmann; The
History of Music in Sound von His Master's Voice, be-
gonnen 1954 unter G. Abraham, als Erganzung zur
New Oxford History of Music (London seit 1954).
Belcanto (ital., schoner Gesang), eine erst im 19. Jh.
entstandene Bezeichnung f iir die aus italienischem Mu-
sikempfinden erwachsene ->• Gesangskunst, die sich -
ausgehend von dem als nobile maniera di cantare von
Caccini und Peri um 1600 in Lehre und Praxis be-
griindeten, reich verzierten Sologesang - in enger
Wechselwirkung vor allem zwischen weltlicher Kam-
mermusik (Madrigal, Kantate), Oper und Oratorium
in Anlehnung an instrumentale Spielpraktiken entwik-
kelte. Der B. war nicht auf Intensitat des Ausdrucks und
der Deklamation gerichtet; typisch war vielmehr die
Beweglichkeit und Ausgeglichenheit der Stimme, die
in feinsten Gradationen zu singen vermochte, die Ver-
edelung der Tonbildung und Schonheit des Klanges.
- Bereits Zacconi (Prattica di musica, 1596) gab eine An-
leitung zur Auszierung mehrstimmiger Motetten und
Madrigale und wies, wie schon Maffeis Discorso della
voce (1562), dem ausfuhrenden Sanger eine wichtige
Rolle zu. Mit der »melodischen Intensivierung« der
Oper, f iir die Monteverdis II ritorno d' Ulisse (1641) rich-
tungsweisend wurde, entwickelte sich in der ->■ Vene-
zianischen Schule der schlichte und der ausgeschmiick-
te B., der in der ->• Neapolitanischen Schule zur abso-
luten Herrschaft des Gesangs fiihrte. Das spate 17. Jh.
und besonders das 18. Jh. bildeten den B. zu hochster
Virtuositat aus: die Improvisationskunst, das eigentliche
Wesen des alten B. (Wolff), und die Kehlfertigkeit des
-> Kastraten und der ->• Primadonna feierten Trium-
ph'e. Die Sanger brillierten mit dem.»Instrument« ihrer
vollkommenen Stimme in den (bis zur Verkiinstelung
in sinnentleerten Wort- und Silbenwiederholungen)
ganz auf ihren Bravourgesang angelegten Aden.
Die klassischen B.-Methoden, fiir die als Schulwerk
P. Fr. Tosis Opinioni de' cantori antichi e moderni (Bo-
logna 1723) grundlegend war, verlangten (in langer,
oft 8- bis lOjahriger Ausbildung) die Beherrschung
groBer Atemtechnik, die Ubung des Schwelltones
(der -*■ Messa di voce), des Legatos (einem Haupt-
merkmal des auch als »gebundener Gesang* bezeichne-
ten B.), der verschiedenen Arten des Vorschlags, der
Triller, des Staccatos, Martellatos, Portamentos usw.,
der Koloraturen und der Kunst der Improvisation,
dann erst das Studium der Partituren. An B.-Lehrern
des 17. und 18. Jh. ragen hervor: Fr. A. Pistocchi (der
um 1700 eine Gesangsschule in Bologna griindete, an
der zum ersten Male streng methodisch Gesangsunter-
richt erteilt wurde und die fiihrend fiir die 1. Halfte
des 18. Jh. war), A. Bernacchi (nach dessen nicht schrift-
lich festgelegter Methode noch im 19. Jh. gelehrt wur-
de), G.Mancini (bedeutend seine Pensieri e riflessioni
pratiche sopra il canto figurato, 1774) und G. Crescentini
(Raccolta di esercizj per il canto, 1811). Seit Gluck be-
gann der Sanger seine eigenschopferische Stellung zu
verlieren. Rossini setzte um 1815 der Epoche sangeri-
scher Improvisationskunst ein Ende, indem er selbst
die Gesange bis ins kleinste festlegte. In den Opern
Donizettis und Bellinis ist der B. durch eine mit ex-
pressiven Zugen bereicherte, zur dramatischen Aktion
drangende Melodiebildung gekennzeichnet. Verdi
setzte deklamatorische Forderungen durch und er-
hohte die individuelle Ausdruckskraft der handeln-
den Personen, ohne die Sanglichkeit zu vernachlas-
sigen. Mit dem Verismo enrfernte sich der italieni-
sche Vokalstil immer mehr vom Ideal des B. und gab
groBer Expressivitat und dramatischer Gestaltung
Raum. Schon in der franzosischen GroBen Oper hatte
sich ein neues Gesangsideal angekiindigt, das den alten
95
Belgien
»Schon-Gesang« mit einer dramatisch akzentuierten
Singweise verband. Die Padagogik pafite sich den For-
derungen nach groBerer Stimmstarke usw. an (in
Frankreich zuerst M.Garcia, in Deutschland P. Win-
ter) und loste sich allmahlich vom B. -Ideal, dem R.
Wagner mit dem melodisch-deklamatorischen »Sprech-
gesang« (wie er zuerst in Tannhausers Rom-Erzahlung
vorgebildet ist) ein neues Gesangsideal entgegensetzte.
Lit. : A. M. Pellegrini Celoni, Grammatica, o siano rego-
le di ben cantare, Rom (1810), 2 1817; H. Goldschmidt,
Die ital. Gesangsmethode im 17. Jh., Breslau 1890, 21892;
M. Kuhn, Die Verzierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d.
16.-17. Jh., = BIMG I, 7, Lpz. 1902; H. Klein, The B.,
London 1923; V. Ricci, II b., Mailand 21923; Fr. Habock,
Die Kastraten u. ihre Gesangskunst, Bin u. Lpz. 1927; E.
Ross, Die deutsche u. ital. Gesangsmethode d. 18. Jh., Diss.
Konigsberg 1927; R. Haas, Die Musikd. Barocks, Biicken
Hdb. ; H. Arlberg, A., Lpz. 1933 ; B. Ulrich, Die altital.
Gesangsmethode. Die Schule d. B. auf Grund d. Original-
Schriften zum ersten Male dargestellt, Lpz. 1933 ; L. Bocci-
Brunacci, Del b., Rom 1934; H. Faller, Die Gesangsko-
loratur in Rossini's Opern u. ihre Ausfiihrung, Diss. Bin
1935; L. Siotto Pintor, Segreti del B., Mailand 1938; A.
Machabey, Le B., Paris 1948; J. Laurens, B. et emission
ital., Paris 1950; P. A. Duey, B. in Its Golden Age, NY
1951 ; R. Maragliano Mori, I Maestri del B., Rom 1953 ;
H. Chr. Wolff, Die Gesangsimprovisation d. Barockzeit,
Kgr.-Ber. Bamberg 1953; ders., Vom Wesen d. alten B.,
Musik im Unterricht LII, 1961 ; H.-P. Schmitz, Die Kunst
d. Verzierung im 18. Jh., Kassel 1955; E. T. Ferand, Die
Improvisation in Beispielen aus 9 Jh. abendlandischer Mu-
sik, Koln 1956; G. Lauri-Volpi, I misteri della voce uma-
na, Mailand 1957; M. Amstad, Das goldene Zeitalter d. B.,
SMZ CI, 1961 ; O. Merlin, Le B., Paris 1961.
Belgien.
Ausg. : — » Denkmaler.
Lit. : P. Fredericq, Onze hist, volksliederen, Gent u. Den
Haag 1894; Fl. Van Duyse, Het eenstemmig frans en ne-
derlands wereldlyk lied in de belgische gewesten, Gent
1 896 ; E. Closson, Les chansons populaires des provinces
beiges, Briissel 1905, 2 1913, 31920; ders., La facture des
instr. de musique en Belgique, Briissel 1935; C. Brouwer,
D*is Volkslied in Deutschland, Frankreich, B. u. Holland,
Diss. Groningen 1930; Ch. Van den Borren, Du role in-
ternational de la Belgique dans l'hist. mus., Kgr.-Ber. Liit-
tich 1930; ders., Geschiedenis van de muziek in de Neder-
landen, 2 Bde, Amsterdam u. Antwerpen 1949-51; Fl.
Van der Mueren, Vlaamsche muziek en componisten in
de 19. en 20. eeuw, Den Haag 1931 ; S. Clercx, Les clave-
cinistes beiges et leurs emprunts a l'art de Fr. Couperin et
de J.-Ph. Rameau, RM XX, 1939; dies., Terminologie
et realites, introduction a l'hist. de la musique en Belgique,
RBM V, 1951; dies., La musicologie en Belgique depuis
1945, AMI XXX, 1958; dies., Complement a la bibliogr.
sur la musicologie en Belgique depuis 1945, AMI XXXI,
1959; A. Libiez, Chansons populaires de l'ancien Hainaut,
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lied in Vlaandern, Antwerpen 1942 ; R. Pinon, La nouvelle
lyre malmedienne ou la vie en Wallonie malm6dienne re-
flectee dans la chanson folklorique, »Folklore Stavelot-
Malmedy« ab Bd. XIII, 1949ff.; J. Stehmann, Hist, de la
musique en Belgique, Briissel 1950; Ch. Leirens, La mu-
sique beige, = Art, vie et sciences en Belgique II, Briissel
1952; R. B. Lenaerts, Contribution a l'hist. de la musique
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Belgique du moyen age a nos jours, hrsg. v. E. Closson u.
Ch. Van den Borren, Briissel 1956; K. De Schrijver,
Levende componisten uit Vlaanderen, 2 Bde, Lowen 1954-
55; ders., Bibliogr. d. belgische toonkunstenaars sedert
1 800, Lowen 1958 ; R. Wangermee, La musique beige con-
temporaine, Briissel 1959.
Belgrad.
Lit. : St. Djuric-Klajn, Muzicki grad Beograd (»Die Mu-
sikstadt B.«), in : Muzika i muzicari (»Musik u. Musiker«),
B. 1956.
Bell (engl.) -> Glocke, -> Stiirze der Blasinstrumente.
bemol (frz.), unter den -> Akzidentien das Erniedri-
gungszeichen t, der Bezeichnung und der Gestalt
nach entstanden aus dem bmolle oder brotundum
(-> B). Im Franzosischen werden durch den Zusatz be-
mol zu den Solmisationssilben Tonnamen und Tonar-
tenbezeichnungen angegeben, z. B. si bemol (majeur
oder mineur) = B (dur oder moll).
Benedicamus Domino (lat.), eine vermutlich aus
der gallikanischen Liturgie in die romische MeBfeier
und den Stundengottesdienst ubernommene SchluB-
bzw. Entlassungsformel, gefolgt von dem Responsum
Deo gratias. Die seit dem 11. Jh. geltende Ordnung,
nach welcher das B. D. im Ausgleich mit dem alteren
und zunachst allein gebrauchlichen he missa est einzu-
setzen ist, wurde durch den Novus Codex Rubricarum
von 1960 aufgehoben. Dieser gestattet es nur noch im
Abendmahlsamt vom Griindonnerstag und in Messen
mit' anschlieBender Prozession (z. B. Fronleichnam).
Demgegeniiber verwendet das Offizium den B. D.-
Gesang in alien Horen. Sein Vortrag erfolgt durch den
Zelebranten (Messe), den Diakon (feierliches Hoch-
amt), einen oder mehrere Kantoren (Offizium). - In
ihrer melodischen Gestalt sind die B. D.-Weisen - vor
allem der Messe - mehrfach den Kyrie-Vertonungen
des Ordinarium Missae entnommen, auch lassen sich
SchluBmelismen von Responsoria prolixa als Vorlage
erkennen. Die Uberlieferung der Melodien setzt im 11.
Jh. ein. Sie steht in engem Zusammenhang mit den
musikgeschichtlich bedeutsamen B. D.-Tropierungen.
In der friihen Mehrstimmigkeit gehort das B. D. zu
den zentralen Formen. - Die ambrosianische Liturgie
verwendet den Entlassungsruf B. D. (mit Responsum
Procedamus in pace) in alien Messen und in den Ge-
betsstunden.
Ausg. : El codex mus. de Las Huelgas III, hrsg. v. H. An-
gles, = Bibl. de Catalunya, Publicacions del Departament
de miisica VI, Barcelona 1931 ; Die 3- u. 4st. Notre-Dame-
Organa, hrsg. v. H. Husmann, = PaM XI, Lpz. 1940; Da-
vison-Apel Anth. I, 28.
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1 962 ; H. Schmidt, Die 3- u. 4st. Organa, Kassel
1933; J. Handschin, Mg. im tlberblick, Luzern (1948),
2 1964; A. Geering, Die Organa u. mehrst. Conductus in
d. Hss. d. deutschen Sprachgebietes vom 13. bis 16. Jh.,
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden
Ges. II, 1, Bern (1952), mit ausfiihrlichen Lit.- u. Quellen-
angaben ; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958);
K. v. Fischer, Die Rolle d. Mehrstimmigkeit am Dome v.
Siena zu Beginn des 13. Jh., AfMw XVIII, 1961; J. A.
Jungmann SJ, Missarum Sollemnia II, Wien, Freiburg
i. Br. u. Basel 51962; Fr. Ll. Harrison, B., Conductus,
Carol: A Newly-Discovered Source, AMI XXXVII, 1965.
KWG
Benedicite omnia opera Domini Domino (lat.),
der Gesang der drei Junglinge im Feuerofen (Dan. 3,
57-88, als AbschluB Vers 56), ein Canticum der ro-
misch-katholischen Liturgie. Es wird in den Laudes
des Sonn- und Feiertagsoffiziums verwendet. An den
Sonntagen der Advents- und Fastenzeit steht statt des-
sen Dan. 3, 52-57: Benedictus es Domine Deus patrum
nostrorum. Dieser letztere Text findet sich auch in der
Messe der Quatembersamstage als Antwortgesang
nach der 5. Lesung (dort als Hymnus bezeichnet). Er
wurde schon in der altspanischen und gallikanischen
Liturgie im AnschluB an Schriftlesungen gesungen.
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I, Lpz. 3 1911, Neudruck Hildesheim u; Wiesbaden
1962; Dictionnaire d'archeologie chretienne et de liturgie
II, Paris 1925.
Benedictus Dominus Deus Israel (lat.), der Gesang
des Zacharias (Luc. 1, 68-79), ein Canticum der ro-
96
Bergreihen
misch-katholischen Liturgie. Es bildet den Hohepunkt
der Laudes entsprechend dem Magnificat in der Ves-
per. Wie dieses wird es bei feierlichen Gelegenheiten
nach einer eigenen Psalmformel gesungen (-*■ Psalm-
tone).
Benedictus es Domine Deus patrum nostrorum
(lat.) -> Benedicite omnia opera Domini Do-
mino.
Benedictus qui venit (lat.), der dem Sanctus der
Messe angeschlossene Teil in Form eines Lobpreises
nach Matth. 21, 9 und Ps. 117, 26. Seine alteste Erwah-
nung (Caesarius von Aries, f 540) weist nach Gal-
lien, wahrend es fur den romischen Gottesdienst im 7.
Jh. belegt ist. Im Unterschied zum Missale Romanum,
welches bis heute die unmittelbare Aufeinanderfolge
von Sanctus und B. qui v. bei der Rezitation durch den
Zelebranten vorsieht, wurde der B. qui v.-Gesang -
offensichtlich unter dem EinfluB der polyphonen, hau-
fig sehr umfangreichen Sanctusvertonungen (->■ Mes-
se) - im Laufe der Zeit verselbstandigt und erhielt sei-
nen Platz nach der Wandlung (vgl. die entsprechende
Vorschrift im Caeremoniale episcoporum von 1600, fiir
den Choral das Dekret Nr 4364 der Ritenkongregation
aus dem Jahre 1921, desgl. den Rubrikenteil in der Va-
tikanischen Ausgabe des Graduale). In der modernen
Choralpraxis bleibt die urspriingliche Zusammenge-
horigkeit von Sanctus und B. qui v. gewahrt (Instruc-
tio der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958, Artikel27d).
Hinsichtlich seiner melodischen Struktur ist das ein-
stimmige B. qui v. engstens mit dem -> Sanctus ver-
kniipft.
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia
II, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962.
Berceuse (bers'0:z, frz., Wiegenlied; engl. lullaby)
ging in die Kunstmusik ein durch das Liedschaffen J. Fr.
Reichardts : Wiegenlieder fiir gute deutsche Mutter (1798)
und erlangte im 19. Jh. besonders durch Instrumental-
kompositionen entsprechenden Charakters an Bedeu-
tung. B. iiberschriebene Instrumentalstiicke (vor allem
fiir Klavier) sind im 6/8-Takt komponiert und so von
wiegender Bewegung; iiber einem haufig quasi-osti-
naten BaB lauf t eine meist schlichte Melodie, die oft in
raschere Spielfiguren aufgelost wird, wie z. B. in derB.
op. 57 von Fr. Chopin. AuBerdem sind zu nennen B.
Godards bekannte B. op. 100 (der Salonmusik ver-
pflichtet), Liszts B. fiir Kl., Debussys B. heroique fiir Kl.,
Ravels B. sur le nom de Gabriel Faure fiir V. und KL;
fiir Orch. B. ele'giaque op. 42 von Busoni und B. de
VOiseau defeu von Strawinsky.
Bergamasca (auch Bergamasco, Bergamaskertanz),
im 16.-17. Jh. volkstiimliches Lied aus Bergamo
(Norditalien), das schon im 16. Jh. in England bekannt
war. Die B. ist geradtaktig und schnell. Mann und
Frau bewegen sich im Kreis, jener vorwarts, diese riick-
warts, nach Anderung der Melodie erfolgt Umarmung
der Partner und ein Drehtanz. Bergamasken mit Text
finden sich z. B. in Azzaiolos 3. Buch der Villotte del
Fiore (1569); diese Sammlung bietet zugleich den al-
testen Beleg fiir die B. :
J.-B. Besard (Thesaurus harmonkus, 1603) und S. Scheidt
verwandten die Melodie der B. als Vorlage fiir Varia-
tionen; Frescobaldi benutzte sie als Subjekt fiir eine
Canzona mit der Beischrif t Chi questa Bergamasca sonora,
non pocho imparera (Fiori musicali, 1635). Die Melodie
des B.-Tanzes kommt noch vor bei Buxtehude in der
Klavierpartita La capricciosa und bei J. S.Bach in dem
SchluBsatz (Quodlibet) der Goldbergvariationen (1742,
BWV 988) mit dem Text Kraut und Ruben haben mich
vertrieben. Im 19. Jh. hat die B. einen ganz anderen
Charakter; sie ist ahnlich der -»■ Tarantella ein 6/8-
Tanz (mitunter Prestissimo) mit Betonung des 2. Takt-
teils. Fiir Violoncello solo komponierte der aus Berga-
mo stammende Violoncellist A.Piatti eine B. - Die
Suite bcrgamasque von Debussy ist nicht an die Melodie
gebunden, sondern durch landliche Impressionen von
Bergamo bestimmt.
Lit. : G. Ungarelli, Le vecchie danze italiane, = Bibl. na-
zionale delle tradizioni popolari italiane, Rom 1894; P.
Nettl, Die B., ZfMw V, 1922/23 ; ders., The Story of Dan-
ce Music, NY (1947); M. Reimann, Zur Entwicklungs^
gesch.d. Double, Mf VI, 1953.
Bergamo.
Lit. : G. Donati-Petteni, L'Istituto mus. G. Donizetti, la
Capella mus. di S. Maria Maggiore, il Museo Donizettiano,
B. (1928); ders., Teatro Donizetti, B. 1930; G. Angelo, B.
e la musica, B. 1958; C. Traini, Organari bergamaschi, B.
1958.
Bergerette, (berpr'et, frz., von berger, Schafer),
- 1) eine dem Virelai ahnliche Form der franzosischen
Lyrik des 15. Jh. mit nur einer Stanze. - 2) ein der Bas-
se danse verwandter Tanz des 16. Jh. in schnellem Tri-
peltakt :
JJ J- g j I S
B. Dont vient cela
(Susato, Het derde
musikbcexken,
1551).
Im 18. Jh. ist die B. in Frankreich eine lyrische Dich-
tung mit pastoralem oder erotischem Thema, die auch
gesungen wird.
Ausg. u. Lit.: Der Kopenhagener Chansonnier, hrsg. v.
Kn. Jeppesen, Kopenhagen u. Lpz. 1927; Harmonice Mu-
sices Odhecaton A, hrsg. v. H. Hewitt, Cambridge (Mass.)
1942, 21946; R. W. Winkler u. G. S. McPeek, The B.
Form in the Laborde Chansonnier, JAMS VII, 1954.
Bergreihen (Bergkreyen, Bergrei[g]en; von Berg,
erzreicher Boden, und Reigen), bergmannische Lieder
des 16. bis 18. Jh., zumeist aus dem sachsischen Erzge-
birge. Sie finden sich sowohl mit weltlichen als auch
mit geistlichen Texten, wobei Kontrafakturen haufig
sind. Der friiheste Druck ist von W. Meierpeck Etliche
hiibsche B. (Zwickau 1531, ohne Melodien). J.Walter
bringt in der letzten (5.) Auflage seines Geistlichen Ge-
sangbuchleins (1551) 4 Satze mit dem Vermerk Auf
B.weis (Vater unser im Himmelreich, 4st. ; Christ ist erstan-
den, 3st. ; Jesus Christus unser Heiland, 3st. ; Vom Himmel
hoch, 3st. ; zudem komponierte er Einen schonen geistli-
chen und christlichen B. Herzlich tut mich erfreuen (1552,
2st.). Auch die gedruckten B. von E. Rotenbuchcr
(1551) sind zweistimmig. Die Satzarten der mehrstim-
migen B. entsprechen denen der friihen deutschen Te-
nor-Lieder, oft mit vorausgehender Intonation der Me-
lodie (so noch bei M.Franck 1602). Die Zeilenschliisse
tragen Fermaten und bringen improvisierte meister-
sangliche »Blumen« im Diskant. Der Satz Christ ist er-
standen f iihrt die Melodie in langen Werten als C. f . im
97
Berlin
Tenor und die beiden Aufienstimmen vorwiegend in
Duodezimenparallelen. Die Bezeichnung B. wurde im
friihen 18. Jh. durch »Bergmannslied« ersetzt.
Ausg.: O. Schade, B., ein Liederbuch d. 16. Jh., Weimar
1854; J. Meier, B., ein Liederbuch d. 16. Jh. nach d. 4 alte-
sten Drucken v. 1531, 1533, 1536 u. 1537 (ohne Melodien),
hrsg. in Braunes Neudrucke deutscher Literaturwerke
XCIX/C, Halle 1 892 ; M. Franck, Mus. B., in welchen all-
weg d. T. zuvorderst intoniert, in contrapuncto colorato
auf 4 St. gesetzt (Nurnberg 1 602\ = Chw. XXXVIII, 1936.
Lit. : R. Baumer, Untersuchungen iiber d. B. v. 1 53 1 /33/36/
37, Diss. Lpz. 1895 ; K. Hennig, Die geistliche Kontrafak-
tur im Jh. d. Reformation, Halle 1909; W. Heinz, Das
Bergmannslied, Diss. Greifswald 1913; W. Gurlitt, J.
Walter u. d. Musik d. Reformationszeit, Luther-Jb. XV,
Miinchen 1933; G. Heilfurth, Das erzgebirgische Berg-
mannslied, Schwarzenberg 1936; ders., Das Bergmanns-
lied, Kassel 1954; E. Muller, Mg. v. Freiberg, = Mitt. d.
Freiberger Altertumsver. LXVIII, Freiberg i. Sa. 1939; C.
Gerhardt, Die Torgauer Walter-Hss., = Mw. Arbeiten
IV, Kassel 1949; R. Kohler, Bergmannslieder, Weimar
1958.
Berlin.
Lit.: L. Schneider, Gesch. d. Oper u. d. Kdniglichen
Opernhauses in B., B. 1852; K. v. Ledebur, Tonkiinstler-
Lexicon B. v. d. altesten Zeiten bis auf d. Gegenwart, B.
1860/61; W. Langhans, Die Konigliche Hochschule f.
Musik, Lpz. 1873; A. E. Brachvogel, Gesch. d. Konigli-
chen Theaters zu B., 2 Bde, B. 1877-78; M. Blumner,
Gesch. d. B.er Singakad., B. 1 891 ; P. Einbeck, Zur Gesch.
d. Koniglichen Domchors zu B., B. 1 893 ; G. Thouret, Mu-
sik am preuBischen Hof im 18. Jh., Hohenzollern-Jb. I,
B. u. Lpz. 1897; W. Altmann, Chronik d. B.er Philhar-
monischen Orch. 1882-1901, Mk I, 1901/02; ders., Zur
Gesch. d. Koniglichen PreuBischen Hofkapelle, Mk III,
1903/04; R. Sternfeld, Chronik d. Philharmonischen
Chores, B. 1907; C. Sachs, Mg. d. Stadt B. bis zum Jahre
1800, B. 1908; ders., Musik u. Oper am kurbrandenbur-
gischen Hof, B. 1910; ders., Der B.er Instrumentenbau
auf d. Ausstellungen d. Koniglichen PreuBischen Akad.
d. Kunste, 1794-1844, Zflb XXXII, 1912; ders., Slg alter
Musikinstr. bei d. Staatl. Hochschule f. Musik, B. 1922; H.
Kuhlo, Gesch. d. Zelterschen Liedertafel v. 1809-1909,
B. 1909; A. Weissmann, B. als Musikstadt, Gesch. d.
Operu. d. Konzerts 1740-1911, B. u. Lpz. 1911; A. Arn-
heim, Zur Gesch. d. Liebhaberkonzerte in B. im 18. Jh.,
Jahresber. d. Ges. zur Pflege altklass. Musik, B. 1912/13;
dies., Zur Gesch. d. B.er Musikdrucks u. Musikverlags,
ebenda, B. 1913/15; dies., Mitt, aus d. B.er Musikkritik
im 18. Jh., ebenda, B. 1915/16; M. Schipke, Gesch. d.
Akad. Inst. f. Kirchenmusik in B., B. 1922; W. Klatte
u. L. Misch. Das Sternsche Konservatorium d. Musik zu
B. 1850-1925, B. 1926; 185 Jahre Staatsoper, Fs. zur Wie-
dereroffnung d. Opernhauses Unter'd. Linden 1928, hrsg.
v. J. Kapp, B. 1928 ; J. Wolf, Zur Gesch. d. Musikabt. d.
Staatsbibl., B. 1930; H. Leichtentritt, Das Konservato-
rium d. Musik Klindworth-Scharwenka, B. 1 88 1-193 1 , Fs.
B. 1931 ; H. U. Lenz, Der B.er Musikdruck v. seinen An-
fangen bis zur Mitte d. 18. Jh., Kassel 1933; M. Seiffert,
100 Jahre Musiksektion d. PreuBischen Akad. d. Kunste,
B. 1933 ; G. Born, Die Grundung d. B.er Nationaltheaters
. . ., Diss. Erlangen 1931, Borna bei Lpz. 1934; H. Graf,
Das Repertoire d. oftentlichen Opern- u. Singspielbuhnen
in B. seit d. Jahre 1 771 , B. 1934 ; 90 Jahre Erk'scher Manner-
Gesangver., 1845-1935,B. 1935; W. Wohlberedt, Verz.d.
Grabstatten bekannter u. beruhmter Personlichkeiten in
GroB-B. u. Umgebung. Nachweis vieler Musikergraber, B.
1 93 5 ; G. Droescher, Die vormals Koniglichen, jetzt Preu-
Bischen Staatstheater zu B. 1 . Jan. 1 886 - 3 1 . Dez. 1 935, B.
1936; S. Sohngen, Frz. Theater in B. im 19. Jh., Diss. Ffm.
1937, = Schriften d. Ges. f. Theatergesch. XLIX, B. 1937;
A. Beutner, Blatter zur Gesch. d. B.er Lehrergesangver.
1887-1937, B. 1937; J. Kapp, Gesch. d. Staatsoper B., B.
1937; ders., 200 Jahre Staatsoper B. im Bild, B. 1942; O.
Schrenk, B. u. d. Musik . . . 1740-1940, B. 1940; G.
SchCnemann, Die Singakad. zu B., Regensburg 1941 ; H.
Rensmann, Die Entwicklung u. Bedeutung d. B.er Musik-
instrumentenbaugewerbes im Handwerks- u. Industriebe-
trieb, Diss. jur. B. 1942, maschr.; W. David, Die Org. v.
St. Marien zu B. u. andere beriihmte B.er Org., = Org.-
Monographien LX, Mainz 1949; Chr. Friedrich, Staats-
oper B., Ein Streifzug durch d. Vergangenheit, B. 1953;
F. v. Lepel, Die Stadtische Oper in B.-Charlottenburg . . . ,
B. 1954 u. 1957 ; W. Virneisel, Die Musikabt. d. Deutschen
Staatsbibl., Fontes artis musicae II, 1955; ders., 50 Jahre
Deutsche Musikslg, in: Musikhandel VII, 1956; Deutsche
Staatsoper B. Zur Wiedereroffnung d. Hauses Unter d.
Linden am 4. September 1955, hrsg. v. d. Intendanz d.
Deutschen Staatsoper (W. Otto u. G. Rimkus), B. 1955;
H. Fetting, Die Gesch. d. Deutschen Staatsoper, B. 1955 ;
Musikstadt B. zwischen Krieg u. Frieden, 1 3 Essays fiber
d. B.er Musikleben seit 1945, hrsg. v. H. Kunz, B. u. Wies-
baden 1956; E. Konig, Das Uberbrettl E. v. Wolzogens
u. d. B.er Uberbrettl-Bewegung, Diss. Kiel 1956, maschr.;
L. Richter, Parodieverfahren im B.er Gassenlied, Deut-
sches Jb. d. Mw. IV (= JbP LI), 1959; R. Elvers, A. M.
Schlesinger, R. Lienau 1810-1960. 150 Jahre Musikverlag,
B. 1960;DERS.,Altb.erMusikverleger,B. 1961 ;E.E. Helm,
Music at the Court of Frederick the Great, Oklahoma
(1960); Fr. Herzfeld, Die B.er Philharmoniker, = Rem-
brandt-Reihe XXIII, B. (1960); Deutsche Staatsbibl., Die
Musikabt., Sonderdrucke aus : Deutsche Staatsbibl. 1661—
1961, = Gesch. u. Gegenwart I, Lpz. 1961; W. Bollert,
50 Jahre Deutsche Oper B., B. 1962; A. Berner, Musik-
instr.-Slg B., B. (1963); H. Kunz, 125 Jahre Bote u. Bock.
1838-1963, B. u. Wiesbaden 1963 ; W. Siebarth, Fiinfvier-
tel Jh. Musikalienhandlung A. Glas im alten u. neuen B.,
B. 1963 ; S. Borris, Hochschule f. Musik B., B. 1964.
Berliner Schule oder Norddeutsche Schule ist ein
Sammelname f iir die in der 2. Half te des 18. Jh. in Ber-
lin wirkenden Komponisten, die zum grofien Teil mit
dem Hof Friedrichs des GroBen (1740-86) verbunden
waren, so an erster Stelle C. Ph. E.Bach* (ab 1767 in
Hamburg) und J.J.Quantz, ferner J. G. Graun, C.H.
Graun und Fr.Benda, Chr. Nichelmann*, Fr.W.Mar-
purg, J. Ph. Kirnberger*, J. Fr. Agricola*, Chr. Fr. Fasch
u. a. Die mit * versehenen Komponisten waren Schii-
ler von J. S.Bach, dessen Andenken hier besonders im
Kreis um Kirnberger und die Prinzessin Anna Amalia
von PreuBen gepflegt wurde. Am bedeutendsten ist
die B. Sch. auf dem Gebiet der Instrumentalmusik
(Symphonien, Konzerte, Klavier- und Kammermusik)
und dem des Liedes. Kennzeichen der norddeutschen
Instrumentalmusik sind der kontrapunktisch »gearbei-
tete«, gebundene, strenge Stil und die »galante«, freie,
melodisch gefallige (zartliche, ruhrende, empfindsame)
Schreibart. Ein Merkmal der Schule ist dabei ihre auf-
geklart rationalistische und in alien Fragen der Musik
stark theoretisierende Haltung, aus deren Fesseln sich
nur C. Ph. E.Bach in vielen seiner Instrumentalwerke
ganz befreien konnte. In dem Spannungs- und Lehr-
verhaltnis zwischen der konservativen B. Sch. und der
jugendfrischen siiddeutschen (-> Mannheimer) Schule
setzt sich der schon das 17. Jh. mitbestimmende Gang-
unterschied von Nord und Siid in der deutschen Mu-
sikgeschichte fort. Beurteilte Chr. F. D. Schubart (Deut-
sche Chronik, 1775) die Berliner Musik als Schulfuchse-
reien, Entfernung von der Natur und dngstliches Ringen
mit der Kunst, so verurteilte J. A. Hiller (Wochentliche
Nachrichten III, 1769) an den Symphonien von Haydn,
Dittersdorf u. a. das selfsame Gemisch des Ernsthaften und
Comischen. - Die Berliner Liederschule wurde 1753
eroffnet durch die von Chr. G. Krause herausgegebenen
31 Oden mit Melodien von Agricola, C. Ph. E.Bach, Fr.
Benda, den beiden Graun, Krause, Nichelmann und
Telemann nach Texten u. a. von Gleim undHagedorn.
1756-63 folgte die dreiteilige, von Marpurg redigierte
Sammlung Berlinische Oden und Lieder, zu deren Kom-
ponisten neben den vorgenannten (auBer Telemann)
noch Marpurg, Kirnberger, Quantz, Sack, Rakemann,
Janitsch u. a. gehoren. Das Programm, gegen den Stil
der Opernarie gerichtet, hieB Volkstiimlichkeit, also
Einfachheit und Gemeinverstandlichkeit, so dafi die
Lieder, moglichst auch ohne Klavierbegleitung, von
98
Bibliographic
jedem Munde ohne Miihe angestimmt werden konnen (Krau-
se). Aus der Fiille der Liedsammlungen - genannt seien
noch Gellerts Oden und Lieder (Leipzig 1759) und die
240 Lieder der Teutschen (hrsg. von Krause in 4 Banden,
Berlin 1767/68) - finden sich nur wenige Kompositio-
nen, die das Schlagwort von der »Kunstlosigkeit« nicht
miBverstanden und in »Verstand, Witz und Moral«
der Texte nicht untergingen. Am bedeutendsten ist
auch auf diesem Gebiet C. Ph. E. Bach, besonders durch
seine 54 Geistlichen Oden und Lieder nach Texten von
Gellert (1758, 51784). - Begiinstigt durch den echt
volksmaBigen Ton von Hillers Leipziger Singspielen
(ab 1766) und durch die Erneuerung der Dichtung
seitens des Gottinger Hainbundes, Herders und des jun-
gen Goethe fiihrte die Entwicklung zur Zeit von Chr.
G.Neefes und Glucks Klopstock-Oden (1776 bzw.
1785/86) und gleichzeitig mit der bedeutenden Schwa-
bischen Liederschule (Schubart, Rheineck, Zumsteeg
u. a.) zu einer »Zweiten Berliner Liederschule «, die den
AnschluB an die neuere deutsche Dichtung und Kunst-
musik fand. Den Ubergang bildeten neben J. Andre
und J. A. P. Schulz, J. Fr. Reichardt, der erste bedeuten-
de Goethekomponist, der mit seinen von 1773 bis 1809
entstandenen fast 700 Liedern in etwa 30 Sammlungen
das Lied aus den Fesseln der Schule befreit und der
Tyrannei der Volkstumlichkeit ein Ende machte (Kretzsch-
mar, S. 295). Doch auch C. Fr. Zelters talentvolles Lied-
schaffen (von etwa 1790 an) wurzelt mit seiner Eigen-
art der kleinen strophischen Form noch in den Ideen
der B. Sch.
Lit. : C. Mennicke, Hasse u. d. Briider Graun als Sympho-
niker, Lpz. 1906; M. Flueler, Die norddeutsche Sinfonie
. . . , Diss. Bin 1908 ; H. Hoffmann, Die norddeutsche Trio-
sonate . . . , Diss. Kiel 1 924 ; E. Stilz, Die Berliner Klavier-
sonate zur Zeit Friedrichs d. Grofien, Diss. Bin 1930; M.
Friedlaender, Das deutsche Lied im 1 8. Jh., 2 Bde (3 Abt.),
Stuttgart 1902, Neudruck Hildesheim 1962; H. Kretzsch-
mar, Gesch. d. Neuen deutschen Liedes I, = Kleine Hdb.
d. Mg. nach Gattungen IV, 1, Lpz. 1911. HHE
Bern.
Lit. : A. Streit, Zur Gesch. d. B.ischen Buhnenwesens v.
15. Jh. bis auf unsere Zeit, I/II, B. 1873/74; A. Fluri, Verz.
d. Kantoren am B.er Miinster, Arch. d. hist. Ver. d. Kan-
tons B. XVII, 1903 ; ders., Org. u. Organisten in B. vor d.
Reformation, B. 1905; ders., Versuch einer Bibliogr. d.
bernischen Kirchengesangbiicher, Gutenbergmuseum VI,
1920, VII, 1921, VIII, 1922, X, 1924; Fr. Bronnimann,
Der Zinkenist u. Musikdirektor J. U. Sultzberger u. d.
Pfleged. MusikinB.ind.2. Halfted. 17. Jh.,Diss.B. 1920;
M. Zulauf, Der Musikunterricht in d. Gesch. d. B.ischen
Schulwesens v. 1528-1798. = B.er Veroff. zur Musikfor-
schunglll.B. 1934;B.ischeMusikges. 1815-1940, B. 1940;
E. Refardt, Riickblick auf d. friihen B.er Tonkiinstler-
feste, SMZ XXXVIII, 1948; M. Jenny, Die ev. Kirchen-
musik in d. bernischen Landeskirche, Musik u. Gottes-
dienst IX, 1955; C.-A. Beerli, Quelques aspects des jeux,
fetes et danses a Berne pendant la premiere moitie du
XVI e s., in : Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot,
Paris 1956.
Berner Ubereinkunft ist die Bezeichnung fiir eine
Vereinbarung, die 1886 in Bern zwischen einer Reihe
von Staaten unter diesem selbst gewahlten Namen
geschlossen wurde. Diese Staaten waren: Belgien,
Deutschland, Frankreich, GroBbritannien, Haiti, Ita-
lien, Schweiz, Spanien und Tunis. Die B. U. ist ein
mehrseitiger volkerrechtlicher Vertrag »zum Schutze
von Werken der Literatur und der Kunst« und ver-
bindlich fiir alle Mitgliedsstaaten, die zu diesem Zweck
einen Verband gegriindet haben und bilden. Sie wurde
1908 in Berlin vollig neu gefaBt. Eine weitere Ande-
rung brachte 1928 die romische Fassung. Die letzte
Revision der B. U. wurde 1948 in Briissel durch 35
Verbandslander vorgenommen. Deutschland hat daran
nicht teilgenommen, ist jedoch der Briisseler Fassung
der B. U. im Zusammenhang mit der deutschen Ur-
heberrechtsreform vom Jahre 1965 beigetreten. Grund-
gedanke der B. U. ist, daB der Urheber eines Ver-
bandslandes in alien anderen Verbandslandern nach
den jeweiligen nationalen Gesetzen wie ein Inlander
gescniitzt wird. Auf die Staatsangehorigkeit des Ur-
hebers kommt es bei bereits erschienenen Werken
nicht an; auch dem Urheber eines Nicht- Verbands-
landes wird in den Verbandslandern Schutz gewahrt,
sofern sein Werk erstmalig in einem Verbandsland
verbffentlicht wurde. Bei einem nicht erschienenen
Werk entscheidet dagegen die Staatsangehorigkeit
des Urhebers. Die B. U. hat keine Gegenseitigkeit
geschaffen. Das bedeutet, daB Lander mit etwa holier
entwickeltem Urheberrechtsschutz diesen Schutz
auch solchen verbandseigenen Werken gewahren,
deren Ursprungsland einen geringeren Schutz ein-
raumt. Dieser Grundsatz der Inlanderbehandlung ist in
bezug auf die Schutzdauer eingeschrankt : hier kann
die im Ursprungsland des Werkes geltende Dauer
nicht iiberschritten werden. Die B. U. schreibt jedoch
de iure conventionis zwingend fiir alle Verbandslan-
der eine Mindestschutzdauer von 50 Jahren nach dem
Tode des Urhebers vor. Der besondere Vorteil der
Konvention besteht darin, daB durch sie eine allmah-
liche Annaherung der nationalen Regelungen des Ur-
heberrechts in den Verbandsstaaten erreicht wird. Der
B. U. gehoren zur Zeit noch nicht an die USA, die
UdSSR sowie u. a. einige siidamerikanische Staaten.
Um dem Rechtsschutzgedanken restlos internationale
Geltung zu verschaffen, wurden nach dem 2. Welt-
krieg, vor allem durch die UNESCO, neue Verhand-
lungen in die Wege geleitet, die am 9. 6. 1952 zu
einem ->• Welturheberrechtsabkommen fiihrten, das
von den meisten Mitgliedsstaaten der B. U., dariiber
hinaus z. B, auch von den USA, nicht aber von der
UdSSR, ratifiziert wurde. Die B. U. besteht daneben
fort und behalt ihre Giiltigkeit fiir die Verbandslander.
Lit. : W. Bappert u. E. Wagner, Internationales Urheber-
recht, Kommentar zur revidierten B. U. u. zum Welturhe-
berrechtsabkommen, Munchenu. Bin 1956; M. Rintelen,
Urheberrecht u. Urhebervertragsrecht, Wien 1958, S. 29ff. ;
E. Ulmer, Urheber- u. Verlagsrecht, Bin, Gottingen u.
Heidelberg21960,S.74ff.
Besen (frz. balai; engl. brush), Schlagwerkzeug, das
aus einer Anzahl diinner Stahldrahte besteht, die facher-
artig an einem Stiel befestigt sind. Besonders im Jazz
wird der B. verwendet. Der Schlag auf ein Trommel-
fell oder auf das hangende Becken ergibt ein zischendes
Gerausch. Der B. ist verwandt mit der ->■ Rute.
Bettlerleier ->-Drehleier.
Bettleroper -> Ballad opera.
Beuron (Benediktinerkloster) bei Sigmaringen, eine
der angesehensten musikwissenschaftlichen Arbeits-
statten der Benediktiner, im 11. Jh. fiir regulierte
Augustiner-Chorherren gegriindet, 1803 aufgehoben,
1862 als Benediktinerkloster eroffnet, ist besonders
beriihmt durch seinen liturgischen Chorgesang.
Lit.: H. v. Lassaulx, B. u. d. Kirchenmusik (1863-1913),
StraBburger Caecilia 1913; C. Gindele, Die B.er Org.,
Musik u. Altar III, 1950/51 ; Fs. zum lOOjahrigen Bestehen
d. Erzabtei St. Martin, B. (1963).
Bezifferung der instrumentalen BaBstimme (bezif-
ferter BaB; frz. basse chiffre) -*■ GeneralbaB.
Bibliographic, nach heutiger Auffassung in Deutsch-
land die Lehre und Praxis der Schrifttumsverzeichnung
(alphabetisch, chronologisch, topographisch, systema-
tisch, nach Schlagworten), auch ein solches Verzeich-
99
Bibliographic
nis selbst. Im Ausland, besonders im angelsachsischen
Raum, umfaBt der Begriff Bibliogr. dariiber hinaus
die gesamte Buch- und Bibliothekswissenschaft. Das
Erfassen auch der handschriftlichen und nichtliterari-
schen Quellen in Filmen, Schallplatten und Tonban-
dern (-»■ Diskographie) sowie des Bildmaterials (-*■ Iko-
nographie) weitete das herkommliche Aufgabengebiet
der Bibliogr. Fiir die ErschlieBung all dieser Quellen
durch Katalogisierung, maschinelle Datenverarbeitung
und (entsprechend dem friiheren Catalogue raisonne)
Veroffentlichung zusammenfassender Inhaltsangaben
wurde in neuerer Zeit die Bezeichnung -» Dokumen-
tation eingefiihrt.
Friihformen der Bibliogr. sind die MeBkataloge der
Buchhandlermessen in Frankfurt am Main und Leip-
zig, zuerst 1564, in regelmaBiger Folge fiir Leipzig
1594-1860, fur Frankfurt 1598-1750. AusschlieBlich
die Musik beriicksichtigende Bibliogr.n gibt es, abge-
sehen von Lagerverzeichnissen (z. B. G. Wilier, Augs-
burg 1622), erst im 18. Jh. Neben dem gescheiterten
Plan Brossards, seinem Dictionaire de musique (Paris
1703) einen Catalogue historique et raisonne folgen zu
lassen, ist vor allem Forkels AUgemeine Litteratur der
Musik (Leipzig 1792, Nachdruck Hildesheim 1962) zu
nennen, die durch Lichtenthal 1826 geringfiigig er-
weitert und ins Italienische ubersetzt wurde. Forkel
beansprucht, mit seinen 3000 Titeln alle raisonnirende,
oder historisch-kritische Werke vollstandig erfafit zu ha-
ben. Der von ihm gewiesene Weg wird auch beschrit-
ten von K.F.Becker (Systematisch-chronologische Dar-
stellung der Musikliteratur, Leipzig 1836, Nachtrag 1839;
Nachdruck Amsterdam 1964, fiir 1839-46 fortgefiihrt
von R.Eitner, Leipzig 1885) und noch von A.Aber
(Handbuch der Musikliteratur, =Kleine Handbiicher
der Musikgeschichte nach Gattungen XIII, Leipzig
1922). Eine knappe Auswahl der wichtigsten ->■ Denk-
maler, -*■ Gesamtausgaben und Musikbiicher verzeich-
nen W.Kahl und W.M.Luther in ihrem Repertorium
der Musikwissenschaft (Kassel 1953). - RegelmaBige in-
ternationale Bibliogr.n des Musikschrifttums, oft auch
Zeitschriftenaufsatze erfassend, finden sich u. a. in den
-> Zeitschriften VfMw (1885-94), JbP (1894-1938,
nur Biicher und Dissertationen; -*■ Jahrbiicher), ZIMG
(1899-1914), MQ (seit 1915), ZfMw (1918-33), AMI
(1931-52), Notes (seit 1943), MD (seit 1948), Fontes
artis musicae (seit 1954; Noten und Musikbiicher), Jb.
fiir Liturgik und Hymnologie (seit 1955). Die 1936-39
erschienene Bibliogr. des Musikschrifttums (hrsg. v. K.
Taut und G.Karstadt, Leipzig 1936-41) wird seit
1950-51 fortgefiihrt von W. Schmieder (Frankfurt am
Main seit 1953). Fiir Zeitschriftenaufsatze, vor allem in
englischer Sprache, gibt es den monatlich erscheinen-
den Music Index (Detroit seit 1949). Der von der Inter-
nationalen Vereinigung der Musikbibliotheken (AIBM)
1954 vorgelegte Plan eines Musicological Index, einer
mit Inhaltsbericht versehenen regelmaBigen internatio-
nalen Bibliogr. der Aufsatze iiber Musik, ist bisher
nicht verwirklicht worden. An Bibliogr.n, die ein
Sachgebiet oder einen bestimmten groBeren biblio-
graphischen Komplex erschlieBen, sind zu nennen : R.
Schaal, Das Schrifttum zur musikalischen Lokalgeschichts-
forschung, Kassel (1947); A.H.Heyer, Historical Sets,
Collected Editions and Monuments of Music, Chicago 1957;
H.Hewitt, Doctoral Dissertations in Musicology (fiir
USA), Denton (Tex.) 1952, Philadelphia31961,Supple-
mente in: JAMS seit 1962; J.Kunst, Ethnomusicology,
Den Haag 31959; M. Briquet, La musique dans les con-
gres internationaux (1835-1939), = Publications de la
Soc. francaise de Musicologie II, 10, Paris 1961 ; Carl
Gregor Herzog zu Mecklenburg, Bibliogr. einiger
Crenzgebiete der Musikwissenschaft, — Bibliotheca bi-
bliographica aureliana VI, Baden-Baden 1962 (dazu R.
Stephan in: NZfM CXXIV, 1963, S. 405f.); A.Da-
vidsson, Bibliogr. der musiktheoretischen Drucke des 16.
Jh., ebenda IX, 1962; R. Schaal, Verzeichnis deutsch-
sprachiger musikwissenschaftlicher Dissertationen 1861-
1960, = Musikwissenschaftliche Arbeiten XIX, Kassel
1963 (dazu E. Schenk in : Mf XVII, 1964).
Musikalienverzeichnisse (meist auch Musikbiicher ent-
haltend) gibt es - abgesehen von Angaben in den MeB-
katalogen - auswahlweise in vereinzelten Fachzeit-
schriften des 18. Jh. Forkel plante eine Bibliogr. der
praktischen Musikdrucke. R. ->• Eitners Bibliogr. der
Musiksammelwerke des 16. und 11. Jh. (Berlin 1877,
Nachdrucke Vermilion/S.Dak. 1954 und Hildesheim
1963) und sein Biographisch-bibliographisches Quellen-
Lexikon, das durch Anlage und Inhalt freilich die
Grenzen einer Bibliogr. in Richtung der groBen
-> Lexika der Musik uberschritt, sowie E. -> Vogels
Bibliothek der gedruckten weltlichen Vocalmusik Italiens. . .
1500-1700 (2 Bde, Berlin 1892, Nachdruck Hildes-
heim 1962) waren lange Zeit die einzigen bibliographi-
schen Nachschlagewerke fiir Musikdrucke des 16. und
17. Jh. Seit 1960 erscheint das Repertoire international
des sources musicales (RISM), das die gesamte hand-
schriftlich und im Druck uberlieferte Musik vor 1800
verzeichnen soil. Daneben besitzen gedruckte Kataloge
des Musikbestandes groBer ->■ Bibliotheken besonderen
bibliographischen Wert, zumal der Bibliotheken zen-
tral-nationalen Charakters mit Ablieferungspflicht.
Das 34bandige XJniversalhandbuch der Musikliteratur,
hrsg. von Fr.Pazdirek und seinem B ruder J. P. Gott-
hard [Pazdirek] (Wien 1904-10), war ein auf den Buch-
undMusikalienhandel seiner Zeit abgestelltes Verzeich-
nis. - Die fortlaufende Verzeichnung neuerschienener
Musikalien (und Musikbiicher) in Deutschland nahm
ihren Ausgang von K. Fr. Whistlings Handbuch der mu-
sikalischen Literatur (Leipzig 1817-25, 21828-39), in 3.
Auflage (bis 1844) als (Hofmeisters) Handbuch der musi-
kalischen Literatur (sparer : Musikliteratur) als Mehrjah-
resverzeichnis fortgefiihrt (bis 1940 19 Bde, letzter Bd
unvollstandig, Leipzig 1852-1943). Daneben erscheint
von 1829-1942 in 114 Jahrgangen Hofmeisters musika-
lisch-literarischer Monatsbericht, seit 1943, Jg. CXV, als
Deutsche Musikbibliogr., bearbeitet von der Deutschen
Biicherei Leipzig, und als deren jahrliche Zusammen-
fassung (bis 1944: Hofmeisters) Jahresverzeichnis der
deutschen Musikalien und Musikschriften, Leipzig ab
1852, seit Jg. XCII, 1943, ebenfalls bearbeitet von der
Deutschen Biicherei. Fiir Osterreich informiert die
Oesterreichische Musikbibliogr., Jg. I-V, 1949-53; fiir
die Zeit 1945-48 und seit 1953 sind die Musikalien in
der Osterreichischen Bibliogr., Cruppe 13, verzeichnet.
Frankreich erfaBt seit 1945/46 seine musikalischen Neu-
erscheinungen (keine Biicher) in der Bibliogr. de la
France, 1" partie, Supplement C; vorausgegangen war
hier als Bibliogr. musicale seit 1875 ein Handlerkatalog,
hrsg. von der Commission du Commerce de Musique,
ab 1927 unter dem Titel Table alphabetique et systema-
tique des nouvelles publications musicales. England besitzt
seit 1957 einen British Catalogue of Music auf der Grund-
lage des Materials des Copyright Receipt Office of the
British Museum. In der UdSSR erscheint vierteljahr-
lich als Sonderbibliogr. der Unionsbiicherkammer Le-
topis musykal'noj literatury (»Chronik d. mus. Lit.«),
Moskau seit 1931. In den meisten weiteren, hier nicht
auf gefuhrten Landern ist der Bibliogr. der Musikalien
eine besondere Abteilung in den Nationalbibliogr.n
zugeteilt.
Lit.: A. Gohler, Die MeBkat. im Dienste d. mus. Ge-
schichtsforschung, SIMG III, 1901/02 ; ders., Verz. d. in d.
Frankfurter u. Lpz.er MeBkat. d. Jahre 1 564 bis 1759 ange-
100
Bibliotheken (Deutschland)
zeigten Musikalien, Lpz. 1902, Nachdruck Amsterdam
1964; H. Springer, Die jiingsten Fortschritte d. Musik-
bibliogr., Kgr.-Ber. London 1911 ; ders., Wiss. u. produk-
tive Musikbibliogr., Kgr.-Ber. Lpz. 1925; G. Schulz, Mu-
sikbibliogr. u. Musikbibl., Fs. A. Sandberger, Miinchen
1918; K. Meyer, Uber Musikbibliogr., in: Mw. Beitr., Fs.
J. Wolf, Bin 1929; C. Schneider, Der Schlagwortkat. d.
mw. Lit. auf systematischer Grundlage, ZfMw XIII, 1930/
31 ; G. Schneider, Einfuhrung in d. Bibliogr., Lpz. 1936;
L.-N. Malcles, Les sourcesdu travail bibliogr. II, Bibliogr.
spdcialisees (Sciences humaines), Genf u. Lille 1952; dies.,
Manuel de bibliogr., Paris 1963; W. Schmieder, Musik-
bibliogr. Probleme, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; ders., Mu-
sikbibliogr., Af Mw XII, 1955 ; C. Hopkinson, The Funda-
mentals of Music Bibliogr., Fontes artis musicae II, 1955 ;
ders., Towards a Definition of Certain Terms in Mus.
Bibliogr., Hinrichsen's ll" 1 Music Book, 1961; K. Drei-
muller, Gedanken u. Anregungen zur mus. Bibliogr. u.
Quellenkunde, Kgr.-Ber. Wien 1956; A. van Hoboken,
Probleme d. musikbibliogr. Terminologie, Fontes artis
musicae IV, 1957; C. Fleischhack, E. Ruckert, G.
Reichardt, GrundriB d. Bibliogr., = Lehrbiicher f. d.
Nachwuchs an wiss. Bibl. II, Lpz. 1957; G. Draudius,
Verz. deutscher mus. Biicher 161 1 u. 1625, Faks. hrsg. v. K.
Ameln (Bonn 1957); D. W. Krummel u. J. B. Coover,
Current National Bibliogr., Their Music Coverage, Notes
II, 17, 1959/60; Detroit Studies in Music Bibliogr., Detroit
1961ff.; H.-M. Plesske, Zur Systematik d. Musikbibliogr.
d. Deutschen Biicherei, Fontes artis musicae VIII, 1961 ; A.
Weinmann, Die Wiener Zeitung als Quelle f. d. Musik-
bibliogr., Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962); R. Schaal,
G. Willers Musikalien-Lagerkat. v. 1622, Mf XVI, 1963;
Fr. Blum, Music Monographs in Series, NY 1964; V.
Duckles, Music Reference and Research Materials, NY
u. London (1964).
Bibliotheken werden hier verstanden als Einrichtun-
gen von primar wissenschaftlicher Bedeutung; ihre
Aufgabe ist das Sammeln, Bewahren und katalogma-
fiige Erfassen auch von Musikalien und Musikschrift-
tum. Diese Musikbibl. bestehen als selbstandige In-
stitutionen oder als Unterabteilungen in einem groBe-
ren Rahmen und unterscheiden sich von den auf Leih-
verkehr ausgerichteten Offentlichen Musikbibl., de-
ren Ziel die Vermittlung von Notenmaterial und Li-
teratur iiber Musik an ein breiteres musikinteressiertes
Publikum ist. Die in den Bibl. aufbewahrten Bestande
sind weitgehend durch die Geschichte der Bibl., so et-
wa ihre Entstehung aus Kloster-, Kapitel- oder Hof-
bibl. bedingt. Verlagerungen der Bestande erfolgten
vor allem um 1800 mit der Auflosung vieler Kloster-
und Kirchenbibl. und fuhrten haufig zu Konzentratio-
nen der Bestande in Staats- und Nationalbibl. Ist allge-
mein die Anschaff ung neuer Musikalien und Literatur
dem Ermessen der jeweiligen Bibliotheksdirektoren
anheimgestellt, so figurieren doch in den verschiedenen
Landern einzelne Bibl. als zentrale Sammelstatten aller
im jeweiligen Lande erschienenen Veroffentlichungen,
wobei die Ablieferungspflicht (Copyright, depot legal)
einer bestimmten AnzahlvonExemplarenjedesDruck-
erzeugnisses gesetzlich geregelt ist. Diese zentralen
Bibl. ubernehmen auch die Ausarbeitung von nationa-
len -»- Bibliographien. Die in Deutschland gedruckten
Musikalien werden seit 1906 an die Deutsche Musik-
sammlung der Deutschen Staatsbibl. Berlin abgelie-
fert. Zentrale Sammelstelle aller deutschsprachigen
Biicher ist seit 1913 die Deutsche Biicherei in Leipzig,
seit 1947 auch die Deutsche Bibl. in Frankfurt am
Main. Im Ausland werden Pflichtexemplare meist in
der Bibl. der Hauptstadte gesammelt (Osterreichische
Nationalbibl. Wien; Schweizerische Landesbibl. Bern;
British Museum London ; Bibliotheque Royale Brussel ;
Bibliotheque Nationale Paris; Library of Congress
Washington usw., jedoch in Italien Biblioteca Nazio-
nale Centrale Florenz). Zur Vereinheitlichung der Ar-
beitsmethoden und zur Realisierung uber den nationa-
len Rahmen hinausgehender Projekte wurde 1951 die
Internationale Vereinigung der Musik-Bibl. (Asso-
ciation Internationale des Bibliotheques Musicales,
AIBM) gegriindet, die seit 1954 in den Fontes artis
musicae iiber ein eigenes Publikationsorgan verfiigt. -
Die im folgenden aufgefiihrten Bibl. stellen eine Aus-
wahl dar. Sie erscheinen in alphabetischer Ordnung
innerhalb der auch ihrerseits alphabetisch geordneten
Lander. Zusatzliche Abkiirzungen in diesem Artikel:
StB = Staatsbibliothek, StUB = Staats- und Universi-
tatsbibliothek, UB = Universitatsbibliothek. Zusatz-
liche Auskiinfte: ->■ Bibliographic, -»■ Cancionero,
->■ Chorbuch, -»■ Dokumentation, -» Quellen.
Belgien.
Allgemeines: Cat. general des mss. des bibl. de Belgique,
5 Bde, Gembloux 1934-39.
Antwerpen (Anvers), Bibl. d. Koninklijk Vlaams Muziek-
conservatorium.
Brussel (Bruxelles), Bibl. du Conservatoire Royal de Mu-
sique. Lit. : A. Wotquenne, Cat. de la Bibl. du Conservatoire
Royal de Musique de Br., 4 Bde nebst Annexe I, Br. 1898-
1912; J.-G. Prod'homme, Les institutions mus. (Bibl. et
arch.) en Belgique et en Hollande, S1MG XV, 1913/14;
Ch. Van den Borren, Les fonds de musique ancienne de la
Coll6giate SS. Michel et Gudule a Br., in: Annuaire du
Conservatoire Royal, Br. 1 930. - Bibl. Royale de Belgique-
Koninklijke Bibl. van Belgie; enthalt als Hauptbestand d.
Bibl. Fr. J. Fetis. Lit. : Bibl. Royale de Belgique, Cat. de la
bibl. de Fr. J. Fetis, Paris 1877 ; J. Van den Gheyn, Cat. des
mss. de la Bibl. Royale de Belgique, 13 Bde, Br. 1901-48;
Ch. Van den Borren, Inventaire des mss. de musique poly-
phonique qui se trouvent en Belgique, AMI V, 1933 - VI,
1934; La reserve precieuse, Fs. Fr. Scfyauwers, Br. 1961;
B. Huys, Cat. des imprimes mus. des XV e , XVI e et XVII C s.,
Br. 1965.
Gent (Gand), Centrale Bibl. d. Rijksuniv. Lit. : C. A. Voi-
sin, Bibl. Gandavensis, G. 1839; J. De Saint-Genois, Cat.
methodique et raisonne des mss. de la bibl. de la ville et de
l'univ. de G., G. 1849-52 (Auszug in: MfM V, 1873, S.
62f,); P. Bergmans, Unc collection de livrets d'operas . . .,
SIMGXIL1910/11.
Luttich (Liege), Bibl. du Conservatoire Royal de Musique.
Lit. : E. Monseur, Cat. de la Bibl. du Conservatoire Royal
de Musique de L., Fonds Terry, 3 Bde, L. 1958-63. - Bibl.
de l'Univ.
Mons, Bibl. publique de la ville. Lit. : Cat. des livres impri-
mes de la bibl. publique de la ville de M., 4 Bde, Brussel
1852 u. M. 1886-87; P. Faider u. Mme. Faider-Feytmans,
Cat. des mss. de la bibl. publique de la ville de M., = Univ.
de Gent, Werken uitgegeven door de Faculteit der Wijsbe-
geerte en Letteren LXV, Gent u. Paris 1931.
Danemark.
Arhus, Statsbiblioteket. Lit. : K. Fr. Schmidt-Phiseldeck
u. H. G. Topsoe Jensen, Musikalier, 2 Bde, [nebst] Tillaegs-
lister I-XIV, = Statsbibl. i. A, Fagkataloger III, A. 1926-
34; E. Sejr, Statsbibl., A. 1902-52, A. 1952.
Kopenhagen (Kobenhavn), Det Kongelige Bibl. Lit.: P.
Hamburger, Einhs. Klavierbuch aus d. 1. Halite d. 17. Jh.,
ZfMw XIII, 1930/31 ; H. Neemann, Lauten- u. Gitarrehss.
in K., AMI IV, 1932; Sv. Lunn, Det Kgl. Bibl. danskemu-
sikautografer, Sonderdruck aus »Bogens Verden« 1941,
K. 1941.
Deutschland.
Allgemeines: Dr. Plamenac, Music Libraries in Eastern
Europe, Notes II, 19, 1961/62.
Aachen, Domarch. Lit.: O. Gatzweiler OFM, Die litur-
gischen Hss. d. A.er Miinsterstiftes, = Liturgiegeschicht-
liche Quellen u. Forschungen X, Milnster i. W. 1926. -
Augsburg, Staats- u. Stadtbibl. Lit.: H. M. Schletterer,
Kat. d. in d. Kreis- u. Stadtbibl., d. stadtischen Arch. u. d.
Bibl. d. Hist. Ver. zu A. befindlichen Musikwerke, = Bei-
lage zu MfM X, 1 878 - XI, 1 879.
Bamberg, Staatl. Bibl. Lit.: Fr. Leitschuh u. H. Fischer,
Kat. d. Hss. d. Koniglichen Bibl. zu B., 5 Bde, B. u. Lpz.
1 887-1 9 1 2. - Bautzen, Stadt- u. Kreisbibl. Lit. : H. Decker,
Schatzkammer f. Musikfreunde in d. Musikbibl. d. Stadt-
u. Kreisbibl. B., B.er Kulturschau 1960, H. 9. - Berlin,
101
Bibliotheken (Deutschland)
Musikabt. d. Deutschen StB (bis 1918 Konigliche Bibl.,
bis 1945 PreuBische StB); reiche Autographenslg (Bach,
Haydn, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann,
Brahms), Teile d. ehemaligen Koniglichen Hausbibl. Lit. :
G. Thouret, Kat. d. Musikslg auf d. Koniglichen Hausbibl.
im Schlosse zu Bin, Lpz. 1 895 ; SIg Artaria-Prieger. Lit. : G.
Adler, Verz. d. mus. Autographe v. L. van Beethoven . . .
im Besitz v. A. Artaria in Wien, Wien 1890; A. Artaria,
Verz. v. mus. Autographen . . . im Besitze v. A. Artaria,
Wien 1893; Amalienbibl. Lit.: R. Eitner, Kat. d. Musi-
kalienslg d. Joachimsthalschen Gymnasiums zu Bin, Bei-
lagezu MfM XVI, 1884; E. R. Blechschmidt, Die Amalien-
Bibl., Diss. Bin 1 963 ; Thulemeier-Slg. Lit. : R. Jacobs u. R.
Eitner, Thematischer Kat. d. v. Thulemeier'schen Musi-
kalien-Slg .... Beilage zu MfM XXX, 1 898 - XXXI, 1 899 ;
Musikalien d. Erfurter Michaeliskirche. Lit.: E. Noack,
DieBibl. d. Michaeliskirche, AfMw VII, 1925; Lubbenauer
Tabulaturen (als Leihgabe). Lit. : L. Schierning, Die Uber-
lieferung d. deutschen Org.-u. Klaviermusik . . . , = Schrif-
ten d. Landesinst. f. Musikforschung Kiel XII, Kassel
1961 ; Deutsche Musikslg (seit 1906 als Arch. d. deutschen
Musikalienproduktion). Lit. : W. Virneisel, 50 Jahre Deut-
sche Musikslg, in: Der Musikalienhandel VII, 1956. - Die
nach Westdeutschland ausgelagerten Bestande werden v.
d. Stiftung PreuBischer Kulturbesitz verwaltet u. in Mar-
burg u. Tubingen aufbewahrt; d. nach Schlesien ausgela-
gerten Teile (darunter d. Meyerbeer-NachlaB) befinden
sich in Breslau. Lit. : W. Altmann, Wichtigere Erwerbun-
gen d. Musikabt. d. PreuBischen StB, ZfMw II, 1919/20 u.
IX, 1926/27; ders., Die Musikabt. d. PreuBischen StB in
Bin, ZfMw III, 1920/21; W. Virneisel, Die Musikabt. d.
Deutschen StB, Fontes artis musicae II, 1955 ; P. Kast, Die
Bach-Hss. d. Berliner StB, = Tubinger Bach-Studien 11/
III, Trossingen 1958; K.-H. Kohler, Die Musikabt., in:
Deutsche StB 1661-1961 I, Lpz. 1961; ders., Die Erwer-
bungen d. Mozart- Autographe . . ., Mozart-Jb. 1962/63. -
Bibl. d. Berlinischen Gymnasiums zum Grauen JClostei ;
starke Kriegsverluste. Lit.: H. Bellermann, Gymriasial-
Programm, Bin 1856. - Bibl. d. Staatl. Hochschule f. Mu-
sik; enthalt d. Bestande d. ehemaligen Staatl. Akad. f.
Schul- u. Kirchenmusik. - Charlottenburger Gymnasium.
Lit. : F. Schultz, Der altere Notenschatz d. Kaiserin- Au-
gusta-Gymnasiums, Charlottenburg 1900. - Sing- Akad. ;
starke Kriegsverluste. - Beuron, Bibl. d. Erzabtei. Lit. : Fr.
W. Riedel, Kat. d. Mss. mit alterer Orgelmusik . . . , B.
1960, maschr. - Bochum, UB; NachlaB W. Kahl. -Bonn,
Beethoven-Arch. ; darin d. Slg Bodmer. Lit. : J. Schmidt-
Gorg, Kat. d. Hss. d. Beethoven-Hauses u. Beethoven-
Arch. B., B. 1935; M. Unger, Eine Zurcher Beethovenslg,
Neues Beethoven-Jb. V, 1933; ders., Eine Schweizer Beet-
hovenslg, = Schriften d. Corona XXIV, Zurich (1939). -
UB. Lit. : Th. Clasen, Die mus. Autographen d. UB B., Fs.
J. Schmidt-Gorg, B. 1957. -Brandenburg, Bibl. d. Katha-
rinenkirche. Lit. : J. Fr. Taeglichsbeck, Die mus. Schatze d.
St. Katharinen-Kirche zu Br., Gymnasial-Programm Br.
1857. - Braunschweig, Stadtarch. u. Stadtbibl. Lit.: Fr.
Hamel u. A. Rodemann, Unbekannte Musikalien im Br.er
Landestheater, Gedenkschrift H. Abert, Halle 1 928. - Bre-
men, StB. Lit. : J. Peters, Theater, Rundfunk u. Musik in
Br., = Bremische Bibliogr. II, Br. 1963. - Breslau (Wroc-
law), UB enthalt d. Bestande d. friiheren Stadtbibl. Br. u.
d. Gymnasialbibl. Brieg sowie d. Reste d. Bibl. Rudolphina
(Ritterakad.) Liegnitz. Lit.: E. Bohn, Bibliogr. d. Musik-
Druckwerke bis 1700, welche in d. Stadtbibl., d. Bibl. d.
Akad. Inst. f. Kirchenmusik u. d. Koniglichen UB zu Br.
aufbewahrt werden, Bin 1883 ; ders., Die mus. Hss. d. XVI.
u. XVII. Jh. in d. Stadtbibl. zu Br., Br. 1890 (unter d. Hss.
starke Kriegsverluste) ; Fr. Kuhn, Beschreibendes Verz. d.
alten Musikalien . . . zu Brieg, Beilage MfM XXVIII, 1896-
XXIX, 1897; S. W. Dehn u. R. Eitner, Kat: d. in d. K6-
nigl. Ritterakad. zu Liegnitz befmdlichen gedruckten u. hs.
Musikalien . . ., MfM I, 1869; E. Pfudel, Die Musik-Hss.
d. Koniglichen Ritter-Akad. zu Liegnitz, Beilage MfM
XVIII, 1886 u. XXI, 1889. - Polska Akad. Nauk, Zaklad
Narodowy imienia Ossoliriskich (Bibl. d. Polnischen Akad.
d. Wiss.), verwahrt d. Bestande d. ehemaligen graflich Os-
solinskischen Nationalinst. zu Lemberg.
Danzig siehe unter Polen (Gdansk). - Darmstadt, Hessi-
sche Landes- u. Hochschulbibl. ; schwere Kriegsverluste ;
d. Restbestand v. Musikerautographen d. Verlagsarch.
Breitkopf & Hartel wurde 1953 ubernommen. Lit.: Fr. W.
Hitzig, Kat. d. Arch. v. Breitkopf & Hartel, 2 Bde, Lpz.
1925-26; W. Schmieder, Beschreibendes Verz. d. Musik-
autographen d. Slg Dr. v. H[ase], Auktionskat. 498 d. Fir-
ma J. A. Stargardt, Eutin 195 1 ; Ph. A. F. Walther, Die Mu-
sikalien d. GroBherzoglichen Hofbibl. in D., D. 1874,
Nachtrage v. Fr. W. E. Roth in: MfM XX, 1888. - Inter-
nationales Musikinst., Internationale Musikbibl. Lit. : Kat.
(maschr.), D. (1956). - Dessau, Landesbibl. (Offentliche
wiss. Bibl.). Lit.: A. Seidl, Von d. Musikbibl. d. Hofthea-
ters, in: Ascania, Ges. Aufsatze, Regensburg 1913. - Det-
mold, Lippische Landesbibl., Musikabt. mit Lortzing-
Arch. G. R. Kruse. - Donaueschingen, Fiirstlich Fiirsten-
bergische Hofbibl. Lit. : K. A. Barack, Die Hss. d. Fiirst-
lich Fiirstenbergischen Hofbibl. zu D., Tubingen 1865. -
Dresden, Sachsische Landesbibl.; enthalt d. ehemalige
Konigliche Musikalienslg, d. Musik-Slg v. SchloB Oels
(Schlesien) sowie d. Musikalien d. ehemaligen Landes- u.
Furstenschule.Grimma, d. Ratsbibl. Kamenz, d. Ratsbibl.
Lobau, d. Stadtkirche in Pirna u. d. Kirchenbibl. zu Schwar-
zenberg/Sachsen. Lit. : Kat. d. Hss. d. Sachsischen Landes-
bibl., Lpz. 1923, Bd IV (S. 195-250: A. Reichert, Die Ori-
ginalhss. d. Musikabt.); R. Eitner u. O. Kade, Kat. d. Mu-
sik-Slg d. Koniglichen offentlichen Bibl. zu Dr., Beilage zu
MfM XXI, 1 889-XXII, 1 890 ; H. R. Jung, Die Dr.er Vival-
di-Mss., AfMw XII, 1955; O. Kade, Die mus. Schatze d.
Landesschule zu Grimma, Serapeum XVI, 1855; N. M.
Petersen, Verz. d. in d. Bibl. d. Koniglichen Landesschule
zu Grimma vorhandenen Musikalien, Gymnasialpro-
gramm Grimma 1861 ; Fr. Krummacher, Zur Slg Jacobi d.
ehemaligen Fiirstenschule Grimma, Mf XVI, 1963; O.
Kade, Kat. einer Slg alter Choralbucher . . . zu Kamenz,
Serapeum XIV, 1 853 ; ders., Die Musikalien d. Stadtkirche
zu Pirna, ebenda XVIII, 1857; L. Hoffmann-Erbrecht, Die
Chorbucher d. Stadtkirche zu Pirna, AMI XXVII, 1955. -
Dusseldorf, Landes- u. Stadtbibl. ; Mss. v. R. Schumann
u. F. Mendelssohn Bartholdy. Lit. : E. Jammers, Die Esse-
ner Neumenhss. d. Landes- u. Stadtbibl. D., Ratingen
1952.
Elbing, Bibl. d. Marienkirche (heute in Warschau). - Er-
furt, Stadt- u. Hochschulbibl. Lit. : W. Schum, Beschrei-
bendes Verz. d. Amplonianischen Hss.-Slg zu E., Bin 1887;
R. Hernried, E.er Notenschatze, Neue Musikzeitung XLVI,
1 925 ; J. Handschin, Erfordensia I, AMI VI, 1934. - Erlan-
gEN, UB. Lit. : H. Fischer, Dielat. Pergament-(Papier-)Hss.,
= Kat. d. Hss. d. UB E., Neubearb. I-II, E. 1928-36, dazu
E. Lutze, ebenda VI, 1936.
Flensburg, Staatl. Gymnasium. Lit.: E. Praetorius, Kat.
d. Musikalien-Slg d. Koniglichen Gymnasial-Bibl. in Fl.,
Beilage zum Jahresber. Ostern 1906. - Frankfurt am
Main, Stadt- u. UB, Musikabt. ; aus d. ehemaligen Rats-
bibl. u. d. v. Rothschild'schen Bibl. entstanden, vermehrt
durch Bestande ehemaliger Kloster- u. Kirchenbibl., d.
Manskopf'schen Museums f. Musik- u. Theatergesch. ; hs.
thematischer Kat. d. gesamten Vokalmusik Telemanns.
Lit. : C. Israel, Die mus. Schatze d. Gymnasialbibl. u. d.
Peterskirche zu Ffm., Gymnasialprogramm Ffm. 1872; C.
Valentin, Musikbibliographisches ausFfm., Mf M XXXIII,
1901 -XXXIV, 1902; C. SuB, Die Mss. d. protestantischen
Kirchenmusik zu Ffm., in: Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910;
ders., Stadtbibl. Ffm. Kirchliche Musikhss. d. 17. u. 18. Jh.
Kat., bearb. u. hrsg. v. P. Epstein, Bin u. Ffm. 1926; A.
Gottron, »Capella Fuldensis«, in: Musicae Sacrae Mini-
sterium, Fs. K. G. Fellerer, = Schriftenreihe d. Allgemei-
nen Cacilien-Verbandes V, Koln 1962. - Deutsche Bibl.;
sammelt d. gesamte seit 1945 erschienene deutsche Schrift-
tum einschlieBlich Liederbilcher, aber keine Musikdrucke.
- Freies Deutsches Hochstift, Bibl. d. Goethe-Museums. -
Musikbibl. P. Hirsch, jetzt London, Brit. Museum. - Auto-
graphenslg L. Koch, jetzt Koch-Floersheim in Muzzano-
Lugano (Schweiz). - Freiberg/Sachsen, Bibl. d. Ober-
schule Geschwister Scholl. Lit. : O. Kade, Die alteren Mu-
sikalien d. Stadt Fr., hrsg. v. R. Kade, = Beilage II zu MfM
XX, 1888. - Freiburg i. Br., UB. Lit.: G. Seifert, Die
Choralhss. d. Predigerklosters . . ., Diss. Fr. i. Br. 1957,
maschr. - Deutsches Volksliedarch. - Fulda, Landesbibl.
Lit. : H. Hettenhausen, Die Choralhss. d. F.er Landesbibl.,
Diss. Marburg 1961.
Gorlitz, Stadtische Kunstslgen, Abt. Oberlausitzische
Bibl. d. Wiss. - Gottingen, Niedersachsische StUB; be-
102
Bibliotheken (Deutschland)
sitzt d. NachlaB v. Fr. Ludwig. Lit. : A. Quantz, Die Mu-
sikwerke d. Koniglichen UB in G., Beilage zu MfM XV,
1883; Die Hss. in G., 3 Bde, hrsg. v. W. Meyer, = Verz. d.
Hss. im preuflischen Staate I, 1-3, Bin 1893-94; W. M.
Luther, Die nichtliturgischen Musikinkunabeln d. G.er
Bibl., in: Libris et Litteris, Fs. H. Tiemann, Hbg 1959. -
Gotha, Landesbibl. Lit.: L. Spohr, Ein Kat. d. Landes-
bibl. G., G. 1959; (I. Preuss), J. L. Bohner, Kat. d. Landes-
bibl. G., = Veroff. d. Landesbibl. G. VIII, G. 1960. -
Greifswald, UB. - GriMma/Sachsen siehe unter Dres-
den. - Gustrow siehe unter Schwerin.
Halle/Saale, Univ.- u. Landesbibl. mit Abt. Hauptbibl.
d. Francke'schen Stiftungen. - Bibl. d. Kirchenmusikschu-
le. Lit. : Kirchenmus. Bucherei d. Provinz Sachsen, Werk-
verz., H. 1936. - Bibl. d. Handel-Hauses ; Restbestand aus
d. Bibl. Fr. Chrysanders (vgl. Hamburg) ; Hss. v. S. Scheidt,
J. Fr. Reichardt, R. Franz, K. Loewe. - Hamburg, StUB;
besitzt d. Chrysandersche Handel-Bibl. - Hannover, Nie-
dersachsische Landesbibl. - Stadtbibl., Musikabt.; besitzt
im Kestnerschen NachlaB eine Musikhss.-Slg. Lit. : Th.
W. Werner, Die Musikhss. d. Kestnerschen Nachlasses . . . ,
"ZfMw I, 1918/19, auch in: Hannoversche Gesch. -Blatter
XXII, 1919. - Schloss Harburo/Schwaben, Furstlich
Oettingen-Wallerstein'sche Bibl. (bis 1948 in Maihingen). -
Heidelberg, UB. Lit.: J. Th. Krug, Quellen u. Forschun-
gen zur oberrheinischen Choralgesch. I, Die Choralhss. d.
UB H.,H. 1936, Teildruck in: Freiburger Diozesan-Arch.,
N. F. XXXVIII, 1937. - Heilbronn, Stadtarch.; verwahrt
d. Musikalienslg d. friiheren Gymnasialbibl. Lit.: U. Sie-
gele, Die Musikslg d. Stadt H., Kat. mit Beitr. zur Gesch.
d. Slg u. zur Quellenkunde d. XVI. Jh., = Veroff. d. Arch,
d. Stadt H. XIII, H. 1965. -Helmstedt siehe unter Wolfen-
biittel.
Jena, UB. Lit.: K.-H. Kohler, Ein Musikalienfund ...,
Wiss. Zs. d. Fr.-Schiller-Univ. J., Gesellschafts- u. Sprach-
wiss. Reihe IV, 1954/55.
Karlsruhe, Badische Landesbibl. Lit. : H. Ehrensberger,
Bibl. liturgica ms., K. 1889; A. Holder u. K. Preisendanz,
Die Reichenauer Hss., 3 Bde, = Die Hss. d. GroBherzog-
lich Badischen Hof- u. Landesbibl. V-VII, Lpz. 1906-18. -
Kassel, Murhard'sche Bibl. d. Stadt K. u. Landesbibl. ; be-
sitzt d. Bestande d. Hofkapelle, Kirchenbibl.en v. K. u.
Fulda. Lit. : C. Israel, Uebersichtlicher Kat. d. Musikalien
d. standischen Landesbibl = Zs. d. Ver. f. hessische
Gesch. u. Landeskunde, N. F. Suppl. 7, K. 1881 ; Die Lan-
desbibl. K. 1580-1930 1, hrsg. v. W. Hopf, Marburg 1930;
Die LBK. in ihrer gesch. Entwicklung II, hrsg. v. dems.,
ebenda; G. Struck, Hss.-Schatze d. LBK., Marburg 1930;
J. Knierim, Die Heugel-Hss. d. K.er Landesbibl., Diss. Bin
1943, maschr. mit thematischem Kat.; Chr. Engelbrecht,
Die K.er Hofkapelle . . . , = Mw. Arbeiten XIV, K. 1958. -
Deutsches Mg. Arch.; mg. Quellen in Mikrofilmen. Lit.:
DMA Kassel, Mitt. u. Kat. d. Filmslg, hrsg. v. H. Heck-
mann, K. seit 1955. - Kiel. Lit. : Kl. Hortschansky, Kat. d.
K.er Musikslgen, = K.er Schriften zur Mw. XIV, Kassel
1963. - Koln, Univ.- u. Stadtbibl. Lit. : W. Kahl, Werke d.
Niederlander . . ., Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Diealten
Musikalien d. K.er Univ.- u. Stadtbibl., Jb. d. K.ischen
Gesch.-Ver. XXVIII, 1953; ders., Kat. d. in d. Univ.- u.
Stadtbibl. K. vorhandenen Musikdrucke d. 16., 17. u. 18.
Jh., = Beitr. zur rheinischen Mg. XXVII, K. 1958; ders.,
Musikhss. aus d. NachlaB E. Biickens . . . , in : Aus d. Welt
d. Bibliothekars, Fs. R. Juchhoff, K. 1961. - Erzbischof-
liche Diozesan- u. Dom-Bibl. Lit. : G. Gdller, Die Leiblsche
Slg, Kat. . . ., = Beitr. zur rheinischen Mg. LVII, K. 1964.
- Musikhist. Museum W. Heyer (1926 aufgelost). Lit. : G.
Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in Coin IV, Mu-
sik-Autographen, K. 1916; Auktionskat. (v. G. Kinsky):
Versteigerung v. Musikbuchern . . . aus d. NachlaB A. W.
Heyer, 2 Bde, Bin 1926-27. - Konigsberg, StUB (Schick-
sal seit 1945 unbekannt). Lit. : J. Miiller, Die mus. Schatze
d. kgl. u. UB zu K. in PreuBen, Bonn 1870; J. M. Miiller-
Blattau, Die mus. Schatze . . . , ZfMw VI, 1923/24.
Leipzig, Musikbibl. d. Stadt Lpz. ; entstanden durch Zu-
sammenlegung d. Stadtischen Musik-Slgen u. d. Musik-
bibl. Peters, enthalt d. Slg C. F. Becker. Lit. : E. Vogel, Kat.
d. Musikbibl. Peters, Lpz. 1894; R. Schwartz, Kat. d. Mu-
sikbibl. Peters. Neu bearb., I, Bucher u. Schriften, Lpz.
1910; C. F. Becker, Alphabetisch u. chronologisch geord-
netes Verz. einer Slg v. mus. Schriften, Lpz. 2 1843. - Deut-
sche Bucherei, Musikalienslg (seit 1942) ; sammelt alle Mu-
sikalien-Neuerscheinungen u. -Neudrucke Deutschlands ;
mus. Schrifttum wird im Gesamtrahmen seit 1913 gesam-
melt. - UB ; verwahrt d. Bibl. d. Nikolai- u. d. Thomaskir-
che. - Verlags-Arch. Breitkopf & Hartel, im Krieg bis auf
d. Autographen zerstort, d. sich heute in Darmstadt befin-
den. - Liegnitz siehe unter Breslau. - Lobau/Sachsen,
Ratsbibl.; heute in d. Sachsischen Landesbibl. Dresden.
Lit.: MfM IV, 1872, S. 28. - Lubeck, Bibl. d. Hansestadt
L. ; enthalt d. Dombibl., d. Bibl. d. St.-Petri-Kirche, d. Ma-
rienkirche, Agidienkirche, d. Jakobskirche u. d. Kathari-
neums. Ein groBerTeil d. alten Kirchenmusikalien befindet
sich seit 1 8 1 4 in Wien (Bibl. d. Ges. d. Musikfreunde). Lit. :
C. Stiehl, Kat. d. Musikslg auf d. Stadt-Bibl. zu L., L. 1893 ;
W. Stahl, Die Musikslg, in : W. Pieth, Bucherei u . Gemein-
sinn, L. 1926; ders., Musik-Bucher in d. L.er Stadtbibl., L.
1927; ders., Die Musik-Abt. d. L.er Stadtbibl., = Veroff.
d. Stadtbibl. d. Freien u. Hansestadt L. IV, 2, L. 1931;
ders., Verz. d. in L. (Stadtbibl.) noch vorhandenen Kir-
chenmusik aus d. 16., 17., 18. Jh., in: J. Hennings u. W.
Stahl, Mg. L. II, Kassel 1952; G.Karstadt, Die Musikabt.
(d. Stadtbibl.) nach d. Krieg, L.ische Blatter 1957. - Lune-
burg, Ratsbiicherei. Lit.: Fr. Welter, Kat. d. Musikalien
d. Ratsbiicherei L., Lippstadt (1950).
Maihingen siehe unter Harburg. - Mainz, UB. - Stadt-
bibl. u. Stadtarch. verwahrt Bestande d. alten UB, d. Nach-
laB P. Cornelius sowie d. meisten d. an d. Musikverlag B.
Schott's Sonne gerichteten Briefe Beethovens. Lit.: G.
Stephenson, Zeugnisse . . ., Der P.-Cornelius-NachlaB d.
Stadtbibl. M., M.er Zs. LIX, 1964. - Bibl. d. Bischoflichen
Priesterseminars. - Mannheim, Wiss. Stadtbibl. ; hat vor
d. 2. Weltkrieg d. alte Bibl. d. Nationaltheaters ubernom-
men auBer d. Musikalien, d. im Kriege verbrannten. Lit. :
Fr. Walther, Arch. u. Bibl. d. GroBherzoglichen Hof- u.
Nationaltheaters in M. 1779-1839, 2 Bde, Lpz. 1899. -
Marbach/Neckar, Bibl. d. Schiller-Nationalmuseums;
Cotta-Arch. - Marburg/Lahn, Stiftung PreuBischer Kul-
turbesitz, StB; Bestande d. ehemaligen PreuBischen StB
Bin u. Reste d. Bibl. d. ehemaligen PreuBischen Staatsthea-
ter-Generalintendantur. Lit.: Westdeutsche Bibl. (Slgen d.
ehemaligen PreuBischen StB), Musik aus 8 Jh., Hss. u.
Drucke, Kat., M. 1951. - Slg Wagener-Strahl (1913 aufge-
lost) ; Teile in Brussel (Bibl. du Conservatoire), Niirnberg
(Germanisches Nationalmuseum), London (Britisches Mu-
seum, Slg Hirsch), Bin bzw. Tubingen (ehemalige PreuBi-
sche StB) u. Ann Arbor/USA (Univ. of Michigan Library).
Lit. : Kat. einer wertvollen Bibl. v. Musikbuchern d. XV.
bis XVIII. Jh., Versteigerung . . . durch C. G. Boerner,
Lpz. 1913; Musikbiicher aus d. Slg Wagener, Lagerkat.
XXVII d. Firma Boerner, Lpz. (1914). - Munchen, Baye-
rische StB, Musik-Slg ; besitzt d. Musikalien d. Bayerischen
Hofkapelle, Restbestande d. Mannheimer Hofkapelle, d.
Musikbucherei d. Rates v. Niirnberg. Lit. : J. J. Maier, Die
mus. Hss. d. K. Hof- u. StB in M. I., Die Hss. bis zum Ende
d. XVII. Jh., = Cat. codicum manu scriptorum Bibl. re-
giae monacensis VIII, 1 , M. 1 879. - Stadtische Musikbibl. -
UB. - Bibl. d. Theatermuseums, Clara-Ziegler-Stiftung.
Lit. : R. Schaal, Die vor 1 801 gedruckten Libretti d. Thea-
termuseums M., Mf X, 1957- XIV, 1961.- Munster, San-
tini-Bibl. d. Bischoflichen Stuhles. Lit.: K. G. Fellerer,
Verz. d. kirchenmus. Werke d. Santini'schen Slg, KmJb
XXXVI, 1931 - XXXIII, 1939; J. Killing, Kirchenmus.
Schatze d. Bibl. d. Abbate F. Santini, Dusseldorf (1911);
R. Ewerhart, Die Bischofliche Santini-Bibl., M. 1962.
Nurnberg, Bibl. d. Germanischen National-Museums. -
Stadtbibl.; Kompositionen d. N.er Stadtmusici; xero-
graphische Reproduktion d. 1894 nach Munchen (StB)
verbrachten Noten d. N.er Ratsmusik. Lit. : H. Zirnbauer,
Der Notenbestand d. Reichsstadtisch N.ischen Ratsmu-
sik, = Veroff. d. Stadtbibl. N. I, N. 1959. - Bibl. beim Lan-
deskirchlichen Arch. Lit. : H. Botstiber, Eine unbekannte
mus. Slg, SIMG I, 1899/1900.
Pirna siehe unter Dresden.
Regensburg, Furstlich Thurn u. Taxis'sche Hofbibl. -
Proske'sche Musikbibl., Bischofliche Privatbibl. Lit.: K.
Weinmann, Die Proske'sche Musikbibl. in R., Fs. R. v.
Liliencron, Lpz. 1910, auch in: KmJb XXIV, 1911; Br.
Stablein, Choralhss. d. R.er Bibl., in: Caecilienver.-Organ
LXIII, 1932; W.Brennecke, Die Hs. A. R. 940/41 d. Proske-
Bibl. zu R., = Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung
103
Bibliotheken (Deutschknd)
Kiel I, Kassel 1953 ; P. Mohr, Die Hs. B 21 1-215 d. Proske-
Bibl. zu R., ebenda VII, Kassel 1955. - Staatl. Bibl. (Kreis-
bibl.). Lit.: T. Trenkle, Die Kreisbibl. in R., in: Beitr. zur
bayerischen Kirchengesch. XXXII, 1 925. - Rheda/Westf.,
SchloBbibl. Lit. : J. Domp, Studien zur Gesch. d. Musik an
Westfalischen Adelshofen im XVIII. Jh., = Freiburger
Studien ziir Mw. I, Regensburg 1934. - Rostock, UB. Lit. :
W. Th. Gaethgens, Die alten Musikalien d. UB u. d. Kir-
chenmusik in Alt-R., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt R. XXII,
R. 1 941 ; L. Hoffmann-Erbrecht, Das Opus mus. d. J. Prae-
torius, AMI XXVIII, 1956.
Saalfeld, Thuringisches Heimatmuseum; Kammermusik
d. Prinzen Louis Ferdinand v. PreuBen. - Schwabach b.
NOrnberg, Kirchenbibl. Lit.: H. ClauB, Die Schw.er Kir-
chenbibl., Munchen 1921. - Schwarzenberg/Sachsen
siehe unter Dresden. - Schwerin, Mecklenburgische Lan-
desbibl. ; enthalt d. Musikalienslg d. Hofkapellen in Lud-
wigslust u. Schw., Teile d. Musikalienslg d. Landesbibl.
Neustrelitz sowie alte Noten aus d. friiheren Domschule in
Giistrow. Lit. : O. Kade, Die Musikalien-Slg d. GroBher-
zoglich Mecklenburg-Schw.er Fiirstenhauses r 2 Bde, Schw.
1893; ders., Der mus. NachlaB d. Frau ErbgroBherzogin
Auguste . . ., Schw. 1899; CI. Meyer, Nachtragskat. (hs.),
3 Bde (Drucklegung geplant, Fotokopien in Bin, Deutsche
StB, u. Lpz., UB); ders., Die Musikalien-Slg d. Mecklen-
burgischen Landesbibl. im Blickfeld d. Mw., Zentralblatt
f. Bibliothekswesen LXVI, 1952. - Sondershausen, Kreis-
bibl. ; Musikhss. d. ehemaligen SchloBkirche mit Werken
v. Stolzel u. Telemann. - Speyer, Musikabt. d. Pfalzischen
Landesbibl. ;Drucked.Sp.erVerlags Bossier. -Stuttgart,
Wurttembergische Landesbibl.; Noten d. wurttembergi-
schen Hofkapelle d. 16.-17. Jh., d. Ludwigsburger Hof-
theaters, Restbestande d. groBtenteils verbrannten u. nicht
mehr bestehenden Hofbibl. Lit.: A. Halm, Kat. iiber d.
Musik-Codices d. 16. u. 17. Jh. auf d. Kgl. Landes-Bibl. in
St., Beilage zu MfM XXXIV, 1902-XXXV, 1903;W.Ir-
tenkauf, DieChoralhss. d. Wurttembergischen Landesbibl.
St., 4 Bde, Diss. Tubingen 1953, maschr.; CI. Gottwald,
Die Hss. d. Wurttembergischen Landesbibl. St. 1, 1, = Co-
dices musici I, Wiesbaden 1964.
Trier, Stadtbibl. Lit.: Beschreibendes Verz. d. Hss. d.
Stadtbibl. Tr. IV, Die liturgischen Hss., Tr. 1 897 ; R. Ewer-
hart, Die Hs. 322/1994 . . ., = Kolner Beitr. zur Musik-
forschung VII, Regensburg 1955. - Bistumsarch.; Musi-
kalien d. ehemaligen Dommusikschule u. 173 liturgische
Hss., teilweise westfalischer Herkunft. - Tubingen, UB
mit Depot Berliner Hss. d. Stiftung PreuBischer Kulturbe-
sitz. Lit. : A. Bopp, Das Musikleben in d. freien Reichs-
stadt Biberach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. T. VII,
Kassel 1930; W. Virneisel, Musikhss. u. Musikdrucke aus
5 Jh., Beschreibendes Verz., T. 1957. - Musikbibl. d. Kon-
viktes. - Schwabisches Landesmusikarch. (am mw. Inst. d.
Univ. T.) ; verwahrt rund 3000 Werke vorwiegend d. 1 8. Jh.
aus Klostern u. Kirchen d. wurttembergischen Raumes,
meist als Dauerleihgaben.
Weimar, Thuringische Landesbibl. - Zentralbibl. d. deut-
schen Klassik. - Stadtbibl. - Bibl. d. Fr. -Liszt- Hochschule
f. Musik. - Superintendantur-Bibl. (Ephoralbibl.). - Wer-
nigerode, Die ehemalige graflich (spater furstlich) Stol-
bergsche Bibl. wurde 1928 aufgeldst; einen Teil d. Bestan-
de ubernahm d. Preuflische StB in Bin. Lit. : E. W. Forste-
mann, Die graflich Stolbergische Bibl. zu W., Nordhausen
1 866 ; R. Eitner, Die graf liche (jetzt furstliche) Stolberg-
Wernigeroder Bibl. im Harz, AmZ 1868. - Wiesbaden,
Hessische (bis 1963 Nassauische) Landesbibl. Lit.: Fr. W.
E. Roth, Musikalisches aus Hss. d. k. Landesbibl. zu W.,
MfM XX, 1 888 ; G. Zedler, Die Hss. d. Nassauischen Lan-
desbibl. zu W., = Zentralblatt f. Bibliothekswesen, Beiheft
LXIII, Lpz. 1931. - Schloss Wiesentheid/Ufr., Musik-
bibl. d. Graf en v. Schonborn; d. Musikslg v. SchloB Pom-
mersfelden wird in W. mitverwaltet; d. Verz. dariiber wird
den IV. Bd d. Schonborn-Kat. bilden. - Wolfenbuttel,
Herzog August Bibl. ; verwahrt d. Bestande d. alten Helm-
stedter UB. Lit. : E. Vogel, Die Hss. nebst d. alteren Druck-
werken d. Musik-Abt. d. Herzoglichen Bibl. zu W., = Die
Hss. d. Herzoglichen Bibl. zu W. X, W. 1890.
Zittau, Christian- Weise-Bibl. - Zwickau, Ratsschulbibl.
Lit.: R. Vollhardt, Bibliogr. d. Musikwerke in d. Rats-
schulbibl. zuZw., = Beilage zu MfM XXV, 1893-XXVIII,
1896, auch separat Lpz. 1896. - Robert-Schumann-Haus.
Finnland.
Abo (Turku), Sibeliusmuseum. Lit.: O. Andersson, Mu-
sikaliska Sallskapet i A. 1790-1808, = Skrifter utgivna av
Svenska Litteratursallskapeti Finnland CCLXXXIII, Hel-
sinki 1940, mit Kat. d. Musik-Slg.
Helsinki, UB. Lit.: T. Haapanen, Verz. d. ma. Hss.-Frag-
mente in d. UB zu Helsingfors, 3 Bde, H. 1922-32; ders.,
Die Neumenfragmente d. UB Helsingfors, Diss. H. 1924.
Frankreich.
Abbeville, Bibl. A. Meyer. Lit. : Fr. Lesure u. N. Bridg-
man, Collection mus. A. Meyer, A. 1961. - Avignon, Bibl.
Municipale (Musee Calvet).
Bordeaux, Bibl. Municipale. Lit.: Cat. des livres compo-
sant la bibl. de la ville de B„ B. 1830-56, darin: J. Delas,
Musique, 1856.
Cambrai, Bibl. Municipale. Lit. : Ch. E. H. de Coussema-
ker, Notice sur les collections mus. des bibl. de C in :
M6moires de la Soc. d'emulation de C. XVIII, 1843, se-
parat Paris 1843. - Carpentras, Bibl. de la Ville. Lit.:
R. Caillet, Cat. de la collection mus. de J.-B. Laurens, C.
1901.
Dieppe, Bibl. Municipale; SIg Saint-Saens. Lit.: A. Milet,
Cat. du Musee de D., D. 1904. - Dijon, Bibl. Municipale.
Lit. : Th. Nisard, Rapport sur les ouvrages des bibl. de Sens
et de D. relatifs a la musique, in : Arch, des missions scienti-
fiqueset litteraires II, 1851.
Lille, Bibl. Municipale. Lit. : Ch. E. H. de Coussemaker,
Notice sur les collections mus. des bibl. de . . . L in:
Memoires de la Soc. d'emulation de Cambrai XVIII, 1843,
separat Paris 1843; anon., Cat. des ouvrages sur la mu-
sique et les compositions mus. de la bibl. de L., 1875;
anon., Cat. de la bibl. de la ville de L., Sciences et Arts,
Suppl. II, L. 1879. - Lyon, Bibl. Municipale. - Bibl. du
Conservatoire. - Eine reiche Musikalienslg im Palais St.
Pierre erwahnt G.Becker in: MfM III, 1871, S. 48.
Paris, Bibl. Nationale, 1 . Departement de la Musique, 2.
Bibl. du Conservatoire National de musique, 3. Bibl. et
Musee de l'Opera. Das Departement de la Musique ist mit
rund 500000 Musikdrucken, 15000 Musikhss. (darunter
Autographe v. Mozart, Beethoven, Berlioz, Bizet, Debussy,
Ravel) u. 75000 Bden Fachlit. eine d. groBten Musik-
slgen. Die Bestande d. Conservatoire mit d. Koniglichen
Kammer- u. Hofkapellmusik, d. Musikalien d. Concert
spirituel, d. Slgen Malherbe, Schoelcher u. Blancheton sind
seit 1964 mit d. Bestanden d. Musikabt. d. Bibl. Nationale
vereinigt, unter denen d. Slgen Weckerlin u. Brossard be-
sonders hervorragen. Lit. : J. Ecorcheville, Cat. du fonds de
musique anciennede la Bibl. Nationale, 8 Bde, P. 1910-14;
J.-B. Weckerlin, Bibl. du Conservatoire National de mu-
sique et de declamation, Cat. bibliogr. de la reserve, P.
1 885 ; A. Gastoue, Cat. des mss. de musique byzantine de la
Bibl. Nationale de P. et des bibl. publiques de France, P.
1907; M. Unger, Die Beethovenhss. d. P.er Konservato-
riumsbibl., Neues Beethoven-Jb. VI, 1935; L. de La Lau-
rencie, Inventaire critique du fonds Blancheton de la Bibl.
du Conservatoire de musique de P., 2 Bde, = Publications
de la Soc. frc. de musicologiell, 2, P. 1930-31; E. Lebeau,
Hist, des collections du departement de la musique de la
Bibl. Nationale, P. 1946; dies., L'entree de la collection
mus. de S. de Brossard a la Bibl. du roi, Rev. de Musicol.
XXXII, 1950- XXXIII, 1951 ; Bibl. Nationale, Cat. gene-
ral des mss. lat., P. seit 1939 ; S. Wallon, Le fonds Coirault
. . . , Rev. de Musicol. XLIX, 1 963 ; s. auch d. Ausstellungs-
Kat. v. A. Gastoue, A. Pirro, H. Expert u. H. Prunieres, La
musique frc. du moyen age a la revolution, P. 1934. - Die
Bibl. de l'Opera enthalt rund 10000 gedruckte Musikwerke
u. 2000 Hss., darunter Werke v. Boccherini, Faure, Gluck,
Massenet, Rameau, Saint-Saens, Spontini. Lit. : Th. de La-
jarte, Bibl. mus. du Theatre de l'Opera, Cat. hist., chrono-
logique, anecdotique, 2 Bde, P. 1 876-78 ; Ch. Th. Malherbe,
Arch, et bibl. de l'Opera, RM III, 1 903. - Bibl. de r Arsenal.
Lit. : L. de La Laurencie u. A. Gastoue, Cat. des livres de
musique (ms. et imprimes) de la Bibl. de 1' Arsenal, = Publi-
cations de la Soc. frc. de musicologie II, 7, P. 1936.
Rouen, Bibl. Municipale ; enthalt Teile d. Bibl. d. Klosters
Jumieges u. d. groBe Boieldieu-Slg Mme Sanson geb.
Boieldieu.
Schlettstadt, Bibl. Humaniste. Lit. : J. Walter, Cat. ge-
neral de la Bibl. municipale I, 1-3, Colmar 1920-29; P.
104
Bibliotheken (Italien)
Adam, L'humanisme a Selestat, Schl. 1962. - Solesmes,
Abbaye Saint Pierre. - Strassburg, Bibl. Nationale et
Universitaire. Lit. : E. Marckwald, F. Mentz u. L. Wilhelm,
Kat. d. Kaiserlichen Univ.- u. Landesbibl. zu Str., Kat. d.
ElsaB-Lothringischen Abt., Bibl. Nationale et Univ. de Str.,
Cat. de la section alsacienne et lorraine, 3 Bde, Str. 1908-
29; M. Vogeleis, Die Musikschatze d. friiheren Str.er
Univ.- u. Stadt-Bibl., Jb. d. ElsaB-Lothringischen wiss.
Ges. II, 1929. - Bibl. de la cathedrale. Lit. : Fr. X. Mathias,
Thematischer Kat. d. im Str.er Miinsterarch. aufbewahrten
kirchenmus. Werke Fr. X. Richters, Fs. H. Riemann, Lpz.
1909. - Inst, de musicologie; bewahrt d. Slg Jacobsthal.
Lit. : Fr. Ludwig, Die alteren Musikwerke d. v. G. Jacobs-
thai (f 1912) begriindeten Bibl. d. »Akademischen Gesang-
ver.«, Str. 1913. - Seminaire Catholique. Lit.: J. Victori,
Tonwerke d. Bibl., in: J. Gass, Die Bibl. d. Priestersemi-
nars in Str., Str. 1092 ; ders., in Beilage I zu MfM XXXIV,
1902.
Versailles, Bibl. municipale. Lit.: Delerot u. Taphanel,
Cat. des mss. de la Bibl. Municipale de V., Paris 1888.
GroCbritannien.
Uber die Bibl. GroBbritanniens u. ihre Musikbestande in-
formiert d. Artikel Libraries and Collections von Ch. L.
Cudworth in Grove. Die Musikdrucke vor 1800 in 104
Bibl. d. United Kingdom verzeichnet der v. O. E. Deutsch
angeregte British Union-Cat. of Early Music, hrsg. v. E. B.
Schnapper, 2 Bde, London 1957.
Cambridge, Fitzwilliam Museum. Lit. : J. A. Fuller Mait-
land u. A. H. Mann, Cat. of the Music in the Fitzwilliam
Museum, C, London 1893. - King's College, The Rowe
Music Library. Lit. : J. Vlasto, The Rowe Music Library,
MR XII, 1951 . - Univ. Library ; enthalt d. NachlaB Fr. Th.
Arnold u. d. Haydn-Slg M. Scott. - Library of Peterhouse
(St. Peter's College). Lit. : A. Hughes OSB, Cat. of the Mus.
Mss. at Peterhouse, C. 1953.
Dublin, National Library of Ireland. - Library of Trinity
College. Lit. : T. K. Abbott, Cat. of the Mss. in the Library
of Trinity College, D. 1900.
Edinburgh, National Library of Scotland. Lit. : C. R. Bor-
land, A Descriptive Cat. of the Western Ma. Mss. in E.
Univ. Library, E. 1916. -The Reid Music Library. Lit.: H.
Gal, Cat. of Mss., Printed Music and Books on Music up
to 1 850 in the Library of the Music Department of the Univ.
of E. (Reid Library), E. 1941; J. M. Allen, Reid Music
Library, Univ. of E., Library World LI, 1948. - Central
Public Library, Music Room.
Glasgow, Mitchell Library; Slgen Fr. Kidson u. Moody-
Manners. - Univ. Library; enthalt d. Slgen Euing. Lit.:
Cat. of the Mus. Library of the Late W. Euing, Gl. 1 878.
Leeds, Music Library-Central Public Library ; besitzt einen
Teil der Slg Kidson. - London, British Museum. The Mu-
sic Room ist eine Abt. d. Department of Printed Books u.
verwahrt als Sonderslgen The Queen's Music Library, die
Slg P. Hirsch, Autographen v. Purcell, Bach, Handel, Mo-
zart, Beethoven. Lit. : A. Hughes-Hughes, A Cat. of Ms.
Music in the British Museum, 3 Bde, L. 1906-09, 1 21964;
W. B. Squire, Cat. of Printed Music in the British Museum,
2 Bde u. Suppl. I, L. 1912, Suppl. II v. W. Chr. Smith, L.
1940 ; W. B. Squire u. H. Andrews, Cat. of the King's Music
Library, 3 Bde, L. 1 927-29 ; K. Meyer u. P. Hirsch, Kat. d.
Bibl. P. Hirsch, 4 Bde, Bin u. Ffm. 1928-36, Cambridge
1947; A. H. King u. C. Humphries, Cat. of Printed Music
in the British Museum, Music in the Hirsch Library, L.
1951; Cat. of Printed Books in the British Museum, Ac-
cessions III, 291B, Books in the Hirsch Library, L. 1959;
Short-title Cat. of Books Printed in the German-speaking
Countries . . . from 1455 to 1600 now in the British Mu-
seum, L. 1962; A. H.King, The Music Room of the British
Museum 1753-1953, Proc. R. Mus. Ass. LXXIX, 1952/53;
ders., The Hist, and Growth of the Cat. in the Music Room
of the British Museum, Fs. O. E. Deutsch, Wien 1963. -
British Broadcasting Corporation, Music Library. Lit.:
BBC Music Library Cat., 9 Bde, L. ab 1965. - Royal Col-
lege of Music. Lit. : W. B. Squire, Cat. of Printed Music in
the Library of the Royal College of Music, L. 1909; ders.,
Cat. of the Mss. in the Library of the Royal College of Mu-
sic 1 93 1 , hs. - Royal Acad, of Music Library ; Autographen
v. Purcell, Mendelssohn, Sullivan.
Oxford, Bodleian Library; besitzt ma. Mss. d. Bibl. d.
Music School, d. Musik v. Stationers' Hall (1759) u. Auto-
graphen. Lit. : A. Hughes OSB, Medieval Polyphony in the
Bodleian Library, O. 1951 ; Summary Cat. of Western Mss.
in the Bodleian Library IV-VI, O. 1897-1924; Cat. Codi-
cum Mss. Bibl. Bodleianae, 0. 1853-1900; E. Gaster, Hist,
of the Bodleian Library, 1 845-1952, 0. 1 952 ; A. Rosenthal,
Bodleian Library, O., Engl. Music, 0. 1955. - Christ Church
Library. Lit. : G. E. P. Arkwright, Cat. of Music in the Li-
brary of Christ Church, 2 Bde, 0. 191 5-23 ; A. Hiff, Cat. of
Printed Music Prior to 1801, now in the Library of Christ
Church, O. 1919.
Tenbury, St. Michael's College; enthalt d. Slgen Ouseley
u. Toulouse-Philidor. Lit.: E. H. Fellowes, The Cat. of
Mss. in the Library of St. Michael's College, T., Paris 1934.
Israel.
Jerusalem, The Jewish National and Univ. Library, De-
partment of Music ; besitzt d. Nachlasse Idelsohn u. Lach-
mannu. steht in Verbindungmitd. Jewish Music Research
Center, d. als umfassende Slg aller schrif tlichen Dokumen-
tation u. miindlichen Uberlieferung jiidischer Musik ge-
plant ist.
Italien.
Einem Uberblick ilber d. Musikbestande d. ital. Bibl. dient
d. Reihe Cat. generate delle opere mus., teoriche o pratiche,
mss. o stampate, di autori vissuti sino ai primi decenni del
XIX s., esistenti nelle bibl. e negli arch, d'ltalia, hrsg. v. d.
Associazione dei Musicologi Ital. (Parma 191 1-41, im fol-
genden als Cat. AMI zitiert), neuerdings d. v. CI. Sartori
geleitete Bibl. musicae (Mailand seit 1962). Unentbehrliche
Hilfsmittel bleiben bis zum Erscheinen d. entsprechenden
Bde v. RISM : E. Vogel, Bibl. d. gedruckten weltlichen Vo-
calmusik Italiens ausd. Jahren 1500-1700, 2 Bde, Bin 1892,
Nachdruck Hildesheim 1962; dass., bearb. u. neu hrsg. v.
A. Einstein in: Notes 11,2, 1944/45 - 5, 1947/48; CI. Sartori,
Bibliogr. della musica strumentale ital., stampata in Italia
fino al 1700, = Bibl. di bibliogr. ital. XXIII, Florenz 1952.
Weitere Lit.: A. de Lafage, Essais de diphtherographie
mus., Paris 1856, Neudruck Amsterdam 1964; Inventori
dei mss. delle bibl. d'ltalia, begonnen v. A. Sorbelli, Forli
seit 1890; A. Smijers, Vijftiende en zestiende eeuwsche
muziekhss. in Italie met werken van nld. componisten,
TVer XIV, 3, 1935; G. Gabrieli, Notizie statistiche, sto-
riche, bibliogr. delle collezioni di mss. . . . , Mailand 1936;
L. Tardo, I codici melurgici bizantini nelle bibl. d'ltalia,
in: Accad. e bibl. d'ltalia XII, 1938 - XIII, 1939; W. H.
Rubsamen, Music Research in Ital. Libraries, Notes II,
6, 1948/49 - 8, 1950/51, separat Los Angeles 1951; N.
Pirrotta, Le bibl. mus. ital., Rass. mus. XXII, 1952; CI.
Sartori, Finalmente svelati i misteri . . . , Fontes artis mu-
sicae II, 1955 - III, 1956; Kn. Jeppesen, Fonti, in: Italia
sacra musica, Musiche corali ital. sconosciute della prima
meta del cinquecento, 3 Bde, Kopenhagen (1 962).
Assist, Bibl. Comunale. Lit.: CI. Sartori, A., La cappella
della Basilica di S. Francesco I, Cat. del fondo mus. nella
Bibl. Comunale, = Bibl. musicae I, Mailand 1962.
Bologna, Civico museo bibliogr. mus. (fruher Bibl. del
Liceo mus., Bibl. mus. G. B. Martini); Slgen Martini,
Mattei, Gaspari, Conti Castelli (Libretti), Autographen v.
Bellini, Martini, Mozart, Rossini, Verdi, Wagner. Lit. : G.
Gaspari u. a., Cat. della Bibl. del Liceo mus. di B. I-IV, B.
1890-1905, Neudruck 1961 ; U. Sesini, Cat. ... V, Libretti
I, B. 1943. -Bibl. dell' Accad. Filarmonica, Examensarbei-
ten d. Mitglieder. - Arch. mus. della Basilica di S. Petronio.
Lit. : A. Bonora, Arch, della R. Accad. Filarmonica, Arch,
mus. della Basilica di S. Petronio, = Cat. AMI II, 1913. -
Bibl. Universitaria. Lit. : F. Liuzzi, I codici mus. conservati
nella R. Bibl. Universitaria di B. , La Rinascita Mus. 1, 1 909/
10; L. Frati, Codici mus. della R. Bibl. Universitaria di B.,
RMI XXIII, 1916.
Florenz, Bibl. Nazionale Centrale; enthalt d. Bibl. Ma-
gliabechi, Palatina, Panciatichi sowie d. NachlaB V. Ga-
lileis. Lit. : B. Becherini, Cat. dei mss. della Bibl. Nazionale
di F., Kassel 1959. - Bibl. Mediceo-Laurenziana. - Bibl.
del Conservatorio di musica L. Cherubini. Lit. : R. Gan-
dolfi, C. Cordara u. A. Bonaventura, Citta di F., Bibl. del
R. Conservatorio di musica, = Cat. AMI IV, 1, 1929 (sehr
liickenhaf t). - Bibl. Marucelliana. - Bibl. Riccardiana.
Genua, Bibl. Universitaria. Lit.: R. Bresciano, Citta di
G., R. Bibl. Universitaria, = Cat. AMI VII, o. J. - Grotta-
ferrata, Badia Greca. Lit. : L. Tardo, La musica bizantina
105
Bibliotheken (Italien)
e i codici di melurgia della Bibl. della Badia di Gr., in:
Accad. e bibl. d'ltalia IV, 1930/3 1 .
Mailand. Lit.: M. Dona, La musica nelle bibl. milanesi,
Mostra di libri e documenti, Cat., M. 1963. - Bibl. del Con-
servatory di musica G. Verdi; umfangreicher Bestand an
neueren Hss. u. Drucken, auch d. Mss. d. Cappella di S.
Barbara in Mantua (16. Jh.) sowie Musikalien aus d. Univ.
Pavia u. aus d. Bibl. Nazionale Braidense. - Bibl. Nazionale
Braidense; hier verblieben liturgische Mss., einige seltene
Musikdrucke, Musiktheorie d. 1 6.-1 8. Jh. u. Libretti. Lit. :
M. Dona, Musiche a stampa nella Bibl. Braidense, in : Fon-
tes arfis musicae VII, 1960. - Arch, della Ven. Fabbrica del
Duomo. Lit. : CI. Sartori, La cappella mus. del duomo di
M., Cat., M. 1957. - Bibl. Ambrosiana. - G. Ricordi & C. ;
autographe Partituren u. Briefe v. Verdi u. Puccini. - Mes-
sina, Bibl. Universitaria. Lit.: O. Tiby, I codici mus. italo-
greci di M., in: Accad. e bibl. d'ltalia XI, 1937. - Modena,
Bibl. Estense. Lit. : P. Lodi, Citta di M., = Cat. AMI VIII,
0. J.; G. Roncaglia, Le composizioni strumentali di A.
Stradella esistenti presso la R. Bibl. Estense, RMI LXIV,
1940; ders.,Le composizioni voc.di A. Stradella . . .,RMI
LXV, 1941. - Duomo. Lit.: A. Dondi, Notizie storiche ed
artistiche del duomo di M., M. 1896. - Montecassino,
Badia. Lit.: P. Ferretti OSB, A. Pirro u. E. Dagnino in:
Casinensial, (M.) 1929.
Neapel, Bibl. Nazionale Vittorio Emanuele III; d. Thea-
ter-Abt. (Bibl. Lucchesi-Palli) besitzt Partituren sowie
Libretti vor allem neapolitanischer Opern. - Bibl. del Con-
servatory di musica S. Pietro a Maiella; Hss. u. Libretti
vor allem d. neapolitanischen Schule, Autographen v. Ge-
sualdo, Bellini, Donizetti. Lit.: G. Gasperini u. Fr. Gallo,
Citta di N., Bibl. del R. Conservatorio di musica, = Cat.
AMI X, 2, 1934. - Bibl. Oratoriana detta dei Gerolamini.
Lit. : S. Di Giacomo, Citta di N., Oratorio, = Cat. AMI X,
1, 1918; G. Pannain, Prefazione, in: Istituzioni e monu-
menti dell'arte mus. ital. V, 1934.
Padua, Bibl. Universitaria. Lit.: G. Tebaldini, L'arch.
mus. della cappella Antoniana, P. 1895 ; A. Capri, G. Tar-
tini, Mailand 1945. - Parma, Bibl. del Conservatorio di
musica A. Boito ; verwahrt auch d. Musikbestande d. Bibl.
Palatina. Lit.: G. Gasperini u. N. Pelicelli, Citta di P.,
= Cat. AMI I, 1911.
Rom, Bibl. Apostolica Vaticana; Musik-Hss. enthalten
vor allem d. Arch. d. Cappella Sistina u. Cappella Giulia,
Musiktheorie d. Mss. vat. lat. 5315-5326. Lit.: Fr. X. Ha-
berl, Bibliogr. u. thematischer Musikkat. d. papstlichen
Kapellarch., Beilage I zu Mf MXIX, 1 887 - XX, 1888, sepa-
rat als : Bausteinef . Mg. II, Lpz. 1 888 ; H. M. Bannister OSB,
Monumenti vaticani di paleografia mus. lat., 2 Bde, Lpz.
1913 ; L. Feininger, The Music Mss. in the Vatican, Notes
II, 3, 1945/46; J. M. Llorens Cistero, Las dedicatorias de
los mss. mus. de la Capilla Sixtina, AM XI, 1956; ders.,
CapellaeSixtinaecodices . . ., = Bibl. Apostolica Vaticana,
Studi e testi CCII, R. 1960.-Bibl. Mus. di S. Cecilia ; besteht
aus einer staatl. Abt. (Slg d. Pflichtexemplare neuer Musik-
drucke) u. einer akad. Abt. mit reichen alteren Bestanden,
Autographen v. Palestrina, Rossini, Bellini, ubernahm
auch Musikalien d. Bibl. Nazionale, Angelica, Alessandri-
na u. Vallicelliana. - Bibl. Casanatense. Lit. : A. de Lafage,
Essais de diphtherographie mus., Paris 1856, Neudruck
Amsterdam 1964. - Bibl. Corsiniana e dell' Accad. Nazio-
nale dei Lincei. Lit. : A. Bertini, Cat. dei fondi mus. Chitie
Corsiano, = Bibl. musicae II, Mailand 1964. - Bibl. Valli-
celliana; Mss. mit Musik u. Theorie d. 15.-16. Jh. u. Ora-
torianer-Lauden. - Bibl. ed Arch. Doria-Pamphilj. Lit. : A.
Holschneider, Die Musikslg d. Fiirsten Doria-Pamphilj
...,AfMw XVIII, 1961.
Turin, Bibl. Nazionale ; Slgen Foa u. Giordano mit (zum
Teil autographen) Hss. v. Vivaldi u. Stradella sowie 16 Or-
geltabulaturen d. 17. Jh. Lit.: L. Villanis, Alcuni codici
mss. . . . , in : Atti del congresso internazionale di scienze
storiche VIII, Rom 1905 ; A. Gentili mit L. Torri, La raccol-
ta di rarita mus. »M. Foa«, in : Accad. e bibl. d'ltalia 1, 1927/
28; ders., La raccolta di antiche musiche »R. Giordano«,
ebenda IV, 1930/31 ; A. Cimbro, Citta di T., = Cat. AMI
XII, 1928 ; thematischer Kat. d. Tabulaturen v. O. Mischia-
tiin:L'OrganoIV, 1963.
Venedig, Bibl. Nazionale Marciana ; Autographen v. Mon-
teverdi, B. Marcello, Lotti, Slgen Contarini, Canal. Lit.:
T. Wiel, I codici mus. Contariniani . . . , V. 1 888. - Bibl. del
Conservatorio di musica B. Marcello ; besitzt d. Musikbe-
stande d. Museo Correr u. d. Bibl. e Pinacoteca Querini
Stampalia. Lit.: G. Concina, A. D'Este, T. Wiel u. R.
Faustini, Citta di V., =Cat. AMI VI, 1, 1923-40. - C.
Goldoni; Libretti-Slg. - Fondazione G. Cini, Scuola di S.
Giorgio per lo studio della civilta veneziana, Istituto per le
lettere, la musica e il teatro; 36000 Libretti (Grundstock
ist d. Slg Rolandi, fruher Rom), Photokopien-Slg d. ge-
samten venezianischen Musik, begonnen 1956 durch Uber-
nahme d. Slg v. Don S. Cisilino.
Japan.
Tokio. Lit. : Cat. of the Nanki Mus. Library, Books on
Music, 2 Bde, T. 1918-20; Cat. of the W. H. Cummings'
Collection in the Nanki Music Library, T. 1925; Cat. of
the Nanki Music Library, Bd I : Musicology, T. 1 929.
Niederlande.
Amsterdam, Toonkunst-Bibl. ; enthalt d. Bibl. d. Vereeni-
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis. Lit. : Cat. van
de bibl. der Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst
en der Vereeniging voor Noord-Nederlands Muziekge-
schiedenis, A. 1884, Suppl. A. 1895. C. S. Bottenheim, Cat.
van de bibl. der Vereeniging . . . , A. 1919. - Stichting Do-
nemus (Documentation for NEtherlands MUSic) ; gegr.
1947, sammelt d. gesamte nld. Musik d. 19.-20. Jh. Lit.:
Cat. van vocale muziek, A. 1958 u. 1961 ; Cat. van instr.
muziek.A. 1959.
Den Haag, Gemeente Museum, muziekhist. af deling;
enthalt d. groBten Teil d. Slg Scheurleer. Lit.: D. Fr.
Scheurleer, Muziekhist. Museum van D. Fr. Sch., Cat — ,
3 Bde, D. H. 1923-25. - Koninklijke Bibl. ; besitzt d. Lie-
der- u. Gesangbiicher d. Slg Scheurleer. Lit.: Cat. van
schoone kunsten en kunstnijverheid, D. H. 1905.
Leiden, UB. Einige Musikdrucke d. 17. u. 18. Jh. sind ver-
zeichnet in: Bouwsteenen III, (Amsterdam) 1881, S. 1 1 Iff".
Utrecht, Bibl. d. Rijksuniv. Lit. : P. A. Tiele u. A. Hulshof,
Cat. codicum mss. bibl. Univ. Rheno-Trajectinae, 2 Bde,
U. 1887-1909.
Norwegen.
Bergen, UB. - Bergens Offentlige Bibl. ; enthalt d. an Mu-
sikalien reiche Griegslg.
Oslo, UB.
Osterreich.
Eine Reihe mit Kat. osterreichischer Musik-Bibl. erscheint
seit 1964 (Graz) unter d. Titel Tabulae musicae austriacae.
Gottweig, Musikarch. d. Benediktinerabtei ; Teile d. Slg
A. Fuchs ; hs. thematischer Kat. v. H. Wondratsch (1 830). -
Graz, UB. Lit. : A. Kern, Die Hss. d. UB Gr., I Lpz. 1942,
II Wien 1956. - Bibl. d. mw. Inst. d. Univ. Gr.; enthalt d.
Musikalien d. St. Jakobskirche Leoben u. d. steiermarki-
schen Musikver. - Diozesanarch. ; enthalt d. Musikalien
Karntner u. Steiermarker Kloster. Lit.: H. Federhofer, Alte
Musikalien-Inventare d. Kloster St. Paul (Karnten) u.
G6B (Steiermark), KmJb XXXV, 1951; ders., Die Si-
cherung d. alten Musikalienbestande, in : Der osterreichi-
sche Bibliothekartag 1952, = Biblos-Schriften III, Wien
1953.
Klosterneuburg, Musikarch. u. Bibl. d. Augustiner-
Chorherrenstiftes. Lit.: A. Koczirz, Kl.er Lautenbiicher,
Musica Divina I, 1913. - Kremsmunster, Regenterei d.
Benediktinerstifts. Lit.: A. Kellner, Mg. d. Stifts Kr.,
Kassel 1956.
Melk, Stiftsbibl. u. Musikarch. d. Benediktinerstiftes.
Salzburg, Bibl. d: Stadtischen Museums Carolino-Au-
gusteum. Lit.: J. Gassner, Die Musikalienslg . . ., in: S.er
Museum C. A., Jahresschrift VII, 1961. - Internationale
Stiftung Mozarteum.
Wien, Musikslg d. Osterreichischen Nationalbibl. (ONB) ;
gegrundet 1826, enthalt d. Hofmusikarch., Teile d. Hof-
kapellenarch., private Musikslgen d. Kaiser, Estensische
Slg (Lit. : R. Haas, Die Estensischen Musikalien, Regens-
burg 1927), Slg Kiesewetter (Lit. : Cat. d. Slg alter Musik d.
k. k. Hof rathes R. G. Kiesewetter, W. 1 874 ; Galerie d. alten
Contrapunctisten, . . . aus d. Arch, alter Musik d. k. k.
Hofrathes R. G. Kiesewetter, W. 1847), Slg Ambros, Bibl.
d. Fugger (Lit.: L. Nowak, Die Musikhss. aus Fugger-
schem Besitz in d. ONB, in : Die ONB, Fs. J. Bick, W. 1 948),
Arch. d. W.er Theater; Autographen: Haydn, Mozart,
Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner; »Arch. f. Photo-
gramme mus. Meisterhss. - Widmung A. van Hoboken«
106
Bibliotheken (Schweiz)
(Lit.: R. Haas, Arch. f. Photogramme mus. Meisterhss.,
Verz. d. Aufnahmen, W. 1928); Slgd. gesamten osterreichi-
schen Notenproduktion. Lit. : J. Mantuani, Codicum mus.
pars I— II, = Tabulae codicum manu scriptorum ... in
Bibl. Palatina Vindobonensi asservatorum IX-X, W. 1 897 ;
R. Lach, Kat. d. mus. Hss. (N. S.): Suppl. mus. Nr 1-
2102 d. Musikalienslg d. W.er Nationalbibl., in: Anzei-
ger d. philosophisch-hist. Klasse d. Akad. d. Wiss. in W.
LXII, 1925; ders., Aus d. Hss.-Schatze d. Musikalienslg,
in: Fs. d. Nationalbibl. in W., W. 1926; R. Haas, Die Mu-
sikslg d. Nationalbibl., JbP XXXVII, 1930; L. Nowak,
Die Musikslg, in: Die ONB, Fs. J. Bick, W. 1948; ders.,
ONB, Fontes artis musicae II, 1955; Fr. Grasberger, Mu-
sikhss. in d. ONB, Osterreichische Musikzs. X, 1955. -
Bibl. d. Ges. d. Musikfreunde; enthalt u. a. d. alten Kir-
chenmusikalien d. Marienkirche zu Liibeck, d. Nachlasse
E. L. Gerber, Kochel u. J. Brahms, d. Schubert-Slg Spaun-
Witteczek, Brief- u. Musikautographen v. Schubert, Beet-
hoven, Mozart. Lit.: E. Mandyczewski, Zusatzband zur
Gesch. d. K.K. Ges. d. Musikfreunde in W., Slgen u. Sta-
tuten, W. 1912. - Musikslg d. W.er Stadtbibl.; enthalt d.
Schubert-Slg N. Dumba, Autographen v. Schubert, Beet-
hoven. Lit. : K. Gladt, Die W.er Stadtbibl., Amtsblatt d.
Stadt W. LV, 1950-LVI, 1951 ; Fr.Racek, Die Musikslg d.
W.er Stadtbibl., Osterreichische Musikzs. X, 1955 ; Fs. zum
lOOjahrigen Bestehen d. W.er Stadtbibl., W. 1956. - UB.
Lit.: W. Merlingen, Der neue Musikalienkat. d. UB W.,
in: Der osterreichische Bibliothekartag 1952, = Biblos-
Schriften III, W. 1953. - Arch. d. Osterreichischen Minori-
tenprovinz, Abt. B: Musik-Hss. Lit.: Fr. W. Riedel, Kat.
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verluste erlitten, erhalten sind nur noch 685 Werke. Lit. :
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waltung befindlichen Kirchenbibl. v. St. Katharinen u.
St. Johann in D., = Kat. d. Hss. d. D.er Stadtbibl. IV, D.
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Kattowitz (Katowice), Bibl. Paiistwowej Wyzszej Szkory
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mit einer engl. Zusammenfassung), K. 1960. - Krakau
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Bibl.en v. 1500-1650, SIMG XIII, 1911/12. - Archiwum
Kapitury Metropolitalnej Krakowskiej (Metropolitanka-
pitel-Arch.). - Bibl. Uniwersytetu Jagiellonskiego. Lit.:
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loriskiego, 2 Bde, Kr. 1877-81 ; J. Wl. Reiss, Ksiazki o mu-
zyce . . . w Bibl. Jagiellonskiej, 3 Bde, Kr. 1924-38; Wl.
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blioteczny IX, 1935; Inwentarz rekopisow Bibl. Jagiellons-
kiej Nr 4175-6000, Kr. 1938, maschr.
Thorn (Torun), Bibl. Glowna Uniwersytetu M. Koperni-
ka (Hauptbibl. d. N.-Kopernikus-Univ.) ; enthalt Teile d.
Noten u. Bucher d. Stadtbibl. Elbing u. Stettin, d. Volks-
bibl. Th. u. d. Bibl. d. Schlosses Pansin b. Stettin. Lit.:
Schulprogramm 1871.
Warschau (Warszawa), Bibl. Narodowa, Zaklad Mu-
zyczny (Musikabt. d. Nationalbibl.) ; enthalt d. Bestande
d. v. d. Grafen Potocki gegriindeten Bibl. zu Wilanow. Ge-
samtbestand iiber 20000 Musikdrucke u. iiber 200 Hss.
Der Vorkriegsbestand (26000 Musikdrucke, 5000 Hss.)
wurde 1944 ganzhch vernichtet. Lit.: Kat. mikrofilmow,
Bibl. Narodowa, Stacja Mikrofilmowa i Zaklad Muzyczny,
W. 1956. - Musikabt. d. Univ.-Bibl. (Oddzial Muzyczny
Bibl. Uniwersyteckiej), verwaltet d. Bibl. d. Mus. Inst. d.
Univ. Breslau. Lit. : E. Kirsch, Die Bibl. d. Mus. Inst, bei
d. Univ. Breslau, Hundsfeld 1922; Fr. Feldmann, Der
Codex Mf 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ. Breslau, 2 Bde,
Breslau 1932. - Wroclaw siehe unter Deutschland, Breslau.
Portugal.
Coimbra, UB (Bibl. Geral da Univ.). Lit. : M. S. Kastner, In-
ventario dos ineditos e impressos musicais I, C. 1937 ; ders.,
Los mss. mus. N. s 48 y 242 de la Bibl. General de la Univ. de
C, AM V, 1950; U. Berti, Ensaio com notas biogr. de um
cat. dos mss. mus. da Bibl. de Univ. de C, = Publicacoes
de Bibl. da Univ. de C, C. 1940; M. de Sampayo Ribeiro,
Os mss. mus. nos. 6 e 12 da Bibl. Geral da Univ. de C, C.
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Lissabon (Lisboa), Bibl. da Ajuda. - Bibl. Nacional. - Die
Bibl. d. Konigs Joao IV. wurde durch d. Erdbeben 1755
zerstort ; d. Kat. v. 1 649 Index de obras que se conservao
na Bibl. Real da Musica wurde zuerst beschrieben in : J. de
Vasconcellos, Ensaio critico sobre o cat. d'el-Rey D.
Joao IV, Porto 1873 ; Faks. : Index da livraria de musica do
muyto alto, e poderoso Rey Dom Joao o IV, hrsg. v. dems.,
Porto 1874-76. Lit.: ders., El Rey D. Joao o IV 10 , Porto
1900,21905.
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les bibl. suedoises (Excepte la Bibl. de l'Univ. Royale d'Up-
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la musique imprimes au XVI e et au XVII e s. et conserves
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fur d. nicht in d. UB B. gelangten Teile d. Slg Geigy vgl. d.
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d. Stiftsbibl. v. St. G., St. G. 1880; Fr. Labhardt, Das Se-
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sind auf 3 Bibl. verteilt : d. Houghton Library sammelt vor
allem altere Hss. u. seltene Drucke, d. E. K. Loeb Music
Library verwahrt d. neueren Musikalien u. Musikbucher,
d. Isham Memorial Library wird als umfassende Mikro-
film-Slg v. Musik-Hss. u. -Drucken vor 1700 ausgebaut. -
Chicago (111.), Newberry Library; liturgische Mss. d. 13-
18. Jh., Tabulatur-Hss. u. -Drucke d. 16. Jh., viele Drucke
d. 17.-18. Jh. aus d. ehemaligen Bibl. Woiffheim (Bin),
Autographen v. Mozart, Mendelssohn, Chopin, Liszt,
Wagner, MacDowell. Lit.: F. Borowski, in: Hdb. of the
Newberry Library, Ch. 1938.
Iowa City (la.), State Univ. of Iowa Libraries. Lit. : Fr.
K. Gamble, An Annotated Cat. of Rare Mus. Items in the
Libraries of the Univ. of Iowa, I. C. 1963.
Los Angeles (Calif.), Univ. of California Library; d. Mu-
sik-Abt. besitzt ital. Libretti, Ballad Operas u. a'ndere engl.
Musik d. 17.-18. Jh. sowie eine groBe Slg amerikanischer
Musik.
New Haven (Conn.), Yale Univ. School of Music Library;
Slg L. Mason mit Bestanden aus d. Bibl. Chr. H. Rincks,
Slg Filmer (engl. Musik d. 17.-18. Jh.), Autographen v.
Bach u. Ives. - New York, Public Library, Music Division ;
Slg Drexel, iiber 400 Bde aus d. ehemaligen Bibl. Woiff-
heim (Bin), Autographen u. Briefe v. Bach, Handel, Haydn,
Mozart, Beethoven, Paganini, Schubert, Schumann, Stra-
winsky. Lit.: H. Botstiber, Musicalia in d. NY Public
Library, SIMG IV, 1902/03; V. Duckies, TheGamble Ms.,
JAMS I, 1948; A. Mell, Paganiniana in the Muller Collec-
tion . . ., MQ XXXIX, 1951 ; Fr. Blume, Eine Tabulatur-
quelle f. M. Praetorius, Mf XV, 1962; J. P. Cutts, »Songs
vnto the Violl and Lute« . . ., MD XVI, 1962; Dictionary
Cat. of the Music Collection, The NY Public Library,
Boston (Mass.), seit 1964. - Columbia Univ., Music De-
partment; Volkslied-Slgen v. M. Parry (serbokroatisch)
u. B. Bartok. - Pierpont Morgan Library, liturgische Mss.
u. Autographen (Beethoven). Lit.: anon., Exhibition of
Illuminated Mss., NY 1934. - Hebrew Union College;
jiidische Musik. - Heinemann Foundation; Autographen
v. Mozart, Schubert, Chopin, R. Strauss. - Northampton
(Mass.), Smith College; besitzt A. Einsteins Spartierungen
v. Madrigalen u. Instrumentalmusik d. 16.-18. Jh.
Philadelphia (Pa.), Curtis Inst, of Music Library; Slgen
Burrell (Wagner) u. Farnam (Orgel). - Free Library, Mu-
sic Department; Fleisher Collection of Orchestral Mu-
sic u. Lewis Collection. Lit. : E. Wolf II, European Mss. in
the J. Fr. Lewis Collection, Ph. 1937.
Rochester (N. Y.), Univ. of R., Sibley Music Library ; be-
sitzt 2 zentrale Theoretiker-Hss. d. 11.-12. Jh. (aus Rei-
chenauu. Admont) u. viele Drucke d. 16.-18. Jh.
Saint-Louis (Mo.), Concordia Seminary; hymnologische
Slg. - St. L. Univ. ; Mikrofilm-Slg d. vatikanischen Mss. -
San Marino (Calif.), Huntington Library. Lit.: E. N.
Backus, Cat. of Music in the Huntington Library Printed
before 1801, S. M. 1949. - Spokane (Wash.), Conservatory;
Arch, of Music Hist, from Primary Sources. Lit. : H. Mol-
denhauer, From My Autograph Collection: C. Ph. E.
Bach - Dittersdorf - Mozart, Kgr.-Ber. Wien 1956; J.
Beale, Weberns mus. NachlaB, Melos XXXI, 1964. -
Stanford (Calif.), Univ. Library; enthalt d. Memorial
Library. Lit. : N. van Patten, A Memorial Library of Music
at St. Univ., St. 1950.
Washington (D. C), Library of Congress; besitzt eini-
ge wertvolle Mss. mit Musik u. Musiktheorie d. MA
sowie in d. 1897 gegr. Music Division d. wohl groBte
Musik-Bibl. d. Welt. Die alteren Werke wurden zum Teil
aus d. Bibl. Cummings, Heyer, Landau, Prieger, Wecker-
lin u. Woiffheim angekauft; d. Grundstock d. Slg v. 35000
Libretti bildet d. 1908 ubernommene Slg A. Schatz (Ro-
stock). Autographen v. Purcell, J. S. Bach u. seinen S6h-
nen, Handel, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Paga-
nini (Slg M. Bang Hohn), Schubert, Schumann, Liszt,
Wagner, Brahms, H. Wolf, Mahler, Debussy, Ravel, Si-
belius, Reger, Schonberg, A. Berg, Strawinsky, Bartok,
Gershwin. Lit. : O. G. Th. Sonneck, Cat. of Opera Scores,
W. 1912; ders., Cat. of Opera Librettos Printed Before
1800, 2 Bde, W. 1914; ders.; Cat of 19 th Cent. Librettos,
W. 1914; J. Gregory, Cat. of Early Books on Music (Be-
fore 1800), W. 1913, dazu Suppl. v. H. Bartlett 1944. -
Dumbarton Oaks Research Library ; untersteht d. Harvard
Univ., sie dient Forschungen zur ma., friihchristlichen u.
byzantinischen Kultur. - Folger Shakespeare Library;
Materialien zur Gesch. d. engl. Theaters.
109
Bicinium
Bicinium (lat., Zwiegesang) ist die im 16. Jh. vor al-
lem in Deutschland gelaufige, danach mit der Sache
selbst allmahlich aussterbende Bezeichnung fiir einen
kontrapunktisch gearbeiteten 2st. Vokal- oder seltener
Instrumentalsatz. Den Terminus iibernahm wahr-
scheinlich Rhaw (1545) aus Isidore Etymologiae (VI, 19,
6); noch Mattheson (1739) verwendet ihn; bei Koch
(1802) bezeichnet er speziell die kleinen Tonstiicke fur
zwey Homer oder Trompeten. - Das B. versteht sich als
reizvolle Abweichung von der Norm des 4- oder 5st.
Kontrapunkts; deshalb sind seine altesten, ins 15. Jh.
zuriickreichenden Vertreter die zweistimmigen, mit
dem vollstimmigen Satz kontrastierenden Abschnitte
in Messen und Motetten, darunter vor allem die tradi-
tionell mit wenig Stimmen komponierten Ordina-
riumsteile (Et iterum venturus est; Benedictus; Pleni sunt
coeli usw.), wie sie seit Dufay u. a. von Isaac, Josquin,
Stoltzer, Senfl, J. Walter, Mouton und Morales vertont
worden sind. Als vier weitere Arten des B. treten im
16. Jh. deutsche Lieder (Othmayr, P.Rebhun, J. Heller,
A.Schwartz, Wannenmacher, M.Praetorius), franzo-
sische Chansons (Gardano, P. de Manchicourt, Certon,
Sweelinck) und italienische Madrigale (G. Scotto) hin-
zu, sowie 2st. Instrumentalsatze, die von spielmanni-
scher Musik (Rhaw, Appenzeller Kuhreigen) iiber Fan-
tasien und Ricercare (Lassus) bis zum strengen Kanon
(J.Walter) reichen. - Dem als Spezialgattung gepfleg-
ten B. wurden bald auch Spezialdrucke gewidmet.
Hauptsachlich lateinische Motetten iiberliefern die
Drucke von Gardano (1543 und spater), E. Rotenbucher
(Diphona amoena, 1549), A. Chrysoponus (Bicinia nova,
i579; auch tschechische Texte), Fr. Lindner (Bicinia
sacra, 1591), J. de Castro (Bicinia, 1593), Calvisius (Bi-
cinia, 1599 und 1612), G.Otto (Bicinien, handschrift-
lich 1601), Bodenschatz (Bicinia, 1615) und Friderici
(Bicinia, 1623 und 1642), ferner die Handschrift 18832
der Nationalbibliothek Wien. 2st. Chansons enthalten
u. a. Drucke von Attaingnant (1535), J. Moderne (1538,
1539 und spater), Gardano (1539, 1543 und spater), J.
Gero (1541, Gardano), Sweelinck (1612) und J. de
Castro (1634). Deutsche Bicinien liegen vor in Drucken
von Othmayr (Bicinia sacra, 1547), E. Rotenbucher
(Bergkreyen, 1551), Wannenmacher (1553) und M.
Praetorius (Musae Sioniae IX, 1610 und spater). Text-
lose Bicinien sind handschriftlich von J. Walter (1542),
im Druck von E.Romano (1521), A.Licino (1545/46
und spater), B.Lupacchino mit G.M.Tasso (1559, Gar-
dano, Nachdrucke bis 1701), P.Vinci (1560), V.Galilei
(1584), F.E.Lucchese (1588), G.Gastoldi (1598,21602),
G.Puliti, G.B.Cali und R.Amadino (1605) erhalten.
Gemischten Inhalts sind die Drucke von Rhaw (Bicinia
gallica, latina, germanica, 1545), Scotto (3 Biicher Ma-
drigale, auch Motetten und Spielstiicke enthaltend,
1541/59/62 u. 6.), Lassus (1577 u.'o., 12 Motetten und
12 Instrumentalsatze enthaltend), Phalese und Bellere
(Liber musicus 1571, Bicinia 1590, Bicinia 1609) und
Mancinus (1597, Instrumental- und italienisch textierte
Vokalstiicke). - Dienten diese Drucke, vor allem die-
jenigen gemischten Inhalts, generell dem geselligen
Musizieren, so waren die deutschen, meist von Schul-
meistern zusammengestellten Drucke, zumal wenn sie
ausdriicklich Bicinien genannt sind, speziell als Exem-
pla fiir die Jugend gedacht und fiir diesen Zweck oft-
mals eigens kontrafaziert (besonders durch Rhaw).
Dementsprechend enthalten auch die Musikkompen-
dien des 16. und noch des 17. und 18. Jh. Bicinien als
Lehrbeispiele, u. a. die von S. Heyden, Glarean, Gr. Fa-
ber, Gumpelzhaimer, M.Beringer, Banchieri und E.
Gruber (1673). - In den Bicinien von Lassus in einer
franzbsischen Ballard-Ausgabe von 1601 und denen
des M.Praetorius von 1610, welchen jeweils ein Stiitz-
baG unterlegt ist, vollzieht sich der LJbergang vom
kontrapunktisch gearbeiteten zum harmonisch gestiitz-
ten 2st. Satz, der forthin die Bezeichnung Duett oder
Duo erhalt. In choralgebundenen Werken nord- und
mitteldeutscher Organisten (vor allem Scheidts) er-
scheint jedoch bis zum Ende des 17. Jh. auch weiterhin
das B. ohne stiitzenden BaB. Die Singbewegung des
20. Jh. und die Ruckbesinnung der Neuen Musik auf al-
te Stile und Techniken haben zu einer Wiederbelebung
der Bicinientradition gefiihrt; neben Neudrucken alter
Bicinien, u. a. durch Fr.Jode (Altdeutsches Liederbuch),
stehen Neukompositionen u. a. von Bartok, Hinde-
mith, Piston, Genzmer, W. Burkhard, Pepping, Reda,
K.Marx, Fr. Dietrich, W.Hensel, A.Knab, J. Bender,
H.Walcha, A.Thate, W.Rein.
Ausg.: J. Walter, Kanons, hrsg. v. W. Ehmann, Kassel
1930, Neudruck als HM LXIII, Kassel 31955; G. Rhaw,
Bicinia, hrsg. v. H. Albrecht u. M. Geek, Rhaw GA, in Vor-
bereitung ; ders., 30 Bicinia germanica, hrsg. v. H. Reichen-
bach, =Der Musikant, Beih. X, Wolfenbuttel 1926; C.
Othmayr, Geistliche Zwiegesange, 2 H., hrsg. v. W. Lipp-
hardt, Kassel 1928-29; E. Rotenbucher, Schone u. liebli-
che Zwiegesange, hrsg. v. D. Degen, = HM LXXIV, Kas-
sel 1 95 1 ; J. Wannenmacher, Bicinia, hrsg. v. A. Miiller, in :
Vom Turm IV, Dresden 1 929 ; Weltliche Zwiegesange (4 v.
Wannenmacher, 3 aus Rotenbuchers Bergkreyen), hrsg. v.
Fr. Piersig, Kassel 1 930 ; O. de Lassus, Bicinien, hrsg. v. G.
Pinthus, = HM II, Kassel 1949; ders., 2 x Sechs Fantasien
f. 2 Instr., hrsg. v. W. Pudelko, Kassel 1927, Neudruck als
HM XVIII-XIX, Kassel 1949; G. O.tto, 9 Bicinien, hrsg.
v. G. Heinrichs, in : 25 geistliche Tonsatze, Homberg 1929-
33 ; M. Praetorius, Zwiegesange, hrsg. v. Fr. Jode, = Der
Musikant, Beih. I, Wolfenbuttel 1924, erweitert 31927;
ders., Zwiegesange, 2 H., hrsg. v. G. Schwarz, Kassel 1948 ;
J. P. Sweelinck, Duette, hrsg. v. J. Ph. Hinnenthal, = HM
LXXV, Kassel 1951; G. Gastoldi, 12 Spielstucke f. 2
Instr., hrsg. v. E. (Gerson-)Kiwi, Kassel 1933 ; 20 Bicinien,
hrsg. v. E. Doflein, Mainz 1932.
Lit.: L. Nowak, Eine Bicinienhs. d. Wiener Nationalbibl.,
ZfMw XIV, 1931/32; H. Albrecht, Zur Rolle d. Kontra-
faktur in Rhaus .Bicinia', Fs. M. Schneider, Lpz. (1955);
A. L. Murphy, The Bicinia Variorum Instrumentorum of
J. Chr. Pezel, Diss. Tallahassee Univ. 1959, maschr.; W.
Boetticher, Eine f rz. Bicinien- Ausg. als f ruhmonodisches
Dokument, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962; D. Kam-
per, Das Lehr- u. Instrumentalduo um 1500 in Italien, Mf
XVIII, 1965. MG
BIEM (Bureau International d'Edition Musico-Meca-
nique), eine seit 1929 bestehende gemeinsame Zentral-
stelle der deutschen AMMRE, der franzbsischen EDIFO
(->■ AMMRE) und der italienischen SIDE (Societa In-
cassi Diritti Editoriali) sowie mehrerer auslandischer
Verlagsunternehmen, mit dem Sitz in Paris. Die Grtin-
dung des BIEM bezweckte vor allem, der internatio-
nal organisierten Schallplattenindustrie gegeniiberzu-
treten. Aus dem BIEM ist die -* GEMA 1960 vorsorg-
lich ausgeschieden auf Grund kartellrechtlicher Be-
denken des deutschen Bundeskartellamtes gegen die
Statuten des BIEM und gegen den zwischen BIEM und
IFPI (Internationale Federation der phonographischen
Industrie) vereinbarten sogenannten Normal vertrag fiir
die Schallplattenindustrie. Die dem BIEM angeschlos-
senen nationalen Verwertungsgesellschaf ten fiir mecha-
nische Rechte haben der GEMA ein unmittelbares Man-
dat zur Wahrnehmung der mechanischen Rechte an
ihren jeweiligen Repertoires fiir das Gebiet der Bundes-
republik Deutschland und West-Berlins erteilt. Umge-
kehrt werden die der GEMA ubertragenen mechani-
schen Rechte auf Grund entsprechender Vereinbarun-
gen im Ausland durch die nationalen Verwertungsge-
sellschaften verwaltet. Die GEMA vergibt nunmehr in
Deutschland die ihr zur treuhanderischen Wahrneh-
mung von Komponisten, Textdichtern, Musikverle-
gern und auslandischen Verwertungsgesellschaften
110
Blasquinte
iibertragenen mechanischen Vervielf altigungsrechte an
Tontragerhersteller (Schallplattenindustrie usw.) und
kassiert von diesen Lizenzgebiihren, die im Normal-
fall gegenwartig je Plattenseite 4% des Katalog-De-
tailverkaufspreises betragen. Nach Abzug eines Un-
kostensatzes (zur Zeit 15%) werden die Einnahmen
an die Berechtigten nach MaBgabe des fiir jedes Werk
bestehenden Verteilungsschliissels weiterverrechnet.
Eine Besonderheit bietet die den Herstellern von me-
chanischen Musikinstrumenten und der Schallplatten-
industrie zu Beginn dieses Jahrhunderts eingeraumte
Zwangslizenz (-»■ Lizenz), deren historische Grundla-
gen iiberholt sind.
Big band (big baend, engl., groBes Orchester), eine im
Jazz iibliche Bezeichnung fur Ensembles, in denen
einzelne Instrumente - anders als in den Small bands -
nicht solistisch, sondern mehrfach bzw. chorisch be-
setzt sind. In der Praxis wird die Anwendung dieser
Bezeichnung weniger von der GroBe als von der Mu-
sizierweise und dem auBeren Auftreten des Ensembles
abhangig gemacht. Die instrumentale Zusammen-
setzung der B. b. ist mit derjenigen der kleinen En-
sembles identisch, nur kann jedes einzelne Instrument
der Melodiegruppe (Trompete, Posaune, Klarinette,
Saxophon) mehrfach (in der Regel zwei- bis f iinffach)
besetzt sein, wahrend die Rhythmusgruppe (Piano,
Gitarre, Schlagzeug, KontrabaB) unverandert bleibt.
Der spezifische Charakter der B. b. kommt vor allem
in der satztechnisch und klanglich durchorganisierten
Spielweise zum Ausdruck (->■ Arrangement) : die ar-
rangierten Passagen sind zahlreicher und differenzierter
gestaltet, die einzelnen Instrumentengruppen - Brass
section (Trompeten, Posaunen), Reed section (Klari-
netten, Saxophone) und Rhythmusgruppe - werden
einander in pragnanter Weise gegeniibergestellt, und
auch unter den mitwirkenden Musikern wird eine Art
satzfunktionelle Hierarchie aufgestellt: lead, fiihrende
Stimme; leader, Leiter der B. b. (bandleader) oder ei-
ner Instrumentengruppe; front line, begleitende t In-
strumente; sidemen, Neben- oder »Fullstimmen«-Mu-
siker. Dem Pradikat big tragt auBerlich unter anderem
das auf Schauwirkung bedachte Auftreten des Ensem-
bles Rechnung (einheitliche Kleidung, dekorative Pul-
te, eine sorgfaltige, wenn auch an keine besonderen
Regeln gebundene Aufstellung der einzelnen Gruppen,
Verwendung eines Band theme oder Signature tune als
Erkennungsmelodie). In der Geschichte des Jazz steht
die B. b., weil sie dem individualistischen Charakter
des Jazzmusizierens nicht ganz gerecht werden kann,
abseits der wesentlichen Entwicklungslinie, obschon
viele bahnbrechende Solisten aus groBeren Ensembles
hervorgegangen sind. Die Bliitezeit und auch die zah-
lenmaBige Konzentration der B. b.s fallt in die Swing-
Ara, besonders in die Dekade um 1935-45. Vorher
(nach 1920) und nachher (nach 1947) liegt der Schwer-
punkt auf den kleineren Ensembles, was sowohl den
geschichtlichen als auch den wirtschaftlichen Gesichts-
punkten zuzuschreiben ist. - Bedeutende B. b.s leiteten
u. a. Fletcher Henderson (1923-37), Duke Ellington
(seit 1926), Don Redman und Benny Carter (1928),
Earl Hines (1929), Cab Calloway, Andy Kirk (1930),
Jimmy Lunceford (1930-47), Chick Webb (1931-39),
Benny Goodman (1934), Count Basie, Woody Her-
man (1937), Stan Kenton (1941), Boyd Raeburn (1944),
Dizzy Gillespie (1946).
Biniou (binj'u, frz., von lat. bini, zwei), eine kleine
bretonische Sackpfeife mit doppeltem Rohrblatt und
3 Bordunen in einem Sockel mit einfachen Blattern.
Im Zusammenspiel begleitet der B. die Bombarde
(Schalmei) in der oberen Oktave. In neuerer Zeit wer-
den B.s auch in gleicher Oktavlage mit der Bombarde
und nach dem Muster schottischer Sackpfeifen gebaut
(grand b.).
Lit.: Cl. Marcel-Dubois, Bombardes et b., Paris 1951.
Birma ->■ Hinterindien.
Birmingham.
Lit. : J. Smith, The Story of Music in B., B. 1945.
Birne (frz. baril; ital. barilotto; engl. pear) heiBt we-
gen seiner Form das FaBchen unter dem Mundstiick-
teil (Schnabel mit Blatt) der Klarinette. Zum Zwecke
der Stimmung der Klarinette verfiigt der Blaser iiber
mehrere B.n von geringfiigiger Langenverschieden-
heit. Zum Feinstimmen konnen B. und Mundstuck
auseinandergezogen und zusammengeschoben werden.
bisbigliando (bizbiA'ando, ital., fltisternd), auch bis-
bigliato, besonderer Effekt auf der Harfe, der in einem
»sanft fliisternden« Tremolieren eines Akkords oder
Einzeltons besteht.
Bisdiapason, latinisierte Form fiir -*■ Disdiapason.
Bitonalitat, haufigste Form der ->• Polytonalitat.
Bitterfeld (Sachsen-Anhalt).
Lit. : A. Werner, Musikpflege in Stadt u. Kreis B. seit d.
Reformation, B. 1931 ; ders., B.er Neujahrssingen in alter
Zeit,HeimischeScholle,B. 1935.
Biwa (japanisch) ->■ P'i-p'a.
Black-bottom (blaek-b'Dtam), amerikanischer Mode-
tanz um 1926/27, der Gattung des ->• Ragtime angeho-
rend. Der Name (»schwarzer Boden«) ist von der Be-
zeichnung der Erde an den Ufern des Mississippi ge-
nommen, da der Tanzschritt auf Eigentumlichkeiten
der dortigen Negertanze zuriickgeht. Der Bl.-b. ist ein
langsamer -»- Foxtrott im 4/4-Takt (J = 72) mit Syn-
kopierung auf dem 3. Viertel: *J ( J>J J^ | J
* 4 > ' • > • >
Die Begleitung hat den Akzent auf dem 1. Viertel. Die
Musik des ersten Bl.-b. stammt von dem Tanzkompo-
nisten R. Hendersson.
Lit.: A. Baresel, Das Jazz-Buch, Lpz. 1926; J. Slawe,
Einf uhrung in d. Jazzmusik, Basel 1 948.
Blaserquartett, Blaserquintett, Blasertrio ->
Quartett, ->■ Quintett, -> Trio.
Blanche (bla: J, frz., weiBe) -*■ Halbe Note.
Blasinstrumente (frz. instruments a vent; engl. wind
instruments), die Gruppe der ->■ Aerophone, bei denen
der Ton durch Einblasen von Luft erzeugt wird, ent-
weder durch den menschlichen Atem oder durch ein
Geblase wie bei der Sackpfeife und der Qrgel. Syste-
matisch werden die Bl. unterteilt in Floten-, Horn-
und Zungeninstrumente, in der Praxis in Holz- und
Blech-Bl. sowie Rohrblattinstrumente.
Lit.: E. Euting, Zur Gesch. d. Bl. im 16. u. 17. Jh., Diss.
Bin 1899; E. Buhle, Die'mus. Instr. in d. Miniaturen d.
friihen MA I, Die Bl., Lpz. 1903; V.-Ch. Mahillon, Les.
instr. a vent, Briissel 1907; Fr. Brucker, Die Bl. in d. alt-
frz. Lit., = GieBener Beitr. zur Romanischen Philologie
XIX, GieBen 1926: H. Bouasse u. M. Fouche, Instr. a
vent, 2 Bde, Paris 1929-30; A. Carse, Mus. Wind Instr.,
London 1939; B. Hayne, Tonal Spectra of Wind Instr.,
Proc. R. Mus. Ass. LXXIV, 1947; G. Gorgerat, Encyclo-
pedic de la musique pour instr. a vent, 3 Bde, Lausanne
3 1955 ; I. Horseley, Wind Techniques in the 16 th and Early
17"" Cent., Brass Quarterly IV, 1960/61.
Blasorchester -> Harmoniemusik, -> Blech-
musik.
Blasquinte (engl. blown fifth), Bezeichnung fiir die
beim Oberblasen einer gedackten Pfeife entstehende
Quinte fiber der Oktave des Grundtones (Duodezime),
111
Blatt
die nach v. Hornbostel mit 678 Cent fast i [s Ton klei-
ner ist als die reine (durch Saitenteilung entstehende)
und die temperierte Quinte (702 bzw. 700 Cent). MaB-
quinten nannte Bukof zer die ebenf alls zu kleinen Quin-
ten, die an Pfeifen beobachtet werden, wenn die Rohr-
langen oder die Grifflochabstande das gemessene Ver-
haltnis 3:2 aufweisen. Fur v. Hornbostel, von dem
die Bezeichnung Bl. stammt, diente der - iibrigens nie
realisierte - 23stufige Bl.n-Zirkel als Grundlage seiner
Bl.n-Theorie, die das Entstehen einer Reihe von nicht-
europaischen Tonsystemen (Pelog, Slendro) erklaren
soil. Hypothetisch gewonnene Auswahlleitern schie-
nen durch Messungen bestatigt, die v. Hornbostel und
J.Kunst an Panpfeifen und Xylophonen vornahmen.
Eine wesentliche Rolle fiir die Bl.n-Theorie spielt f er-
ner der chinesische Normalton Huang chong (»gelbe
Glocke«) = 366 Hz, den v. Hornbostel fiir eine Pfeife
der Normlange 23 cm (=1 altchinesischer FuB) er-
rechnete und an den untersuchten Instrumenten nach-
wies. Wie Bukofzer jedoch feststellte, widersprechen
v. Hornbostels Hypothesen und Berechnungen in ver-
schiedenen Punkten den akustischen Gegebenheiten,
Tatsachlich schwankt die GrbBe der Bl. je nach Rohr-
lange und Art des Anblasens zwischen groBer und klei-
ner als die reine Quinte (mit einer Streuung von 100
Cent und mehr). Auch der Huang chong wurde mit
366 Hz als zu hoch berechnet (Bukofzer gibt 358 Hz
als gemessenen Wert an). Als weiteren Einwand fiihrt
Husmann das Fehlen jeder Uberlieferung einer zumin-
dest theoretisch bedeutungsvollen 23stufigen Skala an,
akzeptiert aber das Prinzip, wenn er aus der etwas ver-
Snderten Bl. einen Zirkel aus 7 Quinten = 4 Oktaven
entwickelt, der sich mit der 7stufigen Temperatur als
fundamentalem Prinzip in der auBereuropaischen Mu-
sik deckt.
Lit.: E. M. v. Hornbostel, Mus. Tonsysteme, in: Hdb. d.
Physik VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. Scheel, Bin 1927 ; M.
F. Bukofzer, Kann die Blasquintentheorie zur Erklarung
exotischer Tonsysteme beitragen?, Anthropos XXXII,
1937; J. Kunst, Around v. Hornbostel's Theory of the
Cycle of Blown Fifths, = Mededeling van het Koninklijk
Indisch Inst. LXXVI, Amsterdam 1948; J. Handschin,
Der Toncharakter, Zurich (1948); H. Husmann, Grundla-
gen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961.
Blatt -*■ Zunge, -*■ Rohrblattinstrumente.
Blechblasinstrumente (frz. cuivre), Sammelbezeich-
nung fiir die Gruppe der Horninstrumente des mo-
dernen Orchesters, die Trompeten, Waldhorner, Po-
saunen und Tuben nebst ihren Verwandten umfaBt
und der Gruppe der Holzblasinstrumente gegenuber-
steht.
Lit. : A. Machabey, Apercus hist, sur les instr. de cuivre,
RM 1955, Nr 226; H. Bahnert, Th. Herzberg u. H.
Schramm, Metallblasinstr., Lpz. 1958; M. Vogel, Die In-
tonation d. Blechblaser, Neue Wege im Metallblas-Instru-
mentenbau, = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d.
Musik I, Dusseldorf 1961.
Blechmusik (frz. fanfare; ital. fanfara; span, charan-
ga; engl. brass band), eine Musik, die im Unterschied
zur ->■ Harmoniemusik nur von Blechblasinstrumen-
ten ausgefuhrt wird, im iibertragenen Sinn auch das
Ensemble selbst. Zur Bl. gehoren : in der Militarmusik
die reine Signalmusik; das Trompeterkorps der Ka-
vallerie mit Trompeten und Pauken, nach Einf iihrung
der Ventilinstrumente ein Klangkorper aus scharfem
und weichem Blech ; das Waldhornistenkorps der J3-
ger, nach Wieprechts Tableau 1860 ein Trompeterkorps
mit Waldhornern ohne Schlagzeug; ferner die daraus
entwickelte Panzermusik. Das kleinste Bl.-Ensemble
nach Wieprecht ist die »Signalhornmusik« der Infante-
rie (->• Spielleute). - Ein Bl.-Ensemble sind auch die
kirchlichen »Posaunenchore« (mit Trompeten, Posau-
nen und Bugelhornern).
Lit.: H. C. Hind, The Brass Band, London 1934; J. F.
Russell u. J. H. Elliott, The Brass Band Movement,
London 1936; J. Franco Ribate, Manual de instrumen-
tation de banda, Madrid 1943.
Blindennotenschrift. Nach mannigfachen friiheren
Versuchen wurde die Bl. ebenso wie die Blindenbuch-
stabenschrift 1839 von L. ->■ Braille in Paris erfunden.
In deutscher Sprache erschien die erste stereographisch
vervielfaltigte Darstellung der Bl. 1876. Reformen des
Systems in einzelnen Landern machten (zuerst 1888 in
Koln, zuletzt 1954 in Paris) Konferenzen notig, um die
Systeme international zu vereinheitlichen. - Die mit
erhabenen Zeichen geschriebene Bl. wird mit den Fin-
gerspitzen tastend gelesen. Die Grundform dieser
Schrif t besteht aus 6 rechteckig angeordneten Punkten.
1 • • 4
• 5
3 •
Die Zeichen werden durch Anzahl und Stellung der
Punkte gebildet, so aus den Punkten 1, 2, 4 und 5 die
Zeichen fiir die Stammtone als Achtel- oder Hun-
dertachtundzwanzigstelnote. Durch Zuf iigen der Punk-
te 3, 6 oder 3 und 6 werden die groBeren Noten wer-
te dargestellt. Folgen Notenzeichen von gleichem
Aussehen, aber verschiedener Bedeutung aufeinander
(z. B. Halbe und eine ZweiunddreiBigstelnote), so
werden sie durch das Taktglieder-Scheidungszeichen
getrennt. Bei Akkordbrechungen wird eines der 5
Brechungszeichen (fiir Brechung in Viertel-, Achtel-
noten usw.) hinter die Notenzeichen gesetzt. Anstelle
der Schlussel stehen Oktavzeichen. Die erste Note eines
Tonstiickes oder Abschnittes erhalt stets ein Oktavzei-
chen, die folgenden nur dann, wenn sie mit der voran-
gehenden Note eine Sexte oder ein groBeres Intervall
bilden. Bei der Darstellung von Akkorden werden der
oberste bzw. unterste Ton als Noten, die anderen Tone
nacheinander mit Intervallzeichen geschrieben. In un-
gleichen Notenwerten fortschreitende Harmonien
werden taktweise in Stimmeh aufgelost und in der
Niederschrift durch das Stimmenzeichen auseinander-
gehalten. Kommen zwischen Noten Vortragsbezeich-
nungen durch Buchstaben oder Worte vor, so wird
das Wortzeichen vorangesetzt. Die nachste Note wird
in diesem Fall durch ein Oktavzeichen gekennzeichnet.
Spezielle Zeichen gibt es fiir den SchluBstrich, das Wie-
derholungszeichen, prima und seconda volta, Fermate,
dal segno, da capo, fiir Phrasierungs- und Artikulations-
vorschriften sowie fiir Verzierungen.
Zeichen der 7 Stammtone
Jc d e f g a h
•• • • •• •• • • •
• • ■ • «. •• •• • ■ ••
J oderJ^ •: •. :• :: :. .• .:
JN •• • ■ •• •• • ■ ■ • • •
oder * .» . • «. •• •• m ■ ••
n •• •• •• •• •• ■• -•
o oder «' . . . • *. •• •• • ■ ••
112
Blockflote
Pausenzeichen
--- oder 3 ■ ■ --- oder J • •
£ oder 3 • ■ V oier 3 ■ ■
Noten oder Pausen mit Verlangerungspunkt
a- oder Jl •••■-• oder 3' ■ ■ ■ ■
Unregelmafiige Teilungen
• • •
• • ■
• • •
• • •
5 6
Taktvorzeichnung
2 • . .
2 * *
* • • •
t.i
4 ..... . 4 ..
• • • ■ ■
• ■ ■ • •
e :: :• .: 3 ::
. . • • • • o . .
Taktgliederscheidung
Fingersatz- und
Brechungszeichen
1. 2. 3. 4. 5.
Oktavzeichen
4. 5. 6.
Intervallzeichen
2 3 4 5 6 7
Versetzungszeichen
Stimmen-
Wort- Zahlzeichen
Die einzelnen Takte werden durch einen freien 6-
Punkt-Raum abgegrenzt. Eine partiturmafiige Schrei-
bung wird nur selten angewandt. Die Tonstucke wer-
den in Abschnitte (etwa 8 Takte) gegliedert, wobei
z. B. im Klaviersatz die rechte und linke Hand getrcnnt
werden, indem einem Abschnitt bzw. einem Takt der
rechten Hand gleich jener der linken folgt. Der Blinde
muB Takt flir Takt auswendig lernen. - Die Literatur
in Bl. ist reichhaltig. Die Noten und Biicher werden in
den Blindendruckereien in Wien, Paris, London, Ko-
penhagen sowie in Hannover-Kirchenrode und Mar-
burg an der Lahn gedruckt. Von groBem Wert sind die
in groBeren Stadten von Blindenanstalten und -verei-
nen errichteten Leihbibliotheken fur Blinde (Ham-
burg, Leipzig, Marburg).
Lit.: WolfN; Marburger Beitr. zum Blindenbildungswe-
sen, hrsg. v. Ver. d. blinden Akademiker Deutschlands,
Marburg 1930ff., ab Jg. VIII, 1937 hrsg. v. K. Strehl; A.
Reuss, Entwicklung u. Probleme d. Bl., Diss. Heidelberg
1933; ders., Die Weltbl. I: Die abendlandische Musik,
Hannover 1960; Zs. Der blinde Musiker, Hannover Jg.
XXXVIII, 1937 - (XLIX), 1958, liickenhaft; Zs. in Blin-
dendruck: Die Gegenwart, Lpz. 1947ff. ; H. V. Spanner,
Revidiertes Internationales Regelbuch nach d. Beschlussen
d. Internationalen Braille-Musikkonferenz Paris 1954,
deutsch hrsg. v. A. ReuB, Hannover 1957.
Blockflote (Schnabelflote, Kernspaltflote, im 16.-18.
Jh. schlechthin Flote; ital. flauto diritto, flauto dolce;
frz. flute douce, flute a bee; engl. recorder), die wich-
tigste Art der Langsfloten. Sie hat ihren Namen nach
dem VerschluBkern, einem
holzemen Block (Kern) im
Kopf, neben dem nur eine
enge Spalte (Kernspalte)
freibleibt, durch die der
Atem des Blasers ohne des-
sen Zutun gegen die Kante
eines Aufschnitts (Fenster)
gefuhrt wird. Das Anbla-
sen der Bl. ist daher ein-
f acher als das der -> Quer-
flote; der Ton kann aber
nur unwesentlich beein-
0"
fluBt werden. Er ist verhalten, zart und still. Die bei
weiter Mensur fast zylindrische, bei enger Mensur ko-
nische Spielrohre (Birne, Ahorn oder Edelholzer) hat
in der Regel 7 vorderstandige Grifflocher und ein Dau-
menloch. - Die Bl. ist in Europa zuerst im 11. Jh. iko-
nographisch in Frankreich belegt (Paris, Bibl. Nat., lat.
1118, wo aber die Konstruktion des Instruments nicht
erkennbar ist). Funde weisen Friihformen der Bl.
(Knochenflote) in England und Nordeuropa seit der
Steinzeit nach. Die volkstumlichen Formen der Bl. zei-
gen in Machart und Spielweise zum Teil Sondereigen-
schaften. Die wichtigste, aus der 2. Hilfte des 15. Jh.
bekannte Neuerung ist das doppelte unterste Griffloch ;
je nachdem welche Hand unten spielte, war eines mit
Wachs zu verschliefien. Bei Praetorius (1619) ist die Bl.
zum vollstandigen Stimmwerk ausgebaut mit Klein
Flotlein in g 2 , Diskantflote in d 2 und c 2 , Altflote in gi,
Tenorflote in c 1 , Bassettflote in f , BaBflote in B, GroB-
baBflote in F. Die 3 tiefsten Lagen haben eine Klappe
fiir das unterste Griffloch mit einem zweifliigeligen
Hebel, der mit der linken oder rechten Hand bedient
werden kann, sowie statt des Schnabels eine Windkap-
sel, in die entweder direkt oder iiber eine S-formige
Rohre geblasen wird. Im 17. Jh. trat anstelle des Dop-
pellochs das Einzelloch, das seither bei den grofieren In-
strumenten im drehbaren FuB sitzt. In England gab es im
17. Jh. BaBfloten (bis 2,50 mLange), die mit Pedalen zu
bedienende Klappen hatten. - Die Barockflote unter-
scheidet sich vom fruheren Instrument nicht nur durch
die auBere Form, die jetzt mehrfach ausgebuchtet und
mit Ringen verziert ist, sondern auch durch die engere
Mensur, meist mit breiterem Labium. Der Ton wird da-
durch obertonreicher, der Umfang groBer (2 Oktavcn
und mehr, gegenuber 13-14 Tonen bei Praetorius). In
der 1. Halfte des 18. Jh. werden nur noch einige Lagen
besetzt, vornehmlich die des Diskant und Alt. Spate
Hohepunkte in der Literatur fiir Bl. sind die Werke
von Vivaldi, Telemann, Handel und Bach. In Frank-
reich hielt sich die Bl. bis in die Mitte des 18. Jh. Sie ist
daher auch in den Ouvertiirensuiten der von Frank-
reich her beeinfluBten deutschen Komponisten (Chr.
113
Blue note
FSrster) zu finden. Die Notierung erfolgt im franzosi-
schen Violinschliissel (gi auf der 1. Linie). Um 1750
wurde die Bl. von der Querflote verdrangt. Erst um
1910 gewann sie wieder an Bedeutung, besondersdurch
die Arbeit von A.Dolmetsch in England und durch P.
Harlan in Deutschland in Verbindung mit der Jugend-
musikbewegung der 20er Jahre. Die Bl. wird gespielt
in der Schul- und Kirchenmusik, in Volksmusikschu-
len und Jugendgemeinschaften, beim hauslichen Musi-
zieren sowie zur Wiedergabe des historischen Klang-
bildes in den Collegia musica der Universitaten (in
Freiburg im Breisgau 1921 durch W. Gurlitt mit einer
Nachbildung des vollstandigen Stimmwerks aus dem
Germanischen Museum in Niirnberg). Eine grofiere
Zahl von Werkstatten widmet sich heute dem Bau von
Bl.n. Neben barocken Modellen stehen Neubildungen
nach auBerer Form (Tuju-Bl., aus dem Renaissancetyp
entwickelt) und Mensur (mit sogenannter moderner
oder deutscher Griff weise neben der barocken), aber
auch billige Schulfloten aus Kunststoff (Sopran in C,
Alt in F, Tenor in C, Bafi in F; alle Floten klingen eine
Oktave hoher als notiert, mit Ausnahme der Sololitera-
tur f iir Alt-Bl.) . Eine reiche Literatur von Neuausgaben
alter Musik fur chorisches und solistisches Musizieren
sowie von zeitgenossischer Spielmusik und Bl.n-Schu-
len ist vorhanden. - Ein altes Orgelregister heiCt Bl.
(Blockpfeife), eine weitmensurierte konische Labial-
pfeife von hellem, fiillendem Klang, auch als Gedackt;
meist zu 4', 2' oder 1'.
Lit. : S. Virdung, Musica getutscht (1511), hrsg. v. R. Err-
ner, = PGf M, Jg. X, Bd XI, Bin 1 882 ; dass., Faks. hrsg. v.
L. Schrade, Kassel 193 1 ; S. Ganassi, Opera Intitulata Fon-
tegara (1535), Faks. d. Boll. Bibl. Mus., Mailand 1934; dass.
als: S. Ganassi, La Fontegara. Schule d. kunstvollen Floten-
spiels u. Lehrbuch d. Diminuierens, hrsg. v. E. Dahnk-
Baroffio u. H. Peter, Bin 1956; Praetorius Synt. II;
M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks.
hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; J. Hotteterre, Pre-
cipes de la flute traversiere ou fl ute d' Allemagne, de la fl ute
a bee ou fl ute douce . . . , Paris 1 707, Faks. u. deutsche Obers.
hrsg. v. H. J. Hellwig, Kassel (1942, 21958); J. Matthe-
son, Das Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713 ; K. Schlenger,
t)ber Verwendung u. Notation d. Holzblasinstr. in d. f riihen
Kantaten J. S. Bachs, Bach-Jb. XXVIII, 1931 ; G. Scheck,
Der Weg zu d. Holzblasinstr., in: Hohe Schule d. Musik,
hrsg. v. J. Muller-Blattau, Potsdam 1934; D. Degen, Zur
Gesch. d. Bl. in d. germanischen Landern, Kassel (1939);
H. A. Moeck, Ursprung u. Tradition d. Kernspaltfl. d. eu-
ropaischen Volkstums u. d. Herkunft d. mg. Kernspaltfl.-
Typen, Diss. Gottingen 1951, maschr. ; A. Raistrick,
Spaulu. E. Todd, The Malham Iron-Age Pipe, The Galpin
Soc. Journal V, 1952 ; H. Peter, Die Bl. u. ihre Spielweise in
Vergangenheit u. Gegenwart, Bin 1953; C. F. Dolmetsch,
Recorder and German Flute During the 17 th and 18 th Cent.,
Proc. R. Mus. Ass. LXXXIII, 1956/57; L. Hoffer v. Win-
terfeld u. H. Kunz, Hdb. d. Bl.-Lit., Bin u. Wiesbaden
1959; H. Alker, Bl.-Bibliogr., 2 H., = Biblos-Schriften
XXVII u. XXVIII, Wien 1 960-61 ; ders., Die Bl., = Wiener
Abh. zur Mw. u. Instrumentenkunde I, Wien 1962; Chr.
Welsh, Lectures on the Recorder in Relation to Literature,
London 1961 ; E. Halfpenny, Technology of a Bass Re-
corder, The Galpin Soc. Journal XV, 1962; H.-M. Linde,
Hdb. d. Blockflotenspiels, Mainz (1962) ; E. H. Hunt, The
Recorder and Its Music, London (1962), NY (1963).
Blue note (blu: no:t, engl.) ->■ Blues, ->-Jazz.
Blues (blu:z), die wahrscheinlich einzige, alteste und
eigenstandige Form in der Musik der nordamerikani-
schen Neger, die - zunachst in vokaler, dann auch in-
strumentaler Ausfiihrung - zur Urform, spater auch
zur wichtigsten Form des Jazz uberhaupt wurde. Der
Bl. ist aus negerischen Volksgesangen entstanden, die
teils auf afrikanische, teils auf europaische Wurzeln zu-
riickgehen. Die Bezeichnung BL, ein aus blue devils
(s. v. w. Trubsinn, Melancholie) zusammengezogenes
Wort, ist erst seit dem Jahre 1912 nachweisbar, in dem
W. Chr. Handy den Memphis Bl. veroffentlichte. 1914
folgte sein St. Louis BL, der bekannteste aller Bl. In der
Entwicklung des Bl. unterscheidet man eine »landliche«
und eine »stadtische« bzw. »zeitgenossische« Phase, wo-
bei sich beide Bezeichnungen auf (begleitete) Vokal-
formen beziehen; der moderne instrumentale Bl. ge-
hort der zweiten Phase an. Fur die Zuordnung eines
Werkes der Jazzmusik zur Gattung Bl. ist sowohl der
Text (Inhalt) und seine dichterische Form als auch die
musikalische Gestalt entscheidend. Die Vorherrschaft
des instrumentalen Bl. im Jazz der letzten 20 Jahre lark
das rein Musikalische als ein zweckmaBiges Kriterium
bei der Definierung des Begriffes Bl. erscheinen. Das
einfachste Schema - gleichsam die Standardform - des
Bl. weist 3 Gruppen zu je 4 Takten mit folgenden har-
monischen Funktionen auf: Tonika (4 Takte) - Sub-
dominante, Tonika (je 2 Takte) - Dominance, To-
nika (je 2 Takte). Der Septakkord (kleine Septime)
spielt, besonders an den Verbindungsstellen zwischen
den einzelnen Taktgruppen, im Bl.-Schema eine ent-
scheidende Rolle. Dies hangt mit der beim Bl. in me-
lodischem wie harmonischem Sinne haufig vorkom-
menden Erniedrigung der 3. und der 7. Stufe der ver-
wendeten Tonleiter zusammen; die Tone, die haufig
um weniger als um einen halben Ton erniedrigt wer-
den, d. h. die kleine Terz und die kleine Septime, wer-
den Blue notes genannt und als fur den wehmutig-
melancholischen, den »blue«-Charakter der Bl.-Melo-
dien maGgebend betrachtet. Ihrem Charakter und ih-
rem vokalen Wesen entsprechend wurden die Bl. ur-
spriinglich im langsamen Tempo vorgetragen; der
moderne Bl. wie seine Abart, der -> Boogie-Woogie,
halt sich an keine bestimmten Tempogepflogenheiten.
Textlich hat der Bl. meist lyrischen Charakter und glie-
dert sich in eine Art »Anrufung« und »Antwort« (call
and response). - Zu den bedeutendsten Bl.-Sangern
gehoren Gertrude Ma Rainey, Bessie Smith, Bertha
Chippie Hill, Billie Holiday und Jimmy Rushing; be-
kannte Bl.-Sanger, die sich selbst auf der Gitarre be-
gleiten und in der Tradition des »landlichen Bl.« stehen,
sind : Blind Lemon Jefferson, Big Bill Broonzy, Lead-
belly.
Lit.: R. Blesh, Shining Trumpets, NY 1946; W. Chr.
Handy, Bl. : An Anth., NY 1926 ; ders., Father of the Bl.,
NY 1941; ders., The Birth of the Bl., NY 1941; A. M.
Dauer, Der Jazz, Kassel (1958); C. Bohlander, Jazz -
Gesch. u. Rhythmus, = Jazz studio I, Mainz (1960); M.
Mezzrow u. B. Wolfe, Really the Bl., London 1961 ; S. B.
Charters, The Country Bl., NY 1959, deutsch v. J. u. R.
H. Foerster als: die story v. bl., Munchen (1962); C. Gr.
Herzog v. Mecklenburg u. W. Scheck, Die Theorie d.
Bl. im modernen Jazz, = Slg mw. Abh. XLV, StraBburg u.
Baden-Baden 1963.
Blues-piano -»■ Barrel-house style.
Bluette (blii'et, frz., Feuerfiinkchen), witzspriihendes
(meist satirisches) kurzes Theaterstiick, auch musikali-
scher Art, in einer auf eine einzige Situation zugespitz-
ten dramatischen Form, aus demselben Umkreis wie
der ->• Sketch.
BAU, Broadcast Music Inc. (USA), Verwertungsge-
sellschaft musikalischer Rechte wie die ->■ ASCAP.
Bobisation -> Bocedisation.
Bocca chiusa (b'okka ki'u:za, ital.) ->■ Bouche
f ermee.
Bocca ridente (ital., lachender Mund), bezeichnet
ein Singen bei lachelnder Mundstellung.
Bocedisation, in den Lexika von Walther und Koch
synonym mit Bobisation, bezeichnet die auf Waelrant,
114
Bogen
vielleicht auch D.Mostard zuriickgehende Skala der
7 Tonsilben bo ce di ga lo ma ni, die in Deutschland um
und nach 1600 (Calvisius, Lippius, Baryphonus) unter
dem Namen Voces belgicae als Ersatz f iir die Solmi-
sation gelehrt wurden. Sie vereinigt stimmbildnerisch
vorteilhafte Silben mit einer eindeutigen Markierung
der Halbtonstufen durch den Vokal i, allerdings ohne
die chromatischen Tone zu bezeichnen.
Bock -*■ Sackpfeife.
Bockstriller, auch Schafs- oder GeiBtriller sowie
meckernder Triller (ital. caprino; £rz. tremblement
chevrote, chevrottement) ist der Name fur einen feh-
lerhaften, namlich ungleichmaBigen und zitternden
Triller, der infolge falscher Gesangstechnik im Munde
statt im Kehlkopf entsteht. Die meisten Theoretiker
des 18. Jh. erwahnen und verurteilen den B. (Tosi,
Mattheson, Monteclair, Quantz, Marpurg, L.Mozart,
Agricola u. a.). Er ist zu unterscheiden von dem in
Italien seit etwa 1600 als wichtige Verzierung des mo-
nodischen Stils gelehrten ->■ Trillo. - In der neueren
Violintechnik (C.Flesch) bezeichnet man mit B. einen
ohne Aufheben des Fingers aus dem Arm erzeugten
Triller, ȣiir dicke Finger in sehr hohen Lagen, insbe-
sondere auf halben T6nen« als Notbehelf empfohlen.
Bohmen -*■ Tschechoslowakei.
Bohmische Bruder (Briidergemeine, Briiderunitat;
tschechisch Jednota Bratrska), eine in Bohmen aus der
hussitischen Bewegung hervorgegangene, 1467 ge-
griindete Sekte, der sich als deutscher Zweig hussiti-
sche Waldenser, die 1478 aus der Mark Brandenburg
nach Landskron und Fulnek geflohen waren, und die
Deutschen Bruder von Leitomichl anschlossen. Das um
die Mitte des 16. Jh. bliihende Schrifttum der B.n Br.
gewann groBe Bedeutung £iir die gesamte bohmische
Literatur. Nach der Schlacht am WeiBen Berg (1621)
erlosch das eigenstandige Leben der B.n Br. Die von
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-60) 1722
gegriindete Kolonie Herrnhut in Sachsen und die von
ihr ausgehende Bewegung der Briidergemeine in
Deutschland, dem europaischen Ausland und vor allem
in Amerika geht auf die B.n Br. zuriick. - Fur die
Hymnologie sind die Gesangbiicher der B.n Br. wich-
tig geworden, deren erstes (tschechisches) 1501 ohne
Melodien erschien mit 68 Liedern der Utraquisten und
21 der B.n Br. Die nachsten Gesangbiicher erschienen
1505 und 1519 mit Melodien, jedoch sind beide ver-
schollen. Die ersterhaltene tschechische Ausgabe mit
Melodien, die Jan -> Blahoslav 1541 unter Vorlage der
Gesangbiicher von 1505 und 1519 besorgte, iiberliefert
308 Weisen, von denen 260 trotz wechselnder Texte in
den folgenden Auflagen bis zur letzten von 1618 un-
verandert blieben. Der Gesang war offenbar nur ein-
stimmig im Wechsel zwischen Vorsanger und Chor
oder zwischen 2 Choren. Figural- und Instrumental-
musik fehlten ganz. - Das friiheste deutsche Gesang-
buch der B.n Br. gab 1531 in Jungbunzlau Michael
WeiBe (Weysse) mit 157 notierten Liedern wohl nach
dem Briidergesangbuch von 1519 heraus. Die Melo-
dien im Weioeschen Gesangbuch sind ihrem Ursprung
nach als Gesange der Utraquisten wie der B.n Br. weit-
gehend Kontrafakta lateinischer Cantionen und litur-
gischer Gesange und nur selten von den B.n Br.n neu
geschaffen. WeiBes besondere Leistung liegt in der
Ubersetzung und Neugestaltung der Texte und in den
eigenen Dichtungen. Um ihren reichen Schatz an Ge-
meindeliedern wurden die B.n Br. sogar von den
Lutheranern beneidet. Zahlreiche Lieder WeiBes fan-
den Aufnahme in die neueren Gesangbiicher der evan-
gelischen Kirche, darunter Christus der uns selig macht,
Gelobt sei Gott im hochsten Thron, Nun lajit uns den Leib
begraben. WeiBes Gesangbuch von 1531 wurde 1544
von J.Horn (= Jan Roh) in Nurnberg und 1566 von
Michael Tham, Johannes Geletzky und Petrus Herber-
tus in Eibenschitz erweitert und neu aufgelegt. Durch
die Forschung im 19. Jh. (Wackernagel, Koch, Zahn)
wurden die Lieder der B.n Br. fur den allgemeinen
evangelischen Kirchengesang besonders als Gemeinde-
lieder mit melodisch kirchentonaler Pragung neu wirk-
sam. - Das erste Gesangbuch der Herrnhuter Briider-
gemeine von 1704 schloB sich eng an das Freylinghau-
sensche Gesangbuch an und enthalt von insgesamt 835
Liedern nur 35 Lieder der B.n Br. Zinzendorf war mit
35 Liedern beteiligt, wahrend im offlziellen Gesang-
buch der Briidergemeine von 1735 von insgesamt etwa
1000 Liedern 225 von Zinzendorf stammen. Fur die
Praxis der Singstunden erschien gesondert das Kleine
Briidergesangbuch (1739, 1761, 1767) mit Liedstrophen
und Liedbruchstucken, wie es dem improvisatorischen
Brauch wahrend der Singstunden entsprach. 1778 gab
der Kantor Christian Gregor (1723-1810) ein groBes
Gesangbuch heraus. Es wurde erst 1927 durch das Ge-
sangbuch der evangelischen Briidergemeine ersetzt, das sich
dem allgemeinen evangelischen Kirchengesang nahert,
wie umgekehrt zahlreiche Lieder der Briidergemeine
in die evangelischen Gesangbiicher Eingang fanden,
z. B. Herr und Altester deiner Kreuzgemeine. Gregor be-
sorgte 1784 auch ein Choralbuch der Briidergemeine,
die eine besonders von K. H. Graun beeinfluBte Mehr-
stimmigkeit pflegte. Bemerkenswert wegen ihrer Bach-
Auffiihrungen (amerikanische Erstauffiihrungen der
groBen Vokalwerke Bachs) ist die Briidergemeine in
Bethlehem in Pennsylvanien (USA).
Ausg.: Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied III,
Lpz. 1869 (alle gereimten Texte d. B. Br.): J. Zahn, Die
Melodien d. deutschen ev. Kirchenlieder, 6 Bde, Giitersloh
1888-93, Miinchen 21946; Das tschechische Kantionale v.
1541, in: Monumenta Bohemia Typographica III, Prag
1927; W. Thomas u. K. Ameln, Singen wir heut mit glei-
chem Mund, 20 1st. Chore f. d. Gemeindegottesdienst,
Kassel 1929; M. Weisse, En new Gesengbuchlen (1531),
hrsg. v. W. Thomas, Kassel 1931, u. v. K. Ameln, Kassel
1957 ; Choralbuch d. ev. Briidergemeine, Bin 1960.
Lit.: C. v. Winterfeld, Der ev. Kirchengesang I, Lpz.
1843, S. 265-301 ; E. E. Koch, Gesch. d. Kirchenliedes I u.
II, Stuttgart 3 1 866-67 ; R. Wolkan, Das deutsche Kirchen-
lied d. B. Br. im 1 6. Jh., Prag 1 89 1 ; J. Th. Muller, Hymno-
logisches Hdb. zum Gesangbuch d. Briidergemeine, Herrn-
hut 1916; ders., Gesch. d. B. Br., Herrnhut, 3 Bde, 1922-
31 ; E. Lehmann, M. Weisse, Landskron 1922; W.Thomas,
Deutscher Brudergesang in Bohmen vor 400 Jahren, MuK
II, 1930; H. Schmidt, Die B. Br., Bin 1938 ; B. Sailer, Bach
in Bethlehem, MuK XX, 1950; W. Blankenburg, Zur
Frage nach d. Herkunft d. Weisen d. Gesangbuches d. B.
Br. v. 1531, MuK XXI, 1951 ; Br. Stablein, Die ma. litur-
gischen Weisen im Gesangbuch d. B. Br. v. 1531, Mf V,
1952; C. Schoenbaum, Die Weisen d. Gesangbuches d. B.
Br. v. 1531, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie III, 1957; ders.,
Zur Problematik d. Mg. Bohmens u. Mahrens, Mf X, 1957 ;
J. Slizinski, l)ber d. literarische Tatigkeit d. B. Br. in Po-
len, Wiss. Zs. d. E. M. Arndt-Univ., Ges.- u. sprachwiss.
Reihe IX, 1959/60; J. Kouba, Poznamky k ceske hymno-
logii (»Bemerkungen 'zur tschechischen Hymnologie«),
Miscellanea Musicologica XII, Prag 1960. UM
Bogen, - 1) in der Notenschrift ein graphisches Zei-
chen mit verschiedenen Bedeutungen. Der legato-B.
trat in italienischen Orgeltabulaturen des f riihen 16. Jh.
in Musik fur Streicher und Blaser auf und ist dort zu-
gleich Anweisung fur Bogen- bzw. Atemfiihrung.
Scheidt iibertrug ihn 1624 als imitatio violistica auf die
Klavierinstrumente. Der Halte-B. steht iiber Noten
gleicher Tonhohe und bedeutet Aushalten bis zum Ge-
samtwert der Noten. Bei direkter Folge von legato-
und Halte-B. wurde bis ins 19. Jh. (zum Teil auch wie-
115
Bogen
der in der modemen Editionstechnik) der girlanden-
formige B. geschrieben:
statt
<^m
Nach C.Ph.E.Bach (1753) wird die 1. Note unter ei-
nem B. betont: (fo J ' ;5 ^_T -■'
Obwohl erst seit Riemann die -> Phrasierung durch B.
konsequent angezeigt wurde, kommen Phrasierungs-
bogen schon vorher vor (Beethoven). Um Verwechs-
lungen vorzubeugen, werden jedoch Phrasierungen
nicht mehr durch Bogen (wie bei Riemann), sondern
durch eckige Klammern angezeigt. Diese Klammern
ersetzen in modernen Ausgaben audi den Gruppen-B. :
g> » * *
Sie bezeichnen auch eine aufgeloste -» Ligatur. Bei De-
bussy sind die ins Leere gehenden Bogen Pedalzeichen.
Zusammen mit Punkten stehen Bogen bei -> staccato
und -> Bebung. - 2) Der Streichbogen ist zuerst fiir das
10. Jh. im arabisch-islamischen Raum (al-Farabi ; Abbil-
dungen in mozarabischen Handschriften) und im by-
zantinischen Reich nachgewiesen. Im Abendland wur-
de er bei den einheimischen Saiteninstrumenten ver-
wendet, nachdem zuvor um dasjahr 1000 lange Schlag-
oder Reibestabe (->■ Plektron) mehr und mehr iiblich
waren. Das hohe Mittelalter kannte zahlreiche B.-
Formen, vom flachen bis zum halbkreisformigen, von
etwa 20 cm - 120 cm Lange. RoBhaarbespannung und
deren Bestreichen mit Harz (Kolophonium) ist seit
dem 13. Jh. bezeugt; der Bezug war im Mittelalter
wesentlich diinner als in der Neuzeit (im 19. Jh. 100-
120, im 20. Jh. 150-250 Haare). Bis ins 17. Jh. wurde
die Spannung mit den Fingern durch Druck auf den
Bezug am unteren Bogenende geregelt. Die Cremail-
lere, eine Vorrichtung aus Ose und Zahnreihe zur Ein-
stellung der Spannung, wurde im friihen 18. Jh. durch
den modernen Frosch mit Stellschraube ersetzt. Damit
und mit der Verwendung von Pemambukholz in kon-
kaver Kriimmung und Starke der Stange schuf Fr.
-*■ Tourte den modernen B. - Der im 20. Jh. konstru-
ierte »Bach-B.« fiir das Spiel von J.S.Bachs Sonaten
und Partiten solo (BWV 1001-1006; -> Telmanyi) ist
ohne historisches Vorbild. - 3) B. als Musikinstrument
-> Musikbogen.
Lit. : zu 1) : Bach Versuch ; H. Schenker, Weg mit d. Phra-
sierungsb., in: Das Meisterwerk in d. Musik I, Munchen
1925; H. Unverricht, Die Eigenschriften u. d. Original-
ausg. v. Werken Beethovens in ihrer Bedeutung f. d. mo-
derne Textkritik, = Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960; M.
Schuler, Punctum, suspirium u. Bindeb., Mf XV, 1962.
- zu 2) : G. A. Wettengel, Lehrbuch d. Geigen- u. Bogen-
macherkunst, Weimar 1869; P. O. Apian-Bennewitz, Die
Geige, d. Geigenbau u. d. Bogenverfertigung, Weimar
1892, Lpz. 21920; H. Saint-George, The Bow, Its Hist.,
Manufacture and Use, London 1 896 ; C. Sachs, Die Streich-
bogenfrage, AfMw I, 1918/19; F. Wunderuch, Der Gei-
genb., seine Gesch., Herstellung u. Behandlung, Lpz. 1936,
Wiesbaden 21952; H.-H. Drager, Die Entwicklung d.
Streichb., Kassel 1937; W. Bachmann, Die Anfange d.
Streichinstrumentehspiels, = Mw. Einzeldarstellungen III,
Lpz. 1 964 ; J. Roda, Bows f or Mus. Instr. of the V. Family,
Chicago 1 959. - A. Schering, Verschwundene Traditionen
d. Bachzeitalters, Bach-Jb. I, 1904; R. Schroeder, Bachs
Soloviolinsonaten original, DMK I, 1936/37; ders., Uber
d. Problem d. mehrst. Spiels in J. S. Bachs Soloviolinsona-
ten, in : Bach-Probleme, Lpz. 1 950 ; A. Schweitzer, Der f .
Bachs Werke f. V. solo erforderliche Geigenb., Bach-Ge-
denkschrift, Zurich (1950); E. Telmanyi, Problemer om-
kring Bachbuen, DMT XXIX, 1954; D. D. Boyden, The
V. and Its Technique, Kgr.-Ber. Koln 1958.
Bogenfliigel (Streichklavier), ein Klavier, bei dem die
Saiten durch Scheibenrader wie bei der -> Drehleier
angestrichen werden. Das bekannteste war das Niirn-
bergische Geigenwerk (Geigenclavicymbel) des Hans
-> Heyden (1575, verbessert bis 1599). Praetorius bil-
det es 1619 ab und gibt einen Auszug aus der 2. Ausga-
be (1610) von Heydens dazugehorendem Traktat.
Demnach war es ein Fliigel mit 4 Oktaven Umfang,
5-6 mit Pergament iiberzogenen und mit Kolopho-
nium bestrichenen, durch einen Pedaltritt oder von ei-
nem Kalkanten mit einem Handzug bedienten Radern.
Die Saiten wurden beim Niederdriicken der Tasten
durch Hakchen auf die Rader herabgezogen. Das Gei-
genwerk sollte alien Tasteninstrumenten iiberlegen
sein, da es affektuoses Spiel erlaube und in der Lage sei,
die Moderation der Stimmen auch ins Clavir zu bringen. -
Obwohl zahlreiche Erfinder Konstruktionen von B.n
versuchten, setzte sich keines dauernd durch. Die friihe-
sten Entwiirfe stammen von Leonardo da Vinci und V.
Galilei, der letzte war das Stfeichharmonium von Bed-
dies in Gotha (1909). Das komplizierteste Instrument
dieser Art war die Xanorphika von C.L.Rollig 1797,
die fiir jede Taste einen besonderen Bogen in Bewe-
gung setzte. Ein zwischen B. und Glasharmonika
stehendes Instrument war Fr. ->■ Kaufmanns Harmoni-
chord (1808), fur das CM. v. Weber 1811 ein Adagio
und Rondo mit Orch. komponierte. C.Ph.E.Bach
schrieb 1783 eine Sonate fiir den B. (Neudruck in: A.
Farrenc, Le Tresor des pianistes VIII).
Lit.: Praetorius Synt. II; WaltherL, Artikel Clavier-
Gamba ; Fr. W. Marpurg, Anleitung zum Clavierspielen,
Bin 1755, 2 1 765 ; J. S. Petri, Anleitung zur practischen Mu-
sik, Lauban 1767, Lpz. 21782; SachsL, Artikel Streichkl.;
G. Kinsky, H. Haiden, d. Erfinder d. Niirnbergischen Gei-
genwerks, ZfMw VI, 1923/24; W. Kahl, Das Niirnberger
hist. Konzertv. 1643 . .., AfMw XIV, 1957.
Bogenfiihrung (frz. coup d'archet; engl. bowing),
die Fiihrung des Bogens auf den Streichinstrumenten
mit dem rechten Arm und der rechten Hand. Ur-
spriinglich war bei der Vielzahl der Saiten auf alten
Instrumental die B. der kompliziertere Bewegungs-
vorgang gegeniiber den ruhigeren Bewegungen von
Finger und Hand. Die Bogenhaltung bzw. der Bogen-
griff, die Art und Weise, wie der Bogen angefaBt, ge-
halten und fiber die Saiten gestrichen wurde, war ahn-
lich wie Form und Mechanik des Bogens einer Ent-
wicklung unterworfen. Mit der Bevorzugung des
konkaven Bogens (Tourte) und seiner Mechanik der
Spannung hat sich fiir das Violin-, Viola- und Violon-
cellospiel der Obergriff in der Hohe des Frosches end-
gfiltig durchgesetzt: Zeige-, Mittel- und Ringfinger
liegen fiber der Bogenstange, der kleine Finger steht
auf ihr, wahrend der Daumen unmittelbar dort, wo
das obere Teil des Froschvorsprungs an der Stange an-
setzt, gegeniiber dem Mittelfinger gehalten wird. Gam-
be- und KontrabaBbogen werden noch heute im Un-
tergriff gespielt : das untere Ende der Bogenstange liegt
in der Falte zwischen Daumen und Zeigefinger, die Zei-
gefingerspitze liegt von unten auf der Stange, die Mit-
telfingerspitze unmittelbar am Froschausschnitt, das
Endglied des Ringfingers und der nicht aktiv beteiligte
kleine Finger berfihren die Unterseite des Frosches. Die
franzosische BaBbogenhaltung bevorzugt heute den
Obergriff. Bei der Streichbewegung (-»■ Abstrich, Auf-
strich) sind Beuge- und Streck-, Roll- und Abbiegungs-
bewegungen beteiligt. Das Verhaltnis von Bogen-
druck und Strichgeschwindigkeit und die Strich- bzw.
Kontaktstelle (Berfihrungspunkt des Bogens mit der
Saite) bestimmen Tonqualitaten, Dynamik, Artiku-
lation und Phrasierung. Die Beziehungen dieser Vor-
gange untereinander, durch feinstes Nerven- und
116
Bolognesische Schule
Muskelspiel des rechten Armes geordnet, werden vom
Ohr als Initiator und Korrektor der Klangvorstellung
iiberwacht. Die gebrauchlichsten Stricharten sind:
-> detache, -»■ martellato, -> legato, -> portato, -»• stac-
cato, -> spiccato (Springbogen), -* flautato, -> sul pon-
ticello (au chevalet), ->■ col legno.
Lit. : C. H. P. Stoevino, The Art of V. Bowing, London
1902, deutsch als: Die Meisterschaft iiber d. Bogen, Lpz.
1923; F. A. Steinhausen, Die Physiologie d. B. auf d.
Streichinstr., Lpz. 1903, 21907, 51928, dazu A. Moser in:
ZIMG XII, 1910/1 1 ; A. Jahn, Die Grundlagen d. natiirli-
chen B. auf d. V., Lpz. 1913; L. Capet, La technique
superieure de I'archet, Paris 1916; F.Trendelenburg, Die
natiirlichen Grundlagen d. Streichinstrumentenspiels, Bin
1925 ; A. de Chessin, Le guide du violoniste, Avignon 1 952 ;
F. Kuchler, Lehrbuch d. B., Lpz. 1929, NA Lpz. (1954);
B. A. G. Seagrave, The French Style of V. Bowing and
Phrasing from Lully to Jacques Aubert (1650-1750) . . .,
Diss. Stanford (Calif.) 1958, maschr. GK
Bolero, spanischer Tanz, um 1780 angeblich von S.
Zerezo als Abart des -»- Fandango gestaltet, in maBig
bewegtem 3/4-Takt (im Wechsel mit 2/4) :
? rmrmrfn
oder
J-nJsinflJ JT2
gespielt von Gitarre und Tamburin. Der Tanzende be-
gleitet seine Schritte mit Gesang und Kastagnetten.
Charakteristisch ist das plotzliche Anhalten der Bewe-
gung, verbunden mit einer Pose, bei der ein Arm iiber
dem Kopf emporgestreckt wird (bien parado). Als
Volkstanz ist der B. heute fast verschwunden. Im all-
gemeinen besteht er aus 5 Teilen (Paseo, Traversias,
Diferencias, Traversias, Finale). Friihe rhythmische
Formen sind:
» j j j i j- m i
I , JT7TJ i J- m i
eine spatere ist dem klassischen Rhythmusschema der
Polonaise ahnlich :
inula
Bekannt ist ein 2st. B. von J.T.Murguia (1758-1836)
und ein 3st. B. von F. Sor (B. a solo und B. a due). Der
B. kommt in der Kunstmusik vor u. a. bei Beethoven
(Lieder verschiedener Volker, WoO 158, 1:19 und 20)
und in Opern von Mehul, C.M.v.Weber, Auber,
haufig in der Klaviermusik (auch Salonmusik), so bei
Chopin (op. 19), Moszkowski, Sibelius. Das beriihm-
teste Beispiel in neuerer Zeit ist der urspriinglich als
Ballett komponierte B. von M. -*■ Ravel fur Orch.
(1928). - Von dem spanischen B. ist der kubanische B.
als eine Abart der -> Rumba zu unterscheiden. Er ver-
lauft in langsamerem Tempo und steht im 2/4- oder
2/2-Takt mit dem Rhythmus :
<< > >
Er ist ein negroider Tanz, der auch B. cubano genannt
wird und als solcher nach 1945 in Europa bekannt
wurde.
Lit. : Don Preciso (J. A. de Zamacola), Vorrede zur Co-
leccion de las mejores Seguidillas, Tiranas y Polos . . . , Ma-
drid 1 799, 2 1 8 1 6 ; F. Sor, Le bolero, in : Encyclopedic pitto-
resque de la musique, Paris 1835; Estebanez Calder6n,
Escenas andaluzas, Madrid 1 847 ; W. Hess, Beethovens »B.
a solo«, Mk XXX, 1 937/38 ; G. Kinsky, Das Werk Beetho-
vens, hrsg. v. H. Halm, Munchen u. Duisburg (1955).
Bolivien.
Lit.: A. BenjamIn, Notas para la hist, de la musica en Bo-
livia, La Paz 1 925 ; T. Vargas, Aires nacionales de Bolivia,
4 Bde, Cochabamba u. Santiago de Chile 1940ff. ; J. DiAZ
Gainza, Hist. mus. de Bolivia. Epoca precolonial, Potosi
1962.
Bologna (Emilia).
Lit. : G. Martini, Serie cronologica de'principi dell' Accad.
dei Filarmonici di B., B. 1776; Fr. Tognetti, Discorso su
i progressi della musica in B., B. 1818, mit Anh. 1819; G.
Gaspari, zahlreiche Studien iiber Musik u. Musiker in B.,
in : Atti e memorie della Deputazione di Storia Patria per le
provincie della Romagna, B. 1 867-80 ; L. Bignami, Crono-
logia di tutti gli spettacoli rappresentati nel Gran Teatro
Comunale di B., B. 1882; C. Ricci, I teatri di B. nei s.
XVII" e XVIII", B. 1888; ders., Liutisti e liutai a B., RMI
XXIII, 1916; ders., Per la storia della musica in B., RMI
XXIV, 1917 ; P. Wagner, Die konzertierende Messe in B.,
Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; Fr. Vatielli, Arte e vita
mus. a B., 2 Bde, B. 1922 u. 1927; ders., L'oratorio a B.
negli ultimi decenni del Seicento, Note d'Arch. XV, 1938;
J. Berger, Notes on some 17 th Cent. Compositions for
Trumpets and Strings in B., MQ XXXVII, 1951 ; O. Mi-
schiati, Per la storia dell'oratorio a B., CHM III, 1963.
Bolognesische Schule, eine Gruppe wahrend der 2.
Halfte des 17. Jh. in Bologna wirkender Komponisten,
deren Instrumentalkompositionen zur Durchgestal-
tung von Trio- und Solosonate und zur Entstehung
der Konzertform wesentlich beigetragen haben. Die
musikalischen Zentren bildeten die Kapelle von San
Petronio (Kapellmeister: 1657-71 Cazzati, 1674-95
Colonna, 1696-1756 Perti) und die 1666 gegrundete
Accademia Filarmonica (Mitglieder u. a. die beiden
Bononcini), die im 17. und 18. Jh. eine der wichtigsten
Pflegestatten des Palestrinastils war. Sicher hat die mit
der B.n Sch. gleichzeitige Pflege des volkssprachlichen
Oratoriums in Bologna die Aufnahme des solistischen
Konzertstils • in die Instrumentalmusik gefordert und
die Komposition konzertierender Kurzmessen ohne
C. f . f iir 3 Stimmen (ohne Tenor) und Streicher ange-
regt (Albergati, degli Antonii, Arresti, Cazzati, Co-
lonna). Zur B.n Sch. zahlen u. a. die Komponisten von
Violinsolo- und Triosonaten M. Cazzati, G.B.Bassa-
ni, D.Gabrielli (diese sowie Albergati, Arresti, Gas-
parini u. a. sind auch wichtig fur die Entwicklung der
Kantate), P. degli Antonii, T.A.Vitali und G.Aldro-
vandini. A.Corelli, der Mitbegriinder des Concerto
grosso, wurde von 1670 bis etwa 1675 an der Acca-
demia Filarmonica ausgebildet. In den Drucken seiner
ersten Werke (Rom 1681-89) wird er »il bolognese«
genannt. Am bedeutendsten neben dem Sonatenkom-
ponisten G.B. Vitali ist G.Torelli (1658-1709) als Mit-
begriinder des Violinkonzertes, das offenbar in der B.n
Sch. aus der Sonate fur Solotrompete und Streicherbe-
gleitung entwickelt wurde, einer Sonderform der vier-
stimmigen oder mehrchorigen Orchestersonate oder
-sinfonie. Im Solokonzert und im Concerto grosso
machte Torelli die Dreisatzigkeit (schnell-langsam-
schnell) zur Regel.
Lit.: G. Gaspari, La musica in San Petronio, Bologna
1 868-70 ; A. Schering, Gesch. d. Instrumentalkonzerts bis
auf d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen I,
Lpz. 1905, 2 1927 ; P. Wagner, Die konzertierende Messe in
Bologna, Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; L. Frati, Per la
storia della musica in Bologna ncl s. XVII, RMI XXXII,
1925 ; Fr. Vatielli, La scuola mus. bolognese, in : Strenna
storica bolognese, B. 1 928 ; K. G. Fellerer, Der Palestrina-
stil u. seine Bedeutung in d. vokalen Kirchenmusik d. 18.
Jh., Augsburg 1929; N. Morini, La R. Accad. filarmonica
di Bologna: monografia storica, Bologna 1930; H. G.
Mishkin, The Solo V. Sonata of the Bologna School, MQ
XXIX, 1 943 ; W. Newman, The Sonata in the Baroque Era,
Chapel Hill 1959; A. Hutchings, The Baroque Concerto,
London 1961.
117
Bombarde
Bombarde (frz.; ital. bombardo), Bomhart, Be-
zeichnung fiir verschieden mensurierte Zungenstim-
men der Orgel mit trichterformigem Becher. Im fran-
zosischen Orgelbau werden unter B. die trompeten-
artigen Zungenstimmen (mittelweit) in 16'- und 32'-
Lage verstanden; in Deutschland wird der Name
gleichbedeutend mit den haufiger gebrauchten Re-
gisterbezeichnungen Fagott (eng) und Horn bzw. Tu-
ba (weit; hier falschlich fiir Bombardon) verwendet.
Bombardon ->- Tuba (- 2).
Bombo (ital; lat. bombus) -> Schwarmer.
Bomhart, Bombart (frz. bombarde; ital. bombardo;
span, bombarda; nhd. umgebildet zu Pommer), Name
einer Familie von Doppelrohrblattinstrumenten mit
konischer Bohrung, 6-7 vorderstandigenGriff-
O lochern und 1-4 Klappen, die von einer Schutz-
kapsel (Fontanelle) umgeben werden. Die B.e
entstanden wahrscheinlich zu Anfang des 15.
Jh., zuerst in Alt- und Tenorlage. 1391 werden
in Aragonien tocadores de chalemia, bombarda y
corneinusa genannt; 1484 nennt Tinctoris eine
tibia tenor quam vulgo bombardam vocant. Zu Be-
ginn des 17. Jh. ist die Familie bis zum GroB-
baB ausgebaut; der Diskant, obwohl von glei-
cher Mensur, hat den Namen -> Schalmei be-
halten. Praetorius gibt 1619 aufier Diskant und
Klein Discant Schallmey 5 Sorten von Pom-
mern: Klein Alt Pommer g-d 2 ; Nicolo (GroB
Alt Pommer) c-g 1 ; Tenor Pommer G-g 1 ; BaB
Pommer C-h; GroB BaB Pommer iF-e. Die
GroBbaBpommer, mit einer Lange von etwa
3 m, gehoren zu den groBten Blasinstrumen-
ten und waren schon zu ihrer Zeit Seltenheiten ; sie
wurden schnell verdrangt durch handlichere Instru-
mente mit geknickter Rohre wie die Fagotte. GroB-
baCpommern sind erhalten in Berlin, Liibeck und Salz-
burg; ein vollstandiger Satz von Pommern in Berlin.
Die BaBinstrumente wurden mit einem S-formigen
Anblasrohr gespielt, die anderen mit einer Pirouette.
Die B.e gehoren zur lauten Musik (haute musique) und
mit Posaunen und Zinken zum alta-Ensemble. - Im
14. Jh. erscheint Pumhart als Name einer einfachen
BaBstimme zu einer Liedmelodie, z. B. beim Nacht-
horn und Taghorn des Monchs von Salzburg (Mond-
see-Wiener Liederhandschrif t) ; der gleiche Name be-
zeichnet auch dieBaBsaiten der Lauten undGrofigeigen.
Lit. : Praetorius Synt. II ; W. Frei, Schalmei u. Pommer,
Mf XIV, 1961.
Bonang, hinterindisch-indonesisches Gongspiel (ba-
linesisch trompong), das besonders im javanischen
->■ Gamelan gespielt wird. Ein B. besteht aus 2 Reihen
Bronzeklangkesseln (im -»■ Pelog 2x7, im -»■ Slen-
dro 2x5), die in einem Holzrahmen an quergespann-
ten Schniiren hangen; altere Formen sind einreihig.
Jeder Klangkessel ist ein tiefrandiger Gong, dessen
Offnung nach unten zeigt. Je nach Stimmung (und
entsprechender GroBe) unterscheidet man (tief-mittel -
hoch) B. panembung, B. barung und B. panerus. Die
Kessel werden an ihrem Schlagbuckel mit einem lan-
gen, stoffumwickelten Schlagel angeschlagen.
Lit.: SachsL; C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indo-
nesiens, Bin 1915, 2 1923; ders., Geist u. Werden d. Mu-
sikinstr., Bin 1929; H. Simbriger, Gong u. Gongspiele,
= Internationales Arch. f. Ethnographie XXXVI, Leiden
1 939 ; J. Kunst, Music in Java, 2 Bde, Den Haag 1 949.
Bongo, eine Paartrommel afrokubanischer Herkunft,
die aus zwei verschieden (bis »Quint«-Abstand) ge-
stimmten Trommeln zusammengesetzt ist und mit den
lateinamerikanischen Tanzen (Mambo, Cha-cha-cha)
Verbreitung gefunden hat. Die Trommeln des B. (et-
wa 15 bzw. 20 cm hoch, ebenfalls 15/20 cm) hangen
nebeneinander, sie besitzen jeweils nur ein Schlagfell
und sind unten offen. Das B. wird sowohl mit den
Fingern (Fingerkuppen, -nagel) als auch mit den Hand-
ballen geschlagen. Sein Klang ist hell, trocken und hart.
Fell- und Randschlage ergeben mehrere Klangfarben,
die durch die verschiedenen Schlagtechniken variiert
werden konnen.
Bonn.
Lit.: A. Sandberger, Die Inventare d. B.er Hofkapelle,
= Aufsatze zur Mg. II, Munchen 1924; H. E. Pfeiffer,
Theater in B. v. seinen Anfangen bis zum Ende d. frz. Zeit,
1600-1814, Diss. Koln 1932, = Die Schaubuhne VII, Ems-
detten i. W. 1933 ; J. Schmidt-Gorg, Musikgeschichtliches
aus d. altesten Kapitelakten d. B.er Munsters, in : B. u. scin
Munster, B. 1947; Th. A. Henseler, Das mus. B. im 19.
Jh., = B.er Geschichtsblatter XIII, B. 1959.
Boogie-Woogie (b'ugi-w'ugi, engl.), eine unter den
Negern der USA im Zusammenhang mit Blues und
Jazz entstandene Klavierspielweise, die in Chikago um
1920 den ersten Hohepunkt erlebte, aber erst seit 1930
international bekannt und dann auch von den Big
bands der Swing-Ara als Spielweise iibernommen
wurde. Der B.-W. (auch Breakdown) ist die bekann-
teste Auspragung des -*■ Barrel-house style. Es liegt
stets ein harmonisches Bluesschema zugrunde, wobei
die linke Hand des Pianisten in einpragsamer - meist
punktierter - rhythmischer Ausgestaltung die Grund-
funktionen angibt, und dieses rhythmisierte BaBschema
dauernd wiederholt wird (walking bass). Die rechte
Hand fiihrt das Bluesschema stets in neuen Varianten
aus, wobei Triller, gebrochene Akkorde, Tonskalen
und Tremoli hervorstechend sind. Die wesentlichen
Blue notes,^deren Intonation auf dem Piano an sich
nicht moglich ist, werden durch gleichzeitiges An-
schlagen der groBen und kleinen Terz wie der groBen
und kleinen Septimen hervorgebracht, sehr haufig
wird das -> Riff angewandt. Neben wuchtigen Stiicken
(Meade Lux Lewis) finden sich auch sehr zarte B.-W.s
(Jimmy Yancey). Urspriinglich ist der B.-W. eine So-
lospielweise des Pianos, spater wurden aber auch, be-
sonders in Club-Konzerten, 2-3 Pianos verwendet
(Pete Johnson, M.L.Lewis und Gene Ammons). Von
den Big bands, die den B.-W. iibernahmen, ist vor
allem die von Count Basie zu nennen.
Bop ->• Be-bop.
B or dun (lat. bordunus; frz. bourdon; ital. bordone;
engl. burdoun, burden; mhd. purdune). Ein friiher
italienischer Beleg fiir B. als musikalischer Ausdruck
findet sich bei Dante (Purgatorio XXVIII, 18) : Vogel
singen, die Blatter rauschen den B. zu ihren Liedern
(. . . che tenevan bordone a le sue rime). Ahnlich heiBt es
um 1390 bei Giovanni da Prato (7/ Paradiso degli Al-
berti, Bologna 1867, Band III, S. 20) : »Zwei Madchen
singen eine Ballata, wahrend Biagio di Sernello die
tiefere Stimme halt« (. . . tenendo low bordono). In Eng-
land begcgnct das franzosische Lehnwort burdoun seit
dem 14. Jh. mehrfach in der Bedeutung »Tiefstimme«,
»tiefstimmige Begleitung«, zuerst in einer Chronik des
Robert Mannyng von 1338: wyth treble, mene, and
burdoun, spater bei Chaucer u. a. H.Besseler nimmt an,
dafi der von ihm beschriebene »bassierende« Contra-
tenor im Kantilenensatz der Ciconia-Dufay-Zeit bour-
don genannt wurde (->■ Fauxbourdon). Im Traktat des
Hieronymus de Moravia (um 1270) sind mit bordunus
die auBerhalb des Griffbretts freilaufenden Saiten der
Fiedel (viella) bezeichnet. Ahnlich werden spater die
tiefen Saiten der Drehleier und die tiefen Pfeifen der
Sackpfeife B. genannt, die (auch mit Quinte und Ok-
118
Bourree
tave) in unveranderlicher Tonhohe standig mitklingen.
Daneben werden auch tiefe Glocken B. genannt. Der
tiefste Chor der 5chorigen Laute des 15. Jh., im 16. Jh.
der zweittiefste der 6chorigen Laute, hieB B. (ital. bor-
done, auch bordoni). In der Orgel sind B.e Gedackt-
register zu 32', 16' oder 8', nach Praetorius 1619 sonder-
lich wenn sie enger Mensur sind. - Im Organum wurde
die unbeweglich auf einem Ton liegende Haltestimme
bordunus organorum genannt (so bei Anonymus IV,
CS I, 359a), auch punctus organicus (daher -> Orgel-
punkt). Die Praxis des Bordunierens ist alt und heute
noch in der Volksmusik Europas und auBereuropai-
scher Lander verbreitet. - Somit deutet B. allgemein
auf die Tieflage eines Instruments oder der Stimme
einer Komposition, oft in Zusammenhang mit langen,
unverandert ausgehaltenen Tonen. - Neuenglisch bur-
den bedeutet auch Refrain.
Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica
(Kapitel XXVIII), hrsg. v. S. M. Cserba, = Freiburger
Studien zur Mw. II, 2, Regensburg 1935; Praetorius Synt.
II; WaltherL, Artikel Bourdon; M. Schneider, Gesch.
d. Mehrstimmigkeit I, Bin 1934, Rom 21964; H. Besseler,
Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; H. M. Flasdieck,
Elisab. Faburden »Fauxbourdon« u. NE. Burden »Re-
frain«, Anglia LXXIV, 1956.
Bosnien.
Ausg. : Vl. Milosevic, Bosanske narodne pjesme (»Bosni-
sche Volkslieder«) I: (Texte hrsg. v. Lj. Trivid), II: (Texte
hrsg. v. Lj. Trivic, Transkription v. Br. Golubovic), Banja
Luka 1954-56.
Lit. : M. Murko, Ber. fiber phonographische Aufnahmen
epischer Volkslieder im mittleren B. u. d. Herzegowina,
Wien 1915 ; Br. Marijic, Die Volksmusik B. u. d. Herzego-
vina, Diss. Wien 1936, maschr. ; Cvj. Rihtman, Les formes
polyphoniques dans la musique populaire de Bosnie et
d'Herzegovine, Journal of the International Folk Music
Council IV, 1952; D. Christensen, Heterogene Musikstile
in d. Dorf Gabela (Herzegovina), Kgr.-Ber. Koln 1958.
Boston (Mass., USA).
Lit.: Anon., The Harvard Mus. Ass., 1837-1912, B. 1912;
M. A. de Wolfe Howe, The B. Symphony Orch., 1881-
1931, B. 1931 ; H. McCusker, 50 Years of Music in B., in:
Music Books XII, B. 1937; Chr. M. AYARS.Contributions
to the Art of Music in America by the Music Industries of
B. 1640-1936, NY 1937 ; H. Leichtentritt, Koussevitzky,
the B. Symphony Orch. and the New American Music,
Cambridge (Mass.) 1946.
Boston (b'gstan, engl.), - 1) eigentlich Valse Boston,
der amerikanische langsame Walzer, der nach 1870
aufkam und besonders um 1920 in Europa beliebt war.
Das normale Tempo ist J = 132, die Melodik lyrisch
mit stark sentimentalem Einschlag. Der B. steht mit-
unter in Moll ; dies hebt ihn, mit teilweiser Ausnahme
des Tangos, von denubrigenTanzen der Zeit ab. Rhyth-
misch unterscheidet sich der B. vom Wiener Walzer
durch die Begleitung. Nur die Eins im Takt erhalt ei-
nen Akzent, wahrend die beiden nachschlagenden
Viertel unbetont bleiben. Im Klaviersatz wird das 3.
Viertel in der Begleitung haufig gar nicht angeschla-
gen oder iiberhaupt nur die Eins mit J . taktweise ange-
geben, wobei dann die Mittelstimmen den laufenden
Rhythmus iibernehmen. Der gleichmaBige 3/4-Rhyth-
mus wird oft durch Gegenstimmen mit ostinaten Fi-
guren im 2/4- oder 4/4-Rhythmus abwechslungsrei-
chcr gcstaltet:
pjn^T}
1922 von Hindemith, die Jazzberries von L. Gruenberg
(1925), von E.SchulhofT die Partita (1925) und dessen
Esquisses dejazz (1927). - 2) Mit to play a b. bezeich-
net der Jazzmusiker ein regelmaBiges Angeben der
Zahlzeiten und somit die Bestimmung des Vortrags-
tempos der Stiicke im geraden Takt (4/4, Allabreve),
was vor allem mit Hilfe des Klaviers geschieht.
bouche' (buj'e, frz.), gestopft (bei Horn, Trompete
usw.), gedackt (bei Orgelpfeifen).
Bouche fermee (buj ferm'e, frz. ; ital. bocca chiusa),
eine Gesangsmanier: wortloses Singen bei geschlosse-
nem Munde; -> Brummstimmen.
Bounce (bauns, engl., Sprung; bouncing, lebhaft,
munter, hiipfend), Jazzbezeichnung aus der Swing-
Ara, die sowohl das Tempo als auch den musikalischen
Charakter betrifTt. Das Tempo ist maBig schnell. Der
hiipfend schwingende Charakter ergibt sich aus der
- gegeniiber dem friiheren Jazz und dem iiblichen
->• Swing - betonten Unterscheidung von schweren
und leichten Taktteilen des 4/4-Takts. Bekannt wurde
der B. durch die Big bands von Jimmy Lunceford
(Arrangeur Sy Oliver), Count Basie und Benny Good-
man.
Bourdon (burd'5, frz.) ->- Bordun.
Bourree (bur'e, frz.; ital. buora, borea; engl. borry,
borre), altfranzosischer, dem -»• Rigaudon ahnlicher
Tanz, ein Reigen im 4/4-(4/8-)Takt mit J-Auftakt
und haufiger Synkopierung des 2. und 3. Viertels.
Rousseau (1768) bestatigt die Herkunft der B. aus der
Auvergne, wo sie seit etwa 1550 als pantomimischer
Tanz bekannt gewesen sein muB ; einmal als Doppel-
fronttanz, dann als offener Paartanz im 3/8-Takt mit
Auftakt, zur Sackpfeife oder Drehleier. Als Volkstanz
auch auBerhalb der Auvergne begegnet man der B.
in Frankreich in nach Landschaften unterschiedenen
Arten teils im 2-, teils im 3teiligen Takt. - Am fran-
zosischen Hofe wurde die B. 1565 vorgestellt. Bereits
1587 scheint man sie gelegentlich in Paris getanzt zu
haben. Aber erst seit etwa 1650 wurde der Volkstanz
zum Gesellschaftstanz. Friih uberlieferte, gesungene
B.s (1615 gedruckt) folgen in den Ballets de cour
unmittelbar auf die Airs. Zur eigentlichen Bliite ge-
langte die B. in stilisierter Gestalt jedoch erst im spaten
17. Jh. Die erste genauere Beschreibung gibt der Pa-
riser Tanzlehrer R.A.Feuillet (1699). Die Schrittord-
nung des Hoftanzes B.. (Pas de B.) bestand demnach
aus einem Beugeschritt mit folgendem Steifschritt auf
den FuBspitzen und Sprung auf dem Standbein oder:
Beugeschritt + 2 Steifschritte. Um 1650 findet sich die
B. als 2. Satz einer Instrumentalsuite. Durch Lully um
1670 in Oper und Ballett gelangt, erscheint die
B. zunehmend auch »— 1 . 1
in Suite und Franzosi- Q , IT , I «J J " *-
scherOuvertiire.Durch
Lully, Rameau, Purcell,
Handel fand sie euro-
paische Verbreitung.
## ^
Im Gegensatz zu anderen Tanzen dieser Zeit spielte
man den B. vorzugsweise in Streicherbesetzung. Bei-
spiele fur die Ubertragung des B. in die Kunstmusik
bieten das I. Streichquartett (SchluBsatz) und die Suite
B. aus J. C.F.Fischers Pieces de Clavessin op. 2
(1696, Nachdruck 1698 als Musicalisches Blu-
men-Biischlein).
Bekannte Beispiele linden sich bei J. S. Bach (Orchester-
und Klaviersuiten, 1. und 3. Violin-Solopartita), Han-
119
Boutade
del (»Wassermusik«, Concerto grosso Nr 26), Muffat
(Klaviersuite Nr 2), Pachelbel, Charpentier, Destou-
ches, Campra, D. Scarlatti u. a. Osterreichische Tanz-
komponisten geben die B. unter ihrem italienisierten
Namen buora an mit dem Rhythmus :
-T3 1 J- -hJ- -hi J J-J J J i J J J J iJj ii
Oder J] I J J J J I J J J I
>
Ihre Bedeutung schwand nach 1750. - Seit dem Ende
des 19. Jh. griffen franzosische Musiker die B. wieder
auf (Saint-Saens, Chabrier, Roussel, Canteloube, Fl.
Schmitt, Lazzari, Pugno).
Lit.: R. A. Feuillet, Choregraphie, Paris 1700; J. Can-
teloube, La danse d'Auvergne, in: Auvergne litteraire et
artistique, H. 4, 1936 ; P. Nettl, The Story of Dance Music,
NY (1947); P. R. Fournier, Deux noms de danses au-
vergnates, in : Le Francais moderne XVI, Nr 3, 1948.
Boutade (but'ad, frz., Grille, Laune), Improvisation,
Caprice, eine Bezeichnung fiir improvisierte Tanze
oder kleine Ballette, auch fiir Instrumentalphantasien.
Lit.: J. MATTHESON,DasBeschutzteOrch.,Hbgl717.
Brandenburg.
Lit. : C. Sachs, Musik u. Oper am kurbr.ischen Hof, Bin
1910; ders., Mg. d. Provinz Br., in: Landeskunde d. Pro-
vinz Br. IV, 1 9 1 6 ; K. Paulke, Musikpflege in Luckau, Nie-
derlausitzer Mitt. 1918; ders., Die Kantorei-Ges. zu Fin-
sterwalde, Fs. D. Fr. Scheurleer, Den Haag 1925; ders.,
Stadtpfeifer, Kantoren u. Organ'isten in Prenzlau, ZfMw
II, 1919/20; L. Haupt u. J. E. Schmaler, Volkslieder d.
Sorben in d. Ober- u. Nieder-Lausitz, 1841, Neudruck Bin
1953.
Branle, Bransle (bra:l, frz., von branler, sich von
einer Seite auf die andere wiegen; ital. brando), im 15./
16. Jh. ein Seitenschritt mit Balancement, wie er in den
Tanztabulaturen u. a. fiir die Basse danse (hier am
SchluB jedes Abschnitts) festgelegt ist. Der Br. genann-
te stilisierte Tanz des 16./17. Jh., der ab etwa 1530 be-
legt ist, stent moglicherweise in Zusammenhang mit
diesem Schritt der Basse danse.
T.Susato, Het derde musyck boexken,
Antwerpen 1551.
Arbeau nennt 1588 26 Arten des Br.; die wichtigsten
sind der Br. double (commun) mit einem Doppel-
schritt nach rechts und links nach der Reverenz:
und der Br. simple mit einfachem Schritt nach rechts
und einer entsprechend durch Reduktion aus dem Br.
double abgeleiteten Melodie:
120
Nach diesen feierlichen Schreittanzen im geraden Takt
konnten die weniger stilisierten, schnelleren Tanze f ol-
gen, so der Br. gay und der sehr lebhafte Br. de Bour-
gogne. Diese 4 Typen bilden die Grundlage der alten
franzosischen Tanzsuite. Am SchluB stand nach Ar-
beau der Br. de Bourgogne (auch Br. de Champagne).
Der bekannteste der meist nach ihrem Herkommen
aus franzosischen Provinzen oder aus dem Ausland be-
nannten Br.s war der Br. de Poitou. Arbeau zahlt auch
die Gavotte zu den Br.s. Mersenne nennt 1636 eine
Sechserfolge von Br.s : Br. simple, Br. gay, Br. a mener
ou de Poictou, Br. double de Poictou, Br. de Monti-
rande und Gavote, wobei die Tanze von Satz zu Satz
an Lebhaftigkeit zunehmen. Nachdem im 17. Jh. die
stilisierten Br.s double und simple auBer Ubung ge-
kommen waren, blieb die Bezeichnung Br. fiir die
volkstiimlichen Tanze, wie sie bei Maskeraden oder
Wirtschaften (-s- Festmusik) gep'flegt wurden, oft als
Reigen. Bei den Hofballen Ludwigs XIV. und XV.
gab es nur noch 2 Arten des Br. : Br. a mener und Ga-
votte, denen eine Courante oder auch, wie bei Rameau,
ein Menuett folgten. - Br.s gaben heraus Attaingnant
1530 (u. a. von Gervaise und d'Estree), M.Praetorius
1612 (Terpsichore: 55 Br.s, darunter solche von Fr.
Caroubel und anderen Spielleuten der Pariser Bruder-
schaft St. Julien sowie aus der 1. Generation der 24
Violons du Roi) und W.Brade 1617.
Ausg.: Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA
v. L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; M.
Praetorius, Terpsichore, 1612, GA XV, Wolfenbiittel u.
Bin 1 929 ; F. de Lauze, Apologie de la danse, o. O. 1 623 ;
Vingt suites d'orch. du XVII e s. frc., 1640-70, 2 Bde, hrsg.
v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906; R. v. Liliencron,
Die hist. Volkslieder d. Deutschen IV, Bin 1869 (darin
5 Br.).
Lit.: anon., L'art et instruction de bien danser, Paris um
1495, Faks. d. Royal College of Physicians, hrsg. v. V.
Scholderer, London 1936; Praetorius Synt. Ill; J. -J.
Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 1767(7), Paris
1768 u. 6. ; J. Ecorcheville, Un livre inconnu sur la danse
(F. de Lauze, 1623), in: Gesammelte Studien, Fs. H. Rie-
mann, Lpz. 1909; E. Closson, La structure rythmique des
Basses danses . . ., SIMG XIV, 1912/13; Fr. Lesure, Die
»Terpsichore« v. M. Praetorius u. d. frz. Instrumentenmu-
sik unter Heinrich IV., Mf V, 1952 ; ders., La communaute
d'instr. au XVI e s., Rev. hist, de droit fr?. et etranger, 1953 ;
M. Dolmetsch, Dances of England and France from 1450
to 1600 ... , London (1949), 21959; P. Nettl, The Story of
Dance Music, NY (1947); ders., Die Tanze J. d'Estrees,
Mf VIII, 1955.
Brasilien.
Lit. : M.deAndrade, Ensaio sobre a musica brasileira, Sao
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zil, Rio de Janeiro 1943 ; E. Houston-Peret, Chants popu-
lates du Bresil, = Bibl. mus. du Musee de la Parole et du
MuseeGuimetI/1, Paris 1930; J. C. de Andrade Muricy,
Musique bresilienne, Rio de Janeiro 1 937 : ders., Caminho
de musica, 2 Serien in 2 Bden, Curitiba 1 946 ; L. H. Correa
de Azevedo, Escala, ritmo e melodia no musica dos indios
brasileiros, Rio de Janeiro 1938 ; ders., A musica brasileira
e seus fundamentos (Brief Hist, of Music in Brazil), = Pan
American Union, Music Series XVI, Washington 1948
ders., 150 afios de musica no Brasil 1800-1950, = Colecao
documentos brasileiros LXXXVII, Rio de Janeiro 1956
ders., Cl. Person de Matosu. M. de Moura Reis, Bibliogr,
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Colecao BI, Bibliogr. IX, ebenda 1952; G. de Betten
court, Temas de musica brasileira, ebenda 1941, 2 1946
Brevier
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2 1 942 ; ders. , Le folklore et l'enseignement de la musique au
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1953; M. J. Herskovits, Drums and Drummers in Afro-
Brazilian Cult Life, MQ XXX, 1944 ; A. T. Luper, The Mu-
sic of Brazil, Washington 2 1944; Fr. C. Lange, Ensayo
sobre la hist, de la miisica culta en el Brasil, Montevideo
1948; Fr. Acquarone, Hist, da miisica brasileira, Rio de
Janeiro 1948; V. Mariz, Diccionario bio-bibliogr. mus.
(brasileiro e internacional), ebenda 1948; ders., Miisica
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1963. - Kat. d. Bibl. Nacional, Secao de Musica; Lit. mus.
(s. XVI-XVII-XVIII), Rio de Janeiro 1954; Edicoes raras
de obras mus., ebenda 1955; Musica no Rio de Janeiro
Imperial (1822-70), ebenda 1962.
Brass band (bia : s bsend, engl.) ->Marchingband,
-> Blechmusik.
Brass section (bia:s s'ekfan, engl.) -> Big band.
Bratsche, verkiirzt aus dem alteren Bratschgeige oder
Bratschvioline, einer Lehniibersetzung des italieni-
schen Viola da braccio (Armgeige) im Gegensatz zur
Viola da gamba (-> Gambe, Kniegeige). Die Kurz-
form findet sich schon bei Speer 1687 (Viol Braccio
oder Braz). In der neueren Zeit ist Br. eine Bezeich-
nung fiir die Altvioline (-> Viola - 2).
Braunschweig.
Lit. : Fr. Chrysander, Gesch. d. Br.isch-Wolfenbiittel-
schen Capelle u. Oper v. 16.-18. Jh., Jb. f. mus. Wiss. I,
Lpz. 1863; W. Gurlitt, 2 archivalische Beitr. zur Gesch.
d. Orgelbaues aus d. Jahren 1626 u. 1631, Br.isches Maga-
zin 1913; H. Schroder, Verz. d. Slg alter Musikinstr. im
Stadt. Museum Br., Br. 1928 ; G. Fr. Schmidt, Neue Beitr.
zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters am Herzoglichen Hofe
zu Br.-Wolfenbuttel I, Munchen 1929; H. Sievers, Die lat.
liturgischen Osterspiele d. Stiftskirche St. Blasien zu Br.,
= Veroff. d. Niedersachsischen Musikges. II, Wolfenbiit-
tel u. Bin 1936; ders., Die Br.er Tabulaturen, Kgr.-Ber.
Luneburg 1950; ders., Die Musik in Wolfenbiittel-Br., in:
Die Musik in Hannover, 1961 ; ders., mit A. Trapp u. A.
Schum, 250 Jahre Br.isches Staatstheater 1690-1940, Br.
1941 ; H. Chr. Wolff, Die Br.er Konzerteim 18. Jh., Mitt,
d. Niedersachsischen Musikges., H. 1/2, Br. 1944; W. Sal-
men, Zur Gesch. d. herzoglich-br.ischen Hofmusiker, Nie-
dersachsisches Jb. f. Landesgesch. XXX, 1958; M. Hart-
ling, Der MeBgesang im Br.er Domstift St. Blasii (Hs.
Niedersachsisches Staatsarch. in Wolfenbiittel VII B Hs
175), =K61ner Beitr. zur Musikforschung XXVIII, Re-
gensburg 1963.
bravura (ital. ; frz. bravoure), als Vortragsbezeich-
nung con br. : s. v. w. kiihne, rasche, prunkende Aus-
fiihrung eines Musikstiicks (Bravourarie, Allegro di
br., Valse de bravoure) in virtuosem Stil.
Break (bje:k, engl., Liicke, Unterbrechung), im Jazz
Bezeichnung fiir eine kurze, improvisierte, hiufig vir-
tuose Phrase eines Solisten, die eine durch das plotz-
liche Aussetzen der Rhythmus- und Melodiegruppe
(-»• Band) entstehende Liicke iiberbriickt. Wegen der
Unterbrechung des sonst durchlaufenden —>■ Beat ist
jeder Br. ein Einschnitt und kann deshalb nur an be-
stimmten Zasurstellen des -> Chorus (meist vor dem
Halb- oder GanzschluC) auftreten. Urspriinglich
stammt der Begriff Br. aus dem Bluesgesang: Der
Sanger unterbrach nach jeder Blueszeile den Gesang
und uberbruckte Texteinschnitt und Atempause durch
ein kurzes Gitarrenzwischenspiel. Dieser Gitarren-Br.
schloB, gleichsam kadenzierend, den Vortrag jeder
Blueszeile. In der Bluesbegleitung durch instrumentale
Gruppen fiel der Br. meist dem Kornett, der Trompete
oder der Klarinette zu. Von dort gelangte die Technik
des Br. iiber den iristrumentalen Blues auch in den
fruhen Jazz, wurde bald nicht mehr nur auf Blues, son-
dern auch auf jeden anderen Chorus (-> Stop time)
angewandt und konnte von alien Melodieinstrumen-
ten ausgefiihrt werden. Schon im New-Orleans-Jazz
begegnen Falle des Doppel-Br., den 2 Melodieinstru-
mente gleichzeitig ubernahmen (Oliver/Armstrong).
Seit der Swing-Ara besteht sogar die Moglichkeit ei-
nes Schlagzeug-Br. Der Br. wird zwar solistisch vorge-
tragen, darf aber nicht mit einem Solo oder Solo-
chorus verwechselt werden.
Brelka (russ.), russisches volkstumliches Holzblasin-
strument mit einfachem, idioglottem Blatt, das auch in
der Sackpfeife verwandt wird. Mit Halbtonklappen
versehen kommt es auch im Balalaikaensemble vor.
Bremen.
Lit. : Fr. Wellmann, Die Bremer Stadtmusikanten, Jb. d.
bremer Slg IV, 2, 191 1 ; H. Tardel, Zur bremischen Thea-
tergesch., Bremer Jb. XXX, 1926ff.; Fr. Piersig, Die Or-
geln d. bremischen Stadtkirchen im 17. u. 18. Jh., ebenda
XXXV, 1935; ders. u. R. Liesche, Die Orgeln im Bremer
Dom, Br. 1939 ; K.L. Blum, Musikleben in Br., in ; Geistiges
Br., Br. 1960.
Brescia.
Lit.: G. Bignami, Per la storia della musica a Br., Note
d'Arch. IX, 1934; Enciclopedia dei musicisti bresciani,
hrsg. v. dems., Mailand 1963 ; P. Guerrini, Gli organi e gli
organisti delle cattedrali di Br., Note d'Arch. XVI, 1939.
Breslau.
Lit. : G. MOnzer, Beitr. zur Konzertgesch. Br. ... , Vf Mw
VI, 1890; M. Schlesinger, Gesch. d. Br.er Theaters, I:
1522-1841, Br. 1897; L. Sittenfeld, Gesch. d. Br.er Thea-
ters v. 1841-1900, Br. 1909; H. H. Borcherdt, Gesch. d.
ital. Oper in Br., Zs. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens XLIV,
1910; H. E. Guckel, Kath. Kirchenmusik in Schlesien, I:
Gesch. d. Br.er Domchors v. 1668-1805, Br. 1912; J. Sass,
Die mus. Amter u. Einrichtungen in d. drei ev. Haupt- u.
Pfarrkirchen d. Stadt Br., Diss. Br. 1922, maschr.; Fr.
Feldmann, Der Codex Mf 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ.
Br., 2 Bde, Br. 1932; ders., Br. u. d. mus. Romantik im
Spiegelbild ihrer fiihrenden Musiker, Zs. f. Ostforschung
II, 1953 ; ders., Br. Musikleben zur Zeit Beethovens aus d.
Sicht L. A. L. Siebigks, AfMwXIX, 1962 -XX, 1963 ; H.-A.
Sander, Beitr. zur Gesch. d. lutherischen Gottesdienstes in
Br., = Br.er Studien zur Mw. I, Br. 1937; W. Dziedu-
szycki, Zycie muzyczne we Wroctawiu (»Das Musikleben
in Br.«), Muzyka V, 1954; K. G. Fellerer, M. Bruchs
Br.er Dirigententatigkeit, AfMw XIX 1962, XX 1963.
Bretagne.
Lit. : R. Trebitsch, Phonographische Aufnahmen ... in d.
Br., = Ber. d. Phonogramm-Arch.-Kommission IX, 1908;
V. Stearns Beede, Breton Folk-Songs, MQ XVI, 1930; L.
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aux XIV e et XV e s., Rev. de Musicol. XIV, 1933; J. Cho-
leau u. M. Drouart, Chansons et danses populaires de
Haute Br., Paris 1938; H. Corbes, La musique bretonne
aux XVII e et XVIII e s., Bull, de la Soc. d'Emulation des
Cdtes-du-Nord, Jg. 1938; M. Courtonne, Un s. de mu-
sique a Nantes ct dans la region nantaise 1850-1950, Nan-
tes 1953; Cl. Marcel-Dubois u. M. Andral, Musique
populaire vocale de I'ile de Batz, Arts et traditions popu-
laires II, 1954; M. Huglo, Le domaine de la notation
bretonne, AMI XXXV, 1963; J.-M. Guilcher, La tra-
dition populaire de la danse en Basse-Br., = Etudes euro-
peennes I, Paris 1963.
Brevier (lat. breviarium, breviarius, auch directo-
rium oder ordo), die Zusammenfassung aller fiir das
121
Brevis
-> Offizium der katholischen Kirche vorgeschriebenen
Texte. Seit dem 10./11. Jh. namentlich in monastischen
Kreisen nachweisbar, entstand das Br. aus der Ver-
pflichtung des am gemeinsamen Chorgebet verhinder-
ten Geistlichen zur privaten Rezitation der taglichen
Gebetsstunden. Das hierfiir notwendige Buch verei-
nigte die - vorher je nach Gattung in eigenen Banden
aufgezeichneten - Offiziumsteile (mit oder ohne Neu-
men bzw. Choralnoten). Im 13. Jh. flihrte auch der
Weltklerus den Gebrauch des Br.s ein. Spatestens seit
dem 12. Jh. lafit sich iiberdies die Verwendung von
Br.en beim Chorgebet feststellen. Historisch bedeut-
sam wurde die liturgische Tatigkeit der Franziskaner,
welche ab 1223 entscheidend zur Ausbreitung des Bre-
viarium secundum ordinem Curiae Romanae (einer kiirze-
ren Fassung des alten, stark benediktinisch gepragten
Romischen Br.s) beitrugen. Das heutige Romische Br.
beruht au£ der 1568 von Pius V. im Auftrag des Tri-
dentiner Konzils veroffentlichten Ausgabe (genannt
Pianisches Br.). Es wurde 1911 durch Pius X. einer
grundlegenden Reform unterzogen und erhielt 1945
eine neue Psalmeniibersetzung (ad libitum), auf die
1955 eine Rubrikenreform und 1960 eine neue Rubri-
kenordnung folgten (letzte Editio typica 1961). Nach
der auf dem 2. Vatikanischen Konzil promulgierten
Constitutio de Sacra Liturgia (4. 12. 1963) ist eine Revision
der liturgischen Biicher und damit auch der Br.-Aus-
gaben vorgesehen. Abweichend von der romischen
Praxis werden im Offizium der alteren Orden vielf ach
eigene Br.e verwendet (darunter z. B. das Breviarium
Monastkum der Benediktiner), wahrend die jiingeren
Orden die romische Fassung mit Ordensproprium be-
nutzen.
Lit.: S. Baumer, Gesch. d. Br., Freiburg i. Br. 1895, erwei-
tert frz. v. R. Biron als: Hist, du breviaire, 2 Bde, Paris
1905 ; P. Batiffol, Hist, du br6viaire romain, Paris 3 191 1,
engl. 1912; H. Bohatta, Liturgische Bibliogr. d. XV. Jh.,
Wien 1911, Neudruck Hildesheim (1960); V.-M. Lero-
quais, Les breviaires mus. des bibl. publiques de France, 6
Teile, Paris 1934 (umfassendes Quellenwerk) ; P. Rado,
Enchiridion Liturgicum I, Rom, Freiburg i. Br. u. Barce-
lona 1961. KWG
Brevis (erganze: nota oder figura; lat, die kurze),
Notenwert der Mensuralnotation : ■, seit dem 15. Jh. :
n, Pause: i . -»• Allabreve.
Bridge (baid3, engl.) -> Chorus.
Brillenbasse, Spottname fiir Abbreviaturen, wie die
in Achtel- bzw. Sechzehntelnoten aufzulosenden Fi-
guren: -^
m
m
bzw.
^m
Britische Musik (England mit Schottland, Irland und
Wales). Ein friihes Zeugnis angelsachsischer Musik ist
die Harfe aus dem 6. Jh. in Sutton Hoo (Suffolk). Gi-
raldus Cambrensis, ein walisischer Geistlicher des spa-
ten 12. Jh., erwahnt improvisierten mehrstimmigen
Gesang sowie Instrumentalmusik in Wales, North-
umbrien und Irland; sein Bericht lafit auf eine lange
Tradition schliefien. Das Christentum hatte sich nach
den Eroberungen der Angelsachsen in Wales erhalten.
Von hier aus breitete es sich im 5. Jh. nach Irland, im
6. Jh. nach Schottland aus ; Northumbrien wurde in der
1. Halfte des. 7. Jh. christianisiert. Bald (664) erfolgte
die Vereinigung der beiden Kirchen Englands. Darauf-
hin wurde der romische Choral fiir die ganzen britan-
nischen Inseln offiziell. Aber die Abweichungen, die
sich in dem Graduale und Antiphonale von Salisbury
finden (bekannt als Sarum Use, doch nicht auf Salis-
bury beschrankt), lassen darauf schliefien, dafi von friih
an iokale Verschiedenheiten bestanden. - Englands
enge Verbindung mit dem Kontinent unter Eduard
dem Bekenner (1042-66) wurde nach der Eroberung
durch die Normannen noch verstarkt. Winchester mit
seiner grofien Orgel aus dem 10. Jh. war ein Zentrum
der Kirchenmusik. Eines der Winchester Tropare aus
dem 11. Jh. enthalt neumierte 2st. Organa, die aus
nordfranzosischen Klostern stammen. Die Einwirkung
franzosischer Musik ist auch daran erkennbar, dafi
Stiicke des Notre-Dame-Repertoires in England ge-
sungen wurden. Zahlreiche dieser Stiicke finden sich
in einer Handschrift, die in St. Andrews benutzt wur-
de (Wolfenbuttel 677). Sie enthalt auch einige Or-
dinariumstropen, die nicht in franzosischen Quellen
erscheinen und moglicherweise englischer Herkunft
sind. Einige der erhaltenen Stiicke der Kirchenmusik
von Worcester sind Zeugnisse fiir den englischen Des-
cant. Von den weltlichen Werken des 13. Jh. seien der
6st. Kanon iiber einen Ground, Sumer is icumen in, und
eine Anzahl instrumentaler Tanze erwahnt. Englische
Theoretiker des 12.-14. Jh. sind Theinred of Dover, W.
Odington, Coussemakers Anonymus IV und der Au-
tor des Traktats De quatuor principalibus musicae (ge-
wohnlich S.Tunstede zugeschrieben). J. de Garlandia,
ein gebiirtiger Englander, wirkte in Frankreich. AuBer
den Stiicken der Worcester-Fragmente ist nur wenig
Musik aus dem 14. Jh. uberliefert. Das 15. Jh. hingegen
scheint eine Zeit groBer musikalischer Aktivitat ge-
wesen zu sein. Es ist bezeichnend, daB in den konti-
nentalen Handschriften viele englische Stiicke, beson-
ders von Dunstable, erscheinen. Die bedeutendste
Quelle fiir die Kirchenmusik dieser Zeit ist das Old
Hall-Manuskript mit Ordinariumssatzen und Motet-
ten, zum Gebrauch der Koniglichen Kapelle bestimmt.
In dieser Sammlung wird haufig ein »wandernder«
C. f. angewandt. Der spezifisch englische Wohlklang
(nach Bukofzer »Euphonie«) hat die Komponisten der
Burgundischen Schule stark beeinfluBt. Eine andere
wichtige Handschrift liturgischer Musik aus dem 15.
Jh. (Brit. Mus. Egerton 3307, nach M.F. Bukofzer aus
Meaux Abbey in Yorkshire stammend) enthalt die
fruheste bekannte Vertonung der Passionshistorie so-
wie Carols. Aus der gleichen Zeit stammt auch eine
Anzahl weltlicher (zum Teil geselliger) Lieder. Die
wichtigste Handschrift des spaten 15. und friihen 16.
Jh. ist eine Sammlung mehrstimmiger Marienanti-
phonen und Magnificat, die im Eton College gesun-
gen wurden und dort aufbewahrt sind. Unter den hier
vertretenen Komponisten sind John Browne und W.
Cornyshe von Bedeutung. Deren Zeitgenossen waren
R. Fayrf ax und John Lloyd, dem die anonyme Messe
O quam suauis zugeschrieben wird. Die damalige
schottische Musik ist durch R.Carver vertreten. An
weltlicher Musik dieser Zeit sind nur einige mehrstim-
mige Lieder einfachen Charakters erhalten, von denen
einige Heinrich VIII. zugeschrieben werden. Der be-
deutendste Komponist unter Heinrich VIII. war J. Ta-
verner, der in seiner originellen Messe Western Wynde
eine weltliche Melodie als C. f. verwendet. - Die eng-
lische Reformation, die in die letzten Regierungsjahre
Heinrichs VIII. (1509-47) fallt, begann als Bruch mit
dem Papsttum aus politischen Motiven. Sie fiihrte zur
Einfiihrung der englischen Sprache im Gottesdienst.
Das erste englische Gebetbuch erschien 1549, kurz dar-
auf (1550) J. Merbeckes 1st. Vertonung der Liturgie,
eine Nachahmung des gregorianischen Chorals. M.
Coverdales englische Ubersetzung einiger Kirchenlie-
der von Luther erschien unter Heinrich VIII. ; andere
metrische Psalter mit und ohne Musik folgten unter
Eduard VI. Die erste Standardsammlung metrischer
Psalmen mit Musik wurde 1557 in Genf wahrend der
Regierung Marias der Katholischen (1553-58) ver-
122
Britische Musik
offentlicht; eine erweiterte Ausgabe erschien in Eng-
land erstmalig 1560. Wichtige Beitrage zur englischen
Liturgie waren das Anthem und die Vertonung der
Canticles f iir den Morgen- und Abendgottesdienst. Die
Nachf olge Marias der Katholischen auf den protestan-
tischen Eduard VI. brachte eingreifende Veranderun-
gen. Nach einer Ubergangszeit fiihrte Elisabeth I.
(1558-1603) endgiiltig den anglikanischen Gottesdienst
ein. Jetzt wurden lateinische Texte nur noch fiir Uni-
versitaten und die Colleges von Eton und Winchester
vertont, f erner fiir katholische Familien, die eigene Ka-
pellen besaBen. Sowohl die lateinische als auch die
englische Kirchenmusik strebten nach einer Vereinfa-
chung im Sinne erhohter Textverstandlichkeit. Im
friihen 17. Jh. kam das Verse anthem auf, mit seinen
Satzen fiir eine oder mehrere vokale Solostimmen mit
Orgel- oder Streicherbegleitung. Der Sologesang mit
Streicherbegleitung wurde von den Komponisten der
Elisabethanischen Zeit gepflegt. Die Stiicke in Byrds
Psalmes, Sonets and songs ofSadnes and Pietie (1588) wa-
ren urspriinglich Sologesange dieser Art, deren Instru-
mentalstimmen ein Text unterlegt wurde. Franzosi-
sche Chansons und italienische Madrigale sang die ge-
bildete Gesellschaf t Englands schon wahrend der friihen
Regierungsjahre Elisabeths. Aber erst die Veroffent-
lichung der Musica Transalpina im Jahre 1588, einer
Sammlung italienischer Madrigale mit englischen Tex-
ten, der weitere englische Sammlungen folgten, gab
den AnstoB, Werke dieser Art zu komponieren. Die
erste Sammlung original englischer Madrigale wurde
1594 von Morley herausgegeben, die letzte von Pil-
kington 1624. Stilistisch verfahren die englischen Ma-
drigalisten im ganzen gesehen konservativ; haufig ko-
pieren sie das italienische Madrigal, aber auch fran-
zosische Einwirkung auf die englische Tradition des
begleiteten Gesangsist nachweisbar. Gleichzeitig mit
den Veroffentlichungen von Madrigalen datiert eine
Anzahl Sammlungen fiir Solostimmen und Laute, die
verschiedentlich drei weitere Singstimmen ad libitum
enthalten. Dowland, dessen erste Sammlung 1597 er-
schien, war hier am bedeutendsten. Einige dieser Lie-
der zur Laute sind eindeutige Tanzmelodien, denen ein
Text unterlegt wurde, aber das Muster fiir die meisten
dieser Lieder ist das franzosische Air de cour. - Musik
fiir Tasteninstrumente findet sich schon im 14. Jh. in
einer Handschrif t aus der Robertsbridge Abbey Sussex.
Von den friiheren Sammlungen des 16. Jh. ist das Mul-
liner Book (um 1550-70) wichtig. Hier begegnet die
Bearbeitung eines Teils des Benedictus aus Taverners
Messe Gloria tibi Trinitas, der. mit den Worten »in no-
mines beginnt. Die Tradition der In nomine-Kompo-
sition fuhrt bis zu Purcell. Gegen Ende des 16. Jh. wur-
den zahlreiche Kompositionen fiir Klavier (Virginal)
geschrieben (Tanze, Fantasien, Variationen). Unter den
vielen Handschriften ist das Fitzwilliam Virginal Book
die groBte; die einzige gedruckte Sammlung ist die
Parthenia (1611) mit Werken von Byrd, J. Bull und O.
Gibbons. Gleichfalls beliebt, doch weniger gedruckt
war Musik fiir Violenensemble: In nomine-Bearbei-
tungen, Fantasien oder Fancies und Tanzsatze. Die
englischen Violenspieler genossen in dieser Zeit hohes
Ansehen, viele ihrer Kompositionen waren auf dem
Kontinent beriihmt. Chr. Simpson's The Division Viol-
ist (1659) enthalt prazise Unterweisungen und Beispie-
le der beliebten Divisions iiber einen Ground. Die Vio-
line wurde wahrscheinlich unter Jakob I. (1603-25) als
ein fiir die Kunstmusik qualifiziertes Instrument aner-
kannt. Vermutlich waren zumindest einige von Gib-
bons Fantasies of Three Parts fiir 2 V. und BaB-Va ge-
dacht. - Die Musik spielte eine wichtige Rolle in den
Stiicken Shakespeares und seiner Zeitgenossen, des-
gleichen in der hofischen Masque (dem Gegenstiick
zum franzosischen Ballet de cour), die unter Jakob I.
und Karl I. (1625-49) eine Blutezeit erlebte. 1617 wur-
de Ben Jonsons Masque Lovers made Men nach italieni-
scher Art im Stile rappresentativo von N. Laniere ver-
tont, der von Karl I. zum ersten Hofmusikdirektor
(Master of the Kings Music) ernannt wurde. Der neue
Stil wurde in England heimisch, vor allem durch das
Werk von H.Lawes, der 1634 die Musik zu Miltons
Masque Comus schrieb. Die Commonwealth-Regie-
rung (1649-60) gestattete nur noch privaten Zirkeln
die Auffiihrung von Masques. Ein Beispiel hierfiir ist
James Shirleys Cupid and Death mit der Musik von M-
Locke und Chr. Gibbons. Die Restauration unter Karl
II. (1660) gab den Anthems und Services in der Kirche
wieder Raum. Im besonderen wurde das aus 24 Strei-
chern bestehende Konigliche Orchester (den franzosi-
schen Vingt-quatre violons du Roy nachgebildet) 1662
in die Chapell Royal eingefiihrt und beteiligte sich an
der Auffiihrung der Verse anthems. Die bedeutendsten
Meister dieser Gattung waren Humphrey, J. Blow und
Purcell. Viele der weltlichen Lieder (Catches) sind ein-
fach und volkstumlich, andere dagegen nach dem Vor-
bild der italienischen Cantata geformt. Die Oper hatte
sich wahrscheinlich in England schon um die Mitte des
Jahrhunderts eingebiirgert, wenn die Puritaner die
Theater nicht hatten schlieBen lassen. Mit seinem The
Siege of Rhodes (1656) versuchte der Dramatiker W.
Davenant, das Gesetz zu umgehen (die von verschie-
denen Komponisten stammende Musik ist verschollen) .
Aber auch nach der Wiedereroffnung der Theater un-
ter der Restauration setzte sich die Oper nicht gleich
durch, vielmehr erlebte zunachst das gesprochene Dra-
ma eine neue Bliite. Die Musik jedoch spielte eine
groBe Rolle bei diesen Auffuhrungen, die bisweilen
- wie Purcells Dioclesian (1690) - in Gestalt vollstandi-
ger Masques angelegt waren. Blows Venus and Adonis
(als Masque ausgegeben) und Purcells Dido and Aeneas
(1689) sind vollstandig vertont und damit nichts ande-
res als Opern. Nach Purcells Tod (1695) wuchs das In-
teresse an der italienischen Oper. Handel, der 1710
nach England kam, nutzte diese Situation. Als die Po-
pularity seiner Opern aber durch Intrigen bedroht
wurde, wandte er sich dem Oratorium zu, einer in
England neuen Gattung. - Die allgemein beliebte Form
dieser Zeit war die Ballad opera, das Vorbild J. Gay's
The Beggar's Opera (1728). W.Boyce schrieb unter Ge-
org II. (1727-60) und in den ersten Jahren der Regie-
rungszeit Georgs III. (1760-1820) mehr als 40 Neujahrs-
und Geburtstagsoden ; er komponierte auch Kantaten
und Opern. Der EinfluB D. Scarlattis ist im Werk von
Th. Roseingrave, Worgan und Kelway spiirbar.
Ein bezeichnender Zug des 18. Jh. ist das wachsende
Interesse an der Musik der Vergangenheit: es erschei-
nen die Musikgeschichten von J.Hawkins (1776) und
Ch.Buraey (1776-89) sowie 3 Bande Cathedral Music
(herausgegeben von W. Boyce, 1760-72). 1710wurden
die Academy of Ancient Music, 1741 die heute noch
bestehende Madrigal Society gegriindet. Beliebter als
das Madrigal war jedoch in der 2. Halfte des Jahrhun-
derts das Glee. Ebenfalls ins 18. Jh. fallt die Griindung
des Festival of the Three Choirs of Gloucester, Wor-
cester and Hereford (1724) ; das alteste Festival ist das der
Sons of the Clergy. Konzerte gaben in London in der
2. Halfte des 18. Jh. vor allem J. Chr. Bach, C.Fr. Abel
und J. P. Salomon. - Der eigenstandigste Komponist
zu Anfang des 19. Jh. war der Ire J. Field, der den groB-
ten Teil seines Lebens im Ausland verbrachte. In Eng-
land war die Klaviermusik vor allem durch die Aus-
lander Clementi und Cramer vertreten. S.S.Wesley
bemuhte sich, das Niveau der Kirchenmusik zu heben,
123
Britische Musik
aber sie blieb weithin in der Konvention erstarrt. Der
Versuch, eine englische romantische Oper zu schaffen,
begann mitJ.Bametts The Mountain Sylph (1834). Die
Philharmonic Society (spater Royal Philharmonic
Society) wurde 1813 gegriindet, 10 Jahre spater die
Royal Academy of Music. Schon 1810 brachte Samuel
Wesley, der Vater von S.S.Wesley, eine englische
Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers heraus. Bachs
Matthauspassion wurde 1854 unter W.St.Bennet auf-
gefiihrt und die H moll-Messe 1876 unter O.Gold-
schmidt mit dem neugegriindeten Bach-Chor. Gleich-
zeitig wurden zum Gedachtnis Handels alle drei Jahre
groB auf gezogene Festspiele veranstaltet, die im Kristall-
palast stattfanden. Wichtige Ereignisse in der 2. Halfte
des 19. Jh. waren die Griindungen des Halle Orchestra
in Manchester (1857) und der Musical Association
(1874; heute Royal Musical Association), die Auffiih-
rungen von Gilberts und Sullivans Trial by Jury (1875),
gefolgt von einer Reihe ahnlicher volkstiimlicher
komischer Opern und Operetten (u. a. Mikado, 1885),
ferner das Erscheinen des 1. Bandes von Groves Dic-
tionary of Music and Musicians (1879), die Erofmung
des Royal College of Music (1882) und der Beginn der
Promenade Concerts unter H.J.Wood (1895). Das
wachsende Interesse an der Musikforschung hatte sich
schon in den Verofientlichungen der Musical Anti-
quarian Society (1840-47) gezeigt. Diese Aktivitat
wurde jetzt durch die Griindung der Purcell Society
(1876) und der Plainsong and Mediaeval Society (1888)
fortgesetzt. Ein neuer schopferischer Impuls ist im
Werk von Parry spiirbar, dessen Prometheus unbound
1880 in Gloucester aufgefiihrt wurde. Das gleiche gilt
von seinem Zeitgenossen Ch. Stanford, der um die
Herausgabe irischer Volkslieder bemiiht war. Der be-
deutendste Vertreter der spatromantischen Musik in
England ist E.Elgar, dessen Enigma Variations 1899 und
The Dream of Gerontius 1900 in die verstaubte Atmo-
sphare der spaten Viktorianischen Musik wiederfrisches
Leben brachten. Die Romantik kam im Werk von Fr.
Delius zum Ausdruck. Nur einige englische Kompo-
nisten des 20. Jh. haben sich im Impressionismus ver-
sucht; der bekannteste ist Cyril Scott. Die Einfliisse
Elgars im Werk von A. Bliss und W.T.Walton sind
ersichtlich. Das Volkslied und die Musik der Elisa-
bethanischen Zeit wirkten sich auf das Schaffen von R.
Vaughan Williams aus, der, wie sein Freund C.J. Sharp,
selber Volkslieder sammelte. G. Hoist vertrat die Re-
aktion gegen die Romantik. Das Werk Brittens, wenn-
gleich oft eklektisch im Stil, zeigt sich verhaltnismaBig
wenig mit der englischen Tradition verhaftet. Neben
ihm wurden nach dem 2. Weltkrieg Tippet und
Fricker international bekannt.
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Broderies (bradr'i, frz.) -»■ Verzierungen.
Brugge (Flandern).
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de St.-Donatien et de St.-Sauveur a Bruges, Br. 1870 ; A. C
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Donatien a Bruges jusqu'au XVI e s., in: Hist, du seminaire
de Bruges I, 1895; L. Gilliodt van Severen, Les mene-
strels de Bruges, B. 1912.
Briissel.
Lit.: V. Ch. Mahillon, Cat. descriptif et analytique du
Musee instr. du Conservatoire royal de musique de Bruxel-
les, 4 Bde, Gent 1880-1912, I 21893, II 21909; P. Berg-
manns, L'Acad. royale de Belgique depuis sa fondation
1772-1922, Br. 1922; H. Liebrecht, L'opera italien a
Bruxelles de 1650 a 1750, RM IV, 3, 1923 ; L. Renieu, Hist.
124
Buchstaben-Tonschrift
des theatres de Bruxelles depuis leur origine jusqu'a ce jour,
Paris 1938; S. Cler'cx, La chapelle royale de Bruxelles
sous 1' Ancien Regime, Annuaire du Conservatoire royal de
musique de Bruxelles, 1942; dies., Les Godecharles, musi-
ciens bruxellois au XVIII e s., M61anges E. Closson, Br.
1 948 ; J. Cuvelier, La' confrerie des musiciens instrumen-
tistes de Bruxelles sous PAncien R6gime, Bull, de la Classe
des Beaux-Arts de I'Acad. royale de Belgique XXVIII,
1946; R. Wangermee, Les maitres de chant des XVII e et
XVIII e s. a la coilegiale des SS. Michel et Gudule a Bruxel-
les, Br. 1950.
Bruitismus -*- Futurismus.
Brummeisen -»■ Maultrommel.
Brummstimmen (Summstimmen) bedeuten s. v. w.
Gesang ohne Worte und mit geschlossenem Mund
(bocca chiusa, bouche fermee), so daB der Ton brum-
mend durch die Nase kommt. Begleitende Br. sind
ofter in Choren gebraucht worden, so von Bruckner,
Orff (Carmina Burana Nr 8) ; auch im letzten Akt von
Verdis Rigoletto, im »Briefchor« (2. Akt) von Puccinis
Madama Butterfly sowie in den Vokalensembles der
modernen Unterhaltungsmusik.
hatte schon 1487 ein Br. Seit dem 18. Jh. verschwindet
das Br. allmahlich aus der Orgel.
Buchstaben-Tonschrift ist die Anwendung von
Buchstaben zur Bezeichnung von Tonen. Sie begegnet
zuerst in den Aufzeichnungen -*■ Griechischer Musik,
deren alteste um 200 v. Chr. datieren. Doch ist das Sy-
stem der 2 griechischen Tonschriften spatestens in der
1. Halfte des 3. Jh. v. Chr., wahrscheinlich in Alexan-
dria, entstanden (A. Bataille) ; sein Kern oder eine nicht
erhaltene friihere Schrift war schon Aristoxenos be-
kannt. Die 2 B.-T.en der Griechen werden nach den
Theoretikern (z. B. Gaudentios, S. 350) als vokale und
instrumentale unterschieden ; doch sind die erhaltenen
Aufzeichnungen, die beide Schriften wahrend eines
Stiickes vermischen, nur schwerhiermit zu vereinbaren.
Die Tabelle (nach Henderson) verdeutlicht den paral-
lelen Aufbau beider Schriften in 3 Reihen von Zeichen.
Reihe 1 stellt eine diatonische Grundskala dar. Die an-
deren Reihen bezeichnen Tone, die in Reihe 2 einen
Halb- oder Viertelton, in Reihe 3 zwei Halb- oder
Vierteltone iiber dem entsprechenden Ton von Reihe 1
I 3.
A' A'H' K'N'
1 *
A A H K
n n T X
V V H * H U
H
2.
B'E'e'A' I'
X rh
B E © A
HPY*
R F rt> V in b
>-
1.
r'z' 1' M'O'
• » —
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2.
/'LI' V'X'* 1
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H
3.
n' nVy'x'
X X
\ n > y
» D =1 1
1 H 3 ri P 3
T
Brunette (briin'et, von frz. brun, braun) wurde vor
allem im 17./18. Jh. ein kleines franzosisches Lied mit
oder ohne instrumentale Begleitung auf pastorale und
amourose Texte von schlichter, volkstiimlicher Hal-
tung genannt, das sich von derberen der Vaudevilles
und Airs a boire unterschied. Br.s tauchen auf in einer
Sammlung des Pariser Verlegers Ballard von 1703
(mehrfach aufgelegt: 1704, 1709), wo dieser im Vor-
wort den Liedanfang Helas, Brunete, tnes amours zitiert
und die den Titel Br.s ou petits Airs tendres, . . . tragt
(3 Bande). Weitere Sammlungen sind J.Pinel, Nou-
veau Recueil d'Airs serieux de br.s . . . (1737) und P. La
Garde, Br.s avec accompagnement de guittarre, . . . (6 Ban-
de, 1740-64) u. a. Bearbeitungen nur fur Instrumente
wurden besonders im 18. Jh. gebrauchlich, z. B. M.
Blavets Recueil de pieces . . . , br.s . ■ ■ Accomode pour les
flutes traversieres, violons, pardessus de viole ... (3 Ban-
de, um 1740); auBerdem fanden Br.s Eingang in die
franzosische Klaviermusik (Chambonnieres, d'Angle-
bert) und vor allem seit Lully und Rameau auch in die
Oper.
Ausg. : Chants de France et d'ltalie, hrsg. v. H. Expert,
1. Serie: Chansons mondaines des XVII e et XVIII e s., Pa-
ris 1909 ; Chansons de la Vieille France . . . , hrsg. (harmo-
nisiert) v. Ch. Teuroc, Bd II, Paris 1946.
Lit.: P.-M. Masson, Les Br., SIMG XII, 1910/1 1 ; P. Coi-
rault, Recherches sur notre ancienne chanson populaire
traditionelle, Bull, de l'lnst. general de psychologie III,
1929 ; ders., Notre chanson folklorique, Paris 1942.
Bruststimme -> Register (- 3).
Brustwerk ist in der Orgel seit dem 15. Jh. das unter
dem Hauptwerk (Oberwerk) in der »Brust der Orgel«
aufgestellte Regalwerk mit eigener Windlade. Es war,
den Raumverhaltnissen entsprechend, mit kleineren
Pfeifen besetzt und gehorte in der Regel zum 2. oder
3. Manual. Die groBe Orgel der Pfarrkirche zu Bozen,
erbaut von B.Dinstlinger, die P.Hofhaymer abnahm,
liegen. In Reihe 2 werden Halbton (Diatonik und
Chromatik) und Viertelton (Enharmonik) nicht sicht-
bar unterschieden, in Reihe 3 sollen die chromatischen
Zeichen (zwei Halbtone) durch einen zusatzlichen
Strich gegen die enharmonischen (zwei Vierteltone)
abgehoben werden, z. B. V gegen V. Die 3 Zeichen
einer solchen Triade hangen insofern zusammen, als
sie - wenigstens in den Grundtonarten dorisch, phry-
gisch, lydisch - samtliche Tone innerhalb eines ->■ Pyk-
non, damit zugleich die grundlegende Bedeutung des
-*■ Tetrachords in der griechischen Melodik darstcllen,
z. B.:
C V R 1
a fis f e
(Zeichen aus Reihe 13 2 1)
Die »vokale« Schrift I verwendet die Buchstaben des
normalen (ionischen) Alphabets der Griechen fur die
Oktave f J -f (nach Reihe 1 gerechnet) . Das Alphabet be-
ginnt oben, und zwar in Reihe 3, so daB der 3., 6. usw.
Buchstabe die diatonische Grundskala bezeichnet. Die-
ser Kern wird mit denselben, nun meist auf den Kopf
gestellten Zeichen auf at-G erweitert. Zwei zusatzliche
Erweiterungen sind in beiden Schriften zugleich vor-
genommen worden und bilden offenbar die jiingste
Schicht des Systems : die Triade iiber F mit auf die Seite
gestellten Buchstaben sowie g^M, wo die Zeichen der
um eine Oktave tieferen Tone mit einem Strich wie-
derholt werden. Die »instrumentale« Schrift II stellt in
der Regel das Zeichen der 1. Reihe in Reihe 2 auf den
Kopf, in Reihe 3 auf die Seite oder in Seitenverkeh-
rung. Die Theoretiker nennen das Zeichen in der Nor-
mallage O7)u,siov 6pS-6v (z. B. Tau: T), das auf den
Kopf gestellte avsaTpa(i(j,£vov oder ($7mov (1), das sei-
tenverkehrte a7ve<jTp<X(X[i£vov (z. B. Gamma T start
normal V), das auf die linke Seite gestellte TrXayio^ (l - ),
das auf die rechte Seite gestellte 7tX<xytov <X7rEaTpau,uivov
(H), und sie beschreiben alle diese Zeichen als Umfor-
125
Buchstaben-Tonschrift
mungen verschiedener Buchstaben des normalen Al-
phabets. Da die Reihenfolge der Normalzeichen nach
dieser Deutung zufallig ist, hat man in den letzten hun-
dert Jahren versucht, sie aus archaischen oder auBer-
griechischen Alphabeten abzuleiten und die ganze
Schrift II, die als die altere gait, aus der Stimm- und
Spieltechnik der griechischen Saiteninstrumente zu er-
klaren, ohne dadurch zu einer befriedigenden neuen
Deutung zu gelangen. 1961 haben Bataille und Chailley
wahrscheinlich gemacht, daB Schrift II, die sich von
Anfang an iiber den Raum a!-G erstreckte, auf folgen-
de Art aus Schrift I entwickelt wurde : a hat in beiden
Schriften das gleiche Zeichen Sigma (C); auch das
»doppelte Sigma« (bei G) von Schrift I iibemimmt II
fur die entsprechende Triade; in II sind samtliche Zei-
chen bei g-A aus dem H , samtliche Zeichen bei a l -h
aus dem A geformt worden.
Die B.-T.en des Mittelalters gehen auf Monochord-
teilungen zuriick; bei der Teilung der Saite werden
namlich wie in der Geometrie Streckenpunkte durch
Buchstaben bezeichnet. Boethius (6. Jh.) gibt 4 Buch-
stabenreihen an. Die eine, die die Tone des -> Systema
teleion mit A-P bezeichnet, ist von anderen Theoreti-
kern aufgegriffen worden. Daneben ist seit dem spaten
9. Jh. die Reihe A-P fiir die Tonreihe nachweisbar, die
der modernen Durtonleiter entspricht. Diese Reihe
ist wahrscheinlich der Stimmung der Glockenspiele
und Orgeln angepaBt. Im lO./ll.Jh. wurde in die B.-T.
die Wiederholung gleicher Buchstaben fiir Oktavtone
eingefiihrt (Odonische B.-T.). In dieser Bedeutung
gingen einige der Tonbuchstaben als Schliisselbuchsta-
ben in die Guidonische Notation mit Neumen auf
Linien ein.
1) ABCDEFGH IKLMNOP
2) ABCDEF GHIKLMN OP
3) FGABCDEF GABCDEF
4) T ABCDEF Gabbcde f g aa(bbbbccdd)
5) G AH c d e f g a b h ci diei fi gi at b> h' c* d*
1) Boethius 6. Jh. ; Anonymus II, GS I, und
Musica Enchiriadis 9. Jh.
2) Hucbald, De harmonica institutione, Ende
9.Jh.
3) Notker Labeo, GS I, und Bernelinus, GS I,
10. Jh.
4) Odo von St. Maur, GS I, 2. Half te 10. Jh. ;
Guido von Arezzo, Mkrologus, und Her-
mannus Contractus, Musica, GS II, beide
1. Half tell. Jh.
5) Moderne Bedeutung.
Die mittelalterliche B.-T. war weniger eine Notation
als ein Mittel zur theoretischen Demonstration. Als
Notenschrif t wurde sie nach dem 12. Jh. von der diaste-
matischen Neumen- und Choralschrift verdrangt.
Tonbuchstaben kamen wieder auf in der (sogenannten
deutschen) -»■ Orgeltabulatur des 14.-18. Jh. In der
-*■ Lautentabulatur bedeuten die Buchstaben nicht To-
ne, sondern Biinde. Die Oktaveinteilung der B.-T. in
der Orgeltabulatur ist uneinheitlich; die Teilung liegt
oft zwischen G und A oder B = brotundum und H
= bquadratum. Die Tone verschiedener Oktaven wur-
den durch Striche iiber oder unter den Buchstaben oder
durch Doppelbuchstaben bezeichnet.
Seit Anfang des 19. Jh. (Gottfried Weber) hat sich eine
Akkordbedeutung der Buchstaben eingeburgert, in-
dent man durch einen groBen Buchstaben den Dur-
akkord iiber dem bezeichneten Ton (ohne Rucksicht
auf die Oktavlage) und durch einen kleinen den Moll-
akkord bestimmte (A = A dur, a = A moll); eine
kleine Null bezeichnet den verminderten Dreiklang
(a = a-c-es). Auch versteht man unter A die A dur-
Tonart und unter a die A moll-Tonart. M.Hauptmann
benutzte groBe und kleine Tonbuchstaben zur Unter-
scheidung der Quinttone und Terztone ; er bezeichnete
alle Tone, die durch Quintschritte erreicht werden,
durch groBe Buchstaben, die Terztone dagegen durch
kleine (C e G, a C e usw.). Helmholtz (1863) und A.
v. Oettingen (1866) dagegen kennzeichneten die durch
Quint- oder Terzschritte erreichten Tone durch Ho-
rizontalstriche (->■ Intervall). Die von H.Riemann ent-
wickelte Akkordschrift (-»■ Klangschliissel) laBt diese
fiir die praktische Kunstiibung durch die enharmoni-
sche Identifikation entbehrlichen Unterscheidungen
beiseite und bedient sich ausschlieBlich der kleinen
Buchstaben ohne Kommastriche zur Tonbezeichnung.
Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg.
v. R. Da Rios, Rom 1954; Aristeides Quintilianus, De
musica, hrsg. v. R. P. Winnington-Ingram, Lpz. 1963;
dass., deutsch v. R. Schafke, Bin 1937; Musici scriptores
graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Neudruck Hildesheim
1962, S. 299ff. (Bakcheios), 347ff. (Gaudentios), 367ff.
(Alypios); Boethius, De institutione musica, hrsg. v. G.
Friedlein, Lpz. 1867; Fr. Bellermann, Die Tonleitern u.
Musiknoten d. Griechen, Bin 1847; K. Fortlage, Das
mus. System d. Griechen . . . , Lpz. 1 847 ; R. Westphal,
Harmonik u. Melopoie d. Griechen, Lpz. 1863, 3 1886; H.
v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen . . . ,
Braunschweig 1863, 6 1913; A. v. Oettingen, Harmoniesy-
stem in dualer Entwickelung, Studien zur Theorie d. Mu-
sik, Dorpat u. Lpz. 1866, als: Das duale Harmoniesystem,
Lpz. 2 1913; H. Riemann, Studien zur Gesch. d. Noten-
schrift, Lpz. 1878; ders., Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904,
erweitert 2 1919, 31923; D. B. Monro, Modes of An-
cient Greek Music, Oxford 1894; M. Emmanuel, Grece,
in: Encyclopedie de la musique ... I, 1, hrsg. v. A. La-
vignac, Paris (1913); WolfN; Riemann MTh; C. Sachs,
Die griech. Instrumentalnotenschrift, ZfMw VI, 1923/24;
ders., Die griech. Gesangsnotenschrift, ZfMw VII, 1924/
25; Th. Reinach, La musique grecque, Paris 1926; O.
Gombosi, Tonarten u. Stimmungen d. antiken Musik, Ko-
penhagen 1939, Neudruck 1950; ApelN; H.-I. Marrou,
Melographia, in: L'antiquite classique XV, 1946; A. Au-
da, Les gammes mus., Woluwe-St-Pierre 1947; H. Poti-
ron, Origines de la notation alphabetique, Rev. gregorien-
ne XXXI, 1952; S. Corbin, Valeur et sens de la notation
alphabetique a Jumieges, Rouen 1955; R. Weakland,
Hucbald as Musician and Theorist, MQ XLII, 1 956 ; R. P.
Winnington-Ingram, The Pentatonic Tuning . . . , Class.
Quarterly (N. S. VI), 1956; I. Henderson, Ancient Greek
Music, The New Oxford Hist, of Music I, London 1957 ; J.
Smits van Waesberghe SJ, Les origines de la notation al-
phabdtique au moyen age, AM XII, 1957; J. Chailley,
L'imbroglio des modes, Paris (1960) ; J. M. Barbour, The
Principles of Greek Notation, JAMS XIII, 1960; A. Ba-
taille, Remarques sur les deux notations melodiques de
l'ancienne musique grecque, in : Recherches de papyrolo-
gie I, Paris 1961, dazu J. Chailley in: Rev. de Musicol.
XLVII, 1961 ; H. Potiron, Boece . . . , = Travaux de PInst.
cath. de Paris IX, (Paris 1961) ; ders., Les notations d'Aris-
tide Quintilien ..., Rev. de Musicol. XLVII, 1961.
Bucina (lat. bos, Rind, und canere, singen, als Lehn-
wort ahd. buchina, mhd. -»■ busine, basune; nhd. Po-
saune, wird durch Luthers Form, Jes. 27, 13 u. 6.,
schriftdeutsch), bei den Romern ein dem Tierhorn
nachgebildetes Blasinstrument aus Metall, war zu-
nachst ein Instrument der Hirten und Bauern, spater
militarisches Signalinstrument, gemeinsam mit cornu
und tuba verwendet. B. hiefien auch die Muschelhor-
ner, die Attribute der Tritonen waren.
Lit.: G. Fleischhauer, B. u. Cornu, Wiss. Zs. d. M.
Luther-Univ. Halle- Wittenberg IX, 1960.
Budapest.
Lit. : J. Bayer, A nemzeti jatekszin tortenete (»Gesch. d.
Nationaltheaters«), B. 1887; O. Gombosi, Mus. Verhalt-
nisse am Hof Konig Matthias', Muzsika I, 1929; ders.,
Vita mus. alia corte di Re Mattia, Corvina XVII, 1929; E.
126
Biihnenmusik
Sebestyen, Magyar operajatszas Budapesten 1793-1937
(»Die ungarische Opernbuhne in B.«), B. 1937 ; K. Krist6f,
Operai esemenyek a Tanacskoztarsasag idejen (»Die B.er
Oper zur Zeit d. R6krepublik«), in: Uj zenei szemle III,
1952.
Biigelhorn (von frz. und engl. bugle; frz. im 12. Jh.
adjektivisch als cor buglerenc oder bugleret, ab Mitte
des 13. Jh. bugle, engl. als buglehorn und um 1340 als
bugle), seit dem 19. Jh. das Signalhorn, das zunachst
mit Klappen (-»■ Klappenhorn, ->■ Ophikleide) und um
1830 mit Ventilen versehen wurde. Es entstand eine
Familie von Biigelhornern mit konischem Rohrver-
lauf, weiter Mensur, wenig ausladender Stiirze und
Kesselmundstuck. Die auBere Form ist meistens der
Trompete nachgebildet (ahnlich wie das verwandte
-> Kornett - 1) ; daneben wird in den Lagen vom Alt ab-
warts gleichzeitig auch die ovale und die runde (Heli-
kon-)Form gebaut (->■ Fliigelhorn, -»■ Tenorhorn,
->• Bariton - 3, ->■ Euphonium, -> Tuba - 2; Bom-
bardon, KaiserbaB, Sousaphon). Die Bugelhorner ha-
ben einen weichen, aber nicht so edlen und charakteri-
stischen Klang wie Trompeten und Waldhorner, doch
sind sie leichter als diese zu blasen. Sie werden vor al-
lem in der Harmoniemusik gebraucht, im Orchester
nur die Tuba. Fur die Bugelhorner wird die ->• Kor-
nett-Notierung verwendet. - 1845 erhielt A. -*■ Sax
ein Patent auf eine Familie von Biigelhornern von
gleichmaBiger auBerer Gestalt und verbesserten Men-
suren. Diese Saxhorner werden in alien Lagen (9 Mo-
delle von Saxhorn sopranino bis Saxhorn bourdon)
gebaut.
Lit. : J. Levy, Die Signalinstr. in d. altfrz. Texten, SIMG
XII, 1910/11 ; G. Schad, Musik u. Musikausdriicke in d.
mittelengl. Lit., Diss. GieBen 1911; Fr. Brucker, Die Blas-
instr. in d. altfrz. Lit., = Giefiener Beitr. zur Romanischen
Philologie XIX, GieBen 1926.
Biihnenmusik (Inzidenzmusik, von lat. incidere, ein-
f alien; engl. incidental music; frz. musique de scene;
ital. musica di scena) ist im strengen Sinne die zu Biih-
nenwerken (Opern, Schauspielen) vom Autor vorge-
schriebene und in innerer Beziehung zur Handlung
stehende Musik, die auf der Biihne, hinter der Szene
oder im Orchesterraum auszuf iihren ist. Zu unterschei-
den ist: 1) B. in der Oper zur Heraushebung eines be-
sonderen Handlungsvorgangs entweder auf der Szene,
z. B. Mozart, Don Giovanni, Ballmusik (1. Akt), und
Berg, Wozzeck, Militarmusik und Heurigenmusik;
oder hinter der Szene, z. B. Beethoven, Fidelio, Trom-
petensignal (2. Akt), und R.Strauss, Rosenkavalier,
Walzer (3. Akt). B., zum Teil in groBerer Besetzung,
f ordern u. a. auch Wagner (Rienzi, Lohengrin, Tann-
hauser) und Verdi (II Trovatore, Un hallo in maschera,
Aida, Otello, Falstaff). - 2) Im Schauspiel ist es iiblich,
(A. Aber 1926) drei Hauptarten von B. zu unterschei-
den : a) die vom Dichter selbst gef orderte Musik, Biih-
nen- oder Inzidenzmusik im engsten Sinne (Trommel-
wirbel, Fanfaren, Marsche, Tanze, Liedbegleitungen
usw.). b) Musikalische Ausgestaltung eines Schauspiels
(Schauspielmusik) : Einleitungs- und Verbindungs-
stiicke der Akte, d. h. »Rahmenmusik« (Ouvertiire,
Zwischenakts-, Verwandlungs- und SchluBmusik) so-
wie Begleitmusik und melodramatische Szenen. Die
Musik wird - wie in neuerer Zeit auch -*■ Filmmusik,
-*■ Horspielmusik und Musik zu Fernsehspielen - als
»Hilfskunst« angesehen und in Form und Stil von den
Forderungen des Dramas und seiner Inszenierung be-
stimmt. c) Hinzufugung von Musik im Schauspiel, die
zu diesem in keiner inneren Beziehung steht. Hier hat
die Musik als Einlage oder Fiillwerk (A. Aber) unter-
haltende, Pausen ausf iillende Auf gaben. Sie ist als »Mu-
sik im Schauspielhaus« Schauspielmusik im weitesten
Sinne, kann aber in formaler Hinsicht ebenfalls als Rah-
menmusik angesehen werden und erfiillt wie diese
auch rein technische Zwecke (z. B. zur zeitlichen
Uberbriickung von Dekorationsumbau).
Die Verbindung von darstellendem Spiel und Musik
ist in den kultischen Spielen auBereuropaischer Volker
weit verbreitet (-> Chinesische Musik, -> Indische Mu-
sik). Sie bildet auch die Grundlage fur das antike helle-
nische Drama (->■ Griechische Musik). Musik erklang
bei den geistlichen und weltlichen Spielen des Mittel-
alters, den Trionfi, Maskenziigen, Commedie erudite
und Tragbdien der italienischen Renaissance (-> Inter-
medium), in den Maskenspielen am englischen Hofe
im 16. und 17. Jh., in den auf das Moralitatenspiel des
Mittelalters zuriickgehenden Volksschauspielen der
Schweiz, im Schuldrama in Deutschland und bei den
Biihnenauffuhrungen in England. Zur Zeit Beaumonts
(t 1616) und Fletchers (f 1625) hatte sich in England
eine typische Verwendungsart der Instrumente heraus-
gebildet: FanfarenstoBe beim Auftritt von Fiirsten;
Trompete zur Andeutung der Schlacht, zur Erregung
von Angst und Schrecken; Trommel beim Auftritt
von Offizieren, bei Marsch- und Schlachtszenen, ge-
dampft bei Trauermusiken; Horn bei Jagdszenen;
Flote bei Hochzeits- und Liebesszenen; Laute zur Be-
gleitung von Liedern. - Fiir die Shakespeare-Zeit war
die B . einer der wichtigsten Inszenierungsf aktoren (Kin-
dermann III, S. 130ff.). AuBer »Callfor-Songs« (ein-
gefiigte Lieder-Szenen, wahrend derer die Aktion
ruht) verwendete Shakespeare zahlreiche »Impromp-
tus«, die eine handelnde Person kennzeichnen (Gesang
der Ophelia in Hamlet; Trinklieder Falstaffs). Daneben
schrieb Shakespeare in vielfaltigerWeise instrumentale
Musik vor, vom FanfarenstoB bis zu Tanzszenen (Mid-
summer Night's Dream), von spharenhafter Musik im
Tempest bis zu Hexentanzen und Geisterliedem in
Macbeth. In der 2. Half te des 17. Jh. wurden in England
Dramen Shakespeares und seiner Zeitgenossen mit
Musik-, Gesangs- und Balletteinlagen so angefiillt,
daB eine Grenze zwischen Schauspiel mit Musik und
Oper kaum zu Ziehen ist (The English opera). An
Komponisten sind zu nennen: J. Banister, M.Locke,
H. -> Purcell. In Frankreich entstanden B.en (Einlei-
tungen, rezitativische und chorische Musik) zu Dra-
men von Corneille, Racine und -*■ Moliere. An Kom-
ponisten traten M.-A. Charpentier, J.-B.Moreau und
besonders Lully hervor. In Spanien wurde B. zu Dra-
men von Lope de Vega und Calderon geschrieben;
namhafte Komponisten waren M.Romero und C.
Patifio.
In Deutschland gab es instrumentale Rahmenmusik als
festen Bestandteil von Schauspielauff iihrungen seit den
Wanderziigen der englischen Komodianten. Angeregt
durch die Theaterprinzipale entwickelte sich im 18. Jh.
eine anspruchsvollere, zum Schauspiel aber meist be-
ziehungslose Rahmenmusik. Gottsched (Kritische Dicht-
kunst, 1730) forderte offenbar als erster, daB die Musik
bei Schauspielauffiihrungen mit dem Inhalt des Dra-
mas ubereinstimmen miisse. Bedeutsam sind die Aus-
fiihrungen J. A. Scheibes (Critischer Musicus, 1787, 67.
Stuck), die eine Asthetik der B., speziell der Rahmen-
musik darstellen. Lessing (Hamburgische Dramaturgic,
1767/69, 26. und 27. Stuck) stiitzt sich wesentlich auf
Scheibe, der eine Ouvertiire (auf den Inhalt des Dra-
mas hinfuhrend) und 2teilige Zwischenaktsmusiken
fordert, deren 1. Satz an den Gehalt des vorausgehen-
den Akts anschlieBt, wahrend der 2. Satz das Publikum
auf den folgenden Akt vorbereiten soil; die SchluB-
symphonie habe dem Ausgang des Stiicks zu entspre-
chen. Der erste Schauspieldirektor, der die Rahmen-
musik nicht als Nebensache betrachtete, war Konrad
127
Biihnenmusik
Ernst Ackermann (1712-71) ; er verlangte, daB die
Musik uberall auj das genaueste mit dem Inhalt des Stiickes
iibereinstimmt(ijber die HamburgischeBuhne, 1771). Nam-
hafte deutsche Komponisten schrieben in der 2. Halfte
des 18. Jh. B.en, darunter: J.Haydn; Joh. Andre (Beau-
marchais' »Barbier von Sevilien«, 1776; »K6nig Lear«
und Macbeth, 1778); K.D.Stegmann (»K6nig Lear«,
1780; Macbeth, 1784); J. Fr. Reichardt (Einige Hexen-
scenen aus Schackespear's Macbeth, 1787); W.A.Mozart
(Thamos, K.-V.336a). Ende des 18. Jh. undAnfang des
i9. Jh. entstanden zahlreiche B.en zu Dramen von
-> Goethe und -> Schiller, unter denen die Egmont-
Musik Beethovens (1810) herausragt. Gerade an die-
sem Werk wurde die Problematik des Verhaltnisses
zwischen B. und Drama deutlich und zum Gegenstand
widerstreitender Meinungen (A.Aber, E.Peters, A.
Schmitz). Fawsf-Musiken komponierten u. a. : K.Eber-
wein (1812), A.H.Furst Radziwill (1835), J.Rietz (vor
1870), E.Lassen (1876), M. v. Schillings (1908), F.v.
Weingartner (1908), E.Kiinneke (1911). Schiller for-
dert B. in Die Rduber, Jungjrau von Orleans, Wallen-
steins Lager, Wallensteins Tod, Wilhelm Tell.
Bis zur Mitte des 19. Jh. war Rahmenmusik bei Schau-
spielauffiihrungen obligatorisch. Neue Bestrebungen
um eine moglichst enge Verbindung von Musik und
Drama gingen von romantischen Dichterkreisen aus,
so von Tieck, Novalis, Eichendorff und E. T.A.Hoff-
mann, der selbst einige B.en schrieb (Das Kreuz an der
Ostsee von Z.Werner, 1804/05; Die Bruder von Man-
tible von Calderon-Schlegel, 1809; Braut von Messina
von Schiller, 1813; Tassilo von de la Motte-Fouque).
Aus der 1. Halfte des 19. Jh. seien noch genannt: J.N.
Hummel (Die Ahnfrau von Grillparzer, 1 823) ; C. M. v.
Weber (Turandot von Schiller; Preziosa von P. A.
Wolff, 1820); Fr. Schubert (Rosamunde von H.v.Che-
zy, 1823) ; A. Lortzing (Don Juan und Faust von Grabbe,
1829) ; R. Schumann (Manfred von Byron, 1852) ; Fr. v.
Flotow (»Wintermarchen«, 1859). Hochsten Rang
nimmt Mendelssohns B. zu Shakespeares »Sommer-
nachtstraum« (1826/43) ein. - Da es bei dem schnell
wechselnden Spielplan nicht moglich war, fur jedes
Schauspiel eine passende B. schreiben zu lassen, be-
half man sich an den deutschen Theatern mit mehr
oder weniger willkiirlich eingeschobenen Repertoire-
stiicken. Gegen diesen Brauch richteten sich um die
Mitte des 19. Jh. scharfe Angriffe (so F.Hiller in der
Kotnischen Zeitung vom 25. 8. 1855 und im Kapitel
Ztvischenaktsmusik in Aus dem Tonleben unserer Zeit,
1868). 1855 wurde am Berliner Schauspielhaus die
Zwischenaktsmusik abgeschafft; weitere Biihnen folg-
ten bald. 1879 verlangte Liszt in einer Schrift Keine
Zwischenaktsmusik mehr!, daB in einem Schauspiel
nur die eigens fur dieses komponierte Musik verwen-
det werden diirfe. Bedeutende B.en der 2. Halfte des
19. Jh. sind Bizets L'/lr/c'sicn«c-Musik zu Daudets
Drama sowie Griegs Peer Cynt (1876) fur Ibsen; zu
dessen »Fest auf Solhaug« schrieben Pfitzner (1889) und
H. Wolf (1892) B.en. Viel gespielt wurde auch Pfitzners
B. (1905) zu Kleists Kathchen von Heilbronn. Im natura-
listischen Drama wird B. weniger verwendet; aber bei
G.Hauptmann (Fuhrmann Henschel, 1898), C.Zuck-
mayer (Der frohliche Weinberg, 1925) u. a. dient sie zur
Hervorhebung dramatischer, folkloristischer Ziige
usw. Starke Anregungen fiir die B. kamen vom ge-
fiihlsbetonten, lyrisch angelegten Drama der Neuro-
mantik ; hier war die Musik wieder beruf en, Stimmun-
gen zu wecken, zu stutzen oder verklingen zu lassen (Nies-
sen). Wichtig war das dramatische Schaffen Maeter-
lincks, fiir den u. a. J.D.Davis, C.Scott, D.Fr.Tovey,
N.O'Neille, E.Humperdinck B.en schrieben. - Mit
der Musik von M.Marschalk erregten um diejahrhun-
dertwende G.Hauptmanns Traumdichtung Hanneles
Himmelfahrt (1893) sowie sein Glashiittenmarchen Und
Pippa tanzt (1906) Aufsehen. Im 1. Jahrzehnt des 20. Jh.
schrieb E. Humperdinck fiir den Regisseur Max Rein-
hardt in Berlin von der Dichtung inspirierte und vom
impressionistischen Stil der Inszenierung bestimmte
vorbildliche B.-Werke, u. a. zu Shakespeares »Winter-
marchen« (1906), »Was ihr wollt«, »Der Sturm« (1907).
Fiir Reinhardt komponierten auch R.Strauss, F.v.
Weingartner und d'Albert. Mehr und mehr entstehen
die B.en in enger, experimentierfreudiger Zusammen-
arbeit zwischen Regisseur und Komponist, wobei die
Tatigkeit des Musikers durchaus eigenschopferisch
bleibt. Beispiele solcher Zusammenarbeit bieten
-> Weill und ->■ Dessau mit B. -*■ Brecht, der im Sinne
seines »Epischen Theaters« neue und eigene Forderun-
gen, vor allem in der Textausdeutung, an die B. stellte.
Zu erwahnen sind auch D.Milhaud und A.Honegger
mit B.en fiir Anouilh, Claudel, Cocteau, Gide u. a.
1939 schrieb C. Orff seine oft gespielte »Sommemachts-
traum«-Musik (6. Fassung 1964), die (im Gegensatz zu
Mendelssohns romantischer, poesievoller Melodik)
unter Betonung des rhythmischen Elements die Shake-
spearsche Wortdiktion intensiviert und auf groBere
Formen verzichtet. An zeitgenossischen deutschen B.-
Komponisten seien genannt: B.Eichhorn, K.Heuser,
Mark Lothar, E.Mausz, G.Miinch, H.Trantow, W.
Zeller. Die elektroakustischen Anlagen der heutigen
Theater bieten neue Moglichkeiten durch Einspielung
der B. von Tontragern. Die modernen Dramatiker ge-
ben oft vielfache, prazisierte und differenzierte Anwei-
sungen fiir die B. Hingewiesen sei auf F.Garcia Lorca
(Amor de Don Perlimplin con Belisa en su jardin, 1931;
Dona Rosita la soltera, 1935) und Th. Wilder, der sich
in Our Town (1938) der Technik des »gesehenen H6r-
spiels« mit zahlreichen akustischen Effekten bedient und
zur Charakterisierung des Kleinstadtburgertums und
einer amerikanischen »Allerweltshochzeit« das (gleich-
zeitig desillusionierend wirkende) Einspielen von Han-
dels beruhmtem Largo, dem Brautchor aus Lohengrin
und Mendelssohns Hochzeitsmarsch verlangt. Im pa-
rodistischen Sinne verwendet, begegnet B. u. a. bei J.
Anouilh (Spiel der Klarinette inLe bal des voleurs, 1938).
In J. Osbornes, nach der Technik der Music-hall ge-
schriebenem Entertainer (1957) sind Songs und Rock
and Roll-Einlagen wichtig.
Lit. : L. Schneider, tlber d. Musik auf d. Biihne, Caecilia
XXVII, Mainz 1848; F. Hiller, Aus d. Tonleben unserer
Zeit, Bd I, Lpz. 1 868 ; Fr. Liszt, Keine Zwischenaktsmusik
mehr!; Gesammelte Schriften, hrsg. v. L. Ramann, III, 1,
Lpz. 1881, S. 136ff.; A. Schaefer, Hist. u. systematisches
Verz. samtlicher Tonwerke zu d. Dramen Schillers, Goe-
thes, Shakespeares, Kleists u. Korners, Lpz. 1886; F. Pe-
drell, La musique indigene dans le theatre espagnol du
XVIP s., SIMG V, 1903/04; F. Busoni, Entwurf einer neu-
en Asthetik d. Tonkunst, Triest 1907, Lpz. 21916, Wiesba-
den 1954; E. Istel, Schauspielmusik, in: Das literarische
Echo IX, 1906/07, Bin 1907; J. Simon, Faust in d. Musik,
= Sig »Die Musik« XXI, hrsg. v. R. Strauss, Bin 1907; N.
O'Neill, Music to Stage Plays, Proc. Mus. Ass. XXXVII,
191 1 ; H. G. Meyer-Ball, Die Instrumentalmusik in Beau-
mont u. Fletchers Dramen, Diss. Lugano 1916; E. Re-
fardt, Die Musik d. Basler Volksschauspiele d. 16. Jh.,
AfMw III, 1921; E. v. Waldthausen, Die Funktion d.
Musik im klass. deutschen Schauspiel, Diss. Heidelberg
1921, maschr. ; H. Tiessen, Die Tonkunst im Rahmen d.
Schauspielbiihne, in: Die Volksbuhne II, 1921/22, H. 1;
O. Bie, Schauspiel mit Musik, in : Das deutsche Theater d.
Gegenwart, hrsg. v. M. Krell, Miinchen u. Bin 1923; Fr.
Mirow, Zwischenaktsmusik u. B. d. deutschen Theaters in
d. klass. Zeit, Diss. Erlangen 1923, = Schriften d. Ges. f.
Theatergesch. XXXVII, Bin 1927; A. Aber, Die Musik im
Schauspiel, Lpz. 1926 ; A. Schmitz, Beethoven, Bonn 1927 ;
H. Pfitzner, Gesammelte Schriften III, Augsburg 1929;
128
Bulgarien
E. Peeters, Musik im Schauspiel, in : Prisma XI, 1 934/35 ;
J. Klaiber, Die Aktform im Drama u. auf d. Theater,
= Theater u. Drama VI, Bin 1 936 ; H. Wirth, J. Haydn als
Dramatiker, Wolfenbiitte! 1940; A. L. Livermore, The
Span . Dramatists and Their Use of Music, ML XXV, 1 944 ;
O. Riemer, Musik u. Schauspiel, Zurich 1946; Gr. H. Bar-
fuss, Biihne u. Musik in d. Neuromantik, Diss. Koln 1948,
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perdincks, Diss. Koln 1 95 1 , maschr. ; H. Wanderschreck,
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mann, Theatergesch. Europas, Salzburg (1957ff.).
Bunde (engl. frets; frz. touches; ital. tasti; span, tras-
tes), quer iiber das Griff brett von Saiteninstrumenten
gebundene Saitenstiicke oder aufgesetzte Holz- oder
Metalleisten, die als Sattel wirken und die Saite ab-
teilen, wenn kurz hiriter ihnen der Finger aufgesetzt
wird. Der Klang der gegriffenen Saite auf einem In-
strument mit B.n ist dem einer leeren Saite ahnlich. B.
ermoglichen auf Saiteninstrumenten eine feste Stim-
mung und Temperatur. Als Faustregel f iir die Anlage
von B.n im Halbtonabstand im modernen Tonsystem
gilt, daB vom Sattel oder vom letzten Bund i/ig der
Saitenlange abgeteilt wird. B. haben vor allem ->■ Zupf-
instrumente seit den ersten Belegen aus dem alten
Orient. An Streichinstrumenten sind sie selten ; sie sind
charakteristisch u. a. fur die Viola da gamba. Dem
Prinzip der B. ahnlich sind die Griffmarken (z. B. am
-»■ K'in) ; stegartige B. hat die ->■ Vina. Beim gebunde-
nen Clavichord teilen mehrere Tangenten eine Saite ab.
BufTo (ital., von buff one, Hofnarr, komische Theater-
figur) ; die Bezeichnung B. fur eine komische Charak-
terrolle taucht in der italienischen Oper im 17. Jh. auf.
Die (nach Stimmlage unterschiedenen) Facher des
Tenor- und des BaB-B. (ital. basso comico) setzen ne-
ben stimmlichen Qualititen groBes Spieltalent voraus.
Im Unterschied zur Opera seria, in der der BaB Neben-
rollen hatte, erhielt in der Opera buff a der 2. Half te des
18. Jh. der Basso b. tragende Rollen. Die Fachbezeich-
nung fur die weiblichen Rollen heiBen -> Soubrette
und Spielaltistin (-> Alt). In der neueren Operette hat
sich das Fach des Tanz-B.s herausgebildet, das vor al-
lem tanzerische und darstellerische Begabung erfor-
dert. - Parti buff e sind komische Szenen im Gef iige der
venezianischen Oper, die zu den historischen Vorlau-
fern der Opera buffa zahlen.
BufTonistenstreit (frz. querelle des bouffons), schlag-
wortartige Bezeichnung der fur die Geschichte der
Oper bedeutsamen Auseinandersetzung zwischen den
Anhangern der italienischen Musik, den Buffonisten,
und denen der franzosischen Musik, den nationalge-
sinnten, in erster Linie zur Aristokratie zahlenden Anti-
buffonisten. Der B. entstand 1752 in Paris und wahrte
unterschwellig noch bis in die Mitte der 1770er Jahre,
als sich Publikum und Kritiker nach Glucks Reform-
opern in Gluckisten undPiccinnisten (den Parteigangem
von ->■ Piccinni) spalteten. AuBerer AnlaB fur den B.
waren die Vorstellungen mit -> Pergolesis Serva padro-
na und einigen anderen Intermezzi in der Zeit von
1752-54 durch eine italienische Truppe, nach der fran-
zosischen Bezeichnung fur diese Intermezzi Bouffons
genannt, an der Pariser Opera. (Bis 1752 war die Buffo-
oper in Paris nur auf den Foires von Saint-Germain
und Saint-Laurent aufgefiihrt worden.) Ein grofler
Teil des Publikums und namhafte Kritiker wie J.-J.
-> Rousseau, Fr.M. -> Grimm und Diderot begrufiten
lebhaft die Aufnahme der volkstumlichen italienischen
Buffokunst, in der sie das neue Ideal des Gef uhlsmaGi-
gen und Natiirlichen (Rousseau: ni force, ni baroque)
verwirklicht sahen, gegenuber dem als riickstandig
betrachteten stilisierten Pathos der rationalistischen
franzosischen Operntradition : der Tragedie lyrique
Lullys und J.-Ph. Rameaus. Noch zu Rameaus Lebzei-
ten bildete sich (vor allem durch eine Weiterentwick-
lung der Comedie melee d'ariettes, beginnend mit
RousseausLe devin du village, 1752) die Opera-comique
als eigenstandige, heitere franzosische Oper heraus, die
im Gegensatz zur italienischen Opera buffa aus Griin-
den sprachlicher Prosodie den gesprochenen Dialog
verwendet.
Lit. : A. Jullien, La musique etlesphilosophesauXVIIP s.,
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Bugaku (japanisch), Tanzwerke, die, zuerst in der
Heian-Zeit (etwa 9.-12. Jh.), auf Tanzbiihnen (butai)
aufgefiihrt wurden und von denen einige noch heute
im traditionellen japanischen Theater lebendig sind.
B. gibt es entsprechend dem chinesischen bzw. koreani-
schen Stil der Orchestermusik als Links- (sa-no-mai)
und Rechtstanze (u-no-mai) ; sie werden bei der Auf-
fiihrung zu Paartanzen zusammengefiigt. B. wird von
einem nur aus Blasern bestehenden Ensemble begleitet.
-»■ Gagaku.
Bukarest.
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ceputurile concertelor simfonice la Bucuresti (»Aus d.
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129
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Eisenstadt 1958; J. Harich, Esterhazy-Mg. im Spiegel d.
zeitgenossischen Textbiicher, Burgenlandische Forschun-
gen XLXI, 1959.
Burgundische Musik, ein- in der Musikgeschichts-
schreibung relativ junger Begriff, der aber schon ver-
schiedene Wandlungen erfahren hat. In seinem ur-
spriinglichen Sinn (Gurlitt, Marix) umschlieBt er die
am burgundischen Hof bliihende Musik, besonders
wahrend der Regierungszeit Philipps des Guten (1419-
67). Die wichtigsten Reprasentanten der B.n M. sind
Grenon, Binchois, Philippe de la Folie (genannt Foliot),
Constant de Trecht, P.Fontaine, Hayne van Ghizeg-
hem, Gillesjoye, Jacques Vide, R. Morton und Busnois.
Gurlitt, der auch Dufay mit einbezieht, weist dem
burgundischen Staatswesen fur die Musikgeschichte
eine ahnlich zentrale Rolle zu, wie es Huizinga in
»Herbst des Mittelalters« fiir die allgemeine Kulturge-
schichte getan hatte; folgerichtig erweiterte Besseler
1931 den Begriff zur »Burgundischen Epoche« (S.
184fL); er ersetzte damit die seit einem Jahrhundert
iibliche Bezeichnung »erste niederlandische Schule«
fiir diese Epoche, die von der Personlichkeit Dufays
beherrscht wird. Obwohl dessen Beziehungen zum
burgundischen Herzog nur lose waren, wurde der Be-
griff einer »Burgundischen Epoche« allgemein iiber-
nommen. Fiir die einen ersetzte er endgiiltig die "Nie-
derlandische Schule«, fiir die anderen die »Ecole franco-
flamande« (tiber diese Begriffe vgl. S.Clercx, Intro-
duction . . .). Ch. Van den Borren iibernahm den Ter-
minus, nuancierte jedoch den Begriff, indem er vor-
schlug (Geschiedcnis van de muziek . . . I, S. 69ff.), die-
ses Zeitalter »italo-burgundisch« zu nennen, um Italien
mit einzubeziehen. Spater revidierte Besseler seine
friihere Auffassung und beriicksichtigte den Anteil der
»wallonischen« und besonders der aus dem Hennegau
stammenden Musiker des 15. Jh. (Bourdon und Faux-
bourdon, S. 193fL); da er keinen adaquaten Terminus
fand, um eine Schule zu bezeichnen, die mehrere Mu-
sikzentren umschlieBt, kommt er auf die alte Bezeich-
nung »Niederlandische Schule« zuriick und behalt le-
diglich fiir die hofische Chanson des 15. Jh. die Be-
zeichnung »Burgundische Musik« bei. Eine kritische
Stellungnahme erfordert einen erneuten Blick auf die
geschichtlichen und musikalischen Gegebenheiten.
- Zum geschichtlichen Sachverhalt: Der burgundische
Hof des 14. Jh. war wie derjenige von Berry, Orleans und
Anjou franzosisch. Philipp der Kiihne (1364-1404) han-
delte zeitlebens nur als franzosischer Fiirst und war der
Regierungdes (franzosischen) Konigreichs eng verbun-
den. Seine Interessen fiir Brabant und Flandern hatten
nur das eine Ziel, seine Macht in Frankreich zu ver-
groBern. Die Haltung von Johann ohne Furcht (1404-
19) war die gleiche. Selbst Philipp der Gute blieb zeit-
lebens ein franzosischer Fiirst; seine Kanzler und Rat-
geber waren Franzosen und sein Hof war uberwiegend
franzosisch bestimmt. Die Verhaltnisse anderten sich
unter Karl dem Kuhnen (1467-77), der in eine der
franzosischen Monarchic mehr und mehr feindliche
Politik hineingezogen wurde. Sein Hofstaat, bestehend
aus brabantischen, flamischen und hennegauischen Ad-
ligen, verwandelte die Atmosphare des Hofes, aber
seine Ratgeber blieben Burgunder. 1477 eroffnete das
Grand Privilege, erlassen von Marie von Burgund, den
Zugang zum groBen Rat auch den Vertretern von Ar-
tois, der Picardie, Hennegau, Namur, Brabant, Flan-
dern, Holland-Seeland, Luxemburg und Limburg, so
daB in ihm nur noch vier Burgunder vertreten waren
(Pirenne II, S. 16f.). Mit der Katastrophe von Nancy,
wo Karl der Kiihne ums Leben kam, verlor die bur-
gundische Familie ihr Stammesherzogtum, und es ge-
lang weder Philipp dem Schonen noch Karl V., es den
Erben Philipps des Guten zuruckzugeben. - Zum mu-
sikalischen Sachverhalt : Die Musik unter Philipp dem
Kiihnen und Johann ohne Furcht war franzosisch. Sie
hatte in Dijon ihr Zentrum. Philipp der Gute hatte die
Kapelle seines Vaters geerbt, und deren Musiker waren
an der Schule von Notre-Dame in Paris ausgebildet, an
der Sainte-Chapelle oder auch in Chartres, Rouen und
Toul. Bei haufigem Ortswechsel zwischen Dijon und
den nordlichen Residenzen des Hofes blieb die Kapelle
in der Auswahl der Musiker franzosisch. Die Anzahl
der aus dem Norden eingestellten Musiker war sehr
gering (1436 im Verhaltnis 3 : 20, 1439 - 3:18, 1442 -
3:22, 1447 - 4:21, 1452 - 4:21, 1464 - 4:24). Die
ersten Chapelains, die die Oberleitung der Kapelle
hatten, waren (mit einer Ausnahme) Franzosen. In der
Tat blieb die Kapelle Philipps des Guten - wie ihr
Herr - franzosisch orientiert. Diese Lage anderte sich
unter Karl dem Kuhnen und Marie von Burgund, und
die Kapelle Philipps des Schonen bestand fast aus-
schlieBlich aus Musikern aus den Pays-Bas (vgl. Van
Doorslaer). Diese historischen Tatsachen fordern hin-
sichtlich des Begriffs der »Burgundischen Musik« eine
neue vorsichtige Fragestellung : Konnen die Musiker,
die am burgundischen Hof lebten oder von einem an-
deren Ort aus fiir die Herzoge arbeiteten oder deren
Werke in den Handschriften zum Gebrauch der her-
zoglichen Kapelle gesammelt wurden, »burgundisch«
genannt werden? Kann die Musik, deren Autoren sie
sind, dieses Beiwort unzweideutig bekommen? Kurz:
muB das Wort »burgundisch« synonym mit »franzo-
sisch« verstanden werden oder im Gegenteil als Frank-
reich »fremd«? Zur Beantwortung der Frage sind
verschiedene Abschnitte der Geschichte zu unterschei-
den. Zweifellos wurden die ersten Musiker, die aus der
Kapelle von Dijon hervorgingen (Grenon, Philippe de
la Folie, P.Fontaine, R. de Locqueville) niemals als
»Burgunder«, sondern mit Recht als Franzosen bezeich-
net. Warum sollte man also die Bezeichnung »Burgun-
der« auf einen Dufay, Binchois, Gilles Joye, Regis, R.
Morton und Busnois anwenden? Im Hinblick auf die
Musik geniigt die Feststellung, daB die wichtigsten
Komponisten der Epoche Philipps des Guten, Dufay
und Binchois, ebenso wie Fontaine, Foliot, Locqueville
wesentlich durch die Tradition der franzosischen Mu-
sik des 14. Jh. gepragt wurden. Dufay und Binchois
verwandelten das Erbe der franzosischen .-> Ars nova
130
Burla
in Beruhrung mit der italienisohen und der englischen
Musik. Noch gegen Ende des 15. Jh. bezeugt es Tinc-
toris. Worin liegt in den Messen, lateinischen und
franzosischen Motetten, den franzosischen Chansons
das »Burgundische«? Worin unterscheidet sich diese
Musik in Form und Kompositionsart vom Werk der
A. und H. de Lantins, von Feragut, G. Legrant, Johan-
nes de Lymburgia, Brassart, J. Fr. de Gemblaco, H.
Battre - Franzosen oder Liitticher, die man nicht der
burgundischen Schule zuzahlen kann? Konkordanz-
vergleich der Handschriften laBt oft Abschreibever-
wechslungen erkennen und die Stilanalyse vermag die
Zuweisung nicht immer sicher zu entscheiden. In der
Tat reprasentieren diese Musiker eine europaische
Kunst, was sich aus ihrer umfangreichen Reisetatigkeit
erklart. Aber indem seit der Regierungszeit Karls des
Kiihnen Musiker aus Flandern und Brabant gerufen
wurden und die Abspaltung von Frankreich immer
deutlicher in Erscheinung trat, gewann der burgundi-
sche Hof eigenstandiges Geprage. Die Musikhand-
schriften, die Berichte der Chronisten und die Ge-
schichte des Hauses Burgund enthullen ein strahlendes
Zentrum von musikalischer Aktivitat und schopferi-
scher Kraft. Hofische und geistliche Musik strebten in
der 2. Halfte des 15. Jh. auBerster Verfeinerung zu:
Verflochtenheit, bewirkt durch Brechung der Melodie-
ziige, mit Imitationen in Engfiihrung, die den durch-
imitierenden Stil ankiindigen; formelhaft verlangerte
Kadenzen, raffinierte Dissonanzen, die oft genug um
ihrer Originalitat willen kultiviert werden; rhythmi-
sche Kontraste im einzelnen, die haufig auf »Arhyth-
mie« hinauslaufen; Raffinement in der Notation; Vor-
liebe fiir Kanonprobleme, fiir das musikalische Ratsel,
wo die Gelehrsamkeit der literarischen Anspielung
oder sogar dem Wortspiel nahesteht. Der Stil ist orna-
mental bestimmt im Gegensatz zum Stil Ockeghems.
Diese besonders am Werk von Busnois gewonnenen
Erkenntnisse belegt Van den Borren auch an den Wer-
ken anderer Musiker, die am burgundischen Hof oder
in seinem Umkreis gelebt haben: Cornelius Heyns,
Regis, Richard Codex, Frye, Hayne van Ghizeghem,
R. Morton. Diese Eigenheiten, ihre auf eine bestimmte
Gesellschaftsschicht begrenzte Anwendung durch Mu-
siker, die im gleichen Territorium lebten, namlich in
den nordlichen Besitzungen der Herzoge von Bur-
gund, spiegeln unbestreitbar eine Schule. Es ist das
erste Mai, daB die am herzoglichen Hofe gepflegte
Musik in diesem MaBe eigenstandig ist. Deshalb kann
diese Musik (obwohl keiner der Komponisten, die sie
beriihmt machten, Burgunder war) vielleicht »bur-
gundisch« genannt werden, wenn man sich auf diesen
Namen geeinigt hat. Aber aus dieser Schule einen all-
gemeinen Stil zu machen (»Spatzeit . . . des burgundi-
schen Stils«, Besseler, Die Musik des Mittelalters . . ., S.
210ff .) ist gewagt, denn einer Epoche diesen Namen zu
geben, so kurz sie auch sei, bedeutet, daB Musiker mit
einbezogen werden miissen, die in einem anderen Um-
kreis lebten und anderen kiinstlerischen Zielen folgten.
In Paris, an der Loire, von wo der franzosische Hof aus-
strahlte, in den groBen franzosischen -»■ Maitrisen ver-
traten Ockeghem, Compere, Basiron, Caron, Brumel,
Fevin, Verbonnet, Prioris und Josquin, in Antwerpen
Barbireau, den internationalen Stil, den der alternde
Dufay noch in Cambrai praktiziert hatte, und entwik-
kelten ihn weiter. In Mailand, Ferrara, Florenz, Neapel
und in der papstlichen Kapelle entstand ein neuer mu-
sikalischer Stil ; hier haben Josquin, Gaspar van Weer-
beke, A. Agricola, Isaac und Obrecht der groBen fran-
zosischen Tradition auf Grund ihrer Beruhrung mit
einer spontaneren italienischen Musik Leichtigkeit,
Kraft und Grazie hinzugefiigt, jene Durchsichtigkeit
und Klarheit der Schreibweise, wie sie das ganze 15. Jh.
hindurch in Italien lebendig waren. Aus der Verbin-
dung dieser drei musikalischen Zentren (burgundischer
Hof - Frankreich - Italien) sollte ein neuer intematio-
naler Stil entstehen: der des 16. Jh. (-> Niederlan-
dische Musik; -» Franko-flamische Schule.)
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Burla (ital., SpaB, Spott), Posse; von B. abgeleitet
Burlesca, Bourlesca, Burlesque (frz.), Burleske, Kom-
position heiter-karikierenden oder derb-komischen
Charakters, seit dem 18. Jh. wiederholt zur Bezeich-
nung von Instrumental-, vor allem Klaviersatzen ver-
schiedener GroBe und Form gebraucht. In J. S.Bachs
Partita III A moll (BWV 827) steht als 5. Satz eine Bur-
lesca, in Schumanns Albumblatter op. 124 (komponiert
1832-45) Nr 12 eine B. Das umfangreichste Stuck die-
ses Genres komponierte R. Strauss mit seiner Burleske
fur Kl. und Orch. (1885). Bekannt sind auch die Bur-
lesken op. 58 fiir Kl. von M.Reger, einem Meister der
-> Humoreske, die Burlesques op. 8c (1908-11) von
Bartok und die Burlesken op. 31 von Toch. Auch in der
modernen Kammermusik (Casella, Siciliana e Burlesca
fiir Kl., V. und Vc.) und bei Orchesterstiicken (Bartok,
Burlesque op. 2 ; Fr. Schmitt, Ronde Burlesque) sowie in
der Unterhaltungsmusik (fiir Salonorchester) tauchen
die Bezeichnungen auf. - Mit B. oder Burletta bezeich-
nete man im 18. und friihen 19. Jh. auch eine Opera
buff a (J.Haydns L'Infedelta delusa, 1773), deren Hand-
lung von kontrastreicher, oft scharf karikierender Ko-
mik getragen war. In ahnlichem Sinn werden fiir Biih-
nenwerke noch im 20. Jh. von B. abgeleitete Bezeich-
nungen angewandt, z. B. Burleske Operette (Kfenek,
Schwergewicht) oder Scenes burlesques (Strawinsky,
Petrouchka).
131
Burlesca
Burlesca (ital.) -*- Burla.
Busine (altfrz. und mhd., von lat. -»- bucina, von der
sie aber sachlich verschieden ist; frz. auch cor sarrasi-
nois), ist eine lange, gestreckte, seltener auch gebogene
Blechtrompete mit Sturze und Mundstiick, deren Na-
me zuerst in der Chanson de Roland (um 1100) auf-
taucht. Die B. ist dem arabischen Nafir nachgebildet,
der im Heer der Sarazenen geblasen wurde. Die B.
wird oft in mittelalterlichen Dichtungen erwahnt, da-
bei werden ihre fremdlandische Herkunft (Wolfram
von Eschenbach, Willehalm: uz Thusi di waren braht;
Wirnt von Gravenberg, Wigalois : Man horte da busine
uil / Bldsen nach der heiden sit) und ihr lauter, schmettern-
der Ton hervorgehoben. Als Heroldinstrument, mit
dem an ihr befestigten Banner, gehorte die B. in das
Gefolge der Fursten im Feldzug und beim Turnier.
Neben dem Adel hatten auch einige freie Stadte das
Recht, B.-Spieler zu halten. Auf der B. konnten be-
reits Fanfaren geblasen werden; als Begleitinstrument
diente die Trommel. Eine kleine Form der B. war das
Clarion. Im Abendland hat sich die B. als Trompete
und Posaune weiterentwickelt.
Lit. : H. G. Farmer, Crusading Martial Music, ML XXX,
1949; E. A. Bowles, Unterscheidung d. Instr. B., Cor,
Trompe u. Trompette, AfMw XVIII, 1961.
Byljnen -*■ Epos.
Byzantinischer Gesang (Melurgie), die Gesange
fur das Offizium und die Leiturgia (Messe) im byzanti-
nischen Kaiserreich. Die Beschrankung auf geistliche
Melodien entspricht dem Umstand, daB die entspre-
chende weltliche Musik nicht bekannt ist: denn die
wenigen in einem Manuskript des Klosters Iviron
(Athos) gef undenen Melodien reichen f iir eine griind-
liche Untersuchung nicht aus. Auch die in der Kirche
gesungenen Polychronismoi, die sich in Manuskripten
der kukuzelischen Epoche finden, ermoglichen kein
Urteil iiber die Musik, mit der der Kaiser im Zirkus
oder bei offiziellen Feierlichkeiten begrufk wurde.
Byzantinisch heiBt diese Kunst nach dem bedeutend-
sten Mittelpunkt ihrer Geschichte, der Hauptstadt des
Reiches. Hier trafen die verschiedenen Stromungen
aufeinander, und im Laufe der Zeit errang Byzanz eine
fuhrende Stellung auch in der Melurgie. Doch ist die-
se - wie die anderen byzantinischen Kiinste - aus ver-
schiedenen Elementen zusammengesetzt, und ihre
Wurzeln sind in orientalischen Traditionen und Syste-
men zu suchen. Im Hinblick auf den kirchlichen Cha-
rakter der Melurgie wurde bisher vor allem die hebrai-
sche und syrische Musik als Vorbild der byzantinischen
angesehen, doch sollte die Untersuchung auch auf Ele-
ments anderer orientalischer Kulturen' ausgedehnt
werden. Da das Studium des B.n G.s erst in jiingster
Zeit - seitdem die musikalischen Quellen in groBerem
Umfang erschlossen sind - ein bedeutendes AusmaB
angenommen hat, ist eine genaue Bewertung seiner
Elemente in vielen Fallen noch nicht moglich. - Der
B. G. kann eingeteilt werden in: alter B. G., er umfaBt
das Repertoire bis um 14. Jh. ; mittlerer oder kukuzeli-
scher B. G., vom 14. Jh. bis zur Reform des Chry-
santhos (1821) ; moderner B. G., seit 1821.
In den alten byzantinischen Manuskripten finden sich
2 Typen von Melodien, die sogenannten Gesange des
Hagiopolites und die Asmata, die sich in der Art ihrer
Komposition und in einigen Kennzeichen des Tonar-
tensystems unterscheiden. Die Gesange des Hagiopo-
lites sind Aneinanderreihungen von Formeln, die nach
ihrer melodischen Gestalt in Arten oder Typen einge-
teilt werden. Der Name Hagiopolites bezieht sich auf
die Hagia Polis, das ist Jerusalem mit EinschluB des
nahegelegenen Klosters S.Saba. Demnach konnten
das System und die friihesten Kompositionen des Ha-
giopolites aus Palastina stammen. Die Verwendung
dieser Bezeichnung sowohl im Gesang als auch fur das
Typikon (Ordo) der Kloster (das auch Hagiopolites
heiBt), die zeitliche Ubereinstimmung des Auftretens
der ersten musikalischen Manuskripte mit der gegen-
seitigen Durchdringung des Typikon der Hagia Sophia
und desjenigen der Kloster laBt darauf schlieBen, daB
der musikalische Hagiopolites in den Klostern entstand.
Mit seiner allgemeinen Verbreitung war dann auch die
Vervollstandigung seines hymnologischen Repertoires
sowie - gemaB den Erfordernissen des Offiziums und
der Leiturgia - seine Anwendung auf die verschiedenen
Arten des Singens verbunden. Es sind dies: 1) Das Ge-
nos ekphonetikon (von extpcovqaic;, Lesung), das der
feierlichen Rezitation der biblischen Perikopen (Evan-
gelien, Epistel, Apostelgeschichte, Prophetien) vorbe-
halten ist. Da die ekphonetische Notation, in der diese
Musik aufgezeichnet ist, noch nicht entziffert werden
konnte, ist eine genaue Beschreibung der Gesange nicht
moglich. Doch sowohl die Tradition, als auch eine
Analyse der handschriftlichen Uberlieferung und die
entsprechenden Formeln des Codex Sinaiticus 8, f. 303
(veroffentlicht bei C.Hoeg, La notation ekphonetique)
weisen darauf hin, daB das Genos ekphonetikon aus
Formeln besteht, die einer melodischen Rezitation sehr
ahnlich sind, mit kurzen Notengruppen zu Anfang
sowie an textlich besonders bedeutenden Stellen und
mehr oder weniger langen Melismen, vor allem am
Ende einer Perikope. 2) Das Genos sticherarikon (so
genannt nach den a-zixepa. tSiofxeXa) ; die Formeln sind
meist syllabisch, doch ist mit Riicksicht auf den Text
oder die musikalische Form oft eine Silbe mit mehre-
ren Tonen oder Melisma versehen, vor allem in einigen
Kadenzformeln. Auch die Heirmoi (cEppioi) der Ka-
nones wurden bis ins 14. Jh. im Genos sticherarikon
gesungen, und erst die kukuzelische Epoche gab ihnen
eine eigene musikalische Form. 3) Das Genos des As-
matikon (nach dem Buch, das die Gesange dieser Art
enthalt); die Formeln sind hier stark melismatisch,
doch ergibt eine vergleichende Analyse, daB zumindest
einige von ihnen verwandt sind mit bestimmten For-
meln des Genos sticherarikon, aus dem sie offenbar ab-
geleitet sind. 4) Das Genos des Psaltikon (nach dem
Buch, das diese Gesange enthalt) ; es ist das kunstreich-
ste dieser Genera. Aus dem Zeugnis der Typika, die
diese Melodien als Gesange mit Cheironomie bezeich-
nen, und aus der Analyse der melodischen Formeln
kann mit Sicherheit geschlossen werden, daB die mu-
sikalische Form dieses Genos das Ergebnis einer ver-
feinerten Ausbildung der Rhythmik, Dynamik oder
des Vortrags - der drei durch Cheironomie geregelten
Elemente - darstellt. Die Grundlage auch dieses Genos
scheinen die melodischen Formeln des Genos sticherari-
kon zubilden, so daB einige Formeln offenbar in dreier-
lei Gestalt uberlief ert sind : in den Stichera idiomela, im
Asmatikon und im Psaltikon. Das Verfahren, die Ge-
sange in Hinsicht auf die Cheironomie auszuarbeiten,
ist vermutlich sehr alt und wird nachweislich in der
musikalischen Tradition vieler ostlicher Kirchen auch
heute noch angewendet. - Die Gesange sind nach den
genannten Genera in besonderen liturgischen Buchern
zusammengestellt. Es sind dies : a) Das Sticherarion mit
den Stichera idiomela des ganzen Jahres sowohl f iir die
kalendermaBig fixierten, als auch fur die beweglichen
Feste, sowie mit dem Oktoechos, d. h. dem Zyklus der
Offizien fur die 8 Sonntage, an denen die Auferstehung
Jesu Christi gefeiert wird. b) Das Heirmologion mit
den Heirmoi der Kanones fur das ganze Kirchenjahr;
seine Einteilung entspricht der Reihenfolge der Ton-
132
Byzantinischer Gesang (Melurgie)
arten. Im Heirmologion stehen auch die Makarismoi
der Messe, die stets zusammen mit den Heirmoi iiber-
liefert sind. c) Das Asmatikon enthalt die Koinonika
und Hypakoai fur das ganze Jahr, die Dochai der Pro-
keimena in der Vesper, das Trisagion in der allgemci-
nen Form sowie das der Christusfeste, die Troparia, die
zu Weihnachten und Epiphanias nach der 3. und 6.
Prophetie in der Vesper gesungen werden usw. sowie als
Anhang der Asmata. Nach den Feststellungen Strunks
vereinigt das Asmatikon die dem Volk oder der Ver-
sammlung vorbehaltenen Gesange. d) Das Psaltikon
enthalt die Gesange, die (nach Strunk) dem Solisten
(Psaltes) vorbehalten sind, die aber auch vom Chor
und an einigen Orten im Wechsel mit dem Volk oder
der Versammlung ausgef iihrt werden konnen. Es um-
faBt die Kontakia der kalendermaBig fixierten und der
beweglichen Feste, die Prokeimena der Leiturgia und
der Vesper, die Alleluiaria und Hypakoai fur das ganze
Jahr, Koinonika des Genos psaltikon usw. - Die Asmata
unterscheiden sich von den Gesangen des Hagiopolites
durch das Tonartensystem, vor allem aber dadurch,
daB diese Melodien nicht aus charakteristischen prae-
existenten Formeln zusammengesetzt sind, sondern
unmittelbar komponiert wurden. Doch sind den Me-
lodien nicht selten Formeln des Hagiopolites (unver-
andert oder mit Varianten) eingefiigt. Die Asmata ge-
horen zum Genos kalophonikon, wie aus dem Codex
Messan. gr. 161 hervorgeht; sie sind meist als Anhang
dem Asmatikon beigegeben. Das Repertoire der As-
mata umfaBt (vollstandig oder nur in den solistischen
Teilen) Versus des Hexapsalmos der Matutin, das Poly-
eleos (Ps. 135), das Trisagion aus der Messe des Heiligen
Basilios, den Hymnos cherubikos (GroBer Introitus),
in der kukuzelischen Epoche Asmatikon genannt,
Annagrammatismoi, Kratemata usw.
Das melurgische Repertoire der kukuzelischen Epoche
unterscheidet sich zumindest teilweise von dem der
vorhergehenden Zeit, so daB ebenso wie in der No-
tation auch in der Geschichte des Repertoires des B.n
G.s im Blick auf die oben genannten Kennzeichen von
einer kukuzelischen Epoche gesprochen werden kann.
Ihre Bezeichnung erhielt sie von dem Beinamen Ku-
kuzeles des Johannes Papadopoulos (um 1300), in dem
die Tradition die »Zweite Quelle der byzantinischen
Musik« sieht (die erste ist der Heilige Johannes von
Damaskus). Das Repertoire des Hagiopolites gerat in
der kukuzelischen Epoche zum groBten Teil auBer
Gebrauch. Viele Gesange erhalten neue Melodien, so
die Heirmoi, die allmahlich die Kennzeichen des neuen
Genos heirmologikon annehmen und sich vom Genos
sticherarikon losen. Nur die Stichera idiomela halten,
von geringfiigigen Veranderungen abgesehen, noch
lange an der Tradition fest. Bezeichnend f ur die kuku-
zelische Epoche ist vor allem die starkere Entwicklung
und Bedeutung des Genos kalophonikon, das zwar be-
reits vorher bestand, doch nun auch auf Texte anderer
Gesange, wie die der Stichera idiomela und der Heir-
moi, angewandt wird, die sich so dem neuen Ideal an-
passen. Infolgedessen wechselt auch der Bestand an li-
turgischen Biichern. Die Papadike, die fur die kuku-
zelische Epoche besonders charakteristische Samm-
lung, ist direkt aus dem Asmatikon (mit den Asmata
im Anhang) sowie zum Teil aus dem Psaltikon hervor-
gegangen und enthalt (je nach Vollstandigkeit) unge-
fahr die gleichen Gesange. Die Bedeutung der Papadike
wird noch dadurch erhoht, daB die Handschriften oft
mit einem Traktat iiber die byzantinische Musik be-
ginnen. Erwahnt seien ferner das gewohnliche und das
kalophonische Sticherarion sowie das Heirmologion
mit den Melodien des Genos heirmologikon und des
Genos kalophonikon; dazu kommen spater und in der
modernen byzantinischen Musik das Heirmologion
syntomon und argon.
Mit der durch Erzbischof Chrysanthos von Madytos
(t 1843), Gregorios Levita, Kanzler des Patriarchats
Konstantinopel (f 1822), und Kurzios Georgiu Proto-
psaltes (t 1840) unternommenen Reform der byzantini-
schen Notation begann die moderne Epoche der byzan-
tinischen Melurgie. Die musikalischen Formen und li-
turgischen Biicher dieser Zeit bediirfen keiner Erlaute-
rung, da sie aus der vorhergehenden Epoche ubernom-
men wurden. Auch die neuen Melodien (ausgenommen
einige in jiingster Zeit geschriebene Gesange) entfernen
sich nicht von den traditionellen Modellen.
Das byzantinische Tonartensystem gilt fiir samtliche
byzantinischen Kirchengesange, wie schon aus der Tat-
sache hervorgeht, daB besondere Zeichen die Tonart
anzeigen, in der eine Melodie gesungen wird. Zu un-
terscheiden sind: das Tonartensystem des Hagiopolites,
der Asmata, der kukuzelischen Epoche und der mo-
dernen Zeit. Im Hagiopolites (wie in alien anderen Sy-
stemen) gibt es 8 Haupttonarten, namlich vier authen-
tische (kyrioi) und vier plagale (plagioi); daher tragt
das System den Namen ->■ Oktoechos. - Das Tonge-
schlecht des Hagiopolites ist ausschlieBhch das diatoni-
sche mit 5 Ganz- und 2 Halbtonen in der Oktave. Je-
doch wechselt die Intervallfolge je nachdem, ob das
Oktav- oder Pentachordsystem angewandt wird (das
Pentachord wird auch trochos, Rad, genannt). Fiir jede
Tonart gibt es Intonationsformeln mit bestimmten
Textsilben. Die Schlussel (martyriai) sind eine ver-
kiirzte Form solcher Intonationsformeln. Viele Merk-
male des Tonartensystems des Hagiopolites blieben
auch in denjenigen der Asmata und der kukuzelischen
Epoche erhalten. In der kukuzelischen Epoche tritt der
Gebrauch des Modus legetos (authentisch mit Finalis
e 1 ) und der Chromatik (nenano) starker hervor. Auch
das byzantinische Tonartensystem der modernen Zeit
kennt die acht alten Tonarten, doch zeigt ihre Reihen-
folge eine gewisse Konfusion, die sich kurz vor der
Reform bemerkbar machte ; eine weitere Komplikation
brachte die Einfuhrung nichtdiatonischer Tonarten
mit sich, z. B. der chromatischen II. authentischen und
plagalen Tonart. Die drei nunmehr gebrauchlichen
Tongeschlechter sind das diatonische, chromatische
und enharmonische. Die diatonische Skala besteht aus
»natiirlichen« Intervallen; Chrysanthos teilt die Oktave
in 78 Teile und verwendet grofiere (12 Teile), kleinere
(9 Teile) und kleinste (7 Teile) Intervalle. Die chroma-
tische Skala verwendet Intervalle, die groBer sind als
das »gr6Bere« der diatonischen ; sie wird eingeteilt in
»gespannte« und »weiche« chromatische Skala. Die en-
harmonische Skala besteht aus Ganz- und Halbtonen
und hat 3 Systeme: das Systema diapason (Oktavsy-
stem), das Pentachord- (Trochos-) und das Tetrachord-
system. Die charakteristische Oktave des Oktavensy-
stems ist d-d 1 , das charakteristische Pentachord des Tro-
chossystems d-a, das charakteristische Tetrachord des
Tetrachordsystems c-f . - Zur Auf zeichnung der Gesan-
ge verwendet die byzantinische Musik nicht wie die
westeuropaische eine diastematische Notation, sondern
besondere Zeichen, die die Melodie in ihren konstituti-
ven Noten darstellen oder ihren Verlauf anzeigen. Am
besten unterscheidet man: a) Ekphonetische Notation:
sie ist der f eierlichen Rezitation der biblischen Perikopen
vorbehalten. Hoeg unterscheidet in dieser Notation, in
der die Herkunf t vieler byzantinischer Neumen von den
griechischen Prosodiezeichen deutlich zu erkennen ist,
3 Perioden: die archaische, von den Anfangen bis zum
9.Jh.; die klassische, 9.-13. Jh.; die Verfallszeit, 14.-15.
Jh. Der Deutung dieser Notation stehen noch ernste
Schwierigkeiten entgegen. b) Palaobyzantinische No-
133
Byzantinischer Gesang (Melurgie)
tation: unter diesem Namen werden mehrere No-
tationen zusammengefaBt, die in den Grundziigen
iibereinstimmen, aber im einzelnen charakteristische
Unterschiede aufweisen. Nach Tillyard sind (in der
wahrscheinlichen chronologischen Anordnung) 4 Ar-
ten zu unterscheiden: die Andreatische, Esfingmentia-
nische, Chartres- und Coislin-Notation. Hauptmerk-
mal der palaobyzantinischen Notation ist, daB ihre
Neumen kein bestimmtes Intervall, sondern lediglich
die Grundziige der musikalischen Formeln schriftlich
festhalten, so daB sie dem Sanger nur als Gedachtnis-
stiitze dienen. Die Erforschung dieser Notation ist erst
in jiingster Zeit vorangekommen, seit man erkannt
hat, daB die Gesange des Hagiopolites (nur diese sind
in palaobyzantinischer Notation erhalten) aus charak-
teristischen Formeln zusammengesetzt sind. c) Neo-
byzantinische (auch mittelbyzantinische, runde) No-
tation: im 13. Jh. kam die palaobyzantinische Notation
auBer Gebrauch undwurde von der neobyzantinischen
abgelost; doch reichen deren Urspriinge ins 12. Jh. zu-
riick, so daB eine Zeitlang beide Notationen nebenein-
ander verwendet wurden. Prinzipiell unterscheidet sich
die neobyzantinische Notation von der palaobyzanti-
nischen dadurch, daB sie die Intervalle fixiert und so-
mit eine eindeutige Darstellung der Gesange ermog-
licht. Fur die Deutung des in dieser Notation aufge-
zeichneten B.n G.s miissen die meist in den Papadiken
enthaltenen jiingeren Traktate herangezogen werden.
Diese lehren, daB die Notation als ein lebendiges Gan-
zes betrachtet werden muB, das Korper, Geist und
Wesen (oder Hypostaseis) besitzt. Demnach werden
die Neumen in korperliche und geistige eingeteilt;
die korperlichen konnen allein auftreten, die geisti-
gen nur in Verbindung mit den korperlichen. Mit
den korperlichen Neumen allein (einzeln oder in
Gruppen) sowie mit der Verbindung von korperlichen
und geistigen konnen samtliche Intervalle dargestellt
werden. Die graphischen und qualitativen Unterschie-
de solcher korperlicher Neumen, die die gleichen In-
tervalle darstellen, hangen zusammen mit den Gesetzen
der Cheironomie. GroBe Bedeutung f iir die richtige
Ausfuhrung der durch die Neumen und Neumenver-
bindungen dargestellten Melodien haben die cheiro-
nomischen Zeichen (Grofie Hypostaseis genannt), die
den Rhythmus, die Dynamik und die Vortragsart an-
geben. d) Kukuzelische (auch spatbyzantinische) No-
tation : sie unterscheidet sich von der vorhergehenden
nur durch haufigeren Gebrauch der cheironomischen
Zeichen sowie der Phthorai und durch die allmahliche
Veranderung der Schreibweise einiger Zeichen. e) Mo-
derne Notation: abgesehen von Anderungen der Ge-
stalt einiger Neumen, die sich beim Ubergang zum
Musikdruck ergaben, unterscheidet sie sich von der al-
teren dadurch, daB bei der Reform des byzantinischen
Kirchengesangs eine allzu groBe Zahl von Zeichen
ohne hinreichenden Grund getilgt wurde. Von den
phonetischen Zeichen blieben nur zehn erhalten, von
den cheironomischen acht, denen das Endophonon
zur Bezeichnung des nasalierten Singens hinzugefiigt
wurde. Einige Neumen haben eine von ihrer fruheren
abweichende Bedeutung erhalten.
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1882, II ; ders., Die Metrophonie d. Papadiken, SIMG IX,
1907/08; ders., Die Byzantinische Notenschrift . . ., Lpz.
1909; ders., Studien zur byzantinischen Musik, Byzanti-
nische Notenschrift, N. F., Lpz. 1915; J.-B. Thibaut, La
notation de S. Jean Damscene ou hagiopolite, in : Iswestija
russk. archeol. inst. Konstantinop. Ill, 1898; ders., Etude
de musique byzantine, Le chant ekphonetique, Byzantini-
sche Zs. VIII, 1 899 ; ders., Etude de musique byzantine, La
notation de Koukouzeles, in: Iswestija russk. archeol. inst.
Konstantinop. VI, 1900; ders., Origine byzantine de la
notation neumatique de l'eglise lat., Paris 1907; O. Flei-
scher, Die spatgriech. Tonschrift, = Neumen-Studien III,
Bin 1904; H. A. Gaisser, Les »heirmoi« de paques dans
l'office grec, Rom 1905, dazu H. Riemann, in: ZIMG VII,
1905/06; H. J. W. Tillyard, Fragments of a Byzantine
Mus. Hdb. in the Monastery of Laura .... Annual of the
British School at Athens XIX, 1912/13; ders., Byzantine
Mus. Notation, A Reply, Byzantinische Zs. XXIV, 1923/
24; ders., Signatures and Cadences of the Byzantine Mo-
des, Annual of the British School at Athens XXV, 1 923/25 ;
ders., The Stenographic Theory of Byzantine Music, in:
Laudate II, 1924 - III, 1925, u. Byzantinische Zs. XXV,
1925; ders., Early Byzantine Neumes, in: Laudate VIII,
1930; ders., Early Byzantine Neumes. A New Principle of
Decipherment, ebenda XIV, 1936; ders., Byzantine Neu-
mes. The Coislin Notation, Byzantinische Zs. XXXVII,
1937; ders., The Stages of the Early Byzantine Mus. No-
tation, Byzantinische Zs. XLV 1952; K. A. Psachos, 'H
TtapaoTinavTiKii tfj? PuCavtivfji; uouaiKfj?, Athenl917;E.
Wellesz, Zur Entzifferung d. byzantinischen Notenschrift,
in: Oriens Christianus, N. S. VII, 1 91 8; ders., Die byzantini-
schen Lektionszeichen, ZfMw XI, 1928/29; ders., Studien
zur Paleographie d. byzantinischen Musik, ZfMw XII,
1929/30; ders., Ein griech. Evangelium d. Wiener Natio-
nalbibl KmJb XXV, 1930; ders., Das Problem d. by-
zantinischen Notationen ..., in: Byzantion, 1930; ders.,
Die Epochen d. byzantinischen Notenschrift, in: Oriens
Christianus III, 7, 1932; ders., Early Byzantine Neumes,
MQ XXXVIII, 1952; E. Koschmieder, Die ekphonetische
Notation in kirchenslawischen Denkmalern, in: Siidost-
Forschungen V, 1940; ders., Zur Bedeutung d. russ. litur-
gischen Gesangstradition f. d. Entzifferung d. byzantini-
schen Neumen, in: Kyrios V, 1940/41 ; ders., Die altesten
Novgoroder Hirmologien-Fragmente, 3 Bde, Miinchen
1952-58; O. Strunk, Intonations and Signatures of the
Byzantine Modes, MQ XXXI, 1945; ders., The Notation
of the Chartres Fragment, Ann. mus. Ill, 1955; B. Di Sal-
vo, La notazione paleobizantina e la sua trascrizione, Atti
del 1° Congresso internazionale di Musica sacra, Rom
1950; ders., La notazione paleobizantina e la sua trascri-
zione, Bollettino della Badia Greca di Grottaferrata, N. S.
IV, 1950; ders., La trascrizione della notazione paleobi-
zantina I— II, ebenda V, 1 95 1 . BDS
135
C, - i) Ton-Name: In der lateinischen -> Buchstaben-
Tonschrift ist C im allgemeinen die 3. Stufe. Seit Zar-
lino (1571) ist der Ionius mit dem Grundton C primo
modo. C wurde dadurch zum Ausgangspunkt fur die
Konstruktion von Tonsystem und Quintenzirkel. Bei
den romanischen Volkern haben die Solmisationssil-
ben Ut (heute nur noch in Frankreich iiblich) und
- seit dem 17. Jh. - Do den Buchstaben verdrangt. Die
Erniedrigung um einen Halbton heiBt Ces (engl. C
flat; frz. ut bemol; ital. do bemolle), um 2 Halbtone
Ceses (engl. C double-flat ; frz. ut double bemol ; ital.
do doppio bemolle), die Erhohung um einen Halbton
Cis (engl. C sharp; frz. ut diese; ital. do diesis), um 2
Halbtone Cisis (engl. C double-sharp; frz. ut double
diese; ital. do doppio diesis). - 2) Schliissel: Schon bei
Guido von Arezzo erscheint C als Clavis signata, d. h.
der Tonbuchstabe wird auf einer Notenlinie vorge-
zeichnet. Die Form des neueren C-Schliissels ist aus
dem Buchstaben entstanden (-»■ Schliissel). - 3) Takt-
zeichen : C und zeigen den 4/4- und Allabrevetakt
an. Sie sind aus dem Halbkreis als Zeichen fiir das Tem-
pus imperfectum entstanden und ahneln dem Buchsta-
ben C nur zufallig. - 4) Seit Anfang des 19. Jh. werden
in theoretischen Werken Akkorde mit -> Buchstaben-
Tonschrift bezeichnet (C bedeutet den C dur-Drei-
klang, c den C moll-Dreiklang) ; im -»- Klangschliissel
treten Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart
nur durch ihren Grundton zu bezeichnen, wurde im
19. Jh. dahin ausgelegt, dafi C fiir C dur, c fiir C moll
stand. - 5) Abk. fiir Cantus sowie fiir -*■ Cent.
Cabaletta (frz. cavalette; von ital. cobola, cobbola,
s. v. w. Strophe), seit dem 18. Jh. eine kurze Arie ein-
facherer Art (-» Kavatine). Vor allem im 19. Jh. hei-
Ben C. die haufigen Strettaabschliisse in italienischen
Opernarien und -duetten, durch deren pragnanten
Rhythmus eine Steigerung herbeigef iihrt wird, z. B. die
Arie der Violetta im 1. Akt von Verdis La Traviata.
Lit. : N. Pirrotta, Falsirena e la piii antica delle cavatine,
CHM II, 1957.
Cabaza (kav'asa, auch cabaca, port., Kiirbis; auch
chaquere oder xaque genannt), aus Brasilien stammen-
des Musikinstrument, das aus einer ausgehohlten Kale-
basse besteht, die an einem Stiel befestigt und mit ei-
nem Netz von Perlenkugeln iiberzogen ist, jedoch im
Unterschied zu den ->■ Maracas keine Fiillung hat. Die
C. wird in der linken Hand gehalten und in beiden
Richtungen zum Drehen gebracht, wahrend die Rech-
te mit der flachen Hand gegen die Kalebasse schlagt
und die Perlenkugeln zum Klappern bringt. Der Klang
ahnelt dem der Maracas. Das Instrument wird bei den
lateinamerikanischen Tanzen, vornehmlich bei der
-> Samba, verwendet.
Caccia (k'attja, ital., Jagd), eine im 14. Jh. in Italien,
besonders in Florenz, auftretende Dichtungs- und
Kompositionsform. Der Name C. lafit sich aus dem
Stoffkreis der Texte erklaren, die vor allem Jagdszenen
behandeln. Lebendige, realistische Situationsschilde-
rungen, knappe Diktion, erregte Dialoge und Zurufe
sind typisch fiir die C.-Texte, die aber auch andere
Themen einbeziehen, bei denen diese Darstellungswei-
se zur Geltung kommt, wie Feuersbrunst, Fischfang,
Jahrmarkt u. a. Der metrische Textbau schlieBt in zwei
HSilblern mit Endreim, was auf die literarische Her-
kunft aus dem Madrigal hindeutet. Als Dichter der C.
sind Niccolo Soldanieri sowie die Briider Franco und
Giannozzo Sacchetti bekannt. Der Name C. hat auBer-
dem auch eine musikalische Bedeutung : die verwende-
te Kanontechnik gilt schon in Quellen des 14. Jh. unab-
hangig von Textmerkmalen als Kennzeichen der Cacie
sive Incalci (so in dem von Debenedetti herausgegebenen
anonymen Traktat). Die franzosische -*■ Chasse und
die in eine iiltere Schicht weisenden Pilgerkanons von
Montserrat (mit dem Vermerk Ca$a de duobus vel tribus)
zeigen ebenfalls, daB die fruhe Kanontechnik u. a. als
»Jagd« verstanden und bezeichnet wurde. Es ist noch
nicht geklart, ob diese Namensgebung urspriinglich
auf der Vorstellung von sich »jagenden« Stimmen, auf
der Bevorzugung von Jagddarstellungen im Text oder
bereits auf einer Sinnverbindung beider Motive be-
ruhte. - Die C. ist stets dreistimmig, wobei die beiden
Oberstimmen einen Kanon im Einklang mit weitem
Einsatzabstand bilden. Die stiitzende, meist instrumen-
tale Unterstimme nimmt nicht am Kanon teil und ist
im Gegensatz zur sonst verbreiteten Praxis jener Zeit
keinem vorgegebenen Cantus entnommen. Die Ka-
nonstimme beginnt oft mit einer Longa und anschlie-
Bendem Melisma und miindet durch Kadenz in einen
ausgehaltenen konsonanten Klang, der zugleich Ein-
satz der nachahmenden Stimme ist. Die Zurufe im
Text werden drastisch durch Hoquetustechnik darge-
stellt. Im Ritornell, das sich gewohnlich, aber nicht
immer, anschlieBt, werden die Oberstimmen frei oder
abermals kanonisch gef iihrt. Da die textlichen und mu-
sikalischen Charakteristika der C. nicht stets zusammen
auftreten, ist es geboten, zwischen beiden zu unter-
scheiden. Bisher sind 20 Stiicke der musikalischen Gat-
tung C. bekannt, von denen textlich nur 14 als C, die
ubrigen als Madrigal (5) oder franzosische Chanson
(1) anzusprechen sind. 5 weitere Werke stehen in enger
Nachbarschaf t, obwohl sie trotz Kanontechnik musika-
lisch nicht zum C.-Typ gezahlt werden konnen: 4 da-
von haben Madrigaltext, sind aber entweder uberhaupt
nur zweistimmig (3) oder dreistimmig mit Quint-
kanon zwischen Mittel- und Unterstimme (De'dimmi
tu von Landini); diese werden als kanonische Ma-
drigale bezeichnet. Ein Werk mit C.-Text (Apposte
tnesse) bildet nach Art der Chasse einen 3st. Kanon (die-
se Satzweise auch im Ritornell von Nel bosco). Jacopo
da Bologna, Giovanni da Firenze, Piero, Landini, Nic-
colo da Perugia u. a. sind in diesem etwa zwischen 1340
und 1380 entstandenen Repertoire vertreten. Als mu-
sikalischer Typ trat die C.danach zuriick; unter Auf-
gabe des strengen Kanons gewann allerdings die Satz-
136
Caecilianismus
anlage von imitierendem Oberstimmenduett und
stiitzender Unterstimme (welche nach H.BesselerVor-
laufer eines »Harmonietragers« ist) auch im 15. Jh. Be-
deutung. Die C.-Dichtung lebte in einzelnen Beispie-
len (darunter den Madrigalen I cani sono fuora und Cac-
ciando un giorno vidi una cervetta von Ciconia) weiter
und beeinfluBte gegen Ende des 15. Jh. die Canti car-
nascialeschi, bei denen Beschreibungen der Jagdkunst
oft zu zweideutigen Anspielungen benutzt wurden.
Auf die C. zu beziehen ist wohl auch die Bemerkung
im Breslauer Mensuraltraktat aus dem Anfang des 15.
Jh. : katschctum est, quod habet tres choros in se cum tenore
et suo contratenore.
Ausg.: Fourteenth-Cent. Ital. Cacce, hrsg. v. W. Th. Mar-
rocco, = The Mediaeval Acad, of America Publications
XXXIX, Cambridge (Mass.) 1942, 21961; The Music of
Fourteenth-Cent. Italy, hrsg. v. N. Pirrotta, = CMM
VIII, Amsterdam seit 1954. -J. Wolf, Gesch. d. Mensural-
notation II— III, Lpz. 1904; O. Ursprung, Span.-katalani-
sche Liedkunst d. 14. Jh., ZfMw IV, 1921/22.
Lit. : G. Carducci, Cacce in rime dei s. XIV e XV, Bologna
1896; J. Wolf, Florenz in d. Mg. d. 14. Jh., SIMG III,
1901/02; ders., Ein Breslauer Mensuraltraktat d. 15. Jh.,
AfMw I, 1918/19, S. 336; H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2,
Lpz. 1905, 2 1920; F. Novati, Per l'origine e la storia delle
cacce, Studi medievali II, 1906/07; S. Debenedetti, Un
trattatello del s. XIV sopra la poesia mus., ebenda; A. Ein-
stein, Eine C. im Cinquecento, Fs. R. v. Liliencron, Lpz.
1910; Fr. Ludwig, in: Adler Hdb. ; H. Besseler, Die Mu-
sik d. MA u. d. Renaissance, Bucken Hdb. ; ders., Bourdon
u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; F. Torrefranca, II segreto
del Quattrocento, Mailand 1939; F. Ghisi, Due saggi di
cacce inedite ..., Rinascita XXIII, 1942; ders., Bruch-
stiickeeinerneuenMusikhs.,AfMf VII, 1942; N. Pirrotta,
Per l'origine e la storia della »c.« e del »madrigale« trecen-
tesco, RMI XLVIII-XLIX, 1946-47; K. v. Fischer, Stu-
dien zur ital. Musik d. Trecento u. fruhen Quattrocento,
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden
Ges. II, 5, Bern (1956), S. 34ff. eine Zusammenstellung d.
Cacce; ders., On the Technique, Origin, and Evolution of
Ital. Trecento Music, MQ XLVII, 1961. KJS
Cachucha (katf'utfa, span.), spanischer Tanz im Drei-
ertakt (3/4, 3/8) von maBig schneller Bewegung, eine
Abart des ->- Fandango, urspriinglich zur Gitarre ge-
sungen und von einer Frau getanzt. 1836 brachte die
Wiener Tanzerin F. ElBier die C. auf die Biihne.
Cadence (kad'a:s, frz.) -»■ Kadenz. Im Barock u. a.
gleichbedeutend mit Tremblement (-»■ Triller). J. S.
Bach bezeichnet mit C. den Doppelschlag (Clavier-
biichlein fur W.Fr.Bach).
Caecilianismus heifit die nach der hi. -»- Caecilia be-
nannte kirchenmusikalische Reformbewegung inner-
halb der katholischen Kirche des 19. Jh., die aus dem
Riickverlangen nach einer an Palestrinas Musik orien-
tierten a cappella-Kunst hervorging, sich als Reaktion
gegen die instrumentale Kirchenmusik der Klassik ver-
stand und als Parallele zum Nazarenertum der zeitge-
nossischen Malerei angesehen werden kann. - Zu den
friihesten Zeugnissen, die in diese Richtung weisen,
zahlen die Schriften J. G. Herders (Cdcilia, 1793, in:
Sammtliche Werke . . . XX, herausgegeben von J. v.
Miiller, Stuttgart 1830), W.Wackenroders (Phantasien
uber die Kunst, 1799) und Kompositionen E. T.A.Hoff-
manns (Canzoni per 4 voci alia Capella, 1808) sowie der
ihm zugeschriebene Aufsatz Alte und neue Kirchenmusik
(1814). GroBe Verbreitung erlangte Thibauts Schrift
Uber Reinheit der Tonkunst (1825), in der die Kirchen-
musik Haydns, Mozarts und Beethovens verworfen
wird zugunsten der Vokalkunst Palestrinas und seiner
Nachfolger. In der Berliner Singakademie wurden
schon vor 1797 ein 16st. Kyrie von Canniciani, ein Mi-
serere von L.Leo und Teile der 16st. Messe von C.Fr.
Fasch eingeubt und 1800 das Crucifixus von Lotti, 1801
eine Motette und um 1816 die Missa Papae Marcelli von
Palestrina studiert. Der ersten Sammlung G. v. Tuchers
(1827) mit Werken von Palestrina, Vittoria, Nanini
und Anerio folgten bald weitere von Fr.Rochlitz
(1835), S.Dehn (1837) und Fr.Commer (1839). 1828
veroffentlichte G.Baini eine Palestrina-Monographie,
die durch Fr. S. Kandlers und R. G. Kiesewetters Auszug
1834 auch in Deutschland bekannt wurde; 1832 er-
schien C. v. Winterfelds Schrift uber Palestrina. P. Al-
fieri legte zwischen 1841 und 1846 in 7 Foliobanden
Werke Palestrinas vor. - Zentrum der aus dem roman-
tischen Historismus hervorgegangenen Kirchenmusik-
rcstauration wurde Siiddeutschland. In Miinchen fiihr-
te C.Ett alte Vokalwerke auf und komponierte nach
diesen Vorbildern Musik im »echten Kirchenstile«.
Neben ihm trat K. Aiblinger mit Orchestermessen in
einem gereinigten Stil hervor. In Regensburg bemiihte
sich K. Proske, der auf Italienreisen eine kostbare Hand-
schriftensammlung zusammentrug, um die kirchen-
musikalische Restauration; doch gelang es ihm trotz
der Unterstutzung Ludwigs I. von Bayern und des Re-
gensburger Bischof s M. Sailer noch nicht, den lokalen
Rahmen der Reform zu erweitern. Erst die Konstitu-
ierung des Allgemeinen Cacilienvereins fiir die Lan-
der deutscher Zunge (ACV) brachte im letzten Drittel
des Jahrhunderts die entscheidende Wendung. Sie ist
im wesentlichen das Werk Fr. X.Witts. Dieser hatte in
seiner Schrift Der Zustand der katholischen Kirchenmusik
zunachst in Altbayern (1865) ein Programm zur Regene-
ration der Kirchenmusik aus dem Geiste der Liturgie
aufgestellt und fortan mit den von ihm ins Leben ge-
rufenen Fliegenden Blatternfur katholische Kirchenmusik
und der Zeitschrift Musica sacra fiir dessen Ausfiihrung
geworben, bis 1868 der ZusammenschluB Gleichge-
sinnter zum ACV gelang. Die Organisation war von
dem Ziel geleitet, die Reformen des -*■ Tridentiner
Konzils (1545-63) erneut zu verwirklichen und einen
allgemein verbindlichen kirchenmusikalischen Stil zu
schaffen. 1870 wurde sie von Pius IX. durch das Breve
Multum ad commovendos animos bestatigt. Mit Hilfe der
dem ACV angegliederten Institutionen : des Vereins-
katalogs mit »wiirdiger« Kirchenmusik, der Kirchen-
musikschule in Regensburg (gegr. 1874- von Fr.X.
Haberl), der Unterrichtskurse und Musterauffuhrun-
gen anlaBlich der Generalversammlungen, vermochte
Witt zugleich als Generalprases, Redakteur, Dirigent,
Komponist und »Wanderapostel« den Gedanken einer
choralgebundenen Kirchenmusik bis in die kleinsten
Gemeinden auszubreiten. - Wenn auch der caciliani-
schen Bewegung der liturgische Ernst der Kirchenmu-
sik eines Liszt (Missa choralis), Bruckner, Rheinberger
und J.E.Habert zu verdanken ist, deren Wert freilich
von strengen Cacilianern in Frage gestellt wurde, so be-
deutet doch die in unmittelbarem Zusammenhang mit
der Arbeit des ACV entstandene Kirchenmusik kein
Ruhmesblatt in deren Geschichte. Ihr kompositorisch
nur durchschnittliches Niveau kann weder mit dem er-
strebten kirchlichen Zweck noch mit dem Hinweis auf
Palestrina verteidigt werden. Die an Palestrina orien-
tierte Auffassung vom Choral, wie sie Fr.X. Haberl
teilte, erwies sich als besonders folgenschwer fiir den
ACV: Haberl hatte seinen papstlich privilegierten »Re-
gcnsburger« Choralausgaben die Fassung der ~> Editio
Medicaea von 1614 zugrunde gelegt; durch P.Wagner
und Dom A.Mocquereau wurde ihre Unhaltbarkeit
erwiesen und eine auf alteren Quellen fuBende Neu-
ausgabe ermoglicht. Pius X. sanktionierte (1903) diese
als -»■ Editio Vaticana seit 1905 erschienene Choralaus-
gabe und verurteilte damit Haberls Choralarbeiten.
Eine zweite Krise ahnlichen AusmaBes erlebte der
ACV um 1900, als sich ein Teil seiner Mitglieder von
137
Caen
der ausschlieBlichen Palestrina-Nachfolge abkehrte
und im AnschluB an den Zeitstil Chromatik und Leit-
motivik in dieKirchenmusik einfiihrte (P. Griesbacher).
Seither hat der ACV kein Stilideal mehr mit Aus-
schlieBlichkeit vertreten, sondern im Sinne der papst-
lichen Erlasse (-> Liturgie) bis in die Gegenwart hinein
die Kirchenmusik in alien ihren Formen gepflegt.
Lit. : A. Walter, Cacilianische Kirchenmusik-Reform, in :
Cacilienkalender I, 1876; A. D. Schenk, Zwei wichtige
Fragen d. Kirchenmusik-Reform, Regensburg 1877; K.
Greith, Uber d. Reform in d. kath. Kirchenmusik, Ein-
siedeln 1878; O. Ursprung, Palestrina u. Palestrina-Re-
naissance, ZfMw VII, 1924/25; ders., Die kath. Kirchen-
musik, Biicken Hdb. ; K. G. Fellerer, Grundziige d.
Gesch. d . kath . Kirchenmusik, Paderborn 1 929 ; ders., Der
Cacilienver., NZfM CXI, 1950; ders., Bedeutung u. Auf-
gabe d. ACV, Zs. f. Kirchenmusik LXXV, 1955; ders.,
Der Allgemeine Cacilien-Verband, Musica sacra LXXVII,
1957; J. Haas, Die Aufgabe d. ACV ... in d. Gegenwart,
ebenda; R. Quoika, Ober d. C.-Cyrilismus in Bohmen,
KmJb XLVIII, 1964. RG
Caen.
Lit.: J. A. Carlez, La musique a C. de 1066 a 1848, M6-
moires de l'Acad. Nationale des sciences, arts et belles-
lettres de C, 1876; ders., La musique et la soc. caennaise
au XVIII e s., ebenda 1884; A. Bloch-Michel, Melanges
sur la vie mus. a C. au XVI C et XVII e s., Etudes normandes
LXXXIII, 1957.
Caisse (ke:s, frz., Kiste), Trommel, auch Resonanz-
kasten; c. claire, c. a timbre (timbre, Schnarrsaite), c.
plate (auch tarole), kleine Trommel; grosse c. (auch
tonnant), groBe Trommel; c. roulante, c. sourde, Roll-,
Ruhr-, Wirbeltrommel.
Cakewalk (k'e:kwa:k, engl.), ein pantomimischer,
grotesk gestalteter Tanz der nordamerikanischen Ne-
ger, der um 1870 aufkam, in die Minstrelsy gelangte
und um 1900, vor allem als Buhnen- und Schautanz,
auch in Europa Mode wurde. Der C. steht im syn-
kopischen 2/4-Takt. In der Kunstmusik hat ihn De-
bussy in seiner Klaviersuite Children's Corner (6. Satz,
1906/08) als Vorbild verwendet.
calando (ital.), nachlassend, abnehmend an Lautstarke
wie an Lebendigkeit, wie morendo, also zugleich di-
minuendo und ritardando.
Calata, italienischer Tanz des 15. und 16. Jh. von
rascher Bewegung im geraden Takt (4/4 oder 12/8),
wobei jedoch drei geradzahlige Einheiten zu einem
3teiligen MaB zusammengefaBt werden (bei 2/4 also
3 x 2/4 = 3/2). Der alteste literarische Beleg findet
sich um 1435 in einem Gedicht von Simone di Golino
Prudenziani. Der Mailander Lautenist J. A. Dalza un-
terscheidet 1508 Calate ala spagnola und ala italiana.
Calvinistische Musik ist, als gottesdienstliche Musik,
auf Einstimmigkeit beschrankt, bibeltextlich, fast aus-
schlieBlich an die Psalmen gebunden und fur den pro-
testantisch-reformierten Gottesdienst bestimmt, wie er
der Lehre ihres Begriinders -*>■ Calvin entspricht. Im
Unterschied zur Kirchenmusik lutherischer Pragung
werden nur Bibeltexte verwendet, die, durch CI.
-> Marot und Theodore de Beze in Versf orm gebracht,
mit eigenen Melodien versehen wurden. Die wichtig-
sten Sammlungen von franzosischen Psalmliedern und
Cantica, die als Gesangbiicher der Gemeinde dien-
ten, sind: Aulcuns pseaulmes et cantiques mys en chant
(StraBburg 1539: 18 Psalmen, Lobgesang Simeons,
Glaubensbekenntnis, Zehn Gebote, darunter einige
poetische Versuche von Calvin selbst neben Psalmen
von Marot) ; La Forme des prieres et chants ecclesiastiques
(der erste Genfer Psalter, 1542) ; erweiterte Psalter er-
schienen in Genf 1543 (mit 50 Psalmen, alle von Ma-
rot) und 1551 (mit 34 Psalmen von de Beze) ; 1562 er-
schien der vollstandige Psalter mit 125 Melodien zu
den 150 Psalmen. Die Mitarbeit (1543) von G. ->■ Franc,
dem spater in Lausanne wirkenden Kantor, ist wahr-
scheinlich. Als Melodieerfinder ragt L. -> Bourgeois
hervor, dem etwa ein Drittel der Melodien zu verdan-
ken ist. Die letzten Melodien (1562) schuf vielleicht P.
-> Dagues. Allen Melodien ist ein fliissiger Duktus ge-
meinsam; sie verwenden nur die Notenwerte Semi-
brevis (lang) und Minima (kurz) und deklamieren den
Text rein syllabisch. Die calvinistischen Psalmlieder
fanden sehr bald weite Verbreitung : in Deutschland ab
1573 durch die beriihmte Ubertragung A. Lobwassers.
In den Niederlanden waren gereimte Psalmen in hol-
landischer Sprache schon 1540 erschienen, die soge-
nannten ->• Souterliedekens. Eine hollandische Fassung
des Genfer Psalters (durch Petrus Dathenus) wurde
1568 (Synode von Wesel) offiziell gebilligt, verdrangte
allmahlich die Souterliedekens und blieb bis in die 2.
Halfte des 18. Jh. allgemein in Gebrauch, bis heute in
einigen Provinzen. Neuere Textfassungen erschienen
1949 (offiziell gebiOigt) und 1961. - Der Genfer Psalter
beeinfluBte maBgebend den Kirchengesang in Eng-
land ; ein erster Versuch erschien 1556 (Druckort Genf),
dem zahlreiche englische Ausgaben folgten. Neben
Genfer Melodien, die iibernommen wurden, entstan-
den eigene Weisen, die in alien englisch sprechenden
Landern Verbreitung fanden und bis heute gesungen
werden. Hervorzuheben sind die Psalter von Sternhold
und Hopkins (ab 1556), John Daye (1567), Ravenscroft
(1621), Playford (1677), Tate und Brady (1696); auch
in Schottland erschien eine Reihe von Psaltern mit zum
Teil Genfer Melodien, z. B. in Edinburgh 1564. Durch
Emigranten wurde der Gesang der Psalmen in die calvi-
nistischen Gemeinden des amerikanischen Erdteils ein-
gefiihrt; Genfer Melodien fanden dort Aufnahme be-
sonders durch englische und hollandische Ubertragun-
gen. - Seit dem Anfang des 18. Jh. hat eine Auflocke-
rung der strengen calvinischen Observanz eingesetzt:
neben den Psalmen wurden immer mehr neuere Dich-
tungen (cantiques) eingefiihrt, die die alten Psalmen
beinahe verdrangten, so daB der gesamte Psalter, mit
den Melodien des 16. Jh., jetzt nur noch in den refor-
mierten Gemeinden Hollands und Norddeutschlands
gesungen wird. - Die Genfer Melodien, die in der Kir-
che einstimmig ohne jede Begleitung erklangen, wur-
den in den Hausern (es maisons) um so eifriger mehr-
stimmig gespielt und gesungen, und zwar in C. f.-
Satzen aller Schwierigkeitsgrade, von der rein homo-
phonen bis zur groBangelegten Komposition. An
Komponisten sind zu nennen: A.Mornable, P.Certon
(1546), L. Bourgeois (1547, 1554), A. Le Roy und G.
Morlaye (Lautensatze, 1552, 1554), Cl.Janequin (1555,
1559), J.Louys (5st. Satze, 1555), J. Arcadelt (1559), Ph.
Jambe de Fer (1559, 1564), Th. Champion (1561), CI.
lejeune (ab 1564), P. de L'Estocart (1583), A. Pevemage
(1589). Cl.Goudimel (f 1572) hat den Psalter 3mal
durchkomponiert: 1. groBangelegte Motettenbiicher
(ab 1557) ; 2. einfache homophone Satze (1562, kom-
plett 1564-65); 3. C. f.-Satze in koloriertem Kontra-
punkt (1568). Die groBte Bedeutung kommt J. P. Swee-
linck (1562-1621) zu mit seinen 4-8st. Bearbeitungen in
4 Biichern (ab 1604 in Amsterdam, mit franzosischem
Text). Auch unter den Instrumentalwerken von Swee-
linck befinden sich Kompositionen iiber Psalmlied-
C. f . Neben ihm sind als Orgelkomponisten H. Speuy
(1610) und A. van Noordt (1659) zu nennen. Auch in
England entstanden in der elisabethanischen Zeit mehr-
stimmige Satze zu Genfer Psalmliedern (Th.Morley,
J. Bull, Th.Tallis u. a.). In der Gegenwart wurde der
Wert dieser alten Meiodien erneut anerkannt; davon
zeugen u. a. A. Honegger (Le Roi David), H. Gagnebin,
P. Muller-Ziirich und B.Reichel.
138
Camerata
Ausg. : Aulcuns pseaulmes et cantiques mys en chant,
StraBburg 1539, Faks. hrsg. v. D. DeleTra, Genf 1919;
R. R. Terry, Calvins First Psalter 1539, London 1932; La
forme des prieres et chants ecclesiastiques, Genf 1 542, Faks.
hrsg. v. P. Pidoux, Kassel 1959; Les pseaumes . . . mis en
musique a 4 parties par CI. Goudimel, Genf 1565, Faks.
hrsg. v. P. Pidoux u. K. Ameln, Kassel 1935; Cent cin-
quante pseaumes de David . . . mis en musique . . . par P.
de l'Estocart, Genf 1583, Faks. hrsg. v. H. Holliger u. P.
Pidoux, = DM1 1, 7, 1954.
Lit. : F. Bovet, Hist, du psautier des eglises reformees, Pa-
ris 1872; O. Douen, CI. Marot et le psautier huguenot, 2
Bde, Paris 1878-79; P. A. Scholes, The Puritans and Mu-
sic in England and New England, London 1934; W. S.
Pratt, The Music of the French Psalter of 1 562, NY 1939;
H. Bruinsma, The Souterliedekens and Its Relation to
Psalmody in the Netherlands, Ann Arbor (Mich.) 1948 ; H.
P. Clive, The Calvinist Attitude to Music and Its Literary
Aspects and Sources, = Bibl. d'Humanisme et de Renais-
sance, Travaux et documents XX, Genf 1958; P. Pidoux,
Le psautier huguenot duXVI e s., 2 Bde, Basel 1962. PP
Calypso, ein Tanz mit dem Rhythmus:
!(od«*)j"33 j"3 ji j bZ w. run n n
, J ., k rj J Der C. stammt aus Trinidad,
> wo er zu Beginn des 20. Jh.
von den Farbigen mit Begleitung von Rhythmusin-
strumenten gesungen und getanzt wurde. Der C. ist als
gesungener Tanz seit 1957 (Harry Belafonte, Banana-
boat) in Europa bekannt und zum Modetanz geworden.
Lit. : N. R. Ortiz Oderigo, El »C.«, expresion mus. de los
negros de Trinidad, in : Miscelanea de estudios dedicados
F. Ortiz II, Habana 1956; D. J. Crowley, Toward a De-
finition of C, in: Ethnomusicology III, 1959.
Cambiata, Nota cambiata (ital., vertauschte Note,
Wechselnote) ist ein dissonierender Ton, der an der
Stelle eines konsonierenden steht. Als C. bezeichnete
A.Berardi den Transitus irregularis (Jeppesen: »relativ
betonte Durchgangsdissonanz« ; Beispiel 1), J.J.Fux
die von oben eingefiihrte und zur Unterterz absprin-
gende Dissonanz auf unbetonter Zeit (Beispiel 2 und 3) :
<U= ■ 2l ■'■■ 3
mr
||J IHIJTJJJq EP^
r
pm^f
r
Die dritte und vierte Viertelnote in Beispiel 1 sind Note
cambiate, »vertauschte Noten«, weil die Dissonanz be-
tont statt unbetont und die Konsonanz unbetont statt
betont ist, die Noten (note mutate oder cambiate) also
solcher gestalt mit und anter einander uerwechselt sind (J. G.
Walther 1732). Palestrina verwendet die »Berardische
C.«, die Chr.Bernhard Quasi-Transitus nannte, vor
allem in der Gegenstimme einer synkopierenden Dis-
kantklausel (Beispiel 1). Die »Fuxsche C.« (Fuxsche
Wechselnote) beruht nach Fux auf der Vertauschung
einer Konsonanz, der Sexte h 1 , mit einer Dissonanz,
der Septime c 2 (Beispiel 2 und 3). Sie ist bei Palestrina
die einzige Ausnahme von der Regel, daB eine Disso-
nanz durch einen Sekundschritt aufgelost werden soil.
Ist die halbe Note, die der C.-Dissonanz folgt, unbe-
tont, so mufi sie durch einen Sekundschritt aufwarts
fortgesetzt werden, den Jeppesen als verzogerte Auf-
losung der C.-Dissonanz iriterpretierte (Beispiel 2) ; ist
sie betont, so kann an der Stelle des Sekundschritts ein
Terzsprung aufwarts stehen (Beispiel 3).
Lit.: A. Berardi, Miscellanea mus., Bologna 1689; J. J.
Fux, Gradus ad Parnassum, Wien 1725, Faks. Rochester
(N. Y.) 1956, engl. v. A. Mann als: Steps to Parnassus,
NY 1943, deutsche Teilausg. v. A. Mann, Celle 1938;
WaltherL, Artikel Note mutate; B. Ziehn, Uber d. C. u.
andere altklass., melodische Figuren, AMz XXV, 1898;
Kn. Jeppesen, Der -Palestrinastil u. d. Dissonanz, Lpz.
1925; Die Kompositionslehre H. Schutzens in d. Fassung
seines Schiilers Chr. Bernhard, hrsg. v. J. M. Muller-
Blattau, Lpz. 1926, Kassel 21963; C. Dahlhaus, Die
»Nota c.«, KmJb XLVII, 1963.
Cambrai.
Lit. : J. Houdoy, Hist, artistique de la cathedrale de C,
Memoires de la Soc. des sciences, . . . de Lille IV, 7, Lille
1880; A. Durieux, Le theatre a C. avant et depuis 1789,
Memoires de la Soc. d'emulation de C. XXXIX, 1883 ; G.
Arduin u. A. Dassonville, A travers chants. Le college de
C. a travers les ages 1270-1911, C. 1912; F. Delcroix, La
musique a C, la mattrise de C, Memoires de la Soc. d'emu-
lation de C. LXVIII, 1921 ; Ch. Dancourt, Notes comple-
mentaires sur les musiciens a C, ebenda LXXV, 1928.
Cambridge.
Lit. : W. Glover, Memoirs of a C. Chorister, London 1 883 ;
G. Fr. Cobb, A Brief Hist, of the Organ in the Chapel of
Trinity College, C. 1891 (1913); Chr. Fr. Abdy Williams,
An Hist. Account of Mus. Degrees at Oxford and C, Lon-
don 1894; Th. Dart, L'enseignement mus. d'aujourd'hui
a C, RMB II, 1948; N. C. Carpenter, Music in the Me-
dieval and Renaissance Univ., Norman/Okla. (1958).
Camerata (ital.) hieB eine Vereinigung nach Art ei-
ner ->■ Akademie im Hause des Grafen G. Bardi in Flo-
renz, wo von der Mitte der 70er bis zu Beginn der 80er
Jahre des 16. Jh. »nicht nur ein groBer Teil des Adels,
sondern auch die ersten Musiker, gelehrten Manner,
Dichter und Philosophen der Stadt« (Caccini 1601,
Vorrede) zusammentrafen. In weiterem Sinne werden
alle Komponisten der C. zugezahlt, die - obgleich im
einzelnen verschiedene Wege einschlagend - bis um
1600 in Florenz an der Entstehung des begleiteten Solo-
gesangs und der Oper mitwirkten. Zentrales Zeugnis
fur die musikalischen Interessen der eigentlichen C. ist
V. Galileis Dialogo della musica antica et della moderna
(Florenz 1581), der als ein Gesprach zwischen Bardi
und P. Strozzi dargestellt wird. Darin ubernimmt Gali-
lei - zum Teil wortlich - Ansichten des in Rom leben-
den florentinischen Philologen G.Mei, die dieser ihm
seit 1572 in einer Reihe ausfuhrlicher Brief e dargelegt
hatte. Auf Meis Forschungen beruht vor allem die
grundlegende Forderung des Dialogo : Wiederbelebung
der antiken Einstimmigkeit als Voraussetzung fiir jene
Verschmelzung von Textvortrag, Affektausdruck und
Gesang, auf der die machtvolle Wirkung der alten Mu-
sik beruht habe. Aus dieser Uberzeugung ergab sich ei-
ne grundsatzliche Ablehnung der zeitgenossischen
Mehrstimmigkeit, besonders eine Polcmik gegen ihren
angesehensten Theoretiker, Galileis einstigen Lehrer
Zarlino, die - von Galilei bereits 1578 in einem unge-
druckten Brief an Zarlino eroffnet - in dessen Soppli-
menti musicali (Venedig 1588) und Galileis Discorso in-
torno all'opere di messer G. Zarlino (Venedig 1589) fort-
gefuhrt wurde. Galileis Dialogo bringt keine Darstel-
lung der Kompositionsweise, die seinem neuen Ideal
entsprache ; seine praktischen Versuche im neuen Stil,
2 Klagen des Jeremias und die Klage des Ugolino (aus
Dantes Inferno XXXIII; alle 3 nicht erhalten), die er
1582 der C. vortrug, konnten offenbar nicht uberzeu-
gen. Jedenfalls hat Galilei in den f olgenden Jahren nicht
mehr fiir Bardi komponiert, dagegen wieder Lauten-
satze und mehrstimmige Madrigale herkommlicher
Art. Erhaltene Kompositionen von Bardi (in den In-
termedien von 1589) und Strozzi (in der Festmusik von
1579, gcdruckt bei Ghisi 1939) weichcn vom alteren
Stil nur in der ziemlich streng festgehaltenen Homo-
rhythmik ab. Das fruheste uberlieferte Werk, in dem
die -»• Monodie im Sinne des neuen Stile recitativo
oder rappresentativo voll ausgebildet erscheint, sind G.
Caccinis Le nuove muskhe (Florenz 1601, aber zum Teil
schon in den 1580er Jahren komponiert und der C. vor-
getragen). Caccinis Zugehorigkeit zur C. ist auch da-
durch bezeugt, daB Bardi fiir ihn einen Discorso sopra la
139
Campana
musica antica e'l cantar bene (vor 1590, gedruckt bei Do-
ni II) schrieb und ihn regelmaBig zu den musikalischen
Intermedien der groBen Hoffeste heranzog, die nach
Bardis Leitgedanken in Szene gesetzt wurden. Dage-
gen erscheint E. de' Cavalieri als Rivale Bardis. Seine
Berufung als Generalinspektor der Kiinste und Kiinst-
ler am Hof von Florenz (1588) ubertrug ihm Aufgaben,
die bis dahin Bardi wahrgenommen hatte, und hangt
mit einer politischen Entwicklung zusammen, die Bar-
di veranlaBte, 1592 als papstlicherKammerer nach Rom
zu gehen. Cavalieri fiihrte in Florenz 1590-95 drei Fa-
vole pastorali mit eigener Musik (nicht erhalten) auf und
machte damit jene literarisch-theatralische Gattung
heimisch, die eine Vermischung der Stilbereiche er-
laubt und es dem Komponisten ermoglicht, durch das
Abwechseln von einfachen Lied- und Tanzsatzen (die
mehrfach wiederholt werden konnen) und rezitativi-
schen Abschnitten musikalische Szenen zu formen.
Nunmehr entstand in der Nachfolge der eigentlichen
C. durch die Arbeit einer Gruppe unter dem Patronat
von J.Corsi die erste ->■ Oper: La Dafne (1598; von
der Musik nur Bruchstiicke erhalten), Text von O.
Rinuccini, Musik von J. Peri und Corsi.
Ausg.: Les fetes de Florence (1589) I, Musique des inter-
medes de la Pellegrina, hrsg. v. D. P. Walker, F. Ghisi u.
J. Jacquot, Paris 1963; G. Caccini, Le nuove musiche,
Florenz 1601 u. 6., Faks. hrsg. v. F. Mantica, Rom 1930, u.
hrsg. v. Fr. Vatielli, Rom 1934, engl. Ubers. in: O. Strunk,
Source Readings in Mus. Hist., NY 1950; J. Peri, Le Mu-
siche . . . sopra l'Euridice, Florenz 1601, Venedig 2 1608,
Faks. Mailand 1934, Neudruck in: Torchi VI.
Lit. : G. Mei, Letters on Ancient and Modern Music to V.
Galilei and G. Bardi, hrsg. v. CI. V. Palisca, = MSD HI,
(Rom) 1960; V. Galilei, Dialogo della musica antica et
della moderna . . ., (1581), Faks. hrsg. v. F. Fano, Rom
1934; G. B. Doni, Lyra Barberina, 2 Bde, hrsg. v. A. F.
Gori u. G. B. Passeri, Florenz 1763 ; A. Solerti, Le origini
del melodramma, Turin 1903; ders., Gli albori del melo-
dramma, 3 Bde, Mailand 1904-05 ; R. Haas, Die Musik d.
Barocks, Biicken Hdb., S. 17ff. ; ders., Auffuhrungspraxis
d. Musik, Biicken Hdb., S. 141ff.; H. Martin, La C. du
Comte Bardi, Rev. de Musicol. XIII, 1932; F. Fano, Ein-
leitung zu Istituzioni e monumenti dell'arte mus. ital. IV,
Mailand 1934 ; N. Valle, Le origini del melodramma, Rom
1936; F. Ghisi, Le feste mus. della Firenze medicea, Flo-
renz 1939; ders., Alle fonti della monodia, Mailand 1940;
ders., An Early Seventeenth Cent. Ms., AMI XX, 1948;
D. P. Walker, Mus. Humanism ..., MR II, 1941 - III,
1942, deutsch = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; L. Schra-
de, Monteverdi, NY (1950); N. Pirrotta, Tragedie et co-
medie dans la C. fiorentina, in : Musique et poesie au XVI e s.,
= Colloques internationaux du Centre national de la Re-
cherche scientifique, Sciences humaines V, Paris 1954;
ders., Temperaments and Tendencies in the Florentine C,
MQ XL, 1954; L. Schrade, D. P. Walker u. F. Ghisi in:
Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1 956 ;
W. V. Porter, The Origins of Baroque Solo Song, 2 Bde,
Diss. New Haven (Conn.) 1962, maschr.
Campana (mittellat., ital. und span. ; altfrz. campane)
ist in der Bedeutung von Glocke als Latinisierung einer
ahnlichen osteuropaischen Wortsippe zuerst belegt bei
Fulgentius Ferrandus (um 515); die Verkleinerungs-
form ist campanella (altere Form campanula oder cam-
panola, davon verkiirzt -> nola), Glockchen. In Orche-
sterpartituren entsprechen Campanelli dem modernen
(Orchester-) -> Glockenspiel, Campane (tubolari) den
-> Rohrenglocken, Campanacci den (z. B. bei Strauss
und Mahler verlangten) Viehschellen bzw. Kuhglok-
ken. - Im spaten 17. Jh. ist C. auch eine Orgelstimme
(Stab- oder Glockenspiel); J.S.Bach verlangt in der
Kantate Schlage doch, gewiinschte Stunde (BWV 53)
zwei »Campanella«, Glockchen in der Stimmung e
und h, als Pedalstimme der Orgel. - N. Paganinis zwei-
tes Violinkonzert op. 7 tragt den programmatischen
Titel La Campanella (danach auch Liszt, Nr 3 der Etu-
des ... d'apres Paganini, 1838, sowie in Grande Fan-
taisie de bravoure sur la Clochette de Paganini, 1832).
Lit. : Adlung Mus. mech. org. ; L. Wiener, Byzantinisches
II, Zs. f. romanische Philologie XXXV, 1911; SachsL; Fr.
Dick, Bezeichnungen f. Saiten- u. Schlaginstr. in d. altfrz.
Lit., = GieBener Beitr. zur romanischen Philologie XXV,
GieBen 1932; Fr. J. Dolger, Glockchen im Ritual d. Ar-
valbriider?, in: Antike u. Christentum, hrsg. v. dems., IV,
4, Minister i. W. 1934.
Canarje (frz.), ein exotischer Paartanz des 16." Jh., der
zuerst 1552 von D.Pisador genannt wird und mogli-
cherweise von den Kanarischen Inseln durch Spanien
an Frankreich vermittelt wurde. Die C. ist ein schnel-
ler Tanz im 3/8-, 6/8- oder 3/4-Takt. Als Gebrauchs-
tanz wird sie schon in den Tanzbiichern-von Caroso
(1581), Arbeau (1588) und Negri (1604) beschrieben.
In der franzosischen und deutschen Klavier- (Cham-
bonnieres, Couperin, J.S.Bach) und Orchestersuite
(Lully, G. Muff at, Kusser, Telemann, J.S.Bach) und in
der deutschen Klaviermusik des 18. Jh. kommt die C,
auch als Typus der -> Gigue, vor.
SB=
C. aus J. C. F. Fischers Pieces de Clavessin op. 2
(1696, Nachdruck 1698 als Musicalisches Blumen-
Biischlein).
Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA v.
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; M.
Praetorius, Terpsichore 1612, GA Bd XV, Wolfenbuttel
u. Bin 1 929 ; M attheson Capellm. ; WaltherL ; Quantz
Versuch; P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 2.
Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 1921.
Cancan (kak'a, frz., Larm, auch Chahut), franzosi-
scher Gesellschaftstanz, der nach der Julirevolution
von 1830 in Paris aufkam. Er steht in lebhaftem 2/4-
Takt und kann als eine Nachahmung des Fandangos be-
trachtet werden. Der C. war einer der beliebtesten
Tanze, wenngleich die Indezenz seiner Ausfiihrung ihn
bald in Verruf brachte und er von der Obrigkeit als
offentliches Argernis verfolgt wurde. Alphons Karr (in
den Feuilletons Guepes) berichtet von verschiedenen Ab-
arten des C, deren bekannteste, der Robert-Macaire,
von Frederique Lemaltre in Benjamin Anders Me-
lodram Auberge des Adrets (1. Akt) getanzt worden war.
Im Variete wurde er chorisch von Frauen als Biihnen-
schautanz ausgefiihrt und hat sich im »Moulin-Rouge«
bis ins 20. Jh. als Montmartre-Attraktion halten kon-
nen. In der Operette hat ihn 1854 Herve {La Perle d' Al-
sace) und als Galop Infernal Offenbach in Orphee aux
Enfers (1858) verwendet.
Lit. : H. Heine, in : Der Karneval in Paris, 1 842 ; A. Moss u.
E. Marvel, C. and Barcarolle, NY 1954.
Cancionero (kanOian'ero, span., von cancion, Lied;
galicisch-port. cancioneiro, s, v. w. Liedersammlung ;
c. musical popular, Volksliedersammlung), im allge-
meinen Sammlung von Gedichten eines oder mehrerer
Dichter, auch aus verschiedenen Epochen, die fur den
Gesang bestimmt und teilweise mit Notenschrift iiber-
liefert sind (c.s musicales). Im besonderen versteht man
unter C.s Liederbucher einer Dichter- bzw. Kompo-
nistengruppe, die an einem fiirstlichen Hofe wirkte.
Die altesten uberlieferten C.s entstammen dem gali-
cisch-portugiesischen Kulturkreis (-» Cantigas). Die
wichtigsten C.s musicales des 16.-17. Jh. sind:
1) C. musical de Palacio (C. Barbieri; Madrid, Bibl.
140
cantabile
Real, ms. 2-1-5, olim 1335), mit urspriinglich 304,
jetzt 249 Folios. Der alte Index nennt 551 Stiicke; er-
halten sind 459, davon 9 ohne Noten, 4 in doppelter
Aufzeichnung. An Komponisten erscheinen neben J.
del Encina (62 Stiicke) u. a. Fr.Millan (23), Gabriel
(= G.Mena; 19), Escobar (18), Fr. de la Torre (15), J.
Ponce (12), Mondejar (11), Alonso (11), Penalosa (10),
Badajoz (8), Anchieta (7), L. de Baena (7), Madrid (4),
Aldomar (3), Almorox (3), Troya (3), Urreda (3),
Brihuega (2), Contreras (2), A. de Cordoba (2), Cor-
nago (2), Enrique (2), J. de Espinosa (2), Gijon (2),
Triana (2), Ajofrin (1), A. de Alva (1), G.Brocco (1),
G. Fogliano (1), Josquin (1), Morton (1). Die Texte sind
meist kastilisch, doch auch italienisch, portugiesisch
und franzosisch. Die 2— 4st. Satze werden im alten In-
dex klassifiziert in weltliche und geistliche Villancicos,
Estranbotes und Romances; ferner finden sich einige
italienische Frottole und instrumentale Stiicke. Diese
umfangreichste und bedeutendste Quelle spanischer
weltlicher Mehrstimmigkeit im friihen 16. Jh. wurde
um 1500-30 vermutlich fur die Musiker des Konigs
Ferdinand des Katholischen oder des Herzogs von Alba
(dem J. del Encina um 1492-98 diente) geschrieben.
Ausg. : C. mus. de los s. XV y XVI, hrsg. v. Fr. A. Barbieri,
Madrid (1890), Neudruck Buenos Aires 1945; C. mus. de
Palacio, hrsg. v. H. Angles, = La miisica en la corte de
los Reyes Catolicos II— III, = MMEsp V u. X, Madrid
1947-51.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920; R.
Mitjana, Nuevos notas sul »C. mus. de los s. XV y XVI«
.. . . , Revista de filologia espanola V, 1 9 1 8 ; H. Angles, Die
span. Liedkunst im 15. u. am Anfang d. 16. Jh., Fs. Th.
Kroyer, Regensburg 1933; M. Schneider, Existen ele-
mentos de miisica popular en el ,C. mus. de Palacio' ?, AM
VIII, 1953; R. Stevenson, Span. Music in the Age of Co-
lumbus, Den Haag 1 960.
2) C. musical de Sevilla (Sevilla, Bibl. Colombina, ms.
7-1-28), mit urspriinglich 107, heute 90 Folios, tragt
den alten Titel: Cantilenas vulgares puestas en miisica por
varios espaiioles. Er enthalt 95 3-4st. Satze; an Kompo-
nisten sind neben Triana (20 Stiicke) u. a. Cornago
(5-6), Urreda (3), Ockeghem (1-2), Gijon (1) und Fr.
de la Torre (1) vertreten. Die meisten Texte sind kasti-
lisch, 12 lateinisch und 2 franzosisch. 20 Satze finden
sich auch im C. musical de Palacio.
Ausg.: Cantilenas vulgares ..., hrsg. v. R. Stevenson,
Lima 1958 (Texte).
Lit.: R. Stevenson, Span. Music in the Age of Columbus,
Den Haag 1960, darin 13 Stiicke.
3) C. musical de Elvas (Elvas, Bibl. Publia Hortensia,
ms. 11973), enthalt 65 2-3st. Stiicke mit kastilischem
(51) oderportugiesischem (14) Text, meist in einfachem
akkordischem Satz. Davon finden sich 14 auch im C.
musical de Palacio, darunter 4 Satze von J. del Encina
sowie 3 von Escobar.
Ausg.: O C. mus. e poetico da Bibl. Publia Hortensia,
hrsg. v. M" Joaquim, Coimbra 1940.
4) C. de Uppsala (Uppsala, Univ.-Bibl., vol. mus.,
i.Tr.6.II), die einzige gedruckte Quelle dieses Reper-
toires: Villancicos de diversos autores . . ., Venedig 1556,
enthalt 48 kastilische, 4 katalanische und 2 portugiesi-
sche Stiicke zu 2-5 St., darunter 6 Satze von J. del En-
cina sowie je einen von Flecha, Carceres, Gombert,
Morales und Valderrabano.
Ausg. : C. de Upsala, hrsg. v. R. Mitjana, J. Bal y Gay u.
I. Pope, Mexiko 1944. - Cincuenta y cuatros canciones
espaiioles del s. XVl, C. de Uppsala, hrsg. v. R. Mitjana,
Uppsala 1909 (Textausg.).
Lit.: L. Querol Roso, La poesia del C. de Uppsala, in:
Anales de la Univ. de Valencia X, 1929/30; J. Moll, Un
villancico de Morales . . ., AM VIII, 1953.
5) C. musical de la Casa de Medinaceli (Madrid, Bibl.
de la Casa del Duque de Medinaceli, ms. 13230), mit
urspriinglich 235, jetzt 207 Folios, enthalt 76 geistliche
unci 99 (davon 2 doppelt) weltliche Stiicke zu 3-5 St.
An Komponisten sind u. a. vertreten: Fr. und P.
Guerrero (15 Stiicke), G. de Morata (13), O. de Lassus
(1) sowie eine Reihe weiterer Meister, die zumeist in
Andalusien wirkten. Unter den weltlichen Stiicken
iiberwiegen Madrigale; daneben finden sich Cancio-
nes, Villancicos, vereinzelt auch Romances, Villanescas
sowie eine Ensalada. Das in der 2. Halfte des 16. Jh.
entstandene Manuskript weist Konkordanzen mit den
C.s de Palacio (2) und Uppsala (1) auf.
Ausg. : C. mus. de la Casa de Medinaceli I, Polifonia pro-
fana, hrsg. v. M. Querol Gavalda, 2 Bde, = MMEsp
VIII-IX, Madrid 1949-50.
6) C. musical y poetico del siglo XVII (C. Sablonara;
Miinchen, Bayerische Staatsbibl., Mus. ms. E), mit 84
Folios, enthalt 75 2-4st. Kompositionen iiber welt-
liche kastilische Texte. Unter den Dichtern sind Que-
vedo, Gongora und Lope de Vega hervorzuheben,
unter den Komponisten Romero (22 Stiicke), J.Blas de
Castro (20), A. de los Rios (9), G.Diaz Besson (8) und
M.Machado (4). Neben Romances stehen auch Villan-
cicos, Canciones, Novenas, Decimas, Folias. Das Ma-
nuskript, von CI. de la ->■ Sablonara 1624-25 (nach
Pfandl) fiir Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neu-
burg geschrieben, gilt als kostbarste Quelle der spani-
schen Mehrstimmigkeit im friihen 17. Jh.
Ausg. : C. mus. y po6tico del s. XVII, recogido por CI. de
la Sablonara, hrsg. v. J. Aroca, Madrid 1916 (auf Um-
schlag: 1918).
Lit.: R. Mitjana, Comentarios y apostillas al »C. poetico
y mus. del s. XVII . . .«, Revista de filologia espanola VI,
1919; L. Pfandl, Uber einige span. Hss. d. Munchener
Staatsbibl. I, in: Homenaje a Menendez Pidal II, Madrid
1925 ; C. S. Smith, Documentos referentes al »C.« de CI. de
la Sablonara, Revista de filologia espanola XVI, 1929.
7) C. musical de Olot (Olot, Bibl. Piiblica, ms. I-VIII),
mit urspriinglich mindestens 170, jetzt 137 Folios, ent-
halt 74 3^4st. Stiicke, iiberwiegend Villancicos und
Romances. Die meisten Texte sind kastilisch, 3 kata-
lanisch. An Komponisten sind J.Pujol (16 Stiicke),
J. B. Comes (3) und andere, vorwiegend katalanische
Meister der 1. Halfte des 17. Jh. vertreten.
Lit.: J. Romeu Figueras, Las poesias catalanas del ms.
mus. de Olot, AM XVIII, 1963 ; M. Querol Gavalda, El
C. mus. de Olot, ebenda, mit Verz.
Allgemeine Lit. zu d. C.s mus.: H. Angles, Einleitung zu
MMEsp I, 1941 ; ders. u. J. Subira, Cat. mus. de la Bibl.
Nacional de Madrid I, Barcelona 1946; J. Romeu Figue-
ras, La poesia popular en los c. mus. espaiioles . . ., AM
IV, 1949; A. Lerrea PalacIn, La cancion popular en el
tiempo de los Reyes Catolicos, in: Curso de conferencias
sobre la politica africana de los Reyes Catolicos IV, Ma-
drid 1952; M. Querol Gavalda, El romance polifonico
en el s. XVII, AM X, 1955.
cancricans, cancrizans (lat., von cancer, Krebs), im
-*■ Krebsgang riickwarts schreitend.
cantabile (ital. ; frz. chantable), sangbar, gesangvoll.
Schon Zarlino forderte, che le parti delta cantilena siano
c: cioe che cantino bene (Istitutioni Itarmoniche 1558, III,
34). Im spateren 17. Jh., namentlich in Siiddeutschland
(Froberger, Kerll, Muffat und in der Niirnberger Schu-
le vor und um Pachelbel), und im 18. Jh. allgemein
wurdc Cantabilitat (ein iibcrall dominirendes C, Hein.i-
chen 1728) zu einer Grundforderung der Komposition,
speziell der Instrumentalmusik. Cantabel - das schonste
in der Musik (Mozart Versuch I, 3, § 27) - bedeutet
jetzt: leicht faBlich, flieBend, ungektinstelt, ausdrucks-
voll setzen und spielen; Sangbarkeit der Kompo-
sition in alien Stimmen, die wie singend vorzutra-
gen sind (so daB jedem Musiker die Singkunst zu stu-
dieren und gute Sanger zu horen empfohlen wird, da-
141
Cantatorium
mit er singend dencken lernt, Bach Versuch I, 3, § 12) ;
Meidung aller kiinstlichen und ausgesuchten Auszierung
(Scheibe, S. 397) ; kleine Intervalle, liedhafte Periodik,
maBig langsame Bewegung (hierzu Quantz Versuch,
XVII, VII, § 51: aufeinjedes Achttheil ein Pulsschlag).
J.S.Bach, der im Titel seiner Auffrichtigen Anleitung
(1723; hierzu Forkel, S. 28ff.) eine cantable Art als Lehr-
ziel polyphonen Spiels nennt, bildete in verschiedenen
Werkcn namcntlich der Kothcner Zeit cincn Typus des
C. in Satz- und Motivbau heraus, so im SchluBsatz des
5. Brandenburgischen Konzerts (1721, BWV 1050),
wo jeweils der kontrapunktische Satz abbricht, der
BaB nur noch die schweren Taktteile markiert und
uber den Begleitfiguren die Melodiestimme bereits
jene Verbindung bewegter Auftakte und langgehalte-
ner Motivschliisse zeigt, die W.Fischer (S. 50) als das
Wesen kantabler Motivbildung des Wiener klassischen
Stils beurteilt. Ahnlich angelegt ist das C. im SchluB-
satz der 3. Gambensonate (urn 1720, BWV 1029) und
in der Sinfonia der Kantate Am Abend aber desselbigen
Sabbats (1731, BWV 42). Vollendung findet die vor-
klassische instrumentale Kantabilitat und kantable Mo-
tiv- und Satzbildung bei Beethoven, der dem 2. Satz
seiner 2satzigen Klaviersonate op. 90 (1814) im Sinn
von c. den Titel gibt : Nicht zu geschwind und sehr sing-
bar vorgetragen.
Lit.: WaltherL; J. A. Scheibe, Der critische Musicus,
Hbg 2 1 745 ; KochL ; J. N. Forkel, Uber J. S. Bachs Leben,
Kunst u. Kunstwerke, hrsg. v. J. M. Miiller-Blattau, Augs-
burg 1925, Kassel 21932, •'1950; W. Fischer, Zur Entwick-
lungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMw III, 1915; H. Bes-
seler, Bach als Wegbereiter, AfMw XII, 1955.
Cantatorium (lat, Gesangbuch) ist die schon im 1.
romischen Ordo (Ende 7. Jh.) vorkommende Bezeich-
nung fur das zumeist hochformatige, oft in kostbarem
Einband gehaltene Buch, das die solistisch vorzutragen-
den MeBgesange (Graduale, Tractus, Alleluia- and
Offertoriumsverse) nach dem Kirchenjahr geordnet
enthalt. Dazu kommen zuweilen auch die sonst in be-
sonderen Gesangbiichern aufgezeichneten Sequenzen,
Tropen, Ordinariums- und Prozessionslieder. Das al-
teste erhaltene Exemplar stammt aus dem 8. Jh. (Dom
zu Monza). Das C. kam im 13. Jh. wieder auBer Ge-
brauch; die solistisch ausgefiihrten Teile der Messe wa-
rm nun im vollstandigen Missale oder ->■ Graduale
nachzuschlagen.
Ausg.: C. (Codex 359 St. Gallen, 9. Jh.), Paleographie
mus., Serie 2, II, 1924.
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I, Freiburg i. d. Schweiz 1895, Lpz. 3 1911, Neudruck
Hildesheim u. Wiesbaden 1962.
Cante chico, Cante jondo (k'ante tj'iko, - x'ando,
span.) -> Flamenco.
Canticum (lat., Gesang) heiBen die seit fruhchristli-
cher Zeit in der Liturgie verwendeten lyrischen Texte
der Bibel, die nicht aus dem Psalmenbuch stammen,
aber nach Inhalt und Form den Psalmen gleichen. Heu-
te sind im Gebrauch im romisch-katholischen Gottes-
dienst die drei neutestamentlichen Cantica (C. Beatae
Mariae Virginis: Magnificat = Luc. 1, 46-55; C. Za-
chariae: Benedictus Dominus Deus Israel = Luc. 1, 68-
79; C. Simeonis: Nunc dimittis = Luc. 2, 29-32); sie
bilden den Hohepunkt von Laudes, Vesper und Kom-
plet. Die alttestamentlichen Cantica (besonders zu er-
wahnen sind C. Moysis: Cantemus Domino = Ex. 15,
1-19; C. trium puerorum: Benedicite, omnia opera Do-
mini, Domino = Dan. 3, 57-88 und 56) sind in die Psal-
modie der Laudes eingereiht. Auch werden Cantica in
der Messe der Quatembersamstage und in der Oster-
nachtsfeier verwendet. - Einzelne Cantica des Alten
Testaments waren wohl schon Bestandteil der jtidi-
schen Liturgie. In den friihchristlichen Vigilfeiern f olg-
ten bisweilen responsorisch vorgetragene Cantica auf
die Lesungen. Von hier wurden sie in das Morgenof-
fizium (Laudes) ubernommen. Benedikt von Nursia
(t 547) bezeugt in seiner Regel (Kap. 13) den Gebrauch
der Cantica in den Laudes als bereits bestehenden ro-
mischen Brauch. Seit dem 5. Jh. finden sich iiberdies in
den Bibelhandschriften (z. B. im Codex Alexandrinus)
Gruppen von 9 oder 14 Cantica als Anhang zum Psal-
ter. Die heute geltende Verteilung der Cantica auf die
Laudes der einzelnen Wochentage gilt erst seit der Bre-
vierreform durch Pius X. (1911), bei der die vorher
gebrauchliche Zahl von 7 Cantica verdoppelt wurde.
Zusammen mit den Psalmen wurden unter Pius XII.
(1945) auch samtliche Cantica neu ins Lateinische iiber-
setzt. - Gegenuber den alttestamentlichen Cantica und
dem C. Simeonis, deren Vortrag stets der antiphoni-
schen Offiziumspsalmodie entspricht, besitzen Magni-
ficat und Benedictus melodisch reicher ausgebildete
Psalmformeln (heute ad libitum bei feierlichen Gele-
genheiten) ; in alien 3 neutestamentlichen Cantica wird
bei jedem Vers das Initium gesungen (Toni commu-
nes II). Im Unterschied hierzu folgen die Osternachts-
cantica dem Vorbild einer Tractusmelodie. - Neute-
stamentliche Cantica gehoren zum festen Bestandteil
auch der lutherischen und calvinistischen Kirchenmusik.
Lit. : S. Baumer OSB, Gesch. d. Breviers, Freiburg i. Br.
1895, erw. frz. v. R. Biron, Hist, du breviaire I, Paris 1905 ;
P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melodien
III, Lpz. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962;
Dictionnaire d'archeologie chretienne et de liturgie II, Pa-
ris 1925 ; J. Pascher, Das Stundengebet d. romischen Kir-
che, Miinchen (1954); Leiturgia IV, Kassel 1961.
Cantjgas (span., altere Aussprache cantigas), Melo-
dien mit weltlichen oder geistlichen volkssprachigen
(galicisch-portugiesischen) Texten, die im 13. Jh. zur
Bliite kamen am Hofe des musikkundigen Konigs Al-
fons X., des Weisen (el Sabio), von Kastilien und Leon
(f 1284). An weltlichen C. (C. de amigo, C. de amor,
C. de escarnio u. a.) sind fast 1700 iiberliefert in 3
zentralen Handschriften (cancioneiros), die zwar No-
tenlinien, aber keine Noten enthalten: 1) Cancioneiro
da Ajuda (Sigel: CA; Lissabon, Bibl. da Ajuda), un-
vollstandig, enthalt auf jetzt 88 Folios 310 zum Teil
fragmentarische C. de amor; diese sind zu 38 Gruppen
zusammengefaBt, deren jede vermutlich das Lieder-
heft eines Sangers darstellt. Entstand diese Handschrift
um 1300, so handelt es sich bei den beiden folgenden
um Manuskripte des 16. Jh., die im Auftrag des Hu-
manisten Angelo Colocci (f 1548) angelegt wurden:
2) Cancioneiro da Vaticana (Sigel: CV; Rom, Bibl.
Vaticana, cod. vat. 4803) mit 210 + 18 Folios, und
3) Cancioneiro Colocci Brancuti (Sigel: CB; Lissabon,
Bibl. Nacional; friiher im Besitz des Conte Brancuti
di Cagli) mit 355 Folios; dieser enthalt alle bekannten
weltlichen C. Dariiber hinaus nennt ein eigenhandiger
Index Coloccis (Rom, Bibl. Vaticana, cod. vat. 3217)
noch 75 Incipits nicht erhaltener C.
Melodien sind nur zu den geistlichen C. iiberliefert,
Lobgesangen zu Ehren der Mutter Maria (C. de Santa
Maria, auch Loores et Milagros de Nuestra Seriora),
ebenfalls mit galicisch-portugiesischem Text, von de-
nen 427 erhalten sind, teils mehr erzahlenden, teils
mehr lyrischen Charakters. In der Kathedrale von Se-
villa, in der Alfons beigesetzt wurde, befanden sich bis
zum 17. Jh. die beiden kostbarsten, reich illuminierten
und mit Noten versehenen Pergamenthandschriften,
die dann von der Escorial-Bibliothek ubernommen
wurden: ein Codex (Signatur: T. j. 1) von 256 Folios
mit 193 Liedern und uber 1000 Miniaturen sowie ein
Codex (Signatur: j. b. 2) von 361 Folios mit uber 400
142
Cantio
Liedern und 40 Vignetten; die Niederschrift beider
Manuskripte war nach 1279 abgeschlossen. Ein dritter
Codex des alfonsinischen »Liederbuchs auf die Jung-
frau Maria« (bereits nach 1257 abgeschlossen) enthalt
auf 160 Folios 128 Lieder; er befand sich in Toledo
und wird seit 1869 in der Nationalbibliothek Madrid
(Signatur: 10069) aufbewahrt. Hinzu kommt noch
eine Handschrift aus der Florentiner Biblioteca Nazio-
nale (Signatur: II, 1, 213), die auf 131 Folios 109 Texte,
jedoch keine Noten enthalt. - Die C. wurden von
christlichen, jiidischen und maurischen Spielleuten, die
am Hof tatig waren, vorgetragen (vokal-instrumental).
Die Formen der C. - bestimmt durch den Wechsel
Vorsanger/Chor - sind sehr unterschiedlich; es gibt
Virelai-, Rondeau- und andere Liedformen, die teil-
weise von der franzosischen Musik her bekannt waren.
Die Melodien ahneln mitunter dem Choral, den Me-
lodien der Troubadours, dem franzosischen Lai, dem
Volkslied oder dem Tanzlied; vereinzelt sind es auch
Kontrafakturen. Umstritten sind die Frage nach dem
personlichen Anteil des Konigs Alfons des Weisen an
Text und Musik der C. de Santa Maria, der EinfluB
arabischer Strophendichtung auf die Form der C. so-
wie die Ubertragung der - von Angles mensural ge-
deuteten - Notation.
Ausg. : O Cancioneiro da Ajuda, hrsg. v. C. Michaelis de
Vasconcellos, 2 Bde, Halle 1904; ders., hrsg. v. H. H.
Carter, NY u. Oxford 1941 ; ders., hrsg. v. Marques Bra-
ga, 2 Bde, Lissabon 1945. - 11 canzoniere port, della Bibl.
Vaticana, hrsg. v. E. Monaci, Halle 1875; ders., hrsg. v. T.
Braga, Lissabon 1878. - II canzoniere port. Colocci-Bran-
cuti, pubblicato nelle parti che completano il cod. vat. 4803,
hrsg. v. E. G. Molteni, Halle 1880; Cancioneiro da Bibl.
Nacional antigo Colocci Brancuti, hrsg. v. E. P. u. J. P.
Machado, 2 Bde, Lissabon 1949-50. - C. d'amigo dos tro-
vadores galego-port., hrsg. v. J. J. Nunes, 3 Bde, Coimbra
1926-28; C. d'amor . . ., hrsg. v. dems., Coimbra 1932. -
La musica de las c. de S. Maria del rey Alfonso el Sabio,
hrsg. v. H. Angles, 4 Bde, = Diputacion provincial de
Barcelona, Bibl. central, Publicaciones de la Seccion de
musica XIX, XV u. XVIII, 1-2, 1943-64, Bd I (Publ. XIX)
= Faks. d. Ms. El Escorial j. b. 2, Bd 111,1 (Publ. XVIII.l)
mit einer Abh. v. H. Spanke, Die Rhythmik d. C. ; La mu-
sica delas c, hrsg. v. J. Ribera y Tarrag6, Madrid 1922,
Faks. u. t)bertragung d. Ms. Madrid, unzuverlassig; Al-
fonso el Sabio, C. de S. Maria, hrsg. v. L. Cutto, Marques
de Valmar, 2 Bde, Madrid 1889, Textausg. ; dass., hrsg. v.
W. Mettmann, 2 Bde, (Coimbra) 1959-61, Textausg.
Lit. : J. Ballera, Las c. de Alfonso el Sabio, Madrid 1882;
C. Michaelis de Vasconcellos u. T. Braga, Gesch. d.
port. Lit., in: GrundriB d. romanischen Philol. II, 2, hrsg.
v. G. Grober, StraBburg 1897 ; P. Aubry, Iter Hispanicum,
Paris 1908; A. G. Solalinde, El codice florentino de las
c Revista de filologia espanola V, 1918; N. Aita, O
codice florentino das C. . . ., Revista de lingua port. XIII,
1 92 1 ; E. Lopez Aydillo, Los cancioneros gallego-port.
como fuentes hist., Rev. hispanique LVII, 1923 ; Fr. Lud-
wig, in : AdlerHdb. ; R. Menendez Pidal, Poesia juglares-
ca . . ., Madrid 1924, «1957; J. Ruggieri, Le varianti del
canzoniere port. Colocci Brancuti . . . , Arch. Romanicum
XI, 1927 ; K. Axhausen, Die Theorien iiber d. Ursprung d.
prov. Lyrik, Diss. Marburg 1937; A. Salazar, Poesia y
musica en las primeras formas de versificacion rimada . .
Revista de filosofia y letras IV, 1943 ; F. F. Lopes, A musica
das ,C. de S. Maria' . . . , in : Broteria XL, 1945 ; M. Schnei-
der, A proposito del influjo arabe . . ., AM I, 1946; H.
Spanke, La teoria arabe . . . , ebenda; J. Guerrero Lovil-
lo, Las c, Madrid 1949; P. Le Gentil, La poesie lyrique
espagnole et port, a la fin du moyen age, 2 Bde, Rennes
1 949-52 ; E. S. Procter, Alfonso X of Castile, Oxford 195 1 .
Cantilena (lat.), Lied, Melodie, Gesang; bezeichnet
insbesondere : - 1) den lateinischen Kirchengesang (C.
romana, Gregorianischer Gesang), speziell die lied-
haften Teile der Liturgie im Unterschied etwa zur
Psalmodie ; Notker nennt die Sequenzmelodien, Ekke-
hard IV. die Tropen cantilenae. - 2) in der Organum-
lehre des 9.-10. Jh. auch den organalen Gesang liturgi-
scher Cantica oder Carmina sacra : ... ea nobilis c. quam
diaphoniam vocitamus, id est organicum tnelos (CS II, 74;
diaphonia c, GS I, 165b). - 3) das weltliche, lyrische
und epische 1st. Lied und Spielmannslied (C. ioculato-
ris), so das Spottlied, auch die Chanson de geste (z. B.
C. Rolandi, Rolandslied) ; Dante (De vulgari eloquentia
II, 8) unterscheidet den hohen (tragischen) Stil der
Cantio von dem hoch-niederen (tragisch-komischen)
der C, die er als kleine Cantio erklart (cantilenam vo-
camus per diminutionem). - 4) das Tanzlied, auch In-
strumentalstiick; J. de Grocheo beschreibt um 1300 als
C.-Arten der in Paris gebrauchlichen Musica vulgaris
die gesungene und gespielte Rotunda (oder Rotundel-
lus, -> Rondeau), Stantipes (-»- Estampie) und Ductia.
- 5) Im 13.-15. Jh. heifit C. auch der mehrstimmige
Liedsatz mit weltlichem Text, namentlich die Refrain-
formen. C. nennt Franco von Koln vor 1250 eine jener
Spezies des Discantus (simpliciter prolatus), die in alien
Stimmen gleichen Text haben (cum eadem littera; CS I,
130a; vgl. die Erwahnung von cantilenae vulgares schon
beij. de Garlandia, CS 1, 116a). Jacobus Leodiensis stell-
te um 1330 fest, daB die Moderni fast nur noch Motet-
ten und Cantilenae komponieren (CS III, 428b). Tinc-
toris definiert C. als kleinen mehrstimmigen Gesang,
vornehmlich mit amourosem Text (Diffinitorium, 1473/
74) und meint damit die in alien Stimmen gesungene
Chanson (->■ Carmen). Fiir den -> Kantilenensatz des
14.-15. Jh. mit gesungener Oberstimme und 1-3 in-
strumentalen Unterstimmen ist der Terminus C. nach
bisheriger Kenntnis nicht belegt. - Im 16.-17. Jh. be-
zeichnet C. oft den mehrstimmigen Vokalsatz allge-
mein (nach Zarlino, 1558, besteht die Arte del contra-
punto im Zusammensetzen der Consonanze: che sono la
materia delle cantilene). -> Kantilene.
Lit. : J. de Grocheo, De arte musicae, in : Der Musiktrak-
tat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. RohlofT, = Media Latinitas
Musica II, Lpz. 1943, S. 47ff.; A. Viscardi, »C.«, Studi
medievali, N. S. IX, 1936; J. Handschin, Les Etudes sur
le XV e s. mus. de Ch. Van den Borren, RB M I, 1 946/47, S.
94f. ; ders., Reflexions sur la terminologie, RBM VI, 1952,
S. lOf. HHE
Cantjno (ital.) ->- Chanterelle.
Cantio (lat.), eine seit dem Mittelalter haufig ge-
brauchte Bezeichnung f iir jede Art von Gesangsstiicken
(z. B. im Gregorianischen Gesang: responsoria et offer-
toria et huiusmodi cantiones, Jacobus v. Liittich, CS II,
325b), im engeren Sinne, besonders seit dem hohen
Mittelalter, fiir das Lied, etwa gleichbedeutend mit
Carmen oder Versus. Von hier ausgehend hat der mo-
derne musikwissenschaftliche Sprachgebrauch die Be-
deutung von C. auf das einstimmige lateinische Lied des
Mittelalters, zumeist geistlichen Inhalts (E. Jammers) fest-
gelegt (-»■ Kirchenlied), ohne jedoch musikalisch-for-
mal gleichartige vulgarsprachliche, mehrstimmig be-
arbeitete, mitunter sogar weltliche Lieder grundsatz-
lich auszuschlieBen. - Merkmale der C. sind die schlichte
Form (wie A A B, A B, A A B A), der streng strophi-
sche Bau sowie die konsequente Verwendung eines
Kehrreimes. Die Melodien sind oft mit Dreiklangsbil-
dungen und im tanzerischen Dreiertakt gestaltet, von
volkstiimlichen und kirchlichen Elementen in gleicher
Weise bestimmt. Im Gegensatz zur komplizierten
Rhythmik des Conductus und zur antikisierenden Me-
trik des Humanistenliedes ist die C. nach dem einfachen
Hebigkeitsprinzip gebildet, das zugleich cine enge Ver-
bindung zum vulgarsprachlichen Text schafft (Uber-
setzungen geistlicher Lieder waren sowohl aus dem
Lateinischen als auch ins Lateinische haufig, oft ist auch
eine Mischung lateinischer und deutscher Texte anzu-
treffen). Inhaltlich ist die C. vom Gedankengut der
143
Cantio sacra
zeitgenossischen religiosen Bewegungen mit ihrem
Ziel personlicher Frommigkeit gepragt. Ihre Haupt-
trager waren Kleriker, Mitglieder der Bruderschaften,
Studenten und Lateinschiiler, ihre eigentliche Bestim-
mung waren neben der Offiziumsliturgie die Privat-
andacht und Prozession. - Ein Vorlaufer der C. ist der
Conductus des 12./13. Jh., zu dem sie sich wie ein Ab-
senker (O. Ursprung) verhalt. Einige von A.Geering
(als »Cantionen«) mitgeteilte (retrospektiv-)mehrstim-
mige Conductus mit 1st. Refrain konnen als Binde-
glieder zwischen beiden angesehen werden. Viele C.nes
sind nicht als selbstandige Kompositionen, sondern
nur als Einschiibe in liturgische Gesange (sehr oft als
Benedicamus-Tropen des Offiziums) iiberliefert. Die-
ser Sachverhalt ist jedoch nicht so zu deuten, als sei die
C. durch Verselbstandigung eines Tropus entstanden;
vielmehr nahm der jungere (strophische) Tropus selbst
immer mehr die in der C. bereits vorgegebenen Lied-
elemente in sich auf; dies fiihrte schlieBlich zur fast
volligen Gleichartigkeit und damit zur Vertauschbar-
keit von Tropus und C. Auf dem Wege iiber die volks-
tiimliche C. fanden gelegentlich sogar weltliche Tanz-
melodien (als Tropen) Aufnahme in liturgische Ge-
sange. - Hauptpflegestatte der C. war im 14./15. Jh.
Bohmen (das Gloria Bohemicum mit der C. Dies est lac-
titiae als Tropus) ; von hier aus verbreitete sie sich vor-
nehmlich iiber Slid- und Nordwestdeutschland, wo
sie im Laufe des 16. Jh. vom volkssprachlichen Kirchen-
lied abgelost wurde. - Wohl auf der allgemeineren Be-
deutung von C. fuBt der neuzeitliche, bis zum Spat-
barock verfolgbare C.-Begriff, der nach Praetorius
(Synt. Ill) auch die Symphonia und das italienische
Concerto sowie auch instrumentale Musik umfaBt
( . . . qua Variae Voces ant Instrumenta Musica ad concertum
faciendum comtnittuntur). In der gleichen terminologi-
schen Tradition steht wohl auch die -> Cantio sacra
desl6./17.Jh.
Lit. : Analecta hymnica medii aevi, Bde I, XX, XXI, XLV,
Lpz. 1886ff. ; J. Handschin, Angelomontana polyphonica,
SJbMw HI, 1928; ders., Die Schweiz, welche sang (Uber
ma. C. aus schweizerischen Hss.), Fs. K. Nef , Zurich u. Lpz.
1933; H. Spanke, Das Moosburger Graduale, Zs. f. roma-
nische Philologie L, 1930; ders., Die Stuttgarter Hs. H. B. I
Ascet. 95, Zs. f. deutsches Altertum LXVIII, 1931 ; ders.,
Eine ma. Musikhs., ebenda LXIX, 1932; O. Ursprung,
Die kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb. ; A. Schmitz, Ein
schlesisches Cantional aus d. 15. Jh., AfMf 1, 1936; A.Gee-
ring, Die Organa u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deut-
schen Sprachgebietes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d.
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, l,Bern(1952);
Br. Stablein, Die ma. liturgischen Weisen im Gesangbuch
d. Bohmischen Briider v. 1531, Mf V, 1952; E. Jammers,
Artikel C, MGG II, 1952; ders., Der ma. Choral, Mainz
1954; W. Irtenkauf, Das Seckauer Cantionarium v. Jahre
1345 (Hs. Graz 756), AfMw XIII, 1956; R. Stephan,
Lied, Tropus u. Tanz im MA, Zs. f. deutsches Altertum
LXXXVII, 1956/57. FrR
Cantio sacra (lat., geistlicher Gesang; ital. canzona
spirituale), eine in der 1. Halfte des 16. Jh. zuerst in den
Niederlanden greifbare neue Bezeichnung fur geistli-
che (liturgische und nichtliturgische) Kompositionen
mit lateinischem Text. Da ein engerer Zusammenhang
mit dem Lied (-»- Cantio) nicht nachzuweisen ist, fuBt
wohl der Begriff C. s. auf dem allgemeincn, seit dem
Mittelalter gelaufigen Cantiobegriff, der im 16. Jh.
auch mit Modulatio, Symphonia, Concentus u. a. um-
schrieben wurde. Die Bezeichnung C. s. erscheint vor-
wiegend in Titeln von Sammelwerken, wobei die Be-
deutungsgleichheit mit Motette (die seit J.Tinctoris als
Komposition vorwiegend geistlichen Inhalts definiert
wurde) haufig ebenfalls schon im Titel hervorgehoben
wird, z. B. Cantiones sacrae, quae vulgo Muteta vocantur
(J. de Cleve 1559). Vor allem in Deutschland biirgerte
sich der Begriff C. s. rasch ein (J.Meiland 1564 und
1575, G.DreBler 1565 und 1574); hier wurde er nach
der Jahrhundertwende auch auf die Komposition deut-
scher Texte (S.Scheidt 1620, H.Schiitz 1625), zuvor
bereits auch auf nichtgeistliche Inhalte (L.Lechner
1581, Gr. Aichinger 1590) erweitert. Auch instrumenta-
le Bearbeitungen deutscher Chorale (so in der Tabula-
tura Nova von S.Scheidt 1624) wurden C. s. genannt;
dabei naherte sich der Begriff der Cantio wiederum
dem des Liedes. Die Hinwendung zum concertieren-
den Prinzip etwa in der Form des Geistlichen Konzerts
seit dem friihen 17. Jh. fiihrte zur allmahlichen Abkehr
von Begriff und Sache der in der motettischen Tra-
dition beheimateten C. s. ; wo die Bezeichnung in spa-
teren Quellen dennoch begegnet (J.K.Kerll 1669, G.
Carissimi 1670), schlieBt sie in der Regel die Bedeutung
des Concerto mit ein.
Lit.: Praetorius Synt. Ill; Fr. Blume, Die ev. Kirchen-
musik, Biicken Hdb., Kassel 2 l 965; A. A. ABERT.Diestilisti-
schen Voraussetzungen d. Cantiones sacrae v. H. Schiitz,
Wolfenbiittel u. Bin 1935 ; H. Zenck, Numerus u. Affectus,
hrsg.v.W.Gerstenberg, = Mw. ArbeitenXVI,Kassell959.
Canto carnascialesco (k'anto karnajjal'esko, ital.),
seit dem ausgehenden 15. Jh. in der Toskana ubliche
Benennung fur eine volkstumliche Strophenliedform,
die sich bei den Florentiner Karnevalsveranstaltungen
unter Lorenzo de' Medici herausgebildet hat. Bei den
festlichen Umziigen mit grotesk-prachtig ausgestatte-
ten Wagen (carri carnascialeschi), die Begebenheiten
aus Mythos oder Zeitgeschichte, aus Alltag und Be-
rufsleben, aber auch allegorische Stoffe sinnfallig zur
Schau stellten, wurden die Canti carnascialeschi von
maskierten Sangern vorgetragen. Teils wurde in die-
sen Liedern zum karnevalistischen LebensgenuB aufge-
fordert, teils karikierend der Aufzug der Masken (mas-
cherate) und Carri kommentiert; aber auch mensch-
liche Typen (wie Landstreicher, Waffefbacker, Einsied-
ler, Dirnen und Witwen), religiose Brauche, Sitten und
Unsitten wurden mit beifiendem Spott, derber Fri-
volitat oder geistvoller Mehrdeutigkeit besungen.
Verschmolzen mit bestimmten Eigentiimlichkeiten
der Ballata volkstumlichen Charakters wurden die
C. c.-Melodien (vor allem unter dem EinfluB des Sa-
vonarola-Kreises im letzten Jahrzehnt des 15. Jh.) auch
geistlich parodiert und somit in Lauden (-* Lauda)
umgewandelt. Auch in den Frottolen und Villanesken
(canzoni villanesche) fanden die Stoffe der Mascherate
einen Niederschlag. Die bekanntesten Textdichter sind
Jacopo da Bientina, Bernardino del Boccia, Angelo
Poliziano u. a., besonders jedoch Lorenzo de' Medici
il Magnifico, der seinen ersten C. c. von H.Isaac drei-
stimmig setzen lieB; auch 4st. Satze wurden geschrie-
ben; die Satzweise ist eine aufgelockerte Homophonie
wie in der Frottola. An Komponisten sind bekannt
u. a. A.Agricola, A. Coppinus und Giovane da Nola.
Ausg.: Chants de carnaval florentins, hrsg. v. P.-M. Mas-
son, Paris 1913; Kn. Jeppesen (mit V. Brondal), Die mehrst.
ital. Laude, Lpz. u. Kopenhagen 1935; Canti carnascia-
leschi del Rinascimento, Texte, hrsg. v. Ch. S. Singleton,
Bari 1936.
Lit.: F. Ghisi, I canti carnascialeschi nelle fonti mus. del
XV e XVI s., Florenz 1937; ders., Le feste mus. della Fj-
renze medicea, Florenz 1939; E. (Gerson-)Kiwi, Studien
zur Gesch. d. ital. Liedmadrigals im 1 6. Jh., Wiirzburg 1938.
Cantor (lat.) -> Kan tor.
Cantus (lat. ; ital. canto ; frz. und engl. chant), Gesang,
Melodie; in speziellerem Sinn - 1) in der mittelalter-
lichen Mehrstimmigkeit die melodisch vorgegebene
oder zuerst erfundene Stimme: im alten -*■ Organum
die Oberstimme (vox principalis), im spateren Orga-
num und im -> Discantus des 13. Jh. die untere Stimme
144
Cantus firmus
(c. vel tenor est primus cantus primo procreatus velfactus,
Anonymus IV, CS I, 356b; -> Cantus firmus), im
Kantilenensatz des 14.-15. Jh. und im Vokalsatz seit
dem 15. Jh. wiederum die Oberstimme. - 2) Die spat-
mittelalterliche Systematik der Gesangsarten unter-
scheidet zwischen -> Cantus planus (bzw. anderen Be-
zeichnungen fur den -> Choral) und C. mensurabilis
(->• Musica mensurabilis) oder ->■ Cantus figuratus.
Tinctoris (Diffmitorium, um 1473/74) verzeichnet C.
simplex planus (cujus modi est gregorianus), C. simplex
figuratus (einstimmig, mensuriert) und C. compositus
(mensuriert mehrstimmig, qui res facta vulgariter appel-
latur). Auch ohne naheren Zusatz kann C- die mehr-
stimmige Komposition bedeuten (z. B. Jacobus Leo-
diensis, CS II, 432a: c. antiqui; Robert de Handlo,
CS I, 387b: in Motetis et in aliis cantibus). - Zahllose
Zusatze kennzeichnen in der lateinischen Musikter-
minologie die Art des C.
Lit.: M. Appel, Terminologie in d. ma. Musiktraktaten,
Diss. Bin 1935.
Cantus durus, Cantus mollis, Cantus naturalis
(lat.) ->■ Dur, -»■ Hexachord.
Cantus figuratus (auch C. figuralis, lat.) bezeichnet
- im AnschluB an die Figurae der Notenzeichen - seit
dem 15. Jh. (Hothby, CS III, 330; Tinctoris, CS IV,
41b und 179b) im Gegensatz zum Cantus planus die
Mensuralmusik (-> Musica mensurabilis). Im 17. und
18. Jh. wird Figuralmusik (Musica figurata oder figura-
lis) auch als melodische Figuration (figurierter Choral
oder BaB) verstanden.
Cantus firmus (lat. ; Abk. : C. f.) nennt man - wohl
erst seit dem 18. Jh. und im AnschluB an die Sprache
der Kontrapunktlehre italienischer Provenienz - die
einem mehrstimmigen Satz zugrunde gelegte vorge-
gebene Melodie oder Tonfolge, die entweder geistli-
cher oder weltlicher Herkunft oder ad hoc erfunden
sein kann. Sie heiBt C. f., weil sie in der mittelalterli-
chen Mehrstimmigkeit vorwiegend und noch spater
weithin dem Choral entnommen ist, den man Cantus
planus oder auch C. f. (ital. canto f ermo) nannte. Hiero-
nymus de Moravia setzte gegen Ende des 13. Jh. in be-
zug auf Einstimmigkeit beide Bezeichnungen gleich
(...firmus sive planus, praecipue ecclesiasticus cantus, ed.
Cserba S. 179) und so auf Grund durchgehender Tra-
dition noch J.G.Walther 1732: Canto fermo ... der
Choral-Gesang. Andere Bezeichnungen, die die Vor-
gegebenheit, nicht aber ausdrucklich die chorale Her-
kunft der mehrstimmig bearbeiteten Melodie an-
sprechen, sind Cantus prius factus (auch cantus pri-
mus, notus oder datus) und Subjectum (->■ Soggetto),
eine Melodie, woruber oder worunter eine Composition
verfertiget wird (im Unterschied zur Bedeutung von
soggetto etwa als eine Clausul oder Formul, woraus
eine Fuga gemacht werden kan, WaltherL). In der friihen
Mehrstimmigkeit (->■ Organum) erklang der Choral
als Oberstimme und hieB Cantus oder Vox princi-
palis. Seit dem 12. Jh. bildete er in Organum und
-> Discantus die Unterstimme, deren tonaler und
rhythmischer Duktus fur den Bau des Satzes maBge-
bend war. In dieser Eigenschaft gewann die Unter-
stimme den Namen Tenor (quia discantum tenet etfundat,
Jacobus Leodiensis, CS II, 386a), und da der Tenor we-
senhaft Trager des C. f. war, erfolgte eine Gleich-
setzung beider Begriffsworter : . . . primo accipitur can-
tus aliquis prius factus, qui tenor dicitur, eo quod discantum
tenet, et ab ipso ortum habet (Franco von Koln, CS I,
130b), wiederum bis hin zu Walther (Tenor . . ., weil in
den alten Motetten der C.f. . . ■ in dieser Stimme angebracht
worden) ; andererseits konnte Tenor im 16. Jh. auch die
vorgegebene Melodie, unabhangig von ihrer Lage,
bezeichnen. - Grundsatzlich ging die mittelalterliche
Komposition mehrstimmiger Musik von einem vorher
bestehenden oder - wie in Conductus und Liedsatz -
von einem primar erfundenen Cantus aus, da dieser,
prazisiert durch seine rhythmische Zubereitung, in der
Komposition den tonalen Zusammenhang stiftete. In
den Organa der Notre-Dame-Zeit bestand der Tenor-
C. f. aus den vollstandigen solistischen Teilen respon-
sorialer Choralgattungen, in den Klauseln und latei-
nischen Choralbearbeitungstropen und in den Mo-
tetten des 13. und 14. Jh. aus Choralpartikeln, deren
Worter von den Oberstimmentexten paraphrasiert
wurden, oder aus weltlichen Liedern oder Refrains. In
Verbindung mit neuen Kompositionspraktiken und je
nach dem Realitatsgrad, in dem der Cantus als solcher
erklingen sollte, erscheint dieser seit dem 14. und be-
ginnenden 15. Jh. auch in kolorierter Gestalt und in
wechselnder Lage: in englischen MeBsStzen und Mo-
tetten mit Vorliebe in der Mittelstimme oder als
»wandernder C. f.«, in Diskantmessen, in Hymnen
und im Fauxbourdonstiick in der Oberstimme, in
4st. Satzen, namentlich in MeBzyklen seit Dufay, als
Tenor (auch weltlicher Herkunft) zwischen den Con-
tratenores bassus und altus. Die Kunst der C. f.-Bear-
beitung, von der sich der abschnittweise durchimitie-
rende Chorstil mit seinen freien Soggetti (Themata)
abzweigte, lebte fort - zuweilen gesteigert zur Verbin-
dung mehrerer, auch kanonisch gefiihrter Cantus fir-
mi - im 15. Jh. in den Chansons mit entlehnten Stim-
men, in der C. f.- und Parodiemesse, in der imitieren-
den C. f.-Motette und in Hymnen-, Lamentations-
und Psalmbearbeitungen des 16. Jh., in den Kompo-
sitionen iiber Solmisationssoggetti (z. B. Sweelinck,
Fantasia super ut, re, mi, fa, sol, la), in der organistischen
Tradition der C. f.-Bearbeitung, zumal in der Orgel-
messe (Buxheimer Orgelbuch, Cavazzoni, Frescobaldi),
in den Orgelhymnen und -versetten (namentlich seit
Schlick, Hofhaymer, Cabezon) und in der instrumen-
talen Lied- und Tanzvariation des 17. Jh. Seit dem 16.
Jh. ist der C. f. weniger das unabdingbare Fundament
des kompositorischen Prozesses, als vielmehr die Me-
lodie, die in kunstvoller Einkleidung dargeboten wer-
den soil, indem einer eine schlechte Weise oder Tenor
(wie es die Musici heissen) her singet und 3, 4 oder 5 an-
dere Stimmen mit mancherley. art vnd klang dieselbige
weise wunderbarlich zieren und schmucken (Luther, Prae-
fatio zu den Symphoniae iucundae, in der Ubersetzung
von J.Walter, Weimarer Luther-Ausgabe, Band L,
S. 372). Die C. f.-Bearbeitung dieser Art erlebte eine
Bliite im deutschen Tenorlied des 16. Jh. und dann im
mittel- und norddeutschen Orgelchoral des 17. und
18. Jh. (Scheidt, Scheidemann, Buxtehude, Pachelbel,
J.S.Bach) und in der vokalen oder concertierenden
Choralbearbeitung der evangelischen Kirchenmusik
von den Komponisten des Wittenberger Kreises um J.
Walter bis zu Bach. Das 19. Jh. pflegte die Volkslied-
bearbeitung (Brahms, Deutsche Volkslieder, 1858). Die
Orgel- und Chormusik des 20. Jh. brachte eine schop-
ferische Erneuerung der C. f.-Komposition in Lied-
und Choralsatz.
Lit. : P. Aubry, Recherches sur les »Tenors« lat. dans les
motets du XIIl e s. d'apres le ms. de Montpellier, La Tribu-
ne deSaint-Gervais XIII, 1907,u.Sonderdruck: Recherches
sur les »Tenors« frc. . . . , Paris 1907 ; A. Schering, Die nld.
Orgelmesse im Zeitalter d. Josquin, Lpz. 1912; P. Blasch-
ke, Der Choral in H. Isaaks Choralis Constantinus. Ein
Beitr. zur Gesch. d. C. f.-Technik, Diss. Breslau 1926,
maschr. ; Fr. Dietrich, Gesch. d. deutschen Orgelchorals
im 17. Jh., = Heidelberger Studien zur Mw. I, Kassel 1932 ;
F. H. Sawyer, The Use and Treatment of canto fermo by
the Netherlands School of the Fifteenth Cent., PAMS
LXIII, 1937 ; H. Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsche
10
145
Cantus fractus
Lied (1400-1640), = NeuedeutscheForschungen CXCVII,
Abt. Mw. VII, Bin 1938; H. Besseler, Bourdon u. Faux-
bourdon, Lpz. 1950; H. Bittel, Der C. f. in d. zeitgenossi-
schen geistlichen Chormusik, Diss. Miinchen 1950,
maschr.; M. F. Bukofzer, Studies in Medieval and Re-
naissance Music, NY 1950; B. Meier, Die Harmonik im
c. f .-haltigen Satz d. 1 5. Jh., Af Mw IX, 1 952 ; G. Schmidt,
ZurFraged.C. f. im 14. u. beginnenden 15. Jh., AfMwXV,
1 958 ; L. Finscher, Zur C. f .-Behandlung in d. Psalm-Mo-
tette d. Josquinzeit, in: H. Albrecht in memoriam, Kassel
1962; E. H. Sparks, C. f. in Mass and Motet, 1420-1520,
Berkeley u. Los Angeles 1963. HHE
Cantus fractus (lat., auch C. fractibilis), in der Mu-
siklehre des hohen und spaten Mittelalters eine haufig
gebrauchte Bezeichnung fur mehrstimmige Kompo-
sitionen, Kompositionsabschnitte oder auch einzelne
ihrer Stimmen, in denen die Tone der Geriistklange
bei strenger Beachtung der Mensur durch kleinere
Zwischennoten »gebrochen« werden. Als Technik des
improvisatorischen wie kompositorischen Verzierens
und Ausgestaltens gehort die Fractio cantus, vocis oder
modi zu den -> Flores; seit dem 14. Jh. begegnet sie
auch unter der Bezeichnung -> Diminution.
Cantus mensurabilis (lat.) -> Musica mensura-
bilis.
Cantus planus (lat.; frz. plain-chant; ital. canto pia-
no; span, canto llano; engl. plainsong). Das inhaltlich
vielschichtige Adjektiv planus findet sich in Verbin-
dung mit cantus bereits bei Odo (Anfang 11. Jh.), der
unter C. pi. im Gegensatz zum Cantus acutus einen
Gesang mit plagalem Tonumfang versteht (ahnlich
Guido von Arezzo). Die seit dem 12./13. Jh. gelaufige
Bezeichnung des einstimmigen liturgischen Gesanges
als C. pi. (vorher nur cantus, musica, cantilena u. a.)
entsprang der Notwendigkeit, -> Choral und mehr-
stimmige Musik voneinander abzugrenzen. Dabei gait
als Hauptkriterium, daB der C. pi. im Unterschied
zum Cantus mensurabilis in annahernder oder in voll-
standiger Gleichwertigkeit der Noten erfolge (z. B.
nach dem am Ende des 14. Jh. entstandenen Traktat
De quatuor principalibus musicae im 5. oder 6. Modus,
d. h. in Longen oder Breven). Den gleichen Sachver-
halt beinhaltet die Gegeniiberstellung von Musica pla-
na (oder immensurabilis) und ->■ Musica mensurabilis
(Quellen ebenfalls seit dem 12./13. Jh.). - Wie die mit-
telalterlichen Theoretiker hervorheben, bildet der C.
pi. die Voraussetzung und das Fundament der mehr-
stimmigen Musik.
Lit. : Odo, Dialogus de musica, GS 1, 259a ; Guido v. Arez-
zo, Micrologus, cap. XII, hrsg. v. J. Smits van Waesberghe
SJ, = CSM IV, Rom 1955; Franco v. Koln, Ars cantus
mensurabilis, cap. I, GS III, 2a u. CS I, 1 1 8a ; Elias S alo-
monis, Scientia artis musicae, cap. V, GS III, 21b; Lam-
bertus, Tractatus de musica, CS I, 278b; Der Musiktrak-
tat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Rohloff, = Media Latini-
tas Musica II, Lpz. 1943; Theodonus de Capri, De mu-
sica mensurabili, CS III, 178b; De quatuor principalibus
musicae, III. principale, cap. LVIII, CS IV, 251a; Conrad
v. Zabern, De modo bene cantandi, in: K. W. Giimpel,
Die Musiktraktate Conrads v. Zabern, = Akad. d. Wiss.
u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse Jg.
1956, Nr 4, S. 265 u. 284f.; P. Wagner, Einfuhrung in d.
Gregorianischen Melodien I u. II, Lpz. 31911 u. 2 1912,
Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; C. Vivell, Zur
Musik-Terminologie. »Planus«, ZIMGXV, 1913/14.
Canzona, Canzonetta (ital.) ->■ Kanzone, Kan-
zonette.
Capotasto (ital., Hauptbund), Kapodaster, bei Sai-
teninstrumenten mit Griffbrett und Biinden ein ver-
schiebbarer Sattel aus Holz oder Metall, der zur Er-
leichterung des Spiels in schwierigen Tonarten dient.
Kiinstlerisches Spiel erf ordert den -> Barre-Griff. Beim
aufrechten Pianoforte ist der C. ein auf dem Stimm-
stock befestigter Druckstab (erfunden von A.Bord,
Paris 1843).
Cappella (friiher auch Capella; ital.) -*■ Kapelle,
-»• a cappella, -*■ Allabreve, -> Mehrchorig-
keit.
Capricci o (kapr'ittfo, ital., Laune, Einfall; frz. ca-
price). Die Bezeichnung C. tritt zuerst auf im 16. Jh.
bei Vokalstiicken im Madrigalstil (J. de Berchem, Pri-
mo, secondo et terzo libro del C, 1561 ; L. Balbi, I Caprici,
1586;G.Croce, Triaca musicale ... diversi Caprici, 1595).
Im spaten 16. und im 17. Jh. sind die Bezeichnungen
C, Fantasie, Ricercar, Kanzone sowie Praludium
und Toccata oft gleichbedeutend; sie stehen bei Stiik-
ken fiir verschiedene Instrumente (auch per sonar et
cantar) sowie fiir Klavier in imitierender Schreibweise
oder fiir freie Stiicke (G.Bassano, II fiore dei Capricci
musicali, 1588; Fr. Stivori, Ricercari, capricci et canzoni,
1589ff.; O.Bariola, Capricci overo Canzoni, 1594; M.
Trabaci, Ricercate, Canzone francese, Capricci, 1603,
1615; A.Troilo, Sinfonie, Scherzi, Ricercari, Caprici et
Fantasie, 1608). Die im AnschluB an die motettische
Schreibweise frei gestaltete Art betont Praetorius
(1618): C. seu Phantasia subitanea: Wenn einer nach sei-
nem eignem plesier vnd gefallen eine Fugam zu tractiren
vor sich nimpt / darinnen aber nicht lang immoriret, sondern
bald in eine andere fugam, wie csjhme in Sinn kompt / ein-
fdllet . . . Auf die Erklarung von Praetorius, verbun-
den mit einem Riickgriff auf die allgemeine Bedeutung
von C. beruft sich Strawinsky fiir sein C. fiir Kl. und
Orch. (1929), in dem »ganz verschiedenartige Episo-
den in bewuBtem Gegensatz aufeinander folgen . . .
wodurch das Stuck einen kaprizibsen Charakter er-
halt . . . «. Bei Frescobaldi steht die Fantasie dem alter-
tiimlichen Ricercar naher, das C, fiir das er 1624 freiere
Vortragsweise fordert, der Toccata. Jedes der Stiicke
hat zudem einen bestimmten Vorwurf , meist ein Kom-
positionsproblem (C. Cromatico, C. di durczze, C. sopra
il Cucho, Capricci iiber Solmisationssilben). Den Ca-
pricci von Froberger, Strungk und Bohm mit ihren
ausgedehnten fugierten Partien stehen die dem Stylus
phantasticus zugehbrenden von Kerll, Poglietti und
Farina im 17. Jh. gegeniiber. In diesen finden sich auf-
fallende Themen und Tonmalereien, in Farinas C.
stravagante (1627) Nachahmungen von Tierlauten und
Instrumentenklangen auf der Violine, verbunden mit
virtuoser Spieltechnik. Seither, besonders im 18.-19.
Jh., konnen das Nachahmende, auch das Bizarre, und
das Virtuose je fiir sich oder zusammen fiir die Gat-
tung kennzeichnend sein. Die Freiheit der Form und
des Einfalls betonen Brossard 1703 (C. ..., pieces,
ou le Compositeur ■ ■ ■ donne I'essort au feu de son genie)
und Mattheson 1739, der das C. zu den Fantasien
rechnet (Die Capricci lassen sich nicht wol beschreiben.
Der eine hat diase, der andre jene Einfalle. Je wunder-
licher und ausserordentlicher sie sind, ie mehr verdienen
sie ihren Nahmen). Uber Bachs C. sopra la lontananza
del suo fratello dilettissimo (BWV 992), Haydns C.
Acht Sauschneider miissen seyn (Hob. XVII, 1) und die
Deutung von Beethovens Rondo a c. op. 129 (Alia
ingherese. / quasi un c.) als »Wut iiber den verlornen
Groschen« geht die Entwicklung zum Charakterstiick
(Weber, Mendelssohn, Brahms, Reger, Dvorak, Fr.
Kreisler). Im 19. Jh. kann C. ahnlich wie Fantasie oder
Rhapsodie eine Bezeichnung fiir national gefarbte
Stiicke sein (Tschaikowsky, C. italien ; Rimskij-Korsa-
kow, C. espagnol; Saint-Saens, C. arabe fiir Orch.). Das
Moment des Virtuosen ist besonders in der Violinmu-
sik ausgepragt seit Locatelli 1733 und Tartini, der Ka-
denzen zu seinen Violinkonzerten 1740 als Capricci
146
Carol
veroffentlichte. Im Sinne von Kadenz verwendet auch
Mozart die Bezeichnung C. (Variationen K.-V. 299a
und 416e); daneben kennt er C. gleichbedeutend mit
Fantasie fiir freie oder auch praludierende Stiicke (K.-
V. 300g, das wohl nicht mit dem in den Briefen vom
20. und 31. 7. 1778 genannten C. identisch ist). Seit
Paganini (Capricen op. 1, um 1810), Kreutzer, Rode
sowie Franchomme steht das C. fiir Streichinstrumen-
te der Etiide nahe, dabei beriihrt es sich auch mit dem
Scherzo (besonders bei Mendelssohn). - Auf den ur-
spriinglichen Sinn von C. ging Cl.Krauss zuriick, als
er als Textdichter R.Strauss (im Brief vom 6. 12. 1940)
den Operntitel C. vorschlug: Das game istja eine Ca-
price, schliefilich ist esja auch von Ihnen eine Caprice, sich
in den Kopfzu setzen, gerade iiber dieses Thetna eine Oper
zu schreiben.
Lit. : A. Moser, Gesch. d. Violinspiels, Bin 1923 ; M. Wolf,
Das C. in Regers Klaviermusik, Diss. Wien 1928, maschr.;
J. Muller-Blattau, Grundziige einer Gesch. d. Fuge,
= KonigsbergerStudienzurMw. I, Konigsberg 1923, Kas-
sel 3 1963; R. Strauss, CI. Krauss, Briefwechsel, hrsg. v.
G. K. Kende u. W. Schuh, Munchen ^1964.
Carillon (karij'o, frz.) ->- Glockenspiel. Kleinere C.s
werden entweder mit einer Tastatur gespielt (so der
Glockenton, eine gemischte Stimme in den alteren
Orgeln), oder mit kleinen Kloppeln geschlagen (beson-
ders die tragbaren, friiher bei Militarmusiken nicht
seltenen C.s, die jetzt durch die Lyra mit Stahlstaben
ersetzt sind). Die Idee des C. ist sehr alt und besonders
bei den Chinesen seit langer Zeit verwirklicht; mog-
licherweise haben die Hollander sie von ihnen iiber-
nommen (-> Tintinnabula). Das C. findet Verwen-
dung z. B. bei Handel (Saul, 1. Akt, 1738), Meyerbeer
(L'Africaine, 1865), G.Mahler (VII. Symphonie, 1905).
- C. heiBen auch Musikstiicke, welche die Klangwir-
kung des Glockenspiels nachahmen sollen.
Lit.: W. G. Rice, C. Music ... of the Old World and the
New, NY 1924; J. St. Archer, On C. Music, ML XVIII,
1937.
Carioca, auch Samba c, brasilianischer Tanz in be-
wegtem Tempo im 4/4- oder 2/2-Takt, eine Abart der
— y Samba. Er entstammt der Umgebung von Rio de
Janeiro. In den 1930er Jahren wurde die C. in Europa
bekannt.
Carmagnole (karman'al, frz.) ist ein franzosisches
revolutionares Tanzlied mit dem Refrain Dansons la
C, Vive le son du canon!, im schnellen 6/8-Takt, be-
nannt nach der Stadt Carmagnola in Piemont, woher
im 18. Jh. viele Savoyarden nach Paris als Strafienmu-
sikanten gekommen waren. Die C, haufig bei Hin-
richtungen gesungen, war das bekannteste revolutio-
nare Lied neben dem Ca ira (1790) und der Marseillaise
(1792), die dann ebenfalls C. genannt wurden, so daB
C. spater revolutionarer Gesang schlechthin bedeutet.
Lit. : C a 'ra, 50 Chansons . . . aus d. Frz. Revolution 1789—
95, hrsg. u. iibertragen v. G. Semmer, Bin (1958).
Carmen (lat.), in der romischen Antike zunachst
s. v. w. religiose und magische Formel, Zauberspruch
(z. B. Livius XXXIX, 18, 3), dann auch allgemein Ge-
dicht, Dichtung (quicquid pedibus continetur, Servius,
Aeneis-Kommentar III, 287, ubernommen von Isido-
rus, Etym. I, 39, 4), Lied, Gesang. In der Musikge-
schichte tritt die Bezeichnung C. in verschiedenen Be-
deutungen auf; - 1) in der Liedliteratur fiir eine Sing-
stimme mit Instrumenten im 14.-15. Jh. als Name der
allein gesungenen, das Gedicht vortragenden Stimme ;
die Ars discantus secundum Johannem de Muris unterschei-
det im Kapitel De compositione carminum (CS III, 93f.)
die Stimmen C, Tenor und Contratenor. Entspre-
chend heifit eine Messe von H.Isaac, der verschiede-
ne Liedmelodien zugrunde liegen, Missa carminum.
- 2) Tinctoris definiert: C. est quicquid cantari potest
(CS IV, 180a), gebraucht die Bezeichnung C. aber
auch (neben -*■ Cantilena) fiir die mehrstimmige Chan-
son (. . . apud BUSNOIS in carmine Je ne demande, CS
IV, 146a). Wegen seiner umfassenden Bedeutung kann
C. im 15.-16. Jh. zur Bezeichnung von mehrstimmigen
Satzen verschiedener Arten verwendet werden, so fiir
die humanistische Ode (bei Cochlaeus), fiir das eine
Liedweise oder einen Liedsatz verarbeitende Instrii-
mentalstuck (Beispiele im Glogauer Liederbuch) oder
fiir das ->■ Tricinium (Formschneyders Trium vocum
carmina, Niirnberg 1538). Bei Burmeister (Musica
poetica, Rostock 1606, vor allem S. 71ff .) ist C. - gleich-
bedeutend mit Cantilena - s. v. w. mehrstimmige,
textgebundene Komposition.
Carmina Burana (lat.), eine um 1300 entstandene
Liedersammlung (Bayerische Staatsbibliothek Miin-
chen, Clm 4660), die bis zur Sakularisation (1803) dem
Kloster Benediktbeuren (Bura Sancti Benedicti) ge-
horte und von ihrem ersten Herausgeber J.A.Schmel-
ler (1847) C. B. benannt wurde. Die aus vier umfang-
reichen Teilen bestehende Handschrift ist die wich-
tigste Sammlung weltlicher Klerikerdichtung aus dem
12. und 13. Jh. Die Texte (moralischen und satirischen
Inhalts, Liebeslieder, Trinkgesange, ein Weihnachts-
und ein Osterspiel) sind teilweise volkssprachlich oder
in einer lateinisch-deutschen Mischsprache gedichtet,
jedoch dominiert die lateinische Lyrik. Die Mehrzahl
der Texte ist in Frankreich entstanden; sie sind iiber-
wiegend anonym, doch sind ihre Verfasser im Um-
kreis von Theologen und Dichtern wie Abaelard,
Gautier de Chatillon, Pierre de Blois, Hugo von Or-
leans (= Primas) zu suchen. Es handelt sich bei den
meisten Stiicken um »profane Dichtungen«; sie geho-
ren zur Kunstpoesie und nicht, aufier den Trink- und
Spielliedern, zum Liedrepertoire der -> Vaganten, als
das man friiher die C. B. verstehen wollte. Die Hand-
schrift war zum grofiten Teil fiir die Neumierung vor-
bereitet, eingetragen finden sich die Neumen jedoch
nur bei verhaltnismaBig wenigen Texten. - C. Orff
komponierte 1935/36 auf einige ausgewahlte Texte eine
szenische Kantate mit dem Titel C. B.
Ausg.: J. A. Schmeller, C. B., Stuttgart 1847, Breslau
"1904; A. Hilkau. O. Schumann, C. B., Bd I Text: 1, Die
moralisch-satirischen Dichtungen, Heidelberg 1930, 2, Lie-
beslieder, ebenda 1941, 3 u. 4 in Vorbereitung, Bdll Kom-
mentar: 1, Einleitung (d. Hs. d. C. B.), d. moralisch-satiri-
sche Dichtung, ebenda 1930, Bd III Melodien, hrsg. v. W.
Lipphardt (in Vorbereitung) ; C. B., Lieder d. Vaganten
lat. u. deutsch nach L. Laistner, hrsg. v. E. Brost, Heidel-
berg 1954.
Lit. : O. Schumann, Die deutschen Strophen d. C. B., Ger-
manisch-romanische Monatsschrift XIV, 1926; H. Span-
ke, Der Codex Buranus als Liederbuch, ZfMw XIII, 1930/
31 ; W. Lipphardt, Unbekannte Weisen zu d. C. B., AfMw
XII, 1955 ; ders., Einige unbekannte Weisen zu d. C. B. aus
d. 2. Halfte d. 12. Jh., Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; F. J. E.
Raby, A Hist, of Secular Lat. Poetry in the Middle Ages,
Oxford 21957 (Bd II, S. 256ff.).
Carol (k'aejal, engl., von frz. -*■ Carole), ist bis etwa
1550 ein meist mehrstimmiges Refrainlied mit zere-
moniellem, im einzelnen aber wechselndem Textin-
halt und spater ein formal freies, meist einstimmiges
volkstiimliches Lied mit dem Hauptthema der Weih-
nacht. Die friihesten iiberlieferten C.s, 1st. Lieder aus
der 1. Halfte des 15. Jh., kniipfen wahrscheinlich an ei-
ne altere Tanzliedgattung an. Sie bestehen aus einem
Wechsel von Refrain und melodisch gleichen Versen
mit der Reimfolge a a a b (R Vi R V2 • • •), sind for-
mal mit Virelai und Ballata verwandt und auf Grund
ihres geistlichen Gehalts mit der Lauda zu vergleichen.
10*
147
Carole
Die Texte sind englisch, seltener lateinisch (dann heiBt
das C. auch cantilena) und bewegen sich meist um das
Thema Jungfrau und Kind, sind aber trotz des haufig
auftretenden Freudenrufes »Nowell« nicht mit dem
franzosischen, ausschlieClich weihnachtlichen Noel
gleichzusetzen. Die Entstehung des C. gegen Ende des
14. Jh. ist moglicherweise als Ersatz fur den Conductus
in der Liturgie zu verstehen. Dieser AnschluB an eine
mehrstimmige Gattung, ferner die Bezeichnung des
Refrains als burden (oder foote) und das Auftreten des
Wortes faburden in spateren mehrstimmigen C.s ma-
chen es wahrscheinlich, daB Teile der einstimmig auf-
gezeichneten friihen C.s, vielleicht die Refrains, in der
Weise des Faburden gesungen wurden. Die meisten
C.s des 15. Jh. sindjedoch mehrstimmig in einfachem
Satz uberliefert. Bald erscheint auch ein zweiter Re-
frain, der mit dem ersten oft motivisch verwandt und
textlich gleich ist (friihestes Beispiel ist das beriihmte
Deo gracias, Anglia auf den Sieg Heinrichs V. bei Agin-
court 1415). Der zweite Refrain, meist dreistimmig,
wurde chorisch, Vers und erster Refrain, meist zwei-
stimmig, wurden solistisch von den Vorsangern ausge-
fiihrt, moglicherweise in der Reihenfolge R] R 2 V] R2
V2 R2 V3 ... Charakteristisch f iir die Melodien sind die
liedhafte Periodik und das Uberwiegen der ionischen
Tonart und des dreizeitigen Taktes. In dieser Form ge-
hort das C. zur gottesdienstlichen Ubung der konigli-
chen und graflichen Hauskapellen und zum Prozes-
sionsgesang. Besonders seit Ende des 15. Jh. weist es
sich durch kunstvolleren Satz als Eigentum des gebil-
deten Berufsmusikerstandes aus. - Um die Mitte des
16. Jh. wurde die bisher festliegende Form durch unter-
schiedliche Vertonung der Verse und Verkummerung
der Refrains aufgelost, und bald bezeichnete C. ein
volkstiimliches Lied beliebiger Herkunft, wobei sich
der Akzent durch den EinfluB der Reformation von
der Jungfrauenverehrung auf Christi Geburt und das
weihnachtliche Singen uberhaupt verschob. Schon im
17. Jh. gehorten Lieder deutscher Herkunft wie Joseph,
Heber Joseph mein und In dukijubilo in englischer Uber-
setzung zu den beliebtesten C.s, und die Anglisierung
auslandischer Weihnachtslieder hat sich bis heute fort-
gesetzt. Im 19. Jh. hat die Rikkwendung zurnationalen
Vergangenheit das altenglische C. dem englischen
Weihnachtsgesange zuriickgewonnen.
Ausg.: Engl. C. of the 15 th Cent., hrsg. v. J. A. Fuller-
Maitland, Cambridge 1891; Mediaeval C, hrsg. v. J.
Stevens, = Mus. Brit. IV, London 1952; The Engl. C,
hrsg. v. E. Routley, London 1958.
Lit.: W. W. Fyffe, Christmas: Its Customs and C, Lon-
don 1906; M. Shaw u. P. Dearmer, The Engl. C. Book,
2 Reihen, London 1913 u. 1919; J. Ashley, Medieval
Christmas C, ML V, 1924; P. Burra, C, ML XXIV,
1943; R. L. Greene, The Early Engl. C, London 1935
(Text-Slg); J. A. Westrup, N. Saboly and His »Noels«
provencaux, ML XXI, 1940; M. F. Bukofzer, Studies in
Medieval and Renaissance Music, NY 1950; J. Stevens, C.
and Court Songs of the Early Tudor Period, Proc. R. Mus.
Ass. LXXVII, 1951 ; N. Waixin, Zur Deutung d. Begriffe
Faburden - Fauxbourdon, Kgr.-Ber. Bamberg 1953 ; H. H.
Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = In-
diana Univ. Humanities Series XLV, Bloomington (1961) ;
Fr. Ll. Harrison, Benedicamus, Conductus, C. : A Newly
Discovered Source, AMI XXXVII, 1965.
Carole (kar'ab, altfrz. ; altprov., ital., span, und port,
carola), ein mittelalterlicher Rundtanz in langsamem
Tempo, der entweder instrumental oder (haufiger) vo-
kal, oft von einem Vorsanger angef iihrt, begleitet wur-
de. Als Tanzlieder sang man Rondeaux, Virelais und
Balladen, auch mehrstimmig.
Lit. : L. Jordan, Der Reigentanz C. u. seine Lieder, Zs. f .
romanische Philologie LI, 1 93 1 ; P. Verrier, La plus vieille
citation de c., Romania VIII, 1932; Y. Lacroix-Novaro,
La c. - Ses origines, Rev. de Musicol. XVI, 1935; R. H.
Robbins, The Earliest Carols and the Franciscans, in: Mo-
dern Language Notes LIII, 1938 ; M. Sahlin, Etude sur la
c. medievale, Uppsala 1940, dazu H. Spanke in: Literatur-
blatt f. germanische u. romanische Philologie LXIV, 1943.
Cassa (ital., Kiste), Trommel (gran c, groBe Trom-
mel; c. rullante, Roll-, Ruhr-, Wirbeltrommel) ; im
engeren Sinne bezeichnet c. die vornehmlich in der
Militarmusik verwendete kleine Trommel (auch tam-
buro militare oder, dem franzosischen caisse claire
entsprechend, c. chiara genannt).
Catachrese (griech., miBbrauchliche Anwendung),
in der Musiklehre des 17. und 18. Jh. eine im AnschluB
an die Rhetorik erklarte musikalische Figur. Die Rhe-
torik versteht unter C. die Verwendung eines Wortes
in einer anderen als seiner eigentlichen Bedeutung. In
der Musik ist sie nach Walther (1732) ein Mifibrauch,
oder uneigentlicher Gebrauch und entsteht, wenn eine
Dissonanz auf ausserordentliche und harte Art resolvirt
wird oder in Form von Quartenparallelen in den Ober-
stimmen, die aber durch den BaB brauchbar gemacht
werden. Bernhard spricht von einer Syncopatio cata-
chrestica, wenn eine Synkopendissonanz nicht durch
eine folgende Consonantz, so eine Secunde tiejfer ist, resol-
viret wird. Burmeister (1606) versteht unter Catachre-
sis Quartae die f alschliche Verwendung der Quarte als
Unterstimme eines Zusammenklanges.
Catch (kaetj, engl., Fang, Beute) wurden im 17. und
18. Jh. drei- und mehrstimmige Kompositionen vor-
nehmlich fur Mannerstimmen genannt, die als -»■ Ka-
non (- 3) oder Rundgesang besonders in geschlossenen
Gesellschaften (clubs) bei derben Lustbarkeiten gepflegt
wurden. Wortspiele, Zerteilung der Texte wie auch
der Worte auf verschiedene Stimmen (ahnlich dem
->• Hoquetus) usw. fiihrten haufig zu gewollten Zwei-
deutigkeiten im Text. Die C.es wurden gegen Ende
des 18. Jh. weithin von den milderen -> Glees ab-
gelost. Wie groBer Beliebtheit sich die C.es zu ihrer
Bliitezeit erfreuten, zeigen die vielfaltigen Sammlun-
gen und Ausgaben, so die erste 1609 von Th. -> Ra-
venscroft herausgegebene Pammelia. Musicke's Miscel-
lanie (neu herausgegeben von P. Warlock, London
1928) und die beriihmteste von J. -> Hilton, C. that C.
can aus dem Jahre 1652; alle erreichten mehrere Auf la-
gen. C.es wurden u. a. komponiert vonW.Byrd, W.
Child, B.Cooke, R.Dering, Th.Ford, N.Laniere, H.
und W.Lawes, vor allem auch von H.Purcell und S.
Webbe. - Bedeutung erlangte neben vielen anderen der
1761 gegriindete Noblemen and Gentlemen's C. Club,
der bis in die 1930er Jahre bestand. Die C. clubs forder-
ten durch Preisausschreiben die Komposition und Auf-
fuhrung von C.es und veroffentlichten viele Samm-
lungen.
Ausg. : J. Walsh, The C. Club, or Merry Companions . . . ,
um 1730; Th. Warren, A Collection of C, Canons, and
Glees ...,o.O. 1763ff. ; E. F. Rimbault, The Rounds, C,
and Canons of England, o. O. (1864); H. Purcell, GA Bd
XXVIII, London 1922.
Lit. : V. Gladstone, The Story of the Noblemen and Gent-
lemen's Club, o. O. (1931); C. L. Day u. E. B. Murrie,
Engl. Song-Books 1651-1702, London 1940.
Cauda (lat., Schwanz), - 1) in der Mensurallehre der
herabgehende vertikale Strich an den Notenkopf en der
Maxima m und Longa n sowie in Ligaturen. Seltener
ist die Bezeichnung C. fiir den Strich nach oben (sur-
sum c.) bei der Minima ♦> 9 und Semiminima ♦ sowie
fiir die opposita proprietas der Ligaturen l^. Die auf-
und abwarts kaudierte Note ♦ wurde um 1400 ->- Drag-
ma genannt. Im 16. Jh. kann irrtiimliche Kaudierung
durch Zufugen der zweiten C. riickgangig gemacht
148
Cembalo
werden, so daB z. B. A = <> ist. Auch die Plica der Men-
suralmusik vor 1400 kann C. genannt werden. - 2) In
der Formenlehre bezeichnet C. seit dem 13. Jh. einen
Anhang, so im Choral das Neuma der Antiphonen
(das miBbrauchlich auch in die Psalmodie Eingang
fand), im Conductus des 13. Jh. Melismen iiber der
letzten betonten, auch ersten Silbe eines Verses (siehe
Perotins 3st. Salvatoris hodie, dazu Anon. IV, CS 1, 360f . ;
auch Anon. Sowa 60), in der Liedkunst des spaten
Mittelalters (z. B. in Walthers Goldener Weise nach
der Colmarer Liederhandschrift, in Balladen und Frot-
tole) eine oder mehrere die Strophe abschlieBende,
selbstandig komponierte Melodiezeilen. Der Name hat
sich in der italienischen Form -> Coda fiir den SchluB-
teil vor allem in Sonaten-, Variations- und Rondo-
satzen erhalten.
Lit. : H. Sowa, Ein anon, glossierter Mensuraltraktat 1279,
= Konigsberger Studien zur Mw. IX, Kassel 1930; Mar-
chettus de Padua, Pomerium, hrsg. v. G. Vecchi, = CSM
VI, (Rom) 1961 ; Die Musiktraktate Conrads v. Zabern,
hrsg. v. K. W. Gumpel, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz,
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1956, Nr 4; P.
Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien III,
Lpz. 1921, Neudruck Hildesheira u. Wiesbaden 1962; J.
Handschin in: ZfMw VI, 1923/24, S. 551 ; U. Aarburg,
Walthers Goldene Weise, Mf XI, 1958.
Cavata (ital., von cavare, herausziehen, ausgraben)
heifit in der 1. Halfte des 18. Jh. in Rezitativen ein
SchluBabschnitt, in dem der Inhalt des Rezitativs in gar
wenig Worten gleichsam concentrirt, und dergestalt heraus-
geholet wird, dap es . . . nothig, solche sententiosen Worte
nach dem Tact, und arioso zu setzen (WaltherL). Auch
Mattheson betont, die C. sehe mehr auf eine scharfsinnige
Betrachtung, als einen starcken Affect. Diese Technik der
epigrammatischen, arios gestalteten gedanklichen Zu-
sammenfassung innerhalb eines Rezitativs ist schon
nachweisbar in D. Mazzocchis La Catena d'Adone (Rom
1626), wo solche Abschnitte im Index der Partitur
»mezz'Arie« genannt werden. Beispiele fiir die C. lassen
sich vielfach in Kantaten J. S. Bachs belegen, so in Ein
feste Burg (BWV 80), SchluB des 3. Rezitativs Erwdge
dock, Kind Gottes; in Sei Lob undEhr' dem hochsten Gut
(BWV 117), SchluB des 2. Rezitativs Es danken dir die
Himmelsheer. Die Cavate in Opern T.Traettas (DTB
XIV, 1) sind eher selbstandige Stiicke in der Art der
-»> Kavatine. J. G.Walther nennt unter Berufung auf
Mattheson noch eine zweite Bedeutung des Wortes
C. : wenn eine Arie, oder etwas anders, ungemein wohl aus-
gefiihret, und nach Wunsch gelungen ist. - Basso cavato
(basso pro organo) ist als ExzerptbaB bei vielstimmigen
motettischen Kompositionen eine GeneralbaBart
(-»■ Basso seguente). - Soggetto cavato ist im 15. und
16. Jh. ein Thema, dessen Tone gewonnen werden,
indem die Vokale des Thementextes als Vokale von
Solmisationssilben verstanden werden (->• Soggetto).
Lit.: WaltherL; Mattheson Capellm. ; N. Pirrotta,
Falsirena e la piu antica delle cavatine, CHM II, 1957.
Cavatina (ital.) -> Kavatine.
Celeritas (lat., Schnelligkeit) -> Commissura.
Celesta (tfel'esta, ital., Himmlische), - 1) Stahlplatten-
klavier mit oberschlagiger Hammertechnik und hol-
zernen Resonatoren in einem harmoniumartigen Ge-
hause; der lange Nachhall kann mit einer Dampfung
durch Pedaltritt verkiirzt werden; notierter Umfang
c-c* (Klang eine Oktave hoher). Der Ton ist nicht
laut, die Klangfarbe etwa zwischen der des Glocken-
spiels und der Glasharmonika. Die C. wurde zuerst
von A.Mustel 1886 in Paris gebaut und von Widor,
R. Charpentier, Tschaikowsky, Leoncavallo, Puccini,
Mahler und R.Strauss (Rosenkavalier, 2. Akt, Uber-
reichung der silbernen Rose) im Orchester verwendet.
- 2) In der Orgel ist C. ein veraltetes, mit Hammerme-
chanik zu spielendes Register zu 4'.
Celle.
Lit. : W. Wolffheim, Mitt, zur Gesch. d. Hofmusik in C.
(1635 bis 1706), Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910;O.v. Boehn,
Der C.er Orgelbau im 1 5., 16., 1 7. Jh., in : Der Sachsenspie-
gel, C. 1930; E. Palandt, Organographia hist. Cellensis,
Hildesheim (1932); G. Linnemann, C.er Mg. bis zum Be-
ginn d. 19. Jh., C. 1935 ; C. Meyer-Rasch, Kleine Chronik
d. Calandgasse, C. 1951.
Cello (tf'ello), eingebiirgertes Bezeichnungsfragment
von -*■ Violoncello.
Cellone (tfell'o : ne, ital.), ein um 1890 von A. -»• Stelz-
ner gebautes Streichinstrument (Stimmung jG D A e),
das groBer als das Violoncello und im Klang den ande-
ren Streichinstrumenten besser angepaBt ist als der Kon-
trabaB. Der C. konnte sich dennoch nicht durchsetzen.
Cembal d' am our (tj'embal dam'u:r, auch clavecin
d'amour), eine von Gottfried Silbermann 1721 in
Dresden konstruierte Art des Clavichords mit doppel-
tem Steg und mit Saiten von doppelter Lange, die
durch die Tangente in der Mitte angeschlagen wurden,
so daB beide Teile denselben Ton gaben. Beim An-
schlag wurde die Saite aus einer Dampfungsleiste her-
ausgehoben. Hinsichtlich der Lautstarke wie der Schat-
tierungsfahigkeit bedeutete diese Erfindung eine Ver-
besserung des Clavichords, konnte sich jedoch nicht
durchsetzen.
Lit.: WaltherL; J. Adlung, Anleitung zu d. mus. Ge-
lahrtheit, Erfurt 1758, Dresden u. Lpz. 21783; ders., Mus.
mech. org. II, S. 124; E. Flade, G. Silbermann, Lpz. 1926,
21953.
Cembalo (tj'embalo, Abk. : Cemb., von ital. clavi-
cembalo, aus -> clavis und cymbal, im Sinne von Psal-
terium; ital. auch gravicembalo; frz. clavessin, clave-
cin; engl. harpsichord; deutsch auch Klavizymbel,
Kielfliigel), ein Klavier mit Zupfmechanik; im enge-
ren Sinn versteht man unter Cemb., im Unterschied zu
den kleineren Modellen (-»■ Spinett, -»■ Virginal, -*■ Ar-
picordo), das groBe Modell in Flugelform mit parallel
zu den Tasten verlaufenden Saiten. Aufrechte Flugel-
form hat das -> Clavicytherium. - Wahrscheinlich im
14. Jh. wurde das Psalterium mit einer Klaviatur und
einer -»■ Mechanik zum AnreiBen der Saiten versehen.
Das alteste erhaltene Cemb. stammt aus dem Jahr 1521.
- Die Saiten des Cemb.s (in der Regel ausMetalLselten
aus Darm; -»■ Lautenclavizymbel) verlaufen von den
Anhangestiften iiber einen Steg zu den Stimmwirbeln,
die im Stimmstock stecken. In den Resonanzboden ist
bei alten Instrumenten eine verzierte Rosette eingelas-
sen. Die Cembali des 16.-18. Jh. wurden meist in einen
bemalten Kasten eingeschlossen, der auf einem verhalt-
nismaBig hohen Gestell ruhte. Fiir italienische Instru-
mente wurde oft Zedern- oder Zypressenholz ver-
wandt, sonst u. a. Eiche. Cembali mit 2 Manualen sind
seit dem spaten 16. Jh. nachweisbar. Das 2. Manual
war bis um die Mitte des 17. Jh. und besonders bei nie-
derlandischen Instrumenten als Transpositionsklavier
(eine Quarte tiefer stehend als das erste) eingerichtet.
Wahrend der niederlandische und franzosische Cemb.-
Bau im 17./18. Jh. zahlreichere Cembali mit 2 und sel-
tener 3-4 Manualen hervorbrachte, waren diese in
Deutschland und Italien bis zum Anfang des 18. Jh.
selten. Der Tonumfang des Cemb.s steigerte sich von
knapp 3 im 16. Jh. bis auf iiber 5 Oktaven im 18. Jh.
(->■ Manual). Fiir jedes Manual konnen mehrere Reihen
von Docken eingerichtet werden, die durch Handzuge
oder (seit dem 17. Jh. vereinzelt, bei modernen Instru-
menten haufig) Pedaltritte ein- und ausgeschaltet und
149
Cembalo
gekoppelt werden. So kann wie auf der Orgel ein
Wechsel von Registern verschiedener FuBtonlage
(-> Disposition) oder Klangfarbe gewahlt werden. Das
haufigste unter den Registern (»Veranderungen«) ist
der Lautenzug, dessen Docken naher dem Steg sitzen
oder bei dem in jiingeren Cembali (seit dem Ende des
18. Jh.) eine Filileiste an die Saiten gedriickt wird.
Beim Harfenzug werden Leder- oder Filzpolster oder
Messinghaken an die Saiten gelegt. Der Klang des
Cemb.s ist obertonreich, festlich rauschend und gut
zeichnend. Obergangsdynamik kann durch Zu- und
Abnahme von Stimmen vorgetauscht werden. Doch
waren gute Cembali auch im -*■ Anschlag modula-
tionsfahig. Den Jalousieschweller (engl. Venetian swell)
baute am Cemb. zuerst Shudi 1769. Das Cemb. war
neben der Orgel im 16.-18. Jh. das vornehmste Klavier
zum solistischen und konzertanten Spiel sowie seit dem
17. Jh. zum GeneralbaBspiel (-> Klaviermusik und
-spiel). C. Ph. E.Bach stellte das Cemb. in einem Dop-
pelkonzert dem Pianoforte gegenuber. Nach dem Um-
schwung im Klavierbau um 1760 wurden noch verein-
zelt Cembali gebaut, das letzte von Broadwood 1793,
von Kirkman wohl 1809. Im 19. Jh. wurde es in histo-
rischen Konzerten u. a. von Moscheles (ab 1837), C.
Engel, Pauer (ab 1861 in London) sowie Diemer (seit
der Pariser Weltausstellung 1889) gespielt. 1882 lieh
Erard sich einen Kielfliigel von Taskin aus (von 1769)
und baute ihn nach. Einen Aufschwung nahm der
Cemb.-Bau mit dem Wirken von A.Dolmetsch (ab
1896). Nachdem die ersten Neukonstruktionen noch
stark von der Statik des Pianofortes (Eisenrahmen u. a.)
beeinflufit waren, wird im gegenwartigen Cemb.-Bau
versucht, das Klangbild der alten Cembali wiederzuge-
winnen. Der Einsatz des Cemb.s ist fur die Wiedergabe
der Klaviermusik des 16.-18. Jh. und als GeneralbaB-
instrument wieder selbstverstandlich geworden. Als
Spielerin wirkte u. a. Wanda Landowska bahnbre-
chend. Fiir Cemb. komponierten auch zeitgenossische
Komponisten, so de Falla (Concerto fiir Cemb. oder
Pfte und 5 Instr. 1923-26), Poulenc (Concert champetre
fur Cemb. und Orch. 1938), Fr. Martin (Petite Sym-
phonie concertante fur Cemb., Pfte, Harfe und 2 Streich-
orch.), Cemb.-Konzerte schrieben Distler (1936) und
Martinu (1935). Zuweilen wird das Cemb. auch in der
Unterhaltungsmusik eingesetzt.
Lit. : Les traites d'H.-A. de Zwolle, hrsg. v. G. Le Cerf u.
E.-R. Labande, als: Instr. de musique du XV e s., Paris
1932; S. Virdung, Musica getutscht (1511), Faks. v. L.
Schrade, Basel 1931 ; Praetorius Synt. II; M. Mersenne,
Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure,
3 Bde, Paris 1963 ; Adluno Mus. mech. org. ; C. Krebs, Die
besaiteten Klavierinstr. bis zum Anfang d. 17. Jh., VfMw
VIII, 1892; K. Nef, Clavicymbel u. Clavichord, JbP X,
1903; ders., Zur Cembalofrage, ZIMG X, 1908/09; E. U.
Kropp, Das Zupf kl., Diss. Bin 1925 ; Ph. James, Early Key-
board Instr., London 1930; K. Matthaei, Ober Cemb.-
Neukonstruktionen, Zs. f. Hausmusik II, 1933; H. Neu-
pert, Das Cemb., Kassel 1933, 31956; E. Harich-Schnei-
der, Die Kunst d. Cembalospiels, Kassel 1939, 21957, engl.
als: The Harpsichord, Kassel u. St. Louis 1953;F. Trende-
lenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Zur Klangwirkung v.
Klavichord, Cemb. u. Flugel, Akustische Zs. V, 1940; H.-
H. Drager, Anschlagsmoglichkeiten beim Cemb., AfMf
VI, 1941 ; J. Worsching, Die hist. Saitenkl. u. d. moderne
Klavichord- u. Cembalobau, Mainz 1 946 ; W. Landowska,
Commentaries for the Treasury of Harpsichord Music,
NY 1947; N. Dufourcq, Le Clavecin, Paris 1949; Fr.
Ernst, Der Flugel J. S. Bachs, Ffm., London u. NY 1955 ;
Fr. J. Hirt, Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955; D.
H. Boalch, Makers of the Harpsichord and Clavichord
1440 to 1840, London (1956); R. Russell, The Harpsi-
chord and Clavichord, London (1959); J. Lade, Modern
Composers and the Harpsichord, The Consort XIX, 1962;
Fr. Hubbard, Harpsichord Regulating and Repairing,
Boston 1963.
Cencerro (OenS'erro, span. ; engl. cow-bell, Viehschel-
le, »Kuhglocke«), aus Kuba stammendes Schlaginstru-
ment in den lateinamerikanischen Tanzen, das entwe-
der flach in der Handflache der linken Hand gehalten
und mit einem dicken Stab (oder einer ->■ Claves) an-
geschlagen oder einzeln bzw. paarweise (dann von ver-
schiedener Klangfarbe) an den ->■ Timbales oder am
Jazzschlagzeug befestigt und mit einem Timbales-Stock
(bzw. Jazztrommelstock) geschlagen wird. Der Klang
ist hell-tonend, die Anzahl der gebrauchlichen Rhyth-
musformeln relativ klein.
Cent (Abk.: C). Das C.-MaB wurde 1885 von A.J.
-»■ Ellis entwickelt, um Tondistanzen unabhangig von
den ihnen zugrunde liegenden Schwingungszahlen
durch eine lineare Skala darstellen zu konnen. Als
Grunddistanz wird der temperierte Halbton = 100 C
gesetzt, so daB die Oktave die GroBe von 1200 C er-
halt. Die Werte der reinen Intervalle weichen von 100
und ihren ganzen Vielf achen ab ; so ist die reine Quinte
= 702 C, die reine groBe Terz = 386 C. Um die
GroBe eines beliebigen Frequenzverhaltnisses/i//2 in
C.s (i) zu bestimmen, bedient man sich der Gleichung
1 900
i = y-ylg(/i// 2 ).Angabenin C bewahren sich vor al-
lem bei der zahlenmaBigen Darstellung sehr kleiner In-
tervalle, bei der Feststellung der Frequenzskalen von
Musikinstrumenten in fester Stimmung sowie bei der
Untersuchung auBereuropaischer Tonsysteme in der
Musikethnologie. - Zur Berechnung des absoluten
C. wird 1 Hz = C gesetzt; es ergeben sich dann:
2 Hz = 1200 C, 4 Hz = 2400 C usw. mit den dazuge-
horenden Zwischenwerten.
Lit. : A. J. Ellis, Tonometrical Observations on Existing
Non-Harmonic Scales, Proceedings of the Royal Soc.
XXXVII, 1884, deutsch v. E. M. v. Hornbostel als: Ober
d. Tonleitern verschiedener Volker, Sammelbde f. verglei-
chende Mw. I, 1922; H. Husmann, Fiinf- u. siebenstellige
Centstafeln zur Berechnung mus. Intervalle, =Ethno-
Musicologica II, Leiden 1951.
Cento (lat., Flickwerk; ital. centone), ein aus Versen
oder Versteilen (z. B. Homer, Vergil oder Ovid) neu
zusammengesetztes Gedicht. C. werden auch Choral-
melodien genarmt, die aus schon vorhandenen Melo-
dieteilen zusammengesetzt sind. Johannes Diaconus
spricht vom Antiphonarius c. des Papstes Gregor I.,
um damit eine Zusammenstellung verschiedener
Oberlieferungen zu kennzeichnen. Als C. bezeichnet
daher die Musikforschung heute Stimmen, die aus ver-
schiedenen Melodieteilen gereiht sind, wie sie in der
Motette, der Chanson und besonders im -»■ Quodlibet
vorkommen. Im 18. Jh. war C. s. v. w. ->■ Pasticcio.
Lit. : O. Delepierre, Tableau de la lit. du c. chez les anciens
et chez les modernes, I— II, London 1874-75; P. Wagner,
Einf tinning in d. Gregorianischen Melodien I, Lpz. 3 191 1,
Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; P. Ferretti
QSB, Esthdtique gregorienne ou Traite des formes du
chant gregorien, Paris, Toiirnai u. Rom 1938.
Cercar della (la) nota (tjerk'a:r d'ella n'a:ta, ital.,
die Note suchen), Gesangsverzierung des 17. Jh. Man
laBt die obere oder die untere Nebennote kurz und leise
vor der Hauptnote erklingen, wobei man die Textsilbe
der Hauptnote bereits auf diese Nebennote nimmt
(->- Anticipation - 3) und sie an die folgende Haupt-
note anbindet :
Do - mi-
150
Chaconne
Ceylon.
Lit.: V. Arvey, Ancient Music and Dance in Modern C,
Etude LX, 1 942 ; V. Raghavan, The Kandyan Dance, Mu-
sic Acad. Journal XXI, 1921 ; D. Surya Sena, Folk Songs
of C, Journal of the International Folk Music Council VI,
1954 ; B. de Zoete, Dance and Magic Drama in C, London
1957.
C. f. ->■ Cantus firmus.
Cha-Cha-Cha (tja-tfa-tja, eigentlich Cha-Cha, laut-
malerisch fiir zwei langsame Schritte; im Stuck kom-
men drei schnelle Schritte, cha-cha-cha, vor), moder-
ner Modetanz aus Kuba im bewegten 2/4- und 4/4-
Takt. Der Tanz wurde (wahrscheinlich von Enrique
Jorrin in Habana 1953) aus dem -»■ Mambo entwickelt,
seit 1957 ist er in Europa bekannt. Typisch fiir den
Cha-Cha-Cha sind die Riff-Bildungen in der Musik
mit dem Rhythmusschema :
id) j~m jtji oder mn im
* v -« / > > > >
Chaconne (Jak'an, frz. ; ital. ciaccona; span, chacona),
Tanz von oflfenbar spanischer Herkunft, als Chacota
erstmals 1517 beim spanischen Dichter Torres Naharro
in der Bedeutung eines bauerlichen Liedes genannt (Di-
ganvos una chacota que andavan por la dehesa). Bereits um
1560 sieht L. Panciatichi die Ch. als Instrumentalstiick
zusammen mit der Sarabande (Ciaccona e Sarabande
sono sonate famose), eine Verbindung, die auch spater
wiederholt begegnet, so bei Cervantes (1610), der bei-
de zusammen mit der Folia nennt, bei Lope de Vega
(1618), der Ch. und Sarabande als schamlose und wilde
Tanze bezeichnet, bis zum Dictionnaire de I'Academie
francaise (1694), in dem die Ch. als eine Espece de sara-
bande par couplets avec ie mesme refrain definiert wird.
Die hier gegebene Erklarung der Form scheint schon
fiir die friihesten Belege mit ihrer Nahe zu vokalen
Refrainformen und eingeschobenen Couplets giiltig zu
sein und hat sich in der (mindestens franzosischen) Lied-
uberlieferung bis in das 19. Jh. erhalten. Uber die Lau-
ten- und Gitarrenmusik diirfte die Vermittlung der
Ch. von Spanien nach Italien erfolgt sein. Hier erfahrt
sie formale Bereicherungen, die erst im spateren Ver-
lauf des Jahrhunderts wieder auf Spanien zuriickwir-
ken, wo der Tanz inzwischen im Gegensatz zu den
iibrigen Landern unmodern geworden war. Minde-
stens seit 1610 zeigen Werke der italienischen Lauten-
und Gitarrenmusik das Aufkommen der Variations-
Ch., die aber in Italien zahlenmaBig bald vor der
mit der Ostinatotechnik verbundenen Ch. zuriicktritt.
Neben der in minderer Zahl vertretenen Passacaglia
findet sich die Ch. u. a. in den Tabulaturen von Sanse-
verino (1622), G. A. Colonna (1623), Caliginoso (1626)
und Pico (1628), stets im ungeraden Takt und in Dur
gegeniiber den sowohl Zweier- und Dreiertakt als auch
Dur und Moll verwendenden Passacaglien. Im Gegen-
satz zur freieren BaBbehandlung der Passacaglia wird
etwa seit Frescobaldi der vermutlich vokalem Beispiel
folgende stxenger durchgefiihrte Ostinato, der in der
Ensembleinstrumentalmusik zuerst bei S.Rossi (1613)
auftritt, zum Charakteristikum der italienischen Ch.
Seit etwa 1650 unterscheidet sie sich neben der Dur-
tonalitat weitgehend auch durch Auftaktlosigkeit von
der gleichzeitigen italienischen Passacaglia. Wo im 18.
Jh. (wie bei Dall'Abaco) diese Unterschiede zwischen
Ch. und Passacaglia verwischt werden, diirfte dies in
erster Linie auf franzosische Einfliisse zuriickgehen. -
Auch in Frankreich ist die Aufnahme der Ch. auf dem
Weg liber die Lauten- und Gitarrenmusik anzuneh-
men, •was die fruhen Belege bei N. Vallet (1618) und
im Ballet des fees de laforet de Saint-Germain (1625) an-
nehmen lassen. Bezeichnend ist die Benennung der
Ch. aus Gaultiers Rhetorique des dieux (1. Halfte des 17.
Jh.) als Sarabande in einer anderen Quelle. Wie in
Italien wird auch in Frankreich die Ch. bald auf die
Tasteninstrumente iibertragen und findet ihre fruhen
Vertreter in Chambonnieres (vor 1640) und seinem
Schiiler L. Couperin. Schon bei ihnen ist die fiir Frank-
reich charakteristische Ch. en rondeau vollig ausgebil-
det, so daB die Verbindung der beiden Formen noch
friiher angenommen werden kann. Im Gegensatz zu
Italien zeigt hier die Passacaille ein strengeres Festhal-
ten am Ostinato, wogegen die Ch. im BaCthema eine
weitgehend freie Behandlung aufweist. Zur Unter-
scheidung von der Passacaille wird in Frankreich im
theoretischen Schrifttum des 17. und 18. Jh. immer
wieder auf die Durtonalitat und das raschere Tempo
der Ch. hingewiesen. DaB aber Tempomodifizierun-
gen der Ch. bereits im 17. Jh. bekannt waren, zeigt die
Ch. grave von N.Lebegue (1675). Die daraus resultie-
rende Verwischung der Formunterschiede und die
Schwierigkeit einer deutlichen Unterscheidung wird
in Bezeichnungen wie Ch. ou Passacaille (L. Couperin)
oder Passacaille ou Ch. (Fr. Couperin, Pieces de violes
1728) deutlich. In Fr. Couperins Ch. a deux temps wird
schlieBlich auch der Dreiertakt nicht mehr als unbe-
dingt giiltig angesehen. Uber die Ballets de cour wird
die Ch. in die franzosische Oper aufgenommen und
findet ihre uber 100 Jahre festgehaltene Auspragung
durch Lully. Die durch die Biihne erforderte Auswei-
tung der Form zeigt sich in zunehmendem MaBe bei
Lully, spater auch bei Rameau und Gretry. Wie bei
diesen wird auch bei anderen Komponisten (u. a. Col-
lasse, Campra, Destouches) ein 3teiliger GroBaufbau in
der Folge Dur-Moll-Dur oder instrumental-vokal-
instrumental bevorzugt. DaB die Ch. als Tanz mit Vor-
liebe die gluckliche Losung der Opernhandlung be-
gleitet, unterstreicht ihren heiteren Charakter. Das
freie Verhaltnis zum Ostinato bleibt dabei auch fiir ihr
Auftreten in der Oper charakteristisch. Mit der Locke-
rung der Ostinatobehandlung in der Passacaille und
dem Fehlen rhythmischer Unterschiede gehen im Lau-
fe des 18. Jh. die beiden Formen mehr und mehr inein-
ander iiber, wof iir die Verwendung der Ch. aus Glucks
Paride ed Elena als Passacaille in Iphigenie en Aulide ein
deutliches Beispiel liefert. Eine Parallele dazu findet
sich schon bei G. Muffat, dessen Passacaglio aus der 5.
Sonate des Armonico tributo (1682) im Concerto grosso
Nr 12 (1701) als Ciacona wiederverwendet ist. Ent-
sprechend den wechselnden Einfliissen folgen die deut-
schen Komponisten in der Ch. italienischem oder fran-
zosischem Vorbild. Dem letzteren steht eine um 1675
entstandene Ciaccona von Kerll mit freier BaBbehand-
lung nahe, wahrend etwa die beiden von Biber be-
kannten Ciacone mit BaBostinato in der italienischen
Tradition stehen. Buxtehude in seinen Orgelwerken
wiederum verwendet von der BaBbehandlung aus ge-
sehen in der C moll- und E moll-Ch. den franzosi-
schen, in der C dur-Ch. den italienischen Typus. Folgt
J.Krieger eindeutig der italienischen Ch., so zeigen an-
dere Komponisten (u. a. J. C. F. Fischer, der in den Or-
chesterwerken dem Vorbild von Lully folgt, in den
Klavierwerken aber unentschieden bleibt) das Schwan-
ken zwischen italienischer und f ranzosischer Tradition,
bzw. - was dem etwa gleichkommt - die Unsicherheit
in der Verwendung der Termini von Ch. und Passa-
caglia. Dennoch scheint die italienische Tradition mit
strenger Behandlung des Ostinatothemas in Deutsch-
land zu uberwiegen. So bezeichnet auch J. G.Walther
(1732) die Ch. als einen Tantz, und eine Instrumental-
piece, deren Bafi-Subjectum oder thema gemeiniglich aus
vier Tacten in 3/4 bestehet, und, so lange als die dartiber ge-
setzte Variationes oder Couplets wdhren, immer obligat,
151
Chalumeau
■ d. i. unverdndertbleibet. Dieser Definition entsprichtz. B.
die Ciaco-
nia F moll
von J.Pa-
chelbel, wahrend sich die besonders kunstvolle und
ausgedehnte Ch. in J.S.Bachs Partita in D moll fur
V. solo (urn 1720, BWV 1004) einer Typisierung
widersetzt.
In England vermochte sich die Ch. an die altere
->■ Ground-Technik anzuschlieBen. Zeigt Purcell auch
hier seine Bindung an die italienische Musik, so lafit
sich bei Handel wieder das Schwanken zwischen ita-
lienischem und franzbsischem Typus feststellen, was,
wie bei der Mehrzahl der deutschen Komponisten,
eine eindeutige Trennung von Ch. und Passacaglia
nicht mehr gestattet. Die historisierenden Tendenzen
der Zeit um 1900 fiihren zu einer Wiederaufnahme der
Form, u. a. durch J. Brahms im SchluBsatz der 4. Sym-
phonic (1885 ; Ch. oder Passacaglia?) und durch M. Re-
ger in der SchluB-Ch. der Sonate op. 42, Nr 4 (1900)
und in der Ch. G moll op. 117, Nr 4 (1910), beide fur
V. solo.
Lit. J. Mattheson, Das Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713;
Mattheson Capellm.; WaltherL; H. Riemann, Hdb. d.
Mg. II, 2, Lpz. 1912, 21921 ; ders., GroBe Kompositions-
lehre II, Bin u. Stuttgart 1903, S. 402-473; G. Beckmann,
Das Violinspiel in Deutschland vor 1700, Bin u. Lpz. 1918 ;
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Bach-Jb. XV, 1918 ; R. Litterscheid, Zur Gesch. d. Basso
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rocks, Biicken Hdb.; L. Nowak, Grundzuge einer Gesch.
d. Basso ostinato in d. abendlandischen Musik, Wien 1932 ;
L. Walther, Die Ostinato-Technik in d. Ch.- u. Arien-
Formen d. 17. u. 18. Jh., = Schriftenreihe d. mw. Seminars
d. Univ. Miinchen VI, Wiirzburg 1940; A. Machabey, Les
origines de la ch. et de la passacaille, Rev. de Musicol.
XXVIII, 1946; K. v. Fischer, Ch. u. Passacaglia, RBM
XII, 1958.
Chalumeau (Jaliim'o, frz.). - 1) Walther nennt 1732
fur Ch. 4 Bedeutungen, zwei beziehen sich auf Schal-
meien (Schaferpfeife und Pfeife des Dudelsacks), die
beiden anderen auf das Ch. im engeren Sinne, ein klei-
nes Biafi-Instrument, so sieben Locher hat (Umfang f !-a 2 ).
Aus diesem Instrument entwickelte Denner um 1700
die -> Klarinette. Diesen verbesserten Typ nennt
Walther im Artikel Ch. als viertes Instrument. Fur
welches Instrument die Ch.-Partien von M.A.Zianis
Caio Pompilio (1704) bis zu Glucks Orfeo (1762) und
Alceste (1767) gedacht waren, ist nicht bekannt. Tele-
manns Ch.-Konzerte deuten auf ein Doppelrohrblatt-
instrument hin. Bei der Klarinette ist Ch. die Bezeich-
nung fiir das tiefe, nicht iiberblasene Register. - 2) Im
franzosischen Orgelbau ist Ch. seit dem 13. Jh. (Dijon:
jeu de ch.) und bis etwa 1475 neben Regal das einzige
Rohrwerk, eine Zungenstimme mit zylindrischem
Becher.
Lit.: WaltherL; V. Fedeli, Zampogne calabresi, SIMG
XIII, 1911/12; O. Kroll, Das Ch., ZfMw XV, 1932/33;
F. G. Rendall, The Clarinet, London (1954, 21957); H.
Becker, Zur Gesch. d. Klar. im 1 8. Jh., Mf VIII, 1955.
Chanson (Jas'5, frz.; lat. cantio, Gesang) bezeichnet
im weiteren Sinne ein Gedicht lyrischen Charakters,
das zum Gesang bestimmt ist, so daB Ch. dem deut-
schen Begriff Lied in seiner allgemeinen Bedeutung
entspricht. Sonderformen sind -*■ Ch. de geste, -*■ Bal-
lade, -> Rondeau, -> Virelai. Im engeren Sinn bezeich-
net Ch. das altfranzosische Minnelied mit Kanzonen-
strophe (-» Kanzone). Nach 1500 ist Ch. eine Sammel-
bezeichnung fiir Lieder der verschiedensten Arten, die
daneben air, melodie, romance, chant heiBen. Der mu-
sikwissenschaftliche Begriff Ch. dagegen ist einge-
schrankt. Er bezeichnet den mehrstimmigen franzosi-
schen Liedsatz speziell des 15./16. Jh., dem der -> Kan-
tilenensatz vorausgeht. Davon ist die (auch das) Ch. als
kabarettistisches Lied des 20. Jh. unterschieden. - Eine
liedhafte Gestalt, die sich - als Einheit im Verschiede-
nen - in der pragnanten Form wie in der Melodik
offenbart, ist in alien Ch.s mehr oder weniger ausge-
pragt. Wie bei Machaut ist auch in den Ch.s Binchois'
(15. Jh.) die Oberstimme von den beiden anderen
Stimmen abgehoben. Der Beginn der Ch. Adieu, adieu
dieu, a - dieu mon_ joi
T^J ' J J
zeichnet sich gegeniiber
: Machaut durch weitrau-
mige, geschlossene Melo-
dik aus. Am Ende des 15. Jh. wird in der imitatori-
schen Ch. einiges von der Pragnanz der Liedmelodik
geopfert, gleichzeitig aber eine Abrundung der me-
lodischen Linie der ganzen Ch. und eine Beherrschung
der architektonischen Formung erreicht, die den Ein-
fluB der groBen geistlichen Kompositionsgattungen
erkennen lassen. Von hier aus geht ein ununterbroche-
ner Traditionszug durch das 16. Jh. Denn selbst die
einfachste Ch. zeugt nun von der Beherrschung der
polyphon-imitatorischen Technik und schlieBt sich
damit an die Kunst des spaten 15. Jh. an. Neue mu-
sikalische Impulse fiir den Liedsatz kamen seit Ende
des 14. Jh. aus Italien (Ciconia, Matheus de Perusio,
Philipus de Caserta) und England (Dunstable). Zu den
Pariser Meistern, die den Weg der Vereinfachung im
beginnenden 15. Jh. wahlten, gehort vor allem Cesaris.
Mit dem Schaffen Dufays und Binchois' wurde die
Zeit der Experimente uberwunden. Nun herrschte der
3st. Satz mit einem AuBenstimmenduo (Cantus und
Tenor) und einer Fullstimme (Contratenor). Die mehr-
stimmige franzosische Ch. des 15. und 16. Jh. ist trotz
ihrer relativen Kiirze eine der bedeutendsten Formen
der europaischen Musikgeschichte. Im Musizieren der
Ch. vereinten sich aristokratische Liebhaber (auch
Frauen) und Berufsmusiker. Zu den fiihrenden Kom-
ponisten gehoren neben Dufay und Binchois vor allem
Baude Cordier, Grenon, Lebertoul, Hugho und Ar-
nold de Lantins, etwas spater Busnois und Hayne van
Ghizeghem. Das Schaffen von Ockeghem, der in
naherer Beziehung zu Binchois stand, eroffnete und
pragte die folgende Phase der Ch.-Komposition. Die
klar gegliederte Oberstimme liedhafter Pragung (Bei-
spiel Binchois, Adieu, adieu), die ausgewogenen Pro-
portionen des Ganzen, die weitraumige Melodik (auch
etwa Dufays Helas, ma dame), die federnde Rhythmik
sowie ein Contratenor, der von einer Fullstimme zum
Harmonietrager wird, geben diesem Satztyp seine spe-
zifische Gestalt. Andererseits wurde versucht, die Ein-
heit des Satzganzen durch imitatorische Verflechtung
der Stimmen zu verwirklichen (schon Binchois' Vostre
alee). Bei der »Durchvokalisierung« geht der klare Auf-
bau der Ch. verloren. So werden bei Ockeghem ge-
rade die Einschnitte kunstvoO verdeckt in einer »Kunst
des Obergangs«, die fiir die Ch. am Ende des 15. Jh.
charakteristisch ist. Diesem ProzeB gehen Entwicklun-
gen parallel in Formen, die am Rande stehen. Das
Quodlibet (etwa Dufays Je vous pri / Tant que mon ar-
gent j Mas tres doulce) schlagt die Briicke zum C. f.-
Satz der Ch. am Jahrhundertende. Die Gattungen der
Motetten-Ch. (motettische Struktur, aber f ranzosischer
Text) und der Liedmotette (Ch.-Struktur, aber latei-
nischer Text) vermitteln den Ubergang zur Ch.-Tech-
nik der Josquinzeit. Die Motetten-Ch., in der der C. f.
in der tiefsten Stimme des 3st. Satzes liegt, ist die Vor-
aussetzung fiir die Entstehung der 4—5st. Tenor-Ch.
152
Chanson
der Josquinzeit. - In der niederlandischen Schule von
Ockeghem bis Willaert spielt die Ch. keine zentrale
Rolle. Ihre imitatorische Satzstruktur ist derjenigen
der groBen geistlichen Formen (Messe, Motette) ver-
wandt. Einige Ch.s wurden immer wieder vertont,
z. B. Petite camusette von Ockeghem, Josquin Desprez,
Willaert u. a. Die schon von Dufay angewandte C. f.-
und Parodietechnik (Dufay, Missa Se la face ay pale)
wurde nun haufig geiibt (Josquin, Obrecht, Pierre de
la Rue, Compere, Brumel). Bei A. Agricola, Josquin,
Pierre de la Rue erreicht der Typ der 4st. durchimi-
tierten Ch. seinen Hohepunkt. Am Anfang des 16.
Jh. bildete sich daneben ein neuer, einfacherer Typ
aus: die Durchimitation wird unterbrochen durch
Duos, homophone Partien und Abschnitte in Parlan-
dodeklamation (Compere, Alons ferons bare). Diesen
einfacheren Stil der »italienischen Ch.« (Gerson-Kiwi),
der den EinfluB besonders der Frottola zeigt, schreiben
Isaac, Brumel, Obrecht, sparer audi Willaert, der aller-
dings zunachst mit Kanonkiinsten begonnen hatte.
Auch ein Druck A. Antiquis' (1520) zeigt diesen Stil (A.
de Fevin, Richafort, Janequin). Die Kompositionsart
der Ch. war so verbreitet, daB sie zum Vorbild nieder-
landischer, deutscher und italienischer Liedkompo-
sition wurde (canzone francese). Die Intavolierung
von Ch.s reicht durch das ganze 16. Jh. ; der Antwer-
pener Drucker Tilman Susato gab 1551 eine Samm-
lung mit Tanzen heraus, deren Vorlagen Ch.s sind.
Auch Ch.s fur Laute wurden gedruckt; noch A. Ga-
brielis Sammlung Canzoni alia francese (1605) enthalt
sowohl Ubertragungen von Ch.s als auch Paraphrasen,
in denen nach motettischer Art einzelne Abschnitte
der Ch. zitiert und durchgefiihrt werden. Waren bis
ans Ende des 15. Jh. Ch.s vorwiegend im -> Chan-
sonnier handschriftlich iiberliefert, so liegen seit Pe-
trucci (Odhecaton, Canti B und C) die meisten gedruckt
vor. Die franzdsischen Drucker Attaingnant und
Adrian le Roy/Ballard in Paris und Jacques Moderne
in Lyon sowie Tilman Susato in Antwerpen brachten
eine groBe Zahl von Ch.s auf den Markt (Attaingnant
in 25 Jahren 50 Sammlungen). Mit dem Druck wan-
delte sich nach 1520 die Ch.-Komposition und wurde
zu einer biirgerlichen Gesellschaftskunst, deren kom-
positorischer Anspruch bcscheiden war. Die Grundla-
ge dieser »Pariser Ch.« ist ein erzahlender, meist fri-
voler, ja obszoner Text. Am bedeutendsten war, neben
Claudin de Sermisy, Janequin, der fast 300 Ch.s ge-
schrieben hat. Textinhalte wurden musikalisch nach-
geahmt (Les critz de Paris, La Bataille, Le siege de Metz).
Die Satztechnik der »Pariser Ch.« ist weitgehend ho-
mophon; die Imitation lebte besonders in der gefiihl-
volleren Ch. weiter. Der EinfluB des Madrigals spielte
eine bedeutende Rolle, wie umgekehrt Madrigale
durch Ubersetzung von Ch.s entstehen konnten.
Drucke nach 1540 erneuerten den EinfluB Josquins.
Komponisten wie Manchicourt, Lupi und Appenzeller
schrieben, nachdem sie zunachst der »Pariser Ch.« nahe-
standen, polyphone Ch.s. Diese wurden unter dem
EinfluB des Madrigals zur Funf- bis Sechsstimmigkeit
erweitert. Von Gombert, Crecquillon, vor allem von
Orlande de Lassus und Claude le Jeune wurde dieser
Typ zu einer letzten Bliite gefiihrt. Aus dem einfachen,
syllabisch deklamierenden Satztyp, dem -y Vaudeville,
entwickelte sich das Air de cour, in das auch die lau-
tenbegleitete Ch. mundete. In diese Bemiihungen um
eine solistische Ch. griffen die Dichter der Ple'iade
(Ronsard, Ba'if) ein. Sie entwickelten nach antikem
Vorbild eine nach Lange und Kiirze gemessene reimlo-
se Strophenform, der eine Musik entsprechen sollte,
die das Versmafi streng einhalt: die -»■ Vers mesures.
Certon, Goudimel, auch Janequin widmen sich der
Komposition solcher Stiicke; Costeley und Le Jeune
fiihren diese Kompositionsart zu einem Hohepunkt,
der deutlich auf die Monodie vorausweist. - Die re-
formatorischen Bestrebungen im 16. Jh. regten einen
Ch.-Typ an, der in der 2. Half te des Jahrhunderts zur
Mode wurde: die ->■ Ch. spirituelle. - Trotz der rei-
chen Produktion (bei le Roy/Ballard wurden in knapp
50 Jahren 1963 Ch.s und 491 Psalmen und Ch.s spiri-
tuelles gedruckt) und der Vielfalt der Typen verlor die
Ch. gegen Ende des Jahrhunderts an Bedeutung. In der
europaischen Musik herrschte unter den weltlichen
Gattungen nunmehr uneingeschrankt das Madrigal.
Mit dem Stilwandel um 1600 versch wand die Ch.
Seit dem 17. Jh. ist Ch. eine Sammelbezeichnung f iir
Strophenlieder heiteren, galanten, politisch-satirischen
oder sentimentalen Inhalts. Zu den bekannteren Kom-
ponisten von Ch.s im 18. Jh. gehoren: Philidor,
Rameau, Martini, Dalayrac, Monsigny, Gretry, La-
borde, Piccinni. Zu dieser Ch.-Gattung zahlen auch die
Revolutions-Ch.s (Marseillaise, Ca ira). Einer der be-
deutendsten Schopf er der volkstumlichen patriotischen
Ch. war im 19. Jh. P.J. de Beranger. Wahrend die Ch.
bis zur Jahrhundertmitte weitgehend von den Societes
chantantes gepflegt und von StraBensangern verbreitet
wurde, verhalf ihr wahrend der 2. Jh.-Halfte das
Cafe-concert zu gesteigerter Popularitat. Hier traten
Chansonniers wie Amiati, Theo, Yvette Guilbert,
Fragson auf und begriindeten einen neuen Ch.-Stil,
der sich in den 1880er Jahren fortsetzte in den Ch.s
litteraires, die in den Pariser Cabarets und Boites von
ihren Verfassern (Poetes-chansonniers) selbst vorge-
tragen wurden. Die neuere Ch. des 20. Jh. ist weniger
durch ihre Verfasser als vielmehr durch ihre Chanson-
niers bestimmt, wie Mistinguett, Dranem, Chevalier,
Trenet, Edith Piaf , Lucienne Boyer, Tino Rossi, Bras-
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Francoise Hardy, Charles Aznavour.
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1400-1550, Cambridge (Mass.) 1963; P.Gulke, Das Volks-
lied in d. burgundischen Polyphonie d. 15. Jh., Fs. H. Bes-
seler, Lpz. 1961; M. A. Baird, Changes in the Literary
Texts of the Late 1 5 th and Early 16 th Cent., as Shown in the
Works of the Ch. Composers of the Pays-Bas Meridionaux,
MD XV, 1961 ; K. Ph. Bernet Kempers, Jacobus Clemens
non. Papa's Ch. in Their Chronological Order, MD XV,
1961 ; U. Gunther, Das Ende d. ars nova, Mf XVI, 1963;
Ch. and Madrigal, 1480-1530, Studies in Comparison and
Contrast, hrsg. v. J. Haar, = Isham Library Papers II,
Cambridge (Mass.} 1964; W. Marggraf, Tonalitat u.
Harmonik in d. frz. Ch. zwischen Machaut u. Dufay, Af Mw
XXIII, 1966. HK
Chanson de geste (Jas'5 da 3'est, frz. ; lat. cantus gestu-
alis, »Tatenlied«), epische Dichtungen des franzosi-
schen Mittelalters, in denen sagenhafte und geschicht-
liche Vorgange aus der nationalen Vergangenheit ide-
alisiert dargestellt werden und der christliche Held zum
Vorbild fur die eigene Epoche (Zeit der Kreuzziige)
stilisiert wird. Ober 100 Ch.s de g. sind in altfranzosi-
scher Sprache erhalten, von denen der iiberwiegende
Teil aus dem 12. Jh. stammt. Dem Umfang nach sind
die Epen sehr unterschiedlich. Sie umspannen teilweise
iiber 20000 Verse. Es sind durchweg assonierende
lOSilbler bzw. spater auch 12Silbler, die zu strophen-
artigen Abschnitten von unterschiedlichcr Lange (Lais-
sen oder Tiraden) zusammengefaBt werden. Das be-
kannteste und kiinstlerisch bedeutendste -> Epos ist die
Chanson de Roland (um 1100). - Zu den Ch.s de g. ist
keine authentische Melodie uberliefert, doch ist be-
zeugt, daB sie von Jongleurs zur Fiedel (vielle), spater
auch zur Drehleier (cifonie) gesungen wurden. Wahr-
scheinlich handelte es sich dabei um die bestandi-
ge Wiederholung einer Zeilenmelodie, die dem Bau
der Verszeile entsprach und wohl mehr oder weniger
formelhaft (wie etwa bei den liturgischen Lesungen)
gestaltet war. Besteht der LaissenabschluB aus einer
Kurzzeile, so wurde vielleicht eine instrumentale Ab-
schluBkadenz angehangt, die das fehlende Zeilensttick
ersetzte und iiberdies als gliederndes Mittel erschien.
Als indirekte Zeugnisse sind aus dem 13. Jh. 2 Zeilen-
melodien zu Ch. de g.-Parodien erhalten, zur Bataille
d'Annecin (vgl. Gerold 1932, S. 82) und zum Audigier
(zitiert von ->■ Adam de la Halle im Jeu de Robin et de
Marion, ed. Gennrich, S. 33). Wie weit hier sowie in
der iiberlieferten Melodie zu den lyrischen Laissen der
Chantefable Aucassin et Nicolette (Gennrich 1932, S. 43,
in anderer Ubertragung MGG II, Sp. 1083) Melodie-
formeln epischer Laissen der Ch. de g. erhalten, wie
weit sie umgestaltet oder karikiert sind, ist umstritten.
-J. de Grocheos Beschreibung der Ch. de g. (um 1300)
halt als einziges musikalisches Merkmal die endlose
Wiederholung einer Zeilenmelodie fest. Sie lautet
(nach den Handschriften, der Text Rohloffs ist an die-
ser Stelle unbrauchbar) : Versus (d. h. die Zeilen) autem
in cantu gestuali, qui ex pluribus uersiculis (d. h. Laissen)
efficitur, in eadem consonantia dktaminis cadunt. In aliquo
tamen cantu clauditur per versum ah aliis consonantia dis-
cordantem, sicut in gesta quae dicitur Girardo de Viana.
Numerus autem versuum in cantu gestuali non est determina-
te, sed secundum copiam materiae et voluntatem composi-
toris (d. h. des Dichters) ampliatur. Idem etiam cantus de-
bet in omnibus versibus reiterari.
Lit. : Adam de la Halle, Le jeu de Robin et de Marion . . . ,
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl. XX, Langen
1962; Der Musiktraktat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Roh-
loff, = Media Latinitas Musica II, Lpz. 1943 ; J. Beck, La
musique des ch. de g., in: Sb. d. Acad, des Inscriptions et
Belles-lettres I, Paris 1911; Fr. Gennrich, Der mus. Vor-
trag d. altfrz. Ch. de g., Halle 1923 ; ders., GrundriB einer
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; Th. Gerold, La
musique au moyen age, Paris 1932; J. Chailley, Etudes
mus. sur la ch. de g. et ses origines, Rev. de Musicol. XXX,
1948 ; ders., Autour de la ch. de g., AMI XXVII, 1955; R.
Louis, Le refrain dans les plus anciennes ch. de g. et le sigle
AOI dans le Roland d'Oxford, in : Melanges ... I. Frank,
= Annales Univ. Saraviensis VI, 1957; J. van der Veen,
Les aspects mus. des ch. de g., Neophilologus XLI, 1958;
Ch. de g. u. hofischer Roman, Heidelberger Kolloquium
30. 1. 1961, = Studia Romanica IV, Heidelberg 1963.
Chansonnier (Jasoni'e, frz., Liederbuch), in der neue-
ren wissenschaftlichen Literatur eingefuhrte Bezeich-
nung fiir eine Sammlung franzosischer weltlicher Lie-
der, die nur den Text oder auch Melodien oder mehr-
stimmige Satze dazu enthalten. Zum 1st. Ch.-Reper-
toire gehoren vor allem die mit Melodien versehenen
Manuskripte der -*■ Trobadors und ->■ Trouveres. Die
Melodien der Trobadors sind uberliefert in 4 Hand-
schriften: der »Chansonnier d'Urfe« (Paris, Bibl. Nat.,
ms. fr. 22543, olim 2701, La Valiere 14; Sigel: R) mit
heute 151 Folios, entstanden um 1300 im Languedoc,
bringt Melodien zu 160 seiner insgesamt etwa 1090
Lieder; der Codex Mailand, Bibl. Ambrosiana, ms.
R 71 superiore (Sigel: G) mit 142 Folios, Anfang des
14. Jh. in Italien geschrieben, enthalt 81 Melodien;
kleinere Sammlungen enthalten die Trouverehand-
schriften »Chansonnier du Roi« (Paris, Bibl. Nat., ms.
fr. 844, Sigel fiir den provenzalischen Teil: W) mit 51
und »Chansonnier de St-Germain« (Paris, Bibl. Nat.,
ms. fr. 20050, Sigel fiir den provenzalischen Teil: X)
mit 24 Trobadormelodien. - Die Melodien der Trou-
veres sind in einer Reihe meist umfangreicher Hand-
schriften des 13. und friihen 14. Jh. gesammelt, die
sich zum groBeren Teil in der Bibliotheque Nationale
(fonds francais) in Paris befinden; genannt seien die
Manuskripte: 844 (»Ch. du Roi«, Sigel: M oder Pbi,
fiir die provenzalischen Melodien: W, fiir die Motet-
154
Chansonnier
ten: R; zum Teil zerstort, jetzt 217 Folios, darin 417
Trouveremelodien), 20050 (»Ch. de St-Germain«,
Sigel: U oder Pb 12 , fur die provenzalischen Melodien:
X, fur die Motetten: PaU; 173 Folios, darin 93 Trou-
veremelodien), 765 (Sigel: L oder Pfci oder LP; ein
Faszikel von 16 Folios, anscheinend zusammengehorig
mit einem Faszikel von 8 Folios in Bern, Stadtbibl.,
ms. 231, Sigel: B oderfii oder LB), 845 (Sigel: Noder
Pb*; 191 Folios), 846 (»Ch. Cange«, Sigel: O oder Pbs,
fur die Motetten: PaO; 217 Folios), 847 (Sigel: P oder
Pb6, fur die Motetten: PaP; 228 Folios, darin etwa 300
Melodien), 1591 (Sigel: R oder Pb»; 184 Folios, darin
235 Melodien), 12615 (»Ch. de Noailles«, Sigel: T
oder Pb 11 , fur die Motetten: N; 233 Folios, darin etwa
360 Melodien), 24406 (Sigel: Koder Pb™\ 155 Folios,
darin 310 Melodien), ferner n. a. fr. 1050 (»Ms. Clai-
rambault«, Sigel: X oder Pbn, fur die Motetten: PaX;
272 Folios) ; unter den ->■ Quellen vermischten Inhalts
ist Fauv hervorzuheben. An Manuskripten anderer
Bibliotheken seien genannt: Arras, Bibl. municipale,
ms. 657 (»Ch. d'Arras«, Sigel: A; 212 Folios); London,
Brit. Mus., ms. Egerton 274 (Sigel: a, fur die Motet-
ten: LoB; 160 Folios, im 4. Faszikel Trouveremelo-
dien); Paris, Bibl. de 1' Arsenal, ms. 5198 (»Ch. de
1' Arsenal«, Sigel : K oder Pa, fiir die Motetten : Ars ; 21 1
Folios); Rom, Bibl. Vat., ms. Reg. Christ. 1490 (Sigel:
D oder R l , fiir die Motetten: V; teilweise zerstort,
jetzt 181 Folios, darin etwa 300 Melodien) ; Siena, Bibl.
comunale, ms. H. X. 36 (Sigel: Z oder S 1 ; 54 Folios). -
Als Hauptquellen fiir die 1st. Chanson des 15. Jh. gel-
ten die Handschriften Paris, Bibl. Nat., ms. fr. 9346
(»Ms. de Bayeux«) und 12744, deren Melodien viel-
fach als Tenores mehrstimmiger Satze verwendet
wurden.
Die Sammlung mehrstimmiger Chansons in speziellen
Handschriften setzt um 1430 ein. War im friihen 15.
Jh. die »gemischte Quarthandschrift« (Besseler) mit
einem MaB von etwa 30:20 cm vorherrschend, wie
sie in den -> Quellen ModA, O, Tr und Ao vorliegt, so
werden nun die weltlichen und geistlichen Kompo-
sitionen getrennt. Die Entwicklung verlauft einerseits
zum groBformatigen (geistlichen) -> Chorbuch, an-
derseits zum Ch., der zunachst die GroBe 25:16 cm
hat, im Laufe des 15. Jh. zum Duodezformat 17:12 cm
schrumpft und nur in einzelnen Fallen aus reprasen-
tativen Griinden ebenfalls im Chorbuchformat ange-
legt wird (wie ein Chansonalbum der Margarete von
Osterreich). Neben Pergament wird Papier verwen-
det; der Bildschmuck ist oft reichhaltig, da die iiber-
lieferten Ch.s meist aus hofischem Umkreis stammen.
In der Regel stehen auf einem zweiseitigen Lesefeld
links der Cantus mit Text, rechts (untextiert) Tenor
und Contratenor. Aus der 1. Halfte des 15. Jh. sind vor
allem folgende Ch.s zu nennen: El Escorial, ms. V. III.
24 (Sigel: Esc A); Miinchen, Bayerische Staatsbibl.,
Cod. gall. 902 (friiher Mus. Ms. 3192, Sigel: MiiM);
Paris, Bibl. Nat., ms. Rothschild 2973 (olim I. 5. 13;
»Ch. de J. de Montchenu« oder wegen seines herzfor-
migen Umrisses »Ch. Cordiforme«) und ms. n. a. fr.
4379, 2. Teil (Sigel : PC II). Der erste Teil dieser Hand-
schrift (Sigel: PC I) ist aus dem Ch. Sevilla, Bibl. Co-
lombina, ms. 5-1-43 (Sigel: Sev) herausgelost worden;
dicscr von Dr. Plamenac in seinem Zusammenhang re-
konstruierte Codex gehort zu den wichtigsten Ch.s
der Zeit um 1450-80. Aus dieser Gruppe seien ferner
genannt: Berlin, Kupferstichkabinett, ms. 78 c 28
(olim Hamilton 451) ; Dijon, Bibl. municipale, ms. 517
(Sigel: Di oder Dij); El Escorial, ms. IV. a. 24 (Sigel:
EscB); Florenz, Bibl. Naz., ms. Magi. XIX. 176, und
Bibl. Riccardiana, ms. 2356; Kopenhagen, Kgl. Bibl.,
ms. Thott 291 8°; Monte Cassino, Arch, e Bibl. Ab-
baziale, ms. 871 N; New Haven, Yale Univ. Library,
Mellon Ch.; Neuilly-sur-Seine, Bibl. G.Thibault, Ch.
Nivelle de la Chaussee; Pavia, Univ.-Bibl., ms. Aldini
362 (Sigel : Pav) ; Porto, Bibl. municipal, ms. 714 (Sigel :
Pot); Wolfenbiittel, Herzog August Bibl., ms. 287
extravag. (Sigel: Wol). Zur spatesten Gruppe hand-
schriftlicher Ch.s, um 1480-1520, gehoren: Brussel,
Bibl. Royale, ms. .228 und 11239 (Chansonalben
der Margarete von Osterreich) ; Cortona, Bibl. comu-
nale, mss. 95-96 (Cantus und Altus, der Tenor liegt
in Paris, Bibl. Nat., ms. n. a. fr. 1817) ; Florenz, Bibl.
Naz., ms. Panciatichi 27, und Bibl. Riccardiana, ms.
2974; London, Brit. Mus., ms. Harley 5242 (»Ch. de
Francoise«); Paris, Bibl. Nat., ms. fr. 2245 (Compere-
Ch., geschrieben 1496), 15123 (»Ch. Pixcrccourt«,
Sigel: Pix) und n. a. fr. 4379, 3. Teil (Sigel: PC III);
Rom, Bibl. Casanatense, ms. 2856, und Bibl. Vat., ms.
Capp. Giulia XIII 27 (»Medici-Ch.«); Tournai, Bibl.
de la Ville, ms. 94 ; Washington, Library of Congress,
ms. M. 2. 1. L 25 Case (»Ch. Laborde«, Sigel: Lab).
Auch eine Anzahl friiher Notendrucke, so schon Pe-
truccis Harmonice Musices Odliecaton A (Venedig 1501),
sind als Ch.s angelegt.'
Ausg. : Trobadors u. Trouveres : U. Sesini, Le melodie tro-
badoriche nel canzoniere provenzale della Bibl. Ambrosia-
na, in: Studi medievali.N.S.XII 1939-XV, 1942,separat
Turin 1942, Faks. u. Obertragung; Les ch. des trouba-
dours et des trouveres, hrsg. v. J. B. u. L. Beck, I, 1 : Re-
production phototypique du Ch. Cange, I, 2: Transcrip-
tion . . ., Paris 1927, II: Le Ms. du Roi, 2 Bde, London u.
Philadelphia 1938, Faks. u. Obertragung; Le ch. frc. de St-
Germain-des-Pres, hrsg. v. P. Meyer u. G. Raynaud, Pa-
ris 1 892, Faks. ; Le ch. de 1' Arsenal, hrsg. y. P. Aubry u. A.
Jeanroy, Paris u. Lpz. (1909), Faks. u. Obertragung, un-
vollstandig; Le ch. d' Arras, hrsg. v. A. Jeanroy, Paris
1925, Faks. ; Fr. Gennrich, Die altfrz. Liederhs. London,
Brit. Mus. Egerton 274, Zs. f. romanische Philol. XLV,
1926, Obertragung; II canzoniere francese di Siena, hrsg.
v. N. Spaziani, Florenz 1957; Eine altfrz. Liederslg. Der
anon. Teil d. Liederhss. KNPX, hrsg. v. H. Spanke, = Ro-
manische Bibl. XXII, Halle 1925, Ausg. d. anon. Texte,
dazu 42 Melodien in Obertragung.
15. Jh.: einst.: Le ms. de Bayeux, hrsg. v. Th. Gerold,
StraBburg u.Paris 1921. -mehrst. : Codex Escorial . . . Ms.
V. III. 24, Faks. hrsg. v. W. Rehm, = DM1 II, 2, 1958; Le
ch. de J. de Montchenu, hrsg. v. G. Thibault, Paris 1965 ;
Sevilla 5-1-43 u. Paris N. A. fr. 4379 (Teil I), Faks. hrsg. v.
Dr. Plamenac, = Publications of Mediasval Mus. Mss.
VIII, Brooklyn (N. Y.) 1962; Trois ch. frc. du XV e s. I,
hrsg. v. E. Droz, Y. Rokseth u. G. Thibault, = Docu-
ments artistiques du XV e s. IV, Paris 1 927, Teilausg. v. Di ;
Der Kopenhagener Ch., hrsg. v. Kn. Jeppesen u. V. Bron-
dal, Kopenhagen u. Lpz. 1927; E. J. Pease, An Ed. of the
Pixerecourt Ms., 3 Bde, Diss. Bloomington 1959, maschr. ;
ders., Music from the Pixerdcourt Ms. I, Ann Arbor 1960.
Lit. : zu d. Trobadors u. Trouveres: E. Schwan, Die altfrz.
Liederhss Bin 1886; A. Jeanroy, Bibliogr. sommaire
des ch. fr?. du Moyen-Age, = Classiques frc. du Moyen-
Age XVIII, Paris 1918; Fr. Gennrich, Die beiden neue-
sten Bibliogr. altfrz. u. altprov. Lieder, Zs. f. romanische
Philologie XLI, 1921 ; ders., Das Frankfurter Fragment
..., ebenda XLII, 1922; L. de La Laurencie u. A.
Gastoue, Cat. des livres de musique . . . de la Bibl. de 1' Ar-
senal a Paris, = Publications de la Soc. fr?. de musicologie
II, 7, Paris 1936; G. Raynaud, Bibliogr. d. altfrz. Liedes,
neu bearb. v. H. Spanke, I, Leiden 1955, dazu Fr. Genn-
rich in: Mf X, 1957; R. G. Dennis, Ein wiedergefundenes
Fragment . . ., Mf XII, 1959; J. Schubert, Die Hs. Paris,
Bibl. Nat. fr. 1591, Diss. Ffm. 1963.
15. Jh., mehrst., allgemein: H. Besseler, Studien zur Mu-
sikd. MA, AfMwVII, 1925 -VIII, 1926; ders., Bourdon
u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; W. H. Rubsamen, Music
Research in Ital. Libraries, in: Notes II, 6, 1948/49 - 8,
1950/51, separat Los Angeles 1951 ; G. Reese, Music in the
Renaissance, NY 1954, 21959; Th. Karp, A Lost Medieval
Ch., MQ XLVIII, 1962. - zu einzelnen Ch. : P. Aubry, Iter
Hispanicum, SIMG XIII, 1906/07, separat Paris 1908, zu
155
Chanson spirituelle
EscA u. EscB ; Br. Kultzen, Der Codex Escorial IV. a. 24,
Diss. Hbg 1956, maschr. - J. Porcher u. E. Droz, Le Ch.
de J. de Montchenu, in: Les tresors des bibl. de France
XVIII, 1933 ; E. L. Kottick, The Music of the Ch. Cordi-
f orme, Diss. Univ. of North Carolina 1 962, maschr. - H. An-
gles, El »Ch. Frc.« de la Colombina de Sevilla, in: Estudis
Univ. Catalans XIV, 1929; Dr. Plamenac, A Reconstruc-
tion of the French Ch. in the Bibl. Colombina, MQ
XXXVII, 1951 - XXXVIII, 1952. - St. Morelot, Notice
sur un ms. de musique ancienne de la Bibl. de Dijon, in :
Memoires de la Commission des antiquites du Departe-
ment de ia C6te-d*Or IV, 1856. - Dr. Plamenac, The
»Second« Ch. of the Bibl. Riccardiana (cod. 2356), Ann.
Mus. II, 1954 u. IV, 1956. - A. Pirro, Un ms. mus. du XV e
s. au Mont Cassin, in: Cassinensia I, 1929/30. - M. F. Bu-
kofzer, An Unknown Ch. of the 15 th Cent., (The Mellon
Ch.), MQ XXVIII, 1942. - B. Meier, Die Hs. Porto 714 als
Quelle zur Tonartenlehre d. 15. Jh., MD VII, 1953. - M.
Picker, The Chanson Albums of Marguerite d'Autriche,
Ann. mus. VI, 1958/63. - G. Grober, Zu d. Liederbiichern
v. Cortona, Zs. f . romanische Philologie XI, 1 887. - A. J. H.
Vincent, Note sur un ms. du XV e s., Paris 1858, zu Lab;
H. E. Bush, The Laborde Ch., PAMS XLVI, 1940. - P.
Chaillon, Le ch. de Francoise (Harley 5242 Br. Mus.),
Rev. de Musicol. XXXII, 1953. - H. Hewitt, Einleitung
zur Ausg. v. : Harmonice Musices Odhecaton A, = The
Mediaeval Acad, of America Publication XLII, = Studies
and Documents V, Cambridge (Mass.) 1946.
Chanson spirituelle, Chansonmorale (Jas'o spiri-
tual, - mar'al, frz.). Ch.s sp.s kamen ab etwa 1530 auf
im Bereich der reformierten Kirche und im Zusam-
menhang mit der Gegenreformation in Frankreich; es
waren textliche Uberarbeitungen (Parodien) weltlicher
Chansons oder auch Neukompositionen. Die frivolen
Texte der weltlichen Chansons wurden in moralische
oder geistliche geandert.
Lit.: H. M. Brown, The Ch. Sp., J. Buus, and Parody
Technique, JAMS XV, 1962.
Chant, Chanting (tfa:nt, engl., Gesang), in England
der Psalmen- und Canticagesang, besonders der angli-
kanischen Kirche. Beim Single ch. hat jeder neue Vers
eine eigene Melodie, beim Double ch. werden zwei
Verse nacheinander auf dieselbe Melodie gesungen.
Das alteste Buch mit Ch.s ist Merbeckes The booke of
Common praier noted (1550), in der Hauptsache eine An-
passung gregorianischer Melodien des Graduale und
Breviers an die englischen Obersetzungen der Texte.
Weitere Biicher gaben J.Day, J. Dowland, Th.East
u. a. heraus. Nur voriibergehend verstummten zur
Zeit Cromwells die Ch.s; schon 1663 wurden sie durch
J. Clifford wieder eingefiihrt. Charakteristisch fur die
Ch.s ist die Harmonisierung im schlichten 4st. Satz.
Lit. : W. K. Stanton, The Canticles Pointed, Tanworth-in-
Arden 1946.
Chanterelle (Jatr'el, frz. ; ital. cantino), Sangsaite, die
hochste Saite der Streich- oder Zupfinstrumente.
Charakterstuck ist die Sammelbezeichnung fiir lyri-
sche Stiicke bzw. Genrestucke, wie sie besonders im
19. Jh. - teilweise auch noch im 20. Jh. - beliebt waren.
Man versteht darunter ein kiirzeres, bisweilen zyklisch
gebundenes instrumentales Einzelstiick (hauptsachlich
fiir Klavier) beliebiger Form, dessen Charakter meist
schon durch die Uberschrift bezeichnet wird. Diese
Uberschriften reichen von Unverbindlichkeiten wie
Moment musical, Albumblatt oder Intermezzo bis zu
poetisierenden Assoziationen wie in den Waldszenen
von R. Schumann (z. B. Vogel als Prophet). Das Ch. un-
terscheidet sich von der -»■ Programmusik darin, daB
es weniger AuBermusikalisches darstellt, als vielmehr
dessen Wirkung auf den Menschen bewufit werden
lafit. Seine Welt ist daher das Zustdndliche, Stimmungs-
hafte ( W. Kahl) . Dies bekunden der auffallig konzentrierte
Ausdrucksgehalt der Einzelmotive das entziickte
Verweilen des Komponisten bei der Einzelwirkung, das
Schwelgen in dem Zauber des Wohlklanges (H.Riemann).
- Als Vorlaufer der Gattung darf manches Genrestiick
der »Virginalisten« betrachtet werden, desgleichen die
Tombeau-Kompositionen in der franzosischen Lauten-
musik des 17. Jh., die bei J.J.Froberger unter dem Na-
men Lamentation (-> Lamento) ihr erstes klavieristi-
sches Seitenstiick finden. Weitere Vorlaufer stellen die
Genrestucke der franzosischen Clavecinisten dar, vor
allem die von Fr. Couperin : u. a. Les langueurs tendres
(Pieces de clavecin II, 6' ordre), oder von J.-Ph.Rameau:
La triomphante (Nouvelles suites de pieces de clavecin).
Waren diese Kompositionen noch suitenartig zusam-
mengefaBt, so schreibt C. Ph. E.Bach Einzelstiicke
(z. B. Les langueurs tendres, 2. Sammlung Musikalisches
Allerley, 1761). Gegen Ende des 18. Jh. entstanden
unter EinfluB der »Nachahmungsasthetik« sogenannte
»charakteristische Stiicke« mit Titeln wie »Frohlich-
keit«, »Zartlichkeit«, »Schwermut«, »Zorn« (so G.Chr.
Fiiger in seinen Characteristischen Klavierstiicken von
1783 oder 1784). Verwandte Uberschriften kommen
in der Unterrichtsliteratur der 2. Halfte des Jahrhun-
derts vor (-»- Handstiick). Das eigentliche Ch., das ly-
rische Klavierstiick der Romantik, setzt ein mit den
1810/11 erschienenen Six Eclogues op. 35 von V.J.
Tomasek. Er und sein Schiiler J. H. Vofisek (Rhapso-
dien, 1818; Impromptus, 1822) beeinfluBten Schubert
(Impromptus op. 90 und op. 142, Moments musicaux,
Drei Klavierstucke). Unabhangig davon entstanden die
Nocturnes fiir Kl. des Clementi-Schiilers J. Field (ab
1814) sowie die Klavierstucke einiger nord- und mittel-
deutscher Komponisten wie A. A. Klengel, F. Ries, J. L.
Bohner und N. Burgmiiller. Manche mehr kantable als
brillante Klavieretiide von J.B. Cramer, D. Steibelt, L.
Berger und I. Moscheles trug wesentlich zur Entstehung
der Lieder ohne Worte (ab 1830) von F.Mendelssohn
Bartholdy bei. Entgegen dem reflexionslosen Typ des
Ch.s von Schubert meldet sich bei Mendelssohn die fiir
die Romantik typische assoziative Gestaltungsweise in
Uberschriften wie Jagdlied, Venetianische Gondellieder,
in Beischriften und bisweilen in erlauternden Zeich-
nungen (Handschrift der 3 Phantasien op. 16 fiir Kl.)
zu Wort. Hier setzt Schumann ein, der das poetisie-
rend-assoziative Verfahren weit iiber Mendelssohn
hinaustreibt und einige Titel erstmalig in die Musik
einfuhrte (z. B. -*■ Arabeske, Blumenstuck, -> Humoreske,
-*■ Nouellette). Auch neigt er dazu, die einzelnen Ch.e
zu Zyklen zusammenzufassen (z. B. Papillons, Carna-
val). Durch Fr. Chopin wurden das Praludium als
-*■ Prelude, die Etude, das Scherzo, der Tanz und die
Ballade zu Ch.en. Schumanns Ch. wird von Kompo-
nisten wie St. Heller, A.Jensen, Th.Kirchner und E.
Grieg fortgesetzt. Im Gegensatz zu dem uniiberhor-
baren biedermannischen Zug mancher Schumann-
Epigonen steht die weltmannische Strahlkraf t Fr. Liszts
(Petrarca-Sonette, Consolations). Die Reaktion auf ei-
nen iibertriebenen Hang zum Poetisieren erfolgte im
Werk von J. Brahms. Die Titel seiner Klavierstucke
sind betont unverbindlich (Intermezzo). Dafiir riickt
die konstruktive Seite des Ch.s in den Vordergrund.
Hierin ist Brahms, der nicht nur M.Reger beeinfluBte
(Ausmeinem Tagebuch, 1904-12), Vorbild fiir A. Schon-
berg (4 Hef te Klavierstucke) und dessen Schiiler gewor-
den. Noch das erste der drei, Variationen genannten Kla-
vierstucke op. 27 (1936) von A.Webern erinnert in
Form und Diktion an ein Brahmssches Intermezzo.
Wahrend das Ch. in Deutschland nach Regers Tod
(1916) wohl nur noch im Schaffen von J.Haas einen
breiteren Raum einnimmt, kam es in Frankreich durch
den Impressionismus zu neuer kiinstlerischer Bedeu-
tung. Der EinfluB der assoziativen Kunst eines Cl.De-
156
Chazozra
bussy, wie sie sich in der Klaviermusik (Estampes, Ima-
ges, Preludes) und in Orchesterwerken (Nocturnes, La
mer) manifestiert, laBt sich iiber M. Ravel und E. Satie
bis in das Schaffen von O.Messiaen (Vingt regards sur
I'enfant Jesus £iir Kl., 1944; L'ange aux parfums in Les
Corps glorieux fur Org., 1939) verfolgen. Das franzbsi-
sche Ch. fur Orgel reicht bis C.Franck zuriick (6 pieces
pour grand orgue, 1860-62, dznmtei Pastorale in E op. 19),
beginnt also schon vor ahnlichen Werken M.Regers
(z. B. 12 Stiicke op. 59, 1901). In der 1. Halfte des 20.
Jh. schrieben Ch.e fur Kl. neben A.Skrjabin (op. 51,
op. 73 und 74), S.Prokofjew (op. 17, op. 22) und K.
Szymanowski (op. 29, op. 34) vor allem B. Bartok (14
Bagatellen op. 6; 5 Klavierstiicke Im Freien); Bartoks
Mikrokosmos (6 Hef te, beendet 1937) enthalt eine Reihe
von Ch.en.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913, 21922; H.
Goldschmidt, Die Musik-Asthetik d. 1 8. Jh., Zurich 191 5 ;
W. Kahl, Das lyrische Klavierstiick Schuberts u. sei-
ner Vorganger seit 1810, AfMw III, 1921 ; ders., Zu Men-
delssohns Liedern ohne Worte, ZfMw III, 1920/21 ; ders.,
Aus d. Fruhzeit d. lyrischen Klavierstiicks, Zf M LXXXIX,
1922; ders., Lyrische Klavierstiicke d. Romantik, Stutt-
gart u. Bin 1926; ders., Schuberts lyrisches Klavierstiick,
Kgr.-Ber. Wien 1928; ders., Das Ch., = Das Musikwerk
VIII, Koln (1955); M. Vidor, Zur Begriffsbestimmung d.
mus. Ch. mit besonderer Beriicksichtigung d. Ch. f. Kl.,
Diss. Lpz. 1924, maschr. ; E. Bodky, Das Ch., = Mus. For-
men in hist. Reihen XII, Bin 1933; W. Georgii, Klavier-
musik, Zurich 1941, Zurich u. Freiburg i. Br. 4 1965; D. Sie-
benkas, Zur Vorgesch. d. Lieder ohne Worte v. Mendels-
sohn, Mf XV, 1962. ESe
Charivari (Jarivar'i, frz., im 14. Jh. auch als chalivali
belegt), lautmalende Bezeichnung fur ein Durcheinan-
derklingen, so fur ein Scherzstandchen mit Larmin-
strumenten (»Katzenmusik«), fiir dieNachahmung von
Rufen, Pfiffen und Gerauschen im Quodlibet, fiir die
musikalische Nachahmung von durcheinanderklin-
genden Tierlauten (Vogelgezwitscher), auch fiir das
Gerausch beim Stimmen und »Praludieren« des Or-
chesters. Musikalisch kann das Ch. auch durch auffalli-
ge Dissonanzen oder Melodieschritte (D. Scarlatti, Fu-
ge G moll, wohl seit Clementi Fuga del gatto, »Katzen-
fuge« genannt) charakterisiert werden. Auf dem Thea-
ter ist Ch. ein Durcheinander auf der Szene (Lully, Le
mariage force, Ch. grotesque im 7. Entree des Schlufi-
balletts, von einem Rondeau begleitet).
Lit. : G. HfJrelle, Les ch. nocturnes dans le Pays basque
frc., Rev. internationale des etudes basques XV, 1924; H.
u. R. Kahane, Ch., The Jewish Quarterly Review LII,
1961/62.
Charleston (tf'a:lst3n, engl.), amerikanischer Mode-
tanz, der seinen Namen nach der Stadt Ch. im Staat
South Carolina (USA) hat. Zuerst 1922 in den Neger-
Revuen des New Yorker Managers G.White ange-
wandt, wurde er spater (1926) in gemilderter Form
zum Gesellschaftstanz. Musikalisch gehort er zur Gat-
tung des ->■ Ragtime. Er ist eine schnellere Abart des
->• Foxtrott mit dem urspriinglichen Tempo J = 126,
fiir den Gesellschaftstanz J = 96. Die Musik des Ori-
ginal-Ch. (4/4-Takt) stammt von den amerikanischen
Negerkomponisten C.Mack und J.Johnson. Charak-
teristisch fiir den Ch.-Rhythmus ist die Synkopierung :
* J , JhJ i J , JU i J
Fiir den grotesken Buhnen-Ch. ist die Negertanzerin
J.Baker zu internationaler Beriihmtheit gelangt. Den
ersten Versuch einer Ubertragung des Ch. in die Kunst-
musik hat E.Schulhoff in der ersten seiner Etudes de
Jazz (1927) unternommen.
Charleston-Maschine -* Hi-hat.
Chartres.
Lit. : J.-M. Clerval, L'ancienne maitrise de Notre-Dame
de Ch. du V e s. a la Revolution, Paris 1899; Ch. Metais,
Les orgues de la cathedrale de Ch., Arch, du diocese de Ch.
XXI, 1914; M. Jusselin, Les orgues de Saint Pierre de Ch.
(1595-1922), Ch. 1922; ders., Hist, des livres liturgiques
de la cathedrale de Ch. au XVI e s., Memoires de la Soc.
archeologique d'Eure-et-Loire XVI, 1936; J. Villette,
Ch. et sa cathedrale, Grenoble 1962.
Chasse (Jas, frz., Jagd) bezeichnet im 14. Jh. in Frank-
reich den 3st. Kanon im Einklang. Lediglich eine Stim-
me der Ch. wurde notiert und zuweilen mit einer Ein-
satzanweisung fiir die iibrigen Stimmen versehen (Ch.
de septem temporibus fugando et revcrtendo . . . ; Iv f . 52,
-> Quellen). Nur wenige Beispiele der Ch. sind be-
kannt: die Hs. Ivrea iiberliefert, teilweise bestitigt
durch andere Handschriften, insgesamt 4 Stiicke der
Gattung. Von ihnen erscheint Talent m'est pris de chan-
ter (Iv f. 52), ein kurzes Friihlingslied im Zirkelkanon,
umtextiert noch bei Oswald von Wolkenstein (urn
1420). Se je chant mais que ne sulh (Iv f. 52'), eine Jagd-
schilderung mit hoketusartigen Partien, wird von
Machaut im Refrain der Ballade 12 kurz zitiert. AuBer
einem anonymen Ch.-Fragment gehoren der satztech-
nischen Anlage nach auch die Ballade 17 und die Ka-
nons aus Lai 16 (mit Vermerk »chace«) und Lai 17 von
Machaut in den Bereich der Ch. Sie erzielte zwar nicht
die Bedeutung der etwa gleichzeitigen italienischen
-»■ Caccia, muB aber innerhalb der franzosischen Ars
nova ausgepragt und wirksam gewesen sein. Spater
diente die Bezeichnung Ch., jedoch vollig ohne Be-
zug auf den Kanon, als programmatischer Titel fiir
Jagdstiicke u. a. bei Janequin (La Ch.), Gombert (Ch.
de lievre) und dann besonders in der Instrumentalmusik
des 18. und 19. Jh. (z. B. Haydns Symphonie D dur,
Hob. I, 73), wobei gern Signale der -> Jagdmusik und
ihrer Instrumente, der Trompe de Ch. oder des Cor de
Ch., nachgeahmt und eingearbeitet wurden.
Lit.: H. Besseler, Studien zur Musik d. MA, AfMw VII,
1925; ders., Die Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken
Hdb. ; K. Taut, Die Anfange d. Jagdmusik, Lpz. 1927 ; L.
K. J. Feininger, Die Friihgesch. d. Kanons bis Jos.quin
des Prez, Emsdetten 1937; N. Pirrotta, Per l'origine e la
storia della »caccia« e del »madrigale« trecentesco, RMI
XLVIII, 1946 - XLIX, 1947; ders., On the Problem of
»Sumer is Icumen In«, MD II, 1948; J. Handschin, The
Summer Canon and Its Background, MDIII, 1949.
Chasser (Jas'e, frz., jagen) ist in verschlusselten Auf-
losungsvorschriften bei kanonisch angelegten Werken
urn und nach 1400 ein Terminus fiir die Ableitung ei-
ner Stimme aus einer anderen (z. B. bei Cordiers Ka-
non in der Hs. Chantilly f. 12) und steht sicherlich im
Zusammenhang mit -»■ Chasse und -> Caccia.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905, 21920, S.
351, u. II, 1, Lpz. 1907, 21920, S. 83ff.
Chazozra (Plur. chazozrpt ; hebraisch ; in der Septua-
ginta: salpinx; in der Vulgata: tuba), ein gerades, etwa
2 FuB langes, enges Blechblasinstrument, das im Alten
Testament mehrfach genannt ist (u. a. Num. 10, 1-10;
Hos. 5, 8). Abbildungen (immer paarweise) finden sich
auf dem Titus-Bogen in Rom (um 80 nach Chr.) und
auf Miinzen der Bar-Kochba-Zeit. Die Ch. wurde -
wie das -*■ Schofar - beim Gottesdienst im Tempel ge-
blasen; sie fand aber auch als Signalinstrument beim
Militar Verwendung.
Lit. : E. Kolari, Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten
Testament, Helsinki 1947; H. Seidel, Horn u. Trp. im al-
ten Israel . . ., Wiss. Zs. d. K.-Marx-Univ. Lpz. VI, 1956/
57; E. Gerson-Kiwi in: Dictionnaire de la Bible, Suppl.
Bd V, Paris 1957, Sp. 1419ff.; H. Avenary, Hieronymus'
Epistel iiber d. Musikinstr. u. ihre altostlichen Quellen,
AM XVI, 1961.
157
Cheironomie
Cheironomie (griech.), Leitung (eines Chores) durch
Handbewegung, die nicht nur das Tempo regelt, son-
dern zugleich die melodische Bewegung veranschau-
licht und darauf verzichtet, als Gedachtnisstiitze Ton-
h6he, Intervalle und Rhythmus meBbar festzulegen.
Aus Agypten sind seit der Mitte des 3. Jahrtausends
Bildbelege erhalten, die vermuten lassen, daB schon
hier Ch. geiibt wurde, die vielleicht das Entstehen einer
agyptischen Notenschrift veranlafit hat (Hickmann).
Sicher bezeugt ist die Ch. erst in der altgriechischen
Musik sowie im friihchristlichen liturgischen Gesang.
Wahrscheinlich sind die komplizierteren Zeichen der
byzantinischen, slawischen und hebraischen Notation
sowie der Neumenschrift als Darstellung der Ch. zu
verstehen. Von der Ch. sind zu unterscheiden das mo-
dernc Dirigieren (als Taktgeben) und die Handzeichen
der Schulmusik (die Tone und Intervalle bestimmen),
wie -*■ Tonika-Do und -» Tonic-Solfa.
Lit.: A. Kienle OSB, Notizen iiber d. Dirigieren ...,
VfMwI, 1 885 ;0. Fleischer, Neumenstudien I, Lpz. 1895;
G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, = Kleine Hdb. d.
Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; C. Sachs, Die Ton-
kunst d. alten Agypter, AfMw II, 1919/20; ders., The Rise
of Music . . ., =The Norton Hist, of Music, NY (1943);
R. Haas, Auffuhrungspraxis d. Musik, Biicken Hdb.;
H. Hickmann, Observations sur les survivances de la
chironomie egyptienne . . . , Annales du service des anti-
quites de l'Egypte XLIX, 1949; ders., Musicologie phara-
onique, = Slg mw. Abh. XXXIV, Kehl 1956; ders., Agyp-
ten, = Mg.inBildernII, l,Lpz.o.J.(1962);DERS.,Einneuent-
decktes Dokument . . ., AMI XXXIII, 1961 ; C. Gindele
OSB, Chordirektion, Studien u. Mitt, zur Gesch. d. Bene-
diktiner-Ordens LXIII, 1951; B. Di Salvo, Qualche ap-
punto sulla ch. nella musica bizantina, in : Orientalia Chris-
tiana Periodica XXIII, 1957; E. Werner, The Sacred
Bridge, London u. NY 1959; M. Huglo OSB, La chiro-
nomie medievale, Rev. de Musicol. XLIX, 1963.
Chemnitz.
Lit.: W, Rau, Gesch. d. Ch.er Stadtpfeifer, Mitt. d. Ver.
f. Ch.er Gesch. XXVIII, 1931/32.
Chevalet (/aval's, frz.) ->■ Steg.
Chiamata (kiam'a : ta, ital., Ruf), Sammelruf zur oder
nach der Jagd. Die Ch. wurde in der venezianischen
Opemmusik der Mitte des 17. Jh. verwendet, z. B. in
Cavallis Le nozze di Teti e di Peleo (1639), wo im 1 . Akt
ein als Ch. alia caccia bezeichnetes 5st. Instrumental-
stuck dem Chor der nach Waffen rufenden Cavalieri
vorangeht.
Lit. : H. Kretzschmar, Die Venetianische Oper u. d. Wer-
ke Cavalli's u. Cesti's, Vf Mw VIII, 1 892 ; H. Goldschmidt,
Studien zur Gesch. d. ital. Oper im 17. Jh. I, Lpz. 1901 ; E.
Wellesz, Cavalli . . ., StMw I, 1913, S. 55; Fr. Piersio,
Die Einfiihrung d. Homes in d. Kunstmusik . . . , Diss.
Halle 1927.
Chiarentana (kiarent'a:na, ital. fur Karnten), auch
Chiarantana, Chiaranzana, im 15.-16. Jh. ein langsa-
mer Reigen zur Laute in geradem oder ungeradem
Takt. 14 Chiarentane stehen in der Intabolatura deLauto
(1546) des Marcantonio del Pifaro. Die Ch. erwahnen
-* Caroso und -> Negri.
Lit. : V. Rossi, Un ballo a Firenze nel 1459, Bergamo 1 895.
Chiavette (ital. chiavetta, kleiner Schlussel, auch chia-
vi trasportate, versetzte Schlussel, genannt im Gegen-
satz zu den Chiavi naturali, Normalschlussel) ist die Be-
zeichnung fur 2 Kombinationen von je 4 Schliisseln
(-> Schlussel) fiir mehr als 3st. Tonsatze (siehe Beispiel 1 ) .
Bei gleichbleibendem Quint-, Terz- und Quintabstand
der Schlussel stehen die beiden Ch.n-Kombinationen
um eine Terz hoher bzw. tiefer als die Normalschlus-
sel, d. h. ein- und dieselbe Note wiirde unter der hohen
Ch. eine Terz hoher, unter der tiefen Ch. eine Terz
Hohe Chiavette
Violin— Mezzosopran— Alt— Baritonschliissel
Tiefe Chiavette ^.
SE
S
=*5F
Mezzosopran— Tenor— Bariton— SubbaBschlussel
Normalschlussel
I H I
Sopran-
EBE
zME
m
Alt-
Tenor-
Baftsdilussel
g*
: BF5 =
Hohe Chiavette Tiefe Chiavette Normalschlussel
tiefer erklingen (siehe Beispiel 2). Wahrend die tie-
fe Ch., die erst von Bellermann so benannt wurde,
in der Praxis nur selten begegnet (z. B. O. de Las-
sus, Quand me souvient, GA XIV, Nr 88, mit zusatz-
lichem Altschliissel; A.Padovano, Ricercar Nr 9),
wurden hohe Ch.n und Normalschlussel die beiden
gebrauchlichsten Schliisselkombinationen in der 2.
Halfte des 16. Jh. Ihr Aufkommen fallt zeitlich mit der
Vorherrschaft des 5st. Satzes zusammen. In noch al-
terer Zeit, als Drei- und Vierstimmigkeit die Regel
war, geniigten Zwei- und Dreischliisselkombinatio-
nen. Mehr als zwei Drittel der Werke Palestrinas sind
in der hohen Ch. und nur weniger als ein Drittel in den
spater sogenannten Normalschliisseln aufgezeichnet,
die erst im Laufe des 17. und 18. Jh. das Ubergewicht
gewannen und infolgedessen mit den Namen der 4
Stimmgattungen Sopran, Alt, Tenor, BaB fest verbun-
den wurden. Die altere Zeit ordnete dagegen jeder
Stimmgattung mehrere Schlussel zu, ohne den Begriff
der Normalschlussel zu kennen. MaBgeblich fiir die
Wahl der Schlussel war der durch die verschiedenen
Stimmgattungen undKirchentonarten bestimmteTon-
umf ang sowie die Gepflogenheit, Hilf slinien nach M6g-
lichkeit zu vermeideft. Eine Transposition war im all—
gemeinen nur auf die Oberquarte, bzw. bei hochgele-
genen Kirchentonen (z. B. aolisch) in die Unterquinte
mittels eines vorgezeichneten \> iiblich. Daher erwei-
sen sich bei einem Umfang jeder einzelnen Stimme
von einer Dezime bis Duodezime die obigen Schlussel-
kombinationen fiir die Aufzeichnung mehrstimmiger
Vokalmusik als besonders zweckmaBig. Doch kom-
men Abweichungen nicht selten vor. Beide Schlussel-
kombinationen durchdringen sich besonders im mehr
als 5st. Satz. So ist z. B. in der doppelchbrigen Motette
Laetamini von J. Gallus (DTO VI, 1, Nr 5) und in den
Dialogen Que dis-tu und Dis-moy von O. de Lassus
(GA XIV, Nr 92, 93) der erste Chor in Normalschliis-
seln, der zweite Chor in Ch.n aufgezeichnet. Aber auch
zahlreiche andere Kombinationen kommen vor. DaB
die alten Meister mit der Ch. eine Terztransposition
bezweckten, um die Vorzeichnung von mehreren ty
oder !> zu vermeiden, nehmen Bellermann, Riemann
und zahlreiche andere Forscher, so vor allem Kroyer,
an. Die Sanger hatten (bei genauer Beachtung der
Halb- und Ganztonabstande) so gesungen, als ob die
Normalschlussel vorgezeichnet gewesen waren. Bei
hoher Ch. wiirde der Satz infolgedessen um eine (klei-
ne oder grofie) Terz tiefer, bei tiefer Ch. um dasselbe
Intervall hoher erklingen (siehe Beispiel 3). Diese
Theorie findet jedoch keine Stutze bei den alten Theo-
retikern, sondern nimmt erst von Kiesewetter (Ga-
lerie der alten Contrapunctisten, 1847) ihren Ausgang,
der die Terztransposition jedoch nur fiir moderne Auf-
158
Chile
f iihrungszwecke im Hinblick auf die von der alten Zeit
abweichenden neuzeitlichen Chorverhaltnisse emp-
fiehlt. Entgegengetreten sind ihr Ehrmann und Sche-
ring, die die Ch. als blofien Schreiberbrauch deuteten,
\ l"/ji tf \
w b m °
IHI 1 fy / titfl
Hfir)
IHI hHflt ) "
V'kWW "
Hohe Chiavette
Tiefe Chiavette
um Singstimmen, die sich in einer von Natur hochgelegenen
Kirchentonart oder in der Hochtransposition einer tieferen
bewegten, bequem und ohne Hilfsstriche zu notieren (Sche-
ring, S. 118). Ein Vokalensemble konnte nach freiem
Ermessen in der jeweils giinstigsten Lage einstimmen,
was zahlreiche Theoretiker, wie J.Cochlaeus, L. Zac-
coni und W. C.Printz, bestitigen. Dagegen muBte auf
mitwirkende Instrumente mit fester Stimmung (Or-
gel, Blasinstrumente), auf denen zufolge der ungleich-
schwebenden Temperatur und der ungleichen Stim-
mungen nicht jede beliebige Transposition ausfiihrbar
war, Riicksicht genommen werden. Der spanische
TheoretikerJ. Bermudo verbietet z. B. Transpositionen
in die kleine oder grofie Terz aufwarts fiir Tastenin-
strumente ausdriicklich. Eine mit der Ch. verbundene
intervallmaBig fixierte Transpositionsanweisung ist
erst eine Folge der Continuopraxis. Praetorius fordert
bei vorgezeichneter hoher Ch. von den Spielern der
Fundamentinstrumente die Transposition um eine
Quarte oder Quinte abwarts. Mit !>-Vorzeichnung
wurde um eine Quarte abwarts, ohne Vorzeichnung
um eine Quinte abwarts transponiert; doch war in die-
sem Falle auch die Quarttransposition sehr gebrauch-
lich. Diese weit verbreitete Praxis erwahnen auch Sam-
ber, Paolucci, Martini und Kiesewetter. Hier tritt die
Transpositionsbedeutung der Ch. klar zutage, denn
Satze in den Normalschliisseln blieben auch in den Or-
gelbassen in der Regel untransponiert. Ein gutes Bei-
spiel bietet der Druck der Missae quatuor (Venedig
1621) von G. Valentini. Die Transposition betraf in er-
ster Linie den Organisten, der wegen der damals weit-
verbreiteten Hochstimmung der Orgel (a = c'-cis 1 )
auf die Sanger Riicksicht nehmen muflte. Eine Trans-
position in andere Intervalle kam weit seltener vor,
doch gab es keine allgemein verbindliche Regel. C.
Vincentius laBt z. B. die Transposition bei hoher Ch.
um eine Quarte oder Quinte abwarts zu (1612), ohne
sie ausdriicklich vorzuschreiben. Das beweist die groBe
Freiziigigkeit in bezug auf die Einstimmung, die von
den zur Verfugung stehenden Stimmen und Instru-
menten und erst sekundar von der Schliisselung ab-
hing. DaB bereits im 16. Jh. die hohe Ch. in der Ab-
sicht verwendet worden ware, eine tiefere Intonation
anzudeuten, laBt sich nicht nachweisen. Transpositio-
nen kommen zwar vor. So ist z. B. die 4st. Motette
Johannes Apostolus von A.Willaert (GA I, S. 43; siehe
auch PaM IX, S. XV) sowohl in angenaherter Ch. als
auch um eine Quinte abwarts transponiert in tiefen
Schlusseln iiberliefert. Ebenso enthalt A. Gumpelzhai-
mers Compendium musicae (1600) 4st. Beispiele fiir die
12 Kirchentonarten, sowohi in Normallage als auch um
eine Quinte abwarts oder um eine Quarte aufwarts
transponiert mit entsprechend geanderter Schliisselung .
Daraus geht hervor, daB satztechnische Gesichtspunkte
die Ward zwischen Normalschliissel und Ch. often las-
sen. Beide Schlusselungen dienten auch zur Aufzeich-
nung von Instrumentalmusik, so daB die Annahme,
das Chiavettenproblem konne allein vom Boden der
Vokalmusik aus gelost werden, irrig ist.
Lit.: R. Ehrmann, Die Schliisselkombinationen im 15. u.
16. Jh., StMw XI, 1924; Th. Kroyer, Zur Ch.-Frage,
in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien 1930; ders.,
Der vollkommene Partiturspieler I, Lpz. 1930; A. Sche-
ring, Auffiihrungspraxis alter Musik, = Musikpadagogi-
sche Bibl. X, Lpz. 1931 ; A. Mendel, Pitch in the 16 th and
Early 17 th Cent., MQ XXXIV, 1948 ; H. Federhofer, Zur
Ch.-Frage, in : Anzeiger d. phil.-hist. Klasse d. Osterreichi-
schen Akad. d. Wiss., Wien 1952; ders., Hohe u. tiefe
Schliisselung im 16. Jh., Fs. Fr. Blume, Kassel 1963; S.
Hermelink, Zur Chiavettenfrage, Kgr.-Ber. Wien 1956;
ders., Dispositiones modorum, = Munchner Veroff. zur
Mg. IV, Tutzing 1960; ders., Ein neuer Beleg zum Ur-
sprung d. Ch., Mf XIV, 1961. HF
Chicago (111., USA).
Lit. : K. Sp. Hackett, The Beginnings of Grand Opera in
Ch. 1850-59, Ch. 1913; F. Busoni, Die »Gotiker« v. Ch.,
in: Von d. Einheit d. Musik, = M. Hesses Hdb. LXXVI,
Bin (1922), als: Wesen u. Einheit d. Musik neu hrsg. v. J.
Herrmann, Bin u. Wunsiedel (1956); E. A. Johnson, The
Ch. Symphony Orch., 1891-1942, Diss. Univ. of Ch. 1955.
Chicago-Jazz (Chicago style), Anfang der 1920er
Jahre entstandene Jazzspielart weiBer Musiker, die den
->■ Dixieland abloste. - Nach SchlieBung von Story-
ville in New Orleans (1917) spielten viele bekannte
Jazzmusiker (Oliver, Armstrong, Morton) in der South
Side, dem Negerviertel Chicagos. Eine Gruppe junger
Studenten (u. a. Frank Teschemacher, spater auch Ben-
ny Goodman) versuchte, den Jazz der Neger zu imitie-
ren (Austin High School Gang, 1922). Der Jazzjour-
nalist H.Panassie nannte 1934 diese Gruppe Chicago-
ans, was schlieBlich zu Ch.-J. als Bezeichnung fur den
weiBen Jazz der 1920er Jahre iiberhaupt gefiihrt hat.
Bestimmend fiir die Auspragung des Ch.-J. war auch
das Wolverine Orchestra (1923) mit dem Kornettisten
Bix Beiderbecke. - Im Gegensatz zum Dixieland hat
der Ch.-J. die Entwicklung des gesamten Jazz wesent-
lich beeinfluBt, da hervorstechende Merkmale negeri-
schen Jazzmusizierens (-> Beat, -»■ Off-beat, -*■ Swing,
-*■ Hot-Intonation) im Ch.-J. erstmals von WeiBen
iibernommen, aber jeweils zugleich mit der europai-
schen Musikvorstellung zu einer neuen Spielweise ver-
schmolzen sind. So wurde auch das kollektive Spielen
der Neger im ->• Chorus umgewandelt: es entstand
ein in den Harmonien des Chorus kontrapunktisch
konzipierter Ablauf von Einzelstimmen. In dieser
Form erscheint das Chorusspielen meist nur zu Anfang
und am SchluB als Einrahmung. Im iibrigen Verlauf
herrscht als figurative Umspielung der Grundmelodie
der begleitete Solochorus (Hot-Solo), und haufig be-
stehen die Stiicke nur aus einer Aufeinanderfolge sol-
dier Hot-Soli verschiedener Instrumente (Hot-Solo-
Folge). Im Ch.-J. trat erstmalig auch das spater domi-
nierende Saxophon in den Vordergrund. Der weiBe
Ch.-J. hatte seinerseits Riickwirkungen auf die Jazz-
spielweisen der Neger und trug entscheidend bei zur
Entstehung des -»■ Swing.
Chile.
Lit. : J. Urrutia Blondel, Apuntes sobre los albores de la
hist. mus. chilena, Boletin lat.-americano de musica HI,
1937; C. Isamitt, Los instr. araucanos, ebenda IV, 1938;
ders., EI folklore en la creacion artistica de los composi-
tores chilenos, Revista mus. chilena XI, 1957; E. Pereira
Salas, Los origines del arte mus. en Ch., Santiago de Ch.
1941; ders., La cancion nacional de Ch., ebenda 1947;
ders., Guia bibliogr. para el estudio del folklore chileno,
159
Chinesische Musik
ebenda 1952; ders., Hist, de la miisica en Ch. 1850-1900,
ebenda 1958 ; M. Abascal Brunet, Apuntes para la hist,
del teatro en Ch. La zarzuela grande, ebenda 1941 ; ders. u.
E. Pereira Salas, Pepe Vila. La zarzuela chica en Ch.,
ebenda 1952; V. Salas Viu, Musicos modernos de Ch.,
Washington 1944; ders., La creation mus. en Ch. 1900-
51, Santiago de Ch. 1952; C. Vega, La forma en la cueca
chilena, ebenda 1947; V. T. Mendoza, La cancion chilena
en Mejico, ebenda 1948; E. M. v. Hornbostel, The Music
of the Fuegians, Ethnos XIII, 1948; Directorio mus. de la
America latina (Mus. Directory of Latin America), Ch.,
Washington 1954; E. Gay an, La education mus. en Ch.,
Revista mus. chilena XII, 1958.
Chinesische Musik. Am Anfang der chinesischen
Musikgeschichte steht der Mythos. Fiinf sagenhafte
Kaisergestalten der Vorzeit gelten als die Kulturbrin-
ger, der alteste von ihnen, Huang-Ti (»der gelbe Kai-
ser^ mit einer angenommenen Regierungszeit von
2697-2597 v. Chr., als Erfinder der Schrift und Be-
griinder der durch MaB und Zahl geordneten Musik.
Er schickte seinen Minister Ling-Lun an die Westgren-
ze, wo dieser in einem Bambushain ein Flotenrohr nach
der Lange des kaiserlichen FuBes schnitt, das den Grund-
ton des chinesischen Tonsystems und auch die Grund-
lage aller Langen- und HohlmaBe gab. Eine andere
Uberlieferung schreibt Ling-Lun sogar die Erfindung
des vollstandigen Tonsystems der 12 ->• Lit zu. Der hi-
storische Kern dieser Mythe ist die Tatsache, daB Chi-
na sein Tonsystem aus dem Westen entlehnte. Um
2500 v. Chr. entwickelte sich in China eine Hochkul-
tur durch Anregungen aus den alteren Kulturzentren
des westlichen Zentralasien, von denen auch religiose
Vorstellungen, soziale Ordnungen, das Musiksystem
und die melodiefahigen Instrumente iibernommen
wurden. Die vollstandige Entwicklung des Tonsy-
stems und der Aufbau eines umfangreichen Rituals ho-
fischer Musik- undTanzzeremonien diirften jedoch erst
in der Schang-Dynastie (1500-1050 v. Chr.) erfolgt
sein, der ersten Epoche gesicherter historischer Nach-
richten, in der die Volks- und Staatsgrundung Chinas
abgeschlossen, das Konigtum fest begriindet und auf
die neue Himmelsreligion umgestellt wurde, die die
Urmutterkulte ablbste. Die neue Religion erforderte
astronomische Beobachtungen, Tempel und Observa-
torien und eine mathematische Orientierung des Den-
kens. Fruhestens jetzt entstand das bipolare System des
solaren mannlichen (yang) und des lunaren weiblichen
Prinzips (yin), dem das Tonsystem unterstellt wurde,
das aus einem Zirkel von 12 Quintfortschreitungen be-
steht. In halbtonlosen pentatonischen Reihen, die aus
den ersten 5 Quintschritten entstehen, sind je nach der
Lage des Haupttons 5 verschiedene »Modi« oder »Ton-
arten« moglich. Mit diesem Ton- und Leitervorrat ist
man offenbar sehr lange ausgekommen, und tatsach-
lich halten sich die altesten erhaltenen chinesischen Me-
lodien sakraler Hymnen im Rahmen dieses Systems.
Sobald man aber beim Instrumentalspiel innerhalb die-
ser Modi transponieren und modulieren wollte, reich-
ten die 5 Tone in der Oktave nicht aus. Erst mit dem
Tonvorrat der 12 Lii konnten nun pentatonische Reihen
auf jedem der 12 Grundtone errichtet werden, wo-
durch 60 Tonarten entstanden. Die Melodien blieben
aber trotz des chromatischen Tonvorrates streng halb-
tonfrei. Dieses Tonmaterial ist schon friih auf fest
abstimmbaren Instrumenten dargestellt worden: ne-
ben der Panflote (pai hsiao) sind Bronzeglockenspiele
(dschung) und abgestimmte Klingsteine (tjing) schon
fur die Schang-Zeit belegt. Als wichtigstes Instrument
mit veranderlicher Stimmung ist die 5saitige Zither
Tjin um 1500 v. Chr. nachgewiesen. An ihr wurde das
Tonsystem aus Quintfortschreitungen weiter erarbei-
tet und mathematisch begriindet. Die so geordnete
Musik wird als wichtigster Bestandteil der Zeremo-
nien im Himmels- und Ahnenkult ein Mittel der Staats-
fiihrung. Sind die Berichte iiber die Wirkungen der
Musik auf die Natur und die Geisterwelt noch legen-
dar, so wird ihre Wirkung auf das menschliche Gemiit
spatestens in der Dschou-Zeit (1050-256 v. Chr.) als
gesicherte Erkenntnis hingenommen. Da die 5 Grund-
tone den Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Lebensal-
tern, Farben, Gemiitsregungen usw. zugeordnet wer-
den (wqbei der erste Grundton immer das Ganze be-
deutet, also das ganze Leben, das ganze Jahr, die Mitte
usw.), sind die auf ihnen gegriindeten Tonarten geeig-
net, die Menschen zu dieser oder jener Haltung und
Regung zu veranlassen. Unter solchen Aspekten ge-
wann die Musik fur die Moral und das Wohlergehen
des einzelnen wie des Staates eine solche Bedeutung,
daB die Dschou-Konige ein eigenes Musikministerium
einrichteten, dessen Aufgabe die Ausarbeitung und
Uberwachung der musikalischen Zeremonien war.
Jeder neue Herrscher, vor allem jede neue Dynastie, be-
trachtete es in der Folge als dringliche Aufgabe, durch
die Gelehrten die Ubereinstimmung der irdischen MaB-
normen mit denen des Himmels festzustellen und ihre
richtige Anwendung auf die Musik und die Zeremo-
nien zu sichern. Daher hat es in China mehrfach einen
Wechsel des GrundmaBes gegeben. Fast jeder Konig
hatte seinen eigenen Musikstil, und ein Wechsel der
Dynastie hatte fast immer einschneidende Anderungen
des musikalischen Repertoires zur Folge. In der Dschou-
Zeit wurde auch der Musikerziehung breiter Raum
gegeben. Jeder Angehorige der vornehmen Stande ge-
noB musikalische Unterweisung innerhalb des tagli-
chen Unterrichts. Ein umfangreiches Schrifttum ent-
stand, in dem die Riten beschrieben, die MaBe der Mu-
sik erortert, die Instrumente und Kostume, die Musik-
stiicke und Programme festgehalten sind. Die alteste
erhaltene Quelle zur Musikgeschichte Chinas ist das
Buch der Urkunden (Schu-djing) aus dem 9.-7. Jh. v.
Chr. Der weise Konfuzius (Kung-fu-tse, 551-478) er-
richtete das endgultige Gebaude der Musiktheorie.
Unter seiner Aufsicht entstanden die Aufzeichnungen
der »Fiinf Klassiker«, Zusammenfassungen offenbar
schon alterer Betrachtungen, Beobachtungen und Er-
orterungen. Zwei dieser Bucher beschaftigen sich mit
Musik: das Buch der Lieder (Schi-djing), eine Samm-
lung von 300 Hymnen und Liedern, und das Buch der
Riten (Li-dji). Die Liedersammlung enthalt nur die
Texte. Die Melodien gerieten sehr schnell in Verges-
senheit, doch gibt es aus spaterer Zeit Notierungen der
Hymnen fur den Tempeldienst, die noch von Konfu-
zius gedichtet und komponiert sein sollen. Sie werden
noch heute gesungen. - Am Ende der ritterlichen
Dschou-Zeit ging die alte Ordnung verloren. Nord-
china geriet unter den EinfluB westlicher und nordli-
cher Volker, die neue Musikinstrumente und Melo-
dien in 7stufigen Leitern mitbrachten. Vielleicht ist das
System der 12 Lii erst jetzt entwickelt worden, um die
pentatonische und die heptatonische Leiter in ein und
dasselbe Tonsystem einzuordnen. Es wird zuerst in der
Chronik der Dschou-Zeit (Dschou-Li) erortert, die
erst am Ende der Dynastie fertiggestellt wurde. Fiirst
Schi von Tsin, der 256 das Erbe der Dschou antrat und
den Kaisertitel Huang-ti annahm, lieB 213 alle Schrif-
ten der Konfuzianer verbrennen, dazu auch viele alte
Musikinstrumente. In der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220
n. Chr.) wurde die Konfuzius-Lehre wieder restauriert,
das Musikamt neu errichtet. Es gab jetzt 4 Abteilungen
fur die Hof musik: die zwei der Dschou-Zeit fur die
kultische und die profane Hofmusik, dazu eine fiir die
Musik in den Frauengemachern und eine fiir Militar-
160
Chinesische Musik
musik, jede mit eigenem Orchester, insgesamt 829
Musiker. Neue Instrumente waren hinzugekommen:
die Querflote (ti-tse) aus dem Norden, die der Hepta-
tonik zum Durchbruch verhalf, und die Laute (p'i-p'a).
Neue Liedformen entstanden neben virtuosen Instru-
mentalsoli, besonders fiir die Zither Tjin. Die erste Er-
wahnung der Notenschrift findet sich in den Aufzeich-
nungen des Historikers Si-ma Tjian um 100 v. Chr.,
sie war aber damals wohl schon lange bekannt. In der
folgenden Zeit der Zersplitterung des Reiches und
wechselnder Fremdherrschaft (220-560 n. Chr.) kam
es zu neuem Eindringen von Musik und Musikern,
Tanz und Tanzerinnen, Musikstilen und Instrumenten
aus Turkestan, Tibet und Indien. An Melodieinstru-
menten wurdenjetzt die Harfe Kung-hao und die mon-
golische Streichlaute Hu beliebt. Die heptatonische
Musik aus Turkestan wurde mit ihren mimischen Tan-
zen als eigener Stil in die Hofmusik ubernommen. In
Siidchina drang indessen die Musik der fremdstammi-
gen Unterschichten in die Kunstmusik ein. Berufssan-
gerinnen pflegten in den Teehausern das begleitete »So-
lolied«. Im Norden blieb die Ausiibung der Kunstmu-
sik weiterhin Sache des Adels. - In der wieder rein chi-
nesischen Sui-Dynastie (560-618) hielten die Fremd-
einfliisse an. Der erste Sui-Kaiser heiratete eine ttirki-
sche Prinzessin, die aus Samarkand eine Hofkapelle
mitbrachte. 568 kam der turkestanische Musiker Su-
Dji-po an den Pekinger Hof , der das endgiiltige chine-
sische Tonsystem festlegte, in dem die Fiinftonleitern
durch Einfiigung zweier Halbtone, Bians (-» Pien), zur
Siebenstufigkeit aufgefiillt sind, wobei jede Stufe Aus-
gang einer Leiter sein kann. So ergeben sich auf den
12 Lii 84 mogliche Leitern. Um 600 gab es 7 Abtei-
lungen im Musikamt. Die Tang-Zeit (618-906), die
zweite groBe Bluteperiode Chinas, brachte eine weite-
re Zunahme der hofischen und privaten Musikpflege.
626 errichtete Kaiser Tai-tsung (der GroBe) die erste
Schule fiir die Hofmusik. Das Musikamt wurde auf 10
Abteilungen erweitert, aber nur 3 der 10 Orchester
spielten Ch. M., die iibrigen pflegten die importierten
Stile. Die Zahl der Musikbeamten im Hof dienst betrug
1200, darunter Tanzer und das technische und Verwal-
tungspersonal. In diese Epoche fallt das Eindringen des
Buddhismus, der neue Musikarten und Instrumente
nach China brachte. Aus der Tiirkei kamen neue Tan-
ze, und der heitere dramatische Biihnentanz nahm sol-
chen Aufschwung, daB der Kaiser Hsiian-tsung um 750
ein eigenes Theateramt einrichtete. Die westlichen Sti-
le verschmolzen mit den alten Ritualtanzen zu einer
Art Ballettpantomime; die beriihmteste berichtet von
»Tjin Wangs Heldentaten« (um 620). In der Schule fiir
dramatische Musik fiir Manner wirkten zeitweise 200
Lehrer und Schuler, auch der beriihmte Li-tai-pe. We-
nig sparer schloB sich eine Schule fiir Frauen an. Kul-
tische und zeremonielle Musik blieb auch weiterhin
den Mannern vorbehalten. Der Staat unterhielt nun
fiir die freie weltliche Musik auch eine offentliche Mu-
sikschule fiir Gesang, Instrumentalmusik und Tanz
(Djiau-fang). Kaiser Hsiian-tsung, selbst als Kompo-
nist und Lehrer an der Schule fiir Musik und Drama
tatig, gab den inzwischen ganz sinisierten Fremdstilen
neue Namen und legte ihre Tonarten fest, von denen
jetzt 28 (von 84 moglichen) in Gebrauch waren. Die
Lieder der Tang- und der folgenden Sung-Dynastie
sind stark vom Volkslied beeinfluBt; die Hofdichter
ahmten den schlichten Strophenbau nach. Die Sung-
Zeit (906-1279) entwickeltediesenLiedstil ins »Barocke«
(Tsi), doch bildete sich bald als Gegenstiick ein neuer,
ungekiinstelter, volksliedhafter Stil heraus, dessen
Spottname Tjii (unrichtig) schnell zum Ehrennamen
wurde. Auch die Hofkonzerte bestanden jetzt aus ei-
ner Folge von Tjii-Stiicken, zu deren Begleitung die
Streichlaute herangezogen wurde. Das Tjin-Lied wur-
de in die Ballettpantomimen eingefiihrt und im 13.
Jh. zum Hauptbestandteil der Oper. Die Mongolen-
herrschaft der Yuan-Dynastie (1250-1368) entwickelte
die Heptatonik weiter, zuerst in der Theatermusik. Die
Oper wurde zum wichtigsten Teil des Musiklebens,
ihre Sprache und ihr Inhalt wurden volkstiimlicher.
Jeder der 4 Akte hattc nur eine Tjii-Melodie, wie heute
im Schattenspiel. In der Ming-Zeit (1368-1644) wur-
den die pentatonischen Orchesterwerke der alten Hof-
musik der Tang-Zeit zu neuem Leben erweckt. Histo-
riker bemuhten sich um ihre Rekonstruktion. Die 11
Biicher zur Geschichte und Theorie der Ch.n M. des
Prinzen Tsai-yii (um 1580) sind die wichtigste Quelle
aller spateren Musikgeschichtsschreibung. In der Dy-
nastie der Mandschu (1644-1912) verfiel die Tradition
schnell, einzig die Volksmusik und die Oper iiberleb-
ten. Nach der SchlieBung der Hofmusikschule im 17.
Jh. war die lebendige Uberlieferung abgerissen. Nur
im Bereich der privaten Musikpflege hielt sich in ge-
lehrten und traditionsbeflissenen Kreisen noch die
Kenntnis der alten kunstmaBigen Profanmusik. Erhal-
ten blieb auch die sakrale Musikiibung in buddhisti-
schen und Konfuzius-Tempeln. Von der groBartigen
Kunst der hofischen Orchestermusik, die als hochste
Bliite asiatischer Kunstmusik iiberhaupt zu gelten hat
und die Musik weiter Gebiete Asiens nachhaltig beein-
flufite, war in China in den letzten 200 Jahren jede Spur
verloren. Sie ist nur in ubertragener Gestalt bewahrt
geblieben in der Musik der Nachbarvolker, speziell in
der japanischen Hofmusik (->- Gagaku). In China wur-
de nur die Oper weitergebildet. Neben dem eleganten
sudchinesischen Opernstil des 16. Jh. entwickelte sich
in Nordchina in der Mitte des 17. Jh. ein etwas derberer
Stil, der in der Mandschu-Zeit den feineren verdrang-
te. Nach 1700 kam ein larmendes Heldendrama (pang-
tse, s. v. w. Trommelstocke) auf, das heute nur noch in
der Provinz anzutreff en ist, wahrend die stadtische Oper
zwei Stile pflegte, die um 1730 in Mode kamen: das
lyrische Musikdrama Hsi-pi und die biirgerliche Oper
Oerl-huang. Ihre Stilunterschiede verschmolzen im 1 9.
Jh. zur »Residenz-Melodie«, die in der Pekinger Natio-
naloper bis zur Mitte des 20. Jh. herrschte. Die mo-
derne chinesische Oper des 19. und 20. Jh., die einzige
Form chinesischer offentlicher Kunstmusik dieser Zeit,
ist stark mit pantomimischen und akrobatischen Ziigen
ausgestattet. Es wirken nur mannliche Sanger und Ar-
tisten in der Oper mit, und besonders die Darsteller von
Frauenrollen sind die Lieblinge des Publikums. - Im
heutigen China wird der Musik als Mittel der Massen-
lenkung groBe Bedeutung beigemessen. Hymnen und
Lieder der kommunistischen Bewegung begleiten das
Leben des einzelnen und der Gemeinschaft in Stadt
und Land. Auch die Oper ist als Mittel der politischen
Agitation eingesetzt und bis in die Dorfer vorgedrun-
gen. Die Schule hat die Musik in ihren Lehrplan ein-
bezogen. Anstelle der komplizierten alten Notenschrift
wird eine Notation mit arabischen Ziffern verwendet,
wobei die Zahlen 1 bis 7 fiir die Stufen einer diatoni-
schen Skala relativer Tonhohe stehen. Neben der in
Wort und Weise merklich von sowjetrussischen Vor-
bildern abhangigen Propagandamusik sind aber auch
Bestrebungen zur Konservierung und Wiederbele-
bung der klassischen Kunstmusik (Pekinger Musik-
akademie) im Gange. Westlichen Beobachtern zugang-
lich sind Unterweisung und Pflege der iiberlieferten
Traditionen in Taiwan und Hongkong, wo man auch
versucht, Ch. M. auf europaischen Instrumenten und
moderne, westlich inspirierte Musik auf traditionellen
Instrumenten zu spielen.
161
Chiroplast
Lit. : J. J. M. Amiot SJ, Memoire sur la musique des Chi-
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Chiroplast (s. v. w. Handbildner, Handleiter; frz.
guide-mains), eine als mechanisches Hilfsmittel fur
das Klavierspiel von -»- Logier erfundene, 1814 pa-
tentierte Vorrichtung, bestehend aus einer Leiste mit
2 Rahmen, durch die die Finger der beiden Hande ge-
steckt werden; der Apparat wird iiber der Klaviatur
angebracht. Logier benutzte ihn fiir die ersten Stunden
im Anfangsunterricht, um das Absinken des Handge-
lenks und das Einknicken der Finger zu verhindern.
Neben Logier propagierten den Ch.en Fr. -> Kalk-
brenner, H.Herz sowie viele Nachahmer bis zur Jahr-
hundertwende.
Lit. : J. B. Logier, An Explanation and Description of the
Royal Patent Ch., London 1816; ders., The First Com-
panion to the Royal Patent Ch., London 1818, i'1867; Fr.
Kalkbrenner, Methode pour apprendre le pfte a l'aide du
guide-mains, Paris 1830; H. Becker, System Logier, Mu-
sica XI, 1957.
Chitarra battente (ital., »Schlaggitarre«; frz. guitare
en bateau, guitare a la capucine), gitarrenartiges Zupf-
instrument. Es wurde mit Sicherheit im 17. Jh. in
Italien verwendet, ist wahrscheinlich jedoch viel alter.
Im 18. Jh. war es in Italien sowie in den an der Adria
gelegenen Balkanlandern in Gebrauch. Die Ch. b.,
eine Wolbgitarre mit leichter Flankeneinziehung,
zeichnet sich aus durch ihre im Verhaltnis zur Gitarre
groBe Zargenhohe (bis etwa 17 cm) und durch eine
stark ausgebildete Bodenwolbung. Das Griffbrett ist
mit Darm- oder Messingbiinden versehen; einzelne
Holzbiinde sind der Decke aufgeleimt. Der Bezug be-
steht aus Metallsaiten in zumeist 5 ChSren zu je 2 (oder
bei alteren Exemplaren gelegentlich 3) Saiten in Quart-
Terz-Stimmung (wie bei der Gitarre). Die noch ge-
genwartig in Kalabrien gespielte Ch. b. hat in der Mitte
eine einfache Saite als Bordun (scordo). Ein 7ch6riger
Typus hielt sich vornehmlich in der Toskana. Auf der
Decke der Ch. b. befindet sich ein zentral angebrachtes
Schalloch, oft mit einer vertieft gelagerten Rosette.
Die Saiten sind an der unteren Zarge eingehangt, lau-
fen iiber den aufgesetzten Steg und das Griffbrett in
den leicht zuriickgebogenen Wirbelhalter, wo sie an
hinterstaridigenWirbeln befestigt sind. Eine Terz hoher
als die normale Ch. b. steht die Terza di chitarra a bat-
tente. Der Terminus Ch. b. deutet auf den Gebrauch
des Plektrons.
Chitarrone (ital, Augmentativ von chitarra), auch
Romanische (Romische) Theorbe, eine im 17./18. Jh.
gebrauchliche mannshohe Erzlaute (BaBlaute) mit
doppeltem Wirbelkasten. Der zweite sitzt im Unter-
schied zu dem der -»• Theorbe an einem langen, ge-
radlinig iiber den 1. Wirbelkasten fortgesetzten Hals.
In den 1. Wirbelkasten laufen die 2-3ch6rigen Griff-
saiten, in den 2. die meist einfachen Bordunsaiten. Der
Bezug bestand aus Draht-, gelegentlich auch aus Darm-
saiten, die mit Plektron gerissen wurden. Die Stim-
mung war nach Praetorius 1619: iF iG iA iH C D E F
G c d f g a. Der Ch. wurde vor allem beim GeneralbaB
verwendet; die BaBsaiten waren bei der ungewohnlich
langen Mensur vollklingend. Tabulaturen fiir Ch. ver-
offentlichten u. a. J.H. v. -» Kapsberger 1604, 1616 und
1624 und D. -> Belli 1616.
Lit.: Praetorius Synt. II; WaltherL; G. Kinsky, A.
Piccinini u. sein Arciliuto, AMI X, 1938.
Chladnische Klangfiguren. Zur Feststellung der
Schwingungsformen von Platten hat 1787 der deut-
sche Physiker E. Fl. Fr. Chladni (1756-1827) ein Ver-
fahren angegeben, um mit Hilfe von aufgestreuten
leichten Partikeln (Korkpulver) die Knotenlinien sicht-
bar zu machen. Uberall dort, wo die Platte stark
schwingt (Schwingungsbauche), wandern die Partikel
fort und sammeln sich an den Stellen, wo die Platte in
Ruhe ist (Knoten). Die Anregung zum Schwingen er-
folgte bei Chladni meist durch Streichen des Randes
mit einem Geigenbogen. H. Backhaus hat solche Klang-
figuren bei Geigen aufgenommen, indem er kleine
Metallfolien auf verschiedene Stellen des Geigenkor-
pers klebte und diesen eine Elektrode auf kleinen Ab-
stand naherte. Durch den so gebildeten elektrischen
Kondensator konnte er die Amplituden der Schwin-
gungen des Geigenkorpers bei verschiedenen Frequen-
zen messen. AuBerdem war es moglich, die Schwin-
gungsphase festzustellen. Durch elektromagnetische
Abtastung wurden ahnliche Klangfiguren beispielswei-
se auch auf den Resonanzboden von Fliigeln ermittelt.
Lit. : E. Fl. Fr. Chladni, Entdeckungen iiber d. Theorie
d. Klanges, Lpz. 1787; ders., Die Akustik, Lpz. 1802,
21830, als: Traite d'acoustique, Paris 1809; H. Backhaus,
tiber Strahlungs- u. Richtwirkungseigenschaften v. Schall-
strahlern, Zs. f. technische Physik IX, 1928; M. Grutz-
macher u. W. Lottermoser, Neuere Untersuchungen an
Fliigeln, Akustische Zs. I, 1936.
Chocalho (Juk'aXu, port.; auch chocolo, xocalho,
xucalho), aus Brasilien stammendes Rasselinstrument,
das zum Schlagzeug der lateinamerikanischen Tanze
(besonders der -> Samba) gehort. Es besteht aus einem
an beiden Enden verschlossenen Metallzylinder (4—6
cm 0), der mit Schrot oder Samen gefullt ist. Der Ch.
wird horizontal an den Enden zwischen den Fingern
162
Chor
beider Hande gehalten und mit der rechten Hand
waagerecht bin und her geschiittelt, wahrend die linke
ruhig bleibt.
Chomon|e (griech.) -*■ Ananeanes.
Chor (griech. x°P^< urspriinglich Tanzplatz, dann
Reigen, Tanzlied, Schar der Tanzer; lat. chorus; ital.
coro; frz. chceur; engl. choir), bei den Griechen der
mit Gesang verbundene und im Kult zu besonderer
Bedeutung gelangte feierliche Tanz, Reigentanz. Von
Homer oft erwahnt und auf friihen Vasen gem darge-
stellt, erhielt er wohl erst bei den Dorern des 7. Jh. v.
Chr. eine kunstvollere Auspragung. Die seither f aBba-
re, in der Sprache dorisch gefarbte Chorlyrik, die mit
den beruhmten Namen Alkman, Stesichoros, Simoni-
des, Bakchylides und besonders Pindaros verkniipf t ist,
umfaBt zahlreiche Gattungen, u. a. -> Paan, ->• Dithy-
rambos, -*= Hymnus, -»- Threnos und Preislieder zu
Ehren der Sieger in den panhellenischen Wettkampf en.
Zum musikalischen Vortrag dieser iiberaus kunstvoll
gebauten Oden (seit Stesichoros meist aus Strophe,
Gegenstrophe und Epode bestehend) gehorten auch
Instrumente (Aulos, Kithara, Lyra). Durch Hinzutre-
ten eines Schauspielers entstand das attische Drama
(Tragodie, Komodie, Satyrspiel), doch blieb der das
Volk als Ganzes reprasentierende Ch., auch nach der
Einfiihrung von mehr Schauspielern, fiir das Wesen
des Dramas weiterhin bestimmend. Erst die jiingere
und nach ihr die romische Komodie hat den Ch. auf-
gegeben. -Der Reigentanz derjuden(hebraischmahol),
der im Gottesdienst einen wichtigen Platz einnahm
(2 Mos. 32, 19; Ps. 149, 3 und 150, 4), ist in der Septua-
ginta durch x°P^? un d m der Vulgata dutch chorus
wiedergegeben. In friihchristlicher Zeit hat sich neben
der Bedeutung als Reigen (Lukas-Ev. 15, 25) immer
mehr die als Sangerschar durchgesetzt (so schrieb um
100 n. Chr. Ignatius an die Epheser, daB die Gemeinde
zum einstimmig singenden Ch. werden solle, 4, 2). Mit
der Unterscheidung zwischen Klerus und Laien und
der Stellvertretung der Gemeinde durch den Klerus
wurde der Ch.-Gesang im christlichen Kultus institu-
tionalisiert, indem der Klerus die Ausfuhrung der Ge-
sange ubernahm, seit dem 4. Jh. raumlich abgesondert
von der Gemeinde um den Altar (Isidor von Sevilla:
Chorus, quod initio in modum coronae circum aras starent et
itapsallerent, Etym. VI, 19). Die Latinitat des Kultus so-
wie die Formen des Gregorianischen Gesanges waren
mitbestimmend fiir die Ablosung des Gemeindegesan-
ges durch den Kleriker-Ch., der von der -> Schola can-
torum unterstiitzt wurde; die musikalische Leitung
des Ch.es oblag dem -»■ Kantor. Seit dem 12. Jh. wur-
den auch Laien (die Bruderschaften) am kirchlichen
Ch.-Gesang beteiligt, die im Gegensatz zur Prosa des
Gregorianischen Chorals die poetische Lauda sangen.
Beide Formen wurden sowohl einstimmig als auch
mehrstimmig gesungen mit mehrfacher, d. h. chori-
scher Besetzung jeder Stimme. Auch das alte -> Or-
ganum bis ins 11. Jh. wurde in mehrfacher Stimmbe-
setzung durch Sanger und Instrumente ausgefiihrt. Im
13.-14. Jh. finden sich in England Conductussatze, die
wahrscheinlich fiir chorischen Gesang bestimmt sind.
Im 14. Jh. begegnen derartige Satze auch auf dem Fest-
land (-> Quellen : Apt und Iv) . Wahrend hier die hoch-
ste Stimme moglicherweise zusatzlich durch Kapell-
knaben verstarkt wurde, ist fiir die ubrigen Stimmen
eine Besetzung mit 2-3 Sangern anzunehmen. Bereits
im Of fizium von Sens (Hs. London, Brit. Mus. Egerton
2615 ; Repertoire des 13. Jh.) ist die sicherlich vielgeiibte
Praxis des Alternierens zwischen dem Chorus, der den
1st. Choral ausfiihrte, und Solosangern (unus, alter
u. a.), die auch im mehrstimmigen (Organum-)Satz
(cum organo) sangen, ausdriicklich angegeben. Im
friihen 15. Jh. enthalten einzelne Ordinariumskompo-
sitionen vorwiegend in italienischen -> Quellen (u. a.
BL, O und Ao) abschnittweise die Vermerke chorus
meist bei drei- und unus oder duo bei zweistimmigen
Partien. Zunachst war damit wohl ein Wechsel ge-
meint zwischen dem choralen Chorus, der von 2 - nicht
textierten - Instrumentalstimmen begleitet wurde, und
dem vokalen Soloduett besonders der Oberstimmen.
Die zunehmendeDurchtextierung der Chorusabschnit-
te, der Ubergang zum Chorbuchformat und schlieG-
lich der Wegfall des chorus-, aber nicht des duo-Ver-
merks (-> Quellen: Ca 6 und 11; Modena, lat. 454-
456) zeigt die Entwicklung zur chorischen Besetzung
und damit zum Ch.-Klang, die sich in der 1. Halfte des
15. Jh. vollzog. Auch die wachsende Sangerzahl ist be-
legt, z. B. hatte die papstliche Kapelle 1436 9 Sanger
fiir den Figuralgesang und wurde allmahlich auf 12, 16
und in der 2. Halfte des 15. Jh. auf 24 Sanger erweitert.
Die Ausdriicke concentus vocum oder concento di vo-
ci weisen im 16. Jh. auf chorische Besetzung hin. Cho-
rus bezeichnet im 16.-17. Jh. nicht nur den vokalen
Ch.-Klang, sondern auch die Besetzung und den Zu-
sammenklang von Instrumenten einer Familie (Stimm-
werk, -*- Akkord - 3; -»■ Consort). - In der -> Mehr-
chorigkeit venezianischer Provenienz und dem barok-
ken -*■ Concerto werden verschiedene Arten vokaler
und instrumentaler Chore unterschieden. Der -> a
cappella-Begriff bezeichnet daneben den Stil der alten
Ch.-Musik, wie ihn u. a. Schiitz (1648) fortfuhrte. -
Der nichthierarchische Kirchenbegrifl des Protestantis-
mus wie auch die Einfiihrung der Volkssprache in den
Gottesdienst ermoglichten wieder neben derEinsetzung
des Gemeindegesangs auch die Verwendung von Laien-
choren, die fiir die Gemeinde singen oder deren Gesang
ftihren. Die Arten des Ch.-Singens der evangelisch-
lutherischen Schulkantoreien kennzeichnen HaBlers
vierstimmig gesetzte Psalmen und Kirchengesange
von 1607 fugweis komponiert und simpliciter gesetzt.
Wahrend Zwingli jeglichen Gesang in der Kirche zu-
nachst abschaffte, spater jedoch offenbar wieder an eine
Einfiihrung des Gemeindegesanges dachte, lieB Calvin
zwar den Gemeindegesang zu, jedoch keine Vertre-
tung der Gemeinde durch den Ch. - In den neuen ba-
rocken Gattungen Kantate (Passion) und Oper wurden
dem Ch. in Vertretung des Volkes (->■ Turbae) oder
fiir iiberpersonliche Betrachtung homophone und fu-
gierte Satze ubertragen. - Seit dem ausgehenden 18.
Jh. wird der Ch.-Gesang in zunehmendem MaBe nicht
mehr nur in seinen tiberkommenen Formen und In-
stitutionen gepflegt. Mit dem Auf kommen neuer Vor-
stellungen von Gemeinschaft und Gesellschaft durch
Aufklarung und Romantik (Volk, Nation, Masse, Ge-
meinschaft, Bund) wurde auch der Ch.-Gesang neu als
reprasentativer Ausdruck einer Gemeinschaft verstan-
den. Im Politischen wirkt der Ch. als reprasentative
Darstellung der politischen Gemeinde (der Ch. beim
»Fest des hochsten Wesens« 1794 in Paris bestand aus
2400 Personen, die zu je 50 von den 48 Bezirken ge-
stellt wurden, und zwar jeweils 10 alte, 10 junge Man-
ner, 10 Mutter, 10 junge Madchen, 10 Kinder) oder als
Kundgabe eines politischen Willens (so ging Gossec
1795 mit einer Sangergruppe nach Brussel, um dort
Auffuhrungen »zur Propagierung der Freiheit und
Gleichheit« zu veranstalten). Die romantische Vorstel-
lung vom Volksgeist. der sich u. a. im chorisch vorge-
tragenen Volkslied ausspricht, fiihrte vornehmlich in
Deutschland, dann auch in Osteuropa und in den USA
zur Griindung von Choren und -> Sangerbiinden, die
sich bis in die kleinste landliche Gemeinde der Pflege
des Volksliedgutes annehmen. Der vierstimmige ge-
163
Choral
mischte Ch. mit Frauen fur die Oberstimmen wurde
zurNormnebendenSonderformenvon->Manner-Ch.,
->-Frauen-Ch.undKinder-Ch. In dieSymphonik wurde
der Ch. als Steigerung einbezogen (Beethoven, 9. Sym-
phonic; Mahler). Daneben ist volkstumlich-roman-
tisch auch die Vertonung von Sololiedern f iir Ch. mog-
lich, in denen das Ich als romantisch-kollektives gesehen
ist. Ch.-Institutionen des 19. und20. Jh. sind derKir-
chen-Ch. mit Laien sowie der -> Opern-Ch. und der
Rundfunk-Ch. mit Berufssangern. Wahrend die riick-
gewandten Bewegungen der Ch.-Komposition, der
-> Caecilianismus des 19. und die Singkreise der -*■ Ju-
gendbewegung des 20. Jh., an den von Gregorianik,
Chorpolyphonie und Liedsatz gepragten Formen fest-
hielten, entfernte sich der Ch.-Satz bei Webern, Nono
u. a. von diesen traditionellen Vorstellungen.
Lit.: R. v. Liliencron, Die Chorgesange d. lat.-deutschen
Schuldramas im XVI. Jh., VfMw VI, 1890; E. Bodenstei-
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gehens v. Schauspielem u. Ch. im griech. Drama, Lpz.
1893; E. Gause, Der EinfluB d. christlichen Kultus auf d.
Kirchenbau, Diss. Jena 1901 ; J. Rautenstrauch, Luther
u. d. Pflege d. kirchlichen Musik in Sachsen bis zum 2.
Jahrzehnt d. 17. Jh., Lpz. 1907; R. Fischer, Der Ch. im
deutschen Drama v. Klopstocks Hermannsschlacht bis
Goethes Faust II, Munchen 1917; M. Schneider, Die Be-
setzung d. vielst. Musik d. 17. Jh., AfMw I, 1918/19; E.
Troeltsch, Die Soziallehren d. christlichen Kirchen u.
Gruppen, in: Gesammelte Schriften I, Tubingen 1919; K.
Meyer, Der EinfluB d. gesanglichen Vorschriften auf d.
Ch.- u. Emporenanlagen in d. Klosterkirchen, AfMw IV,
1922; H. J. Moser, Das deutsche Chorlied zwischen Senfl
u. Hassler, JbP XXXV, 1928; P. Epstein, Der Schulch.
v. 16. Jh. bis zur Gegenwart, Lpz. 1929; F. K. Roedemeyer,
Vom Wesen d. Sprech-Ch., Kassel 1931; A. Bellesort,
Athenes et son theatre, Paris 1934; W. Ehmann, Das Mu-
sizierbild d. deutschen Kantorei im 16. Jh., in: Musik u.
Bild, Fs. M. Seiffert, Kassel 1938 ; ders., Die Chorfuhrung,
Kassel 1950, 21956; K. Thomas, Lehrbuch d. Chorleitung,
3 Bde, I-II Lpz. 1935-37, III 1948, Neuauflage I-III Wies-
baden 1961 ; W. Gurlitt, Kirchenmusik u. Kirchenraum,
MuK XIX, 1949; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon,
Lpz. 1950; E. Valentin, Hdb. d. Chormusik I-II, Regens-
burg 1953-58 ; J. Smits v. Waesberghe SJ, Herbeni Trajec-
tensis De natura cantus ac miraculis vocis, = Beitr. zur
Rheinischen Mg. XXII, Koln 1957; Thr. G. Georgiades,
Musik u. Rhythmus bei d.Griechen, = rde LXI, Hbg (1958);
W. Wiora, Der alte u. d. neue Sinn d. Chorgesanges, in:
Mus. Zeitfragen II, Kassel 1958; ders., Die Natur d, Mu-
sik u. d. Musik d. Naturvolker, Journal of the International
Folk Music Council XIII, 1961 ; H. Reimann, Die Einfuh-
rung d. Kirchengesanges in d. Ziircher Kirche nach d. Re-
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Musica XIV, 1960; H. J. Schattner, Volksbildung durch
Musikerziehung. Leben u. Wirken H. G. Nagelis, Diss.
Saarbriicken 1960; E. Gerson-Kiwi, Religious Chant: A
Pan-Asiatic Conception of Music, Journal of the Inter-
national Folk Music Council XIII, 1961; R. Hammer-
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Griechenland, Bern (1963); A. Kunzmann, Gesch. d.
Chorliedes, Stuttgart 1963; M. Ruhnke, Beitr. zu einer
Gesch. d. deutschen Hofmusikkollegien im 16. Jh., Bin
1963.
Choral (lat. choralis, zum Chor gehorig, Adjektiv zu
chorus, Chor) kennzeichnet in seiner (zunachst adjek-
tivischen) lateinischen Wortform spatestens seit dem
14. Jh. vorwiegend bestimmte kirchliche Gesange, fer-
ner deren Ausf uhrende und diese Gesange enthaltende
Biicher. Das Wort bezieht sich zunachst auf den musi-
kalischen Trager der Gesange, den Chorus, laBt in wei-
terer Verwendung jedoch in verschiedenen Einzelbe-
deutungen diesen Bezug nicht mehr erkennen. - Wahr-
scheinlich weil im ausgehenden Mittelalter die liturgi-
schen Gesange ausschlieBlich vom Chorus gesungen
wurden, chorischer Gesang aber urspriinglich einstim-
mig war, wurde Ch. im Spatmittelalter zur Sammel-
bezeichnung fur die einstimmigen, lateinischen, litur-
gischen Gesange der abendlandischenkatholischen Kir-
che, also des Gregorianischen, Ambrosianischen, Bene-
ventanischen und Mozarabischen Gesanges, und spater,
soweit sie von den Reformatoren iibernommen oder
umgestaltet wurden, auch der evangelischen Kirche,
nicht aber der Gesange der Ostliturgien. Der Ausdruck
cantus choralis planus siue Cregorianus bzw. cantus choralis
ist bei Conrad von Zabern 1460/70 belegt, um 1490 als
korgesangk iibersetzt. Cantus choralis (frz. plain-chant;
engl. plainsong; span, canto llano) grenzt die einstim-
migen liturgischen Gesange gegen die mehrstimmige
Mensural- oder Figuralmusik ab: Anonymus XI (CS
III, 417, Mitte 15. Jh.) unterscheidet Musica mensuralis
und coralis, ebenso zahlreiche andere musiktheoreti-
sche Schriften vor allem des 16. Jh. (B.Prasberg, Cla-
rissima plane atque choralis musice interpretatio, 1501 ; M.
Agricoia, Musica choralis deudsch, 1533). Das Wort Ch.,
in der eingedeutschten Form schon 1566 bei Mathesius
belegt, begegnet in diesem Sinne nur in Deutschland
und Italien, wahrend im englischen und franzosischen
Sprachgebrauch choral allgemein chorisch bedeutet.
Es bezeichnet die Gattung, nicht den einzelnen Ge-
sang. Gleichzeitig blieben altere Bezeichnungen wei-
terhin in Gebrauch, wie Musica plana, ->■ Cantus planus,
Cantus Gregorianus, -»■ Cantus firmus u. a. Bei Hoth-
by (Mitte 15. Jh.) meint jedoch canto corale den Cantus
mensuralis im Gegensatz zu canto legale, dem ein-
stimmigen liturgischen Gesang. Die Ausf iihrenden die-
ser Gesange heifien chorales ; die Gesange sind, vor al-
lem in Italien, im Chorale zusammengefaBt; in Deutsch-
land erscheint dieser Titel z. B. im Chorale vetus pro or-
ganoedo 1511. Auch Zyklen mehrstimmiger Kompo-
sitionen iiber diese Gesange heiBen Ch., z. B. der Re-
sponsorien Choral im Heidelberger Kapellkatalog von
1544, Isaacs 1555 in Niirnberg gedruckter Choralis Con-
stantinus und Kneffels Cantus choralis 1575. Der Titel
eines Ch.-Buches von 1724 Cantus choralis figuratus,
der den urspriinglichen Gegensatz in einem Ausdruck
vereinigt, kennzeichnet ein spateres Stadium im Ge-
brauch des Wortes Ch. - Auch die volkssprachigen
Strophenlieder der Gemeinde in der evangelischen Kir-
che, die zum Teil auf vorreformatorische Lieder zu-
riickgehen und in ihren Neuschopf ungen teilweise vom
Gregorianischen Gesang beeinfluBt sind, werden in
Deutschland und den skandinavischen Landern, aller-
dings noch nicht bei den Reformatoren selbst, Ch. ge-
nannt, moglicherweise weil auch sie zunachst nur ein-
stimmig erklangen, wobei der Chorus choralis unter
Leitung des Cantor choralis den Gemeindegesang an-
fiihrte, oder weil ihre Bedeutung allmahlich auf Ko-
sten des Gregorianischen Gesangs zunahm ; bezeichnen-
derweise wurden die volkssprachigen Lieder der katho-
lischen Kirche nicht Ch. genannt. Ch. bedeutet im
evangelischen Sprachgebrauch das einzelne Lied. Luther
nennt diese Lieder noch korrekt canticum (vernacu-
lum), psalmus (vernaculus), deutsches Lied u. a., eben-
so Calvin cantique oder chant ecclesiastique. Neben
diesen Ausdriicken, die bis ins 18. Jh. beibehalten wur-
den, begegnet die Bezeichnung Ch. fur das evangeli-
sche -»■ Kirchenlied spatestens seit dem Ende des 16.
Jh., so bei Osiander 1586, Eccard 1597, M.Praetorius
1613 und S.Scheidt 1624 und im Titel einer Samm-
lung erstmalig in D.Speers Choral Gesang-Buch, Auff
das Clavir oder Orgel, 1692; dieses ist gleichzeitig ein
->• Choralbegleitbuch. Im Zusammenhang mit den li-
turgischen Erneuerungsbestrebungen der Gegenwart
wird wieder eine Unterscheidung zwischen Ch. und
Kirchenlied angestrebt. Schon im 17. Jh. erhielt Ch.
164
Choralbearbeitung
auch die Bedeutung von -> Choralbearbeitung, z. B.
bei Schiitz (Vorrede zum Beckerschen Psalter, 1628),
in J.Pachelbels 8 Chorale . . . zum praeambulieren 1693
und in J. S. Bachs Chorale von verschiedener Art fur Org.
(Schiiblerchorale, gedruckt zwischen 1746 und 1750).
Bach nannte auch die Choralbearbeitungen in seinen
groBen Chorwerken Ch., z. B. den SchluBchor des
1. Teiles der Matthauspassion. Ebenso wurden mehr-
stimmige Kirchenliedsatze als Ch. bezeichnet. In einer
Dresdener Gottesdienstbeschreibung von 1660 ist cho-
raliter offenbar gleichbedeutend mit a cappella. Bei all
diesen Bedeutungen scheint Ch. vor allem die musi-
kalische Fassung des Kirchenliedes zu bedeuten, also
seine wie auch immer geartete kompositorische Bear-
beitung, die in Bezeichnungen wie Ch.-Kantate, Ch.-
Passion, Ch.-Vorspiel, Orgel-Ch. speziell gekennzeich-
net ist (-> Choralbearbeitung). - Da Ch.-Gesang und
Kirchenlied seit langem an gepragten Formen und ei-
nem festen Bestand festhalten, der stilistisch vergan-
genen Zeiten der Musikgeschichte angehort, ergriff die
neuere weltliche Musik die Moglichkeit, den Ch. zum
Ausdruck des Religiosen, Erhabenen, Feierlichen, Ar-
chaischen, auch zu parodistischen Zwecken zu ver-
wenden. Teils werden Ch.- bzw. Kirchenliedmelodien
iibernommen, teils wird in ihrem Stil neu kompo-
niert; bisweilen nennt der Komponist das betreffende
Stuck Ch. oder bringt einen in diese Richtung deuten-
den Hinweis. Berlioz verwendet die Sequenz Dies irae
in seiner Symphonie fantastique, ebenso Liszt im Toten-
tanz, Hindemith die Sequenz Lauda Sion in Matins der
Maler; evangelische Kirchenlieder verwenden z. B.
Mozart in der Zauberfiote, Lortzing im Wildschutz,
Meyerbeer in den »Hugenotten«, Mendelssohn Bar-
tholdy in der »Reformationssymphonie«, Debussy in
En- hlanc et noir; Berg iibernimmt einen 4st. Ch.-Satz
J. S. Bachs in sein Violinkonzert. Die Bezeichnung Ch.
erscheint z. B. in J.Haydns Chorale St. Antoni, Men-
delssohns Klavierfuge op. 35, 1, Bruckners 5. Sympho-
nie (wonach auch andere Themen bei ihm Ch.-The-
men genannt werden), C.Francks Klavier- und Orgel-
choralen, Bartoks Mikrokosmos und For Children, Stra-
winskys »Geschichte vom Soldaten«, Weills Dreigro-
schenoper und Bergs Wozzeck. Mahler schreibt iiber
den 4. Satz seiner 2. Symphonie choralmdflig. Uniiber-
sehbar ist die Zahl der nach Art des Ch.s gebildeten
Satze, die nicht so genannt sind (z. B. der Pilgerchor
aus Wagners Tannhauser, der Mittelteil des 2. Satzes in
Bartoks Konzert fiir Orch.). Einen Hinweis auf choral-
hafte Vorstellung tragt z. B. in Beethovens Streich-
quartett op. 132 der Satz Heiliger Dankgesang eines Ge-
nesenen an die Gottheit (in der Form einer grofien Ch.-
Bearbeitung) oder in Bartoks 3. Klavierkonzert, das
stilistisch deutlich am Ch. orientierte Adagio religioso.
Honegger nennt seinen Pacific 231 einen »grofien figu-
rierten Ch. . . ., der sich in der Form an J. S.Bach an-
lehnt«.
Lit. : J. Mathesius, Historien v. . . . M. Luthers anfang. . . ,
Niirnberg 1566; A. W. Schmidt, Die Calliopea Legale d.
J. Hothby, Lpz. 1897; L. Sohner, DieGesch. d. Begleitung
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zu Freiburg i. d. SchweizXVI, Augsburg 1931 ; A. Honeg-
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Heidelberg 1956; Die Musiktraktate Conrads v. Zabern,
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Brodde, Ev. Choralkunde, in: LeiturgialV, Kassel 1961 ;
W. Blankenburg, Der gottesdienstliche Liedgesang d. Ge-
meinde, ebenda; E. Schmidt, DerGottesdienst am kurfiirst-
lichen Hofe zu Dresden, = Veroff. d. ev. Ges. f. Liturgie-
forschung XII, Gottingen u. Zurich 1961 ; E. Jammers,
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Waesberghe, Amsterdam 1963; Fr. Blume, Gesch. d. ev.
Kirchenmusik, Kassel 2 1965. GBa
Choralbearbeitung. - 1) Seit dem karolingischen
Mittelalter wurde der -»• Choral, das fiir den Gottes-
dienst bestimmte Melodiengut der Kirchen, immer
wieder von neuem mehrstimmig gefafit. Doch hat die-
ses Schmucken, Paraphrasieren, Deuten nicht zu alien
Zeiten die gleichen Gattungen 1st. Gesange betroffen.
Das -»■ Organum der Notre-Dame-Schule bevorzugte
die melismatischen Gesange des Graduale, des Offi-
zium-Responsoriums und des Alleluia. Seit dem 14./
15. Jh. fand das Ordinarium der -»■ Messe groBere
kiinstlerische Beachtung, wahrend das 15. und 16. Jh.
den Weisen des Offiziums besondere Aufmerksamkeit
schenkte. In der lutherischen Reformation trat neben
den ererbten Bestand alter Gesange seit etwa 1520 das
deutsche -> Kirchenlied, das bald in den Rang eines
Chorals aufstieg und eine neue Bliite der Ch. einleitete.
Von den Liedschopfungen der anderen Konfessionen
hat nur die Gattung des Psalmliedes einen groBeren
Kreis von Komponisten gefesselt (-»• Souterliedekens).
- Die mannigfaltigen Arten der mehrstimmigen Be-
arbeitung des Chorals bewegen sich zwischen zwei
Extremen, die im Lauf der Geschichte mit zeitgemaBen
Abwandlungen immer wieder begegnen : der schlich-
ten Technik des Contrapunctus simplex, in der sich die
Stimmen unauffallig der im Tenor oder im Superius
liegehden Weise unterordnen, und der Gattung des
»Choralquodlibets« (M. Praetorius 1619), in welcher
zusammen mit dem liturgischen C. f. mindestens noch
eine weitere iiberlieferte Melodie oder auch bloB ein
anderer Text erklingt. Zur ersten Art gehoren auBer
der improvisatorischen Praxis zahlreiche Werke der
englischen gottesdienstlichen Gebrauchsliteratur des
14. Jh. (Hymnen, Magnificat, konservative Messen),
die einfachen 4st. calvinistischen Psalmlieder und der
protestantisch-lutherische Kantionalsatz. Den Gegen-
pol hierzu bilden die mittelalterliche ->■ Motette, fer-
ner die im 16. Jh. ofter nachgewiesene Gleichzeitigkeit
von liturgischem Text und deutschem Lied und die
Zitatweise J. S. Bachs.
Die Geschichte der mehrstimmigen Bearbeitung des
deutschen Kirchenlieds, der Ch. im engeren Sinne, be-
ginnt mit der Veroffentlichung des Wittenbergisch
deutschen Geistlichen Gesangbiichleins von J.Walter (1.
Auflage 1524). Da es Walter darum zu tun war, die
protestantischen Melodien in Tenor- oder (seltener) Dis-
kantlage deutlich und zusammenhangend hervortreten
zu lassen, orientierte er sich nicht an der zeitgenossi-
schen Motette, sondern am deutschen weltlichen Lied.
Der dem biirgerlichen Musizieren entgegenkommen-
de Charakter seiner Satze und der Wunsch Luthers, daB
sie an die Stelle des weltlichen Gesangs treten mogen
(dazu der starke Anteil lateinischer Musik in den fiir
die Verwendung im Gottesdienst bestimmten Tor-
gauer Walter-Handschrif ten) , deuten auf eine urspriing-
lich auBerkirchliche Bestimmung des Gesangbiichleins.
Die durch G.Rhaw 1544 herausgegebenen Newen
deudschen geistlichen Gesenge . . . fiir die gemeinen Schu-
len bieten stilistisch ein bunteres Bild. Neben den her-
kommlichen Formen finden sich einige groBe Mo-
tetten niederlandischer Provenienz. Uber den in dieser
Sammlung erreichten technischen Stand sind die Kom-
ponisten der f olgenden Jahrzehnte (M. Le Maistre, G.
Otto, A. Scandellus, L. Schroter) kaum hinausgegan-
gen. Die Ch. verlor den Anschlufi an die allgemeine
kiinstlerische Entwicklung, wie sie sich in dem inter-
nationalen Repertoire freier Motetten der Sammel-
drucke zwischen 1550 und 1620 spiegelt; Lied- und
Motettenprinzip erweisen sich als schwer zu vereinen-
de Gegensatze. Im -* Kantionalsatz zieht sich die Ch.
165
Choralbearbeitung
gewissermaBen auf ihren protestantischen Ausgangs-
punkt zuriick. In den f olgenden 50 Jahren erhielt fast
jedes deutsche evangelische Territorium seinen eigenen
Vorrat von Liedsatzen dieser Art, meist allerdings in
aufgelockerterer Gestaltung. Eine Reihe von Kompo-
nisten versuchte erneut, aus dem Choral ein zeitgema-
Bes Kunstwerk zu machen (M. Franck 1602, H. L. HaB-
ler 1607, Schein 1627). M.Praetorius' Musae Sioniae
I-IV (1605-07) belegen den neuen Typ der doppel-
chorigen Choralmotette mit episodenhaften Durch-
imitationen, akkordischen Dialogen und C. f.-Durch-
fiihrungen. Als Praetorius spater dazu iiberging, Par-
tien fiir die »Favoriten« (Solisten) und solche fiir das
gesamte Ensemble systematisch zu unterscheiden, war
das Choral-(->-) Concerto entstanden, dessen glanzvoll-
ste Belege (mit Symphonien, obligater Instrumental-
begleitung und Ziergesang) seine Publikationen von
1619-21 fiillen. Fast schematisch verwendet dann
Scheidt den sukzessiven Kontrast, indem er die Melo-
diezeilen erst in fugierender Technik vertont und da-
nach sogleich im Kantionalstil und in vergroBerten
Notenwerten wiederholt. Von der bewahrenden Ge-
sinnung Scheidts hebt sich Scheins freiere Einstellung
zum Lied ab, der die iiberlieferten Weisen verandert
oder sogar preisgibt, wenn sie seinen Satztechnischen
Planen widerstreben. Bald scheint man erkannt zu ha-
ben, daB das C. f.-Prinzip fiir affektvolle Deklamation
und lyrische Betrachtung ungeeignet ist. Abermals be-
gann die Ch. den freien Kompositionen zu unterliegen.
Kirchliche Reformbewegungen lenkten jedoch erneut
den Blick auf das Lied. Seit etwa 1650 wurde die Ch.
mit Gattungen verbunden, die auf anderen Texten be-
ruhen (-> Kantate, -*■ Passion). Der Choralkantate in
ihrer altesten, schon bei Scheidt erkennbaren Form
dient ein einziges Lied per omnes versus als Grundlage
einer meist von Strophe zu Strophe wechselnden musi-
kalischen Darbietung. Wieder bedingt die Riicksicht-
nahme auf eine »Kemweise« die altertiimliche Faktur
mancher Satze (z. B. J.P.Krieger, Einfeste Burg, 1688,
DDT LIII/LI V) . Wie in den Liedmessen der Zeit (Bern-
hard, Theile, Zachow) ist dabei ein historisierender
Ton oft nicht zu Uberhoren. Den Rahmen der Kan-
taten bilden gewohnlich glanzvolle Konzerte mit
Symphonien, solistischen Vorimitationen und Tutti-
zusammenfassungen (Kniipfer, Schelle). Um auch aus-
drucksvolle Solostiicke schreiben zu konnen, verzich-
tete man in manchen Abschnitten auf die iiberlieferte
Melodiesubstanz oder fiigte zwischen den Strophen
bzw. an deren Stelle Neudichtungen ein. Diese erwei-
terte Gestalt zeigen die meisten Choralkantaten J. S.
Bachs. Sein sonstiges geistliches Vokalwerk ist voll
von choralen Beziehungen. Sie finden sich zum Teil
sogar in ouvertiirenartigen Formen, in Da-Capo- Arien
und Rezitativen. Nach 1750 trat die Ch. in einen Zu-
stand der Erstarrung. In den Motetten thiiringischer
Komponisten behauptet sich noch eine Zeitlang die
simultane oder auch sukzessive Verbindung von Bibel-
text und Kirchenlied. Im Gebrauchsstil Note gegen
Note beschlieBt der Choral kantatenhafte Partien oder
markiert Einschnitte in Oratorien. Als man am Ende
des 18. Jh. der in formelhaften Wendungen festgefah-
renen Kirchenkantate iiberdriissig wurde, entstanden
die »figurierten Chorale«, in denen etwa nach Art der
friihbarocken Aria nach einer mehr oder weniger aus-
gedehnten, mitunter symphonisch verselbstandigten
instrumentalenEinleitung ein einfacher, vom Orchester
figurierend begleiteter und durch Zwischenspiele ge-
gliederter Liedsatz erklingt. J. A.Hiller hat diesen Typ
der Ch., der im Werk von Doles und Turk vertreten
ist, zu beschreiben versucht. - Durch den Verfall des
kirchlichen Chorwesens und der gottesdienstlichen
Formen im Zeitalter des theologischen Rationalismus
war der Ch. der Boden entzogen worden. Die unter
dem Eindruck J. S.Bachs komponierten Choralkanta-
ten von F.Mendelssohn Bartholdy konnten auBerhalb
Berlins keine Tradition mehr begriinden. Der Choral
selbst verblaBte zum Symbol eines vagen Frommig-
keitsideals. Erst im Zuge der liturgischen Erneuerungs-
bewegungen begann man, die historischen Gattungen
zu studieren. Doch mit der alten Ch. erwachte das
Problem der stilistischen Assimilierbarkeit des Kirchen-
liedes. H.Distler, E. Pepping u. a. verzichteten auf den
Bruch mit der Tonalitat und bestatigten damit jenen
Zwang zum Verharren, den die Ch. von jeher aus-
geiibt hat.
Ausg. : G. v. Tucher, Schatz d. ev. Kirchengesangs im 1.
Jh. d. Reformation, 2 Bde, Lpz. 1848; L. Schoberlein,
Schatz d. liturgischen Chor- u. Gemeindegesanges I— II,
Gottingen 2 1 928-29 ; Hdb. d. deutschen ev. Kirchenmusik,
hrsg. v. K. Ameln, Chr. Mahrenholz u. W. Thomas,
Gottingen 1936ff.
Lit.: J. A. Hiixer, Beytrage zur wahren Kirchenmusik,
Lpz. 2 1791 ; C. v. Winterfeld, Der ev. Kirchengesang, 3
Bde, Lpz. 1843^47; A. Schering, Gesch. d.ev. Kirchenmu-
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protestantischen Kirchenmusik, Lpz. 1925; ders., Die
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erstanden. Stilkritische Studie . . ., Kassel 1930; O. Ur-
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Die Thematik d. Kirchenkantaten J. S. Bachs in ihren Be-
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Musik u. Sprache. . . , Bin, Gottingen u. Heidelberg (1954) ;
H. J. Moser, Die ev. Kirchenmusik in Deutschland, Bin u.
Darmstadt 1954; W. Fortner, Geistliche Musik heute,
MuK XXVII, 1957; S. Sorensen, D. Buxtehudes vokale
kirkemusik ..., Kopenhagen 1958; A. Forchert, Das
Spatwerk d. M. Praetorius, = Berliner Studien zur Mw I,
Bin 1959 ; E. Platen, Untersuchungen zur Struktur d. cho-
rischen Ch. J. S. Bachs, Diss. Bonn 1959; J. Stalmann, J.
Walters Cantiones latinae, Diss. Tubingen 1960; E. Ges-
ner, S. Scheidts Geistliche Konzerte, Bin 1961 ; A. Durr,
Gedanken zum Kirchenmusikschaffen E. Peppings, MuK
XXXI, 1 961 ; E. H. Sparks, C. f. in Mass and Motets, 1420-
1520, Berkeley u. Los Angeles 1963. WB
- 2) Die Ch. fiir Tasteninstrumente (hauptsachlich Or-
gel) hat als C. f.-Grundlage wie die vokale Ch. den im
weiteren Sinne verstandenen ->■ Choral. Ihre urspriing-
liche und bis ins 19. Jh. vorwiegende Bestimmung ist
die Verwendung im Gottesdienst ; dabei sind ihre Auf-
gaben hauptsachlich: das versweise Alternieren mit
dem Chor oder der Gemeinde (alternatim-Vers und
-Strophe, -*■ Versett), das Praeambulieren vor dem
Choralgesang (Choralvorspiel) und die Begleitung des
Choralgesanges des Liturgen, des Chores oder der Ge-
meinde (jedoch ist ein GroBteil der hierfiir bestimm-
ten Satze bloBe Ausharmonisierung und nicht eigent-
lich als Ch. zu bezeichnen). Daneben kam bereits um
1600, zunachst im calvinistischen Holland, das auBer-
gottesdienstliche Orgelspiel in der Kirche auf, das bald
darauf in Norddeutschland und Danemark ubernom-
men wurde; spater, besonders seit dem Ende des 19.
Jh., bietet es als Orgel-»Konzert« die einzige Auffiih-
166
Choralbearbeitung
rungsmoglichkeit fiir einen groBen und gewichtigen
Teil der Ch.s-Literatur fiir Orgel. Eine weitere auBer-
liturgische Musiziergelegenheit besteht in der hausli-
chen Erbauung ; ihr sind besonders die im Stil der Lied-
bearbeitung gehaltenen Variationenreihen des 17. Jh.
(z. B. von Pachelbel) zuzuordnen, die auch ihrer Satz-
art nach mehr zur Ausfiihrung auf dem besaiteten Ta-
steninstrument als auf der Orgel geeignet sind. Endlich
ist der auf die Beherrschung von Spieltechnik, Impro-
visation und Komposition gerichtete didaktische Zweck
zu nennen, der, meist verbunden mit der liturgischen
Bestimmung, in der Geschichte der Gattung von den
Exempla in Buchners Fundamentbuch iiber Bachs Or-
gelbiichlein bis zu J.N.Davids Lehrstiick (Choralwerk,
Heft 6) immer wieder begegnet. - In der musikalischen
Gestaltung der Ch. lassen sich nach der Art der C. f .-
Behandlung folgende Grundtypen unterscheiden : 1.
die einmalige und vollstandige Durchfiihrung der Cho-
ralmelodie (meist mit Wahrung der Stimmlage), wo-
bei der Aufbau des C. f. fiir die Form der Bearbeitung
grundlegend bleibt (Orgelchoral) ; dieser wichtigste
und haufigste Grundtypus hat durch die verschiedenen
Moglichkeiten hinsichtlich der Stimmenzahl, des Ab-
hangigkeits- oder Kontrastverhaltnisses der Gegen-
stimmen zum C. f., der planen oder kolorierten Dar-
stelluhg des C. f . sowie dessen Mensurierung die gr6B-
te Variabilitat und damit auch die groBte Fahigkeit zur
Anpassung an den historischen Stilwandel; 2. die ab-
schnittweise durchimitierende Durchfiihrung der ein-
zelnen Choralzeilen bzw. der aus ihnen abgeleiteten
Soggetti (Choralricercar) ; 3. die abschnittweise Bear-
beitung der einzelnen Choralzeilen, die mehrfach und
in verschiedenen Techniken durchgefuhrt werden
(Choralfantasie) ; 4. die f ugierte Durchfiihrung der er-
sten Choralzeile bzw. eines aus ihr gewonnenen Themas
(Choralfuge, -fughette). Weitere Moglichkeiten erge-
ben sich als Ubergangs- und Kombinationsf ormen aus
den genannten Grundtypen sowie durch Einbeziehung
von Kanon, Ostinato, Elementen der Arienf orm usw. ;
daneben begegnen auch Formen, in denen der C. f.
frei paraphrasierend behandelt wird und die sich einer
Typisierung entziehen. - Die Ch. als zyklisches Gebil-
de entsteht entweder durch die Zusammenstellung der
zum liturgischen Gebrauch erforderlichen Einzelsatze
(Versusprinzip) oder ist als zusammenhangende und
in sich geschlossene Form komponiert (Variatioprin-
zip). Im ersten Fall besteht keine Notwendigkeit zu
musikalischem Zusammenhang iiber die in Tonart und
C. f . gegebene Einheitlichkeit hinaus, da ein solcher im
Rahmen des alternatim-Musizierens nur bedingt zur
Geltung kommt ; es konnen sogar innerhalb einer Reihe
C. f.-gebundene und freie Satze zusammentreten (so
z. B. in Grignys Livre d'orgue). Entsprechend bietet
andererseits die rein musikalische, auf motivischem Zu-
sammenhang, auf Kontrast und Steigerung beruhende
Zyklenbildung nicht immer die Moglichkeit der Her-
auslosung von Einzelsatzen fiir den liturgischen Ge-
brauch (so etwa in Sweelincks Ch.en mit ihrem flie-
Benden Ubergang zwischen den Variationen). Indessen
beruht ein groBer Teil der zyklischen Ch.en auf der
Durchdringung von Versus- und Variatioprinzip ; Bei-
spiele dafiir bieten die meisten Zyklen in Scheidts Ta-
bulatura nova.
Die Geschichte der Ch. fiir Tasteninstrumente zeigt
einen gegeniiber der jeweils gleichzeitigen vokalen Ch.
weitgehend eigenstandigen Verlauf . Die Uberlieferung
setzt Anfang des 15. Jh. ein mit den MeBsatzen der Hs.
Fa (-»■ Quellen), in denen der Tenor-C. f. von einer be-
wegten Diskantstimme kontrapunktiert wird. Die
gleiche Technik zeigen in Deutschland die Ch.en der
aus Sagan (urn 1425) und Winsem (um 1430) stam-
menden Fragmente; sie wird auch noch in den alteren
Fassungen (Erlangen und Lochamer Liederbuch) von
Paumanns Fundamentum organisandi gelehrt (-»■ Funda-
mentbuch). Demgegeniiber ist der Typus, den die
Meflsatze, Antiphonen, Hymnen und Magnificat
des Buxheimer Orgelbuches (aufgezeichnet etwa
zwischen 1460 und 1470) sowie die beiden in dieser
Handschrift enthaltenen Fundamenta Paumanns aus-
pragen, zumeist durch Hinzufugung eines Contra-
tenors zur Dreistimmigkeit erweitert. Im Vergleich
zu der geringen Anzahl von Quellen aus dem 15. Jh.,
in dem die Ch. mit ihrer wenig differenzierten Tech-
nik wohl weitgehend der Improvisation iiberlassen
blieb, ist aus dem 16. Jh. ein groBeres Repertoire
iiberliefert, das eine reiche Entfaltung der kontra-
punktischen und formalen Gestaltungsmoglichkei-
ten zeigt, wobei die Vierstimmigkeit in den Vorder-
grund tritt. Die deutsche Tradition wird fortgesetzt
in Schlicks Tabulaturen etlicher Lobgesang (1512) und
Buchners im AnschluB an sein Fundamentum aufge-
zeichneten Ch.en; Frankreich ist nur durch Attain-
gnants Drucke von 1530/31 vertreten; in Italien sind
hervorzuheben G. Cavazzonis Intavolatura ... (1542)
und Cl.Merulos Messe d' intavolatura (1568), in Spanien
die posthum erschienenen Hymnen, Magnificat,
Psalm versetten und Kyrie von A. de Cabezon. Die
handschriftlich iiberlieferten Satze der englischen
Organisten (Redford, Preston, Tallis, Blitheman u. a.)
bevorzugen die Zwei- und Dreistimmigkeit und zei-
gen zum Teil schon das Spiel mit intrikaten Rhythmen
und virtuosem Figurenwerk, das spater fiir die Ch.en
von Bull charakteristisch ist und auch die Technik
Sweelincks und seiner Schiiler stark beeinfluBt hat. Im
17. Jh. wird in den romanischen Landern die Tradition
der Messen-, Hymnen- und Magnificatkomposition
fortgesetzt; aus dem reichen Repertoire ragen hervor
die Werke von Titelouze (Hymnes de Veglise, 1623; Le
Magnificat, 1626), Correa de Arrauxo (Libro de tientos
. . . intitulado Facultad Organica, 1626), Frescobaldi
(Fiori musicali, 1635) und die seit 1665 erschienenen Or-
gelbiicher der franzosischen Organisten (Nivers, Le-
begue, Gigault, Couperin, Grigny). Gleichzeitig tritt
im protestantischen Teil Deutschlands entsprechend
der liturgischen Bedeutung des lutherischen Chorals
die deutsche Kirchenliedbearbeitung mehr und mehr
in den Vordergrund. Bedeutend als Anreger der deut-
schen Organisten auf diesem Gebiet ist Sweelinck. Un-
ter seinen zahlreichen Schiilern gewann H.Scheide-
mann zumal mit seinen monodisch-kolorierten Orgel-
choralen und Choralfantasien groBen Einflufi auf die
folgenden norddeutschen Komponisten (Tunder,
Reinken, Weckmann, Buxtehude u. a.), wihrend
Scheidts Tabulatura Nova (1624) mit ihrer Formklar-
heit und konzentrierten Kontrapunktik zum Ankniip-
fungspunkt der mitteldeutschen Schule wurde; hier
wird eine Reihe kleinerer Meister (Kindermann, Ahle,
J.Chr.Bach, Buttstedt, Armsdorf u. a.) von J. Pachelbel
iiberragt, fiir dessen Schaffen die Choralfuge, die Cho-
ralpartita nach Art der Lied- und Ariavariation und
der Orgelchoral mit langmensuriertem, zeilenweise
vorimitiertem C. f. charakteristisch sind. Mitteldeut-
sche und norddeutsche Tradition vereinigen sich in
den Ch.en von G.Bohm und J.G.Walther.J.S.Bachs
Ch.en, teils in Sammlungen (Orgelbuchlein, III. Teil
der Clavieriibung, 6 [Schiibler-]C/iora7e, 18 Chorale),
teils als Einzelwerke iiberliefert, gehoren den vorkom-
menden Typen nach primar der mitteldeutschen Schu-
le zu (Liedbearbeitungstypus der Choralpartiten und
des Orgelbiichleins, Choralfuge, Orgelchoral Pachelbel-
scher Pragung) ; dazu kommen aus norddeutscher Tra-
dition der Orgelchoral mit koloriertem C. f. und die
167
Choralbearbeitung
Choralfantasie (nur BWV 718) sowie, als einziger von
Bach neugeschaffener Typus, das Choraltrio (BWV
655, 664, 676). Eigenart und GroBe von Bachs choral-
gebundenem Orgelwerk liegen in der individuellen
Ausformung des Einzelstiickes, die ihren Hohepunkt
im III. Teil der Clavieriibung erreicht und sich meist auf
eine Beziehung zum Choraltext griindet. - Bereits seit
dem Anfang des 18. Jh. blieb die Komposition von
Ch.en im wesentlichen auf Deutsthland, besonders
dessen protestantischen Bereich, beschrankt. Nach
Bachs Tod entstanden Ch.en bis zum Ende des 19. Jh.
fast ausschlieBlich als Gebrauchskunst minderen Ran-
ges. Ausnahmen sind Mendelssohns 6. Orgelsonate
(iiber Vater unset im Himmelrekh) und Brahms' Choral-
vorspiele, die freilich Randerscheinungen im Gesamt-
werk dieser Kompbnisten blieben. Bedeutend tritt die
Gattung erst wieder im Schaffen Regers hervor mit den
sieben groBangelegten zyklischen Phantasien iiber pro-
testantische Kirchenlieder und drei Sammlungen von
Choralvorspielen. Im Gef olge der liturgischen Erneue-
rungsbestrebungen des 20. Jh. und der Orgelbewe-
gung entstand in den letzten Jahrzehnten eine Fiille von
choralgebundenen Orgelwerken sowohl zum liturgi-
schen als auch zum Konzertgebrauch (David, Ahrens,
Pepping, Distler, Reda u. a.), in denen das Problem des
Ausgleichs von C. f .-Bindung und Kompositionsmit-
teln der Moderne die verschiedenartigsten Losungen
gefunden hat.
Ausg. : Das Buxheimer Orgelbuch, Faks. hrsg. v. B. A.
Wallner, = DM1II, 1, 1955;dass.,hrsg. v.ders., = EDM
XXXVII-XXXIX, Kassel 1958-59; The Mulliner Book,
hrsg. v. D. Stevens, = Mus. Brit. I, London 1952, 21959;
46 Chorale f. Org. v. J. P. Sweelinck u. seinen deutschen
Schulern, hrsg. v. G. Gerdes, = MMD III, 1957; Ch. u.
freie Stiicke d. deutschen Sweelinck-Schule, hrsg. v. H. J.
Moser u. Tr. Fedtke, I— II, Kassel 1954-55; AUein Gott
in d. Hon sei Ehr, 20 Ch. d. deutschen Sweelinck-Schule,
hrsg. v. dens., Kassel 1955; Die Liineburger Orgeltabula-
tur KN 2081, hrsg. v. M. Reimann, = EDM XXXVI, Ffm.
1957; Choralvorspiele alter Meister, hrsg. v. K. Straube,
Lpz. 1907; 80 Choralvorspiele deutscher Meister d. 17. u.
18. Jh., hrsg. v. H. Keller, Lpz. 1937; Orgelchorale d. 17.
u. 18. Jh., hrsg. v. K. W. Senn, W. Schmidt u. G. Aesch-
bacher, Kassel 1951 ; Orgelchorale um J. S. Bach, hrsg. v.
G. Frotscher, = RD IX, Braunschweig 1937.
Lit. : A. G. Ritter, Zur Gesch. d. Orgelspiels, vornehmlich
d. deutschen, im 14. bis zum Anfanged. 18. Jh., 2Bde, Lpz.
1 884 ; G. Rietschel, Die Auf gabe d. Org. im Gottesdienste
bis in d. 18. Jh., Lpz. 1893; Fr. Dietrich, Gesch. d. deut-
schen Orgelchorals im 17. Jh., = Heidelberger Studien zur
Mw. I, Kassel 1932; ders., J. S. Bachs Orgelchoral u. seine
geschichtlichen Wurzeln, Bach-Jb. XXVI, 1929; G. Kitt-
ler, Gesch. d. protestantischen Orgelchorals, tjckermiinde
1 93 1 ; K. G. Fellerer, Beitr. zur Choralbegleitung u. Cho-
ralverarbeitung in d. Orgelmusik d. ausgehenden 18. u. be-
ginnenden 19. Jh., = Slg mw. Abh. VI, StraBburg 1932; H.
Kelletat, Zur Gesch. d. deutschen Orgelmusik in d. Friih-
klassik, = Konigsberger Studien zur Mw. XV, Kassel
1933; H. Klotz, Uber d. Orgelkunst d. Gotik, d. Renais-
sance u. d. Barock, Kassel 1 934 ; L. Schrade, Die Messe in
d. Orgelmusik d. 15. Jh.,AfMwI, 1936;DERS.,TheOrganin
the Mass of the 1 5 th Cent., MQ XXVIII, 1942 ; L. Sohner,
Die Orgelbegleitung zum Gregorianischen Gesang,= Kir-
chenmus. Reihe II, Regensburg 1936; N. Dufourcq, La
musique d'orgue f re. de J. Titelouze a J. Alain , Paris 2 1 949 ;
Fr. Kessler, Neue Bestrebungen auf d. Gebiet d. Orgel-
chorals, Diss. Mainz 1950, maschr. ; H. Schmidt, Unter-
suchungen zur choralbezogenen Orgelmusik seit M. Re-
ger, Diss. Erlangen 1951, maschr.; E. E. Lowinsky, Engl.
Organ Music of the Renaissance, MQ XXXIX, 1953 ; M.
Blindow, Die Choralbegleitung d. 18. Jh. in d. ev. Kirche
Deutschlands, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XIII,
Regensburg 1957; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels u.
d. Orgelkomposition, I-II, Bin 1935-36, 21959; K. v. Fi-
scher, Zur Entstehungsgesch. d. Orgelchoralvariation, Fs.
Fr. Blume, Kassel 1963. WBr
Choral(begleit)buch, eine Sammlung von (evangc-
lischen) Kirchenliedern in der Ordnung des Gesang-
buchs in 4st. Bearbeitung (-»- Kantionalsatz) oder nur
mit Melodien und beziflerten Bassen zum Gebrauch
der Organisten zur Begleitung des Gemeindegesanges
im Gottesdienst. Das erste Ch. mit Melodie und be-
ziffertem BaB gab 1692 D. -»■ Speer heraus (Choral
Gesang-Buch, Auffdas Clavir oder Orgel . . .).
Lit. : J. Petzold, Die gedruckten 4st. Choralbucher f . d.
Org. d. deutschen ev. Kirche (1785-1933), Diss. Halle 1935;
M. Blindow, Die Choralbegleitung d. 18. Jh. in d. ev. Kir-
che Deutschlands, = Kolner Beitr. zur Musikforschung
XIII, Regensburg 1957.
Choralnotation ist im Gegensatz zur Mensuralnota-
tion die fur den Gregorianischen Gesang iibliche Nc~
tierungsweise, die nicht den Rhythmus, sondern nur
die Tonhohenveranderungen und die Verteilung der
Melismen auf die Textsilben anzeigt, ursprunglich
(nachweisbar seit dem 9. Jh.) in der Gestalt der weder
die Tonlage noch die Intervalle genau bestimmenden
Neumen, seit Guido von Arezzo (um 1020) durch Ein-
tragung in ein geschliisseltes Liniensystem zwar Ton-
hone und -abstande fixierend, aber ebenfalls ohne
rhythmische Wertzeichen. Im engeren Sinne heifien
Ch. 2 Schriftarten, die im 13. Jh. herausgebildet wur-
den und sich nur durch verschiedene graphische For-
men unterscheiden, namlich als gotische und romische
Ch. Gemeinsame Kennzeichen sind: diastematische
Notierung, meist im Vierliniensystem ; die Melodie
wird als Folge einzelner Tone (nicht, wie in den alteren
Neumen, in ihrem Bewegungsablauf) dargestellt, da-
her verschwinden viele Differenzierungen der Neu-
menschrift, vor allem Vortrags- oder Ornamentzei-
chen ; die Tonzeichen herrschen vor, Gruppenzeichen,
wo sie nicht aufgelost wurden, lassen sich als verbun-
dene Punkte auf f assen ; auf einanderf olgende Tone kon-
nen, abgesehen vom Podatuszeichen, nicht iiber-
oder untereinander notiert werden. Diese Umbildung
der Neumenschrift vollzog sich parallel zur Ausbildung
der Modal- und Mensuralmusik, die ja auch auf den
Choralvortrag eingewirkt hat. Die gotische (deutsche)
Ch. hat die Formen der Neumen getreuer bewahrt,
nur vergrobert und wie die gotische Schrif t eckig ge-
staltet; ihre Hauptzeichen sind aus der Virga entwik-
kelt: J-JI (Hufnagelschrift). In der romischen oder
italienischen Ch. hat jede Note quadratische Gestalt (■),
weshalb man sie auch nota quadrata oder quadriquarta
nannte. Nur die der Virga mit vorausgehenden oder
folgenden Punkten entsprechenden Figuren ,■ und ■♦
zeigen die rhombische Notenform statt der quadrati-
schen, und auch die Vereinigung zweier Noten in ei-
nem schragen Korper (figura obliqua ^*) weicht hierin
ab. Die quadratische Form des Punctum und seine
Rolle als Element der Gruppenzeichen sind Merkmale,
die die romische Ch. mit der franzosischen Neumen-
schrift (seit dem 1 1 . Jh.) teilt, vor allem der aquitani-
schen, in der auch die Mehrstimmigkeit von St. Mar-
tial geschrieben ist ; den hier ausgebildeten Tonzeichen
verlieh die Modal- und Mensuralnotation als Longa,
Brevis und Semibrevis bestimmte rhythmische Be-
deutung. In der Ch. dagegen haben sich vereinzelte
Versuche, genaue rhythmische Proportionen durch
die verschiedenen Neumentypen oder Zusatzzeichen
sichtbar zu machen, nicht durchgesetzt ; doch ist im
Prinzip unbestritten, daB die verschiedenen Zeichen
der Ch. einen freien Choralrhythmus andeuten. Zur
Nota romana wurde die Quadratschrift, als Papst Ni-
kolaus III. (1277-80) in Rom die Neumenhandschrif-
ten entfernen lieB und an ihrer Stelle die in der neuen
Art notierten liturgischen Biicher der Franziskaner
168
Chorbuch
einfiihrte. In den liturgischen Biichern ist die romische
Ch. vorherrschend geblieben und wird auch heute
verwendet. Wahrend des Mittelalters umfaBte ihr Gel-
tungsbereich auch das 1st. Lied (z. B. Cantigas, Laude) ;
hier muB von Fall zu Fall entschieden werden, ob die
Aufzeichnung modal, mensural oder rhythmisch frei
zu interpretieren ist. Die deutschen Liederhandschrif-
ten bis zum fruhen Meistersang (ausgenommen der in
romischer Ch. geschriebene Jenaer Codex) schlieBen
sich vorwiegend an die gotische Ch. an, bevorzugen
jedoch das Punctum inclinatum (Semibrevis) als Haupt-
zeichen. In der Ch. wurden auch mehrstimmige Psalm-
bzw. Falsobordonesatze des 16. Jh. notiert (Contra-
punctus floridus der Theoretiker), ferner in einigen
Handschriften um 1500 (Miinchen, Mus. ms. 3154; Je-
na, Chorbuch 34; Basler Isaac-Handschrift F. IX. 55)
chorale Tenores, deren Grundzeichen dann den Breves
der anderen Stimmen entsprechen.
Lit. : H. Riemann, Notenschrift u. Notendruck, Fs. C. G.
Roder, Lpz. 1896; E. Bernoulli, Die Choralnotenschrift
. . ., Lpz. 1898; R. Molitor OSB, Reform-Choral, Frei-
burg i. Br. 1901 ; ders., Deutsche Choral-Wiegendrucke,
Regensburg 1904; H. Springer, Zur Musiktypographie
. . . , in : Beitr. zur Biicherkunde u. Philologie, Fs. A. Wil-
manns, Lpz. 1903 ; P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregoria-
nischen Melodien II, Lpz. 1905, Neudruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962; O. Marxer, Zur spatma. Choralgesch.
St. Gallens, St. Gallen 1908; M. Sigl, Zur Gesch. d. Or-
dinarium Missae..., Regensburg 1911; H. M. Bannister
OSB, Monumenti vaticani di paleografia mus. lat., 2 Bde,
Lpz. 1913;WoLFN;Mus.Schrifttafeln,hrsg.v. J. Wolf, 10
H., = Veroff. d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung Bucke-
burg II, 2, Lpz. 1922-23, Buckeburg u. Lpz. 21927 ; Gr. M.
Sunyol OSB, Introduction a la paleografia mus. gregoria-
na, Montserrat 1925, erweitert frz. Paris 1935; R.-J. Hes-
bert OSB, Les mss. mus. de Jumieges, in: Monumenta
musicae sacrae II, Macon 1954; Fr. Tack, Der gregoriani-
sche Choral, = Das Musikwerk XVIII, Koln (1960).
Choralvorspiel -*■ Choralbearbeitung.
Chorbuch (ital. libro de coro; frz. livre de choeur;
engl. choir-book; span, libro de facistol oder de atril),
ein oft prachtvoll ausgestattetes Buch im (GroB-)Fo-
lioformat, in das die Noten in grosso-Schrift gemalt
wurden; es wurde in der Kirche auf ein Pult gestellt,
damit die Sanger des Chores gemeinsam daraus singen
konnten (Abbildung nach -*■ Gaffori u. a. bei P.Wag-
ner 1912, S. 342). Fur den 1st. Choral waren Chorbii-
cher vom 13. bis 18. Jh. in Gebrauch. Ein Druck Gafforis
von 1512 zeigt die Kantorei und einen mensurierenden
Knaben bei einem Ch. mit Choralnoten (die demnach
offenbar mensural ausgefiihrt wurden). Im Zeitalter
der mensuralen Chorpolyphonie von etwa 1430 bis
zum 17. Jh. wurden die Stimmen in Blocken je fur
sich auf eine recto- und verso-Seite geschrieben, nach
niederlandischem Brauch in der Anordnung :
verso
recto
Discantus
Contratenor
Altus
Tenor
Contratenor
Bassus
In deutschen Chorbuchem steht der Bassus auch auf
der verso-Seite unter dem Discantus, der Tenor rechts.
Der Sinn dieser verschiedenen Anordnung ist offenbar
darin zu suchen, daB entweder das traditionelle Dis-
cantus-Tenor-Geriist oder das AuBenstimmenpaar
Discantus-Bassus hervorgehoben werden soil. - Die
ersten Chorbiicher wurden um 1430-40 geschrieben.
Gedruckte Chorbiicher sind im 16. Jh. nicht selten (u.
a. der von Senfl redigierte Liber selectarum cantionum,
Augsburg 1520) ; zu ihnen gehort noch Schiitz' Becker-
scher Psalter op. 5 (Freiberg 1628, 1640, 1661). Im allge-
meinen bot der Notendruck keinen Ersatz fiir die An-
lage von handschriftlichen Chorbiichern; diese hielt
vielmehr in den groBeren Kapellen (z. B. Miinchen,
Stuttgart, Kassel, Augsburg) bis zur Einfiihrung der
Konzertmusik im fruhen 17. Jh. an und wurde unter
bestimmten Bedingungen (Cappella Sistina, auch Spa-
nien und Portugal) bis ins 18. und 19. Jh. fortgesetzt.
Solche spaten Chorbiicher haben fiir die Forschung
nicht nur als Zeugnisse fiir das Repertoire einer Kapelle,
sondern vielf ach auch als primare Quellen ihren Wert.
Die wichtigsten Chorbiicher bis um 1500 sind die
-+ Quellen Brux 5557, BU, Ca 6 und 11, Chi, CS 14
und 15, ModB, SPB 80.
Von den spateren seien genannt : Annaberg (Erzgebirge),
St. Annenkirche, Hs. 1 126 u. 1248 ; 2. Viertel d. 16. Jh. Lit. :
H. Funck, Die Ch. d. St. Annenkirche zu A., Habil.-Schrift
Freiburg i. Br. 1933. - Augsburg, Staats- u. Stadtbibl.;
19 Ch., geschrieben 1558-1614 fiir d. Benediktinerkloster
S. Ulrich u. Afra in A. Lit.: H. M. Schletterer, Kat. d. in
d. Kreis- u. Stadt-Bibl. zu A. befindlichen Musikwerke,
= Beilage zu MfM X-XI, Bin 1878. - Bergamo, Arch, di
S. Maria Maggiore, Cod. 1207D-1209D; hauptsachlich
Werke G. Albertis. - Berlin, Deutsche Staats-Bibl., Mus.
ms. 40013 (olim Z. 13), entstanden um 1545 unter J. Wal^
ters Aufsicht in Torgau. Lit. : C. Gerhardt, Die Torgauer
Walter-Hss., = Mw. Arbeiten IV, Kassel (1949) ; Mus. ms.
40020, geschrieben 1 587, gehort zur Augsburger Ch.-Grup-
pe. - Brussel, Bibl. Royale ; 5 Ch. aus d. Zeit d. Margarete
v. Osterreich, darunter ein Chanson-Album (Ms. 228).
Lit. : Ch. Van den Borren, Inventaire des mss. ... en Bel-
gique, AMI V-VI, 1933-34; J. Robijns, Eine Musikhs. d.
fruhen 16. Jh KmJb XLIV, 1960; M. Picker, The
Chanson Albums of Marguerite d'Autriche, Ann. mus. VI,
1958/63. - Cambridge, Gonville and Caius Medical Colle-
ge, Ms. 667; 1. Halfte d. 16. Jh., wahrscheinlich fiir St.
Stephen's, Westminster, geschrieben, Messen u. Magnifi-
cat. - Dresden, Sachs. Landesbibl., verwahrt 7 (v. ehemals
1 6) Ch. d. Kantoreiges. Pirna, entstanden um 1 550-65, zum
Teil schlecht erhalten. Lit.: L. Hoffmann-Erbrecht, Die
Ch. d. Stadtkirche zu Pirna, AMI XXVII, 1955. - Edin-
burgh, National Library, Adv. Ms. 5. 1. 15 (Scone Anti-
phonary); um 1510-50, engl. Musik u. eine Dufay-Messe.
Lit. : K. Elliott, The Carver Choir-book, ML XLI, 1960. -
Eisenach, Carl-Alexander-Bibl., Cantorenbuch, angelegt
um 1540-50 v. Kantor d. Lateinschule E. Lit.: O. Schro-
der in: ZfMwXIV, 1931/32. -Erlangen, Univ.-Bibl., Ms.
473, 1-4; 4 Ch. aus Heilsbronn, geschrieben 1539-48. Lit. :
Fr. Krautwurst, Die Hellsbronner Ch Jb. f . franki-
sche Landesforschung XXV, 1965. - Eton College, Ms.
178; um 1 500 in E. entstanden. Ausg. : The E. Choir-book,
hrsg. v. Fr. LI. Harrison, 3 Bde, = Mus. Brit. X-XII, London
1956-61, dazu L. Finscher in: Mf XVI, 1963. Lit.: Fr. LI.
Harrison, The E. Choir-book, Ann. mus. I, 1953. - Flo-
renz, Bibl. Olschki; »Medici-Codex«, geschrieben 1518
zur Hochzeit Lorenzo de'Medicis. Lit. : E. E. Lowinsky,
The Medici Codex, Ann. mus. V, 1957. - Gotha, Landes-
bibl., Ms. Chart. A. 98, geschrieben 1545 unter Aufsicht J.
Walters f . d. SchloBkirche Torgau. Lit. : C. Gerhardt, Die
Torgauer Walter-Hss., = Mw. Arbeiten IV, Kassel (1949).
- Jena, Univ.-Bibl. 1 8 Ch., um 1 500-20 aus d. kurfurstlich
sachsischen Hof kapelle. Lit. : K. E. Roediger, Die geistli-
chen Musikhss. d. Univ.-Bibl. J., 2 Bde, =Claves Jenenses
III, J. 1935. - Kassel, Landesbibl. 16. Ch. d. Hofkapelle, um
1600, darunter Ms. 2« Mus. 15 mit Lechners Passion, ge-
schrieben 1593 in Stuttgart. Lit. : K. Ameln in: LechnerGA
XII, K. 1960. - Koniggratz (Hradec Kralove), Codex
Specialnik, geschrieben 1611, Repertoire d. 15.-16. Jh.
Lit. : D. Orel, Der Mensuralcodex Specialnik, Diss. Wien
1914, maschr. - London, Lambeth Palace, Ms. 1 ; um 1510,
engl. Repertoire. Lit. : Fr. LI. Harrison in : Mus. Brit. X, L.
1956, S. 142. - Luttich, Bibl. du Conservatoire, Ms. 1 325 ;
geschrieben 1645 f. d. Kathedrale L. Lit.: Ch. Van den
Borren in: AMI VI, 1934, S. 70ff. - Mailand, Arch, della
Cappella del Duomo, Librone 1-4 (olim Ms. 2266-69) ; ge-
schrieben 1490-1527, Repertoire d. Kapelle zur Zeit Gaf-
foris. Lit. : Kn. Jeppesen, Die 3 Gafurius-Kodizes . . . ,
AMI III, 1931 ; CI. Sartori, II quarto cod. di Gaffurio
CHM 1, 1953. - Mecheln, Arch, de la Ville ; ein Pracht-Ch.
169
Chordometer
d.friihen 16Jh. Lit.: Ch.VandenBorrenin: AMI VI, 1934,
S. 116f. - Modena, Bibl. Capitolare, Cod. 4; 1. Halfte d.
16. Jh., Gebrauchs-Hs. d. Domkapelle mit Messen, Mo-
tetten, Hymnen u. Magnificat vornehmlich franco-flami-
scher Meister. Bibl. Estense; einige Ch. d. Hofkapelle
Ferrara um 1 500. - Montserrat, Abtei, Ms. 765-788 ; Ch.
aus M. u. aus d. Real Convento de las Seftoras de la Encar-
nacion in Madrid. Lit. : R. B. Lenaerts, Nld. polyphone
Musik . . . , Fs. J. Schmidt-Gbrg, Bonn 1957. - Munchen,
Bayerische Staats-Bibl. ; viele Ch. d. M.er Hofkapelle aus
d. 1 6. Jh. Lit. : J. J. Maier, Die mus. Hss. d. k. Hof- u. Staats-
bibl. in M. I, = Cat. codicum manu scriptorum Bibl. regiae
Monacensis VIII, 1, M. 1879. - Nurnberg, 17 Ch., ge-
schrieben 1573-97 fur St. Egidien, befinden sich teils im
Landeskirchlichen Arch., teils im Germanischen National-
Museum. Lit. : W. H. Rubsamen, The International .Ca-
tholic' Repertoire . . ., Ann. mus. V, 1957. - Rom, Bibl.
Apostolica Vaticana, verwahrt d. groBen Bestand d. Cap-
pella Sistina u.Cappella Giulia. Lit. : Fr. X. Haberl, Bibliogr.
u. thematischer Musikkat. d. papstlichen Kapellarch
= Beilage I zu Mf M XIX, 1 886 - XX, 1 887, auch als : Bau-
steine f . Mg. II, Lpz. 1 888 ; J. M. Llorens, Capellae Sixtinae
codices..., Rom 1960. - Stuttgart, Wiirtt. Landesbibl. ;
48 Ch., d. bis um 1580 fur d. St.er Hofkapelle geschrieben
wurden, sowie 5 Ch. d. Jahre 1616-26 aus d. Benediktiner-
kloster Zwiefalten. Lit. : H. Marquardt, Die St.er Ch., Diss.
Tubingen 1936. - Toledo, Catedral, Arch. mus. ; 34 Ch. d.
16.-18. Jh. Lit.: F. Rubio Piqueras, Codices polifonicos
toledanos, T. (1925); R. B. Lenaerts, Les mss. polypho-
niques de la Bibl. Capitulaire de T., Kgr.-Ber. Utrecht
1952. - Verona, Bibl. Capitolare, Cod. Mus. DCCLV-
DCCLXI. Lit. : G. Turrini, II patrimonio mus. della Bibl.
Capitolare di V., V. (1952). - Vila Vicosa, Paco ducal ; 20
Ch.-Drucke u. -Hss. d. 16.-19. Jh. aus d. port. Hofkapelle.
Lit.: M. Joaquim, Vinte livros de musica polifonica do
paco ducal deV. V., Lissabon 1953. -Weimar, Stadtkirche;
2 Ch. d. kursachsischen Hofkapelle. Lit. : K. E. Roediger,
Die geistlichen Musikhss. d. Univ.-Bibl. Jena, 2 Bde,
= Claves Jenenses III, Jena 1935; C. Gerhardt, Die Tor-
gauer Walter-Hss., = Mw. Arbeiten IV, Kassel (1949). -
Wien, Osterreichische Nationalbibl. ; viele Ch. verschie-
dener Herkunf t, u. a. d. Pracht-Ms. 1783, geschrieben 1526
zur Hochzeit Karls V., sowie Ms. Suppl. Mus. 15500, ein
deutsches Ch. um 1544. Lit.: W. Kirsch, Ein unbeachtetes
Ch Mf XIV, 1961 . - Kunsthist. Staatsmuseum, Slg f.
Plastik u. Kunstgewerbe, Ms. 5248; geschrieben 1493 f.
Maximilian I. - Wolfenbuttel, Herzog-August-Bibl., Ms.
A; Pracht-Ch. um 1510-20.
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien II, Lpz. 2 1912, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; H. Besseler, Studien zur Musik d. MA, AfMw VII,
1925 - VIII, 1926; ders., Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz.
1950; W. Gurlitt, Kirchenmusik u. Kirchenraum, MuK
XIX, 1949; M. F. Bukofzer, Studies in Medieval and Re-
naissance Music, NY 1950.
Chordometer ->■ Saiten.
Chordophone (griech., s. v. w. Saitenklinger) hei-
Ben in der Systematik der Musikinstrumente bei Ma-
hillon 1880 und v. Hornbostel und Sachs 1914 die In-
strumente, bei denen der Ton durch Anschlagen (wie
beim Hackbrett und dem Hammerklavier), Anreifien
(->Zupfinstrumente),Reiben oder Streichen (-^-Streich-
instrumente) oder Anblasen (wie bei der Aeolsharfe)
von Saiten erzeugt wird. Nach ihrer Bauart werden
einfache (-> Zither) und zusammengesetzte (-*■ Leier,
-*■ Harfe, -> Laute) Ch. unterschieden.
Lit. : K. v. Jan, Die griech. Saiteninstr., = Wiss. Beilage
zum Jahresber. d. Gymnasiums zu Saargemiind, Lpz. 1882 ;
E. Heron-Allen, De fidiculis opuscula VI, London 1894;
A. Tolbecque, Notice hist, sur les instr. a cordes et archet,
Niort 1898; R. Wallaschek, Urgesch. d. Saiteninstr.,
Mitt. d. Anthropologischen Ges. XXVIII (= N. F. XVIII),
1898; H. Panum, Middelalderens Strengeinstr., 3 Bde,
Kopenhagen 1925-31, engl. als: The Stringed Instr. of the
Middle Ages, hrsg. v. J. Pulver, London o. J. ; C. Sachs,
Der Ursprung d. Saiteninstr., Fs. P. Schmidt, Wien 1928;
Fr. Dick, Bezeichnungen f. Saiten- u. Schlaginstr. in d.
altfrz. Lit., = Giessener Beitr. zur Romanischen Philologie
XXV, GieBen 1932 ; T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr.
I— II, Stockholm 1936-39, Hannover 21941; J.-S. Lauren-
ty, Les ch. du Congo Beige et du Ruanda-Urundi, = An-
nales du Musee royal du Congo beige, N. F., Sciences de
l'homme II, Tervueren 1960.
Chorea (lat., von griech. /opcia, Reigen), Tanzlied,
besonders Allemande (Ch. germanka bei M. Rey-
mann 1598; Choreae quas Allemande vacant germanke
bei Besard 1603) oder Pavane (B. de Drusina 1556).
Die Bezeichnung kommt bereits bei Augustinus vor
(chorea est circulus cuius centrum est diabolus et omnes ver-
gunt in sinistrum), dann im Spatmittelalter bei Johannes
de Grocheo (um 1300) und Robert de Handlo (1326).
In der Stillehre des Barocks, etwa bei A. Kircher (Mu-
surgia universalis, 1650), gibt es einen Stylus choraicus.
Choreographie (von griech. /opeia, Reigen, undypdc-
<pstv, schreiben; frz. choregraphie; ital. coreografia),
Tanzschrift, schriftliche Aufzeichnung von tanzeri-
schen Bewegungsfolgen (Stellung, Haltung, Bewe-
gung, Richtung) mit bestimmten, fur diesen Zweck
erdachten Zeichen auf einem Liniensystem oder mit
Bewegungssymbolen oder (auch in Kombinationen)
mit musikalischen Notenwertzeichen. — Beschreibun-
gen von Tanzen finden sich bereits in den Lehrtrakta-
ten italienischer Tanzmeister des 15. und 16. Jh., so bei
Domenichino da Piacenza (oder da Ferrara), Antonio
Cornazano, in ->■ Guglielmo Ebreos Trattato dell'arte del
hallo und in C. -> Negris Le gratie d'Amore. Die wich-
tigste und alteste (aus dem franzosisch-burgundischen
Bereich stammende) Quelle fur die Ch. ist das Tanz-
buch (Manuscrit dit des -> Basses danses) aus dem Be-
sitz der Margarete von Osterreich (f 1530), in dem An-
fangsbuchstaben von Schrittbezeichnungen mit als Bre-
ves notierten Tonen verbunden sind. Die erste Tanz-
wegbezeichnung steht im Ballerino (1581) von M.F.
-»■ Caroso. Der Vorrat von Tanzschritten wurde in
Frankreich weiter ausgebaut und fixiert in den Schrif-
ten Ad compagnones (1536) von -» Antonius de Arena
und Orchisographie (1588) von Th. -»■ Arbeau, in der
Tatigkeit der 1661 in Paris gegriindeten Academie
Royale de Danse, in der Choregraphie von R. A.-*Feuil-
let (1700) und dem Maitre a danser von Pierre Rameau
(Paris 1725). Feuillets (wahrscheinlich auf dem System
von Ch.-L. Beauchamps basierende) Choregraphie wur-
de in vielen europaischen Landern gebraucht, vor
allem in England (Ubersetzung von J. -> Weaver 1706)
und Deutschland (Ubersetzung von G.Taubert 1717).
Das Werk Feuillets stellt die erste grundlegende Ch.
vor allem fiir die Gesellschaftstanze des 18. Jh. dar und
ist zugleich das klassische Werk der linearen Aufzeich-
nung. Feuillet arbeitete mit Bodenwegzeichnungen:
rechts und links der Bodenweglinie wurden die Zei-
chen fiir die auszuf iihrenden Bewegungen geschrieben.
Im 19. und 20. Jh. wurden eine Reihe von Tanzschrift-
systemen erdacht mit 2 Grundtypen: 1) Verwendung
von Strichfiguren wie bei der A. -»■ Saint-Leon zuge-
schriebenen, wahrscheinlich von dessen Tanzmeister
F. D. Albert stammenden Stenochoregraphie (Paris 1852),
f erner bei der Ch. von F. A. Zorn (Grammatik der Tanz-
kunst, Odessa 1887, neubearbeitet von G.Engelhardt,
Berlin 1920), bei der Tanzfigurenschrift von W. P. Miss-
litz (Offenbach 1954) und in der Benesh Dance Notation
(London 1956) von R. und J. Benesh, die bei Sadler's
Wells Ballet in London verwendet wird; 2) Verwen-
dung von musikalischen Notenwertzeichen wie bei B.
Klemm (Katechismus der Tanzkunst, Leipzig 1855), bei
W.J. Stepanow (Alphabet des mouvements du corps hu-
main, Paris 1892), bei der Motographie von A.Chiosa
(in: Perseo, Mailand 1934) und in der Venture von P.
Conte (Niort 1931). 1928 veroffentlichte R. v. -» La-
ban (Schrifttanz) die von ihm erfundene Bewegungs-
170
Chorus
schrift, die Kinetographie Laban, in Amerika Labano-
tation genannt. Albrecht Knust hat mafigeblichen An-
teil an deren weiterer Entwicklung. Das System be-
steht aus wenigen Grundzeichen, Richtungszeichen fiir
die Fortbewegung und Wendungszeichen fiir die
Drehungen und in einem senkrecht gestellten Linien-
system. Die Lange der Zeichen beschreibt die Dauer
der Bewegungen; die Reihenfolge der Zeichen (von
unten nach oben gelesen) besagt, wann die Bewegun-
gen auszufiihren sind; die Stellung der Zeichen in den
Spalten des Liniensystems zeigt an, welcher Teil, der
ganze Korper oder einzelne Gheder, die Bewegungen
ausfiihren sollen. Die Kinetographie hat sich seither
weit verbreitet; bedeutende Choreographen wie z. B.
G. -*■ Balanchine lassen ihre Werke »kinetographisch«
notieren. Auch Institute fiir Volkstumsforschung und
Volkstumspflege gebrauchen die Kinetographie als
Hilfsmittel. Seit Labans Tod (1958) wird die Weiter-
bildung und Verbreitung seines Systems vom Inter-
national Council of Kinetographie Laban gefbrdert. -
Seit dem 18. Jh. wird mit Ch. auch die vom Choreo-
graphen in Ubereinstimmung mit der Musik (im Sin-
ne eines Regieentwurfs) konzipierte und einstudierte
Bewegungsfolge der Sohsten und Gruppen eines Tan-
zes oder Balletts bezeichnet. Mit Ch. kann auch das
Libretto eines Balletts bezeichnet werden.
Ausg. u. Lit.: Trattato dell'arte del ballo v. Guglielmo
Ebreo, hrsg. v. F. Zambrini, in : Scelta di curiosita lettera-
rie, Bologna 1873; Una sconosciuta compilazione . . .
(Trattato della danza v. Guglielmo Ebreo u. Domenichino),
hrsg.v.C.MAZZi, in:LabibliofiliaXVI, 1915;Lems.ditdes
basses danses de la Bibl. de Bourgogne, = Soc. des biblio-
philes et iconophiles de Belgique, Faks. hrsg. v. E. Clos-
son, Brussel 1912; Th. Arbeau, Orch6sographie, Langres
(1588), NA v. L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans,
NY 1 948 ; WolfN ; V. Junk, Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930;
C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1932, engl. NY
1937 u. London 1938, frz. Paris 1938 ; A. Mary, L'orcheso-
graphie de Th. Arbeau, in: Les tresors des bibl. de France
V, 1935; A. Knust, AbriB d. Kinetographie Laban, Mun-
chen 1942, Hbg 1956, engl. als: Hdb. of Kinetography La-
ban, Hbg 1958 ; P. Nettl, The Story of Dance Music, NY
(1947); S. Lifar, Traite de chordgraphie, Paris 1952; G.
Balanchine, Ballettschrift, in: Musik d. Zeit II, hrsg. v. H.
Lindlar, Bonn 1952; M. Dolmetsch, Dances of Spain and
Italy, London (1954); A. Hutchinson, Labanotation, NY
1954; I. Brainard, Die Ch. d. Hoftanze in Burgund,
Frankreich u. Italien im 15. Jh., Diss. Gottingen 1956,
maschr. ; R. v. Laban, Principles of Dance and Movement
Notation, London 1956; A. Melica, Guglielmo Ebreo da
Pesaro, Rass. mus. XXIX, 1959.
Choristfagott ->■ Serpent.
Chorknaben -> Kapellknaben.
Chorton (engl. church pitch; frz. ton de chapelle;
span, tono de capilla) war bis ins 19. Jh. der auch fiir den
Kirchen- und Schulchor mafigebende -*■ Stimmton
der Orgeln. Zeitlich und ortlich hat er stark geschwankt,
bis er dem allgemeinen Stimmton angeglichen wurde.
Den Orgelbauern war wegen Platz- und Materialer-
sparnis ein hoher Ch. sympathisch, doch berichten Or-
gelbauakten immer wieder von Vertiefung der Stim-
mung. Die Abhangigkeit des Ch.s von der Orgelstim-
mung wird von A. Schlick, M.Praetorius, G.Paolucci
u. a. betont. Andererseits wird in Orgelschulen (schon
bei Bermudo, Santa Maria, Diruta) von den Organi-
sten die Fahigkeit des Transponierens gefordert, derm
matin singt an einem ort hoher oder nidderer wann an dem
andem, damach die person klein oder gross stymmen haben
(Schlick) . Die tief ste Lage hatte der f ranzosische Ton de
chapelle, im 18. Jh. war er etwa einen Ganzton tief er als
der heutige Normalton. Der spanische, niederlandi-
sche und romische Ch. war etwa einen Halbton tief er. In
Siidwestdeutschland war in der 2. Halfte des 18. Jh. der
Ch. etwa der heutigen Stimmhohe gleich (Orgeln von
Stumm, Brief J. A. Silbermanns vom 20. 1. 1772). In
Mittel- und Siiddeutschland, auch in der Lombardei
und Venetien war der Ch. im 18. Jh. einen Halbton
hoher, ebenso bei vielen englischen Orgeln. Der engli-
sche Ch. des 16. Jh. und der norddeutsche (teilweise
auch mitteldeutsche) des 17. Jh. waren dagegen etwa ei-
nen Ganzton hoher. Norddeutsche und schlesische Or-
gelbauer bauten im 17./18. Jh. ein oder mehrere Kam-
merregister, die einen Ganzton oder eine kleine Terz
tiefer gestimmt waren. Auch Kammerkoppeln (zum
Transponieren) wurden konstruiert, um dem Organi-
sten die Angleichung zu erleichtern. J. S.Bach arbeitete
mit transponierten Continuostimmen. Da der Umf ang
der menschlichen Stimmgattungen sich kaum gean-
dert hat, laBt sich aus dem Gesamtumf ang einer Vokal-
komposition erkennen, ob sie mit der heutigen Stimm-
tonhohe rechnet oder eine hohere bzw. tiefere voraus-
setzt. Bei vokal-instrumentalen Werken rechtfertigen
der natiirliche Klang der Singstimmen und ihr scho-
nender Einsatz auch Transpositionen in den Instru-
mentalstimmen.
Lit. : A. Schlick, Spiegel d. Orgelmacher u. Organisten,
Speyer 1511, Faks. u. Ubertragung hrsg. v. P. Smets, Mainz
1959; Praetorius Synt. II; J. Adluno, Anleitung zu d.
mus. Gelahrtheit, Erfurt 1758, Dresden u. Lpz. 21783;
Ber. iiber d. 3. Tagung f. deutsche Orgelkunst Freiberg
1927; A. Merklin, Aus Spaniens altem Orgelbau, Mainz
1939; A. Mendel, Pitch in the 16 th and Early 17 th Cent.,
MQ XXXIV, 1948; ders., On the Pitches in Use in Bach's
Time, MQ XLI, 1955 ; R. Lunelli, Der Orgelbau in Italien,
Mainz 1956; W. Gurlitt, Der mg. Denkmalwert d. alten
Org., Ber. iiber d. Arbeitstagung d. Orgeldenkmalpfleger
in Weilheim/Teck, Bin 1957. RW
Chorus (k'aaas, engl., Chor, Chorgesang, Refrain;
deutscher Plur. Chorusse). Das kollektive Stegreif spiel
des Jazz beruht auf f reiem Umspielen einer stets wie-
derholten Refrainmelodie, dem Ch.-Spiel, das sich
urspriinglich unter den Negern in New Orleans als
Gebrauchsmusizieren (Marsche, Auf spielen zum Tanz)
entwickelt hat. Als Ch. dient bei Wegfall der Vor-
strophe nur der Refrain eines Popular song oder ein
Blues. Das Harmoniegerust des Ch. und seine Taktan-
zahl bleiben unverandert: der Ch. erldingt wahrend
eines ganzen Jazzstiicks immer wieder von neuem.
Hierbei umspielen die einzelnen Instrumente die Melo-
die des Ch. und manche Akkordtone seiner harmoni-
schen Anlage - zum Teil in f ormelhaf ten Wendungen -
und zieren sie aus. Im kollektiven Ch.-Spiel konnen
sich gleichsam Melodien der Instrumente herausbil-
den, die harmonisch zwar einzeln auf den Ch. bezogen
sind, deren Zusammenklang aber dissonant wirken
kann. Da bis in die Swing-Ara als Ch. nur die Refrains
volkstumlicher Liedformen verwendet sind (z. B.
32taktiger Songrefrain: A A B A, wobei der modu-
lierende Teil B: Bridge, Uberleitung, heiCt), beruht
Jazz auf der andauernden Wiederholung musikalisch
einfacher Formen, so auch auf dem die nordamerika-
nische Negerfolklore beherrschenden -> Blues. Schon
im friiheren Jazz kann sich ein Musiker mit einem Solo-
Ch., der solistischen Umspielung und improvisatori-
schen Auszierung der Refrainmelodie, von dem En-
semble abheben. Seit dem ->■ Chicago-Jazz ist dies
die Regel (Hot-Solo). In derselben Zeit wurde Jazz-
stiicken auf Schallplatten eine kurze Einleitung und
ein SchluB hinzugefiigt, und alien beteiligten Musi-
kern wurde (wahrend der kurzen Schallplattendauer, ca.
3,5 Min.) ein Solo ermbglicht. Hierzu mufite haufig
der Ch. im Verlauf des Stiicks in kleinere Soli auf geteilt
werden. Da auch diese kiirzeren Soh als Ch. bezeich-
net wurden, verwischte sich die Unterscheidung beider
Begriffe. Vorherrschend wurde im -> Swing neben
171
Chromatik
dem 12taktigen Blues der 32taktige Ch., dessenWieder-
holung im -> Arrangement, mit langeren Einleitungen,
Einfiigungen und SchluB versehen, zu einem kompo-
nierten Jazzstiick (jetzt wirklich im Sinne von »The-
ma mit Variationen«) ausgeformt ist. Dabei wurde
das Solo-Ch.-Spiel dem Background gegeniiberge-
stellt und der elegant-virtuose Beginn des Solo-Ch.
(genannt Einstieg) kultiviert. Oft geschieht der Ein-
stieg uberlappend: die harmonischen Zasuren der So-
lofiihrung decken sich nicht mehr mit denen des Ch.
Im Be-bop und Cool Jazz wurden solche Uberlappun-
gen zum Prinzip. Seitdem kann auch das Harmoniege-
riist des Ch. selbst im Musizieren bereichert und modi-
fiziert werden. AuBerdem hat es sich eingebiirgert, als
Ch. nicht mehr nur einen Schlager oder Blues zu ver-
wenden, sondern auch neue Ch.se mit selbst schon
komplizierterer Harmonik (als »Themen«) zu kompo-
nieren.
Chromatik (von griech. x9^>y^< Farbe) ist die »Um-
farbung« diatonischer Stufen, die Hoch- oder Tiefalte-
ration um einen Halbton; die chromatischen Varian-
ten z. B. zu f sind fis und fes. Der Begrifi der Chr. setzt
voraus, daB die 7stufige Diatonik als Grundbestand des
Tonsystems gilt. Durch eine chromatische Stufe (fis in
der untransponierten diatonischen Skala) wird ein
Ganzton (f-g) in einen chromatischen (f-fis) und einen
diatonischen Halbton (fis-g) gespalten; der chromati-
sche Halbton ist also die Dinerenz zwischen dem Ganz-
ton und dem diatonischen Halbton. In der harmo-
nisch-reinen Stimmung unterscheidet man zwischen
einem groBen und einem kleinen Ganzton, 8:9 und
9:10, und entsprechend zwischen einem grofien und
einem kleinen chromatischen Halbton, 24:25 und
128: 135. Chr. ist am sinnfalligsten, wenn eine diatoni-
sche Stufe und eine ihrer chromatischen Varianten ein-
ander unmittelbar f olgen, und man versteht darum un-
ter Chr. im engeren Sinne den chromatischen Halbton-
schritt (f-fis oder f-fes). AuBer Stufen werden auch In-
tervalle und Tonleitern als chromatisch bezeichnet.
Chromatische Intervalle sind Tonabstande, die zwi-
schen diatonischen Stufen nicht vorkommen und zu
deren Bildung chromatische Stufen notwendig sind:
der chromatische Halbton (f-fis), der ubermaBige
Ganzton (f-gis) und die verminderte Septime (gis-f 1 ),
die ubermaBige Quinte (f-cis 1 ) und die verminderte
Quarte (cis-f), die ubermaBige Sexte (f-dis 1 ) und die
verminderte Terz (dis-f). Auch der Tri tonus (f-h)
wird, obwohl er der Diatonik angehort, als UbermaBi-
ge Quarte, also als Variante der reinen Quarte, be-
stimmt. Die chromatische Tonleiter, die Halbtonska-
la, beruht anf der Ausfiillung der 7stufigen Diatonik
(c d e f g a h c 1 ) durch fiinf chromatische Zwischen-
stuf en (cis, dis oder es, fis, gis oder as, b ; ->■ Orthogra-
phic). - In der griechischen Musik steht die Chr. als
(vermutlich jiingeres) »farbiges Tongeschlecht« zwi-
schen Enharmonik und Diatonik; das chromatische
Tetrachord ordnet die beweghchen Tone innerhalb
des festen Quartrahmens so an, daB sich die Folge l 1 /^,
1/2-, !/2-Ton ergibt, z. B.: ei-cis'-c'-h. Doch unter-
schieden die griechischen Theoretiker seit Aristoxenos
bei der Berechnung der chromatischen Intervalle 2-3
voneinander abweichende Quartunterteilungen, die
sogenannten Chroai (»Farbungen«). Die mittelalterli-
che Musik kannte in der friiheren Zeit chromatische
Tone, wurde aber durch die Autoritat des Guido von
Arezzo im 11. Jh. auf strenge Diatonik festgelegt. In
der Folgezeit drangen durch die Musica ficta derMehr-
stimmigkeit wieder chromatische Tone ein, bis im 15.
Jh. eine vollstandige chromatische Skala erreicht war.
Sie wird theoretisch so erklart, daB die doppelte Cha-
rakterisierung des t>fa bmi auf die anderen Tone der
diatonischen Skala iibertragen wird; es ergibt sich: c fa
- cis mi - d fa mi - es fa - e mi - f fa - fis mi - g fa mi
- as fa - a mi - b fa - h mi, also Hexachorde auf :
es, b, f, c, g, d, a. In der Praxis diente die Chromati-
sierung des Tonsystems, wie schon die Verknupfung
mit der Hexachordlehre zeigt, dazu, chromatische In-
tervalle und »falsche Konsonanzen« (mi contra fa) zu
vermeiden. Chromatische Stimmfuhrung, d. h. Auf-
einanderfolge von zwei oder mehr Halbtonen, lehrten
nur Marchettus de Padua (GS III, 89) und ein Anony-
mus um 1400 (Handschin in: ZfMw XVI, 1934, S. 120,
mit 3st. Kyrie Cunctipotens als Beispiel). Zu hoher Be-
deutung gelangte die Chr. im 16. Jh., wo (nach Levy)
vier Aspekte zu unterscheiden sind: 1) Transpositions-
Chr., d. h. manche Autoren, z. B. Salinas, nennen
Stiicke mit Vorzeichen chromatisch; 2) experimentelle
»chromatische Labyrinthe« wie Willaerts Quid non
ebrietas, Greiters Passibus ambiguis, Costeleys Seigneur
Dieu ta pitii nutzen bei diatonischer, auf Modulation
angelegter Melodik und Harmonik das aus der Musica
ficta gelaufige Prinzip der Hexachordtransposition zu
chromatischer Erweiterung des Tonsystems; z. B. geht
Costeley durch 16 Hexachorde (von F bis Heseses);
sie hangen zusammen mit der Erprobung einer (bei
Willaert 12stufigen, bei Costeley 19stufigen) gleich-
schwebenden Temperatur; 3) die Neubelebung der an-
tiken Chr., deren verschiedene Arten im humanisti-
schen Musikschrifttum ausfiihrlich erortert werden,
unternahmen Vicentino, Le Jeune, Bottrigari, G.B.
Doni, D.Mazzocchi und A.Berardi; 4) als zukunfts-
trachtig erwies sich vor allem die Ausdrucks-Chr. im
Madrigal (C. de Rore, L.Marenzio, C.Gesualdo). Die
Chr. in der monodischen Musik des 17. Jh. (Monte-
verdi, Saracini, D. Belli, Schiitz) ist ohne sie nicht denk-
bar. Eine besondere Rolle spielt in der Musik der Ba-
rockzeit der chromatische Gang als Soggetto (vor al-
lem im BaB), auch als musikahsch-rhetorische Figur.
Seine Bildhaftigkeit oder Affektwirkung wird ganz
deutlich nur, wenn er durch Semitonia majora und minora
einhergehet (WaltherL), wie es in mitteltoniger Tempe-
ratur der Fall ist. Die gleichschwebende Temperatur
hat dieses Charakteristikum der Chr. nivelliert; dafiir
ermoglicht sie die enharmonische Umdeutung und
damit sowohl unbegrenzte Freiheit der Modulation als
auch die Moglichkeit, die gleiche Tondistanz im Sinne
verschiedener Intervallqualitaten umzudeuten; z. B.
ist c-as als kleine Sexte diatonisches, das gleichklingen-
de c-gis als ubermaBige Quinte chromatisches Inter-
vall. J.S.Bach hat die neuen Moglichkeiten vor allem
in der Chromatischen Phantasie und Fuge konsequent ge-
nutzt. Seit C. Ph. E.Bach und Mozart gewinnt die Al-
terations-Chr. mehr und mehr Gewicht. Diese Ent-
wicklung, die ihren Hohepunkt in Wagners Tristan
und Isolde (1865) erreichte, endete in R. Strauss' Opern
Salome (1905) und Elektra (1909), der Musik Regers
und Schonbergs (bis 1908). - In der freien und der do-
dekaphonen Atonalitat gelten die 12 Stufen der Halb-
tonskala als gleichberechtigt; der Unterschied zwischen
diatonischen und chromatischen Stufen ist auf gehoben,
so daB der Ausdruck Chr. seinen Sinn verliert. Unge-
wiB ist allerdings, ob Halbtonabstande in der Atonali-
tat nichts anderes als engste Distanzen darstellen oder
als Leittonbeziehungen zu verstehen sind, die den Un-
terschied zwischen diatonischem und chromatischem
Halbton implizieren.
Lit. : G. Jacobsthal, Die chromatische Alteration im litur-
gischen Gesang . . ., Bin 1897, dazu P. H. A. Gaisser in:
Rev. benedictine XIV-XV, 1897/98; Riemann MTh; Th.
Kroyer, Die AnfSnge d. Chr. im ital. Madrigal . . . ,
= BIMG I, 4, Lpz. 1902; A. Schonberg, Harmonielehre,
172
Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; R. v. Ficker, Beitr. zur
Chr. d. 14. bis 16. Jh., StMw II, 1914; E. Kurth, Romanti-
sche Harmonik . . . , Bern u. Lpz. 1 920, Bin * 1 923 ; J. S. Le-
vitan, A. Willaert's Famous Duo . . ., TVer XV, 1938; E.
E. Lowinsky, Secret Chromatic Art .... NY 1946, dazu
M. van Crevel in : TVer XVI, 1 940-46, L. Schrade in : Jour-
nal of Renaissance and Baroque Music I, 1946/47, L. Fin-
scher in: Mf XV, 1962; ders., M. Greiter's Fortuna, MQ
XLII, 1956 - XLIII, 1957; ders., A. Willaert's Chromatic
»Duo« Re-examined, TMw XVIII, 1956; J. Handschin,
Der Toncharakter, Zurich (1948); A. Einstein, The Ital.
Madrigal, 3 Bde, Princeton 1949; H.-H. Drager, Der heu-
tige Horer u. d. gleichschwebende Temperatur, in: Bach-
Probleme, Lpz. 1950; ders., Zur mitteltonigen u. gleich-
schwebenden Temperatur, Ber. iiber d. wiss. Bachtagung
Lpz. 1950; W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik,
ebenda; K. J. Levy, Costeley's Chromatic Chanson, Ann.
Mus. Ill, 1955, dazu C. Dahlhaus in: Mf XVI, 1963; W.
Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre, 2 Bde, Regensburg 1957-
59 ; H. H. Eggebrecht, Zum Figur-Begriff d. Musica poeti-
ca, AfMw XVI, 1959; C. Dahlhaus, D. Belli u. d. chro-
matische Kontrapunkt urn 1600, Mf XV, 1962; W. J.
Mitchell, The Study of Chromaticism, Journal of Music
Theory VI, 1962; R. Bullivant, The Nature of Chroma-
ticism, MR XXIV, 1963.
Chromatische Instrumente sind solche, denen alle
Tone der chromatischen Tonleiter zu Gebote stehen.
Man wendet die Bezeichnung Chr. I. besonders auf
Blechblasinstrumente mit Ziigen und Ventilen an, zum
Unterschied von den Naturinstrumenten, die nur iiber
die Obertonreihe des Eigentons verfiigen.
Chromatisches Tonsystem. 1776 erdrterte Mar-
purg die Moglichkeit, die 21 Tone der vollstandig dia-
tonisch-chromatisch-enharmonischen Tonleiter auf 12 zu
reduzieren. Fur die enharmonischen Stufen cis sb des,
dis «* es, fis fa ges, gis «a as und ais ss b schlug er 5
neue Einheitsbenennungen vor : k, 1, m, n und o. Die
vollstandige Tonleiter hieBe dann :ckdlefmgnaoh.
Seither haben die Versuche nicht aufg'ehort, das abend-
landische Musiksystem durch Beseitigung der 7stufigen
diatonischen Grundskala und Zugrundelegung der
Teilung der Oktave in 12 gleiche Teile (Zwofihalbton-
system) zu reformieren. Sie beschrankten sich jedoch
nicht auf eine Reform der Tonbenennungen, sondern
erstreckten sich auch auf die Notenschrift und auf die
Klaviatur (-*- Manual) der Tasteninstrumente; zu er-
wahnen sind die Schriften von J. Rohleder (1791), E.
Gambale (1840 und 1846), H.J.Vinzent (ab 1862), M.
Balbi (1871) sowie die chromatische Klaviatur von P.
von Janko (1882). Keiner dieser und ahnlicher Bestre-
bungen war ein nachhaltiger Erfolg beschieden, da die
auf der einen Seite erzielte Vereinfachung infolge Ver-
mehrung der Grundwerte auf der anderen das Ver-
standnis tonaler Zusammenhange stark erschwerte.
Erst im 20. Jh. konnte durch die freie Atonalitat, die
Zwolftontechnik und spater die Serielle Musik ein
neues Tonsystem entstehen, das nicht nur musizier-
praktisch, sondern auch ideell auf der Zwolfteilung
der Oktave beruht.
Lit. : Fr. W. Marpurg, Versuch fiber d. mus. Temperatur,
Breslau 1776; H. Riemann, Das chr. T., in: Praludien u.
Studien I, Lpz. 1895; M. Arend, Das chr. T., SIMG III,
1901/02; J. M. Hauer, Zwolftontechnik, Wien 1926; K.
Stone, Problems and Methods of Notation, Perspectives
of New Music, Princeton (N.J.) 1963.
Chronometer -> Metronom.
Chronos protos (griech., erste Zeit), in der antiken
Metrik und Musik seit Aristoxenos die kleinste Zeit-
einheit, die aber keinen absolut feststehenden Wert
hatte. Das Prinzip ihrer Unteilbarkeit schlieBt melodi-
sche Verzierungen nicht aus, jedoch erlangen die Full-
tone keine selbstandige Geltung.
CISAC
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904, erweitert
^1923 ; C. F. Abdy Williams, The Aristoxenian Theory of
Mus. Rhythm, Cambridge 1911 ;Thr.G. Georgiades, Der
griech. Rhythmus, Hbg 1949; ders., Musik u. Rhythmus
bei d. Griechen, = rde LXI, Hbg (1958).
Chrotta (lat.) -+ Crwth, -> Rotta.
Chute (Jut, frz., auch cheute, Fallen), - 1) -> Antizi-
pation; - 2) ->■ Vorschlag von oben; - 3) bei d'Angle-
bert Cheute ou port de Voix en montant, en descendant,
Vorschlag von unten und von oben; - 4) -> Arpeggio.
Ciaccona (tfakk'o:na, ital.) -> Chaconne.
Cimbalom, Zimbal(on), Czimbal (ungar.; von
griech. xuu.paXov; russ. cymbali; rumanisch tambal;
polnisch cymbalki), ein -> Hackbrett, das charakteristi-
sche Instrument in den Zigeunerkapellen. Das moderne
C. hat bei seinem Umfang (D)E-e 3 insgesamt 35 Sai-
tenchore, in der Tiefe 16 iibersponnene (zu je 3 Saiten),
nach der Hohe 19 (zu je 4 Saiten) aus Stahl. Das tra-
pezformige, auf 4 Beinen stehende Instrument mit
Pedaldampfung wird mit 2 Kloppeln gespielt. Es ist
eingesetzt auch in Kodalys Hdryjdnos und Strawinskys
Renard. Der Klang des C. ist in Klavierstiicken von
Schubert {Divertissement h I'hongroise) und Liszt nach-
geahmt.
Lit.: A. Hartmann, The Czimbalon . . ., MQ II, 1916; C.
G. Trichici, Metoda de tambal, Bukarest 1956; M. Criti-
co, Folk Dance Instr. : The Tzimbalum, Roumania, The
Folklorist III, 1957.
Cimbasso (tjimb'asso), eine von Verdi in seinen
Partituren nach dem Aufkommen der Ventilposaunen
in Italien fur die BaBposaune, speziell fiir die Ventil-
BaBposaune verwendete Bezeichnung. C. ist auBer-
dem Modellbezeichnung fiir eine 1959 konstruierte
BaB/KontrabaB-Zugposaune von besonderer spiel-
technischer Gelaufigkeit (System Kunitz).
Cinelli (tfin'elli, ital.) -> Becken.
Circulatio (lat., Umkreisung),auchKyklosis (griech.)
genannt, in der Kompositionslehre des 17.-18. Jh. eine
musikalische Figur, die in einer kreisenden Melodiebe-
wegung besteht (voces quasi in circulum agi videntur, A.
Kircher, 1650) und bei Wortern wie circumdare, um-
geben (servitque verbis actionem circularem exprimentibus,
ebenda), Krone, Erde usw. angewandt wird. Die C. ist
bei den Komponisten des 17.-18. Jh. sehr verbreitet.
Von Purcell heiBt es (bei D. Webb) : »Er begleitet jeden
Begriff einer Rundung mit einem unaufhorlichen Um-
lauf von Noten«. - Die musikalisch enger gefaBten Fi-
guren Circolo (ital.) und Circolo mezzo (-> Doppel-
schlag) sind Formeln der Diminutionspraxis. Beim
Circolo mezzo bilden 4 Noten im Schreiben einen hal-
ben Kreiji (Printz 1696), wobei - auf- oder absteigend -
entweder die 1. und 3. (von Printz Groppo genannt)
oder die 2. und 4. Note den gleichen Ort innehaben.
Beim Circolo werden (nach WaltherL) zweene Circoli
mezzi also . . . an einander gehdnget . . . , dafi, so sie iiber
einander gesetzt werden solten, sie einen vollkommenen
Circul darstellen wiirden, z. B. :
<f £^r^j
Lit. : D. Webb, Betrachtungen iiber d. Verwandtschaft d.
Poesie u. Musik, deutsch v. J. J. Eschenburg, Lpz. 1771.
CISAC (Confederation Internationale des Societes
d'Auteurs et Compositeurs), auch Konfoderation ge-
nannt, umschlieBt die folgenden 5 Foderationen :
I. Gesellschaften fiir Biihnenrechte (Federation des So-
cietes de Droits de Representation); II. Gesellschaften
fiir musikalische, konzertmaBige Auffiihrungs- und
173
Cister
Senderechte (Federation des Societes de Droits d'Exe-
cution); III. Gesellschaften fiir mechanische Verviel-
faltigungsrechte (Federation des Societes de Droits de
Reproduction Mecanique) ; IV. Gesellschaften fiir lite-
rarische Rechte (Federation des Societes de Gens de
Lettres) ; V. Gesellschaften der Filmautoren (Federation
Internationale des Societes et Associations d'Auteurs de
Films-Cinema et Television). Den 5 Foderationen ge-
horen gegenwartig 63 Verwertungsgesellschaften aus
34 Landern an. - Die CISAC wurde 1926 in Paris ge-
griindet. Ihr Ziel ist die Verwirklichung eines wirksa-
men Schutzes der Urheber in aller Welt. President ist
zur Zeit der italienische Komponist Pizzetti. Als Pre-
sident delegue der CISAC wirkt in Paris der franzosi-
sche Autor A.Willemetz. Vizeprasidenten sind der
franzosische Komponist G.Auric und der englische
Komponist A.Bliss. Zu den friiheren Prasidenten zah-
len L.Fulda, R.Strauss und A.Honegger. Die CISAC
gibt die vierteljahrlich erscheinende Zeitschrift Inter-
auteurs heraus.
Cister (altfrz. citole, frz. cistre, cithre, sistre; ital. ce-
tera, cetra, citola, cistola; span, cedra; engl. 15. Jh. :
cithren, cittern, spater cithern ; deutsch ma. cistole, zito-
le, 16.-17. Jh. Cither, Citter, Zitter, 18.-19. Jh. Sister),
aus der Zupffiedel des hohen Mittelalters hervorge-
gangenes Zupfinstrument mit
flachem, unten kreisrundem und
urspriinglich in den Hals spitz-
birnenformig zulaufendem Cor-
pus, dessen Zargenhohe sich
vom Halsende nach unten hin
verringert. Die Saiten sind unten
an Nageln befestigt, die sich in
der Zarge des Unterbugels be-
finden, und lauf en iiber den auf-
gesetzten Steg zur Wirbelplatte.
Es sind - nachweisbar seit 1435
- paarweise (chorig) angeordnete
Metallsaiten wie spater auch bei
den zur Gattung der C. gehoren-
den Instrumenten ->■ Bandurria,
— >- Cithrinchen, ->■ Orpheoreon,
-> Pandora, -»■ Penorcon.
C. des 17. Jh. aus Brescia mit 12
( = 6chorig) Saiten, 8 seitenstan-
digen und 4 vorderstandigen
Wirbeln, 18 zum Teil unter-
brochenen Bunden aus Messing.
Gesamtlange 91,5 cm, Corpus
41 cm, Breite 35,5 cm, aufierste
Zargenhohe 7 cm (W. Heyer in
K61n,KatalogNr613).
Die C, zunachst von den franzosischen Jongleurs
gespielt. hatte ihre Bliitezeit im 16. bis 18. Jh. Sie
kdnnte sich gegeniiber der Laute durchsetzen, weil sie
im Orchester besser durchdrang und die Stimmung
besser hielt; aufierdem war sie billig. Tinctoris ver-
weist um 1484 auf Italien als Ursprungsland der C. und
noch Mersenne erklart 1636, dafi sie in Italien gangiger
sei als in Frankreich, wo die Laute dominiere ; dement-
gegen halt V. Galilei England fiir die Heimat der C. In
Deutschland setzte sich die C. erst im 16. Jh. durch;
weder Virdung (1511) noch Agricola (1528) erwahnen
sie. - Sie wurde zunachst mit Plektron oder Federkiel
(lat. penna) gerissen, doch bereits in der Darstellung
der 4saitigen C. auf dem Miinsteraltar in Beverley
(Yorkshire) aus dem 14. Jh. mit den bloBen Fingern
gezupft. Die Wirbelplatte, die noch im 15. Jh. begeg-
net, wird allmahlich vom Wirbelkasten abgelost, der
nach oben hin meist spitz zulauft. Im 16. Jh. finden
sich - wie in Italien schon um 1435 - Exemplare mit
abgesetztem Hals. Im 16. und 17. Jh. bewegt sich die
Zahl der Chore zwischen 4 und 12. In England ist um
1550 die C. mit einer Darmbesaitung versehen (dd gg
hh eie 1 ); das spate 16. Jh. in England (A.Holborne,
The Cittham-Schoole, 1597) kennt die Stimmung der
4chorigen C. hh gg did 1 e 1 e 1 oder ee cc gg aa; bei T.
Robinson (New Citharen Lessons . . ., 1609) wird die
Stimmung ff gg did 1 c^e 1 empfohlen. Praetorius zahlt
1619 fiinf Arten von C.n auf: 1) 4chorige C. oder ge-
meine Cither in 2 Typen: als italienische C. (hh gg did 1
eie 1 ) und als franzosische C. (aa gg d'd 1 e 1 e 1 ); die
4chorige C. ist in Italien, Frankreich, England, Holland
und Deutschland bekannt. 2) 5ch6rige C. - in Italien
bereits 1526 bekannt - in 3 verschiedenen Stimmungen
(dd hh gg did 1 eie 1 ; FF ee cc gg aa; GG fisfis dd aa hh).
Die 5ch6rige C. war noch im 17. Jh. vorherrschend
und ist besonders auf hollandischen Bildern zu sehen.
3) 6chorige C. in 3 Stimmungen (aa c'd hh gg did 1
eie 1 altitalienisch; hh GG dd gg did 1 eie 1 nach Sixtus
Kargel 1576; GG dd hh gg did 1 e^ 1 ). 4) GroBe 6chori-
ge C. do das Corpus noch eins (= doppelt) so grofi ist j
vnd vmb eine quart tieffer / als die vorigen sechs Chdrichten
Cithern . . . (fisfis DD AA dd aa hh). 5) 12chorige C. mit
Flankeneinbuchtungen, BaB-C. genannt, die ein herr-
lichen starcken Resonantz von sich gibt / gleich als wenn ein
Clavicymbel oder Symphony gehoret wurde. Sie hat einige
frei schwingende, neben dem Griffbrett verlaufende
Begleitsaiten (eses BB ff cc gg dd aa ee hh gg d J di eie 1 ).
Um 1600 war zudem die theorbenartige Erz-C. oder
Theorben-C. (frz. archicistre; engl. bijuda cither oder
syron, Sirene) bekannt mit 11 (davon 5 Bordune), 13,
14, 17 (9 Bordunsaiten + 4 Chore) oder 21 (7 Bordu-
ne + 7 Chore) Saiten, die mit 19 Bunden und einem
zweiten Wirbelkasten fiir die Bordunsaiten ausgestat-
tet ist; Stimmung nach Robinson (1609): iG iA iB C
D E F (Bordunsaiten), GG dd ff bb gg didi eie 1 (Griff-
brettsaiten). Im spaten 16. Jh. finden sich C.n mit einer
Bespannung bis 40 Saiten (Polyphant). Die Erz-C. war
in Deutschland und Frankreich vornehmlich im 18. Jh.
beliebt. - Haufig ist die C. im 18. und 19. Jh. mit ei-
ner Capotastovorrichtung versehen. Typisch fiir die C.
des 18. Jh. ist die mit einem Stimmschlusselchen zu be-
dienende Schraubenstimmung anstelle der alteren Wir-
belvorrichtung. Die C. hat zumeist 12 Biinde, gele-
gentlich 15 (nach Walther 1732, im AnschluB an Fure-
tiere: 18 Griffe). Besonders beliebt war in der 2. Halfte
des 18. Jh. die englische, tiberwiegend 6chorige C. mit
10 Saiten : die English guitar (frz. guitare anglaise, ge-
legentlich: pandore), deren Corpus mandelformigen
UmriB hat (c e gg cic 1 eie 1 gig 1 ). Etwas grofier ist die
14saitige 7chorige C, die in Frankreich und Holland
gespielt wurde (ee aa did 1 eie 1 aia 1 cis 2 cis 2 ), sowie die
llsaitige 7chorige franzosische C. : (umsponnen:) E A d
(Messing:) ee (Stahl:) aa cisicis 1 eie 1 . In Frankreich und
Holland war die 16saitige 12chorige Archicistre (hol-
landisch Kunst-Citer) beliebt, gelegentlich mit einem
der Laute angenaherten Schallkasten, 3 einfachen und 4
doppelten Griffbrettsaiten und 5 einzelnen, unverkurz-
baren BaBsaiten (J. Verschuere Reynvaan, Muzijkaal
Kunst-Woordenboek, 1715) mit der Stimmung A H Cis
D Dis (Bordunsaiten) e a cis 1 eie 1 aia 1 cis 2 cis2 e 2 e 2
(Griffbrettsaiten). In Deutschland schuf um 1800 J. W.
Bindernagel (Gotha) eine C. mit 7 einfachen Saiten aus
Darm (G c f g c 1 e 1 g 1 ). Die Darmbesaitung, der Weg-
fall der Chore zugunsten von Einzelsaiten sowie das
jetzt offene Schalloch lassen die Einwirkung der Gi-
tarre erkennen, durch welche um 1830 in Deutschland
die C. verdrangt wurde (wie schon im 18. Jh. in Italien
durch die Mandoline). Als bauerliches Instrument lebt
sie fort in der Wald- und Bergzither (Harz und Thii-
174
Clavichord
ringen). - Zur Familie der C.n gehort auch das seit je-
her als sonderbar empfundene, mannshohe Exemplar
einer gotischen BaB-C. aus dem 14.(?)-15. Jh., das der
Ambraser Sammlung (im Inventar 1596 als Laute
bezeichnet) angehorte.
Lit.: Praetorius Synt. II; M. Mersenne, Harmonie uni-
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris
1963 ; WaltherL; J. Fr. B. C. Majer, Museum musicum,
Schwabisch Hall 1732, Faks. hrsg. v. H. Becker, = DM1 1,
8, 1954; Chr. G. Scheidler, Etwas iiber d. Sister, AmZ
IV, 1801 ; KochL, Artikel Sister; Th. Dart, The Cittern
and Its Engl. Music, The Galpin Soc. Journal I, 1948; A.
Baines, Fifteenth-Cent. Instr. in Tinctoris' De Inventione
et Usu Musicae, ebenda III, 1950; D. Stevens, The Mulli-
ner Book. A Commentary, London (1952), mit Obertra-
gung v. 1 1 Stiicken ; H. Charnasse, Sur la transcription
des recueils de cistre edites par Adrian Le Roy et Robert
Ballard (1564-65), Rev. de Musicol. XLIX, 1963.
Cistole (mhd.), citole (altfrz.) -> Cister.
Cithrinchen (ital. citarino; Cytharino, Klein Englisch
Zitterlein) ist eine Diskantcister, meist mit 5 Choren.
1688 erwahnt G.Falck in seiner Idea boni cantoris die
Diskantcister. - Eine Sonderform war das Hamburger
C, dessen Corpus den UmriB etwa eines Glockenquer-
schnitts hatte. Fiir dieses Liebhaberinstrument mit der
Stimmung c e g h e 1 sind Bearbeitungen in franzosi-
scher Lautentabulatur erhalten, wertvoll, weil sie die
einzige Quelle fiir die Musik des ersten Jahres (1678)
der Hamburger Oper am Gansemarkt sind.
Lit.: Praetorius Synt. II; H. Chr. Wolff, Die Barock-
operin Hbg (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbuttel 1957.
Clairon (kler'5, frz.), - 1) franzosischer Name des
Signalhorns; es gelangte 1822 in die franzosische Mili-
tarmusik. - 2) CI., auch Clarino (engl. clarion), trom-
petenartige 4'-Zungenstimme in der Orgel, seltener
16', 8' und 2', von engerer Mensur und hellem Klang.
In der spanischen Orgelbaukunst, bei der den Trompe-
tenregistern groBe Bedeutung zukommt, unterschei-
det man eine Reihe von Clarinarten (clarin brillante,
clarin coro, clarin suave, clarin fuerte, clarin de eco).
CI. ist auch eine 4'-Stimme im Harmonium.
Clarino (ital., von lat. clarus, hell) ist die hohe Lage
der -> Trompete, in der die Naturtone im Sekundab-
stand aufeinanderfolgen (auch ein Register der Klari-
nette) sowie im 17./18. Jh. der Name der hohen Solo-
trompete, die sich nur durch das engere, flache Mund-
stiick von der tieferen (Prinzipal-)Trompete unter-
schied. Mit dem Aufkommen der Ventile geriet die
Kunst des Clarinblasens, wie sie noch J. S.Bach fordert,
in Vergessenheit. Erst seit 1960 (Cappella Coloniensis
des Westdeutschen Rundfunks Koln) ist die Clarin-
trompete wieder in Gebrauch, die von O.Steinkopf
und fl. Finke dem mehrf ach gewundehen, etwa 220 cm
langen Instrument nachgebaut wurde, das J. S.Bachs
Trompeter G.Reiche auf dem Gemalde von E.G.
HauBmann in der Hand halt. Nach dem Vorbild hi-
storischer Blechblasinstrumente erhielt es 2 kleine
Locher, mit denen die geradzahligen bzw. eine Reihe
ungeradzahliger Naturtone ausgeschaltet werden kon-
nen, sowie ein Transpositionsloch. - Die Bemiihungen
um die Rekonstruktion der »Bach-Trompete« reichen
in das 19. Jh. zuriick, doch gingen sie (noch Menke
1934) von einer geraden Trompete in D (Lange etwa
110 cm) mit Ventilen aus. Die barocken Clarinpartien
werden auf diesem Instrument in der Lage gespielt, in
der die Naturtone im Terzabstand aufeinanderfolgen;
in dieser Lage jedoch mischen sich die Tone schlecht
mit denen anderer Instrumente (J.S.Bach, 2. Branden-
burgisches Konzert: Trp., Blockfl., Ob., V.).
Lit.: WaltherL; J. E. Altenburg, Versuch einer Anlei-
tung zur heroisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Hal-
le 1 795, NA Dresden 1 9 1 1 ; H. Eichborn, Die Trp. in alter
u. neuer Zeit, Lpz. 1881 ; ders., Das alte Clarin-Blasen auf
Trp., Lpz. 1894; R. Hofmann, Die F-Trp. im 2. Branden-
burgischen Konzert v. J. S. Bach, Bach-Jb. XIII, 1916; A.
Schering, Zu G. Reiches Leben u. Kunst, Bach-Jb. XV,
1918; C. Sachs, Eine unkritische Kritik d. Klarinblasens,
AfMw II, 1919/20; E. Groninger, Die Naturtrp. d. Bach-
Zeit, Musik im Unterricht LII, 1961.
Clarone (ital.) -> Klarinette, ->- Bassetthorn.
Clausula (lat.) -* Klausel.
Clavecin, Clavessin (klavs'e, frz.) -»- Cembalo.
Claves (span., Sing, clave), Rumbastabchen, aus Ku-
ba stammendes Schlaginstrument, das aus 2 runden
Stabchen von etwa 15 cm Lange und 1,5 cm aus
sehr hartem, resonierendem Holz (Bongossi-, Eben-
oder Rosenholz) besteht. Das eine Stabchen wird in
der linken Hand so gehalten, daB die Innenseite der
Hand einen Resonanzhohlraum bildet. Die Rechte
schlagt das andere Stabchen mit seinem oberen Drittel
auf die Mitte des Stabchens in der linken Hand. Der
Klang der CI. nahert sich einem hohen Xylophon-
ton, er ist sehr hell und durchdringend. Die CI. wer-
den in fast alien Tanzen Lateinamerikas verwendet.
Clavicembalo (klavitf'embalo, ital.) ->■ Cembalo.
Clavichord (von lat. -*■ clavis und chorda, Saite), das
wichtigste Tasteninstrument in der alteren Musik-
praxis neben Orgel und Cembalo. Das CI. ist aus dem
-*■ Monochord hervorgegangen, dessen verschiebbare
Stege durch Tasten mit -»■ Tangenten (Stegen) ersetzt
wurden. Auf dem hinteren Tastenende ist ein schmales
metallenes Stabchen bef estigt, das beim Niederdriicken
der Taste emporgehoben wird und die meist 2chorigen
Saiten »anriihrt« und zugleich abteilt. Zwischen den
Saiten eingeflochtene Tuch- oder Filzstreifen verhin-
dern das Mitschwingen des einen abgeteilten Saiten-
teils. Hauptbestandteile des Cl.s sind: Anhangestock
(links vom Spieler), ihm gegeniiber Steg und Stimm-
stock mit Stimmwirbel, Saiten aus Eisen, Stahl oder
Messing, die senkrecht zu den Tasten lauf en, Resonanz-
boden mit Schalloch (Rosette), Klaviatur, Tangenten-
mechanik und meist rechteckiger Kastenkorper. Bis
zu Beginn des 18. Jh. gab es nur gebundene Cl.e (so
genannt nach den Biinden der Lauten), bei denen ein
und dieselbe Saite (bzw. Saitenchor) durch mehrere
(hochstens fiinf chromatisch benachbarte) Tasten zum
Klingen gebracht wird. Seit etwa 1700 gibt es bund-
freie Cl.e, bei denen jeweils einer Saite eine Taste ent-
spricht. Da die Art der Mechanik in den alten Instru-
mentenbeschreibungen nicht immer deutlich wifd, ist
die Entstehungszeit des Cl.s nicht sicher bestimmbar.
Eine Zwischenstufe zwischen Monochord und CI. ist
das 1434 von Georgius Anselmi erwahnte Polychord.
Wahrscheinlich entstand das CI. in der 2. Halfte des 14.
Jh. in Italien. Fiir 1404 (Minneregel) ist die Bezeich-
nung clavichordium belegt (daneben steht im 15. Jh.
oft die Bezeichnung Monochord fiir das CI., wahrend
span, clavicordium auch das Cembalo sein kann), und
um 1410 entstand der alteste Cl.-Traktat. Auf einer
Abbildung von etwa 1440 (Weimarer Wunderbuch)
findet sich ein CI. mit mehreren gleichlangen Saiten.
Im 15. Jh. war das CI. in Mittel- und Nordeuropa weit
verbreitet; im 18. Jh. war vor allem in Deutschland
der Kurzname »Klavier« dem CI. vorbehalten. Der
Tonumfang des Cl.s (-*■ Manual) erstreckte sich anf angs
auf 20 Tone (G-e 2 ), Virdung (151 1) erwahnt 3 Oktaven
Umfang mit 38 Tasten (F-g 2 ohne Fis und Gis), Prae-
torius (1619) nennt C-a 2 , c3 oder d3, auch f3. Gegen
1700 wurde der Umfang auf iF-f3 erweitert, im friihen
19. Jh. sogar auf 6 Oktaven. Die Erweiterungen nach
175
Clavicylinder
der Tiefe hin erfolgten im 17. Jh. auf dem Weg iiber
die ->- Kurze Oktave. Die Verbindung des Cl.s mit ei-
nem Pedal ergab schon friih die Sonderform des Pe-
dal-Cl.s (-► Pedalklavier) . In der Zeit der Empfindsam-
keit kam einer mehr gefiihlsmaBigen Einstellung ge-
genuber dem Cl.-Klang die -> Bebung entgegen. Das
Cl.-Spiel verlangt eine Fingerdrucktechnik bei ruhiger
Haltung der Hand und der Finger. Der Klang ist zart,
weich, modulationsfahig und seelenvoll, im Gegensatz
zu dem rauschenden und scharf umrissenen Klang des
Cembalos. Die alteren gebundenen Cl.e hatten einen
kernigeren Klang als die spateren bundfreien, die zur
Darstellung chromatisch reicherer Musik geeignet
sind. Das CI. diente zum Musizieren im hauslichen
Kreis und als das Lehr- und Studieninstrument fur den
Klavierspieler und Organisten, als das Fundament al-
ter Clavirten Instrumenten . . . Doruff auch die Discipuli
Organici zum anfang instruirt vnnd vnterrichtet werden
(Praetorius). Noch Turk empfahl 1789 zum Lernen
das CI. Spielbar auf dem CI. ist die ganze (vor allem
deutsche) Klaviermusik bis Mozart. Im 18. Jh. schrie-
ben neben C. Ph. E. Bach u. a. HaBler, Neef e, Reichardt
und Turk speziell fur das CI. Eine Abart des Cl.s ist
der -> Tangentenflugel. Zu Ende des 18. und zu An-
fang des 19. Jh. wurden viele Cl.e durch Einsetzen ei-
ner Hammermechanik zu Tafelklavieren umgebaut.
Mit der Wiederbelebung alter Musikinstrumente wird
auch das CI. wieder gebaut und gespielt.
Lit. : Volens facere clavichordium (um 1410), in: J. Hand-
schin, Aus d. alten Musiktheorie, AMI XVI-XVII, 1944-
45; Les traites d'H.-A. de Zwolle . . ., hrsg. v. G. Le Cerf
u. E.-R. Labande als: Instr. de musique du XV e s., Paris
1932; S. Virdung, Musica getutscht, (Basel 1511), hrsg. v.
R. Eitner, = PGfM XI, Bin 1882; dass., Faks. hrsg. v. L.
Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius Synt. II ; Bach Versuch;
K. Nef, Clavicymbal u. CI., JbP X, 1903 ; ders., J. S. Bachs
Verhaltnis zu d. Klavierinstr., Bach-Jb. VI, 1909; F. A.
GoEHLiNGER.Gesch. d. CI., Diss. Basel 1910; C. Sachs, Die
Musikinstr. d. Minneregel, SIMG XIV, 1912/13 ; C. Auer-
bach, Die deutsche Clavichordkunstd. 18. Jh., Kassel 1930,
2 1953 ; M. F. Schneider, Beitr. zu einer Anleitung, CI. u.
Cemb. zu spielen, Lpz. u. StraBburg 1934; E. Harich-
Schneider u. R. Boadella, Zum Clavichordspiel bei To-
mas de Santa Maria, Af Mf II, 1 937 ; E. Harich-Schneider,
Anmutu.Kunstbeim Clavichordspiel, Lpz. 1937; F. Tren-
delenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Zur Klangwirkung
v. Klavichord, Cemb. u. Flugel, Akustische Zs. V, 1940; A.
Kreutz, Was ist auf d. CI. spielbar ?, Zs. f . Hausmusik IX,
1940; J. Worsching, Die hist. Saitenkl. u. d. moderne Kla-
vichord- u. Cembalobau, Mainz 1946; H. Neupert, Das
Klavichord, (mit Anh. »Von d. wahren Giite d. Cl.« v. J. N.
Forkel), Kassel 1948, 21956; W. Nef, The Polychord, The
Galpin Soc. Journal IV, 1951; M. S. Kastner, Port. u.
span. CI. d. 18. Jh., AMI XXIV, 1952; K. W. Gumpel, Das
Tastenmonochord Conrads v. Zabern, AfMw XII, 1955;
D. H. Boalch, Makers of the Harpsichord and CI. 1440 to
1840, London (1956); R. Russell, The Harpsichord and
CI., London (1959); H. Kelletat, Zur mus. Temperatur
insbesondere bei J. S. Bach, Kassel 1960.
Clavicylinder, ein von Chladni 1800 erbautes Tasten-
friktionsinstrument, bei dem abgestimmte Eisenstabe
dadurch zum Klingen gebracht wurden, daB sie mittels
Tastendruck einen mit Glas iiberzogenen, durch Pedal-
tritte rotierenden Zylinder beriihrten und von ihm an-
gestrichen wurden. Bei dem ebenfalls von Chladni
1790 konstruierten Euphon (von griech. efiipuvo?,
wohlklingend) hingegen sind die abgestimmten Klang-
stabe (gewohnlicher Umfang c-f3), die auch aus Glas
sein konnen, unbeweglich. An ihnen sind etwa 50 cm
lange Glasrohren befestigt. Diese Streichstabe werden
durch unmittelbare longitudinale Friktion der Finger
in Schwingung versetzt, die sich auf die Klangstabe
ubertragt. Die Lautstarke sowie das An- und Abschwel-
len des Tons wurde beim Euphon durch die Intensitat
der Friktion, beim CI. durch Tastendruck reguliert.
Der Klangcharakter des Euphons kam dem der Glas-
harmonika sehr nahe, wahrend der CI. rauher und
kraftiger klang.
Lit. : E. Fl. Fr. Chladni, Beytrage zur praktischen Akustik
u. . . . zum Bau d. CI. u. damitverwandter Instr., Lpz. 1 821 .
Clavicytherium, Klaviziterium, auch Cembalo ver-
ticale, ein Klavier mit einem hinter der Klaviatur auf-
recht stehenden dreieckigen oder fliigelformigen Cor-
pus und darin vertikal verlaufenden Saiten, ahnlich
dem spateren .-> Giraffenklavier. Die erhaltenen italie-
nischen Clavicytherien seit dem 16. Jh. sind aufrechte
Cembali, doch scheint es nach den Beschreibungen des
15.-18. Jh. (Paulus Paulirinus um 1460, Virdung 1511,
Praetorius 1618, Mersenne 1636, Fuhrmann 1706) auch
Clavicytherien mit dem Corpus und Klang von Harfe
oder Spitzharfe gegeben zu haben.
Lit. : J. H. van der Meer, Zur Gesch. d. Klaviziteriums,
Kgr.-Ber. Kassel 1962.
Clavis (lat., Schliissel), in der mittelalterlichen Musik-
theorie die mit einem Buchstaben (-> Buchstaben-
Tonschrift) bezeichnete Tonstufe (vox). Die Tonbuch-
staben wurden auch auf die Tasten der Orgel geschrie-
ben; von da ging die Bezeichnung CI. auch auf die
Taste selbst iiber, die im 16.-18. Jh. in Deutschland
oft-* Schliissel genannt wurde (u. a. von Virdung 1511).
Im Guidonischen System der Notation mit Notenlinien
wurden Tonbuchstaben vor das System geschrieben;
hieraus entwickelten sich die modernen Notenschliis-
sel. Tinctoris definiert CI. (um 1473) in diesem Sinne
als signum loci lineae vel spatii; Burmeister (vgl. Ruhnke,
S. 75) will nur noch die Schliissel (claues signatae exter-
nae: T, F, c, g, d) als CI. bezeichnet wissen. Die vielsei-
tige Bedeutung von CI. hat sich im englischen ->- Key
noch erhalten.
Lit. : WaltherL, Artikel Claves . . . ; H. Pfrogner, Der
CI. in A. Werckmeisters »Nothwendigsten Anmerkungen
u. Regeln . . .«, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; K. W. Gumpel,
Das Tastenmonochord Conrads v. Zabern, AfMw XII,
1955; M. Ruhnke, J. Burmeister, =Schriften d. Landes-
inst. f. Musikforschung Kiel V, Kassel 1955.
Cljmacus (lat.) -»■ Neumen.
Climax, Klimax (griech., Leiter, Treppe), auch
Gradatio, Auxesis oder Ascensus genannt, eine in der
Kompositionslehre des 17.-18. Jh. im AnschluB an die
Rhetorik erklarte musikalische Figur : eine mehrmalige,
auf gleichf ormige Steigerung angelegte Wiederholung
eines Melodieabschnitts auf anderer Stufe. In der Rhe-
torik ist die CI. eine Steigerung mittels Satzglieder, die
jeweils emphatisch an das Vorhergehende ankniipfen,
z. B. Jauchzet und singet, singet und riihmet, ruhmet und
lobet. Burmeister (1606) beschreibt die musikalische
CI. als Figur, quae per gradus intervallorum similes sonos
repetit, undJ.G. Walther (1732) als eine Clausul mit und
ohne Cadentz, welche etlichemahl immediate nach einan-
der immer um einen Ton hoher angebracht wird. - Eine der
Rhetorik analoge Namenswandlung vollzieht sich
vom 17. zum 18. Jh. in der Musiklehre: Burmeister,
Kircher, Elias Walther (Kaldenbach) sowie die Rheto-
riker des 17. Jh. nennen diese Figur Auxesis oder CI.,
Janowka (1701) CI. sive Gradatio, wahrend im 18. Jh.
der Name Gradatio iiblich wird (Gottsched, Scheibe,
Forkel).
Clivis (lat.) -> Neumen.
Clog box (engl.), ein in Jazzkapellen gebrauchliches,
mit einem Trommelstock zu spielendes Schlaginstru-
ment, das aus einem etwa 18-20 cm langen, mit Ein-
kerbungen versehenen Holzblock besteht.
176
ColindS
clos (klo:, frz., geschlossen) ->■ Klausel.
Close shake (klo:s J"e:k, engl.) -> Vibrato.
Cluny (Saone-et-Loire), Benediktinerabtei, gegr.
910.
Lit. : L. Schrade, Die Darstellung d. Tone an d. Kapitellen
d. Abteikirche zu CI., DVjs. VII, 1929; J. Hourlier, Re-
marques sur la notation clunisienne, Rev. gregorienne
XXXI, 1952; K. MEYER-BAER.The Eight Gregorian Modes
on the CI. Capitals, New Rochelle (N. Y.) 1952.
Cluster (kl'Asta, engl., Traube) ist ein Klanggebilde,
das durch Ubereinanderstellung groBer und kleiner
Sekunden oder noch kleinerer Intervalle entsteht. Die
Bezeichnung geht auf H.Cowell (1930) zuriick, der
solche Gebilde tone-clusters nannte und sie folgender-
maBennotiert:
Notation:
Ausfuhrung:
Zu unterscheiden sind festgelegte Cl.s mit konstanter
Breite und bewegliche, die sich von einer gegebenen
Anfangsbreite zu einer von ihr verschiedenen Endbrei-
te bewegen. GroBe Cl.s lassen sich durch Addition klei-
nerer und kleine durch Subtraktion groBerer erzielen.
Flageolett-Cl.s am Klavier entstehen durch stummes
Niederdrucken von Tasten bei gleichzeitigem An-
schlagen tieferer Tone oder Cl.s. Nach Cowell muB der
CI. als Einheit behandelt werden, d. h. so, als ware er
nur ein einziger Ton.
Lit.: H. Cowell, New Mus. Resources, NY 1930 (bereits
1919 geschrieben) ; M. Kagel, Ton-Cl., Anschlage, t)ber-
gange, in: die Reihe V, Wien 1959; P. Boulez, Musikden-
ken heute 1, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik V,
Mainz (1963).
Cobla (katalanisch, Paar, von lat. copula), katalanische
Tanzkapelle, die vor allem die -*■ Sardana spielt. Sie
geht in Spielweise und Instrumentarium auf das alta-
Ensemble des 15. Jh. zuriick. Die Hauptstimme ist der
Tenor, nicht wie in den anderen europaischen Tanz-
kapellen seit den Wiener Meistern des 19. Jh. die Ober-
stimme. Neben modernen Blechblasinstrumenten ge-
horen ihr Instrumente an, die ihre Vorbilder in mittel-
alterhcher Spielpraxis haben. Um 1860 legte Jose (Pep)
Ventura die heute iibliche Zusammensetzung fest:
Fluviol und Tamboril (Einhandflote und Trommel),
2 Tiples (Diskantschalmeien in F mit Klappen), 2 Te-
noras (Tenorschalmeien in B mit Klappen), je 2 Kor-
nette (oder Trompeten) und Fliigelhorner, Posaune
und KontrabaB. Das Zentrum der Pflege des C.-Spiels
ist Perpignan.
Lit.: J. Grahit, Recull sardanistic, Gerona 1916; P. Sal-
vat, Pep Ventura, Barcelona 1927 ; A. Capmany, La sarda-
na a Catalunya, ebenda 1948; H. Besseler, Katalanische
C. u. Alta-Tanzkapelle, Kgr.-Ber. Basel 1949; A. Baines,
Shawms of the Sardana C, The Galpin Soc. Journal V,
1952.
Coburg.
Lit.: H. Hirschberg, Gesch. d. Herzoglichen Hoftheater
zu Koburg u. Gotha, 1910; P. v. Ebart, 100 Jahre C.ische
Theatergesch., C. 1927; H. J. Moser, Stadt u. Land C. in
d. deutschen Mg., Festbuch 2. Gesamtdeutsches Musik-
fest C. 1956.
Coda (ital., Schwanz), Satzteil, der an Kompositionen
angefiigt ist (im 19. Jh., seit A.B.Marx, oft »Anhang«
genannt), so als AbschluB von Fugen (J.S.Bach, Fuge
C moll iiber ein Thema von Legrenzi, BWV 574),
Rondos (W.A.Mozart, Klaviersonate A dur, K.-V.
300i, 3. Satz), auch als abschlieBender Teil zyklischer
Werke (z. B. Tanzzyklen; -»• Deutscher Tanz). In
tanzartigen Satzen der Klassik (Scherzo, Menuett)
schlieBt die C. an die Wiederholung des Hauptsatzes
an (Scherzo da capo e poi la C, z. B. Beethoven Kla-
viersonate op. 2, Nr 3) ; in Variationszyklen steht sie
oft als zu den Variationen kontrastierende SchluBbe-
kraftigung (Beethoven, Bei Mdnnern wekhe Liebefuh-
len, fiir Kl. und Vc). Die C. der Sonatensatzform folgt
auf die Reprise. Im allgemeinen greift sie auf das the-
matische Material des Satzes zuriick; sie kann dabei als
eine Art zweiter Durchfiihrung mit starken modula-
torischen Ausweichungen angelegt sein (Beethoven,
3. Symphonie op. 55, 1. Satz) und auch neues thema-
tisches Material einfiihren (Schumann, 1. Symphonie,
1. Satz). - Die C. verleiht einer Komposition besonde-
re SchluBwirkung; in langsamen Satzen kann sie be-
ruhigend, epilogartig ausklingen; in raschen Satzen er-
reicht sie steigernde Wirkung durch Beschleunigung
des Tempos (-»■ Stretta).
Lit.: B. J. Kuschnir, Zur Fruhgesch. d. Kodaprinzips,
Diss. Erlangen 1947, maschr. ; A. Suder, Die C. bei Haydn,
Mozart u. Beethoven . . ., Diss. Miinchen 1951, maschr.
Colascione (kolajJ'o:ne, ital., von griech. xaXdUhov,
Korbchen, als calison in Venedig 1570 belegt; frz. co-
lachon), eine Langhalslaute, hervorgegangen aus dem
orientalischen -» Tanbiir, nach Tinctoris (um 1484)
formam quasi cociearis magni continens. Das alteste (in
Briissel) erhaltene Instrument ist datiert 1564; sein
Corpus ist 44 cm, der Hals 103 cm lang, es hat 3 Saiten
und 24 Biinde. Mersenne beschreibt es (1636) als Tri-
chord (notierte Stimmung el c 2 g 2 ) mit 16 Biinden,
daneben auch als Bichord. In dieser Form war der C,
der u. a. auch von Kircher 1650 und Bonanni 1722 ge-
nannt wird, im 17. Jh. besonders in Siiditalien beliebt
als mit Plektron gespieltes volkstumliches Instrument.
Mit 6 Saiten (Hauptstimmung D G c f a d') hatte der
»Calichen« als Liebhaberinstrument eine Bliitezeit vor
allem in Suddeutschland um 1650-1750; als General-
baBinstrument diente er (nach Mattheson 1713) auch
in Norddeutschland. Durch die beiden reisenden C-
Virtuosen Colla (* um 1730 zu Brescia) wurde das In-
strument auch in Skandinavien eingef iihrt. Sie spielten
auf 2 Colascioni, auch auf C. und Gitarre sowie auf C.
und dem eine Oktave hoher stehenden Colasciontino
(Mezzo C). Stiicke fiir C. sind erhalten u. a. von G. A.
-* Brescianello, J. P. Schiflelholz, Colla und Merchi;
eine C.-Tabulatur, um 1730 in der Oberpfalz entstan-
den, enthalt Tanze der Zeit, darunter auch takt-
wechselnde.
Lit.: M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636,
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, Bd III, Paris 1963; WaltherL;
WolfN, darin ein Menuett v. Brescianello ; K. Weinmann,
J. Tinctoris . . . u. sein unbekannter Traktat »De inventio-
ne et usu musicae«, Regensburg u. Rom 1917, S. 42; K.
Geiringer, Der Instrumentenname »Quinterne« u. d. ma.
Bezeichnung d. Gitarre, Mandola u. d. C, Af Mw VI, 1924 ;
D. Fryklund, C. och colascionister, STMf XVIII, 1936;
R. Luck, Ein Beitr. zur Gesch. d. C. u. seiner siiddeutschen
Tondenkmaler im 18. Jh., Diss. Erlangen 1954, maschr.
Colinda (rumanisch, von lat. calendae, auch colind,
Plur. colinde), Weihnachtshed, das von rumanischen
Bauern beim Umgang von Haus zu Haus, zuweilen im
Wechsel zweier Gruppen, gesungen wird. Sein Ur-
sprung reicht wie der der verwandten slawischen
-*■ Kol?da ins Mittelalter hinauf. In den von Bartok
12
177
colla parte
gesammelten Colinde besteht der meist langere, erzah-
lende Text aus trochaischen Zeilen zu 6 oder 8 Silben;
VersmaB und Silbenzahl des Refrains sind beliebig ge-
wahlt. Musikalisch ist die C. in Strophen mit 1-4 Me-
lodiezeilen gegliedert; als haufigsten Typ nennt Bar-
tok (1935) die 3zeilige Strophe, z. B.:
Nr 8 Nr 60
Silbenzahl 6 6 6 8 5 8
Text a Refrain a oder: a Refrain b
Melodie ABA ABA'
Bartok bearbeitete 20 Colinde als »Rumanische Weih-
nachtslieder« fiir Kl. (1915) und legte seiner Cantata
pro/ana (1930) Colinde-Texte zugrunde.
Ausg. u. Lit. : B. Bart6k, Volksmusik d. RumSnen v. Ma-
ramure?, = Sammelbde f . vergleichende Mw. IV, Miin-
chen 1923; ders., Die Melodien d. rumanischen C, Wien
1935; S. V. Dragoi, 303 c., Craiova 1925; C. Brailoiu, C.
sj cintece de stea (»Colinden- u. Weihnachtslieder«), Bu-
karest 1931 ; J. Kuckertz, Gestaltvariation in d. v. Bartok
gesammelten rumanischen C, = Kolner Beitr. zur Musik-
forschung XXIII, Regensburg 1963; Z. Vancea, Einige
Beitr. uber d. erste Ms. d. C.-Slg v.B. Bartok, Studia Mu-
sicologica V, 1963 ; Gh. Ciobanu, Inrudirea dintre ritmul
dansurilor si al colindelor (»Die Verwandtschaft zwischen
d. Rhythmen d. Tanz- u. C.-Weisen«), Revista de etno-
grafie si folclor mus. IX, 1964.
colla parte (ital.), mit der Hauptstimme; wie -»■ sui-
vez Anweisung fiir die Begleitung, sich einer von der
Solostimme rhythmisch frei vorgetragenen Stelle im
Tempo anzupassen. Die Wiederaufnahme des strengen
TaktmaBes wird durch a battuta angezeigt. - Auch
synonym mit ->■ colla voce.
colla voce (k'olla v'oitfe, ital.; auch colla parte), mit
der Stimme; Besetzungsvorschrift, wonach ein oder
mehrere Instrumente eine vokale Stimme notengetreu
mitspielen. Eine solche gemischte Ausf uhrung war bei
-»• a cappella-Satzen des 16.-18. Jh. (so noch bei J. S.
Bachs Motetten) iiblich, wo nicht, wie in der Cappella
Sistina, die Kapellstatuten eine Mitwirkung von In-
strumenten ausschlossen.
Collegium musicum (lat.), im 16. bis 18. und wieder
im 20. Jh. Vereinigung von Musikfreunden zu priva-
tem gemeinschaftlichem Musizieren, im 16. Jh. vor-
wiegend vokal, spater vorwiegend instrumental. Durch
das zweckfreie Musizieren unterschied sich das Coll.
mus. von der Kantorei, der durch die Ausgestaltung
der Gottesdienste eine feste Aufgabe gestellt war;
durch die Beschrankung auf das Musizieren unterschied
es sich vom Convivium musicum, dessen Hauptzweck
das durch Musik nur ein wenig ausgeschmiickte regel-
maBige Festmahl darstellte. Sowohl einzelne Kanto-
reien als auch Convivia sind seit der 2. Halfte des 16.
Jh. gelegentlich als Coll. mus. bezeichnet worden; an-
dererseits haben sich private Musiziergemeinschaften
bisweilen auch Musikkranzchen, Musikgesellschaft
u. a. genannt. Im 17. Jh. entwickelten sich die Collegia
musica zu Vereinen mit regelmaBigen Zusammenkunf-
ten bei wechselndem Mitghederbestand, der sich vor
allem aus biirgerhchen Musikliebhabern, in Univer-
sitatsstadten aus Studenten rekrutierte; gelegentlich
wurden Beruf smusiker zur Unterstiitzung herangezo-
gen. Man pflegte besonders die jeweils moderne Or-
chestermusik. Das Musizieren im Coll. mus. hatte den
Sinn - wie es in Frankfurt am Main (1718) heiBt -, theils
durch diesen unschuldigen Zeitvertreib das von denen Amts-
geschaften ermudete Gemiith zu erquicken, theils auch die
Music durch ein bestandiges Exercitium zu desto mehrerem
Wachstutn zu bringen. Nach dem Zeugnis Matthesons
regte es auch dazu an, die Kompositionen naher zu
studieren und uber sie zu diskutieren. Durch die Col-
legia musica wurde vereinzelt schon im 17., vornehm-
lich im 18. Jh. das offentliche Konzertwesen vorberei-
tet oder eingeleitet. Zunachst konnten die Mitglieder
Freunde als Zuhorer mitbringen. Die ersten Sffentli-
chen Konzerte eines Coll. mus. fanden seit 1660 unter
M. Weckmann in Hamburg statt. Hier sowie in Leip-
zig und Frankfurt hat dann im besonderen Telemann
mit den Collegia musica offentliche Konzerte durch-
gef iihrt. Dabei konnte in Hamburg das zahlende Publi-
kum groBere Gelegenheitsmusiken, Oratorien und so-
gar Passionen, losgelost vom Zweck, fiir den sie ge-
schrieben- waren, im Konzertsaal noch einmal horen.
Die Konzerte des Leipziger Coll. mus., das seit 1729
von J.S.Bach geleitet wurde, bereiteten den Boden
fiir die spateren Gewandhauskonzerte. - Die Idee des
Coll. mus. wurde in Leipzig durch H.Riemann er-
neuert, der 1908 im Musikwissenschaftlichen Institut
der Universitat ein Coll. mus. instrumentale griindete
und ihm zunachst die Aufgabe stellte, die vergessene
Ensemblemusik des GeneralbaBzeitalters wieder zu
pflegen. Auch seiner groBen Sammlung von Ensemble-
musik des 18. Jh., vornehmlich von Triosonaten und
Quatuors, gab Riemann den Titel Coll. mus. Dem
Leipziger Vorbild folgten seither alle Universitaten.
Fuhrend sollte das von W. Gurlitt im Wintersemester
1919/20 an der Universitat Freiburg im Breisgau ge-
griindete akademische Coll. mus. vocale et instrumen-
tale werden. Hier wurde das Repertoire an Chor- und
Instrumentalmusik uber Barock und Renaissance in
das Mittelalter hinein erweitert; auBerdem wurde ver-
sucht, der originalen Klangwelt der Musik durch Re-
konstruktion alter Musikinstrumente naherzukommen
und eine historisch moglichst getreue und dabei kiinst-
lerisch lebensvolle Wiedergabe zu erreichen. Das Frei-
burger Coll. mus. bot 1922 in der Badischen Kunst-
halle Karlsruhe zum erstenmal Musik des Mittelalters
in offentlichen Auffiihrungen. Auch zeitgenossische
Kammer- und Chormusik wurde (unter H.Erpf) in
den Jahren 1923-25 in das Repertoire des Freiburger
Coll. mus. einbezogen. Entsprechend dem immer brei-
ter werdenden Interesse an alter Musik im europai-
schen Musikleben griff die Idee des Coll. mus. uber die
Universitaten hinaus und begegnete verwandten Ideen
der -> Jugendmusik-Bewegung und der Schulmusik-
reform.
Lit. : K. Nef, Die Collegia musica in d. deutschen refor-
mierten Schweiz, St. Gallen 1897; M. Seiffert, M. Weck-
mann u. d. Coll. mus. in Hbg, SIMG II, 1900/01 ; C. Va-
lentin, Gesch. d. Musik in Ffm, Ffm 1906; H. Staudin-
ger, Individuum u. Gemeinschaft . . . , = Schriften zur
Soziologie d. Kultur I, Jena 1913 ; Fr. Ludwig, Musik d.
MA in d. Badischen Kunsthalle Karlsruhe, ZfMw V, 1922/
23 ; A. Schering, Mg. Lpz. II, Lpz. 1926, u. Ill, Lpz. 1941 ;
G. Pinthus, Das Konzertleben in Deutschland, = Slg mw.
Abh. VIII, StraBburg 1932; Zeitschrift Coll. mus., hrsg. v.
W. Blankenburg, Kassel 1932 u. 1933 ; E. Preussner, Die
burgerliche Musikkultur, Hbg 1935, Kassel ^1950; H.
Zenck, Das Coll. mus., Neues Musikblatt Nr 17, Mainz
1936; A. Werner, Freie Musikges. alter Zeit im mittel-
deutschen Raum, Wolfenbuttel u. Bin 1940.
col legno (kol l'e: jio, ital., mit dem Holz), Vorschrift
beim Streichinstrumentenspiel, die Saiten mit der Bo-
genstange zu streichen (c. 1. tratto) oder anzuschlagen
(c. 1. battuto); der Klang ist hart und sprode (Liszt,
Mazeppa; Honegger, La Danse macabre; Schonberg,
Moses und Ann, 2. Akt; beide Arten des c. l.-Spiels
z. B. in L.Nonos Varianti). Ein Unikum in seiner Zeit
stellt das c. l.-Spiel (mit Dampfer) dar, das J.Haydn im
2. Satz der Symphonie Nr 67 (Hob. 1, 67) verlangt. Die
Beendigung des c. l.-Spiels wird durch -> arco ange-
zeigt.
178
Comes
Color (lat., Farbe) kommt in der Musiklehre seit dem
spaten Mittelalter in verschiedenen Bedeutungen vor:
- 1) C. bezeichnet in der Notation seit der Ars nova
im 14. Jh. bis aim 17. Jh. Noten, deren Farbe von der
iiblichen abweicht: in der schwarzen Notation des 14.-
15. Jh. die roten (in England zuweilen auch blauen)
oder hohlen Noten (notae rubeae sive vacuae, J. de
Muris, CS III, 54; die hohlen Noten heiBen auch albae,
dealbitae, cavatae), in der weiBen Notation seit Mitte
des 15. Jh. die schwarzen Noten (notae impletae, Tinc-
toris, CS IV, 65f.; auch notae nigrae, denigratae). Mu-
ris erklart die normalen (bei ihm schwarzen) Noten als
perfekt, die kolorierten als imperfekt. Die Ars perfecta
in musica magistri Ph. de Vitriaco verallgemeinert zu der
in der Folgezeit giiltigen Regel: »Ferner werden Mo-
dus, Tempus und Prolatio durch rote Noten veran-
dert . . . ; wenn die schwarzen Longae [Breves, Semi-
breves] imperfekten Modus [Tempus, Prolatio] stehen,
sollen die roten im imperfekten sein und umgekehrt«
(CS III, 33b, im AnschluB an Vitrys Ars nova, Cap.
XIX). Im allgerheinen ergibt sich, dafi eine Note durch
C. ein Drittel ihres Wertes verliert, doch kbnnen No-
ten imperfekter Mensur auch urn die Halfte verlangert
werden (ApelN, Faks. 81, aus Pit). In der Hauptsache
sind folgende Anwendungen des C. zu unterschei-
den: Bei perfekter Mensur werden Gruppen von drei
2zeitigen Noten (anstelle von zwei 3zeitigen) kolo-
riert (Hemiole, Traynour, vgl. CS III, 123L). Stehen
zwei kleinere Noten zwischen zwei groBeren, so zeigt
(in weiBer Notation) die Schreibung a*»o, seltener
a ♦ ■ , an, daB bei den kurzeren Noten keine Alteration
eintritt, also J J J J zu iibertragen ist. Umgekehrt wird
Alteration oft durch h ♦ ■ a vorgeschrieben. Bei imper-
fekter Mensur bezeichnet der C. Triolen; der beson-
ders haufige Minor c. ♦♦ und die Schreibung ■♦wer-
den aber im 16. Jh. von vielen Handschriften und
Theoretikern zu o- ♦ und 0- i umgedeutet. Ferner dient
C. zur Kennzeichnung der Zusammengehorigkeit von
Gruppen verschiedener Mensurierung, die sich gegen-
seitig durchdringen und dadurch Synkopation bewir-
ken (Beispiele aus der Notation um 1400 ApelN, Faks.
84-87 und S. 488f., spatere Beispiele bei Tinctoris,
CS IV, 58b und 65f.). In Handschriften des friihen 15.
Jh. dient die kolorierte Minima zur Bezeichnung der
Semiminima; in der Schreibung der Semiminima
als i (heute Viertelnote J), d. h. als geschwarzte Mini-
ma, und im damit verbundenen Obergang von den
(langen) weiBen zu den (kurzen) schwarzen Noten hat
die »weiBe« Mensuralnotation und noch die heutige
Notenschrift diesen Gebrauch des C. als Proportio
dupla bewahrt. Im 16. Jh. wurde C. als -»■ Augenmu-
sik gem zur Wortdarstellung verwendet. - 2) Colo-
res heiBen bei Johannes de Garlandia nach dem Vor-
bild der Rhetorik Schmiickungen des musikalischen
Satzes (ed. Cserba, 226f.), darunter auch die Wieder-
holung eines melodischen Abschnitts in der gleichen
(repetitio ejusdem vocis; vgl. auch Odington, CS 1, 246a)
oder in einer ahderen Stimme (repetitio diversae vocis,
Stimmtausch; vgl. auch Anonymus IV iiber Perotinus,
CS I, 342a und 360f.). Zunachst vor allem in Ober-
stimmen verwendet, wird erstere schon in der Ars
ahtiqua-Motette und dann besonders in der -> Iso-
rhythmie der Ars nova zum Ordnungsprinzip des Te-
nors. Die fur das 14.-15. Jh. verbindllche Darstellung
bei J. de Muris (CS III, 58b, dazu Pr. de Beldemandis,
CS III, 225f. und 247b) sieht fiir den Tenor nach dem
Vorgang seiniger Kantoren« die Unterscheidung von
C. als melodischer Wiederholung und Talea als Wie-
derholung eines rhythmischen Modells vor. C. gilt
jedoch weiterhin als beide Arten umfassende Bezeich-
nung; so nennt E. de Murino die Anlage der Ober-
stimmen als mehrfache Wiederholung eines rhythmi-
schen Modells »Kolorierung der Motetten« (CS III,
125a). - 3) Marchettus de Padua schlagt vor, den durch
Alteration gewonnenen Leitton des Paenultimaklangs
als musica (oder dissonantia) colorata (statt des iiblichen
musica f alsa) zu bezeichnen. Er gewinnt diesen Namen
sowohl als Obersetzungswort aus seiner falschen Er-
klarung des chromatischen Halbtons, als auch durch
Obernahme des C.-Begriffs der Rhetorik, blieb aber
ohne Nachfolger (GS III, 73ff., 83, 89; CSM VI, 68ff.).
Lit. : H. Beixermann, Die Mensuralnoten u. Taktzeichen,
Bin 1858, hrsg. v. H. Husmann "1963 ; G. Adler, Die Wie-
derholung u. Nachahmung in d. Mehrstimmigkeit, Vf Mw
II, 1886 ; J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation, 3 Bde, Lpz.
1904; WolfN; E. Praetorius, Die Mensuraltheorie d. Fr.
Gafurius . . ., = BIMG II, 2, Lpz. 1905; Fr. Ludwig, Die
geistliche nichtliturgische, weltliche einst. u. d. mehrst.
Musik d. MA, Adler Hdb.; H. Besseler in: AfMw VIII,
1926, S.210ff. ;J.HANDSCHiNin: ZfMwXVI, 1934, S. 120f. ;
M. F. Bukofzer in: AMI VIII, 1936, S. 109f.; G. Kuhl-
MANN,Die2st.frz.Motetten. . . I, Wiirzburg 1938; ApelN;
G. Reichert, Das Verhaltnis zwischen mus. u. textlicher
Struktur . . ., AfMw XIII, 1956; ders., Wechselbeziehun-
gen zwischen mus. u. textlicher Struktur . . ., in: In me-
moriam J. Handschin, StraBburg 1962; C. Parrish, A
Curious Use of Coloration . . . , in : Essays on Music, Fs. A.
Th. Davison, Cambridge (Mass.) 1957; U. Gunther, The
W-Cent. Motet . . ., MD XII, 1958; M. B. Collins, The
Performance of Coloration, Sesquialtera, and Hemiola,
Diss. Stanford (Calif.) 1963, maschr., Teildruck in: JAMS
XVII, 1964.
Combo (von engl. combination) ->• Band.
Com£die (komed'i, frz., Komodie), eine Bezeichnung
fiir die friihe franzosische heitere Oper, meist mit ei-
nem Zusatz wie melee d'ariettes oder en musique
(-> Vaudeville). Die gesprochene Komodie mit einge-
legten, original komponierten Arietten (Dalayrac, La
Nina ou la Folk par amour, 1786) wurde C. a ariettes ge-
nannt, im Gegensatz zur C. lyrique, bei der die Musik
bereits groBeren Anteil hat.
Com£die-ballet (komed'i-bal'E, frz.), eine seit 1664
von Lully und -» Moliere in enger Zusammenarbeit fiir
die Hoffeste Ludwigs XIV. geschaffene, der Oper
nahestehende Gattung des f ranzosischen Theaters. In der
C.-b. wirkten die klassische gesprochene Comedie
und - vom Ballet de cour ausgehende - mit der Hand-
lung verkniipfte Ballets (mit Prolog und Entrees), dra-
matisch gestaltete Rezitative, Airs, Duette, Terzette,
chorische und finalartige Ensembleszenen sowie Dia-
loge zwischen Schauspielern und Sangern zusammen.
Zu den bedeutenden C.-b.s, die einen franzosischen
Buffostil herausbildeten und eine wichtige musikalische
Entwicklungsstufe zur -*■ Tragedie lyrique darstell-
ten, zahlen Molieres und Lullys La Princesse d'Elide
(1664), V Amour medecin (1665), La Pastorale comique
(1667), Le Sicilien (1667), Les festes de Versailles und
Georges Dandin (1668), Monsieur de Pourceaugnac (1669),
Les amants magnifiques (1670), Le bourgeois gentilhomme
(1670). Die C.-b.s verloren nach dem Tod Molieres an
Bedeutung; Musik und Tanz wurden weniger ver-
wendet, und die Gattung wurde den Komodien mit
Couplets angenahert, wie sie an der Comedie Italienne
und am Theatre de la Foire gespielt wurden.
Lit.: M. Pellisson, Les C.-b. de Moliere, Paris 1914; Fr.
Noack, Die Musik zu d. Moliereschen Komodie »Mon-
sieur de Pourceaugnac« v. J. B. de Lully, in: Mw. Beitr.,
Fs. J. Wolf, Bin 1929; Fr. Bottger, Die »C.-B.« v. Mo-
liere-Lully, Diss. Bin 1941.
Comes (lat., Gefahrte), Thema einer Fuge in der Ge-
stalt seiner -> Beantwortung. C, durch Calvisius (Me-
lopoeia 1592) als Latinisierung von -> Conseguente ein-
12«
179
come sopra
gef iihrt, bezeichnet gelegentlich auch die nachi olgende
Stimme im Kanon.
come sopra (ital., wie oben), Anweisung zur Wie-
derauf nahme von angegebenen Ausf iihrungsvorschrif-
ten oder zur Wiederholung eines Satzteils.
come sta (ital., wie es dasteht), in der Zeit der Bliite
der Virtuosenzutaten, besonders zu Anfang des 17. Jh.,
in Instrumentalkompositionen das ausdruckliche Ver-
bot der Auszierung.
Commedia in music a (ital., Komodie mit Musik),
auch Commedia per musica sowie Commedia musi-
cale, in der 2. Halite des 17. Jh. und im 18. Jh. Bezeich-
nung fiir die komische italienische Oper, die Handlun-
gen und Figuren aus der Commedia dell'arte iiber-
nahm. Mittelpunkt dieser Kunst war Neapel (C. in m.
napoletana, auchFarsa oder Pazzia genannt). Fiir die
heitere italienische Oper wurden auch Bezeichnungen
verwendet wie Commedietta, Dramma burlesco (gio-
coso), Scherzo drammatico (giocoso), Trattenimento
carnevalesco, Opera comica.
Commissura (lat., Verbindung), Durchgangsdisso-
nanz, der Sache nach schon von Tinctoris (CS IV, 144)
in Nahe zur Rhetorik beschrieben; in der Barockzeit
eine musikalische Figur (ohne Namensentsprechung in
der Rhetorik), auch Symblema, Celeritas und Transi-
tus genannt. Eine in 31 Versen ausgebreitete Erklarung
der C. gibt H.Dedekind (1590). Burmeister (1599,
1606) erkennt Durchgangsdissonanzen als Figur nur im
Wert einer Minima (Halfte des Tactus) an, kleinere
Werte als Durchgange sind ihm dem Figurbegriff ge-
geniiber nicht offenkundig genug. Calvisius (1592) da-
gegen betrachtet unter Celeritas nur den rein musikali-
schen Sachverhalt des Dissonanzwertes ohne Reflexion
auf den Figurbegriff, er beschrankt sich daher auf das
Dissonanzverbot der Semibrevis (ganzer Tactus). Nu-
cius (1613), Goclenius (1613), Thuringus (1625), Bern-
hard (Ausfuhrlicher Bericht) und J.G.Walther (1708,
1732) unterscheiden C. cadens (bzw. Transitus regula-
ris), wobei die 1. Halfte (thesis | ) der Schlagzeit konso-
niert und die 2. Halfte (arsis f ) dissoniert, und C. di-
recta (bzw. Transitus irregularis) mit Auflosung einer
dissonierenden Thesis in die Arsis.
C. cadens
i t . I t
S^fPP^
m
i 1 1 t
pn
Quasitransitus ist bei Bernhard eine dem Transitus
irregularis ahnliche, mit der -»• Multiphcatio verbun-
dene Art, vor allem im rezitativischen Stil. Im Trac-
tates compositions augmehtatus nennt Bernhard noch den
Transitus regularis einfach Transitus, statt Transitus
irregularis steht Quasi-Transitus, und der spatere Qua-
sitransitus heiBt hier Transitus inversus. Unter den Be-
griff des Transitus wird in dieser Zeit allgemein auch
der Wechselton (-> Wechselnote) subsumiert.
i
Lit. : H. Dedekind, Praecursor metricus musicae artis,
Erfurt 1590; S. Calvisius, Melopoeia . . . , Erfurt 1592; R.
Goclenius, Lexicon Philosophicum .... Ffm. 1613.
180
Common chord (k'onwn ka:d, engl., s. v. w. ge-
wohnlicher Klang), im GeneralbaB der konsonante
Dreiklang (frz. accord parfait), besonders der Dur-
dreiklang.
Common time (k'oman taim, engl., s. v. w. gewohn-
liches ZeitmaB) heiBt der auch in Deutschland »gemei-
ner Takt« genannte 4/4-Takt, in alterer Zeit jeder ge-
rade Takt.
Commune Sanctorum (lat.)
Sanctis.
Proprium de
Communio (lat.), genauer: Antiphona ad commu-
nionem, das letzte Stuck des Proprium missae, der
Kommuniongesang der romisch-katholischen MeB-
feier. Schon seit dem 4. Jh. lafit sich in verschiedenen
Liturgien des Orients und Okzidents als bevorzugter
Gesang zur Kommunion Ps. 33 nachweisen, der offen-
sichtlich auf Grund des Textinhaltes von Vers 9 (Gusta-
te et videte quoniam suavis est Dominus) verwendet wur-
de. Auch die romische Liturgie enthielt zunachst einen
(in den einzelnen MeBformularen verschiedenen)
Kommunionpsalm. Versweise von zwei einander ab-
wechselnden Choren ausgefuhrt, erklang hierbei vor
und nach dem (mit der kleinen Doxologie abgeschlos-
senen) Psalm bzw. zwischen den einzelnen odermehre-
ren Versen eine Antiphon (Antiphona ad communio-
nem), welche nach allmahlichem Wegfall der Psalm-
verse (10.-13./14. Jh., vermutlich durch Ruckgang der
gemeinschaf tlichen Kommunion) allein iibrigblieb und
C. genannt wurde. Nur in der C. Lux aeterna der To-
tenmesse erhielt sich ein Versus (Requiem aetemam). Als
sehr sparer Beleg fiir die Verwendung von C.-Psalm-
versen gilt das Graduale der Leipziger St. Thomaskir-
che aus dem 14". Jh. Die musikalische Gestalt der Verse
entsprach stets der Introituspsalmodie in romanischer
oder germanischer Fassung (vgl. die Formeln in der
Vatikanischen Ausgabe des Graduale Romanum und
bei P. Wagner, Einfiihrung III, S. 140ff .). Seit der neuen
Karwochenliturgie (1956) ist man um eine Wiederein-
fuhrung der C.-Psalmen bemiiht. Erweiternde Bestim-
mungen sind in der Instructio de musica sacra et sacra li-
turgia der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958 enthalten.
Hiemach wird gestattet, beim Kommuniongang der
Glaubigen im AnschluB an jene Antiphonen, deren
Text einem Psalm entnommen ist, die iibrigen Psalm-
verse mit Gloria patri und abschheBender Wiederho-
lung der Antiphon zu singen, wobei auch nach jedem
einzelnen oder je 2 Versen eine Repetitio antiphonae
moglich ist. Entsprechend kann fiir Antiphonen ohne
Psalmtext ein passender Psalm ausgewahlt werden (Ar-
tikel 27c). - In der Choralforschung finden die C- An-
tiphonen vor allem wegen ihrer oftmals uneinheitli-
chen tonalen Gestalt zunehmendes Interesse. - Bezeich-
nungen fiir den Kommuniongesang in anderen Litur-
gien sind: Trecanum (gallikanisch), Transitorium (am-
brosianisch), Antiphona ad accedentes (altspanisch),
Koinonikon (byzantinisch).
Ausg. : Das Graduale d. St. Thomaskirche zu Lpz., hrsg.
v. P. Wagner, 2 Bde, = PaM V u. VII, Lpz. 1930 u. 1932.
Lit.: P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I u. Ill, Lpz. '191 1 u. 1921, Neudruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962; U. Bomm OSB, Der Wechsel d. Modali-
Utsbestimmung in d. Tradition d. MeBgesange im IX. bis
XIII. Jh., Einsiedeln 1929. KWG
Completorium (lat.) -> Komplet.
Complexio (lat.) -> Symploke.
Computer-Musik (k3mpj'u:t3j, engl.), Musik, die
mit Hilfe von elektronischen Rechenanlagen kompo-
niert wird. Regeln der Satztechnik und Gewohnheiten
der asthetischen Bewertung lassen sich als »Programm«
verstehen, innerhalb dessen der Komponist seine Ent-
scheidung trifft. Das Programm definiert das Material
und die erlaubten Verkniipfungen, deren Reihenfolge
haufig frei ist. Daher kann innerhalb gegebener Gren-
zen der Zufall sich auswirken. - Computer fmden Ver-
wendung, um bekannte Musiksysteme (z. B. tonale
Harmonik) zu programmieren, Musik nach statisti-
schen Gesichtspunkten zu komponieren oder elektro-
nische Klange zu erzeugen. Beispiele: Illiac Suite fur
Streichquartett von Hiller und Isaacson, Musique algo-
rithmique von P. Barbaud, Computer Cantata von Hiller.
Lit. : L. A. Hiller u. L. M. Isaacson, Experimental Mu-
sic, NY 1959; J. C. Tenney, Sound-Generation by Means
of a Digital Computer, Journal of Music Theory VII, 1 963 ;
I. Xenakis, Musiques formelles, RM XXXIII, 1963; L. A.
Hiller, Informationstheorie u. C.-M., in: Darmstadter
Beitr. zur Neuen Musik VIII, Mainz (1964) ; G. H. Roller,
The Development of the Methods for Analysis of Mus.
Compositions and for the Formation of a Symmetrical
Twelve-tone Row Using the Electronic Digital Computer,
Diss. Michigan State Univ. 1964, maschr.
Concentus (lat.) -> Akzent (- 2).
Concertante (k5sErt'a:t, frz.)
certante.
Symphonie con-
Concertato (kontJert'a:to, ital.), concertant (frz.),
Abk. : cone, konzertierend. Voci concertate, Concer-
tatstimmen, heifien die solistischen Vokalstimmen im
->■ Concerto; Coro c. ist in der concertierenden -> Mehr-
chorigkeit die Gruppe der Solostimmen im Gegensatz
zum vollen Chor. Die Titel Psalmi concertati (Viadana,
1612), Musiche concertate (T. Merula, Madrigali et altre
musiche concertate, 1623), Sonate concertate (D. Castello,
1621) besagen, daB die Kompositionen fur das mehr-
chorige Concertieren oder fur Vokal- bzw. Instrumen-
talsolisten bzw. fiir deren Mitbeteiligung bestimmt
sind. -*■ Symphonie concertante.
Concertina, ein -*■ Harmonika-Instrument mit 6ecki-
gem Querschnitt. Es wurde 1827 von Ch.Wheatstone
(1802-75) erfunden und 1829 patentiert. Die C. war
das erste gleichtonige Balginstrument und wurde als
Sopran-, Tenor-, Bariton-, BaB- vind KontrabaB-C.
hergestellt. Eine durchgehende chromatische Tonfolge
war auf die beiden Seiten des Instrumentes verteilt.
Spielfinger waren der 2., 3. und 4. Finger, der Daumen
hielt in einer Lederschlaufe das Instrument, der kleine
Finger ruhte als Stiitze in einem Metallwinkel. Der
Umfang der Sopran-C. reicht von g-c 3 , zum Teil bis
a 4 . Fiir das Zusammenspiel mit Klavier wird vorzugs-
weise die Sopran-C. verwendet. Mit der deutschen
->■ Konzertina von Uhlig hatte sie nichts gemeinsam,
aber vielleicht wurde Wheatstone durch Uhligs Kon-
struktion zum Bau der Duett-C. angeregt, die 1844
patentiert wurde und es ermoglichte, mit der rechten
Hand die Melodie und mit der linken die Begleitung
zu spielen. Die Duett-C. gab es in GroBen von 46-81
Knopf en (groBter Tonumf ang : C-d 3 ; von g-c 2 waren
die Tone doppelt vorhanden). Die C. wurden nur ein-
fachtonig gebaut (8'-Ton), deshalb war es moglich,
den auBeren Umfang des Geniuses sehr klein zu hal-
ten. Der Ton war klar und weittragend, die Ansprache
der Zungen leicht. Schulwerke und Kompositionen
fiir die C. schrieben u. a. Wheatstone, G. Case, G. Re-
gondi, R. Blagrove, B. Molique und G. A. Macfarren. -
Das Melophon wurde von dem Ungarn Ferenczi
(* 1820) der englischen C. nachgebaut. Das seinerzeit
in Ungarn sehr beliebte Instrument wird seit 1911
nicht mehr gebaut. - Die Symphonetta wurde 1898
von R. Scheller (1845-1929) in Hamburg konstruiert.
Die Knopf anlage entspricht der einer dreireihigen chro-
matischen Harmonika mit 2 Hilfsreihen. AuBerlich
Concerto
entspricht die Symphonetta einem mitten im Balg
aufgeschnittenen ->■ Bandonion, das auf einem Spiel-
tisch so montiert ist, daB die Tastatur vor Augen liegt.
Durch wechselndes Hochziehen und Niederdriicken
der beiden Balgteile wird die Luft den Tonzungen zu-
gefiihrt, die nur auf Druck ansprechen und ein ausge-
zeichnetes dynamisches Spielen gestatten. Der Gesamt-
umfang reicht vom B der Kontraoktave bis fis 3 . EKu
Concertino (kontfert'i:no, ital., kleines Konzert),
- 1) ahnlich wie -> Konzertstiick eine Gattungsbezeich-
nung fiir Konzertkompositionen kleineren Umfangs
oder kleinerer Besetzung (z. B. Strawinsky, C. fiir
Streichquartett, 1920; H.Reutter, C. fur Kl. und
Streichorch., op. 69; H.Genzmer, C. fiir Kl. und Str.
mit Fl.). - 2) Besetzungsbezeichnung fiir eine Gruppe
von Soloinstrumenten, die dem Orchestertutti gegen-
iibersteht, vor allem im -> Concerto grosso und der
->■ Symphonie concertante.
Concerto (kontT'erto, ital.) bezeichnet als Stilprinzip
und Werktitel die durch ein Ensemble auszufiihrende
Komposition, in der heterogene Elemente zusammen-
wirken. Begriff und Wesen des C. waren fiir die Musik
der Barockzeit so bestimmend, daB J. Handschin (1948)
das 17./18. Jh. die Zeit des »konzertierenden Stils« zu
nennen vorschlug; insofern der GeneralbaB ein inte-
grierender Bestandteil dieses Stils ist, faBt der Name
GeneralbaBzeitalter (H.Riemann) die gleiche Erschei-
nung aus anderer Sicht. - Die Ableitung des Terminus
C. ist umstritten. Das Moment des Zusammenwirkens
im Ensemble weist auf concertare (mittellat. und ital.),
tibereinstimmen. Dem entspricht das Verstandnis von
C. als vokalem, instrumentalem (auch span, taner en
concierto, bei Ortiz 1553; engl. -*■ Consort) oder vokal-
instrumentalem Ensemble sowie das Zusammenwirken
von Musikern iiberhaupt, auch im Sinne einer Veran-
staltung (Walther 1732, Rousseau 1767 ; -»• Konzert- 2),
ferner die Gleichsetzung von C. mit Cantio harmonica,
Concentus und Sinfonia (Symphonia). Die Heteroge-
nitat der zusammenwirkenden Elemente spiegelt sich
dagegen in der versuchten Zuriickf iihrung des Wortes
C. auf concertare (klassisch-lat.), wettstreiten, die seit
M.PraetoriuS in Formulierungen wie gegeneinander cer-
tiren, gleichsam um den Gewinn certiren immer selbstver-
standlicher herangezogen wurde. Beim C. in diesem
Sinne handelt es sich im Barock um zwei Grundfor-
men. Die friihere ist die ->- Mehrchorigkeit : C. in specie
bedeutet, daB die Musici Chorweise vmbwechseln (Prae-
torius Synt. Ill, S. 5). Sie ist zu verstehen als Steigerung
der Motettenkomposition und ist in den Concerti von
A. und G.Gabrieli 1587 voll ausgepragt als Zusam-
menwirken von Singstimmen und Instrumenten, Cho-
ren und Solisten iiber verstarktem Klangfundament.
Die Rolle des (wesentlich instrumentalen) Basses, der
als Basso pro organo bzw. GeneralbaB das musikali-
sche Geschehen tragt und den Stimmen (solistische)
Bewegungsfreiheit gewahrt oder sie als Fullstimmen
oder »Griffe« fungieren laBt, verbindet alle C.-Arten
der Barockzeit. Schon im mehrchorigen C. tritt das
Gegeneinanderwirken auch als solistisches Sichhervor-
tun von Stimmen auf, das dann in den Begriffswor-
tern Concertatstimmen, Concertisten, -»■ Concertato,
->■ Concertino (- 2) als charakteristisches Moment des
C. angesprochen wird. - Die 2. Grundform des C, die
zum Typ des »Kleinen (geistlichen) Concerts« fuhrte,
ist zu verstehen als auch unter Einwirkung der -* Mo-
nodie sich vollziehende Reduzierung der vielstimmi-
gen, auch mehrchorigen Motettenkomposition auf das
solistische Singen (bald auch Instrumentalspiel) mit
GeneralbaB. Epochemachend waren hier L.Viadanas
als 1— 4st. Solomotetten mit Basso continuo geschriebe-
181
Concerto
nen Cento concert! ecdesiastki (I, 1602), die in Italien
iiberall Nachfolge fanden (A. Agazzari, A. Grandi u. a.),
bereits 1609 auch in Frankfurt erschienen und bald in
Deutschland eine grofie Zahl gleichgearteter Veroffent-
lichungen zur Folge hatten. Unter diesen sind, neben
Gr.Aichinger (ab 1607), J.Staden (ab 1616) u. v. a.,
vor allem bedeutend die Geistlichen Concerte der
Opella nova von Schein (1618 und 1626) und die Klei-
nen Geistlichen Concerte von Schiitz sowic dcssen Sym-
phoniae sacrae (I— III, 1629, 1647, 1650), in denen zum
solistisch gesungenen Generalbafi-C. auch obligate
Instrumente und im Band von 1650 auch Komple-
mentchore gesetzt sind. Eine spezifisch italienische
Auspragung des kleinen C. ist das Madrigalkonzert
(Intermedii e Concert!, Florenz 1591; Monteverdis C.
genanntes 7. Madrigalbuch, 1619) und eine eigentum-
fich deutsche Auspragung das Choral-C. (M.Praeto-
rius, Schein). Es charakterisiert die Entstehung dieser
2. Grundform des C. aus der vollstimmigen Motette,
wenn Schiitz 1648 betont, daB fiir den tiber den Bassum
Continuum concertirenden Stylus Compositionis aus Italia
der Stil der Chor-Music das Lehrfundament bildet. In-
dessen ist es fiir den neuartigen instrumentalen Grund-
zug des C. bezeichnend, daB bei der Einrichtung der
»Concert-Music« in Wittenberg 1644 mit deren Durch-
fiihrung der Organist (als GeneralbaBspieler) betraut
wurde, wahrend die volstimmige . . . alte art der Mo-
teten Sache des Kantors blieb. - Zwischen der mehr-
chorigen und der solistischen Grundform des C. gab es
im 17. Jh. viele Verbindungen und Zwischenarten, die
im Dienste der Varietas zum Teil nur Sache der »An-
ordnung und Aufstellung« waren, wobei einerseits die
Concertatstimmen-Komposition durch Komplement-
chore und Ripienoabschnitte in Richtung auf das Con-
certiren per choros erweitert (hierzu Praetorius' 9 Ma-
nieren, Synt. Ill, S. 175ff.), andererseits der vollstim-
mige oder mehrchorige Satz auf solistische Ausfiih-
rung reduziert oder durch solistische Partien aufge-
lockert wurde. In diesem Zwischenbereich bildete
sich (seit J. Schelle, Fr.Tunder und namentlich bei
Buxtehude) durch Einbeziehung der musikalisch ge-
schlossenen, textlich betrachtenden Aria und des Cho-
rals die -> Kantate heraus. (Noch zahlreiche Kantaten
J. S. Bachs wurden von ihm selbst C. genannt.)
Die Anwendung des C.-Prinzips in Ausfiihrung (in-
strumentale Besetzung) und Komposition auf die in-
strumentalen Formen der Kanzone, Sonata und Sin-
fonia fiihrte zur Entstehung der Gattungen -> Concer-
to grosso und Solo-C. Soloepisoden, auch unbegleite-
te, finden sich ebenso wie Trio- (-> Triosonate) und
Duoepisoden schon in Kompositionen des concertie-
renden Stils seit dem friihen 17. Jh. (Fr. Spongia detto
Usper 1619). In der fiir die Ausbildung des Solo-C.
entscheidenden Zeit von etwa 1660-90 wurden im C,
zumal wo es bei f estlichen Anlassen in der Kirche mit
Dilettanten stark besetzt war, schwierige Stellen von
Solisten gespielt (vgl. dazu noch Torelli, Vorwort zu
op. 8, 1709). Damit lag - beeinfluBt auch durch die
Ritornellform der Arie - bereits das Solo-C. vor. In
der 4-8st. Streichersinfonia oder -sonata besonders
der Venezianischen und Bolognesischen Schule kom-
men auch eine oder 2 Trompetenstimmen vor (z. B.
G.B.Bononcini op. 3, 1685). Die Trompete, das be-
deutendste Soloinstrument in dieser Zeit, konnte durch
Oboe oder Violine (z. B. bei Cazzati 1665) ersetzt wer-
den ; dies lag nahe besonders beim C. mit modulieren-
den Soli. Das vom Komponisten sogleich als solches
vorgesehene Violin-C. begegnet zuerst bei Torelli
(op. 6, 1698) und Albinoni (op. 2, 1701/02), das Vio-
loncello-C. bei Jacchini (op. 4, 1701). Am bedeutend-
sten fiir die Ausbildung der Form, der Thematik, der
Besetzung und der Spieltechnik des Solo-C. war Vi-
valdi, dessen op. 3, wohl im ersten Jahrzehnt des 18.
Jh. entstanden, 1712 im Druck erschien. Die beiden
schnellen Ecksatze haben Ritornellform. Die Tuttiri-
tornelle werden vom Solo in kleingliedrigen Motiven
sequenzierend und modulierend fortgesponnen. Die
zunehmend virtuosen Soli beginnen, vor allem bei
Torelli und Vivaldi, durch Losung vom Affekt der
Tuttiteile die Themenzweiheit der klassischen Sona-
tensatzf orm vorzubilden. Der Mittelsatz ist einfacher
und kantabler. Im 18. Jh. ist er oft nur mit wenigen
Akkorden skizziert, iiber denen der Solist zu improvi-
sieren hatte. Vor dem SatzschluB konnte in den Eck-
satzen eine betont virtuose Soloepisode (-> Kadenz - 2)
eingeschoben werden. Als Soloinstrumente kommen
bei Vivaldi vor: neben Violine und Violoncello die
Viola d'amore, Mandoline, Oboe (auch als Ersatz
fiir Violine), Fagott und Querflote (auch Piccolo). In
Vivaldis Nachfolge stehen Dall'Abaco, G.M.Alberti,
Veracini, Tessarini und, mit virtuosen Violinconcerti,
Locatelli. Tartini (op. 1, 1726) gehort nicht mehr in
Vivaldis unmittelbare Nachfolge. Zu seinen Schulern
zahlen Nardini und Pugnani. In Deutschland wurde
das Solo-C. schon vor 1710 bekannt. 9 Bearbeitungen
Vivaldischer Concerti fiir Klavier zeugen von J. S.
Bachs Beschaftigung mit dem neuen Typ. In seinen
eigenen Concerti sind zum Teil die Gattungen Solo-C.
und C. grosso (die Benennungen blieben uberdiesnoch
im 18. Jh. schwankend) vereint, so in den Branden-
burgischen Konzerten Nr 4 und 5; Nr 3 ist dagegen
noch ein mehrchoriges C. alten Stils, ebenso wie ein
vierchoriges von Stolzel. Die seltene Verbindung von
Solo-C. und Suite zeigendasl.BrandenburgischeKon-
zert in seiner endgiiltigen Fassung sowie die Ouvertiire
H moll. Weitere deutsche Komponisten von Solo-
concerti sind Graupner, Telemann, J.Fr. Fasch und
Pisendel. Der bedeutendste Meister des Violin-C. in
Frankreich war Leclair (-» Violinmusik). Mit Bachs
Werken fiir 1-4 Klaviere (zunachst Bearbeitungen von
Violinconcerti) und Handels Konzerten fiir Kl. (Or-
gel, Cembalo oder Harfe) beginnt die Geschichte des
Klavierkonzerts (-> Klaviermusik) . Die Strahlkraf t aller
dieser C.-Arten und des concertierenden Stils reicht
weit iiber das Zeitalter des Barocks hinaus. In der Klas-
sik und Romantik verlaBt das -»■ Konzert (- 1) zum
Teil das Prinzip des Concertierens ; es erlebte eine be-
wuBte Wiedererweckung im 20. Jh.
Lit. : A. Schering, Gesch. d. Instrumentalkonzerts bis auf
d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen I,
Lpz. 1905, 21927; H. Daffner, Die Entwicklungd. Klavier-
konzerts bis Mozart, = BIMG 11,4, Lpz. 1906; A.Werner,
Ein Dokument iiber d. Einfiihrung d. »Concerten-Music«
in Wittenberg, SIMG IX, 1907/08; H. Enoel, Das Instru-
mentalkonzert, = Fiihrer durch d. Konzertsaal : Die Or-
chestermusik III, Lpz. 1932; O. C. A. zur Nedden, Der
konzertierendeStil, Habil.-Schrift Tubingen 1 933, maschr. ;
H. Weber, Das Vc.-Konzert d. 18. u. beginnenden 19. Jh.,
Diss. Tubingen 1932 ; A. Adrio, Die Anfange d. geistlichen
Konzerts, = Neue deutsche Forschungen XXXI, Abt.
Mw. I, Bin 1935; H. Buttner, Das Konzert in d. Orche-
stersuiten G. Ph. Telemanns, = Veroff. d. Niedersachsi-
schen Musikges., Beitr. zur Mg. I, Wolfenbtittel 1935; M.
Dounias, Die Violirikonzerte G. Tartinis . . . , Wolfenbuttel
1935; M.-E. Brockhoff, Die Konzerttechnik J. S. Bachs,
Habil.-Schrift Minister i. W. 1947, maschr. ; R. Eixer, Die
Konzertform J. S. Bachs, Diss. Lpz. 1947, maschr.; ders.,
Die Konzertform A. Vivaldis, Lpz. 1958; ders., Die Ent-
stehung d. Themenzweiheit in d. Fruhgesch. d. Instrumen-
talkonzerts, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; M. Pincherle, A.
Vivaldi et la musique instr., 2 Bde, Paris (1948) ; Fr. Gieg-
ling, Sinn u. Wesen d. »concertare«, Kgr.-Ber. Basel 1949 ;
ders., G. Torelli. Ein Beitr. zur Entwicklungsgesch. d. ital.
Konzerts, Kassel 1949; W. Kolneder, Das Fruhschaffen
A. Vivaldis, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Auffiihrungs-
182
Concordantia
praxis bei Vivaldi, Lpz. (1955); ders., Die Solokonzert-
form bei Vivaldi, = Slg mw. Abh. XLH, StraBburg u. Ba-
den-Baden 1961 ; ders., Zur Friihgesch. d. Solokonzerts,
Kgr.-Ber. Kassel 1962; R. Stephan, Die Wandlung d.
Konzertform bei Bach, Mf VI, 1953 ; D. D. Boyden, When
Is a C. Not a C, MQ XLIII, 1957; R. A. Hall, Ital. »c.«
(conserto) and »concertare«, Italia XXXV, 1958; A. For-
chert, Das Sp&twerk d. M. Praetorius, = Berliner Studien
zur Mw. I, Bin 1959; E. Gessner, S. Scheidts Geistliche
Konzerte, ebenda II, 1961 ; A. Hutchings, The Baroque
C, London 1961 ; St. Kunze, DieEntstehungd. Concerto-
prinzips im Spatwerk G. Gabrielis, AfMw XXI, 1964.
HHE
Concerto grosso (ital., s. v. w. groBes Ensemble), im
Unterschied zum ->■ Concertino der Soli die starker
besetzte Klanggruppe (Tutti, Ripieni), die im Wechsel
mit jenem musiziert. Dariiber hinaus ist C. gr. ein
-*■ Concerto, das nach dem Prinzip dieses Wechsels an-
gelegt ist. Dabei unterscheidet sich das C. gr. vom
Soloconcerto durch das mehrstimmige (oft 3st.) Con-
certino, das mit gleichen oder ungleichen Instrumen-
ten besetzt sein kann. Es entstand etwa gleichzeitig mit
dem Soloconcerto im 2. Drittel des 17. Jh. in Ober-
italien, auch (und bis ins 18. Jh. so iiblich) als eine Aus-
fiihrungsart der Triosonate, deren Besetzung (2 V., Vc.
und B. c.) fur das Concertino des C. gr. zunachst ty-
pisch war. Vorlaufer des C. gr. sind Duo- und Trio-
episoden in Kanzonen, Sonaten und Sinfonien (Fr.
Spongia detto Usper 1619, D.Castello 1621, Bernardi
1621, 1624, T.Merula 1626). Ein friihes voll ausgebil-
detes C. gr. bot A. Stradella 1676, dem weitere Kom-
ponisten der Bologneser und Modeneser Schule folg-
ten. Diese schrieben auch franzosisch beeinfluBte mehr-
stimmige Tanzmusik, deren Motivik und Rhythmik
in den Concerti grossi anklingen. Die Bezeichnung
C. gr. ist zuerst 1698 bei L. Gregori nachweisbar. Die
bedeutendsten Meister des C. gr. in Italien sind Corelli
(Concerti grossi con duoi Violini e Violoncello di Concertino
obligati e duoi altri Violini, Viola e Basso di C. gr. ad ar-
bitrio, che si potranno radoppiare op. 6, um 1680, ver-
offentlicht erst 1714, Nachdrucke bis um 1745, enthal-
tend 8 Concerti da chiesa mit je 4-7 Satzen und 4 Con-
certi da camera mit Tanzsatzen), Torelli (Concerti mu-
sicali a 4 op. 6, 1698 ; Concerti grossi op. 8, 1709, geschrie-
ben um 1690, fur 2 concertierende und 2 begleiten-
de V., Va und B. c.) und Vivaldi, der neben zahlrei-
chen Soloconcerti eine Reihe von Concerti grossi mit
mannigfaltigen Streicher- und Blaserbesetzungen des
Concertino komponierte. Sein 3satziger Typ des C. gr.
(schnell - langsam - schnell) mit seinem Besetzungs-
und Formenreichtum, seiner pragnanten Thematik,
funktionsharmonischen Klangflachen, der Cantabile-
Melodik der Mittelsatze und dem rondoartigen "Wech-
sel zwischen Tuttiritornellen und modulierenden Con-
certinoepisoden der schnellen Satze wurde vorbild-
hch. - Corellis Technik lernte Georg Muffat 1681/82
in Italien kennen und vermittelte sie an die deutschen
Komponisten (Armonico tributo, 1682; Aufierlesene . . .
Instrumental-Music, 1701). Im 18. Jh. wurde das C.
gr. zu einer (nur in Frankreich weniger) verbreite-
ten Gattung, deren Technik jedoch auch in der fran-
zosischen Ouvertiire angewandt wurde. Concerti gros-
si schrieben neben und nach Vivaldi in Italien u. a.
Caldara, Marcello, G.Valentini, Fr. Manf redini, Albi-
noni, Geminiani, P. A. Locatelli, in Deutschland u. a.
Heinichen, Telemann, Chr. Graupner, J. Fr. Fasch, Al-
bicastro, Schickhardt, Hurlebusch, Dieupart, Molter,
vor allem J. S.Bach in seinen Concerts avec plusieurs in-
struments, den sogenannten Brandenburgischen Kon-
zerten, die das C. gr.-Prinzip vermischt mit anderen
Concertotechniken zeigen (BWV 1046-51, beendet
1721). Der EinfluB Handels (op. 3, 1733; op. 6, 1739;
u. a. auch Ouvertiire zum »Alexanderfest«) wirkte sich
in England und den Niederlanden aus auf W. de Fesch,
J.George, J. Hebden und Ch.Avison. Die Besetzungs-
weise des C. gr. lebte in der 2. Halfte des 18. Jh. fort in
der -> Symphonie concertante in der Form der neuen
Sonate und Symphonie. - In der 1. Halfte des 20. Jh.
wurde mit der Hinwendung zu Formen des Barocks
auch auf das C. gr. zuriickgegriffen, so von Reger
(Konzert im alien Sri'/, 1912), Kaminski (C. gr. fur 2
Orch., 1922), Kfenek (Concerti grossi 1921 und 1924).
An das C. gr. gemahnen Kompositionen wie die Phan-
tasie iiber die Tonfolge b-a-c-h fur 2 Kl., 9 Soloinstru-
mente und Orch. (1950) von Former und die Konzerte
fiir Jazzband und Orch. von Strawinsky (Stony-Con-
certo, 1945) und R.Liebermann (1954).
Lit.: A. Schering, Gesch. d. Instrumentalkonzerts bis auf
d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen II,
Lpz. 1905, 21927; A. Einstein, Ein C. gr. v. 1619, Fs. H.
Kretzschmar, Lpz. 1918; A. Bonaccorsi, Contributo alia
storia del C. gr., RMI XXXIX, 1932; H. Engel, Das In-
strumentalkonzert, = Ffihrer durch d. Konzertsaal. Die
Orchestermusik III, Lpz. 1932; ders., Das C. gr., = Das
Musikwerk XXIII, Koln (1962); W. Kruoer, Das C. gr.
in Deutschland, Wolfenbiittel 1932; E. H. Meyer, Die
mehrst. Spielmusik d. 17. Jh. in Nord- u. Mitteleuropa,
= Heidelberger Studien zur Mw. II, Kassel 1934 ; H. Btirr-
ner, Das Konzert in d. Orchestersuiten G. Ph. Telemanns,
= Veroff. d. Niedersachsischen Musikges., Beitr. zur Mw.
I, Wolfenbfittel 1935 ; G. Hausswald, J. D. Heinichens
Instrumentalwerke, Wolfenbuttel 1937; R. Gerber, Bachs
Brandenburgische Konzerte, Kassel 1951; H. Besseler,
Kritischer Ber. zu: J. S. Bach, Sechs Brandenburgische
Konzerte, Neue Ausg. samtlicher Werke VII, 2, Kassel u.
Lpz. 1956; J. Krey, Zur Entstehungsgesch. d. ersten Bran-
denburgischen Konzerts, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961; St.
Kunze, Die Entstehung d. Concertoprinzips im Spat-
werk G. Gabrielis, AfMw XXI, 1964; E. Schenk, Betrach-
tungen fiber d. modenesische Instrumentalschule d. 17. Jh.,
StMwXXVI, 1964.
Conclusion (kokliizi'5, frz.; von lat. concludere, ab-
schlieBen), s. v. w. Schlufl, SchluBsatz, bildet im 18.
Jh. verschiedentlich als einzelner Orchestersatz den
AbschluB (WaltherL: Schlufimachung) einer Samm-
lung von Orchesterstiicken, wie u. a. in Telemanns Mu-
sique de table (1733). Fiir ein sehr kurzes abschlieBendes
Stuck gebrauchte J. J. Fux in seinem Concentus (1701)
schon die Bezeichnung Finale. Unter neueren Werken
findet man wieder mit C. iiberschrieben z. B. die letzte
Szene der Choephores (2. Teil der Orestie) in der Ver-
tonung von D.Milhaud (1919).
Concordant (kakard'a, frz.), in der franzosischen vo-
kalen Kirchenmusik des 17. Jh. im 5st. Satz die Stim-
me, die dem -*■ Quintus entspricht, f emer die der Quinte
(frz.) im 5st. Instrumentalsatz der Lully-Zeit entspre-
chende Lagenstimme zwischen ->■ Taille und Basse.
Dem C. als Stimmgattung entsprach zunachst die Bas-
se-taille, in der weltlichen Vokalmusik und der Oper
des 18. Jh. die Basse chantante und der ->• Bariton (- 2).
Concordantia (haufig auch, besonders im friihen
Mittelalter, Concordia, von lat. concordare, zusam-
menstimmen) ist in den musiktheoretischen Schriften
des Mittelalters neben Symphonia die gelaufigste Be-
zeichnung aller aus einfachen Zahlenverhaltnissen ge-
bildeten Intervalle, bezieht sich also in erster Linie auf
Oktave (Einklang), Quinte und Quarte. Da diese In-
tervalle zugleich in engstem Zusammenhang mit den
Anfangen der abendlandischen Mehrstimmigkeit ste-
hen (-*■ Organum), fehlt in den Definitional selten der
Hinweis auf ihren »siiBen Zusammenklang« (mixtura
suavis), welcher seit dem 13. Jh. zum eigentlichen Kri-
terium des C.-Charakters geworden war : C. dicitur esse,
quando duae voces iunguntur in eodem tempore, ita quod una
183
Conductus
potest compati cum alia secundum auditum (Johannes de
Garlandia, um 1240, CS I, 104b). Der Widerspruch
zwischen langst erfolgter empirisch-kompositorischer
Anerkennung und zunachst uniiberbriickbarer theore-
tischer Ablehnung der Terz als C. fiihrte im 13. Jh. zu
dem KompromiB der Aufspaltung in Concordantiae
perfectae (Einklang, Oktave), mediae (Quarte, Quin-
te) und imperfectae (beide Terzen). Zwar erwog zu
Beginn des 14. Jh. W. Odington eine Vereinfachung
der pythagoreischen Terzproportionen 64:81 und
27 : 32 auf 4 : 5 und 5 : 6 ( . . . quia vicinae sunt sesquiquar-
tae et sesquiquintae habitudinibus, CS 1, 199a), doch muB-
te auch er noch auf die horbare dulcedo der Terzen sich
berufen, da er ihnen die voile Legitimitat als Concor-
dantiae in numeris nicht zugestehen konnte. Auch das
Ausscheiden der Quarte aus der Reihe der Concor-
dantiae im 15. Jh. wurde asthetisch begriindet: als con-
centus discrepans sei sie gebildeten Ohren im Kontra-
punkt nicht ertraglich (Tinctoris, 1477, CS IV, 85a).
Nicht einheitlich ist in den Traktaten die Unterschei-
dung zwischen C. und Consonantia; gelegentlich
werden beide Termini iiberhaupt synonym gebraucht
(Tinctoris nennt in gleicher Bedeutung u. a. noch con-
crepantia, euphonia, simphonia, CS IV, 78a; W.
Odington auch armonia, CS I, 193b). Ist jedoch eine
Unterscheidung getroffen, so umfaBt Consonantia in
der Regel die Gesamtheit der diatonischen Intervalle,
also Concordantiae und -*■ Discordantiae zusammen.
Auch wird die Bedeutung von C. infolge ihrer Rolle
in der Mehrstimmigkeit haufig auf simultanes Erklin-
gen der Intervalltone eingegrenzt, wahrend Conso-
nantia eher in der Bedeutung der Tonfortschreitung
erscheint; doch findet sich, wie bei J. de Grocheo (um
1300), auch der gegenteilige Sprachgebrauch.
Lit.: J. Handschin, The Summer Canon and Its Back-
ground, MD HI, 1949 u. V, 1951 ; R. L. Crocker, Discant,
Counterpoint, and Harmony, JAMS XV, 1 962. FrR
Conductus (lat. ; frz. conduit), lateinisches Lied des
Mittelalters mit »rhythmischem«, zumeist strophi-
schem Text. Der 1st. C. ist urspriinglich wohl ein li-
turgischer Gesang, in seiner Bliitezeit im friihen 13. Jh.
jedoch kaum noch an die Liturgie gebunden, sondern
mehr im auBerkirchlichen Leben der Geistlichkeit be-
heimatet, z. B. an hohen Schulen und im Bereich staat-
licher Representation. Seine Inhalte reichen vom noch
liturgienahen Festhed iiber allgemein geistliche, mo-
ralisierende oder Mifistande riigende Gesange bis zu
Gelegenheitswerken, die etwa Inthronisation oder Tod
von geistlichen und weltlichen Fiirsten oder politische
Ereignisse zum AnlaB haben und darin den »Staatsmo-
tetten« verwandt sind. Der Grundton des C. ist daher
(von parodistischen Ausnahmen abgesehen) festlich-
gehoben und mannlich-ernst. Das Wort C. ist seit dem
12. Jh. (Codex Calixtinus) im musikalischen Bereich
nachweisbar, zuerst bei Stiicken, die liturgischen Le-
sungen vorausgehen. Da diese offenbar fur den Zug
des zum Lesepult schreitenden Geistlichen bestimmt
waren, wird der Name als »Geleit-Gesang« gedeutet
- auBerliturgische Bestatigung bieten ebenso benannte
Stiicke im Danielspiel von Beauvais (friihes 13. Jh.),
wo sie als Auftrittslieder handelnder Personen dienen.
Nahe verwandt dem Lektions-C. sind Benedicamus-
Einleitungen, in Handschriften oft mit jenen ver-
mischt, stilistisch von ihnen kaum zu trennen. In den
Notre-Dame-Handschriften hat sich, nach den Inhal-
ten der C.-Faszikel zu urteilen, der Begriffsumfang er-
weitert; er umfaBt nun fast alle gebundenen Texte
aufier Motette und Rondellus, also auchjene, die friiher
etwa als Versus, Planctus oder (auBerliturgischer) Hym-
nus bezeichnet wurden. - Die Hauptquelle des C. bil-
den die um St. Martial in Limoges und Notre-Dame zu
Paris gruppierten Handschriften, womit zugleich die
Hauptepochen und Hauptraume seiner Pflege ange-
deutet sind. Schon in der St.-Martial-Epoche wurde der
C. auch mehrstimmig komponiert, ohne daB dies die
Pflege des 1st. C. beeintrachtigt hatte. Die mittelalter-
liche Musiklehre hat nur den mehrstimmigen C. im
Auge und ist um seine Abgrenzung von Organum,
Clausula und Motette hinsichtlich Satztechnik, Text
und C. f . bemiiht, nicht jedoch um inhaldiche und
funktionelle Bestimmung (ausgenommen Joh. de
Grocheo, der Namen und Begriff an »Gastmahl« an-
kniipft). Den mehrstimmigen (2-, 3-, selten 4st.) C.
der Notre-Dame-Epoche kennzeichnen die folgenden
Gattungsmerkmale: gleichzeitige Silbenaussprache in
alien Stimmen; eine in der Regel nicht praexistente,
sondern ad hoc erfundene Grundstimme, die gestalt-
hch vom Text ausgeht, mit ihm der Tendenz zu sym-
metrischer Periodik folgt und diese dem ganzen Satz
aufpragt. Speziellere Kennzeichen ghedern den Be-
stand in mehrere Stilgruppen; teils werden die Text-
strophen nach derselben Musik gesungen, teils sind
sie durchkomponiert (wobei gelegenthch die Stim-
menzahl von Strophe zu Strophe wechselt) oder nach
Sequenzart paarweise gekoppelt. Die Vertonung
kann einerseits streng syllabisch oder von Tongrup-
pen durchsetzt sein, ohne daB (zum Unterschied vom
Organumstil mancher St.-Martial-C.) der syllabische
Grundrhythmus beeintrachtigt ware; andererseits
gibt es viele Werke festhcherer Haltung, in denen me-
Usmatische Teile (sine littera) mit syfiabischen (cum
littera) abwechseln, wobei die Mehsmen die tektoni-
sche Aufgabe haben, Anfang und SchluB der Kompo-
sition bzw. Strophen- und Zeilenzasuren zu unter-
streichen; seltener sind sie tonsymbolisch bedingt. Die-
se melismatischen Partien, die unter Umstanden auch
instrumentale Deutung zulassen, erinnern an die von
den Melismen des liturgischen C. f. getragenen dis-
kantierenden Teile im Organum; neuerdings sind so-
gar Falle direkter Beziehungen zwischen C.-Melismen
und Organumklauseln festgestellt worden (Bukofzer).
Mit dem Vordringen der Motette, die in mancher Hin-
sicht das Erbe des C. antrat, verlor letzterer an Lebens-
kraft; seine Nachfahren nach 1300 finden sich im Be-
reich der lateinischen Cantio und verwandter volks-
sprachlicher Gesange (u. a. im Carol). - Weiterer Kla-
rung bediirfen u. a. die folgenden Problemgruppen:
1) Begriff und Bezeichnung; 2) die Querverbindungen
des C. zu Organum und Klausel (vgl. Bukofzer), zum
volkssprachlichen Lied (vgl. Spanke, Gennrich) und
zum gregorianischen Choral; 3) die Rhythmik der
syllabischen Partien - einen methodischen Ansatzpunkt
konnte hier die Tatsache bilden, daB oft genug syllabi-
sche Stellen als Melismen wiederkehren und deren
rhythmische Ubereinstimmung als gewiB (Husmann)
oder doch als moglich (Handschin) vorausgesetzt wird.
Endlich harrt der GroBteil des C.-Bestandes noch der
ErschlieBung durch eine wissenschafthche Edition.
Ausg.: a) nur Text: G. M. Dreves, Lieder u. Motetten d.
MA, Analecta hymnica medii aevi XX, XXI, 1895; H.
Spanke, St. Martial-Studien, Zs. f . frz. Sprache u. Lit. LIV,
1931 u. LVI, 1933 ; ders., Die Londoner St. Martial-C.-Hs.
(= Brit. Mus. Add. 36881), Butlleti de la Bibl. deCatalunya
VIII, 1928-32, erschienen 1935. - b) Text u. Musik: H.
Villetard, Office de Pierre de Corbeil, = Bibl. musicolo-
gique IV, 1907; P. Wagner, Die Gesange d. Jakobslitur-
gie zu Santiago de Compostela, Collectanea Friburgensia
XXIX (= N. F. XX), 1931 ; El codex mus. de Las Huelgas,
3 Bde, hrsg. v. H. Angles, = Bibl. de Catalunya, Publi-
cations del Departament de musica VI, Barcelona 1931 ;
ders., La musica del ms. de Londres . . . Brit. Mus. Add.
36881, Butlleti de la Bibl. de Catalunya VIII, 1928-32, er-
schienen 1935; Liber S. Jacobi, Codex Calixtinus, hrsg. v.
184
Cohnsonata-Orgel
W. M. Whitehill, G. Prado OSB u. J. Carro GarcIa,
3 Bde, Santiago de Compostela 1944.
Lit. : J. Handschin, Notizen iiber d. Notre-Dame-C, Kgr.-
Ber. Lpz. 1925; ders., C, in: MGG II, 1952; ders., Zur
Frage d. C.-Rhythmik, AMI XXIV, 1952; ders., C-
Spicilegien, AfMw IX, 1952; H. Spanke, Das oftere Auf-
treten v. Strophenformen u. Melodien in d. alt-frz. Ly-
rik, Zs. f. frz. Sprache u. Lit. LI, 1928; ders., Beziehun-
gen zwischen romanischer u. mittellat. Lyrik, Abh. d.
Ges. d. Wiss. zu Gottingen, Phil.-hist. Klasse, 3. Folge
XVIII, 1936; Fr. Gennrich, Internationale ma. Melo-
dien, ZfMw XI, 1929; ders., Lat. Liedkontrafaktur. Ei-
ne Auswahl lat. C. mit ihren volkssprachlichen Vorbil-
dern, =Mw. Studien-Bibl. XI, Darmstadt 1956; ders.,
Musica sine littera. Notenzeichen u. Rhythmik d. Grup-
pennotation, ebenda XIII/XV, 1956; E. Groninger, Re-
pertoire-Untersuchungen zum mehrst. Notre-Dame-C,
= Kolner Beitr. zur Musikforschung II, Regensburg 1939 ;
L. Ellinwood, The C, MQ XXVII, 1941 ; M. F. Bukof-
zer, Rhythm and Metre in the Notre Dame C., Bull, of the
American Musicological Soc. XI, 1946- XIII, 1948 ; ders.,
Interrelations Between C. and Clausula, Kgr.-Ber. Ut-
recht 1952, u. ausfuhrlicher in : Ann. mus. 1, 1953 ; A. Gee-
ring, Die Organa u. mehrst. C. in den Hss. d. deutschen
Sprachgebietes v. 13.-16. Jh., = Publikationen d. Schwei-
zerischen Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952); H.
Husmann, Zur Grundlegung d. Rhythmik d. mittellat.
Liedes, AfMw IX, 1952; ders., Das System d. modalen
Rhythmik, AfMw XI, 1954; L. Schrade, Political Com-
positions in French Music of the 12" and 13 th Cent. The
Coronation of French Kings, Ann. Mus. I, 1953; E.
Thurston, The C. Compositions in Ms. Wolfenbuttel
1206, 2 Bde, Diss. NY 1954, maschr. ; G. Reaney, A Note
on C. Rhythm, Kgr.-Ber. Koln 1958; J. E. Knapp, The
Polyphonic C. in the Notre Dame Epoch: A Study of the
Sixth and Seventh Fascicules of the MS Florence Bibl.
Laurenziana Pluteus 29, 1, 4 Bde, Diss. Yale Univ. 1961,
maschr.; Fr. Ll. Harrison, Benedicamus, C, Carol: A
Newly-Discovered Source, AMI XXXVII, 1965. GR
Confinalis (lat.), auch affinalis, der Neben-SchluBton
bzw. -klang in der Lehre von den -> Kirchentonen
bzw. in der -*■ Klausel-Lehre.
Confractorium (lat.) -> Ambrosianischer Ge-
sang.
Conga (span.-amerikanisches Dialektwort fur Kreis),
ein aus Kuba stammender volkstumlicher Tanz in be-
wegtem bis raschem Tempo, im 2/4-, 4/4- oder 2/2-
Takt. Sein Name kommt von der C.-Trommel. Die
C. wird auch als eine Abart der Rumba verstanden.
Nach 1930 wurde sie in Europa bekannt.
Congatrommel, einfach auch Conga (auch Tambo-
ra, Tumba), einzelne Standtrommel von etwa 70 cm
Hohe und 30 cm , die besonders in den Tanzen ku-
banischer Herkunf t Verwendung findet (-»■ Afro-Cu-
ban Jazz.) Sie ist entweder faBformig oder konisch
(nach unten schmal zulaufend) und hat nur ein Schlag-
fell mit Schraubenspannung (unten offen). Sie wird,
zumeist sitzend, zwischen die Knie (in leichter Schrag-
haltung oder gerade hingestellt) eingeklemmt und mit
der ganzen Flache der ausgestreckten Finger beider
Hande gespielt. Durch Fell- und Randschlage werden
zwei verschiedene dumpfe Klangfarben erzeugt. Ver-
einzelt verwendet man einen Doppel- oder Tripelsatz
von C.n. Auf der C. wird nur eine beschrankte Anzahl
von Rhythmen ausgefiihrt.
Congeries (lat., Zusammenhaufung), eine in der Kom-
positionslehre des 17. Jh. im AnschluB an die Rhetorik
erklarte musikalische Figur. In der Rhetorik ist die C.
nach Quintilian (VIII, 4, 26) eine Haufung verborum ac
sententiarum idem significantium; musikalisch bezeichnet
C. eine Anhaufung vollkommener und unvoljkom-
mener Konsonanzen in gleichgerichteter Bewegung.
Burmeister (1606) defmiert die C, die er auch Syn-
atrismos (Synathroismos) nennt, als coacervatio specierum
concordantium tarn Perfectarum, quam Imperfectarum, qua-
rum par motus est concessus (off enbar im AnschluB an die
Erotemata von L.Lossius 1562: C. est quando plures spe-
cies coacervantur) ; er beschreibt sie als stuf enweises Fort-
schreiten der Stimmen in mehrfachem Wechsel von
Dreiklang und Sextakkord(en) auf- und abwarts und
nennt folgendes Beispiel aus der 6st. Motette Tempus
est von Lassus (GA XIII, S. 30) :
as-sump
f u - e ■
Coniunctura (auch Iunctura, lat., Verbindung), in
der Modal- und friihen Mensurallehre meist synonym
gebraucht mit -> Ligatura (z. B. Lambertus: ligatura
seu c, CS I, 274a und passim). Der heutige musikwis-
senschaftliche Sprachgebrauch grenzt die Bedeutung
von C. auf eine Notengruppe ein, die, aus dem Cli-
macus der Neumenschrift hervorgegangen, sich aus
einer meist caudierten Einzelnote und einer Folge von
zwei oder mehr (in der Regel absteigenden) rautenf 6r-
migen Noten, den -*■ Currentes, zusammensetzt, z. B. :
n, . Der rhythmische Wert der C. ist nicht eindeutig
festgelegt. In der Notre-Dame-Zeit ist die Dreier-C.
meist wie eine Ligatura ternaria zu lesen; bei groBeren
Coniuncturae gelten in der Regel die erste bis dritt-
letzte Note zusammen eine Longa, die vorletzte und
letzte Brevis und Longa. In der 2. Halfte des 13. Jh.
geht die Bestimmung allmahhch nicht mehr von der
ganzen C, sondern von der Form der einzelnen No-
ten aus, die nun als Longa und Semibreves gedeutet
werden; dementsprechend ist z. B. in Fauv (-> Quel-
len) m, als Longa imperfecta und 2 Semibreves, aber
■ 4 als Brevis und 2 Semibreves zu iibertragen. Die
Verbindung einer Ligatur mit einer C. bzw. mit Cur-
rentes wird heute haufig als Apposition bezeichnet;
Franco spricht in solchen Fallen von coniuncturae sim-
plicium et ligatarum (CS I, 126a).
Connsonata-Orgel, ein -> Elektrophon der C.G.
Conn Ltd. in Elkhart (Ind.). Sie erzeugt, ahnlich wie
viele Konkurrenztypen, jede benotigte Frequenz in
einem eigenen Generator, der aus einer Elektronen-
rohre in Ruckkoppelungsschaltung besteht. Damit
konnen sowohl Sinusschwingungen als auch (ober-
schwingungsreiche) Kippschwingungen erzeugt wer-
den, die sich auch mischen lassen. Die 167 Generatoren
sind auf 1 Cent genau abgestimmt und haben eine hohe
Stimmungskonstanz. 32 Generatoren gehoren zum
Pedal, 61 zum Hauptwerk und 73 zum Schwellwerk.
Die Disposition ist ahnlich der einer kleinen Pfeifen-
orgel. Ein Wobbelgenerator dient als Tremulant fur
alle Register. Die elektrische Lautstarkeregelung er-
folgt durch zwei Pedale, die auf die verschiedenen
Werke aufgeteilt sind. Dadurch lassen sich Register-
mischungen vornehmen, ohne daB sich die Lautstarke
andert. Jeder Generator besitzt eine Justiermoglich-
keit, um die Einschwingzeit zu andern. - Die Baldwin-
Orgel benutzt im Gegensatz zur C.-O. einen Satz von
nur 12 Generatoren fur die hochste Oktave. Die
Schwingungen f iir die iibrigen Oktaven werden durch
Frequenzteilung gewonnen.
185
Conseguente
Lit.: A. Douglas, The Electronic Mus. Instr. Manual,
London 1949, 31957; W. Meyer-Eppler, Elektrische
Klangerzeugung, Bonn (1949).
Conseguente (ital.), die »nachfolgende« (imitierende)
Stimme im Kanon sowie, gleichbedeutend mit -> Co-
mes, das Thema einer Fuge in der Gestalt seiner ->■ Be-
antwortung. Die Bezeichnung C. ist, ebenso wie die
des Gegensatzes -»■ Guida, seit Zarlino (Istitutioni har-
moniche, 1558) gebrauchlich.
Consonantia (lat.) -»• Konsonanz, ->■ Concor-
dantia.
Consort (k'anso : t, engl., wahrscheinlich von lat. con-
sortium, Gemeinschaft), ist die Bezeichnung fur die
aus 4-6 Mitwirkenden bestehenden instrumentalen
Ensembles zur Bliitezeit der englischen Kammermusik
im ausgehenden 16. und im 17. Jh. (-> Fancy), dem
musikalischen Kranzlein oder Collegium musicum in
Deutschland vergleichbar; dariiber hinaus bedeutet C.
die ausdriicklich fiir diese Ensembles bestimmte Mu-
sik. Je nach der Besetzung werden unterschieden : who-
le c. (fiir Instrumente der gleichen Familie, z. B. Vio-
len-C.) und broken c. (fiir Instrumente verschiedener
Familien, z. B. Streicher und Blaser, auch mit Sing-
stimme). Doch gehort es auch beim broken c. zur Ei-
gentumlichkeit der Besetzung und Ausfuhrung, daB
die Instrumente gar still j sanfft vnd lieblkh accordiren,
vnd in anmutiger Symphonia mit einander zusammen stim-
men (Praetorius Synt. Ill, S. 5). Durch das Vordringen
des offentlichen Musiklebens gegen Ende des 17. Jh.
muBte die C.-Musik dem kraftigeren, von Frankreich
eingefiihrten Lullyschen Orchesterstil weichen: the
Fashion has Cry'd These Things Down (Th. Mace, Mu-
stek's Monument, 1676). Sammlungen mit C.-Musik
wurden bekannt als C. Lessons (s. v. w. Ensemble-
iibungen, Th.Morley 1599, Ph.Rosseter 1609), The
Royal C.s of Viols (W.Lawes), Taffel C. (Th. Simpson
1621).
Ausg.: Th. Morley, The First Book of C. Lessons (1599),
hrsg. v. S. Beck, NY 1959; Jacobean C. Music, Mus. Brit.
IX, 1957; Music of Scotland, Mus. Brit. XV, 1959; Music
at the Court of Henry VIII, = Mus. Brit. XVIII, London
1961.
Lit.: E. H. Meyer, Engl. Chamber Music, London 1946,
2 1951, deutsch als: Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz.
1958 ; Th. Dart, Morley's Lessons of 1599, Proc. R. Mus.
Ass. LXXIV, 1947.
contano (ital., Abk. : cont., sie zahlen, namlich die
Pausentakte), Hinweis in Partituren zu Anfang oder
inmitten eines Satzes, der besagt, dafi die betreffenden
Instrumente erst spater (wieder) eintreten und vor-
iibergehend nicht notiert werden. -*■ tacet.
Continuo (ital.), Abk.: Cont., Bezeichnungsfragment
von -> Basso c.
Contrainte (k5tr'e:t, frz.) ->• Ostinato.
Contralto (ital., auch frz. und engl.) - 1) -»■ Alt;
- 2) ein von J.-B.Vuillaume (Paris 1855) konstruiertes
Streichinstrument, das aus der Bratsche entwickelt
wurde, sich von dieser jedoch durch einen volleren
Klang unterscheidet. Die Lange stimmt mit derjenigen
der Bratsche iiberein, jedoch sind die Biigel stark ver-
breitert und die Zargenhohe vergrbBert. Der C. setzte
sich nicht durch.
Lit. : H. Besseler, Zum Problem d. Tenorgeige, = Mus.
Gegenwartsfragen I, Heidelberg 1949.
Contrapas (katalanisch, Gegenschritt), alter katala-
nischer Volkstanz in schnellem Tempo, dessen Text
die Passion Christi beschreibt und kommentiert; die
charakteristischen Arten dieses in Spriingen ausgefiihr-
ten Kreistanzes sind largo, corto, cerda, porsigola. Auf
die Melodie des C. wird auch der -*■ Aurresku getanzt.
Lit.: A. Capmany, El C, Slg »Minerva« XXXVIII, 1922;
Fr. Pujol, L'oeuvre du chansonnier populaire de la Cata-
logne, Kgr.-Ber. Wien 1927; M. Querol Gavalda, La
miisica en las obras de Cervantes, Barcelona 1948.
Contrapunctus (lat.) ->■ Kontrapunkt.
Contratenor (lat., auch Contra; span, auch contra-
baca), Gegenstimme zum Tenor; die Bezeichnung be-
zieht sich auf die Lage dieser Stimme im Raum des Te-
nors, nicht aber auf eine menschliche Stimmgattung
(ausgenommen ->■ Countertenor). Im -»■ Kantilenen-
satz des Kontinents im 14. und 15. Jh. ist der C. zum
2st. Geriistsatz aus Tenor und Diskant hinzugefiigt,
wobei er als reine Instrumentalstimme und zufolge sei-
ner Abhangigkeit von den beiden Geriiststimmen auch
in Spriingen sich bewegt und den Tenor oft kreuzt. In
Anlehnung an den motettischen C. und wohl unter
englischem EinfluB wurde der C. des Kantilenensatzes
gegen Mitte des 15. Jh. mehr und mehr zum vokalen
C. bassus, dem spateren BaB, so daB ihm zwischen Te-
nor und Cantus ein C. altus, der spatere Alt, gegen-
ubergestellt werden konnte, womit der Satz vierstim-
mig wurde. - Der auf dem Kontinent von der Ars no-
va bis zum beginnenden 15. Jh. in 4st. Motetten und
motettischen Messesatzen vorliegende, ebenf alls instru-
mentale C. war von vornherein mehr linearer Struktur
und bildete schon fast immer, wo er sich unter dem
Tenor befand, zusammen mit diesem einen kombi-
nierten Klangtrager, d. h. den Aufbau der Klange be-
stimmt jeweils die Stimme, die den tiefsten Ton hat.
Diese von Tenor und C. abwechselnd gebildeten tief-
sten Tone wurden manchmal als besondere Stimme
(Solus Tenor) notiert, so daB der 4st. Satz auch drei-
stimmig erklingen konnte. Der motettische C. ent-
stammt offenbar dem textlosen Secundus Tenor, den
die Englander bereits seit Ende des 13. Jh. statt eines
hoher gelegenen Quadruplum dem Tenor in dessen
Raum gegeniiberstellten. Mitte des 15. Jh. wurde auch
der motettische C. vokalisiert, so daB beide Arten von
C. sich weitgehend ahnlich wurden.
Lit.: J. Tinctoris, Terminorum Musicae Diffinitorium,
hrsg. v. A. Machabey, Paris (1951); Riemann MTh; A.
Schering, Studien zur Mg. d. Fruhrenaissance, = Studien
zur Mg. II, Lpz. 1914; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbour-
don, Lpz. 1950; E. Apfel, Der klangliche Satz u. d. freie
Diskantsatz im 15. Jh., AfMwXII, 1955; ders., Die klang-
liche Struktur d. spatma. Musik als Grundlage d. Dur-
Moll-Tonalitat, Mf XV, 1 962.
Contrattempo (ital, »Gegenzeit«; frz. contretemps;
engl. syncopation) bezeichnet die Betonung auf
schlechtem Taktteil, die in alterer Musik meist mit
-> Synkope verbunden ist.
Contredanse (k5tr3d'a:s, frz.) ist der etwa 1685 in
den Niederlanden und in Frankreich ubernommene
->• Country dance, der im 18. Jh. behebt wurde. Er
wurde am Hofe wie auch in der biirgerlichen Gesell-
schaft gepflegt. Vornehmlich 5 Tanze wurden im
AnschluB an den Country dance auf dem Kontinent
entwickelt: die ->• Quadrille, der -> Cotillon, die
->■ Anglaise, die franzosische C. und in Deutschland
der Contretanz (Kontertanz, Kontratanz). 1706 gab
Feuillet eine Sammlung von C.s heraus mit 32 Long-
ways, und etwa 1735 veroffentlichte Chedeville l'aine
seine Sammlung C.s ajustees pour les musettes et les vieles;
weitere C.-Sammlungen folgten. Im spaten 18. Jh.
nannte man in Frankreich den Tanz in der Doppel-
reihe fiir eine groBere Teilnehmerzahl nach englischem
Vorbild Anglaise (Colonnes anglaises, Chavanne 1767)
und die Carree-C. fiir 4 Paare, analog den englischen
186
Squares, Quadrille (C.sfrancaises en quadrille, Chavanne
1767). Grofie Bedeutung errang die C. auf der fran-
zosischen Biihne von 1710 (zuerst durch Campra) bis
etwa 1760; vornehmlich Rameau verwendete C.s
haufig. Um 1750 wurde die C. auch mit einer Reihe
anderer, ebenfalls geradtaktiger Tanze (Tambourin,
Gavotte) vermischt. Haydn, Mozart und Beethoven
schrieben Contretanze in grofier Zahl. Mozart berich-
tet 1787 aus Prag von einem Ballabend, wo auf die
Musick meines figaro, in lauter Contretanze und teutsche
verwandelt, getanzt worden sei (vgl. hierzu K.-V. 609,
Nr 1). Im 18. Jh. entstanden textierte C.s, die sich
groCer Popularity erfreuten. Neben dem Menuett er-
hielten sich der Contretanz und der ->■ Deutsche Tanz,
bis der Walzer sie verdrangte.
Ausg. u. Lit. : R. A. Feuiixet, Recueil de c. mises en cho-
regraphie, Paris 1706; G.Taubert, Rechtschaffener Tan tz-
meister ..., Lpz. 1717; G. Dufort, Trattato del ballo
nobile, Neapel 1728 ; E.-Ph. Chedeville l'a1n£, Recueil de
c, Paris 1735; J.Leclerc, Premier recueil de c. . . ..Paris
1736, II 1737, III 1738; De La Cuisse, Le repertoire des
bals ou theorie pratique des c.s, Paris 1762; G. Cucuel,
La Poupliniere et la musique de chambre au XVIIP s., Pa-
ris 1913; R. Lach, Zur Gesch. d. Gesellschaftstanzes im
18. Jh., = Museion, Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz. 1920; P.
Coirault, Notre chanson folklorique, Paris 1942; ders.,
Les chanteurs chansonniers des rues de Paris au XVIII e s.,
Bull, folklorique de l'lle de France, Paris 1949; Cl. Mar-
cel-Dubois u. R. Lecott£, Chants de compagnonnage,
Paris 1951 (Musses Nationaux) ; J. Beythien, Der EinfluB
d. Kontertanzes auf d. Orchestermusik d. deutschen Friih-
klassik, Diss. Jena 1957, maschr.; H. Besseler, Einfliisse
d. Contratanzmusik auf J. Haydn, Kgr.-Ber. Budapest
1959; J.-M. Guilcher, La c. frc., ses origines, son evo-
lution, Diss. Paris 1963.
Cool Jazz (ku:l d3aez, engl., kiihler J.), Bezeichnung
fiir die aus dem -> Be-bop entstandene, in den 1950er
Jahren herrschende Jazzspielweise. Das den Gegensatz
zum friiheren -> Hot kennzeichnende Adjektiv cool
bezog sich urspriinglich auf Intonationstechnik und
Artikulation: an SteUe der als zu ausdrucksbetont emp-
fundenen ->• Hot-Intonation tritt im C. J. ein undy-
namisches Legatospiel, das auf Vibratos sowie auf alle
friiheren dynamischen Jazzeffekte verzichtet (relaxa-
tion) und einen ruhigen, in sich geschlossenen Cha-
rakter hat. Konsequent bildete sich daraus eine neue,
speziell dem Jazz gemafie musikalische Phrasierung
der einzelnen, jetzt kontrapunktisch zueinander kon-
zipierten Linien, was im Extrem ein auf das Vorbild
J.S.Bach hin orientiertes polyphones Musizieren er-
brachte (Tristano, John Lewis). Die friihere -» Off-
beat-Technik verwandelt sich im C. J. in einen die
Akzente leicht verzogernden, ausgeglichenen rhyth-
mischen Vortrag, der bis zum volligen Verlust des
-»■ Swing fiihren kann. Die Harmonik des C. J. zeigt
haufig polytonale und atonale Bildungen. Neben den
f iihrenden farbigen Musikern des C. J. : Lester Young,
John Lewis, Miles Davis, stehen die Weifien: Lennie
Tristano, Lee Konitz, Stan Getz, Gerry Mulligan. Der
C. J. ist seiner Art gemafi vorwiegend ein Musizieren
in kleineren Gruppen, wurde jedoch mit Hilfe moder-
ner Arrangiertechnik auch auf die Big bands iibertra-
gen. Die seit dem C. J. durch die Annaherung an die
moderne Musik immer starker hervortretenden Ex-
perimenteimharmonischen,kontrapunktischen,klang-
lichen (-*■ Sound) und sogar formalen Bereich haben
zu einer Intellektualisierung des modernen Jazz gef iihrt.
cop?rto (ital.), bedeckt; timpano c. fordert die Damp-
fung der Pauke durch ein Tuch oder ein Stuck Filz. R.
Wagner komponierte einen Trauermarsch fiir 75 Bla-
ser und 20 gedeckte Trommeln.
Copla (span.) -*■ Couplet.
Copyright
Copula (lat., Verbindung), bezeichnet im 12. Jh.
mehrstimmige SchluBbildungen, im 13. Jh. Auszie-
rungen von Schliissen und Verbindungsstticke zwi-
schen Discantus- und Organumpartien. - Der Mailan-
der Traktat Ad organum faciendum (um 1100) nennt C.
oder Copulatio generell die Verbindung von zwei
Stimmen zu einem konsonanten Zusammenklang,
speziell den Schluffklang und den Obergang zu ihm.
Im Organum traktat von Montpellier ist dann C. fe-
ster Terminus fiir die Klangfolge von der Paenultima
zur Ultima (-> Klausel). -Johannes de Garlandia (Mit-
te des 13. Jh.) spricht einerseits von der C. als einer Spe-
zies des -*■ Organum und faBt andererseits unter der
Bezeichnung C. mehrere Arten der Ausschmiickung
(color) eines Discantus zusammen (CS I, 114fL): den
Hoquetus, die Unterteilung der Zeitwerte eines rhyth-
mischen Modus und ein Verfahren, das einem einzel-
nen Tenorton eine langere Reihe von Tonen der Ober-
stimme entgegensetzt. Mit dem Organum speciale hat
eine C. der dritten Art den Halteton des Tenors ge-
meinsam, mit dem Discantus, daG sie in einem regula-
ren rhythmischen Modus vorgetragen wird (profertur
recto modo). Wegen ihres stilistisch vermittelnden Cha-
rakters wurde die C. als Verbindungsstuck zwischen
Discantus- und Organum speciale-Partien verwendet
(est inter discantum et organum). UngewiB ist, ob sich
der Name C. auf die Stellung als Verbindungsstuck
oder auf den Sachverhalt bezieht, daB der SchluB einer
Discantuspartie - also die C. im alteren Wortsinne -
durch ein Melisma iiber einem Halteton ausgeschmiickt
wurde. - Franco definiert die C. als schnellen ->- Dis-
cantus (velox discantus, CS I, 133a). Eine C. werde in
Breven und Longen notiert, und zwar die gebundene
C. (ligata) in Brevis-Longa-Ligaturen, die nicht gebun-
dene (non ligata) in Einzelbreven ; doch seien die Bre-
ven und Longen etwa im Zeitmafi von Semibreven
und Breven vorzutragen. - Im 14. Jh. wird der Aus-
druck C. in den Quatuor principalia (Pseudo-Tunstede)
auf die Verbindung kleinerer Zeitwerte zu einer Ein-
heit bezogen (CS III, 362a ; CS I V, 295b) und von Pseu-
do-Theodoricus de Campo der Ligatur gleichgesetzt
(CS III, 189a).
Lit. : J. Handschin, Zur Gesch. d. Lehre v. Organum, Zf Mw
VIII, 1925/26; ders., Der Organum-Traktat v. Montpel-
lier, in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930;
H. Schmidt, Die 3- u. 4st. Organa, Kassel 1933; W. G.
Waite, Discantus, C., Organum, JAMS V, 1952; Fr. Za-
miner, Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat.
3025), = Munchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; G.
Schmidt, Strukturprobleme d. Mehrstimmigkeit im Re-
pertoire v. St. Martial, Mf XV, 1962; C. Dahlhaus, Zur
Theorie d. Organums im 12. Jh., KmJb XLVIII, 1964; S.
Gullo, Das Tempo in d. Musik d. 13. u. 14. Jh., = Publi-
kationen d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 1 1 ,
Bern 1964. CD
Copyright (k'opijait, ursprunglicher Wortsinn: Ver-
vielfaltigungsrecht) ist die anglo-amerikanische Be-
zeichnung fiir Urheberrecht. Der voile C.-Schutz wird
in den USA zur Zeit noch durch die Erfullung be-
stimmter Formlichkeiten erlangt. Hierzu gehoren die
Anbringung des C.-Vermerks auf jedes gedruckte
Exemplar von Biichern und Noten (©, Name, Er-
scheinungsjahr), Anmeldung und Eintragung des mit
dem C.-Vermerk versehenen Werks in das C.-Re-
gister, das in der KongreBbibliothek in Washington
gef iihrt wird, sowie Hinterlegung zweier vollstandiger
Exemplare der erschienenen Ausgabe daselbst. Die
Schutzdauer fiir das C. betrigt zur Zeit 28 Jahre nach
Erscheinen eines Werkes; sie kann um weitere 28 Jahre
verlangertwerden. Grundlagedes USA-Urheberrechts
ist das Gesetz vom 4. 3. 1909. Durch das Inkrafttreten
des -> Welturheberrechtsabkommens vom 6. 9. 1952,
187
Cor
dem auch die USA beigetreten sind, sind Erleichterun-
gen fur die Anmeldung und Eintragung in das C.-Re-
gister eingetreten, nicht aber fur die Verlangerung der
Schutzdauer oder fiir die Rechtsverfolgung (Weltur-
heberrechtsabkommen). Ein vollig neues USA-C-
Gesetz (Urheberrechtsgesetz) ist in Vorbereitung. In
ihm ist u. a. eine Schutzfrist von 50 Jahren vorgeschla-
gen, die vom Tode des Urhebers an beginnt, und nicht
wie seither ab Erscheinen des Werkes.
Lit. : Howell's C. Law, Revised Ed., Washington 1962.
Cor (ka:r, frz., Horn); c. anglais -* Englisch Horn
(Altoboe); c. de basset -> Bassetthorn; c. de chasse,
-*■ Jagdhorn, -*■ Waldhorn; c. des Alpes ->■ Alphorn;
c. a pistons, Ventilhorn; c. simple, Naturhorn.
Corda (ital. ; frz. corde), Saite; una c. (auf einer Saite)
bedeutet in der Klaviermusik das Anwenden der Ver-
schiebung (-»■ Pedal); tutte le corde (alle Saiten), ohne
Verschiebung. In Beethovens Klaviersonate B dur op.
106, 3. Satz, findet sich die Anweisung poco a poco due
ed allSra tutte le corde (»allmahlich auf zwei und dann
auf alle Saiten iibergehend«, d. h. eine halbe Verschie-
bung allmahlich weglassen). Auf der Violine wird
durch sopra una c. das Spiel einer Phrase auf einer Saite
gefordert (auch z. B. durch 4me corde, auf der G-Saite).
C. vuota (corde a vide) bedeutet ->■ Leere Saite.
Cornamusa (ital.), Cornemuse (frz,, »Blashorn«),
seit dem 14. Jh. eine Bezeichnung fiir -> Sackpfeife.
Bei Praetorius ist C. daneben ein gedacktes zylindri-
sches Doppelrohrblattinstrument mitWindkapsel und
einkanaliger gerader Schallrohre mit seitlichen Schall-
lochern; der Klang ist dem der Krummhorner ahn-
lich, doch stillerllieblicher vndgar sanfft.
Lit. : Praetorius Synt. II ; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-
Instr. mitWindkapsel, AfMw VII, 1925.
Cornetto (ital.) ->- Zink.
Cornetton (frz. ton des cornets), auch Zinkenton,
war der Stimmton der Stadtpfeifer und Feldtrompeter.
Soweit Nachrichten vorliegen, war er immer der noch-
ste Stimmton (Praetorius 1619; Orgelschule Wegwei-
ser . . . ; Samber; Brief J. A. Silbermanns vom 20. 1.
1772, abgedruckt in: AfMf II, 1937, S. 453, und bei
Walter 1962). Die Blaser strebten einen hellen, ober-
tonigen, durchdringenden Klang auch durch hohe
Stimmung an. Zur Zeit des Praetorius lag der C. etwa
eine Quarte iiber dem heutigen Normalton, Ende des
18. Jh. nur einen Halbton iiber dem heutigen Standard
(Orgeln der Stumm). Der C. unterschied sich um ei-
nen halben oder ganzen Ton vom ortsublichen -> Chor-
ton, und zwar regelmaBig, denn die Stadtpfeifer wirk-
ten bei der Kirchenmusik mit. In belgischen, deutschen,
Ssterreichischen Militarkapellen hat sich der ein Halb-
ton hohere Stimmton teilweise bis ins 2. Drittel des 20.
Jh. behauptet, in Volksmusikkapellen des osterreichi-
schen Alpenraums bis heute.
Lit. : Praetorius Synt. II ; Orgelschule »Wegweiser«, Augs-
burg 1668; J. B. Samber, Manuductio ad organum u.
Continuatio, Salzburg 1704 u. 1707; Fr. Bosken, Die
Orgelbauer-Familie Stumm, = Mainzer Zs. LV, 1960; R.
Walter, Der Orgelbau f . d. Fiirstabtei St. Blasien 1 772/75,
in: Musicae sacrae ministerium, Fs. K. G. Fellerer, Koln
1962.
Corno (ital.; von lat. cornu, Horn; c. di bassetto
-*■ Bassetthorn ; c. inglese -*■ Englisch Horn ; c. da caccia,
-*■ Jagdhorn, -»■ Waldhorn). Das Ventilhorn hat die
Bezeichnungen c. ventile, c. a macchina, c. cromatico,
c. pistoni. In alterer Zeit ist c. als Bezeichnung ein
sehr vieldeutiger Begriff. J.S.Bachs Vorschrift C. be-
zieht sich auf den Zink (Cornetto); er verwendet
Tromba da tirarsi und C. da tirarsi synonym, z. B. in
188
seiner Kantate Schauet doch (BWV 46) verlangt er mit
der Vorschrift Tromba o c. da tirarsi die Tromba da
tirarsi, auf der auch die zwischen den Naturtonen lie-
genden Tone geblasen werden konnten (-»- Zugtrom-
pete).
Lit. : C. Sachs, Bachs »Tromba da tirarsi«, Bach-Jb. V,
1908, S. 141ff. ; Ch. S. Terry, Bach's Orch., London 1932,
21958 ; G. Karstadt, Die Besetzung d. »C.« bei J. S. Bach,
Mf IV, 1951.
Corn on, Corno torto (ital.), eine groCe Art des krum-
men (S-formigen) -» Zink; Praetorius (Synt. II, S. 36)
zufolge steht der C. ein Quint Tieffer j alfi ein reenter ge-
meiner Zinck und weil seine Resonantz gar vnlieblich und
hornhafftig j so halt ich mehr darvon j das man eine Posaun
an dessen stad gebrauche.
Cornophone (karnaf'on, frz.) -> »Wagner«-Tuba.
Cornu (lat., Horn) war bei den RSmern ein halbkreis-
formig gebogenes Horn aus Metall mit einer Quer-
stange, die beim Blasen iiber die Schulter gelegt wur-
de. Bei den Etruskern war es Kultinstrument, im ro-
mischen Heer Signalinstrument neben Bucina und
Tuba.
Lit. : E. Schenk, Die C.-Fragmente v. Virunum, Anzeiger
d. Osterreichischen Akad. d. Wiss., phil.-hist. Klasse
LXXXIII, 1946; G. Fleischhauer, Bucina u. C, Wiss.
Zs. d. M.-Luther-Univ. Halle- Wittenberg IX, 1960.
Cor omnitonique (ka:r amnitan'ik, frz., Horn fiir
alle Tonarten), ein ->• Waldhorn, das mit Zusatzbogen
(tons) fest verbunden ist, um das Spielen in mehreren
Tonarten zu ermbglichen. Fiir die Einschaltung der
einzelnen Zusatzbogen sahen die Erfinder (Dupont um
1815, Sax 1824) verschiedene Konstruktionen vor
(Lauf schienen, Drehvorrichtungen, spater auch Venti-
le). Das C. o. kam in Frankreich um die gleiche Zeit
auf, als in Deutschland die ersten Ventilhorner gebaut
wurden.
Lit. : R. M. Pegge, The French Horn, London (1960).
Corona (lat. und ital., Krone) ->• Fermate.
Coro spezzato (ital., geteilter Chor) nennt Zarlino
(1558) die in Venedig fur Vespern und hohe Feste zu
seiner Zeit bereits gebrauchliche Art der Psalmenver-
tonung (comporre alcuni Salmi in una maniera, che si Ma-
ma Choro spezzato), bei der das Gesamtkorpus der
Sanger geteilt wird in 2 oder 3 je mindest 4st. Chore,
die, voneinander entf ernt auf gestellt, miteinander ab-
wechseln und (besonders an Schliissen) sich vereinen.
Die wichtigste der von Zarlino fiir diese Kompositions-
art gebotenen Vorschriften besagt, dafi mit Riicksicht
auf die getrennte Auf stellung jeder Chor »konsonant«
(consonante) sein, d. h. einen vollstandigen Satz bilden
miisse. Diese fiir Begrifi und Prinzip mehrchoriger
Komposition elementare Regel wurde laut Zarlino
entdeckt (fu ritrouato) von A. Willaert, in dessen dop-
pelchorigen Salmi spezzati (1550) die -> Mehrchorig-
keit in Erfiillung jener Regel in der Tat erstmals aus-
gebildet ist.
Lit. : G. Zarlino, Istitutioni harmoniche III, 66, Venedig
1558, ubers. u. mit Kommentar hrsg. v. G. A. Marco, Chi-
cago 1956; WaltherL, Artikel Choro spezzato; H.
Zenck, A. Willaerts »Salmi spezzati« (1550), Mf II, 1949;
G. d'Alessi, Precursors of A. Willaert in the Practice of C.
Sp., JAMS V, 1952 ; D. Arnold, A. Gabrieli u. d. Entwick-
lung d. »cori-spezzati«-Technik, Mf XII, 1959 ; ders., The
Significance of »Corispezzati«, ML XL, 1959.
Corr^nte (ital.) ->■ Courante.
Corrjdo (span., s. v. w. abgefeimt), ein mexikani-
sches Volkslied erzahlenden Charakters, oft mit politi-
sierendem Text. Der C. wird meist zweistimmig in
Terzen zur Gitarre gesungen und steht im 6/8- bzw.
Courante
9/8-Takt; auffallend ist die weiche, »weibliche« Ka-
denzierung der Lieder. Im Volke ist der C. weit ver-
breitet; seiner Herkunft nach geht er auf die spanische
Romanze zuriick.
Lit.: R. M. Campos, El folklore y la miisica mexicana,
Mexiko 1928 ; V. T. Mendoza, El romance espanol y el c.
mexicano, Mexiko 1939; E. M. SAnchez, Romances y c.
nicaraguenses, Mexiko 1946.
Costa Rica.
Lit. : A. Prado Ausada, Apuntes sintdticos sobre la hist,
y produccion mus. de C. R., San Jos6 1943; L. F. Gon-
zalez, Himno nacional de C. R., ebenda 1952; J. R. Ara-
ja Rojas, Vida mus. de C. R., ebenda 1957.
Cotillon (katij'5, frz., Unterrock), ein zu Anfang des
18. Jh. in Frankreich entstandener Gesellschaftstanz,
eine Ubernahme des englischen Round (-> Country
dance) und als solche auch -*■ Contredanse francaise
genannt. Er ist in Frankreich seit 1723 (J. Bonnet) und
in Deutschland seit 1741 (Rost) bekannt, wahrend er
nach England mit seinem franzosischen Namen erst
1770 gelangte. 1769 erschien in Halle eine Sammlung ei-
ner neuen Art gedruckter Contratdnze oder C.s. Der C. ist
zweiteilig; je 4 Paare nehmen an ihm teil in uberkreuz-
ter Aufstellung und BegriiBung im Rundgang (Entree)
und im Ausfiihren ihrer »Tour« (Refrain). Zu Beginn
des 19. Jh. wurde die Beschrankung auf 4 Paare aufge-
geben und der C. durchsetzt mit Walzern, anderen
Drehtanzen und allerlei scherzhaften Arrangements,
wobei Orden oder Schmuckstucke vergeben wurden.
Zur Zeit Napoleons III. gait der C. als starkster An-
ziehungspunkt der Pariser Privatballe, deren glanzen-
den Hohepunkt und zugleich AbschluB er bildete. Als
Musik zum C. wurden bekannte Tanze wie Polka,
Walzer, Galopp, Mazurka gespielt, die beim C. mit
zusatzlichen Touren versehen wurden. Die klassische
Beschreibung des C. zur Zeit Napoleons III. gab E.
Zola in La Curie.
Lit.: J. Bonnet, Hist. generate de la danse, Paris 1723;
Chr. G. Hansel, Allerneueste Anweisung zur AuBerli-
chen Moral . . ;, Lpz. 1755; G. Desrat, Le C. avec toiites
ses figures, Paris 1 855 ; F. Paul, Le C. et les quadrilles, Pa-
ris 1877; R. Lach, Zur Gesch. d. Gesellschaftstanzes im
18. Jh., = Museion, Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz. 1920.
Coul£ (frz.) -> Vorschlag von oben; -> Schleifer (auch
tierce coulee, coulement).
Countertenor (k'auntait'enaj, abgeleitet vonlat. con-
tratenor), auch Alto, englische Bezeichnung fur den
Manneraltisten (-»• Alt - 2), vor allem in der Kirchen-
musik des 16. und 17. Jh., der durch Falsettieren fast
die Hohe der weiblichen Altstimme erreicht. Der C,
dessen normale Stimmgattung Tenor oder BaB sein
kann, hat gewcihnlich einen Stimmumfang von c-c 2 ,
ein hoher C. : g-e 2 . Er wird noch heute in englischen
Kirchehchoren angetroffen. Auch beim Singen von
Glees und Catches wird der Manneraltist eingesetzt.
Neuerdings hat A. -»■ Deller als C. den Gesang des
Manneralts im Konzertsaal wiederbelebt.
Lit. : A. H. D. Prendergast, The Man's Alto in Engl. Mu-
sic, ZIMG II, 1900/01 ; W. J. Hough, The Hist. Signifi-
cance of the C. Voice, Proc. Mus. Ass. LXIX, 1937.
Country dance (k'Antii da : ns, engl., landlicher Tanz),
englischer Gesellschaftstanz, urspriinglich Volkstanz;
die Bezeichnung C. d. kommt bereits 1579 vor. Nach
der ersten umf angreichen Sammlung von J. Playf ord :
The English Dancing Master: OR, Plaine and easie Rules
for the Dancing ofC. D.s, with the Tune of each Dance,
1650 (von der 2. Auflage an: The Dancing Master . . .),
in der 900 C. d.s beschrieben sind, werden 2 Grund-
typen unterschieden: 1) Longways, bei denen 2 Reihen
gebildet werden, in denen die Partner einander ge-
geniiberstehen (Reihentanze) ; 2) Rounds, bei denen
die Teilnehmer einen Kreis bilden und die Partner
nebeneinanderstehen (Rundtanz). Daneben waren
auch Squares (Carreetanze) fiir wenige Personen (4
Paare) und Tanze fiir 2 Paare iiblich. Der Zweiertakt
iiberwiegt bei weitem. Die Melodien sind teilweise
alt; bereits in Elisabethanischer Zeit wurden C. d.-
Melodien von den englischen »Virginalisten« als Vor-
lagen fiir ihre Klaviermusik verwendet. Es scheinen
Liedmelodien gewesen zu sein; sie fanden auch im 18.
Jh. wieder Verwendung, so in der Ballad opera. Ei-
ne groBe Anzahl gedruckter C. d.-Sammlungen folgte
den 18 Auflagen des Dancing Master bis etwa 1825, wo-
bei im Biirgertum die Longways vorherrschend wur-
den. Im 19. Jh. verlor der C. d. mehr und mehr an Be-
deutung. In Schottland blieb er bis heute gebrauch-
lich, besonders gepflegt von der Scottish C. d. So-
ciety. In Frankreich wurde der C. d. als -> Contre-
danse im spaten 17. Jh. bekannt. In den Niederlanden
fand er am Ende des 17. Jh., in Deutschland im 18. Jh.
Verbreitung. Auch Nordamerika hat den C. d. iiber-
nommen. Im England des 20. Jh. kam im Zusammen-
hang mit der Volkstanzpflege der C. d. zu neuer Bliite,
ebenfalls in Deutschland durch R.Gardiner (Musik-
heim Frankfurt an der Oder) und G. Gotsch.
Ausg. : The Engl. Dancing Master, Faks. hrsg. v. M. Dean-
Smith, London 1957,dazuTh.Dartin: ML XXXIX, 1958.
Lit. : Th. Wilson, The Complete System of Engl. Country
Dancing, London o. J.; C. J. Sharp, The C. D. Book, 6
Bde, London 1909-22; The Scottish C. D. Soc, 13 Teile,
Edinburgh 1924-50; E. K. Wells, Playford Tunes and
Broadside Ballads, Journal of the Engl. Folk Dance and
Song Soc. Ill, 1936-39; M. Dean-Smith u. E. J. Nicol,
»The Dancing Master«, 1651-1728, ebenda IV, 1943-45;
H. Thurston, Bibliogr. of the C. D. Books, ebenda VII,
1952 ; M. Dean-Smith, Engl. Tunes Common to Playford's
»Dancing Master«, the Keyboard Books and Traditional
Songs and Dances, Proc. R. Mus. Ass. LXXIX, 1953.
Couplet (kupl's, frz., Vereinigung, von couple; lat.
copula; span, copla). Im Altfranzosischen wurde die
-»• Strophe eines Liedes oder Gedichtes mit cople, spa-
ter couple bezeichnet (im Altprovenzalischen entspre-
chend mit cobla). Das Wort C. ist seit dem 14. Jh. be-
legt, zunachst nur fiir das Reimpaar, dann auch fiir die
Strophe, so daB im Franzosischen die Strophe im all-
gemeinen sowohl c. als auch stance oder strophe ge-
nannt werden kann. In der neueren wissenschaftlichen
Literatur wird mit C. im besonderen eine assonierende
Folge von Versen beliebigen Umf angs bezeichnet, wie
sie fiir die fruhe Epoche der altfranzosischen Literatur
charakteristisch sind {-*■ Laisse), dann auch diejenigen
Verszeilen, die auf gleicher Melodie vorgetragen wur-
den (z. B. Refrain). Im 17. und 18. Jh. heiBen C. die
einzelnen Zwischensatze im instrumentalen Rondeau,
die den immer wiederkehrenden Hauptsatz (Rondeau)
ablosen. In Lullys Opern werden die Strophen der
Recks mit C. bezeichnet. Couplets (Plur., spater auch
Sing.) sind seit dem ausgehenden 18. Jh. Strophenlie-
der, meist heiteren Inhalts mit witziger Pointe im Re-
frain, die in den Vaudevilles, aber auch in der Opera-
comique und in der Operette als Gesangseinlagen be-
Mebt waren. Diese C.s wurden vom aufkommenden
Kabarett ubernommen und im 20. Jh. als freche kleine
Lieder zu einer obligaten Programmnummer. Den
Texten wurden dabei haufig altere - auch bekannte -
Melodien unterlegt.
Courante (kur'a:t, frz., »schneller Tanz«; ital. cor-
rente oder coranta; engl. corant, corranto), franzosi-
scher Tanz, nachweisbar seit Mitte des 16. Jh. Arbeau
(1588) beschreibt die C. »seiner Zeit« (ca. 1540) als ei-
nen Tanz en forme dejeu et de ballet. In Namensverbin-
189
Courante
dungen mit anderen Formen begegnet die C. im 16.
Jh. etwa als Bransles courans (Cl.Gervaise), spater als
Allemande c. (Phalese 1571). 1577 erscheint im Orgel-
tabulaturbuch von B.Schmid dem Alteren La corante
du roy (Merian, S. 112), das erste eindeutig als C. be-
zeichnete und datierbare Stiick. C.n aus der Zeit um
(oder kurz nach) 1600 finden sich unter denen des 1.
Bandes der Collection Philidor (1690, Paris, Bibl. Nat.,
Res. F. 494). Diesen friihen C.n sind allgemein ternarer
Rhythmus, 2teiliger Aufbau und bei den Teilschliissen
lang iiberhangende Endungen gemeinsam :
i J I J J I J- JO I J- I J
Arbeaus Beispiel (1588) im geraden Takt gab AnlaB
zu verschiedenen Deutungen, doch finden sich verein-
zelt auch fur andere Tanze, fur die der temare Takt
typisch ist, Belege mit binarem Rhythmus. Eine um-
fangreiche Sammlung franzosischer C.n bietet (neben
einem Bransle courant) die Terpsichore (1612) von M.
Praetorius, der zu den Melodien franzosischer Kom-
ponisten Satze schrieb und bemerkt, daB die C.n auff
einen gar geschwinden Tact mensuriret werden mussen.
Nach Mersenne (Harmonie universale, 1636) war die C.
zu seiner Zeit der in Frankreich gebrauchlichste Tanz;
dies bestatigen die musikalischen wie literarischen
Quellen. Das von J.Ecorcheville veroffentlichte Kasse-
ler Manuskript von 20 Orchestersuiten vorwiegend
franzosischer Musiker ist eine bedeutende Quelle fur
die Praxis der C. in der Mitte des 17. Jh. (wichtig auch
als Zeugnis fur den ununterbrochenen EinfluB der
franzosischen C. in Deutschland). Im Laufe des 17. Jh.
wandelte sich der heftige Charakter der C. zu hofisch
eleganter Pragung. Seine Bliitezeit hatte dieser Tanz
zwischen 1610 und 1660, blieb aber bis zum Ende des
Jahrhunderts im Repertoire der getanzten Stiicke, z. B.
der Ballettmusiken am Hofe Ludwig XIV., und hielt
sich als Gegenstand der Tanzlehre noch langer. - Ne-
ben der Orchestermusik ist es vor allem die Lauten-
und Klaviermusik (Gaultier, Chambonnieres, d'An-
glebert), die die C. pflegte. Im Laufe der 2. Halfte des
17. Jh. bildete sich die Spatform der franzosischen C.
aus, fiir die trotz der Unterscheidung in C. gaye und
C. grave etwa bei Lebegue (1677) maBiges Tempo die
Regel ist; dabei fiihrte die fiir Frankreich charakte-
ristische Freiziigigkeit des Rhythmus zu haufigem
Wechsel zwischen 3/2- und 6/4-Takt und dementspre-
chender Akzentverschiebung. Die Satzanlage steht
polyphoner Stimmfiihrung nahe; das Beispiel zeigt
den Anfang einer C. von Chambonnieres, Pieces de
Clavessin I, 1670 (nach der Ausgabe von P.Brunold
und A.Tessier, Paris 1925):
Der im Laufe des 17. Jh. sich vollziehende Stilisie-
rungsvorgang der C. fiihrt gleichzeitig zu einer deut-
lichen Differenzierung von zwei Uberlieferungsstran-
gen, die sich seit der Jahrhundertmitte in eigenwerti-
gen Formen gegeniiberstehen und allgemein als fran-
zosische C. und italienische Corrente unterschieden
werden; doch nicht immer decken sich die Bezeich-
nungen mit den zu charakterisierenden Typen. Die
Abhangigkeit Italiens von der franzosischen Praxis er-
weisen Bezeichnungen wie Correnti alia francese (M.
Pesenti 1630, spater auch M.Uccellini). Die Bevorzu-
gung schnellen Tempos in Italien bekunden die Cor-
renten der Sonate per camera op. 1 von Bassani (1677),
der Sonate da camera op. 2 (1685) und op. 4 (1696) und
der Concerti grossi op. 6 (1714) von Corelli im starken
Uberwiegen der Bezeichnungen Allegro und Vivace.
Gegeniiber dem unsteten Rhythmus der franzosischen
Form zeigt sich hier eine gleichmaBige, konstant ein-
gehaltene Bewegung im lebhaften 3/4- oder 3/8-Takt,
so in G. G. Bassanis Corrente aus op. 1 Nr 7, 1677 (nach
Wasielewski, S. 56) :
Allegro
m
r gfr . rrrrh
n r tir 1 J r
£
m
Wie die C. um 1600 in England Eingang fand (Fitz-
william Virginal Book), so weisen seit dieser Zeit auch
die Werke der deutschen Komponisten sie in schnell
zunehmendem MaBe auf. 1612 nimmt sie mit 162
Stiicken mehr als die Halfte der Terpsichore von Prae-
torius ein, kommt aber schon 1606 bei Staden, auch
1611 nach englischer und franzosischer Art bei V. Otto
vor. In diesem Zusammenhang sind auch die Tanz-
sammlungen von W.Brade (ab 1609), Th. Simpson
(ab 1611) und J. H. Scheins Banchetto musicale (1617) zu
beachten. Die Klaviersuiten des gleichermaBen unter
italienischem und franzosischem EinfluB stehenden
J. J. Froberger zeigen in ihren C.n iiberwiegend den
jiingeren franzosischen Typus. Die Aufgeschlossen-
heit der deutschen Musik gegeniiber Italien und Frank-
reich findet ihren Niederschlag auch in der Ubernahme
der beiden Formtypen, die in klarer Unterscheidung
vor allem J.S.Bach in seinen franzosischen und engli-
schen Suiten und den Partiten verwendet hat (den
franzosischen Typ u. a. in alien Englischen Suiten, den
italienischen u. a. in den Franzosischen Suiten Nr 2, 4,
5, 6). Die Stellung der C. in Verbindung mit anderen
Tanzen war sehr verschieden, z. B. Pavane - Galliar-
de - C. - Tripla oder aber auch C. als ungeradtaktiger
Nachtanz in Verbindung mit der Allemande anstelle
der alteren Folge Pavane - Galliarde. - Rousseau (1768)
vermerkt, die C. sei »nicht mehr im Gebrauch, eben-
sowenig wie der Tanz, dessen Namen sie tragt«.
Lit. : Th. Arbeau, Orch6sographie, Langres (1588), NA v.
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; W. J.
v. Wasielewski, Instrumentalsatze v. Ende d. 1 6. bis zum
Ende d. 17. Jh., Bonn 1 874 ; Vingt suites d'orch. du XVII* s.
frc. 1640-70, hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906;
K. Nef, Gesch. d. Sinfonie u. Suite, = Kleine Hdb. d. Mg.
nach Gattungen XIV, Lpz. 1921 ; P. Nettl, Die Wiener
Tanzkomposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII,
190
crescendo
1921 ; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite
im 15. u. 16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925;
W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbiichern,
Lpz. 1927; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933,
engl. NY 1937 u. London 1938, frz. Paris 1938; M. Rei-
mann, Untersuchungen zur Formgesch. d. frz. Kl.-Suite,
= Kolner Beitr. zur Musikf orschung III, Regensburg 1 940 ;
I. Herrmann-Bengen, Tempobezeichnungen, = Miinche-
ner VerofF. zur Mg. I, Tutzing 1 959 ; Fr. Feldmann, Un-
tersuchungen zur C. als Tanz, Deutsches Jb. d. Mw. VI
( = JbPLIII),1961.
Courtrai (Kortrijk, Westflandern).
Lit. : P. Bergmans, Les musiciens de C. et du Courtraisis,
Gent 1912; J. Schmidt-Gorg, Die Acta Capitularia d.
Notre-Dame-Kirche zu Kortrijk als mg. Quelle, Vlaamsch
Jb. voor muziekgeschiedenis 1,1939.
cps (Abk. fur engl.: cycles per second, = Hertz)
-> Frequenz.
Credo (lat.), der 3. Teil des Ordinarium missae (Cr. in
unum Deum), das Glaubensbekenntnis (Symbolum Ni-
caeno-Constantinopolitanum). Es wird in der romi-
schen -> Messe an alien Sonn- und bestimmten Feier-
tagen nach dem Evangelium bzw. im AnschluB an die
Predigt vorgetragen. (Seine Verteilung auf den Zyk-
lus des Kirchenjahres erfuhr 1960 unter Johannes XXIII.
im Novus Codex Rubricarum eine offizielle Neurege-
lung.) Urspriinglich Taufbekenntnis, wurde das Cr.
seit Anfang des 6. Jh. nach dem Vorbild Konstantino-
pels in den ubrigen Liturgien des Orients bei jeder
Mefifeier iiblich und fand 589 als fester Bestandteil
Eingang in den mozarabischen Gottesdienst (wo es bis
heute vor dem Pater noster steht), gegen 800 ebenfalls
in die frankische Liturgie. Demgegeniiber gelangte es
erst 1014 - auf Drangen Kaiser Heinrichs II. - in den
Bereich der romischen Messe. Der Brauch, das Sym-
bolum dem Evangelium folgen zu lassen, hat seinen
Ursprung in einer Verordnung Karls des GroBen fiir
den Gottesdienst an der Aachener Pfalzkapelle. - Un-
ter den Cr.-Melodien des Graduale Romanum (Editio
Vaticana und erweiterter Nachdruck von Desclee-
Tournai) ist die seit dem 11. Jh. uberlieferte 1. Ver-
tonung (Cr. I, tonus authentus) altester, vielleicht ost-
licher Herkunft. Sie griindet sich auf eine begrenzte
Anzahl melodischer Formeln, die im Verlauf des Stiik-
kes in mannigfachen Umgestaltungen und Kombi-
nationen wiederholt werden. Cr. II stellt eine einf ache-
re Fassung dieser Melodie dar. Ebenso leiten sich Cr. V
(12. Jh.) und VI (11. Jh) aus ihr ab, wahrend III und
IV dem Spatmittelalter entstammen. - Der Choral-
vortrag des Symbolum erfolgt wechselweise (alterna-
tim) zwischen 2 Chorhalften oder Schola und Chor
(Intonation durch den Zelebranten), wobei nach dem
Caeremoniale episcoporutn ein Alternieren mit der Or-
gel nicht gestattet ist. - Luthers Cr.-Lied Wir glauben
all an einen Gott hat seinen Vorlaufer in einer Weise,
welche in mehreren Handschriften aus dem 14.-16. Jh.
- erstmals als Tenor eines 2st. Cr. - aufgezeichnet wur-
de (Wir glauben in eynengot).
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962; O. Ursprung, Die kath. Kirchenmusik,
Biicken Hdb. ; M. Huglo OSB, Origine de la melodie du
Cr. »authentique« de la Vaticane, Rev. Gr6gorienne XXX,
1951; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958);
J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, Frei-
burg i. Br. u. Basel 5 1 962. KWG
Cremaillere (kremaj'e:r, frz.) -» Bogen (- 2).
Crembalum (lat.) -»- Maultrommel.
Cremona.
Lit. : P. Lombardini, Cenni sulla celebre scuola cremonese
degli stromenti ad arco . . ., Cr. 1872; La musica in Cr.
nella seconda meta del s. XVI . . . , = Istituzioni e monu-
menti deH'arte mus. ital. VI, Mailand 1939; R. Monte-
rosso, Cat. storico-critico-bibliogr. dei musicisti cremo-
nesi.Cr. 1951.
Creole Jazz (ka'i:o:l A^xz, engl.), Stromung inner-
halb des New-Orleans-Jazz, die dessen Entwicklung
bis in die 1920er Jahre nachhaltig beeinfluBte. - Die
Kreolen im French Quarter von New Orleans bilde-
ten unter den Farbigen eine eigene Gruppe. Ihre Mu-
sik hatte enge Beziehungen zur lateinamerikanischen
Volksmusik, vor allem in Tanz- und Liedf ormen (Tan-
go, Habanera, Bamboula, Creole songs). Seit Ende
des 19. Jh. gehorten die ein mundartlich ausgepragtes
Franzosisch sprechenden Kreolen zur wohlhabenden
und auch musikalisch gebildeten Schicht von New
Orleans. Blasinstrumentc, bcsonders die Klarinette,
wurden auch fiir sie zu Hauptinstrumenten und erlang-
ten iiber die -s- Marching bands ihre Bedeutung im
Jazz. Die Kreolen festigten die harmonisch-funktio-
nalen Grundlagen des Jazz und forderten entscheidend
seine Entwicklung zu einem planvoll organisierten
Musizieren (-»- Arrangement). Unter den Jazzmusi-
kern sind sie meist an ihren franzosisch klingenden
Namen zu erkennen, z. B. die Klarinettisten Sidney
Bechet, Alphonse Picou, Albert Nicholas, Lorenzo
Tio, Omer Simeon; die Trompeter Freddie Keppard,
Manuel Perez; die Posaunisten Kid Ory, Honore
Dutrey, der Schlagzeuger Johnny St. Cyr. Den Hbhe-
punkt des Cr. J. und zugleich einen der Hohepunkte
des New-Orleans-Jazz uberhaupt bildete das Musizie-
ren des Pianisten Jelly Roll Morton (Ferdinand Joseph
La Menthe) mit seinen weitgehend aus Kreolen be-
stehenden Red Hot Peppers (1926-30).
crescendo (kreJJ'sndo, ital.; Abk.: cresc, iml8.Jh.
auch: cres.), wachsend, an Schallstarke zunehmend.
Die friihesten Anweisungen fiir cr. und deer, sind ab-
gestufte Folgen von -*■ forte- oder -> piano-Bezeich-
nungen seit dem spaten 16. Jh. Sie leiten in der 1. Half-
te des 18. Jh. zum Cr. hin. Das Anschwellen und Ab-
schwellen des Tones wurde bereits um 1600 in Ge-
sangsschulen gelehrt (Caccini 1601) ; D. -> Mazzocchi
verlangt 1638, dafi der mit einem C bezeichnete lange-
re Ton angeschwellt und wieder abgeschwellt werden
soil, also die -»■ Messa di voce, und daB der mit V be-
zeichnete vom piano zum forte zu steigern sei: cr. a
poco, a poco la voce. Der cr.-Effekt auf kurze Strecken
wird 1675 von M.Locke durch lowder by degrees ange-
strebt, 1686 von Mylius genau beschrieben, 1711 von
Maffei und 1740 von de Brosses fiir romische Kon-
zerte bezeugt. Das Schwellzeichen -* bei Fr. -»■ Ge-
miniani (Prime sonate 1739, Concerti op. 2 und 3 in
der Neuauflage bei Johnson 1755) bezieht sich nur auf
Einzeltone, ebenso die seit 1733 bei Rameau gebrauch-
lichen Zeichen <] [> (spater «=; ^=-) fiir cr. und
diminuendo und die in Geminianis Treatise of good
taste (1749) gegebene Erklarung der Zeichen-* ^-. Die
Wortbezeichnungen cr., deer, und diminuendo traten
um die Mitte des 18. Jh. auf, ebenso -»■ rinforzando
als Vorlaufer und Ersatz fiir cr. J. Stamitz wandte die
Schwellzeichen fiir den Einzelton als erster auf lan-
gere Tonfolgen an; der als groBes Orchester-Cr. be-
kannte EfEekt stellt eine der wichtigsten Errungen-
schaften der Mannheimer Schule dar. Verbunden mit
sequenzierenden Figuren bildet er die von H.Rie-
mann »Mannheimer Orchesterwalze« genannte Ma-
nier. Dieses allmahliche, sich iiber eine groBere Anzahl
von Takten erstreckende Anschwellen wurde durch
cresc oder cres. a poco a poco verlangt ; heute
steht statt dessen: cres cen do. Unabhangig
von der Mannheimer Schule forderte Jommelli seit
191
Croche
seiner Oper Eumene (1747) das Cr. (mit der Vorschrift
cr. il forte) fur vereinzelte erregte Gesangspartien, in
denen die mit cr. bezeichneten Streicher in Skalengan-
gen tremolierend mit der Singstimme aufsteigen, wah-
rend die Blaser meist nur stufenweise die Lautstarke
erhohen. Seit Jommellis Aufenthalt in Stuttgart wird
das Cr. in seinen Werken haufiger, wahrscheinlich be-
einflufit durch die Mannheimer Schule. Uber die Wir-
kung des damals neuen kontinuierlichen Orchester-Cr .s,
dessen prazise Ausf iihrung durch die Mannheimer be-
sonders geriihmt wurde, berichtet Reichardt 1774:
Man erzahlet, dafi, dajomelli dieses in Rom zum ersten-
male horen liefi, die Zuhorer skh bey dem cr. allmahlich von
den Sitzen erhohen, und bey dem diminuendo erst wieder
Luft schopften, und merkten, dafi ihnen der Athem ausge-
blieben war. Ich habe diese letztere Wirkung in Manheim
an mir selbst empfunden. Im 19. Jh. gibt es sowohl in der
Sonate als auch in der Programmusik Formteile, in
denen (oft bei Stillstand des iibrigen musikalischen Ge-
schehens) ein Cr. (seltener ein Decrescendo) in den Vor-
dergrund tritt. Ein konsequent auskomponiertes Cr.
ist der Bolero von Ravel. - Wahrend die Singstimmen,
die Bias- und Streichinstrumente, da sie den einzelnen
Ton anschwellen konnen, das Cr. vollig in der Gewalt
haben, kann das Klavier nur den Schein des Cr.s durch
Verstarken der einzelnen Tongebungen hervorbrin-
gen. Auch der Orgel fehlte die Moghchkeit des kon-
tinuierlichen Crescendierens; eine Verstarkung konnte
nur stufenweise durch Anziehen von immer mehr Re-
gistern erreicht werden, ahnlich einem nur durch Hin-
zutritt von immer mehr Instrumenten bewirkten Cr.
des Orchesters. Auf der Orgel des 19. Jh. lafit sich das
Cr. durch ->■ Jalousieschweller- und Rollschweller-Vor-
richtungen (-> Walze), auf dem Harmonium iiber
Kniehebel ausfiihren. - Cr. ist auch die Bezeichnung
eines von Hofrat Bauer (Berlin) etwa 1780 erfundenen
Klaviers, das bei 3 Pedalziigen ein Cr. vom pp bis zum
ff ermoglichte.
Lit. : J. Fr. Reichardt, Briefe eines aufmerksamen Rei-
senden ... I, Ffm. u. Lpz. 1774, 1. Brief; ders., Ueber d.
Pflichten d. Ripien-Violinisten, Bin u. Lpz. 1776; C.
Mennicke, Hasse u. d. Briider Graun als Symphoniker,
Lpz. 1906; H. Abert, N. Jommelli als Opernkomponist,
Halle 1908; H. Riemann, Zur Herkunft d. dynamischen
Schwellzeichen, ZIMG X, 1908/09; A. Heuss, ttber d.
Dynamik d. Mannheimer Schule, Fs. H. Riemann, Lpz.
1909; L. Riemann, Das Wesen d. Klavierklanges, Lpz.
1911; G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, =Kleine
Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; H. Besseler,
Charakterthema u. Erlebnisform bei Bach, Kgr.-Ber. Lu-
neburg 1950. - zu Cr. als Instr. : SachsL.
Croche (kraf, frz., »Haken-Note«), Achtelnote; double
cr., Sechzehntel; triple cr., Zweiunddreifiigstel; qua-
druple cr., Vierundsechzigstel. -*■ Crotchet.
■ crotch-
Crocheta (lat., »hakenformige«Note; engl.
et), Viertelnote.
Croma (lat. ; von griech. xp&u.<*. Farbe), einer der al-
ien Namen der Semiminima (z. B. bei Hothby), be-
zeichnet in Italien heute die Achtelnote; entsprechend:
semicr., Sechzehntel; biscr., ZweiunddreiBigstel; se-
mibiscr., Vierundsechzigstel. Der Titel Madrigali cro-
matici oder cromati (auch A Notte Negre) bei Rore u. a.
verweist auf die vielen kleinen (»gefarbten«) Noten
und hat mit Chromatik im heutigen Sinne nichts zu
tun. -*■ Color (-1).
Cromorne (ital.) ->• Krummhorn.
Crotales (krot'al, frz. ; nach griech. xp6TaXa), kleine
Becken (paarig), weitgehend identisch mit den Ber-
liozschen Cymbales antiques (-»• Zimbeln - 1). Erst in
der neueren Instrumentation (zuerst Ravel, Daphnis et
Chloe, 1912, und Strawinsky, Les Noces, 1917, bis heute,
z. B. L.Nono, Canciones a Guiomar 1963) werden die
(kleinen Tanz-)Becken unter der Bezeichnung Cr.
verlangt, die etwas irrefuhrt, da sie auf die eher klap-
perartigen lateinischen crotala (-* Krotala) hinweist.
Strawinsky liefi 1918 in Paris Cr. nach eigenen Anga-
ben ( etwa 5 cm, Tonhohe cis^ und h3) giefien.
Lit.: H. Kunitz, Die Instrumentation X (Schlaginstr.),
Lpz. 1960; Mus. Instr., hrsg. v. A. Baines, Harmonds-
worth/Middlesex 1961, deutsch als: Musikinstr., Miin-
chen 1962.
Crotchet (ki'otjit, engl.; vom frz. crochet, Hakchen),
die englische Bezeichnung der Viertelnote. Der Wi-
derspruch, dafi im Englischen Cr. das Viertel, im Fran-
zosischen ->• Croche die Achtelnote ist, erklart sich
daraus, dafi -> Crocheta der altere lateinische Name der
Semiminima war, als diese noch als hohle Note mit
dem Hakchen gezeichnet wurde; als statt dieser die
geschwarzte Semiminima allgemein durchdrang, be-
hielten die Englander die Bezeichnung fur den Noten-
wert, die Franzosen fiir die Notenfigur.
Crwth (kau:9, kymrisch, bauchig; altirisch crott; la-
tinisiert chrotta; engl. crowd), wahrscheinlich das In-
strument der keltischen Barden, eine Leier
mit Griffbrett. Der Cr. wurde zunachst ge-
zupft; seit dem 11. Jh. ist belegt, dafi er auch
mit einem Bogen gestrichen wurde. Das
Corpus mit Zargen war oval, viereckig oder
achtformig; die altesten Cr. hatten 3 Saiten,
die jiingeren 5-6, von denen 3-4 iiber das
bundlose Griffbrett laufen, wahrend 2 Frei-
saiten (Bordune) sind. Die linke Hand um-
fafite das Griffbrett von hinten. Einen Hin-
weis auf den Cr. gibt das Distichon des Ve-
nantius Fortunatus (um 530-600): Roma-
nusque lyra, plaudat tibi Barbarus harpa, Grae-
cus Achilliaca, crotta Britanna canat (Carmina
VII, 8, 63f.). Der erste Bildbeleg auf dem Kontinent
ist in der Vivian-Bibel (um 847-861) Karls des Kahlen
enthalten. Ein Tropar aus dem 11./12. Jh. (Paris, Bibl.
Nat., Cod. lat. 1118) zeigt David mit einem Cr. von
langlicher 8-Form und mit Bogen. Auf den britischen
Inseln (Irland, Wales) und in der Bretagne hat sich der
Cr. bei der Landbevolkerung noch bis ins 18./19. Jh.
erhalten.
Lit.: O. Andersson, Strakharpan, Stockholm 1923, engl.
als: The Bowed Harp, London 1930; H. Steger, David
rex et propheta, = Erlanger Beitr. zur Sprach- u. Kunst-
wiss. VI, Niirnberg 1961.
Csardas (tJ'a:rda:J, ungarisch, von csarda, Wirts-
haus, Dorfschenke), ungarischer Tanz, meist bestehend
aus einer langsamen, melancholisch-pathetischen Ein-
leitung (Kreistanz der Manner, dem Lassu) und dem ei-
gentlichen Cs. (Paartanz, auch friss oder friszka ge-
nannt), der wild aufgeregt ist, im geraden Takt (2/4,
4/4) steht und einen vom Sporenschlag bestimmten
akzentuierten Rhythmus hat. Der Cs. ist aus einem
mittelalterlichen Tanz hervorgegangen, dem -*■ Haj-
diitanc (Heiduckentanz). Er gelangte gegen 1835 in
die Ballsale der eleganten ungarischen Welt. Die
friiheste Veroffentlichung eines Cs. scheint 1834 er-
folgt zu sein. Gegen 1850 trat eine Tempobeschleuni-
gung des Cs. ein und zugleich eine Differenzierung in
schnellere (sebes) und langsame (lassu) Abarten. Seine
Bliitezeit war etwa 1845-80. Liszt komponierte ver-
schiedene Cs. fiir Klavier (z. B. Cs. macabre 1881/82;
2 Cs.: Allegro, Cs. obstine, 1884).
Lit. : A. Czerwinski, Die Tanze d. Ungarn, Lpz. 1879 ; M.
Rethei-Prikkel, A magyarsag tancai, Budapest 1924; K.
Visky, Hungarian Dances, Budapest 1937 ; E. C. Rearich,
192
Czimbal
Dances of the Hungarians, NY 1938; I. Talasi, A magyar
tancokrol, Budapest 1949; B. Gyorgy, Dances of Hun-
gary, = Hdb. of National Dances XI, London 1950.
Cueca (ku'eka, span., auch c. chilena), ein aus der chi-
lenischen ->• Zambacueca hervorgegangener argenti-
nischer Tanz im 3/4-Takt von bewegtem Charakter
und mit Synkopenbildungen, dargestellt durch ein
Paar, das Hahn und Henne versinnbildlicht.
Lit.: P. Garrido, Biogr. delac, Santiago 1943.
Cuivre (ku'i:vr, frz., Kupfer), auch instruments de
c, -> Blechblasinstrumente. - Als Vortragsbezeich-
nung bedeutet cuivre schmetternd.
Currentes (erganze: notae, lat., laufende Noten)
nennt Anonymus IV (CS I, 337aff., 340b und passim)
Noten in Semibrevisform, die, mitunter in betracht-
licher Anzahl aneinandergereiht, zu einer -* Coniunc-
tura oder Apposition (Verbindung einer Ligatur mit
einer Coniunctura bzw. mit C.) gehoren, z. B. im Or-
ganum purum Viderunt omncs (zitiert CS I, 363af.),
Cursus (von lat. currere, laufen), mittelalterlicher
Terminus zur Bezeichnung einer rhythmischen Text-
struktur an den Satzenden, wie sie seit dem spatantiken
3. Jh. bis ins 14. Jh. gepflegt wurde. Der C. besteht aus
2 Wortern, zwischen deren betonten Silben zwei oder
vier (seltener drei) unbetonte Silben liegen, so daB der
Satz wohltonend ausklingt. Man unterscheidet : C.
planus (claritate signorum), C. tardus (crucifixus appa-
ruit), C. velox (gladio pertransivit), C. trispondiacus
(rationem confirmavit). Diese durch die Sprache ge-
gebenen Kadenzen finden ihre musikalische Entspre-
chung, z. B. im gregorianischen Choral, in dem etwa
die Betonungen (schwere Silben) langere, die nicht
betonten (leichten) Silben kiirzere Melismen haben
konnen oder gar syllabisch sind. - »Doppelter C.« ist
ein moderner Terminus technicus des Sequenzbaues;
er bezeichnet,die vor allem fiir die sogenannte »archai-
sche« -*■ Sequenz (- 1) typische Anlage, in der groflere
Melodieabschnitte, die mehrere Doppelversikel um-
fassen, mit neuem Text wiederholt werden (z. B. Rex
caeli domine : aa bb cccc dddd aa bb cccc dddd aa).
Lit. : M. G. Nicolau, L'origine du c. rhythmique . . . , Paris
1930.
Custos (lat., Wachter; frz. guide; engl. direct), ha-
kenformiges Hinweiszeichen J oder vf am Ende ei-
ner Zeile in Handschriften oder Drucken alterer Mu-
sik, das die Tonhohe der nachsten Note auf der folgen-
den Zeile anzeigt.
Cymbal a (Sing, cymbalum) ist seit der Vulgata die
Latinisierung des griechischen -> Kymbala (Ps. 150, 5;
2. Sam. 6, 5; 2. Chron. 5, 13); das Wort C. wurde seit
dem ausgehenden Mittelalter zum sprachlichen Zwi-
schentrager einer Reihe von Instrumentennamen :
-> Cembalo, -»■ Cimbalom, (engl.) cymbals bzw. (frz.)
cymbales (-»- Becken). Die mittelalterliche Literatur
erwahnt die C. (nebst den Ableitungen in den jeweili-
gen Sprachen) sowohl in der den Instrumenten des
Alten Testaments gemaBen Bedeutung (Becken, auch
Gabelbecken; -»• Zimbeln - 1) als auch, hier besonders
die lateinisch schreibenden Theoretiker seit dem 9. Jh.,
in der (neuen) Bedeutung von Glockchen bzw. -> Glok-
kenspiel (Alanus ab Insulis: Cymbalum proprie dicuntur
parvae campanae, quae acutum reddunt sonum). Synonym
fiir C. wurde auch das Wort -> Tintinnabula ge-
braucht ; fiir groBere Glocken verwandte man die Be-
zeichnung -» Campana oder -»■ Nola. Das Verstandnis
der C. als Glockenspiel blieb auf das Mittelalter be-
schrankt, nur das Orgelregister -> Zimbelstern erin-
nert an die alte Bedeutung, ebenso dem Worte nach
die f riihbarocke Orgelstimme Cymbel (-5- Zimbeln -2) .
Die nur kurze Erwahnung der gloecklin und zimeln als
abgestimmte Instrumente (dann disc betreffen die men-
sur) bei S.Virdung (1511) mit dem Hinweis auf Boe-
thius laBt darauf schlieBen, daB Virdung sie schon als
einer vergangenen Zeit angehorend ansah. - Der Sache
nach sind die C. Glockchen ohne (selten mit) Kloppel,
die abgestimmt nebeneinander aufgehangt sind (zu-
meist 4-9) und mit einem kleinen Holzstab oder Ham-
mer angeschlagen wurden. Die zahlreichen ikono-
graphischen Belege zeigen die C. sowohl als Instru-
ment eines der Principes Davids als auch als Anschau-
ungsmaterial fiir musiktheoretisch-mathematische Be-
tatigung. Letzteres sowie genaue Anweisungen fiir den
GuB der C. bilden den Inhalt der ebenfalls zahlreich
iiberlieferten Traktate, die sich mit den C. beschafti-
gen. Musikalische Verwendung fanden die C. im Ele-
mentarunterricht der Schulen sowie u. a. bei der Aus-
fiihrung des mittelalterlichen Organum.
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht, Basel 1511, Faks.
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; E. Buhle, Das Glocken-
spiel in d. Miniaturen d. friihen MA, Fs. R. v. Liliencron,
Lpz. 1910; W. Theobald, Die Technik d. Kunsthand-
werks im 10. Jh., Bin 1933; J. Smitsvan Waesberghe SJ,
Klokken en klokkengieten in de Middeleeuwen (De cym-
balis et nolis), = Nederlandsche muziekhist. en muziek-
paedagogische studien, Serie B, Studies over^ middeleeuw-
sche muziek I, Tilburg 1937; ders., C. (Bells in Middle
Ages), = American Inst, of Musicology, Studies and Do-
cuments I, Rom 1951 ; W. Kruger, Die authentische
Klangform d. primitiven Organum, = Mw. Arbeiten XIII,
Kassel 1958; H. Steger, David rex et propheta, = Erlan-
ger Beitr. zur Sprach- u. Kunstwiss. VI, Nurnberg 1961.
Cytharjno ->• Cithrinchen.
Czakan (tj'akan, ungarisch) ->Stockflote.
Czimbal (tf'imbal, ungarisch) -> Cimbalom.
13
193
D
D, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -> Buchstaben-
Tonschrift ist D im allgemeinen die 4. Stufe, im Sy-
stem der Kirchentone Finalis des 1. und 2. Tons (Do-
risch und Hypodorisch). Seit Zarlino (1571) ist der
Ionius auf C primo modo; dadurch riickte D an die
2. Stelle der Normalskala. Bei den romanischen V61-
kern hat die Solmisationssilbe Re den Buchstaben ver-
drangt. Die Erniedrigung um einen Halbton heiBt Des
(engl. D flat; frz. re bemol; ital. re bemolle), um 2
Halbtone Deses (engl. D double flat; frz. re double be-
mol; ital. re doppio bemolle), die Erhohung um einen
Halbton Dis (engl. D sharp; frz. re diese; ital. re diesis),
um 2 Halbtone Disis (engl. D double sharp; frz. re
double diese; ital. re doppio diesis). - 2) Schlussel: Im
13.-16. Jh. kann d 2 auch als Schliisselbuchstabe ge-
schrieben werden ; es erscheint - immer zusammen mit
eihem G-Schlussel - haufig in Tabellen der Theoreti-
ker und in der -> Tabula compositoria, gelegentlich
auch in praktischen Quellen. - 3) Seit dem Anfang
des 19. Jh. werden in theoretischen Werken Akkorde
mit -»- Buchstaben-Tonschrift bezeichnet (D bedeutet
den D dur-Dreiklang, d den D moll-Dreiklang) ; im
-»■ Klangschliissel treten Zusatzzeichen hinzu. Der
Brauch, eine Tonart nur durch ihren Grundton zu be-
zeichnen, wurde im 19. Jh. entsprechend den Akkord-
bezeichnungen so ausgelegt, daB D fiir D dur, d fur
D moll stand. - 4) Abk. fiir Discantus, D fiir Domi-
nante; D. C. = da capo, D. S. = dal segno. In Musik
fiir Tasteninstrumente steht d. oder d. m. (auch m. d.)
fiir ital. mano destra (frz. main droite, rechte Hand).
da capo (ital., Abk. : D. C), von vorn; Vorschrift der
Wiederholung eines Tonstiicks bis zu der mit Fine
(Ende), Segno (Zeichen: %) oder einer Fermate be-
zeichneten Stelle.
Dampfer (Sordinen, von ital. sordino; frz. sourdine)
sind Vorrichtungen, durch die die Starke des Tons
von Saiten-, Bias- "und Schlaginstrumenten vermin-
dert und die Klangfarbe verandert werden kann. Die
D. des Pianofortes sollen entweder den Ton ganz aus-
loschen, durch Aufsetzen von Filzen auf die Saiten
(-> Pedal - 2), oder die Schwingungen nur hemmen,
wie in den Instrumenten des 18. und friihen 19. Jh., bei
denen Filzstreifen auf die Saiten gelegt wurden. Beim
Cembalo wirkt ahnlich der Lautenzug. Beim moder-
nen Fliigel vertritt die Verschiebung eine Dampfung
dieser Art. Die D. der Streichinstrumente (Violinen
und Bratschen) sind Holz-, Kautschuk- oder Metall-
kammchen, die auf den Steg geklemmt werden. Sie
vermindern nicht das Schwingen der Saiten, sondern
modifizieren die Ubertragung der Schwingungen
durch den Steg auf den Resonanzboden. Das Timbre
der gedampften Streicher gemahnt etwas an den na-
selnden Klang der Oboen, ist im Piano traumhaft ver-
schleiert und im Mezzoforte seltsam gedriickt. Be-
riihmte Stellen mit gedampften Streichern sind die
Schlafszene in Lullys Armide, die Kerkerszene in Beet-
hovens Fidelio, der Sylphidenwalzer in Berlioz' La
Damnation de Faust und die 1. V. im Andante cantabile
von Haydns Streichquartett op. 3, Nr 5 (Hob. Ill, 17).
Fiir die Blechblasinstrumente werden durchbohrte
Holzkegel oder D. aus Leichtmetall gebraucht, die in
die Stiirze eingeschoben werden. Wie beim Stopfen
des Horns erhohen die D. alter Bauart den Ton (um
einen oder 2 Halbtone), da sie die Mensur des Instru-
ments verandern. Gedampfte Trompeten stehen seit
dem friihen 16. Jh. in dramatischen Werken oft in
Verbindung mit dem Todesgedanken ; gedampfte
Horner und Trompeten wurden bei Echoeffekten be-
reits im 18. Jh. eingesetzt. Der Klang der Trommeln
wird gedampf t durch Auflegen eines Tuchstreif ens auf
das Fell; auch bei der Pauke wird ein Tuch auf das Fell
gelegt (coperto) oder es werden Schwammschlagel
benutzt.
Lit. : H. Eichborn, Die Dampfung beim Horn, Lpz. 1 897 ;
W. Osthoff, Trombe sordine, AfMw XIII, 1956.
Dampfung bezeichnet die Abnahme der Amplitude
einer Schwingung im Zeitverlauf durch Umwand-
lung der Schwingungsenergie in eine andere Ener-
gieform. Bei mechanischen Schwingungen besteht
die Hauptursache fiir die D. in den Reibungskraften,
bei hoheren Frequenzen kommt die Abstrahlung hinzu.
Sind die Reibungskrafte der momentanen Geschwin-
digkeit (Schallschnelle, -> Schall) des Systems propor-
tional, so nimmt die Amplitude (a) nach einer Expo-
nentialfunktion ab: a = aoe~P>; dabei ist do = Aus-
gangsamplitude, /? = Dampfungskonstante, e = Na-
turkonstante 2,7182 und t = Zeit.
Zeit ■
Das Verhaltnis zweier aufeinander folgender Amplitu-
den einer gedampften Schwingung ist konstant, also :
a\ _ at _ _ a n -\
ai as a n
Der natiirliche ->• Logarithmus dieses Verhaltnisses
wird als logarithmisches Dekrement (A) bezeichnet.
Aus dem Dekrement lalk sich die Dampfungskonstan-
te (/?) ableiten, und zwar ist /? = =, wobei Tdie Dauer
einer Schwingung (Periode) bedeutet.
Danemark.
Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben,
Kopenhagen) : — > Denkmaler. - Danmarks gamle folke-
viser, I-V, hrsg. v. S. Grundtvig, 1853-90, VI-V1II, hrsg.
v. A. Olrik, 1898-1919, IX-X, hrsg. v. H. Gruner-Niel-
194
Dasia-Zeichen
sen, 1920-38, XI (Melodier), hrsg. v. E. Abrahamsen u.
H. Gruner-Nielsen, 1935-38; A. P. Berggren, Folke-
sange og melodier, 1 860fT. ; Medieval Mus. Relics of Den-
mark, hrsg. v. A. Hammerich, Lpz. 1912; Hj. L. Thuren
u. H. Gruner-Nielsen, Faeroske melodier til danske
kaempeviser, 1923 ; Th. Laub u. A. Olrik, Danske folke-
viser med gamle melodier, 1930; Gamle danske viser,
hrsg. v. A. Arnholtz, N. Schiorring u. F. Vider0, 5 Bde,
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anno 1800, 1904; dies., Musiken og musiklivet i Danmark
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folkeinstr., 1919; W. Niemann, Die Musik Skandinaviens,
Lpz. 1906; Hj. L. Thuren, Das danische Volkslied, ZIMG
IX, 1907/08 ; ders., Tanz u. Tanzgesang im nordischen MA
nach d. danischen Balladendichtung, ebenda; E. Abra-
hamsen, Liturgisk musik i den danske kirke efter Refor-
mationen, 1919; ders., Elements romans et allemands dans
le chant gregorien et la chanson populaire en Danemark,
= Publication de l'Acad. Gregorienne de Fribourg (Suis-
se) XI, 1923 ; A. Hammerich, Dansk musiks hist, indtil ca.
1700, 1921 ; S. Widding, Dansk messe-, tide- og salmesang,
2 Bde, 1933 ; C. F. Balslev, Den lutherske kirkesang i Dan-
mark, 1934; H. Gruner-Nielsen, Folkemusik i Danmark,
1934; ders., De faer0ske kvadmelodiers tonaliteti middel-
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gemeines iiber d. danischen protestantischen Kirchenge-
sang, in : Norddeutsche u. nordeuropaische Musik, = Kie-
ler Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965.
dal segno (dal s'e:jio, ital., vom Zeichen an; Abk. :
Dal S., D. S.), Anweisung zum Wiederholen eines
Stiickes vom Zeichen {%) an.
Damenisation, nach Fr. W. Marpurgs Bericht (An-
leitung zur Musik . . . , 1763, S. 42) eine Erfindung C. H.
Grauns als Ersatz fiir die -» Solmisation. Die D. be-
stand aus den 7 Tonsilben da me ni po tu la be, wobei
durch Anhangen von as oder es an die Silbenkonso-
nanten chromatische Erniedrigung beziehungsweise
Erhohung des betreffenden Tones angezeigt werden
sollte. Obwohl die D. erstmalig eine vollkommene
Unterscheidung der enharmonischen Stufen bot, wur-
de sie in der Praxis ihrer Unsanglichkeit wegen kaum
verwendet.
Danse macabre (da:s mak'a:br, £rz.) -> Toten-
tanz.
Danzig.
Lit.: Hingelberg, Uber D.er Musik u. Musiker, El-
bing 1785; J. Bolte, Das D.er Theater im 16. u. 17. Jh.,
= Theatergeschichtliche Forschungen XII, Hbg 1895;
O. Gunther, Musikgeschichtliches aus D. Vergangen-
heit, Mitt. d. WestpreuBischen Geschichtsver. X, 1911;
G. Frotscher, Ein D.er Orgelbuch d. 18. Jh., Kgr.-Ber.
Lpz. 1925; ders., Ein D.er Musikantenspiegel v. Ende
d. 18. Jh., Fs. A. Schering, Bin 1937; W. Lott, Zur Gesch.
d. Passionsmusiken auf D.er Boden, AfMw VII, 1925; H.
Rauschning, Gesch. d. Musik u. Musikpflege in D.,
= Quellen u. Darstellungen zur Gesch. WestpreuBens XV,
D. 1931 ; G. Schunemann. D.er StraBenrufe, Mk XXXII,
1939/40; H. J. Moser, Aus D. mus. Vergangenheit, Zs.
Germanien XII, 1940; W. Scheffler, Aus D. Theater- u.
Musikleben vor 150 Jahren, in: D.er Heimatkalender
1940; M. Odyniec u. R. Wyrobek, Organy oliwskie (»Die
Org. in 01iva«), D. 1958.
Darabukka (darboka; agyptisch), eine runde, unten
offene Bechertrommel aus Ton, meist in einen koni-
schen Oberteil und einen engeren zylindrischen Stand-
fu8 gegliedert. Sie wird mit Fischhaut oder Leder be-
zogen und hat Schnur- oder Klebespannung. Die D.
wird mit den Fingern gespielt, wobei durch Schlage
in der Mitte oder am Rand verschiedene Lautstarken
und Klangf arben hervorgebracht werden. Sie ist schon
bei der vorislamischen Bevolkerung Agyptens belegt.
Lit. : H. Hickmann, La d., Bull, de lTnst. d'Egypte XXXIII,
1950/51 ; ders., Die GefaBtrommeln d. Agypter, Mitt. d.
Deutschen Archaologiscften Inst., Abt. Kairo XIV, 1956;
D. Drost, Tonerne Trommeln in Afrika, Jb. d. Museums
f. Volkerkunde zu Lpz. XIV, 1955.
Darmstadt.
Lit.: E. Pasque, Gesch. d. Theaters zu D. (1557-1710), D.
1853 ; W. Kleefeld, Landgraf Ernst Ludwig v. Hessen-D.
u. d. deutsche Oper, Bin 1904; H. Kaiser, 125 Jahre D.er
Oper, D. 1936; ders., Das Barocktheater in D., D. 1951 ;
ders., Vom Zeittheater zur Sellner-Buhne. Das Landes-
theaterD.v. 1933-60.D. 1961 ; Kl. Steinhauser, Die Musik
an d. Hessen-Darmstadtischen Lateinschule im 16. u. 17.
Jh., Dusseldorf 1936; Fr. Noack, Hofkonzertezu D. (1 780-
90), Mf VII, 1954; Fs. zur Orgelweihe in d. Stadtkirche zu
D. 1961 mit Ruckblick auf 361jahrigen Orgeldienst
hrsg. v. M. Knodt, Langen 1961.
Dasja-Zeichen dienen in der altesten erhaltenen Leh-
re mehrstimmiger Musik, der Musica Enchiriadis (Ende
9. Jh. ; GS I, 152ff.), sowie im ihr nahestehenden Pari-
ser Organumtraktat (CS II, 74fT.), im Bamberger Dia-^
log iiber das Organum und in den Scholia Enchiriadis
(GS 1, 173ff.) dem schriftmaBigen, d. h. zugleich theo-
retischen Erfassen des friihen -> Organum. Aus einem
Ausgangszeichen (h), dasia genannt, und ofienbar in
Anlehnung an den Spiritus asper der Griechen, die
7rpo<j<jj8ta Saaeia, gebildet (-»■ Prosodie-1), werden
4 an die griechische Instrumentalnotation erinnernde
Grundzeichen entwickelt, die als (protos) archoos,
deuteros, tritos und tetrardos das Tetrachord der Fina-
les (der authentischen Modi; wie D, E, F, G) vorstel-
len. Durch Umlegung und Umkehrung dieser 4
Grundzeichen entstehen 14 weitere Zeichen. Die ins-
gesamt 18 D.-Z. (notae, characteres, figurae) stellen
eine Tonordnung (omnis series sonorum) von 4 un-
verbundenen gleichgebauten Tetrachorden (namlich
graves, finales, superiores und excellentes) und zwei
»iibrigen« Tonen (residui) dar, wobei das Sich-Ent-
sprechen der Tone in den Tetrachorden (ihre gleiche
qualitas) angezeigt ist durch Gleichheit der Namen
(z. B. heiBt der 2. Ton jedes Tetrachords deuteros) und
durch Entsprechung der Zeichen (z. B. fiir den deute-
ros: »\ f J i~~>). Die Zeichen werden (nach dem Prin-
zip der spateren Schliissel) den Zwischenraumen von
Linien (chordae) vorangestellt, in welche die Text-
silben geschrieben werden. Die so entstandenen De-
scriptiones (Abzeichnungen) stellen die fruhesten Nie-
derschrif ten mehrstimmiger Musik dar, aber nicht im
13*
195
Dasia-Zeichen
Sinne von Kompositionen und zwecks praktischer Aus-
fiihrung, sondern als wesentlicher Bestandteil der Er-
klarung des (fiir die Praxis in Neumen notierten) Can-
tus bzw. des aus dem Stegreif auszufiihrenden Orga-
num, auf dessen artifizielles Sich-BewuBtmachen die
Erfindung der D.-Z. offenbar abzielte.
as
h
a
9
fis
«
d
■ c
h
a
D
C
B
A
r
ftmu.
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S£
le hu mi les fdmulimodu
J™*
^e^
Ne ran
XX
Organum-Descriptio eines Versikels der Sequenz
Rex caeli dotnini (in Anlehnung an die Hs. Paris,
Bibl. Nat. lat. 7210, p. 16).
Indem die D.-Z. die Tone (phthongi) gemaB dem Um-
fang der Mannerstimmen zur Verfiigung stellen, zei-
gen sie zugleich an, wie sie musikalisch gelten sollen.
Die Tonordnung der D.-Z. erfaBt sowohl die me-
lodischen Gegebenheiten der Modi (Tetrachord der
Finales und seine Wiederholung in Quintdistanz) als
auch das klangliche Prinzip des organalen Respon-
dierens von Stimmen, indem diese Tonordnung das
Sich-Vereinen der Stimmen im Quartenorganum
durch den Tritonus begriindet, der bei bestimmten
SchluB- und Anfangswendungen des Cantus dem Re-
spondieren der Vox organalis in Quarten entgegen-
steht (da das 3. Zeichen eines jeden Tetrachords mit
dem zweiten des nachsthoheren nicht eine Quarte,
sondern die inconsonantia des Tritonus bildet), »so dafi
beide Stimmen an einem Tonort zusammenkommen«
(ut ambae in unum conveniant, GS I, 169b). Diese an
Hand der D.-Z. formulierte Regel bezeichnet den
'Punkt, an dem die artifizielle Mehrstimmigkeit des
Abendlandes erstmalig theoretisch erfaBt ist und so-
mit geschichtlich wird, und zugleich - in der Verbin-
dung von -> Liniensystem und -*■ Schliissel - den Be-
ginn der visuell eindeutigen, eigenstandig musikali-
schen Tonschrift. Neben der Abzeichnung des paral-
lelen (usuellen) Quintenorganum diente die Tonord-
nung der D.-Z. offenbar in enter Linie der Demon-
stration des nicht durchgehend parallelen (artifiziellen)
Quartenorganum. Dem Oktavensingen tragt sie nicht
Rechnung, da sie die Abstande B-h, F-fis und C-cis
aufweist. Deshalb lehnte Guido von Arezzo die Ton-
ordnung der D.-Z. ab (Micrologus, Cap. V, CSM IV,
112f.), da er nicht mehr gelten lieB oder verstand, daB
sie das selbstverstandliche Prinzip der Oktav-Dupli-
catio eines Tones oder einer Stimme zugunsten der
Tritonustheorie auBer acht lassen wollte und konnte.
Lit. : Ph. Spitta, Die Musica enchiriadis u. ihr Zeitalter,
VfMw V, 1889; H. Sowa, Textvariationen zur Musica
Enchiriadis, ZfMw XVII, 1935; E. L. Waeltner, Das Or-
ganum bis zur Mitte d. 11. Jh., Diss. Heidelberg 1955,
maschr. ; ders., Der Bamberger Dialog vlber d. Organum,
AfMw XIV, 1957; E. Jammers, Anfange d. abendlandi-
schen Musik, =Slg mw. Abhandlungen XXXI, StraB-
burgu. Kehl 1955 ;Thr. G. Georgiades, Sprache, Musik,
schriftliche Musikdarstellung, AfMw XIV, 1957; E. Jam-
mers, R. Schlotterer, H. Schmid, E. L. Waeltner, By-
zantinisches in d. karolingischen Musik, Ber. zum XI. Inter-
nationalen Byzantinisten-KongreB Munchen 1958. HHE
Dauer ist, neben Hohe und Lautstarke, eine der ele-
mentaren Toneigenschaften. In der seriellen Musik
bildet sie einen der Parameter, die dem Prinzip der
Reihentechnik unterworfen werden. Die Auffassung
einer D. ist aus Wahrnehmung, Erinnerung (Reten-
tion) und Erwartung (Protention) zusammengesetzt.
Die Objektivitat des ganzen dauemden Tones konstituiert
sich in einem Aktkontinuum, das zu einem Teil Erinne-
rung, zu einem kleinsten punktuellen Teil Wahrnehmung
undzu einem weiteren Erwartung ist (E.Husserl). Da dem
Menschen ein spezifisches Organ zur Zeitschatzung
fehlt, ist die Beurteilung einer D. einerseits individuell
sehr verschieden und andererseits vom Inhalt einer
Zeitstrecke abhangig. »Erfiillte« Zeiten wirken kiirzer
als »leere«, d. h. die erlebte D. richtet sich nach dem
Veranderungsgrad und der Veranderungsdichte der
Ereignisse. - Den MaBstab der D. bildet in der Musik
entweder eine unteilbare kleinste Einheit, ein -> Chro-
nos protos, oder ein mittlerer Zeitwert, eine der Auf-
nahme eines mannigfaltigen Inhalts fahige normale Zdhl-
zeit (H. Riemann 1903). In manchen Werken der neue-
sten Musik werden die Ton-D.n, statt auf eine Zahl-
zeit bezogen zu sein, als Teile einer in Sekunden ge-
messenen langeren Zeitstrecke bestimmt (Penderecki,
Threni). - Die Erkennungszeit ist bei Tonwahrneh-
mungen vom Frequenzbereich abhangig. Zwischen
1000 und 2000 Hz betragt sie 12 Millisekunden; bei
hoheren und vor allem bei tieferen Tbnen ist sie lan-
ger. Von der Erkennungszeit ist die D. zu unterschei-
den, die man braucht, um zwei Ereignisse getrennt
wahrzunehmen: sie umfafit 50-60 Millisekunden. Am
genauesten ist die Wahrnehmung der D. bei Zeit-
strecken von 0,6-0,8 sec. Bei langeren D.n besteht die
Tendenz zur Uberschatzung, bei kiirzeren zur Unter-
schatzung. Eine rhythmische Gruppe kann bis zu einer
Dauer von 3 sec. als ungeteilte Einheit aufgefaBt wer-
den; langere Gruppen werden in der musikalischen
Vorstellung zerlegt.
Lit.: E. Meumann, Beitr. zur Psychologie d. Zeitsinns,
= Philosophische Studien IX, Lpz. 1894; H. Riemann, Sy-
stem d. mus. Rhythmik u. Metrik, Lpz. 1903; V. Benussi,
Psychologie d. Zeitauffassung, Heidelberg 191 3 ; H. Berg-
son, Duree et simultaneite, Paris 1922 ; E. Husserl, Vorle-
sungen zur Phanomenologie d. inneren ZeitbewuBtseins,
Halle 1928; E. Kurth, Musikpsychologie, Bin 1930, Bern
2 1947 ; G. Bachelard, Dialectique de la duree, Paris 1936;
E. Schmidt, Ober d. Aufbau rhythmischer Gestalten,
= Neue psychologische Studien XIV, 2, Munchen 1939;
G. Brelet, Le temps mus., 2 Bde, Paris 1 949 ; C. Howeler,
Tijd en muziek, Amsterdam 1 946 ; K. Stockhausen, Struk-
turu.Erlebniszeit,in:dieReiheIII,Wienl957;FR.WiNCKEL,
Das Ohr als ZeitmeBorgan, Gravesaner Blatter III, 1957,
H. 9; G. Jacono, La perception de la duree, Journal de
psychologie LIII, 1956; F. Klugmann, Die Kategorie d.
Zeit in d. Musik, Diss. Bonn 1961 ; G. Rochberg, DerBe-
griffd.D.ind. Musik, MelosXXIX, 1962. CD
dB -+ Dezibel.
D. C. ->■ da capo.
Dechant (dej'a, £rz., auch deschant) ist das in Chretien
de Troyes' Erec (um 1160?) erstmals belegte franzosi-
sche Wort fiir -> Discantus, dechanter (deschanter)
das fiir discantare. D. kann sowohl das Extemporieren
einer Gegenstimme zu einem Cantus als auch diese
Stimme selbst bedeuten. Die Sublimierung des Dis-
kantstils in der Komposition seit der Notre-Dame-
Epoche und die Fassung des Begriff s Discantus im Rah-
men der Musica mensurabilis durch die Theoretiker
im 13. Jh. betreffen den D. (bzw. die weiterhin be-
stehende ursprungliche Art des Discantus) nicht, so
dafi die neuere Musikwissenschaft (besonders H. Rie-
mann) D. als Terminus fiir den improvisierten Dis-
cantus benutzen konnte.
196
Deklamation
Decken nennt man die Uberfiihrung der offenen Vo-
kale bei zunehmender Hochlage in die ihnen benach-
barten geschlossenen: a nach 6, e nach e. Physiologisch
werden dadurch eine Kontraktion des Ringschildknor-
pelmuskels und eine Kippbewegung des Kehlkopfes
hervorgerufen, die die Arbeit des Musculus vocalis
(-»• Stimme - 2) erleichtert. Der Ton braucht dadurch
bei entsprechender Resonanzierung aber nichts an
Leuchtkraft einzubuBen; dafiir werden grelle, »ge-
schrieene« Tone vermieden.
decrescendo (dekrejj'endo, ital. ; Abk. : decresc. oder
deer.), auch durch die Zeichen ^- oder [>- oder ;=^
vorgeschrieben, abnehmend (an Schallstarke), schwa-
cher werdend. -> crescendo.
Deklamation (von lat. declamare, laut reden, vor-
tragen), im allgemeinen in der lateinischen Antike wie
auch im Humanismus die Redeubung, dann der Vor-
trag einer Rede iiberhaupt, seit dem 18. Jh. auch die
Vortragsweise. Im Bereich der Musik bezeichnet D.
1. den Textvortrag seitens des Singers im Sinne der
-»■ Aussprache; 2. den gesprochenen Vortrag eines
Textes mit untermalender Musik (-»■ Melodrama);
3. bei einer Textkomposition das Verhaltnis zwischen
Sprechweise und Vertonung des Textes in Rhythmus,
-»■ Melodie (- 3) und Artikulation; 4. (erweitert) die
Verbindung von Text und Musik schlechthin, d. h. die
Art, wie ein Text vom Komponisten rhythmisch-me-
lodisch fixiert und bedeutungsmaBig gef aBt wird. Die-
se auch als Wort-Ton- Verhaltnis angesprochene Art der
D. gilt als eines der grundlegenden Probleme der Mu-
sik, das geschichtlich je verschieden gelost worden ist.
Die Losungen schwanken zwischen den Polen Musik
als absolut Klingendem und Sprache als Verstandigung.
Sprache und Musik konnen so koordiniert sein, daB
die ihnen immanenten Gesetze sich in ihrer Struktur
als einander Shnlich oder identisch zusammenschliefien,
oder aber je eines von beiden zwingt das andere, sich
nach ihm auszurichten. Als schhehteste Moglichkeit
der Verbindung gilt das musikalische Erfassen der
Klanggestalt des Textes, das Verwirklichen sprachli-
cher und musikalischer Korrespondenzen hinsichtlich
Tonbewegung und Rhythmus. Dem Steigen oder
Fallen der Stimme beim natiirlichen Sprechen des
Textes entsprechen Melodieanstieg oder -abstieg,
sprachlichen Betonungen oder Langenverhaltnissen
musikahsche Akzente oder Tondauern (so im -*■ Rezi-
tativ). Indem die Musik zur klanglich-iiberhohten
Darstellung eines Textes dient, kann sie sich, je nach
Textcharakter (Kunstprosa oder Lyrik), auch formal
der syntaktischen Struktur durch entsprechende Glie-
derung, so auch der Versform mit ihren Reimbildun-
gen und Assonanzen, anpassen (so im -*■ Lied). Die
kompositorisch kompliziertere vind asthetisch kunst-
vollere Moglichkeit der Textvertonung ist das musi-
kalische Erfassen des Sinhgehalts der Sprache, dariiber
hinaus das Erfassen von Klanggestalt und Sinngehalt
als Einheit durch figiirliches Abbilden und rhetorisches
Auslegen oder durch Interpretieren des Textes in ver-
schiedenen musikalischen Schichten. Indem zur Text-
vertonung eine Instrumentalbegleitung hinzutritt,
kann auch diese mit den nur ihr eigenen Moglichkei-
ten in das Erfassen und Deuten des Textes eingreifen
und mit der Singstimme zu einer den Text interpre-
tierenden Einheit verschmelzen, zu einem wiederum
autonomen Gebilde, das eine »iiberh6hte« Form des
Textes darstellt.
Als Ursprung, zugleich als Sonderfall der abendlandi-
schen D. wird der Vers der griechischen Antike ange-
sehen. In der Antike sind Dichtung (Sprache) und Mu-
sik noch ungeschieden in der Einheit der [louaufl^.
Rhythmisch wird der griechische Vers nicht akzen-
tuierend, sondern nach Dauern (Quantitaten) geord-
net, klanglich ist das gesprochene dichterische Wort
seine melodische Gestalt: Die Musik ist mit dem Vers
gegeben, der Vers ist Musik und Dichtung in einem (Ge-
orgiades 1954, S. 6). Mit der Rhetorisierung der lite-
rarischen Sprache, der Loslosung und Systematisierung
von ihr eigenen Ausdrucksmoglichkeiten, verzichtet
der Text auf den »musikalischen« Vortrag, wahrend
die Musik als Eigenstandiges dem Text gegeniiberzu-
treten beginnt. Das neue Verhaltnis zwischen Sprache
und Musik wird historisch faBbar im -> Choral der
christlichen Liturgie, der als Mittel des Sprechens
mit der Singstimme (Jammers 1963, S. 14) die Kultspra-
che verwirklicht auf der Ebene des gehobenen Spre-
chens (accentus) oder des melismatisch-melodischen
Verstromens (concentus, ->■ Akzent - 2). Musik und
Sprache treten nun als zwei getrennte Prinzipe auf,
wobei aber die Musik weniger akzidentiell zum Text
hinzutritt, als vielmehr aus der Klanglichkeit und
Struktur der Sprache heraus entsteht. Die Sprache fin-
det klanglich und formal ihreh Niederschlag in ihr
entsprechenden Ordnungen und Formeln der Musik.
Urspriinglich ist die liturgische Sprache Kunstprosa;
inwieweit sie als solche den melodischen Ablauf auch
rhythmisch pragt, ist umstritten. Rhythmische Musik
wird eindeutig erkennbar in den versgebundenen For-
men der Liturgie, die zunachst am quantitierenden
Prinzip der antiken Metrik orientiert sind, in denen
sich jedoch zunehmend das akzentuierende Prinzip
durchsetzt. Dieser Ubergang scheint aber erst im 11./
12. Jh. abgeschlossen zu sein. Das VersmaB pragt den
rhythmischen Verlauf der Musik; die musikahsche D.
richtet sich nach der textlichen, ut quasi metricis pedibus
cantilena plaudatur (Guido von Arezzo, CSM IV, 164).
Wahrend im allgemeinen fur alle liedartigen Gattun-
gen (z. B. -*■ Conductus, -> Minnesang) bis in die heu-
tige Zeit diese enge Beziehung zwischen Textstruktur
und musikalischer Rhythmik gilt, wird sie - eine Er-
rungenschaft der Modalnotation - in -*■ Organum und
->• Discantus der Notre-Dame-Epoche aufgelockert
zugunsten einer vom Text her relativ freien, doch mu-
sikalisch streng gegliederten Rhythmik. Der Text der
-»■ Motette paBt sich dieser (mit der Mensuralnotation
sich verfeinernden Rhythmik) an und hat als Vers- und
Strophenbau in der -*■ Isorhythmie formbildenden
Charakter; dariiber hinaus ist er von ideeller Bedeu-
tung, sofern er einen zumeist hturgischen Cantus pri-
us factus tropiert. Im Verlauf ihrer Geschichte ent-
wickelte sich die Motette in Richtung auf den Text als
Bedeutungstrager. Einen ersten Hohepunkt fand diese
Entwicklung in Kompositionen Josquins und Lassus'
{-*■ Musica reservata), Vollendung im Sinne der Aus-
gewogenheit des musikahschen Satzes bei Palestrina.
Den Sinngehalt des Textes . . . gleichsam aus sich selbst
heraus Musik werden zu lassen (Besseler 1931, S. 288),
ist die eine Grundformel dieser Musik. Mit den hu-
manistischen Tendenzen der -»■ Camerata fiorentina
gegen Ende des 16. Jh. setzte im Zusammenhang mit
der Entstehung der ->• Oper eine verstarkte Besinnung
auf den Text als Darstellung von Empfindung und
Gemiitsbewegung ein. Zugunsten der sinngemaBen
und ausdrucksvollen D., fiir die jetzt alle Mittel mu-
sikalischer Gestaltung eingesetzt werden, verwarf man
in der ->■ Seconda pratica den iiberkommenen kontra-
punktischen Motettenstil (-»■ Monodie). Wahrend
namenthch Monteverdi den Text primar als Affekt-
auBerung betrachtet, versteht der mehr traditionsver-
bundene deutsche Barock die Vokalkomposition bis
hin zu J. S.Bach neben der Affektdarstellung zugleich
im Sinne der -*■ Musica poetica und der musikalisch-
197
Deklamation
rhetorischen ->• Figuren als Verdeutlichung, Auslegung
des Textes, Vergegenwartigung seines Sinns (Eggebrecht
1959, S. 64). Seit der beginnenden Klassik kann die
Frage nach dem Verhaltnis von Sprache und Musik auf
die Gattungen Oper und Lied eingeschrankt werden.
Die Oper bewegt sich zwischen den Polen des formal
gebundenen ariosen Gesangstils und freier, dem Text
in seinem Tonfall und seinem Ausdruck folgender
Melodik. Ihre pragnanteste Gestaltung linden beide
Richtungen im 19. Jh. in den Opern Verdis und in der
aus dem Text geborenen »unendlichen Melodie« der
leitmotivisch durchkomponierten Opern Wagners.
Die Oper des 20. Jh. setzt in Berg, Schonberg, Henze
u. a. die Wagnersche D. in Steigerung ihrer Gestik
fort, verklammert sie jedoch in musikalische Formen ;
Strawinsky, Orff, Hindemith u. a. kniipfen in der Art
ihrer metrisch skandierenden Textvertonung an Verdi
bzw. an die Oper des 17. Jh. an. Das Lied dagegen
reicht von der metrisch gebundenen Strophenkom-
position bis zur durchkomponierten, den Text frei
deklamierenden und interpretierenden Vertonung.
Die Extreme werden' markiert auf der einen Seite
durch die bewuflt schlichten Textvertonungen der
Liederschulen des 18. und beginnenden 19. Jh., auf der
anderen durch die an der Wagnerschen D. und Har-
monik orientierten Kompositionen H. Wolfs. Eine
Mittlerstellung nehmen Schubert, Schumann und
Brahms ein. Mit dem Auflosen der Tonalitat im 20.
Jh. (Schonberg, Berg, Webern) wird die Frage nach
dem Verhaltnis von Sprache und Musik zugleich eine
Frage nach dem kompositorischen Material. Der Text,
vornehmlich Lyrik, wird im Fruhstadium der Atonali-
tat zu einem Formfaktor, der Zusammenhang und
Einheitlichkeit garantiert. Dabei deckt die Musik mit
minuzioser Genauigkeit den Text in seiner klanglichen
Struktur und seinem Bedeutungsgehalt auf, und der
Text greif t in vorher nicht gekannter Weise strukturell
in die Musik ein. Indem die Musik sich an den Text
verliert, gewinnt sie neue Bereiche tonsprachlicher
Moglichkeiten. In jiingster Zeit wurden Versuche ge-
macht, durch stufenweises Angleichen von elektroni-
schen oder instrumentalen Klangen an den Sprach-
klang (Stockhausen, Boulez) bzw. durch Ineinander-
schieben von Wortpartikeln und Textzeilen (Nono)
den Lautwert der Sprache musikalisch zu erschlieBen
und kompositorisch verfiigbar zu machen.
Lit. : J. Schuback, Von d. mus. D., Gottingen 1775 ; J. K.
Fr. Rellstab, Versuch uber d. Vereinigung d. mus. u.
oratorischen D., Bin 1785; N. E. Framery, Analyse des
rapports qui existent entre la musique et la declamation,
Paris 1802; A. Burja, Sur les rapports qu'il y a entre la
musique et la ddclamation, Sb. Bin, mathematische Klasse,
1803; R. Wagner, Oper u. Drama (1851), in: Samtliche
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W. Kienzl, Die mus. D., in: Mus.-Philologische Studien,
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Strauss uber d. Verhaltnis v. Dichtung u. Musik (Wort u.
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Late Romantic Lied, AMI XXXIV, 1962 ; E. Jammers, Mu-
sik in Byzanz . . ., = Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss.,
phil.-hist. Klasse, 1962, 1 ; ders., Ausgew. Melodien d. Min-
nesangs, = Altdeutsche Textbibl., Erganzungsreihe I, Tu-
bingen 1963; H. Husmann, D. u. Akzent in d. Vertonung
mittellat. Dichtung, AfMw XIX/XX, 1962/63; Th. W.
Adorno, Fragment uber Musik u. Sprache, in : Quasi una
Fantasia, Mus. Schriften II, Ffm. 1963 ; P. Boulez, Poesie -
Centre et Absence - Musique, Melos XXX, 1963; K. H.
Ehrenforth, Ausdruck u. Form. Schonbergs Durchbruch
zur Atonalitat in d. George-Liedern op. 15, = Abh. zur
Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XVIII, Bonn 1963; P.
Hartmann, Syntax u. Bedeutung I : Die syntaktische Be-
deutungsmatrix, Assen 1964; H. Petri, Lit. u. Musik,
= Schriften zur Lit. V, Gottingen 1964. EB
Delitzsch (Sachsen-Anhalt).
Lit.: M. Seiffert, Die Org. d. Stadtkirche in D., Fs, H.
Kretzschmar, Lpz. 1 9 1 8 ; A. Werner, Zur Mg.v.D., AfMw
I, 1918/19 u. VIII, 1926; W. Braun, Zur Passionspflege
in D. unter Chr. Schultze, AfMw X, 1953 ; ders., Der Kan-
tor Chr. Schultze u. d. »Neue Musik« in D., Wiss. Zs. d.
M. Luther Univ. Halle, Gesellschaftswiss.-sprachwiss. Rei-
he X, 4, 1961.
demancher (demaj'e, von frz. manche, Griffbrett),
beim Streichinstrumentenspiel der Wechsel von einer
-*■ Lage (- 3) in eine andere.
Den Haag.
Lit. : D. Fr. Scheurleer, Een Haagsch muziekliefhebber
uit de 18 e eeuw, Amsterdam 1910; ders., Het muziekleven
te 's-Gravenhage in de tweede helft d. 1 8 e eeuw.'s-Graven-
hage 1911; Het Haagse musiekleven in de 17 e en 18 e eeuw,
Kat. d. Gemeentemuseums v. 's-Gravenhage, D. H. 1952;
W. Lievense, Die Instrumentenslg d. Gemeinde-Museums
D. H., NZfM CXVIII, 1957.
Denkmaler.
Die nachfolgende Aufzahlung nennt nur groBere Aus-
gabenreihen bzw. solche, die als umfangreiche Unterneh-
men geplant waren oder es noch sind. Die einzelnen D.-
Reihen sind, in chronologischer Folge, dem Land zuge-
198
ordnet, das als Haupttrager der Ausgabe angesehen wird.
Ausgaben von Musik hier nicht aufgefiihrter Lander sind
im betreffenden Landerartikel zu suchen. Die neben den
D.n zu nennenden Ausgaben der samtlichen Werke ein-
zelner Komponisten sind im Artikel — » Gesamtausgaben
verzeichnet, sofern sie nicht Bestandteil einer hier zitierten
Reihe sind. Das Namensregister am SchluB des Artikels
verweist auf alle Stellen, an denen der Komponist inner-
halb des Artikels genannt ist.
Belgien.
1) Trisor musical (Untertitel: Collection authentique de
musique sacree et profane des anciens maitres beiges),
eine f . diese friihe Zeit d. Wiederentdeckung alter Mu-
sik hochverdienstliche Slg v. Werken nld. Komponi-
sten d. 15./16. Jh., in Partitur hrsg. v. R.J. Van Mal-
deghem, 29 Jg. zu je 2 Teilen (Musique profane, Mu-
sique religieuse), Brussel 1865-93; es sind vertreten:
Anonymi (Jg. XI, XIII-XX, XXII-XXIV), A. Agri-
cola (III, XI, XXIV, XXIX), B.Appenzeller (XIV,
XV, XVIII), J. Arcadelt (II, XX, XXV-XXVIII), H.
Barra (XX), J.Baston (XII), J. de Berchem (I, XI,
XVII, XXIV), A. Brumel (II,X, XI)J. Bultel (XXVIII),
Cabilliau (XVIII), J.Clemens non Papa (I, XIV, XX),
J. de Cleve (I, IX, XII-XVI), L. Compere (XIII,
XXIII), P. Cornet (XVII), Th. Crecquillon (I, VIII,
XII, XIV, XXIV), L.Episcopius (XI), N.Faignient
(XIII, XXVIII), A.Feys (XXVIII), J. de Fossa (II),
Gheerkin = C. Canis (XV, XXV), N. Gombert (II, XI,
XII, XIV, XVII, XX), Cl.Goudimel (III, XI), J. de
Hollande (XVI), CI. le Jeune (XX, XXIX), Josquin
Desprez (II, III, XII, XIV-XVI, XX, XXII), G.
Junckers (XXI), J. de Kerle (I, XVII, XXIII-XXVIII),
Ph.Lapperdey (XVIII), P. de la Rue (XVIII-XXII,
XXIX), O. de Lassus (III-V, IX, X, XII, XIII, XVI,
XXIV), M. Le Maistre (I, XII), B. Le Roy (II), A. de
Longaval (I), J.Lupi (XVI, XX, XXIV), J. de Macque
(I, VII, IX), J. de Martelaere (I), R. del Mel (I, IX, XI,
XII), L. van Meldert (XI), L.Monte (XI), Ph. de Mon-
te (I, II, VI-X), A.Pevemage (I, II, V-VIII, XVI), M.
Pipelare (I, XI, XIII, XIV, XXI), J. de Ponte (I), J. Ri-
chafort (XV, XVII), Ph.Rogier (XXI), RogierPathie
(XIX), C. de Rore (I, VIII, XI, XII), Fr. Sales (I, IV-
VI), D.Scheure (XIX), Ph.Verdelot (II, XI, XXIII,
XXVIII), C.Verdonck (I, II, XII, XXVIII), H.Wael-
rant (I), A.Willaert (I, II, XIII, XIV, XVI), A.Yver
(XXV).
2) Monumenta Musicae Belgkae (MMBelg), hrsg. v. d.
Vereeniging voor muziekgeschiedenis te Antwerpen
mit Unterstiitzung d. Muziek-Fonds Koningin Eliza-
beth, Berchem-Antwerpen 1932fE. : Jg. I (1932), J.B.
Loeillet, »Werken voor clavecimbel« (Lessons u. Six
suits of lessons); II (1933), A. Van den Kerckhoven,
» Werken voor org.«; III (1936), J.-H.Fiocco, »Werken
voor clavecimbel« (Pieces de clavecin) ; IV (1938), »Wer-
ken voor org. of voor vier speeltuigen« v. Ch.Guillet
(Vingt quatre fantaisies),]. de Macque (d. Stiicke d. Hs.
Neapel) u. Ch.Luyton (8 Orgelstiicke u. ein instr.
Ricercare a 4); V (1943), J.Boutmy, »Werken voor
klavecimbek; VI (1948), »Werken voor org. en/of
voor clavecimbel« v. D.Raick (Six suites u. Six petites
suites) u. Ch.-J. Van Helmont (1. Suite aus Pieces de
clavecin u. 4 d. Six fugues pour clavier); VII (1951), G.
Havingha, »Werken voor clavecimbel« (8 Suites voor
clavecimbel op. 1) ; VIII (1960), P. de la Rue, »Drie mis-
sen« (Missa de Beata Virgine, Missa de Virginibus ,0 quam
pulchra est', Missa de Sancta Anna); IX (1963), »Neder-
landse polyphonie uit spaanse bronnen« (N.Baulde-
wijn, Missa en douleur et tristesse u. Chanson ert.douleur en
[sic!] tristesse; M. Gascongne, Missa ,Es hat ein Sin' ; Th.
Verelst, Missa quatuor vocum).
3) Flores muskales belgkae, Veroffentl. d. Soc. beige de
musicologie, bisher nur Bd I (Brussel 1950), Pieces po-
Denkmaler (Deutschland)
lyphoniques profanes de provenance liegeoise (XV' siecle) :
»Pieces frc.« v. A. u. H. de Lantins sowie J. Fr. Gembla-
co, »Pieces ital.« v. H. de Lantins.
Danemark.
1) Dania sonans (Untertitel: Kilder til musikens historie
i Danmark), Serie 4 in d. Veroff . d. Samfundet til udgi-
velse af dansk musik (d. vorhergehenden'3Serien, be-
gonnen 1872, enthalten zumeist praktische NA bzw.
Erstdrucke, oft in Bearb. fiir Kl., v. Werken j lingerer
u. zeitgenossischer Komponisten), bisher nur Bd I
(Kopenhagen 1933), »Vaerker af Mogens Pederson«
(Pratum spirituale u. Madrigali a cinque voci).
2) Monumenta Musicae Byzantinae, zentrale Publika-
tionsreihe zur ma. liturgischen Musik d. griech.-ortho-
doxen Kirche, auf Anregung d. Koniglich-Danischen
Akad. &. Wiss. hrsg. v. d. Union Academique Inter-
nationale in Brussel unter Leitung v. C. Fteeg, H.J. W.
Tillyard u. E.Wellesz in Verbindung mit d. Archi-
mandriten v. Grottaferrata (wahrend d. 2. Weltkrieges
besorgte d. Byzantine Inst., Boston/Mass., d. Unterneh-
men weiter),4 nicht numerierte Serien (davonist d. Serie
»Subsidia«, d. nur Abh. enthalt, hier nicht aufgefuhrt),
Kopenhagen (wenn nicht anders angegeben) 1935ff . :
Facsimilia: Bd I (1935), Stkherarium (Codex vindobo-
nensis theol. gr. 181); II (1938), Hirmologium Athoum
(Codex Monasterii Hiberorum 470); III (Rom 1950,
nebst Beiheft 1951), Hirmologium e Codice Cryptense
(Codex Cryptensis E.y.II); IV (1956), Contacarium Ash-
burnhamense (Codex Bibl. Laurentinae Ashburnhamen-
sis 64) ; V (2 Bde, 1957), Fragmenta Chiliandarica Palaeo-
slavica (A. Sticherarium, B. Hirmologium, nach Co-
dex Monasterii Chiliandarici 307 bzw. 308) ; VI (1960),
Contacarium Palaeoslavkum Mosquense (Codex Uspens-
kogo Sobora 9 d. Hist. Museums Moskau). - Tran-
scripta: Bd I (1936), Die Hymnen des Sticherarium fiir
September; II (1938), The Hymns of the Sticherarium for
November; III (1940), The Hymns of the Octoechus, 1.
Teil (2. Teil s. u. V dieser Serie); IV (Boston 1952),
Twenty Canons from the Trinity Hirmologium; V (1949),
The Hymns ... (s. o. Ill dieser Serie), SchluBteil; VI
(1952), The Hymns of the Hirmologium, Teil 1, 1. Modus
u. 1. plagaler Modus (Fortfuhrung s. u. VIII dieser
Serie); VII (1960), The Hymns of the Pentecostarium;
VIII (1956), The Hymns . . . (s. o. VI dieser Serie), Teil
III/2 (3. plagaler Modus u. Barys); IX (1957), The
Akathistos Hymn. - Lectionaria: Bd I (bisher 5 Liefe-
rungen), Prophetologium (1, 1939, »Lectiones Nativitatis
etEpiphaniae«; 2, 1940, »Lectiones Hebdomadarum 1"
et 2" quadragesimae«; 3, 1952, »Lectiones Hebdomada-
rum 3" et 4" quadragesimae« ; 4, 1960, »Lectiones Heb-
domadae 5" quadragesimae et Hebdomadae in Palmis
et Maioris«; 5, 1962, xLectiones Sabbati sancti«).
3) Italia sacra musica (Untertitel: Musiche corali ital.
sconosciute della prima meta del Cinquecento), hrsg.
v. Kn.Jeppesen, 3 Bde, Kopenhagen (1962): Bd I,
Messen u. Motetten v. G.Alberti, Ph.Verdelot, G.
Fogliano, Fr. Seraphin, H.Maffoni, Mutus, Fra Petrus
de Ostia, Laurus Patavus, G. Spataro, G. Buonaugurio
da Tivoli, C. Festa ; II, Messen u. Motetten v. L. Foglia-
no, G. Buonaugurio da Tivoli, G.Alberti, M. Cara,
Filippus de Lurano, R.Bartolucci da Assisi, Don Mi-
chel, A.Benincasa, H.Maffoni, Simon da Ferrara, C. u.
S. Festa; III, Messen, eine Passion (Alberti), Lamen-
tationen u. Motetten v. C. Festa, G.Alberti, B.Trom-
boncino, Bernardo Pisano, P. Bivi u. Palestrina.
Deutschland.
1) Musica sacra (Untertitel: Cantiones XVI, XVII, XVIII
saeculorum praestantissimas), erste bedeutende NA v.
Kirchenmusik, d. nicht nur praktischem Gebrauch, son-
dern auch mg. Forschung dienen sollte, hrsg. v. Fr. Com-
mer, 28 Bde, Bin (bis Bd XVII) bzw. Regensburg 1839-
199
Denkmaler (Deutschland)
87 (zur Unterscheidung v. einer gleichnamigen Ed.-
Reihe, d., »zum bestimmten Gebrauch f. d. Konigl.
Berliner Domchor hrsg. v. A.H.Neithardt«, ab Bd V
parallel zu erscheinen begann, tragen d. Bde V-XIV d.
Commerschen Reihe d. Zusatz »Selectio modorum
...«): Bd I (1839; neu hrsg. als Meister des Orgelbarock
v. H. F. Redlich, Bin 1931), Orgelwerke v. Anonymus,
J.S.Bach, N.Bruhns, D.Buxtehude, Dobenecker, J. E.
Eberlin, G.Frescobaldi, J.J.Froberger, Cl.Merulo,
Gottlieb Muff at, J.Pachelbel, J.G.Walther, Fr.W.
Zachow; II (1840), Werke f. 2^t Manner-St. v. Car-
nazzi, B.Cordans, Fr. Durante, E.Fabio, D.Gallo(II),
G.Giacomelli, A. Gumpelzhaimer, J.K.Kerll, G Le-
grenzi, A. Lotti, Mastioletti, Menegalli, G. P. Palestrina,
T.L. de Victoria; III (1841), Werke £. gemischte St. v.
A.Caldara, G.Gabrieli, A. Hammerschmidt, Joachim a
Burck, G. Legrenzi, L. Leo, J. Pachelbel, G. P. Palestrina,
M.Praetorius, A.Scarlatti, H.Schiitz, J.Walter; IV
(1842), f . Singst. u. Kl. eingerichtete Gesange v. J. S.
Bach, Fr. Durante, G.Fr. Handel, J.A.Hasse, N.Jom-
melli, L.Leo, A. Lotti, B. Marcello, J. G.Naumann, G.
B . Pergolesi, J. H. Rolle, G. Ph. Telemann ; V-XII (1860-
67, jahrlich 1 Bd), gesammelte Werke v. O. de Lassus;
XIII-XIV (1872-73), Werke v. H.L.HaBler; XV-
XXVIII (1874-87, 1 Bd pro Jahr) Chorsatze v. Gr.
Aichinger (XVI, XXVIII), Bl. Amon (XXI), F. Anerio
(XV), G.M.Asola (XXVII), Sc.Baroti (XXIV), G.B.
Bassani (XXVII), S.Calvisius (XXVIII), G.P.Cima
(XXIII), G.Croce (XV, XVI, XXIII), Chr. Demantius
(XXVIII) , B. Donato (XXIV) , G. Dreffler (XV, XXVI) ,
Chr.Erbach (XXVIII), St.Felis (XXIII), A.Ferrabos-
co(I) (XXV), G.Florio (XVIII), M.Franck (XXIV), G.
Gabrieli (XV, XVI, XXI, XXIII, XXVIII), J.Gallus
(XV, XXI, XXII, XXVII), R.Giovannelli (XXV,
XXVI) , G Guami (XVII, XVIII) , Fr. Guerrero (XXVII) ,
A. Gumpelzhaimer (XXVIII), A. Hammerschmidt
(XXIV-XXVIII), M.A.Ingegneri (XV), J.Kneffel
(XIX), Gr.Lange (XIX), R. de Lassus (XXI), L.Lech-
ner (XVIII, XIX), L.Leoni (XXII), Ch.Luyton(XVII-
XX, XXII) , St. Mahu (XVII, XVIII) , L. Marenzio (XVI,
XXV, XXVII, XXVIII), J. Meiland (XIX, XX), R. del
Mel (XVI, XX, XXI, XXVI), CI. Merulo (XVI, XXIII,
XXV, XXVII, XXVIII), S.Molinari (XV, XVI, XXII),
Ph. de Monte (XXIV), G.M.Nanino (XXV), V.Ne-
rito (XX), Fl.Nocetti (XV), A.Orologio (XXIV), P.
Pace (XX), C.Porta (XXVI), V.Puteus (XXI), T.
Riccio (XIX), B.Roi (XXV), J. Rosenmuller (XXIV),
A.Rota (XVI), Pr.Santini (XXV), A.Scandello (XV,
XIX, XX), A.Scarlatti (XXIV), Ph. Schondorffer
(XXVII), L.Senfl (XVIII), A. Stabile (XVI, XXII), G.
B. Steffanini (XV), Fr. Suriano (XXV), M. Tonsor (XV,
XIX, XXII), A.Utendal (XX), J. Vaet (XXII), B. Van-
nini (XXIV), M. Varotto (XV, XVI), O. Vecchi (XVI,
XXIII, XXVII), I. de Vento (XX), St. Venturi (XVI),
C. Verdonck (XXI), Chr. Th. Walliser (XV, XIX), G.
de Wert (XXIII), P.Zallamella (XXV).
2) Collectio opemm musicorum Batavorum saeculi XV &
XVI, eine d. ersten groB angelegten Slgen nld. Musik
d. Palestrina-Epoche, auf Anregung d. Maatschappij
tot bevordering d. Toonkunst hrsg. v. Fr. Commer, 12
Bde, Bin (Bd I-IV, XII), Mainz, Antwerpen u. Briissel
(V-VIII), Bin u. Amsterdam (IX-XI), o. J. (1844-58):
Bd I-X, Motetten v. J.Arcadelt, Ph.Basiron, J.Buus
u. C. Canis (VIII), J.Clemens non Papa (I, II, III ganz,
V, VIII, X), J. de Cleve (IV), Th. Crecquillon (X), CI.
Delatre u. N.Gombert (VIII), Chr. J. Hollander (I, IV-
VI, IX) u. S.Hollander (I), Josquin Desprez (VI- VIII),
O. de Lassus (VII, VIII, X), M. Le Maistre (VIII), Ph.
de Monte (VI), J.Mouton u. A.Pevernage (VIII), D.
Phinot (VIII, IX), C. de Rore (VII), J. Vaet (II, IV, V,
IX), H.Waelrant (I), A.Willaert (I, II); Bd XI, J.Cle-
mens non Papa, d. 4 »Musikbiicher« Souterliedekens;
XII, Chansons u. Madrigale v. J. Arcadelt, A.Barbe, J.
Baston, J.Castileti (= Guyot), P.Certon, Claudin
(= CI. de Sermisy), J.Clemens non Papa, Th. Crec-
quillon, N.Gombert, Cl.Janequin, Josquin Desprez,
O. de Lassus, J. Le Cocq, J.Lupi, P. de Manchicourt, J.
Richafort, P. de Rocourt, C. de Rore.
3) Denkmaler der Tonkunst, eine nicht zu Ende gefuhrte
Publikationsreihe, d. d. spater folgenden »Denkmalern
deutscher Tonkunst« (s. u. Nr 5) als Anregung diente,
hrsg. v. Fr. Chrysander, 5 Bde in 6, Bergedorf 1869-
71 : Bdl, G. P. Palestrina, Motectafestorum; II, G. Carissi-
mi, 4 Oratorien (Jep/ite, Jonas, Balthazar, Judicium Salo-
monis) ; III, A. Corelli, GA (auf 2 Bde geplant, jedoch
hier nur 1. Bd, op. 1-4, erschienen) ; IV (2 Bde), Fr.
Couperin (le grand), 1. u. 2. Buch d. Pieces de clavecin;
V, Fr.A. Urio, Te Deum.
4) Publikation alterer praktischer und tkeoretischer Musik-
werke (PGfM), umfangreiche D.-Reihe zur Mg. d. 15.
u. 16. jh. (nebst einigen Abh.), hrsg. v. d. Ges. f. Mu-
sikforschung unter d. redaktioneflen Leitung v. R.
Eitner, 33 Jg. (1873-1905) = 29 Bde, Bin (Jg. I-VII)
bzw. Lpz. (o. J.): Jg. I— III (Bd 1-3), J.Ott, Hundert und
fiinfftzehen guter newer Liedlein (1544); dazu im 1. Bd v.
IV (4) eine Studie v. A.Kirchhoff, im2. Bd (5) Musikali-
sche Spicilegien ..., eine Abh. iiber ma. Musikpraxis v.
A.Schubiger; V (6), Josquin Desprez, ausgew. Werke
(Missa L'Homme arme super voces musicales, Motetten,
Psalmen u. Chansons); VI (7), J.Walter, Wittember-
gisch Geistlich Gesangbuch (1524); VII (8), Heinrich
Finck, 35 Vokalsatze (nebst 2 Melodia epithalamii v.
Hermann Finck); VIII (9), E. Oglin, Liederbuch zu vier
Stimmen (1512); IX (10), »Die Oper ... bis zur Mitte
d. 18. Jh.«, 1. Teil (Fortfiihrung s. u. XI, XIII/XIV,
XIX/XX-XXI/XXII), enthalt Marienklage (anon,
geistliches Schauspiel aus d. 14. Jh.), v. P. Rebhun Ein
geistlich Spiel von ... Susannen (1535), groBereTeile aus
G. Caccinis L'Euridice, M. da Gaglianos La Dafne u. CI.
Monteverdis L'Orfeo; X (11), S.Virdung, Musica ge-
tuscht (Faks.); XI (12), »Die Oper . . .« (s. o. IX), 2.
Teil, enthalt Fr.Cavalli, Einleitung u. 1. Akt v. II Gia-
sone, M.A. Cesti, Ausziige aus La Dori, Le disgrazie
d'Amore u. La Semirami; XII (13), M.Praetorius, 2. Bd
(»De organographia«) d. Syntagma musicum ; XIII/XIV
(14), »Die Oper ...« (s. o. IX), 3. Teil, enthaltendJ.-B.
Lully, Armide (Akt I u. II), u. A.Scarlatti, La Rosaura
(2 Akte) ; XV (15), H. L. HaBler, Lustgarten Neuer Teut-
scher Gesdng (1601); XVI-XVIII (16), Glareanus, Do-
dekachordon (in deutscher TJbers. mit Ubertragung d.
Notenbeispiele); XIX/XX-XXI/XXII (17-18), »Die
Oper . . .« (s. o. IX), 4. Teil, G. C. Schiirmanns Ludo-
vicus Pius (teilweise), 5. Teil, R.Keisers Der lacherliche
Prinz Jodelet; XXIII (19), J.Regnart, Tricinia v. 1593,
L.Lechners 5st. Bearb. einer friiheren Ausg. ders. (1579
v. ihm als Newe Teutsche Lieder veroffentlicht) sowie
mehrere eigene Satze; XXIV (20), M.Agricola, Mu-
sica instrumentalis deudsch (die Ausg. v. 1529 u. 1545;
zum Teil in Faks.) ; XXV (21), J.Eccard, Newe Lieder
(1589) ; XXVI (22), Joachim a Burck, Zwantzig Deut-
sche Liedlein (1575), Die deutsche Passion (1568) u. Passio
Jesu Christi (1574); XXVII (23), Ausw. v. »60 Chan-
sons* aus d. bei P.Attaingnant 1539-49 erschienenen
Chansonbuchern; XXVIII (24), G.DreBler, XVII can-
tiones sacrae (1565) ; XXIX (25), Gr. Lange, 24 Motetten
(hauptsachlich aus d. beiden Buchern Cantiones v. 1580
u. 1584); XXX (26), O. Vecchi, U Amfiparnaso; XXXI
(27), J.-M.Leclair (l'aine), Second livre de sonates pour le
violon et la flute traversiere; XXXII (28), M.Zeuner,
LXXXII schbne geistliche Psalmen; XXXIII (29), d. v.
G.Forster 1540 hrsg. Sammelwerk Der ander theil . . .
frischer teutscher Liedlein.
200
5) Denkmdler Deutscher Tonkunst (DDT), zentrales ra-
tionales Unternehmen zur wiss. NA alter Musik, be-
griindet v. Ph. Spitta, Fr. Chrysander u. O. v. Hase, ab
1900 hrsg. v. d. PreuBischen Mg. Kommission zur
Herausgabe d. DDT unter Leitung v. R. v. Liliencron,
H. Kretzschmar, H. Abert u. A. Schering, erste Folge
(2. Folge, »Denkmaler d. Tonkunst in Bayern«, s. u.
Nr 6), 65 Bde, Lpz. 1892-1931 (eine v. H.J.Moser
kritisch revidierte Neuauflage aller 65 Bde erschien
innerhalb kiirzester Zeit, 1957-61, in Wiesbaden u.
Graz; vgl. dazu: Addenda et Corrigenda, Mf XVI,
1963) : Bdl (1892), S. Scheidt, Tabulatura nova; II (1894),
H.L.HaBler, »Werke«, 1. Bd (Fortfuhrung s. u. VII u.
XXIV/XXV), enthalt d. Cantiones same; III (1900),
Fr.Tunder, »Solokantaten u. Gesangswerke« (nebst
einer Sinfonia a 7viole); IV (1901),J.Kuhnau, »Klavier-
werke« (d. gedruckt Uberlieferte) ; V (1901), J. R. Ahle,
»Ausgew. Gesangswerke«; VI (1901), M.Weckmann
u. Chr.Bernhard, »Solokantaten u. Chorwerke« (mit
Instr.); VII (1902), H.L.HaBler ... (s. o. II), 2. Bd,
Missae 4-8 vocum; VIII/IX (1902), I.Holzbauer, Oper
Giinther von Schwarzburg; X (1902), »Orchestermusik
d. 17. Jh.« (J. C. F. Fischer, Le Journal du Printems; J. A.
Schmierer, Zodiaci Musici ... Pars J); XI (1903), D.
Buxtehude, »Instrumentalwerke« (Triosonaten) ; XII-
XIII (1903-04), H. Albert, alle 8 Teile d. Arien; XIV
(1903), D. Buxtehude, »Abendmusiken u. Kirchenkan-
taten« (8 groBere Werke); XV (1904), C.H.Graun,
Oper Montezuma; XVI (1904), »Ausgew. Instrumen-
talwerke« v. M.Franck u. V.HauBmann; XVII (1904),
»Passionsmusiken« (J. Sebastiani, Das Leiden und Ster-
ben ... Jesu Christi; J.Theile, Passio Domini nostri Jesu
Christi); XVIII (1904), J.Rosenimiller, Sonate da came-
ra; XIX (1905), A.Krieger, Neue Arien (nebst d. 7 Lie-
dern aus d. Liederbuch d. Clodius); XX (1905), J. A.
Hasse, Oratorium La conversione di Sanf Agostino ; XXI/
XXII (1905), Fr.W.Zachow, »Gesammelte Werke«;
XXIII (1905), H.Praetorius d. Altere, » Ausgew. Wer-
ke* (geistliche Vokalwerke) ; XXIV/XXV (1906), H.
L. HaBler ... (s. o. II), 3. Bd, Sacri concentus (1601) ;
XXVI/XXVII (1906), J.G.Walther, GA d. Orgelwer-
ke; XXVIII (1907), G.Ph.Telemann, Singgedicht Der
Tag des Gerichts u. Kantate Ino; XXIX/XXX (1907),
»Instrumentalkonzerte deutscher Meister« (J.G.Pisen-
del, Violinkonzert D dur; J. A. Hasse, Flotenkonzert
H moll; C. Ph. E. Bach, Klavierkonzert D moll; G.Ph.
Telemann, Violinkonzert F dur ; Chr. Graupner, Kon-
zert f . 2 Fl., 2 Ob. u. Streichorch.; G. H. Stolzel, Concerto
grosso a quattro chori D dur; C. Fr. Hurlebusch, Concerto
grosso A moll); XXXI (1907), Ph.Dulichius, Prima
Pars Centuriae (2. Teil s. u. XLI); XXXII/XXXIII
(1907), N.Jommelli, Oper Fetonte (1768); XXXIV
(1908), d. v. G.Rhaw 1544 gedruckten Newe deudsche
geistliche Gesenge; XXXV/XXXVI (1909), Sperontes
Singende Muse an derPleisse ; XXXVII/XXXVIII (1912),
R. Keiser, Oper Der hochmiithige, gesturtzte und wieder
erhabene Croesus (1710) u. Ausw. aus d. Oper L' Inganno
fedele (1714); XXXIX (1909), J.Schobert, » Ausgew.
Werke«; XL (1910), A.Hammerschmidt, »Ausgew.
Werke« (Vokalmusik) ; XLI (1911), Ph.Dulichius,
Secunda Pars Centuriae (1. Teil s. o. XXXI); XLII
(1910), J.E.Bach, Sammlung auserlesener Fabeln, V.
Herbing, Musikalischer Versuch; XLIII/XLIV (1913),
»Ausgew. Ballette Stuttgarter Meister . . .« (Fl.J.Del-
ler, Orphee et Euridice, La Constance, Ballo polonois u. La
schiava liberata; J.J. Rudolph, Rinaldo, La mort d'Hercule
u. Medea); XLV (1911), M.Hinrich Elmenhorsts ...
Geistreiche Lieder (mit Melodien v. J.W.Franck, G.
Bohm u. P.L. WockenfuB); XLVI/XLVII (1914), Ph.
H. Erlebach, d. beiden Teile Harmonische Freude musica-
lischer Freunde; XL VIII (1914), J.E.Bach, »Passionsora-
Denkmaler (Deutschland)
torium«; XLIX/L (1915), »Thiiringische Motetten d.
ersten Halfte d. 18. Jh.« (93 Werke aus Ms. 13661 d.
Univ.-Bibl. zu Konigsberg); LI/LII (1926), Chr.
Graupner, »Ausgew. Kantaten« (17 Kirchenkantaten) ;
LIII/LIV (1916), J.Ph.Krieger, »21 ausgew. Kirchen-
kompositionen«; LV (1916), C. Pallavicini, Oper La
Gerusalemme liberata; LVI (1917), J. Chr. Fr. Bach, d.
Oratorien Die Kindheit Jesu u. Die Auferweckung La-
zarus; LVII (1917), G.Ph. Telemann, »240den« (1741),
J. V. Gbrner, d. 3 Teile d. Sammlung Neuer Oden und
Lieder; LVIII/LIX (1918), »Ausgew. Kirchenkantaten«
(je 4 Werke v. S. Kniipfer, J. Schelle u. J. Kuhnau) ; LX
(1930), A.Lotti, »Messen« (insgesamt 8); LXI/LXII
(1927), G.Ph.Telemann, Musique de table (alle 3 Tei-
le); LXIII (1928), J.Pezel, »Turmmusiken u. Suiten«;
LXIV (1930), G.Benda, d. komische Oper Der Jahr-
markt; LXV (1931), Th.Stolzer, »Samtliche lat. Hym-
nen u. Psalmen«.
6) Denkmdler der Tonkunst in Bay em (DTB), d. DDT
(s. o. Nr 5) zweite Folge, veroffentlicht durch d. Ges.
zur Herausgabe v. D. d. Tonkunst in Bayern unter
Leitung v. A. Sandberger, 30 Jg. = 36 Bde (2 weitere
Bde, d. Jg. XXXI/XXXVI u. XXXVII/XXXVIII,
stellen d. LD Bayern im EDM dar; s. u. Nr 9), Lpz.
bzw. Augsburg (ab 1924) 1900-31 (eine revidierte
Neuauflage, besorgt durch d. Ges. £. Bayerische Mg.,,
wurde 1962 in Angriff genommen) : Jg. I (1900), E.F.'
Dall'Abaco, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (aus op. 1-4;
vollstandige Ausg. v. op. 1 s. u. IX,1); II (1901), Bd 1,
»Klavierwerke« v. J. u. W. H. Pachelbel (Ausw.), 2,
J.K.Kerll, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (mehr nicht er-
schienen); III, 1 (1902), »Sin£onien d. pfalzbayerischen
Schule« (weitere Bde s. u. VII.2 u. VIII.2), 10 Werke
v. J.Stamitz, Fr.X.Richter u. A.Filtz, 2 (1903), L.
Senfl, »Werke«, 1. Teil (hier mehr nicht erschienen),
enthalt Motetten u. mehrere Magnificat; IV (1903), 1,
J. Pachelbel, »Orgelkompositionen« (auch 2 Stiicke v.
W.H. Pachelbel), 2, Chr.Erbach, ausgew. Werke f.
Tasteninstr., H.L.HaBler, »Werke, I. Teil, Werke £.
Org. u. Kl.« (enthalt auch Stiicke v. J. HaBler; Fort-
fuhrung s. u. V,2 u. XI,1); V (1904), 1, A. Sandberger,
»Bemerkungen zur Biogr. H. L. HaBlers«, 2 (21962),
H.L.HaBler, »Werke, II. Teil« (s. o. IV,2), Canzonette
v. 1590 u. Erstausg. d. Neue Teutsche gesang v. 1596;
VI (1905), 1, »Niirnberger Meister d. zweiten Halfte d.
17. Jh.« (geistliche Konzerte u. Kirchenkantaten v. P.
Hainlein, H. Schwemmer, G. K. Wecker, J. Pachelbel,
J. Ph. u. J.Krieger), 2, A.Steffani, Duette, Scherzi u.
»Geistliche Kantaten aus Sacer Janus quadrifonsa; VII
(1906), l.J.Staden, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (2. Teil s.
u. VIII.l), 2, »Sinfonien ...« (s. o. 111,1), drei Werke v.
J.Stamitz, je eines v. Fr.X.Richter, A.Filtz, I.Holz-
bauer u. C.G.Toeschi; VIII (1907), 1, J.Staden ...
(s. o. VII, 1), 2, »Sinfonien ...« (s. o. 111,1), je zwei
Werke v. Chr. Cannabich u. C. Stamitz, je eines v.
Fr.Becku.E.Eichner;IX(1908), l.E.F. Dall'Abaco...
(s. o. I), 2, L.Mozart, »Ausgew. Werke« (Kammermu-
sik- u. Orch.-Werke); X (1909), 1, Gr. Aichinger,
»Ausgew. Werke«, 2, A. Gumpelzhaimer, »Ausgew.
Werke«; XI, 1 (1910, 21962), H.L.HaBler, »Werke,
III. Teil« (s. o. IV,2 u. V,2), enthalt d. Madrigali 5-8
vocum, 2 (1911), A.Steffani, Oper Alarico (nebst
Bibliogr. samtlicher Opern); XII (1912), 1, A.Rosetti
(=Fr.A.R6Bler), »Ausgew. Sinfonien« (2. Teil s. u.
XXV), enthalt 5 Sinfonien, 2, A.Steffani, » Ausgew.
Stiicke« (Ausziige aus Opern; vgl. auch VI,2); XIII
(1913), J.E.Kindermann, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (2.
Teils.u.XXI-XXIV), enthalt Vokalmusik ; XIV (1914),
1, T.Traetta, »Ausgew. Werke« (Szenen aus verschiede-
nen Opern) , 1 . Teil (2. Teil s. u. XVII) , 2, Chr.W. Gluck,
Oper Le Nozze d'Ercole e d'Ebe; XV-XVI (1914-15),
201
Denkmaler (Deutschland)
»Mannheimer Kammermusik d. 18. Jh.« (Werke v.
Chr. Cannabich, W.Cramer, Fr.Danzi, J.Fr.Edel-
mann, E.Eichner, A.Filtz, I.Holzbauer, Fr. X. Richter,
A. u. C. sowie J.Stamitz, J.Fr.X.Sterkel, C.G.Toes-
chi, G.J.Vogler, J.B.Wendling); XVII (1916), T.
Traetta . . . (s. o. XIV.l); XVIII (1917), »Gesammelte
Werke f. Kl. u. Org.« v. J. u. J.Ph.Krieger sowie Fr.
X.A.Murschhauser; XK/XX (1920), P.Torri, »Aus-
gew. Werke« (Opernfragmente), 1. Teil (mehr nicht
erschienen); XXI-XXIV (1 Bd, 1924), J.E.Kinder-
mann- ... (2. Teil; s. o. XIII), Instrumentalmusik u.
Gesange mit Instrumentalbegleitung; XXV (1925), A.
Rosetti ... (2. Teil; s. o. XII.1), Orchester- u. Kam-
mermusik; XXVI (1926), J. de Kerle, Preces specia-
les; XXVII/XXVIII (1928), J.Chr.Petz, »Ausgew.
Werke«; XXIX/XXX (1931), A.Raselius, Cantiones
sacrae.
7) Hebraisch-Orientalischer Melodienschatz, wichtige
Veroff. d. mus. Bestandes d. jiidischen Liturgie u. Folk-
lore, »zum ersten Male gesammelt, erlautert u. hrsg.«
(Untertitel) v. A.Z.Idelsohn, 10 Bde, Lpz. 1914-32:
Bd I (1914), Gesange der jemenischen Juden; II (1922),
Gesange der babylonischen Juden; III (1922), Gesange der
persischen, bucharischen und daghestanischen Juden; IV
(1923), Gesange der orientalischen Sefardim; V (1929),
Gesange der marokkanischen Juden; VI (1932, ebenso alle
folgenden Bde), Der Synagogengesang der deutschen Ju-
den im 18. Jh.; VII, Die traditionellen Gesange der siid-
deutschen Juden; VIII, Der Synagogengesang der osteuro-
paischen Juden; IX, Der Volksgesang der osteuropaischen
Juden; X, Gesange der Chassidim.
8) Publikationen alterer Musik (PaM), »veroffentlicht v.
d. Abt. zur Herausgabe alterer Musik bei d. Deutschen
Musikges.« (Untertitel) unter d. Leitung v. Th.Kroyer,
11 Jg. (in 14 Bden), Lpz. 1926-40 (abgebrochen) : Jg. I,
Bel 1 (1926), G. de Machaut, »Mus. Werke«, 1. Teil
(v. d. geplanten 4 Bden sind in dieser Reihe nur 3, s. u.
111,1 und IV,2, erschienen, d. 4., Lpz. 1943, ist eine
selbstandige Publikation; Neudruck aller 4 Bde Lpz.
1954), enthalt d. Balladen, Rondeaux u. Virelais, 2
(1927), J.Ockeghem, »Samtliche Werke«, 1. Teil (hier
mehr nicht erschienen, d. 2. Bd NY 1947; eine NA v. Bd
1 NY 1959), enthalt d. Messen I-VIII; II (1927), DonL.
Milan, Libro de miisica de vihuela de mano; III (1928), 1,
G. de Machaut . . . , 2. Teil (s. o. 1,1), enthalt nur d.
kritischen Apparat zu d. 3 Bden Notenteil, 2 (= Abh.
I), H.Zenck, Sixtus Dietrich, ein Beitrag zur Musik und
Musikanschauung im Zeitalter der Reformation ; IV (1929),
1, L.Marenzio, »Samtliche Werke«, 1. Teil (mit d. 2.
Teil, s. u. VI, wurde d. Ausg. abgebrochen), enthalt
d. 1.-3. Buch d. Madrigali a 5, 2, G. de Machaut . . .,
3. Teil (s. o. 1,1), d. Motetten; V (1930), Das Graduate
der St.Thomaskirche zu Leipzig (Codex 371, 14. Jh.),
1. Teil, » Advent bis Christi Himmelfahrt« (2. Teil,
»Christi Himmelfahrt bis Advent, Sanctorale u. Ordi-
narium Missae«, s. u. VII), enthalt auch Faks. ; VI
(1931), L.Marenzio ... (s. o. IV,1), 4.-6. Buch d.
Madrigali a 5; VII (1932), Das Graduate ... (s. o. V);
VIII (1935), d. 1. u. 4. Buch d. bei O.Petrucci gedruck-
ten Frottole; IX (1937), A.Willaert, »Samtliche Wer-
ke*, 1 . Teil (hier mehr nicht erschienen) , enthalt d. bei-
den Bucher 4st. Motetten v. 1539 u. 1545 ; X (= Abh. II,
1939), H. Schultz, Das Madrigal als Formideal; XI (1940),
»Die drei- und vierst. Notre-Dame-Organa«.
9) Das Erbe Deutscher Musik (EDM), Nachfolgeunter-
nehmen d. DDT (s. o. Nr 5 u. 6), hrsg. v. d. Mg. Kom-
mission e. V. (vormals im Auftrag d. Staatl. Inst. f.
Musikforschung), umfafite in d. ersten Jahren d. Er-
scheinens (1935-43) zwei voneinander unabhangige
Reihen: Reichsdenkmale (=RD), Landschaftsdenk-
male (= LD) ; d. Wiederaufnahme 1953 kennt nur eine
Hauptreihe (vormals RD) u. eine Sonderreihe (in d.
u. a. Neuauflagen d. nicht mehr fortgefiihrten LD ein-
geordnet werden); d. urspriingliche Unterteilung d.
Hauptreihe in 10 Abt. ist beibehalten worden : I, Or-
chestermusik (Erscheinungsort Wiesbaden, vormals
Lpz.), II, Motette u. Messe (Lippstadt, vormals Lpz.),
Ill, Mehrstimmiges Lied (Wolfenbuttel, vormals Wol-
fenbiittel u. Bin), IV, Oper u. Sologesang (Mainz), V,
Kammermusik (Kassel, vormals Hannover), VI, Org.,
Kl. u. Laute (Ffm., vormals Lpz.), VII, MA (Kassel),
VIII, Ausgew. Werke einzelner Meister (Ffm., vor-
mals Lpz.), IX, Oratorium u. Kantate (Kassel), X,
Fruhromantik (Miinchen, vormals Reichenberg) ; d.
Bde sind sowohl durchlaufend als auch f . jede Abt. ge-
sondert numeriert (nachfolgende Aufzahlung ist ge-
ordnet nach A. Hauptreihe, B. Sonderreihe, C. LD) :
A. Bd I— II (2 Sonderbde zum Bach-Gedenkjahr), Lpz.
1935, »Altbachisches Archiv« (v. Vater J.S.Bachs u.
ihm selbst angelegte Slg v. Werken Bachscher Fami-
lienmitgheder), 1. Bd, Motetten u. Chorlieder, 2. Bd,
Kantaten; III (=Abt. V, Bd 1), 1935, J.Chr.Bach,
6 Quintettos op. 11; IV (=VII,1), 1936, 21954, Das
Glogauer Liederbuch, 1. Teil (2. Teil s. u. VIII), »Deut-
sche Lieder u. Spielstiicke«; V (=11,1), 1936, L.Senfl,
7 Messen (= »Samtliche Werke«, Bd 1 ; weitere Bde s.
u. X, XIII, XV; d. NA, Wolfenbuttel 1949ff., wird
nicht mehr in dieser Reihe gezahlt) ; VI (= IV,1), 1936,
G.Ph.Telemann, Pimpinone; VII (=VII,2), 1936,
»Trompeterfanfaren, Sonaten u. FeldstUcke« d. 16.-17.
Jh. ; VIII (= VII.3), 1937, . . . (s. o. IV), 2. Teil, »Ausgew.
Lat. Satze«; IX (= VI.l), 1937, »Orgelchorale um J.S.
Bach«; X (= 111,1), 1938, L. Senfl, »Deutsche Lieder«, 1.
Teil (2. Teil s. u. XV), »Lieder aus hs. Quellen bis etwa
1533« (= »Samtliche Werke«, Bd 2, s. o. V) ; XI (= 1,1),
1938, »Gruppenkonzerte d. Bachzeit« (je ein Konzert in
D dur u. in B dur v. G.Ph.Telemann, in C dur v.
J.D.Heinichen, in F dur v. J. Fr. Fasch) ; XII (= VI,2),
1939, 21961, »Lautenmusik d. 17./18. Jh.« (Werke v.
E.Reusner u. S.L.WeiB); XIII (=11,2), 1939, L.Senfl,
»Motetten«, 1. Teil (hier mehr nicht erschienen), »Ge-
legenheitsmotetten u. Psalmvertonungen« (=Bd 3 d.
»Samtliche Werke«, s. o. V) ; XIV (= V,2), 1941, 21961,
"Deutsche Blasermusik v. Barock bis zur Klassik«; XV
(=111,2), 1940, L.Senfl ... (s. o. X), 2. Teil, »Lieder
aus Hans Otts Liederbuch v. 1534«(= »Samtliche Wer-
ke IV«, s. o. V); XVI ( = VIII,1), 1941, C.Othmayr,
»Ausgew. Werke«, 1. Teil (2. Teil s. u. XXVI), Sym-
bola; XVII (= V,3), 1941, J.J. Walther, Scherzi da vio-
lino solo con il basso continuo; XVIII (=1,2), 1942, C.
Ph.E.Bach, »Vier Orch.-Sinfonien«; XIX (=IV,2),
1942, V.Rathgeber, Ohrenvergnugendes und Gemiith-
ergotzendes Tafel-Confect; XX (=111,3), 1942, G.For-
ster, Ein Aufizug guter alter und neuer teutscher Liedlein
(1. Teil d. »Frische Teutsche Liedlein;« d. 2. u. 3. Teil
sind als Bd LX u. LXI dieser Reihe vorgesehen) ; XXI
(=11,3), 1942, G.Rhaw, Sacrorum hymnorum liber pri-
mus, 1. Teil, »Proprium de tempore« (2. Teil, »Pro-
prium et commune sanctorum«, s. u. XXV); XXII
(=VIII,2), 1942, Th.Stoltzer, »Ausgew. Werke«, 1.
Teil (mehr nicht erschienen), enthalt Messen, Motet-
ten, Instrumentalstucke; XXIII (=VIII,3), 1942, S.
Dietrich, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (mehr nicht er-
schienen), enthalt d. 1. Abt. d. Novum opus musicum . . .
hymnorum (vollstandige Ausg. St. Louis 1960); XXIV
(=V,4), 1953, I.Holzbauer, »Instr. Kammermusik«;
XXV (= 11,4), 1943, G.Rhaw . . . (s. o. XXI), 2. Teil;
XXVI (= VIII.4), 1956, C.Othmayr ... (s. o. XVI),
2. Teil (Cantilenae, Epitaphium D. Martini Lutheri, Bi-
cinia sacra, Tricinia, einzelne Werke aus verstreuten
Quellen); XXVII (=IV,3), 1957, J.A.Hasse, Arminio,
1. Teil (1. u. 2. Akt; d. 3. Akt, vorgesehen als Bd
202
Denkmaler (Frankreich)
XXVIII dieser Reihe, ist noch nicht erschienen) ; XXIX
(=111,4), 1958, J. Jeep, Studenten-gartlein, J.Steffens,
Neue teutsche weltliche Madrigalia und Balletten (1619) ;
XXX (=1,3), 1956, J.Chr.Bach, »Fiinf Sinfonien«;
XXXI (=V,5), 1956, Gr. J. Werner, Neuer und sehr
curios-Musicalischer Instrumental-Calender; XXXII-
XXXIII (= VII.4-5), 1956/60, Der Mensuralkodex des
NikolausApel (d. 3. Teil, vorgesehen als BdXXXIV die-
ser Reihe ist noch nicht erschienen) ; XXXV (= IX,1),
1957, »Kirchenkantaten« v. G.Kirchhoff u. J.G.Gold-
berg; XXXVI (= VI,3), 1957, »Liineburger Orgeltabu-
latur KN 208i«; XXXVII-XXXIX (= VII.7-9), 1958/
58/59, DasBuxheimer Orgelbuch ; XL (noch nicht erschie-
nen), vorgesehen ist »Das Liederbuch d. Dr.Hart-
mann Schedek (=VII,10); XLI (=1,4), 1957, »Klar.-
Konzerte d. 18.Jh.«(J.M.Molteru.Fr.X.Pokorny);XLII
(= 11,5), 1958, A.P.Coclico, Musica Reservata...expsal-
misDavidicis; XLIII (= IV,5), 1962, A. Hammerschmidt,
Weltliche Oden; XLIV (= V.6), 1956, J.Schenck, d.
Gambenwerk Le nymphe di Rheno; XLV-XLVI (noch
nicht erschienen), vorgesehen sind »Geistliche Konzer-
te um 1660-1700« (=IX,2-3); XL VII (noch nicht er-
schienen), vorgesehen sind »Motetten« v. L.Daser
(=11,6); XLVIII (=VIII,5), 1960, Chr.Geist, »Kir-
chenkonzerte«; XLIX (=V,7), 1957, A.Hammer-
schmidt, Violenconsort Erster Fleifi; L (=IX,4), 1961,
A.Pfleger, »Geistliche Konzerte Nr 1-11 aus d. Evan-
gelien-Jg.« (Bicinia et Tricinia); LI (=1,5), 1964, »F1.-
Konzerte d. Mannheimer Schule« v. A.Filtz, Fr.X.
Richter, J., C. u. A.Stamitz, C.G.Toeschi; LII-LVI,
noch nicht erschienen ; LVII ( = VIII.6) , 1962, H. Finck,
»Ausgew. Werke« (1. Teil, Messen u. Motetten zum
Proprium missae). -B. Sonderreihe: Bd I (Kassel 1954),
NA v. Chr. Demantius, Neue deutsche weltliche Lieder
(erstmals in LD Sudetenland . . . , s. u. C.) ; II (Kassel
1955), H.Kugelmann, Concentus novi trium vocum; III
(Mainz 1959), E. Widmann, »Ausgew. Werke«; IV (Kas-
sel 1960), J. Schobert, »Sechs Sinfonien op. 9 u. 10«.- C.
LD : Bayern (= DTB XXXI/XXXVI bzw. XXXVII/
XXXVIII), I (1936), R.I.Mayr, »Ausgew. Kirchenmu-
sik«, II (1938), J. W.Franck, Die drey Tochter Cecrops';
Kurhessen, I (2 Teile, 1936/38), Moritz v. Hessen,
»Ausgew. Werke« ; Mecklenburg u. Pommern, I (1937),
»Hochzeitsarien u. Kantaten Stettiner Meister nach
1700«, II (1942), D.Friderici, »Ausgew. geistliche Ge-
sange«; Niedersachsen, I (1937), J. Schultz, Musicali-
scher Liistgarte, II (1942), A. Crappius, »Ausgew. Wer-
ke«; Rhein-Main-Gebiet, I (1937), J.A.Herbst, »Drei
mehrchorige Festkonzerte f . d. freie Reichsstadt Frank-
furt am Main«; Schleswig-Holstein u. Hansestadte, I — II
(1937), N.Bruhns, »Gesammelte Werke« (Kirchen-
kantaten u. Orgelwerke), III (1938), J.S.Kusser, Arien,
Duette u. Chore aus Erindo, IV (1942), M.Weckmann,
»Gesammelte Werke«; Mitteldeutschland, I (1939), Fr.
W.Rust, »Werke f. Kl. u. Streichinstr.«; OstpreuBen
u. Danzig, I — II (1939), »Zeitgenossische Kompositionen
zu Dichtungen S.Dachs« (I, Geistliche Lieder, Il.Welt-
liche Lieder u. Tanze) ; Sudetenland, Bohmen u. Mah-
ren, I (1939), Chr. Demantius, Neue teutsche weltliche
Lieder, Convivalium concentuum Farrago (NA s. o. B.I) ;
Alpen- u. Donau-Reichsgaue, I (1942; =DTO 84),
» Wiener Lautenmusik im 18. Jh.«.
10) Denkmaler rheinischer Musik, hrsg. v. d. Arbeitsge-
meinschaft f. rheinische Mg., Dusseldorf 1951ff. (aufier
Bd II): Bd I (1951), »Sinfonien um Beethoven« (F.
Graf v. Waldstein, Symphonie D dur; Chr.G.Neefe,
Partita Es dur); II (Koln u. Krefeld 1951), »Das Kolni-
sche Volks- u. Karnevalslied« (hrsg. v. P.Mies); III
(1955), K.Hagius, d. Ausg. d. Psalmen Davids (nach K.
Ulenberg) v. 1589; IV (1954), Liederbuch der Anna von
Koln (um 1500); V (1955), C.Leibl, Festkantate (zur
Wiederaufnahme d. Arbeiten am Kolner Dom); VI
(1957), Cornelius Burgh, »Geistliche Konzerte zu vier
St.« (1630), 1. Teil (2. Teil s. u. IX); VII (1957), C.
Rosier, »Ausgew. Instrumentalwerke«; VIII (1958),
A.Steffani, Tassilone; IX (1961), Cornelius Burgh
2. Teil (s. o. VI); X-XI (1961/64), Chr.G.Neefe, »12
Kl.-Sonaten«.
11) Mitteldeutsches Musikarchiv, veroffentlicht v. Mw.
Seminar d. Friedrich-Schiller-Univ. Jena, 2 Reihen
(Klaviermusik, Kammermusik), Lpz. (1954ff.): 1.
Reihe, H. I (1954), J.Mattheson, Die wohlklingende
Fingersprache; II (1954), Chr. Graupner, 8 Partiten; III-
IV (1954/55), G.Platti, 12 Kl.-'Sonaten; V (1955), G.
Martini, 6 Sonaten; VI-VII (1955), J.G.Muthel, So-
naten u. Variationen. - 2. Reihe, I— II (1955/57), J. Chr.
Pepusch, 6 Triosonaten.
12) Musikalische Denkmaler (MMD), veroffentlicht v.
d. Kommission f. Mw. an d. Akad. d. Wiss. u. Lit. in
Mainz, Mainz 1955ff.: Bd I (1955), »Oberital. Figural-
passionen d. 16. Jh.« (Werke v. Maistre Jhan = J. Le
Cocq, C. de Rore, Jachet v. Mantua, G. M. Asola) ; II
(1957), G.Binchois, samtliche Chansons; III (1957),
Orgelchorale v. J. P. Sweelinck u. seinen deutschen
Schulern; IV (1958), G. Frescobaldi, d. beiden Biicher
Arie musicali; V (1961), G.Mainerio, II primo libro de
balli.
13) Monumenta monodica medii aevi, hrsg. im Auftrag d.
Inst. f. Musikforschung Regensburg v. Br. Stablein,
Kassel 1956ff.; es erschien bisher nur Bd I (Hymnen,
1. Teil), Die mittelalterlichen Hymnenmelodien des Abend-
landes.
14) Denkmiiler norddeutscher Musik, hrsg. v. Landesinst.
f. Musikforschung Kiel, bisher Bd I: J.Theile, Musi-
calisches Kunstbuch, Kassel 1965.
Frankreich.
1) Chefs-d'oeuvre classiques de /' opera francais (auch Col-
lection Michaelis genannt), hrsg. v. Th. de Lajarte (un-
ter Mitwirkung v. C.Franck, Fr.Gevaert, A.Guil-
mant, V.d'Indy, Ch.Poisot, L.Soumis, J.-B.Wecker-
lin u. a.), 38 (nicht numerierte) Bde in 7 Serien, Paris
(einige Bde auch Lpz.) o. J. (1877-83), umfaBt Kl.-A.
v. (insgesamt 41) Opern u. Balletten: B. de Beaujo-
yeulx (=Baltazarini), Ballet comique de la Reine; R.
Cambert, Trio-bouffe de Cariselli, (jeweils d. 1. Akt v.)
Pomone u. Lespeines et lesplaisirs de V amour; A. Campra,
V Europe galante, Lesfestes vinitiennes, Tancrede; Ch.-S.
Catel, Les Bayaderes; P. Colasse, Thitis et Pelie; A.
Destouches, Isse, Omphale, Les elements (mit M.-R. De-
lalande); J.Fr. le Sueur, Ossian; J.-B.Lully, Alceste,
Armide, Atys, BelUrophon, Cadmus et Hermione, Isis,
Persie, Phaeton, Proserpine, Psyche", Tliesee, Les saisons
(mit P. Colasse); Fr. A.Philidor, Ernelinde; N.Piccinni,
Didon, Roland; J.-Ph. Rameau, Castor et Pollux, Darda-
nus, Lesfestes d'Hibe, Hippolyte et Aricie, Les Indes ga-
lantes, Platte, Zoroastre; A.Sacchini, Chimene ou le Cid,
Renaud; A. Salieri, Les Danatdes, Tarare.
2) Paliographie musicale (Pal. mus. ; Untertitel: Les
principaux ms. de chant gregorien, ambrosien, moz-
arabe, gallican, publies en fac-similes phototypiques
par les Benedictins de Solesmes), unter d. Leitung v.
Dom A.Mocquereau u. Dom J. Gajard (ab 1930) zur
zentralen Publikation ma. Choralhss. geworden, 2
Serien = 19 Bde (zum groBten Teil in Lieferungen er-
schienen; d. nachfolgende Aufzahlung gibt d. Erschei-
nungsjahr d. jeweils 1. Lieferung an), Solesmes bzw.
Tournai (Bd VIII-XV) 1889-1958 (d. Reihe soil nicht
mehr fortgesetzt werden), enthalt neben d. Reproduk-
tionen auch Ubertragungen u. groBere Abh. zur Cho-
ralgesch. u. -notation ; es erschienen in d. 1 . Serie : Bd I
(1889), Antiphonale missarum Sancti Gregorii (Codex 339
St.Gallen, 10. Jh.); II/III (1891/92), Responsoriengra-
203
Denkmaler (Frankreich)
duale Justus utpalma (nach iiber 200 hs. Antiphonarien,
9.-17. Jh.) ; IV (1894), Antiphonak missarum Sandi Gre-
gorii (Codex 121 Einsiedeln, 10./11. Jh.); V-VI (1896/
1900), Antiphonarium Ambrosianum (Codex additional
34209 Brit. Mus., 12. Jh.) ; VII- VIII (1901), Antiphonak
tonarium missarum (Codex H. 159 Montpellier, 11. Jh.);
IX (1905), Antiphonaire monastique (Codex 601 Lucca,
12. Jh.); X (1909), Antiphonak missarum Sancti Gregorii
(Codex 239 Laon, 9./10. Jh.); XI (1912), Antiphonak
missarum Sancti Gregorii (Codex 47 Chartres, 10. Jh.);
XII (1922), Antiphonaire monastique (Codex F. 160
Worcester, 13. Jh.); XIII (1925), Graduel de Saint-
Yrieix (Codex 903, Bibl. Nat. Paris, 11. Jh.); XIV
(1931), Graduel biniventain (Codex lat. 10673 Bibl.
Vaticana, 11. Jh.); XV (1937, abgeschlossen Solesmes
1951), Graduel de Bine" vent avec prosaire et tropaire (Co-
dex VI.34 Benevent, 11./12. Jh.); XVI (1955), Le ma-
nuscritdu Mo/jf-i?e»<B«/(Gradualeu. AntiphonarNoyon,
10. Jh.) ; XVII (1958), Fragments des manuscrits de Char-
tres. - In d. 2. Serie (»Serie monumentale«) : I (1900),
Antiphonaire du B.Hartker (Codex 390/391 St.Gallen,
10. Jh.); II (1924), Cantatorium (Codex 359 St.Gallen,
9.Jh.).
3) Les Maitres musiciens de la Renaissance francaise, erste
bedeutende D.-Publikation frz. Mehrstimmigkeit (16.
Jh.), hrsg. (in moderner Notation mit Faks. u. kri-
tischen Anm.) v. H. Expert in 23 Bden (ohne Bd-
Nr), Paris 1894-1908 (abgebrochen) : 2 Bde Messen
(1898/99), enthaltend A.Brumel, Missa De beata virgi-
ne, P. de la Rue, Missa Ave Maria, A. de Fevin, Missa
Mente tota, J.Mouton, Missa Alma redemptoris (d. Mes-
sen v. de la Rue u. Fevin sind A. de Antiquis' »Liber
XV missarum« entnommen) ; P. Attaingnant, Sam-
meldruck Trente et une chansons musicales v. 1529 (1897),
eine aus seinen »Livres de danceries« zusammengestellte
Slg Danceries mit Instrumentaltanzen v. E. Dutertre,
CI. Gervaise u. Anonymi (1908, nur Bd I) ; E. du Caur-
roy, Meslanges de musique (1903); G.Costeley, Musique
(3 Bde, I 1896, II/III 1904); CI. Goudimel, 150 pseaul-
mes de David (3 Bde, 1895/96/97); Cl.Janequin, d. bei
P. Attaingnant 1528 erschienenen Chansons (1898); CI.
le Jeune, erstes Viertel d. Dodecacorde (1900), Le prin-
temps (3 Bde, I 1900, II/III 1901), ein Teil d. Livre de
melanges (1902), Pseaumes en vers mesures (3 Bde, I/II
1905, III 1906); O. de Lassus, 1. Teil d. Meslanges v.
1576 (1894); J.Mauduit, Chansonettes mesurees (1899);
Fr.Regnart, Poisies de P. de Ronsard et autres pokes
(1902).
4) Archives des maitres de I'orgue, grofi angelegte Ausg.
d. alteren frz. Orgelmusik (16.-18. Jh.), hrsg. v. A.
Guilmant (mit biogr. Einfuhrungen v. A.Pirro), 10
Bde, Paris 1898-1910 (sparer Mainz): Bd I (1898), J.
Titelouze, »CEuvres completes d'orgue«; II (1899), A.
Raison, Livre d'orgue; III (1901), Fr.Roberday, Fugues
et caprices, L.Marchand, »Pieces choisies«, L.N.Cle-
rambault, Premier livre d'orgue, P. du Mage, Premier
livre d'orgue (mehr nicht erhalten), L.-Cl.Daquin, Livre
de Noels; IV (1902), N.Gigault, Livre de musique; V
(1904), N. de Grigny, Premier livre d'orgue (alles Erhal-
tene), Fr. Couperin (le grand), »Pieces d'orgue« (2 Mes-
sen ; als Autor ist irrtiimlich Fr. Couperin d. Altere an-
gegeben), L.Marchand, nur d. hs. erhaltenen (also
nicht in »Pieces choisies« hrsg.; s. o. Ill) Orgelstiicke;
VI (1905), J.Boyvin, »CEuvres completes d'orgue«;
VII (1906), J. Fr. Dandrieu, Premier livre de pieces d'orgue,
J.A.Guilain, Le Magnificat; VIII (1907), S.A.Scherer,
»CEuvres d'orgues« (Tabulatura in cymbalo et tympano);
IX (1909), N.Lebegue, »CEuvres completes d'orgue«;
X (1910), Liber fratrum cruciferorum (Liitticher Orgel-
sammelwerk .aus d. 1. Halfte d. 17. Jh. mit Werken v.
A. Gabrieli, CI. Merulo, J. P. Sweelinck u. a.) .
5) Monuments de la musique francaise au temps de la Re-
naissance, hrsg. v. H. Expert (in Fortfuhrung d. nicht
abgeschlossenen »Maitres musiciens«; s. o. 3), 10 Bde,
Paris 1924-29 (ein 11. Bd 1960): Bd I (1924), CI. le
Jeune, Octonaires (Schlufiteil in VIII) ; II (1925), P. Cer-
ton, Messen Sur le pont d' Avignon, Adiuva me, Regnum
mundi; III (1925), Didier le Blanc, Airs de plusieurs mu-
siciens; IV- VII, A. de Bertrand, Amours de P. de Ron-
sard (1 . Buch, IV/V, 1926; 2. Buch, VI, 1927), Troisieme
livre de chansons (VII, 1927); VIII (1928), CI. le Jeune,
Octonaires (SchluB v. I), Ausw. aus Dix pseaumes de
David u. Second livre des meslanges; IX (1928), CI. Gou-
dimel, Missae tres; X-XI (1929/60), P. de L'Estocart, d.
1. u. 2. Livre des Octonaires.
6) Monuments de la musique ancienne, Serie I d. »Publica-
tions de la Soc. f re. de musicologie« (Serie II : Docu-
ments, inventaires et catalogues; III: Etudes), Paris
1925-63 (wird fortgef iihrt) : Bd I (1925), Deux livres
d'orgue (v. 1531 bei P. Attaingnant); II (1926), »CEuvres
inedites de Beethoven«; III-IV (1927/29, falschlich IV-
V numeriert), »Chansons au luth et airs de cour frc.«
(aus d. 16. Jh.) ; V (1930), Treize motets et un prelude
reduits en la tablature des orgues (P. Attaingnants Slg v.
1531); VI- VII (1931-33), D. Gaultier, La Rhkorique
des Dieux et autres pieces de luth (Faks. u. Obertragung) ;
VIII (1934), J.H.d'Anglebert, Pieces de clavecin; IX
(1935), J.-J. de Mondonville, Pikes de clavecin en sonates
avec accompagnement de violon; X (1936), »Le ms. de mu-
sique polyphonique du tresor d'Apt (geistliche Werke,
Ende 14. - Anfang 15. Jh.); XI-XII (1944-48), A.
Boieldieu, Sonates pour le Piano-Forte; XIII (1952), G.
Jullien, Premier livre d'orgue; XIV (1958), G.Nivers,
Troisieme livre d'orgue; XV (1959), Gautier de Coinci,
Les chansons a la Vierge; XVI (I960), »Airs de cour pour
voix et luth« (1603-1643) ; XVII (1963), »Anth. du mo-
tet latin polyphonique en France« (1609-1661).
7) Monumenta musicae sacrae (Untertitel : Collection de
mss. et d'etudes), hrsg. v. Dom R.-J.Hesbert OSB,
Macon, ab Bd III Rouen 195215. : Bd I (1952), Le pro-
saire de la Sainte-Chapelk (Ms. du chapitre de Saint-
Nicolas, Bari, um 1250); II (1954), »Les mss. mus. de
Jumieges« (10.-15. Jh.) ; III (1961), Le prosaire d'Aix-la-
Chapelk(Ms. 13 d.Domstifts Aachen, Anfang 13. Jh.).
8) Les Luthistes, hrsg. v. J.Jacquot, Paris 1957ff. (d.
Bde werden im Original nicht gezahlt; sie folgen
hier nach d. Reihenfolge d. Erscheinens) : (I, 1957), G.
Morlaye, Psaumes de P.Certon riduits pour chant et luth;
(II, I960), A. le Roy, Premier livre de tabulature de luth
(1551); (III, 1962), A. le Roy, »Fantaisies et danses« aus
A Briefe and easye Instruction (1568); (IV, 1962), A. le
Roy, »Psaumes« (enthalt d. Tiers livre de tabulature de
luth contenant vingt & un pseaulmes, 1552, u. 8 Psalmen
aus A Briefe and plaine Instruction, 1574); (V, 1963), R.
Ballard, »Premier livre (1611)«; (VI, 1964), R.Ballard,
»Deuxieme livre (1614) et Pieces diverses«.
GroBbritannien.
1) Publications of the Musical Antiquarian Society, eine f.
d. Mitte d. 19. Jh. bedeutsame NA-Reihe »v. seltenen
u. wertvollen Werken d. friihen engl. Komponisten«
(Satzung d. Ges.), 19 nicht numerierte Bde (dazu KL-
Ausg. in 16 jeweils entsprechenden Bden), London
(1840-48): Th.Bateson, Anthems (Bd XIV) u. The
First Set of English Madrigaks (XVII) ; J.Bennet, Madri-
galls to Foure Voyces (XV); W.Byrd, Mass in Five
Parts (I) u. Liber primus sacrarum cantionum (VI) ; J. Dow-
land, The First Booke of Songes or Ayres (XII); M.Este
(= East), Anthems (XIV) ; Th. Este ( = East), The Whole
Booke ofPsalmes (XI); Th.Ford, Anthems (XIV); O.
Gibbons, The First Set of Madrigals and Motets (III) u.
Fantasies of Three Parts (IX) ; J.Hilton, Ayres, or Fa la's
(XIII); W. Holes Sammelwerk Parthenia (1611/12; d.
204
erste gedruckte Virginalmusik) mit Werken v. W.
Byrd, J.Bull u. O. Gibbons (XVIII); Th.Morley, The
Firste Booke of Ballets (V); H.Purcell, Dido and Aeneas
(IV), Bonduca (VII), King Arthur (X), Ode composed for
St.Cecilia's Day 1692 (XIX); Th.Weelkes, Madrigals
of Five Parts (VIII) u. Anthems (XIV) ; J. Wilbye, The
First Set of English Madrigals (II) u. The Second Set of
Madrigales (XVI).
2) The Old English Edition, hrsg. v. G.Arkwright, 25
Bde, London u. Oxford 1889-1902: Bd I (1889), Th.
Campian, Masque in honour of the Marriage of Lord
Hayes (1607; enthalt auch einige Songs v. Th. Giles u.
Th.Lupo); II (1890), Th.A.Arne, »Six Songs«; III-V
(1891/92), G.Kirbye, The First Set of English Madrigalls
(1597); VI-IX (1892-93), W.Byrd, Songs of Sundrie
Natures (1589); X (1893), Chr.Tye, Messe Euge bone;
XI-XII (1894), A.Ferrabosco(I), 9 Madrigale aus N.
Yonges »Musica Transalpina« (1588-97); XIII-XV
(1895), Th.Weelkes, TheBalletts and Madrigals (1598);
XVI-XVII (1895-96), Th.Weelkes, Ayres or Phan-
tasticke Spirites (1608); XVIII-XX (1898), Fr.Pilking-
ton, The First Booke of Songs or Ayres (1605) ; XXI
(1898), Motetten u. Anthems v. G.Daman, G.Kirbye,
R.White u. J. Wilbye; XXII (1900), J.Milton, »Six
Anthems«; XXIII (1900), J. Blow, »Six Songs«; XXIV
(1901), H.Purcell, 6 Songs aus Orpheus Britannicus;
XXV (1902), J. Blow, Venus and Adonis.
3) The English Madrigalists (EMS), alter Titel bis Bd
XX: The English Madrigal School, umfassende Veroff.
d. Madrigalschaffens zur Zeit d. elisabethanischen Epo-
che, hrsg. v. E. H. Fellowes, 36 Bde, London 1913-24
(einige Bde auch in 2. Auflage; eine v. Th.Dart revi-
dierte NA begann in d. letzten Jahren zu erscheinen u.
ist durch Angabe d. Erscheinungsjahres gekennzeich-
net) : Bd I-I V, Th. Morleys weltliche Vokalwerke (I,
1956, The First Booke of Canzonets u. Canzonets, Or
Little Short Songs; II, d. 1. Ausg. d. Madrigalls u. 2
Kanzonetten aus d. v. ihm selbst hrsg. Slg. »Canzonets
... of the best and approved Ital. Authors«; III, Can-
zonets or Little Short Aers u. 2 Madrigale aus d. Sam-
melwerk »The Triumphes of Oriana«, s. u. XXXII;
IV, The Firste Booke ofBalletts); V, O. Gibbons, The
First Set of Madrigals and Motets; VI-VII, J. Wilbye,
GA (VI, The First Set of English Madrigals sowie 1 Ma-
drigal u. 2 Motetten aus anderen Slgen; VII, The
Second Set of Madrigals) ; VIII, J. Farmer, English Madri-
gals u. d. Madrigal aus »Triumphes . . . « ; IX-XIII, Th.
Weelkes, samtliche Madrigale (IX, The Madrigals; X,
The Balletts and Madrigals; XI, Madrigals of Five Parts;
XII, Madrigals of Six Parts; XIII, Ayres or Phantasticke
Spirites u. ein Madrigal aus »Triumphes ...«); XIV-
XVI, W.Byrd, gesammelte Madrigale (XIV, aus
Psalmes, Sonets & Songs u. 2 Madrigale aus N. Yonges
Sammelwerk »Musica Transalpina«; XV, aus Songs of
Sundrie Natures; XVI, aus Psalmes, Songs and Sonnets u.
ein Madrigal aus Th. Watsons »Italian Madrigalls«);
XVII, H.Lichfild, The First Set of Madrigals; XVIII,
Th.Tomkins, Songs u. ein Madrigal aus »Triumphes
. . .«; XIX, J. Ward, The First Set of English Madrigals;
XX, G.Farnaby, Canzonets; XXI-XXII (1958/60),
Th.Bateson, d. beiden Sets of Madrigals; XXIII, J.
Bennett, Madrigalls, ein Madrigal aus »Triumphes ...*
u. 2 Songs aus Th. Ravenscrof ts Traktat »A Brief Dis-
course*; XXIV (1961), G.Kirbye, English Madrigalls u.
ein Madrigal aus »Triumphes . . .«;XXV-XXVI(1959/
58), Fr. Pilkington, d. beiden Biicher Madrigals and
Pastorals; XXVII (1960), R.Carlton, Madrigals u. ein
Madrigal aus »Triumphes ...«; XXVIII, H.Youll,
Canzonets; XXIX-XXXI, M.East, d. Madrigalwerk
(XXIX, 1960, Madrigales; XXX, 1961, The Second Set
of Madrigales u. ein Madrigal aus »Triumphes . . . « ;
Denkmaler (Grofibritannien)
XXXI, 1962, d. Madrigale aus d. 3. u. 4. Set ofBookes);
XXXII, d. v. Th.Morley 1601 veroffentlichte Sam-
melwerk The Triumphes ofOriana; XXXIII (1961), R.
Alison, An Howres Recreation in Musicke; XXXIV
(1958), Th. Vautor, Songs of Divers Ayres and Natures;
XXXV (1961), R.Jones [The First Set of Madrigals) u.
J. Mundy (Madrigale aus Songs and Psalmes) sowie v.
beiden je ein Madrigal aus »Triumphes . . . «; XXXVI,
M. Cavendish (Airs aus Tabletorie to the Lute sowie ein
Madrigal aus »Triumphes ...«), Th. Greaves (Madri-
gale aus Songs of Sundrie Kindes), W.Holborne (Airs
aus seiner »Cittharn-School«).
4) The English School of Lutenist Song-Writers (kurz
auch English Lute-Songs), nach Originaldrucken d.
friihen 17. Jh. hrsg. v. E. H. Fellowes, 2 Serien zu 16
bzw. 17 Bden, London 1920-27 (eine v. Th.Dart revi-
dierte NA sowie weitere Bde, gekennzeichnet durch
Jahresangabe, erscheinen seit 1959): 1. Serie (1920-24;
jedes Stuck sowohl in urspriinglicher Notation als
auch in Ubertragung) : Th. Campian, d. 1. Buch v. Ph.
Rosseters A Booke of Ayres (Bd IV u. XIII) ; J. Coperario,
Funeral Teares, Songs of Mourning u. The Masque of
Squire (XVII, 1959); J.Dowland, alle Lautenlieder aus
d. 1., 2. u. 3. Booke of Songes or Ayres (I— II, V-VI, X-
XI) sowie A Pilgrimes Solace (XII u. XIV); Th.Ford,
1. Buch d. Musicke of Sundrie Kindes (III); Th.Morley,
The First Booke of Ayres (XVI, 21959); Fr. Pilkington,
d. Tabulaturstiicke aus The First Booke of Songs or Ayres
(VII u. XV); Ph.Rosseter, 2. Buch d. Slg A Booke of
Ayres (VIII-IX; 1. Buch s. o. unter Campian). - 2.
Serie (1925-27; Bearb. f. Kl.) : J. Attey, The First Booke
of Ayres (IX); J.Bartlet, A Booke of Ayres (III); Th.
Campian, 1.-4. Booke of Ayres (I— II, X-XI) ; M. Caven-
dish, d. Lieder aus d. v. ihm selbst hrsg. Slg Ayres in
Tabletorie to the Lute (VII); W.Corkine, 1. u. 2. Booke
of Ayres (XII-XIII) ; J. Danyel, Songs for the Lute, Viol
and Voice (VIII) ; John Earsden, The Ayres . . . 1618
(XVIII, 1962) ; A.Ferrabosco(II), Ayres (XVI) ; Thomas
Greaves, d. Lautenlieder aus Songes of Sundrie Kindes
1604 (XVIII, 1962); R.Johnson, Ayres, Songs and Dia-
logues (XVII, 2 1961); R.Jones, alle Airs zur Laute aus
d. 1., 2., 3. (Ultimum Vale), 4. (A Musicall Dreame) u.
5. {The Muses Gardin for Delight) Booke of Songs and
Ayres (IV, VI, XIV-XV); George Mason, The Ayres
. . . 1618 (XVIII, 1962).
5) Tudor Church Music, bedeutende Ausg. engl. Kir-
chenmusik d. 16./17. Jh., im Auftrag d. Carnegie
United Kingdom Trust hrsg. unter d. Leitung v. E.H.
Fellowes, 10 Bde, London (1923-29; dazu ein Ergan-
zungsbd 1948): J.Taverner, GA d. kirchlichen Schaf-
fens (Bd I, Messen; III, Motetten); W.Byrd (II, angli-
kanische Kirchenmusik; VII, d. beiden Biicher Gra-
dualia; IX, Messen sowie d. Satze aus d. mit Th.Tallis
hrsg. Cantiones . . . sacrae) ; O. Gibbons, d. gesamte
geistliche Schaffen (IV); R.White, alle Vokalwerke
(V); Th.Tallis, lat. Kirchenmusik (VI); Th.Tomkins,
Ausw. aus Musica deo sacra (VIII); J.Marbeck ( = Mer-
becke), alle mehrst. Werke (X); H.Ashton, aufier 2
Motetten d. gesamte Kirchenschaffen (X); O. Parsley,
5 geistliche Satze (X).
6) Musica Britannica (Mus. Brit. ; Untertitel: A National
Collection of Music), 1951 begonnene Publikation
engl. Musik v. MA bis zum fruhen 19. Jh., hrsg. in
London f. d. Royal Mus. Ass. unter d. Leitung v. A.
Lewis u. a.; bisher erschienen: Bd I (1951, 2 1954), d.
aus d. 2. Halfte d. 16. Jh. stammende Hs. The Mulliner
Book (ausgenommen d. nicht f. Tasteninstr. bestimm-
ten Stiicke); II (1951), M.Locke u. Chr. Gibbons,
Masque Cupid and Death; III (1951), Th.A.Arne,
Masque Comus; IV (1952, 21958), »Mediaeval Carols«;
V (1955), Th.Tomkins, »Keyboard Music«; VI (1953),
205
Denkmller (Italien)
J.Dowland, Ayresfor Four Voices; VII (1953), J. Blow,
»Coronation Anthems« u. » Anthems with Strings«;
VIII (1953), J.Dunstable, »Complete Works«; IX
(1955), »Jacobean Consort Music«; X-XII (1956/58/
61), The Eton Choirbook (Eton Ms. 178, urn 1500) ; XIII
(1957), W.Boyce, »Overtures«; XIV (1960), J.Bull,
»Keyboard Music«, 1. Teil (2. Teil s. u. XIX); XV
(1957), »Music o£ Scotland 1500-1700«; XVI (1959),
St.Storace, No Song, no Supper; XVII (1961), J. Field,
»Piano Concertos«; XVIII (1962), »Music at the Court
of Henry VIII« (Henry VIII's Manuscript, Brit. Mus.
Add. MS 31922); XIX (1963), J.Bull, »Keyboard Mu-
sic*, 2. Teil (s. o. XIV) ; XX (1962), O. Gibbons, »Key-
board Music«; XXI (1963), W.Lawes, »Select Consort
Music«.
7) Early English Church Music, veroffentlicht f . d. British
Acad., London o. J. (1963ff.): Bd I, »Early Tudor
Masses«, 1. Teil (Richard Alwood, Missa ,Praise Him
Praiseworthy', u. Th.Ashwell, Missa ,Ave Maria'); II,
W.Mundy, »Latin Antiphons and Psalms «; III, O.
Gibbons, » Verse Anthems«; IV, »Early Tudor Magni-
ficats«, 1. Teil.
Italien.
1) Raccolta di musica sacra, eine d. ersten groBeren
Slgen v. NA alter Musik, hrsg. in 7 Bden v. P. Alfieri,
Rom (1841^16) : Bd I- VI, ausgew. Werke v. Palestrina
(I, Biogr. u. 6 Messen; II, Motetten; III, Hymni totius
anni v. 1589; IV, Lamentationum Hieremiae Prophetae
liber primus v. 1588; V, Offertoria totius anni v. 1593;
VI, Motetten) ; VII, neben Palestrinas Magnificat octo
tonum liber primus (1591) d. Te Deum v. C.Festa, eine
Lamentatio v. E. Genet u. je eine Motette v. "CI. Goudi-
mel u. Chr. Morales.
2) Biblioteca di rarith musicali, NA-Reihe hauptsachlich
v. Lautentabulaturwerken in moderner Notenschrift,
hrsg. v. O.Chilesotti, 9 Bde, Mailand (1883-1915):
Bd I (1883), »Danzi del s. XVI« (aus F.Carosos Nobilita
di dame u. C.Negris Le gratie d'Amore); II (1884), G.
Picchi, Intavolatura di balli d'arpicordo; III (1885), G.
Stefani, Affetti amorosi canzonette ad una voce sola v. 1623
sowie 4 Recitativi v. St.Pesori; IV (1886), B.Marcello,
Intreccio scenico-mus. Arianna (im Kl.-A.) ; V (1892),
O.Vecchi, Selva di varia ricreatione ... v. 1590 (daraus
nur »Arie, canzonette e balli«) ; VI (1909), G. Frescobal-
di, Partiten aus d. 1. Buch Toccate e partite d' intauolatura
di cimbalo (1615) ; VII (1914), d. »Airs de cour« aus J.-B.
Besards Thesaurus harmonicus v. 1603; VIII (1915),
»Musica del passato« (Lautentanze d. 16.-18. Jh. f. Kl.
eingerichtet) ; IX (1915), Ausw. v. »Madrigali, villa-
nelle ed arie di danza« aus d. Werken J.-B. Besards.
3) L'Arte musicale in Italia (Untertitel: Pubblicazione
nazionale delle piu importanti opere mus. ital. dal s.
XIV al XVIII), hrsg. v. L.Torchi, 7 Bde (urspriinghch
auf 34 Bde geplant), Mailand, Rom, Paris u. a. (1897-
1907): Bd I — II, »Composizioni sacre e profane a piu
voci« (Vokalwerke v. insgesamt 38 Meistern d. 14.-
16. Jh.); Ill, »Composizioni per org. o cemb.« (35
Meister d. 16.-18. Jh.); IV, »Composizioni a piu voci«
(Madrigale u. Madrigalkomodien v. 7 Meistern d. 17.
Jh.) ; V, »Composizioni ad una e piu voci« (neben Solo-
kantaten d. 17. Jh. Ausziige aus St. Landis Dramma
mus. II S.Alessio u. d. anon. Oratorium Daniel, ins-
gesamt 13 Meister); VI, »La musica scenica« (J. Peris
L'Euridice u. CI. Monteverdis Combattimento di Tancredi
e Clorinda u. Ballo dell'ingrate); VII, »Musica instr.« (7
Meister d. 17. Jh.).
4) I Classici delta musica italiana (gleichzeitig in 156
Einzelheften erschienen als Raccolta nazionale delle mu-
siche italiane), unter d. Leitung v. G.d'Annunzio hrsg.
v. G. Fr. Malipiero, C.Perinello, I.Pizzetti u. Fr.B.
Pratella, 36 Bde (v. 150 geplanten), Mailand (1919-21) :
Bd I (=H. 1-3 d. Raccolta), A.Banchieri, »Musiche
corali« (Ausw. aus La Pazzia senile, II Festino nella sera
u. Trattenimento in villa); II (=4-8), G.B.Bassani, So-
lokantaten u. einzelne Arien; III (=164-165), L.
Boccherini, Sonaten f. Vc. u. KL; IV (=9-12), G.
Caccini, Madrigale; V (=13-18), G.Carissimi, Aus-
ziige aus d. Oratorienjep/jte u. Jonas sowie im Judicium
Salomonis; VI (=23-27), G.Cavazzoni, 3 Messen u. 22
Orgelstiicke; VII, L.Cherubini, »Arie« (Opernarien
nebst 3 Ouverturen) ; VIII (= 176-181), M.Clementi,
Kl.-Sonaten; IX (=28-34 u. 289-290), A.Corelli,
Concerti grossi (aus op. 6) ; X (= 35-36), E. de' Ca-
valieri, Teile im Kl.-A. v. La Rappresentazione di anima
e di corpo; XI (=40-42 u. 303), Fr. Durante, »Studi,
divertimenti e toccate« (Cemb -Werke) ; XII (=43-
47), G.Frescobaldi, ausgew. Orgelwerke; XIII (=54-
58), B.Galuppi, samtliche Arien aus II Filosqfo di cam-
pagna; XIV (=59-62), C.Gesualdo (da Venosa), 14
Madrigale; XV (=63-66), N.Jommelli, 12 Arien aus
La Passione di Gesit Cristo; XVI (=155-156 u. 205),
Instrumentalkompositionen v. F.G.Bertoni u. P.Lo-
catelli; XVII (=67-71), B.Marcello, 4 Solokantaten
u. 5 Cemb.-Werke; XVIII (=72-75), Padre G.Mar-
tini, 6 »Sonate per pianoforte«; XIX (= 76-79 u. 224-
225), CI. Monteverdi, Ausziige aus // Combattimento di
Tancredi e Clorinda; XX (= 80-81), G. Paisiello, Auszii-
ge aus La Pazza per amore; XXI (= 82-84), G. P. Pa-
lestrina, »Canzonette e madrigali«; XXII (= 85-88 u.
304-305), P.D.Paradies, Kl.-Sonaten; XXIII (=89-
94 u. 306-307), G.B.Pergolesi, Kl.-A. v. La Serva
padrona u. Livietta e Tracollo sowie d. Stabat Mater;
XXIV (=95-96), J. Peri, Arien aus Euridice; XXV
( = 104-107) , N. Porpora, 4 V.-Sonaten ; XXVI (=110-
113), M.A.Rossi, »Composizioni per org. e cimbalo«;
XXVII (=276-281), G.M.Pl.Rutini, Kl.-Sonaten;
XXVIII (=114-119), G.B.Sammartini, 6 Sonate not-
turne op. 7 (Triosonaten) ; XXIX (=266-267 u. 284),
G.B.Serini, 2 Sonaten f. Cemb., P.G.Sandoni, 3 So-
naten u. 5 Sonatensatze f. Cemb.; XXX (= 120-125),
A.Scarlatti, Kantaten; XXXI (=126-130), D.Scar-
latti, Essercizi per gravicembalo; XXXII (= 131-136), G.
Tartini, 8 Sonaten; XXXIII ( = 286-288), Fr.Turini,
Cemb.-Sonaten; XXXIV (=139-144), Fr.M.Vera-
cini, V.-Sonaten aus op. 1; XXXV (=294-297), A.
Vivaldi, Le Stagioni; XXXVI (= 145-150), D.Zipoli,
Sonate d' intauolatura (1. Teil).
5) Istituzioni e monumenti dell' arte musicale italiana, ver-
schiedene Herausgeber, 6 Bde, Mailand 1931-39 (seit
1957 Fortfuhrung in einer »Nuova serie«): Bd I — II
(1931-32), »Andrea e Giovanni Gabrieli e la musica
instr. in San Marco« (1. Teil, Vokal- u. Instrumental-
musik vor 1590; 2. Teil, Ausw. v. Canzonen u. Sona-
ten aus G.Gabrielis Sacrae Symphoniae v. 1597); III
(1933), »Le capelle mus. di Novara dal s. XVI ai prim-
ordi deU'ottocento« (Werke v. G. Battistini) ; IV
(1934), »La camerata fiorentina« (Werke v. V. Galilei) ;
V (1934), »L'oratorio dei Filippini e la scuola mus. di
Napoli«, 1. Teil (mehr nicht erschienen), »La polifonia
cinquecentesca ed i primordi del s. XVII« (geistliche
a cappella- Werke v. G.D.Montella, G.M.Trabaci u.
C.Gesualdo; VI (1939), »La musica in Cremona nella
seconda meta del s. XVI e i primordi dell'arte Monte-
verdiana« (M. A. Ingegneri, Ausw. aus d. 1.-4. Libro
de madrigali; CI. Monteverdi, Sacrae Cantiunculae u.
Canzonette 3 vocum). - »Nuova serie«: Bd I (1956), »La
cappella mus. del duomo di Milano«, 1. Teil, »Le ori-
gini e il primo maestro di cappella: Matteo da Perugia«
(GA); II (1963), Abh. v. F.Torrefranca, »G.B.Platti e
la sonata moderna«; III (1964), »Le frottole per canto
e liuto intabulate da Franciscus Bossinensis«.
6) Capolavori polifonici del secolo XVI, hrsg. v. B. Som-
206
ma, Rom 1939ff.: Bd I (1939, 21956), A.Banchieri, It
Festino nella sera del giovedi grassi; II (1941, 21958), O.
Vecchi, he Veglie di Siena; HI (1942), G.Croce, Triaca
muskale; IV (1947), A. Striggio, II Cicalamento delle
donne al bucato ; V (1954), O. Vecchi, L'Amfipamaso.
7) J Classki musicali italiani (Fondazione Eugenio Bravi),
urspriinglich auf 60 Bde geplantes, jedoch nach d. Tod
d. leitenden Herausgebers, G.Benvenuti, abgebroche-
nes Unternehmen, 15 Bde, Mailand 1941-43 (auBer
Bd XIV, d. erst 1958 erschien) : Bd I, Orgelwerke v.
M. A. Cavazzoni (Recercari, Motetti, Canzoni), G.Fogli-
ano, G. Segni u. Anonymi (»Ricercari e Ricercate«) ; II,
B.Marcello, 6 »Cantate per contralto e per soprano«;
III, F.Giardini, 6 Sonate per cembalo con violino o flauto
traverso op. 3; IV, L.Boccherini, Sonate per cembalo con
violino op. 5; V, A.Gabrieli, »Musiche di chiesa« (5
Werke zu 5-16 St. aus d. Concerti v. 1587) ; VI, F.
Giardini, 2 Streichquartette aus 6 Quartette's op. 23;
VII, N.Piccinni, Oper La buona figliuola (Kl.-A.);
VIII, B.Marcello, Oratorium Joaz (Kl.-A.); IX, CI.
Monteverdi, L'Orfeo (Kl.-A.); X, S.D'India, // pri-
mo libro de madrigali; XI, Padre G.Martini, 3 Cemb.-
Konzerte (Orch. im K1.-A.); XII, G. B. Grazioli, 12
Cemb.-Sonaten op. 1 u. 2; XIII, A.Scarlatti, II primo
e secondo libro di toccate; XIV, P.Locatelli, d. ersten 6 d.
XII Sonate a violino solo e basso da camera op. 6; XV, C.
Graziani, Six sonates a violoncelle et basso op. 3.
8) Pubblicazioni dell' Istituto italiano per la storia delta mu-
sica, 4 Abt., Rom 1941f£.: 1. Abt. (Antologie e Rac-
colte), Bd I (1941), d. v. G. de Antiquis hrsg. beiden
Bucher Villanelle alia napolitana (Komponisten d. 16.
Jh. aus Bari); 2. Abt. (Monumenti I), I-III (I, 1942,
21956; II, noch nicht erschienen; III, 1957), C.Gesual-
do, d. 1. bzw. 3. Buch d. Madrigali; 3. Abt. (Monu-
menti II), I (1942), P.Nenna, d. 1. u. 4. Libro de Madri-
gali; 4. Abt. (Monumenti III), G.Carissimi, »Historie
e Oratori« (1, 1951, Historia dijob u. Historia diEzechia;
II, 1953, Historia di Abramo e Isacco; III, 1953, Historia di
Balthazar; IV, 1956, OratoriumExfremwm Dei Judicium;
V, 1958, Dives malus; VI, 1960, Tolle, Sponsa; VII,
1962, Daniele), »Messe e Motetti« (I, 1960, Missa a 3
voci, Hodie Simon Petrus u. Cum reverteretur), »Cantate«
(I, 1960, Dunque degl' horti miei, Ahi, non torna u. Sere-
nade Sciolto havean).
9) Monumenta polyphoniae liturgicae Sanctae Ecclesiae
Romanae, hrsg. durch d. Soc. Universalis Sanctae Ce-
ciliae v. L.Feininger, Rom 1947ff. (in neuerer Zeit
Trient): 1. Serie (Ordinarium missae), Bd I (1948), je
eine Missa super L'homme arme v. G.Dufay, A.Busnois,
Ph.Caron, G.Faugues, J.Regis, J.Ockeghem, M. de
Orto, Ph.Basiron, J.Tinctoris, B.Vacqueras; Bd II
(4 Faszikel, 1951-63), Messen v. G.Dufay u. Anonymi;
Bd III (1957-65), bisher Faszikel 1-3, 3 Messen L'homme
arme v. Anonymi aus Hs. Neapel Ms. VI. E. ; Bd IV,
Faszikel 1 (1965), G. Faugues, Missa vinus vina. - 2. Serie
(Proprium missae), bisher nur Bd I (1947), »Auctorum
anon, missarum propria XVI« (aus Codex Trient 88;
lid. wiedergegebenen Satze werden G.Dufay zuge-
schrieben).
10) Monumenta liturgiae polychoralis Sanctae Ecclesiae
Romanae, in mehreren Serien hrsg. v. L. Feininger (Soc.
Universalis Sanctae Ceciliae), Rom (spater Trient)
1950ff. : Serie I (Ordinarium missae), Abt. A (cum
quatuor choris), Bd 1^ (1950/50/51/53), O.Benevoli,
Messen Tu es Petrus, Benevola, Tira corda, Si deus pro
nobis; 5 (1955), G.O.Pitoni, Missa Albana; 6 (1956), P.
Petti, Missa in honorem Sanctae Ceciliae; 7 (1960), G. O.
Pitoni, Missa San Pietro 1720; 8 (1963), O.Benevoli,
Missa In angustiapestilentiae; Abt. B (cum tribus choris),
Bd 1 (1958), O.Benevoli, Missa Angelus Domini; Abt.
C (cum duobus choris), Bd 1 (1963), O. Benevoli, Missa
Denkmaler (Italien)
pastoralis; 2 (1963), Giovanni Giorgi, 2 Messen, Vin-
centii Tozzi, Missa octo vocum. - Serie II (Psalmodia),
Abt. A (cum sex choris), Bd 1 (1950), O.Benevoli,
Psalm Dixit Dominus secundi toni; Abt. B (cum quatuor
choris), Bd 1-4 (1951/51/54/54), O.Benevoli, Psalmen
Dixit Dominus primi toni detto II Bello Carioso (desglei-
chen ein Psalm iiber d. 8. Ton), Confitebor tibi Domine
tertii toni u. Laudate pueri Dominum sexti toni (ein Psalm
pro Bd); 5-7 (1959/60/60), G.O.Pitoni, Psalmen Di-
xit Dominus octavi toni (ein Psalm pro Bd) ; 8 (1961),
P.Pisari, Psalm Dixit Dominus quinti toni; 9 (1964), O.
Benevoli, Canticum Magnificat tertii toni; 10-11 (1965),
St.Fabri, Magnificat sexti u. octavi toni; Abt. C (cum tri-
bus choris), Bd 1 (1955), O.Benevoli (nicht gesichert),
Canticum Magnificat secundi toni; Abt. D (cum duobus
choris), Bd 1 (1953), O.Benevoli, d. erste Magnificat
sexti toni. - Serie III, Abt. A (Proprium de tempore),
Bd 1-2 (1960-61), G. Giorgi, Liturgia paschalis u. Litur-
gia pentecostes; Abt. B (Proprium de Sanctis), Bd 1
(1962; in 2 Teilen), Officium de Beata Virgine.
11) Maestri bolognesi, Veroff. aus d. Bibl. d. Konserva-
toriums Giovanni Battista Martini in Bologna, Bo-
logna 1953ff.: H. I (1954), G.Giacobbi, Intermedium
L' Aurora ingannata; II (1953), F.Azzaiolo, II secondo
libro de Villote; III (1955), Gh.Dattari, Le Villanelle; IV
(1955), A.Trombetti, II primo libro delle Napolitane.
12) Instituta et monumenta, eine Slg v. D.-Ausg., Texten
u. Abh., hrsg. v. d. Bibl. Governativa u. d. Scuola Uni-
versitaria di paleografia mus. in Cremona, mehrere
Serien (hiernur Serie I, Monumenta), Cremona 1954ff.:
Bd I (1954), d. ersten 3 Bucher Frottole v. O.Petrucci;
II (1958), Sacre rappresentazioni (nach Codex 201 d.
Bibl. Municipale d'Orleans); III (1964), A.Vivaldi,
Oper Lafida ninfa.
13) Classici italiani delta musica, eine Slg unveroffent-
lichter Musik d. 18. Jh., hrsg. unter d. Protektorat d.
Internationalen Musikrates (UNESCO) v. A. Bonac-
corsi, Rom 1957ff.: Bd I (1957), L.Boccherini, 4 Quin-
tettini op. 30 u. 6 Quartettini op. 33; II (1958), A.
Vivaldi, Concerto in D dur u. F moll; III (1960), G.
Brunetti, Sinfonie Nr 33 (// Maniatico) u. Nr 22 in
Gmoll.
14) Archivium musices metropolitanum mediolanense, hrsg.
v. L.Migliavacca unter Mitwirkung v. A. Ciceri u. E.
Consonni, Mailand (1958ff.): Bd I-V (1958-59), Fr.
Gaffori, Messen (I-III), Magnificat (IV), Motetten (V) ;
VI-VIII, Messen, Magnificat (VII, 1965) u. Motetten
v. Anonymi (VI u. VIII noch nicht erschienen); IX
(1961), Anonymi, Motetten ; X (1962), H. Isaac, Messen
La bassadanza (oder ,La spagna'), Quant fai. Charge de
deul u. Wohlauf gesell von hinnen; XI (1963), Gaspar van
Weerbeke, Messen u. Motetten.; XII (1964)/Johannes
Martini, »Magnificat e messe«.
15) Monumenti di musica italiana, hrsg. v. O.Mischiati,
G.Scarpat u. L.F.Tagliavini, Brescia u. Kassel, bisher
nur Serie I (Werke f. Org. u. Cemb.) : Bd I (1961), T.
Merula, »Composizioni«; II (1962), G. Frescobaldi,
»Nove toccate inedite«; III (1964), G.M.Trabaci,
»Composizioni«, 1. Teil (12 Ricercate aus Buch I, Nea-
pel 1603).
16) Collana di musiche veneziane inedite o rare, hrsg. v. d.
Fondazione G.Cini, Mailand (1962ff.): Bd I (1962),
G.M.Nanino, G.Croce, L.Bertani, H.Baccusi u. Ph.
de Monte, I diporti delta villa in ogni stagione (5st. Ma-
drigalzyklus nach Texten v. Fr.Bozza, Venedig
1601); II (1963), G.M.Asola, 8st. Missa Regina coeli
(aus : Liber secundus missas tres . . . continens, octonis voci-
bus, Venedig 1588); III (1963), G.Zarlino, 9 5st. Ma-
drigale; IV (1963), 9 5st. Madrigale v. A.Willaert
(2), V.RufEo (2), M.A.Ingegneri (3), CI. Monteverdi
(2); V (1963), G. B. Bassani, »Cantate a v. sola e b. c.«
207
Denkmaler (Niederlande)
(8 vollstandige Kantaten u. 4 Einzelsatze) ; VI (1964),
B.Galuppi, Passatempo al cembalo (6 Sonaten, 1781);
VII (1964), A.Fr.Doni, Dialogo delta musica (Venedig
1543), darin 28 Vokalsatze v. Cl.Veggio (4), V.Ruf-
fo (1), M.Riccio (1), J.Arcadelt (3), A.Fr.Doni (2), G.
Parabosco (5), J.Palazzo (1), T.Bargonio (1), M.No-
varese (1), Noleth (1), Perison (1), Jachet de Berchem
(1), Willaert (2), C. de Rore (1), J.Buus (1) u. Ano-
nymi (2).
17) Monumenti musicali mantovani, hrsg. v. Cl.Gallico,
Mantua u. Kassel 1965ff.: I (1965), L.Viadana, Cento
concetti ecclesiastki, 1 . Teil.
Niederlande.
1) Uitgave van oudere nord-nederlandsche meesterwerken,
nach mehrmaliger Titelanderung ab Bd XXXV Uit-
gave der Vereeniging voor Nederlandsche Muziekgeschiede-
nis (Maatschappij tot bevordering d. Toonkunst), 45
Bde, Utrecht, Amsterdam, Lpz. 1869-1939 (bis 1958
noch 2 Bde) : Bd I (1869), J.P. Sweelinck, Regina coeli;
II (1871), A.Valerius, Nederlandtsche Cedenck-Clanck
(Ausw. d. nld. Werke); III (1871), Orgelkompositio-
nen v. J. P. Sweelinck u. S. Scheldt; IV (1872), »Twaalf
geuzeliedjess (aus d. Geusen-Liederbiichem v. 1588 u.
spater); V (1873), Madrigale u. Chansons (insgesamt
5) v. C.Schuyt u.J. P. Sweelinck; VI- VII (1876/77), J.
P. Sweelinck, 8 Psalmen sowie Chansons (nebst Biogr.);
VIII (1878), Ausw. aus J.Wannings LII Sententiae; IX
(1880), J.Obrecht, Messe Fortuna desperata; X (1882),
»Oudnederlandsche danswijzn« (in 4handiger Kl.-
Bearb.); XI (1883), C.Huygens, Pathodia sacra et pro-
fana (nebst d. mus. Brief wechsel) ; XII (1884), j.P.
Sweelinck, 6 Psalmen; XIII-XIV (1886/87), J. A. Rein-
ken, Hortus musicus u. Partite diverse sopra Varia »Schu>ei-
get mir vom Weiber nehmena; XV (1888), J. P. Sweelinck,
Hodie Christus natus est (Cantio sacra); XVI (1890),
»Vier en twintig liederen« aus d. 15./16. Jh. (f. Gesang
u. KX); XVII (1891), J. P. Sweelinck, d. 150. Psalm (f.
8 St.) ; XVIII (1894), J. Obrecht (irrtumlich zugeschrie-
ben), Passio Domini (nach Matthaus); XIX (1898), A.
van Noordt, Tabulatuur-Boeck; XX (1897), »Oud-hol-
landsche boerenliedjes en contradansen« (f. V. u. KX),
H. 1 (weiteres s. u. XXIII, XXXIII, XXXVI); XXI
(1898), »Marschen in gebruik bij het nederlandsche
leger gedurende den spaansden successie oorlog« (in
4handigem Kl.-Arrangement) ; XXII (1899), C. Bos-
coop, Psalmen Davids; XXIII (1900), »Oud-holland-
sche boerenliedjes . . . «, H. 2 (s. o. XX) ; XXIV (1901),
J.Tollius, d. 6st. Madrigali; XXV (1902), Nederland-
sche dansen d. 16de eeuw« (f. Kl. 4-handig), H. 1 (2 s. u.
XXVII); XXVI (1903), P.Phaleses Sammelwerk Een
duytsch musyck boeck (1572); XXVII (1905), »Neder-
landsche dansen . . . « (s. o. XXV), H. 2, aus P.Phaleses
Premier livre de danseries (1574); XXVIII (1907), J.
Schenck, Scherzi musicali; XXIX (1908), aus T. Susato,
Het derde musyck boexken (1551); XXX (1910), »Drie-
stemmige oud-nederlandsche liederen« (v. Ende d. 15.
Jh.); XXXI (1911), P.Locatelli, 2 V.-Sonaten (op. 6
Nr 7 u. op. 8 Nr 5); XXXII (1912), C. Fr. Hurlebusch,
Compositioni musicali per il cembalo; XXXIII (1912),
»Oud-hollandsche boerenliedjes . . . «, H. 3/4 (s. o. XX) ;
XXXIV (1913), Orch.-Kompositionen v. Anfang d.
17. Jh. (Paduanen u. Gaillarden v. M. Borchgrevinck,
B.Grep u. N.Gistou); XXXV (1915), A. Willaert,
Missa super Benedicta; XXXVI (1916), »Oud-holland-
sche boerenliedjes ...«, H. 5 (s. o. XX); XXXVII
(1918), »Oud-nederlandsche klaviermusiko (aus d. Mu-
sikbuch d. Anna Maria van Eijl, 1671); XXXVIII
(1920), Ph. de Monte, Missa ad modulum Benedicta es;
XXXIX (1920), Studie v. M.Seiffert, Wat leren uns de
schilderijen en prenten der 16de eeuw over de instrumentale
begeleiding van den zang en den oorsprong van de muziek-
gravure?; XL (1921), »Nederlandsche boerendansen«;
XLI (1926), P.Hellendaal, 4 Vc.-Sonaten (aus op. 5);
XLII (1931), C.Th.Padbrue, J. V. Vondels Kruisbergh en
Klaght; XLIII (1933), Abh. v. E.Reeser, De muzikale
handschriften van Alphons Diepenbrock; XLIV (1936),
»Drie oud-nederlandsche motetten« (v. J.Obrecht,
Josquin Desprez u. J.Clemens non Papa); XLV (3 H.,
1937/38/48), C.Schuyt, »5-stemmige madrigalen«;
XLVI (1955), R.P. van Oevering, VI Suittes voor't cla-
vier op. 1; XL VII (1958), J. P. Sweelinck, Suppl. zu
Teil I (Werke £. Org. u. Cemb.) d. GA.
2) Monumenta Musica Neerlandica, hrsg. v. d. Vereeni-
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis, Amster-
dam 1959ff. : Bd I (1959), P.Hellendaal, Six grands con-
certs op. 3 (Concerti grossi) ; II (1959), Klavierboek Anna
Maria van Eijl; III (1961), »Nederlandse klaviermuziek
uit de 16 e en 17 e eeuw«; IV (1961), P.Locatelli, 1. Teil
d. VI Introductioni teatrali e VI Concerti op. 4; V (1962),
C.Th.Padbrue, d. nld. Madrigale (Kusjes, 1641); VI
noch nicht erschienen, vorgesehen d. Utrechter Pro-
sarium; VII (1963), »Het geestelijk lied van Noord-
Nederland in de vijftiende eeuw« (d. nld. Lieder d.
Hss. Amsterdam, Wien ONB 12875, u. Utrecht,
Berlin MG 8° 190).
Osterreich.
Denkmaler der Tonkunst in Osterreich (DTO), mit d.
DDT vergleichbare Publikationsreihe zur osterreichi-
schen Mg. v. hohen MA bis zum 19. Jh., veroffentlicht
v. d. Ges. zur Herausgabe d. DTO unter Leitung v. G.
Adler, ab 1947 v. E.Schenk, 45 Jg. (1 Jg. jahrlich er-
schienen) in 83 Bden, Wien 1894-1938 (1905-18 auch
Lpz.),uriveranderterNeudruck Graz 1959/60; v. Bd85
an (84 = LD Alpen- u. Donau-Reichsgaue d. EDM,
s. o. Deutschland Nr 9) entfallt d. Jg.-Zahlung, Wien
(Bd 96ff. auch Graz) 194711. (seit 1913 erscheinen als
Beihefte zu d. DTO d. »Studien zur Mw.«, StMw, bis-
her 26 H.): Jg. I, Bd 1 (=Bd 1 d. Gesamtreihe), J.J.
Fux, 4 Messen; 1,2 (=2), Georg Muffat, Suavioris har-
moniae instrumentalis . . . Florilegium primum (2. Teil s.
u. 11,2); 11,1 (=3),J.J.Fux, 27 Motetten; 11,2 (= 4), G.
Muffat, Florilegium secundum (s. o. 1,2); 111,1 (=5), J.
Stadlmayr, Hymni totius anni v. 1628 ; 111,2 (= 6), M. A.
Cesti, II Porno d'oro (Prolog u. 1. Akt; 2.-5. Akt s. u.
IV ,2) ; 111,3 (= 7), Gottlieb Muffat, Componimenti musi-
cali; IV, 1 (=8), J. J. Froberger, samtliche »Orgel- u.
Klavierwerke«, 1. Teil (2. u. 3. Teil in VI.2 u. X,2);
IV,2 (=9), M.A.Cesti . . . (s. o. 111,2); V,l (= 10), H.
Isaac, Choralis Constantinus v. 1550, 1. Teil (2. Teil s. u.
XVI, 1); V,2 (=11), H.I.Fr.Biber, d. V.-Sonaten v.
1681 (d. v. 1674 s. u. XII.2) ; VI.l (= 12), J. Gallus, Opus
musicum, 1. Teil (Fortfuhrung s. u. XII,1, XV,1, XX,1,
XXIV u. XXVI), enthalt d. Motetten f. d. 1. Advents-
sonntag bis Septuagesima; VI,2 (= 13), J. J. Froberger
... (s. o. IV,2), 2. Teil; VII (= 14/15), Trienter Co-
dices, 1. Teil (Fortfuhrung s. u. XI.l, XIX.1, XXVI.l,
XXXI u. XL) ; VIII.l (= 16), A.Hammerschmidt, Dia-
logi oder Gesprache, 1. Teil (hier mehr nicht erschienen) ;
VIII.2 (= 17), J.Pachelbel, »94 Kompositionen . . . f.
Org. oder Kl.« (Magnificatf ugen) ; IX,1 (=18), O.v.
Wolkenstein, »Geistliche u. weltliche Lieder«; IX,2
(=19), J.J. Fux, 4 Instrumental werke; X,l (=20), O.
Benevoli, »Festmesse u. Hymnus« (zur Einweihung d.
Salzburger Domes); X,2 (=21), J.J. Froberger ... (s.
o. IV,2), letzter Teil; XI, 1 (=22), Trienter Codices, 2.
Teil (s. o. VII); XI.2 (=23), Georg Muffat, Ausw. (s.
u. Bd 89) aus Armonico tributo u. aus Instrumental-Music
(Concerti grossi) ; XII.l (= 24), J. Gallus . . . (s. o. VI.l),
2. Teil, Septuagesima bis Karwoche (ohne Lamentatio-
nen); XII.2 (=25), H.I.Fr.Biber ... (s. o. V,2); XIII.l
(=26), A.Caldara, 12 »Kirchenwerke« ; XIII.2 (=27),
»Wiener Klavier- u. Orgelwerke aus d. 2. Halfte d. 17.
208
Jh.« (Werke v. A.Poglietti, F.T.Richter, G.Reutter d.
Alteren); XIV, 1 (=28), H. Isaac, »Weltliche Werke«
(Nachtrag dazu s. u. XVI.l) ; XIV.2 (= 29), M.Haydn,
»Instrumentalwerke«; XV,1 (=30), J. Gallus ... (s. o.
VI,1), 3. Teil, Karwoche (Lamentationen) bis vor Tri-
nitatis; XV,2 (=31), »Wiener Instrumentalmusik vor
u. um 1750«, 1. Teil (2. Teil s. u. XIX.2), enthalt Wer-
ke v. G.Reutter d. Jungeren, G.Chr.Wagenseil, M.
Monn, M.Schl6ger, J.Starzer; XVL1 (=32), H.Isaac
. . ., 2. Teil (s. o. V,l u. XIV.l); XVI,2 (=33), J.G.
Albrechtsberger, »Instrumentalwerke«; XVII (=34/
35),J.J.Fux, Oper Costanza e Fortezza; XVIII.l (=36),
I.Umlauff, Singspiel Die Bergknappen; XVIII.2 (= 37),
»Osterreichische Lautenmusik im 16. Jh.« (H.Judenkii-
nig, H.Newsidler, S.Gintzler, Greff Bakfark u. a.);
XIX.1 (= 38), Trienter Codices, 3. Teil (s. o. VII), enthalt
Messen v. G.Dufay, J.Ockeghem, Anonymi; XIX.2
(=39), »Wiener Instrumentalmusik... «, 2. Teil (s. o.
XV,2), Werke v. M.Morm u. J.Mann; XX,1 (= 40), J.
Gallus ... (s. o. VI,1), 4. Teil, v. Trinitatis bis Ende d.
Kirchenjahres (= 3. Buch d. Opus musicum); XX,2
(=41), »Gesange v. Frauenlob, Reinmar v. Zweter u.
Alexander« (aus Hs. Wien 2701) ; XXI.l (= 42-44), Fl.
L.GaBmann, La Contessina; XXI.2 (=44a), Chr.W.
Gluck, Orfeo edEuridice; XXII (= 45), M.Haydn, Drei
Messen; XXIII, 1 (=46), A.Draghi, 5 »Kirchenwer-
ke«; XXIII.2 (=47), J.J.Fux, Concentus musico-instru-
mentalis; XXIV (=48), J. Gallus . . . (s. o. VI.l), 5. Teil
(1. Halfte d. 4. Buches, Gesange f. d. Feste d. Heiligen,
aus Opus musicum); XXV.l (=49), Messen v. H.I.Fr.
Biber, J.H.Schmelzer u. J.K.Kerll; XXV.2 (=50),
»Osterreichische Lautenmusik zwischen 1650 u. 1720«;
XXVI (=51/52), J. Gallus .... letzter Teil (s. o. VI.l),
Gesange f. d. Feste d. Heiligen (2. Halfte; s. o. XXIV) ;
XXVII.l (=53), Trienter Codices, 4. Teil (s. o. VII);
XXVII.2 (= 54), »Das Wiener Lied v. 1778 bis Mozarts
Tod«; XXVIIL1 (=55), J.E.Eberlin, Oratorium Der
hlutschwitzende Jesus; XXVIII.2 (= 56), »Wiener Tanz-
musik in d. 2. Halfte d. 17. Jh. « (J. H. Schmelzer, J. J. Hof-
fer, A.Poglietti); XXIX.l (=57), CI. Monteverdi, II
Ritorno d'Ulisse in patria; XXIX.2 (=58), Gottlieb
Muffat, 72 Versetl sammt 12 Toccaten; XXX.l (= 59), je
ein Requiem v. Chr. Straus, H.I.Fr. Biber, J.K.Kerll;
XXX.2 (=60), Chr.W. Gluck, Don Juan; XXXI
(=61), Trienter Codices, 5. Teil (s. o. VII); XXXII.l
(=62), M.Haydn, »Kirchenwerke« ; XXXII.2 (=63),
J. StrauB (Sohn), »Drei Walzer«; XXXIII.l (=64),
»DeutscheKomodienarien 1754 bis 1758«, 1. Teil (mehr
nicht erschienen); XXXIII.2 (=65), J.Lanner, hand-
ler u. Walzer« (in Ausw.); XXXIV ( = 66), J.Schenk,
Der Dorfbarbier; XXXV,1 (= 67), E.A.Forster, »Kam-
mermusik« (2 Quartette, 3 Quintette) ; XXXV.2 (= 68),
J. StrauB (Vater), »Acht Walzer«; XXXVI.l (=69), St.
Bernardi, »Kirchenwerke« ; XXXVI.2 (=70), »Instru-
mental- u. Vokalwerke« v. P.Peuerl u. I.Posch;
XXXVH.l (= 71), d. Lieder Neidhardts v. Reuenthal;
XXXVII.2 (=72), »Das deutsche Gesellschaftslied in
Osterreich v. 1480 bis 1550«; XXXVIII.l (=73), Bl.
Amon, »Kirchenwerke«, 1. Teil (mehr nicht erschie-
nen, enthalt Liber sacratissimorum cantionum u. Sacrae
cantiones) ; XXXVIH.2 (= 74), Josef StrauB, »Drei Wal-
zer«; XXXIX (=75), A.Caldara, »Kammermusik f.
Gesang«; XL (=76), Trienter Codices, letzter Teil (s. o.
VII); XLI (= 77), »Ital. Musiker u. d. Kaiserhaus 1567-
1625«;XLII,l(=78),J.Gallus, »SechsMessen«;XLII,2
(=79), »Das Wiener Lied v. 1792 bis 1815«; XLIII.l
( = 80), »Salzburger Kirchenkomponisten« (C.H. Bi-
ber, M.S.Biechteler, J.E.Eberlin, A.C.Adlgasser);
XLIII.2 (=81), K.Ditters v. Dittersdorf, »Instrumen-
talwerke« (3 Sinfonien, 1 Serenata); XLIV (=82), Chr.
W. Gluck, L'Innocenza giustificata; XLV (=83), Fl.L.
Denkmaler (Schweiz)
GaBmann, ausgew. »Kirchenwerke«; Bd 84 (1942),
» Wiener Lautenmusik im 18. Jh.« (=EDM, LD Al-
pen- u. Donau-Reichsgaue, s. o. Deutschland Nr 9); 85
(1947), J.J.Fux, »Werke f. Tasteninstr.« (7 Sonaten, 3
Einzelstiicke, 4 Suiten, 12 Menuette) ; 86 (1949), »Tiro-
ler Instrumentalmusik im 18. Jh.« (G.P.Falk, J.E. de
Sylva, Fr.S.Haindl, N.Madlseder, S.Paluselli); 87
(1951), N.Zangius, »Geistliche u. welthche Gesange«;
88 (1952), G.Reutter (d. Jungere), »Kirchenwerke«; 89
(1953), Georg Muffat, Armonico tributo (ganz) u. d. nicht
in XI,2 (s. o.) gedruckten Concerti grossi aus Instru-
mental-Music; 90 (1954), »Nld. u. ital. Musiker d. Gra-
zer Hofkapelle Karls II. « (insgesamt 9 Meister); 91
(1955), A.Caldara, Oper Dafne (1719); 92 (1956),
H.I.Fr.Biber, Harmonia artificiosa-ariosa; 93 (1958),
J.H.Schmelzer, »Violinsonaten«; 94/95 (1959), J. Gal-
lus, 5 Messen; 96-97 (1960), H.I.Fr.Biber, Mensa so-
nora seu Musica instrumentalis bzw. Fidicinium sacro-
profanum; 98 (1961), J.Vaet, »Samtliche Werke«, 1.
Teil (Fortfuhrung s. u. 100, 103/104, 108/109), Mo-
tetten I; 99 (1961), Arnold von Bruck, »Samtliche lat.
Motetten u. andere unedierte Werke«; 100 (1962),
J.Vaet ... (s. o. 98), 2. Teil, Motetten II; 101/102
(1962), »Geistliche Solomotetten d. 18. Jh.« (M.A.
Ziani, A.Caldara, Fr. Conti, J. J. Fux) ; 103/104 (1963),
J.Vaet . . . (s. o. 98), 3. Teil, Motetten III; 105 (1963),
J.H.Schmelzer, Duodena selectarum sonatarum (1659)
u. »Werke hs. Uberlieferung« (Triosonaten) ; 106/107
(1963), H.I.Fr.Biber, Sonatae, tarn aris, quam aulis ser-
vientes; 108/109 (1964), J.Vaet ... (s. o. 98), 4. Teil,
Messen I; 110 (1964), T.Massaini, Liber primus cantio-
num ecclesiasticarum u. 3 Instrumentalkanzonen.
Polen.
Antiquitates musicae in Polonia, hrsg. in Warschau v. d.
Mw. Inst. d. Univ.: Bd I (1963), The Pelplin Tablature.
A Thematic Catalogue.
Portugal.
Portugaliae Musica, hrsg. seit 1959 in Lissabon v. d.
Fundacao Calouste Gulbenkian: Bd I (1959), M.R.
Coelho, Flores de musica, 1. Teil (Fortfuhrung s. u. Ill) ;
11 (1960), J. de Sousa Carvalho, Ouverture zur Oper
L'Amore industrioso; III (1961), 2. Teil v. Coelhos Flores
de musica; IV (1961), E. Lopes Morago, »Varias obras
de musica religiosa, a cappella«; V-VI (1963), Frei M.
Cardoso, Liber primus missarum ; VII (1963), J. da Costa
de Lisboa, Ausw. aus Tencao; VIII (1963), J.D.Bon-
tempo, Sinfonia Nr 1 op. 11; IX (1965), M.Portugal,
Ouverture zu II Duca di Foix.
Schweden.
1) Aldre svensk musik, hrsg. v. d. Svenska Samfundet for
Musikforskning, 9 H., Stockholm (1935^5): H. I-V,
Werke v. J. H. Roman (1, 1935, Sonata a tre; II— III, 1935,
Partitur u. Kl.-A. d. V.-Konzertes D moll; IV, 1935,
Sinfoniaper la Mesa; V, 1938, Jubilate-Psalm 100 in Par-
titur u. K1.-A.); VI (1940), M. de Ron, Streichquartett
F moll (Partitur); VII (1941), A.Wesstrom, Streich-
quartett E dur (Partitur); VIII-IX (1944/45), J.H.Ro-
man, 2 Psalmen (Partitur mit Kl.-A.).
2) Monumenta musicae svecicae, hrsg. v. d. Svenska Sam-
fundet for Musikforskning, Stockholm 1958ff. : Bd I
(1958), J.H.Roman, Assagi a Violino solo; II (1960), J.
M.Kraus, Werke (1 Symphonie); III (1962), »Musica
svecica saeculi XVII«, 1. Teil, anon. Johannespassion.
Schweiz.
Schweizerische Musikdenkmaler (Monuments de la mu-
sique Suisse), hrsg. v. d. Schweizerischen Musikfor-
schenden Ges., Basel 1955ff. : Bd I (1955), H. Albicastro,
12 Concerti a 4 op. 7; II (1959), J.M.Gletle, »Ausgew.
Kirchenmusik« ; III (1960), L. Bourgeois, Le premier
livre des pseaulmes de David (24 Psalmen) ; IV (1962), J.
Benn, Messen (Missae concertatae, Missa ab octo).
14
209
Denkmaler (Spanien)
Spanien.
1) Lira sacro-hispana, erste groBe, denkmalerahnliche
Slg span. Kirchenmusik d. 16.-19. Jh., mit biogr. Anm.
hrsg. v. H.Eslava, 10 Bde (nach Jh. zu je 2 Serien ge-
ordnet), Madrid (1869); folgende Komponisten sind
mit Werken vertreten: 16. Jh. (2 Bde): Serie I, Bd 1,
zwei Anonymi, Fr.Bernal Gonzales, Fr. de Ceballos
(eines d. 3 Werke, Inter vestibulum, muB R. de Ceballos
zugewiesen werden), B.Escobedo, P.Fernandez de
Castilleja, A. de Fevin, Chr. Morales, Fr. de Pefialosa,
B.Ribera, M.Robledo, A. de Torrentes; II/l, D. del
Castillo, M. Gomez Camargo, Fr. Guerrero, F. de las
Infantas, J.Navarro, D.Ortiz, P.Periafiez, T.L. de
Victoria. - 17. Jh. (2 Bde): 1/1, Gr.Baban, D.Caseda,
J. B. Comes, A. de Heredia, A.Juares, A.Lobo, M.Ro-
mero, Fray P. Tafalla, U. de Vargas, M.J. Veana, S. de
Vivanco; II/l, S.Duron, Fr. de Montemayor, A.T.
Ortells, C.Patino, D.Pontac, J.G. de Salazar. - 18. Jh.
(2 Bde): 1/1, zwei Anonymi, Fr. V. Cabrera, J. de Ca-
seda, P.Fuentes, B. Julia, A.Literes, D. de las Muelas,
J.Paez, P. Rabassa, J. P. Roldan, N.Sanjuan, Padre A.
Soler, J. de Torres Martinez Bravo, Fr. Vails; II/l, J.
Lidon, J.Nebra, A.Ripa. - 19. Jh. (4 Bde): 1/1, P.Ara-
naz y Vides, Fr.J.Cabo, R.F.Cuellar, M.J.Doyagiie,
Don Fr. Garcia, A. Montesinos, J. Pons, J.Prieto, Fr.
Secanilla; 1/2, Fr.Andrevi, J.Bros, N.Ledesma, M.
Rodriguez de Ledesma; II/l, H.Eslava; II/2 (nebst
Appendix), M.J.Doyagiie, S.Duron, M.Fernandez
Caballero, M.Garcia, C.J.Hugalde, V.Meton, D.Ol-
leta, R. Ozcoz y Calahorra, J. Perez y Alvarez, H. Pra-
danos, Fr. Secanilla.
2) Hispaniae schola tnusica sacra, groBe Slg span. Vokal-
polyphonie u. Orgelwerke d. 15.-18. Jh., hrsg. v. F.
Pedrell (mit hist.-biogr. Anm.), 8 Bde, Barcelona-Lpz.
(1894-98): Bd I, Chr. Morales, »Composiciones« (Of-
ficium defunctorum, 2 Magnificat, Responsorien u. Mo-
tetten, insgesamt 10 Werke); II, Fr. Guerrero, »Com-
posiciones« (Magnificat primi toni, Salve regina, 2 Passio-
nen u. 3 Motetten) ; III-IV u. VII- VIII, A. de Cabezon,
»Composiciones« (d. gesamte bis dahin bekannte u.
ihm zugeschriebene Orgelwerk) ; V, J. G.Perez, »Com-
posiciones« (Ausw. v. 11 Werken aus d. in d. Kathe-
drale v. Valencia hs. aufbewahrten Stiicken) ; VI, T. de
Santa Maria (Psalmodia variata), Anonymi (Falso bor-
done, Aliqui psalmi modulati, Psalmodia modulata), Fr.
Guerrero (Falso bordone), T.L. de Victoria (Falso bordo-
ne), Fr. de Ceballos (Psalmodia modulata).
3) Teatro Urico espanol anterior al siglo XIX, bedeuten-
de Anth. d. span. Operngesch., hrsg. v. F. Pedrell, 5
Bde (in 4), Madrid u. La Coruna 1897-98: Bd I, J.
Valledor, Vida y muerte del General Malbru (vollstandi-
ger Kl.-A.) ; II, Teile aus Werken v. P. Esteve (El pre-
tendiente, El luto de garrido, El desvalido, Los pasages del
verano, La soldada, Los celos iguales, Los majos renidos,
La malicia del terno), G.Ferrer (El remedo delgato), Bl. de
Laserna (La vida cortesana, Los amantes chasqueados, La
despreciada), A.Literes (Acis y Galatea); III, kleinere
Stiicke (aus Balletten, Schauspielmusiken) v. Anonymi,
J.Bassa, M.Correa, S.Duron, M.Ferrer, J.Hidalgo, J.
Marin, J. Navas, C.Patino, J. Peyro, M.Romero, J. de
la Torre; IV-V, weitere Beispiele d. gleichen Art v.
Anonymi, J. Asturiano, Fr.Berxes, S.Duron, J.Hidal-
go, J. Justo, A.Literes, M. Machado, J. Marin, M. Mar-
ti, Fr.Monjo, Fr. Navarro, J. Navas, C. Patino, J. Ser-
queira, M. de Villaflor.
4) Publicacions del Departament de musica de la Biblioteca
de Catalunya, begriindet u. geleitet v. H. Angles, Barce-
lona 1921ff.: Bd I (1921), J.Brudieu, »Els madrigals i
la Missa de difunts« (alles Erhaltene); II (1921), eine
Schrift v. H. Angles, »Cat. dels mss. mus. de la collec-
cio F. Pedrelk; III (1926)J. Pujol, »Opera omnia« (2. Teil
s u VII); IV (1927), J. Cabanilles, »Opera omnia«
. (Fortfuhrung s. u. VIII, XIII, XVII); V (1929), eine
Studie v. C.Rojo u. G.Prado, »E1 canto mozarabe«; VI
(3 Bde, 1931), El codex musical de Las Huelgas (Einfiih-
rung v. H. Angles, Faks. u. Ubertragung); VII (1932),
J.Pujol ... (s. o. Ill); VIII (1933), J. Cabanilles ... (s.
o. IV), 2. Teil; IX (1933), A. Soler, »Sis Quintets per a
instr. d'arc i orgue o clave obligat«; X (1935), Abh. v.
H. Angles, »La musica a Catalunya fins al s. XIII«; XI
(1933), J.Hidalgo, 1. Akt d. Oper Celos aun del aire
matan (1662); XII (1935), »E1 villancico i la cantata del
s. XVIII a Valencia«; XIII (1936), J. Cabanilles ... (s.
o. IV), 3. Teil; XIV (1951), D.Terradellas, Oper La
Merope; XV (1943), »La musica de las cantigas de Santa
Maria del Rey Alfonso el Sabio«, 2. Bd, Ubertragung
(Abh. u. Faks. s. u. XVIII u. XIX); XVI (1954), M.
Flecha, Las Ensaladas; XVII (1956), J. Cabanilles . . .
(s. o. IV), 4. Teil; XVIII (1958), »La musica . . .« (s. o.
XV), 3. Bd, Abh. v. H. Angles in 2 Teilen (1, »Estudio
critico« nebst H. Spanke, »Die Metrik d. Cantigas«, 2,
»Las melodias hispanas y la monodia lirica europea de
los s. XII-XIII«); XIX (1964), »La musica . . .« (s. o.
XV), 1. Bd, »Facsimil del codice j. b. 2 de El Escorial«.
5) Mestres de Vescolanla de Montserrat (Untertitel: Obres
mus. dels monjos del monestir de Montserrat 1500-
1800), hrsg. in 2 Abt. v. Dom D.Pujol, Montserrat
1930-36 u. 1965: 1. Abt.: J.Cererols, Gesammelte
Werke (3 Bde, 1930-32; I, Salms de Vespres, Completes
breus, Antlfones finals; II, Asperges me, 2 Messen, 2 Re-
quiems; III, Villancicos, Romanzen, Tonos); M.Lo-
pez, GA, 1. Bd (1965, =Bd VI d. Reihe). - 2. Abt.
(Musica instr.): I (1934), Kl.- u. Org.-Werke v. M.
Lopez u. N.Casanoves, II (1936), A.Viola, Concert de
baixb obligat i orquestra (Fag.-Konzert), 16 Kl.-Sonaten
u. ein Rondo v. F. Rodriguez, Kl.-Sonate v. J.Vinyals.
6) Monumentosde la MAsicaEspahola (MMEsp), groB an-
gelegte D.-Reihe d. span. Musikforschung, mit um-
fangreichen Abh. hrsg. v. Inst. Espanol de musicologia
unter d. Leitung v. H. Angles, Madrid bzw. Barcelona
(einige Bde auch Rom) 1941ff.: Bd I (1941, 21960),
»La musica en la corte de los reyes catolicos«, 1. Abt.,
Polif onia religiosa (Polif onia prof ana s. u. V, X, XIV) ;
II (1944), »La musica en la corte de Carlos V« (enthalt
L.Venegas de Henestrosas Libro de Cijra Nueva); III
(1945), L. de Narvaez, Los seys libros del Delphin; IV
(1946), J.Vasquez, Recopilacidn de sonetos y villancicos;
V (1947), »La musica . . .« (s. o. I), 2. Abt., Polifonia
prof ana, 1. Teil d. Cancionero musical de Palacio (friihes
16. Jh.) ; VI (1948), Fr. Correa de Arauxo, Libro de tien-
tos y discursos de mtisica . . . intitulado Facultad organica
(2. Teil s. u. XII); VII (1949), A.Mudarra, Tres libros
de mtisica; VIII-IX (1949-50), Cancionero musical de la
Casa de Medinaceli (16. Jh.), 1. Abt., Polifonia prof ana
(mehr noch nicht erschienen) ; X (1951), »La musica. . .«
(s. o. I u. V), Cancionero . . . de Palacio, 2. Teil; XI
(1952), Chr. Morales, »Opera omnia«, 1. Bd, Ausw.
aus Missarum liber primus (weitere Bde s. u. XIII, XV,
XVII, XX, XXI); XII (1952), Fr. Correa de Arauxo,
2. Teil d. Libro de tientos (s. o. VI); XIII (1953), Chr.
Morales . . . (s. o. XI), 2. Bd, SelecciSn de motetes (1-25) ;
XIV (1953), als 3. Teil zu V u. X (s. o.) ein literarischer
u. mus. Kommentar v. J.Rubio, J.Romeu u. H. An-
gles; XV (1954), Chr.Morales ... (s. o. XI), 3. Bd,
Missarum liber secundus, 1. Teil (2. Teil s. u. XXI) ; XVI
(1955), Fr. Guerrero, »Opera omnia«, 1. Bd (Fortfiih-
rung s. u. XIX) , 1 . Teil d. Canciones y villanescas espiritu-
ales; XVII (1956), Chr.Morales . . . (s. o. XI), 4. Bd, 16
Magnificat; XVIII (1956), »Romances y letras a tres
vozes« (1. Bd) ; XIX (1957), Fr. Guerrero . . . (s. o. XVI),
2. Bd, Liber primus missarum; XX (1959), Chr.Mora-
les .. . (s. o. XI u. XIII), 5. Bd, Seleccion de motetes (26-
210
50); XXI (1962), Chr. Morales . . . (s. o. XI u. XV), 6.
Bd, Missamm liber secundus, 2. Teil.
USA.
1) Smith College Music Archives, begriindet v. R.L.
Finney, Northampton/Mass. (1935ff.): Bd I (1935), Fr.
Geminiani, 12 V.-Sonaten; II (1936), J.J. Fux, Oper
Costanza efortezza; HI (1937), L. Boccherini, Konzert
f. Vc. u. Streichorch. ; IV (1941), »Canzoni, Sonetti,
Strambotti et Frottole« (A. de Antiquis'3. Buch v. 1517
mit d. Titel Frottole) ; V (1942), J. Arcadelt, »Chansons«;
VI (1945), C. de Rore, 3- u. 4st. Madrigale; VII (1945),
Fr. Caccini, Ballettoper La liberazione di Ruggiero ; VIII
(1947), V.Galilei, Contrappunti a due voci; IX (1948), G.
Tartini, 2 V.-Konzerte (A moll, F dur); X (1949), J.
Haydn, Symphonie Nr 87 in A dur (Hob. I, 87); XI
(1950), A. Steffani, 8 Lieder f. Singst. u. Blaser (davon T
aus Trastulli); XII (1954), T.Vitali, Concerto di sonate
op. 4; XIII (1957), P.Quagliati, La sfera armoniosa u. II
cam difedelta d'amore; XIV (1959), G.B. Vitali, Artificii
musicali op. 13.
2) Corpus Mensurabilis Musicae (CMM), grofi angelegte
Veroff. d. mus. Hauptwerke d. spaten MA u. d. Re-
naissance in Form einer GA-Reihe, hrsg. v. American
Inst, of Musicology in Rom unter Leitung v. A. Cara-
petyan, Rom (neuerdings Antwerpen) 1947ff. : Abt. 1,
G.Dufay, »Opera omnia«, bisher erschienen: Bd I (in
urspriinglicher Zahlung als Bd I u. II, 1947/48), »Mo-
tetti qui et cantiones vocantur« (alle Motetten), II
(1960), Missa sine nomine, Missa Sancti Jacobi, Missa
Sancti Antonii Viennensis, Missa Caput, Alleluia Veni
Sancte Spiritus, Missa La mort de Saint Cothard (davon
sind d. ersten beiden Werke neue Ubertragungen ei-
ner schon 1949 als Bd III u. IV dieser Reihe erschiene-
hen Ausg.), Ill (1951), "Missarum pars altera« (Se laface
ay pale, L'homme armi, Ecce ancilla dotnini, Ave regina
coelorum), IV (1962), »Fragmenta Missarum«; 2, G. de
Machaut, »Opera« (bisher nur 1 Bd, 1949, La Messe de
Nostre Dame); 3, A.Willaert, »Opera omnia«, bisher:
I— II (1950), 1. u. 2. Buch d. Motetta quatuor vocum (d. 1.
u. 2. Ausg.), Ill (1950), Motetta quinque vocum (beide
Ausg.), IV (1952), Motetta sex vocum, V (1957), d. Mo-
tetten aus Musica nova, VII (1959), Hymnen; 4, J. Cle-
mens non Papa, »Opera omnia«, bisher: I (in 4 H,
1951/54), Messen Misericorde, Virtute magna, En espoir,
Ecce quam bonum, II (1953), Souterliedekens, III (1957),
Motetten, IV (1958), alle Magnificat, V-VII (1958/59/
59), 10 Messen, VIII (1960), Missa defunctorum, Kyrie
paschale. Credo, IX (1960), Motetten, X-XI (1961/62),
Chansons; 5, A.Brumel, »Opera omnia«, bisher nur
Bd I (in 2 Teilen, 1951/56), mit d. Messen L'homme
armi u.Je nay dueul; 6, N. Gombert, »Opera omnia«,
bisher: I— II (1951/54), d. 4st. bzw. 5st. Messen, III
(1963), Messen Quam pulchra es u. Tempore paschali so-
wie ein 8st. Credo, IV (1957), 8 Magnificat, V (1961),
Motetten ; 7, J. Barbireau, »Opera omnia« (2 Bde, 1954/
57) ; 8, »The Music of Fourteenth Cent. Italy «, bisher :
I (1954), gesammelte Werke v. Bartholus, Johannes
(= Giovanni da Cascia) u. Gherardello de Florentia, II
(1960), Werke v. Maestro Pierro (= Piero da Firenze)
aus "Codex Vaticanus, Rossi 215« u. anderen Quellen,
III (1962), Werke v. Laurentius Massii de Florentia,
Donato de Florentia, Rosso da Collegrano u. 9 Ano-
nymi, IV (1963), d. Werke v. Jacopo da Bologna u.
Vincentius de Arimino; 9, J.Regis »Opera Omnia«,
(2 Bde, 1956); 10, Fr.Gaffori, »Collected Mus. Works«,
bisher 2 Bde Messen (1955/60); 11, »Early Fifteenth-
Cent. Music«, I (1955), gesammelte Werke v. B.Cor-
dier, J.Cesaris, J. Carmen u. J.Tapissier, II (1959), 67
Werke v. insgesamt 23 Komponisten (v. papstlichen
Hof zu Avignon u. v. burgundischen Hof); 12, G.
Gabrieli, »Opera Omnia«, bisher: I— II (1956/59), Mo-
Denkmaler (USA)
tetten aus d. Concerti u. d. Sacrae symphoniae v. 1597,
III (1962), Motetten {Symphoniae sacrae 1615) ; 13 (1957),
Missa Tornacensis; 14, C. de Rore, »Opera omnia«, bis-
her: I (1959), Motetten, II (1963), 5st. Madrigale, III
(1961), Motetten; 15, L. Compere, »Opera omnia«,
bisher: I (1958), alle Messen u. Messenfragmente, II-IV
(1958/59/61), Motetten; 16, R.Carver, »Collected
Works«, bisher 1 Bd (1959), d. beiden erhaltenen Mo-
tetten; 17, R.Fayrfax, "Collected Works«, bisher: I
(1959), alle Messen, II (1964), 2 Magnificat, 6 Motetten,
Transkriptionen f. Laute; 18, J.Tinctoris, »Opera om-
nia*, bisher 1 Bd (1960), Messe (f. Konig Ferdinand v.
Sizilien u. Aragon) ; 19, W. Frye, »Opera omnia« (1 Bd,
1960); 20, P. Attaingnant, "Transcriptions of Chansons
for Keyboard« (d. 3 Bucher Chansons musicales v. 1531),
1 Bd (1961); 21, »The Cypriot-French Repertory*
(Polyphonie in Codex J.II.9 d. Bibl. Nazionale in Tu-
rin), I (1960), Messen, II (1961), Motetten, III (1963),
Balladen, IV (1963), Virelais u. Rondeaux; 22, A. Agri-
cola, »Opera omnia«, bisher: I (1961), 4 Messen, II
(1963), 4 Messen u. MeBsatze; 23, J.Ghiselin (alias
Verbonnet), »Opera omnia«, bisher: I (1961), alle Mo-
tetten, II (1964), 3 Messen; 24, G. de Wert, »Opera
omnia«, bisher: I (1961), 1. Buch d. Madrigali a 5 voci
v. 1558, II (1962), Madrigali 1561, III (1962), Madrigali
1563; 25, C.Festa, »Opera omnia«, bisher 1 Bd (1962),
alle Messen u. Messeteile; 26, N.Vicentino, »Opera
omnia« (1 Bd, 1963) ; 27, Nicholas Ludford, "Collected
Works«, bisher 1 Bd (1963), d. 7 Marienmessen; 29,
»Fourteenth-Cent. Mass Music in France« (1 Bd, 1962;
dazu Kritischer Ber., =MSD VII, 1962); 33, J.Hoth-
by, »The Mus. Works« (1 Bd, 1964).
3) The Wellesley Edition, hrsg. v. J. La Rue, Wellesley
(Mass.) 1950ff.: Bd I, (1950), J.Jenkins, "Fancies and
Ayres«; II (1951), H. Lamb, »Six Scenes« aus d. Protevan-
gelion; III (1954, 21965), d. Dublin Virginal Manuscript;
IV (1961), J.Haydn, 3 Divertimenti; V (1963), »The
Ital. Cantata I: A.Cesti«; VI (1964), "Fifteenth Cent.
Basse Dances« (Briissel, Bibl. Royale Ms. 9085) mit M.
Toulouze, L'art et instruction de bien dancer.
4) Collegium musicum, begonnen v. L. Schrade, New
Haven (Conn.) 1955ff.: Bd I (1955), A.Scarlatti, Ora-
torium nach d. Johannespassion (1708); II (1960),
"Thirty Chansons from the Attaingnant Collection* ;
IV (1963), d. Wickhambrook Lute Manuscript; V (1964),
G. Duf ay , J. Ockeghem, J. Obrecht, Missae Caput.
5) Polyphonic Music of the Fourteenth Century, hrsg. v.
L. Schrade, 4 Bde nebst separaten Kommentar-Bden,
Monaco (1956-58) : Bd I (1956), Roman de Fauvel, GA
d. mus. Werke Ph. de Vitrys u. "French Cycles of the
Ordinarium Missae«; II— III (1956), G. de Machaut,
GA; IV (1958), Fr.Landini, GA.
6) Publications of Mediaeval Musical Manuscripts, hrsg. v.
Inst, of Mediaeval Music, Brooklyn (N. Y.) 1957S . : Bd
I (1957), Faks. d. Hs. Madrid 20486; II (1960), Faks. d.
Hs. Wolfenbuttel 1099 (1206); III (1959), »A Central
Source of Notre-Dame Polyphony« (Faks., Kritischer
Ber., Ubertragungen) ; IV (1959), d. Hss. Paris 13521 &
11411 (Faks. u. Ubertragung nebst Quellen-Ber.) ; V
(1959), d. Hss. Worcester Add. 68, Westminster Abbey
33372 u. Madrid, Bibl. Nac. 192 (Faks. . . . ; wie oben
IV) ; VI (1960), d. Hss. Oxford, Latin Liturgical d 20 u.
London, Add. Ms. 25031 sowie Chicago, Ms. 654 app.
(Faks ; wie oben IV) ; VII (1959), G. Faugues, "Opera
omnia« (Faks. d. Werke aus d. Hss. "Trent 88, Trent
91, Cappella Sistina 14, Cappella Sistina 51, Verona
DCCLXI, Modena <x.M.1.13«).
7) Monuments of Renaissance Music, hrsg. v. E. E. Lo-
winsky, bisher 1 Bd (Chicago 1964), d. Sammelwerk
Musica nova (Venedig 1540), Werke v. N.Benoist, G.
Cavazzoni, G.Colin, G.Parabosco, Segni, Willaert.
14*
211
Denkmaler (Register)
8) Corpus of Early Keyboard Music, hrsg. v. American
Inst, of Musicology unter Leitung v. W.Apel, Dallas
(Tex.) 1963ff. : Bd I (1963), »Keyboard Music of the
Fourteenth and Fifteenth Cent.«; II (1963), M.Facoli,
»Collected Works«; III (1964), H.Praetorius, »Magnifi-
cats«; IV (1964), G.Salvatore, »Collected Keyboard
Works«; V (1964), B.Pasquini, »Collected Works for
Keyboards 2 Teile; VI (1964), Johannes de Lublin,
sTablature of Keyboard Music«, 1. Teil.
9) Recent Researches in the Music of the Renaissance, bis-
her 1 Bd (New Haven 1964): G.M.Asola, »Sixteen
Liturgical Works«.
10) Recent Researches in the Music of the Baroque Era,
bisher 1 Bd (New Haven 1964) : M- A. Charpentier,
Judicium Salomonis.
11) Monuments of Music and Music Literature in Facsimile,
NY (1965ff.); 1. Reihe, Music: Bd I (1965), H.
Purcell, Orpheus Britannicus I, Faks. d. Ausg. London
1698; II (1965), J.Blow, Amphion Anglicus, Faks. d.
Ausg. London 1700. - 2. Reihe, Music Lit. : Bd I (1965),
G.Zarlino, he istitutioni harmoniche, Faks. d. Ausg.
Venedig 1558.
Register (nach Komponisten ; Be = Belgien, Da = Dane-
mark, De = Deutschland, Fr = Frankreich, Gr = GroB-
britannien, It = Italien, Ni = Niederlande, Ost = Oster-
reich, Po = Portugal, Sp = Spanien):
Adlgasser, A. C: Ost XLIII.l. Agricola, A.: Be 1(111,
XI, XXIV, XXIX); USA 2(22). Agricola, M.: De
4(XXI V). Ahle, J. R. : De 5(V). Aichinger, Gr. : De 1 (XVI,
XXVIII), 6(X,1). Albert, H.: De 5(XII-XIII). Alberti,
G. : Da 3(1-111). Albicastro, H. : Schweiz I. Albrechts-
berger, J. G. : Ost XVI,2. Alexander: Ost XX,2. Alison,
R.: Gr 3(XXXIII). Alwood, R.: Gr 7(1). Amon, Bl. : De
l(XXI); Ost XXXVHI.l. Andrevi, Fr.: Sp 1(19.1/2).
Anerio, F.: De 1(XV). d'Anglebert, J. H.: Fr 6(VIII).
Anna v. Koln: De 10(IV). Anna Maria van Eijl: Ni
1 (XXXVII), 2(11). Anonymi: Be 1(XI, XIII-XX, XXII-
XXIV) ; De 1 (I), 4(IX) ; Fr 3 ; It 3(V), 7(1), 9(1/11, 1 /III, 2/1),
14(VI-IX), 16(VII); Ost XIX, 1; Schweden 2(111); Sp
1(16.1/1, 18.1/1), 2(VI), 3(111, IV-V); USA 2(8/111). An-
tiquis, A. de: Fr 3; USA 1(IV). Antiquis, G. de: It 8(1).
Apel, N. : De 9(A.XXXII-XXXIII). Appenzeller, B. : Be
1(XIV, XV, XVIII). Aranaz y Vides, P.: Sp 1(19.1/1). Ar-
cadelt, J.: Be 1(11, XX, XXV-XXVIII); De 2(VIII, XII);
It 16(VII); USA 1(V). Arne, Th. A.: Gr 2(H), 6(111). Ar-
nold v. Bruck: Ost 99. Ashton, H.: Gr 5(X). Ashwell,
Th.: Gr7(I). Asola, G. M.: De l(XXVII), 12(1); It 16(11);
USA 9. Asturiano, J. : Sp 3(IV-V). Attaingnant, P. : De
4(XXVII); Fr 3, 6(1, V); USA 2(20), 4(11). Attey, J.: Gr
4(2/IX). Azzaiolo, F. : It 1 1(11).
Baban, Gr.: Sp 1(17.1/1). Baccusi, H.: It 16(1). Bach: De
9(A.I-II, A.IX). Bach, C. Ph. E.: De 5(XXIX/XXX),
9(A.XVIII). Bach, J. Chr.: De 9(A.III, A.XXX). Bach,
J. Chr. Fr. : De 5(LVI). Bach, J. E. : De 5(XLII, XLVIII).
Bach, J. S.: De 1(1, IV). Bakfark, Greff: Ost XVIII,2.
Ballard, R.: Fr 8(V-VI). Baltazarini: Fr 1. Banchieri,
A. : It 4(1), 6(1). Barbe, A. : De 2(XII). Barbireau, J. : USA
2(7). Bargonio, T.: It 16(VII). Baroti, Sc: De l(XXIV).
Barra, H.: Be 1(XX). Bartholus de Florentia: USA
2(8/1). Bartlet, J. : Gr 4(2/111). Bartolucci da Assisi, R. :
Da 3(11). Basiron, Ph.: De 2(VIII); It 9(1/1). Bassa, J.: Sp
3(111). Bassani, G. B.: De 1 (XXVII); It 4(11), 16(V). Bas-
ton, J.: Be 1(XH); De 2(XII). Bateson, Th.: Gr 1(XIV,
XVII), 3(XXI-XXII). Battistini, G. : It 5(1/111). Baulde-
wijn, N.: Be 2(IX). Beaujoyeulx, B. de = Baltazarini.
Beck, Fr.: De 6(VIII,2). Beethoven, L. van: Fr 6(11).
Benda, G. : De 5(LXIV). Benevoli, O. : It 10(IA/l-4, IA/8,
IB/1, IC/1, IIA/1, IIB/1-4, IIB/9, IIC/1, IID/1); Ost X,l.
Benincasa, A. : Da 3(11). Benn, J. : Schweiz IV. Bennet, J. :
Gr I (XV), 3(XXIII). Benoist, N. : USA 7. Berchem, J. de:
Be 1(1, XI, XVII, XXIV); It 16(VII). Bernal Gonzales,
Fr.: Sp 1(16.1/1). Bernardi, St.: Ost XXXVI, 1. Bernar-
do Pisano: Da 3(111). Bernhard, Chr.: De 5(VI). Ber-
tani, L.: It 16(1). Bertoni, F. G.: It 4(XVI). Bertrand,
A. de: Fr 5HV-VII). Berxes, Fr.: Sp 3(IV-V). Besard,
J.-B.: It 2(VII, IX). Biber, C. H.: OstXLIII,l. Biber, H. I.
Fr.: Ost V,2, XII.2, XXV.l, XXX.l, 92, 96-97, 106/107.
Biechteler, M. S.: Ost XLIII.l. Binchois, G.: De 12(11).
Bivi, P.: Da 3(111). Blow, J.: Gr 2(XXIII, XXV), 6(VII);
USA 11(1/11). Boccherini, L.: It 4(111), 7(IV), 13(1); USA
l(III). Bohm, G.: De 5(XLV). Boieldieu, A.: Fr 6(XI-
XII). Bontempo, J. D.: Po VIII. Borchgrevinck, M.: Ni
1 (XXXIV). Boscoop, C: Ni l(XXII). Bourgeois, L.:
Schweiz III. Boutmy, J.: Be 2(V). Boyce, W.: Gr 6(XIII).
Boyvin, J.: Fr 4(VI). Bros, J.: Sp 1(19.1/2). Brudieu, J.:
Sp 4(1). Bruhns, N.: De 1(1), 9(C.Schleswig. . . I-II).
Brumel, A.: Be 1(11, X, XI); Fr 3; USA 2(5). Brunetti,
G.: It 13(111). Bull, J.: Gr 1 (XVIII), 6(XIV, XIX). Bul-
tel, J.: Be l(XXVIII). Buonaugurio da Tivoli, G.: Da
3(1, II). Burgh, C: De 10(VI, IX). Busnois, A.: It 9(1/1).
Buus, J.: De 2(VIII); It 16(VII). Buxtehude, D.: De 1(1),
5(XI, XIV). Byrd.W. : Gr 1 (I.VI, XVIII), 2(VI-IX), 3(XIV-
XVI), 5(11, VII, IX).
Cabanilles, J.: Sp 4(IV, VIII, XIII, XVII). Cabez6n, A.
de: Sp 2(III-IV, VII-VIII). Cabilliau: Be 1 (XVIII). Ca-
bo, Fr. J.: Sp 1(19.1/1). Cabrera, Fr. V.: Sp 1(18.1/1).
Caccini, Fr.: USA l(VII). Caccini, G.: De 4(IX); It
4(IV). Caldara, A.: De l(III); Ost XIII.l, XXXIX, 91,
101/102. Calvisius, S.: De l(XXVIII). Cambert, R.: Fr 1.
Campian, Th.: Gr 2(1), 4(1/IV, 1/XIII, 2/I-II, 2/X-XI).
Campra, A.: Fr 1. Canis, C: Be 1(XV, XXV); De 2(VIII).
Cannabich, Chr. : De 6(VIII,2, XV-XVI). Cara, M. : Da
3(11). Cardoso, M.: Po V-VI. Carissimi, G.: De 3(H); It
4(V), 8(4). Carlton, R.: Gr 3(XXVII). Carmen, J.: USA
2(11/1). Carnazzi: De 1(11). Caron, Ph.: It 9(1/1). Caro-
so, F. : It 2(1). Carver, R. : USA 2(1 6). Casanoves, N. : Sp
5(2/1). Caseda, D.: Sp 1(17.1/1). Caseda, J. de: Sp 1(18.1/
1). Castileti, J. = Guyot. Castillo, D. del: Sp 1(16.11/1).
Catel, Ch.-S. : Fr 1. du Caurroy, E. : Fr 3. Cavalieri, E.
de': It4(X). Cavalli, Fr.: De 4(XI). Cavazzoni, G.: It
4(VI) ; USA 7. Cavazzoni, M. A. : It 7(1). Cavendish, M. :
Gr 3(XXXVI), 4(2/VII). Ceballos, Fr. de: Sp 1(16.1/1),
2(VI). Ceballos, R. de: Sp 1(16.1/1). Cererols, J.: Sp
5(1/1-111). Certon, P.: De 2(XII); Fr 5(11), 8(1). Cesares,
J.: USA 2(11/1). Cesti, M. A.: De 4(XI); Ost 111,2, IV,2;
USA 3(V). Charpentier, M.-A.: USA 10. Cherubini, L.:
It 4(VII). Cima, G. P.: De 1 (XXIII). Claudin = CI. de
Sermisy. Clementi, M. : It 4(VIH). Clemens non Papa, J. :
Be 1 (I, XIV, XX); De 2(1-111, V, VIII, X-XII); Ni 1 (XLIV);
USA 2(4). Clerambault, L. N.: Fr 4(111). Cleve, J. de:
Be 1(1, IX, XII-XVI); De 2(IV). Coclico, A. P.: De
9(A.XLII). Coelho, M. R.: Po I, III. Colin, G.: USA 7.
Collasse, P.: Fr 1. Comes, J. B.: Sp 1(17.1/1). Compere,
L.: Be 1(XIII, XXIII); USA 2(15). Conti, Fr.: Ost 101/
1 02. Coperario, J. : Gr 4(1 /XVII). Cordans, B. : De 1 (II).
Cordier, B. : USA 2(1 1 /I). Corelli, A. : De 3(111) ; It 4(IX).
Corkine, W. : Gr 4(2/XII-XIH). Cornet, P. : Be l(XVII).
Correa, M. : Sp 3(111). Correa de Arauxo, Fr. : Sp 6(VI,
XII). Costa de Lisboa, J. da: Po VII. Costeley, G.: Fr 3.
Couperin (le grand), Fr.: De 3(IV); Fr 4(V). Cramer,
W.: De 6(XV-XVI). Crappius, A.: De 9(C.Niedersachsen
II). Crecquillon, Th. : Be 1(1, VIII, XII, XIV, XXIV) ; De
2(X, XII). Croce, G.: De 1(XV, XVI, XXIII); It 6(111),
16(1). Cuellar, R. F.: Sp 1(19.1/1).
Dach, S. : De 9(C.OstpreuBen. . .). Dall'Abaco, E. F.:
De 6(1, IX,1). Daman, G.: Gr 2(XXI). Dandrieu, J. Fr.:
Fr4(VII). Danyel, J. : Gr 4(2/VIII). Danzi, Fr. : De 6(XV-
XVI). Daquin,L.-Cl. : Fr4(III). Daser, L. :De 9(A.XLVII).
Dattari, Gh.: It 11(111). Delalande, M.-R.: Fr 1. De-
latre, Cl.: De 2(VIII). Deller, Fl. J.: De 5(XLIH/XLIV).
Demantius, Chr. : De 1 (XXVIII), 9(B.I). Destouches, A. :
Fr 1. Diepenbrock, A.: Ni l(XLIII). Dietrich, S. : De
8(111,2), 9(A.XXIII). D'India, S.: It 7(X). Ditters v. Dit-
tersdorff, K.: Ost XLIII,2. Dobenecker: De 1(1). Do-
nato, B. : De l(XXIV). Donato de Florentia : USA 2(8/
III). Doni, A. Fr.: It 16(VII). Dowland, J.: Gr l(XII),
4(1/1-11, 1/V-VI, 1 /X-XII, 1/XIV), 6(VI). Doyague, M.
J.: Sp 1(19.1/1; 19.II/2). Draghi, A.: Ost XXIII, 1. Dress-
ler, G. : De 1 (XV, XXVI), 4(XXVIII). Dufay, G. : It 9(1 /
I, l/II, 2/1); Ost XIX.l ; USA 2(1), 4(V). Dulichius, Ph.:
De 5(XXXI, XLI). Dunstable, J.: Gr 6(VIII). Durante,
Fr.: De 1(11, IV); It 4(XI). Dur6n, S.: Sp 1(17.11/1, 19.11/
2), 3(III-V). Dutertre, E.: Fr 3.
Earsden, J.: Gr4(2/XVIH). East, M.:Grl(XIV), 3 (XXIX-
XXXI). East, Th.: Gr 1(XI). Eberlin, J. E.: De 1(1); Ost
XXVIII.l, XLHI,1. Eccard, J.: De 4(XXV). Edelmann,
J. Fr. : De 6(XV^XVI). Eichner, E. : De 6(VHI,2, XV-
XVI). Episcopius, L.: Be 1(XI). Erbach, Chr.: De
212
Denkmaler (Register)
1 (XXVIII), 6(IV,2). Erlebach, Ph. H.: De 5(XLVI/
XLVII). Escobedo, B.: Sp 1(16.1/1). Eslava.H.: Sp 1(19.11/
1). Este, M. u. Th. = East. Esteve, P. : Sp 3(11).
Fabio, E.: De 1(11). Fabri, St.: It 10(IIB/10-11). Facoli,
M. : USA 8(11). Faignient, N. : Be 1 (XIII, XXVIII). Falk,
G. P.: Ost 86. Farmer, J.: Gr 3(VIII). Farnaby, G.: Gr
3(XX). Fasch, J. Fr.: De 9(A.XI). Faugues, G.: It 9(1/1,
1/IV); USA 6(VII). Fayrfax, R.: USA 2(17). Felis, St.:
De l(XXIII). Fernandez Caballero, M.: Sp 1(19.11/2).
Fernandez de Castilleja, P.: Sp 1(16.1/1). Ferrabos-
co(I), A. : De 1 (XXV) ; Gr 2(XI-XII). Ferrabosco(II), A. :
Gr4(2/XVI). Ferrer, G.: Sp 3(11). Ferrer, M.: Sp 3(111).
Festa, C: Da 3(1-111); It 1(VII); USA 2(25). Festa, S.:
Da 3(11). Fevin, A. de: Fr 3; Sp 1(16.1/1). Feys, A.: Be
l(XXVIII). Field, J.: Gr 6(XVII). Filippus de Lurano:
Da 3(11). Filtz, A.: De 6(111,1, VII,2, XV-XVI), 9(A.LI).
Finck, Heinrich: De 4(VII), 9(A.LVII). Finck, Her-
mann: De 4(VII). Fiocco, J.-H.: Be 2(111). Fischer, J. C.
F.: De 5(X). Flecha, M.: Sp 4(XVI). Florio, G.: De
l(XVIII). Forster, E. A.: Ost XXXV,1. Fogliano, G.:
Da 3(1); It 7(1). Fogliano, L.: Da 3(11). Ford, Th.: Gr
l(XIV), 4(1/111). Forster; G.: De 4(XXXIII), 9(A.XX).
Fossa, J. de: Be 1(11). Franciscus Bossinensis: It 5(2/111).
Franck, J. W. : De 5(XLV), 9(C.Bayern II). Franck, M. :
De 1(XXIV), 5(XVI). Frauenlob: Ost XX,2. Frescobal-
di, G.: De 1(1), 12(IV); It 2(VI), 4(XII), 15(11). Friderici,
D. : De 9(C. Mecklenburg ... II). Froberger, J. J. : De 1 (I) ;
Ost IV, 1, VI,2, X,2. Frye, W.: USA 2(19). Fuentes, P.:
Sp 1(18.1/1). Fux, J. J. : Ost 1,1, 11,1, IX,2, XVII, XXIII.2,
85, 101/102; USA 1(11).
Gabrieli, A.: Fr 4(X); It 5(1/1), 7(V). Gabrieli, G.: De
1(111, XV, XVI, XXI, XXIII, XXVIII); It 5(1/1-11); USA
2(12). Gaffori, Fr.: It 14(I-V); USA 2(10). Gagliano,
M. da: De 4(IX). Galilei, V.: It 5(1/IV); USA 1(VIII).
Gallo(II), D. : De 1 (II). Gallus, J. : De 1(XV, XXI, XXII,
XXVII); Ost VI,1, XII.l, XV, 1, XX,1, XXIV, XXVI,
XLII.l, 94/95. Galuppi, B.: It 4(XIII), 16(VI). GarcIa,
Fr.: Sp 1(19.1/1). GARcfA, M.: Sp 1(19.11/2). Gascogne,
M.: Be 2(IX). Gaspar van Weerbeke: It 14(XI). Gass-
mann, Fl. L.: Ost XXI.l, XLV. Gaultier, D.: Fr 6(VI-
VII). Gautier de Coinci: Fr 6(XV). Geist, Chr.: De
9(A.XLVIII). Gemblaco, J. Fr.: Be 3. Geminiani, Fr.:
USA 1(1). Genet, E.: It 1(VH). Gervaise, Cl.: Fr 3. Ge-
sualdo, C. : It 4(XIV), 5(1/V), 8(2). Gheerkin = C. Canis.
Gherardello de Florentia: USA 2(8/1). Ghiselin, J.:
USA 2(23). Giacobbi, G.: It 11(1). Giacomelli, G.: De
1 (II). Giardini, F. : It 7(111, VI). Gibbons, Chr. : Gr 6(11).
Gibbons, O.: Gr 1(111, IX, XVIII), 3(V), 5(IV), 6(XX),
7(111). Gigault, N. : Fr 4(IV). Giles, Th. : Gr 2(1). Gintz-
ler, S.: Ost XVIII,2. Giorgi, G.: It 10(IC/2, IIIA/1-2).
Giovannelli, R.: De 1(XXV, XXVI). Giovanni da
Cascia: USA 2(8/1). Gistou, N.:'Ni 1 (XXXIV). Glarea-
nus: De 4(XVI-XVIII). Gletle, J. M.: Schweiz II. Gluck,
Chr. W.: De 6(XIV,2); Ost XXI.2, XXX.2, XLIV. Gor-
ner, J. V. : De 5(LVII). Goldberg, J. G. : De 9(A.XXXV).
Gombert, N.: Be 1(11, XI, XII, XIV, XVII, XX); De 2(VIII,
XII); USA 2(6). G6mez Camargo, M.: Sp 1(16.11/1).
Goudimel, Cl.: Be 1(111, XI); Fr 3, 5(IX); It 1(VII).
Graun, C H.: De 5(XV). Graupner, Chr.: De 5(XXIX/
XXX, LI/LII), 1 1(1/11). Graziani, C. : It 7(XV). Grazioli,
G. B. : It 7(XII). Greaves, Th. : Gr 3(XXXVI), 4(2/XVIII).
Grep, B. : Ni 1(XXXIV). Grigny, N. de: Fr 4(V). Guami,
G.: De 1(XVII, XVIII). Guerrero, Fr.: De l(XXVII);
Sp 1(16.11/1), 2(11, VI), 6(XVI, XIX). Guilain, J. A.: Fr
4(VII). Guillet, Ch.: Be 2(IV). Gumpelzh aimer, A.: De
1(11, XXVIII), 6(X,2). Guyot, J. : De 2(XII).
Handel, G. Fr. : De 1(IV). Hagius, K. : De 10(111). Haindl,
Fr. S. : Ost 86. Hainlein, P. : De 6(VI,1). Hammerschmidt,
A.: De 1 (III, XXIV-XXVHI), 5(XL), 9(A.XLIII, A.XLIX);
Ost VIII, 1. Hasse, J. A.: De 1(IV), 5(XX, XXIX/XXX),
9(A.XXVII). Hassler, H. L.: De 1(XIII-XIV), 4(XV),
5(11, VII, XXIV/XXV), 6(IV,2, V, XI,1). Hassler, J.: De
6(IV,2). Haussmann, V.: De 5(XVI). Havingha, G.: Be
2(VII). Haydn, J.: USA 1(X), 3(IV). Haydn, M.: Ost
XIV,2, XXII, XXXII, 1. Heinichen, J. D.: De 9(A.XI).
Heinrich VIII.: Gr 6(XVIII). Hellendaal, P.: Ni
l(XLI), 2(1). Herbing, V.: De 5(XLII). Herbst, J. A.: De
9(C.Rhein. . .). Heredia, A. de: Sp 1(17.1/1). Hidalgo,
J.: Sp 3(III-V). Hilton, J.: Gr 1(XIII). Hoffer, J. J.: Ost
XXVilI,2. Holborne, W. : Gr 3(XXXVI). Hole, W. : Gr
1 (XVIII). Hollande, J. de: Be 1(XVI). Hollander, Chr.
J.: De 2(1, IV-VI, IX). Hollander, S.: De 2(1). Holz-
bauer, I.: De 5(VIII/IX), 6(VII,2, XV-XVI), 9(A.XXIV).
Hothby, J.: USA 2(33). Hugalde, C. J.: Sp 1(19.11/2).
Hurlebusch, C. Fr.: De 5(XXIX/XXX); Ni 1 (XXXII).
HuYGENs,C.:Nil(XI).
Infantas, F. de las: Sp 1(16.11/1). Ingegneri, M. A.:
De 1(XV); It 5(1/VI). Isaac, H.: It 14(X); Ost V,l, XIV.l,
XVI, 1.
Jachet v. Mantua: De 12(1). Jacopo da Bologna: USA
2(8/IV). Janequin, Cl.: De 2(XII); Fr 3. Jeep, J.: De
9(A.XXIX). Jenkins, J.: USA 3(1). le Jeune, Cl.: Be 1(XX,
XXIX); Fr 3, 5(1, VIII). Joachim a Burck: De l(III),
4(XXVI). Johannes de Florentia = Giovanni da Cascia.
Johannes de Lublin: USA 8(VI). Johnson, R.: Gr 4(2/
XVII). Jommelli, N.: De 1(IV), 5(XXXII/XXXIII) ; It
4(XV). Jones, R. : Gr 3(XXXV), 4(2/IV, 2/VI, 2/XIV-XV).
Josquin Desprez : Be 1 (II, III, XII, XIV-XVI, XX, XXII) ;
De 2(VI-VIII, XII), 4(V); Ni l(XLIV). Juares, A.: Sp
1(17.1/1). Judenkunig, H.: Ost XVIII,2. Julia, B.: Sp
1(18.1/1). Jullien, G.: Fr 6(XIII). Junckers, G.: Be
l(XXI). Justo, J. : Sp 3(IV-V).
Reiser, R. : De 4(XXI/XXII), 5(XXXVII/XXXVIII). Ker-
le, J. de: Be 1(1, XVII, XXIII-XXVIII); De 6(XXVI).
Kerll, J. K.: De 1(11), 6(11,2); Ost XXV.l, XXX.l. Kin-
dermann, J. E.: De 6(XIII, XXI-XXIV). Kirbye, G.: Gr
2(III-V, XXI), 3(XXIV). Kirchhoff, G.: De9(A.XXXV).
Kneffel, J.: De l(XIX). Knupfer, S.: De 5(LVIII/LIX).
Kraus, J. M. : Schweden 2(11). Krieger, A. : De 5(XIX).
Krieger, J.: De 6(VI,1, XVIII). Krieger, J. Ph.: De
5(LIII/LIV), 6(VI,1, XVIII). Kugelmann, H.: De 9(B.II).
Kuhnau, J.: De 5(IV, LVIII/LIX). Kusser, J. S.: De
9(C.Schlewig... III).
Lamb, H.: USA 3(11). Landi, St.: It 3(V). Landini, Fr.:
USA 5(IV). Lange, Gr.: De l(XIX), 4(XXIX). Lanner,
J.: Ost XXXIII.2. Lantins, A. de: Be 3. Lantins, H. de:
Be 3. Lapperdey, Ph.: Be l(XVIII). de la Rue, P.: Be
1(XVIII-XXII, XXIX), 2(VIII); Fr 3. Laserna, Bl. de:
Sp 3(11). Lassus, O. de: Be 1(III-V, IX, X, XII, XIII, XVI,
XXIV); De 1(V-XII), 2(VII, VIII, X, XII); Fr 3. Lassus,
R. de: De l(XXI). Laurentius Massii de Florentia:
USA 2(8/111). Laurus Patavus: Da 3(1). Lawes, W.: Gr
6(XXI). Lebegue, N. : Fr 4(IX). le Blanc, D. : Fr 5(111).
Lechner, L. : De 1 (XVIII, XIX), 4(XXIII). Leclair (l'a!-
ne), J.-M.: De 4(XXXI). Le Coco, J.: De 2(XH), 12(1).
Ledesma, N.: Sp 1(19.1/2). Legrenzi, G.: De 1(11, III).
Leibl, C: De 10(V). Le Maistre, M.: Be 1(1, XII); De
2(VIII). Leo, L. : De 1(111, IV). Leoni, L. : De l(XXII). le
Roy, A.: Fr 8(II-IV). Le Roy, B.: Be 1(11). L'Estocart,
P. de: Fr 5(X-XI). le Sueur, J. Fr.: Fr 1. Lichfild, H.:
Gr3(XVII).LiD6N,J.:Sp 1(18.11/1). Literes, A. :Sp 1(18.1/
1), 3(11, IV-V). Lobo, A.: Sp 1(17.1/1). Locatelli, P.: It
4(XVI), 7(XIV) ; Ni 1 (XXXI), 2(IV). Locke, M. : Gr 6(11).
Loeillet, J. B.: Be 2(1). Longaval, A. de: Be 1(1). Lopes
Morago, E. : Po IV. L6pez, M. : Sp 5(1/VI, 2/1). Lotti, A. :
De 1(11, IV), 5(LX). Ludford, N.: USA 2(27). Lully,
J.-B.: De 4(XIII/XIV); Fr 1. Lupi, J.: Be 1(XVI, XX,
XXIV); De 2(XII). Lupo, Th.: Gr 2(1). Luyton, Ch.: Be
2(IV); De 1(XVII-XX, XXII).
Machado, M.: Sp 3(IV-V). Machaut, G. de: De 8(1,1,
111,1, IV,2); USA 2(2), 5(II-III). Macque, J. de: Be 1(1,
VII, IX), 2(IV). Madlseder, N. : Ost 86. Maestro Pierro
= Piero da Firenze. Maffoni, H.: Da 3(1, II). Mage, P.
du: Fr 4(111). Mahu, St.: De 1(XVII, XVIII). Mainerio,
G.: De 12(V). Maistre Jhan = J. Le Cocq. Manchi-
court, P. de: De 2(XII). Mann, J. : Ost XIX,2. Marbeck
= J. Merbecke. M arcello, B. : De 1(IV) ; It 2(IV), 4(XVII),
7(11, VIII). Marchand, L.: Fr 4(111, V). Marenzio, L.:
De 1(XV, XVI, XXVII, XXVIII), 8(IV,1, VI). MarIn, J.:
Sp 3(III-V). Martelaere, J. de: Be 1(1). Mart!, M.: Sp
3(IV-V). Martini, G.: De 11(1/V); It 4(XVIII), 7(XI).
Martini, J. : It 14(XII). Mason, G. : Gr 4(2/XVIII). Mas-
saini, T. : Ost 110. Mastioletti: De 1(11). Matheus de
Perusio: It 5(2/1). Mattheson, J.: De 11(1/1). Mauduit,
J.: Fr 3. Mayr, R. I.: De 9(C.Bayern I). Meiland, J.: De
1(XIX, XX). Mel, R. del: Be 1(1, IX, XI, XII); De 1(XVI,
XX, XXI, XXVI). Meldert, L. van: Be 1(XI). Mene-
galli: De 1(11). Merbecke, J.: Gr 5(X). Merula, T.: It
15(1). Merulo, Cl.: De 1(1, XVI, XXIII, XXV, XXVII,
XXVIII); Fr 4(X). Meton, V.: Sp 1(19.11/2). Michel,
Don: Da 3(11). Milan, L.: De 8(11). Milton, J.: Gr
2(XXII). Molinari, S.: De 1(XV, XVI, XXII). Molter,
213
Denkmaler (Register)
J. M.: De 9(A.XLI). Mondonville, J.-J. de: Fr 6(IX).
Monjo, Fr.: Sp 3(IV-V). Monn, M.: Ost XV,2, XIX,2.
Monte, L.: Be 1(XI). Monte, Ph. de: Be 1(1, II, VI-X);
De l(XXIV), 2(VI); It 16(1); Ni l(XXXVIII). Montella,
G. D.: It 5(1/V). Montemayor, Fr. de: Sp 1(17.11/1).
Montesinos, A.: Sp 1(19.1/1). Monteverdi, Cl.: De
4(IX); It 3(VI),4(XIX), 5(1 /VI), 7(IX), 16(IV); Ost XXIX, 1.
Morales, Chr.: It l(VII); Sp 1(16.1/1), 2(1), 6(XI, XIII,
XV, XVII, XX, XXI). Moritz v. Hessen: De 9(C.Kur-
hessen). Morlaye, G.: Fr 8(1). Morley, Th.: Gr 1(V),
3(I-IV, XXXII), 4(1/XVI). Mouton, J.: De 2(VIII); Fr 3.
Mozart, L. : De 6(IX,2). Mudarra, A. : Sp 6(VII). Mue-
las, D.de las: Sp 1(18.1/1). Muthel, J. G.: De 11(1/VI-
VII). Muffat, Georg: Ost 1,2, 11,2, XI.2, 89. Muffat,
Gottlieb: De 1(1); Ost 111,3, XXIX,2. Mundy, J.: Gr
3(XXXV). Mundy, W.: Gr 7(11). Murschhauser, Fr.
X. A.: De6(XVIII). Mutus: Da 3(1).
Nanino, G. M. : De 1 (XXV) ; It 1 6(1). Narv aez, L. de : Sp
6(111). Naumann, J. G. : De 1 (IV). Navarro, Fr. : Sp 3(IV-
V). Navarro, J.: Sp 1(16.11/1). Navas, J.: Sp 3(III-V).
Nebra, J.: Sp 1(18.11/1). Neefe, Chr. G.: De 10(1, X-XI).
Negri, C.: It 2(1). Neidhart v. Reuenthal: Ost XXXVII, 1 .
Nenna, P. : It 8(3). Nerito, V. : De 1 (XX). Newsidler, H. :
Ost XVIII,2. Nivers, G.: Fr 6(XIV). Nocetti, Fl.: De
1(XV). Noleth: It 16(VII). Noordt, A. van: Ni l(XIX).
Novarese, M. : It 16(VII).
Obrecht, J.: Ni 1(IX, XVIII, XLIV); USA 4(V). Ocke-
ghem, J.: De 8(1,2); It 9(1/1); Ost XIX.l ; USA 4(V). Og-
lin, E.: De 4(VIII). Oevering, R. P. van: Ni l(XLVI).
Olleta, D.: Sp 1(19.11/2). Orologio, A.: De l(XXIV).
Ortells, A. T.: Sp 1(17.11/1). Ortiz, D.: Sp 1(16.11/1).
Orto, M. de: It 9(1/1). Othmayr, C.: De 9(A.XVI,
A.XXVI). Ott, J. : De 4(1-111), 9(A.XV). Ozcoz y Cala-
horra, R.:Sp 1(19.11/2).
Pace, P.: De 1(XX). Pachelbel, J.: De 1(1, III), 6(11,1,
IV, 1, VI,1); Ost VIII.2. Pachelbel, W. H.: De 6(11,1,
IV, 1). Padbrue, C. Th.: Ni l(XLII), 2(V). Paez, J.: Sp
1(18.1/1). Paisiello, G.: It 4(XX). Palazzo, J.: It 16(VII).
Palestrina, G. P.: Da 3(111); De 1(11, III), 3(1); It 1(I-VI,
VII), 4(XXI). Pallavicini, C. : De 5(LV). Paluselli, S. :
Ost 86. Parabosco, G. : It 16(VII); USA 7. Paradies, P. D.:
It 4(XXI1). Parsley, O. : Gr 5(X). Pasquini, B. : USA 8(V).
Patino, C: Sp 1(17.11/1), 3(III-V). Pederson, M.: Da 1.
Penalosa, Fr. de: Sp 1(16.1/1). Pepusch, J. Chr.: De
1 1(2/1-11). Perez, J. G. : Sp 2(V). Perez y Alvarez, J. : Sp
1(19.11/2). Pergolesi, G. B.: De 1 (IV) ; It 4(XXIII). Peri,
J.: It 3(VI), 4(XXIV). Perianez, P.: Sp 1(16.11/1). Peri-
son: It 16(VII). Pesori, St.: It 2(111). Petrucci, O.: De
8(VIII); It 12(1). Petrus de Ostia: Da 3(1). Petti, P.: It
10(IA/6). Petz, J. Chr.: De 6(XXVII/XXVII1). Peuerl,
P.: Ost XXXVI.2. Pevernage, A.: Be 1(1, II, V-VIII, XVI);
De 2(VIII). Peyro, J.: Sp 3(111). Pezel, J.: De 5(LXIII).
Pfleger, A. : De 9(A.L). Phalese, P. : Ni 1 (XXVI, XXVII).
Philidor, Fr. A.: Fr 1. Phinot, D.: De 2(VIII, IX). Pic-
cinni, N. : Fr 1 ; It 7(VII). Picchi, G. : It 2(11). Piero da
Firenze: USA 2(8/11). Pilkington, Fr.: Gr 2(XVIII-
XX), 3(XXV-XXVI), 4(1/VII, 1/XV). Pipelare, M.: Be
1(1, XI, XIII, XIV, XXI). Pisari, P.: It 10(IIB/8). Pisen-
del, J. G.: De 5(XXIX/XXX). Pitoni, G. O.: It 10(IA/5,
IA/7, IIB/5-7). Platti, G.: De 1 1 (1/III-IV) ; It 5(2/11).
Poglietti, A. : Ost XIII.2, XXVI1I.2. Pokorny, Fr. X. :
De 9(A.XLI). Pons, J.: Sp 1(19.1/1). Pontac, D.: Sp
1(17.11/1). Ponte, J. de: Be 1(1). Porpora, N.: It 4(XXV).
Porta, C. : De l(XXVI). Portugal, M. : Po IX. Posch, I. :
Ost XXXVI,2. Pradanos, H.: Sp 1(19.11/2). Praetorius
(d. Altere), H.: De 5(XXIII); USA 8(111). Praetorius,
M.: De l(III), 4(XII). Prieto, J.: Sp 1(19.1/1). Pujol, J.:
Sp 4(111, VII). Purcell, H.: Gr 1(IV, VII, X, XIX),
2(XXIV) ; USA 11(1/1). Puteus, V. : De l(XXI).
Quagliati, P. : USA 1(XI1I).
Rabassa, P.: Sp 1(18.1/1). Raick, D.: Be 2(VI). Raison,
A.: Fr 4(11). Rameau, J.-Ph.: Fr 1. Raselius, A.: De
6(XXIX/XXX). Rathgeber, V. : De 9(A.XIX). Ravens-
croft, Th. : Gr 3(XXIII). Rebhun, P. : De 4(IX). Regis, J. :
It 9(1/1) ; USA 2(9). Regnart, Fr. : Fr 3. Regnart, J. : De
4(XXIII). Reinken, J. A.: Ni l(XIII-XIV). Reinmar v.
Zweter: Ost XX,2. Reusner, E.: De 9(A.XII). Reutter
(d. Altere), G.: Ost XIII,2. Reutter (d. Jungere), G.:
Ost XV,2, 88. Rhaw, G.: De 5(XXXIV), 9(A.XXI,
A.XXV). Ribera, B.: Sp 1(16.1/1). Riccio, M.: It 16(VII).
Riccio, T.: De l(XIX). Richafort, J.: Be 1(XV, XVII);
De 2(XII). Richter, F. T. : Ost XIII.2. Richter, Fr. X.:
De 6(111,1, VII,2, XV-XV1), 9(A.LI). Ripa, A.: Sp 1(18.11/
1). Roberday, Fr.: Fr4(III). Robledo, M.: Sp 1(16.1/1).
Rocourt, P. de: De 2(XII). Rodriguez, F.: Sp 5(2/11).
RoDRiouEZ de Ledesma, M.: Sp 1(19.1/2). Rossler, Fr.
A.: De 6(XII,1, XXV). Rogier, Ph.: Be l(XXI). Rogier
Pathie: Be l(XIX). Roi, B.: De l(XXV). Roldan, J. P.:
Sp 1(18.1/1). Rolle, J. H.: De 1(IV). Roman, J. H,: Schwe-
denl(I-V,VIII-IX), 2(1). Romero, M.:Sp 1(17.1/1), 3(111).
Ron, M. de: Schweden 1(VI). Rore, C. de: Be 1(1, VIII,
XI, XII); De 2(VII, XII), 12(1); It 16(VII); USA 1(VI),
2(14). Rosenmuller, J. : De 1(XX1V), 5(XV1II). Rosetti,
A. = Fr. A. RoBler. Rosier, C: De 10(VII). Rosseter,
Ph.: Gr 4(1/IV, 1/VIII-IX, 1/XIII). Rossi, M. A.: It
4(XXVI). Rosso da Collegrano : USA 2(8/111). Rota, A. :
De l(XVI). Rudolph, J. J.: De 5(XLIII/XLIV). Ruffo.V.:
It 16(IV, VII). Rust, Fr. W.: De 9(C. Mitteldeutschland).
Rutini, G. M. Pl.: It 4(XXVII).
Sacchini, A.: Fr 1. Salazar, J. G. de: Sp 1(17.11/1). Sa-
les, Fr. : Be 1 (I, IV-VI). Salieri, A. : Fr 1 . Salvatore, G. :
USA 8(IV). Sammartini, G. B. : It 4(XXVIII). Sandoni,
P. G.: It 4(XX1X). Sanjuan, N.: Sp 1(18.1/1). Santa
MarIa, T. de: Sp 2(VI). Santini, Pr.: De l(XXV). Scan-
dello, A.: De 1(XV, XIX, XX). Scarlatti, A.: De 1(111,
XXIV), 4(XIII/XIV); It 4(XXX), 7(XIII); USA 4(1).
Scarlatti, D. : It 4(XXXI). Schedel, Dr. Hartmann : De
9(A.XL). Scheidt, S.: De 5(1); Ni l(III). Schelle, J.: De
5(LVIII/LIX). Schenck, J.: De 9(A.XLIV); Ni l(XXVIII).
Schenk, J.: Ost XXXIV. Scherer, S. A.: Fr 4(VIII).
Scheure, D.: Be l(XIX). Schloger, M.: Ost XV,2.
Schmelzer, J. H. : Ost XXV,1 , XXVIII,2, 93, 105. Schmie-
rer, J. A. : De 5(X). Schobert, J. : De 5(XXXIX), 9(B.IV).
Schondorffer, Ph.: De 1 (XXVII). Schurmann, G. C. :
De 4(XIX/XX). Schutz, H.: De l(III). Schultz, J.: De
9(C.Niedersachsenl). Schuyt, C: Ni 1(V, XLV). Schwem-
mer, H. : De 6(VI, 1). Sebastiani, J. : De 5(XVII). Secanil-
la, Fr.: Sp 1(19.1/1, 19.II/2). Segni, G.: It 7(1); USA 7.
Senfl, L.: De 1 (XVIII), 6(111,2), 9(A.V, A.X, A.XIII,
A.XV). Seraphin, Fr. : Da 3(1). Serini, G. B. : It 4(XXIX).
Sermisy, Cl. de: De 2(XII). Serqueira, J.: Sp 3(IV-V).
Simon da Ferrara: Da 3(11). Soler, A.: Sp 1(18.1/1),
4(IX). Sousa Carvalho, J. de: Po II. Spataro, G.: Da
3(1). Sperontes: De 5(XXXV/XXXVI). Stabile, A.: De
1(XVI, XXII). Staden, J.: De 6(VII,1, VIII.l). Stadl-
mayr, J.: Ost 111,1. Stamitz, A.: De 6(XV-XVI), 9(A.LI).
Stamitz, C : De 6(VI1I,2, XV-XVI), 9(A.LI). Stamitz, J. :
De 6(111,1, VII.2, XV-XVI), 9(A.LI). Starzer, J.: Ost
XV,2. Stefani, G.: It 2(111). Steffani, A.: De 6(VI,2,
XI,2, XII,2), 10(VIII); USA 1(XI). Steffanini, G. B.: De
1(XV). Steffens, J.: De 9(A.XXIX). Sterkel, J. Fr. X.:
De 6(XV-XVI). Stolzel, G. H.: De 5(XX1X/XXX).
Stoltzer, Th. : De 5(LXV), 9(A.XXII). Storace, St. : Gr
6(XVI). Straus, Chr.: OstXXX.l. Strauss (Vater), J.:
Ost XXXV,2. Strauss (Sohn), J. : Ost XXXII,2. Strauss,
Josef: Ost XXXVI1I,2. Striggio, A.: It 6(IV). Suriano,
Fr.: De l(XXV). Susato, T.: Ni l(XXIX). Sweelinck,
J. P.: De 1 2(111); Fr 4(X); Ni 1 (I, HI, V-VII, XII, XV, XVII,
XLVII). Sylva, J. E. de: Ost 86.
Tafalla, P.: Sp 1(17.1/1). Tallis, Th.: Gr 5(VI, IX).
Tapissier, J.: USA 2(11/1). Tartini, G.: It 4(XXXII);
USA 1 (IX). Taverner, J. : Gr 5(1, III). Telemann, G. Ph. :
De 1(IV), 5(XXVIII, XXIX/XXX, LVII, LXI/LXII),
9(A.VI, A.XI). Terradellas, D.: Sp 4(XIV). Theile, J.:
De 5(XVII), 14. Tinctoris, J.: It 9(1/1); USA 2(18). Ti-
telouze, J. : Fr 4(1). Toeschi, C. G. : De 6(VII,2, XV-
XVI), 9(A.LI). Tollius, J.: Ni l(XXIV). Tomkins, Th.:
Gr 3(XVIII), 5(VIII), 6(V). Tonsor, M.: De 1(XV, XIX,
XXII). Torre, J. de la: Sp 3(111). Torrentes, A. de: Sp
1(16.1/1). Torres Martinez Bravo, J. de: Sp 1(18.1/1).
Torri, P.: De 6(XIX/XX). Toulouze, M.: USA 3(VI).
Tozzi, V.: It 10(IC/2). Trabaci, G. M.: It 5(1/V), 15(111).
Traetta, T.: De 6(XIV,1, XVII). Trombetti, A.: It ll(IV).
Tromboncino, B. : Da 3(111). Tunder, Fr. : De 5(111). Tu-
rini, Fr. : It 4(XXXIII). Tye, Chr. : Gr 2(X).
Umlauff, I.: Ost XVIII, 1. Urio, Fr. A.: De 3(V). Uten-
dal, A.:De 1(XX).
Vacqueras, B. : It 9(1 /I). Vaet, J. : De 1 (XXII), 2(11, IV, V.
IX); Ost 98, 100, 103/104, 108/109. Valerius, A.: Ni 1 (II).
Valledor, J.: Sp 3(1). Valls, Fr.: Sp 1(18.1/1). Van den
Kerckhoven, A.: Be 2(11). Van Helmont, Ch.-J. : Be
2(VI). Vannini, B.: De l(XXIV). Vargas, U. de: Sp
214
Deutsche Musik
1(17.1/1). Varotto, M.: De 1(XV, XVI). Vasquez, J.: Sp
6(IV). Vautor, Th.: Gr 3(XXXIV). Veana, M. J.: Sp
1(17.1/1). Vecchi, O.: De 1(XVI, XXIII, XXVII), 4(XXX);
It 2(V), 6(11, V). Veggio, Cl.: It 16(VII). Venegas de He-
nestrosa, L.: Sp 6(11). Vento, I. de: De 1(XX). Venturi,
St.: De l(XVI). Veracini, Fr. M.: It 4(XXXIV). Ver-
bonnet = J. Ghiselin. Verdelot, Ph.: Be 1(11, XI, XXIII,
XXVIII); Da 3(1). Verdonck, C. : Be 1(1, II, XII, XXVIII);
De l(XXI). Verelst, Th.: Be 2(IX). Viadana, L.: It 17.
Vicentino, N.: USA 2(26). Victoria, T. L. de: De 1(11);
Sp 1(16.11/1), 2(VI). Villaflor, M. de: Sp 3(IV-V). Vin-
centius de Arimino: USA 2(8/1 V). Vinyals, J. : Sp 5(2/11).
Viola, A.: Sp 5(2/11). Virdung, S.: De 4(X). Vitali, T.:
USA 1(XII, XIV). Vitry, Ph. de: USA 5(1). Vivaldi, A.:
It4(XXXV), 12(111), 13(11). Vivanco, S. de: Sp 1(17.1/1).
Vogler, G. J. : De 6(XV-XVI).
Waelrant, H. : Be 1 (I) ; De 2(1). Wagenseil, G. Chr. : Ost
XV,2. Waldstein, F. Graf v.: De 10(1). Walliser, Chr.
Th.: De 1(XV, XIX). Walter, J.: De l(III), 4(VI). Wal-
ther, J. G. : De 1(1), 5(XXVI/XXVII). Walther, J. J. : De
9(A.XVII). Wanning, J.: Ni 1 (VIII). Ward, J.: Gr 3(XIX).
Watson, Th.: Gr 3(XV1). Wecker, G. K.: De 6(VI,1).
Weckmann, M.: De 5(VI), 9(C.Schleswig. . . IV). Weel-
kes, Th.: Gr 1(VIII, XIV), 2(XIII-XVII), 3(IX-XIII).
Weerbeke = Gaspar van Weerbeke. Weiss, S. L. : De
9(A.XII). Wendling, J. P. : De 6(XV-XVI). Werner, Gr.
J. : De9(A.XXXI). Wert, G. de: De 1 (XXIII); USA 2(24).
Wesstrom, A.: Schweden 1 (VII). White, R.: Gr 2(XXI),
5(V). Widmann, E. : De 9(B.III). Wilbye, J. : Gr 1 (II, XVI),
2(XXI), 3(VI-VII). Willaert, A.: Be 1(1, II, XIII, XIV,
XVI); De 2(1, II), 8(IX); It 16(IV, VII); Ni l(XXXV);
USA 2(3), 7. Wockenfuss, P. L.: De 5(XLV). Wolken-
stein, O. v. : Ost IX, 1.
Yonge, N.: Gr 2(XI-XII), 3(XIV). Youll, H.: Gr
3(XXVIII). Yver, A.: Be l(XXV).
Zachow, Fr. W. : De 1 (I), 5(XXI/XXII). Zallamella, P. :
De l(XXV). Zangius, N.: Ost 87. Zarlino, G.: It 16(111);
USA 11(2/1). Zeuner, M.: De 4(XXXII). Ziani, M. A.:
Ost 101/102. Zipoli, D.: It4(XXXVI).
Descort (desk'srt, prov. und altfrz., MiBklang, Zwie-
tracht, von lat. discordare) , Bezeichnung einer lyrischen
Gattung der provenzalischen, danach auch der altfran-
zosischen Lyrik vom 12. bis zum Beginn des 14. Jh. Der
D. gehort mit dem lyrischen -» Lai zu den nichtstichi-
schen unstrophischen Formen. Die mittelalterlichen
Theoretiker definieren ihn als Lied eines ungliicklich
Liebenden. Im Gesang sei dieses Lied alien anderen ent-
gegengesetzt ; wo der Gesang ansteigen sollte, da senke
er sich. Im Reimworterbuch des Donatus Provincialis
wird descortz definiert als discordia vel cantilena habens
sonos diversos. Es sind etwa 22 provenzalische und etwa
12 altfranzosische D.s uberliefert, letztere uberwiegend
notiert. Beispiele fur D.s sind Aimeric de Peguillans
Qui la ve en ditz (P.-C. 10, 45; notiert in -> Chanson-
nier R, W) und Guillem Augiers Ses alegratge (P.-C.
205, 5; notiert in W).
Lit. : C. Appel, Vom D., Zs. f . romanische Philologie XI,
1887; P. Aubry, Laiset d. frc., Paris 1901 ; Fr. Gennrich,
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; J. Maillard,
Problemes mus. et litteraires du »d.«, in: Melanges . . . k
la memoire d'l. Frank, = Annates Univ. Saraviensis (Phi-
losophic) VI, Saarbriicken 1957.
Dessau (Anhalt).
Lit.: M. v. Prosky, Das herzogliche Hoftheater zu D. v.
seinen Anfangen bis zur Gegenwart, D. 1 884, 2. Aufl. o. J. ;
O. Urban, Der herzogliche Singechor u. d. Kurrende zu
D. 1602-1909, D. 1910; H. Waschke, Die Musik am D.er
Furstenhof zu Anfang d. 17. Jh., Zerbster Jb. VIII, 1912;
A. Boes, Die liturgische Arbeit d. Reformation in D., Zs.
d. Ver. f. Kirchengesch. d. Prov. Sachsen u. d. Freistaates
Anhalt XXXIII/XXXIV, Magdeburg 1938; 140 Jahre
Theater in D., D. 1938 ; H. Lomnitzer, Das mus. Werk Fr.
Schneiders (1786-1853), Diss. Marburg 1961.
Dessus (das'ti, frz., oben) bedeutet Oberstimme, Dis-
kant, unterteilt in premier d., second d. (-»■ Bas-dessus)
und troisieme d. In der Instrumentalmusik kennzeich-
net D. die hohen Instrumente einer Instrumenten-
gruppe (d. de violon, d. de hautbois), allgemein auch
die Oberstimmen des Orchesters (d. de symphonie);
hoher liegende Instrumente erhalten den Zusatz par-
dessus (pardessus de viole, de flute). Im 17. und 18. Jh.
bedeutete D. weitgehend auch Violine. Im Englischen
entspricht dem D. der -> Treble.
detach<5 (detaj'e, von frz. detacher, trennen), Strich-
art, die im standigen Wechsel von Ab- und Aufstrich
besteht (»abgesetzt«), wobei jede Note einen eigenen
Bogenstrich erhalt.
Detonieren (von frz. detoner, verstimmen), seit dem
17. Jh. s. v. w. den Ton herunterziehen oder hinauftrei-
ben. Dafi a cappella-Chore leicht tiefer schliefien, als sie
angef angen haben, ist in der Regel die Folge eines Man-
gels an Auf merksamkeit und Energie, von Ermudung
der Stimmbander oder von zu starkem Atemdruck.
Auch das Schwanken zwischen naturlichen und tem-
perierten Intervallen kann Ursache des D.s sein.
Lit. : M. Planck, Die naturliche Stimmung in d. moder-
nen Vokalmusik, VfMw IX, 1893 (mit Beispielen v. D.);
K. Thomas, Lehrbuch d. Chorleitung I, Lpz. 1935 u. 6.
Deus in adiutorium meum intende (lat. ; Ps. 69, 2),
obligatorisches Eingangsstiick (Versikel) der Horen
des Offiziums (ausgenommen Komplet), mit Respon-
sum Domine ad adiuvandum mefestina und darauffolgen-
dem Gloria patri bzw. (von Septuagesima bis Ostern)
Laus tibi Domine, Rex aeternae gloriae. In der Komplet
steht das Deus in adiutorium vor den Psalmen.
Deuterus (von griech. SsiiTepo?) -> Kirchentone.
Deutsche Musik. Obwohl aus der Friihzeit nichts
Schriftliches erhalten ist, laBt sich die Eigenart der D.n
M. aus anderen Dokumenten erschlieBen. Im Alter-
tum war fiir Griechenland und das Mittelmeergebiet
das einstimmig-melodische Musizieren maBgebend,
wahrend die Heterophonie nur eine untergeordnete
Rolle spielte. Im Gegensatz hierzu fand man aus der
Vorgeschichte in Norddeutschland eine groBe Zahl
von -> Luren. Oft prachtvoll ausgefiihrt, stammen
sie aus der Bronzezeit, die im nordgermanischen Ge-
biet vom 16. bis zum 6. Jh. v. Chr. reichte. Der Hoch-
stand dieser GuBtechnik hat die Abwertung der vor-
geschichtlichen Germanen zu »Barbaren« endgiiltig
widerlegt. Nach Ausweis der Funde wurden Luren
mindestens mit Verdoppelung benutzt, und zwar fiir
den Kult. Wahrscheinlich verwandte man sie in Ge-
stalt primarer Klangmusik, einer in Europa fast ausge-
storbenen Form des Zusammenspielens, die Klange er-
gibt. Als Eigenart der D.n M. laBt sich also eine Vorlie-
be fiir Instrumentalmusik, fiir Mehrstimmigkeit und
fur Blasinstrumente schon in der Vorgeschichte er-
kennen. Im 4. Jh. n. Chr. gab der Historiker Ammia-
nus Marcellinus die Nachricht, die Romer hatten ger-
manische Gefangene als Blechblaser benutzt. Damals
hatte das Christentum gesiegt, aber gegen das germa-
nische Brauchtum in Deutschland, wie 1020 beim
Friedhofstanz zur heiligen Nacht in Kolbigk (Anhalt),
hatte die Kirche noch sehr lange zu kampfen. Das ger-
manische Brauchtum verwandelte sich in ein christli-
ches und wurde durch neue Feste erganzt.
Der christliche Kultgesang fiir die Messe, der spater
nach Papst Gregor I. benannte Choral, verursachte im
Frankenreich Schwierigkeiten, da sein Melodiestil aus
Rom stammte. Der zu Unrecht als »germanisch« be-
zeichnete Choraldialekt bringt hier statt einer Sekunde
eine Terz. In Wahrheit handelt es sich um einen deut-
schen Choraldialekt, der in Westfranken nordlich der
Loire zwar vertreten ist, seinen Schwerpunkt aber in
Ostfranken hat, das seit dem 9. Jh. Deutschland hieB.
215
Deutsche Musik
Der Vorrang der Terz erklart sich zwanglos aus der ger-
manischen Pentatonik, die in altesten deutschen Volks-
liedern greifbar wird. AuBer durch Vorliebe fur die
Terz, die spater oft zu 2-3 Terzschritten fiihrte, charak-
terisiert sich die D. M. durch wuchtigeren Vortrag im
Klang und Rhythmus. Was die deutsche Sprache be-
triff t, so ist ihr entscheidendes Merkmal die Herrschaf t
einer Stammsilbe, die stets den Wortakzent tragt. Das
hat zur Folge, daB in der Praxis bis heute jede quanti-
tierende Rhythmik zu einer akzentuierenden verf alscht
wird, wobei der Sachverhalt allerdings erst in jiingster
Zeit erkannt wurde. Das Lateinische, hierin anders ge-
artet, wurde im 8. Jh. als Kultsprache iibernommen.
Es gab allmahlich AnlaB zu Schwierigkeiten, die erst
durch die Reformation grundsatzlich iiberwunden
wurden. Angesichts der neuen Gesamtsituation der
D.n M. verlagerte sich die Schopferkraft schon im 9.
Jh. in die neuen Formen Tropus und Sequenz. (Im Ge-
gensatz zum gregorianischen Choral hingen beide mit
instrumentaler Musik zusammen.) Von Tuotilo (f 915)
wird dies ausdriicldich gesagt, und bei Notker Balbu-
lus (t 912) nebst seinen Nachfolgern ergibt es sich aus
den Texten. Instrumental war schon im 9. Jh. vor al-
lem das mehrstimmige Organum. Die damals geschaf-
fene Formenwelt blieb lange maBgebend, wobei die
Einstimmigkeit zahlenmaBig iiberwog. Fiir einen kon-
servativen Grundzug der D.n M. ist charakteristisch
das lange Festhalten am Organumstil des 10.— 11. Jh.
und seine Fortbildung. Nun beschrankten sich Melo- 1-
dienschopfer wie Hermannus contractus (f 1054) oder
Wipo (t 1050) zwar auf die Einstimmigkeit, wirkten
jedoch auf das deutsche Lied. Wohl seit 1100 gab es die
geistlichen Volkslieder Christ ist erstanden, mit Motiven
aus Wipos Ostersequenz, daher bei Osterspielen sehr
beliebt (von Luther zu Christ lag in Todesbanden umge-
formt), und das Pfingstlied Nu bittn wir den heiligen
Geist, denen viele andere folgten; in Frankreich kannte
man kein Gegenstiick hierzu. Erst im 12. Jh. trat bei
geistlichen Spielen das Deutsche langsam zum Lateini-
schen ; Hildegard von Bingen (f 1 179) schrieb ihr Schau-
spiel mit Musik, wie iiblich, noch in lateinischer Spra-
che. Den endgiiltigen Durchbruch der Volksspra-
chen brachte gleichzeitig fiir die auBerreligiose Kunst an
den Hofen der-* Minnesang. In der D.n M. f olgte man
dem Vorbild der Provenzalen noch f riiher als die nord-
franzosischen Trouveres. Das Problem der Einheit von
Wort und Weise haben die Minnesanger auf sehr indi-
viduelle Art gelost. Formal beschrankten sie sich jedoch
seit etwa 1200 auf die Strophe mit 2 Stollen und Abge-
sang (Barform). Walther von der Vogelweide (f um
1230) ragt durch dichterische wie musikalische Beson-
derheit hervor; Neidhart von Reuenthal fand mit sei-
ner Bauernthematik viele Nachfolger, doch iiberwog
in der Hauptentwicklung die Tradition. Mit dem Her-
vortreten des Burgertums wurden der Spruch und die
religiosen Stoffe immer wichtiger. Seit dem 14. Jh.
setzte der btirgerliche, von Handwerkern betriebene
-> Meistersang die Tradition andersartig fort. In dieser
Spatzeit griff der Monch von Salzburg im ausgehen-
den 14. Jh. nochmals den Minnesang auf und verband
ihn mit einf acher Mehrstimmigkeit. Noch konsequen-
ter und umfassender war bei Oswald von Wolken-
stein (t 1445) die Verbindung von Minnesang und
westlicher Poiyphonie, so daB er zu den Wegbereitern
jener Kunst in Deutschland gehort. Dagegen verharrte
der Meistersang bei der Einstimmigkeit, im Gegensatz
zu der vom Patriziat der Stadte ubernommenen Poly-
phonic Als Folge hiervon wurde der Meistersang im
16. Jh. allmahlich zu einer Kunst zweiten Ranges und
verlor jeden EinfluB; Hans Sachs (•(■ 1576) war allge-
mein bekannt durch sein dichterisches, aber nicht durch
sein musikalisches Schaffen. Das lange Fortleben des
Meistersangs noch iiber das 18. Jh. hinaus zeugt in der
D.n M. von einer konservativen Grundhaltung. -
Konservativ war bis zum 15. Jh. auch das Verhaltnis
zur Poiyphonie. Im Gegensatz zum provenzahschen
Minnesang gab das provenzalische Organum von St.
Martial der D.n M. keine Anregung. Obwohl dann
Franco von Koln um 1260 in das Werden der Men-
suralmusik entscheidend eingriff, hinterliefi diese Be-
riihrung mit der altfranzosischen Kunst nur geringe
Spuren. Dabei wurde die Motette zum »Engelberger
Stil« vereinfacht und abgewandelt. Hierzu kam bis
zum Beginn des 16. Jh. das Fortleben des Organum
in veranderter Form.
Eine neuartige Entwicklung begann erst mit den Trom-
peterstiicken um den Monch von Salzburg. DaB die
->■ Zugtrompete schon vor 1400 fiihrend auftrat, ist
fiir die D. M. charakteristisch. Deutsche Blaser waren
in Europa begehrt. Die deutschen Berufsmusiker, ei-
ner -»• Zunft angehorend, hieBen Stadtpfeifer, wobei
die Blaser bis zuletzt den Vorrang vor den Streichern
hatten; die Ziinfte wurden erst im 19. Jh. aufgehoben.
Im 15. Jh. verband sich das Patriziat der Stadte mit den
Berufsmusikern zur Pflege der Poiyphonie, um alsbald
mit den Hofen in Wettbewerb zu treten. Reprasentativ
war damals, als universeller Musiker im Sinne der
Friihrenaissance, der Organist C.Paumann (f 1473).
Die Sonderart der D.n M. beruhte auf dem Tenor-
lied. Um 1500 iibernahm es, nachdem die Kirchen-
musik vorangegangen war, den fiir Europa vorbildli-
chen »Singstil« der Niederlander (d. h. Franko-Flamen ;
-> Niederlandische Musik). Hierdurch erklart sich der
Wechsel innerhalb des Gesamtwerkes von H.Finck
(f 1527). Aber der Liedcharakter war so ausgepragt,
daB der zugewanderte Flame H.Isaac (f 1517) sich ihm
anpaBte. Als ebenso universaler Komponist folgte ihm
im Hofdienst sein Schiiler L.Senfl (f 1543). Fiir die D.
M. der alteren Epochen ist es charakteristisch, daB der
Stil anderer Volker maBgebend war.
Der »Singstil« herrschte nach wie vor, als sich in der
D.n M. der entscheidende Wandel durch die Refor-
mation vollzog. Ihr Trager war Martin Luther (f 1546).
Als Kern des Gottesdienstes wurde das Gemeindelied
eingefiihrt, der Anteil des gregorianischen Chorals ge-
kiirzt, die Musik auf ein neues Prinzip gestellt. Durch
die Mitarbeit von J.Walter (f 1570) erhielt der neue,
tragende Beruf des Kantors ein Vorbild. Dariiber hin-
aus wurde nun allgemein der Komponist, der Renais-
sance gemaB, in seiner Individualist als Musicus poeti-
cus anerkannt, zugleich aber in das vom ->■ Mittelalter
her fortwirkende theozentrische Weltbild eingefiigt.
Damit begann eine zu H. Schiitz und J. S. Bach f iihren-
de Entwicklung. Ihre Trager, stets auf beste Gegen-
wartsmusik gerichtet, waren die protestantischen Staa-
ten und Stadte, an Zahl iiberlegen. Auf kathohscher
Seite gelang im 16. Jh. dem Herzog von Bayern die
Berufung des fuhrenden Niederlanders Lassus (f 1594)
nach Munchen.
Vor und um 1600 anderte sich die Abhangigkeit der
D.n M. von fremden Vorbildern insofern, als nun statt
der Niederlande Italien die Fiihrung iibernahm und
fiir die Instrumentalmusik voriibergehend England
hinzukam. Nur in einer Gattung wurde die D. M. da-
mals selbstandig, bezeichnenderweise einer instrumen-
talen: der Orchestersuite, einer solistisch ad libitum be-
setzten Suite von Tanzen. Unter der Herrschaft des
niederlandischen Singstils war der Tanz ohne EinfluB.
Die zur Neuzeit fiihrende Epochenwende um 1600
ist vor allem dadurch charakterisiert, daB er nun Ein-
fluB gewann und den Akzentstufentakt herbeifiihrte,
wobei Italien mit dem Tanzlied voranging, England
216
Deutsche Musik
auBerdem das tanzmaBige instrumentale Charakter-
stiick pflegte (-> Tanz). Nach vielen Einzelpaartanzen
bis 1604 verband 1611 P.Peuerl (f 1625) zum ersten
Mai 2 Satzpaare variationsmaBig zu einem Zyklus, den
J.H.Schein (f 1630) 1617 zu 5 Tanz- und Charakter-
stiicken steigerte. Seitdem griff die D. M. immer wie-
der zur instrumentalen Variation. Vor allem die Or-
gelmusik der Lutheraner brachte das Verfahren bald in
die Kirche. Das zeigt 1624 vorbildlich die Tabulatura
nova von S. Scheidt (f 1654). - Fur beide Konfessionen
war die Tanzmusik eine untergeordnete Gattung, derm
die Kirchenmusik hatte um 1600 den absoluten Vor-
rang. Hier war das Hauptproblem die Umformung
des niederlandischen Singstils, womit Italien vorange-
gangen war. Die venezianische -»■ Mehrchorigkeit
war sehr beliebt, siewirkteschonim spateren 16. Jh. auf
beide Konfessionen. Die intensive Obernahme der
Mehrchorigkeit charakterisiert die D. M. gegeniiber
England, Frankreich und Spanien. Am friihesten ver-
trat der KatholikJ.Gallus (| 1591) diesen Stil. Als Pro-
testant folgte der universelle Musiker H.L.HaBler
(f 1612). Eine schopferische Auseinandersetzung mit
allem Neuen, einschlieBlich GeneralbaB und Monodie,
vollzog der Lutheraner M.Praetorius (f 1621), der
auch das zusammenfassende Lehrwerk Syntagma mu-
sician schrieb. In mancher Hinsicht sein Fortsetzer war
H. Schutz (f 1672), in der D.n M. des 17. Jh. die alles
iiberragende Gestalt. Als Schiiler G.Gabrielis, spater
mit Monteverdi bekannt, hat er die italienischen Vor-
bilder schopferisch ins Deutsche umgesetzt, das Ent-
stehen der Kirchenkantate angeregt, auch Oper und
Oratorium bedacht, wobei er u. a. das Rezitativ ein-
deutschte. Sein Hauptverdienst liegt darin, daB er ne-
ben der bisherigen typischen eine individuelle Motivik
einfiihrte, die im Vokalsatz dem deutschen Text mit
seinem Akzent auf der Starrimsilbe angepaBt war, also
Auftakt und Taktschwere mit pragnantem Rhythmus
unterschied. Solche Rhythmen wirkten auf die In-
strumentalmusik. Daher hangt die Tonsprache der
Polyphonie seit Schutz mit der deutschen Sprache zu-
sammen. Der 30jahrige Krieg, die Katastrophe der
deutschen Geschichte, machte das Reich 1648 zu ei-
nem vom Ausland kontrollierten Staatenbund. Kultu-
rell war der EinfluB des Italiens der Renaissance langst
von dem des absolutistischen Frankreich abgelost wor-
den. Franzosische Anregungen vermittelte in der Kla-
viermusik J. J. Froberger (f 1667), zuvor Schiiler G.
Frescobaldis; bezeichnend fiir die D. M., gab Frober-
ger der Klaviersuite Einheit durch Variation. Am
-*■ Collegium musicum der Musikliebhaber, einer fiir
die D. M. charakteristischen Einrichtung des 16. Jh.,
hielt noch die Epoche Bachs fest. Neben der Suite, die,
stilisiert, den Tanzcharakter verlor, pflegte man bald
nach italienischem Vorbild die Sonate, beide gut ver-
treten durchJ.Rosenmuller (f 1684). AuBerdem kann-
te man stets das Sololied und das Gruppenlied mit Fal-
settgesang von Mannern fiir den Sopran, im 17. Jh.
auf protestantischer Seite vertreten u. a. durch H.Al-
bert (f 1651), A.Krieger (f 1666) oder Ph.H. Erlebach
(t 1714). Die alten und vielen neuen Choralmelodien,
seit etwa 1660 unter dem EinfluB des Pietismus, wur-
den von den Organisten nach S. Scheidt mannigfach
und umfangreich bearbeitet. Der Organist M.Weck-
mann (j- 1674) griindete in Hamburg 1660 ein Colle-
gium musicum mit offentlichen Vorfiihrungen, dem
sich der Schutzschiiler Chr. Bernhard (f 1692) spater
anschloB. Der phantasievolle Organist D.Buxtehude
(f 1707) veranstaltete in Liibeck seit 1668 auBerhalb
des Gottesdienstes die traditionellen -*- Abendmusiken
fur die Offentlichkeit. Die Oper, ein primar gesangli-
ches Kunstwerk, spielte in der D.n M. zunachst eine
Nebenrolle, wahrend der instrumentale Suitenzyklus
seit 1611 reiche Fortsetzung fand: dort lag der Beitrag
der Deutschen. Auf dem Gebiet der Oper hatte Italien
seit 1600 die Fiihrung in Europa, und erst 1672 kam
die franzosische Oper von J.B.Lully (f 1687) hinzu.
An den katholischen Hofen zu Wien, Miinchen und
seit 1697 auch Dresden herrschte die italienische Oper
unbeschrankt. Sie diente im 17. und friihen 18. Jh. vor
allem jener Gesamtkunst der Hoffeste, an denen der
Adel zum Ruhm des Herrschers aktiv teilnahm. Eine
deutsche Oper wurde nach Schutz an verschiedenen
protestantischen Statten versucht, doch hatte nur die in
Hamburg eine langere Lebenszeit (1678-1738). Ihr
fiihrender Komponist war R.Keiser (f 1739), seit 1721
auBerdem G.Ph.Telemann (f 1767). In Hamburg
griff man bald zu italienischen und franzosischen
Opern, wahrend die Schwache der deutschen oft im
Text lag. Die anregende Kraft der franzosischen Oper
mit ihrem Tanzreichtum gab 1682J. S.Kusser (f 1727)
AnlaB zur Publikation von 6 Ouvertiiren nebst Tan-
zen. Diese Ouvertiirensuite fand viel Nachfolge, bis zu
J.S.Bach. Sie drang bald in das Collegium musicum
ein. 1695 erschien eine solche Sammlung von J. C.F.
Fischer (f 1746); er hat vor allem durch Klavier- und
Orgelkompositionen (seit 1696) auf J. S.Bach gewirkt.
Vorangegangen war ihm hierbei seit 1689 mit Klavier-
werken der ThomaskantorJ.Kuhnau (f 1722).
Eine neue Epoche der Musik begann um 1700. Als
deutschen Beitrag hierzu schlug der Organist A.
Werckmeister (f 1706) nach langer Vorarbeit 1697 ei-
ne gleichschwebende Temperierung vor. Das Fortle-
ben> der Hexachordlehre und der Kirchentonarten be-
endete J.Mattheson (f 1764) durch seine kritischen
Schriften seit 1713. Denn als Grundlage der Musik
dienten jetzt nicht mehr die seit der christlichen Antike
iiberlieferten Zahlenverhaltnisse, sondern die von J.
Sauveur 1701 experimentell beobachteten Obertone;
der fiihrende franzosische Komponist J.-Ph.Rameau
(t 1764) benutzte sie 1722 fiir seinen Traiti de Vharmo-
nie. Kennzeichnend fiir den konservativen Zug der
D.n M. war 1725 der Gradus ad Parnassum des fiihren-
den katholischen Komponisten J.J. Fux (f 1741), da
dort auf den alten Vokalkontrapunkt zuruckgegriffen
wird. Infolge der Loslosung des Kontrapunkts vom
GeneralbaB hielt sich das Werk jedoch uberraschend
bis zur Gegenwart, im Gegensatz zu den zeitgebunde-
nen GeneralbaBschulen, etwa der von J. D. Heinichen
(t 1729), die der Verfasser 1728 zur Kompositionslehre
erweiterte. - Zum Neuen in der D.n M. ab 1700 ge-
hort das Streben nach dem Amt eines Kapellmeisters,
eines Berufes, der sich immer starker entwickelte. Wer
nicht an einem def vielen Hofe tatig war, wollte we-
nigstens »Kapellmeister von Haus aus« sein, wie J. S.
Bach oder G.Ph.Telemann. So schrieb J. Chr. Graup-
ner (f 1760) am Darmstadter Hof Kirchenmusik nebst
freien Werken, J. Fr. Fasch (f 1758) Entsprechendes als
Kapellmeister in Zerbst. Das Hauptwerk Matthesons
erschien 1739 unter dem Titel Der vollkommene Ca-
pellmeister. Der friiher so wichtige Beruf des Orga-
nisten verlor an Bedeutung; literarisch vertrat ihn 1732
J.G.Walther (f 1748) durch sein Musicalisches Lexi-
con, das erste Musiknachschlagewerk fiir Personen und
Sachen in Europa. Es wandte sich auch an den Musik-
liebhaber, nachdem Mattheson 1713 den Galant Hom-
me angesprochen hatte. Neu waren in dessen Erstlings-
werk der Begriff des »Geschmacks« (ital. gusto; frz.
gout) und das Ziel, den Geschmack zu bilden. Die Ab-
hangigkeit der D.n M. von Vorbildern blieb weithin
bestehen. Sie auBerte sich jetzt in der Form, daB man
dem italienischen oder dem franzosischen Geschmack
folgen konnte. Noch J.J. Quantz hoffte 1752 in seinem
217
Deutsche Musik
Lehrwerk, aus einer Mischung des italienischen und
franzosischen Geschmacks werde ein deutscher ent-
stehen.
Um 1700 hatte die D. M. jedoch auf zwei, bezeichnen-
derweise instrumentalen Gebieten ihre Selbstandig-
keit erreicht: der protestantischen Orgelkunst und der
Klaviermusik. In der Kirchenkantate iibernahm man
freilich die italienische Folge eines Rezitativs und einer
Arie, in der ein Affekt einheitlich dargestellt war. Das
Streben nach bester Gegenwartsmusik ftihrte jetzt zur
Annaherung an die italienische Oper, und zwar bei
den Orthodoxen, da der Pietismus die Mehrstimmig-
keit ablehnte. -J.S.Bach (f 1750), primar Instrumen-
talmusiker, Sohn eines Stadtpfeifers, hat den Orgel-
choral als Thema seiner Lebensarbeit von der Friihzeit
bis zuletzt sehr verschiedenartig ausgestaltet. Bei ihm
greifen die meist auftragsbedingten, hochst individuell
gepragten Gesangswerke und die zum Teil freien In-
strumentalwerke oft ineinander, stehen jedenfalls im
Gleichgewicht. Grundlegend fiir Bachs Verstandnis
ist die Einheit seiner Tonsprache fiir den kirchlichen
und den weltlichen Bereich, ganz im Sinne der Re-
formationsepoche, wie das Parodieverfahren beweist.
Als dessen letzter Vertreter war er unter den Zeitge-
nossen eine Ausnahme. In Bachs Gesangsmusik sind
die Figuren und Affektmotive seit den Kantaten von
1714 fiir das wirkliche Miterleben gedacht. Die freien
Orgelwerke erreichen eine nur ihm gehorende GroB-
form. Wichtig war in Kothen der Ubergang zum Kla-
vier als Hauptinstrument, auf dem sich das Miterleben
eines Affektes immer starker durchsetzte. Die Chromati-
sche Fantasie hat im 18. Jh. ununterbrochen gewirkt,
und das Wohltemperierte Clavier war durch Handschrif-
ten bekannt. Bachs Festhalten an der Fuge stand um
1740 im Gegensatz zur Neigung des Liebhabers zum
Galanten Stil. Spatwerke wie die Orgelchoralvariatio-
nen oder die Kunst der Fuse sind Bekenntnisse und
wurden von Bach selbst gedruckt, in Erwartung einer
ihn verstehenden Zukunf t. - Hoher als Bach schatzten
die Zeitgenossen den etwas alteren G.Ph.Telemann
(f 1767), der durch Universalitat hervorragt. Nicht
von Musikern abstammend, setzte er sich gegen biir-
gerlichen Familienwiderstand durch, ebenso wie sein
Freund G.Fr. Handel - ein von da an typischer Fall.
Telemann beherrschte den franzosischen und den
italienischen Geschmack ebenso wie den deutschen
Kontrapunkt. Sein Hauptziel war aber das freie Kunst-
werk, dem er in Hamburg seit 1721 im Collegium
musicum (nebst der Oper) diente. Dem Liebhaber-
wunsch nach Vereinfachung gab Telemann nach und
ging zu einem »galanten« Stil iiber; so wurde er zu ei-
nem Wegbereiter der Klassik. - Bei Handel (f 1759)
war der Wille zum freien Kunstwerk und zur Oper
die Triebkraft, die ihn nach Italien und dann nach
England fiihrte. Seine Lebensleistung liegt jedoch im
Oratorium mit Choren. Es war im sozial f ortgeschrit-
tenen, friihkapitalistischen England denkbar. Deutsch-
land schuf biirgerliche, freie Chore erst 1771 in Leip-
zig, 1791 in Berlin und allgemein seit 1800, infolge der
durch Handel angeregten Oratorien J. Haydns.
Ein wichtiger Einschnitt ist in der Geschichte der D.n
M. um 1740 erkennbar; denn in jenen Jahren erfolgte
der Ubergang vom geselligen Collegium musicum
zum Konzertverein mit Trennung von Musikern und
Zuhorern. Statt franzosischer Ouvertiiren spielte man
jetzt italienische Sinfonien, in Mannheim seit 1741
vorbildlich eingedeutscht durch J. Stamitz (f 1757).
Seine 4satzige Symphonie wurde nach dem Pariser
Erfolg von 1751 international anerkannt; daB eine In-
strumentalform in Westeuropa Erfolg hatte, ist fiir die
D. M. bezeichnend. Nun gab es also eine zweckfreie
Instrumentalmusik, im Gegensatz zur dienenden Kir-
chenmusik und zur wortgebundenen Kunst im Thea-
ter: die Neuordnung des -»■ Galanten Stils. - 1741-78
war Mannheim das Zentrum fortschrittlicher Instru-
mentalmusik. In Wien verband seit 1739 der Hofkom-
ponist G. Chr. Wagenseil (t 1777) allmahlich den neuen
Stil mit Einfliissen der osterreichischen Volksmusik,
woran J. Haydn ankniipf te. Als eigentlicher Gegenspie-
ler Mannheims erschien seit 1740 Berlin, wo man an
der 3satzigen Symphonie festhielt. Die Fiihrung lag
beim Kapellmeister C.H.Graun (t 1759) und dem
KonzertmeisterJ.G.Graun (f 1771), der hauptsachlich
Instrumentalmusik schrieb, schwerbliitiger als die in
Mannheim und "Wien. MaBgebend war als Musikver-
trauter des Konigs J. J. Quantz (t 1773), von dem es
auBer Kompositionen das vorbildliche Flotenlehrwerk
von 1752 gibt. Das Gegenstiick fiir die Violine verof-
fentlichte in Salzburg 1756 L.Mozart (f 1787). Voran-
gegangen war in Berlin 1753 das hervorragende Kla-
vierlehrwerk von C.Ph.E.Bach (f 1788). Aus dessen
Berliner Zeit 1740-67 stammt eine Fiille von Kom-
positionen. Allgemein spielt bei C.Ph.E.Bach zwar
das religiose und weltliche Lied eine Rolle, doch iiber-
wiegt die Instrumentalmusik gewaltig an Zahl und
Bedeutung. Vor allem die 3satzige Klaviersonate
stand vornan, und einem solchen Friihwerk aus Ber-
lin verdankte J. Haydn den entscheidenden AnstoB.
Die Oper hatte in der D.n M. eine Sonderstellung. Im
Berliner Hoftheater begann die Herrschaft der italieni-
schen Oper 1741 mit einem Werk von C.H.Graun;
sie endete 1841 mit dem Sturz von G. Spontini (f 1851).
Im Hoftheater zu Dresden eroffnete diese Herrschaft
1731 J.A.Hasse (f 1783); den AbschluB bildete dort,
nach dem deutschen Intermezzo C. M. v. Webers, 1841
Morlacchi (t 1841). In der Kaiserstadt Wien kannte
man seit dem 17. Jh. nur die italienische Oper. Ihr
Riickhalt war nach 1730 als Hofdichter der fuhrende
Librettist Metastasio (f 1782). Von dessen Rokoko-
Optimismus und Typik sich langsam gelost zu haben,
ist das Verdienst Glucks (j 1787), nachdem er den
Realismus der Opera-comique kennenlernte. Die fran-
zosische Oper war bereits vor 1700 in Hamburg be-
kannt und wurde im 18. Jh. von manchen Hofen ge-
pflegt; das hat noch im 19. Jh. nachgewirkt. In Wien
gab es seit 1762 die 3 italienischen Reformopern von
Gluck und Calzabigi (f 1795) mit antiken Themen, im
Dienste der Dramatik und Wahrheit, deren Aufnahme
jedoch geteilt war. Erst die franzosischen Reformopern
von 1774-79 fiihrten in Paris zum durchschlagenden
Erfolg und zur Nachfolge. Aber fiir die italienische
Oper waren nicht Gluck und Calzabigi reprasentativ,
sondern die Neuneapolitaner, in deren Richtung L.
Mozart seinen Sohn gedrangt hat. Zu ihnen bekannte
sich derjiingste Sohn J. S. Bachs, J. Chr. Bach (•(■ 1782),
der Beherrscher des Londoner Musiklebens, auch in
seiner vielseitigen Instrumentalmusik. Er setzte sich
iiberall fiir das Pianoforte ein und gewann starken Ein-
fluB auf Mozart. - Um 1760 steigerte sich, als Reaktion
auf den -> Galanten Stil, die »Empiindsamkeit« (von
engl. sentimental) bis zur AusschlieBlichkeit. Die Fiih-
rung lag nach wie vor bei der zweckf reien Instrumen-
talmusik; vor allem trat an die Stelle des Musizierens
in der Kirche zunehmend eine konzertmaBige Auf-
fiihrung von Oratorien, Passionen und ahnlichen Wer-
ken. Daher grundete J.A.Hiller (t 1804) in Leipzig
1771 eine Chorgesangschule zur Erganzung der Kon-
zerte. Fiir das Theater schrieb er seit 1766 mit groBem
Erfolg 12 »Singspiele« (Operetten) in volkstumlichem
Ton, mit gesprochenem Dialog: endlich ein Gegen-
stiick zu den komischen Opern in Frankreich, Ita-
lien und England. Anspruchsvoller verfuhr G.Benda
218
Deutsche Musik
(t 1795) zu Gotha seit 1775 in 10 Melodramen, auch
in 4 Singspielen. In Wien gab es 1772-86 beliebte Sing-
spiele von I.Umlauff (y 1796), deren Stil aber nicht
einheitlich ist. - In die Zukunft fiihrte seit 1778 die
Veroffentlichung von Volksliedern durch J. G. Herder
(f 1803) ; er gab auch der Musikasthetik eine neue, den
Sturm und Drang vorbereitende Grundlage. J. A. P.
Schulz (f 1800) schrieb seit 1782 Lieder im Volkston,
der ein ideal der Romantik blieb. Inzwischen hatte sich
die Empfindsamkeit zum Sturm und Drang gesteigert,
zur Geniezeit. 1773 gait C.Ph. E.Bach angesichts sei-
nes Fantasierens au£ dem Pianoforte als grofites Ori-
ginalgenie und der grofite Mann unter uns. Sein Ham-
burger Klavierschaffen gipfelte in den 6 Sammlungen
fur Kenner und Liebhaber, mit der Fantasie als neuem
Schwerpunkt. DaB nun die Individualisierung in den
Kiinsten allgemein durchgedrungen war, bestatigte
die Definition von I.Kant (y 1804) in der Kritik der Ur-
teilskraft 1790: Genie ist das Talent [Naturgabe], welches
der Kunst die Regeln gibt.
Der letzte Epochenwechsel der D.n M. erfolgte 1781
mit der Wiener -*■ Klassik. Sie brachte als Abkehr vom
Sturm und Drang ein neues Gleichgewicht von Ver-
nunft und Gefiihl. 1781 veroffentlichte J.Haydn die
vorbildlichen Streichquartette op. 33; im selben Jahr
iibersiedelte Mozart nach Wien. Charakteristisch fiir
die D. M. wurde hier eine Instrumentalform zum Ty-
pus, bald erganzt durch den der Symphonie, dann
durch den der Klaviersonate. Die Instrumentalmusik
war zwar langst zweckfrei, aber oft gesellig ausgerich-
tet; nun wurde sie im Rahmen der Sonatenform eigen-
gesetzlich. Die von J. Haydn 1781 konsequent durch-
gefiihrte thematische Arbeit gab dem Streichquartett
einen neuen Ernst; mit der autonomen Musik war eine
Hohe erreicht, die es bisher nicht gab. Fur die Sym-
phonie erreichte Mozart 1788 diese Hohe. Allgemein
wirkte jetzt die Herrschaft der groBen Form als ein
iiberpersonliches Element. Mag bei Haydn das instru-
mentale Werk iiber das gesangliche dem Wert nach
vielleicht etwas uberwiegen, so stehen sie bei Mozart
vollig im Gleichgewicht. Seit 1781 in Wien freier, auf
sich selbst gestellter Kiinstler, schrieb W.A.Mozart
(t 1791) fur Wiener Theater zuerst das Singspiel Die
Entfiihrung aus dem Serail (1782) und als AbschluB 1791
Die Zauberflote. Die Mehrheit bilden in Wien natur-
gemaB italienische Opern, auch mit Hauptwerken wie
Figaro und Don Giovanni. Fur den Klavierspieler Mo-
zart waren Klavierkonzerte und Klaviersonaten zen-
tral. Eine Hauptleistung Mozarts liegt im Aneignen
und volligen Einschmelzen der alten Polyphonie
(Fantasie F moll, K.-V. 608, Requiem). Auch wegen
der Hintergriindigkeit seiner Spatwerke wurde er zum
Liebling der Romantik. - AuBerhalb der Wiener
Klassik stand eine Reihe von Musikern, die heute we-
niger bekannt sind. Erwahnt seien nur M.Haydn
(f 1806) in Salzburg und K.Ditters v. Dittersdorf
(t 1799).
Die Wiener Klassik fiihrte seit 1800 L. van Beethoven
(t 1827) zur Vollendung; heute sieht man ihm benach-
bart den 1828 in Wien verstorbenen Fr. Schubert.
Beethoven war mit Hilfe des Wiener Adels freier
Kiinstler und hielt an seinem Idealismus trotz mancher
SchicksalsschlSge fest. Er gab der Orehestermusik die
fur das 19. Jh. charakteristische GroBraumigkeit in
Klang und Harmonik; seine Kunst blieb jedoch im
alten Sinne der Wirklichkeit nah, wie 1813 Wellingtons
Sieg op. 91 zeigt. Andererseits ging er von den bisheri-
gen typischen ZeitmaBen zum individuellen Tempo
fiir jeden Satz iiber (das seit 1816 mit Hilfe von Malzels
Metronom bestimmt wird). Dieser Anderung entsprach
eine Intensivierung der Instrumentalmusik, zunachst
mit Klavier und Orchester als Schwerpunkten. Ihr
Ziel blieb, wie bei Haydn und Mozart, die Darstellung
menschlicher Charaktere. Aber auf Beethovens Missa
solemnis op. 123 und die Symphonie Nr 9 mit SchluB-
chor folgten die letzten 5 Streichquartette ab op. 127:
insgesamt eine Verschiebung zugunsten des Instru-
mentalen. Da Beethoven im 19. Jh. als der Musiker
schlechthin gait, hatte die Instrumentalmusik durch
ihn dem Werte nach den Vorrang. - Bei Schubert
(t 1828) stehen das gesangliche und das instrumental
Schaffen wieder im Gleichgewicht. Seit 1814 benutzte
er im Lied eine Spielfigur des Klaviers als Trager einer
Stimmung im romantischen Sinne, besonders in den
Liederzyklen Die schone Mullerin (1823) und Die Win-
terreise (1827). Instrumental hatte Schubert seinen ro-
mantischen Eigenstil seit 1822, der Symphonie H moll.
Seine Kammermusik ist oft durch den Zusammen-
hang mit einem Lied deutbar, so das Streichquartett
A moll durch Die Gotter Griechenlands. Die Klassik
Weimars, vor allem Goethe, wirkte auBer auf Schu-
bert auch auf Liedkomponisten mit meist schlichterem
Stil: auf Reichardt (y 1814) und vor allem auf Zelter
(f 1832). Das Ziel der ->■ Romantik war nicht mehr
autonome Instrumentalmusik zur Darstellung von
Charakteren, sondern Ehrf urcht vor dem Unendlichen,
Inspiriert-Sein durch etwas Seelisches, Ergriffenheit
durch eine Naturstimmung. Das Zentrum der Ro-
mantik lag fiir viele Jahrzehnte in Berlin; hier forderte
schon W.H.Wackenroder (f 1798) den Vorrang der
Kirchenmusik. Der universale Kiinstler E. T.A.Hoff-
mann (f 1822), als Schriftsteller bald im Ausland be-
kannt, hat die Wiener Klassik und alle Musik »roman-
tisiert«. Nachdem er erstmalig 6 a cappella-Chbre kom-
poniert hatte, forderte er 1814 Musik aus dem 16. Jh.
fiir den Gottesdienst : der folgenschwere Einbruch des
Historismus, dessen Mittelpunkt Berlin fiir ein Halb-
jahrhundert blieb. In engen Beziehungen zu Berlin
stand CM. v. Weber (f 1826) seit der Vertonung von
Th.Korners Leyer und Schwert 1813. Mit der Erstauf-
fiihrung der Oper Der Freischiitz in Berlin 1821 setzte
sich die Stimmung, erganzt durch eine Naturstim-
mung, als romantische Grundkraft durch; sie verlangt
im Gegensatz zur Klassik ein Erfiiflt-Werden, also ein
passives H6ren. Ihr technisches Mittel in der Orehe-
stermusik ist, wie Webers Oberon (1826) bestatigt, die
Klangfarbe. Als charakteristisch fiir die D. M. bevor-
zugte man von jetzt an die Blaser. Eine Verbindung
zur Klassik Mozarts versuchte der Romantiker L. Spohr
(y 1859), der vor allem wert voile Instrumentalmusik
hinterlieB. Allgemein gilt nun den Romantikern die
Kunst gegeniiber der Alltagswirklichkeit als die hohere
und eigentliche Welt, wie es Schopenhauer in der
Philosophic schon 1818 aussprach (->■ Horen). - Die
Romantik fiihrte zu einer Teilung des bis zu Schubert
einheitlichen Komponierens, die um 1830 durchge-
drungen war; ihr Ergebnis war der Verlust eines ein-
heitlichen Stils. Von der hohen Musik fiir Theater,
Konzert und »Kammer« trennte sich die bisher stets
dazugehorende fiir den Tanzsaal ab. Sie wurde als un-
terste Gattung das Gebiet von Spezialisten : der Wal-
zerkomponisten in Wien, J. Lanner (f 1843), J.StrauB
Vater (f 1849) und J.StrauB Sohn (f 1899), der auch
Operetten schrieb. Unabhangig von der Tanzmusik
entwickelte sich neben ihr der gesellige Mannerchor,
angeregt 1809 in Berlin durch die ->■ Liedertafel von
C.Fr. Zelter (y 1832), wahrend man in Suddeutsch-
land mehr dem volkstiimlichen Vorbild von H. G. Na-
geli (f 1836) folgte. In der Kleinstaaterei seit 1815 haben
die Mannerchore eine wichtige gesamtdeutsche Auf ga-
be erfiillt. Volksliedsammlungen fiir sie veroffentlichte
seit 1826 mit Erfolg Fr.Silcher (y 1860).
219
Deutsche Musik
Um 1830 begann mit der Alleinherrschaft der Roman-
tik bei der jiingeren Generation die Entwicklung, die
zur Gegenwart fiihrte. Nach Webers friihem Tode gait
H.Marschner (f 1861) als der Weiterfiihrende, hier
sei nur die in Berlin 1833 aufgefiihrte Stimmungsoper
Hans Heiling genannt. Erfolgreicher war der in Berlin
ausgebildete und zuletzt hier wieder wirkende A.
Lortzing (f 1851); mindestens seine feinkomischen
Opern Zar und Zimmermann, Der Wildschutz und Der
Waffenschmied sind noch lebendig. Der fiihrende Mu-
siker des Biedermeiers war F.Mendelssohn Bartholdy
(f 1847). Durch seine erstmalige Wiederauffiihrung
der Matthduspassion von J.S.Bach in Berlin 1829 gab
er zugleich den entscheidenden Anstofi fur die Bach-
Bewegung. Von Mendelssohn ist ein vielseitiges Werk
iiberliefert, vor allem romantische und klassizistische
Orchesterstiicke und klassizistische Kammermusik;
kein Zeitgenosse war so entschieden Klassizist. Durch
die Ausrichtung seiner Instrumentalmusik auf die For-
men der Klassik entstand das bisher unbekannte Pro-
blem von Form und Inhalt. Dabei war fiir die Klassiker
das Allgemein-Menschliche zentral gewesen. Roman-
tiker hatten zwar einst das Obermenschliche und die
Naturstimmung gesucht, aber seit etwa 1830 fesselte
sie immer ausschlieBlicher die Welt des eigenen Inne-
ren. Charakteristisch hierfiir ist der 1810 geborene R.
Schumann {f 1856). Er begann mit originellen, noch
heute wohlbekannten Klavierwerken und gab seit 1834
fiir ein Jahrzehnt erf olgreich eine dem Fortschritt die-
nende Zeitschrift heraus. Im Mittelpunkt von Schu-
manns vokalmusikalischem Schaffen stehen seine Lie-
derzyklen, gern einem einzelnen Dichter gewidmet.
Von der Orchestermusik nach klassischem Vorbild
sind die Konzerte fiir Klavier und fiir Violoncello noch
lebendig, die 4 Symphonien nur zum Teil. Die noch
heute gern gespielte Kammermusik erreichte ihren
Gipfel in den Klaviertrios von 1847 mit ihrem neuen,
auf Brahms deutenden Stil. 1848 wird in der Oper
Genoveva aber auch die Chromatik von Wagners
Tristan vorweggenommen. So hat Schumann, bisher
der letzte Universalkomponist, seinen Stil einheitlich
bis zu dem Punkt fortgebildet, von dem aus seit 1860
die Konservativen und die »Neudeutschen« gegenein-
ander wirkten.
Der 1811 geborene Fr.Liszt (f 1886) begann als Kla-
viervirtuose, unterrichtet vom Beethoven-Schiller C.
Czerny, und entwickelte in Paris einen personlichen
Vortragsstil. Seit der Klavieriibertragung der Sym-
phonic fantastique von Berlioz 1833 wirkte Liszt, durch-
aus revolutionar, im Sinne eines neuen Subjektivismus
der Musik. So schuf er nach 1835 Klavierkompositio-
nen gemaB dem Eindruck von Landschaften (Schweiz,
Italien), von Kunstwerken (z. B. Michelangelo) und
Dichtungen (z. B. Dante) als personlichen Ausdruck
dessen, was er empfand. Dem Vorbild Berlioz' selb-
standig folgend, schrieb er von 1848-59 als Hofka-
pellmeister in Weimar 12 Symphonische Dichtun-
gen. Trotz ihres unterschiedlichen Wertes galten sie
den Anhangern der Programmusik als Muster. Von
diesen »Neudeutschen« trennten sich die Konservativen
1860. Ihr Fiihrer war der 1833 geborene J.Brahms
(t 1897). Im Gegensatz zu seinem Forderer Schumann
schrieb er keine Opern, und da er den Subjektivismus
auBermusikalischer Programme ablehnte, gait ihm als
Hochstes die autonome Instrumentalmusik. Sein Schaf-
fen war der Tradition der Klassik verpflichtet. AuBer-
dem hat er sich mit J. S.Bach und mit alterer Musik
auseinandergesetzt. Den Gegenpol der Konservativen
bildete der 1813 geborene R.Wagner (f 1883). Fiir die
Oper kam es nun zur Umkehrung des bisherigen Vor-
bildverhaltnisses, denn Wagners Tonsprache hat bald
auf Europa gewirkt, am starksten auf Frankreich. Zu-
kunftstrachtig war die Chromatik von Tristan und
Isolde. Durch die Festspiele in Bayreuth entstand
gleichsam ein Nationaltheater, das sich gegen Wagners
Absicht auf dessen Werke beschrankt hat. Aber Wag-
ners Mythos der Kunst fiihrte zur grundsatzlichen
Trennung von Anhangern und von Gegnern. - Un-
abhangig von Wagner schuf der vielseitige P.Cor-
nelius ("j- 1874) Gesangsmusik jeder Art, vor allem die
heitere Oper Der Barbier von Bagdad. - In der Kirchen-
musik beider Konfessionen war der Historismus herr-
schend geworden. Ihn iiberwand seit 1860 mit origi-
nellen Werken im Dienst des Katholizismus A. Bruck-
ner (f 1896). Seine Bedeutung fiir das Musikleben liegt
jedoch in den 9 Symphonien, in denen aus eigenem
Klanggefiihl heraus die Harmonik Wagners aufge-
griffen und umgeschmolzen ist. Als Lehrer G.Mahlers
hat Bruckner in Wien erneut eine Schule gebildet.
Fiir das Wiener Publikum schrieb seit 1884 Kritiken
der Wagnerianer H.Wolf (f 1903). Von ihm gibt es
auBer den Liederzyklen auch eine Oper sowie Or-
chester- und Kammermusik. Abweichend von Wag-
ner naherte sich E. Humperdinck (f 1921) in Hansel
und Gretel 1893 erfolgreich dem Volkslied und nahm
auch spater mit seinem Schaffen eine Sonderstellung ein.
Als eigenwilliger Wagnerianer begann 1895 mit neu-
romantischen Opern H.Pfitzner (f 1949), der seinen
Hohepunkt 1917 in Palestrina erreichte. Hierzu gesellt
sich ein umfangreicher Komplex von Kantaten, von
Konzert- und Kammermusik; seine Grundlagen hat
Pfitzner wiederholt streitbar verteidigt. Fast gleich-
altrig mit ihm, und als einziger an Brahms ankniipf end,
verzichtete M.Reger (f 1916) auf Opern. Er ver-
schmolz jedoch die klassizistische Formenwelt mit
Wagners Chromatik. Vor allem griff er in der Instru-
mentalmusik seit 1904 umfassend auf J. S. Bach zuriick.
Die Gegenpartei vertritt der von Bruckner herkom-
mende G.Mahler (f 1911), der seit 1897 in Wien an-
sassig war. Seine 9 Symphonien offneten den Weg in
die Zukunft und wirkten besonders auf die Wiener
Schule. Dem Vorbild Liszts folgend, schrieb seit 1889
Symphonische Dichtungen in ganz personlichem Stil
R.Strauss (t 1949). Als Wagnerianer steigerte er in
Elektra 1909 das Dissonanzwesen aufs auBerste, bezog
aber seit dem Rosenkaualier 1911 auch altere Vorbilder
ein. Oper und Ballett waren seitdem sein Hauptschaf-
fensgebiet. Der neuen Musik seit 1921 blieb Strauss
fern. - Die katholische Kirchenmusik erneuerte seit
1924 J.Haas (f 1960); in seinem sonstigen, wichtigen
Gesamtwerk steht das Instrumentale im Gleichge-
wicht mit dem Vokalen. Geistliche Musik in einem
sehr personlichen Stil schrieb H.Kaminski (f 1946).
Der 1895 geborene P.Hindemith (f 1963) wurde seit
1921 allmahlich zum Fiihrer einer neuen, mit der Ro-
mantik brechenden Musik. Bald kniipfte sie an den
Barock und an J. S.Bach an. Angeregt durch die mu-
sikalischejugendbewegung (Fr.Jode), band sie die bis-
her sich selbst geniigende Kunst wieder an Auftrage
und Anlasse, bezog seit 1929 bei Gelegenheit auch den
Zuhbrer aktiv in das Stuck ein. Das Gesamtwerk Hin-
demiths umfafit alle musikalischen Gattungen, auch
Oper und Ballett. - Gleichaltrig mit ihm sind J. N.
David (ebenfalls von J. S.Bach angeregt) und C. Orff,
der - im Gegensatz zu David - primar am Gesangli-
chen interessiert und eine Theaterbegabung ist. Statt
Wagners wortgezeugter thematischer Arbeit verwen-
det Orff seit 1937 erfolgreich eine auf sich selbst ge-
stellte Musik mit gleichartigem, ostinatoahnhchem
Ablauf. Die Art, wie sie mit einem lateinischen oder
deutschen oder italienischen Text verknupft wird, ist
in jedem Werk anders. Vor allem wird statt der friihe-
220
Deutscher Tanz
ren Affektensprache eine erstarrte »Maskensprache«
angestrebt. Da die Werke sich gegenseitig erganzen,
schuf Orff durch die Verbindung von Spielen jeder
Art mit der Sprechbiihne und der Oper ein eigenstan-
diges Musiktheater. - Fiir die Neue Musik seit 1921 ist
charakteristisch, daB es (mit einer Ausnahme) keine
Schulen mit einheitlicher Ausrichtung gab, sondern
ein Nebeneinander von Komponisten, die verschiede-
ne Ziele verfolgten. Alle Mbglichkeiten standen offen.
Neu war jetzt auch, nach dem Oratorienchor aus der
Zeit um 1800, das von der Jugendbewegung als Ge-
meinschaftsmusik aufgefaBte Chorsingen. Es fiihrte
zu einem Aufschwung der evangelischen Kirchenmu-
sik. Als ihr Erneuerer wurde E.Pepping seit 1929 be-
kannt, auch durch freie Musik fiir alle Gattungen.
Seit 1931 diente jenem Ziel als ebenso vielseitiger
Komponist H.Distler (f 1942.).
Die Wende zum Heutigen brachte der 1874 geborene
A. Schonberg (f 1951). Nach langer Vorbereitung
schritt er 1921 in Wien zur Kompositionsmethode
»mit 12 nur aufeinander bezogenen T6nen«, ermog-
licht durch Wagners Tristan. Schonberg hatte in Wien
mehrere hervorragende Schiiler. A. Berg (f 1935)
schrieb auBer Kammer- und Orchesterwerken, teils
mit Gesang, die Oper Wozzeck, die seit 1925 unge-
wohnlichen Erfolg hatte. Weniger beachtet wurde zu
Lebzeiten A. Webern (f 1945), trotz seiner alles iiber-
bietenden Ausdrucksintensitat und Knappheit der
Form. - Die seit 1900 geborenen Komponisten hatten
die Wahl, die Zwolftontechnik abzulehnen oder auf-
zugreifen. An ihrer Spitze steht der 1900 geborene E.
Kfenek; nach Versuchen iibernahm er diese Methode
seit 1938 und bereicherte sie durch Kenntnis spatmittel-
alterlicher Polyphonie. Ablehnend verhielten sich 2
Altersgenossen mit Theaterinteresse. Von H.Reutter
gibt es oratorienhafte Opern, Ballette und Oratorien;
der Schwerpunkt des iibrigen Schaffens liegt in der
Orchester- und Kammermusik, auch mit Gesang. Der
Bayer W.Egk hatte dank seinem Theatersinn seit 1933
mit Opern vielfach Erfolg und wirkte ungewohnlich
in die Breite; das gilt auch fiir Egks Ballette seit 1940.
Anders bei W. Fortner, der seit 1929 Instrumental- und
Gesangsmusik tonal in personlichem Stil schrieb; die
Zwolftontechnik entwickelte er jedoch seit 1948 wei-
ter, bedachte nun auch Oper und Ballett. - Die erst
nach 1945 bekannten Komponisten, fruhestens 1926
geboren, bilden eine Gruppe fiir sich. H.W.Henze
beherrscht die Zwolftontechnik und alles Neue ebenso
wie das spatromantische Orchester; angesichts der
Farbigkeit seiner Musik stehen Oper und Ballett vor-
an, doch hat er aufierdem fast alle Gattungen bedacht,
die Instrumentalmusik gem mit auBermusikalischen
Anregungen. Der um 2 Jahre jiingere K. Stockhausen
schrieb vielbeachtete Klaviermusik und andere Instru-
mentalwerke; besonders verdient machte er sich bei
der Einfuhrung elektronischer Musik. - Beim Blick
auf Europa zeigt sich, daB neben die D. M. seit Wag-
ners Tod eine von ihr unabhangige auslandische Kunst
getreten war (Verdi, Puccini, Debussy, Mussorgskij).
Doch andererseits hat sich Schonbergs Zwolftontech-
nik seit 1921 international verbreitet.
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(1961); Th. Gollner, Formen fruher Mehrstimmigkeit in
deutschen Hss. d. spaten MA, = Miinchner Veroff. zur
Mg. VI, Tutzing 1961 ; R. Brockpahler, Hdb. zur Gesch.
d. Barockoper in Deutschland, = Die Schaubiihne LXII,
Emsdetten i. W. (1964). HB
Deutscher Tanz (auch »Deutscher«) bezeichnet in
Siiddeutschland und Osterreich im 18. und zu Beginn
des 19. Jh. einen geschwinden Drehtanz fiir Einzel-
paare im 3/8- (3/4-)Takt. Seine Beliebtheit auch in
Italien und Frankreich bezeugen die auch im deut-
schen Sprachgebrauch haufigen Benennungen Tedesco
(Beethoven, Klaviersonate op. 79, 1. Satz: Presto alia
tedesca; Weber, Tedesco, 1816) und Allemande (Schu-
bert D 366 Nr 17, D 783 Nr 8; Haydn, SchluBsatz des
Klaviertrios Es dur, Hob. XV, 29). Die von diesem
Tanz vollig abweichenden Allemanden in der Suite
der Barockzeit wurden zum Teil ebenfalls als Teutsche
Tantze bezeichnet (so bei C. Farina 1627). Das ur-
sprunglich Derbe und Volkstiimliche des D.n T.es ver-
anlaBte Mozart, in der 21. Szene des Don Giovanni Le-
porello und Masetto la Teitsch tanzen zu lassen, von
Violine und BaB gespielt (wahrend die hohergestellten
Personen Don Ottavio und Donna Anna ein Menuett
und Don Giovanni mit Zerlina einen Contretanz tan-
zen). In diesem Sinne ist wohl auch der Bauerntanz im
3. Satz der 6. Symphonie von Beethoven als D. T. ge-
meint. Zu Beginn des 19. Jh. ging der D. T. unter Be-
schleunigung des Tempos in den Walzer iiber (Lanner
nannte seine Tanze erst ab op. 7 Walzer, davor Deut-
sche Tanze oder Landler), doch bestanden beide Be-
nennungen noch einige Zeit nebeneinander (z. B. in
Schuberts Tanzfolgen D 145 und 146; Webers Deut-
scher von 1815 heiBt auch Original- Walzer). Der D.
221
Devise
T. der Wiener Klassik ist tneist fur Orchester kompo-
niert (35 Stiicke von Haydn, 24 von Beethoven, 50 von
Mozart), Schuberts weit iiber 100 Deutsche jedoch
sind ausschlieBlich fur Klavier bestimmt. Ein D. T. be-
steht in der Regel aus zwei wiederholten 8taktigen
Perioden, oft mit Trio. Ketten von mehreren, zusam-
menhangend aufzufiihrenden Tanzen schlieBen ge-
wbhnlich mit einer Coda (Mozart K.-V. 567 und 571,
Beethoven WoO 8 und Schubert D 420 sind jeweils 6
bzw. 12 Deutsche Tanze mit Coda; Schubert D 128
wird durch eine Introduzione erbffnet). In Schuberts
6 Deutschen Tanzen D 820 (1824) ist dariiber hinaus
durch Wiederaufnahme des 1. Tanzes nach dem 2. und
3. und des 4. nach dem 5. und 6. ein zyklischer Aufbau
erreicht.
Devise (frz., Wahlspruch, Kennzeichen), von H.Rie-
mann gepragte Bezeichnung fiir eine typische Eigen-
tiimlichkeit der Barockarie, die schon in der romischen
Kantate um 1650 auf taucht und bei spateren, besonders
bei italienischen Opern- und Kantatenmeistern sehr
haufig ist : die Vorausschickung des vokalen Themen-
kopfes. Es folgen ihr ein instrumentales Zwischenspiel
und die identische Wiederholung des vokalen Themen-
kopfes mit Weiterf iihrung. Diese textlich-musikalische
Erbffnung ist wegen der Beschrankung der Barockarie
auf einen Affekt und einheithche musikalische Substanz
dazu bestimmt und geeignet, in der Art einer Ankiin-
digung oder Uberschrift Gesamtinhalt und -charakter
der Arie zu bezeichnen. Die D. findet sich auch in der
Choralbearbeitung fiir Orgel (z. B. G.Bohm, Vater
unset im Himmelrekh, Versus 1, J.S.Bach, Christ, der du
hist der helle Tag, Partita II, BWV 766) Und in der Solo-
instrumentalmusik (Bach, Flotensonate BWV 1035).
Nu-me a-la-to,
Nu-me a-Ia-to, dam-mi
95^E
g^3
p J ' p p p p
Pa-ce, dam-mi Pa-ce!
m
'dJJdtt
A. Steffani,
Alarico (1687),
1. Akt, 7. Szene.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912, 31921;
H. J. Moser, Kleine Beitr. zu Beethovens Liedern u. Buh-
nenwerken, Neues Beethoven-Jb. II, 1925.
Dezett (von lat. decern, zehn; frz. dixtuor) heiBt eine
Komposition fiir zehn selbstandig gefiihrte Instrumen-
talstimmen in gemischter Besetzung, z. B. Fr.Poulencs
Mouuements perpetuels fiir Fl., Ob., Enghsch Horn,
Klar., Horn, Fag. und 4 Streichinstr., B.Blachers 9Est-
nische Tanze fiir 10 Blaser, auch das Dixtuor fiir Blaser
op. 14 von G.Enescu und schon C.Stamitz' 7 Partien
in der doppelten Blaserbesetzung : 2 Fl., 2 Ob., 2 Klar.,
2 Horner, 2 Fag. (Manuskript in der Sachsischen Lan-
desbibl., Dresden).
Dezibel (dB), logarithmisches MaB fiir den Vergleich
von Intensitats- oder Schalldruckverhaltnissen. Man
benutzt dieses MaB u. a., um die auBerordentlich groBe
Sparine der in Natur, Technik und Musik vorkom-
menden und vom Gehbr zu verarbeitenden Schallin-
tensitaten absolut erfassen zu konnen. Um beispiels-
weise einen in fib (-»• Mikrobar) gemessenen Schall-
druck;) in dB anzugeben, setzt man ihn ins Verhaltnis
zu einem Bezugsschalldruck po (meist der -> Hor-
schwelle bei 1000 Hz = 0,0002 jxb) und berechnet
den Schallpegel in dB zu 20 • lg pjp o. So entsprechen
dem Schalldruck von 200 (xb (Schmerzschwelle) 120 dB
(20 • lg 200/0,0002). Das Schalldruckverhaltnis ist in
dem Fall 10 6 :1. Bei gleichzeitigem Ertonen zweier
gleichstarker Schallquellen steigt der Schalldruck ma-
ximal auf das Doppelte an, der Schallpegel erhbht
sich um 6 dB. Im Mittel steigt er nur um 3 dB, da die
Uberlagerung von der Phasenlage der Wellenziige ab-
hangig ist. Rechnet man mit Intensitaten (/), die pro-
portional dem Quadrat des Schalldruckes sind, so gilt
fur den Schallpegel in dB = 10 ■ lg///o, wobei h die
Bezugsintensitat bedeutet.
Dezjme (lat. decima), die Oktave der Terz.
Di?basis (griech.) ->■ Metabasis.
Di?bolus in musica (lat.) -»■ Tr it onus.
Dialog (von griech. SiaXoyo?, Gesprach), allgemein
eine musikalische Struktur, die im Gegen- oder Nach-
einander der Stimmen eine Analogie zur gesprochenen
Wechselrede zeigt, und zwar in vokaler oder instru-
mentaler, einstimmiger oder mehrstimmiger Ausfiih-
rung. Die Technik fand zu alien Zeiten Anwendung,
z. B. in den alternierenden Teilen Gregorianischer Ge-
sange, im friihbarocken deutschen Lied (J. Staden, H.
Albert) , in den englischen und f ranzosischen Airs, in der
barocken, besonders der franzosischen Orgelmusik, in
der Themengestaltung und Durchfiihrungstechnik der
Wiener Klassik, mitunter als Bauprinzip eines ganzen
Satzes (Beethoven, Klavierkonzert Nr 4, op. 58, 2.
Satz). - Als eigenstandige Gattung gewann der D. im
16. und 17. Jh. Bedeutung. Hierbei ist zwischen einer
italienischen und einer protestantisch-deutschen Ent-
wicklung zu unterscheiden, ferner zwischen weltlichen
und geistlichen und innerhalb der letzteren zwischen
vulgarsprachlichen und lateinischen D.en. Das Ver-
bindende ist hier iiberall die Textanlage als Gesprach,
wahrend die musikalischen Formen wechseln. Ur-
spriinge und Ansatze sind zu suchen im lateinischen
geistlichen Drama des Mittelalters (->• Liturgisches
Drama), im Minnesang, in der paarweisen Chorauf-
teilung der Niederlander, die sich in der Coro spezzato-
Technik Willaerts f ortsetzte und die Bliitezeit des Mo-
tetten- und Madrigal-D.s herauffiihrte, und in den
itahenischen D.-Lauden. Mit der Umformung der
letzteren durch Filippo Neri fiir seine Congregazione
dell'Oratorio in Rom (1551) miindete die Entwicklung
in die Vor- und Friihgeschichte des -v Oratoriums. Um
1600 setzte sich im D. der monodische Stil allgemein
durch; erzahlende Teile und ein abschlieBender Chor
erweitern die Form. Gleichzeitig entstanden in Ober-
italien die solistisch-concertierenden lateinischen D.e
als Einlage bei kirchlichen Festen (Viadana 1602), und
als 3. Zweig der Gattung die weltlichen, der Kammer-
kantate nahestehenden Dialoghifuor di scena, mit Stof-
fen aus der Schaferpoesie (MeUi, Tirsie Filli, 1602).
Durch Verschmelzung italienischer Anregungen mit
eigenen Vorformen wurde der D. im 17. Jh. eine wich-
tige kirchenmusikalische Gattung im protestantischen
Deutschland. Er hatte als Gradualgesang oder vor
(bzw. vor und nach) der Predigt einen festen Platz im
Gottesdienst. Die Texte bestehen aus Bibelzitaten,
freien geistlichen Dichtungen oder der Mischung bei-
der. Sie wurden entweder realistisch-dramatisch oder
mehr lehrhaft-darbietend vertont, zum Teil in sukzes-
sivem, also echt dialogisierendem, zum Teil in simul-
tanem Vortrag. Gemeinsam ist alien D.en die eindring-
liche Gestaltung des Schlusses (meist fiir Chor), der
eine fromme Betrachtung, allgemeingiiltige Lehre
oder Aufforderung zur Besinnung enthalt. Unter den
musikalischen Formen des D.s ist am verbreitetsten
das (kleine) Geistliche Konzert. Friihe Beispiele dafiir
sind Kompt her von Scheidt (Geistliche Concerte II, 1634)
222
Diastematie
und Sei gegrujlet, Maria von Schiitz (Kleine Geistliche
Concerte II, 1639); eine beriihmte Sammlung sind die
Dialogi oder Gesprdche zwischen Gott und einer gldubigen
Seelen von A. Hammerschmidt (DTO VIII, 1). Fiigen
sich die Reden realistisch dargestellter Personen in
fortlaufender Handlung zu einer geschlossenen Szene
zusammen, so entsteht der Oratorien-D. (z. B. Schiitz,
Vater Abraham, erbarme dich mein, GA XVIII). Instru-
mentale Vor- und Zwischenspiele wurden hinzuge-
fiigt (Kindermann), und mitunter wurden mehrere
Szenen zusammengestellt (Rosenmiiller), so daB diese
Mischgattung allmahlich ganz im Oratorium aufging.
Gegen Ende des 17. Jh. drangen mit der Zunahme be-
trachtender, erbaulicher Teile im Text strophische
Lieder und Arien in das geistliche Konzert ein. Die so
entstehenden D.-Kantaten stellen die Anfange der
deutschen Solokantate dar, die auch spater noch, nach
dem Verschwinden des D.s als Gattung, dialogische
Partien enthalten konnte. Wichtige Meister des D.s im
17. Jh. sind auBer den genannten : J. H. Schein, J. R. Ah-
le, J.Schelle, W.C.Briegel, A.Pfleger, Th.Selle, J.Ph.
Krieger, J. Chr. Bach, Chr. Bernhard, Fr. Tunder.
Lit.: Th. Kroyer, D. u. Echo in d. alten Chormusik, JbP
XVI, 1909; E. Schmitz, Zur Fruhgesch. d. lyrischen Mon-
odie Italiens im 1 7. Jh., JbP XVIII, 1911; ders., Zur Gesch.
d. ital. Continuo-Madrigals im 17. Jh., SIMG XI, 1909/10;
ders., Gesch. d. Kantate u. d. geistlichen Konzerts I,
Gesch. d. weltlichen Solokantate, = Kleine Hdb. d. Mg.
nach Gattungen V, 1, Lpz. 1914, 21955; A. Schering,
Gesch. d. Oratoriums, ebenda III, 1911; Fr. Blume, Das
monodische Prinzip in d. protestantischen Kirchenmusik,
Lpz. 1925; ders., Die ev. Kirchenmusik, Bucken Hdb.; W.
Vetter, Das fruhdeutsche Lied I, = Universitas-Arch.VIII,
Miinster i. W. 1928; K. Fr. Rieber, Die Entwicklung d.
deutschen geistlichen Solokantate im 1 7. Jh. , Diss. Freiburg
i. Br. 1 932 ; A. Adrio, Die Anfange d. geistlichen Konzerts,
= Neue deutsche Forschungen XXXI, Abt. Mw. I, Bin
1935 ; G. Frotscher, Gesch.d. Orgelspiels ... II, Bin 1936,
2 1959; M. Lanoe, Die Anfange d. Kantate, Diss. Lpz.
1938; H.-O. Hudemann, Die protestantische Dialogkom-
position im 17. Jh., Diss. Kiel 1941, maschr. PS
Diapason (griech. 8ia 7ractov, durch alle). - 1) In der
Theorie der Griechischen Musik stellt der voile Name
der 3 Symphoniai D. (Oktave), Diapente (Quinte)
und Diatessaron (Quarte) den ihnen gemeinsamen kon-
sonanten Charakter in den Vordergrund : r) 8ia 7taacov
(oder: 8t<& 7t£vte, Sia xeaadcpov) ^opScov au^cpcovta,
»der im Durchgang durch alle (oder : durch f iinf , durch
vier) Tone erreichte Zusammenklang« ; der Sprachge-
brauch hat die unterscheidenden Beifiigungen verselb-
standigt. D. als Bezeichnung der Oktave sagt aus, daB
diese zugleich den entferntesten und nachsten Zusam-
menklang darstellt: den entferntesten, weil sie alle
musikalischen Intervalle in sich schlieBt und es iiber sie
hinaus keinen unvermittelten Zusammenklang gibt,
den nachsten, weil alle anderen Intervalle durch Unter-
teilung der Oktave (1:2) mathematisch bestimmt
werden. - 2) Der enghsche Orgelbau nennt bei den
Labialpfeifen das 4'-Register Principal, daher das 8'-
(im Pedal 16'-)Register D. (Unteroktave), das 16'-
(im Pedal 32'-)Register Double d. Man unterscheidet
Open d. (Prinzipal) und Stopped oder Closed d. (Ge-
dackt). - 3) D. hieB auch ein gewisses Modell, uior-
nach bey den Instrumentmachern die Orgel-Pfeiffen zuge-
schnitten, die Locher in die Floten, u. s.f. gemacht werden
(WaltherL, nach Brossard). Dem entsprechen die ver-
schiedenen Bedeutungen von d. heute im Franzosi-
schen : D. ist->-Mensur (- 1) einer Orgelpfeife oder eines
Blasinstruments, Anordnung der Grifflocher, seltener
auch Umfang einer Stimme, ferner allgemein Tonho-
he und insbesondere -»■ Stimmton ; d. normal Stimm-
ton, d. oder d. a branches Stimmgabel, d. a bouche
Stimmpfeife.
Diapente (griech. Sk&ttevts, durch f iinf ; ->• Diapason),
s. v. w. Quinte. - In lateinischen Kanonvorschriften
und Musiktraktaten begegnet auch Epidiapente (Ober-
quinte) und Hypo- oder Subdiapente (Unterquinte).
Diaphonia (Siaipcovta, »Auseinanderklang«), grie-
chischer Name der Dissonanz (dissonantia ist lateini-
scher Obersetzungsterminus von d.), namlich im Ge*-
gensatz zu den antiphonen und paraphonen Sympho-
nien (Oktave; Quinte, Quarte) die iibrigen Intervalle
des Tonsystems; so auch noch in der mittelalterlichen
Musiklehre: Cuius (symphoniae) contraria est d., id est
voces discrepantes vel dissonae (Isidor, III, 20) ; dissonantia
autem et d. idem sunt (Marchettus von Padua, GS III,
80b). - In der Friihzeit der artifiziellen Mehrstimmig-
keit (9.-12. Jh.) ist D. der gelehrte griechische Name
fur das, was damals £iir gewohnlich (vulgariter) -> Or-
ganum hieB ; im Unterschied zum alteren Begriff der
-»■ Paraphonia bezeichnet D. speziell das nicht durch-
laufend parallele Quartenorganum (vgl. Musica En-
chiriadis, GS I, 165, und Organumtraktat Koln, Dom-
capitelbibl. Cod. LII, Darmst. 2047, f. 177': D. seu
organum constat ex diatessaron symphonia naturaliter diri-
vari) und seine durch Oktavverdopplung entstehende
Quart-Oktav-Quint-Struktur. Dabei erfaBt der Name
D. (d. cantilena) sowohl das theoretische Moment (die
rationale Tonmessung und das »Zur Schrift-Bringen«)
dieses organicum melos, als auch dessen Charakter als
diaphonisch-symphonischen (dissonierend-konsonie-
renden), das ist »eintrachtig-auseinanderklingenden«
Zusammenklang, mit den Worten der Musica Enchiria-
dis (GS 1, 165b) : Dicta autem d., quod non uniformi canore
constet, sed concentu concorditer dissono. (D. vocum dis-
iunctio sonat, quam nos organum vocamus, cum disiunctae
ab invicem voces et concorditer dissonant et dissonanter con-
cordant, Guido, Micrologus, CSM IV, 196f. ; Est ergo d.
congrua vocum dissonantia, Johannes Affligemensis, CSM
1, 157). - Die irrtiimliche Etymologie: D. = dyaphonia
... a dya, quod est duo, . . . quasi duplex sonus (z. B. CS
II, 387) geht zuriick auf die Zeit um und nach 1100:
Interpretatur autem d. dualis vox sive dissonantia (Johannes
Affligemensis, CSM I, 157) ; D. duplex cantus est (Or-
ganumtraktat von Montpellier, Fac. de med. H. 384,
f. 122). Denn entsprechend dem damaligen Wandel
der mehrstimmigen Musik, demzufolge die dem Can-
tus respondierende Vox organalis selbst die Qualitat
eines eigenstandigen (komponierten) Cantus gewann,
wurde D. nun als »zwiefacher Cantus« verstanden, und
bald darauf entstand als Analogiebildung zu D. das Be-
griff swort ->■ Discantus (»Auseinandergesang mehrerer
Cantus «), wahrend in dem um 1300 hervortretenden
Namen contrapunctus (-> Kontrapunkt) die intervalli-
sche Messung des »Gegen-Punctus« in den Vorder-
grund tritt. - Die Summa musicae (GS III, 239f.) un-
terteilt um 1300 die polyphonia in dya-, tri- und
tetraphonia und beschreibt terminologisch recht ei-
genwillig als dyaphonia basilica (von griech. (Wan;,
->• Basis) den Haltetonstil des Organum (ita quod unus
teneat continue notam imam, quae est quasi basis cantus
alterius concinentis) und als dyaphonia organica den Dis-
cantus ( . . . ab organo vocali nomen accepit, eo quod diversa
organa diversimode resonent, quemadmodum et singuli ho-
mines singulas habentformas diversas).
Lit.: Riemann MTh; J. Handschin, Zur Gesch. d. Lehre
v. Organum, ZfMw VIII, 1925/26; H. H. Eggebrecht,
»D. vulgariter organum«, Kgr.-Ber. Koln 1958. HHE
Diaschisma (griech.) -> Schisma.
Diastematie (von griech. 8iaaT7)[i.a, Abstand, Inter-
vall), die Eigenart einer Notenschrift, Tonabstande
nach Hohe und Tiefe anzugeben. Der bedeutsame
Schritt, das Zeichen fiir einen »hoheren« Ton graphisch
223
Diastolik
hoher zu setzen als das Zeichen f Ur einen »tieferen« Ton
und damit die Augenbezeichnungen hoch und tief fur
Tone herbeigefiihrt zu haben, die in der mittelalterli-
chen Musiktheorie dem Horeindruck entsprechend
acutus (scharf, spitz) und gravis (stumpf, schwer) ge-
nannt wurden, vollzog sich mit der Entwicklung der
Neumenschrift im 10. und 11. Jh. in Italien und Frank-
reich und fiihrte zur Einfiihrung von einer, zwei und
mehr Linien und weiter zu deren Schliisselung durch
Guido von Arezzo (Aiiae regulae, urn 1020). - Eine be-
sonders klare D. zeigt urn 1000 die aquitanische Neu-
menschrift durch vollige Auflosung der Ligaturen in
Punkte, deren Abstand man zum Teil durch in das
Pergament geritzte Linien ordnete, wahrend man im
deutschen Sprachraum, z. B. in St.Gallen, linienlose
adiastematische (nicht tonabstandige) Neumen noch
im 14. Jh. schrieb. Sicheres Erkennungszeichen fiir D.
innerhalb der linienlosen Neumierung ist der->- Custos.
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien II: Neumenkunde . . ., Lpz. 1905, 21912, Neudruck
Hildesheim u. Wiesbaden 1962.
Diastolik (von griech. SiaaxoXir), Einschnitt, s. v. w.
Interpunktion) nennen altere Theoretiker (Zarlino),
auch noch L. Mozart, die Lehre von den Einschnitten
in der Musik, d. h. von der richtigen Gliederung der
musikalischen Gedanken, der Phrasierung.
Diatessaron (griech. 8ta xscradcptov, durch vier;
-> Diapason), s. v. w. Quarte. - In lateinischen Kanon-
vorschriften und Musiktraktaten begegnet auch Epi-
diatessaron (Oberquarte) und Hypo- oder Subdia-
tessaron (Unterquarte).
Diatonik (von griech. Staxovo?, durch Ganztone ge-
hend). Diatonisch heiBt eine Skala, die die Oktave
in 5 Ganz- und 2 Halbtone teilt, wie das Dur und Moll
sowie die Kirchentone. Diatonische Intervalle sind
diejenigen, die sich aus einer solchen Skala ableiten
lassen, also : reine Quarte, Quinte und Oktave, groBe
und kleine Sekunde, Terz, Sexte und Septime. Der
Tritonus wird, obwohl er der D. angehbrt, als iiber-
maBige Quarte, also als Variante der reinen Quarte,
d. h. als chromatisches Intervall bestimmt. Die diatoni-
schen Intervalle gelten in der tonalen Musik im Ge-
gensatz zu den chromatischen Intervallen als unmittel-
bar verstandlich. Dabei ist gleichgultig, ob die das In-
tervall bildenden Tone Vorzeichen haben oder nicht;
gis-a und eses-des sind ebenso diatonische kleine Se-
kunden wie h-c und e-f , und auch die in C dur leiter-
fremden Tone fis und cis bilden eine diatonische reine
Quinte. - In der antiken griechischen Musik fiillt das
diatonische Tetrachord den festen Quartrahmen mit
2 Ganztonen und einem Halbton, z. B.: el di el h. Die
Berechnung der »beweglichen« Intervalle bei den
Theoretikern wechselt; Ptolemaios gibt 5 fremde, da-
zu noch 3 eigene Formeln an. Es hangt mit dem prin-
zipiell einstimmigen Charakter der griechischen Mu-
sik zusammen, daB die D. in der Antike kein Oberge-
wicht gegeniiber den beiden anderen Genera, -» En-
harmonik und -»■ Chromatik, erlangte; doch bildet sie
fiir das System der Notenschrif t sowie allgemein in den
Darstellungen der Musiktheorie den Ausgangspunkt.
Erst nach dem Aufkommen der Mehrstimmigkeit
wurde im 11. Jh., hauptsachlich unter der Autoritat
Guidos von Arezzo, die europaische Musik auf D. fest-
gelegt. Im Byzantinischen Gesang ist der ProzeB der
Diatonisierung wahrscheinhch erst im 13. Jh. abge-
schlossen, doch setzt sich hier seit dem 15. Jh., d. h. seit
Byzanz unter tiirkische Herrschaft geriet, wieder eine
starker differenzierte Tonordnung durch. - D. muB
nicht immer mit einem Oktavsystem verbunden sein.
So kennt der Byzantinische Gesang neben dem Oktav-
system ein System von durch einen Ganzton getrennten
Tetrachorden, in dem sich in der tieferen Oktave b
und fi, in der hoheren h' und fis 2 ergibt, der russische
Kirchengesang ein System von durch einen Halbton
getrennten Trichorden mit h in der tieferen und bi in
der hoheren Oktave. Dem genannten byzantinischen
gleicht das Tetrachordsystem der Muska Enchiriadis
(-> Dasia-Zeichen) ; sein durchaus diatonischer Cha-
rakter zeigt sich darin, daB die Tone der ubermaBigen
Oktayen b-hi und f'-fis 2 zwar durch Oktavierung ei-
ner Stimme, aber niemals selbstandig in die jeweils an-
dere Oktave versetzt werden konnen. Dieses die Ok-
tave umgehende System wurde von Hermannus con-
tractus und Guido von Arezzo bekampft, doch bot
auch das nachguidonische Hexachordsystem die MSg-
lichkeit, 3 Hexachorde jeweils im Quintabstand iiber-
einanderzustellen. Sie wurde in der Mehrstimmigkeit
bis ins 16. Jh. vielfach genutzt, da injenem System zum
mi und fa des (mittleren) Hexachordum naturale in
beiden Richtungen Quinten gesetzt werden konnten,
also : a und hi zu e' mi, b und c 2 zu f i fa. Der Tritonus,
der sich in der unveranderten Tonart als verminderte
Quinte, d. h. falsche Konsonanz (mi contra fa) dar-
stellt, wird in dieser Hexachordschichtung zur Uber-
maBigen Quarte, also zur Alteration eines ohnehin
dissonanten Klanges. Die Notierung der Stimmen mit
verschiedenen Vorzeichen macht dieses Hexachordsy-
stem sichtbar. Sie bedeutet eine Erweiterung der Ton-
art insofern, als in solchen Satzen authentischer und zu-
gehoriger plagaler Modus gleichzeitig erklingen; am
haufigsten sind (nach Hoppin) : dorisch auf g transpo-
niert (mit !>) und hypodorisch auf d (ohne Vorzeichen)
sowie lydisch untransponiert auf f (mit t) und hypo-
lydisch auf c (ohne Vorzeichen). Die Zuordnung der
Stimmen zur authentischen und plagalen Form des
Kirchentons wechselt; in 3st. Satzen wird iiberwiegend
die Oberstimme ohne Vorzeichen, der Tenor mit \>
notiert, der Contratenor aber teilt Klangregion und
Vorzeichnung im 14. Jh. meist mit der Oberstimme,
im 15. Jh. meist mit dem Tenor. Einen spaten Sonder-
fall stellt die Erweiterung auf 4 Hexachorde in Jos-
quins Fortuna d'un gran tempo dar, dessen 3 Stimmen die
Hexachorde auf c 1 und gi (Oberstimme), f und c 1 (Mit-
telstimme), B und f (Unterstimme) ausfiillen; die sich
hierbei ergebenden Querstande sind jedenfalls ge-
wollt und diirfen nicht dutch Akzidentien (vgl. H.
Hewitt in der Neuausgabe des Satzes nach Petruccis
Odhecaton) oder Annahme einer »Secret Chromatic Art«
(Lowinsky) umgangen werden. Das fiir die Mehrstim-
migkeit des Mittelalters konstitutive Nebeneinander
von Tonart- und Hexachordordnung wird im 16. Jh.
aufgegeben, die Tonart wird nunmehr zum einzigen
Kriterium der D. Das System der 8 Kirchentone
weicht allmahlich der Alleinherrschaft von Dur und
Moll, die bis ins 19. Jh. die Grundlage der D. bildet.
Humanistische Experimente zur Wiederbelebung der
verschiedenen von antiken Theoretikern iiberlieferten
Arten der D. bleiben ohne Ergebnis. Die Chromatik
des 16. Jh. dagegen zeitigt eine Vermischung der Ton-
geschlechter, so daB seit dem 17. Jh. dem Komponisten
die Einfiihrung von Chromatik in den prinzipiell diato-
nischen Satz freigestellt ist. Rein diatonisch sind fortan
vornehmlich einfache Tanze, Marsche und Lieder so-
wie Kirchenmusik, die am a cappella-Stil des 16. Jh.
festhalt. In groBeren Zusammenhangen wird es nun-
mehr zum Stilkriterium, ob ein Komponist (z. B. Han-
del und Haydn im Vergleich mit Bach und Mozart)
oder eine Schule (z. B. die franzosischen und englischen
Komponisten zur Zeit Lullys und Rameaus im Ver-
gleich mit ihren italienischen Zeitgenossen) diatoni-
sche Stimmfuhrung und Klangverbindungen bevor-
224
Diffusitat
zugt. Um die Mitte des 19. Jh. kam es zur Krise der D.,
fur die verschiedene Losungen gesucht werden. In
Deutschland wurde fur langere Zeit der Gegensatz
Wagner-Brahms beherrschend ; Wagner findet im
Tristan eine prinzipiell auf Chromatik auf gebaute Ton-
sprache und behalt die D. zur Darstellung des Volks-
tiimlichen und Historischen (Meistersinger), urspriing-
lich Naturhaften und AuBermenschlichen (z. B. Rhein-
gold-Voispiel und Wotan-Motiv im Ring) bei; Brahms
halt grundsatzlich an der D. fest, gewinnt ihr aber
durch Riickgriff auf die Kirchentone, Kontrapunktik
und eine verfeinerte Technik der motivischen Arbeit
neue Wirkung ab (worin ihm u. a. Mahler folgt). D.
tritt weiterhin auf, soweit volkstiimliche Melodik in
die Komposition einbezogen wird, so bei Dvorak,
Janacek, Milhaud und den modernen Russen, weniger
bei Bartok, Hindemith und Britten. Auch in Stra-
winskys Musik steht bis in die 1940er Jahre die D. im
Zentrum. Unter dem EinfiuB der Jugendbewegung
und ihrer ideologisch bestimmten Feindschaft gegen
das 19. Jh. haben sich vor allem deutsche Komponisten
nach dem 1. Weltkrieg wieder einer reinen D. zuge-
wandt, in der sie einen Wesenszug der Kirchen- und
Gemeinschaftsmusik sahen.
Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg.
v. R. Da Rios, Rom 1 954 ; Die Harmonielehre d. Klaudios
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogsko-
las arsskrift XXXVI, 1, 1930, dazu ebenda XXXVIII, 2,
1932 (Porphyrios' Kommentar) u. XL, 1, 1934 (deutsche
Ubers.); Musici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz.
1895, Neudruck Hildesheim 1962; Musica Enchiriadis,
GS I; Hermannus contractus, Musica, GS II; Guido
v. Arezzo, Micrologus, hrsg. v. J. Smits van Waesberghe
SJ, =CSM IV, Rom 1955; Riemann MTh; W. Apel,
Accidentien u. Tonalitat in d. Musikdenkmalern d. 15.
u. 16. Jh., Diss. Bin 1936; ders., The Partial Signatures
. . ., AMI X, 1938 - XI, 1939; O. Gombosi, Tonarten u.
Stimmungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Neu-
druck 1950; D. P. Walker, Mus. Humanism in the 16 th
and Early 17 th Cent., MR II, 1941 - III, 1942, deutsch:
Der mus. Humanismus im 16. u. friihen 17. Jh., = Mw.
Arbeiten V, Kassel 1949; E. E. Lowinsky, The Goddess
Fortuna in Music, MQ XXIX, 1943; ders., The Function
of Conflicting Signatures ..., MQ XXXI, 1945; ders.,
Conflicting Views . . ., JAMS VII, 1954; J. Handschin,
Der Toncharakter, Zurich (1948); J. Vincent, The Dia-
tonic Modes in Modern Music, Berkeley u. Los Angeles
1951; R. H. Hoppin, Partial Signatures ..., JAMS VI,
1953; ders., Conflicting Signatures Reviewed, JAMS IX,
1956; H. Searle, Twentieth Cent. Counterpoint, London
(1954, 21955); W. Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre I, Regens-
burg 1957; L. B. Spiess, The Diatonic »Chromaticism« of
the Enchiriadis Treatises, JAMS XII, 1959.
Diazeuxis (griech.) -»■ Systema teleion.
Dies irae (lat., Tag des Zorns; Sophonias 1, 15), die
->■ Sequenz (- 1) der Totenmesse (Requiem), nahm im
13. Jh. von Italien ihren Ausgang und bildet seit der
1570 durch Pius V. eingefuhrten Neufassung des Missa-
le einen festen Bestandteil der romischen MeBliturgie.
Jiingste Bestimmungen iiber die Verwendung des D. i.
wurden 1955 von Pius XII. herausgegeben. In seiner
sprachlichen Gestalt ist das D. i., das zu den vollen-
detsten Schopfungen der mittelalterlichen Dichtung
zahlt, ein sequenzartiger Hymnus; die endgultige
Textfassung diirfte einem in der 1. Halfte des 13. Jh.
in Italien wirkenden Verfasser (Thomas von Celano?)
zuzuschreiben sein. Der melodische Bau des Stiickes
gliedert sich in 3 Teile, von denen jeder unmittelbar
wiederholt wird und die Strophen 1-16 musikalisch
zu Strophenpaaren zusammenschlieBt, wahrend die
SchluBstrophen (ab Lacrimosa) melodisch eigenstandig
sind. Meisterhafte Vertonungen fand die Sequenz in
den groBen Requiemkompositionen des 18. und 19.
Jh. (Mozart, Cherubini, Schumann, Berlioz, Verdi).
Neben Berlioz, der die Melodie des D. i. im 5. Satz
(Songed'une nuitdu sabbat) seiner Symphonie fantastique
parodierte, wahlte Liszt den ersten Melodieabschnitt
als Thema seines Totentanzes fur Kl. und Orch.
Lit.: Cl. Blume SJ, D. i., Cacilienvereinsorgan XLIX,
1914; M. Inguanez, II D. i. in un codice del s. XII, Revista
liturgica XVIII, 1931 ; O. Ursprung, Die kath. Kirchen-
musik, Bucken Hdb.; A. Chiappini, La sequenza »D. i.,
dies illa« di FraTommaso de Celano, Collectanea Francis-
cana XXXII, 1962; F. Wanninger, D. I., Its Use in Non-
liturgical Music. . ..Diss. Northwestern Univ. (111.) 1962.
Diesis (Stent?, griech., Abtrennung; frz. diese) nennt
Philolaos den UberschuB der Quarte iiber 2 Ganztone,
d. h. den spater mit Limma (->• Apotome) bezeichne-
ten diatonischen Halbton der Pythagoreischen Skala
256:243. Aristoxenos ubertrug die Bezeichnung auf al-
le Intervalle, die kleiner als ein Halbton sind. Der neue-
re Gebrauch des Wortes in Italien und Frankreich geht
offenbar auf Marchettus de Padua (Lucidarium) zuriick;
dieser erklart die D. als : jg oder 2/9 des Ganztons und
findet sie im Leittonintervall, das bei der Teilung eines
Ganztons propter aliquant consonantiam colorandam (wie
in der Diskantklausel) entsteht, wobei z. B. c-cjt-d in
das Chroma c-cj( (?/<>) und die D. c)t-d (2/9) geteilt ist
(GS III 73b). Dementsprechend wird die Bezeichnung
D. im 14.-15. Jh. auf das (t iibertragen (siehe Nicolaus
de Capua 336 : istafigura # quae vocatur d.) ; es heiBt ital.
d., frz. diese, das x ital. doppio d., frz. double diese. -
In der Akustik werden heute die Bezeichnungen groBe
D. und kleine (enharmonische) D. verwendet: erstere
entsteht aus der Diff erenz von 4 kleinen Terzen und der
Oktave:
(-£-)" :j = ~ bzw. 4 • 315,64 - 1200 = 62,6 Cent,
letztere aus der Differenz von Oktave und 3 groBen
Terzen :
t- : (-r) 3 = ifUbzw. 1200 - 3 • 386,31 = 41,1 Cent.
1 W' 125
Diferencia (difer'enGia, span., Verschiedenheit), in
der spanischen Instrumentalmusik des 16. Jh. seit L. de
Narvaez (1538) soviel wie ->■ Variation.
Differenzen (lat. differentiae, auch diffmitiones, di-
visiones oder varietates), die regelmaBigen melodi-
schen SchluBformeln der Psalmtone in der antiphoni-
schen Offiziums- und Mefipsalmodie. Jeweils auf dem
Rezitationston (Tenor oder Tuba) des Psalms ein-
setzend, bilden sie das Verbindungsglied zwischen
dem Psalmvers und dem Anfang der Antiphon. Zu
ihrer Darstellung werden von alters her die 6 SchluBsil-
ben der kleinen Doxologie (seculorum amen) bzw. de-
ren Vokale (Euouae) herangezogen. Mit Ausnahme der
2. Kirchentonart besitzen alle Psalmtone mehrere D.
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien III, Lpz. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; Z. Falvy, Zur Frage d. D. d. Psalmodie, StMw
XXV, 1962.
Differenzton -> Kombinationstone.
Diffusitat. In der ->■ Raumakustik dient der Begriff
der D. als MaB fiir die allseitige gleichmaBige Erfiil-
lung eines Raumes mit Schallenergie. Fiir musikalische
Darbietungen ist eine geniigende Durchmischung der
wegen der Reflexionen aus verschiedenen Richtungen
einfallenden Schallwellen wichtig, da z. B. das Auftre-
ten von Echos die Klarheit der Wiedergabe wie auch
die Sprachverstandlichkeit empfindlich stort. Sind die
Begrenzungsflachen eines Raumes schallzerstreuend
(stark gegliedert), so ist die D. grofier, als wenn Wande
und Decken reflektierend oder gar schallfokussierend
(Kuppeln) wirken. Raume barocken Stils haben dank
ihrer aufgegliederten Einbauten (Pfeiler, Saulen, B6-
15
225
Dijon
gen, Emporen, Stukkaturen) eine groBe D. In moder-
nen Raumen mussen oft Diffusoren, d. h. schallzer-
streuende Einbauten, vorgesehen oder Balkone und
Range entsprechend aufgegliedert werden. Zur Un-
tersuchung der D. werden mit Mikrophonen hoher
Richtwirkung die aus verschiedenen Richtungen ein-
fallenden Schallintensitaten gemessen.
Lit. : W. Furrer, Raum- u. Bauakustik f . Architekten, Ba-
sel u. Stuttgart 1956, 21961 als: Raum- u. Bauakustik -
Larmabwehr; L. Cremer, Statistische Raumakustik,
= Die wiss. Grundlagend. Raumakustik II, Stuttgart 1961.
Dijon (Burgund).
Lit. : L. de Gouvenain, Le theatre a D. 1 422-1 790, D. 1 888 ;
E. Fyot, A propos des orgues de St-B6nigne, Rev. de Bour-
gogne XIII, 1923; R. Moissenet, L'orgue de choeur de la
cathedrale de D., ebenda XV, 1925 ; Ch. Oursel, A propos
de la maitrise de D., Memoires de l'Acad. de D. 1943/46 ; J.
Marilier, L'office rythm6 de St. Philibert a Tournus et
a D., Kgr.-Ber. 13 e Centenaire de Jumieges 1955.
Diktat -+ Musikdiktat.
Dilettant ->■ Kenner und Liebhaber.
diminuendo (ital.; Abk.: dim. oder dimin.), auch
durch die Zeichen ► oder [>- oder :>- vorgeschrieben,
abnehmend (an Schallstarke), schwacher werdend.
-> crescendo.
Diminution (lat. diminutio, Verkleinerung). - 1) In
der Mensuralnotation heiB t D . die Verkiirzung von No-
tenwerten in gerader oder ungerader-* Proportion (- 2)
zu den unmittelbar vorangegangenen integren Werten
oder denen einer gleichzeitig erklingenden anderen
Stimme. Die D. wird im Zusammenhang mit den Te-
nores der isorhythmischen Motette zuerst von J. de
Muris (CS III, 58) besprochen, tritt aber bereits im 14.
Jh. auch in Oberstimmen auf. Angezeigt wird sie durch
bestimmte Veranderungen der iiblichen Mensurzei-
chen (z. B. Umkehrung des C zu 0, waagerechte,
schrage oder senkrechte Durchstreichung, z. B. ■©-,
Zusatz von Zahlen, z. B. C3), anfangs auch durch vom
Grundtext abweichende Farbung der Noten oder
durch knappe Texthinweise (haec cantetur per medi-
um). Am haufigsten begegnet die regulare Halbie-
rung der Notenwerte (Proportio dupla), und zwar un-
ter den Mensurzeichen (J:, \ oder . <J) bedeutet simul-
tan Verkiirzung des Tempus perfectum um die Halfte,
sukzessiv um die Halfte oder ein Drittel. Auch 4fache
Beschleunigung (Proportio quadrupla) ist friih belegt
((f2, j, :))). Das Notenbeispiel (aus Ideoque quodnascetur
von H. Isaac, Choralis Constantinus II, 1555; vgl. DTO
XVI, 1, S. 38; Faks. 35 bei ApelN) vereinigt vier
verschiedene Mensurverhaltnisse. Tenor (Tempus im-
perfectum) und Bassus (Tempus perfectum) vertreten
den -»- integer valor notarum. Auf sie beziehen sich
Cantus (Tempus perfectum diminutum), der um die
Halfte, und Altus (Proportio quadrupla), der auf ein
Viertel verkiirzt werden muB (siehe das Beispiel oben).
Mit Hilfe der D. war es moglich, rasche Werte anzu-
wenden, ohne Semiminimen (Viertelnoten) benutzen
zu mussen. - Seit dem 15. Jh. wurde D. gem in kano-
nischen Stimmenverbindungen verwendet. In der
Theorie der Fuge bezeichnet D. die ausgeschriebene
Verkiirzung der Notenwerte eines Themas auf die
Halfte und erleichtert die Technik der Engfiihrung
(z. B. J.S.Bach, Kunst der Fuge, Contrapunctus VI).
Auch in nicht kontrapunktischer, freier Setzweise fin-
det sie sich (Motiv-D. in Wagners Meistersinger-Vor-
spiel, Takt 122ff.).
- 2) (ital. auch fioretti, passaggi, fiir vokale D. auch
gorgia; span, glosas; in Deutschland auch Passaggio,
Coloratura), eine Sammelbezeichnung fiir -»- Verzie-
Cantus
Fi lius
Tenor
Altus
Bassus
fi lius
K.LlMltlilj **t> ^l T TtTf^
lius
filius
- tur f i
'MUtr rnri^ g
m
-tur fi-
li-us
rungen, die durch Zerlegung einzelner Geriisttone oder
Tonschritte in Gruppen von kleinen, rascheren Noten
zustande kommen. - Schon der hoch- und spatmittel-
alterlichen Musiklehre war die D.s-Technik gelaufig,
doch fiel sie hier in der Regel unter den Begriff der
-»■ Flores, so daB die Bezeichnung D. (J. de Muris.CS
III, 62a ff.) bis ins 15. Jh. nur selten begegnet. - Im 16.
und 17. Jh. versahen Sanger und Instrumentisten ihre
Arien und Partien mit D.en bei der Auffiihrung von
Motetten, Madrigalen, Chansons, Falsi bordoni. Die
Lange und mensurale Ordnung der Partien wurde
dabei nicht verandert. Um keine Satzfehler zu riskie-
ren, sollten wichtige Ausgangstone am Anfang und
Ende des Ornaments moglichst erhalten bleiben. In
den Lehrwerken der Zeit sind Verzeichnisse enthal-
ten, die fiir die haufigsten melodischen Fortschreirun-
gen (Tonwiederholung, Sekunde bis Quinte und Sex-
te, seltener auch fiir den Oktavsprung, steigend und
fallend) und fiir die gebrauchlichsten Klauseln einen
Vorrat ornamentaler Umschreibungen zur Wahl stel-
len, geordnet nach wachsender Schwierigkeit bzw.
Schnelhgkeit. Viele dieser Ornamente haben sich schon
im 16. Jh. zu namentlich benannten Figuren (Groppo,
Tremolo u. a. ; G. dalla Casa 1584) verfestigt und wur-
den vor allem in der instrumentalen -»■ Figuration
verwendet. Da nach dem Bericht vieler Zeitgenossen
die D. im 16. Jh. eher iibertrieben als vernachlassigt
wurde, muBten den Ausfiihrenden wiederholt stren-
ge Beschrankungen auf erlegt werden. Obwohl grund-
satzlich alle Stimmen eines Tonsatzes diminuiert wer-
den durften, sollte die improvisierte Auszierung der
BaBstimme moghchst vermieden werden, weil man
iiber einem instabile fundamentum kein stabile aedificium
bauen konne (H.Finck 1556). Da das gleichzeitige
Diminuieren in mehreren Stimmen oft wenig dis-
zipliniert geschah, forderte H.Finck, es solle immer
nur in jeweils einer Stimme diminuiert werden, wobei
sich die Sanger beliebig abwechseln konnten; nur so
kamen auch die einzelnen Ornamente wirklich zur
Geltung. Begabte Sanger und Spieler durften sich aus
zwei oder mehr Stimmen einen virtuosen Auszug her-
stellen. Auch wo Komponisten in ihren Werken die
D. selbst ausgearbeitet hatten oder der urspriinglichen
(unverzierten) Fassung einen ausgearbeiteten D.s-Vor-
schlag beigaben, war der Ausfiihrende nicht daran ge-
bunden. Andererseits wurden die D.en durchaus nicht
jedesmal neu improvisiert; gerade die beriihmtesten
Virtuosen bereiteten (nach D.Ortiz 1553) die Verzie-
226
Diplakusis
rungen schriftlich vor und studierten die Partien nach
ihrer personlichen Fassung. Diese Freiziigigkeit in der
Ausgestaltung erklart sich daraus, daB im Verstandnis
der Komposition noch immer die mittelalterliche
Scheidung zwischen primarem Geriistsatz und dessen
kaum festgelegter »Ausfiillung« (Contrapunctus simp-
lex und diminutus) gait, und daB ferner - mit den
Worten A.P.Coclicos (1552) - sich das Prinzip der
Komposition von dem des (improvisierten) Kontra-
punkts kaum unterschied (Nam regula compositions a
regula contrapuncti parum differt). - S. Ganassis Opera In-
titulata Fontegara (1535), nur im Ansatz eine Floten-
schule, gilt als alteste gedruckte D.s-Lehre. Sie nimmt
insofern eine Sonderstellung ein, als sie in vier Abtei-
lungen (regole) die zu verzierenden langen Noten zu-
nachst im geraden Verhaltnis, dann in den Proportio-
nen 4:5, 4:6 und 4:7 teilt. Diese und andere rhythmi-
sche Kompliziertheiten sollten offensichtlich das im-
provisatorische Ungefahr der Praxis wiedergeben. Die
spateren italienischen Lehrbiicher bevorzugen ein-
fachere Aufgliederungen. Weitere Lehrbiicher schrie-
ben G.C.Maffei (1562), G. dalla Casa (1584), G.Bas-
sano (1585, 1591), R.Rognoni (1592), L. Zacconi (1592),
G.Diruta (1593) und G.L.Conforto (1593?, 1607).
AuBertialb Italiens scheint die vokale D. keine grofie
Rolle gespielt zu haben. Niederlandische Koloristen
werden im 16. Jh. zwar offer erwahnt, doch sind sie
bisher kaum naher zu bestimmen; in spanischen Be-
sitzungen wurden die instrumentalen -> Glosas ge-
pflegt; auch den deutschen Organisten und Lautenisten
war die -> Kolorierung so vertraut, daB (seit A. G. Rit-
ter 1884) von einer Epoche der »Koloristen« (um 1570-
1620) gesprochen worden ist. Theoretische Erorterun-
gen kamen in Deutschland iiber Ansatze (Coclico 1552,
H.Finck 1556) nicht hinaus. Erst spat entstanden hier
umf angreichere Verzierungslehren (M. Praetorius 1619,
J. Criiger 1654, 1660 u. a.). Zwischen vokaler und in-
strumentaler D. wurde bis ins 17. Jh. kaum unterschie-
den : nach S. Ganassi war die menschliche Stimme Vor-
bild fur instrumentale Verzierungen, wahrend M.
Praetorius umgekehrt die Sanger auf das Beispiel der
Organisten hinwies. Dennoch wurden allmahlich Text
und Silbenqualitat starker beachtet (G.B.Bovicelli
1594) ; zur Zeit der friihen Monodie wandte man sich
schlieBlich mit aller Scharfe gegen das rein virtuose,
gedankenlose Verzieren der Sanger, das nur denen
»einen Ohrenschmaus bereite, die nicht wiiBten, was
mit Leidenschaft zu singen heiBt« (G.Caccini 1601).
Indes wurde die D. unter der Bezeichnung »willkiir-
hche Veranderungen« (im Gegensatz zu den aus der
-> Kolorierung hervorgegangenen und mit abgekiirz-
ten Zeichen geschriebenen »wesenthchen Manieren«)
bis weit ins 18. Jh. hinein gepflegt (Kastraten in der
Neapolitanischen Oper, langsame Instrumentalsatze) ;
selbst im 19. Jh. haben C.Czerny und Fr. Liszt Kom-
positionen Beethovens bisweilen noch diminuiert vor-
getragen.
Ausg. : zu 2) : (Quellen bis 1620) : Locheimer Liederbuch u.
Fundamentum organisandi, Faks. hrsg. v. K. Ameln, Bin
1 925 ; S. Ganassi, Opera intitulata Fontegara (1535), Faks.
d. Boll. Bibl. Mus., Mailand 1934; dass. als: S. Ganassi,
La Fontegara . . . , hrsg. v. E. Dahnk-Baroffio u. H. Peter,
Bin (1956); A. P. Coclico, Compendium musices, Nurn-
berg 1552, Faks. hrsg. v. M. F. Bukofzer, = DM1 1, 9, 1954;
D. Ortiz, Tratado de glosas sobre clausulas . . . , Rom
1553, Faks. u. Obers. hrsg. v. M. Schneider, Bin 1913, Kas-
sel 21936; H. Finck, Practica Musica (1556), 5. Buch,
fibers, v. R. Schlecht, MfM XI, 1879; Fr. T. de Santa
M ARf a, Libro llamado Arte de taner . . . , Valladolid 1 565,
auszugsweise fibers, v. E. Harich-Schneider u. R. Boadella,
Lpz. 1937; G. L. Conforto, Breue et facile maniera d'es-
sercitarsi a far passaggi, Rom 1593(7), Faks. hrsg. v. J.
Wolf, = Veroff. d. Musikbibl. P. Hirsch II, Bin 1922; G. B.
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and Easie Introduction to Practicall Musicke . . . , London
1 597, Faks. hrsg. v. E. H. Felldwes, = Shakespeare Asso-
ciation Fasc. XIV, London 1937, NA hrsg. v. R. A. Har-
man u. Th. Dart, London (1952); M. Praetorius, Poly-
hymnia Caduceatrix (1619), hrsg. v. W. Gurlitt, = GA
XVII, Wolfenbfittel u. Bin 1930; Praetorius Synt. III.
Lit.: zu 1): H. Bellermann, Die Mensuralnoten u. Takt-
zeichen d. XV. u. XVI. Jh., Bin 1858, hrsg. v. H. Husmann
"1964; WolfN; C. Dahlhaus, Zur Theorie d. Tactus im
16. Jh., AfMw XVII, 1960; U. Gunther, Die Anwendung
d. D. in d. Hs. Chantilly 1047, ebenda; dies., Der Ge-
brauch d. tempus perfectum diminutum in d. Hs. Chantilly
1047, ebenda; dies., Die Mensurallehre d. Ars nova in
Theorie u. Praxis, AfMw XIX/XX, 1962/63 ; ApelN.
Lit.: zu 2): A. G. Ritter, Zur Gesch. d. Orgelspiels, 2
Bde, Lpz. 1884; H. Goldschmidt, Die ital. Gesangsme-
thode d. 17. Jh., Breslau 1890, 21892; ders., Verzierungen,
Veranderungen u. Passaggien im 16. u. 17. Jh., MfM XXIII,
1891 ; ders., Die Lehre v. d. vokalen Ornamentik I, Char-
lottenburg 1907; Fr. Chrysander, L. Zacconi als Lehrer
d. Kunstgesanges, VfMw VII, 1891 ; M. Kuhn, Die Ver-
zierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d. 16. u. 17. Jh.,
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f.VadaGambaiml6.u. 17. Jh., = BIMG 11,1, Lpz. 1905;
A. Schering, Zur instr. Verzierungskunst im 18. Jh., SIMG
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dien zur Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melopoie,
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gart u. Bin 1929 ; A. Allerup, Die Musica Practica d. J. A.
Herbst . . ., Kassel 1931 ; W. Apel, Early German Key-
board Music, MQ XXIII, 1937; E. T. Ferand, Die Impro-
visation in d. Musik, Zurich (1939); ders., Die Improvi-
sation, = Das Musikwerk XII, Koln (1956); ders., Uber
verzierte »Parodiekantaten« im friihen 18. Jh., Kgr.-Ber.
Wien 1956; ders., Die Motetti, Madrigali, et Canzoni
Francese . . . diminuti . . . d. G. Bassano (1591), Fs. H.
Osthoff, Tutzing 1961; P. C. Aldrich, J. S. Bach's . . .
Improvised Ornamentation, MQ XXXV, 1949; ders., Or-
namentation in J. S. Bach's Organ Works, NY 1950; I.
Horsley, Improvised Embellishment in the Performance
of Renaissance Polyphonic Music, JAMS IV, 1951 ; R. Ide,
Die melodischen Formeln d. Diminutionspraxis . . . , Diss.
Marburg 1951 ; H. Chr. Wolff, DieGesangsimprovisation
d. Barockzeit, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; H. P. Schmitz,
Die Kunst d. Verzierung im 18. Jh., Kassel 1955 ; V. Duck-
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and Early 17"" Cent., Ann. Mus. V, 1957; D. Stevens, H.
Chr. Wolff, P. C. Aldrich, J. Muller-Blattau, D. Ar-
nold u. a., Beitr. zu: Improvisation in d. Aufffihrungs-
praxisd. 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Koln 1958 ;Fr. Zaminer,
Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat. 3025),
= Mfinchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; E. T.
Ferand, A Hist, of Music Seen in the Light of Ornamen-
tation, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; H. Federhofer, Die D.
in d. Kl.-Werken v. Chopin u. Liszt, Studia musicologica
V, 1963.
Di'oxeian (griech. 8i' S^eiav, »durch einen hohen«
Ton) heiBt bei Philolaos die Quinte, sparer allgemein
-» Diapente genannt.
Diplakusis (von griech. 8i7tXo0<; und &cou<u<;), Dop-
pelt-Horen, meist Folge von Erkrankung eines oder bei-
der Ohren. Bei der D. monauralis echotica und der D.
binauralis echotica werden Tone zweimal nacheinan-
der mit dem erkrankten Ohr bzw. erst mit dem gesun-
den, dann mit dem kranken gehort. D. binauralis dis-
harmonica liegt vor, wenn ein Ton von den beiden
Ohren verschieden hoch gehort wird. D. qualitatis
nannte Revesz die pathologische Erscheinung, bei der
innerhalb eines bestimmten Tonhohenbereiches zwar
Tonhohen unterschieden werden, aber die Qualitat
(etwa gis) unverandert bleibt.
Lit. : G. Revesz, Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern
1946.
15»
227
Diple
Diple, Diplje, ein in Montenegro beheimatetes gedop-
peltes Blasinstrument mit aufschlagender Zunge (ein-
f aches Rohrblatt). Die 5 Grifflocher der beiden Spiel-
rohrensindim Einklang (mit Schwebungen) gestimmt.
D. heiBen auch Sackpfeifen mit Doppelpfeifen (6 Griff-
locher) in Bosnien, Herzegowina und Dalmatien.
Director musices (lat.) ->■ Musikdirektor.
Dirge (d3:jd3, engl.) ist ein Grablied, im weiteren
Sinne auch ein fur Trauer- oder Gedenkfeiern kompo-
niertes Vokal- bzw. (seltener) Instrumentalwerk. Der
Name ist abzuleiten vom Textbeginn der 1. Antiphon
Dirige [Dotnine Deus meus] in conspectu tuo viam meam
(Ps. 5, 9) der Matutin des Officium defunctorum und
begegnet haufig erst seit dem 16. Jh., z. B. bei Shake-
speare: Our solemn hymns, to sullen dirges change (Romeo
and Juliet IV, 5). In neuerer Zeit wurde er u. a. von I.
Strawinsky (In Memoriam Dylan Thomas, D.-Canons
and Song for Tenor Voice, String Quartet, and Four Trom-
bones, 1954) und B.Bartok (For Children, II, Nr 38,
1945) verwendet.
Lit. : Ch. L. Cudworth, Two Georgian Classics : Arne and
Stevens, ML XLV, 1964.
Dirigieren (von lat. dirigere; engl. conducting; frz.
conduire), ein Orchester, einen Chor oder eine Opern-
auffiihrung usw. durch Gesten leiten, die den metri-
schen Ablauf darstellen und die Dynamik und Arti-
kulation andeuten. Der Leiter wird Director musices,
-> Kapellmeister, seit dem 19. Jh. Dirigent (engl. con-
ductor; frz. chef d'orchestre) genannt. - Ein musikali-
sches Kunstwerk kann innerhalb des Rahmens der vom
Komponisten gegebenen Vorschrif ten in verschieden-
ster Weise vorgetragen werden, je nach der Auffas-
sung des Interpreten. Bei Auffiihrung einer Oper,
Symphonie usw. ist aber nicht ein einzelner, sondern
eine groBere Anzahl zugleich tatig, deren individuelle
Auffassungen sich einer gemeinsamen unterordnen
miissen ; der eigentliche vortragende Kiinstler ist dann
der Dirigent. Die Mittel, durch welche derselbe seine
Auffassung zur Geltung bringen kann, sind sehr be-
schrankt, wenigstens wihrend der eigentlichen Auffiih-
rung; in den Proben kann er zumWort seine Zuflucht
nehmen, kann den einzelnen Mitwirkenden Stellen
vorsingen oder auf ihren Instrumenten vorspielen,
Rhythmen mit dem Taktstock aufklopfen usw., doch
verbietet sich das bei der Auffiihrung, und nur die ge-
rauschlosen Bewegungen des Taktstocks und - beson-
ders fiir Dynamik und Ausdruck - der linken Hand
sind heute die Dolmetscher seiner Intentionen. Auch
ein Blick, den er einem Sanger oder Spieler zuwirft,
kann unschatzbare Dienste leisten. Das wichtigste Or-
gan der Mitteilung bleibt aber doch der Taktstock, des-
sen Bewegungen daher eine f eststehende konventionel-
le Bedeutung haben. Grundformen des D.s sind die
1-, 2-, 3- und 4teilige Schlagart :
Die Wahl der Schlagart ist von der vorgezeichneten
Taktart und vom Tempo abhangig; im Allegretto
wird ein 2/4-Takt 2teilig, im Presto einteilig geschla-
gen. Durch Unterghederung entsteht aus der 2teiligen
die 4- oder 6teilige, aus der 3teiligen die 6- oder 9teili-
ge, aus der 4teiligen die 8- oder 12teilige Schlagart. Bei
>C7 1 w Unterghederung durch zwei
fy^-. wird die Bewegungsstrecke
J/ zerlegt; bei Unterghederung
durch drei kann die Schlag-
art der 3teiligen Grundform angedeutet werden. - Un-
ter einem Auftakt versteht man beim D. nicht eine
4
Note oder Notengruppe vor dem Taktstrich, sondern
einen Schlag, der dem ersten Ton vorausgeht, um das
ZeitmaB festzusetzen. Als Auftakt wird im 3/4-Takt
das 3. Viertel geschlagen, wenn der Satz volltaktig
beginnt, dagegen das 2. Viertel, wenn er mit dem
dritten anf angt. Ein Crescendo wird gewbhnlich durch
weiter ausholende Schlage anschaulich gemacht, ein
Diminuendo durch Verkleinerung der Schlage. Die
Dauer einer Fermate wird durch Stillhalten des Takt-
stocks in der Hohe angedeutet, ihr Ende durch eine
kurze Hakenbewegung. - Die moderne Technik des
D.s entwickelte sich seit dem 17. Jh. aus dem -*■ Tactus
der Mensuralmusik, dem einfachen Nieder- und Auf-
schlag (depressio und elevatio). L. Penna (1672) erwahnt
die Unterteilung des Tactus durch ein Wiegen der
Hand (un poco ondeggiando la mano) ; M. Saint-Lambert
(1702) schreibt fiir 3- und 4teilige Taktarten Seitwarts-
schlage vor. Orchesterwerke und italienische und deut-
sche Opern wurden im 17. und 18. Jh. vom Cembalo
aus geleitet; neben dem Kapellmeister am Cembalo,
der den Generalbafi spielte und Einsatze durch An-
schlage auf dem Instrument markierte, sorgte der erste
Violinist, der Konzertmeister, fiir den Zusammenhalt
der Stimmen (auch durch Direktion mit dem Violin-
bogen). Reich besetzte Kirchenmusiken und franzosi-
sche Chor- und Ballettopern wurden mit einem Takt-
stock oder einer Taktrolle dirigiert; der groBe Takt-
stock, mit dem aufgestampft werden konnte, war im
18. Jh. ein Thema unablassiger Kontroversen. Als der
GeneralbaB veraltete, setzte sich allmahlich auch in der
Orchestermusik und in der italienischen und deutschen
Oper das D. mit einem Taktstock durch (Reichardt
1775, Weber und Spohr 1817, Spontini 1820, Mendels-
sohn 1835). Je mehr sich seit den ersten Jahrzehnten
des 19. Jh. die Komponisten vom D. zuriickzogen
(Wagner dirigierte nicht mehr die Urauffiihrungen
seiner spateren Werke), um so mehr entwickelte sich
der Stand des Berufsdirigenten, der nun als Interpret
neben den Komponisten tritt. Neben der Schlagtech-
nik, die nur mehr handwerkliche Grundlage ist, werden
vom modemen Dirigenten Fahigkeit zur Analyse, Pro-
bentechnik und organisatorische Gabe verlangt.
Lit.: A. Pisa, Battuta della musica dichiarata, Rom 1611 ;
E. Loulie, Elements ou principes de musique, Paris 1696,
Amsterdam 1698; M. Saint-Lambert, Les principes du
clavecin, Paris 1702; Mattheson Capellm. ; Quantz Ver-
such ; Bach Versuch ; J. Fr. Reichardt, Ueber d. Pflichten
d. Ripien-Violinisten, Bin u. Lpz. 1776; J. N. Forkel,
Direktion einer Musik, in : Genauere Bestimmung einiger
mus. Begriffe, Gottingen 1780, auch in: K. F. Cramer, Ma-
gazin f. Musik I (1783), S. 1039ff. ; C. L. Junker, Einige d.
vomehmsten Pflichten eines Capellmeisters, Winterthur
1782; F. S. Gassner, Dirigent u. Ripienist, Karlsruhe
1844; H. Berlioz, L'art du chef d'orch., in: Traite d'in-
strumentation . . ., Paris 1856; R. Wagner, Ober d. D.,
Lpz. 1 869 ; E. M. E. Deldevez, L'art du chef d'orch., Paris
1878; M. Kufferath, L'art dediriger Torch., Briissel 1891,
21901 ; F. Weingartner, Obsr d. D., Bin 1895 ; ders., Rat-
schlage f. Auffuhrungen klass. Symphonien I— III, Lpz.
1906-23; E. Vogel, Zur Gesch. d. Taktschlagens, JbP V,
1898; R. Schwartz, Zur Gesch. d. Taktschlagens, JbP
XIV, 1907; R. Cahn-Speyer, Hdb. d. D., Lpz. 1909, 21919;
A. Chybinski, Beitr. zur Gesch. d. Taktschlagens, Lpz.
1912; H. Lobmann, Zur Gesch. d. Taktierens u. D., Diis-
seldorf 1912; G. Schunemann, Gesch. d. D., = Kleine
Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913 ; Fr. Mikorey,
Grundziige einer Dirigentenlehre, Lpz. 1917; C. Krebs,
Meister d. Taktstocks, Bin 1 9 1 9 ; A. Boult, A Hdb. on the
Technique of Conducting, London 1921, 21949; A. Seidl,
Moderne Dirigenten, Bin 1922; A. Weismann, Der Diri-
gent im 20. Jh., Bin 1925; G. Becking, Der mus. Rhyth-
mus als Erkenntnisquelle, Augsburg 1 928, Neudruck Darm-
stadt 1958; A. Carse, Orchestral Conducting, London
1929; ders., The Orch. from Beethoven to Berlioz, Cam-
bridge 1948; H. Scherchen, Lehrbuch d. D„ Lpz. 1929,
228
Discantus
Mainz 21956, engl. London 1933; H. W. v. Waltershau-
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D., Bin 1943, 21954; W. Erhard, The Eloquent Baton,
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3 1956; B. Grosbayne, A Bibliogr. of Works and Articles
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of Modern Orchestral Conducting, Cambridge (Mass.)
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ren u. Folgen in Chor u. Orch., in: Hohe Schule d. Mu-
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praxis in Deutschland zwischen 1780 u. 1850, =Neue
deutsche Forschungen CLXXVII, Abt. Mw. VI, Bin
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1950; M. Rudolf, The Grammar of Conducting, NY
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d'orch., Rom 1951 ; Cl. W. Holsinger, A Hist, of Choral
Conducting ..., Diss. Northwestern Univ. (111.) 1954,
maschr. ; M. Bowles, The Art of Conducting, NY 1959,
engl. Ausg. als: The Conductor, London 1961.
Dirty tones (d'a: jti to:nz, engl., schmutzige Tone),
Jazzbezeichnung fur unreine, haufig gepreBt intonierte
Tone (-> Hot-Intonation), die aus dem vitalen Musi-
zieren Afrikas iiber die Negerfolklore der USA in
Gesang und Instrumentaltechnik des Jazz gelangten.
Im friihen Jazz (New Orleans) haben die D. t. als
Ubertragung der Musiziervorstellung der Neger auf
europaische Instrumente zu gelten, so daB ihnen dort
weniger ausdruckshafte Bedeutung zukam. In der Ent-
wicklung des Jazz bis zur Swing-Ara wurden sie je-
doch immer starker zu expressiven Elementen umge-
bildet und dann u. a. als Wa-wa- und Growl-Effekte
bewuBt eingesetzt.
Discantus (mittellat.), einer der mittelalterlichen Na-
men artifizieller Mehrstimmigkeit, der im 12. Jh. in
Analogie zu ->• Diaphonia gebildet wurde, wortlich
»Auseinandergesang« bedeutet und sowohl die Gegen-
stimme zu einem Cantus als auch den Komplex von
zwei oder mehr Stimmen bezeichnen konnte. Der D.
beruht auf den Konkordanzen Oktave (Einklang),
Quinte und Quarte und deren Abwechslung und auf
dem Prinzip der Gegenbewegung (mit Stimmkreu-
zung) und unterscheidet sich vom gleichzeitigen-*- Or-
ganum, bei dem ein Konkordanzensatz mit kolorier-
tem Duplum und dementsprechend gedehnten Can-
tustonen, also mit einer ungleichen Art der Stimmen
vorgetragen bzw. aufgezeichnet wird, grundsatzlich
durch die Ton-gegen-Ton-Gemessenheit und dement-
sprechend durch die Gleichartigkeit, namlich den Can-
tuscharakter der Stimmen, deren »auseinander«-tonen-
des Zusammenpassen durch die Konkordanzen und
seit Ende des 12. Jh. auBerdem durch die exakte Men-
surierung aller Stimmen geregelt ist. - Erstmalig be-
gegnet der Terminus D. in dem von A. de Lafage, zu-
letzt von A. Seay edierten anonymen Traktat des spate-
ren 12. Jh., wo betont ist, »daB die diskantierende Stim-
me nicht mehr Noten haben soil als der Cantus « (. . . ne
d. plures punctos habeat quam cantus, quia aequali punc-
torum numero atnbo debent incidere . . . Organum autem
non aequalitate punctorum sed infinita multiplicitate . . .
cantui suo concordat . . . , ed. Seay 33 u. 35), und wo ein
Exemplum gegeben wird,
m
lum-bi
Ubertragung der Buchstabennotation. o = Can-
tus, m = Discantus. Textunterlegung nach dem
Antiphonale Monasticum von Lucca (Paleogra-
phie mus. 1, IX, 535).
das in seiner Art zuriickweist auf die Mehrstimmig-
keitslehre der Traktatengruppe um und nach 1100 (J.
Affligemensis, De musica, cap. XXIII; Mailand, Bibl.
Ambr. M 17 sup., f. 56ff.; Montpellier, Fac. de med.
H 384, f. 122f.). Hier werden D. und Organum noch
ungeschieden behandelt und ahnliche, wohl noch pri-
mar fiir Stegreifausfiihrung gemeinte Strukturen unter
dem Namen organum vel diaphonia beschrieben, wo-
bei letztere freilich bereits als »zweifacher Cantus« (du-
plex cantus, dualis vox) erklart wird (worin das irrtum-
liche Verstandnis von d. als biscantus sich ankiindigt).
Dabei besteht zunehmend die Tendenz, den Cantus, zu-
mal bei dessen tieferer Lage, als Unterstimme zu fiih-
ren, wodurch er zum Trager der Klange und Klangfol-
gen wird und die Quarte ihre Geltung als perf ekte Kon-
kordanz zu verlicren beginnt. In dem 2st. Repertoire
des St. Martial-Kreises und des Codex Calixtinus sind
zahlreiche Stticke oder Abschnitte in Art des friihen D.
gebildet: Note gegen Note syllabisch oder melisma-
tisch (Melisma gegen Melisma), wobei die Neumen-
schrift den Rhythmus noch nicht oder erst in Ansatzen
fixiert, der aber in den syllabischen Partien durch den in
der Regel rhythmischen Text gegeben sein mag.
In der Epoche von -> Notre-Dame gewinnt der D.
zunehmend an Geltung. Bei den im Magnus liber organi
uberlieferten 2st. Choralbearbeitungen (organa dupla)
des optimus organista Leoninus liegt das Schwerge-
wicht der Gestaltung noch auf den organalen Partien,
die jedoch dort, wo der Choral melismatisch ist, in
D.-Partien ubergehen. Hier werden in den Note-ge-
gen-Note-Satz zugunsten des Melodieflusses harmo-
nisch freie, oft dissonierende, also in kiirzerer Dauer
vorzutragende Tone eingefiigt,
r' Q p' f 3 * )
P 1*" )
)
-j£— — | [ — ^=i+ — _
rt } -• ' *
yJL
^ ex
se -
mi - - ne
Ubertragung des Anfangs der Diskantpartie »ex
semine« aus dem Organum duplum Alleluya.
Nativitas in der Fassung W\, i. 42.
wodurch von der Harmonik her ein dem 1. Modus
(J J) entsprechender Rhythmus entsteht, der wohl als
Ausgangspunkt der dann systematisch durch die Art
der Ligaturenfolge zur Schrift gebrachten Modal-
rhythmik anzusehen ist. Als Merkmal des D. gegen-
iiber dem Organum gilt seitdem (erstmals formuliert
von J. de Garlandia) die vollstandige Mensurierung
aller Stimmen, wodurch auch melodisch und harmo-
nisch der kompositorische Vorgang sich steigert im
Sinne von Verdichtung, Mannigfaltigkeit und Gestal-
tungsfreiheit. Zur Zeit und wohl weitgehend als Lei-
stung des Perotinus, den der englische Anonymus IV
(CS 1 342a) als optimus discantor riihmt, sind alle Stim-
men des nun auch 3- und 4st. Satzes modalrhythmisch
notiert, und es erfolgt neben dem NeuschafEen von
Choralbearbeitungen ein Umgestalten der uberliefer-
ten Organa. Dabei gewinnen die D.-Abschnitte (die
diskantierenden Clausulae sive puncta) an Zahl, Aus-
dehnung und Kunst,
229
Discantus
Ubertragung des Anfangs der Diskantpartie sex
semine« aus dem Organum triplum Alleluya.
Nativitas in der Fassung W\, f. 11.
und alte wie neue Klauseln werden in gesonderten
Faszikeln zu wahlfreiem Einsetzen in die Organa zu-
sammengestellt. Zumal in der Bereicherung der rhy th-
mischen Formeln des Tenors und seiner wiederhol-
ten Durchfiihrung und in der Anwendung der wohl
zuerst von J. de Garlandia so genannten Colores (ed.
Cserba 226f.), deren wichtigste Art die (oft auch vari-
ierende) Melodiewiederholung in der gleichen oder
einer anderen Stimme ist (per quam notitiam auditus
suscipit placentiam), entfaltet sich die Kunst des Kom-
ponisten. Aus den Klauseln entsteht, durch Unterle-
guhg rhythmischer lateinischer Texte, welche die im
Tenor gebotenen Worte des Chorals tropieren, die
->■ Motette, genauer : zunachst der Choralbearbeitungs-
tropus, der anfangs wohl noch ins Organum einge-
setzt werden konnte, dann aber in verselbstandigter
und zunehmend auch in neugeschaffener Form auf tritt
und den Namen motetus von dem vulgarsprachlichen
motet, also von der erst spater einsetzenden franzosi-
schen Textierung oder Umtextierung der D.-Satze,
ubernommen zu haben scheint. (Die »ex semine*-
Klausel im 3. Beispiel findet sich lateinisch textiert in-
nerhalb der entsprechenden Choralbearbeitung in den
englischen Worcester-Fragmenten, als dreistimmige
franzosische Motette in W2 und als lateinische Doppel-
motette in den -*■ Quellen Mo, Ba, Hu.) Der »dis-can-
tus« der Klauseln und Motetten erweist sich in der
Tat als ein aus mehreren Cantus bestehender Satz (D.
est aliquorum diversorum cantuum consonantia, Franco von
Koln, CS 1, 118b) ; diese sind tonal ein Ergebnis desprae-
existenten Cantus, insofern sich dessen Tonart auf
Grund der perfekten Konkordanzen des Harmoniege-
riists sozusagen automatisch in Quint- oder Oktavtrans-
position auf die Oberstimmen projiziert (vgl. 3. Bei-
spiel), - weshalb in den Choralbearbeitungen das Aus-
tauschen von Klauseln moglich war und iiberhaupt
das Komponieren mehrstimmiger Musik weitgehend
noch im 13. Jh. einen seinem Wesen nach anonymen
Vorgang darstellt. Die »mathematische Art« des D., die
sich dann auspragt, daB die Tone der perfekten Klange
sowohl in ihrer Beziehung zum Tenor als auch in suk-
zessiver Relation in sich ruhen, hat zur Folge, daB
Stimmen hinzukomponiert und weggelassen werden
konnen, wie es auf dem franzosischen Festland der
Oberheferungsbefund der Klauseln und Motetten des
13. Jh. in unzahligen Fallen erweist. (Der D.-Satz im
3. Beispiel findet sich in Fund W 2 insgesamt 6mal auch
ohne Triplum.)
Seit Mitte des 13. Jh. ist der D., machtig gefordert durch
die von Franco kanonisierte Mensuralnotation, auf dem
franzosischen Festland die ausschlieBhch gepflegte mehr-
stimmige Kompositionsweise in den fur die -*■ Ars an-
tiqua bezeichnenden Gattungen, in deren Mittelpunkt
die Motette steht und der weltliche Liedsatz sich aus-
zubilden beginnt. J. de Garlandia gliedert urn 1240
die Musica mensurabilis, insgesamt Organum generate
genannt, in die drei Spezies D., Copula und Orga-
num speciale (CS 1, 175, und ed. Cserba 211 und 224).
Bei Franco von Koln (wohl kurz vor 1250) tritt das
Organum, als partim mensurabilis charakterisiert, be-
reits stark in den Hintergrund gegeniiber dem in alien
Stimmen mensurierten D., der in simpliciter prolatus,
truncatus (= -»• Hoquetus) und copulatus (= -»■ Co-
pula) unterteilt wird, wobei zur ersteren Art - nach
dem Unterscheidungsmodus cum littera (cum eadem
vel cum diversis), aut sine et cum littera - die Spezies
Cantilena, namentlich Rondellus (frz. rondeau), fer-
ner Motetus und Conductus zahlen (CS 1 118 und 130).
In England gliedert W. Odington urn 1320 den Can-
tus organicus in die beiden Genera Organum purum
(et hoc genus antiquissimum est) und D. und beschreibt
als dessen Spezies neben Conductus, Copula, Motetus
und Hoquetus den Rondellus im Sinne des Stimm-
tausch-Stiicks (CS 1, 245ff .), das zu den Besonderheiten
des D. in England gehort. Diese sind bereits am »Som-
merkanon« und fur die Zeit bis Mitte des 14. Jh. be-
sonders an dem geistlichen, den Marienkult bevorzu-
genden Repertoire der Worcester-Fragmente zu stu-
dieren mit ihrer englischen Art der Choralbearbeitung,
die den »Halteton«-Stil kaum kennt und ganz oder teil-
weise tropisch textiert ist, ihren lateinischen Motetten,
die grundsatzlich nicht auf Klauseln zuriickgehen und
haufig auch iiber freie Tenores (pedes) gebildet sind,
ihren Ordinariumssatzen, Rondelli una Conductus,
deren einige schon hier annahernd den Schematismus
der jeweils in den |-Klang fiihrenden ^-Ketten zeigen.
Obertragung vom Anfang des Conductus cum
cauda Beata viscera Mariae virginis, Wore, Frag-
ment XIX, f. a2 (ed. Dittmer Nr 91).
Dabei beruhren und durchdringen sich die verschie-
denen Kompositionsspezies und neigen zur Funda-
mentbezogenheit des Satzes, zur Strebigkeit der im-
perfekten Klange, zu Vielstimmigkeit, groBem Klang-
raum, Stimmtausch und kanonischer Bildung. Indes-
sen wird in Italien der schriftmaBig ausgearbeitete
mensurierte D. erst seit dem beginnenden 14. Jh.
greifbar imd gelangt in den Madrigalen, Caccien und
Ballaten des Trecento zu eigenstandiger Bliite.
Dagegen stehen in der franzosischen -»• Ars nova wei-
terhin die Motette, seit Ph. de Vitry in isorhythmischer
230
Discantus
Form, und der durch G. de Machaut voll ausgebildete
Kantilenensatz der Balladen, Rondeaux und Virelais
im Mittelpunkt des Komponierens,
Triplum
[Cantus]
Tenor
rfrC r . rpr p,rr ^
^
^m
gra-ci
J J J J J-
G. de Machaut, Anfang des Rondeau Nr 1.
das nun in besonderem MaBe nach rhythmischer Sub-
tilitas und harmonischer Dulcedo strebt: durch Syn-
kopen, durch Aufschub, Auslassung und Vorwegnah-
me von Tonen, durch Vorhalte, Durchgange und
Wechselnoten sowie durch Folgen von imperfekten
Klangen und ein Sich-Ausbreiten der SchluBbildun-
gen zuriick ins Satzinnere gewinnt die Harmonik, wie-
wohl sie sich weiterhin aus melodisch eigenstandigen,
tonal voneinander abhangigen Stimmen konstituiert,
einen zu den Endpunkten der Klauseln hin gerichteten
Bewegungszug (das 5. Beispiel beginnt, entsprechend
dem Wort Doulz, mit einer Paenultimabildung vor g,
dem Finalklang des Satzes). In Traktaten der Schule
Vitrys und J. de Muris nach 1325 wird der D. erstmals
unter dem Namen Contrapunctus (->■ Kontrapunkt)
gelehrt. Dessen buchstabliche Bedeutung »punctus con-
tra punctum« war in alteren D.-Beschreibungen bereits
angelegt, und im 14. Jh. stehen beide Namen noch ne-
beneinander; gelegentlich wird sogar der Contrapunc-
tus als »cantus contra cantum«, also noch ganz im Sinne
des D. umschrieben (vgl. Prosdocimus de Beldemandis,
Contrapunctus, Beginn von Cap. I, CS III 194a). Doch
setzt sich dann das neue Begriffswort ofienbar in dem
MaBe durch, in dem der musikalische Satz primar
nicht mehr als ein solcher aus mehreren Cantus be-
griffen wurde, sondern als intervallisches Messen von
Tonen uber einem Klangtrager mit zunehmend eigen-
standig harmonischen Strebigkeiten.
Der improvisierte Diskant (d. ex improviso, d. sim-
plex; frz. -*■ dechant), welcher abseits von den Zen-
tren kunstvoller Mehrstimmigkeit die alte (diapho-
ne) Art iiber das 13. Jh. hinaus fortsetzt, ist das in
zahlreichen Traktaten beschriebene, auch in schrif tlich
fixierten Satzen greifbare extemporierte mehrstim-
mige Singen »iiber dem Buch« der liturgischen Gesan-
ge (d. supra librum, frz. dechant sur le livre). Dabei
handelt es sich um ein Stegreifsingen im wesentlichen
Note gegen Note, in langsamem ZeitmaB, nicht men-
suriert, unter Beachtung der Gegenbewegung und
Varietas der KlangqualitSten, wobei die perfekten
Klange das MaBgebende sind, zwischen denen 1-3 im-
perfekte »durchgehen« dtirfen, und die Gegenstimme
stufenweise oder in moglichst kleinen Intervallen ge-
fiihrt wird. Bei 3st. Ausfiihrung wird jeder D. unab-
hangig vom anderen zum Tenor gebildet. Als Contra-
punctus simplex, Contrappunto alia mente, -*■ Sorti-
satio wird der improvisierte D. bis ins 17. Jh., in Frank-
reich bis ins 18. Jh. beschrieben und gelehrt. - Eine
Sonderart des improvisierten D. ist der von M.F.Bu-
kofzer so genannte »EngUsche Diskant«, der seit dem
spaten 14. Jh. auch in Traktaten gelehrt wird, meist in
der Vulgarsprache (R.Cutell, L. Powers Tretis . . . up-
on the Gamme, Anonymus Pseudo-Chilston u. a.). Die
Improvisation der Stimmen (Mene, Treble, Quatreble)
geschieht hier mittels transponierender Leseweisen
(-»- Sight), wobei der notierte Plainsong als Unter-
stimme erklingt, wenn nicht auch der Sight des Coun-
tertenor, Counter oder Faburden erfolgt; Parallelen
von (hochstens fiinf gleichen) imperfekten Intervallen
(acordis) werden als angenehm (fair and merry) cha-
rakterisiert. Bei den nach Art dieser Improvisation auf-
geschriebenen Stiicken ist die Stimmfuhrung freier,
und der C. f. liegt, fiir die damalige englische Musik
bezeichnend, oft in der Mittelstimme, wodurch die
Unterstimme besonders an den Klauseln diezurKlang-
bildung notige Freiheit gewinnt. Der englische D. stent
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem -> Fa-
burden.
Ausg. : -> Quellen : Calixtinus, Wj , W 2 , MfiA, CI, Ba, Da,
Mo, Hu, Tu, Wore, Fauv.
Lit.: Anonymus, hrsg. v. J. A. de Lafage, in: Essais de
diphtherographie mus., Paris 1864, Neudruck Amsterdam
1964, S. 355ff„ u. v. A. Seay, An Anon. Treatise from St.
Martial, Ann. Mus. V, 1957, d. Abschnitt fiber D. u. Or-
ganum auch hrsg. v. J. Handschin, AMI XIV, 1942, zuvor
ZfMw VIII, 1925/26, S. 333ff.; Discantus positio vulgaris,
J. de Garlandia, De musica mensurabili positio, Magistri
Franconis Ars cantus mensurabilis, hrsg. v. S. M. Cserba,
in: H. de Moravia . . ., = Freiburger Studien zur Mw. II,
Regensburg 1935, auch CS I, 94ff., 97ff., 1 17ff. ; J. de Gar-
landia in anderer Fassung: CS I, 175ff. ; Magistri Franco-
nis Ars . . . , Neudruck nach CS I u. Faks. v. 2 Hss., hrsg. v.
Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl. XV/XVI, Darmstadt
1957 ; Anonymus IV, CS I, 327ff.
Fr. Ludwig, Repertorium ... I, 1, Halle 1910, 1, 2 u. II,
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa Musicae Medii Aevi
VII-VIII, Langen 1961-62; ders., Die Quellen d. Mo-
tetten altesten Stils, AfMw V, 1923, Neudruck in: Summa
... VII, Langen 1961 ; ders., Die geistliche nichtliturgi-
sche, weltliche einst. u. d. mehrst. Musik d. M A . . . , Adler
Hdb.; J. Wolf, Ein Beitr. zur Diskantlehre d. 14. Jh.,
SIMG XV, 1913/14; Riemann MTh; J. Handschin, Eine
wenig beachtete Stilrichtung .... SJbMw I, 1924; ders.,
Zur Gesch. d. Lehre v. Organum, ZfMw VIII, 1925/26;
ders., Der Organum-Traktat v. Montpellier, in: Studien
zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; ders., Aus d.
alten Musiktheorie, AMI XIV, 1942 - XV, 1943; ders.,
The Summer Canon . . ., MD III, 1949 u. V, 1951; A.
Hughes OSB, Worcester Medieval Harmony, Nashdom
Abbey 1928, dazu J. Handschin in: ZfMw XIV, 1931/32;
ders. in : The New Oxford Hist, of Music II, London 1954;
R. v. Ficker, Primare Klangformen, JbP XXXVI, 1929;
ders., Polyphonic Music of the Gothic Period, MQ XV,
1929; ders., Der Organumtraktat d. Vatikanischen Bibl.,
KmJb XXVII, 1932; ders., Zur Schopfungsgesch. d.
Fauxbourdon, AMI XXIII, 1951; H. Besseler, Studien
zur Musik d. MA, AfMw VII, 1925-VIII, 1926; ders., Die
Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb.; ders.,
Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; H. Sowa, Ein anon,
glossierter Mensuraltraktat 1279, = Konigsberger Studien
zur Mw. IX, Kassel 1930; S. B. Meech, Three XV'-Cent.
Engl. Mus. Treatises .... Speculum X, 1935; M. F. Bu-
kofzer, Gesch. d. engl. Diskants ..., StraBburg 1936;
ders., Popular Polyphony . . ., MQ XXVI, 1940; ders.,
»Sumer is icumen in«, A Revision, in : Univ. of California
Publications in Music 11,2, Berkeley 1 944 ; ders., Studies in
Medieval & RenaissanceMusic.N Y 1 950 ;Thr.G.Georgia-
des, Engl. Diskanttraktate . . . , = Schriftenreihe d. Mw.
Seminars d. Univ. Munchen III, Munchen 1937; E. T.
Ferand, Die Improvisation in d. Musik, Zurich (1939) ; Y.
Rokseth, La polyphonie parisienne du XHI e s., in : Les ca-
hiers techniques de Part 1,2,1 947 ; A.Geering, Die Organa
u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deutschen Sprachgebie-
tes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d. Schweizerischen
231
Discordantia
Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952); E. Walker, A
Hist, of Music in England, Oxford 3 1952, hrsg. v. J. A.
Westrup ; L. A. Dittmer, The Worcester Music Fragments,
Diss. Basel 1952, maschr., Auszug Basel 1955; ders., An
Engl. DiscantuumVolumen, MD VIII, 1954; W.G.Waite,
D., Copula, Organum, JAMS V, 1952; E. Apfel, Der
Diskant in d. Musiktheorie d. 12. bis 15. Jh., Diss. Heidel-
berg 1953, maschr.; ders., Der klangliche Satz u. d. freie
Diskantsatz im 15. Jh., AfMw XII, 1955; ders., Studien
zur Satztechnik d. ma. engl. Musik, 2 Bde, = Abh. d. Hei-
delberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1959,
Nr 5 ; ders., Zur Entstehung d. realen 4st. Satzes in Eng-
land, AfMw XVII, 1960; ders., England u. d. Kontinent
in d. Musik d. spaten MA, Mf XIV, 1961 ; ders., Ober ei-
nige Zusammenhange zwischen Text u. Musik . . . , AMI
XXXIII, 1961 ; ders., Uber d. 4st. Satz . . ., AfMw XVIII,
1961 ; S. W. Kenney, »Engl. Discant« and Discant in Eng-
land, MQ XLV, 1959; Fr. Zaminer, Der Vatikanische
Organum-Traktat (Ottob. lat. 3025), = Munchner Veroff.
zur Mg. II, Tutzing 1959; R. L. Crocker, Discant, Coun-
terpoint and Harmony, JAMS XV, 1962; R. H. Perrin,
Descant and Troubadour Melodies : A Problem in Terms,
JAMS XVI, 1963; Br. Stablein, Modale Rhythmen im
St-Martial-Repertoire?, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963. HHE
Discordantia (auch Discordia, von lat. discordare,
nicht iibereinstimmen) bezeichnet in den musiktheore-
tischen Schriften des Mittelalters alle diatonischen In-
tervalle, welche keine -» Concordantiae sind. Seit dem
13. Jh. werden sie eingeteilt in Discordantiae perfectae
(kleine Sekunde, Tritonus, kleine Sexte, groBe Septi-
me) und imperfectae (groBe Sekunde, grofie Sexte,
kleine Septime), gelegentlich sind groBe Sekunde und
kleine Sexte auch in einer eigenen Gruppe als Discor-
dantiae mediae zusammengefaBt. Dissonantia wird
nicht selten synonym mit D. gebraucht, bezieht sich
jedoch haufiger nicht auf bestimmte Intervallgrup-
pen, sondern dient der Beschreibung von Ungereimt-
heiten in Komposition und Wiedergabe: Dissonantia
. . . perfalsitatem . . . subrepit (Guido von Arezzo, CSM
IV, 134), oder dernegativen asthetischen Beurteilung:
was dem einen als dulcissimum erscheine, werde von an-
deren als dissonum . . . atque omnino incompositum emp-
funden (Johannes Affligemensis, CSM I, 110). Im posi-
tiven Sinne bezeichnet Dissonantia den »auseinander-
klingenden« Charakter der ->■ Diaphonia.
Disdiapason (griech. 81? Sia 7iaaaW, zweimal durch
alle; -> Diapason - 1), s. v. w. Doppeloktave.
Diskant, eine hauptsachlich im 16. Jh. und vor allem
in Deutschland gebrauchliche Bezeichnung fur die
oberste Stimme eines mehrstimmigen Satzes. Ihr Alter
laBt sich nicht genau f eststellen ; doch muB sie schon
um die Mitte des 15. Jh. ublich gewesen sein, da viele
der in den Trienter Codices enthaltenen 4st. Satze der
traditionsgemaB unbezeichneten Oberstimme einen
Discantus secundus gegeniiberstellen. Wahrend die
Stimmbezeichnung D. fortan auBerhalb Deutschlands
nur vereinzelt auftrat (haufiger: Prima vox, Superius,
Supremus, Sopran, Treble, Cantus), wurde sie in
Deutschland seit dem Glogauer Liederbuch besonders
im Tenorlied regelmaBig verwandt, offenbar in An-
lehnung an die Bezeichnung fur die alte Praxis des
Ubersingens (»Diskantierens«) eines Tenors. Dabei
wurde aus der relativ hoheren Stimme des alten Dis-
kantierstimmensatzes die absolut hochste Stimme eines
vollstimmigen Satzes, dessen einzelne Stimmen durch
die Herausbildung charakteristischer Lagen den gan-
zen der menschlichen Stimme zuganglichen Tonraum
ausmessen und gliedern. Die Aufgabe, die absolute
Diskantlage darzustellen, fiel den Knaben zu, welche
nunmehr als Diskantisten - so nennt sie noch J. S. Bach -
die im Mittelalter als Norm gedachte Mannerstimmen-
besetzung nicht mehr nur aufhellen, sondern erwei-
tem. - In ahnlichem Sinne diente D. vor allem dem 16.
und beginnenden 17. Jh. als Bezeichnung fur die klein-
ste Spezies eines in Choren gebauten Instruments wie:
D.-Viole, D.-Blockflote, D.-Pommer, D.-Zink und
D.-Posaune. - Gegen Ende des 16. Jh. wurde der Na-
me D. mit dem Vordringen der Oberstimmenmelodik
sinnwidrig und deshalb in Deutschland allmahlich
durch Cantus ersetzt (so schon fast durchgangig bei
M.Praetorius), hielt sich aber vereinzelt bis ins 19. Jh. -
Die Orgelkunde versteht unter D. ein Register, dessen
Umfang auf die obere Halfte der Klaviatur beschrankt
ist, jedoch gern durch ein entsprechendes BaBregister
erganzt wird (z. B. Oboe - Fagott).
Diskographie (von frz. disque, Schallplatte), Be-
zeichnung fur Schallplattenverzeichnis. Die D. ent-
stand aus dem Bestreben des Schallplattenhandels, dem
Kaufer in Form von Lagerkatalogen eine Obersicht
uber die im Handel befindlichen Schallplatten zu ge-
ben. Die erste D. dieser Art, The Gramophone Shop
Encyclopedia of Recorded Music von R.D.Darrell (New
York 1936, erweiterte Auflagen 1942 und 1948), eroff-
nete die lange Reihe der heute unentbehrlichen kom-
merziellen D.n: Bielefelder Schallplattenkatalog sowie
ab 1964 Der grofie Schallplatten Katalog (Deutschland),
Guide du disque (Frankreich), Record Guide bzw. Re-
cord Year (England), Records in Review und die Zeit-
schrift Gramophone Shop Monthly Supplement (USA). -
Aus der Erfahrung, daB Handler^ und Firmenkataloge
der Bedeutung der Schallplatte als eines musikgeschicht-
lichen Dokumentes nicht gerecht werden, schufen Fr.
F.Clough und G.J.Cuming in der bisher umfassend-
sten D. The World's Encyclopaedia of Recorded Music
(London 1952, Supplemente 1953 und 1957) eine wis-
senschaftliche Bibliographie aller Schallplattenaufnah-
men seit 1925 (ausgenommen Unterhaltungsmusik
und Jazz). Die friihen Aufnahmen von 1898 bis 1909
hat R.Bauer-Mailand in The New Catalogue of Histori-
cal Records (London 1947) erfaBt. Die Lucke zwischen
1909 und 1925 ist nur fur den amerikanischen Bereich
annahernd geschlossen durch J.M.Moses, Collector's
Guide to American Recordings 1895-1925 (New York
1949). Eine vollstandige D., die fortlaufend auch die
jiingsten Titel verzeichnet, bleibt als vordringliche
Aufgabe der Musikbibliographie bestehen. - Spezielle
D.n uber einzelne Werke, Interpreten und Kompo-
nisten bringen hauptsachlich die zahlreichen Schall-
plattenzeitschrif ten, die auch uber die wichtigsten Neu-
erscheinungen unterrichten, z. B. Fonqforum (Deutsch-
land), Phono (Osterreich), Disques (Frankreich), Musica
e dischi (Italien), The Gramophone (England), American
Record Guide (friiher The American Music Lover, USA).
- Besondere Bedeutung kommt der Jazz-D. zu, da
man die Entwicklung des Jazz infolge fehlender schrift-
licher Uberlieferung nur an Hand von Schallplatten
genauer verfolgen kann. Jazz-D.n sind gekennzeichnet
durch eine bis in technische Einzelheiten der Auf nahme
gehende Genauigkeit (Namen samtlicher Musiker,
Matrizennummer, Datum und Ort der Auf nahme).
Zu den wichtigsten Jazz-D.n gehoren u. a.: Ch.De-
launay, Hot Discography (Paris 1936) und New Hot
Discography (New York 1948); D.Carey und A.J.
McCarthy, The Directory of Recorded Jazz and Swing
Music (Fordingbridge/Hampshire 1950-55; bisher 5
Bande : A-Kirk) ; H. H. Lange, Die deutsche Jazz-Disco-
graphie (Berlin und Wiesbaden 1955) und Die deutsche
»78«-Discographie der Jazz- und Hot-Dance-Musik 1903-
1958 (Berlin 1966); W.Elmenhorst und W. v. Beben-
burg, Die Jazz-Diskothek (= rowohlts monographien
LV/LVI, Hamburg 1960).
Lit. : Fr. F. Clough - G. J. Cuming, Phonographic Pe-
riodicals, Notes II, 15, 4957/58 ; J. Coover u. R. Colvig,
232
Disposition
Mediaeval and Renaissance Music on Long-Playing Re-
cords, = Detroit Studies in Music Bibliogr. VI, Detroit
1964.
Diskordanz
Discordantia, ->• Konkordanz.
Diskothek (frz. discotheque; engl. gramophone re-
cord library; amerikanisch phonograph record li-
brary), Schallplattensammlung; ->■ Phonothek.
Disposition benennt die jeweils in der Orgel vorhan-
denen -*■ Register und deren Verteilung auf die ->• Ma-
nuale (-> Hauptwerk, ->■ Riickpositiv, ->■ Brustwerk,
Oberwerk,-* Schwellwerk u. a.) und das -» Pedal (- 1),
ferner alle technischen Spielhilfen (-> Kombinationen).
In der Zusammenstellung dieser Register sowie der
Art der klanglichen Proportion der Manuale und des
Pedals zueinander bekundet jede Epoche ihre Eigenart.
-> Positive haben ein Manual, kleinere Orgeln zwei :
Hauptwerk (HW), Brustwerk (BW) oder Riickposi-
tiv (RP) und Pedal (P), groBere drei: HW, Oberwerk
(OW) oder Schwellwerk oder BW, RP und P (frz.
grand orgue, recit, positif, pedale; engl. great organ,
positive organ, swell organ, choir organ, pedal organ).
Viermanualige haben in klassischer Anordnung : HW,
BW, OW, RP, P. Ohne Charakterangabe heiBen sie:
I., II., III. Manual, Fernwerk, Schwellwerk. Friihere
Zeiten haben dargetan, daB nicht Fiille, sondern allein
funktionell klarer Aufbau eine dispositionelle Einheit
erstehen laBt. Der Klang ist durch die Registernamen
nur ungefahr beschrieben. Mensuren und Intonation in
der jeweiligen Raumakustik sind die entscheidenden
Faktoren des Klanges. - Die einmanualige Orgel der
Kathedrale in Mailand (begonnen um 1550 von G. G.
Antegnati) kennt bis auf ein weites Register (ander-
warts 2-3) nur Stimmen der nicht weit mensurierten
Prinzipalfamilie, wahrend vergleichsweise die groBe
3manualige Orgel der Marienkirche zu Danzig (1583-
86 von J.J. Friese erbaut) im Hauptwerk neben der
Prinzipalfamilie mit groBer Mixtur eine Reihe ande-
rer Register (gedeckte, offene und teilweise konische)
zeigt und in den anderen Manualen auch eine Anzahl
Rohrwerke disponiert.
Danzig 1583-86, Hauptwerk
1) GroBprinzipal 16'
2) Quintadena 16'
3) Gedackt (Hohlflote) 16'
4) Octave 8'
5) Spillflote 8'
6) Offenflbte (Viol,
Salizional) 8'
7) Quintadena 8'
8) Oktave 4'
9) Spillpfeife (Viol) 4'
10) Superoktave 2' (Sedecima)
11) Rauschquinte (22/ 3 ' + 2')
12) Zimbel (3fach)
13) Mixtur (24£ach)
Ein weiterer Vergleich der Orgeln verschiedener Epo-
chen zeigt Ansatz und Stilwandel der D.s-Kunst. Die
Register werden in Funktionsgruppen zusammenge-
faBt. Gruppe I enthalt die prinzipalartigen Register mit
den vollbechrigen -*■ Lingualpf eif en und Rohrwerkimi-
tatoren (pleno); Gruppe II umfafit die sogenannten
fiillebetonten oder Weitchorregister (electo). Die III.
der kurzbechrigen Rohrwerke entfallt zumeist im
Hauptwerk und ist darum in den anderen Werkeii zu
vergleichen. Nachfolgend werden Hauptwerke bzw.
Oberwerke f olgender Orgeln gegemibergestellt :
1) Dom- und SchloBkirche zu Prag (1556-88, Fr.
Pfannmuller, Rudner u. a.) ;
2) Biickeburg (1615, E.Compenius, nach M.Prae-
torius) ;
3) St.Nicolai, Hamburg (1686, A. Schnitger, Dresdner
Hs.);
4) Hofkirche zu Dresden (1750, von G. Silbermann be-
gonnen) ;
5) St. Peter in Salzburg (1805, Simplifikationsumbau
nach Abbe Vogler) ;
6) St. Clothilde, Paris (1859, Cavaille-Coll).
Mailand 1550
1) Li contrabassi (24'-Pedal
F32')
2) La principale (16')
3) L'ottaua(8')
4) La duodecima (5 : /3')
5) La quintadecima (4')
6) La decimanona (22/3')
7) La vigesimaseconda (2')
8) La vigesimasesta (IV3')
9) La vigesimanona (1')
10) La trigesimaterza (2/3')
11) La trigesimasesta (V2')
12) II flauto in ottaua de la
principale (8')
1) Prag 1556-88
I Principal 16'
Octave 8'
Octave 4'
Quinte 3' (2*/ 3 ')
Superoctave 2'
Sexta2'(13/ 5 ')
Superquinte l 1 / 3 '
Mixtur lOfach
Cimbel 4fach
II GroBgedackt 16'
Gedackt 8'
Offenflote 4'
Spitzflote 2'
Kiitzialflote 1'
2) Biickeburg 1615
Grofi Principal 16'
GroB Octava 8'
Octava 4'
Mixtur 8-14fach
3) Hamburg 1686
I Principal 16'
Octava 8'
Gr. Kvinta6'(5i/ 3 ')
Octava 4'
Super Octava 2'
Scharff 3fach
Rausch-Pfeiffe 3£ach
Mixtura 8, 9 und lOfach
Trompeta 16'
II Rohr-Flothe 16'
Qvintadena 16'
Spitz-Flothen 8'
Salicional 8'
Flach-Flothe 2'
5) Salzburg 1805
I
Principal 8'
Nassat 5'/3'
Principal 4'
Quinte 2 2 / 3 '
Terz3'/5' (bis as)
Terz 13/s'
Oktav 2'
GroB Quintadehn 16'
GemBhorn 8'
Gedacte Blockpfeiffe 8'
Viol de Gamba 8'
Querpfeiffe 4'
Klein Gedact Blockpfeiff 4'
GemBhorn/Quinta 3'
Klein Flachfloeit 2'
4) Dresden 1750-54
Principal 16'
Principal 8'
Octave 4'
Quinta 3' (22/3')
Octave 2'
Tertia 2' (13/ 5 ')
Mixtur 4£ach 2'
Cimbel l'/ 3 '3£ach
Cornet 5fach ab c'
Fagott 16'
Trompete 8'
Bordun 16'
Viol di Gamba Oder Spielflote 8'
RohrflSte 8'
Spitzflote 4'
6) Paris 1859
Montre 16' (Principal)
Montre 8'
Prestant 4'
Octave 4'
Nasard 2 2 / 3 '
Doublette 2'
Plein-Jeu
Bombarde 16'
Trompette 8'
Clairon 4'
II Gambe 8' Bourdon 16'
Gedackt 4' Bourdon 8'
Gamba 8'
Flute harmonique 8'
Der Vergleich zeigt fur Prag ein voll ausgebautes Ple-
num mit groBer Mixtur (I), auch in II einen abwechs-
lungsreichen Aufbau vom 16' bis 1' ; vollbechrige Zun-
gen sind hier dem Pedal (32' bis 2') zugeteilt; das Grup-
penverhaltnis ist 8 zu 5. E. Compenius bevorzugt die
f arblich sehr reichhaltige Besetzung in II, disponiert in I
weniger Register, dafiir aber eine vielchorige Mixtur;
vollbechrige Rohrwerke stehen ebenfalls im Pedal
(4 zu 8). Bei A. Schnitger steht einem groBangelegten
Plenum mit Trompete 16' eine immerhin noch reich-
haltige Registerzahl vom 16' bis 2' in II gegeniiber
(8 + 1 zu 5). G. Silbermann zeigt ebenfalls einvollstan-
diges Plenum mit schon geringchorigen Mixturen,
Cornet und 2 Rohrwerken, aber Gruppe II ist nur
noch bis zum 4' besetzt (8+3 zu 4). Demgegeniiber
fehlen bei Vogler der 16', Rohrwerke und Mixturen;
der 5 1 /}' soil einen akustischen 16' mit dem 8' erzeugen;
vollig verkummert ist die f arbreiche Gruppe II (7 zu 2,
wobei die Aliquote mehrdeutig sind). Cavaille-Coll
hat ein vollstandiges Plenum mit 3 Rohrwerken, die
Register der Gruppe II aber nicht mehr iiber die Ae-
quallage hinaus (7+3 zu 4). - Die Tendenz einer D.
zur polyphonen Musik erweist sich in einem gesunden
Verhaltnis von Grundton- zu Obertonregistern (hell
auf dunkel). Fur ein akkordisch vollgriffiges Spiel sind
233
Dissonanz
hohe Aliquote storend; polyphon-mehrschichtige Li-
teratur aber braucht sie. Der Vergleich der Aequalton-
lagen zu den Obertonspitzen (auf C) zeigt die Anlage
des Obertonaufbaues, ob er nun 6-7 Oktaven (16'- 1 / 4 /
= 6 Oktaven) oder nur 2 Oktaven umfafit (8'-2'). In
der romantischen Orgel stehen zu viele Aequalregister
und nur wenige aufhellende Obertonstimmen. In iiber-
triebenem Gegensatz dazu wurden manchmal zu weni-
ge Aequal- und zu viele Obertonregister gebaut. Weig-
le disponierte 1901 (Trier) im Hauptwerk:
16' 16' 16' 8' 8' 8' 8' 8' 8' 8' 8' 4' 4' 4' VI,' Mixtur.
Demgegeniiber hat eine Zusammenstellung
8' 4' 4' 4' 22/ 3 ' 2' 2' 13/j' 11/3' 1' l h' Mixtur Cimbel
ein zu schwaches Fundament und zu viele Oberton-
register. Sind sie zu lautstark intoniert, mangelt dieser D.
ebenfalls die polyphone Klarheit. - Zu beurteilen ist
ferner die Klangproportion der einzelnen Manuale zu-
einander, ob sie in klarer, eigenstandiger WerkmaBig-
keit sich befruchtend gegeniiberstehen oder in ihrem
Verhaltnis nur auf Lautstarkedifferenz hin angelegt
sind. Verglichen werden miissen auBer den FuBton-
lagen die Registerarten. So zeigt z. B. J.G.Topfers
Entwurf eines Positivs fiir die Lutherkapelle der Wart-
burg 1855 nur 16'-, 8'- und 4'-Register: Gedackt 16',
Prinzipal 8', Hohlflote 8', Quintadena 8', Harmoni-
ca 8', Flute harmonique 4', Flauto dolce 4'. Demge-
geniiber zeigt das Riickpositiv der Domkirchenorgel
in Hadersleben, erbaut 1951 von Marcussen und Sohn
(Zachariassen), eine Auflichtung durch Obernahme des
bekannten barockdn Registerfundus: Gedackt 8', Prin-
zipal 4', Rohrflote 4', Octave 2', Nasat 11/3', Sesquial-
tera 2fach, Scharf 4£ach, Dulcian 16', Krummhorn 8'.
Folgender D.s-Entwurf (RoBler) weist dariiber hinaus
klangfunktionell weitergreifend neue Formen auf, ins-
besondere im Ausbau der electo-Register: Rohrquinta-
de 8', Prinzipal 4', Octave 2', Octave 1', Cymbel 5fach
auf Ifi , Musiziergedackt 8', Sextade 4', Sesquialtera
2f ach, Dulcian 2', iiberblasende Rohr-Gemsquinte I 1 1 3',
Un-Tredecime, Rohrkrummhorn 16', Gemshornre-
gal 8'. - Die Pedalfunktion ist ebenfalls aus der Anlage
der Register ersichtlich. - Die D . des 2manualigen Cem-
balos ist bei niederlandisch-franzosischen Meistern des
17. Jh. in der Regel: 8' und 4' auf dem unteren Manual,
8' auf dem oberen. Vereinzelt kommen bei deutschen
Kielfliigeln des 18. Jh. (Hase; J. Chr. Fleischers Theor-
benfliigel 1718) unten 8', 16' und oben 8', 4' vor. Die
gewohnliche D. fiir ein 3manualiges Cembalo ist un-
ten 8', 8', in der Mitte 8', 4'. Das einmanualige italieni-
sche Cembalo hatte zwei verschieden intonierte 8'-
Beziige, das franzosische (8') 8', 4'.
Lit. : Praetorius Synt. II ; Adlung Mus. mech. org. ; H. H.
Jahnn, Die Org. u. d. Mixtur ihres Klanges, Klecken 1922;
Dresdener Hs., hrsg. v. P. Smets, Kassel 1930; C. Eus,
Neuere Org.-D., Kassel 1930; H. Spies, Abb6 Vogler u. d.
v. ihm simplifizierte Org. v. St. Peter in Salzburg, = Or-
gelmonographien V, Mainz 1932; G. Frotscher, Deut-
sche Org.-D. aus 5 Jh., Wolfenbiittel 1939; Kn. Jeppesen,
Die ital. Orgelmusik am Anfang d. Cinquecento, 2 Bde,
Kopenhagen 1943, 21960; W. Supper, Die Org.-D., Kas-
sel 1950; H. Grabner, Die Kunst d. Orgelbaues, Bin u.
Wunsiedel 1958; Chr. Mahrenholz, Grundziige d. Dis-
positionsgestaltung d. Orgelbauers G. Silbermann, Af Mw
XVI, 1959, auch in: Musicologica et Liturgica, Kassel
1960.
Dissonanz (lat. dissonantia) -»■ Konsonanz; ->Dia-
phonia, -*■ Discordantia.
Distanz, ein aus der Psychologie des 19. Jh. stammen-
der Begriff, der seit Stumpf in der tonpsychologischen
Literatur als Terminus fiir das Raumlichkeitserlebnis
an einem Intervall gebraucht wird, das getrennt neben
einer Intervallqualitat und gleichzeitig mit ihr auf treten
kann. Die von der Tonpsychologie ausgehenden um-
fangreichen Untersuchungen, deren Ergebnisse darauf
abzielen, Riickschliisse auf die (unbewuBte) Mitwir-
kung des D.-Empfindens beim Intervallhoren zu erhal-
ten, lassen zwei verschiedene Methoden erkennen. Die
eine richtet sich an dem Sachverhalt aus, daB der Rein-
heitseindruck eines Intervalls nur selten mit dem ma-
thematisch einfachen Schwingungsverhaltnis iiberein-
stimmt (Stumpf). Bei der zweiten wird das Intervall-
erlebnis auf ein reines D.-Erlebnis reduziert, um die D.
mefibar zu machen (Abraham und v.Hornbostel).
Lit. : C. Stumpf, Tonpsychologie I, Lpz. 1 883 ; ders., Uber
Vergleichungen v. Tondistanzen, Zs. f . Psychologie u. Phy-
siologie d. Sinnesorgane 1, 1890; C. Lorenz, Untersuchun-
gen liber d. Auffassung v.Tondistanzen, in: Philosophische
Studien VI, 1891 ; O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel,
Zur Psychologie d. Tondistanz, Zs. f. Psychologie XCVIII,
1926; H.-P. Reinecke, Uber d. Eigengesetzlichkeit d. mus.
Horens . . ., in: Mus. Zeitfragen X, hrsg. v. W. Wiora,
Kassel 1962; ders., Experimentelle Beitr. zur Psychologie
d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. Mw. Inst. d. Univ.
HbgHI,Hbgl964.
Distinctio (lat.), ein zentraler Terminus der mittelal-
terlichen Tonartenlehre. Er bezeichnet urspriinglich
die durch Interpunktion (-> Punctus - 1) entstehenden
Abschnitte eines Textes, dann auch die (zumeist ihnen
entsprechenden) Melodieabschnitte, die als Glieder im
Gesamtbau der Melodie wesentlich durch ihren je nach
Tonart wechselnden Anfangs- und vor allem SchluB-
ton bestimmt sind. Die Distinktionen stellen ein maB-
gebliches Prinzip der formalen und tonartlichen Ge-
staltung einer Melodie dar. Erstmals zu Beginn des 11.
Jh. im einzelnen greifbar (Odo, Guido von Arezzo),
f and ihre Lehre eine differenzierte Erlauterung im Mu-
siktraktat Engelberts von Admont. - Die Choralbu-
cher der Editio Vaticana verwenden Striche verschie-
dener GroBe (Distinktionsstriche) zur naheren Kenn-
zeichnimg der Distinktionen.
Lit. : H. Oesch, Guido v. Arezzo, = Publikationen d.
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 4, Bern (1954),
S. 93f . ; W. Apel, Gregorian Chant (Stichworte phrase u.
standard phrase), Bloomington/Ind. (1958).
Dithyrambos (griech. Stdupafxpo?, Herkunft und
Grundbedeutung sind umstritten; belegt seit Archi-
lochos fr. 77), eine mit dem Dionysoskult verbundene
Art von Chorgesangen, die wohl erst durch Arion
(um 600 v. Chr.) festere Form erhielt. Begleitinstru-
ment war der Aulos. Im Versrhythmus und im stro-
phischen Aufbau scheint, nach den iiberheferten Tex-
ten von Bakchylides und Pindaros, kein wesentlicher
Unterschied zu den anderen chorlyrischen Gattungen
bestanden zu haben. Das attische Drama soil laut Ari-
stoteles aus dem D. hervorgegangen sein. Nach 470 v.
Chr. machte der D. einen tiefgreifenden Wandel durch
(Timotheos, Philoxenos), der durch solistischen Vor-
trag und durch starkes Obergewicht des Musikalischen
iiber das Wort gekennzeichnet ist.
Lit.: A. Pickard-Cambridge, Dithyramb, Tragedy and
Comedy, London 1927, Oxford 21962; H. Schonewolf,
Der jungattische D., Diss. GieCen 1938.
Ditonus (lat., von griech. St-rovo?, Zweiton) bezeich-
net die groBe Terz, und zwar als ein aus 2 Ganztonen
zusammengesetztes melodisches Intervall.
Diurnale oder Horae diurnae (lat.), eine -»■ Brevier-
Teilausgabe mit Texten der Tageshoren des Offiziums
(Laudes bis Komplet). Analog dem romischen und
monastischen Brevier kennt die liturgische Praxis ein
D. Romanum und ein D. Monasticum (letzteres auch
mit deutscher Obersetzung erschienen als: Das Tag-
zeitenbuch des monastischen Breviers, hrsg. von der Erz-
abtei Beuron, 41960).
234
Division
Lit. : H. Bohatta, Liturgische Bibliogr. d. XV. Jh., Wien
1911.
Divertimento (ital., Vergnugen, Unterhaltung; frz.
divertissement), - 1) erscheint vom Ende des 17. Jh.
(erstmalig bei C.Grassi 1681) bis gegen Mitte des 18.
Jh. als Titel von Sammelwerken unterhaltender Mu-
sik unterschiedlicher Art und Besetzung, z. B. R. Rei-
ser, Divertimenti serenissimi, 1713 (9 Kantaten) oder J.
Fischer, Neu-verfertigtes Muskalisches Divertissement,
1700 (6 Ouverturen a 4). Im Laufe des 18. Jh. - beson-
ders in dessen 2. Halfte - findet sich das Wort in zu-
nehmendem MaBe als Bezeichnung fiir teils sonaten-
teils suitenhafte Instrumentalwerke. Solche Diverti-
menti waren als hofische (oder burgerliche) Unterhal-
tungsmusik sehr beliebt. Im Schaffen J. und M. Haydns,
L. und W. A.Mozarts und ihrer Zeitgenossen nehmen
sie einen breiten Raum ein. Eine allgemeinverbindli-
che Definition des D.s stoBt jedoch auf Schwierigkei-
ten, da Form und Anzahl seiner Satze sowie seine Be-
setzung nicht festliegen. Zwar handelt es sich in der
Regel um Satzzyklen (bis zu 12 Satzen), doch kennt
man auch einsatzige Divertimenti (z. B. J.Haydn, 4
Divertimenti fur Baryton, Hob. XII, 20-23). Kom-
positionen mit 4 bis 10 Satzen iiberwiegen, doch sind
auch dreisatzige nicht selten (z. B. 4 von M.Haydn,
6 fiir 4 Instrumente von L.Mozart, W.A.Mozart, K.-
V. 136-138). Die Besetzung reicht von einem Soloin-
strument, z. B. Klavier (J.Haydn und Wagenseil), bis
zum Orchester (z. B. ein D. a 13 Stromenti mit 2 Clari-
nen von J. Riepel). Alle Formen, die in der Sonate Ver-
wendung finden, Sonatenhauptsatzform, Rondo, Va-
riation, Menuett usw., kommen auch im D. vor. Nicht
umsonst wurden die Bezeichnungen (D. und Sonate
bzw. Quartett usw.) haufig ausgetauscht, z. B. in den
Friihwerken J. Haydns. Eine gewisse Vorliebe fiir
Tanzformen teilt das D. mit der ->- Serenade, aber
auch die Grenzen zur -> Kassation und zur -»■ Noc-
turne sind flieBend. W. A.Mozarts Divertimenti aus
seiner Salzburger Zeit gehoren zwar - im Gegensatz
zu seinen gleichzeitigen Serenaden - im ganzen der
Kammermusik an, ebenso die seines Vaters und M.
Haydns, doch scheint man sich auBerhalb Salzburgs
nicht so streng an den Unterschied zwischen orchestra—
ler Serenade und kammermusikalischem D. gehalten
zu haben (vgl. das erwahnte D. a 13 von Riepel). Mit
der zunehmenden Emanzipation des schopferischen
Musikers von seinen bisherigen Auf traggebern (Kirche,
Hof, Adel und Burgertum) gegen Ende des 18. Jh.
schwand das Bediirfnis, unterhaltende Musik fiir eine
bestimmte Gesellschaftsschicht zu schreiben; den fiih-
renden Komponisten wurden Wirkungsbereich und
Aussage der Divertimenti, Serenaden usw. zu begrenzt.
Schon zu Beethovens Zeit verflachte das D. zur Salon-
musik, auBerlich daran ersichtlich, daB Potpourri und
D. haufig bedeutungsgleich sind (Schuberts Divertisse-
ment a la hongroise, D 818, gehort zu den Ausnahmen).
Im 20. Jh. erscheint die Bezeichnung entweder im
Sinne von Ballettsuite (z. B. Strawinsky, D. fiir Orch.,
1938/50, eine suitenhafte Zusammenfassung von Stiik-
ken aus dem Ballett Le baiser de la fie, 1928/49) oder als
bewuBter Riickgriff auf die unkomplizierte Art des D.s
in der 2. Halfte des 18. Jh. (z. B. Bartok, D.fur Strei-
cher, 1939). - 2) freies, die strenge thematische Arbeit
auflockemdes Zwischenspiel in der -> Fuge.
Lit.: zu 1): KochL; A. Sandberger, Zur Gesch. d.
Haydnschen Streichquartetts, in: Ausgew. Auf satze zur
Mg. I, Miinchen 1921; H. Hoffmann, t)ber d. Mozart-
schen Serenaden u. Divertimenti, Mozart- Jb. Ill, 1929; G.
Hausswald, Mozarts Serenaden, Lpz. 1951; ders., Der
D.-Begriffbei G. Chr. Wagenseil, Af Mw IX, 1 952 ; R. Hess,
Serenade, Cassation, Notturno u. D. bei M. Haydn, Diss.
Mainz 1963. ESe
Divertissement (divertism'a, frz., Zerstreuung),
franzosische Bezeichnung fiir die aus dem Ballet de
cour hervorgegangenen Tanz- und Gesangseinlagen
in Biihnenwerken. D.s stehen zwischen den Akten und
am SchluB der -> Comedie-ballets des 17. Jh. (z. B.
Moliere, Le bourgeois gentilhomme, 1670, Musik von
Lully) und als eingeschobene Episoden, die aber mit
der Haupthandlung in Verbindung stehen, in der Tra-
gedie lyrique, die Lully schuf (z. B.Cadmus et Hermione,
1673). Die Komponisten der Lully-Nachfolge ver-
selbstandigen die D.s zu -*■ Opera-ballets (Rameau,
Les Indes galantes, 1735). D.s im Sinne von Ballettein-
lagen kommen in vielen franzosischen Opern vor,
z. B. in Iphigenie en Aulide von Gluck (1774), in Faust
von Gounod (Urauffiihrung der Fassung mit Ballett
1869), in Samson et Dalila von Saint-Saens (1877) und
in Padm&vati von A.Roussel (1923).
Lit.: BrossardD; P.-L. Moline, Dialogue entre Lully,
Rameau et Orphee dans les Champs-Elysees, Amsterdam
1774; Memoires pour servir a l'hist. de la revolution ope-
ree dans la musique par M. le Chevalier Gluck, hrsg. v.
G. M. Leblond, Neapel u. Paris 1781, deutsch v. J. G.
Siegmayer als: Ueber d. Ritter Gluck, Bin 1823, 21837; G.
Carraud, La danse dans l'opera de Rameau, Courrier
mus. , 1 908 ; P.-M. M asson, Lullystes et Ramistes, L'Annee
mus. I, 1911; ders., Le ballet heroique, RM IX, 1928;
ders., L'opera de Rameau, Paris 1930; H. Kretzschmar,
Gesch. d. Oper, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen
VI, Lpz. 1919.
divjsi (ital.; Abk. : div.), geteilt; bedeutet in den Or-
chesterstimmen von Streichinstrumenten, daB zwei-
oder mehrstimmige Stellen nicht als Doppelgriffe bzw.
akkordisch, sondern an jedem Pult geteilt gespielt wer-
den. -> due.
Divisio modi (lat., Teilung des Modus), - 1) in der
Modalrhythmik des 13. Jh. ein senkrechtes Strichlein
von unbestimmter Lange, das zum AbschluB einer
melodisch-rhythmischen Periode (-» Ordo) gesetzt
wurde, auch -*■ Suspirium genannt. - 2) in der Men-
suralnotation der Punkt (-> Punctus - 2) im Sinne von
Punctus divisionis.
Division (div'ijan, engl., Teilung), im 16.-18. Jh. eine
Bezeichnung fiir -*■ Diminution (- 2), besonders fiir die
englische Gattung der D.s iiber einen -»■ Ground. Es
handelt sich dabei um urspriinglich improvisierte Di-
minution eines BaBmodells (breaking the ground),
das gleichzeitig unverandert erklingen kann, oder um
(zunachst ebenfalls improvisierte) Oberstimmenbil-
dung iiber einem fortwahrend unverandert wieder-
holten BaB (descant d.). Kompositorische Mittel die-
ser Variationskunst sind (neben der Diminution) Fi-
guration, Kolorierung, Passagen und Akkordbrechun-
gen. In der 2. Halfte des 17. Jh. wurden haufig auch
Lied- und Tanzmelodien mit Grounds verbunden und
iiber deren unveranderter Wiederholung variiert. In der
Kammermusik erklang der Ground auf einem -»■ Fun-
damentinstrument, wahrend auf einem oder mehreren
Ornamentinstrumenten improvisierte oder kompo-
nierte D.s gespielt wurden. Daneben gab es D.s fiir
Klavier oder fiir Melodieinstrument allein, besonders
fiir die Viola da gamba. Sets of D.s fiir Va da gamba
schrieben D.Norcqmbe (* 1576) sowie Chr. Simpson,
der in seiner Sammlung The D. Violist (1659, 2 1665)
diese Praxis ausfuhrlich darstellt. J.Playfords Samm-
lung The D. Violin (um 1680, erhalten nur die 2. Auf-
lage 1685) enthalt Kompositionen von Chr. Simpson,
Davis Mell, Reading, Farinel, Th.Baltzer, J. Bannister,
R. Smith, Shmett, Toilet, Frecknold, Paulwheel,
Becket und (Zusatz der 2. Auflage) A.Poole. Ein
Werk gleichen Titels in 2 Banden mit neuem Inhalt
gab 1688-93 H.Playford (Sohn) heraus, mit Beitragen
235
Divisiones
von H. und D.Purcell, Clark, Eccles u. a. Anonym er-
schienen 1706-08 2 Bande The D. Flute.
Ausg. : Chr. Simpson, The D. Violist . . . (1665), Faks. hrsg.
v. N. Dolmetsch, NY 1955.
Lit. : A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music of
the XVII'" and XVIII th Cent., London (1916, 21946); A.
Moser, Zur Genesis d. Folies d'Espagne, AfMw I, 1918/
19; E. H. Meyer, Engl. Chamber Music, London 1946,
21951, deutsch als : Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz.
1958.
Divisiones (lat., Teilungen), mensurales Ordnungs-
prinzip in der italienischen Notation des 14. Jh., das
seinen Namen von der Teilung der Brevis in 2-12
Semibreves hat; diese wird wie folgt durchgef iihrt :
Brevis
divisio
I
.1
binaria
_J
ternaria
quaternaria
senana
imperfecta
senana
perfecta
novenaria
octonaria duodenaria
Der eindeutigen Festlegung des Rhythmus dienen
neue Notenformen und Angabe der Divisio; hierfiir
gelten f olgende Abkiirzungen : bei Marchettus de Pa-
dua i = imperfecta, p = perfecta, b = binaria, t = ter-
naria, g = senaria gallica (senaria imperfecta), y = se-
naria ytalica (senaria perfecta) ; bei Pr. de Beldemandis
b = binaria, t = ternaria, q = quaternaria, si = se-
naria imperfecta, sp = senaria perfecta, o = octonaria,
n = novenaria, d = duodenaria. Von den ->■ Quellen
der Trecentomusik enthalten die friihesten (Rs) aus-
schlieBlich, PR I und Lo iiberwiegend diese Notation.
In der 2. Halfte des 14. Jh. setzten sich in Notation und
Komposition mehr und mehr die Errungenschaften
der franzosischen Ars nova durch, deren Rhythmik
nicht an das Einhalten von Taktgrenzen gebunden ist.
Lit.: Marchettus de Padua, Pomerium, hrsg. v. G.
Vecchi, = CSM VI, (Rom) 1961 ; ders., Brevis compilatio,
hrsg. v. G. Vecchi, in: Quadrivium I, 1956; Cl. Sartori,
La notazione ital. del Trecento in una redazione inedita. . .
di Pr. de Beldemandis, Florenz 1938; N. Pirrotta, Mar-
chettus de Padua . . . , MD IX, 1955 ; K. v. Fischer, Studien
zur ital. Musik d. Trecento . . . , = Publikationen d. Schwei-
zerischen Musikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956); ders.,
Zur Entwicklung d. ital. Trecento-Notation, AfMw XVI,
1959.
Dixieland, Dixieland style (d'iksilaend stail), friihe-
ster Jazz weiBer amerikanischer Musiker, die das Mu-
sizieren der Neger in New Orleans imitierten. Der
geographische Begriff D. (Gebiete sudlich der um 1765
festgelegten Dixon Line) wurde im 19. Jh. volkstiim-
licher Name fiir die Sudstaaten der USA und sollte so-
mit auch die Herkunft dieser Musik aus dem Siiden
kennzeichnen. Der D. entstand um 1890 als Verbin-
dung des europaischen Marsches mit -*■ Ragtime und
-»■ Marching band music. Jack »Papa« Laine's Reliance
Band (um 1900) ahmte als erste auch kleinere Unter-
haltungskapellen der Neger nach. Ein Mitglied dieser
Band, Nick La Rocca, spielte in Chicago um 1914 mit
einer Gruppe, aus der 1917 die Original Dixieland Jazz
Band (ODJB) hervorging, die dann Jazz (zuerst in der
Schreibung Jass) als Name und Musik popularisierte
(1917 erste Jazzschallplatte). Mehr Einfuhlungsvermd-
gen in die Musizierweise der Neger als die ODJB zeig-
ten die New Orleans Rhythm Kings (1921). - Der D.
ubernimmt auBerlich das kollektive Chorusspiel. Da
seine Rhythmik jedoch rein auf Takt mit Synkopen
beruht, fehlen die fiir den Jazz der Neger typischen
Phanomene : -»■ Beat, Off-beat und ->• swing. Harmo-
nisch entfallt im D. die -> Blues-Tonalitat. Die eu-
ropaische Instrumentaltechnik des D. ist bereichert
durch Effekthaschereien, die aus der miBverstandenen
-> Hot-Intonation der Neger resultieren. Durch den
-> Chicago-Jazz der 1920er Jahre wurde der D. ver-
drangt. Seit dem Revival (D. Renaissance) am Ende
der 1930er Jahre wird der D. jedoch - musikalisch
zwar entscheidend beeinfluBt vom -*■ Swing - in den
USA und in Europa vor allem in Amateurkreisen im-
mer wieder bevorzugt.
Do, erste Silbe der -> Solmisation, die seit dem 17. Jh.
dem alteren Ut aus gesangstechnischen Griinden vor-
gezogen wird. Die wahrscheinlich auf G.B.Doni zu-
riickgehende Silbe bezeichnet in Italien, Spanien, ver-
einzelt auch Frankreich den Ton C.
Docke -»• Mechanik.
Doctor of Music (d'aktai ov mj'u:zik,engl.)-> Aka-
demische Grade.
Dodekaphonie ->• Zwolf tontechnik.
Dokumentation. Die D. hat die Aufgabe, Doku-
mente zu sammeln und nachzuweisen, ihre Inhalte zu
erschlieBen und die Informationen auf kurzestem We-
ge zur Kenntnis zu geben. Die Musik-D. unterscheidet
sich auf Grund ihres Materials von der allgemeinen D.,
da zu den Wortdokumenten die Klangdokumente hin-
zutreten und da die Musik eine geistige Ausdrucks-
form ist, die ihre eigenen GesetzmaBigkeiten hat. -
Die Musik und ihre Wirkung bildet folgende Doku-
mente: Graphisch festgehaltene Musik (Noten) und
Betrachtungen iiber Musik (Musikliteratur) sowie
bildliche Darstellungen und in Tontragern festgehalte-
ne Klange (Schallplatten, Tonbander). Das Musikleben
fuhrt zu ephemeren Dokumenten wie Programmen,
Textheften, Plakaten, Anzeigen, Statistiken usw. Die-
se Dokumente werden in Sammlungen aller Art (Bi-
bliotheken, Institute, Archive) erfaBt. Das Vorhanden-
sein dieser Objekte wird zur allgemeinen Kenntnis ge-
geben durch Verzeichnisse und Kataloge, diejedes Ob-
jekt entweder unter dem Namen des Autors oder, bei
anonymen Verlautbarungen, unter dem Titel auffiih-
ren. Damit ist aber erst die Voraussetzung fiir die ei-
gentliche D. gegeben, die das einzelne Objekt auf die
in ihm beschlossenen Sachinhalte untersucht und von
jedem dieser Inhalte her den Weg zu den Objekten
weist. Die klassische Form dieser Inhaltsanalyse sind
Sachverzeichnisse und -kataloge, deren Anlage sich im
Laufe der Jahrhunderte wandelte und in systemati-
schen, Stich- und Schlagwortkatalogen, Kreuzkatalo-
gen und geschliisselten Sachkatalogen ihre pragnante-
sten Ausbildungen fand. In neuerer Zeit haben sich
technische Verfahren gebildet, die raschere und um-
fassendere Informationsmoglichkeiten bieten. Fiir die
Musikwissenschaft haben das Nadellochkarten- und
das Sichtkartensystem besondere Bedeutung gewon-
nen. Beim Nadellochkartensystem wird jedem Do-
kument eine Dokumentenkarte zugeordnet. Die Co-
dezeichen fiir die Stichworte (Descriptoren) werden
durch Kerben oder Schlitze festgehalten. Die Selektion
erf olgt durch Nadeln, wobei die Kartenkapazitat durch
GroBe und Genauigkeit der Nadeln begrenzt ist. Beim
Sichtlochkartensystem wird jedem Stichwort eine
Karte zugeordnet (Descriptorkarte). Jedem Doku-
ment wird auf den einzelnen Karten eine bestimmte
Lochposition zugewiesen. Bei der Fragestellung wer-
den die der Frage entsprechenden Descriptorkarten
herausgenommen und iibereinandergehalten. An alien
Stellen, wo Licht durch die Karten fallt, sind Doku-
mente gelocht, deren Descriptoranzahl gleich groB
236
Dominantseptakkord
oder groBer als die Anzahl der Fragestellungen ist. Zum
Zweck der D. werden auch elektronische Datenverar-
beitungsanlagen verwendet. Zu den wichtigsten Tei-
len dieser Anlagen gehoren die Speicher, die auf dem
Prinzip der magnetischen Aufzeichnung beruhen. Sie
miissen in der Lage sein, alle zur Festlegung der Doku-
mente dienenden Symbole so aufzubewahren, daB sie
fiir die zur Beantwortung der Frage erforderlichen
Operationen zur Verfiigung stehen. Dazu gehort 1.,
daB das Speichermedium eine einmal aufgenommene
Information beliebig lange aufzubewahren vermag,
2. eine Anlage zur Ubertragung und Ruckiibertragung
der Information und 3. eine Speichersteuerung, die es
erlaubt, jede beliebige Information wiederzufinden.
Das zentrale Steuerwerk vermag auf einen Startbefehl
hin nach einem bestimmten Programm die gesuchten
Daten aus dem Speicherwerk herauszuholen, zu ent-
schliisseln und der Operation zuzuleiten. Die Eingabe
der Daten erfolgt zumeist iiber Lochkarten oder -strei-
fen, die Ausgabe auf verschiedenen Wegen, im allge-
meinen iiber Zeilenschnelldrucker oder photographi-
sche Ausgabeeinrichtungen. - Inwieweit elektroni-
sche Datenverarbeitungsanlagen fiir die Musikwissen-
schaft anwendbar und rentabel sind, bedarf exakter
Untersuchungen, da die Zahl ihrer Sachsymbole im
Vergleich z. B. zu den Naturwissenschaften klein ist
und da die Erfassung von Musik-Incipits (-»■ Incipit,
-*■ Thematische Kataloge), die einen wesentlichen Teil
musikwissenschaftlicher Registrierarbeit ausmacht,
von der Moglichkeit brauchbarer und alien Musik-
gattungen gerecht werdender Ordnungsmethoden
(Schliissel) abhangig ist. Neben diesen Methoden der
Musik-D. steht schlieBlich die laufende, kritisch-ra-
sonierende, den geistigen Produkten unmittelbar fol-
gende Berichterstattung etwa in der Art der im angel-
sachsischen Raum verbreiteten Abstracts, die vor alien
maschinellen Datenspeicherungen den Vorzug haben,
ein Objekt auf gedrangtem Raum total zu erschlieBen
und den Forscher nicht mit dem Stellen von zahlrei-
chen Einzelfragen zu belasten.
Lit.: E. C. Cherry, Kybernetik, Koln u. Opladen 1954;
E. Pietsch, D. u. mechanisches Gedachtnis, ebenda; Aus-
schuB f. wiss. Verwaltung, Die Handlochkarte, Ffm. 1958 ;
H. Grottrup, Studienanalyse halbautomatischer Doku-
mentationsselectoren, = Forschungsber. d. Landes Nord-
rhein-Westfalen Nr 604, 1958; Arbeitsgruppe Musikd.,
Kgr.-Ber. Kassel 1962; E. L. Waeltner, Plan u. Durch-
fuhrung d. »Lexicon Musicum Latinum«: Archivaufbau
mit Hilfe maschineller Datenverarbeitung, ebenda; W.
Schmieder, Aphorismen zur Musik-D., in: H. Albrecht in
memoriam, Kassel 1962; M. Woitschach u. H. G. Kor-
ner, Automatische Bibl., in: Taschenbuch d. Nachrich-
tenverarbeitung, hrsg. v. K. Steinbuch, Bin, Gottingen u.
Heidelberg 1962. WoS
dolce (d'oltfe, ital.), - 1) als Vortragsbezeichnung suB,
sanft, lieblich; doicissimo, auBerst weich, sehr zart.
- 2) Das Orgelregister D. ist ein Labialregister enger
Mensur.
Dolcian -+ Dulzian.
Dolzaina, Dulzaina (ital.) -> Dulzian.
Dolzflote, - 1) um 1600 eine von der Seite her ange-
blasene zylindrische Blocknote ; im f riihen 1 9. Jh. auch
Bezeichnung der Quernote. - 2) in der Orgel eine La-
bialstimme mit offenen Pfeifen im 8', seltener 4', von
enger Mensur und sanftem Klang.
Dominante (frz. dominante), auch Ober-D., heiBt
in der funktionalen Harmonielehre die Quinte iiber
der -*■ Tonika. Der auf der Quinte errichtete Drei-
klang wird Dominantdreiklang genannt. Der Begriff
D. ist jedoch alter als die dur-mofl-tonale Musik. S. de
Caus nannte bei authentischen Tonen die 5., bei pla-
galen Tonen die 4. Stufe D. Andere bezeichneten die
Repercussa eines Tones als D. (BrossardD). D. als mog-
liche Benennung des zweitwichtigsten Tones jeder
Kirchentonart - anstelle von Tenor oder Tuba - hat
sich bis in unser Jahrhundert erhalten (Johner). Zu
Beginn des 18. Jh. gehorte die D. als 5. Ton der Leiter
neben Finalis und Mediante zu den Sons essentielles
eines Modus (BrossardD). Die heutige Bedeutung des
Begriffs als eine der drei Grundfunktionen tonaler
Harmonik geht auf J.-Ph. Rameau zuriick. Dieser ver-
steht unter D. im allgemeinen jeden Ton, der Basis ei-
nes Septakkordes ist, unter d. tonique - tonische D.
(Fr. W. Marpurg) - im besonderen die Quinte der Ton-
art und den darauf errichteten Septakkord, der sich in
den Tonikadreiklang auflost. Von Rameaus unmittel-
baren Nachfolgern ubernahmen nur wenige (J.Fr.
Daube) die neue Lehre von den Grundfunktionen.
J.-J. Rousseau baute die Benennung der einzelnen Ton-
leiterstufen weiter aus (z. B. Sus-d. fiir die 6. Stufe), um
dadurch die hervorhebende Bedeutung der Termini
Tonika, D. und Sub-D. wieder abzuschwachen. Jedoch
unterscheiden H.Chr.Koch und G.Weber ausdriick-
lich zwischen wesentlichen (Tonika-, Dominant- und
Subdominantdreiklang) und zufalligen bzw. Neben-
harmonien einer Tonart. Weber weist auch als einer
der ersten darauf hin, daB der Akkord der Ober-D.
immer (auch in Moll) ein Durdreiklang ist. Die end-
giiltige Festigung des D.-Begriffs geschah durch M.
Hauptmann, der diesen von der -*■ Quinte, dem zwei-
ten der drei direkt verstandlichen Intervalle (Oktave,
Quinte, GroBterz), ableitete. Die Funktionsbezeich-
nung D fiir D. fiihrte H. Riemann ein.
Lit. : S. de Caus, Institution harmonique . . . , Frankfurt
1615; BrossardD, Artikel D. u. Mode; J.-Ph. Rameau,
Nouveau systeme de musique theorique . . . , Paris 1 726 ;
J. d' Alembert, Elements de musique theorique et pratique,
suivant les principes de M. Rameau, Paris 1752, 2 1759,
Lyon 3 1766, deutsch v. Fr. W. Marpurg als: Hrn. d' Alem-
bert . . . Systematische Einleitung in d. mus. Setzkunst,
nach d. Lehrsatzen d. Herrn Rameau, Lpz. 1757; J. Fr.
Daube, General-BaB in drey Accorden, Lpz. 1756; J.-J.
Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 1767(7), Pa-
ris 1768 (Artikel D. u. Mode); H. Chr. Koch, Hdb. bey
d. Studium d. Harmonie, Lpz. 1811 ; G. Weber, Versuch
einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst, 3 Bde, Mainz
1817-21, 4 Bde, Mainz 21824, 31830-32; M. Hauptmann,
Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik, Lpz. 1853, 21873 ; H.
Riemann, Vereinfachte Harmonielehre oder d. Lehre v. d.
tonalen Funktionen d. Akkorde, London u. NY 1893,
21903; Riemann MTh; D. Johner OSB, Neue Schule d.
gregorianischen Choralgesanges, Regensburg 1906, 71937
als: GroBe Choralschule, 81956 hrsg. v. M. Pfaff als: Cho-
ralschule. ESe
Dominantseptakkord heiBt der Akkord aus Dur-
dreiklang und kleiner Septime auf der -*■ Dominante,
z. B. in C dur: g-h-d-f. Hinsichtlich seiner Umkehr-
barkeit unterscheidet er sich nicht vom leitereigenen
-*• Septimenakkord auf anderen Tonleiterstufen (3
Umkehrungen). Im Gegensatz zu diesen mehr oder
weniger zufalligen Bildungen nimmt er jedoch in der
dur-moll-tonalen Harmonik eine Schliisselstellung ein,
denn er ist immer - auch auf anderen Tonstufen - do-
minantisch, gleichgiiltig ob er sich (regular) in den
Tonikadreiklang auflost oder nicht. Bei der Auflosung
ist zu beachten, daB die Septime stufenweise nach un-
ten, die Terz (Leitton) stufenweise nach oben gefiihrt
wird. Im strengen Satz verdoppelt man weder Terz
noch Septime. Die Funktionsbezeichnung des D .s ist D 7 .
Eine Sonderform des Akkordes ist der B 1 (verkiirzter
D., in C dur: h-d-f), der sogenannte »verminderte
Dreiklang«. Hier darf die Septime auch im strengen
Satz verdoppelt werden, z. B. in C dur: d-f-f-h.
237
Dominikanische Republik
Dominikanische Republik.
Lit. : J. Fr. GARd a, Panorama de la musica dominicana,
Santo Domingo 1917; J. Arzeno, Del folklore mus. do-
minicano, ebenda 1927; Fl. de Nolasco, La musica en
Santo Domingo y otros ensayos, ebenda 1939; J. D. Ce-
r6n, Canciones dominicanas antiquas, ebenda 1947 ; J. M.
Coopersmith, Music and Musicians of the Dominican
Republic, Washington (D. C.) 1949.
Domra, Dombra, Dumbra (russ., wahrscheinlich auf
-+ Tanbur zuriickgehend), eine Langhalslaute mit
bauchigem Corpus und 3 Drahtsaiten, die mit Schlag-
ring gespielt werden. Im 16./17. Jh. wurde das Spiel
auf der D. von Kiinstlern gepflegt; in neuerer Zeit ist
sie neben der Balalaika das beliebteste volkstiimliche
Zupfinstrument in RuBland. Die Stimmungen der 6
GroBen der D. sind denen der Balalaikafamilie gleich.
Lit. : A. S. Faminzyn, Domra i srodnyje jej mus. instr.
(»Die D. u. d. ihr verwandten Musikinstr. d. russ. Volkes«),
St. Petersburg 1891.
Donaueschingen (Baden).
Lit.: G. Dinges, Untersuchungen zum Donaueschinger
Passionsspiel, Breslau 1910; Das furstliche Fiirstenbergi-
sche Hoftheater zu D. 1775-1850, bearb. v. . . . Fr. Dol-
linger u. G. Tumbult, D. 1914; H. Bennwitz, D. u. d.
Neue Musik, 1921-55, D. 1956; ders., Die Donaueschin-
ger Musiktage v. 1921 bis 1926, Diss. Freiburg i. Br. 1962,
maschr. ; M. Rieple, Musik in D., Konstanz (1959).
Donnermaschine ist ein Gerauschinstrument, das vor
allem zu Biihneneffekten, aber auch bei konzertanten
Werken (R.Strauss, Eine Alpensinfonie) Verwendung
findet. Die D. besteht gewohnlich aus einer auf 2
Zapfen gelagerten und an einer Seilvorrichtung auf-
gehangten Trommel von UbergroBer Dimension, die,
mit Steinen gefiillt, um sich selbst bewegt wird, wobei
der Trommelinhalt an die AuBenwande schlagt, was
ein donnerndes Gerausch verursacht. Donnergerausch
wird auch erzeugt mit groBen, senkrecht auf gehangten
Blechen, die am unteren Rand angefaBt und hin und
her geschiittelt werden, oder durch groBe, mit Pau-
kenf ell iiberzogene Resonanzkasten, die man mit Schla-
geln bearbeitet. Einschlagen des Blitzes und nachfol-
gender langer Dormer (auch Einsturz eines Hauses
usw.) konnen mit Hilfe des sogenannten Einschlagka-
stens vorgetauscht werden. Dieser ist ein vom Schniir-
boden bis zur Unterbiihne reichender, senkrecht stehen-
der Holzkanal mit quadratischer Grundflache (etwa
40 cm Seitenlange), in welchem abwechselnd rechts
und links schrag abf allende, die halbe Weite des Kanals
deckende Bretter eingebaut sind. In den holzernen
Schacht werden von oben schwere Bleikugeln geschiit-
tet, die, auf die Bretter auf schlagend, nach unten poltern.
Doppelchor, ein in zwei, meist je 4st. Halbchore ge-
teilter Chor (-> Coro spezzato; -*■ Apsidenchore), die
haufigste Choraufteilung der ->■ Mehrchorigkeit.
Doppelflote, Duiflote, Doiflote, Gedacktregister der
Orgel im 4', auch 8', meist aus Holz, gelegentlich auch
aus Metall, mit doppelten Labien, die entweder im
Winkel nebeneinander oder sich gegeniiber liegen und
just einander gleich respondiren. Der Ton wird dadurch
kraftiger. Die D. ist nach Praetorius (Synt. II, S. 140)
von Esaias Compenius (um 1590) erfunden worden.
Doppelfuge, eine Fuge, in der 2 Themen durchge-
fiihrt werden. Man unterscheidet 3 Typen der D. : Die
progressive oder synthetische D. bringt getrennte
Durchfuhrungen von Thema 1 und anschliefiend von
Thema 2, danach in einem dritten Teil die Kombi-
nation beider Themen (J.S.Bach, Wohltemperiertes
Klavier II, Fuge Gis moll, BWV 887). In der simultanen
D. werden beide Themen von Anfang an gemeinsam
durchgefiihrt; als Unterscheidungsmerkmal von der
sehr ahnlichen (einfachen) Fuge mit beibehaltenem
Kontrasubjekt gilt, daB dieser Typ der D. nicht ein-
stimmig, sondern zweistimmig und bereits doppel-
themig beginnt (J. S.Bach, Thema fugatum der Passa-
caglia C moll, BWV 582). Als Mischtyp ist eine D. an-
zusprechen, wenn zwar Thema 1 gesondert durchge-
fiihrt wird, danach jedoch Thema 2 sofort in der Kom-
bination mit Thema 1 einsetzt (J. S.Bach, Wohltempe-
riertes Klavier II, Fuge H dur, BWV 892). Zuweilen
wurden auch Fugen mit beibehaltenem Kontrapunkt
als D.n bezeichnet, weil bei ihnen Thema und Kontra-
subjekt im doppelten Kontrapunkt vertauschbar sind
(z. B. Mattheson Capellm., Kap. 23).
DoppelgrifT (engl. double stop; frz. double corde),
das gleichzeitige Greifen zweier Tone auf einem
Streichinstrument oder Klavier. D.-Spiel wurde auf
der Viola da gamba im 17. Jh. gepflegt, auf der Violine
mit der Tradition des polyphonen Spiels in der deut-
schen Geigerschule des 17. Jh. (noch bei J.S.Bach),
virtuos in der franzosischen des 18. Jh. Auf dem Klavier
wurde das gelaufige D.-Spiel in Terzen, Quarten, Sex-
ten und Oktaven seit dem friihen 19. Jh. ausgebildet,
im 20. Jh. noch um Sekunden, Septimen usw. erwei-
tert. Die spieltechnischen Probleme sind bei den Strei-
chern neben dem Fingersatz die Bogenfiihrung, wobei
auch besondere Bogen benutzt werden (->- Bogen - 2),
auf dem Klavier ein Fingersatz, der auf Bindung (auch
mit Gleiten) abzielt.
Doppelkonzert nennt man eine Komposition fiir 2
Soloinstrumente und Orchester (J. S. Bach, D. fiir 2 V.,
D moll, BWV 1043; Mozart, D. fur Fl. und Harfe,
K.-V. 299; Brahms, D. fur V. und Vc. op. 102). Im
letzten Drittel des 18. Jh. hieBen die D.e, Tripelkon-
zerte usw. -> Symphonie concertante.
Doppelkreuz (engl. double sharp; frz. double diese;
ital. doppio diesis), ein Vorzeichen, das die nochmalige
chromatische Erhohung eines bereits durch einfaches
Kreuz erhohten Tones anweist. Die heute gebrauchli-
che Schreibung ist x, sinnvoller waren bis etwa 1800
gebrauchliche Zeichen wie SB , X X , IH , # oder X • Die
noch bei Koch 1802 belegte Aussprache fisfis usw. hat
sich, offenbar in Anlehnung an die des Doppel-l>, zu
fisis usw. abgeschliffen. Das D. wurde in der 1. Halfte
des 18. Jh. notig, als die Einfiihrung der temperierten
Stimmung das Komponieren in entlegenen Tonarten
(Bach, Wohltemperiertes Klavier) und in diesen den hau-
figeren Gebrauch alterierter Akkorde ermoglichte.
Doppelleittonklang, Bezeichnung fiir einen Klang,
der auf Grund von Leittonbeziehungen auf einen Dur-
oder Molldreiklang reduzierbar ist, d. h. ein D. ent-
steht, wenn ein Dreiklangston (in Dur zumeist Prim,
in Moll zumeist Quinte) durch seine beiden Leittone
von oben und unten ersetzt wird (z. B. h-des-e-g statt
c-e-g; c-es-fis-as statt c-es-g). Dajeder Dreiklangston
von 2 Leittonen eingerahmt wird, konnen auch zwei
oder alle Dreiklangstone durch ihre Leittone ersetzt
werden. So entstehen drei-, vier- und mehrfache Leit-
tonklange. Die Fortschreitungsmoglichkeiten solcher
Klange lassen den Begriff D. und die in ihm beschlosse-
ne Sicht fragwiirdig erscheinen.
Lit. : H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d.
neueren Musik, Lpz. 1927.
Doppelorchester, die der Doppelchortechnik (->■ Co-
ro spezzato) entsprechende Auf stellung des in 2 Halb-
chore oder Haupt- und Fernchor getrennten Orche-
sters. Die Ubertragung dieses Prinzips der vokalen auf
die Instrumentalmusik hat G.Gabrieli durchgefiihrt.
Vivaldi schrieb ein Concerto in due cori, Stolzel ein
Concerto grosso a 4 chori in D dur, J. Chr. Bach 3 Sym-
238
Doppelschlag
phonien fiir D. op. 18. J. Stamitz fiihrte ein von ihm
componirtes Concert von zweyen Choren 1742 in Frank-
furt am Main auf. C. Stamitz komponierte auBer einer
Symphonie fiir 2 Orch. in Es dur auch ein Divertimento
a due chori in Es dur (»Das Echo bey Saarlouis«), dessen
2. Chor wie bei einer Symphonie concertante aus ei-
nem Solistenensemble besteht, welches nach Anwei-
sung des Komponisten in einem entfernten Zimmer
plaziert werden soil, damit man die Echos mit halber
Starke hore. Auch Glucks 1778/79 entstandene Ouver-
ture zur Oper Echo et Narcisse verlangt ein D.; das 2.
Orchester, mit 2 Klar., 2 Fag. und 2 V. besetzt, fiihrt
Echoantworten aus. Beethoven stellt in seiner Sym-
phonie Wellingtons Sieg op. 91 die Schlacht bei Vit-
toria ebenfalls mit getrennt aufgestellten Gruppen der
Trommeln, Trompeten, Kanonen (und Kleingewehr-
feuermaschinen) auf der englischen und auf der fran-
zosischen Seite dar. Berlioz bedient sich in seinem Re-
quiem eines Fernchors von Blechblasern. Die D.-Tech-
nik wandte auch Kaminski in seinem Concerto grosso
fur 2 Orch. 1922 an.
Doppelschlag (ital. gruppetto; frz. double; engl.
turn), eine Verzierung, bei der die Hauptnote so um-
spielt wird, daB ihre obere und ihre untere Nebennote
je einmal nach Art eines ->■ Vorschlags beriihrt werden
(daher der Name D.). Der D. im engeren Sinn besteht
aus 4 Noten und beginnt mit der oberen Nebennote:
* » m » . Beim Beginn mit der unteren Nebennote
m » * » spricht man von umgekehrtem D. (engl. in-
verted turn). D.-artige Figuren (Diminutionsformeln)
sind der Groppo (Gruppo) und der Circolo mezzo
(-»■ Circulatio) - nach W. C. Printz, Compendium mu-
sicae signatories et modulatoriae vocalis (1689) :
Groppo
Ascendens Descendens
Diese Bezeichnun-
gen finden sich bei
Intendens Remittens deutschen Theoreti-
kern des 17. und 18. Jh. (fiir den friiheren italienischen
Groppo -> Triller). Marpurg bemerkt (1755), daB der
zu den Spielmanieren gehbrende D. seine Entspre-
chung bei den Setzmanieren im Halbzirkel habe (-> Ma-
nier - 2) . - Der D . kann tiber einer Note oder zwischen
2 Noten vorkommen. Im ersteren Fall, wo der D. im
allgemeinen aus 4 Noten besteht, kann die Hauptnote
als funfte Note vorangestellt werden (geschnellter D.) ;
er wird sowohl bei 4 Noten als auch bei 5 Noten mei-
stens auf den Schlag genommen, im 19. Jh. jedoch
auch vor den Schlag (dann kommt die letzte Note auf
den Schlag). - Wahrend der D. zwischen 2 Noten nur
eine melodische Funktion austibt, kann der D. iiber
einer Note auch harmonische und rhythmische Funk-
tionen erfiillen, entsprechend denjenigen des Vor-
schlags und des Trillers in ahnlichen Fallen. - Der D.
kann einen kurzen Triller mit Nachschlag ersetzen;
seine Zeichen ( ~ , «» , S) kommen in der Zeit vor der
Wiener Klassik fast nur in der Musik fiir Tasteninstru-
mente vor. (Th.Mace verwendet 1676 fiir die von ihm
Single relish genannte Lautenverzierung ein anderes,
aus Punkten bestehendes Zeichen.) - Beim D. haben
sich Zeichen und Ausfiihrung im Laufc der Zcit bis
heute weit weniger verandert als bei anderen Verzie-
rungen.BeiChambonnieresallerdings.indererstenVer-
zierungstabelle der franzosischen Clavecinisten (1670),
bedeutet das Zeichen eineDouble Double cadence
cadence folgender Ausfiihrung:
Bei seinem Schiiler d'Anglebert,
dessen Verzierungstabelle (1689)
nachweislich auch J. S.Bach verwendet hat, erscheint
eine ahnliche Form der Double cadence neben der spa-
rer gelaufigen (sans tremblement, von Fr. Couperin in
seiner Verzierungstabelle 1713 dann Double genannt)
sowie noch eine weitere Form (sur une tierce) :
Wahrend noch Dieupart zu Beginn des 18. Jh. seine
Double Cadence (von ihm mit a Shake turn iibersetzt)
wie folgt vorschreibt:
^^
Double Cadence, a Shake turn
Pt^
bezeichnet Le Roux 1705 mit demselben Namen bereits
den normalen Barock-D., und J. S.Bach verwendet in
seinem Clavierbiichlein fiir Wilhelm Friedemann (1720)
das (schrage) Zeichen ebenfalls in fl 2
diesem noch heute gelaufigen Sinn,
nennt die Verzierung aber Cadence:
Die Unterscheidung zwischen ~ Cadence
fiir den gewohnlichen und «« oder S fiir den umgekehr-
ten D. wurde erst im spaten 18. Jh. verlangt; dies hat
sich aber nicht durchgesetzt: Hummel und Spohr ver-
wendeten in ihren Lehrwerken das Zeichen =« fiir den
gewohnlichen D., worin ihnen viele gefolgt sind. R.
Wagner verwendete fiir den D. das Zeichen «», ahn-
lich wie vor ihm bereits Spohr, Schumann und Cho-
pin in manchen ihrer Werke. Allerdings hat Wagner
selber dieses Zeichen nicht konsequent interpretiert,
indem er z. B. in Rienzi bei der Stelle:
in friiheren und spateren Jahren den D. von oben, da-
gegen in seinen mittleren Jahren den D. von unten
bevorzugte; in seinen spateren Opern ging Wagner,
der den D. besonders haufig verwendet hat, immer
mehr zur Ausschreibung in groBen Noten iiber, wie
zum Beispiel in der Cbtterddmmerung (Briinnhilde-
Motiv) :
: °° ii
Vorzeichen fiir chromatische Veranderungen der obe-
ren bzw. der unteren Nebennote konnen heute iiber
bzw. unter das D.-Zeichen gesetzt werden, wahrend
sie in der Barockzeit ausschheBlich iiber das Zeichen
gesetzt wurden, haufig dann etwas nach links oder
nach rechts verschoben, fiir die friiher bzw. spater er-
klingende Nebennote. - Das Umspielen eines Tones
anstelle seiner unmittelbaren Intonation gehort zu den
urspriinglichen Verzierungsmitteln des Gesangs. (Fiir
das dem D. ahnliche Quilisma der mittelalterlichen
Choralnotation und die doppelschlagartigen Redobles
und Quiebros in der spanischen Musik des 16. Jh. fiir
239
Doppelschlag
Tasteninstxumente: ->■ Triller.) - Bemerkenswert sind
gewisse Vorschriften im Barock, welche die rhythmi-
sche Ausfiihrung des D.s in Beziehung zum Tempo
der betreffenden Stelle setzen und ihm dadurch groBe-
re Brillanz verleihen. Hatte schon d'Anglebert bei
seiner Double cadence die ersten beiden Noten in kiir-
zeren Werten als die iibrigen notiert, so rhythmisiert
Gottlieb Muffat in der Verzierungstabelle zu seinen
12 Versetl Sammt 12 Toccaten fur Org. (1726) den D.
verschieden bei Viertel- und Achtelnoten:
n r Hcj: — r i
und ahnlich bei seinen Componimenti Musicali fur
Cemb. etwa ein Jahrzehnt spater:
Aber erst C. Ph. E.Bach bringt dieses Prinzip, im Zuge
der fortschreitenden Differenzierung der Wiedergabe-
vorschriften, in seinem Versuch (1753) zu klarer Dar-
stellung: §
"m
moderato presto
Auch fiir die Rhythmisierung des D.s hinter punktier-
ten Noten hat C.Ph. E.Bach genaue Vorschriften ge-
geben, wobei der punktierte Rhythmus entsprechend
verkiirzt wird. Ahnhch, aber noch differenzierter sind
- eine Generation spater - Turks Vorschriften in seiner
Klavierschule (1789): i.
Hierbei gelten (1) und (3) sowohl fiir langsameres als
auch fiir rascheres Tempo, wahrend im mittleren Bei-
spiel die Ausfiihrung bei (2b) fiir rascheres Tempo gilt.
- C.Ph. E.Bach fiihrte zwei besondere Formen des D.s
ein, den prallenden D. und den geschnellten D. Erste-
rer ist eine Kombination von Pralltriller (->■ Triller)
und D., der dem Klavier-
spiel zugkich besondere An-
muth und Glantz giebt:
(Die Kombination dieser Zeichen kann in der fran-
zosischen Clavecinmusik jedoch einen -> Triller mit
Nachschlag bedeuten.) Der aus 5 Noten bestehende,
f\ CV!
CV>
vp J ' * IT* -#
jgg^
-*■ Vorschlag. In seiner Musical Grammar (1806) unter-
scheidet Callcott folgende 2 Formen:
Written.
#5
41-
Performed .
r i "r I'ctficer
mit der Hauptnote (auf den Schlag) beginnende ge-
schnellte D. wird durch eine zusatzliche kleine Zwei-
unddreiBigstelnote vor der Hauptnote angedeutet (C.
Ph. E.Bach). Eine gewisse Ahnlichkeit mit dieser Ver-
zierung hatte der Turn H.Purcells fl ^
(A Choice Collection of Lessons, ( k J
1696): -f^-
Um die Wende des 18./19. Jh. gerat die bis dahin be-
stehende Tradition der Ausfiihrung des D.s auf den
Schlag ins Wanken, ahnhch der Entwicklung beim
Thus, or thus. Thus, or thus.
Das 19. Jh. kennt sowohl den D. mit vier als auch den-
jenigen mit 5 Noten, in verschieden rhythmisierter
Form, meist in den Zeitwert der vorausgehenden Note
fallend, und im Zug der fortschreitenden Ausschrei-
bung in groBen Noten (R.Wagner) wird der D. hau-
fig zum ausdrucksvollen Motiv.
Lit. : — > Verzierungen ; besonders auch : H. Schenker, Ein
Beitr. zur Ornamentik, Wien 1908. ERJ/BB
Doppeltriller, Bezeichnung fiir gleichzeitige -»- Tril-
ler auf 2 Tonen desselben Akkords; die Ausfiihrung
unterliegt denselben Regeln wie diejenige des einfachen
Trillers, ist aber technisch bedeutend schwieriger, vor
allem auf der Violine und auf dem Klavier mit einer
Hand. - Marpurg nennt (1755) den einfachen Triller
mit Nachschlag den zusammengesetzten oder D. ; in ahn-
licher Weise bezeichnet Agricola (1757) den Triller
von oben bzw. von unten mit Nachschlag als D.
(-> Double cadence).
Doppelzunge ->■ ZungenstoB.
Doppioni (ital.) nennt Zacconi (1592) in ihrer Bau-
art nicht naher bestimmte Blasinstrumente mit Dop-
pelrohrblatt, die moglicherweise mit den von ihm ge-
nannten Sordoni (-> Sordun) identisch sind. Cerone
iibernahm 1613 fiir die spanischen Doplados die An-
gaben Zacconis.
Lit.: L. Zacconi, Prattica di musica . . ., Venedig 1592,
2 1596; P. Cerone, El Melopeo, Neapel 1613; Praetorius
Synt. II ; C. Sachs, Doppione u. Dulzaina, SIMG XI, 1909/
10; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Windkapsel,
Af Mw VII, 1925 ; A. Reimann, Studien zur Gesch. d. Fag.,
Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.
Dorisch-s- Systema teleion,-* Kirchentone. - D.e Sex-
te ist die groBe Obersexte einer Molltonika, z. B. in
D moll d-h; sie beruht jedoch in Moll auf Alteration
(d-h anstelle von d-b), wahrend sie in D. leitereigen ist.
Dortmund.
Lit.: B. Friedhof, Gesch. d. Instrumentalmusik in D. seit
d. Ausgange d. 18. Jh., D. 1912; R. Schroeder, Studien
zur Gesch. d. Musiklebens d. Stadt D. vom friihen MA bis
zum Ausgange d. 19. Jh., = Munsterische Beitr. zur Mw.
V, Kassel 1934; A. Mampel, Das D.er Theater I, 1500-
1600, D. 1935.
Double (dubl, frz.), in der franzosischen Instrumental-
und Vokalmusik des 16.-18. Jh. Bezeichnung fiir die
verzierte (diminuierte) Wiederholung eines Satzes. Der
Terminus ist zuerst 1552 (Tiers liure de tabulature degui-
terre bei Le Roy und Ballard) belegt. In Deutschland be-
zeichnete D. speziell die Veranderung eines Tanzsatzes,
wahrend die Veranderung z. B. einer Aria Variatio ge-
nannt wurde (so u. a. bei Biber 1681). Ab etwa 1650
verschwanden D.s aus der deutschen und franzosischen
Orchestersuite; die mehrstimmige Kammersuite ver-
wendete D.s kaum, die Solosuite hingegen bevorzugte
sie. Um 1760 wurde die Bezeichnung D. allgemein
durch die Bezeichnung ->■ Variation ersetzt.
Lit.: WaltherL; Mattheson Capellm.; Fr. Blume, Stu-
dien zur Vorgesch. d. Orchestersuite im 15. u. 16. Jh.,
= Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; M. Reimann, Zur
Entwicklungsgesch. d. D., Mf V, 1952- VI, 1953.
Double (frz.) -*■ Doppelschlag.
Double cadence (d'ubb kad'a:s, frz.)-> Doppelschlag,
auch ->■ Triller mit Nachschlag.
240
Drehleier
Double relish (dAbl j'elij, engl.), eine beliebte zu-
sammengesetzte Verzierung des 17. Jh. (Playford 1654;
Simpson 1659; Mace 1676), die in ihrer typischen
Form aus 2 Trillern mit verschiedenartigen Nach-
schlagen besteht.
Doxologie (griech. So^oXoyta, Lobpreisung), in der
christlichen Kirche der liturgische Lobspruch oder
Lobgesang zur Verherrlichung der gottlichen Trinitat.
Die Liturgik unterscheidet 2 Formen der D. : Die groBe
D. (Doxologia maior), das Gloria in excelsis Deo der
Messe (nach Lukas 2, 14 auch Hymnus angelicus ge-
nannt), wird gesungen an den Sonntagen des Kirchen-
jahres (ausgenommen die Advents-, Vorfasten- und
Fastenzeit), an alien Festtageh sowie an den Wochen-
tagen der Osterzeit. Die kleine D. (Doxologia minor,
auch Hymnus glorificationis), das Gloria Patri et Filio et
Spiritui Sancto mit dem Nachsatz Sicut erat in principio
et nunc et semper et in saecula saeculorum, Amen, beschlieBt
(mit einigen Ausnahmen) in ihrer vollstandigen Form
den antiphonischen Psalmengesang (-»■ EUOUAE). -
Luther behielt in der Formula missae die kleine D. mit
dem Introitus bei, ebenso das Gloria nach dem Kyrie;
noch in der preuBischen und bayerischen protestanti-
schen Kirchenordnung finden sich beide D.n.
Dp (Dp), Abk. fur Dominantparallele (Funktionsbe-
zeichnung nach Riemann).
Dragma (griech., Garbe) heiBt im spaten 14. Jh. und
bis um 1430 eine Note mit nach oben und unten gezo-
gener -> Cauda: ♦. Das Dr. wurde haufig notiert, blieb
aber vieldeutig ; u. a. kann es eine imperf ekte Semibre-
vis (-* Quellen: Sq und Pit) oder eine um die Halfte
verlangerte Minima, d. h. die Halfte einer Semibrevis
maior (♦♦ = « ; ModA und Ch) bezeichnen. Es soil vor-
iibergehenden Mensurwechsel und synkopierte Rhyth-
mik verdeutlichen.
Lit. : CS III 1 86 (Th. de Caprio) u. 373 (Anon. Ill); WolfN ;
ApelN ; K. v. Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento
u. friihen Quattrocento, = Publikationen d. Schweizeri-
schen Musikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956), S. 120.
Drame lyrique (dram lir'ik, frz.), die zu Beginn der
2. Halfte des 19. Jh. in Frankreich durch Verschmel-
zung von Stilelementen der Grand opera und der Ope-
ra-comique entstandene Gattung einer auf Gefuhlswir-
kungen zielenden und zum Sentimentalen neigenden
Oper mit Chor und Ballett, in ihren Anfangen noch
mit gesprochenem Dialog (wie die Opera-comique),
dann mit Rezitativen. Der Typus des Dr. 1. pragt sich in
Gounods (in vielem noch zur Grand opera tendieren-
den) Faust (1859) aus. Einen entscheidenden Beitrag
zur Entwicklung des Dr. 1. leistete Thomas mit Mignon
(1866). Formale Eleganz, subtile Instrumentation, Ver-
wendung von Erinnerungsmotiven, eine teils rhyth-
misch lebhafte und graziose, teils kontrastierend von
Sentiment erfiillte Melodik sind kennzeichnend. Bei-
spiele des spateren, durch besondere Betonung melodi-
scher SiiBe stark ins Sentimentale gewandten Dr. 1.
stellen Manon (1884) und Werther (1886) von -+ Mas-
senet dar. Mit G. Charpentiers Louise (1900) iiber-
nimmt das Dr. 1. Ziige des italienischen -> Verismo.
Zu den bedeutenden Komponisten des Dr. 1. zahlen
Lalo, Saint-Saens, Bizet, Chabrier, Faure, Widor. Zur
Gattung des Dr. 1. gehort auch PelUas et Melisande von
Debussy, das Hauptwerk des -*■ Impressionismus.
Dramma per musica (ital.), auch Dramma in mu-
sica (Monteverdi 1641 und 1642) oder Dramma musi-
cale (Landi 1634), ist im 17.-18. Jh. haufig Bezeichnung
fiir ernste Opern, vor allem im EinfluBbereich der
-»- Neapolitanischen Schule. Mit der Benennung Dram-
ma sind im 17. Jh. auch kennzeichnende Adjektiva
wie pastorale, morale, fantastico, im 18. Jh. serio, se-
miserio, giocoso (so Mozarts Don Giovanni), semigio-
coso, comico, seriocomico verbunden. J. S. Bach narra-
te einige seiner nicht fiir die Kirche geschriebenen Kan-
taten Dr. per m., z. B. Der Streit zwischen Phoebus und
Pan (BWV 201) und Hercules auf dem Scheidewege
(BWV 213).
Dramma sacro (ital.), eine Gattung des neapolitani-
schen Musiktheaters, eine geistliche Oper nach Stoffen
aus der Heiligenlegende mit eingeschobenen derb-
realistischen Buffoszenen. Es wurde vor allem von den
Konservatorien, geistlichen Kongregationen und Or-
den aufgefiihrt. Ein fruhes Beispiel eines Dr. s. ist II
fido campione von G.Francesco del Gesu (1656). Auch
Pergolesis erstes dramatisches Werk, Li Prodigi della
divina grazia nella Conversione, e morte di S. Guglielmo
Duca d'Aquitania (1731), gehort zu dieser Gattung.
Lit. : H. Hucke, Die neapolitanische Tradition in d. Oper,
Kgr.-Ber.NY1961,BdI.
Dreher, ein osterreichischer, dem ->■ Landler ahnlicher
Tanz im 3/4-Takt, dessen Melodie gewohnlich zwei zu
wiederholende 8taktige Gruppen umfaBt.
Drehleier, Radleier, Bauern- oder Bettlerleier (lat.
organistrum, symphonia mit vielen volkssprachlichen
Nebenformen wie cifonie, chifonie; frz. vielle a roue,
im 15. Jh. auch vielle schlechthin; ital. lira tedesca;
span, zanfonia; engl. hurdy-gurdy), ein Streichinstru-
ment, dessen Saiten durch ein im Innern des Corpus
laufendes, mit einer Kurbel gedrehtes Scheibenrad an-
gestrichen werden. Die Saiten werden verkiirzt durch
Tangententasten. Das Corpus hat die verschiedenen
Formen der Fiedel (Birnen-, Kasten-, 8-Form) ; Corpus
und Tasten waren zunachst so groB, daB 2 Spieler das
Instrument bedienen muBten. In Europa ist die Dr. zu-
erst abgebildet in Spanien (Portalplastik an Santo Do-
mingo in Soria um 1150), danach auch in Frankreich
und England. Die Traktate des 13. Jh. (GS I, 303 und
II, 286) handeln von den Mensuren der Tangenten. Zu
dieser Zeit hatte die Dr. 6-8 Tasten; damit war eine
Melodie im Umfang einer Oktave spielbar. Im 14. Jh.
wurde die Zahl der Tasten erhoht. Das bei Virdung
1511 abgebildete Instrument hat 4 Saiten; erst im 18.
Jh. wurden sechs ublich. Nach den Drehtangenten, die
alle Saiten zugleich verkiirzen, kamen schon um 1200
StoBtangenten auf, die nur eine Saite beruhren, wah-
rend die anderen unverkiirzt weiterklingen. Die der
Dr. gemaBe Spielweise ist daher der organale Parallel-
klang bzw. die von Bordunen begleitete Melodie. Als
diese Praktiken ganzlich unziinftig wurden, sank auch
die Dr. ab. M.Praetorius (1619) nennt sie Bawren- vnnd
vmblauffenden Weiber Leyre. Zu Anfang des 18. Jh. er-
lebte sie zusammen mit der -> Musette (- 1) eine Nach-
bliite in der franzosischen Schafermode. Fiir Dr. schrie-
ben u. a. J. Aubert, Ch. Baton und -> Boismortier. Fran-
zosische Instrumentenmacher wie Baton, Louvet, De-
laumay, Lambert und Barge fertigten kostbar verzierte
Dr.n in Lauten- oder Gitarrenform. Schuberts Lied
Der Leiermann (SchluBlied der Winterreise) bezieht sich
auf den Dr.-Spieler, nicht auf den Drehorgelmann.
Die Bezeichnung Leiermann gilt einem abgesunkenen
Musikerstand; das Wort leiern bekam geringschatzige
Bedeutung. - Eine Dr. mit Melodie- und Bordunsai-
ten sowie einigen Orgelpfeifen war die Vielle organi-
sed oder Lira organizzata, fiir die Gyrowetz, Pleyel,
Sterkel und J.Haydn (Konzerte Hob. Vllh, 1-5, Not-
turni Hob. II, 25*-32*) komponierten.
Lit. : S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511),hrsg. v. R.
Eitner, = PGf M, Jg. X, Bd XI, Bin 1882 ; dass., Faks. hrsg.
v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius Synt. II; M. Mer-
senne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr.
16
241
Drehorgel
Lesure, 3 Bde, Paris 1963; A. Terrasson, Diss. hist, sur la
vielle, Parisl741, auch in: Melanges d'hist.,de lit. ..., Pa-
ris 1768 ; M. Corrette, Methodepourapprendreajouerde
la vielle, Paris 1763; H. Lapaire, Vielles et cornemuses,
Moulins 1901 ; E. de Bricqueville, Notices sur la vielle,
Paris 2 191 1 ; E. Winternitz, Bagpipes and Hurdy-Gurdies
in Their Social Setting, Bull, of the Metropolitan Museum
of Art, N. F. II, 1943; H. R. Edwall, Ferdinand IV and
Haydn's Concerts for the Lira organizzata, MQ XLVIII,
1962.
Drehorgel (Leierkasten; frz. orgue de barbarie; ital.
organino), eine fahrbare oder tragbare kleine Orgel
mit gedackten Pfeifen oder auch mit Zungenpfeifen,
durch eine Kurbel nicht nur mit Wind versorgt, son-
dern auch gespielt, indem eine dadurch in Umdrehung
versetzte Stiftwalze oder in neuerer Zeit eine gelochte
Scheibe (Notenblatt) die Ventile zu den Pfeifen offnet
(-»■ Mechanische Musikwerke). Nicht selten ist die Dr.
auch mit einem Tremulanten versehen (Wimmeror-
gel). Die fiir die Dr. charakteristische Koppelung von
Stiftwalze und Kurbel ist erst um 1700 nachweisbar.
Bis etwa 1800 bestanden -*■ Drehleier und Dr. neben-
einander, danach blieb die Dr. allein iibrig, vor allem
als Instrument der StraBenmusikanten, nachdem sie
seit der 2. Halfte des 18. Jh. in Verbindung mit dem
-v Bankelsang stand. Als Barrel-organ fand die Dr. in
kleineren englischen Gemeinden in der 1. Halfte des
19. Jh. Eingang in die Kirche.
Lit.: H. Zeraschi, Dr., Serinette u. barrel organ, Diss.
Lpz. 1961,maschr.
Drei-D-Klang -> High Fidelity.
Dreiklang (lat. trias; frz. triple accord; engl. triad),
ein aus zwei Terzen zusammengesetzter 3toniger Ak-
kord, speziell der Dur- oder MoUakkord (c-e-g;
d-f-a). Die Bezeichnung Dr. ist als Obersetzung von
Trias im friihen 18. Jh. gepragt worden, wobei man
unter Klang (lat. -*■ sonus) einen Einzelton verstand
(Mattheson 1739). Die unharmonischen Dreiklange
(triades anarmonicae), der verminderte Dr. (trias defi-
ciens; cis-e-g) und der ubermaBige Dr. (trias super-
flua; c-e-gis) sind als Abweichungen vom harmoni-
schen Dr. (trias harmonica; c-e-g) zu verstehen. Unter
der Voraussetzung, daB Tone im Oktavabstand har-
monisch (qualitativ) identisch sind, umfaBt der Begriff
des Dr.s auBer der Grundform (c-e-g) auch Oktaver-
weiterungen (c-g-e 1 , »zerstreuter« Dr., trias diffusa),
Oktawerdoppelungen (c-e-g-c 1 , »vermehrter« Dr.,
trias aucta) und Umkehrungen (Sextakkord e-g-c 1 ,
Quartsextakkord g-ci-e 1 ). - Bis zum 16. Jh. wurden
in der Theorie der Mehrstimmigkeit 3tonige Zusam-
menklange als Komplexe von zweitonigen begriffen,
el-fl
z. B. die Klangfolge g-f als Zusammensetzung von
c-f
e £ und 6 ^ sowieflf. Als erstersahZarlino (1558) im
Dr. eine ubergeordnete Einheit; nicht nur die einzel-
nen Konsonanzen, die Quinte (3:2 in der Messung
nach Saitenlangen), die groBe Terz (5 :4) und die kleine
Terz (6:5), sondern auch die Dreiklange im Ganzen
sind nach Zarlino »Harmonien«, hinter denen »ausge-
zeichnete« Zahlenverhaltnisse stehen: hinter dem Dur-
Dr. die harmonische Proportion (15:12:10), hinter
dem Moll-Dr. die arithmetische (6 : 5 : 4) . C. SchneegaB
(1592) und J.Lippius (1612) deuten den Dr. als Trini-
tatssymbol. Die Theorie der Dr.s-Umkehrung, die
Unterscheidung zwischen Grundton (c 1 in e-g-c 1 ) und
BaBton (e in e-g-c 1 ), entstand im friihen 17. Jh. (J.
Lippius 1612, H.Baryphonus 1630), setzte sich aber
erst im 18. Jh. (J.-Ph. Rameau 1722) gegeniiber der Vor-
stellung durch, daB der (General-)BaB auch als Trager
von Sextakkorden das Fundament der Zusammenklan-
ge bilde. - Rameau sah in der Partialtonreihe (C c g
c 1 e 1 g 1 ... = 1:2:3:4:5:6 ...) das Naturvorbild
des Dur-Dr.s; fiir den Moll-Dr. aber fehlt ein physi-
kalisches Modell. LaBt man dennochauBer der Quinte
nur die groBe Terz, aber nicht die kleine, als »direkt
verstandliches« (in der Partialtonreihe unmittelbar auf
den Grundton bezogenes) Intervall gelten (M.Haupt-
mann), so kann man den Moll-Dr. als bloBe Variante
des Dur-Dr.s oder als Dr. mit doppeltem Grundton (f
neben d in d-f-a) deuten. In der Theorie des harmoni-
schen -*■ Dualismus besteht nach A.v.Oettingen der
Dur-Dr. (ci-e^g 1 ) aus Obertonen eines gemeinsamen
Grundtons (C) und der Moll-Dr. umgekehrt aus
Grundtonen (d-f-a) eines gemeinsamen Obertons
(a 3 ). H.Riemann konstruierte als Analogon zur Ober-
tonreihe eine (fiktive) Untertonreihe (a^ a 1 d 1 a f d . . . )
und erklarte den obersten Ton (a) des Moll-Dr.s (d-f-a)
zu dessen harmonischem Zentrum.
Lit.: M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Me-
trik, Lpz. 1853, 21873; A. v. Oettingen, Harmoniesystem
in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz. 1866, Lpz. 2 1913
als: Das duale Harmoniesystem; C. Stumpf, Konsonanz
u. Konkordanz, = Beitr. zur Akustiku.Mw. VI, Lpz. 1911;
H. Riemann, Ideen zu einer Lehre v. d. Tonvorstellungen,
JbP XXI, 1914 - XXII, 1915; ders., Neue Beitr. zu einer
Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP XXIII, 1916; Riemann
MTh ; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1 948) ; C.
Dahlhaus, War Zarlino Dualist?, Mf X, 1957 ; J. A. Mor-
ton, Numerical Orders in Triadic Harmony, Journal of
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lagen d. Neuen Musik d. 17. Jh., AMI XXXIV, 1962. CD
Dresden.
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mus. Kapelle, Dr. 1849; ders., Zur Gesch. d. Musik u. d.
Theaters am Hofe zu Dr., 2 Bde, Dr. 1861/62; H. Mann-
stein, Denkwiirdigkeiten d. Churfurstlichen u. Konigli-
chen Hofmusik in Dr. im 18. u. 19. Jh., Lpz. 1863; R.
Prolss, Beitr. zur Gesch. d. Hoftheaters zu Dr., Erfurt
1879; O. Schmid, Musik am sachsischen Hofe, 10 Bde,
Lpz. 1905;ders., Die sachsische Staatskapelle in Dr. 1548-
1 923 u. ihre Konzerttatigkeit, Dr. 1 924 ; H. v. Brescius, Die
Kgl. Sachsische mus. Kapelle v. ReiBiger bis Schuch, Dr.
1898; R. Haas, Beitr. zur Gesch. d. Oper in Prag u. Dr.,
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d. kath. Hofkirche zu Dr., hrsg. v. d. Ges. zur Erhaltung u.
Fdrderung d. Musik in d. kath. Hofkirche zu Dr., Dr. 1929 ;
P. Adolph, Vom Hof- zum Staatstheater, Dr. 1932; W.
Gurlitt, Joh. Walter ..., Luther-Jb. XV, 1933; R. Eno-
lander, Die Instrumental-Musik am Sachsischen Hofe
unter Friedrich August III. u. ihr Repertoire, Neues Arch,
f . Sachsische Gesch. LV, 1934 ; ders., Die Dresdner Instru-
mentalmusik in d. Zeit d. Wiener Klassik, = Uppsala Uni-
versitets Arsskrift V, 1956; ders., Die erste ital. Oper in
Dr., STMf XLIII, 1961 ; O. Funke, Fs. zur Jahrhundert-
feierd. Dr.erOper 1834-1934, Dr. 1934; G. Pietzsch, 125
Jahre Opernschaffen in Dr., Mk XXX, 1938; F. Kummer,
Dr. u. seine Theaterwelt, Dr. 1939; Dr.er Kapellbuch,
hrsg. v. G. Hausswald, Dr. 1948; H. Schnorr, Dr., 400
Jahre Deutsche Musikkultur, Dr. 1948 ; Fr. Busch, Aus d.
Leben eines Musikers, Zurich 1949; R. Mauersberger,
Dr. u. Bach, in: J. S. Bach 1750-1950, hrsg. v. G. HauB-
wald, Dr. 1950; W. Virneisel, Zur Gesch. d. Bachpflege
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sik f. d. Dr.er Hoffeste, = Mw. Arbeiten VI, Kassel 1951 ;
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kon, Bin (1953); K. Laux, Bausteine zu einer Dr.er Mg.,
Wiss. Annalen V, 1956; E. H. Hofmann, Capella Sanctae
Crucis, Bin 1956, 21957 ; K.-H. Kohler, Die Triosonate bei
d. Dr.er Zeitgenossen J. S. Bachs, Diss. Jena 1956, maschr. ;
E. Schmidt, Der Gottesdienst am kurfiirstlichen Hofe zu
Dr., = Veroff. d. ev. Ges. f. Liturgieforschung XII, Gottin-
gen u. Zurich 1961 ; W. Becker, Die deutsche Oper in Dr.
unter d. Leitung v. C. M. v. Weber 1817-26, =Theater u.
Drama XXII, Bin (1962).
Drive (cbaiv, engl., antreiben, hetzen), metrisch-
rhythmische Intensitat, die fiir die mitreifiende Dyna-
242
Duisburg
mik im Jazzmusizieren wesentlich ist und durch das
Uberlagern von -*■ Beat und Off-beat zustande kommt.
Die Qualitat einer Band wird haufig nach ihrem Dr.
beurteilt.
Drum (diAm, engl.), Trommel; im Jazz bezeichnet
dr.s, haufig auch dr. set (Trommelsatz, frz. batterie),
das -> Schlagzeug, das in einer gewissen gleichbleiben-
den Anordnung um einen Spieler (Schlagzeuger; engl.
drummer) gruppiert ist. Es besteht hauptsachlich aus
groBer und kleiner Trommel, Cow-bell (Kuhglocke),
Wood block (Holzblock), Tom-tom und Becken ver-
schiedener GrbBe.
Dualismus, eine Theorie, die annimmt, daB im Dur-
dreiklang (c-e-g) der unterste Ton (c), im Molldrei-
klang (A-c-e) der oberste Ton (e) das harmonische
Zentrum (centre harmonique) bilde. M.Hauptmann,
der nur Oktave, Quinte und groBe Terz als direkt ver-
stdndliche Intervalle gelten lieB, deutete 1853 den Dur-
dreiklang als aktives Quint- und Terz-Haben, den
Molldreiklang als passives Quint- und Terz-Sein eines
Tones. Dieser Interpretation des Dur-Moll-Gegen-
satzes - Ergebnis der dialektischen, von Hegel beein-
fluBten Denkweise Hauptmanns - verdankt der D.
seine Entstehung. A. v. Oettingen begriindete ihn 1866
dahingehend, daB die Akkordtone in Dur (z. B. g 1 hi
d 2 ) einen gemeinsamen Grundton (G), in Moll dagegen
(z. B. d B G) einen gemeinsamen Oberton (d 2 ) haben.
Dort sind gi h' d 2 Obertone von G, hier d B G Unter-
tdne von d 2 . H. Riemann ubernahm v. Oettingens Be-
zeichnungsweise des Dur- und Molldreiklangs (z. B.
g + furg-h-d, °dfiir d-b-g), setzte sichjedoch nicht wie
dieser fur die Einfiihrung des reinen Mollgeschlechts
(als Spiegelbild des reinen Durgeschlechts) in die Mu-
sikpraxis ein. Nach anfanglichem Glauben an die psy-
chologische, zeitweise sogar an die akustische Realitat
der -»■ Untertone, kam er spater unter dem EinfluB der
Tonpsychologie C.Stumpfs ganz davon ab, im akusti-
schen Phanomen der Partialtone eine natiirliche Erkla-
rung der beiden Dreiklange zu suchen. Statt dessen
fiihrte er 1905 den Unterschied zwischen Dur und Moll
darauf zuriick, dafi die Durkonsonanz in den einfachsten
Verhdltnissen der Steigerung der Schwingungsgeschwindig-
keit ihr Wesen hat, die Mollkonsonanz dagegen auf den
einfachsten Verhdltnissen der Vergrofierung der schwingen-
den Masse (Schallwellenlange . . .) beruht. Der D. fand
seine Vollendung (und Ubersteigerung) im Polarismus
S. Karg-Elerts, der, wie vor ihm schon v. Oettingen,
auch die 3 Hauptfunktionen beider Tongeschlechter in
die Spiegelbildlichkeit einbezog und - der musikali-
schen Praxis teilweise zuwider - entsprechend umbe-
nannte, z. B. in C dur Contra(domina)nte = f-a-c, da-
gegen in F moll Contra(domina)nte = g-es-c.
Lit. : M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Me-
trik, Lpz. 1853, 21873; A. v. Oettingen, Harmoniesystem
in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz. 1866, Lpz. 21913
als: Das duale Harmoniesystem; H. Riemann, t)ber d.
mus. Horen, Diss. Gottingen 1873, Lpz. 1874 als: Mus.
Logik; ders., Mus. Syntaxis, Lpz. 1877; ders., Das Pro-
blem d. harmonischen D., Lpz. 1905; Riemann MTh; S.
Karg-Elert, Akustische Ton-, Klang- u. Funktionsbe-
stimmung, Lpz. 1930; ders., Polaristische Klang- u. To-
nalitatslehre, Lpz. 1931; C. Dahlhaus, War Zarlino
Dualist?, Mf X, 1957; D. Jorgenson, A Resume of Har-
monic D., MLXLIV, 1963 ; P. Rummenholler, M. Haupt-
mann als Theoretiker, Wiesbaden 1963.
Ductia (kt.) -»■ Estampie.
Dudelsack-*- Sackpfeife.
due (ital., zwei), a due (frz. a deux), a 2, zu zweien,
zeigt in Orchesterpartituren an, daB zweifach besetzte
Instrumente (z. B. Floten, Oboen, Klarinetten), die auf
einem System notiert sind, dasselbe zu spielen haben.
Diisseldorf.
Lit.: G. Wimmer, Theater u. Musik in D., Fs. zur 600-
Jahrfeier d. Stadt D., 1888; Fr. Walter, Gesch. d. Thea-
ters u. d. Musik am kurpfalzischen Hofe, = Forschungen
zur Gesch. Mannheims ... I, Lpz. 1898; J. Alf, Gesch. u.
Bedeutung d. Niederrheinischen Musikfeste, in: D.er Jb.
XLII/XLIII, 1940/41 ; Jb. 106. Niederrheinisches Musik-
festin D. u. ff., hrsg. v. J. Alf, D. 1951ff.; Beitr. zur Mg. d.
Stadt D., hrsg. v. K. G. Fellerer, = Beitr. zur rheinischen
Mg. I, Koln u. Krefeld 1952; G. Croll, Zur Vorgesch. d.
»Mannheimer«, Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Musikge-
schichtliches aus Rapparinis Johann-Wilhelm-Ms., Mf
XI, 1958.
Duett (ital. duetto, Diminutiv von duo), ein Gesangs-
stiick f iir zwei gleiche oder ungleiche Singstimmen mit
Begleitung eines oder mehrerer Instrumente. Die im
18. Jh. D. genannten Instrumentalstucke werden heute
meist als ->• Duo bezeichnet. Von den 2st. Vorlaufern
im 16. Jh. (-> Bicinium, Canzone, Duo, Madrigal,
Motette) sind die D.e deutlich durch den GeneralbaB
und die aus ihm herausgebildeten Arten der Begleitung
getrennt. Die Bezeichnung D. trat nicht gleichzeitig
mit der Sache auf. Bis weit ins 17. Jh. kennzeichnete
man die Form (Canzone, Madrigal, Scherzo), die An-
zahl der Stimmen (a due voci; a due tenori) oder der
Personen (Due Ninfe sole in Caccinis Euridice) oder
kombinierte die Benennung der Form mit der Angabe
der Stimmenzahl (Arte musicali a una, a due, a tre voci,
Frescobaldi 1630). Wahrend in der Oper erst im 18.
Jh. die Bezeichnung D. zur Regel wurde, erscheint sie
in Kantaten 1651 (B. Strozzi, Cantate, Ariette e Duetti)
und in Kammer-D.en 1677 (M.Cazzati, Duetti per
camera). - In der Oper steht das D. seit Mitte des 17. Jh.
nur noch gelegentlich an Aktschliissen. Im 18. Jh. er-
hielt es in der Opera buffa (Pergolesi, La serva padrona)
und unter deren EinfluB auch in der Opera seria wie-
der einen festen Platz. Im 19. Jh. wurde das D. wie die
Arie als geschlossene Form aufgelost. Das »Liebes-D.«
aus Wagners Tristan und Isolde ist eine Szene. Doch ne-
ben dem Wagnerschen Musikdrama blieb das D. als
geschlossene Form bei den »Circumpolaren« (Kroyer)
erhalten; in der italienischen Oper erhielt es eine be-
deutende Aufgabe (Verdi, Rigoletto). Das Wiederauf-
leben der Nummernoper im 20. Jh. festigte die Stel-
lung des D.s in der Opernform. - Aus den 2st. Con-
tinuomadrigalen entwickelte sich im 17. Jh. das Kam-
mer-D. Neben dem -+ Dialog (Fr. Rasi, Dialoghi rappre-
sentativi, 1620) bildeten sich verschiedene Formen der
Zweistimmigkeit heraus, die dann in den Kammer-D .en
verbimden wurden: Wechselrede und 2st. Vokalsatz,
polyphone und homophone Struktur, bloBe General-
baBbegleitung und Hinzufiigung von obhgaten In-
strumenten. Den Hohepunkt dieser Gattung bilden die
Kammer-D.e A. Steffanis, die vorbildhch f iir das friihe
18. Jh. wurden. - DaB das gesellige Lied sich gern der
Zweistimmigkeit bedient, bedarf keiner Begriindimg.
Doch konnen Lied-D.e auch das Niveau der Vortrags-
lieder des 19. Jh. erreichen (Schumann, Er und Sie, op.
78, 2; Brahms, op. 20). Andererseits verleugnen sie
nicht die asthetische Problematik, das Aufgesetzte der
2. Stimme, solcher erweiterten Sololieder.
Ausg.: Alte Meister d. Bel canto. Ital. Kammerd. d. 17. u.
18. Jh., hrsg. v. L. Landshoff, Lpz. 1927.
Lit. : E. Schmitz, Zur Gesch. d. ital. Continuo-Madrigals
im 17. Jh., SIMG XI, 1909/10; ders., Zur Gesch. d. ital.
Kammerd. im 17. Jh., JbP XXIII, 1916; Th. Kroyer, Die
circumpolare Oper, JbP XXVI, 1919. HK
Duisburg.
Lit.: Beitr. zur D.er Theatergesch., hrsg. v. O. C. A. zur
Nedden, D. 1953ff.; Fr. Meyer-Todten, D. als Musik-
stadt in Vergangenheit u. Gegenwart, D.er Forschungen
III, D. 1960; Beitr. zur Mg. d. Stadt D., hrsg. v. G. v. Ro-
16»
243
Dulcimer
DEN U. FR. MeYER-ToDTEN,
XXXVII, Koln 1960.
■ Beitr. zur rheinischen Mg.
Dulcimer (d'Alsimai, engl.) ->-Hackbrett.
Dulzian, - 1) Name eines Doppelrohrblattinstru-
ments, das in der altfranzosischen Literatur bis um 1500
doucaine heifit, bei Tinctoris 1486 dulcina (mit 7 vor-
derstandigen Grifflochern und einem Daumenloch)
genannt und als tibia imperfecta der Schalmei gegen-
iibergestellt wird. Als volkstiimliches Schalmeiinstru-
ment ohne Lippenstiitze lebt die Dulzaina in Spanien
bis in die Gegenwart fort. - Um 1500 tritt in Ober-
italien der Name dolzaina auf. Bei Zacconi 1592 hat
die Dolzaina 8 Griff locher (Umfang c-d 1 , mit Klappen
2-3 Tone mehr). Um 1600 ist D. in Deutschland ein
Name fur das Fagott, bei Praetorius 1619 auch fur den
Sordun. G.B.Buonamente veroffentlichte (1636) ei-
ne Canzon a 2. Canon Violino & dolzaina d Basso da
brazzo. - 2) In der Orgel ist D. (Dolcian, Dolcan) eine
sanfte, leicht naselnde Zungenstimme zu 16' und 8'
mit zylindrischem langem Becher und meist kurzem
konischem Unterteil. Sie kommt vom 16. bis ins 19.
Jh. vor und neuerdings wieder seit der Reform durch
die Orgelbewegung. D. wird auch als konische und
zylindrische streichende Labialstimme (Dulzflote) ge-
baut, zu 8' oder 4', als trichterformige offene Stimme
(Dolkan, Tolkan, Dulzain, Dolcan - Nikolaus Maas -)
und offene Trichterflote.
Lit.: zu 1): L. Zacconi, Prattica di musica . . ., Venedig
1592, 2 1596; Praetorius Synt. II; C. Sachs, Doppione u.
Dulzaina. Zur Namensgesch. d. Krummhorns, SIMG
XI, 1909/10, dazu u. a. G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr.
mit Windkapsel, AfMw VII, 1925; F. Brucker, Die Blas-
instr. in d. altfrz. Lit., = Giessener Beitr. zur Romanischen
Philologie XIX, GieBen 1926; J. A. Donostia u. J. To-
mas, Instr. de musica popular espariola, AM II, 1947; A.
Baines, Fifteenth-Cent. Instr. in Tinctoris »De Inventione
et Usu Musicae«, The Galpin Soc. Journal III, 1950; A.
Reimann, Studien zur Gesch. d. Fag., Diss. Freiburg i. Br.
1956, maschr.
Dumka (Deminutivum zu ukrainisch duma, Gedan-
ke, Volkslied ; Mehrzahl dumki) ist das ukrainische und
polnische lyrische und epische Volkslied, auch die
Volksballade. Zu ihren Merkmalen gehoren starke
Mollfarbung, langsames Tempo und ein dementspre-
chend elegisch-sentimentaler Ausdruck. Die D. fand
auch in die Instrumentalmusik vor allem slawischer
Komponisten Eingang; bedeutend ist Dvoraks Kla-
viertrio op. 90, das Dumky-Trio (1891), in dessen 6
Satzen entsprechendes Melodiengut verarbeitet ist, wie
schon in seinen Klavierstiicken D. op. 35 (1876) und
D. und Furiant op. 12 (1884). Beachtenswert ist auch
die D. im Intermezzo »Traum des jungen Landmanns«
vor Ende des 1. Aktes in Mussorgskijs unvollendeter
Oper Sorotschinskaja jarmarka (»Der Jahrmarkt von
Sorotschinzy«).
Ausg. : Pesni i dumy Sowjetskoj Ukrainy (»Lieder u. Balla-
den d. Sowjet-Ukraine«), hrsg. v. G. Litwak, Moskau
1940, mit einer Abh. v. M. Rylskij21951.
Lit.: Dm. M. Rewuzkij, Ukrainski dumy ta pisni isto-
rytschni (»Ukrainische Balladen u. hist. Lieder«), Kiew
1919, Charkow 21930; Ukrainska radjenska Enzyklo-
pedija (Ukrainische Enzyklopadie), Bd IV, hrsg. v. d.
Akad. d. Wiss., Kiew (1961), Artikel Diimka.
Duo (lat. zwei; ital. due) bezeichnet sowohl vokale
als auch unterschiedhch gebildete instrumentale Stiicke
und bezieht sich auf die Anzahl der Spieler (D. fur 2
Fl.; D. fur Kl. vierhandig), der Stimmen (C.Ph.E.
Bach, D. contrapuncto fur Kl.) oder der Melodiestim-
men (D. . . . bedeutet instrumentaliter eine Composition
von 2 Singe-Stimmen, welche von einem G. B. als der
dritten Partie begleitet wird, Walther 1732). Bei der Trio-
sonate wird manchmal der GeneralbaB nicht mitge-
zahlt (Joh.Ph.Krieger, 12 Sonate a 2), meist aber in die
Zahlung eingeschlossen (A.Corelli, Sonate da Camera a
tre). Wie das Zahlverfahren wechselt auch die Bezeich-
nung fur gleichgeartete Stiicke: Telemanns op. 2 wird
in den Quellen als Sonates sans basse, a deux Flutes tra-
verses, aber auch als Six Sonatas or Duets for two German
Flutes und als Duetto a due Flauti a traverso bezeichnet;
die gleich gebauten Stiicke op. 5 tragen u. a. den Titel
VI Sonates en D. a Flutes traverses. Auch das 2st. Mu-
sikstiick fur ein Instrument kann D. oder -»■ Duett
heifien (J.S.Bach, 4 Duette aus dem III. Teil der Cla-
vieriibung). Die Bezeichnungen Sonate, Duett und D.
werden bis zum Ende des 18. Jh. synonym gebraucht. -
Einige Motetten des 14. Jh. beginnen mit teilweise
langen 2st. Einleitungen (Machaut, Motette Nr 21).
Diese 2st. Partien werden in Motetten und Messen
des 15. Jh. zu selbstandigen Teilen ausgebildet und oft
D. genannt. Ob der friihe Beleg Dui - Chorus bei Ci-
conia schon D. als Bezeichnung fur die Zahl der Stim-
men verwendet oder auf den Gegensatz chorisch - soli-
stisch (wie das parallel gebrauchte Unus - Chorus nahe-
legt) hinweist, ist schwer zu entscheiden. Von Dufay,
Dunstable, Ockeghem, Josquin wird D. als Bezeich-
nung der Stimmenzahl verwendet. Selten kommt
Gemel (->■ Gymel) vor. Im 16. Jh. steht D. neben Bi-
cinium (P. de la Rue, Gombert, Clemens non Papa, bei
dem analog trio gebildet wird). Auf synonymen Ge-
brauch weist der Titel Bicinia sive d. (1553). Am Ende
des Jahrhunderts taucht D. auch als Bezeichnung fiir
instrumentale Stiicke auf, die neben vokalen aufge-
zeichnet wurden (Whythorne, D.s or Songs for 2 voices,
1590). Fiir Instrumentalstiicke ist allerdings bis ins
friihe 18. Jh. der Ausdruck D. ungebrauchlich. Stiicke
fiir 2 Melodieinstrumente hiefien Air (Ayre), Capriccio,
Divertimento, Fantasia (besonders in England), am
haufigsten Sonata, wobei entweder die Anzahl der
beteiligten Instrumente angegeben (Sonata a due istro-
menti) oder diese aufgezahlt werden (Suonateper camera
a Violino, e Violoncello von B.Laurentius 1691). L.Ros-
sis Sonata in dialogo (1613) schlieBt im Titel an die Dia-
logkomposition der Monodisten an ; Joh. Schenk wahl-
te fiir seine D.s fiir 2 Sologamben einen Phantasietitel
(Le nymphe di Rheno, um 1700). K.Fr.Riecks Bezeich-
nung Duetto a Oboe e Violino (Ende des 17. Jh.) diirfte
in Anlehnung an das vokale Kammerduett (->■ Duett)
gebildet sein. Wahrend die Gewohnheit, die Stiicke
Sonate zu nennen, bis ins 20. Jh. reicht, verschwanden
die anderen Bezeichnungen allmahlich, und es wurden
2st. Stiicke oder solche fiir 2 Spieler in England meist
Duet, in Frankreich meist D., in Deutschland D. oder
Duett genannt. D.s fiir mannigfaltige Besetzungen,
mit Vorliebe fiir 2 Violinen, 2 Flbten oder Violine und
Flote, schrieben die Komponisten der Mannheimer
Schule sowie C. Ph. E. und W. Fr. Bach. Von ersteren
sind auch Duette fiir 2 Claviere uberliefert, von W.Fr.
Bach ein Duetto (Sonata in F major fiir 2 Kl.). Der spa-
tere Brauch, sowohl Stiicke fiir Klavier vierhandig als
auch fiir 2 Klaviere D. bzw. Duett zu nennen, hat hier
seine Wurzeln. Auch Stiicke fiir ein Melodieinstru-
ment und Klavier wurden gelegentlich statt Sonate D.
bzw. Duett genannt (C. Ph. E. Bach, Duetto a Cembalo
obligato e Violino, 1731), doch setzte sich diese Bezeich-
nung nicht durch. Am Ende des 18. Jh. stieg die Anzahl
der originalen D.-Kompositionen wie der Arrange-
ments fiir D. (von Opern, Kirchenmusik, Kammer-
musik) erheblich; der Pariser Musikverleger Sieber
verdoppelte sein Angebot an D.s in 20 Jahren, und der
1796 erschienene Katalog von Imbault zahlt neben vie-
len originalen D.s fiir mannigfache Instrumentenkom-
binationen (Streicher, Blaser und vermischt) 155 Ar-
244
Dur
rangements von Ouverturen fiir 2 Violinen, 73 fiir 2
Floten und 46 fiir 2 Klarinetten auf. Wahrscheinlich
hat diese Flut franzosischer Drucke mit D.-Kompo-
sitionen zur Festigung der Bezeichnung D. gegeniiber
Duett in Deutschlandbeigetragen. Von Mozart, Haydn,
Beethoven und Schubert sind einige D.s bekannt, fer-
ner vor allem von Violinvirtuosen wie Pleyel, Viotti
und Spohr; J. Offenbach schrieb D.s fiir 2 Violoncelli.
Auch Kompositionen fiir 2 Klaviere (Czerny, Dussek,
H.Herz, Kalkbrenner, Moscheles) und Klavier vier-
handig (Hiinten, Marschner, Onslow werden haufig
D. genannt. Im 20. Jh. komponierten D.s u. a. Reger,
Bartok, Hindemith und Strawinsky (D. concertant).
Die Bezeichnung Duett ist manchmal als Diminutiv
gemeint (Bartok), aber nicht immer, wie die Verwen-
dung des Diminutivs von Duett, Duettino, zeigt (E.
Walker, Six Duettinis; Busoni, Due tino Concertante).
Lit.: WaltherL; A. Einstein, Zur deutschen Lit. f. Va da
Gamba im 16. u. 17. Jh., BIMG II, 1, Lpz. 1905; H. Rie-
mann, Mannheimer Kammermusik d. 18. Jh., 2. Teil:
Trios u. D., = DTB XVI, Lpz. 1915; L. de La Lauren-
cie, L'dcole frc. de violon de Lully a Viotti, 3 Bde, Pa-
ris 1922-24; E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17.
Jh. in Nord- u. Mitteleuropa, = Heidelberger Studien zur
Mw. II, Kassel 1934; ders., Die Vorherrschaft d. Instru-
mentalmusik im nld. Barock, TVer XV, 1939; O. Gom-
bosi, Violinduette im 15. Jh., AMI IX, 1937 ; W. Altmann,
Verz. v. Werken f . K.1. vier- u. sechshandig, sowie f . zwei u.
mehr Kl., Lpz. 1943; ders., Kammermusik-Kat. Ein
Verz. v. seit 1841 veroffentlichten Kammermusikwerken,
Lpz. 6 1945; H. Moldenhauer, Duo-Pianism, Chicago
(1950); H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950;
Cl. Sartori, Bibliogr. della musica strumentale ital.
stampata in Italia fino al 1700, = Bibl. di bibliogr, ital.
XXIII, Florenz 1952; C. Johansson, French Music Pu-
blisher's Cat. of the Second Half of the 18 th Cent., Faks.,
Stockholm 1955 ; D. Kamper, Das Lehr- u. Instrumental.
uml500inItalien,Mf XVIII, 1965. HK
Duodezjme (lat. duodecima), die Oktave der Quinte.
Duole (ital., Zweier; frz. duo-
let), eine fiir 3 Noten eintreten-
de Figur von 2 Noten gleicher
Form. In neuerer Zeit wird sie
(weniger gut) auch wie im 2. Bei-
spiel notiert. Vor 1800 selten, ist
die D. im 19. Jh. charakteristisch
fiir das Bestreben Schuberts,
Brahms' und vor allem Bruckners, die Melodik vom
Gleichmafi des Taktrhythmus zu befreien.
Dupla (lat.), Bezeichnungsfragment von Proportio
d. (->■ Proportion - 2; -*■ Diminution - 1).
Duplex longa (lat.) ->Maxima.
Duplum (lat.) heiBt die Gegenstimme des Cantus im
(2st.) Organum purum (auch organum d. oder orga-
num in duplo) sowie die 2. Stimme im (3st.) Organum
triplum und (4st.) Organum quadruplum der Notre-
Dame-Epoche. Das textierte D. einer zur Motette ver-
wandelten Klausel wird motetus genannt. -> Meane.
Dur (von lat. durum, hart). Die Theorie der Griechi-
schen Musik bezeichnet seit Aristoxenos verschiedene
Arten eines Tongeschlechts als »schlaff« (ptaXa>c6v) und
»tonig« oder »gespaimt« (toviouov, crivrovov). So
lauten die Intervalle eines Tetrachords (das fiir Aristo-
xenos aus 30 gleichen Teilen besteht) im »schlafEen
Chroma« 22-4-4, im »tonigen Chroma« 18-6-6, in
der »schlaflen Diatonik« 15-9-6, in der »gespannten
Diatonik« 12-12-6; d. h. die »schlaffe« Art bevorzugt
starker unterschiedene, die »tonige« oder »gespannte«
ausgeghchene Intervalle. Unter diesem Gesichtspunkt
lassen sich auch die Tongeschlechter so gruppieren.
daB die Enharmonik (24-3-3) das »schlaffste«, die
Chromatik »schlaffer« als die »gespanntere« Diatonik
ist; Boethius (I, 21, nach Ptolemaios I, 12-16) fiihrt in
diesem Zusammenhang die Unterscheidung dur (Dia-
tonik) und moll (Chromatik) ein. Fiir die Diatonik ist
der Ganzton charakteristisch, fiir die Chromatik der
Halbton. Der mittelalterlichen Boethius-Nachfolge
gait jener als »hart«, dieser als »weich«. Die Bezeich-
nung h durum fiir h und b molle fiir b geht darauf zu-
riick, daB h mit dem darunterliegenden a einen »har-
ten« Ganzton, b mit a einen »weichen« Halbton bildet.
Dieses wurde der »weichen« Chromatik zugerechnet,
jenes der »harten« Diatonik. Nach dem Vorkommen
von h durum im Hexachord g-e hieB dieses hexachor-
dum durum (cantus durus), das Hexachord f-d mit
b molle hingegen hexachordum molle (cantus mollis).
Adam von Fulda (15. Jh.) unterschied zwischen duralen
und mollaren (sowie naturalen) Hexachordstufen,
d. h. solchen, die wie h durum einen Ganzton unter
sich und einen Halbton iiber sich haben (mi und la),
und solchen, die wie b molle iiber sich einen Ganzton
und unter sich einen Halbton haben (die naturalen
Stufen re und sol sind von Ganztonen umgeben). -
Die Entwicklung der modernen Bedeutung von D.
wurde durch Glarean eingeleitet, der 1547 (Dodeka-
chordon) auBer dem Aolischen (bzw. Hypoaolischen)
auf A als 9. (bzw. 10.) Modus das Ionische (bzw. Hy-
poionische) auf C als 11. (bzw. 12.) Modus den 8 Kir-
chentonarten anfiigte. Dieser war vorher nur als 5.
Kirchenton (mit \>) moglich gewesen - transponiert
konnte er auch von C aus begonnen werden. Glarean
unterstrich die Beliebtheit des Ionicus und dessen be-
sondere Eignung fiir Tanze. Zarlino (1558) kniipfte an
Glarean an, gab jedocb. den 12 Kirchentonen eine an-
dere Reihenfolge, indem er mit dem auf C begann.
Samtliche Modi teilte er in 2 Gruppen ein, in solche
mit groBer Terz und groBer Sexte iiber der Finalis (C,
F und G) und in solche mit kleiner Terz und kleiner
Sexte (D, E und A), wobei er den ersteren den Vorzug
gab. Hier macht sich der EinfluB von Zarlinos Drei-
klangslehre bemerkbar (htitutioni III, 31). Danach be-
ruht die Vielfalt der Harmonie nicht nur auf der Ver-
schiedenheit zweistimmiger Zusammenklange, son-
dern auch auf der durch Einstimmung der Terz be-
wirkten Verschiedenheit der Harmonien (gemeint
sind Dreiklange). Zwei Arten von Dreiklangen unter-
scheidet Zarlino. Die eine entspricht - geht man von
Saitenlangen aus - der harmonischen Proportion (15:
12:10). In ihr liegt die groBe Terz unten; sie wirke
heiter (allegra). Die andere entspricht - ebenfalls unter
Zugrundelegung von Saitenlangen - der arithmeti-
schen Proportion (6:5:4). In ihr liegt die groBe Terz
oben, sie wirke traurig (mesta). Auch erscheine sie we-
niger vollkommen als die erste, da ihre Bestandteile
sich nicht in der natiirlichen Lage befanden (Anspie-
lung auf die Reihenfolge der Proportionen, die nach
spateren Feststellungen die ersten 6 Tone der Oberton-
reihe bilden). Zarlinos Auffassung vom Dreiklang als
einem Gebilde von zwei festen AuBentonen mit einem
variablen Mittelton wurde von J.Lippius (Synopsis
musicae novae, 1612) iibernommen. Den D.-Dreiklang
nannte er Trias harmonica perfecta oder naturalis, den
Molldrciklang Trias harmonica imperfecta oder mol-
lis. Statt perfecta sagte man in der Folgezeit auch ma-
jor, statt imperfecta auch minor. Bei A. Werckmeister
(Musicalische Temperatur, 1686/87) findet sich die Be-
zeichnung h dur, e dur, a dur, fis dur und cis dur firr
die Tone h, e, a, fis und cis als »durale« groBe Terzen
diatonischer Stufen; analog dazu sprach er von b moll,
e moll und a moll, wenn er b, es und as meinte. Uber-
haupt war es im GeneralbaB ublich, das durale (t (mi)
245
Dur
und das mollare \> (fa) als Zeichen fiir grofie und kleine
Terzen bzw. fiir die ihnen entsprechenden Dreiklange
zu verwenden. Moglicherweise haben sich von hier aus
die Termini D. und Moll fiir Dreiklange durchgesetzt.
Bereits zu Beginn des 17. Jh. hatte J. Kepler {Harmonke
Mundi . . ., 1619) iiber dem Grundton G aus der Ver-
einigung der »harten« und »weichen« Intervalle (groBe
Terzen und Sexten bzw. kleine Terzen und Sexten)
mit dem Cantus durus bzw. mollis ein Genus durum
bzw. Genus molle entwickelt, die gewissermaBen einen
abstrakten Entwurf der modernen Tongeschlechter
D. und Moll darstellen. Doch gebrauchte noch das
ganze 18. Jh. den Terminus genus fiir die griechischen
Tongeschlechter bzw. fiir das, was man damals darun-
ter verstand. Erst das 19. Jh. sprach vom Tongeschlecht
D. (und Moll). Beide galten seit A. Werckmeister (Die
nothwendigsten Anmerkungen . . . , 1698) als die zwei
einzigen Modi, die auf jeder temperierten Tonstufe er-
richtet werden konnen. Ihre Bezeichnung als Modus
major (und minor; WaltherL, 1732) hat sich in Frank-
reich als mode (oder ton) majeur (und mineur) bis
heute gehalten. - Seit Rameau (Traite de I'harmonie,
1722) wurde es ublich, die Obertonreihe zur Ablei-
tung des D.-Dreiklangs heranzuziehen. GemaB der
funktionalen Harmonielehre (Riemann) kann jeder
Ton eines Dreiklangs als dessen Vertreter aufgefaBt
werden ; z. B. kann sowohl c als auch g oder e allein im
Sinne des C dur-Akkordes verstanden werden. Ebenso
konnen 2 Tone eines Dreiklangs diesen vertreten, z. B.
c-g oder c-e, sogar e-g den C dur-Dreiklang. Auch
bei einer Anderung der Reihenfolge der Tone, d. h.
bei einer -*■ Umkehrung des Dreiklangs (z. B. e-g-c'
statt c-e-g), gelten die Tone als zur einheitlichen Vor-
stellung des Dreiklangs verschmolzen. Die D.-Skala
(mit den Halbtonen zwischen der 3. und 4. sowie 7.
und 8. Stufe) gilt seit Rameau (Nouveau systeme de mu-
sique theorique et pratique, 1726) als horizontale Entfal-
tung der drei funktionalen Grundharmonien jeder
Tonart, des Tonika-, Dominant- und Subdominant-
dreiklangs; z. B. in C dur:
Es ist daher moglich, eine in
der Tonart bleibende (nicht-
modulierende) Melodie mit
diesen 3 Hauptakkorden zu
harmonisieren. Dennoch ver- Dominante
zichtet schon das 18. Jh. nicht auf leiterf remde Tone. Ihr
Uberhandnehmen verwischte bis Ende des 19. Jh. den
Unterschied zwischen D. und Moll mehr und mehr.
Die Vorrangstellung des Dreiklangs (D. und Moll) war
schon in Wagners Tristan (abgeschlossen 1859) ge-
brochen. Im 20. Jh. wandten sich auch die Kompo-
nisten tonaler Musik von der D.-Moll-Vorstellung
wieder ab. Die - noch von Hindemith vorgenomme-
ne - Ableitung des D.-Dreiklangs aus der Obertonreihe,
wodurch seine Naturgegebenheit bewiesen sein soil,
steht im Widerspruch zu der Tatsache, daB dieser
(wenn iiberhaupt) nur eine Auswahl von Teiltonen dar-
stellt und sein musikalischer Vorrang zeitlich begrenzt
ist. Auch sind weder D. noch Moll musikalische Ur-
phanomene, sondern Ergebnis eines geschichtlichen
Prozesses mit fixierbarem Anf ang und Ende.
Lit.: Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital. hrsg.
v. R. Da Rios, Rom 1954; Die Harmonielehre d. Klaudios
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogskolas
arsskrift XXXVI, 1, 1930, dazu ebenda XL, 1, 1934 (deut-
sche t)bers.) ; G. Zarlino, Istitutioni harmoniche, Venedig
1558, Faks. d. 1. Auflage, = MMMLF I, 1, NY (1965);
J.-Ph. Rameau, Traite de I'harmonie, Paris 1722; ders.,
Nouveau systeme de musique theorique, Paris 1726;
WaltherL; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonemp-
nndungen ..., Braunschweig 1863, 6 1913; A. v. Oettin-
gen, Harmoniesystem in dualer Entwickelung, Dorpat u.
Subdominante
Lpz. 1866, 2 1913 als: Das duale Harmoniesystem; A.
Thurlings, Die beiden Tongeschlechter u. d. neuere mus.
Theorie, Bin 1877; Riemann MTh; F. Busoni, Entwurf
einer neuen Asthetik d. Tonkunst, Triest 1907, Lpz. 2 1916,
Wiesbaden 1954; R. Mayrhofer, Der Kunstklang I, Das
Problem d. Durdiatonik, Wien 1910; A. Schonberg, Har-
monielehre, Wien 1911, "1960, engl. NY 1947; H. J. Mo-
ser, Die Entstehung d. D.-Gedankens, ein kulturgeschicht-
liches Problem, SIMG XV, 1913/14; J. C. Jeannin OSB,
Etude sur le mineur et le majeur dans un certain nombre
de systemes mus., RMI XXII, 1915; H. Pfitzner, Futuri-
stengefahr, Munchen u. Lpz. 1917; H. Erpf, Studien zur
Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 1927;
P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz, I Mainz 1937,
2 1940, II Mainz 1939, engl. als: Craft of Mus. Composition,
I London 1942, II 1941; E. Kurth, Musikpsychologie,
Bern 1947; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich
(1948) ; R. Dammann, Zur Musiklehre d. A. Werckmeister,
AfMw XI, 1954; C. Dahlhaus, Die Termini D. u. Moll,
Af Mw XII, 1955 ; ders., Eine deutsche Kompositionslehre
d. fruhen 16. Jh., KmJb XL, 1956; P. Beyer, Studien zur
Vorgesch. d. D.-Moll, Kassel 1958; E. Apfel, Die klang-
liche Struktur d. spatma. Musik als Grundlage d. D.-Moll-
Tonalitat, Mf XV, 1962; ders., Spatma. Klangstruktur u.
D.-Moll-Tonalitat, Mf XVI, 1963. ESe
Durchbrochene Arbeit (durchbrochener Stil) kenn-
zeichnet als kompositionstechnischer und stilgeschicht-
licher Begriff (besonders seit H. Riemann und G.Ad-
ler) die Verteilung einer in ihre Motive auf gegliederten
Melodie auf mehrere Stimmen, wie in Beethovens
Streichquartett op. 131 Cis moll, 4. Satz (Andante, ma
non troppo e molto cantabile) :
_2_
7 fff ' L
Die D. A. ist eine Synthese alteren kontrapunktischen
Denkens und neuerer homophoner Setzweise, in der
eine Hauptstimme die Fiihrung hat. Ihre Entstehung
hangt aufs engste mit dem ->- Obligaten Akkompagne-
ment zusammen und ist wie dieses ein wesentliches
Charakteristikum des Wiener klassischen Instrumen-
talsatzes. Ein erster Hohepunkt fiir D. A. ist die Kam-
mermusik und Symphonik Haydns und besonders
Mozarts (G moll-Symphonie, K.-V. 550, 1. Satz, 2.
Thema, 2. Satz, Anf ang ; »Jupiter«-Symphonie, C dur,
K.-V. 551, 3. Satz, Trio). Zu letzter Vollendung fiihrte
sie Beethoven (z. B. Eroica, 1. Satz, 2. Thema), dessen
Instrumentalsatz fiir das 19. Jh. richtunggebend gewor-
den ist. Uber Brahms und R. Wagner bis zu R. Strauss
wird die D. A. in immer feinerer Aufsplitterung zu den
iiberraschendsten und raffiniertesten orchestralen Wir-
kungen eingesetzt. Erst in der Musik des 20. Jh. ver-
liert die Bezeichnung D. A. ihren Sinn. Entweder hebt
sich, mit dem Verschwinden einer tonal bezogenen,
fiihrenden Melodie, dieses satztechnische Prinzip in
seiner Radikalisierung selbst auf (Schonberg, Berg,
Webern), oder es wird durch folkloristische, archai-
sierende oder experimentelleNeuansatze iiberhaupt die
Grundlage verlassen, auf der D. A. entstehen konnte.
246
Durezza
Lit.: G. Adler, Der Stil in d. Musik I, Lpz. 1911, 21929;
ders., Die Wiener klass. Schule, Adler Hdb. ; H. Riemann,
GroBe Kompositionslehre HI, Bin u. Stuttgart 1913;
ders., Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913, 21922, S. 175ff.
Durchfuhrung (frz. developpement; engl. develop-
ment) bedeutet Beybehaltung und stete Bearbeitung des
Hauptgedankens in verschiedenen Wendungen und Modi-
fikationen (KochL). Die Musiklehre des Barocks kennt
den Begriff D. noch nicht; sie verwendet den aus der
Rhetorik entlehnten Terminus elaboratio allgemein
fiir die Ausarbeitung einer Komposition. J. S. Bach be-
niitzt in diesem Sinne die verbale Form (gute inventio-
nes) durchfuhren in seiner Auffrichtigen Anleitung (1723).
Als tektonischer Begriff taucht D. zuerst in der Lehre
von der Fuge auf und bezeichnet hier das Erscheinen
des Themas als Dux oder Comes in mehreren Stim-
men, wobei die D. vollstandig ist, wenn das Thema in
alien Stimmen erscheint. Die Exposition der Fuge ist
stets eine vollstandige D. - In groBereh musikalischen
Formen bezeichnet D. den Teil der Komposition, der
fast ausschliefilich der Entwicklung der im themati-
schen Material enthaltenen musikalischen Ideen dient.
D.s-Teile finden sich in Satzen, die in 2- oder 3teiliger
Liedform geschrieben sind, ebenso wie in Rondofor-
men und sogenannten freien Formen (z. B. in der Pro-
grammusik). In der Sonatensatzform steht die D. als
zentraler, kontrastierender Teil zwischen ->• Exposition
und -»• Reprise. In diesem Teil werden die Themen-
einheiten der Exposition in ihre motivischen Elemen-
te zerlegt, modulierend verarbeitet, mit Hilfe kontra-
punktischer Techniken wie Imitation, Fugato, Um-
kehrung, Diminution und Augmentation umgeformt,
verschieden angeordnet und dadurch zum Teil in neue
Beziehungen zueinander gestellt. - Der D.s-Teil des
Sonatensatzes wurde gleichzeitig mit der Reprise aus-
gebildet. Schon bei D.Scarlatti finden sich Ansatze zu
D.s-Teilen in einigen seiner Sonaten dort, wo im 2.
Teil, bei der Riickmodulation von der Dominante zur
Grundtonart, der Anfang des Stiickes Veranderungen
unterworfen ist. Aber in der mosaikartigen Technik
Scarlattis haben sie noch, ahnlich wie in den Fugen-
episoden, mehr die Bedeutung des Verbindenden und
Beigeordneten. Die Entwicklung der D. f iihrte in Ver-
bindung mit der Ausbildung der klassischen Sonaten-
satzform iiber C. Ph. E.Bach, die Wiener und Mann-
heimer Schule zu J. Haydn, W. A. Mozart und Beet-
hoven, wo die D. als kontrastierender Mittelteil voll-
ausgebildet dasteht. Gleichzeitig wandelte sie sich von
melodisch-spielerischer Art zu kunstvoller ErschlieBung
und Verarbeitung, weiterhin zu dramatischer und
poetischer, psychisch motivierter Ausdeutung der in
den musikalischen Grundgedanken enthaltenen me-
lodischen, rhythmischen und dynamischen Substan-
zen. Die Lange der D. ist unbestimmt. War sie in der
friihen Klassik noch einfach und knapp gehalten, so
wurde sie seit Beethoven zum wichtigsten Teil des So-
natensatzes. Die D. ist formal nicht gebunden; aus sei-
ner kiinstlerischen Phantasie und mit den komposito-
rischen Moglichkeiten seiner Zeit gestaltet und be-
leuchtet der Komponist das thematische Material der
Exposition durch Herausarbeiten von Kontrasten.
Doch konnen auch in der D. zusammenhangende Teile
durch langeres Festhalten an einer Tonart und Verar-
beitung bestimmter Themenabschnitte entstehen.Di'e
D. kann von scheinbaren Reprisen unterbrochen wer-
den. Die Grundtonart des Werkes wird aber in der
Regel ausgespart, um dem Eintritt der Reprise Ober-
zeugungskraft zu sichem. Neue Themen, oft modu-
lierend angelegt, zumindest neues motivisches Ma-
terial, werden haufig eingefiihrt (Beethoven, 3. Sym-
phonic; Schubert, Klaviertrio op. 100, D 929), oft nur
als Episoden oder als melodischer Kontrapunkt zur
Verarbeitung eines Expositionsthemas. Die vorklassi-
schen Phantasie-D.en Schoberts, die auf weite Strecken
kein thematisches Material der Exposition verarbeiten,
sondern frei, improvisationsartig gebildet sind, und
von denen W.A.Mozart stark beeinfluBt wurde, sind
ebenso Ausnahmen wie D.en, die nur auf einem Or-
gelpunkt aufgebaut sind (Brahms, Violinsonate op.
108, 1. Satz). Durchfiihrungsartige Partien gibt es auch
in Exposition, Reprise und Coda. Doch sind bestimmte
Arten kontrapunktischer Verarbeitung, wie Diminu-
tion und Augmentation, selbst bei Bruckner vor allem
dem Mittelteil des Sonatensatzes vorbehalten. Hier kon-
nen in den ProzeB der »Umcharakterisierung« (Korte)
und Umbildung alle Themen einbezogen werden.
Lit.: R.v. Tobel, Die Formenwelt d. klass. Instrumental-
musik, = Berner Veroff. zur Musikforschung VI, Bern u.
Lpz. 1935; W. Broel, Die Durchfuhrungsgestaltung in
Beethovens Sonatensatzen, Neues Beethoven-Jb. VII,
1937; Fr. Neumann, Der Typus d. Stufengangs d. Mo-
zart'schen Sonatend,, Diss. Graz 1958, maschr.; W. F.
Korte, Bruckner u. Brahms, Die spatromantische Losung
d. autonomen Konzeption, Tutzing 1963. PA
Durchgang (lat. transitus), durchgehende Note, heiBt
im musikalischen Satz ein harmoniefremder Ton, der
als verbindendes Glied zwischen die akkordeigenen
Tone eingeschoben wird. Im Gegensatz zum -> Vor-
halt steht er auf unbetonter Taktzeit und dient der fi-
gurativen Ausgestaltung. In der Kontrapunktlehre
des 16./17. Jh. gehort der D., meist unter der Bezeich-
nung -»• Commissura, zu den fundamentalen Figuren
beim Gebrauch der Dissonanzen. - Man spricht auch
von »durchgehenden Harmonien«, die sinngemaB von
den D.s-T6nen zu unterscheiden sind.
Lit. : Ch. Koechlin, Etude sur les notes de passage, Paris
1922.
Durchkomponiert ist ein Lied, dessen Melodie sich
nicht wiederholt, wie beim Volks- und einfacheren
Kunstlied (Strophenlied), sondern durch alle Strophen
hindurch fortgefiihrt wird. Das d.e Lied kann auf Ein-
zelheiten des Textes eingehen, wahrend das strophi-
sche Lied nur dem Grundgehalt oder der Stimmung
des Gesamttextes zu entsprechen vermag. Allerdings
fiihrt das Durchkomponieren leicht zur Vorherrschaft
der Musik gegeniiber der dichterischen Striiktur, wes-
halb es z. B. Goethe fiir seine Gedichte ablehnte. Die
Vielfalt der dem Durchkomponieren moglichen mu-
sikalischen Formen ist besonders bei Schubert zu se-
hen. - Der Begriff wird auch auf Oper und Musikdra-
ma angewandt in dem Sinne, daB der musikalische Ver-
lauf nicht durch gesprochene Stellen unterbrochen wird.
Durchstecher in der Orgel bewirken ein gedampftes
Mitklingen von Pfeifen, die nicht erklingen sollen
(Heuler). Der D. entsteht, wenn die KanzeUenschiede
nicht vollig dicht sind, indem sich die Pfeifenstocke
von den Dammen heben oder die Schleifen sich bei
groBer Hitze oder Trockenheit werfen. Der Wind
geht hierbei aus der durch Niederdriicken einer Taste
geoffneten Kanzelle in die benachbarte iiber.
Durezza (ital., Harte) bezeichnete im itahenischen
Sprachgebrauch des 17. Jh. eine Art der Stimmfuhrung
oder der Klangfortschreitung, die von den traditio-
nellen Satzregeln abweicht, z. B. unvorbereitete Ein-
fuhrung oder regelwidrige Auflosung von Dissonan-
zen, querstandige Klangfolgen und dissonante Inter-
valle, wie sie dann Chr. Bernhard in seinen Traktaten
als musikahsche ->• Figuren (unter ihnen der Passus
bzw. Saltus duriusculus) systematisch zu erfassen sucht.
Solche Kompositionsmittel sind aus dem Madrigal be-
kannt, wo sie z. B. bei Galilei, Marenzio und Luzzaschi
247
Dux
audi bei den Wortern duro und d. auftreten; in der
Klaviermusik wurden sie zuerst von Macque und Tra-
baci verwendet. Ihre Benennung als D. (A.Banchieri,
Cartella musicale, 1614, S. 103; G. d'Avello, Regole di
musica, 1657, S. 145) und ihre auf einzelne Werke be-
schrankte Hauf ung bei Frescobaldi (Capriccio di durezze,
Toccata ... . di durezze e ligature) und Kerll (Toccata . . .
cromatica con durezze e ligature) - wobei ligatura disso-
nierende Synkopierung bedeutet - lassen erkennen,
daB ihre »harte«, iiberraschende Wirkung bewuBt als
Abweichen vom regularen Satz verstanden wurde. -
Die spateren Vortragsbezeichnungen con d. oder dura-
mente fordern eine harte, bestimmte Spielweise.
Dux (lat., Fiihrer), Thema einer Fuge in seiner Grund-
gestalt. Als Latinisierung von -> Guida durch Calvisius
(Melopoeia, 1592) eingefuhrt, kann D. auch die begin-
nende Stimme beim Kanon bezeichnen.
Dvojnice (dv'ainitse), jugoslawische volkstiimliche
Doppelflote (Kernspaltflote), aus einem Stuck gefer-
tigt, mit 4 (seltener 5) Grifflbchern in der einen, 3 (4)
in der anderen Spielrohre. Bei der einf acheren Technik
spielen beide Hande in parallelen Griffen, so daB die
Melodie im Sekund- oder Terzabstand verdoppelt
wird. Durch schrages Ansetzen des Instruments kann
ein Rohr ausgesetzt werden.
Dynamik (von griech. Suvajit?), - 1) das Phanomen
und die Theorie der Klang- oder Tonstarkegrade. Den
der Philosophic seit der Antike vertrauten Terminus
hat wahrscheinlich zuerst H.G.NageU (1810) auf die
Musik iibertragen und damit eine Eigenschaf t des Mu-
sikwerks bezeichnet, die bis dahin in dem groBeren
Zusammenhang des musikalischen Vortrags gesehen
wurde. Kann allgemein Musik als AuBerung eines im-
manenten Kraftespiels verstanden werden, dessen Tra-
ger primar die musikalischen Elemente - Rhythmus,
Melodie, Harmonie - sind, so hat H. Riemann, von der
Metrik ausgehend, zuerst die besondere Rolle des im
engeren Verstande Dynamischen systematisch unter-
sucht und dargestellt. Die musikgeschichthchen Epo-
chen nehmen zum Phanomen der dynamischen Abstu-
fung der Tone und der Klange ein wechselndes Ver-
haltnis ein. Zahl und Prazision der Anweisungen und
Zeichen aus dem Bereich der D. sind ein Spiegel inner-
musikalischer Vorgange ; seit dem Barock treten sie im
Verlauf einer zunehmenden Differenzierung des musi-
kalischen Vortrags in Handschriften und Drucken in
wachsender Zahl auf. Diese Bewegung kulminiert in
der Musik der Spatromantik. - Vom Ursprung her ha-
ben die dynamischen Hinweise einen dialektischen
Charakter: sie bezeichnen bestimmte innermusikali-
sche Formen und Strukturen, richten sich aber weiter-
hin zugleich an den Interpreten, dessen Aufgabe es ist,
diese Linien und Umrisse sinngemaB wiederzugeben.
Die Grundwerte -> forte und -> piano fixieren, auch
in den Steigerungsformen ff, fff, ffff und pp, ppp,
pppp, die dynamische Ordnung eines mehr oder min-
der umfangreichen Abschnittes oder einer Flache (Fla-
chen- oder »Terrassen«-D.) ; einen starker gleitenden
Wechsel der Tonstarke fordern dagegen die Evolu-
tionsanweisungen -» crescendo und decrescendo oder
-> diminuendo (Evolutions- oder Kurven-D.) ; die Ak-
zentzeichen sforzato u. 5., die einen Einzelton oder
-klang hervorheben, konnen sich auf die Metrik aus-
wirken. Alle dynamischen Stufen sindjeweils auf einen
ideellen Mittelwert zu beziehen, der im einzelnen von
zahlreichen Faktoren abhangt, etwa von Instrumen-
tentypus und Raum, von der Anzahl der Stimmen und
der Musizierenden. Die vorbarocke Musik beruht we-
sentlich auf dem Prinzip der auskomponierten D.
(Satz- und Lagen-D.). Hieran ankniipfend ist dem
Barockmusiker das Dynamische etwas Akzidentelles,
reprasentiert im Kontrast von Solo und Tutti des Con-
certo, sowie im -> Echo, andererseits versteht er es als
Affektausdruck und damit als ein Element der musi-
kalischen Rhetorik (oratorische D.). Die auf Evolution,
Steigerung und Hohepunkt zielende Sonate und Sym-
phonie der Klassiker bezieht das Dynamische ganz
in ihre Formen und Strukturen ein (organische D.).
Neuere Untersuchungen gelten dem Nachweis dyna-
mischer Individualstile. Der Musik der Gegenwart ge-
horen Versuche an, den Reihenbegriff auf alle Tonei-
genschaften anzuwenden. Um das Problem serieller
Organisation der D. haben sich besonders P. Boulez
(1963, S. 52) und K. Stockhausen (1963, S. 162) bemuht.
Dieser nennt die historische Basis: Im Parameter der
Tonlautheit ist uns bis jetztjedes exaktere Proportionieren
fremd (was die Instrumentalmusik betrifft); jener formu-
liert : Eine genaue Kontrolle der D. lassen nur die elektro-
akustischen Mittel zu.
Lit.: H. Riemann, Mus. D. u. Agogik, Hbg u. St. Peters-
burg 1884; ders., Katechismus a. Musik- Asthetik, Lpz.
1890; ders., Die Elemente d. mus. Asthetik, Bin u. Stutt-
gart 1900; A. Heuss, Ober d. D. d. Mannheimer Schu-
le, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; H. Mersmann, Ange-
wandte Musikasthetik, Bin 1926; R. E. M. Harding,
Origins of Mus. Time and Expression, London 1938; Th.-
M. Lanoner, Studien zur D. M. Regers, Diss. Bin 1952,
maschr. ; W. Gerstenberg, Die Krise d. Barockmusik,
Af Mw X, 1953 ; D. Schnebel, Studien zur D. A. Schon-
bergs, Diss. Tubingen 1955, maschr.; I. Fellinger, Stu-
dien zur D. in Brahms' Musik, Bin 1961 ; H. Jurisch, Prin-
zipien d. D. im Klavierwerk Ph. E. Bachs, Diss. Tubingen
1959, maschr.; K. Stockhausen, Musik im Raum, in: die
Reihe V, Wien 1959, auch in: Texte I, Koln (1963) ; P. Bou-
lez, Musikdenken heute 1 , = Darmstadter Beitr. zur
Neuen Musik V, Mainz (1963). WG
- 2) In der Akustik ist D. das Verhaltnis des groBten
zum kleinsten Schalldruck, der von Musikinstrumen-
ten erzeugt bzw. von elektrischen Obertragungsanla-
gen einwandfrei verarbeitet wird. Die dynamischen
Grenzen der Musikinstrumente sind gegeben durch
ihre Spielmechanismen, durch Storgerausche, die bei
der Klangerzeugung entstehen, sowie durch Wir-
kungsgrad und Belastbarkeit der Instrumente und das
physische Vermogen des Spielers. Der D.-Bereich
elektrischer Ubertragungsanlagen (Storabstand) ist be-
grenzt durch Storpegel und Klirrfaktor. Es ist iiblich,
die D. im logarithmischen VerhaltnismaB -*■ Dezibel
anzugeben. So haben z. B. ein Orchester je nach
GroBe eine D. von 50-70 dB, Klavier 45 dB, Streich-
quartett 43 dB, Orgel 37 dB, Cembalo 30 dB, wah-
rend der Storabstand guter Magnettongerate und Ver-
starker bei etwa 55 dB liegt. Bei der Schallplatte nimmt
die D. (maximal 50 dB) zur Mitte hin um etwa 4 dB
ab (30 cm Langspielplatte), da sich die relative Rillen-
geschwindigkeit gegenuber der Nadel von etwa 50 cm/
sec auf weniger als die Halfte verringert.
248
E, - 1) Ton-Name: In der lateinischen ->■ Buchstaben-
Tonschrift ist E im allgemeinen die 5. Stu£e, im System
der Kirchentone Finalis des 3. und 4. Tons (Phrygisch
und Hypophrygisch). Seit Zarlino (1571) ist der Ionius
auf C primo modo; dadurch riickte E an die 3. Stelle
der Normalskala. Bei den romanischen Volkern hat
die Solmisationssilbe Mi den Buchstaben verdrangt.
Die Erniedrigung urn einen Halbton heifit Es (engl. E
flat; frz. mi bemol; ital. mi bemolle), um 2 Halbtone
Eses (engl. E double flat; frz. mi double bemol; ital. mi
doppio bemolle), die Erhohung um einen Halbton Eis
(engl. E sharp; frz. mi diese; ital. mi diesis), um 2 Halb-
tone Eisis (engl. E double sharp ; frz. mi double diese ;
ital. mi doppio diesis). - 2) Seit Anfang des 19. Jh. wer-
den in theoretischen Werken Akkorde mit -»■ Buch-
staben-Tonschrift bezeichnet (E bedeutet den E dur-
Dreiklang, e den E moll-Dreiklang) ; im -*■ Klang-
schliissel treten Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine
Tonart nur durch ihren Grundton zu bezeichnen, wur-
de im 19. Jh. entsprechend den Akkordbezeichnungen
so ausgelegt, daB E fur E dur, e fur E moll stand.
East-Coast- Jazz (i: st-ko : st-djaez, engl.) -> Modern
Jazz.
Echappement (efapm'a, frz.), Auslosung, double e.,
doppelte Auslosung, -»■ Mechanik.
Echeia (griech. T)x e ' a ; l at - vasa aerea ) hieBen bronze-
ne Schallbecken, die nach Vitruvs Schrif t De architectura
1, 1, 9 und 5, 5 als Resonatoren zur Verlangerung der
von der Buhne herkommenden Schallimpulse in die
aus Stein erbauten Zuschauerraume der antiken Thea-
ter unter den Sitzstufen in besonderen Schallkammern
eingebaut wurden. Die E. waren untereinander in ih-
ren Intervallen harmonisch abgestimmt ; aus Sparsam-
keit wurden sie auch aus Ton hergestellt.
Lit. : P. Thielscher, Die SchallgefaBe d. antiken Theaters,
Fs. F. Dornseiff, Lpz. 1953.
fichiquier (ejiki'e, frz.) ->■ Schachbrett.
Echo ist nach der griechischen Mythologie eine Berg-
nymphe, die sich in vergeblicher Liebe zu Narcissus
verzehrte und in einen Felsen verwandelt wurde; nur
noch ihre Stimme blieb. Nach einer anderen Uberlie-
ferung wurde E. als ungluckliche Liebe des Pan von
Hirten zerrissen (Ovid, Metamorphosen III, 356; Au-
sonius, Epigramme 101 ; Euripides, Andromeda, Frag-
ment 114). Dieser Stoff wurde mehrfach dramatisch be-
arbeitet, komponiert u. a. von Cavalli 1642, A.Dra-
ghi (I desiderii d'Eco e di Narcisso, 1677), D.Scarlatti
{Narcisso, 1720), Gluck (E. et Narcisse, 1780). - In der
Akustik versteht man unter einem E. den reflektierten
Schall, der getrennt vom Primarschall mit einer ge-
wissen zeitlichen Verzogerung wahrgenommen wird.
Betragt diese Verzogerung (->■ Laufzeitunterschied)
weniger als !/20 sec, so wird das E. nicht getrennt ge-
hort, sondern verschmilzt mit dem Primarschall und
wirkt schallverstarkend. Eine groBere Anzahl dicht auf-
einanderfolgender, geniigend in der Intensitat abnehr
mender E.s wird als ->- Nachhall gehort. Eine oder
mehrere einzelne Schallreflexionen jedoch, die beim
Horer mit mehr als i/ 2 o sec Verzogerung eintreffen,
werden vom Primarschall getrennt gehort und kon-
nen die Verstandlichkeit einer Sprach- oder Musikdar-
bietung empfindlich storen (Ein- oder Mehrfach-E.s).-
Das E. wird in der Musik oft nachgeahmt; der E.-
Effekt oder ihm ahnliche Erscheinungen liegen immer
nahe, wenn kurzere Abschnitte, vor allem mit klangli-
cher oder dynamischer Abwechslung, wiederholt wer-
den, so daB echoartige Stellen in fast alien Gattungen
der Musik, auch ohne Beziehung zur Nachahmung des
E.s, auftreten. E.s haufen sich seit der Mitte des 16. Jh.,
wo sie mit dem Aufkommen des Konzertierens und
einer bewuBt eingesetzten Dynamik zusammenhan-
gen. Praetorius (1619) nennt das E. in Zusammenhang
mit dem -> Dialog und in seinen Beispielen zur Auf-
fiihrungspraxis (Synt. Ill, S. 194f.) : Wann nemblkh die
Stimmen oder Chori sich selbsten oder aber per vices in art
eines E., forte & Piatt, starch vnd still respondiren. In der
Vokalmusik des 16.-17. Jh. sind Kanon und Imitation,
beide auch mehrchorig (Lassus: O la, o che bon e.), die
satztechnischen Mittel zur Nachahmung des E.s. Dem
Vorbild in der Natur kommt die Art am nachsten,
bei der eine Stimme den ZeilenschluB auf den Text der
letzten Silben (die wieder fur sich einen Sinn ergeben)
wiederholt. E.s begegnen besonders haufig in Madriga-
len, seit Bertoldo 1561 bei zahlreichen italienischen
Meistern (Marenzio, Agostini, Vecchi, Mel; Mazzocchi
verwendet 1638 E. als Vortragsbezeichnung), auch in
Motetten, Kantaten und Opern, in Frankreich seit le
Jeune 1585, in Deutschland in der Lassus-Nachfolge.
E.-Szenen im Frage-und-Antwort-Spiel finden sich in
der Oper u. a. bei Purcell {The Fairy Queen), Gluck
(Orfeo), Humperdinck (Hansel und Gretel),. R.Strauss
(Ariadne aufNaxos). Von E.-Musiken fur Instrumente
seien genannt: A.Banchieri, Fantasia in eco (1603), B.
Marini, Sonata in eco (1629), J. C. F. Fischer, E. in der
VIII. Partie des Journal du Printems (1695), C.Stamitz,
Symphonie en echo (1790/91), J.Haydn, E. fur 2 Streich-
trios (Hob. II, 39*) , W. A. Mozart, Notturno fiir 4 Orch.
(K.-V. 286). - Bei Orgelregistern deutet der Zusatz E.
auf zarte Intonation; ein E. -Register ist die Zartflote,
die seit der Mitte des 17. Jh. unter der Bezeichnung E.
vorkommt. Im franzosischen Orgelbau des 17.-18.
Jh. wird Cornet d'echo (-> Kornett - 2) als Solostim-
me auf einem eigenen Clavier d'echo disponiert (N.
Gigault z. B. laBt es mit dem Grand Cornet alternie=
ren). Durch G.Silbermann kam das E.-Komett nach
Deutschland; er kannte auch das E. von der Kuppel
einer Kirche herab. In der Musik fiir Tasteninstrumen-
te, die eine »Terrassendynamik« verwirklichen konnen
(Orgel, Cembalo), stehen E.s vorwiegend in freien
Kompositionen (Fantasien) und Variationen, so bei
Sweelinck (Fantasien op de manier van een e.), J.E.Kin-
dermann (E. mit 2 Clavirn), S.Scheidt (2 E.s in der
249
Echos
Tabulatura nova II), W.H.Pachelbel (Variationen iiber
O Lamm Gottes); J.S.Bach nennt den letzten Satz der
Ouvertiire in H moll (Clavier-Ubung II, BWV 831) E.
Lit.: Praetorius Synt. Ill; R. Schwartz, H. L. HaBler
unter d. EinfluB d. ital. Madrigalisten, VfMw IX, 1893;
Th. Kroyer, Dialog u. E. in d. alten Chormusik, JbP XVI,
1909; M. Schneider, Die Anfange d. B. c. u. seiner Bezif-
ferung, Lpz. 1918,darin: Eco con due risposte di G. Peri;
Chr. Mahrenholz, Die Orgelregister, ihre Gesch. u. ihr
Bau, Kassel 1930, 21944; G. Frotscher, Gesch. d. Orgel-
spiels u. d. Orgelkomposition, 2 Bde, Bin 1935-36, 21959;
J. Bolte, Das E. in Volksglauben u. Dichtung, Sb. Bin XVI,
1935; H. Haas, Uber d. EinfluB eines Einfach-E. auf d.
Horsamkeit v. Sprache, Acustica 1, 1951.
Echos (griech.) -*■ Oktoechos.
Ecossaise (ekos'erz, frz.), ein Volkstanz Schottlands,
im 3teiligen Takt, eine Art der Country dances. In
Frankreich wurde die E. um 1700 als -> Anglaise zu
einem geradtaktigen (2/4) Tanz in raschem Tempo. In
die Kunstmusik gelangte die E. um 1800 (Beethoven;
Schubert op. 18, 33, 67 ; Chopin op. 72). .
Ecuador.
Lit.: S. L. Moreno, La musica en el E., in: El E. en cien
anos de independencia II, Quito 1930; ders., Musica y dan-
zas autoctonas del E., Quito 1949; S. M. Duran, La mu-
sique aborigene et populaire de l'Equateur, in : Art popu-
late II, Paris 1 93 1 ; J. P. MuSoz Sanz, La musica ecuatori-
ana, Quito 1938; R. M. Monteros, Musica autoctona del
oriente ecuatoriano, Quito 1942; L. H. Salgado, Musica
vernacula ecuatoriana, Quito 1952.
Editio Medicaea heiBt die auf den Arbeiten F. Ane-
rios und Fr. Surianos beruhende Choralreformausgabe
des Romischen Graduale (Dominicale 1614, Sanctua-
rium 1615), so genannt nach der mediceischen Druk-
kerei in Rom (Eigentfimer war der Kardinal Ferdinan-
do di Medici), in der sie gedruckt wurde. Sie gehort zu
den vielen Choralausgaben, die im Gefolge der nach-
tridentinischen liturgisch-kirchenmusikahschen Re-
formbestrebungen vom Ende des 16. Jh. an erschienen
und die iiberlieferte Choralgestalt im Sinne der hu-
manistischen Wort-Ton- Vorstellungen und des Musik-
ideals der Palestrina-Zeit veranderten (Entf ernung weit-
gespannter Melismen bzw. deren Beschrankung, in
verkiirzter Form, auf Akzent- oder Endsilben; Tona-
litatsverdeutlichung durch starren Modusbeginn auf
Tonika -oder Dominante und Einfiihrung des \ und jj ;
Textverstandlichkeit durch Annaherung an deklama-
torische Melodiewendungen). Die E. M. hatte noch im
19. Jh. Bedeutung, als der Reformerkreis um Fr.X.
-*■ Haberl sie zur Vorlage seiner Choralausgaben nahm
(Graduale 1871, Antiphonarium 1878). Heute ist der
Choralgesang verbindlich fiir die ganze romisch-ka-
thohsche Kirche in der -> Editio Vaticana festgesetzt.
Lit. : R. Molitor OSB, Die Nach-Tridentinische Choral-
Reform zu Rom, 2 Bde, Lpz. 1901-02.
Editionen -> Denkmaler, -*■ Gesamtausgaben,
-»■ Quellen.
Editionstechnik. Musikalische E. ist die Art der Her-
ausgabe musikalischer Texte. Sie ist abhangig vom
Grad der Sicherheit und Vollstandigkeit in der Deu-
tung der iiberlieferten Notation, von der Nahe oder
Feme der erhaltenen Quellen zum Original, vom ge-
schichtlich veranderlichen Verhaltnis zwischen ge-
schriebenem Text und erklingender Musik und von
Annahmen des Herausgebers fiber die Benutzer, an die
eine Edition sich wendet. Konflikte sind manchmal un-
vermeidhch, und die Geschichte der E. ist zu einem
nicht geringen Teil eine Geschichte von Kontroversen.
- Die Voraussetzung einer Edition bildet, auBer bei
Faksimikausgaben, eine vollstandige oder unvoll-
standige Deutung der originalen Schrift. In dem Ver-
fahren, bei Nachzeichnung des Originals (oder diplo-
matischem Abdruck) verwischte Zeichen durch deutli-
che wiederzugeben, steckt bereits ein Ansatz zur Inter-
pretation; andererseits enthalt eine Edition, die in Kla-
vierwerken des 18. Jh. umstrittene Verzierungszeichen
unauf gelost stehenlaBt, einen Rest von Ungedeutetem.
- Zu den Problemen der E., die weniger nach allge-
meinen Regeln als im Einzelfall zu losen sind, gehbren
die Umschrift veralteter Notationen, die Beurteilung
von Abweichungen zwischen verschiedenen Quellen
des gleichen Werkes und die Entscheidung, ob eine
Ausgabe die Schreib- oder die Klangintention des Kom-
ponisten rekonstruieren soil. Umschriften (Transkrip-
tionen, Obertragungen) sind Kompromisse zwischen
dem Zweck, leichter lesbar zu sein als das Original,
und der Bedingung, daB der musikalische Sinn nicht
verzerrt werden darf. So laBt z. B. die Umschrift
JO- «MJ> J- J~3 I des Originals |. ♦ ♦ ♦ I I-
(spates 14. Jh.) nicht erkennen, daB die erste Note und
die beiden letzten als »zerschnittene« 3/8-Gruppe zu
verstehen sind; ein Ausweg ist das Verfahren, die Um-
schrift durch entgegengesetzte Richtung der Notenhal-
se zu verdeutlichen (W.Apel):J »•»•»• J J. Ob
Transkriptionsmethoden durch Konvention festgesetzt
werden sollen, um einheitlich zu sein, oder veranderlich
sein diirf en, um sich dem Einzelfall anpassen zu konnen,
ist umstritten. Dem konventionellen Verfahren, samt-
liche Notenwerte der Musik um 1500 im Verhalt-
nis 2:1 zu reduzieren und die Entscheidung fiber die
Temporelation zwischen dem Tempus non diminu-
tum (O, C) und dem Tempus diminutum (0, (f )
often zu lassen, steht die Methode gegeniiber, das
Tempus diminutum zu interpretieren und zwischen
den Verkfirzungsverhaltnissen 2 : 1 und 4 : 1 abzuwech-
seln. - Bei der Beurteilung voneinander abweichender
Quellen eines Werkes ist es nicht selten schwierig, phne
Willkiir zu entscheiden, ob die Uberlieferungen sich
erganzen oder gegenseitig ausschlieBen, ob also der
Herausgeber aus der Konfrontation der Quellen einen
kritischen (auf der Unterscheidung guter und schlech-
ter Lesarten beruhenden) Text entwickeln soil oder die
Fassungen nebeneinander stehenlassen muB und in der
Edition nicht vermischen darf. Aus dem MiBtrauen,
daB rigorose Textkritik in Gefahr sei, aus den Quellen
ein Werk des Herausgebers statt des Komponisten her-
zustellen, erwachst das Verfahren, in Editionen die
Quellenlage zu spiegeln und den Anspruch, das »Werk
selbst« zu rekonstruieren, preiszugeben. Die Konse-
quenz ist, daB primare una sekundare Quellen (z. B.
eine autographe Partitur und ein vom Komponisten
benutzter, aber nicht selbst geschriebener Stimmen-
satz) auch dann, wenn sie sich erganzen, in der Edition
typographisch unterschieden werden, obwohl es im
Werk selbst eine Differenz zwischen primaren und se-
kundaren Noten oder Vortragszeichen nicht gibt. -
Die Kontroverse, ob eine Edition die Schreib- oder die
Klangintention des Komponisten wiedergeben mfisse,
ist in der kaum losbaren Schwierigkeit begrfindet, daB
eine Ausgabe in modemer Notenschrif t als abgeschlos-
sener Text erscheint, wahrend die musikalische No-
tation vor der Mitte des 18. Jh. oft weder vollstandig
war noch den Sinn hatte, ein unveranderliches Werk
zu reprasentieren. Ein Herausgeber, der nichts auBer
der Schreibintention des Komponisten gelten laBt,
setzt sich fiber den Sachverhalt hinweg, daB die musi-
kalische Schrift weniger ein fiir sich bestehender Text
als eine bloBe Vorschrift war, die manches unausge-
sprochen lieB, weil es sich von selbst verstand. Doch ist
andererseits auch die Beruf ung auf die Klangintention,
250
Editionstechnik
also der Versuch, die originate Schrift aus der Kenntnis
der Ausfiihrungsweise durch zusatzliche Vorzeichen
(Akzidentien), Verzierungen oder GeneralbaBaus-
setzungen zu erganzen, nicht unproblematisch; denn
die Rekonstruktion des Klangbildes in einer Edition
schlieBt eine Umdeutung von veranderlichen Momen-
ten der Ausfiihrungsweise zu festen Merkmalen eines
abgeschlossenen Textes ein.
Die Typen musikalischer Ausgaben werden nach der
Zweckbestimmung, dem Inhalt oder der Editionsme-
thode unterschieden. Denkmalerausgaben sind primar
fiir das wissenschaftliche Studium gedacht. Sie ver-
offentlichen Quellen mit Werken verschiedener Kom-
ponisten (Trienter Codices, Rhaw-Drucke, Liinebur-
ger Orgeltabulaturen) oder Werke eines Komponisten
aus verschiedenen Quellen. Quellenausgaben erhalten
den Vorzug, wenn der einzelne Komponist von gerin-
gerer geschichtlicher Bedeutung ist als das Repertoire,
an dessen Bildung er mitgewirkt hat. Eine Gesamtaus-
gabe der Werke eines Komponisten kann eine Denk-
maleredition (Alte Bach-Ausgabe), aber auch eine
praktische, fiir Auffiihrungen bestimmte Ausgabe sein
(Neue Bach-Ausgabe). Zwischen praktischen und
wissenschaftlichen Editionen besteht, sofern der Aus-
druck »wissenschaf tlich« die Editionsmethode und nicht
die Bestimmung einer Ausgabe fiir das wissenschaft-
liche Studium (Denkmaleredition) bezeichnet, kein
Gegensatz. Eine Ausgabe ist praktisch, wenn die Aus-
fiihrenden, fiir die sie gedacht ist, sie ohne Unsicher-
heiten und MiBverstindnisse lesen konnen. Sie ist wis-
senschafthch, wenn der Herausgeber einerseits auf die
primaren Quellen (oder, bei deren Verlust, auf die dem
Original nachsten sekundaren Quellen) zuriickgegan-
gen ist und andererseits Korrekturen und Erganzungen
des uberlieferten Textes kenntlich macht und philolo-
gisch oder historisch zu rechtfertigen vermag. (Philo-
logisch motiviert sind z. B. Korrekturen eines durch
ein Autograph uberlieferten Textes durch bessere Les-
arten autorisierter Abschriften; historisch begriindet
sind Erganzungen aus der Kenntnis »verlorengegan-
gener Selbstverstandlichkeiten« der Ausfiihrungswei-
se.) Konflikte entstehen erst, wenn typographische
Unterscheidungen im Notentext und Kritische Berich-
te als unpraktisch angesehen werden oder wenn die
wissenschaftlich begriindbaren Erganzungen und Ver-
deutlichungen des Originaltextes fiir die Praxis nicht
ausreichen oder nicht auszureichen scheinen. (Zu ent-
scheiden, ob ein langer oder ein kurzer Vorschlag ge-
meint sei, ist wissenschaftlich manchmal nicht mog-
lich, aber in der Praxis unumganglich.) Instruktive
Ausgaben erganzen den musikalischen Text durch
Spielhilfen (Fingersatze, Angabe der Auf- und Ab-
striche); Phrasierungsangaben (H.Riemann) kenn-
zeichnen durch Bogen, die nicht mit Legatobogen
verwechselt werden diirfen, die motivische Gliede-
rung. Unter einer Bearbeitungs- oder Interpretations-
ausgabe ist im allgemeinen eine Edition zu verstehen,
die den Originaltext verandert (z. B. die p-Vorschrif-
ten in pp, p und mp differenziert) oder durch Zusatze
erganzt, die nicht philologisch oder historisch, sondern
in dem Versuch begriindet sind, ein Werk den Klang-
vorstellungen der Gegenwart (des Bearbeiters) anzu-
gleichen (H.v.Biilow, M.Reger, F.Busoni). Den Ge-
gensatz zur Bearbeitungsausgabe bildet seit dem Ende
des 19. Jh. (Urtext dassischer Musikwerke, Berliner Aka-
demie der Kiinste) die Urtextausgabe, die fiir die Praxis
bestimmt ist, aber Korrekturen und Zusatze des Her-
ausgebers entweder vermeidet oder in den Grenzen
des wissenschaftlich Begriindbaren halt. Bei der Be-
nennung wird manchmal nicht berucksichtigt, daB der
Begriff -> Urtext seine festen Umrisse verhert, wenn
ein Werk nur in sekundaren Quellen iiberliefert ist
oder wenn der Herausgeber Vortragszeichen einfiigt,
die wissenschaftlich begriindet sind, ohne in den Quel-
len zu stehen. - Der kritische Apparat einer wissen-
schaftlichen Edition besteht aus einem Kritischen Be-
richt einerseits und Zusatzzeichen oder typographi-
schen Unterscheidungen im Notentext andererseits.
Kritische Berichte enthalten eine Beschreibung der
auBeren Gestalt, des Inhalts, der Herkunft und der Ge-
schichte der Quellen, ferner einen Versuch, die Ab-
hangigkeit (Filiation) der Quellen voneinander darzu-
stellen, oft in der Form eines Stammbaums (Stemma),
und schlieBlich eine Aufzahlung der vom edierten
Text abweichenden Lesarten der Quellen (Revisions-
bericht). Ist die Filiation eindeutig und der Wert einer
sekundaren Quelle gering, so geniigt es, einige abwei-
chende Lesarten auszuwahlen, um die Abhangigkeit zu
beweisen. Die Forderung, daB die Quellen in ihren fiir
die Textgestalt wesentlichen Merkmalen aus der Edi-
tion rekonstruierbar sein sollen, gilt dann nur fiir die
primare Quelle. (Die Entscheidung, was ein fiir die
Textgestalt wesentliches Merkmal sei, ist vom Stand
der Forschung abhangig; scheinbar gleichgiiltige Ei-
gentiimlichkeiten eines Schreibers konnen spater als
relevant fiir die Abhangigkeit der Quellen und damit
fiir die Textgestalt erkannt werden.) Zwischen Kriti-
schem Bericht und Zusatzzeichen oder typographi-
schen Unterscheidungen im Notentext bestehen keine
festen Grenzen. Typographisch abgehoben werden
Erganzungen des Herausgebers (Vorzeichen in Klam-
mern oder iiber statt vor den Noten, Textunterlegun-
gen in Kursivdruck, GeneralbaBaussetzungen in Klein-
stich, Vortragszeichen in diinneren Lettern), in man-
chen Editionen aber auch Lesarten aus sekundaren
Quellen. Zeichen, die fiir die musikalische Ausfiihrung
ohne Bedeutung sind, beziehen sich auf die Transkrip-
tion (Winkelklammern fiir geschwarzte Noten). Al-
lerdings ist der Unterschied zwischen Transkriptions-
und Interpretationszeichen nicht immer deutlich; das
Verfahren, Ligaturen der Modal- oder Mensuralno-
tation durch Bpgen zu kennzeichnen, laBt offen, ob
eine Deutung als Legato gemeint ist oder nicht.
DaB die Methoden der E. historisch differenziert sind,
ist im geschichtlichen Wechsel der Notierungs- und
Uberlieferungsf ormen und in den Veranderungen des
Verhaltnisses zwischen geschriebenem Text und musi-
kalischer Ausfiihrung begriindet. »Gregorianische« und
mittelalterliche Choralmelodien werden im allgemei-
nen in gotischer Quadratnotation (ohne die rhythmi-
schen Differenzierungen der sankt-gallischen Neumen)
ediert. Die Umschrift in runde Notenkopfe ohne Hal-
se, bei der zwar Ligaturen durch Bogen gekennzeich-
net, Unterschiede der Neumenformen aber unter-
driickt werden, ist ein bloBer Notbehelf. - Bei mittel-
alterlichen Liedmelodien in Quadratnotation ist die E.
einerseits vom Grad der Anerkennung, Ablehnung
oder Modifizierung der Modaltheorie und anderer-
seits von dem AusmaB abhangig, in dem der Heraus-
geber sich zu musikalischer Textkritik (Fr. Gennrich,
W.Bittinger), zur Abhebung authentischer Texte von
Varianten und Irrtumern, entschUefit. - Das einzige ge-
meinsame Merkmal aller Editionen von mehrstimmi-
ger Musik des 13.-16. Jh. ist die Ubertragung der in
Chor- oder Stimmbiichern uberlieferten Satze in Par-
titur (Spartierung). Die Schliisselung und die Transpo-
sition, die Anderung der Notenformen, die Reduktion
der Werte und die Wiedergabe von Mensurzeichen,
die Akzidentiensetzung und die Textunterlegung sind
einem Wechsel der Editionsmethoden unterworfen.
Die originalen Schliissel werden in manchen Editionen
beibehalten, in anderen durch moderne Schliissel er-
251
Editionstechnik
setzt. Als gebrauchlich gelten heute einzig der Violin-
und der BaBschliissel, wahrend noch zu Anfang des 20.
Jh. auch der Sopran-, Alt- und Tenorschliissel in prak-
tischen Ausgaben benutzt wurden. Fiir Stimmen in
Tenor- oder tiefer Altlage hat sich der oktavierende
Violinschliissel durchgesetzt; er erscheint als Violin-
schliissel mit supponierter Ziffer ||, als doppelter Vio-
linschliissel q§ oder als einfacher Violinschliissel, des-
sen oktavierende Bedeutung aus der Stimmbezeich-
nung erschlossen werden muB. Die Hypothese, die
hohen Schliissel (Chiavetten) seien im 16. Jh. ein Trans-
positionszeichen gewesen, ist zu fragwiirdig, um als
Prinzip der E. brauchbar zu sein. - Veraltete Noten-
formen werden den modernen angeglichen; Editionen,
in denen die Rhomben nicht durch runde Notenkopfe
ersetzt sind, bilden eine Ausnahme (R.v.Ficker, DTO
LXXVI). Ligaturen werden durch eckige, seltener
durch runde Bogen, Kolorierungen (hohle oder rote
Noten in schwarzer und schwarze Noten in weiBer
Notation) durch Winkelklammern gekennzeichnet.
Die originalen Notenwerte werden im allgemeinen
reduziert. Das Verf ahren, sie unverkurzt zu lassen, be-
ruhte im 19. Jh. auf einem Irrtum iiber das Zeitmafi
der Musik vor 1600, spater auf der Vorstellung, daB in
der modernen Auffiihrungspraxis alter Musik genii-
gend historisches Bewufitsein herrsche, um MiBver-
standnisse auszuschlieBen (J. Wolf, Kn.Jeppesen, Fr.
Blume).Dennochistes in den meistenneueren Editionen
durch die Reduktionsmethode verdrangt worden. Als
Normen, die allerdings Ausnahmen dulden, gelten die
Reduktionen 8 : 1 (Brevis = Viertelnote) bei der Ars
antiqua, 4 : 1 (Minima = Achtelnote) bei der Ars nova
(und der Ars subtilior), 2:1 (Semibrevis = Halbe Note)
bei "Werken, die nach 1430 entstanden sind. Die Pro-
portio tripla des 15. und 16. Jh. wird in manchen Edi-
tionen im Verhaltnis 4:1 verkiirzt. Die originalen
Mensurzeichen, die durch die Reduktion ihren Sinn
verlieren, fiir die aber die moderne Notenschrift keine
Aquivalente kennt, sollten iiber dem Notentext ver-
zeichnet werden. Es wirkt verwirrend, wenn nicht zu
ersehen ist, ob der Ziffer 3 ein Tempus perfectum, ein
Tempus perfectum diminutum, eine Proportio sesqui-
altera oder eine Proportio tripla entspricht. Eine der
Konsequenzen der Partituranordnung ist die Notwen-
digkeit einer Gliederung des Schrif tbildes durch Orien-
tierungsstriche. Man benutzt durchgezogene oderpunk-
tierte Taktstriche (Dr. Plamenac, Ockeghem-GA),
Doppelpunkte im Notensystem, die vom Divisions-
punkt des 14. Jh. abgeleitet sind (R.v.Ficker, DTO
LXXVI), oder Striche zwischen den Notensystemen,
die sogenannten Mensur- oder Mensurzwischenstriche,
die das Lesen erleichtern, ohne den fiir die Musik des
15. und 16. Jh. charakteristischen »Stimmstrom« (H.
Besseler) zu zerteilen. Die Herausgeber von Werken
des 13. und 14. Jh. verwenden Taktstriche, sei es weil
sie der Musik Taktqualitat zuschreiben oder weil die
Gleichzeitigkeit eines 2/4-Taktes mit einem 3/4- oder
6/8-Takt die Anwendung desMensurstrichs ausschlieBt.
Die Gliederungsstriche werden im Abstand eines
Tempus (Das Chorwerk), eines Doppeltempus (Corpus
mensurabilis musicae) oder eines Tactus gesetzt (A. Auda,
Les y>Motets wallonso du manuscript de Turin: Vari 42,
2 Bde, Woluwe-St-Pierre 1953; M. van Crevel, Ob-
recht-GA). Striche in ungleichen Abstanden deuten
wechselnde rhythmische Gruppenbildungen des gan-
zen Stimmenverbandes (R.v.Ficker, DTO LXI) oder
der einzelnen, durch Verschiedenheit der »Taktart«
voneinander abgehobenen Stimmen an (H.Leich-
tentritt, O.Gombosi). - Die Akzidentiensetzung, das
Hinzufiigen von Vorzeichen, erscheint als kaum 16s-
bares Problem der E., solange ungeklart ist, ob die
Komponisten feste Normen voraussetzten oder die
Anwendung der Musica ficta dem Ermessen der Aus-
fiihrenden iiberlieBen; der Versuch, das intendierte
Klangbild zu rekonstruieren, ware im einen Falle
sinnvoll, im anderen vergeblich. Die meisten Her-
ausgeber von Werken des 15. und 16. Jh. beschran-
ken sich auf das Einfiigen des Leittons in Kadenzen
und das Vermeiden des Tritonus und der verminder-
ten Quinte. Ob in Kollisionsfallen die Stimmfuhrung
(W.Apel) oder der Zusammenklang (E. E. Lowinsky)
als entscheidend gelten soil, ist umstritten. Die zu-
satzlichen Vorzeichen werden iiber, seltener in Klam-
mern vor die Note gesetzt. - Die in Werken des 15.
und des friihen 16. Jh. fast immer fragmentarische
Textierung zu erganzen, ist ebenso unumganglich wie
schwierig; die Methoden lassen sich nicht in allgemei-
ne Regeln fassen, sondern miissen aus der satztechni-
schen und stilistischen Analyse der einzelnen Werke
entwickelt werden. Die von G.Zarlino (1558) und G.
Stocker (um 1580; vgl. E.E. Lowinsky in: Festschrift
H. Besseler, Leipzig 1961) formulierten Normen gel-
ten fiir den Stil Willaerts, vielleicht auch Josquins. -
Geringer an Zahl, aber kaum weniger schwierig sind
die Probleme, die dem Herausgeber von Musik des 17.
und friihen 18. Jh. begegnen: veraltete Partituranord-
nungen, Differenzen zwischen geschriebener und re-
aler Taktart, das Fehlen dynamischer Zeichen, der
GeneralbaB, doppeldeutige Verzierungssigel. Die
Entscheidung, ob die Anordnung der Instrumente in
der Partitur den heute herrschenden Normen anzu-
gleichen sei, ist vom Bedeutungsgehalt der originalen
Disposition abhangig; man wird eine alte Reihenfol-
ge der Holzblaser eher preisgeben als Bachs Verfah-
ren, die Trompeten an die Spitze der Partitur zu stel-
len. - Die originalen Gliederungsstriche widersprechen
im friihen 17. Jh. nicht selten den realen rhythmischen
Gruppierungen; dennoch sind Editionen, die einen
Wechsel der Gruppierung als Anderung der Taktart
ausschreiben (H.Riemann, A. Schering), problema-
tisch, da der Begriff des Taktwechsels dem Sachverhalt
nicht uneingeschrankt gerecht wird. - Dynamische
Zeichen, die der Herausgeber hinzufiigt, werden durch
diinnere oder kleinere Lettern oder durch Klammern
vom Originaltext abgehoben. Fiir die Erganzung gilt,
wenn auch nicht ausnahmslos, die Regel, daB Forte als
dynamische Norm und Piano als Abweichung zu ver-
stehen ist; ein p in der zweiten Phrase einer Melodie
setzt ein f in der ersten voraus, und Wiederholungen
wurden im allgemeinen dynamisch abgeschwacht. -
DaB Generalbasse ausgesetzt und nicht der Improvi-
sation uberlassen werden, ist sowohl in Denkmaler-
editionen als auch in praktischen Ausgaben die Regel;
Ausnahmen sind selten (Neue Bach-Ausgabe). Die Art
der GeneralbaBbehandlung ist von der Anzahl und
Besetzung der Stimmen und vom Stil eines Werkes
abhangig. Satztechnische Makellosigkeit ist weniger
ein Merkmal der Continuopraxis des 17. und 18. Jh.
als eine Konsequenz des Sachverhalts, daB in einer Edi-
tion die GeneralbaBaussetzung als festgelegter Text er-
scheint. (Auch die Kargheit und Befangenheit mancher
GeneralbaBaussetzungen diirfte zum Teil in dem Un-
terschied zwischen Improvisation und geschriebenem
Text begriindet sein.) - Veraltete Verzierungszeichen
werden, sofern sie eindeutig sind, durch moderne er-
setzt; bestehen Zweifel iiber den Sinn eines Zeichens,
so wird es in seiner originalen Gestalt reproduziert.
(Vor erlauternden Anmerkungen scheuen die meisten
Editionen zuriick.) Ornamentsigeln einzufiigen ist un-
gebrauchlich, auch dann, wenn die Verwendung einer
Verzierung feststeht; sogar Appoggiaturen (Vorhalte)
252
werden im allgemeinen nicht ausgeschrieben (und dar-
um in der Praxis des Rezitativvortrages nicht selten
vernachlassigt). - Bei Wiederauffiihrungen war es im
17. und noch im 18. Jh. gebrauchlich, ein Werk umzu-
arbeiten ; und es ist oft schwierig, wenn nicht unmog-
lich, ohne Willkiir zu entscheiden, ob eine Anderung
des musikalischen Textes dem »auBeren Zwang« der
Umstande oder der Gelegenheit zur Korrektur zuzu-
schreiben ist. Eine Vermischung der Fassungen in einer
Edition ware also dem Sachverhalt unangemessen;
und ob dem Herausgeber die friihere Version als »ru-
dimentar« und die spatere als »endgiiltig« oder umge-
kehrt die friihere als »authentische Urf orm« und die spa-
tere als Resultat »bloBer Anpassung« erscheint, ist fur
die E. belanglos und andert nichts an der Notwendig-
keit, beide Fassungen zu edieren (J.S.Bach, Magnifi-
cat). - Die Probleme, die der E. aus den ehemaligen
Notierungs- und Oberlieferungsformen erwachsen,
schrumpfen bei derMusik des spaten 18. und des 19. Jh.
zu geringen Resten. (UngewiB ist manchmal die Ent-
scheidung zwischen langen und kurzen Vorschlagen,
nicht liickenlos geklart die Relevanz oder Irrelevanz
der Differenz zwischen Staccatostrichen und -punk-
ten.) Ein iibliches, aber nicht immer unbedenkliches
Verfahren der E. ist die Angleichung von Parallel-
stellen, z. B. die Korrektur von Legatobogen, die in
der Reprise eines Sonatensatzes anders gesetzt sind als
in der Exposition. - In Schwierigkeiten, die bei der
Herausgabe alterer Musik kaum jemals entstehen, ge-
rat die E. durch den Sachverhalt, daB von Werken
Haydns oder Beethovens nicht selten sowohl eine Ur-
schrift und Reinschrift als auch eine autorisierte Ab-
schrift (Stichvorlage) und ein Originaldruck erhalten
sind, die in Einzelheiten voneinander abweichen. (Un-
ter einem Originaldruck ist ein vom Komponisten au-
torisierter -*■ Erstdruck zu verstehen.) Ob in den Fallen,
in denen keine der Lesarten als Irrtum erkennbar ist,
der Originaldruck dem -> Autograph vorzuziehen sei
(M. Friedlaender, W.Altmann, W.Schmieder, G.v.
Dadelsen) oder umgekehrt (H. Schenker, P.Mies, H.
Unverricht), ist umstritten. Eine E., die das musikali-
sche Urteil iiberfliissig macht, ist kaum vorstellbar.
Lit. : O. Jahn, Beethoven u. d. Ausg. seiner Werke, in : Ge-
sammelte Aufsatze fiber Musik, Lpz. 1866; Fr. Chrysan-
der, Die Verwendung d. Schliissel bei d. Herausgabe alte-
rer Musikwerke, AmZ V, 1870; C. P. Graedener, t)ber in-
structive Ausg. mus. Classiker, ebenda; M. Friedlaender,
tlber d. Herausgabe mus. Kunstwerke, JbP XIV, 1907; G.
Adler, Uber Textlegung in d. »Trienter Codices«, Fs. H.
Riemann, Lpz. 1909 ; A. Schering, Takt u. Sinngliederung
in d. Musik d. 1 6. Jh., Af M w 11,191 9/20 ; H. Wetzel, Uber
Textkritik, Analyse u. Bearb. v. Musikwerken, ZfMw II,
1919/20; Th. Kroyer, Denkmaler d. Tonkunst in Oster-
reich, ZfMw V, 1922/23 ; H. Muller, Zur E. bei Kirchen-
musikwerken d. klass. Vokalperiode, Cacilienvereinsorgan
LVII, 1925; H. Schenker, Das Meisterwerk in d. Musik,
Miinchen, Wien u. Bin 1925; L. Schrade, L. Milan, Mus.
Werke, = PaM II, Lpz. 1 927, Vorbemerkung zur Ubertra-
gungsmethode (dazu O. Gombosi u. L. Schrade in: ZfMw
XIV, 1931/32-XVI, 1 933/34) ;H.Besseler, Von Duf ay bis
Josquin, ZfMw XI, 1928/29; ders., Grundsatzliches zur
Ubertragung v. Mensuralmusik, StMw XXV, 1962; H.
Birtner, Die Probleme d. spatma. Mensuralnotation u.
ihrer Ubertragung, ZfMw XI, 1928/29; Fr. Blume, Zur
Notationsfrage, Musikantengilde VII, 1929; E. Beninger,
Pianistische Herausgebertatigkeit, ZfMw XII, 1929/30; O.
Gombosi, Zur Deutung gewisser rhythmischer Figuren d.
1 6. Jh., ebenda ; K. Ameln, Zur Gestalt d. neueren kirchen-
mus. Verdff., MuK VIII, 1936; Fr. Gennrich, Grundsatz-
liches zu d. Troubadour- u. Trouvereweisen, Zs. f . romani-
sche Philologie LVII, 1937 ; L. Landshoff, J. S. Bach, Mus.
Opfer, Beih. zur Urtext-Ausg., Lpz. 1937; W. Apel, The
Partial Signatures in the Sources up to 1 450, AMI X, 1 939 ;
J. P. Larsen, Die Haydn-tJberlieferung, Kopenhagen
1939; W. Altmann, Ist d. Originalhs. oder d. Erstdruck
Eger
maBgebend?, AMz LXVII, 1940; W. Schmieder, Noch-
mals: Originalhs. oder Erstdruck?, ebenda; M. Unger,
Grundsatzliches fiber Revisionsausg. v. Beethovens Wer-
ken, Mk XXXIII, 1940; E. E. Lowinsky, The Function of
Conflicting Signatures in Early Polyphonic Music, MQ
XXXI, 1945; ders., Early Scores in Ms., JAMS XIII, 1960;
R. v. Ficker, Probleme d. modalen Notation, AMI XVIII/
XIX, 1946/47; ders., Probleme d. E. ma. Musik, Kgr.-Ber.
Basel 1949; A. H. King, Some Recent Trends in Mus. Pu-
blishingand Bibliogr., MMR LXXVIII, 1948 ; W. S. Drew,
On Song-Editing, The Mus. Times XC, 1949; W. Emery,
New Methods in Bach-Editing, ebenda XCI, 1950; ders.,
Ed. and Musicians, London 1957; W. Bittinger, Studien
zur mus. Textkritik d. ma. Liedes, = Literarhist.-mw. Abh.
XI, WOrzburg 1953 ; R. H. Hoppin, Partial Signatures and
Musica Ficta in Some Early 15 llI -Cent. Sources, JAMS VI,
1953; Th. Dart, The Interpretation of Music, London
1954, deutsch als : Practica Musica. Vom Umgang mit alter
Musik, = Slg Dalp XXIX, Bern (1959) ; G. Henle, Uber d
Herausgabe v. Urtexten, Musica VIII, 1954; Ch. L. Cud-
worth, Ye Olde Spuriosity Shoppe, Notes II, 12, 1954/55
S. Clercx, Les accidents sous-entendus et la transcription
en notation moderne, Les Colloques de Wegimont II, 1955
F. Oberborbeck, Original u. Bearb., Fs. M. Schneider,
Lpz. 1955;Thr.G.Georgiades, Zur Lasso-GA, Kgr.-Ber.
Wien 1956; ders., Musik u. Schrift, Miinchen 1962; Fr,
Giegling, Probleme d. Neuen Mozart-Ausg., SMZ XCVI
1956; U. Aarburg, Muster fur d. Ed. ma. Liedmelodien,
Mf X, 1957; P. Mies, Textkritische Untersuchungen bei
Beethoven, Miinchen u. Duisburg 1957; Editionsprobleme
d. spaten 18. Jh. (Arbeitsgemeinschaft), Kgr.-Ber. Koln
1958 ; A. Durr, Wiss. NA u. d. Praxis, MuK XXIX, 1959 ;
G. v. Dadelsen, Fr. Smends Ausg. d. h-moll-Messe v. J. S.
Bach, Mf XII, 1959; ders., Die »Fassung letzter Hand« in
d. Musik, AMI XXXIII, 1961 ; G. Feder u. H. Unver-
richt, Urtext u. Urtextausg., Mf XII, 1959; H. Unver-
richt, Die Eigenschriften u. d. Originalausg. v. Werken
Beethovens in ihrer Bedeutung f. d. moderne Textkritik,
= Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960; A. Carapetyan,
Problems of Editing and Publishing Old Music, MD XV,
1961 ; Kn. Jeppesen, Et par notationstekniske problemer i
det 16. aarhundredes musik og nogle dertil knyttede iagt-
tagelser (Taktinddeling-Partitur), STMf XLIII, 1961 ; J.
LaRue, Watermarks and Musicology, AMI XXXIII, 1961 ;
D. Stevens, Problems of Editing and Publishing Old Mu-
sic, Kgr.-Ber. NY 1 96 1 , Bd I u. II ; W. Osthoff, Per la no-
tazione originate nelle pubblicazioni di musiche antiche e
specialmente nella nuova ed. Monteverdi, AMI XXXIV,
1962; M. Reimann, Zur E. v. Musik d. 17. Jh., in: Nord-
deutsche u. nordeuropaische Musik, = Kieler Schriften
zur Mw. XVI, Kassel 1965. CD
Editio Vaticana, die von Pius X. in dem Motu pro-
prio von 1903 angeordnete Neuausgabe des Gregoria-
nischen Chorals in seiner wiederhergestellten traditio-
nellen Gestalt; sie loste als amtliche, fur die gesamte
romisch-katholische Kirche (mit Ausnahme der Do-
minikaner, Pramonstratenser, Zisterzienser und des am-
brosianischen Liturgiekreises) verbindliche Choralaus-
gabe alle bisherigen Fassungen ab (->• Editio Medicaea).
Hergestellt in der Vatikanischen Druckerei, erschie-
nen bis heute -> Kyriale 1905, -> Graduate (-2) 1908,
Totenoffizium 1909, -»■ Antiphonarium (ohne Matu-
tin) 1912, Karwochenoffizium 1923. Der AnstoB zu
dieser bisher umfassendsten Choralreform ging haupt-
sachlich von den Forschungen der Benediktiner von
Solesmes aus, doch sind sie am Zustandekommen der
Ausgabe selbst, die weniger wissenschaftlichen An-
spriichen als den Belangen der liturgischen Praxis ge-
niigen soil, nicht beteiligt.
Lit. : P. Wagner, Der Kampf gegen d. E. V., Graz 1907 ; U.
Bomm OSB, Vom Sinn u. Wert d. E. V., in : Musicus - Ma-
gister, Fs. Th. Schrems, Regensburg (1963).
Eger (Bohmen).
Lit. : P. Nettl, Aus E. mus. Vergangenheit, Mitt. d. Ver.
f. Gesch. d. Deutschen in Bohmen LVIII, Prag 1920; K.
Riess, Die Mg. d. Stadt E. im 16. Jh., Brfinn 1935; K. M.
Komma, E. u. d. Egerland in d. Mg., Jb. d. EgerlSnder 1955.
253
Eichstatt
Eichstatt (Mittelfranken).
Lit. : J. Sax, Musik u. Theater in d. furstbischoflichen Re-
sidenzstadt E. bis 1802, 46. Jahresber. d. Hist. Ver. f. Mit-
telfranken, Ansbach 1 898 ; J. Gmelch, Die Mg. E., E. 1 9 1 4 ;
G. Schorner, Die Barockorg. in d. Pfarr- u. Klosterkirche
St. Walburg zu E./Bayern, Musik u. Altar III, 1 950/5 1 .
Eidos (griech.) -> Genos.
Eilenburg (Sachsen).
Lit. : A. Werner, Die E.er Kantorei u. M. Rinckarts Ver-
dienste um dies., MGkK VII, 1902; ders., M. Rinckarts
Satzungen fur d. E.er Kantorei 1646, Heimatzs. d. Schon-
burgbundes »Forschung u. Leben«, Halle 1930.
Einhandflote (prov. galoubet; mittelfrz. flaihutel,
auch flageol; frz. flutet; baskisch -*■ txistu; mhd. holre
oder holler, vielleicht von Holunder; bei deutschen
Autoren des 16./17. Jh. Schwegel, was aber in Ober-
deutschland Querflote ist; 1589 in einem wiirttember-
gischen Inventar korrumpiert tammarinpfeife; tamer-
Hnpfeife; bei Praetorius 1619 StamentienPfeiffe;Trom-
meJpfeife) ist eine Schnabelflote von zylindrischer
Bohrung und enger Mensur mit 2 Grifflochern vorn
und einem Daumenloch. Die E. blast daher leicht in
den 2. und 3. Teilton iiber ; in dieser Lage wird sie meist
gespielt. Gelegentlich wurde das Miindungsloch mit
dem kleinen Finger halb gedeckt. Die E. hatte einen
scharfen, lauten Klang und wurde im 9.-19. Jh. von ei-
nem Spieler zusammen mit einer kleinen Trommel
oder einem anderen Schlaginstrument gespielt (frz.
galoubet et tambourin; engl. pipe and tabor; span,
fluviol oder flabiol und tamboril; -*■ Cobla). Im 15. Jh.
begegnen E.n in Diskant- und Tenor-, im 16. Jh. dazu
in Bafilage (mit S-formigem Anblasrohr). Das Am-
braser Inventar verzeichnet 1596 Flauti, mit dainen
driimblen zu gebrauchen, 6 stuckh, ain pasz, 3 tenor und 2
distant. - Die Kombination E. und Trommel war in
Westeuropa verbreitet, wahrend Deutschland sich di-
stanziert verhielt. Virdung (1511), Agricola (1528) und
Praetorius (1619) kennzeichnen sie als auslandisch, und
schon in der Manesse-Handschrift (14. Jh.) wird die
Trommel mit 2 Schlageln, also mit beiden Handen
und ohne Flote, gespielt. Spatestens aus dem 14. Jh.
sind Belege bekannt, wonach Trommel und E. von 2
Musikanten getrennt gespielt wurden. Auf einem Stich
des Matthaus Zasinger (1500), der ein Miinchner Hof-
turnier darstellt, sitzen Trommler und Pfeifer Riicken
an Riicken auf einem Pferd. Im 17. Jh. begegnen Pfei-
fer auf dem Riicken der Trommler. Bilder dieser Art
kennzeichnen Jahrmarktsbrauche in der Fortsetzung
mittelalterlicher Spielmannsart. Mit dem gleichzeitigen
Spiel zweier verschiedenartiger Instrumente wollte
sich der Joculator des Mittelalters produzieren und
durch praktisches Konnen eine Rangstufe vorweisen,
die ihm die Hierarchie der Musikerstande wegen sei-
nes Mangels an theoretischem Wissen versagte. In der
1. Halfte des 9. Jh. (Bibel Karls des Kahlen) wurden
Horn und Gabelbecken von einem Spieler bewaltigt,
im 11. Jh. begegnet die Verbindung Panpfeife und
Gabelbecken, im 12. Jh. (Albanpsalter Hildesheim) fin-
det man 2 Blaser, die in der Rechten ein Stierhom hal-
ten, wahrend die Linke eine vor der Brust angebrachte
Trommel schlagt; ein Bild aus Reims (13. Jh) zeigt ei-
nen Jongleur, der mit beiden Handen die Flote spielt
und die hinten angegurtete Trommel mit dem Kopf
schlagt.
Lit. : Chr. Lehmann, Florilegium politicum, 3 Bde, Ffm.
1630-42; Fr. Vidal, Lou Tambourin ... , Aix u. Avignon
1864; D. Fryklund, Studier over galoubetn, Halsingborg
1939; W. Salmen, Zur Verbreitung v. E. u. Trommel im
europaischen MA, Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes
VI, 1957; Das Standebuch. 114 Holzschnitte v. J. Am-
mann mit Reimen v. H. Sachs, Lpz. 1960, S. 109.
Einklang -»- Unisono.
Einschwingen -»■ Ausgleichsvorgange.
Eisenach (Thiiringen).
Lit. : E. Buhle, Verz. d. Slg alter Musikinstr. im Bachhause
zu E., = Ver6ff. d. Neuen Bachges. XXXVIII, 2, Lpz.
(1913), 31939; W. Nicolai, Die Wiederbelebung d. Kur-
rende in E., Bach-Jb. XI, 1914; O. Schroder, Das E.er
Kantorenbuch, ZfMw XIV, 1931/32; C. Freyse, E. Beitr.
zur Musikkultur, in: 34. Deutsches Bachfest d. Neuen
Bachges., E. 1957; W. Braun, Th. Schuchardt u. d. E.er
Musikkultur im 17. Jh., Af Mw XV, 1958.
Eisteddfod (aist'e6vod, von eistedd, walisisch, sitzen,
»Sitzung«), die noch heute alljahrlich abgehaltenen wa-
lisischen Musikfeste, zuriickgehend auf friihmittelal-
terliche Bardenwettkampfe (einer der crsten 1176 in
Cardigan). Beriihmte E.s fanden 1450 zu Carmarthen,
1569 zu Caerwys unter der Schirmherrschaft Elisa-
beths I., 1681 zu Bewpyr Castle und 1819 wiederum
zu Carmarthen start. Neben Vortragskunstlem und
Sangern stellen sich dem Wettbewerb heute auch In-
strumentalisten, Kunstgewerbler, Chore und Tanz-
gruppen. Das National E. wird stets im August in wa-
lisischen Stadten veranstaltet; ein International Musical
E., an dem sich auch auslandische Teilnehmer beteili-
gen, wird ebenfalls jahrlich seit 1947 in Llangollen ab-
gehalten.
Lit. : P. Nettl, Die Bedeutung d. keltischen Barden f . d.
Entwicklungsgesch. d. Tonkunst, ZIMG XIV, 1912/13; T.
Parry u. T. Cynan, The E. of Wales, Liverpool 195 1 .
ekmelisch -> emmelisch.
ekphonetisch (von griech. ex<pci>vi]ai.<;, Vortrag)
heiBt seit Tzetzes (1885) der musikalische Vortrag der
biblischen Lesungen im -> Byzantinischen Gesang.
Entsprechend der jiidischen -*■ Kantillation und dem
Accentus (-»■ Akzent - 2) des lateinischen Kirchenge-
sangs ist er an die Gliederung des Textes gebunden
und bildet keine autonom musikalischen Formen aus.
Seine Wurzeln reichen vermutlich in die Spatantike.
Handschriften des 10.-13. Jh. iiberliefern eine eigen-
standige e.e Notation, deren Grundlage die prosodi-
schen Zeichen des griechischen Alphabets bilden. Zu
Anfang und Ende eines Wortes oder Satzteils wird
ein Paar meist gleicher Zeichen gesetzt ; am SchluB eines
Abschnitts oder an besonders wichtigen Stellen f ordert
Haufung der (an diesen Stellen oft verdoppelten) Zei-
chen kunstvolleren Vortrag (-> Akzent - 1).
Ausg. : Monuments de la notation ekphonetique . . . , hrsg.
v. J.-B. Thibaut, St. Petersburg 1913; Prophetologium,
hrsg. v. C. Hoeg u. G. Zuntz, = Monumenta Musicae
Byzantinae, Lectionaria 1, 1-5, Kopenhagen 1939-62.
Lit.: J. Tzetzes, 'H feitiv6n<Ji? xfli; napaorrinavTiKfjc; t&v
Bu^avTivfiiv, in: Parnassos IX, 1885; C. H0EG, La notation
ekphonetique, = Monumenta Musicae Byzantinae, Sub-
sidia I, 2, Kopenhagen 1935; L. Tardo, L'antica melurgia
bizantina, Grottaferrata 1938.
Elbing (OstpreuBen).
Lit. : G. DQrino, Die mus. Erscheinungen in E. bis zum
Ende d. 18. Jh., E. 1868; R. Eitner, G. Doring, Konigli-
cher Musikdirektor u. Kantor ... in E„ MfM I, 1869; H.
Gerigk, Mg. d. Stadt E., Teil I. Bis zum Ausgang d. polni-
schen Zeit, Diss. Konigsberg 1929, E.er Jb. VIII, 1929 ; Br.
Th. Satori-Neumann, 300 Jahre berufsstandisches Thea-
ter in E., Bd 1, 1605-1846, Danzig 1936.
Elegie (griech. eXeyeta, verwandt mit 4XeyeTov, Di-
stichon, und £Xz-yo$, Trauergesang mit Aulosbeglei-
tung; als Wort seit dem 5. Jh. v. Chr. belegt, wohl aus
Kleinasien stammend). E. war in der Antike die seit
Ende des 8. Jh. v. Chr. iiberlieferte, von Ionien aus
verbreitete und mit einem spatantiken Ausdruck Di-
stichon (Zweizeiler) genannte Versform (epischer
254
Elektronenrohre
Hexameter in fester Verbindung mit dem Pentame-
ter) sowie allgemein jedes Gedicht in dieser Versform
(u. a. Kampf-, Trink-, Klagelieder, oft politischen,
philosophischen Inhalts) ; sie wurde anscheinend meist
mit Begleitung des Aulos vorgetragen, und zwar ge-
wohnlich bei Symposien. Beriihmte griechische Elegi-
ker waren Archilochos, Tyrtaios, Theognis, Solon,
Xenophanes und in hellenistischer Zeit Kallimachos.
Bei den Roman war es vor allem die in Distichen ge-
schriebene Liebes- und Klagedichtung (Catull, Tibull,
Properz, Ovid u. a.), die dem Begriff der E. einen spe-
ziellen Inhalt gab, so daB fiir die Nach- und Neudich-
tungen von E.n seit 1500 nicht mehr die Form, son-
dern der sehnsuchtig-klagende Inhalt als Kennzeichen
der Gattung gilt: E.n sind Klagelieder und verliebte Ge-
dichte (Gottsched). Vertonungen von E.n sind verein-
zelt seit der Humanistenzeit nachweisbar (z. B. von
H.Purcell) und wurden besonders gegen Ende des 18.
Jh. beliebt ( J. Fr. Reichardt, J.R.Zumsteeg u. a., auch
Beethoven, Elegischer Gesang fiir 4 Singst. und Streich-
quartett op. 118, 1814). Seit dem 19. Jh. sind gelegent-
lich auch reine Instrumentalwerke E. betitelt, zuerst
wohl von J. L. Dussek (1806). E.n fiir Kl. schrieben u. a.
Liszt, Busoni, Reger und Former, eine E. fiir Vc. und
Kl. Faure, eine E. fiir V. oder Va solo Strawinsky. An
Orchester-E.n seien genannt: Bartok, 3. Satz des Kon-
zertsfiir Orch. (1943), Strawinsky, Ode, Elegiacal Chant
(1943), Kfenek, Sinfonische E. in memoriam A. von
Webem (1946).
Lit.: M. Friedlaender, Das deutsche Lied im 18. Jh., 2
Bde (in 3 Abt.), Stuttgart 1902, Neudruck Hildesheim
1962; J. H. Lipsius, Der Ursprung d. E., Lpz. 1914; C. M.
Bowra, Early Greek Elegists, Oxford 1938; Fr. Beissner,
Gesch. d. deutschen E., = GrundriB d. germanischen Phi-
lologie XIV, Bin 1941,21961.
Elektrochord, Anfang der 1930er Jahre von O. Vier-
ling entwickelter elektroakustischer (Forster-) Fliigel,
bei dem der Resonanzboden durch einen (kapazitiven)
Schwingungsabnehmer, Verstarker und Lautsprecher
ersetzt wurde. Im Unterschied zu W. Nernst (-> Neo-
Bechstein-Fliigel) kam es Vierling nicht auf eine Ver-
besserung des Klavierklanges an; die Entwicklung des
E.s sollte vielmehr dazu dienen, neue Klangmoglich-
keiten zu finden. Vierling ging von der Tatsache aus,
daB bestimmte Teilschwingungen durch Oberlage-
rung der an verschiedenen Stellen der Saite gleichzeitig
abgenommenen Schwingungen besonders verstarkt
bzw. ausgeschaltet werden. Ferner verandert sich der
(abgenommene) Schwingungsvorgang vollig, wenn
der Schwingungsabnehmer nicht in der Anschlags-
und Schwingungsrichtung, sondern senkrecht zu ihr
angebracht ist. Aus dem bekannten Klavierton wird
ein langsam anklingender orgelahnlicher Ton. Das E.,
wie auch der Neo-Bechstein-Fliigel, lieferte Erkennt-
nisse iiber die Natur der Saitenschwingungen, wenn
auch beide Instrumente nicht serienmaBig gebaut wur-
den und heute kaum noch Bedeutung haben.
Lit.: O. Vierling, Das elektroakustische Kl., Diss. Bin
1936; ders., Das F6rster-E., Zs. d. Ver. Deutscher Inge-
nieure LXXX, 1936.
Elektronenorgel (elektronische Orgel), umstrittene
Bezeichnung fiir eine Reihe von -> Elektrophonen, die
die Form eines freistehenden Orgelspieltisches mit
einem oder mehreren Manualen aufweisen und auf ih-
ren Registerwippen ebenfalls die Namen von Orgel-
registern iibernehmen. Die Schallerzeugung geschieht
bei den verschiedenen Fabrikaten (Ahlborn, Conn,
Hammond, Lipp, Wurlitzer u. a.) entweder elektro-
magnetisch oder elektrostatisch durch Abtasten von
schwingenden Zungen oder rotierenden.Profil- bzw.
Lochscheiben oder rein elektronisch durch Tongene-
ratoren (Rohre bzw. Transistor - Spule - Kondensa-
tor). Klangfarbenunterschiede werden bei der letzteren
Art selektiv durch Filterungen des Grundspektrums er-
reicht. Obertonregister (Aliquote) werden oft nach
Art des Multiplexverfahrens als Auszug aus einer
Grundreihe angelegt. Lautsprecher fiir hohe, mittlere
und tief e Frequenzen - zum Teil mit regelbarem Nach-
hall - ermoglichen ein Cresceijdieren bis zu hbchsten
Starkegraden. J. A.Dereux entwickelte seine pfeifen-
lose Dereux-Orgel (deutsches Patent 1961), indem er
verschiedene Register von Cavaille-Coll-Orgeln Ton
fiir Ton aufnahm und ihre Schwingungskurven im
Druckverfahren mit einer Silbermetallegierung auf
Bakelitscheiben iibertrug. Beim Spielen wird der
Klang elektrostatisch reproduziert. - Abgesehen von
diesen gespeicherten Orgelklangen fiihrt die elektroni-
sche Tonerzeugung artgemaB nicht zur Kopie histori-
scher Orgeln. Um aber weniger aufwendig an Platz
und Kosten einen Ersatz fiir Orgelinstrumente zu offe-
rieren, iibernimmt die elektronische Orgel Namen
und Klange der bekanntesten Orgelregister. Ihr Klang
aber diirfte die tonpsychologisch so wichtigen Nuan-
cen des Orgelklangspektrums nach Anlaut, Anschlags-
nuancierung (besonders auf mechanischer Schleiflade),
die vollkommene Mischungsmoglichkeit auch ent-
fernter FuBtonlagen sowie die oszillierenden fremd-
artigen Beimischungen im Orgelklangspektrum und
damit dessen innere Lebendigkeit nicht erreichen.
Elektronenrohre dient der Verstarkung und Gleich-
richtung elektrischer Schwingungen und ist wesentli-
cher Bestandteil vom ->- Verstarker. Durch Bestrah-
lung mit kurzwelligem Licht oder durch Erhitzen, wie
es bei der E. geschieht, gibt Metall Elektronen ab, die
sich durch ein elektrisches Feld in gewiinschter Rich-
rung ablenken lassen. Je geringer der Gasdruck auf der
Oberschicht des Metalles ist, desto besser konnen die
Elektronen austreten. So wird ein diinner Metallzylin-
der (Kathode), der durch einen in ihm aufgespannten
Draht zum Gliihen erhitzt wird, in eine moglichst
hochevakuierte glaserne oder metallene Rohre einge-
fiihrt. Dieser und ein zweiter Metallzylinder (Anode)
stehen einander gegeniiber und sind mit den Polen ei-
ner Spannungsquelle (Anodenbatterie) so verbunden,
daB die von der Heizkathode ausgeschwitzten Elektro-
nen von der Anode abgesaugt werden konnen. Ein
zwischen beiden Elektroden angebrachter "Wechsel-
strom, dessen Ladung wechselphasig positiv odernega-
tiv ist, macht die E. zu einem Gleichrichter, einer wei-
teren Verwendungsmoglichkeit neben der Verstar-
kung. Mit Hilfe einer dritten Elektrode, die in Form
einer feinen Drahtspirale oder eines Drahmetzes die
Kathode umschlieBt, wird bei konstanter Heiz- und
Anodenspannung der Elektronenstrom zwischen Ka-
thode und Anode durch das elektrostatische Feld vom
Gitter her gesteuert. Bei geringer Spannung dieses
Steuergitters (Triode) werden die Elektronen abgesto-
Ben. Wird die Anodenspannung zusatzlich erhoht,
kann ein ausreichender Elektronenstrom flieBen, wenn
das Gitter stromlos bleibt. Die GroBe der gewahlten
Gittervorspannung im Verhaltnis zu den Elektroden-
spannungen bezeichnet man in den Kennlinien der E.
als Arbeitspunkt. Kennlinien sind die graphischen Dar-
stellungen der Abhangigkeit z. B. des Anodenstromes
von der Gitterspannung. Ein weiteres Verstarkerele-
ment ist der -*■ Transistor.
Lit. : H. Barkhausen, Lehrbuch d. E. u. ihrer technischen
Anwendungen, Lpz. '1955; M. J. O. Strutt, E., = Lehr-
buch d. drahtlosen Nachrichtentechnik III, hrsg. v. N. v.
Korshenewsky u. W. T. Runge, Bin, Gottingen u. Heidel-
berg 1957; E., in: Technik IV, =Das Fischer Lexikon
XXXIII, (Ffm.) 1963.
255
Elektronische Musik
17200 Hz
12500
9060
6570
4760
3450
2500
1S10
1310
K. Stockhausen, Nr. 3 Elektronische Studien. Studie II, Partitur-Seite 15.
Elektronische Musik ist der um 1950 von W. Meyer-
Eppler eingefiihrte Begriff fiir musikalische Phano-
mene, die ausschlieBlich auf elektrischem Wege ent-
stehen. Anstelle der traditionellen Orchesterinstrumen-
te werden MeBgerate sowie Aufnahme- und Wieder-
gabeverfahren der elektroakustischen Ubertragungs-
technik verwendet. Als Klangquellen dienen elektri-
sche -»■ Generatoren fiir periodische und aperiodische
Schwingungsformen (Sinuston, weiBes Rauschen, Im-
puls); Deformationen dieses Materials werden durch
Filterung, Transposition, Verhallung, Modulation und
Zerhackung erreicht. Der Komponist hat theoretisch
stets eine genaue Kontrolle iiber den Verlauf der elek-
trischen Schwingungen, die im Lautsprecher als Klang
horbar werden, und damit iiber die Klangfarbe, die
sich in der Instrumentalmusik dem seriellen Kompo-
sitionsverfahren nicht einf iigen wollte (-> Serielle Mu-
sik). In der Praxis jedoch lafit er sich haufig von der
empirischen Klangerfahrung leiten. Davon zeugen die
Partituren der E.n M., die nicht den Schwingungsver-
lauf festhalten, sondern Arbeitsprozesse beschreiben.
Als Arbeitsgrundlage dient eine Partitur, in der die
einzelnen Klangelemente zeitabhangig als Frequenz-
breiten notiert sind, deren dynamischer Verlauf einem
zweiten System entnommen werden kann. Die Zahlen
in der Zeitskala zwischen den beiden Systemen geben
die benotigten Bandzentimeter an (siehe Abbildung
oben) . Zu diesen noch nicht eindeutigen Angaben kom-
men spezielle iiber die Teilfrequenzzusammensetzung,
Modulation, Verzerrung, Verhallung usw. - E. M.
wird in speziellen Studios produziert, die teils von
Rundf unkanstalten, teils von Universitaten, selten von
Musikschulen eingerichtet wurden. Das erste entstand
1951 am Nordwestdeutschen Rundf unk in Koln, wei-
tere folgten in fast alien europaischen Landern, in Ja-
pan, Kanada, Chile und den USA. Neben der Grund-
ausriistung (mehrere Tonbandgerate, Generatoren,
Filter, Modulatoren, Hallraum, Mischpult) wurden
Spezialgerate entwickelt oder in den Dienst der E.n M.
gestellt, so in Paris Phonogene und Morphophone
(zur Klangtransposition auf die Stufen der chromati-
schen Tonleiter und zur Erzeugung variabler Echo-
frequenzen), in K61n ein Verfahren zur Drehbewe-
gung der Klange im Raum, in New York (Columbia-
Princeton University) ein Synthesizer, in Miinchen
(Studio der Firma Siemens) eine ahnlich wirkende
Lochstreifensteuerung aller Studiogerate und ein Vo-
coder (Modulation mit Sprache), in Urbana (Univer-
sity of Illinois) elektronische Rechenmaschinen
(-> Computer-Musik). Diese Entwicklung, die keines-
wegs abgeschlossen ist, dient einerseits der Arbeitsver-
einfachung, andererseits der Herstellung komplexer
Klangstrukturen. - Die Produktionsweise der E.n M.
lafit sich schematisch in drei Abschnitte gliedern : Pro-
duktion, Transformation und Synchronisation der
Klange. Zur Produktion gehoren der Aufbau von
Spektren aus Sinustonen, die Zerlegung des weiBen
Rauschens in farbiges Rauschen, die Filterung von Im-
pulsen und ihre Zusammensetzung zu Impulsstruktu-
ren, gegebenenfalls auch die Mikrophonaufnahme von
naturlichen Klangen oder der menschlichen Stimme;
zur Transformation die Zeitdehnung und -raff ung, die
Verschiebung im Frequenzbereich, lineare und nicht-
lineare Verzerrung (Veranderung der Dynamik bzw.
der spektralen Zusammensetzung), die Zerhackung
mittels Bandschnitt oder elektrischen Zerhackers, die
Verraumlichung durch naturlichen oder kiinstlichen
Hallraum (Hallplatte) ; zur Synchronisation die Zu-
sammensetzung aller Klange nach einem festgelegten
Zeitplan sowie die Verteilung auf die Tonspuren eines
256
Mehrkanalmagnetophons. Unter diesen Bedingungen
entstehen stationare Klangfarben, ahnlich denen der
Instrumentalmusik, d. h. in sich einfarbige Klange mit
definiertem Anfang und Ende (Rhythmik), oder Klan-
ge mit rasch oder unmerklich wechselndem Farb-
verlauf, die aber im Detail kompositorisch unkontrol-
lierbar sind. Daraus werden zwei Konsequenzen ge-
zogen : statistische Definition des Klanges (Einf iihrung
von Zufallsentscheidungen, Festlegung pauschaler
Strukturmerkmale) oder kontrollierbare Veranderung
des Schwingungsverlaufs durch automatische Steue-
rungen (Lochstreifen oder Computer). Im ersten Fall
unterliegt die Klangproduktion einem interpretativen
Eingriff durch den Komponisten oder einen Realisator,
im anderen einer durchgehenden Serialisation, die
durchaus einen Ubergang zu aleatorischen Vorgangen
erlaubt. Der Gestaltung komplexer Strukturen dient
auch die Verwendung von Sprache. - Nach anfangli-
chen Experimenten in Koln mit elektrischen Spielin-
strumenten, wie Trautonium und Melochord (Eimert
und Beyer), beschrankte man sich zunachst auf Sinus-
tonspektren (Goeyvaerts, Gredinger, Hambraeus,
Pousseur, Stockhausen), ehe Gerausche, Impulse und
/ Mechanische Schwingungserzeugung (Msummiga sp*ii
a ) schwingende Sailffn
Neo- Bechstein-Flugel
b ) schwingende Zungen
Elektronium
~x
■ II
Wurlitier - Orget
Ranger - Harmonium
Elektrophone
vielfache Transformationen den Klang reicher und
flexibler machten (Briin, Evangelisti, Kagel, Koenig,
Ligeti). Die menschliche Stimme wurde teils einbezo-
gen (verstehbarer Text), teils als Material verwendet
(Boehmer, Eimert, Kfenek, Stockhausen), auch Or-
chesterinstrumente sind zuweilen an der Auffuhrung
beteiligt (Badings, Boehmer, de Leeuw, Stockhausen).
- An der technischen oder musikalischen Entwicklung
der E.n M. waren aufierdem stark beteiligt die Studios
in Mailand (Berio, Castiglioni, Maderna, Nono), Miin-
chen (Riedl), New York (Babbitt, Luening, Ussachevs-
ky) und Urbana (Hiller).
Lit.: Gravesaner Blatter I-VI, 1955; W. Meyer-Eppler,
Elektrische Klangerzeugung, Bonn (1949); C. Martin, La
musique electronique, Paris 1 950 ; Technische Hausmitt. d.
NWDR VI, 1954, Sonder-H.; E. M., = die Reihe I, Wien
1955 ; Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin
1955, als: Phanomene d. mus. Horens, Bin u. Wunsiedel
21960; Musique experimentale, RBM XIII, 1959, mit urn-
fassender Bibliogr.; A. A. Moles, Les musiques experimen-
tales, Paris 1960; Vl. Ussachevsky, Notes on a Piece for
Tape Recorder, MQ XLVI, 1960; Fr. C. Judd, Electronic
Music and Musique Concrete, London 1964; Fr. K. Prie-
berg, E. M. aus Lochstreifen, Melos XXXI, 1964; Reper-
toire international des musiques exp£ri-
mentales, hrsg. v. Service de la Recherche
de la RTF.
c ) rotierende Scheiben
Dereux - Orgel
Welte-Lichtlon-Orgel
II Elektronische Schwingungserzeugung
a) HF- Generaloren (einslimmiges Spiel)
«Misch-
Gen.
Aetherophon
Kurbet - Spharophon
Ondes musicales
b) NF- Generatoren
U U U L, L, L — .
Hettertion
Klaviatur - Spharophon
Melochord
Trautonium
NF\ \NF\ \NF\ \NF\ \NF
Ahlborn-Orgel
Baldwin- Orgel
Connsonata - Orgel
Nov achor d
Polychord - Orgel
Elektrophone, Elektro(pho)nische
Musikinstrumente (oft auch Elektri-
sche Musikinstrumente genannt) sind
dadurch charakterisiert, daB sie von
elektroakustischer Verstarkung Ge-
brauch machen und den Schall uber
sekundare -> Schallwandler abstrah-
len; hingegen sind unter Elektrischen
Musikinstrumenten strenggenommen
nur elektrifizierte -»■ Mechanische Mu-
sikwerke zu verstehen. Zu unterschei-
den sind E. mit mechanischer und sol-
che mit elektronischer Schwingungs-
erzeugung (siehe nebenstehende Ab-
bildung). Gruppe I kann einmal nach
den Schwingungserzeugern klassifi-
ziert werden (Saiten, Zungen, rotie-
rende Scheiben), zum andern nach der
Art der Schwingungsabnahme (elek-
tromagnetisch, elektrostatisch, photo-
elektrisch und elektroakustisch). Die
Schwingungserzeugung in Gruppe II
erfolgt entweder durch 2 Hochfre-
quenz-(HF-)Generatoren oder in ei-
nem oder mehreren Niederfrequenz-
(NF-) Generatoren.Wichtiger Bestand-
teil fast aller E. sind Filter so wie Am-
phtuden- und Frequenzmodulatoren,
deren Verwendung bestimmte Veran-
derungen im Spektrum bzw. im zeit-
hchen Verlauf der Schwingungsvor-
gange ermoghcht, wobei entweder
bekannte Instrumente imitiert oder
neue Klangfarben gefunden werden
sollen. Eine Sonderstellung nehmen
einige Instrumente der Gruppe la ein
(z. B.-> Neo-Bechstein-Fliigel, Thien-
haus-Cembalo), die zunachst lediglich
einen Verstarkerzusatz erhielten, um
eine bessere Schallabstrahlung zu er-
moglichen. Die dabei nicht zu vermei-
dende Klangverfremdung f iihrte dann
gelegentlich dazu, diesenneuen »sound«
besonders zu pflegen (Elektrogitarre).
17
257
Ellig
- Die meisten E. sind Tasteninstrumente. Besondere
Spielmechaniken wurden u. a. entwickelt fur -*■ Trau-
tonium und Hellertion (Bandmanual), -*■ Ondes musi-
cales (Seilzugmanual, kombiniert mit Klaviatur) und
-> Aetherophon (manualloser Spielapparat).
Lit.: W. Heinitz, Instrumentenkunde, Biicken Hdb.; P.
Lertes, Elektrische Musik, Dresden u. Lpz. 1933; W.
Meyer-Eppler, Elektrische Klangerzeugung, Bonn (1949);
E. Stockmann, Der mus. Sinn d. elektroakustischen Mu-
sikinstr., Diss. Bin 1953, maschr. ; A. Douglas, The Elec-
tronic Mus. Instr. Manual, London 1949, 3 1957; Actes du
Ill 6me Congres international de musique sacree Paris 1957,
Paris (1959).
Ellig (audi ellicht, ellich, eine Elle), alte Bezeichnung
statt »in ZweifuBton« (2' = eine Elle; halbellig = 1')
fiir Orgelstimmen.
Ellipsis (griech., Auslassung), in der Musiklehre des
17.-18. Jh. eine aus der Rhetorik iibemommene Be-
zeichnung fiir eine musikalisch-rhetorische Figur, von
Bemhard definiert als Verschweigung einer Consonans,
sei es, daB an deren Stelle eine Pause steht und eine
Dissonanz f olgt (E. aus dem Transitu herruhrend) :
sei es, daB in Kadenzen die Quarte nicht in die Terz
aufgelost oder statt der Terz eine andere Konsonanz
genommen wird (E. so aus der Syncopation herruhret) :
Bei Scheibe und Forkel ist E. das iiberraschende Ein-
setzen eines neuen musikalischen Gedankens, ebenso
die unerwartete Modulation aus einer Kadenz heraus. -
In der neueren Harmonielehre wird die Bezeichnung
Ellipse seit H. Riemann fiir die Auslassung eines Toni-
kaklanges verwendet (z. B. A. Berg, Streichquartett
op. 3, SchluB des 1. Satzes).
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. 31898.
Elmuahim (arab., Rhombe), Simile E. (Rhomboid)
und Elmuarifa (arab., unregelmafiiges Viereck) wer-
den von dem englischen Musiktheoretiker Anonymus
IV (um 1275, CS I, 339a ft.) zur Beschreibung der Se-
mibrevisform gebraucht, Elmuarifa nur in Zusam-
menhang mit der fiir die englische Mensuralnotation
des 13./14. Jh. typischen Form mit linksseitig abstei-
gender Cauda (/►). Die arabischen Worter sind in la-
teinischer Obertragung wohl erstmals greifbar bei dem
Englander Adelard von Bath (um 1120), der sie selbst
einer arabischen Ubersetzung des Euklid entnommen
hat.
Lit. : H. G. Farmer, The Arabian Influence on Mus. Theo-
ry, Journal of the Royal Asiatic Soc. 1925, S. 76; J. Hand-
schin, Zur Leonin-Perotin-Frage, ZfMw XIV, 1931/32, S.
321 ; L. A. Dittmer, Anonymous IV, = Mus. Theorists in
Translation I, Brooklyn 1959, S. 31.
El Salvador.
Lit. : R. Gonzalez Sol, Datos hist, sobre el arte de la mu-
sica en El S., San Salvador 1940; M. de Baratta, Ensayo
sobre musica indigena de El S., Revista de estudios mus. I,
Mendoza 1950; dies., Cuzcatlan tipico. Ensayo sobre et-
nofonia de El S., 2 Bde, San Salvador (1951-52).
Elsafi.
Lit.: J. F. Lobstein, Beitr. zur Gesch. d. Musik im E.,
StraBburg 1840; E. Barre, t)ber d. Bruderschaft d. Pfeifer
im E., Colmar 1873; J.-B. Weckerun, Chansons popu-
lates de PAlsace, 2 Bde, Paris 1883 ; Fr. X. Matthias, Die
Musik im E., StraBburg 1905; M. Vogeleis, Quellen u.
Bausteine zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters im E., 500-
1800, StraBburg 1911; A. Oberdoerffer, Nouvel apercu
hist, sur l'etat de la musique en Alsace . . . de 1840 a 1913,
StraBburg 1914; J. Muller-Blattau, Das E., ein Grenz-
land deutscher Musik, Freiburg i. Br. 1922; ders., Das el-
sassische Volkslied, in: Deutsches Arch. f. Landes- u.
Volksforschung I, 1937; W. Kipp, Das singende E., Col-
mar o. J.; O. Baensch, Elsassisches Musikleben v. 1871-
1918, in: Wiss., Kunst u. Lit. in E.-Lothringen 1871-1918,
hrsg. v. G. Wolfram, = Das Reichsland E.-Lothringen
III, Ffm. 1934; E. Flade, Die elsassischen Org. d. Briider
Silbermann bis 1710, in: G. Silbermann, Lpz. 1953; J. Ch.
Haeberle, Les premiers s. des lettres et de la musique en
Alsace, StraBburg 1953; E. Muller, Das neue Gesang-
buch f. E. u. Lothringen, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie I,
1 955 ; F. A. Goehlinger, Der elsassische Episkopat u. sei-
ne Forderung d. Kirchengesanges im Laufe d. letzten 4 Jh.,
in: Caecilia, StraBburg LXIII, 1955, u. LXIV, 1956; ders.,
Gesang u. Musik im E. im Laufe d. letzten Jh., ebenda
LXV, 1957; J. Worsching, Die Orgelwerke d. Abteien
Maursmiinster u. Ebersmiinster, Mainz 1956.
Embellishments (imb'elifmants, engl. ; ital. abbelli-
menti) -»■ Verzierungen.
Emilia (Italien).
Lit. : anon., Cat. delle rappresentazioni in musica esposte
nei teatri di Reggio dal 1701 al 1825, Reggio nell'E. 1826;
A. G. Spinelli, Notizie spettanti alia storia della musica
in Carpi, Carpi 1900; Fr. Vatielli, La stampa mus. a
Ferrara, Bologna, Modena e Parma, in : Tresori delle bibl.
d'ltalia, Mailand 1932; G. Porisini, Musica e balli in Fa-
enzanel 1775, Faenza 1935; Fr. B. Pratella, Etnofonia di
Romagna, Udine 1938; Accad. mus. Chigiana. Musicisti
della Scuola emiliana, hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron-
caglia, Siena 1956; Musicisti e artisti forlivesi. Note sto-
riche e biogr., Forli 1957; Musicisti lombardi ed emiliani.
Per la XV settimana mus., hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron-
caglIa, Siena 1 958 ; M. Borgatti, Canti popolari emiliani,
= Bibl. di »Lares« IX, Florenz 1962.
emmelisch (von griech. c|j.u,eXt)?, im Melos) nennt
die Theorie der Griechischen Musik die Tone mit
fester Tonhohe, deren zahlenmaBig bestimmbare In-
tervallbeziehungen das Melos vom Klang der Rede
unterscheiden. In engerem Sinne heifien e. die Inter-
valle, die kleiner als eine Quarte und dutch iiberteilige
Proportion (wie der Ganzton, 9:8 oder 10:9) be-
stimmt sind. Intervalle mit komplizierteren Proportio-
nen oder Klange ohne feste Tonhohe (1^6901) passen
nicht zum Melos und heifien ekmelisch (exu.£AT)c;,
auch 7tArj(i(xeXY]<;). - Emmeleia bezeichnet auch einen,
vor allem zur Tragodie gehorenden, nach Platon (No-
moi VII, 816B) ruhigen Tanz.
Empfindsamer Stil, Stilperiode zwischen etwa
1740-60. In Anlehnung an das Wort Empfindung, einen
der asthetischen Grundbegriffe der Zeit, meint E.St.
unter Verwendung von Lessings Begriffswort empfind-
sam, das er 1768 als Ubersetzung des englischen senti-
mental vorschlug, jene expressive, ruhrende (bewegen-
de), gefiihlsbetonte Komponente der nachbarocken
und vorklassischen Ubergangszeit, die zusammen mit
dem -*■ Galanten Stil zum Wesen des musikahschen
Rokokos gehort.
Emphasis (griech., Verdeutlichung, Nachdruck), be-
deutet in der Kompositionslehre des 18. Jh. eine nach-
driickliche Vortragsweise, die (nach Vogt) entweder
vom Komponisten gefordert oder vbm Ausfiihrenden
selbstandig vorgenommen wird. Im weiteren Sinne
konnen als E. auch die Nachdruck bewirkenden Wie-
derholungsfiguren verstanden werden (-> Figuren,
musikalisch-rhetorische) .
Engfiihrung (lat. restrictio; ital. und engl. stretto; frz.
strette), eine Art der imitativen Themendurchfiihrung,
258
Enharmonik
bei der eine Stimme mit dem Thema einsetzt, bevor es
in der vorangehenden zu Ende gefiihrt ist. Ein Beispiel
reicher Verwendung der E. ist die 1. Fuge in Bachs
Wohltemperiertem Klavier (BWV 846).
England ->■ Britische Musik.
Englisch Horn (ital. corno inglese; frz. cor anglais),
eine Altoboe in F (Umfang es oder e-b 2 , im Violin-
schliissel eine Quinte hoher als klingend notiert). Das
E. H. ist um 1730-40 aus der Oboe da caccia hervorge-
gangen. Von etwa 1770-1820 wurde es wegen des et-
was rohen Tons wenig verwendet. Es hatte zunachst
die sichelformig gekrummte Gestalt wie der Zink und
das Bassetthorn der gleichen Zeit, zusammengesetzt
aus 2 ausgehohlten Teilen und mit Leder iiberzogen.
Um 1820^30 wurde die Altoboe von Triebert und
Brod als Cor anglais in Paris in Anlehnung an die Oboe
neu konstruiert. Sie bekam gerade Form mit abge-
knicktem Mundstiick und modernem Klappenmecha-
nismus; der -*■ LiebesfuB blieb. In dieser Form konnte
sich das E. H. durchsetzen und wird seitdem im groBen
Orchester vorgeschrieben.
Englisch Violet, nach L. Mozart (1756) hauptsiichlkh
von der Viola d'Amore nur dadurch unterschieden, da/3 es
oben 7. und unten 14. Seyten (Aliquotsaiten), undfolglich
audi eine andere Stimmung hat, audi wegen Viele (der
Menge) der untern Klangseyten einen starkern Laut von
sich gebend; Albrechtsberger zufolge hat das E. V. nur
6 Saiten. Koch hob 1802 als Unterschied die 14 Reso-
nanzsaiten (statt der 6-7 der Viola d'amore) und die
andere Stimmung hervor. Nach C. Sachs ist E. V. mit
6 oder 7 spielbaren Saiten (dazu die Resonanzsaiten un-
ter dem Griffbrett) nichts anderes als eine Viola d'amo-
re. Auch nannte man eine friiher manchmal ange-
wandte besondere Stimmung (Scordatura) der Viola
(e a ei ai) E. V.
English Waltz ('inglif wo :1s, engl.), auch -*■ Boston,
ist ein um 1915 in Amerika entstandener langsamer
Walzer (ruhiger 3/4-Takt), der sich in den 1920er Jah-
ren vor allem auch in Deutschland einbiirgerte und
noch heute zu den Standardtanzen gehdrt; die Melo-
dien sind haufig sentimental (z. B. Moonlight Madonna;
Charmaine).
Enharmonik (von griech. !vapu,6vic<, in der Har-
monia) ist die Verwendung von Intervallen, die klei-
ner sind als der chromatische Halbton. Ihre GroBe,
akustische Realisation und kompositorische Anwen-
dung haben im Lauf der Musikgeschichte mehrfach ge-
wechselt. Das Prinzip der E. in der antiken griechi-
schen Musik ist - in urspriinglichem Gegensatz zur
Diatonik - das Aufsuchen der kleinstmoglichen Inter-
valle als Kontrast zum symphonen Rahmen der Har-
monia, der in der Oktave (sie heiBt bei Philolaos Har-
monia) und ihrer Teilung in 2 Quarten (und einen
Ganzton) gegeben ist. Die altere E. des Auleten Olym-
pos teilt die Quarte in groBe Terz und Halbton und
gelangt so zu einer pentatonischen Skala, z. B. : e 1 c 1 h
a £ e. Das charakteristische — v Pyknon der jungeren,
heptatonischen E. drangt die 2 beweglichen Intervalle
des Tetrachords im Raum eines Halbtons iiber dem
tiefen Grenzton zusammen. Der Pythagoreer Archytas
von Tarent (1. Halfte des 4. Jh. v. Chr.), der als tiefstes
Intervall im enharmonischen wie auch im diatonischen
und chromatischen Tetrachord einen Drittelton be-
nutzt, stellt die E. als eine Folge GroBe Terz - Sechstel-
ton - Drittelton dar. Die anderen Theoretiker setzen
im allgemeinen den Halbton der E. dem der anderen
Genera gleich und unterteilen ihn in meist ungleiche
Vierteltone. Typisch ist injedem Falle der scharfe Kon-
trast von 3 Intervallarten: symphone Quarte und
Quinte, groBe Terz und Halbton-Pyknon mit Unter-
teilung in 2 kleinste Tonschritte. Als Zeugnis antiker
E. ist das Bruchstiick eines Chorlieds aus Euripides'
Orestes auf einem Papyrus des 3.-2. Jh. v. Chr. erhal-
ten. - Inwieweit E. in der Musik des Mittelalters Ver-
wendung fand, ist noch nicht geklart. Kleinere als
Halbtonschritte sind in manchen Choralhandschriften
zwar nachweisbar und werden von verschiedenen
Theoretikern bezeugt, scheinen jedoch nicht auf die
griechische E. zuriickzugehen. Marchettus von Padua
(GS III, 72ff.) unterscheidet 3 Halbtone, den »enhar-
monischen« (a-b = 2 Diesen), den diatonischen (b-t|
= 3 Diesen) und den chromatischen (c-cis = 4 Diesen) ;
der Ganzton betragt bei ihm 5 Diesen. Besondere Zei-
chen zur Unterscheidung der 3 Halbtone entwickelte
Ciconia (f 1411). In ausdriicklichem Gegensatz zu
Marchettus baut ->- Beldemandis (CS III, 251ff.) den
Ganzton aus 9 Chromata auf und teilt ihn uberall in 2
Halbtone (semitonium maius = 5, semitonium minus
= 4 Chromata; ahnlich Tinctoris Diffinitorium, Ar-
tikel Semitonium minus). Auf diese Weise erhalt er
- wohl als erster im Mittelalter - eine 17stufige enhar-
monisch-chromatische Skala. - Zu hoher Aktualitat
gelangte die E. - neben der Chromatik - im Zusam-
menhang mit den Bemuhungen um eine Wiederbe-
lebung der antiken Tongeschlechter in der Musiktheo-
rie des 16. Jh.
Ausgehend von der damals herrschenden mitteltoni-
gen Temperatur (entweder mit reinen groBen oder
reinen kleinen Terzen) nannte man E. die Ausweitung
des 12stufigen Systems c cis d es e f fis g as(gis) a b h
(entstanden durch Hoch- bzw. Tiefalteration der Fa-
und Mi-Stufen aller 3 Hexachorde) zur gleichschwe-
benden Temperatur mit 19 (Salinas) bzw. 31 Stufen
(Vicentino) ; fur Salinas z. B. galten die Tone des, dis,
eis, ges, as, ais als »enharmonisch«. In Vicentinos Tem-
peratur (1555) betragt die Differenz zwischen gis und
as (diesis minore enarmonico) einen Fiinftelton. Die
Erhohung um eine kleine Diesis bezeichnete Vicentino
durch einen Punkt iiber der Note. Auf seinem Archi-
cembalo waren samtliche diatonischen, chromatischen
und enharmonischen Tone darstellbar. Als sich im Lau-
fe des 18. Jh. die zwolftonig temperierte Stimmung
(gleich- oder ungleichschwebend) durchsetzte, konnte
der Unterschied z. B. zwischen gis und as nicht mehr
realisiert werden. Zwar blieb die reine Stimmung
auch in der Musik fur Tasteninstrumente noch lange
(teilweise bis ins 20. Jh.) wenigstens ideell die Grundla-
ge aller Intervallvorsteliungen, weshalb M. Hauptmann
1853 sagen konnte, daB.auch temperierte Intervalle als
rein gelten wollen. Dadurch aber wurde die Unter-
scheidung der Intervalle weitgehend zu einer Sache
der Auff assung, die ihrerseits vom Kontext abhing.
Das »Enharmonische« hat seitdem dieses Sonderbare,
daji es gewissermafien nur in der Einbildung besteht, und
dennoch grofie Wiirkung thun kann (Sulzer 1792). Diese
Wirkung vollbringen, worauf zwischen 1727 und 1731
bereits J.-Ph.Rameau hinwies, differentes modulations,
durch welche ein und dieselbe Tonstufe unmittelbar
nacheinander unterschiedliche tonale Bedeutungen er-
halt. Diese enharmonische Umdeutung ersetzt seit An-
fang des 18. Jh. in steigendem Mafie die eigentliche E.
Mit ihren Moglichkeiten haben sich Rameau (z. B.
L'Enharmonique fur Cemb., 2. Trio des Parques in Hip-
polyte et Aricie, 2. Akt), B.Marcello (Solokantate La
Stravaganza), Fux (Sonata VI fur Cemb.) und J. S. Bach
(z. B. Chromatische Fantasie) auseinandergesetzt. Be-
sondere Bedeutung erlangte sie als Modulationsmittel
iiber den verminderten Septimenakkord, den iiber-
maBigen Quintsextakkord u. a. - die »enharmoni-
schen Akkorde«, wie sie seit E.A.Forster (1805) viel-
17*
259
Enharmonik
fach genannt werden. Von der enharmonischen Um-
deutung muB die enharmonische Verwechslung, die
bloBe schreibtechnische Auswechslung von # und \>,
geschieden werden. Sie geschieht aus Grunden der
leichteren Lesbarkeit bzw. Ausf iihrbarkeit und bedeu-
tet keinen Wechsel in der tonalen Auffassung einer
Tonstufe. Ein Sonderfall enharmonischer Umdeutung
ist die sharmonische Spirale« (W.Keller): Modulation
in eine Tonart, die durch enharmonische Umdeutung
mit der Ausgangstonart gleichgesetzt werden kann
(z. B. His dur = C dur). Ihr Ursprung sind jene »har-
monischen Labyrinthe« durch mehrfache Hexachord-
transpositionen (K.Levy), wie sie im 16. Jh. beliebt
waren (z. B. A.Willaert, Quid non ebrietas, 1519). Als
»harmonische Circuln« wurden sie um 1700 durch die
Theoretiker der zwolftonig temperierten Stimmung
und durch GeneralbaBschulen wie die von Heinichen
(1728) und Mattheson (1731) gelaufig (-> Quintenzir-
kel). In der Komposition blieben sie im 18. Jh. - wie
die enharmonische Umdeutung uberhaupt - meist auf
die freie Fantasie und das Rezitativ beschrankt. Erst zu
Anfang des 19. Jh. fanden sie, besonders durch Schu-
bert, auch in die ubrigen Formen und Gattungen der
Musik Eingang. Vor allem blieben sie nicht mehr auf
die Musik fiir Tasteninstrumente beschrankt. Enhar-
monische Umdeutungen und harmonische Spiralen
nehmen zu Beginn des 20. Jh. schlieBlich so iiberhand,
daB sie ihre urspriingliche Reizwirkung verlieren.
Schonberg erkennt im »vagierenden« Charakter des
verminderten Septimenakkords, der oft mit enharmo-
nischer Umdeutung verbunden ist, eine jener Funktio-
nen des tonalen Systems, die zur Aufhebung der Tonali-
tatfuhren muSten (Harmonielehre, 3. Auflage, S. 239),
und legt seinen Kompositionen die gleichschwebend
temperierte chromatische Skala zugrunde. Kleinste In-
tervalle verwendet auf traditionellen Instrumenten vor
allem A.Haba in seiner -> Vierteltonmusik und in
Werken mit Drittel- und Sechsteltonen. In jiingster
Zeit ermoglicht die -> Elektronische Musik dem Kom-
ponisten, kleinste Intervalle verschiedener GroBe nach
Belieben in die Komposition einzufuhren.
Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg.
v. R. Da Rios, Rom 1954 ; Die Harmonielehre d. Klaudios
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogskolas
arsskrift XXXVI, 1, 1930, dazu ebenda XXXVIII, 2, 1932
(Porph yrios' Kommentar) u. XL, 1 , 1934 (deutsche Ubers.) ;
Plutarque de la musique, hrsg. v. Fr. Lasserre, = Bibl.
helvetica romana I, Olten u. Lausanne 1954; Musici scrip-
tores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Suppl. 1899,
Neudruck Hildesheim 1962; Marchettus de Padua, Lu-
cidarium, GS III; Pr. de Beldemandis, Libellus monb-
cordi, CS III; J. Tinctoris, Terminorum Musicae Diffini-
torium, lat. u. frz., hrsg. v. A. Machabey, Paris (1951) ; N.
Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna prattica,
Rom 1555, Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, =DM1 I, 17,
1959; A. Kircher, Musurgia universalis, Rom 1650, Kap.
VII, 7 ; J.-Ph. Rameau, Nouvelles suites de pieces de clave-
cin avec des remarques sur les differents genres de la mu-
sique, Paris (zwischen 1 727u. 1 73 1 ), darinL'Enharmonique;
ders., Demonstration du principe de l'harmonie, Paris
1750, deutsch v. E. Lesser, = Quellenschriften d. Musik-
theorie I, Wolfenbiittel u. Bin 1930; J. D. Heinichen, Der
Gb. in d. Composition, Dresden 1 728 ; J. A. Scheibe, Com-
pendium Musices theoretico-practicum . . . , um 1730,
hrsg. v. P. Benary, in : Die deutsche Kompositionslehre d.
18. Jh., = Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961 ;
J. D'Alembert, Elemens de musique .... Paris 1752
u. 6., deutsch v. Fr. W. Marpurg, Lpz. 1757; G. Tartini,
Trattato di musica . . ., Padua 1754, deutsch v. A. U. Ru-
beli, Diss. Zurich 1958; Fr. W. Marpurg, Hdb. bey d.
Gb. . . . I, Bin 1 755, 2 1 762 ;J.-J. Rousseau, Dictionnairede
musique, Genf 1767(7), Paris 1768 u. o., Artikel Enharmo-
nique; J. Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen Satzes I,
Bin 1771; J. G. Sulzer, AUgemeine Theorie d. Schonen
Kunste II, Lpz. 21792, Artikel Enharmonisch; E. A. For-
ster, Anleitung zum Gb., Wien 1805; M. Hauptmann,
Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik, Lpz. 1853, 21873;
Riemann MTh; L. Laloy, Anciennes gammes enharmo-
niques, Rev. de philologie XXIII, 1899; ders., Le genre
enharmonique des Grecs, Kgr.-Ber. Paris 1900; H. Abert,
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berg, Harmonielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947;
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1932, dazu K. Schlesinger, ebenda XXVII, 1933; ders.,
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16. u. friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; J.
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); H.-H.
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Temperatur, in: Bach-Probleme, Lpz. 1950; ders., Zur
mitteltonigen u. gleichschwebenden Temperatur, Ber. fiber
d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950; S. Clercx-Lejeune, J.
Ciconia th£oricien, Ann. mus. Ill, 1955 ; K. J. Levy, Coste-
ley's Chromatic Chanson, ebenda, dazu C. Dahlhaus in:
Mf XVI, 1963 ; H. Pfrogner, Zur Theorieauffassung d. E.
im Zeitalter Mozarts, Kgr.-Ber. Wien 1956; C. Girdle-
stone, J.-Ph. Rameau, London (1957); W. Keller, Hdb.
d. Tonsatzlehre I, Regensburg 1957; J. Lohmann, Die
griech. Musik als mathematische Form, AfMw XIV, 1957 ;
E. Seidel, Die E. in d. harmonischen GroBformen Fr.
Schuberts, Diss. Ffm. 1962; M. Vogel, Anregendes Grie-
chentum, Mf XV, 1962; ders., Die E. d. Griechen, 2 Bde,
= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. Musik III—
IV, Dusseldorf 1963. ESe
Ensalada (span., Salat, »Mischmasch«), eine in Spanien
in der 1. Halite des 16. Jh. verbreitete Kompositions-
'i orm, die ahnlich wie das -> Quodlibet aus bekannten
Melodien zusammengesetzt ist. Quodlibetisch ist schon
die 6st. Cancion Por las sierras von Fr. de Penalosa. Die
bedeutendsten E.s sind die von M.Flecha dem Alteren
{Las E.s de Flecha . . . recopiladas por F. Matheo Flecha,
1581 ; darin auch E.s von Flecha dem Jiingeren, Cha-
con, Carceres und Vila). Sie haben einen religiosen
Grundzug und sind fiir die Weihnachtsfeiern des her-
zoglichen Hofs von Kalabrien geschrieben; gleichzei-
tiger Vortrag verschiedener Texte kommt in Battaglia-
Szenen vor (Kampf des Guten gegen das Bose). - Als
Bezeichnung fiir ein Orgelstiick begegnet E. bei Agui-
lera de Heredia.
Ausg.: Fr. de Penalosa, Por las sierras, in: Cancionero
mus. de los s. XV y XVI, hrsg. v. Fr. Ansenjo Barbieri, Ma-
drid (1890), Neudruck Buenos Aires 1945 ; M. Flecha, Las
E., hrsg. v. H. Angles, = Publicacions del Departament
de musica de la Bibl. de Catalunya XVI, Barcelona 1954;
S. Aguilera de Heredia, E. f. Org., in: Hist. Organ Re-
citals I, hrsg. v. J. Bonnet, NY (1940).
Lit. : J. Romeu Figueras, Las canciones de raiz tradicional
acogidas por Carceres en su e. »La trulla«, Miscel£nea en
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; K. Gude-
will, Ursprunge u. nationale Aspekte d. Quodlibets, Kgr.-
Ber. NY 1961, Bd I u. II.
Ensemble (as'a:bl, frz., zusammen, miteinander), im
alteren franzosischen Sprachgebrauch adverbial ver-
wendet zur Charakterisierung des Zusammenwirkens
einer musizierenden Gruppe; spater bezeichnet mu-
sique d'ensemble Kammermusik, auch mehrstimmige
Musik uberhaupt. Ein E. ist, auch auBerhalb Frank-
reichs, jede Art von Kammermusikvereinigung, in der
260
Epistel
Unterhaltungsmusik und im Jazz eine Kleinbesetzung.
Auch das standige Sangerpersonal einer Opernbiihne
heiBt E. - In Opern wird seit der Mitte des 18. Jh. ein
Abschnitt, in dem mehrere Solisten zusammenwirken,
E. genannt. Gewohnlich steht es im Aktinneren und
hat die gleichzeitig kundgetanen Gedanken verschie-
dener Personen zum Inhalt; oft bildet es einen Ruhe-
punkt im Handlungsablauf und steht somit im Gegen-
satz zum breiter und dramatischer angelegten, zum
Teil durch Chor verstarkten -*■ Finale (- 2) . Das E . taucht
schon in Opern des 17. Jh. auf, z. B. bei Abbatini, Ros-
si, Cesti, Lully und Provenzale; eine fortlaufende Ent-
wicklung setzt aber erst in der italienischen Opera
buffa am Anfang des 18. Jh. ein (A.Scarlatti 1718).
Seitdem ist das E. wesentlicher Bestandteil der Opern-
literatur (Mozart, Don Giovanni, Sextett im 2. Akt;
Verdi, Rigoletto, 3. Akt, vor dem Mord an Gilda; Stra-
winsky, The Rake's Progress, Schlufl des 1. Akts).
Lit. : H. Goldschmidt, Studien zur Gesch. d. ital. Oper im
17. Jh., 2 Bde, Lpz. 1901-04; ders., Fr. Provenzale als Dra-
matiker, SIMG VII, 1905/06, S. 609 ; E. J. Dent, E. and Fi-
nales in 18" 1 Cent. Ital. Opera, SIMG XI, 1909/10 - XII,
1910/1 1 ; H. Abert, Piccinni als Buffokomponist, JbP XX,
1914; ders., Paisiellos Buffokunst u. . . . Mozart, AfMw I,
1918/19; M. Fuchs, Die Entwicklung d. Finales in d. ital.
Opera buffa vor Mozart, Diss. Wien 1932, maschr.
Entr'acte (atr'akt, frz., Zwischenakt; ital. auch ->- In-
termezzo), Zwischenaktsmusik bei Opern und Schau-
spielen (hiier Teil der -»• Buhnenmusik).
Entrada (span.), Entrata (ital.) -> Intrada.
Entree (atr'e, frz.), - 1) im 16.-18. Jh. imfranzosischen
Ballett (Ballet de cour, Ballet a e.s) der Auftritt der Per-
sonen zu einer Szene, im weiteren Sinne die Szene selbst,
ein Abschnitt in der locker gef iigten Handlung, der ein
bestimmtes Sujet darstellt. Ein groBes Ballett umfaBte
bis zu 30 E.s. Auch die Musik zu Teilen oder zum Gan-
zen der Szene oder ein Zwischenspiel (E. des luths vor
dem abschlieBenden Grand ballet) wurde als E. be-
zeichnet. Als Einzugsmusik (-*■ Intrada) ist sie feierlich
schreitend, im Rhythmus von Pavane, Allemande, spa-
ter (bei Rameau) oft im Marschrhythmus. Die charak-
terisierende Musik zu den E.s des ganzen Ensembles
(das z. B. in exotischen, militarischen oder komischen
Kostiimen auftritt) und der Solisten (E. a caractere)
wurde auch zu Suiten zusammengestellt (z. B. in Georg
Muff ats Orchesterouvertiiren : Pavane E. des Espagnols,
Gavotte E. des Fraudes); auch wurden Suiten ohne
Bindung an die Biihne mit Stiicken in der Art der E.s
komponiert (-> Charakterstiick). - 2) der Einsatz einer
Stimme im kontrapunktischen Satz.
Lit.: zu 1): WaltherL; Mattheson Capellm. ; H. Pru-
nieres, Le ballet de cour en France avant Benserade et
Lully, Paris 1914.
Enzyklopadien -> Lexika.
Epanalepsis (griech., Wiederaufnahme), eine in der
Kompositionslehre um 1700 (z. B. bei Able und Vogt)
auf die Musik iibertragene Bezeichnung einer rhetori-
schen Figur, die noch Gottsched im Sinne antiker Rhe-
torik erklart (ahnlich WaltherL) : E., die Wiederholung
des Anfangswortes am Ende desselben Satzes: oder auch
kurz darauf, beim Schlusse des ganzen Satzes. Entspre-
chend bezeichnet E. in der Musik die emphatische Wie-
derholung einer Tongruppe zu Beginn einer Periode
an deren Ende, ahnlich der -*■ Symploke.
Epilog (griech. ETuXoyo?, Nachwort, Nachspiel), in
Schauspiel und Oper SchluBworte oder -verse mit ei-
ner allgemeinen Betrachtung iiber das Werk, oft die
Lehre des Stiickes zusammenfassend, oder als Huldi-
gung (->■ Licenza). Im instrumentalmusikahschen Be-
reich erscheint der E. in seiner einf achsten Form als eine
der SchluBkadenz angehangte Figurierung des SchluB-
akkordes. In der vollentwickelten Sonatensatzform
ist E. die an den ->■ Seitensatz anschheBende SchluB-
gruppe der Exposition, oft nicht mehr als eine ausge-
weitete SchluBkadenz, die vielfach durch ihre Wieder-
holung Geschlossenheit erhalt (W.A.Mozart, Violin-
konzert G dur, K.-V. 216). Der E. nimmt in seinem
musikalischen Aufbau Bezug auf die vorangegangenen
Themen oder fiihrt neues thematisches Material ein.
In diesen Fallen liegt ihm oft der 2teilige Liedtypus
zugrunde (W.A.Mozart, Ouvertiire zu Le Nozze di
Figaro). Seine thematische Eigenstandigkeit fiihrte bei
Brahms und Bruckner zur Ausbildung des 3. Themas
in der Exposition. - E. wird auch synonym fur -*■ Co-
da verwendet. - Als Oberschxift findet sich E. fur ab-
schheBende Teile ein- und mehrsatziger Kompositio-
nen (Former, Shakespeare-Songs; R.Strauss, TillEulen-
spiegels lustige Streiche) und in der Oper (Strawinsky,
The Rake's Progress).
Epinette (epin'et, frz.) -*■ Spinett; e. des Vosges
-*■ Scheitholz.
Epiphonus (lat.) -»■ Neumen (- 1).
Episema (griech.) -»• Neumen (- 1).
Episode (griech. ineia6Siov, Einschaltung), in eine
Komposition eingeschobener Teil, der fur die Ent-
wicklung innerhalb des Werkes eine untergeordnete
Rolle spielt und auBerhalb der eigentlichen themati-
schen Arbeit steht. In der Fuge werden die Zwischen-
spiele zwischen den Durchfiihrungen E.n genannt. Sie
verwenden thematisches Material oder sind aus neuen
Motiven entwickelt und ubernehmen die Aufgabe der
Modulation. In dem fugierten Hauptteil der franzosi-
schen Ouvertiire nach 1700 stechen die Zwischenspiele
in Gestalt von Trio-E.n stark gegen die Tuttifugierung
ab (z. B. J. S. Bachs Orchesterouvertiiren). Bei Werken
mit refrainartig wiederkehrenden Hauptgedanken
(Hauptteilen), wie dem Rondo, bilden die Zwischen-
glieder (E.n) einen Kontrast zum Hauptgedanken. E.n
in der -*■ Sonatensatzform sind thematisch und moti-
visch Einschiibe, die nicht weiter verarbeitet werden
und auBerhalb des eigentlichen thematischen Ge-
schehens liegen (z. B. Einfiihrung eines neuen Themas
in Beethovens Sinfonia eroica, Takt 284fL). Fiir die
Opernliteratur wird E. im literarischen Sinne verwen-
det als in sich geschlossene Einschaltung, die mit der
Haupthandlung nicht in unmittelbarer Beziehung
steht (Lever-Szene im Rosenkavalier, 1. Akt; Romanze
und Arie des Annchen im Freischiitz, 2. Akt). E. als
Werkbezeichnung findet sich z. B. bei Reger: E.n, Kla-
vierstiicke op. 115.
Epistel (griech. 47U<m>Xif), Brief), die 1. Lesung der
romischen Messe, auch Lectio (bis zur Karolingerzeit
Apostolus) genannt. Sie umfaBt bestimmte Abschnitte
(Perikopen) aus Apostelbriefen und -geschichte, Apo-
kalypse sowie Altem Testament mit Oberschrift (= Ti-
tulus, z. B. Lectio libri Sapientiae), Einleitungsformel
(z. B. Fratres; Haec dicit Dominus) und gelegentlicher
SchluBformel (z. B. in Christo Jesu, Domino nostro).
Nach den altesten Quellen war der Vortrag des E.-
Textes an einen Lektor gebunden, dessen Funktion
seit dem 4. Jh. vor allem in Rom auch von Knaben aus-
geiibt und spater im papstlichen Stationsgottesdienst
dem Subdiakon iibertragen wurde (7./8. Jh., Ordo
Romanus I, 56). In Fortsetzung dieser Praxis kann die
E. noch heute in Messen mit dem Volk von einem
Lektor ausgefiihrt werden (Instructio der Ritenkon-
gregation vom 26. 9. 1964, Artikel 50) ; doch bleibt sie
im Hochamt dem Subdiakon vorbehalten. Entgegen
261
Epistel
der bisherigen Tradition gestattet die Liturgiekonsti-
tution des 2. Vatikanischen Konzils (Artikel 54) den
Gebrauch der Muttersprache bei samtlichen Lesungen
jener MeBgottesdienste, an denen das Volk teilnimmt.
- Der musikalische Vortrag der E. vollzieht sich im so-
genannten E.-Ton, dessen formelhafter Verlauf nach
Art des Accentus (->■ Akzent - 2) mehr oder weniger
der Metrik und Sinngliederung des Textes unterge-
ordnet ist. Neben dem einfachen Tonus epistolae mit
fortlaufender Rezitation auf dem Tenor (c 1 ) und Frage-
modulation verwendet die moderne Choralpraxis eine
dem Cantorinus von 1513 entnommene, melodisch
reichere Formel (Graduale Romanum: Toni commu-
nes III). Sie weist vier - den Interpunktionsstellen des
Textes zugeordnete - Kadenzbildungen (pausationes,
positurae) auf: 1) das zweiakzentige, von einer einzel-
nen Note vorbereitete Metrum, welches gewohnlich
beim Semikolon und beim Doppelpunkt (sofern die-
sem keine direkte Rede fplgt), bisweilen auch beim
Komma steht ; 2) das Punctum am SchluB eines Satzes
(zweiakzentig) ; 3) die Interrogatio (Fragemodulation) ;
4) die Conclusio mit zwei einakzentigen melodischen
Wendungen am Ende eines Textes, auch wenn dieser
mit einer Frage schlieBt.
Metrum
1
1
a
m
m
'• ~~ :
Domi - nus - De - us lo
■an - gu - sti - a
Punctum
/
cu-tus est glori -
ve - runt inter-
F=5=
-fi
cae
ci - et
le
im
Pi
sti.
■ um.
Deus qui justificat,
respondit:
Interrogatio
quis est qui
Quid
Conclusio
con - dem
vis fi
net? sed indu-
li? omnibus di-
i=r
-i - mi - ni Do-mi-num Je -sum Chri - stum,
-e - bus... con-sum-ma- ti -o -nem sae-cu-li.
Der Titulus enthalt seiner jeweiligen Lange entspre-
chend Punctum (und Metrum) ; die Eroffnungsf ormeln
erklingen - mit Ausnahme von In diebus Mis (Me-
trum) - recta voce.
(Titulus)
-E-
Lec - ti - o e - pi - sto - lae be - a
Lee - ti - o Ac - tu - um A-[
Metrum
Punctum
s ■
- ti Pau - li A - po - sto - li ad Ro - ma-nos.
] po - sto - lo-rum.
Den prophetischen Lesungen der Quatembertage, der
Fastenzeit (Quadragesima), des Karfreitags und der
Ostervigil wird der Tonus prophetiae zugrunde gelegt
(Toni communes II). - Innerhalb des Repertoriums
mittelalterlicher Mehrstimmigkeit lassen sich nur we-
nige E.-Vertonungen nachweisen: als friihestes Bei-
spiel die 2st. Lesung In omnibus requiem quaesivi (Maria
Himmelfahrt; St. Martial: Ms. lat. 1139 der Bibl. Nat.
Paris). - Von der evangelischen Kirche wurde die E.
teils in lateinischer, teils in deutscher Sprache in den
Gottesdienst iibernommen. Fur den gesungenen Vor-
trag schuf M.Luther zusammen mit J.Walter ein eige-
nes Modell (8. Kirchenton), welches er in seiner deut-
schen Messe (1526) vorlegte.
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLIX, Lpz. 1906
(Texte v. E.-Tropen).
Lit.: P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me-
lodien II u. Ill, Lpz. 21912 u. 1921, Neudruck Hildesheim
u. Wiesbaden 1962; F. Gebhardt, Die mus. Grundlagen
zu Luthers Deutscher Messe, Luther- Jb. X, 1928; A. Gee-
ring, Die Organa u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deut-
schen Sprachgebietes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d.
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952),
S. 3 If. ; G. Kunze, Die Lesungen, in: Leiturgia II, Kassel
1955; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958), S.
203ff. ; O. Brodde, Ev. Choralkunde, in : Leiturgia IV.Kas-
sel 1961 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien,
Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962 ; L. Schrade, Ein neuer Fund
f ruher Mehrstimmigkeit, Af M w XIX/XX, 1 962/63 . KWG
Epistrophe (griech., Umwendung), in der Kompo-
sitionslehre des 17.-18. Jh. eine im AnschluB an die
Rhetorik erklarte emphatische Wiederholungsfigur.
In der Rhetorik ist E. (Epiphora) die Wiederholung
eines Satzteiles am Ende aufeinanderfolgender Wort-
gruppen. In der Musik erscheint sie zunachst als eine
Weise der Textanordnung durch den Komponisten,
z. B. singet dem Herren j riihmet den Herren / lobet den
Herren, statt : singet, riihmet und lobet (J. G. Ahle 1697,
ahnlich WaltherL), spater auch als gleiche SchluB-
wendung aufeinanderfolgender Melodieteile (J. A.
Scheibe 1745, ahnlich Forkel).
Epithalamion (zum Brautgemach, griech. daXau.0?,
gehorend) war in Griechenland ein Hochzeitslied, das
von einem Chor vor dem Brautgemach gesungen wur-
de. Das Wort bezeichnet auch in spaterer Zeit haufig
eine ->■ Festmusik zur Hochzeitsfeier.
Lit. : A. L. Wheeler, Tradition in the E., American Journal
of Philology LI, 1930 ; R. Keydell, Artikel E., Reallexikon
f. Antike u. Christentum V, Stuttgart 1962; H. Koller,
Musik u. Dichtung im alten Griechenland, Bern u. Miin-
chen (1963).
Epizeuxis (griech., Zusammenfugung), in der Kom-
positionslehre des 17. und 18. Jh. eine im AnschluB an
die Rhetorik erklarte musikalische Figur. Wiederho-
lung eines Wortes oder einer kleinen Wortgruppe in
unmittelbarer Aufeinanderfolge, verbunden mit einer
gleichbleibenden Tongruppe, deren Wiederholung
auf hoherer (Beispiel 1) oder tieferer Stufe (Beispiel 2)
erfolgen kann (Beispiele nach J. G. Ahle, 1697) :
1 1
dafi Er Sei-nen eingebornen, eingebornen Sohn gab:
Epos (griech.) ist ein langeres Gedicht erzahlenden
oder lehrhaften Inhales, das sich aus einer Folge gleich-
artiger Verse (z. B. Hexameter) oder Strophen (stro-
phisches E. ; z. B. Nibelungenlied) zusammensetzt. Poe-
tische und musikalische Form des E. bedingen ein-
ander. DaB das altgriechische und das Homerische E.
gesungen wurde, begleitet von der Kitharis oder der
Phorminx, gilt fur die Friihzeit als erwiesen. Im Ge-
gensatz zu dem liedhaften Proomium basierte der
Epenvortrag auf einem einzigen, improvisatorisch aus-
geschmiickten (Distinktions-)Modell, das standig wie-
derholt wurde. Etwa seit der Zeit Homers bestanden 2
Vortragsarten nebeneinander : eine altere, bei der sich
der Aode, der das E. sang, selbst auf einem Saitenin-
strument begleitete, und eine jiingere, bei der der
Rhapsode den Text nur rezitierte, entweder ganz ohne
262
Erlangen
Begleitung oder unterstiitzt von einem Instrumenta-
listen. Durch diese schlichtere Art der Rezitation wur-
de der Epengesang schlieBlich stark zuriickgedrangt,
kam aber wohl doch nicht ganz auBer Obung. Noch
Juvenal (VII, 82fl.) weiB davon zu berichten, daB die
Thebais seines Zeitgenossen Statius gesungen wurde,
und Boethius (De institutione muskae 1, 12) beschreibt
(nach dem Vorgang des Albinus) noch eine eigene Art
des Sprechgesanges beim E. Im allgemeinen hat man
aber in Rom die epischen Dichtungen nicht mehr ge-
sungen, sondern im Sprechgesang rezitiert, und was im
Mittelalter etwa an Ausschnitten aus Vergils Aeneis
oder der Thebais des Statius gesungen wurde, war, wie
die Neumen in verschiedenen Handschriften des 10.-
11. Jh. bezeugen, »durchkomponiert«. - Beim Vortrag
der mittelhochdeutschen strophischen Epen hat der
Sanger Strophenmodelle wiederholt. Die alteste be-
kannte Epenmelodie gehorte zu Otfrieds Evangelien-
buch (9. Jh.) ; die Melodie umf aBt ein Langzeilenpaar
und ist verhaltnismaBig schlicht. Bedeutend reicher
ist das zum Nibelungenlied gehorende 4zeilige Mo-
dell, das jiingst aus Kontrafakturen zuriickgewonnen
werden konnte, sowie das Melodiemodell zu Albrecht
von Scharfenbergs Titurel (14. Jh.), das wohl auch
schon zu Wolfram von Eschenbachs gleichnamigem
E. gehort. Aus dem spaten Mittelalter ist noch das Me-
lodiemodell zu des Michel Beheim Reimchronik Das
Buck von den Wienern bekannt. Seit dem 15. Jh. lebte
der Epengesang nur noch im Bereich der Volksmusik,
als Bankelsang teilweise bis ins 19. Jh. fort. (Zu den
franzosischen Epen -*■ Chanson de geste.) - Im Zuge
der Erneuerung antiker Traditionen haben einige Hu-
manisten epische Dichtungen in antiken VersmaBen
zu vertonen unternommen. Fr. Salinas teilt im 6.-7.
Buch seiner Musica (1577) verschiedene Melodiemo-
delle mit, u. a. fiir Hexameter und fur die spanische
Romanze, deren Melodie er als cantus antiquissimus
& simplicissimus kennzeichnet (S. 346). - AuBerhalb
West- und Mitteleuropas hat sich miindlich iiberlie-
ferter volkstumlicher epischer Gesang bis in die Ge-
genwart erhalten. Der Epengesang der Stidslawen be-
steht grundsatzlich aus (improvisierten) reimlosen
Zehnsilblern, die musikalisch frei, unter Verwendung
verschiedener, miteinander verwandter Zeilenmodelle
- f reien sprachbedingten Kombinationen von 3 Haupt-
und 2 Nebentonen im Raum einer Quarte - zur Beglei-
tung der Gusla gesungen werden. Der verwendete
Tonvorrat, der nicht unserem diatonischen System
entspricht, laBt ebenso wie manche Stoffe auf hohes Al-
ter schliefien, ohne daB deshalb ein unmittelbarer Tra-
ditionszusammenhang mit der Antike angenommen
werden diirfte. Die Formen des ostslawischen Epen-
gesanges weichen grundsatzlich von denen des siid-
slawischen ab. Die Vorformen der von den GroBrussen
gepflegten Byline reichen bis ins 10. Jh. zuriick und
wurden wohl von den Nachfahren der byzantinischen
Mimen angeregt. Die Bylinendichtung entstand aber
erst nach dem Untergang des Kiewer Reichs in Mittel-
rufiland (Nowgorod) und bliihte im 16. und 17. Jh.
Seit dieser Zeit datiert die Verfolgung der Skomoro-
chen, der berufsmaBigen Bylinensanger, durch Kir-
che und Staat, wodurch der Bylinengesang immer
mehr auf Laien iiberging. Die Bylinen sind heroische
GesSnge ohne Strophengliederung, mit ungleich lan-
gen Versen (7-16, meist 10-12 Silben pro Vers), deren
musikalischer Vortrag bestimmte, dem jeweiligen
Sanger eigentumliche Modelle frei abwandelt. Die
Melodie, bestehend aus einem bestimmten Formel-
vorrat, ist nicht mit einem Text fest verbunden, son-
dern kann durch eine andere ersetzt werden, ebenso
wie auch die einzelnen Formeln auf verschiedene Lie-
der angewandt werden konnen. Der Vortrag der By-
line kennt keine Instrumentalbegleitung. Auch die
(von der Byline ganz unabhangige) Duma (Plur. Du-
my) der Ukrainer kennt keine Strophengliederung
und keine einheitlich geformten Verse. Die Dumy,
deren alteste kaum iiber das 15. Jh. zuriickreichen,
werden grundsatzlich begleitet, entweder durch die
Kobza - nach ihr heiBen die sich stets selbst begleiten-
den Dumy-Sanger Kobzaren - oder durch die Lyra,
eine Art Drehleier. (In neuerer Zeit wird die Kobza
gern durch die Bandura ersetzt.) Der Gesang der Du-
my zeichnet sich durch Melismenreichtum bei den
Kadenzen und freie Ausgestaltung der zum Teil weit-
raumigen (groBen Ambitus) Modelle aus. In der Ge-
staltung macht sich hier, wie auch bei den Bylinen,
eine gewisse Neigung zu kleinen Parallelismen (ver-
bunden mit primitivem Reim) bemerkbar. Uber den
Epengesang in Asien (Indien, Persien, Sibirien) und
Afrika ist bisher nur wenig bekannt.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904; F. Ko-
lessa, Uber d. melodischen u. rhythmischen Aufbau d.
ukrainischen . . . rezitierenden Gesange, Kgr.-Ber. Wien
1909 u. Osterreichische Monatsschrift f. d. Orient XLII,
1916; ders., Pro genesu ukrainskich narodnich dum (»Zur
Entstehung d. ukrainischen Volks-E.«), Lemberg 1922; J.
Meier, Werden u. Leben d. Volkse., Halle 1909; G.
Becking, Der mus. Bau d. montenegrinischen Volkse.,
Arch, nderlandaises de phonetique experimentale VIII/IX,
1932; P. Diels, Die Duma, Mitt. d. schlesischen Ges. f.
Volkskunde XXXIV, 1934; R. Trautmann, Die Volks-
dichtung d. GroBrussen I, Heidelberg 1935; ders., in : Neue
Jb. f. deutsche Wiss. XIII, 1937; W. Wunsch, Heldensan-
ger in Sudosteuropa, Lpz. 1937; ders., Der Brautzug d.
Banovic Michael, Stuttgart 1958 ; M. Scherrer, Les dumy
ukrainiennes, Paris 1947; A. Geering, Die Nibelungen-
melodie in d. Trierer Marienklage, Kgr.-Ber. Basel 1949;
Thr. G. Georgiades, Der griech. Rhythmus, Hbg (1949);
ders., Musik u. Rhythmus bei d. Griechen', = rde LXI,
Hbg (1958) ; G. Wille, Die Bedeutung d. Musik im Leben
d. Romer, Diss. Tubingen 1951, maschr. ; F. Hoerburger,
Westostliche Entsprechungen im Volkse., Mf V, 1952; C.
M. Bowra, Heroic Poetry, London 1952; E. Seemann,
Ballade u. E., Schweizerisches Arch. f. Volkskunde LI,
1955; R. Stephan, Uber sangbare Dichtung in ahd. Zeit,
Kgr.-Ber. Hbg 1956; K. H. Bertau u. R. Stephan, Zum
sanglichen Vortrag mhd. strophischer Epen, Zs. f. deut-
sches Altertum LXXXVII, 1956/57; E. Jammers, Das ma.
deutsche E. u. d. Musik, Heidelberger Jb. I, 1957, dazu K.
H. Bertau u. R. Stephan in : Anzeiger f . deutsches Altertum
LXXI, 1959; A. Lesky, Gesch. d. griech. Lit., Bern 1958;
A. B. Lord, The Singer of Tales, = Harvard Studies in
Comparative Lit. XXIV, Cambridge (Mass.) 1960; Ch.
Petzsch, Otfrieds Cantus lectionis, Euphonion LV, 1962;
Fr. W. Neumann, Die alteste deutsche Bylinen-Nachdich-
tung, in: Die Welt d. Slawen IX, 1964; K. H. Bertau,
Epenrezitation im deutschen MA, Etudes germaniques
XX, 1965. RSt
Equal(e) -y A equal.
Erfurt.
Lit. : L. Meier, De schola franciscana Erfordiensi s. XV,
in: Antonianum 1930; A. Dreetz, Aus E. Mg. (1750-
1800), Lpz. 1932; H. Eberhardt, Die ersten deutschen
Musikfeste in Frankenhausen am Kyffhauser u. E. 1810,
1811, 1812 u. 1815, Greiz 1 934 ; G. Pietzsch, Zur Pfiege d.
Musik an d. deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh.,
AfMf VI, 1941 ; Fr. John, J. S. Bachs E.er Vorfahren, in:
Bach in Thiiringen, Bin 1 950 ; O. Rollert, Die E.er Bache,
in : J. S. Bach in Thuringen, hrsg. v. H. Besseler u. G. Kraft,
Weimar 1950; G. Hummel, E.er Theaterleben im 18. Jh.,
= Beitr. zur Gesch. d. Stadt E. HI, E. 1956; S. Orth, Neues
iiber d. Stammvater d. »E.er Bache«, J. Bach, Mf IX, 1956.
Erlangen.
Lit. : M. Rupprecht, Die Klavierbauerfamilie Schied-
mayer, Diss. E. 1955, maschr. ; A. Pongratz, Mg. d. Stadt
E. im 18. u. 19. Jh., Diss. E. 1958 (mit Lit.-Verz.).
263
eroico
eroico (itai.)» heroique (era'ik.-frz.), heldenhaft. Die
Originaiausgabe der Symphonie Es dur op. 55 von
Beethoven (»geschrieben auf Bonaparte«) tragt den
Titel Sinfonia eroica . . . composta per festeggiare il sov-
venire di un grand' Uomo.
Erstdruck ist die erste Druckausgabe eines bis dahin
nur als ->■ Autograph oder Kopie vorhandenen mu-
sikalischen Werkes. Der Begriff E. umfaBt sowohl die
authentische, d. h. die auf den Autor selbst zuriick-
gehende, mit seinem Willen und unter seiner Mitwir-
kung entstandene Erstausgabe (originaler E.) als auch
die nichtauthentische Erstveroffentlichung, die"zu Leb-
zeiten des Autors bhne sein Zutun oder erst nach sei-
nem Tode erschienen ist. Bei der Feststellung des
-*■ Urtextes von Werken der Meister des 18. und 19.
Jh. spielt der originale E. eine bedeutende Rolle. Die
fur die Erkenntnis der Filiation (zeitliche Aufeinander-
folge und wertmaBige Abstufung) der Quellen not-
wendige Datierung des E.s ist oft schwierig, denn hau-
fig erstreckte sich die Ausgabe iiber mehrere Jahre, da
der Verleger Abziige von den E.-Platten je nach Ver-
kaufsbedarf anfertigen lieB. Die in der Mitte des un-
teren Plattenrandes einer Stichplatte befindliche Plat-
tennummer (nicht identisch mit der Verlagsnummer)
kann auch fiir mehrere zu verschiedenen Zeiten ge-
stochene Werke gelteri und versagt deshalb oft als Da-
tierungshilfe. Als Quelle ist der E. den autographen
Niederschrif ten (erste vollstandige Niederschrif t = Ur-
schrif t, Reinschrift) vorzuziehen, wenn der Autor An-
derungen am Werk noch wahrend der Drucklegung
vornehmen lieB (Beethoven) oder in ein fertiges E.-
Exemplar Verbesserungen eintrug, diese aber nicht
in seinem Manuskript vermerkte (Brahms). Sein Quel-
lenwert ist gering, wenn die authentische Stichvorlage
durch Druck- und Lesefehler sowie eigenmachtige
Anderungen des Verlegers falsch wiedergegeben ist
(Mozart, Beethoven) und der Autor korrektere zwei-
te oder dritte Ausgaben veranlaBt hat (Beethoven). -
Die umfassendste systematische Sammiung von E.en
und Originalausgaben musikalischer Meisterwerke be-
findet sich im Privatbesitz von A. van -»■ Hoboken in
Ascona (Schweiz).
Lit. : K. Meyer, Was sind mus. Erstausg. ?, in : Philobiblon
VIII, 1935; O. E. Deutsch, Music Publishers Numbers,
London 1946, 2. verbesserte u. 1. deutsche Auflage Bin
1961 ; H. Unverricht, Die Eigenschriften u. d. Original-
ausg. v. Werken Beethovens in ihrer Bedeutung f. d. mo-
derne Textkritik, = Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960; C.
Hopkinson, Towards a Definition of Certain Terms in
Mus. Bibliogr., Hinrichsen's 1 1 th Music Book 1961.
Erzlauten (ital. arciliuti) heiBen die im 16. Jh. in
Italien aufgekommenen BaBlauten (->• Theorbe, theor-
bierte Laute, -> Angelica, -> Chitarrone) mit 2 Hal-
sen (Kragen), die in Deutschland friih im Inventar der
Fugger von 1566 erwahnt werden. In den 1. Wirbel-
kasten laufen die Griffsaiten, in den 2. die Freisaiten
(Abziige, Bordunsaiten, Kontrasaiten; ital. bordoni,
contrabassi).
Lit. : G. Kinsky, A. Piccinini u. sein Arciliuto, AMI X, 1 938.
Eskitno-Musik. Von der Ostkiiste Nordsibiriens
iiber die Aleuten nach Alaska und Kanada bis nach
Gronland erstreckt sich das Wohngebiet der Eskimos,
altmongolischer Primitivstamme, deren Musik wegen
der Abgelegenheit und weitgehenden Unberiihrtheit
durch Fremdeinfliisse von der Musikethnologie als
Musterbeispiel eines primitiven Musikstils angesehen
wird. Wie die Einheit der Sprache trotz lokaler Dia-
lekte iiber das riesige Verbreitungsgebiet hinweg ge-
wahrt blieb, ist auch die Musik der weitzerstreuten
Stamme im Prinzip einheitlich. Einzelne stilistische
Unterschiede lassen sich als Stadien der kulturellen
Entwicklung, andere als EinfluB indianischer Nachbarn
deuten (-?- Indianermusik). Die. E.-M. ist vokal; als
einziges Instrument wird eine runde Rahmenfelltrom-
mel (mit Schlagel) verwendet. Sie wird zu alien Ge-
sangen geschlagen.jedoch unabhangig von dem Rhyth-
mus der Vokalmelodie. Die Eskimolieder sind ein-
stimmig; sie werden meist vom Chor, aber auch so-
listisch gesungen. Tanzlieder bilden die grbBte Gruppe.
Sie sind personliches Eigentum des Dichter-Kompo-
nisten, werden aber vom Chor der Zuschauer gesun-
gen, wahrend er (oder sie) mit der Trommel dazu
tanzt. Eine zweite Gruppe bilden improvisierte Streit-
oder FuBballspiellieder, eine dritte die magischen Ge-
sange der Angogoks (Schamanen), meist rhythmische
Rezitationen von Beschwbrungen, die der maskierte
Zaubersanger vortragt. Die Melodik ist engstufig mit
Ansatzen zur Pentatonik; sie hat gewohnlich eine sehr
einfache tonale Struktur mit zwei Zentralpunkten der
Melodiebewegung, dem Ruhepunkt und einem meist
eine Sekunde dariiber liegenden Spannungspol, beide
mit Umspielungstonen nach oben und unten (Beispie-
le nach Estreicher) :
Rentier- Eskimos
J =96
(Padleirmiut)
|]^;iiiiJV^i^i'J
Gronland - Eskimos
fa HJ jSl jT to J 'N*J A)
§m } ni\im^ fjjo j =
Die Gesange sind Strophenlieder mit Refrain. Stro-
phenbau und Rhythmik wechseln bei den einzelnen
Gruppen; die Schamanengesange und die improvisier-
ten Schmahheder sind freier in ihrem Gefiige als die
Tanzlieder. Auch unterscheiden sich die verschiedenen
Stamme der Eskimos in ihrem Bestand an Liedern und
deren Gestaltung. Da die Wanderwege der einzelnen
Stamme bekannt sind, erlaubt die heutige Verbreitung
ihrer verschiedenen musikalischen Formen Ruckschlus-
se auf die historische Entwicklung der E.-M. Den 51-
testen Typus vertreten die Rentier-Eskimos an der
Hudsonbai; auch die Gronland-Eskimos- haben ar-
chaische Formen bewahrt. Die kanadischen und Alas-
ka-Eskimos sind zum Teil von indianischer Musik be-
einfluBt, in Alaska ist ebenfalls ein mongolischer Ein-
fluB sehr wahrscheinlich. Die Musik der sibirischen
Eskimos ist bis heute weitgehend unerforscht.
Lit. : Fr. Boas, The Central Eskimo, = Annual Report of
the Bureau of American Ethnology VI (Smithsonian Inst.),
Washington 1888; Chr. Leden, Musik u. Tanze d. gron-
landischen Eskimos, Zs. f. Ethnologie XLIII, 1911; W.
Thalbitzer, E.-M. u. Dichtkunst in Gronland, Anthropos
VI, 1911 ; ders., Ligendes et chants esquimaux du Groen-
land, = Collection de contes et chansons populaires XLV,
Paris 1929; ders. u. Hj. Thuren, Melodies from East
Greenland, in: Meddelelser om Gnanland XL, 1911 ; Hj.
Thuren, On the Eskimo Music in Greenland, ebenda; H.
H. Roberts, Mus. Areas in Aboriginal North America,
= Yale Univ., Publications in Anthropology XII, New Ha-
ven (Conn.) u. London 1936; Z. Estreicher, Die Musik d.
Eskimos, Anthropos XLV, 1950; ders., Cinq chants des
Esquimaux Ahearmiut, in: Research-Report on Caribou
Eskimo Law, hrsg. v. G. v. d. Steenhoven, Den Haag 1956;
E. Groven, Eskimomelodier fra Alaska, Oslo 1956; P. R.
264
Ethos
Olsen, Dessins melodiques dans les chants esquimaux du
Greenland de Test, Dansk aarbog for musikforsking III,
1963. FB
espressivo (ital.; Abk.: espr.), ausdrucksvoll; c. espr.
= con espressione, mit Ausdruck. Als Vortragsbe-
zeichnung steht e. oft in Verbindung mit Tempoanga-
ben, aber auch als Anweisung innerhalb eines Satzes
oder fur eine Stimme, die betreffende Stelle hervorzu-
heben, sowie zur Bezeichnung eines Solos.
Essen.
Lit. : W. Nelle, Die ev. Gesangbiicher d. Stadte Dortmund,
E., Soest, Lippstadt in d. Grafschaft Mark, Jb. d. Ver. f . d.
ev. Kirchengesch. d. Grafschaft Mark, Jg. 1901 ; Th. Do-
ring, Die Gesch. d. E.er Theaters v. d. Anfangen bis 1892,
= Beitr. zur Gesch. v. Stadt u. Stift E. XLIX, E. 1931 ; E.
Jammers, Die Bedeutung d. Hss. Diisseldorf D 1-3 aus E.
f. d. Musik- u. Geisteswiss., = E.er Beitr. LXVII, 1952;
Beitr. zur Mg. d. Stadt E., hrsg. v. K. G. Fellerer, = Beitr.
zur Rheinischen Mg. VIII, Koln u. Krefeld 1955 ; H. Ket-
tering, Quellen u. Studien zur E.er Mg. d. Hohen MA,
ebenda XVII, E. 1960.
Estampie (estap'i, frz.; prov. estampida; ital. istampi-
ta; lat. stantipes; mhd. stempenie), eine ahnlich wie die
Sequenz und der Lai auf dem Prinzip der f ortschreiten-
den Wiederholung beruhende Form in der weltlichen
(vornehmlich instrumentalen) Musik des 13./14. Jh.
Eine E. besteht aus mehreren Puncta (Abschnitten,
den Doppelversikeln der Sequenz entsprechend); jedes
Punctum besteht aus zwei Teilen, von denen der An-
fang gleich ist, der SchluB in oiivert (x ) und clos (x c )
auslauft; nach einer Reihe von Puncta kann eine neue
Schlufimelodie - die wie ein musikalischer Refrain
oder Reim wirkt - eingefiihrt werden (a+x a+Xc
b+Xo b+xc ..., weiter statt f+x f+x c auch f+y
f+yc • • ■). Die E. (stantipes) wird von Grocheo (um
1300) yon der kiirzeren ductia und der nota unterschie-
den. Uberliefert sind 8 einstimmige E.n in einem
Nachtrag aus der 1. Halfte des 14. Jh. zur Handschrift
Paris, Bibl. Nat. fr. 844, 3 zweistimmige in der Hand-
schrift London, Brit. Mus. Harleian 978, aus dem 13.
Jh., 8 einstimmige (auch mit wechselnden »Reimtei-
len«), darunter das Latnento di Tristano, in der italieni-
schen Trecentohandschrift Lo (-> Quellen), sowie 19
mit E. bezeichnete Texte ohne Melodien im Ms. Ox-
ford, Bodleian Library, Douce 308, friihes 14. Jh. Dem
normalen Aufbau der E. entspricht nicht Raimbaud de
Vaqueiras' Kalenda maya (2. Halfte 12. Jh.), das im Text
und in der Legende iiber seine Entstehung als E. be-
zeichnet wird. - M.Praetorius (Synt. Ill) nennt Balli
oderBallette . . . welche keinen Texthaben: Vndwenndie-
selbigen mit Schallmeyen oder Pfeiffen zum tantze gespielet
werden, so heist es stampita.
Ausg. : P. Aubry, E. et danses royales, Mercure mus. 1906,
Sonderdruck Paris 1907 ; J. Wolf, Die Tanze d. MA, Af Mw
I, 1918/19; Les e. frc., hrsg. v. O. Streng, in: Les classi-
ques frc. du Moyen-Age LXV, Paris (1931), dazu H. Span-
ke in : Zs. f. romanische Philologie LII, 1932.
Lit. : H. J. Moser, Stantipes u. Ductia, ZfMw II, 1919/20;
J. Handschin, t)ber E. u. Sequenz I— II, ZfMw XII, 1929/
30 - XIII, 1930/31; Fr. Gennrich, GrundriB einer For-
menlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; Ll. Hibberd, E. and
Stantipes, Speculum XIX, 1944; H. Husmann, Kalenda
maya, Af Mw X, 1953.
estjnto (ital., erloschen), Bezeichnung fur das auBerste
Pianissimo (ppp, z. B. bei Liszt).
Estland.
Lit.: H. Neus, Ehstnische Volkslieder, Reval 1850-52; A.
Launis, Ober Art, Entstehung u. Verbreitung d. estnisch-
finnischen Runenmelodien, Helsinki 1913; DERS., Eesti
runoviisid (»Estnische Runenmelodien«), Tartu 1930; A.
Raudkats, Estnische Volkstanze u. Kinderspiele, Tartu
1926/27; W. Graf, t)ber d. deutschen EinfluB auf d. est-
nischen Volksgesang, Diss. Wien 1932, maschr.; ders.,
Das estnische Volkslied, Wien 1933; ders., Die altesten
deutschen Cberlieferungen estnischer Volkslieder, in : Mu-
sik d. Ostens I, Kassel 1962; E. Arro, Gesch. d. estnischen
Musik, Tartu 1933.
Estribillo (estriv'iAo, span.) -> Refrain.
Ethos (griech. ffro%). Das Wort bezeichnet seit den
Pythagoreern die Wesensart einer Melodie oder be-
stimmter musikalischer Ordnungen. Wie das gesamte
pythagoreische Weltbild beruht die Lehre vom E. auf
der Uberzeugung von der grundlegenden Rolle der
Zahl auch fur die Ordnung der musikalischen und
seelischen Bewegungen. Sie besagt, daB durch die Mu-
sik bestimmte seelische Willenshaltungen dargestellt
und im Horer wiedererweckt werden konnen, da sich
die Bewegungen seines Gemiits denen der Melodie-
tone angleichen. Daraus ergibt sich die hohe erzieheri-
sche Bedeutung der Musik; dem Musiker ist aufgege-
ben, aus der Fiille moglicher Tonordnungen jene aus-
zuwahlen, die die zunachst ungeordneten Bewegun-
gen in der Seele des Horers zum Guten lenken. Die
wissenschaftliche Betrachtung der Musik unter diesem
Gesichtspunkt fand ihre Hauptvertreter in dem Staats-
mann Damon von Athen, seinem Schiiler Platon, den
Platonikern und Neuplatonikern (Plotin) sowie den
Stoikern; kompromiBhaft abgeschwacht erscheint die
E.-Lehre auch bei Aristoteles. Im Gegensatz zu diesen
»Ethikern« leugnen die »Formalisten« jeden Zusam-
menhang zwischen Musik und Ethik; zu ihnen geho-
ren vor allem Sophisten und Epikureer (Philodemos).
Die E.-Lehre wird auch von den Humanisten bis zur
Entstehung der Asthetik im 18. Jh. haufig erortert. -
Fiir den Gesamtcharakter eines Stiickes sind nach der
E.-Lehre der Charakter seiner Tonart (apu,ovia), des
Rhythmus, des begleitenden Instruments (Kithara oder
Aulos) und der Tonlage (tottoc; (ptovrji;, Aristeides
Quintilianus) von bestimmender Bedeutung. So gilt
Dorisch als fest, streng und erhaben, Phrygisch als mil-
de (Platon) oder als enthusiastisch und ekstatisch (Ari-
stoteles), Lydisch als klagend (Platon) oder als anmu-
tig (Aristoteles). Die mittelalterlichen Theoretiker
(Guido von Arezzo, CSM IV, 158fl.; Hermannus
contractus, GS II, 148a; Johannes Affligemensis, CSM
I, 109ff. ; Pseudo-Muris, Summa musicae, GS III, 235f.)
stiitzen sich, wenn sie vom gewichtigen Ernst des Do-
rischen, dem sprunghaften Enthusiasmus des Phrygi-
schen oder der Anmut und dem lasziven Reiz des Ly-
dischen sprechen, auf die Bruchstiicke der antiken
Uberlieferung bei Boethius (I, 1), ohne zu wissen, daB
das antike Dorisch (entsprechend e'-e) eine andere
Skala ist als das mittelalterliche (d-d>). Noch Zarlino
halt, obwohl er in der C-Skala das antike Dorisch er-
kannt zu haben glaubt, an der Meinung fest, daB der
D-Modus ernst und der C-Modus zu Tanzen geeignet
sei (Istitutioni harmoniche, 1558, IV, 18f .). Mit dem Uber-
gang zu den Dur- und Molltonarten entwickelte sich
seit dem 17. Jh. die moderne Lehre vom -*■ Tonarten-
charakter.
Lit.: H. Abert, Die Lehre vom E. in d. griech. Musik,
= Slg mw. Arbeiten II, Lpz. 1899; ders., Die Musikan-
schauung d. MA u. ihre Grundlagen, Halle 1905; ders.,
Gesammelte Schriften u. Vortrage, hrsg. v. Fr. Blume,
Halle 1929; J. Stenzel, Platon d. Erzieher, = Die groBen
Erzieher XII, Lpz. 1928, Neudruck Hbg 1961; E. M. v.
Hornbostel, Tonart u. E., in: Mw. Beitr., Fs. i. Wolf, Bin
1929; R. Schafke, Gesch. d. Musik-Asthetik in Umrissen,
Bin 1934, Tutzing 21964; W. Vetter, Artikel Musik, in:
Pauly-Wissowa RE XVI, 1 ; ders., Mythos - Melos - Mu-
sica, 2 Bde, Lpz. 1957-61 ; O. Gombosi, Tonarten u. Stim-
mungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Neudruck
1950 ; D. P. Walker, Mus. Humanism in the 1 6 th and early
17 th Cent., MR II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus.
265
etouffe
Humanismus im 16. u. friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V,
Kassel 1949 ; C. Sachs, The Rise of Music . . . , The Norton
Hist, of Music I, NY (1943); W. Jaeger, Paideia II, Bin
1944, 2 1954; H. Koller, Die Mimesis in d. Antike, = Diss.
Bernenses I, 5, Bern 1954; Plutarque de la musique, hrsg.
v. Fr. Lasserre, = Bibl. helvetica romana I, Olten u. Lau-
sanne 1954; E. Moutsopoulos, La musique dans l'oeuvre
de Platon, Paris 1959.
6touff£ (etuf'e, frz., erstickt), fur Pauke, Becken und
Tamtam Vorschrift sofortiger Dampfung nach dem
Schlag; auf der Harfe werden bei e. die Saiten sofort
nach dem Anspielen mit dem gleichen Finger oder
durch Auflegen der flachen Hand abgedampft.
Etruskische Musik. ImUnterschied zurGriechischen
Musik und auch zum romischen Musikleben besteht
zur Musik der alten Etrusker heute kein unmittelbarer
Zugang, da nicht nur Musikdenkmaler wie Noten und
Instrumente, sondern auch eigene etruskische Litera-
turnotizen vollig fehlen. Ein gewisser AufschluB ist
nur zu gewinnen durch Nachrichten griechischer und
lateinischer Schriftsteller und besonders Darstellungen
der Malerei und Reliefkunst, welche allerdings durch
vielfache motivische Anleihen bei der griechischen
Kunst als historische Quellen nur mit Vorbehalt ver-
wendbar sind. Aus der Gesamtheit der vorliegenden
Uberlief erung ergibt sich die Vorliebe der Etrusker
fur Blasmusik. Die Trompete soil dem Abendland
durch tyrrhenische Seerauber vermittelt worden sein;
die instrumentalen Sonderformen Lituus und Cornu
wurden von den Etruskern entwickelt. Den ->• Aulos,
der spater als Tibia das Nationalinstrument der R6-
mer geworden ist, haben sie moglicherweise aus ihrem
kleinasiatischen Ursprungsland mitgebracht. Der Vo-
lumnier-Sarkophag in Perugia tragt das alteste euro-
paische Zeugnis der Querflote. Von den griechischen
Saiteninstrumenten fanden Lyra und Kithara, seltener
der Barbitos, Aufnahme; an Schlaginstrumenten fin-
den sich Krotala, auch in der Sonderform der Stab-
klappern, und Kastagnetten. - Fiir die Bedeutung der
Musik im Leben der Etrusker zeugt ihre Nachwir-
kung in der offentlichen und sakralen Musik der R6-
mer. Das kultische Tibiaspiel, das zu den Romern
durch die Zunft der Subulones gelangte, begleitete
Opfer, Festziige und Begrabnisse. Einen Aufzug mit
groBer musikahscher Besetzung, namlich Cornu, Li-
tuus, Wiegenkithara und Aulos, zeigt ein Steinsarko-
phag aus Caere. Eine Besonderheit etruskischen Mu-
sikgebrauchs ist die haufige Doppelbesetzung der Me-
tallblasinstrumente bei Triumph- und Leichenziigen.
Hochzeitssanger aus Fescennia regten die Romer zu
Scherzliedern an. Die romische Theatermusik, im Zu-
sammenhang mit Suhnefeierlichkeiten entstanden, ist
vom Vorbild etruskischer Kultmusiker und -tanzer an-
geregt. Etruskische Waffentanze konnen als Vorlaufer
der romischen angesehen werden. Bei rhy thmischen Ar-
beitsvorgangen und bei der Gymnastik war Aulosmu-
sik geschatzt. Darstellungen an den Wanden der alten
Etruskergraber zeigen Tanzer und Spieler von Aulos
und Saiteninstrumenten in ausgelassener Frohlichkeit.
Lit. : Fr. Behn, Musikleben im Altertum u. friihen MA,
Stuttgart 1954; G. Fleischhauer, Bucina u. Cornu, Wiss.
Zs. d. Martin-Luther-Univ. Halle- Wittenberg IX, 1960;
ders., Etrurien u. Rom, = Mg. in Bildern II, 5, Lpz. (1964).
GWi
Etude (frz. etude; ital. studio; engl. study), ein Stuck,
das zur Bewaltigung eines bestimmten spieltechnischen
Problems geschrieben ist. Von der bloBen Finger-
ubung, deren padagogische Zielsetzung sie teilt, unter-
scheidet sich die E. als formal abgerundete, haufig ein-
themige Komposition. Der E.n-Begriff kam auf, als
hohere spieltechnische Schwierigkeiten auf dem Ham-
merklavier einen Eigenwert bekamen und nur noch
von Virtuosen gemeistert werden konnten. Um 1800
war die Bezeichnung E. bereits bekannt, wenn auch
noch nicht auf spieltechnische Studien eingeschrankt
(z. B. A.Reicha, Etudes de Transition et 2 Fantaisies op.
31, 1800 - es handelt sich um Modulationsiibungen).
Auch erscheint sie anfangs oft als Sammelbegriff. Die
einzelne Studie heiBt dann Exercice, aber auch Caprice
(vor allem in der Violinliteratur), wie iiberhaupt die
Bezeichnungen E., Studie, Exercice, Caprice und
-> Capriccio bis zur Mitte des 19. Jh. vielfach dasselbe
bedeuten. Die erste epochemachende E.n-Sammlung
im eingangs beschriebenen Sinn sind J. B.Cramers Etu-
des pour le pianoforte en 42 exercices ... (I. Teil 1804, II. Teil
1810). dementis Gradus ad Parnassum (I. Teil) erschien
1817. Cramers E.n sind mit Ernst und Konsequenz
durchgeffihrte Studien fiber technische Schwierigkei-
ten und Vortragsmotive, die bisweilen in die Richtung
des lyrischen Klavierstficks weisen. In der Klavierlite-
ratur unterscheidet man heute 2 Arten von E.n: die
eine (vor allem von C. Czerny ausgebildete) ist der Typ
des technischen Ubungsstfickes ffir die allerersten An-
fange im Spiel des Instrurnentes bis zur Ausbildung
hochster Virtuositat; die andere, die Konzert-E., ist
fiir den offentlichen Vortrag bestimmt. Doch bleibt
auch bei dieser das Charakteristikum eine Anhaufung
technischer Schwierigkeiten und Vortragsprobleme
- neuerdings (bei Messiaen) auch Kompositionsproble-
me. Konzert-E.n ffir Kl. schrieben: Chopin (2 mal 12
E.n, op. 10, 1829-32, und op. 25, 1832-36), R.Schu-
mann (6 Konzert-E.n, komponiert nach Capricen von
Paganini, op. 10, 1833, und 12 Symphonische E.n - in
Form von Variationen - op. 13, 1834), Liszt (u. a.
Grandes Etudes de Paganini, 1851 - Liszt hat teilweise
dieselben Capricen bearbeitet wie Schumann, Etudes
d'execution transcendante, 1851/52, und 2 weitere Kon-
zert-E.n, Waldesrauschen und Gnomenreigen, ffir die
Klavierschule von Lebert und Stark), Brahms (28 Va-
riationen fiber ein Thema von Paganini op. 35, 1862/
63 und 1866 - im Untertitel als Studien bezeichnet),
Debussy (Douze Etudes, 1915), Bartok (3 Studien op.
18, 1918) und Messiaen (Quatre Etudes de Rythme, 1949/
50) , f erner F. Mendelssohn Bartholdy , A. Rubinstein, A.
Skrjabin, K. Szymanowski, A. Tscherepnin, H. Pfitzner
(als Studien bezeichnet), P.Hoffer und H.Degen. Der
musikalische Rang der Klavier-E.n wird von den E.n
fiir andere Instrumente nicht erreicht. Berfihmte E.n
fiir V. schrieben u. a. R.Kreutzer, P. Rode, P.Fr.Baillot
und O. Sevcfk; fur Vc. u. a. D. Popper und Fr.Griitz-
macher. Dagegen sind aus dem 20. Jh. E.n ffir Orch.
bzw. fiir Soloinstrumente mit Orch. hervorzuheben,
z. B. Milhaud, Cinq Etudes pour piano et orch. (1920) ;
Strawinsky, 4 E.n fiir Orch. (1929; Bearbeitungen eige-
ner Stiicke); H.W.Henze, Symphonische E.n fiir Orch.
(1955) und Fr.Martin, Etudes pour orch. a cordes (1956).
Lit.: Fr.-H.-J. Castil-Blaze, Dictionnaire de musique
moderne, Paris 1821, 2 1825; dass. bearb. v. J. H. Mees,
Briissel 1828, Artikel Etude u. Exercice; K. B. v. Miltitz,
Exercise u. E., AmZ XLIII, 1840/41 ; KochL, bearb. v. A.
v. Dommer, Heidelberg 1865, Artikel E. ; E. Gurk, Die
Klavieretiide v. Mozart bis Liszt, Diss. Wien 1930, maschr. ;
S. Kaswiner, Die Unterrichtspraxis f. Tasteninstr. (1450-
1750) mit besonderer Beriicksichtigung d. Vorformen d.
Klavieretiide, Diss. Wien 1930, maschr.; R. Hafner,
Die Entwicklung d. Spieltechnik u. d. Schul- u. Lehrwerke
f. Klavierinstr., Miinchen 1937 ; W. Georgii, Brauchen wir
noch Klavier-E. ?, Der Musikerzieher XXXV, 1939 ; ders.,
Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Freiburg i. Br. 4 1965 ;
Fr. Goebels, Die moderne Kl.-E., Musik im Unterricht
(Allg. Ausg.) XLIII, 1952; P. F. Ganz, The Development
of the E. for Pfte, Diss. North Western Univ. (111.) I960,
maschr. ; D. Themelis, Vorgesch. u. Entstehung d. Violin-
etude, Diss. Miinchen 1964. ESe
266
Evangelium
Eunuchenflote -> Mirliton.
EUOUAE, die Vokale von seculorum amen, den
SchluBworten der kleinen -»■ Doxologie in den romi-
schen Choralausgaben (-»■ Differenzen).
Euphon ->■ Clavicylinder.
Euphonium (von griech. eucpcovoi;, wohlklingend),
- 1) Baritonhorn in B, ein Blechblasinstrument von
weiter Mensur; - 2) Orgelstimme zu 8', 4', 16', zu-
meist mit durchschlagender Zunge gebaut, deren Klang
weich und sanft ist. Als Erfinder gilt Du Hamel; zu-
erst verwendet 1827 (Kathedrale zu Beauvais in Nord-
frankreich).
Eurhythmie (griech. eupuS-uia) war in der griechi-
schen Antike kein fester Terminus und konnte allge-
mein die rhythmische Ordnung oder Bewegung sowie
die Anmut bezeichnen. Erst im AnschluB an eine viel-
diskutierte Stelle bei Vitruv (1. Jh. v. Chr. ; De archi-
tecture! 1, 2) erlangte der Begriff in der Architektur-
theorie seit der Renaissance einige Bedeutung im Sinne
von »Gleichma6 der Teile untereinander und Wohl-
proportioniertheit der Teile zum Ganzen«. Zusammen
mit Proportion, Harmonie und Symmetrie gehort E.
zu den Begriffen, die eine Briicke zwischen Architek-
tur- und Musiktheorie bildeten. - Fur J.G.Walther
(1732) ist E. die Zierlichkeit und Schonheit so in der Music
aus den Zahlen entstehet, wie sie vor allem in den eben-
maBig geformten, von der Tanzkunst beeinflufken
Stiicken in der franzosischen Musik zu beobachten sei.
- Die E. in der Anthroposophie ist eine Art der -* Rhy th-
mischen Erziehung.
Evacuant ist in der Orgel ein durch einen Register-
zug zu offnendes Ventil, durch das nach beendetem
Spiel der noch im Geblase vorhandene Wind rascher
abgelassen werden kann.
Evangelium (griech. sua-ryeXtov, Frohbotschaft),
die Hauptlesung aller christlichen Liturgien. In der
katholischen MeBfeier bildet es den Hohepunkt des
Wortgottesdienstes. Die bisher giiltige Verteilung aus-
gewahlter Abschnitte aus den 4 Evangelienberichten
auf die einzelnen Tage des Kirchenjahres erhielt ihre
einheitliche Festlegung im Missale Pius' V. (1570).
Doch soil sie jetzt durch eine mehrjahrige Perikopen-
ordnung ersetzt werden (Liturgie-Konstitution des 2.
Vatikanischen Konzils, Artikel 51). Ebenso darf das E.
neuerdings gleich den iibrigen Lesungen in Messen, an
denen das Volk teilnimmt, in der Muttersprache ver-
kiindigt werden (Artikel 54). Im Unterschied zur Epi-
stel kommt sein Vortrag dem Diakon (altester Beleg:
Ordo Romanus I, 11, 7./8. Jh.) oder dem zelebrieren-
den Priester zu. Die Lesung wird eingeleitet durch
GruB (Dominus vobiscum) und GegengruB (Et cum spi-
ritu tuo), denen die Ankiindigung der Perikope (z. B.
Sequentia sancti Evangelii secundum Lucam) mit Akkla-
mation Gloria tibi Domine folgt. Als eine Besonderheit
gegeniiber dem romischen Ritus erklingt in der Mai-
landischen Liturgie nach der Perikope neben einem
3fachen Kyrie die sogenannte Antiphona post evan-
gelium. - Dem gesungenen Vortrag des E.s liegt die
Form eines liturgischen Rezitativs zugrunde, dessen
Kadenzen (pausationes oder positurae) den Text nach
seinem jeweiligen Sinnzusammenhang in einzelne Ab-
schnitte gliedern. Wahrend in alterer Zeit vornehm-
Uch auf subtonalem Tenor (Tuba) rezitiert wurde, ent-
halten die Quellen seit dem 12. Jh. iiberwiegend sub-
semitonale Tenores (c 1 und f). Die Editio Vaticana des
Graduates bietet aus der urspriinglichen Vielzahl von
Modellen 3 Evangelientone (-»■ Toni communes IV),
deren erster durch schlichte Rezitation (Tenor cl) mit
Punctum (a auf der viertletzten Silbe), Interrogatio
(-> Epistel) und zweiakzentiger Conclusio (a-h-c 1 auf
dem vorletzten Wortakzent) ausgefiihrt wird. Reiche-
re Gestalt zeigen der (subtonale) Tonus antiquior und
der Alter tonus ad libitum (in eckiger Klammer) :
Metrum
/ /
In il- lo tem-po-re: Di-xit Je-sus Si-mo-ni Pe-tro:
Interrogatio
K 3 2 1
^— —
-■ — ■ — ■ ■
Si-mon Jo-an-nis, di-li-gis me plus his?... et di-xit e-i :
Metrum
/ ;
t ' ' ' . ■ ti
Do-mi -ne tu om-ni - a no-sti: tu scis,<rui-a
Punctum
/
t -r-r
■f-
a - mo te [ a - mo teJ...Hocau-tem di-xit, sig
Conclusio
r -\ I
£3±
■ * a
-ni-fi-cans,qua mor-te cla-ri-fi-ca-tu-rus es-set De-um.
Auch in der Matutin des Offiziums (1. Lectio der 3.
Nokturn) findet eine - allerdings auf den Anf angssatz
der Tagesperikope beschrankte - Lesung aus dem E.
statt (Vortrag im Tonus lectionis). Das monastische
Stundengebet enthalt uberdies den entsprechenden
vollstandigen E.s-Text im SchluBteil der Matutin. -
Wie die Quellen der Reformationszeit zeigen, bediente
man sich im evangelischen Gottesdienst zunachst der
regional iiberkommenen subsemitonalen EvangeUen-
tone (lateinisch und deutsch). Auf Luther selbst gehen
2 Modelle zuriick: das erste mit 3 Tubae (Vox evange-
listae, Vox Christi, Vox personarum: f, c 1 , a) und meh-
reren Kadenzen, wahrend im zweiten a und f als Tubae
ohne Charakterisierung der redenden Personen einan-
der abwechseln. Letzteres wurde in vereinf achter Form
in die Lutherische Agende iibernommen. Hingegen
enthalt das Alpirsbacher Antiphonale den Trierer
Evangelienton (lateinische Vorlage bei P. Wagner, Ein-
fiihrung III, S. 51). - Die mehrstimmige Vertonung
des E.s (seit Josquin Desprez) gehort zur Geschichte der
Motette (und in die Nachbarschaft der Figuralpassion
und Evangehenhistorie), spater zu der der Kantate
(Evangelienkantate). Zuerst von H. ->• Herpol 1565
und spaterhin namenthch im Bereich der evangelisch-
lutherischen Kirche wurden lateinische oder deutsche
Evangelienmotetten, oft jeweils ausgewahlte Verse des
Sonntagsevangeliums, zu Kirchenjahrgangen zusam-
mengestellt (L.Paminger 1573-80, A.Raselius 1594
und 1595, G.Otto 1604, M.Vulpius 1612-16 u. a.).
Im evangelischen Gottesdienst des 16.-17. Jh. traten
sie oft an die Stelle der Lesung dieser Verse.
Lit. : P. Wagner, Einf iihrung in d. Gregorianischen Me-
lodien II u. Ill, Lpz. 21912 u. 1921, Neudruck Hildesheim
u. Wiesbaden 1962; H. J. Moser, Die mehrst. Vertonung
d. E. I, = Veroff. d. Staatl. Akad. f . Kirchen- u. Schulmusik
Bin II, Lpz. 193 1 ; ders., Die ev. Kirchenmusik in Deutsch-
land, Bin u. Darmstadt (1953); A. Geering, Die Organa
u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deutschen Sprachgebie-
tes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d. Schweizerischen
Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952), S. 31f;; W. Apel,
Gregorian Chant, Bloomington (1958); O. Brodde, Ev.
Choralkunde, in: Leiturgia IV, Kassel 1961; P. Rado,
Enchiridion Liturgicum, 2 Bde, Rom, Freiburg i. Br. u.
Barcelona 1961 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia
I, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962. KWG
267
Evergreen
Evergreen ('evajgjirn, engl.) -*■ Schlager.
Evir^ti (ital.) -> Kastraten.
Exaquier (eksaki'er, span.) -> Schachbrett.
Exclamatio (lat., Ausruf ; griech. £x(pa>V7]cjic;), in der
Kompositionslehre des 18. Jh. eine im AnschluB an die
Rhetorik erklarte musikalische Figur. In der Rhetorik
ist E. die Umwandlung eines Aussagesatzes in einen
Ausruf; Walther (1732) schreibt, daB man sie in der
Music gar fiiglich durch die aufwerts springende Sextant
minorem ausdriicken konne. Mattheson (1739) be-
schreibt mehrere Arten der E. Bei Scheibe (1745) heiBt
es, daB die E. auf warts gefuhrt werden soil, und zwar
konsonierend oder dissonierend je nach dem freudigen
oder traurigen Affekt.
Exequien (lat. exsequiae), die Riten beim letzten Ge-
leit, kirchliche Leichenfeier. In der romisch-katholi-
schen Kirche haben die E. gemaB Titel VII des Rituale
Romanum folgenden Aufbau: 1) Prozession von der
Kirche zum Sterbehaus, wo die Segnung der Leiche
stattfindet, anschlieBend Uberfiihrung zur Kirche.
2) Die eigentlichen E. : Responsorium Subvenite sancti
Dei beim Einzug in die Kirche - Totenoffizium (Ma-
tutin und Laudes aus dem Officium defunctorum) -
Totenmesse (Missa defunctorum de die obitus) - Ab-
solution - Oration - Responsorium Libera me Domine,
darauf folgend Kyrie eleison, Pater noster und Ora-
tion. 3) Prozession zum Grab: Antiphon In paradisum.
4) Beerdigung, eingeleitet dutch die Besprengung und
Beraucherung von Grabstatte und Sarg - Antiphon
Ego sum resurrectio mit Canticum Zachariae Benedictus
Dominus Deus Israel, Wiederholung der Antiphon -
weitere Gebete und Fiirbitten. 5) Riickweg zur Kirche:
Antiphon Si iniquitates mit Psalm 129 De prqfundis
(ohne Gesang) - abschlieBende Versikel und Oration. -
In der evangelischen Kirchenmusik ragen die zur Be-
grabnisfeier fur Fiirst Heinrich von ReuB komponier-
ten Musicalischen Exequien von H. Schiitz (1636) her-
vor; sie bestehen aus einem Concert in Form einer
deutschen Missa (brevis), einer 2chorigen Motette iiber
den Text der Leichenpredigt (Ps. 73, 25-26) und dem
Canticum B. Simeonis (Luk. 2, 29-32) nebst einem
Secundus Chorus der Beata anima cum Seraphinis mit
dem Gesang von Offb. 14, 13 und Weish. Sal. 3, 1.
Ausg.: Rituale Romanum. Editio typica, letzte Auflage
Rom 1 952 ; Officium et missae pro def unctis, Tournai 1 924.
Lit. : P. Rad6, Enchiridion Liturgicum I, Rom, Freiburg
i. Br. u. Barcelona 1961.
Exotische Musik (nach frz. exotique, das sich fur
fremde Pflanzen und Tiere eingeburgert hat; zuerst
lexikalisch belegt bei Sperander 1727) ist Musik frem-
der Volker, die, bezogen auf geltende musikastheti-
sche Vorstellungen, als fremdlandische Zutat, als Reiz
oder Farbmittel zur neuabendlandischen Musik auf-
genommen wird. Im Unterschied dazu kann eine frem-
de Musikkultur im Ganzen und mit Berucksichtigung
ihrer eigenen soziologischen und asthetischen Bedin-
gungen aufgefaBt und so Gegenstand der -»- Musik-
ethnologie werden. Da sich auBereuropaische Musik
in der Regel nicht mit abendlandischen Musikinstru-
menten im abendlandischen Tonsystem wiedergeben
laBt, gibt es - wo nicht iiberhaupt Surrogate herange-
zogen werden - nur wenig rein musikalische Mittel
der Darstellung, wie -»■ Ganztonleiter, -> Pentatonik,
-> Zigeunertonleiter, Verzicht auf Mehrstimmigkeit
und ihr Ersatz durch Parallelklange usw. Am ehesten
laBt sich der Rhythmus originalgetreu darstellen, so
auf exotischen Instrumenten in der ->• Janitscharenmu-
sik und im -»- Afro-Cuban Jazz. Exotische Musikin-
strumente sind bei Praetorius 1619, Mersenne 1636
und F. Bonanni 1722 abgebildet. - Exotismen gibt es in
der bildenden Kunst und der Literatur seit der Antike;
sie hatten groBere Bedeutung in Perioden, die dem
Phantastischen, Pittoresken zuneigten, wie im Hel-
lenismus, im Barock und im 19. Jh. Die klassischen
exotischen Lander sind seit dem Mittelalter China,
Indien und der Vordere Orient; in neuerer Zeit ka-
men u. a. die Siidsee und das indianische Amerika hin-
zu. Doch sind von Mitteleuropa aus gesehen auch eu-
ropaische Randlander exotisch. Das 19. Jh. mit seiner
kolonialen Entwicklung, besonders aber die Pariser
Weltausstellung (1889), brachte den europaischen Mu-
sikern eine lebendige Beriihrung mit Musik- und Mu-
sizierformen des Nahen und Fernen Ostens. Infolge der
technischen Fortschritte im 20. Jh. ist die Kunst fast
aller Zeiten und Lander wie in einem Museum ver-
fiigbar geworden, und damit verlor das Exotische
weitgehend den anziehenden Charakter des Fremdar-
tigen. - E. M. findet sich haufig in Tanzen (u. a. -*■ Mo-
resca), in Zusammenhang mit exotischer Ausstattung
in Biihnenwerken. Im 19. Jh. enthalt die Programm-
musik oft Exotismen; seit dem Anfang des 20. Jh. hat
sich die E. M. in die »Unterhaltungsmusik« verloren.
Bekannte Werke mit E.r M. sind u. a.: Lully, Le
triomphe de V Amour (1681), Ballet des nations in Le
bourgeois gentilhomme (1670); Campra, L' Europe galante
(1697) ; Rameau, Les Indes galantes (1735) ; Gluck, Le
cinesi (1754), L'orfano delta China (1774); Felicien Da-
vid, Le desert (1844); Saint-Saens, u. a. Le rouet d'Om-
phale (1869); Balakirew, Islamej (1868); Borodin,
»Eine Steppenskizze aus Mittelasien« (1880); Debussy,
Pagodes smEstampes (1903); Puccini, Madama Butterfly
(1904); Busoni, Indianisches Tagebuch (1915-16).
Lit.: O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Cber d. Har-
monisierbarkeit exotischer Melodien, SIMG VII, 1905/06;
G. Capellen, Ein neuer exotischer Musikstil, Stuttgart
1906; R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Anh. Ill,
Stuttgart 1907, 91929 ; R. Mitjana, L'orientalisme mus. et
la musique arabe, Uppsala 1907; R. Englander, Glucks
»Cinesi« u. »Orfano della China«, Gluck-Jb. I, 1913; Fr.
Brie, Exotismus d. Geistes, Eine Studie zur Psychologie d.
Romantik, Sb. Heidelberg XI, 3, 1920; G. Knosp, Essai
d'harmonie exotique, RMI XXXVIII, 1931; J. Baltru-
SAiTis.Lemoyen-agefantastique, Paris 1955; B. Szabolcsi,
Exoticism in Mozart, ML XXXVII, 1956; G. O. Rees,
Exotismus bei frz. Schrif tstellern, Germanisch-romanische
Monatsschrift XXXVII (=N. F. VI), 1956; G. Confa-
lonieri, Immagini esotiche nella musica ital. , in : Immagini
esotiche nella musica ital., hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron-
caglia, Siena 1957; R. Allorto, Mala di terre lontane,
ebenda; G. Bandmann, Das Exotische in d. europaischen
Kunst, in : Der Mensch u. d. Kunste, Fs. H. Lutzeler, Dus-
seldorf (1962).
Explicit (lat., vermutlich Abk. fur explicitus est, es
ist zu Ende), Zitat des Schlusses eines Textes. Bei mit-
telalterlichen Traktaten ist die Angabe von ->■ Incipit
und E. im allgemeinen vmerlaBhch. Dem TextschluB
laBt der Schreiber oft einen Titel folgen, der mit dem
Wort E. beginnt, z. B. : ... volentibus et desiderantibus
introduci. Explicit ars magistri etfamosi musicij. de Muris
Expleta 1478 in 22 dominicapost pentecosten (J. de Muris,
Libellus cantus mensurabilis, Ms. Miinchen, Staatsbibl.,
Clm 15632, f. 103', Faks. in: MGG VII, Tafel VI, vgl.
CS III, 58).
Exposition (lat. expositio, Aufstellung). In der -»■ Fu-
ge wird E. die erste Durchfiihrung des Themas als
Dux und Comes in alien Stimmen genannt. - In der
-»■ Sonatensatzform ist die E. zumeist zweiteilig: der
-»• Hauptsatz bringt das Hauptthema in der Grundton-
art und leitet unter Verwendung des thematischen
Materials oder neuer Motivgruppen zum -> Seitensatz
iiber. Uberleitung und -*■ Epilog (SchluBsatz) schhe-
268
Exultet-Rolle
Ben die E. ab, die in der Klassik fast immer wiederholt
wird ; Beethoven verzichtet in seinem Spatwerk oft dar-
auf (op. 90). Was als Typus der E. angesprochen wird,
erscheint in den Werken der Komponisten in groBen
Differenzierungen. Der Seitensatz kann in Dursatzen
statt in der Dominante auch in der Mollparallele ste-
hen (Beethoven, op. 10 Nr 3, 1 . Satz) oder in der Ober-
mediante (Beethoven, op. 31 Nr 1, 1. Satz). Er weist,
wie auch der Hauptsatz, nicht selten mehrere Themen
auf ; neues thematisches Material konnen Uberleitung
und Epilog enthalten. Milhaud bringt in den E.en sei-
ner Kammersymphonien das gesamte thematische Ma-
terial eines Satzes gleichzeitig in verschiedenen Ton-
arten. - Wichtig fiir die Gestaltung der E. und der So-
natensatzform als Ganzes ist das Verhaltnis zwischen
Haupt- und Seitensatz, das vielfach als dualistisch be-
zeichnet wird. Indem beide Teile der E. gleichzeitig
sich erganzen und kontrastieren sollen, ergibt sich die
Gestaltung des Seitensatzes als Folge des Hauptsatzes.
Kontrastierung ist oft schon im Aufbau eines Themas
zu erkennen (Hauptthema in Mozarts Klaviersonate
K.-V. 309, 1. Satz). Das kontrastierende Element zeigt
sich in der E. besonders deutlich in der Gegeniiberstel-
lung zweier tonartlicher Ebenen im Haupt- und Sei-
tensatz. Letzterer kann ohne Unterbrechung des me-
lodischen Flusses in der neuen Tonart ■beginnen oder
durch Pause, Tempoanderung, sogar Taktwechsel
vom ersten Teil der E. abgesetzt sein. Die E. im In-
strumentalkonzert wird meist zuerst vom Orchester
vorgetragen (Tutti-E.), dann vom Soloinstrument
unter Mitwirkung des Orchesters wiederholt, wobei
in der Solo-E. nicht selten neues, dem Instrument ge-
maBes thematisches Material eingefiihrt wird (Mozart
K.-V. 466) und die Seitenthemen der Tutti-E. teilwei-
se oder ganz durch neue ersetzt werden (Beethoven,
2. Klavierkonzert, op. 19). Oft beginnt das Soloin-
strument vor dem Einsatz des Hauptthemas mit einer
praludierenden Eingangskadenz (Brahms, Violinkon-
zert, op. 77). Die Einfuhrung einer dritten Tonart in
der E. der Sonatensatzform (Schubert, 7. Symphonie,
D 944, 1. Satz) fiihrt bei Bruckner zu einer Aneinan-
derreihung von drei thematischen Komplexen in der
E., oft substantiell miteinander verkettet.
Expression (frz.), im -»■ Harmonium ein Register, bei
dem der Wind direkt aus den Schopfbalgen zu den
Pfeifen gelangt. Das An- und Abschwellen des Tones
kann daher mit den FUBen reguliert werden. Die E.
wurde 1843 von A.F.Debain konstruiert; Doppel-E.
in groBeren Harmonien ist eine Erfindung von C.V.
Mustel (1854).
Expressionismus, eine Kunstrichtung, die seit dem
Beginn des 20. Jh. vorwiegend in Deutschland und
Osterreich zunachst die Malerei (»Die Briicke«, Dres-
den 1905; »Der Blaue Reiter«, Munchen 1909; H.
Walden: Galerie »Der Sturm«, Berlin 1910), dann auch
die Literatur (Trakl, Heym, Stramm, Benn, Wildgans,
Wedekind, Toller u. a.) - auch im dramatischen In-
szenierungs- und Darstellungsstil - und die Musik
(Schonberg seit 1908, Berg, Webern, Ch. Ives, Stra-'
winsky um 1911, Bartok, A.Honegger, P.Hindemith,
Dallapiccola u. a.) erfaBte. Es ist ein programmatischer
Versuch, aus Tradition und uberkommener Asthetik
auszubrechen und mit revolutionaren Ausdrucksfor-
men und -mitteln (Abstraktion, Konstruktion, Sym-
bolik, Karikatur, Groteske) kunstlerisch ins Unterbe-
wuBte, Irrationale und Transzendentale vorzudringen.
- Der musikalische E. zog aus der Tonsprache der ro-
mantischen Musik die auBersten Konsequenzen. Die
Dynamik reicht vom Fliistern bis zum Schrei. Die
Klangfarbe emanzipierte sich. Die Rhythmik begann
ihre neue Entwicklung als motorisches Element von
starker Reizwirkung, andererseits als hochst differen-
zierbare, gestalt- und formgebende Faktur. DieTonali-
tat wurde zugunsten der ->■ Atonalitat aufgegeben.
Die traditionellen Formen wurden aufgelost oder auf
engsten Raum reduziert. Formung wurde Ergebnis
eines Forminstinkts. Da jegliche Stilisierung dem We-
sen des E. widerspricht, war er bei fast alien Kiinst-
lern eine voriibergehende Phase, der Tendenzen wie
Motorik, Vitalismus, Folklore, Konstruktivismus, Neo-
barock oder -klassizismus folgen konnten.
Lit. : Der Blaue Reiter, hrsg. v. W. Kandinsky u. Fr. M arc,
Munchen 1912, NA m. Ann., hrsg. v. K.1. Lankheit, ebenda
1965; A. Schering, Die expressionistische Bewegung in d.
Musik, in: Einfuhrung in d. Kunst d. Gegenwart, Lpz.
1919; S. Borris, EinfluB u. Einbruch primitiver Musik in
d. Musik d.Abendlandes, Sociologus, N. F. II, 1952; L.
Rognoni, Espressionismo e dodecafonia, Turin 1954; H.
H. Stuckenschmidt, Lineamenti deH'espressionismo,
Musica d'oggi, N. S. I, 1958; J. Maegaard, Some Formal
Devices in Expressionistic Works, Dansk aarbog f . musik-
forskning I, 1961.
Express! vorgel (frz. orgue expressif) -*■ Harmo-
Extemporieren -> Improvisation.
Extensio (lat.) -*■ Multiplicatio.
Extravaganza (ekstisvag'snza, engl.) ->-Operette.
Exultet-Rolle -> Rotulus.
269
F, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -> Buchstaben-
Tonschrift ist F im allgemeinen die 6. Stufe, im Sy-
stem der Kirchentone Finalis des 5. und 6. Tons (Ly-
disch und Hypolydisch). Seit Zarlino (1571) ist der
Ionius auf C primo modo; dadurch riickte F an die
4. Stelle der Normalskala. Bei den romanischen V61-
kern hat die Solmisationssilbe Fa den Buchstaben ver-
drangt. Die Erniedrigung um einen Halbton heiBt Fes
(engl. F flat ; f rz. fa bemol ; ital. fa bemolle) , um 2 Halb-
tone Feses (engl. F double flat; frz. fa double bemol;
ital. fa doppio bemolle), die Erhohung um einen Halb-
ton Fis (engl. F sharp ; frz. fa diese; ital. fa diesis), um 2
Halbtone Fisis (engl. F double sharp; frz. fa double
diese; ital. fa doppio diesis). - 2) Schlussel: Seit Guido
von Arezzo wird in der tieferen Lage vorzugsweise
der Ton F mit -*■ Schlussel bezeichnet. Urspriinglich
wurde der gewohnliche Buchstabe geschrieben, der
erst allmahlich die heutige Form des F-Schliissels an-
nahm. Im 15.-17. Jh. erscheint der F-Schliisselje nach
seiner Stellung auf der 3., 4. oder 5. Linie des Lini-
ensystems als Bariton-, Bafi- oder SubbaBschliissel ;
seither ist der BaBschliissel auf der 4. Linie vorherr-
schend. - 3) Seit Anfang des 19. Jh. werden in theoreti-
schen Werken Akkorde mit -> Buchstaben-Tonschrift
bezeichnet (F bedeutet den F dur-Dreiklang, f den F
moll-Dreiklang) ; im -*■ Klangschliissel treten Zusatz-
zeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart nur durch
ihren Grundton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh. ent-
sprechend den Akkordbezeichnungen so ausgelegt,
daB F fur F dur, f fur F moll stand. - 4) Abk. fur forte;
ff : fortissimo.
Fa, in der mittelalterlichen -> Solmisation die 4. Silbe
des Hexachords (im Sinne von f , b oder c) ; in romani-
schen Sprachen Name fur den Ton F. Zur Mi contra
Fa-Regel ->■ Mi.
Faburden (f'a:b3:idn, engl.; mittelengl. faburdon)
nennt der englische Diskanttraktat Anonymus Pseudo-
Chilston in der um 1450 kompilierten Handschrift
London, Brit. Mus. Lansdowne 763, die Unterstimme
eines im Blick auf einen geistlichen C. f. (Plainsong)
improvisierten 3st. Satzes, die Terzen oder Quinten
zur Mittelstimme (Mene) und Sexten oder Oktaven
mit der zur Mittelstimme quartparallelen Oberstimme
(Treble) bildet. Der faburdener gewinnt seine Stimme
mit Hilfe eines -» Sight an der Mittelstimme, die - wie
in der englischen Musik dieser Zeit haufig - den Plain-
song tragt, wobei aber die Formulierung des Traktats
(the mene of the plainsong) offen laBt, ob nicht auch der
Treble als (transponierter) Plainsong angesehen wird,
^ — 1_
♦ ♦ ♦ #^ - i —♦
Vos
qui se - cu - ti_
t>
1 '
1
L>
fc
- stis
me
se
- de - bi
ti<;
zumal er keine Sight-Lesung hat. In diesem einfachen
Satz Note gegen Note sollen am Beginn und je am
WortschluB Quint-Oktav-Klange stehen, die dazwi-
schen verlaufenden Terz-Sext-Ketten konnen durch
einzelne Quint-Oktav-Klange unterbrochen werden.
Der sight of faburdon war nach dem Zeugnis des Trak-
tats in England sehr beliebt (most in use). Musikalische
Belege bieten englische Handschriften aus der 2. Half-
te des 15. Jh. (z. B. London, Lambeth Palace 438,
f. 180'), wobei es sich jeweils um die Niederschrift ei-
ner F. -Unterstimme handelt, die mit dem zugehorigen
Plainsong und der mit diesem ober- bzw. unterquart-
parallelen 3. Stimme einen Satz ergibt, wie ihnPseudo-
Chilston lehrt. Der Plainsong liegt dann entweder ori-
ginal im Mene, original im Treble oder oktavtranspo-
niert im Treble; offenbar hangt also die Art der F.-
Ausfiihrung supra librum von der Hohenlage des
liturgischen Cantus ab. Eine alternatim-Verwendung
des durch den F. gekennzeichneten Satzes ist im -» Ca-
rol bezeugt (z. B. Mus. Brit. IV, S. 83). Im 16. Jh. be-
nutzen englische liturgische Orgelkompositionen in
Anlehnung an diese vokalen Praktiken den F. eines
Plainsong als Grundstimme eines Satzes, der haufig in
den figurierten Oberstimmen den Plainsong selbst
- oft koloriert - verwendet (z. B. J.Redford, O lux on
the faburden, Mus. Brit. I, S. 23). Der Schottische An-
onymus (London, Brit. Mus. Add. 4911, f. 94-112,
nach 1558) lehrt als F. (neben anderen homophonen
Techniken in Art des -»■ Falsobordone) eine Setzweise
mit einem in originaler oder oberquarttransponierter
Lage erklingenden Oberstimmen-Plainsong (Treble),
einer dazu unterquartparallelen Mittelstimme (Coun-
ter) sowie einer Sexten oder Oktaven zur Oberstim-
me bildenden Unterstimme (Barytonant). Noch bei
Morley (1597) aber hat F. die alte Bedeutung der Un-
terstimme, die sich auch in literarischen Quellen bis in
diese Zeit nachweisen laBt. - Der friiheste Wortbeleg
in einem in Hemingbrough (Yorkshire) 1432 geschrie-
benen Empfehlungsbrief fur ein Vikariat (redyng and
s A n ]gy n & of plane sang and te synge a tribull tilfaburdun)
erweist Volkslaufigkeit von Wort und Sache um 1430
in England. Dabei spricht der Wortla'ut fur Zusam-
menhang mit der Sight-Technik (»Lesen und Singen«)
und mit den spateren Zeugnissen der F.-Unterstimme
(»einen Treble zum F. singen«). - Die durch den F. ge-
kennzeichnete, primar vom Klanglichen bestimmte
Setzweise bevorzugt volkstiimliche geistliche Klein-
formen (Hymnen, Psalmen, Kyrie, Magnificat) und
wird gern alternierend als Kontrast eingesetzt. Sie kon-
vergiert so einem Typus der Akkordrezitation in litur-
gischen Kleinformen, der in England schon im 14. und
uber das 15. Jh. hinaus nachweisbar ist. Bei einem Ver-
such, die Entstehungszeit einzukreisen, ergeben sich
zusammenf assend f olgende Fakten : 1) Existenz der von
Pseudo-Chilston in Regeln gefafiten Stegreiftechnik
mit F.-Unterstimme und Sight-Lesung in volkstiimli-
chen liturgischen Gattungen um 1430; Kennzeichnung
als F. nur bei strenger Anwendung der Technik. 2) Be-
lege fur klangdeklamatorische Ausfiihrung der auch
270
Fagott
vom F.-Satz bevorzugten Gattungen schon im 14. Jh. ;
burdoun in der Bedeutung »Tiefstimme« vor und um
1400 (-> Bordun); Fehlen einer F.-Beschreibung in
dem von Pseudo-Chilston benutzten Diskanttraktat des
L.Power; Entwicklung der Klangtechnik der engli-
schen Res facta in den -*• Quellen Wore und OH bis an
die Schwelle des strengen F.-Satzes. Bei Beriicksichti-
gung dieser Ergebnisse ist - mit aller Vorsicht - eine
Entstehung der F.-Praxis um 1420/30 anzunehmen.
Ob sie eigenstandig englisch aus der insularen Tradition
erwachsen oder iiber deren Vermittlung zum Konti-
nent als Reflex des im klanglichen Ergebnis gleichen
-»■ Fauxbourdon entstanden ist, laBt sich aus dem bis-
her bekannten Material nicht zwingend ableiten. Auch
ist eine rein englische Wortdeutung, die - gegeniiber
der sprachgeschichtlich schwer haltbaren These, F.
sei eine englische Lehniibersetzung von frz. fauxbour-
don - den F. als einen durch die Solmisationssilbe fa be-
stimmten burden erklart, nicht uberzeugend gegliickt.
Die Deutung, F. sei eine Unterstimme, die in voice nur
bfa hat, gilt auch fur den countir des Pseudo-Chilston.
Lit. (ausschlieBlich d. in — » Fauxbourdon genannten): J.
Hawkins, A General Hist, of the Science and Practice of
Music I, London 1776; Ch. Burney, A General Hist, of
Music II, London 1782; Riemann MTh; P. C. Buck, in:
The Oxford Hist, of Music I, London 2 1 929 ; O. Ursprung,
Die kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb. ; S. B. Meech,
Three XV°>-Cent. Engl. Mus. Treatises, Speculum X, 1935 ;
M. F. Bukofzer, Gesch. d. engl. Diskants u. d. Fauxbour-
dons nach d. theoretischen Quellen, = Slg mw. Abh. XXI,
StraBburg 1936; ders., Fauxbourdon Revisited, MQ
XXXVIII, 1952; ders. in: The New Oxford Hist, of Music
III, K.ap. 6, London 1960;THR.G.GEORGiADES,Engl. Dis-
kanttraktate aus d. 1. HSlfte d. 15. Jh., = Schriftenreihe d.
Mw. Seminars d. Univ. Miinchen III, Miinchen 1937; H.
M. Miller, XVI" 1 Cent. Engl. F. Compositions for Key-
board, MQ XXVI, 1940; D. Stevens, The Mulliner Book.
A Commentary, London (1952), mit Ubertragung von 1 1
Stiicken ; ders., Processional Psalms in F., MD IX, 1955 ; H.
M. Flasdieck, Frz. »faux-bourdon« u. fruhneuengl. »f.«.
Ein sprachwiss. Beitr. zur europaischen Mg., AMI XXV,
1953 ; ders., Elisab.F.»Fauxbourdon«u.NE. Burden »Re-
frain«, Anglia LXXIV, 1956; N. Wallin, Zur Deutung d.
Begriffe F. - Fauxbourdon, Kgr.-Berl Bamberg 1953; G.
Reese, Music in the Renaissance, NY (1954), 2 1959; Fr.
Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London (1958) ;
ders., Music for the Sarum Rite, Ann. Mus. VI, 1958/63;
ders., F. in Practice, MD XVI, 1962; G. Schmidt, ZurFra-
ge d. C. f. im 14. u. beginnenden 15. Jh., AfMw XV, 1958;
E. Apfel, Studien zur Satztechnik d. ma. engl. Musik I,
= Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse,
Jg. 1959, Nr 5; Br. Trowell, F. and Fauxbourdon, MD
XIII, 1959 ; S. W. Kenney, »Engl. Discant« and Discant in
England, MQ XLV, 1959; H. H. Carter, A Dictionary of
Middle Engl. Mus. Terms, = Indiana Univ. Humanities
Series XLV, Bloomington 1961. RB
Fackeltanz, im preuBischen Hofzeremoniell bis ins
20. Jh. bei Vermahlungen und ahnlichen Anlassen iib-
licher Rundgang der Hofgesellschaft nach Art der al-
ten Pavanen oder der spateren Polonaisen, fur den
Spontini, Flotow, Meyerbeer und andere Komponi-
sten Musikstucke geschrieben haben.
Fado (f adu, port., »SchicksaI«; auch fadinho), in den
Stadten Portugals seit Beginn des 19. Jh. popularer
Gesang, dessen Ursprung wahrscheinlich in der Ne-
germusik Brasiliens oder Afrikas zu suchen ist. Friiher
ausschlieBlich von Berufssangern vorgetragen, ist der
F. heute, wie der Schlager, weitgehend kommerziali-
siert. Die in der Regel zweiteilige, geradtaktige Melo-
die wird - ahnlich dem Jazz - in f reiem, stark synkopier-
tem Rhythmus zu rhythmisch strenger Gitarrenbeglei-
tung gesungen; gelegentlich dient der F. auch als Tanz-
musik. Seine Texte, friiher oft improvisiert, sind iiber-
wiegend sentimental und elegisch.
Lit. : R. Gallop, The F., MQ XIX, 1933 ; ders., The Folk
Music of Portugal, ML XIV, 1933 ; ders., The Folk Music
of Eastern Portugal, MQ XX, 1934; F. Lopes Graca, A
miisica portuguesa, 2 Bde, I Porto 1944, II Lissabon 1959.
Fagott (das oder der Fag., im 17. Jh. auch Dolcian,
Dulcian, im 18. Jh. Basson; ital. fagotto; frz. basson;
engl. bassoon, im 17. Jh. curtail; span, bajon, seit dem
19. Jh. fagot), Doppelrohrblattinstrument von koni-
scher Bohrung mit geknicktem, in 2 Kanalen parallel
verlaufendem Windkanal und S-formigem Anblas-
rohr. Als Material wird meist Ahorn verwendet, zum
Teil mit Kautschuk gefiittert. Die Bezeichnung Fag.
ist auf Instrumente dieser Bauart friih iibertragen wor-
den, obwohl die urspriingliche Bedeutung des Wortes
(um 1500 ital. fagotto, Biindel) nicht mehr zutrifft,
wie es noch beim -»■ Phagotum und den fagotti ge-
nannten gedoppelten Blasinstrumenten der Biblioteca
Capitolare in Verona der Fall war. Die altesten Fag.e
von etwa 1570 bis 1670 waren aus einem Holzblock
gebohrt und hatten (wie bei Praetorius 1619) 7 vor-
derstandige Grifflocher, davon eines mit offener Klap-
pe sowie 2 Daumenlocher und ein hinterstandiges
Griffloch mit Klappe. Bei Praetorius gehoren zum
Stimmwerk Diskant g-c 2 , Piccolo G-f!(gi), Chorist-
fag. (offen oder halbgedackt) C-d^g 1 ) und Doppel-
fag. als Quart- oder Quintfag. iG-f(a) oder iF-e(g).
Um 1670 bis 1780 bestand das Fag. meist aus 3 Teilen,
Fliigel, Stiefel und BaBrohre (dazu Schallstiick und
Anblasrohr), und hatte 3-4 Klappen. Um die voile
chromatische Tonleiter zu ermoglichen, wurde die
Zahl der Grifflocher mit Klappen sehr vermehrt (um
1800 bis zu 10 Klappen, heute nach dem franzosischen
System Buffet 22 Klappen und 6 offene Grifflocher,
nach dem System -> Heckel 24 Klappen und 5 offene
Grifflocher). Der Umfang des modernen Fag.s ist iB
(mit aufgesetzter Extrastiirze iA)-es2; die Ansprache
der hochsten Tone wird durch ein hartes Rohrblatt er-
leichtert. Der Klang des Fag.s ist wegen der geknick-
ten Rohre weich, dabei trocken und etwas naselnd. In
der Oper sind dem Fag. daher gelegentlich Stellen mit
komischer oder grotesker Wirkung anvertraut. Es eig-
net sich jedoch gleich gut fiir alle Bereiche des musika-
lischen Ausdrucks. Als GeneralbaBinstrument trat es
um 1620 auf (Schiitz op. 2 und 4), im Orchester zu-
nachst als BaB der Oboen (Lully, Psyche, 1674). Im
klassischen Orchester ist es in der Regel zweifach be-
setzt, im romantischen dreifach (3. Fag. auch Kontra-
fag.). Solokonzerte fiir Fag. schrieben Vivaldi, J. Chr.
Bach, "W.A.Mozart und C. M. v. Weber. Schulen
wurden verfaBt u. a. von Ozi, Blasius, J.Frohlich,
-> Almenrader, J. Weissenborn (U1929), Oubradous
und W.Spencer. - Nach verschiedenen Versuchen -
(einer wird von Praetorius erwahnt) entwickelte Heckel
1877 das heute gebrauchliche Kontrafag. mit dem
Umfang iC-f (eine Oktave holier notiert). Im Orche-
ster wird es u. a. von Handel, Haydn, Mozart (Mau-
rerische Trauermusik), Beethoven (Fidelio, 5. und 9.
Symphonie), Meyerbeer, doppelt besetzt von Schon-
berg (Gurre-Lieder) und Strawinsky (Sacre du Printemps)
verlangt; daneben fand es Anwendung in der Militar-
musik des 19. Jh. Ein Subkontrafag. baute V.F.Cer-
veny 1873. Das Quintfag. in Tenorlage (tiefster Ton F)
ist heute nicht mehr in Gebrauch.
Lit.: L. Zacconi, Prattica di musica . . ., Venedig 1592,
21596; PRAETORiusSynt.il; M. Mersenne, Harmonie uni-
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris
1963 ; J. Fr. B. C. Majer, Museum musicum, Schwabisch
Hall 1732, Faks. hrsg. v. H. Becker, = DM1 1, 8, 1954; G.
Tamplini, Brevi cenni sul sistema Boehm e della sua appli-
cazione al fag., Bologna 1 888 ; W. Heckel, Der Fag., Bieb-
rich 1899, Lpz. 21931, engl. Biebrich 1931 u. in: The Jour-
nal of Musicology II, 1940; A. Orefice, Storia del fag.,
271
Fagottgeige
Turin 1926; L. G. Langwill, The Bassoon, Proc. Mus.
Ass. LXVI, 1939 ; DERS.,TheBassoon and Double Bassoon,
London (1947); ders., The »Boehm« Bassoon: A Retro-
spect, The Galpin Soc. Journal XII, 1959 ; A. Baines, Two
Curious Instr. at Verona, ebenda VI, 1953; A. Reimann,
Studien zur Gesch. d. Fag., Diss. Freiburg i. Br. 1956,
maschr.; H. Kunitz, Fag. (=Die Instrumentation V),
Lpz. 1957; W. Spencer, The Art of Bassoons Playing,
Evanston (111.) 1958; P. R. Lehman, The Harmonic Struc-
ture of the Tone of the Bassoon, Diss. Univ. of Michigan
1962.
Fagottgeige (ital. viola di fagotto), ein im 17. und
18. Jh. der Violinfamilie verwandtes Streichinstrument
mit der Stimmung C G d a (wie das Violoncello). Die
F. hatte einen Bezug von iibersponnenen Saiten, wel-
che . . . hernach im Strekhen schnurren j und werden solche
Violen j urn dieser schnurrenden Saiten halben j Violae di
Fagotto tituliret (D.Speer 1687). Eine etwas groBere F.
wurde nach L. Mozart (1756) auch HandbaBel genannt.
Falsa musica (lat.) -»■ Musica ficta.
Falsett -^-Register (- 3).
Falsettisten (ital. alti naturali, naturliche Altstimmen)
hieBen die Sanger der Sopran- und Altpartien in der
Chorpolyphonie des 16. Jh. Da Frauen in den Kapell-
choren nicht singen durften und auch -»■ Kastraten, die
erst im 17.-18. Jh. eine groBere Rolle spielen, nicht of-
fiziell zugelassen waren, wurden die Altpartien von
Tenoristen mit Kopfstimme gesungen, ausnahmsweise
auch die sonst von Knaben gesungenen Diskantpar-
tien. Die Bezeichnung Alti naturali verdrangte ab 1652
(nach Zulassung der Kastraten zur papstlichen Kapelle)
die altere Bezeichnung ->• Tenorini, um den Unter-
schied zwischen den falsettierenden Mannerstimmen
und den »unnaturlichen« Kastratenstimmen (voci arti-
ficiali) zu verdeutlichen.
Falsobordone (ital., von frz. f auxbourdon) ist - auBer
der italienischen Bezeichnung des strengen -> Faux-
bourdon - seit dem spaten 15. Jh. Sammelbegriff fiir
alle durch Akkorddeklamation gekennzeichneten
Satze (Akkordrezitation bei gleicher Tonhohe in Psal-
men u. a.; C. f.-Harmonisierungen Note gegen Note;
auch der Contrappunto alia mente zu einem in glei-
chen Werten schreitenden Tenor). Dabei wurde der
Name (nicht aber die Klangtechnik) des seit der Mitte
des 15. Jh. ebenfalls durch einen akkordlichen Satz be-
stimmten Fauxbourdon iibernommen. Dieklangdekla-
matorische Ausfiihrung von Psalmen, Magnificat u. a.
selbst hat eine bis ins 14. Jh. zuriick belegbare Tradition
(-* Faburden). In der Liturgie wurden (teilweise heute
noch) F.-Satze -»• alternatim mit Einstimmigkeit ge-
sungen, ahnlich der Orgelpraxis beim -» Versett.
Lit.: H. Schutz, Auferstehungshistorie (1623), Vorrede,
GA I; F. Pedrell, Vorw. zu: Hispaniae schola musica
sacra VI, Barcelona u. Lpz. 1897; Pius X., Motu proprio,
1903 ; R. Lach, Alte KirchengesSnge d. ehemaligen Dioze-
se Ossero, SIMG VI, 1904/05; H. J. Moser, Die mehrst.
Vertonung d. Evangeliums I, = Veroff. d. Staatl. Akad. f.
Kirchen- u. Schulmusik Bin II, Lpz. 1931 ; Kn. Jeppesen
(mit V. Brendal), Die mehrst. ital. Laude um 1 500, Kopen-
hagen u. Lpz. 1935; E. (Gerson-)Kiwi, Studien zur Gesch.
d. ital. Liedmadrigals im 16. Jh., Wiirzburg 1938; M. F.
Bukofzer, Studies in Medieval and Renaissance Music,
NY 1950.
Fancy (f'amsi, engl.), auch fansy, phancy, fantasy u. a.,
ist die englische Auspragung der -*■ Fantasie (auch in
England ohne Unterschied Fantasie und Fantasia ge-
nannt) und der Haupttypus der englischen Kammer-
musik von etwa 1575 bis 1680, bei dem nach Th.Mor-
ley (1597, ahnlich bei Th.Mace 1676) may more art be
showne than in any other musicke. Die vielen hundert F.-
Kompositionen fanden zum groBten Teil nur hand-
schriftliche Verbreitung. Ihre Entwicklung verlief pa-
rallel zu der des etwas alteren -»■ In nomine. Die F.
laBt sich auf die in England seit Beginn des 16. Jh. sehr
beliebte rein instrumentale Ausfiihrung von Motetten,
meist durch Violenensemble, zuriickfuhren, in deren
Abschnitten Motive des Gregorianischen Gesangs imi-
tatorisch durchgefiihrt wurden. Die Geschichte der F.
begann, als das thematische Material der einzelnen Ab-
schnitte vom Komponistcn frei erfunden wurde, wo-
bei zunachst keine weiteren Unterschiede zum vokalen
Vorbild der Motette bestanden. Das alteste bekannte
Beispiel, ein Orgelstiick von Newman, steht in dem
nach 1553 geschriebenen Mulliner Book. Folgende
Merkmale kennzeichnen die weitere Entwicklung der
F. : das Entstehen eines ausgepragten Instrumental-
stils durch wachsenden Umfang der Stimmen, prag-
nante Motive, typische Instrumentalfiguren wie groBe
Spriinge, rasche Tonwiederholungen, mehrfach se-
quenzierte schnelle Spielfiguren; ferner die deutliche
Trennung der einzelnen Abschnitte durch Kadenzen
(erstmals von Th.Morley 1595 in 2st. Fantasien kon-
sequent durchgefiihrt) ; bald nach 1600 die kontrastie-
rende Gestaltung der Abschnitte bis hin zu selbstandi-
gen Satzen, wahrend gleichzeitig auch die einthemati-
ge F. gepflegt wurde. Die F. nahm samtliche Kompo-
sitionsformen der damaligen Kammermusik in sich
auf (was Th.Mace ausdriicklich hervorhebt). Ihre ori-
ginal imitatorische Anlage wurde, vereinzelt schon im
16. Jh., mit homophonen und toccatenhaften Abschnit-
ten durchsetzf, Tanz (z. B. Th.Morley), Variation (P.
Philips) und Ground (J.Baldwine, H. Purcell, J. Bull)
drangen in die F. ein. War die F. seit ihren Anfangen
vorwiegend fiir 3-6st. Violenensemble in solistischer
Besetzung oder fiir Klavier bestimmt, so wurden seit
O. Gibbons auch die modernen italienischen Violinen
und im 2. Drittel des 17. Jh. auch Instrumente verschie-
dener Familien (nach Art des broken ->■ consort) ver-
wendet ; auch wurden nun u. a. Tasteninstrumente oder
Harfe konzertant eingesetzt. 4 Stadien lassen sich in der
Geschichte der F. unterscheiden : bis etwa 1600 die
Emanzipation von der Kirchenmusik ; danach das Stre-
ben nach Kontrastreichtum und das Eindringen volks-
tiimlicher Elemente; seit etwa 1625 eine Zeit des Expe-
rimentierens, der Formspielereien, zunehmender Ver-
wendung der Chromatik, daneben gibt es betont
volkstumliche Stiicke, die auch in groBerer Zahl ge-
druckt wurden; etwa nach 1650 wachsende italieni-
sche und franzosische Einfliisse, z. B. des Concerto
grosso und der Triosonate, die zur Auflosung der F.
fuhrten. Als letzter schrieb H. Purcell 1680 mehrere
Fancies. - AuBer den schon genannten Komponisten
sind bedeutend E.Blanke, W.Byrd, die beiden A.
Ferrabosco, Th. Ravenscrof t, Th.Ford, J.Jenkins, W.
Lawes, Chr. Simpson und M. Locke.
Lit.: Th. Morley, A Plaine and Easie Introduction to
Practicall Musicke, London 1597, NA hrsg. v. R. A. Har-
man, London (1952); Th. Mace, Musick's Monument,
London 1676, Faks., = Collection »Le Chceur des Muses«,
Paris 1958; E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17.
Jh., = Heidelberger Studien zur Mw. II, Kassel 1934;
ders., Engl. Chamber Music, London 1946, 21951, deutsch
als : Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz. 1 958 ; E. Blom,
Music in England, Harmondsworth/Middlesex 1942,
deutsch Hbg 1947, ital. Florenz 1954; D. Stevens, Purcell's
Art of Fantasia, ML XXXIII, 1952; C. Arnold u. M.
Johnson, The Engl. Fantasy Suite, Proc. R. Mus. Ass.
LXXXII, 1955/56; Th. Dart, The Printed Fantasies of O.
Gibbons, ML XXXVII, 1956; M. Tilmouth, The Tech-
nique and Forms of Purcell's Sonatas, ML XL, 1959; E.
Fr. Nelson, An Introductory Study of the Engl. Three-
Part String-F., Diss. Ithaca (N. Y.) 1960, maschr.; P.
Willetts, Sir Nicholas le Strange and J. Jenkins, ML
XLII, 1961. GBa
272
Fantasie
Fandango (span., wahrscheinlich von afroamerika-
nisch fanda, s. v. w. Gastmahl), ein seit dem friihen 18.
Jh. bekanntes spanisches Tanzlied im 3/4- oder 3/8-,
seltener im 6/8-Takt von maBiger bis rascher Bewe-
gung. Der F., dessen Arten nach Landschaften auch
Granadina, -*■ Malaguefia, Murciana und Rondefia ge-
nannt werden, wird mit Begleitung von Gitarre und
Kastagnetten, auch mit Sackpf eif e, Schalmei und (Schel-
len-) Trommel gesungen; die Kastagnetten markieren
den scharfen Rhythmus:
I
I
? tuft l tm?
Der F. ist ein Werbetanz; seine Ausfiihrung wurde oft
als anstoBig empfunden. Haufig wird er durch eine
rhythmisch freie Copla unterbrochen, die ein Tanzer
seiner Partnerin zusingt. Zwischen die Verse werden
meist instrumentale Ritornelle eingefiigt, die den F.-
Stil pragten und deren Formen und Motive in die spa-
nische Gitarren- und Klaviermusik eingingen. Stili-
siert findet sich der volkstiimliche F. im Capriccio es-
pagnol op. 34 von Rimskij-Korsakow (1887), in den
fteria-Klavierstiicken von I.Albeniz (1906-4)9), den
Goyescas fiir Kl. (F. de candil) von E.Granados (1911)
und im »Dreispitz« de Fallas (1919). Eine beriihmte,
wahrscheinlich andalusische F.-Melodie wurde bear-
beitet von Gluck im »Don Juan«-Ballett (1761) und
von Mozart in Le Nozze di Figaro (1786, Ende des 3.
Aktes); sie findet sich auch in einem Skizzenbuch
Beethovens von 1810.
Fanfare (frz. ; ital. fanfara) s. v. w. -*■ Blechmusik,
auch speziell eine lange Trompete (->• »Aida«-Trom-
pete). Danach hat F. die vorherrschende Bedeutung
von Signalmusik (-»■ Signale). Eine beriihmte Trom-
peten-F. verkiindet in Beethovens Fidelio (2. Akt) die
Ankunft des Gouvemeurs (auch in den Leonoren-Ou-
vertiiren Nr 2 und Nr 3). Mehrchorige F.n fiir Trom-
peten, Horner und Posaunen komponierte B.Blacher
zur Einweihung der Berliner Philharmonie 1963. Nach-
ahmung instrumentaler F.n in der Vokalmusik gibt es
u. a. in der Caccia des 14. Jh. und in Chansons des 16.
Jh. (Janequin). - In Orchestersuiten des 18. Jh. kommt
die Bezeichnung F. vor fiir kurze rauschende Satze mit
schnellen Akkordrepetitionen. - In der Musikethnolo-
gie wird die ausschlieBliche oder bevorzugte melodi-
sche Verwendung groBerer Intervalle (Terz, Quarte,
Quinte) als F.n-Melodik bezeichnet. Sie findet sich vor
allem bei Indianern sowie bei verschiedenen Zwerg-
volkern (Pygmaen) Afrikas, Australiens und der Siid-
see (-»-Jodeln).
Ausg. : Trompeterf., Sonaten u. Feldstucke nach Aufzeich-
nungen deutscher Hoftrompeter d. I6./17. Jh., hrsg. v. G.
Schunemann, = RD VII, Kassel 1936, dazu ders., Sona-
ten u. Feldstucke d. Hoftrompeter, ZfMw XVII, 1935.
Fantasie (lat. und ital. fantasia; frz. fantaisie; engl.
fancy; von griech. 9avxaoia, Erscheinung, Vorstel-
lung). Seit dem friihen 16. Jh. (Orgeltabulaturbiicher
von H. Kotter 1513ff. ; L. Kleber 1524) ist der Ausdruck
F. als Titel fiir Instrumentalstucke belegt. Gegentiber
anderen Bezeichnungen von Spielmusik, wie Praelu-
dium, Toccata, Ricercar, Capriccio, gewann die F. ihre
Eigenart wohl vor allem auf Grund der Vorstellungen,
die der anspruchsvolle Name F. nahelegt in bezug auf
Besonderheit, Unmittelbarkeit und Freiheit der Er-
findung und Gestaltung. Im 16. Jh. konnte bereits das
Fehlen eines Textes als Besonderheit gelten. In diesem
weiten Sinne hieBen F.n Intavolierungen von Vokal-
kompositionen und Tanzen oder Tanzliedern (B. de
Drusina 1556) oder C. f.-Bearbeitungen (R.Rodio
1575), sogar textlose Sangerubungen. Unmittelbar-
keit lag vor bei Instrumentalwerken, die eigene The-
men verwendeten oder nur motivisch an Bekanntes
anknupften. Der groBte Teil schon der F.n des 16. und
17. Jh. ist in dieser Hinsicht »freie« Musik. Im 18. und
19. Jh. nannte man gem eigenwillige Formstrukturen
F., namenthch bei Abweichungen gegeniiber der So-
natensatzfofm. Wie in ihren Anfangen setzt die F.
auch hier eine Norm voraus, von der sie sich distan-
ziert. - In der 1. Halfte des 16. Jh. gehort die F. fast
ausschlieBlich dem Lauten- und Vihuelaspiel an. In
diesem auBerkirchlichen Milieu zeigt sie im Unter-
schied zu den Vorspielen und Intonationen Ziige eines
eigenstandigen Musizier- und Vortragsstiicks. Dem
umfangreichsten Repertoire von F.n dieser Zeit, L.
Milans El maestro (1535), ist zu entnehmen, daB Modi-
fikationen des Tempos erwiinscht und iiblich waren.
Weitere spanische Vihuela-F.n stammen u. a. von L. de
Narvaez (1538) und M. de Fuenllana (1554). In Italien
wurde die Lauten-F. durch Francesco da Milano, in
Frankreich vor allem durch A. de Rippe (aus Mantua),
G. de Morlaye undJ.Belin gepflegt. Deutschlands An-
teil an dieser Gattung ist anfangs verhaltnismaBig klein
gewesen. H.Gerle bemiihte sich um engen AnschluB
andieheimischeorganistischeKolorierungspraxis.Doch
riihmt er an seiner 1536 veroffentlichten Lautenkom-
position Praeambel oder Fantasey die zwifachen und dri-
fachen doppel lauffen / auch sincupationes / und viel schoner
fugen, womit jene Buntheit im Satz beschrieben wird,
die auch fiir auBerdeutsche Belege typisch ist. - Eine
neue Phase in der Geschichte der F. beginnt um 1560,
als in Italien besonders unter der alteren Bezeichnung
-> Ricercar eine instrumentale Gattung entstand, die
sich von der bisherigen Spielmusik durch ihre Kontra-
punktik, von der Motette durch ihre Tendenz zur Ein-
themigkeit unterscheidet. Da die Laute zur Darstellung
polyphoner Strukturen wenig geeignet ist, wuchs das
Repertoire fiir Tasteninstrumente. Auch in Stimm-
biichern wurde die imitierende Musik verbreitet (G.
Tiburtino 1549 u. 6.; G.Bassanos F.n, 1585). Sie ver-
lauft in schmuckloser Strenge (z. B. doppelte bis acht-
fache VergroBerungen und Umkehrung eines Themas
in einer F. von O.Vecchi) oder in ornamentaler Aus-
schmiickung (so in A. Gabrielis Fantasia alkgra). Hohe-
punkt und AbschluB der italienischen F. bilden Fresco-
baldis 1608 veroffenthchte Kompositionen. Sie sind
mehrteilig, wechseln zwischen Zwei- und Dreizeitig-
keit und variieren ihre Themen. - Ahnliche Entwick-
lungen haben sich in Spanien vollzogen, wo das ->■ Tien-
to den allgemeinen geschichtlichen ProzeB spiegelt.
Unter F. verstand man hier nach 1560 weniger eine
Gattung als die Tatigkeit der Improvisation, so T. de
Santa Maria (1565), dem das polyphone Stegreifspiel
als Ziel des Klavierunterrichts gait. - Die Geschichte
der F. im 1.7. Jh. vollzog sich in anderen europaischen
Landern. In England formte sich unter dieser Bezeich-
nung eine eigenstandige Tradition (-*■ Fancy). Die
franzosischen F.n wurden um 1610 zumeist in Stim-
men verbreitet; den F.n von E. du Caurroy liegen
uberwiegend vokale Themen zugrunde. Zwei Ar-
ten von F.n schrieb der Niederlander J. P. Sweelinck :
einerseits dicht gefiigte, oft homophone Echostiicke,
wie sie ahnlich in Itahen nachgewiesen sind, anderer-
seits diminuierende und augmentierende, durch Zwi-
schenspiele gegliederte Durchfuhrungen eines The-
mas, wobei kolorierende Gegenstimmen den Ein-
fluB der englischen »Virginalisten« verraten. - In
Deutschland war die F. fiir ein Ensemble von Mu-
sikern zunachst gleichfalls an englischen Vorbildern
orientiert, wahrend die Klavier- und Orgel-F. aus
Italien und von Sweelinck die starksten Anregungen
empfing. H.L.HaBlers umfangreiche Hexachord-F.
18
273
Fantasie
beruht wohl vorwiegend auf siidlichen Traditionen.
Wie Frescobaldi hat sein Schiiler J.J.Froberger die
Satziiberschriften als Stilbezeichnungen aufgefaBt. Die
F. steht dabei der altertiimlichen Gravitat des Ricer-
cars naher als der Modernitat von Toccata, Capriccio
und Canzona. S.Scheidt (1624) und J.U.Steigleder
(1626) wahlten den Ausdruck F. je einmal f iir Bearbei-
tungen deutscher Kirchenlieder. Die vielgliedrige
Choral-F., in den Quellen zumeist nur durch den An-
fang des Liedtextes angekiindigt, wurde wenig spater
zu einer Spezialitat deutscher Organisten. Fur die imi-
tierende Behandlung eines freien Themas biirgerte
sich allmahlich der Name -* Fuga ein; die F. hingegen
fand wieder AnschluB an freiere Techniken. Sie paBte
sich dem Stil des zeitgenossischen Praludiums an (J.
Pachelbel), machte sich die Ritornellform des Concer-
tos zu eigen (J. Krieger 1697) und verband sich, zum
Teil noch fugierend, mit den Galanteriestiicken der
Suite (G.Muffat 1739). Telemann verwendet den Be-
griff F. fiir mehrsatzige oder mehrteilige selbstandige
Kompositionen, die von einem Instrument allein aus-
zufiihren sind (Klavier, F16te, Violine). Auf einer an-
deren Ebene stehen die F.n von J.S.Bach durch ihre
Sinnfiille, ihre Expressivitat und durch ihre alle Mog-
lichkeiten der damaligen Orgeln und Klaviere aus-
nutzende Virtuositat. Meist folgt ihnen eine Fuge. Die
Chromatische F. (BWV 903) enthalt ein ausdriicklich
so genanntes Rezitativ. Dieses Stuck wirkt wie eine er-
schiitternde Szene (Ph. Spitta). Es gewann besondere
Bedeutung fiir C. Ph. E.Bach, dessen rezitativische
C moll-F. von 1753 der Dichter H.W.v. Gerstenberg
durch Textunterlegung zu deuten versuchte. In sei-
nen Freien F.n (1783, 1785) hat C. Ph. E.Bach Stilele-
mente der Toccata und des Praludiums verarbeitet und
urn kantable, taktmafiig geordnete Mittelpunkte grup-
piert. Das Fehlen von Taktstrichen in den von unruhi-
gen einstimmigen Laufen beherrschten Partien und
die generalbaBartigen Skizzierungen darin mit der
Vorschrift arpeggio zeigen, wie stark noch mit Impro-
visation und freier Gestaltung durch den Spieler ge-
rechnet wurde. 1787 traten dann rondohaft geglattete
Formen an die Stelle dieser rhapsodischen Gebilde. -
Fiir die Klassik war die F. von geringerer Bedeutung.
W.A.Mozarts Klavier-F.n D moll K.-V. 397 und C
moll K.-V. 475 sind kleine »durchkomponierte« Zy-
klen, kontrastreich, teilweise ohne Bindurig an einen
Takt und verhaltnismaBig weit entfernt vom tonalen
Zentrum. Dem Uberlieferungsbefund zufolge konn-
ten sie als Einleitungsstiicke verwendet werden. Die
formale Ungebundenheit der F. wird im Werk Beet-
hovens abermals deuthch. In seiner Klavier-F. G moll
op. 77 laBt die gleichsam improvisatorische Reihung
musikalischer Gedanken das SchluBallegretto erst spat
eintreten, wahrend in der F. fiir Kl., Chor und Orch.
C moll op. 80 nach einer solistischen Einleitung das
teils rezitativische, teils in Art von Variationen an-
gelegte, schlieBlich hymnische Finale eindeutig im
Vordergrund steht. Beethovens Klaviersonaten op. 27
Nr 1 und 2 tragen den Untertitel quasi una fantasia, weil
ihre Satze den herkommlichen Bauplanen widerspre-
chen und weil ihre Satzgrenzen zu verflieBen beginnen.
- Eine Fiille von offenen und versteckten Beziehungen
verbindet die einzelnen Teile der romantischen F.,
obwohl Schuberts groBe F.n (Wanderer-Phantasie op.
15 fur Kl. ; op. 103 fur Kl. zu vier Handen; op. 159 fur
V. und Kl.) noch eine traditionell viersatzige Anlage
und Mendelssohn Bartholdys Klavier-F. Fis moll op. 28
Rudimente der Sonatensatzform erkennen lassen. Bei
Schubert werden die thematischen Beziehungen deut-
hch formuliert; bei Schumann sind sie oft mehr zu ah-
nen ah klar zu erfassen (M.Friedland), z. B. in der Kla-
vier-F. C dur op. 17 (mit dem Motto Fr.Schlegels).
Schumanns F.-Stiicke op. 16 (Kreisleriana) und op. 12
setzen sich aus musikalisch abgeschlossenen Satzen zu-
sammen, die sich als poetische Bilder gegenseitig er-
ganzen und bedingen. Diesem romantischen Reihungs-
typ ist noch Brahms (op. 116, 1892) verpflichtet, wah-
rend Chopins F. F moll (op. 49, 1842) dem zyklischen
Prinzip folgt. - Die F. in der 2. Halfte des 19. Jh. be-
zieht sich nicht mehr auf die Sonate, sondern vorwie-
gend auf die Technik der Variation. Das zeigt sich so-
wohl in dem iiberaus popularen Genre der sogenann-
ten Opern-F. fiir Klavier, die durch S.Thalberg und
Fr. Liszt auf eine kunstlerische Hohe gebracht wurde,
als auch an M.Regers monumentalen Choral-F.n. -
Obwohl die F. eng mit dem Klavier verbunden bleibt
- C.Czernys Anleitung zum Fantasieren (op. 200) be-
miiht sich wie in alter Zeit f ormelhaft systematisch um
das pianistische Stegreif spiel -, wurde sie seit S. v. Neu-
komm (op. 9, 11 und 27, 1807, 1810, 1821) auch auf
Orchestermusik angewendet. R. Schumanns 4. Sym-
phonie (op. 120) mit ihren undeutlichen Einschnitten
und thematischen Riickgriffen hieB in ihrer ersten Fas-
sung (1841) Symphonische F. Unter dieser Bezeichnung
und unter dem Titel Rhapsodie charakterisierte man
etwa zwischen 1860 und 1920 auch fremde Volker und
Lander, meist im AnschluB an ein charakteristisches
Lied. Auf diesem Gebiet waren russische Komponisten
(A.Glasunow, M.Balakirew u. a.) fiihrend. - Nach
1920 erschien der Begriff F. einer Generation, die neue
Bindungen suchte, zu vage. Erst nachdem solche Ori-
entierungspunkte gefunden waren, wirkte die F. wie-
der sinnvoll (E. Pepping, F.n fiir KL, 1945; A.Schon-
berg, F. fur V. und Kl. op. 47, 1949 ; W. Fortner, Phan-
tasie iiber die Tonfolge b-a-c-h fiir 2 Kl., 9 Soloinstr.
und Orch., 1950).
Lit.: Fr. Chrysander, Eine Kl.-Phantasie v. C. Ph. E.
Bach, VfMw VII, 1891 ; O. Deffner, liber d. Entwicklung
d. F. f. Tasten-Instr. (bis J. P. Sweelinck), Diss. Kiel 1927;
P. Hamburger, Die F. in E. Adriansens Pratum musicum
(1600), ZfMw XII, 1929/30; M. Friedland, Zeitstil u.
Personlichkeitsstil in d. Variationswerken d. mus. Ro-
mantik, =Slg mw. Einzeldarstellungen XIV, Lpz. 1930;
E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17. Jh., = Heidel-
berger Studien zur Mw. II, Kassel 1934; E. T. Ferand, Die
Improvisation in d. Musik, Zurich (1938); M. Reimann,
Zur Deutung d. Begriffs Fantasia, AfMw X, 1953; R. M.
Murphy, Fantasia and Ricercare in the 16 th Cent., Diss.
Yale Univ. (Conn.) 1954, maschr. ; ders., Fantaisie et
Recercare dans les premieres tablatures de luth du XVI e
s.,in: Le luth et sa musique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958;
H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie,
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u.
sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; D. Launay, La f. en
France jusqu'au milieu du XVII e s., in: La musique instr.
de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955 ; D. Pres-
ser, Die Opernbearb. d. 19. Jh., AfMw XII, 1955; E. A.
Wienandt, D. Kellner's Lautenbuch (1747), JAMS X,
1 957 ; A. Cohen, The Evolution of the F. and Works in Re-
lated Styles in the 17 th Cent. Instr. Ensemble Music of
France and the Low Countries, Diss. NY Univ. 1959,
maschr.; ders., The Fantaisie for Instr. Ensemble in 17 th
Cent. France, MQ XLVIII, 1962; H. C. Slim, The Key-
board Ricercar and F. in Italy, c. 1 500-1 550, with Referen-
ce to Parallel Forms in European Lute Music of the Same
Period, Diss. Harvard Univ. 1960, maschr.; D. T. Kelly,
The Instr. Ensemble Fantasias of A. Banchieri, Diss. Flori-
da State Univ. 1962, maschr. ; G. v. Noe, Der Strukturwan-
del d. zyklischen Sonatenf orm, NZf M CXXV, 1 964. WB
Farandole (farad'al, frz. ; prov. farandoulo), ein sehr
alter, noch heute lebendiger sudfranzosisch-provenza-
lischer Kettentanz, an dem Manner und Frauen teil-
nehmen. Er verlauft im 6/8-Takt und wird von einem
Spieler mit Einhandflote und Tamburin begleitet. -
Gounod bringt die F. in Mireille, Bizet in L'Arlesienne.
Auch d'Indy, Pierne und Milhaud haben sie verwendet.
274
Farbenhoren
Lit.: A. Mathieu, La farandoulo, Avignon 1861 ; J. Bau-
mel, Les danses populaires, les f., les rondes, les jeux cho-
regraphiques et les ballets du Languedoc mediterraneen,
Paris 1958.
Farbenhoren (engl. colour hearing; frz. audition
coloree). DaB Farbe und Ton, allgemeiner: Gesicht
und Gehor in Beziehung stehen, ist nicht, wie lange
geglaubt wurde, eine mehr oder minder phantastische
asthetizistische Konstruktion der Romantik und des
Symbolismus oder das Resultat einer abwegigen Son-
derveranlagung einiger weniger. Vielmehr findet sich
das funktionelle Zusammengehen beider »kosmischen«
Sinne als psychologische Erscheinung nicht selten in
mehr oder minder ausgesprochener Form bei Einzel-
personen als F. und Tonesehen. Ein Beispiel fur F.,
noch ohne daB das psychologische Phanomen erkannt
ware, gibt schon J.Locke (1690); ausdriicklich wird
das F. erst von dem englischen Augenarzt J. Th. Wool-
house (f 1734) beschrieben (Trompetenklang erscheint
»rot«). Andererseits ist die Auffassung von der Einheit
der Sinne - nicht allein von Gesicht und Gehor - schon
im Altertum bei Chinesen, Indern, Persern und Ara-
bern, Babyloniern, Agyptern und Juden belegt. So
lehren die Veden im Zusammenhang ausgedehnter
und verschlungener zahlenmystischer Spekulationen
die Entsprechung von Metren, Tonen und Tonarten
mit Farben auf Grand der als kosmisch geltenden
Siebenzahl, wobei teils je 7 konkrete Farben konkreten
diatonischen Leitern, teils aber iiberhaupt Farben nach
Belieben zugeordnet werden. Ahnliche Farbentonlei-
tern finden sich bei Persern und Arabern bis zu den
neuzeitlichen Entdeckern der -*- Farbenmusik. Aber
auch Vokalfarben, die von A.W.Schlegel iiber Rim-
baud bis zu E.Jiinger in der Literatur beliebt sind, ha-
ben Vorganger im Altertum. Der Versuch, die eine
oder die andere dieser Farbentonleitern (oder Vokal-
spektren) als objektiv giiltig zu etabheren, mufite der
Natur der Sache nach scheitern. Vielmehr haben die
mit dem F. Begabten ihre Photismen (»Sichtgebilde«)
je individuell verschieden, und auch die akustischen
Gegenstande, auf die die Farben jeweils bezogen sind,
differieren sehr oft. Desgleichen ist der Grad der Ein-
dringlichkeit und Verbindhchkeit, der sinnlichen Leb-
haftigkeit und Frische der Photismen individuell seKr
verschieden: von bloBen relativ blassen, oft auch ver-
anderlichen Vorstellungen bis zu unmittelbar emp-
findungsmaBigen »eidetischen Anschauungsbildern«
(E.R.Jaensch), die sich konstant aufdrangen und nicht
abweisen lassen. Manche Farbenhorer haben iiber-
haupt nur eine einzige Farbe fiir einen einzigen Ton
oder Akkord oder Vokal, andere eine reichhaltige Pa-
lette von Klangphotismen, d. h. Farben fiir Timbres,
wieder andere haben regelrechte Systeme von Ton-
und Tonartfarben bis zu vollstandigen chromatischen
Oktaven samt enharmonischen Varianten, Schattie-
rungen je nach Oktavlage usw. Bei einem ganz anders-
artigen Typ gehen die Farben nicht analytisch von ein-
zelnen Tonen und dergleichen aus, sondern von gan-
zen Musikstiicken, mit denen anschaulich gesehene
Gemalde verbunden werden, was Anschiitz (1925) als
»komplexe musikahsche Synopsie« beschrieben und
als einen besonderen Typ des F.s klassifiziert hat. Ein er-
staunliches Beispiel systematisch-analy tischer Art haben
schon R.Lach 1903 an sich selbst und R.Wallaschek
1905 an Lach beschrieben, ein anderes noch 1948
Handschin an J.Kunst. Besonders haufig finden sich
solche Farbensysteme bei Personen mit Absolutem
Gehor, zu denen gerade auch die Genannten zahlen.
WeUek fand (1938) unter 65 Absoluthorern 21 Far-
benhorer verschiedensten Grades, darunter 9 Falle mit
Tonfarbensystemen, vollstandig mindestens fiir die 12
Tone oder Tonarten (oder beides), mehrfach auch mit
enharmonischen Varianten. Manche von diesen Abso-
luthorern, so Lach, bedienen sich der Farbe als eines
Mittels oder Kriteriums der absoluten Tonerkennung,
und dies nach eigener Beobachtung wie auch nach dem
objektiven Kriterium der Fehlerneigung. Bei Lach
verblaBte das in der Jugend »eidetisch« eindringliche,
sehr komphzierte Ton- und Tonartf arbensystem in rei-
feren Jahren, und damit zugleich schwand auch das ur-
spriinglich sichere Absolute Gehor. Es gibt also einen
»synoptischen Typ des Absoluten Gehors« (Wellek).
Auch unter Blinden (Erblindeten) sind solche Falle
haufig. In reiner Form, wie im Falle Lach, stellt sich
der Universal-Synasthetiker heraus, der alles mit allem
verbindet und in Farben (Photismen) sieht : nicht bloB
Tone, Klangfarben, Akkorde, Sprachlaute, sondern
auch Dufte, Geschmacke, Schmerz- und Temperatur-
empfindungen, ja Abstrakta wie Zahlen, Wochentage,
ferner Personen, Tiere usw., und der gleicherweise
alles in oder mit Klangen hort (Phonismen). - Die un-
mittelbare, nicht asthetisch begriindete Neigung zu
Tonmalerei und Programmusik steht mit dem musi-
kalischen Synasthetikertyp in Zusammenhang. Man
muB die Sonderphanomene der Synasthetiker in Ver-
bindung sehen mit den urspriinglichen, allgemein-
menschlichen Entsprechungen zwischen verschiedenen
Sinnesbereichen, wie sie von Wellek als »Ursynasthe-
sien« oder Ur-Entsprechungen systematisiert wurden.
Solche finden sich in den sprachh'chen Bezeichnungen
der Tone und Laute als hell, klar, hoch, scharf , diinn,
spitz, leicht usw. (samt dem Gegenteil) und auch schon
in alter Mythologie und Philosophic, wie bei Platon
und Aristoteles. Aus dem Tonesehen im Sinne solcher
Urentsprechungen ist iiber die Cheironomie die ur-
spriinglich weitgehend anschauliche Neumennotation
und schlieBlich unsere gegenwartige Notenschrif t her-
vorgegangen.
Lit. : J. Locke, An Essay Concerning Human Understan-
ding, London 1690 (III, 4) ; G. T. L. Sachs, Hist, naturalis
duorum leucaethiopum auctoris ipsius et sororis eius,
Diss. med. Erlangen 1812; E. Bleuler u. K. Lehmann,
ZwangsmaBige Lichtempfindungen durch Schall u. ver-
wandte Erscheinungen auf d. Gebiete d. anderen Sinnes-
empfindungen, Lpz. 1881 ; Th. Flournoy, Des phenome-
nes de synopsie (audition coloree), Paris u. Genf 1893; R.
Lach, Uber einen interessanten Spezialfall v. »Audition
coloree«, SIMG IV, 1902/03; R. Wallaschek, Psycholo-
gic u. Pathologie d. Vorstellung, Lpz. 1905 ; G. Anschutz,
Untersuchungen zur Analyse mus. Photismen, Arch. f. d.
gesamte Ps'ychologie LI, 1925; ders., Untersuchungen
iiber komplexe mus. Synopsie, ebenda LIV, 1926 ; ders.,
Farbe-Ton-Forschungen, 3 Bde, Lpz. 1927, Hbg 1936 u.
1931 ; ders., Das Farbe-Ton-Problem im psychischen Ge-
samtbereich, = Deutsche Psychologie V, 5, Halle 1929;
ders., Psychologie, Hbg 1953 ; Fr. Mahling, Das Problem
d. »Audition coloree«, Arch. f. d. gesamte Psychologie
LVH, 1926, u. in: G. Anschiitz, Farbe-Ton-Forschungen I,
Lpz. 1927; A. Wellek, Das F. im Lichte d. vergleichenden
Mw., ZfMw XI, 1928/29; ders., Das Doppelempfinden in
d. Geistesgesch., Zs. I. Asthetik u. allgemeine Kunstwiss.
XXIII, 1929 ; ders., Der Sprachgeist als Doppelempfinder,
ebenda XXV, 1931 ; ders., Zur Gesch. u. Kritik d. Syn-
asthesie-Forschung (mit Bibliogr.), Arch. f. d. gesamte
Psychologie LXXIX, 1931; ders., Das Doppelempfinden
im abendlandischen Altertum u. im MA, ebenda LXXX,
1931; ders., Renaissance- u. Barock-Synasthesie, DVjs.
IX, 1931; ders., Die Entwicklung unserer Notenschrift
aus d. Tonesehen, AMI IV, 1932; ders., Das Doppelemp-
finden im 18. Jh., DVjs. XIV, 1936; ders., Das Absolute
Gehor u. seine Typen, = Zs. f. angewandte Psychologie u.
Charakterkunde, Beih. LXXXIH, Lpz. 1938; ders., Mu-
sikpsychologie u. Musikasthetik, Ffm. 1963; G. Revesz,
Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern 1946; J. Hand-
schin, Der Toncharakter, Zurich (1948); J. Amor6s, El
problema de las relaciones subjetivas entre colores y soni-
dos, Fs. H. Angles I, Barcelona 1958-61. AW
18*
275
Farbenmusik
Farbenmusik meint eine besondere Art von Kunst-
synthese oder »Gesamtkunstwerk«, worin Musikstiicke
mit Farbdarbietungen verbunden werden. Psychologi-
sche Grundlage ist das -*■ Farbenhoren und Tonesehen.
Voraussetzung bei der F. ist allerdings, da6 hier nicht
wie bei den eigentlichen Farbenhorern oder Synasthe-
tikern eine enge subjektive Bindung an bestimmte
Farbe-Ton-Entsprechungen besteht, sondern daB in
spielerischer Weise und nach asthetischem Belieben
iiber solche Zusammenhange verfiigt wird und diese
abgewandelt werden konnen. Aus der alten Vorstel-
lung von einer Spharenharmonie oder Spharenmu-
sik, in der das farblose Licht als klingend gedacht
war, ist die Idee einer Farbenharmonie und F. in
der farbenfreudigen Barockepoche entstanden, zu-
nachst bei A.Kircher und, von diesem angeregt, in
wissenschaftlicher Begriindung in der Optik von
Newton. Von beiden ging um 1722 der franzosische
Mathematiker L.B.Castel aus, indem er ein Farben-
klavier und andere Farbeninstrumente zu konstruie-
ren versuchte. Kurz nach dessen Tode (1757) hat ein
anonymer englischer Jiinger (vermutlich A.Morley)
in London die Konstruktion eines Ocular harpsi-
chord zustande gebracht und wohl auch vorgefiihrt.
Dieses Augenklavier bestand aus einem Kasten, der auf
ein normales Klavier vorn auf gesetzt wurde und meh-
rere hundert Lampchen enthielt, die durch mechani-
sche Koppelung mit dem Anschlag der Taste zum Auf-
leuchten gebracht wurden. Der Gedanke des Farben-
klaviers wurde schon zu Lebzeiten Castels (z. B. durch
Telemann 1738) und seither vielfaltig diskutiert, teils
gepriesen, teils lacherlich gemacht; er hat zu der in der
Romantik zur Hochbliite gelangenden literarischen
Mode der Synasthesien nicht unwesentlich beigetra-
gen. Goethe auBerte sich in der Farbenlehre iiberwie-
gend kritisch zur F. Bereits seit Castel und Newton
geht der Streit vor allem um die richtige Zuordnung
der »richtigen« Tonleiter zu den Grundf arben des Spek-
trums. Newton hatte die Farben von Rot bis Violett
der dorischen Leiter, d. h. deren Intervallen zugeord-
net, wahrend Castel die Tone der C dur-Tonleiter mit
Blau beginnen und iiber Gelb und Rot mit Violett (bei
h) schlieBen lieB, ein Streit, der sich der Natur der Sache
nach nicht objektiv entscheiden laBt. Andererseits war
schon Castel selbst von dem Ungenugen einer bloBen
kaleidoskopartigen Farbenfolge uberzeugt und darauf
bedacht, ein ganzes Orchester von Farbeninstrumenten
in seiner Phantasie zu projektieren. Das 19. Jh., obwohl
es die Programmusik und das »Gesamtkunstwerk« zum
Hohepunkt fiihrte und in ersterer auch Vertonungen
von Gemalden versuchte (Liszt, Mussorgsky, Reger
u. a.), hat diese Entwicklung nicht weiter gefordert.
Erst A. Skrjabin wollte seinen Promethie {Le Poeme du
feu) von einem Clavier a lumieres begleiten lassen. Fiir
dieses auch damals noch hypothetische instrument no-
tierte er in der Partitur eine Stimme in gewohnlichen
Noten, deren Farbenbedeutung nicht ganz wider-
spruchsfrei uberliefert ist. Zur Durchf iihrung kam die-
ses Vorhaben erst nach seinem Tode bei einer Auf fun-
ning in New York (1916), wobei fiir die Farberiton-
leiter ein Vorschlag des Englanders A. Wallace Riming-
ton verwendet wurde. Von da an mehrten sich Ver-
suche ahnlicher Art, die bald auch die »analytisch-syn-
optische« mechanische Abhangigkeit der Farben von
Einzeltonen abstreiften und zu selbstandigen Farben-
kompositionen, nach Art von zeitlich wandelbaren
Gemalden, iibergingen. Einen wissenschaftlich ambi-
tionierten Vorschlag in dieser Richtimg machte der
Psychologe R.H.Goldschmidt mit seinen »Farbwan-
delspielen« (1928), die ein gestaltfreies »Lichtnebelge-
woge« bieten sollten. Hier, wie auch schon bei der Far-
benorgel von A. Lapp, wird auf eine Verbindung mit
Musik nicht Wert gelegt, sondern - in hochst proble-
matischer Absicht - eine reine, »absolute F.« als ein
farbliches Analogon zur Musik angezielt. Neue Mog-
hchkeiteri eroffnete hier der Zeichentrickfilm, auch als
Tonfilm, so zuerst durch die abstrakten Filme von O.
und H. Fischinger in Berlin, vor allem dann durch Walt
Disney. Weniger beachtenswert ist der 1925 von dem
ungarischen Pianisten A.Laszlo angebotene Versuch
eines »Farblichtklaviers«, wobei allerdings bloB ein ge-
wohnliches Klavier mit einem Lichtbildprojektor ge-
koppelt wurde, immerhin ebenfalls losgelost von einer
Umsetzung einzelner Tone in feststehende einzelne
Farben. - In groBer Anzahl gibt es Versuche, eine Ver-
kniipfung von Tonen mit Farben gehorbildnerisch
fruchtbar zu machen, besonders zur Anerziehung eines
Absoluten Gehors, so in den USA von E.Maryon
(1924), in England von Louise Gros schon wahrend
des 1. Weltkriegs, ebenso auch in Deutschland.
Lit. : A. Kircher, Magnes, sive de arte magnetica, Rom
1641; ders., Musurgia universalis, Rom 1650, 21690, 2 Bde;
ders., Phonurgia nova, sive conjugium mechanico-physi-
cum artis et naturae . . ., Campidone 1673; I. Newton,
Opticks II, London 1704, deutsch Lpz. 1898; J. L. Hoff-
mann, Versuch einer Gesch. d. mahlerischen Harmonie
uberhaupt u. d. Farbenharmonie insbesondere, Halle 1786 ;
A. W. Rimington, Colour-Music, London 1912; E. Ma-
ryon, Marco-Tone. The Art of Tone-Color, Boston 1924;
A. Laszl6, Die Farblichtmusik, Lpz. 1925; R. H. Gold-
schmidt, Postulat d. Farbwandelspiele, Sb. Heidelberg VI,
1928; A. Wellek, SynSsthesie u. Synthese bei R. Wagner,
Bay reuther Blatter LII, 1 929 ; ders., Beitr. zum SynSsthesie-
Problem, Arch. f. d. gesamte Psychologie LXXVI, 1930;
ders., Das homophone u. kontrapunktierende Farbenge-
hor u. Farbenkl., ZfM XCVII, 1930; ders., Farbenharmo-
nie u. Farbenkl. Ihre Entstehungsgesch. im 18. Jh., Arch. f.
d. gesamte Psychologie XCIV, 1935 ; G. Anschutz, AbriB
d. Musikasthetik, Lpz. 1930; L. Hirschfeld, Zd. PeSa-
nek, A. v. Vietinghoff-Scheel, O. Fischinger, H. Grahl
u. a., in: G. Anschutz, Farbe-Ton-Forschungen III, Hbg
1931. AW
Farce (fars, frz., von lat. farcire, stopfen, einlegen;
ital. und span, farsa), - 1) Bezeichnung fiir eine Art des
-> Tropus (besonders in der Epistel). - 2) Im Mittelal-
ter wurde in Frankreich mit F. zunachst ein komisches
Zwischenspiel bezeichnet, im 14.-16. Jh. ein kurzes
(bis zu 500 Verse) selbstandiges Biihnenstiick mit ein-
gelegten bekannten Chansons (in den Textsammlun-
gen sind meist nur die Incipits uberliefert). Die F.,
die als Vorform des spateren franzosischen Comedie-
vaudeville betrachtet werden kann, verbreitete sich im
16. Jh. auch in Spanien, Italien und England; dagegen
wurde die Bezeichnung in der deutschen Literatur
erst seit der Sturm-und-Drang-Zeit iibernommen, hier
gleichbedeutend mit Posse. Im spaten 18. und friihen
19. Jh. kann auch eine kurze, meist einaktige Opera
buffa Farsa heiBen. Solche Farse komponierten u. a.
Cimarosa (L! impresario in angustie, Neapel 1786), Paer,
Paisiello und Rossini (// Signor Bruschino, Venedig
1813). Wie in der Opera buffa dieser Zeit gab es in der
F. neben komischen Stucken solche mit ernsten und
riihrenden Ziigen (F. sentimentale, auch F. lagrimosa).
Ausg.: zu 2): Fr. Michel u. A.-J.-V. Le Roux de Lincy,
Recueil de f., moralites et sermons joyeux, 4 Bde, Paris
1831-38; E. Picot u. P. Pyrop, Nouveau recueil de f. frc.,
Paris 1880; P. Aebischer, Trois f. frc. inedites trouvtes a
Fribourg, Paris 1925 ; Recueil de f. inedites du XV e s., hrsg.
v. G. Cohen, Cambridge (Mass.) 1949.
Lit. : zu 2) : L. Petit de Julleville, Repertoire du thiatre
comique en France au moyen-age, Paris 1886; ders., La
comedie et les moeurs en France au moyen-age, Paris 1886;
A. Beneke, Das Repertoire u. d. Quellen d. frz. F., Diss.
Jena 1 9 10 ; A. Wiedenhofer, Beitr. zur Entwicklungsgesch.
d. frz. F., Diss. Munster i. W. 191 3 ; F. Neri, F. : Interludia,
276
Fauxbourdon
Lucca 1916,Neudruck in: Fabrilia, Turin 1930; W.Klemm,
Die engl. F. im 19. Jh., Diss. Basel 1946; J. Maxwell,
French F. and J. Heywood, London u. Melbourne 1946;
G. Cohen, Etudes d'hist. du theatre en France au moyen
age et a la Renaissance, Paris 1956; R. L. L. Huohes, A
Cent, of Engl. F., Princeton (N. J.) 1956.
Fasola, wahrend des 17.-18. Jh. in England und Ame-
rika verbrejtetes Tonsilbensystem zur Aufzeichnung
einfacher Melodien. F. beriicksichtigt ausschlieBlich
das Durgeschlecht, das durch vier guidonische Solmi-
sationssilben wiedergegeben wurde (fa sol la fa sol
la mi). Als Buchstabennotierung (F S L M), spater
auch als Notation mit eigenen Notentypen (4 d a I),
wurde F. gelegentlich in Kirchengesangbiichern an-
gewendet.
Lit. : W. Th. M arrocco, The Notation in American Sacred
Music Collections, AMI XXXVI, 1964.
Faulenzer -> Abbreviaturen (- 3).
Fauxbourdon (foburd'5, frz.;ital. falsobordone) tritt
als Terminus zuerst in kontinentalen Handschriften um
1430 (also etwa gleichzeitig mit dem englischen ->• Fa-
burden) im Sinne einer Anweisung (-> Kanon - 3) auf ,
die besagt, daB ein zweistimmig in Stimmen notierter
Satz, der Sexten bzw. Oktaven zwischen Oberstim-
men-C. f. und Tenor bildet, durch eine zum C. f. un-
terquartparallele Mittelstimme zu erganzen ist. Si
tritium queras / a summo tollefiguras // Et simul incipito j
dyatessaron insubeundo, lauten die den F.-Vermerk er-
lauternden Reimverse bei Dufays Postcommunio der
Missa S.Jacobi in der Handschrift BL (-> Quellen),
Nrll9.
Dieser 3st. Satz mit F. ist - im Gegensatz zum engli-
schen Satz mit Faburden - eine Res facta. Seine Notie-
rungsweise verrat kontrapunktisches Denken, indem
die von der Theorie der Zeit verbotenen Quartenparal-
lelen in der Notation nicht aufscheinen, sondern durch
Ableitung der Mittelstimme von der Oberstimme mit-
tels eines Kanons eingefiihrt werden. Bei Diskantlage
des meist kolorierten, iiberwiegend oktavtransponier-
ten C. f. deckt der Tenor die Quarten zwischen den
Oberstimmen durch die Sexten und Oktaven zum Dis-
kant. Dies ergibt die charakteristische einfache Klang-
technik auf der Grundlage nur z weier Akkorde, mit dem
Hervortreten der imperfekten Terz-Sext-Klange (in
der Friihzeit bis zu 5 ; spater in langen Ketten) zwischen
den maBgebenden perfekten Quint-Oktav-Klangen;
zugleich resultiert rhythmisch ein Satz fast Note gegen
Note, verbunden mit nahezu syllabischer Deklamation
(in der Friihzeit auch groBere mehsmatische Partien) ;
beides bewirkt eine weitgehende Parallelitat aller Stim-
men. Der Satztyp ist daher stark vom Klanglichen be-
stimmt, die selbstandige Stimmf iihrung - Kennzeichen
der Polyphonie der Zeit - tritt zuriick hinter dem ho-
mogenen Verlauf der im akkordlichen Satz aufgehen-
den, wenn auch Unear gestalteten Stimmen. Allerdings
figurieren gerade in einigen friihen Werken mit F.
(z. B. in Dufays Postcommunio) Diskant und Tenor
rhythmisch unabhangig, wobei auch ungedeckte
Quarten entstehen; die Entwicklung fiihrt aber zur
Angleichung der Stimmen (Besselers »Sing-F.«). In
manchen Werken (z. B. Dufays Hymnus Iste con-
fessor, BL, Nachtrag, 313) kontrastieren zeilenweise
einfacher akkordischer Satz und rhythmisch freie
Fuhrung der AuBenstimmen (mit Vorhaltsbildungen
u. a.). Merkmal friiher Kompositionen mit F. ist
auch der haufige Quartf all des Tenors - vor allem in
Kadenzen - bei abwarts schreitendem Diskant (z. B. in
Dufays Postcommunio, Lymburgias Marienantiphon
Regina celi letare, BL 199, Binchois' Hymnus Ut queant
laxis; typisch auch insgesamt fur den englischen Steg-
reifsatz mit Faburden bei unkoloriertem C. f.), was
spater durch Diskantkolorierung (Unterterzklausel)
vermieden wird. Die seit der 2. Halfte des 15. Jh. (z. B.
in ModC, -*■ Quellen) belegte und von Guilelmus Mo-
nachus (um 1480) beschriebene Erweiterung des F.-
Satzes durch einen Contratenor bassus zur grundto-
nigen Vierstimmigkeit (wobei mit dem Fortfall der
Kanonnotation die strengen Quartenparallelen zum
Teil aufgegeben werden, das Sext-Oktav-Verhaltnis
von Diskant und Tenor aber durchscheint) bezeichnet
das Ende der Bliitezeit des F. Der akkordliche Satz fin-
det eine Fortsetzung im -»■ Falsobordone. Die folgen-
den Jahrhunderte trennen nicht scharf zwischen F. und
Falsobordone; der F. ist hier oft nur Sonderfall des Fal-
sobordone. In der Barockzeit gilt der F. auch als musi-
kalische Figur (Burmeister 1606, Thuringus 1625).
Die Werke mit F. bilden mit etwa 170 Kompositionen
nur einen kleinen Teil des Gesamtrepertoires des 15.
Jh. Die Komponisten sind an diesem Bestand je nach
dem Umfang ihres Schaffens und dem Stand der Ober-
heferung (die zentralen burgundischen Handschriften
z. B. sind verloren) beteiligt, so Dufay mit 24, N. de
Merques, Binchois, Brassart und Roullet mit je 6, A.
Janue und Lymburgia mit je 5 Werken. Diese »F.-
Stucke« (Besseler) sind zum Teil selbstandige Kompo-
sitionen meist kleinerer, volkstiimlicher liturgischer
Gattungen oder Vertonungen einzelner ihrer Verse
(z. B. Hymnen, Psalmen, Magnificat, Introitus, Anti-
phonen, Sequenzen), zum Teil Abschnitte in liturgi-
schen Werken (z. B . in Messesatzen) , selten Teile nicht-
hturgischer Kompositionen (z. B. in Motetten). Ob
die zahlreichen zweistimmigen, ohne F.-Anweisung
uberlieferten Satze auf der Grundlage von Sexten und
Oktaven in Handschriften des 15. Jh. ebenfalls F.-Satze
sind, oder aber originar zweistimmig (was die Dar-
stellung des 2st. -»• Gymel als einer dem F. verwandten
Kompositionsart bei Guilelmus Monachus nahelegt),
ist nicht geklart. Immerhin ist der Hymnus Ut queant
laxis von Binchois (Marix 226; J. Wolf, Sing- und
Spielmusik aus alterer Zeit, Leipzig 1926, Nr 13) sowohl
als F.-Stuck (Venedig, Bibl. Marc. IX, 145, 25; in sin-
gularer Weise mit zu erganzender Oberstimme) als
auch in einer diesem F.-Satz entsprechenden 2st. Form
ohne F.-Vermerk {Em 171) uberliefert. - Friiheste Auf-
zeichnungen von Wort und Sache F. bietet die ober-
italienische Handschrift BL mit 2 Werken (Dufays
Postcommunio, Lymburgias Regina celi letare) im Corpus
und 16 Werken (Dufay 9, Lymburgia 5, Feraguti 2) im
Nachtrag; es folgen als zentrale -»■ Quellen: Em, Ao,
ModB, Tr 87, Tr 92, Tr 90, ModC, CS 15. Ort (beim
Tenor oder Diskant) und Wortlaut(/, auf., af) des
Vermerks sind in den Handschriften nicht einheitlich.
Zwar iiberwiegt in BL die Stellung beim Tenor in der
Form Tenor au(x) f. (»Tenor mit F.«; daher bezieht
sich das Wort wohl nicht auf den Tenor selbst), spater
277
Fauxbourdon
aber (z. B. in ModB) heiBt es meist Tenor af. (wohl:
»auf F.-Art«); gerade die zwei friihesten Aufzeichnun-
gen in BL (beide vom Schreiber A) haben Tenor f., und
in Dufays Motette Supremum est, BL (Nachtrag) 168,
stehen auxf. oder/ immer beim Diskant (wie auch
haufig in Ao). In hterarischen Quellen begegnet das
Wort seit der Mitte des 15. Jh. (z. B. bei Charles d'Or-
leans 1459/60) ; in der Musiktheorie tritt es erst in der
2. Jahrhunderthalfte auf (Tinctoris 1477, Guilelmus
Monachus um 1480). - Im liturgischen und komposi-
torischen Zusammenhang wird der Satz mit F. durch-
weg als Kontrast eingesetzt: im Wechsel mit 1st. Ge-
sang fiir Einzelverse, z. B. in Hymnen Dufays; alter-
nierend mit anderen Satzweisen polyphonen Charak-
ters, z. B. in Dufays Kyrie Orbis factor (GA IV, 11) fiir
eine Christe-Anruf ung ; in Dufays dreistimmiger isc>-
rhythmischer Motette Supremum est (GA II, 5; DTO
LXXVI, 24 und 100) anstelle des »motettischen Duos«
zu Beginn und an Gliederungspunkten, hier als F.-Satz
mit 2 Diskanten (Teilung der Oberstimme in der Art
des Gymel) und Contratenor (bei pausierendem Tenor) .
Alternierender Praxis dienen auch die zu F.-Satzen
komponierten Contratenores sinef. Lymburgias Hym-
nus Magne dies leticie, BL (Nachtrag) 282, z. B. hat zum
Vers Puer in fide einen 3st. Satz mit Diskant, Tenor und
vagierendem Contratenor; statt des Contra kann bei
gleichbleibenden Geruststimmen si placet die F.-Mit-
telstimme eintreten. Hier besteht also Wechselmog-
lichkeit zwischen 1st. Cantus, 3st. Satz mit und 3st.
Satz ohne F.
'km\i ami. ^ m
r^TOpr ypr'r % t
Contratenor puer in fide sine faulx bourdon
Pit r PPT r r Pr pp r PPf f
Tenor puer in fide au faulx bourdon si placet
In einigen Fallen gibt es neben dem fiir den F.-Satz
komponierten Tenor noch einen zweiten Tenor fiir
den freien Satz, z. B. bei Binchois' Introitus Salve
sancta, Ao 2, Dufays Hymnus Exultet celum, BL (Nach-
trag) 311. Im Rahmen eines fiir F.-Ausfuhrung geeig-
neten Geriistsatzes aber bestimmt die Eigenart der
Mittelstimme, was Satz mit F. oder ohne F. ist. Der
Contratenor sinef, der bei hohen Tenortonen die sonst
resultierenden Folgen von Terz-Sext-Klangen durch
»Bassieren« im Sinne von Grundtonigkeit der Klange
unterbricht (Notenbeispiel, Mensur 2-3) und dabei
einen Satz in weiter Lage in Art imperfekter englischer
Klanglichkeit ergibt, nimmt bei tiefem »F.-Tenor«
notwendig als Mittelstimme die Quarte unter dem
Diskant ein ; daher sind viele Abschnitte in beiden Setz-
weisen identisch, z. B. ergeben in Dufays Hymnus Ave
maris Stella, BL (Nachtrag) 304, 11 von 23 Mensuren
des Satzes sinef. einen reinen F.-Satz. Die Bezeichnung
F. scheint sich somit nicht auf den Tenor zu beziehen,
sondern auf die besondere Art der Mittelstimme und
vor allem auf den durch diese bewirkten strengen
Quartenparallelismus. Ob nun F. zunachst eine Stimm-
bezeichnung fiir den speziellen Contratenor (->■ Bor-
dun) war (dann ware Contratenor sinef ein Wider-
spruch), oder sofort die spater sicher belegte Bedeu-
tung einer Setzweise (modus f der Theoretiker) hatte,
ist strittig. Auf jeden Fall steht die ungewohnliche
Quartenbehandlung im Mittelpunkt, der Kanon ver-
weist darauf , die Theoretiker behandeln den F. jeweils
im Kapitel iiber die Quarte als einen Sonderfall, auch
die einzige zeitgenossische, wenn auch spate Namens-
deutung bei Adam von Fulda (quia tetrum reddit sonum)
erklart ihn von der »haBlich khngenden« Quarte her. -
Die geschichtliche Bedeutung des offenbar aus dem
EinfluB englischer KlangUchkeit auf die festlandische
Polyphonie hervorgegangenen F. besteht vor allem in
der Vermittlung eines spezifischen Klangsinns als neuer
Komponente des Komponierens, die dann im »freien
F.-Stil« auf der Grundlage der Sextenkopplung von
Diskant und Tenor deutfich hervortritt und zugleich
die spatere groBe Chorpolyphonie der franko-flami-
schen Schule vorbereitet. Das Abhangigkeitsverhalt-
nis von F. und Faburden ist dabei schwer zu bestim-
men: beide Belegreihen setzen etwa zur gleichen Zeit
ein, das Alter der (dem F. klanglich gleichen) engli-
schen volkslaufigen Stegreifkunst ist nicht eindeutig
zu klaren. Auch ist sprachgeschichtlich nicht vollig si-
cher, ob F. eine Fehlwiedergabe von Faburden infolge
Dialektlautung ist (Flasdieck) oder ob das englische
Wort eine Ubersetzung des franzosischen darstellen
kann (Besseler). Immerhin ware wichtig zu bemerken,
daB sowohl die spanische als auch die deutsche Laut-
form (span, fabordon seit 1463 belegt; deutsch fabur-
don 1447 in H.Rosenpliits Gedicht auf C.Paumann,
spater auch fiir Orgelregister) dem englischen Idiom
verpflichtet sind.
Ausg. : G. Dufay, Samtliche Hymnen, hrsg. v. R. Gerber,
Chw. LXIX, Wolfenbiittel 1937; J. Mark, Les musiciens
de la cour de Bourgogne au XV e s., Paris 1937.
Lit. (ausschlieBlich d. in — » Faburden genannten) : J. Tinc-
toris, De arte contrapuncti (1477), CS IV, 84f. ; Guilel-
mus Monachus, De preceptis artis musice . . . , CS III,
288f. u. 292f. (verbesserte Lesarten bei Bukofzer 1936 u.
Trumble 1959), neuhrsg. v. A. Seay, CSM XI, 1965 ; Adam
v. Fulda, De musica (1490), GS III, 352f.; Fl. de Faxolis,
Liber musices (1495/96), teilweise hrsg. v. A. Seay, in:
Musik u. Gesch., Fs. L. Schrade, Koln (1963); Fr. Gaf-
fori, Practica musice, Mailand 1496, Buch I, Kap. 5; J.
Galliculus, Isagoge . . ., Lpz. 1520; G. M. Lanfranco,
Le scintille di musica . . ., Brescia 1533, S. 117; O. Lus-
cinius, Musurgia ..., Strafiburg 1536, Kap. 4, S. 91f.;
H. Faber, Musica poetica (1548); A. P. Coclico, Com-
pendium musices, Nurnberg 1552, Faks. hrsg. v. M. F.
Bukofzer, = DM1 I, 9, 1954, fol. 52; G. Zarlino, Isti-
tutioni harmoniche, Venedig 1558, III, Cap. LXI; J. Bur-
meister, Musica poetica, Rostock 1606, Faks. hrsg. v.
M. Ruhnke, = DM1 1, 10, 1955, S. 65; Praetorius Synt.
HI, S. 9f . ; J. Thuringus, Opusculum bipartitum de primor-
diis musicis, Bin 1625; WaltherL, Artikel Falsobordone ;
A. W. Ambros, Gesch. d. Musik, II-III, Breslau 1864-68;
G. Adler, Studie zur Gesch. d. Harmonie, = Sb. Wien
XCVIII, 3, 1 88 1 ; A. Orel, Einige Grundformen d. Motett-
komposition im 1 5. Jh., StMw VII, 1 920 ; ders., Die mehrst.
geistliche (kath.) Musik v. 1430-1600, Adler Hdb.; R. v.
Ficker, Die friihen Messenkompositionen d. Trienter Co-
dices, StMw XI, 1924; ders., Zur Schopfungsgesch. d. F.,
AMI XXIII, 1951 ; ders., Epilog zum Faburdon, AMI
XXV, 1953; ders., The Transition on the Continent, in:
The New Oxford Hist, of Music III, London 1960; Th.
Kroyer, Die threnodische Bedeutung d. Quarte in d. Men-
suralmusik, Kgr.-Ber. Basel 1924; H. Besseler, Die Musik
d. MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb.; ders., Der Ur-
sprung d. F., Mf 1, 1948 ; ders., Dufay, Schopfer d. F., AMI
XX, 1 948 ; ders., Bourdon u. F„ Lpz. 1950, dazu A. Schmitz
in: Mf VI, 1953 ; ders., Tonalharmonik u. Vollklang. Eine
Antwort an R. v. Ficker, AMI XXIV, 1952; ders., Das
Neue in d. Musik d. 15. Jh., AMI XXVI, 1954; ders., Arti-
kel Dufay u.F., in: MGGIII, 1954; ders., Das Ergebnisd.
Diskussion iiber »F.«, AMI XXIX, 1957; ders., Dufay in
Rom, AfMw XV, 1958 ; G. Reese, Music in the Middle
Ages, NY (1940), London 1941 ; J. Handschin, Aus d. al-
ten Musiktheorie III, AMI XV, 1943; ders., Mg. im fjber-
blick, Luzern (1948), 21964; ders., Eine umstrittene Stelle
bei Guilelmus Monachus, Kgr.-Ber. Basel 1949 ; ders., Ar-
tikel Dreiklang, in: MGG III, 1954; A. Schmitz, Die Fi-
gurenlehre in d. theoretischen Werken J. G. Walthers,
278
Fernsehen
AfMw IX, 1952; W. Guru-it, Die Kompositionslehre d.
deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neu-
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden
1966; ders., Canon sine pausis, in: Melanges d'hist. et
d'esthetique mus. offerts k P.-M. Masson I, Paris 1955;
G. Kirchner, Frz. faux-bourdon u. friihneuengl. fabur-
den (H. M. Flasdieck). Epilog zum Faburdon (R.v.Ficker).
Eine Erwiderung, AMI XXVI, 1954; Fr. Feldmann, Un-
tersuchungen zum Wort-Ton-Verhaltnis in d. Gloria-Cre-
do-Satzen v. Dufay bis Josquin, MD VIII, 1954; ders.,
Das »Opusculum bipartitum« d. J. Thuringus (1625) be-
sonders in seinen Beziehungen zu J. Nucius (1613), AfMw
XV, 1958 ; S. Clercx, Aux origines du faux-bourdon, RM
XL, 1957; B. Meier, Alter u. neuer Stil in lat. textierten
Werken v. O. di Lasso, AfMw XV, 1958; G. Schmidt,
Cber d. F. Ein Literaturber., Jb. f . Liturgik u. Hymnologie
IV, 1958/59; E. Trumble, F. A Hist. Survey I, =Inst. of
Mediaeval Music, Wiss. Abh. Ill, Brooklyn 1959; ders.,
Authentic and Spurious Faburden, RBM XIV, 1960; R.'
Bockholdt, Die frilhen Messenkompositionen v. G. Du-
fay, = Miinchner Veroff. zur Mg. V, Tutzing 1960. RB
Favola (per musica) war eine im 17. Jh. vor allem in
Italien iibhche Bezeichnung fur Oper, audi in Verbin-
dung mit Beiwortern wie boschereccia, pastorale
(-* Pastorale), scenica, dramatica.
Feldmusik (frz. musique d'ecu'rie), bis ins 18. Jh. die
Musik der ziinftigen Hof- und Feldtrompeter, die ne-
ben der Kammer-, Kirchen- und Theatermusik stand.
Zur F. gehoren die einfachen -> Signale so wie die aus
mehreren Abschnitten (Posten, Punkte) zusammenge-
setzten groBeren Stiicke, die Feldstiicke, -sonaten und
-partiten, Toccaten, Aufziige und Serenaden. Neben
den typischen Trompetenmotiven kommen auch An-
lehnungen an Volkslieder vor. Die iiberlieferten Feld-
stiicke sind iiberwiegend einstimmig, einige auch zwei-
stimmig; bei feierlichen Anlassen gehoren als »BaB«
die Pauken dazu.
Ausg.: Trompeterfanfaren, Sonaten u. Feldstiicke nach
Aufzeichnungen deutscher Hoftrompeter d. 16./17. Jh.,
hrsg. v. G. Schunemann, = RD VII, Kassel 1936.
Lit. : J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur hero-
isch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795, NA
Dresden 191 1 ; G. Schunemann, Sonaten u. Feldstiicke d.
Hoftrompeter, ZfMw XVII, 1935.
Feldpfeife -> Querpf eife.
Feria (lat.), in der kathblischen Liturgik Bezeichnung
der Wochentage (F. II = Montag usw. bis F. VI = Frei-
tag). Der Samstag hat von alters her den Namen Sab-
batum; die Bezeichnung ferial meint jedoch alle Wo-
chentage mit EinschluB des Samstags. - Im einzelnen
unterscheidet die Liturgik zwischen Feriae minores
(Wochentage ohne Vorrecht), Feriae maiores (Wo-
chentage der Advents- und Fastenzeit u. a.) und Feriae
maiores privilegiatae (Aschermittwoch und Montag
bis Mittwoch der Karwoche).
Fermate (ital. fermata oder corona; frz. point d'or-
gue; engl. pause), Haltezeichen (/7\ oder \&/ , friiher
auch frl, fc=J). Die F. bezeichnet seit dem friihen 15.
Jh. Noten, durch deren langeres Aushalten die strenge
rhythmische Messung aufgehoben wird. Sie steht vor
allem bei der SchluBnote einer Stimme, deren Wert
unter Umstanden sehr stark verlangert wird (bis die
iibrigen Stimmen den SchluBklang erreichen), ferner
beim Paenultimaklang und bei homophonen Klang-
f olgen, durch die emphatische Textstellen hervorgeho-
ben werden ; in Kanons bezeichnet sie auch die SchluB-
noten der sparer einsetzenden Stimmen - also stets die
Stellen eines Satzes, an denen die Stimmen wie in den
Geriistklangen des Organum zusammentreten und die
sich durch die Dehnung (Tinctoris: Punctus moraegene-
ralis . . . Et hie punctus vulgariter organi vocatur, CS IV,
75f.), meist auch durch Generalpause (Adam von Fulda,
GS III, 362a) von ihrer Umgebung abheben. In Da-
Capo-Arien zeigt die F. den SchluBakkord des Haupt-
teils an, haufig mit dem Zusatz Fine. In neuerer Zeit
findet sie sich nicht selten iiber einer Pause oder - eben-
falls eine Pause fordernd - iiber dem Taktstrich. Die F.
iiber langeren Pausen verlangert deren Wert nicht,
sondern macht ihn nur unbestimmt, so dafi sie oft so-
gar kiirzer werden; z. B. schreibt L.Mozart (Versuch,
31787, S. 45):
Hier wird langer still gehalten.
SP
m
I**
SP
£
Diese Pause wird nicht ausgehalten.
Eine F. von besonderer Bedeutung ist die, welche in
Solowerken vorwiegend des 18. Jh. Gelegenheit zur
Einlegung eines improvisierten Solos gibt. Sie steht
in Arien zuweilen beim Einsatz des SoEsten, in Kon-
zerten regelmaBig vor dem AbschluB des letzten Solos
(daher -> Kadenz - 2 genannt) iiber dem Dominant-
quartsextakkord, oft mit einer zweiten iiber dessen
Auflosung in den Dominantdreiklang, so daB erst mit
Erreichen der Tonika das a tempo des abschlieBenden
Tutti einsetzt. Statt der F. iiber dem Taktstrich ver-
wendet Bartok Pausenzeichen iiber dem Taktstrich,
die eine feinere Abstufung ermoglichen.
Lit.: Quantz Versuch, 131f., 151f., 163f.,258f.; Bach Ver-
such, I, 1 12ff., u. II, 266fT. ; Mozart Versuch; E. Praeto-
rius, Die Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius . . ., = BIMG
II, 2, Lpz. 1905; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon,
Lpz. 1950, TafelV-VI; Fr. Noske, Bemerkungen zur F.,
Mf XVII, 1964.
Fernsehen (Fernsehrundfunk; engl. television; frz. te-
levision) ist ein fernmeldetechnisches, elektronisches
Publikationsmittel, das mit Hilfe rundstrahlbarer elek-
tromagnetischer Schwingungen durch optische und
akustische Wirkung einem theoretisch unbeschrankten
Kreis von Teilnehmern Information iiber aktuelle, kul-
turelle und unterhaltende Themen bietet. Ein regel-
maBiger Fernsehdienst fur Publikum begann in
Deutschland 1935 (nach dem Krieg 1952), in GroB-
britannien 1936 (nach dem Krieg wieder 1946), in den
USA 1944, in Frankreich 1951, in der UdSSR 1939
(nach dem Krieg wieder 1945), in Japan 1950. Die
Sender der Bundesrepublik schlossen sich im Bereich
des F.s zur Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten
Deutschlands (ARD) zusammen. Am 1.4. 1963 begann
das Zweite Deutsche F. (ZDF) mit der Ausstrahlung
des Programms. - 1953 erfolgte die Griindung der Eu-
ropa-Television (Abk. : Eurovision) mit dem Zweck
des Programmaustausches der ihr angeschlossenen Lan-
der. 1960 schlossen sich die Sendeanstalten im osteuro-
paischen Bereich zur Intervision zusammen. Zur Zeit
strahlen in 193 Landern etwa 3500 Sender Fernsehpro-
gramme aus. - Die ersten Versuche im Farb-F. un-
ternahm 1928 das Bell-Laboratorium in den USA. Die
Deutsche Reichspost fiihrte 1935 die ersten deutschen
Experimente durch. Farb-F. mit regelmaBiger Pro-
grammausstrahlung gibt es seit 1955 in den USA, seit
1957 in Japan. Die deutschen Fernsehanstalten wollen
mit einem Farbfernsehprogramm im Herbst 1967 be-
ginnen. - Das F. hat als eine der Allgemeinheit dienen-
de oflentliche Einrichtung gleichzeitig pubhzistische
und kiinstlerische Auf gaben zu erf iillen. SeinProgramm
kann alle Kommunikationsmittel einschheBen: neben
der Live-Sendung werden der Film, das Standbild, die
Graphik, die Techniken des -> Rundfunks sowie die
Produktionsmethoden des Theaters und der Variete-
279
Femsehen
buhnen angewendet. - Der Musik kommen im F. ver-
schiedenartige Aufgaben zu: Die Vorlauf-, Zwischen-
und SchluBmusik leitet das Tagesprogramm ein bzw.
schlieBt es ab und uberbruckt kurze Pausen zwischen
den Sendungen. Haufig dient die Musik als Gerausch-
kulisse und Untermalung, eigens dafiir komponiert
oder aus Vorhandenem ausgesucht. Hier reicht die
Skala von ihrer Verwendung als Kennmelodie (z. B.
Eurovisionsfanfare) iiber die einfache Begleitmusik bis
zum dramaturgisch notwendigen Einsatz etwa in ei-
nem Femsehspiel als Inzidenzmusik (-»• BUhnenmusik,
-»■ Filmmusik, ->• Horspielmusik). Schlager, Chan-
sons, Unterhaltungsmusik, Liedgesang, Kammermu-
sik, Kirchenmusik, Instrumentalkonzerte, Werke fiir
groBes Orchester, Musical, Operette, Ballett und Oper
bieten die Moglichkeit zu eigenstandigen Sendeformen
im F. Fiir die kiinstlerische Gestaltung ist wesentlich,
daB die optischen und akustischen Dimensionen im
Verhaltnis zum Bildschirm unmittelbar voneinander
abhangen, von der Relation zur Wirklichkeit aber
weitgehend unabhangig sind. Die Grenzen werden
durch eine dramaturgisch und raumakustisch richtige
Fuhrung gezogen, die keinen Widerspruch zwischen
Bild und Ton aufkotnmen laBt. - Bei der Fernsehge-
staltung von Biihnenwerken sind die Bewegungsvor-
gange musikalisch sorgfaltig zu stufen, damit sich un-
ter Beachtung der »Substanzdichte« (Koster) der ein-
zelnen Komponenten die szenisch-musikalische Ge-
samtwirkung einstellt. Das ->■ Playback- Verfahren ist
etwa bei der -*■ Fernsehoper ein wesentliches Gestal-
tungsmittel. Die konzertante Musik hat als eigenstan-
dige Sendeform des F.s bisher 2 Stadien durchlaufen.
Zunachst wurde versucht, die Musik durch eine bild-
hafte Auflosung dem Zuschauer »verstandlich« zu ma-
chen (»platschernde Brunnen«, »Sommerwiese«) oder
durch Gemalde und Werke der Baukunst zu »interpre-
tieren«, die ihr stilistisch entsprechen. Wenn auch diese
Art der Darstellung von Musik im F. heute noch ein-
zelne Verfechter findet, gilt sie doch als iiberholt. Da-
gegen werden in neueren Musiksendungen hauptsach-
lich die Ausfiihrenden wahrend des Konzerts im Bild
gezeigt. Das Kriterium einer solchen Sendung bildet
die Frage, wie weit es gelungen ist, durch die Wahl
der Interpreten sowie durch die Zusammenarbeit von
Bild- und Tonregisseur beim Einsatz der technischen
Mittel des F.s zum richtigen Verstandnis des iibertrage-
nen Werks beizutragen. - Die vielfaltigen Aufgaben,
die der Musik im F. gestellt sind, bildeten das Thema
der in Salzburg bisher durchgefiihrten vier Internatio-
nalen Kongresse iiber Die Oper in Rundfunk, F. und
Film (1956), Oper und Ballett in F. und Film (1959), Mu-
sik im F. (1962) und Tanz, Ballett und Pantomime in
Film und F. (1965).
Lit. : G. Leithauser u. Fr. Winckel, F., Bin, Gottingen u.
Heidelberg 1953; Fernsehtechnik, I: Grundlagen d. elek-
tronischen F., II: Technik d. elektronischen F., hrsg. v. F.
Schroter, = Lehrbuch d. drahtlosen Nachrichtentechnik,
hrsg. v. N. v. Korshenewsky u. W. T. Runge, Bd 5, Bin,
Gottingen u. Heidelberg 1 1956, II 1963; Film, Rundfunk,
F., hrsg. v. L. H. Eisner u. H. Friedrich, = Das Fischer
Lexikon IX, Ffm. (1958) ; A. V. J. Martin, Technical Tele-
vision, Englewood Cliffs (N. J.) 1962; Gravesaner Blatter
VII, 1964, H. 25. - H. Bredow, Vergleichende Betrachtun-
gen iiber Rundfunk u. F., Heidelberg 1950; G. Eckert, Die
Kunst d. F., Emsdetten i. W. (1953); G. Goebel, F. in
Deutschland bis 1945, in: Arch. f. d. Post- u. Fernmelde-
wesen, hrsg. im Auftrag d. Bundesministers f. d. Post- u.
Fernmeldewesen, V, 1953; E. Koster, Musikdramatisches
im F., in : Rufer u. Horer VIII, 1953/54 ; H. J. Girock, Die
Sinfonie auf d. Fernsehschirm, ebenda; G. Hahn, Der
Fernsehzuschauer, in: Rundfunk u. F. II, 1954; Die 3 gro-
Ben »F«. Film, Funk, F., = Musik d. Zeit, hrsg. v. H. Lind-
lar u. R. Schubert, N. F. II, Bonn (1958); The Broad-
casting of Music in Television, in : BBC Engineering Mono-
graph XL, London 1962, Neudruck 1963 ; H. Siebler, Mu-
sik im F., NZfM CXXV, 1964; S. Goslich, Die Musik im
F., in: medium, Zs. f. ev. Rundfunk- u. Fernseharbeit II,
1965; J. Thiel, Musikdramaturgie f. d. Bildschirm, NZfM
CXXVI, 1965. - Internationales Hdb. f. Rundfunk u. F.,
hrsg. v. H. Bredow-Inst. f. Rundfunk u. F. an d. Univ.
Hbg, seit 1957 (jahrlich). KHH
Fernsehoper (engl. television opera; frz. opera en te-
levision; ital. opera televisiva) heiBen Opern, die ei-
gens fiir das Femsehen komponiert werden (-> Funk-
oper) ; in diesem Faile ergeht gewohnlich ein Auftrag
von einer Fernsehanstalt an einen Komponisten. Die
F. kam gerade im Augenblick der technischen Vervoll-
kommnung von Ausstrahlungs- und Empfangsmog-
lichkeiten des Fernsehens auf, als damit auch hohere
Anspriiche an die Programmgestaltung gestellt werden
konnten und die Moglichkeit gegeben war, fernseh-
eigene Inszenierungen zu bringen, die durch entspre- 1
chende Regiekonzeption und Kamerafiihrung der
Fernsehausstrahlung (kleine Bildflache, kein groBer
Bewegungsraum) Rechnung tragen. - Anfangs kannte
das Femsehen nur die Direktubertragung von Biih-
nenauffiihrungen. Nach ersten Versuchen durch die
BBC im Jahre 1936 mit Szenen aus Mr. Pickwick von
A. Coates gab es die ersten Sendungen in den USA in
Form von Ubertragungen der Saison-Erofmungsvor-
stellungen aus der Metropolitan Opera (1948 Verdis
Otello, 1949 R.Strauss-' Der Rosenkavalier). Die ersten
speziell fiir das Femsehen inszenierten Versuche waren
Kurzopern: Down in the Valley von K.Weill (NBC,
14. 1. 1950), »Der kleine Schornsteinfeger« von B.
Britten (NWDR, 19. 4. 1953) ; spater kamen auch gr'o-
Be Opern zur Sendung, z. B. »Die Macht des Schick-
sals« von Verdi (WDR, 1960), »Aus einem«Totenhaus«
von Janacek (ORF, 1961), Carmen von Bizet (BBC,
1963) u. a. - Man kennt 2 Arten der Ausstrahlung : die
Live-Sendung (Direktsendung) und die Aufzeichnung
(Film oder Magnetband), wobei entweder der Origi-
nalton gesendet bzw. aufgezeichnet oder aber das
-> Playback-Verfahren angewendet wird. - Ausge-
sprochene F.n, die vor allem den Notwendigkeiten
der Fernseh-Programmgestaltung (Beschrankung der
Auffiihrungsdauer) und den technischen Moglichkei-
ten angepaBt wurden, sind: Amahl and the Night Vi-
sitors von G.C.Menotti (erste F., NBC, 24. 12. 1951;
auch RTF, 1961) ; The Marriage von B. Martinu (NBC,
1953); Griffelkin von L.Foss (NBC, 1955); Die Aus-
zeichnung von H. Poser (NDR, 1959); Ausgerechnet
und verspielt von E.Kfenek (ORF, 1962); Battono alia
porta vonR.Malipiero (RAI, 1962) ;Noah and the Flood
von I.Strawinsky (CBS, 1962); Leonce und Lena von
W.Haentjes (WDR, 1963); Labyrinth von G.C.Me-
notti (NBC, 1963); Die Bafigeige von H. Poser (ZDF,
1964). 1959 wurde von der Stadt Salzburg ein Preis
fiir die beste F. gestiftet, mit dem 1962 die japanische
F. »Die seidene Trommeh von Y.Irino und 1965 Das
Cespenst von Canterville von H. Sutermeister (ZDF,
1964) ausgezeichnet wurden.
Lit.: A. Holde, Die F., Das Musikleben IV, 1951 ; R. A.
Wright, Musik u. Femsehen, in: Gravesano, hrsg. v. W.
Meyer-Eppler, Mainz (1955); Die 3 groBen »F«. Film,
Funk, Femsehen, = Musik d. Zeit, hrsg. v. H. Lindlar u.
R. Schubert, N. F. II, Bonn (1958); A. Brasch, Wege
u. Irrwege d. F., NZfM CXXII, 1961 ; K. O. Koch, Die
Technik d. Opernproduktion im Femsehen, NZfM
CXXIII, 1962.
Fernwerk-* Orgel, -> Disposition.
Ferr ar a (Emilia).
Lit. : P. Antolini, Notizie e documenti intorno al Teatro
Comunale di F., Atti della deputazione ferrarese di storia
280
Festmusik
patria, F. 1889 ; A. Lazzari, La musica alia corte dei duchi
di F., F. 1928; W. Weyler, Documenten betreffende de
muziekkapel aan het hof van F., Vlaamsch Jb. voor mu-
ziekgeschiedenis 1, 1939.
Festivals (f estivalz, engl.) -> Festspiele.
Festmusik ist als Begriff so weit wie der des Festes,
der in speziellerer Abgrenzung jedoch weniger das im
kirchlichen und politischen Jahr regelmaBig wieder-
kehrende, das stehende, als vielmehr das besonders ver-
anlaBte und angeordnete Fest meinen kann: Geburts-
(Tauf-)feste, Hochzeiten und Begrabnisse, Genesun-
gen und Empfange, Erbhuldigungen, Sieges- und
Friedensfeste, Staatsvertrage, Kronungs-, Reichs- und
Fiirstentage, Grundsteinlegungen und "Weihefeste, Er-
offnungs-, Jubilaums- und Gedenkfeierlichkeiten. Da-
bei bedeutet das Fest fur die Musikgeschichtsschreibung
nicht selten ein sicheres Datierungsmittel musikalischer
Werke, so unter den mittelalterlichen Conductus z. B.
die 3 Gattungsbelege zu den franzosischen Konigskro-
nungenvon 1179, 1223 und 1226; unter den englischen
Carols Deo gratias Anglia zum Sieg Heinrichs V. iiber
die Franzosen bei Agincourt 1415; unter den Chansons
Tra quante regione von H. de -*■ Lantins zur Hochzeit
des Theodoros Palaiologos mit Cleofe Malatesta zu
Mistra 1421 und Resvellies uous von Dufay zur Hoch-
zeit Carlo Malatestas mit Vittoria Colonna in Rimini
1423; spater z. B. die F.en in J. S.Bachs Schaffen. Die
Festbeschreibungen in Chroniken, Schilderungen der
Hofpoeten, Berichten (Relationen) der Agenten und
Korrespondenten (zusammen mit dem Material der
Futter- und Furierzettel) sowie die Bilddarstellungen
von Festen bieten wertvolle musikgeschichtliche Auf-
schliisse, z. B. iiber Aufgaben der Hoftrompeter, Zu-
sammensetzung der Kapellen, Musikerbiographien
und Auffiihrungspraxis.
Im Bereich des aufiergewohnlichen Festes, dessen An-
lafi begriiBt oder gesucht, ja erfunden wurde, um das
AuBergewohnliche zu rechtfertigen, waren die Jahr-
hunderte vom spaten Mittelalter bis zum Ausklang des
Rokokos, besonders Renaissance und Barock, die Zeit
des Festes als Lebensstil. Geschichtliche Bedeutung
kommt besonders den Festen des Burgundischen Ho-
fes im 15. Jh. zu, dessen Prachtentfaltung den Hofen
anderer Lander zum Vorbild diente. Unter den Jahres-
festen (Fasanenbankette) des von Philipp dem Guten
1429 gestifteten Ordens vom Goldenen Vlies ist das
am 17. 2. 1454 in Lille gehaltene Banquet du voeu
denkwiirdig. Es diente der Vorbereitung eines Kreuz-
zugs zur Wiedereroberung Konstantinopels, zu dem
u. a. Dufays 4st. Motette O tres piteulx (eine Klage der
Kirche von Konstantinopel) aufrief. Spater waren es
vor allem die Hofe von Florenz, Mantua, Ferrara und
- im 17.-18. Jh. - Versailles, deren Feste stilbildend
wirkten. Dabei ist das Fest zugleich selbst ein Kunst-
werk gewesen, und die Musik war raumlich (in Gar-
ten, auf Wagen oder Schiffen, in Nebenraumen, in
Kuppeln) und gedanklich (nach Instrumentarium :
z. B. Sackpfei£e und Schalmei fur die bauerliche Pars
oder Invention in Festaufziigen, und nach Gattungen:
z. B. die Huldigungsoper) sowie gesellschaftlich (z. B.
Mitwirkung des Adels) ins Zusammenspiel der Kun-
ste und in den Gesamtplan des Festes eingeordnet.
Doch gegeniiber solcher Bedeutung der Musik fur die
Feste ist musikgeschichtlich wohl noch relevanter die
Bedeutung der Feste f iir die Musik und die Kunst iiber-
haupt, die in jener Zeit weitgehend Kunst der Feste
war: Das barocke Fest hat der Kunst ihre gewaltigsten An-
strengungen entlockt (Alewyn, S. 11). Als Uberhohung
der Wirklichkeit, als Abbild oder Allegorie der Wel-
tenordnung und -harmonie, als stilisierter Ausdruck
des stadtischen, kirchlichen, besonders des hofischen
Lebens, das im Fest zu seinem Wesen gelangte, als Glo-
rifizierung und Representation des gottlichen wie des
weltlichen Regiments, als Ergotzung und Zeitvertreib
erforderte und ermoglichte das Fest den erhohten Auf-
wand an Mitteln, Erfindungskraft und Modernitat
und veranlaBte auch den Komponisten zu hochster
Leistung. In dem MaBe wie Musik in Komposition
und Ausfiihrung bis in die nachbarocke Zeit gebunden
war an Amt und AnlaB, ist das Fest als ein HauptanlaB
zur Musik zu werten. Erst mit der Vorstellung des
freien Schaffens und dem Beginn des offentlichen Kon-
zertwesens im spateren 18. Jh. verlor die F. (zusammen
mit dem Fest) an Geltung und geschichtlicher Bedeu-
tung und beriihrt den nun abschatzigen Begriff der
»Gelegenheits«-Kunst.
Was in Renaissance und Barock bei den unzahligen
Geburts- und Namenstagen, Banketten, Hoftanzen,
Ritterspielen, Turnieren, Festziigen (mit ihren Mu-
sikwagen), Schiffspromenaden, Karnevals, Maskera-
den und den typisch deutschen »Bauernhochzeiten«
und »Wirtschaften« (bei denen die hohe Herrschaft,
kostiimiert, als Gastgeber die in Nationaltrachten er-
schienenen Hofgaste bewirtete) an Musik erklang, ist
sehr oft nicht nachweisbar oder entspricht dem Musik-
repertoire der Zeit. Einzelne Musikarten, die meist be-
stimmten Gattungen zugehoren, sind durch ihre Na-
men als F.en gekennzeichnet oder besonders geeignet :
Epithalamion (A. Scandello zur Hochzeit von J.Wal-
ter in Torgau 1564, A.Schroter zur 2. Hochzeit von
G.DreBler in Zerbst 1577); »Wassermusik« (J.D.Hei-
nichen, Serenatafatta sulla Elba bei den Vermahlungs-
feierlichkeiten Friedrich Augusts II. in Dresden 1719,
Handel zu einem von Konig Georg I. verordneten
Wasserfest auf der Themse 1717) ; »Feuerwerksmusik«
(Handel zur Londoner Feier des Friedens zu Aachen
1749); Begrabnislieder und -motetten (z. B. die Mo-
tettenj. S. Bachs); »Trauermusik« (W. A. Mozart, Maure-
rische Trauermusik, K.-V. 477, zum Tode von Herzog
August von Mecklenburg und Graf Franz Esterhazy) ;
->■ Masque; -> Actus; auch Ode (6 Geburtstagsoden
von H.Purcell fiir die Konigin Maria von England
1689-94, Geburtstagsode von Handel fiir die Koni-
gin Anna von England 1713) ; Serenata (z. B. von A.
Scarlatti zum Geburtstag des Erzherzogs Leopold in
Wien 1716) ; ->■ Te Deum (fast regelmaBig bei Hoch-
zeiten; auBerdem z. B. von Handel zur Feier des Ut-
rechter Friedens 1713 sowie des Sieges bei Dettingen
1743, von Lully zur Tauffeier seines Sohnes 1677, von
J. A.Hasse zur Einweihung der Dresdener Hofkirche
1742) ; -> Requiem (so von T. L. da Victoria zum Tode
der Kaiserin Maria 1603, von G.Croce fiir den Dogen
Marino Grimani in Venedig 1605, von J. A. Hasse fiir
August III. von Sachsen 1763, von M.Haydn fiir Erz-
bischof Sigismund in Salzburg 1771). - Oft pragte die
Musik in Besetzung und Kompositionsart (z. B. »star-
ke« Besetzung, haufig mit Blasern und Pauken und in
kompositorischer Nachahmung freudigen Affekts) den
besonderen Charakter der F. aus. Zu den Hochzeits-
feierlichkeiten des Herzogs Georg von Bayern 1475 in
Landshut waren 105 Trompeter, Pauker und Pfeifer
anwesend; die Tafelmusik beim Friedensbankett 1649
in Nurnberg wurde unter Leitung von S.Th. Staden
von 51, in 4 Chore geteilten Instrumentisten und San-
gem ausgefiihrt; fiir den Festzug zum Karussellren-
nen beim Besuch des Danenkonigs Friedrich IV. 1709
in Dresden forderte die Festordnung 180 Musiker;
HSndels »Feuerwerksmusik« verlangt 54 Blaser und 3
Pauken (-> Harmoniemusik), bei seinen Coronation
Anthems von 1727 wird von 200 Ausfiihrenden berich-
tet. Gleichwohl kann auch fiir Renaissance- und Ba-
rockzeit von F. als musikalischer Gattung nicht ge-
281
Festmusik
sprochen werden. Indessen erreichten einzelne Gattun-
gen als F.en ausgepragte Stadien, auch Hohepunkte
ihrer Geschichte oder erhielten durch ihre Bestim-
mung zu festlichen Anlassen entscheidende Impulse zu
schopferischer Neuerung und wurden zum Teil als re-
presentative GroBf ormen langhin speziell als F.en kom-
poniert. Genannt seien: 1) die - teils noch isorhythmi-
sche - Tenormotette in ihrem Spatstadium, so von
Dufay: Apostolo glorioso zur Domweihe auf der Akro-
polis von Patras 1426 ; Ecclesiae militantis zur Papstwahl
Eugens IV. 1431 ; Supremum est anlafilich des Friedens
yon Viterbo 1433 ; Nuper rosarumjlores zur Domweihe
in Florenz 1436; Magnanimae gentis zum AbschluB
des Stadtebiindnisses Freiburg-Bern 1438; ferner spa-
tere Motetten von Brassart, O rex Friderke tu zur
Thronbesteigung Kaiser Friedrichs III. 1440; J.Mou-
ton, Quis dabit oculis nostris zum Tod der Konigin Anna
von Frankreich 1514; Chr. Morales, Jubilate Deo zum
Frieden von Nizza 1538 und Gaude et laetare zur Kar-
dinalserhebung Ippolitos d'Este in Ferrara 1539; J.
Walter, Beati immaculati in via zur Einweihung der er-
neuerten Kapelle in Torgau durch Luther 1544; T.
Michael, 3 Festmotetten zum Friedensfest in Leipzig
1650 und die Motette In Not und Angst f iir sein Begrab-
nis in Leipzig 1657. 2) das mehrstimmige Ordinarium
missae: die bahnbrechende Messe von Machaut (zur
Kronung Karls V. in Reims 1364?) ; spaterhin N. Gom-
bert, Messe A la Incoronatione wahrscheinlich zur Kai-
serkronung Karls V. in Bologna 1530; A.Scandello,
6st. Messe zum Tode des Kurfiirsten Moritz von
Sachsen 1553; O.Benevoli, 52st. Messe zur Domweihe
in Salzburg 1629; H.Schiitz, Musicalische Exequien
(Teutsche Begrabnis-Missa, Motette und Concert) zum
Tode des Heinrich Posthumus von Reufi 1636; J.S.
Bach, Kyrie und Gloria zur Regierungsiibernahme
Augusts III. von Sachsen 1733; W.A.Mozart, Missa
C dur K.-V. 317 (»Kronungsmesse«), komponiert 1779
zur Erinnerung an das 1751 gekronte Gnadenbild
der Gottesmutter Maria Plain. 3) das italienische Ma-
drigal vor und um 1400, so von Jacopo da Bologna O,
in Italia zur Taufe der Visconti-Zwillinge in Mailand
1346; von Landini Godi, Firence zum Sieg von Florenz
uber Pisa 1406; von Antonello da Caserta Del glorioso
titolo zur Hochzeit Johannas II. 1415; und im 16. Jh.
die 16 Madrigale (gedruckt Venedig 1539) von Fr.
Corteccia, C. Festa u. a. zur Hochzeit Cosimos de' Me-
dici in Florenz 1539 sowie die 19 Madrigale (gedruckt
Venedig 1579 als Trionfo di Musica) von T.Massaini,
A. Gabrieli, CI. Merulo, Ph. de Monte, A. Striggio und
O. Vecchi zur Hochzeit Francescos de' Medici in Flo-
renz 1579. 4) die Kantate als F., so vor allem von J. S.
Bach die Ratswahlkantaten, die Thomasschulkantaten
(BWV, Anhang 18 und 19), dieKantateNr 194 {Hochst-
erwiinschtes Freudenfest) zur Orgelweihe in Stormthal
1723 sowie die zahlreichen F.en fur die Furstenhauser
von Weimar, Weifienfels und Kothen, fur das Kur-
fiirstlich-Sachsische Haus und fur Leipziger Universi-
tatsfeiern (Neue Bach-Ausgabe, Serie I, Band 35fL);
spaterhin z. B. von J. Haydn die Kantate Vivangl'illustri
sposi zur Hochzeit Antons von Esterhazy 1763; von
Zelter die Festkantate zur Orgelweihe in der St. Geor-
gen-Kirche in Berlin 1782 und die Kantate auf den Tod
Friedrichs II. von PreuBen 1786; von W.A.Mozart
Fine kleine Freimaurerkantate, K.-V. 623, zur Tempel-
einweihung der Wiener Loge »Zur neugekronten
Hoffnung? 1791. 5) das Anthem als F., so von G.Fr.
Handel 4 Coronation Anthems zur Kronung Georgs II.
von England in London 1727 und die Anthems This is
the Day zur Trauung von Wilhelm, Prinz von Ora-
nien, in London 1734 und Sing into God zur Hochzeit
von Frederick, Prinz von Wales, in London 1736, das
Funeral Anthem zum Begrabnis von Konigin Caroline
1737 und das Dettingen Anthem von 1743. - Wiederum
andere Gattungen verdanken wesentliche Impulse ih-
rer Entstehung und Fortbildung dem festlichen AnlaB,
so die -> Toccata als Blaserfanfare ; die Intermedien,
z. B. von C. Festa und Fr. Corteccia fiir // Commodo von
A.Landi zur Hochzeit des Cosimo de' Medici in Flo-
renz 1539 sowie von G.Bardi, C.Malvezzi, L.Ma-
renzio, J. Peri und E. de Cavalieri zur Hochzeit von
Ferdinand I. von Medici in Florenz 1589; ferner das
->■ Liturgische Drama; die ->• Masque; das Ballett
(z. B. L. de Beaulieu und J. Salmon, Circe, ou Ballet co-
mique de la Royne zur Hochzeit des Due de Joyeuse in
Paris 1581), auch das Rofiballett (ital. balletto a ca-
vallo ; frz. ballet de chevaux) : so unter vielen anderen
La guerra d'amore mit der Musik von G.B.Signorini,
G. Del Turco, P.Grazi und J.Peri 1615/16 zum Ge-
burtstag Cosimos II. in Florenz und La contesa dell'aria
e dell'acqua mit der Vokalmusik von A. Bertali, Trom-
petenmusik von J. H. Schmelzer zur Hochzeit Leo-
polds I. in Wien 1667; vor allem die Barockoper, die
ihrem Wesen nach selbst als ein Fest der Kiinste und
(wie aus unzahligen Belegen hervorgeht) als die hofi-
sche F. par excellence angesprochen werden kann. Ei-
ne ausgesprochen festliche Kompositionsart fiir groBe
Stadtkirchen, SchloBkapellen und Hofkantoreien schuf
sich die Barockzeit in der -*■ Mehrchorigkeit. Nach
den richtungweisenden Vorbildern an San Marco in
Venedig, der bayerischen Hofkapelle in Munchen und
der kaiserlichen Hofkapelle in Wien und Prag bildete
fiir die mehrchorige Concertomusik in Mitteldeutsch-
land der Naumburger Fiirstentag von 1614 mit der
DresdenerHofkapelle unterM. Praetorius in der Naum-
burger St. Wenzelskirche den Auftakt. Ihm folgte 1619
die Veroffentlichung von Schiitzens Psalmen Davids
und Praetorius' Polyhymnia . . . Solennische Friedt- vnd
Frewden-Concert . . . respective, bey Kayser: Konig: Chur:
vnd Fiirstlichen zusammen Kunfften . . .
Ein Beispiel fiir den Ubergang von der sozialgeschicht-
lichen Gebundenheit des Kunstwerks zu freiem Schaf-
fen im Bereich der F. bietet Beethovens Missa solemnis,
komponiert zur Inthronisation des Erzherzogs Rudolf
von Osterreich zum Erzbischof von Olmiitz 1820,
vollendet aber erst 1822, erste (Teil-) Auf fiihrung dann
in Wien 1824 im Karntnertor-Theater. - Auch im 19.
und 20. Jh. entstanden unzahlige F.en, oft monstros in
Besetzung und Stil: zum Preufiischen Volksgesang von
G. Spontini beim Geburtstag der Konigin von PreuBen
1821 waren 350 Ausfuhrende aufgeboten; Berlioz'
Grande messe des morts, geschrieben im Auftrag der Re-
gierung fiir eine Gedenkfeier fiir die Gefallenen der
Revolution von 1830, fordert u. a. 6 Paukenpaare und
4 Blechblaserorchester und wurde bei der Erstaufftih-
rung 1837 anlafilich der Beisetzung des Generals Dam-
remont im Dome des Invalides zu Paris - laut Verord-
nung des Kriegsministeriums - von 300 Spielern aus-
gefiihrt. Doch in der Zeit des durch Inspiration und
Erleben, Freiheit und Einsamkeit bedingten Schaffens
ist die Festveranstaltung weithin Veranlassung bloBer
Gelegenheitsarbeit, die nach kiinstlerischem Rang und
geschichtlicher Relevanz hinter den frei geschaffenen
Werken der Komponisten in der Regel zuriicksteht.
Aus der Fulle der Beispiele seien genannt: Berlioz,
Grande symphonic funebre et triomphale zur Uberfiihrung
der Opfer der Revolution von 1830 in ein Grabmal
auf der Place de la Bastille in Paris 1840 (die Partitur
verlangt iiber 100 Musiker; fiir die Freilichtauf fiihrung
hatte Berlioz 207, fiir die Konzertauffiihrungen im
August 1840 250 Instrumentisten zur Verfiigung) ; F.
Mendelssohn Bartholdy, Symphonie D dur op. 107
zur 300-Jahr-Feier der Augsburger Konfession 1830;
282
Festspiele, Musikfeste
Cherubini, Messen in F dur zur Kirchweihe in Chimay
1809 und in D moll zur Salbung Konig Karls X. von
Frankreich 1825; Liszt, Missa solemnis zur Domweihe
in Gran 1856 und Ungarische Kronungsmesse zur Kro-
nung Kaiser Franz Josephs zum ungarischen Konig in
Budapest 1867, Festkantate zur Enthullung des Beet-
hoven-Denkmals in Bonn 1845 sowie seine Weimarer
F.en (zur Goethe-Jubilaumsfeier 1849, zur Enthullung
des Herder-Denkmals 1850, zur Eroffnung der iO. all-
gemeinen deutschen Lehrerversammlung, zur Schiller-
Feier 1859, zur Sakularfeier Beethovens 1870) ; Bruck-
ner, Festkantaten Preiset den Herrn zur Grundsteinle-
gung des neuen Linzer Doms 1862 und Helgoland zum
50jahrigen Bestehen des Wiener Mannergesangvereins
1893; Wagner, Trauerode f iir Mannerchor und Trauer-
marsch iiber 2 Motive aus Euryanthe fur 75 Blaser und
20 gedeckte Trommeln zur Heimbringung von We-
bers Leiche aus London nach Dresden 1844, Kaiser-
marsch zum Sieg iiber die Franzosen 1871, Grofier Fest-
marsch zur Eroffnung der hundertjahrigen Gedenkfeier der
Unabhangigkeitserkldrung der Vereinigten Staaten von
Nordamerika 1876; R.Strauss, Olympische Fanfare fur
Berlin 1936, F. zur Feier des 2600jahrigen Bestehens
des Kaiserreichs Japan 1940 (op. 84) ; Former, Bldser-
musik (Praeludium und Hymnus) zur 500-Jahr-Feier
der Universitat Freiburg im Breisgau 1957; Hinde-
mith, Maimer Umzug, zur 2000-Jahr-Feier der Stadt
Mainz 1962.
Lit. : Ph. Harsdorffer, Frauenzimmer Gesprechspiele . . . ,
Nurnbergl641-49;T.NoRLiND,EinMusikfestzuNurnberg
im Jahre 1649, SIMG VII, 1905/06; O. v. Gerstenfeldt,
Hochzeitsfeste d. Renaissance in Italien, EBlingen 1906 ; H.
Prunieres, L'opera ital. en France avant Lully , Paris 1913;
ders., Le ballet de cour en France avant Benserade et Lully,
Paris 1 914; H.Radiguer, Lamusiquefr5.de 1789 a 18 15, in:
Encyclop6die de la musique I, 3, hrsg. v. A. Lavignac u.
L. de la Laurencie, Paris (1914); P. Nettl, Ein verschol-
lenes Tournierballett . . . , ZfMw VIII, 1925/26 ; E. Magne,
Les fetes en Europe au 17 e s., Paris 1930; G. Mourey, Le
livre des fetes frc., Paris 1930; G. Pietzsch, Dresdner Hof-
feste v. 16.-18. Jh., in: Musik u. Bild, Fs. M. Seiffert, Kas-
sel 1938; ders., Die Beschreibung deutscher Furstenhoch-
zeiten v. d. Mitte d. 15. bis zum Beginn d. 17. Jh. als mg.
Quellen, AM XV, 1960; F. Ghisi, Feste mus. della Firenze
medicea, 1480-1589, Florenz 1939; J. Mark, Hist, de la
musique et des musiciens de la cour de Bourgogne sous le
regne de Philippe le Bon (1420-67), = Slg mw. Abh.
XXVIII, StraBburg 1939; I. Becker-Glauch, Die Bedeu-
tung d. Musik f. d. Dresdener Hoffeste bis in d. Zeit Au-
gusts d. Starken, = Mw. Arbeiten VI, Kassel 1951; L.
Schrade, Political Compositions in French Music of the
XII" 1 and XIII« h Cent., Ann. Mus. I, 1953; Les fetes de la
Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, 2 Bde, Paris 1956-60; R.
Alewyn u. K. Salzle, Das groBe Welttheater. Die Epoche
d. hofischen Feste in Dokument u. Deutung, = rde XCII,
Hbg (1959) ; Les fetes du mariage de Ferdinand de Medicis
et de Christine de Lorraine, Florenz 1589, 1: Musique des
intermedes de »La Pellegrina«, hrsg. v. D. P. Walker, F.
Ghisi u. J. Jacquot, = Collection »Le Choeur des Muses«,
Paris 1963 ; N. Bridgman, La vie mus. au Quattrocento et
jusqu'a la naissance du madrigal, Paris (1 964). HHE
Festspiele, Musikfeste sind Veranstaltungen, die
den Zweck haben, Auffiihrungen von besonderer Qua-
litat oder solche mit fur den Repertoirebetrieb nicht er-
reichbaren Besetzungen moglich zu machen. Auch
durch die Wahl eines Festspielortes, der durch Tra-
dition, durch Bauten und Sale oder durch ferienhafte
Atmosphare ausgezeichnet ist, werden F. aus dem Rah-
men des Alltaglichen herausgehoben. Das Streben nach
exemplarischen, aber auch oft sensationellen Auffiih-
rungen und besonders die Erteilung von Auftragskom-
positionen mogen Beziehungen zur alteren ->■ Festmu-
sik erkennen lassen, doch unterscheiden sich F. und M.
grundsatzlich von ihr, da die Musik selbst der AnlaB
ist. Die ersten modernen F. fanden in England statt
(Three Choirs Festival ab 1724 in jahrlichem Wechsel
in Gloucester, Worcester und Hereford; M. in York
ab 1791, in Liverpool ab 1794, in Norwich ab 1770).
Die Niederrheinischen M. wurden veranstaltet, um
»einige jener klassischen Werke aufzufiihren, welche
nur durch ein stark besetztes Orchester wiirdig vorge-
tragen werden konnen« (ab 1817 jahrlich zu Pfirigsten
in rheinischen Stadten). Die Tonkiinstler-Versamm-
lung (1859-1937) des Allgemeinen Deutschen Musik-
vereins (-»• Gesellschaften und Vereine) war mit Auf-
fiihrungen klassischer und zeitgenossischer, meist groB-
angelegter Chor- und Orchesterwerke verbunden. In
den Niederlanden veranstaltet die Maatschappij tot be-
vordering der Toonkunst seit 1834 M. Seit der Mitte
des 19. Jh. nahm in den USA die Zahl der F. zu (zuerst
Worcester, Mass., ab 1858; Cincinnati ab 1873).
Eine Reihe von M.n ist der Pflege je eines Komponi-
sten gewidmet; die wichtigsten sind: Deutsche Bach-
feste der Neuen Bach-Gesellschaft seit 1901 ; Leipziger
Bachfeste des Leipziger Bach-Vereins 1908-39; Bach-
f este der Internationalen Bach-Gesellschaft, alle 2 Jah-
re in Schaffhausen seit 1946; Bachwoche in Ansbach
1948-64. Beethovenfeste der Stadt Bonn seit 1931. Han-
del-Feste in der Westminster Abtei und im Pantheon in
London 1784-91 ; Handelfeste in Deutschland seit 1786 ;
Handelfeste der Sacred Harmonic Society im Kristall-
palast in London seit 1857; Handelfeste der Deutschen
Handel-Gesellschaft seit 1926; Gottinger Handelfeste
seit 1920. Mozartfeste der Internationalen Stiftung
Mozarteum seit 1877. Schiitzfeste der Schiitz-Gesell-
schaft 1922-29 und der Neuen Schiitz-Gesellschaft seit
1930. Sibelius-Woche in Helsinki seit 1951.
Die M. der Internationalen Gesellschaft f iir Neue Mu-
sik seit 1923 mit wechselnden Festspielorten in Europa
(seit 1940 wiederholt auch in den USA) sind ausschliefi-
lich zeitgenossischer Musik gewidmet. - Vor allem in
den Jahren der wirtschaftlicnen Prosperitat nach etwa
1950 ist die Zahl der F. und M. sprunghaft gestiegen.
Der Europaischen Vereinigung der Musik-F. in Genf
sind 29 Veranstaltungen aus 18 Landern angeschlossen;
insgesamt wurde fur 1965 mit etwa 130 Festivals in
Europa (davon 40-50 in Deutschland) gerechnet.
Von den wichtigsten F.n und M.n mit feststehenden
Orten seien genannt :
Aldenburgh. Aldenburgh Festival, begriindet von B.
Britten, jahrlich seit 1948 (Juni) : Konzert.
Adc-en-Provence. Festival International de Musique,
jahrlich seit 1948 (Juli) : Oper, Konzert.
Amsterdam, Den Haag, Scheveningen. Holland Festi-
val, jahrlich seit 1948(Juni/Juli) : Oper, Konzert, Schau-
spiel, Ballett, Ausstellungen.
Bath. Bath Festival, jahrlich seit 1951 (Juni), unter
Leitung von Y. Menuhin : Konzert, Jazz.
Bayreuth. R.-Wagner-F., seit 1876 (Juli-August), in
dem von Wagner zur Auffuhrung des Ring des Nibe-
lungen und des Biihnenweihfestspieles Parsifal (dessen
Auffuhrung bis 1913 Bayreuth vorbehalten blieb) er-
bauten Festspielhaus. Spater wurden mit Ausnahme der
Fruhwerke auch die anderen Buhnenwerke Wagners in
das Programm auf genommen. Das Unternehmen steht
unter Leitung der Enkel Wieland und Wolf gang Wag-
ner. Von Bayreuth-Dirigenten sind zu nennen : Mottl,
Furtwangler, Toscanini, Knappertsbusch, v.Karajan,
K. Bohm. In Wagners Bemiihen um das wahre Wesen des
deutschen Geistes sollte Bayreuth zu einer wirklichen natio-
nal-kiinstlerischen Institution werden und nichts anderes
bieten, als den ortlich fixierten periodischen Vereinigungs-
punkt der besten theatralischen Krafte Deutschlands zu
Vbungen und Ausfuhrungen in einem hoheren deutschen
Originalstile ihrer Kunst, welche ihnen im gewohnlichen
283
Festspiele, Musikf este
Laufe ihrer Beschaftigungen nicht ermoglicht werden ktin-
nen. Nach den in Munchen erfahrenen Anfeindungen
ergab sich f iir Wagner der Wunsch nach einem kleinen
Festspielort aus dem Streben nach Unabhangigkeit
von Presse, Hof- oder Stadtverwaltungen. Dies bot
gleichzeitig die Moglichkeit einer volligen Isoherung
der Kiinstler und des Publikums von allem stadtischen
Getriebe. Die geographische Lage Bayreuths, der vor-
wiegend protestantische Charakter und die sonstigen
Verhaltnisse der Stadt lieBen die ehemalige markgraf-
liche Residenz Wagner fur sein Vorhaben besonders
geeignet erscheinen.
Lit.: R. Wagner, Bayreuth (1873), = Samtliche Schriften
u. Dichtungen, Volks-Ausg., Lpz. «1912-14, Bd IX; Parsi-
fal. Organ zum Zwecke d. Erreichung d. Richard Wag-
ner'schen Kunstideale, hrsg. v. E. Kastner, 1884-85;
K. Heckel, Die Biihnenf. zu Bayreuth, Lpz. 1891; W.
Golther, Bayreuther F. u. Festspielhaus., o. O. 1904;
Bayreuther Blatter, hrsg. v. H. v. Wolzogen, Chemnitz
1878-1939 (dazu Inhaltsverz. 1878-1927 v. A. Moritz,
1928); S. Wagner, Bayreuth, Mk XXII, 1930; A. Lorenz,
Die F. in Bayreuth, ebenda; R. Reich wein, Werden u. We-
sen d. Bayreuther F., Bielefeld 1934; Der Fall Bayreuth,
= Theater unserer Zeit II, Basel u. Stuttgart (1 962).
Bergen. Festspillene i Bergen, begriindet 1898 von
Grieg, seit 1953 jahrlich (Mai/Juni): Oper, Konzert,
Ballett, Schauspiel, Folklore, Ausstellungen.
Berlin. Berliner Festwochen, jahrlich seit 1951 (Sep-
tember/Oktober) : Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel,
Jazz, Ausstellungen.
Donaueschingen. Donaueschinger Musiktage fur
Zeitgenossische T.onkunst, jahrlich seit 1950, vorher
schon 1921/26 (Oktober), begriindet durch die Gesell-
schaft der Musikfreunde, unter der Schirmherrschaft
des Fiirsten von Fiirstenberg, geleitet von H.Strobel
vom Sudwestfunk Baden-Baden.
Edinburgh. International Festival, jahrlich seit 1947
(August/September): Oper, Konzert, Ballett, Schau-
spiel, Ausstellungen, unter Mitwirkung internationa-
ler Orchester und Opernensembles.
Lit. : Edinburgh Festival : A Review of the First Ten Years
of the Edinburgh International Festival . . . , Edinburgh
1956.
Florenz. Maggio musicale Fiorentino, seit 1933, an-
fangs alle 2 Jahre, jetzt jahrlich mit Unterbrechungen
(Mai/Juni) : Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel.
Frankfurt am Main. Deutsches Jazz Festival, jahr-
lich seit 1953.
Glyndebourne. Glyndebourne Festival, begriindet
durch J. und A.Christie mit Fr.Busch, C.Ebert, R.
Bing, seit 1934 mit Unterbrechungen jahrlich (Mai/
August) : Oper.
Httzacker/Elbe. Sommerliche Musiktage, seit 1946
mit Unterbrechungen jahrlich (Juli/ August) : Kam-
meroper, Konzert.
Jerusalem, Tel Aviv, Haifa. The Israel Festival, jahr-
lich seit 1961 (Juli/August) : Konzert, Ballett, Schau-
spiel, Folklore.
Lissabon, Porto, Coimbra, Guimaraes, Santarem,
Leiria, Aveiro, Evora, Braga. Festival Gulbenkian de
Miisica, jahrlich seit 1957 (Mai/Juni) : Oper, Konzert,
Ballett.
Luzern. Internationale Musikf est wochen, jahrlich
seit 1938, auBer 1940 (August/September): Konzert,
Schauspiel, Ausstellungen.
Munchen. Munchner (Opern-)F., seit 1901 mit Un-
terbrechungen jahrlich (Juli/August) : Oper, Konzert,
Ballett; zunachst unter Mottl spezifisch dem Schaffen
R.Wagners gewidmet, neuerdings stehen die Werke
von R. Strauss im Vordergrund.
Newport (R. I.). American Jazz Festival, jahrlich seit
1954 (Juli).
Prades. Seit 1950, veranstaltet von P.Casals in seiner
Wahlheimat : Kammermusik.
Prag. Prager Fruhling, jahrlich seit 1946 (Mai/Juni) :
Oper, Konzert, Ballett, Ausstellungen.
Recklinghausen. Ruhr-F., jahrlich seit 1946 (Juni/
Juli) : Oper, Konzert, Schauspiel, Jazz, Folklore, Aus-
stellungen.
Salzburg. Salzburger F., jahrlich seit 1920, auBer 1924
und 1944 (Juli/August): Oper, Konzert, Ballett, Schau-
spiel. Nach Griindung des Vereins Salzburger Fest-
spielhausgemeinde 1917 Erbffnung 1920 mit Jedermann
von H. v. Hofmannsthal (Regie M.Reinhardt). Zu-
nachst Mozart, dann auch R.Strauss im Vordergrund,
nach 1945 auch (Auftrags-)Werke zeitgenossischer
Musik. Die F. sind stark vom Charakter der Stadt ge-
pragt; neben den eigens erbauten Festspielhausern
(GroBes Festspielhaus 1960) dienen Felsenreitschule,
Residenz, Mozarteum und die Kirchen der Stadt als
Auffiihrungsstatten.
Lit.: Mitt. d. Salzburger Festspielhausgemeinde, hrsg. v.
F. Neumayr (1919-22 v. E. Kerber), Salzburg 1918-22; A.
Kutscher, Das Salzburger Barocktheater, Wien 1924;
ders., Vom Salzburger Barocktheater zu d. Salzburger F.,
Dusseldorf 1939; St. Zweig, Salzburg, Die Stadt als Rah-
men, Mk XXII, 1930; R. Tenschert, Die Salzburger F.,
ebenda; ders., Salzburg u. seine F., Wien 1947; E. Ker-
ber, Ewiges Theater. Salzburg u. seine F., Munchen 1936;
W. Schneditz, Das Buch v. d. Salzburger F., Linz, Wien
u. Munchen 1948; O. Keldorfer, Klingendes Salzburg,
Zurich, Lpz. u. Wien (1951); Offizieller Almanach d. Salz-
burger F., hrsg. v. L. Grundner (ab 1956 v. M. Kaindl-
Honig), 1953ff.; H. C. Fischer, Die Idee d. Salzburger F.
. . ., Diss. Munchen 1954, maschr.; Die Salzburger F. . . .
1824-1960, hrsg. v. F. Hadamowsky u. G. Rech, Salz-
burg 1960; J. Kraut, F. in Salzburg, ebenda 1965.
Schwetzingen. Schwetzinger F., jahrlich seit 1952
(Mai/Juni): Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel; ver-
anstaltet vom Suddeutschen Rundfunk Stuttgart, der
Kompositionsauftrage vergibt.
Spoleto. Festival dei due Mondi, begriindet von G. C.
Menotti, jahrlich seit 1958 (Juni/Juli) : Oper, Konzert,
Ballett, Schauspiel.
Tanglewood (Mass.). Berkshire Symphonic Festival,
begriindet von S.A.Kussewitzky, jahrlich seit 1937
, (Juli/August) : Oper, Konzert, Kurse.
WARSCHAU.MiedzynarodowyFestiwalMuzykiWsp61-
czesnej. Warszawska Jesien (»Internationale F. fiir
moderne Musik. Warschauer Herbst«), seit 1956 jahr-
lich (September) : Oper, Konzert, Ballett (zeitgenossi-
sche Musik).
Wien. Wiener Festwochen, jahrlich seit 1951 (Mai/
Juni) : Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel.
Zagreb. Musicki biennale - Internacionalni Festival
suvremene Muzike, alle 2 Jahre seit 1961 (Mai) : Oper,
Konzert, Ballett.
Lit. zu F. : H. J. Moser, Gesch. d. mus. F., Mk XXII, 1930;
G. Pinthus, DieEntwicklungd. Konzertwesens in Deutsch-
land bis zum Beginn d. 19. Jh., = Slg mw. Abh. VIII, StraB-
burg 1932; W. A. Fisher, Music Festivals in the USA,
Boston 1933; D. Stoll, Music Festivals of Europe, Lon-
don 1938; G.Gavazzeni, Le feste mus., Mailand 1944; J.
Feschotte, Les hautslieux de la musique, Paris 1949; N.
Boyer, Petite hist, des festivals en France, Paris 1955;
British Federation of Music Festivals, Jb. 1 960 u. 1 96 1 . - zu
M. : Ch. Burney, An Account of the Mus. Performances in
Westminster-Abbey and the Pantheon ... in Comme-
moration of Handel, London (1785), dazu Bibliogr. in:
Handel-Jb. VI, 1933; A. J. Becher, Das Niederrheinische
Musikfest, asthetisch u. hist, betrachtet, Koln 1836; E. A.
Hauchcorne, Blatter d. Erinnerung an d. 50jahrige Dauer
d. niederrheinischen M., Koln 1868; anon., Zur Gesch. d.
M. in Birmingham, in: Neue Berliner Musikzeitung
XXXVI, 1882; J. Brennet u. F. R. Stark, Hist, of the
Leeds Festivals 1858-89, Leeds 1892; R. H. Leggeu. W. E.
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Fiedel
Hansell, Annals of the Norfolk and Norwich Triennal
Mus. Festivals, Norwich 1896; R. Jecht, Die schlesischen
M., Gorlitz 1911; R. Walters, The Bethlehem Bach-
Choir, Boston u. N Y 1 9 1 8 ; C. Lee Williams u. H. Godwin
Chance, Annals of the Three Choirs from 1895-1922, Lon-
don 1922; M. Gondolatsch, Die schlesischen M. u. ihre
Vorlaufer, Gorlitz 1925; H. Leichtentritt, Gottingen u.
d. Handel-F., Mk XXII, 1930; P. Bekker, Wiesbaden,
ebenda; J. Alf, Gesch. u. Bedeutung d. Niederrheinischen
M. in d. 1. Halfte d. 19. Jh., in: Diisseldorfer Jb. XLH/
XLIII, 1940/41 ; M. A. Howe de Wolff, The Tale of Tang-
lewood, Berkshire, Mus. Festivals, NY 1946; R. Morin,
The Worcester Music Festival . . . 1858-1946, Worcester
1946; K. G. Fellerer, Mozart im Programm d. friihen
Niederrheinischen M., Mozart-Jb. XII, 1962/63; D. Gray,
Music Festivals of the World, Oxford 1963.
Fest- und Gedenkschriften zur Ehrung bedeutender
Musikwissenschaftler (frz. melanges offerts a . . . , span,
miscelanea dedicados a . . . oder en homenaje a . . . ;
engl. papers in honour of . . .) erscheinen meist in Form
eines gesonderten Bandes mit Werkbibliographie des
Geehrten, doch auch als Heft oder Jahrgang einer mu-
sikwissenschaftlichen Zeitschrift. Die folgende Uber-
sicht nennt den Titel der Festschrift nur dann, wenn
der Haupttitel nicht »Festschrift fiir . . . « lautet.
H. Abert, Gedenkschrift, Halle 1928; G. Adler zum 75.,
Studien zur Mg., Wien u. Lpz. 1930; H. Albrecht, In me-
moriam, Kassel 1962; H. Angles zum 70., 2 Bde, Barcelo-
na 1958-61 ; W. Apel zum 70., = MD XVII, 1963 ; B. Bar-
t6k, Studia Memoriae Belae Bartok Sacra, Budapest 1956,
2 1957; H. Besseler zum 60., Lpz. 1961 ; J. BiEHLEzum60.,
Lpz. 1930; Fr. BLUMEzum 70., Kassel 1963; A. Chybinski
zum 50., Krakau 1930, - zum 70., Krakau 1950; E. Clos-
son zum 75., Briissel 1948 ; A. Th. Davison zum 75., Essays
on Music, Cambridge 1957; O. E. Deutsch zum 80.,
Kassel 1963; W. Ehmann zum 60., Musik als Lobgesang,
Darmstadt 1964; A. Einstein zum 60., MQ XXVII, 1941,-
Gedenkschrift, = CHM I, Florenz 1953 ; C. ENGELzum 60.,
A Birthday Offering, NY 1943 ; H. Engel zum 70., Kassel
(1965) ; Vl. Fedorov zum 65., = Fontes artis musicaeXIII,
1966, H. 1 ;K. G. Fellerer zum 60., Regensburg 1962,-zum
60., Musicae sacrae ministerium, = Schriftenreihe d. All-
gemeinen Cacilienverbandes ... V, Koln 1962, - zum 60.,
Studien zur Mg. d. Rheinlandes II, = Beitr. zur rheinischen
Mg. LII, Koln 1962; W. Fischer zum 70., = Innsbrucker
Beitr. zur Kulturwiss., Sonderh. 3, Innsbruck 1956; M.
Friedlander zum 70., = JbP XXVIII, 1921 ; W. Gersten-
berg zum 60., Wolfenbuttel u. Zurich (1964) ; W. Gurlitt
zum 70., = AfMwXVI, 1959, H. 1/2; J. Handschin, In me-
moriam, = MD X, 1956, - In memoriam, StraBburg 1962;
P.HiRSCHzum70., = MR XII, 1951 ; A.VANHoBOKENzum
75., Mainz 1962; Kn. Jeppesen zum 70., Natalicia Musico-
logica, Kopenhagen 1962; D. Johner OSB zum 75., Der
kultische Gesang d. abendlandischen Kirche, Koln 1950;
0. Kinkeldey zum 80., = JAMS XIII, 1960; A. Koczirz
zum 60., Wien, Prag u. Lpz. 1930; Z. Kodaly zum 60.,
Budapest 1943, - zum 80., ebenda 1962; H. Kretzschmar
zum 70., Lpz. 1918; I. Krohn zum 60., Helsinki 1927, -
zum 70., ebenda 1937, - zum 80., ebenda 1947, - zum 90.,
ebenda 1957; Th. Kroyer zum 60., Regensburg 1933; L.
de la Laurencie, = Publications de la Soc. fr?. d. musi-
cologie II, 3/4, Paris 1933; R. Lach zum 80., Personlich-
keit u. Werk, Wien 1954; R. v. Liliencron zum 90., Lpz.
1910; P.-M. Masson zum 70., Melanges d'hist. et d'esthe-
tique mus., 2 Bde, Paris (1955); H. Mersmann zum 65.,
Musikerkenntnis u. Musikerziehung, Kassel 1957 ; P. Mies
zum 70., Beitr. zur Mg. d. Stadt Koln, = Beitr. zur rheini-
schen Mg. XXXV, Koln 1959; C. A. Moberg zum 65.,
= STMf XLIII, 1961 ; E. Muller v. Asow zum 60., Episto-
lae et Musica, Hbg 1953; J. Muller-Blattau zum 65.,
= Annales Univ. Saraviensis, Phil. Fakultfit, Bd IX, Saar-
brucken 1960, - zum 70., = Saarbrucker Studien zur Mw.
1, Kassel 1966; R. Munnich zum 80., Lpz. 1957; K. Nef
zum 60., Zurich u. Lpz. 1933; L. Nowak zum 60., Bruck-
ner-Studien, Wien (1964); A. Orel zum 50., Wien 1939, -
zum 70., Wien u. Wiesbaden (1960); H. Osthoff zum 65.,
Tutzing 1961 ; F. Pedrell zum 70., Escritos heortasticos, 2
Bde, Tortosa 1911 ; H. Prunieres, In memoriam, = RM
1952-53, Sonderh. ; P. Raabe zum 70., Von deutscher Ton-
kunst, Lpz. 1942; G. Reese zum 65., Aspects of Mediaeval
and Renaissance Music, NY (1966); H. Riemann zum
60., Lpz. 1909; C. Sachs zum 60., MQ XXVII, 1941, -
Gedenkschrift, The Commonwealth of Music, NY (1965) ;
A. Sandberger zum 50., Munchen 1918; O. M. Sandvik
zum70.,Oslo 1945;E.Schenk zum 60.,== StMwXXV, 1962;
A. Schering zum 60., Bin 1937; D. Fr. Scheurleer zum
70., Den Haag 1925 ; L. Schiedermair zum 60., Beethoven
u. d. Gegenwart, Bin u. Bonn 1937, -zum 80., Studien zur
Mg. d. Rheinlandes, = Beitr. zur rheinischen Mg. XX,
Koln 1956; E. Fr. Schmid, Gedenkschrift, Recklinghau-
sen 1961; J. Schmidt-Gorg zum 60., Bonn 1957; A.
Schmitz zum 70., = Af Mw XIX/XX, 1962/63, H. 3/4; M.
Schneider zum 60., Halle 1935, -zum 80., Lpz. (1955); L.
Schrade zum 60., Musik u. Gesch., Koln (1963); Th.
Schrems zum 70., Musicus - Magister, Regensburg (1 963) ;
E. Seemann zum 75., = Jb. f. Volksliedforschung IX, 1964;
A. Seidl zum 50., Musik u. Kultur, Regensburg 1913 ; M.
Seiffert zum 70., = AfMf HI, 1938, H. 1, -zum 70., Musik
u. Bild, Kassel 1938; Fr. Smend zum 70., Bin (1963); J.
Smits van Waesberghe SJ zum 60., Organicae voces,
Amsterdam 1963; O. G. Sonneck zum 60., = MQ XIX,
1933; Fr. Stein zum 60., Braunschweig 1939; J. SubirA
zum 80., = AM XVIII, 1963; Ch. Van den Borren zum
70., Antwerpen 1945, - zum 75., == RBM III, 1949, - zum
80., = RBM VIII, 1954, H. 2-4, - zum 90., Antwerpen
1964; Fl. Van der Mueren zum 60., Miscellanea Mu-
sicologia, Gent 1950; P. Wagner zum 60., Lpz. 1926; J.
Wolf zum 60., Mw. Beitr., Bin 1929; R. Zoder zum 75.,
(Wien) 1957.
Eine zweite Art von F.- u. G. ist als Publikation unge-
druckter oder als Sammlung verstreut erschienener Ar-
beiten des Geehrten angelegt.
Fr. Blume zum 70., Syntagma Musicologicum, Kassel
1963; A. Einstein, Gedenkschrift, Essays on Music, NY
1956; J. Handschin, Gedenkschrift, Bern 1957; Chr.
Mahrenholz zum 60., Musicologica et Liturgica, Kassel
(1960); H. J. Moser zum 65., Kassel 1954; E. Refardt
zum 75., Musik in d. Schweiz, Bern 1952, - zum 80., The-
matischer Kat. d. Instrumentalmusik d. 18. Jh. in d. Hss. d.
Univ.-Bibl. Basel, = Publikationen d. Schweizerischen
Musikforschenden Ges. II, 6, Bern (1957); L. Schrade,
Gedenkschrift, De scientia musicae studia atque orationes,
Basel 1965.
Fiedel (Fidel, -»- Viola), - 1) Bezeichnung fiir eine
Gruppe von Streichinstrumenten im abendlandischen
Mittelalter, meist in Diskant- oder Altlage. Die F. er-
scheint zuerst abgebildet auf einem Buchdeckel aus
Elfenbein vom Ende des 8. Jh. (Musee du Louvre in
Paris) und im Utrecht-Psalter (860; ->■ Cister); fiir die
gleiche Zeit ist sie auch literarisch nachgewiesen (Ot-
fried von WeiBenburg, Evangelienharmonie V, Zeile
197-199). Bevor sich im 12./13. Jh. ein einheitlicher
Typ herausbildete, mit ovalem Corpus, C-formigen
Schallochern, abgesetztem geradem Hals, Wirbelklotz
oder -platte und mit vorder- oder hinterstandigen Wir-
beln, gab es verschiedene Formen: Spaten-, Rhom-
bus-, Flaschen-, Keulen- oder Birnenform des Corpus,
wobei die Abbildungen nicht erkennen lassen, ob Zar-
gen vorhanden sind oder ob das Corpus aus einem
Stuck gearbeitet ist. Demnach kommen als Verwandte
oder Vorbilder der F. mehrere orientalische Instrumen-
te in Frage : -*■ T/anbur, -*■ Rabab, -»■ Kamanga oder
turkestanische Geige. - Im letzten Viertel des 13. Jh.
beschreibt Hieronymus de Moravia die F. (viella) als
wichtiges Instrument, auf dem man alle Musik der
Zeit spielen konne. Sie ist fiinfsaitig und kann 3 Stim-
mungen haben : D G g di di (die D-Saite ist eine Bor-
dunsaite und lauft auBerhalb des Griflbretts), G d g d 1 g 1
und G G d ci ci. Gespielt wurde die F. meist in Arm-
haltung, gegen die Schulter gelehnt oder gestemmt,
auch mit Tragriemen vor der Brust, seltener in SchoB-
oder Kniehaltung. - 2) Seit etwa 1920 (P. ->■ Harlan)
werden F.n fiir das Musizieren der Jugend und Laien
gebaut, auch im Selbstbau (Tennsee-F. von Monke-
285
Figuralmusik
meyer). Dabei handelt es sich zum Teil nicht urn hi-
storische Formen, sondern um Instrumente, die Merk-
male u. a. der Violen aufgenommen haben. Diese F.n
sind meist fiinfsaitig in Quintstimmung, seltener in
Quart-Terz-Stimmung; sie werden meist in Kniehal-
tung gespielt, auch die kleinen Instrumente des F.-
Quartetts (c g d 1 ai e 2 bis F c g di ai). Besonders eignen
sie sich fur das Zusammenspiel mit Blockfloten.
Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica,
hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw.
II, Regensburg 1935; W. Bachmann, Die Anfange d.
Streichinstrumentenspiels, = Mw. Einzeldarstellungen III,
Lpz. 1964.
Figuralmusik -*■ Cantus f iguratus.
Figura obljqua (lat.) ->• Ligatur (- 1).
Figuration, Figurierung, die Brechung einer Melo-
die oder eines Akkords durch rhythmische, meist auch
melodisch einheitlich gebildete Formeln (Figuren,
»Satzmanieren«, KochL), die sich von ausgesproche-
nen -*■ Verzierungen schon auf Grund ihrer oft etwas
schematischen Verwendung unterscheiden. F. ist cha-
rakteristisch fiir den instrumentalen Improvisations-
und Kompositionsstil (vor allem der Tasteninstrumen-
te) des 16.-19. Jh.; sie ist als improvisierte Technik
jedoch gewiB alter und findet sich gelegentlich auch in
Werken der Vokalmusik (hauptsachlich des Spatba-
rocks). Obwohl der Terminus F. erst seit dem spaten
18. Jh. greifbarist, wirder im heutigen Sprachgebrauch
riickwirkend auch fiir analoge Bildungen in den Tech-
niken von -»• Diminution (- 2) und -> Kolorierung ver-
wendet, z. B. im Begriff der C. f.-F. - Am haufigsten
begegnet die F. in der stetigen Wiederholung der glei-
chen Spielfigur in anderer Lage oder Stimme, so vor
allem in den Figuralvariationen iiber einem harmoni-
schen Modell. Seit A. de Cabezon, den »Virginalisten«,
G.Frescobaldi und dem Kreis um J.P.Sweelinck wur-
de die F. in der Bearbeitung geistlicher und weltlicher
Lieder, in Pavane und Gaillarde, Passacaglia und Cha-
conne gepflegt; sie lebte in der klassischen und roman-
tischen Musik fort in Wiederholungen, Reprisen und
Variationssatzen (z. B. Beethoven, Klaviersonate op.
106, Adagio sostenuto, vgl. Takt 2ff. mit 87ff.). Auch
bei derErfindung und Fortspinnung einer Melodie (z. B.
in den konzertanten Fugenthemen der Bach-Zeit) spiel-
te die F. eine wichtige Rolle, ebenso wie sie - nament-
lich im figurierten Choral - durch imitierende und
sequenzierende Verwendung gleicher (Choral-)Mo-
tive in alien Stimmen zur beherrschenden Technik
bei der Gestaltung eines Einzelsatzes werden konnte.
Die Brechung der Grundharmonie (Akkord-F.) bot
- besonders in dem seit der Klassik gepflegten Klavier-
satz - dariiber hinaus die Moglichkeit, einen liegenden
Klang nicht nur stetig zu erneuern und dynamisch zu
verandern (z. B. in Form von ->■ Murky s oder ->■ Al-
bertischen Bassen), sondern auch wechselnde Harmo-
nien bruchlos, fast gleitend miteinander zu verflechten
und zugleich innig mit der Melodie zu verbinden (z. B.
Schubert, Impromptu op. 142, Nr 3, Variation 1). Ist
diese Art der F. schlieBlich kaum mehr im Sinne rhyth-
mischer Akkordbrechung aufzufassen, so wurde die
Brechung der Grundharmonie doch andererseits auch
zur Bildung von Spielfiguren mit betont melodischer
Wirkung gebraucht (z. B.J. S.Bach, Goldberg-Variatio-
nen, Variation Nr 8).
Figuren, musikalisch-rhetorische (lat. figurae mu-
sicae) sind in der Musik des 16.-18. Jh. kunstvolle Ton-
fiigungen des musikahschen Satzes. Im Bereich der Vo-
kalmusik entwickelt (mit Ansatzen im 14. Jh.; -> Noe-
ma), bedeuten sie als je besondere Bildung und Gestalt
einen Schmuck (ornamentum; color; flos) der Musik
und konnen dabei nicht nur zur schmuckenden oder
emphatischen Hervorhebung von Wortern, sondern
zugleich als Abbild des Textes, seines Sinn-, Bild- und
Affektgehalts dienen; fiir den Komponisten bietet die
figurliche Darstellung und Ausdeutung des Textes zu-
dem eine »Erfindungsquelle« (fons inventionis). Die
allgemeine historische Voraussetzung fiir die m.-rh.n
F. war die fortwirkende Auffassung der Musik als eine
der septem artes (-> Ars musica) und ihre - als Praxis
der Komposition - damit bedeutete Nachbarschaft zur
Rhetorik. Wie die rhetorische Figur (nach Quintilian)
als »Abweichung von der gewohnlichen . . . Art zu
sprechen« definiert ist, so die m.-rh. Figur (nach Bur-
meister 1606) als tractus musicus, »der von der einfa-
chen Art der Komposition abweicht«. Die besondere
kompositionsgeschichtliche Voraussetzung des fiir die
Barockmusik kennzeichnenden, seit Josquin, Lassus,
den italienischen Madrigalisten iiber Schiitz bis zu J. S.
Bach sich steigernden Gebrauchens und Erfindens der
m.-rh.n F. war demnach einerseits ein betontes Fest-
halten am tradierten kontrapunktischen Satz (welcher
der Oratio propria, der gewohnlichen Rede, entsprach),
andererseits ein neuer Ausdruckswille, der (analog der
Oratio figurata) die abweichende und ungewohnliche
kompositorische Bildung als Figur einsetzte. Dieses
Verhaltnis zwischen dem tradiert Regularen als Funda-
ment und der Figur als Licentia (Freiheit) gegenuber
diesem Regularen wird besonders deutlich in der ge-
staffelten Stillehre Bernhards, in deren Mittelpunkt
eine Lehre von den Dissonanzfiguren steht (Figuram
nenne ich einegewifie Art die Dissonantzen zu gebrauchen) :
in der fundamental Composition (stilus antiquus) werden
nur wenige, und zwar die Figurae fundamentales ge-
braucht (von Kircher Figurae principales genannt),
namlich-*- Durchgang bzw. -* Wechselnote (-»• Com-
missura) sowie -»■ Vorhalt-Bildungen (-*■ Synkope),
wahrend in den neueren Stilarten eine Fiille von Fi-
gurae superficiales verwendet wird (z. B. -> Abruptio,
-> Ellipsis, -> Multiplicatio), welche aber die alten
Componisten zu ihrem Grunde haben. - Der Ausdruck
des Textgehalts durch m.-rh. F. geschieht - noch weit-
ab von psychologischen Begrundungen - nach dem
fiir die Barockzeit kennzeichnenden Prinzip der Nach-
ahmung bzw. des Denkens in Analogien oder partiel-
len Ubereinstimmungen : einem wesentHchen Merk-
mal der Figur als kompositorisch sinnvollem Gebilde
(z. B. dem deutlichen Aufsteigen der Tone) entspricht
ein wesentliches Merkmal des durch den Text Bezeich-
neten (z. B. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen;
-*- Anabasis; -*■ Hypotyposis). Stets gilt fiir die m.-rh.
Figur, daB sie auch nur als Ornamentum gebraucht
werden und in Beziehung zum Text mit unterschied-
lichen Wortern partiell ubereinstimmen kann. Oft
wird eine Textstelle durch mehrere Figuren zugleich
abgebildet; im Beispiel aus den Symphoniae Sacrae II,
Nr 4 von Schiitz (und lift die Reichen leer) :
t 1 fl
s «3
leer,
leer,
leer,
wird der Begriff »leer« dargestellt durch das Doppel-
echo (Tone verhallen im »leeren« Raum), durch den
lang ausgehaltenen (»leeren«) GeneralbaBton sowie
durch die »Leere« der -»■ Apokope-Pause. Weitgehend
war zunachst der Text AnlaB und Rechtfertigung des
Ungewohnlichen, besonders bei den Dissonanzfiguren
286
Figuren, musikalisch-rhetorische
(z. B. -> Parrhesia), die der Komposition Neuland er-
offneten und bald auch in die rein instrumentale
»Klangrede« (Mattheson) EinlaB fanden (hierzu Schei-
be S. 684f.), speziell in jene poetisierenden Typen der
Instrumentalmusik, die in Bach einen Hohepunkt fan-
den (z. B. Orgelchorale; 3st. Sinfonia F moll, BWV
795). - Eine groBe Zahl m.-rh.r F. wird in der Kom-
positionslehre der Barockzeit, speziell in der -»■ Musica
poetica, seit J. Burmeister (1599, der die Figuren zu-
gleich an Kompositionen des spaten 16. Jh. nachweist),
fernerhin namentlich von Chr. Bernhard bis bin zu
J.G.Walther (1708 und 1732) und mit Auslaufern bis
zu J. N. Forkel (1788) systematisch erf aBt. Diese Lehre
von den m.-rh.n F. entstand im AnschluB an die Figu-
renlehre der Rhetorik bzw. in deren Nachahmung, so
daB prinzipiell alle Lehrfiguren als »rhetorisch« be-
zeichnet werden konnen, so wie die damalige Musica
selbst, besonders im Stilus recitativus, wegen Menge der
Figuren . . . einer Rhetorica zu vergleichen ist (Bernhard;
nach ihm auch Walther, Praecepta S. 265f.). Dabei
wurden teils Name und Sache aus dem rhetorischen in
den musikalischen Bereich iibertragen (z. B. -> Ana-
lepsis), teils besteht nur eine mehr auBerliche (zuwei-
len gezwungene) Analogie (z. B. -*■ Hypallage), teils
wurden - wie Bernhard betont - Figuren erfunden (z. B.
-*■ Passus duriusculus), teils die improvisierten Sing-
und Spielmanieren (-»■ Verzierungen) kompositorisch
als Figuren verwendet (z. B. -»• Tirata). Doch iiber die
Lehrfiguren hinaus konnte jede musikalische Bildung
und Erfindung, sofern sie im Gefiige der Komposition
sich abhebt, wie als Ornamentum des Satzes so auch
als Ausdruck des Textes gelten. Dieses Sich-Abheben
der Figuren bedeutet bei J. S.Bach (im Vergleich etwa
zu Schiitz) - entsprechend der Bereicherung seines mu-
sikalischen Satzes - notwendig eine Steigerung und In-
tensivierung der figiirlich gemeinten Bildung. Das En-
de der m.-rh.n F. in Lehre und Praxis geht zusammen
mit dem Ende des tradierten kontrapunktischen Satzes
als »Hintergrund« eines figiirlichen »Vordergrunds«
sowie mit dem Ende der barocken Nachahmungs-
asthetik und ihres Denkens in Analogien. Das machti-
ge Vordringen der funktionalen Harmonik sowie die
damit verbundene neue Art des musikalischen -> Aus-
drucks hoben das kompositorische Darstellen von den
m.-rh.n F. fort auf neue Ebenen, wobei freilich Prin-
zipien des figiirlichen Ausdrucks in vielen Formen
fortlebten oder wiedererschienen.
Die wichtigsten Figuren sind: die -> Hypotyposis und
deren Arten -*■ Anabasis, ->■ Circulatio, ->■ Fuga (alio
nempe sensu), -> Hyperbole, -> Katabasis, -»- Tirata;
die melodischen Figuren ->• Exclamatio, -> Interro-
gatio, -> Passus (Saltus) duriusculus, -*• Pathopoiia,
-»■ Synhaeresis; die Pausenfiguren -»■ Abruptio, -*■ Apo-
kope, -*■ Aposiopesis, -*• Homoioteleuton, -»■ Suspira-
tio, -> Tmesis; die meist als -*■ Emphasis wirkenden
Wiederholungsfiguren -> Anadiplosis, -»■ Analepsis,
-* Anaphora, -> Anaploke, -> Climax, -*■ Epanalepsis,
-*■ Epistrophe, -*■ Epizeuxis, •-»• Hyperbaton, -> Mi-
mesis, -»■ Palillogia, -> Paronomasia, ->• Polyptoton,
-> Polysyndeton, ->■ Symploke (Complexio); die
-*■ Fuga-Figuren -> Hypallage, -*■ Parembole; die
Satzfiguren -»■ Antitheton, -*■ Catachrese, -»■ Conge-
ries, -> Ellipsis, ->■ Fauxbourdon, -> Heterolepsis,
-*■ Metabasis, -> Metalepsis, ->■ MultipUcatio (Exten-
sio), -> Noema, -> Parrhesia, -*■ Pleonasmus; auBer-
dem als Arten der -> Synkope: Mora, Prolongation,
Retardation, und die bei Bernhard beschriebenen
Satzfiguren Cadentia duriuscula, Consonantiae im-
propriae (deficientes und superfluae), Mutatio toni,
Quaesitio notae; auch Manieren der Sanger und Instru-
mentisten wie Accentus oder Superjectio (-»• Akzent
- 4), Anticipatione della nota und della sillaba (->• An-
tizipation - 3), Bombo, Gruppo (-> Doppelschlag),
Passaggio (Coloratura oder Variatio, -»• Variation), Sub-
sumptio (-> Cercar della nota), -> Tremolo, -*■ Trillo.
Lit. : M. T. Cicero, De oratore, hrsg. v. O. Jahn u. W.
Kroll, Bin 51913.; dass., hrsg. v. W. Friedrich, Lpz. 1931 ;
M. F. Quintilianus, Institutionis oratoriae ... libri XII,
hrsg. v. L. Rademacher, 2 Bde, Lpz. 1907-35, 21959; L.
Lossius, Erotemata dialecticae et rhetoricae Philippi Me-
lanchthonis, Lpz. 1562; G. J. Vossius, Commentatorium
rhetoricorum, Leiden 1606; J. Chr. Gottsched, Versuch
einer critischen Dichtkunst f. d. Deutschen, Lpz. 1730; J.
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toricae, Lpz. 1795; ders., Lexicon technologiae Latinorum
rhetoricae, Lpz. 1797; R. Volkmann, Die Rhetorik d.
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literarischen Rhetorik, Munchen 1949, 21963; ders., Hdb.
d. literarischen Rhetorik, 2 Bde, ebenda 1960; W. S. How-
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(N.J.) 1956. - S.Calvisius, Melopoeia . . . , Erf urt 1592; J.
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Faks. hrsg. v. M. Ruhnke, = DM II, 10, 1955; J. Lippius,
Disputatio musica III, Wittenberg 1610; ders., Synopsis
musicae novae . . . , StraBburg 1 61 2 ; J. Nucius, Musices po-
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Kircher, Musurgia universalis, 2 Bde, Rom 1650, 21690;
Chr. Bernhard, Tractatus compositionis augmentatus u.
Ausf iihrlicher Bericht v. Gebrauche d. Con- u. Dissonanti-
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hard, Lpz. 1926, Kassel 21963 ; E. Walther (Chr. Calden-
bach), Dissertatio musica, Tubingen 1664; W. C. Printz,
Phrynis Mitilenaeus, Dresden u. Lpz. 21696; J. G. Ahle,
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Muhlhausen 1695-1701 ; Th. B. Janowka, Clavis ad The-
saurum magnae artis musicae, Prag 1701 ; J. G. Walther,
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v. P. Benary, =Jenaer Beitr. zur Musikforschung II,
Lpz. 1955; WaltherL; J. Kuhnau, Texte zur Lpz.er Kir-
chenmusic 1709/10, hrsg. v. B. Fr. Richter, MfM XXXIV,
1902; M. J. Vogt, Conclave thesauri magnae artis musi-
cae, Prag 1719; J. A. Scheibe, Der critische Musicus, Hbg
21745; Mattheson Capellm.; M. Spiess, Tractatus musi-
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Allgemeine Gesch. d. Musik I, Lpz. 1788, Einleitung. - A.
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ders., Das Symbol in d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz.
1941 ; K. Ziebler, Zur Asthetik d. Lehre v. d. mus. Figu-
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W. Gurlitt, Musik u. Rhetorik, Helicon V, 1944; ders.,
Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik, in: Ber. iiber d. wiss.
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deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neu-
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden
1966; G. Toussaint, Die Anwendung d. m.-rh. F. in d. Wer-
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Die Bildlichkeit d. wortgebundenen Musik J. S. Bachs,
= Studien zur Mw. I, Mainz (1950) ; ders., Die oratorische
Kunst J. S. Bachs, Kgr.-Ber. Liineburg 1950; ders., Die Fi-
gurenlehre in d. theoretischen Werken J. G. Walthers,
Af Mw IX, 1 952 ; ders., Die Kadenz als Ornamentum musi-
cae, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; ders., Einleitung zu: Oberital.
Figuralpassionen d. 16. Jh., = MMD I, Mainz 1955; ders.,
Musicus poeticus, in : Universitas, Fs. A. Stohr II, Mainz
1960; G. Massenkeil, Die oratorische Kunst in d. lat.
Historien u. Oratorien G. Carissimis, Diss. Mainz 1952,
maschr., daraus: Die Wiederholungsfiguren in d. Oratorien
G. Carissimis, AfMwXIII, 1956; H. Federhofer, Die Fi-
gurenlehre nach Chr. Bernhard u. d. Dissonanzbehandlung
in d. Werken v. H. Schiitz, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; C.
Dahlhaus, Die Figurae superficiales in d. Traktaten Chr.
Bernhards, ebenda; Fr. Feldmann, Untersuchungen zum
Wort-Ton- Verhaltnis in d. Gloria-Credo-Satzen v. Dufay
287
Filar
un suono
bis Josquin, MD VIII, 1954; ders., Musiktheoretiker in
eigenen Kompositionen, Deutsches Jb. d. Mw. I (= JbP
XLVIII), 1 956 ; ders., Das »Opusculum bipartitum« des J.
Thuringus (1625) . . ., AfMw XV, 1958; ders., Mattheson
u. d. Rhetorik, Kgr.-Ber. Hbg 1956; M. Ruhnke, J. Bur-
meister, = Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung Kiel
V, Kassel 1955; H. H. Eggebrecht, Zum Wort-Ton- Ver-
haltnis in d. Musica poetica v. J. A. Herbst, Kgr.-Ber. Hbg
1956; ders., Zwei Nurnberger Org.-Allegorien d. 17. Jh.,
MuK XXVII, 1957; ders., Zum Figur-Begriff d. Musica
poetica, AfMw XVI, 1959; ders., H. Schiitz, Musicus
poeticus, =Kleine Vandenhoeck-Reihe LXXXIV, Got-
tingen 1959. HHE
Filar un suono (ital.; frz. filer un son; den Ton
»spinnen«), urspriinglich fur den Gesang, sparer auch
f iir Melodieinstrumente verwendete Bezeichnung eines
gleichmafiig fliefienden, lang ausgehaltenen Tones oh-
ne Atem- bzw. Bogenwechsel. Der Ausdruck kann das
Aushalten eines Tones bei gleichbleibender Starke be-
deuten (L'Abbe le Fils, Violinschule, 1761), er kann
aber auch ein allmahliches An- oder Abschwellen oder
eine Verbindung von beiden (-*■ Messa di voce) ein-
schlieBen (J. Fr. Agricola, Anleitung zur Singkunst, 1757 ;
G.B.Mancini, Pensieri e riflessioni pratiche sopra il canto
figurato, 1774).
Filmmusik. In der friihen Stummfilmzeit wurde Be-
gleitmusik (Potpourris, Paraphrasen usw.) auf -> Me-
chanischen Musikinstrumenten, auf dem Klavier oder
Harmonium gespielt. Um die Jahrhundertwende gab
es bereits mit Schallplatten gekoppelte Filme (Kine-
matograph von Edison 1894, Tonbilder von Oskar
Messter 1903). Die Kinopianisten versuchten bald, eine
zu den Filmhandlungen passende Musik zu improvi-
sieren; auf Gerauschinstrumenten produzierten sie na-
turalistische Untermalungen (Dormer, Glocken, Schiis-
se usw.). Mit der Etablierung von Lichtspieltheatern
(nach 1900) wurde die Begleitmusik von kleinen (oft
->• Salon-) Orchestern, gegen Ende der 1920er Jahre
auch von grofieren Orchestern ausgefiihrt. Zu dieser
Zeit tauchte auch die -» Kinoorgel auf. - Zur Beglei-
tung typischer, in den Filmen immer wiederkehrender
Situationen oder Stimmungen wurden dann eigens
F.en komponiert, so vor allem von Giuseppe Becce
(Sammlung Kinothek), von W.R. -* Heymann, Marc
Roland. Eines der ersten Beispiele einer fiir einen be-
stimmten Film geschriebenen Musik ist Saint-Saens'
op. 128 (fiir Streicher, Kl. und Harmonium) zu L'As-
sassinat du Due de Guise (1908), in Deutschland die F.
von Joseph WeiB zu Der Student von Prag (1913). E.
Satie komponierte 1924 fiir sein Ballett Reldche, in dem
erstmalig ein Film in einem Theaterstiick verwendet
wurde, die Musik zu einem Entr'acte cinematogra-
phique. Nennenswerte F.en der Stummfilmzeit schrie-
ben Honegger zu La Roue und Napoleon (1922), Mil-
haud zu L'Inhumaine (1923), Edmund Meisel zu »Pan-
zerkreuzer Potemkin« (1926), Schostakowitsch zu »Das
neue Babylon« (1928), Gottfried Huppertz zu Nibelun-
gen (1922) und Metropolis (1927), M.Roland zu Frideri-
cus Rex (1922) und Weltkrieg (1927). 1925 bearbeitete
R.Strauss seinen Rosenkavalier zur Verfilmung; 1927
erregte Hindemiths Musik fiir mechanische Orgel zu
einem Ka(er-Fe/fe-Trickfilm Aufsehen. - Trotz der
anfangs schlechten Tonwiedergabe verdrangte der
Tonfilm seit Ende der 1920er Jahre den Stummfilm
rasch. 1928 setzte man sich auf dem Baden-Badener
Musikfest mit dem Problem der F. auseinander (Melos
VII, 1928); 1929 stand dort der franzosische Tonfilm
La p'tite Lilli mit der Musik von Milhaud im Mittel-
punkt des Interesses. Die Musik zum ersten deutschen
Tonfilm (Melodie der Welt, 1929) schrieb Wolfgang
Zeller, der auch besonders als Komponist fiir Kultur-
filme hervortrat. - Die F., die (mit Ausnahme der
Opern-, Komponisten-, Sanger-, Schlager-, Revue-
filme und niusikahschen Teile in Dokumentarfilmen)
in ihrer meist nur dienenden Rolle der -»- Blihnenmu-
sik und der -> Horspielmusik verwandt ist, soil Zeit,
Ort, Milieu der Handlung unterstreichen, Vorgange
und Text intensivieren, Ubergange markieren, emo-
tionale Eindriicke vertiefen, Gedankenverbindungen
(die iiber das Optische hinausgehen) herstellen, Atmo-
sphare schaffen. Zwei Hauptarten der F., in Holly-
wood Underscoring und Mood Technique genannt, lassen
sich unterscheiden. Die erste Art setzt den Bildablauf
untermalend und illustrierend ins Akustische um (so
die F. von Max Steiner zu »Vom Winde verweht«,
1939). Die zweite Art deutet die Vorgange psycholo-
gisch aus und vertieft Dialog und visuellen Eindruck
auch durch ironisierende oderim Charakter kontrastie-
rende Momente, so die F.en von Auric fiir Jean Coc-
teau. - Eine Reihe namhafter Komponisten schrieb F.
gelegentlich, unter ihnen Dessau, Egk (Der Heir vom
anderen Stern, 1948), Eisler, Fortner (Begegnung mit
Werther, 1949), Henze (Muriel, 1963), Zillig; Walton;
Petrassi, Pizzetti, Renzo Rossellini ; Antheil, Bliss, Cop-
land, Rathaus, Rozsa; Chatschaturjan, Prokofjew,
Schostakowitsch. Von den zahlreichen deutschen Kom-
ponisten, die sich - meist von Operette und Unterhal-
tungsmusik herkommend - in besonderem MaBe der
F. widmeten, seien genannt: Bohmelt, Carste, Dostal,
Eisbrermer, Grothe, Jary, Kiinneke, M.Lothar, Macke-
ben, Melichar, Nick, Richartz, Schmalstich, Schmid-
seder, Schmidt-Gentner, N.Schultze, G.Winkler. -
Ein Spezialgebiet sind die Filme, die rein musikalische
Vorgange durch Zeichnungen (geometrische Figuren
o. a.) ins Optische iibertragen, so von Oskar Fischin-
ger, Sergej Alexejew (»Eine Nacht auf dem kahlen
Berge« nach Mussorgsky, 1933), Germaine Dulac,
Walter Ruttmann. - Die heutige F. bedient sich auch
der elektronischen Musik, z. B. der amerikanische Film
Forbidden Planet (1955) mit Musik von Louis und Bebe
Barron, oder der polnische Film Milczqca Gwiazda
(»Der schweigende Stern«, 1960) mit Musik von A.
Markowski.
Lit. : E. Rapee's Encyclopedia of Music for Pictures, NY
1925 ; Allgemeines Hdb. d. F., hrsg. v. H. Erdmann u. G.
Becce, 2 Bde, Bin 1927; K. London, Film Music, London
(1936) ; G. Groll, Film, die unentdeckte Kunst, Munchen
1937; Z. Lissa, Muzykaifilm, Lemberg 1937; dies., Form-
probleme d. F., Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962; dies.,
Estetyka muzyki filmowej (» Asthetik d. F.«), Krakau 1963;
K. Ottenheym, Film u. Musik bis zur Einfuhrung d. Ton-
films, Diss. Bin 1944, maschr. ; H. Eisler, Composing for
the Films, NY u. London 1947, deutsch Bin 1949; R. U.
Nelson u. W. H. Rubsamen, Bibliogr. of Books and Ar-
ticles on Music in Film and Radio, in: Hinrichsen's Mus.
Year Book VI, 1949/50; L. Chiarini, La musica nel film,
Rom 1956; Cl. McCarty, Film Composers in America,
Glendale (Calif.) 1954; tJber d. Musik im Film, hrsg. v.
Staatl. Komitee f. Filmwesen, = Beitr. zu Fragen d. Film-
kunst II, Bin 21954; Fr. v. Zglinicki, Der Weg d. Films,
Bin (1956); E. Nick, Musik d. Stummfilmzeit, in: Die 3
groBen »F«, Film, Funk, Fernsehen, = Musik d. Zeit, N. F.
II, Bonn (1958); Fr. K. Prieberg, Die mus. Kulisse, eben-
da; H. A. Thomas, Die deutsche Tonf., = Neue Beitr. zur
Film- u. Fernsehforschung III, Giitersloh (1962), mit aus-
fuhrlichem Verz. v. F.-Komponisten ; U. Gregor u. E.
Patalas, Gesch. d. Films, Giitersloh (1962); H. Colpi,
Defense et illustration de la musique dans le film, Lyon
1963; U. Seelmann-Eggebert, Prokofjew u. d. F., NZfM
CXXV, 1964.
Filter. Elektrische F. oder Siebe werden in der Elek-
troakustik zur Aussonderung bestimmter Frequenzbe-
reiche verwendet. Sie werden aus Induktivitaten (Dros-
seln, Spulen) und Kapazitaten (Kondensatoren) be-
stimmter (meist veranderlicher) Dimensionierung zu-
288
Fingersatz
sammengeschaltet. Hoch- und Tiefpasse haben den
Zweck, nur Frequenzen oberhalb bzw. unterhalb ei-
ner bestimmten Grenzfrequenz durchzulassen und den
iibrigen Frequenzbereich abzusperren. Werden z. B.
ein HochpaB mit der unteren Grenzfrequenz von
100 Hz und ein TiefpaB mit der oberen Grenzfrequenz
von 200 Hz hintereinander geschaltet, so entsteht ein
BandpaB, mit einem DurcMaBbereich zwischen 100
und 200 Hz. Gebrauchlich sind Bandpasse, die jeweils
den Bereich eines bestimmten Intervalls durchlassen
(Terzsieb, Oktavsieb), und solche, bei denen die Grenz-
frequenzen unabhangig voneinander eingestellt wer-
den konnen. Durch Parallelschalten eines Hoch- und
eines Tiefpasses entsteht eine Bandsperre. Sie unter-
driickt einen bestimmten Frequenzbereich (Sperrbe-
reich) und laBt die auBerhalb liegenden durch.
• 'WWWWWW-
T
X
wvwwwww ■
riefpaU
HochpatJ
Ban&afl
Bandsfiem
F. finden in alien Bereichen der Elektroakustik Ver-
wendung.
Lit.: R. Feldtkeller, Einfuhrung in d. Siebschaltungs-
theorie d. elektrischen Nachrichtentechnik, = Monogra-
phien d. elektrischen Nachrichtentechnik IV, Stuttgart
(1938), 41956.
Finale (ital., SchluBstiick), - 1) der letzte Teil mehr-
satziger (zyklischer) Kompositionen, besonders der
Sonate oder Symphonie und der nach gleicher Form
gearbeiteten Werke. Im 18. Jh. ist das F. in der Regel
heiteren Charakters (»Kehraus«-F. bei Haydn) und meist
ein schneller Satz in Form eines Rondos, aber auch als
Sonatensatz, gelegentlich als Thema mit Variationen
komponiert. Noch KochL schreibt dem F. als Satzty-
pus den Charakter der Munterkeit, der Freude, oder des
Scherzes zu; zuweilen aber schon bei Mozart (F. der
»Jupiter-Symphonie«), vor allem dann bei Beethoven,
Brahms und Bruckner wird das F. Gegenstuck zum
1. Satz und oft leidenschaftlicher Hohepunkt, mit dem
das Werk sieghaft und apotheotisch schlieBt. Beetho-
ven zieht zum ersten Male als Steigerungsmittel die
menschliche Stimme hinzu (F. der Phantasie op. 80
und der 9. Symphonie). Auffallend sind bei ihm auch
der haufige attacca-AnschluB des F.s an den vorangehen-
den Satz (Klavierkonzette Nr 4 und 5, Violinkonzert,
Symphonien Nr 5 und 6) und dessen thematische Be-
ziehungen zu den ersten Satzen (Symphonien Nr 5 und
9) . Die Technik des Themenruckgriffs im F. wird be-
sonders von Brahms (3. Symphonie) und Bruckner
(Kombination aller vier Hauptmotive im F. der 8.
Symphonie) weitergefiihrt. - 2) in der klassischen
Oper SchluBszene eines Aktes. Das Opern-F. entwik-
kelte sich um die Mitte des 18. Jh. in der italienischen
Opera buffa. Die in Rezitativen vorangetriebene dra-
matische Handlung klingt im F. nicht mehr lediglich
aus (Arien-F. ohne fortschreitende Handlung, auch
ChorabschluB), sondern wird in ihm intensiviert. Das
Ensemble iibernimmt dabei die Darstellung kontrastie-
render Charaktere und laBt die Faden der Handlung in
fortschreitender Aktion zusammenlaufen. Ein friihes
Beispiel fiir ein dramatisches F. bietet Logroscinos II
Governatore (1747). Neben das durchkomponierte F.
trat bald das Ketten-F. In ihm werden musikalisch ein-
zeln gestaltete Handlungsabschnitte aneinandergereiht,
wobei die gleiche Grundtonart zu Beginn und am
SchluB dem F. Einheit verleiht. Aus dem Ketten-F.
entwickelte sich durch Wiederholung musikalischer
Hauptgedanken das organisch gegliederte Rondo-F.
(zuerst in Piccinnis La buonafigliuola, 1760), in dem sich
dramatische Aktion und eine rein musikalische Form
verbinden. Das Opern-F. erreichte bei Mozart seine
Vollendung (z. B. he Nozze di Figaro, 1. F.), indem bei
vollkommener musikalischer Form in ausgewogenen
Proportionen der Teile die dramatische Handlung mit
den verschiedenen sowohl sukzessiv wie in Ensembles
simultan dargestellten Charakteren sich spannungsvoll
entfaltet und f ortgef iihrt wird.
Lit. : H. Kretzschmar, Zwei Opern N. Logroscinos, JbP
XV, 1908; H. Abert, W. A. Mozart, 2 Bde, Lpz. 1919-21,
71955; M. Fuchs, Die Entwicklung d. F. in d. ital. Opera
buffa vor Mozart, Diss. Wien 1932, maschr. ; H. Engel,
Die Finali d. Mozartschen Opern, Mozart- Jb. 1954; D.
Rossell, The Formal Construction of Mozart's Operatic
Ensembles and F., Diss. Nashville (Tenn.) 1955, maschr.;
G. v. Noe, Der Strukturwandel d. zyklischen Sonatenform,
NZfM CXXV, 1964. UM
Finalis (lat), - 1) in der Lehre von den ->• Kirchento-
nen der SchluBton einer Melodie (clavis f., vox f., se-
des f., auch finis genannt). Zusammen mit Ambitus
und Tenor (tuba) zahlt sie zu den strukturbildenden
Elementen der mittelalterlichen Einstimmigkeit. Die
regularen Finales der 8 Kirchentone sind: d (1. und 2.
tonus), e (3. und 4.), f (5. und 6.), g (7. und 8.). Sie ent-
sprechen den Tonen des Tetrachordum finalium;
- 2) in der -»■ Klausel-Lehre der SchluBklang.
Fine (ital.), Fin (fe, frz.), Ende. Das Wort findet sich
vielfach am SchluB eines Werkes, um anzuzeigen, daB
weitere Satze nicht folgen (das Gegenteil bedeutet die
Beischrift segue). Auch dient es gleich den Zeichen ^
(->- segno) und /T\ (-> Fermate) bei Satzen mit einem
D. C. (da capo) zur Bezeichnung der Stelle, bis zu der
die Wiederholung reicht.
Fingersatz (Applikatur; engl. fingering; frz. doigte;
ital. digitazione, diteggiatura), im kunstgerechten In-
strumentenspiel die physiologisch angemessene (»na-
tiirliche«), durch Ubersichtlichkeit und Einfachheit die
psychologisch beste, durch Unterstutzung von Dy-
namik und Artikulation die der Komposition gemaBe
Zuordnung der Spielfinger zu Grifflochern (mit Ven-
tilen oder Klappen), Positionen auf Griffbrettern oder
Tasten. Die direkte Aufzeichnung der Grille ist eine
->- Tabulatur (- 1) . Die Zahl der F.-M6glichkeiten ist bei
Blechblasinstrumenten mit Ventilen gering, bei Griff-
loch- und Griffbrettinstrumenten noch beschrankt,
beim Klavier ist sie sehr groB. - Das Grundprinzip
der Grifflochinstrumente ist, daB durch Aufheben der
Finger (Bezeichnung links + rechts 1-2-3 + 1-2-3-4
oder 1 -2-3 + 4-5-6-7) nacheinander die diatonische
Tonleiter erzeugt wird. Chromatische Zwischentone
werden durch -> Gabelgriffe gespielt, bei den moder-
nen Holzblasinstrumenten durch Grille auf -*■ Klap-
pen. - Die Sopran-Alt-Instrumente mit Griffbrett
(Kleingeigen) werden meist mit diatonischem F., die
Tenore und Basse mit gemischtem bis chromatischem
19
289
Fingersatz
gespielt; chromatischer F. (zwischen je zwei Fingern
liegt ein Halbton) gilt auch f iir die meisten Bundinstru-
mente. Die F.-Bezeichnung ist 1 - 4 vom Zeigefin-
ger bis zum kleinen der linken Hand ; der Daumenauf-
satz wird mit angezeigt Durch den F. ist grundsatz-
lich auch die ->■ Lage (- 3) bestimmt. Beim Ubergang
von einer Saite auf eine andere stehen (in der 1 . Lage) der
4. Finger oder die leere Saite zur Wahl. Die Grundpo-
sitionen der Finger werden durchbrochen bei Doppel-
griffen, beim Unter- und Uberstrecken sowie beim
Gleit-F.
Die moderne F.-Bezeichnung im Klavierspiel, die sich
schon bei Diruta 1609 findet, ist fiir jede Hand 1 (Dau-
men) - 5 (kleiner Finger). Die alte deutsche ist rechts
5 (Daumen) - 1 (Zeigefmger) - 2-3 - 4, links mit durch-
strichenen Ziffern spiegelbildlich entsprechend (Ho£-
haymer ; Ammerbach 1 571 : statt 5) . Die englische Be-
zeichnung bis Purcell ist rechts 1 (Daumen) - 2 (Zeige-
fmger) - 3 - 4 - 5, links 1 (kleiner Finger) -2-3-4-5.
Die F.-Technik vor der Bach-Zeit schloB den Daumen
und den kleinen Finger nach Moglichkeit aus, die langen
mittleren Finger wurden ubereinandergeschlagen (so
in der Sweelinck-Schule rechts aufwarts 3-4, abwarts
2-3, links umgekehrt) . Die f olgende Periode, bis in die
ersten Dezennien des 19. Jh., beschrankte die beiden
kurzen Finger fiir gewohnlich auf die Untertasten. Das
brillante Klavierspiel stellte f este Regeln in den 24 Ton-
arten fiir Tonleitern und Akkordformen auf mit strik-
ter Oktavidentitat des F.es. Das spate 19. Jh. seit Liszt,
Tausig und Biilow ignorierte die Unebenheit der Kla-
viatur und hob das Verbot des Unter- und Ubersetzens
nach dem 5. Finger auf (Busoni). Ein neues Element
war die Phrasierungslehre (Riemann), die nach Mog-
lichkeit den F. von der Motivbildung abhangig mach-
te. »Gute« Finger fiir »gute« Noten hatte jedoch schon
Diruta gefordert. F.-Probleme waren von jeher Dop-
pelgriffe, Diminution und Verzierungen. Doppelgriff-
tonleitern wurden durch die Schule dementis syste-
matisiert und u. a. durch Chopin (Gleitfmgersatze) ge-
schmeidiger gemacht zu einer Zeit, als die Pedali-
sierung ein strenges Finger-Binden an einzelnen Stel-
len iiberfliissig machte. Repetitionen wurden schon
von Scheidt mit Fingerwechsel gefordert; stummen
Wechsel lehrte Couperin 1716. - In der spattonalen
und atonalen Musik des 20. Jh. ist das Regelwesen des
F.es unwesentlich geworden ; es gilt, was schon C. Ph.
E.Bach in seiner Zeit beobachtet hatte: dafi jeder neue
Gedancke bey nahe seine eigene Finger-Setzung habe. -
Auf der Harfe entfallt wegen der Haltung der Hande
eine Unterscheidung von rechter und linker Hand in
der Bezeichnung; auf der Pedalharfe sind zudem die
Fingersatze in alien Tonarten gleich. Unter- und iiber-
gesetzt werden kann aufsteigend mit dem 4., 3. oder
2. Finger unter den Daumen, absteigend mit dem
Daumen iiber den 2., 3. oder 4.; der 5. Finger wird
selten eingesetzt.
Lit. : Fr. Couperin, L'art de toucher le clavecin, Paris 1716,
21717, Faks. hrsg. v. A. Linde, Lpz. 1933; Bach Versuch;
D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 1789, Faks. hrsg.
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1798; Ch. Neate, An Essay of Fingering, London 1855;
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L. Kohler, Der Kl.-F., Lpz. 1862; H. Riemann, Verglei-
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Petersburg 1883, '•1912; O. A. Kxauwell, Der F. d. Kla-
vierspiels . . ., Lpz. 1885; G. A. Michelsen, Der F. beim
Klavierspiel, Lpz. 1896; M. Seiffert, Gesch. d. Klavier-
musik, Lpz. 1899; A. Dolmetsch, The Interpretation of
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berrechte«), 2 1961.
Fioriture, Fioretti (ital.) ->■ Verzierungen.
Fistel -> Register (- 3).
Fistula (lat., Rohre, Rohrpfeife), mittellat. Bezeich-
nung fiir Flote (z. B. f. anglica, Blockflote; f. germani-
ca, Traversflote; f. pastoraJis, Schalmei), dann auch fiir
Orgelpfeife (f. organica) und, mit entsprechenden Zu-
satzen, fiir einzelne Orgelregister; oft gleichbedeutend
mit ->■ Tibia.
Flabiol, Fluviol (span.) -»- Einhandf lote.
Flageolett (flajal'st, frz. flageolet, Diminutiv von alt-
frz. flageol, Flote), - 1) eine kleine Schnabel-(Block-)
Flote, angeblich 1581 von Juvigny in Paris zuerst ge-
spielt, mit 4 vorderstandigen Griff- und 2 Daumenld-
chern (notierter Umfang d*-c3, Klang meist eine Un-
oder Duodezime hoher). Das Fl. war zum Spielen von
Tanzmusik seit der Mitte des 17. Jh. in England ver-
breitet; es hielt sich in Frankreich (mit 6 vorderstandi-
gen Grifflochern und einem Daumenloch, auch mit
Klappen) bis ins 19. Jh. Der im Orchester des 18. Jh.
(Gluck, Les Pelerins de Mecque; Mozart, Die Entfiihrung
aus dem Serail) vorgeschriebene Flauto piccolo ist noch
ein Fl. - In England wurden im 19. Jh. Fl.s mit sehr
schmalem Schnabel, auch als Doppel- oder Tripel-
floten gebaut. - 2) in der Orgel ein Flotenregister zu 2'
oder 1'. - 3) Fl.-T6ne (frz. sons harmoniques ; engl.
harmonics) werden auf Saiteninstrumenten durch leich-
tes Aufsetzen des Fingers auf die Teilungspunkte 1/2,
!/3, 1 U usw. erzeugt. An dieser Stelle entsteht dann ein
Schwingungsknoten ; die Saite schwingt in 2, 3, 4 ...
Teilen, von denen jeder den betreffenden Oberton der
ganzen Saite erklingen laBt, ein Vorgang, der dem
-*■ Uberblasen der Blasinstrumente vergleichbar ist.
Der Klang der Fl.-T6ne ist hohl und pfeSend. Neben
diesen »natiirHchen« Fl.s werden kiinstliche erzeugt, in-
290
Flote
dem ein Finger f est aufgesetzt wird und so einen neuen
Sattel bildet und ein weiterer Finger lose aufgesetzt
wird. Fl. ist auch in Doppelgriffen moglich. Die No-
tierung der Fl.-T6ne ist uneinheitlich (Griffschrift in
rhombischen Noten, Klangschrift durch iiber der
Note, auch umgekehrt). - Fl. schrieb J.-J. de -» Mon-
donville in den 6 SonatenLw sons harmoniques op. 4 (um
1738) vor. Gegen das Einmischen von Fl.-Tonen unter
die gewohnlichen wandte sich L.Mozart 1756. Noch
Spohr hatte eine Abneigung gegen Fl.s, wahrend Pa-
ganini sie effektvoll anbrachte (1. Konzert, 3. Satz). Fl.
kann auch auf Zupfinstrumenten (Harfe) und dem
Pianoforte (Schonberg op. 11, Nr 1) hervorgebracht
werden; nur im Fl. wurde das -»■ Trumscheit gespielt.
Lit. :zu 1) : M. Mersenne, Harmonieuniverselle, Paris 1636,
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; WaltherL. -zu
3): H. Heller, Lehre d. Fl.-Tone, Bin 1927; W.Kirken-
dale, Segreto comunicato da Paganini, JAMS XVIII,
1965.
Flamenco (span.), auch Canto (cante) flamenco, Be-
zeichnung fur siidspanische (andalusische) volkstiim-
liche Tanze und Gesange. Der Fl. gehort zu den be-
kanntesten und eigenartigsten musikalischen Erschei-
nungen der siidspanischen Folklore. Seine Herkunft ist
umstritten; es wurden maurische, aber auch synagogi-
sche Einfliisse angenommen. Da er seit dem Beginn
des 19. Jh. vorzugsweise von den Zigeunern Anda-
lusiens und Altkastiliens (daher auch cante gitano) tra-
diert und verbreitet wurde, hielt man ihn vielfach und
leichthin fur Zigeunermusik. Zu unterscheiden sind
zwei Stilarten des Fl. : der Cante jondo (jondo ist die
andalusische Form fiir span, hondo, s. v. w. tief, tief-
grundig, innerlich) oder auch Canto grande und der
Cante chico (s. v. w. kleiner Gesang). Um eine Tanze-
rin (bailaora) gruppieren sich die Gitarrespieler (to-
caoras) und die Sanger (cantaoras). Der Cante jondo
setzt mit einem abwechselnd laut und leise klagenden
»Ay, Ay« ein. Der folgende schlichte Gesangstext, in
dem meist Liebe, Tod, Schuld und Siihne beklagt
werden, besteht iiberwiegend aus 4 Verszeilen (un-
gleich gereimte 8Silbler) mit Refrain. Die Form des
Textes wird jedoch durch die stereotypen oder vari-
ierten Wiederholungen der Melodie (mit exzessiven
Verzierungen) verundeutlicht, wobei sich auch der
Stimmklang andert (bis ins Falsett). Der kontrastreiche,
dramatische und ungewohnlich ausdrucksstarke Cante
jondo mit seiner freien Melodiefiihrung und wechseln-
den Rhythmik erfordert virtuosen Vortrag des S angers
(an dessen Individualitat er jeweils gebunden ist), so
dafi hier, im Unterschied zu den Cante chico-Stilen,
dem Gesang gegeniiber der Gitarre der Vorrang zu-
kommt. Als Unterarten gelten die Seguiriyas, Canas,
Polos, Soleares, Martinetes. Der Cante chico ist we-
sentlich schlichter und deshalb landlaufiger. Zu ihm
zahlen die Bulerias, Solearillas, Alegrias, Sevillanas,
Fandangillos, Tangos. - Der Fl.-Gesang wird vom Fl.-
Tanz begleitet oder nur eingeleitet. Auch bei ihm wird
zwischen Baile jondo und Baile chico unterschieden.
Beides sind Solo- bzw. Einzelpaar-Tanzstile ; die Tan-
zer stampfen den Takt mit den Fiifien (zapateado),
schlagen ihn mit den HSnden oder mit den Kastagnet-
ten. Zu den bekannten Fl.-Tanzerinnen gehoren: Pepa
(Sevilla), Carmencilla (Malaga); zu den Sangern und
Sangerinnen: La Niiia de los Peines, Juan Cepero,
Chacon, Aurelio Selles. In der Kunstmusik wurde der
Fl. von de Falla, Granados, Albeniz, Turina gepflegt.
Lit. : A. Machado Demofilo, Collection de cantes fl., Se-
villa 1881 ; H. Schuchardt, Die cantes fl., Zs. f. romani-
sche Philologie V, Halle 1881; V. Almirall, Considera-
cions sobre los balls de gitanos en los Valles, Barcelona
1887 ; Fr. Maspons y Labr6s, Ball de gitanas en lo Valles,
Barcelona 1887; Cabarrus, Hist., usos y costumbres de los
gitanos, Madrid 1920; M. de Falla, El cante jondo : canto
primitivo andaluz, Granada 1922, ital. in: Rass. mus. XI,
1938 ; I. Brown, Deep Song. Adventures with Gypsy Songs
and Singers in Andalusia and Other Lands, NY 1929; M.
Azara, »Cante jondo« y cantares sinagogales, Revista de
Occideiite VIII, 1930; C. u. P. Caba, Andalucia, su comu-
nismo y su cante jondo, Madrid 1933; M. GarcIa Matos,
Cante fl., Algunos de sus presuntos origenes, AM V, 1950;
ders., Bosquejo hist, del cante fl. . . ., Madrid 1958; D.
Manfredi Cano, Geografia del cante jondo, Madrid 1955.
Flammenorgel ->-Pyrophon.
flat (ftaet, engl., »flach«), unter den ->- Akzidentien das
Zeichen fiir die Erniedrigung \>. Im Englischen werden
durch den Zusatz fl. zu den Tonbuchstaben Tonnamen
und Tonartenbezeichnungen angegeben, z. B. B fl.
(major oder minor) = B (dur oder moll).
Flatsche -v Mirliton.
Flatte" (frz.) -> Vibrato.
Hatted fifth (fl'aetid fif9, engl.) -» Be-bop.
Flatterzunge -» ZungenstoB.
flautato, flautando (ital., auf Flotenart, auch sulla
tastiera; frz. sur la touche, auf dem Griffbrett), bei
Streichinstrumenten Vorschrift der Bogenfuhrung
nahe am Griffbrett, wodurch die Bildung der gerad-
zahligen Obertone verhindert wird. Der Terminus fl.
wird bisweilen auch fiir das Flageolettspiel gebraucht.
Flautino (ital.), kleine Flote, -*■ Piccolo oder -> Fla-
geolett (- 1).
Flauto (ital.) -> Flote; fl. tra verso -*■ Querflote; fl.
piccolo -*■ Piccolo; fl. dolce, fl. diritto -> Blockflote.
Flensburg.
Lit.: H. Witt, Fl., Theaterleben v. 16. Jh. bis zur Gegen-
wart, Fl. 1953; H. P. Detlefsen, Mg. d. Stadt Fl. bis zum
Jahre 1850, = Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung
Kiel XI, Kassel 1961.
Flexa (lat.) -» Neumen (- 1).
Flexaton (von engl. to flex a tone, einen Ton biegen),
Schiittel-Klingelinstrument, im Jazzinstrumentarium
der 1920er Jahre verwendet und von A. Schonberg in
das Schlagzeug einiger seiner Werke aufgenommen
(Variational fur Orch. op. 31, Moses und Aron). Es be-
steht aus einer elastischen langlichen Stahlplatte (Starke
0,7 mm, Lange ca. 18 cm), die zum einen Ende hin et-
was schmaler wird (groBte Breite etwa 8 cm). An ih-
rem breiteren Ende ist sie in eine Holzleiste eingefiigt,
die auf den Enden eines gabelschleuder-ahnlichen
Handgriff es sitzt. Von dort f iihrt die Platte etwas schrag
von der Gabel weg frei nach unten. Zwei beidseitig
der Platte auf diinnen Stahlfedern sitzende Holzkiigel-
chen schlagen beim Schiitteln gegen die Platte und
erzeugen die fiir das Instrument typischen, sehr schnell
repetierenden Tone. Die Veranderung der Tonhohe
(Umfang bei Schonberg: cis3-d 4 ) wird dadurch er-
reicht, daB der Daumen die Platte am freien Ende mehr
oder weniger zur Gabel hin driickt.
Lit. : K. Gentil, Das »Flex a tone« u. d. »Singende Sage«,
Acustica VII, 1957.
Flote (frz. flute; engl. flute; ital. flauto; span, flauta;
mhd. vloite; moglicherweise onomatopoetisch von
lat. + flauta; auch Pfeife, mhd. phife, vom vulgarlat.
+ pipa, einer Riickbildung aus lat. pipare, piepen der
Vogel; lat. auch fistula und tibia), eine Bezeichnung
fiir Blasinstrumente, sowohl fiir die Fl.n im engeren
Sinne als auch fiir die Rohrblattinstrumente ; sie ent-
spricht damit der Sache nach etwa dem antiken Begriff
-> Aulos oder dem altarabischen Zamr (-»■ Mizmar).
Im engeren Sinn ist Fl. ein Instrument, bei dessen Ton-
19*
291
Flote
bildung ein Luf tband gegen eine scharfe Kante geleitet
wird, wo es sich in Wirbeln bricht. Die Luftsaule des
Corpus wird durch Resonanz zum Schwingen ange-
regt und stabilisiert gleichzeitig den Spalt- oder Schnei-
denton. Fur die Frequenz ist die Lange der Rohre be-
stimmend unter Einbeziehung der Miindungskorrek-
turen an beiden Enden. Wird die Rohre an einem Ende
geschlossen (-»• Gedackt), so ist die Frequenz halb so
groB. Die wirksame Lange der Rohre kann durch
Grifflocher verkiirzt werden. Sind mehr Grifflocher als
deckende Finger vorhanden, so werden sie bei hoch-
entwickelten Formen durch ■-> Klappen geschlossen.
In der Hohe kann der Umfang durch -> Uberblasen
(-> Blasquinte) erweitert werden. Fur den Klang der
Fl. ist neben der Bohrung (in der Regel zylindrisch
oder leicht konisch) die Mensur bestimmend. Fl.n wei-
ter Mensur klingen dunkler. Der Klang der gedackten
Fl. ist dumpfer, weil nur die ungeradzahligen Partial-
tone hervorgebracht werden. Der Klangcharakter wird
in zweiter Linie durch das Material bestimmt. Die tech-
nologisch einfachsten Fl.n sind die aus hohlen Asten,
Knochen oder natiirlichen GefaBen wie Muscheln. Bei
den handwerkhch hergestellten iiberwiegen als Material
Holz und Metall, seltener werden Glas und (in neuester
Zeit) Kunststoffe verwendet. - Die Systematik teilt die
Fl.n ein nach der Spielhaltung in Langs- und Quer-Fl.n,
weiter nach der Anblasart und -vorrichtung (Kerben,
Kernspalt, Schnabel). Darin sind alle entwicklungsfahi-
gen Typen einzuordnen; periphere Formen sind u. a.
die Nasen-Fl. und die Gef SB-F1. (-»■ Okarina) . Die Langs-
Fl. kommt auch gedoppelt vor; eine gereihte Langs-Fl.
ist die -»■ Panflote. - Die altesten Funde von Fl.n, auch
in Europa, werden ins Jungpalaolithikum datiert. Un-
ter ihnen sind bereits Fl.n mit Kernspalten und Griff-
lochern. Die historisch altesten Fl.n sind die im alten
Orient ikonographisch belegten, moglicherweise aus
Innerafrika stammenden Langs-Fl.n von enger und
weiter Mensur, die noch heute durch die Typen Nay
und 'Uffata reprasentiert werden. Der alteste nament-
lich bekannte Musiker ist der agyptische Florist -> Khu-
f u-'anch. Quer-Fl.n sind zuerst belegt im 9. Jh. v. Chr.
in China, danach in Indien, Etrurien, Byzanz und bei
den slawischen Volkern. In Mitteleiiropa sind die
Langs-Fl. (als Block-Fl.) und die Quer-Fl. kurz nach-
einander seit dem 10./11. Jh. belegt. Die Verwendung
der Fl. ist ebenso vielseitig wie ihr Reichtum an Typen
und Formen auf der ganzen Erde. Sie wird gebraucht
u. a. als Spielzeug wie als Hirten- und Soldateninstru-
ment. Die Fl.n der abendlandischen Kunstmusik sind
neben der ->• Blockflote und der -» Querflote die -* La-
bialpfeifen der Orgel. Dort werden als Fl.n die offenen
Stimmen des Weitchors, aber. auch die teilgedeckten,
gedeckten und iiberblasenden bezeichnet, die je nach
Bauart und Klangcharakter besondere Namen haben
wie Block-, Doppel-, Dulz-, Feld-, Fern-, Hell-, Hohl-,
Pyramid-, Quer-, Rohr-, Spill-, Still-, Schweizer-,
Tubal-, Wald- und Zart-Fl. Zum Unterschied von die-
sen zumeist in 4' oder 8' stehenden Registern werden
die entsprechenden zu 2' oder 1' auch als Pfeifen be-
zeichnet, wie Feld- oder Schweizerpfeife.
Lit.: W. Foy, Zur Verbreitung d. Nasenfl., Ethnologica I,
1909 ; D. Ehrlich, The Hist, of the Fl. from Ancient Times
to Boehm's Invention, NY 1921 ; H. Plischke, Geistertrp.
u. Geisterfl. aus Bambus v. Sepik, Neuguinea, Jb. d. Mu-
seums f . Volkerkunde zu Lpz. VIII, 1922 ; C. Sachs, Geist
u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Neudruck Hilversum
1965; V. Belaiev, The Longitudinal Open Fl. of Central
Asia, MQ XIX, 1933; P. R. Kirby, The Reed-Fl. En-
sembles of South Africa, Journal of the Anthropological
Inst. XIII, 1933; S. Nadel, Messungen an kaukasischen
Grifflochpfeifen, Anthropos XXIX, 1934; O. Seewald,
Beitr. zur Kenntnis steinzeitlicher Musikinstr., = Biicher
zur Ur- u. Fruhgesch. II, Wien 1934; P. Bromse, FL, Schal-
meien u. Sackpfeifen Siidslawiens, = Veroff. d. Mw. Inst,
d. Deutschen Univ. Prag IX, Briinn 1937; M. u. R. d'Har-
court, Sifflets et ocarinas du Nicaragua et du Mexique,
Journal de la Soc. des Americanistes, N. S. XXXIII, 1941 ;
S. Wolf, Zum Problem d. Nasenfl., Abh. Volkerkundemu-
seum Dresden, N. F. I, 1941 ; R. A. Hall, The Romance
Words for »flute«, Studies in Linguistics I, 1942, dazu L.
Spitzer, ebenda II, 1943; W. Graf, Zur Spieltechnik u.
Spielweise v. Zeremonialfl. v. d. Nordkiiste Neuguineas,
Arch. f. Volkerkunde II, 1947; K. Dittmer, Zur Ent-
stehung d. Kemspaltfl., Zs. f. Ethnologie LXXV, 1950;
H. A. Moeck, Ursprung u. Tradition d. Kemspaltfl. d.
europaischen Volkstumes u. d. Herkunft d. mg. Kern-
spaltfl.-Typen, Diss. Gottingen 1951, maschr.; H. Hick-
mann, The Antique Cross-Fl., AMI XXIV, 1952; ders.,
Unbekannte agyptische Klangwerkzeuge, Mf VIII, 1955;
W. J. John, The Lit. of the Transverse Fl. in the Seven-
teenth and Eighteenth Cent., Diss. Evanston (111.) 1952,
maschr. ; P. Wirz, Uber sakrale Fl. u. Pfeifen d. Sepik-Ge-
bietes (Neu Guinea), Verhandlungen d. Naturforschenden
Ges. Basel LXV, 1954; Fr. Zaoiba, Funde zur vorge-
schichtlichen Musik in Osterreich, Anzeiger d. philoso-
phisch-hist. Klasse d. Osterreichischen Akad. d. Wiss. XCI,
1954; E. D. Edwards, Principles of Whistling - Hsiao
chih - anon., Bull, of the School of Oriental and African
Studies XX, 1957 ; A. Hausler, Neue Funde steinzeitlicher
Musikinstr. in Osteuropa, AMI XXXII, 1960.
Flotenuhr, eines der -*■ Mechanischen Musikwerke :
ein Spieluhrwerk mit Walze und Flotenstimmen, die
durch einen Blasebalg mit Wind gespeist werden. Oft
sind sie mit Zeituhren gekoppelt und spielen zu jeder
vollen Stunde. Im allgemeinen werden 2 Register ver-
wendet (z. B. Gedackt 4', Offen 2'). Fl.en begegnen
schon im 16. Jh.; ihre Bliitezeit fallt in die Jahre 1770
bis 1860.
Lit. : G. Kinskv, Beethoven u. d. FL, Beethoven- Almanach,
Regensburg 1927 ; E. Fr. Schmid, J. Haydn u. d. FL, ZfMw
XIV, 1931/32 ; K. Walther, C. Ph. E. Bachs Kleine Stiicke
f. d. FL, Zs. f. Schulmusik VI, 1933.
Florenz.
Lit.: L. Puliti, Cenni storici della vita del Serenissimo
Ferdinando dei Medici . . ., Atti dell'Accad. del Real Isti-
tuto mus. di Firenze, 1874; A. Ademollo, I primi fasti del
teatro di Via della Pergola in Firenze, 1657-61, Mailand
1885 ; U. Angeli, Notizie per la storia del teatro a Firenze
nel s. XVI, Modena 1891 ; R. Gandolfi, lllustrazione di
alcuni cimeli concernenti l'arte mus. in Firenze, Fl. 1892;
ders., Accad. storica di musica Toscana, Fl. 1893; ders.,
In onore di antichi musicisti florentini, Rassegna Nazio-
nale 1906; ders., La cappella mus. della corte di Toscana,
1539-1859, RMI XVI, 1909; G. Pavan, Saggio di croni-
storia teatrale fiorentina: serie cronologica delle opere
rappresentate al teatro . . . della Pergola nei s. XVII e
XVIII, Mailand 1901; J. Wolf, Fl. in d. Mg. d. 14. Jh.,
SIMG III, 1901/02; C. Lozzi, La musica e il melodramma
alia corte medicea, RMI IX, 1902; A. Solerti, Musica,
ballo e drammatica alia corte medicea dal 1600 al 1637, FL
1905; G. Piccini, Storia aneddotica dei teatri florentini:
I, II teatro della Pergola, Fl. 1912; A. Bruno, II Teatro Al-
fieri in Firenze, Rivista teatrale ital. 1914; G. Conti, I
teatri di Firenze, in: L'illustratore fiorentino XI, 1914; U.
Morini, La R. Accad. degli Immobili ed il suo teatro »La
Pergola« 1694-1925, Pisa 1926; L. Cellesi, Documenti per
la storia mus. di Firenze, RMI XXXIV, 1927 - XXXV,
1928 ; R. Lustig, Per la cronistoria dell'antico teatro mus. :
il teatro della Villa Medicea in Pratolino, RMI XXXVI,
1929; F. Ghisi, I canti carnascialeschi, FL 1937; ders.,
Feste mus. della Firenze medicea, 1480-1589, Fl. 1939;
ders., Alle fonti della monodia, Mailand 1940; ders., Bal-
let Entertainments in Pitti Palace, FL 1608-25, MQ XXXV,
1949 ; ders., Un processionale inedito . . . , RMI LV, 1953 ;
H. Kuhner, Dokumentarisches zur Mg. v. FL im 14. u. 1 5.
Jh., Diss. Munchen 1937, maschr.; E. Sanesi, Maestri
d'organo in S. Maria del Fiore (1430-1600), Note d'Arch.
XIV, 1937; B. Becherini, Un canto in panca fiorentino,
Antonio di Guido, RMI L, 1948; dies., La musica nelle
»Sacre rappresentazioni fiorentine«, RMI LIII, 1951;
292
Flores
dies., Musica ital. al Firenze nel XV s., RBM VIII, 1954;
Citta di Firenze, Accad. Nazionale »L. Cherubini« di mu-
sica, lettere e arti figurative. Esposizione nazionale dei
conservatori mus. e delle bibl., Palazzo Davanzati, 27. X.
1949 - 8. 1. 1950, Cat., Fl. 1950; L. Parigi, I disegni mus.
del gabinetto degli »Uffizi« . . . , Fl. 1951 ; M. Bernardi u.
A. Della Corte, Gli strumenti mus. nei dipinti della Gal-
leria degli Uffizi, Turin 1952 ; H. Nolthenius, Renaissance
in Mei. Florentijns leven rond Fr. Landini, Utrecht u. Ant-
werpen 1 956 ; A. Seay, Fl. : The City of Hothby and Ramos,
JAMS IX, 1 956 ; ders., The 1 5 th Cent. Cappella at S. Maria
del Fiore in Fl., JAMS XI, 1958; Fr. A. D'Accone, A
Documentary Hist, of Music at the Florentine Cathedral
and Baptistry in the 1 5 th Cent.,Diss. Harvard Univ. (Mass).
1960, maschr. ; ders., The Singers of San Giovanni in
Fl. During the 15'" Cent., JAMS XIV, 1961.
Flores (lat., Blumen), eine vor allem im Mittelalter
gebrauchliche Bezeichnung fur vokale und instrumen-
tale ->■ Verzierungen aller Art, die wohl aus der Rhe-
torik ubernommen ist, wo sie haufig die Figuren des
Ornatus facilis zusammenfaBt (Sunt autem flores quibus
est sententia vocum florida, Galfredus de Vino salvo,
Poetria nova, 1208/13). - Hieronymus de Moravia (spa-
teres 13. Jh., CS I, 91a ff.) versteht unterflos armoni-
cus eine decora ... et celerrima procellarisque vibratio
[vocis] und unterscheidet zwischen Fl. longi, aperti und
subiti: Trillern, die nach Geschwindigkeit und Halb-
bzw. Ganztonrepetition verschieden sind und die als
Gesangsverzierungen bezeichnenderweise mit Hilfe
des Orgeltrillers erklart werden. Bei Johannes de Gar-
landia (um 1240, CS I, 115b f.) heifit das Bebenlassen
der Stimme auf einem Ton (anschaulich gemacht durch
eine Folge von Semibreven gleicher Tonhohe) florifi-
catio soni, und Anonymus IV (um 1275, CS I, 358b f.,
363a f.) nennt als bevorzugte Trager derartiger Ver-
zierungen Tonwiederholungen oder duplices longae
(floratae), wie sie vor allem zu Beginn oder auf der
Paenultima einer Komposition stehen. Beliebt scheinen
Fl. besonders in den (solistisch vorgetragenen) Melis-
men des Organum purum gewesen zu sein (Franco,
um 1245, CS I, 135b; Anonymus IV, CS I, ebenda);
W. Odington (nach 1300, CS 1, 246b) schlagt sogar fur
den Vortrag der organalen Haltetone die tiberwiegend
in Choraltraktaten (Hucbald, GS 1, 118a; Guido, CSM
IV, 164) erwahnte Tremula (Liqueszenz, Bebung oder
Triller) vor, die jedoch nur eine der vielen im Choral-
gesang gepflegten Verzierungen (wie Quilisma, Re-
verberatio, Plica u. a.) ist. - Beziehen sich diese An-
gaben zumeist auf die isolierte Verzierung einer Ein-
zelnote, so empfiehlt Pseudo-Tunstede (nicht vor 1380,
aber in weiten Partien auf der Musiklehre des 13. Jh.
fufiend, CS IV, 252a ff.) derartige Fl. auch in Zusam-
menhang mit der melodischen Verbindung zweier
Tone mittels »durchgehender« Zwischennoten (trans-
currendo discordantias imperfectas in locis debitis, CS IV,
294b). Ihnen haben sich in der Praxis wohl meist noch
weitere, umspielende Zierhoten angeschlossen, und
zwar nicht nur in den naturgemaB starker ausgezierten
Oberstimmen, sondern nach Ausweis des gleichen
Autors (CS IV, 295a f .) auch im Tenor, sof ern der San-
ger mit seinen pulchrae ascensiones et descensiones den
Discantus nicht storte. Diese »melodische Paraphra-
sierung« (Handschin), die wohl wichtigste Technik der
mittelakerlichen Melodiebildung im Choral (beson-
ders ausgepragt in der responsorialen Psalmodie und
im siidlandischen Spissim-Stil) wie in der Mehrstim-
migkeit (schon um 1100 spricht Johannes Affligemen-
sis von der Moglichkeit, in der Diaphonia simplkes
motus duplicare vel triplicare vel quovis modo competenter
conglobare, CSM I, 160f.), fand in der Auszierung der
Paenultimaregion ihre grofke, immer neue Aufgabe.
Als deflorere finem dausulae ist sie in dem anonymen,
nach seinem ersten Herausgeber A. de Lafage benann-
ten Traktat (spates 12. Jh.) naher umrissen (Ann. Mus.
V, 1957, S. 33); der friiheste greifbare Beleg steht
um HOOimMailander Organum traktat. SchluB-(und
Initial-)Melismen in Minne- und Meistersang (»Blu-
men«) oder die Caudae der Conductus sind weitere
Beispiele. Seit dem 13. Jh. gehort die Copula, id est
floritura (CS IV, 278a, ahnlich Jacobus von Liittich,
CS II, 385b) zu dem vornehmsten Schmuck des Or-
ganum und unterscheidet sich vom normalen Discan-
tussatz hinsichtlich des Vortrags als velox discantus
(Franco, CS I, 133a ff.), welcher delicatiore modo et sub-
tiliore voce quam discantus [simpliciter prolatus] provulgatur
(Anonymus St.Emmeran, 1279, ed. H.Sowa, 126),
mitunter auch hinsichtlich der Satzweise als Hoquetus
(Sowa, 5) oder punctus puri organi (Anonymus IV, CS
I, 361a f.). - Das Copulabeispiel zeigt bereits deutlich,
daB die hoch- und spatmittelalterliche Musiklehre den
Terminus Fl. nicht nur in dem speziellen Sinne von in
sich abgeschlossenen, nach Beispiel oder Vorschrift
improvisierten Verzierungsformeln verwendet, son-
dern unter dieser Bezeichnung auch viele technische
und stilistische Besonderheiten zusammenfaBt, die sich
in der niedergeschriebenen Komposition gegeniiber
dem einfachen Geriistsatz wie Verzierungen ausneh-
men. Die Lehre spricht namlich selbst dann noch von
Fl. oder Colores, wenn diese Elemente langst (wenig-
stens aus heutiger Sicht) zu den Grundlagen der jeweils
typischen Kompositionsart einer musikgeschichtlichen
Epoche geworden sind, z. B. der in Analogie zu den
VersfiiBen beschriebene modale Rhythmus (Anony-
mus II, CS I, 307b), die Auflosung von Longa und
Brevis in Semibrevis- und Minimawerte seit der Ars
nova (Petrus dictus palma ociosa, 1336, SIMG XV,
1913/14, S. 518ff.), die eigentlich selbstverstandliche
Verwendung perf ekter Klange auf den Mensurschwer-
punkten (Anonymus St.Emmeran, 120) oder sogar
der offenbar nicht alltagliche Gebrauch der duplex
longa (ders., 87). Der Nachdruck bei der Begriffsbe-
stimmung von Fl.liegt also nicht so sehr auf derTren-
nung zwischen improvisatorischen und kompositori-
schen Gestaltungsmitteln, als vielmehr auf dem be-
zeichnenden Rangunterschied zwischen dem prima-
ren, durch den Cantus prius factus weitgehend vorbe-
stimmten Geriistsatz und den zwischen den Mensur-
schwerpunkten gelegenen sindifferenten Partien«, die
der individuellen Ausfiihrung vorbehalten sind (so
schon Anonymus IV, CS I, 356b, 359b). Demi auch
das (mehrstimmige) »Komponieren« selbst wird nicht
als ein geschlossener ProzeB beschrieben, sondern es
wird zumeist aufgeschliisselt in die Vorgange des ordi-
nare, colorare, deflorere (florificare) und umschlieBt
so bruchlos auch alle improvisierten, nur scheinbar
sekundaren Zutaten, die als vollwertige Bestandteile
der erklingenden Komposition geschatzt und erwartet
wurden, ebenso wie die Verzierungen des Chorals vom
Melodiebau organisch getragene und keinesfalls be-
reits verselbstandigte Ornamente sind. - Der Uber-
gang von dieser era of free, creative ornamentation (E.T.
Ferand, A History . . ., S. 467) zum Verzierungswesen
der beginnenden Neuzeit ist flieGend und vollzog sich
hauptsachlich in der allmahlichen Scheidung zwischen
den Techniken der -> Diminution (- 2) und.der -» Kolo-
rierung; beide sind bereits im 13. Jh. prinzipiell ausge-
bildet, erstere am deutlichsten in der rhythmisch pra-
zisen Fractio modi (bzw. cantus), letztere in den vielen
Arten der Einzelverzierungen. Im Verlauf jener fort-
schreitenden technischen und terminologischen Diffe-
renzierung wurden auch Fl. und Florificatio durch
exaktere, teils noch anschaulichere, teils auch klang-
vollere Bezeichnungen (wie Ornamenta, Licentiae,
293
Flugel
Elegantiae) weitgehend verdrangt; in einzelnen Aus-
driicken blieben sie dennoch weit iiber das Mittelalter
hinaus gelaufig - in Contrapunctus floridus (fractus,
diminutus) bis zum Spatbarock, in den italienischen
Termini Fiori, Fioretti bis zur Gegenwart.
Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica,
hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw. II,
Regensburg 1935; Of. E. H. de Coussemaker, L'art har-
monique aux XH e et XIII e s., Paris 1865; G. Adler, Die
Wiederholung u. Nachahmung in d. Mehrstimmigkeit,
Vf Mw II, 1 886 ; H. E. Wooldridge, in: The Oxford Hist, of
Music I, Oxford 1 901 , 2 1 929 ; R. Lach, Studienzur Entwick-
lungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913; Rie-
mann MTh ; J. Handschin, Zur Frage d. melodischen Pa-
raphrasierung im MA, ZfMw X, 1927/28 ; Y. Rokseth, La
musique d'orgue au X V e s. et au debut du XVI e , Paris 1930;
H. Besseler, Die Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken
Hdb. ; R. Haas, Auffuhrungspraxis d. Musik, ebenda; L.
Schrade, Die hs. Oberlieferung d. altesten Instrumental-
musik, Lahr 1931 ; E. T. Ferand, Die Improvisation in d.
Musik, Zurich 1938; ders., A Hist, of Music Seen in the
Light of Ornamentation, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; Fr.
Zaminer, Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat.
3025), = Munchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; S.
Corbin, Note sur l'ornementation dans le plain-chant
gregorien, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; G. Thibault, L'or-
nementation dans la musique profane au Moyen-Age,
ebenda. FrR
Flugel. Fl.-Form kommt seit dem 14. Jh. beim -*■ Psal-
terium vor, von dem es auf die f riihen Tangenten- und
Kielklaviere iiberging. Fl. sind die grofien Modelle des
Cembalos (Kiel-Fl.) und des Pianofortes (heute vom
Klein-Fl., etwa 140 cm lang, iiber den Stutz-Fl., etwa
165-180 cm, bis zum Konzert-Fl., etwa 250-290 cm),
daneben gab es aufrechte Fl. (->- Clavicytherium, -»• Gi-
raffenklavier, Pyramidenklavier).
Fliigelhom (mbglicherweise verderbt aus ->■ Biigel-
horn, mit dem es im allgemeinen auch synonym ge-
braucht wird) ist im besonderen der Sopran der Biigel-
hornfamilie (in B). Es wird in Trompetenform gebaut
und ist dem ;-> Kornett (- 1) verwandt. Das Fl. kam
um 1825 in Osterreich auf.
Folia (port., Tollheit; span, folia; ital. follia; frz. folie),
zunachst eine um 1500 in Portugal bezeugte Art von
Tanz- und Gesangsdarbietung, deren Formen und Me-
lodien noch unbekannt sind. Hofchroniken verzeich-
nen dan(as ef.s u. a. ; der Dichter Gil Vicente verwendet
z. B. emf. als Ausfiihrungsanweisung in Theaterstiik-
ken. Unsicher ist, ob hier die F. der altesten Beschrei-
bung einer F. durch S. de Covarrubias (Tesoro de la
lengua castellana, Madrid 1611) entspricht, wonach es
sich um einen larmenden Tanz vermummter und ver-
kleideter Tanzer, begleitet von Kastagnetten und ande-
ren Instrumenten, handelt, dessen Lebhaftigkeit den
Eindruck erweckt, als hatten alle »den Verstand verlo-
ren«. Cervantes erwahnt 1613 (in der No velle La ilustre
fregona) nebeneinander carabandas, chaconas y f.s. - F.
ist sodann ein musikalisches Satzmodell, das mit -> Pas-
samezzo (antico) und -» Romanesca verwandt ist
und in Abschnitten ubereinstimmt. Wie alle derar-
tigen Modelle beruht die F. auf einem Geriistsatz der
AuBenstimmen, der von elementarer Eingangigkeit
ist und als Grundlage fur eine Kolorierung, Variie-
rung, gegebenenfalls Textierung der Oberstimme so-
wie fur die Rhythmisierung und begrenzte Abwand-
lung des Basses dient. Instruktiv ist eine schematische
Zusammenstellung der genannten Modelle nach D.
Ortiz (1553, nach Recercada qvarta, primera und setti-
ma), der jedoch die Typennamen noch nicht verwen-
det (die wichtigsten Abweichungen, die gegeniiber
den Fassungen von Ortiz in der sonstigen Oberliefe-
rung anzutreffen sind, wurden in Klammern erganzt) :
, f. Folia
pi
rr
1187
m
A
tt U S^"
" S lt »
dBz
-ft-
m
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H & tt,J o
— ft—
"^ ft o-ft
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Romanesca
» » 3 it » l l "» ^gP
^
m
^B_
-«-e-
ft
J-
Das F.-Modell lafit sich schon im ->■ Cancionero musi-
cal de Palacio und vor allem in der spanischen Vihuela-
musik des 16. Jh. nachweisen, doch heiSen die Satze
Pavana, Aria oder nach Texttiteln, z. B. La cara
rosa. Salinas gibt in De musica (Salamanca 1577,
S. 309) erstmalig zum Namen F. ein Notenbeispiel,
dem sich harmonisch das Romanescamodell unterle-
gen laBt :
No me di-gays ma-dremal del pa - dre fray An-
Que es mi e-na - mo - ra - do y yo
de
uo - cion
ten-go-le en
Im 17. Jh. wird der F. genannte Tanz musikalisch an
das F.-Modell gebunden, das nun erst seinen Namen zu
Recht tragt. Die seit J. H. Kapsberger (1604) zahlreich
uberlieferten F.-Kompositionen bewahren vor allem
die BaBformel, die jedoch in voneinander abweichen-
den Typen auftritt.-Neben dem Ortiz-Typ erscheint
in itahenischen Quellen haufig die folgende auftaktige
BaBformel (nach H. Spohr) :
^ urn=r i r ir ir ir ir
m
i r i r i r i r
AuBerdem gibt es offenbar Zwischenglieder der
Modelle, die namensmaBig nicht streng unterschie-
den werden, z. B. das Fedele, das G.Montesardo
(1606) mit F. identifizierte (F. chiamata cost da Spagnuo-
li, che da Italiani si chiama Fedele), das aber wohl ei-
gene Merkmale tragt, denen Frescobaldis Partite sopra
I'Aria di Follia (1615) zu entsprechen scheinen. Uber-
wiegend steht die F. im Tripeltakt, einzelne Aus-
nahmen zeigen die Verwandtschaft mit der -*■ Pa-
vaniglia. Seit etwa 1650 wird die F. oft als Les Fo-
lies d'Espagne bezeichnet. In der Fassung von M.
Faninel wurde die F. beriihmt und als Thema fiir
Variationen beliebt, wobei der Name F. zunehmend
auf die sarabandenartige Oberstimmenmelodie bezo-
gen wurde:
294
Form
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rryirr
' ^rr JJ i ff JJ irj
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si
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Ff^
PPjg
rrpirrcr
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Thema von Faronell's division on a ground,
Nr 5 aus J.Playfords The Division-Violin (1685).
Einzelne Verarbeitungen der F. finden sich in Opern,
Kantaten (z. B. J.S.Bach, BWV 212, Arie Unser treff-
licher lieber Kammerherr), Orchester- und Instrumental-
werken bis ins 20. Jh. hinein. - Gelegentlich tragen
marsch- oder tanzartige Satze unabhangig vom F.-
Modell den Titel F., z. B. in einer Musik zu einem
Pferdeballett von J.H. Schmelzer (Follia per nuovo in-
gresso de i Saltatori, & altre operazioni de Cavalli, 1667).
Lit. : H. Riemann, J. Playford's Division Violin . . . , Mk X,
1910/11; A. Moser, Zur Genesis d. Folies d'Espagne,
AfMw I, 1918/19; P. Nettl, Zwei span. Ostinatothemen,
ZfMw I, 1918/19; O. Gombosi, Zur Fruhgesch. d. F., AMI
VIII, 1936; ders., The Cultural and Folkloristic Back-
ground of the F., PAMS IV, 1940; J. Ward, The F., Kgr.-
Ber. Utrecht 1952; H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkom-
position, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.
Folies d'Espagne (fol'i dssp'a:ji, frz.) -s- Folia.
Folklore, seiner Herkunf t nach englischer Sammelbe-
griff fiir Kunde oder Wissen des Volks, d. h. Volks-
iiberlieferungen. W. J. Thorns pragte die Bezeichnung
F. 1846 fiir den Gegenstand (nichtfiir die Wissenschaft)
der Volkskunde.
Lit. : H. A. Krappe, The Science of Folk-Lore, NY u. Lon-
don 1930; Funk and Wagnalls Standard Dictionary of F.,
Mythology and Legend, hrsg. v. M. Leach u. J. Fried, NY
1949-50.
Forlana, Furlana, Frulana, Friauler, aus der italieni-
" schen Provinz Friaul (ital. Friuli), ein sehr lebhafter,
urspriinglich werbender 6/8-Tanz fiir ein oder zwei
Paare, vielleicht slawischer Herkunft. Im 16. Jh. be-
gegnet er im Zweiertakt als Ballo F. in Phaleses Dan-
series (1583), der -*■ Allemande ahnlich. Im 17. Jh. ver-
lauft die F. im schnellen 6/4- oder 6/8-Takt; als Volks-
tanz war sie besonders im Venedig des 18. Jh. beliebt.
In der franzosischen Oper findet sich die F. bei A.
Campra, L'Europe galante (1697) und Le camaval de
Venise (1699), dann in Wien und Deutschland (Bach,
Orchestersuite C dur, BWV 1066). In Frankreich blieb
die F. bis in die Gegenwart lebendig (Ravel, F. im
Tombeau de Couperin).
Lit. : C. Blasis, Manuel complet de la danse, Paris 1 830 ; G.
Casellati u. G.Trombini, F.,Venedigl914 ; A.Caccialu-
pi, La f ., Paris 1 9 14 ; R. Lach, Zur Gesch. d. Gesellschafts-
tanzes im 18. Jh., = Museion. Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz.
1920; P. Nettl, The Story of Dance Music, NY (1947).
Form ist Einheit im Verschiedenen (Riemann). Der Be-
griff der F. ist in dreifachem Sinne relativ. Erstens, ver-
mittelt in Plotins Metaphysik des Schbnen, die in der
Asthetik des 18. und 19. Jh. durch Shaftesbury und
Winckelmann wirksam wurde, die F. (elSo?) zwischen
der Idee (Itea) und der erscheinenden Gestalt (u.op<p7)) ;
sie ist einerseits »innere« F. (£v8ov eT8o<;), andererseits
»auBere«. Zweitens ist der Begriff der F. davon abhan-
gig, wie das der F. Zugrundeliegende (u7toxslu,evov,
subiectum) bestimmt wird: als Tonmaterial, Thema
(subiectum), Affekt, Stimmung oder »Vorwurf« (su-
jet) ; ist das Zugrundeliegende ein Thema, so ist F. die
Ausarbeitung; ist es ein Sujet, so erscheint F. als »Dar-
stellung in Tonen«. Relativ ist drittens die aristoteli-
sche Kategorie der F.; der einzelne Ton ist F. der
schwingenden Materie (Kant), die Liedzeile F. der To-
ne, das ganze Lied F. der Zeilen. Aus der Reihe der re-
lativen Stoffe und F.en aber heben sich nach Aristoteles
bestimmte Stufen dadurch heraus, daB sie eine »Voll-
endung«, ein »Ziel« (tIao?) darstellen; das ganze Lied
ist eher ein »Ziel« als die einzelne Zeile oder der Ton.
Als »Ziel«, also als F. im ausgezeichneten Sinne, gait
in der Theorie der Kunst bis zum 18. Jh. weniger das
einzelne Werk als die Gattung; erst seit dem 19. Jh.
setzte sich allmahlich die Vorstellung durch, daB das
einzelne Werk fiir sich stehe und nicht an einer Gat-
tungsnorm gemessen werden diirfe. Aus dem Wandel
in der Bestimmung des Telos ist es zu verstehen, daB
der Begriff der F. einerseits an den der Gattung, ande-
rerseits an den der Struktur (des Einzelwerkes) an-
grenzt. Die musikalische Formenlehre, die im spaten
18. Jh. entstand, halt sich in einer vagen Mitte zwi-
schen dem Anspruch, die den Gattungen - der Mo-
tette, der Opernarie oder der Sonate - eigentiimlichen
und angemessenen Normen der F. zu bestimmen, und
der bescheideneren Absicht, bloBe Schemata zu ent-
werfen, deren Zweck in nichts anderem besteht, als
daB durch Abhebung von ihnen die besonderen For-
men der einzelnen Werke beschrieben werden kon-
nen. - Die tragenden Kategorien der Formasthetik
- Proportion und Symmetrie, Einheit in der Mannig-
faltigkeit, Harmonie des Entgegengesetzten und Zu-
sammenstimmen der Teile (congruentia, convenien-
tia, consonantia partium) - sind bis zum 19. Jh. in der
Philosophie des Schbnen entwickelt worden; noch
Hanslicks Entwurf einer Asthetik der musikalischen F.
ist ein Buch Vom Musikalisch-Schonen (1854). In der
neueren Asthetik, die auf den Begriff des Schonen ver-
zichtet, werden dessen Momente - die »innere« und die
»auBere« F., das gestaltende Prinzip und die erschei-
nende Gestalt - manchmal als »Formung« und »Form«
voneinander abgehoben. Die »Formung« wird psycho-
logisch oder metaphysisch als Schbpfung des Kompo-
nisten - schon das 16. Jh. kannte die Vorstellung vom
Dichter als einem zweiten Gott (alter deus, J. Scaliger) -,
ontologisch als »Wille« eines in den Tbnen waltenden
Formgesetzes (A. Halm) oder geschichtsphilosophisch
als Tendenz des Materials der in den Tonbeziehungen
sedimentierten Geschichte (Adorno) interpretiert. - Die
Elemente der musikalischen F. sind die Toneigenschaf-
ten Hohe, Dauer, Starke und Farbe; ob auch die Ton-
verwandtschaft (Konsonanz) in einer Toneigenschaft
fundiert sei, ist umstritten (v. Hornbostel, Handschin).
Die untersten formalen Kategorien sind Relation, MaB
und Niveau. Tone sind erstens in Relation zueinander
hoher und tiefer (Diastematie, von griech. SnxarrnLa.,
Intervall), langer und kiirzer, starker und schwacher;
sie erscheinen zweitens, bezogen auf ein mittleres MaB,
als hoch und tief, lang und kurz, stark und schwach;
und drittens sind die Relationsgefiige transponierbar :
relative Tonhohen kbnnen in eine andere Lage, relative
Zeitrwerte in ein anderes Tempo und relative Starke-
grade auf eine andere dynamische Stufe versetzt wer-
den. Allerdings entziehen sich Tempo und Bewegung
295
Form
einer generellen Definition. In Tanzsatzen ist das Tem-
po durch die Dauer der Zahlzeit und die Bewegung
(mouvement), auBerdem durch die Taktart und die
Akzentabstufung bestimmt. Die rhythmische Aus-
fiillung erscheint als sekundares Merkmal; ein Menuett
in Sechzehnteln ist nicht »schneller« als eines in Vier-
teln. Dagegen fallen in rhythmisch irrationalen melis-
matischen Gesangen, z. B. in primitiven Totenklagen,
Tempo und Bewegung mit den realen Tondauern zu-
sammen; gedehnte Tone sind »langsam«, fliichtige
»schnell«. - Die in einem engeren Sinne formalen
Momente der Musik, Gliederung, Gewichtsabstufung
und das Hervortreten von Attraktionspunkten (Brenn),
sind im allgemeinen nicht an ein einzelnes Substrat
(Hohe, Dauer, Starke) gebunden, sondern in Wechsel-
wirkungen zwischen den elementaren Faktoren be-
griindet. Die rhythmische Geschlossenheit einer Takt-
gruppe und die harmonische einer Akkordfolge kcin-
nen sich gegenseitig stiitzen oder durchkreuzen, und
nur im ersten Fall entsteht eine deutliche Zasur ; und ob
der erste oder der zweite Takt einer Phrase als »schwer«
erscheint, ist nicht nur von seiner Stellung, sondern
auch vom melodischen und harmonischen Inhalt ab-
hangig (Riemann). - Formale Funktionen sind auf
Systeme oder Modelle bezogen. Eine melodische Phra-
se erfiillt die Funktion eines Vorder- oder Nachsatzes
im Hinblick auf ein System, z. B. die Stufenordnung
einer Tonart, oder auf ein Modell, z. B. die Psalmodie.
Die Ubergange zwischen Bezugssystemen und Model-
len sind manchmal fliefiend. Die harmonische Tonart
ist als Inbegriff von Akkordfunktionen ein Bezugssy-
stem; die Regel aber, daB die Subdominante der Do-
minante vorausgehen und nicht folgen soil, ist im Mo-
dellcharakter der Kadenz T-S-D-T begriindet. - Be-
stimmungsmomente der musikalischen F. als einer
»Einheit in der Mannigfaltigkeit« sind Wiederholung,
Abwandlung (Variation), Verschiedenheit und Kon-
trast. Die oberste Fordemng fur alle Formgebung, auch die
musikalische, ist Einheit; diese komtnt aber erst zur pollen
Entfaltung Hirer asthetischen Wirkung am Gegensatzli-
chen, am Kontrast und Widerspruch (Konflikt). Die Ein-
heit in der speziell musikalischen Gestaltung tritt uns ent-
gegen im konsonanten Akkord, in der Auspragung einer
Tonart, dem Festhalten einer Taktart, eines Rhythmus, in
der Wiederkehr rhythmisch-melodischer Motive, der Bil-
dung und Wiederkehr pragnanter Themen; der Kontrast und
Konflikt [erscheint] im Harmoniewechsel, der Dissonanz,
Modulation, dem Wechsel verschiedener Rhythmen und
Motive, der Gegeniiberstellung im Charakter gegensatzlicher
Themen (Riemann). - Man unterscheidet Reihungs-
von Entwicklungs-F.en oder plastische von logischen
F.en (Handschin). Die Begriffe sind als Bestimmungen
von Idealtypen im Sinne Max Webers zu verstehen;
eine ausschlieBlich »logische« F. ohne »plastische« Mo-
mente ist kaum vorstellbar. In primar »logischen« F.en,
z. B. manchen Sonatensatzen von Beethoven, beruht
der musikalische Zusammenhang auf entwickelnder
Variation (Schonberg) von Themen und Motiven; ein
zweiter Gedanke wird einem ersten nicht wie eine
Komplementarfarbe entgegengesetzt, sondern durch
kontrastierende Ableitung (A. Schmitz) gewonnen. An
plastischen F.en, z. B. dem Rondo, treten tektonische
und architektonische Momente (Fr. Blume), Symmetric
und Proportion, deutliche Gliederung und der Unter-
schied zwischen Hauptteilen und uberleitenden Ver-
bindungsstiicken, in den Vordergrund. Ein erganzen-
der Kontrast erscheint als Kontrapost, nicht als Um-
schlag eines Gedankens in sein Gegenteil.
Lit. : M. Steinitzer, t)ber d. psychologischen Wirkungen
d. mus. F., Diss. Munchen 1885; G. Engel, Der Begriff d.
F. in d. Kunst u. in d. Tonkunst insbesondere, VfMw II,
1886; H. Riemann, Das formale Element in d. Musik, in:
Praludien u. Studien I, Heilbronn 1895; W. Harburger,
GrundriB d. mus. Formvermogens, Munchen 1912; H.
Erpf, Der Begriff d. mus. F., Diss. Lpz. 1914, Teildruckin:
Zs. f . Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. IX, 1 9 1 4 ; A. Halm,
Die Symphonie A. Bruckners, Munchen 1914; K. Blessin-
oer, Versuch iiber d. mus. F., Fs. A. Sandberger, Munchen
1918; A. Schmitz, Beethovens »Zwei Prinzipe«, Bin u.
Bonn 1923; R. v. Ficker, Formprobleme d. ma. Musik,
ZfMw VII, 1924/25 ; A. Lorenz, Das Geheimnis d. F. bei
R. Wagner, 4 Bde, Bin 1924-33; ders., Das Relativitats-
prinzip in d. mus. F., in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler,
Wien 1930; E. Kurth, Bruckner, 2 Bde, Bin (1925); P.
Bekker, Mg. als Gesch. d. mus. Formwandlungen, Mk
XVIII, 1925/26; E. Bucken, Geist u. F. im mus. Kunst-
werk, Bucken Hdb. ; Fr. Blume, Fortspinnung u. Entwick-
lung, JbP XXXVI, 1929; H. Mersmann, Zur Gesch. d.
Formbegriffs, JbP XXXVII, 1930; B. Wl. Assafjew, Mu-
sykalnaja forma kak prozess (»Die mus. F. als ProzeB«),
2 Bde, Moskau u. Leningrad 1930-47; E.G. Wolff, Grund-
lagen einer autonomen Musik-Asthetik, = Slg mw. Abh.
XV, StraBburg 1934; K. Herbst, Der Begriff d. mus. F.,
Mk XXVII, 1934/35 ; K. Westphal, Der Begriff d. mus. F.
in d. Wiener Klassik, Lpz. 1935; E. C. Bairstow, The
Evolution of Mus. F., Oxford 1943; G. Abraham, Design
in Music, Oxford 1949; Th. W. Adorno, Philosophie d.
neuen Musik, Tubingen 1949; Fr. Brenn, Das Wesensge-
fiiged. Musik, Kgr.-Ber. Basel 1949; ders., F. in d. Musik,
Freiburg i. d. Schweiz 1953; H. Federhofer, Mus. F. als
Ganzheit, in: Beitr. zur mus. Gestaltanalyse, Graz 1950;
O. Gombosi, Gothic F., MD IV, 1950; A. Cceuroy, La
musique et ses formes, Paris 1951 ; W. Kolneder, Motivi-
sche Gliederung u. F„ SMZ XCIII, 1953; I. Krohn, Ein-
heitliche Grundziige mus. Formgebung, AMI XXV, 1953 ;
W. Gurlitt, F. in d. Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d.
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse,
Jg. 1954, Nr 13 ; G. Nestler, Die F. in d. Musik, Freiburg
i. Br. u. Zurich 1954; R. Kelterborn, Gegensatzliche
Formprinzipien in d. zeitgenossischen Musik, SMZ XCVII,
1957; G. Ligeti, Wandlungen d. mus. F., in: die Reihe
VII, Wien 1960. CD
Formant, Jedes schwingungsfahige System, so auch
Musikinstrumente und das menschliche Stimmorgan,
besitzt eine oder mehrere Eigenfrequenzen. Sofern eine
periodische Kraft gleicher oder unmittelbar benachbar-
ter Frequenz darauf einwirkt (-»• Resonanz), schwingt
es starker mit als bei erzwungener Schwingung auBer-
halb der Eigenresonanz. Die Breite eines Resonanzge-
bietes hangt u. a. von der ->■ Dampfung des Systems
ab. Resonanzkorper bzw. Luftsaulen von Musikinstru-
menten verf iigen zumeist iiber verschiedene mehr oder
minder breite Resonanzgebiete. Werden sie durch
periodische Krafte angeregt, deren Zeitverlauf nicht
sinusformig ist (z. B. bei Anstreichen einer Saite oder
Anblasen eines Blasinstrumentes), so entsteht ein Fre-
quenzspektrum aus mehreren Teilschwingungen, von
denen einige jeweils in ein solches Resonanzgebiet fal-
len konnen und dadurch verstarkt werden. Der Be-
griff F. fur solche Verstarkungsgebiete innerhalb der
Frequenzspektren von Klangen geht auf L.Hermann
zurtick. F.en vor allem verursachen die charakteristi-
sche Farbung von Vokalen; sie liegen jeweils in cha-
rakteristischen Frequenzgebieten :
Vokal U: 200-400 Hz
O: 400-600 Hz
A: 800-1200 Hz
E: 400-600 Hz und 2200-2600 Hz
I: 200-400 Hz und 3000-3500 Hz
Auch die Klangfarben von Musikinstrumenten werden
weitgehend durch Anzahl und Lage ihrer F.en beein-
fluBt. Wahrend v.Helmholtz noch annahm, daB fur
die Farbung eines Klanges die Teilschwingung einer
bestimmten Ordnungszahl entscheidend sei, deren
Frequenz also mit der Tonhohe wechselt (Helmholtz-
sche Relativtheorie), konnte E.Schumann auf Grund
296
Formenlehre
sehr vieler Klanganalysen zeigen, daB dies nur inner-
halb sehr enger Grenzen zutrifft. Die Schumannschen
Klangfarbengesetze beschreiben das Verhalten der F.en
genauer: bei gleichbleibender Grundfrequenz, aber
zunehmender Klangstarke, wandern die F.en auf Teil-
schwingungen hoherer Ordnung (akustisches Ver-
schiebungsgesetz) ; seine direkte Parallele bildet das
Wiensche Verschiebungsgesetz der Strahlungsphysik.
Bei Klangen mit zwei F.en springt das Maximum bei
Intensitatssteigerung von der unteren F.-Strecke zur
oberen iiber (Schumannsches Sprunggesetz) . Bei gleich-
bleibender Intensitat, aber steigender Grundfrequenz
bleibt das Maximum nur so lange auf der gleichen
Teilschwingung, bis es die obere Grenze der F.-Strecke
erreicht hat; danach verlagert sie sich auf eine in der
gleichen F.-Strecke befindliche Teilschwingung nie-
derer Ordnung (hierin steckt die Helmholtzsche Hy-
pothese). Sofern ein Klang zwei F.en enthalt, bilden
diese ein fur das jeweilige Instrument typisches Fre-
quenzverhaltnis (Intervall), z. B. fur Oboe 1:2, Eng-
lisch Horn 2:5, Fagott 3:8 (Schumannsches F.en-In-
tervallgesetz). Andere Instrumente lassen nur einen
F.en erkennen (Flote, Horn) oder ergeben uniibersicht-
lichere Verhaltnisse (Klarinette, Streichinstrumente).
F.en werden auch kiinstlich erzeugt, so in den Mixtu-
ren, Scharfs und Zimbeln der Orgel durch Hinzunah-
me von 8'-, 4'- bzw. 2'-Register in Oktav-, Quint-
oder Terzlage (Cornett). Durch Repetition dieser
Stimmen bleibt der F.-Bereich iiber die ganze Klavia-
tur hinweg erhalten. Meyer-Eppler schlieBlich wies
auf das Zustandekommen eines Tonhoheneindrucks
durch Erzeugung und Veranderung elektroakustisch
hergestellter F.en hin : schickt man einen musikalischen
Schallablauf iiber ein elektrisches Filter, dessen Durch-
laBbereich variiert werden kann, so lost seine Verande-
rung deutlich den Eindruck wechselnder Tonhohen
- auch gegenlaufig zu den musikahschen Tonen - aus.
Auf diesem Wege sind melodieartige Tonhohenbewe-
gungen moglich.
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
. . ., Braunschweig 1863, 6 1913; L. Hermann, Phonopho-
tographische Untersuchungen I-VI, Pflugers Arch. XLV,
1 889 - XLVII, 1 890, LIII, 1 892 u. LVIII, 1 894 ; ders., Ober
d. Verhalten d. Vokale am neuen Edisonschen Phonogra-
phen, ebenda XLVII, 1890; ders., Weitere Untersuchun-
gen iiber d.Wesend. Vokale, ebendaLXI, 1895; K.W.Wag-
ner, Der Frequenzbereich v. Sprache u. Musik, Elektro-
technische Zs. XLV, 1914; C. Stumpf, Die Struktur d. Vo-
kale, Sb. Bin, Physikalisch-mathematische Klasse 1918;
ders., Die Sprachlaute, Bin 1926; E. Schumann, Akustik,
Breslau 1925; ders., Die Physik d. Klangfarben, Habil.-
Schrift Bin 1929; H. Winkhaus, Vergleichende akustische
Untersuchungen, Diss. Bin 1930; E. Thtenhaus, Neuere
Versuche zur Klangfarbe u. Lautstarke v. Vokalen, Zs. f.
Technische Physik V, 1934; Y. Katsuki, The F. Construc-
tion of Japanese Voices Vowels, Shindo (Vibration) 1, 1 947 ;
T. Tokizane, The F. Construction of Japanese Vowels,
Japanese Journal of Physiology I, 1951 ; H.-P. Reinecke,
IJber d. doppelten Sinn d. Lautheitsbegriffes beim mus.
Horen, Diss. Hbg 1953, maschr. ; ders., Experimentelle
Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d.
Mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964; W. Meyer-Eppler,
Die dreifache Tonhohenqualitat, Fs. J. Schmidt-Gorg,
Bonn 1957 ; F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Akustik,
Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961. HPR
Formenlehre ist (nach dem herrschenden Sprachge-
brauch) die systematische Darstellung von Typen der
Gliederung musikalischer Werke, der Gruppierung
thematischer und nichtthematischer Teile und der Dis-
position der Tonarten. Die einzelnen Perioden oder
Zeilen, deren Struktur die Melodielehre und die musi-
kalische Metrik untersuchen, werden in der F. als Ein-
heiten vorausgesetzt. - Die F. entstand im 18. Jh., als
durch die Verselbstandigung der Instrumentalmusik
die Form zum Problem wurde. J. Riepel (1752) und H.
Chr. Koch entwickelten, nach Ansatzen bei J. Matthe-
son (1739) und J.A.Scheibe (Critischer Musicus, 1739),
eine F. als Erweiterung der Lehre vom musikalischen
Periodenbau. Die Form h'dngt theils von der bestimmten
Anzahlder Hauptperioden, theils von der Tonart, in welche
dieser oder jener Periode hingeleitet wird, theils aber auch
von dem Orte ab, wo dieser oder jener Haupttheil wiederholt
wird (Koch, II, S. 103). A. B. Marx sah in der Dreiteilig-
keit, der Gliederung in Exposition der Thematik, mo-
dulierenden Bewegungstheil und Reprise, ein Naturge-
setz der musikalischen Form, das sowohl in Tanzsatzen
als auch in' der Fuge und in der Sonate herrsche. Im
Gegenzug zu dem Verfahren, Formen als Dispositio-
nen von Teilen zu erklaren, betont H.Riemann den
thematisch-motivischen Zusammenhang, die Unter-
scheidung von eigentlich den Aufbau konstituierenden , ent-
wickelnden Partien und von Einschaltungen (Grojie Kom-
positionslehre I, S. 425). Die Veranderung im Ansatz
der F. ist asthetisch motiviert. Zahlt man die Form zum
bloB mechanischen Theil der Ausfiihrung (Koch), so ge-
niigt es, sie als Syntax zu beschreiben ; den inneren Zu-
sammenhang stif tet der »Inhalt«, die »Modifikation des
Affekts«. Werden aber statt der Affekte musikalische
Themen zum »Inhalt« der »absoluten Musik« erklart,
so riickt die thematisch-motivische Entwicklung in
den Vordergrund. Aus der Erkenntnis, daB die Vor-
aussetzung der F., die Lehre vom Periodenbau, der Fu-
ge inadaquat ist, zog A. Halm die Konsequenz, Fuge
und Sonate als zwei Kulturen der Musik einander ent-
gegenzusetzen. Als Ausweitung der Kontrastierung
von Fuge und Sonate erscheint der Versuch, eine F.
aus der Antithese von »Lied« und »Kontrapunkt« zu
entwickeln (H. Leichtentritt, J. Miiller-Blattau). Im Be-
griff der »kontrapunktischen Formen« sind Satztech-
nik und Form verschrankt. Ob aber die durchimitierte
Motette des 16. Jh. Gegenstand einer F. sein kann, ist
zweifelhaft, obwohl jede einzelne Motette eine Form
hat. Denn eine F. muB, um Lehre zu sein, verallgemei-
nern, und Verallgemeinerung ist nicht immer mog-
lich; am klassischen Sonatensatz ist (nicht ohne we-
sentliche Einschrankungen) die Form, aber nicht die
Satztechnik generahsierbar, an der durchimitierten
Motette umgekehrt die Satztechnik, aber nicht die
Form. Andererseits legt der Sachverhalt, daB Formka-
tegorien wie Exposition, Verarbeitung und Wieder-
kehr, Erganzung, Fortsetzung und Uberleitung, Vor-
bereitung, Episode und Anhang, Steigerung und Auf-
losung nicht ohne Beriicksichtigung satztechnischer
und stilistischer Bedingungen sinnvoll anwendbar sind,
die Folgerung nahe, die F. in musikalischer Analyse
(E. Ratz) oder historischer Typologie (Ansatze bei H.
Leichtentritt) aufgehen zu lassen. - Die Namen musi-
kalischer Gattungen beziehen sich im allgemeinen nicht
auf die Form, sondern auf die Bestimmung eines Wer-
kes fiir Singstimmen oder Instrumente (Kantate, So-
nate), die Besetzung und die Anzahl der Stimmen
(Streichquartett), die Satztechnik (Fuge) oder den Text
(Messe), die Funktion eines Stiicks (Praludium) oder
den Auffiihrungsort (Sonata da chiesa). Bezeichnungen
wie Lied-, Fugen-, Konzert- oder Sonatenform, die
einer durch andere Merkmale definierten Gattung eine
bestimmte Form zuschreiben, sind also miBverstand-
lich; nicht alle Lieder folgen dem Schema der »Lied-
form« (ABA). Aus der Vielfalt der Formen, die seit
dem 18. Jh. ausgepragt worden sind, zum Teil in
Wechselwirkung zwischen Vokal- und Instrumental-
musik, hebt die F. einige Typen heraus. Von der ein-
fachen Reihung ABC ... heben sich durch Wieder-
holung oder Wiederkehr von Teilen die 3teilige Lied-
form (A B A), die Barform (A A B, zwei Stollen und
297
Formenlehre
Abgesang) und die Gegenbarform (A B B) ab; eine
Erweiterung der Barform ist die Reprisenbarform
(A A B A). Von der (3teiligen) Liedform ABA unter-
scheidet sich das kleine Rondo durch Untergliederung
und scharfere Abhebung der Teile (A B A = a b a /
c d c / a b a, z. B. Menuett mit Trio). Die Abgrenzung
des grofien Rondo von der Konzertform beruht auf
der Tonartendisposition. In der Rondoform ABACA
(D A oder B A) kehrt das Ritornell (A) immer in der
Haupttonart wieder; in der Konzertform ABACA
(D A oder B A) wird es transponiert, z. B. nach dem
Schema T-D-Tp-T, und die Episoden (B, C, D), die
Solo- oder Concertinopartien, vermitteln modulierend
die Ubergange zwischen den Tonartenstationen des Ri-
tornells. Verwandt mit der Konzertform ist derHaupt-
typus der grofien Da-Capo-Arie des friihen 18. Jh.
Vokal: a a' b a a'
Instrumental: AAA AAA
Tonarten: T D T Tp T D T
Zu den geschichtlichen Voraussetzungen der klassi-
schen -> Sonatensatzform gehort auBer der Konzert-
form eine 2teilige Form des friihen 18. Jh., die von H.
Riemann als embryonale Sonatenform, von R.Sondhei-
mer als Suitensatzform bezeichnet worden ist. Beiden
Teilen liegt das gleiche thematische Material zugrunde ;
der erste moduliert zur D, der zweite, oft auf dem Weg
iiber die Tp oder die S, zuriick zur T. - Dem Verfah-
ren, Formen durch Buchstabenfolgen darzustellen, lie-
gen die Kategorien Gleichheit (A A) , Ahnlichkeit (A A')
und Verschiedenheit (A B) zugrunde; allerdings fehlt
bisher eine geniigend differenzierte Auslegung der Ka-
tegorie Verschiedenheit, eine Systematik der Moglich-
keiten zwischen den Extremen der Beziehungslosig-
keit und des erganzenden Kontrasts. Die Schemata
miissen, um nicht nichtssagend zu sein, in einer Weise
interpretiert werden, die sowohl den stihstischen und
satztechnischen Bedingungen als auch der relativen
und absoluten Lange der Formteile und Formen ge-
recht wird. Eine F., die von der Struktur der Einheiten,
deren Disposition und Zusammenhang sie beschreibt,
absahe, ware leer und abstrakt. Die Periodenbildung
kann auf der Reihung von Liedzeilen oder der Ab-
wandlung von Psalmodiemodellen, der Gruppierung
rhythmischer »ordines« (Notre-Dame-Organa) oder
der Orientierung an einem rhythmischen Typus (Ober-
gang von langsamer zu rascherer Bewegung und Riick-
kehr zu langsamer), der Weiterfiihrung eines Vorder-
satzes durch Fortspinnungen (spatbarocker Fortspin-
nungstypus) oder der Erganzung eines offenen Vor-
dersatzes durch einen schliefienden Nachsatz (klassische
Periode) beruhen. Und es ist nicht gleichgiiltig, ob der
UmriB der »Suitensatzform« oder »embryonalen So-
natenform « durch einen Vordersatz mit Fortspinnun-
gen oder durch eine Reihe kurzer, in sich geschlossener
Phrasen ausgefiillt wird. - Die F., die als Theorie der
Instrumentalmusik des 18. Jh. entstanden ist, beschreibt
primar die Gleichheit, Ahnlichkeit oder Verschieden-
heit melodischer Perioden. Melodische Beziehungen
sind aber nicht die einzige Moglichkeit, musikalische
Form als »Rhythmus im GroBen« zu verwirklichen.
Die Disposition der Tonlagen in Choral- und Liedme-
lodien des Mittelalters, die Chorspaltung und das Al-
ternieren zwischen polyphonem und homophonem
Satz in Motetten des 16. Jh. oder der Wechsel zwischen
scharf voneinander abgehobenen rhythmischen Be-
wegungsarten in Sonaten und Instrumentalkanzonen
des friihen 17. Jh. sind als Formprinzipien von kaum
geringerer Bedeutung als die melodische Wiederho-
lung, Abwandlung und Kontrastierung. - Die relative
Lange der Formteile ist nicht nur asthetisch relevant,
sondern kann sogar ein Klassifikationsmerkmal sein.
In der Kanzonenstrophe des Mittelalters, der »Bar-
form« A A B, soil der Abgesang (B) nicht kurzer als
der Stollen (A) sein; eine Strophe, in der zwei melo-
disch gleichen Langzeilen eine Kurzzeile folgt, gilt also
nicht als Kanzonenstrophe. Die Bedeutung der abso-
luten Lange einer Form, z. B. die Berechtigung des
Verfahrens, einen musikalischen Zusammenhang, der
sich in einem Musikdrama Wagners iiber Hunderte
von Takten erstreckt, als Barform zu kennzeichnen
(A.Lorenz), ist umstritten. - Teilformen konnen zu
iibergeordneten Formen, Satze zu Zyklen zusammen-
geschlossen werden. Ubergeordnete Formen sind z. B.
der doppelte Cursus in manchen Sequenzen, die Ver-
kettung von Solo-, Ensemble- und Chorpartien zu ei-
nem Opernfinale, aber auch die Sonatensatzform, wenn
deren Teile, Haupt- und Seitenthema, Durchfuhrung
und Reprise, die Satztypen des Sonatenzyklus repra-
sentieren (Schubert, Wanderer-Phantasie; Liszt, H moll-
Sonate). Haupttypen der Zyklenbildung sind in der
Vokalmusik die mehrstimmige Messe mit wiederkeh-
rendem C. f . oder Satzanfang und die Kantate, in der
Instrumentalmusik die Partita, die Suite und die mehr-
satzige Sonate. Klassifiziert man Zyklen nach den Tem-
porelationen der Satze, so kann man der Kirchensonate
des spaten 17. Jh. (langsam - schnell - langsam - schnell)
die klassische Sonate (schnell - langsam - schnell -
schnell) kontrastieren oder der Opernsinf onia und dem
Konzert des friihen 18. Jh. (schnell - langsam - schnell)
die f ranzosische Ouvertiire (langsam - schnell - lang-
sam). - Eine scharf e Abgrenzung der Formen von
blofien Ausfiihrungsweisen ist nicht immer moglich.
Man kann die Praxis, die Antiphon eines Psalms erst
nach dem letzten statt nach jedem Vers zu wiederho-
len, als Veranderung der Form oder der Ausfuhrungs-
weise verstehen; und ob die Teilwiederholungen in
Sonaten- und Symphoniesatzen ein essentielles oder ein
akzidentelles Moment sind, ist nicht selten ungewiB.
Manche Formen, die bei ihrer Entstehung mit Ausfiih-
rungsweisen verbunden waren - mit dem Wechsel von
Halbchoren (Sequenz) oder von Vorsanger und Chor
(Rondeau, Virelai) -, sind sparer von ihrem Ursprung
abgelost worden. Die fortschreitende Repetition (a a b
b c c . . . ) wurde von der Sequenz auf die solistische
Instrumentalmusik iibertragen (Estampie), und die
Formen, die das Zusammenwirken von Vorsanger und
Chor spiegeln, sind auch im instrumental begleiteten
Sololied verwendet worden (Machaut).
Lit.: H. Chr. Koch, Versuch einer Anleitung zur Com-
position, 3 Teile, I Rudolstadt 1782, II-IH Lpz. 1787-93;
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298
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Af Mw XXI, 1 964 ; G. v. Noe, Der Strukturwandel d. zykli-
schen Sonatenform, NZfM CXXV, 1964. CD
forte (ital.), stark, laut, als Vortragsbezeichnung der
dynamische Gegenpol zu -»■ piano, Abk. : f ; fortissimo
(im Barock piu forte), Abk. : ff, sehr stark; mezzoforte,
Abk. : mf , »mittelstark«, d. h. ziemlich stark, zwischen
forte und piano; fortepiano, Abk.: fp, stark und so-
fort wieder leise. Im Englischen kommt, forte und
piano entsprechend, loud, Abk. : lo, und soft, Abk. : so,
vor (z. B. Th.Mace 1676). forte und piano treten zu-
erst bei G.Gabrieli (1597) und Banchieri (1601, 1608)
auf. Bald danach erscheinen auch die Abbreviaturen.
Zur Modifizierung werden vor allem seit dem 18. Jh.
Beiworter wie meno, molto, poco, quasi und possibile
gebraucht. Bei Klaviermusik konnen durch f und p
verschiedene Manuale (»Terrassendynamik«) gefordert
werden. Durch f und p kann auch ein crescendo oder
decrescendo bezeichnet werden (f-p-pp bei Mazzocchi ;
loud - soft - softer bei M. Locke). In der neueren Mu-
sik kommt das f gesteigert bis zum fffff vor (Tschai-
kowsky op. 74; Reger op. 40, Nr 2).
Fortepiano -*■ Pianoforte.
Fortspinnung, in der Musik das Verfahren der melo-
dischen Ableitung aus nur einem Bewegungsimpuls.
Ein bevorzugtes Mittel ist die Sequenz. J. S.Bachs F.s-
Technik wurde von E.Kurth beschrieben und der
»klassischen Motivtechnik« gegeniibergestellt. Bei W.
Fischer bildet F. im engeren Sinn den Mittelteil des
»F.s-Typus« (Vordersatz - F. - Epilog), der dem »Lied-
typus« (Vordersatz - Nachsatz) als »primarem Tanz-
melodietypus« konfrontiert wird. Diese beiden kon-
trastierenden Strukturtypen - als Begriffspaar nach
dem Vorbild der Kunstgeschichte (Wolfflin) konzi-
piert - findet Fischer in der Musik vor und nach dem
Stilwandel urn 1750 : der F.s-Typus wird zur Form der
Exposition des Sonatensatzes (abgesehen vom Seiten-
satz), namlich der Vordersatz zum Hauptsatz, die F.
zur modulierenden Uberleitung, der Epilog zum Ab-
schlufi der Uberleitung. Da die Betrachtung sich auf
die Melodik beschrankt, die verschiedenartigsten
Mischf ormen weit iiberwiegen und nur f ormale Merk-
male erfaBt werden, ist die Brauchbarkeit des Begriffs-
paares in Frage gestellt. Fr. Blume wollte daher beide
Begriffe nicht als Typen, sondern ahnlich wie Kurth
als Prinzipien musikalischer Gestaltung verstanden
wissen. Er schlug daftir die sprachlich allerdings fast
synonymen Begriffe F. (Weiterspinnen aus einem Ur-
gebilde) und Entwicklung (lockere Aneinanderreihung
geschlossener Gebilde) vor zur Bezeichnung von Kri-
terien namentlich fiir die Musik des 18. Jh.
Lit. : W. Fischer, Zur Entwicklungsgesch. d. Wiener klass.
Stils, StMw III, 1915; ders., Instrumentalmusik v. 1750-
1828, Adler Hdb.; E. Kurth, Grundlagen d. linearen
Kontrapunkts, Bern 1917, Bin 31927, S. 205, 225-249; P.
Mies, Die Bedeutung d. Skizzen Beethovens zur Erkennt-
nis seines Stils, Lpz. 1925; Fr. Blume, F. u. Entwicklung,
JbP XXXVI, 1929.
forzato (ital. ; Abk. : fz), s. v. w. -*■ sforzato.
Fourieranalyse (Harmonische Analyse) ist ein ma-
thematisches Analysierverfahren, das auf den Satz des
franzosischen Mathematikers und Physikers Baron J. B.
Fourier (1768-1830) zuriickgeht (Fourier-Theorem),
nach dem sich jede beliebige periodische Kurvenform
(z. B. Schwingungsbewegung) durch Uberlagerung
mehrerer (im Grenzfall unendlich vieler) Sinuskurven
mit verschiedenen Perioden als deren algebraische
Summe darstellen laBt. Demnach kann jede beliebige
Schwingungsbewegung als aus sinusformigen Teil-
schwingungen zusammengesetzt verstanden werden.
Ihre Perioden T (->• Frequenz) stehen als Glieder dieser
Fourierschen Reihe im Verhaltnis
2 " 3 " 4 n '
ihre Frequenzen/(= =) verhalten sich entsprechend
wie 1:2:3:4:..: : n. Der Fouriersche Satz gilt genau ge-
nommen nur fiir streng periodische Kurven. Doch
auch bei nur annahernd periodischen Ablaufen wie
z. B. musikalischen Schallvorgangen laBt er sich inner-
halb eines begrenzten Zeitintervalles mit ausreichender
Genauigkeit anwenden. Eine Funktion F von einer un-
abhangigen Veranderlichen t ist durch die unendliche
Reihe
F(t) = Ao+Aicosa)t + A2Cos2wt+A 3 cos3a)t+ . . .
+ Bi smwt + Bz sin 2cof + B3 sin3eof + . . .
darstellbar, wobei co = ^=rdie Kreisfrequenz bedeutet.
Ao, Ai, Az, . . ., Bi, Bz, ... sind konstante GroBen. In
der Praxis kann man meist von einem bestimmten
Gliede an die weiteren als vernachlassigbar klein fort-
lassen, so daB eine endliche Reihe herauskommt. Es
gibt verschiedene mechanische und elektrische Ver-
fahren der Fourierzerlegung.
Lit. : O. Mader, Ein einfacher harmonischer Analysator
mit beliebiger Basis, Elektrotechnische Zs. XXX, 1909;
A. Kalahne, Grundziige d. mathematisch-physikalischen
Akustik, 2 Bde, Lpz. u. Bin 1910-13 ; A. Galle, Mathema-
tische Instr., Lpz. u. Bin 1 9 1 2 ; L. Zipperer, Taf ein zur har-
monischen Analyse periodischer Kurven, Bin 1922; G. v.
BekIsy, t)ber d. mechanische Frequenzanalyse einmaliger
Schwingungsvorgange ..., Akustische Zs. II, 1937; A.
Hussmann, Rechnerische Verfahren zur harmonischen
Analyse u. Synthese, Bin 1938; M. Grutzmacher, Eine
neue Darstellungsform d. harmonischen Analyse . . . ,
Akustische Zs. VIII, 1943 ; W. Meyer- Eppler, Experimen-
telle Schwingungsanalyse, in: Ergebnisse d. exakten Na-
turwiss. XXIII, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1950; O. v.
Essen, Mathematische Analyse periodischer Vorgange in
gemeinfaBlicher Darstellung, = Hamburger Phonetische
Beitr. II, Marburg 1961 ; F. Trendelenburg, Einfuhrung
in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1961.
Fourniture (furnit'u:r, frz., Zutat) bedeutet in fran-
zosischen Orgeldispositionen Mixturregister, die de-
fer als Cymbale (-»- plein jeu) stehen.
Foxtrott (engl. foxtrot, Fuchsgang), ein aus ->■ Rag-
time und -> Onestep entwickelter Gesellschaftstanz,
der um 1914 in England, nach dem 1. Weltkrieg im
299
Fragments
iibrigenEuropa groBe Verbreitung fand und noch heu-
te zu den Standardtanzen gehort. Der F., ein mafiig
schneller Tanz im 4/4-((£-)Takt mit leicht synkopier-
ter Rhy thmik, ist zum Grundtyp des Geh- bzw. Schritt-
tanzes geworden. Seit 1924 wurde er nach dem Vor-
bild des Onestep in raschem Tempo getanzt mit ver-
einfachter Schrittfolge. Diese sich fest einbiirgernde
Seitenform des F.s wurde nun Quickstep genannt (im
Deutschen bKeb die Bezeichnung F.) ; fur den eigent-
lichen, den maBigschnellen F. wurde in Deutschland
zur Abgrenzung vom sschnellen Fox« (Quickstep) die
Bezeichnung Slowfox gebrauchlich. In der Kunstmu-
sik ist der F. besonders in vom Jazz beeinfluBten Wer-
ken der 1920er Jahre anzutreffen (F. fiir Orch., Tanz
der Holzpuppen, in Tuttifantchen von Hindemith,
1922; Seiber, F. und Slowfox in Leichte Tdnze fiir KL,
1932). In der Tanz- und Unterhaltungsmusik ist der F.
auBerordentlich haufig (Ein Gliick, dafi man sich so ver-
lieben kann ... aus der Operette Hochzeitsnacht im Pa-
rodies; Uber die Prdrie usw.) ; auch im Jazz spielt er eine
Rolle.
Fragments (fragm'a, frz., Bruchstiicke). Mit Fr.
wurden die um 1700 (unter den Nachfolgern Lullys)
in Paris in Mode gekommenen Bearbeitungen fiir die
Buhne von Teilen aus beliebten Balletten und Opern
eines oder mehrerer Komponisten bezeichnet, wie z. B.
Les Fr. de M. de Lully (1702) von Campra nach Lullys
Les fetes de V Amour, Le bourgeois gentilhomme, Les
Amours deguises und weiteren Stiicken. In Telemaque,
fr. des modemes (1704) verarbeitete Campra zusammen
mit seinem Librettisten ->■ Danchet Musik aus mehr als
10 Biihnenwerken von Collasse, M.-A. Charpentier,
Desmarets, J. F. Rebel und von sich selbst.
Francaise (fras'e:z, frz.) ->- Anglaise.
Franken.
Lit. : Fr. W. v. Ditfurth, Frankische Volkslieder mit ih-
ren 2st. Weisen, Lpz. 1855; C. Valentin, Theater u. Mu-
sik am Furstlich Leiningischen Hofe, Neujahrsblatter d.
Ges. f. Frankische Gesch. XV, Wiirzburg 1921 ; M. Bohm,
Volkslied, Volkstanz u. Kinderlied in Mainfranken ."..,
Nurnberg 1929; ders., Volksmus. Erinnerungen an ein
oberfrankisches Dorf im Fichtelgebirge, Jb. d. Osterreichi-
schen Volksliedwerkes VI, 1957 ; O. JCaul, Zur Mg. d. ehe-
maligen Reichsstadt Schweinfurt, Wiirzburg 1935; E. Fe-
derl, Spatma. Choralpflege in Wiirzburg u. in mainfranki-
schen Klostern, Diss. Wiirzburg 1937; W. Schwinn, Stu-
dien zur Slg »Frankische VolksIieder« v. Fr. W. Ditfurth,
Miinchen 1939; A. Scharnagl, J. Fr. X. Sterkel, Ein
Beitr. zur Mg. Mainfrankens, Diss. Wiirzburg 1943 ; ders.,
Frankische Musik d. Vergangenheit, Mg. im Spiegel einer
Landschaft, Musica VII, 1953 ; H. v. d. Au, Uber d. Volks-
tanzgut im westlichen Mainfranken, Bayerisches Jb. f.
Volkskunde 1952; W. M. Brod, J. M. Bachmann . . . , Ein
Beitr. zur Gesch. d. frankischen Kirchenmusik, Mainfran-
kisches Jb. f. Gesch. u. Kunst V, 1953 ; ders., J. M. Bach-
mann, Ein Nachtrag . . ., ebenda VII, 1955; H. Denner-
lein, Musik d. 18. Jh. in Fr. Die Inventare d. Funde v.
Ebrach, Burgwindheim, Maria Limbach u. Iphofen, Vor-
abdruck aus Ber. d. Hist. Ver. Bamberg 1953, Munster-
schwarzach 1953; R. Laugg, Studien zur Instrumental-
musik im Zisterzienserkloster Ebrach in d. 2. Halfte d. 18.
Jh., Diss. Erlangen 1953, maschr.; E. Fr. Schmid, Musik
am Hofe d. Fiirsten v. Lowenstein-Wertheim-Rosenberg
(1 720-50), Mainfrankische Hefte XVI, 1 953 ; R. Steglich,
Der Anteil d. frankischen Univ. an d. Musikforschung,
Musica VII, 1953; Fr. Krautwurst, Taktwechselnde
Volkstanze in Fr., Jb. d. Osterreichischen Volksliedwerkes
IV, 1955; D. Bloch, Gesch. d. Kirchen-, Schul- u. Stadt-
musik in Neustadt a. d. Aisch, Diss. Erlangen 1956; Fr.
Moeckl, Frankisches Liederbuch, Regensburg 1961.
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Lit.: E. Pasque, Fr.er Musik- u. Theatergesch., Fr. 1872;
C. Israel, Fr.er Konzertchronik 1713-80, Neujahrsblatt
d. Ver. f. Gesch. u. Altertumskunde, Fr. 1876; C. Valen-
300
tin, Gesch. d. Musik in Fr. v. Anfange d. 14. bis zum An-
fange d. 18. Jh., Fr. 1906; F. Mamroth, Aus d. Fr.er Thea-
terchronik 1889-1907, 2 Bde, Bin 1908; H. Dechent, Kir-
chengesch. v. Fr. seit d. Reformation, Lpz. u. Fr. 191 3 ; P.
Epstein, Die Fr.er Kapellmusik zur Zeit J. A. Herbsts,
AfMw VI, 1924; O. Bacher, Beitr. zur Gesch. d. Fr.er
Oper im 18. Jh., 2 Bde, Diss. Fr. 1924, maschr.; ders., Fr.
mus. Buhnengesch. im 18. Jh., Teil I : Die Zeit d. Wander-
truppen (1700-86), = Arch. f. Fr. Gesch. u. Kunst I, 4, Fr.
1925; ders., Die Gesch. d. Fr.er Oper im 18. Jh., Fr. 1926;
Gassenhawerlin u. Reutterliedlin zu Franckenfurt am
Meyn (1535), Faks. hrsg. v. H. J. Moser, Augsburg 1927;
H. de Bary, Gesch. d. Museumsges. zu Fr., Fr. 1937 ; A. R.
Mohr, Fr.er Theaterleben im 18. Jh., Fr. 1940; Th. Peine,
Der Orgelbau in Fr. a. M. u. Umgebung v. d. Anfangen bis
zur Gegenwart, Fr. 1957; Das »Museum« : 1 50 Jahre Fr.er
Konzertleben, 1808-1958, hrsg. v. H. Weber, Fr. 1958; W.
Saure, Die Gesch. d. Fr.er Oper v. 1792 bis 1880, Diss.
Koln 1959.
Frankfurt an der Oder.
Lit.: G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen
Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf VII, 1942; H. Grimm,
Der Anteil einer Stadt am deutschen Theater . . . , Fr. a. d.
O., Bin u. Posen 1942; ders., Meister d. Renaissancemusik
an d. Viadrina, Fr. a. d. O. u. Bin 1942.
Franko-flamische Schule. Seit den Arbeiten Kiese-
wetters und Fetis' (1829) iiber die »Alten Niederlander«
ist die Einheitlichkeit einer um 1430-1560 fiir die mehr-
stimmige Komposition normgebenden, hauptsachlich
im Gebiet beiderseits der heutigen franzosisch-belgi-
schen Grenze beheimateten Schule unbestritten. Die
meist fiir sie verwendeten Namen, -*■ Burgundische
Musik, -s- Niederlandische Musik, sind jedoch inso-
fern unbefriedigend, als sie mit neueren Staatsbildun-
gen (Niederlandisch, Belgisch) oder mit Teilaspekten
(Flamisch, Burgundisch) verbunden sind. Auch geben
sie keinen Hinweis darauf, daB die Fr.-fl. Sch. mit der
franzosischen Musiktradition eng zusammenhangt.
Dagegen soil die Bezeichnung franko-flamisch die
auch fiir die Musikgeschichte grundlegende Tatsache
festhalten, daB das in Frage stehende Gebiet seine eige-
ne Kultur seit Beginn unseres Jahrtausends iiber die
Grenzen zweier Staaten (Frankreich und das Kaiser-
reich) und Sprachen (franzosisch und flamisch-nieder-
landisch, das zum Niederdeutschen gehort) hinweg
ausbildete. Die Kompositionsart der Fr.-fl.n Sch. wur-
de in standiger Auseinandersetzung mit der Kunst Eng-
lands und Italiens geschaffen; dennoch erscheint es an-
gebracht, durch die Benennung darauf hinzuweisen,
daB die meisten ihr zugezahlten Komponisten nach
Herkunft und Ausbildung aus dem franko-flamischen
Gebiet kommen. Obgleich seit Anfang des 15. Jh. fran-
ko-flamische Komponisten in Italien und Frankreich,
spater auch Deutschland kiinstlerisch und erzieherisch
wirken, bleibt der hohe Stand der Musikiibung in den
Maitrisen ihrer Heimat so vorbildlich, daB bis um 1550
viele Hofe sich neue Kapellmeister und Sanger von
dorther verschrieben.
Franzosische Musik. In der Antike hieB das zum
groBten Teil von ligurischen und keltischen Volkern
besiedelte heutige Frankreich Gallien. Um 600 v. Chr.
griindete ein aus Kleinasien stammender Grieche die
Stadt Marseille. Nach der Eroberung Galliens durch
Caesar blieb das Land 500 Jahre lang an das romische
Imperium gebunden; damit kam auch griechisch-ro-
mische Musik ins Land. Die erste christliche Gemeinde
in Gallien entstand 160 in Lyon; spater entwickelten
sich auch Marseille, Narbonne, Aries, Vienne, Au-
tun, Orleans und Tours zu bedeutenden Zentren des
-> Gallikanischen Gesangs. Die syrische Hymnodie
wurde im 4. Jh. von einem verbannten Gallier, Bischof
Hilarius von Poitiers, fiir die westliche Kirche entdeckt.
Nachdem der Gallikanische Gesang unter den Mero-
Franzosische Musik
wingern voile Freiheit genossen hatte, verordneten im
8.-9. Jh. die frankischen Konige Pippin und Karl der
GroBe die Ubemahme des Gregorianischen Gesangs
aus Rom. Die Tropen und Sequenzen, die im nord-
franzosischen Kloster Jumieges aufkamen, wurden in
St. Martial (Limoges) weiterentwickelt und bildeten
eine der Grundlagen fur die Lyrik der Trobadors und
Trouveres und das liturgische Drama. - Die Mehr-
stimmigkeit ist nach 900 von den Schulen von Chartres,
Fleury, Fecamp, Limoges und Cluny gepflegt wor-
den. Nach 1150 entstand die Schule der franzosi-
schen Polyphonie in Paris, dem geistigen Mittel-
punkt Alteuropas, mit Leoninus und Perotinus als
den Schopfem einer neuen Kunst des -> Organum.
An sie kniipft die Motette der -»■ Ars antiqua an, von
deren Komponisten mit Namen nur Petrus de Cruce
aus Amiens bekannt ist, der 1260 Organist an Notre-
Dame wurde. Die weltliche Mehrstimmigkeit fand in
den Rondeaux und Chansons a danser von Adam de la
Halle einen ersten Hohepunkt. Das 1st. Lied mit geist-
lichem oder profanem Text wurde im 12.-13. Jh. von
den Trobadors und Trouveres gepflegt. In ihrem Re-
pertoire standen neben sehr kunstvollen Formen auch
volkstiimliche wie die Klagelieder, Pastourellen, Chan-
sons d'amour, Berceusen, Chansons de metier, Chants
de saison und Tanzlieder. Einen ungewohnlich brei-
ten Uberblick iiber die Formen ein- und mehrstim-
miger Komposition um 1300 bietet unter den -> Quel-
len Fauv; in ihr stehen auch isorhythmische Mo-
tetten von Ph. de Vitry, der neben G. de Machaut
als Hauptmeister der — >• Ars nova des 14. Jh. hervor-
ragt. In der Nachfolge Machauts wurden von den
Komponisten der -> Quellen Ch und O vor allem der
-»• Kantilenensatz der Balladen, Rondeaux und Virelais
zu hochster, zuweilen manieristischer Kunstfertigkeit
gesteigert, bis um 1430 Binchois und Dufay den neuen
»euphonischen Kontrapunkt« (Besseler) aufbrachten,
in dem auch die Klangkunst des -> Fauxbourdon ver-
arbeitet ist. Dufays Schiiler Ockeghem, der im Dienst
der Konige Karl VII., Karl VIII. undLudwig XI. stand,
A.Busnois, der am Hofe Karls des Kiihnen lebte, und
Ph. Caron werden in einer zum Gedenken Dufays
von L. Compere komponierten Gebetsmotette genannt.
Josquin wurde zum Schopfer der neuen franzosischen
polyphonen -> Chanson. Neben ihm sind J.-Mouton,
A. le Riche, Cr. van Stappen, Fr. de Layolle und E.
Genet (Carpentras), Leiter der Papstlichen Kapelle von
Avignon, zu nennen. Vertreten diese den in ganz Eu-
ropa gepflegtenKontrapunktder-> Franko-flamischen
Schule, so erscheint in den geistvollen Chansons von
Janequin, Passereau, Sermisy, O. de Lassus, Arcadelt,
Fr.Regnart, Costeley und A. de Bertrand ein spezifisch
franzosischer Stil, der mit der Zeit auch in Messe und
Motette eindrang. Zwischen 1528 und 1552 veroffent-
lichte der Pariser Drucker P.Attaingnant nicht weni-
ger als 1500 Chansons. Zur gleichen Zeit beeinfluBte
die Reformation die Psalmenkompositionen Goudi-
mels und die Harmonisierungen von Ph.Jambe de Fer
und L. Bourgeois. Als erste Sammlungen von Instru-
mentalmusik erschienen 1531 drei Biicher Orgelwerke,
ferner Lautentabulaturen, Musik fur Clavichord, Spi-
nett und Gitarre, fur Violen und Violinen, sowie Dan-
ceries von Gervaise und Dutertre.
Im Zeichen des Humanismus griindete der Dichter
J.-A. de Bai'f mit dem Musiker Th. Courville unter
dem Protektorat Karls IX. in Paris 1570 die Academie
de Poesie et de Musique, in der nach antikem Vorbild
quantitierende Verse (vers mesures a l'antique) kom-
poniert wurden (CI. le Jeune, E. du Caurroy, Mau-
duit). Gegen Ende des Jahrhunderts wurde der mu-
sikalische Geschmack weitgehend vom Konigshof
bestimmt. Wahrend sich die alte 4st. Chanson zum
1st. Air de cour mit Lautenbegleitung entwickelte,
bliihte das Ballett, eine aristokratische Unterhaltung,
in der halb florentinischen Atmosphare des Hofes
der Katharina von Medici und ihrer Sohne. Das Balet
comique de la Royne (1581) gilt als erstes -v Ballet de
cour. Der von Italien kommende GeneralbaB und die
italienische Oper, die durch Kardinal Mazarin (f 1661)
eingefuhrt wurde, losten das Ballet de cour ab. Dau-
ernden Erfolg errang erst der geburtige Italiener Lully,
der die Tragedie en musique (-> Tragedie lyrique)
und zusammen mit Moliere die -> Comedie-ballet
begriindete. Im Pariser Opernhaus, das 1671 mit Cam-
berts Pastorale Pomone eroffnet worden war, ging 1673
Cadmus et Hermione als erste der 13 von Lully vollen-
deten Tragedies lyriques iiber die Biihne. Das Neue
in den Werken Lullys war das der franzosischen
Deklamation angepafite Rezitativ mit B. c. oder
Orchester, aus dem an den Hohepunkten der Hand-
lung die Airs herauswachsen. GroBe Chore, Tanz-
satze, Marsche und festliche Aufziige bereichern das
Schauspiel, dem eine feierliche und glanzvolle -»- Ou-
vertiire vorangeht. M. P. de Monteclair, M.-A. Char-
pentier, Collasse, M. Marais, A. C. Destouches, Mouret
und vor allem Campra setzten Lullys Kunst fort, ga-
ben aber den gesungenen Airs und den Tanzen das
Ubergewicht und schufen das -> Opera-ballet, das un-
ter Ludwig XV. zur beliebtesten Vergniigung der gro-
Ben Gesellschaft wurde. Beide Gattungen, Tragedie
lyrique und Opera-ballet, bereicherte Rameau, der
grofie franzosische Klassiker, um hervorragende Wer-
ke. - Seit Beginn des 17. Jh. unterlag die Kirchenmusik
dem EinfluB der dramatischen und der instrumentalen
Kunst. Wahrend Forme, Moulinie und Cosset in ihren
Messen der a cappella-Musik treu blieben, ersetzten
Dumont, Lully, Delalande und spater Campra, Bernier,
Fr.Couperin.H.Madin (1698-1748), Mondonville und
Blanchard die Messe durch die grofie konzertierende
Motette. Neben ihnen sind noch einige Kirchenmusi-
ker zu nennen, wie M.-A. Charpentier, der der italie-
nischen Musik am nachsten stand und den Oratorien-
stil seines Lehrers Carissimi nach Frankreich iibertrug,
D.Danielis (1635-96), Lorenzani und Lallouette, Ka-
pellmeister an Notre-Dame als Nachfolger Campras.
Die Tanzsuite wurde zunachst von den Lautenisten
Gaultier, Gallot und Ch. Mouton gepflegt, spater von
den Clavecinisten Chambonnieres, J. H. d' Anglebert
undLebegue auf gegriffen und neu gestaltet, um schlieB-
lich zu den Ordres von Couperin und den Pieces von
Rameau, Dandrieu, Duphly, Dornel und Fr.d'Agin-
court zu fiihren. Die Orgelmusik war bei Titelouze
(Hymnes de Veglise, Paris 1623), Roberday, Lebegue,
Fr. Couperin und N. de Grigny zunachst streng litur-
gisch, wurde aber dann bei Gigault, Raison, Boyvin,
L.Marchand, P. du Mage, Clerambault, Corrette und
Daquin durch die anmutige Spielweise der Clavecini-
sten beeinfluBt. Die Gambe war noch immer beliebt
dank der Gambistenfamilien Forqueray und Marais;
doch die Violine, der schon Mersenne 1636 den Vor-
rang gegeben hatte, trat im 18. Jh. mit den Sonaten
von Couperin, Rebel, Anet und Mondonville sowie
den Konzerten von Aubert und Leclair rasch in den
Vordergrund. Das Repertoire der Blasinstrumente
wurde durch Sonaten von J. Hotteterre, Blavet, J.B.
de Boismortier und Corrette bereichert. - RegelmaBi-
ge Konzerte veranstaltete A.-J.-J. de La Poupeliniere,
bei dem um 1750 Rameau, J. Stamitz und Gossec Kon-
zertdirektoren waren. GroBe Bedeutung hatte auch
das 1725 von A.Philidor gegriindete Concert spirituel
in der Salle des Suisses des Tuilerien-Schlosses, in dem
Instrumentalwerke und konzertierende Motetten mit-
301
Franzosische Musik
einander abwechselten. Seinem Beispiel folgten zahl-
reiche Academies de musique in der Provinz. - Uber
die Grenzen Frankreichs hinaus wirkte auch das fran-
zosische Musikschrifttum des 18. Jh. ; seine wichtigsten
Zeugnisse um 1750 sind Rameaus Demonstration du
principe de Vharmonie, servant de base & tout I'art musical
(Paris 1750), deren Hauptgedanken d'Alembert in ver-
einfachter Darstellung publizierte (Elemens de musique
thiorique et pratique, suivant les principes de M. Rameau,
Paris 1752, deutsch von Fr. W. Marpurg, Leipzig 1757),
sowie die Lettre sur la musique francaise, mit der Rous-
seau 1753 in den -> Buffonistenstreit eingriff. - Nach
dem Tode Rameaus und Leclairs wurde die Fr. M. ein
Jahrhundert lang zum groBen Teil von auslandischen
Meistern reprasentiert. Doch gab Fr.-A. Philidor der
Opera-comique ihre endgiiltige Form, und der Liitti-
cher Gretry fiihrte diese Gattung mit Monsigny, Da-
layrac, Boieldieu, Riegel und J. P. Martini (eigentlich
Schwartzendorf) weiter. 1773 kam Gluck mit Unter-
stiitzung seiner ehemaligen Schiilerin, der Dauphine
Marie-Antoinette, nach Paris und belebte die Tragedie
en musique neu. Nach dem anhaltenden Erfolg der
Motetten von Delalande und Mondonville feierten die
Pariser im Concert spirituel die Violinisten Guillemain,
Saint-Georges, Gavinies und Viotti, die Clavecinisten
und Organisten Balbastre und Sejan sowie viele aus-
landische Virtuosen. Neben Instrumentalwerken von
Vivaldi, Sammartini, Wagenseil, Cannabich, Stamitz,
Haydn und Mozart wurde auch die franzosische Sym-
phonie gepflegt, als deren Hauptmeister Gossec, spater
Mehul und Cherubini zu nennen sind.
In der Revolutionszeit entstanden patriotische Oden
und Hymnen, Auftragsmusik, die charakterisiert ist
durch Freiheit des Rhythmus, einfache Melodik und
Harmonik, dargeboten von riesigen Choren und Or-
chestern. Der Konvent griindete das Institut National
de Musique (1795 Conservatoire, seit 1831 Conserva-
toire National de Musique). Herold und Halevy im
Theater sowie Berlioz und F.David im Konzertsaal er-
offneten um 1830 die romantische Epoche. Die groBen
Opern Meyerbeers waren ein halbes Jahrhundert lang
auf alien europaischen Biihnen vertreten. 'Mit Berlioz
bemiihten sich in den f olgenden Jahrzehnten Gounod,
Saint-Saens und Bizet, die Fr. M. von auslandischen
Einfliissen zu befreien. Neben der Opera-comique tri-
umphierte im 2. Kaiserreich die Operette mit Offen-
bach, Herve und Delibes. Zur Erneuerung der Kir-
chenmusik trugen Choron und Niedermeyer bei. Nie-
dermeyer griindete 1853 eine Musikschule, um Gre-
gorianik und Polyphonie des 16. Jh. zu lehren und den
Grund fiir eine neue kirchliche Orgel- und Vokalmu-
sik zu legen. Vorbildliche Auffiihrungen der Sympho-
nien Haydns, Mozarts und Beethovens brachte die
Societe des concerts du Conservatoire unter Leitung
Habenecks. Ein groBeres Publikum gewann ab 1861
Pasdeloup mit den Concerts populaires, wo auch Wer-
ke junger Komponisten, wie Saint-Saens und Bizet,
gespielt wurden. Unter dem Motto »ars gallica« stan-
den die Konzerte der Societe nationale de musique,
die 1871 von Saint-Saens gegriindet wurde; zu ihrem
Kreis gehorten C.Franck, Lalo, Duparc, V. d'Indy,
Chabrier, Bordes, Chausson, P. O. de Breville, Faure,
Pierne und der junge Debussy. An Biihnenwerken die-
ser Zeit blieben bekannt: Gounods Faust (1859), Mi-
reille (1864) und Romh et Juliette (1867), Bizets Carmen
(1875), Lalos Le roi d'Ys (1888) sowie von Delibes die
Ballette Coppelia (1870) und Sylvia (1876) und die Oper
Lakme (1883). In Weimar erlebte 1877 Liszt stiirmi-
schen Beif all mit Saint-Saens' Samson et Dalila, auf des-
sen Annahme durch die Pariser Oper der Komponist
bis 1892 warten muBte. Wagners EinfluB wurde spiir-
bar in Chabriers Gwendoline (1886) und V.d'Indys
Fervaal (1897). Schulbildend wirkten unter den Kom-
positionslehrern des Conservatoire in dieser Zeit vor
allem Massenet, bei dem u. a. Bruneau und G.Char-
pentier - die Vertreter des Naturalismus auf der Biih-
ne - studierten, und Faure, der sein Ideal einer Riick-
kehr zur franzosischen Tradition auf seine Schuler Fl.
Schmitt, Ravel, Aubert, KSchlin, Roger-Ducasse und
Ladmirault iibertrug. Operette und Opera-comique
glanzten mit Lecocq, Audran, Varney, Planquette,
Chabrier, Messager, Terrasse, Pierne, R.Hahn, Yvain
und L.Beydts. 1902 vollendete Debussy das Drame
lyrique Pelleas et Melisande, das eine kiinstlerische Weri-
de der Fr.n M. herbeifiihrte. Debussys Kunst wurde
• bestimmend fiir eine groBe Zahl von Komponisten,
namentlich Dukas, Ravel, L. Boulanger, Ibert, J. de La
Presle und Rivier. Mit der Wiederbelebung des Gre-
gorianischen Gesangs durch die Benediktiner von So-
lesmes, der Griindung der Schola Cantorum durch
Bordes, Guilmant und V. d'Indy 1896, den Messen,
Motetten und Requiems von Faure, Ropartz und Pou-
lenc, den Psalmkantaten von Fl. Schmitt, Roussel und
Tournemire und den Oratorien Mors et vita von Gou-
nod, Redemption und Les Beatitudes von Franck, Miroir
de Jesus von Caplet, V Apocalypse de Saint Jean von
La Presle sowie La Passion und Saint Germain d'Auxerre
von Migot gewann die geistliche Musik eine neue Far-
be, ebenso die Orgelmusik mit den Sonaten, Sympho-
nien und liturgischen Stucken von Franck, Guilmant,
Widor, Vierne, Dupre, Durufle, Messiaen, J. Alain, Li-
taize, Langlais, J. Demessieux und R. Falcinelli.
Nach dem 1. Weltkrieg entzog sich die junge Gene-
ration mehr und mehr dem EinfluB Wagners und De-
bussys. Sie belief sich auf den Jazz und den »style de-
pouille«, eine Doktrin der Einfachheit, die durch Satie
in Mode kam. Zur Gruppe der Six (1918) gehorten,
neben Milhaud und Honegger, Auric, Poulenc, Durey
und G. Taillef erre. 1923 bildeten Sauguet, Cliquet-
Pleyel, M.Jacob und Desormiere als Anhanger Saties
und seines Strebens nach Einfachheit und Klarheit die
Ecole d'Arcueil. Die Gruppe »Jeune France«, 1936 von
Baudrier, Jolivet, Messiaen und Daniel-Lesur gegriin-
det, setzte sich die »Rehumanisierung« der Musik zum
Ziel; Jolivet und Messiaen haben auf den Weg der
jiingsten Fr.n M. bestimmenden EinfluB gewonnen.
Unabhangig von diesen Gruppen waren Komponisten
wie Bondeville, Barraud, E.Barraine, Francaix, Mar-
tinon, Landowski und Dutilleux erf olgreich mit Wer-
ken, die der Tradition treu blieben. Nach dem 2. Welt-
krieg haben Schonberg und seine Schuler Berg und
Webern - vor allem durch Leibowitz - weitgehend
auf die Fr. M. eingewirkt. Die Auseinandersetzung mit
den Problemen der Elektronischen Musik fiihrte zu-
nachst zur Entwicklung der -*■ Musique concrete, wur-
de aber vor allem von einigen Schiilem Messiaens
fruchtbar gemacht; genannt seien M. Le Roux, Marti-
net, Nigg und - der bedeutendste - Boulez.
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302
Frauenchor
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schen Romantik u. Moderne, = Studien zur Mg. d. 19. Jh.
II, Regensburg 1965. FeR
Frauenchor, eine Vereinigung weiblicher, nicht so^
listisch Singender, auch Bezeichnung fur eine von ih-
nen gesungene Komposition. Im Vergleich zum in
gleicher Tonhohe singenden Kinder- oder Knaben-
chor ist fiir den Fr. sein (vor alien Dingen durch die
Altstimmen bedingtes) grofieres Klangvolumen cha-
rakteristisch. - Fr.-Gesang ist in friihen Hochkulturen
(z. B. Agypten und Palastina) im kultischen (bei Got-
tesdienst, Totenfeiern, Initiationsriten) und weltlichen
Bereich (z. B. bei Siegesfeiern) nachweisbar. Im Fruh-
christentum beteiligte sich der Fr. am Hymnen- und
Psalmengesang in der Kirche; von Jungfrauenchoren
vorgetragene Gesange richteten sich gegen die aria-
nische Lehre. Die Bemiihungen, den Fr. aus der
Kirche zu verbannen (seit dem 4. Jh.), wirkten sich
im 6. Jh. auf die Gemeindekirchen aus (wo Knaben-
die Frauenstimmen ersetzten) und bezogen im 7. Jh.
auch die Nonnenkloster ein. Doch nur von wenigen
Orden (z. B. Pramonstratenser und Bernhardiner)
wurden diese Verbote befolgt, so daB - auch durch die
Auffiihrung geistlicher Spiele - die Nonnenkloster im
Mittelalter Hauptpflegestatten des chorischen Frauen-
gesanges waren. In italienischen Klostern gab es seit
dem 15. Jh. Kompositionen von Nonnen. DaB ihre
Gesange oft die der Kultmusik gezogenen Grenzen
tiberschritten, zeigt die Ermahnung Savonarolas von
1494, »vom Prunk und Tand bei der Einkleidung der
Nonnen« (iiber die Funktion des Fr.s bei diesem Feste
schreibt B.Buonmattei, Modo di consecrar le uergini,
1622) und »von den kiinstlichen Gesangen«, d. h. von
der Figuralmusik, abzulassen. Der gef orderten Schlicht-
heit entsprechen die fiir die Florentiner Nonnen ge-
schriebenen Lauden von S.Razzi (Buch I Venedig
21563, Buch II Florenz 1609), die zu den fruhesten
mehrstimmigen Kompositionen fiir Fr. zahlen. Die
vier venezianischen Madchenkonservatorien (degli
Incurabili, dei Mendicanti, di San Giovanni e Paolo
und della Pieta) wurden von einem Maestro di Coro
geleitet. Zu den Musikern, die diese Stellung bekleide-
ten oder Kompositionen fiir jene Anstalten schrieben,
gehoren Bertoni, Cimarosa, Galuppi, Gasparini, Hasse,
Jommelli, Legrenzi, Lotti, Porpora, Saratelli, Traetta,
Vivaldi und Ziani. Gesangs- und Instrumentalmusik
wurde von den Schiilerinnen aufgefiihrt, so etwa bei
der Auffiihrung des Oratoriums II ritomo di Tobia von
Galuppi anlafilich der Anwesenheit Papst Pius' VI.
(1782). Von den fiir die Konservatorien geschriebenen
Werken sind besonders wichtig das Miserere fiir 4st.
Fr., Soli und Orch. (1782) von Hasse und das Laudate
pueri fiir doppelten Fr. von Jommelli. - AuBerhalb
Italiens war fiir die Entwicklung des Fr.s im 17.-18. Jh.
vor allem das Musikleben an den Madchenpensionaten
entscheidend. In England dirigierte Susanna Perwich
um 1 650 in einer von ihrer Mutter geleiteten Madchen-
schule Chor und Orchester der Zoglinge. 1689 fiihrten
Schiilerinnen des Internats Chelsea Purcells Oper Dido
and Aeneas auf. In Frankreich schrieben Lully, Cou-
perin, Delalande, Mattheau, Coqueret und Cleram-
303
Frauenchor
bault f iir die Madchen des von Madame de Maintenon
1682 begriindeten Pensionats (Maison Royale) in St.
Cyr. Fur dieses Institut entstanden audi die von J.-B.
Moreau vertonten l-3st. Chore zu den Aktschliissen
der ebenfalls fiir die Madchen geschriebenen Dramen
Esther und Athalie von Racine. - Obwohl die Frau
schon friihzeitig (in der 2. Halfte des 16. Jh. in Italien,
im 17. Jh. in Frankreich, im 18. Jh. in Deutschland) als
Solistin oder als Mitglied eines weiblichen Ensembles
musizierte, trat sie als Chorsangerin (auch im gemisch-
ten Chor) auBer im Kloster, Konservatorium oder
Pensionat erst seit der 1. Halfte des 19. Jh. auf. Verhalt-
nisse wie am Baden-Durlachischen Hofe, wo der Mark-
graf Karl Wilhelm von 1714 bis 1737 ein nur aus Mad-
chen zusammengesetztes Opernensemble einschlieB-
lich Chor und Ballett unterhielt, sind Ausnahmeer-
scheinungen. Die seit der Mitte des 18. Jh. fortschrei-
tende Emanzipierung der Frau veranderte auch ihre
Stellung im offentlichen Musikleben. Zwar blieb das
Musizieren der Frau zunachst noch auf den hauslich-
gesellschaf tlichen Kreis beschrankt, drang aber im Lau-
fe des 19. Jh. immer mehr auch in die Offentlichkeit,
begiinstigt durch die Eingliederung der Musikcrziehung
fiir Madchen in den Lehrplan der Schulen. 1834 wurden
das Singen nach Noten und das Chorsingen in den
Elementarschulen Berlins fiir Madchen obligatorisch.
Es entstand die besondere Literaturgattung der Mar-
chenkomposition (Reinecke, Abt, Hummel, Krause),
bestimmt fiir Frauenchore an hoheren Tochterschulen
und Lehrerinnenseminaren. An den neuentstandenen
Singschulen (1771 in Leipzig durch Hiller, 1806 Sing-
institut fiir junge Frauenzimmer in Erlangen) wurden
auch Frauen unterwiesen. Frauenchore bildeten sich
zunachst als gesellige Zirkel um einen Komponisten
(Brahms leitete ab 1857 in Detmold, ab 1859 in Ham-
burg einen Fr.) oder als Schiilerkreise von Gesangs-
lehrerinnen (Schubert komponierte fiir die Schiilerin-
nen von Anna Frohlich in Wien; in Hamburg schrieb
1823 Louise Reichardt fiir ihren 1814 gegriindeten Fr. ;
in Stuttgart bestand 1830 ein Fr. unter Emilie Zum-
steeg). Haufig entstand ein separater Fr. aus den Da-
men eines gemischten Chores; Schumann schrieb seine
Fr.-Romanzen op. 69 und 91 fiir die Damen der unter
seiner Leitung stehenden Dresdener Chorgemeinschaf t.
Im 1-9.J und zu Beginn des 20. Jh. schrieben fiir Fr. :
Berlioz, Brahms, Bruch, Debussy, Faure, Gade, Gla-
sunow, Grieg, Ljadow, Liszt, Mahler, Mandyczewski,
Pfitzner, Rheinberger, Rimskij-Korsakow, Rossini,
Roussel und Verdi. Weber (Freischiitz) , Lortzing (Wild-
schutz), Verdi (II Trovatore und Aida) verwendeten
in der Oper den Fr. selbstandig. Im 20. Jh. nahm das
Interesse am Fr.-Gesang, bedingt u. a. durch die musi-
kalische Jugendbewegung, stark zu, und es kam zur
Griindung eigener Vereine. Zu den Komponisten, in
deren Werk Kompositionen fiir Fr. enthalten sind, ge-
horen Bartok, Distler, Driessler, Haas, Knab, Kodaly,
Kfenek, Lahusen, Marx, Micheelsen, Pepping, Ravel,
Reger, Rein, Reutter, Rohwer, Strawinsky, Sturmer
und Zilcher.
Lit.: A. Taphanael, Le theatre de St. Cyr, Paris 1876; H.
Kretzschmar, Chorgesang, Sangerchore u. Chorver.,
= Slg mus. Vortrage I, hrsg. v. P. Graf v. Waldersee, Lpz.
1 879 ; M. Brenet, La musique dans les convents de femmes
depuis le moyen age jusqu'a nos jours, Paris 1898; E.
Chaillier, Frauen- u. Kinderchor-Kat., GieBen 1904; L.
Schiedermair, Die Oper an d. badischen Hofen d. 17. u.
18. Jh., SIMG XIV, 1912/13; K. Meyer, Der chorische
Gesang d. Frauen mit besonderer Bezugnahme seiner Be-
tatigung auf geistlichem Gebiet I : Bis zur Zeit um 1 800,
Lpz. 1917; A. Krille, Beitr. zur Gesch. d. Musikerziehung
u. Musikiibung d. deutschen Frau v. 1750-1820, Diss. Bin
1938; W.Ehmann, DerThibaut-Behaghel-Kreis.AfMf III,
1938 - IV, 1939; H. Engel, Das Chorwesen in soziologi-
scher Sicht, ZfM CXIII, 1952; E. Valentin, Hdb. d. Chor-
musik, 2 Bde, Regensburg 1953-58; S. Drinker, Die Frau
in d. Musik, Zurich 1955; H. Frey, Werden Frauenchore
zu wenig beachtet?, Deutsche Sangerbundzeitung XLIII,
1954; ders., J. Brahms u. d. Fr., Lied u. Chor L, 1958;
ders., Aus d. Gesch. d. Fr., ebenda; A. Friedrich, Beitr.
zur Gesch. d. weltlichen Fr. im 19. Jh. in Deutschland,
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XVIII, Regensburg
1961 ; S. Kross, Brahmsiana, Der NachlaS d. Schwestern
Volckers, Mf XVII, 1964.
Freiberg in Sachsen.
Lit.: G. Schunemann, Fr.er Bergmusiker, Fs. H. Kretz-
schmar, Lpz. 1918; ders., Die Bewerber um d. Fr.er Kan-
torat (1556-1798), AfMw I, 1918/19; E. Muller, Mg. v.
Fr., =Mitt. d. Fr.er Altertumsver. LXVIII, Fr. 1939;
ders., Die Musikinstr. in d. Fr.er Domkapelle, AfMw
XIV, 1957.
Freiburg im Breisgau.
Lit. : J. B. Trenkle, Fr. gesellschaftliche, theatralische u.
mus. Inst., Fr. 1856; W. Schlano, Das Fr.er Theater, Fr.
1910; O. Hoerth, Fr. u. d. Musik, Fr. 1923; C. Winter,
Das Orgelwerk d. Fr.er Miinsters, Fr. (1930); G. v. Grae-
venitz, Musik in Fr., Fr. 1938; H. Wachtel, Die liturgi-
sche Musikpflege im Kloster Adelhausen seit d. Griindung
d. Klosters 1234 bis um 1500, = Fr.er Diozesan-Arch.,
N. F. XXIX, 1938 ; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d.
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf VI, 1941 ;
A. E. Harter, Zur Mg. d. Stadt Fr. i. Br. um 1 500, Diss. Fr.
1952, maschr. ; R. Hammerstein, Die Musik am Fr.er
Minister, AfMw IX, 1952; K. Ameln, Die neue Praetorius-
Org., Musica X, 1956; W. Gurlitt, The Praetorius Organ
in Fr., The American-German Review XXII, 1956; G.
Seifert, Die Choralhss. d. Predigerklosters zu Fr. i. Br. um
1500, Diss. Fr. 1957, maschr.
Freiburg im Uechtland (Schweiz).
Lit. : K. G. Fellerer, Ma. Musikleben d. Stadt Fr. i. Ue.,
= Fr.er Studien zur Mw. Ill, Regensburg 1935; ders.,
Orgeln u. Organisten an St. Nikolaus zu Fr. i. d. Schw. im
1 5.-19. Jh., KmJb LII, 1958 ; J. Keller, La vie mus. a Fri-
bourg de 1750 a 1843, Arch, de la Soc. d'hist. du canton de
Fribourg XV, 1941 ; G. Zwick, Les proses en usage a l'eg-
lise de St. Nicolas a Fribourg jusqu'au 18 e s., 2 Bde, Im-
mensee 1950.
Freimaurer musik. Neben der Musik fiir den Ritus
wurde besonders im 18. Jh. das gesellige volkstiimliche
Lied gepflegt, wobei bekannten Melodien oft (in Eng-
land Catches und Glees, in Frankreich Chansons und
Vaudevilles ; ein Freimaurerlied bei Sperontes, Die sin-
gende Muse an der Pleifte, 1736) neue Texte unterlegt
wurden. Im spaten 18. und friihen 19. Jh. war der hu-
manitare Geist auch aufierhalb des Freimaurertums
verbreitet (Beethoven war nicht Freimaurer). Eine
Reihe bedeutender Musiker war Freimaurer, in Eng-
land, wo in London 1717 die erste Loge gegriindet
worden war, Ch.King, Boyce, Arne, S.Wesley, W.
Hayes und Th.Attwood, in Frankreich, wo die Frei-
maurerei von England aus ab 1725 FuB faBte, u. a.
Clerambault, in Osterreich, wo das Freimaurertum
nach 1740 eine Bliite erlebte, Wranitzky, Kozeluch,
G. Benda, J. Haydn und W.A.Mozart. Mozart schrieb
an Fr. die Lieder K.-V. 468, 483, 484, die Kantaten
K.-V. 471 und 623, die Maurerische Trauermusik K.-V.
477'; Gedanken des Freimaurertums sind auch in K.-V.
429 und 619 enthalten. Das bedeutendste Werk im
humanitaren Geiste der Freimaurerei ist die Zauberflote.
In Deutschland waren Freimaurer u. a. Lowe, Abt,
Lortzing, ReiBiger, Spohr, Naumann, Liszt, auch H.
Riemann. Freimaurerlieder erschienen in Sammlun-
gen von Naudot (1737), in Deutschland zuerst von L.
Fr. Lenz (1 746, mit Melodien anonymer Komponisten) ,
in England von Th.Hale (1763), aufierdem u. a. von
Scheibe (1749-85), C. Ph. E.Bach, Naumann und
Schulz (1788), J.K.Ambrosch und J.M.Boheim
304
Frequenzbestimmung
(1793ff.), A.Andre (o. J.), Liborius von Bergmann
(1785),J.G.Naumann (1782), Fr.Hurka (urn 1800), A.
Neithardt (1820).
Lit.: P. Nettl, Mozart u. d. Konigliche Kunst, Bin 1932,
als: Musik u. Freimaurerei, ESlingen 2 1956, engl. NY 1 957;
O. E. Deutsch, Mozart u. d. Wiener Logen, Wien 1932;
R. Cotte, Les musiciens dans l'hist. de la Franc-Macon-
nerie, Rev. internationale de musique Nr 1 1, 1951 ; S. Mo-
renz, Die Zauberflote, Miinster i. W. 1952; R. Hammer-
stein, Der Gesang d. geharnischten Manner, AfMw XIII,
1956; E. A. Ballin, Der Dichter v. Mozarts Freimaurer-
lied »0 heiliges Band« u. d. erste erhaltene deutsche Frei-
maurerliederbuch, Tutzing 1960.
Freising (Oberbayern).
Lit.: O. Ursprung, Fs. ma. Mg., in: Wiss. Festgabe zum
1 200jahrigen Jubilaum d. HI. Korbinian, hrsg. v. J. Schlicht,
Miinchen 1924; ders., Das Fr.er Petruslied, Mf V, 1952;
K. G. Fellerer, Beitr. zur Mg. Fr. v. d. altesten christli-
Chen Zeiten bis . . . 1803, Fr. 1926.
French sixth (faentj siksO, engl., franzosische Sexte),
bei englischen Theoretikern (und selbst dort als will-
kiirlich bezeichneter) Name fur den ubermaBigen
Terzquartakkord = Doppeldominantseptakkord auf
der tief alterierten Quinte (§) 7 ), z. B. in C dur as-c-d-
fis. -> German sixth, -» Italian sixth.
Frequenz bezeichnet die Anzahl von -> Schwingun-
gen pro Zeiteinheit. Sie wird in Hertz (Hz) = Schwin-
gungszahl pro Sekunde angegeben (nach dem Physiker
Heinrich Hertz, 1857-94, der als erster Versuche und
Berechnungen iiber die Ausbreitung elektromagneti-
scher Wellen anstellte). Im Ausland gilt die Bezeich-
nung cycle per second (cps). Unter der Periode T ei-
ner Schwingung wird ihre Dauer verstanden. Sie ist
der Kehrwert der Fr. Ist/die Fr., dann gilt also/ = -=,
d. h. je kiirzer die Periode ist, um so groBer ist die Fr.
Beispielsweise ist fur 1000 Hz (= 1 kHz) T = Viooo sec.
Frequenzanalyse (auch Klang-, Schall-, Schwin-
gungs-, Spektralanalyse) ist die Beobachtung und Mes-
sung der in einem Schwingungsablauf enthaltenen
Amplituden, Frequenzen und Phasen von Teilschwin-
gungen. Sie gibt AufschluB iiber Schwingungsstruktu-
ren von Instrumenten, Sprache und Gesang, die wie-
derum zur Losung einer Vielfalt musikalisch-akusti-
scher Probleme beitragen. Vor der Entwicklung elek-
trischer Verstarkersysteme wurden dazu mechanische
Gerate (Resonatoren, Interferenzrohren) und die
-> Fourieranalyse benutzt. Die modernen elektrischen
Verfahren (Oktavsieb-, Suchtonanalyse u. a.) haben
gegenuber den alteren den Vorzug, eine unmittelbare
Analyse des Schallvorganges zu ermoglichen. Allen
Analysen liegt eine von G. S. Ohm 1843 veroffentlichte
Abhandlung zugrunde, in der u. a. Untersuchungen
zusammengesetzter Schwingungen mitgeteilt werden.
Ihr Ergebnis, die Hypothese iiber die Eigenschaft des
Ohres, periodische Schwingungsvorgange in ihre Teil-
schwingungen zu zerlegen, ist als sogenanntes Ohm-
sches Gesetz der Akustik bekannt. H. v. Helmholtz He—
ferte darauf aufbauend mittels Resonatorversuchen die
ersten Analysen, nach denen er z. B. die Klangfarbe
durch Zahl und Starke vorhandener Teilschwingungen
zu bestimmen suchte und vor allem Anregung f iir sei-
ne Resonanztheorie des Horens gewann (-> Hortheo-
rie) ; in diesem Zusammenhang steht der Begriff »me-
chanische Fr. der Schnecke« (v. Bekesy). Stumpf beob-
achtete sowohl den Umfang beteiligter Frequenzen bei
Vokalen und Konsonanten als auch Klangfarbenande-
rungen bei Entzug von Teilschwingungen, den er
durch Interferenz eines durch Rohren geleiteten Schal-
les erreichte. Bereits 1898 wurde ein erstes Verfahren
zur unmittelbaren Analyse (von Wechselstromen)
durch Th. des Coudres angegeben. Aber erst die Ent-
wicklung der -»■ Elektronenrohre ermoglichte es, die
geringen Energien akustischer Prozesse einer genauen
physikalischen Messung zuzufuhren, so daB nun elek-
tronische Analysatoren die Stelle der bisher ausschlieB-
lich subjektiven Beobachtung einnehmen. Die ge-
brauchlichsten Verfahren sind die Suchtonanalyse
(Grutzmacher), das Tonfrequenzspektrometer (Frey-
sted), die Oktavsieb-Oszillographie (Trendelenburg)
und die -*■ Visible speech-Analyse. Mit ihnen werden
hauptsachlich die Amplituden und Frequenzen der
Teilschwingungen bestimmt. Die Analysatoren erfas-
sen oft nur die (quasi-) stationaren Abschnitte eines
Schwingungsverlaufes, da die Einschwingvorgange
einiger Bestandteile (Siebkette, Filter) der Apparaturen
langsamer verlaufen als die der zu messenden Schwin-
gungen. Die Untersuchungen iiber Frequenzumfang,
Intensitat, genaue spektrale Verteilung (-> Frequenz-
spektrum) und den zeitlichen Verlauf der Teilschwin-
gungen bei Stimm- und Instrumentenklang verhelfen
zu Aussagen iiber stimmphysiologische Vorgange, iiber
instrumentale Schallerzeugung, sie geben Aufschliisse
fur Instrumentenbau und die Schalliibertragungstech-
nik.
Lit. : G. S. Ohm, liber d. Definition d. Tones . . . , Annalen
d. Physik u. Chemie LIX, 1843 - LXU, 1844; H. v. Helm-
holtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen, Braunschweig
1863, "1877; C. Stumpf, Tonpsychologie II, Lpz. 1890;
Th. des Coudres, Eine direkte Methode f. Wechselstrom-
analyse, Elektrotechnische Zs. XXI, 1900; M. Grutz-
macher, Eine neue Methode d. Klanganalyse, Elektrische
Nachrichtentechnik IV, 1927; E. Freystedt, Das Tonfre-
quenzspektrometer, ein Frequenzanalysator . . . , Zs. f .
technische Physik XVI, 1935; F. Trendelenburg u. E.
Franz, Untersuchungen an schnellveranderlichen Schall-
vorgangen, ebenda; G. v. Bekesy, Fortschritte d. Horphy-
siologie, ebenda XVII, 1936; ders., Ober d. mechanische
Fr. einmaliger Schwingungsvorgange . . . , Akustische Zs.
II, 1937; H. H. Hall, Sound Analysis, JASA VIII, 1936/
37 ; F. Trendelenburg, Ohms akustisches Grundgesetz u.
d. neueren Anschauungen iiber d. Klanganalyse durch d.
Ohr, Elektrotechnische Zs. LX, 1939; ders., Einfiihrung
in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961; W.
Meyer-Eppler, Die Spektralanalyse d. Sprache, Zs. f.
Phonetik IV, 1950; ders., Schwingungsanalyse nach d.
Suchtonverfahren, Arch. d. elektrischen Ubertragung IV,
1950; ders., Experimentelle Schwingungsanalyse, in: Er-
gebnisse d. exakten Naturwiss. XXIII, Bin, Gottingen u.
Heidelberg, 1950; F. A. Fischer, Die grundlegenden Be-
griffe u. Gesetze d. Fr., in: Der Fernmeldeingenieur VI,
1952, H. 10; W. Kallenbach, Anwendungsmoglichkeiten
d. Schallspektrographie bei akustischen Untersuchungen,
Acustica IV, 1 954 ; E. Skudrzyk, Die Grundlagen d. Aku-
stik, Wien 1954; H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw., Hei-
delberg (1958). WiD
Frequenzbestimmung. Zur Fr. konnen Vergleichs-
und Zahlverfahren benutzt werden. Im einfachsten
Fall dient als Vergleichsnormal eine geeichte Stimm-
gabel. Um etwa die genaue Frequenz des ai eines Or-
gelregisters bestimmen zu konnen, laBt man die Or-
gelpfeife und eine Stimmgabcl (440 Hz) gleichzeitig
erklingen und zahlt (mit einer Stoppuhr) die Anzahl
der auftretenden -*■ Schwebungen. Bei z. B. 3 Schwe-
bungen/sec betragt die gesuchte Frequenz 440 + oder
- 3 Hz. Ob die Pfeife 443 oder 437 Hz abgibt, laBt
sich feststellen, indem man die Frequenz der Gabel
durch Beschweren einer Zinke mit einem leichten Ge-
wicht herabsetzt. Werden darauf die Schwebungen
schneller, so gilt fur die Pfeife 443 Hz, werden sie lang-
samer, gilt 437 Hz. Fur genauere Messungen wird die
Stimmgabel durch einen -> Generator ersetzt, dessen
Frequenz meBbar geregelt werden kann und auf Schwe-
bungsfreiheit eingestellt wird. Auch das stroboskopi-
20
305
Frequenzspektrum
sche Verfahren liefert gute Ergebnisse. Mit der zu un-
tersuchenden Frequenz wird eine Glimmlampe ge-
steuert, die eine rotierende, in schwarze und weiBe
Segmente aufgeteilte Scheibe beleuchtet. Die Ge-
schwindigkeit der Scheibe ist regelbar und wird so ein-
gestellt, daB scheinbarer Stillstand beobachtet wird.
Aus der Anzahl der Segmente multipliziert mit der An-
zahl der Umdrehungen/sec ergibt sich die Frequenz.
Neuerdings werden in zunehmendem MaBe elektroni-
sche Zahler benutzt. Nach Aussieben der Oberschwin-
gungen hinter Mikrophon und Verstarker wird die zu
messende Grundschwingung in eine synchrone Im-
pulsfolge umgewandelt, die wiederum zur Auslosung
dekadischer Zahlapparaturen dient. Auf diese Weise
lassen sich die Frequenzen des Horbereiches mit groB-
ter Genauigkeit messen.
Lit. : L. L. Beranek, Acoustic Measurements, NY u. Lon-
don (1949), 2 1950; W. Meyer-Eppler, Experimentelle
Schwingungsanalyse, in : Ergebnisse d. exakten Naturwiss.
XXIII, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1950; H. Husmann,
Einfiihrung in d. Mw., Heidelberg (1958); F. Trendelen-
burg, Einfiihrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidel-
berg 31961.
Frequenzspektrum wird die graphische Darstellung
der Teilschwingungen eines Schwingungsablaufes ge-
nannt, die zu einer optischen Vorstellung iiber deren
Anzahl, Starke und Verteilung verhilft. Die Zerlegung
in einzelne, diskret verteilte Schwingungen im Linien-
spektrum geschieht so, daB die gemessenen Frequenzen
und Amplituden in ein Koordinatensystem eingetra-
gen werden, wobei die Amplituden als Strecken (paral-
lel zur Ordinate) iiber den auf der Abszisse (nach rechts)
abgetragenen Frequenzen erscheinen. Auf das Banden-
spektrum fiihrt z. B. die -*■ Fourieranalyse. Hier er-
scheinen in der graphischen Darstellung die Amplitu-
den im kontinuierlichen Ablauf, zusammengesetzt aus
einer Vielzahl unendlich dicht nebeneinanderliegender
Teilschwingungen.
Sinusschwingung (WOOHz)
12 3 4
Oboe h (247 Hz)
6 kHz
12 3 4
Rdhrenglocke c (131 Hz)
6 kHz
6 kHz
Fr. einer Sinusschwingung, eines periodischen
(Oboe) und eines unperiodischen
Schwingungsvorganges (Rohrenglocke).
Sehr oft lassen sich am Fr. eines Instrumentes und be-
sonders der menschlichen Stimme Amplitudenmaxi-
ma nachweisen, die trotz veranderter Tonhohe ihre
Lage iiber einem bestimmten Frequenzgebiet (auf der
Abszisse) beibehalten. Solche bevorzugt ausgebildeten
Gebiete von Teilschwingungsgruppen werden For-
mantgebiete (-> Formant) genannt.
Fricassee (frz.), in Frankreich im 16. Jh. eine dem
-»■ Quodlibet und friihen -*■ Potpourri ahnliche, meist
4st. ^Composition. Die erste gedruckte Fr. erschien in
Attaingnants Trente et quatre chansons musicales (1528);
eine Fr. von H.Fresneau im 3. Buch von Le Parangon
des chansons (1538) enthalt Bruchstiicke von 100 Chan-
sons. Wahrscheinlich unter franzosischem EinfluB ent-
standen ahnliche, meist 3st. Kompositionen (Medley)
in England und Schottland. So sind in den von J. For-
bes in Aberdeen 1666 in 2. Auflage gedruckten Songs
and fancies 3 Stiicke iiberliefert, die wohl aus der 1.
Halfte des 16. Jh. stammen. Wie die franzosische Fr.
gehoren sie mit Tanz und Spiel in den Rahmen eines
kirchlichen (Weihnachten), hofischen oder landlichen
Festes.
Ausg. : Pleugh Song u. Christmas Medley, in: Music of
Scotland 1500-1700, hrsg. v. K. Elliott u. H. M. Shire,
= Mus. Brit XV, London 1957.
Lit. : Fr. Lesure, Elements populaires dans la chanson frc.
au debut du XVI e s., in: Musique et poesie au XVI e s.,
= Colloques internationaux . . . , Sciences humaines V,
Paris 1954; H. M. Shire u. K. Elliott, La fr. en Ecosse ...,
in : Les fdtes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris
1956.
Friktionsinstrumente (frz. friction, Reibung), durch
Reiben zum Erklingen gebrachte Instrumente; auBer
der -> Reibtrommel handelt es sich um -> Idiophone.
Die Friktion kann unmittelbar mit der Hand (Glashar-
monika, Euphon) oder mechanisch durch rotierende
Zylinder u. 5. (-> Clavicyhnder, -*■ Nagelgeige, -*■ Ter-
podion) eriolgen. Auch das Streichen bei den Bogen-
instrumenten ist, streng genommen, eine Sonderform
der Friktion.
Friss, Friszka (ungarisch) ->• Csardas.
Frosch (engl. nut, frog, heel; frz. talon; ital. tallone),
das Griffende beim -> Bogen (- 2) der Streichinstru-
mente; »am Frosch« (au talon) zu spielen, wird vorge-
schrieben, um eine harte Tongebung zu erzielen.
Frottola (ital., wahrscheinlich von frotta, Schwarm;
eine Ansammlung von Sonderbarem), eine in der 2.
Halfte des 15. und in den ersten Jahrzehnten des 16. Jh.
in Ober- und Mittelitalien (Mantua, Verona, Modena,
Padua, Venedig, Florenz) gepflegte Liedform, die be-
sonders durch die Sammelbande des venezianischen
Druckers Petrucci (11 Biicher von 1504-14) bekannt
ist. Weitere Sammlungen liegen vor in Drucken von
A. de Antiquis (ab 1510). Der letzte bekannte Frotto-
lendruck erschien 1531 in Rom bei Valerio Dorico.
Danach geniigte diese Gattung den gesteigerten An-
spriichen nicht mehr und wurde von Madrigal, Villota
und Villanesca verdrangt. Der musikalische Satz der
Fr. ist fast durchweg vierstimmig und homophon ge-
halten; in Anlehnung an die Setzweise der Niederlan-
der kommt es mitunter zu einer Scheinpolyphonie :
Sopran und Tenor bilden das Geriist des Satzes, BaB
und Alt umspielen mehr den harmonischen Verlauf.
Die Melodie liegt im Sopran, der BaB verlauft in der
Art des spateren Generalbasses in Quint- und Quart-
schritten; im Gegensatz zum Madrigal sind bei der Fr.
die Stimmen sukzessiv (Sopran - Tenor - BaB - Alt)
konzipiert. Das zeigt sich u. a. darin, daB bei Lauten-
intavolierungen der Alt als zuletzt eingefiigte Stimme
weggelassen wird. Mit Text versehen ist meist nur die
306
Fuga
Oberstimme, was auf fakultative instrumentale Aus-
f iihrung schlieBen laBt. Von geschickten Lautensangern
wurden vielfach an den Hofen Frottolen aus dem Steg-
reif improvisiert; feste Melodieschemata, die auf Ver-
se mit einer bestimmten Silbenzahl paBten, kamen ih-
nen dabei zu Hilf e. Zur Fr. im weiteren Sinne gehoren
auch die Florentiner Karnevalslieder (->• Canto carna-
scialesco), die als 3- oder 4st. Aufzugslieder von Mas-
ken ihre Bliitezeit in Florenz wahrend der Regierungs-
zeit des Lorenzo de' Medici (f 1492) hatten. Die Haupt-
vertreter der 4st. Fr.-Komposition sind Marchetto Ca-
ra aus Verona und B.Tromboncino in Mantua. In Pe-
truccis Drucken sind unter anderen vertreten : Fr. Ana,
G.Broccho, Capreolo, L. Compere, Onofrio Anteno-
reo, Jusquin d'Ascanio (Josquin Desprez), Cariteo, Pe-
legrino Cesena, Eneas Dupre, G. Luppatus, F. de Lura-
no, M. Pesenti, Nicolo Pif aro, G. de la Porta, A. Rigum,
A.Rossetus, Rossino. Namentlich bekannte Dichter-
sanger sind Cariteo (Neapel), Serafino Aquilano (Rom),
Cosa (Mailand), Testagrossa (Pavia). Die Fr.-Dichter
wurden zwar von der Volksdichtung inspiriert, schrie-
ben und sangen aber fur die gebildete Biirgerschicht
und die Aristokratie. Als Dichtungsform ist die eigent-
liche Fr. ein Absenker der Ballata und reprasentiert de-
ren einfachste und kunstloseste Art mit folgenden zwei
Typen: die Fr. barzelletta, bestehend aus Ripresa mit
vier trochaischen 8Silblern mit der Reimfolge abba
oder a b a b, Mutazione mit der Reimfolge c d c d und
der Volta mit der Reimfolge d a oder d e e a ; ein zwei-
ter Fr.-Typus, bestehend aus Strophen zu vier jambi-
schen 7Silblern mit oder ohne Refrain, dessen Reim-
ordnung in der Ripresa abba oder a a a a, in den Stro-
phen ccca, ddda, eeea usw. ist. Dariiber hinaus ist
Fr. ein Sammelbegriff, der viele in Musik gesetzte
Dichtungsformen umfaBt: den Strambotto (auch Ri-
spetto oder Ottava rima genannt) mit Strophen zu je
acht HSilblern nach dem Reimschema abababcc;
den Capitolo, eine Strophenfolge von je drei 1 1 Silblern
nach dem Reimschema aba, bcb, cdc usw. ; die Oda,
eine Folge von 4zeiligen Strophen, von denen die
ersten drei Verse stets jambische 7Silbler darstellen, der
letzte 4, 5, 7 oder 11 Silben zahlen kann, nach dem
Reimschema abbe, cdde, effg; das Sonetto mit 14
llsilbigen Verszeilen nach dem Reimschema abba,
abba, cde, cde; die Kanzone, die sich aus Strophen
zusammensetzt, in denen 7- und 1 1 Silbler f rei wechseln,
deren jede sich in zwei Teile, in Fronte mit zwei Piedi
und Volta, gliedert. Die Fr.-Komponisten suchten
leicht eingangliche Melodien zu schaffen. Eine bemer-
kenswerte Klarheit im Formaufbau erreichten sie, in-
dem z. B. gleiche Reimzeilen musikalisch wiederholt
werden. Bei mehrstrophigen Gebilden begniigten sich
die Frottolisten oft nur mit der Vertonung der ersten
Strophe des Textes und iiberlieBen die Unterlegung
der weiteren den Ausfiihrenden. Die Texte haben in-
haltlich die Liebe zum Hauptgegenstand, als Loblied auf
die geliebte Person, haufiger als Beschreibung der Lei-
den des verschmahten oder erf olglosen Liebhabers ; sie
galten als gesellschaftliches poetisches Spiel.
Ausg. : O. Petrucci, Frottole, Buch I u. IV, hrsg. v. R.
Schwartz, = PaM VIII, Lpz. 1933-35; A. Einstein, Can-
zoni, sonetti, strambotti et frottole, libro tertio, = Smith
College Music Arch. IV, Northampton (Mass.) 1941 ; W.
Rubsamen, Literary Sources of Secular Music in Italy,
= Univ. of California Publications in Music I, 1, Berkeley
1943 ; Le frottole nell'edizione di O. Petrucci, Tomo I, libro
I, II, e III, =Inst. et monumenta, Serie I, 1, hrsg. v. R.
Monterosso mit einer Einfuhrung v. B. Disertori, Cremo-
na 1954.
Lit.: R. Schwartz, Die Fr. im 15. Jh., VfMw II, 1886;
ders., Nochmals »Die Fr. im 15. Jh.«, JbP XXXI, 1924;
ders., Zum Formproblem d. Fr. Petruccis, Fs. Th. Kroyer,
Regensburg 1933 ; A. Einstein, Das 11. Buch d. Fr., ZfMw
X, 1927/28; ders., Die mehrst. weltliche Musik v. 1450-
1600, Adler Hdb. I; H. Besseler, Die Musik d. MA u. d.
Renaissance, Biicken Hdb.; E. Ferand, Ein neuer Fr.-
Fund, AMI X, 1938; F. Torrefranca, II segreto del quat-
trocento, Mailand 1939; Das mehrst. Lied d. 16. Jh. in
Italien, Frankreich u. England, hrsg. v. H. Engel, = Das
Musikwerk III, K61n (1952); G. Reese, Music in the Re-
naissance, NY (1954), 21959; W. H. Rubsamen, From Fr.
to Madrigal: The Changing Pattern of Secular Ital. Vocal
Music, in: Chanson and Madrigal, 1480-1530, hrsg. v. J.
Haar, =Isham Library Papers II, Cambridge (Mass.) 1964.
Fiihrer-*- Dux.
Fiillstimmen, im mehrstimmigen Tonsatzharmonie-
und klangverstarkende Stimmen (-»■ Mittelstimmen),
die an der Satzstruktur relativ unbeteiligt sind. Die F.
erganzen zumeist einen innerhalb des Satzgefiiges feh-
lenden Harmonieton, was zu sprunghafter Stimmfiih-
rung fiihren kann (->■ Vagans); als Klangverstarker
konnen sie auch parallel zu einer Stimme verlaufen.
Fuga (lat., Flucht) bezeichnete seit dem 14. Jh. den
Kanon, seit Ende des 15. Jh. auch Arten der Imitation,
nahm aber seit dem 17./18. Jh. die spezielle Bedeutung
von Fuge an. Schon Jacobus Leodiensis (um 1330)
kannte die F. als ausgepragten Typ, denn er erwahnt
die Anwendung des Discantus infugis (CS II, 395) und
den Wechselgesang von 2 Sangergruppen ad modum
fugae bei den responsorialen Neumata (CS II, 339). Si-
cherlich ist damit der Kanon gemeint, da sich alle an-
deren Friihbelege eindeutig auf ihn beziehen: das
Verbum fugare kommt in der 2. Halfte des 14. Jh. im
Bereich der ->• Chasse und seit etwa 1400 neben dem
Wort F. besonders in Kanonanweisungen vor (Ciconia,
Matheus de Perusio, Oswald von Wolkenstein, Dufay,
Ockeghem u. a.). Kanontechnik wurde offenbar als ein
»Jagen« oder »Gejagt-Werden« (»Fliehen«) der Stimmen
aufgefaBt, was sich auch in den Namen -*■ Caccia und
Chasse ausdriickt. Seit der 2. Halfte des 15. Jh. erscheint
dieBezeichnung Missa ad f ugam bei Messen mit Kanon-
technik (Standlay, de Orto, Josquin Desprez, Palestri-
na). Neben anderen Theoretikern des ausgehenden 15.
Jh. (Tinctoris, Florentius de Faxolis, Gaffori) ist Ramos
de Pareja (1482) fur die F. wichtig, weil er die Mog-
lichkeit erwahnt, vom strengen Kanonverlauf abzu-
weichen. Das Vordringen der freien -*■ Imitation in
dieser Zeit fiihrte dazu, daB Zarlino (1558) die offenbar
nicht mehr klar abgegrenzten satztechnischen Termini
so bestimmte, wie sie bis ins 17./18. Jh. hinein zumeist
verstanden wurden: F. nannte er die streng intervall-
gleiche Nachahmung, die nur in Einklang, Quarte,
Quinte und Oktave erfolgen kann; als Imitatione da-
gegen bestimmte er die nicht streng Ganz- und Halb-
tonschritte beriicksichtigende Nachahmung, die sich
in den iibrigen Intervallen ergibt. F. und Imitation
konnen entweder kanonisch gebunden (legata) oder
frei (sciolta) weitergefiihrt verkufen. Aus der F. sciolta
entwickelte sich im 17. Jh. der spezielle Typ der -*■ Fu-
ge. Seine Verbreitung fiihrte dazu, daB im 18. Jh. die
F. legata in der seitlangem gleichbedeutenden Bezeich-
nung Canon aufging. - In der Musica poetica gehort
die F. (als F. realis, Burmeister 1606) zu den musikali-
schen Figuren, die Bildlichkeit annehmen konnen, und
»dient dazu, aufeinanderfolgende Handlungen auszu-
driicken« (servit quoque actionibus successiuis exprimendis,
Kircher 1650). Die »F., jedoch im anderen Sinn« (F.
alio nempe sensu, Janowka 1701) ist dagegen eine musi-
kalisch-rhetorische Figur, die durch schnelle, fliichtige
Bewegung einer oder mehrerer Stimmen gebildet
wird ; sie wird verwendet bei Wortern, die ein »Fliehen«
aussagen, steht aber sonst in keinem Zusammenhang
zur F. im satztechnischen Sinn.
20*
307
Fugara
Lit. : J. Tinctoris, Terminorum Diffinitorium musicae, CS
IV; ders., De arte contrapuncti, CS IV; B. Ramos de Pa-
reja, Musica practica, Bologna 1482, neu hrsg. v. J. Wolf,
= B1MG I, 2, Lpz. 1901 ; Fr. Gaffori, Practica musice,
Mailand 1496; Fl. de Faxolis, Liber musices (um 1495),
teilweise hrsg. v. A. Seay in : Musik u. Gesch., Fs. L. Schra-
de, Koln (1963); G. Zarlino, Istitutioni harmoniche, Ve-
nedig 1558, Neudruck Rochester 1954, Teil III iibers. u.
mit Kommentar hrsg. v. G. A. Marco, Chicago 1956; Rie-
mann MTh ; H.-H. Unger, Die Beziehungen zwischen Mu-
sik u. Rhetorik ira 16.-18. Jh., = Musik u. Geistesgesch.
IV,Wurzburgl941. KJS
Fugara (Vogara, von bohmisch fujara, Hirtenflote),
in der deutschen Orgel seit dem 17. Jh. (in Frankreich
erst nach 1850) ein Labialregister zu 8' oder 4' in mit-
telengerMensur mit scharf streichendem, hellemKlang.
Fugato (ital., fugiert), fugenmaBig gearbeiteter Ab-
schnitt (oftmals nur aus einer Exposition bestehend) als
Teil eines nicht vorwiegend in Fugentechnik geschrie-
benen Satzes. Fugati finden sich oft innerhalb der Satze
von Symphonien, Sonaten, Konzerten usw., besonders
bei Beethoven (z. B. im Allegretto der 7. Symphonie
und in der Durchfuhrung des 1. Satzes von op. 59, 1).
Fuge (lat. und ital. fuga; engl. und frz. fugue, Flucht),
ein musikalisches Werk, das streng stimmig gesetzt ist
(zwei- bis acht-, meist aber drei- oder vierstimmig),
das gepragt wird von einem charakteristischen, alle
Stimmen durchwandemden Thema, und das sinnfallig
mit diesem Thema in jeder der nacheinander einsetzen-
den Stimmen beginnt. Die F. unterscheidet sich vom
Kanon durch ihren freien Stimmenverlauf ; gegeniiber
der Imitation als einer kontrapunktischen Technik ist
sie durch formale Einheit ausgezeichnet. Kanon und
Imitation, welche ehemals beide den Namen ->■ Fuga
trugen, sind die Ahnen der F., die im 17. Jh. entstand
und in der Epoche J. S.Bachs iiberragende Bedeutung
gewann. Seit dem Zuriicktreten der F. um 1750 ist die
F.n-Komposition im wesentlichen als standig neue
Auseinandersetzung mit den Werken jener Bliitezeit
zu verstehen. - Die Bauweise der F. entzieht sich auf
Grund einer Vielfalt von Moglichkeiten alien Versu-
chen der generellen Bestimmung. Daher lassen sich
nur typische Ziige der F. exemplarisch veranschauli-
chen (hier an J. S. Bachs F. C moll, BWV 847, aus dem
Wohltemperirten Clavier I) :
Takt 13 5 7
Oberstimme
Mittelstimme —
Unterstimme
9 11
D
c
21 23 25 27 29 31
•WNAA/WWWl/WVWWW\« • M •• B •• AAAKAAW
■vvwwv
- = Thema (Subjekt)
- = beibehaltener Gegensatz (Kontrasubjekt) 1
- = beibehaltener Gegensatz (Kontrasubjekt) 2
freie Gegenstimme (Kontrapunkt)
D = Dux (Fiihrer, Guida, Proposta)
C = Comes (Gefahrte, Conseguente, Risposta)
Die Exposition (1. Durchfuhrung des Themas) umfaCt
die sukzessiven Themaeinsatze des Anfangs und wird
gemessen bis zum Ablauf des Themas in der zuletzt
einsetzenden Stimme (Takte 1-9). Dem einstimmig
vorgetragenen Thema in seiner Grundgestalt (Dux,
hier auf der 1. Stufe) folgt die im vorliegenden Fall
»tonale« -> Beantwortung durch das 2. Thema-Zitat
(Comes, hier auf der 5. Stufe). Da der Comes in die
Dominanttonart moduliert, ist eine RUckmodulation
eingefugt (Takte 5-6), bevor der 3. Einsatz (wiederum
als Dux auf der 1. Stufe) erfolgt. Die Gegenstimmen
zum Thema (Takte 3-5 und 7-9 der Mittelstimme)
werden in der vorliegenden F. bei alien Auftritten des
Themas beibehalten (Ausnahme : Takte 29-31, mit Ab-
weichungen: Takte 11-13 und 26-28) und deshalb
-> Kontrasubjekte genannt. Fiir die Exposition gilt
weithin, dafi alle Stimmen nacheinander, thematisch
und meist mit Abstand einer Themalange einsetzen.
Typisch ist das Verfahren der Beantwortung - in der
F.n-Lehre des 18. Jh. als ->■ Repercussio (- 3) bezeichnet :
es wechseln sich Dux mit Comes und dadurch in der
Regel auch Tonika- mit Dominanttonalitat ab. Vom
weiteren Verlauf einer F. lassen sich dagegen nur die
groben Umrisse verallgemeinern. Das Wiederauftre-
ten des Themas erfolgt in freier Anordnung, zuwei-
len als Neueinsatz einer pausierenden Stimme; es
vollzieht sich jedoch seltener in Einzelzitaten des The-
mas als in Gruppen, die weitere Durchfiihrungen bil-
den. Diese sind oft weder vollstandig (d. h. je Stim-
me ein Themaeinsatz) noch hinsichtlich des Dux-Co-
mes- Wechsels regelmaBig. Allerdings wird oft -* Eng-
f iihrung des Themas vorgenommen und zuweilen dabei
auch seine ->■ Augmentation (- 3), -> Diminution (- 2)
oder-* Umkehrung angewendet. Zwischenspiele (An-
damenti, Divertimenti oder Episoden), die vielfach
auf Elemente der Exposition zuriickgreifen und sie
weitertragen, vermitteln zwischen den thematischen
Strecken. Der Exposition folgen Partien, die in ver-
wandte Tonarten modulieren; der SchluB leitet in die
Ausgangstonart zuriick. Es ist jedoch irrefiihrend, von
diesem zwangslaufigen Modulationsschema her die F.
als eine »dreiteilige Form« zu bestimmen. Vielmehr ist
die F. ihrem Wesen nach formal often, erfiillt sich in
freier, scheinbar ungebundener Entf altung und bildet,
wenn iiberhaupt, individuelle, nicht typische Abschnit-
te. Die »Strenge« der F.n-Komposition liegt weder in
der Beachtung von »Regeln« noch in der Anpassung
an eine auBere »Form«, sondern in der Forderung nach
innerer, musikalischer Folgerichtigkeit des nicht vor-
gegliederten Ablaufs.
Die Geschichte der F. beginnt mit der Ubertragung
der Bezeichnung Fuga (im Sinne von Fuga sciolta)
auf ein ganzes Stuck und ist bis in die 2. Halfte des 17.
Jh. hinein nicht zu trennen von ->• Kanzone (- 2) , -> Ca-
priccio, -*■ Fantasie, ->• Ricercar und -> Tiento. Alle
diese Gattungen sind, obwohl sie ausnahmslos der In-
strumentalmusik (vorwiegend fiir Tasteninstrumente)
angehoren, dem Stylus motecticus (WaltherL) zuzu-
ordnen; sie verweisen durch Vokalduktus der Stim-
men und Mehrteiligkeit in unterschiedlichem Grade
auf ihre gemeinsame Herkunft aus der Motette. Mit
diesen nicht streng gegeneinander abgrenzbaren Ty-
pen wurde die F. zunachst gleichgesetzt, z. B. F.n (oder
wie es die Italiener nennen) Canzoni alia Francese (B.
Schmid der Jungere, Tabulaturbuch 1607). In der Fan-
tasia super Io sonferito lasso, Fuga quadruplici (Scheidt)
zeigt sich die Mehrdeutigkeit der Bezeichnung Fuga
am Vermerk concursus et coagmentatio omnium quatuor
fugarum beim Beginn der vierfachen Themenkombi-
nation. Weitere Friihbelege mit der Bezeichnung F.
finden sich u. a. in einer anonymen Tabulatur von 1593
308
Fuge
(W.Merian, Der Tanz ..., Leipzig 1927, S. 216f.), bei
H. L. Hafiler (darunter Psalmen und Christliche Gesang . . .
fugweifi componiert, 1607), in der Tabulatur von J.
Woltz (1617) und in Scheidts Tabulatura nova (1624).
In der 2. Half te des 17. Jh. setzte sich der Name F. durch
im Zusammenhang mit zunehmend einthemiger, ein-
heitlicher Bauweise, instrumental Thematik und
harmonisch-figurativem Satz. In J.Kriegers Anmuthi-
ger Clavier Uhung (1699) ist beispielsweise die Abgren-
zung von F. und Ricercar, dem Vokalitat und ruhiger
Rhythmus eigen sind, offenkundig. Die Bedeutung der
F. wuchs auch dadurch, daB sie seit Lully in die fran-
zosische Ouvertiire, seit Froberger in die Gigue der
Suite und seit den italienischen Meistern der Sonata da
chiesa in die Triosonate eindrang. In der C. f.-freien
Klaviermusik war die F.n-Technik, wenn auch unter
verschiedenen Bezeichnungen, seit A. Gabrieli und be-
sonders durch Sweelinck und Frescobaldi verwurzelt,
von denen sich sowohl die Haupttradition der selb-
standigen F. herleitet als auch jener Typ der von F.n-
Teilen durchsetzten Praeludien und Toccaten Buxte-
hudes, Muffats u. a. Die fugierte Choralbearbeitung,
ein anderer Seitenzweig der F., ist in der Sammlung
Hymnes de I'eglise pour toucher sur I'orgue, avec les fugues
et recherches sur leur plain chant (1623) von Titelouze
ausgepragt. Aus der Literatur selbstandiger F.n sind
Pachelbels Zyklus von Magnificat-F.n und die Minia-
tur-F.n in Murschhausers Octi-Tonium (1696) und J. C.
F.Fischers Ariadne Musica (1715) hervorzuheben. Ei-
genstandige Vokal-F.n konnten sich dagegen noch
nicht entwickeln; wohl aber ist in den Motetten und
(den meist noch nicht als solchen bezeichneten) Kanta-
ten des ausgehenden 17. Jh. fugische Satztechnik ge-
brauchlich, gelegentlich auch mit »instrumentaler«
Stimmfuhrung (Buxtehude, Cantate Domino canticum
novum). Im Werk J. S.Bachs wird die F.n-Tradition zu
ihrem Hohepunkt gefiihrt. Die friihen Orgelkompo-
sitionen zeigen deutlich das Ubernommene ; in denen
der Weimarer Zeit wird die Gegenuberstellung von
Praeludium (Toccata oder Fantasie) und F., die als ge-
trennte Satze miteinander korrespondieren, zur Regel;
auBerdem wachsen die Dimensionen (A moll, BWV
543; F dur, BWV 540) und die Intensitat (dorisch,
BWV 538) auf die spateren groBen Werke zu (Es dur,
BWV 552). Einfliisse der konzertanten F. (Branden-
burgisches Konzert Nr 4, BWV 1049) finden sich auch
in Orgel- (E moll, BWV 548) und Cembalokompo-
sitionen (Prelude der Englischen Suite E moll, BWV
810). Die Vokal-F. ist in Motetten, Kantaten, Messen
und Passionen reich vertreten, entweder als geschlosse-
ner Satz (Wer an ihn glaubet, BWV 68), als Satzteil (1.
Kyrie der H moll-Messe, BWV 232) oder in Abhan-
gigkeit zu nichtfugischen Chorpartien, wobei zuwei-
len der besondere Typ der ->■ Permutations-F. ver-
wendet wird. Bachs Bestreben, Werke in Zyklen zu-
sammenzuschlieBen, bekundet sich in den zweimal 24
Praeludien und F.n des Wohltemperirten Claviers (Teil
I, BWV 846-869, 1722; Teil II, BWV 870-893, bis
1744), einer Sammlung, die auch als Lehrwerk der F.
zentralen Rang hat, und in der Kunst der F. (1749-50;
BWV 1080, dem die Durchnumerierung folgt), die als
Hohepunkt der F.n-Komposition anzusehen ist. In die-
sem Werk wird in letzter Vollkommenheit bei einer
Vielfalt der Gestaltung geistige Einheit verwirklicht :
ein Grundthema, zu dem andere, darunter »BACH«
hinzutreten, durchzieht in immer neuen Themenver-
bindungen 19 F.n und Kanons, und das Aufgebot aller
kontrapunktischen Techniken unter Einbeziehung von
Gegen-F.n (Durchf iihrung des Themas und seiner Um-
kehrung, Nr 5-7), Spiegel-F.n (Umkehrung des ge-
samten Satzes, Nr 12-13), Doppel- (Nr 9-10), Tripel-
(Nr 8 und 11) und Quadrupel-F.n (die unvollendete
Nr 19) steht im Dienste bewundernswerter Ausdrucks-
kraf t und einer iiber das Musikalische hinausgreifenden
Symbolik. Neben den Werken J. S.Bachs sind die Vo-
kal-F.n aus Handels Oratorien durch pragnante The-
matik, besonders ubersichtlichen, oft sparsamen Satz
und durch die mit homophonen Chorabschnitten wir-
kungsvoll kontrastierende Anlage zu Vorbildern ge-
worden. Um die Mitte des 18. Jh. entstanden grundle-
gende Lehrschriften der F. (Scheibe um 1730, Matthe-
son 1739, Marpurg 1753-54). Mit dem gleichzeitigen,
einschneidenden Stilwandel zum freistimmigen Satz,
zur Herrschaft der Harmonik und motivischen Fort-
spinnungstechnik riickte die F. in den Hintergrund. Sie
verlor ihre Selbstandigkeit und lebte nun uberwiegend
in Bindung an zyklische Formen weiter. Die F.n-
Komposition wurde in der geistlichen Musik geradezu
als eines ihrer Stilmerkmale allgemein beibehalten und
laBt sich iiber die Messen und Oratorien von Haydn,
Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Brahms,
Bruckner u. a. bis ins 20. Jh. weiter verfolgen. Im zen-
tralen Schaffensbereich der Klassik, in Symphonie,
Streichquartett und Sonate, kames zu einer Synthese von
Sonatenf orm und F.n-Technik, wobei letztere entweder
als -> Fugato in den Durchfiihrungsteil des Sonaten-
satzes Eingang fand oder als »SchluBsteigerungs-F.« das
mehrsatzige Werk beschloB (Haydn, Quartette Nr 32,
35, 36, 47; Mozart, Quartett K.-V. 387 und »Jupiter-
Symphonie« C dur, K.-V. 551 ; Beethoven, Eroica-
Variationen op. 35 und Quartett op. 59, 3). Besondere
Bedeutung kommt der F. in den spaten Werken Beet-
hovens zu (op. 101, op. 106, op. 110, Quartett op. 131,
»GroBe F.« op. 133), dessen Aufierung, wonach heutzu-
tage in die althergebrachte Form ein anderes, ein wirklich
poetisches Element kommen muB, den Sinnwandel zeigt,
der fur einen Teil der F.n des 19. Jh. bezeichnend ist.
Bei den Romantikern, denen die F. im Grunde we-
sensfremd war, die aber deshalb in ihr geistige An-
naherung an das Vergangene suchten, lassen sich zwei
Wege der Begegnung mit der F. auf weisen, wenn auch
nicht streng trennen. An die Klassik, besonders an
Beethoven anknupfend, stellen z. B. Liszt (»Dante-Sym-
phonie«), Wagner (Meistersinger) und R.Strauss (Sin-
fonia domestica) die oft recht frei behandelte F.n-Tech-
nik in den Dienst einer programmatischen Idee. Dabei
wird die F. gelegentlich zur Tragerin negativer Cha-
rakterisierungen, etwa zum Bild des Chaos (Berlioz,
»Hexensabbath« der Symphonie phantastique), des Teuf-
lischen (Liszt, Mephisto der Faust-Symphonie) oder der
trockenen Gelehrsamkeit (R.Strauss, Von der Wissen-
schaft in Also sprach Zarathustra) . Andere Komponisten
suchten auf dem Wege iiber die Kunst Bachs und Han-
dels, also ohne die Vermittlung der Klassik, die F. als
geistige Ordnung in ihr Schaffen aufzunehmen, so z. B.
Mendelssohn (op. 7, op. 35, op. 37, op. 81, 4), Schu-
mann (BACH-F.n op. 60, op. 72, op. 126), Brahms
(Handel-Variationen op. 24) und Busoni (Fantasia con-
trappuntistica). Bruckner gelang es, beide Traditions-
linien giiltig zu vereinen (5. Symphonie). Ebenfalls
bedeutsam, doch wesentlich umfangreicher ist das F.n-
Schaff en Regers. Hier erf ahrt die spatromantische »Mo-
numental-F.«, die durch gewaltige dynamische und
agogische Steigerungen gekennzeichnet ist, ihre letzte
Auspragung (Orgel-F.n op. 29, op. 46, op. 57, op. 73,
Beethoven-, Hiller- und Mozart-Variationen) . Zugleich
aber ersteht bei Reger auch von neuem der Typ der in
sich ruhenden, »kleinen F.« (F.n fur Solovioline op. 42,
op. 91, op. 117, op. 131a sowie Klavier- und Orgel-
F.n). Die F.n-Lehre des 19. Jh. behandelt meist eine
»Schul-F.« als feste, vorgegebene Form, deren Be-
herrschung zum technischen Rustzeug des Kompo-
309
Fughetta
nisten gehort, deren Schematik jedoch nicht das We-
sen der F. in ihrer giiltigsten Auspragung trifft. In ver-
schiedenen Stilrichtungen der nachromantischen neue-
ren Musik des 20. Jh., in denen polyphone Prinzipien
vorherrschen, hat die F. mannigfache Verwendung,
aber zugleich einschneidende Wandlungen besonders
hinsichtlich der tonalen Anlage erfahren. Berg [Woz-
zeck, 1922), Strawinsky (Concerto per due pianoforti soli,
1935),Hindemith(LHd«j<ona/i5, 1943), Schostakowitsch
(24 Praeludien und F.n op. 87, 1951) und andere bieten
Beispiele sowohl f iir die fortdauernde Ergiebigkeit des
F.n-Prinzips als auch fiir das Weiterwirken der bedeu-
tenden F.n-Tradition.
Lit.: J. A. Scheibe, Compendium Musices theoretico-
practicum . . . , um 1 730, hrsg.v. P. Benary in : Die deutsche
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Marpurg, Abh. v. d. F., 2 Teile, Bin 1753-54, Lpz. 21806;
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1824, 21846; Th. Weinlig, Anleitung zur F„ Lpz. 1852 ; E.
Fr. E. Richter, Lehrbuch d. F., Lpz. 1859, 91921 ; H. Rie-
mann, Lehrbuch d. einfachen, doppelten u. imitierenden
Kontrapunkts, Lpz. 1888, "-61921, engl. Lpz. 1904; ders.,
Katechismus d. F.-Komposition, Lpz. 1890, 31914; A.
Halm, Von zwei Kulturen d. Musik, Miinchen 1913, Stutt-
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Kassel 31963; E. Gatscher, Die Fugentechnik M. Re-
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ders., Arte e tecnica della fuga, Rom 1953; Ph. T. Bar-
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Bachs konzertante F., Bach-Jb. XLII, 1955; U. Unger,
Die Klavier-F. im 20. Jh., = Kolner Beitr. zur Musikfor-
schung XI, Regensburg 1956; A. Mann, The Study of
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Wieber, Die Chor-F. in Handels Werken, Diss. Ffm. 1958 ;
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kationen d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 7,
Bern (1959); A. Adrio, Die F., H. I, = Das Musikwerk
XIX, Koln 1960; N. Linke, Die Orchesterf. in Spatroman-
tik u. Moderne, Diss. Hbg 1960, maschr.; Z. Gardonyi,
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1962; G. Pauly, G. Fr. Handels Klavierf., Diss. Saar-
brucken 1962; H. J. Pauly, Die F. in d. Orgelwerken D.
Buxtehudes, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XXXI,
Regensburg 1964; W. Kirkendale, F. u. Fugato in d.
Kammermusik d.Rokoko u.d.Klassik,Tutzingl966. KJS
Fughetta (ital.), kleine Fuge. Unter Bachs Fughetten
sind sicher vom Komponisten als solche bezeichnet
Variation 10 der Goldberg-Variationen (BWV 988)
sowie die Choralfughetten BWV 679, 681, 698, 699,
701-704. Aus dem 19. Jh. sind zu nennen: Beethoven,
Diabelli-Variationen op. 120, Variation 24; Schumann,
op. 68, 40 und op. 126; Reger, op. 80, 2.
Fulda (Hess en).
Lit.: Sacramentarium Fuldense S. Decimi, hrsg. v. G.
Richter u. A. Schonfelder, F. 1912; W. Lewalter, Zur
Gesch. d. fiirstbischoflichen Hofkapelle in F. im 18. Jh.,
F.er Geschichtsblatter XXXV, 1959; A. Gottron, »Ca-
pella Fuldensis« u. d. F.er Dommusik im 19. Jh., in: Musi-
cae Sacrae Ministerium, Fs. K. G. Fellerer, = Schriften-
reihe d. Allgemeinen Cacilien-Verbandes V, K61n 1962.
Fundamentbuch (von lat. fundare, den Grund, fun-
dus, zu etwas legen) ist im 15. und beginnenden 16. Jh.
die Bezeichnung fiir eine Folge methodischer Ubungs-
stiicke fiir Orgel oder Klavier, an denen die griff- und
satztechnischen »Grundzuge« des Tasteninstrumenten-
spiels dargelegt werden. Die Fundamentbucher geho-
ren zu den altesten Quellen der Instrumentalmusik auf
deutschem Boden. Das erste bedeutende F., C.Pau-
manns Fundamentum organisandi (1452, zusammenge-
bunden mit dem Lochamer Liederbuch; zwei weitere
Fundamentbucher Paumanns im Buxheimer Orgel-
buch), steht noch in der Nahe der instrumentalen Im-
provisationskunst des Mittelalters. Notiert in deutscher
-*■ Orgeltabulatur, lehren 2- und 3st. Beispiele das di-
minuierende und figurierende Umspielen eines for-
melhaften (ascensus simplex, ascensus per tercias, des-
census) oder Lied-C. f. im Diskant. Dariiber hinaus
baut H.Buchner sein F. (um 1520) nach einer einlei-
tenden Unterweisung in den Anfangsgriinden der Mu-
siklehre als eine Ars organistarum (Organistenlehre) in
3 Hauptstiicken auf: 1. via ludendi (Einfiihrung zum
Spielen auf Clavichord und Orgel), 2. ratio transferendi
compositas cantiones informant organistarum, quam tabula-
turam vocant (Methode des »Absetzens« mehrstimmi-
ger vokaler Kompositionen in die Orgeltabulatur), 3.
ratio quemvis cantum planum redigendi ad justas duarum,
trium aut plurium vocum diversarum symphonias, quam
rationem uno nomine fundamentum dicunt (fundamentum
im engeren Sinne des Wortes als die Methode der
zwei-, drei- oder mehrstimmigen Komposition und
Bearbeitung eines Cantus planus, zudem die Ars fugan-
di, die Lehre vom Kontrapunkt, der Imitation und vom
Kanon). - In den Orgel- und Lautentabulaturen, die
das F. um 1500 abzulosen beginnen, bezeichnet F. nur
noch den Teil, der dem Instrumentalisten die musikali-
schen Grundbegriffe, den »rechten Grund«, vermittelt.
Im Tabulaturcodex des B.Amerbach (1513) ist das
Fundamentum Kotters eine Tabelle von Tabulaturzei-
chen nebst deren Erklarungen. Das F. wird nicht mehr
als ein Lehrgebaude instrumentengerechten Spielens
und Komponierens verstanden. In J. Kuhnaus Kom-
positionslehre Fundamenta compositionis (1703) ist der
Begriff F. in seiner alten Bedeutung als umfassender
Lehrgang noch einmal aufgenommen.
Ausg.: C. Paesler, F. v. H. v. Constantz, VfMw V, 1889;
Locheimer Liederbuch u. Fundamentum . . . , Faks. hrsg.
v. K. Ameln, Bin 1925; Das Buxheimer Orgelbuch, Faks.
hrsg. v. B. A. Wallner, = DM1 II, 1, 1955; DASs.,hrsg. v.
ders., = EDM XXXVII-XXXIX, Kassel 1958-59.
Lit.: W. Merian, 3 Hss. aus d. Friihzeit d. Klavierspiels,
AfMw II, 1919/20; L. Schrade, Die hs. Uberlieferung d.
altesten Instrumentalmusik, Lahr 1931; Fr. Feldmann,
Ein Tabulaturfragment d. Breslauer Dominikanerklosters,
ZfMw XV, 1932/33; O. A. Baumann, Das deutsche Lied
u. seine Bearb. in d. fruhen Orgeltabulaturen, Kassel 1934;
G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels I, Bin 1935, 21959;
W. Gurlitt, J. Kotter u. sein Freiburger Tabulaturbuch
v. 1513, ElsaB-Lothringisches Jb. XIX, 1940; B. A. Wall-
ner, C. Paumann u. sein Werk, Zs. f. Kirchenmusik
LXX1V, 1954; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Ter-
minologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d.
geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; K. Hahn, J.
Kuhnaus »Fundamenta Compositionis«, Kgr.-Ber. Hbg
1956; H. J. Marx, Der Tabulatur-Codex d. Basler Hu-
manisten B. Amerbach, in: Musik u. Gesch., Fs. L. Schra-
de, Koln (1963); H. R. Zobeley, Die Musik d. Buxheimer
Orgelbuchs, = Miinchner Verbff. zur Mg. X, Tutzing 1964.
Fundamentinstrumente heifien bei Praetorius 1619
(nach Agazzari 1607) die^ur Ausfuhrung des General-
basses gebrauchten Instrumente, die des Akkordspiels
fahig sind (instrumenta omnivoea) und das rechte Fun-
dament vnd die Harmony fest vnd bestdndig halten, nam-
lich Orgel, Positiv, Regal, Cembalo und in einer stillen
310
Funktionsbezeichnung
Music Spinett, Laute, Theorbe usw. Den Gegenpart
hierzu bilden die Ornamentinstrumente, namlich Spi-
nett, Laute usw., wenn sie nicht als F. gebraucht wer-
den, und alle einfachen Instrumente (univoca seu sim-
plicia), die- kontrapunktierend und verzierend - die
Oberstimme(n) ausfuhren.
Fundamentum (lat., Grund) bezeichnet kraft seines
urspriinglich architektonischen Sinnes (/. dictum, quod
fundus sit aedificii, Isidorus, orig. XIX, 10, 2) im Spat-
mitteJalter den Charakter und erklart den Namen des
Tenors, »iiber den der Discantus gebaut wird( fundatur),
wie ein Gebaude iiber sein Fundament«, und welcher
Tenor heiBt, »weil er den Discantus halt und griindet«
(quia discantum tenet etfundat, Jacobus Leodiensis, CS II,
386a). Der Tenor ist nach Tinctoris (CS IV, 29b)/
totius relationis, d. h. das F. der tonalen, auch rhythmi-
schen und harmonischen Struktur der Komposition. -
Seit dem 16. Jh. (Zarlino) bezeichnet F. (ital. fonda-
mento; frz. fondement) neben und im Sinne von
-»■ Basis die BaBstimme (. .. supra Bassum velf., Prae-
torius, Synt. Ill, S. 80), im 17. Jh. speziell den General-
baB, weil dieser, nebst den Grund-Noten, auch die Harmo-
nic zugleich mit exprimiret (WaltherL, nach BrossardD).
Funkoper (engl. radio-opera; frz. opera radiopho-
nique; ital. opera radiofonica). Opern werden im
Rundfunk auf verschiedene Weise gesendet: Opern-
iibertragung ist die Direktsendung oder Wiedergabe
der Schallauf zeichnung einer Auf fiihrung im Theater ;
Sendeoper die »funkgemaBe« Bearbeitung fiir die
Sendung aus dem Studio (dramaturgische Straffungen,
Erlauterungen durch Sprecher usw.) ; Opernquerschnitt
eine Sendung (Schallaufzeichnung) von Teilen einer
Oper. - Da einerseits das Wirkfeld von Biihnenwer-
ken durch die Beschrankung des Rundfunks auf das
Akustische eingeengt wird, andererseits im akustischen
Bereich Stoffe gestaltet werden konnen, die sich der
sichtbaren Darstellung weitgehend entziehen (Mar-
chen, Traum mit unwirklichen Gestalten; Mystisches,
Abstraktes), entwickelte sich eine neue Kunstgattung
dramatischen Charakters: das eigens fiir den Rund-
funk geschriebene Funkwerk, das sich gliedert in die
Gattung des Horspiels (->• Horspielmusik), das auf dem
gesprochenenWortbasiert,undindiedesSendespiels(F.,
Funkoperette, Funkoratorium, Funkballade) , bei dem
die Musik dominiert. - Die erste Operniibertragung
durch Rundfunk fand, lange vor Beginn regelmaBiger
Sendungen in Deutschland, am 8. 6. 1921 aus der Berli-
ner StaatsopermitPuccinis Madatna Butterfly statt. Ende
1924 begann die sogenannte Sendespiel-Biihne des Ber-
liner Funkhauses mit Mozarts »Figaros Hochzeit« ihre
Opernproduktion, bei der dieWerke im allgemeinen in
der Originalf assung geboten wurden. Da die Dauer der
Aufnahmewilligkeit des Rundfunkhorers im allge-
meinen begrenzt ist (erfahrungsgemaB etwa 45 Minu-
ten), wurde nach und nach versucht, durch Kiirzungen
(Auswahl wichtiger Szenen) und verbindende Texte,
erweiterte Dialoge, Gerauschkulissen u. a. eine mog-
lichst »funkgerechte« Sendeoper zu produzieren. Nach-
dem seit 1924 Erfahrungen mit dem Horspiel gesam-
melt waren, konnte Ostern 1929 der Sender Leipzig
das originale Funkoratorium Rundfunkpassion von H.
Ambrosius auffiihren, bald danach die Deutsche Welle
das Sendespiel Mord von W. Gronostay (bereits eine
Vorform der F.) und am 24. 12. 1929 der Sender Koln-
Langenberg Christkindleins Erdenreise von G.Kneip, die
erste eigentliche F. Bis zum 2. Weltkrieg ist die F. vor
allem in Deutschland entwickelt worden. Herausra-
gende Werke sind: Columbus von Egk (Sender Miin-
chen, 1933), Das kalte Herz von M.Lothar (Deutsch-
landsender, 1935), Die schwarze Spinne von Sutermei-
ster (Radio Beromunster, 1936), DieGeschichte vom bra-
uen Kasperl und dem schonen Annerl von LJ.Kauffmann
(Sender Koln, 1937). Seit etwa 1940 fand die F. inter-
nationales Interesse; an ihrer Entwicklung beteiligten
sich vor allem die Schweiz, dann u. a. Frankreich, Ita-
lien und die USA. Wichtige F.n sind die Opera radio-
phoniqueT/iy/C/awvonWl. Vogel (Radio Genf, 1942),
Don Quichotte von Ibert (Radio Lausanne, 1947), ferner
The Old Maid and the Thief (Sender NBC, 1939) von
Menotti, die Trilogie Feeries mythologiques (Psyche;
Persephone; Pan) von P. Wissmer und C.Hornung (Ra-
dio Genf, 1949-51) in Musique concrete, dann P.
Schaeffers melodramatisch mit Zwolftontechnik ge-
staltete Pantomime lyrique Toute la Lyre (1951). Nach
1945 zeichnet sich in Deutschland eine »Literarisierung«
des F.n-Librettos ab, so z. B. in Ein Landarzt von Henze
(NWDR, 1951) nach Kafka, Die Briicke von San Luis
Rey von Reutter (Hessischer Rundfunk, Frankfurt am
Main, 1954) nach Th. Wilder, Die Verlobung in St.
Domingo von Zillig (NDR, 1957) nach Kleist. Gestal-
tungsmafiig hat sich die F. - mit der Tendenz zur Ver-
wendung funkischer Mittel (Beriicksichtigung der
Wortverstandlichkeit, kleinen Besetzungen und be-
sonderen Satztechniken) - immer mehr dem Melodra-
matischen, auch dem Balladesken genahert. In zuneh-
mendem MaBe findet ein modernes Instrumentarium
(praparierte Klaviere usw.) Verwendung und werden
die technischen Moglichkeiten des Rundfunkstudios
(Gerausche, Halleffekte) ausgenutzt. Seit 1950 sind in
die Entwicklung der F. die Klangmontage und die elek-
tronische Klangerzeugung einbezogen, wobei jedoch
noch immer die Faktoren wirksam bleiben, die den
Eigenschaftskomplex »opernhaft« ausmachen. Eine
Reihe F.n, die nicht auf die spezielle Technik des Rund-
funkstudios angewiesen sind, gelangten auch zur szeni-
schen Darstellung auf der Biihne, z. B. Egks Columbus,
Blachers Die Flut und Sutermeisters Die schwarze Spin-
ne. Die meisten F.n entstanden als Auftragswerke von
Rundfunkanstalten. Seit 1948 gibt es den Premio Italia
fiir funkeigene Musikwerke, mit dem u. a. ausge-
zeichnet wurden: Ifigenia von Pizzetti (1949), St.
Francois d' Assise von Honegger (1949) und Orestes von
Badings (1962). Im Rahmen der Berliner Festwochen
1961 wurden die F.n Escorial von H.-Fr.Hartig und
Der Doktor aus Clas von R.Vlad vom Sender Freies
Berlin uraufgefiihrt. - Der Typ des Funkoratoriums
wird durch Werke reprisentiert wie Battements du
Monde (1944) von Honegger und Die Passion des Pro-
metheus von Fr. Wohlfahrt (1955). -> Fernsehoper.
Lit.: H. Bredow, Aus meinem Arch., Heidelberg 1950;
Kl. Blum, Die F., Diss. Koln 1951, maschr.; ders., F.n als
musikdramatische Funkwerke, in: Die 3 groBen »F«.
Film, Funk, Fernsehen, = Musik d. Zeit, N. F. II, Bonn
(1958); S. Goslich, Die F., Musica XIII, 1959; W. Egk,
Musik- Wort -Bild, Miinchen 1960. - Vierteljahresschrift
Rundfunk u. Fernsehen, Hbg. 195 Iff.
Funktionsbezeichnung nermt H. Riemann die Chiff-
rierung der Harmonien mit T, S und D, die deren Be-
deutung fiir die Logik der Kadenzbildung klarstellt
(erstmalig in: Vereinfachte Harmonielehre, 1893). Auch
die kompliziertesten dissonanten Bildungen und Trug-
fortschreitungen sind dann zu verstehen als mehr
oder minder modifizierte Gestalten der drei allein we-
sentlichen Funktionsharmonien : Tonika- (T), Subdo-
minant- (S) und Dominantdreiklang (D). Diese sind in
Dur zunachst Durakkorde (T + , S + , D + ), in Moll Moll-
akkorde (°T, °S, »D); doch kann der S-Dreiklang in
Dur auch ein Mollakkord (°S) und der D-Dreiklang
in Moll auch ein Durakkord sein (D + ). Die mehr als
dreitonigen dissonanten Formen der Dominantharmo-
nien (Dreiklange mit hinzugefiigten charakteristischen
311
Funktionsbezeichnung
Dissonanzen) sind zunachst: S 6 , D 1 , S VI! , D VI . Dazu
kommen die scheinkonsonanten Formen, die den Klang
als einen Akkord gegenteiligen Geschlechts maskieren,
namlich die Stellvertretung der Quinte durch die Sexte
(£) in den Parallelklangen : Tp, Sp, Dp (in Moll: °Tp,
°Sp, °Dp) und die der Prime durch die kleine Gegense-
kunde (II °1, °2 I) in den Leittonwechselklangen : ■?,
&, © in Dur und 3 s , S, © in Moll (erstere 3 die Durprime
durch die kleine Untersekunde ersetzend, letztere 3 die
Mollprime durch die kleine Obersekunde, z. B. in A
moll 5F = a-c-f statt a-c-e, in C dur •? = h-e-g statt
c-e-g usw.) - alles Akkorde, fur deren Setzweise (Terz-
verdoppelung usw.) die Ableitung von den durch sie
vertretenen Hauptklangen maBgebend ist. Leiterfrem-
de Tone einfuhrende Harmonien stellen sich meist als
Dominanten ihnen folgender einfacherer Funktions-
harmonien heraus (-»- Zwischendominanten) und wer-
den dementsprechend bezeichnet. Zur direkten Be-
zeichnung der Oberterz- und Unterterzklange fiihrte
Riemann in seinen Analysen der Beethoven-Sonaten
die F.en 3 + fur den Oberterzklang und III + fiir den
Unterterzklang in Dur, °III fiir den Unterterzklang und
°3 fiir den Oberterzklang in Moll ein (z. B. 3 + in C dur
= e-gis-h, III + in C dur = as-c-es; °III in A moll
= f-as-c, °3 in A moll = c-es-g). Zur Bezeichnung der
-»- Varianten bediente er sich der Chiffren Tv (in C dur
= c-es-g) und °Tv (in A moll = a-cis-e). Zahlen bei den
F.en, z. B. D 7 , fordern dissonante Zusatztone, Durch-
streichen des Buchstabens bedeutet den Ausfall der Prim
(z. B. 07 in C dur = h-d-f). Chromatische Hoch-
oder Tiefalteration wird durch das Zeichen < bzw. >
7
angegeben (z. B. D 5> in C dur = g-h-des-f). Wenn
auch die von der jeweiligen Tonart unabhangigen F.en
heute nicht mehr alien Anforderungen einer wissen-
schaftlich exakten Analyse genugen (genauere Be-
zeichnungen wurden u. a. von W. Keller auf der Basis
der Noten-Reinschrift A.v. Oettingens entwickelt),
so werden sie doch den Anspriichen des Tonsatzunter-
richts eher gerecht als die -> Stufenbezeichnungen. Die
F.en verdeutlichen in klarer Weise die strenge Logik
aller Harmoniebewegung. Einfache und schwerer ver-
standliche Wendungen treten als solche auch in der
Bezeichnung sof ort hervor. F.n sollten freilich nur auf
dur-moll-tonale Musik angewandt werden - im we-
sentlichen also auf die Musik vom 18. bis zum Beginn
des 20. Jh. (bis zu R. Strauss, Pfitzner, Reger, dem jun-
gen Schonberg u. a.). H.Erpfs Bemiihen, auch tonale
Musik aus der Zeit nach Auflosung der Funktionshar-
monik mit Hilfe der F.en zu analysieren, vermag daher
nicht immer za iiberzeugen ; urn so wertvoller ist der
Reichtum seiner Untersuchungen, die sich im 3. Ka-
pitel seiner Studien (1927) auch auf »funktionslose Zu-
sammenhange«, darunter die »Zwolf-T6ne-Musik« er-
strecken. Im Gegensatz zu S.Karg-Elerts extrem duali-
stischer (polaristischer) Harmonielehre, worin an Stelle
von Subdominante von Kontradominante gesprochen
wird (Kontradominante von C dur zwar f-a-c, von A
moll aber e-g-h als Spiegelung der Funktionsverhalt-
nisse von C dur, ->■ Dualismus), hat H.Grabner die F.
Riemanns iibernommen, jedoch die F.en ihrer dualisti-
schen Zutaten entkleidet und sie im monistischen Sinne
verwendet. Auf Grabner beruhen mehrere bekannte
Harmonielehren des 20. Jh., wie die von H.Distler
und W.Maler. Den Mollsubdominantdreiklang mit
tiefalterierter Sexte ohne Quinte - nach Riemann
der Leittonwechselklang der Mollsubdominante (S) -
6
bezeichnet Maler mit s n (= s?). Die in der Spatphase
der dur-moll-tonalen Musik haufigen chromatisch al-
terierten Klange, die zum f olgenden Akkord nur leit-
tonig sind und eine eindeutige dominantische Wurzel
nicht mehr erkennen lassen, nennt er »freie Leittonein-
stellungen«. Fr. Neumann fafSt diese und ahnliche Bil-
dungen als Verselbstandigung der oberen und unteren
Nebennoten (»Wechseltone«) von Funktionsharmo-
nien auf und gibt ihnen den Namen »StrebeklSnge«.
Lit.: H. Riemann, Vereinfachte Harmonielehre oder d.
Lehre v. d. tonalen Funktionen d. Akkorde, London u.
NY 1893, 21903; Riemann MTh; ders., L. van Beethovens
samtliche Klaviersolosonaten. Asthetische u. formal-tech-
nische Analyse mit hist. Notizen, 3 Bde, = M. Hesses illu-
strierte Hdb. I— III, Bin 1918-19, 41920; A. v.Oettingen,
Harmoniesystem in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz.
1866, als: Das duale Harmoniesystem, Lpz. 2 1913; H.
Grabner, Die Funktionstheorie H. Riemanns u. ihre Be-
deutung f. d. praktische Analyse, Miinchen 1923, 2 1930;
ders., Allgemeine Musiklehre, Stuttgart 1924, Kassel
71959; ders., Hdb. d. Harmonielehre, 2 Bde, Bin 1944,
2 1955 ; H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d.
neueren Musik, Lpz. 1927; E. Kirsch, Wesen u. Aufbaud.
Lehre v. d. harmonischen Funktionen, Habil.-Schrift Bres-
lau 1928; S. Karg-Elert, Akustische Ton-, Klang- u.
Funktionsbestimmung, Lpz. 1930; ders., Polaristische
Klang- u. Tonalitatslehre, Lpz. 1931 ; W. Maler, Beitr. zur
Harmonielehre, Miinchen u. Lpz. 1931, dass. neu bearb.
mit G. Bialas u. J. Driessler als: Beitr. zur durmolltonalen
Harmonielehre, ebenda^l 950, Miinchenu. Duisburg 4 l 957;
K. Dennecke, Die Kompositionslehre H. Riemanns, Diss.
Kiel 1937; H. Distler, Funktionelle Harmonielehre, Kas-
sel 1940; Fr. Neumann, Synthetische Harmonielehre, Lpz.
1951 ; H. Federhofer, Die Funktionstheorie H. Riemanns
u. d. Schichtenlehre H. Schenkers, Kgr.-Ber. Wien 1956;
W. Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre I, Regensburg 1957.
Furiant, ein schneller, feuriger bohmischer Tanz,
weist als Volkstanz die Eigentumlichkeit des Takt-
wechsels (2/4 und 3/4) auf, wie ihn auch der -> Zwie-
fache kennt. Der F. wird bei D.G.Tiirk (Klavierschule,
1789, S. 400) als Beispiel angefiihrt und »Furie« ge-
nannt. In der Kunstmusik des 19. Jh. ist er durchgehend
im 3/4-Takt notiert, wobei durch Verschiebungen des
Taktschwerpunktes scharf akzentuierter Hemiolen-
rhythmus erreicht wird, z. B. Dvorak, Zwei F.en fiir
Kl. op. 42 (1878) und F. in der 6. Symphonie op. 60,
3. Satz (1880) sowie der bekannte F. aus Smetanas
»Verkaufter Braut« (1866) :
Allegro energico
i2j i"^ ^
Furlana -> Forlana.
Fusa (lat., nota oder figura f., wohl von fusus, Sprosse)
heifit in der Mensuralnotation eine Note mit Fahn-
chen : ♦ oder q. Sie gilt die Half te der entsprechenden
Note ohne Fahnchen (Minima oder Semiminima).
Fufitonzahl bezeichnet die Tonhohe eines Orgel-
registers. Zur Abkurzung der F. dient ein ' bei der Zahl
(16', 8', 4'). FuB ist ein altes nach Land, Ort und Zeit
variables LangenmaB von etwa 30 cm. Eine offene
Labialpfeife im Ton (groB) C miBt ungefahr 8 FuB
(= ca. 2,40 m, je nach Weitenmensur etwas verschie-
den). Daher heiBen alle Orgelregister, die auf der Taste
C den Ton (groB) C bringen, achtfuBig, auch wenn sie
als Gedackte nur 4'-Lange haben. Sie khngen in der ge-
schriebenen Tonhohe (Aquallage). Entsprechend erge-
ben sich fiir die verschiedenen FuBtonbezeichnungen
(-> Grundstimme - 2, ->■ Aliquotstimmen) folgende
Tonhohen : 32' = 2 C, 16' = iC, IO2/3' = iG, 8' = C, 51/3'
312
fz
Decima nona
= H/3
' bzw.
22/s'
Vigesima seconda
= 1'
bzw.
2'
Vigesima sesta
= 2 / 3 '
bzw.
IV3'
Vigesima nona
= 1 / 2 '
bzw.
1'
Trigesima terza
= ! /3'
bzw.
W
Trigesima sesta
= V4'
bzw.
V2'
= G, 4'=c, 31/5' = e, 22/3' =g, 22//= b, 2' = ci, U/j'
= ei, li/ 3 '= gl, 11//= bi, l'=c2, 8 / 9 '=d2, t/ 5 ' ==e 2,
2 /3'=g 2 usw. bis 1 /io'= e5 - 6' in barocken Angaben
ist 51/3', 3' = 22/ 3 ', H/2'= IVs', l s /«' und 14/ 3 '= 13/,'.
Prinzipal 24' heiBt : der 32' beginnt erst in der 24'-Lage,
also bei (groB) F. Auch 8 /n', 8/13', 8 /i 5 ' werdenheute
gebaut. Der italienische Orgelbau bezeichnet die Re-
gister nicht nach F.en, sondern zahlt vom Grundton
aus die Entfernung in diatonischen Stufen. So ist
Ottava auf Prinzipalbasis 8' der 4', auf 16'-Basis der 8' :
Duodecima = 2 2 / 3 ' bzw. 5 ! /3'
Decima quinta = 2' bzw. 4'
Decima nona = l 1 /
Vigesima seconda = 1'
Vigesima sesta = 2 / 3 '
Vigesima nona = 1/2'
Trigesima terza = i ji
Trigesima sesta = V4'
Die spanische FuBtonbestimmung geht aus von Tapada
oder Tapadillo de 13 als Norm (= 8'), 26 entsprechen
dem 16', 52 dem 32'. Die kleinen MaBe (4', 2', 1') ha-
ben besondere Namen nach Stufenzahl (Octava, Quin-
cena, Xanto en 2). Die Quintstimmen gehen aus von
Nasardo (= Quint 22/ 3 '), Docena de 26 (= 51/3'); Oc-
tava de nasardo (= I1/3') geht auf Diezmonovena (19)
zuriick.
Futurismus (ital. futurismo) nannte eine Vereinigung
junger Dichter, Maler und Musiker Italiens ihre Kunst-
richtung, die laut der ersten Formulierung ihres Pro-
gramms durch F. T. Marinetti (Le Figaro, Paris, 20. 2.
1909) den radikalen Bruch mit der Vergangenheit for-
derte und die technifizierte Welt zum einzig kunst-
wiirdigen Gegenstand erklarte. Gleichgesinnte Grup-
pen bildeten sich u. a. auch in Deutschland (H. Walden,
1910;->-Expressionismus),RuBland(S.Sewerjan, 1911)
und Frankreich (Albert-Birot, 1916). Im Vorwort sei-
ner Musica Futuristica per Orch. op. 30 (erschienen im
Klavierauszug 1912, aufgefiihrt 1913) setzte Fr.B.Pra-
tella dem musikalischen F. das Ziel, »der Masse, den
groBen Industriebetrieben . . . Panzerkreuzern, Auto-
mobilen und Flugzeugen die musikalische Seele zu ge-
ben. Den groBen innersten Motiven der Tondichtung
das Reich der Maschine . . . hinzuzufiigen«. Das Werk
selbst bediente sich auf relativ niederem Niveau der
Ganztonleitermelodik, symmetrischen Rhythmik und
Tritonusharmonik, und hatte, wie auch Pratellas Flie-
geroper L'Av iatore Dro (1920), musikalisch keine Zu-
kunft. In einem offenen Brief an Pratella (Corriere di
Napoli, 20./21. 3. 1913) schlug der Maler-Musiker L.
Russolo vor, Gerausche als Material musikalischer Ge-
staltung zu verwenden ; auch lief erte er eine Systematik
der Gerausche und fiihrte 1913 seine zusammen mit U.
Piatti konstruierten Gerauschinstrumente (intonaru-
mori) offentlich vor. Ein zweites, mit Marinetti veran-
staltetes Konzert in Mailand (1914), mit Kompositio-
nen wie »Die Versammlung der Autos und Flugzeuge«
und »Uberfall in der Oase«, loste einen Kampf zwi-
schen Futuristen und Publikum aus. Den Hohepunkt
des musikalischen F. bezeichnet wohl das Konzert
(1921) im Theatre des Champs-Elysees in Paris (mit
Milhaud und Strawinsky als Zuhorern) ; Intonarumori,
in zwei kurzen und einfachen Stiicken (II Cappuccino
und Corah) zusammen mit einem herkommlichen Or-
chester eingesetzt, entfachten auch hier einen Presse-
sturm. Wahrend Marinetti den F. an den Faschismus
verriet und am 29. 3. 1934 in Berlin als Vorkampfer
des Faschismus in Italien gefeiert wurde (Manifest Stile
futurista, 1934), widmete sich Russolo der Verbesse-
rung seiner Bruiteurs futuristes. Es gelang ihm, sie im
Rumorarmonio, in Frankreich auch Russolophone ge-
nannt, zu einem Instrument fur das ungestufte Reich
der Gerausche zu vereinen, das er 1929/30 A.Honegger
und E. Varese vorfiihrte. Eine Verwirklichung der Idee
des musikalischen F., der nach Pratella »die neue Ord-
nung der Unordnung begriinden« wollte (Mailand,
18. 7. 1912), gliickte - ohne futuristische Instrumente -
annahernd erst Varese mit Werken wie Hyperprism
(1923) und Ionisation (1931).
Lit.: L. Russolo, L'arte dei rumori, Mailand 1916, frz.
Neudruck als: L'art des bruits, Paris 1954: Fr. B. Pratel-
la, Appunti biogr. e bibliogr., Ravenna 1931 ; ders., Evo-
luzione della musica dal 1910 al 1917, 2 Bde, Mailand
(1918); N. Slonimsky, Music Since 1900, NY 1937, 31949;
Fr. K. Prieberg, Lexikon d. neuen Musik, Freiburg i. Br.
u. Miinchen 1958; ders., Musica ex machina, Bin, Ffm. u.
Wien 1960; H. H. Stuckenschmidt, Die Ordnung in d.
Freiheit, Melos XXIX, 1962; Chr. Baumgarth, Gesch. d.
F., Hbg 1966. RG
fz (forzato, ital.).
sff ; -> sforzato.
ffz (forzatissimo), identisch mit sf,
313
G, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -»■ Buchstaben-
Tonschrift ist G im allgemeinen die 7. Stufe, im
System der Kirchentone Finalis des 7. und 8. Tons
(Mixolydisch und Hypomixolydisch). Der Ton unter
dem tiefen A wird bis ins 16. Jh. im Sinne der griechi-
schen Musiktheorie als hinzugefiigter verstanden und
-*■ Gamma genannt. Seit Zarlino (1571) ist der Ionius
auf C primo modo; dadurch rtickte G an die 5. Stelle
der Normalskala. Bei den romanischen Volkern hat
die Solmisationssilbe Sol den Buchstaben verdrangt.
Die Erniedrigung um einen Halbton heiBt Ges (engl.
G flat; frz. sol bemol; ital. sol bemolle), um 2 Halbtone
Geses (engl. G double flat; frz. sol double bemol; ital.
sol doppio bemolle), die Erhohung um einen Halbton
Gis (engl. G sharp; frz. sol diese; ital. sol diesis), um 2
Halbtone Gisis (engl. G double sharp; frz. sol double
diese; ital. sol doppio diesis). - 2) Schliissel: Der Ton
g 1 wird in Choralhandschriften selten, in mehrstim-
migen Manuskripten seit der St.-Martial-Zeit haufig
durch -> Schliissel bezeichnet. Urspriinglich wurde
der gewohnliche Buchstabe geschrieben, der erst all-
mahlich die heutige Form des G-Schliissels annahm.
Dieser wurde im 17.-18. Jh. als Violinschliissel auf der
2. Linie oder als Franzosischer Violinschliissel auf der
1. Linie des Liniensy stems vor allem in der Instrumen-
talmusik verwendet. Uber das Klavierlied drang er
schon bald auch in die Vokalmusik ein, verdrangte
hier aber erst seit 1800 den Diskantschliissel. Der G-
Schliissel auf der 2. Linie wird auch fur die Notierung
der Tenorstimme herangezogen; er bezeichnet dann
nicht gi, sondern g, entweder ohne Zusatzzeichen (so
schon kurz nach 1800 in Klavierausziigen), wo sich die
oktavierende Ausfuhrung aus dem Zusammenhang er-
gibt, oder mit Zusatzzeichen (heute meist eine kleine 8
am Fufie des Schliissels). Der tiefe G- (eigenthch Gam-
ma-)Schliissel, der im 16.-17. Jh. gelegentlich (meist
zusammen miteinem F-Schliissel) auftritt, erlangte kei-
ne praktische Bedeutung. - 3) Seit Anfang des 19. Jh.
werden in theoretischeriWerken Akkorde mit -> Buch-
staben-Tonschrift bezeichnet (G bedeutet den G dur-
Dreiklang, g den G moll-Dreiklang) ; im -> Klang-
schliissel treten Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine
Tonart nur durch ihren Grundton zu bezeichnen, wur-
de im 19. Jh. entsprechend den Akkordbezeichnungen
so ausgelegt, daB G fur G dur, g fur G moll stand.
- 4) Abk. fiir frz. gauche, m. g. = main gauche (linke
Hand).
Gabelgriffe (engl. cross fingering) sind auf Blasin-
strumenten mit Grifflochern Griffe, bei denen die ge-
deckten bzw. offenen Grifflocher nicht (wie bei Nor-
malgriffen) in ununterbrochener Folge liegen. G. sind
auf Instrumenten mit diatonischer Grifflochfolge im-
mer notwendig bei chromatischen Tonen, bei der
Blockflote mit barocker Griffweise auch fiir die diato-
nische 4. Stufe. Daneben sind G. oft notig, um die In-
tonation zu korrigieren. Mit G.n erzeugte Tone klin-
gen matter als die mit Normalgriffen erzeugten. Auf
der Querflote und der Oboe werden G. seit dem 18. Jh.
mehr und mehr durch vermehrte (chromatische) Griff-
locher im Zusammenhang mit ->- Klappen vermieden.
Gabelklavier ->- Adiaphon (- 2).
Gagaku(japanisch), die »vornehme Musik«, bezeich-
net die seit der Heian-Zeit (etwa 9.-12. Jh.) am japani-
schen Hof gepflegte und bis heute fast unverandert
iiberlief erte Tonkunst. Sie spiegelt in ihren verschiede-
nen Elementen von Lied und Tanz der alten japani-
schen Tradition, von neuerer, instrumentalbegleiteter
Vokalmusik und von aus anderen Teilen Asiens (u. a.
China, Indien, Korea) eingefiihrten oder in diesem Stil
neukomponierten Werken die im Laufe der Geschichte
der japanischen Musik wirksam gewordenen Einfliisse
wider. Die orchesterbegleiteten Tanze des ->• Bugaku
sind in dem Gesamtkomplex G. einbegriffen.
Lit.: E. Harich-Schneider, The Rhythmical Patterns in
G. and Bugaku, = Ethno-Musicologica III, Leiden 1954,
dazu L. Picken u. E. P. Ceadal in: ML XXXVI, 1955; H.
Eckardt, Das Kokonchomonshu d. Tachibana Narisue
als mg. Quelle, =G6ttinger Asiatische Forschungen VI,
Wiesbaden 1956; W. P. Malm, Japanese Music and Mus.
Instr., Rutland (Vt.) u. Tokio 1959.
Gagliarda (gaX'arda, ital.) -»■ Galliarde.
Gaillarde (gaj'ard, frz.) -> Galliarde.
Gaita (kastilisch und galicisch-port., wahrscheinlich
von gotisch gaits, Ziege, GeiB; vom Spanischen ins
Arabische, Tiirkische und in die Balkansprachen als
gajda, gajde), eine -> Sackpfeife (meist in Zusammen-
setzung wie g. gallega, g. asturiana). Daneben kommt
g. als Bezeichnung fiir Schalmei vor (g. zamorana), ge-
legentlich auch fiir Drehleier.
Galanterien wurden im 18. Jh. gewohnlich kleinere
homophone Satze ahnlich dem Air und einzelne Sui-
tentanzsatze genannt, vornehmlich fiir Tasteninstru-
mente. So hetfit es im Titel zu J. S. Bachs Clavier-Ubung
I. Teil (1731): bestehend in Praeludien, Allemanden, . . .
Menuetten, undandem G. {-*■ Galanter Stil).
Galanter Stil (frz. galant, s. v. w. elegant, modern).
Das Modewort galant, aus dem Franzosischen iiber-
nommen, wurde zuerst um 1700 in der deutschen Dich-
tung heimisch als Bezeichnung einer aristokratisch ori-
entierten, spielerisch-erotischen Gesellschaftspoesie in
witzig-pointierten Kleinformen. In der Musiklehre be-
gegnet es gelegentlich bei J. G.Walther (Praecepta 1708,
II, 10), Heinichen (1728), Scheibe (um 1730) und Mat-
theson (1739), um bei Quantz (1752) und C. Ph. E. Bach
(1753, Vorrede: . . . bald nach der Strenge der Harmonie,
bald galant . . . ) zur haufig verwendeten Kennzeich-
nung eines Grundzuges der neuen./reyen Schreibart zu
werden. Diese setzte sich bewuBt ab vom gebundenen,
gelehrten oder gearbeiteten Stil des Hochbarocks ein-
schlieBlich J. S. Bachs. Ihre asthetischen Forderungen
314
Galliarde
zielen auf Deutlichkeit und Klarheit, Zierlichkeit, An-
mut und Gefalligkeit der Musik als einer ausdrucksvol-
len Klangrede. Gegeniiber der alteren Auffassung vom
einheitlichen Affekt eines Tonstiicks soil jetzt die Mu-
sik durch angenehme Mannigfaltigkeit uberraschen.
Sie soil unmittelbar verstandlich sein und sich das Ohr
des genieBenden Liebhabers und nicht das Auge des
scharfsinnigen Kenners zum Richter wahlen. Ausge-
pragte Fiihrung einer kantablen Melodie iiber sparsa-
men und harmonisch durchsichtigen Begleitstimmen,
kleine Formen, kleine und kleinste Symmetriebildun-
gen und Motivwiederholungen (ein grazios prononzier-
tes Mehrmalsagen im Sinne der zeitgenossischen, feinge-
schliffenen Konversationsmanier, Biicken Hdb.), die aber
durch reiche und variative Ornamentik aufgelockert
werden, kontrastierende Dynamik, Beschleunigung
der langsamen Satze (Bevorzugung des Andante) sind
musikalische Merkmale des G.n St.s. Seine wichtigsten
Komponisten in der ersten Generation sind - mit ein-
zelnen Werken und Werkgruppen - in Frankreich Fr.
Couperin (le grand), in Italien D. Scarlatti, in Deutsch-
land Keiser und Telemann. Bezeichnend sind z. B. die
Six Sonates en quatuors ou conversations galantes et amu-
santes ... von Guillemain (1743) una J.W.Gorners
Sammlung Neuer Oden undLieder (1742), in deren Vor-
rede es heiBt: Das Gefallige, das Reizende, das Scherzen-
de, das Tandelnde, das Verliebte, das Lustige ist in den Me-
lodien mein Vorwurf gewesen. Zu einer zweiten Gene-
ration, in der die zartlich-elegische Komponente des
G.n St.s starker hervortritt, gehoren u. a. Pergolesi,
Sammartini, Galuppi sowie die Norddeutschen Ge-
briider Graun, Quantz, auch C. Ph. E.Bach. Doch la(3t
sich keiner dieser Komponisten unter der Bestimmung
G. St. ganz erfassen. Die expressive Melodik mancher
(Adagio-)Satze, die sich ausbreitende Seufzermotivik,
die Dur-Moll-Riickungen und harmonischen Aus-
weichungen in entlegene Tonarten, der Schwung und
die freieren Bogen vieler thematischer Bildungen zei-
gen den Einbruch eines neuen, gefuhlsbetonten Aus-
druckswillens an, der zunachst als ->• Empfindsamer
Stil in und neben dem G.n St. bemerkbar ist, ihn all-
mahlich zuriickdrangt und ihn als musikalischer Sturm
und Drang uberwindet. Galanter und Empfindsamer
Stil bilden die beiden Teilaspekte des musikalischen
Rokokos. Dementsprechend finden sich in der Musik-
lehre - vor allem bei Quantz - neben den galanten
Stilbestimmungen andere asthetische Begriffe, die das
neue Ideal der Natiirlichkeit, Wahrheit und edlen Ein-
falt (so Mattheson schon vor Winckelmann), des be-
seelten Gesangs, der Riihrung des menschlichen Her-
zens (Dubos' toucher) zum Inhalt haben und insgesamt
die Forderung nach dem Ausdruck reiner menschli-
cher Empfindungen (= Gef iihle) umschreiben. Quantz'
Begriff des Vermischten Geschmacks, zunachst nur als
deutsche Vermittlung und als Uberwindung der Na-
tionalstile gemeint, bedeutet zugleich ein erstes Selbst-
verstandnis der Musik als einer allgemeinen, universel^
len Sprache. Aus dem Gedankengut des G.n St.s ent-
wickelten sich, unter Aufnahme englischer (Shaftes-
bury, Young) und franzosischer Einfliisse (Rousseau),
die Ideen der Empfindsamkeit und des Sturm und
Drangs und bereiteten die neue kunsttheoretische
Grundlegung der Klassik und Romantik vor. So auch
fuhrten die jiingeren Komponisten der galanten und
empfindsamen Periode (Schobert, J. Chr. Bach, Mann-
heimer und "Wiener Vorklassik), von der auch Haydn
und der junge Mozart noch ausgehen, den.Instrumen-
talstil iiber den musikalischen Sturm und Drang bis an
die SchweOe der Wiener Klassik.
Lit. : Quantz Versuch ; A. Scherino, Die Musikasthetik d.
deutschen Aufklarung, ZIMG VIII, 1906/07; ders., C. Ph.
E. Bach u. d. »redende Prinzip« in d. Musik, in : Vom mus.
Kunstwerk, hrsg. v. Fr. Blume, Lpz. 2 1951; E. Bucken,
Der G. St., Zf Mw VI, 1923/24; ders., Die Musik d. Roko-
kos u. d. Klassik, Bucken Hdb. ; R. Schafke, Quantz als
Asthetiker. Eine Einfuhrung in d. Musikasthetik d. G. St.,
AfMw VI, 1924; W. Dahms, The »Gallant« Style of Mu-
sic, MQXI, 1925;P.Gradenwitz, Mid-1 8 tb -Cent. Trans-
formations of Style, ML XVIII, 1937 ; H. H. Eggebrecht,
Das Ausdrucksprinzip im mus. Sturm u. Drang, DVjs.
XXIX, 1955 ; L. Hoffmann-Erbrecht, Der »G. St.« in d.
Musik d. 18. Jh., StMw XXV, 1962. PS
Galliarde (ital. gagliarda, Femininum zu gagliardo,
stark, rasch; frz. gafllarde; engl. gaillard; span, gallar-
da), ein - seinem Namen entsprechend - ausgelassener
und keeker Tanz des 16. und 17. Jh. von franzosischer
oder italienischer Herkunft, der als pantomimischer
Paartanz (Werbetanz) ausgefiihrt wurde. Schon Bo-
jardos Dichtung Orlando innatnorato (1480) belegt die
G. in der Lombardei; die altesten musikalischen Belege
enthalt die Sammlung Six Gaillardes et six Pauanes . . .
(1529) von P. Attaingnant. Die G. steht hier im Dreier-
takt und ist vorwiegend dreiteilig, homophon und aus
geradzahligen Taktgruppen zusammengesetzt:
Die G. tritt zwischen 1550 und 1650 vielfach in Ver-
bindung mit der -*■ Pavane auf, der sie, den Saltarello
ersetzend, als schnellerer Nachtanz folgt; dabei enthalt
die G. in der Regel die in den Tripeltakt umgef ormte
melodisch-harmonische Substanz der vorangestellten
Pavane :
Pavane ferrarese
Aus Liber primus leviorum carminum, Lowen 1571.
Oft wird an beide Tanze noch ein dritter angehangt
(Tourdion, Ripresa, Recoupe), der wiederum schneller
ist als die G. Die Kopplung gleicher Tanzmelodien in
verschiedener Taktart war bereits in der Vulgarmusik
des Mittelalters Brauch als ein Verfahren zur Reper-
toireerweiterung. Im 17. Jh. entstand aus dem Tanz-
paar nach demselben Umformungsprinzip die Varia-
tionensuite. - In England zur Zeit Shakespeares sind
sink-a-pace, sinque-pace, sinco-pas Bezeichnungen fur
die G. Dazu erklart Praetorius fSynt. Ill, 24), daB ein
315
Gallikanischer Gesang
Galliard fiinff tritt hat / vnd dahir ein Cincquebafi genennet
wird; demnach hat als Schrittfolge fiir die G. zu gelten
(*= Sprung):
lrlr*lrlrl*rl...
123 456 123 456 1 ...
Unrichtig ist, die G. mit der -* Romanesca zu identifi-
zieren, da diese nur eine bestimmte Melodieform der
G. darstellt. - Bereits um 1600 war die G. hoffahig; sie
wurde zumeist instrumental ausgefiihrt, doch schloB
dies nicht aus, daB bifiweilen amorosische Texte darunter
gesetzt seyn j welche sie in Mascaraden selbst singen j vnd
zuglekh tantzen / ob gleich keine Instrumenta darbey vor-
handen (Praetorius Synt. Ill, 24). Textierte G.n bot z. B.
V.HauBmann (1604). Vor allem durch die G.n von
Byrd, Gibbons und Schein wurde eine Entwicklung
eingeleitet, die als fortschreitender StilisierungsprozeB
zu kunstvoller polyphoner Durcharbeitung, gelegent-
lich auch zu Chromatik in der G. gef iihrt hat (Galliarda
cromatica von G.M.Trabaci, 1615). - In der 2. Halfte
des 17. Jh. loste sich die G. aus der Verbindung mit der
Pavane und kommt als selbstandiger Tanz vor (z. B.
bei E.Reusner, C. A. Marino, S.Mazzella, M. Locke
u. a.) ; auch bei D. Gaultier und den franzosischen Lau-
tenisten seiner Zeit, ferner bei Chambonnieres, ist die
Kopplung beider Tanze nicht mehr iiblich. Durch ihre
Verselbstandigung wurde die G. fur Wandlungen ihres
Typus anfallig. Nachdem es bereits im spaten 16. Jh.
vereinzelt G.n im 2/2-Takt gegeben hatte (Gagliarda di
Spagna von F. Caroso), gelangte nun die geradtaktige
Form neben der ungeradtaktigen zur Verbreitung.
Wahrend, vor allem als Folge des 30jahrigen Krieges,
die Tanzkultur mehr und mehr verfiel und das Tempo
der G. als Gebrauchstanz in dem MaB schneller wurde,
als der Obermut der Tanze sich steigerte, verlangsamte
sich das Tempo der Kunstform G. zusehends. Schon
J. Vierdanck warnte in der Vorrede seiner Newen Pava-
nen, Gagliarden, Balletten und Correnten (I, 1641) vor
einer iibertrieben schnellen Ausfuhrung der G., da die
Pavanen und sonderlich die Gagliarden, einen gantz lang-
samen und von Correnten Art weit unterschiedenen Tact . . .
erfordern . . . Th.Mace (1676) sprach bereits von einer
gravitatischen Vortragsweise der G. und d'Anglebert
(1689) schrieb sogar lentement vor. Ende des 17. Jh.
kam die G. auBer Gebrauch.
Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA v.
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; F.
Caroso, Nobilita di dame (1 605), hrsg. v. O. Chilesotti, in :
Bibl. di rarita mus. I, Mailand (1 883) ; Th. Mace, Musick's
Monument, London 1676, Faks. Paris 1958; J.-H. d'An-
glebert, Pieces de clavecin . . . avec la maniere de les
jouer, Paris 1689, hrsg. v. M.Roesgen-Champion, = Publi-
cations de la Soc. frc. de musicologie I, 8, Paris 1934 ; Vingt
suites d'orch. du XVII C s. frc., 1640-70, hrsg. v. J. Ecor-
cheville, Bin u. Paris 1906; P. Nettl, Die Wiener Tanz-
komposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 1921;
ders., The Story of Dance Music, NY (1947); Fr. Blume,
Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite im 15. u. 16. Jh.,
= Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; C. Sachs, Eine
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London
1938, frz. Paris 1938.
Gallikanischer Gesang, Gesang der altgallischen
Liturgie (im engeren Sinn). Diese ist aber nicht als Ein-
heit zu verstehen, so daB das von ihr entworfene Bild
unsicher ist. Ihre naheren Verwandten sind die ambro-
sianische, mozarabische, keltische Liturgie, die mit ihr
die gallikanische Liturgie (im weiteren Sinne) bilden.
Sie hat manche Einzelheiten mit ostlichen Liturgien
gemeinsam, wahrend sie sich von der romischen durch
einen groBeren Reichtum unterscheidet. Sie wurde
unter Pippin dem Jiingeren und Karl dem GroBen zu-
gunsten der romischen verboten. Die wichtigste Quel-
le, die auch iiber die Musik berichtet, ist die falschlich
Gerfnanus von Paris (f 576) zugeschriebene Expositio
brevis antiquae liturgiae gallicanae aus der Zeit um 700.
Von der Musik selber haben sich nur wenige Gesange
erhalten, die dank besonderer Umstande in siidfran-
zosische Choralhandschriften aufgenommen wurden.
Die in der Expositio erwahnten Gesange der Messe sind
hauptsachlich f olgende : in der Vormesse die Antiphona
ad praelegendum (entsprechend dem romischen In-
troitus), das Trishagion ("Ayiog 6 &b6c - Sanctus Deus -
"Ay tog loxvgdg usw.), das Kyrie (wie das romische),
das Benedictus des Zacharias (im Wechselgesang) ; im
Lesegottesdiensf. nach den Lektionen aus dem Alten
Testament und den Apostelbriefen das Benedicite der
drei Jiinglinge im Feuerof en (oder ein Gesang Sanctus
Deus archangelorum) und ein Responsorium (gemaB
dem romischen Graduale). Das Evangelium wird
feierlich eingeleitet durch ein neues Trishagion oder
eine Antiphona ante evangelium (ahnlich dem spa-
teren Conductus) und beendigt wieder durch ein Tris-
hagion oder die Laudes (im romischen Ritus Alleluia).
Nach der nun folgenden Predigt werden die Preces,
groB aufgebaute Litaneien, angestimmt. Der sakra-
mentale Teil der Messe wird erofrnet durch den So-
nus und andere Laudes oder das Alleluia (anstelle des
romischen Offertoriums). Prafation und Sanctus ent-
sprechen den romischen Formen. Statt des nicht ur-
spriinglichen romischen Agnus wird eine Antiphona
ad confractionem gesungen. Es folgen eine gesungene
Benedictio und schlieBhch das Trecanum (entspre-
chend der romischen Communio). Ober die Ordnung
des Stundengebetes ergibt sich aus der Expositio nichts
Sicheres. Auch im gallikanischen Stundengebet linden
sich die bekannten Formen: Psalm, Antiphon, Re-
sponsorium, Hymnus. - Musikalisch wichtig ist, daB
manche Gesange nur einen Text fiir das ganze Kirchen-
jahr besitzen, dem aber mehrere Melodien entsprechen
konnen, vielleicht zunachst mit gesonderter Verbrei-
tung; das gibt der Musik eine groBere Selbstandigkeit.
Ferner spielt die Prozession eine beachtliche Rolle, so
beim Hereintragen des Evangelienbuches oder in der
Hymnodie, was fiir die Gestaltung und Entwicklung
des Rhythmus von Bedeutung sein diirfte. Architek-
tonischer Aufbau der Gesange, z. B. bei den Preces, ist
ofters zu beobachten. Die Melodik entfernt sich wie-
derholt von den Formen des Rezitativs, so durch ei-
ne Vorliebe fiir Terzaufstiege (c e g, d f a) oder fiir
Quintsprunge auf- und abwarts. Wie weit die Instru-
mente eine Rolle spielten, ist schwer zu fixieren; dich-
terischen AuBerungen zufolge gab es ein groBeres In-
strumentarium, das nach Betatigung verlangen muBte.
Die in die Choralhandschriften aufgenommenen Me-
lodien enthalten viele Melismen; die silbenweise Un-
terlegung von Texten unter uberkommene Melismen,
die sofort nach der Einfuhrung des Gregorianischen
Gesanges einsetzt, laBt aber eine starke Neigung zur
syllabischen Musik und ein Einzeltonhoren statt des
gregorianischen Tongruppenhorens vermuten.
Lit.: A. Gastoue, Les origines du chant liturgique dans
l'6glise de Paris, Rev. du chant gregorien XI, 1902/03 - XII,
1903/04; ders., Le chant gallican, ebenda XLI, 1937 -
XLIII, 1939; H. Netzer, L'introduction de la messe ro-
maineen France, Paris 1910; P. Wagner, Einfuhrung in d.
Gregorianischen Melodien III, Lpz. 1921, Neudruck Hil-
desheim u. Wiesbaden 1962; H. Leclercq, Artikel Galli-
cane (figlise et liturgie), in: Dictionnaire d'archeologie
chretienne et de liturgie VI, 1 , Paris 1 924 ; A. Wilmart, Ar-
tikel Germain de Paris (Lettres attributes a Saint), ebenda ;
J.-B. Thibaut, L'ancienne liturgie gallicane, Paris 1929 ; F.
Cabrol, Les origines de la liturgie gallicane, Rev. d'hist.
ecclesiastique XXX, 1 930 ; J. Quasten, Expositio antiquae
liturgiae gallicanae, = Seria Liturgica III, Miinster i. W.
1934; E. Wellesz, Eastern Elements in Western Chant,
= Monumenta Musicae Byzantinae, Subsidia II (= Ameri-
316
Ganztonleiter
can Series I), Boston 1947, dazu Epilegomena in: Mf V,
1952; E. Griffe, Aux origines de la liturgie gallicane, Bull,
de lit. ecclesiastique XXV, 1951; Br. Stablein, Artikel
Gallikanische Liturgie, in: MGG IV, 1955; G. Oury OSB,
Les messes de St. Martin . . . , fitudes gregoriennes V, 1962.
Galopp (beschleunigte Gangart des Pferdes), auch
Galopade, Rutscher, Galoppwalzer, ein besonders um
1820-75 beliebter Paartanz nach Art einer Schnellpol-
ka, meist dreiteilig im 2/4-Takt in schneller, springen-
der Bewegung (J = ca. 126 M.M.). Das Schrittsche-
ma ist (r = rechter FuB, 1 = linker FuB) :
l^JD ^iJT]
i i
1 r
Jeder der 3 Teile ist zweifach, sparer dreifach unter-
teilt. An Titeln finden sich Wilde Jagd, Leichts Blud,
Kruppsche Kanonen-G.e u. a. In Paris fand der G., von
Deutschland kommend, in den 1820er Jahreri schnell
Eingang als Complement du bal. Auch gelangte er f riih
in die Oper (z. B. Auber, Gustave III, 1833). Beliebt
waren akustische Effekte zum Anfeuern der Tanzer
(z. B. Pistolenschiisse). Populare Opern- und Operet-
tenmelodien wurden haufig zu G.s umgestaltet. An
Komponisten sind zu nennen J. StrauB Vater (iiber 30
G.s ab 1827), Marschner, A.Adam, Czerny, Liszt
(Grand Galop chromatique, 1838; Galop du Bal, um
1880), Johann, Joseph und Eduard StrauB; beriihmt ist
Offenbachs Galop infernal (in Orphee aux enfers, 1858)
mit der bekannten Cancanmelodie.
Galoubet (galub'e, prov.) -* Einhandflote.
Gambang, Sammelbezeichnung fiir Stab- bzw. Plat-
tenspiele im indonesischen -> Gamelan; sie bestehen
entweder aus Metall (Bronze, G. gangsa) oder aus
Holz (G. kayu). Die Platten hangen waagerecht iiber
einem als Resonanzkasten dienenden holzernen Trog
und werden mit 2 Kloppeln gespielt. Der Umfang der
G.-Instrumente umfaBt 3-4 Oktaven.
Gambe, verkiirzt aus -»■ Viola da gamba (- 1), Knie-
viola, Beingeige, Kniegeige.
Gambenstimmen -> Viola da gamba (- 2).
Gamelan, das iiberwiegend aus Idiophonen bestehen-
de Instrumentenensemble, dessen Spiel besonders auf
Java und Bali zu hoher Kultur entwickelt wurde. Nach
ihrer Aufgabe sind im G. 3 Hauptgruppen von Instru-
menten zu unterscheiden : Zu den Instrumenten, die
das unverzierte Kern-»Thema« Balungan (-> Patet)
spielen, gehoren -*■ Bonang in der alteren (einreihigen)
Form sowie -> Saron in drei im Oktavabstand stehen-
den GroBen (in einem grofien G. bis zu 14 Sarons). Die
Instrumente, denen Verzierung und Umspielung (pa-
nerusan) des Kernthemas obliegen, haben insgesamt
eine hohere Tonlage als die Balungan-Instrumente.
Zu den Panerusan-Instrumenten gehoren -*■ Gender,
Bonang (der neuen Form) sowie das Xylophon
->• Gambang. Hinzu kommen das Streichinstrument
-> Rabab, die Zither Chelempung, in Stiicken sanften
Charakters die Langsflote Suling sowie die Singstim-
me. Die dritte Gruppe wird von den -> Gong-Instru-
menten gebildet. Sie gliedern mit ihren Schlagen das
Stiick in Perioden, der groBteGong ageng in Abschnit-
te von 8-32 »Takt«-Einheiten (gongan), die kleineren
(helleren) Kenong, Ketuk und Kempul unterteilen
weiter. Der Spieler der Trommel Kendang leitet das
Ensemble, indem er durch Veranderung der Schlag-
abfolge Tempobeschleunigung und -verlangsamung
angibt. Obwohl es Aufzeichnungen von Stiicken
(gending) gibt, wird in der Regel improvisiert.
Lit. : J. Groneman, De g. te Jogjakarta, Amsterdam 1 890 ;
J. S. u. A. Brandts Buys- Van Zup, Omtrent notaties en
transscripties en over de constructie v. gamelanstukken,
Djawa XIV, 1934; dies., Land's transscripties v. gending's,
Djawa XV, 1935; dies., Javaansche gendings bij Land en
bij Seelig, Djawa XVI, 1936 u. XVIII, 1938; C. McPhee,
Angkloeng G. in Bali, Djawa XVII, 1937; ders., G.-mu-
ziek v. Bali . . ., Djawa XIX, 1939; ders., The Five-Tone
G. Music of Bali, MQ XXXV, 1949; J. Kunst, Music in
Java I, Den Haag 1949; ders., G. Music, Kgr.-Ber. Ut-
recht 1952; M. Hood, The Nuclear Theme as a Determi-
nant of Patet in Javanese Music, Groningen u. Djakarta
1954; J. Barber Murray, MiBverstandnisse fiber d. Stim-
mung d. javanischen G., Mf XVI, 1963 ; D. A. Lentz, The
G.Musicof Java and Bali, Lincoln/Nebr. (1965).
Gamma (als griech. GroBbuchstabe T), im 10.-16. Jh.
die Bezeichnung fiir den dem groBen G entsprechen-
den Ton. Wahrend das griechisch-antike -*■ Sy sterna
teleion A als tiefsten Ton hatte, wurde im System der
-» Kirchentone seit Odo von Cluny (10. Jh.) der Ton
r hinzugefiigt, zunachst ohne ihn in ein -> Tetrachord
einzubeziehen (»Proslambanomenos«). Vom T als Tie-
fengrenze des Tonsystems und Ausgangspunkt der
Guidonischen Hand in der -»■ Solmisation (rut) ging
die Bezeichnung auf die Gesamtskala iiber (engl.
gamut; frz. gamme). - In alten Notierungen kommt
das r auch als Schliisselbuchstabe vor: */
Ganze Note (ital. semibreve; frz. ronde; engl. semi-
breve; in den USA auch whole note): o; Pause (frz.
la pause) : -— -.
Ganzinstrument wird (seit K.v.Schafhautls Bericht
iiber die Musikinstrumente der Miinchner Industrie-
ausstellung von 1854) ein Blechblasinstrument genannt,
bei dem der tiefe Eigenton des Rohrs sicher anspricht
und praktisch verwendbar ist, was nur bei Instrumen-
ten von ziemlich weiter Mensur (Verhaltnis der Durch-
messer des Schallrohrs vom Mundstiick bis zum Schall-
trichter bis 1:20) der Fall ist; die eng mensurierten
schlagen sogleich in die Oktave iiber. Von den heute
ublichen Blechblasinstrumenten sind nur die Biigel-
horner und Tuben G.e, alle anderen sind eng mensu-
rierte (1:4 bis 1:8), also Halbinstrumente (Kornette,
Trompeten, Waldhorner, Posaunen).
Ganzschlufi -> Kadenz (- 1), -> Klausel.
Ganzton (lat. tonus), das groBere der beiden Sekund-
intervalle der Grundskala (c-d, d-e, f-g, g-a, a-h sind
Ganztone, e-f und h-c Halbtone). Die reine Stim-
mung unterscheidet zwei Ganztone, den groBen oder
pythagoreischen G. (8:9; in C dur c-d, f-g und a-h)
und den kleinen G. (9: 10; in C dur d-e und g-a). Der
akustische Unterschied zwischen groBem und kleinem
G., das syntonische ->• Komma, wird in der musikali-
schen Praxis nicht berucksichtigt. Bei einer exakten
Analyse tonaler Verhaltnisse (etwa mit Hilfe der No-
ten-Reinschrift A. v. Oettingens) wird er jedoch be-
wahrt. Die -*■ Zwolftontechnik kennt nur den tem-
perierten G. ('/6 Oktave). Eine temperierte Zwolf-
halbton-Notierung entwickelte J. M. Hauer, weil eine
korrekte Orthographie temperierter Intervalle in
unserer pythagoreisch orientierten Notenschrift nicht
moglich ist.
Ganztonleiter, Teilung der Oktave in 6 gleiche Teile
(temperierte Ganztone). Eine korrekte Orthographie
der G. ist in unserer pythagoreisch orientierten No-
tenschrift nicht moglich; fiir die Notierung entscheidet
jeweils die an der Diatonik orientierte leichtere Lesbar-
keit. Das charakteristische Intervall der Skala ist die
»Halboktave«(Jelinek) ; sie tritt im temperierten System
an die Stelle yon Tritoniis und verminderter Quinte,
wahrend die reine Quinte fehlt. Da Original und
Transposition der G. zusammen die 12 Tone der chro-
317
Gassenhauer
matischen Tonleiter enthalten, lafit sich die G. nur ein-
mal transponieren (nach Messiaen ein mode a transpo-
sitions limiths) :
$
^
■ l>" !>«
transponiert:
Ein friihes Beispiel fur die Verwendung der G. findet
sich in Mozarts »Dorfmusikantensextett« (Ein musika-
lischer Spafi, 1787, K.-V. 522, 3. Satz), wo in der Ca-
denza der 1. Violine das Solo eines Dilettanten mit
f alsch intonierter Durtonleiter eine komische Wirkung
beabsichtigt. Die unvollstandige 5tonige G. verwendet
C.Loewe in der Melodie der Ballade Edward (1818):
g f es des ces und e d c B As. Bei Schubert taucht
die G. ab 1824 gelegentlich auf, so im Finale des Oktetts
(D 803, 1824), im 1. Satz der VII. Symphonie in C
dur (D 944, 1828) und zu Beginn des Sanctus in der
Es dur-Messe (D 950, 1828), als Fragment im Finale
des Streichquintetts (D 956, 1828) und im langsamen
Satz der Klaviersonate in C moll (D 958, 1828). Abge-
sehen vom Anfang des Sanctus in der Es dur-Messe
(Partie der Orchesterbasse) handelt es sich jedoch nie
um echte Hexaphonie, sondern stets um Modulations-
ergebnisse. Dasselbe gilt teilweise auch noch von den
Ganztonfolgen bei Glinka (»Ruslan und Ljudmila«),
Dargomyschskij, Borodin und einigen anderen russi-
schen Komponisten des 19. Jh., die anscheinend Liszt
zu ahnlichen Versuchen anregten (Sursum corda aus
Annies de Pelerinage III und Unstern, entstanden zwi-
schen 1880 und 1886). Die erste konsequente Anwen-
dung scheint die G. bei W.J.Rebikow (1866-1920)
gefunden zu haben, der Les Dimons s'amusent aus-
schliefilich auf der G. aufbaut. Zu Beginn des 20. Jh.,
auf der Suche nach neuen Mbglichkeiten gegeniiber
der Dur-Moll-Tonalitat, erlebte die G. ihre Bliitezeit.
Sie erscheint episodisch haufig vor allem bei Debussy
(z. B. in Pelleas et Melisande, 1902, La Mer, 1905, und
Cloches h travers les feuilles, in: Images II, 1907) und
Dukas (Ariane et Barbe-Bleue, 1906). Man findet sie un-
ter anderem bei A. Schonberg (Pelleas und Melisande,
1903), R. Strauss (Salome, 1905), Pfitzner (An den Mond,
1906), Busoni (Sonatina, 1910) und Reger (Romanti-
sche Suite, 1912, Notturno). Immer aber hat die G. nur
als ein Kompositionsmittel unter anderen zu gelten;
Stiicke wie das fast durchgehend auf der G. beruhende
Prelude Voiles (1910) von Debussy sind selten. Nach
dem 1. Weltkrieg verlor die G. wieder an Bedeutung.
Messiaen halt ihre Verwendungsmoglichkeiten seit
Debussy und Dukas fur erschopft.
Lit.: R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Stuttgart
1907, 91929, neubearb. v. W. Courvoisier, R. G'schrey,
G. Geierhaas u. K. Blessinger '01933 ; A. Schonberg, Har-
monielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; H. Rie-
mann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913, S. 251ff. ; O. Messiaen,
Technique de mon langage mus. I, Paris 1944, S. 52; H.
Jelinek, AnleitungzurZwolftonkomposition I, Wien 1952,
S. 10; K. Ph. Bernet Kempers, Ganztonreihen bei Schu-
bert, in : Organicae Voces, Fs. J. Smits van Waesberghe,
Amsterdam 1963 ; H. Seraphin, Debussys Kammermusik-
werke . . . , Kassel 1964. ESe
Gassenhauer (hauen,fruhnhd.,Kraftwortfurgehen),
kennzeichnete im 16. Jh. zuerst Personen als Gassen-
sanger (Vaganten, Bettelstudenten), dann die von
diesen gesungenen Lieder, Tanze und Standchen.
Als Bezeichnung mit urspriinglich soziologischem
Gehalt blieb der Begriff G. bis nahezu ins 18. Jh.
ohne abwertenden Nebensinn, wenngleich der G. als
318
niedere Kunstgattung bezeugt ist. H.Sachs nannte
in einer Aufzahlung seiner poetischen Werke (1567)
psalmen und ander kirchengsang . . . auch gassenhawer
hin und wider . . . auch etlich bullieder darbei. Charakteri-
stisch fur den G. ist ein derb humoristischer Ton: da
sie aber anfiengen zu gumpen, dasz der ganze bau zitter-
te, well man eben einen trollichteng. aufmachte . . . (Grim-
melshausen, Simplizissimus, 1669). Doch enthalten
die Gassenhawerlin und Reutterliedlin von 1535, Chr.
Egenolffs altester deutscher Liederbuchdruck, auch
kunstvoll gesetzte Hofweisen von Isaac, Hofhaymer
und Senfl. - Nach Herders Einf iihrung des Kunstwor-
tes Volkslied (1773) verlor der Begriff G. das Ansehen,
das er bis dahin auch durch seine Nachbarschaft zum
Begriff der alteren Ballade (engl. ballad) besessen hatte.
Schon im 18. Jh. gait das landlaufig gewordene Sing-
spiel- und Opernlied, mit neuem parodistischem Text
versehen, als Inbegriff des G.s in der Bedeutung des
Abgedroschenen, Gemeinen, nicht der Kunst Wurdi-
gen. Die von der Hamburger Oper ausgehenden G.
enthielten oft obszone Anspielungen; gut biirgerlich
und sittsam, wenn auch trivial, traten dagegen geho-
bene G. als Parodien bekannter Melodien in Sperontes'
Singender Muse (1736) auf. Im spaten 18. und in der 1.
Halite des 19. Jh. wurde das Wiener Singspiel (J.
Weigh W. Miiller, P. Wranitzky) zu einer reich flieBen-
den Quelle fur G. (vgl. Hegels Brief vom 25. 9. 1824
aus Wien), ebenso der ->• Bankelsang. Eine der belieb-
testen G.-Melodien, auf die zahlreiche parodierende
Texte gesungen wurden, war C.M.v.Webers Lied
O du schoner griiner Jungfernkranz aus dem Freischutz.
Durch Textierung von Marschen, Polkas, Rheinlan-
dern und Wiener Walzern entstand die Mehrzahl der
G. der 2. Halfte des 19. Jh. (z. B. Denkste denn, denkste
denn, du Berliner Pflanze auf den Peter sburger Marsch). -
Dem -*■ Volkslied und dem G. gemeinsam ist der pro-
duktive Anteil des Volkes bzw. der GroBstadtbevolke-
rung. Indem der G. oft historische Geschehnisse spie-
gelt, an StraBenfiguren, Gewerbe oder Volksfeste an-
kniipft, stand er gleich dem Volkslied in einem Lebens-
zusammenhang. Bedingten solche Anlasse auch die
Kurzlebigkeit des G.s, die er mit dem -»• Schlager ge-
meinsam hat, so unterscheidet ihn doch von diesem die
aktive Beteiligung des Volkes.
Ausg.: Chr. Egenolff, Gassenhawer u. Reutterliedlin,
Faks. hrsg. v. H. J. Moser, Augsburg u. Koln 1927.
Lit.: R. Hildebrandt, Artikel G., in: Grimm, Deutsches
Worterbuch IV, Bin 1878; H. Naumann, Artikel G., in:
Reallexikon d. deutschen Literaturgesch., hrsg. v. P. Mer-
ker u. W. Stammler, Bd I, Bin 1925, 21958 hrsg. v. W.
Kohlschmidt u. W. Mohr. - Ph. Spitta, Zu Sperontes'
Singender Muse, VfMw I, 1885; Fr. M. Bohme, Der G.
seit 100 Jahren, Centralblatt f. Instrumentalmusik XI,
1 896 ; L. Riemann, Der G., Neue Musikzs. XXIX, 1908 ; A.
Penkert, Kampf gegen d. mus. Schundlit I: Das Gassen-
lied, Lpz. 1911 ; L. Band, Der Kampf gegen d. G., Neue
Musikzs. XLVII, 1926; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen
Musik, Stuttgart u. Bin 1 1920, 51930, II, 1 1922, 41928, als
II 51930, II, 2 1924, als III 21928 ; H. Chr. Wolff, Die Ba-
rockoper in Hbg (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbuttel 1957;
L. Richter, Parodieverfahren im Berliner Gassenlied,
Deutsches Jb. d. Mw. IV (= JbP LI), 1959.
Gavotte (frz.; ital. gavotta; engl. gavot; span, gavota,
wahrscheinlich von altprov. gavot, Spottname fur die
Bewohner des Berglandes in der Provence), ein Tanz,
der heute noch in Frankreich, besonders in der Bre-
tagne und im Pays Basque, als Reihentanz sowie als
pantomimischer Paartanz mit eingeschobenen Tanzfi-
guren wie Promenades und Baisers getanzt wird. Die
G. steht im geraden Takt (2/2, <f, 2) und beginnt in der
Regel auftaktig mit 2 Vierteln. Kurzere Notenwerte
als Achtel sind selten. Sie umfaBt 2 Teile, die je aus 4, 8
oder 16 Takten bestehen und jeweils zu wiederholen
sind. Verbreitet ist auch die G. en -»■ rondeau (- 2). Seit
Anfang des 17. Jh., wo die G. noch in Verbindung mit
dem zu ihr kontrastierenden -> Branle (z. B. Kasseler
Ms., herausgegeben von Ecorcheville) stand, dessen
Commotion und bewegung . . . gar gelind war, gait sie als
ein lebhafter Tanz (Praetorius Synt. Ill, 25). Diesen
Charakter bewahrte die G. durch zwei jahrhunderte;
zwar schrieben d'Anglebert (1689) und Rameau (1732)
Lentement vor, doch iiberwiegen Vorschriften wie
Allegro, Vivace und Presto weitaus. Mattheson Ca-
pellm. nennt ihren Affekt . . . wircklich eine rechtejauch-
zende Freude und das hiipffende Wesen im Gegensatz
zum fliefienden der ->• Bourree als ihr eigentiimlich. -
Mit Beginn des 17. Jh. erlangte die G. als Hoftanz An-
erkennung (Mersenne, Harmonie universale, 1636). Am
Hof von Versailles wurde sie fester Bestandteil des
Balletts. Lully biirgerte den neuen Modetanz in die
Orchestersuite (-*■ Suite) ein. Sein G.n-Typ ist von
seinen Nachahmern unzahlige Male kopiert worden.
Uber das Ballett zog die G. auch in die Oper ein : auBer
Rameau (Les Indes galantes, Castor et Pollux, Les Pala-
dins u. a.) verwandten sie Handel (Ottone), Gluck (Or-
pheus) und Gretry (Cephale et Procris). - In der Kam-
mersonate machte Corelli die G. heimisch (op. 2 und
op. 4, 1685 und 1694); dort behielt sie ihren Platz bis
hin zu Vivaldi (II Pastor fido op. 13, 1737) und Handel
(op. 5, 1739), wenn auch zuweilen nur noch als »A
tempo di gavotti«. - In die Klaviersuite scheint die G.
durch N.Lebegue eingefiihrt worden zu sein (Second
liure de clavecin, 1687); von hier gelangte sie in die
Ordres und Suiten von d'Anglebert, J. K. F. Fischer und
Pachelbel; zum Hohepunkt ihrer kunstvollen Ausge-
staltung f iihrten sie Fr. Couperin (Les Nations, sonates
et suites de symphonies en trio, 1726) und vor allem J. S.
Bach, der sie als Solostiick (Suiten V und VI fur Solo-
Vc, BWV 1011 und 1012; Partita III fur Solo-V.,
BWV 1006), als Cembalostuck (Englische Suiten III
und VI, BWV 808 und 81 1 ; Franzosische Suiten IV, V,
VI, BWV 815, 816, 817; Klavierpartita VI, BWV 830)
sowie als Orchestertanz komponierte (Ouvertiire C
dur, BWV 1066; Ouverturen D dur, BWV 1068 und
1069). Aus der Ouvertiire D dur (BWV 1068, G. II)
stammt das wohl einpragsamste Beispiel einer G. :
Gavotte II
kJJ jjjj Ai
Die Verbindung zweier G.n, von denen die zweite ge-
gen die erste entweder als Triosatz oder durch Musetten-
charakter (-»■ Musette - 4) absticht, findet sich bei J. S.
Bach of ter. - Nachdem die G. in derKlassik und Roman-
tik auBer Gebrauch gekommen war, erlebte sie in der
Spatromantik und Moderne eine Art Renaissance: G.n
schrieben Saint-Saens (Septett op. 65), d' Albert (Kla-
viersuite op. 1), R.Strauss (Suite fur 13 Blaser op. 4),
Reger (op. 82 und op. 131c), auch Schonberg (Suite
fur Kl. op. 25), Prokofjew (Kl.-Stucke op. 12) und A.
Casella (Serenata, 1927).
Lit.: M. Praetorius, Terpsichore (1612), GA, Bd XV
(1929); M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636,
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; BrossardD;
KochL; Vingt suites d'orch. du XVII e s. frc., 1640-70,
hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1 906 ; P.-M. M asson,
L'opera de Rameau, Paris 1930, 21943; C. Sachs, Eine
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London
1938, frz. Paris 1938; N. Dufourcq, La musique fr?., Pa-
ris 1949. RG
Gegenfuge
Gedackt (Gedact; engl. covered stops; frz. jeux bou-
ches; span, tapada), gewohnliche Bezeichnung der ge-
deckten, d. h. an ihrem Ende geschlossenen Labial-
stimmen der Orgel. Die FuBtonbestimmung der G.e
bezieht sich auf die Tonhohe und nicht auf die Pf eif en-
lange, d. h. G. 16' gibt dieselbe Tonhohe wie Prinzipal
16', aber durch halb so lange Pfeifen. G.e begegnen im
Orgelbau seit dem 14. Jh. (1361 im Magdeburger
Dom), sind aber vermutlich alter. Die Pfeifen sind aus
Metall oder Holz, zylindrisch oder konisch und halb-
(seit etwa 1450) oder vollgedackt ( = G.). Die Deck-
vorrichtung heiBt Haube, Biichse, Hut, Stulpe, Stop-
sel oder Spund; Kapseln finden sich im deutschen Or-
gelbau seit 1650, Verschraubvorrichtungen nach 1822.
Zugelotete G.e wurden am Seitenbart gestimmt. Bei
G.en fehlen die geradzahligen Teiltone (2., 4.), die
ungeradzahligen, besonders Quinte und Terz (3., 5.
Partialton), klingen mehr oder weniger stark mit; dies
hat den eigentumlich hohlen Klang zur Folge. Uber-
blasende G.e erklingen im 3. Teilton, d. h. in der Duo-
dezime (g.e Schweizerflote und Querflote). Praetorius
(Synt. II, S. 139f.) nennt 6 GroBen: Groji Gedact 16'
(mit einem thunen vnd stillen Klang im Pedal auch groji
Gedacter SubBafi 32'), G. 8', Klein Gedact 4', Gedacte
Quinta 3', Supergedactlein 2', Bawerfloit Baft oder Paurlin
1'. G. 32' heiBt gewohnlich Untersatz, MajorbaB,
GroBsubbaB, InfrabaB, SubkontrabaB (lat. pileata
maxima; engl. great bourdon; frz. sous-bourdon;
span, tapada de 52); 16' Bordun, Perduna, SubbaB
(engl. double stopped diapason; span, tapada de 26);
8' Mittel-G. (lat. pileata maior; engl. stopped diapason;
frz. grosse flute; span, tapada de 13) ; 4' Klein-G., pileata
minor, flute. Noch kleinere G.e finden sich in alten Or-
geln (Bauernflote zu 2' und 1'). Die engere Bauart des
G.s heiBt G.-Pommer, auch Nachthorn (M. Praetorius).
Gedachtnis. Die Fahigkeit, Musikstucke aus der Er-
innerung in der Phantasie zu reproduzieren, ist weni-
ger verbreitet, als etwa das Behalten einer Melodie,
kann aber durch anhaltende Ubung sehr gesteigert
werden. Ein gutes G. ist besonders fur den Opernsan-
ger erforderlich, aber auch f iir den Konzertspieler, von
dem seit der 1. Halfte des 19. Jh. verlangt wird, daB er
auswendig spielt. Die beste Methode, ein Werk dem
G. einzupragen, ist die -*■ Analyse (Leimer-Gieseking :
Reflexion). Neben dem Erfassen des formalen Zu-
sammenhangs wirken die klangliche Vorstellung, die
Erinnerung an das Notenbild sowie die durch Ubung
erfeichte Automatisierung der Bewegungen mit, um
Kompositionen aus dem G. zu reproduzieren. - Auch
-»■ Absolutes Gehor ist eine Sonderleistung des Ton-
und Tonart-G.ses. Die erstaunlichen G.-Leistungen,
die von groBen Komponisten wie Mozart und von
auswendig dirigierenden KapeUmeisternberichtet wer-
den, waren ohne Mitwirkung des Absoluten Gehors
nicht moglich.
Lit. : K. Leimer mit W. Gieseking, Modernes Klavierspiel,
Mainz (1931) u. 6., Neudruck (1965); G. Clostermann,
Spiele auswendig. Zur Psycholbgie d. auswendigen Kla-
vierspiels, = Praktische Arbeits- u. Bildungspsychologie
VI, Munsteri.W.(1963).
Gedenkschriften -»■ Fest-undGedenkschriften.
Gefahrte -»■ Comes.
Gegenbewegung (lat. motus contrarius), eine Grund-
moghchkeit der -* Stimmf uhrung : das Fortschreiten
zweier Stimmen in entgegengesetzter Richtung. Un-
ter G. eines Motivs, Themas oder Cantus ist dessen
-* Umkehrung zu verstehen.
Gegenfuge (lat. fuga contraria), eine Fuge, deren Co-
mes die melodische -»■ Umkehrung des Dux ist (z. B.
319
Gegensatz
J.S.Bach, Kunst der Fuge, BWV 1080, Nr 5; verbun-
den mit Diminution und Augmentation auch Nr 6
und 7). -* Hypallage.
Gegensatz, Kontrapunkt zum Thema einer Fuge,
speziell der beibehaltene Kontrapunkt, das -► Kontra-
subjekt.
Gehorbildung ist die Heranbildung und Schulung
des musikalischen Unterscheidungs- und Reproduk-
tionsvermogens. Ausgehend vom Nachsingen und
Bestimmen einzelner Intervalle und vom Erkennen
von Zusammenklangen und Rhythmen, soil der Schii-
ler gehorte musikalischeZusammenhange notenschrift-
lich fixieren (->■ Musikdiktat) und harmonische Vor-
gange (Modulationen) iiber das Gehor erfassen und
analysieren lernen. G. erfolgt empirisch schon durch
die Anfange der -*■ Musikerziehung beim Kinde. Be-
sonders ein Anfangsunterricht auf Instrumenten mit
festen Tonhohen (z. B. Klavier, auch Blockflote) muB
durch G. erganzt werden, damit Tonvorstellung und
Intonationsvermogen sich ausbilden. Wie das ->■ Re-
lative Gehor durch G. zu fordern ist, so mufi auch das
-» Absolute Gehor meist durch individuelle G. f iir die
musikalische Praxis geschult werden. In der -> Schul-
musik, auf Konservatorien und Musikhochschulen
wird systematische G. betrieben. - Durch Jahrhunderte
hindurch war die -*■ Solmisation die herrschende Me-
thode ; sie verband mit der G. das Erkennen der Ton-
qualitaten und die Stimmbildung. Im 19. Jh. betonten
erstmals Pfeiffer und Nageli (1810) die Notwendigkeit
der G., danach besonders A.B.Marx (1855). Neue
Methoden der G. erprobten der Pestalozzi-Schiiler
C.A.Zeller,J.N.Schelble,G.L.Wilhem, P.Galin und
E.-J.-M. Cheve ; auch A.E. Choron trat mit einer
Methode concertante hervor. In Frankreich wurde nach
dem Vorbild der italienischen Gesangsiibungen (Sol-
feggio) im 19. Jh. das -> Solfege zu einer - ahnlich wie
die' Solmisation - auch die Stimmbildung umfassenden
Methode der G. ausgebaut; grundlegend ist das Werk
von A. -> Lavignac. In methodischer Anlehnung an
das Solfege soil auch das -> Tonic-Solfa-System von
J. Curwen, das von A. Hundoegger als -> Tonika-Do-
Methode in Deutschland eingefiihrt (und u. a. von R.
Miinnich abgewandelt) wurde, der G. und der elemen-
taren Einfiihrung in das Tonsystem dienen ; doch wah-
rend in Italien und Frankreich SolfegesilbenundTonbe-
nennung derKunstmusik identisch sind, miissen die eng-
lischen und deutschen Silbensysteme, auch das -»■ Ton-
wort von Eitz, in einem fortgeschritteneren Stadium
der Ausbildung wieder verlassen werden. Eine Uber-
bewertung der Frage der Methode kann vom eigent-
lichen Ziel der G., dem Dienst an der musikalischen
Gesamtausbildung, ablenken.
Lit. : M. Tr. Pfeiffer u. H. G. Nageli, Vollstandige u. aus-
fuhrliche Gesangschule I (Gesangbildungslehre nach Pe-
stalozzischen Grundsatzen), Zurich 1810; C. A. Zeller,
Elemente d. Musik, Konigsberg 1810; A. E. Choron, Me-
thode elementaire de musique et de plain-chant, Paris 1811;
ders., Methode concertante de musique a plusieurs parties,
Paris 1 8 1 5 ; A. B. Marx, Die Musik d. Neunzehnten Jh. u.
ihre Pflege, Lpz. 1 855 ; K. Lang, J. N. Schelbles Gehorent-
wicklungsmethode, Braunschweig 1873; F. G. Shinn, Ele-
mentary Ear Training, 2 Bde, London 1899-1900; F. J.
Sawyer, The Teaching of Harmony as a Basis of Ear Trai-
ning, Proc. R. Mus. Ass. XXVII, 1900; M. Battke, Die
Erziehung d. Tonsinns. 304 Ubungen f. Ohr, Auge u. Ge-
dachtnis, Bin 1905, 2 1906; St. Macpherson u. E. Read,
Aural Culture Based Upon Mus. Appreciation, 3 Bde,
London 1912-18; A. Gedalge, L'enseignement de la mu-
sique par l'education methodique de l'oreille, 2 Bde (I Tex-
te, II Exercices), Paris 1920; E. Dahlke, Das Arbeitsprin-
zip im Gesangunterricht, Essen 1921 ; Fr. Reuter, Das
mus. Horen auf psychologischer Grundlage, Lpz. 1925,
Lindau 2 1942; W. Howard, Ubung im Horen, = Auf d.
Wege zur Musik III, Bin 1 926 ; E. Read, Exercises in Aural
Training, 2 Bde, London 1941 ; H. Grabner, Neue Gehor-
ubung, Bin 1950.
Gehorphysiologie ist die Wissenschaft von den or-
ganischen Funktionen des Gehors. - Periodische Luft-
druckschwankungen zwischen 16 Hz und 20 kHz sind
erst dadurch Schall, daB sie vom Gehor aufgenom-
men, weitergeleitet und wahrgenommen werden
(-> Akustik). Das Hororgan besteht aus zwei Ohren
und einem komplizierten Reiziibertragungssystem,
das zum Gehirn fiihrt, auBerdem die Ohren unterein-
ander wie auch mit anderen Sinnesorganen und Zen-
tren verbindet. - Die biologische Aufgabe des Gehors
besteht darin, im Zusammenwirken mit anderen Sin-
nesorganen die Orientierung im Lebensraum sicher-
zustellen und Gefahren anzuzeigen. Zur Orientierung
dient vor allem seine ausgepragte Fahigkeit, aus In-
tensitats-, Laufzeit- sowie Strukturunterschieden der
Schallreize an den Ohren die Schallrichtung zu er-
mitteln. Bemerkt wird bereits eine Abweichung der
Schallrichtung um 3° von der Mittelebene (entspre-
chend einem Zeitunterschied von ca. V30000 sec )- m
der Regel verschmelzen die verschiedenen Schallrich-
tungen zu einem allgemeinen Raumeindruck, doch
kann ein Schallereignis durch groBere Intensitat oder
besondere Erwartung aus diesem Hintergrund heraus-
gehoben und isoliert wahrgenommen werden. Fur die
dann folgende Einschatzung von Schallereignissen
kann das Gehororgan ein Schallsignal bis zum gewis-
sen Grad in seine Frequenz- und Amplitudenstruktur
zerlegen (-> Fourieranalyse). Auf Grund der Struk-
tur des Schalles werden aus dem Schallreiz Eindriicke
oder Anmutungen entnommen : Horwahrnehmungen.
Der urspriingliche biologische Sinn dieser Fahigkeit
ist, AufschluB zu geben iiber die Machtigkeit eines Ge-
geniibers.
Der Horvorgang verlauft etwa in der Weise, daB
(mehr oder minder) periodische Luf tdruckschwankun-
gen das Trommelf ell jedes der beiden Ohren erreichen.
Sie werden iiber die angekoppelte Knochelkette ins
Innenohr iibertragen und zugleich auf hohere Druck-
werte transformiert. Trommelfell, Knochelkette und
Schnecke bilden ein eng verkoppeltes Schwingungs-
system, das allerdings die aufgenommenen Schwin-
gungen nicht getreu iibertragt: die Kurvenverlaufe
werden verformt (->• Verzerrung). Die Schnecke oder
Cochlea (-»- Ohr) hat die Aufgabe, die ankommen-
den Schwingungsbewegungen in Nervenreize um-
zusetzen. Dieser spiralformig gewundene, mit Fliis-
sigkeit (Perilymphe) gefiillte Hohlraum ist durch die
Basilarmembran langsgeteilt, deren Ende durchbro-
chen ist (Helikotrema). Die Druckwelle wird vom
Trommelfell iiber die Knochelkette durch das ovale
Fenster geleitet und setzt sich in der U-formigen
Schneckenfliissigkeitssaule fort. Sie findet ihren Druck-
ausgleich durch das runde Fenster hindurch. Dieser
mechanische Aufbau hat zur Folge, daB die Basilar-
membran in ihrer Lange frequenzabhangig bewegt
werden kann: sie spricht an der Nahe der Fenster-
membranen auf schnelle, am Helikotrema auf lang-
same Schwingungsvorgange an (->■ Hortheorie). In
dem auf der Basilarmembran befindlichen Cortischen
Organ sind ca. 25000 Nervenfasern, deren Enden er-
reg t werden. Bei Beschallung des Ohres und Reizung der
Nervenenden entsteht einmal der »Mikrophonstrom«
mit einem der Schwingungsform entsprechenden
Kurvenverlauf, zum anderen aber werden die weit
wichtigeren Aktionspotentiale hervorgerufen, impuls-
artige SpannungsstoBe unveranderlicher GroBe. - Le-
diglich Haufigkeit und zeitliche Strukturierung (z. B.
320
periodische Wiederkehr von Dichteschwankungen)
liefern die Informational fiir die Horempfindung. Die
Nervenfasern sind jedoch nicht in der Lage, die Ak-
tionspotentiale in beliebiger Folge zu erzeugen, da sie
zwischen jeder Erregung wahrend einer Erholungszeit
(Refraktarzeit) von ca. Viooo-Viooo sec unempfindlich
bleiben. Daher werden SchwingungsstoBe nur bis
etwa 1000 Hz synchron in Aktionspotentiale pro Ner-
venfaser umgesetzt. Die Aktionspotentiale pflanzen
sich mit endlicher Geschwindigkeit (zwischen 1 und
120 m/sec) im Hornerv fort und unterliegen vielerlei
Umformung in den »Schaltstellen«. Eine der wichtig-
sten dieser Art scheint der Mittlere Kniehocker (cor-
pus genitalium mediale) zu sein, in dem es wahrschein-
lich zu einem Vergleich der Reizstrukturen beider
Ohren kommt (-»• Konsonanz - 2). Neben den man-
nigf altigen Nichtlinearitaten bei der Reiztransf ormation
beeinfluBt eine besondere Eigenschaft des Ohres die
Horwahrnehmung: das Ohr paBt sich einem mittleren
Reizniveau an, indem es seine Empfindlichkeit veran-
dert, vergleichbar mit der Helligkeitsregulierung des
Auges durch die Pupillenweite (-* Adaptation). Die-
se schallpegelabhangige Empfindlichkeitsveranderung
kann auch dazu f iihren, daB ein bestimmter akustischer
Reiz infolge der gleichzeitigen Einwirkung eines an-
deren gar nicht zur Wahrnehmung kommt: er wird
verdeckt. Diese -> Verdeckung hangt von der Fre-
quenzlage der Reihe ab : im allgemeinen verdeckt ein
Schall hoherer Frequenz einen tieferen nur dann, wenn
die Frequenzdistanz gering ist, ein tieferer einen hohe-
ren, sofern er groBere Intensitat besitzt. Vor allem aber
verdecken sich Tonreize in ganzzahligen Schwingungs-
vcrhaltnissen gegenseitig recht stark, was zu verstark-
ter Einheitlichkeit des Klangempfindens fiihrt (-> Ver-
schmelzung). Adaptation und Verdeckung relativieren
besonders auch die Lautstarkeempfindung, so daB
schallintensitatsbezogene LautstarkemaBe nur einen
begrenzten Wert fiir die psychologische Einschatzung
der Lautstarke besitzen (-»■ Lautstarke). Auch bei der
Einwirkung von einzelneh Schallreizen ist das Horor-
gan fiir verschiedene Frequenzbereiche unterschiedlich
empfindlich. Zu den auBeren Frequenzbereichen hin
nimmt die Empfindlichkeit deutlich ab. Der Gesamt-
bereich horbaren Schalles zwischen unterer (ca. 16 Hz)
und oberer (20 kHz) Horgrenze sowie zwischen Hor-
schwelle (0,0002 jib bei 1000 Hz) und Schmerzschwelle
(ca. 200 (ib) wird als Horfeld bezeichnet. Man hat die
unterschiedliche Empfindlichkeit durch Vergleiche
mit Sinusschwingungen zu bestimmen versucht und
ist dadurch zu Kurven gleicher Lautstarke (Fletcher
und Munson), sogenannten Isophonen, gekommen,
von denen die quantitativen LautstarkemaBe wie Phon
und Sone abgeleitet wurden. Auch die lineare Kompo-
nente der Tonhohe korreliert nur begrenzt mit der
Frequenz, ganz abgesehen von der qualitativen (-*To-
nigkeit) : Sie andert sich sowohl mit dem Frequenzbe-
reich als auch mit der Intensitat (-> Tonhohe). Schall-
ereignisse werden sinnvoll ausgewertet nur unter Hin-
zunahme von Informationen aus anderen Bereichen,
den anderen Sinnesgebieten - vornehmlich dem visuel-
len Bereich -, der Erinnerung, Motivation, Erwartung
usw. Es kommt meist zu einer Einschatzung (Wahr-
nehmung), die iiber die reine Reizinf ormation hinaus-
geht und teilweise davon stark abweicht. So korreliert
die musikalische Lautstarke (pp-ff) mehr mit der aus
der Schallstruktur entnommenen Information als mit
dem Pegel (das »Leisedrehen« eines Radioapparates
macht einen Fortesatz niemals zum piano). -*■ Tonhohe
im musikahschen Sinn ist ebenfalls etwas anderes und
iiber die Frequenzparallelitat Hinausgehendes. Indessen
ist die Kenntnis der physiologischen Vorgange not-
Geigenbau
wendige Voraussetzung fiir die Beschreibung und
Deutung der Horphanomene.
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
.... Braunschweig 1863, 61913; St. Sm. Stevens u. H.
Davis, Hearing. Its Psychology and Physiology, NY (1938,
51960); Hdb. of Experimental Psychology, NY 1951; H.
Husmann, Der Auf bau d. Gehorswahrnehmungen, Af Mw
X, 1 953 ; O. Fr. Ranke u. H. Lullies, Gehor, Stimme, Spra-
che, = Lehrbuch d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelen-
burg u. E. Schiitz, Bin, Gottingenu. Heidelberg 1953; E. G.
Wever u. M. Lawrence, Physiological Acoustics, Prince-
ton (N. J.) 1954; H. Rein u. M. Schneider, Physiologie d.
Menschen, Bin, Gottingen u. Heidelberg "1955. HPR
Gehorpsychologie
sikpsychologie.
Horpsychologie, -»■ Mu-
Geige (ahd. giga, herzuleiten von germanisch geigan,
hin- und herbewegen; danisch gige; frz. -> gigue; ital.
giga; engl. -»-jig), altere Bezeichnung fiir verschiedene
Bogeninstrumente. Ein bestimmter Typ laBt sich dem
Wort nicht zuordnen; es scheint vielmehr das jeweils
verbreitetste Streichinstrument einer Zeit zu bezeich-
nen, oft synonym mit -> Fiedel (- 1) - Luther iibersetzt
1. Sam. 8, 6, 1523 fiddeln, 1534 geygen. Die Instrumen-
tensystematik benutzt das Wort G. zur Bezeichnung
primitiver sowie hoher entwickelter Streichinstrumen-
te, besonders wenn sie nicht dem Lautentyp (mit abge-
setztem Hals) zugehoren. - Im Dictionarius des Johan-
nes de Garlandia (urn 1230) wird giga genannt und in
Glossarien des 12. Jh. als tricordium erklart. In Dich-
tungen des Mittelalters wird die G. verschiedentlich
erwahnt, so im altfranzosischen Alexander-Roman
(rote, harpe, vielle et gigue et ciphonie), bei Adenet le Roi
im Cleomades-Roman (gigueours d'allemagne); bei
Heinrich von Freiberg (Tristan 1285) wird die G. aus-
nahmsweise nicht gestrichen (gigen garren, s. v. w. auf
die G. klopfen); Dante nennt (Paradiso XIV) giga ed
arpa. Die G. wurde mit anderen Instrumenten beim
Turnier und zur Hochzeit gespielt, zum Tanz auch
allein. Agricola nennt 1529 drei Arten von G.n: die
grojien G.n (1545: welsche G.n; bei Praetorius 1619
sachlich zutreffend: Alte Fiddel), die kleinen G.n (1545:
Handgeiglein) und kleine G.n mit 3 Saiten in Quint-
stimmung und ohne Biinde, deren Corpus vom -> Re-
bec-Typ ist (1545: Polnische G.n). Praetorius bezeich-
net die Violen da gamba nach dem Brauch der Kunst-
pfeifer in den Stadten als Violen, die Violen da braccio
als G.n, darunter auch die nicht zur Violenfamilie ge-
horende -»■ Pochette (gar klein Geiglein). Bei L.Mo-
zart (1756) ist das Wort G. ein allgemeines Wort, welches
alle Arten der Geiginstrumente in sich einschliesset; es
sei MiBbrauch, wenn man die Violin platterdings die G.
nennet. Dennoch ist seit dem 18. Jh. G. in der Regel
gleichbedeutend mit ->• Violine, besonders im volks-
tiimlichen Sprachgebrauch.
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), hrsg. v.
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass. Fates,
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931; M. Agricola, Musica
instrumentalis deudsch, Wittenberg 1528 u. *1545, neu
hrsg. v. R. Eitner, =PGfM XXIV, Bd XX, Lpz. 1896;
Praetorius Synt. II; WaltherL, Artikel Giga; Mozart
Versuch; A. Scheler, Trois traitfe de lexicographie lat.
du XII e et du XIII* s., Jb. f. Romanische u. Engl. Lit. VI,
1865, separat Lpz. 1867; J. Ruhlmann, Die Gesch. d. Bo-
geninstr., 2 Bde, Braunschweig 1882; D. Fryklund, Ety-
mologische Studien uber G. - Gigue - Jig, = Studier i mo-
dern sprakvetenskap VI, Uppsala 191 7; L.Spitzer, DieG.,
Arch, romanicum X, 1926; D. Treder, Die Musikinstr. in
d. hofischen Epen d. Bliitezeit, Diss. Greifswald 1933; N.
Bessaraboff, Ancient European Mus. Instr., Boston 1941 ;
K. M. Klier, Volkstiimliche Musikinstr. in d. Alpen, Kas-
sel 1956.
Geigenbau, einer der wichtigsten Zweige im -> In-
strumentenbau, der sich mit der Anfertigung von
21
321
Geigenprinzipal
Violinen, Bratschen, Violoncelli und Kontrabassen
(heute seltener noch mit der von Lauten, Gitarren
usw.) befaBt, daneben mit Reparaturen und Restau-
rierungen, Taxationen und Handel. Obwohl der Gei-
genbauer heute eine Reihe von Halbfertigfabrikaten
bezieht (geleimte Bodenbretter, Halse), ist seine Ar-
beit im wesentlichen die gleiche wie vor 250 Jahren. -
Am beriihmtesten sind die Instrumente der italieni-
schen G.-Schulen, der von Brescia (Bliitezeit um 1520-
1620, ->■ Gasparo da Salo, -> Maggini), Cremona (um
1550-1760, -*■ Amati, ->• Guarnerius, ->■ Stradivari,
->■ Bergonzi), Mailand und Neapel (um 1680-1800,
->• Grancino, ->■ Testore, -> Gaghano), Venedig (um
1690-1765, -»■ Montagnana) sowie Florenz, Rom und
Bologna (um 1680-1760). In Cremona lernten die
Griinder der Tiroler (J. -> Stainer) und Mittenwalder
(M. -> Klotz) Schule. Die klassischen italienischen Mo-
delle wurden in Frankreich (-> Vuillaume und -*■ Lu-
pot, nach Stradivari) nachgebaut, die Stainers in Eng-
land und im Vogtland.
Lit.: O. Bachmann, Theoretisch-praktisches Hdb. d. G.,
Quedlinburg u. Lpz. 1835; G. de Piccolellis, Liutai an-
tichi e moderni, Florenz 1885; G. Hart, The V., Its Fa-
mous Makers and Their Imitators, London 1887, 21909;
A. Vidal, La lutherie et les luthiers, Paris 1889; C. Stai-
ner, A Dictionary of V. Makers, London 1896, 21901 ; P.
de Wit, Geigenzettel alter Meister, 2 Bde, Lpz. 1902-10;
W. L. v. Lutgendorff, Die Geigen- u. Lautenmacher v.
MA bis zur Gegenwart, 2 Bde, Ffm. 1904, 5-61922; A.
Fuchs, Taxed. Streichinstr., Lpz. 1906, «1960; A. Jacquot,
La lutherie lorraine et frc., Paris 1912; J. Macon, Die Ent-
wicklung d. Geigenindustrie in Mittenwald, Diss. Erlan-
gen 1913; H. Boltshauser, Gesch. d. Geigenbaukunst in
d. Schweiz, Lpz. 1923; H. Poidras, Dictionnaire desluthiers
anciens et modernes, Rouen 1924, 21930; ders.. Critical
and Documentary Dictionary of V. Makers, Reading 1 928 ;
O. Haubensak, Die geschichtliche Entwicklung u. d. wirt-
schaftliche Aufbau d. Geigenindustrie in Deutschland
Diss. Marburg 1926, maschr.; F. Niederheitmann, Cre-
mona. Charakteristik d. ital. G.er u. ihrer Instr., Lpz. 1 928,
Ffm. 81956; O. Mockel, Die Kunst d. G., Bin 1930, (21 954)
hrsg. v. Fr. Winckel; D. J. Balfoort, De Hollandsche
vioolmakers, Amsterdam 1931 ; Fr. Hamma, Meisterwerke
ital. Geigenbaukunst, Stuttgart 1932; ders., Meisterwerke
deutscher Geigenbaukunst, Stuttgart 1948, engl. London
1961 ; R. Vannes, Dictionnaire universel des luthiers, 2
Bde, Paris 1932, Brussel 21951 ; J. Reiter, 250 Jahre Mit-
tenwalder G. 1685-1935, Mittenwald (1936); A. Riechers,
Die Geige u. ihr Bau, Lpz. 1940, Wiesbaden 2 1955 hrsg. v.
O. Bahlmann; K. Jalovec, Houslari I, tschechisch u. engl.
Prag 1 948, 21952, deutsch als : Ital. G.er, (Prag 1 957) ; ders.,
CeSti houslari, Prag 1959; W. Senn, Forschungsaufgaben
zur Gesch. d. G., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; Zdz. Szulc,
Stownik lutnikow polskich, Posen 1953; M. Moller, The
V. Makers of the Low Countries (Belgium and Holland),
Amsterdam 1955; W. Lottermoser, Die akustische Prii-
fung v. V., Kgr.-Ber. Wien 1956; W. Henley, Universal
Dictionary of V. and Bow Makers, 5 Bde, Brighton 1959-60.
Geigenprinzipal, Geigendprinzipal (engl. violin dia-
pason, auch crisp toned diapason), offene, zylindrische,
labiale Orgelstimme aus Metall (in tieferen Lagen ge-
legentlich Holz, heute oftmals Zink), mit niedrigem
Aufschnitt, obertonreicher als das Prinzipal, im 8' oder
4'. Mensur und Klang liegen etwa in der Mitte zwi-
schen Prinzipal- und Gambenstimmen. Das Register
begegnet gelegentlich im Barock als prinzipalartiges
Salizional (Danzig 1549), besonders aber in der Ro-
mantik (als 8' im Nebenwerk), doch auch heute noch
(vornehmlich im III. Manual als 4').
Geigenwerk -> Bogenfliigel.
Geifilerlieder werden die Gesange der GeiBler (ital.
flagellanti, disciplinati u. a.) genannt, die sich im 13.
und 14. Jh. vor allem in Italien und Deutschland unter
dem Eindruck be,druckender politischer und sozialer
MiBstande und in Erwartung des Anbrechens der End-
zeit zu BiiBergemeinschaften zusammenschlossen. Die
erste, 1258 von Umbrien ausgehende Bewegung
kniipfte bei den Laudesi an; von den uberlieierten
Lauden, die mit den GeiBlem in Zusammenhang ge-
bracht werden konnen, ist jedoch nur Chi volo de mondo
desprezzare im Codex Cortona mit Noten yersehen.
Uber eine zweite, im Pestjahr 1349 von Osterreich
ausgehende und schnell sich verbreitende Bewegung
berichtet u. a. das Chronikon Hugos von Reutlingen,
das iiberdies Texte und - als einzige Quelle - auch Me-
lodien von 6 G.n in gotischen Neumen iiberliefert.
Von diesen geht allerdings nur der Leis Nu tret herzuo
auf die GeiBler selbst zuriick; die anderen Lieder ent-
stammen alterem Liedgut und sind daher eine wichtige
Quelle fur das alteste deutsche geistliche Volkslied.
AuBerdem sind zwei franzosische, von den deutschen
beeinfluBte G. erhalten. Die Rufzeile, der Kern des
geistli'chen Volksliedes, ist auch fiir die G. charakteri-
stisch. Von diesen lebt Nu ist diu betfart so here noch
1666 in einem Prozessionslied der Catholisch Geistlkh
Nachtigal fort. Beeinflussung der GroBen Tageweise
des Grafen Peter von Arburg durch den Leis Nu tret
herzuo konnte nachgewiesen werden.
Lit. : Die Lieder u. Melodien d. GeiBler d. Jahres 1 349 nach
d. Aufzeichnung Hugo's v. Reutlingen, hrsg. v. P. Runge,
Lpz. 1900, mit Beitr. v. H. Schneegans u. H. Pfannen-
schmid; A. Hubner, Die deutschen G., Bin 1931 ; J. Mul-
ler-Blattau, Die deutschen G.,ZfMw XVII, 1935; ders.,
-Zu Form u. Uberlieferung d. altesten deutschen geistlichen
Lieder, ebenda ; ders., In Gottes Namen fahren wir. Studie
zur Melodiegesch. d. altdeutschen Fahrtenliedes, Fs. M.
Schneider, Halle 1935.
GEM A (Abk. von : Gesellschaf t fiir musikalische Auf-
fiihrungsrechte), eine -»• Verwertungsgesellschaft, wel-
che das -»■ Auffiihrungsrecht und die sogenannten me-
chanischen Rechte (-» AMMRE) ihrer Mitglieder
(Komponisten, Textdichter, Musikverleger) verwal-
tet. - In Frankreich wurde bereits 1851 die heute noch
bestehende Societe des auteurs, compositeurs et edi-
teurs de musique (SACEM) gegriindet, das Vorbild fiir
alle spateren Verwertungsgesellschaften. In Deutsch-
land wurde erst durch das Urheberrechtsgesetz von
1870 ein Auffiihrungsrecht anerkannt, aber an einen
Vorbehalt durch Auf druck auf den Musiknoten gebun-
den. Nicht zuletzt durch das unermiidliche Eintreten
von R. Strauss und Fr. -> Rosch wurde im Urheber-
rechtsgesetz von 1901 das Auffiihrungsrecht bedin-
gungslos im heutigen Sinne statuiert. Als Folge entstan-
den am 14. 1. 1903 mit R. Strauss an der Spitze die Ge-
nossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) und ein hal-
bes Jahr spater, am 9. 7. 1903, die Anstalt fiir musikali-
sche Auffiihrungsrechte (AFMA) als erste deutsche
Verwertungsgesellschaft. Daneben entstand 1915 die
Genossenschaf t zur Verwertung musikalischer Auffiih-
rungsrechte (GEMA, Vorlauferin der heutigen), die
iiberwiegend die Unterhaltungsmusik vertrat, beson-
ders nach der ein Jahr spater erfolgten Griindung des
Musikschutzverbandes (Verband zum Schutze musi-
kalischer Auffiihrungsrechte fiir Deutschland) in Ge-
meinschaft mit der osterreichischen Schwestergesell-
schaft -*- AKM. Das ungute Nebeneinander mehrerer
Gesellschaften und der Sog des wirtschaftlich weit
iiberlegenen Musikschutzverbandes fiihrte 1930 zum
BeschluB einer gemeinsamen Wahrnehmung der Auf-
fiihrungsrechte. Im September 1933 entstand nach
Liquidation der bestehenden Gesellschaften die gemein-
same Staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwer-
tung musikalischer Auffiihrungsrechte (STAGMA).
Nach dem 2. Weltkrieg wurde 1945 die STAGMA auf
Verlangen der Alliierten wieder in GEMA umbenannt,
322
GeneralbaB
unter Belassung der rechtlichen Struktur. Der GEMA
obliegt die treuhanderische Verwaltung der ihr iiber-
tragenen Rechte. Dies sind im besonderen die kon-
zertanten Auffiihrungs- und Senderechte (sogenannte
Kleine Rechte), also nicht die Auffiihrungsrechte von
Buhnenwerken (Tantiemen = GroBe Rechte), ferner
die mechanischen Vervielfaltigungsrechte (Schallplat-
ten, Tonbander) und eine Reihe anderer Werknutzungs-
rechte. Die Berechnung der Auffiihrungsgebiihren
durch die GEMA erfolgt nach Tarifen, die mit den zu-
standigen Organisationen der Musikverbraucher ver-
einbart werden. Hierbei handelt es sich bei den Auf-
fiihrungsgebiihren iiberwiegend um Pauschalen (je
nach Bedeutung der Veranstaltung, in Gaststatten be-
sonders nach Konzerthaufigkeit, Anzahl der Musiker,
RaumgroBe usw.). Fiir Sendegebiihren liegen beson-
dere Vereinbarungen mit den Rundf unk- und Fernseh-
anstalten vor. Die Verteilung der Gebuhren erfolgt
nach einem Verteilungsplan, dem eine Punktbewer-
tung zugrunde liegt; diese unterscheidet hinsichtlich
der Hohe zwischen Ernster (E-Musik) und Unterhal-
tungsmusik (U-Musik). Die Verrechnung erfolgt auf
Grund der eingesandten Musikprogramme.
Die Verwaltung der mechanischen Rechte lag zunachst
bei der 1909 gegriindeten -> AMMRE, ging dann 1938
mit deren Eingliederung in die Vorlauf erin der GEMA
auf diese iiber. Die der Industrie abverlangten Lizenzen
wurden durch das -* BIEM fiir die ihr angeschlosse-
nen Verwertungsgesellschaf ten, wozu auch die AMM-
RE bzw. die GEMA gehorten, mit der Industrie ein-
heitlich vereinbart. Nachdem die GEMA 1964 ihre
Mitgliedschaft bei dem BIEM aus kartellrechtlichen
Griinden vorsorglich gekiindigt hat, verwaltet sie die
ihr iibertragenen mechanischen Rechte eigenen Na-
mens. Der Name AMMRE wurde im gleichen Jahr
aufgegeben. Als Lizenzgebiihr gilt im Normalfall ge-
genwartig 4% des Katalogpreises je Plattenseite, und
bei Langspielplatten ein entsprechend angemessener
Betrag. Die Einnahmen werden den Berechtigten nach
einem fiir jedes Werk bestehenden Verteilungsschliis-
sel abgerechnet. - Die GEMA ist ein gemeinnutziges
Unternehmen und erzielt keine eigenen Gewinne.
Ihre Unkosten werden mit einer verhaltnismaBig klei-
nen Provision bestritten. Auf Grund von Gegenseitig-
keitsvertragen mit den auslandischen Schwesterge-
sellschaften, die in 40 Landern bestehen und in der
-> CISAC vereinigt sind, ist die GEMA in der Lage,
iiber das Musikrepertoire der Welt zu verfiigen. Auf-
fiihrungen im Ausland, die deutsche Autoren betref-
fen, werden von den auslandischen Verwertungsge-
sellschaften mit der GEMA abgerechnet, wie umge-
kehrt seitens der GEMA. - Die GEMA hat ihren Sitz in
West-Berlin und eine Geschaf tsstelle in Miinchen. Der
AuBendienst der GEMA ist in 15 Bezirksdirektionen
eingeteilt, welche die Musikauffiihrungen kontrollie-
ren und die Gebuhren kassieren. Die GEMA beschaf-
tigt zur Zeit ca. 1000 Angestellte.
Der Mitghederversammlung obliegt dieWahl des Auf-
sichtsrats, die Wahl der Ehrenmitglieder (zur Zeit je 2
Komponisten, 1 Textdichter, 2 Verleger), dieBeschluB-
fassung iiber Anderung der Satzungen und des Ver-
teilungsplans. Der Aufsichtsrat besteht aus 15 Personen,
von denen 6 Komponisten, 5 Verleger und 4 Text-
dichter sein miissen. Der Vorsitzende ist ein Kompo-
nist. Der Vorstand (gegenwartig Erich Schulze) wird
vom Aufsichtsrat bestellt. - Die GEMA erf reut sich in
Verbraucherkreisen, vor allem im Gaststattengewerbe,
keiner besonderen Beliebtheit. Die Erkenntnis dariiber,
daB die geforderten Gebuhren keinem Erwerbsunter-
nehmen zugute kommen, sondern das Entgelt darstel-
len fiir die Leistungen der Urheber und der Verleger,
macht aber allmahlich Fortschritte. Mit zunehmender
Mechanisierung (Rundfunk, Schallplatten usw.) wer-
den die bei der GEMA eingehenden Betrage fiir deren
Mitglieder zur iiberwiegenden, wenn nicht zur einzi-
gen Einnahmequelle. Der iiberwiegende Betrag flieBt
an die an der Unterhaltungsmusik Beteiligten.
Lit. : E. Schulze, Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche
Urheberrechtsges., Bin 1951, 21956; Musik u. Dichtung,
Fs. d. GEMA, Miinchen 1953; E. Ulmer, K. Bussmann u.
S. Weber, Das Recht d. Verwertungsges., Weinheim (Berg-
straBe) 1955; E. Ulmer, Urheber- u. Verlagsrecht, Bin,
Gottingen u. Heidelberg 2 1960.
Gemischte Stimmen (engl. compound stops; frz.
jeux composes) sind in der Orgel die aus mehreren
Obertonstimmen (-> Ahquotstimmen) zusammenge-
setzten Register (Mixtur, Scharf, Zimbel, Rauschpfei-
fe, Kornett, Sesquialtera, Terzian).
Gemshorn (engl. goat-horn), - 1) eine bei Virdung
(1511) und Agricola (1529) genannte und abgebildete
Blockflote mit 4 Grifflochern in der Form eines kurzen
Tierhorns (Horn des Steinbocks; gekriimmt, kegel-
formig), bei der am dickeren, verschlossenen Ende An-
blasevorrichtung und Aufschnitt angebracht sind; als
Randzeichnung von A.Diirer findet sich ein G. im
Gebetbuch fiir Kaiser Maximilian I. - 2) ein Labialre-
gister der Orgel mit konischen Pfeifen im 8', 4' oder 2',
auch als Quinte 22/3' oder ii/3'. Der Klang ist weich
und hornartig. Das G. war ursprunglich und bis ins 18.
Jh. weiter mensuriert, wurde dann enger und wird neu-
erdings wieder in der alten Mensur gebaut. Praetorius
(Synt. II, S. 154f.) nennt Grofi Gemfihom 16' (beson-
ders im Pedal, liebliche Stimme), Aequal G. 8' (eine
sonderbahre liebliche undsiisse Stimme), Octaven G. A' und
Klein Octaven G. 2' (gehoret mehr ins Riickpositiff). .
Gender (Gendir), Metallophonfamilie des -*■ Game-
Ian, bestehend aus den mehroktavigen G. panerus und
G. barung (1 Oktave tiefer) sowie den einoktavigen G.
slentem (oder panembung) und G. demung bzw. gan-
tung (1 Oktave hdher). In der Tonhohenlage ent-
spricht der G. slentem der untersten Oktave des G.
barung. Bestandteile des G. sind diinne, an Schniiren
aufgehangte Metallplattchen (Bronze) sowie als Reso-
natoren ein zu jedem Plattchen gehdrendes Bambus-
rohr mit dem gleichen Eigenton.
Generalauftakt (Terminus von H.Riemann) ist ein
Auftakt hoherer Ordnung, der nicht Bestandteil des
folgenden Motivs, sondern Uberleitung zu einem
neuen Gedanken oder zur Wiederholung eines bereits
vorher aufgetretenen Themas ist. Die Bedeutung des
G.s erkannte bereits J.J. de Momigny; er nennt ihn
lien (Band). M.Lussy, der Momignys Ideen wieder
aufgriff (1873), nennt die Uberleitungstone notes de
soudure (Naht). In H.Riemanns Phrasierungsausgaben
ist der G. durch einen vorwarts iiberlaufenden Bogen
kenntlich gemacht.
Generalbafi (ital. basso continuo; engl. thorough-
bass; frz. basse continue) ist die Bezeichnung der seit
dem Ende des 16. Jh. in mehrstimmiger Musik ge-
brauchlichen instrumentalen BaBstimme, die zur steg-
reifartigen Darstellung des harmonischen Verlaufs in
einfachen oder verzierten Akkordgriffen dient. Vor-
aussetzung fiir diese Praxis ist der Dreiklang als Norm
des Zusammenklangs. Haufig, aber nicht immer, deu-
tet eine iiber oder seltener unter den Noten der Gb.-
Stimme befindliche Bezifferung die zu greifenden In-
tervals von der Prim auf steigend mit den Zahlen 1,2,3
usw. an und setzt im Bedarf sf alle Akzidentien vor oder
nach diesen. Abweichungen von diesem Prinzip dienen
der Vereinfachung der Gb.-Schrift. Leitereigene Drei-
21*
323
GeneralbaB
klange in ihrer Grundstellung bleiben unbezeichnet,
wenn sie nicht Ziel einer Dissonanzauf losung sind, und
bei der Bezifferung der Akkordbildungen entfallen
ebenfalls haufig die Ziffern 3 und 5. Fur den Sextak-
kord steht in der Regel nur die Ziffer 6 anstatt *; nicht
leitereigene kleine und groBe Terzen werden haufig
bloB durch \> bzw. j) und Erhohungen auch mittels
kleiner Striche durch die betreffenden Ziffern ange-
deutet. Die Ziffern werden je nach IntervallgroBe, die
sie bezeichnen, iibereinandergesetzt, ohne eine be-
stimmte Lage vorzuschreiben. Waagerechte Striche
fordern die Fortdauer der vorangegangenen Harmo-
nic Oft ist die Bezifferung aus drucktechnischen Griin-
den oder aus Fliichtigkeit unvollstandig oder fehlend.
Zusammengesetzte Intervalle bezeichnen Friihmono-
disten wie Caccini, Peri und Cavalieri zahlenmaBig
exakt (»hohe Bezifferung«), wodurch ausnahmsweise
die Lage der Begleitstimmen festgelegt erscheint, wah-
rend sonst haufig nur None und Dezime durch die Be-
zifferung von Sekunde und Terz unterschieden werden.
Das Pausieren der Beglei-
tung iiber dem BaB wird
durch Tasto solo (T. S.) be-
zeichnet, an dessen Stelle
auch die Ziffer 1 oder Stri-
che stehen konnen. I, 55
Als Gb.-Instrumente finden je nach Gattung, Stil, Ort
und verfiigbarem Instrumentarium vor allem Orgel,
Cembalo, Laute, Theorbe, Chitarrone oder Gitarre
Verwendung, denen meist ein Streich- oder Blasin-
strument wie Viola da gamba, Violoncello, Violone,
Fagott oder Posaune zur Verstarkung der BaBlinie an
die Seite tritt. In geistlicher Musik ist die Orgel das
wichtigste Continuoinstrument, ohne das Cembalo in
der Kirche auszuschlieBen, wie umgekehrt die Orgel
auch in Kammer und Theater Verwendung finden
kann. - Der Gb. kniipft an den unbezifferten Basso
pro organo des 16. Jh. an, der als Basso seguente der
jeweils tiefsten Stimme folgt und auf Grund festlie-
gender Intervallkombinationen ein Mitspielen der
anderen Stimmen ermoglicht. Als friihestes Beispiel
dieser Art ist aus dem Jahre 1587 die 41. Pars zu einer
40st. Motette von A. Striggio bekannt. Solche Orgel-
basse wurden erst nachtraglich zum Zwecke einer
Begleitung hinzugefiigt und kommen mit oder oh-
ne Bezifferung auch im 17. und 18. Jh. vor. Die-
sen Notationsbehelf, der an die Stelle einer Orgel-
tabulatur trat, wandelten L.Viadana (Concerti ecclesi-
astici, 1602) zwecks Schaffung einer eigenstandigen
solistischen Motettenliteratur und die Meister der
Florentiner Camerata zwecks Verwirklichung der in-
strumentalbegleiteten Monodie zu einem Komposi-
tionsprinzip um. Die Gb.-Stimme als Trager der Har-
monie wird dadurch organischer Bestandteil des Satzes.
Sie dient bei groBerer Besetzung zugleich als Direk-
tionsstimme {-*■ Partitur; ->■ Dirigieren) und tragt dann
haufig den Vermerk M. D. C. (maestro di capella).
Obwohl der Gb. nur im Rezitativ und bei Kompo-
sitionen mit wenigen Stimmen unentbehrlich ist, tritt
er als instrumen tales Harmoniegeriist mit der Auf gabe,
ein Ensemble im Ton und Takt zu halten sowie klang-
lich zu stiitzen, auch zu alien sonstigen Musikgattun-
gen mit Ausnahme solistischer Musik fiir Tasten- oder
andere Instrumente hinzu und behielt in dieser Eigen-
schaft seine im wesentlichen unverminderte Geltung
bis zur Mitte des 18. Jh. Ausgehend von Italien drang
er zunachst nach Deutschland, wo Gr. Aichinger seine
Cantiones ecclesiastkae (1607) mit Gb. versah und der
italienische Fruhmonodist B.Mutis, Conte di Cesana
(Musiche, 1613), bereits ab 1604 am Grazer Hof wirkte.
Vor allem die Nachdrucke von Viadanas Konzerten
durchN. Stein verschafften der neuen Praxis inDeutsch-
land weite Verbreitung und Anerkennung, wenn-
gleich im Gegensatz zum katholischen Siiden der pro-
testantische Norden daneben noch bis zum Anfang
des 18. Jh. die deutsche Orgeltabulatur pflegte und vor
allem H. Schiitz fiir das Mitspielen der Chormusik im
alten Stil die Intabulierung fordert. Doch lieBen Ver-
leger, um der Bequemlichkeit der Organisten entge-
genzukommen, selbst Werke von Palestrina und an-
deren Meistera des 16. Jh. mit Generalbassen versehen,
denen zur Erleichterung der Ausfuhrung bisweilen ein
Sopran beigedruckt wurde, wie auch M.Praetorius
dem Basso continuo seines Puericinium (1621) noch
einen Cantus continuus hinzufiigte. Englische Gb.-
Drucke lassen sich seit 1637 (H.Lawes), franzosische
seit 1652 (H.Dumont) nachweisen. Der Gb. findet zu-
nachst in Vorreden zu gedruckten Kompositionen,
dann in Lehrbiichern teils knapp, teils sehr ausfiihrlich
Behandlung. Fiir die Friihzeit gewahren in Italien u. a.
Viadana, A. Agazzari, G. Caccini, J. Peri, E. de Cava-
lieri und G.Sabbatini AufschluB, in Deutschland M.
Praetorius (Synt. Ill), der sich vor allem auf Viadana
und Agazzari stiitzt. An Vorreden von H. Schiitz und
H. Albert sowie an Lehrbiichern von A. Werckmeister
(1689), Fr.E.Niedt, nach dessen Musicalischer Handlei-
tung (1700) noch J.S.Bach unterrichtete, J.P.Treiber
(1704), J.D.Heinichen (1711, 1728), D.Kellner (1732),
J.Mattheson (1735), G.Ph.Telemann (1733/35), J.J.
Quantz (1752), C. Ph. E.Bach (1762), J.Ph.Kirnberger
(1781) und D.G.Turk (1791) ist die weitere Entwick-
lung in Mittel- und Norddeutschland abzulesen, wah-
rend in Siiddeutschland und Osterreich die Gb.-Lehre
iiber die kaiserhchen Hofmusiker W.Ebner (1653), A.
Poghetti (1676) und J.J.Prinner (1677) einen Hohe-
punkt in den Regulae concentuum partiturae (1699) von
Georg Muffat findet, an den die Salzburger Organisten
J. B. Samber (1704), M. Gugl (1719 u. 6.) und M. Haydn
anschlieBen. In Italien treten L.Penna (1672) und Fr.
Gasparini (1708), in Frankreich M. de Saint-Lambert
(1680, 1707) und in England M.Locke (1673) und G.
Keller (1707) als Theoretiker hervor. - Die Gb.-Lehre
ist eine Akkord- und Stimmfiihrungslehre, zugleich
war sie eine Anleitung zur Improvisation iiber vorge-
gebene Basse, auch eine Einfiihrung in die -»• Kom-
position und ein Ausgangspunkt der -*■ Harmonieleh-
re. Die Ausfuhrung ist von Zeit, Ort, Gattung und Be-
setzung abhangig. Als Tabulaturersatz spielte der Gb.
zunachst mehr oder weniger getreu die Hauptstimmen
einschlieBlich der Oberstimme mit. Eine solche Be-
gleitung blieb auch spaterhin in Werken, die noch dem
Umkreis des Stylus antiquus angehoren, Norm. In
konzertierender Musik hingegen iibernimmt der Gb.
die Aufgabe der Klangfiillung und vermeidet nach
Moglichkeit ein Mitspielen des melodisch oft beweg-
teren Diskants im Einklang. Auch ein Ubersteigen der
hochsten Stimmen ist verboten. In bezug auf Anzahl
der Stimmen kann Drei- bis Vierstimmigkeit, die Muf-
fat neben der Fiinfstimmigkeit ohne Bevorzugung der
einen Art vor der anderen lehrt, als Normalbegleitung
angesehen werden. Doch ist je nach Umstanden Ein-
bis Zehnstimmigkeit moglich, und die Anzahl der Be-
gleitstimmen sowie ihre Registrierung kann innerhalb
324
Genos
ein- und desselben Stiickes wechseln. Geteiltes Ak-
kompagnement ist nur bei maBig bewegtem BaB mog-
lich, wahrend bei laufenden Bassen zumeist die rechte
Hand allein die Begleitung iibernehmen mu6. Der Gb.
richtet sich zwar prinzipiell nach den jeweils geltenden
Stimmfiihrungsregeln, gestattet aber als Improvi-
sationspraxis manche satztechnische Freiheiten, beson-
ders bei Vollstimmigkeit. So sind bei f iinf- und mehr-
stimmiger Begleitung parallele Oktaven und Quinten
nur zwischen den AuBenstimmen verpont. Je weniger
Stimmen im Akkompagnement ausgefuhrt werden,
desto groBere Sorgfalt erfordert auch die Fiihrung der
Mittelstimmen. Einklangs- oder Oktavparallelen der
Continuostimmen mit Hauptstimmen sind mit der
vorhin gegebenen Einschrankung in bezug auf die
Oberstimme erlaubt. Erfindungsgabe des Begleiters
erfordert der »Manierliche Gb.«, der Verzierungen,
Passagen, Arpeggios, Imitationen einstreut, ja selbst
den BaB erfaBt und durch Vermehrung oder Vermin-
derung der Stimmenzahl den Intentionen des Kompo-
nisten folgt. Schon M.Praetorius gestattet dem Orga-
nisten Verzierungen, die den Solisten nicht storen, und
im gleichen Sinne aufiern sich D.Heinichen und C.Ph.
E.Bach. Arpeggieren der Akkorde ist vor allem im
Rezitativ, zumal auf dem Cembalo und auf Zupfin-
strumenten gebrauchlich. Ein von Theoretikern mehr-
fach empfohlenes Mitspielen von Fugeneinsatzen ist
nur dort moglich, wo diese in der Gb.-Stimme ent-
halten sind. Eine aus dem Gb. abgeleitete Praxis ist das
-*■ Partimento-Spiel. - Als die Komponisten seit der
Mitte des 18. Jh. die Begleitung immer haufiger selbst
ausschrieben (-»■ Obligates Akkompagnement) oder
die Ausfiillung mit Mittelstimmen zugunsten eines
2st. Satzes verschmahten, verlor der Gb. allmahlich
seine Bedeutung fur die Praxis, obwohl die Kirchen-
musik noch bis weit in das 19. Jh. an ihm festhielt. An-
kniipfend an Rameaus Lehre von der Umkehrbarkeit
der Akkorde verband H. Riemann Elemente der Gb.-
Schrift mit der von ihm entwickelten Funktionstheo-
rie. - Neuausgaben alterer Musik enthalten zur Er-
leichterung fur den Begleiter zumeist eine ausgesetzte
Gb.-Stimme. Eine solche Ausgabe gilt als schutzfahige
-> Bearbeitung, wenn nachgewiesen werden kann,
daB der Gb. nicht mechanisch ausgesetzt ist. Einen Gb.
dem jeweiligen Zeitstil gemafi auszusetzen, erfordert
in jedem Fall Entscheidungen des Bearbeiters, die iiber
rein handwerkliche Tatigkeiten hinausgehen.
Lit.: H. Riemann, Anleitung zum Gb.-Spielen, Bin 1889
u. 6.; O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh.,
Lpz. 1 9 1 ; A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music
of the XVII" 1 and XVIII^Cent., London (1916, 21946) ; M.
Schneider, Die Anfange d. B. c. u. seiner Bezifferung, Lpz.
1918 ; Fr. Th. Arnold, The Art of Accompaniment from
a Thorough-Bass as Practised in the 17 th and 18 th Cent.,
London 1931 (grundlegend) ; H. Keller, Schule d. Gb.-
Spiels, Kassel 1931 u. 6. ; E. Ulrich, Studien zur deutschen
Gb.-Praxis in d. 1. Halfte d. 18. Jh., = Miinsterische Beitr.
zur Mw. II, Kassel 1932; Fr. Oberdorffer, Der Gb. in d.
Instrumentalmusik d. ausgehenden 18. Jh., Kassel 1939;
K. G. Fellerer, Der Partimentospieler, Lpz. (1940); A.-
Mendel, On the Keyboard Accompaniments to Bach's
Lpz. Church Music, MQ XXXVI, 1950; W. Gurlitt,
Die Kompositionslehre d. deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.-
Ber. Bamberg 1953, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I,
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966; H. H. Eogebrecht, Arten
d. Gb. im friihen u. mittleren 17. Jh., AfMw XIV, 1957; P.
Benary, Die deutsche Kompositionslehre d. 18. Jh., = Je-
naer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961 ; G. Kirch-
ner, Der Gb. bei H. Schiitz, = Mw. Arbeiten XVIII, Kas-
sel 1 960 ; U . Thomson, Voraussetzungen u. Artung d. oster-
reichischen Gb.-Lehre zwischen Albrechtsberger u. Sech-
ter, Diss.Wien 1960, maschr. ; L.-U. Abraham, Der Gb. im
Schaffen d. M. Praetorius u. seine harmonischen Voraus-
setzungen, = Berliner Studien zur Mw. Ill, Bin 1961 ;
Georg Muffat, An Essay on Thorough-Bass, hrsg. v. H.
Federhofer, = MSD IV, 1961 ; H. Federhofer, Striche in
d. Bedeutung v. »tasto solo« oder d. Ziffer » 1 « bei Unisono-
stellen in Continuostimmen, in: Neues Augsburger Mo-
zartbuch, Augsburg 1962; G. Buelow, The Full-Voiced
Style of Thorough-Bass Realization, AMI XXXV, 1963;
W. J. Mitchell, Chord and Context in 18 th -Cent. Theory,
JAMS XVI, 1963. HF
Generalpause (engl. general rest; frz. silence; ital.
vuoto ; Abk. : G. P.) , bei grbBer besetzten Werken (vor
allem fiir Orchester) eine alien Stimmen gemeinsame
langere Pause, die den FluB eines Tonstucks plotzlich
und auffallend unterbricht. Bis zur Mitte des 18. Jh.
bedeutet das Zeichen der Fermate, wenn es am SchluB
eines Abschnitts iiber gewissen Noten in alien Stimmen
zugleich vorkommt, ein allgemeines Stillschweigen, oder
eine Pausam generalem (WaltherL 1732, Artikel Corona).
-> Aposiopesis.
Generator. Seit Erfindung der Elektronenrohre ist
eine Reihe von G.en zur elektr(on)ischen Schwin-
gungserzeugung entwickelt worden. G.en finden in
der elektroakustischen MeBtechnik, in elektronischen
Musikinstrumenten und in der elektronischen Mu-
sik Verwendung. Die wichtigsten Typen sind Riick-
kopplungs-G., RC-G. und Schwebungssummer. Sie
liefern Sinusschwingungen (Frequenzabweichungen
< 1%, Klirrfaktor < 0,5%), bei Ruckkopplungs- und
RC-G.n direkt aus einem abstimmbaren Schwingkreis,
bei Schwebungssummern als Differenzfrequenz zweier
hochfrequenter Schwingungen, deren eine in ihrer
Frequenz verandert werden kann. Fiir bestimmte Auf-
gaben dienen G.en, die statt der Sinusschwingungen
z. B. »Rechteck«-oder »Sagezahn«-Schwingungenabge-
ben oder mit denen ein kontinuierliches Frequenzspek-
trum erzeugt werden kann (»Rausch«-G.). Zur Erzeu-
gung beliebiger Schwingungsablaufe werden Photo-
sirene (-» Sirene) und Kathodenstrahl-G. verwendet.
Genero chico (x'enero tf'iko, span., kleine Gattung),
Bezeichnung fiir eine Gattung einaktiger spanischer
Buhnenstiicke mit Musik, die nach ihrem operettenar-
tigen Stil der neueren -*■ Zarzuela Shnlich sind und als
Fortsetzung der .-»■ Sainete angesehen werden konnen.
Sie wurden in der 2. Halfte des 19. Jh. gepflegt. In Ma-
drid gab es allein 11 Theater fiir diese Gattung. Bekann-
te Komponisten sind: F.Chueca, T.Breton, R. Chapf
y Lorentes und J. Gimenez.
Lit. : E. Cotarelo, Ensayo hist, sobre la zarzuela, Boletin
Acad. Espaftola XIX, 1932 - XXI, 1934 ; M. Mufioz, Hist,
de la zarzuela y el g. ch., Madrid 1946 ; J. Deleyto y Pinue-
lo, Origen y apogeo del g. ch., Madrid 1949.
Genf.
Lit. : Fr. Choisy, La musique a Geneve au XIX e s., G.
1914; W. Tappolet, La musique au college de Geneve,
Bull, de la Soc. Suisse de musicologie 1, 1934 ; P. F. Geisen-
dorf, Une famille d'organistes a Geneve au XVIII e s. : les
Scherer, SMZ LXV, 1945 ; Cl. Tappolet, Fragments d'une
hist, de la musique a Geneve (bis 17. Jh.), SMZ XCIII,
1953 - XCV, 1955 ; ders., La musique a Geneve au XIX e et
au XX e s., G. 1956; P. Pidoux, Le psautier huguenot du
XVI e s., Faks., 2 Bde, Basel 1962; H. Husmann, Zur
Gesch. d. MeBliturgie v. Sitten u. iiber ihren Zusammen-
hang mit d. Liturgien v. Einsiedeln, Lausanne u. G., AfMw
XXII, 1965.
Genos (griech. ybioz, Gattung, Geschlecht; lat. ge-
nus; ital. genere; frz. genre; engl. kind, class). Genera
sind in wissenschaftlichen Schriften Einteilungen eines
Oberbegriffs, die haufig weiter zerlegt werden in Ar-
ten (eWt), species). Das aus der Umgangssprache stam-
mende Wort wird bei Aristoteles zum Terminus; da-
nach ist G. in der Definition »die Aussage iiber das
Wesen mehrerer Dinge von verschiedener Art« (To-
325
Genos
pik I, 5, 102a 31ff.). Die griechische Musiklehre riennt
G. vor allem die -» Diatonik, -»• Chromatik und -»■ En-
harmonik; diese werden verstanden als »ein gewisses
Verhalten der Tonstufen zueinander, die zusammen
die Quartkonsonanz ausfullen« (Ptolemaios I, 12). In
vereinfachender Darstellung erscheinen als Arteh die-
ser Gattungen die »Farbungen« (xpoat; z. B. Kleonei-
des, S. 190); dagegen lafit Ptolemaios die »Farbungen«
ebenfalls als Gattungen gelten und erklart, der Aristo-
telischen Methode folgend, die Arten als »eine gewisse
Lage der fur jedes G. durch ihre besondere Begrenzung
charakteristischen mathematischen Verhaltnisse (In-
tervals, X6yoi)« (II, 3). Danach wird z. B. das Tetra-
chord des chromatischen G. im Chroma malakon des
Aristoxenos durch die Zahlenfolge 22 + 4 + 4 darge-
stellt, im Chroma toniaion durch 18 + 6 + 6; charak-
teristisches Intervall des chromatischen G. ist die kleine
Terz (22 oder 18) ; sie nimmt in der ersten Art des chro-
matischen Tetrachords die hochste Stelle ein. - Die
Frage, ob die zeitgenossische Musik einem antiken G.
zugeordnet werden kann und ob es moglich ist, die
Vielfalt der alten Genera wiederzubeleben, gehort zu
den Hauptthemen des musikalischen Humanismus.
Zur gleichen Zeit erhalt der Begriff G. in der Tonar-
tenlehre eine neue Bedeutung : Bis zum 1 7. Jh, galten
die Transpositionsskalen (der ,cantus durus' und der ,cantus
mollis') als Tongeschlechter (Genera), die Modi (z. B.
c-jonisch und a-aolisch) als Tonarten (Spezies). Seither
betrachtet man die Modi als Genera (den jonischen Mo-
dus als Dur-Geschlecht, den aolischen Modus als Moll-
Geschlecht) und die Transpositionsskalen als Spezies (C-
Dur und a-moll als Tonarten) (Dahlhaus, S. 296). - In
der Kunstlehre gehort die Aufstellung und Behand-
lung von Gattungen zu den hauptsachlichen Arbeits-
weisen ; ihre Systematik und normative Geltung wird
um so strenger festgehalten, je mehr sich der Autor
von schulmaBigen und klassizistischen Vorstellungen
leiten lafit. In der Musik sind vor allem Kompositions-*-
(z. B. Symphonie, Suite, Ouvertiire, Oper, Oratorium,
Kantate, Lied) und ->■ Stil-Gattungen zu beachten; die
letzteren werden im 16.-18. Jh. zum Teil von den
Genera dicendi der Rhetorik und Poetik abgeleitet und
als Stilus gravis (hoher oder erhabener Stil), mediocris
(mittlerer oder mittelmaBiger) und humilis (niedriger
oder gemeiner) bestimmt, meist jedoch im Hinblick
auf die gesellschaftliche Einstufung eines Werks als
Kirchen-, Theatral- und Kammer-Stil, denn alle und
iede Ausdrucke, sie mbgen was erhabenes, mdfiiges oder ge-
ringes begreiffen, mussen sich unumganglich nach obbesagten
dreien vomehmsten Geschlechtern der Schreib-Art, mit alien
Gedancken, Erfindungen und Krafften, als Diener nach
ihren Herren, ohne Ausnahm richten (Mattheson, S. 69).
Lit.: Die Harmonielehre d. Klaudios Ptolemaios, hrsg. v.
I. During, = G6teborgs hogskolas arsskrift XXXVI, 1,
Goteborg 1 930 ; Musici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan,
Lpz. 1895, Nachdruck Hildesheim 1962; Boethius, Dein-
stitutione musica, hrsg. v. G. Friedlein, Lpz. 1867; N. Vi-
centino, L'antica musica . . ., Rom 1555, Faks. hrsg. v.
E. E. Lowinsky, = DM1 1, 17, 1959; G. Zarlino, Istitutioni
harmoniche, Venedig 1558, 31573, "1593, Faks. d. 1. Aufla-
ge, = MM MLF II, 1 , NY (1 965) ; V. Galilei, Dialogo della
musica antica et della moderna..., Florenz 1581, Faks.
hrsg. v. F. Fano, Rom 1934; Mattheson Capellm. ; E.
Katz, Die mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br.
1 926 ; F. Fano, La camerata fiorentina, = Istituzioni e mo-
numenti dell'arte mus. ital. IV, Mailand 1934; D. P. Wal-
ker, Mus. Humanism in the 1 6 th and Early 1 7 th Cent., MR
II, 1 941 — III, 1 942, deutsch als : Der mus. Humanismus im
16. u. fruhen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; E. R.
Curtius, Europaische Lit. u. lat. MA, Bern (1948, 31961);
C. Dahlhaus, Die Termini Dur u. Moll, AfMw XII, 1955 ;
M. Fuhrmann, Das Systematische Lehrbuch, Gottingen
(1960); H. W. Kaufmann, Vicentino and the Greek G.,
JAMS XVI, 1963.
Gent.
Lit. : P. Clays, Hist, du theatre a Gand, 3 Bde, G. 1 892 ; E.
Van der Straeten (mit C. Snoeck), Etude biogr. et orga-
nographique sur les Willems, luthiers gantois du XVII C s.,
G. 1896; P. Bergmans, La musique gantoise au XVIIP s.,
G. 1898 ; Th. Dart, The Ghent Chime Book, The Galpin
Soc. Journal VI, 1953.
Genua.
Lit.: anon., Tavola cronologica di tutti li drammi o sia
opere in musica, recitati alii teatri detti del Falcone, e da
Sant'Agostino da cento anni . . . 1670 al 1771, G. 1771,
Appendice . . ., G. 1772; anon., Annuario dei teatri di
Genova, dal 1828 al 1844, G. 1844; G. B. Vallebona, II
Teatro Carlo Felice (1828-1928), G. 1928; R. Giazotto,
II melodramma a Genova nei s. XVII e XVIII . . . , G. 1 95 1 ;
ders., La musica a-Genova nella vita pubblica e privata dai
XIII al XVIII s.,G. (1952).
Gera.
Lit.: W. Weber, Studie zu einer Gesch. d. G.er Musik- u.
Theaterlebens, 2 Bde, G. 1937 ; H. R. Jung, Ein unbekann-
tes Gutachten v. H. Schutz uber d. Neuordnung d. Hof-,
Schul- u. Stadtmusik in G., Beitr. zur Mw. IV, 1962, dazu
AfMw XVIII, 1961, S. 241ff.
Gerausch ist eine Gehorwahrnehmung, die - im Ge-
gensatz zum Ton - eher amorphen Charakter besitzt
und keine eindeutige Tonhohe aufweist. Zur Unter-
scheidung der in vielfaltiger Gestalt vorkommenden
G.e besitzt die Sprache eine grofie Anzahl beschreiben-
der Ausdrucke, wie z. B. sauseln, rauschen, knarren,
klatschen, knallen. Durch solche Begriffe lassen sich
die Farbung, die LautstSrke, der zeitliche Verlauf und
die Dauer, wie auch die Hohenlage eines bestimmten
G.es mehr oder weniger gut angeben. Die Akustik de-
finiert das G. oft als Schallvorgang, der sich aus sehr
vielen, meist zeitlich veranderlichen, in ihren Frequen-
zen unharmonischen Schwingungen zusammensetzt.
In dem von Musikinstrumenten abgestrahlten Schall
ist stets ein bestimmter Gerauschanteil enthalten (z. B.
das Anstrich-G. bei der Violine) ; f erner wird der Schall
der Schlaginstrumente mit unbestimmter Tonhohe
vorwiegend gerauschhaft gehort. Ein Schallvorgang,
der mit gleicher Amplitude in samtlichen Frequenzen
eines bestimmten Frequenzbereiches schwingt, wird
als »farbiges Rauschen« bezeichnet. UmfaBt sein Fre-
quenzspektrum den gesamten Horbereich, so spricht
man - analog zur Optik - von »weiBem Rauschen«.
Solche Schallvorgange lassen sich kiinstlich durch ei-
nen -*■ Generator erzeugen und finden in der MeB-
technik Verwendung.
Lit. : R. Feldtkeller u. E. Zwicker, Das Ohr als Nach-
richtenempfanger, = Monographien d. elektrischen Nach-
richtentechnikXIX, Stuttgart 1956.
German sixth (d3'3:man siksG, engl., deutsche Sex-
te), bei englischen Theoretikern (und dort selbst als
willkurlich bezeichneter) Name fiir den iibermaBigen
Quintsextakkord = verkiirzter Doppeldominantsept-
7
nonenakkord auf der tiefalterierten Quinte:,® 5 * z. B.
in C dur as-c-es-fis, oder fiir die Subdominante mit
hochalterierter Sexte: S^ < , z. B. in C dur f-a-c-dis.
-»• French sixth; -> Italian sixth.
Gesatz -> Bar.
Gesamtausgaben der musikalischen Werke bedeu-
tender Komponisten haben die Aufgabe, den Werkbe-
stand vollstandig (unter Ausscheidung falschlich zuge-
schriebener Stttcke) zuganglich zu machen und den
Text in einer fiir Praxis und Forschung brauchbaren
kritischen Fassung vorzulegen. Die Uberlieferung der
mittelalterlichen Musik beruht in der Regel auf der
Sammlung eines Repertoires, so z. B. in den -*■ Quel-
len der Notre-Dame-Zeit. Nennung des Autors und
326
Sammlung eines Gesamtwerks wurden von der Lite-
ratur ubernommen; bezeichnenderweise handelt es
sich bei den ersten Sammlungen samtlicher Kompo-
sitionen eines Meisters urn Dichter-Musiker (Adam de
la Halle, Machaut), deren musikalische Werke hier
Teil einer GA ihrer Texte sind. Bis urn 1800 gibt es
nur einzelne Versuche, Teilgebiete des Schafiens eines
Komponisten in einer Ausgabe zu sammeln (z. B. H.
Praetorius 1616-22, Joachim a Burck 1626, der bedeu-
tendsteist Lassus' Ma^nwmopiJsmraaim.Munchen 1604,
herausgegeben von seinen Sohnen, mit 516 von insge-
samt um 1200 Motetten). Einen Sonderfall stellt M.
Praetorius dar, dessen erhaltene Werke (mit ganz we-
nigen Ausnahmen) als Teil eines Sammelwerks zu ver-
stehen sind, das (an einigen Stellen durch Stiicke an-
derer Autoren erganzt) den gesamten Bereich der
kirchlichen und weltlichen Musik, der Musiklehre und
Erbauungsliteratur umfassen sollte (Gesamtplan in
Praetorius Synt. Ill, S. 198fL). Bei den neueren GA
sind 2 Typen zu unterscheiden : entweder bieten sie
einen vom Komponisten selbst (Haydn) oder von den
Verwaltern seines Nachlasses (Mozart, Mendelssohn,
Schumann, Brahms, Reger, Schonberg) autorisierten
Werkbestand und Text, oder sie entstehen im Zuge
der historischen Musikforschung (so schon die erste
Handel-GA S.Arnolds, ab 1787, ferner: Bach, Beet-
hoven, Berlioz, Bruckner usw.). In beiden Fallen ge-
horen die GA selbst der Geschichte der Musik an; die
Kriterien und Ergebnisse ihrer ->■ Editionstechnik sind
nicht endgiiltig, so daS im Laufe der Zeit neue Arbei-
ten und Anschauungen auch neue GA als notwendig
erscheinen lassen (siehe Lassus, Bach, Handel, Mozart,
Beethoven, Schubert). - Bisher sind als selbstandige
Publikationen (GA innerhalb groBerer Veroffent-
lichungsreihen ->- Denkmaler) f olgende GA erschienen
(einschliefilich der unvollendet gebliebenen) :
K. Fr. Abel, 2 Bde, Cuxhaven (1963ff. ; Hrsg. : W. Knape).
- Adam de la Halle, Paris 1872 (E. de Coussemaker). -
J. S. Bach, 1): 46 Jg. (Jg. XLVII als Suppl. 1926), Lpz.
1851-99 (Bach-Ges.), Nachdruck Ann Arbor (Mich.)
1 948 ; 2) : neue Ausg., bisher 27 Bde (nebst 3 Suppl. -Bden),
Kassel 1954ff. (Johann-Sebastian-Bach-Inst. Gottingen u.
Bach-Arch. Lpz.). - Beethoven, 1): 24 Serien (1 Suppl.),
Lpz. 1862-65 (1888), Nachdruck Ann Arbor (Mich.) 1949,
Suppl. dazu in bisher 7 Bden, Wiesbaden 1 959ff. (W. Hess) ;
2) : neue Ausg., bisher 2 Bde, Munchen u. Duisburg 1964ff.
(Beethoven-Arch. Bonn). - Berlioz, 9 Serien in 20 Bden,
Lpz. 1900-07 (Ch. Malherbe u. F. Weingartner). - Fr. Ber-
wald, bisher 1 Bd (I. Bengtsson u. a., in: Monumenta mu-
sicae svecicae), Kassel 1966. - G. Bohm, 2 Bde, = Veroff.
d. Kirchenmus. Inst. d. ev.-lutherischen Landeskirche . . . ,
Lpz. 1 927-32 (J. Wolgast), Neuauflage in je 2 Teilen, Wies-
baden 1952ff. (G. Wolgast, H. Kummerling). - Brahms,
26 Bde, Lpz. 1926-28 (Ges. d. Musikfreunde in Wien),
Nachdruck Ann Arbor (Mich.) 1949. - Bruckner, bisher
16 Bde, Augsburg, Lpz. u. Wien 1930-44, Wien u. Wiesba-
den 195 Iff. (Osterreichische Nationalbibl. u. Internationa-
le Bruckner-Ges.). -Buxtehude, 8 Bde, I— II, Klecken 1 925-
26, III-VII, Hbg 1930-37, VIII, Bin 1958 (Glaubensge-
meinde Ugrino in Verbindung mit d. Inst. f. Musikfor-
schung Bin). - W. Byrd, 20 Bde, London 1937-50 (E. H.
Fellowes). - J. Ch. de Chambonnieres, Paris 1925 (P.
Brunhold u. A. Tessier). - M.-A. Charpentier, Paris
1948ff. (G. Lambert). - Chopin, 1): 14 Bde, Lpz. 1878-80
(Bargiel, Brahms, Franchomme, Liszt, C. Reinecke, Ru-
dorff); 2): neue Ausg., 21 Bde, Warschau 1949-63 (Pa-
derewski, Bronarski, Turczyriski). - Corelli, 3 Bde, Lon-
don 1 888-91 (J. Joachim, Fr. Chrysander). - P. Cornelius,
5 Bde, Lpz. 1905-06 (M. Hasse, W. v. Bausznem). - Fr.
Couperin, 12 Bde, Paris 1932-33 (M. Cauchie). - L. Cou-
perin, Paris 1936 (P. Brunold), NA 1962 (Th. Dart). -
Dvorak, bisher 45 Bde, Prag 1955ff. (Dvofak-Ges. Prag).
- C. Fr. Chr. Fasch, 2 Bde (unvollstandig), Bin 1839
(Singakad. in Bin). - Friedrich II. v. Preussen, 3 Bde
(mehr nicht erschienen), Lpz. 1889 (Ph. Spitta, P. Graf v.
Waldersee). - J. J. Fux, bisher 6 Bde, Graz 1960ff. (Johann-
Gesamtausgaben
Joseph-Fux-Ges. Graz). - Gesualdo da Venosa, bisher 9
Bde (von 10), Hbg 1957ff. (W. Weismann, Gl. E. Watkins).
- M. I. Glinka, bisher 8 Bde, Moskau 1955ff. (D. Schosta-
kowitsch). - Gluck, bisher 13 Bde, Kassel 1951ff. (Inst. f.
Musikforschung Bin). - A. E. M. Gretry, 49 Bde (nur
Biihnenwerke), Lpz. u. Brussel 1883-1937 (Gouvernement
Beige). - Handel, 1) : 36 Bde, London 1 787-97 (S. Arnold);
2) : 1 6 Bde (abgebrochen), London 1 843-58 (Handel-Soc.) ;
3): 93 Bde (6 Suppl.), Lpz. 1858-1903 (Fr. Chrysander im
Auftrag d. Deutschen Handel-Ges.) ; 4): Hallische Ausg.,
bisher 20 Bde, Kassel 1955ff. (Georg-Friedrich-Handel-
Ges.). - Haydn, 1): 12 Lieferungen (nur Kammermusik),
Lpz. 1800-1806; 2): 11 Bde (mehr njcht erschienen), Lpz.
1907-32 (E. Mandyczewski, F. Weingartner, M. Friedlan-
der, K. Pasler, H. Schultz), f ortgef iihrt als 3) : 4 Bde, Boston,
Wien, Lpz. u. Wiesbaden 1950-51 (Haydn-Soc), abgebro-
chen u. ubergefiihrt in 4): bisher 6 Bde, Miinchen 1958ff.
(Joseph-Haydn-Inst. Koln). - Hildegard v. Bingen, Diis-
seldorf 1913 (J. Gmelch). - E. T. A. Hoffmann, 3 Bde
(mehr nicht erschienen), Lpz. 1922-27 (G. Becking). - Ja-
copo da Bologna, Los Angeles 1954 (W. Th. Marrocco). -
Josquin Desprez, 49 Lieferungen (wird fortgesetzt), Lpz.
u. Amsterdam 1921-63 (A. Smijers im Auftrag d. Vereni-
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis). - Fr. Landi-
ni, Cambridge (Mass.) 1939, 21945 (L. Ellinwood). - J.
Lanner, 1): 14 Bde, Wien 1888-89 (E. Kremser); 2): 8 Bde
(f. Kl.), Lpz. 1889-91 (ders.). - Lassus, 1): 21 Bde (unvoll-
standig), Lpz. 1894-1927 (F. X. Haberl, A. Sandberger),
fortgesetzt als 2): neue Ausg., bisher 6 Bde, Kassel 1956ff.
(Acad. Royale de Belgique, Bayerische Akad. d. Wiss.). -
L. Lechner, bisher 8 Bde, Kassel 1954ff. (K. Ameln im
Auftrag d. Neuen Schutz-Ges.). - Liszt: 34 Bde, Lpz.
1 907-36 (Franz-Liszt-Stiftung), erganzt durch : 4 Bde, Lon-
don 1952ff. (Liszt-Soc). - D. Lobo, bisher 1 Bd, Lissa-
bon 1945 (M. Joaquim). - C. Loewe, 17 Bde (nur Werke f.
Singst. u. Kl.), Lpz. 1899-1904 (M. Runze). - V. Lubeck,
Klecken 1921 (G. Harms). - J.-B. Lully, 10 Bde (nicht ab-
geschlossen), Paris 1930-39 (H. Prunieres). - Mahler, bis-
her 4 Bde, Bin, Wiesbaden u. Wien 1960ff. (Internationale
Gustav-Mahler-Ges.). - Mendelssohn-Bartholdy, 1):
19 Serien in 36 Bden, Lpz. 1874-77 (J. Rietz); 2): Lpz.er
Ausg., bisher 1 Bd, Lpz. (1961) (Internationale Felix-
Mendelssohn-Ges.). - Ph. de Monte, 31 Bde (unvollstan-
dig), Brugge u. Dusseldorf 1927-39 (J. Van Nuffel, G. Van
Doorslaer, Ch. Van den Borren). - Monteverdi, 16 Bde
(in 20), Wien u. Asole-Gardone 1926-42 (G. Fr. Malipiero),
fortgefiihrt 1954-67. - Mozart, 1): 3 Abt. u. Nachtrag,
Lpz. 1798-1808; 2): 24 Serien in 69 Bden, Lpz. 1876-1905
(Brahms, Joachim, Ritter v. Kochel, Ph. Spitta, Wiillner
u. a.) ; 3) : neue Ausg., bisher 42 Bde (nebst 6 Suppl. -Bden),
Kassel 1955ff. (Internationale Stiftung Mozarteum Salz-
burg). - Fr. Nietzsche, 1 Bd (unvollstandig), Lpz. 1924
(G. Gohler). - J. Obrecht, 1): 30 Lieferungen, Lpz. u.
Amsterdam 1908-21 (J. Wolf); 2): bisher 8 Faszikel,
Amsterdam 1953ff. (A. Smijers im Auftrag d. Vereni-
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis). - Ocke-
ghem, bisher 2 Bde (Dr. Plamenac), = American Musico-
logical Soc, Studies and Documents I u. Ill, NY 1947 u.
1959. - A. Pacelli, bisher 1 Bd, Rom 1947 (M. Gliri-
ski). - Palestrina, 1): 33 Bde, Lpz. 1862-1907 (Th. de
Witt, Rauch, Espagne, Commer, Haberl); 2): bisher 26
Bde, Rom 1939ff. (R. Casimiri, L. Virgili, Jeppesen, Bian-
chi). - G. B. Pergolesi, 27 Bde (Opern nur im Kl.-A.), Rom
1939^12 (F. Caffarelli). - M. Praetorius, 21 Bde, Wolfen-
buttel u. Bin 1928-59 (Fr. Blume, A. Mendelssohn, W.
Gurlitt). - Purcell, 26 Bde, London 1878-1928 (Purcell-
Soc), fortgefiihrt seit 1962, bisher 5 Bde (The New Purcell
Soc). - J.-Ph. Rameau, 18 Bde, Paris 1895-1929 (Saint-
Saens, M. Emanuel, M. Teneo). - Reger, bisher 20 Bde,
Wiesbaden 1954ff. (Max-Reger-Inst. Bonn). - A. Rener,
bisher 1 Bd, Brooklyn (N. Y.) 1964 (Inst, of Mediaeval Mu-
sic). - G. Rhaw, bisher 5 Bde (begonnen v. H. Albrecht im
Auftrag des Landesinst. f. Musikforschung Kiel). - N. A.
Rimsky-Korsakow, bisher 42 Bde, Moskau 1946ff. (B. Wl.
Assafjew u. a.). - D. Scarlatti, 1) : 2 Bde (luckenhaft, nur
Kl.-Werke), Wien 1839 (C. Czerny); 2): 10 Bde, 1 Suppl.
(Kl.-Werke), Mailand 1907-37 (A. Longo). - S. Scheidt,
bisher 10 Bde, Klecken u. Hbg 1923ff. (G. Harms, Chr.
Mahrenholz). - J. H. Schein, 1): 7 Bde (unvollstandig),
Lpz. 1901-23 (A. Priifer, K. Hasse, B. Engelke); 2): neue
Ausg., bisher 2 Bde, Kassel 1963ff. (A. Adrio). - SchOn-
327
Gesangbuch
berg, bisher 1 Bd, Mainz u. Wien 1966 (J. Rufer). - Schu-
bert, 1): 20 Serien in 40 Bden, Lpz. 1888-97; 2): neue
Ausg., bisher 1 Bd (nebst 2 Suppl.-Bden), Kassel 1964 (In-
ternationale Schubert-Ges.). - Schutz, 1): 16 Bde u. 2
Suppl., Lpz. 1885-94, 1909/27 (Ph. Spitta, A. Schering);
2): neue Ausg., bisher 16 Bde, Kassel 1955ff. (Neue Schiitz-
Ges., seit 1963 Internationale Heinrich-Schutz-Ges.). -
Schumann, 14 Serien mit 31 Bden, Lpz. 1879-93 (CI. Schu-
mann, Brahms). - L.Senfl, bisher 8 Bde (einschlieBlich d.
friiher in EDM erschienenen — ► Denkmaler),Wolfenbuttel
1949ff. (Landesinst.f. MusikforschungKiel.Schweizerische
Musikforschende Ges.). - L. Spohr, bisher 15 Bde (groCe
Ausw.-Ausg.), Kassel 1949ff. (Fr. O. Leinert). - Th. Spo-
rer, Kassel 1929 (H. J. Moser). - J. Strauss (Vater), 7 Bde
(im Kl.-A.), Lpz. 1887-89 (J. StrauB [Sohn]). - J. P. Swee-
linck, 10 Bde, Den Haag u. Lpz. 1894-1901 (M. Seiffert),
2 Suppl. Wiesbaden 1957/58 (A. Annegarn, B. Van den
Sigtenhorst Meyer). - Telemann, bisher 18 Bde (groBe
Ausw.-Ausg.), Kassel 1944/53ff. (Ges. f. Musikforschung).
- J. Theile, bisher 10 Bde, Dusseldorf 1955ff. (W. Max-
ton). - Tschaikowsky, bisher 44 Bde, Moskau 1946ff.
(J. Gleboff). - T. L. de Victoria, 8 Bde, Lpz. 1902-1 3 (F.
Pedrell). - Vivaldi, bisher 300 Lieferungen, Mailand
1 947ff. (Istituto Ital. A. Vivaldi). - R. Wagner, 10 Bde (un-
vollstandig), Lpz. 1912-29 (M. Balling). -J. Walter, bis-
her 4 Bde, Kassel 1943/53ff. (O. Schroder). - Weber, 3 Bde
(abgebrochen), Augsburg 1926ff. (H. J. Moser). - H. Wolf,
bisher 3 Bde, Wien 1963ff. (Internationale H.-Wolf-Ges.).
Gesangbuch ist der Name des Buches, das die Gesan-
ge der Kirchengemeinden zum Gebrauch im Gottes-
dienst enthalt. Liedgesang der Gemeinde war schon im
katholischen Gottesdienst des Mittelalters iiblich. Doch
das Aufbliihen des Gemeindeliedes und die Entwick-
lung des G.s waren Folgen der reformatorischen Ab-
sicht, die Gemeinde am Gottesdienst starker zu beteili-
gen. Die Ordnung der Lieder im G. erfolgte im An-
schluB an die Gradualien, Cantualien usw. gemaB dem
Verlauf von Kirchenjahr und Liturgie. Etwas spater als
in der protestantischen Kirche setzte die Ausbildung
des G.s in der katholischen Kirche ein. In der Refor-
mationszeit wird das Gemeinde-G. mit Enchiridion,
Geistliche Lieder, Psalmen usw. betitelt. Erst im 18. Jh.
ist die Bezeichnung G. allgemein gebrauchlich gewor-
den, nachdem das unbegleitete Auswendigsingen der
Gemeinde und der alternatim-Gebrauch der Orgel
verlorengegangen waren. Die Orgel hatte Ende des
17. Jh. mit der Begleitung zugleich die Leitung des
Gemeindegesangs iibernommen. Wahrend fur den
Organisten Choralbegleitbiicher erschienen, ging das
G. aus der Hand des Pfarrers, des Kantors, des Organi-
sten und des Schulmeisters in die Hand der Gemeinde-
glieder iiber. Dabei verschwanden die Melodien aus
dem G. und kamen erst im 19. Jh. wieder auf. - Das
erste volkssprachliche G. erschien 1501 tschechisch
(->■ Bohmische Briider). Die beiden wichtigsten, weil
unmittelbar auf -»■ Luther zuriickgehenden und von
ihm mit je einer Vorrede versehenen Gesangbiicher
der Ref ormationszeit sind das Klugsche und das Babst-
sche G. Ersteres erschien unter dem Titel Geistliche
lieder auffs new gebessert zu Wittemberg. D. Mart.Luth.
Gedruckt zu Wittemberg durch Joseph Klug 1529, aus-
gezeichnet mit Luthers Wappen (weitere Auflagen
1533, 1535, 1543ft".). Klug hatte 1524 das Chor-G. von
J. -»- Walter (Geystliche gesangk Buchleyn), ebenfalls mit
einer gewichtigen Vorrede von Luther, gedruckt
(Nachdruck 1525 bei P. Schoffer in Worms, 2. Auflage
1534 in StraBburg bei Schoffer und Apiarius, 3. ebenda
1537, 4. bei G.Rhaw in Wittenberg 1544, 5. ebenda
1551). Das Babstsche G. (Leipzig 1545) ist das letzte zu
Lebzeiten Luthers erschienene und mit einer Vorrede
von ihm versehene G. Bedeutende Gesangbiicher sind
auBerdem das StraBburger Teutsch Kirchen amt (1525),
das Leipziger Enchiridion (1530), das erste deutsche G.
der Bohmischen Briider von M.Weysse (1531), das
Niiw gsangbiichle (Zurich 1540), das grofie StraBburger
G. mit einer Vorrede von M.Bucer (Butzer) 1541 und
der Genfer Liederpsalter (-> Calvinistische Musik).
Das mehrstimmige Chor-G. war bis Ende des 17. jh.
gebrauchlich, solange namlich an manchen Orten al-
ternatim-Gesang der Chorale zwischen Figuralchor
und Gemeinde iiblich war (-> Kantionalsatz). Das G.
der Reformationszeit enthalt einen festen Stamm von
Liedern, der nahezu 200 Jahre lang den Kern der mei-
sten evangelischen Gesangbiicher bildete, zudem mehr
oder weniger zeitgebundene Lieder, die spater in den
»Anhang« aufgenommen wurden. Der Stamm blieb
unangetastet, wahrend der Anhang etwa alle 30 Jahre
umgestaltet oder gegen andere Lieder ausgewechselt
wurde, bis unter dem EinfluG des Pietismus der An-
hang das Ubergewicht erhielt. Das reformatorische
Bekenntnis- und Zeugnislied ist durch das private
Haus-G. mit seinem pietistischen »Kammerleinlied«
und seinen neuen Erbauungsliedern und -arien mehr
und mehr verdrangt worden. Von Luther abgesehen
ist kein Liederdichter in dem MaBe wie P.Gerhardt
(1607-76) in das lebendige Erbe des evangelischen G.s
eingegangen. Als Beispiele fur das pietistische G. »zur
Beforderung sowohl Kirchen- als Privat-Gottesdien-
stes« seien genannt die Gesangbiicher von J.Criiger
(vierstimmig mit Gb., Berlin 1644; in 2. Auflage als
Praxis pietatis melica 1647, das allein in Berlin 44mal
aufgelegt wurde), von J.A.Freylinghausen (Halle/
Saale, 1. Teil 1704, 2. Teil 1714, 191759), daran an-
schlieBend Zinzendorfs Bethelsdorfer G. von 1775,
das trotz Traditionszusammenhang zwischen Herrn-
huter Briidergemeinde und Bohmischen Briidern
kaum noch Lieder aus deren Gesangbiichern enthalt,
und schlieBlich Schemellis Musikalisches G. (Leipzig
1736), fiir das J. S. Bach Lieder beigesteuert hat. Das G.
der Aufklarung verlagert das Verhaltnis von Gemein-
delied und privatem Erbauungslied noch weiter zu-
gunsten des letzteren und ordnet die Lieder nicht mehr
nach dem Ablauf von Liturgie und Kirchenjahr, son-
dern nach erbaulichen Lehrschemata. Genannt seien
die Gesangbiicher von H.Lindenberg (Koln 1741,
katholisch), G. J. Zollikofer (Leipzig 1766, reformiert)
und J.S.Diterich (Berlin 1783, lutherisch). - Das 51-
teste katholische G. mit Melodien gab M. Vehe, Stifts-
propst zu Halle (Saale), heraus (Leipzig 1537) ; es folgen
das G. von J. Leisentritt (Bautzen 1567) sowie die lange
Reihe der Diozesangesangbiicher, die den evangeli-
schen Landeskirchengesangbuchern nachgebildet sind.
Das evangelische G. des 19. Jh. spiegelt die kirchliche
Erweckung wider, die im Zusammenhang mit den Frei-
heitskriegen, spater mit der kirchlichen Erneuerung
und der Neubesinnung auf das Erbe der Reformation
hervortrat. E.M.Amdt (Von dem Wort und dem Kir-
chenliede, Bonn 1819) war der erste, der den Gedanken
eines christlichen deutschen Einheits-G.s aussprach,
das sowohl fiir die evangelischen als auch die katholi-
schen Christen gleichermaBen giiltig sein sollte. Im 20.
Jh. setzte dann eine umfassende G.-Reform ein, die
nicht zuletzt auch die praktischen Erfahrungen der Ju-
gendmusikbewegung sowie die Erkenntnisse des mu-
sikgeschichtlichen Zweigs der Hymnologie verwertete.
Dabei wurde der Liedbestand auf die wertvollsten
Kernlieder hin gesiebt und jeweils die Urfassungen an-
gemessen berucksichtigt. So entstand, bearbeitet von
Chr. Mahrenholz und O.Sohngen, 1950 das heute
giiltige Evangelische Kirchen-G. Zu seinen 394 Stamm-
liedern kommen jeweils noch etwa 60-100 regional
gebrauchliche Kirchenlieder (WUrttemberg hat deren
200) im Anhang, der etwa alle 20 Jahre revidiert wer-
den soil. Konfessionelle Besonderheiten finden sich
ebenfalls im Anhang berucksichtigt. Neben den katho-
328
lischen Diozesangesangbiichern sind als iiberregional
zu nennen H. Bones Cantate (1847) sowie das Kirchen-
lied (1928) und das Einheitsliederbuch der deutschen
Bistiimer (1947) mit 74 Liedern.
Ausg.: J. Walter, Geystliche gesangk Buchleyn (Witten-
berg 1524), hrsg. v. O. Kade, = PGfM Jg. VI, Bd VII, Bin
1878; dass., hrsg. v. O. Schroder, in: J. Walter, GA I— III,
Kassel 1943-55; Geystliche Lieder (Babstsches G., Lpz.
1545), Faks. hrsg. v. K. Ameln, Kassel 1929, 21959; Erfur-
ter Enchiridion (1524), Faks. Kassel 1929; Teutsch Kir-
chen amt (StraBburg 1 525), Faks. hrsg. v. K. Reinthaler,
Erfurt 1948; Lpz.er Enchiridion (1530), Faks. hrsg. v. H.
Hofmann, Lpz. 1914; M. Weysse, Ein new Geseng buch-
len (Jungbunzlau 1531), Faks. hrsg. v. W. Thomas, Kassel
1931; Geistliche lieder auffs new gebessert (Wittenberg
1533), Faks. hrsg. v. K. Ameln, Kassel 1954; Niiw gsang-
biichle (Zurich 1540), Faks. hrsg. v. J. Hotz, Zurich 1946;
Gesangbuch, darinn begriffen sind, d. aller fiirnemisten u.
besten Psalmen, geistliche Lieder, u. Chorgesang (StraB-
burg 1 541), Faks. Stuttgart 1953 ; Les pseaumes . . . mis en
musique a 4 parties par CI. Goudimel (Genf 1565), Faks.
hrsg. v. P. Pidoux u. K. Ameln, Kassel 1935 ; N. Beuttner,
Catholisch Gesang-Buch (Graz 1602), Faks. hrsg. v. W.
Lipphardt, Graz 1964.
Lit. : Fr. Zelle, Das erste ev. Choralbuch (Osiander 1586),
Wiss. Beilage zum Jahresber. d. 10. Realschule zu Bin,
1903; Ch. Schneider, Luther poete et musicien et les En-
chiridiens de 1524, Genf 1942; O. Sohngen, Die Zukunft
d. G., Bin (1949); Chr. Mahrenholz, Das Ev. Kircheng.,
Kassel 1950; W. Brennecke, Das Hohenlohesche G. v.
1629 u. J. Jeep, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie IV, 1958/59;
M. Jenny, Gesch. d. deutsch-schweizerischen ev. G. im
16. Jh., Basel 1962.
Gesangschulen -> Gesangskunst.
Gesangskunst setzt in technischer Hinsicht die sou-
verane Beherrschung des Stimmapparates, prazise Ar-
tikulation und reine Intonation voraus; in musikali-
scher Hinsicht erfordert sie eine sinnvolle Interpre-
tation des Notentextes, verbunden mit personlicher
Ausstrahlung des Sangers au£ sein Publikum. - Die
Pflege des Gesanges laBt sich bis ins Altertum zuriick-
verfolgen, dessen Schriftsteller iiber verschiedene, zum
Teil hoch virtuose Arten des Gesangsvortrags berich-
ten; auch liegen Nachrichten iiber das Wirken von
Gesanglehrern (-*■ Phonascus) vor. Den Kirchenva-
tern gait kunstvoller Gesang iiberwiegend als heidnisch
und anstoflig, da er die Deutlichkeit des Textvortrags
und durch seinen sinnlichen Reiz die Andacht der Ge-
meinde storen konnte. Zur Ausiibung einer neuen,
kirchlichen Forderungen entsprechenden G. kam es in
der vermutlich im 5. Jh. gegriindeten romischen
-»■ Schola cantorum, die fiir die im 8. Jh. entstehenden
Schulen in Metz und St. Gallen vorbildlich wurde.
Wahrend Schulen dieser Art (spater auch in Paris und
Cambrai) der gesanglichen Ausbildung von Klerikern
und der korrekten Uberlieferung des Gregoriani-
schen Gesanges dienten, entstanden daneben bei K16-
stern und groBeren Kirchen Schulen, in denen Knaben
nebenderallgemeinenAusbildungauchimgottesdienst-
lichen Gesang unterrichtet wurden (-»• Schulmusik,
-*■ Kantorei, Domchor, -»- Maitrise). - In der Mitte
des 16. Jh. erwachte das Interesse an der -*■ Stimmbil-
dung, der wichtigsten Voraussetzung der G. In seinem
Brief All' Illustrissimo Signor d'Alta Villa (Neapel 1562)
behandelt G.C.Maffei die Anatomie der Stimmorga-
ne und bringt Gesangsregeln und Ubungen fiir die
-> Verzierungen. G. dalla Casa (// vero modo di diminuir
..., Venedig 1584), G.Bassano (Motetti, madrigali et
canzonifrancejie, Venedig 1591), G. B. Bovicelli (Regole,
passaggi di musica, Venedig 1594) und L.Zacconi (Prat-
tica di musica, Venedig 1596) zeigen an Hand von Ver-
zierungsbeispielen in Madrigalen und Motetten, wie
einzelne Stimmen mehrstimmiger Kompositionen so-
Gesangskunst
listisch verziert ausgef iihrt werden konnen. G. Caccini,
der in der Vorrede zu he nuove musiche (1601) seine
Kunst des ausdrucksvollen Sologesanges darlegt, gibt
zur Erzielung einer nobile maniera di cantare (-*■ Mono-
die) fiir die Intonazione, die Esclamazione und das cres-
cere e scemare delta voce Anweisungen, die einen wichti-
gen Ansatzpunkt fiir den -»■ Belcanto mit einer sich
iiber das ganze 17. Jh. erstreckenden Nachwirkung bil-
den. Im 18. Jh. richtete man sorgfaltig abgestufte Ubun-
gen ein, deren vollkommene Beherrschung ein lang-
wieriges Studium erforderte. Uber diese Vorbildung
informieren Passaggien- und Solfeggienwerke (-> Sol-
fege), so die Opinioni de' cantori antichi e moderni (1723)
von P. Fr.Tosi, die Pensieri e riflessioni pratiche sopra
il canto figurato (1774) von G.Mancini und die Raccol-
ta di esercizj per il canto (1811) von G. Crescentini. Es
zeichnen sich dabei vier Grundstufen ab: das Solmi-
sieren, das Vokalisieren (-> Vocalise), die -*■ Messa di
voce und die Ausfiihrung der improvisierten Verzie-
rungen. - In Frankreich setzte sich eine derartige G.
nicht durch. Die Auffiihrung italienischer Opern in
Paris wahrend der Amtszeit des Kardinals Mazarin
veranlaBte die Franzosen zu einer eigenen Gesangs-
asthetik, die ganz auf den rationalistischen Prinzipien
der Vernunft und der Klarheit gegriindet war. Als
erster behandelt M.Mersenne im 6. Buch seiner Har-
monie universelle (1636) Stimme und Gesang; dabei
zieht er die kleineren Stimmen den groBeren vor. Das
gleiche tut B. de Bacilly in seinen Remarques curieuses
sur I' art de bien chanter (1668), da die kleineren Stimmen
zum Vortrag der avec douceur zu singenden Verzierun-
gen geeigneter seien. Bacilly verlangte vor allem ge-
naue Artikulation der Worter und scharfe Deklama-
tion der Verse; beide Forderungen wurden dann ober-
ste Grundsatze fiir die Tragedie lyrique. - Mit der Er-
neuerung der Oper durch Gluck anderten sich auch
die seitherigen Grundlagen. In der von B.Mengozzi
verfaBten und von H.Fr.M.Langle 1802 herausgege-
benen Mhhode de chant du Conservatoire wird versucht,
die franzosische Tradition mit den italienischen Ten-
denzen in Einklang zu bringen. Hierbei handelt es sich
nicht mehr um bloBe Anweisungen wie in den Ver-
zierungslehren des 18. Jh., sondern um ein methodi-
sches Lehrwerk, dessen Ubungen nicht direkt ver-
wertbar sind, sondern erst nachtraglich auf den Gesangs-
vortrag angewendet werden. Unter dem EinfluB von
Physiologen, besonders von F.Magendie, entstand
L'art du chant (1845) von G.Duprez, eine auf der Laut-
bildung (phonation) beruhende Gesangsmethode. Der
Sanger und Wissenschaftler M.Garcia, der 1840 der
Academie Francaise in der Memoire sur la voix humaine
physiologische Untersuchungen vorgelegt hatte, schuf
1855 durch dieErfindung des Laryngoskops, des Kehl-
kopfspiegels, die Voraussetzung fiir auf systematischer
Schulung der -»■ Stimme (- 2) beruhende Gesangsme-
thoden. Durch seinen Traite complet du chant hatte
Garcia 1847 die erste moderne Gesangschule begriin-
det, die, wie viele folgende Schulen, sich dem zielbe-
wuBten Aufbau der Singstimme und ihrem Training
widmete. Der mit R.Wagner befreundete Fr. Schmitt
stellte in seiner Crofien Gesangschule fiir Deutschland
(1854) eine nach Schwierigkeitsgraden angelegte Stu-
fenleiter auf, systematisch angeordnete Ubungen von
Tonverbindungen und Tongruppen bis zur Oktave;
erst nach der Stimmbildung folgt dann die sprach-
gesangliche Erziehung. Sein Schuler J. Hey verlegte in
seinem Deutschen Gesangunterricht (1885) neben der
Ton- und Stimmbildung die Sprecherziehung in den
Mittelpunkt seiner Lehre. Die Sprache steht als Aus-
gangspunkt in der Gesangsmethode (1884) von J. Stock-
hausen; die Gesangsiibungen beginnen in der Mittel-
329
Gesangskunst
lage mit Schwelltonen innerhalb des Hexachordrau-
mes; zur Gewinnung eines dunklen Timbres empfiehlt
Stockhausen die Tiefhaltung des Kehlkopfes. Br. Miil-
ler-Brunow verbreitete mit seinem Buch Tonbildung
oder Gesangunterricht (1898) die Lehre vom primdren
Ton, mit dem der jedem Menschen seiner Natur nach
am nachsten liegende Grundton gemeint ist, derfessellos
dem leichtgeoffneten Munde entstromt (S. 9). Diese Theo-
rie erregte um 1904 zwei einander diametral wider-
sprechende Methoden: das »Stauprinzip« von G. Ar-
min, der nur von der Bruststimme aus zu optimalen
Erfolgen gelangen zu konnen glaubte, und die Mini-
mallufttheorie oder die Lehre vom »Freilauf « und den
»Partialtonen« von P.Bruns, der unter optimaler Lok-
kerheit vom Falsett aus zum Ziel zu kommen ver-
meinte. Eine Synthese beider Theorien versuchten die
Danen J. und V. Forchhammer in ihrer Theorie und
Technik des Singens und Sprechens (1921). Einen von der
physiologischen Methode abweichenden Weg be-
schritt Fr. Martienssen (Das bewuftte Singen), die von der
psychologischen Grundlage der echten Gesangstechnik aus-
ging. - Heute bestehen nebeneinander die verschiede-
nen Gesangstechniken der Italiener, deren G. auf der
Trennung der Stimmregister beruht, und die deutsche
G., die darauf gerichtet ist, die verschiedenen Register
zu iiberbrucken.
Lit.: G. Caccini, Le nuove musiche, Florenz 1601 u. 6.,
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Geschichte der Musik. Es liegt im abendlandischen,
seiner Herkunft nach griechischen und von daher
durch das Spannungsverhaltnis von -*■ Theorie und
Praxis gekennzeichneten Begriff der Musik beschlos-
sen, daB sie Gesch. hat im Sinne eines immerwahren-
den Wandels ihrer Erscheinungsformen, in der Weise
einer bestandigen Folge neuer Musik. In solcher Ge-
schichtlichkeit ist die Musik eine nur dem Abendland
eigene Erscheinung. Ihr gegenuber steht als Gegenpol
die vorgeschichtliche (vormusikalische), gleichsam
naturwiichsige, oder die noch nicht europaisch beein-
fluCte Gestaltung des Klingenden, die so wenig Praxis
genannt werden kann, wie sie Theorie kennt, und die
sich durch ihre relative Geschichtslosigkeit auszeich-
net. Das Verhaltnis zwischen diesen Polen ist nicht
wechselseitig: Begegnungen zwischen Naturwiichsi-
gem und Artifiziellem geschehen im Endergebnis
wohl stets zugunsten des letzteren, sei es als eine Be-
fruchtung der abendlandischen Musik, ihrer Gesch.,
sei es als Europaisierung, indem sich das Artifizielle ne-
ben die einheimische Uberlieferung stellt, sie durch-
dringt, in ihrer Eigenart gefahrdet und auszuloschen
droht. Zwar spricht der Europaer heute (so wie auch
dieses Musiklexikon) von Musik der Naturvolker,
Eskimo-Musik, Negermusik, Afrikanischer Musik
usw. und ihrer Gesch. (ein eigenes Problem ist wo-
moglich die -»• Chinesische Musik), doch geschieht
dies weithin unreflektiert in Ermangelung und als Er-
satz der kultureigenen Begriffsworter und dabei zu-
meist in blind europaisierender Sicht. Die Konzeption
einer musikalischen Universalgesch. ist wohl moglich
angesichts der Ausbreitung abendldndischer Melodik und
Harmonik uber die ganze Erde (Wiora), muB aber proble-
matisch bleiben, wo die Eigenart fremder Klangwelt
zugunsten von universalgeschichtlich konzipierten
Weltaltern der Musik verkannt und dem in Termino-
logie und Tonschrift grundsatzlich theoretischen, arti-
fiziellen und geschichtlichen Begriff der Musik adap-
tiert wird. - Die Gesch. d. M., in der die unaufhorliche
Folge der Neuerungen zugleich ein Kontinuum der
Tradition darstellt und die sich seit dem 12./13. Jh.
primar als Gesch. der -> Komposition abspielt, beglei-
tet ein bestandiges Sich-Erinnern an die Vergangenheit.
Dieses hat selbst Gesch.; es wandelt sich zusammen
mit der Art, in der die Tradition in der Gesch. d. M.
wirksam ist.
Das mittelalterliche Musikschrifttum (ahnlich schon in
der Spatantike der unter Plutarchs Namen iiberlieferte
Dialog IIeqi fiovaixfji;) erinnert an die Vergangenheit
nach Art der Weltchroniken : es erzahlt den biblischen
(Jubal/Thubalkain, Genesis 4, 21 f. ; z. B. Isidorus, Ety-
moXogiae III, 16, 1) oder griechischen (Mythologie,
Pythagoras-Legende ; z. B. Guido von Arezzo, Micro-
logus, CSM IV, 2291T.) Ursprung der Musik, die spa-
teren »Erfindungen«, die biblischen oder legendaren
330
Geschichte der Musik
Berichte iiber die Wirkungen der Musik und die Lei-
stungen der Autoritaten (Kirchenvater, Gregor I.,
Guido, Franco). Die Erinnerung steht im Dienst der
Wesensschau, des Bewahrens und Uberlieferns von
Wissen, des Lobes und der Rechtfertigung der Musik,
noch nicht aber im Zeichen von Wiederentdeckungen.
Dies entspricht der Eigenart der mittelalterlichen Gesch.
d. M., in der die Tradition noch gleichsam selbsttatig
(daher unreflektiert) wirksam war. Die aus der grie-
chischen Antike tradierten Grundlagen entfaltete die
Musik des -*■ Mittelalters seit der karolingischen Zeit
zu einer grundsatzlich neuen Art musikalischer (d. h.
von theoretischer Reflexion begleiteter) Praxis, die
durch die Entstehung der Mehrstimmigkeit (-> Or-
ganum), der tonlich und rhythmisch eindeutigen Mo-
dalnotation und der Komposition mehrstimmiger Mu-
sik gekennzeichnet ist und Gesch. hatte in den Erschei-
nungen Sequenz und Tropus, Organum, Discantus
und Contrapunctus, Clausula, Motette und Chanson,
->■ Ars antiqua und ->■ Ars nova. Doch hinter der Folge
der Neuerungen standen als traditionsstiftende Mo-
men te nicht nur musikalische Prinzipien (z. B. die Re-
lation zwischen Ton und Tonsystem oder das ton-
sprachliche Gestalten von Anfang, Mitte und SchluB),
die ins je Neue sich entfalteten, sondern auch die be-
harrliche Geltung der Theoretiker (wie es z. B. die
Boethius- und die Musica Enchiriadis-lJbexlieleiung
zeigt) und die Konstanz des Chorals. An den Zentren
der Musikpflege waren gegenwartig giiltig die neuen
Arten der Musik, wahrend die vergangenen veralteten
und weithin vergessen wurden. Doch das Vergangene
war im Neuen mit eingeschlossen und wirksam : in der
jeweils neuen Musik waren die ihr uorausgegangenen Stu-
fen implicite enthalten (Georgiades).
Erstmals haben -+ Humanismus und -> Renaissance
des ausgehenden 15. und 16. Jh. mit ihrem Interesse
am originalen fruh- und hochmittelalterlichen Musik-
schrifttum (besonders im Zuriickgreifen au£ Boethius
und Guido von Arezzo) und an der antik-griechischen
Musik und Musiktheorie (Gaflori, Glarean, Vicentino,
G. Mei, V. Galilei) Vergangenes wiederentdeckt. Zwar
war auch in der Florentiner ->• Camerata die Berufung
auf die Musica antica noch ein Mittel der Rechtferti-
gung, namlich der polemischen Erorterung und der
Verteidigung einer neuen Art von Musik gegenuber der
derzeitigen Musica moderna. Indem nun aber die Be-
sinnung auf die Antike im Hinblick auf die zeitgenossi-
sche Praxis entdeckerisch iiber den TraditionsprozeB
hinwegzugreifen strebte, waren erstmalig die Voraus-
setzungen fur das neuzeitlich reflektierende Sich-Ver-
halten gegenuber der Gesch. d. M., fur ein Traditions-
»BewuBtsein« und fur das Wiederentdecken alter Mu-
sik gegeben. Die Gliederung des Gesamtgeschehens in
die Zeitalter Antike, Mittelalter und Neuzeit und die
entwicklungsgeschichtliche Vorstellung von Bliite-,
Niedergangs- und Aufstiegszeit haben hier ihre Wur-
zeln. - Doch neben dem, auch als -> Seconda prati-
ca proklamierten, »neuen Stil« der Musik, der durch
Monodie, GeneralbaB und neuartige Dissonanzbehand-
lung gekennzeichnet ist und in Madrigal und Concer-
to, Oper und Oratorium, Rezitativ und Arie konstitu-
tiv wurde, blieb im 17. Jh. der »alte Stil« der Musik un-
mittelbar wirksam, teils als der fur die Kirchenmusik
geforderte oder fur einzelne Gattungen (Messe, Mo-
tette) besonders geeignete -> Stil, teils als Lehrfunda-
ment (Schiitz; im 18. Jh. noch Fux) und uberall in der
gegenseitigen Durchdringung der Stile. Dementspre-
chend stand bis in die Bach-Zeit auch das Schreiben
iiber die alte Musik weithin noch nicht unter dem
Aspekt des Wiederentdeckens, sondern bewahrte den
Charakter der Musica historica. Diese erzehlet den Ur-
sprung und erste Erfindung der Music . . . , auch deren Auf-
nahme und Fortgang, ingleichen die beruhmtesten Auctores
(Walther 1732). Sie besteht im Zusammenstellen von
Quellenexzerpten, und ihre Motivierung ist das Riih-
men der Musik und des Musikerstandes, das exempla-
rische Belegen der »Nutzbarkeit« der Musik (fur Ge-
miit, Tugend, Gesundheit, Belustigung usw.) und ihres
Hohersteigens bis zur jetzigen Vortrefflichkeit. Zu den
Topoi der »historischen Beschreibung« gehoren z. B.
der Beweis, dafi die Kirchvdter im Newen Testament die
Instrumentalische Musicam nicht verworffen haben (Prae-
torius Synt. I, S. 135ff.), und die Erorterung Von der
Music Endzweck (Printz, Kap. 14). Zur Musica historica
(oder Musica historia) zahlen der 2. Teil der Exercitatio-
nes tnusicae duae (1600) von S. Calvisius, der de Initio et
Progressu Musices unter musiktheoretischem Aspekt
berichtet; das lateinisch geschriebene Syntagma musi-
cum I (1615) von M.Praetorius, das im 1. Teil Von der
Geistlichen- vnd Kirchen-Music . . . vorzeiten j wie auch
noch jtzunder (bis zur Reformation) handelt und im 2.
Teil Eine Historische Beschreibung der Alten Politischen
vnd Weltlichen Music gibt; ferner die Historische Be-
schreibung . . . (1690) von W.C. Printz, deren 12. Ka-
pitel (Von Denen Beruhmtesten Musicis des 17. Jh.) zu-
sammen etwa mit Walthers Lexicon (1732) und Mat-
thesons Ehren-Pforte (1740) der spateren biographischen
Musikgeschichtsschreibung als Quelle diente.
Eine auf die Quellen zuriickgehende, philologisch,
historisch und kritisch verfahrende Musikgeschichts-
schreibung entstand im Zusammenhang mit der Auf-
klarung zuerst in Frankreich, teils in Verbindung mit
der »Querelle« iiber die Vorziige der italienischen und
franzosischen Musik (-»- Raguenet 1702 und 1705;
-*■ Lecerf de la Vieville 1704fL; auch die Histoire de la
musique von -*■ Bourdelot-Bonnet, 1715, gehort teil-
weise hierher), teils im Dienst der »Querelle des An-
ciens et des Modernes« auf musikalischem Gebiet (Bu-
rette 1729). In der Tradition benediktinischer Gelehr-
samkeit steht der Essai d'une histoire de la musique des
Mauriners Ph. J. -> Caffiaux (3 Bde, 1757, hs.), der, bis
1754 reichend, ausschlieBlich Musikschrifttum heran-
zieht, dieses jedoch breit und griindlich verarbeitet.
Ein Ergebnis systematischen Forschens unter dem
Aspekt wissenschaftlichen Aufklarens ist 1780 die en-
zyklopadische Bewaltigung des musikgeschichtlichen
Stoffes durch J.B. de Laborde. In Italien erarbeitete
Padre G.B.Martini in kritischer Methode aus den
Quellen seiner gewaltigen Bibliothek eine Storia della
musica, die in den gedruckten 3 Banden (1757-81) je-
doch nicht iiber die Musik des Altertums hinausge-
langte. In Deutschland schuf M. Gerbert, geleitet vom
Interesse an kirchenmusikalischen Fragen, mit seinem
Werk De cantu et musica sacra . . . (1774) eine reiche
Materialsammlung zur Gesch. der Musica sacra und
mit seinen Scriptores . . . (1784) ein Quellenwerk ersten
Ranges fur die Erforschung der mittelalterlichen Mu-
siklehre. In England veroffentlichte 1776 der Jurist J.
Hawkins A General History . . . of Music, die besonders
in der Mitteilung von Partien des Musikschrifttums
und etwa 150 Kompositionen alterer Zeiten eine Fiille
erstmals erschlossenen Materials bietet, gegenuber der
Moderne indessen von Skepsis erfiillt ist. Dagegen liegt
der besondere Wert von Ch.Bumeys A General Hi-
story of Music . . . (Bd I, ebenfalls 1776) gerade in dem
letzten, 4. Band (1789) iiber die Musik des 18. Jh., die
Burney auf seinen Reisen durch Europa (1770 und
1772) studiert hatte. Fortschrittsglaube und musikali-
sches StandesbewuBtsein fuhren ihn zu skeptischer Be-
urteilung des einseitigen Interesses an der Musik der
Antike (indeed, I should have been glad to have waived all
discussion about it: for . . . the study of ancient music is now
331
Geschichte der Musik
become the business of an Antiquary more than of a Mu-
sician). Ubersichtlich ordnet er die Gesch. d. M. nach
Zeiten, Schulen und Sachproblemen und versucht sie
je als Teil eines Kulturganzen zu sehen; doch seine De-
finition der Musik als an innocent luxury bietet noch
keine Impulse zur Entfaltung einer tieferen Konzep-
tion. Eine solche Konzeption stellt J.N. -» Forkels
Versuch einer Metaphysik der Tonkunst dar, der den I.
Band seiner Allgemeinen Gesch. d. M. (1788) einleitet
(Bd II reicht bis ins 16. Jh. ; der nicht erschienene Bd III
war als eine Spccialgesch. der deutschen Musik geplant).
In Forkels Leitgedanken ist die Friihromantik erkenn-
bar: die universalhistorische Betrachtungsweise und
die Idee der organischen Entwicklung, die durch die
Gottinger Geschichtsschule und besonders wohl durch
Herders Gedanken des Wachstums, der kulturhistori-
schen Bedingtheit und des Eigenwertes der geschicht-
lichen Erscheinungen auf Forkel einwirkten. Doch
letztlich ist Forkels Werk noch immer im Sinne der
Aufklarung konzipiert als stuffenweise Ausbildung der
Musik vom ersten Anfang bis zu ihrer hochsten Vervoll-
kommnung (Einleitung, § 1). Ein Mafistab, der syste-
matisch nach Art der Natur-Lehre aus der Natur der
Kunst und des Menschen und geschichtlich aus der Mu-
sik des 18. Jh. (namentlich J. S.Bachs, Haydns und
Dittersdorfs) gewonnen ist, dient zur Beurteilung der
Erscheinungen im Sinne des Fortschritts. Forkels Mo-
tive der Musikgeschichtsschreibung sind vornehmlich
das Interesse an der »wahren Musik«, das Aufdecken
der Ursachen desjetzigen Verfalls der Kirchenmusik und
ihre Verbesserung (Einleitung zu Bd II) und das Riih-
men der deutschen Musik des 18. Jh. In seiner Mono-
graphic iiber J.S.Bach (1802, urspriinglich als Ab-
schluB seiner Gesch. d. M. geplant), die sich methodisch
durch das Zuriickgehen auf die Quellen auszeichnet
und praktisch die Wiederentdeckung Bachs vorberei-
ten half, wird Bach gepriesen als der erste Kiassiker, der
je gewesen ist, und vielleicht je seyn wird, und als ein
Deutscher. Von einer zusammen mit J. Sonnleithner
auf 50 Bande geplanten Gesch. d. M. in Denkmalern
wurde nur Band I fertiggestellt (dessen Bleiplatten
jedoch 1805 vernichtet worden sind).
Das Interesse an der Gesch. d. M. brach im 3. und 4.
Jahrzehnt des 19. Jh. mit der Vehemenz einer Existenz-
frage hervor. So wie kompositorisch die noch in der
Klassik bestehende Einheit von Tektonik und Sinn
jetzt in die Antithese »Form« und »Inhalt« (-*■ Aus-
druck) auseinanderbrach - wobei die Formen weit-
gehend historische Formen sind -, so ist die neue Zeit
ab etwa 1830 durch den Bruch im Gedachtnis (Georgia-
des) gekennzeichnet, der ein antithetisches Verhaltnis
von Gesch. und Gegenwart zur Folge hat und anstelle
des selbsttatigen Prozesses der Tradition die Aneig-
nung der Gesch. im Akt der Reflexion fordert. Das 19.
Jh. beginnt, den Inbegriff von Musik erst in der Gesamt-
heit der historisch erfafibaren Musik zu erblicken (Georgia-
des). Zu den Erscheinungsformen dieses neuen Interes-
ses an der Gesch. d. M. gehoren die Wiederbelebung al-
terer Musik (Berliner Singakademie schon seit 1791,
Auffiihrung von Bachs Matthauspassion 1829), das
Entstehen der historischen Konzerte, privat (van Swie-
ten, Kiesewetter) und offentlich (Fetis 1832/33), die
praktischen Neuausgaben alterer Musik (-»• Tucher
1827; -> Rochlitz ab 1837, -»• Dehn 1837, -> Alfieri ab
1840), die Griindung von -*■ Gesellschaften zur Forde-
rung oder als Trager musikgeschichtlicher Untemeh-
mungen (Bach-Gesellschaft 1850; Deutsche Handel-
Gesellschaft 1856), die bald einsetzende Edition von
->• Denkmalern (Deutschland : Musica sacra, hrsg. von
-*■ Commer, ab 1839; England: Publications ..., ab
1840; Italien: Raccolta . . ., hrsg. von Alfieri, ab 1841)
und -> Gesamtausgaben (Handel ab 1843; Bach ab
1851) sowie die daraus sich entwickelnde Wissenschaft
der -> Editionstechnik und -> Auff iihrungspraxis ; auf
seiten der Komponisten bekundet sich jene neue Si-
tuation in der Stilnachahmung namentlich der alten
a cappella-Musik (E. T.A.Hoffmann 1808; -»■ Ett),
vor allem jedoch in der bewuBten Auseinandersetzung
mit Techniken und Formen alterer Musik (Mendels-
sohn Bartholdy, 6 Praludien und Fugen fur Kl. op. 35,
1832-37; Spohr, Historische Symphonie im Styl und
Geschmack vier verschiedener Zeitabschnitte, op. 116,
1839; Schumann, 6 Fugen iiber den Namen BACH op.
60, 1845; spaterhin z. B. Brahms, IV. Symphonie op.
98, 4. Satz: Passacaglia, 1884/85; Reger, Konzert im al-
ten Stil op. 123, 1912; Strawinsky, Pulcinella, 1919; A.
Berg, Wozzeck, 1914-21; Hindemith, Ludus tonalis,
1942). - Zu den Motivierungen der Musikgeschichts-
schreibung zahlt zunachst weiterhin vor allem die Fra-
ge nach der »wahren Kirchenmusik«, die Thibaut in
seiner Schrift Uber Reinheit der Tonkunst (1825) beant-
wortete mit dem Hinweis auf die religiose Demut, Be-
geisterung und Erhabenheit, wodurch die grofien alten Mei-
ster so oft dem veredelten Menschen den Himmel offhen
(Ausgabe 1907, S. 46), und die dann auf katholischer
Seite (->■ Caecilianismus) besonders zu den Arbeiten
des Regensburger Reformkreises (-> Proske, J.G.
-> Mettenleiter, J. -*■ Schrems, Fr. X. -> Haberl), zu den
Choralforschungen der Benediktiner von Solesmes
(-> Gueranger, -»■ Pothier, -> Mocquereau; -*■ Denk-
maler Paleographie musicale) und zur Choralrestauration
zu Beginn des 20. Jh. (-> Editio Vaticana) fiihrte. Auf
evangelischer Seite stent der Gedanke der Erneuerung
der Kirchenmusik im Hintergrund der Arbeiten z. B.
von -»■ Tucher (1840), C.v.Winterfeld (Der evangeli-
sche Kirchengesang, 1843-47) und Ph.Spitta (J.S.Bach,
1873-80) und fiihrte im 20. Jh. zu den historischen
Forschungen der -»■ Orgelbewegung und der kirchen-
musikalischen Erneuerungsbestrebungen allgemein
(-> Kirchenmusik - 2). - Im Zusammenhang mit der
Restauration der Kirchenmusik war auch G. Bainis
Arbeit iiber Palestrina (1828) entstanden, die als Kom-
ponistenmonographie Vorganger hat in den Arbeiten
u. a. von Mainwaring (Handel, 1760), J.Hawkins (Co-
relli, 1777), Hiller (Lebensbeschreibungen ..., 1784),
Forkel (Bach, 1802), G.N.Nissen (Mozart, 1828-29).
Doch die eigentliche historische Monographie als Gat-
tung der Musikgeschichtsschreibung entstand im 19.
Jh. aus der Verehrung der Heroen der Wiener Klassik
und der Meister des Barocks und auf dem Fundament
der in der klassischen Philologie entwickelten For-
schungsmethoden; sie wurde begrundet durch O.
-> Jahn (Mozart, ab 1856; H. -»• Abert) und fortge-
fiihrt in den Monographien von Chrysander (Handel,
ab 1858), Thayer (Beethoven, 1866), Ph.Spitta (Bach,
1873-80), C.F.Pohl (Haydn, 1878-82). - Als Folge
der sich steigernden Anspriiche des Wissenwollens
richtete sich die forschende Arbeit in zunehmendem
MaBe auf eingegrenzte Gebiete. Die musikalische V61-
kerkunde erhielt, nach den Ansatzen im 18. Jh., beson-
ders durch Kiesewetter (1842) und Fetis (1867) neue
Impulse (-»• Musikethnologie) ; f iir das Verstandnis der
antiken Griechischen Musik wurden neue Grundlagen
geschaffen (A.Bockh, 1811, R.Westphal, ab 1854, K.
v.Jan, 1895) ; die Musik des Mittelalters wurde auf der
Basis von Arbeiten zur Gesch. der Notation (H.Bel-
lermann) und von Editionen des musiktheoretischen
Schrifttums (Coussemaker, Scriptores, 1864-76; Laf age,
Essais de diphtherographie musicale, 1864) in zunehmen-
dem MaB ein Gegenstand spezieller Arbeit ; die Erf or-
schung des Chorals (Danjou, Nisard, Gevaert) und des
evangelischen Kirchengesangs (Mortimer, v.Winter-
332
Geschichte der Musik
feld, Ph. Wackernagel, J.Zahn) wurde intensiviert.
Die Darstellungen nationaler Komponistenschulen
wurden eroffnet durch die quellenkundlich und me-
thodisch vorbildlichen Preisschriften von Kiesewetter
und Fetis fiber die Verdienste der Niederlander (beide
1829 erschienen), die der einseitig italienisierenden
Auffassung des Entstehens der neuzeitlichen Musik
kraftig entgegenwirkten, wahrend C.v.Winterfeld
durch seine Arbeit iiber Johannes Gabrieli und sein Zeit-
alter (1834) von der Bliithe heiligen Gesanges im 16. Jh.
zur Wiederentdeckung Schiitzens gefuhrt wurde. In
immer groBerer Zahl entstanden musikgeschichtliche
Einzeldarstellungen von Stadten, Landern und Schu-
len, Gattungen und Formen, auch z. B. Monographien
iiber Instrumente, ihre Spieltechnik und Literatur
(Weitzmann.Wasielewski, A. G. Ritter). Alle diese For-
schungszweige erhielten um 1900 eine neuartige In-
tensivierung und Vertiefung durch das methodisch an-
spruchsvollere ErschlieBen und Interpretieren der prak-
tischen und theoretischen Quellen, namentlich auf
dem Gebiet der Notation (J. Wolf), des Gregoriani-
schen Chorals (Jacobsthal, P.Wagner), der mittelalter-
lichen ein- und mehrstimmigen Musik (Aubry, J.-B.
Beck, Fr.Ludwig), der Gesch. der Musiktheorie (H.
Riemann) und der Musikinstrumente (C.Sachs, ab
1913), und in grandiosen Leistungen begann das for-
schende Interesse das gesamte Gebiet der Gesch. d. M.
in seiner Weite und Tiefe zu durchmessen und auszu-
loten. Daneben waren die Grundlagen der Musikge-
schichtsschreibung erneut durchdacht worden, na-
mentlich von -> Fetis in seinem Risumc philosophique
de I'histoire de la musique, den er seiner Biographie uni-
verselk (1837-44) voranstellte, und in H.Riemanns
musikgeschichtlicher Konzeption. Wahrend Fetis sich
gegen die Auffassung eines bestandigen »Fortschritts«
in der Musik wandte zugunsten des Erkennens bloBer
Umformungen (transformations) musikalischer Prin-
zipien, sah Riemann die Gesch. d. M. an als fortschrei-
tende Entwicklung, als zielstrebigen ProzeB des In-
Erscheinung-Tretens ihrer natiirlichen GesetzmaBig-
keit. Damit war der Musikgeschichtsschreibung des 20.
Jh. eine der zentralen Fragen gestellt.
Die Einzelforschungen sammelten sich im 19. und be-
ginnenden 20. Jh. in den Gesamtdarstellungen nament-
lich von Kiesewetter (1834), Fetis (1869-76, reicht bis
ins 15. Jh.), Ambros (ab 1862, reicht bis zum Beginn
des italienischen Barocks) und Riemann (Handbuch der
Mg., ab 1904). Ambros betrachtete in seinem grund-
legenden Werk, dessen Hohepunkt die Darstellung
der Renaissance (Band III, 1868) bildet, die Gesch. d.
M. culturhistorisch, mit dem Blick aufglekhzeitige bilden-
de Kunst, auf politische und sociale Verhaltnisse (1862, S.
XIV), um sie als Aufierung einer und derselben geistigen ■
Stromung zu verstehen (Bunte Blatter . . ., 1872, S. XI).
Diese kulturhistorische Interpretation der Mg., ange-
bahnt schon durch C.v.Winterfeld, wurde fortge-
fiihrt und vertieft insbesondere durch Ph. ->• Spitta, H.
-» Kretzschmar und A. -> Schering. Demgegenuber
fiihrte H. -»■ Riemann die an einem autonom-musi-
kalischen Wertsystem sich orientierende undprogram-
matisch in der f ormal-technischen Analyse verharren-
de Musikgeschichtsschreibung zu einem Hohepunkt.
Vornehmlich auf dem Boden der musikalisch-analy-
tischen Betrachtungsweise wurde die Gesch. d. M. zu
Beginn des 20. Jh. als Stilgesch. (Riemann, G.Adler
1911, W.Fischer 1915, -> Stil) und als Formen- bzw.
Gattungsgesch. (Kretzschmars Handbiicher, ab 1905)
geschrieben. Eindringlich f orderte W. Gurlitt 1918/19
die Synthese der Form- und Inhaltsperspektive, der
stilkritischen Werkbeschreibung und der geistesge-
schichtlich oricntierten Deutung. Seine namentlich
von W.Dilthey inspirierte Konzeption der »Musik-
gesch. als Geisteswissenschaft« verankert die Musik als
Gegenstand des analytischen Befragens in die Geistig-
keit, die Individualitat und Subjektivitat des Menschen
(des Volkes, der Zeit) und fiihrte somit zu vertieftem
Erkennen und Begriinden der Geschichtlichkeit und
Jeweiligkeit, Eigenwertigkeit, Gegenwartsbezogenheit
und Standortgebundenheit alles musikalischen Den-
kens.Erfindens und Auf fassens (-*■ Terminologie) .
Nach 1918 und abermals nach 1945 gab die in der
-> Neuen Musik sich vollziehende Umformung mu-
sikalischer Prinzipien und Begriffe dem Interesse an
der Gesch. d. M. durch neue Fragestellungen neue Im-
pulse. Daneben richtet sich die Arbeitskraft in ver-
starktem MaB auf das ErschlieBen der praktischen und
theoretischen Quellen, die in kritischen Ausgaben (zu-
nehmend auch als nationale und landschaftlich gebun-
dene -*■ Denkmaler), in Katalogen und Werkverzeich-
nissen erstmals oder erneut dargeboten werden. Und
neben der anhaltenden Besinnung auf die Grundlagen
der Musikgeschichtsschreibung und dem Zusammen-
fassen und Gliedern des Stoffes in Handbiichern (Ad-
ler, 1924, Biicken, ab 1927; vorher schon The Oxford
History of Music, ab 1901, und die zuerst von Lavignac
redigierte Encyclopedic, ab 1913) sucht ein immer in-
tensiveres Wissenwollen - vornehmlich in der Ver-
offentlichungsform von Aufsatzen (-» Zeitschriften) -
den Stoff im Detail zu durchdringen, wobei sich die
forschende Arbeit (nicht selten kritiklos) bis in die ent-
ferntesten lokalgeschichtlichen und skleinmeisterli-
chen« Bereiche ausgedehnt hat. Die Detailforschung
sammelte sich in Darstellungen einzelner Zeitraume
(z. B. des Mittelalters durch Besseler 1931 und Reese
1940, des Barocks durchHaas 1928 undBukofzer 1947),
Gattungen (z. B. Rokseth 1930 und Frotscher 1935
iiber Orgelmusik, de La Laurencie 1922 iiber Violin-
musik, Reeser 1939 und W.Newman ab 1959 iiber die
Sonate, Einstein 1949 iiber das Madrigal) und Kompo-
nisten oder unter bestimmten Fragestellungen (Geor-
giades 1954), wahrend eine Gesamtdarstellung, die ei-
genes Forschen und Werten verbindet, nach 1945
Handschin (1948) gelang; und bedeutende Leistungen
entstehen in Erfiillung des verstarkten Verlangens nach
dem quellenkundlichen, bibhographischen, lexikali-
schen und enzyklopadischen Verfiigbarmachen des
Wissensstoffes (Musik in Gesch. und Gegenwart, seit
1949, hrsg. von Fr. Blume; -*■ Lexika). - Erneut stellt
sich fiir die Musikgeschichtsschreibung die Aufgabe
der »gedeuteten Analyse«, doch heute in jener stren-
geren Art der -> Interpretation, die in Uberwindung
der auf Merkmalkategorien abzielenden Stilforschung
und zugunsten der Einmaligkeit des Werks (die in der
Gesamtheit seiner Merkmale beschlossen liegt) die
Gesch. d. M. als Gesch. musikalischer Sinntrager er-
arbeitet - als wichtigster Teil der ->■ Musikwissen-
schaft und in steter Wechselbeziehung zur systemati-
schen Grundlegung sowie in voller BewuBtheit der
im Zusammenfiihren von Musik, Ethnologie und
Universalgesch. gelegenen Problematik.
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and Sources, The Year's Work in Music, 1948/49 ; Fl. Van
der Mueren, Persoonlijkheid van individu en tijd in de
muziekgeschiedschrijving, in: Mededelingen van de Kgl.
Vlaamse Acad, voor wetenschap en schone kunsten van
Belgie XIV, 2, 1952; ders., Over constanten in de muziek-
geschiedenis, ebenda XV, 4, 1953; ders., L'hist. de la mu-
sique et la comparaison avec les autres arts, Kgr.-Ber. Wien
1956; ders., Is parallelvergelijkende muziekgeschiedenis
mogelik?, Antwerpen 1958; Thr. G. Georgiades, Musik
u. Sprache. Das Werden d. abendlandischen Musik darge-
stellt an d. Vertonung d. Messe, = Verstandliche Wiss. L,
Bin, Gottingen u. Heidelberg 1954; J. A. Westrup, An In-
troduction to Mus. Hist., London 1955; W. Wiora, Zur
Grundlegung d. Allgemeinen Mg., Deutsches Jb. d. Mw. I
(= JbPXLVIII), 1956; ders., Die vier Weltalter d. Musik,
= Urban Bucher LVI, Stuttgart 1961, engl. v. M. D. H.
Norton als : The Four Ages of Music, NY 1 965 ; ders., M w.
u. Universalgesch., AMI XXXIII, 1961 ; W. Kahl, Das
Nurnberger hist. Konzert v. 1643 u. sein Geschichtsbild,
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Mf XII, 1959; H. Zenck, Mg. Wirklichkeit (Vortrag v.
23. 10. 1932), in: H. Zenck, Numerus u. AfTectus, hrsg. v.
W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel 1959; K. v.
Fischer u. H. H. Eggebrecht, The Concept of the »New«
in Music from the Ars nova to the Present Day, Kgr.-Ber.
NY 1961, Bd I u. II. HHE
Gesellschaften und Vereine. Ansatze fur Vereini-
gungen, die das Musikleben ihrer Zeit gefordert und
beeinfluBt haben, fmden sich seit dem spaten Mittelal-
ter in den -> Kantorei-G. und in den Singschulen des
-*■ Meistersangs. Seit dem 17. Jh. entwickelten sich G.,
die ohne Bindung an eine bestimmte Institution ihre
Organisationsform und ihre Ziele nach dem Vorbild
der italienischen -*■ Akademien frei setzen. Bekannt ist
die 1636 in Konigsberg gegriindete »Kurbishutte« mit
ihrer auf der Zusammenarbeit von Dichtern (Simon
Dach) und Komponisten (J. Stobaeus, H. Albert) beru-
henden Bedeutung fur das deutsche Lied. In Niirnberg
entstand 1644 der »Pegnesische Hirten- und Blumenor-
den«, gegriindet von G. Ph. Harsdorf er (seit 1642 Mit-
glied der »Fruchtbringenden Ges.«). J.Rist wurde zum
Mittelpunkt des 1656 in Hamburg entstandenen »Elb-
schwanenordens«. In der Zusammensetzung dieser Ver-
einigungen deuten sich schon jene sozialen Umschich-
tungen an, die im 18. Jh. neben der Aristokratie das
Biirgertum als Trager des Kulturlebens in den Vorder-
grund treten lieBen. Das Gesellschafts- und Vereins-
wesen neuerer Form nimmt (noch ohne rechtlich ver-
bindliche Grundlage) im 18. Jh. seinen Anfang, als das
in den groBeren Stadten sich entwickelnde Musikleben
und Konzertwesen (-» Konzert -2) Zusammenschliisse
zur Bewaltigung organisatorischer und wirtschaftli-
cher Belange nahelegte. Dieses neue Vereinswesen
richtete sich zunachst in Form von Konzert-G., Mu-
sikausiibenden G. usw. besonders auf die Aktivierung
des offentlichen Musiklebens, so in England u. a. die
Academy of Ancient Music (1710), etwas spater auch
die den Mannergesang pflegenden -»- Catch- und
-> Glee-Clubs und die Caecilian Society (1785). Wah-
rend die zu dieser Zeit ins Leben gerufenen Konzert-
reihen, z. B. die beriihmten Concerts spirituels in Pa-
ris (1725), mehr als Institution denn als eigentliche Ges.
zu bezeichnen sind, waren die Wiener Tonkunstler-
Societat (1771) und die Ges. Felix Meritis in Amster-
dam (1777) schon eher V., zumal sich die erstere auch
sozialen Belangen widmete (Witwen- und Waisenbe-
treuung in Musikerkreisen). Zu Beginn des 19. Jh.
wurden besonders in deutschen Stadten G. u. V. ins
335
Gesellschaften und Vereine
Leben gerufen zur Forderung des Musiklebens durch
Griindung und Unterhaltung von groBeren Orchestern
und Konservatorien, so die Frankfurter Museumsges.
(1808), die Kolner Musikalische Ges. (1812, ab 1827
Concertges.) und die Berliner Philharmonische Ges.
(1826, begriindet von E.Rietz). Daneben sind nen-
nenswert: die Philharmonischen G. in London (1813)
und St. Petersburg (1802); die noch heute bestehende
Ges. der Musikfreunde (vormals: des osterreichischen
Kaiserstaates) inWien, die auf Anregung von I. v. Sonn-
leithner und Fanny v. Arnstein 1812 gegriindet wurde
und durch deren Initiative u. a. ein Konservatorium,
das Gesellschaf tsorchester, ein Archiv und eine Musik-
bibliothek eingerichtet wurden; die Maatschappij tot
Bevordering der Toonkunst in Amsterdam (ab 1829);
die Schweizerische Musik-Ges. (Luzern, ab 1808, nur
wenige Jahrzehnte tatig) ; die Society of British Mu-
sicians in London (ab 1834, Forderung des englischen
Komponistennachwuchses); die »Kaiserlich Russische
Musik-Ges.« (ab 1859). Der Allgemeine Deutsche Mu-
sikver. wurde 1859 von Fr.Brendel und L.Kohler ge-
legentlich des 25jahrigen Jubilaums der Neuen Zeit-
schrift fiir Musik (NZfM), die dann lange das Organ des
Ver.s war, begriindet. Sein Zweck war die Auff uhrung
von bemerkenswerten neuen und selten gehorten be-
deutenden alteren Kompositibnen, wozu alljahrlich ein
Musikfest (Tonkiinstlerversammlung) veranstaltet wur-
de. Neben diesen vornehmlich dem Konzertwesen die-
nenden G. u. V.n gibt es die zahlreichen Gesang-V.,
Chor-G. und -biinde. - Mit der Entwicklung der mu-
sikwissenschaftlichen Forschung wuchs das Bestreben,
diese durch Griindung von G. zu fordern.
Die wichtigsten musikwissenschaftlichen G. mit den
von ihnen herausgegebenen -»• Zeitschrif ten sind : Ges.
fiir Musikforschung (1868-1906), begriindet in Berlin
von Fr. Commer und R.Eitner: Monatshefie fur Musik-
geschichte mit Beilagen (MfM; 1869-1905), als prakti-
sche Ausgabe die Publikation alterer praktischer und theo-
retischer Musikwerke (PGfM; 1873-1905) mit 29 Ban-
den. Ges. fiir Musikforschung (1946), begriindet in
Kiel von Fr.Blume: Die Musikforschung (Mf ; 1948ff.).
Deutsche Musikges. (1918-35), begriindet von H.
Kretzschmar u. a. zu Berlin als Ersatz der 1914 ausein-
andergebrochenen Internationalen Musikges. : Zeit-
schrift fiir Musikwissenschaft (ZfMw), als praktische
Ausgabe die Publikationen alterer Musik (PaM; 12 Jg.,
1926-43). Ges. zur Erforschung der Musik des Orients
(1930-36), begriindet in Berlin unter Vorsitz von G.
Schiinemann: Zeitschrift fiir vergleichende Musikwissen-
schaft (3 Jg., 1933-35), erneut begriindet in Hamburg
als Deutsche Ges. fiir Musik des Orients (I960): Jahr-
buchfiir musikalische Volks- und Vblkerkunde (I, 1963). -
G. im Ausland : Vereniging voor nederlandse Muziek-
geschiedenis (1868): Tijdschrift der Vereeniging voor ne-
derlandse Muziekgeschiedenis (TVer; 1882ff.), seit 1947
Tijdschrift voor Muziekwetenschap (TMw), zuvor einige
Jahrbucher Bouwstenen (1872, 1874, 1881). Royal Mu-
sical Association (1874), begriindet in London auf An-
regung von J. Stainer: Proceedings of the Musical Associa-
tion (1874ff.), seit 1945 Proceedings of the Royal Musical
Association. Associazione dei Musicologi Italiani (1908-
41) , begriindet von G. -» Gasperini, neu begriindet 1 964.
Musikvetenskapliga sallskapet i Finnland (1916), be-
griindet von I. Krohn. Societe francaise de Musicologie
(1917), begriindet in Paris von L. de La Laurencie: Re-
vue de Musicologie (1922ff.), zuvor Bulletin de la Societe
francaise de Musicologie (1917-21). Schweizerische Mu-
sikf orschende Ges. (1919), hervorgegangen aus der In-
ternationalen Musikges. in Basel (ursprunglich Neue
Schweizerische Musikges.): Schweizerisches Jahrbuch
fiir Musikwissenschaft (SJbMw; 1924-38, nicht regel-
mafiig), seit 1934 Mitteilungen der Schweizerischen
Musikforschenden Ges. Svenska samfundet for Musik-
forskning(1919), begriindet zu Stockholm: Svensk Tid-
skrift for Musikforskning (STMf; 1919ff.). American
Musicological Society (1934), begriindet in New York
von O.Kinkeldey u. a.: Papers of the American Musico-
logical Society (PAMS; 1936-41), daneben das Bulletin
of the A.M.S. (1936-A7), Journal of the American Mu-
sicological Society (JAMS; 19488.). Norsk samfund
for Musikkgranskning (1937), begriindet zu Oslo:
Norsk Musikkgranskning (Jb., 1937ff.). Instituto Espafiol
de Musicologia (1943), begriindet zu Barcelona: Anu-
ario Musical (AM; 1946S.). Societe Beige de Musico-
logie (1946), begriindet in Briissel von Ch. Van den
Borren: Revue Beige de Musicologie (RBM ; 1946ff.). The
Galpin Society (1946), begriindet speziell fiir instru-
mentenkundliche Forschung in London von Schulern
Fr. W. -+ Galpins: The Galpin Society Journal (1948fL).
- Bedeutende Internationale G. : Internationale Musik-
ges. mit einzelnen Landersektionen (1899-1914), be-
griindet unter Vorsitz von O.Fleischer: Zeitschrift der
Internationalen Musikges. (ZIMG), Sammelbdnde der
Internationalen Musikges. (SIMG) und Publikationen
der Internationalen Musikges., Beihefte (BIMG; 1899-
1914). An ihre Stelle trat die Union Musicologique,
begriindet 1921: Bulletin de la Societe Union Musico-
logique (BUM; 1921-26). Eine Art Fortsetzung ist die
Internationale Ges. fiir Musikwissenschaft (Societe
Internationale de Musicologie), begriindet auf Anre-
gung von H. Prunieres anlaGlich des Musikwissen-
schaftlichen Kongresses in Wien 1927 (Sitz in Basel) :
Mitteilungen der I. G. M. (1928-30), dann Acta Mu-
sicologica (AMI; 1931ff.). Internationale Ges. fiir Mu-
sikerziehung (engl. International Society for Music
Education; 1953), begriindet inBrussel(ISME,1960ff.).
Internationale Ges. fiir Neue Musik (IGNM; engl.
International Society for Contemporary Music; frz.
Societe Internationale de Musique Contemporaine ;
ital. Societa Internazionale di Musica Contemporanea ;
1922), begriindet in Salzburg zur Forderung des zeit-
genossischen Musikschaffens (alljahrliche Musikfeste
in wechselnden Orten).
Seit Mitte des 19. Jh. gibt es G. u. V. zur Pflege bzw.
Wiederbelebung der Werke bestimmter Komponisten,
die sich zum Teil auch mit der Herausgabe von -»• Ge-
samtausgaben oder -*■ Jahrbiichern, Mitteilungen usw.
und der Veranstaltung von Konzerten, ->■ Festspielen
und Musikfesten verdient gemacht haben. Genannt
seien: Bach-Ges., Leipzig 1850, Neue Bach-Ges. 1900,
Internationale Bachges., Schaffhausen 1946 (->■ Bach).
Deutsche Handel-Ges., Hamburg 1856, Handel-Ges.,
Leipzig 1925-35 und Georg-Friedrich-Handel-Ges.,
Halle 1955 (-> Handel). Purcell Society, London 1876.
Allgemeiner R.-Wagner-Ver., Bayreuth 1883, her-
vorgegangen aus dem 1877 gegriindeten Bayreuther
Patronatsver., der die Fortsetzung der Wagner-Fest-
spiele ermoglichen sollte. Ver. Beethovenhaus, Bonn
1889. J.-Brahms-Ges., Wien 1904 und Berlin 1906.
Robert-Schumann-Ges., Zwickau 1920, Frankfurt am
Main 1956. Societe Fr. Chopin, Paris 1911, Internatio-
nale Chopin'-Ges., Wien 1952. Max-Reger-Ges.,
Leipzig 1916 (heute Reger-Institut in Bonn). Bruck-
ner-Ges., Leipzig 1925, Internationale Bruckner-Ges.,
Wien 1929. Heinrich-Schutz-Ges., Dresden 1922, Neue
Schutz-Ges., Kassel 1930. Dietrich-Buxtehude-Ges.,
Liibeck 1932. Deutsche Mozart-Ges., Augsburg 1951.
Internationale R.-Strauss-Ges., Miinchen und Berlin
1951. J.-Haydn-Institut e. V., Koln 1955. Internatio-
nale Mahler-Ges., Wien 1955. Internationale F.-Men-
delssohn-Ges., Basel 1958. Dvofak-Ges., Prag 1963.
Internationale Schubert-Ges., Tubingen 1963.
336
Gesellschaftstanz
Lit.: J. C. C. Oelrichs, Hist. Nachrichten v. d. akademi-
schen Wiirden in d. Musik u. offentlichen raus. Akad. u. G.,
Bin 1752; C. F. Pohl, Die Ges. d. Musikfreunde u. ihr
Konservatorium, Wien 1871 ; E. Albrecht, AbriB d. Ge-
samttatigkeit d. Petersburger Philharmonischen Ges., St.
Petersburg 1884; A. v. Bohm, Gesch. d. Singver. d. Ges. d.
Musikfreunde in Wien, Wien 1908; E. Bernoulli, tjberd.
Schweizerische Musikges., Kgr.-Ber. Wien 1909; N. Find-
eisen, Gesch. d. St. Petersburger Sektion d. Kaiserlich
Russ. Musikges. 1 859-1 909, St. Petersburg 1909; A. Seidl,
Fs. zum 50jahrigen Bestehen d. ADMV, Bin 1911 ; M. B.
Foster, Hist, of the Philharmonic Soc. of London, 1813-
1912, London 1912; R. v. Perger, E. Mandyczewski u.
R. Hirschfeld, Gesch. d. k. k. Ges. d. Musikfreunde in
Wien 1812-1912, u. Die Slgen u. Statuten, 2 Bde, Wien
1912; J. -G. Prod'homme, Lesinst. mus. ... en Belgiqueet
en Hollande, S1MG XV, 1913/14; A.Dandelot, La Soc.
des concerts du Conservatoire de 1828 a 1923, Paris 1923;
L. Kestenberg, Jb. d. deutschen Musikorganisation, Bin
1931 ; J. H. Railey, Hist, of the Handel and Haydn Soc. of
Boston 1903-33, Boston 1933; H. Rutz, Fs. zum 75jahrigen
Bestehen d. ADMV, Bin 1936; C. Lafite, Gesch. d. Ges. d.
M usikfreunde in Wien 1 9 1 2-37, Wien 1937 ; K. Geiringer,
The Soc. of Friends of Music, MQ XXIV, 1938; J. Erskine,
The Philharmonic-Symphony Soc. of NY, NY 1943; H.
Engel, Musik u. Ges., Bin u. Wunsiedel (I960); D. W.
MacArdle, Beethoven and the Philharmonic Soc. of Lon-
don, MR XXI, 1960.
Gesellschaftstanz, (neulat. choreae, saltationes con-
viviales; frz. danses du salon; engl. ballroom dances;
ital. ballo; span, baile). Zum Unterschied vom thea-
tralischen Tanz (dramatischer Tanz, Schautanz, Bal-
lctt), Sakraltanz und Volkstanz ist G. die moderne Be-
zeichnung fur alle jene Tanzformen, die der geselligen
Unterhaltung dienen und von zwei oder mehreren
Personen gemeinsam getanzt werden und deren Ele-
mente von Amateuren in alterer Zeit bei Tanzmeistern,
in jiingster Zeit in Tanzschulen erlernt werden. - Der
G. ist an den italienischen Furstenhofen des 15. Jh. auf-
gekommen; dort wurden auch die ersten Tanztheo-
rien, Tanztabulaturen und -lehrbiicher verfaBt. Wah-
rend noch bis zum Beginn des 15. Jh. die Spielleute das
Tanzen lehrend vermittelten - an den provenzalischen
und burgundischen Hofen des Mittelalters waren die
Trobadors die Vortanzer gewesen -, hatten die italie-
nischen Renaissancefiirsten bereits eigene Tanzlehrer
(professori di ballare). Von den spatmittelalterlichen
Tanzformen waren noch belicbt die Doppeltanze:
Estampie oder Basse danse mit Saltarello, Pavane mit
Galliarde, Passamezzo mit Galliarde, Courante oderCa-
narie. Als Gruppenpaartanz pflegte man den Branle, der
in Frankreich spater zum beherrschenden Modetanz
wurde. Als einzigen Drehtanz mit Umarmungsstel-
lung (bis zum spateren Walzer) tanzte man die Volte.
Mit dem ausgehenden 16. und vollends dann im 17.
Jh. wurde Frankreich bestimmend fiir die Formen und
den Stil des G.es. Im 16. Jh. tritt an den franzosischen
Hofen gegeniiber dem geselligen das representative
Moment (Paradetanz) starker hervor. Mit der Griin-
dung der Academie de Danse unter Ludwig XIV. zu
Paris (1662) wird die Improvisation beim Tanz ver-
pont. Der Tanzmeister hatte neben taglicher Unter-
weisung im Tanzen auch bei den Hofballen die Regeln
und die Rangfolge zu »observiren«. An der Academie
unterrichteten allein 13 Maitres de danse. Beriihmte
Tanzmeister ihrer Zeit waren in Frankreich Beau-
champs - der Tanzlehrer Ludwigs XIV. -, Pecour,
Marcel; in Spanien A. de Almeda, Esquivel Navarro
- der Tanzlehrer Philipps IV. Wie hoch auch immer
der Anteil regionaler, fremdlandischer und bauerlicher
Tanze an der Entstehung und Erneuerung der hofisch-
geselligen Tanze veranschlagt werden muB, entschei-
dend ist die Stilisierung und Systematisierung, die sie
innerhalb des hofischen Zeremoniells erf ahren. Die be-
liebtesten Tanze des 17. Jh. waren in Frankreich Bour-
ree, Gavotte, Allemande, Chaconne, Gigue, Sarabande
und Menuett. - In Deutschland war es M.Praetorius,
der in seiner Terpsichore (1612) atterley Frantzosische
Dantze undLieder . . ., Wie dieselbige von den Frantzosi-
schen Dantzmeistem in Franckreich gespielet j etc. vnnd
vor Fiirstlichen Taffeln j auch sonsten in Convivijs zur
recreation und ergotzung gantz wol gebraucht werden kon-
nen, bekannt macht. Von welschen Tanzmeistern, die
generell an deutschen Hofen das Tanzen lehrten, be-
richtet schon 1610 Guarinonius. - Die zwanglosere
Form des G.es wurde im 18. Jh. entwickelt (Passepied,
Musette, Rigaudon, die englischen Contres und Ecos-
saisen und der deutsche Landler). Wahrend im 17. Jh.
der akademische Hoftanzlehrer nur gelegentlich auch
dem reichen Burgertum Unterricht erteilte (Moliere,
Le bourgeois gentilhomme, 1670), begegnen im 18. Jh.
biirgerliche Tanzlehrer (Tanzmeisterzunft in Prag), die
spater, nach der Franzosischen Revolution, in den
Stadten gegen Entgelt allgemein zugangliche Tanz-
kurse veranstalteten oder Privatunterricht erteilten,
aber auch den biirgerlichen Soirees dansantes und den
Tanzyeranstaltungen der Geselligkeitsvereine vorstan-
den. Offentliche Balle wurden seit dem Beginn des 18.
Jh. iiblich. (Seit 1716 wurden im Saal der Pariser Oper,
spater auch in der Comedie-Francaise, wahrend der
Wintermonate regelmaBig Balle veranstaltet.) Die
groBe Gesellschaf t tanzte die Chaconne, den Lieblings-
tanz Ludwigs XIV., den Branle, die Courante, die Ga-
votte und die Loure, die dann vom Menuett verdrangt
wurden. - Der Bal pare (ohne Masken, in festlich reich
geschmiickter Kleidung) wurde am Hofe bei feier-
lichen Anlassen als Bal de ceremonie veranstaltet. Der
Ball begann, wenn sich der Konig oder der Furst und mit
ihm die Gaste erhoben und er sich auf die Tanzflache
begab, um mit der Konigin oder mit der ersten Prin-
zessin den ersten Tanz - einen Branle - zu tanzen. Auf
den Branle folgte eine Courante und eine Gavotte und
schliefilich ein Menuett, das zunachst nur von der rang-
hochsten Person getanzt wurde. AuBer bei dem Er-
offnungstanz befand sich beim Bal de ceremonie stets
nur ein Paar auf der Tanzflache. Seit dem 19. Jh. wur-
de der Bal pare von der ranghochsten Person mit einer
Polonaise eroffnet. - Die Tanzmusik auf Hofballen
(wie auch bei Tafel) wurde, da sie nur niedere Fertig-
keit erf orderte, gewohnlich nicht den koniglichen oder
fiirstlichen Kapellisten iibertragen.
Seit der Franzosischen Revolution verlor der G. in zu-
nehmendem MaBe seine standische Bindung und seine
groBen festen Formen. Er wird freier und wesentlich
mitgetragen von der nichthofischen, biirgerlichen Ge-
sellschaf t. Diesem nunmehr gemischten Tanzpublikum
wurden in Deutschland z. B. die jeweils modischen
Tanztouren alljahrlich in W.Gottlieb Beckers Taschen-
buch zum geselligen Vergniigen (Leipzig 1791-1814)
durch Kupfertafeln und Beschreibungen bekannt. -
Die Lanciers, der Landler, der Galopp, der Cancan
(auch Chahut) und schliefilich die Polka waren die be-
liebtesten Modetanze jener. Jahrzehnte, bis schliefilich
um die Jahrhundertmitte der Wiener Walzer vorherr-
schend wurde. Wahrend das Volk in der 1. Halfte des
18. Jh. noch sein Tanzvergniigen in Paris in den Vor-
ortkneipen (Guingettes) suchen muBte, kamen gegen
Ende des Jahrhunderts die ersten stadtischen Tanzlokale
auf. 1768 griindete Torre in Paris nach englischem
Vorbild das Vauxhall; 1813 wurde in Paris das erste
Cafe chantant (Cafe Montausier) eroffnet. Um die
Jahrhundertmitte waren die Gartenlokale groBe Mode
(in Paris u. a. der Mabille-Garten). Gegen 1867 sind in
Paris iiber 400 offentliche Ballokale bekannt, wenn-
gleich die hohere Gesellschaft noch bis zur Jahrhun-
22
337
Gesellschaftstanz
dertwende den The dansant, die Soiree dansante und
auch ihre groBen Balle exklusiv in Privathausern zu
veranstalten bevorzugte. Die gesellschaf tsf ahigen Tanz-
bars und Dancing-rooms kamen erst im 20. Jh. auf. -
Zu den beliebtesten Mondantanzen zu Beginn des 20.
Jh. gehorten der Boston, der Grizzly-bear, der Turkey-
trott (1914 vom Vatikan abgelehnt) und vor allem
der Tango. In Paris und Nizza wurden die ersten Tanz-
weltmeisterschaften ausgetragen. Nach dem 1. Welt-
krieg war der Charleston, seit 1926 der Black-bottom
bevorzugter Modetanz. Der Jitterbug wurde Mitte der
1940er Jahre popular. Neben diesen nordamerikani-
schen Tanzen kamen nach dem 1. Weltkrieg auch siid-
und mittelamerikanische Tanze in Mode: Rumba,
Machiche, Samba. Die modernen Standardtanze der
Tanzschulen, zum Teil auch der Tanzturniere, sind:
Waltz, Tango, Quickstep, Slowfox, Wiener Walzer
und die jeweiligen Modetanze wie Cha-Cha-Cha,
Boogie, Twist. - Ein Reichsverband zur Pflege des
G.es (RPG) wurde 1925 gegrundet; nach 1945 Deut-
scher Verband zur Pflege des G.es, spater Deutscher
Amateurtanzsport-Verband. 1963 hat der Allgemeine
Deutsche Tanzlehrer- Verband das vom Internationa-
len Rat fur G. in London beschlossene »Welttanzpro-
gramm« befiirwortet. Es besteht aus zehn Tanzen:
langsamer Walzer, schneller Foxtrott (Quickstep),
Wiener Walzer, Tango, Rumba, Cha-Cha-Cha, Sam-
ba, Paso doble, Boogie und Blues.
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ballare e danzare, 1416, Ms. ; Guglielmo Ebreo, Trattato
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Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948, deutsche
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Paris 1725; G. Dufort, Trattato del ballo nobile, Neapel
1 728 ; M. de Cahusac, La danse ancienne et moderne, Den
Haag 1754; Chr. G. Hansel, Allerneueste Anweisung zur
AuBerlichen Moral . . . , Lpz. 1 755 ; J. G. Noverre, Lettres
sur la danse, et sur les ballets, Lyon u. Stuttgart 1760, Wien
1767, Paris u. London 1783, NA Paris 1952, deutsche
Ubers. v. G. E. Lessing, Hbg u. Bremen 1769; E. C Ma-
del, Die Tanzkunst f. d. elegante Welt, Erfurt 1805; C.
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Ubers. v. Teilen v. Arbeaus »Orchesographie«) ; ders.,
Brevier d. Tanzkunst, Lpz. 1 879 ; Fr. M. B6hme, Gesch. d.
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day, NY 1912; C. Walker, The Modern Dances How to
Dance Them, Chicago 1915; R. Lach, Zur Gesch. d. G.
im 18. Jh., = Museion, Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz. 1920;
F. W. Loebner, Das neueTanzbrevier, Bin 1920; H. Bran-
denburg, Der moderne Tanz, Miinchen 1921 ;H. Pollack,
Die Revolution d. G., Dresden 1922; J. Schikowski, Der
neue Tanz, = Kunst u. Volk, Bin (1924); F. Aeppli, Die
wichtigsten Ausdriicke f. d. Tanzen in d. romanischen
Sprachen, = Beih. zur Zs. f. romanische Philologie LXXV,
Halle 1925; M. v. Boehn, Der Tanz, Bin 1925; Fr. Boh-
me, Der Tanz d. Zukunft, Miinchen 1926; V. Silvester,
Modern Ballroom Dancing, London 1927, erweitert 2 1935,
deutsch als: G., Lpz. 1930; W. Schuftan, Hdb. d. Tanzes,
Mannheim 1 928 ; C. W. Beaumont, A Bibliogr. of Dancing,
London 1929 ; I. A. Levinson, La danse d'aujourd'hui, Pa-
ris 1929; F. Giovannini, I balli di ieri e di oggi, Mailand
1930; P. G. Cressey, The Taxi Dance Hall, Chicago 1932;
E. L. Baum, Dictionary of Dance Terms, Chicago 1 932 ; C.
Sachs, EineWeltgesch.d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937
u. London 1938, frz. Paris 1938; Fr. Fosca, Hist, des Cafes
de Paris, Paris 1934; O. Gombosi, Der Hoftanz, AMI VII,
1935 ; Fr. Pujol u. J. Amades, Diccionari de la dansa (dels
instr. de miisica i sonadors), Barcelona 1 936 ; W. Bahr, Zur
Entwicklungsgesch. d. hofischen G., Diss. Breslau 1941 ;
Ph. J. S. Richardson, A Hist, of Engl. Ballroom Dancing
(1910-45), London 1946; P. Nettl, The Story of Dance
Music, NY (1947); A. Chujoy, The Dance Encyclopedia,
NY 1949; P. Conte, La danse et ses lois, Paris 1952; A.
Moore, G., Stuttgart 1 954 ; A. J. Waganowa, Die Grund-
lagen d. klass. Tanzes, Bin 1954, Koln 1959; Der Tanz in d.
modernen Ges., hrsg. v. F. Heyer, = »Soziale Wirklich-
keit« IV, Hbg 1958; H. Gunther u. H. Schafer, Vom
Schamanentanz zur Rumba, Stuttgart 1959; D. Bianchi,
Un trattato inedito di Domenico da Piacenza, in: La
Bibliofilia LXV, 1963. HOc
Gigue (3ig, frz., iiber engl. jig von altfrz. giguer, s. v. w.
tanzen; moglicherweise auch von altfrz. gigue, mhd.
gige, mittelengl. gige, s. v. w. -> Geige, abgeleitet da-
von ital. giga), ein besonders in der Instrumentalmusik
des 17.-18. jh. weit verbreiteter Tanz, der von einem
noch heute in Irland gebrauchlichen Tanz(-Lied) ab-
stammt, dann jedoch in England, Frankreich, Italien
und Deutschland Sonderentwicklungen durchlief. -
Die -*■ Jig wurde von dem englischen Hoflautenisten
J. Gaultier (um 1635) von London nach Paris verpflanzt
und - grundlegend verandert - durch ihn und D. Gaul-
tier in 2 G.-Typen einem Schulerkreis bis hin zu R. de
Visee ubermacht. Dem ersten Typ liegt das rhythmi-
sche Schema ( «h)| J- Al J J J I «h im 4/4-Takt zu-
grunde, auch { J*)l J- JW- jj- 2 1 J> ; dem zweiten da-
gegen das Schema J\aJ\aJ\a, auch in kleine-
ren Werten («M «T3J und J^l JH) im 3/4- 6/4-,
6/8-(3/8-)Takt. - Wahrend fur den zweiten Typ in
der Lautenliteratur keine hochstilisierten Belege auf-
fmdbar sind, zahlt der erste mit 1st. Beginn undhomo-
phoner oder imitierender Fortspinnung zum festen
Grundstock der Lautensuite (Allemande, Courante,
Sarabande, G.). In der franzosischen Klaviersuite dage-
gen fand gerade der zweite Typ durch Chambonnieres
J. Ch. Chambonnieres,
* QBuvres completes, hrsg.
*— von P. Brunold und A.
Tessier,Paris(1925),S.16.
(Pieces de clavessin, 1670) und seine Nachfolger L. Cou-
perin, d'Anglebert, Lebegue hochst subtile Auspra-
gung durch Synkopen, Vorhalte, Ornamente, Figura-
tion und Komplementarrhythmik; haufig sind Imi-
338
Gitarre
tationen (nach 1st. Beginn) und fugierte Partien, ohne
daE daraus, wie in Deutschland, G.-Fugen entstanden.
Fr. Couperin, bei dem alle zu seiner Zeit gelaufigen G.-
Typen nachweisbar sind, steht wie nach ihm Rameau
bereits unter dem EinfluB auch der italienischen Vio-
lingiga. Zeigte bei Chambonnieres die G. Verwandt-
schaft mit der Courante, so f iihrte Lully eine mit dem
fur die Canarie typischen Auf takt JW I J- versehene
Form der G. ein (Ballette Les gardes und Les saisons,
Amadis, Persee, Roland) und trug damit nicht wenig zu
einer Verwirrung der Tanztypen bei, zumal bei ihm die
Canarie generell auftaktlos erscheint. Eine franzosi-
sche Eigehtiimlichkeit ist auch die G. en rondeau (zu-
erst bei Lebegue 1677).
Die italienische Giga kann einerseits von der franzosi-
schen G. der Klaviersuite hergeleitet werden (z. B. P.
degli Antoni, Partitura balletti e arie diverse a violino . . .
e anco per suonare nella spinetta . . . op. 3, 1671, wo ne-
ben der Giga im 12/8-Takt auch die G. mit punktier-
tem 4/4-Takt erscheint und der Titel den Zusammen-
hang zwischen Violin- und Klaviermusik andeutet),
andererseits von den SchluBallegri der altitalienischen
Kirchensonate bzw. Kanzone. Die Giga ist »glatt rhyth-
misiert« (Danckert), hat sehr schnelle Tempi, typische
Violinfiguration, bloBe BaBstiitze, in Triosatzen meist
Terzen- und Sextenparallelen, spater lange Phrasen;
Imitation und Volltaktigkeit erscheinen als Reste der
ricercarartigen Kanzone. Die f ruheste bekannte Samm-
lung stammt von Vitali (op. 4, 1668), die charakte-
ristische Form, Vorbild fur die franzosische (J.-M.
Leclair) und deutsche Geigerschule (J.J. Walther), von
Corelli (op. 1-4 und 5, 1681ff.):
6 6
A. Corelli, Giga aus op. 4 Nr 4 (1694).
Die Giga nach 1700 hat in Italien das Virtuosentum
gepragt; fiir ihre zasurlose Fortspinnungs- und Se-
quenzenmelodik ist die Charakteristik : wie der glatt-
fortschiessende Strom-Pfeil ernes Backs, zutreffend (Mat-
theson Capellm.). Uber die Neapolitaner (Sammartini,
Pergolesi) fand sie als Satztyp Eingang in die Kammer-
und Orchestermusik der Fruhklassik, wo sie (z. B. bei
Haydn) oft als Presto den Kehraus abgibt.
Nachdem E.Reusner die franzosische G. in die deut-
sche Lautensuite eingefiihrt hatte, begegnet zuerst bei
Froberger die fiir Deutschland typische Fugen-G., der
schluBkraftige Finalsatz der Klaviersuite. Die fran-
zosische Fugierungstechnik in der G. und das italieni-
sche kanzonenhafte Prinzip des Kontrasts fiir die G.
nutzend, ftigt Froberger dem nach Taktart und Rhyth-
mus auf die franzosische Lauten-G. zuriickgehenden
G.-Thema einen Kontrapunkt hinzu, der auch zum 2.
Subjekt der kontrapunktischen Verarbeitung wird,
und leitet den 2. Teil der G. mit Themaumkehrung
ein. Damit war das Modell fiir Bachs spatere Doppel-
fugen-G. aufgestellt. - Lullys deutsche Schiiler (Kus-
ser 1682, Erlebach 1693, Mayr 1692, Georg Muffat
1695/98, J. Fischer 1702) ahmten dessen Suitentyp und
damit auch die Canarie-G. nach, wahrend osterreichi-
sche Komponisten (J. H. Schmeltzer, Poglietti) die G.
als wirkliches Tanzstiick komponierten und Biber,
Muffat und Fux (Concentus, 1701, Vorrede) volkstiim-
liche Einfachheit in der G. anstrebten. Fiir die Tradi-
tion der Frobergerschen Klavier-G. wurde die mittel-
und norddeutsche Schule (Reinken, Kuhnau, Liibeck,
Bohm) maBgebend; nicht Handel, der in alien Instru-
mentalkompositionen, so auch in den Klaviersuiten,
die italienische G. bevorzugte, sondern J. S.Bach emp-
fing sie hier. Er rezipierte im iibrigen alle G.-Modelle
und fiigte sie in seine Violoncellosuiten I-VI (BWV
1007-1012), Viohnpartiten II und III (BWV 1004 und
1006), Klavierpartiten I, III-VI (BWV 825 und 827-
830) und Englischen und Franzosischen Suiten (BWV
806-817) ein; dabei gestaltete er die Fugen-G. durch
kontrapunktische Konsequenz zu einer G.n-Fuge um,
wie z. B. in der Franzosischen Suite Nr IV:
, $ ^ ,. — _ — --,
*\ h *,
" V
U-TZzs
=
=
Wie andere Tanze erlebte auch die G. in neuerer Zeit
eine Wiedergeburt: u. a. durch CI. Debussy (Images 1:
G.s, 1912), J.Francaix (Sonatine 1952), Ph.Jamach
(Quintett op. 10), Reger (V.-Solo op. 42; Vc.-Solo op.
131c; op. 36 fiir Kl.), Schonberg (Suiten op. 25 und op.
29), Strawinsky (Duo concertant 1932, Septett 1952/53).
Lit.: J. Pulver, The G., Proc. Mus. Ass. XL, 1913/14; D.
Fryklund, Etymologische Studien iiber Geige - G. - Jig,
= Studier i modern sprakvetenskap VI, Uppsala 1917; J.
Muller-Blattau, Grundziige einer Gesch. d. Fuge,
= Konigsberger Studien zur Mw. I, Konigsberg 1923,
Kassel 3 1 963 ;W. Danckert, Gesch. d.G., = Veroff.d.raw.
Seminars d. Univ. Erlangen I, Lpz. 1924; C. Sachs, Eine
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London
1938, frz. Paris 1938; M. Reimann, Untersuchungen zur
Formgesch.d.frz. Klaviersuite, = KolnerBeitr.zur Musik-
forschung III, Regensburg 1940; E. Bauer, Die Klaviersui-
te bei J. J. Froberger, Diss. Saarbrucken 1 962. R G
Giraffenklavier, eine Art der aufrecht stehenden
Hammerniigel, die, auf das ->■ Clavicytherium zuriick-
gehend, um 1745-60, danach in der 1. Halfte des 19.
Jh. vielfach gebaut wurde. Pyramidenfliigel (im Un-
terschied zum G. symmetrisch) sind von Del Mela 1739
und Friederici 1745 nachgewiesen. Lyrafliigel baute
zuerst J. C. Schleip 1824 in Berlin. - Das liegende G.
gehort zu den Vorformen des -> Pianinos.
Gitarre (von -> kithara, mit der jedoch sachlich kein
Zusammenhang besteht; ital. chitarra, auch viola;
span, guitarra, auch vihuela; frz. guiterne, guitare;
engl. gittern, guitar), Zupf instrument mit 8formigem
Corpus, Zargen, flachem Boden und flacher Decke, in
die ein groBes rundes Schalloch eingelassen ist, heute
offen, friiher mit einer Rosette verziert. Die 6 Saiten
der modernen G. (E A d g h e 1 , notiert eine Oktave
hoher) laufen vom Querriegel iiber den Hals mit Bun-
den zum leicht abgeknickten Wirbelkasten ; die mo-
derne G. hat eine Schraubenmechanik start der Wirbel.
- Die G. ist im Abendland seit dem 13. Jh. in Spanien
nachgewiesen (Cantigas de Santa Maria), als Guitarra
moresca (->■ Mandora) und Guitarra latina (s. v. w. G.
der Einheimischen). Ihre Herkunft aus dem Orient ist
moglich, doch konnte bisher noch kein mit der G. in
Einzelziigen verwandtes Instrument als Vorfahr nach-
gewiesen werden. Die Guitarra latina (guitarra espano-
la) hatte zunachst 4 Saiten und 4 Btinde, im 15. Jh. 4
doppelchorige Saiten (verschiedene Stimmungen, u.a.
22*
339
Gitarre
cci ff aa did', FF cc ee aa) und im 16. Jh. 4 oder 5 Chore
(u. a. Aa ddi gg hh e 1 ). Sie unterschied sich dadurch
von der -+ Vihuela mit 5-7 Saiten. Im 18. Jh. kam eine
6. Saite hinzu, der Bezug wurde einchorig. Die ersten
Stiicke fur G. wurden von Mudarra und Fuenllana in
ihren Drucken von Tabulaturen fiir Vihuela veroffent-
licht, die erste Ausgabe nur fiir G. von J. C. Amat (1596).
Im gleichen MaB, wie die kunstreiche Literatur fiir Vi-
huela am Ende des 16. Jh. verfiel, bliihte die volkstiim-
lichere fiir G. im 17. Jh. auf. Neben dem Spiel inEinzel-
noten (span, punteado) steht nun das akkordische Spiel
(rasgueado). Die Tabulaturen fiir G. enthalten u. a. Airs
de cour, Romances, Seguidillas, Volkslieder und Tan-
ze; die G. war sowohl im Volke als auch in der stadti-
schen Gesellschaft beliebt. Die wichtigsten spanischen
und portugiesischen Komponisten fiir G. sind Bricefio
(1627), Velasco, Sanz, Ruiz de Ribayaz, Guerau, Abreu,
im 19. Jh. Sor und Tarrega. In jiingster Zeit hat A.
Segovia durch Erneuerung der Spieltechnik und des
Repertoires (Kompositionsauftrage) die kunstlerische
Bedeutung der G. wieder herausgestelk.
Die italienische Literatur fiir G. im 16.-19. Jh. ist die
reichste fiir das Instrument iiberhaupt; genannt seien
M. de Barberiis (1549), G. Montesardo, G. A.Colonna,
B. Sanseverino, P.Millioni, A.Trombetti, A.M.Bar-
tolotti, A. Carbonchi. Auch zur Kammermusik wurde
die G. herangezogen, so von Boccherini, M. Giuliani,
Porro, Zani de Ferranti und Paganini, der auch ein
Virtuose auf der G. war. In England hat die G. in der
mittelalterlichen Gittern (im 13. Jh. im Ormesba Psal-
ter abgebildet) eine Sonderform (Stiicke dafiirim Mul-
liner Book), die im 17. Jh. durch die spanische G. ab-
gelost wurde. In Frankreich veroffentlichten u. a. Mor-
laye, le Roy & Ballard, Grenerin, de Visee, Desorieres,
Medard, Vabray und Campion Tabulaturen fiir G. -
In Deutschland scheint die G. nicht im gleichen MaBe
beliebt gewesen zu sein. Praetorius (Synt. II, S. 53)
nennt 1619 die Quinterna oder Chiterna mit 4 (c f a d 1
oder f g d 1 g 1 ) oder 5 Choren, und brauchens in Italia die
Ziarlatini vnd Salt' in banco (das sind beyn vnsfast wie die
Comoedianten vnnd Possenreisser) nur zum schrumpen;
Darein sie Villanellen vnd andere narrische Lumpenlieder
singen. Es konnen abet nichts desto weniger auch andere
feine anmuthige Cantiunculae, vnd liebliche Lieder von eim
guten Senger vnd Musico Vocali darein musicirt werden.
Erst nachdem die Herzogin Anna Amalia von Sachsen-
Weimar (wahrscheinlich) 1788 eine G. aus Italien mit-
gebracht hatte und der Geigenmacher J. A. Otto auf
Veranlassung von J.G.Naumann G.n nachbaute, wur-
de sie zum Modeinstrument, vor allem in Wien, wo
neben S.Molitor und den Italienern M.Giuliani und
Legnani auch der Bohme Matiegka zahlreiche Werke
fiir G. veroffentlichte. - In RuBland wurde die G. um
1800 als Saloninstrument uberaus beliebt, und eine
Reihe von Virtuosen (Sichra, Wyssozkyj) kultivierten
das Solospiel. - Das Spiel auf der G. (Klampfe, Zupf-
geige) nahm in Deutschland durch die -*■ Jugendbe-
wegung und das von ihr wachgerufene Interesse fiir
altere Spielmusik wieder einen Aufschwung. Im Jazz
verdrangte die G. als Begleit- (in der Rhythmusgruppe
neben Piano, BaB und Schlagzeug) und Soloinstru-
ment zum Teil das Banjo. Starker EinfluB auf die Single
note-Spielweise ging von Dj. -> Reinhardt aus. Seit
etwa 1940 wird die G. in Jazz und Unterhaltungsmusik
elektrisch verstarkt mit Plektron gespielt. - Die G. hat
zahlreiche Nebenformen, oft von regionaler Bedeu-
tung, die sich in Grofie und Stimmung unterscheiden :
Terz- und Quint-G., BaB-G. mit freien Saiten in der
Schrammelmusik; portugiesische Machete, -»• Ukule-
le ; Venturina, Chitarrina, Guitarrillo ; -> Lyra - G. , Gui-
tare d'amour (-> Arpeggione).
Lit.: J. Bermudo, Declaration de instr. mus., (Osuna)
1555, Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, = DM1 1, 11, 1957; M.
Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg.
v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; J. Fr. B. C. Majer, Mu-
seum musicum (1732), hrsg. v. H. Becker, = DM1 I, 8,
1 954 ; J. A. Otto, Ueber d. Bau u. d. Erhaltung d. Geige u.
alter Bogeninstr., Halle 1817; Fr. W. Galpin, Old Engl.
Instr. of Music, London 1910, 31932, "1965 hrsg. v. Th.
Dart; J. Zuth, S. Molitor u. d. Wiener Gitarristik, Wien
(1920); ders., Hdb. d. Lauteu. G., Wien 1926-28; B. Hen-
ze, Die G. u. ihre Meister d. 18. u. 19. Jh., Bin 1920; A.
Koczirz, Die Fantasien d. M. de Barberis f. d, siebensaiti-
ge G., ZfMw IV, 1921/22; ders., Die Gitarrekompositio-
nen in M. de Fuenllanas Orphenica lyra (1554), AfMw IV,
1922; K. Geiringer, Der Instrumentenname »Quinterne«
u. d. ma. Bezeichnungen d. G., Mandola u. d. Colascione,
AfMw VI, 1924; F. Buek, Die G. u. ihre Meister, Wien
1926, Bin 31952; S. N. Contreras, La guitarra, sus ante-
cedentes hist, y biogr. de ejecutantes celebres, Buenos Aires
1927; E. Pujol Villarube, La guitarra e su hist., Buenos
Aires 1932; ders., Escuela razonada de la guitarra, 5 Bde,
ebenda 1932-35; ders., Les ressources instr. et leur r61e
dans la musique pour vihuela et pour guitare au XVI e et au
XVIP s., in : La musique instr. de la Renaissance, hrsg. v.
J. Jacquot, Paris 1955; D. Prat, Diccionario biogr.,
bibliogr.,hist.,criticodeguitarras, guitarristas . . ..Buenos
Aires 1934; E. Schwarz-Reiflingen, La chitarra in Ger-
mania, La chitarra 1, 1934 ; F. Andorra, La chitarra, Mai-
land 1936; M. Giordano, Contributo alio studio della
chitarra, Mailand 1936; B. Terzi, Dizionario dei chitar-
risti e liutai ital., Bologna 1937; S. Bloch, Lute Music, Its
Notation, Technical Problems in Relation to the Guitare,
The Guitare Review IX, 1949; H. Hickmann, Ein unbe-
kanntes Sgyptisches Saiteninstr. aus koptischer Zeit, Mf
III, 1950; Fr. Lesure, Le guitare en France au XVI e s.,
MD IV, 1950; Ph. J. Bone, The Guitar and Mandolin,
London 2 1954; A. P. Sharpe, The Story of the Span. Gui-
tar, London 1954; R. Sainz de la Maza, La guitarra y su
hist., Madrid 1 955 ; T. Usher, The Span. Guitar in the 19 th
and 20 th Cent., The Galpin Soc. Journal IX, 1956; D. L.
Heartz, The Elizabethan Tutor for the Guitar, ebenda
XVI, 1963.
Giustiniane (d3ustini'a:ne, ital.; auchJustiniane.Ve-
neziane), scherzhaft pointierte Liebeslieder des 15.-16.
Jh., die nach dem Begrunder dieser Gattung, dem ve-
nezianischen Dichter L. -> Giustiniani, benannt wur-
den. Es sind 8zeilige Gedichte in venezianisch dialekta-
ler Farbung, im Stil des begleiteten Sololiedes. Melis-
matische Auszierung der Oberstimme ist zum Teil in
den Quellen iiberliefert und muB auch fiir die iibrigen
G. (im Gegensatz zur Frottola) angenommen werden.
Mit diesen G. des 15. Jh. haben die G. des spaten 16. Jh.
nur die Dreistimmigkeit und die venezianische Far-
bung des Textes gemeinsam; im iibrigen handelt es
sich dabei um Satze von schlicht villanellenartiger
Faktur.
Lit. : A. Einstein, The Greghesca and the Giustiniana of
the Sixteenth Cent., Journal of Renaissance and Baroque
Music 1, 1946; W. H. Rubsamen, The Justiniane . . . , AMI
XXIX, 1957.
giusto (dj'usto, ital., richtig), verselbstandigt aus Tem-
po g., Normaltempo, gleichbedeutend mit Tempo
ordinario. Allegro tempo g. erscheint als Satzbezeich-
nung noch in Oboenkonzerten E.Eichners (1764 und
1772); g. zeigt auch (wie -» a tempo) den Wiederein-
tritt des HauptzeitmaBes an.
Glagolitischer Kirchengesang -> Altslawischer
Kirchengesang.
Glasharfe, ein von Bruno Hoffmann 1929 konstru-
iertes und gespieltes Glasreibspiel mit senkrecht stehen-
den Glasern. Sie ahnelt den alteren Formen der — s- Glas-
spiele, die vor Franklins ->• Glasharmonika verbreitet
waren. Werke fiir Gl. schrieben neben Br. Hoffmann
u. a. H. Genzmer (Variationen fiir Gl., Fl.,Va und Vc.)
und J. N. David (Choral und Fuge fiir Gl. solo).
340
glissando
Glasharmonika (engl. und frz. glass harmonica;
ital. armonica) im 18. und 19. Jh. einfach Harmonika
genannt, eine Bezeichnung, die auch fur manche an-
deren Instrumente gait, bei denen auf gestimmten fes-
ten Korpern mehrstimmiges Spiel moglich war, z. B.
Stahl- (Nagelgeige), Holz- (Xylophon), Steinharmo-
nika (Lithophon) ; davon hergeleitet und auf Instru-
mente mit schwingenden Zungen bezogen: -*■ Har-
monika-Instrumente. Die Gl. ist ein -> Friktionsin-
strument, dessen schwingende Teile Glasglocken,
-stabe oder -rohren sein konnen. Zu groCter Verbrei-
tung gelangte die Gl. in der Form, wie sie B.Franklin
1762 in London konstruierte, indem er Glasglocken auf
eine Achse reihte in der Anordnung eines Glasglok-
kenkegels, der, waagerecht vor dem Spieler liegend,
durch Pedaltritte uber Treibriemen und Schwungrad
gedreht wird. Gespielt wird diese Gl. durch Beriih-
rung der Fingerkuppen mit den sich drehenden, was-
serbenetzten Glocken. Der urspriingliche Tonum-
fang g-g 2 wurde nach 1770 von A. Schmittbaur auf
c-c* erweitert. Die Gl. verdrangte das Verrillon (->■ Glas-
spiele) und erlebte ihre Bliitezeit in Deutschland. Be-
riihmte Virtuosen auf der Gl. waren J. L. Dussek und
die blinde Marianne KirchgaBner, fur die Mozart das
Adagio und Rondo K.-V. 617 schrieb. Auch Beetho-
ven, J. G. Naumann, J. Fr. Tomaschek schrieben Kom-
positionen fur die Gl. Dem Instrument, das dynami-
scher Schattierungen fahig ist, und zwar vom leisesten
Hauche bis zu einer merklichen Starke (KochL), fehlt je-
der Anlaut. Der atherische Klang erinnert an ein zartes
streichendes Orgelregister und lieB die Gl. zu einem
bevorzugten Instrument des empfindsamen 18. Jh.
werden. Die Vermutungen jener Zeit, daB die Glas-
vibration in direkter innigster Weise durch die Fingerspitzen
auf das Nervensystem (Mendel) schadigend wirke, auch
ein langeres Anhoren des Gl.-Spiels der Gesundheit
nicht zutraglich sei, bewegten lange die Gemiiter. Um
die Mitte des 19. Jh. war das Instrument in Vergessen-
heit geraten. R.Strauss verlangt es dann noch einmal
in der Frau ohne Schatten (1919), heute jedoch iiblicher-
weise ersetzt durch zwei »kiihl geschlagene« Vibra-
phone (ohne »Vibrato«-Klang). - Kaum ein anderes
Instrument hat je so die Phantasie zu Verbesserungs-
versuchen angeregt. Mit Tasten versehen, von denen
aus eine gepolsterte Streichvorrichtung an die Glas-
glocken gebracht wurde, hieC die Gl. Clavier-Har-
monica; bereits 1769 wurde der Bau eines solchen In-
strumentes empfohlen. Hierher gehoren auch Chladnis
Konstruktionen (-»• Clavicylinder). Kombinationen
von Tastenharmonika und Orgelstimmen erfolgten
1795 (Harmonicon), eine Art Orgelharmonika mit
2 Manualen entstand 1800 (Coelestine), ein Cherubine
Minor verband noch 1859 Glasglocken, Harfe, Kla-
vier und Orgel zu einem Instrument. Bei all diesen
Mechanisierungsversuchen ging freilich der feinnervi-
ge Klangcharakter verloren.
Lit. : C. L. Rollig, Dber d. Harmonica, Bin 1787 ; J. Chr.
Muller, Anleitung zum Selbstunterricht auf d. Harmoni-
ca, Lpz. 1 788 ; K. Bartl, Nachricht v. d. Harmonika u. . . .
d. Tastenharmonika, Briinn 1799 ; C. F. Pohl, Zur Gesch.
d. Gl., Wien 1862; Mus. Conversations-Lexikon IV, hrsg.
v. H. Mendel, Bin 1874, Artikel Harmonica; SachsL;
Sachs Hdb. ; W. Luthge, Die Gl., d. Instr. d. Wertherzeit,
in: Der Bar, 1925; Br. Hoffmann, Gl. u. Glasharfe, Mu-
sica IV, 1950; O. E. Deutsch, Neues v. d. Gl., Osterreichi-
sche Musikzs. IX, 1954; Kx. W. Niemoller, J. A. Schmitt-
baurs Werke . . . , Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962.
Glasspiele (frz. verrillons; engl. musical glasses),
-*■ Idiophone aus Glas, die durch Friktion (seltener
durch Schlagen, z. B. die xylophonartige Glasstabhar-
monika) zum Erklingen gebracht werden. In der ein-
fachsten Form sind es senkrecht stehende, durch ent-
sprechende Wasserf ullung eingestimmte diinnwandige
Trinkglaser, die mit befeuchteten Fingerspitzen am
oberen Rande der Glaser angerieben werden (->• Glas-
harfe). So waren die Gl. in Europa vor Einfiihrung der
Glasharmonika allgemein, besonders aber in England,
bekannt. Ihr Ursprung ist vermutlich auf die im in-
disch-persischen Mittelalter verbreiteten, mit Wasser
abgestimmten Schalen aus Porzellan oder Ton zuriick-
zufiihren, die aber mit Stockchen angeschlagen wur-
den (-»• Jaltarang). Seit Fr.GafEoris Theorica musicae
(1492) und der Erwahnung ain Instrument aus glaswerch
im Ambraser Verzeichnis (1596) reiBt die theoretische
und praktische Beschaftigung mit den Gl.n nicht mehr
ab und erreicht ihren Hohepunkt in der 2. Halfte des
18. Jh. mit der Konstruktion der ->■ Glasharmonika
und damit verwandter Instrumente.
Lit. : A. Ford, Instructions for Playing of the Mus. Glasses,
London 1761 ; A. H. King, The Mus. Glasses and Glass
Harmonica, Proc. Mus. Ass. LXXII, 1 945/46. . ^
Glee (gli:, engl.; von angelsachsisch gliw oder gleo,
[musikalische] »Unterhaltung«) bezeichnet in der eng-
lischen Musik urspriinglich (meist) dreistimmige, un-
begleitete Chorlieder, die geselligem Zeitvertreib die-
nen. Schon in der Mitte des 17. Jh. (z. B. in Playfords
Select musicall Ayres, and Dialogues, 1652) findet sich
die Bezeichnung in dieser Bedeutung, ohne Fixierung
von Form und Besetzung. Besondere Pflege erfuhr
das Gl. in den Manner-Clubs (u. a. Londoner GL-
Club, 1783-1857), wodurch sich seine weitgehende Be-
vorzugung der Mannerstimmen erklart. Als Bliitezeit
des Gl. gelten etwa die Jahre zwischen 1750 und 1830,
als bedeutendsterKomponist von Gl.s wird S. — »■ Webbe
(Vater) genannt. Die haufige Gleichsetzung von Gl.
und Madrigal ist insofern unzutreffend, als das Gl. als
eigenstandige Chormusik des 18. Jh. durch die stilisti-
schen Eigenheiten seiner Zeit gepragt ist, so durch
Verzicht auf polyphone Gestaltung und eine schlichte,
oft klar periodisierende Anlage. Noch im 18. Jh. wur-
de die Bezeichnung Gl. auch fur instrumental beglei-
tete Trios, Quartette und Chore verwendet, die nicht
selten dem Opernrepertoire entnommen sind.
Ausg.: H. R. Bishop, A Complete Collection of the Gl.,
Trios. . . and Chorusses,10Bde, London 1839.-B. Cooke,
A Collection of Gl., Catches and Canons for 3, 4, 5 and 6
Voices, London (1775); ders.; 9 Gl. and 2 Duets op. 5,
London 1 795 ; W. Horsley, 6 Gl. f or 2 Trebles and a B. op.
3, London (1 806) ; ders., A Second Collection of Gl., Ma-
drigals, . . . op. 4, London o. J. ; ders., A Fourth Collection
of Gl., Canons ..., London 1827; Th. Attwood, A Col-
lection of Gl. for 3, 4, 5 and 6 Voices, London 1 827.
Lit.: W. A. Barrett, Engl. Gl. and Part-Songs, London
1886; Cat. of Engl. Song Books Forming a Portion of the
Library of Sir J. Stainer, London 1 891 ; D. Baptie, Sketches
of the Engl. Gl. Composers, London (1896).
glissando (Abk. : gliss.), auch gliss(ic)ato, glissicando
(ital., gleitend, von frz. glisser), das Gleiten durch ein
groBeres Intervall, im Gesang oder auf Instrumenten
ohne feste Tonhohen (Streichinstrumente) durch Ver-
schleifen der einzelnen Tonstufen. Im Unterschied zum
-> Portamento, das dem Bereich des (ausdrucksvollen)
Vortrags angehort und das vor allem im Jazz (-»■ Tail
gate), in der volkstiimlichen und in der Unterhaltungs-
musik oft falschlich als gl. bezeichnet wird, ist das echte
Gl. stets ein fester Bestandteil des vorgetragenenWerks.
Auf dem Klavier wird gl. durch schnelles Streichen
mit der Nagelseite der Finger liber die Ober- oder die
Untertasten hervorgebracht. Die chromatische Tonlei-
ter laBt sich, wie C. Tausig gezeigt hat, mit tauschender
Wirkung mit 2 Fingern einer Hand im Gl. ausfiihren.
Ein friihes Zeugnis fur das Sexten-Gl. begegnet bei Mo-
zart 1778 (Klaviervariationen uber Lison dormait, K.-V.
341
Glocke
264) ; Glissandi in Oktaven fordert Beethoven (Kla-
vierkonzert C dur) und Weber (Konzertstiick op. 79),
in Terzen und Quarten Ravel (Miroirs). Noch Mozart
und Beethoven schrieben das Gl. in Noten aus (oft mit
auskomponiertem Accelerando) ; seither ist die -> Ab-
breviatur (- 7) gebrauchlich. Chromatische ein- und
mehrstimmige Glissandi sind auf der Janko-Klaviatur
(->■ Manual) ausfiihrbar. Das Gl. auf der Pedalharfe
ist in alien einstellbaren Tonfolgen moglich, auch
Doppel- und Akkord-Gl. Das Gl. auf den Pedalpauken
fordert Bartok in seiner Musik fiir Saiteninstrumente,
Schlagzeug und Celesta und der Sonate fur 2 Kl. und
Schlagzeug. Gl. auf dem Orgelpedal verlangt Former
im 1. seiner 3 Intermezzi (1962). -> strisciando.
Glocke (aus dem keltischen + clocc, daraus mittellat.
clocca, frz. cloche, nld. klok, russ. kolokol; als roma-
nische Wortform ital. und span. -> campana; engl.
bell; lat. signum, daher altfrz. sin, seing, port. sino).
Als Musikinstrument fand die Einzel-Gl. wegen ihrer
GroBe und ihres Gewichtes nur ausnahmsweise Ver-
wendung (als Effektinstrument im Opernorchester des
19. Jh.). Wo ihr Klang gefordert ist, werden heute
Ersatzinstrumente, wie abgestimmte Stahlplatten oder
->■ Rohren-Gl.n, verwandt. Hingegen ist die Zusam-
menstellung mehrerer Gl.n zu einem abgestimmten
-> Gl.n-Spiel sehr haufig anzutreffen (-»- Carillon) und
seit dem hohen Mittelalter (-» Cymbala) belegt. - Die
Gl. als Klang werkzeug laBt.sich bis in die Vorgeschich-
te zuriickverfolgen; nachweisbar ist die Ton-Gl. der
Steinzeit, die athiopische Stein-Gl., die altagyptische
Gold- oder Silber-Gl., abgesehen von der Natur-Gl.,
bestehend aus Fruchtschalen (Kiirbis, z. B. als Rasselin-
strument) oder als eigentliche Gl. mit Kloppel aus
Zahn. Die Hand-Gl. gab es in China bereits gegen En-
de des 2. Jahrtausends, die Bronze-Gl. (gegossen) im
9. Jh. v. Chr. in Asien und im Vorderen Orient (Assy-
ricn, Agyptcn). Diese Friihformen dienten dem Bannen
von Damonen (Gl.n an Tieren), dem Schmuck oder der
Magie (von Menschen getragen; griechische Antike,
Agypten), als Zeit-Gl. (Vorderindien, bis heute in der
Liturgie der Kopten vom Priester geschlagen, auch zur
Markierung ritueller Hohepunkte in der romisch-ka-
tholischen Messe), als Feuer-Gl. (in der romischen An-
tike), als Sturm-Gl. usw. Im Abendland fand die Gl. so-
wohl profane als auch sakrale Verwendung; das Mittel-
alter kannte, heidnischen Vorstellungen entsprechend,
die Wetter-Gl., die dem Unwetter wehren sollte; in
spaterer Zeit diente sie nur noch als Signal-(Unwetter-,
Feuer-)G1. Lange vermochte sich der profane Gebrauch
der Gl. (auch als Gerichts-, Rats-, Bier-Gl. u. a.) neben
der Kirchen-Gl. zu behaupten; seit dem 19. Jh. be-
schrankt er sich im wesentlichen auf die Zeit-(Uhr-)Gl.
Der Brauch, Gl.n mit Inschriften, Symbolen oder Zier-
rat zu versehen, geht bis ins Altertum zuriick. - Die Ver-
wendung der Gl. in der christlichen Kirche nahm ihren
Ausgang von den orientalischen Klostern, verbreitete
sich von dort nach RuBland und ins nordliche Abend-
land, nach Irland und Schottland, und von da nach dem
kontinentalen Europa (zunachst Frankreich und Italien) .
Das 6. Jh. (2. Halfte) kennt bereits die Kirchen-Gl.,
aus dem 8. Jh. sind Gl.n-Weihe und »Gl.n-Taufe« be-
kannt. Die Kloster waren im Mittelalter Pflegestatten
des Gl.n-GieBens, hier insbesondere die Benediktiner
(mindestens seit dem 8. Jh.). Die wichtigste Quelle ist
eine Aufzeichnung des benediktinischen Presbyters
Theophilus (10. Jh.) ; nach ihm nannte man die Gl.n sei-
ner Zeit »Theophilus-Gl.n«. Bis ins 12. Jh. bestehen
Klosterprivilegien fiir den GuB von Gl.n, die dann auf
biirgerliche Handwerker (Wien) iibergehen, bis im
15. Jh. mit der Erfindung des SchieBpulvers die Gl.n-
GieBer auch fiir die Herstellung von Kanonenrohren
in Anspruch genommen wurden und Gl.n- und Ka-
nonengiefierei in ein und derselben Werkstatt erfolgte.
Neben den Gl.n-Formen des Altertums (Hickmann
nennt deren 33) war im Mittelalter (bis 12. Jh.) beson-
ders die Bienenkorbform mit nach auBen geschweif tern
Rand verbreitet, daneben die Zuckerhutform (beide
dissonant); aus ihnen entstand die gotische Gl., die
von der Bienenkorbform das Verhaltnis von Hohe
und Durchmesser ubernahm ( 4 / 5 Rand - = Hohe)
und von der Zuckerhutform das Verhaltnis von unte-
rem und oberem Durchmesser (2:1). Im 13./14. Jh.
wurden die Gl.n-Formen wesentlich vergroBert (die
Osanna im Freiburger Miinster von 1258: unten
1,60 m). - Der gute »Ton« der Gl. und ihr angenehmes
Zusammenklingen hangen sowohl von dem Stoff
(Gl.n-Speise) und seiner Bereitung wie von der Stim-
mung ab; im allgemeinen wird Bronze verwendet
(78-80% Kupfer + 20-22% Zinn); alsvorziiglicheMi-
schung geben englische Meister 80% feinstes russisches
Kupfer, 10-11% feinstes englisches Zinn, 5-6% Zink
und 3-4% Blei an, doch ist auch mit Stahl-Gl.n gute
Wirkung erzielt worden (im 17. Jh., zuerst in Genf,
stellte man guBeiserne Gl.n her; im Unterschied zu
diesem GrauguB 1852 in Bochum die GuBstahl-Gl.).
Das Gl.n-Gelaute, die Zusammenstellung (Disposition)
mehrerer Gl.n mit verschieden gelagerten Schlagtonen,
kann sukzessiv erfolgen (Melodie; insbesondere bis
zum 18. Jh.) oder simultan (Harmonie); fiir letzteres
wird heute die pentatonische Reihe (ausschnittweise)
bevorzugt.
Die akustischen Eigenschaften der Gl. werden seit En-
'de des 19. Jh. (Rayleigh) von Physikern, Gl.n-Bauern
und Musikern untersucht. Dabei stehen zwei Besonder-
heiten des Schwingungsablaufs im Mittelpunkt der
Forschungen : der unharmonische spektrale Aufbau der
Teilfrequenzen und der Schlagton. Das Spektrum ei-
ner durch Kloppelschlag erregten Gl. besteht - wie bei
alien mehrdimensionalen Schwingcrn - vorwiegend
aus nicht harmonisch zur Grundschwingung liegenden
Teilschwingungen. Die Ausbildung dieser Schwin-
gungen ist ausschlieBlich vom Querschnitt des Gl.n-
Mantels, der sogenannten Gl.n-Rippe, abhangig, und
der Gl.n-GieBer ist bemiiht, moglichst harmonisch zu-
einander stimmende Teilschwingungen im Prinzipal-
bereich zu erhalten: Unteroktave, Prime, Terz, Quin-
ce, Oberoktave. Diese unteren Teilschwingungen be-
sitzen groBe -s- Intensitat und sind gegenuber den
hoheren im Mixturbereich nur gering gedampft. Wah-
rend alle Teilschwingungen einzeln erregt, d. h: ob-
jektiv nachgewiesen werden konnen, entzieht sich der
Schlagton der physikalischen Messung. Bei einigen
Gl.n-Typen wird der Schlagton im Oktavabstand un-
ter der 5. Teilschwingung gehort. Einige Forscher
sehen darin eine Abhangigkeit des Schlagtons von der
Oberoktave (Rayleigh, Griesbacher, Jones, van Heu-
ven). Andere deuten den Schlagton als Resultante meh-
rerer Teilschwingungen (Schaeben) und halten ihn fiir
»imaginar« (Biehle). Gegen die Erklarung als Diffe-
renzton von Duodezime und Oberoktave (Meyer und
Klaes) wendet sich besonders J. Arts. Allen diesen (hy-
pothetischen) Erklarungen stent die von Schouten 1940
aufgcstellte Theorie der ->■ Residualtonhohe als plau-
sibelste Deutung gegenuber.
Lit. : Lord Rayleigh (J. W. Strutt), On Bells, Physiologi-
cal Magazine and Journal of Science V, 29, 1890; J. J.
Raven, The Bells of England, London 1906; K. Walter,
Glockenkunde, Regensburg u. Rom 1913 (mit umfang-
reicher Bibliogr.); J. Biehle, Die Analyse d. Glockenklan-
ges, AfMw I, 1918/19; P. Griesbacher, Glockenmusik,
Regensburg 1927; H. Lobmann, Das Gl.-Ideal, Bin 1928;
Sachs Hdb. ; ders., Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin
1929, Nachdruck Hilversum 1965 ; ders., The Hist, of Mus.
342
Gloria
Instr., NY (1940); E. Meyer u. J. Klaes, Uber d. Schlag-
ton v. Gl., Die Naturwiss. XXI, 1933; A. Schaeffner,
Origine des instr. de musique, Paris 1936 ; A. T. Jones, The
Strike Note of Bells, JASA VIII, 1936/37; J. Arts, The
Sound of Bells, JASA XI, 1 939/40 (ders. auch in : JASA IX,
1937/38) ; S. N. Coleman, The Book of Bells, London 1938
(mit Bibliogr.) ; Cl. M arcel-Dtjbois, Les instr. de musique
de l'lnde ancienne, Paris 1941 ; Chr. Mahrenholz, Glok-
kenkunde, Kassel (1948); E. W. van Heuven, Acoustical
Measurements on Church-Bells and Carillons, 's-Graven-
hage 1949; C. Stuber, Akustische Untersuchungen an Gl.,
Instrumentenbau Zs. IV, 1950; H. Hickmann, Zur Gesch.
d. altagyptischen Gl., MuK XXI, 1951 ; E. Morris, Bells
of All Nations, London 1951 ; ders., Tintinnabula: Small
Bells, London 1959; F. Ortiz, Los instr. de la musica
afrocubana II, Habana 1952; (A.-P.) Paluel-Marmont,
Cloches et carillons, Paris (1953); J. Schaeben, Die Be-
deutung d. Materials f. d. Klangcharakteristik d. Gl., Zs.
f. Kirchenmusik LXXIII, 1953; M. Grutzmacher, Uber
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u. hrsg. v. Gr. Klaus, Weingarten 1957; Sc. B. Parry, The
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turgisch-mus. Instr. in d. russ. Kirche, Ostkirchliche Stu-
dien VIII, 1958; Deutscher Glockenatlas, hrsg. v. G.
Grundmann, I, Wurttemberg u. Hohenzollern, bearb. v.
S.Thurm, Munchenu. Bin 1959; A. Lehr, De klokkengie-
ters Fr. en P. Hemony, Asten 1959 (mit umfangreicher
Bibliogr.) ; A. Weissenback u. J. Pfundner, Tonendes Erz,
Graz u. Koln 1961; E. Arro, Hauptprobleme d. osteuro-
paischen Mg., in: Musik d. Ostens I, Kassel 1962; J.
Pfundner, Uber d. Schlagton d. Gl., Acustica XII, 1962.
Glockenspiel (hollandisch beiaard, klokkenspel; frz.
carillon; engl. chime). Im Mittelalter sind an Rahmen
aufgehangte, in Skalen abgestimmte, mit Hammern
zu spielende kleine Glocken (-> Cymbala) oft belegt.
Im Spatmittelalter wurde als Ankiindigung des Stun-
denschlags von den Tiirmen (belfried, belf ort) eine
kleine Melodie gespielt (»Vorschlag«, hollandisch ram-
mel) durch Anschlagen einiger (anfanglich 4, daher
carillon von lat. quadrillionem) Glocken mit einem
Hammer. Noch im ausgehenden Mittelalter erfolgte
die Einfuhrung des durch Stiftwalze gespielten mecha-
nischen Gl.s (-*- Mechanische Musikwerke) und be-
gann deren Verwendung in den astronomischen Uhren
(1352 erste StraBburger Mu'nsteruhr, 1405 Marienkir-
che in Liibeck, 1419 Olmiitz, 1441 Lund in Schweden).
BeimWalzenautomaten schlagt der Kloppel die Glocke
auf der AuBenseite, bei dem 1510 in Audenarde erst-
mals belegten Gl. mit einer Klaviatur von innen an. Fur
die grofien Glocken sind nach 1600 auch Pedale ange-
bracht. Jeder Glocke entspricht eineTaste mit Grundton-
(nicht Schlagton-)Benennung. Die Traktur ist in alten
Gl.en mechanisch mit einem Drahtzug, in modernen
elektrisch oder pneumatisch. Zu einem Gl. gehoren heu-
te mindestens 25 Glocken in chromatischer Folge; der
Umfang ist in Europa 2-4 (C-c3), in den USA bis 6
Oktaven. Gl.e sind besonders in Holland, Belgien und
Nordfrankreich verbreitet und galten als horbares
Zeichen der reichen Stadte. Beruhmte Hersteller wa-
ren im 17. Jh. die Briider Hemony. Das Interesse an
Gl.en wurde neu geweckt vor allem durch J. Denijn, der
in Mecheln ab 1892 im Sommer wochentliche Gl.-
Konzerte gab und 1922 eine Beiaardschool griindete.
Kleinere klavierte Gl.e sind vom 17. Jh. an bekannt. Sie
wurden als Halbregister auch in die Orgel eingebaut
und fanden Eingang ins Orchester (Handel Saul, Mo-
zart Zauberflote); heute sind sie ersetzt durch Lyra-
Gl. und Celesta.
Lit.: C. Dasypodius, Wahrhafftige AuBlegung d. astro-
nomischen Uhrwerks zu StraBburg, StraBburg 1578; A.
Rocca, De campanis commentarius, Rom 1612; H. Ma-
gius, De tintinnabulis, Amsterdam 1664; E. Van der
Straeten, Notice sur les carillons d' Audenarde, Antwer-
pen 1855; E. Buhle, Das Gl. in d. Miniaturen d. friihen
MA, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910; A. Loosjes, De toren-
muziek in de Nederlanden, Amsterdam 1916; W. G. Rice,
Carillon Music and Singing Towers of the Old World and
the New, NY 1924, London 1926; ders., Beiaarden in de
Nederlanden, Amsterdam 1927; P. Verheyden, Beiaarden
in Frankrijk, Mecheln 1926; P. Griesbacher, Glocken-
musik, Regensburg 1927 u. 1929; Fr. P. Price, The Caril-
lon, London 1933; ders., Campanology Europe 1945-47,
Ann Arbor 1 948 ; G. Karstadt, Spieltechnik u . Musik auf
Turmgl., Deutsche Musikkultur III, 1938 ; A. Protz, Beitr.
zur Gesch. d. mechanischen Musikinstr. im 16. u. 17. Jh.,
Kassel 1943; F. Timmermans, Luidklokken en beiaarden,
Amsterdam 2 1944; P. D. Peery, Chimes and Electronic
Carillons, NY 1948; K. Lefevre, Bells over Belgium, NY
1949; A. L. Bioelow, Engl. Type Carillonic Bells, Sellers-
ville 1949; J. Smits van Waesberghe SJ, Cymbala (Bells
in the MA), = American Inst, of Musicology, Studies and
Documents I, Rom 1951 ; J. Rottiers, Beiaarden in Belgie,
Mecheln 1952; Fr. M. Feldhaus, Deutsche Gl., AfMwX,
1953 ; A. Lehr, De klokkengieters Fr. en P. Hemony, Asten
1959.
Gloria in excelsis Deo (lat., Ehre sei Gott in der
Hohe), der 2. Teil des Ordinarium missae in Form
eines Lob-, Dank- und Bittgesanges, auch Hymnus
angelicus oder (im Unterschied zur Doxologia minor,
der Schlufiformel Gloria patri) Doxologia maior ge-
nannt. Sein liturgischer Ort ist der Wortgottesdienst,
in welchem es an alien Sonntagen des Kirchenjahres
(auBerhalb des Advents, der Vorf asten- und Fastenzeit),
an Festtagen im weiteren Sinne und an den Wochen-
tagen der osterlichen Zeit nach dem Kyrie eleison re-
zitiert oder gesungen wird (nahere Angaben iiber seine
Verwendung im Novus Codex Rubricarum von 1960,
Artikel 431^432). Gleich dem Hymnus Te decet laus
des monastischen Offiziums und dem Te Deum zahlt
das Gl. zu den in Anlehnung an biblische Vorbilder,
vor allem Psalmen, entstandenen literarischen Neu-
schopfungen (psalmi idiotici) der christlichen Antike.
Die heutige Textgestalt hat ihren Vorlaufer in dem
griechischen Text des Codex Alexandrinus (5. Jh.). Als
alteste Quelle der lateinischen Fassung gilt ein Manu-
skript der irischen Abtei Bangor (um 690; Mailand,
Bibl. Ambrosiana, Ms. C 5 inf .) ; die endgultige Version
uberliefert erstmals der Codex 20 der Stiftsbibl. St.
Gallen (9. Jh.). Der Text selbst enthalt den Gesang der
Engel in Bethlehem (nach Luc. 2, 14), hierauf folgend
Lobpreisungen Gottes (Laudamus te ... Deus pater
omnipotens) und einen christologischen Abschnitt (Domi-
nefili unigenite . . . Amen). - Ursprtinglich Bestandteil des
kirchlichen Stundengebets (Morgen- und Abendoffi-
zium), desgleichen als feierlicher Dankgesang nach-
weisbar, fand der Hymnus angelicus erst allmahlich
Eingang in die romische Messe, wobei sein Gebrauch
dem Bischof vorbehalten und auf die Mitternachts-
messe von Weihnachten beschrankt war. Nach einer
Notiz des Liber pontificalis (um 530) gestattete Papst
Symmachus (498-514) das Gl. auBerdem in den Bi-
schofsmessen der Sonntage und der Mirtyrerfeste.
Demgegenuber wurde es den Priestern nur fiir die
Osternacht und den Tag ihrer Primiz zugebilligt. Erst
im ausgehenden 11. Jh. erlosch das Vorrecht der Bi-
schofe unter dem starken EinfluB frankischer Kleriker.
Auch begann man nunmehr, das Gl. in zahlreiche wei-
tere Messen aufzunehmen. - Wie aus dem 1. Romi-
schen Ordo (Ende 7. Jh.) ersichtlich ist, wurde der Gl-
Gesang im papstlichen Stationsgottesdienst vom Pon-
tifex, zum Volk gewandt, angestimmt (I, 53). Seine
Weiterfiihrung war - abgesehen von einer moglichen
Beteiligung der Gemeinde in altester Zeit - Angele-
genheit des Totus chorus (oder Totus clerus), d. h. aller
bei der MeBfeier im Chorraum versammelten Kleri-
343
Gloria
ker (friihester Beleg: Ordo Romanus V, 24, kurz vor
900). Ein Gleiches berichten die Quellen fiir die Kathe-
dral- und Klosterkirchen. Der Vortrag erfolgte ge-
schlossen durch den Gesamtchor oder im Wechsel
zweier Chorhalften (nach Johannes de Grocheo tractim
et ex longis et perfectis ad modum cantus coronati; vgl. The
New Oxford History of Music II, S. 228). Haufig wurde
auch die Orgel als alternierendes Instrument einbezo-
gen. Bei dieser hauptsachlich im 15. und 16. Jh. verbrei-
teten Auffiihrungsweise wechselten Orgel und Chor
zeilenweise miteinander ab. Die Vatikanische Ausgabe
des Graduate sieht nach der Intonation durch den Zele-
branten (G/. in excelsis Deo) alternatim-Gesang zwi-
schen zwei Chorhalften oder Schola und Chor vor. Im
Zuge der liturgischen Reformbestrebungen wird eine
aktive Teilnahme der Glaubigen auch am gregoriani-
schen Gl.-Gesang, insbesondere nach Ordinarium XV,
empf ohlen (Instrudio de musica sacra et sacra liturgia vom
3. 9. 1958, Artikel 25b). - Das mittelalterliche Reper-
toire 1st. Vertonungen des Hymnus angelicus - neuere
Forschungen erbrachten 56 Melodien, von denen 18
im Graduale (Editio Vaticana) enthalten sind - zeigt
im ganzen eine relative Einheitlichkeit stilistischer
Merkmale. In melodischer Hinsicht wesentlich durch
Umfang und Struktur des Textes mitbestimmt, bewe-
gcn sich die Stiicke im Rahmen einer vorwiegend syl-
labischen Kompositionsweise. Nur selten kommt es zu
ausgesprochen melismatischen Wendungen (Gl. Ill ad
libitum). Dagegen bildet die Wiederholung gleicher
oder ahnlicher Motive in verschiedenen Textzeilen
eines der wichtigsten Kriterien. Als vermutlich alteste
Melodie erweist sich Nr XV der Editio Vaticana (iiber-
liefert seit dem 10. Jh.). Ihr liegt eine den Ambitus ei-
ner Quinte (e-h, ohne f) umspannende archaische
Psalmformel zugrunde (vgl. auch Te Deum und alt-
spanisches Pater noster, letzteres in The New Oxford
History of Music II, S. 82). Besonderes Interesse ver-
dient ebenfalls Gl. I ad libitum, dessen schwer singbare
Melodie von ungewohnlichen Intervallspriingen be-
herrscht und bis zur Duodezime ausgeweitet wird;
nach Ms. 366 der Fragmentensammlung des Klosters
Einsiedeln soil es von Papst Leo IX. (1049-54) kompo-
niert worden sein. - Seit dem 10. Jh. wurde das Gl. mit
zahlreichen Tropen ausgestattet, die man vielfach als
Laudes (lauda, laude) bezeichnete. Ihre letzten Auslau-
fer reichen bis ins 14. Jh. Einige von ihnen finden sich
in mehrstimmigen Vertonungen des Ordinarium
missae wieder, darunter der bekannte Tropus Spiritus
et alme orphanorum Paraclite zum Gl. der 1 . Marienmesse
(Ordinarium IX). - Die Mailandische Liturgie ver-
wendet 4 Melodien des Gl. seu Laus missae (vgl. Anti-
phonale Missarum juxta ritum Sanctae Ecclesiae Medio-
lanensis, Rom 1935). Melodie I (Tonus festivus) wurde
auch in die Desclee-Ausgabe des Vatikanischen Gra-
duale iibernommen (= Gl. IV ad libitum: More Am-
brosiano).
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLVII, Lpz. 1905
(Texte v. Gl.-Tropen). - 1st. Fassung d. Tropus Spiritus
et alme orphanorum Paraclite: Graduale Sarisburiense,
hrsg. v. W. H. Frere, London 1894, Tafel 14*. u. P. Wag-
ner, Einfuhrung... Ill, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim
u. Wiesbaden 1 962, S. 5 1 0. - Mehrst. Vertonungen : El codex
mus. deLasHuelgas, hrsg. v.H. Angles, = Publicacionsdel
Departament de musica de la Bibl. de Catalunya VI, Bar-
celona 1931, III Nr 6 (vgl. dazu Bd I d. Ausg., S. 119ff.,
mit weiteren Quellenangaben); J. Dunstable, Complete
Works, hrsg. v. M. F. Bukofzer, = Mus. Brit. VIII, Lon-
don 1953, 1 9 (Gl.); Chr. Morales, Gl. d. Missa de beata
virgine, in: Opera omnia, hrsg. v. H. Angles, = MMEsp
XV, Rom 1954 (auch bei P. Wagner, Gesch. d. Messe, S.
463ff.); Ein 3st. Spiritus et alme in: Ch.-E.-H. de Cousse-
maker, Hist, de l'harmonie au moyen age, Paris 1852,
Tafel 33.
Lit. : Cl. Blume SJ, Der Engelhymnus Gl. in excelsis Deo,
in: Stimmen aus Maria-Laach LXXIII, 1907; P. Wagner,
Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz.
31911 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u.Wiesbaden 1962;
ders., Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gat-
tungen XI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963; M.
Andrieu, Les Ordines romani du haut moyen age II, = Spi-
cilegium Sacrum Lovaniense. foudes et documents, Fasc.
23, Lbwen 1948 ; W. Stapelmann, Der Hymnus Angelicus,
Heidelberg 1948; M. Huglo OSB, La m61odie grecque du
»G1. in excelsis Deo« et son utilisation dans le Gl. XIV,
Rev. gregorienne XXIX, 1950; D. Bosse, Untersuchung
einst. ma. Melodien zum Gl. in excelsis Deo, Diss. Erlan-
gen 1 954 ; The New Oxford Hist, of M usic 1 1, London 1954,
21955, u. Ill, 1960; Acta ApostolicaeSedisL, Rom 1958; W.
Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958); J. A. Jung-
mann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, Freiburg i. Br. u.
Basel 51962. KWG
Glosa (span., Auslegung, Erlauterung, von lat. glossa;
griech. Y A " CCT a)» in der spanischen Musikpraxis des
16. und friihen 17. Jh. bezogen auf die Auszierung
eines mehrstimmigen Tonsatzes (-»• Diminution - 2)
und auf dessen instrumentale Erweiterung und Ver-
wandlung (->■ Variation).
Glottis (griech.) bezeichnet den Zwischenraum zwi-
schen den beiden Stimmlippen (manchmal werden
auch die Stimmlippen selbst in den Begriff mit einbe-
zogen). Die Gl. kann durch die Bewegungsmoglich-
keiten der beiden Stellknorpel (-»■ Stimme - 2, -»• An-
satz - 2) verschiedene Form annehmen: ein gleich-
schenkliges, spitzwinkliges Dreieck bei ruhiger At-
mung, ein weites Fiinfeck bei kraftvoller Einatmung.
Bei der Phonation nahern sich die Stimmlippen ein-
ander so weit an, daB die Gl. nur noch einen schmalen,
spindelformigen Spalt bildet. Volliger Gl.-SchluB tritt
ein beim Schluckakt und beim Anhalten der Luf t. Un-
ter Gl.-Schlag versteht man das plotzliche Aufspren-
gen eines vollen Gl.-Schlusses durch den Atem zum
Zwecke der Phonation, wodurch der Ton mit einem
knackenden Gerausch anlautet. Der Gl.-Schlag wird in
der Stimmbildung vor allem wegen seiner moglichen
schadigenden Folgen fiir den Stimmapparat vermieden.
Gorlitz (Schlesien).
Lit.: L. Haupt, Gesch. d. Org. in . . . St. Peter u. Paul in
G., G. 1859; M. Gondolatsch, G.er Musikleben in ver-
gangenen Zeiten, G. 1914; ders., Beitr. zur Mg. d. Stadt
G., I: Die Organisten, II: Die Kantoren, in: AfMw VI,
1924 u. VIII, 1926; ders., Der Personenkreis um d. G.er
Convivium u. Coll. mus. im 16. u. 17. Jh., Neues Lausitzi-
sches Magazin CXII, 1936; H. Hoffmann, Das G.er ba-
rocke Schultheater, = Konigsberger deutsche Forschun-
gen X, Konigsberg 1932; M. Kirchner, Das G.er Stadt-
theater 1851-98, = Wiss. Beitr. zurGesch. u. Landeskunde
Ost-Mitteleuropas L, Bin 1960.
Goliarden ->■ Vaganten.
Gong, aus Indonesien (Java) stammende onomatopoe-
tische Bezeichnung (in Hinterindien : khong ; im eng-
lischen Sprachgebrauch steht das Wort g. allgemein
fiir massive, dumpf klingende Schallgerate, z. B. slit—
g., Schlitztrommel, rock-g., Felsenlithophon) fiir ein
metallenes, vorwiegend bronzenes Aufschlagidiophon.
Der (seltener das) G. besteht aus einer runden Platte
mit oder ohne Schlagbuckel, deren Rand mehr oder
weniger tief umgebogen ist - bis zu tiefrandigen trom-
melahnlichen Klangkesseln (Kessel-G., oft Metall-
oder Bronzetrommel genannt). Angeschlagen wird
der G. mit einem weichen Schlagel in der Mitte der
Scheibe; im Unterschied zu den Glockeninstrumenten
und den Becken befindet sich der Schwingungsscheitel
nicht am Rand, sondern in der Mitte. Das Verbrei-
tungsgebiet der in mannigfachen Formen vorkom-
menden G.-Instrumente, Erzeugnisse asiatischer Hoch-
344
Graduale
kulturen des 1. Jahrtausends v. Chr., erstreckt sich von
Indien und Indonesien iiber Hinterindien bis nach Chi-
na, Japan und Korea. Die Verwendung und Symbol-
haftigkeit reicht von Geisterabwehr und Representa-
tion bis zum Kult- und Signalinstrument (in letzterer
Verwendung z. B. der europaische Tisch-G.). Im indo-
nesischen -> Gamelan wie auch in den hinterindischen
Orchestern bilden die verschiedenen G.-Formen eine
Instrumentengruppe : die vertikal aufgehangten G.s
treten einzeln oder paarweise auf , ihre Tonhohe ist nur
annahernd fixiert, wahrend die waagerecht ruhenden
Klangkessel der G.-Spiele Kenong, Ketuk oder -»■ Bo-
nang zu Skalen abgestimmt sind; das chinesische G.-
Spiel -*■ Ytin-lo hangt in einem vertikalen Rahmen. -
Die Einfiihrung des G.s in das europSische Orchester
erfolgte um die Wende des 18./19. Jh. unter der Be-
zeichnung ->• Tamtam. Erst die neuere Instrumenta-
tion begann zu unterscheiden zwischen dem groBen
G. von unbestimmter Tonhohe (Tamtam) und den
kleineren (abgestimmten) Formen: chinesischer (Flach-)
undjavanischer (Buckel-)G.
Lit. : H. Simbriger, G. u. Gongspiele, = Internationales
Arch. f. Ethnographie XXXVI, Leiden 1939 (grundle-
gend) ; J. Kunst, A Hypothesis about the Origin of the G.,
Ethnos XII, 1947; ders., Music in Java, 2 Bde, Den Haag
2 1949; L. Vandermeersh, Bronze Kettledrums of South-
east Asia, Journal of Oriental Studies III, 1 956.
Gopak (russ.) ->■ Hopak.
Gorgia (g'ord3a, ital., »Gurgel«) ist im 16. Jh. Termi-
nus fur die Gesangskoloraturen, Triller und Laufe, mit
denen die Kunstsanger vor allem Ende des 16. Jh. die
Melodien systematisch ausschmiickten, ganz ahnlich
wie die Organisten sie kolorierten. Gorgheggiare ist also
gleichbedeutend mit Diminuieren (-> Diminution -2).
Gospelsong (engl.; Gospel, Evangelium), religiose Ge-
sangsgattung der nordamerikanischen Neger, die sich
in Anlehnung an die -> Negro spirituals des 19. Jh. ent-
wickelt hat. Ursprunglich entstand der G. im Gegen-
satz zum Spiritual innerhalb des Gottesdienstes wah-
rend der Auslegung des Evangeliums durch den Predi-
ger aus spontanen Zurufen der Gemeinde, die ins Sin-
gen ubergingen. Dabei ergaben sich kurze, formelhaft-
pragnante Melodien, die - vielstimmig ausgefiihrt und
ausgeziert - immer von neuern wiederholt wurden
und so zu ekstatischem Singen und sogar Tanzen (holy
dancing) der Gemeinde f iihren konnten. Die modernen
G.s, meist komponierte Melodien in einfachen Lied-
formen, werden ebenfalls von der Gemeinde, aber
auch von Solisten (Mahalia Jackson) gesungen und im
Gegensatz zum Spiritual stets von kleineren Instrumen-
talensembles begleitet. - Seit den 1930er Jahren gelang-
te der G. im Zusammenhang mit dem Jazz zu welt-
weiter Verbreitung, die - wie auch bei Blues und Spi-
ritual - gleichzeitig seine Kommerzialisierung und Ver-
flachung durch virtuose reisende Vokalensembles und
Solisten eingeleitet hat. In nordamerikanischen Neger-
gemeinden jedoch erkliugt auch noch heute der mo-
derne G. als inbriinstige oder ekstatische Gesangsgat-
tung wahrend des Gottesdienstes.
Lit.: G. P. Jackson, White Spirituals in the Southern Up-
lands, Chapel Hill (N. C.) 1933; G. Chase, America's Mu-
sic, NY 1955, frz. Paris 1957, deutsch als: Die Musik
Amerikas, Bin u. Wunsiedel (1958); M. W. Stearns, The
Story of Jazz, NY 1956; A. M. Dauer, Jazz-d. magische
Musik, Bremen 1961.
Gotha.
Lit.: H. Hirschberg, Gesch. d. herzoglichen Hof theater
zuCoburgu. G.,Berlin-Charlottenburg 1910; K. Schmidt,
G. im heimatkundlichen Schrifttum, G. 1939; A. Fett,
Mg. d. Stadt G. Von d. Anfangen bis zum Tode G. H.
Stolzels (1749), Diss. Freiburg i. Br. 1952, maschr.; W.
Blankenburg, Die Auffuhrungen v. Passionen u. Pas-
sionskantaten in d. SchloBkirche auf d. Friedenstein zu G.
zwischen 1699 u. 1770, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963.
G. P., Abk. fur -> Generalpause.
Graces (gj'e:siz, engl.) -> Verzierungen.
Gradatio (lat.) -> Climax.
Graduale (lat.), - 1) Responsorium aus dem Wort-
gottesdienst der romischen Messe (2. Stuck des Pro-
prium missae), unter der Bezeichnung Responsorium
gradale erstmals im 8. Jh. in Gesangbiichern franki-
scher Herkunft iiberliefert. Als selbstandiger Teil der
liturgischen Handlung steht es heute nach der Epistel,
gefolgt von Alleluia oder Tractus, wahrend es ur-
sprunglich wahrscheinlich im AnschluB an die (friihe-
stens zu Beginn des 6. Jh. entfallene) erste von insge-
samt 3 Lesungen vorgetragen wurde. Das Gr. hat seine
Wurzeln in der altchristlichen Psalmodie, die nach
synagogalem Vorbild zwischen den Lesungen erklang
(alteste Zeugnisse: Tertullian, De anima IX, 4, Corpus
Christianorum II, 792; Constitutiones Apostolorum II, 57,
6, herausgegeben von Fr.X.Funk, I, Paderborn 1905,
S. 161). Hierbei handelte es sich um den solistischen
Vortrag eines ganzen Psalms mit gleichbleibendem
Kehrvers (Responsum) der Gemeinde. Die Vermutung,
daB der responsorische Gesang im Lesegottesdienst der
Messe zunachst ebenfalls einen vollstandigen Psalm
unter Teilnahme des Volkes enthielt, bestatigt nach
dem hi. Augustinus und anderen Kirchenvatern noch
im 5. Jh. Papst Leo der GroBe (Sertno III, 1, Migne
Patr. Lat. LIV, 145). Dagegen weisen die entsprechen-
den Stiicke schon in den altesten liturgischen Biichern
(8. Jh.) einen einzigen Psalmvers auf (vgl. Antiphonale
Missamm Sextuplex, herausgegeben von R.-J. Flesbert,
Briissel 1935). Eine Ausnahme bilden lediglich die spa-
ter als Tractus bezeichneten Gesange De necessitatibus
vom Quatembermittwoch der Fastenzeit, Domine ex-
audi vom Mittwoch der Karwoche und Domine au-
divi auditum tuum vom Karfreitag (im MeBantipho-
nale von Blandinenberg auch das Gr. Haec dies des
Ostersonntags ; vgl. Ant. Miss. Sext., 80). Der Grund
fur jene Textverkiirzung - sie erfolgte in Rom ver-
mutlich zwischen 450 und dem ersten Drittel des 7.
Jh. - liegt nach Ansicht der Choralwissenschaft in
der allmahlichen Ausbildung eines vorwiegend me-
lismatischen Stils, der sich zunachst der Soloverse des
MeBresponsoriums bemachtigte, schlieBlich aber auch
zu einer kunstvollen Erweiterung des Kehrverses fiihr-
te. - Wie aus den Quellen hervorgeht, fungierten im
romischen Stationsgottesdienst ursprunglich Diakone
als Sanger der solistisch ausgefuhrten Teile des Gr.s.
Durch ein Verbot Gregors des GroBen (595) offenbar
zur Angelegehheit der Subdiakone geworden, wurde
jene Auf gabe jedoch schon bald von einem oder auch
mehreren Sangern aus dem Kreis der Schola iiber-
nommen und die Gemeindepartien dem Chor bzw.
der Schola anvertraut. Zum Vortrag begaben sich die
Cantores (Solosanger) auf den Ambo oder, romisch-
frankischer Ordnung folgend, auf eine seiner Stufen
(gradus: daher Gr.?). Der Gesang wurde mit dem
Responsum (Solo) eingeleitet, wiederholt vom Chor,
worauf der Solovers erklang und eine erneute Repe-
tition des Responsum (Chor) den AbschluB bildcte.
Erst im spaten Mittelalter setzte sich der Brauch, die
2. Responsumwiederholung ganz auszulassen, durch,
nachdem diese schon seit dem 12. Jh. entfallen war,
wenn das betreffende MeBformular im AnschluB an
das Gr. einen weiteren Zwischengesang (Alleluia oder
Tractus) verzeichnete. - Fur den heutigen Gottesdienst
ist folgende Ausfiihrung vorgesehen (Gr. Romanum:
345
Graduale
De ritibus servandis in cantu Missae IV) : ein oder zwei
Solisten beginnen mit dem Responsum, welches der
Chor »aut saltern cantores designati« zu Ende fiihren.
Ebenso wird der von zwei Solisten gesungene Versus
durch den Chor abgeschlossen. Daneben darf das Gr.
auch »iuxta ritum responsorialem« mit einer (Chor-)
Wiederholung des Responsum schlieBen. In diesem
Fall bleibt der Versus ganz den Solisten iiberlassen.
Wahrend des Kirchenjahres wird das Gr. vom Sams-
tag nach Ostern bis zum Freitag der Pfingstquatem-
ber durch Alleluiagesang ersetzt. Auch die Oster-
nachtsfeier enthalt kein Gr. - Innerhalb des einstim-
migen liturgischen Repertoires genieBen die Gradua-
lien eine hervorragende Stellung. Ihre stilistische Ei-
genart wird wesentlich durch den Gebrauch auBerst
kunstvoller, meist uppiger Melismen bestimmt, wobei
sich haufig die Tendenz zeigt, den Versus durch eine
reichere Gestaltung gegeniiber dem Responsum auszu-
zeichnen. Im Unterschied zu den Psalmelli des mai-
landischen Liturgiekreises lassen die Gradualien der
romischen Uberlieferung eine betont strenge stilisti-
sche Einheitlichkeit erkennen, die sich weitgehend aus
der Bindung an vorgegebene Melodiemodelle erkla-
ren durfte. Als Reprasentanten des altesten Typus gel-
ten die Gesange A summo caelo (Sabbato Quatuor Tem-
porum Adventus) bzw. Justus ut palma (Commune
Confessoris non Pontificis): in ihnen blieb das Mo-
dell einer archaisch gepragten Melodie erhalten. Das
gregorianische Repertoire zahlt 19 Stiicke, deren Me-
lodie diesem wohl noch auBerhalb der 8 Kirchentone
(Modi) stehenden Typus verpflichtet' ist. Responsum
und Versus schlieBen auf a, weshalb sie gewohnlich als
transponierter 2. Modus angesprochen werden. Doch
ordnen altere Theoretiker die Gesange bisweilen dem
4. Modus mit Finalis e zu (Aurelianus Reomensis, Mu-
sica disciplina, GS 1, 47b f . ; Alia musica, GS 1, 135a). Hin-
sichtlich der kirchentonal, d. h. im Rahmen der 8
Modi ausgefiihrten Gradualresponsorien bietet sich als
Hauptmerkmal fur eine stilistische Einordnung die
offenkundig auf den Vortrag des Solisten zugeschnit-
tene hohere Lage der Versus. Auch in diesen - iiber-
wiegend den authentischen Kirchentonen angehoren-
den - (jiingeren) Stticken steht das Prinzip modellge-
bundener Melodiegestaltung im Vordergrund. Rela-
tiv unveranderliche Teile, vor allem greifbar in den
Zasurmelismen, verbinden sich hier mit variativ um-
geformten Abschnitten zu kunstvoller Einheit. (Uber
mehrstimmige Vertonungen des Gr.s ->• Messe.)
- 2) Seit dem 12. Jh. enthalt das als Gr. bezeichnete Cho-
ralbuch der romischen Kirche samtliche MeBgesan-
ge (ausgenommen die Gesange des Priesters). Seine
jiingere Geschichte ist eng verbunden mit den schon
bald nach dem -*■ Tridentiner Konzil einsetzenden
Versuchen einer Choralreform. Nachdem der im Auf-
trag Gregors XIII. von Palestrina und A.Zoilo besorg-
ten Uberarbeitung des Gr.s (1577/78) die Drucklegung
vorenthalten worden war, erschien 1614 mit der soge-
nannten Editio Medicaea unter Paul V. eine 2bandige
Privatausgabe, die - bis zum Ende des 19. Jh. in zahl-
reichen Neuauflagen verbreitet - durch die willkiir-
lichen Eingriffe ihrer Herausgeber F.Anerio und Fr.
Suriano zugleich eine Periode des Niederganges ro-
mischer Choraluberlieferung einleitete. Noch Fr.X.
Haberls »Regensburger Ausgabe« (1871 und 1873) be-
diente sich der Editio Medicaea als unmittelbarer Vor-
lage. - Das heute giiltige MeBgesangbuch fur alle
Kirchen des romischen Ritus erschien 1908 in der Va-
tikanischen Druckerei (daher -»• Editio Vaticana, auch
Editio typica) unter dem Titel Gr. Sacrosanctae Ro-
manae Ecclesiae De Tempore et De Sanctis ■ . . (kurz Gr.
Romanum ; zur Drucklegung siehe das Dekret Nr 4203
der Ritenkongregation vom 7. 8. 1907). Es bietet die
von Pius X. im Rahmen der kirchenmusikalischen
Restauration veranlaBte offizielle Neufassung der gre-
gorianischen MeBgesinge. Die Ausgabe beruht auf
Handschriften aus dem 9. bis 12. Jh. Den Kern des Va-
tikanischen Gr.s bilden folgende 3 Hauptteile: 1) das
Proprium de tempore, d. h. alle an den Sonntagen
und an den beweglichen Festen mit Ausnahme der
Heiligenfeste wechselnden Gesange: Introitus, Gr.,
Alleluia, Tractus, Sequenz, Offertorium und Com-
munio (die urspriingliche Vermischung von De tem-
pore- und Heiligenfesten blieb nur zwischen Weih-
nachten und Epiphanie erhalten); 2) das Proprium
Sanctorum mit den veranderlichen Gesangen der an
ein Kalenderdatum gebundenen (zumeist Heiligen-)
Feste, ebenso des Kirchweihfestes; 3) das Commune
Sanctorum: es umfaBt die Gesangstucke solcher Hei-
ligenfeste, die kein eigenes MeBformular oder nur Tei-
le daraus besitzen. Hierauf folgen Votivmessen und
Formulare von lokal gefeierten Festen. Ein weiterer
Abschnitt ist dem Ordinarium missae gewidmet (als
Kyriale seu Ordinarium missae bereits 1905 erschienen).
Er vereinigt die textlich gleichbleibenden Gesange
Kyrie eleison, Gloria in excelsis Deo, Sanctus / Benedictus
qui venit und Agnus Dei, desgleichen den Entlassungs-
ruf he missa est bzw. Benedicamus Domino in 18 Zyklen
(Festlegung durch A.Mocquereau); es folgen 6 Credo-
Melodien. Am Ende dieses Teiles stehen verschiedene
Ordinariumsstucke ad libitum. Nach den Gesangen
fur Totenmesse (Missa pro defunctis) und Begrabnis-
feierlichkeiten (Absolutio pro defunctis und Exequien)
bringt ein besonderer Abschnitt mit dem Titel Toni
communes Missae die Melodieformeln der rezitativi-
schen MeBgesange (Orationen, Prophetie, Epistel
usw.), ferner - in kirchentonaler Ordnung - die For-
meln der Introituspsalmverse sowie Alleluiaanhange
der osterlichen Zeit fur Introitus, Offertorium und
Communio. Neueste Erganzungen und Anderungen
des Rubrikenteils De ritibus servandis in cantu Missae
finden sich in der Instructio de musica sacra et sacra li-
turgia vom 3. 9. 1958, Art. 27a-c.
Ausg. : zu 1) u. 2): Analecta hymnica medii aevi XLIX,
Lpz. 1906 (Texte v. Tropen zum Gr.). Faks. ma. Quellen:
Paleographie mus. 1/1 (St. Gallen 339, 10. Jh.), 1/4 (Ein-
siedeln 121, 10. Jh.), 1/7-8 (Montpellier H 159, 11. Jh.),
I/10(Laon239, 9./10. Jh.),I/ll (Chartres47, 10. Jh.), 1/13
(Paris, Bibl. Nat. lat. 903, 11. Jh.), 1/14 (Rom, Bibl. Vat.
10673, 11. Jh.), 1/15 (Benevent VI 34, 11./12. Jh.), So-
lesmes seit 1889; Gr. Sarisburiense (13. Jh.), hrsg. v. W.
H. Frere, London 1894. - Le graduel romain. Ed. cri-
tique par les moines de Solesmes, bisher erschienen: II
(Les sources), IV, 1 u. 2 (Le texte neumatique), Solesmes
1957, 1960 u. 1962. - Bekanntester Nachdruck d. Editio
typica d. Vatikanischen Gr. : d. bei Desclee (Tournai) ver-
legte Ausg. mit d. rhythmischen Zusatzzeichen d. Monche
v. Solesmes (letzte Auflage 1961). Eigene Ordensausgaben
mit Sondertradition besitzen d. Zisterzienser (Westmalle
1899), Dominikaner (Rom 1907) u. Pramonstratenser
(Rom 1910).
Lit.: zu 1) u. 2): R. Molitor OSB, Die Nach-Tridentini-
sche Choral-Reform zu Rom, 2 Bde, Lpz. 1901-02; P.
Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I,
Lpz. 31911, u. Ill, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962; C. H. Leineweber, Das Gr. Junta 1611,
= Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg (Schweiz)
IV, Freiburg i. d. Schweiz 1909 ; A. Gastoue, Le graduel et
l'antiphonaire romains, Lyon 1913; L. Eisenhofer, Hdb.
d. kath. Liturgik II, Freiburg i. Br. 1933, 21941 ; D. Dela-
lande, Le Graduel desPrecheurs, = Bibl. d'hist. domini-
caine II, Paris 1949; G. Birkner, Die Gesange d. Gr.
Karlsruhe Pm 16, Diss. Freiburg i. Br. 1951, maschr. ; H.
Hucke, Improvisation im Gregorianischen Gesang, KmJb
XXXVIII, 1954; ders., »Gr.«, in: Ephemerides Liturgicae
LXIX, 1955; J. Aengenvoort, Quellen u. Studien zur
Gesch. d. Gr. Monasteriense, =K61ner Beitr. zur Musik-
346
Gregorianischer Gesang
forschung IX, Regensburg 1955 (mit zahlreichen Quellen) ;
Fr. A. Stein, Das Moosburger Gr., Diss. Freiburg i. Br.
1956, maschr.; Br. Stablein, Artikel Gr., in: MGG V,
1956; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958);
H. Husmann, Das Gr. v. Ediger, Fs. K. G. Fellerer, Re-
gensburg 1962; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I,
Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962; K. Meyer-Baer, Li-
turgical Music Incunabula. A Descriptive Cat., London
1962; F. Haberl, Die Gradualien d. 3. Modus u. ihre mus.
Struktur, in: Musicus - Magister, Fs. Th. Schrems, Re-
gensburg 1963. KWG
Granada.
Lit.: Fr. de Paula Valladar, Apuntes para la hist, de la
miisica en Gr., Gr. 1922; J. Lopez Calo SJ, La musica en
lacatedral de Gr. en el s. XVI, Gr. 1964.
Grand choeur (gra kce:r, frz.), - 1) im Barock Be-
zeichnung fur den Tuttichor, Ripienochor, den »gro-
Ben« oder »Capell-Chor« im Gegensatz zum schwach
besetzten Solochor; - 2) in der Orgelmusik (auch frz.
plein jeu; engl. full organ; ital. organo ripieno) des
17.-18. Jh. voiles Werk (Plenum) ohne Zungenstim-
men, spater mit Zungenstimmen, voile Klangstarke
der Orgel ; gelegentlich bezeichnet Gr. ch. auch Haupt-
werk (Manual I).
Grand jeu (gra 30, frz., groBes Spiel), in der Orgel die
Verbindung von vollbechrigen Rohrwerken wie
Trompette und Clairon (grand orgue), auch Cromome
(im Positif), mit Prestant, Cornet, Nasard, Tierce, vor
1680 noch mit Montre, Bourdon und (etwas langer
gebrauchlich) Doublette; nach 1760 tritt im Positif
Cromome zugunsten des Clairon zurtick. Die Kla-
viere werden gekoppelt, die Pedalbasse wie im Plein
jeu behandelt. Das Recit wird ebenfalls cornetartig
registriert. - Im Harmonium heiBt der das voile Werk
zur Ansprache bringende Registerzug Gr. j.
Grand orgue (gra:t'org, frz.; Abk. : G. O.) in der
franzcisischen Orgel das -> Hauptwerk, auch Haupt-
orgel (orgue concertant) im Gegensatz zur Chororgel
(orgue de chceur).
Grave (ital., schwer, ernst), als Tempo- und Charak-
terbezeichnung seit dem friihen 17. Jh. (A.Brunelli,
Ballo gr., 1616; B.Marini, Symphonia gr., 1617) fiir
langsame Satze oder Satzteile verwendet, die dem
Barockideal der Gravitas, des gewichtigen Ernstes,
entsprechen. Besonders langsame Einleitungen (Intra-
den, Entrees) werden oft als Gr. charakterisiert (B.
Marini 1655). Brossard (1703) beschreibt das Gr. als
»schwer, bedachtig, majestatisch und darum fast im-
mer langsam«. Andererseits scheint, sogar in der Oper
(A.Scarlatti, Statira, 1690), manchmal die Vorstellung
des gebundenen Kirchenstils (stylus gravis) die Wahl
der Bezeichnung Gr. mitbestimmt zu haben. Die Gr.-
Satze des 18. und 19. Jh. lassen von den Teilmomenten
der Gravitas entweder das Majestatische (Bach, Kan-
tate BWV 182; Beethoven, op. 43) oder das schwer-
miitige Pathos hervortreten (Beethoven, op. 13 und
op. 135).
Lit. : BrossardD ; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich-
nungen, = MiinchnerVeroff. zur Mg. I.Tutzing 1959.
Graves (lat., voces gr.), im Mittelalter die Tone des
tiefsten -> Tetrachords.
Gravicembalo (gravitj'embalo, ital.) ->- Cembalo.
Graz.
Lit.: F. Bischoff, Zur Gesch. d. Theaters in Gr. (1574-
1775), Mitt. d. hist. Ver. f. Steiermark XL, 1892; A. Seyd-
ler, Gesch. d. Domchors in Gr., KmJb XV, 1900; O. E.
Deutsch, Beitr. zur Gesch. d. Gr.er Theaters 1824-25,
Steirische Zs. f. Gesch. Ill, 1905; R. Hofer, Das Jesuiten-
theater 1573 bis 1600, Diss. Gr. 1931, maschr.; A. Ein-
stein, Ital. Musik u. ital. Musiker am Kaiserhof u. an d.
erzherzoglichen Hofen in Innsbruck u. Gr., StMw XXI,
1934; H. Federhofer, Zur Musikpnege d. Jesuiten in Gr.
im 17. Jh., in: Aus Arch. u. Chronik XI, 1949; ders., Die
Gr.er Stadtmusikanten u. d. privilegierte Stadtmusikan-
tenkompanie, Zs. d. hist. Ver. f. Steiermark XLII, 1951 ;
ders., Die Gr.er Hofmusikkapelle, in: Neue Chronik zur
Gesch. u. Volkskunde d. innerosterreichischen Alpenlan-
der XV, 1953 ; ders., Die Musikpnege an d. ev. Stiftskirche
in Gr., 1570-99, Jb. d. Ges. f. d. Gesch. d. Protestantismus
in Osterreich LXVIII/LXIX, 1953 ; ders., Die Gr.er Stadt-
pfarrmatrikel als mg. Quelle, Zs. d. hist. Ver. f. Steiermark
XLV, 1954; ders., Gr. Court Musicians and Their Contri-
bution to the »Parnassus musicus Ferdinandaeus« 1615,
MD IX, 1955; E. Krempel, Anfange d. Gr.er Konzert-
gesch., Diss. Gr. 1950, maschr.; A. P. Walner, Gesch. d.
Gr.er Opernhauses 1899-1938, Diss. Gr. 1955, maschr.;
E. Eisbacher, Das Gr.er Konzertleben von 1815 bis Marz
1839, Diss. Gr. 1956, maschr.
Greghesca (ital.), ein im 16. Jh. in Venedig gelaufiges
mehrstimmiges Musikstiick von variabler Form, kom-
poniert nach Gedichten, oft volkstumlich-komischen
Charakters, von Antonio Molino in der Lingua gr. e
stradiotesca (der Sprache der im Dienste der Vene-
zianischen Republik stehenden griechischen Soldner),
einem Gemisch aus venezianischem Dialekt und neu-
griechischen Wortern. Die Gr., in ihrer Textform
und musikalisch der -> Villanella nahestehend, war
offenbar vorwiegend als Zwischenaktsgesang bei Lust-
spielen bestimmt. Die beiden einzigen bekannten
Sammlungen von Greghesche sind : Di ManoliBlessi (A.
Molino) il primo libro delle Greghesche, 4-8st., Venedig
1564, mit Kompositionen von Bell'Haver, A.Gabrieli,
Guami, Merulo, Padovano, Porta, Rore, Vento, Wert,
Willaert u. a. ; ferner A. Gabrieli, Greghesche etjustinia-
ne, 3st, Venedig 1571.
Lit. : A. Einstein, The Gr. and the Giustiniana of the Six-
teenth Cent., Journal of Renaissance and Baroque Music I,
1946.
Gregorianischer Gesang, im weiteren Sinne die in
der Liturgie der romischen Kirche wurzelnden Friih-
formen des einstimmigen lateinischen Gesangs (Ora-
tionen, Lektionen, Antiphonen, Responsorien, Hym-
nen, Sequenzen usw.), im engeren Sinne diejenigen
Melodien des MeB- und Offiziumsantiphonale (= Gra-
duale bzw. Antiphonale) , die in der r6misch-fran-
kischen Liturgie gebraucht wurden. AuszuschlieBen
sind hier also: die Hymnen des Offiziums, die Ge-
sange des Ordinariums bzw. Kyriales, die Rezitationen,
die jiingeren Offizien (wie das vom Dreifaltigkeits-
oder vom Fronleichnamsfest). Einer bis ins 8. Jh. zu-
riickgehenden Oberlieferung zufolge hat ->• Gregor
der GroBe die Melodien des Offiziums (Antiphonale)
und der Messe gesammelt. Diese traditionelle Auf-
fassung wurde mehrfach verworfen (Gevaert 1890,
Dom R. Van Doren 1923, Dom S. Brechter 1939), dann
wieder als begrundet anerkannt (Dom Cagin 1890,
Dom Morin 1890, Gastoue 1907 usw.). Die Aktivitat
Gregors des Grofien auf dem Gebiet der Liturgie ist
jedoch inzwischen einwandfrei erwiesen. Es ist aber
ungewiB, ob die ersten Zeugen fiir Gregors musikali-
sche Leistung unseren jetzigen Gr.n G. meinen oder
aber den sogenannten altromischen oder sogar den
»protoromischen« Gesang. - Der altromische Gesang
ist in Rom und dessen Umgebung durch Handschrif-
ten zwischen der Mitte des 11. und dem Ende des 13.
Jh. nachgewiesen. Es will scheinen, dafi sich auf Grund
einiger mittelbarer Zeugen seine Existenz bereits seit
Ende des 8. Jh. belegen laBt. Der altromische Gesang
unterscheidet sich vom gregorianischen durch seine
weniger ausgewogene Architektur und seine viel we-
niger feste Modalitat. Obwohl seine Melodien des 6f-
teren reicher ornamentiert sind, haben sie im Grund-
satzlichen verwandte Ziige mit den entsprechenden
347
Gregorianischer Gesang
gregorianischen Melodien. Die bisher vorgeschlagenen
Losungen seiner historischen Einordnung lassen sich in
drei Punkte zusammenfassen: 1) der Gr. G. fiihrt zum
altromischen Gesang; 2) der Gesang der Friihkirche
fiihrt zum altromischen, Gregorianischen und -> Am-
brosianischen Gesang; 3) der altromische Gesang fiihrt
zum Gr.n G. Die 1. Losung (PaUographie musicale I, 2,
S. 5) betrachtet den altromischen Gesang als eine Ent-
artung des gregorianischen, entstanden in einer Nie-
dergangszeit. Die 2. Losung sieht in dem fruhen Ge-
sang der lateinischen Kirche die Vorform der drei
Zweige des heute bekannten. Damit lieBe sich die
Ahnlichkeit dieser verschiedenen Repertoires erklaren
(W.Lipphardt). Bei der 3. Moglichkeit (der altromi-
sche Gesang als die unmittelbare Vorform des grego-
rianischen) sind sich die Autoren iiber den Zeitpunkt
uneinig. Fur die einen (Dom Andoyer 1912, Bannister
1913, J. de Valois 1957) ist der altromische Gesang das
vorgregorianische Repertoire, aus dem Gregor den
Gr.n G. ausgewahlt hat. Stablein zufolge hat sich diese
Umformung erst unter dem Pontifikat Vitalians (657-
672) vollzogen. Nach einer eher gewagten als fundier-
ten Interpretation des Liber pontijicalis ware der altro-
mische Gesang derjenige der Kleriker und der Schola,
der gregorianische hingegen der Gesang der Monche
(Smits van Waesberghe). Einer radikaleren Interpre-
tation zufolge ist der altromische Gesang der traditio-
nelle Gesang Roms, genau wie der altbeneventanische
Gesang derjenige von Benevent ist (vgl. Paleographie
musicale I, 14, S. 447ff.); der Gr. G. hingegen ware eine
Umformung des altromischen, die sich im frankischen
Gebiet zwischen Rhein und Loire vollzogen haben
soil in der Zeit, in der die von den Karolingern vor-
geschriebene romische Liturgie umgeformt wurde
(Hucke).
Dieser neuartige Gesang, dem man den Namen Gre-
gors gab, soil sich ab etwa 850 iiberall durchgesetzt
haben, abgesehen von Spanien (-»• Mozarabischer Ge-
sang) und Mailand. Mailand soil diesem Gr.n G. mehr
als 200 Stiicke entnommen, sie aber im Sinne der am-
brosianischen Musik umgestaltet haben (Huglo 1956,
S. 127ff.). Die altesten Denkmaler des Gr.n G.s sind
die nicht neumierten Manuskripte, die nur den Text
der Gesangsstiicke enthalten. Diese Handschriften aus
dem spaten 8. und dem 9. Jh. gestatten einen Einblick
in die Zusammensetzung und die Ordnung der Texte
des Repertoires friihgregorianischer Musik (vgl. Dom
R.-J. Hesbert, Antiphonale Missarum Sextuplex, Briissel
1935 ; Corpus Antiphonalium Officii I— II, Rom 1963-65).
Andere Handschriften (Tonarien) ordnen die Gesang-
stiicke nach ihren Tonarten (Tonar von St.Riquier,
8. Jh. ; Tonar von Metz, 9. Jh.). - Im 9. Jh. entstand ein
vollstandiges musikalisches Notationssystem. Es um-
faBt die einfachen und kombinierten ->• Neumen (- 1)
oder musikalischen Akzente. Dieses in seiner Art voll-
kommene System hat den Nachteil, daB es die GroBe
der Intervalle nur ungenau wiedergibt, aber es legt die
Nuancen der Bewegung und des Ausdrucks genau
fest. Die diastematisch neumierten Handschriften hin-
gegen helfen dem Mangel an Fixierung der Tonhohe
ab (campo aperto-Notierung), indem sie Notenzeichen
mit prazisen GroBenverhaltnissen fur die Intervalle
verwenden. Diese Notation wurde von Guido von
Arezzo vervollkommnet, dem es durch Anordnung
der Linien im Terzabstand und durch Buchstaben-
schliissel bzw. farbige Linien gelang, den Platz des
Halbtons im Notensystem sichtbar zu machen. Die
wichtigsten Choralhandschriften des Mittelalters sind
in der Paleographie musicale (*-> Denkmaler) reprodu-
ziert. Guidos System der Notation sollte die Ausbil-
dung der Sanger vereinf achen. Aber es f iihrte allmahlich
dazu, daB zahlreiche Verzierungen verschwanden, die
in der neumatischen Notation durch besondere Zei-
chen vermerkt waren, sowie verschiedene (irrationale)
Intervalle der Tonleiter, besonders innerhalb des Halb-
tonfeldes. AuBerdem ging die Fixierung der agogi-
schen und dynamischen Nuancen verloren. Sie wur-
den von Sanger und Chor aus dem Gedachtnis beriick-
sichtigt. Es ist verstandlich, daB auf Grund dieser nicht
adaquaten Notation allmahlich der Gesangsvortrag
seinen urspriinglichen Wert verlor. Uberdies wurde
der Niedergang noch beschleunigt durch die Kon-
kurrenz der aufkommenden Mehrstimmigkeit. Die
ersten in Deutschland um 1500 sowie im fruhen 16.
Jh. in Frankreich und in anderen Landern erschienenen
Choraldrucke (-»• Notendruck) enthalten die tradi-
tionelle Liniennotierung : Hufnagelnotation (gotische
Choralnotenschrift) in Deutschland, Quadratnotation
(romische Choralnotenschrift) in den anderen Lan-
dern. Aber im Verlauf des 16. Jh., vornehmlichjedoch
im 17. Jh., loste sich in den Choraldrucken das traditio-
nelle Notationssystem auf; Form und Anordnung der
Noten wurden nicht mehr eingehalten. AuBerdem
nahmen Anerio und Suriano in der beriihmt gewor-
denen ->■ Editio Medicaea (1614-15) willkurliche
Veranderungen der Melodien vor; sie lieBen Melismen
ausfallen oder versetzten sie. Der Editio Medicaea
folgten bis zum Ende des 19. Jh. viele Neuauflagen.
Das Niveau der gedruckten Gesangbucher des 18. und
19. Jh. zeigt eindringlich den Niedergang des Gr.n G.s.
Die traditionelle Vortragsweise war schon seit langem
verlassen. Der Gesang hatte nunmehr einen abgerisse-
nen, gekiinstelten und rhythmisch starren Charakter.
Die Restauration der romischen Liturgie nahm ihren
Ausgang von Frankreich. Ihr Inaugurator ist Dom
-> Gueranger. Er veranlaBte Neuausgaben des Gra-
duales und des Antiphonales im AnschluB an die mittel-
alterlichen Handschriften. Die Neuausgaben erschie-
nen erst nach seinem Tode (1883 und 1891). Auch un-
terwies er seine Schiiler in einem leichten, natiirlichen
und ungekiinstelten Gesangsstil, wobei der freizugige,
rhythmische Vortrag wesentlich sein sollte. Diese
Praxis wurde methodisch gefestigt und theoretisch
formuliert durch Arbeiten von Gontier (1859) und
Dom J.Pothier (1880), der die Theorie des oratori-
schen Rhythmus darlegte; ihm folgte Dom L.David
(f 1955) und die Pariser Schola cantorum (heute C-
Franck-Schule) ; eine ausfiihrliche Darlegung der
Theorie des freien musikalischen Rhythmus bot Dom
A.Mocquereau (1908-27). Mehreren bis in die Gegen-
wart hinein vertretenen Lehrmeinungen zufolge ist
der Gr. G. nach einem f esdiegenden MaB und nicht in
einem freien Rhythmus vorzutragen. Die Theorien ei-
nes mensuralen Vortrags kamen erst im spaten 19. Jh.
auf (Dechevrens 1895 und 1904; Houdard 1897L; Mgr.
Foucault 1903; Dom Ferretti 1913; Dom -»■ Jean-
nin 1926-30; gegenwartig E. Jammers, J.W.A.Vol-
laerts u. a.). Diese Theorien weichen voneinander ab,
und oft erscheinen Transkriptionen eines gregoriani-
schen Stiickes, die vollig verschieden mensuriert sind.
Die Autoren stiitzen sich auf Schriften mittelalterlicher
Theoretiker oder iibertragen die prosodische Quanti-
tat des Textes auf die Melodie, oder sie deuten gewisse
Zeichen und Buchstaben der Neumenschrift als Kenn-
zeichnung der Tondauer. - In der heutigen Praxis
singen die meisten Chore nach freiem Rhythmus. Die
offizielle melodische Version ist die der -*■ Editio Va-
ticana. Pius X. inaugurierte die Restauration der ka-
tholischen Kirchenmusik. Er berief eine Kommission
ein (geleitet von Dom Pothier) und betraute sie mit der
Vorbereitung der offiziellen Neufassung. 1908 er-
schien das Graduate Romanutn, 1912 das Antiphonale
348
Gregorianischer Gesang
Rotnanum (weitere Editionen: Kyriale seu Ordinarium
missae, 1905; Officium mortuorum, 1909; Officium hebdo-
madis sanctae, 1923). Dieser offiziellen Fassung fiigen
verschiedene Ausgaben noch rhythmische Zeichen
hinzu (z. B. die Ausgaben von Solesmes: Antiphonale
Monasticum, 1934; Graduate Romanum, 1937/38). Der
Restaurationsphase, deren unmittelbares Ziel prakti-
scher Art war, folgt gegenwartig eine Phase wissen-
schaftlicher Forschung, die sich in kritischen Ausgaben
liturgischer Gesangbiicher widerspiegelt. Wie die
Liturgiekonstitution (1963) des 2. Vatikanischen Kon-
zils ausfiihrt, sieht die Kirche im Cantus gregorianus
»den der romischen Liturgie eigenen Gesang« (Artikel
116). Gleichzeitig jedoch gestattet sie andere Arten
der Kirchenmusik, darunter vor allem die vokale
Mehrstimmigkeit, und empfiehlt mit besonderem
Nachdruck eine Pflege des religiosen Volksgesangs. -
Die Modalitat des Gr.n G.s laBt sich auf zwei Aiten
studieren : durch Analyse des kritisch durchgesehenen
Repertoires und durch das Studium mittelalterlicher
Autoren, die seit dem 9. Jh. die traditionelle Theorie
der 8 -> Kirchentone dargelegt haben. - In ihrer Me-
lodik sind viele gregorianische Stiicke auf den Um-
fang eines Hexachords beschrankt. Andere Melodien
sprengen diese Grenzen, begeben sich in weitere Be-
reiche des Kirchentons und wechseln ihn sogar. Diese
Beweglichkeit modaler Melodien macht den gre-
gorianischen Choral abwechslungsreich. Es erscheint
heute sonderbar, daB zahlreiche Stiicke, die auf eine
derartige Beweglichkeit hin angelegt sind, im 10. Jh.
als irregular abgewertet wurden. Einige Theoretiker
haben sie sogar dementsprechend uberarbeitet, unter
dem Gesichtspunkt, dafi die Einheit des Kirchentons
normativ sein miisse. Dieses Einheitsprinzip allein
schien ihnen dem Geist gregorianischer Melodien an-
gemessen. In diesem Sinne iiberarbeiteten die Zister-
zienser zwischen 1134 und 1147/48 systematisch zahl-
reiche Stiicke ihres Repertoires. Unter dem Ordens-
general Humbertus de Romanis Ubernahmen die Do-
minikaner 1256 einen betrachtlichen Teil der von den
Zisterziensern bearbeiteten Stiicke. Aus der Reihe terri-
torialer Eigentraditionen des Gr.n G.s sei der -> Sarum
use genannt.
Im 9. Jh. wurden neue Psalmtone hinzugewonnen.
Einige von ihnen, z. B. der spater sogenannte -> To-
nus peregrinus, sind vermutlich sehr alt. Jedoch reichen
ihre Wurzeln nicht in den Bereich der friihgregoriani-
schen Musik zuriick. Gleichzeitig wurden die 8 Psalm-
formeln der Responsorien in der Vesper durch reich-
haltiger verzierte und sorgf altig strukturierte Melodie-
typen ersetzt. Schon im 9. Jh. begegnen auf einer der
letzten Silben im abschlieBenden Responsorium der
Nokturnen lange textlose Melismen. Amalar von
Metz nennt sie neuma (Studi e testi CXL, S. 54ff .). Bald
versah man diese mit einem Text (prosula; -* Pro-
sa) : auf eine Note kommt eine Silbe (syllabische Tex-
tierung). Diese Technik der Interpolation laBt sich
auch in den Mefigesangen beobachten, vor allem im
Alleluia. Der »endlosen alleluiatischen Melodie« gibt
man eine »Prosa«, auch hier mit syllabischer Textie-
rung. Solche Prosatechnik wurde fur Notker Balbulus
in seiner um 860-887 entstandenen Sequenzensamm-
lung, dem Liber Ymnorum, mustergiiltig.
Andere Teile des Gr.n G.s, besonders die des Ordi-
narium missae, werden mit musikalisch-literarischen
Interpolationen (Tropen) versehen. In —*■ Tropus und
->■ Sequenz (- 1) werden allmahlich neue musikalische
Vorgange erkennbar, wie »kaudale« Melismen, harmo-
nischer Gang und groBe Intervalle (Septime, Oktave),
die im Gr.n G. vorher nicht iiblich waren. - Eine an-
dere, erstmals im 9. Jh. greifbare Erscheinung, eben-
falls im Gr.n G. wurzelnd, sollte einen gleichgroBen
Erfolg haben: das -*■ Organum und spater der -> Dis-
cantus. Die Geschichte der Mehrstimmigkeit spiegelt
eine fortschreitende Loslosung vom gregorianischen
Melos wider und fiihrte in der Neuzeit zum Zerfall
des kirchentonalen (modalen) Systems.
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Griechische Musik. Von der altgriechischen Musik
laBt sich ein zutreffendes Bild nicht gewinnen ohne
Kenntnis der grundsatzlichen Schwierigkeiten, vor
die sich der Forscher gestellt sieht. Die Musik selbst ist
verschollen. (Die iiberlieferten musikalischen Auf-
zeichnungen bilden keine ausreichende Grundlage f iir
die Rekonstruktion der Musik.) Vom Rhythmus ab-
gesehen, der durch die Verse festgelegt ist, gibt es im
wesentlichen nur indirekte Quellen : literarische Zeug-
nisse (Hinweise von Dichtern und Schriftstellern), Mu-
siktheorie und bildliche Darstellungen. Aus diesen
Quellen kann aber die altgriechische Musik in ihrer
Gesamtheit nicht mehr rekonstruiert werden.
Am Anfang der Uberlieferung, zur Zeit der homeri-
schen Epen, gab es weder das Wort »Musik« noch
einen anderen aquivalenten Ausdruck. Die Sprache
enthielt zwar eine Reihe musikalischer Bezeichnun-
gen, z. B. fiir »singen« (aeiSeiv), »singen und tanzen«
(uiX7reiv), »au{ der Kitharis spielen« (xi&api^eiv), auch
geht aus den zahlreichen Musenanrufungen hervor,
daB Singen und Sagen eine gottliche, von den Mu-
sen verliehene Gabe war, aber es fehlte eine zusam-
menfassende Bezeichnung. In der Friihzeit hingen
Vers, Musik und Tanz aufs engste zusammen. Es
scheint, daB der epische Hexameter rhythmisch vom
Reigen her zu verstehen ist. Die Verbindung mit dem
Tanz war noch bedeutsamer fiir die Chorlyrik und die
Chorlieder des Dramas (y_op°? bedeutet »Reigen«).
Allerdings haben die Rhapsoden in der nachhomeri-
schen Zeit die homerischen Verse, ahnlich spater die
Schauspieler die Dramenverse, nur rezitiert. - In den
homerischen Gedichten werden mehrere Arten von
Gesangen erwahnt: Trairjow (paieon, -»■ Paan) als
Dankgesang an Apollon, Xivoc; (->• Linos) als Winzer-
lied, S-prjvo? (-> Threnos) als Klagegesang. Unter den
Musikinstrumenten werden die Zupfinstrumente
->• Phorminx und Kitharis (->■ Kithara) am haufig-
sten genannt, seltener -> Aulos, -> Syrinx und -*■ Sal-
pinx. Uber die auBere Beschaffenheit der Instrumente
geben die altesten bildlichen Darstellungen AufschluB.
- Im ionischen, aolischen und dorischen Sprachbereich
entstand im 7. Jh. eine zumal durch die Vielfalt der
Versrhythmen und durch die menschliche Haltung vom
Epos verschiedene Verskunst, fiir die seit der Spatan-
tike die Bezeichnung »Lyrik« (von Lyra) gebrauch-
lich ist. Doch wurden die Verse nicht ausschlieBlich
zur -> Lyra (- 1) gesungen, sondern auch zu Phorminx,
Kithara sowie zum Aulos, den ein sagenhafter Phry-
gier, Olympos, aus Kleinasien mitgebracht haben soil.
Mit dem Aulos kam ein neues, ekstatisches Moment
in die Gr. M., das die Haltung zumal des -*■ Dithy-
rambos (eine Gattung der Chorlyrik) bestimmte, aber
auch auf die gesamte Lyrik einwirkte. Die Auseinan-
dersetzung zwischen der Lyra- und der Aulosmusik
wurde in einem Mythos als Wettkampf zwischen
Apollon und Marsyas, dem Lehrer des Olympos, dar-
gestellt, aus dem Apollon als Sieger hervorging. - So-
listisch vorgetragen wurden die in Ionien entstande-
nen Formen der -*■ Elegie und des Iambos, deren groBter
Meister Archilochos von Paros war. Das monodische
Lied (uiXo£, -> Melos) erreichte bei den Aolern auf
Lesbos (Sappho, Alkaios) seinen Hohepunkt. Beruhmt
war. auch der ionische Lyriker Anakreon. Die wohl aus
Sparta stammende und sich spater weit ausbreitende
dorische Lyrik hingegen wurde von einer tanzenden
Gruppe, dem »Chor«, vorgetragen, begleitet von Leier
oder Aulos oder von beiden zusammen. Bedeutende
Chorlyriker waren Alkman, Stesichoros, Simonides,
Bakchylides und vor allem Pindar. Eine als Lyriker
kaum noch faBbare bedeutende Musikerpersonlich-
keit war Terpandros, der die Zahl der Saiten auf 7 er-
hoht und mehrere »Nomoi« eingefiihrt haben soil;
-*■ Nomos bedeutet »Gesetz« und bezeichnet hier eine
Art Melodietypen, wie sie ahnlich auch heute noch im
Orient weiterleben (-*■ Maqam, -v Raga).
Im Bereiche der dorischen Chorlyrik begegnet zum
ersten Male das Wort u,ouatxif) (musike), von |i,ouaa,
Muse, wortlich »(die) Musische« (altester erhaltener
Beleg bei Pindar, 1. Olympische Ode von 476). Die
Deutung der Musike als einer te^vt] (techne, Kunst,
Geschicklichkeit) stammt erst aus nachklassischer Zeit ;
friiher gait sie wohl eher als zur 7tou8eta (paideia, Bil-
dung, Erziehung) gehorend oder auch als eine 8uvau,ic;
(dynamis, Fahigkeit, Vermogen). Die Musike bean-
spruchte als Einheit von Vers, Gesang, instrumentaler
Begleitung und Tanz den ganzen Menschen; sie wirkte
auf ihn nicht als bloBe Kunst (im spateren abendlandi-
schen Sinn des Wortes), sondern als eine den Charak-
ter des Menschen bildende Kraft (->■ Ethos). Die Mu-
sike geht daher weder in der Kategorie des Autonom-
Asthetischen noch in dem Begriff der abendlandischen
-*■ Musik (-»■ Musica) auf. - Das attische Drama soil aus
dem Dithyrambos hervorgegangen sein. Diese ekstati-
schen Gesange mit Aulosbegleitung, die einst von einem
Chor in Bocksverkleidung zu Ehren des Weingottes
Dionysos vorgetragen und getanzt wurden, gaben spa-
ter den Rahmen fiir eine szenische Handlung ab. Mit
dem attischen Drama sind die Namen der drei groBen
Tragiker Aischylos (f 456), Sophokles (f 406), Euri-
pides (f 406), und des Komodiendichters Aristophanes
(f 388) verkntipft. Gegen Ende des 6. Jh. trat zum
Chor zunachst ein Schauspieler hinzu, bei Aischylos
ein zweiter und bei Sophokles ein dritter; der Chor
wurde auf 15 Mitglieder erweitert und teils von der
Kithara, teils vom Aulos begleitet. Von den rezitierten
Versen der Schauspieler heben sich die rhythmisch
komplizierteren dorischen Chorlieder, die strophisch
gebaut sind, deutlich ab.
■■ Von der Mitte des 5. Jh. an begannen neue musikali-
sche Krafte in Erscheinung zu treten, die im 4. Jh.
schlieBlich die Oberhand gewannen und eine grund-
legende Wende herbeifiihrten. Schon innerhalb des
Dramas hatte Euripides als Neuerer gewirkt, indem
er den Solo- und den Wechselgesang in den Vorder-
grund riickte. Die leidenschaftliche AuBerung brach
iiberall hervor. Spatere Quellen bezeugen, daB sich im
neuen Dithyrambos, der mit dem alten kaum noch
etwas gemein hatte, das bisherige Verhaltnis von Text
und Melodie umkehrte. Das melodische Moment
dominierte und begann zu wuchern; der Aulos be-
herrschte das Musikleben ; die Kithara erhielt bis zu 1 1
und 12 Saiten. Als Neuerer galten vor allem Phrynis,
Timotheos, Philoxenos. Es gibt Anzeichen dafiir, daB
in derselben Zeit die eigenstandig musikalisch-rhyth-
mische Seite der griechischen Sprache zu schwinden
begann. Der Vers verlor im 4. Jh. seine verbindliche
Kraft und trat hinter der seit der 2. Halfte des 5. Jh.
351
Griechische Musik
aufbliihenden Prosa zuriick. - Seit dem 5. Jh. gibt es
eine neue Art Quellen, die sich mit dem Phanomen
Musik gedanklich auseinandersetzt. Pythagoras (6. Jh.)
befaBte sich mit den mathematisoh-akustischen Grund-
lagen der Musik; seine schriftlich nicht fixierten Er-
kenntnisse sind auf dem Umweg iiber die sogenann-
ten Pythagoreer nur mittelbar bekannt. Platon eror-
terte (»Staat«, »Gesetze«) die hervorragende Bedeu-
tung der Musike fur die Erziehung und wandte sich
deshalb (»Staat«, 4. Buch) energisch gegen die musi-
kalischen Neuerungen; denn er sah in ihnen, wie vor
ihm schon Damon, den Anfang eines unaufhaltsa-
men Niedergangs der staatlichen Ordnung. Nach
Aristoteles, der die Forschung auf alien Gebieten be-
fruchtet hat, traten zum ersten Male musikalische
Fachgelehrte auf. Aristoxenos von Tarent, ein Schiiler
des Aristoteles, verf aBte mehrere Schrif ten iiber Musik,
von denen die »Elemente der Harmonik* und Frag-
mente seiner »Rhythmik« auf uns gekommen sind. In
einer dem Plutarch zugeschriebenen Abhandlung
iiber Musik heiBt es, daB »die meisten Platoniker und
die Besten unter den Philosophen der Peripatetischen
Schule mit Eifer iiber die alte Musike und ihren Nie-
dergang« geschrieben hatten. Das meiste davon ging
verloren. In den iiberlieferten musiktheoretischen
Schriften, die in erster Linie iiber die Musik ihrer ei-
genen Zeit AufschluB geben, werden u. a. folgende
Gegenstande behandelt: das Tonmaterial und seine
Struktur, Rhythmus, Metrum, musikalischeErziehung,
Instrumente, Notenschrift, die mathematisch-physika-
lischenGrundlagen der Musik, Weltenharmonie. AuBer
von Aristoxenos sind Schriften erhalten von Eukleides
(um 300 v. Chr.), Philodemos (1. Jh. v. Chr.), Sextus
Empiricus, Ptolemaios, Kleoneides, Nikomachos (2.
Jh. n. Chr.), Aristeides Quintilianus (unsicher, 2. oder
3. Jh. n. Chr.), Alypios (4. Jh. n. Chr.), Bakcheios und
Gaudentios (wohl 4. Jh. n. Chr.) ; hinzu kommt eine
anonyme, im Corpus Aristotelicum innerhalb der
»Problemata« iiberlieferte Schrift. - Einige spatantike
Schriften beschaftigen sich auch mit der Frage nach
der Herkunft der Musik. So enthalt die unter dem Na-
men Plutarchs (f um 120 n. Chr.) iiberlieferte Schrift
»Uber die Musik« wichtige, von Widerspriichen je-
doch nicht ganz freie Angaben iiber die Musik der al-
teren Zeit, namentlich vom 7. bis zum 4. Jh. v. Chr. ;
darunter ist eine sachlich nicht ausreichend geklarte
Stelle (Kap. 28) iiber instrumentale Begleitung des
Gesangs (xgovaig vnd ttjv wdrjv - ngdaxogda xgoveiv),
die aber nicht im Sinne rationaler Mehrstimmigkeit
zu deuten ist. - Die -»• Buchstaben-Tonschrift, deren
Anfange im Dunkel liegen und die seit dem 4. Jh. v.
Chr. eindeutig bezeugt ist (Aristoxenos), wurde 1847
anhand der Tabellen des Alypios entziffert.
Die am ehesten zugangliche Seite der Gr.n M. ist der
Rhythmus. Erreichbar ist er in den Versen selbst, da
Vers und Musik (wenigstens bis zur klassischen Zeit)
innig zusammenhingen. Zwar kann der Rhythmus an
den bloBen Texten bereits abgelesen werden, doch
ist er zunachst noch nicht ohne weiteres verstandlich,
denn er unterscheidet sich grundsatzlich vom abend-
landischen Rhythmus. Der griechische beruht auf der
->■ Quantitat, der abendlandische auf eincm System
von Betonungen. Diese beiden rhythmischen Haltun-
gen schlieBen einander aus. Im Altgriechischen wurde
der aus Langen und Kiirzen bestehende Quantitats-
rhythmus ganzlich frei von jeglicher Betonungsord-
nung (Takt, Schlagzeit) vofizogen. Die Kiirze (^)
gait als kleinste, nicht weiter teilbare rhythmische
Einheit (Aristoxenos nennt sie -*■ Chronos protos);
die Lange (-) entsprach in der Regel der Dauer zweier
Kiirzen (- = ^^), konnte aber auch ausnahmsweise
die Dauer von anderthalb Kiirzen einnehmen (so im
epischen Hexameter, dessen daktylisches MaB Aristo-
xenos als Choreios alogos, d. h. als irrationalen Reigen-
rhythmus bezeichnet). Durch die Aneinanderreihung
von Langen und Kiirzen ergaben sich bestimmte im-
mer wiederkehrende rhythmische Elementargruppen,
die sogenannten FiiBe (beim Tanz), bestehend aus we-
nigstens 2 Elementen, z. B. ^ - (Iambos), - ^ ^ (Dak-
tylos). »Innere Responsion« liegt vor, wenn inner-
halb eines Verses der gleiche FuB wiederholt wird,
z. B. beim epischen Hexameter, der aus Daktylen be-
steht. Schwieriger wird die Beschreibung von Versen
ohne innere Responsion, weil dort die eindeutige Ab-
grenzung der rhythmischen Elemente nach FiiBen oft
nicht moglich und auch nicht sinnvoll ist (besonders
in der Chorlyrik). Diese scheinbar regellosen Verse,
die auBerlich fast an Prosa erinnern, enthalten aber
doch gewisse charakteristische Wendungen, die im
Zusammenhang mit den ubrigen Versen des Gedichts
als solche sinnfallig in Erscheinung treten. So laBt sich
z. B. aus den verschiedenen Spielarten des sogenannten
Glykoneus - ^ - ^ ^ - ^ - oder - ^ ^ _ ^ _ ^ -
folgende als charakteristische Wendung herausheben:
- ^ ^ - ^ -. Solche rhythmischen Gestalten kehren
innerhalb einer Strophe mehrfach wieder und tragen
so zur Gliederung des rhythmischen Ablauts bei. Mit
ihrer durch die musikalische Quantitat bedingten fest-
korperlichen Beschaffenheit hangt zusammen, daB sie
sich nicht willkurlich andern lieBen und daher beim
Vortrag von subjektiver Deutung und personlichem
Ausdruck unberiihrt bheben. Nachdem die Einheit
der Musike verlorengegangen war (nach dem 5. Jh.
v. Chr.), begann auch die theoretische Unterscheidung
zwischen der sprachlichen Metrik (-»■ Metrum -1) und
dem musikalischen -> Rhythmus.
Uber das Tonmaterial der Gr.n M. und seine prakti-
sche Verwendung gibt vor allem die Musiktheorie
Auskunf t. Den Tonvorrat der altesten Zeit kennen
wir nicht zuverlassig ; es scheint, daB die anhemitoni-
sche Pentatonik vorherrschte, und daB erst im Zu-
sammenhang mit der Verbreitung des Aulos auch die
kleineren, teilweise irrationalen Tonstufen ( ] /2-» l h->
!/4-T6ne) Eingang in die Gr. M. fanden. In der Mu-
siktheorie wurden nur heptatonische Leitern behan-
delt. - Die Intervalle wurden von den sogenannten
Kanonikern (Pythagoras und seine Schule) mathema-
tisch, durch Saitenteilung, bestimmt, im Gegensatz
zu den Harmonikern (besonders Aristoxenos), die von
Beobachtungen der musikalischen Praxis ausgingen.
Fur das griechische Tonsystem war die fallende Quarte
(-» Tetrachord) charakteristisch. Das Quartintervall
selbst blieb stets unverandert (dbdvqxov), dagegen war
die Tonhohe fur die 2 Zwischentone (>avounevoi) je
nach dem Tongeschlecht (ykvoe) variabel (die Schritte
von oben nach unten gerechnet) :
I + I + 1/2 IV2 + V2 + V2 2 + 1/4 + '/4
e d c h e des c h e deses ces h
diatonisch chromatisch enharmonisch
(Die modernen Tonbezeichnungen sind lediglich zur
Verstandigung herangezogen und nicht als absolute
Tonhohen zu verstehen, die die Antike nicht kannte.)
Das diatonische Geschlecht soil das alteste gewesen
sein und gait - auch bis in die Spatzeit - als Grundlage
der Gr.n M. Das chromatische und das enharmonische
Geschlecht traten seit der klassischen Zeit in den Vor-
dergrund, scheinen aber in nachchristlicher Zeit wie-
der an Bedeutung verloren zu haben. Der Darstel-
lung der griechischen Tonarten dient das ->■ Systema
teleion.
An erhaltenen Aufzeichnungen in griechischer No-
tenschrift sind bisher bekannt geworden (ausfiihrliches
352
Griechische Musik
Verzeichnis mitLiteraturangaben bei Pohlmann, 1960) :
1) Fragment aus dem 1. Stasimon des »Orestes« von
Euripides (Vers 338-344). Der erhaltene Papyrusrest
wurde zwischen 260 und 150 v. Chr. geschrieben; da-
her handelt es sich moglicherweise um keine Euripidei-
sche Melodie (Wien, Papyrus Rainer G. 2315).
2) Fragmente dramatischer Texte, Papyrus aus der 2.
Halfte des 2. Jh. v. Chr. (Wien, Papyrus Rainer G.
29825a-f, veroffentlicht durch Hunger und Pohlmann
1962).
3) Fragment mit 3 SchluBzeilen eines unbekannten
Gedichtes, moglicherweise aus einer Tragodie (Papy-
rus Kairo 59533, aus der 1. Halfte des 2. Jh. v. Chr.).
4) Fragment aus einer unbekannten Tragodie (Papyrus
Oslo 1413a-m, wohl aus dem 2. Jh. n. Chr.).
5) und 6) Zwei Apollonhymnen, eingemeiBelt auBen
in die siidliche Mauer des Schatzhauses der Athener in
Delphi (2. Jh. v. Chr.).
7) Skolion auf der Grabsaule eines gewissen Seikilos,
die in Tralles (Kleinasien) gefunden wurde (Datierung
unsicher: zwischen 2. Jh. v. Chr. und 1. Jh. n. Chr.).
8) Fiinf Fragmente auf einem Berliner Papyrus (P.
6870, 2. Jh. n. Chr.) : Paian, 2 Instrumentalstiicke, ein
Stuck auf den Selbstmord des Aias und ein Tragodien-
fragment.
9-11) Helioshymnus und Nemesishymnus von Meso-
medes (2. Jh. n. Chr.) sowie ein anonymer Musen-
hymnus (Cod. Neapel III C 4 u. Venedig Marc. VI 10).
12) Fragment einer Monodie, vielleicht aus dem »Me-
leagros« von Euripides (Papyrus Oxy. 2436, 2. Jh. n.
Chr.).
13) Fragment, noch unveroffentlicht (Papyrus Michi-
gan 2958, 2. Jh. n. Chr.).
14) Friihchristlicher Hymnus auf einem Papyrus aus
Oxyrhynchos (Papyrus Oxy. 1786, 3. Jh. n. Chr.).
15) Fragmente mit Instrumentalnotenschrift aus einem
spatantiken Musiktraktat (hrsg. von H.Bellermann).
Die von Athanasius Kircher (f 1680) angeblich aus
einer jetzt verlorenen Handschrift abgeschriebene
Melodie zu Pindars 1. Pythischer Ode gilt als unecht
(R.Wagner; anders P. Friedlander) . Die Entzifferung
der obigen Aufzeichnungen ist zwar zum Teil gelun-
gen, doch hat man damit nur einen ungeniigenden
Hinweis auf die Beschaffenheit der Musik; denn diese
lieBe sich erst mit Kenntnis einer Fiille in der Noten-
schrift nicht enthaltener musikalischer Voraussetzun-
gen herstellen. So bleiben die Aufzeichnungen im
Grunde musikalisch unerschlossen und wohl auch un-
erschliefibar.
Nachdem in der Spatantike Augustinus (f 430), Mar-
tianus Capella (5. Jh.), Cassiodorus (f 580), Isidorus
von Sevilla (f 636) und besonders Boethius (f 524)
das Gedankengut der griechischen Musiktheorie fur
den lateinischen Sprachraum erschlossen hatten, bil-
dete dieses (allerdings in nunmehr modifizierter Form)
die Grundlage fur die Musiktheorie des Mittelalters
und wirkte auch auf die musikalische Praxis ein. Das
Interesse fiir die Gr. M. lebte neu' auf als in der Zeit
der Renaissance und des Humanismus griechische
Handschriften aus Byzanz nach dem Westen kamen
und die griechische Musiktheorie im Originaltext zu-
ganglich wurde. Die zusammenfassende und fiir die
folgenden Jahrhunderte maflgebende Ausgabe griechi-
scher Musiktheoretiker bot Marcus Meibom 1652 (mit
lateinischer Ubersetzung). Eine andere Form der Aus-
einandersetzung waren die Wiederbelebungsversuche
der antiken Tragodie in Italien, aus denen um 1600
die -*■ Oper hervorging. Im Zuge der allgemeinen
Hinwendung zur Geschichte erwachte im 19. Jh.
auch das Interesse an der antiken Musik von neuem.
Ihre Erforschung war eine Angelegenheit reiner Ge-
lehrsamkeit und lag daher in Handen von Philologen
(A.Bockh, Fr. Bellermann, K.Fortlage, R. Westphal,
K.v.Jan), die allerdings weitgehend in den musikali-
schen Vorstellungen ihrer eigenen Gegenwart befan-
gen blieben (vgl. jedoch Nietzsches Rhythmusstudien).
Hier schalteten sich Musikhistoriker ein (Fr. A. Gevaert,
H.Riemann, H.Abert). NeueAnregungenempfingdie
musikhistorische Forschung durch die sogenannte
Vergleichende Musikwissenschaft, die deutlich zu
machen versuchte, daB gewisse Zuge der auBereuro-
paischen Musik eher zum Verstandnis der altgriechi-
schen beizutragen vermogen als die abendlandische
(C.Stumpf, C.Sachs). Als fruchtbarer erwies sich in
neuester Zeit die Behandlung des Rhythmus (die bis-
her den Philologen uberlassen blieb) von musikhistori-
scher Seite und unter Heranziehung der neugriechi-
schen Volksmusik (Thr.G.Georgiades). Anregungen
gingen ferner von der Instrumentenkunde aus fiir die
Deutung der Notenschrift, der Tonarten und Stim-
mungen (C.Sachs, O.Gombosi). -»■ Maqam, -*■ Raga.
Ausg. : M. Meibom, Antiquae musicae auctores septem,
graece et lat., 2 Bde, Amsterdam 1652 (Texte v. Aristoxe-
nos, Eukleides, Nikomachos, Alypios, Gaudentios, Bak-
cheios, Aristeides Quintilianus) ; Musici scriptores graeci,
hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895 (Aristoteles, Pseudo-Aristote-
lische Problemata, Eukleides, Bakcheios, Gaudentios,
Kleoneides, Nikomachos, Alypios, Suppl., Melodiarum
reliquiae, erweitert 1899), Nachdruck Hildesheim 1962. -
Aristoxenos v. Tarent, Melik u. Rhythmik d. class. Hel-
lenenthums, I (t)bers. u. Kommentar) v. R. Westphal,
Lpz. 1883, II (Text) hrsg. v. Fr. Saran, Lpz. 1893, Nach-
druck Hildesheim 1965; ders., The Harmonics, hrsg. mit
engl. Ubers. v. H. S. Macran, Oxford 1902 ; Die Schule d.
Aristoteles, Texte u. Kommentar, H. II: Aristoxenos,
hrsg. v. Fr. Wehrli, Basel (1945), enthalt d. indirekte
Uberlieferung; Aristoxeni elementa harmonica, griech. u.
ital., hrsg. v. R. Da Rios, 2 Bde, Rom 1954; ders., Rhyth-
mica, hrsg. v. G. B. Pighi, Bologna 1959; Euclidis opera
omnia, hrsg. v. J. L. Heibero u. H. Menge, Bd VIII, Lpz.
1916; Philodemos, De musica, hrsg. v. J. Kemke, Lpz.
1884; ders., De muziek, griech. u. nld., hrsg. y. D. A. van
Krevelen, Diss. Amsterdam 1939 ; Plutarch, t)ber d. Mu-
sik, griech. u. deutsch, hrsg. v. R. Westphal, Breslau 1865 ;
ders., Delamusique, griech. u. frz., hrsg. v. H.Weilu. Th.
Reinach, Paris 1 900 ; ders. , De musica, hrsg. v. K. Ziegler,
in: Plutarchi Moralia VI, 3, Lpz. 1953 ; Plutarque de la mu-
sique, griech. u. frz., hrsg. v. Fr. Laserre, = Bibl. helvetica
romana I, Olten u. Lausanne 1954; Sextus Empiricus III,
hrsg. v. J. Mau, Lpz. 1954 ; Die Harmonielehre d. Klaudios
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, =G6teborgs hogskolas
arsskrift XXXVI, 1, Goteborg 1930; Porphyrios' Kom-
mentar ..., hrsg. v. dems., ebenda XXXVIII, 2, 1932;
Ptolemaios u. Porphyrios iiber d. Musik, deutsch v. dems.,
ebenda XL, 1, 1934; Aristeides Quintilianus, De musica
libri III, hrsg. v. A. Jahn, Bin 1882; dass., hrsg. v. R. P.
Winnington-Ingram, Lpz. 1963; dass., deutsch v. R.
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23
353
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IV, Diisseldorf 1963; E. A. Lippman, Mus. Thought in
Ancient Greece, NY 1964. ThG
Griffbrett (ital. tastiera) heiBt bei den Saiteninstru-
menten das auf den Hals aufgeleimte, schwarz ge-
beizte oder aus Ebenholz gefertigte Brett, auf das der
Spieler die Saiten beim Greifen niederdriickt. Bei den
Zupfinstrumenten sowie bei den Violen tragt das Gr.
die -> Biinde.
Gronland ->- Eskim'o-Musik.
Ground (giaund, engl., Grund), auch Gr.-bass, be-
zeichnet in der Musikhteratur englischer Sprache den
Basso ostinato in umfassendem Sinne, speziell in eng-
lischen Ostinatovariationen des 16.-18. Jh. (spate-
stens seit My Ladye Nevells Book, 1591) sowohl die
ostinat beibehaltene Tonfolge (nach Th.Mace, 1676,
S. 129, a set Number of Slow Notes, very Crave, and
Stately) als auch die iiber eine solche Tonfolge gebil-
dete (polyphone oder homophone) Komposition, die
entsprechend ihrer Kompositionsart oft auch Divisions
upon a gr. heiBt (-* Division). Nur ein Teil der als Gr.
anzusprechenden "Werke ist in den Quellen so be-
zeichnet. Ebenso wie andere Bezeichnungen von
Ostinatoformen kennzeichnet Gr. weniger eine be-
stimmte Form als eine Praxis, die in verschiedene
Kompositionsformen eindrang und in samtlichen da-
mals iiblichen Besetzungsarten vorkommen kann.
Fast alle bedeutenderen enghschen Komponisten des
angegebenen Zeitraumes schrieben Gr.s. Besondere
Bedeutung gewann der Gr. in der enghschen Klavier-
musik des 17. Jh. und in der Oper (z. B. bei Purcell). -
Wahrend in England auch kontinentale Ostinatofor-
men Gr. genannt wurden (die -*■ Folia z. B. war hier
als Farinell's Gr. bekannt) und manche Erscheinungs-
formen des Gr. sich von kontinentaler Praxis nicht
abheben, wird der Gr. in anderen Fallen gegen jene
Formen abgegrenzt (z. B. in The Division Flute, 1708 :
divisions upon . . . gr.s . . ,,as also several . . . chacon's . . .)
und hat ihnen gegeniiber ein eigenes Geprage. Einer-
seits kennzeichnet ihn das anscheinend typisch engli-
sche Festhalten an wenigen die Komposition beherr-
schenden Klangen; es findet sich schon in enghschen
Kompositionen des 13.-14. Jh. - so im »Sommerkanon«,
in dessen -»- Pes (-2) die Tone f und g abwechseln - und
ist charakteristisch fiirW. Byrds The Bells, deren Gr. aus
den T6nen c und d besteht. Derart kurze Gr.s sind in-
dessen nicht die Regel. Oft ist der Gr. auch ein ostina-
tes Klanggeriist. Andererseits ist im Unterschied zu
kontinentalen Ostinatoformen das Vorkommen des
Gr. im Sinne der ostinaten Tonfolge nicht auf die
tiefste Stimme beschrankt. Der harmonische Gr. be-
steht zwar vorwiegend aus typischen BaBschritten und
kommt dementsprechend im allgemeinen nur im BaB
354
Guidonische Hand
vor; iiber ihm werden entweder forrwahrend neue
Oberstimmen gebildet oder bestimmte, mit dem Gr.
verbundene Tonfolgen (besonders in der 2. Halfte des
17. Jh. oft bekannte Liedmelodien) variiert. Der me-
lodische Gr. hingegen kann im gleichen Werk in alien
Stimmen vorkommen; auch ostinate Tonfolgen, die
nur in den Oberstimmen erscheinen, werden Gr. ge-
nannt. Dabei verwischen sich die Grenzen zu anderen
Gattungen: z. B. konnen Werke, denen als Gr. das
durch alle Stimmen wandernde Hexachord oder eine
ahnliche Tonfolge zugrunde liegt, als -»■ Fancy ange- .
sprochen werden. Die ostinate Tonfolge kann auch in
Bruchstiicken auf verschiedene Stimmen verteilt und
anf verschiedene Tonstufen, bis hin zu samtlichen
Stufen der chromatischen Skala transponiert werden.
Neben der melodischen Gestalt kann auch die Lange
des Gr. geringen Anderungen unterworfen sein. - Die
Bezeichnung Gr. ist im 16. Jh. auch belegt fiir einen
C. f., iiber dem diskantiert wird.
Lit.: Th. Mace, Mustek's Monument, London 1676,
Faks., = Collection «Le chceur des Muses«, Paris 1958;
Ch. Van den Borren, Les origines de la musique de cla-
vier en Angleterre, Briissel 1912, engl. London 1913; A.
Moser, Zur Genesis d. Folies d'Espagne, AfMw I, 1918/
19; R. Gress, Die Entwicklung d. Klaviervariation v. A.
Gabrieli bis zu J. S. Bach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ.
Tubingen VI, Kassel 1929; L. Neudenberger, Die Va-
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Book, Diss. Bin 1937; H. W. Shaw, Blow's Use of Gr.
Bass, MQ XXIV, 1938; E. H. Meyer, Engl. Chamber
Music, London 1946, 2 1951, deutsch als: Die Kammermu-
sik Alt-Englands, Lpz. 1958; E. Apfel, Ostinato u. Kom-
positionstechnik bei d. engl. Virginalisten, AfMw XIX/
XX, 1962/63. GBa
Growl (gaaul, engl., brummen), Bezeichnung fiirln-
strumentaleffekte im Jazz (-»■ Dirty tones), die sich
bei Veranderung der natiirlichen Klangfarbe von
Blechinstrumenten - etwa durch Dampfer oder Flat-
terzunge - einstellen. Beliebt war der Gr. bei Trom-
petern und Posaunisten der -*■ Swing-Ara, so z. B. bei
der Nachahmung von Tierstimmen im Jungle style
(Duke Ellington).
Grundstimme, - 1) seitdem 17. Jh. nachgewiesen als
deutsche Bezeichnung des Basses in seiner Rolle als
-»■ Fundamentum eines Satzes, spater auch fiir Rameaus
Basse fondamentale. - 2) in der Orgel im allgemeinen
Register zu 16', 8' und 4' im Unterschied zu den -*■ Ali-
quotstimmen und -*■ Gemischten Stimmen.
Grundton, - 1) im GeneralbaB, teils auch in der Har-
monielehre der Ton, auf dem sich bei terzweisem
Aufbau der Akkord erhebt, wobei der Gr. mit dem
Bafkon identisch ist. Letzterer andert sich bei -> Um-
kehrung des Akkordes, wahrend der Gr. immer der-
selbe bleibt. Bisweilen notigt der Kontext dazu, als
Gr. eines Akkordes einen Ton anzunehmen, der nicht
wirklich erklingt, so
in op. 15 Nr 13 von
Schumann, wo der
Vorschlag in der lin-
ken Hand vor dem
vierten Akkord die-
sen als A moll-Sext-
akkord ausgibt, ohne daB a als Gr. akustisch vorhanden
ware. Nach P.Hindemith (Unterweisung . . . I, S. 120)
ist der Gr. eines jeden Akkordes identisch mit dem Gr.
seines »besten«, d. h. am leichtesten verstandlichen In-
tervalls, z. B. beim Durdreiklang mit dem Gr. der
Quinte. Kommt das beste Intervall mehrfach im glei-
chen Akkord vor, so dient das am tie/sten gelegene zur
Grundtonbestimmung. Der Akkord ( fo * **.. " enthalt
V
23*
sein bestes Intervall, die Quinte, zweimal: cis^gis^ und
a i_e2 ; se i n G r . i s t a 1 . - 2) bisweilen s. v. w. -*■ Tonika.
- 3) in der Akustik der tiefste Teilton eines Klanges.
Gruppo, Groppo, Groppolo, Groppetto (ital.), ->■ Tril-
ler, -> Doppelschlag.
Guatemala.
Lit.: J. Saenz Poggio, Hist, de la musica guatemalteca
desde la monarqla espafiola hasta fines del aflo 1877, G.
1947; J. Castrillo, La musica maya-quich6, Quetzalten-
ango 1941 ; J. A. Vasquez, Hist, de la musica en G., G.
1950; V. Chenoweth, The Marimbas of G., Lexington
(Ky.) 1964.
Guayana.
Lit. : L. C. van Panhuys, Les chansons et la musique de la
G. Neerlandaise, Journal de la Soc. des Americanistes de
Paris, N. F. IX, 1912; M. J. u. F. S. Herskovits, Suriname
Folklore, = Columbia Univ. Contributions to Anthropo-
logy XXVII, NY 1936; W. G. Gilbert, Een en ander over
de negroide muziek van Suriname, = Koninklijke Ver-
eeniging »Koloniaal Inst.«, Mededeeling LV, Afd. Vol-
kenkunde 17, Amsterdam 1940; G. D. van Wengen, The
Study of Creole Folk Music in Surinam, Journal of the
International Folk Music Council XI, 1959.
Gudok, altrussisches volkstiimliches Streichinstru-
ment, das in Kniehaltung gespielt wird. Von den drei
Saiten sind zwei als Bordunsaiten im Quintabstand ge-
stimmt.
Guida (ital., Fiihrer), die beginnende Stimme beim
Kanon sowie das Thema einer Fuge in seiner Grund-
gestalt; Gegensatz von -> Conseguente.
Guidonische Hand (lat. manus Guidonis oder manus
Guidonica, in Traktaten meist als manus bezeichnet ; auch
Harmonische Hand genannt), ein seit dem spaten 11.
Jh. im Musikunterricht allgemein verbreitetes Mittel
zur Veranschaulichung des Tonsystems. Sein Prinzip
besteht darin, die einzelnen Tone bzw. Tonbuchstaben
(htterae), gewohnlich auch die Solmisationssilben
(syllabae) mit Hilfe der linken Innenhand (Fingerge-
lenke und -spitzen) darzustellen und so dem Schiiler
gleichzeitig eine Stiitze beim Erlernen der Scientia
recte cantandi zu geben. (Das Singen nach der Manus
bildete durch Jahrhunderte einen festen Bestandteil
des Elementarunterrichtes.) Wie Sigebert von Gem-
bloux (De viris illustribus, um 1105/10: Migne Patr.
lat. CLX, 204) und jiingere Autoren (z. B. Johannes
Gallicus, CS IV, 379; Adam von Fulda, GS III, 342b)
ausf iihren, soil es sich hierbei um eine Erfindung Gui-
dos von Arezzo handeln. Doch wird die Manus, deren
Gebrauch in der Musiklehre wie auch in anderen Dis-
ziplinen - z. B. beim Rechnen - auf einer alteren Tra-
dition beruht (vgl. u. a. den Traktat Super unum con-
cavum lignum, MfM VII, 1875, S. 47; Anonymus II,
GS I, emendierter Text bei Smits van Waesberghe,
De . . . Guidone, S. 116), im Umkreis der Guidoni-
schen Lehre erstmals von Johannes Affligemensis er-
wahnt (CSM I, 50). Ihre Abbildung im Codex Monte-
cassino 318 (um 1100) stellt eine altere, speziell zur
Veranschauhchung von Ganz- und Halbtonen dienen-
de Form aus der Zeit Guidos dar. Diese umfafit ledig-
lich die Litterae T-g ( = G-gi, ohne Solmisationssilben) .
Als eine weitere Eigenart sei die Fixierung der Tone
C-F (untere Fingergelenke) sowie F und b-e (ober-
halb von Daumen und Fingerspitzen) genannt (siehe
umseitige Abbildung links). Erst am Ende des 12. Jh.
kam es zur Ausbildung jener Form, wie sie noch in
Quellen aus dem 17./18. Jh. enthalten ist (siehe Abbil-
dung rechts). Die zentrale Bedeutung der G.n H. im
Rahmen des Elementarunterrichtes wird von zahlrei-
chen Theoretikern hervorgehoben. Die Kenntnis der
Doctrina manualis (Tinctoris, CS IV, 2b) war dem Ler-
355
Guiro
nenden unentbehrlich beim Umgang mit den fur die
Gesangspraxis notigen musiktheoretischen Grundbe-
grifien (Tonbuchstaben, Silben, -> Solmisation, -> Mu-
tation - 1). Daher gait die Manus als ein Symbol der ge-
samten Ars musica: ... est clavis,figura sive instrumen-
tum continens omnimodam notitiam artis musicae seu omni-
um, quae recte cantari possunt, manifestationem, sine cuius
notitia scientia nulla (Elias Salomonis, GS III, 23a).
Lit. : J. Smits van Waesberghe SJ, School en muziek in de
Middeleeuwen, Amsterdam 1949; ders., De musico-paed-
agogico et theoretico Guidone Aretino, Florenz 1953 ; H.
Oesch, Guido v. Arezzo, = Publikationen d. Schweizeri-
schen Musikforschenden Ges. II, 4, Bern (1954). KWG
Guiro (g'iro; seltener Guero, span., Gurke), latein-
amerikanisches Rhythmusinstrument (Schraper) kuba-
nischer Herkunft, ein ausgehohlter Flaschenkiirbis, der
auf einer Seite mit Rillen versehen ist. Abarten in Form
einer Bambusrohre sind der aus Brasilien stammende
Reco-reco und derSapo (cubana), beide mit trockene-
rem Klang als der G. Uber das Instrumentarium der
lateinamerikanischen Tanze hinaus sind diese Instru-
mente, besonders der G., zum Bestandteil des modernen
Orchesterschlagzeugs geworden (z. B. Strawinsky, Sac-
re du Printemps; E. Varese, Ionisation).
Guitarre-*- Gitarre.
Gusla (serbokroatisch), auf dem Balkan ein griffbrett-
loses Streichinstrument mit einer Saite aus RoBhaar, die
von der Seite her mit den Fingern abgeteilt wird, wo-
bei vielfach Flageolettone entstehen. Das Corpus hat
eine Decke aus Fell. Die Guslaren begleiten sich auf der
G. zum Vortrag der Volkslieder und -epen.
Lit.: W. Wunsch, Die Geigentechnik d. siidslawischen
Guslaren, = Veroff. d. mw. Inst. d. Deutschen Univ. Prag
V, Briinn 1934; ders., Die siidosteuropaische Volksepik
..., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; G. A. Kuppers-Sonnen-
berg, Ornamente u. Symbole siidslawischer Bauernlauten
(G.), Zs. f. Ethnologie LXXXIV, 1959.
Gusli (russ.), Bezeichnung fiir verschiedene russische
Zithertypen. Die altrussische G. ist eine Brettzither
wie die finnisch-baltische -»• Kantele: ein kleiner
flacher Resonanzkasten mit einer Decke aus Ahorn-
holz und 5-7 Saiten. Der G.-Psaltyr des 14./15. Jh. ist
eine groBere Brettzither mit 18-32 Saiten. Im 18. Jh.
wurde eine Art Clavichord als G. bezeichnet.
Lit.: A. S. Faminzyn, G., ein volkstiimliches russ. Musik-
instr., St. Petersburg 1890, russ.; A. O. Vaisanen, Das
Zupfinstr. G. bei d. Wolgavolkern, Suomalais Ugrilaisen
Seuran Toimituksia (Memoiren d. finnisch-ugrischen
Ges.) LVIII, 1928.
Gymel (engl., auch gemell, gimel, Von lat. gemellus,
Zwilling) wird in Handschriften des spaten 15. und
16. Jh. ein in einer mehrstimmigen Komposition durch
Spaltung einer Einzelstimme (z. B. einer Diskantstim-
me in 2 Diskantstimmen) entstehendes sohstisches Duo
genannt, wobei die beiden gleichgeschliisselten und
in gleicher Lage erklingenden Stimmen bei moglicher
Stimmkreuzung imperfekte Intervallabstande bevor-
zugen. Vielleicht ist G. auch Stimmbezeicnnung fiir
eine der Duostimmen. Der G. gilt als spezifisch eng-
lisch. Das friiheste Beispiel bietet allerdings ein 3st.
Sanctus von Roullet (Miinchen, Bayer. Staatsbibl.,
mus. 3232), in dem die durch Aufspaltung der Ober-
stimme entstehenden zweistimmigen (tropierenden)
Zwischensatze gemell heiBen. Wohl aus der gleichen
Zeit stammen die beiden mit Gimel und alius Gimel
gekennzeichneten Zusatzstimmen zu Dunstables O
rosa bella in den Trienter Codices (DTO VII, 229f. und
Lederer, S. 361). Jede von ihnen ergibt mit dem origi-
nalen Diskant Dunstables einen G. Die Hs. Breslau Mf .
2016 uberliefert urn 1510 einen G. in einer anonymen
Messe. Die meisten Belege aber bieten englische Hand-
schriften um 1500. Dabei tritt die Spaltung einer Stim-
me zum G. oft mit anderen ungeteilten Stimmen zu-
gleich auf. Statt G. steht hier auch das gleichbedeuten-
de semel, was der synonymen Verwendung von Duo
und Unus in Handschriften des 15. Jh. entspricht. Sin-
gular ist die Erwahnung eines Countergemel bei Pseu-
do-Chilston (Brit. Mus. Lansdowne 763; um 1450).
-^ Guilelmus Monachus (CS III, 289 und 292f., vgl.
Bukofzer 1936) definiert den G. neben dem ihm ver-
wandten -*■ Fauxbourdon als einen 2st. modus Angli-
corum auf der Grundlage der imperfekten Konsonan-
zen von der Unterterz bis zur Dezime. Eine tiefere
3. Stimme (Contratenor bassus) kann zum Supranus-
Tenor-Geriist hinzutreten. - In einem weiteren Sinn
heiBen in der musikwissenschaftlichen Literatur G.
oft auch die seit dem spaten 13. Jh. iiberlieferten zwei-
stimmigen englischen Satze in conductusartiger Setz-
weise mit imperfekten Klangen, die, wenn liturgisch,
kleinere Gattungen (Hymnus, Sequenz usw.) bevor-
zugen. Wiederholt ist im Zusammenhang mit dem
G. wegen der analogen Bezeichnung Tvisongvar (is-
landisch, Zwiegesang) auf eine volklaufige 2st. Mu-
sizierpraxis auf Island hingewiesen worden. Auch das
sogenannte »motettische Duo« in englischen Kompo-
sitionen des friihen 15. Jh. wird heute oft als G. ange-
sprochen. Aus dieser dann auch auf das Festland hin-
iiberwirkenden Technik abschnittsweisen 2st. Setzens
ist der G., wie er innerhalb mehrstimmiger Kompo-
sitionen auftritt, sicher hervorgegangen. Es bleibt aber
zu bedenken, daB die Bezeichnung G. selbst erst im
Verlauf des 15. Jh. erscheint.
Lit. : G. Adler, Studie zur Gesch. d. Harmonie, Sb. Wien
XCVIII, 3, 1881 ; H. E. Wooldridge, Early Engl. Harmo-
ny I, London 1 897 ; Riemann MTh ; V. Lederer, Uber Hei-
mat u. Ursprung d. mehrst. Tonkunst, Lpz. 1906; Fr.
Feldmann, Der Godex Mf. 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ.
Breslau, = Schriften d. Mus. Inst, bei d. Univ. Breslau II,
Breslau 1932; J. Handschin, A Monument of Engl. Me-
dieval Polyphony, The Mus. Times LXXIII, 1 932 - LXXIV,
1933 ; M. F. Bukofzer, The G., the Earliest Form of Engl.
Polyphony, ML XVI, 1935 ; ders., Gesch. d. engl. Diskants
u. d. Fauxbourdons nach d. theoretischen Quellen, = Slg
mw. Abh. XXI, StraBburg 1936; ders., Popular Polypho-
ny in the Middle Ages, MQ XXVI, 1940; ders., Studies in
Medieval and Renaissance Music, NY 1950; ders., Arti-
kel G., in: MGG V, 1956; ders. in: The New Oxford Hist,
of MusicIII, London 1960, Kap. 4u. 6;Thr. G. Georgiades,
Engl. Diskanttraktate aus d. 1. Halfte d. 15. Jh., = Schrif-
tenreihe d. Mw. Seminars d. Univ. Miinchen III, Miin-
chen 1937 ; G. Reese, Music in the Middle Ages, NY (1940),
London 1941 ; ders., Music in the Renaissance, NY
(1954), 2J959; Fr. Ll. Harrison, Music in Medieval
Britain, London (1958); ders., Faburden in Practice, MD
XVI, 1962; E. Trumble, Fauxbourdon. An Hist. Survey
I, =Inst. of Medieval Music III, Brooklyn 1959; H. H.
Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = In-
diana Univ. Humanities Series XLV, 1961. RB
356
H
H, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -*■ Buchstaben-
Tonschrift reichte die Oktave im allgemeinen von A
bis G mit B als 2. Stufe, einen Ganzton uber A. Im 12.
Jh. verfestigte die Einftihrung des Hexachordum molle
auf F eine Spaltung des B in 2 Tonstufen; der Ganzton
uber A hiefi nun B durum (t|) und war als t|mi groBe
Terz uber G, bildete also mit F einen Tritonus. Im
System der -> Kirchentone ist bmi Confinalis des
Phrygischen; wegen der verminderten Quinte t|mi-f
konnte es auch im erweiterten System des 16. Jh. nicht
selbst zum Finalton werden. Infolge der Verwendung
der Drucktype H fur t| wurde im 16. Jh. in Deutsch-
land die Bezeichnung H fiir die 7. Stufe der seit Zarlino
(1571) mit C beginnenden Grundskala iiblich. In Eng-
land heiBt unser H noch heute B, bei den romanischen
Volkern hat die Solmisationssilbe Si den Buchstaben
verdrangt. Die Erniedrigung des H um einen Halbton
heiBt B (engl. B flat; frz. si bemol; ital. si bemolle), um
2 Halbtone Heses (engl. B double flat; frz. si double
bemol; ital. si doppio bemolle), die Erhohung um ei-
nen Halbton His (engl. B sharp; frz. si diese; ital. si
diesis), um 2 Halbtone Hisis (engl. B double sharp;
frz. si double diese; ital. si doppio diesis). - 2) Seit dem
Anfang des 19. Jh. werden in theoretischen Werken
Akkorde mit -*■ Buchstaben-Tonschrift bezeichnet
(H bedeutet den H dur-Dreiklang, h den H moll-Drei-
klang) ; im -» Klangschliissel treten Zusatzzeichen hin-
zu. Der Brauch, eine Tonart nur durch ihren Grund-
ton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh. entsprechend den
Akkordbezeichnungen so ausgelegt, daB H fiir H dur,
h fiir H moll stand.
Habanera, ein in Kuba beheimateter und nach dessen
Hauptstadt Habana benannter Tanz, der, seit Anfang
des 19. Jh. bekannt, im spaten 19. Jh. nach Europa
kam. Die H., dem Tango ahnlich, ist von gemafiigter
bis langsamerBewegung mit demRhythmus: J J-3J J .
Bizets H. in Carmen (1875) fuBt auf der H. El arreglito
von S. de Iradier. Weitere Stiicke mit H.-Charakter
schrieben u. a. Chabrier (H. fur Kl., 1885), Ravel (H.
fiir 2 Kl., 1895, orchestriert in der Rapsodie espagnole,
1907; Vocalise en forme de H., 1907) und Debussy (La
soirte dans Grenade, Mouvement de H., in: Estampes fiir
Kl., 1903).
Hackbrett (engl. dulcimer; frz. tympanon; ital. sal-
terio tedesco; ungarisch cimbalom), ein zur Klasse der
Zithern gehorendes Instrument (meist mit Schallka-
sten), dessen Metallsaiten mit Kloppeln angeschlagen
werden. Vom verwandten -*■ Psalterium ist es (spate-
stens seit dem 17. Jh.) durch 2 durchlochte oder balu-
stradenformige Stege unterschieden, iiber die jeweils
die Halfte der Saiten lauft. Der linke Steg vergroBert
den Tonvorrat, indem er die Saiten (meist im Verhalt-
nis 2:3) teilt. Das H. tritt im 15.-18. Jh. vor allem in
Deutschland zahlreicher auf, anfangs in sehr einfachen
Formen; eine Beeinflussung vom vorderorientalischen
->■ Santur ist nicht gesichert. Eine friihe Abbildung ei-
nes 4eckigen H.s mit 2 runden Schallochern, 7 Saiten
und loff elartigen Kloppeln zeigt Jan de Ta verniers Boom
Jesse (um 1450). Im 16. Jh. hat das H. zum Teil Trapez-
form, auf italienischen Bildern auch ein Corpus von
fiedelahnlicher Gestalt. Das H. wird von Virdung 1511
(f. B II'), im AnschluB an ihn von Agricola 1528 (S.
106) und Praetorius 1619 (Tafel 18) als 4eckiges In-
strument mit 6-10 Saitenchoren abgebildet. Praetorius
sieht in ihm, wie auch die Initiatoren des Niirnberger
historischen Konzerts von 1643, ein Instrument der
irregular-Music. Unter dem Namen Psalterion beschreibt
Mersenne 1636 (Traiti des instruments, S. 173ff.) ein
3eckiges H. mit 13 Saitenchoren; doch iiberwiegt
auch im 17.-18. Jh. die 4eckige Form, tragbar oder mit
Beinen versehen (Bonanni, Laborde). Der Umfang
wird im 17.-18. Jh. mit c-g 1 (bei Mersenne dazu eine
G-Saite als bourdon), in Italien auch f-f 3 angegeben.
Ein vergroBertes H. war das -> Pantaleon; als -*■ Cim-
balom wird das H. noch heute in den Landern der Bal-
kanhalbinsel gespielt. Auch in der Volksmusik der Al-
penlander wird das H. weiterhin gepflegt.
Lit. : Praetorius Synt. II ; G. Kinsky, Musikhist. Museum
v. W. Heyer II, Koln 1912; V. Denis, De muziekinstr. in de
Nederlanden en in Italie naar hun afbeelding in de 15 e -
eeuwsche kunst I, = Publicaties op het gebied d. geschie-
denis en d. philologie III, 20, Lowen 1944; Ch. F. Bryan,
American Folk Instr. I/II, Tennessy Folklore Soc. Bull.
XVIII, 1952; K. M. Klier, Volkstiimliche Musikinstr. in
d. Alpen, Kassel 1956; W. Kahl, Das Niirnberger hist.
Konzert v. 1643 u. sein Geschichtsbild, AfMw XIV, 1957;
Ch. Seeoer, The Appalachian Dulcimer, Journal of Ameri-
can Folklore LXXI, 1958, auch separat Santa Monica
(Calif.) 1958; A.-E. Cherbuliez, Quelques observations
sur le »psalterion« (tympanon) populaire Suisse: »H.«,
Journal of the International Folk Music Council XII, 1960.
Hagenau (ElsaB).
Lit.: A. Pirro, Orgues et organistes de H. de 1491 a 1525
environ, Rev. de Musicol. X, 1926; W. Kipp, Eine Mu-
sikerfamilie aus d. 17. Jh.: die Boddecker aus H., Bull, de
la Soc. d'hist. et d'archeologie de H. IX/X, 1928/29; G.
Schmidt, Uber d. Org. v. H., in: Die Musik am Hofe d.
Markgrafen v. Brandenburg-Ansbach ..., Kassel 1956.
Haiti.
Lit.: R. R. Terry, Vooduism Music, London 1934; H.
Courlander, Mus. Instr. of H., MQ XXVII, 1941 ; ders.,
The Drum and the Hoe, Berkeley u. Los Angeles 1960; M.
Blanco BArzaga, La miisica de H., Habana (1953) ; M. P.
Hyppolite, Une etude sur le folklore haltien, Port-au-
Prince 1954.
Hajdutanc (h'ajdu:ta:nts, ungarisch), Tanz der Hei-
ducken, Haidones, ein in hockender Stellung ausge-
fiihrter, von Handeklatschen und Gejohle begleiteter
ungarischer Tanz, aus dem sich spater der Csardas ent-
wickelte.
Halbe Note (ital. minima; frz. blanche; engl. minim;
in den USA auch half note): J; Pause (frz. demi-
pause): .— ..
357
Halbinstrumente
Halbinstrumente -+■ Ganzinstrumente.
Halbmond -* Schellenbaum.
Halbsatz-> Metrum (-3), -> Periode.
Halbschlufi->- Kadenz (- 1), -* Klausel.
Halbton (lat. semitonium, auch hemitonium), das
kleinste Intervall unseres Tonsystems. Die pythago-
reische Stimmung unterscheidet 2 Halbtone: -> Apo-
tome und Limma (-> Diesis), die Reine Stimmung
deren drei: den natiirlich-harmonischen H. (15:16),
das grofie Chroma (128:135) und das kleine Chroma
(24:25); die gleichschwebend-temperierte Stimmung
kennt nur den temperierten H. (1/12 Oktave). Seit der
Erfindung einer Noten-Reinschrift durch A. v. Oettin-
gen (1913) sind die kompliziertesten tonalen Verhalt-
nisse im Fiinfliniensystem darstellbar. Dennoch rech-
net die musikalische Praxis, soweit es sich um tonale
Werke handelt, nur mit 3 Arten von Halbtonen, dem
diatonischen (kleine Sekunde), dem chromatischen
und dem enharmonischen (doppelt verminderte Terz).
Der diatonische H. findet sich nur zwischen Tonen,
die auf benachbarten Stufen der Grundskala ihren Sitz
haben, z. B.: h-c. Im Verhaltnis des chromatischen
H.s stehen dagegen Tone, die von demselben Ton der
Grundskala abgeleitet sind, z. B. : c-cis. Der enharmo-
nische H. entsteht, wenn Tone, die in der Grundskala
Terzabstand aufweisen, durch verschiedene Vorzeich-
nung einander auf den Abstand eines H.s angenahert
werden, z. B.: cis-eses. Gehort der diatonische H. zu
den konstituierenden Intervallen der Dur- und Moll-
tonleiter, so setzen die beiden anderen Arten des H.s
kompliziertere Harmonik voraus. Uber die Art des H.s
gibt im einzelnen Fall der harmonische Zusammen-
hang Auskunft, nicht immer die -»• Orthographie, die
durch enharmonische Verwechslung vereinfacht wer-
den kann. Neuere tonale Tonsatzlehren (Schonberg,
Hindemith) sowie die -> Zwolftontechnik rechnen
nur noch mit dem gleichschwebend temperierten H.
Halle an der Saale.
Lit. : K. E. Forstemann, Familiennachrichten fiber G. Fr.
Handel u. Verz. Hallischer Musiker d. 17. Jh., H. 1843 ; H.
Mund, Hist. Nachrichten fiber d. Kirchenorg. in H., H.
1908; W. Serauky, Mg. d. Stadt H., 3 Bde Text, 2 Bde
Musik, = Beitr. zur Musikforschung I, VI-IX, H. u. Bin
1935-43; ders., Das Hallische Coll. mus. d. 18. Jh., Thu-
ringisch-sachsische Zs. f. Gesch. u. Kunst XXVI, 1938; O.
Rebling, Kleine Beitr. zur Mg. d. Stadt H., Fs. M. Schnei-
der, Lpz. (1955); W. Siegmund-Schultze, H. Beitr. zur
Mg., H. 1961 ; W. Rackwitz, Die Hallische Handel-Re-
naissance v. 1859 bis 1952, Diss. H. 1963, maschr.; Tra-
ditionen u. Aufgaben d.' Hallischen Mw., Wiss. Zs. d.
Martin-Luther-Univ. H.-Wittenberg 1963 (Sonder-Bd);
W. Stuven, Org. u. Orgelbauer im h.schen Land vor 1800,
Wiesbaden 1964.
Halleluja -»• Alleluia.
Hailing, norwegischer Volkstanz im 2/4- (selten im
6/8-)Takt in mafiiger Bewegung, in der Regel begleitet
mit der -»■ Hardanger Fiedel. In der Kunstmusik haben
Ole Bull und E. Grieg den H. verwendet.
Hals heiBt bei den Instrumenten vom Typ der -> Lau-
te die schmale massive Verlangerung des Schallkor-
pers, iiber die die Saiten nach den Wirbeln laufen. Auf
der den Saiten zugekehrten abgeplatteten Seite des
H.es ist das Griffbrett aufgeleimt; die untere Seite ist
gerundet und gestattet ein bequemes Hinauf- und
Heruntergleiten der (linken) Hand.
Hamburg.
Lit.: J. Fr. Schutze, H.ische Theatergesch., H. 1794; L.
Wollrabe, Chronologie samtlicher H.er Biihnen, H. 1847 ;
E. O. Lindner, Die erste stehende Oper in Deutschland,
2 Bde, Bin 1855; Fr. Chrysander, Die H.er Oper (1678-
1738), AMz XIII, 1878; L. Meinardus, Riickblick auf d.
AnfSnge d. deutschen Oper in H., H. 1878; J. Sittard,
Gesch. d. Musik u. d. Concertwesens in H., Altona u. Lpz.
1890; ders., Musik u. Theater in H. um d. Jahrhundert-
wende 1800, H. 1900; W. Kleefeld, Das Orch. d. H.er
Oper 1678-1738, SIMG I, 1899/1900; W. Gurlitt, Die
H.er Grunrolle v. Jahre 1691, SIMG XIV, 1912/13; Die
Musik H. im Zeitalter Seb. Bachs, Ausstellungs-Kat.
1921; H. Leichsenring, H.ische Kirchenmusik aus d.
Reformationszeitalter, Diss. Bin 1922, maschr.; P. A.
Merbach, Das Repertoire d. H.er Oper v. 1718-50,
AfMw VI, 1924, dazu E. H. Mffller in: AfMw VII, 1925;
Th. Cortum, Die Orgelwerke d. ev.-luth. Kirche im
H.ischen Staate, Kassel 1928; L. Kruger, Die H.ische
Musikorganisation im 17. Jh., = Slg mw. Abh. XII, StraB-
burg 1933; dies., J. Kortkamps Organistenchronik, eine
Quelle zur h.ischen Mg. d. 17. Jh., Zs. d. Ver. f. h.ische
Gesch. XXXIII, 1933; dies., »Verz. d. Adjuvanten . . .«,
in: Beitr. zur H.ischen Mg., = Schriftenreihe d. mw. Inst,
d. Univ. H. I, H. 1956; H. Funck, Beitr. zur Altonaer Mg.,
Altonaische Zs. f . Gesch. u. Heimatkunde VI, Neumunster
(Holstein) 1937; H. Freund u. W. Reinking, Mus. Thea-
ter in H., H. 1938; W. Schulze, Die Quellen d. H.er Oper
(1678-1738), = Mitt, aus d. Bibl. d. Hansestadt H., N. F.
IV, H. u. Oldenburg 1938; H. Becker, Die frfihe H.ische
Tagespresse, in: Beitr. zur H.ischen Mg., = Schriftenreihe
d. mw. Inst. d. Univ. H. I, H. 1956; K. Stephenson, Mus.
Biedermeier in H., ebenda; H. Chr. Wolff, Die Barock-
operin H. (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbfittel 1957.
Hammer wird im Orchester zum Schlagen eines
-*■ Ambosses oder eines Holzbretts (Mahler, 6. Sym-
phonie; Schonberg, Die gliickliche Hand) gebraucht. -
Weniger als Schlaginstrument als in anhaltender Er-
innerung an die Legende, nach der Pythagoras die
Konsonanzen durch Wiegen von Hammern gefunden
habe, bilden u. a. noch Virdung und Praetorius (Synt.
II, Tafel XXIII, zusammen mit Pauken und Trom-
meln) H. und Ambofi ab.
Lit.: H. Oppermann, Eine Pythagoras-Legende, Bonner
Jb. CXXX, 1925.
Hammerklavier (ital. cembalo a martelli) -> Pia-
noforte.
Hammondorgel ist ein elektrophonisches Tastenin-
strument, das 1934 von Laurens Hammond in Chi-
cago konstruiert wurde. Sein Tonerzeugungsappa-
rat besteht im Manual aus 91 gleichmaBig rotieren-
den Metallscheiben, deren Rander - Zahnradern ver-
gleichbar - entsprechend den zu erzeugenden Schwin-
gungen verformt sind. Jede Scheibe lauft mit ihrem
Rand an einem Elektromagneten vorbei und induziert
an dessen Spule einen sinusformigen Spannungsver-
lauf definierter Frequenz. Die einzelnen Spannungen
werden verstirkt und iiber Mischeinrichtungen und
Filter geleitet, mit deren Hilfe verschiedene Registrie-
rungen ermoglicht werden, die der Pfeifenorgel nach-
gebildet sind. Nach Leistungsverstarkung wird der
Ton iiber Lautsprecher abgestrahlt. Die H. besitzt in-
folge einer gewissen Starrheit ihrer Klange einen eigen-
artigen Charakter, der sie vor allem f iir die Unterhal-
tungsmusik geeignet erscheinen lafit.
Lit. : S. Irwin, Dictionary of Hammond Organ Stops, NY
1952, 31961.
Handharmonika, zur Familie der ->■ Harmonika-
Instrumente gehorige Gruppe von wechseltonigen
Instrumenten, bei denen die durchschlagenden Zun-
gen durch Saug- und Druckluft aus einem hin- und
herbewegtenFaltenbalg (Zug undDruck) zumSchwin-
gen gebracht werden (im Unterschied zur -> Mund-
harmonika und zum gleichtonigen -*■ Akkordeon).
Heute ist der Begriff H. eingeengt auf die wechselto-
nigen diatonischen Instrumente; speziell wird das mit
einer Gleichtontaste (c2) und einer besonderen Hilfs-
358
Harfe
tastenreihe ausgestattete Modell als H. bezeichnet
(Klubmodell). Von den einfacheren diatonischen H.s
(heute meist Ziehharmonika genannt) haben sich nur
die l-3reihigen Wiener Modelle erhalten, fur die es
auch eine eigene, bequem lesbare Griffschrift gibt.
Sehr verbreitet war auch die Bandonika, eine H. in
Bandonionform. Werke fiir Klubmodelle komponier-
ten u. a.: Fr.Haag, H.Herrmann, H. Schittenhelm, Kl.
Treidler, E. Wild, R. Wiirthner, H. Zilcher.
Lit.: A. Fett, Die H., Kleine Instrumentenkunde, = Kleine
Biicherei d. Harmonika-Freundes XV, Trossingen (1956).
Handleiter -* C h i r o p 1 a s t.
Handschriften -> Quellen, -»- Autograph.
Handstiick. H.e nennt D.G.Turk (1789) kurze Al-
legros, Andante u. dgl. auch leichte und gut gesetzte Me-
nuetten, Polonoisen etc. fiir den Unterricht am Klavier
zur musikalischen Erganzung der rein technischen
Ubungen. Gattungsgeschichtlich gehort das H., das
oft von der Affektenlehre beeinfluBte Uberschriften
tragt, zu den in der 2. HSlfte des 18. Jh. haufigen »cha-
rakteristischen Klavierstiicken«. Der Satz ist oft zwei-
stimmig, Liedformen iiberwiegen. Die H.e wurden
vielfach von den Klavierlehrern unmittelbar fiir die
Bedurfnisse ihrer Schiiler geschrieben und nur zu ei-
nem geringen Teil veroffentlicht, well nicht leicht ein
Komponist von Ruf damit auftreten mag (Turk). Die
wichtigsten Sammlungen stammen von Turk (Zwolf
H.e, in: Klavierschule, 1789; zweimal 60 H.e fiir an-
gehende Klavierspieler, 1792), der auch manches nicht
ausdrucklich so benannte kurze Klavierstiick C. Ph. E.
Bachs zur Gattung der H.e zahlte. Zu Beginn des 19.
Jh. wurde das H. von der -*■ Etude abgelost, doch
ist die Bezeichnung H. im Sinne von leichter Etiide
noch in den 1860er Jahren nachzuweisen.
Lit. : D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 1789, Faks.
hrsg. v. E. R. Jacobi, = DM1 1, 23, 1962; L. Hesse, Sonati-
neu. H. f. Kl., Diss. Freiburg i. Br. 1941, maschr.; R. Sof-
fer, From Pieces de genre to H., Musicology II, 1949;
W. Kahl, Das Charakterstuck, = Das Musikwerk VIII,
Koln (1955).
Hannover.
Lit.: G. Fischer, Opern u. Konzerte im Hoftheater zu H.
bis 1866, H. u. Lpz. 1899, 21903 als: Musik in H.; E. Ro-
sendahl, Gesch. d. Hoftheater in H. u. Braunschweig,
= Niedersachsische Hausbiicherei I, H. 1927; Th.Abbet-
meyer, Zur Gesch. d. Musik am Hofe in H. vor A. Steffani
1636-89, Diss. Gottingen 1931 ; Th. W. Werner, Haupt-
stadt H . 300 Jahre. Von d. Hof kapelle zum Opernhausorch.
1636-1936, Fs. H. (1937); Landestheater H., 100 Jahre
Opernhaus (1852-1952), hrsg. v. K. H. Streibing, H.
(1952); G. Vorkamp, Das frz. Hoftheater in H., Diss.
Gottingen 1957, maschr.; H. Schrewe u. Fr. Schmidt,
Das H.sche Hof- u. Opernorch. u. seine Mitglieder, H.sche
Geschichtsblatter, N. F. XI, 1958; H. Sievers, Musik in
H.,H. 1961.
Hardanger Fiedel (norwegisch hardingfele oderhar-
dangerfele), ein in Norwegen volkstufnliches Streich-
instrument in Violinform, jedoch kiirzer als die Vio-
line und mit niedrigerem Griffbrett und Steg sowie
diinneren Saiten. Unter den 4 Spielsaiten laufen 4
Sympathiesaiten; fiir beide gibt es mehrere Stimmun-
gen. Auf der H. F. wird mit vielen Doppelgriffen und
Verzierungen gespielt. Das alteste bekannte Instru-
ment wurde 1651 gebaut. In neuerer Zeit wurde die
H. F. u. a. von Ole -»■ Bull gespielt.
Ausg.: Norsk folkemusikk, Serie I, Hardingfeleslatter,
3 Bde, hrsg. v. O. Guruin u. E. Groven, Oslo 1958-60.
Lit.: S. B. Osa, Hardang Fela .... Oslo 1952; A. Bj0rn-
dal, Nasjonalinstr. Hardingfela, = Univ. i. Bergen Arbok
1950, Hist.-antikvarisk rekke III; ders., The H. Fiddle,
Journal of the International Folk Music Council VIII,
1956.
Harfe (von germanisch + harppo, ahd. harpfa, harffa,
mhd. harpfe, herpfe, die Schreibung mit pf hielt sich
zum Teil bis ins 18. Jh. ; engl. harp; frz. harpe; ital.
arpa; lat. harpa zuerst belegt bei Venantius Fortunatus
im 6. Jh., Carmina 7, 8; mittellat. cithara), ein zusam-
mengesetztes Chordophon, dessen Saitenebene senk-
recht zum Schallkorper steht. Die H. ist nicht nur das
groBte und im modernen Orchester das einzige regel-
maSig verwendete Zupfinstrument, sondern auch ei-
nes der altesten, traditionsreichsten und symboltrach-
tigsten Musikinstrumente. Seit dem Mittelalter ist sie
das Attribut Konig Davids (dessen historisches Instru-
ment allerdings das ->■ Kinnor war) und Orpheus' (an-
stelle der antiken -»■ Lyra - 1). Noch heute hat die H.
ungewohnlich viel Zierat (Vorderstange in Form einer
klassizistischen Saule, Vergoldung). - Die H. war ne-
ben der ->■ Leier das wichtigste Saiteninstrument des
alten Orients. In Sumer (belegt 2400-1800 v. Chr.)
herrschte die groBe, vertikale H. in unsymmetrischer
Parabelform vor mit boots- oder loffelformigem
Schallkorper und 3-7 Saiten, die ohne Plektron ge-
spielt wurden. Eine kleine Trag-H. ist nur episodisch
fiir die Mesilim-Zeit nachgewiesen. Die ersten agypti-
schen Belege stammen aus der Zeit der 4. Dynastie
(ab 2703 v. Chr.) ; es sind Bogen-H.n mit meist 6 Sai-
ten. Ihre Form wandelt sich im Neuen Reich (ab 1580)
zu einer Tiefbogenform als groBe Stand-H. und kleine
Schulter-H., daneben treten Winkel-H.n auf, die schon
vorher aus Babylon bekannt sind. Wahrend bei der
Bogen-H. Schallkorper und Hals ineinander iiber-
gehen, sind sie bei der Winkel-H. getrennt; dadurch
ist der Widerstand gegen den Zug der Saiten groBer.
Auch die Rahmen-H., die dritte mogliche Grundform
der H., war dem Orient nicht unbekannt, wurde aber
erst im mittelalterlichen Europa zur herrschenden
Form. In der griechischen Antike waren verschiedene
Typen der H. (Trigonon, Sambyke) vertreten; die H.
gait jedoch als fremdes Instrument. AuBerhalb der
Hochkulturen sind H.n in Af rika und Asien (Altindien,
Birma, in Nordasien bei den Ostjaken) verbreitet. In
Europa taucht die H. zu-
erst im 8. Jh. auf den
britischen Inseln bei den
Angelsachsen und den
irischen Kelten auf (Ir-
land hat noch heute die
H. im Landeswappen).
Es handelt sich um eine
Rahmen-H., bestehend
aus Schallkasten, Hals
(Saitentrager) und Vor-
derstange. Sie wurde als
Cithara anglica um 1000
auf dem Festland be-
kannt (ikonographisch
belegt bei Gerbert 1774,
nach einer Handschrift
des 12. Jh.). Diese kur-
ze, runde, breite, mit
einem Tierkopf verzierte
»romanische« Form hielt
sich bis um 1400. Danach
erscheinen auf niederlan-
dischen Bildwerken die
ersten H.n einer neuen
»gotischen«, schlanken
und schmalen Form mit einer langen Vorderstange (Ba-
ronstange, von mhd. barre, Riegel; vgl. Abbildung) . Sie
hat ihre typische Ausbildung mit den beiden Nasen am
Saitentrager um 1450-1500 erreicht (z. B. H.Mem-
lings Gemalde »Gott und die musizierenden Engel«,
359
Harfe
um 1490). In Italien lag der Umschwung etwa 25 Jahre
spater. Die mittelalterliche H. hatte urspriinglich 7-9
Saiten; nebenher entwickelte sich eine groBere Form
mit ungefahr 24 Saiten (Machaut nennt 25). Sie findet
sich in Handen der vornehmen Sanger als Begleitin-
strument. Seit dem Anfang des 17. Jh. wurde das In-
strument groBer und schwerer; die gemeine einfache
H. hat bei Praetorius (Synt. II) 24 oder mehr Saiten und
ist diatoniscn im Umfang F-c 1 oder a 2 gestimmt. Ne-
ben der diatonischen wurden seit dem 16. Jh. (Bermu-
do 1555) chromatische Saitenanordnungen ersonnen
(Saiten einreihig hintereinander, 2-3reihig nebenein-
ander; zweiseitig gekreuzteim 19. Jh.). -Eine Sonder-
heit war die irlandische H., die einen stark verbreiter-
ten Schallkasten, Messingsaiten C-e 3 mit Halbtonen
und einen aus der tnassen lieblichen Resonantz (Praetorius,
Synt. II) hatte. Die Losung des Problems des Um-
stimmens bahnte sich jedoch erst an mit der Tiroler
Haken-H. in der 2. Halfte des 17. Jh., bei der dreh-
bare Haken am oberen Saitenende mit der Hand um-
gelegt werden konnen, um die Saite zu verkiirzen.
Ein Umstimmen ohne Unterbrechung des Spiels wur-
de bei der Pedal-H. (5, dann 7 Pedale) moglich, so bei
der von Georg(?) Hochbrucker (* um 1670, f 1763) in
Donauworth um 1720 erfundenen »Tretharpfe«. Die-
ser H.n-Typ steht (wie noch die heutige Tiroler Volks-
H.) in Es dur und kann nur in l>-Tonarten gespielt wer-
den. Mozarts Konzert fur FL, H. und Orch. (K.-V. 299)
ist f iir diesen Typ geschrieben. - Die letzte entscheiden-
de Verbesserung war 1810 die Doppelpedal-H. (harpe
a double mouvement) von S. -*■ Erard. Die modemeH.
ist diatonisch in Ces dur temperiert gestimmt (Umfang
47 Saiten von Ces^ges 4 , auch 46 oder 48 Saiten). Jeder
der 7 Pedaltritte wirkt auf alle Oktavlagen eines To-
nes und kann in 2 Stufen getreten werden, von denen
jede um einen Halbton erhoht. Damit werden alle
Tonarten ausfuhrbar, zum Teil allerdings nur nach en-
harmonischer Umdeutung. Die moderne (beidhandi-
ge) H.n-Spieltechnik verwendet Daumen, Zeige-,
Mittel- und Ringfinger (-*■ Fingersatz). Auf der H.
sind ausfuhrbar Einzeltone, Akkorde und -> glissando,
charakteristisch sind gebrochene Akkorde (-»• Ar-
peggio); entwickelt wurden auch Tonrepetitionen
(-»• bisbigliando, -*■ martelement), Tremolo und Triller
sowie -> flageolett (-3), secco oder sec (»trocken«, d. h.
kurz und hart gezupft), -> etouffe, -> Mediator- An-
schlag, -> pres de la table. - Die Besaitung der H. ist
im BaB stahlumsponnen, in der Mittel- und Diskant-
region aus Darm, heute vielfach auch aus Nylon oder
Perlon. F-Saiten sind blau, C-Saiten rot gefarbt. Mo-
derne H.n sind etwa 180 cm hoch (die gotische H. maB
kaum 50 cm) und 35 kg schwer. - An heutigen H.n-
Baufirmen seien genannt: Erard (Frankreich), R. Wur-
litzer sowie Lyon & Healy (USA); in Deutschland:
Loffler (Berlin, jetzt Wiesbaden), Obermayer (Miin-
chen), J.M.Vosseler (Schwenningen/Neckar). - Die
H.n-Musik des 16./17. Jh. steht der fur besaitete Ta-
sten- und Zupfinstrumente nahe (die scharfe Tren-
nung zwischen H.n- und Klaviermusik brachte erst
das 19. Jh.). Die ersten Tabulaturen gaben Bermudo
1555 und Mudarra 1546 heraus. Als Ornament- und
->- Fundamentinstrument konnte die H. im 17./18. Jh.
im Solo und im GeneralbaB eingesetzt werden; im
Orchester wurde sie von Monteverdi 1607, dann von
Landi, Handel (Giulio Cesare, 1724,Esther, 1732), Gluck
(Orfeo, 1762) u. a. gefordert. Im 18. und 19. Jh. zeugt
eine groBe Anzahl von Galanteriestiicken von der
Beliebtheit der H., vor allem bei Dilettanten. Zahl-
reiche H.n-Kompositionen erschienen nach 1760 in
Paris (Sonaten; Tanze, Duos; Begleitungen zu klei-
nen Arien, Romanzen u. a.). Bedeutende Werke mit
H. schufen L. Spohr (2 Concertanten fur H., V. und
Orch., 1807; Trio; 5 Sonaten fur H. und V.; Solo-
stiicke) und E. T.A.Hoffmann (Quintett C moll). Be-
kannte Virtuosen, die auch zahlreiche Stiicke £iir ihr
Instrument schrieben, waren Fr.J. -> Naderman,
-»■ Backofen, -> Dalvimare, -*■ Dizi, -* Labarre, -*■ Pa-
rish-Alvars. In der Oper des 19. Jh. ist die H. vor allem
bei Ballett-, Chor-, Zauberszenen u. a. vorgeschrie-
ben, gegen Ende des Jahrhunderts auch in den meisten
Werken fiir groBes Orchester. Sie gehort zum Kolorit
des franzosischen Impressionismus (Debussy, Faure,
Ravel) ebenso wie zum Orchesterklang bei Boulez,
Henze u. a., oft im Ensemble der -»• Kurztoninstru-
mente und des Schlagzeugs. H.n-Sonaten schrieben
u. a. Hlndemith (1939), A.CaseUa (1946), G.Taiile-
ferre (1953), Soli mit Orchester Glier, Kf enek, Jolivet,
Villa-Lobos, Milhaud, Genzmer, Fr. Martin (Petite
symphonie concertante, 1945), Hindemith (Konzert fiir
Holzblaser, H. und Orch., 1949). An H.n-Schulen
seien genannt: Ph. J. Mayer (Nouuelle methode pour ap-
prendre a jouer de la harpe, Paris um 1770), J.G.Wer-
nich (Versuch einer richtigen Lehrart die H. zu spielen,
Berlin 1772), J. G.H. Backofen (Anleitung zum Harfen-
spiel, Leipzig 1801ff .), Bochsa, Fr.J. Naderman, Labasse
(1844), Ch.Oberthur (1852), Zabel (1900), M.V.
Grossi und M. Bauer-Ziech (1912), C.Salzado (1921),
H.J.Zingel (Neue H.n-Lehre, 4 Bande, Frankfurt am
Main 1961ff.).
Lit.: J. Bermudo, Declaracion de instr. mus., (Osuna)
1555, Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, = DM1 I, 11, 1957;
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Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963;
R. B. Armstrong, The Irish and the Highland Harps,
Edinburgh 1904; W. H. Grattan Flood, The Story of the
Harp, London 1905 ; H. Panum, H. u. Lyra im alten Nord-
europa, S1MG VII, 1905/06; F. Jonsson, Das Harfenspiel
d. Nordens in d. alten Zeit, SIMG IX, 1907/08; A. Kastner,
The Harp as a Solo Instr. and in the Orch., Proc. Mus. Ass.
XXXV, 1908; C. Fox, Annals of the Irish Harpers, Lon-
don 1911; M.V. Grossi, L'arpa e il suo meccanismo, Bo-
logna 1911; R. Ruta, Storia dell'arpa, Aversa 1911; H.
Sperber, Deutsch »H.« u. seine Verwandten, in: Worter
u. Sachen III, 1912; C. Sachs, Die altagyptischen Namen
d. H., Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; Fr. W. GALPiN.The
Sumerian Harp of Ur, ML X, 1929; R. Herbio, Griech.
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Abt. LIV, 1929; B. Bagatti, Arpa e arpisti, Piacenza 1932;
H. J. Zingel, H. u. Harfenspiel v. Beginn d. 16. bis ins 2.
Drittel d. 18. Jh., Halle 1932; ders., Zur Gesch. d. Harfen-
konzerts, Zf Mw XVII, 1935 ; ders., Zur Bibliogr. d. Schul-
werke f. H., AMI VII, 1935; ders., Wandlungen im Klang-
u. Spielideal d. H., Fs. M. Schneider, Halle 1935; ders.,
Studien zur Gesch. d. Harfenspiels . . ., AfMf II, 1937;
ders., Die Einfuhrung d. H. in d. romantische Orch., Mf
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XLVIII, 1948, L, 1950 u.-LIII, 1953; ders., Das Harfen-
spiel im alten Agypten, Mf V, 1952; ders., Les harpes de
l'Egypte pharaonique, Bull, de lTnst. d'Egypte XXXV,
1954; ders., A New Type of Egyptian Harp, AMI XXVI,
1954; ders., La scene mus. d'une tombe de la VI e dynastie
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sik d. 20. Jh., Deutsches Jb. d. Mw. X (= JbP LVII), 1965.
Harfenett-> Spitzharfe.
Harmonia (lat.; griech. apu.ovla) ist in der griechi-
schen Musik eine kunstvolle Mischung (xpaatc;) aus
dem »Hohen« und »Tiefen« des Klanges (im Griechi-
schen als 6!;u, scharf, und fSapu, schwer, qualitativ be-
zeichnet), analog dem Begriff des Rhythmus, den
Platon im Symposion als eine kunstvolle Mischung
aus schneller und langsamer Bewegung erklart. In ei-
ner mehr technischen Definition ist die griechische H.
eine kunstmaBig gefiigte Oktavstruktur. Vollig frei
von jeder spateren Vorstellung einer Tonleiter ent-
spricht diese autonome, in sich selbst ruhende Oktav-
struktur nach Aristoteles in ihrer Rolle fur die Musik
genau der des Alphabets in der Sprache, wenn man
darunter nicht eine Schrift, sondern die elementare
Artikulation der Sprache selbst versteht. Die auf die-
ser Grundlage aufgebaute -*■ Griechische Musik oder
»musische Kunst« ((/.ouctixy), Dichtung und Musik
zugleich) besteht aus den Disziplinen Harmonik (der
eigentlichen Musik-Theorie), Rhythmik, Metrik und
eventuell Instrumentenkunde (6pyavix7]).
Die Oktavstruktur der H. setzt sich zusammen aus 4
festen (etwa el h a e oder auch e 1 di a e) und 4 beweg-
lichen »Klangen« (tpWyyoi; etwa d 1 cl g f oder auch
c 1 b g f), wobei die letzteren im Verhaltnis zu den
festen Klangen in ihrer gegenseitigen Lage variabel
sind gemaB den Tongeschlechtern (enharmonisch,
chromatisch, diatonisch). Diese Unterscheidung eines
festen Rahmens von 2 Quartintervallen, in den als
Kontrast je 2 bewegliche Klange eingesetzt wurden,
muB mit der Unterscheidung der Klange als symphonoi
(auu,<pcovoi) und diaphonoi (Sidupovoi; im Latei-
nischen nachgebildet als consonantes und dissonantes)
zusammengenommen werden. Die 4 urusammen-
klingenden«, in der Oktavstruktur von vornherein
fixierten Symphonoi sind in jeder Hinsicht das Gegen-
teil der »auseinanderklingenden« und unfesten Dia-
phonoi, weshalb auch alle Erwagungen, warum die
Terz hier nicht zu den symphonen Intervallen gehort,
abwegig sind. Mit dieser Struktur bildet die H. als
Ganzes ein in wechselseitiger Spannung in sich ausge-
wogenes Gefiige, das Heraklit mit der widerstrebend-
zusammenstrebenden Fiigung des Bogens vergleicht
(-> Syllabe). In den Quellen hat H., ahnlich wie tonos
(t6voi;; -*■ Ton), zwei konkrete technische Bedeu-
tungen, die sich aus der allgemeinen Bedeutung von
H. als Oktavstruktur ableiten lassen: 1) die durch die
Transpositionen des Ausgangssystems sich ergebenden
einzelnen Oktavgestalten, die in anderer Hinsicht auch
tonoi (t<5voi, »Tonarten«) genannt werden; 2) das
enharmonische Geschlecht, bei dem die bewegli-
chen Tonstufen so in das -> Tetrachord hineingesetzt
werden, daB sich eine Folge Ditonus - Viertelton -
Viertelton ergibt. Die beiden Namen der -> Enhar-
monik, harmonia und genos enarmonion (y^vo? £v<xp-
(x6viov), erklaren sich gegenseitig. Der zweite Name
bezeichnet das Genos als »im Rahmen der Oktave
(= harmonia) verbleibend« ; der erste beweist die Iden-
titat von harmonia und Oktavstruktur. In Form ei-
ner exakten quantitativen Definition ist diese Identitat
im altesten Zeugnis iiber das System der griechischen
Musik als H. im Fragment des Philolaos bezeugt:
dgftovlai; fiiye&A; sort. ovAXafid xat 8i d^eidv . . . ,
»die H. ist gleich Quartintervall (Syllabe) + Quint-
intervall . . .« (ed. Diehls-Kranz, Fragment B 6). DaB
der Name genos enarmonion hier das auf die einzelne
H. (= Oktave) beschrankte Tongeschlecht bezeichnen
soil, geht auch hervor aus dem Gegenbegriff des genos
diatonon (yhiac, Siarovov), des Genos mit durch-
gehender, nicht auf den Oktavrahmen beschrankter
Tonbewegung. Dafiir, daB geschichthch die Form der
Oktavstruktur als harmonia = genos enarmonion am
Anf ang gestanden hat, spricht sowohl dessen Bezeich-
nung als harmonia schlechthin als auch die vielfach
wiederholte Angabe des Aristoxenos, wonach die
altere Schule der Harmoniker allein dieses theore-
tisch behandelt hatten. Gerade diese Oktavstruktur,
Ditonus - Viertelton - Viertelton - Ganzton - Ditonus
- Viertelton - Viertelton (der Ganzton kann auch nach
oben gesetzt werden, -»• Systema teleion), verbindet
ein HochstmaB von »Auseinanderklingen« mit dem
»Zusammenklang« des Gefiiges der Oktavstruktur
im ganzen. Die H. ist das »Prinzip« der griechischen
Musik und auch der Ausgangspunkt des anscheinend
schon von -»■ Terpandros von Antissa im 7. Jh. v. Chr.
begriindeten Systems. Das Prinzip der H. wurde jeden-
f alls so friih auf gestellt, daB Harmonia als Tochter von
Ares und Aphrodite (Personifikationen von »Ausein-
anderklang« und »Zusammenklang«) und Gemahlin
des zu »Kosmos« umgedeuteten Kadmos noch in den
gemeingriechischen Mythos aufgenommen wurde.
Harmoniai waren urspriinglich die ein FloB oder die
Planken eines Schiffes zusammenf iigenden Klammern.
Wahrscheinlich in einem bewuBten Schopfungsakt
wurde aus den fiigenden Klammern der Harmoniai
die H. als Prinzip der Fiigung gewonnen, ahnlich und
wohl auch gleichzeitig mit den analogen Umdeutun-
gen von uiXoi; (->■ Melos) zum Prinzip der Gliede-
rung (als musikalischer Form) und ^oe, (-> Ethos)
zum Prinzip des menschlichen Verhaltens und der hin-
ter diesem Verhalten stehenden seelisch-charakterli-
chen »Gestimmtheit« des Menschen.
Das Verstandnis der H. als eines Gefiiges, dessen Teile
voneinander unabhangig, aber in ihren Bewegungen
aufeinander bezogen sind, blieb als Erbe der Pythago-
reer und Platons in der Geistesgeschichte des Abend-
lands wirksam. Ausschlaggebend dafiir war, daB die
verschiedenen Arten von Zahlenbeziehungen in den
qualitativen Unterschieden der Intervalle unmittelbar
sinnfallig werden. Damit ist die Harmonik ein beson-
ders eindringliches Beispiel fiir das philosophische
Verfahren, die Erscheinungen der AuBenwelt als Ab-
bilder von Zahlen (Pythagoreer) oder Ideen (Platon) zu
erklaren. Als Zahlenlehre wurde sie unter die mathe-
matischen Disziplinen der ^yxuKXio? 7rat8eta aufge-
nommen (-> Ars musica). Zugleich kam ihr der zen-
trale Platz in der Theorie der Griechischen Musik zu,
die als u.oua»d) im weiteren Sinne »aus dreierlei be-
steht: Logos, H. und Rhythmus« (Platon, Politeia III,
398d), d. h. Dichtung und Tanz einschlieBt. Diese
Konzeption der Harmonik als Teilgebiet einer um-
fassenden Musiklehre, die sich auch in Augustins De
musica nachweisen laBt, wurde dem Mittelalter vor al-
lem durch Cassiodors Klassifikation der -»• Musica in
armonica (est scientia musica quae decernit in sonis acutum
et gravem), rithmica und metrica (Institutiones II, 5, 4)
iiberliefert, die u. a. von Isidorus iibernommen wurde
(Etymologiae III, 18; im folgenden Kapitel wird har-
monica zu »Vokalmusik« umgedeutet). Sie wirkt noch
in Zarlinos Istitutioni harmoniche (Venedig 1558, II, 7;
dazu Zenck, S. 566) nach. Jedoch wurde die Harmonik
auch mit der Musica schlechthin gleichgesetzt, vor al-
361
Harmonia
lem seit Boethius, dessen De institutione musica aus-
schlieBlich die Harmonik behandelt (vgl. Rud. Wagner
in: MGG II, Sp. 51). Andererseits ermoglichte es eine
nur den mathematischen Sachverhalt beriicksichtigen-
de Definition der H. (z. B. Boethius, De institutione
arithmetica II, 32 : Est enim armonia plurimorum adunatio
et dissidentium consensio), den Geltungsbereich der H.
iiber das Klangliche hinaus auszudehnen. Audi diese
Tradition geht auf die Pythagoreer zuriick; ihr Grund-
gedanke war: »Die harmonische Kraft wohnt allem
inne, was seiner Natur nach vollendet ist, und erscheint
am deutlichsten in der menschlichen Seele und in den
Bewegungen der Gestirne« (Ptolemaios III, 4). Gele-
gentlich wurde dariiber hinaus die H. in der Staatsord-
nung behandelt, so mehrmals von Cicero. Die wich-
tigsten Abhandlungen iiber diese im Makro- und
Mikrokosmos waltende H. sind Buch III der 'Aq/ho-
vixd des Claudius Ptolemaios und das 3. Buch der
Schrift IIeqi /lovoixrjg des Aristeides Quintilianus.
Beide wurden von Boethius ausgewertet, durch den
die hier als f\ rov navzot; dgfiovia und rpvxixr)
agfiovla (beides nach Aristeides Quintilianus III, 9)
behandelten Erscheinungsformen der H. in der Drei-
gliederung der Musica mundana, humana und quae
in quibusdam constitute! est instrumentis (Boethius I, 2)
zum Gegenstand der mittelalterlichen Ars musica wur-
den. Fur die christliche Anschauung bekundet sich in
der zahlenmaBigen Bestimmtheit der Weltordnung
ihre Herkunf t aus Gott, gemafi dem Bibelwort : omnia
in mensura, et numero, et pondere disposuisti (Liber Sa-
pientiae 11, 22). Auch diese theologische Begriindung
der H. kniipft an die Pythagoreer und besonders an die
Erbrterungen iiber die -> Spharenharmonie und den
Schopfergott in Platons oft kommentiertem Dialog
Timaios an. - Seit den Neupythagoreern und Neu-
platonikern der spatantiken Zeit gibt es neben der
streng mathematischen Harmonik eine reiche Litera-
tur, die dem Wirken der H. in den verschiedensten Da-
seinsbereichen und den darauf beruhenden vielfaltigen
Analogien nachspiirt, wobei vielfach mystische und
magische Vorstellungen einfliefien. Zu dieser Tra-
dition gehoren u. a. die Humanisten M.Ficino und
Agrippa von Nettesheim, im 17. Jh. A.Kircher und R.
Fludd, dessen Schriften in der deutschen Musiklehre
um 1700 viel beachtet wurden. Streng mathematisch
ging J.Kepler in seinen Harmonices mundi libri V (1619)
vor, der, unter Verzicht auf die symbolische Deutung
der H. und gestiitzt auf den Eukleides-Kommentar des
Proklos, den Kreis zum Urbild aller H. des Seins er-
klarte. M.Mersenne (Harmonie universelle, 1636-37;
Cogitata physico-mathematica, 1644) schliefit sich mit
der erneuten Betonung des Strukturhaften in der Zahl
enger an Platon und Augustinus an. Zu hochster Be-
deutung gesteigert erscheint der Begriff der (von Gott)
prastabilierten Harmonie der Weltordnung in der Phi-
losophic Leibniz'. Von hier aus lassen sich Parallelen
zur Kunst J. S.Bachs ziehen, namentlich aber zur Mu-
siklehre des deutschen Spatbarocks (vor allem Werck-
meister), die es noch einmal unternimmt, mit einer
theologischen und naturphilosophischen Deutung der
H. den hohen Rang der Musik zu begriinden. Im 18 . Jh.
wurde der Begriff der H. zu einer primar asthetischen
Kategorie und von der traditionellen Bindung an die
Zahlenproportionen weitgehend gelost. Im Zusam-
menhang mit den Empfindungen vom Schonen und
Guten sah Wieland die Wissenschaft der Harmonie, des
Schonen und mit der Seele zusammen stimmenden, welche
die alten Griechen Musice geheissen haben, und die man
jezo die schonen Wissenschaften zu nennen pflegt (1754).
Seit der Mitte des 19. Jh. ist einerseits die Zahlentheorie
wieder in das Zentrum philosophischen Interesses ge-
riickt, andererseits hat die spekulative Harmonik in
A.v.Thimus ihren griindlichen Erforscher, in H.Kay-
ser einen vielbeachteten modernen Vertreter gefunden.
Lit.: Dem 1. u. 2. Absatz dieses Artikels liegt ein Ms. v. J.
Lohmann, Freiburg i. Br., zugrunde. - Die Fragmente d.
Vorsokratiker I, hrsg. v. H. Diehls u. W. Kranz, Bin 7 1 954;
Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg. v. R.
Da Rios, 2 Bde, Rom 1954; Die Harmonielehre d. Klau-
dios Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogsko-
las arsskrift XXXVI, 1, Goteborg 1930, dazu Porphvrios'
Kommentar, ebenda XXXVIII, 2, 1932, deutsche t(bers.
ebendaXL, 1, 1934; Aristeides Quintilianus, De musica,
hrsg. v. R. P. Winnington-Ingram, Lpz. 1963, deutsch v.
R. Schafke, Bin 1937; Boethius, De institutione arithme-
tica . . . , De institutione musica, hrsg. v. G. Friedlein, Lpz.
1867; Cassiodorus, Institutiones, hrsg. v. R. A. B. My-
nors, Oxford 1937, Neudruck 1963; Isidorus, Etymolo-
giarum . . . libri XX, hrsg. v. W. M. Lindsay, 2 Bde, Ox-
ford 1911, Neudruck 1957; G. Zaruno, Istitutioni harmo-
niche, Venedig 1558, 31573, "1593, Faks. d. 1. Auflage,
= MMMLF II, 1, NY (1965); R. Fludd, De templo mu-
sicae, Oppenheim 1617; J. Kepler, Harmonices mundi
libri ... V, Linz 1619, deutsch v. M. Caspar, Miinchen u.
Bin 1939; M. Mersenne, Harmonie universelle, 2 Bde, Pa-
ris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; ders.,
Cogitata physico-mathematica, 3 Bde, Paris 1644; A. Kir-
cher SJ, Musurgia universalis, 2 Bde, Rom 1650, 2 1690;
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2 Bde, Koln 1868-76; Riemann MTh; H. Abert, Die Mu-
sikanschauung d. MA u. ihre Grundlagen, Halle 1905,
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Gesch. d. Musiktheorie im MA I, Halle 1929; H. Zenck,
Zarlinos »Istitutioni harmoniche« . . ., ZfMw XII, 1929/
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Stuttgart 1947; ders., Lehrbuch d. Harmonik, Zurich
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Stuttgart 1950; H. H. Eggebrecht, Bach u. Leibniz, in:
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1954; G. Steyer, Ein kritisches Wort zur harmonikalen
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burg, Der Harmonie-Begriff in d. lutherisch-barocken
Musikanschauung, AfMw XVI, 1959; K. G. Fellerer,
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Der Ursprung d. Musik, ebenda; E. Moutsopoulos, La
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(1962); E. E. Lippmann, Hellenic Conceptions of Harmo-
ny, JAMS XVI, 1963; L. Spitzer, Classical and Christian
Ideas of World Harmony, Baltimore 1963.
Harmonichord ->- B o g e n f 1 u g e 1.
Harmonie ist das Zusammenstimmen von Verschie-
denem oder Entgegengesetztem (-»■ Harmonia), mu-
sikalisch das Gefiige der Tone bzw. Klange und in der
Neuzeit der Akkord und Akkordzusammenhang. Die
Ausdriicke Harmonik und Harmonielehre bedeuteten
urspriinglich dasselbe, haben sich aber voneinander
getrennt. Der Terminus -*■ Harmonielehre bezeichnet
eine Theorie oder eine Unterweisung und ist auf die
Akkorde und Akkordverbindungen der dur-moll-to-
nalen Musik eingeschrankt. Dagegen wird das Wort
Harmonik heute f iir den Gegenstand der Theorie, den
362
Harmonielehre
Klang- oder Akkordvorrat und dessen Verwendung,
gebraucht; und man spricht von Harmonik nicht nur
bei dur-moll-tonaler, s.ondern auch bei atonaler Musik
und bei der modalen Mehrstimmigkeit des Mittelalters
und der friihen Neuzeit. - Ein hoherer und ein tieferer
Ton bilden nach antiker, vom Mittelalter ubernom-
mener Auffassung eine H., wenn der Tonbeziehung
eine einfache, »ausgezeichnete« Zahlenproportion zu-
grunde liegt (-»■ Konsonanz - 1), sei es unmitcelbar
(c-g) oder indirekt (c-d, vermittelt durch c-g und
g-d). Der H.-Begriff des Mittelalters umfaBt tech-
nisch sowohlTonfolgen (Isidorus von Sevilla, GS 1, 21b)
als auch 2tonige Zusammenklange (Scholien zur Mu-
sica Enchiriadis, GS I, 193a). Die Ubertragung auf
3tonige Zusammenklange war zunachst (Fr. Gaflori
1496, G.Zarlino 1558) mit Spekulationen iiber »ausge-
zeichnete« 3gliedrige Zahlenverhaltnisse, die »harmo-
nische« und die »arithmetische« Proportion, verbunden
(->• Harmonische Teilung). J.-Ph.Rameau (1726) fiihr-
te den Durdreiklang, den Zarlino mathematisch er-
klart hatte, auf das Naturvorbild der Partialtonreihe
zuriick (-> Naturklangtheorie) ; die H., das Zusam-
menstimmen der Akkordtone, sei in der Einheit des
Bezugspunktes (centre harmonique, Grundton) be-
griindet. AuBer der Struktur von Akkorden umf aBte der
H.-Begriff des 16.-18. Jh. auch die Zusammenfiigung
von Tonen zu einer Melodie, von Stimmen zu einem
Satz (G.Zarlino 1558, S.Calvisius 1592), von konso-
nanten und dissonanten Zusammenklangen zu einer
nach den Normen des Kontrapunkts geregelten Folge
(J. G. Walther 1732) oder von Akkorden zu einer durch
die -» Basse fondamentale bestimmten Progression
(d'Alembert 1752, Fr.W.Marpurg 1757). Im 19. Jh.
wurde der H.-Begriff auf die Akkordlehre einge-
schrankt. Die Ausdriicke H. und Akkord werden ent-
weder synonym gebraucht, oder die H. wird als zu-
grunde liegendes Wesen vom Akkord als auBerer Er-
scheinung unterschieden: verschiedene Akkorde (c-e-g,
e-g-c 1 ) reprasentieren die gleiche H. (C dur-H.). In
der den -*■ Funktionsbezeichnungen zugrunde liegen-
den Theorie wird der H.-Begriff manchmal, allerdings
nicht terminologisch streng, verwendet, um die funk-
tionsbestimmenden Tone eines Akkords von Zusatzen
zu unterscheiden : nach H.Riemann besteht z. B. die
Subdominantparallele, in C dur d-f-a, aus den Sub-
dominant-Tonen f-a und dem »harmoniefremden«
(»auffassungsdissonanten« oder »scheinkonsonanten«)
Zusatzton d. CD
Harmoniefremde Tone, auch akkordf remde Tone,
-> Nebennoten.
Harmonielehre ist die Lehre vom Aufbau und von
der Bedeutung der Akkorde in der dur-moll-tonalen
Musik. Dabei meint der Begriff Harmonie alles, was
im Akkord und zwischen den Akkorden Zusammen-
hang stiftet. Die H. ist einerseits eine Theorie der »na-
tiirlichen« Beschaffenheit dieser Zusammenhange, an-
dererseits eine (heute historische) Satzlehre, die sich aus
dem GeneralbaB entwickelt hat. Theorie und Satz-
lehre haben sich wechselseitig beeinfluBt, so daB theo-
retische Erkenntnisse haufig nur schwer von prakti-
schen Lehrsatzen zu trennen sind (z. B. in Rameaus
Schriften von 1722 und 1726 sowie in Riemanns Ver-
einfachter H. von 1893). Voraussetzung fiir das Ent-
stehen der H. war die Auffassung des Dur- und Moll-
dreiklangs als akkordliche Einheit (Zarlino 1558), die
Lehre von der Umkehrbarkeit der Dreiklange (ent-
wickelt vor allem von Th.Campian 1613, Werckmei-
ster 1687 und G.Keller 1707) und im Zusammenhang
damit die durch den GeneralbaB bewirkte klangliche
Identifizierung von Akkorden, die aus gleichnamigen
Tonen - gleichgultig welcher Oktavlage - bestehen,
schlieBlich die Ablosung der Kirchentone durch
-> Dur und -»• Moll. Die ->■ Regola dell'ottava laBt ein
bereits betrachtlich entwickeltes Gespiir fiir die Logik
dur-moll-tonaler Akkordfolgen erkennen. - Das deut-
sche Wort H. taucht anscheinend bei G. A. Sorge (Com-
pendium harmonicum oder . . . Lehre von der Harmonie,
1760) zuerst auf, blieb aber bis ins 19. Jh. meist der Ge-
neralbaBlehre verbunden, so noch 1816 in der Harmo-
nie- und Generalbafllehre vonJ.Drechsler.
Als Theorie wie als Satzlehre beginnt die H. mit Ra-
meaus Hauptschriften (ab 1722). Dennoch darf keine
von ihnen als H. im Sinne des spateren 19. Jh. miB-
verstanden werden. Dazu fehlt ihnen, soweit sie sich
uberhaupt der praktischen Satzlehre widmen, bei-
spielsweise die Beschrankung auf die homophone
Setzweise. Als Reprasentant des Aufklarungszeitalters
war Rameau darauf bedacht, alle musikalischen Er-
scheinungen auf »Naturgegebenheiten« zuriickzufuh-
ren (->■ Naturklangtheorie). Andererseits lieB er die
Akkorde durch Uber- bzw. Untereinanderschichtung
von Terzen entstehen. Grundakkorde sind ihm der
Dreiklang sowie der durch Hinzufiigung einer weite-
ren Terz davon abgeleitete Septimenakkord. Die Tone
der Akkorde beziehen sich auf den bei Grundstellung
tiefsten Ton, den Grundton, das centre harmonique.
Auf diesem Begriff, nicht bloB auf dem Dreiklang, be-
ruht nach Rameau das principe de l'harmonie (Traite).
Im Nouveau systeme ist erstmalig von den drei sons fon-
damentaux und ihren Akkorden als den drei Grundpf ei-
lern jeder Tonart die Rede, dem son principal oder der
(note) tonique (-»- Tonika) mit dem Dreiklang auf der
1. Stufe der Tonleiter, der dominante (->■ Dominante)
mit dem Akkord der kleinen Septime auf der 5. Stufe
und der sousdominante (-»■ Subdominante) mit dem
Quintsextakkord auf der 4. Stufe. Tonique, dominante
und sousdominante werden durch die ihnen eigenen
Akkorde unverwechselbar gepragt. Jeder Dreiklang
kann durch Hinzufiigen einer groBen Sexte zum Ak-
kord der Subdominante (z. B. c'-a 1 zu c'-e'-g 1 =
c i_ei_gi_ a i = Subdominante mit -*■ Sixte ajoutee von
G dur), jeder Durdreiklang durch Hinzufiigen einer
kleinen Septime zum Dominantseptakkord werden
(z. B. c'-b 1 zu ci-ei-g 1 = ci-ei-g'-b 1 = Dominant-
septakkord von F dur). Beide verlangen eine bestimm-
te Fortschreitung bzw. Auflosung, haben also modu-
latorische Wirkung. Auch sind beide miteinander ver-
wandt: wahrend in der Septime des Dominantsept-
akkordes gleichzeitig die Subdominante vertreten ist,
enthalt diese in der zur Dreiklangsquinte dissonieren-
den Sexte ihrerseits als Bestandteil der Dominante
deren Quinte. Der son principal steht zur sousdomi-
nante, die dominante zum son principal im Verhaltnis
einer reinen Quinte. Eine sinnvolle Folge von Akkord-
grundtonen werde daher in erster Linie von Quint-
schritten, erst in zweiter von Terzschritten gepragt
(-> Basse fondamentale). Als erster vertrat Rameau die
fiir die Entwicklung der H. entscheidende These, daB
die Melodie aus der Harmonie hervorgehe (Traite).
Die Durtonleiter entwickelt er daher aus den Akkor-
den der drei sons fondamentaux, ein Verfahren, das er
auf die (harmonische) Molltonleiter iibertragt. Seine
Lehre vom Terzenaufbau und die Begriffe Tonika
und Subdominante fanden rasch Verbreitung. Doch
scheinen - sieht man von J. Fr. Daube ab (1756) - die
Theoretiker und Praktiker des 18. Jh. die Bedeutung
der drei sons fondamentaux fiir die Logik der Akkord-
folgen noch nicht recht erkannt zu haben. So betrach-
tete Kirnberger die Akkorde der Tonika, Dominante
und Subdominante nur als elementare Harmonisie-
rungsmoglichkeiten einer Melodie. Zusammen mit
363
Harmonielehre
den Akkorden auf den ubrigen Stufen der Leiter er-
gaben sich reichere Moglichkeiten. Auch herrscht
noch lange Uneinigkeit iiber die Anzahl der Grund-
akkorde. Erst H. Chr.Koch (1811) unterscheidet strikt
zwischen »wesentlichen« (auf der 1., 4. und 5. Stufe der
Tonleiter) und »zufalligen« Dreiklangen (auf den ubri-
gen Tonleiterstufen). Der verminderte Dreiklang gilt
ihm entgegen manchen GeneralbaBlehren (Sorge, Kirn-
berger) als dissonant. Sein eigentlicher Grundton sei
die Quinte der Tonart; diese Interpretation ist seither
zum festen Bestandteil vor allem der funktionellen H.
geworden. Dem fortgeschrittenen Wissen um die Lo-
gik von Akkordverbindungen konnte die General-
baBbezifferung nicht mehr geniigen. Als daher der
GeneralbaB gegen Ende des 18. Jh. aus der musikali-
schen Praxis verschwand, stand einer neuen Bezeich-
nungsweise der Akkorde - nun ausschlieBlich fur ana-
lytische Zwecke, dem Ziele Rameaus (1732) entspre-
chend - nichts mehr im Wege. Sie wiirde 1817 von G.
Weber als -*■ Buchstaben-Tonschrift entwickelt. Mit
ihr bezeichnete er sieben Grundakkorde (Dur- und
Molldreiklang, verminderter Dreiklang, Dur- und
Molldreiklang mit kleiner Septime, verminderter Drei-
klang mit kleiner Septime, Durdreiklang mit groBer
Septime), wahrend er alle ubrigen Akkordbildungen
als zufallig betrachtete und unbezeichnet lieB. We-
ber iibernahm auch die 1800 von G.J.Vogler einge-
fiihrte Numerierung der Tonleiterstufen und ihrer
Akkorde mit romischen Ziffern. Mit ihrer Hilfe liefB
sich zum erstenmal die Umdeutung eines Akkordes
bei Modulationen genau bezeichnen. Vor allem von
E.Fr.Richter (1853) wurde die neue Bezeichnungs-
weise - entgegen Webers Absicht - durch Bestand-
teile der GeneralbaBschrift erganzt. In dieser Gestalt
ist sie, wenn auch im 20. Jh. 6fter mit Funktionsbe-
zeichnungen verquickt (Schonberg 1954), als -» Stu-
fenbezeichnung noch heute in Gebrauch. Eine Er-
weiterung der Rameauschen Idee vom Centre har-
monique bedeutete der von Castil-Blaze (1821) ge-
pragte Begriff tonalite (->■ Tonalitat), den Fr. J. Fetis
1844 als Beziehung der Akkorde auf ein gemeinsames
Tonzentrum prazisierte. Sein starkes BewuBtsein von
der geschichtlichen Bedingtheit der abendlandischen
Musik lieB Fetis - im Gegensatz zu Rameau - erken-
nen, daB die Harmonie nicht a priori von der Natur ge-
geben, sondern als Erscheinung menschlichen Empfin-
dens und Denkens geschichtlichen Wandlungen unter-
worfen ist. Prophetisch hat Fetis die Entwicklung der
Musik zu tonaler Vieldeutigkeit vorausgesehen.
Im Laufe des 19. Jh. bildeten sich zwei Systeme der H.
von weitreichender Bedeutung: die Fundamenttheorie
S. Sechters (1853/54) und die Funktionstheorie H. Rie-
manns (ab 1872). Sechters Theorie fuBt auf Rameaus
Basse fondamentale und auf dessen Lehre vom Ter-
zenaufbau der Akkorde. Alle Akkorde bauen sich auf
dem BaBfundament auf, das auch verschwiegen sein,
das heiBt hinzugedacht werden kann (z. B. zwischen
den Akkorden auf c 1 und d 1 ein a unter c 1 , denn das
Fundament, dessen primares Intervall die Quinte sei,
steige hier nur scheinbar um eine Stufe). Die Drei-
klange erscheinen - ganz wie spater im Sinne der Ton-
psychologie C.Stumpfs (1883-90) - als Verschmel-
zung zweier Terzen (Durdreiklang : groBe und kleine
Terz, Molldreiklang: kleine und groBe Terz). Auch
Riemann bezieht sich auf Rameau, jedoch auf den Har-
moniker (d. h. den Verfechter der Naturklangtheorie) ;
Rameaus Lehre vom Terzenaufbau der Akkorde lehnt
er als unfruchtbaren Schematismus ab. Im Gegensatz
zum iiberwiegend padagogisch-praktisch orientierten
Sechter ist Riemann sowohl Theoretiker als auch
Padagoge. Der Theoretiker empfing entscheidende
Anregungen von den akustischen und tonphysiologi-
schen Entdeckungen H. v. Helmholtz' (1863). Musik-
horen war ihm jedoch eine hochgradig entwickelte
Betatigung logischer Funktionen des menschlichen
Geistes. Daher kam er spater mehr und mehr davon
ab, von den positiven Wissenschaften Aufschlusse iiber
das innerste Wesen der Musik zu erwarten. Nach der
Auseinandersetzung mit der Tonpsychologie Stumpfs
gelangte er schlieBlich zu der Uberzeugung, daB gar
nicht die wirklich erklingende Musik, sondern vielmehr die
in der Tonphantasie des schaffenden Kiinstlers vor der Auf-
zeichnung in Noten lebende und wieder in der Tonphantasie
des Horers neu entstehende Vorstellung der Tonverhaltnisse
das Alpha und das Omega der Tonkunst ist (1914/15).
Der Grundgedanke seiner' H., daB Tone stets als Ver-
treter von Klangen (Akkorden) aufzufassen seien
(-> Klangvertretung), betrifft eine Vorstellung (keine
akustisch-physiologische Realitat). Sie gilt unter der
Voraussetzung, daB der Dreiklang, nicht aber Tone
oder Intervalle als das in der Musik primar Gegebene
angesehen werden. Auch Riemanns -> Dualismus (In-
terpretation des Durdreiklangs als Oberklang, desMoll-
dreiklangs als gleichberechtigter, aber polar entgegen-
gesetzter Unterklang eines Tones) hat seine Realitat in
der Vorstellung. Dies mag erklaren, warum Riemann
auch dann noch an dieser Auffassung festhielt, nach-
dem er sich von der Unhorbarkeit der »Untertone«, in
denen er den Beweis fur die Konsonanz des Mollak-
kordes gefunden zu haben glaubte, iiberzeugen muBte.
Dualismus und Klangvertretung bilden die Basis, auf
der sich sein System der H. aufbaut. Dissonant sind
ihm alle Akkorde, die sich nicht aus Prime, Terz und
Quinte desselben Ober- bzw. Unterklanges zusam-
mensetzen, also auch der aus Prime und Terz der Sub-
dominante und aus der Quinte der Dominante be-
stehende scheinbare Molldreiklang auf der 2, Stufe in
Dur (-»■ Auffassungsdissonanz). War Riemann schon
die Unterscheidung von Konsonanz und Dissonanz
eine Betatigung unseres logischen Instinkts auf dem Ge-
biete der Musik, so noch mehr die Beurteilung von
Akkordfortschreitungen. Schon 1872 hatte er aus der
Kadenz I-IV-I-V-I, dem Typus aller musikalischen
Form, die Grundziige einer harmonischen Logik ent-
wickelt, indem er M.Hauptmanns dialektische Be-
griff e (1853) der Oktave, Quinte und (GroB-)Terz (Ein-
heit - Entzweiung - Einigung) auf das zeitliche Nach-
einander der Akkorde ubertrug. Im zweiten Auftreten
der Tonika nach der Subdominante sah er die Quint-
entzweiung oder Antithese, die sich der Oktavenein-
heit (These) des ersten Auf tretens entgegensetzt und die
ihre Terzeinigung durch die Oberdominante (Synthe-
se) wieder in der Tonika findet. Die Hauptmannschen
Begriff e gab Riemann zwar schon 1873 wieder auf,
spater auch die Termini These, Antithese und Synthe-
se, die Interpretation der Akkorde in ihrem Sinne
blieb jedoch erhalten, d. h. die Logik der Akkordfol-
gen und die Logik der vollstandigen Kadenz sind ihm
eins. Riemanns H. erhielt 1893 ihre abschlieBende For-
mulierung in der Lehre von den tonalen Funktionen
der Akkorde (-> Funktionsbezeichnung). Riemanns
Akkordbezeichnungen, die allmahlich aus denen G.
Webers und A. v. Oettingens (1866) entstanden, tren-
nen die H. endgultig vom GeneralbaB, indem sie auch
die Akkordumkehrungen nicht mehr vom BaBton,
sondern vom Bezugston des Akkordes aus beziffern;
z. B. den C dur-Sextakkord als £. Seine 1893 entwik-
kelten Buchstabensymbole (T= Tonika, D = Domi-
nante, S = Subdominante u. a.) interpretieren nicht
die Klange a priori; sie sind vielmehr die Funktions-
bezeichnungen. Funktion ist nach H.Grabner die Be-
364
Harmonielehre
deutung des einzelnen Klangesfiir den harmonischen Ge-
samtverlauf des Stiickes. Dieser wird bestimmt dutch die
Beziehung alter Klange aufein harmonisches Zentrum, die
Tonika. Umgekehrt aber - so ist zu erganzen - wird
nur der Klang zur Tonika, auf den sich alle iibrigen
Klange beziehen. Die meisten Lehrbiicher des 20. Jh.
sind von Riemanns H. mehr oder weniger beeinfluBt,
selbst Unterrichtswerke, die, wie die H. von R.Louis
und L.Thuille (1907), die Weberschen Stufenbezeich-
nungen beibehielten. Doch gerade von iiberzeugten
Verfechtern der funktionellen H. wurden Riemanns
Lehren weitgehend umgestaltet. So betonte H. Grab-
ner (1923) starker die Selbstandigkeit der Nebendrei-
klange und lieB die Moglichkeit, sie als Scheinkonso-
nanzen aufzufassen, mehr in den Hintergrund treten.
Er gab den Dualismus Riemanns auf und sah die Ne-
bendreiklange unter dem Blickwinkel der Terzver-
wandtschaft. Hier ist der EinfluB spatromantischer
Harmonik spiirbar. In starkerem MaBe noch gilt dies
von Grabners neuem Begriff Mediantik, einer Sonder-
form der Terzverwandtschaft, die sich nur mehr auf
das Grundtonverhaltnis (GroB- oder Kleinterz) be-
schrankt; z. B. as-c-es = untere GroBterzmediante
von c-e-g. Doch sind im 20. Jh. auch wieder pytha-
goreische Vorstellungen von der Quinte als dem einzi-
gen die Tonverwandtschaften konstituierenden Inter-
vall lebendig (Handschin 1948). Aus dem Dualismus
v. Oettingens und Riemanns entwickelte S.Karg-Elert
ein System extremer Polaritat (Polarismus). Monisti-
sche Vorstellungen (Auffassung des Mpllakkords im
Dursinne) kommen demgegeniiber in den Funktions-
symbolen des Grabner-Schiilers W. Maler zum Aus-
druck (GroBschreibung der Dur- und Kleinschreibung
der Mollsymbole). Der Bruckner-Schiiler H. Schenker
loste 1906 den allzu neutralen Stufenbegriff aus der en-
gen Bindung an den einzelnen Dreiklang. Nicht jeder
Dreiklang sei mit einer Stufe identisch. Diese bilde
vielmehr eine hohere abstrakte Einheit, so daft sie zuweilen
mehrere Harmonien konsumiert, von denen jede einzelne
sich als selbstandiger Dreiklang oder Vierklang betrachten
liefte . . . Die so definierten Stufen bilden iibergeord-
nete Zusammenhange, die Hindemith (1937) im An-
schluB an Schenker -*■ Stufengang nannte. Den har-
monisch kompliziertenWerken am Ende der dur-moll-
tonalen Epoche wird die H. zumeist nicht mehr ge-
recht. In Schonbergs im wesentlichen »klassischer« H.
(1911) - nur am Ende des Buches ist von schwebender
und aufgehobener Tonalitat, von der Ganztonleiter
und von Quartenakkorden die Rede - kommt dies
deutlich zum Ausdruck. Aber auch einfache Drei-
klangsfolgen richten sich (z. B. bei Debussy) oft nicht
mehr nach der Logik des Kadenzgeschehens. Gleich-
zeitig unterlag der Grundgedanke der H., alle Ton-
ereignisse auf Klange zuruckzufiihren, seit E.Kurth
(1913) mehr und mehr der Kritik. Auch verlor die H.
die Vorrangstellung im Unterricht, die ihr vor allem
in der zweiten Halfte des 19. Jh. zugef alien war, an den
-> Kontrapunkt. Unter dem Oberbegrifl -> Satzlehre
werden beide Disziplinen heute zusammengef aBt, ohne
daB damit jedoch eine Vermischung beider gemeint
ist. Das Interesse der Musiktheoretiker an der H. ist
stark geschwunden, seitdem - ausgelost vor allem
durch die Musik der Wiener Schule - die Frage nach
den Tonzusammenhangen neu gestellt werden muBte.
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Harmony, London 1960; J. Mekeel, The Harmonic
Theories of Kirnberger and Marpurg, Journal of Music
Theory IV, 1960; M. Vogel, Der Tristan-Akkord u. d.
Krise d. modernen H., = Orpheus-Schriftenreihe zu
Grundfragen d. Musik II, Diisseldorf 1962; P. Rummen-
holler, M. Hauptmann als Theoretiker, Wiesbaden 1963 ;
J. W. Krehbiel, Harmonic Principles of J.-Ph. Rameau
and His Contemporaries, Diss. Indiana Univ. 1964,
maschr.; E. Seidel, Die H. H. Riemanns, in: Beitr. zur Mu-
siktheorie d. 19. Jh., hrsg. v. M. Vogel, = Studien zur Mg.
d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966.
Harmoniemusik (frz. harmonie; ital. banda, ar-
monia; engl. wind band), im Unterschied zur reinen
-*■ Blechmusik ein Blasorchester mit gemischter Be-
setzung aus Holz- und Blechblasinstrumenten (auch
mit Schlagzeug), wie es (als Musikkorps) vor allem f in-
die -»■ Militarmusik typisch ist. AuBerdem wird die ge-
mischte Blaserbesetzung von zahlreichen Musikverei-
nen und Stadtmusikkapellen, in den USA von Schul-,
Hochschul- und Universitatsblasorchestem bevorzugt.
Im AnschluB an die -»- Orpheon-Bewegung entstan-
den in Frankreich neben Fanfares (Blechorchestern) auch
Harmonies. - In der Infanteriemusik deutscher Heere
kam die H.-Besetzung in der 2. Halfte des 18. Jh. auf,
doch gibt es gemischte (ad hoc zusammengestellte)
Blaserbesetzungen schon friiher (z. B. Handels »Feuer-
werksmusik« 1749). Das f riiheste Einsetzen und der Be-
stand von Originalkompositionen fur H. im 18. Jh.
(meist als Parthien bezeichnet, z. B. von I. Franzl, Fr. A.
Rofller und J.Haydn, Hob. II, 41*-46*) ist noch nicht
uberschaubar. Eine verbreitete Standardbesetzung der
1770er Jahre war das Blaseroktett (2 Ob., 2 Klar., 2
Horner und 2 Fag.). Mozart und Beethoven schrieben
nicht nur mehrere Originalwerke fur H., sondern hat-
ten Teil an der zu ihrer Zeit schon verbreiteten Praxis
des Arrangierens fiir H. (vgl. Mozarts Brief an den Va-
ter vom 20. 7. 1782 iiber die Blaserbearbeitung der
Entfiihmng; wahrend Beethovens op. 20 und 72 noch
von Fremden arrangiert wurden, entstanden die Uber-
tragungen von op. 84 und 91 fiir vollstandige Tiirkische
Musik und von op. 92 und 93 fiir Blasernonett unter
Aufsicht des Komponisten und erschienen gleichzeitig
mit der Originalausgabe). Das Aufkommen der Ven-
tile an den Blechblasinstrumenten und die zahlreichen
neu entwickelten Instrumentenf ormen erweiterten die
Besetzungsmoglichkeiten der H. im 19. Jh. Qualitativ
hochstehende Kompositionen fiir H. wurden nun sel-
tener (Mendelssohn Bartholdy, Ouverturefiir H. op. 24,
1828), dafiir machten die H.- Arrangements die jeweils
neuesten Werke des Konzertsaals und der Oper einem
weiteren Publikum in regelmaBigen Garten- und Pro-
menadenkonzerten bekannt. In neuerer Zeit schrieben
anspruchsvollere Kompositionen fiir H. u. a. Strawinsky
(Symphonie d 'instruments a vent, 1921, revidiert 1947;
Circus Polka, 1942), Hindemith (Konzertmusik fur Blas-
orch. op. 41, 1926) und Schonberg (Theme and Variations
op. 43A, 1943).
Lit.: J. H. Saro, Instrumentationslehre f. Militarmusik,
Bin 1883; A. Kalkbrenner, Die Organisation d. Militar-
musikchore aller Lander, Hannover 1 884 ; G. Pares, Traite
d'instrumentation et d'orchestration a l'usage des mu-
siques militaires, Paris 1898; L. Degele, Die Militarmusik,
Wolfenbuttel 1937; B. Husted, The Brass Ensemble, Diss.
Rochester (N. Y.) 1955, maschr. ; J. Wagner, Band Scor-
ing, NY 1960; R. Fr. Goldman, The Wind Band, Boston
1961.
Harmonik -> Harmonia, -> Harmonie.
Harmonika -> Glasharmonika.
Harmonika-Instrumente, Gattungsbezeichnung fiir
eine in vielfaltigen aufieren Formen ausgepragte Fa-
milie von Musikinstrumenten mit durchschlagenden
Zungen, die seit ihrer Erfindung kurz nach 1800 Ein-
gang in das volkstiimliche Musizieren fanden und urn
die Mitte des 19. Jh. auch von Virtuosen aufgegriffen
wurden. Nach dem 1. Weltkrieg erlebten sie vor al-
lem durch den »Trossinger Kreis« einen neuen Auf-
schwung und sind im Laienmusizieren unserer Zeit
sehr verbreitet. Ihre hochstentwickelten Formen, das
->■ Akkordeon und die (chromatische) -*■ Mundhar-
monika, haben sogar Eingang in den Konzertsaal ge-
funden. - Nach 1750 mehren sich die Zeugnisse fiir die
Verwendung der durchschlagenden Zunge. Chr. G.
Kratzensteins um 1780 geschaffene Sprechmaschine
zur Nachahmung der menschlichen Stimme sowie die
Versuche der Orgelmacher Kirsnik und Racknitz und
die endgiiltige Ubernahme der durchschlagenden
Zunge in den Orgelbau durch Abbe Vogler sind fiir
die Auspragung der H.-I. nicht so bedeutsam wie Chr.
Fr. L. Buschmanns Mund-Aeoline (1821). Dieses In-
strument - die Vorlauferin der Mundharmonika -
sollte zunachst lediglich zum Orgelstimmen dienen,
wurde aber schon ein Jahr spater, um die Hande beim
Stimmen frei zu bekommen, mit einem senkrecht
stehenden Faltenbalg versehen, der aufgezogen wurde
und unter dem eigenen Gewicht langsam wieder zu-
sammensank, dadurch einen gleichmaBig stromenden
Lufthauch erzeugend. Diese »Hand-Aeoline« - die
Vorform aller spateren Handharmonikatypen - wur-
de von Buschmann selbst spater Concertina genannt;
sie wurde von C. Demian in Wien mit BaBtasten ver-
sehen und 1829 als Accordion patentiert. Beide Instru-
mente hatten mit dem heutigen Akkordeon die Art
der Tonerzeugung gemein; das Spiel war auf 1-3 dia-
tonische Durtonleitern beschrankt und nach Art der
wechseltonigen -> Handharmonika erklangen beim
Niederdriicken ein und derselben Taste bei Balgzug
und -druck zwei verschiedene Tone. Die Buschmann-
sche Hand-Aeoline entwickelte sich in Deutschland
zur sogenannten deutschen Harmonika (eine Neben-
366
Harmonische Teilung
form fuhrte iiber die ->• Konzertina zum -*■ Bandonion,
wahrend das Demiansche Accordion zum Wiener
Modell weitergebildet wurde. In Tonaufbau und -an-
ordnung, Tonerzeugung und Spieltechnik entsprechen
sich deutsche und Wiener Harmonika, unterscheiden
sich aber in ihrer auBeren Form (offene Klappenan-
ordnung beim deutschen Modell) und vor allem da-
durch, daB die Wiener Instrumente f este Kopplungen
der einzelnen Stimmzungenreihen (Chore) hatten
(Kopplungen der 8'-Grundreihe mit der tiefen Oktave
oder einer meist parallel zur Grundreihe verlaufenden
Schwebetonreihe), wahrend die einzelnen Chore des
deutschen Modells durch der Orgel nachgebildete Re-
gisterschieber wahlweise ein- und ausgeschaltet wer-
den konnten. Beide Typen gingen allmahlich zur ein-
seitigen Balgfiihrung - Bedienung des Balges nur mit
einer Hand - iiber, dagegen behielten die Konzertina
und ihre abgeleiteten Formen die doppelseitige Balgfiih-
rung bei. - Die steigenden musikalischen Anforderun-
gen an die Handharmonika lieBen ihre Beschrankung
auf ein bis hochstens drei diatonische Durtonleitern
mehr und mehr spiirbar werden. Man fiigte Hilfs-
tasten ein, die wenigstens ein Ausweichen in die Ober-
dominante zulieBen. Andere Versuche fiihrten um
1850 (durch den Wiener Musiker Walter) zur Chro-
matisierung der Diskantseite und schlieBlich zur
»Gleicht6nigkeit«, wobei aber auf der BaBseite die
Wechseltonigkeit zunachst beibehalten wurde (Typ
der Wiener Schrammelharmonika). Gegen Ende des
Jahrhunderts wurde auch die BaBseite gleichtonig.
Das nun entstandene Instrument erhielt den Namen
-> Akkordeon und trug bereits alle Wesensmerkmale
des heutigen Instruments gleichen Namens. - Beim
Wiener Modell konzentrierte sich die weitere Ent-
wickJung auf den Zweireiher, der besonders nach dem
1. Weltkrieg durch Einfiigung mehrerer nun in eine
3. Tastenreihe verlegter Hilfstasten (in der Regel 7)
und durch den 1916 geschaffenen »Gleichton« (c 2 ) in
der 2. Reihe zum »Klub-Modell« ausgebaut wurde,
der heute herrschenden diatonischen Handharmonika.
Spater wurden beide Instrumententypen, (diatonische)
Handharmonika und (chromatisches) Akkordeon,
auch technisch vervollkommnet und ihre musikali-
schen Moglichkeiten durch Register und andere Spiel-
hilfen erweitert. Hand in Hand mit der technischen
Vervollkommnung des Instruments ging die 1926 von
E.Hohner angeregte musikliterarische und spielme-
thodische Entwicklung, die zu dem von H. Herrmann
gefiihrten »Trossinger Kreis« sowie zur 1931 gegriin-
deten Stadtischen Musikschule Trossingen und der
im gleichen Jahr ins Leben geruf enen Edition Hohner
fuhrte. - Weiterbildungen der H.-I. (Baritonakkor-
deon, BaBorgel u. a.) hielten sich im wesentlichen an
die iiberlieferten Formen. In jiingster Zeit wurde dem
Akkordeon ein weiteres Manual auf der BaBseite zu-
gefiigt, das Melodiespiel iiber 5'/2 Oktaven ermog-
licht. Vollig neu ist die Anwendung des Prinzips der
elektronischen Tonerzeugung bei den H.-I.n, die zur
Electravox, einem rein elektronischen Akkordeon,
fuhrte. - Die Entwicklung der Mundharmonika ver-
lief wesentlich einfacher. Die diatonische Mundhar-
monika herrschte in verschiedenen, nur dem Tonum-
fang und dem Klang nach verschiedenen Typen bis
weit ins 20. Jh. hinein allein. Sie gait zunachst als Mu-
sikspielzeug, wurde aber in den 1920er Jahren durch
Ubernahme in das Volksmusizieren mehr und mehr
zum Musikinstrument. Das solistische Musizieren ver-
langte jedoch nach der chromatischen Mundharmoni-
ka und nach Spezialinstrumenten tieferer Tonlage, un-
ter denen die BaBmundharmonikas und die Akkord-
begleitinstrumente im Vordergrund stehen. Ein neue-
rer Typ (Harmonetta) vereinigt Melodie- und Be-
gleitinstrument in einem. Daneben wurde die Mund-
harmonika aber auch als reines Melodieinstrument
weiterentwickelt. Als wichtigstes Ergebnis dieser Be-
miihungen gilt die Melodica, ein in ihrer auBeren
Form der Blockflote nachgebildetes Mundharmonika-
Instrument, dessen Klappenmechanik durch Klavier-
tasten ausgelost wird. Es wird in verschiedenen Stimm-
lagen (Sopran, Alt) gebaut. - Die Harmonikaherstel-
lung erfolgte urspriinglich auf rein handwerklicher
Basis. Die rege Nachfrage nach seinen Mundharmoni-
kas notigte aber den Trossinger Uhrmacher Matthias
-v Hohner schon 1857, mit der fabrikmaBigen Her-
stellung zu beginnen, aus der dann ein ganzer Indu-
striezweig entstand, der heute neben Mund- und Hand-
harmonikas auch andere (vor allem elektronische) In-
strumente herstellt und in alle Welt exportiert. Weitere
Schwerpunkte der europaischen Harmonikaherstel-
lung liegen im Vogtland (Klingenthal) und in Italien.
Lit.: H. Buschmann, Chr. Fr. L. Buschmann, Trossingen
1934; J. Fischer, M. Hohner, Stuttgart 1940; R. Sonner,
Schwingende Zungen, Trossingen 1956; A. Fett, 30 Jahre
Neue Musik f. Harmonika, 1927-57, ebenda 4 1964. AWF
Harmoniker heifien in der antiken Griechischen Mu-
sik allgemein die Theoretiker, entsprechend der zen-
tralen Stellung der -> Harmonia im System der Mu-
siklehre (in dieser Bedeutung findet sich das Wort u. a.
bei Aristoxenos). H. im speziellen Sinne werden Ari-
stoxenos und seine Schule genannt, die bei der Inter-
vallbestimmung, im Unterschied zu den pythagorei-
schen Harmonikern, nicht von der Saitenmessung am
Monochord (xavtov) ausgehen, sondern dem Gehors-
urteil den Vorrang geben. BezugsgroBe ist fiir Aristo-
xenos der Ganzton ; alle anderen Intervalle werden als
Vielfache (Oktave = 6 Ganztone) oder Teile (Halb-,
Drittel-, Viertelton) des Ganztones beschrieben. Da-
durch ergeben sich fiir die »beweglichen« Intervalle
innerhalb des Tetrachords zwar ungenauere, aber ein-
fachere Zahlenbeziehungen als bei den Kanonikern.
Harmonische Hand -> Guidonische Hand.
Harmonische Teilung ist die Zerlegung einer Strek-
ke, in der Musiktheorie einer schwingenden Saite,
nach der Formel b = — =— . Aus der Oktave (1:2= 2:4)
ergeben sich durch h. T. die Quinte und die Quarte
(2:3:4), aus der Quinte (2:3 = 4:6) die groBe und die
kleine Terz (4:5:6), aus der groBen Terz (4:5 = 8:10)
der grofie und der kleine Ganzton (8:9:10). Die For-
mel b = — y- , die arithmetische Darstellung der har-
monischen Streckenteilung, wird arithmetische Pro-
portion oder arithmetisches Mittel genannt, wahrend
der Ausdruck harmonische Proportion oder harmoni-
sches Mittel eine Proportion bezeichnet, der die Formel
2ac
b = — — zugrunde liegt, z. B. 10:12:15. Eine arith-
metische Teilung gibt es nicht; der Gebrauch desWor-
tes beruht auf einer Verwechslung von Teilung und
Proportion. Im musikalischen Resultat ist einerseits
eine arithmetische Proportion, also eine h. T., die Um-
kehrung einer harmonischen ; die arithmetische Pro-
portion 4:5:6 entspricht, bezogen auf Schwingungs-
zahlen, demDurdreiklang, die harmonische Proportion
10:12:15 dem Molldreiklang. Andererseits sind die
Proportionen von Schwingungszahlen die Umkeh-
rung der Proportionen von Saitenlangen, weil die
groBere Zahl bei Schwingungen dem hoheren, bei
Saitenlangen dem tieferen Ton entspricht. Bezogen
auf Schwingungszahlen reprasentiert die arithmetische
Proportion 4:5:6 den Durdreiklang, bezogen auf
Saitenlangen den Molldreiklang.
367
Harmonium
Harmonium, gebrauchlicher Name fur die um 1800
aufgekommenen Tasteninstrumente mit durchschla-
genden (freischwingenden) Zungen aus Metall ohne
Aufsatze. Der erste, der Orgelregister mit durchschla-
genden Zungen (nach dem Vorbild der chinesischen
Mundorgel) baute, war der St. Petersburger Orgel-
macher Kirsnik um 1780, dessen Schiiler, der Schwede
Racknitz (Rackvitz), solche in Abbe Voglers ->- Or-
chestrion einfiigte. Vorlaufer des H.s waren die Orgue
expressif von G.-J. Grenie (1810) mit durchschlagenden
Zungen, aber noch orgelregisterartigen Becherauf-
satzen, die Physharmonika von Hackl (1818) sowie das
Accordeon und das Melodium von Alexandre (1829).
Eine Reihe von Instrumentenmachern baute H.-Typen,
mit Namen wie Aeoline, Aelodicon, Aerophone, Me-
lophone, Poikilorgue von Cavaille-Coll (1834) und
Seraphine. Den Namen H. gab A.Debain seinen 1840
patentierten Instrumenten, die als erste mehrere (4)
Register und Koppeln hatten. Von Bedeutung fiir
die Entwicklung zum Kunst-H. waren die Einfiih-
rung der Perkussion (1841; Hammeranschlag ge-
gen die Zungen zu praziserer Ansprache, wodurch
auch schnelles Spiel im Staccato ermoglicht wurde),
des Prolongement (Verankerung einzelner Tasten in
herabgedrtickter Lage) und des doppelten Druckpunk-
tes (Erzeugung von 2 Tonstarken auf einer Taste). Bei
der Expression wird der Wind nicht uber das Magazin,
sondern direkt aus dem Schopfbalg an die Zungen ge-
fiihrt. Da der Wind durch Pedaltreten erzeugt wird,
ist der Ton so vom Spieler in der Starke beeinfluBbar.
Bei der Double expression (V.Mustel 1854) ist das Re-
gister geteilt. Erfindungen zur Verstarkung der AuBen-
stimmen sind Melody attachment (1864) und Pedal-
substitute. Das moderne H. hat meist 1-2 Manuale mit
einer Klaviatur von 5 Oktaven (im Saugwindsystem
von F bis f 3 mit Registerteilung bei h/ci, im Druck-
windsystem zumeist von C-c 4 und Registerteilung bei
ei/£i. Kleinere H.s reichen von C-c 3 ). Die FuBtonla-
gen der Register (Spiele) sind 8', 4', 16'. GroBe H.s ha-
ben im BaB noch einen 2', im Diskant einen 32'. Die
Zahl der Registerziige ist oft grofier als die der vor-
handenen Zungenreihen (Spiele), weil einige Register-
ziige die Aufgabe haben, durch unterschiedlich weite
Offnung von VerschluBklappen verschiedene Laut-
starkegrade der Register (Spiele) einzustellen. Knie-
hebel ermoglichen ein Generalcrescendo. Bekannte
deutsche H.-Fabriken sind Schiedmayer und Stein-
meyer, Hofberg, Horiigel, Burger sowie (aus Schwe-
den kommend) Lindholm und Mannborg. Eine ganz
neue Bauart ist die -»• Amerikanische Orgel. Als Mu-
sikinstrument hat das H. auf die Dauer weder mit
der Orgel (im kirchlichen Raum) noch mit dem Kla-
vier (als Haus- und Konzertinstrument) konkurrieren
konnen; gebraucht wurde es im -> Salonorchester.
Originalwerke fiir H. schrieb u. a. S. Karg-Elert, Schu-
len: B.Mettenleiter, Leybach, Piechler und Karg-
Elert. Da bei Zungen Ober- und Kombinationstone
sowie Schwebungen gut horbar sind, wurde das H.
auch zu einem Instrument fiir akustische Experimentc,
an dem zuerst praktische Versuche mit der Reinen
Stimmung unternommen worden sind.
Lit.: J. Promberger, Theoretisch-praktische Anleitung
zur Kenntnis u. Behandlung d. Physharmonika, 1830; G.
Enoel, Das mathematische H., Bin 1881 ; J. Lederle, Das
H., Freiburg i. Br. 1884; W. Riehm, Das H., Bin 21886,
31897; H. M. Allihn, Wegweiser durch d. H.-Musik, Bin
1894; A. Reinhard, Etwas vom H. (Erganzung: Das H. v.
heute), Bin 1895, 21903 ; W. Luckhoff, Das H. d. Zukunft,
Bin 1901 ; ders., Uber d. Entstehung d. Instr. mit durch-
schlagenden Zungenstimmen u. d. ersten Anfange d. Har-
moniumbaues, Zflb XXI, 1901 - XXII, 1902; V. Mustel,
L'orgue expressif ou l'h., 2 Bde, Paris 1903; R. A. Mile,
Das deutsch-amerikanische H., Hbg 1905; O. Bie, KI.,
Org. u. H., = Aus Natur- u. Geisteswelt 325, Lpz. 1910,
21921; L. Hartmann, Das H., Lpz. 1913; E. Benz, Die
Diktatur d. H., Erfahrungen einer fernostlichen Studienrei-
se, Eckart XXVIII, 1959. - Zs. : Das H., hrsg. v. W. Luck-
hoff, I-IX, Weimar u. Lpz. 1900-11; Der Harmonium-
freund, I— III, Bin 1927-30.
Harpsichord (h'a:jpsik3:id, engl.) ->■ Cembalo.
Harschhorn (Harsthorn, von Harst, seltener Harsch,
Vortrupp der alteren Schweizer Kriegsheere) ist ein
Signalhorn, urspriinghch ein Stierhorn, dann (mit Sil-
ber) verziert, spater ganz aus Metall, von durchdrin-
gendem Ton. Die Luzerner Harschhorner wurden im
Feldzug meist paarweise geblasen; entsprechende In-
strumente in den anderen Kantonen waren der Stier
von Uri, das Landhorn von Unterwalden. Seit dem
15. Jh. wurden die Harschhorner mehr und mehr
durch die Pfeifer und Trommler verdrangt.
Lit. : Schweizerisches Idiotikon II, hrsg. v. Fr. Staub, L.
Tobler u. R. Schoch, Frauenfeld 1885; E. A. Gessler,
Die Harschhorner d. Innerschweizer, Anzeiger f. Schwei-
zerische Altertumskunde, N. F. XXVII, 1925.
Hauptsatz. In der Sonatensatzform enthalt der H. als
erster Teil der -»• Exposition das haufig periodisch in
Vorder- und Nachsatz gegliederte Hauptthema in der
Grundtonart, das oft, schon bei den Vorklassikern, in
sich kontrastierend angelegt ist (W. A. Mozart, »Jupiter-
Symphonie«, K.-V. 551, 1. Satz). Der H. kann aus meh-
reren thematischen Gedanken gebildet sein (Beetho-
ven, Klaviersonate op. 2 Nr 2, 1. Satz), auch zwei
Hauptthemen enthalten (W.A.Mozart, Symphonie
Es dur, K.-V. 543, 1. Satz). Er schlieBt nur selten mit
einer Vollkadenz, oft leitet er motivisch zum -»■ Sei-
tensatz uber. Motivische, durchfiihrungsmafiige Ar-
beit ist von Beginn des Werkes an moglich (Beetho-
ven, 5. Symphonie op. 67, 1. Satz). In der Rondoform
wird die refrainmaBige Wiederkehr des H.es (Ron-
deau, Ritornello) von Episoden unterbrochen.
Hauptton, - 1) In den meisten Musikkulturen laBt die
Art der Gestaltung von »horizontalen« Tonbewegun-
gen eine Differenzierung des Tonmaterials nach Haupt-
(oder Zentral-) und Nebentonen erkennen (-> Melo-
die). - 2) Im engeren Sinne beruht der Begriff der me-
lodischen Verzierung auf der Unterscheidung von H.
und Nebentonen (Hauptnote und Nebennoten). Im
Schriftbild ist der H. indirekt oft schon daran zu er-
kennen, dafi die Nebentone in kleineren Noten no-
tiert oder durch bloBe Verzierungszeichen (tr, <*> , *>• , *■
usw.) vorgeschrieben sind. - 3) In der dualistischen
Harmonielehre Riemarms (-»• Dualismus) ist H. der Be-
zugston des Dreiklangs, und zwar in Dur der -s-Grund-
ton (- 2), in Moll die Quinte.
Hauptwerk, in der Orgel das Hauptmanual mit ge-
schlossenem Prinzipalchor, Mixturen und zumeist voll-
bechrigen Rohrwerken (Trompeten) sowie einigen
Weitchorregistern. Das H. groBer, 3-4manualiger
Orgeln basiert auf dem Prinzipal 16', mittelgroBe In-
strumente haben neben dem Prinzipal 8' einen gedack-
ten 16' (z. B. Quintadena). Kleine Orgeln, in deren H.
der Prinzipal 4' bestimmend ist, haben einen gedackten
8' als Basis ; diese Disposition wird auch als Positiv be-
zeichnet. Das H. liegt raumlich uber dem Brustwerk
und fuhrt bei 2manualigen Orgeln und bei 3manuali-
gen mit Ruckpositiv auch den Namen Oberwerk.
Hausmusik ist das Musizieren im hauslichen Kreise
zur musikalischen Erbauung und Unterhaltung der
Ausubenden, ihrer FamiUe oder Freunde. Kammermu-
sikwerke, die durch Besetzung, relativ leichte Aus-
fiihrbarkeit und intimen Charakter fiir solche private
368
Heidelberg
Musikausiibung besonders geeignet erscheinen, war-
den ebenf alls H. genannt, auBerdem die ausdriicklich
fur H. bestimmten Kompositionen. - Als gesellschaft-
liche Erscheinung ist H. Ausdruck der Musikkultur
des Biirgertums, wahrend die -»■ Kammermusik aus
dem Lebensbereich des Adels erwuchs. J.Staden be-
stimmte seine Hauss-Music (1623), schlichte drei- und
mehrstimmige Satze iiber deutsche geistliche Dichtun-
gen (Darinnen ich nit auffgrosse Kunst . . . gesehen), aus-
driicklich fiir den hauslichen Gesang im Kreis der Fa-
milie; Gegensatz ist hier die kunstvollere Kirchenmu-
sik. Zugleich mit dem musikalischen Dilettantentum
erlebte die H. eine Bliite im 18. Jh.; das Wort H. als
Titel erscheint jedoch erst wieder um die Mitte des 19.
Jh. W.H.Riehl lehnt in der Einleitung zu seiner Lie-
dersammlung H. (Stuttgart 1855, 21860) die -+ Sa-
lonmusik ab, andeutungsweise auch schon die Ent-
wicklungstendenzen der spatromantischen Kunstmu-
sik, deren technische Anspriiche und deren Ausdrucks-
welt zusehends iiber die Moglichkeiten der H. hin-
auswuchsen und die sich in gleichem MaBe der be-
liebten Arrangierpraxis entzog. Klavierausziige und
Bearbeitungen aller Art bildeten bis ins 20. Jh. einen
wichtigen Zweig der Literatur fiir H. H.Leichtentritts
Deutsche H. aus vier Jahrhunderten (Berlin 1905-07) und
H.Riemanns H. aus alter Zeit (Leipzig 1906) kiindigten
die Hinwendung der H. auf Musik der Vergangenheit
an, doch bedeutete dann die gesellschaftliche Krise
des Biirgertums auch einen Bruch in der Geschichte
der H. - Die aus der Jugend- und Singbewegung er-
wachsenen musikalischen Erneuerungsbestrebungen
brachten den Aufschwung einer durch die -»■ Musik-
erziehung und durch Offentlichkeitsarbeit geforder-
ten H., in der das Laienmusizieren und die Spielmu-
sik in den Vordergrund traten. In der Erkenntnis, daB
hausliches Musizieren nicht nur der Nahrboden fiir
musikalische Talente, sondern auch fiir die Bildung
eines am offentlichen Konzertleben interessierten Pu-
blikums ist, verbanden sich Padagogen und Kompo-
nisten, Musikalienverlage und -handler sowie die Mu-
sikinstrumentenindustrie im politisch und wirtschaft-
lich erschiitterten Deutschland zur Werbung fiir die
H. Seit 1932 fand jahrlich im November der Cacilien-
tag der deutschen H. statt (heute: Tage fiir H., fast
uberall kommunal gefordert) ; groBe Breitenwirkung
erlangte der 1933 (Kasseler Musiktage) gegriindete
Arbeitskreis fiir H. (Zeitschrift fiir H.). Die Bermihun-
gen um eine Verankerung der erneuerten H. in der
Familie haben einen schweren Stand gegeniiber den
technischen Toniibermittlern (Rundfunk, Schallplatte,
Fernsehen) und der Anziehungskraft von Jazz- und
Schlagermusik.
Lit.: K. F. Becker, Die H. in Deutschland in d. 16., 17. u.
18. Jh., Lpz. 1840; R. Wagner, t)ber deutsches Musikwe-
sen, in: Gesammelte Schriften u. Dichtungen I, Lpz. 1871,
S. 149ff. ; J. Hullah, Music in the House, London 1877;
A. Reissmann, Die H., Bin 1 884; K. Storck, Musik-Politik,
Bin 191 1 ; L. Kestenberg, Musikerziehung u. Musikpflege,
Lpz. 1921, 21927; M. C. Herbst, Das Kind, d. Eltern u. d.
H., Lpz. 1930; Die Forderung d. H. u. d. Durchfuhrung d.
»Tages d. deutschen H.«, hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft
H. in d. Reichsmusikkammer, Bin 1938; H. Lemacher,
Hdb. d. H., Graz 1948; E. Valentin, Musica domestica,
Trossingen 1958. - Zs.: G. Ph. Telemann, Der Getreue
Musikmeister, Hbg 1728 (enthalt nur Kompositionen f.
H.); Blatter f. Haus- u. Kirchenmusik, hrsg. v. E. Rabich,
Langensalza 1897-1915; Zs. f. H., hrsg. v. W. Blanken-
burg, Kassel 1933-43, 1948ff. hrsg. v. R. Baum, seit 1962
vereinigt mit Musica. HHa
haut (o, frz., hoch oder laut). Im klassischen Latein
bedeutet altus raumlich hoch oder tief, daneben auch
laut und hell; bassus ist erst spatlateinisch in den Be-
deutungen fett, dick belegt, im 8. Jh. in St. Gallen in
der Bedeutung niedrig. Altfranzosisch bedeutet h.
hoch oder laut (neufranzSsisch sind Synonyme nach
Rousseau: aigu und fort), bas (seit dem 12. Jh.) tief
oder leise (grave oder doucement, a demi voix). In
Frankreich wurden etwa ab 1400 Instruments h.s und
bas unterschieden ; am burgundischen Hof rangierten
die Joueurs des h.s instruments hinter den Hoftrom-
petern vor den Spielern der Bas musique. Tinctoris
nennt um 1484 alta (musica) das Zusammenwirken
von Schalmei, Dulzian, Trombone und Zugtrompete
(->• Cobla). Zu den starken Instrumenten gehorten
im Spatmittelalter Schalmeien, Sackpfeifen, Horner
und Blechblasinstrumente wie Busine, Schlaginstru-
mente wie Trommel und Becken. Mit ihnen wurde im
Freien, bei Turnier, Tanz und Mummerei musiziert.
Zu den stillen Instrumenten gehorten Flote, Block-
flote, Krummhorn, Saiteninstrumente wie Harfe, Psal-
terium, Laute, Gitarre, Fiedel sowie das Portativ. Mit
ihnen wurde die Musik in der Kammer und bei My-
sterienspielen gespielt. - Die Holzblasinstrumente der
starken Musik hieBen h. bois ; bis ins 20. Jh. war Haut-
boist eine Bezeichnung fiir Militarmusiker (B laser)
schlechthin. Mit der Entwicklung der Bomharte
(Praetorius zufolge von den Franzosen Hautbois, von
den Englandern Hoboyen genannt) ging das franzosi-
sche Wort hautbois (bis ins 18. Jh. gesprochen obo'e;
ital. oboe) unter Bedeutungsverengung auf das mo-
derne Instrument ->■ Oboe (- 1) iiber.
Lit. : Praetorius Synt. II ; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de
musique, Artikel h. u. bas, Genf 1767(7), Paris 1768; A.
Baines, Fifteenth-Cent. Instr. in Tinctoris' De Inventione
et Usu Musicae, The Galpin Soc. Journal III, 1950; E. A.
Bowles, H. and Bas. The Grouping of Mus. Instr. in the
Middle Ages, MD VIII, 1954.
Hautbois (obu'a, frz.) ->Oboe(-l).
Hautboisten, Hoboisten, bis 1918 in Deutschland
allgemeine Bezeichnung fiir die Militarmusiker der
Infanterie. Diese sind aus den die Schalmei, spater die
Oboe (beides frz. hautbois) blasenden Regimentspfei-
fern des 17. Jh. hervorgegangen. Die Bezeichnung blieb
auch dann noch bestehen, als schlieBlich von 42-48
Musikern nur noch 2 die Oboe bliesen.
Haute-contre (otk'5:tr, frz., von ->• contratenor
altus) ist die hochste Mannerstimme (hoher Tenor,
mannlicher Alt); haut-contre de violon -> Viola te-
nore (- 1).
Heckelphon, eine 1904 von W. -> Heckel konstru-
ierte Baritonoboe mit -» LiebesfuB. Es steht eine Ok-
tave unter der Oboe und unterscheidet sich durch sei-
nen vollen Klang von den franzosischen Konstruktio-
nen defer Oboen im 19. Jh. (Triebert um 1825). Das
H. wurde zuerst von R.Strauss (Salome, Elektra) und
von M. v. Schillings (Mona Lisa) vorgeschrieben.
Heidelberg.
Lit.: F. W. E. Roth, Zur Gesch. d. Hofmusik zu H. im 16.
Jh., Neues Arch. f. d. Gesch. d. Stadt H. VI, 1905; Fr.
Stein, Gesch. d. Musik- u. Konzertwesens in H. bis zum
Ende d. 18. Jh., H. 1921, u. in: Neues Arch. f. d. Gesch. d.
Stadt H. XI, 1924; D. Bartha, Zur Gesch. d. Hofmusik in
H., ZfMw XII, 1929/30; ders., Neue Mitt, iiber d. Hofmu-
sikkapelle in H. unter Pfalzgraf Ludwig V., Mannheimer
Geschichtsblatter XXXI, 1930; C. Ph. Reinhardt, Die
H.er Liedmeister d. 1 6. Jh., = H.er Studien zur Mw. VIII,
Kassel 1939; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deut-
schen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., H. u. Koln, AfMf V,
1940; ders., Quellen u. Forschungen zur Gesch. d. Musik
am kurpfaizischen Hof zu H. bis 1622, = Akad. d. Wiss. u.
d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg.
1963, Nr 6; S. Hermelink, Ein Musikalienverz. d. H.er
Hofkapelle aus d. Jahre 1544, in: Ottheinrich, Gedenk-
schrift ...,H. 1956.
24
369
Heirmos
Heirmos (griech. eipi^, Reihe, Kette), heiBt in je-
der der 9 Oden eines ->■ Kanons (- 2) das erste Glied der
Reihe von Troparia. Bau und Melodik dieser Strophe
werden in alien folgenden Strophen Ubernommen;
der H. ist also ein Automelon (-> Troparion) und steht
in gewissem MaBe dem antiken Nomos nahe. Da viele
Kanones dcs kirchlichen Repertoires die gleiche Folge
von Heirmoi besitzen, ist deren Zahl geringer als die der
Kanones. Meist sind die Heirmoi eine ziemlich genaue
Umschreibung, zuweilen fast Wiederholung des ent-
sprechenden biblischen Gesangs und vor allem des
Hypopsalma; nur an den groBeren Festen sind sie in-
haltlich selbstandiger. Die 9. Ode ist dem Gedachtnis
und Lob der Jungfrau Maria vorbehalten, da sie in der
Matutin auf das Magnificat folgt. In der musikalischen
Uberlieferung bilden die Heirmoi ein besonderes
Buch, das Heirmologion, in dem sie nach Tonarten
zusammengestellt sind. In den liturgischen Buchern
fur das Offizium ist sehr haufig nicht der ganze H. auf-
gezeichnet, sondern nur ein Incipit. Wird ein H. am
Ende der Ode gesungen, so heiBt cr Katabasia (Ab-
stieg), weil wahrend dieses Gesangs das Chorgestuhl
verlassen wird.
Helikon (griech. eXixcov), - 1) ein Berg in Boiotien, be-
kannt alsWohnsitz der ->■ Musen; - 2) ein mit 4 Saiten
gleicher Stimmung bezogenes Instrument, das wie das
Monochord nur der Intervallbestimmung diente. Eine
ausfiihrliche Beschreibung gibt Ptolemaios II, 2 (dazu
der Kommentar des Porphyrios), eine kiirzere Aristei-
des Quintilianus III, 3, sowieim 13. Jh. G.Pachymeres;
- 3) ein vor allem in der Militarmusik gebrauchtes
groBes Blechblasinstrument der Bugelhornfamilie (ei-
ne Tuba, vor allem die KontrabaBtuba), das kreisrund
gewunden ist und iiber der Schulter getragen wird. Ei-
ne Abart des H.s mit nach vorn gerichteter Sturze ist
das Sousaphon.
Helligkeit ->-TonhShe,-» Klangfarbe.
Helmstedt.
Lit. : W. Gurlitt, Was ist wahrend d. 17. Jh. in St. Stepha-
ni musiziert worden?, H.er Kreisblatt 1912, Nr 127, 128,
139; A. Behse, Das Coll. mus. an d. H.er Univ., Zs. Alt-H.
I, 1 9 1 5 ; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen
Univ. bis zur Mine d. 16. Jh., AfMf VII, 1942; A. Bruo-
gemann, Um d. Stadtmusik: Bestallung d. Hausmanns zu
H. 1685, Zs. Alt-H. XL, 1955.
Helsinki.
Lit.: O. Andersson, Den unge Pacius och musiklivet i
Helsingfors pa 1830-talet, H. 1938 ; J. Rosas, Musikaliska
sallskapet och symfoniforeningen i Helsingfors 1827-53,
H. 1952 ; A. Larvouen, Sibelius-Akad. 1 882-1957, H. 1957;
N.-E. Ringbom, Musiklivet, in: Helsingfors stads historia
V, 2, H. 1965.
Hemiole (von griech. f)|ii6Xio<;, anderthalb; lat. pro-
portio hemiolia, hemiola, sesquialtera) heiBt in der
Mensuralnotation seit dem 15. Jh. eine Gruppe von
3 imperfekten, mit -> Color (- 1) geschriebenen No-
ten, die anstelle von 2 perfekten Noten gleicher Gestalt
gesetzt wird (vgl. Tinctoris, CS IV, 161, auch 183
und 181b), z. B.: . , , . .
Q = J J- J- 1 1 J J J I
Die Notierung einer H. durch geschwarzte Noten ist
in der Kirchen-, Orgel- und Klaviermusik noch im
18. Jh. anzutreffen. In den meisten Fallen jedoch wird
die H. seit dem 17. Jh. nicht mehr durch Schwarzung
angezeigt, sondern ist an der melodischen Gliederung
und am Harmoniewechsel abzulesen. Ihr Sinn ist im
Taktsystemdes 17.-1 9. Jh. die rhythmische Zusammen-
fassung zweier ungerader Takte zu einem einzigen mit
370
doppelt so langer Zahlzeit, z. B. :
» J J J iJ- AUJ3J i J- i
entspricht
■ JJJljJJJJJ I J J- I
Beim 6/4- oder 6/8-Takt verwandelt die H. die innere
Gliederung des Taktes dementsprechend von 2 x 3 in
3x2. Bis um 1750 ist die H. einerseits in Tanzen (vor
allem Couranten), andererseits allgemein wegen ihrer
verbreiternden Wirkung vor dem SchluB eines Satzes
oder Themas beliebt. Nachdem sie bei den Wiener
Klassikern etwas in den Hintergrund getreten war,
begegnet sie im 19. Jh. wieder haufig, vor allem bei
Schumann und Brahms, aber auch - bei festgehalte-
nem Begleitrhythmus - vielfach in Walzermelodien.
Lit. : H. H. Wintersgill, Handel's Two-length Bar, ML
XVII, 1936; W. Tell, Die H. bei Bach, Bach-Jb. XXXIX,
1951/52; K. Hlawiczka, Die rhythmische Verwechslung,
Mf XI, 1958, dazu R. Steglich in: Mf XII, 1959; K. Ph.
Bernet Kempers, Hemiolenrhythmik bei Mozart, Fs. H.
Osthoff, Tutzing 1961; M. B. Collins, The Performance
of Coloration, Sesquialtera, and Hemiola (1450-1750),
Diss. Stanford (Calif.) 1963, maschr., Teildruck in: JAMS
XVII, 1964.
Hemitonium (lat., auch semitonium; von griech.
t]U.itoviov) -> Halbton.
Hermeneutik (von griech. epfxYjveuetv, deuten) ist
die Lehre von der Auslegung eines objektiven Sinnge-
bildes. Urspriinglich als Anleitung zum Textverstand-
nis Bestandteil der Theologie und Philologie, wird
bei Dilthey (1900) diese Lehre von der Interpretation ein
wichtiges Verbindungsglied zwischen der Philosophic und
den geschichtlichen Wissenschaften, ein Hauptbestandteil
der Grundlegung der Geisteswissensch often (Gesammelte
Schriften V, S. 331). Anwendungen der Diltheyschen
H. auf die Musikgeschichte bilden z. B. H.Kretzsch-
mars Versuch einer Wiederbelebung der Afiekten-
lehre, A.Scherings Lehre vom Symbol in der Musik
und seine Forschungen iiber das poetische Programm
der Instrumentalwerke Beethovens, G.Beckings Be-
handlung des Musikalischen Rhythmus als Erkenntnis-
quelle und H.Zencks Untersuchungen iiber Grundfor-
men der Musikanschauung.
Lit. : W. Dilthey, Die Entstehung d. H., Fs. Chr. Sigwart,
Tubingen 1900, auch in: Gesammelte Schriften V, Bin
1924; oers., Von deutscher Dichtung u. Musik, hrsg. v. H.
Nohl u. G. Misch, Lpz. (1933), Stuttgart u. Gottingen
( 2 1957); H. Kretzschmar, Anregungen zur Forderung
mus. H., JbP IX, 1902, auch in: Gesammelte Aufsatze II,
Lpz. 1911; ders., Neue Anregungen zur Forderung mus.
H., JbP XII, 1905 ; A. Schering, Zur Grundlegung d. mus.
H., Zs. f. Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. IX, 1914;
ders., Beethoven in neuer Deutung, Lpz. (1934); ders.,
Beethoven u. d. Dichtung, = Neue deutsche Forschungen
LXXVII, Abt. Mw. Ill, Bin 1936; ders., Das Symbol in
d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz. 1941 ; H. Besseler,
Grundfragen d. Musikasthetik, JbP XXXIII, 1926; G.
Becking, Der mus. Rhythmus als Erkenntnisquelle, Augs-
burg 1928, Neudruck Darmstadt 1958; E. Betti, Zur
Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre, Fs. E.
Rabel II, Tubingen 1954; H. Zenck, Numerus u. Affectus,
hrsg. v. W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel
1959; H.-G. Gadamer, Wahrheit u. Methode. Grundzuge
einer philosophischen H., Tubingen 1960; G. Funke, Krise
d. H.?, Zs. f. Religions- u. Geistesgesch. XIII, 1961.
Hertz -»■ Frequenz.
Hessen.
Lit. : W. Diehl, Die Org., Organistenstellen u. Organisten-
besoldungen in d. alten Obergrafschaftsgemeinden d.
GroBherzogtums H., Darmstadt 1908; H. Lemacher, Zur
Gesch. d. Musik am Hofe zu Nassau- Weilburg, Diss. Bonn
1916; G. Heinrichs, Beitr. zur Gesch. d. Musik in Kurh.,
Hexachord
4 Bde, Homberg 1921-25; T. Sokolskaja, Alte deutsche
Volkslieder in d. oberhessischen Sprachinsel Belowjisch
(Nord-Ukraine), Hessische Blatter f. Volkskunde XXIX,
1930; K. Steinhauser, Die Musik an d. H.-Darmstadti-
schen Lateinschulen im 16. u. 17. Jh., Diss. GieBen 1936;
K. Schmidt, Aus vergangenen Zeiten. Gesammelte Auf-
satze zur Musik- u. Kulturgesch. d. ehemaligen Reichs-
stadt Friedberg in d. Wetterau, I Friedberg 21935, II 1934;
K. Dreimuller, Die Musik d. Alsfelder Passionsspiels,
3 Bde, Diss. Wien 1935, maschr.; H. v. D. Au, Das Volks-
tanzgut im Rheinfrankischen, = GieBener Beitr. zur deut-
schen Philologie LXX, GieBen 1939; E. Imbescheid, Die
Melodien d. Volkslieder in Oberh., Diss. GieBen 1941,
maschr. ; E. Gutbier, Zur Gesch. d. Kirchenmusik in Fran-
kenberg bis zum Ausgangd. 18. Jh., = Beitr. zur Gesch. d.
ev. Kirchenmusik in Kurh.-Waldeck I, Kassel 1952; D.
Grossmann, Zu einer Gesch. d. Orgelbaues in H., Zs. d.
Ver. f. hessische Gesch. u. Landeskunde LXVIII, 1957;
H. J. Moser, Zur Musikbegabung d. Alth., ebenda; D.
Rouvel, Zur Gesch. d. Musik am Fiirstlich Waldeckschen
Hofe zu Arolsen, = Kolner Beitr. zur Musikforschung
XXII, Regensburg 1962.
Heterolepsis (griech., Ergreifen eines anderen Ge-
genstandes), in der Kompositionslehre des 17. und 18.
Jh. eine musikalische Figur. Chr.Bernhard beschreibt
sie als unregelmaBige Dissonanzbildung oder -auflo-
sung durch Springen zu einem Ton, der nach den Re-
geln des strengen Satzes nur in einer anderen Stimme
erscheinen kann. J. G. Walther (1708) spricht allgemei-
ner von einer H., wenn eine Stimme aus einer andern bis-
weilen einen Clavem hinweg nimmet, und den ihrigen un-
terdafi jener beraubten Stimme zukommen \afiet, und ftigt
hinzu, daB diese Figur sich einer grofien Freyheit anmaset.
Im folgenden Beispiel (Schiitz, Symphoniae Sacrae II,
Nr 3, Herr unser Herrscher; GA VII, S. 19) ergreift die
Singstimme bei * das im Sekundschritt erreichte c 2 der
Violine II, das seinerseits wieder'heteroleptisch weiter-
gef iihrt wird : r J H i— a i
Violinum I, II
Cantus vel Tenor
Bassus pro organo
was ist des Men-schen Kind,
tt
Heterophonie (griech. e-rspoipcovia, von sTepo?,
anders, verschieden, und ycowj, Stimme) wurde als
Terminus von C.Stumpf (1901) - unter Berufung auf
eine Stelle bei Platon (»Gesetze« 812d-e) - in die Ver-
gleichende Musikwissenschaft eingef iihrt und spater in
verschiedenem, mitunter wenig pragnantem Sinne
verwendet. Primar versteht man unter H. ein von
strengem Unisono und von rationaler Mehrstimmig-
keit verschiedenes Prinzip des Zusammenspielens und
-singens, das auBerhalb Europas in Hoch- und Primi-
tivkulturen weit verbreitet und vereinzelt auch in eu-
ropaischen Randgebieten (z. B. Balkan, RuBland) an-
zutreffen ist. Es lafit sich etwa dahingehend charakteri-
sieren, daB eine »in den Grundziigen identische Ton-
bewegung« (Stumpf) gleichzeitig in verschiedenen
Abwandlungen realisiert wird: die Ausfiihrenden fol-
gen im groBen derselben Bewegungsrichtung, wei-
chen im einzelnen aber spontan immer wieder von ihr
ab. Die hier gemeinte H. wird auf die unterschiedlich-
ste Weise praktiziert: in einigen, vorwiegend linear-
melodisch orientierten Musikkulturen erscheint sie
mehr als Umspielung eines melodischen Kerns, in an-
deren, vorwiegend vertikal-klanglich orientierten
Musikkulturen erweckt sie mehr den Eindruck einer
Umspielung von an sich starren Klangen. Daneben
gibt es Zwischenstufen und Ubergangserscheinungen,
die unter systematischen Gesichtspunkten schwerer zu
fassen sind. Typische Arten der H. sind: 1) Zur vor-
getragenen Melodie gesellt sich eine (oft instrumental
ausgefiihrte) umspielende Begleitung, die vielerlei zu-
fallige Zusammenklange entstehen laBt. Verbreitet ist
diese Art zumal im Orient und in Nordafrika (->• Ara-
bisch-iskmische Musik). 2) Gleichberechtigte Versio-
nen (Varianten) einer Melodie erklingen gleichzeitig,
wobei sich an den abweichenden Stellen Zusammen-
klange ergeben, die aus meist kleineren Intervallen be-
stehen. Fur diese Art ist die Bezeichnung Varianten-
H. gebrauchlich (zur Varianten-H. im weiteren Sinne
wird gelegentlich auch die zuerst genannte Art gerech-
net). Sie ist im Orient und bei vielen Naturvolkern zu
finden (Ceylon, Indonesien, Ozeanien, Afrika und
sonst). Ein Sonderfall liegt vor, wenn die Abweichun-
gen vom Unisono unbewuBt entstehen (was allerdings
nicht leicht zu beurteilen ist) ; hierf iir wurde die Be-
zeichnung »negative H.« vorgeschlagen (C.Sachs).
3) Eine besonders kompliziert erscheinende Art, die
in Hinterindien und Indonesien gepflegt wird, beruht
auf dem Zusammenwirken zahlreicher Instrumente
(->• Gamelan). Jedes von ihnen wird auf eine andere,
seiner Eigenheit gemaBe Art gespielt. Die durch die
Vielzahl der Instrumente und der Mitwirkenden be-
dingte Buntheit im Zusammenspiel war es in erster
Linie, die C. Stumpf an die erwahnte Platon-Stelle er-
innerte. - H. hat ferner die abgeleitete Bedeutung ei-
ner gleichsam nach Art der eigentlichen H. eingerichte-
ten Technik oder Manier im Zusammenspiel. In dieser
iibertragenen Bedeutung wird der H.-Begriff manch-
mal auch auf Erscheinungen der abendlandischen Mu-
sik angewendet (z. B. wenn zwei Stimmen im Prinzip
die gleiche Bewegung zusammen ausfiihren, wobei
jedoch die eine zusatzlich diminuiert oder ausgeziert
wird). - Entgegen einer haufig anzutreffenden Mei-
nung hat sich das Wort trspcxptovia. in der Antike an-
scheinend noch nicht zu einem musikalischen Termi-
nus verfestigt. Platon spricht an der genannten Stelle
von iregogxavia rfji; Mgag, einer (von der Sing-
stimme) »abweichenden Tonf uhrung der Lyra«. Diese
Musizierweise lehnt er fiir die Erziehung der Jugend
in seinem Idealstaat ab. Wie sie konkret ausgefuhrt
wurde, ist aus seiner polemischen Beschreibung schwer
zu erkennen. Das Wort Jfepotpoma hat er wohl ad hoc
gebildet; es ist im Griechischen nur noch bei Theo-
phrast in ganz anderem Sinn belegt.
Lit.: C. Stumpf, Tonsystem u. Musik d. Siamesen, in:
Beitr. zur Akustik u. Mw. Ill, Lpz. 1901, auch in: Sam-
melbde f. Vergleichende Mw. I, Munchen 1922; G. Adler,
Uber H., JbP XV, 1908; M. Schneider, Gesch. d. Mehr-
stimmigkeit I, Bin 1934, Rom 2 1964; J. Handschin, Mg.
im tiberblick, Luzern (1948), 2 1964; H. Gorgemanns u.
A.-J. Neubecker, »H.« bei Platon, AfMw XXIII, 1966.
FZa
Hexachord (lat. hexachordum, von griech. &,, sechs,
und x°pSt), Saite; Analogiebildung zu tetrachordum),
eine Reihe von 6 in gleicher Richtung stufenweise auf-
einanderf olgenden Tonen, in der mittelalterlichen Mu-
siktheorie speziell der Tonraum aus 2 x 2 Ganztonschrit-
ten mit in der Mitte liegendem Halbtonschritt. Mit
diesem Tonraum, der wohl aus den Gegebenheiten des
mehrstimmigen Musizierens erwuchs und erstmalig
von ->■ Guido von Arezzo beschrieben wurde, konnte
der gesamte damals verwendete Tonbereich syste-
matisch erfaBt werden, indem man um die Halbtone
e-f, a-b und h-c jeweils ein derartiges H. gruppierte.
Die in bezug auf den die Mitte bildenden Halbton-
schritt qualitativ gleichen Stufen der verschiedenen H.e
wurden unabhangig von ihrer Tonhohe mit gleichen
24»
371
Hifthorn
Tonsilben (voces, syllabae) bezeichnet (ut re mi - fa
sol la; -»• Solmisation). Entsprechend den drei genann-
ten Halbtonschritten unterschied man ein Hexachor-
dum naturale (c-a), molle (£-d) und durum (g-e),
letztere benannt nach dem darin verwendeten bmolle
(= b) bzw. bdurum (= h). Da seit dem spaten Mittel-
alter, wohl nicht ohne EinfluB der zunehmenden Mit-
wirkung von in ihrer Stimmung mehr oder weniger
unveranderlichen Instrumenten, die Stufen des Tonsy-
stems immer mehr mit absoluten Tonhohen gleichge-
setzt wurden, war es erforderlich, alle Tonarten durch
entsprechende Transpositionen unter Einfuhrung wei-
terer, nicht im guidonischen System vorhandener
Halbtonschritte (mit Hilfe der -* Akzidentien; -> Mu-
sics ficta) von alien Stufen aus bilden zu konnen. Dies
hat dazu gefiihrt, daB die H.e, die streng diatonisch,
dafiir aber nicht unbedingt an eine absolute Tonhohe
gebunden waren, allmahlich durch andere Erfassungs-
moglichkeiten des in der Praxis verwendeten Ton-
raumes abgelost wurden (-»■ Dur, ->• Moll).
Hifthorn (von hief, hift, Jagdsignal; umgedeutet zu
Hiif thorn), mittelalterliches Signalhorn, das auf dem
Riicken oder an einem Giirtel um die Hiifte getragen
wurde. Es war eine metallene Nachbildung des ge-
schwungenen Stier- oder Kuhhorns. Die am H. des 14.
Jh. erkennbare Biegung der Rohre f iihrte zum gewun-
denen Jagerhorn.
Lit. : E. Buhle, Die mus. Instr. in d. Miniaturen d. friihen
MA I, Die Blasinstr., Lpz. 1903.
High Fidelity (hai faid'eliti, engl.; Abk.: Hi Fi [hai
fai]) ist der mit der Ausbreitung der Langspielplatte zu-
nachst in den USA, spater auch in Europa eingefiihrte
Begriff f iir ein Optimum originalgetreuer elektrischer
Musikwiedergabe. H. F.-Qualitat wird heute durch-
weg stereophonischen Wiedergabegeraten (-*■ Stereo-
phonic) zuerkannt, sofern deren technische Eigen-
schaften bestimmten hochgesetzten Normen (Din
45500) hinsichtlich des Ubertragungsbereiches, des
Klirrfaktors (->-Verzerrung), der Dynamik usw. ge-
niigen. Musikalisch gesehen betriff t die technische Uber-
tragungsqualitat den Horeindruck nicht zentral, da sie
lediglich jene Bereiche beriihrt, die etwa durch die Po-
laritaten hell-dunkel, hart-weich, kuhl-warm, voll-leer
charakterisiert sind. Kriterien hoherer Strukturebene
werden wenig oder gar nicht beeinfluBt, wie z. B. auch
der Sinngehalt der gesprochenen Rede sich etwa durch
die Mangel einer Telephoniibertragung nicht andert.
Lit.: H. Brauns, Stereotechnik, Stuttgart 1963; O. Stur-
zinger, Hi-Fi-Technik, ebenda 1963; Deutsches H. F.
Jb., Karlsruhe 1963/64; E. P. Pils, Rundfunk-Stereopho-
nie, Stuttgart 1964; H. P. Reinecke, Der Eindrucksspiel-
raum v. erklingender Musik, in : Mitt. d. Deutschen Musik-
phonothek I, Bin 1965; Einfuhrung in d. H.-F. u. Stereo-
phonie, hrsg. v. dhfi Deutsches H.-F. Inst. e. V., Dussel-
dorf 1965. - Zs. HiFi Stereophonie, Karlsruhe seit 1962.
Hi-hat (h'ai-haet, engl., von high hat, hoherHut),be-
steht aus 2 auf einem Stander horizontal angebrachten
Becken, von denen das obere, bewegliche Becken
durch Treten eines Pedals gegen das untere, festliegen-
de geschlagen wird. Das Hi-hat, falschlich auch Char-
leston-Maschine genannt (diese ist nur etwa halb so
hoch wie das Hi-hat), gehort zur Rhythm section des
Jazzorchesters.
Hinterindien.
Lit. : C. Sachs, Die Musikinstr. Birmas u. Assams im K.
Ethnographischen Museum zu Miinchen, = Sb. Munchen
1917, II; L. Strickland- Anderson, Music in Malaya,
MQ XI, 1 925 ; M. Kolinski, Die Musik d. Primitivstamme
auf Malakka u. ihre Beziehungen zur samoanischen Musik,
Anthropos XXV, 1930; K. Reinhard, Die Musik Birmas,
= Schriftenreihe d. mw. Seminars d. Univ. Munchen V,
Wurzburg 1939; Phra Chen Duriyanga, Thai Music.
= Thailand Culture Series VIII, Bangkok 1948, 41956; R,
Devigne, L'Indochine folklorique: Chants et musique du
Laos, du Cambodge et de l'Annam, Orphee I, 1953;
NGUYEN-DiNHLAi,Etudesurlamusiquesino-vietnamienne
et les chants populaires du Viet-Nam, Bull, de la Soc. des
etudes indochinoises, N. F. XXXI, 1956; H. Nevermann,
Die Stimme d. Wasserbuffels. Malaiische Volkslieder, Kas-
sel 1956; A. Danielou, La musique du Cambodge et du
Laos, = Publications de PInst. frc. d'indologie IX, Pondi-
chery 1957, Paris 21959; L. Picken, The Music of Far-
Eastern Asia, in: The New Oxford Hist, of Music I, Lon-
don 1957; Dh. Yupho, Thai Mus. Instr., (Bangkok 1960);
Tran Van Khe, La musique vietnamienne traditionnelle,
= Annales du Musee Guimet LXVI, Paris 1962.
Hintersatz (auch Nachsatz oder Lokatz, verderbt von
lat. locatio, Stellung; spater auch Blockwerk genannt)
hieB in der spatgotischen Orgel dasjenige Pfeifen-
werk, das hinter der Hauptstimme (lat. vox principalis,
daher -*■ Prinzipal) auf der Windlade stand. Der H. ist
eine ungeteilte und nicht repetierende GroBmixtur mit
bis zu 10, 22 und mehr Choren. Originale H.-Laden
finden sich vor allem noch auf der schwedischen Insel
Gotland. Der 7chorige H. der Nikolai-Orgel in Utrecht
von 1479 bestand aus 16', 8', 51/3', 4', 22/3', 2', li/ 3 '
mit ansteigender Chorzahl (auf F 8, auf a 2 17 Pfeifen).
Nachdem A.Schlick (1511) den H. abgelehnt hatte,
kam er allmahlich auBer Gebrauch und wurde in Or-
gelregister aufgeteilt.
Histpria (lat., Historie, Geschichte), im spaten Mittel-
alter eine Bezeichnung fiir die Antiphonen und Re-
sponsorien des Offiziums eines Tages, wohl deshalb so
genannt, weil sie urspriinglich der jeweiligen Heiligen-
vita entnommen waren. Die deutschen Reformatoren
verwendeten H. im Sinne von Heilsgeschichte haufig
anstelle von Evangehum ; seitdem begegnet H. bis hin
zu Schiitz verschiedentlich in den Titeln der nun meist
deutschsprachigen Passionskompositionen (H. des Lei-
dens . . .). Gegen Mitte des 16. Jh. bildete sich in den
protestantischen Kirchen Sachsens und Thiiringens
der Brauch heraus, auch die Evangelien hoher Festtage,
besonders von Ostern und Weihnachten, nach dem
Vorbild der responsorialen -*■ Passion mit verteilten
Rollen und Choreinschiiben musikahsch aufzufiihren.
Diese H. genannten Kompositionen wurden ursprung-
hch in den Haupt-, spater in den Gebetsgottesdiensten
(Vesper, Mette) gesungen. DemgemaB beriicksichtigt
der Text der H., abgesehen von Einleitungs- und
SchluBchor, normalerweise nur die Worte des jeweili-
gen Festevangeliums. FUr die liturgische Verwendung
der H. spricht auch der zumindest fiir die friihe H. ei-
gentiimliche Rezitationston : wie in den Passionen
wurde den verschiedenen Rollen je nach Stimmlage
und Ausdrucksgehalt eine eigene Tuba zugewiesen,
beim Osterton: Evangelist a, Christus d oder f, vox
personarum d 1 oder f 1 , Maria Magdalena e 1 . Zuneh-
mende Ausdruckssteigerung fiihrte jedoch von der ur-
spriinglich psalmodischen Rezitation mehr und mehr
zum dramatischen, oft generalbaBbegleiteten Rezi-
tativ und lieB die H. in die aus Italien stammende Tra-
dition des Oratoriums iibergehen. - Unter den Hi-
storien wurde die Vertonung der Auferstehungsge-
schichte bevorzugt. Schon der erste Beleg, die anony-
me Oster-H. aus Sachsen (um 1550) nach dem Text
der Evangelienharmonie J. Bugenhagens (1526), ver-
wendet den Osterton, dessen Herkunft noch nicht ge-
klart ist. Bedeutung erlangte Scandellos Auferstehungs-
H.(1568),dieu.a.furN.Rosthius(1598),A.Finold(1611)
und B.Faber (1621) zum Vorbild wurde. Eines ihrer
Hauptmerkmale ist die aus Italien stammende Synthese
von durchkomponierter und responsorialer Verto-
nung, bei der die Worte des Evangelisten einstimmig,
372
Horfeld
die der Soliloquenten zwei- oder dreistimmig, die Chri-
stusworte vierstimmig, die Turbae und Rahmenchbre
fiinfstimmig gesetzt sind. Auch die Auferstehungs-
H. von Schiitz (1623) ubernimmt Textvorlage, Oster-
ton und die gemischte Schreibweise von Scandello.
Schiitz schreibt £iir seine Komposition durchweg Ge-
neralbaB vor ; die teilweise schon rezitativisch auskom-
ponierten Evangelistenworte werden von einem Gam-
benquartett begleitet. Zu den 2st. Christuspartien und
Worten der Maria Magdalena bemerkt Schiitz, daB
beyde Stimmen, oder nur eine gesungen, die andre Instru-
mentaliter gemacht, oder auch wol, si placet, gar ausgelassen
werden konne. Die Auferstehungs-H. von Selle nahert
sich stilistisch bereits dem Oratorium; dasselbe gilt
wahrscheinlich auch fiir die vier verschollenen Histo-
rien von J.-Ph. Krieger. - Die Geschichte der Weih-
nachts-H. beginnt mit der Empf angnis- und der Weih-
nachts-H. von R.Michael (1602), die stilistisch der H.
von Scandello nachgebildet sind. Nach der anonymen H.
Nativitatis Christi (Breslau 1638) folgt als bedeutendstes
Werk dieser Art die Weihnachts-H. von Schiitz (1664).
Die Worte des Evangelisten sind hier als dramatische
Rezitative komponiert, konnen aber der Vorrede zu-
folge auch ohne GeneralbaB choraliter aufgefiihrt wer-
den. Neben den beiden Rahmenchoren stehen als be-
sonders wichtige Teile die acht als Intermedien be-
zeichneten solistischen oder chorischen Vertonungen
der Reden, die jeweils von einer charakteristischen
Instrumentengruppe begleitet werden. Neben T.
Zeutschner (1649) schrieb auch J. Ph. Krieger 5 Weih-
nachtshistorien, die jedoch verschollen sind. - Von
Historien iiber andere Evangelien sind u. a. bekannt:
P. Schede, H. de navicula vehente Christum (1565); E.
Gerlach, H. von dem christlichen Lauffund seeligen Ende
Johannis des Teuffers (1612); S.Kniipfer, H. de Missione
Spiritus. H. nennt Carissimi einen Teil seiner Oratorien
iiber Stoffe aus dem Alten Testament (Job, Ezechia,
Baltazar, Abraham und Isaak). Gleichfalls alttestamen-
tarische Szenen behandelt Kuhnau in seinen Klavier-
sonaten Musicalische Vorstellung Einiger Biblischer Histo-
rien (1700). - In der neueren evangelischen Kirchen-
musik entstanden eine Reihe von Kompositionen nach
dem Vorbild der Historien (Distler, H.Degen, Reda),
wobei die Bezeichnung H. jedoch durchweg von dem
deutschen Wort Geschichte abgelost wird.
Ausg. : Hdb. d. deutschen ev. Kirchenmusik I, 3-4, hrsg. v.
K. Ameln, Chr. Mahrenholz u. W. Thomas, Gottingen
1937-39; R. Michael, Die Geburt unseres Herrn Jesu
Christi nach d. Evangelisten Lukas u. Matthaus (1602),
hrsg. v. H. Osthoff, Kassel 1937; H. Schutz, H. d. Geburt
Jesu Christi, hrsg. v. F. Schoneich, Kassel 1955; ders., H.
d. Auferstehung Jesu Christi, hrsg. v. W. S. Huber, Kassel
1956.
Lit.: O. Kade, Die altere Passionskomposition bis zum
Jahre 1631, Giitersloh 1893; A. Scherino, Gesch. d. Ora-
toriums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III, Lpz.
1911, Nachdruck Hildesheim 1966; P. Wagner, Ursprung
u. Entwicklung d. liturgischen Gesangsformen bis zum
Ausgang d. MA, = Einfuhrung in d. Gregorianischen Me-
lodien I, Lpz. 3 191 1, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; H. J. Moser, Diemehrst. Vertonungd. Evangeliumsl,
= Veroff. d. Staatl. Akad. f . Kirchen- u. Schulmusik Bin II,
Lpz. 193 1 ; ders., H. Schutz, Kassel 21954; H. Osthoff, Die
Historien R.Michaels, Fs. A.Schering, Bin 1937;W.Mat-
thaus, Die Evangelienhistorie v. J. Walter bis H. Schutz
..., Diss. Ffm. 1943, maschr. ; K. Ameln, Die Anfange d.
deutschen Passionshistorie, Kgr.-Ber. Basel 1 949. NJ
Hit (engl.) -*■ Schlager.
Hochdruckregister in der Orgel werden Lingual-
und Labialregister genannt, die mit erhohtem Wind-
druck (bis 300 mm und mehr) angeblasen werden. Die
ersten H. wurden von der Firma Weigle 1893 fiir die
Orgel der Liederhalle in Stuttgart mit sehr breitem
Labium - bis zu J /2 des Umfanges - und Bogenober-
labium gebaut. Die 1901 patentierten Seraphonstim-
men stellen eine andere Form der H. dar; ihre Pfeifen
weisen zwei flache Labien auf , die im stumpfen Winkel
aufeinanderstoCen.
Hochschule fiir Musik ->■ Konservatorium.
Holzern Gelachter, HiilzernGlachter-> Stroh-
fidel.
Horen ist als musikalisches H. ein aktives Auffassen von
Tonfolgen und Zusammenklangen, ein logisches Verkniipfen
von Tonvorstellungen (H.Riemann). Als »logische Akti-
vitat« des H.s, die der »musikalischen Logik« desWerks
korrespondiert und die als -*■ Begabung gleichwohl
der Ausbildung bedarf, kennzeichnet Riemann die auf
Gedachtnis- und Phantasiekraft beruhende Fahigkeit,
beim H. von Musik das in zeitlichem Ablauf akustisch
Geschehende zu umgrenzen, zu gliedern, zu verglei-
chen und »synthetisch« zueinander in Beziehung zu
setzen. Wahrend das H. als psychologisches Phanomen
Gegenstand der an naturwissenschaftlichen Methoden
orientierten ->■ Hbrpsychologie und -*■ Musikpsycho-
logie, in seiner gesellschaftlichen Bedingtheit Gegen-
stand der -»• Soziologie ist, erscheint es als Instanz des
Verstehens von Sinnzusammenhangen zugleich bedingt
durch die -*■ Geschichte der Musik und durch das fiir
die -»■ Komposition jeweils geltende System der mu-
sikalischen Werte. Gleichwohl ist im historisch Jewei-
ligen ein Immerwahrendes, Kategoriales wirksam, das
das (begrenzt unmittelbare) Erfassen auch der ge-
schichtlichen (»vergangenen«) Musik ermoglicht und
die geschichtliche Fragestellung in fruchtbare Span-
nung setzt zur Wissenschaft und Lehre musikalischer
Prinzipien und Kategorien. Bei der Musik erscheint das
Ohr eingeschaltet zwischen zwei Welten: die naturhafte
Welt der ... Schallwellen und Luftschwingungen einer-
seits und die menschlich-geistig-geschichtliche Welt der uns
ansprechenden musikalischen Sinngestalten, Sinnbedeutun-
gen und Bedeutungszusammenhange andererseits (Gurlitt,
S. 9). Die Frage nach dem Abhangigkeitsverhaltnis
beider je eigengesetzlichen Schichten des H.s ist eine der
Grundfragen der Musikwissenschaft, wahrend die Re-
lation zwischen kompositorischem Erfinden (Ausden-
ken) und musikalischem H. (Verstehen) durch die
Neue Musik der Gegenwart als Frage neu gestellt
wurde.
Lit. : H. Riemann, Mus. Logik, Lpz. 1 873, Diss. Gottingen
1874 ais: Ueber d. mus. H.; ders., Ideen zu einer Lehre v.
d. Tonvorstellungen, JbP XXI, 1914 - XXII, 1915; ders.,
Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP
XXIII, 1916; H. Mersmann, Versuch einer Phanomenolo-
gie d. Musik, Zf Mw V, 1922/23 ; ders., Musikh., Potsdam
u. Bin 1938, erweitert Ffm. 21952; K. Huber, Der Aus-
druck mus. Elementarmotive, eine psychologische Unter-
suchung, Lpz. 1923 ; Fr. Reuter, Das mus. H. auf psycho-
logischer Grundlage, Lpz. 1925, Lindau 2 1942; H. Besse-
ler, Grundfragen d. mus. H., JbP XXXII, 1925; ders.,
Das mus. H. d. Neuzeit, Sb. Lpz. CIV, 6, 1959; J. Hand-
schin, Der Toncharakter, Zurich (1948); W. Gurlitt, H.
Riemann, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. gei-
stes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1950, Nr 25; H. H. Egqe-
brecht, Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 1961 ; Z.Lis-
sa, Zur hist. Veranderlichkeit d. mus. Apperzeption, Fs. H.
Besseler, Lpz. 1961; R. Stephan, Horprobleme serieller
Musik, in : Der Wandel d. mus. H., = Veroff. d. Inst, f .
Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt III, Bin 1962.
Horfeld (Horflache) bezeichnet den durch Hor- und
Schmerzschwellenkurve (-»• Horschwelle) begrenzten
Bereich des horbaren Schalles, der sich graphisch in
einem Intensitats-Frequenz-Koordinatensystem (nach
R. Feldtkeller undE. Zwicker) darstellen lafit (siehe um-
seitige Abbildung).
373
Horpsychologie
Im H. lassen sich verschiedene Bereiche erkennen, die
den musikalischen bzw. den Sprachschall umfassen
(etwa 1/4 bzw. Vio des H.es). Ein gesundes Ohr kann
bei mittlerer Lautstirke im unmittelbaren Vergleich
etwa 1500 verschiedene Tonhohenstufen und bei mitt-
lerer Tonhohe etwa 325 verschiedene Lautstarkestufen
unterscheiden. Das ergibt insgesamt etwa 340000 im
direkten Vergleich unterscheidbare Horelemente (Va-
lenzen).
Horpsychologie oder Gehorpsychologie (Wellek),
friiher als Tonpsychologie (Stumpf) bezeichnet, auch
s. v. w. Psychologische Akustik, handelt von den Ge-
horerscheinungen, einschliefilich der musikalischen,
und den zugrunde liegenden Gehoranlagen oder -f ahig-
keiten unter dem Aspekt und der Methodik der Psy-
chologic Als Zweig der Sinnes- oder Wahrnehmungs-
psychologie einerseits, der Begabungspsychologie an-
dererseits geht die H. (G.) von dem Gehor als einem
Sinnes- oder Rezeptionsorgan und seinen Erlebnissen
als einem Sinnesbereich (-modus) aus, zunachst ohne
auf die musikalischen Erscheinungen besonders abzu-
zielen, schreitet aber auch zu diesen fort, soweit die
Horfunktionen grundsatzlich betroffen sind, d. h. so-
weit elementare Phanomene und Vorgange in Frage
stehen wie der Einzelklang, Zwei- und Mehrklang,
Ton- und Akkordschritt. Dagegen wird die Entfal-
tung in der Zeit in mehrgliedrigen Aufeinanderfolgen,
somit der Rhythmus und die Musik im eigentlichen
Sinn, nicht von der H. (G.), sondern von der -> Mu-
sikpsychologie behandelt; die Aufgabe der H. (G.)
wird an diese weitergegeben, sobald Musik und Rhyth-
mus als kulturelle Strukturen zum Gegenstand werden.
In diesem Sinne ist zuerst von Kurth (1931), hiernach
von Wellek (1934 und sparer) grundsatzlich unter-
schieden worden. - Zunachst waren es die auf der Re-
duktionshypothese aufbauende Psychophysik (hier:
Psychoakustik) in der Nachfolge Fechners und die
Elementenpsychologie des 19. Jh., welche die horpsy-
chologische Forschung bestimmten. Bahnbrechend
wirkte v. Helmholtz mit dem Buche Die Lehre von den
Tonempfindungen als physiologische Grundlage fur die
Tlieorie der Musik (1863), worin er mit einer Resonanz-
theorie des Horens die moderne physiologische -> Hor-
theorie begriindete und damit den »elementaren« psy-
chischen Inhalt der Empfindung auf die Sinusschwin-
gung als einfachsten physikalisch-akustischen Vorgang
zuriickfuhrte. Die Tonhohe ist hiernach das psychi-
sche Aquivalent oder Korrelat der Frequenz, die erleb-
tc Lautheit entspricht dem physikalischen Schalldruck,
die Klangfarbe der spektralen Zusammensetzung des
Schalls (der Kurvenform). Auch komplexe Phanome-
ne wurden in gleicher Weise den physikalischen Tat-
bestanden unmittelbar zu- und untergeordnet, so
-*■ Konsonanz und Dissonanz (- 2) als Erfolg der Inter-
ferenzen (Rauhigkeiten) und des Zusammenfalls von
Obertonen (Partialschwingungen) bei zwei und mehr
gleichzeitigen Klangen. Eine starker an den Erscheinun-
gen als solchen interessierte Wendung, mit einschnei-
dender Kritik an den Ansatzen H. v. Helmholtz', wurde
der nach ihm so genannten Tonpsychologie (1883 und
1890) von Stumpf gegeben, der z. B. fiir die Konso-
nanztheorie von dem Phanomen der Verschmelzung
ausging und diesem nur sekundar im Physiologischen
»spezifische Synergien« rein hypothetisch zuordnete.
Ihm folgte G.Revesz (ab 1912) mit grundlegenden
Verbesserungen in der Theorie der Tonhohe. 1890
durch Chr.v.Ehrenfels und vor allem ab 1900 durch
F.Krueger wurde ein spater als »Krise der Psycholo-
gie« (K.Buhler) interpretierter grundsatzlicher Um-
schwung in der psychologischen Theorienbildung ein-
geleitet, der als Wendung von der Elementen- zur
Ganzheits- und Gestaltpsychologie bezeichnet wird.
Schon v.Ehrenfels selbst wies (1890) gerade am Bei-
spiel der Melodie, der Harmonie und des musikalischen
Satzes nach, daB diese nicht auf Elemente zurtickfuhr-
bare, sondern »iibersummenhafte« und »transponier-
bare« Gebilde darstellen, die er Gestaltqualitaten nann-
te. Krueger entwickelte ahnliche Ansatze (ab 1900) in
seinen Untersuchungen zur Konsonanz; er fiihrte die
Konsonanz auf farbenartige Qualitaten hinaus, die den
Zusammenklangen eigentiimlich sind und die er den
Gestaltqualitaten als (gleichfalls iibersummenhafte)
»Komplex-« oder »Ganzqualitaten« beiordnete. Die von
Chr.v.Ehrenfels ausgehende Schule der Berliner »Ge-
stalttheorie« wandte sich in zweien ihrer Begrunder und
fiihrenden Kopfe, E. v.Hornbostel und W.Kohler, der
Tonpsychologie, besonders als Phanomenologie zu;
der erstgenannte gab 1926 eine erste, bis heute muster-
giiltige Darstellung der Psychologie der Gehorserschei-
nungen bis hin zum Tonschritt und Mehrklang. Schon
friiher und parallel hierzu hatte Krueger in Leipzig die
Schule der Genetischen Ganzheitspsychologie begriin-
det, in welcher Wellek, bei ihm und auch bei v.Horn-
bostel ankniipfend, die Psychologie der Gehbrerschei-
nungen auf die sukzessiven Mehrheiten (Satzformen)
als die »musikalischen Erscheinungen« ausdehnte und
von da aus zur -*- Musikpsychologie iiberleitete, zu-
gleich auch die Theorie der Gehoranlagen, zumal des
-*■ Absoluten Gehors und-*- Relativen Gehors, entwik-
kelte. Mit der Ganzheits- und Gestaltpsychologie wird
auch der Reduktionismus im Sinne des Abhangigkeits-
satzes (der »Konstanzannahme«) der alteren Psychophy-
sik hinfallig, d. h. die Voraussetzung eindeutiger Be-
ziehungen zwischen (physikalischem) Reiz und (psychi-
schem) Reizerfolg. Zugleich wird die Annahme einer
»reinen«, »einfachen« Empfindung,. aus der sich die
komplexe Wahrnehmung aufbauen soil, fallen gelassen
und der originare Charakter der Qualitaten-(Farben-)
und Gestaltwahrnehmung auf alien Sinnesbereichen er-
kannt. Damit entfallt die Festlegung des Begriffs der
-> Tonhohe auf eine einzige, angeblich allein originare
Qualitat; die von Revesz so genannte »musikalische
Qualitat« - nach v.Hornbostel Tonigkeit genannt -
wird als selbstandige (nach Wellek »zyklische«) Wahr-
nehmungs-»Dimension« neben dieser eingefuhrt und
die Mehrseitigkeit der Tonhohe anerkannt. Von da-
her wird eine qualitative Aufgliederung auch der
Klangfarbe und der Tonzwei- und -mehrheiten mog-
lich, die v. Hornbostel begonnen, Wellek durchgef uhrt
hat. Die Probleme physikalischer und physiologischer
Korrelate verlieren damit innerhalb der H. (G.) an
Gewicht und werden der Psychoakustik als einer phy-
sikalisch-physiologischen Disziplin uberwiesen, wo
sie neuestens u. a. durch Heranziehung der Informa-
374
Horspielmusik
tionstheorie und Kybernetik und ihrer hochst frucht-
baren Modellvorstellungen neuen theoretischen Mog-
Hchkeiten zugefiihrt wurden. Andererseits gewinnen
mathematisierte Methoden an Bedeutung: innerhalb
der Phanomenologie in der Erarbeitung von »Phano-
menskalen«, wie der Phon- und Soneskala fur Laut-
starken (St. Sm. Stevens) und der Melskala fiir Ton-
hohen; in der Analyse der Gehoranlagen (-strukturen)
durch die Korrelationsrechnung, mit der besonders
die von Wellek entdeckten Gehor- und Musikalitats-
typen und deren Zusammenhang mit allgemein-psy-
chologischen Typen (ab 1934) gesichert werden konn-
ten; desgleichen fiir Grundfragen der musikalischen
Erbforschung seit Galton. Hochformalisierte Metho-
den und Modelle, wie die genannten, die in England
bei Galton und dessen Schiilern, zumal Ch. Spearman,
dann auch in Deutschland (ab 1906) bei Krueger und
dessen Schiilern ihren Ursprung hatten, wurden zwi-
schen den Weltkriegen und seither in Nordamerika in
groflem Stil weiterentwickelt, ahnlich die auf Fechner
(1860) zuriickgehende Psychophysik und MaBmetho-
dik in derneueren Psychometrik. In deren Anwendung
auf die H. (G.) nimmt der Harvard-Psychologe St. Sm.
Stevens eine fiihrende Stellung ein. Der von der Er-
kenntnistheorie her traditionelle Gegensatz von Sub-
jekt und Objekt, Subjektivitat und Objektivitat wird
solchermafien im Bereiche der psychologischen Pha-
nomenologie entscharft, ja unaktuell, da auch der »ob-
jektive«, d. h. intersubjektiv giiltige Gehalt des Sub-
jektiven mit exakter Methodik aufgewiesen werden
kann, wiihrend die Gehoranlagen eo ipso objektive
Gegebenheiten organismischer (»struktureller«) Art
darstellen und als solche gleichfalls exakt formalisie-
render Methodik, z. B. der Faktorenanalyse, zugang-
lich sind.
Lit.: H. v.Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
..., Braunschweig 1863, 6 1913; C. Stumpf, Tonpsycho-
logie, 2 Bde, Lpz. 1883-90, Nachdruck Hilversum u. Am-
sterdam 1965; Beitr. zur Akustik u. Mw., hrsg. v. dems., 9
H., Lpz. 1898-1924; ders., Die Sprachlaute. . . nebst einem
Anhangiiber Instrumental-Klange, Bin 1926; W. Kohler,
Akustische Untersuchungen, Zs. f. Psychologie LIV, 1909,
LVIII, 1910 u. LXIV, 1913; ders., Tonpsychologie, in:
Hdb. d. Neurologie d. Ohres I, hrsg. v. G. Alexander u. O.
Marburg, Bin u. Wien 1923; G. Revesz, Zur Grundlegung
d. Tonpsychologie, Lpz. 1913; ders., Einfiihrung in d.
Musikpsychologie, Bern 1946; H. J. Watt, The Psycho-
logy of Sound, Cambridge 1917; R. M. Odgen, Hearing,
NY 1924; E. M. v. Hornbostel, Psychologie d. Gehors-
erscheinungen, in: Hdb. d. normalen u. pathologischen
Physiologie XI, hrsg. v. A. Bethe u. a., Bin 1926; E. Schu-
mann, Die Physik d. Klangfarben, Habil.-Schr. Bin 1929;
H. Schole, Tonpsychologie u. Musikasthetik, Gottingen
1930; A. Wellek, Musik, Neue Psychologische Studien
XII, 1, 1934, 21954; ders., Typologie d. Musikbegabung
im deutschen Volke, = Arbeiten zur Entwicklungspsycho-
logieXX, Miinchen 1939; ders., Musikpsychologie u. Mu-
sikasthetik. GrundriB d. systematischen Mw., Ffm. 1963
(mit Bibliogr.); St. Sm. Stevens u. H. Davis, Hearing. Its
Psychology and Physiology, NY (1938, 51960); St. Sm.
Stevens, J. G; C. Loring u. D. Cohen, Bibliogr. on Hear-
ing, Cambridge (Mass.) 1955 (ttber 10000 Titel); G. Al-
bersheim, Zur Psychologie d. Ton- u. Klangeigenschaften,
= Slg mw. Abh. XXVI, Lpz., StraBburg u. Zurich 1939 ; J.
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ; E. B. New-
man, Hearing, in: Foundations of Psychology, hrsg. v.
E. G. Boring, H. S. Langfeld u. H. P. Weld, NY 1948; H.
Husmann, Vom Wesen d. Konsonanz, = Mus. Gegen-
wartsfragen III, Heidelberg 1953; W. Meyer-Eppler,
Grundlagen u. Anwendungen d. Informationstheorie, Bin,
Gottingen u. Heidelberg 1959; G. v. Bekesy, Experiments
in Hearing, NY u. London 1960; H.-P. Reinecke, Experi-
mentelle Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens, = Schrif-
tenreihe d. mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964; W. Wio-
ra, A. Welleks »Grundrifl d. Systematischen Mw.« . . . ,
Mf XIX, 1966. AW
Horsamkeit ist ein subjektiver und sehr komplexer
Begriff aus der -»■ Raumakustik, der sich nicht exakt
festlegen lafit. Man fafit darunter all das zusammen,
was in der Umgangssprache unter der »Akustik« eines
Raumes verstanden wird. H. laBt sich durch akustisch
definierte GroBen (z. B. Nachhallkurve, Diffusitat) an-
nahernd beschreiben.
Horschwelle ist die Bezeichnung fiir den intensi-
tatsbedingten, frequenzabhangigen Ubergang vom
Unhorbaren zum Horbaren. Die durch subjektive Ur-
teile ermittelten Schalldruckwerte, durch welche die
H.n bei den verschiedenen Frequenzen markiert sind,
ergeben die »H.n-Kurve«. Die Bezeichnung ist genau-
genommen unzulassig, da es sich nicht um die graphi-
sche Darstellung der H.n selbst handelt, die einer Mes-
sung gar nicht zuganglich sind, sondern um die Dar-
stellung von Mittelwerten der als eben horbar bzw.
eben unhorbar beurteilten Schalldrikke. - Eine ent-
sprechende Kurve, die sogenannte Schmerzschwellen-
kurve, gibt an, bei welchen Werten ein Schall so stark
ist, daB er als schmerzhaft empfunden wird. Beide
Kurven umgrenzen das ->• Horfeld. Die H. liegt fiir
1000 Hz bei etwa 0,0002 jxb, die Schmerzschwelle bei
iiber 200 u.b, das ist mehr als das 10 6 fache. Die H. kann
durch -»• Adaptation und -> Verdeckung verandert
werden.
Lit. : St. Sm. Stevens u. H. Davis, Hearing. Its Psychology
and Physiology, NY (1938, 51960); G. v. Bekesy, Uberein
neues Audiometer, Arch. d. elektrischen Ubertragung I,
1947; O. Fr. Ranke, Physiologie d. Gehors, in: Lehrbuch
d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. Schutz,
Bin, Gottingen u. Heidelberg 1953 ; R. Feldtkeller u. E.
Zwicker, Das Ohr als Nachrichtenempf anger, = Mono-
graphien d. elektrischen Nachrichtentechnik XIX, Stutt-
gart 1956.
Horspielmusik. Im Horspiel wird wie in der -+ Funk-
oper der Rundfunk vom Informations- und Ubertra-
gungsmittel zum kiinstlerischen Instrument. Das Hor-
spiel gewinnt seine endgiiltige Klanggestalt erst im
Lautsprecher ; in der vorangehenden Produktion exi-
stieren nur seine Bruchstiicke Wort, Gerausch und
Ton, deren jedes elektrisch verformt werden kann
(z. B. durch Hall). Die Funkhauser beherbergen eigene
Horspielstudios mit akustisch wirksamer Einrichtung
(Zimmer verschiedener Horsamkeit, halltoter Raum,
Hallraum, Regie- und Mischpult, Tontragerraum fiir
das Zuspielen vorproduzierter Bestandteile) sowie Ge-
rauscharchive. - Die Bezeichnung Horspiel geht auf
Nietzsches Also sprach Zarathustra (IV, Die Begriifiung)
zuriick und wurde von H.v.Heister in die Radiolite-
ratur eingefuhrt (Der deutsche Rundfunk, August 1924).
Wie Dicht- und Tonkunst kann das Horspiel sich nur
in der verrinnenden Zeit darbieten, es formt aber auch
selbst das Gef iihl des Horers fiir den Ablauf, der rasch,
trage, gleichmaBig oder diskontinuierlich zu wirken
vermag. Unter Aufhebung der Zeitkonstante kann
zeitweilig ein Nebeneinander von Vergangenheit, Ge-
genwart und Zukunft beschworen werden. Dramati-
sche, balladeske, oratorische, edukative Mittel sind im
Horspiel angewandt worden; L. Weismantels Toten-
feier (1931) hat Kantatenform, R.Leonhard spricht
1927 (Vorwort zu Wettlauf) vom Horspiel als Sprech-
oper. Feature, Horfolge und -bild sind Mischgattun-
gen, die Mittel der Erzahlung, Chronik und Repor-
tage einbeziehen. Das erste europaische Horspiel schrieb
R.Hughes (A Comedy of Danger, BBC 1924), das
erste deutsche R. Gunold (Gespenstersonate, nach E. T. A.
Hoffmann, Breslau 1924). Zum Wort trcten die aku-
stisch wahrnehmbaren AuBerungen von Mensch,
Tier, Naturerscheinung oder Maschine als Ausdrucks-
und Symbolwerte hirizu. Von der anfangs unbe-
375
Hortheorie
denklichen Uberfiitterung mit naiv-naturalistischen
Lauten gelangte man immer mehr zur sparsamen
Andeutung und UberlieB Klangvorstellungen des H6-
rers der Suggestivkraft des Wortes. Illusionsfordernd
konnen indessen ostinat gebrauchte Zeitsymbole
(Uhrenticken, Wassertropfen) wirken. Manche Auto-
ren fordern musikalische Personen- und Situations-
charakteristika (J. M. Bauer, Der geduldige Liigner mit
dem 4handigen Klavierspiel der alten Liebenden; E.
Ionesco, Der Automobilsalon mit der Zuordnung elek-
tronischer Tierstimmenparodien). Beim Gebrauch
autonomer Musik als Background ist zuweilen noch
Respekt- und Instinktlosigkeit zu beklagen. Demge-
geniiber griindet sich die eigens komponierte H. auf
die Gemeinsamkeit derBedeutung von Metrum, Rhyth-
mus, Klangfarbe und Lautstarke fiir Wort- und Ton-
kunst. Wesentliches Gebot ist aphoristische Pragnanz:
vielfach ist die H. nur nach Sekunden festgelegte klin-
gende Interpunktion. Leitmotivik, unterstiitzt durch
die Logik sparsamer Instrumentation, wird gem ge-
braucht. Die Musik tritt als milieubestimmender Fak-
tor in das Spiel ein, fixiert geschichtliche Handlungs-
orte, erlautert Szenenwechsel, markiert Zasuren, lafit
Gesprachsinhalte nachwirken, intensiviert oder paro-
diert den Text. Von Exotik und Folklore reicht ihre
Skala tiber das Volkstumliche bis zum Expressionisti-
schen und zur Elektronik; die Ausdrucksmittel der
Musique concrete ordnen sich der funkischen Wort-
handlung miihelos zu. Stilbildende H.-Komponisten
sind u. a. H.Badings, G.Bialas, B.Blacher, W.Egk, F.
FaBbind.W. Former, S.Franz, W.Haentjes, A.Honeg-
ger, M. Lothar, G. Petrassi, L. Roselius, H. Sutermeister,
W. Zillig und B. A. Zimmermann.
Lit.: H. Pongs, Das Horspiel, in: Zeichen d. Zeit I, Stutt-
gart 1930; F. Fassbind, Dramaturgie d. Horspiels, Zurich
1943; H. Jedele, Reproduktivitat u. Produktivitat im
Rundfunk, Diss. Mainz 1952, maschr.; G. Eckert, Skizzen
zu einer deutschen Horspielgesch., in : Rufer u. Horer VIII,
1953; W. Haentjes, Ober H„ Melos XX, 1953; G. Mul-
ler, Dramaturgie d. Theaters, d. Horspiels u. d. Films,
Wiirzburg 6 1954; G. Prager, Das Horspiel in sieben Ka-
piteln, in: Akzente I, 1954; E. Koster, Mus. Kulisse im
Horspiel, in: Das Musikleben VIII, 1955; Fr. Sieburg,
Klangkulisse zum Bildschirm, Melos XXII, 1955; G. Bon-
te, Die Frage d. H., NZfM CXVII, 1956; F. Knilli, Das
Horspiel, Stuttgart 1961 ; H. Schwitzke, Das Horspiel,
Koln u. Bin 1963 (mit Verz. d. seit 1945 gedruckten Hor-
spiele). SG
Hortheorie. Die Beschreibung von Aufnahme und
Weiterleitung akustischer Reize im Gehor muB sich
besonders fiir das Innenohr auf Modellversuche und
theoretische Berechnungen sttitzen, da der Schwin-
gungsverlauf innerhalb der Schnecke (-»■ Ohr) direkter
Messung nicht zuganglich ist. Die anfangs hier an-
setzenden Untersuchungen beschrankten sich auf die
Erklarung hauptsachlich des Tonhohen-Unterschei-
dungsvermogens durch physiologische Ablaufe. Am
Beginn dieser H.n steht die Resonanzhypothese, deren
Urheber H. v. Helmholtz ist. Sie geht auf das Ohmsche
Gesetz der Akustik (-»■ Frequenzanalyse) zuriick. Nach
dieser Theorie ist bei Einwirken eines Reizes jede Faser
oder Fasergruppe entsprechend ihrer Eigenfrequenz in
Resonanz mit der Schneckenfliissigkeit und den sonsti-
gen vorhandenen Massen (z. B. Aufbauten auf den
Fasern). Diese Annahme setzt voraus, daB die Fasern
auf der Basilarmembran wie Resonatoren oder Saiten
mechanische Schwingungen ausfiihren, wogegen sich
besonders die Einwande der Physiologie wandten, so
vor allem die von Max Wien, der rechnerisch nach-
wies, daB die (mechanische) Einschwingzeit der Basi-
larmembran-Resonatoren den zeitlichen Abstand
zweier gerade noch getrennt wahrnehmbarer Schwin-
gungsimpulse demnach noch weit iibersteigen miiBte.
Diese physikalische Betrachtung von Ein- und Aus-
schwingzeiten der Resonatoren wird durch neuere
Uberlegungen in ihrer Bedeutung abgeschwacht, wel-
che die wesentlich kiirzeren Zeiten auf rein physiologi-
sche Vorgange zuriickfiihren (Erregung in Sinneszel-
len und Nervenfasern). Der Resonanzhypothese steht
neben der Schallbilderhypothese von Ewald (nicht aus
dem Ort der Schwingungsmaxima auf der Basilar-
membran, sondern durch den Abstand dieser Maxima
zueinander wird dem Nervensystem die MSglichkeit
der Tonhohenbestimmung gegeben) vor allem die
hydrodynamische Theorie gegeniiber. Sie besagt, daB
die Schwingungsform der Basilarmembran durch ihre
Elastizitat sowie durch die Wellenbewegung der
Schneckenfliissigkeit bestimmt wird. Daran kniipfen
eine Reihe von Hortheorien (vgl. dazu Waetzmann),
die zunachst die Wellenbewegung beriicksichtigen,
ohne mathematisch-physikalische Analysen heranzu-
ziehen. Gildemeister teilte sie durch Art und Form der
sich auf die Basilarmembran abbildenden Fliissigkeits-
bewegung sowie nach Anzahl der Schwingungsmaxi-
ma in Ein-, Zwei- und Mehrortstheorien auf. Spater
lieferten dann Kucharski, Ranke und Zwislocki ma-
thematische Berechnungen der Vorgange im Innen-
ohr und vor allem Bekesy diesem genau entsprechende
Modelle und hervorragende Untersuchungen am Pra-
parat. In neuerer Zeit wurde der Untersuchungsbe-
reich auf die Horbahnen und -zentren ausgedehnt,
auBerdem neben der Tonhohenunterscheidung die an-
deren Eigenschaften des Gehors beriicksichtigt (Laut-
starkeempfindung, Klangfarbensinn, Schallortung)
und erkannt, daB diese Eigenschaften nicht ausschlieB-
lich durch physiologische Vorgange im Innenohr er-
klart werden konnen. So besagt die Salventheorie von
Wever und Bray, daB Frequenzen iiber 1000 Hz, die
eine einzelne Faser nicht weiterleiten kann, in salven-
ahnlichen Impulsen von mehreren zusammenwirken-
den Fasern transportiert werden. Mit Schouten ist an-
zunehmen, daB die Frequenzanalyse nicht ausschlieBlich
auf der Basilarmembran geschieht. In jiingster Zeit
baute Licklider eine Triplex-Theorie aus. Danach
kommt die Tonhohenwahmehmung durch ein Zusam-
menwirken dreier verschiedener Vorgange zustande,
namlich der Frequenzanalyse in der Cochlea, ferner
einer Autokorrelationsanalyse (-> Statistik) sowie wei-
terer Prozesse in hoheren Zentren.
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
..., Braunschweig 1863, 41877, <>1913; E. Mach, Zur
Theorie d. Gehororgans, Sb. d. Kaiserlichen Akad. d. Wiss.
Bin, mathematisch-naturwiss. Klasse, XLVIII u. L, 1863;
ders., Die Analyse d. Empfindungen, Jena 1903, 9 1922;
J. R. Ewald, Zur Physiologie d. Labyrinths VI, Eine neue
H., Pfliigers Arch, f . d. gesamte Physiologie LXXVII, 1 899 ;
ders., Zur Physiologie d. Labyrinths VII, Die Erzeugung v.
Schallbildern in d. Camera acustica, ebenda XCIII, 1903;
M. Wien, Ein Bedenken gegen d. Helmholtzsche Reso-
nanztheorie d. Horens, Fs. A. Wiillner, Lpz. 1905; E.
Waetzmann, Zur Helmholtzschen Resonanztheorie,
Habil.-Schrift Bin 1906; ders., H., in: Hdb. d. normale u.
pathologischen Physiologie XI, hrsg. v. A. Bethe u. a., Bin
1926; E. Budde, tiber d. Resonanztheorie d. Horens, Phy-
sikalische Zs. XXVIII, 1927; G. v. Bekesy, Zur Theorie
d. Horens, ebenda XXIX, 1928 - XXX, 1929 ; ders., Physi-
kalische Probleme d. Horphysiologie, Elektrische Nach-
richten-Technik XII, 1935; ders., Ober d. Schwingungen
d. Schneckentrennwand beim Praparat u. Ohrenmodell,
Akustische Zs. VII, 1942; ders., Beitr. zur Frage d. Fre-
quenzanalyse in d. Schnecke, Arch. f. Ohren-, Nasen-,
Kehlkopfheilkunde CLXVII, 1955; M. Gildemeister,
Probleme u. Ergebnisse d. neueren Akustik, Zs. f. Hals-,
Nasen- u. Ohrenheilkunde XXVII, 1930; W. Kucharski,
Schwingungen v. Membranen in einer pulsierenden Flils-
sigkeit, Physikalische Zs. XXXI, 1930; E. G. Wever u.
376
Hohlflote
Ch. W. Bray, Auditory Nerve Impulses, Science LXXI,
1930; J. F. Schouten, Die Tonhohenempfindung, Philips
Technische Rundschau V, 1940; J. Zwislocki, Zur Theo-
ried. Schneckenmechanik, Acta oto-laryngologica LXXII,
1948; O. Fr. Ranke, Hydrodynamik d. Schneckenfliissig-
keit, Zs. f. Biologie CHI, 1950; ders., Physiologie d. Ge-
hors, in: Lehrbuch d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelen-
burg u. E. Schutz, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1953; L.
Cremer, tiber d. ungelosten Probleme in d. Theorie d.
Tonempfindungen, Acustica I, 1951 ; J. Matzker, Unter-
suchungen iiber d. zentrale Tonhohenwahrnehmung, Zs. f.
Laryngologie, Rhinologie, Otologie u. ihre Grenzgebiete
XXXIII, 1954; J. C. R. Licklider, Auditory Frequency
Analysis, in : Information Theory, London 1 956 ; H. Fack,
Informationstheoretische Behandlung d. Gehors, in: Im-
pulstechnik, zusammengestellt u. bearb. v. Fr. Winckel,
Bin, Gottingen u. Heidelberg 1956; W. Meyer-Eppler,
Die dreifache Tonhohenqualitat, Fs. J. Schmidt-Gorg,
Bonn 1957. WiD
Horversuch. Mit der unter Laboratoriumsbedin-
gungen einsetzenden Beobachtung von Schallereig-
nissen, deren Parameter variiert werden, bezog die al-
tere Tonpsychologie das Experiment in den Bereich
ihrer Forschungsmethodik ein. Diese Einbeziehung
ging zeitlich parallel mit der systematischen Inan-
spruchnahme experimenteller Moglichkeiten in der
Psychologie iiberhaupt, die um die Mitte des 19. Jh.
begann. Das Ziel des experimentellen H.s ist, in Ent-
scheidungs- und Erkundungsversuchen aus theoreti-
schen Erwartungen (Hypothesen) von musikalischen,
psychologischen, physiologischen und physikalischen
Erscheinungen Ergebnisse des Experimentes zu dedu-
zieren bzw. diese Phanomene greifbar zu machen. Ei-
ner der altesten H.e stammt von dem Physiologen E.
H. Weber, der als Schallquelle zwei Taschenuhren be-
nutzte: Indem er je eine Uhr vor das rechte und linke
Ohr hielt, hatte er sich der Methode der getrenntohri-
gen (binauralen oder dichotischen) Reizdarbietung be-
dient, wie sie wenige Jahrzehnte spater in der experi-
mentellen Tonpsychologie angewendet wurde. E.
Mach und C. Stumpf entdeckten mit dieser Darbie-
tungsart und mit Stimmgabeln als Schallquellen, daB
die Schwebungen und Kombinationsfrequenzen, die
bei beidohrigem (monauralem oder monotischem) H6-
ren zweier Tone auftreten, hierbei ausbleiben. Dieses
Versuchsergebnis wurde als Einwand gegen die Helm-
holtzsche Dissonanzerklarung vorgebracht. Die altere
Tonpsychologie, beeinfluBt durch die psychophysi-
schen Methoden des 19. Jh., lieferte besonders Unter-
suchungen iiber Horschwellen, Schallokalisation, Un-
terschiedsempfindlichkeit, ferner Beobachtungen von
Kombinationstonen, Horgrenzenbestimmungen usw.
Ihre Versuchsapparatur bestand aus Stimmgabeln oder
Stimmzungen, denen schalleitende Rohre angeschlos-
sen wurden. Eine Verbesserung trat ab 1878 durch die
Anwendung des Telephons ein (Tarchanow, Preyer).
Aber erst die Entwicklung der Elektroakustik erwei-
terte die experimentellen Moglichkeiten (MeBgenera-
toren, Kopfhorer), die dann fur die Arbeiten von A.
Wellek und H. Sandig gegeben waren. H.Husmann
benutzte die binaurale Darbietung zu Beobachtungen
von Intervallen, auf die er seine »Koinzidenztheorie
der Konsonanz« grundete; an diese Untersuchungen
kniipfen mehrere Arbeiten seiner Schiller an. H.-P.
Reinecke gelang 1961 durch die gleiche Darbietungs-
art die Entdeckung von Tonerscheinungen, den »Bin-
aural-T6nen«, fiir die kein unmittelbares physikali-
sches Korrelat vorhanden ist. Die Verfeinerung und
Erweiterung der Untersuchungsmethoden im Rah-
men der Psychologie ist nicht ohne EinfluB auf das
Horexperiment. So richtet sich Anordnung, Durch-
fiihrung und Interpretation der neueren H.e an den
statistischen Methoden der Psychologie aus.
Lit.: W. Preyer, Die akumetrische Verwendung d.
Bell'schen Telephons, Sb. d. Jenaischen Ges. f. Medicin
u. Naturwiss. f. d. Jahr 1878; J. Tarchanow, Das Tele-
phon als Anzeiger d. Nerven- u. Muskelstrome beim Men-
schen . . . , St. Petersburger medizinische Wochenschrift
III, 1878; C. Stumpf, Tonpsychologie I, Lpz. 1883, Nach-
druck Hilversum u. Amsterdam 1965; ders., t)ber d. Er-
mittlung v. Obertonen, Annalen d. Physik u. Chemie,
N. F. LVII, 1896; ders., Binaurale Tonmischung, Mehr-
heitsschwelle u. Mitteltonbildung, Zs. f. Psychologie
LXXV, 1916 ; K. L. Schaefer, Die Bestimmung d. unteren
Horgrenze, Zs. f. Psychologie u. Physiologie d. Sinnesor-
gane XXI, 1 899 ; F. Krueger, Beobachtungen an Zwei-
klangen, in: Philosophische Studien XVI, 1900; G. Mela-
ti, Ueber binaurales Horen, ebenda XVII, 1901 ; St. Ba-
ley, Versuche iiber d. Lokalisation beim dichotischen Ho-
ren, Zs. f. Psychologie LXX, 1914/15; E. M. v. Horn-
bostel, Beobachtungen iiber ein- u. zweiohriges Horen,
ebenda LXXV, 1916; M. Gildemeister, Untersuchungen
iiber d. obere Horgrenze, Zs. f. Psychologie u. Physiologie
d. Sinnesorgane L, 1919; J. Wittmann, Beitr. zur Analyse
d. Horens bei dichotischer Reizaufnahme, Arch. f. d. ge-
samte Psychologie LI, 1925 ; A. Wellek, Die Aufspaltung
d. »Tonhdhe« in d. Hornbostelschen Gehorpsychologie . . . ,
ZfMw XVI, 1934; H. Sandig, Beobachtungen an Zwei-
klangen . . . , in : Gef iihl u. Kunst, hrsg. v. A. Wellek, = Neue
psychologische Studien XIV, 1, Munchen 1939; H. Hus-
mann, Eine neue Konsonanztheorie, AfMw IX, 1952;
ders., Vom Wesen d. Konsonanz, in: Mus. Gegenwarts-
fragen III, Heidelberg 1953 ; P. R. Hofstatter, Psycholo-
gie, = Das Fischer Lexikon VI, Ffm. (1957) ; I. Korthaus,
Die Beurteilung mus. Intervalle im mittleren u. unteren
Horbereich, Diss. Hbg 1960, maschr. ; W. Wille, Das Ver-
halten mus. Intervalle in mittleren u. hohen Tonlagen, Diss.
Hbg 1960, maschr. ; H.-G. Lichthorn, Zur Psychologie d.
Intervallhorens, Diss. Hbg 1962; V. Rahlfs, Zur Anwen-
dung quantitativer Methoden in d. Tonpsychologie, Mf
XV, 1962; H.-P. Reinecke, Experimentelle Beitr. zur Psy-
chologie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. mw. Inst. d.
Univ. Hbg HI, Hbg 1964. WiD
Hofmusikkapelle, Wiener. Die W. H. geht zuriick
auf die am 30. 6. 1498 gestiftete ->- Kapelle Kaiser
Maximilians I., die bis 1520 bestand. Seit der Neugriin-
dung einer Kapelle durch Ferdinand I. 1526/27 be-
stand sie bis 1919, in den ersten Jahrhunderten den
mehrfach wechselnden Residenzorten des Habsburger
Hofes folgend (vor allem nach Prag) und lebhaft ver-
bunden mit den Kapellen der erzherzoglichen Hofe in
Innsbruck und Graz. Dank dem Musikverstandnis vie-
ler Habsburger hatte die W. H. stets eine groBe Zahl
hervorragender Kapellmeister und Musiker aufzuwei-
sen. Unter Maria Theresia wurden 1746 die Hofmusik
(Kirchen-, Kammer- und Tafelmusik) und die Oper
getrennt. Zur Hofmusik gehorte ein Konvikt fiir San-
gerknaben, dem u. a. Haydn und Schubert angehorten
und.das in den Wiener Sangerknaben fortlebt.
Lit. : L. Ritter v. Kochel, Die kaiserliche H., Wien 1 869 ;
A. Smijers, Die kaiserliche Hofmusik-Kapelle v. 1543-
1619, StMw VI, 1919 - IX, 1922; P. Nettl, Zur Gesch. d.
kaiserlichen H. v. 1636-80, StMw XVI, 1929 - XIX, 1932;
A. Koczirz, Die Auflosung d. H. nach d. Tode Kaiser
Maximilians I., ZfMw XIII, 1930/31 ; H. Schweiger, Ar-
chivalischeNotizen zur Hof kantorei Maximilians I., ZfMw
XIV, 1931/32 ; O. C. A. zur Nedden, Zur Gesch. d. Musik
am Hofe Maximilians I., ZfMw XV, 1932/33 ; A. Einstein,
Ital. Musik u. ital. Musiker am Kaiserhof . . . , StMw XXI,
1 934 ; H. Federhofer, Etats de la chapelle mus. de Charles-
Quint (1528) et de Maximilien (1554), RBM IV, 1950; G.
Reichert, Die Preces-primariae-Register Maximilians I.
. . . , AfMw XI, 1954; W. Senn, Musik u. Theater am Hof
zu Innsbruck, Innsbruck 1954; O. Wessely, Archivalische
Beitr. zur Mg. d. maximilianischen Hofes, StMw XXIII,
1956.
Hohlflcte ist in der Orgel ein weit mensuriertes, zy-
lindrisch offenes, mitunter auch gedecktes oder teilge-
decktes Labialregister im Manual und Pedal von 16',
8', 4' und 2' (als Hohlpfeife) ; als Quintstimme Hohl-
377
Holler
quinte genannt. Die Herleitung des Namens von »hohl
klingender F16te«, wie Praetorius meint, wird bestrit-
ten, dagegen vom Material her, Holderflote = Holun-
derflote vorgeschlagen.
Holler (h'obj, engl., schreien, laut rufen, abgeleitet
von hallo, hollah), in der nordamerikanischen Neger-
folklore eine Art gellender, schriller Rufe zwischen
Singen und Sprechen, bei denen die Stimme iiber ein
grell tonendes Schreien hinaus einen ausgepragt melo-
disch-expressiven Charakter gewinnt. H.s beanspru-
chen den gesamten Stimmumfang (vom Falsett bis
zum Grunzen oder Brummen), sind nie instrumental
begleitet und erklingen zur Verstandigung als Zurufe
(Cornfield h. bei Landarbeitern), aber auch als stim-
mungsbedingte Ausrufe. Dem Typ der H.s stehen Call
und ->■ Street cry nahe.
Holzblasinstrumente (verkiirzt auch Holz; frz.
bois; engl. wood; ital. legni), Sammelbezeichnung fur
eine Gruppe von Instrumenten des modernen Or-
chesters, welche die Floten, Oboen, Klarinetten und
Fagotte nebst ihren Verwandten (Piccoloflote, Eng-
lisch Horn, BaBklarinette, Bassetthorn, Kontrafagott,
Saxophon, Sarrusophon usw.) umfaBt. Die Mehrzahl
dieser Instrumente ist allerdings in der Regel aus Holz
gefertigt; aber auch Floten aus Silber oder Klarinetten
und Saxophone usw. aus Blech werden H. genannt,
im Gegensatz zu den in ihrer Spieltechnik grundver-
schiedenen Blechblasinstrumenten.
Lit. : A. Baines, Woodwind Instr. and Their Hist., London
1 957 ; J. Meyer, Akustik d. Holzblasinstr. in Einzeldarstel-
lungen, = FachbuchreiheDasMusikinstr.XVlI,Ffm. 1966.
Holzblock (engl. wood block; ital. legno) ist in der
»chinesisch« genannten Form eine langlich-rechtecki-
ge -*■ Schlitztrommel mit einem schmalen, geraden
Schlitz durch die obere Halfte. Das Instrument ist
meist in 3 GroBen anzutreffen (z. B. Varese, Integrates:
3 Blocs chinois - hoch, mittel, tief) ; die mittlere GroBe
hat Abmessungen von etwa 18 x 7,5 x 4 cm. Der H.
ist iiber das Schlagzeug des Jazz (hiet besonders in der
Dixieland-Gruppe verwendet; eine Abart ist der
-»■ Clog box) in das Orchesterschlagzeug gelangt (wohl
zuerst bei Hindemith, Kammermusik Nr 1, 1921) und
hat dort, im Gegensatz zu den verwandten -»• Tempel-
blocken,- seinen festen Platz erhalten (Ravel, Konzert
fiir die linke Hand; Hindemith, Symphonische Meta-
morphosen; Prokofjew, 5. Symphonie). Der »amerika-
nische« H. besteht aus zwei durch einen Schaft ver-
bundenen Holzzylindern, die, an beiden Enden unter-
schiedlich lang ausgehohlt, verschiedene Klanghohe
ergeben und in der Langsrichtung geschlitzt sind. An-
geschlagen werden beide Formen mit Holzschlageln
oder Filzkloppeln. Der Klang ist hell, kurz und hohl.
Im Instrumentarium des Orffschen Schulwerkes ist der
H. unter den Bezeichnungen Holzblocktrommel bzw.
Rohrenholztrommel vertreten.
Holztrompete ->• Alphorn.
Homoioteleuton (griech., das Gleich-Endende), in
der Kompositionslehre des 17.-18. Jh. eine musikalische
Figur, die in Abweichung von dem H. in der Rhetorik
(Ahnlichkeit der Endungen mehrerer Perioden) eine
Generalpause bezeichnet. Die Definition des H. bei
Nucius (1613) : cum post communem vocum concursum
Semibrevis ant minimae Pausae interventu generate silen-
tium indicitur ac Harmonia interrumpitur iibernimmt Thu-
ringus (1625) mit dem Zusatz: est finale silentium in
medio cantionis, stellt dem H. aber das Homoioptoton
(Est cum generalis pausa . . . in omnibus vocibus simul
inseritur) unter dem Oberbegriff -*■ Aposiopesis ge-
geniiber. Deutlicher erklart Walther (1732) mit Hin-
weis auf Thuringus die beiden Arten der Aposiopesis,
wobei das H. eine Generalpause bedeutet, die in der
Mitte eines Sticks, vermitteht einer vorhergehenden Final-
Cadenz . . . gemacht wird, wahrend das Homoioptoton
formalen Schlufi oder Cadenz nicht kennt.
Homophonie (griech. 6u.o9cov(a, Gleichklang; -*■ Iso-)
nennt man den Akkordsatz, bei dem alle Stimmen
rhythmisch gleich (homorhythmisch) oder fast gleich
gebildet sind (absolute H. basiert auf der iibereinstimmen-
den Rhythmisierung der Stimmen, Riemann, S. 340),
bzw. den Melodiesatz, bei dem eine melodische Haupt-
stimme (meist die Oberstimme) akkordisch oder von
Nebenstimmen im Sinne eines Akkordgefiiges beglei-
tet wird, im Gegensatz zur rhythmisch-melodischen
Eigenwertigkeit der Stimmen in der -*■ Polyphonic
- Griech. o^otpuvoi; cpS-AyY ? bezeichnet (Ptolemaios
I, 7) die Oktave und Doppeloktave (lat. aequisonus),
spater auch denEinklang (unisonus). Diese Bedeutung
besteht bis ins 18. Jh. WaltherL deftniert suoni homqfoni
(ital.) als gleichlautende Klange, Fuga homophona als Fuga
in Unisono. Der Ubergang zur heutigen Bedeutung des
Begriffs H. erfolgte im Zusammenhang mit dem Her-
vortreten des funktional-harmonischen Melodiesatzes
offenbar erst gegen Ende des 18. Jh. (KochL: Homo-
phonische Setzart). Altere Bezeichnungen fiir derartige
Satzstrukturen sind Contrapunctus simplex (-*■ Kon-
trapunkt) und der im 16. Jh. in Italien zu belegende Be-
griff Stile famigliare. Erscheinungen eines gleichrhyth-
mischen, in Vokalmusik oft syllabisch textierten Gan-
ges der Stimmen (von denen eine als Cantus, Liedmelo-
die oder Oberstimme ausgezeichnet sein kann) begeg-
nen -wenn auch kompositorisch unter sehr verschiede-
nenAspekten-u.a.alsDiscantus, mehrstimmigerHym-
nus und Conductus (»Conductussatz«), Fauxbourdon,
Frottola, Villanella, Tanzsatz, Kantionalsatz, Oden-
komposition usw.
Lit. : H. Riemann, GroBe Kompositionslehre I, Der homo-
phone Satz, Bin u. Stuttgart 1902.
Honduras.
Lit.: M. Adalid y Gamero, La miisica hondurena, Re-
vista del arch, y bibl. nacionales XVI/XVII, 1938 (Teguci-
galpa); R. Coello Ramos, La cultura mus. del pueblo
hondureno, Boletin latino-americano de miisica IV, 1938.
Hopak (ukrainisch), Gopak (russ.), ein vor allem in
der Ukraine und WeilkuBland beheimateter 2zeitiger
Tanz in schnellem Tempo, der von einer oder mehre-
ren Personen meist akrobatisch ausgefiihrt wird. Ein-
gang fand der H. z. B. in Werke Mussorgskijs: Finale
der Oper Sorotschinskaja jarmarka (»Der Jahrmarkt von
Sorotschinzy«, 1874) in der Fassung N. Tscherepnins.
Hoqu^tus (auch [h]oketus, [h]ochetus, latinisiert aus
altfrz. hoquet, womoglich ein das »Schlucken« nach-
ahmendes Wort, jedoch nach Husmann aus dem ara-
bischen Stammwort al-qat' abzuleiten und dement-
sprechend altfrz. hoqueter, zerschneiden, und H. um-
schrieben als truncatio vocis; ital. ochetto), das Durch-
setzen zweier Cantus mit Pausen, »so daB, wenn einer
pausiert, der andere nicht pausiert, und umgekehrt«
(Franco von Koln, CS I, 134b), eine Art des ->• Dis-
cantus, die zuerst in der nachleoninischen Zeit der Epo-
che von Notre-Dame, also seit etwa 1200 in Nordf rank-
reich, in einzelnen Partien von 2st. Klauseln und 3st.
Organa erscheint und in der Ars antiqua und Ars nova
verbreitet war. Beschrieben wird der H. (discantus
truncatus, harmonia resecata, cantus abscisus) u. a. von
Franco von Koln (CS I, 134a: Truncatio est cantus rectis
obmissisque vocibus truncate prolatus), Lambertus (CS I,
281), Walter Odington (CS I, 248ff.) und Johannes de
Grocheo (ed. Rohloff, S. 57 und 87f., wo die mobilitas
und velocitas des H. betont ist). Die von den Theore-
tikern gebrauchten Bezeichnungen H. duplex, triplex
378
Hot-Intonation
und quadruplex sind in ihrer Bedeutung noch nicht er-
schlossen. Auch in den 3- und 4st. Kompositionen
hoquetieren in der Regel nur 2 Stimmen gegeneinan-
der. Jacobus von Liittich nennt (CS II, 394b, 401a,
429a) auch den H. contraduplex: womoglich das
Hoquetieren zweier Stimmen unter einer nicht hoque-
tierenden Stimme (wie in Mo, f. 357'/358). Zu unter-
scheiden sind die H.-Partie innerhalb eines Satzes und
der H. als Stiick oder Gattung - nicht textiert (instru-
mental?) oder textiert -, wie er in den -*■ Quellen Mo
und Ba begegnet. Ein im 13. Jh. besonders bekannter
H. ist das In seculum longum (Ba, f . 63' ; 4st. mit fran-
zosisch textiertem Quadruplum in Mo, f. 1'; vgl. auch
Franco, CS 1, 134a, und Anonymus IV, CS 1, 350a) :
■-J.
Gegen 1330 bedauerte Jacobus von Liittich (Speculum
musicae, CS II, 394b), daB heutige Discantatores den H.
als Cantus antiquus verschmahen, es sei denn, daB sie
H.-Partien in Motetten einfiigen. Die Komponisten
der Ars nova gebrauchen die H.-Technik mit Vorliebe
in isorhythmischen Motetten als Gliederungsmittel am
Ende oder Anfang jeder Talea (Machaut, Motette Nr
19), doch auch im Kantilenensatz (Machaut, Ballade
Nr 1), im 14. Jh. textbezogen auch in der Chasse, be-
sonders in der italienischen ->• Caccia. Den Hohepunkt
(und einen Sonderfall) der Gattung H. bildet Machauts
3st. Double Hoquet (Tenor, H., Triplum) iiber dem
isorhythmisch angeordneten Tenor David.
Lit.: M. Schneider, Der H., ZfMw XI, 1928/29; H. Hus-
mann, Der Hoketus »A l'entrade d'avril«, AfMwXI, 1954;
ders., Die Etymologie v. ,hoquet' u. d. arabische EinfluB in
d. gotischen Musik, Romanisches Jb. VII, 1955/56; J. H.
Kwabena Nketia, The Hocket-Technique in African Mu-
sic, Journal of the International Folk Music Council XIV,
1962. HHE
Horn (deutsch und engl. ; ahd. belegt seit dem 9. Jh.,
auch als wichorn, herhorn, hornelin u. a. ; lat. -> cornu;
ital. -*■ corno; frz. -*■ cor; span, cuerno; lat. u. a. auch
tuba), ein (Blech-)Blasinstrument, bei dem der Ton
durch die als Gegenschlag-(Polster-)Zungen wirken-
den Lippen des Blasers erzeugt wird. Der der Lippen-
frequenz am nachsten liegende Eigenton des Corpus
wird durch Resonanz zum Klingen gebracht; er stabi-
lisiert durch akustische Riickkopplung die Lippen-
frequenz. Die Liicken zwischen dem Grundton (der
bei eng mensurierten sogenannten Halbinstrumenten
oft nicht erzeugt werden kann; -> Ganzinstrument)
und den ersten Teiltonen kdnnen iiberbriickt werden
durch Verkiirzung der Rohre mittels Grifflocher (wie
beim Zink; auch durch Klappen gedeckt), Ventile
oder Ziige (wie bei der Zugtrompete oder der Posau-
ne). Geringere Abweichungen von den Naturtonen
werden auch durch Stopfen mit der Hand, Einfiihrung
von Dampfern (beides erhoht), seltener durch Einfiih-
rung eines Rohrchens oder durch Decken (beides ver-
tieft) erreicht. Fur den Klang des H.es ist von EinfluB
die Bohrung (konisch oder zylindrisch), die Mensur,
die Form (gerade wie Chazozra, Salpinx, Nafir, Busi-
ne, Trompete, Posaune; geknickt wie Schof ar, Karnyx;
gebogen oder eingerollt wie die Jagd- und Waldhor-
ner), daneben das Material (Holz wie beim Alphorn;
Tier-H., worauf zahlreiche Bezeichnungen hinweisen,
wie bugle, -*■ Biigelhorn, Bucina, Olifant). Mit Metall
beschlagene Tierhorner oder reine Metallhorner sind
aus dem alten Orient, der Antike, der germanischen
Kultur (->■ Luren) bekannt, in Europa in verstarktem
MaBe seit der Volkerwanderungszeit. Der Klang des
H.es ist meist kraftig und weittragend, reicht dabei von
dumpf bis zu scharfer Helle und schwingt relativ
rasch ein. Zur Erleichterung des Anblasens kann ein
-> Mundstiick vorhanden sein. Horner werden meist
an einem Ende angeblasen ; seitlich angeblasene Quer-
horner sind selten. Eine ausgebildete ->• Stiirze strahlt
die hohen Frequenzen gebiindelt ab. - In den techno-
logisch einfachsten Formen als Tier- oder Muschel-H.
oder als hohler pflanzlicher Tubus ist das H. seit vor-
geschichtlicher Zeit iiber die ganze Erde verbreitet.
Meist ist es ein Instrument fur das Ritual, den Kult, die
Jagd oder das Kriegswesen (-» Harschhorn). Oft be-
gleitet von Schlagwerk, wird sein Klang sowohl als
Klangzauber wie als Signal eingesetzt. Die klingende
Verwendung des H.es reicht von Eintonsignalen bis zu
erweiterten Fanfaren und der vollen chromatischen
Ausnutzung der hochentwickelten Formen der Trom-
peten, Posaunen, Waldhorner und Fliigelhorner im
modernen Orchester seit dem 2. Drittel des 19. Jh.
Lit.: W. Jackson, Shell-Trumpets ..., Memoirs of the
Manchester Literary Soc. LX, 1916; M. Buttner, Studien
zur Gesch. d. Trp., Diss. Miinsteri. W. 1953,maschr.; F.J.
Young, The Natural Frequencies of Mus. H., Acustica X,
1 960 ; E. A. Bowles, Unterscheidung d. Instr. Buisine, Cor,
Trompe u. Trompette, Af M w XVII I, 1 96 1 .
Hornpipe (h'a: jnpaip, engl.), - 1) ein Blasinstrument
mit einfachem Rohrblatt und einem Schallstiick aus
einem Tierhorn oder -huf , das einzeln oder gedoppelt
mit dem Mund angeblasen oder auch als Spielpfeife
einer Sackpfeife benutzt wird. Eine H. ist auch das
englische -»■ Pibgorn; Instrumente vom H.-Typ sind
auf der Erde etwa im gleichen MaBe verbreitet wie die
->■ Sackpfeife. - 2) eine Gruppe von englischen Tan-
zen, urspriinglich in Schottland und Wales beheimatet.
Bis um 1760 stand der H. im Tripeltakt (3/2), danach
meist im geraden Takt. H.s schrieben u. a. H. Ashton
(vor 1522), J. Ravenscroft, Purcell und Handel.
Lit. : Mattheson Capellm.; Ch. Burney, A General Hist,
of Music IV, London 1789, Neudruck Baden-Baden 1958,
darin H. v. Ravenscroft; H. Balfour, The Old British
»Pibcorn« or »Hornpipe« and Its Affinities, Journal of the
Royal Anthropological Inst, of Great Britain and Ireland
XX, 1891 ; A. Baines, Bagpipes, = Occasional Papers on
Technology IX, Oxford 1960.
Hornquinten -*■ Parallelen.
Hot (hat, engl., heiB), Inbegriff der fiir den Jazz typi-
schen Merkmale im Bereich des Melodischen (-»• Dir-
ty tones), des Rhythmischen (-»• Off-beat, -*■ swing),
besonders aber der Tonbildung (-»■ Hot-Intonation).
Als ein Zentralbegriff des Jazz wurde H. in den Jahren
1925-35 haufig gleichbedeutend mit Jazz verwendet
(h. music, h. style), wodurch zugleich die Verschie-
denheit dieses Musizierens von der kommerziellen
Sweet music herausgestellt war. Als Gegensatz zu H.
wurde in den 1950er Jahren der Begriff Cool zur Be-
zeichnung eines neuenjazzideals gepragt (-> Cool Jazz).
Hot-Intonation, die fiir den Jazz bis zum Cool Jazz
typische vokale und instrumentale Tonbildung. Cha-
rakteristisch sind im instrumentalen Bereich: vehe-
mentes Anspielen der Einzeltone (-> Attack), Vibrato,
->■ Dirty tones, Blue notes, -> Growl, -*■ Off-beat. Die
H.-I. ist die Ubertragung der Gesangsvorstellung der
nordamerikanischen Neger auf Blasinstrumente (sing-
ing horns).
379
Hot-Solo
Hot-Solo -*■ Chicago-Jazz.
Hufnagelschrift -> Choralnotation.
Humanismus. Das seit Mitte des 19. Jh. belegte
Wort wurde abgeleitet von dem schon im 16. Jh. ge-
laufigen lateinischen humanista (s. v. w. Lehrer oder
Student der alten Sprachen). Es bezeichnet eine Bil-
dungsform, die im 14. Jh. in Italien entstand und sich
seit dem 15. Jh. bis jetzt (allerdings mit nachlassender
Intensitat seit der Mitte des 19. Jh.) als eine Grundlage
der neuzeitlichen europaischen Kultur behauptet hat.
Im engeren Sinne bezeichnet das Wort meist den
H. des 15.-16. Jh., also der -»• Renaissance-Zeit, die
selbst in der Pflege der renascentes bonae litterae (Erasmus)
ihre vordringlichste kulturelle Aufgabe sah. Mit der
kirchlichen Reformation des 16. Jh. verbanden den H.
Beziehungen personlicher Art, die vor allem in der
Neugestaltung des Schulwesens sowie in der Erneue-
rung des Bibel- und des Augustinus-Studiums zum
Ausdruck kamen. Jedoch ergaben sich - am deutlich-
sten in der Auseinandersetzung Luther-Erasmus - un-
uberbriickbare Gegensatze bei der Entscheidung fur
ein religios gebundenes oder indifferentes Bildungs-
ideal. Obgleich die von Melanchthon gepragte prote-
stantische Lateinschule an der kirchlichen Bindung
festhiclt (was auch in der Beteiligung der Schulchore
am Gottesdienst zum Ausdruck kam; -»■ Schulmusik),
hat sie jedoch gerade durch ihre Pflege der alten Spra-
chen ein Element des H. nachhaltig gefordert, wofiir
noch in der Zeit Bachs die Behandlung der typischen
Redewendungen der Humanistensprache (»Adagia«)
im Unterricht (vgl. Freyse 1951/52) wie auch etwa in
J. G.Walthers Musicalischem Lexicon (Leipzig 1732) zeu-
gen. Die zentrale Idee des H., daB das Wesen alien Un-
terrichts nicht in der Weitergabe eines systematisch
geordneten Lehrstoffs, sondern in der menschlichen
Begegnung von Lehrer und Schiiler vermittelt wird,
die diesen zu selbstandiger Auseinandersetzung mit
dem vorgetragenen Stoff fiihrt, pragt auch den Um-
gang der Humanisten mit den Werken antiker Auto-
ren: diese werden als Lehrer und Freunde betrachtet,
deren Vorbild auch in der Bevorzugung bestimmter
literarischer Formen (wie Rede, Dialog, Brief) bcfolgt
wird. Die Reflexion iiber das eigene Leben und die ei-
gene Umwelt auBert sich weitgehend in der Form von
Randbemerkungen zu einem antiken Text. So finden
sich auch humanistische Wiirdigungen beriihmter
zeitgenossischer Musiker in dieser Art uberliefert, von
Petrarcas Notiz zum Gedachtnis Ph. de Vitrys (in sei-
ner Vergil-Handschrift) bis zu J.M.Gesners bewun-
dernder Schilderung J. S.Bachs (in seiner Ausgabe von
Quintilians De institutione oratoria, Gottingen 1738,
zu I, 12, 3). Wie es bei Gesner die Direktion einer Auf-
fiihrung (von der Orgel aus) ist, die hochste Bewun-
derung erregt, so beachtet auch der friihe H. in der
Musik vor allem die Ausfiihrung, und in den Er-
ziehungsprogrammen wird nur die Ausbildung in
Gesang und Lautenspiel zur Abrundung der gesell-
schaftlichen Umgangsformen beriicksichtigt. Im frii-
hen 16. Jh. wandten die Humanisten Osterreichs, der
Schweiz und Siiddeutschlands ihr Interesse auch den
Tastemnstrumenten zu, wofiir die vielfaltigen Ver-
bindungen zwischen ihnen und der Hofhaymer-Schu-
le Zeugnis geben.
Das Eindringen humanistischer Gedanken in Musik-
theorie und Komposition war Ergebnis eines Prozes-
ses gegenseitiger Durchdringung zweier urspriinglich
ganz voneinander getrennter Spharen: der kirchlich
und hofisch gebundenen Mehrstimmigkeit sowie der
im Universitatsbetrieb verwurzelten Musiktheorie
einerseits und des von alien traditionellen Bindungen
freien Lehrbetriebs der Humanisten andererseits. Ein
erstes Anzeichen dieser Durchdringung ist die Tatsache,
daB Vittorino da Feltre (urn 1378-1446) die Musik-
theorie nach Boethius in den Studienplan seiner Schule
in Mantua aufnahm. Sein Schiiler Johannes Gallicus
(um 1415-73) unternahm in seinem Ritus canendi ve-
tustissimus et novus eine Erneuerung der Musiktheorie
nach Boethius (wobei er sich polemisch gegen Mar-
chettus de Padua richtete) sowie der Gesangslehre nach
Guido von Arezzo (wobei er auf Abschaffung des als
nachguidonisch erkannten Hexachordsystems mit sei-
nen Mutationen drang). Die Erneuerung des Boethius-
Studiums war ein Teil des humanistischen Kampfes
gegen die »Artes«, d. h. gegen vereinfachende Auszii-
ge aus grundlegenden Werken, wie sie fur die Musik-
theorie in J. de Muris' Musica speculativa secundum Boe-
tium . . . abbreviata und den noch weiter verkiirzenden
Bearbeitungen dieses Traktats vorlagen. Sie gipfelte in
Fr. Gaff oris Theoricum opus musicae disciplinae (Neapel
1480), in dessen Neufassung (als Theorica musicae, Mai-
land 1492) die Ergebnisse von Gafforis Aristoteles-
Studien eingearbeitet sind. Die Kenntnis griechischer
Musiktheoretiker, die sich Gaffori noch durch in sei-
nem Auf trag angefertigte handschriftliche Obersetzun-
gen ins Lateinische verschaffen muBte (vgl. Gallo 1963),
wurde im 16. Jh. durch eine Reihe lateinischer und
zweisprachiger Druckausgaben gefordert. Ging es
Gaffori vor allem um eine verbesserte Formulierung
und vertiefte Begriindung der traditionellen Lehre
(wodurch er nachhaltig auch auf die deutschen Musik-
lehrbiicher des 16. Jh. einwirkte), so gelangte sein Leh-
rer Tinctoris in seinen Schrif ten zu neuen Ergebnissen
und Ansatzen : er bot im Terminorummusicae diffinitorium
(um 1473/74) eine aufschluBreiche Interpretation der
musikalischen Fachworter und iibertrug im Liber de
arte contrapuncti (1477) die Methode humanistischer
Textkritik auf das Studium der zeitgenossischen Kom-
positionsweise, die er durch viele Notenbeispiele zi-
tiert; und indem er zum AbschluB dieses Traktats - ge-
stiitzt auf.die antike Poetik - die Varietas als wichtigstes
Erfordernis jeder Komposition darstellt, leitet er iiber
den Rahmen einer Kontrapunktlehre hinaus zum Stu-
dium der unterschiedlichen Handhabung der Satzmit-
tel in verschiedenen Formen, aber auch durch verschie-
dene Komponisten an. Folgerichtig erscheinen im Vor-
wort seines Proportionate musices (um 1473) als Trager
der geschichtlichen Entwicklung der neuesten Zeit die
Komponisten, wahrend fur die alteren Epochen die
Gestalten der biblischen Geschichte, der heidnisch-an-
tiken Mythologie und Geschichte, Papst Gregor I. so-
wie Dichter und Theoretiker der spatantiken Zeit,
Guido von Arezzo und J. de Muris genannt sind. Auch
fiir das Geschichtsbild spaterer Humanisten ist es kenn-
zeichnend, daB die Autoritat Guidos fiir die Musica
plana und Muris' fiir die Musica mensurabilis aner-
kannt wird. Als das Neue der jiingsten Zeit seit etwa
1435 spricht Tinctoris die Konsonanz- und Dissonanz-
behandlung sowie die Vielfalt der Kompositionsmittel
der franko-flamischen Komponisten seit Dufay an.
Die Entfaltung dieser neuen Kunst vollzieht sich nach
ihm in einer Folge von Generationen, wie sie - mit un-
terschiedlicher Wertung und Charakterisierung - auch
Glarean, Coclico und Finck darstellen. Die Vorrang-
stellung des Theorie und Praxis zugleich beherrschen-
den Komponisten gegeniiber dem Nur-Theoretiker
(dem Boethius und das Mittelalter die hochste Stellung
einraumten) und dem Nur-Praktiker, in Italien von
Zarlino in seiner auf Willaert bezogenen Schilderung
des Musico perfetto postuliert, fiihrte in Deutschland
(seit Listenius 1533) zu einer neuen Klassifikation der
Musik, die im AnschluB an Aristoteles der Musica
380
Hummel
theorica und practica die -> Musica poetica als umfas-
sende und hochste Art musikalischer Tatigkeit hinzu-
fiigte. Wenngleich damit urspriinglich nur allgemein
das Schaffen (7roteiv) eines Kunstwerks bezeichnet
wurde, haben in der Folge die Lehrbucher der Musica
poetica zunehmend ihre Aufgabe in der Ubertragung
der Dichtungstheorie, vor allem der Lehre von den
rhetorischen -> Figuren auf die Musik gesehen. Auch
wenn das Musikschrifttum des H. sich anderen speziel-
len Fragen zuwandte, blieb sein Leitgedanke immer
das Postulat einer Verbindung von antikem Musik-
denken und zeitgenossischer Musizierpraxis, in der
Formulierung N. Vicentinos : L'antica musica ridotta alia
moderna prattica (Rom 1555). Ebenso wichtig wie radi-
kale Vorschlage zur Wiederbelebung antiker Musik
(wie Vicentinos Versuche mit der Enharmonik und V.
Galileis Forderung, durch Ruckkehr zur Einstimmig-
keit die Reinheit des antiken Tonsystems wieder herzu-
stellen) konnten dabei produktive Mifiverstandnisse
sein (wie Glareans Versuch, sein System der 12 Kir-
chentone auf antike Autoritat zu stiitzen).
Auf die Entwicklung der Kompositionskunst hat der
H. mehr indirekt eingewirkt. Im Bereich der traditio-
nellen Mehrstimmigkeit wurde antike Dichtung nur
ausnahmsweise vertont. Dem Universitats- und Schul-
unterricht gehorte die humanistische -»■ Odenkompo-
sition an, bei der cs meist um die Vertonung nicht eincs
bestimmten Textes, sondern eines Strophenmusters
ging. Sie bezog seit Grefinger friihchristliche Dichtung
ein (Prudentius), die auch in der protestantischen, meist
als Schulmusik konzipierten Hymnenkomposition
einen festen Platz hatte. Die Odenkomposition selbst
sowie die spatere Komposition von franzosischen
-»■ Vers mesures a l'antique sind nur ein Symptom fur
die Einwirkung des H. auf die Kompositionsweise, die
im Verlauf des 16. Jh. zu einer vollig veranderten Hal-
tung zum Text fiihrte.War noch fur Tinctoris, der sich
stilistisch am spaten Dufay und an Ockeghem orien-
tierte, das Verhaltnis von mehrstimmiger Komposition
und Text keiner Erlauterung wert, so trat dieses Pro-
blem um 1500 in den Vordergrund, sowohl in den
Kompositionen Josquins, seiner Schuler und Nachf ol-
ger bis hin zu Palestrina und den Madrigalisten, als
auch in der Musiklehre von Gaffori und Glarean bis zu
Coclico, Zarlino und V.Galilei. Fur die katholische
Kirchenmusik wurde Verstandlichkeit des Textes nach-
driicklich von der Gegenreformation gefordert und
auf dem -> Tridentiner Konzil diskutiert. Neben der
zunehmend intensivierten Affektdarstellung der Ma-
drigalisten (die durch Beziehung auf die antike Lehre
vom ->■ Ethos gerechtfertigt werden konnte) trat im
Laufe des 16. Jh. die Musik fiir Theater in den Vorder-
grund. Dabei handelte es sich in Italien meist um Favole
pastorali (hervorzuheben ist A. Polizianos Fabula di Or-
feo, Mantua, wahrscheinlich 1480, Musik von Germi?)
mit Musikeinlagen, im Norden vorwiegend um Schul-
dramen mit Choren im homorhythmischen Oden-
satz. Zu einer grundlegend neuen Losung gelangte die
->■ Camerata in Florenz ab 1580, die auf Grund der
Forschungen Meis die moderne Mehrstimmigkeit
iiberhaupt verwarf und durch Ruckkehr zur instru-
mental begleiteten ->■ Monodie die machtigen Wir-
kungen der antiken Musik wieder erreichen wollte.
Die spatere Camerata verband dann diese neue Mo-
nodie nicht mit der Tragodie (wofiir die Auffiihrung
von Sophokles' »K6nig Odipus« in der Obersetzung
von O.Giustiniani, mit gesprochenem Dialog und
drei- bis sechsstimmigen homophonen Choren von
A. Gabrieli, Vicenza 1585, einen Anhaltspunkt geboten
hatte), sondern wiederum mit der Favola pastorale.
Erscheint demnach die Wiederbelebung des antiken
Musiktheaters in der friihen -> Oper durch Riicksicht-
nahme auf die Konventionen der eigenen Zeit abge-
schwacht, so bekennt sich doch auch ein so moderner
Komponist wie Monteverdi (der mit seiner Arianna
1608 zum ersten Mai einen Tragodienstoff als Oper
vertonte) als Humanist, wenn er (mehrfach in seinen
Briefen) die Naturlehre und Platon als seine einzigen
Lehrmeister anerkennt.
Lit.: W. Dilthey, Weltanschauung u. Analyse d. Men-
schen seit Renaissance u. Reformation, = Schriften II,
Lpz. u. Bin 1914; Fr. Paulsen, Gesch. d. gelehrten Unter-
richts auf d. deutschen Schulen u. Univ., hrsg. v. R. Leh-
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Birtner, Studien zur nld.-humanistischen Musikanschau-
ung, Habil.-Schrift Marburg 1928, Teildruck Heidelberg
1930; H. Zenck, Zarlinos »Istitutioni harmoniche« als
Quelle zur Musikanschauung d. ital. Renaissance, ZfMw
XII, 1929/30; ders., N. Vicentinos »L'antica musica«
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deutsch als: Gesch. d. H., Amsterdam 1941; G. Cesari,
Einleitung zu: Fr. Gaffori.Theorica musicae (1492), Faks.,
Rom 1 934 ; F. Fano, La Camerata fiorentina, = Istituzioni
e monumenti dell'arte mus. ital. IV, Mailand 1934; R.
Schafke, Gesch. d. Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934,
Tutzing 2 1964; W. Jaeger, Humanistische Reden u. Vor-
trage, Bin u. Lpz. 1937, erweitert Bin 21960; H. Rudi-
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MR II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus. H. im 16. u.
friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel (1949); ders.,
Ficino's Spiritus and Music, Ann. mus. I, 1953; ders., Le
chant orphique de M. Ficin, in: Musique et poesie au
XVI* s., = Colloques internationaux du Centre National
de la Recherche scientifique, Sciences humaines V, Paris
1954; W. Gurlitt, Musik u. Rhetorik, Helicon V, 1944,
Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesba-
den 1966; ders., Die Kompositionslehre d. deutschen 16.
u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neudruck ebenda;
E. R. Curtius, Europaische Lit. u. lat. MA, Bern (1948,
3 1961); J. Handschin, Anselmi's Treatise on Music An-
notated by Gafori, MD II, 1948; C Freyse, Die Schul-
hefte W. Fr. Bachs, Bach-Jb. XXXIX, 1951/52; L. Schra-
de, Renaissance, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., La repre-
sentation d'Edipo Tiranno . . ., Paris 1960; K. G. Felle-
rer, Zur Oratio de laudibus musicae disciplinae d. O. Gra-
tius, KmJb XXXVII, 1953; ders., Agrippa v. Nettesheim
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godie d. H., Heidelberg 1953, 21954; Thr.G.Georoiades,
Musik u. Sprache . . . , = Verstandliche Wiss. L, Bin, Got-
tingen u. Heidelberg 1954; B. Meier, H. Loriti Glareanus
als Musiktheoretiker, in: Beitr. zur Freiburger Wiss.- u.
Universitatsgesch. XXII, Freiburg i. Br. 1960; Kl. W. Nie-
moller, Die Musik im Bildungsideal d. allgemeinen Pad-
agogik d. 16. Jh., AfMw XVII, 1960; H. H. Eggebrecht,
Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 1 96 1 ; W. Kahl, Das
GeschichtsbewuBtsein in d. Musikanschauung d. ital. Re-
naissance u. d. deutschen H., in : H. Albrecht in memoriam,
Kassel 1962; A. Gallo, Le traduzioni dal Greco per Fr.
Gaffurio, AMI XXXV, 1963.
Hummel, - 1) (schwedisch, nach 17701iterarisch nach-
gewiesen; norwegisch langleik, Nachweis seit dem
friihen 17. Jh.; islandisch langspil), eine volkstlimliche
Griffbrettzither. Das Corpus hat entweder gerade Zar-
gen wie das -*■ Scheitholz oder eine Ausbuchtung auf
einer Seite, der »Salzburger Zither« ahnlich, oder Aus-
buchtungen auf beiden Seiten. Die Saiten sind mit vor-
derstandigen Eisenstiften oder seitenstandigen Wir-
beln verstellbar; die Wirbelplatte oder der Wirbel-
kasten lauft meist in eine Schnecke aus. Die Zahl der
Saiten liegt zwischen 3 und etwa 20, haufig sind es et-
wa 10, wobei jeweils der kleinere Teil iiber das Griff-
381
Humoreske
brett lauft. Die Abstande der Biinde schwedischer H.n
weisen Intervalle auf, die von den Normintervallen zum
Teil abweichen. Die H. wurde wie die -> Zither (- 2)
gespielt, meist mit Plektron, von Bauernmusikanten
zur Begleitung weltlicher und geistlicher Lieder, auch
solistisch, sowie in biirgerlichen Kreisen schwedischer
Stadte in der 2. Halite des 18. Jh. Zu Anfang des 19. Jh.
wurde sie iiberall weitgehend durch moderne Instru-
mcntc vcrdrangt. - 2) H., Hiimmelchcn -> Sackpfcife.
Lit.: zu 1): E. Eggen, Skalastudier, Oslo 1923; T. Nor-
lind, Systematik d. Saiteninstr. I, Gesch. d. Zither, Stock-
holm 1936; St. Walin, Die schwedische H., =Nordiska
museets handlingar XLIII, ebenda 1952, dazu E. Emshei-
merin: STMf XXXVII, 1955.
Humoreske (Wortbildung in Analogie zur alteren
Burleske, Groteske, friihester Beleg 1838) nennt R.
Schumann sein vielgliedriges, in gegensatzlichen Stim-
mungen schwankendes Klavierstuck op. 20 (1839). Die
Bezeichnung H. fur ein instrumentales Charakterstiick
erscheint damit zum erstenmal in der Musikgeschichte.
Schumann, der die Bezeichnung danach nur noch ein-
mal anwandte (Nr 2 der Fantasiestiicke fur Klaviertrio
op. 88), verstand sie im Sinne Jean Pauls (Humor als
gliickliche Verschmelzung von Schwarmerei und Witz).
St. Heller (op. 64), E.Grieg (op. 6: 4 H.n, 1865), A.
Dvorak (op. 101 : Acht H.n, 1894 - darunter die be-
riihmte in Ges dur, Nr 7), M.Reger (u. a. 5 H.n op.
20 und op. 26, Nr 4) u. a. iibernahmen von Schu-
mann nur die Bezeichnung, der Charakter ihrer H.n
laBt sich nicht auf einen Nenner bringen. Die genann-
ten Stucke sind, von Schumanns op. 88/2 abgesehen,
samtlich fur Klavier geschrieben. Zu erwahnen sind
auch C.Loewes 5 H.n fur 4 Mannerst. op. 84 (1843)
und E. Humperdincks H. fiir Orch. (1879).
Lit.: A. Penkert, Die mus. Formung v. Witz u. Humor,
Kgr. f. Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. Bin 1913, Stutt-
gart 1914; R. Hohenemser, Uber Komik u. Humor in d.
Musik, JbP XXIV, 1917.
Hupfauf ->- Nachtanz.
Hurdy-gurdy (h'3:idi-g3:jdi, engl.) ->■ Drehleier.
Hydraulis (griech., Wasserorgel; von uScop, Was-
ser, und ax>kt>c„ Schalmei, Pfeife; auch hydra oder
hydraulikon organon; lat. organum hydraulicum),
eine Orgel, bei der durch Wasserdruck die Luftzuf iih-
rung zur Windlade reguhert wird. Ihre Erfindung
wird von -> Heron und Vitruvius (De architecture! X,
8; 1. Jh. v. Chr.) dem Mechaniker Ktesibios von
Alexandria (3. Jh. v. Chr.) zugeschrieben. Nach ihren
Darstellungen besteht das Geblase aus einem zum Teil
mit Wasser gef iillten, meist sechseckigen geschlossenen
Metallsockel, auf dessen Boden eine ebenf alls metallene
Halbkugel mit kleinerem Durchmesser und Offnun-
gen am unteren Rand steht. Vom Scheitelpunkt der
Halbkugel fiihrt eine Rohre zur Windlade. 2 Pumpen
driicken von oben Luft in diese Rohre oder die Halb-
kugel; dadurch wird das Wasser aus der Halbkugel
hinaus und im aufieren GefaB nach oben gedriickt, be-
wirkt nun aber durch sein Gewicht, daB der bei nicht
ganz gleichmaBiger Handhabung der Pumpen schwan-
kende Winddruck auf gleicher Hohe gehalten wird.
Die Windlade ist bereits bei Vitruvius in Registerkan-
zellen unterteilt; den Zutritt der Luft zu den Pfeifen
regeln mit Lochern versehene Metallschleifen, die
durch Tastendruck bewegt werden. Verwendet wur-
den wahrscheinlich nur Labialpfeifen (offen und ge-
dackt). Die 3 Register des H.-Modells von Karthago
werden nach den GroBenverhaltnissen als Grundton,
Oktave und Quinte, die 4 Register der Orgel von
Aquincum als Grundton (offen), Quinte, Dezime und
Doppeloktave (alle gedackt) angenommen. Die Zahl
der Pfeifen je Register, in Aquincum 13, schwankt auf
Darstellungen zwischen 7 und 18; fiir Aquincum wird
als Tonfolge die diatonische Skala angenommen. Die
Anlage des Instruments erlaubt gleichzeitiges Erklin-
gen mehrerer Tone sowie - bei mehreren Registern -
Klangverstarkung zum Plenum- oder Mixturklang.
Allgemein hat man sich den Klang der H. als ziemlich
hoch und laut vorzustellen. Neben der eigentlichen
H., bei der Kalkanten notig waren, kannte die Antike
auch Orgeln mit Balggeblase, das wahrscheinlich vom
Spieler selbst bedient wurde. Nach Iulius Pollux war
die H. das groBere, die Orgel mit Balggeblase das klei-
nere Instrument, wobei in der Benennung nicht streng
unterschieden wurde. Darstellungen, die sicher eine H.
zeigen, lassen die Schatzung zu, daB das Instrument
etwa 1,60-2 m hoch und halb so breit war. Die sehr
viel kleineren MaBe (Breite 35 cm, Hohe wahrschein-
lich etwa 60 cm) der Orgel von Aquincum sowie die
Tatsache, daB von deren (bei einer H. notwendiger-
weise metallenem) Geblase keine Reste erhalten sind,
machen es wahrscheinlich, daB dieses Instrument keine
H. war, auch wenn es in der 228 n. Chr. datierten Wid-
mungsinschrift als »hydra« bezeichnet ist. Fiir die Be-
liebtheit der H. zeugt zuerst eine Inschrift, wonach ein
H.-Spieler in den musikalischen Wettkampfen der
Delphischen Spiele 90 v. Chr. Sieger wurde, in der
romischen Kaiserzeit das Vorhandensein von Miinzen,
die H.-Spieler mit Siegeszeichen darstellen. Auch Nero
lieB sich als H.-Spieler bewundern. Mosaiken des 1.-2.
Jh. n. Chr. (Zliten in Libyen; Nennig/Mosel) zeigen
Gladiatorenkampfszenen, die von einer H.-Spielerin
und einigen Blechblasern begleitet werden ; diese Ver-
bindung der H. mit dem Zirkus bestatigt um 300 n.
Chr. der Historiograph Ammianus Marcellinus. Als
beste Darstellung hat eine Terracottalampe des 2. Jh.
n. Chr. in Karthago (Musee Lavigerie) zu gelten, die in
Form einer H. mit Spieler gehalten ist. Zahlreiche
Darstellungen spaterer Jahrhunderte, die besten bei
-* Muristus und im Utrechter Psalter (9. Jh.), beruhen
wohl nicht mehr auf eigener Anschauung.
Lit. : Ch. Maclean, The Principle of the Hydraulic Organ,
SIMG VI, 1904/05, mit Ausg. d. wichtigsten Texte; H.
Degering, Die Org., ihre Erfindung u. ihre Gesch. bis zur
Karolingerzeit, Miinster i. W. 1905; H. G. Farmer, The
Organ of the Ancients from Eastern Sources, London 1 93 1 ;
L. Nagy, Az Aquincumi Orgona (»Die Org. v. Aquincum«),
= Az Aquincumi Muzeum Kiadvanya II, Budapest 1933,
ungarisch mit deutschem Auszug; J. Handschin, »Antio-
chien, jene herrliche Griechenstadt«, AfMf VII, 1942; W.
Apel, Early Hist, of the Organ, in : Speculum XXIII, 1 948 ;
Th. Schneider, Organum Hydraulicum, Mf VII, 1954;
J. Perrot, L'orgue de ses origines hellenistiques a la fin du
XIII= s., Paris 1965.
Hymen aios (griech. uuivoaoc;), griechischer Hoch-
zeitsgesang, der die Braut zum Haus des Brautigams
geleitete, ausgefiihrt von einem Chor mit Kithara,
Floten- und Tanzbegleitung. ->■ Epithalamion.
Hymnographie, byzantinische, ist ihrem Wesen
nach eine kirchliche Kunst, obgleich in einigen ihrer
Formen auch Werke vorliegen, die nicht fiir das Offi-
zium oder die Leiturgia (Messe) bestimmt sind. By-
zantinisch heiBt diese Kunst, weil Byzanz zwar nicht
ihr Ursprungsort, aber als politische und kulturelle
Hauptstadt des Kaiserreichs der Ort war, wo Liturgie
und Hymnographie zur Vollstandigkeit ausgebildet
wurden und dessen kiinstlerisches Leben weithin nach-
geahmt wurde. Wie alle byzantinische Kunst stellt
auch die b. H. eine Synthese dar; sie hat auch orienta-
lische Elemente aufgenommen, unter denen die Memre
und Madrase der syrischen Dichtung (-»■ Syrischer
Kirchengesang) groBe Bedeutung erlangten. Westli-
che Gelehrte neigen dazu, diese orientalischen Elemen-
382
Hymnus
te hervorzuheben, dagegen betonen griechische For-
scher starker den Beitrag Griechenlands. Jedenfalls ist
nicht zu iibersehen, dafi die fruhesten und groBten
»Meloden« Syrer waren, so Auxentios (Ende des 4. Jh.
bis um 473), Romanos »der Melode« (2. Hiilfte des 5.
Jh. bis 2. Halfte des 6. Jh.), Sophronios von Jerusalem
(um 550-638), Andreas von Kreta (um 660-740), Jo-
hannes von Damaskus (Ende des 7. Jh. bis 749), Kos-
mas von Maiuma (f 760; dieser zumindest seiner Er-
ziehung nach). Die fruhesten Troparia, von denen wir
wissen, sind in der Vita des Auxentios zusammenge-
stellt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daB es schon vor
dieser Zeit Troparia gab, jedoch wird der praktische
Beginn der b.n H. gewohnlich ins 5. Jh. gesetzt. In
ihrem goldenen Zeitalter (vom 6. Jh. an) entstanden
das Kontakion und der Kanon. Im 10. Jh. begann die
Dekadenz, und nach dem 13. Jh. versiegte die Schaf-
fenskraft der byzantinischen Hymnographen. - Die
fruhesten Zentren und Schulen der neuen melodischen
Kunst bestanden in Syrien und Palastina, wo das Kloster
S.Saba nahe Jerusalem besondere Bedeutung erlangte.
Sophronios von Jerusalem, Andreas von Kreta, Johan- •
nes von Damaskus, Kosmas von Maiuma, Stephan von
S. Saba sind die bedeutendsten Vertreter dieser Schule.
Ihr folgt die sizilianische Schule, deren Hauptmeister
jedoch in Konstantinopel wirkten; genannt seien Me-
thodios von Syrakus, Patriarch von Konstantinopel
(Ende des 8. jh. bis 847), und Joseph »der Hymno-
graph« (um 813-883). Diese beiden Schulen trafen in
Konstantinopel aufeinander, wo die H. schon seit lan-
gerem bekannt war und eine eigene bedeutende Schule
bestand. Von den Meistern der Schule von Konstan-
tinopel seien genannt Theodoros Studita (779-826)
und sein Bruder Joseph, Erzbischof von Saloniki (urn
762-832), Theophanes Graptos (778-845), die Nonne
Cassia (9. Jh.), der Kaiser Theophilos (9. Jh.). Die italo-
griechische Kultur fand eine Pflegestatte im Kloster
Grottaf errata bei Rom; zu einer Zeit, da die H. des
Ostens bereits zur Dekadenz neigte, entstanden hier
Werke, die sich den besten der Schule von Konstan-
tinopel an die Seite stellen konnen. Die Hauptmeister
dieser Schule sind die Heiligen Bartolomeo, Luca,
Clemente und Arsenio. - Grundlage und Kern der ge-
samten b.n H. ist das -> Troparion. Von ihm sind die
groBeren Formen abgeleitet, deren wichtigste das
->■ Kontakion und der -*■ Kanon (- 2) sind.
Ausg. : "PcoiiavoO to0 MeX.q>8o0 "Yuvoi, hrsg. v. N.
Tomadake u. N. A. Libadara, 4 Bde, Athen 1952-57; Ro-
mano il Melode, (8) Inni, griech. u. ital. hrsg. v. G. Cam-
meixi, =Testi cristiani II, Florenz 1930; Anth. graeca
carminum christianorum, hrsg. v. W. Christ u. J. Para-
nikas, Lpz. 1871 ; Analecta sacra spicilegio solesmensi pa-
rata I, hrsg. v. J. B. Pitra, Paris 1876, griech. u. lat.; Die
Ostkirche betet, iibersetzt v. K. Kirchhoff OFM, 4 Bde,
Lpz. 1934-37, neu bearb. v. Chr. Schollmayer OFM, 2 Bde,
Miinster i. W. 2(1962-63); Osterjubel d. Ostkirche, iiber-
setzt v. dems., 2 Bde, Miinster i. W. 1940; 'EKX.oyfi iXXr\-
viKfK 6p9o665ou Onvoypaipia?, hrsg. v. P. Trempela,
Athen 1949.
Lit.: K. Krumbacher, Gesch. d. byzantinischen Lit.,
= Hdb. d. klass. Altertumswiss. IX, 1, Munchen 1890, er-
weitert 21897, griech. v. G. Soteriades, Athen 1897. - J. B.
Pitra, Hymnographie de l'Eglise grecque, Rom 1867; P.
Bouvy, Poetes et melodes, Nimes 1886; K. Krumbacher,
Die Akrostichis in d. griech. Kirchenpoesie, Sb. Munchen
1903; P. Maas, Das Kontakion, Byzantinische Zs. XIX,
1910; E. Mioni, Romano il Melode, Turin 1937, darin 10
Hymnen; L. Tardo, L'antica melurgia bizantina, Grotta-
ferrata 1938; R. Cantarella, Poeti bizantini, Mailand
1948; G. Schir6, Lineamenti storici sulla genesi e lo svi-
luppo del Syntomon, Bollettino della Badia greca di Grot-
taferrata, N. S. Ill, 1949 ; E. Weixesz, A Hist, of Byzantine
Music and Hymnography, Oxford 1949, 2 1961; G. Gio-
vanelli, Gli inni sacri di S. Bartolomeo Juniore, Grotta-
ferrata 1955; N. Tomadake, Eiaayoryii eic; xr|V PuCav-
tivfiv (pi^oXoyiav, Athen 2 1958; B. Di Salvo, Gli asmata
nella musica bizantina, Bollettino della Badia greca di
Grottaferrata, N. S. XIII, 1959 -XIV, 1960.
Hymnus (griech. uu.voc;), - 1) in der griechischen
Dichtung der Antike ein Fest- oder Preislied (Homeri-
sche Hymnen, Pindar) zu Ehren eines Gottes oder Heros
(lat. meist als carmen iibersetzt). Die christliche Litera-
tur ubernahm die Bezeichnung und biirgerte das Lehn-
wort H. auch im Lateinischen ein. Im Neuen Testa-
ment wird der H. nur an zwei Stellen genannt, beide
Male in der Verbindung XaXovvret; eavrolg tpalfiolg
xai v/ivoig teal codatc nvev/iarixalQ (»miteinander in
Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern singend«,
Eph. 5, 19, ahnlich Kol. 3, 16). Die Moglichkeit, die-
se drei Bezeichnungen voneinander abzugrenzen, ist
umstritten. Da jedoch das Verbum uu,veiv an zwei
Stellen auf das Singen des Hallel (Hebr. 2,12, Zitat von
Psalm 22, 23) und der Hallel-Psalmen (Matth. 26, 30
= Mark. 14, 26) zuriickgefiihrt wird (-s- Alleluia) und
da die Psalmen in friihchristlichen Texten mehrfach
als »Hymnen Davids « bezeichnet werden, liegt off en-
bar die Weiterfiihrung einer traditionellen jiidischen
Gesangsweise vor. Von der Hymnendichtung der al-
testen Kirche haben sich nur das -> Gloria in excelsis
Deo (H. angelicus), -*■ Sanctus (H. seraphicus) und die
alteste Schicht des ->- Te Deum (sogenannter H. Am-
brosianus) im Gebrauch erhalten. Diese fruhesten Hym-
nen waren Gemeindegesange, meist kunstlose Gebilde,
die gleich den biblischen Psalmen und Cantica nicht auf
Rhythmus und Versma/l gebaut sind (Jungmarm I, S. 446).
Dementsprechend verzichtet noch im 5. Jh. Augustinus
in seiner Definition des H. auf die Nennung formaler
Merkmale: Cantus est cum laude Dei. Si laudas Deum, et
non cantas, non dicis hymnum; si cantas, et non laudas
Deum, non dicis hymnum; si laudas aliud quod non pertinct
ad laudem Dei, etsi cantando laudas, non dicis hymnum. H.
ergo tria ista habet, et cantum, et laudem, et Dei. Laus ergo
Dei in cantico, h.dicitur (Enarrationes in Psalmum CXLVIII,
17). Zur Zeit des Augustinus liegt jedoch bereits eine
reich entwickelte Literatur strophischer Hymnen vor,
deren altester Zweig im -»■ Syrischen Kirchengesang
mit -»■ Ephraim dem Syrer (um 310-373) als bedeu-
tendstem Dichter zu finden ist. Er gab das Vorbild fiir
die im 5. Jh. einsetzende byzantinische -> Hymno-
graphie, deren friiheste »Meloden« ebenfalls aus Syrien
stammten, wie auch fiir lateinische Autoren, vor allem
Hilarius von Poitiers (um 315-367), den noch Isidorus
von Sevilla als ersten lateinischen Hymnendichter
nennt. Erhalten sind von ihm 3 H.-Fragmente, deren
Strophenform an die kunstvolle Metrik der weltlichen
Lyrik anschlieBt. Als eigentlicher Begriinder des la-
teinischen strophischen liturgischen H. gilt -*■ Am-
brosius von Mailand. Der Erfolg seiner Lieder darf
vor allem der schlichten Form von 8 vierzeiligen jam-
bischen Dimeterstrophen zugeschrieben werden, die
fiir die als authentisch gesicherten Hymnen verbind-
lich ist und sich wahrscheinlich mit einer der weltli-
chen Liedtradition nahestehenden Melodik verband.
Augustinus, Schiiler von Ambrosius, belegt fiir dessen
Hymnen am Beispiel des Deus creator omnium den
Dreierrhythmus mit 12 Zahlzeiten fiir jede Zeile, d. h.
mit Jamben aus einzeitiger Kiirze und zweizeitiger
Lange (De musica VI, 2) :
De-us, cre-a-tor om-ni-um
Von den unmittelbaren Nachfolgern des Ambrosius
ist am bedeutendsten der Spanier -> Prudentius. Mit
voller Beherrschung der klassischen Sprachkunst ver-
383
Hymnus
bindet er ungewohnlichen Formenreichtum. Seine
Dichtungen sind als Literatur konzipiert; in die Litur-
gie fanden iiberwiegend Ausschnitte aus seinen Ge-
dichten oder Bearbeitungen Eingang, die einzelne
Strophen oder Verse, oft mit Umstellungen und Ande-
rungen, zu einem -> Cento verbinden. Neben Paulinus
von Nola (f 431), Caelius. Sedulius (Mitte des 5. Jh.)
und Magnus Felix Ennodius (f 521) steht eine groBe
Reihe anonymer Hymnendichter. Entscheidend f iir die
rasche Verbreitung des H. wurde seine Aufnahme in
das kanonische Stundengebet der monastischen Ge-
meinschaften durch ->■ Benedictus von Nursia um 530.
Im Anfangsteil der Vigil und kleineren Horen wie vor
dem SchluB von Matutin, Vesper und Komplet erhielt
er seinen festen Platz. Seither gilt als H. im engeren
Sinne nur der Offiziums-(Brevier-) und der Prozes-
sions-H. Ihm steht als H. im weiteren Sinne die Ge-
samtheit der strophisch gegliederten lateinischen geist-
lichen Dichtung gegeniiber, zu der auch -> Tropus,
-»■ Sequenz (- 1 ; vgl. Notkers Liber hymnorum) und
-s- Reimoffizium gehoren. Die Zahl der bekannten
Hymnen im weiteren Sinne betragt etwa 35000.
Auch die Zahl der Offiziums- und Prozessionshym-
nen ist so groB, daB ortlich ganz verschiedene Reper-
toires entstanden, die seit dem 7. Jh. in Hymnarien ge-
sammelt wurden; als friihestes Hymnar mit diastemati-
scher Notation gilt das Hymnar von Moissac (Rom,
Bibl. Vat., Ms. Rossi 205, um 1000; Ausgabe der Melo-
dien in Monumenta monodica medii aevi I). Die Verbrei-
tung des H. erfolgtejedoch nicht ohneWiderstande. So
sprachen sich im 4.-6. Jh. mehrere Konzilien gegen die
Zulassung solcher freien Dichtung aus, und in Rom
fand der H. erst im 13. Jh. Eingang in die Liturgie.
Daher liegt der Schwerpunkt der Hymnendichtung
im 6.-8. Jh. in Spanien, Gallien (Venantius Fortuna-
tus, f nach 600) und England (->■ Beda venerabilis).
Charakteristisch fur die Hymnodie der Karolingerzeit
mit ihrer Nahe zur weltlichen strophischen Dichtung
ist das Zusammentreffen der ambrosianischen Tra-
dition und ihrer Dimeterstrophen mit der auf Pru-
dentius zuriickgehenden kunstmaBigen Dichtung und
ihrem Formenreichtum. Aus der folgenden Zeit sind
als Hymnendichter zu nennen : Paulus Diaconus (f 799),
Theodulphus von Orleans (f 821), Rhabanus Maurus
(t 856), sein Schuler Walahfrid Strabo (f 849) und
Ratpert von St. Gallen (f nach 884). Im Laufe des 9. Jh.
verbreitete sich (unter AusschluB Mailands) ein neues
Repertoire von Hymnen, das (nach Ph. A. Becker) un-
ter der Verantwortung Benedikts von Aniane ("J" 821)
entstanden sein konnte, wobei Rhabanus Maurus an
dessen Redaktion beteiligt gewesen ware. Zwar trat
im 10.— 1 1 . Jh. neben dem H. die Sequenz in den Vor-
dergrund, doch wurde die Tradition ununterbrochen
weitergefuhrt, in St. Gallen von Hartmann (f 924)
und Ekkehard I. (t 973), in Deutschland von ->• Berno
von Reichenau und Gottschalk von Limburg (f 1098),
in Frankreich durch -*■ Hucbald von Saint-Amand,
-> Odo von Cluny, Fulbert von Chartres (j" 1029),
Ademar von Chabannes (y 1034) und Odilo von Cluny
(f 1048), auch in England und Italien, hier vor allem
durch Petrus Damiani (f 1072). - Die an der Wende
zum 12. Jh. neu einsetzende Epoche der Literatur zeigt
in der Hymnendichtung ein Zurucktreten des Bene-
diktinerordens, an dessen Stelle bald andere Ordens-
gemeinschaften, seit dem 13. Jh. vor allem die Franzis-
kaner, traten. Bis in die neuere Zeit (Leo XIII., Fest-
offizium von der Heiligen Familie, 1892) ist dann die
Neuschopfung von Hymnen nicht abgebrochen.
Ausg. u. Lit.: Augustinus, Enarrationes in Psalmos CI-
CL, hrsg. v. E. Dekkers OSB u. J. Fraipont, = Corpus
Christianorum, Series lat. XL, Turnhout 1956. - F. J.
Mone, Lat. Hymnen d. MA, 3 Bde, Freiburg i. Br. 1853-
55 ; Analecta hymnica medii aevi, hrsg. v. G. M. Dreves u.
Cl. Blume SJ, vor allem d. Bde II : Moissac, 10. Jh. (1 888),
XlVa: San Severin, Neapel (1893), XVI: Spanien (1894),
XXVII: Mozarabische Hymnen (1897), sowie d. Hymni
inediti in d. Bden IV, XI, XII, XIX, XXII, XXIII, XLIII,
d. Hymnographi latini in Bd XLVI1I u. L u. d. Hymnen
neuerer Ausg. (u. a. v. H. A. Daniel) in Bd LI u. LII; U.
Chevalier, Repertorium hymnologicum, Lowen u. Briis-
sel 1892-1921 ; E. Garbagnati, Gli inni del breviario am-
brosiano, Mailand 1897; C. Weinmann, Hymnarium Pari-
siense. Das Hymnar d. Zisterzienser-Abtei Pairis im ElsaB,
= Ver6fT. d.Gregorianischen Akad. zu Freiburg / Schweiz
II, Regensburg 1904; G. M. Dreves, Ein Jahrtausend
lat. Hymnendichtung, 2 Bde, Lpz. 1909; P. Wagner, Ein-
f iihrung in d.Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 3 1 9 1 1
u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; Anti-
phonaire monastique, XIII e s., Cod. F 160 de la Bibl. de la
cathedrale de Worcester, = Paleographie mus. XII, Soles-
mes u. Tournai 1922-24; B. Ebel OSB, Das alteste ale-
mannische Hymnar mit Noten, Kodex 366 (472) Einsiedeln
(12. Jh.), = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg
i. d. Schweiz XVII, Einsiedeln (1931); O. Ursprung, Die
kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb.; Ph. A. Becker, Vom
christlichen H. zum Minnesang, Historisches Jb. d. Gorres-
Ges. LII, 1932; Cl. Blume, Unsere liturgischen Lieder.
Das Hymnar d. altchristlichen Kirche, Regensburg 1932;
Fr. Gennrich, GrundriB einer Formenlehre d. ma. Liedes,
Halle 1932; R. E. Messenger, Christian Hymns of the
First Three Cent., NY 1942; ders., The Medieval Lat. H.,
Washington 1953; E. Jammers, Rhythmische u. tonale
Studien zur Musik d. Antike u. d. M A I, Af Mf VIII, 1 943 ;
W. R. Bonniwell, A Hist, of the Dominican Liturgy, NY
2 1945; Br. Stablein, Die ma. Hymnenmelodien, Habil.-
Schrift Erlangen 1946, maschr.; ders., Zur Gesch. d. cho-
ralen Pange-lingua-Melodie, in: Der kultische Gesang d.
abendlandischen Kirche, Fs. D. Johner OSB, Koln 1950;
Monumenta Monodica Medii Aevi I, Hymnen (I), Die ma.
Hymnenmelodien d. Abendlandes, hrsg. v. dems., Kassel
1956; ders., Parerga zu Monumenta Monodica Medii Aevi
I, Mf X, 1957 ; C.-A. Moberg, Die liturgischen Hymnen in
Schweden, = Beitr. zur Liturgie u. Mg. d. MA u. d. Re-
formationszeit I, Kopenhagen u. Uppsala 1947; U. Se-
sini, Poesia e musica nella latinita cristiana dal III al X s.,
= Nuova bibl. ital. VI, Turin 1949; E. Wellesz, A Hist, ol
Byzantine Music and Hymnography, Oxford 1949, 2 1961 ;
ders., Die Hymnen d. Ostkirche, = Basilienses de musica
orationes I, Basel (1962); G. Vecchi, Poesia lat. medievale
. . ., = Collezione Fenice XVII, Parma 1952; C. E. Pock-
nee, The French Diocesan Hymns and Their Melodies,
London 1954; Hymni et Sequentiae, hrsg. v. B. Rajeczky
u. P. Rad6, = Melodiarium Hungariae medii aevi I, Buda-
pest 1956; LXX Hymni antiquissimi, hrsg. v. W. Bulst,
Heidelberg 1959 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia,
2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962; W.Sh. Smith,
Mus. Aspectsof theNewTestament, Diss, theol. Amsterdam
1 962 ; Y. Szoverffy, Die Annalen d. lat. Hymnendichtung,
2 Bde, Bin (1964-65); Pl. Mittler OSB, Melodieunter-
suchung zu d. dorischen Hymnen d. lat. Liturgie im MA,
= Siegburger Studien II, Siegburg 1965.
- 2) die mehrstimmige Hymnenbearbeitung (hier ab-
gekurzt: Hb.). Unter den fruhesten Beispielen von
Hb.en finden sich 2st. Satze, die auf dem Prinzip des
Stimmtausches aufgebaut sind (lam lucis orto sidere, 12,
Jh., in einem Ms. von Nevers). Eine andere Art de;
2st. Satzes (Nobilis, humilis, Magne, in einem Ms. in
Uppsala) ist hauptsachlich in Terzparallelen geschrie-
ben. Die ->• Quelle Apt enthalt 10 Hb.en (etwa letzte;
Drittel des 14. Jh.) fur die Hauptfeste des Kirchenjah-
res. Mit einer Ausnahme erscheint die Hymnenmelo-
die gewohnlich in leicht verzierter Form im Diskant;
zwei dieser Hb.en haben eine instrumentale Mittel-
stimme. Der musikalisch relativ schlichte Satz. ist je-
weils fur die 1. Strophe bestimmt, was darauf schlieBer
laBt, daB er fur alle ungeradzahligen Strophen benutzl
wurde, wahrend die geradzahligen einstimmig gesun-
gen wurden. In anderen Handschrif ten ist der Wechse!
umgekehrt, offenbar je nach lokalem Gebrauch. Aui
384
Hymnus
dem 15. Jh. sind etwa 20 Hb.en von Dufay (um 1430)
erhalten. Im Ms. Cappella Sistina 15 (um 1500; -> Quel-
len: CS 15), das die meisten von Dufays Hb.en ent-
halt, wird ein neues Prinzip befolgt: jede Wechsel-
strophe erhalt einen (wohl rein vokalen) neuen mehr-
stimmigen Satz bei gleichem C. f. Die meisten Hb.en
Dufays sind dreistimmig mit dem leicht stilisierten
C. f. in der Oberstimme, einige jedoch zweistimmig
mit -»• Fauxbourdon-Vermerk. In den anderen Hb.en
von CS 15 erscheint der C. f. auch im Tenor oder un-
ter die Stimmen verteilt oder im strengen Kanon. Ei-
nige Satze sind imitierend, einige akkordartig kom-
poniert, wahrend andere einen Wechsel beider Satz-
arten zeigen. Von 71 mehrstimmigen Strophensatzen
der 28 Hb.en sind 6 kanonisch angelegt.
Vor der Mitte des 16. Jh. erscheinen die 4 vollstandi-
gen Zyklen durchs Kirchenjahr von Carpentras, Festa,
Willaert und Corteccia. Der Liber hymnorum von Car-
pentras (um 1533 in Avignon gedruckt) enthalt 31
2-6st. (meist 4st.) Hb.en dazu verschiedene Versionen
fur bestimmte Hymnen oder Strophen, insgesamt etwa
120 Stiicke. Fast durchweg sind Satze fur die Doxologie
beigefiigt. Mitunter erscheint die Hymnenmelodie un-
verandert im Tenor, wie z. B. in der Bearbeitung des
Advents-H. Conditor alme, der zweimal vollstandig
komponiert ist (einmal fiir die ungeradzahligen und
einmal fiir die geradzahligen Strophen). Oft wechseln
4st. und 3st. Satze in einer Hb. ab; in der Doxologie
wird bisweilen ein 5st. Kanon eingefuhrt. C. Festas
Hymni per tolum annum (3-6st.) sind Vesperhymnen.
Das Prinzip, jede zweite Strophe eines H. mehrstim-
mig zu setzen, wird beibehalten. Die 90 Satze der
Sammlung bilden eine Art AbriB des Motettenstils
im friihcn 16. Jh. Die iiberall vorhandene Grundme-
lodie fuhrt dazu, dafi die Anzahl der Teile und so-
mit auch die Gesamtlange der einzelnen Komposi-
tionen beschrankt bleibt. Infolge des Vorherrschens
der 4zeiligen Strophe ist der 4teilige Typus am haufig-
sten. Willaert (Hymnorum musica, Venedig 1542) setzt
gewohnlich die geradzahligen Strophen aus, wobei er
2-6 Stimmen mit groBer kontrapunktischer Mannig-
faltigkeit und freier Stilisierung der Hymnenmelodien
gebraucht. Im freien kontrapunktischen Stil des Hin-
nario di Fr. Corteccia (Ms. Florenz, Laur. Med. Palat. 7,
um 1543) wechselt die Stimmenzahl in der Abfolge
4-3-5, mit einem gelegentlichen Satz zu 6 Stimmen.
Die Himni vesperorum totius anni vonjachet von Mantua
(posthum, Venedig 1566) entstanden wahrscheinlich
vor der Jahrhundertmitte. Konsequent sind die gerad-
zahligen Strophen ausgelassen; der Kanon erscheint
regelmaBig im 5st. SchluBsatz. - Nach der Mitte des
Jahrhunderts vermehrten sich die Veroffentlichungen
von Hymnenzyklen in Italien, besonders in Venedig,
Rom und Mailand. Zu erwahnen sind die Zyklen
von J. de Kerle (Rom 1558-60), G.Contino (Venedig
1561), D.Ortiz (Venedig 1565), Aretino (Mailand
1565) und M.Varotto von Novara (Venedig 1568). In
seinen Hymni totius anni (Rom 1581) variiert Victoria
die Stimmenzahl nach dem Muster 4—3-4. Palestrina
laBt in seinen Hymni totius anni (Rom 1589) in der Re-
gel die 1. Zcile der 1. Strophe einstimmig und setzt die
iibrigen Zeilen sowie die ungeradzahligen Strophen
mehrstimmig. Andere Hymnenzyklen schrieben J.
Sabino (Venedig 1582), G.M.Asola (Venedig 1585),
G. Navarro (Rom 1590), G. deWert (2 Bande, Mailand,
Cons. SB 167-168, 1590), P.Ponzio (Venedig 1596),
Orf eo Vecchi (Mailand 1600), C. Porta (Venedig 1602),
Orazio Vecchi (Venedig 1604), G.Cavaccio (Venedig
1605), M.A.Ingegneri (Band II, Venedig 1606) und
F. Vitali (Rom 1636). Der EinfluB neuer Stilarten wird
deutlich in S.Stellas Hymnorum ecclesiasticorum liber I
(Neapel 1610, simul canendi atque sonandi) und in P.
Lappis Hymni per tutto I'anno a 4 voci con . . . organo
(Venedig 1628). Spatere Beispiele enthalten die Inni
novi concertati fiir 2-6 Stimmen mit Instrumenten per
le sinfonie von A.Freddi (Venedig 1632), die Hinni
sacri concertati fiir 1 bis 6 Stimmen von A.Mattioli (Ve-
nedig 1646), die Hinni per tutto I'anno a voce sola con
violini a beneplacito von M.Cazzati (Bologna 1662) und
ahnliche Sammlungen von C. D. Cossoni (1668), Seb.
Cherici (1672), G.A.Florimi (1673) und B.Graziani
(1674). In der Nachfolge Cazzatis stehen die Werke
von G.B. Vitali (Modena 1681) und G.A.Silvani (Bo-
logna 1702). Von dieser Zeit an begniigten sich die
italienischen Komponisten damit, einzelne Hb.en fiir
besondere Anlasse zu komponieren.
Deutschland zeigt im 15. und 16. Jh. fiir die Hb. wegen
ihrer Verwandtschaft mit dem strophischen Tenor-
lied eine besondere Vorliebe (z. B. enthalt der Apel-
sche Codex 47 3-5st. Offiziumshymnen). Einer der
friihesten deutschen Komponisten von Hb.en, Adam
von Fulda, bringt in seinem 5st. Nuntius celso (NA
Chorwerk XXXII, Nr 11) einen Diskant-Tenor-Kanon
in der Oktave und einen zweiten C. f . mit zusatzlichem
Text nach Art eines Tropus. In der deutschen Hb. liegt
der C. f. entweder im Tenor oder im Diskant, oft ge-
koppelt mit einem textlich auf ihn abgestimmten an-
deren lateinischen oder deutschen C. f., wahrend die
iibrigen Stimmen textlos und von instrumentalem
Charakter sind; so wird der Pfingst-H. Veni creator mit
dem altdeutschen Lied Tannhauser ihr seid mir lieb ver-
bunden. In seinem Sanctorum hymnorum liber primus
(Wittenberg 1542), der 113 deutsche Einzelsatze ent-
halt, nennt G.Rhaw im Titel als primi artifices Th.
Stoltzer, H. Finck und Arnold von Bruck. AuBer die-
sen Meistern begegnen in der Sammlung auch Satze
von Senfl, Isaac und Obrecht. Die Hb.en von Sixt Diet-
rich (Wittenberg 1545) waren ausdriicklich fiir den
evangelischen Vespergottesdienst bestimmt. Ihre bei-
den Teile (Proprium de tempore und de Sanctis) ent-
halten insgesamt 122 Satze. Es seien noch genannt die
Sammlungen vonX. Schroter (Erfurt 1587), B.Gesius
(Wittenberg 1595) und M. Praetorius (Hymnodia Sionia,
145 Satze a 2 bis 8, Wolfenbiittel 1611). Der meist ho-
mophone Hymnus scholasticus ist ein Sonderzweig der
Hb. fiir die evangelische Lateinschule. Komponisten
dieses Typus waren M.Agricola (1557), W.Figulus
(1594, 1605), B.Gesius (1597, 1609) und S.Calvisius
(1594). Die 32 Hymni per totum annum von O. de Lassus
(1580/81) sind nie veroffentlicht worden (Bayerische
Staatsbibl. Miinchen, Mus. Ms. 55). Andere Samm-
lungen von Hb.en aus Suddeutschland sind die von W.
Perckhaimer (Wasserburg am Inn 1564, Miinchen
21591), C. de Zachariis (Munchen 1594) und J. Lefebure
(Konstanz 1596). Gelegentlich erschienen in Deutsch-
land Hb.en auch wahrend des 17. und 18. Jh.
Neben den Spaniern in Italien gab es eine Anzahl Hym-
nenkomponisten, deren Werke in spanischen Bibliothe-
ken aufbewahrt werden. Das Ms. Taragona, Musikar-
chiv der Kathedrale, Ms. no. 2, enthalt einen Zyklus
mit 20 4st. Hb.en von Escobar (8), Dalua (6), Pefialosa
(4), Sanabria (1) und Urreda (1). Stilistisch haben sie viel
mit den italienischen Hb.en des friihen 16. Jh. gemein-
sam. - In Frankreich ist der Bestand an Hb.en nach der
Reformation verhaltnismafiig unbedeutend. Der Codex
Cambr^iNo.l7(Mittel6.Jh.)enthalt35anonymeHym-
nensatze. Als Hymnenkomponisten sind bekannt: Fr.
Callet (Douai 1586), J.Bournonville (Paris 1612), Ch.
de Heifer (1660, nach Fetis) und M. A. Charpentier.
Das Ms. Paris, Bibl. Nat., Ms. Vmi 1171, enthalt eine
Anzahl Hymnen, aber keinen eigentlichen Zyklus. -
Das Ms. Brit. Mus., Egerton 3307 (2. Viertel des 15.
25
385
Hypallage
Jh.), enthalt 6 Kompositionen der Prozessionshymnen
fur die Karwoche nach dem Ritus der Diozese Sarum
im modifizierten englischen Conductusstil, gewohn-
lich mit dem figurierten Cantus im Superius (drei-
stimmig oder wechselnd zwei- bis vierstimmig). Im
16. Jh. wurden nur wenige lateinische Hymnen von
Tallis, Byrd und anderen komponiert; die protestanti-
sche Kirchenkomposition wandte sich in England mehr
den Psalmsatzen und volkssprachigen Liedern zu.
Das Prinzip der Hb. wird im 15. Jh. auch fiir die Or-
gel iibernommen. Angefangen bei Paumann (1452) bis
zu Hofhaymer, Schlick, Buchner und Sicher (f 1546)
sind die friihen Orgelhymnen im C. f.-Satz geschrie-
ben und bringen die Melodie in langen Noten im Te-
nor, die anderen Stimmen in kontrapunktischer Aus-
arbeitung. Die spatere Entwicklung schloB kanonische
Durchfiihrung ein. Die Orgelhymnen von G.Cavaz-
zoni (1542) zeigen den flamischen Motettenstil. Das
Prinzip des Wechsels ist ganz augenscheinlich in G. M.
Asolas Canto fermo sopra Messa, Hinni ... ai suonatori
d'organo per rispondere al coro (1596). Die Komposition
von Orgelhymnen wurde in Italien fortgefiihrt von
A.Banchieri (1605), B.Bottazzi (1614), Frescobaldi
(1627), G.B.Fasolo (1645), G.Scipione (1650) und G.
C. Arresti (1664). Weitere Komponisten des Orgel-H.
sind Cabezon, J. Bull, Sweelinck, Praetorius, Scheidt
und Titelouze.
Ausg.: Der Mensuralkodex d. N. Apel, hrsg. v. R. Ger-
ber, =EDM XXXII, Abt. MA IV, 1956; H. Finck, 8
Hymnen zu 4 St., hrsg. v. R. Gerber, Chw. IX, 1931 ; Deut-
sche Meister d. 15. Jh., 12 Hymnen zu 3-5 St., hrsg. v. R.
Gerber, Chw. XXXII, 1935; G. Dufay, Samtliche Hym-
nen, hrsg. v. R. Gerber, Chw. XLIX, 1937; G. Rhau,
Sacrorum hymnorum liber I (1542), hrsg. v. R. Gerber,
RD XXI u. XXV, 1942-43; C. Festa, Hymni per totum
annum, 3-6st., hrsg. v. Gl. Haydon, = Monumenta poly-
phoniae ital. HI, Rom 1958; Fr. Corteccia, Hinnario,
hrsg. v. dems., = Musica liturgica I, 4, Cincinnati 1958;
Sixt Dietrich, Hymnen (Wittenberg 1545), hrsg. v. H.
Zenck, mit einem Geleitwort v. W. Gurlitt, Saint Louis
(USA) 1960.
Lit. : A. Eixing, Die Messen u. Hymnen d. Hs. v. Apt, Diss.
Gottingen 1924, maschr. ; A. Gastoue, Le ms. de musique
du tresor d'Apt, = Publications de la Soc. frc. de musicolo-
gie I, 10, Paris 1936; Gl. Haydon, The Lateran Cod. 61,
Kgr.-Ber. Koln 1958 ; ders., The Hymns of C. Festa, JAMS
XII, 1959; ders., The Dedication of Fr. Corteccia's Hin-
nario, JAMS XIII, 1960; ders., The Hymns of Jacobus de
Kerle, in: Aspects of Medijeval and Renaissance Music,
Fs. G. Reese, NY (1 966) ; R. Gerber, Zur Gesch. d. mehrst.
H. (Die Textwahl in d. mehrst. Hymnenkomposition d.
spSten MA; Die Hymnen d. Apelschen Kodex; Die Sebal-
dus-Kompositionen d. Berliner Hs. 40021 ; Span. Hym-
nensStze um 1 500 ; Romische Hymnenzyklen d. spaten 1 5.
Jh.; Die Hymnen d. Hs. Monte Cassino 871), = Mw. Ar-
beiten XXI, Kassel 1965. fur Hymnus (- 2) : GH
Hypallage (griech., Veranderung), in der Kompo-
sitionslehre des 17.-18. Jh. eine musikalische Figur, die
in Anlehnung an die rhetorische H. erklart wurde. Die-
se entsteht durch Verschiebung der grammatischen
und semantischen Beziehung eines Adjektivs (z. B. des
Knaben lockige Unschuld), so daB sich eine Umkehrung
in der Zuordnung ergibt. Nach Burmeister (1606) liegt
eine musikalische H. vor, wenn die Fuga in umgekehr-
ter Intervallanordnung eingefiihrt wird (quando Fuga
converso intervallorum ordine introducitur), also eine Ge-
genfuge entsteht. Ein Beispiel textbedingter Anwen-
dung der H. findet sich in der Motette Exaudi Domine
von Lasso (GA VII, S. 158) bei den Wortern ne avertas
(faciem tuam a me). AuBer Burmeister verbindet nur
Janowka (1701) die Gegenfuge mit dem Namen H.
Hypate (griech.) -> Sy sterna teleion.
hyper (griech. iiber; lat. super), hypo (griech. unter;
lat. sub), in Zusammensetzungen bei Intervallbezeich-
nungen wie Hyperdiatessaron (Oberquarte), Hypo-
diapente (Unterquinte), oder bei den Namen der Ska-
len des -> Systema teleion und der -*■ Kirchenton
wie hypodorisch.
Hyperbaton (griech.; lat. verbi transgressio, Wort-
versetzung), eine in der Kompositionslehre des 18. Jh.
im AnschluB an die Rhetorik erklarte musikalische
Figur. In der Rhetorik ist das H. nach Gottsched die
Versetzung eines Worts oder Gedankens von seiner natur-
lichen Stelle, die . . . aus der Heftigkeit des Affects her-
riihrt (Critische Dichtkunst, X. Hauptstiick, § 10). Schei-
be (Critischer Musicus, 75. Stiick) erklart die Figur mu-
sikalisch als Versetzung eines Tones oder Motivs in
eine andere Lage.
Hyperbole (griech., Uberwerfen; lat. superlatio), in
der Kompositionslehre des 17. Jh. eine musikalisch-
rhetorische Figur. In der Rhetorik ist die H. eine Uber-
treibung (z. B.: in Tranen zerflieBen). Burmeister er-
klart (1606) die H. musikalisch als das Uberschreiten
des Notenliniensystems nach oben hin. Hypobole
nennt er das Unterschreiten des Liniensystems. Beide
Figuren konnen zur Darstellung des besonders Hohen
bzw. Tiefen verwendet werden (wie Himmel, Holle),
wobei der mit dem Verlassen des Notenliniensystems
gegebene optische Eindruck mitspielt.
Hyporchema heiBt in der griechischen Antike eine
Gattung von Chorliedern (Fragmente von Pindar),
spater ein zur Begleitung einer pantomimischen Dar-
stellung geschaffenes Tanzlied (Platon, Ion, 534C;
Lukian, De saltatione, 16).
Lit.: H. Roller, Die Mimesis in d. Antike, = Dissertatio-
nes Bernenses 1, 5, Bern 1954.
Hypotjjposis (griech., Abbildung) nennt Burmeister
(1606; im AnschluB an die rhetorische H. in L.Lossius'
Erotemata, 1544) jenes fiir die Vokalkomposition seit
dem 16. Jh. zentrale musikalische Abzeichnen (H. vel
descriptio heiBt sie bei Lossius, »Abschilderung« bei
Gottsched), wodurch »lebendig zu sein scheint, was
hinter dem Text verborgen ist. « Hoc ornamentum usi-
tatissimum est apud authenticos Artifices (Burmeister). H.
als Figur der Musica poetica ist demnach eine Sammel-
bezeichnung fiir unzahlige Verwirklichungen solchen
Abbildens, Belebens und Veranschaulichens des Sinn-
und Affektgehalts der Worter; sie kommt zustande,
indem die musikalische Erfindung (nach Bewegungs-
art, Stimmenlage, Modulationsgang usw.) analog dem
Textgehalt gebildet ist (z. B. bei Wortern wie Freude,
Schmerz; Seufzen, Schweigen; Wasser, Schlange;
Pauken, Trompeten). Denn man soil das freudige, freu-
dig, das traurige, traurig, das geschwinde, geschwind, das
langsame, langsam etc. machen (Bernhard). - Als Klasse
der H.-Figuren konnen eine Reihe spezifischer Bildfi-
guren zusammengeschlossen werden, wie -*■ Anabasis
und -*■ Katabasis, -»■ Circulatio, -»■ Tirata, -> Passus
duriusculus, -> Suspiratio u. a.
Hz (Abk. fiir Hertz) -*■ Frequenz.
386
I
i, bei Kirnberger (1771) Bezeichnung der von ihm ver-
suchsweise in die Komposition und Notenschrif t einge-
fiihrten natiirlichen Septime (7. Naturton; -*■ Intervall-
Tabelle) ; sie hat 968,8 Cent und ist somit um 27,3 Cent
kleiner als die pythagoreische und um 31,2 Cent klei-
ner als die temperierte kleine Septime. Durch Rameaus
Erklarung der Konsonanz aus dem Phanomen der
Obertone war der Gedanke nahegelegt, ob nicht auch
die hoheren primaren Teiltone fiir die Theorie der
Harmonie in Frage kommen, und noch vor Kirnber-
ger hatte 1754 Tartini ( Trattato di musica . . .) mit dem
die Erniedrigung um etwa einen Achtelton andeuten-
den Zeichen [/ oder, wenn dasselbe zu einem \> hinzu-
kommt, |o praktische Versuche gemacht :
f-t4»
$
i ilo * \> .
m
£M^#
k>7 b \>7
Euler (1739) schrieb der Naturseptime wegen ihres ein-
fachen Zahlenverhaltnisses (4:7) einen hohen Konso-
nanzgrad zu und erklarte die angenehmeWirkung des
Dominantseptakkords dadurch, daB der Horer statt der
erklingenden Septime (8:15) die Naturseptime (8:14)
auffasse. Es steht experimentell fest, dafi der Zusam-
menklang 4:5:6:7 (c-e-g-i) sehr schon klingt, auch ist
z. B. die bekannte Stelle im Trio des Scherzos (Takt 236)
der 3. Symphonie Beethovens (des'-es'-b 1 ), von drei
Naturhornern geblasen, mit dem 7. Naturton im2. Horn
von bezaubernder Wirkung. Gehorte die Naturseptime
bis zur Einf iihrung der Ventilinstrumente um die Mitte
des 19. Jh. zum Klangbild der Blechblaser (allerdings
wegen der Diskrepanz zu anderen Instrumenten oft
durch Umspielung verdeckt), so wird sie in der neueren
Musik in einzelnen Fallen als besonderer Effekt vorge-
schrieben, z. B. in der Einleitung zu Brittens Serenade
fiir T., Horn und Streichorch. op. 31 (1943).
Lit. : M. Vogel, Die Zahl Sieben in d. spekulativen Musik-
theorie, Diss. Bonn 1955, maschr.; ders., Die Intonation
d. Blechblaser, = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen
d. Musik I, Diisseldorf 1961 ; ders., Der Tristan-Akkord
....ebendall, 1962.
Iastisch-*- Systema teleion.
Idee fixe (id'e fiks, frz.) nennt Berlioz das Kernthema
(unepensee musicale) seiner Symphonie fantastique (1830),
das in deren 5 Satzen in je abgewandelter Form den
ungliicklichen Kunstler durch verschiedene Situatio-
nen seines Lebens als xmelancholischer Reflex« verfolgt,
- ein Vorlaufer des -*■ Leitmotivs.
Idiophone (Eigenklinger, von griech. tStoc;, eigen),
im AnschluB an die Instrumentensystematik Mahillons
(1880; instruments autophones) von E.M.v.Hornbostel
und Sachs (1914) gebildete Bezeichnung fiir Instru-
mente, bei denen der schwingende Instrumentenkorper
selbst, und nicht eine gespannte Membran (->- Mem-
branophone) oder Saite (-»■ Chordophone), den Ton
erzeugt. In ihrem Material bestehen die I. aus Holz
(-»• Xylophon), Stein {-*■ Lithophone), Metall (-»■ Me-
tallophon) oder Glas (-> Glasspiele). Die Erregung
des Schwingungsvorganges kann erfolgen durch un-
mittelbares Schlagen (-»• Schlaginstrumente), Schiit-
teln (Rasseln, Sistrum, Angklung), Schrapen (Ratsche,
Guiro), Zupfen (Maultrommel, Sansa) sowie Reiben
(-> Friktionsinstrumente).
Ikonographie, musikalische (von griech. etxwv,
Bild, und ypaipEiv, schreiben), dieWissenschaft von den
Bildzeugnissen zur Geschichte der Musik. Sie umf aBt 3
Arbeitsbereiche: 1) kritische Sichtung der Bilddoku-
mente zur Biographie eines Komponisten (vorbildlich
z. B. O.E.Deutsch 1913 und 1961, W.Neumann 1953)
und seiner Umwelt; dieser Bereich der mus.n I. beriihrt
sich mit der musikalischen Lokalgeschichtsschreibung.
2) Sammlung von Bildzeugnissen zur -*■ Auffiihrungs-
praxis (z. B. Besseler 1952 und 1959) ; dieser Bereich der
mus.n I. steht vor allem der Instrumentenkunde nahe.
3) Tritt die mus. I. in den bisher genannten Zusammen-
hangen als Hilfswissenschaft auf, so liegt doch ihr
zentraler Arbeitsbereich in der Sinndeutung kiinstleri-
scher Musikdarstellungen, die zuverlassig nur unter
Zusammenfassung musik- und kunstgeschichtlicher
Kriterien moglich ist. Zu untersuchen ist dabei vor al-
lem die Frage, welchen Anteil Darstellung der Wirk-
lichkeit, Symbolik und freie Phantasie in einem be-
stimmten Kunstwerk einnehmen; an der Beantwor-
tung dieser Frage entscheidet sich, ob ein Bild als Zeug-
nis fiir die musikahsche Praxis oder fiir das Musikden-
ken einer Epoche gelten kann. Am Ausbau dieses
Zweiges der mus.n I. sind als Kunsthistoriker vor allem
A.Warburg und E.Panofsky, als Musikhistoriker u. a.
W. Gurlitt und R. Hammerstein beteiligt. - Die Kata-
logisierung der Quellen zur mus.n I. steht noch in den
Anfangen.
Lit. : E. Buhle, Die mus. Instr. in d. Miniaturen d. f ruhen
MA I, Die Blasinstr., Lpz. 1903; ders., Das Glockenspiel
in d. Miniaturen d. friihen MA, Fs. R. v. Liliencron, Lpz.
1910; H. Leichtentritt, Was lehren uns d. Bildwerke d.
14.-17. Jh. iiber d. Instrumentalmusik ihrer Zeit?, SIMG
VII, 1905/06; K. Storck. Musik u. Musiker in Karikatur
u. Satire, Oldenburg 1910; O. E. Deutsch, Fr. Schubert.
Sein Leben in Bildern, = Fr. Schubert. Die Dokumente
seines Lebens u. Schaffens III, Munchen 1913; ders., Mo-
zart u. seine Welt in zeitgenossischen Bildern, = W. A.
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zeugnissed. 16. Jh , AfMwI, 1918/19; M. Sauerlandt,
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u. Lpz. 1922; E. Droz u. G. Thibault, Poetes et musiciens
du XV e s., = Documents artistiques du XV e s. I, Paris 1 924;
C. Moreck, Die Musik in d. Malerei, Munchen (1924); A.
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musik d. 15. Jh., in: Ber. fiber d. Freiburger Tagung f.
deutsche Orgelkunst, hrsg. v. W. Gurlitt, Augsburg 1926;
G. Kinsky (mit R. Haas u. H. Schnoor), Gesch. d. Musik
in Bildern, Lpz. 1929, engl. hrsg. v. H. Besseler, M. Schnei-
der u. E. Blom, London u. NY 1930, Neudruck 1951, frz.
hrsg. v. H. Prunieres, Paris 1930, ital. hrsg. v. G. Cesari,
Mailand 1930; L. Schrade, Die Darstellung d. Tone an d.
Kapitellen d. Abteikirche zu Cluny, DVjs. VII, 1929; E.
25*
387
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Warburg XVIII, Lpz. 1930; ders., Who is Jan van Eyck's
»Thymotheos«?, Journal of the Warburg and Courtauld
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Freiburger Miinster, AfMw IX, 1952; ders., Instrumenta
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Bernu. Munchen(1962);K. Meyer-Baer, The Eight Grego-
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gerkanzel d. Luca Delia Robbia, Diss. Freiburg i. Br. 1955,
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Miniaturen aus d. Slg d. Museums f. Indische Kunst Bin,
Bd I, = VerofT. d. Museums f . Indische Kunst Bin II, Wies-
baden 1966.
Imbroglio (imbr'aAo, ital., Vermischung, Verwir-
rung) bezeichnet in der Musik, sofern sie auf einheit-
licher Taktordnung beruht, dierhythmische Verwick-
lung, die durch Vermischung oder Uberlagerung ver-
schiedener Taktarten entsteht. Bekannte Beispiele bie-
ten das 1. Finale in Mozarts Don Giovanni, der SchluB
des 1. Akts von Wagners Meistersinger und die Eroff-
nungsszene des 3. Aktes im Rosenkavalier von R. Strauss.
Imitation (lat. imitatio, Nachahmung), grundlegende
Satztechnik in der mehrstimmigen Musik: eine melo-
disch-rhythmische Sinneinheit (Motiv, Soggetto, The-
ma oder langere Melodielinie) der einen Stimme wird
gleich oder ahnlich in einer anderen Stimme wieder-
holt. Hinsichtlich der Bewegungsrichtung ist die wich-
tigste Art der I. diejenige in gleicher Bewegung (imi-
tatio aequalis motus), bei der die Nachahmung als sol-
che vernehmbar ist, weil der Melodiezug des Vorbil-
des erhalten bleibt. I. in Gegenbewegung (inaequalis
motus oder motu contrario), also mit melodischer
-> Umkehrung oder Spiegelung, sowie die selteneren
Arten im -*■ Krebsgang (cancricans) und seiner Um-
kehrung (cancricans motu contrario) sind dagegen fiir
den Horer schwieriger oder gar nicht zu erkennen. Di
I. kann auf derselben Tonstufe (in unisono) oder in an
deren Intervallen (in secunda, in tertia usw.) oberhall
oder unterhalb (superior oder inferior) des Vorbilde
einsetzen. Zu beriicksichtigen ist jedoch, daB die Be
zeichnung I. lange Zeit in einem engeren Sinn, nam
lich als Gegensatz zur -> Fuga verwendet und dabe
auf die nicht streng intervallgleiche Nachahmung ii
der Sekunde, Terz, Sexte und Septime bezogen wurd
(Zarlino 1558 und noch WaltherL). AuBerdem kani
die I. mit Verlangerung oder Verkiirzung der rhyth
mischen Werte (per augmentationem oder per dimi
nutionem) auftreten oder auch durch Pausen unter
brochen werden (imitatio interrupta). - Die ausge
dehnten Anwendungsf elder der I. lassen sich durch dei
Gegensatz von strenger und freier I. abstecken: Ii
strenger I. folgt die imitierende Stimme der voran
gehenden vollstandig, wie es fiir alle Arten des Kanon
kennzeichnend ist; bei freier I. trennt sich die nachfo]
gende Stimme nach einer Strecke der Nachahmun;
vom Vorbild, was etwa bei Fuge und Motette ebens*
der Fall ist wie bei der Technik der motivischen I., di
auch auBerhalb der kontrapunktisch bestimmten For
men vielfaltig verwendet worden ist. Bezogen auf da
jeweilige Werk kann die I. alle beteiligten Stimmen er
fassen oder sich auf zwei beschranken, langere Ab
schnitte ganz beherrschen oder nur vereinzelt auftre
ten und in entsprechendem Mafie zur organischen Ent
faltung und architektonischen Geschlossenheit de
Komposition beitragen. Da nur gleichberechtigt
Stimmen an der I. teilnehmen konnen, bleibt eine ein
zelne C. f .-Stimme, sofern sie Eigencharakter hat, voi
der Nachahmung ausgeschlossen. Deshalb entstam
men die altesten Beispiele der I. dem Conductus un<
den C. f .-freien Stimmen aus dem 3- oder 4st. Orga
num der Notre-Dame-Epoche (Anfang 13. Jh.) :
>> h i r n' r-ir r * | [ ' w r
> i i r w nr r *ir n' r
b ' i ir rr nr r M^rr
Vi-
(b)
r r * h r ] w
^
r r * i r r r r i r r *
m- r >!i- n' r^P*
l-derunt
Perotinus, Organum Viderunt principes
(Ubertragung des Anfangs).
Dieses Friihstadium verwendet die I. (a) neben der eir
fachen Wiederholung eines Melodiegliedes in derselbe
Stimme (b) und neben dem -> Stimmtausch (a und c
388
Impressionismus
Die beiden letztgenannten Satztechniken werden in
ihrer altesten theoretischen Erwahnung durch Johan-
nes de Garlandia (Mitte des 13. Jh.; CS I, 116) als re-
petitio ejusdem vocis und repetitio diversae vocis bezeich-
net und zum Schmuck (color, pulchritudo soni) der
Musik gezahlt. Von hier aus fiihrt die Entwicklung
sowohl zu den Friibiormen des Kanons als auch iiber
weitere Ansatze (z. B. im Bamberger Motettenkodex
und bei Machaut) zur Ausbreitung der freien I. seit
dem Anfang des 15. Jh. In der burgundischen Epoche
wurde die Praxis der Eingangs-I. ausgebildet. Mit dem
Vordringen der C. f.-freien Motette im ausgehenden
15. Jh. erfafite die I. zunehmend alle Stimmen des
Satzes. Josquin Desprez, fiir dessen Werk die I. in
Stimmenpaaren charakteristisch ist, forderte entschei-
dend die Entwicklung des »durchimitierenden Stils« (H.
Riemann), der im 16. Jh. geradezu satztechnische Norm
wurde : von Abschnitt zu Abschnitt wandert das dem
jeweiligen Textglied zukommende -*■ Soggetto imi-
tierend durch alle nunmehr gleichberechtigten Stim-
men. Die Einsatzfolge wird im Innern eines Stiickes
iiberwiegend freiziigig behandelt, bei der Eingangs-I.
dagegen oft sehr regelmaBig angeordnet (N. Gombert,
in: Magnificat octavi toni, CMM 6, IV, S. 90). Die Durch-
I. griff seit dem 16.-17. Jh. auch auf die Instrumentalmu-
sik iiber und begriindete u. a. die Entwicklung der Fu-
ge, bei der im Verfahren der ->• Beantwortung eine
pragnante Weise der I. entstand. Vom 18. Jh. an wur-
de die I. in wachsendem Mafie der metrischen Periodik
angepaBt und bewirkt im harmonisch bestimmten Satz
der Klassik und Romantik stets, wenn auch oft nur
kurz, den teilweisen oder volligen Durchbruch zur
Polyphonie; sie tritt hier vorzugsweise an Stellen von
besonderer Dichte und als Impuls der Durchfiihrung
und Steigerung auf und erscheint haufig hervorgeho-
ben und individualisiert durch Instrumentierungskon-
traste. L , K
J. Haydn, Streichquartett D moll (Hob. Ill, 76),
4. Satz, Takt 93ff. _
L. van Beethoven, Streichquartett F dur
op. 18, Nr 1, 1. Satz, Takt 129ff.
- In der Kompositionslehre nimmt der simitierende
Kontrapunkt« seit dem 17. Jh. einen fiihrenden Platz
ein. Grundsatzlich beschrankt sich aber die Anwen-
dung der I. nicht auf einzelne_Epochen.
Lit.: G. Adler, Die Wiederholung u. Nachahmung in d.
Mehrstimmigkeit, VfMw II, 1886, S. 27 Iff.; H. Riemann,
Lehrbuch d. einfachen, doppelten u. imitierenden Kontra-
punkts, Lpz. 1888, 31915, '•-61921, engl. Lpz. 1904; ders.,
Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920, S. 212ff.; W. Gurlitt,
Burgundische Chanson- u. deutsche Liedkunst d. 15. Jh.,
Kgr.-Ber. Basel 1924, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart
I, =BzAfMw I, Wiesbaden 1966; H. Besseler, Studien
zur Musik d. MA II, AfMw VIII, 1926; M. Schneider,
Zur Satztechnik d. Notre-Dame-Schule, ZfMw XIV, 1931/
32; W. Apel, I. in the 13 th and 14 th Cent., in: Essays on
Music, Fs. A. Th. Davison, Cambridge (Mass.) 1957; C.
Dahlhaus, Chr. Bernhard u. d. Theorie d. modalen I.,
AfMw XXI, 1964; D. Harbinson, I. in the Early Motet,
ML XLV, 1964; J. Kerman, Byrd, Tallis, and the Art of I.,
in: Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G.
Reese, NY (1966). KJS
Imperfektion (von lat. imperfectus, unvollkommen)
ist in der Mensuralnotation »die Wegnahme eines
Drittels vom eigentlichen Wert einer ganzen Note oder
ihrer Teile« (Tinctoris, Liber imperfectionum notarum
musicaliutn, CS IV, 54a). Nach Franco von Koln (ed.
Cserba, S. 235ff.) tritt I. einer Longa oder Brevis dann
ein, wenn ihr eine einzelne Note der nachst kleineren
Gattung folgt und dieser wieder eine grofiere, oder
wenn mehr als 3 Noten der nachst kleineren Gattung
^.^..■T-JJJIJJIJJJIJ.I
Abweichung von diesen Regeln wird durch -> Divi-
sio modi (- 2), spater Punctus divisionis (-> Punctus - 2) ,
angezeigt, vor allem wenn z. B. eine Brevis zwischen 2
Longae nicht die vorhergehende Longa imperfiziert
(I. a parte post), sondern die folgende (I. a parte ante):
V1 - f J- IJJ I
Die Ars nova (J. de Muris, CS III, 47-52, und GS III,
296-300; dagegen Jacobus Leodiensis, CS II, 424-427)
lafit auch I. der Maxima und Semibrevis zu und fiihrt
neben der bei Franco allein iiblichen I. um '/3 0- a d
totum) auch die I. ad partem propinquam ein; bei ihr
wird nur die Halfte oder ein Drittel der Note imperfi-
ziert, so dafi sich insgesamt Verkiirzung um l j(, oder
1 jg ergibt. Die Musiklehre beschreibt auch die I. ad
partem remotam (z. B. Maxima durch Semibrevis im-
perfiziert) und die I. ad partem remotiorem (Maxima
durch Minima imperfiziert). Weitere Komplikationen
ergeben sich dadurch, dafi eine Note mehrfach imper-
fiziert werden kann, auch gleichzeitig a parte post und
a parte ante, und dafi auch die imperfizierende Note
ihrerseits imperfiziert wird. Ein Schulbeispiel geben
die Quatuor principalia (CS IV, 270b, vgl. ApelN, 388).
Wie durch verschiedene I. der Wert einer Brevis von
9 auf 4 Minimae verringert werden kann, zeigt der
Anfang des Contratenors in Machauts Ballade Nr 32 :
■■; ■ i ... » J- J-iAl J Al. i
Impressionismus. »Impressionistisch« hat man vor
allem die Musik Debussys, Ravels und ihrer Schiiler
genannt, weil sie Bildvisionen mit suggestiver Kraft
heraufbeschwor und das Atmospharisch-Dunstige des
Klanges (»Sfumato«), die harmonikale »Farbe« gegen-
tiber dem melodischen »Umrifi« bevorzugte. Auch die
Vorliebe fiir das vibrierend Lebendige hat die impres-
sionistische Musik mit der gleichbenannten Malerei
vielfach gemeinsam, nicht aber die Schatzung des fliich-
tigen Augenscheins, das Momentane, Eilend-Vergang-
liche, Ziigig-Bewegte, ebensowenig das geheimnislose,
michterne Freilicht. Debussy selbst hat schnellfertige
Rezensenten, die seine Musik in Bausch und Bogen »im-
pressionistisch« nannten, nicht ohne Grand als Dumm-
kopfe bezeichnet. Denn von der Oberflachenwelt blo-
Ber Sinneseindriicke trennt ihn seine durchaus seelen-
hafte, dem Mythischen nahekommende Naturschau.
In dieser Hinsicht steht er - nicht nur durch die Mittler-
schaft der symbolistischen Dichter - der Grundauffas-
sung deutscher Romantik oft naher als demWeltbild der
franzosischen Malerimpressionisten. Er schatzteWhist-
389
Impromptu
lers Nachtstiicke und die eroshaf te Atmosphare in man-
chen Bildern von Degas, miBbilligte hingegen die end-
los wiederholten Momentstudien Monets. In seinen
Klangvisionen von arkadischen Landschaftcn und fer-
nen paradiesischen Inseln kommt er der Siidseemalerei
Paul Gauguins oft nahe. Schon der mittlere Stil, mehr
noch der Spatstil Debussys hatte ubrigens eine Erneue-
rung der melodischen Linie, der »gottlichen Arabeske«,
angestrebt: Abkehr von der Vorherrschaft harmoni-
kaler Flachen. Dem I. der Maler kommt der reizsame,
tagwach-sinnenscharf beobachtende Ravel oft naher
als Debussy. »Impressionistisch« hat man schlieBlich
jede Musik um und nach 1900 genannt, in der Klang-
lich-Stimmungshaftes und Koloristisches als Eigen-
werte hervortraten, selbst die ekstatisch bewegten Ton-
dichtungen eines Skrjabin. Bei solchen Ausweitungen
verfliichtigt sich der Begriff des I. leicht zur bloBen
Sammelkategorie von geringem Aussagewert. Selb-
standige Farbwirkungen findet man nicht nur bei De-
bussy, Dukas, Satie, Ravel, Aubert, Caplet, Roland-
Manuel, Roussel, de Falla, Respighi, sondern auch et-
wa im Spatwerk des »Klassizisten« Faure, massiver bei
C.Scott, Fr.Delius, Koddly, R.Strauss, zum »Klang-
sumpf« verdickt bei Schreker. Als unmittelbare Vor-
fahren solcher Verselbstindigung des Koloristischen
waren etwa Chopin, Liszt, Chabrier, vor allem aber
Mussorgsky und Borodin zu nennen, als friihe Weg-
bereiter vielleicht sogar italienische Madrigalisten wie
Marenzio, Gesualdo und Monteverdi. Ein so weit ge-
faBter Begriff des I. nivelliert begreiflicherweise viele
feinere Stuunterschiede, vor allem die Kluft zwischen
der Musique descriptive (z. B. bei R. Strauss) und der
Musique evocatrice Debussys, die auf unmittelbare
Erweckung, Beschworung individueller Stimmungs-
gehalte ausgeht. Man muB jedenfalls immer dessen ein-
gedenk sein, daB der Begriff I. anfanglich ein der Frei-
lichtmalerei zugedachtes, spater umgedeutetes und an-
genommenes Schmahwort war, das in seiner urspriing-
lichen Bedeutung als Vision immediate (Augenblicks-
malerei) gerade die Traumkunst des friihen Debussy
(etwa der drei Nocturnes fiir Orch.) nicht triff t.
Lit.: W. Danckert, Das Wesen d. mus. I., DVjs. VII,
1929; ders., Liszt als Vorlaufer d. mus. I., Mk XXI, 1928/
29; ders., CI. Debussy, Bin 1950, mit ausfuhrlichem Lit.-
Verz. zur Frage d. I. in Malerei u. Musik; H. F. Kolsch,
Der I. bei Debussy, Diss. Koln 1937; H.-G. Schulz, Mus.
1. u. impressionistischer Klavierstil, Wurzburg 1938; E.
Kroher, I. in d. Musik, Lpz. 1957. WD
Impromptu (sprSpt'ii, frz. ; von lat. in promptu esse,
bei der Hand, bereit sein) war im 17. Jh. in der Bedeu-
tung von Stegreifgedicht oder als Zwischenakteinlage
bei Buhnenstucken im Franzosischen (Moliere, VI. de
Versailles, 1663) gebrauchlich. Mattheson (1739) be-
zeichnet einen bei einer Geselligkeit »stehenden FuBes«
geschriebenen und gesungenen Kanon als I. Die Nahe
zur Improvisation zeigen Liszts l.s sur des themes de
Rossini et Spontini (1824). In der Romantik wurde I.
zum Werktitel von Charakterstiicken fiir Klavier, die
in 2- oder 3teiliger Liedform, Rondo- oder seltener in
Sonatenhauptsatzform (Schubert, op. 142 Nr 1) kom-
poniert sind, daneben auch in Variationsform (Schu-
mann, op. 5 auf ein Thema von Clara Wieck, 1833,
2. Fassung 1850). I.s schrieben 1822 Vofisek, op. 7, und
H. Marschner, op. 22 und 23. Besondere Beliebtheit er-
langten Schuberts I.s op. 90 (1827, hier wurde der Titel
I.s durch den Verleger Haslinger hinzugef iigt) und op.
142 (1838, aus dem NachlaB) neben den I.s Chopins
(op. 29, 36, 51, 66) sowie Liszts Valse-I. (1852).
Lit.: Mattheson Capellm.; W. Kahl, Das lyrische Kla-
vierstuck Schuberts u. seiner VorgSnger seit 1810, AfMw
III, 1921; ders., Ausd. Friihzeit d. lyrischen Klavierstucks,
ZfM LXXXIX, 1922; H. H. Eggebrecht, Studien zur
mus. Terminologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz,
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; L.
Misch, Ein unbekanntes »I.« v. Beethoven, NZfM CXVII,
1956.
Improperien (lat. improperia, Vorwiirfe), Gesange
zur feierlichen Kreuzverehrung in der romischen Kar-
freitagshturgie, die Klagen des leidenden Heilands
uber das undankbare judische Volk darstellend. Sie
beginnen mit den sogenannten Improperia maiora:
Popule meus und 3 Verse (Quia eduxi te de terra Aegypti -
Quia eduxi te per desertum - Quid ultra debuifacere tibi),
zwischen denen das griechisch-romische Trishagion
erklingt ("Ayiog 6 #ed;, Sanctus Deusmv/.). Die hieran
anschlieBenden Improperia minora umfassen 9 psalm-
odisch vertonte Verse, jeweils gefolgt von einer Wie-
derholung des Popule meus. - Als altestes Dokument,
das den vollstandigen Text der wahrend des 1 1 .-12. Jh.
vom frankischen in den romischen Liturgiebereich
iibernommenen Improperia maiora und des -> Trisha-
gion vereinigt, gilt das Graduale von Senlis aus dem 9. Jh.
Erste Melodieaufzeichnungen finden sich im Graduale
von Laon (10.— 11. Jh.; Paleographie musicale I, 10).
Demgegeniiber gehoren die Improperia minora einer
spateren Zeit, vermuthch dem 11. Jh., an. Seit dem 16.
Jh. existieren auch mehrstimmige I.-Bearbeitungen
(Palestrina).
Improvisation (von lat. improvisus, unvorherge-
sehen; ex improviso, ohne Vorbereitung) besteht mu-
sikalisch im Erfinden und gleichzeitigen klanglichen
Realisieren von Musik; sie schlieBt die schriftliche
Fixierung (-> Komposition) ebenso aus wie das Reali-
sieren eines Werkes (Auff iihrung, Wiedergabe, -*■ In-
terpretation). Daher kann strenggenommen nur im
Abendland, und selbst da erst von einer geschichtlich
spateren Stufe an, von I. gesprochen werden, da die
auBereuropaische und die altere europaische Musik
jenseits der Scheidung in Komposition und Auffiih-
rung stehen, die der Begriff I. voraussetzt. Miindliche
Oberlieferung ist kein Kriterium fiir I. - Improvisieren
bedeutet (vgl. Goethe, Gesprache mit Eckermann am
28. 2. 1824 und 29. 1 . 1826), uber einen Gegenstand, der
zur Aufgabe gestellt ist, unvermittelt produktiv wer-
den. Weitgehend die gleiche Bedeutung haben die
Worter extemporieren (von lat. ex tempore, etwas »aus
dem Augenblick heraus« erfinden und sofort auBern)
und aus dem Stegreif formulieren bzw. musizieren (aus
dem Steigbugel, d. h. wie ein Reiter, der etwas erledigt,
ohne abzusitzen). - I. bekundet sich musikahsch als
klingendes Ergebnis der Auseinandersetzung sponta-
ner Eingebungen mit einer gestellten Aufgabe; die
Spannung zwischen der Objektivitat eines Gegebenen
oder Modellhaften und der Subjektivitat spontanen
Produzierens macht das Wesen der I. aus. Nach KochL
(1802) ist Improvisieren die Geschicklichkeit eines Ton-
setzers, uber ein ihm noch unbekanntes Gedicht sogleich aus
dem Stegreif e eine Komposition zu verfertigen und solche
zugleich singend unter der Begleitung eines Instrumentes
vorzutragen. KochL nennt auBerdem die italienischen
Improvisatori, die offentlich uber eine ihnen aufgege-
bene Materie in der Art eines Rezitativs zur Gitarre,
auch im Dialog, improvisierten. Eine literarisch-thea-
tralische Form der I. ist die gleichfalls spezifisch italie-
nische Commedia dell'arte, in der die Spieler als Ver-
korperung feststehender, meist sehr popularer (mithin
in ihren AuBerungen weitgehend f estgelegter) Typen
nach einem vereinbarten oder schriftlich festgelegten
Szenarium (canevas) ihren Text spontan formulierten.
Elemente der Commedia dell'arte drangen uber die
Parti buffe auch in die -*■ Oper ein; noch bei den Pro-
ben zur ersten Auff iihrung von W.A.Mozarts Don
390
Improvisation
Giovanni in Prag wurde die Tafelszene improvisiert
(Abert II, 419). - Das Vorgegebene kann als melodi-
sches (zu variierendes oder zu kontrapunktierendes),
harmonisches oder rhythmisches Geriist, auch als ein
alle drei Kategorien umf assendes Modell der improvi-
satorischen Betatigung zugrunde liegen oder von ihr
verarbeitet werden. Je nach Grad bzw. Abhangigkeit
der I. von Vorgegebenem sind verschiedene Erschei-
nungen musikalischer I. feststellbar: Stegreif ausfiih-
rung, I. im eigentlichen Sinne und Fantasieren, die frei-
lich nicht immer streng voneinander zu scheiden sind.
Wird die musikalische Darbietung, obwohl sie keine
Komposition vermittelt, durch ein Regelsystem oder
ein im Gedachtnis bewahrtes Modell in feste Bahnen
gelenkt und ist der Anteil personlicher Initiative ge-
ring, so liegt Stegreifausfiihrung in einem speziellen,
von der I. abgegrenzten Sinne vor. Gelangt jedoch die
Ausfuhrung gegenuber dem Vorgegebenen (Modell-
haften, tradiert Regelhaften, Schematischen) in spon-
taner AuBerung zu je eigenartiger und immer wieder
neuer Wirklichkeit, so kann von I. im eigentlichen
Sinne gesprochen werden. Ohne Bindungen an kon-
kret Vorgegebenes, vor allem an rhythmische oder
an sonstige den zeitlichen Ablauf der I. festlegende Ge-
riiste, verlauft das Fantasieren, das sich in Ausdruck
und Wahl der technischen Mittel oft nur der Situa-
tion und dem Ort seiner Ausfuhrung anpafk. Doch
nicht selten bindet sich auch der fantasierende Musiker
an strenge kompositorische Regeln (kontrapunktisches
Fantasiaspiel im 16. Jh.) oder Formen (extemporierte
Fugen oder Ricercari), verarbeitet bekannte Themen
oder vorgegebene Werke, iiber die er quasi musika-
lisch meditiert. Hierher gehort z. B. das improvisierte
Choralvorspiel (-*■ Choralbearbeitung-2), das in Ton-
art und Thematik gebunden ist (-> Praeludium). Un-
ter den genannten Arten der I. wird das Fantasieren
am ehesten in seinen historischen Auspragungen greif-
bar, insofern es Vorbild und Ausgangspunkt fiir die als
Komposition niedergeschriebene -> Fantasie war. -
I.en konnen zwar schriftlich protokolliert oder auf
Tontragern (Schallplatte, Tonband) festgehalten wer-
den, sind dann aber nicht als I.en reproduzierbar. Als
Augenblickserzeugnis der -»■ Phantasie verlangt die I.
vom Ausf iihrenden eine besondere Art und einen hohen
Grad der Begabung, so daB seine Leistung (in ganz an-
derer Weise als die eines Interpreten) beim Horer auch
das Moment des Bewunderns asthetisch ins Spiel bringt.
- Improvisatorische Momente sind zu alien Zeiten in
der -*■ Auffiihrungspraxis wirksam gewesen. Daher
wiederholt sich in der Geschichte der Musik mehrfach
der Vorgang, daB Elemente aus der I.s-Ebene in die der
Schriftlichkeit aufgenommen werden.
In den meisten aufiereuropaischen Hochkulturen gilt
die tongetreue Wiederholung eines Stiickes als wertlos.
Das Ausgestalten und Verandern von schriftlos iiber-
lieferten Melodiemodellen (-> Maqam, -*■ Patet, -»■ Ra-
ga) geschieht dort jedoch festgelegt durch eine relativ
strenge Tradition. Es ist bezeichnend, daB den euro-
paischen Sprachen fiir diese Art der Klangformung
offenbar kein umfassendes Begriflswort zur Verf ugung
steht. - In ihrer Friihzeit (9.-11. Jh.) wurde die abend-
landische Mehrstimmigkeit als -*■ Organum nicht
schriftlich ausgearbeitet, doch (da ihrem Zustande-
kommen das Moment der Spontaneitat und Erfin-
dungsfreiheit ganz fehlt) auch nicht improvisiert, son-
dern als eine besondere Ausfiihrungsweise des Can-
tus nach bestimmten Regeln chorisch, spater auch so-
hstisch aus dem Stegreif ausgefiihrt. Auch neben dem
Entstehen und Aufbliihen komponierter Mehrstim-
migkeit seit dem 12. Jh. lebte deren Stegreifausfiihrung
fort. Ober den extemporierten -*■ Discantus berichtet
aus der Mitte des 13. Jh. u. a. der Anonymus II (CS I,
311a: componere et prqferre discantum ex improviso) . Nach
Tinctoris (1477) kann sowohl der schlichte als auch der
diminuierte Kontrapunkt nicht nur schriftlich (-»■ Res
facta), sondern auch aus dem Stegreif (super librum,
ex mente) ausgefiihrt werden, wobei jede Stimme har-
monisch nur auf ihr Verhaltnis zum Cantus Rucksicht
nimmt. Die Kunst der vokalen Stegreifmehrstimmig-
keit, die in den einzelnen Landern Europas zum Teil
eine eigene Entwicklung hatte (-> Sight, -> Gymel,
-> Faburden, -»■ Sortisatio), ist im 15.-17. Jh. von
Theoretikern beschrieben worden (u. a. von Calvisius
1592, Zacconi 1622). Der Contrappunto alia mente,
der in Italien als Stegreifausfiihrung iiber dem grego-
rianischen Choral spatestens um 1600 aus dem Gottes-
dienst verdrangt worden war, erlebte im fruhen 17. Jh.
durch einige Gesangsvirtuosen als solistische I. eine
Nachbliite. In Frankreich hielt sich der Chant sur le
livre noch bis ins spate 18. Jh. - Die -*■ Fundamentbii-
cher des 15. Jh. kniipfen an eine bereits entwickelte I.s-
Kunst auf Tasteninstrumenten an, die dadurch teilwei-
se greifbar wird. Auch als »komponierte« Formen ver-
leugnen z. B. -> Praeludium, -*■ Toccata, -> Ricercar
nicht ihre Herkunft aus der I. zum Zwecke der -*■ In-
tonation (- 1) und des Ausprobierens eines Instrumen-
tes. Die Ende des 16. Jh. einsetzende I.s-Praxis des
GeneralbaBspiels hat eine ihrer Wurzeln in der Praxis
der extemporierten Fantasia, wie sie z. B. T. de Santa
Maria (1565) und G.Diruta (1609) lehrten. - Vokale
und instrumental Diminutionen bzw. Verzierungen,
die sich meist »quasi improvisierend« gebarden, kon-
nen nur soweit als I.en gelten, als sie tatsachlich aus
spontaner Eingebung beim reproduktiven Musizieren
erfolgen. Doch wurden Verzierungen oft schematisch
nach Lehrbiichern und -beispielen ausgefiihrt. Im 17.
Jh. wurden sie - seit Caccinis Forderung (1601) - auch
in den Dienst des Ausdrucks (affetto) gestellt und teil-
weise schon vom Komponisten notiert. Das Variieren,
das dem Improvisieren eng verbunden ist, wurde be-
sonders seit dem 16. Jh. in verschiedenen, auf die Kom-
position ausstrahlenden Formen ausgebildet (-> Va-
riation, -»• Ostinato). Nach 1700 erreichte die Praxis
des Verzierens der Da-Capo-Arie ihren Hohepunkt.
Die der freien I. (nach Art der Fantasie) vorbehaltene
Stelle in der Arie wie im Konzert ist die -»■ Kadenz (- 2),
die jedoch seit dem Ende des 18. Jh. zunehmend vom
Komponisten selbst ausgeschrieben wird. Hier - wie
schon bei der Diminution bzw. Verzierung - wird in
die Komposition als Res facta aufgenommen, was zu-
vor in der I. Usus war, und somit fiir die Auffiihrungs-
praxis der Abstand zwischen Schrift und Klangbild
verringert. Im 19. Jh. wuchs der Widerstand gegen
improvisatorische Ausschmiickung der Komposition
durch den Interpreten, die schliefilich fast vollig ver-
schwand. Dem entspricht auch, daB das freie Fanta-
sieren vor Zuhorern, wie es u. a. fiir J. S. und C.Ph.E.
Bach, W.A.Mozart, Beethoven, Chopin und Liszt
riihmend bezeugt ist, heute nur noch ganz vereinzelt
vorkommt (W.Kempff, Fr. Gulda). Dafiir wurden
im 19. Jh. als improvisatorisch geltende Merkmale
abermals zunehmend in die Komposition einbezogen,
wie freie Formen, -*■ Tempo rubato (Chopin), und
es entstanden Stiicke, die als I. (Reger op. 18) oder
-»■ Impromptu bezeichnet wurden. Das seit der Mitte
des 19. Jh. iibliche Auswendigspielen des Solisten im
Konzertsaal behielt oft noch die Geste des Improvi-
sierens bei. Am langsten hielt sich die I.s-Kunst bei den
Organisten (C.Franck, Bruckner, Dupre); die I. von
Choralbearbeitung und Fuge gehort noch heute zu je-
der ziinftigen Organistenprobe. Die neuzeitliche Mu-
sikerziehung hat sich, nach Vorgangern im 18. Jh.
391
Incatenatura
(Rousseau, Basedow), wieder der I. zugewandt und
nutzt sie besonders fur die -> Rhythmische Erziehung
und die musikalische Elementarlehre.
Seit den 1950er Jahren entstehen Werke (wie das Kla-
vierstiick XI von K. Stockhausen oder die III.Klavier-
sonate von P.Boulez), deren Gesamtform nicht festge-
legt ist. Der Interpret erhalt gleichsam vorgefertigte
Bauelemente, mit denen er innerhalb der vom Kom-
ponisten gesetzten Grenzen beliebig verfahren darf.
Der Gegensatz zwischen I. und Komposition ist im 20.
Jh. aber weniger in der ->■ Aleatorik aufgehoben, als
vielmehr in mehrdeutig notierten Kompositionen oder
in Grafiken, die zu musikalischen Assoziationen anre-
gen sollen und eine scheinbar vollige Freiheit gewah-
ren (E. Brown, Folio, 1952-53). - Die Vorherrschaft der
I. gegeniiber der Komposition gilt seit jeher als eines
der wesentlichen Merkmale des -> Jazz. Anfanglich
wurde ohne Noten aus dem Stegreif gespielt, weil viele
Spieler Noten nicht lesen konnten (oft waren die
Stiicke aber gut einstudiert und wurden aus dem Ge-
dachtnis reproduziert). Seit den spiiten 1920er Jahren
wurde, teilweise unter dem EinfluB von Jazzkritikern,
die I. im von der europaischen Tradition bestimmten
Sinn von ausgebildeten Musikern iibernommen, doch
bildet nach wie vor das -*■ Arrangement den Rahmen
fiir I.en iiber Tunes (Melodien) in Liedform oder Har-
moniefolgen (-> Blues), die strophenartig (-»■ Chorus)
aneinandergereiht werden.
Lit.: KochL, Artikel Improvisatori u. Improvisieren ; E.
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Incatenatura (ital.) -> Villota, -> Quodlibet.
Jncipit (lat., es beginnt; auch tritium), Zitat des An-
fangs eines literarischen oder musikalischen Textes. Bei
rnittelalterlichen Traktaten ist die Angabe von I. und
-» Explicit im allgemeinen unerlaBlich. Sie erlaubt dii
Identifizierung anonym iiberlieferter Werke und gib
einen Hinweis darauf, ob eine Schrift vollstandig, in
Auszug oder in einer Umarbeitung vorliegt. Zu be
achten ist, daB das I. sehr bekannter Werke auch it
mehr oder weniger freien Bearbeitungen oft beibehal
ten ist. Haufig ist dem Textanfang ein Titel vorange
stellt, der mit dem Wort I. beginnt, z. B.: J. ars cantu
mensurabilis secundum J. de Muris. Quilibet in arte prac
tica mensurabilis cantus ... (J. de Muris, Libellus cantu
mensurabilis, Rom, Bibl. Vat., Ms. Cappon. 206, f
179; vgl. MGG VII, Tafel 6). Fur das musikalische I
gibt es verschiedene Zitierweisen. Bei Werken ii
groBerer Besetzung wird gewohnlich nur die fiihrend
Stimme wiedergegeben ; Angabe der ausfiihrendei
Stimmen (oder Instrumente) ist wiinschenswert. Be
ginnt ein Satz mit Vorspiel, so erscheinen der Anfanj
des Vorspiels und das I. des Hauptsatzes bzw. der So
listen- oder Sangereinsatz. - Die Anlage von I.-Kata
logen ist abhangig von der Art des zu erfassenden Re
pertoires. -> Thematische Kataloge eines Komponi
sten (z. B. Kbchel fiir Mozart) geben das I. zweck
eindeutiger Identifizierung in moglichst authentische
Fassung. I.-Kataloge eines (wenigstens teilweise) ano
nymen Repertoires haben ihr fruhestes Vorbild im In
dex des Kodex Em (-»• Quellen). Ihr Ordnungsprinzi]
ist die Intervallfolge. Um die Stiicke auf einen Nenne
zu bringen, werden sie entweder auf den gleichen An
fangs- oder SchluBton transponiert oder in einen Zah
lenschliissel umgesetzt, z. B. (Bridgman 1961) : g a b a 1
= [0] +2 +3 +2 +3; hierbei ist [0] Anfangston de
Oberstimme, +2 und +3 das Intervall von 2 bzw. '.
Halbtonen iiber dem Anfangston; der Rhythmus win
nicht berucksichtigt.
Lit. : C. Vivell OSB, Initia tractatuum musices . . . , Gra
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neueren deutschen Volkslieds, Zs. f. Volkskunde LX, 1964
Indianermusik. Die Ureinwohner des amerikani
schen Erdteils sind zwar rassisch recht einheitlich, doc]
kulturell verschieden und sprachlich zersplittert. Ihr
Musik als ein Kulturelement, das von der Sprach
wesentlich abhangt, zeigt daher eine Fiille von Dia
lekten. Die gemeinsamen Merkmale aller I. sind: da
Uberwiegen der vokalen gegeniiber der instruments
len Musik und demgemaB eine relative Armut an Mu
sikinstrumenten. Chorlieder, bis auf geringe Ausnah
men einstimmig, sind haufiger als Sologesange. Liede
und Tanze sind stammeseigener Besitz und meist Be
392
Indianermusik
standteil und Hauptinhalt von kultischen Zeremonien.
Die formalen Unterschiede sind groB, die klanglichen
gering. Der Bewegungscharakter ist gemessen, ernst,
pathetisch, der Stimmklang rauh, oft gepreBt, zuwei-
len leidenschaf tlich verhalten. Der Aufbau der Gesange
ist regelmaBig und strophisch. Die Melodik ist mit ge-
ringen Ausnahmen weitraumig und vielgestaltig, die
Rhythmik pragnant. Melodische Gestalt und Gestal-
tung sind liednaft und stehen den abendlandischen
Volksmusikstilen naher als etwa af rikanische ->■ Neger-
musik. - Deutlich heben sich, wenn man von den
nichtindianischen Eskimos im auBersten Norden des
Kontinents absieht (->• Eskimo-Musik), zwei groBe
Stilkomplexe heraus, die durch die Zweiteilung des
Kontinents gegeben sind.
Die.Musik der Indianer in Nordamerika ist die am
besten bekannte Musik aller Naturvolker, da sie der
Beobachtung durch amerikanische Forscher leicht er-
reichbar ist. Die KongreBbibliothek in Washington
sammelt auf Walzen, Schallplatten und Bandern die
Musik der in den USA noch lebenden Indianerstam-
me, manche Universitaten und Museen des Landes be-
sitzen gleichfalls Archive und Forschungsstatten. Uber-
wog anfangs der Eindruck einer stilistischen Einheit-
lichkeit der nordamerikanischen I., so sind heute (nach
Br.Nettl) 6 Stilkreise zu unterscheiden: 1) Die Gesange
der Indianer der Nordwestkiiste und der Selisch-In-
dianer der Staaten Washington und Oregon ahneln in
ihrem primitiven Bau denen der nordlich angrenzen-
den Eskimos. Ihre Melodiezeilen sind aus Reihungen
und Veranderungen kleiner Motive gebildet. Rhyth-
mik und Metrik sind komplizierter, das Instrumen-
tarium etwas reicher als das der zentraleren Stamme.
Nordwestkiiste (Makah)
j = Kalifornien (Yuma)
Aus Fr. Densmore, Nootka and Quileute
Music ...,1939.
Gesange fallen auf durch die expressive, stark akzentu-
ierende Vortragsweise mit bellenden Einsatzen und
tonschwachem Pulsieren der Stimme sowie durch um-
fangreiche Strophen und groBraumiges Melos, das von
einem hohen, oft im Falsett intonierten Spannungs-
niveau terrassenformig bis an die untere Grenze des
Stimmbereichs absinkt. DieMelodien werden gewohn-
lich zuerst auf sinnlosen Silben gesungen, danach mit
dem zugehorigen Text wiederholt.
Prarie- Indianer (Arapaho)
J = 152, Trommel dazu J = 200
Manner
Aus Fr. Densmore, Yuman and Yaqui Music ..., 1932.
2) Die Great-Basin-Stamme der kalifornischen Wiiste,
Oregons, Nevadas und Utahs sind Nomaden, die von
der Jagd leben. Ihre Strophenlieder haben tetrachorda-
le Leitern im Umfang einer Quinte oder Sexte und
Strophen aus 2 oder 3 selbstandigen Teilen, die jeweils
wiederholt werden. Instrumente sind kaum vorhan-
den, auch nicht die sonst allgemein verbreiteten Trom-
meln. 3) Trotz kultureller Unterschiede bilden die Na-
vahos und Apachen im Sudwesten der USA einen mu-
sikalischen Stilkreis, dessen auffallendstes Merkmal der
schlichte, 2teiUge Rhythmus ist, der nur einen langen
und einen kurzen Wert kerint. Die Melodien der Apa-
chen sind schlichter als die der Navahos, die starker von
den benachbarten Pueblos beeinfluBt scheinen. 4) Ent-
wickeltere Melodik zeigen die Gesange der Stamme
des mittleren und siidlichen Kalif orniens und der Yuma-
Gruppe in Stid- Arizona (siehe folgendes Beispiel). Die
Strophen haben mehrere Teile, deren mittlerer auf ei-
ner hoheren Tonlage intoniert wird. 5) Am bekannte-
sten ist die Gruppe der Prarie- und Pueblo-Indianer. Ihr
Verbreitungsgebiet reicht von den groBen Seen im
Norden bis nach Arizona im Siiden der Staaten. Ihre
Nach Br.Nettl, Stylistic Variety . . ., 1953.
6) Die Indianer im Osten des Kontinents leben schon
seit Jahrzehnten nicht mehr in geschlossenen Stammes-
verbanden. Ihre bis auf kargliche Spuren verschollene
Musik hatte wellenformige Melodik und unregelma-
Big gebaute Strophen aus kleinen, in der Wiederkehr
variierten Motiven, die im Wechsel von Vorsanger
und Chor vorgetragen wurden. - Musikinstrumente
treten bei den nordamerikanischen Indianern fast nur
in Verbindung mit Gesang und Tanz auf. Als selbstan-
diges Melodieinstrument existiert nur eine Kernnote
in Art des Flageoletts, die als Liebeszauber bei den
Omahas u. a. verwandt wird. Die auf ihr gespielten Me-
lodien heben sich von den sonstigen Zeremonialgesan-
gen merklich ab. Rasselgehange dienen als tonender
Schmuck der Tanzer und unterstreichen den Rhythmus
der Tanzschritte, andere Rasseln verschiedener Form
werden in den HSnden gehalten; sie gelten als Zauber-
instrumente, besonders bei der Krankenheilung. Der
Magie dienen auch die artenreichen Trommeln, iiber-
wiegend Felltrommeln, die stets mit Stocken, nie mit
der Hand geschlagen werden. Ihr Rhythmus ist oft von
dem der Gesangsstimme unabhangig.
Starker als in Nordamerika sind in Mittel- und Siid-
amerika die indianischen Ureinwohner mit den euro-
paischen Eroberern und Siedlern kulturell und rassisch
verschmolzen. Reinrassige und kulturell unbeeinfluBte
Indianerstamme gibt es im ganzen iberoamerikani-
schen Kulturbereich nur noch in den abgelegensten
Gebieten, vor allem in den undurchdringlichen Ur-
waldern Brasiliens. Im Gegensatz zu Nordamerika
werden ihnen weder Reservate zur Verf iigung gestellt,
noch werden sie sonst staatlich betreut; ihre Kultur
und ihre Musik sind auch kaum systematisch erforscht.
393
Indianermusik
Die kulturellen Unterschiede zwischen den Stammen
sind in Lateinamerika noch groBer als im Norden, ent-
sprechend auch die Stilunterschiede in der Musik. Im
allgemeinen bietet sich das bei Naturvolkern iibliche
Bild: ein festes Repertoire von Festgesangen und -tan-
zen zu den religios bestimmten Jahreszeiten-, Ernte-,
Jagd-, Kriegszeremonien- und Krankenkuren, daneben
einige Gesange und Tanze und auch Instrumental-
stiicke, die der Belustigung dienen, sowie ein beschei-
denes, bei den verschiedenen Kulturgruppen aber recht
unterschiedliches Instrumentarium. Neben diesen Pri-
mitivschichten gab es in Lateinamerika zur Zeit der
Eroberung durch Spanier und Portugiesen Hochkul-
turen, die sich in den Andengebieten Perus, Kolum-
biens, Ekuadors sowie in Mittelamerika und in Mexiko
erst in neuerer Zeit entwickelt hatten und zum Teil
noch in der Entfaltung standen, als die europaischen
Eroberer sie vernichteten. Unsere Kenntnis iiber die
hochentwickelte Musikkultur der Inkas, Chibchas, Az-
teken, Mayas u. a. stiitzt sich auf Funde, Ausgrabungen,
Darstellungen in Stein und Ton und in den Bilder-
handschriften sowie auf Berichte der Europaer iiber
die zur Zeit der Eroberung noch intakten Kulturen.
Auch hier war Musik Teil des kultischen Lebens, stand
aber nicht ausschlieBlich im Dienste der Religion. Wie
alles, war auch dasMusikleben staatlich geordnet. GroB
war der Reichtum an Gesangen und Musikarten, be-
deutend die Zahl und die KunstmaBigkeit der Instru-
mente, die zum Teil auch ohne vokale Mitwirkung
gebraucht wurden, so vor allem Trommeln aller Ar-
ten und GroBen, darunter auch die in Nordamerika
nicht heimische Schlitztrommel. Melodief ahige Instru-
mente sind fast ausschlieBlich Blasinstrumente: Floten,
meist paarweise gebraucht, Okarinas aus Ton in Tier-
oder Menschengestalt, Horner oder Trompeten aus
Tierhorn, Meeresschnecken, Holz, Ton oder Gold und
zahlreiche Arten der Panpfeife. Wahrend bei den Flo-
ten die Anordnung der Grifflocher nach metrischen
Gesichtspunkten erfolgte (gleiche Abstande), sind die
Panpfeifen meist in musikalisch brauchbaren Tonfol-
gen gestimmt und weisen auf das Vorhandensein eines
Tonsystems. - Die Musik der heutigen Indianer in den
Gebieten der untergegangenen mittel- und siidameri-
kanischen Hochkulturen ist, soweit nicht schon vollig
europaisiert, diejenige entwickelterer Naturvolker.
Sie enthalt jedoch Elemente, die auf die Hochkulturen
zuriickweisen. Auch die Musik benachbarter India-
nervolker im Ausstrahlungsbereich der einstigen Hoch-
kulturen bewahrt solche Uberlieferungsreste. So sind
vor allem die Musikinstrumente der andinen Hoch-
kulturen in Sudamerika weit iiber den einstigen Aus-
breitungsbezirk hinaus verstreut, besonders die Pan-
pfeife, die nur im auBersten Suden wie in Nordamerika
fehlt. Der Musikbogen, in Sudamerika heimisch, wird
auch bei Volkern angetroffen, die nicht von Einfliissen
der Hochkulturen erreicht wurden. Auch die Schlitz-
trommel findet sich bei den primitiveren Volkern Siid-
amerikas, auBerdem der Tanzbalken, das Stampfbrett
und das Schwirrholz, Instrumente, die bei den Hoch-
kulturen nicht vorhanden waren. Wie in Nordamerika
ist das musikalische Brauchtum mit der Ausiibung
kultisch-magischer Zeremonien verkniipft. Profane
Musik ist selten und meist erst als Folge des Kulturzer-
falls aufzufassen; oft werden Kultgesange und -tanze
der Nachbarstamme zur Belustigung aufgefiihrt. Die
primitivsten Stile finden sich bei den auch anthropo-
logisch und kulturell altertiimhchsten Stammen, den
Feuerlandern und einigen Inlandsstammen des tropi-
schen Urwaldmassivs, wie den Uitotos: engstufiges
Melos mit wenigen Tonstufen und geringe Variabili-
tat der Gestalten.
Feuerland (Yamana)
J = 100
Fine
AusE.M.v.Hornbostel, The Music of the
Fuegians, 1958.
Die groBe Masse der sudamerikanischen Indianervol-
ker hat eine entwickeltere Musik mit gestaltreichem
Melos, vielzeiligen Strophen und groBerem Ambitus.
I Patagonien (Tehuelche)
Aus R. Lehmann-Nitsche, Patagonische
Gesange ...,1908.
Im Bereich der alten Inka-Kultur findet sich auch in
vokaler Musik haufig halbtonlose Pentatonik, die die
herrschende Instrumentalstimmung der Inkas gewesen
zu sein scheint. Die Indianer im Bereich der nordliche-
ren andinen Hochkulturen haben, wie die Arhuacos in
Kolumbien, recht entwickelte Musikstile. Ihre Gesan-
ge zeigen weitgeschwungene Melodik, oft terrassen-
formig absteigend, groBen Ambitus mit diatonischen
Leitern, reich gegliederte Strophen, ausgepragte, un-
terschiedliche Gestalten, komplizierte Rhythmen und
einen pathetischen Vortragsstil mit Falsettgebrauch
und Pulsationen.
Kolumbien (Arhuacos)
Aus Fr. Bose, Die Musik der Chibcha ..., 1958.
Die Ubereinstimmung mit den Stilen der Pueblo- und
Prarieindianer Nordamerikas ist auffallig und auf den
EinfluB gleicher oder verwandter Hochkulturstile zu-
riickzufuhren. In neuerer Zeit durchsetzt sich auch die
I. Lateinamerikas stark mit Elementen der europai-
schen Musik; die meisten heutigen Indianer sind mu-
sikalisch vollig assimiliert. Beachtlich ist auch der Ein-
fluB der Neger, die in Siid- und Mittelamerika einen
wesentlichen Bestandteil der Bevolkerung bilden und
mit der indianischen wie mit der weiBen Bevolkerung
rassisch vermischt sind.
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Indische Musik. Der EinfluB der I.n M. erstreckt sich
in den vorderen Orient und weit in den Osten bis nach
Japan, im Siiden auf den malaiischen Archipel, im
Norden iiber Tibet hinaus nach Zentralsibirien. Die
Kontakte mit den Nachbarvolkern setzen schon in
vorgeschichtlicher Zeit ein und sind in Agypten und
Mesopotamien bereits vor dem Eindringen der Inder
in den heutigen Siedlungsraum nach der Mitte des 2.
vorchristlichen Jahrtausends nachweisbar. Um diese
Zeit beginnt auch die datierbare Musikgeschichte In-
diens mit den vedischen Buchern (veda, Wissen), 4
groBen Sammlungen religioser Dichtung, deren erste
und alteste {Rigveda), eine Sammlung liturgischer Re-
zitationen (ohne Melodien) in 10 Biichem, zum Teil
schon vor der Einwanderung der Indoarier nach In-
dien entstanden sein soil. Auch die 3 anderen Veden
enthalten Materialien £iir den Kult {S&maveda, Athar-
vaveda, Yajurveda). Der in den letzten vorchristlichen
Jahrhunderten entstandene 5. Veda (N&tyaveda) enthalt
Gesange und einen AbriB der Musiklehre. Er ist in dem
Lehrbuch der Theaterkunst (Ndtyashdstra) von Bharata
enthalten, der dort eine knappe Darstellung der sakra-
len wie der profanen Kunstmusik Indiens gibt. Auch
die weltliche Musik Altindiens beruht auf den alteren
Oberlieferungen des Rigveda und des SAmaveda, wurde
aber bereits (3.-2. Jh. v. Chr.) von den Traditionen der
unteren Kasten und der nichtarischen Ureinwohner
beeinfluBt. Mit dem Kult des nichtarischen Gottes
Shiva gelangte eine sinnenfrohere Richtung neben der
ernsten Wiirde des vedischen Kultes in die I. M. In
den Schriften von Matanga und Dattila (1. Jh. n. Chr.)
wird die Musik nach den von Bharata niedergelegten
Regeln behandelt, doch wird zwischen Kultmusik und
hofischer Kunstmusik strenger unterschieden, die hier
deshi (Musik des Landes) genannt wird. Dieser Begriff
bedeutete allgemein Unterhaltungsmusik, wahrend die
Kunstmusik marga hieB (Sangttadarpana, »Spiegel der
Musik«, von Damodara, 17. Jh.). Die Hauptquelle der
indischen Musiklehre nach Bharata ist das Sangtta-
ratn&kara (»Ozean der Musik «) von Sharugadeva (13. Jh.) .
Im 14. Jh. begann die Spaltung der bis dahin einheit-
lichen Kult- und Hofmusik in zwei selbstandige Stil-
kreise; der Norden des Landes geriet unter den EinfluB
des Islams und der arabisch-persischen Musik, wahrend
der Suden die alten Oberlieferungen weiterentwickel-
te. Mit dem Schwinden des Sanskrits als lebendiger
Volkssprache um 1500 wurde auch die auf den Sans-
krituberlieferungen aufbauende Kult- und Hofmusik
immer mehr zu einer Kunst der Gebildeten und Ge-
lehrten. Ihre durchjahrhunderte kaum veranderte Form
erlosch erst in der Neuzeit mit der Auflosung der Feu-
dalherrschaft; erst in jiingster Zeit gibt es uriter staatli-
cher Forderung Ansatze zu einer Neubelebung.
Von der klassischen altindischen Musik hat sich die
vedische Kultmusik bis heute erhalten. Melodien und
Vortrag von Rig und Saman werden streng unterschie-
den. Der magische Gehalt der Rigveda-Texte haftet an
den Worten, die deshalb die musikalische Gestalt be-
stimmen: eine feierliche Rezitation mit 3 Akzenten,
denen 3 verschiedene Tonhohen entsprechen. Die me-
trisch nicht geghederte, syllabisch deklamierte Melodie
pendelt um einen Zentralton Udatta (der »Gehobene«),
sinkt um einen Ganzton zum Anudatta (der »Nichtge-
hobene«) oder erhebt sich um einen Ganz- oder Halbton
zum Svarita (der »Stimmhabende«). Ob eine Silbe die-
sen oder jenen Akzent erhalt, hangt von ihrer Wort-
und Satzstellung ab, melodieahnliche Gestalten entste-
hen auf dieseWeise nicht. Das ist dem Saman vorbehal-
ten, bei dem sich die Melodie weitgehend vom Wort
gelost hat und ein Eigenleben fiihrt. Durch Einfiigen
sinnloser Silben wird der Text zerrissen, er wird un-
verstandlich und kann auch ganz fehlen. Der Saman
wird auch nicht zu den taglichen Opferriten, sondern
nur zu bestimmten grofien und seltenen, besonders hei-
ligen Zeremonien benutzt und wird geheimgehalten. -
Die Darstellung der Musiklehre von Bharata diirfte
bereits auf eine seit langem bestehende Tradition zu-
riickgehen. Die beiden Tonsysteme sind siebenstufige
Leitern im Oktavumfang aus Halbtonen, kleinen und
groBen Ganztonen. Die SchrittgroBe dieser 3 Inter-
valle wird bereits bei Bharata so definiert, daB der
Halbton aus 2, der kleine Ganzton aus 3 und der groBe
Ganzton aus 4 Kleinintervallen (shruti) aufgebaut ist.
Addiert man die Tonstufen jeder der beiden Skalen
(grama), so erhalt man 22 Shruti in der Oktave. Die
Minimalintervalle, die etwas groBer als Vierteltbne
sind, werden also nicht durch Teilung der Oktave ge-
wonnen und sind auch nicht mathematisch bestimmt.
Nach dem Anfangston heiBen die beiden Skalen sa-
grama und ma-grama. Die Stufennamen (als Noten-
bezeichnung auf ihre 1. Silbe gekiirzt) sind in beiden
Leitern identisch, aber die SchrittgroBe der Stufen ist
in ihnen verschieden. Pa ist im sa-grima als 5. Stufe
395
Indische Musik
ein groBer, im ma-grama als 2. Stufe ein kleiner Ganz-
ton; dha im sa-grama ein kleiner und im ma-grama
ein groBer Ganzton.
. sa ri ga ma pa dha ni
sa-grama . 1 ! ' 1 ) ! .
ma-grama :
pa
dha
ga
Im sa-grama ist der 3. Schritt ein Halbton, so daB er
im Kleinterzabstand zum Grundton steht, im ma-gra-
ma ein groBer Ganzton. Auf jeder der 7 Tonstufen
werden nun Tonleitern modalen Charakters aufge-
baut, wobei 4 dem sa-, 3 dem ma-grama entnommen
sind. Aber auch diese modalen Leitern (murchana)
sind nur das Rohmaterial fiir die tatsachlich gebrauch-
ten Modi (jati), zu deren Kennzeichnung noch An-
fangston, Zentralton und Finalis der Melodie, die Bin-
nenkadenz, Lage des Modus gegeniiber dem Grund-
ton des Systems und die Stufenzahl der Leiter gehoren.
Bharata unterscheidet 7 reine Jatis, die den erwahnten
7-Murchanas entsprechen und stets heptatonisch sind
(shaddhajati), gleich den griechischen Modi, und 11
gemischte (vikrtajati), die aus 2 oder mehr der reinen
Jatis zusammengesetzt sind. Nach der Funktion der
einzelnen Leitertone ergeben sich weitere Modifikatio-
nen, die spater zur Ausbildung des -»• Raga-Systems
fiihren. - Nach der Islamisierung des Nordens ging
auch die Musiklehre getrennte Wege. An den Hbfen
der Mogulen wird von mohammedanischen wie Hin-
du-Musikern im wesentlichen das iiberlieferte System
beibehalten und ausgebaut. In Siidindien flieBen viele
Charakterziige der dravidischen Unterschichten in die
reine Hindumusik ein. Es fehlt nicht an Versuchen, Sy-
stem in die uniibersehbare Mannigfaltigkeit der Gestal-
ten zu bringen. Das gelang am vollstandigsten Venka-
tamakhin, der Anfang des 17. Jh. die 18 Jatis Bharatas
oder Gramaragas Sharugadevas (13. Jh.) durch ein
System von 72 Grundtonreihen (melakarta) ersetzte,
das wie bei Bharata auf 2 Ausgangstonsystemen auf-
baut, deren Unterschied jetzt allerdings nicht die groBe
oder kleine Terz, sondern die reine oder iibermaBige
Quarte ist. Die stets 7stufigen Skalen sind so geordnet,
daB jeweils 6 mit gleichem unterem Tetrachord eine
Gruppe bilden (cakra). Jeder Melakarta ist dann wieder
die Grundlage einer Reihe von Ragas und Raginis, je
nach der Funktion der Leitertone in der Melodie. Frei-
lich werden in der Praxis langst nicht alle Melakartas
gebraucht, aber trotz seiner spekulativen Konstruktion
ist dieses System bis heute die theoretische Grundlage
der siidindischen Musik. Die melodische Gestaltung ist
prinzipiell einstimmig, vokale Ausfiihrung herrscht
vor, die Instrumente wirken urspriinglich nur als rhyth-
mische und melodische Stiitze des Gesangs mit. Alle
Stiicke werden zunachst von einem Vorspiel (alapa)
eingeleitet, in dem der Solist ohne jede Begleitung die
Horer mit dem Riga oder Ragini vertraut macht. Da-
nach erst f olgt, nun stets von Trommeln begleitet, das
eigentliche Stuck. Weitere mitwirkende Instrumente
haben nur die Rolle eines Borduns auf den Haupt-
tonen des Raga. GroBere Ensembles gibt es in der
klassischen I.n M. nicht. - Die alte erhabene Musik
(marga) kannte nur 3 rhythmische Werte: laghu
(leicht), guru (schwer), pluta (gedehnt). In der spateren
deshi-Musik kamen noch 2 kurze Werte hinzu: druta
und anadruta. Fiir diese Zeitwerte gibt es Schriftsym-
bole, ahnlich unseren Mensuralnoten. Ein Punkt ver-
langert den Notenwert um die Halfte, so daB neben
binaren auch ternare und aus beiden kombinierte, z. B.
5- und 7teilige Takte vorkommen. 3 oder (meistens)
4 solcher Takte, die jedoch nicht selbstandig gedacht
sind, bilden eine Einheit (tala), die wiederum viermal
hintereinander auftritt. In Nordindien gibt es zahllose
Talas, die ohne Ordnung wie die Ragas nebeneinander
bestehen, wahrend der Siiden auch fiir die Rhythmik
ein System von 35 Talas mit 7 Grundformen und je 5
Abarten entwickelt hat. Die eine Hand des Trommlers
gibt das Grundschema, die andere spielt bereits eine Ge-
genstimme, zu der noch die Stimme des Solisten als
dritte rhythmische Komponente hinzukommt.
Die Instrumente werden schon bei Bharata in 4 Klassen
eingeteilt. In der Klasse der Idiophone kommen Glock-
chen und Zimbeln auBer im Kult auch in der welt-
lichen Kunstmusik und natiirlich im Kunsttanz zur
Unterstreichung des Rhythmus vor. Von Membrano-
phonen gibt es viele Arten von Trommeln. Bei Doppel-
felltrommeln stimmt man das 2. Fell in der Oktave,
Quinte oder auch Quarte des Grundtons. Meist be-
nutzt man jedoch 2 verschieden gestimmte Trommeln.
Es wird mit den Fingern oder dem Handballen ge-
schlagen, auf die Mitte oder den Rand der Membran.
Das ergibt einen groBen Reichtum an Abstufungen.
Jeder Trommelschlag hat seinen Namen, so daB ein
Trommelstiick auch gesprochen oder niedergeschrie-
ben werden kann. Wie bei der Trommelstimme, so
gehort die Vielfalt an Schattierungen und Verzierun-
gen auch der Melodie zum Charakter der I.n M. Un-
ter den Saiteninstrumenten uberwiegen die gezupften
(-»■ Vina, -> Sitar). Der aus Persien stammende Sarod
mit bundfreiem Steg und wenigen Bordunsaiten ge-
hort in die Lautenfamilie wie auch die Tambura, die
4 Saiten hat, die in den Haupttonen des Raga gestimmt
werden und stets leer zur Stutzung der Melodie als
Bordun erklingen. Die jiingeren Streichinstrumente
gehoren mehr der Volksmusik an. An Blasinstrumen-
ten gibt es Quer- und Langsfloten sowie eine Schalmei
(shannai) arabischer Herkunft, die stets paarweise auf-
tritt. Der Dudelsack und ein Rohrblattinstrument mit
Windkapsel (bin), das von Schlangenbeschworem be-
nutzt wird, gehoren in die Volksmusik. Diese ist in
einem so groBen, aus so verschiedenen Sprach- und
Rassengruppen gemischten Gebiet naturgemaB auBer-
ordentlich artenreich. Da die Kunstmusik das Privileg
der hochsten Kasten und nur dem gelehrten Kenner
verstandlich war, bestand neben ihr zu alien Zeiten
eine bliihende Volksmusik. - Die Begegnung mit der
Musik des Abendlandes hat in Indien zu einem Chaos
gef iihrt, aus dem erst schwache Ansatze zu einer neuen
nationalen Musikkultur erkennbar sind. Die Unver-
einbarkeit des einheimischen Tonsystems mit dem
europaischen steht einer echten Verschmelzung ent-
gegen. R. Tagore hat als erster versucht, zu seinen Ge-
dichten eine Musik zu schaffen, die im Sinne des abend-
landischen »Liedes« dem Wort wieder einen starkeren
Anteil an der Komposition einraumt. Sein Vorgehen
hat Schule gemacht und eine neue, volkstiimliche Mu-
sikgattung einstimmiger begleiteter Solo- und Chor-
lieder ins Leben gerufen. Rundfunk und Tonfilm in
Indien bevorzugen diesen neuen Stil.
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Informationstheorie. Die methodischen Verfahren
der I. sind in den letzten Jahren in verschiedenen Ge-
bieten angewandt worden, in der Musikwissenschaft
vor allem in der Wahrnehmungspsychologie und bei
der Analyse musikalischer Strukturen. In der Gehorpsy-
chologie konnte z. B. erstmals die Frage mathematisch
exakt untersucht werden, wieviel Tone auf einer Di-
mension (bzw. in mehreren Dimensionen) von einem
Beobachter einwandfrei erkannt (identifiziert) werden
konnen (recognition problem). Das statistische Werk-
zeug fiir diese Untersuchung ist die vor allem von
Garner und Hake sowie von McGill aus dem Infor-
mationsmaB entwickelte Multivariate informational
analysis. Die von Shannon operational definierten Be-
griffe Information und Redundanz sind als analytische
Hilfsmittel auch in mehreren statistischen Untersu-
chungen musikalischer Strukturen angewandt wor-
den. Hierbei wurde gewohnlich die relative Haufig-
keit (= Wahrscheinlichkeit des Auftretens) von Ton-
dauern oder -hohen in der Partitur durch Auszahlen
bestimmt; durch Einsetzen in die Formeln ergab sich
der Informationsgehalt bzw. die Redundanz. Auf die-
se Art untersuchte Fucks die Tonhohenhaufigkeiten
von Musik verschiedener Epochen, Frances Tonhohen
und -dauern von Volksliedern und Kompositionen
Bachs, Mozarts, Beethovens u. a., Cohen die Tonhohen
zweier Rock-and-Roll-Tanze. Mit informationstheore-
tischen Mafkn analysieren seit 1960 an der University
of Illinois Youngblood Lieder romantischer Komponi-
sten und Brawley die Rhythmik musikalischer Stile. In
welchem Grade die neuen mathematischen Werkzeuge
Stilkriterien zu erschlieBen vermogen, laBt sich wegen
der Sparlichkeit des vorliegenden Faktenmaterials zur
Zeit noch nicht entscheiden. Eine Hauptauf gabe er-
blickt die I. darin, schwer faSbare Begriffe der Asthetik,
wie Ordnung.Einheit, durch operational definierte Be-
griffe zu ersetzen.
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Inganno (ital., Tauschung), auch cadenza d'i., Trug-
kadenz, -»- Trugschlufi.
Ingressa (lat.) -*■ Ambrosianischer Gesang.
Initium (lat., Anfang), - 1) im Gregorianischen Ge-
sang die aus zwei oder mehr Tonen bestehende Initial-
397
In nomine
formel der -> Psalmtone. Sie verbindet das Ende der
Antiphon mit dem Rezitationston (tenor, tuba). Im
antiphonischen Psalmengesang beginnt in der Regel
nur der erste Vers mit dem I., wahrend die folgenden
Verse auf dem Tenor einsetzen. Die Cantica ex Evan-
gelio (Magnificat, Benedktus Dominus Deus Israel und
Nunc dimittis) verlangen fur jeden Vers die Initialfor-
mel. - 2) in der Kompositionslehre des 16. Jh. Termi-
nus fur den Anfangsabschnitt eines mehrstimmigen
Vokalwerkes, auf den dann Medium (Mittelteil) und
Finis (SchluBabschnitt) folgen.
In nomine (lat., Im Namen). Den zahlreichen so be-
nannten Instrumental werken englischer Meister im 16.
und 17. Jh. liegt meist als C. f. die Antiphon Gloria tibi
Trinitas (Beispiel nach [ —
Antiphonale Sarisburien-
se) in Festo Sanctissi-
mae Trinitatis zugrun-
• ■ r *
3=
Glo-ri - a ti - bi Tri-ni-tas
de, deren Text jedoch keinen Anhaltspunkt f ur den Na-
men der Stiicke bietet. Diese Antiphon hatte J. Taver-
ner als C. f. seiner gleichnamigen Messe verwendet
(vor 1528), in deren Benedictus sie zu den Worten
in nomine Domini im Medius (zweitoberste Stimme)
zum einzigen Mai zusammenhangend in ruhigen,
gleichlangen Notenwerten erklingt, wahrend die ande-
ren Stimmen in lebhaf terem Rhythmus kontrapunktie-
ren. Mit instrumentalen Ubertragungen dieses anschei-
nend sehr beliebten 4st. Vokalsatzes beginnt die lange
Reihe fortan originar instrumentaler I. n.-Kompositio-
nen, die aufier ihrem Namen auch kompositorische Ei-
gentumlichkeiten von dort entnehmen : der C. f . tritt
zunachst fast nur in den Mittelstimmen auf und hebt
sich in seinen ruhigen, gleichlangen Notenwerten von
den immer lebhafter werdenden iibrigen Stimmen
deutlich ab ; einige Komponisten iibernehmen sogar die
Anfangsmotivik der kontrapunktierenden Stimmen
von Taverner. — Das I. n., dessen kirchliche Bindung
sofort nach Taverner abriB, ist die erste eigentlich in-
strumentale, von der Liturgie und vom Tanz unabhan^
gige Kompositionsgattung der englischen Musikge-
schichte. Zunachst bestehen kaum Unterschiede zur
vokalen C. f.-Motette, doch beginnt schon um die
Mitte des 16. Jh. ein ProzeB zunehmender Instrumen-
talisierung, ahnlich wie bei der -> Fancy. Im Laufe der
Entwicklung entstand eine Form, die unabhangig von
der Gestalt des C. f . aus mehreren Abschnitten besteht,
die spater durch Kadenzen deutlich voneinander ge-
trennt und immer kontrastierender gestaltet werden. -
Fast alle bedeutenden englischen Komponisten von Ta-
verner bis Purcell schrieben I. n.-Kompositionen, vor
allem fur 4-7st. Violenensemble und fur Klavier. Der
groBte Teil der etwa 150 iiberlieferten I. n. stammt aus
den Jahren 1560-1610. Einige I. n.-Kompositionen hei-
Ben entsprechend ihrem C. f . Gloria tibi Trinitas, andere
tragen besondere Titel, z. B. bei Chr.Tye, einem
Hauptmeister der Gattung, Farewell my good lord for
ever, oder bei O. Gibbons die beriihmten Cries of Lon-
don fiir Vokalstimmen und Violenensemble. In spaterer
Zeit zeigen einzelne I. n. genannte Kompositionen
keinen Zusammenhang mit einem C. f. Andere, I. n.-
Fantasie genannte Werke verwenden die Antiphon
nicht als C. f., sondern bilden daraus ihr thematisches
Material. - R.Strauss verwendet in seiner Oper Die
schweigsame Frau im 3. Akt ein I. n. von J. Bull.
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Osterreichischen Volksliedwerkes IV, 1955.
Instrument (lat. instrumentum, griech. Spyavov,
Werkzeug), im Bereich der Musik ein meist hand-
werklich hergestelltes Gerat zum Erzeugen vor allem
musikalisch verwendbaren Schalles; physikalisch ist
auch die menschliche-v Stimme(-2) einlnstr., inTheo-
rie und Praxis wird sie jedoch oft den Instr.en gegen-
iiber gestellt, und zwar - wo nicht die Instr.e zum Ver-
fremden der Stimme dienen - als MaBstab der »Voll-
kommenheit«. Nicht eigentlich Instr.e sind auch die Or-
gane des menschlichen Korpers, die gleichwohl als
Rhythmusgeber eingesetzt werden; primitive Instr.e
sind zum Teil technologisch alsOrganprojektionen zu
verstehen. Fiir die von der Natur fertig gegebenen Ge-
genstande ist die Bezeichnung Schallgerat sinnvoll ; die
Grenzen zwischen diesen und den Instr.en sind flie—
Bend. - Den Hochkulturen ist das Streben gemein, die
vorhandenen Instr.e zu klassifizieren. Die altchinesi-
sche Einteilung ist vom Material her gedacht und unter-
scheidet8 Gruppen: Metall(Glocken), Stein (-*■ K'ing),
(Ton-)Erde (GefaBflote), Leder oder Fell (Trommel),
Seide (Saiten, -»- K'in), Holz (zum Schlagen oder Rei-
ben), Kiirbis (Sheng, -*■ Mundorgel) und Bambus
(Flote). Bei den 4 altindischen Gruppen sind der Bau
und die Erregungsart beriicksichtigt : Ghana (von han,
schlagen; Schlagidiophone, wie Becken und Gongs),
Avanaddha (von nath, hinzufiigen, und ava, decken;
Membranophone, wie Trommeln), Tata (von tan,
ziehen; Saiteninstr.e) und Sushire (Tubus- oder Blas-
instr.e). Die im Abendland bis ins spate Mittelalter in
Grundziigen geltende und meist innerhalb der Klassi-
fikation der -> Musica erorterte Einteilung in Saiten-
(instrumenta chorda ta), Bias- (pneumatica) und Schlag-
instr.e (pulsatilia) stellt zugleich eine Rangordnung
dar, die den Saiteninstr.en den Vorrang gab, weil an
ihnen die Theorie darstellbar ist. Sie blieb als Eintei-
lungsgrundsatz bis in die moderne Orchestergliederung
lebendig. Den ersten Platz in der Wertschatzung nah-
men in der Renaissancezeit die Blasinstr.e ein, nach
soziologischer Rangordnung wieder in sich gegliedert
(-»■ haut). Das Attribut perfekt bekamen im 16. Jh.
die akkordfahigen Instr.e (->■ Fundamentinstr.e). Im
18./19. Jh. waren fiir den Vergleich mit der Stimme die
Melodiefahigkeit und der Klangcharakter bestim-
mend, wenn Violine (Schubart), Querflote oder Kla-
rinette als ideal bezeichnet werden. Ein neues Interesse
an einer Systematik erwachte am Ende des 19. Jh. un-
ter dem EinfluB der Physik und Volkerkunde. Die zu-
erst von Mahillon (1880) vorgelegte Systematik nach
dem schwingenden Medium setzte sich. in der Neu-
fassung von E. M. v. Hornbostel und Sachs (1914) all-
gemein durch. Sie gliedert in ->■ Idiophone, ^r Mem-
branophone, -> Chordophone und -> Aerophone; in
neuester Zeit kamen die -> Elektrophone hinzu. Kri-
terien der weiteren Unterteilung sind die Spielart (Idio-
phone, Membranophone) sowie f ormale (Chordopho-
ne) oder funktionell-konstruktive (Aerophone) Merk-
male. Dagegen wird eine einheitliche Systematik nach
398
Instrument
der Bauart, vor allem des Resonators, von Schaeffner
(1931) vorgeschlagen (instruments a corps solide und
vibrant, andererseits a air vibrant, wobei die ersteren
weiter gegliedert sind nach nicht gespannten, gespann-
ten und flexiblen Korpern). Drager (1948) erfaBt mit
einer groBeren Zahl Kategorien von der auBeren Kenn-
zeichnung und Tonerzeugung iiber die Klangerregung
und -art bis zum Spiel moglichst vielseitig das Instr.
und dessen Funktion. Die Systematik von Husmann
(1958) geht dagegen konsequent von der Physik des
Schwingenden aus.
Die fruhesten nachweisbaren Instr.e sind prahistorisch
{-*■ Horn, -► Flote). Die Kulturkreislehre (Sachs 1929)
schliefit nach dem Vorkommen von Instr. en-Formen
auf ein Zentrum im agyptisch-mesopotamischen und
auf eines im chinesischen Altertum, daneben auf ein
mbglicherweise noch alteres gemeinsames Zentrum in
Zentralasien. Als Entstehungsfolge nimmt Sachs (1959)
an: Urbesitz: Aufschlager, Rasselgehange. - Palaolithi-
kum: Schwirrholz, Schraper, Flote, Schnecken- und
Tubushom. - Alteres Neolithikum: Schlitztrommel,
Grifflochflote, einfellige Trommel, Musikbogen, Pan-
pfeife. - Jiingeres Neolithikum: Querflote und -horn,
Xylophon, Mirliton, Cricri, Maultrommel, Rohrblatt-
pfeife, Nasenflote, Trommelschlagel. - Altere Metall-
zeit: Metallglocke, FloB-, Brett- und Schalenzither. -
Ab etwa 4000 v. Chr. : Harfe, Leier. - Ab 3000 v. Chr. :
zweifellige Trommel, Rahmentrommel. - Ab 2000 v.
Chr.: Becken, Laute, Metalltrompete, Doppelrohr-
blattpfeife. - Ab 1000 v. Chr.: Kastagnetten, Sack-
pfeife. - Um Christi Geburt: Mundorgel. - Ab etwa
1000 n. Chr.: Gong, Metallophon, Zargenlaute, Gei-
ge. - 2. Jahrtausend n. Chr. : Pauke.
Die Theorie der »Wanderungen« laBt sich nur bedingt
nachweisen. Funde sind nur in einer natiirlichen Aus-
wahl von Instr.en aus vorwiegend hochwertigen Stof-
fen erhalten, die schon Sammler- oder Handelsgut
sind. Gewisse Anhaltspunkte fiir die Forschung geben
die Namen der Instr.e, doch haben sich an ihnen ent-
wickelte Herkunftstheorien oft als Irrtiimer erwiesen.
Nicht selten fin den sich Bezeichnungen (z. B. Kithara-
Gitarre - Cister - Zither) fiir - nicht nur der Bauart
nach - verschiedene Instr.e tradiert. Ein Teil der Instr.en-
Bezeichnungen ist wahrscheinlich aus onomatopoeti-
schen Bildungen entstanden (->■ Viola- 1, Pommer, Flo-
te), andere gehen auf Spielbewegungen zuriick (->■ Gei-
ge), kennzeichnen Material, Bauart oder Form (Horn,
Kithara, Aulos, Kortholt) oder defmieren den Klang-
charakter (Hautbois, Sordun, Schryari). In den Hoch-
kulturen laBt sich dariiber hinaus die Geschichte der
Instr.e aus Schrift- und Bildbelegen (-»■ Ikonographie)
deuten. Die Funktion von Instr.en als magische oder
kultische Gerate oder als Trager von MaBnormen mehr
denn als Schallgerate ist aus auBereuropaischen Hoch-
kulturen wie aus einfachen Kulturen bekannt. So wie
die ethnologische Feldforschung der Meinung ist, daB
zwar Instr.e »wandern«, nicht aber mit ihnen der Klang-
charakter oder Melodien, so wird auch fiir die abend-
landische Musikgeschichte angenommen, daB sich je-
de Epoche ihr Instrumentarium nach ihrem Klangideal
schaffe. Dem in der Geschichte der abendlandischen
Musikinstr.e seit dem Mittelalter erkennbaren Zug,
die Gerauschkomponente zuriickzudrangen und cincn
dem Tonsystem gemaBen »reinen« Obertonaufbau im
Klang zu erreichen, scheint die Musik seit etwa 1950
und das Aufkommen elektronischer Instr.e mit mani-
pulierbarem Gerauschspektrum entgegenzuwirken.
Lit. : allgemein : V.-Ch. Mahillon, Cat. descriptif et ana-
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Instrumentalmusik ist im Unterschied zur -*■ Vo-
kalmusik fur instrumentale Ausfuhrung bestimmt und
nicht an Sprache gebunden. Historisch gesehen ist die
Trennung von I., die nur fiir Instrumente, und Vokal-
musik, die nur fiir Singstimmen konzipiert ist, ledig-
lich innerhalb der abendlandischen Musik moglich,
und im engeren Sinne erst seit der Entstehung einer
selbstandigen I. im 16. Jh. In jeder friiheren Kultur be-
gleitete instrumentales Spiel als selbstverstandliche
Komponente der Musik Kult und Festlichkeit. Dassel-
be gilt fiir die auBereuropaische Musik bis heute. Trotz-
dem lassen sich spezifische dem Spiel auf Instrumenten
iibertragene Aufgaben erkennen: Eroffnung, Zwi-
schenspiel und Spiel zu Tanz und Marsch sowie Be-
gleitung der Singstimme. Auch die I. seit dem 16. Jh.
bis zur Symphonie des 18. Jh. steht mit diesen Aufga-
ben in Verbindung und wird von ihnen zum Teil deut-
lich gepragt. - Der jiidische Synagogalgesang des 1.
Jahrtausends n. Chr. verbannt, als Vortrag des gottes-
dienstlichen Wortes, die Instrumente aus dem Kult.
Demgegeniiber war die friihere jiidische Tempelmusik
stark instrumental gepragt. Dem friihen Christentum
gait instrumentales Spiel, da es nicht dem liturgischen
Wort diente, als Inbegriff des Heidnischen, daher
Weltlichen, Profanen, und hatte folglich niedrigeren
Rang. Innerhalb der griechischen Kirche bewahrte die
Musik bis heute den rein vokalen Charakter. - We-
sentlich auf instrumentales Zusammenspiel und damit
auf Mehrstimmigkeit ausgerichtet ist die Musik, die
R. v.Ficker als »primar klanglich« bezeichnet hat (z. B.
Gamelan auf Java). Es scheint, daB ein primar klang-
liches Musizieren in Nordeuropa entscheidend bei der
Entstehung der abendlandischen, geschichtlichen Mehr-
stimmigkeit im 9. Jh. beteiligt war. Seitdem steht die
Musik jeweils mehr oder weniger im Zeichen des In-
strumentalen. Aber erst im 16. Jh. begann die I. sich zu
emanzipieren, und etwa seit 1600 wird fiir die Musik
immer mehr der instrumentale Satz maBgebend.
In der Antike, die eine Orientierung weltlich-geistlich
nicht kannte, laBt sich das Instrumentalspiel von der
[iouaixTj, die bis zum 5. Jh. v. Chr. Dichtung und
Musik umfaBte, nicht trennen: die homerischen Ge-
sange wurden urspriinglich mit Begleitung der Kithara
(Phorminx, Lyra) vorgetragen, und der friihe aulodi-
sche und kitharodische ->■ Nomos hangt noch eng mit
dem Vers zusammen. ->■ Lyra (- 1) un d -*■ Aulos sind die
Symbole von Apoll und Dionysos und damit fiir die
beiden Pole griechischen Wesens. Im 6. Jh. v. Chr. lieB
man indessen auch das solistische Aulosspiel (Sakadas)
und etwas spater das selbstandige Kitharaspiel bei den
Agonen zu. Mit der instrumentalen Begleitpraxis ver-
bunden sind die XQOvaa; vno t?)v (bdrfv, "Instrumen-
talspiel zum Gesang« (Plutarch, § 28), und die -»- He-
terophonie, beides wohl eine Art variierendes Mitspie-
len der Hauptmelodie. Aufgabe und Entstehungszeit
der instrumentalen Griffschrift sind noch ungeklart.
Die instrumentale Komponente der antiken Musik
trat erst mit dem Zerfall der Einheit von Vers und Mu-
sik im 4. Jh. v. Chr. selbstandig in Erscheinung. Vir-
tuoses Instrumentalspiel, mitunter in Massenbesetzung
(romische Circus-»Orchester«), ist bis in die Spatantike
(byzantinische Orgel) bezeugt; besonders wegen seiner
Verbindung mit dem Circus wurde es von der Kirche
bekampft. - Im Osten (Byzanz) wie im Westen war
die liturgische Musik einstimmig und vokal. Im ger-
manischen Norden jedoch erfuhr der Choral wahrend
des 9.-10. Jh. wohl unter dem EinfluB instrumentaler
Elemente eine Verwandlung durch Diatonisierung.
Unmittelbar mit I. hangen die Sequenzmelodien des
9. Jh. zusammen, wie die Beischriften Symphonia,
Frigdola, Chithara und ahnliche zeigen. Die friiheste,
-> Organum genannte Mehrstimmigkeit des 9. Jh.
beruht stark auf instrumentalen Vorstellungen. Zum
ersten Mai innerhalb der liturgischen Musik waren da-
her die Instrumente wesentlich an der Ausfuhrung be-
teiligt. Man weiB von der Einweihung einer Orgel mit
iiber 400 Pfeifen in der Kathedrale zu Winchester im
Jahr 980. Jede Musik war nun Musica instrumentalis
und schloB instrumentale und vokale Ausfuhrung ein.
400
Instrumentalmusik
Erst aus dem 13. und 14. Jh. sind vereinzelte untextierte
Stucke, z. B. das In seculum viellatoris in Ba (-»- Quel-
len), und meist einstimmige instrumentale Tanze
(Stantipes, Ductia, Saltarello, Trotto) iiberliefert. Mit
der nur sparlich tradierten Spielmannsmusik befaBt
sich u. a. der Traktat des Johannes de Grocheo (Pa-
ris um 1300). Vielle und Rubeba waren die bevorzug-
ten Instrumente. Dagegen ist das instrumentale -*■ Car-
men bei Isaac und Hofhaymer am Vokalsatz der
Zeit orientiert. - Innerhalb der sprachgebundenen Mu-
sik ist jedoch ein im 14. Jh. einsetzender und bis An-
fang des 16. Jh. reichender Instrumentahsierungspro-
zeB festzustellen. Vor allem die Musik der Niederlan-
der seit Dufay ist mit instrumental-konstruktiven Ele-
menten (Ostinato, Sequenz) durchsetzt. Dies auBert
sich auch in Bezeichnungen wie Gloria ad modum tu-
bae (Dufay), Missa tubae (Cousin, um 1450), Missa
trombetta (Gaffori?). Einzelne Instrumente, z. B. die
Posaune, und die Blasermusik (Dreiklangsharmonik,
C- und F-Tonart) haben hier auf den Satz eingewirkt.
Die sprachgebundene Musik, die seit etwa 1500 einer
satztechnischen Klarung in Richtung auf reine Vokali-
tat unter AusstoBung der instrumentalen Elemente ent-
gegenging (Hohepunkt Palestrina), blieb jedoch bis
zum Ende des 16. Jh. fuhrend. In Lauren- und Orgel-
tabulaturen wird aber schon um 1450 in Deutschland
und kurz nach 1500 in Italien (Venedig) eine bliihende
Instrumentalpraxis greifbar. Die Wege, die die I. zu
ihrem ersten Hohepunkt um 1600 f iihren sollten, zeich-
nen sich hier bereits ab. Paumanns Fundamentum or-
ganisandi (1452) und das Buxheimer Orgelbuch (um
1470) sowie die ersten italienischen Tabulaturen von
Spinaccino, Dalza und Bossinensis (1507-09) fur Laute
und von M.Cavazzoni (1523) fiir Orgel enthalten:
1) Bearbeitungen vokaler Satze bzw. von Cantus firmi
(friiheste Beispiele in einer englischen Orgeltabulatur
um 1330) durch instrumentale Kolorierung und An-
passung an die Spieltechnik des Instruments; 2) freie
Praeludien, in Deutschland Praeambeln, in Italien-* Ri-
cercare genannt; 3) Tanzbearbeitungen bzw. Tanze
(vor allem 1529 bei Attaingnant; Basses danses fiir Lau-
te). Mit Ausnahme der Tanze handelt es sich bei diesen
friihen Sammlungen nicht so sehr um selbstandige
Kompositionen im Sinne der Vokalmusik, sondern
mehr um Spielanweisungen mit Beispielen. Die Rich-
tung der deutschen Organisten nach Paumann : Schhck,
Kleber, Kotter u. a., der »Koloristen«, fiihrte zunachst
nicht weiter. Auch die Tanze spielten fur den Auf-
schwung der I., der im 16. Jh. vor allem in Italien er-
folgte, eine verhaltnismaBig geringe Rolle. Die I. ging
nun - schon durch die Bearbeitung von Vokalstiicken -
bei der sprachgebundenen Musik in die Schule. Der
durchimitierte 4st. Satz diente als Vorbild. Diese Vo-
kahsierung der I. hinsichtlich Stimmfuhrung und -urn-
fang vollzog sich innerhalb der Gattung des Ricercars
(des -»■ Tiento in Spanien) seit G. Cavazzoni (1542/43).
Damit war die Voraussetzung dafiir gegeben, daB
auch der Geist der sprachgebundenen Musik auf die I.
iiberging. Diese trat nun aus dem Stadium der Spiel-
mannsmusik in dieGeschichte ein, und erst jetzt konn-
ten Kompositionen im Sinne der Vokalmusik ent-
stehen. In der I. waren nun die italienischen Organisten
fuhrend. Aus dem Ricercar entwickelte sich die -*■ Fu-
ge unter Einbeziehung von Elementen der Kanzone.
Aus der freien Improvisation erwuchsen -*■ Toccata
und -»■ Intonation (- 1). Von J. P. S weelinck iibernah-
men die deutschen Organisten des 17. Jh. (S. Scheidt)
vor allem englische und spanische Traditionen, von G.
Frescobaldi die italienische. Eine urspriinglich instru-
mentale, zuerst in Spanien greifbare Gattung von weit-
tragender Bedeutung erstand in der ->• Variation iiber
ostinate Tanzbasse, vielleicht zum Teil spanischer Her-
kunft (Passamezzo, Ciaccona, Follia, Passacaglia), oder
iiber volkstiimliche Weisen (Romanesca, Ruggiero).
Aus Variationen iiber BaBostinati (-»■ Ostinato,
-*■ Ground) bestand neben Lied- und Tanzbearbeitun-
gen zum groBen Teil das Repertoire der I. fiir das Ta-
steninstrument in England, das vor allem im Fitzwilliam
Virginal Book (1570-1625) gesammelt ist.
Doch erst Ende des 16. Jh. trat in Venedig mit den
3-22st. Kanzonen und Sonaten G. Gabrielis eine der
geistlichen und weltlichen Musik ebenburtige, in der
-*■ Mehrchorigkeit wurzelnde I. fiir mehrere Instru-
mente auf. Gabrieli ist der erste Organist, der als Kom-
ponist Gleichbedeutendes in I. und Vokalmusik leistete.
Die Canzona bzw. die Sonata verbindet nun die spezi-
fisch instrumentale, beweglich-concertierende Faktur
mit der Wiirde des Vokalsatzes zu neuer Einheit. In
diese Zeit fallt die Entstehung von ->• GeneralbaB und
-> Concerto, wodurch erstmalig instrumentale und
vokale Partien getrennt sind und die Musik nun iiber-
haupt auf instrumentaler Grundlage ruht. Die Kanzo-
nen G. Gabrielis fuhrten durch Verselbstandigung der
zusammenhangenden Kanzonenabschnitte und unter
dem EinfluB der Tanzsuite einerseits zur mehrsatzigen
Solo- und Triosonate, andererseits in Verbindung mit
dem Satz der venezianischen Opernsinfonie zu einer
Vielfalt von reich besetzten Stiicken unter den Titeln
Canzona, Sinfonia und Concerto. Zwischen veneziani-
scher Kanzone und A. Corellis Solo- und Triosonaten
vermitteln Kompositionen S.Rossis (1607-13), T.
Merulas (1615 und 1637), B.Marinis (1617), D.Castel-
los (1621), G.B.Fontanas (posthum 1641), M.Cazzatis
(1656) u. a. Es kommt zur klassischen Satzfolge der
Sonata da chiesa vind da camera. Bis zum Ausgang der
GeneralbaBepoche um 1750 kommt dem Triosonaten-
satz zentrale Stellung zu. Im mehrchorigen Concertie-
ren der Gabrieli-Zeit liegen auch die Keime des um
1680 als Gattung auftretenden ->• Concerto grosso.
Voraussetzung fiir das Solokonzert (G. L. Gregori, G.
Torelli 1698) war nicht nur der Quartettsatz in Strei-
cherbesetzung seit etwa 1650, sondern auch die vene-
zianische Opernarie (Cavalli), deren harmonische An-
lage sich in den Konzerten Vivaldis wiederfindet. Nach
Entstehung eines spezifischen Instrumentalsatzes, vor
allem durch G. Gabrieli, wurden nach 1600 in ver-
starktem MaBe wieder die Tanze in die I. einbezogen.
Eine lebhafte Wechselwirkung zwischen dem Satz fiir
instrumentales Ensemble und der Tanzkomposition
setzte ein. Das Ergebnis war eine Stilisierung und
Durchgeistigung der Tanze vom Musikalisch-Techni-
schen her (-> Suite). Der Gebrauchstanz war nur noch
als Typus wirksam. Die wechselnde, meist reiche Be-
setzung wurde im Verlauf des 17. Jh. auf den 4- bzw.
5st. Streichersatz reduziert, der sich etwa gleichzeitig
in Italien und Frankreich (Lully) ausbildete. Seit etwa
1670 trat die -»■ Ouverture genannte Suite die Herr-
schaft an. In Frankreich eroffnete Ch. de Chambon-
nieres die Reihe der Clavecinisten (Fr. Couperin, J.-Ph.
Rameau). Von ihm iibernahm Froberger die Klavier-
suite, vertiefte aber gleichzeitig den Klaviersatz. Alle
Wege und Traditionen dieser groBen Zeit der I. lau-
fen in Deutschland zusammen, wobei auch der Satz
und das Instrumentarium (Blaser) ungcahntc Bcrcichc-
rung erfuhren. Hier trat J. S. Bach auf. Sein sprechend-
artikulierender Instrumentalsatz eroffnete der I. auch
dort, wo er an Concerto grosso, Triosonate oder Suite
ankniipft, eine neue Dimension und Aussagekraft und
sichert ihr von da an den Vorrang. Bachs I. wird auBer-
dem gepragt von der spezifisch norddeutschen Orga-
nisten- una Kantorentradition des 17. Jh. Auch fiir
diese Musik bedeutet Bach die Erfullung.
26
401
Instrumentalmusik
Schon um 1720 bahnte sich in Italien die Auflosung
der GeneralbaBkomposition an. Die alten Gattungen
Triosonate, Concerto grosso und Suite verschwanden
allmahlich. Insbesondere durch die Opera buffa (Per-
golesi) entstand ein neuer, auf gleichartigen Kadenz-
folgen beruhender, beweglicher, in kleinteiligen Sym-
metrien fortschreitender Satz (z. B. Pergolesis Trioso-
naten von 1731). Der Typus der italienischen Opern-
sinfanie, die auch als selbstandiges Konzertstiick diente
(A.Scarlatti, G. B. Sammartini), fiihrte zur -> Sym-
phonic der Vorklassiker. Die typische Orchesterbe-
setzung der italienischen Oper wurde bindend : Streich-
orchester (3- bzw. 4st.) und harmoniefiillende Blaser
(Oboen, Horner). Durch J. Haydn, W.A.Mozart und
Beethoven wurde die Symphonie neben Streichquar-
tett, Klavierkonzert und Sonate zur vornehmsten Gat-
tung. In Haydns »russischen« Quartetten (1781) und 12
Londoner Symphonien, in Mozarts Haydn-Quartet-
ten (1782-86) und spaten Symphonien, in Beethovens
9 Symphonien und 16 Quartetten ist ein durch und
durch instrumentaler Satz von hochster Vergeistigung
wirksam, der es nicht zuletzt durch konsequent ange-
wendete motivische Arbeit vermag, jedem Werk ei-
nen einmaligen Sinn zu geben. Die siiddeutsche instru-
mentale Tradition der Divertimenti, Kassationen und
Serenaden hat die Musik der Wiener Klassiker stark
mitgepragt. Ihr volkstumlich-bodenstandiges Moment
wurzelt vornehmlich in dieser Tradition. Der Rang
der Wiener klassischen I. lieB sie schon zu ihrer Zeit als
Hohepunkt der I. und als Inbegriff der Musik (->- Ab-
solute Musik) erscheinen. Eine einzigartige Stellung
nimmt die spate I. von Schubert seit der H moll-Sym-
phonie (1822) ein, in der das Erbe der Wiener Klassik
durch die schmelzende Kraft der einheitlichen Lied-
melodie verwandelt ist. Auseinandersetzung mit dem
Phanomen der Wiener klassischen Musik sind die »ro-
mantische« Symphonik einschlieBlich -»■ Symphoni-
sche Dichtung und -> Programmusik sowie die Kam-
mermusik des 19. Jh. Einzelne Komponenten erfuhren
nun neue Ausweitung (Harmonik, Instrumentation).
Aber an die Stelle des Denkens in groBen musikalischen
Zusammenhangen traten das Prinzip des Variierens f iir
sich stehender Gedanken, die Isolierung des -*■ Aus-
drucks und die als feste »Formen« iibernommenen Gat-
tungen der Klassiker. Daher finden sich die vielleicht
vollkommensten und originaren Werke im Bereich der
Klaviermusik (->■ Charakterstiick, -> Etiide) und im
ausdrucksbetonten Klavierlied. Neben die in Wollen
und Sinngebung di vergierende Symphonik trat seit 1850
immer mehr das musikalische Theater in den Mittel-
punkt : das in Variation der »Leitmotive« durchkompo-
nierte und von der »instrumentalen Melodie« getrage-
ne Musikdrama Wagners, die Opern von Verdi und
von R.Strauss. Die I. nach Wagner steht stark unter
dessen Eindruck. Neue Moglichkeiten auch fur die I.
eroffneten demgegenuber die Opern von Mussorgsky,
des spaten Verdi, von Debussy und R.Strauss. Die
Neue Musik des 20. Jh. ist wieder vornehmlich I. (De-
bussy, Strawinsky, Bartok, Hindemith) ; sie ist gekenn-
zeichnet teils durch Ankniipfung an die Romantik
oder durch Abkehr vom Ausdruckselement (Spielmu-
sik), teils durch klassizistische Hinwendung zu weit zu-
riickliegender Musik, teils durch Folklore (Melodik,
Rhythmik) bzw. bewuBte Einbeziehung exotischer
Musik (z. B. Pentatonik, Gamelan), vor allem aber
durch Isolierung einzelner musikahscher Elemente
(Rhythmus, Klanglichkeit, Linearitat usw.). Diese star-
kere Einbeziehung nicht mehr unmittelbar aus ge-
schichtlicher Kontinuitat erklarlicher Mittel ist nur als
I. mdglich, da das Vokale stets auch eine Bindung an
ungebrochene Tradition bedeutete. Mit -> Zwolfton-
technik und -> Serieller Musik ist eine Entwicklung
angebahnt, die das Komponieren mehr und mehr dem
Bereich der instrumentalen oder vokalen Ausfiihrung
entriickt, teils durch Ausschaltung des Interpreten
(->■ Elektronische Musik), teils durch eine ganzlich
neutrale Einstellung zum ausf iihrenden Medium.
Lit. : G. Gaspari, Musicisti bolognesi nel s. XVII, Modena
1875-80; W. J. v. Wasielewski, Gesch. d. I. im XVI. Jh.,
Bin 1878; M. Seiffert, Gesch. d. Klaviermusik I, Lpz.
1899; O. Korte, Laute u. Lautenmusik, =BIMG I,
3, Lpz. 1901; K. Nef, Zur Gesch. d. deutschen I. in d.
2. Halfte d. 17. Jh., =BIMG I, 5, Lpz. 1902; A. Heuss,
Die Instrumentalstiicke d. Orfeo v. Monteverdi, SIMG
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StK
Instrumentation heiBt die Verteilung des musikali-
schen Satzes auf die Instrumente in einer Orchester-
komposition. Versuche, den Begriff enger zu fassen,
402
Instrumentation
haben sich nicht durchsetzen konnen. Seit Berlioz in
seinem klassischen Lehrbuch (1844) I. und -*■ Orche-
stration gleichgesetzt hatte, sind immer wieder Vor-
schlage zur Unterscheidung gemacht worden: 1) Un-
ter dem historischen Aspekt sollte die Orchesterbe-
handlung vor 1750 Orchestration heiBen. 2) I. sollte
sich auf die fiir Orchester konzipierte Komposition,
Orchestration hingegen auf die Bearbeitung eines an-
ders konzipierten Werkes fiir Orchester beziehen. 3) I.
sollte den Satz fiir Symphonieorchester, Orchestration
den Satz fiir andere Ensembles (z. B. -> Harmoniemu-
sik) bezeichnen. Sogar I. und Instrumentierung werden
gelegentlich unterschieden, um stilgeschichtlich be-
stimmbare Arten der I. (z. B. Klangfarbe als »Struktur-
wert« oder als »Ausdruckswert«) begrifflich von einer
Orchesterbehandlung zu trennen, die stilistisch unab-
hangig sei. Eindeutig abgrenzbar ist die I. vom ->■ Ar-
rangement und der -> Bearbeitung (- 2) ; ihnen gegen-
iiber kann von I. nur da gesprochen werden, wo schon
im Konzept die Moglichkeiten eines Orchesters mit ver-
bindlicher Besetzung beriicksichtigt sind oder wo eine
Vorlage ohne Veranderung der Substanz in die Or-
chestersprache ubersetzt wird. - Mischung und Kon-
trastierung der Klangfarben gehoren ebenso zum Be-
griff I. wie die fachkundige und angemessene Verwen-
dung der einzelnen Instrumente; und zwar ware in ei-
ner I.s-Lehre die Verwendung des Einzelinstruments
als technische Grundlage zuerst zu lehren, erst danach
die eigentliche I., die Technik der Kombination, Mi-
schung und Kontrastierung. Gerade diese jedoch hielt
schon Berlioz fiir nicht lehrbar; er legte das Hauptge-
wicht auf die Instrumentenkunde und begniigte sich
damit, den eigentlichen Gegenstand seines Buches an
Partiturbeispielen zu demonstrieren. Dabei ist es bis
heute geblieben: Fiir gute I. gibt eskeine Rezepte (L.K.
Mayer). Einzig E.Wellesz verzichtet auf den instru-
mentenkundlichen Teil und gibt eine Darstellung der
I., wie sie sich nach R.Wagner und R.Strauss entwik-
kelt hat. - Die I. unterliegt, von ihren Anfangen bei
Monteverdi bis in unsere Tage, in der Tat einer solchen
Vielfalt von sie beeinflussenden und bedingenden Fak-
toren (auch etwa sozialgeschichtlicher Art), dafi an eine
systematische Darstellung und an ein zeitlos gultiges
Lehrsystem nicht zu denken ist. Wenn z. B . H. Riemann
vom Klaviersatz ausgeht und die I. von Klavierstiicken
zum Lehrprinzip erhebt, so ist dieses Verfahren nicht
schlechthin abzulehnen, sondern als Indiz fiir eine or-
chestrale Satztechnik zu werten, wie sie z. B. in der
Symphonik Schumanns zu finden ist. Der Bedeutung
des Klaviers bei Schumann entspricht bei Bruckner die
der Orgel, deren Registerprinzip in seiner Orchester-
behandlung wiederkehrt.
Der Weg, den die I. vom Absterben der fakultativen
Besetzung nach 1600 bis hin zum regelmafiigen Ge-
brauch von Dirigierpartituren in der Opernmusik
(-*- Partitur) genommen hat, ist ungewiB und kann
nur aus Beschreibungen, Spielanweisungen und eini-
gen meist handschrif tlich iiberlieferten Kompositionen
erschlossen werden. Fest steht, daB die Opernkompo-
nisten den machtigsten AnstoB gegeben haben und
daB der solistischen Instrumentalmusik ein bedeuten-
der Anteil an der Herausbildung eines orchestralen
Idioms zukommt. Beherrschend blieben fiir die ba-
rocke I. das GeneralbaBfundament und das Prinzip der
Variatio per choros (-*■ Mehrchorigkeit). Die Wen-
dung zur klassischen I. ist demgemaB weniger von der
Zunahme der Mittel als vom Abtreten des General-
basses, der durch den Streicherkorper ersetzt wurde,
und von den Anfangen der -*■ Durchbrochenen Arbeit
ablesbar. Hatte die Streichertechnik schon bei A. Vival-
di eine hohe Entwicklungsstuf e erreicht, so ist fiir die
klassische I. die Differenzierung der Holzblaser, dane-
ben auch des Schlagzeugs (-> Janitscharenmusik), cha-
rakteristisch. Der Neigung zum »redenden Prinzip«
(C. Ph. E. Bach) entspricht das Aufkommen der Klari-
nette, die einer reicheren Nuancierung fahig ist als die
anderen Blasinstrumente. Kontrastierung und Klang-
mischung sind auch iiber die Klassik hinaus Kennzei-
chen der I. des 19. Jh. Die Tendenz zu »koloristischer«
statt »struktureller« I. ist unverkennbar, ohne daB je-
doch eine schroffe Trennung der beiden Momente
moglich ware. Zwar entwickelte sich die I. vor allem
in der Opern- und Programmusik, doch wurden die
in der »malenden« und »redenden« Musik entdeckten
Klangmittel dann auch zur Verdeutlichung des Ton-
satzes, zur Unterscheidung der Stimmen, Phrasen,
Perioden oder Satzgruppen gebraucht. Die VergroBe-
rung des -»■ Orchesters ist vom Standpunkt der I. her
gesehen nicht so sehr als quantitative Erweiterung be-
achtenswert, sondern eher als Folge des Strebens nach
auBerster Differenzierung, nach Belebung und Durch-
formung im »Inneren« des Orchestersatzes zu bewer-
ten. Beispielhaft sind die Partituren R.Wagners. In ih-
rem Nuancenreichtum einerseits und ihrem Volumen
andererseits lagen die Keime fiir die kiinf tige Entwick-
lung der I. Nach 1900 beginnt die Trennung dieser
beiden Momente, meist bei ein und demselben Kom-
ponisten, am deutlichsten wohl bei G. Mahler, der trotz
monumentaler Ausweitung des Volumens die Diffe-
renzierung der Einzelstimmen so weit treibt, daB von
einer kammermusikalischen I. eines Riesenorchesters
gesprochen werden kann. Strawinsky, der an die I.s-
Kunst Rimskij-Korsakows anschlieBt, R.Strauss, der
das von Wagner uberkommene Orchester zugleich er-
weitert und verfeinert, oder A. Schonberg, dessen Gur-
re-Lieder ein iiberaus voluminoses Orchester auf weisen,
sie alle verwirklichten friiher oder spater neue instru-
mentatorische Ideen mit kleinen Ensembles, nutzten
aber die so gewonnenen Erfahrungen meist auch wie-
der fiir die I. des groBen Orchesters. Die weitere Dif-
ferenzierung der I. bis in feinste Verastelungen bei A.
v.Webern, die -*■ Klangfarbenmelodie Schonbergs,
aber auch der Riickgriff auf den Klanggruppenkontrast
der Barockzeit bei P. Hindemith sind fiir die Wandlun-
gen der musikalischen Sprache um 1920 ebenso be-
zeichnend wie in der Folgezeit Hindemiths an Bruck-
ner ankniipfende I., der Versuch einer Rehabilitierung
des im spaten 19. Jh. ublichen groBen Orchesters bei
K. A.Hartmann oder die um 1950 aufkommende Ver-
wendung ungewohnlicher und neuer (z. B. elektroni-
scher) Klangmittel fiir die stilistische Vielfalt der heuti-
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Instrumentenbau als Zweig der Wirtschaf t kann nur
in Kulturen entstehen, in denen an das Musikinstru-
ment hohe Anforderungen hinsichtlich Qualitat und
Normung gestellt werden und in denen es als wertvol-
ler Gegenstand auch der Representation dienen oder
als Sammler- und Handelsobjekt auftreten kann. Un-
ter diesen Bedingungen hat sich besonders im Abend-
land der I. aus einer Nebentatigkeit von Handwerkern
und Musikern zu einem vielfach spezialisierten Hand-
werk und zu Industrie und Handel entwickelt. Die
wichtigsten Zweige sind der Orgelbau, -*■ Klavierbau,
-*■ Geigenbau, dazu seit dem 16. Jh. der Blechblas-,
spater der Holzblas-I. und in neuester Zeit der Bau von
Harmonikas und elektrischen Instrumenten. Als Wirt-
schaftszweig entwickelt ist der I. besonders in Deutsch-
land, GroBbritannien, Frankreich, Italien (Geigenbau,
Saiten), Osterreich, Japan (injiingster Zeit mit beson-
ders preiswerten Instrumenten), den Niederlanden, der
Schweiz, Skandinavien (Holzinstrumente), der Tsche-
choslowakei und den USA. Da I. bis heute oft in Fa-
milientradition ausgeiibt wird, haben sich Schulen des
I.s und landschaftliche Schwerpunkte gebildet. Zu den
Aufgaben des Instrumentenbauers gehoren neben der
Fertigung die Pflege, Reparatur, Restauration, in f riihe-
rer Zeit auch oft das Umarbeiten, der Entwurf (weniger
des Prinzips als der auBeren Form) , die Berechnung und
die Technologie (Werkstoffprufung). In der modernen
Wirtschaft entstanden iiberregionale Zunftverbande
des Handwerks und Verbande von Industrie und Han-
del. Diese Fachverbande sind gegliedert nach GroB-
(Orgel, Klavier) und Klein-I. Als optimale Betriebs-
groBe fiir den ersteren hat sich die stadtische Werkstatt,
fiir den letzteren der Mittelbetrieb (auch in kleinen
Gemeinden gelegen) herausgestellt. Die Verbande for-
dern den Export wie den Vertrieb im Inland. Der Ver-
kauf geht bei groBen Firmen zum Teil durch eigene
Hauser, sonst durch Musikalienhandlungen, die schon
seit langem Verbundgeschafte sind und seit etwa 1950
auch den Verkauf von Phonogeraten betreiben. Der
Information und Werbung dienen Messen und Kon-
gresse. Fiir die Ausbildung des Nachwuchses haben die
Verbande Schulen errichtet, oft in Zentren des histori-
schen I.s, so in Deutschland fiir den Geigen- und Lau-
tenbau zuerst in Markneukirchen 1834. Heute sind die
wichtigsten die Fachschule fiir Musikinstrumentenbe-
rufe (Meisterschule fiir Orgel-, Klavier- und Harmo-
niumbauer) in Ludwigsburg und die Staatliche Be-
rufsfachschule fiir Musik-I. (Holz) in Bubenreuth.
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Edinburgh 1960, 2 1962; H. Haupt, Viennese Instr.-Ma-
kers from 1791 to 181 5, Kgr.-Ber. Budapest 1961 ; M. Vo-
gel, Die Intonation d. Blechblaser. Neue Wege im Metall-
blas-I., = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. Mu-
sik I, Dflsseldorf 1961.
Instrumentensammlungen in ihrer modernen
Form haben neben dem musealen Zweck die Aufgabe,
den Bestand musikgeschichtlich und ethnologisch be-
deutsamer Instrumente durch Sammeln, Beschreiben
und Restaurieren der Forschung als dokumentarisches
Quellenmaterial zu erschlieBen sowie Vorlagen zur
Kopie und Neukonstruktion von Instrumenten zu lie-
fern, die bei der Auffiihrung alter Musik verwendet
werden. - Als ihre Vorlaufer sind die in den Kunst-
und Wunderkammern weltlicher und geistlicher Re-
naissancehofe bzw. reicher Burger (Handelsherren) zu-
sammengetragenen musealen Sammlungen anzusehen,
die kiinstlerisch ausgestaltete Prachtstiicke sowie In-
strumente von Kuriositatswert (alte oder exotische In-
strumente) enthielten, ferner die fur den praktischen
Gebrauch der hofischen und stadtischen Musikkapel-
len bestimmten Instrumentenkammern (oft zusammen
mit einer Musikaliensammlung). Auf diese in Deutsch-
land und Italien im 16. Jh. recht zahlreichen Instr.-
Slgen konnten die mit dem Erwachen des historischen
BewuBtseins im 19. Jh. entstehenden Instr.-Slgen nur
selten zuriickgreifen (Ambraser und Estensische Samm-
lung in Wien, Sammlung Contarini-Correr in Paris
una Brussel). Den Grundstock zu der heute iiblichen
Form als offentliches Museum bilden zumeist bedeu-
tende Privatsammlungen (Crosby Brown, Fryklund,
Galpin, Heyer, Mahillon, Scheurleer, Snoeck, Ta-
gore, de Wit). Der Bestand der Instr.-Slgen in Pri-
vatbesitz (Neupert, Riick), offentlichen Sammlungen
und von Ausstellungen zu besonderen Anlassen (The
Royal Military Exhibition, London 1891 ; die Ausstel-
lung »Musik im Leben der Volker«, Frankfurt am Main
1927) ist zum groBen Teil in gedruckten Katalogen er-
fafit. - Fur die altere Zeit geben die erhaltenen Inven-
tare Auskunft, von denen die wichtigsten sind (mit
Angabe ihrer Veroffentlichung) : Instrumentarium Isa-
bellas der Katholischen im Alcazar von Segovia (1503),
bei F.Pedrell, Emporio cientifico e histSrico de organografla
musical espahola antigua, Barcelona 1901; Instr.-Slgen
Heinrichs VIII. von England (1547), in: Fr. W.Galpin,
Old English Instruments of Music, London 1910, 31932,
4 1965; Instrumente der Konigin Maria von Ungarn
(1559), in: H. Angles, La miisica en la corte de Carlos V,
= MMEsp II, Barcelona 1944; Verzaichnufi Rayd. (Rai-
mund) Fuggers Instrument vnd Musica 1566, bei A. Sand-
berger, Bemerkungen . . . zur Musikgeschichte der Stadte
Niirnberg und Augsburg . . ., DTB V, 1, Leipzig 1904,
dazu B. A. Wallner, Ein Instrumentenverzeichnis aus dem
16. Jh., Festschrift A. Sandberger, Munchen 1918, R.
Schaal, Die Musikinstrumenten-Sammlung von Raimund
Fugger d.J., AfMw XXI, 1964; Instrumentarium der
Weimarer Hofkapelle (urn 1570 und 1662), bei A.
Aber, Die Pflege der Musik unter den Wettinem . . . ,
= Veroffentlichungen des fiirstlichen Instituts fiir mu-
sikwissenschaf tliche Forschung zu Biickeburg IV, 1,
Biickeburg und Leipzig 1921 ; Instrumente der Hof-
kapelle zu Kassel (1573, 1613, 1638), bei E.Zulauf, Bei-
tr'dge zur Geschichte der Landgrdflich Hessischen Hofka-
pelle ..., Kassel 1902, sowie Chr.Engelbrecht, Die
Hofkapelle des Landgrafen Carl von Hessen-Kassel, in:
Zeitschrift des Vereins fiir Hessische Geschichte und
Landeskunde LXVIII, 1957; Grazer Instrumenten-
kammer (1577, 1590), Ambraser Sammlung (1596) und
Kunstkammer des Manfredo Settala in Mailand (1664),
bei J. Schlosser, Die Sammlung alter Musikinstrumente,
Wien 1920; Instrumentarium der brandenburgischen
Hofkapelle in Berlin (1582, 1667), bei C.Sachs, Musik
und Oper am kurbrandenburgischen Hof, Berlin 1910;
Sammlung der Stuttgarter Hofkapelle (1589), bei G.
Bossert, Die Hofkapelle unter Eberhard III., in: Wiirt-
tembergische Vierteljahreshefte fiir Landesgeschichte,
N. F. XXI, 1912 ; Kurf iirstlich-sachsische Instrumenten-
kammer (1593), bei M. Fiirstenau, Beitrdge zur Geschichte
der Koniglich sachsischen musikalischen Kapelle, Dresden
1849, sowie: Ein Instrumenten-Inventarium von 1598,
Dresden 1872; Instr.-Slg der Herzoge d'Este in Ferrara
(1598) und Modena (1600 und 1625), bei E. Van der
Straeten, La musique aux Pays-Bas avant le XIX' sihle,
Band VI, Brussel 1882. - Bedeutende Instr.-Slgen
sind: in Basel die Instrumentenabteilung des Histori-
schen Museums (erste Aufstellung 1894); in Berlin
die Musikinstr.-Slg beim Institut fiir Musikforschung
(1888 gegriindet; durch Erwerb von Teilen der Samm-
lungen de Wit und Snoeck kam ein reicher Bestand
an europaischen und exotischen, besonders chinesi-
schen, Instrumenten zusammen, der durch den 2. Welt-
krieg starke Verluste hinnehmen muBte); in Boston
die Leslie Lindsey Mason Collection im Museum of
Fine Arts (Hauptbestand geht auf die 1916 erwor-
bene Sammlung Galpin zuruck); in Brussel das Mu-
see Instrumental du Conservatoire Royal de Musique
(begonnen 1872 mit der Sammlung Fetis, spater er-
weitert durch die indische Sammlung S.M.Tagore,
einen Teil der aus dem 17. Jh. stammenden Sammlung
Contarini-Correr und den flamisch-niederlandischen
Teil der Sammlung Snoeck); im Haag die Musikab-
405
Instrumentensammlungen
teilung des Gemeentemuseums (aus der 1935 erworbe-
nen Sammlung Scheurleer hervorgegangen und 1951
durch den leihweise iiberlassenen Instrumentenbestand
des Rijksmuseums Amsterdam erweitert); in Kopen-
hagen das 1897 gegriindete Musikhistorisk Museum;
in Leipzig das Instrumenten-Museum am Musikwis-
senschaftlichen Institut der Universitat Leipzig (be-
griindet 1926 durch Ubernahme der ehedem 2600
Nummem umfassenden Sammlung Heyer aus Koln,
im 2. Weltkrieg zu 40% zerstort) ; in London die 1857
von C.Engel im South Kensington (jetzt Albert &
Victoria) Museum eingerichtete Instr.-Slg sowie die
des Royal College of Music (seit 1894 aus den Samm-
lungen Donualdson, Hipkins, Tagore) ; in New York
die Crosby Brown Collection im Metropolitan Mu-
seum of Art (Grundstock ist die 1889 erworbene Samm-
lung Crosby Brown mit Instrumenten aus alien Kul-
turkreisen); in Numberg die 1859 begonnene Samm-
lung des Germanischen Museums; in Paris das Musee
du Conservatoire de Musique (seit 1861); in Stock-
holm das 1901 erofmete Musikhistoriska Museet; in
Wien die Sammlung alter Musikinstrumente im Kunst-
historischen Museum (hervorgegangen 1814 aus der
fast vollstandig erhaltenen Sammlung Ferdinands von
Tirol aus SchloB Ambras, erweitert 1916 durch die
Estensische Sammlung und 1938 durch das leihweise
iiberlassene Instrumentenmuseum der Gesellschaf t der
Musikfreunde).
Lit.: S. v. Quickelberg, Inscriptiones vel tituli Theatri
amplissimi, Munchen 1565; J. ROhlmann, Uber Museen
Oder Slgen mus. Instr., NZfM LXII, 1866; ders., Die
Grundung eines Instr.-Museums, MfM V, 1873; C. En-
gel, A Descriptive Cat. of the Mus. Instr. in the South
Kensington Museum, London 1870, 21874; G. Chouquet,
Le Musee du Conservatoire National de Musique, Paris
1875, 21884, Suppl. v. L. Pillaut, 1894, 1899, 1903; V.-Ch.
Mahillon, Cat. descriptif et analytique du Musee instr.
(hist, et technique) du Conservatoire Royal de Musique
de Bruxelles, 4 Bde, Gent 1880-1912, 1 u. II 21893 u. 21909;
E. de Bricqueville, Les collections d'instr. de musique
aux XVI e , XVII" et XVIII* s., in: Un coin de la curiosite
.... Paris 1895; Cat. of the Crosby Brown Collection
. . ., 4 Bde, =The Metropolitan Museum of Art, Hdb.
XIII, NY 1904-07; K. Nef, Kat. d. Musikinstr. im Hist.
Museum zu Basel, in : Fs. zum 2. Kgr. d. International
Musikges., Basel 1906; G. Kinsky, Kat. d. Musikhist.
Museums v. W. Heyer in Coin, I Lpz. 1910, II 1912, IV
1916; ders., Musikinstr.-Slgen in Vergangenheit u. Ge-
genwart, JbP XXVII, 1920; A. Hammerich, Das Musik-
hist. Museum zu Kopenhagen, Kopenhagen 1 9 1 1 ; T. Nor-
lind, Musikhist. Museets i Stockholm, STMf II, 1920;
J. Schlosser, Die Slg alter Musikinstr., = Kunsthist.
Museum in Wien. Publikationen aus d. Slgen f. Plastik
u. Kunstgewerbe III, Wien 1920; C. Sachs, Slg alter Mu-
sikinstr. bei d. Staatl. Hochschule f. Musik, Bin 1922;
ders., La signification, la tache et la technique museogra-
phique des collections des instr. de musique, Mouseion
VIII, 1934; W. Gurutt, Der mus. Denkmalwert d. alten
Musikinstr., in: Tag f. Denkmalpflege . . . Breslau 1926,
Bin 1 927, auch in : Richtlinien zum Schutze alter wertvoller
Orgeln, zugleich Ber. iiber d. Tagung d. Orgeldenkmal-
pfleger in Weilheim/Teck, Bin 1958; H. Schultz, Fuhrer
durch d. Mw. Instr.-Museum d. Univ. Lpz., Lpz. 1929; H.
Neupert, Fuhrer durch d. Musikhist. Museum Neupert,
Nurnberg 1938; N. Bessaraboff, Ancient European Mus.
Instr. An Organological Study of the Mus. Instr. in the
Leslie Lindsey Mason Collection ..., Boston 1941; A.
Berner, Die Berliner Musikinstr.-Slg, Bin 1952; A. W.
Ligtvoegt, Muziekinstr. uit het Rijksmuseum te Amster-
dam, Den Haag 1952; ders., Exotische en oude europese
muziekinstr. in de muziekafdeling van het Haagse Ge-
meentemuseum, ebenda 1955 (auch engl.); W. Serauky,
Ausgew. instrumentenkundliche Probleme in einem Mu-
sikinstr.-Museum, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; P. Rubardt,
Fuhrer durch d. Musikinstr.-Museum d. Karl-Marx-Univ.
Lpz., Lpz. 1 955; J. H. van der Meer, Gedanken zur Darbie-
tungeiner Musikinstr.-Slg, Museumskunde XXXIII, 1964.
intavolieren (von ital. intavolare), intabulieren, auch
»absetzen«, heifk eine mensural notierte Komposition
in eine ->■ Tabulator (- 1) iibertragen.
integer valor notarum (lat., unveranderter Noten-
wert), in der Mensurallehre (S.Heyden 1537) die ge-
wohnliche Geltung der Notenwerte, die durch Vor-
zeichnung von Diminution, Augmentation oder einer
Proportion verandert werden kann. Reduktion der mit
Proportionszeichen geschriebenen Noten auf den i. v. n.
gestattet also die Bestimmung der Temporelationen,
die in der Mensurallehre als Abwandlungen einer
gleichbleibenden Grundbewegung verstanden sind.
Als deren MaBeinheit wird die Semibrevis bei einigen
Autoren mit den Einheiten anderer regelmaBiger Be-
wegungen verglichen: bei Gaffori (1496) und Lan-
franco (1533) mit dem Pulsschlag (etwa M.M. 60-80),
bei Vanneo (1533) mit dem Gang einer Uhr (etwa
M.M. 60), bei Buchner (vor 1538) mit dem Schritt ei-
nes Menschen (etwa M.M. 60-75); dagegen rechnet
M.Praetorius (1619) 320 Semibreves auf eine Viertel-
stunde, was M.M. 85 fur eine Semiminima (Viertel-
note) ergibt und dem heutigen Andante entspricht.
Neuere Versuche, mit einer Lehre vom i. v. n. zahlen-
maBig bestimmte Temporelationen noch im Werk
von Bach, Beethoven und ihren Zeitgenossen zu er-
mitteln, werden durch derartige Hinweise nicht hin-
reichend gestiitzt; einerseits ist in der Geschichte der
Mensuralmusik die Verlangsamung der Notenwerte
als kontinuierlicher Vorgang zu beobachten, anderer-
seits sind die genannten Theoretiker besser dahingehend
zu deuten, daB bereits das friihe 16. Jh. beginnt, Tem-
pounterschiede bewuBt zu beobachten und damit das
moderne Taktsystem vorbereitet, das seit dem 17. Jh.
mit dem Nebeneinander vielfaltig abgestufter Tempi
rechnet, zwischen denen keine zahlenmaBigen Be-
ziehungen hergestellt werden.
Intensitat (Schallstarke) bezeichnet in der physikali-
schen Akustik die Schallenergiemenge, die bei einer
ebenen Welle durch die Einheit der Flache pro Zeitein-
heit befordert wird.
Interferenz ist der von H. v. Helmholtz definierte Be-
griff f iir die Erscheinungen, die beim Zusammentreffen
von Schwingungen oder Wellen mit festen Phasenbe-
ziehungen auftreten. Haben zwei Schwingungen glei-
che Frequenz und Phase, so addieren sich die Ampli-
tuden; sind die Phasen um 180° (= n) gegeneinander
verschoben, so loschen sich die Schwingungen bei
Amplitudengleichheit aus.
Phasengleichheit Phasenunterschied 180°
I. von zwei Sinusschwingungen.
I. lafit sich in Raumen mit reflektierenden Wanden bei
konstantef Frequenz und Amplitude gut beobachten.
Es bilden sich stehende Wellen, die am Vorhandensein
von Punkten groBerer und geringerer Intensitat im
Raum festgestellt werden konnen.
406
Intermedium
Interludium (lat., Zwischenspiel), - 1) (auch ital. in-
termezzo; frz. entr'acte) in der Oper ein szenisches
(-> Intermedium) oder instrumentales Zwischenspiel
zwischen 2 Szenen oder Akten (-*• Intermezzo (- 1);
- 2) ein Zwischenspiel fur Orgel zwischen Hymnen-,
Psalm- oder Choralversen oder -strophen, das (wie auch
Praeludium und Postludium) zu improvisieren war.
Fur den Gemeindechoral des 18./19. Jh. gait, dafi sich
das I. motivisch an die Choralmelodie anzulehnen habe,
sichjedoch von der Strophe unterscheidenmiisse(Tiirk
1787, Kittel 1801-08, Koch 1802). Seit dem 18. Jh. (D.
Purcell, The Psalms Set Full for the Organ or Harpskord
. . . as also with their Interludes . . ., posthum 1718), zu-
nehmend im 19. Jh. wurden solche Interludiensamm-
lungen gedruckt. - Selbstandige, oft modulierende
Satze sind die Interludien zwischen Suiten- und So-
natensatzen, z. B. die Interludes fur Laute in Th. Mace's
Mustek's Monument (1676), auch die Interludien in Hin-
demiths Ludus tonalis.
Intermedium (ital. intermedio, auch intermezzo;
frz. intermede) ist die Bezeichnung fur die in Italien
im 15. Jh. aufgekommene Zwischenaktsunterhaltung,
die wahrscheinlich von den Rappresentazioni sacre
ihren Ausgang nahm und bald in die Auffiihrung von
Schauspielen, vor allem Komodien, eindrang. Dabei
handelte es sich um reine Pantomimen oder um Maske-
raden, Tanze oder Musikstiicke, die anfangs mit dem
Hauptstiick nicht oder nur in sehr loser Verbindung
standen, aber es manchmal so beherrschten, dafi sie, was
die Dichter wiederholt beklagten, das ganze Interesse
des Publikums auf sich zogen. Bereits 1487 sind in den
Cefalo von Nicold da Correggio Intermedien einge-
schlossen, wie sie dann fur das 16. Jh. charakteristisch
sind: Nymphenchor, eine von Coridon und Tirsis vor-
getragene Ekloge, Faunentanz zurii Klang von Instru-
menten, Lamento der Musen und Ballo der Nymphen.
1519 wurden vor Papst Leo X. die Suppositi von Ariost
mit mehreren Intermedien aufgefiihrt (L'ultimo inter-
medio fu la moresca, die si rappresentd lafavola di Gorgon,
etfu assai bella). Gleichermafien prunkhafte wie selb-
standige Intermedien enthielt die 1513 in Urbino auf-
gefuhrte Komodie La Calandria des Kardinals Bibbiena
(Beschreibung in einem Brief Castigliones). Bekannt
sind die Intermedien von Corteccia zu A. Landis II com-
modo (1539) und vor allem die 1589 in Florenz als
-*■ Festmusik aufgefiihrten Stiicke (Intermedii et con-
cert! . . ., hrsg. v. Cr.Malvezzi, Venedig 1591, NA als:
Les fetes du mariage . . ., Paris 1963). In ihnen kommen
zwar bereits Kompositionen fur nur eine Singstimme
mit Instrumenten vor, doch nicht als Monodie, son-
dern als diminuierte Madrigale. Fiir die friihen Interme-
dien trifft die Charakterisierung von M.Praetorius zu
(Synt. Ill), dafi in comoedien zwischen jedem Actu einefeine
liebliche Musica Instrumental, mit cornetten, Violen oder
andem dergleichen Instrumenten vmbwechselnde j bifiweilen
auch mit Vocal Stimmen angeordnet . . . wird; Damit vnter
dessen die personatae personae sich anders vmbkleiden vnd
zufolgendem Actu praepariren. Nach 1600 ist eine Reihe
kleiner Opern nachweisbar, die ebenfalls noch als In-
termedien bruchstiickweise zwischen die Akte eines
Dramas eingeschoben wurden, so D.Bellis Orfeo do-
lente (1616, zu Tassos Aminta), G.Boschettis Strali
d'amore (1618) und O. Vernizzis Ulisse e Circe (1619, zu
Branchis Alteo). Dafi daneben die urspriingliche Tra-
dition weitergefiihrt wurde, zeigen die Intermedien
zur Rappresentazione sacra La Maddalena (1617; mit
Kompositionen von G.B. Andreini, M.Effrem, A.
Guivizzani, S.Rossi u. a.). Von anderen gleichzeitigen
Intermedienkomponisten seien die Briider Monteverdi
(Intermedien zur Idropica von G. B. Guarini, zusammen
mit S.Rossi und M. da Gagliano, 1608; Musik verlo-
ren), G. Giacobbi, L. Aleardi und F. Vitali genannt. -
Die in Oberitalien beheimatete und vom spanischen
Drama (das seinerseits im Entremes einen eigenen, mit
Musik und Tanz verbundenen Typ des I.s ausgebildet
hatte) wiederholt angeregte Gattung fand eine ihrer
Vielf alt entsprechende Aufnahme im iibrigen Europa.
Das englische Drama kennt sie ebenso wie das franzo-
sische Ballet de cour. Als friihe franzosische Belege sind
die Airs de cour nach Texten von Ronsard (gedruckt
1571 bei Adrien le Roy) zu den Intermedien von Fon-
tainebleau zu nennen. Auch in die protestantische Kir-
chenmusik Deutschlands wurden sie in einer dem geist-
lichen Rahmen entsprechenden Weise eingefuhrt. So
finden sich Intermedien als betrachtende Psalmchore
1643 in derjohannespassion von Th. Selle; bei H. Schiitz
fiihren sie als konzertierende Einlagen (vokal und in-
strumental) zu einer Formerweiterung seiner Historia
von der freudenreichen Geburt (1664). Die Intermedien in
der italienischen Oper des 17. Jh. zeigen noch haufig
mythologische Szenen, daneben auch Tanze und seit
der Mitte des Jahrhunderts zunehmend Einlagen von
komischem Charakter. In der klassizistischen Tragedie
lyrique Frankreichs erscheinen Intermedien dagegeh
nur als Balletteinlagen, die man dem Inhalt der Trago-
die anzupassen suchte. Bezeichnend ist, dafi in der Lon-
doner Oper, in der seit 1710 die italienische Sprache
herrschte, das Englische nur noch im Intermezzo gedul-
det wurde. Die komischen Elemente der Intermedien
hatten haufig das Libretto der Opera seria so durchwu-
chert, dafi der eigentliche Charakter der Oper iiber-
deckt wurde. Die vor allem von Zeno und Metastasio
getragene Reform merzte diese fremden Elemente in
den fiir Wien und andere deutsche Hofe geschriebenen
Werken aus. In Italien aber blieben sie an den Aktschliis-
sen sehr im Schwange und iibernahmen als Intermezzi
die Stellung der fruheren Intermedien, meist in burles-
ken Duoszenen fiir Sopran (Dienstmagd) und Bafibuf-
fo. Wegen ihrer Unabhangigkeit von der Haupthand-
lung wurden diese Szenen nicht selten aus einer Oper
in eine andere ubernommen. Der Plural Intermezzi
wird auch zur Bezeichnung eines Werkes mit abge-
schlossener Handlung gebraucht, weil es sich um 2 oder
mehrere Zwischenaktsszenen handelt: Zu A. Scarlattis
Oper Scipione nelle Spagne (1714, Libretto von Zeno)
sind die Buffoszenen Pericca e Vallone erhalten, die 1730
in Bologna als La dama spagnola ed il cavalier romano auf-
gefiihrt wurden; Scarlattis Buffoszenen Despina e Niso
wurden 1714 mit seiner Oper L'amorgeneroso und 1724
mit G. M. Orlandinis Antigona aufgefiihrt. Die Autor-
schaft Scarlattis an dem Intermezzo Palandrana e Zam-
berlucco zu seiner Oper Carlo re d'Allemagna (1716) ist
nicht gesichert; von Vespetta e Milo (1717 fiir Lottis
Giove in Argo) ist die Musik verloren. Das historisch
bedeutsamste Werk dieser Gattung ist das Intermezzo
La serva padrona von Pergolesi, 1733 fiir seine Opera
seria II prigionier superbo komponiert. Mit diesem Werk
setzt die eigentliche Geschichte der Opera buffa ein;
es loste 1752 in Paris den -»• Buffonistenstreit aus und
gab einen entscheidenden Anstofi fiir die franzosische
komische Oper. Angeregt von Pergolesi und aus Ver-
ehrung fiir ihn schrieb J.-J. Rousseau sein Intermede Le
devin du village (1752) ; A. Dauvergne folgte dem italie-
nischen Beispiel mit Les Troqueurs (1753).
Ausg.: Les fetes du mariage de Ferdinand de Medicis et
de Christine de Lorraine, Florence 1589, I, Musique des
intermedes de »La Pellegrina«, hrsg. v. D.P.Walker, F.
Ghisi u. J. Jacquot, = Collection »Le Choeur des Muses«,
Paris 1963.
Lit. : A. D'Ancona, Sacre rappresentazioni dei s. XIV, XV
e XVI, 3 Bde, Florenz 1873; ders., II teatro mantovano nel
407
Intermezzo
s. XVI, Giornale storico della letteratura ital. VII, 1886
(auch Turin *l 89 1 ) u. A. New, Gli »Intermezzi« del »Pastor
fido«, ebenda IX, 1888; ders., Le origini del teatro ital., 2
Bde, Turin 21891 ; G. Carducci, Su l'»Aminta« di T. Tas-
so ..., = Bibl.critica della letteratura ital. XI, Florenz 1896;
H.GbLDSCHMiDT,StudienzurGesch.d.ital.Operiml7.Jh.,
2 Bde, Lpz. 1901-04; A. Solerti, Le origini del melodram-
ma, Turin 1903 ; ders., Gli albori del melodramma, 3 Bde,.
Palermo 1904-05; ders., Musica, ballo e drammatica alia
cortemediceadall600al 1637, Florenz 1905; R. Rolland,
L'op6ra avant i'opera, in: Musiciens d'autrefois, Paris
1908 ; E. Cotarelo y Mori, Coleccion de entremeses, loas,
bailes, jacaras y mojigangas desde fines del s. XVI a me-
diados del XVIII, 2 Bde, Madrid 191 1 ; M. Fehr, A. Zeno
u. seine Reform d. Operntextes, Diss. Zurich 1912; ders.,
Pergolesi u. Zeno, SIMG XV, 1913/14; H. Prunieres, Le
ballet de cour en France avant Benserade et Lully, Paris
1914; J. Pulver, The Intermezzi of the Opera, Proc. Mus.
Ass. XLIII, 1916/17; O. G. Th. Sonneck, A Description
of A. Striggio's and F. Corteccia's Intermedi »Psyche and
Amor« 1 565, in: Miscellaneous Studies in the Hist, of Music,
NY 1921; A. Einstein, Firenze prima della monodia, Rass.
mus. VII, 1934; ders., The Ital. Madrigal, 3 Bde, Princeton
(N. J.) 1949; F. Ghisi, Feste mus. della Firenze medicea,
1480-1589, Florenz 1939; U. Rolandi, II libretto per mu-
sica attraverso i tempi, Rom 1951 ; L. Maoagnato, Teatri
ital. del Cinquecento, Venedig 1954; S. T. Worsthorne,
Venetian Opera in the 17 lh Cent., Oxford 1954; H. Engel,
Nochmals d. Intermedien v. Florenz 1 589, Fs. M. Schnei-
der, Lpz. (1955); Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J.
Jacquot, Paris 1956.
Intermezzo (ital.), - 1) ein szenisches (->• Intermedium)
oder instrumentales (Mascagni, Cavalleria rustkana;
Fr. Schmidt, Notre Dame; Berg, Lulu) Zwischenspiel
in einer Oper. - 2) im 19. Jh. Bezeichnung fur ein
-> Charakterstiick, sowohl als selbstandiges Stuck
(Schumann op. 4, Brahms, Reger) als auch als (meist
Mittel-)Satz des Sonaten-Satzzyklus (Schumann, Kla-
vierkonzert) oder als Trio eines 3teiligen Satzes (Schu-
mann, im Scherzo der Sonate op. 11).
Interpretation ist als nachschopferisches Verwirkli-
chen musikalischer Komposition durch den Instru-
mentalisten, Sanger oder Dirigenten (->- Dirigieren)
nicht nur Auslegung (lat. interpretatio) eines Sinntra-
gers, sondern zugleich Umschaffen (Ubersetzen bzw.
Riickiibersetzen) eines Sinntragers Schrift in den Sinn-
trager Klang. In der Spanne zwischen dem Notenbild,
das auf den Akt jenes Umschaffens berechnet und an-
gewiesen ist, und seinem Erklingen kommen - auf der
Ebene des Verstehens und Auffassens - Qualitat, Sub-
jektivitat und Geschichte der I. ins Spiel. - Geschichte
hat aber bereits das Verhaltnis zwischen Schrift und
Erklingen. In alterer Zeit ist Klangverwirkhchung
noch nicht eigentlich I., sondern »Ausfiihrung« (exe-
cutio) von Vorschriften (wie beim friihen Organum)
oder eines Schriftbildes, das mit jenen Praktiken der
Klangverwirkhchung rechnet (im Barock z. B. Be-
setzungsart, GeneralbaB, Ornamentik, Kadenz), die
durch Tradition, Gepflogenheit und Regeln in einem
weiten Spielraum zu »Selbstverstandlichkeiten« gefe-
stigt waren. Und in jiingster Zeit basiert Klangver-
wirkhchung nicht mehr auf I., wo die Schallplatte in
Fortsetzung des Aufzeichnungsprozesses die authenti-
sche Fassung fixieren soil (Strawinsky) oder wo die nur
andeutenden Diagramme der Aleatorik die Ausfiih-
rung zur Wahl stellen oder wo Elektronische Musik
und Musique concrete die I. ausschalten. - Begriff und
Sache der I. wurden zu jener Zeit (besonders seit Mitte
des 18. Jh.) zunehmend aktuell, wo der Komponist zu-
gunsten der »Originalitat« seiner Aussage die Distanz
zwischen Schrift und Erklingen zu verringern strebte
und von der Ausf uhrung gefordert wurde, dafi sie dem
Charakter des Tonstiicks, und der Absicht des Tonsetzers
vollkommen entspricht (KochL, Artikel Ausfiihrung). Je
mehr die neuzeitliche Musik Ausdruck subjektiver
Innerlichkeit wurde (und je diffiziler ihre Technik),
desto mehr forderte sie, auch durch -> Vortragsbe-
zeichnungen, den Durchgang durch die Subjektivitat
des Ausf iihrenden, der als Interpret (und -»■ Virtuose)
besonders seit dem 19. Jh. Triumphe feiert. Fur H. Rie-
mann ist dementsprechend musikalische I. weitgehend
identisch mit jener Art »lebendigen Vortrags«, dessen
Gesetzlichkeiten er in eiher Lehre vom -*• Ausdruck
systematisch zu erfassen suchte. Doch Kunst und Pro-
blematik der I. steigern sich nicht nur zusammen mit
der Subjektivitat der Aussage (auchtechnischenSchwie-
rigkeit) der Komposition, sondern zusammen auch
mit deren geschichtlicher Entfernung. Ebenfalls im 19.
Jh. wurde Musik der Vergangenheit ein Gegenstand
der Wiederbelebung. Die Schwierigkeiten der richti-
gen I. aber vergroBern sich in dem MaBe, als das aus-
zuf iihrende Werk in Niederschrift und Art der gelau-
figen Musikiibung fernliegt und die Forderung nach
historisch getreuer Wiedergabe gestellt wird. Zur Er-
f iillung dieser Forderung sind Wissenschaf t und Lehre
der ->• Editionstechnik und -*■ Auffiihrungspraxis ent-
standen. Doch schon jegliches Ubersetzen eines origi-
nalen Notentextes ins heute verstandlichere Bild und
auch jeder Versuch der Rekonstruktion alter Musizier-
praktiken sind I. geschichtlicher Gegebenheiteri. - Die
Qualitat der I. gilt als abhangig vom Grad der Annahe-
rung ans kompositorisch Gemeinte. Doch das Streben
nach der richtigen I. wird getragen und zugleich durch-
kreuzt durch die individuelle und geschichtliche Sub-
jektivitat des Interpreten. Mit ihrem Entstandensein
tritt die Komposition, selbst eine geschichtliche GroBe,
zugleich in eine Geschichte ihrer I. ein. Zeichen dieser
Geschichte des Verstehens und Ubersetzens sind z. B.
das Verandern von Ausfiihrungspraktiken, so das ak-
kordische Aussetzen des Gregorianischen Gesangs und
die B. c.-Begleitung von a cappella-Werken im 17. Jh.,
und innerhalb der schrif tlichen Fixierung die -> Bear-
beitung als Anpassung an den lebendigen Zeitstil, so
z. B. die Neuinstrumentierung von Werken Handels
durch Mozart 1788-90 (K.-V. 566, 572, 591, 592) oder
in neuerer Zeit als ein Paradigma solchen Bearbeitens
A. Weberns Instrumentation des 6st. Ricercars aus J. S.
Bachs Musicalischem Opfer: um diese Musik endlich zu-
ganglich zu machen, indem ich versuchte, darzustellen . . .,
wie ich sie empfinde . . . Bestandig bieten die Werke der
Vergangenheit Moglichkeiten des MiB- und Neuver-
stehens ihrer ursprunglichen Intention zugunsten ihrer
geschichtlichen Wirksamkeit, ihrer Gultigkeit im Ge-
genwartigen. I. ist das Zusammenwirken mehrerer
GroBen: des Werkes selbst in seiner Geschichtlichkeit,
des Willens zu ihm und der Zeitbedingtheit dieses
Willens.
I. ist auch theoretische I. durch das Wort. Sie erfordert
das Ubersetzen der Sinntrager Tonschrift/Erklingen in
Worter: das »Zur Sprache-Bringen« der Musik als Akt
der Transformation von einem Medium des Denkens
und Aussagens in ein anderes. Die I. als erklarendes
Wort dient der praktischen I., dem Umschaffen von
Schrift in Erklingen, oder sie dient dem musikalischen
Horen als Verstehenshilfe. Doch in ihrer eigentlich
theoretischen Zielsetzung dient sie nicht, sondern ver-
leiht dem Werk jene Weise des Daseins, die es nur auf
der Ebene der Worter und Begriffe gewinnt und die
unter der Frage steht: Was ist das? Stufen der theoreti-
schen I. sind das Beschreiben (das schon in der Wahl
der Worter und Termini unausweichlich interpretiert;
-> Terminologie), das Erklaren (das als -> Analyse die
Kompositionsart und deren Sinn entdeckt) und das
Deuten (das den der Musik immanenten Gehalt zur
Sprache bringt). Diese Stufen sind unloslich aufeinan-
408
Intervall
der bezogen: Beschreiben ohne Erklaren bleibt blind,
so wie bloBes Deuten (Schreiben iiber Musik ohne Be-
schreiben und Erklaren) leer ist. Gescbichtsschreibung
der Musik unter dem Aspekt der I., die ausschlieBlich
in der Komposition selbst sowohl die Einmaligkeit und
Qualitat als auch die f iir Geschichte und Prinzip exem-
plarische Bedeutung desWerkes aufzeigt, ist eine noch
weitgehend unbewaltigte Aufgabe der Musikwissen-
schaft, die freilich auch als »Struktur-Analyse« die bio-
graphische, quellenkundliche, sozialgeschichtliche usw.
Fragestellung und Forschung einzubeziehen hat. Dabei
muB die I. ihre Methode am Gegenstand stets neu ent-
wickeln (Rezepte der I. gibt es nicht). Und wie die
praktische, hat auch die theoretische I. unausweichlich
Geschichte zuf olge der geschichtlichen und individuel-
len Subjektivitat des Interpreten.
Lit.: A. Dolmetsch, The I. of Music of the XVII th and
XVIII 01 Cent, London (1916, 21946); K. Fabian, Die
Objektivitat in d. Wiedergabe v. Tonkunstwerken ...,
Diss. Hbg 1929; I. Strawinsky, Poetique mus., Paris u.
NY 1942, Dijon 5 1945, erweitert Paris 1952, engl. Cam-
bridge (Mass.) 1942 u. 1947, London u. Oxford 1948, NY
1956, deutsch v. H. Strobel als: Mus. Poetik, Mainz 1949,
21960; Th. Dart, The I. of Music, London 1954, deutsch
als : Practica Musica. Vom Umgang mit alter Musik, = Slg
Dalp XXIX, Bern u.Munchen(1959);THR.G.GEORGiADES,
Die mus. I., Studium Generale VII, 1954; E. Jammers, In-
terpretationsfragen ma. Musik, AfMw XIV, 1957; M. Pin-
cherle, On the Rights of the Interpreter in the Performance
of 17 th - and IgU'-Cent. Music, MQ XLIV, 1958;Th.Wohn-
haas, Studien zur mus. Interpretationsfrage (Anhand v.
Schallplattenaufnahmen d. Coriolan-Ouvertiire Beetho-
vens), Diss. Erlangen 1959; Vergleichende Interpretations-
kunde, = Veroff . d. Inst, f . Neue Musik u. Musikerziehung
Darmstadt IV, Bin 1963; Th. W. Adorno, Der getreue
Korrepetitor. Lehrschriften zur mus. Praxis, Ffm. 1963;
R. Hammerstein, Musik als Komposition u. I., DVjs. XL,
1966. HHE
Interrogatio (lat., Frage), musikahsche Figur der Fra-
ge: zumeist Sekundschritt aufwarts. Die I., in dieser
Form schon im mittelalterlichen Choral eine fest-
stehende Melodieformel, ist den Komponisten und
der Musiklehre des 16.-18. Jh. zwar gelaufig (Bernhard:
Die Fragen werden gemeinem Brauche nach am Ende eine
Secunde hbher als die vorhergehende Sylbe gesetzt), doch
wird sie erst im 18. Jh. von J. A. Scheibe als Figur ange-
sprochen.
Lit. : P. Mies, Die Behandlung d. Frage in d. Bachschen
Kantaten, Bach-Jb. XVII, 1920.
Intervall (lat. intervallum, Zwischenraum; griech.
8iaaT»]|jwc) ist heute sowohl der Abstand (->• Distanz)
als auch das Verhaltnis zweier nacheinander (sukzessiv)
oder gleichzeitig (simultan) erklingender Tone. Im
Sinne von Tonabstand gibt es das Wort bereits in der
Antike (harmoniam autetn ex intervallis sonorum nosse
possumus, Cicero, Tusc. I, 41). Die im Mittelalter hau-
fige Definition: intervallum est vocis a voce, seu soni acuti
gravisque distantia, geht auf Boethius zuriick (De insti-
tutione musica V). Sie hat iiber Zarlino (1558) und J.-J.
Rousseau (1768) bis ins 19. Jh. nachgewirkt (z. B. bei
G.Weber: Die Entfernung von einem hohern Ton zu ei-
nem tiefem . . . nennt man I.). Daneben kannte das Mit-
telalter noch andere Bezeichnungen fiir Tonhohenab-
stande bzw. -unterschiede, wie modus, spatium, diaste-
ma und coniunctio.
I.e konnen einerseits nach ihrer Distanz quantitativ
gemessen, andererseits im Hinblick auf ihren Grad an
-> Konsonanz und Dissonanz (-1) qualitativ beschrie-
ben werden. Fiir die I.-Messung wird heute allgemein
die -> Cent-Rechnung von A.Ellis benutzt, die jeden
gleichschwebend temperierten Halbton in 100 gleiche
Teile zerlegt. Auch die seit den Kontrapunkttraktaten
des 14.-15. Jh. gelaufige Bezeichnung der I.e als Prime,
Sekunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte, Septime, Oktave
usw. begniigt sich mit einer Abstandsmessung, setzt
allerdings (wie die Liniennotation) den Wechsel von
Ganz- und Halbtonschritten des diatonischen Tonsy-
stems voraus, so daB z. B. die Quarte nicht mit 3, son-
dern mit 2^2 Ganztonen bemessen ist. In der mathe-
matischen Theorie der Griechischen Musik werden die
I.e qualitativ als Zahlenverhaltnisse beschrieben und
diese am Monochord durch die Proportionen der klin-
genden Saitenlange horbar gemacht. Dem entspricht
die Bezeichnung der I.e (in der latinisierten Form):
semitonium (»Halbton«), tonus (»Ton«), semiditonus
(»Anderthalbton«), ditonus (»Zweiton«), diatessaron
(»durch vier«, d. h. der im Durchgang durch vier Tone
erreichte Zusammenklang), tritonus (»Dreiton«), dia-
pente (»durch fiinf«), semitonium cum diapente, tonus
cum diapente, ditonus cum diapente, diapason (»durch
alle«). Die durch die Art ihrer Benennung deutlich her-
ausgehobenen Symphoniai (consonantiae) entsprechen
deneinfachenZahlenverhaltnissen 1 : 2 (diapason = Ok-
tave), 2:3 (diapente = Quinte) und 3:4 (diatessaron
= Quarte) ; sie allein sind »feststehend«. Im Gegensatz
zu ihnen gelten die kleineren I.e als Diaphoniai (disso-
nantiae) und »beweglich«; sie werden im Durchgang
durch ein symphones I. verwirklicht; ihre zahlenmaBi-
ge Darstellung stimmt bei den verschiedenen Autoren
nicht iiberein, mit Ausnahme des Ganztons 8:9, der
als Differenz zwischen Quarte und Quinte oder 2
Quarten und Oktave (diazeuxis) zu den das -> Systema
teleion konstituierenden I.en gehort, womit zugleich
seiner Bedeutung fiir die Melodik Rechnung getragen
wird. Von weittragender Bedeutung wurde die Klassi-
fikation der I.e bei Ptolemaios (I, 7) in Phthongoi ho-
mophonoi (sgleichklingende T6ne«, Oktave und Dop-
peloktave), symphonoi (»zusammenklingende«, Quin-
te und Quarte mit ihren Oktavversetzungen) und em-
meleis (die ubrigen »im Melos« vorkommenden I.e),
die Boethius (V, 5ff.) ins Lateinische iibertrug als Voces
aequisonae, consonae, emmeles. Das spatere Mittelal-
ter klassifizierte die I.e meist an Hand der Termini
-»■ Concordantia (oder consonantia, ->- Konsonanz - 1,
auch symphonia, -*■ Symphonie) und -*■ Discordantia
(dissonantia). - Ist das griechische Systema teleion eine
ideale Konstruktion, die sich durch Zusammenstellung
aller iiblichen I.e ergibt, so geht dagegen Boethius von
einem wirklichen, diatonischen Tonsystem aus, in dem
alle moglichen I.e gegeben sind. Im Mittelalter stehen
beide Arten von Tonordnungen nebeneinander. Vom
I. her auf gebaut sind z. B. das byzantinische und das russi-
sche Tonsystem sowie das Tetrachordsystem der Mu-
sica Enchiriadis (-> Dasia-Zeichen). Die Oktave, in den
Boethius folgenden Tonordnungen Prufstein und Aus-
gangspunkt aller I.-Bestimmungen, ist bei solchen vom
I. her aufgebauten Systemen nicht konstitutiv; so sieht
die Musica Enchiriadis iiber B und f die ubermafiigen
Oktaven h und fis 1 vor, obgleich die Praxis des Orga-
numsingens mit Oktavverdopplung rechnet (womit
sich b und f 1 ergibt). Nach Guido von Arezzo gilt fiir
mehrere Jahrhunderte eine doppelte Tonbezeichnung.
Geben die Tonbuchstaben a, b, c, d, e, f, g, nun auch in
der Liniennotation und ihren Schlusseln dargestellt,
eine Stclle im Tonsystem an, ohne den Wechsel von
Ganz- und Halbtonschritten zu beriicksichtigen, so
definieren die Tonsilben ut, re, mi, fa, sol, la (-*■ Sol-
misation) einen Ton durch die ihn umgebenden I.e,
vor allem zum nachsten Halbtonschritt; jedes Re hat
Ganzton und kleine Terz iiber sich, jedes Mi einen
Halbton iiber sich, jedes Fa einen Halbton unter sich
usw. Da jedes -> Hexachord um je einen anderen
Halbton (e-f ; a-b ; h-c) zentriert ist, ergibt sich bei den
409
Intervall
Tonsilben Oktavwiederholung nur sekundar; die Ok-
tave liber dem dre des Hexachordum naturale wird
im Aufstieg durch die dorische Tonleiter als dsol des
Hexachordum durum erreicht und kann erst durch
-> Mutation (- 1) wieder in ein dre verwandelt werden.
Die zunehmende Einfiihrung chromatischer Tonstu-
fen fiihrte um 1500 zur Entstehung der mitteltonigen
Temperatur und damit, zunachst im Spiel der Tasten-
instrumente, zur Fixierung des Gebrauchs unreiner I.e.
Von Italien ausgehend, bahnte sich im 16. Jh. der Uber-
gang vom kontrapunktischen Satz, dessen Zusammen-
klange auf der je besonderen Konstellation der I.e zwi-
schen den einzelnen Stimmen beruhen, zum akkordi-
schen Satz an, in dem die I.-Struktur durch Riickfiih-
rung auf die Grundform des Akkords zu deuten ist.
Rameau, der den Dreiklang als »natiirliches Prinzip
der Harmonie« erklart, ist zugleich Verfechter der
gleichschwebenden Temperatur. Diese begrenzt die
Zahl der wirklichen I.e auf die moglichen Kombinatio-
nen von 12 Halbtonen innerhalb einer Oktave; doch
kann in ihnen eine unendliche Zahl von I.en vorge-
stellt werden, und die gleichklingenden I.e sind je nach
dem Satzzusammenhang verschieden zu deuten. So ist
c-es als kleine Terz konsonant, das gleichklingende
c-dis als UbermaBige Sekunde -*■ Auffassungsdissonanz.
Die Moglichkeit, durch enharmonische Umdeutung
von I.en und Klangen unerwartete melodische und
harmonische Fortschreitungen zu rechtfertigen, ist f iir
die Harmonik des 18.-19. Jh. grundlegend. Dagegen
geht Schonberg in seiner Zwolftonmusik davon aus,
dafi immer das erklingende temperierte I. selbst ge-
meint ist. Die neueste Musik bezieht in zunehmendem
MaBe auch irrationale I.e in die Komposition ein; ne-
ben Busonis und Habas Propagierung der !/,(-, '/3- und
J/e-Tone fordern vor allem die elektronische Kompo-
sition und die Begegnung mit auBereuropaischen Musi-
zierweisen diese Entwicklung.
Prime, Quarte, Quinte und Oktave gelten als reine
I.e, eine Charakterisierung, die sich erst im 19. Jh.
durchgesetzt hat (noch A.B.Marx spricht von »gro-
Ben« statt von reinen Quinten). Alteriert werden sie zu
iibermaBigen und verminderten. Die anderen I.e sind
entweder groB oder klein; alteriert werden die gro-
Ben zu iibermaBigen und die kleinen zu verminderten.
Jedes einfache I. kann durch sein Komplementir-I. zur
Oktave erganzt werden, z. B. Quinte 4- Quarte = Ok-
tave (-> Umkehrung). Im europaischen -*■ Tonsystem
gelten seit dem 16. Jh. nur die Dreiklangs-I.e Prime
oder Oktave, (groBe) Terz und reine Quinte als »direkt
verstandlich« (M.Hauptmann). Da es keine weiteren
einheitlich auffaflbaren Zusammenkldnge, keine ,Klange'
gibt, als den Oberklang (Durakkord) und Unterklang
(Mollakkord), vielmehr alle anderen noch so komplizierten
Bildungen im Sinne tines dieser beiden uerstanden werden,
so lassen sich tatsachlich alle Tonbeziehungen auf die Grund-
I.e oder naturlichen I.e: Oktave, Quinte, Terz zuriickfuh-
ren (H.Riemann «1918, S. 59). Danach erscheint z. B.
(immer mit Oktavtransposition) die grofie Sekunde
(c-d) als 2. Oberquinte oder als groBe Oberterz der
2. Unterquinte, die groBe Septime (c-h) als 5. Ober-
quinte oder als groBe Oberterz der Oberquinte oder
als 2. groBe Oberterz der 3. Unterquinte. Aus der
fortwahrenden Durchkreuzung von Quint- und GroB-
terzbeziehungen in der tonalen Musik ergeben sich weit
mehr I.e als unsere pythagoreisch orientierte Noten-
schrift darzustellen imstande ist. In der untenstehen-
den, beliebig zu erweiternden Ubersicht ist jeder ho-
rizontale Schritt ein Quintschritt, jeder vertikale ein
Terzschritt. Die Striche (Kommastriche) uber bzw.
unter den Tonnamen gehen auf A. v. Oettingen zu-
riick - sie wurden von H.v.Helmholtz, H.Riemann
(Musik-Lexikon, 1. — 11. Auflage) u. a. in umgekehrter
Anordnung iibernommen. Nach A. v. Oettingen be-
deutet gegeniiber dem gleichnamigen, von c aus durch
Quintschritte erreichbaren Ton ein Strich uber dem
Tonbuchstaben die Vertiefung, unter dem Tonbuch-
staben die Erhohung um ein syntonisches Komma. So
ist z. B. das dem c nachstverwandte dis (mit 2 Komma-
strichen) uber zwei Terzen und eine Quinte zu errei-
chen und um 2 Kommata defer als das dis der Hori-
zontalreihe von c (9. Oberquinte). Oktavtranspositio-
nen werden nicht beriicksichtigt, da sie auf die Ton-
verwandtschaft keinen EinfluB ausiiben. - A. v. Oettin-
gen entwickelte spater (1913) eine Notenreinschrift,
mit deren Hilfe sich alle erdenklichen Tonbeziehun-
gen innerhalb unseres Funfliniensystems eindeutig
darstellen lassen. Alle diese Notationen sind f iir die to-
nale Analyse von Bedeutung. Die Musizierpraxis
kann auf sie verzichten, da die tonverwandtschaftlich
richtige Auffassung der I.e vom Kontext und nicht von
der Intonation abhangt. Hier spielen historisch beding-
te Horgewohnheiten eine wichtige Rolle, z. B. die
lange Gewohnung an die gleichschwebende -*■ Tem-
peratur, die ihrerseits eine asthetisch allgemein befrie-
digende akustische Realisation der komplizierten Ton-
beziehungen der dur-moll-tonalen Musik erst ermog-
licht hat. Denn auch auf Instrumenten, deren »Tonorte«
nicht fixiert sind, muB der Ausf iihrende zwischen dem
Oberquinte
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Oberterz
3.
2.
1. T
ais eis his fisis cisis gisis
e h lis cis gis dis ais eis his
c g d a e h fis cis gis dis
deses asas eses heses fes ces ges des as es b f c g d a e h fis cis gis dis ais eis his
heses fes ces ges des as es b f c g 1."
deses asas eses heses fes ces ges des as 2.
ceses geses deses asas eses 3.
12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
I I
Unterterz
Unterquinte
410
Tonbezeichnung und Intervall (bezogen auf c)
Verwandt-
schaf tsgrad :
Q = Quinte
T = groBe Terz
4- = aufwarts
— = abwarts
Logarithmen
dcr relativen
Schwingungs-
zahlen auf der
Basis 10
Cent
0,00000
0,00049
1,95
0,00491
19,6
0,00540
21,5
0,00589
23,5
0,01030
41,1
0,01570
62,6
0,01773
70,7
0,01907
76,0
0,02263
90,2
0,02312
92,2
0,02509
100,0
0,02633
105,0
0,02803
111,7
0,02852
113,7
0,02938
117,1
0,03342
133,2
0,04085
162,9
0,04300
171,4
0,04527
180,5
0,04576
182,4
0,04847
193,2
0,05017
200,0
0,05115
203,9
0,05606
223,5
0,06021
240,0
0,06888
274,6
0,07379
294,1
0,07463
297,5
0,07526
300,0
0,07784
310,3
0,07918
315,6
0,07967
317,6
0,08601
342,9
Vernal tnis
der
Schwingungszahlen
zur Prime
C
His
deses
c
His
deses
deses
(cis)
des
[des =
des
des
d
(d)
[d]
d
dis
es
[es =
(es)
es
dis
reine Prime, 1. Naturton
Schisma
Diaschisma
syntonisches Komma
pytliagoreisches Komma
kleine Diesis
groBe Diesis
kleines Chroma, (kleinere) iiberma-
fiige Prime
kleiner mitteltoniger Halbton ....
pythagoreisches Limma, pythagorei-
sche kleine Sekunde
groBes Chroma, (groBere) ubermaBige
Prime
> cis] — Oktave
17. Naturton
diatonischer Halbton, (kleinere) kleine
Sekunde
pythagoreische Apotome, pythagorei-
sche ubermaBige Prime
groBer mitteltoniger Halbton [z. B.
(cis)-(d)]
groBes Limma, (groBere) kleine Se-
kunde
doppelt ubermaBige Prime
— Oktave . . . :
pythagoreische verminderte Terz . .
groBe Sekunde, kleiner Ganzton . .
mitteltoniger Ganzton
2
— Oktave
pythagoreische groBe Sekunde, groBer
Ganzton, 9. Naturton
verminderte Terz
j Oktave
ubermaBige Sekunde
pythagoreische kleine Terz
19. Naturton
3
dis] Tj Oktave
naturliche kleine Terz .......
pythagoreische ubermaBige Sekunde
2
•=- Oktave
+ 8Q + 1T
-4Q -2T
+ 4Q-1T
+ 12Q
-3T
+ 4Q -4T
-1Q+2T
-5Q
+ 3Q + 1T
-1Q-1T
+ 7Q
+ 3Q-2T
+ 2Q+3T
-10Q
-2Q + 1T
+ 2Q
-2Q — 2T
+ 1Q + 2T
-3Q
+ 1Q-1T
+ 9Q
1,00000 = f
1,00113 = 32805
1,01136 =
32768
2048
: 2025
1,01250 = ^
1,01364 =
531441
524288
1,02400 = i|
1,03680 =
648
625
1,04167 = ||
1,04489
1,05350 = =£
256
243
1,05469 =
1,05947
1,06250 =
1,06667 =
1,06787 =
1,06998
1,08000 =
1,09863 =
1,10409
1,10986 =
1,11111 =
1,11806
1,12246
1,12500 =
1,13778 =
1,14870
1,17188 =
1,18519 =
1,18750 =
1,18921
1,19630
1,20000 =
1,20135 =
1,21901
135
128
17
16
16
15
2187
: 2048
27
25
1125
: 1024
65536
59049
10
9
256
225
75
: 64
32
: 27
19
: 16
5
19683
16384
411
Tonbezeichnung und Intervall (bezogen auf c)
Verwandt-
schaftsgrad:
Q = Quinte
T = groBe Terz
+ = aufwirts
— = abwarts
Logarithmen
der relativen
Schwingungs-
zahlen auf der
Basis 10
Cent
0,09642
384,4
0,09691
386,3
0,10034
400,0
0,10182
405,9
0,10231
407,8
0,10721
427,4
0,11464
457,0
0,11810
470,8
0,12003
478,5
0,12041
480,0
0,12494
498,0
0,12543
500,0
0,12628
503,4
0,12901
514,3
0,13082
521,5
0,13524
539,1
0,13830
551,3
0,14537
579,5
0,14757
588,3
0,14806
590,2
0,15052
600,0
0,15297
609,8
0,15346
611,7
0,15761
628,3
0,16579
660,9
0,17021
678,5
0,17202
685,7
0,17475
696,6
0,17560
700,0
0,17609
702,0
0,18062
720,0
0,18100
721,5
0,18639
743,0
0,19382
772,6
0,19873
792,2
0,19922
794,1
0,20069
800,0
0,20412
813,7
Verhaltnis
der
Schwingungszahlen
zur Prime
35)
36)
37)
38)
39)
40)
41)
42)
43)
44)
45)
46)
47)
48)
49)
50)
51)
52)
53)
54)
55)
56)
57)
58)
59)
60)
61)
62)
63)
64)
65)
66)
67)
68)
69)
70)
71)
72)
fes pythagoreische verminderte Quarte .
e = (e) natUrliche groBe Terz, mitteltonige
groBe Terz, 5. Naturton
[e] ^Oktave
fes (kleinere) verminderte Quarte . . .
e pythagoreische groBe Terz
fes (groBere) verminderte Quarte . . .
eis (kleinere) UbermaBige Terz ....
21. Naturton .
eis (groBere) UbermaBige Terz ....
J- Oktave
f pythagoreische reine Quarte ....
[f] ^Oktave
(f)
■=- Oktave
eis pythagoreische UbermaBige Terz . .
geses doppelt verminderte Quinte ....
11. Naturton
(fis)
ges pythagoreische verminderte Quinte .
fis UbermaBige Quarte, Tritonus ....
[ges = fis] rr Oktave
ges verminderte Quinte
fis pythagoreische UbermaBige Quarte,
pythagoreischer Tritonus
23. Naturton
fisis doppelt UbermaBige Quarte ....
asas pythagoreische verminderte Sexte . .
— Oktave
[g]
[g] l 2 Oktave
g pythagoreische reine Quinte, 3. Natur-
ton
J Oktave
asas (kleinere) verminderte Sexte ....
asas (groBere) verminderte Sexte ....
gis= (gis) (kleinere) UbermaBige Quinte, naturli-
che Doppelterz, 25. Naturton
as pythagoreische kleine Sexte ....
gis (groBere) UbermaBige Quinte ....
[as = gis] j2 Oktave
as natiirliche kleine Sexte
-8Q
+ 1T
-4Q-1T
+ 4Q
-2T
-1Q+3T
+ 3Q + 2T
-1Q
+ 11Q
-1Q-3T
-6Q
+ 2Q + 1T
-2Q-1T
+ 6Q
+ 1Q+3T
-11Q
+ 1Q
-3Q -2T
+ 1Q -3T
+ 2T
-4Q
+ 4Q + 1T
-IT
8192
6561
1,24859 =
1,25000 =
1,25992
1,26420 =
1,26563 =
1,28000 =
1,30208 =
1,31250 =
1,31836 =
1,31951
1,33333 =
1,33484
1,33746
1,34590
1,35152 =
1,36533 =
1,37500 =
1,39757
1,40466 =
1,40625 =
1,41421
1,42222 =
1,42383 =
1,43750 -
1,46484 =
1,47981 =
1,48599
1,49537
1,49831
1,50000 ■
1,51572
1,51704 =
1,53600 «1£
_5_
: 4
512
: 405
81
: 64
32
: 25
125
96
21
' 16
675
: 512
±
3
177147
131072
512
375
11
8
1024
729
45
32
64
*$
729
: 512
23
16
375
256
262144
177147
1024
675
192
125
1,56250 =
25
16
1,58025 = ^
405
256
1,58203 =
1,58740
1,60000 =
412
Tonbezeichnung und Intervall (bezogen auf c)
Verwandt-
schaftsgrad:
Q = Quinte
T = groBe Terz
+ = auf warts
— = abwarts
Logarithmen
der relativen
Schwingungs-
zahlcn auf der
Basis 10
Cent
0,20461
815,6
0,21085
840,5
0,21502
857,1
0,21694
864,8
0,22136
882,4
0,22185
884,4
0,22319
889,7
0,22577
900,0
0,22724
905,9
0,23215
925,4
0,24082
960,0
0,24304
968,8
0,24497
976,5
0,24988
996,1
0,25086
1000,0
0,25256
1006,8
0,25527
1017,6
0,25576
1019,6
0,25803
1028,6
0,25828
1029,6
0,26018
1037,2
0,26761
1066,8
0,27166
1082,9
0,27251
1086,3
0,27300
1088,3
0,27594
1100,0
0,27791
1107,8
0,27840
1109,8
0,28330
1129,3
0,28724
1145,0
0,29073
1158,9
0,29514
1176,5
0,30103
1200,0
Vernal tnis
der
Schwingungszahlen
zur Prime
glS
gisis
heses
a
(a)
[a]
a
heses
pythagoreische ubermaBige Quinte
13. Naturton
[b = ais]
(b)
b
ceses 1
h
00
ces'
h"
M
cesi
h
ces 1
his
deses 1
ci
■=- Oktave
doppelt ubermaBige Quinte . . . .
pythagoreische verminderte Septime
natiirliche groBe Sexte
12
Oktave
pythagoreische groBe Sexte, 27. Natur-
ton
verminderte Septime
4
• Oktave
natiirliche kleine Septime, 7. Naturton,
ubermaBige Sexte
pythagoreische kleine Septime .
10.
12
Oktave
kleine Septime
pythagoreische ubermaBige Sexte
■=■ Oktave
29. Naturton
doppelt verminderte Oktave
(kleinere) groBe Septime
pythagoreische verminderte Oktave .
(groBere) groBe Septime, 15. Naturton
^ Oktave
(kleinere) verminderte Oktave . . .
pythagoreische groBe Septime . . .
(groBere) verminderte Oktave . . .
31. Naturton
ubermaBige Septime
pythagoreische verminderte None . .
reine Oktave, 2. Naturton
Streben nach akustisch exakter Darstellung tonaler
Tonbeziehungen einerseits und dem Wunsch nach
»reinen« I.en (im Detail) andererseits standig Kompro-
misse schlieBen. Erleichtert wird ihm dies dadurch,
daB selbst die reinen I.e nur im mittleren Horbereich
akustisch einigermaBen genau erkannt werden. Die
Grenze der Empfindlichkeit liegt im Laboratoriums-
versuch bei etwa 8 Cent (den Pythagoreern gait die
enharmonische Diesis = l ji Limma = 45,1 Cent als
+8Q
+ 3Q+3T
-9Q
-1Q + 1T
+ 3Q
-1Q.
-2T
+ 2Q+2T
-2Q
+ 2Q-1T
+ 10Q
— 2Q -3T
-3Q+2T
-7Q
+ 1Q + 1T
— 3Q-1T
+ 5Q
+ 1Q -2T
+ 3T
-12Q
6561
4096
13
3375
2048
32768
19683
_5_
3
1,60181 =
1,62500 =
1,64067
1,64795 =
1,66479 =
1,66667 =
1,67182
1,68179
1,68750 = f 6
1,70667 = ^f-
1,74109
1,75000 = -r
l,75781 = f|
1,77778 = j
1,78180
1,78879
1,80000 = j
1,80203 =
1,81145
1,81250 =
59049
32768
29
16
1,82044 -f^
1,85185 = |
1,86922
l,87289 = f|
1,87500 = f
1,88775
1,89630 =
1,89844 =
1,92000 =
1,93750 =
256
135
243
128
48
25
31
16
1,95313 = ^p
2,00000= |-
kleinstes singbares I.). Dariiber hinaus bleibt heute
nicht unbestritten die weit verbreitete Ansicht, die to-
nale Auffassung der I.e sei von vornherein gegeben.
Selbst reine Quinte und GroBterz, die tpnale Beziehun-
gen zwischen den Tonen tiberhaupt erst konstituieren,
naben diese Fahigkeit offenbar nur in einem tonal kom-
ponierten Stuck. MaBgebend fiir die Auffassung der
I.e ist in jedem Fall der Zusammenhang. Dazu be-
merkt H.Riemann (MTh, S. 522), ... daji wit nicht
413
Intervall
durch rein hervorgebrachte Intervallfolgen gezwungen
werden konnen, dieselben entsprechend zu verstehen, son-
dern dafi wit der reinen Stimmung zum Trotz lieberfalsche
Tongebungen, unreine Intonationen als unlogische Tonfol-
gen horen. Weder hat das Musizieren auf temperierten
Instrumental das Aufkommen tonaler Horvorstellun-
gen verhindert, noch ist etwa nur das Klavier adaquates
Darstellungsmittel zwolf toniger Strukturen. M. Haupt-
manns fiir die tonale Musik zutreffende Bemerkung,
dafi temperierte I.e als rein gelten wollen, lafit sich um-
kehren: auch reine I.e wollen in einem zwolf tonigen
Werk als temperiert gelten.
Die I.-Tabelle (S. 41 1^13) enthalt - an der Oktave c-ci
demonstriert - die reinen I.e, die Naturtone 1-31
(0.-30. Oberton) sowie die I.e der 12-, 7- und 5stufigen
sowie der mitteltonigen Temperatur (wobei die Tone
der 12stufig-gleichschwebenden Temperatur in eckige,
die der mitteltonigen in runde Klammern gesetzt sind)
mit den Angaben der Schwingungszahlverhaltnisse in
reinen Briichen (soweit moglich), in Dezimalbriichen,
deren Logarithmen auf der Basis 10, und die GroBe
der I.e in Cent. Aus den Logarithmen ergeben sich
durch Multiplikation mit 1000 die Savart. Die ab-
soluten Frequenzen berechnen sich durch Multiplika-
tion einer festen Frequenz fiir c mit den Verhaltniszah-
len, z. B. bei ci = 261,63 Hz (440 Hz: 1,68179) ist
gi = 261,63 Hz • 1,49831 = 392,000 Hz.
Lit.: W. C. Printz, Exercitationes musicae theoretico-
practicae curiosae de concordantiis singulis, Dresden 1 689 ;
J. A. Scheibe, Abh. v. d. mus. I. u. Geschlechtern, Hbg
1739; G. A. Sorge, Genealogia allegorica intervallorum
. . . , d. i. Geschlechtsregister d. I. nach Anleitung d. Klan-
ge, so d. groBe Waldhorn gibt, Hof 1741 ; J.-Ph. Rameau,
Demonstration du principe de l'harmonie . . . , Paris 1 750,
deutsch v. E. Lesser, = Quellenschriften d. Musiktheorie I,
Wolfenbiittel u. Bin 1930; J. d'Alembert, Elemens de
musique theorique et pratique, suivant les principes de M.
Rameau, Paris 1752, 21759, Lyon 3 1766, deutsch v. Fr. W.
Marpurg als: Herrn D'Alembert .... Systematische Ein-
leitung in d. mus. Setzkunst, nach d. Lehrsatzen d. Herrn
Rameau, Lpz. 1757 ; F. W. Riedt, Versuch iiber d. mus. I.,
Bin 1753; Fr. W. Marpurg, Anfangsgriinde d. theoreti-
schen Musik, Lpz. 1757; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de
musique, Genf (1767?), Paris 1768, Artikel I.; C. L. Rol-
lig, Versuch einer mus. Intervallenlehre, Lpz. 1789; G.
Weber, Versuch einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst,
3 Bde, Mainz 1817-21, 4 Bde 21824, 31830-32; F. v. Drie-
berg, Die mathematische Intervallenlehre d. Griechen,
Bin 1 8 1 8 ; A. B. Marx, Die Lehre v. d. mus. Komposition,
4 Bde, Lpz. 1837-47 u. 6., neu bearb. v. H. Riemann I
91887, II 71890, IV 51888; M. W. Drobisch, Uber d. ma-
thematische Bestimmung d. mus. I.e, Lpz. 1846; ders.,
NachtrSge zur Theorie d. mus. Tonverhaltnisse, Lpz. 1855;
M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik,
Lpz. 1853, 2 1873; H. Chr. Koch, Mus. Lexikon, bearb. v.
A. v. Dommer, Heidelberg 1865, Artikel I.; A. v. Oettin-
oen, Harmoniesystem in dualer Entwickelung. Studien
zur Theorie d. Musik, Dorpat u. Lpz. 1 866, als : Das duale
Harmoniesystem, Lpz. 2 1913 ; J. G. H. Bellermann, Die
GroBe d. mus. I. als Grundlage d. Harmonie, Bin 1873 ; H.
v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen . . . ,
Braunschweig 1863, 41877, «1913 ; H. Riemann, Allgemei-
ne Musiklehre, = M. Hesses illustrierte Handbiicher V,
Bin 61918; Riemann MTh; W. Freudenberg, Die Lehre
v. d. I., Bin 1902; G. Capellen, Die Freiheit oder Unfrei-
heit d. Tone u. I., Lpz. 1904; R. P. Winnington-Ingram,
Aristoxenos and the Intervals, Classical Quarterly XXVI,
1932; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, Mainz
1937, 21940, engl. als: Craft of Mus. Composition I, Lon-
don 1942; H. Jelinek, anleitung zur zwolf tonkomposition
I, Wien 1952; R. Dammann, Zur Musiklehre d. A. Werck-
meister, AfMw XI, 1954; W. Keller, Hdb. d. Tonsatz-
lehre I, Regensburg 1957; H. Husmann, Einfiihrung in d.
Mw., Heidelberg (1958); I. Korthaus, Die Beurteilung
mus. I. im mittleren u. unteren Horbereich, Diss. Hbg.
1960, maschr.; J. Lohmann, Der Ursprung d. Musik,
AfMw XVI, 1959; Fr. Onkelbach, L. Lossius u. seine
Musiklehre, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XVII,
Regensburg 1960; W. Wille, Das Verhalten mus. I. in
mittleren u. hohen Tonlagen, Diss. Hbg 1960, maschr.;
H.-G. Lichthorn, Zur Psychologie d. Intervallhorens,
Diss. Hbg 1962; S. Smedeby, Interval Notation, STMf
XLV, 1963; H.-P. Reinecke, Experimentelle Beitr. zur
Psychologie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. Mw. Inst,
d. Univ. Hbg III, Hbg 1964.
Intonarium (lat.) ->- Tonar.
Intonation (lat. intonatio; ital. intonazione), - 1) das
nach Tonart und Tonhohe richtige Anstimmen eines
Gesanges, im gregorianischen Choral oft solistisch aus-
gefiihrt (z. B. Kantor: Ad te levavi - Chorus: animam
meam . . .). Seit dem 14. Jh. intoniert auch der Orga-
nist mit einer kurzen, in der Regel improvisierten Ein-
leitung den Gesang (vor allem Introitus, Gloria und
Magnificat), seit der Reformation auch den lutheri-
schen Gemeindechoral. Schriftlich festgehaltene I.s-
Satze, meist aus Akkordzerlegungen oder Laufwerk
frei geformt und noch im 18. Jh. so viel moglich, unge-
zwungen und ohne Vermerckung des Tacts (Mattheson
Capellm., S. 477) vorzutragen, begegnen haufig in
Sammlungen »durch alle Tonarten« (Intonationi d'or-r
gano . . . composte sopra tutti li dodeci toni . . ., 1593, von
A. und G.Gabrieli), jedoch keineswegs immer unter
der ausdriicklichen Benennung I., der in Spanien und
Portugal die Bezeichnung Entrada (de verso) entspre-
chen konnte. Nur selten kommt die Satziiberschrift I.
auch bei gleichartigen Einleitungssatzen zu weltlichen
Liedern und Tanzen vor (so im Kopenhagener Kla-
vierbuch, um 1626). Da im Hintergrund der Entste-
hungsgeschichte von ->■ Toccata, ->• Ricercar, -*■ Prae-
ludium ebenfalls die Aufgabe des Intonierens steht,
werden diese Satzbezeichnungen auch alternativ mit I.
gebraucht (von den 12 I.en A.Gabrielis von 1593 sind
4 als Toccata bezeichnet, im Kopenhagener Klavier-
buch wechseln die Bezeichnungen I. una Praeludium).
Die als I. bezeichnetenSatzebewahrtenihrenursprung-
lich improvisatorischen Charakter bis zum Spatbarock.
- 2) Mit I. werden (entsprechend dem allgemeinen
Wortsinn) auch das Treffen und Einhalten eines Tones
beim Vortrag, das Einstimmen und die Ansprache eines
Instruments oder das Einregulieren der Klangf arbe (be-
sonders bei den Orgelregistern) bezeichnet. Beim Pia-
noforte werden der Klangcharakter und der Ausgleich
zwischen den Lagen durch Stechen (das den Ton wei-
cher macht) oder Abfeilen des Filzbelags der Hammer-
kopfe erreicht, auch durch Bearbeiten der Hammer-
stiele. - 3) In Anlehnung an den I.s-Begriff der Phone-
tik versteht B. Wl.Assafjew unter musikalischer I. die
Gesamtheit aller Merkmale, die die inhaltliche Bedeu-
tung einer Melodie oder eines Themas festlegen; ein-
deutige Bestimmung solcher Inhaltlichkeit setzt vor-
aus, daB der Komponist in Melodik, Satz- und Vor-
tragsweise Elemente des Zeitstils oder der Volksmusik,
d. h. einer iiberindividuellen, allgemeinverstandlichen
Ausdrucksf orm verwendet.
Lit.:zu 1): L. Schrade, Ein Beitr. zur Gesch. d. Tokkata,
ZfMw VIII, 1925/26; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels
u. d. Orgelkomposition, 2 Bde, Bin 1935-36, 21959; H. H.
Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d.
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse,
Jg. 1955, Nr 10; M. Reimann, Materialien zu einer Defi-
nition d. Intrada, Mf X, 1957.-zu 3) : B. Wl. Assafjew, Mu-
sykalnaja forma kak prozess, 2 Bde, Moskau u. Leningrad
1930-47; H. Goldschmidt, Mus. Gestalt u. I., Beitr. zur
Mw. IV, 1962; R. Kluge, Definition d. Begriffe Gestalt u.
I. als Beitr. zur Mathematisierungd. Mw., ebenda VI, 1964.
Intrada (ital. entrata; span, und port, entrada; frz.
entree; engl. entry), Bezeichnung fiir ein meist kurzes
Instrumentalstuck, das in wortlicher oder ubertragener
Bedeutung auf ein »Eintreten« (lat. intrare) bezogen ist.
414
Introitus
Im wohl urspriinglichen Sinn begleitet die I. (welch
man bey grosser Herren Einzug oder Auffziigen im Turnie-
ren vnd sonsten zugebrauchen pflegt, Praetorius Synt. Ill),
vor allem als Trompetensignal, -tusch oder -satz, das
Erscheinen hochgestellter Personen, spater auch in viel-
faltigen Besetzungsarten das Auftreten der Darsteller
bei Theater- und Tanzdarbietungen (wenn die Personen
in der Mummerey zum eingang erscheinen, ebenda), be-
sonders im franzosischen Baflett (->• Entree - 1). Vom
gleichen auBeren AnlaB her geprigt ist die Bezeichnung
Aufzug, die neben und anstelle von I. Ende des 16. bis
Mitte des 17. Jh. in deutschen Quellen oft verwendet
wird. Im ubertragenen Sinn bewirkt die I. als Eroff-
nungsstiick oder Einleitungssatz das »Eintreten« in ei-
ne festliche Veranstaltung oder speziell in eine musi-
kalische Darbietung. Bei den zahlreichen Beispielen
der I. im 17. Jh. lassen sich (nach M.Reimann) folgende
Typen unterscheiden: ein Aufzugstypus, geradtaktig,
mit Marschrhythmus, Signalmotivik und Tonwieder-
holungen (vgl. Beispiel), ein geradtaktiger, langsamer
und feierlicher Pavanentypus, ein ungeradtaktiger, be-
wegter Tanztypus sowie ein durch Homophonie und
Volksliedmelodik bestimmter Liedtypus.
M.Franck, I. aus Neue musicalische Intraden, 1608
(nach DDT XVI, S. 61).
Der Eroffnungscharakter riickt die I. in die Nahe von
Introduktion, Ouverture und Praeludium, doch tritt
im Gegensatz zu diesen Bezeichnungen der Name I.
bereits Ende des 17. Jh. zuriick. Eine Verwendung der
I. als Intonation fur den Chor im Gottesdienst bezeugt
u. a. M.Altenburg (1620): Kirchen-Intraden ... zwi-
schen einem jeglichen Gesang, bevoraufi wann figural ge-
sungen wiirde, . . . damit unter defi der Schulmeister oder
Cantor . . . desto bequemer . . . anstimmen und an/alien
kondte. In der Orchestersuite des 17. Jh. tritt die I. auch
als Binnensatz und anstelle eines Vortanzes (zu Galliar-
de oder Courante) oder eines Nachtanzes (der Pavane)
auf, ist selbst jedoch nicht als Tanz mit feststehenden
Merkmalen nachzuweisen. Im bisher friihesten Beleg,
der Fantasia sobre la entrada di una baxa (Valderrabano,
Silua de Sirenas, 1547), hat Entrada die Bedeutung von
Stimmeinsatz in einer kontrapunktischen Komposition;
dieser Sinn blieb in den Wortformen Entree und En-
trata, die auch in die Fugenlehre eindrangen, bewahrt.
Hervorzuheben sind die Beispiele der I. aus den Samm-
lungen von M.Franck (zwischen 1603 und 1627), V.
HauBmann (1604), Demantius (1608), Schein (1609),
H.L.HaBler und J.Staden (1610), Peuerl (1611 und
1625), Kindermann (1643), Pezel (1669 und 1685).
Noch Glucks Alceste (italienische Fassung, 1767), Mo-
zarts Bastien und Bastienne (1768) und Beethovens op.
25 werden durch eine I. eingeleitet. Im 20. Jh. wurde
die I. vereinzelt wieder aufgegriffen (z. B. von J.Ah-
rens, C.Orff, E. Pepping).
Lit.: K. Nef, Die I. v. A. Orologio, Fs. D. Fr. Scheurleer,
's-Gravenhage 1925; M. Reimann, Materialien zu einer
Definition d. I., Mf X, 1957.
Introduktion (ital. introduzione), kurzer, oft mit
HalbschluB endender Einleitungsteil zum 1. Satz von
Symphonien oder Divertimenti, selterier von Quin-
tetten (Mozart K.-V. 452; Beethoven op. 16), Streich-
quartetten (Beethoven op. 59, 3) oder Streichtrios (R.
Kreutzer) . -J. Haydn, der in seinen Instrumental werken
zahlreiche langsame Einleitungen schrieb, verwendet
das Wort I. hierfiir nicht. Beethoven gebraucht die Be-
zeichnung I. u. a. fur den Mittelsatz der Klaviersonate
op. 53, fur die Einleitungssatze der Variationenwerke
op. 35 und op. 121a und in einem Brief an Varena
(Thayer III, S. 306) auch fur die Ouverture zu Die
Ruinen von Athen, op. 113. - Die erste, unmittelbar an
die Ouverture anschlieBende Gesangsszene der Num-
mernoper heiBt bisweilen I. (W. A. Mozart, Don Gio-
vanni, Zauberflote), manchmal aber auch nur die eine
Oper oder einen Akt eroffnende Instrumentaleinlei-
tung zur 1. Gesangsszene (Beethoven, Fidelio, 2. Akt:
I. und Arie; -*■ Vorspiel). Typische Elemente der I.en
wie auch ihr oft pathetischer und feierlicher Charak-
ter gehen auf den Graveanfang der franzosischen Ou-
vertiire Lullyscher Pragung zuriick. Als Zeitmafl ist
meist Grave, Largo, Adagio oder Andante vorgeschrie-
ben, oft mit dem Zusatz Maestoso.
Lit. : W. Gerstenberg, Ober d. langsamen Einleitungssatz
in Mozarts Instrumentalmusik, = Innsbrucker Beitr. zur
Kulturwiss., Sonder-H. 3, Innsbruck 1956; G. E. Menk,
The Symphonic Introductions of J. Haydn, Diss. State
Univ. of Iowa 1960, maschr.
Introitus (lat.), genauer: Antiphona ad introitum,
der Einleitungsgesang der romisch-katholischen Messe
(1. Stuck des Proprium missae). Je nach Festgrad des
betreffenden Tages von einem bis 4 Kantoren ange-
stimmt und durch Schola oder Gesamtchor weiterge-
fiihrt, erfolgt sein Vortrag, wahrend der Klerus bzw.
zelebrierende Priester Einzug halt und zum Altar
schreitet. Nach dem Stand der Quellen war in Rom
bereits vor Mitte des 6. Jh. antiphonischer, d. h. wech-
selchoriger I.-Gesang der Schola iiblich. Dieser be-
stand aus einem Psalm mit folgendem Gloria patri, ein-
geleitet und abgeschlossen durch die Antiphona ad
introitum, wobei sich - noch in spaterer Zeit - die An-
zahl der Psalmverse nach der Dauer der liturgischen
Handlung richtete. Im frankischen Raum wurde die
Antiphon auBerdem zwischen den einzelnen Versen
wiederholt. Wahrend der I. zunachst auf den feierli-
chen Gottesdienst beschrankt war, wurde er, seit dem
8. Jh. nachweisbar, Bestandteil auch der Missa lecta.
Seine spater allgemein verbreitete Form, welche auBer
der Antiphon nur noch einen einzigen Psalmvers mit
kleiner Doxologie enthalt, ist das Ergebnis eines lange-
ren Riickbildungsprozesses (8.-11. Jh.). Uberdies sei-
ner eigentlichen Aufgabe beraubt, erklang er nunmehr
beim Stufengebet der Messe. Als eine reichere Ausge-
staltung findet sich seit dem 11. Jh. vielerorts der
Brauch, die Antiphon bei festlichen Gelegenheiten
durch zusatzliche (Teil-)Wiederholungen zwischen
Vers und Gloria patri dreimal zu singen (»triumphare
psalmis«, »triplicare« ; noch heute bei den Pramon-
stratensern, Karmeliten u. a.); auch entstanden zahl-
reiche Tropierungen der I.-Texte und -Melodien (dar-
unter der Tropus Hodie cantandus est des Tuotilo, siehe
P. Wagner, Einfiihrung III, S. 51 If.). - Erst in den litur-
gischen Vorschriften der jiingeren Zeit wurde die ur-
spriingliche Form und Aufgabe des I.-Gesanges wieder
aufgegriffen. So konnen bei langerem Einzugsweg des
Zelebranten in die Kirche im AnschluB an die Anti-
phon nach Bedarf mehrere Verse des I.-Psalms - auch
mit Einschub der Antiphon nach jeweils einem oder 2
Versen - gesungen werden. Der Gesang schlieBt mit
dem Gloria patri und der Repetitio antiphonae (vgl.
415
Invention
Artikel 27a der Instructio de musica sacra et sacra liturgia
der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958). Nach altestem
Brauch bleibt das Hochamt der Osternacht ohne I., die
Doxologie entfallt vom 1. Passionssonntag bis zum
Griindonnerstag. (Weitere Bestimmungen im Novus
Codex Rubricarum von 1960, Artikel 427-429.) - Der
melodische Verlauf der I.-Antiphon zeigt gewohnlich
einen mittleren, wenngleich im einzelnen steigerungs-
fahigen Grad an kompositorisch-stilistischer Ausge-
staltung. Er wird vorwiegend durch eine von syllabi-
schen Partikeln durchzogene Gruppenmelodik be-
stimmt. Die Antiphon als musikalische Form erreicht
in den I.-Gesangen ihren unbestreitbaren Hohepunkt.
- Der Vortrag von Psalmvers(en) und kleiner Doxo-
logie erfolgt nach den Formeln der antiphonischen
MeBpsalmodie, deren romanische Fassung im Graduate
Romanum (Editio Vaticana) uberliefert wird (die ger-
manische Version bei P. Wagner, Einfuhrung III, S.
140ff.). - Die dem I. entsprechenden Einleitungsgesan-
ge anderer Liturgien tragen folgende Namen: Ingressa
(ambrosianisch, ohne Psalmvers und Doxologie), An-
tiphona ad praelegendum (gallikanisch), Officium (alt-
spanisch sowie bis heute bei den Kartausern, Karmeli-
ten und Dominikanern). KWG
Invention (lat. inventio, von invenire, finden) bedeu-
tet im weiteren Sinne Findung, Einfall, Erfindungs-
kraft, auch Einrichtung. In Werktiteln und Vorreden
seit dem 16. Jh. kann I. eine besondere Art der musi-
kalischen Erfindung ankundigen: Cl.Janequin nannte
seine schildernden Chansons (z. B. La guerre) I.s musi-
cales (2 Biicher 1555). Meist aber werden Neuheit oder
Besonderheit der I. durch Beiworter eigens gekenn-
zeichnet: Viadana bezeichnet die neue Art seiner Cento
concerti ecclesiastici (1602) im Untertitel als nova inven-
tione (iibernommen in Untertitel und Vorrede von
Scheins Opella nova I, 1618); B.Marini veroffentlichte
Sonate, symphonie . . . e alcune sonate capricciose . . ., con
altre curiose e modeme inventioni op. 8 (1626); G.B.Vi-
tali betitelt in seinen Artificii musicali op. 13 (1689) 2
Balletti als inventioni curiose: beim ersten ist jede der
Stimmen verschieden mensuriert, beim zweiten mit
verschiedenen Vorzeichen notiert. Vier der als Inven-
zioni a violino solo e B. c. bezeichneteri 10 partitenarti-
gen Satzfolgen von Fr. A. Bonporti (op. 10, 1713) lie-
gen in einer Abschrift J. S. Bachs vor; sie wurden lange
Zeit irrtiimlich als Werk Bachs (GA XLV) und als
Vorlaufer seiner I.en angesehen. - Wenngleich Poetik
und Musiklehre des Barocks die I. als angeboren beur-
teilen {Die I. ist uns angeboren, Heinichen, S. 22) und
von der Disposition des Gemiits abhangig machen und
auch die »unvermutete« Art des Einfalls kennen (in-
ventio ex abrupto, Mattheson Capellm., S. 132), ent-
wickelten vor allem deutsche Komponisten und Theo-
retiker (Kircher, Niedt, Kuhnau, Heinichen, Matthe-
son) eine ausgedehnte musikalische I.s-Lehre, die we-
sentlich auf Kombinatorik und Veranderungskunst
und auf dem Prinzip der Nachahmung beruht. Zu den
Hilfsmitteln des Erfindens gehoren speziell die Ars
combinatoria oder Verwechslungskunst der Tone oder
Rhythmen und die oratorischen Loci topici. Matthe-
son behandelt in seiner lehrreichen Betrachtung von der
Erfindungs-Kunst (Capellm., S. 121ff.) 15 derartige »Er-
findungs-Quellen« und als deren reichste den Locus
notationis, das systematische Verandern der Noten ei-
nes Satzes, und den Locus descriptionis, das Beschrei-
ben oder Abmalen der Gemutsbewegungen. Als Fons
inventionis gait auch die Lehre von den musikalisch-
rhetorischen -*■ Figuren. - Im engeren Sinne bezeich-
net I. die Erfindung, die vor der Ausarbeitung steht,
speziell das zum Durchf iihren oder Variieren bestimm-
te Soggetto oder Thema (z. B. Murschhauser: inven-
tioni ac imitationi im Appendix zum Octi-Tonium novum
organicum, 1696). Dies entspricht der aus der lateinischen
Rhetorik (Cicero, Quintilian) uberkommenen, im
Barock lebendigen Lehre von der Stufenfolge beim
Fertigen einer Rede: Inventio - Dispositio (Einrich-
tung) - Elaboratio/Decoratio (Ausarbeitung/Schmuk-
kung) - Executio (Ausf iihrung). Dementsprechend de-
finiert J.G.Walther (Praecepta, 1708) die -> Musica
poetica: sie unter richtet, wie man eine . . . Zusammen-
stimmung der Klange erstlich inventiren (Inventio), und
hemach aufsetzen und zu Papier bringen soil (Elaboratio),
damit selbige hernachmahls kann gesungen oder gespielet
werden (Executio). J. S.Bach verwendet Inventio 1723
im Titel Auffrichtige Anleitung . . . der als Spiel- und
Ko'mpositionslehre bestimmten Endfassung seiner I.en
und Sinfonien im Sinne dieser musikalisch-rhetori-
schen Tradition: . . . gute inventiones nicht alleine zu
bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuj "iihren, am
allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen
... In dieser Erlauterung meint der Inventiobegriff
keine Form, sondern ein Prinzip des Komponierens
und bezieht sich sowohl auf die 2st. I.en (im Clavier-
biichlein fur Friedemann Bach um 1720 Praeambula ge-
nannt) als auch auf die 3st. Sinfonien (ebenda Fantasiae
genannt), deren besonderer Titel besagen mag, da6 sie
im Ergebnis der »Zusammenstimmung« eine Stufe
hoher stehen als die 2st. Kompositionen. Kompositions-
geschichtlich stehen die 2- und 3st. Stiicke, tonartlich
je aufsteigend geordnet und primar furs Clavichord
bestimmt, vor dem Hintergrund des Bicinium, des
zweistimmigen italienischen Ricercars des 17. Jh. so-
wie des Triosatzes der Sonata und des Kammerduetts
mit BaB. Dennoch sind sie ihrem Typus nach eigen-
standig, und dies vornehmlich auf Grund hochster
Auspragung des Inventio/Elaboratio-Prinzips, das sie
nach alter Weise in Lehrexempla vorfiihren: Inventio
ist hier sowohl der zwei- oder dreistimmige, zum
Durchfiihren geeignete Einfall als auch das durch ihn
vorgezeichnete Stiick, in dem aus dem Keim des je-
weiligen Einfalls verschiedene Satztypen und Formen
disponiert und elaboriert sind (Reprisenf ormen, Forma
bipartita und tripartita nach genauen Klauselplanen,
fugierte und kanonische Anlage, Spielstiick und affekt-
volle Klangrede). Im AnschluB an Bachs I.en, deren
Kompositionsprinzip spaterhin namentlich in Stiicke
des Wohltemperirten Claviers (Praeludien, 1. Teil Nr 14,
19, 2. Teil Nr 2, 8, 10, 20, 24) und in die Duette des 3.
Teils seiner Clavieriibung ausstrahlt, wurde I. in ein-
seitig formaler Bestimmung zu einem stehenden Ter-
minus, sowohl theoretisch (Forkel, S. 76) als auch
kompositorisch (z. B. J. Ahrens, I. in 5 kleine Stiicke,
1938). Naher stehen dem Bachschen Inventiobegriff
jene Kompositionen, die aus einer thematischen Sub-
stanz eine Struktur entwickeln, wie A. Bergs I.en im
3. Akt des Wozzeck (I. iiber einen Ton, einen Rhyth-
mus, einen Sechsklang usw.) und Jelineks I.en im
Zwblftonwerk H. 1 (iiber Reihen). Zahlreiche I. ge-
nannte Kompositionen des 20. jh. kniipfen teils for-
mal an den Typ Bachs, teils offenbar mehr an die vo-
kabulare Bedeutung des Begriffs an: E. Pepping, 1. fiir
kleines Orch., 1931 ; B. Blacher, Zwei I.en fiir Orch. op.
46; Kl.-I.en von H.Reutter (Die Passion in 9 I.en op.
25), W. Former, W.Maler, G.Klebe (Vier I.en op. 26).
Lit. : A. Kircher SJ, Musurgia universalis, Rom 1650, lib.
VIII; J. Kuhnau, Texte zur Lpz.er Kirchen-Music (1709/
10), hrsg. v. B. Fr. Richter, MfM XXXIV, 1902; Fr. E.
Niedt, Handleitung zur Variation, Hbg 1706, 21721 ; J. G.
Walther, Praecepta d. Mus. Composition, hs. Weimar
1708, hrsg. v. P. Benary, =Jenaer Beitr. zur Musikfor-
schung II, Lpz. 1955 ; J. D. Heinichen, Der Gb. in d. Com-
position, Dresden 1728; Mattheson Capellm.; J. N. For-
416
Isorhythmie
kel, Ober J. S. Bachs Leben, Kunst u. Kunstwerke, Lpz.
1802, 21855, NA v. J. Miiller-Blattau, Augsburg 1925,
Kassel 4 1950; R. Oppel, Die neuen deutschen Ausg. d.
zwei- u. dreist. I., Bach-Jb. IV, 1907; A. Schering, Ge-
schichtliches zur ars inveniendi in d. Musik, JbP XXXII,
1925, u. in: Das Symbol in d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt,
Lpz. 1941 ; Fr. Jode, Die Kunst Bachs, dargestellt an sei-
nen I., Wolfenbuttel 1926; L. Landshoff, Revisionsber.
zur Urtextausg. v. J. S. Bachs I. u. Sinfonien, Lpz. 1933;
W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik, Ber. iiber
d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950, Neudruck in: Mg. u. Ge-
genwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 1966; K. v. Fischer,
Zum Formproblem bei Bach. Studien an d. I., Sinfonien u.
Duetten, in: Bach-Gedenkschrift, Zurich 1950; E. Ratz,
Einfuhrung in d. mus. Formenlehre. Ober Formprinzipien
in d. I. J. S. Bachs . . . , Wien 1 95 1 ; H. H. Eogebrecht, Stu-
dien zur mus. Terminologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit.
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr
10; Fr. Feldmann, Mattheson u. d. Rhetorik, Kgr.-Ber.
Hbg 1956; J. N. David, Die zweist. I. v. J. S. Bach, Gottin-
gen 1957; ders., Die dreist. I. J. S. Bachs, ebenda 1959.
HHE
Inventionshorn, ein Waldhom, bei dem die Stimm-
bogen nicht am Mundstiick, sondern in den Windka-
nal (ventus) im Innern der Windung eingesetzt wur-
den. Dadurch wurde das Instrument beim Einsetzen
der Bogen nicht vom Spieler abgeriickt, so daB die
Stopftechnik nicht mehr erschwert wurde. Nach An-
gabe des Dresdner Hofmusikers A.J.Hampel soil es
von dem Instrumentenmacher J.Werner in Dresden
zuerst 1753 gebaut worden sein. Die Erfindung wurde
auch auf die Trompete iibertragen, geriet aber nach
Erfindung der -* Ventile (- 2) in Vergessenheit.
Lit.: Fr. Piersig, Die Inventionstrp., Zs. f. Instrumenten-
bau XLVII, 1927.
Inversion -*■ Umkehrung.
Invitatorium (lat., Aufforderung), die mit dem
(I.s-)Psalm 94 Venite exsultemus Domino verbundene
Antiphon zu Beginn der -»■ Matutin im romisch-ka-
tholischen Offizium. Seiner Struktur nach ein chori-
scher Kehrvers, steht das I. am Anfang und SchluB des
solistisch vorgetragenen Psalms sowie abwechselnd
vollstandig oder mit der 2. Halfte zwischen den in 5
Strophen + Doxologie gegliederten Versen. Die heu-
tige Praxis kennt etwa 60 Invitatorien.
Ausg.: Invitatoria cum Psalmo Venite exsultemus per
varios tonos, Tournai 2 1948.
Inzidenzmusik -> Bu linen musik.
Ionisch -> Systema teleion, ->■ Kirchentone.
Irland.
Lit. : E. Bunting, Ancient Music of I., Dublin 1840; W. H.
Gr. Flood, A Hist, of Irish Music, Dublin 1895, 3 1913;
D. B. Macdonald, Irish Music and Irish Scales, Lpz.
1910; H.Graham, The Early Irish Monastic Schools, Lon-
don 1925 ; M. Hannagan u. S. Clandillon, Songs of the
Irish Gaels with the Music and Engl. Metrical Translation,
3 Bde, London 1927; D. J. O'Sullivan, Folk Music and
Songs I-IV, London 1927-39; ders., Songs of the Irish,
London 1960; R. Henebry, A Hdb. of Irish Music, London
1929; A. G. Fleischmann, Music in Ireland, Cork u. Ox-
ford 1 952; R. Hayward, The Story of the Irish Harpe, Bel-
fast 1954; I. M. Hogan, Anglo-Irish Music 1780-1830,
Diss. Dublin 1957/58. -Journal of the Irish Folk SongSoc.,
London 1940ff.
Island.
Ausg. u. Lit.: A. Hammerich, Studien iiber islandische
Musik, SIMG I, 1899/1900; Icelandic Folktunes, hrsg. v.
B. Thorsteinsson, Kaupmannahofn 1906-1909 ; H. Wiehe,
Om Islandsk tonekunst og musikliv, = Dansk-islandske
samfunds smaskrifter X, Kopenhagen 1922; J. Leifs, Is-
landische Volkslieder, ZfMw XI, 1929; E. M.v. Hornbo-
stel, Phonographierte islandische Zwiegesange, in : Deut-
sche Islandf orschung 1930, hrsg. v. W. H. Vogt u. H. Spath-
mann, = Veroff. d. Schleswig-Holsteinischen Universitats-
ges. XXVIII, 1, Breslau 1933; Fr. Metzler, Tonalitat u.
melodische Struktur d. alteren deutschen u. nordischen
Volksweise mit besonderer Beriicksichtigung d. islandi-
schen Kleinmelodik, Diss. Tubingen 1950, maschr.; H.
Helgason, Dasjiingere Heldenlied in I., Diss. Zurich 1954;
ders., Das Bauernorganum auf I., Kgr.-Ber. Koln 1958;
M. St. Selden, The Music of Old I., American-Scandina-
vian Review XLV, 1957.
Iso- (von griech. taos, gleich, besonders hinsichtlich
der auBeren Beschaffenheit) hat in den auf Musik be-
ziiglichen Wortzusammensetzungen meist die spezielle
Bedeutung: im Zeitablauf, im Nacheinander unver-
andert wiederkehrend (im Unterschied zu Homo-, von
griech. 6(jl6c;, gemeinsam, das iiber die Qualitat des
Gleichklangs hinaus die Bedeutung eines gleichzeitigen
Vorgangs angenommen hat). Im AnschluB an die von
Fr. Ludwig (SIMG V, 1903/04, S. 2231.) gepragten Aus-
driicke isorhythmisch und Isorhythmik (-> Isorhyth-
mie) sind weitere Komposita gebildet worden, iiber
deren Berechtigung und Bedeutung die Meinungen
divergieren. - 1) Isoperiodik betrifft, nach Handschin
(Musikgeschkhte, 1949, S. 201f.), in der vorisorhyth-
mischen Motette die Faktur der Oberstimmen und be-
steht darin, daB die Periodenbildung, d. h. die Einschnitt-
setzung in ihnen gleich bleibt bei verschiedenem melodischem
Material. Fur Besseler hingegen (MGG I, 1949-51, Sp.
708f .) ist Isoperiodik ein Bauprinzip, das von Philippe de
Vitry bis weit ins 15. Jh. hinein giiltig blieb: der Aufbau
des Werkes mit Hilfe mehrfach wiederkehrender, zahlen-
mafiig streng geregelter Perioden, mit EinschluB des Te-
nors; Isoperiodik der Oberstimmen liegt vor, wenn
der Schlupton jedes Melodieteils und sdmtliche Pausen in
genau gleichem Abstand wiederkehren. - 2) Isomelisch und
isomelodisch : Wiederkehr des gleichen Melos (Bu-
kofzer, Studies . . ., 1950, S. 65 u. 6.: isomelic repeat;
Handschin, MD V, 1951 , S. 75 : isoperiodical sections are
at the same time isomelodical in the Tenor). - 3) Isochron:
von gleicher Zeitdauer, wobei entweder einzelne Tone
gemeint sein konnen (ApelN, S. 265; hier wird der
5. Modus als isochronous bezeichnet) oder mehrere
Tone innerhalb einer festen Taktordnung (Encyclopedie
de la musique, 1959, Artikel Isochrone). - 4) Isome-
trisch und Isometrie werden haufig miBverstandlich
oder unrichtig gebraucht. Von der Wortbedeutung
her erwartet man, daB es sich um ein wiederkehrendes
gleiches Metrum handelt (was immer ->• Metrum da-
bei heiBen mag); statt dessen werden die Ausdrucke
etwa im Sinne von homorhythmisch (mit gleichem
Rhythmus in mehreren Stimmen, wie im Conductus
oder im homophon gesungenen Kirchenlied) oder iso-
chron verwendet (in Adler Hdb. I, S. XIII, ist isome-
trisch erklart : rhythmische Gleichwertigkeit der Noten und
metrische Gleichwertigkeit der Silben, im Gegensatz zu
polymetrisch).
Isorhythmie (nach dem Griech., gleiche rhythmische
Ordnung) nennt Fr. Ludwig ein Kompositionsprinzip
der -> Motette im 14.-15. Jh.; nicht nur im Tenor kom-
men jedesmal die analogen Tone der einzelnen Abschnitte
auf rhythmisch uerschiedene Stellen, sondern auch in den
Oberstimmen, da diese die I. der einzelnen Tenorabschnitte
Color 1
Talea 3
27
417
istesso tempo
ebenfalls ganz scharf auspragen (SIMG VI, 1904/05, S.
622). Grundlage einer isorhythmischen Komposition
ist die Zubereitung des Tenors mit Unterscheidung
von -»■ Color (- 2: Melodieabschnitt) und -> Talea
(»Strophe«, rhythmisch festgelegter Abschnitt). Die
fur die Gliederung eines Stiicks maBgebende Folge der
Taleae iiberschneidet oft die der Colores ; das Notenbei-
spiel (Machaut, Speravi - Puisque - De bon espoir) zeigt
2 Colores zu je 18 Tonen, die von 3 Taleae zu je 12
Tonen iiberlagert sind (siehe vorige Seite). Die friihe
I. kniipft an die Motettentradition des 13. Jh. an,
wobei an die Stelle der modalen Tenor-Ordines die
langeren, frei gebildeten Taleae treten. Isorhythmi-
sche Ordnung nur des Tenors (in 4st. Motetten des
Tenors und Contratenors) nennt Besseler Isoperiodik.
Sie begegnet vor allem in friihen Quellen (Vitrys Mo-
tetten in Fauv). Die isorhythmische Motette Machauts ist
eine aufdem Tenor aufgebaute Strophenform ; sie will ei-
nen vers- und strophenjormigen Text musikalisch zur Er-
scheinung bringen (Eggebrecht). Text und Musik, oft
das Werk eines Dichterkomponisten, sind in ihrer
Struktur meist so aufeinander bezogen, daB Korre-
spondenz zwischen Strophe und Talea besteht. Die
Perioden der Oberstimmen beginnen entweder gleich-
zeitig mit den Tenor-Taleae (nach Reichert »Phasen-
gleichheit«) oder sie uberbrucken den Einschnitt und
beginnen in einem festgelegten Abstand dazu (»Pha-
sendifferenz«, Apel: »isoperiodicity«). Einer Verdeut-
lichung der I. dienen vor allem Hoqueti und melodi-
sche Analogien, die gewohnlich an den AuBenstellen
der Perioden wiederkehren (Apel: »sectional iso-
rhythm«). Bei mehrteiligen isorhythmischen Motet-
ten werden die Teile 2-4 meist durch Diminution des
Tenors und Mensurwechsel der Oberstimmen ge-
kennzeichnet. Der Tenor wird in der Regel nur einmal
notiert, seine Veranderung in den spateren Teilen
durch Proportionszeichen oder Kanonanweisungen
vorgeschrieben. Motetten mit streng durchgefiihrter
Talea-Ordnung auch der Oberstimmen (Apel: »pan-
isorhythmic motet«) sowie die Ubertragung dieser
Satzweise auf MeB- und Liedsatze begegnen verein-
zelt bei Machaut uncLin der Handschrift Iv, hauptsach-
lich jedoch in den spateren -»• Quellen Ch, TuB, auch
OH, sowie bei Ciconia, Dunstable, Dufay, Spatfor-
men der I. noch bei Willaert.
Lit. : Fr. Ludwig, Rezension zu J. Wolf, Gesch. d. Men-
suralnotation, 3 Bde, Lpz. 1904, in: SIMG VI, 1904/05;
ders., Die isorhythmische Motette . . ., Adler Hdb. I, S.
265ff., besonders S. 273; H. Besseler, Studien zur Musik
d. MA, AfMw VII, 1925 -VIII, 1926; ders., Die Musik d.
MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb.; J. Handschin, Mg.
im Oberblick, Luzern (1948), 21964, S. 201ff.; R. Dam-
mann, SpStformen d. isorhythmischen Motette im 16. Jh.,
AfMw X, 1953 ; W. Apel, Remarks About the Isorhythmic
Motet, in: Les Colloques de W6gimont II, 1955; G. Rei-
chert, Das Verhaltnis zwischen mus. u. textlicher Struk-
tur d. Motetten Machauts, AfMw XIII, 1 956 ; ders., Wech-
selbeziehungen zwischen mus. u. textlicher Struktur in d.
Motette d. 13. Jh., in: In memoriam J. Handschin, StraB-
burg 1962; U. Gunther, Der mus. Stilwandel d. frz. Lied-
kunst in d. 2. Halfte d. 14. Jh., Diss. Hbg 1957, maschr.,
Auszug engl. als: The 14 tb -Cent. Motet ..., MD XII,
1958; E. Apfel, Studien zur Satztechnik d. ma. engl. Mu-
sik, 2 Bde, = Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.-
hist. Klasse, Jg. 1 959, Nr 5 ; ders., Zur Entstehung d. realen
4st. Satzes in England, AfMw XVII, 1960; H. H. Egge-
brecht, Machauts Motette Nr9, AfMw XIX/XX, 1962/63;
D. H arbinson, Isorhythmic Technique in the Early Motet,
MLXLVII, 1966.
istesso tempo (ital.) -»■ 1 ' istesso tempo.
Italian sixth (it'seljsn siksB, engl., italienische Sexte),
bei englischen Theoretikern (und dort selbst als will-
kurlich bezeichnete) Benennung des UbermaBigen
Sextakkords, d. h. des verkiirzten Doppeldominant-
septakkords auf der tiefalterierten Quinte ( V z. B. in
C dur: as-c-fis. ->■ French sixth, ->• German sixth.
Italienische Musik. Obgleich Italien erst vor hun-
dert Jahren seine staatliche Einheit erlangte, hat es in
den vergangenen Jahrhunderten doch eine Musik von
einheitlicher Eigenart und groBer Ausstrahlungskraft
besessen, auch wenn nacheinander verschiedene Stadte
mit ihren mehr oder weniger groBen Territorien die
f iihrende Rolle iibernahmen : Turin, Mailand, Venedig,
Mantua, Bologna, Modena, Florenz, Neapel und Rom.
- Die Grundlage der I.n M. ist die -*■ Romische Musik.
Eine fortwirkende Kraft war im friihen italienischen
Mittelalter der liturgische Gesang, vor allem in dem
strophischen Hymnus des Ambrosius, Bischof von
Mailand. Mailand, Rom und Benevent (Kampanien)
waren die Mittelpunkte kirchlicher Musikpflege, wo
der ambrosianische, der romische (im engeren Sinne
gregorianische) und der beneventanische Choral ent-
standen. Dem Benediktinermbnch Guido von Arezzo
verdankt das Abendland die Erfindung der Intervall-
notenschrift auf Linien. Mit dem Erstarren des Gre-
gorianischen Gesanges entstand in Italien die 1st. Lau-
da, ein Bindeglied zwischen dem Kirchengesang und
der weltlichen Kunst des Trecentos. Die Pflege friiher
kirchlicher Mehrstimmigkeit wird belegt fur Mailand
(997) und Rom (12. Jh.); 1215 bezeugt der Ordo of-
ficiorum des Doms von Siena die Pflege mehrstim-
migen Gesanges, der in seiner liturgischen Stellung
dem Repertoire von Winchester verwandt und von
dem der gleichzeitigen Notre-Dame-Schule grundle-
gend verschieden ist. Die wenigen bekannten Satze
aus dem 12. Jh. (Sizilien, Lucca, Verona) und aus der
Zeit um 1300 (Padua, Bologna, Cividale und in 2 Flo-
rentiner Laudenhandschriften) gehoren zum Typus
der »retrospektiven Mehrstimmigkeit« und stehen of-
fenbar der Gesangspraxis von Siena nahe. Die Haupt-
meister des Trecentos, Jacopo da Bologna, Bartolino
da Padova und Francesco Landini, sowie ihr wichtigster
Theoretiker, Marchetto da Padova, lebten in Ober-
und Mittelitalien, wo auch die bedeutenden Trecento-
handschriften Rs, PR, FP, ho. Pit und Sq (-> Quellen)
entstanden, hinzu kommt aus dem Siiden Anthonello
da Caserta. Von Madrigal, Caccia und Ballata fiihrt
der Weg einerseits zur Polyphonie der franko-flami-
schen Meister im 15. Jh., andererseits zu den typisch
italienischen volkstumlichen Formen in homophonem
satz, den Canti carnascialeschi, den venezianischen
Giustiniane, den Strambotti, Frottole und mehrstim-
migen Laude. Bemerkenswert ist im 15. Jh. auch die
Kultur der italienischen Tanzmusik und Tanzmeister
(-> Gesellschaftstanz). Die Handschriften mehrstim-
miger Musik spiegeln um 1400 die wachsenden fran-
zosischen Einfliisse in Melodik, Rhythmik, Formbau
und Notation (PR, Mod) und bald ein fast ausschlieB-
liches Vorherrschen auslandischer Kompositionen in
der italienischen Musikubung (BL, O, BU, Trienter
Codices). Denn als Lehrer der polyphonen Kunst des
Nordens kamen viele niederlandische Komponisten
nach Italien; hier wiederum lernten sie den ungekiin-
stelten Stil, der sich der Volksmusik nahert, sowie Ein-
fachheit und Wohlklang des Satzes. Die bekanntesten
dieser Meister sind Ciconia (ab 1403 bestandig in Pa-
dua), Dufay, der bei den Malatesta in Rimini, am Hofe
von Savoyen sowie am papstlichen Hof wirkte, Jos-
quin, der seine friihen Jahre als Domsanger in Mailand
verbrachte, spater Willaert, der Begrunder der Vene-
zianischen Schule, und Isaac, der in Ferrara und Flo-
renz, dann in Deutschland tatig war, bevor er nach
Florenz zuruckkehrte.
418
Italienische Musik
Aus solcher gegenseitigen Durchdringung entstand in
Italien das Madrigal des 16. Jh., Zeugnis einer Gesell-
schaftskunst, wie sie von den hoheren Standen und be-
sonders an den Hofen gepflegt wurde. Mit dem 5-, 4-
und 3st. Madrigal, das vor allem in England und
Deutschland Schule machte, erwuchs der I.n M. die
europaische Vorbildlichkeit. Die Villanella als typisch
italienische volkstiimelnde Gattung wirkte mit ihrer
Neigung zu frischer Ausgelassenheit und Parodie auf
das vornehme Madrigal bis zum Ende des Jahrhunderts
anregend. Die italienische Musiklehre dieser Zeit
gipfelt in Gaffori und Zarlino. Die Welt der Corn-
media dell'arte, an deren musikalischer Ausschmiik-
kung sich in Venedig und Neapel viele bekannte Mu-
siker beteiligten, spiegelt sich in den Werken von G.
Croce und in den Madrigalkomodien von Vecchi und
Banchieri. Das gesteigerte Streben nach Affektdar-
stellung, schon in der Chromatik eines Gesualdo und
C. de Rore sowie im Lyrismus Luzzaschis offenkundig,
erreichte seinen Hohepunkt bei Monteverdi, der die
dramatische Darstellung auch ins Madrigal einfiihrte
und damit den urspriinglichen Rahmen dieser hofi-
schen Kunstform sprengte. - Zur Vorgeschichte der
Oper gehoren Auffiihrungen von Biihnenwerken mit
Vertonung einzelner Chore und Gesange (zuerst Po-
lizianos Orfeo mit Musik von Germi, Mantua 1471
[oder 1480?], am bedeutendsten O. Giustinianis Edipo
Tiranno nach Sophokles mit Choren von A. Gabrieli,
Vicenza 1585, aber auch eine Reihe von Komodien,
Pastoralstiicken und Rappresentazioni sacre) und die In-
termedien der Hoffeste, vor allem in Florenz, Ferrara,
Mantua und Venedig, sowie theoretische Arbeiten
(Mei, V.Galilei, sparer G.B.Doni) und praktische Ex-
periments (Caccini, Peri) der Florentiner Camerata.
Die eigentliche Geschichte der Oper begann in Mantua
mit Monteverdis Orfeo und Arianna. Mittelpunkt der
Opernpflege war zunachst Rom mit Cavalieri, D. und
V.Mazzocchi, Marazzoli, St.Landi, L. und M.Rossi,
Vittori und Abbatini; von hier aus zogen Opern-
truppen bald durch ganz Italien und ins Ausland. Eine
glanzende Fortsetzung erfuhr das Opernwesen in Ve-
nedig mit der Eroffnung der ersten offentlichen Opern-
hauser, fiir die als Komponisten Sacrati, Cavalli, Mon-
teverdi, sparer auch Cesti wirkten. Die venezianische
und die romische Schule versorgten ihr Publikum mit
prunkvollen und farbenprachtigen Stiicken, bis am
Ende des 17. Jh. die -> Neapolitanische Schule mit ih-
ren Neuerungen sich durchzusetzen begann und als
Hauptmeister Provenzale, A. Scarlatti und L. Leo, spa-
ter auch die Deutschen Handel, Hasse und Gluck, als
Reformer Jommelli und Traetta, als Librettisten Zeno,
Metastasio und Calzabigi herausstellte und sich die
Opera buffa (Pergolesi, Logroscino, Paisiello, Cima-
rosa) verselbstandigte. Das Dramma in musica wandel-
te sich zur Oper des 18. Jh. An die Stelle dramatischer
Darstellung trat die Arienkette konzertahnlichen Cha-
rakters. Das Interesse konzentrierte sich auf die beriihm-
ten Primadonnen und Kastraten, die die Chronik der
Zeit mit ihren Launen und Streitereien fiiUten: die
Cuzzoni, die Bordoni-Hasse, die Tesi-Tramontini, die
Gabrielli sowie Siface, Matteucci, Senesino, Carestini,
Farinelli, Caflarelli, Gizziello und Guadagni. Der Er-
folg dieser Opernkunst erfaSte binnen kurzem ganz
Europa und fiihrte zu einem Export I.r M. und Mu-
siker. Regionale Kompositionsschulen bildeten sich
auch auBerhalb der Oper.
In Rom erhielt die mehrstimmige Kirchenmusik, de-
ren wichtigster italienischer Meister um 1500 Gaffori
in Mailand gewesen war, wahrend des 16. Jh. eine neue
Richtung zum Affektuosen, fand ihren abgeklarten
Hohepunkt im klassischen Palestrina-Stil und wandelte
sich mit der Romischen Schule (und unter dem EinfluC
der Venezianer A. und G. Gabrieli) zum Prunk der ba-
rockenMehrchorigkeit. Neben ihr stehen dasOratorium
(Carissimi), das geisthche Konzert (Viadana) und der
einfache Laudenstil des Kreises um den hi. F.Neri. In
der Kammerkunst folgte den Nuove musiche Caccinis
die Solokantate, die sich - auch als Duett - bis hin ?u
A.Steffani groBer Beliebtheit erfreute; ihr nahe stehen
die Psalmkantaten des Venezianers B.Marcello, deren
vorbildliche Deklamation noch Verdi riihmte. Wah-
rend im 16. Jh. an alien Hofen die Lautenkunst ge-
pflegt wurde, entstand, besonders in Venetien und der
Toscana, eine bedeutende Orgelkunst, beginnend mit
Marc' Antonio Cavazzoni (bolognesischer Herkunft),
dessen Orgeltabulatur (Recerchari motetti canzoni, Ve-
nedig 1523) Italiens alteste gedruckte Orgelkompo-
sitionen enthalt, bis hin zu G. Frescobaldi (f 1643 zu
Rom). Ein wichtiges Dokument italienischer Orgel-
musik bereits des friihen 15. Jh. stellt der neuentdeckte
Codex Faenza (Fa) dar. Im 15. und besonders im 16.
Jh. bliihte der Bau von Orgeln (Familien Da Prato und
Antegnati) und Streichinstrumenten (Familien Amati,
Guarneri, Stradivari in Cremona). Das 17. Jh. brachte
zudem einen Hohepunkt der Musik fiir Violine und
andere Streichinstrumente mit den Zentren Bologna
(-v Bolognesische Schule) und Modena, wo neben der
Triosonate und dem Solokonzert als neue Form das
Concerto grosso gepflegt wurde (Corelli, D. Gabrielli,
Torelli). Corellis affektbetonte Schreibweise erfahrt
bei Vivaldi, Tartini und Viotti eine vor allem die Me-
lodik und Spielweise verwandelnde Erneuerung. Der
Notendruck trug - nachdem Petrucci in Venedig 1501
mit dem Druck von Mensuralnoten begonnen hatte -
zur Verbreitung der Musik in Italien und im iibrigen
Europa bei; wie bei den Instrumentenmachern vererb-
ten sich die groBen Unternehmungen in der Familie
durch mehrere Generationen, so bei den Gardano,
Scotto, Vincenti, Monti, Sala, Zatta. Weiteste Ver-
breitung erlangten die Formen der Sinf onia da concer-
to, der Sonata a piu stromenti (Sonata da camera und
Sonata da chiesa) und der Sonate fiir Cembalo. Vor
allem das Schaffen D. Scarlattis verdrangte die Orgel
in der Gunst des Publikums. Nachdem Zipoli und
Delia Ciaja die Cembalomusik zu einer letzten Bliite
gef iihrt hatten, erofmete die Erfindung des Pianofortes
durch Cristofori neue Bahnen. Wahrend sich die mo-
derne Sonate und die Symphonie entwickelten (Sam-
martini und Platti) , widmeten sich venezianische, toska-
nische und neapolitanische Komponisten dem Streich-
trio, -quartett und-quintett (Cambini und Boccherini).
In Bologna wirkte Padre Martini als hochste Autoritat
in musikalischen Fragen.
Mit dem Beginn des 19. Jh., einer Epoche der Oper
und des Klaviers, verdrangte Rossini die spate neapoli-
tanische Schule vollstandig von der Opernbiihne.
Nach ihm fuhrten Mercadante, Bellini und Donizetti
zu der iiberschwenglichen Romantik Verdis, die ihrer-
seits von Puccinis burgerlich-intimer Dramatik sowie
vom Verismo der »Giovane scuola italiana« (Mascagni,
Leoncavallo, Giordano und Cilea) abgelost wurde.
Als Violinvirtuose glanzte der Genuese N.Paganini
mit eigenen Kompositionen. Unter den im Ausland
wirkenden Opernkomponisten ragen Salieri, Cheru-
bini und Spontini hervor. Die in der Nachfolge Bazzi-
nis, Sgambatis, G.Martuccis und Busonis stehende
Generation (Respighi, Pizzetti, Malipiero, A. Casella,
Lualdi, Ghedini) pflegte wieder verstarkt die Instru-
mentalmusik und gab dem Geschmack des Publikums
eine kosmopolitische Richtung. Die Zeitgenossen tiber-
nahmen Zwolftontechnik und serielle Methoden (Dal-
lapiccola, R. Malipiero, Petrassi, Donatoni, Nono, Be-
27*
419
Italienische Musik
rio). Die Vorherrschaft des Klaviers, fiir das im 19.
Jh. ausschlieBlich Opernfantasien und Variationen ge-
schrieben wurden, wurde iiberwunden, und in alien
groBeren Stadten entstanden Konzertgesellschaften so-
wie Symphonieorchester, um dem erneuerten Verlan-
gen nach Instrumentalmusik zu entsprechen. Im Kon-
zertsaal erschienen bedeutende Virtuosen (Bazzini, Si-
vori, die Schwestern Milanollo), im Opernhaus groBe
Sangerinnen (A.Catalani, A.Patti, G. Pasta), Sanger
(Lablache, Rubini, Battistini, Caruso) und Dirigenten
(Bolzoni, Mancinelli, Faccio, Mariani), unter denen A.
Toscanini hervorragte. Es entstanden die Verlagshauser
(Ricordi 1808, Lucca 1825, Sonzogno 1874), die staatli-
chen -*■ Konservatorien (nach dem Vorbild der alten
Conservatori in Neapel und Ospedali in Venedig), die
-» Zeitschriften (Gazzetta musicale di Milano, 1842; Ri-
vista musicale italiana, 1894; Musica d'oggi, 1919; Rassegna
musicale, 1928); die groBen -*■ Denkmaler-Ausgaben al-
terer I.r M. (L.Torchis L'arte musicale in Italia, 1897-
1907; I classici musicali italiani von G. Benvenuti und E.
Bravi, 1941-56, sowie die von G. Cesari begrundeten,
regional gegliederten Istituzioni e monumenti delVarte
musicale italiana, 1931-41; Nuova serie seit 1956).
Das Musikleben der Gegenwart wird getragen von 13
staatlichen Konservatorien (neben weiteren offentli-
chen Musikschulen), den 3 groBen Opernhausern (La
Scala in Mailand, Teatro dell'Opera in Rom und San
Carlo in Neapel), weiteren regionalen Opernveran-
staltungen (wie in der Arena von Verona) und Stagio-
ni, den Symphonieorchestern der Mailander Scala,
der Accademia di Santa Cecilia in Rom, der Societa
Scarlatti in Neapel sowie von den Sendern Turin,
Mailand und Rom der Rundfunk- und Fernsehgesell-
schaft (RAI). Internationale Bedeutung haben die Fest-
spiele zeitgenossischer Musik in Venedig, der Maggio
Musicale Fiorentino, die Settimana Senese (veranstaltet
von der Accademia Chigiana; die beiden letzteren mit
wertvollen Programmbiichern), ferner die Sagra Mu-
sicale Umbra in Perugia, seit 1958 das Festival dei Due
Mondi in Spoleto und seit 1961 die Internationale
Woche Neuer Musik in Palermo.
Ausg. : — ► DenkmaJer, — > Quellen.
Lit. : P. Lichtenthal, Dizionario e bibliogr. della musica,
4 Bde, Mailand 1826, erweitert frz. v. D. Mondo, Paris
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Jahren 1500-1700, 2 Bde, Bin 1892, Nachtrage v. A. Ein-
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1959; ders. mit R. Allorto, A. Bertini, Fr. Bussi, F. Color-
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Italia dal 1945 a oggi, AMI XXXII, 1960; R. Lunelli, Der
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dien zur ital.-deutschen Mg. I — III, = Analecta musicolo-
gica I— III, Koln u.Graz 1963-66. ClS
420
J
Jack (d3sek, engl.), Springer, -*■ Mechanik.
Jagdhorn (ital. corno da caccia; frz. trompe oder cor
de chasse), in der neueren Zeit das gewundene kleine
Horn, das im Unterschied zum groBeren -> Wald-
horn, mit dem es die Friihgeschichte gemeinsam hat,
an der Hiifte zu tragen ist. Wahrend das Waldhorn
ein Instrument der Kunstmusik wurde, blieb das J.
wie das -*■ Hifthorn, -> Harschhorn und das ->• Post-
horn Signalinstrument. Im 17. Jh. wurden die Horn-
typen nach ihrer GroBe bezeichnet, z. B. als Wald-
horn, Mittelhorn, Riidenhorn und Zinggl. Das am
meisten verbreitete moderne J. ist das PleBhorn (ge-
nannt nach Herzog Heinrich XI. von PleB) in B mit
Lederwicklung.
Lit.: B. Pompecki, Jagd- u. Waldhornschule ..., Neu-
damm ( 2 1926) ; H. Jacob, Anleitung zum Jagdhornblasen,
Hbgu. BlnC»1958).
Jagdmusik. Seit jeher bedarf die Jagd der akustischen
Verstandigung : aus Schreien und Zurufen der Jager
bildeten sich (durch Intervalle und Rhythmus unter-
schiedene) Jagdrufe, die hinuberleiten zum Signal und
Signalinstrument. Funde aus der Eiszeit deuten auf die
Verwendung von Signal- und Lockinstrumenten (Pha-
langenpfeifen, Knochenfloten). In den alten Kulturen
(Agypter, Babylonier, Assyrer) spielte Musik bei Jagd
und Jagdopfern eine Rolle, ebenso in der Antike beim
Artemis- und Diana-Kult. Auch die Germanen feier-
ten Jagdfeste mit Gesangen. Jagdrufe erwahnt Xeno-
phon in seinem KweyrjTixit;. Die mittelalterlichen
Quellen mit Jagdberichten gehen bis ins 8. Jh. zuriick.
Signale, bestehend aus verschiedenen Folgen kurzer
oder langer Tone gleicher Hohe, wurden auf dem
-*■ Olifant oder auf dem -> Hifthorn geblasen. - Als
altestes Jagdlehrbuch gilt Le Dit de la Chace dou Cer/aus
der Zeit Ludwigs IX. von Frankreich (f 1270). Das
Livre du Roy Modus (1338) nennt 5 Signale, Hardouin
(1394) bereits 14. Aus dem friihen 14. Jh. stammt G.
Twicis IS art de Venerie, eines der altesten englischen
Jagdbiicher. Die wortliche Wiedergabe des Kapitels
uber Signale aus La Venerie (1561) von Du Fouilloux
findet sich in S. Feyerabends Neuwjag vnnd Weydwerck
Buck (1582). - Mit der Vervollkommnung der Instru-
mente wird im 17. Jh. das Intervallsignal moglich (Par-
forcehorn). In verschiedenen Abwandlungen finden
die Motivtypen der Signale vom 14. Jh. an in die
Kunstmusik Eingang (-*■ Caccia, Madrigal, Canto car-
nascialesco, Chanson; allegorische Jagdszenen bei
Nasco, Striggio, Marenzio, O.Vecchi). Die wahr-
scheinlich urspriingliche Weise von Herzog Ulrich
von Wiirttembergs Jagdlied Ich schell mein Horn (1510,
aus Hs. 77, St. Blasien) ist im Liederbuch des Arnt von
Aich (Koln, um 1520) erhalten. Zwei weitere Melo-
dien bieten L. Senfl in -»• Forsters Ein Auszug frischer
teutscher Liedlein (1539B.) und Brahms (op. 41 Nr 1).
Seit M.A.Rossis Erminia sul Giordano (1637) werden
immer wieder Jagdszenen in Opern und Balletten ein-
gefiigt; so bei Cavalli (-»■ Chiamata), Purcell (Dido and
Aeneas, 1689, 2. Akt, 2. Szene, mit einem zweimal er-
klingenden Signal aus Fouilloux' La Venerie), Lully
(La princesse d'Elide, 1664). - Das technisch weiterent-
wickelte Jagdhorn (-»■ Waldhorn) wird in das Orche-
ster eingefiihrt. Eine Sonderform des Signalhorns ver-
wendet J. A. Mares 1751 in seiner »Russischen J.«. Das
musikalische Jagdidiom in der Kunstmusik war wesent-
lich durch imitierende Elemente, die spezifische Horn-
klangwirkung und Fanfarenmotive, oft durch schnel-
len, den Galopp der Parforcejagd nachahmenden 6/8-
Takt gekennzeichnet. Die Aufnahme zum Teil stili-
sierter franzosischer Parforcejagdsignale zeigen Haydns
Jahreszeiten und die Symphonien Hob. I, 31 und I, 73.
Musikalische Elemente der Jagd finden sich im sym-
phonischen Schaffen von C. Stamitz und L. Mozart, in
Finalsatzen von W.A.Mozarts Konzerten fur Horn
und Orch. K.-V. 412, 41 7, 447 und 495, im Streichquar-
tett K.-V: 458 und in »La Chasse«, K.-V. Anh. 103.
Auch im Themenkreis von Biihnenwerken erscheint
die Jagd immer haufiger (E. G. Duni, J. A. Hiller).
In der Entwicklung eines spezifisch romantischenjagd-
idioms gipfelt die Verbindung von Jagd und Musik.
Webers Freischiitz inspirierte zu einer Anzahl ahnli-
cher, dasJagdmilieukennzeichnenderWerke (u. a. von
Marschner, Lortzing, C.Kreutzer, Rossini). Bei Wag-
ner charakterisieren ganze Szenenvorspiele und -nach-
spiele die Jagdsituation (z. B. Walkiire, Vorspiel zum
3. Akt). Auch die Lied- und Mannerchorliteratur sowie
die Instrumental musik der Romantik haben ofters
jagdliches Geschehen zum Vorwurf (Schubert, op. 13
Nr3, op. 96 Nr 2, op. posth. 139; C.Kreutzer, Des
Jagers Lust; Schumann, Jagerliedchen aus op. 68, Jager
auf der Lauer aus op. 82; Mendelssohn Bartholdy, Ja-
gerlied aus op. 19, Durch schwankende Wipfel . . . op.
59; Brahms, 4. Satz der 3. Symphonie op. 90, op.
28 Nr 4; Grieg, op. 4 Nr 4; Bruckner, Scherzo der
4. Symphonie; Mahler, 1. Satz, Wie ein Naturlaut, der
1. Symphonie; H. Wolf, Jagerliedchen aus den Morike-
Liedern, 1888 ; C. Franck, Le chasseur maudit, 1882). Um
die Mitte des 19. Jh. tauchen standische Liederbiichef
auf: Jdgerlieder (1843) von Franz Graf Pocci und Franz
Ritter von Kobell, Jagd- und Waldlieder von H. Chr.
Burckhardt (1865). Immer wieder vertont wurde der
seit 1813 melodisch nachweisbare Jager aus Kurpfalz
(erste bekannte Mannerchorfassung von Fr. Silcher,
1839). In den 3 Banden Denkmaler Deutscher Jagdkultur
(1938) von C. Clewing sind Jagdmadrigale und Chor-
gesange des 16. bis 19. Jh. und alle bedeutenden Lieder
dieses Stoffbereiches gesammelt. In der Kunstmusik
klingt das Jagdidiom bis zum Jager aus Kurpfalz in
Bergs Wozzeck und zu Torquins Ritt in Brittens The
Rape ofLucretia (1946) durch.
Ausg. : Livres du Roy Modus (1338), hrsg. v. G. Tilander,
2 Bde, Paris 1932; Gaston Phoebus de Foix, Le livre de
chasse (1387), hrsg. v. J. Lavallee, Paris 1854; Hardouin,
Seigneur de Fontaine-Guerin, Tresor de v6nerie (1394),
421
Jahrbiicher
hrsg. v. M. H. Michelant, Metz 1 856 ; C. Othmayr, Reutte-
rische u. Jegerische Liedlein (1549), hrsg. v. Fr. Piersig,
Wolfenbiittel u. Bin 1928; J. Du Fouilloux, La Venerie,
Poitiers 1561 u. 6., Paris 1573 u. 6., Rouen 1650, 1656, Bay-
reuth 1754, Angers 1844, Niort 1864, 1888, Mailand 1615,
Ffm. 1582, StraBburg 1590, Dessau 1727; Fr. de La Mar-
che, Mus. Jagerhorn, Konstanz 1655; J. M. Gletle, Mu-
sica genialis latino-germanica op. IV, Augsburg 1675; H.
Fr. v. Fleming, Der vollkommene teutsche Jager u. Fi-
scher, Lpz. 1719; H. W. Dobel, Neu eroffnete Jagerprakti-
ka . . . , Lpz. 1 754 ; Denkmaler Deutscher Jagdkultur, hrsg.
v. C. Clewing, Neudamm u. Kassel, 3 Bde, I: Musik u.
Jagerei, 1937, II: Jagerlieder . . ., 1938, HI: Jagdmadriga-
le . . . , 1938 ; Die deutschen Jagdsignale u. Brackensignale
mit Merkversen v. W. Frevert, Hbg u. Bin 1952.
Lit.: P. M. Sahlender, Der Jagdtraktat Twici's, d. Hof-
jagers bei Edward II. v. England u. seine Oberlieferung,
Diss. Lpz. 1894; U. Wendt, Kultur u. Jagd, 2 Bde, Bin
1907-08; O. Wiener, Das deutsche Jagerlied, =Slg ge-
meinnutzigerVortrage 388/389, Prag 1911 ; H. Benzmann,
Die Jagd im deutschen Liede, in: Der Sammler XC, 1921 ;
A. Bierl u. B. v. Pressentin-Rauter, Die Jagd mit Lock-
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Lpz. 1927; J. Thiebaud, Bibliogr. des ouvrages frc. sur la
chasse, Paris 1934; W. Frevert, Das jagdliche Brauchtum,
Hbg u. Bin 61952, '1962 (darin d. deutschen Jagd- u. Brak-
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of the 18 th Cent., JAMS VI, 1953; ders., The Chasse ....
Diss. Columbia Univ. 1955, maschr. ; M. Fehr, Mus. Jagd,
Neujahrsblatt d. Allgemeinen Musikges. Zurich CXLI,
1954; E. Paul, Osterreichische J., Osterreichische Musikzs.
XII, 1957; ders., Jagd u. Musik, in: Musikerziehung XV,
1961/62; Kapitel »Jagd u. Musik« v. G. Karstadt u. Kl.
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v. E. Lutze u. Kl. Blum, Bremen (1959), mit Notenbeispie-
len; S. Hermelinck, Jagermesse, Mf XVIII, 1965.
Jahrbiicher (engl. yearbooks; frz. annales; ital. an-
nuarii; span, anuarios), einige der wichtigsten sind:
- 1) Musikalisches Jahrbii.chlein, mit dem Untertitel Be-
nefit alter bemerkenswerten Ereignisse im Cebiete der Ton-
kunst, hrsg. von J.E.Haeuser (nur 1833); J. des Deut-
schen Nationalvereins fiir Musik und ihre Wissenschaft,
hrsg. von G. Schilling, I-IV Karlsruhe 1839-42; J. fur
musikalische Wissenschaft, hrsg. von Fr. Chrysander, I
Leipzig 1863, II 1867, der erste Versuch einer periodi-
schen, rein musikwissenschaftlichen Publikation mit
Statistiken iiber die Gesangvereine und Konzertinsti-
tute Deutschlands und der Schweiz; Caecilien-Kalen-
der, hrsg. von Fr.X.Haberl, I-X Regensburg 1876-85,
erweitertfortgefuhrtalsKirc/ienmHiife<i/i5(:/iMjfc.(KmJb),
hrsg. von Fr.X.Haberl 1886-1907, K.Weinmann
1908-11, als Veroffentlichung des Allgemeinen Caci-
lienvereins hrsg. von K.G.Fellerer seit 1930, I-XXIV
(=XI-XXXIV des Caecilien-Kalenders) Regensburg
1886-1911, XXV-XXXIII Regensburg (ab 1936 Koln)
1930-38, XXXIVff. Koln 1950ff. Jb. der Musikbiblio-
thek Peters (JbP), hrsg. von E.Vogel 1894-1900, R.
Schwartz 1901-28, K.Taut 1929-38, E.Schmitz 1939-
40, I-XLVII Leipzig 1894-1940, bot, neben musiko-
logischen Arbeiten, zusammen mit einer Liste der
Neuzugange der Bibliothek eine Ubersicht iiber die
Neuerscheinungen des betreffenden Jahres (dazu ab
1913 eine Jahrestotenliste der Musiker und 1931-38
ein Verzeichnis der musikwissenschaftlichen Disser-
tationen an den deutschen und osterreichischen Uni-
versitaten), seit 1956 fortgefiihrt als Deutschesjb. der Mu-
sikwissenschaft, hrsg. vonW. Vetter, Iff. (=XLVIIIff. des
JbP) Leipzig 1956ff. (Aufsatze, Totenliste der Musiker
und Verzeichnis der im Berichtsjahr bei der Deutschen
Biicherei zu Leipzig registrierten Dissertationen und
Habilitationsschriften). Ober dieMusikpflege in Oster-
reich und die bedeutendsten Musikstadte des Auslandes
berichtete von 1904 bis 1913 das Musikbuch aus Oster-
reich, das auch musikwissenschaftliche Abhandlungen
enthalt (von dem alsWeiterfuhrung versuchten Wiener
Musik- und Theateralmanach erschien nur der Jg. 1913/
14). Als J. des deutschen Musiklebens bestanden: Deut-
sches Musik-Jb., hrsg. v. R.Cunz, I-IV Essen 1923-26;
Jb. der deiUschen Musikorganisation, hrsg. von L. Kesten-
berg, F.W. und E. A. Beidler, Berlin 1931 Jb. des Deut-
schen Sangerbundes, I-X Dresden (ab 1934 Berlin) 1926-
1935/36, Xlff. Monchen-Gladbach (ab 1956/58 Koln)
1952ff. (XV 1956/58, XVI 1959/60, XVIIff. 1961ff.);
Katholisches Kirchenmusik-Jb., hrsg. von H. Hoffmann,
I— II Kronach 1927-28; Jb. der staatlichen Akademiefiir
Kirchen- und SchulmusikBerlin, hrsg. von H. Halbig, I-V
Kassel 1 928-32 Jb. der Musikwelt, hrsg. von H.Barth,
I Bayreuth 1949/50 (mehr nicht erschienen). Weitere
Publikationen sind das Jb. fur Volksliedforschung, hrsg.
von J.Meier, I- VIII Berlin 1929-51 Jb.fiirLiturgik und
Hymnologie, hrsg. von K.Ameln, Chr. Mahrenholz,
K.F.Miiller, Iff. Kassel 1955ff. (Jg. VI 1961, VII 1963);
Jb.fur musikalische Volks- und Volkerkunde, hrsg. von Fr.
Bose, I Berlin 1963, II 1966. An auslandischen J.n sind
zu nennen: Schweizerisches Jb. fur Musikwissenschaft
(SJbMw), hrsg. von der Schweizerischen Musikfor-
schenden Gesellschaft, I Basel 1924, II-VI Aarau 1927-
29, 1931, 1933, VII Basel 1938; Vlaamsch Jaarboek voor
muziekgeschiedenis, hrsg. von J. A. Stellfeld, A.Corbet,
W. Weyler, I Antwerpen 1939, II/III 1940/41, IV 1942,
fortgesetzt ah Jaarboek (1 Jg. 1959), hrsg. von Fl. Van
der Mueren; Hinrichsen's . . . Music Book, hrsg. von
R.Hill und M.Hinrichsen 1944-46, M.Hinrichsen
seit 1947, I- VII London 1944-52, Vlllff. London und
New York 1956ff. ; Anuario musical (AM), hrsg. von
H. Angles, Iff. Barcelona 1946ff. ; Musica Disciplina
(MD), hrsg. von A. Carapetyan, I Rom 1946/47 un-
ter dem Titel Journal of Renaissance and Baroque Mu-
sic, Ilff. Rom 1948ft. (mit Beitragen besonders zur
Musikgeschichte des Mittelalters) ; Journal of the Inter-
national Folk Music Council (mit Unterstiitzung der
UNESCO), Iff. London 1949ff.;Jfc. des Osterreichischen
Volksliedwerkes, hrsg. von L.Nowak, L.Schmidt, R.
Zoder, Iff. Wien 19523. ; Annales musicologiques (Ann.
Mus.), Moyen-Age et Renaissance, Publications de la
Societe de musique d'autref ois, hrsg. von G. Thibault,
I— II Paris 1953-54, III-V Neuilly-sur-Seine 1955-57, VI
1958/63; Dansk Aarbog for Musikforskning, hrsg. von
N.Schiorring und S.Sorensen, Iff. Kopenhagenl961ff.
- 2) J. fur groBe Meister der Musik: Bach-Jb., im Auf-
trag der Neuen Bach-Gesellschaft hrsg. von A. Sche-
ring 1904-39, M. Schneider 1940-52, A.Durr und W.
Neumann 1953ff. , I-XXXVI Leipzig 1904-39, XXXVII
1940/48, XXXVIII 1949/50, XXXIX 1951/52, XLff.
Berlin 1953ff. ; Richard-Wagner-Jb., hrsg. von L.Fran-
kenstein, I-V Berlin 1906-13; Beethoven-Jb., hrsg. von
Th.v.Frimmel, I— II Munchen 1908-09, Neues Beetho-
ven-Jb., hrsg. von A. Sandberger, I-X Augsburg 1924-
42, Beethoven-Jb., hrsg. von P.Mies und J. Schmidt-
Gorg in den »Veroffentlichungen des Beethovenhauses
in Bonn«, Iff. Bonn 1953/54ff.; Gluck-Jb., hrsg. von
H. Abert (Veroffentlichung der Gluck-Gesellschaft), I-
IV Leipzig 1913-18; Mozart-Jb., hrsg. von H.Abert,
I— II Munchen 1923-24, III Augsburg 1929, Neues Mo-
zart-Jb., hrsg. von E.Valentin im Auftrag des Zentral-
instituts fur Mozartforschung am Mozarteum Salz-
burg, I — III Regensburg 1941-43, Mozart-Jb., hrsg. von
G. Rech (Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg),
Salzburg 19503. (ohne Jahrgangszahlung) ; Handel-
Jb., im Auftrag der Handel-Gesellschaft hrsg. von R.
Steglich 1928-33, fortgefiihrt von der G.-Fr.-Handel-
Gesellschaft, hrsg. von M.Schneider und R. Steglich
1955ff., I-VI Leipzig 1928-33, Vllff. (= Neue Folge
Iff.) Leipzig 1955ff. ; Richard-Strauss-Jb., hrsg. von W.
Schuh, I Bonn 1954, II 1960; Chopin-Jb., hrsg. von Fr.
Zagiba, Wien 1956 und 1963, Annales Chopin, hrsg.
422
Japan
von J. M. Chominski, Iff. Warschau und Krakau 1956ff.;
Haydn-Jb., hrsg. von H. Singer, K.Fiissl, H. C.Robbins
Landon, Iff. Wien 1962ff.
Jale, von Richard Miinnich erdachtes Tonsilbensy-
stem, das die Vorziige der Tonika-Do- und der Eitz-
schen Tonwort-Methode zu verbinden sucht. Den
Ausgangspunkt bildet die diatonische Durtonleiter,
die mit den Silben ja le mi ni ro su wa ja wiedergege-
ben wird. Diatonische Halbtonschritte werden durch
Konsonantenwechsel (z. B. cis, d, es = je, le, me), chro-
matische Halbtone durch Vokalwechsel (z. B. des, d,
dis = la, le, li) angezeigt.
Lit. : R. Munnich, J., ein Beitr. zur Tonsilbenfrage, Lahr
1930, Wolfenbiittel 21957; S. Bimberg, Chr. Lange u. Fr.
Bachmann, Fs. R. Munnich, Lpz. 1957.
Jalousieschweller, in der Orgel ein groBerer Schrank,
in dem die Register eines Manuals (-> Schwellwerk)
stehen. Durch Offnen und SchlieBen der Klappen (Ja-
lousien) sind Lautstarke und Horeindruck des Orgelto-
nes zu variieren. Der J. wird vom Spieler iiber einen
FuBhebel am Spieltisch bedient. Der Erfinder des J.s ist
Th.Mace (1676), aber erst durch die beiden Abraham
Jordan (1712) fand er weitere Verbreitung. Wahrend
in der Fruhromantik die Schwellwerke nur schwach
besetzt waren, wurden sie im spaten 19. Jh. mit zahl-
reichen und stark klingenden Registern versehen.
Schon das alte -*■ Regal (- 1) hatte einen Kasten zum
Abdecken der Regalpfeifen. Einen Venetian swell fur
Cembalo lieB sich Tschudi 1769 patentieren.
Lit.: E. Flade, Zur Gesch. d. dynamischen Ausdrucks-
fahigkeit d. Orgeltons, Zs. f. kirchenmus. Beamte I, Borna
1919, Nr 1 1-13 ; W. L. Sumner, The Organ, London 21953.
Jaltarang, persisch-indisches Musikinstrument; es
besteht aus durch Wasserfiillung abgestimmten Por-
zellanschalen, die im Halbkreis um den Spieler aufge-
stellt und mit Stockchen angeschlagen werden. Das
J., das noch heute vereinzelt in Indien anzutreffen ist,
erlebte seine Bliitezeit im arabischen Mittelalter; es
wurde saz kasat, inPersien pingan, in derTiirkei fingan
genannt. Ahnliche Instrumente aus der gleichen Zeit
(13.-17. Jh.), die aber nicht geschlagen, sondern mit
den Fingern gerieben wurden, sind als Vorbilder fiir
die spateren europaischen -*■ Glasspiele anzusehen.
Jamaika.
Lit.: H. H. Roberts, A Study of Folk Song Variants
Journal of the American Folklore XXXVIII, 1925; dies.,
Possible Survivals of African Song in Jamaica, MQ XII,
1926; M. Warren Beckwith u. H. H. Roberts, Jamaica
Folklore, NY 1928.
Jam session (d3aem s'ejan, engl.), Zusammenkunft
von Jazzmusikern in zufalliger Besetzung aus Freude
am freien Musizieren (ohne -»• Arrangement, Publi-
kum oder »Stilzwang«). Solche Sitzungen fanden schon
in New Orleans und Chicago statt, erlangten aber erst
in der -*■ Swing- Ara, als viele Musiker in Engagements
zum Spielen von Sweet music gezwungen waren, be-
sondere Bedeutung. Aus Experimenten in J. s.s ent-
stand um 1942-^45 der -*■ Be-bop. In neuerer Zeit wer-
den J. s.s haufig zu Plattenaufnahmen und als Konzerte
organisiert und verlieren so ihren urspriinglichen Sinn.
Janitscharenmusik (auch »Turkische Musik« ge-
nannt; ital. banda turca; frz. musique turque; engl.
janissary, janizary oder turkish music) ist die Bezeich-
nung fiir die Feldmusik der Janitscharen, im engeren
Sinne fiir das fiir sie charakteristische Larm- und Rhyth-
musinstrumentarium (groBe und kleine Trommel,
Becken, Tamburin, Triangel, Schellenbaum). Die J.
wurde im Gefolge der Turkenkriege durch tiirkische
Militarkapellen in Europa bekannt; das Instrumen-
tarium fand Eingang in die Militarmusik (in Polen um
1720 durch August II., in RuBland 1725, in Osterreich
1741, bald darauf auch in PreuBen). In die Kunstmusik
gelangte die J. durch die »Tiirkenopern«, wie Glucks
La rencontre imprevue (»Die Pilger von Mekka«, 1764;
groBe Trommel) und Iphigenie en Tauride (1779; Bek-
ken, Triangel, kleine Trommel) sowie Mozarts Ent-
fiihrung aus dem Serail (Becken, Triangel, groBe Trom-
mel). Uber diese Beschrankung auf die exotismen-
hafte Darstellung orientalischen Kolorits hinaus wurde
die J. Ausdrucksmittel des Kriegerisch-Martialischen
(Haydn, »Militarsinfonie«, 1749, Hob. I, 100; Beet-
hoven, Wellingtons Sieg oder Die Schlacht hex Vittoria op.
91,1813) und des ekstatischen Uberschwanges (Beetho-
ven, Finale der 9. Symphonie). Fiir den musikalischen
Stil der J., die oft als solche durch die beigegebene Stil-
bezeichnung alia turca noch besonders gekennzeichnet
war (z. B. Mozart, SchluBsatz der Klaviersonate A dur
K.-V. 331), ist die dick unter eine Melodie gesetzte
larmende, zwischen wenigen Akkorden wechselnde
Begleitung eigentiimlich. Der Beliebtheit der J. fol-
gend wurden um 1800 Pianofortes mit einem Jani-
tscharenzug ausgeriistet, durch den Glockchen, Becken
sowie (durch Schlag eines Kloppels auf den Resonanz-
boden) der Klang der groBen Trommel nachgeahmt
wurden; auch Orchestrions wurden mit Turkischer
Musik versehen.
Lit.: R. Harding, The Piano-forte, Cambridge 1933; H.
G. Farmer, Turkish Instr. of Music in the 1 7 tb Cent. , = Col-
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syomyo-kyoten (»Slg d. Syomyo d. Nanzan-Schule«),
Koyasan 1938; Tohoku-minyo-schu (»Slg d. Volkslieder
in d. Nordost- Region J.s«), hrsg. v. Nippon-Hoso-Kyokai,
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N. F. seit 1951 ; Ongaku-gaku (Zs. d. j.ischen Ges. f. Mw.),
seit 1955.
Jazz (d3sz, engl.-amerikanisch), eineEnde des 19. Jh.
unter den Negern in den Siidstaaten der USA (Louisia-
na : New Orleans) als Synthese aus af roamerikanischer
Volksmusik und europaischer Volks-, Unterhaltungs-
und Militarmusik entstandene Musizierweise. Der J.
verbreitete sich seit etwa 1915 in den USA, gelangte
im 1. Weltkrieg auch nach Europa und wird seither
international in verschiedenen, zeitlich nacheinander
aufgekommenen Ausfiihrungsarten (»Stilen«) prakti-
ziert. - Die Etymologie des Wortesjazz (anfanglich ge-
schrieben jass) ist umstritten. Es kann von einem ameri-
kanischen Slangwort (jazz[y], grell, bunt, erregend,
schreiend) hergeleitet werden. - J. ist in seinem Ur-
sprung Gehrauchsmusizieren in »kollektiver Improvi-
sation*, auf Grund des -> Chorus, d. h.^eines alien Mit-
spielern in seinem melodischen und harmonischen Ver-
lauf bekannten Schlagerrefrains, bzw. eines Blues oder
Marsches. Der Chorus wird fortlaufend wiederholt
und von den einzelnen Musikern, je nach Talent und
technischem Konnen, rhythmisch umgestaltet und me-
lodisch umspielt. Hierbei ist Spontaneitat, aber auch die
Anwendung stereotyper melodischer Formeln wesent-
lich, so daB ein J.-Stiick, auch von denselben Musikern
gespielt, jedesmal auf andere Weise, haufig mit erheb-
lichen Abweichungen, erklingen kann. Die Dauer ei-
nes solchen J.-Stiicks, d. h. die Anzahl der »Chorusse«,
liegt nicht fest. Jedoch war die Schallplatte (31/2 Min.)
als erstes Medium der Konservierung von J. mitbetei-
ligt an der Herausbildung einer Standardanzahl von
Chorussen in den verschiedenen Tempi. Durch Lang-
spielplatte und Tonband entfiel die zeitliche Begren-
zung, wodurch haufig die friihere Geschlossenheit und
Knappheit der Stiicke verlorenging. Der J. ist - vor
allem in seinen »Stilen« vor der Swing-Ara - ein Cho-
russpielen in bestimmten Manieren. Die These, die
musikalische Form des J. sei »Thema mit Variationen«,
ist also irrefiihrend: sie ist Ergebnis einer Betrachtungs-
weise, die unreflektiert Begriffe der Kunstmusik auf
den J. projiziert. Im modemeren J., der immer starker
den Einfliissen der Kunstmusik erlegen ist, finden sich
denn auch Bestrebungen, tatsachlich Thema mit Va-
riationen zu gestalten. - Da J. einerseits ohne Noten-
schrif t entstehen kann, andererseits aber durch sie nicht
restlos zu erfassen ist, existiert ein J.-Stiick nicht als
aufgefiihrte Komposition, sondern nur als jeweils ein-
maliges Erklingen. (Viele beruhmte Musiker desfriihe-
ren J. konnten keine Noten lesen.) Die Eigenschaft,
daB sich J. letztlich der Notenschrift entzieht, zeigt
noch seine urspriingliche Gemeinsamkeit mit der afro-
amerikanischen Volksmusik, und sie resultiert, wie in
dieser, aus rhythmischen, melodischen und den mit
beiden zusammenhangenden intonatorischen Bedin-
gungen. So liegen auch in diesen Bereichen die we-
sentlichen Merkmale des J., und gerade sie sind von
der afroamerikanischen, ganz urspriinglich aber von
der af rikanischen Musik herzuleiten : im Rhythmischen
-*• Beat (- 1) , -*■ Off-beat und der auf Grund ihrer Uber-
tragung auf gerade Taktarten (2/4, 4/4) sich einstellen-
de -*■ swing; im Melodischen die aus der Gesangsvor-
stellung der Neger stammende Umspielungs- und
Kolorierungstechnik. Dieser entspricht die - von der
sprachlichen Artikulation der Neger herzuleitende
und fiir den f riiheren J. typische - vehement? und zu-
gleich vibrierende Intonation (->■ Hot-Intonation), an
deren Stelle jedoch im modernen J. (-»■ Be-bop;
-»■ Cool J.) eine geschmeidigere Tongebung, verbun-
den mit der sogenannten J.-Phrasierung getreten ist.
In Zusammenhang mit den melodischen Bedingun-
424
Jazz
gen sind wohl auch die iiber den -*- Blues in den J.
eingegangenen Blue notes (gleichberechtigte groBe
und kleine Terzen und Septimen) zu bringen. - J. ist
im Prinzip Gruppenmusizieren. Eine -*■ Band besteht
aus einer Melodie- und einer Rhythmusgruppe. Die
Rhythmusgruppe gibt mit dem Beat das metrische
und teilweise zugleich das harmonische Fundament,
wahrend die Melodiegruppe, vornehmlich Blasinstru-
mente, zu der gegebenenfalls auch eine Gesangsstim-
me zahlt, sich durch Off-beat-Phrasierung »swingend«
von jener abhebt. Als Instrumente, auf denen ein Mu-
siker als einzelner J. vortragen kann, eignen sich nur
solche, bei denen Rhythmus- und Melodiegruppe
durch beide Hande des Spielers reprasentiert sind
(Piano, Wurlitzer-Orgel; -*■ Boogie- Woogie). Seit
der Swing-Ara wurden Vibraphon und elektrisch ver-
starkte Gitarre zu beliebten J.-Instrumenten. Im mo-
dernen J. finden sich auch Experimente mit Floten,
Harfe, Cembalo u. a. - Die Harmonik des friiheren J.
beruhte auf f unktionaler Tonalitat : im Laufe der J.-
Entwicklung wurde sie der spatromantischen Harmo-
nik, im modernsten J. sogar teilweise dem Klangbild
modernerer Musik angeglichen.
Ausgangspunkt fiir die Entstehung des J. war das auf
der Grundlage der musikalischen Negerfolklore der
USA (-»• Worksongs; -»■ Negro spirituals; -»• Blues)
um 1880 entstandene Musizieren der schwarzen
-»■ Marching bands (brass bands) in New Orleans, die
europaische Marschmusik nachzuahmen versuchten.
Als Verkleinerung solcher Bands entstanden um 1895
Tanzkapellen mit der fiir den -*■ New-Orleans-J. typi-
schen Standardbesetzung, deren Musizieren jedoch
auch von dem damals schon weitverbreiteten -*■ Rag-
time beeinfluBt wurde. Aus dem New-Orleans-J., der
noch Gruppenmusizieren ohne wesentliches Hervor-
treten von Solisten war, gingen die ersten namhaften
J.-Musiker hervor: z. B. Buddy Bolden, King Oliver,
Johnny Dodds, Baby Dodds, Sidney Bechet, Kid Ory,
Louis Armstrong. Andererseits hatten schon Ende des
19. Jh. weiBe Bands in New Orleans das Musizieren der
Neger nachzuahmen versucht, was zu dem stark unter
dem EinfluB des Ragtime (ohne Beat, Off-beat, swing)
stehenden ->■ Dixieland fiihrte. Aus weiBen Musikern
rekrutierte sich spater auch die Original Dixieland Jazz
Band, die ab 1917 (erste Schallplattenaufnahmen) den
J. weltbekannt machte. Als 1917 das Vergniigungsvier-
tel Storyville in New Orleans geschlossen wurde, iiber-
siedelten viele J.-Musiker nach Chicago, wo der J. in
den 1920er Jahren seinen ersten Hohepunkt erreichte.
Um in Chicago als Tanzkapellen konkurrenzfahig zu
werden, muBten die schwarzen Musiker ihre Technik
vervollkommnen und gelangten so zu einer geglattet-
eleganten und virtuosen Spielweise. Erst in Chicago
entstanden 1923-28 die wichtigen Plattenaufnahmen
des New-Orleans-J. (z. B. Oliver, Armstrong, Mor-
ton). Wohl im Zusammenhang mit dem organisierten
Musizieren fiir Schallplatten traten in dieser Zeit das
-» Arrangement (Head-Arrangement), das Solocho-
rus-Spiel (Hot-Solo) und verbunden damit auch der
Typ des J.-Stars in den Vordergrund. Beteiligt an die-
ser Entwicklung waren auch WeiBe, die erneut den J.
der Neger imitierten, und den -*■ Chicago-J. kreierten,
in dem (gegeniiber dem Dixieland) Beat, Off-beat,
swing, Hot-Intonation und Blue notes realisiert sind
(Beiderbecke). Dariiber hinaus ist der weiBe Chicago-
J. durch Erweiterungen in der Harmonik, Einfiihrung
des Saxophons und zunehmende Verquickung von J.-
Elementen rnit der Sweet music gekennzeichnet. Die
weltweite Bedeutung, die der J. von Chicago aus er-
langte (»J. Age«), spiegelt sich nicht zuletzt in seinem
EinfluB auf Komponisten wie Strawinsky, Gershwin,
Milhaud, Kfenek, Hindemith. - Ende der 1920er Jahre
war, ausgehend von New York und gefSrdert von
der Kulturindustrie, eine neue Musizierweise Mode
geworden: groBe Schauorchester spielten in Hotels
und Rundfunk sogenannten Symphonischen J. (P.
Whiteman), eine mit J.-Elementen durchsetzte kom-
ponierte Unterhaltungsmusik. Die schwarzen J.-Mu-
siker muBten sich der neuen Situation anpassen und
sich ebenfalls auf Musizieren in groBeren Orchestern
umstellen. Mit den in der Folgezeit gegriindeten -> Big
bands begann Ende der 1920er Jahre der -*■ Swing,
der 1930-45 die vorherrschende J.-Spielweise blieb
(Bandleader: Henderson, Lunceford, Ellington, Basie,
Benny Goodman). Merkmale des Swing sind raffinier-
te Arrangements mit ausgesparten Partien fiir impro-
visierte Soli, Instrumentaleffekte, Ausweitung der Har-
monik in Anlehnung an den Impressionismus, -*■ Riff-
Technik, J.-Komposition. Auf Grund der im Swing
erreichten vollkommenen Verschmelzung des Takt-
prinzips mit Beat und Off-beat konnte nun jede Musik
im geraden Takt so gespielt werden, daB sie swingt
(Verjazzen alterer Musik, z. B. J.S.Bach). Das »Swin-
gen« gait als ausschlaggebendes Kriterium fiir J., wes-
halb in dieser Periode J. vielfach mit »Swing« gleichge-
setzt wurde. Die Grenzen zwischen J. und kommer-
zieller Tanzmusik wurden flieBend (Glenn Miller). Erst
seitdem muB von J.-Musikern, Kennern und Journali-
sten auf die grundlegende Verschiedenheit von J. ge-
geniiber komponierter und mit swing-Momenten aus-
gestatteter Tanzmusik hingewiesen werden. Dadurch
trat aber zugleich eine neue Situation ein : fiir den »wirk-
lichen« J. wurde gleichzeitig mehr und mehr der An-
spruch auf Kunstmusik geltend gemacht (J.-Komposi-
tionen, J.-Konzerte). Zusammen mit dieser immer star-
ker in den Vordergrund tretenden Anschauung fiihrte
der perfektionierte Big band-J. der Swing-Ara auf
Grund seiner Einengungen der improvisatorisch-spie-
lerischen Moglichkeiten fiir die einzelnen Musiker zu
zwei Reaktionen : zur New Orleans Renaissance bzw.
Dixieland Revival (seit etwa 1940) als Folge derErinne-
rung an unbekummertesfriiheresJ.-Musizieren (Come-
back alter Musiker und seitherige internationale Be-
liebtheit des Old time-J. unter Amateuren), aber auch
zur Entstehung des -*■ Modern J., dessen Entwicklung
wieder wesentlich von kleineren Ensembles bestimmt
ist. In der Swing-Ara hatten sich zwei Moglichkeiten
zum Musizieren in kleineren Gruppen herausgebildet :
die Combo (-»■ Band) als gleichsam kammermusika-
lische Solistengruppe aus beriihmten Big bands (B.
Goodman Trio, Quartett) und die -»■ Jam session.
Durch Jam sessions in Harlem entstand - vorbereitet
durch den -»■ Kansas-City-J. - zwischen 1942-45 der
-*■ Be-bop. Mit dieser Musizierweise des modernen,
intellektuellen GroBstadtnegers (Gillespie, Monk, Par-
ker) war eine neue J.-Konzeption geschaffen, in der
zum ersten Male das Suchen nach einem fiir die heutige
Zeit giiltigen kiinstlerisch-musikalischen Ausdruck im
Bereich des J. zentrales Thema wurde. - Seit 1943 ent-
wickelte sich neben dem Be-bop durch neue Versuche,
symphonischen J. mit Hilf e stark konzertanter Arran-
gements zu gestalten, der -»■ Progressive J. (Stan Ken-
ton), in dem weitgehend Mittel modernerer Musik
(Hindemith) ubemommen sind. Seit dem Aufkomm'en
des ->• Cooi J. um 1950, der gegeniiber dem Be-bop
eine betont verhaltene Spielweise (Lester Young), teil-
weise verkniipft mit moderner Kontrapunktik (Lennie
Tristano, John Lewis), darstellt, werden die in die ver-
schiedensten Richtungen gehenden Experimente hau-
fig unter dem Begriff -»• Modern J. zusammengefaBt.
Lit.: Ch. Delaunay, Hot Discographie, Paris 1936; ders.,
New Hot Discography, NY 1948 ; H. H. Lange, Die Deut-
425
Jeu parti
sche J.-Discographie, Bin 1955; ders., Die deutsche »78«-
Discographie d. J.- u. Hot-Dance-Musik 1903-58, Bin
1966. - H. Panassie, Le J. Hot, Paris 1934, engl. als: Hot
J., NY 1936; W. Sargeant, J. : Hot and Hybrid, NY 1938 ;
R. Blesh, Shining Trumpets, NY 1946, London 51958; S.
Finkelstein, J.: A People's Music, NY 1948, deutsch
Stuttgart 1951 ; J. Slawe, Einfiihrung in d. Jazzmusik, Ba-
sel 1948; L. Feather. Inside Be-bop, NY 1949; ders., The
Encyclopedia of J., NY 1955, 21960; Metronome Year-
book, NY seit 1950; R. Harris, J., Harmondsworth
(Middlesex) 1952, erweitert als: The Story of J., NY 1955;
B. Ulanov, A Hist, of J. in America, NY 1952, deutsch als:
J. in Amerika, Bin 1958 ; W. Laade, W. Ziefle, D. Zimmer-
le, J.-Lexikon, Stuttgart 1953 (mit Bibliogr. u. Angabe d.
wichtigsten J.-Zss.) ; A. Hodeir, Hommes et problemes du
J., Paris 1954, engl. als: J., Its Evolution and Essence, NY
1956; P. E. Merriam, A Bibliogr. of J., Philadelphia 1954;
Th. W. Adorno, Zeitlose Mode. Zum J., in: Prismen, Ffm.
1955; O. Keepnews u. W. Grauer, Pictorial Hist, of J.,
NY 1955; Down Beat Music, Annual Yearbook, Chicago
seit 1956; Down Beat J. Record Reviews, ebenda o. J. (seit
1956); M. W. Stearns, The Story of J., NY 1956, deutsch
als: Die Story v. J., Miinchen 1959 (mit umfangreicher
Bibliogr.); W. Burkhardt, ArtikelJ., in: MGG VI, 1957;
St. LOngstreet u. A. M. Dauer, Knaurs J.-Lexikon,
Miinchen 1957 ; A. M. Dauer, Der J., Kassel (1958) ; ders.,
J., d. magische Musik, Bremen 1961 ; J. E. Berendt, das
neue jazzbuch, Ffm. 1959; Ch. Fox, J. since 1945, Proc. R.
Mus. Ass.LXXXVI, 1 959/60 ; C. Bohlander, J. -Gesch. u.
Rhythmus, = J. studio H. 1, Mainz(1960);C.GR.HERZOG
zu Mecklenburg u.W.Scheck, DieTheorie d. Blues im
modernen J., = Slg mw. Abh. XLV, StraBburg u. Baden-
Baden 1 963 ; E. L.Waeltner, Metrik u. Rhythmik im J., in :
Terminologie d. Neuen Musik, = Veroff. d. Inst. f. Neue
Musik u. Musikerziehung Darmstadt V, Bin 1965; H. H.
Lange, J. in Deutschland . . . 1900-60, Bin 1966. EWa
Jeu parti (30 part'i, altfrz. ; prov. joe partit), eine Form
des mittelalterlichen Streitliedes, die von den Troba-
dors ausgebildet, von den Trouveres vor allem in den
->■ Puys gepflegt wurde und eine Art Sangerkrieg dar-
stellt. Ein Sanger formuliert in der Eingangsstrophe ei-
ne strittige Frage - meist iiber ein Thema der hbfischen
Liebe -, auf die ein zweiter Sanger einseitig pointiert
antwortet, dem der erste wiederum mit Gegenargu-
menten in der nachsten Strophe entgegnet. Im Unter-
schied zur Tenzone gibt sich der J. p. spielerisch geist-
reich und meidet jede Polemik. Am Schlufi konnen in
zwei kurzeren Geleitstrophen (envoi) Unbeteiligte
zur Entscheidung iiber die Streitfrage angerufen wer-
den. Von den iiber 180 erhaltenen J.x p.s ist die Mehr-
zahl sechsstrophig und durchgereimt. Der Umfang
der Strophen schwankt zwischen 6 und 15 Versen.
Metrische Form und Melodie werden vom ersten
Sanger, in der ersten Strophe vorgegeben und in den
folgenden Strophen wiederholt.
Ausg.: A. LAngfors, Recueil general des j. p. frc., Paris
1926.
Lit. : K. Knobloch, Die Streitgedichte im Provenzalischen
u. Altfrz., Diss. Breslau 1 886 ; H. Jantzen, Gesch. d. Streit-
gedichtes im MA, in: Germanistische Abh. XIII, Breslau
1896; Fr. Fiset, Das altfrz. J. p., Romanische Forschun-
gen XIX, 1906; Fr. Gennrich, Der Gesangswettstreit im
Parfait du Paon, ebenda LVIII/LIX, 1947; E. Kohler,
Zur Gesch. d. altprov. u. altfrz. Streitgedichts, Wiss. Zs. d.
Univ. Lpz. 1951/52.
Jig (d3ig, engl. to jig; mhd. gigen; altfrz. giguer,
s. v. w. sich schnell und schwankend hin und her be-
wegen; — >- Geige), ein auf den englischen Inseln behei-
mateter Tanz. Die in abgelegenen Gegenden Irlands
noch heute gebrauchliche J. wurde seit dem 16. Jh. in
Reihen oder Ketten (rounds or hayes) getanzt und ge-
sungen. Sie gehort zu den Ballads; durch ihre spotti-
schen Texte unterscheidet sie sich von den iibrigen
Tanzliedern. In der zeitgenossischen Literatur wurden
J. und -*■ Country dance haufig gleichbedeutend ge-
braucht. Auf den grotesken Charakter der J. weist, daB
der Veitstanz in England noch immer »St. Vitus' J.« ge-
nannt wird; schon Th.Mace (1676) hatte die J. als only
fit for Fantastical, and Easie-Light-Headed People bezeich-
net. - Erst aus der Elisabethanischen Zeit, als vulgare
Tanze am Hof Eingang fanden, sind J.s iiberliefert. Im
Fitzwilliam Virginal Book, in Th. Robinsons Schoole of
Musicke (1603) und Th. Fords Musicke ofSundrie Kindes
(1607) kommen bei den J.s folgende Taktarten vor:
2/4 und 2/2 bei 2teiliger Form ; 9/8, 9/4 und 6/4, 6/8, 3/8
bei 3teiliger Form. Charakteristisch sind der melodi-
sche Terzfall und eine als Scotch snap bezeichnete Syn-
kopenbildung. Die meisten J.s tragen Titel, wie die
Nobodyes Gigge von R.Farnaby aus dem Fitzwilliam
Virginal Book (II, 162):
jir i fJJ^irjjfir ^
Die Titel weisen auf bekannte Schauspieler (jester),
die jene J.s in Singspielen bekannt machten. Die J. als
Singspiel hat sich aus dem Solosketch entwickelt, in
dem Gesangs- und Tanzeinlagen enthalten waren. Die
zur Shakespeare-Zeit weit verbreitete Singspiel-J. miin-
dete, nachdem ihr Dialog schriftlich fixiert war, in das
-> Intermedium. Mit dem Ende der Elisabethanischen
Epoche starb die J. fast ganz aus. Purcell und seine
Zeitgenossen, denen sie in der Form der iiber Frank-
reich internationalisierten ->■ Gigue wiederbegegnete,
verhielten sich ihr gegeniiber reserviert, wohl wegen
ihres an die niedere Abkunft gemahnenden Namens.
Erst das burgerliche Zeitalter, das in der Beggar's Opera
(1728) sich seiner Vulgarmusik erinnerte, belebte auch
die J. wieder.
Lit.: D. Fryklund, Etymologische Studien iiber Geige -
Gigue - J., = Studier i modern sprakvetenskap VI, Upp-
sala 1917; W. Danckert, Gesch. d. Gigue, = Veroff. d.
Mw. Seminars d. Univ. Erlangen I, Lpz. 1924; C. R. Bas-
kerville, The Elizabethan J., Chicago 1929 ; F. J. u. T. M.
Flett, Dramatic J. in Scotland, Folklore LXVII, London
1956. RG
Jodeln (alpenmundartliche Benennung fur das Jo-
Rufen, schriftdeutsch seit Goethe) ist das volkstumliche
textlose Singen der Alpler in vorwiegend grofien In-
tervallen (Quarte, Sexte, Dezime) und auf Akkord-
zerlegungen (Dominantsept- und Nonenakkord) bei
haufigem Umschlagen vom Brust- ins Kopfregister
(Falsett). Das alpenlandische J. wird auch mehrstim-
mig im kanonartigen Fiireinand und mit Stimmkreu-
zungen im Nacheinand gesungen. Die wichtigsten
Beispiele fur jodlerahnliches Singen auBerhalb Euro-
pas geben die Pygmaen vmd Buschmanner in Afrika
sowie die Melanesier.
Ausg.: J. Pommer, Jodler u. Juchezer, Wien 1890, weitere
Ausg. ebenda 1893, 1902, 1906; H. Commenda, 25 ober-
osterreichische Volkslieder u. Jodler, 2 H., Linz 1920-25,
21929; H. Pommer, Volkslieder u. Jodler aus Vorarlberg,
= Osterreichisches Volkslied-Unternehmen III, Wien u.
Lpz. 1926; ders., Jodler d. deutschen Alpenvolkes, Lpz.
1936; M. Haager, Das Jodelbuch, Graz 1936; H. Gielge,
Klingende Berge. Juchzer, Rufe u. Jodler, Wien 1937; G.
Kotek, Volkslieder u. Jodler um d. Schneeberg u. Semme-
ring in Niederdonau, Wien u. Lpz. (1944).
Lit. : A. Tobler, Kiihreihen oder Kiihreigen, Jodel u. Jo-
dellied in Appenzell, Zurich 1890; E. M. v. Hornbostel,
Die Entstehung d. J., Kgr.-Ber. Basel 1924; G. Kotek, Der
Jodler in d. osterreichischen Alpen, Kgr.-Ber. Wien 1927;
W. Sichardt, Der alpenlandische Jodler u. d. Ursprung
d. J., = Schriften zur Volksliedkunde u. volkerkundlichen
Mw. II, Bin 1939; C Brailoiu, A propos du jodel, Kgr.-
Ber. Basel 1949; W. Wiora, Zur Fruhgesch. d. Musik in
d. Alpenlandern, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f.
Volkskunde XXXII, Basel 1 949 ; J. Dnesel, Der Jodel u. d.
Jodellied in d. Schweiz, Heimatleben XXVIII, 1955; W.
Danckert, Hirtenmusik, AfMw XIII, 1956; W. Schram-
mek, tJber d. J. im Harz, in : Zur Situation d. traditionellen
426
Judische Musik
Volkskunst im Harz, Inst, f . Volkskunstforschung . . . ,
Lpz. 1958; W. Wunsch, Zur Frage d. Mehrstimmigkeit d.
alpenlandischen Volksliedes (Steirische Landschaft), Kgr.-
Ber. Koln 1958; M. Probst, Vom J. u. Singen im Allgau,
in: Sanger -u. Musikantenzeitung II, 1959; H. Gielge,
Sprachliche u. mus. GesetzmaBigkeiten bei d. Anordnung
v. Jodlersilben, Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes X,
1961 ; W. Graf, Zu d. Jodlertheorien, Journal of the Inter-
national Folk Music Council XIII, 1961 ; W. Senn, J., Ein
Beitr. zur Entstehung u. Verbreitung d. Wortes, Jb. d.
osterreichischen Volksliedwerkes XI, 1962.
Jongleur (35gl'ce:r, frz. ; prov. joglar; altfrz. joug-
leur; span, juglar; mittellat. joculari[u]s, nach lat. jo-
culator, s. v. w. SpaBmacher) bezeichnet seit dem 7.
Jh. zunachst allgemein den aus den antiken Histriones
und Mimi hervorgegangenen berufsmaBigen Schau-
steller, Akrobaten, Zauberkiinstler, Musikanten, der
sich der Unterhaltung des Publikums widmete. Seit
dem Entstehen einer volkssprachlichen Dichtung - der
Chansons de geste, der Fabliaux, der bretonischen Lais,
aber auch der Heiligenviten und der Trobador- und
Trouverelyrik-oblagen auch der musikalische Vortrag
und die Verbreitung dieser Dichtung weitgehend den
J.s. Sie traten bei hofischen und Kirchweihfesten in
Erscheinung, spielten bei den Jahrmarkten zum Tanz
auf und begleiteten die Heere auf den Kreuzziigen.
Ihre bevorzugten Begleitinstrumente waren die Viella
und die Rotta. Neben diesen fahrenden -> Spielleuten
(- 1) niederen Standes und geringer Wertschatzung tra-
ten auch einige J.s hervor, die zugleich Trouveres waren
(z. B. Rutebceuf), und andere, die an den Hofen eine
feste und ehrbare Anstellung fanden (-> Menestrel).
Lit.: E. Freymond, J. u. Menestrels, Diss. Halle 1883; E.
Faral, Les j. en France, Paris 1910; R. Menendez Pidal,
Poesia juglaresca y juglares, Madrid 1924, 6 1957; W. Sal-
men, Der fahrende Musiker im europaischen MA, = Die
Musik im alten u. neuen Europa IV, Kassel 1960.
Jota (x'ota, span.), ein schneller (gesungener) spani-
scher Volkstanz im 3/8- oder 3/4-Takt, meist von Gi-
tarren und Bandurrias (spanischen Diskantcistem), sel-
tener von Trommel und Pfeife begleitet. Die J. stammt
aus der Provinz Aragon (Nordspanien) und ist in
Spanien sehr verbreitet. Sie erfordert groBte korper-
liche Behendigkeit und Virtuositat im doppelhandigen
Kastagnettenspiel. Bei Schautanzen ist am SchluB eine
Stretta iiblich. Verschiedene Komponisten ubernah-
men die J., z. B. Liszt in der Rhapsodie espagnole (Folies
d'Espagne et J. aragonesa) fur Kl. (um 1863). Glinka
schrieb ein OrchesterstiickJ. aragonesa, M. de Falla eine
J. im Ballett El sombrero de populares espanolas (1922)
und I. Albeniz eine J. aragonesa in Deux danses espagnoles
op. 164 fur Kl.
Lit. : J. Ribera y Tarrag6, La musica de la j. aragonesa.
Ensayo hist., Madrid 1928; M. Arnaudas Larrode, La j.
aragonesa, Saragossa 1933; A. de Larrea PalacIn, Pre-
liminares al estudio de la j. aragonesa, AM II, 1947; M.
Schneider, Zambomba u. Pandero, Span. Forschungen d.
Gorresges. I, 1, Miinster i. W. 1954.
Jubalflote, Tubalflote, tonstarkes Flotenregister in
der Orgel, mitunter mit doppeltem Labium, im 8', 4',
2' oder 1'. Das Register ist nach Jubal bzw. Thubalkain
benannt (1. Mos. 4, 21f.), dahernicht: Jubelflote.
Jubilee (d3'u:bili:, engl.), eine ekstatische, dem
-> Negro spiritual und dem -»■ Gospelsong, auch dem
Ring-shout {-*■ Shout) nahe verwandte religiose Ge-
sangsgattung der nordamerikanischen Neger. Die J.s
entstanden aus englischen Choralen (hymns), deren
Strophen von den Negern auf Grund der melodischen
Wiederholung als -> Chorus betrachtet und auf der
Basis von -»• Beat (-1) und -»• Off-beat in der fiir die
Negerfolklore typischen Gesangsweise (blue notes, Ko-
lorierung) ausgefiihrt wurden. Ein bekanntes Beispiel
neuerer J.s ist When the Saints go marching in.
Jubilus (lat., auch jubilum, jubilatio, neuma, sequen-
tia), eine melismatische textlose Melodie, im besonde-
ren die mit dem Alleluia, seltener auch mit Antiphonen
oder Responsorien verbundene melismatische Partie.
Verschiedentlich wird der J. aus dem fiir die Antike
und auch die spatere Zeit (in gewissen Volkstraditionen
noch bis heute) vielfach bezeugten wortlosen Singen
oder Rufen der Hirten, Schiffer und Soldaten abgelei-
tet. Doch darf die Existenz melismatischen Singens
in vorchristlichen Kulten und seine Ubernahme aus
dem synagogalen Gesang als sicher angenommen wer-
den (hebraisch hallel, -»• Alleluia; griech. ta^yj; -»■ Me-
los). Den J. bezeugen fiir die vorgregorianische Litur-
gie u. a. Hilarius, Hieronymus und Augustinus. Letz-
terer definiert ihn in der fiir das ganze Mittelalter giilti-
gen Weise als sonus quidam . . . significans cor parturire
quod dicere non potest (Enarrationes in psalmos 32). Als In-
begriff der expressiven Freude wird er non articulatis ser-
monibus, sondern confusa voce gesungen (Cassiodorus,
Expositio in psalterium 46). Im Mittelalter wurde zur
Erhohung der Feierlichkeit gewissen Antiphonen und
Responsorien ein J. finalis (auch finalis oder cauda;
->• Neumen - 2) angehangt; die frankische Liturgie
steigerte bei einigen Responsorien den SchluB-J. zum
Neuma triplex. Dem J. am engsten verwandt sind die
Melismen auf dem. SchluB vokal des -*■ Alleluias, das
vor der Reform durch Gregor den GroBen noch weit
ausgedehntere Jubili kannte; von diesen vermitteln be-
sonders die nach dem Vers gesungenen Melodiae der
Mailandischen Tradition eine Vorstellung. In solchen
langen Melismen (sequentiae) sieht man allgemein die
von Notker im Prooemium seines Liber ymnorum ge-
nannten melodiae longissimae, durch deren syllabische
Textierung die Prosen entstanden sein sollen (-+ Se-
quenz - 1).
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Me-
lodien I, Lpz. 31911 u. Ill, 1921, Nachdruck Hildesheimu.
Wiesbaden 1962; ders., Die Koloraturen im ma. Kirchen-
gesang, JbP XXV, 1918; R. Lach, Studien zur Entwick-
lungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913 ; E. Ger-
son-Kiwi, Halleluia and J. in Hebrew-Oriental Chant, Fs.
H. Besseler, Lpz. 1961 ; W. Wiora, Jubilare sine verbis, in:
In memoriam J. Handschin, StraBburg 1962.
Jiidische Musik. Die Deutung der alttestamentari-
schen Musik auf Grund der Textaussagen allein blieb
bis in die jiingste Zeit hinein hypothetisch, da notierte
Melodien, musiktheoretische Schriften und, bis auf
einige Ausnahmen, auch Bildwerke zur Musik fehlen.
Neue AnstoBe gingen von der Erforschung der Friih-
liturgien der Ost- und Westkirche aus, ebenso von
der Musikethnologie durch Tonaufnahmen schriftlo-
ser Traditionen. Diese Arbeit hat erstmalig A. Z. Idel-
sohn (ab 1914) fiir die hebraischen Liturgien unter-
nommen. Ahnhch laBt- sich auch das biblische Instru-
mentarium durch vorderasiatische Volksinstrumente
zum Teil riickerschlieBen, gestiitzt auf die ikonogra-
phischen Quellen und auf archaologische Funde. Auch
zur vergleichenden Liturgiegeschichte des hellenisti-
schen Judaismus und Fruhchristentums sind neue For-
schungen entstanden (E.Werner, H.Avenary). - Die
Musik der Bibel verteilt sich auf mehrere groBe Zeit-
alter, die Nomaden-, Konigs- und nachexilische (Pro-
pheten-)Zeit. Die ungleich und sparlich verstreuten
musikalischen Textaussagen lassen vorlaufig noch kein
geschlossenes musikalisches Geschichtsbild erkennen.
Dagegen ist gleich in der ersten Erwahnung der Mu-
sik ein Hinweis zur Sichtung des StofEes gegeben: Im
Rahmen der Schopfungsgenealogien erscheint (Gen.
4, 20-22) neben Jawal, dem seBhaften Bauern, sein
427
Jiidische Musik
Bruder Jubal (Juwal) als Vater der Geiger und Pfeifer
(-> Kinnor, ->■ 'UgabJ- Zudem deutet Jubals Eigen-
name auf eine dritte Instrumentengattung hin, die der
Tierhorner, im besonderen auf das Widderhorn
(-» Schofar), das auch Jowel, Keren oder Sachar ge-
nannt wird. Den drei Kategorien von Leiern, Floten
und Hornern entsprechen drei ihnen verbundene Le-
bensbezirke: die Priesterkaste (Cohanim) mit Hornern,
die Tempelmusiker (Leviten) mit Leiern und Harfen
(Kinnor, Newel, Assor, Minnim, Sambukka, Santerin)
und die auBerliturgische Volksmusik mit Floten und
Rohrblattinstrumenten ( c Ogab, Chalil, Mashroqita,
Abuw). Diese Trias wird von einer Gruppe eherner
Idiophone (Zimbeln und Glocken, Becken und Gongs)
erganzt, die sich im Namen der Urmutter Zilla (Zil-
zal, Miziltajim) und ihres Sohnes Thubalkain (Tuwal
Kain), des Urvaters von Erz- und Eisenwerk, ankuhdet.
Als Kultinstrumente, beladen mit starkem apotropai-
schem Gehalt, sind siedem Hochsten eines Standes vor-
behalten (Exod. 28, 33-35: das Glockengewand des
Hohenpriesters ; I. Chron. 16, 5 : dasZimbelpaar desLe-
vitenfiihrers Assaph). Zu erganzen sind die Trommel-
oder FellinstrumenteToph.-oft zum Frauenbereich ge-
horig, und das antiphonale Chorsingen (l'tanot; Jud. 5,
11; 11, 40), das sich zusammen mit den Trommeltanzen
bis heute in orientalisch-jiidischen Frauengemeinschaf-
ten (besonders den jemenitischen) erhalten hat. Friih-
formen der liturgischen Mannergesange bevorzugen
dagegen die responsorialen Formen mit Vorsanger
und kurzen Chorrufen (I. Sam. 10, 24) ; auch sie wer-
den noch heute gepflegt, besonders in Gebetslyrik und
Psalmlesung. - Die Organisation einer kultischen Mu-
sikbiihne mit Orchester und Choren erforderte die
berufliche Ausbildung der Musiker in Tempelschulen
und ihren ZusammenschluB in der Musikergenossen-
schaft der Levitenkaste. David als hochster Musiker-
priester sorgte £iir eine feste Hierarchie des Musiker-
standes und fiir die Kontinuitat der Schultradition :
6 Levitenfamilien bildeten den obersten Rat, der die
3 Hauptmusiker erwahlte, welche ihrerseits wieder 12
Heifer zur Seite hatten. Nach I. Chron. 25 waren diese
in 24 Ordnungen eingeteilt, so daB der Akademie ins-
gesamt 288 Berufsmusiker angehorten, auf erblicher
Grundlage. Weiterhin sind im Mischna-Traktat Ara-
chin (II, 3, 5, 6) die Minimum- und Maximumzahlen
der Orchesterinstrumente iiberliefert. - Die stille
Klanglichkeit von Harfen und Zimbeln ist auf das Wort
religioser Poesien abgestimmt und verwandelte sich
in eine geistige Kraft im Dienste des biblischen Seher-
tums (I. Sam. 10, 5-6).
Die musikalische Liturgie der Synagoge hat ihre Wur-
zeln in dem jahrhundertelangen Antagonismus zwi-
schen Tempel und Bethaus. Wahrend der Konigszeit
hatten sich die musischen Krafte des jiidischen Volkes
entfaltet und mit ihnen die Organisation der Tempel-
orchester und -chore sowie die Berufsausbildung des
Musikerstandes (II. Chron. 5, 12-14). Doch schon in
der nachsalomonischen Zeit, mit der Teilung des Rei-
ches, schwand die Pracht des Tempeldienstes, die so-
ziologischen Bindungen seiner Musikergilden locker-
ten sich, und die ersten Anzeichen einer Abkehr vom in-
strumentalen Prunkstil sind erkennbar. DerWandel der
Auffassungen fiihrte zur »pneuma«-erfiillten mensch-
lichen Stimme als dem einzigen Instrument, und fiir
die Formen des Singens und Lobpreisens haufen sich
die Ausdriicke, in denen wohl auch verschiedene Ar-
ten von Gesangsstilen zu vermuten sind (Jes. 12, 4-6:
6 Arten; I. Chron. 16, 4: 3 Arten; I. Chron. 16, 8: 10
Arten). Verbunden mit dem Wort wurde Musik zum
»redenden« Ton, zu jener »Gedankenmusik«, die seit
den Tagen der Schriftpropheten zum eigensten musi-
kalischen Erbe Israels geworden ist. Von den Priestern
und Leviten ging die Musik in die Hande der Prophe-
ten uber. In der neuartigen poetischen Prosa ihrer Re-
den fand das Davidische Psalmenwerk seine innere
Fortsetzung und Erneuerung, und es ist anzunehmen,
daB so manche Teile von ihnen in einem der Psalmodie
ahnlichen Kantillationsstil vorgetragen wurden. Hier
liegen die Wurzeln der spateren Synagogalmusik. -
Der liturgische Gesangsstil gliedert sich in Psalmodie,
Lectio und Hymnodik. Offenbar waren die Psalmen
ursprunglich fiir festliche Auffiihrung mit Instrumen-
tenspiel und Chor bestimmt. An diese verlorengegan-
gene Tradition erinnert eine Reihe von Psalmtiteln,
die zweifellos Anweisungen zur praktischen Ausfiih-
rung in einer den damaligen Musikergilden gelaufigen
Berufssprache enthalten, aber schon den Ubersetzern
der Septuaginta nicht mehr verstandlich waren. Ge-
nerationen von Bibelexegeten haben sich um eine Er-
klarung bemiiht, hielten die Worte meist fiir verschol-
lene Musikinstrumente, obwohl ihre Namen an keiner
anderen Stelle der Bibel mehr vorkommen, ungleich
dem Kinnor oder Schofar (ajjeleth haschachar, Ps. 32;
mahalat, Ps. 53 und 88; jonath elem rehoqim, Ps. 56;
sosanim, Ps. 45 und 94). Nach C.Sachs handelt es sich
hier um Kennworter gewisser weltlicher Volkslieder,
die als Melodiemodelle nach Art des arabisch-persi-
schen -> Maqam-Systems auf geeignete Texte ange-
wandt wurden. - Die rein gesangliche Psalmodie lehn-
te sich eng an den parallelistischen Bau so vieler Psalm-
dichtungen an. Es entstand die musikalische Psalm-
formel, aufgebaut auf dem zentralen Rezitationston
der Tuba (schofar munach, - mehuppach, - ilui, - me-
karbel), welche an Satzanfang, -mitte und -ende durch
drei Melismata unterbrochen wird (initium - mediatio
- finalis; hebraisch: qadma, peticha, paschta - athnach
- soph passuq). Das Psalmodieren ist mindestens aus
dem letzten vorchristlichen Jahrhundert in mehreren
Arten responsorialer Antiphonie (Sela) bekannt. Da-
gegen wurde die monumentale Chorantiphonie bi-
blischer Zeiten (Jos. 8, 33ff. ; Neh. 12, 27ff.) nicht in die
Synagoge iibernommen. Die neuen Antriebe, die glei-
chermafien grundlegend fiir die friihen Liturgien der
Diasporasynagogen wie fiir diejenigen der friihchrist-
lichen Sekten und Kirchen waren, gingen von der So-
lopsalmodie aus (mit Responsen oder Akklamationen).
Hier war der Wendepunkt erreicht, wo aus juden-
christlichem Geist heraus helleniscb.es Wesen fiir alle
Zeiten gebrochen wurde.
Die starke Neigung zum kantillierenden Sprechen lieB
den ostlichen Menschen sich nicht auf lyrische Texte
beschranken. Biblische Prosa, auch Mischna und Tal-
mud, wurden gleichermaBen mit einem Netz syntakti-
scher Melodik iiberzogen. Die hebraische Psalmodie
wurde, trotz ihrer lyrischen Bindung an die dichoto-
mische Verszeile, zum Urbestand aller weiteren Lese-
formen. Ihre drei ekphonetischen Grundakzente (acu-
tus - gravis - circumflexus) wurden in die irregularen
Satzglieder der biblischen Prosa eingebaut. Nicht das
Lesen, sondern das Vorlesen der Bibel mag die musi-
kalische Kantillation angeregt haben. Der Gedanke
wurde erst in nachexilischer Zeit reif (regelmafiige
Vorlesung des Priesterkodex durch Esra, ab 444 v.
Chr.), doch noch ein weiteres Jahrtausend war not-
wendig, ehe sich die Schriftzeichen und die Systematik
der Leseakzente entwickelten. Die seit AbschluB des
Talmuds (um 500) einsetzende Arbeit der Masoreten
in Babylonien und Israel (Tiberias) gipfelte in dem
noch heute fiir den Bibelgesang verbindlichen Ko-
dex des A. ben Ascher (895). Er erweiterte die altere
friihisraelische Punktnotation um Striche, Haken und
Kreise; Akzente treten jetzt gruppenweise als Reges
428
Judische Musik
und Servi (melachim, meschartim) auf, zu groBeren
syntaktischen wie melischen Einheiten verbunden.
Doch nicht immer vermochte die Praxis der Kantoren
den vorgesteckten Plan der Grammatiker musikalisch
auszufiillen. Bei AbschluB des Tiberianischen Systems
hatten sich schon die Diasporakreise der orientali-
schen, sephardischen und aschkenasischen Juden ge-
bildet, von denen nur die letzteren, durch palastini-
sche Lehrer unterrichtet, eine getreue Tradition auf-
weisen, nach den musikalischen Notierungen bei J.
Reuchlin (1518) und S. Muenster (1524) zu urteilen.
Die sephardischen Gemeinden wie auch die jemeniti-
schen Juden waren der alteren babylonischen Schule
zugewandt und zeigen weit geringeren Motivschatz
(Notierung bei J. Bartoloccius, 1693; nach Avenary).
Die sephardischen Gemeinden am Mittelmeer standen
zudem unter dem starken EinfluB der arabischen
Kunstmusik, welche die urspriingliche Akzentreihung
von innen her aufloste zugunsten eines reich orna-
mentierten arabischen Melos.
Die Ansatze der Hymnodik und Gebetslyrik liegen im
aramaisch-ostsyrischen Raum. Anfanglich Psalmpara-
phrase, auch poetisch noch lange im psalmographen
Rahmen gehalten, entwickelte sich der hebraische
Pijjut seit dem 6. Jh. (J. ben Jose; E.Kalir). Bis zum
Einbruch der metriscnen arabischen Lyrik (10. Jh.)
wurden als musikalisches Gewand von Hymnen und
Gebeten freirhythmische Rezitative und Gebetsfor-
meln bevorzugt, oft ohne Rucksicht auf den strophi-
schen Bau. Erst wahrend der spanischen Epoche erfolg-
te Angleichung an das Lied (Villancico). Die neuere
Gebetslyrik erweiterte altere Formen zu emotionell-
ornamentalen Motivketten und erforderte daher den
stimmbegabten Kantor (chasan), dessen Wirken fort-
an das Gewicht der Synagogenmusik von Psalm und
Lectio auf die solistische Gebetslyrik (chasanuth) ver-
schob. Ihre schopferischen Epochen waren die Kabbala
zu Safed (16. Jh.) sowie der Chassidismus (18. Jh.) in
Osteuropa. In seinen »Steigern« wurden altere ostli-
che Modellieder zu neuen Gebetsmodellen umge-
schmolzen (Ahabah Rabbah; Magen Aboth) und er-
hielten in den Mi-Sinai-Gesangen (mit Erinnerungs-
motiven alterer Litaneien) einen weiteren Schaffens-
zweig. Seit der jiidischen Emanzipation bewirkte die
synagogale Reform eine Angleichung der Kantoral-
musik an die europaische Kunstmusik (S.Sulzer, L.
Lewandowski, S.Naumbourg, mit ihren Bearbeitun-
gen von Chasanuth-Melodien fiir mehrstimmige Sy-
nagogenchore im zeitgenossischen Stil Mendelssohn-
scher Oratorien).
Jiidisches Schrifttum im Mittelalter zur Wissenschaft
der Musik setzt mit Saadya Gaon (892-942) ein, der
im 10. Kapitel seines Kitab al-amanat . . . (»Glauben
und Wissen«, Bagdad 933) die griechische Ethoslehre
der Rhythmen vertieft, fuBend auf al-Kindis Neuun-
tersuchung dieses Stoffes. Poetische Metrik und das
Verhaltnis von Wort und Musik erhielten neuen An-
trieb in der spanisch-judischen Dichterschule des 11.-
12. Jh. mit Abr. ben Halfon (urn 1000), Schmuel Ha-
nagid (1020-55), Schlomoh Gabriol (um 1020-58),
Abr. ibn Esra (1092-1167) und Moscheh ibn Esra (1060-
1139); letzterer hat in seiner »Poetik« die Systematik
der neuen metrischen Verslehre sowie die Geschichte
dieser Dichterschule (mit etwa 60 Dichtern) niederge-
legt. - Unter den jiidischen Philosophen, die sich um
die Deutung der Musik in ihrem Weltbild bemiihten,
sind zu nennen: Maimonides (1135-1205; »Fiihrer der
Verirrten« III, 46; Responsas Nr 129 und 143); Jos.
ibn Aknin (um 1160-1226; »Heilung der Seelen«, Kap.
27); Schemtow Falaquera (um 1225-95; »Anfang der
Weisheit«); -*■ Abu s-Salt Umayya (1068-1134; Mu-
siktraktat, Paris, f . hebr. 1037) ; Abr. Abulafia (um 1240-
90; Gan Na'ul, Munchen 58, 324b); Profiat Duran
(um 1400; Maasse Efod - Zum Wesen jiidischer Mu-
sik); Leo Hebraeus (Gersonides, Levi ben Gerson,
1288-1344; De numeris harmonicis, 1343, im Auftrag
von Ph. de Vitry, ed. Carlebach 1910).
Die italienische Spatrenaissance brachte eine Reihe
jiidischer Musiker und Musikphilosophen hervor, vie-
le von ihnen mit dem Mantuaner Hof der Gonzaga
verbunden, darunter als bedeutendster Salomone
-> Rossi. Von jiidischen Madrigalisten seien genannt:
Davit Civita (1616), Anselmo de' Rossi (1618), Allegro
Porto (1619), Muzio Effrem (1623); dazu Abramo
daO'Arpa (um 1542-66, Harfenist, Sanger und Schau-
spieler), sein Neffe Abramino dall'Arpa (1566-87) und
die Lautenisten Gianmaria dal Cornetto (14 Stiicke in
Gerles Lautenbuch 1552) und Jacchino Massarano (um
1583-99). Jiidisches Schrifttum aus dem Mantuaner
Kreis: Jehuda Moscato, »Betrachtungen zum Leier-
spiel« (1589, hrsg. v. H. Shmueli, Tel Aviv 1953) ; Leone
de' Sommi Portaleone, Dialoghi sull'arte rappresentativa;
Leone da Modena (1571-1641), Streitschriften und
Responsa zur jiidischen Kunstmusik, Vorwort zu S.
Rossis Salmi . . . , Begriinder einer jiidischen Musik-
akademie im Getto Venedig (um 1629-39). Der Schil-
ler Moscatos, Abraham Portaleone (1 542-1 612), schrieb
Schilte ha-Giborim (Mantua 1612) ; es enthalt eine Ana-
lyse des biblischen Instrumentariums und wurde in
Kirchers Musurgia universalis (Rom 1650) verwertet,
10 Kapitel daraus auch in lateinischer Ubersetzung in
B.Ugolinis Thesaurus antiquitatum sacrarum (Venedig
1744-60), Band XXXII. Nach dem Mantuanischen
Erbfolgekrieg 1628-31 und dem Pestjahr 1630 trat das
philosophisch-theoretische Schrifttum zur jiidischen
Musik in eine lange Pause ein. - Auch das Musikleben
und -schaffen innerhalb der Gemeinden Italiens setzte
sich nur in bescheidenem MaBe fort, hauptsachlich
durch die Tatigkeit der jiidischen Sangerbriiderschaf-
ten, die sich die Ausfiihrung hebraischer Festkantaten
und Hymnen zur Aufgabe machten. Sie sind nicht nur
in Italien, sondern auch in Prag, Regensburg, Amster-
dam, Offenbach und Mainz anzutreffen und bilden
wohl die sonst fehlende Briicke zur jiidischen Musik
der Emanzipationszeit (18./19. Jh.).
Neue Ansatze zur Erforschung der Musik jiidischer
Stamme liegen in der Sammelarbeit lokaler Synagogal-
stile, die sich wahrend der fortschreitenden Emanzi-
pation im 19. Jh. auflockerten, vermischten und euro-
paisiert wurden. Drei ethnische Gruppen lassen sich er-
kennen, deren Vertreter fast ausnahmslos im heutigen
Israel zu finden sind :
1) die orientalischen Gemeinden im Jemen, in Babylo-
nien (Irak), Kurdistan, Persien, Indien, Abessinien.
Unter diesen sind die Weisen der jemenitischen Juden
von hohem Alter, dank der geographischen Isolierung
und einer hohen Stammeskultur, auch im Kunsthand-
werk und in der Literatur (bedeutender kabbalistischer
Dichter: Salim Schabasi, * 1619). Ihre Bibellesungen
bilden wichtige Prototypen fiir die fruhchristlichen
Lectioformen; ihre halbreligiosen Fest- und Hoch-
zeitslieder eroffnen einen Einblick in mittelalterliche
Hymnentypen, auch in Formen primitiver Mehr-
stimmigkeit. - Neben ihnen zeigen die babylonischen
Juden aus dem Irak und aus Kurdistan eine der altesten
Liturgien. Persien mit seinen alten Kulturprovinzen
in der Buchara, in Aserbeidschan, Kaukasien, Afghani-
stan, Daghestan zeigt vielfache Uberlagerung von
Stilschichten, die aus indischen, persischen, turkischen,
slawischen und vor allem sephardischen Elementen
resultieren. Zum weiteren Kreis dieser orientalischen
Gruppen gehoren einige abgesprengte Stamme aus
429
Jiidische Musik
Siidindien (Cochin), China, Abessinien (Falaschas),
ebenso einige jiidische Sekten wie die Samaritaner
oder die Karaer.
2) die spanisch-sephardischen Gemeinden des Mittel-
meerkreises in Spanien, Italien, den Balkanlandem,
der Ttirkei, Israel, den nordafrikanischen Landern, mit
dem westeuropaischen Zweig in Amsterdam und Lon-
don. - Wahrend des mittelalterlichen spanischen Exils
fand eine fruchtbare Kultursymbiose der althebrai-
schen mit spanisch-christlichen und maurisch-arabi-
schen Elementen statt. Als wahrend der Pogrome der
Inquisition 1492 der groiBe Ruckzug einsetzte, wurde
Judaospanisches mitgetragen und lebt bis heute in
Verkapselungen oder ortlichen Varianten weiter. In ih-
ren Romanzen und Villancicos haben sich, zusammen
mit der altkastilischen Sprache und Poesie, Reste der
historischen Musikformen erhalten. Im liturgischen
Bereich hat ihr EinfluB seit langem zur Hispanisierung
auch der altorientalischen Stamme gefiihrt.
3) die aschkenasischen Gemeinden in West- und Osteu-
ropa.Diese bauten ihre alten Siedlungen an derRomer-
strafie, d. h. vom provenzalischen Carpentras aus nord-
warts am Rhein entlang. Ihre liturgischen Gesange wie
auch die Umgangssprache haben nochWesentliches des
mittelalterlichen, siidwestdeutschen Idioms bewahrt.
Verf olgungen trieben sie nach Osteuropa, wo im Schat-
ten der Gettos eine Bliite des ostjudischen Liedes ein-
setzte, das durch den Chassidismus des 18.-19. Jh.
neuen Auftrieb erfuhr. Der Ruckzug nach dem Westen,
der wahrend der Polen- und Russenkriege einsetzte
und zu neuen Vermischungen zwischen ost- und west-
aschkenasischen Elementen fiihrte, leitete auch liturgi-
sche Reformbewegungen ein und den AnschluB an
die zeitgenossische Kunstmusik, wie die oratorienarti-
gen gottesdienstlichen Kompositionen von E.Bloch,
Milhaud oder das Kol Nidre von Schonberg bezeugen.
Sie finden in den Kantaten israelischer Komponisten
wie Mordechai Seter, A. Uri Boscovich, Karel Salo-
mon, Marc Lawri, Jehuda Scharet eine innere Fort-
setzung.
Das israelische Volkslied ist eng mit der Renaissance
der hebraischen Sprache und ihrer Umwandlung von
einer Bibel- und Gebetssprache in die moderne Um-
gangs- und Literatursprache verbunden. Systematische
Pflege und Sammelarbeit begannen mit dem ostjiidi-
schen Volkslied durch Griindung der St. Petersburger
Gesellschaft fiir jiidische Volksmusik 1908 unter der Lei-
tung von Joel -»■ Engel. Die reiche Liederwelt der ost-
europaischen Juden, genahrt an den mystisch-wortlo-
sen Melodien (Niggun) des Chassidismus und mit vie-
len Elementen der slawonischen, ukrainischen und
balkanischen Folklore untermischt, wurde von friihen
Einwanderern 1907-18 nach Palastina verpflanzt und
blieb lange das Vorbild fiir neuhebraische Lieder. In
den 1920er Jahren sind eine deutliche Abkehr von der
harmonikalen Melodieauffassung und eine Hinwen-
dung zu modalen und pentatonischen Neubildungen
zu verzeichnen, auch eine neue Rhythmussprache,
durch Beriihrung mit tiirkisch-arabisch-jemenitischen
Volkstanzen, vornehmhch den Horra- und Debka-
Typen. In den 1930er Jahren entstand eine Neuorien-
tierung. Die Umschichtung zum Bauernberuf, das Ge-
meinschaftsleben auf den Kollektivfarmen (Kibbuz),
brachte die ersten Hirten- und Naturlieder hervor, an
arabische Flotenmelodik anklingend. Nach 1940 ent-
stand eine Volkstanzbewegung, die aus den Schritt-
und Sprungfiguren orientalischer Tanze neue Anre-
gungen gewann. Als mit der Staatsgriindung 1948 die
Verpflanzung ganzer Gemeinden nach Israel einsetz-
te (ausjemen, Kurdistan, Siidindien, Marokko), erwei-
terten sich die Kultursymbiosen urn ein Vielfaches.
Seit den 1950er Jahren verfestigt sich der Mischtyp
zwischen westlichen Liedformen und ostlichen Ge-
sangsmotiven von jemenitisch-arabischer, spanisch-
marokkanischer oder bucharisch-persischer Herkunft.
Dazu kommen in letzter Zeit (siid)amerikanische »Bal-
lad«- und »Song«-Elemente. Mit der Wiederbelebung
biblischer Bauern- und Pilgerfeste, die wahrend des
2000jahrigen Exils in Vergessenheit geraten waren
(Baumpflanzung, Winterkornernte, Erstlingsfriichte),
setzte die Schaffung von Volkskantaten und dramati-
schen Spielen (Massechta) ein. Einige Volkskompo-
nisten orientalischer Abkunft bestimmen wesentlich
die Umbildung und Absorbierung ostlicher Stile, dar-
unter Esra Aharon (Bagdad), Esra Gabbai (Persien)
und Sarah Lewi-Tannai (Jemen), die mit ihrer jemeni-
tischen Tanzgruppe »Inbal« eine neuartig stilisierte
Volkskunst ins Werk gesetzt hat. - Die zahlreichen
Schulen und Entwicklungsphasen der israelischen
Kunstmusik lassen sich in folgenden Richtungen zu-
sammenfassen: 1) die Nachfahren der russisch-impres-
sionistischen Schule mit J. Engel, J. Stutschewsky und
M. Lawri. 2) Die um 1900 geborene Generation der
Neoimpressionisten aus westlichen Schulen, zu denen
die fiihrenden Komponisten des Landes gehoren, hat
durch Einbeziehung biblischer Stoffe und orientali-
scher Musizierweisen neue Klangverbindungen ange-
strebt. Zu diesen Symphonikern eines »Mittelmeer-
Stils« gehoren E.-W. Sternberg, P. Ben-Haim und M.
Brod. 3) Die um 1910 geborene Gruppe der in atona-
len, neoklassischen oder dodekaphonischen Schulen
auf gewachsenen Musiker sind wie die vorigen noch bei
europaischen Meistern ausgebildet. Aus der Bartok-
Kodaly-Schule kommen in erster Linie O.Partos, aus
der franzosischen A. U. Boscovich, M. Seter und M.
Avidom. Wahrend sie eine Erneuerung der musikali-
schen Sprache durch eingehendes Studium der ostli-
chen Folklore anbahnen, suchen die aus der Hindemith-
Schule kommenden Musiker wie H. Jacoby und J. Tal
eine Neuorientierung durch Ausbau absolut-musikali-
scher Strukturen, wobei J. Tal letzthin zur elektroni-
schen Musik vorgedrungen ist. Aus dem Schonberg-
Kreis kommen B.Bergel und St. Wolpe. Zurjungeren
dodekaphonischen Gruppe gehoren H.Briin und R.
Haubenstock-Ramati. Von weiteren, schon in Israel
erzogenen Musikern der um 1920-30 geborenen Ge-
neration seien genannt: H.Alexander, J. Bohm, M.
Lustig, Ben-Zion Orgad, R.Starer (in den USA le-
bend), R.Da-oz, Zvi Snunit, Schlomoh Jaffe, N.Sche-
riff und der junge arabische Komponist Chabib Touma
(Nazareth). - Seit den bahnbrechenden Arbeiten A.Z.
Idelsohns und R. Lachmanns ist die Musikf orschung in
Israel bemiiht, die »Einsammlung der Exile« und das
Zusammentreffen von mehr als 70 jiidischen »Stam-
men« zu erfassen und phonographisch festzuhalten.
Das erste Phonogrammarchiv in Jerusalem wurde 1935
durch R.Lachmann gegriindet. Ein neueres Archiv
fiir Orientalische und Jiidische Musik besteht seit 1947
in Jerusalem (Leitung: E. Gerson-Kiwi) ; das Jewish
Music Research Center (Leitung: I.Adler) entstand
1964 in Verbindung mit der Nationalbibliothek Jerusa-
lem. Dazu kommen das Institut fiir Religiose Musik (A.
Herzog) in Jerusalem sowie das Musikmuseum in Hai-
fa, dessen Leiter, M. Gorali, auch Herausgeber der Mu-
sikzeitschrif t Tatzlil ist. Musikwissenschaft wird an den
Universitaten Jerusalem, Tel Aviv und Haifa gelehrt.
Zwei Musikakademien und -seminare sorgen fiir den
Nachwuchs an Lehrern, Interpreten und Komponisten.
Ausg. : S. Naumbourg, Recueil de chants religieux et po-
pulates des Israelites, Paris 1876; J. S. u. M. Cremieu,
Chants h6braiques . . . de l'ancien Comtat Venaissin, Aix-
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430
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LI, 1965. EGK
Jugendbewegung. Die Generation junger Menschen
in Deutschland, die in den ersten Jahren des 20. Jh. die
Schule besuchte, strebte leidenschaftlich nach einem
neuen jugendgemaBen Leben. Dazu sollte die Flucht
aus der GroBstadt und den Bezirken der Erwachsenen
in die freie Natur und in eine Gemeinschaft verhelfen,
die auBerhalb von Schule und Elternhaus in Gruppen
(Biinden) frei ihre Anhanger warb. Gelebter Protest
gegen den zu engen Lebensraum der biirgerlichen
Welt, gegen ihre Lebensformen und geltenden Werte,
gegen die zunehmende Mechanisierung des Lebens
und der Kunst im Massendasein, gegen jede Art von
Bildungsphilisterei sammelte sich in dem Kampfbe-
griff »19. Jahrhundert«. Ergebnis dieses Aufstandes der
Jugend waren der Wille zur Selbsterziehung in den
Jugendgruppen, eine neue Form der Geselligkeit, die
Wanderlust, die Freude am Singen von Volksliedern
zur Klampfe (Gitarre), am Volkstanz und Laienspiel
("*" Jugendmusik). Das am weitesten verbreitete Wan-
dervogel-Liederbuch war der Zupfgeigenhansl, heraus-
gegeben 1909 von dem Heidelberger Studenten der
Medizin H.Breuer (gef alien 1918 an der Westfront).
Gruppen der J. kamen Oktober 1913 auf dem Hohen
MeiBner (siidostlich von Kassel) zu einem Freideutschen
Jugendtag zusammen, der einen Hohepunkt der J. be-
deutet. Im gleichen Jahr erschien G. Wyneckens Schule
und Jugendkultur, worin der Leiter der Freien Schulge-
meinde Wickersdorf bei Saalfeld (Thiiringen) die Mu-
sik und das Musizieren der J. kritisierte und ihr die
Musikpflege in Wickersdorf unter A. -> Halm gegen-
iiberstellte. Halm hatte ein neues Verstandnis fur das
»Eigenreich der Musik« (mit Bach und Bruckner im
Mittelpunkt) erweckt und gewann einen starken Ein-
fluB auf die Jugend. Neben ihm ragte Fr. -> Jode als
eine der markantesten Personlichkeiten der J. hervor,
der 1918 mit dem Sammelband Musikalische Jugend-
kultur (mit Beitragen u. a. von H.Breuer, A. Halm, Fr.
Jode, P.Natorp, H. Reichenbach, G.Wynecken) ein
Bekenntnis zur J. ablegte und in ihren Reihen vor allem
die volkserzieherischen Krafte weckte. In den nach
dem 1. Weltkrieg gegriindeten Neudeutschen Kiinst-
lergilden war Jode Obmann der Musikergilde. 1923
fand die erste deutsch-bohmische Singwoche unter W.
Hensel in Finkenstein bei Mahrisch-Trubau statt. Bei-
de Singbewegungen, der Jode- und der Finkensteiner
Kreis, wirkten selbstandig nebeneinander bis zu ihrer
Eingliederung in den Reichsbund Volkstum und Hei-
mat (1934) : die reichsdeutsche Bewegung (ab 1922/23)
mit der Zeitschrift Die Musikantengilde (friiher Die
haute), die Hensel-Bewegung (ab 1924) mit der Zeit-
schrift Die Singgemeinde. Die weitere Entwicklung der
J., die sich wahrend des nationalsozialistischen Regimes
nur eingeschrankt betatigen konnte, fiihrte nach dem
2. Weltkrieg 1952 zu einem ZusammenschluB der
Sing- und Spielkreise der wiedererstandenen beiden
alten Bewegungen. Doch sind die charakteristischen
Auswirkungen beider Richtungen der J. auch heute
noch spurbar: die Arbeit des Jode-Kreises fiihrte brei-
ter ins Erzieherische in Jugendorganisationen, zur
Griindung von Volks- und Jugendmusikschulen, zu
einer Reform des Schul- und Privatmusikunterrichts
sowie zur Einrichtung Offener Singstunden, wahrend
die Arbeit des Finkensteiner Bundes eine Reform der
Haus- und Kirchenmusik erstrebte (Kasseler Musik-
tage, begriindet 1933, nach dem 2. Weltkrieg erst-
mals wieder 1950). Seit 1927 (Hindemiths Schulwerk
des Instrumental-Zusammenspiels) besteht eine starkere
Verbindung der J. mit der Neuen Musik.
Lit.: H. Bluher, Wandervogel. Gesch. einer J., 2 Bde,
Prien (Chiemsee) 1912, 51920; A. Messer, Die f reideutsche
J., = Manns padagogisches Magazin, Langensalza 1915,
2 1922; O. Stahlin, Die deutsche J Lpz. u. Erlangen
1 922 ; Fr. Jode, Unser Musikleben. Absage u. Beginn, Wol-
fenbfittel 1924, 21926; ders., Musikdienst am Volk. Ein
Querschnitt in Dokumenten, Wolfenbiittel 1927; ders.,
Vom Wesen u. Werden d. Jugendmusik, Mainz (1954); H.
431
Jugendmusik
Hockner, Die Musik in d. deutschen J., Wolfenbiittel
1927 ; H. Klein, Die Wurzeln d. Finkensteiner Bewegung,
in: Musik u. Volk I, Kassel 1933; W. Kamlah, Die deut-
sche Musikbewegung, ebenda; ders., Die Singbewegung
u. d. musische Bildung, Die Sammlung X, 1955; H. Nohl,
Die padagogische Bewegung in Deutschland u. ihre Theo-
rie, Ffm. 1935, 41957; W. Ehmann, Erbe u. Auftrag mus.
Erneuerung, Kassel 1950; R. Stephani, Die deutsche mus.
J., Diss. Marburg 1952, maschr.; E. Spranger, 5 Jugend-
generationen 1900-49, in: Padagogische Perspektiven,
Heidelberg 1951 ; H. Erpf, Neue Wege d. Musikerziehung,
Stuttgart 1953 ; Th. W. Adorno, Kritik d. Musikanten, in:
Dissonanzen, Ffm. 1956. HiM
Jugendmusik, Bezeichnung der aus der deutschen
-»■ Jugendbewegung erwachsenen und von ihr gepfleg-
ten Musik und der Formen dieser neuen jugendgema-
Ben Musiktibung sowie der dazugehorenden Musik-
literatur. Das Lied ist urspriinglich der Inhalt der J. ;
schon im Zupfgeigenhansl (1909) steht das Volkslied im
Vordergrund. Es wurde auf Fahrt und im Lager iibungs-
mafiig zur Klampfe (Gitarre) gesungen. Einen ent-
scheidenden Schritt vorwarts brachte das (1.) Jenaer
Liederblatt (1917), das neben 3st. Vofksliedbearbeitun-
gen eine Anzahl Lautenlieder mit zusatzlicher Beglei-
tung der Violine und Flote im Satz von W.v.Bausz-
nern enthielt. Eine andere verbreitete Form wurde die
Lied-»Kantate«, die ein Lied in den Mittelpunkt ge-
meinsamen Musizierens stellt. In der Chormusik f iihrte
der Weg vom zweistimmigen polyphon gesetzten Lied
uber Jodes Alte Madrigale (1921) zu neuen Liedsatzen.
Die Verbindung mit zeitgenossischen Komponisten
(starker seit 1927) brachte Chore, Spielmusiken, Kan-
taten, Lehrstiicke, Kinder- und Schulopern, u. a. von
Hindemith. Die Pflege alter Sing- und Spielmusik
fiihrte (nicht ohne EinfluB der Musikwissenschaft) zur
Einbeziehung alter und danach zum Teil selbstgebau-
ter Instrumente, vor allem der -*■ Blockflote, von
Gamben, Fiedeln, Clavichord und Cembalo. Der Ge-
brauch der Streichinstrumente sowie der Querflote
fiihrte zu einer Wiedererweckung alter Kammer- und
Orchestermusik (zumeist aus der Barockzeit). Der
Kanon, gesungen und gespielt, fand seit dem Erschei-
nen von Jodes Sammlung Der Kanon (1925) weitver-
breitete Pflege. Im Hinblick auf den Verwendungs-
zweck-.stehen, nebeneinander: eine Literatur fiir das
»offene« Sirigen (Liederbiicher, Liederblatter, zum Teil
mit Instrumentalsatzen), eine Literatur fiir das »ge-
schlossene« Singen (die eigentliche Chorliteratur), eine
Literatur fiir Instrumentalkreise (Spielmusiken, alte
Orchester- und Kammermusik, Musik fiir Fiedeln,
Blockfloten, zu Spiel und Tanz) sowie eine solche fiir
Sing- und Spielkreise zusammen (Liedkantaten). Eini-
ge Ausgaben von Liedern der deutschen Jugendbewe-
gung fanden weite Verbreitung, darunter: H.Breuer,
Der Zupfgeigenhansl (Leipzig 1909, 164 1940, Mainz seit
1950); Fr. Fischer, Wandervogel-Liederbuch (Leipzig
1911); W.Hensel, Strampedemi (Kassel 1929); Th.
Warner, Lieder der biindischen Jugend (Potsdam 1929);
G.Gotsch, Derjungfernkranz (Wolfenbiittel 1930); K.
Miiller, Lieder der Trucht (Plauen 1933); G.Schulten,
Der Kilometerstein (Potsdam 1934) ; W. Jahn, Biwak und
Lagerfeuer (Plauen 1936); A. Zschiesche, Wenn die bun-
ten Falmen wehen (Plauen 1936); Der Turm (Bad Go-
desberg 1 1952ff., II 1962ff.); K. Roller, Lieder des Bun-
des (Bund deutscher Pfadfinder, ebenda 1954). HiH
Jugoslawien.
Ausg. : Fr. §. KuhaC, Juzno-slovjenske narodne popijevke
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slawiens, = Veroff. d. mw. Inst. d. Deutschen Univ. Prag
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Jump (d3Amp, engl.) -» Rhythm and blues.
Justiniane (ital., venezianische Dialektf orm) -> G i u s -
tiniane.
432
K
Kadenz (ital. cadenza; frz. unci engl. cadence, SchluB-
fall; Abk. : Cad.). - 1) Der Terminus K., der von italie-
nischen Theoretikern des 16. Jh. in die Musiktheorie
eingefiihrt wurde, bezeichnet bei Zarlino (1558) pri-
mar eine mehrstimmige und sekundar eine melodische
SchluBformel, bei J.-Ph.Rameau eine abschlieBende
Akkordfolge mit einer charakteristischen Dissonanz
6
(jyi-T oder S$-T) und bei H.Riemann die Darstel-
lung einer Tonart durch harmonische Funktionen
(-*■ Funktionsbezeichnung). - Im Mittelalter wurden
Schlusse in der Ein- und Mehrstimmigkeit conclusio,
finis, pausatio, terminatio oder teleusis, in der Mehr-
stimmigkeit auch occursus, copula oder finis concordii
genannt. K.-Typen des gregorianischen und des mit-
telalterlichen Chorals sind die Tonfolgen II — I (e-d),
VII-I (c-d) und VII-1I-I (c-e-d); in der lydischen K.
wurde, aus Scheu vor dem Halbton, die Untersekunde
oft durch die Unterterz ersetzt (g-d-f). - Im -»■ Or-
ganum des spaten 11. und des 12. Jh. beruhte die K.,
die -> Copula, auf dem Prinzip des Wechsels der Klang-
qualitaten; Quinte oder Quarte bildeten die Paenulti-
ma (-> Klausel), Einklang oder Oktave die Ultima
(Mailander Traktat Ad orga- ■
num faciendum) :
Die Progressionen Terz-Ein-
klang und Sexte-Oktave, im Organumtraktat von
Montpellier (Anfang 12. Jh.) als sekundare K.en zuge-
lassen, setzten sich im 13. Jh. als primare Schlufitypen
durch. Im 14. und friihen 15. Jh. gait die Norm, daB
dem Einklang die kleine Terz, der Quinte die groBe
Terz und der Oktave die groBe Sexte vorausgehen soil
(GS III, 306b; CS III, 72a, 496b; CS IV, 384b). Sie wird
sowohl von der phrygischen K. (Beispiel a) als auch
von der »Doppelleitton-K.« (Beispiel b) erfiillt:
Die primare K. des spaten 15. und der 1. Halfte des
16. Jh., die Zusammensetzung der Sext-Oktav-Pro-
gression mit einem Quartsprung des Basses (Beispiel c;
-*■ Klausel), vermittelte den Ubergang vom Intervall-
zum Akkordsatz; statt der Sext-Oktav-Progression
(Diskant-Tenor-Geriist) wurde die vom Fundament-
schritt des Basses getragene Akkordfolge V-I (D-T) als
Substanz der K. aufgefaBt. Eines der Anzeichen des
Wandels ist die Wendung des Tenors zur Terz des
SchluBklangs (Beispiel d). Bis zum friihen 18. Jh. wurde
die Mollterz im SchluBklang im allgemeinen zur Dur-
terz alteriert (-»• Pikardische Terz), weil der Klang eines
lang ausgehaltenen Mollakkords durch Schwebungen
getriibt ist. - Zarlino (Istitutioni harmoniche, 1558, III,
cap. 51) unterscheidet die einfache K. Note gegen Note
(cadenza semplice, Beispiel a) von der durch Disso-
nanzen und rhythmische Differenzierung ausgezierten
K. (cadenza diminuita, Beispiel b). Der SchluB in der
Oktave oder im Einklang ist nach Zarlino vollkom-
men (cadenza perfetta), der SchluB in der Quinte
oder Terz unvollkommen (cadenza imperfetta oder
sfuggita, Beispiele c und d). Fur vollkommene K.en
gilt die Regel, daB sie mit Textzasuren zusammen-
treffen sollen; Abweichungen konnten ein Mittel
zur Ausdeutung des Textinhalts sein. - Nach der
Terminologie des friihen 18. Jh. ist die authentische
K. (V-I) vollkommen (parfaite), die plagale (IV-I),
die in der Literatur des 19. Jh. manchmal »Kirchen-
schluB« genannt wird, unvollkommen (imparfaite
oder, bei Rameau, irreguliere). Eine K. auf der Tonika
gilt als GanzschluB, eine K. auf der Dominante als
HalbschluB (I-V). Der Gebrauch der Bezeichnungen
»authentisch« und »plagal« fur Schlusse beruht auf irri-
ger Ubertragung; man nannte den SchluB von der
Quintstufe zum Grundton »authentisch« und den
SchluB von der Quartstufe zum Grundton »plagal«,
weil die Oktave in einem authentischen Modus durch
die Quinte (1. Modus: d-a-d 1 ) und in einem plagalen
durch die Quarte geteilt wird (2. Modus: A-d-a);
doch bildet nicht A, sondern d den Grundton des 2.
Modus. Rameau postuliert, nach dem Prinzip des
Wechsels der Klangqualitaten, fur die vollkommene
K. die Dominantseptime (Beispiel a), fur die unvoll-
kommene die hinzugefiig-
te Sexte (sixte ajoutee; Bei-
spiel b) ; diese »charakteri-
stischen Dissonanzen« (H.
Riemann) konnen real ge-
geben oder bloB vorgestellt
sein. Die Akkordfolge I-IV-I-V-I (T-S-T-D-T) bil-
det nach Rameau, wenn die charakteristischen Disso-
nanzen hinzugedacht werden, einen Komplex von Ca-
dences parfaites (I-IV und V-I) und Cadences irregu-
lieres (IV-I und I-V). Die Progression V?-VI (D7-Tp)
wird -> TrugschluB (cadence rompue oder evitee) ge-
nannt. - Ubertrug Rameau den K.-Begriff von der
Funktion, der SchluBbildung, auf das Substrat, die
Akkordfolge, so bezeichnet Riemann auBer einzel-
nen Progressionen (D-T oder S-T) auch groBere
Komplexe von Akkorden, die eine Tonart darstellen
(T-S-T-D-T), als K. (»vollstandige K.«). Durch Ein-
fiigen von -» Zwischendominanten entsteht eine »er-
weiterte K.«:
T (D 7 ) Tp (D 9> ) Sp (D 1 ) D i D T
Differenzierte Analysen von K.-Bildungen beriicksich-
tigen auBer den Akkordfunktionen die »innere Dyna-
28
433
Kadenz
mik« (Riemann), die Leittonstrebungen (E.Kurth),
die formalen Gewichtsabstufungen der Schliisse (H.
Schenker) und die rhythmisch-metrische Stellung
der Akkorde (H.J. Moser).
- 2) K. werden seit dem 16. Jh. (G.Bassani 1585) auch
die improvisierten oder ausgeschriebenen Verzierun-
gen der Schliisse genannt. Stereotype Koloraturen
(Passagen, Triller, Groppo) umschreiben in der Vokal-
und Instrumentalmusik des 16. und 17. Jh. den SchluB-
klang oder die Antepaenultima und Paenultima der
Klausel. Aus der K. iiber einem Dominantorgelpunkt
(A. Corelli) entwickelte sich die eingeschobene K. des
Soloconcertos (G.Torelli, A.Vivaldi). Eine Vorform
der lang ausgesponnenen K. sind die »perfidie« in
den Konzerten Torellis, Einschube, die auf hart-
nackiger Wiederholung einfacher Motive (oft Drei-
klangsbrechungen) beruhen. Als Vorbereitungsakkord
setzte sich um die Mitte des 18. Jh. statt der Domi-
nante der Quartsextakkord durch (»aufgehaltene« K.,
C. Ph. E.Bach). Die Improvisation der K. wich all-
mahlich der Niederschrift durch den Komponisten
(C. Ph. E.Bach, Mozart, Beethoven) oder einen Vir-
tuosen; die K.en, die Mozart und Beethoven zu ihren
Klavierkonzerten schrieben, scheinen fur Ausfiihrun-
gen der Werke durch Freunde oder Schuler bestimmt
gewesen zu sein. Im ersten Satz des Es dur-Konzerts
von Beethoven ist die K. statt einer Einfiigung ein in-
tegrierender Teil der Komposition; improvisatorische
Zusatze werden untersagt: Non si fa una Cadenza. -
Die K. im Solokonzert erschopft sich nicht in der De-
monstration spieltechnischer Virtuositat, sondern ist an
asthetische Kriterien gebunden. Einerseits wird sie
durch thematische Anspielungen oder sogar durch
Kombinationen mehrerer Themen auf den Satz bezo-
gen, den sie unterbricht. Andererseits darf die K., um
den Charakter einer Verzogerung, einer »Aufhaltung«
zu wahren, keine SchluBbildungen enthalten; daB sie
eine blofie Unterbrechung darstellt, wird durch ab-
rupte Modulationen in fremde Tonarten fiihlbar ge-
macht.
Lit. : zu 1) : J.-Ph. Rameau, Traite de l'harmonie . . . , Paris
1722; ders., Nouveau systeme de musique thSorique, Paris
1726; H. Riemann, Mus. Logik, in: Praludien u. Studien
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of the Cadence?, ZIMG VII, 1905/06 ; H. Schenker, Neue
mus. Theorien u. Phantasien I, Harmonielehre, Stuttgart
u. Bin 1906; E. Kurth, Die Voraussetzungen d. theoreti-
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1913; M. Frey, Die Hauptk. im Wandel d. Zeiten, Mk
XIII, 1913/14; H. J. Moser, Die harmonischen Funktio-
nen in d. tonalen K., ZfMw I, 1918/19; ders., Das Schick-
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Musik am Hofe d. Furstbischofs v. Gurk, J. J. Lamberg
1603-30, CHM II, 1957; Fr. Koschier, Der »Steirische«
in K., Carinthia CXLIV, 1954; ders., Karntner Volkstan-
ze. I. Teil mit Beih. »Tanzweisen« v. A. Anterluch, = Karnt-
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tenkauf, Eine St. Pauler Hs. aus d. Jahre 1 136, Carinthia
CXLV, 1955; ders. u. H. Eggers, Die Donaueschinger
Marienklage, ebenda CXLVIII, 1958; G. Mittergrad-
negger, Die Lieder in d. Karntner Passionsspielen, Diss.
Wien 1964, maschr.
Kaiserbafl -»• Tuba (- 2).
Kalkant (Calcant, von lat. calx, Ferse), Balgetreter
der Orgel; K. heiBt auch der Klingelzug, der, vom
Organisten bedient, dem Balgetreter das Zeichen gibt,
in Tatigkeit zu treten (vgl. die Teilansicht der zur Or-
gel im Dom zu Halberstadt, 1361, gehorenden Kam-
mer der Balgetreter bei Praetorius Synt. II, Theatrum
Instrumentorum XXVI).
Kamanga (von arabisch kaman, Bogen; persisch
kemance), eine seit dem 10. Jh. erwahnte SpieBlaute.
Seit dem Mittelalter ist die K. im ganzen Vorderen
Orient verbreitet als Streichinstrument, mit kleinem,
eckigem oder rundem Corpus (KokosnuB, Holz), das
mit einer Membran (Tierhaut) oder einer diinnen
Holzplatte bedeckt ist, mit langem diinnem Hals, sei-
tenstandigen Wirbeln (2-4 Saiten) und oft einem
Stachel aus Eisen. Seit dem 19. Jh. umfaBt die Bezeich-
nung K. auch die europaischen Streichinstrumente,
besonders die Violine.
Lit. : A.Berner, Studien zur arabischen Musik, = Schriften-
reihe d.Staatl.Inst. f .deutsche Musikforschung II.Lpz. 1 937.
Kambodscha -»- Hinterindien.
Kammermusik (von ital. musica da camera; frz. mu-
sique de chambre; engl. chamber music), eine Sam-
melbezeichnung fur weltliche Vokal- und Instrumen-
talmusik, deren Stimmenzahl, Besetzung und Kom-
positionstechnik auf kleine bis mittelgroBe Raume
berechnet sind. Im 17. Jh. zahlten alle hofischen Musi-
zierformen zur K., z. B. Cantata da camera (-»■ Kan-
tate), Sonata da camera (-»• Sonate). Die Bezeichnung
bezog sich zunachst noch nicht auf die GroBe der En-
sembles, deren Repertoire bis ins 18. Jh. auch Musik
fur ->■ Orchester mit umfaBte, sondern ursprunglich
auf die fiirstliche »Kammer« als den Ort, fur den die
Musik bestimmt war. Fur die Kammer wurde ein ei-
gener Besoldungsetat der Hofbuchhaltung gefiihrt,
dem die K. - im Unterschied z. B. zur Feldmusik (frz.
musique d'ecurie) - unterstand. Daher riihrt der Titel
Kammermusiker : 1601 bittet Monteverdi den Herzog
von Mantua um Beforderung zum maestro de la camera
et da Mesa sopra la musica; ebenso ftihren ihn in Aus-
gaben ihrer Kompositionen u. a. E.Radesca 1605 (Mu-
sico di camera) und S.d'India 1611 (Maestro della mu-
sica di camera). Der Titel Kammermusiker wird noch
heute durch den Staat (bzw. die Stadt) an beamtete oder
angestellte Musiker verliehen. - Auf die Unterschiede
der kompositorischen Behandlung von vokaler K. ge-
geniiber der Kirchenmusik wies schon N. Vicentino hin
(1555; f. 37: K. wird piano ausgefiihrt; f. 84': zur Text-
434
Kammerton
behandlung) ; in Deutschland hebt erst H. Guarinonius
1610 die Kamer-Music (Gemdcher-Music), die in der stille
mit halben oder sonst wol moderirten Stimmen vorgetragen
wird, gegen die Kirchenmusik ab. Vokale Concerti da
camera gab G.G.Arrigoni 1635 in Venedig heraus;
1637 veroffentlichte T.Merula gleichfalls in Venedig
Canzoni overo sonate concertate per chiesa e camera. Be-
stand im Instrumentalbereich im 17. Jh. kein Unter-
schied zwischen Kirchen- und Kammerstil, so wurde
im 18. Jh. wieder differenziert: nach Mattheson (1739)
zeichnet sich der Kammer-Styl durch kunstvolleren
Satz aus im Unterschied zu Kompositionen fiir Kirche
und Theater, und nach Quantz (1752) erfordert er
mehr Lebhaftigkeit und Freyheit der Gedanken . . ., alsder
Kirchenstyl; und weil keine Action dabey stattfindet, er-
laubt er mehr Ausarbeitung und Kunst ..., alsder Theater-
styl. - Da seit dem Ende des 18. Jh. das hofische Musik-
leben mit seinem intimen Auffiihrungsrahmen zu-
riicktrat gegeniiber den offentlichen Konzertveran-
staltungen (-»■ Konzert - 2), erfuhr der Begriff K. einen
Bedeutungswandel: der Gegensatz von K. ist nicht
mehr Kirchen- oder Theatermusik, sondern die grofie
Konzert-, d. h. Orchester- und Chormusik. Zur K.
werden nun alle Werke in solistischer Besetzung ge-
zahlt, wie Streich- und Klaviertrios, Quartette, Quin-
tette, Werke fiir Soloinstrumente mit Klavier, fiir Bla-
ser- und gemischte Ensembles (-> Sextett, -»■ Septett,
-> Oktett, ->• Nonett) und allgemein Werke, die an die
altere -*■ Serenade anschlieBen. Auch Lieder, Duette
usw. mit Instrumentalbegleitung (Klavier oder wenige
Instrumente) werden zur K. gerechnet. K. blieb von
nun an oft dem privaten Musizieren und der Darbie-;
tung vor einem kleineren Kreis von Kennern und
Liebhabern vorbehalten; das moderne Konzertwesen
kennt allerdings auch K.-Veranstaltungen mit groBem
Publikum. Wird der Unterschied zwischen K. und
-> Hausmusik heute oft nur in den unterschiedlichen
technischen Anf orderungen der Werke gesehen, so ist
doch in soziologischer Hinsicht zu unterscheiden zwi-
schen darbietungsmaBigem Musizieren als K. und um-
gangsmaBigem als Hausmusik. - Schon bei Haydn fin-
det sich die kompositionstechnische Differenzierung
der K. gegeniiber der groBen Konzertmusik und an-
deren Gattungen. Im kammermusikalischen Satz tritt
das artifizielle Element besonders hervor, speziell im
-*■ Streichquartett, das bis ins ausgehende 19. Jh. als
wichtigste Gattung der K. und als Priifstein komposi-
torischen Konnens gait. In der Regel setzt sich die K.
mit der Sonatensatzform und dem Sonaten-Satzzyklus
auseinander. Charakteristisch fiir den K.-Stil sind das
Streben nach Gleichrangigkeit der Stimmen (Partner)
und besonders die -»■ Durchbrochene Arbeit. K.-Stil
und reduzierte Besetzung kennzeichnen die kammer-
musikalischen Ableitungen groBerer Gattungen (Kam-
meroper, Kammersymphonie). Fiir die kompositori-
sche Entwicklung der Musik im beginnenden 20. Jh.
war die K. des 19. Jh. von groBer Bedeutung; in ihrer
bewuBt kunstvollen, thematisch-motivischen Satzart
bereiteten sich Tendenzen vor, die in den friihen ato-
nalen Kompositionen der Wiener Schule entscheidend
wirksam wurden.
Lit. : N. Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna
prattica (Rom 1 555), Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, = DM1
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Lexikon, bearb. v. A. v. Dommer, Heidelberg 1865; H.
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Jacobs, The Chamber Ensembles of C. Ph. E. Bach Using
Two or More Wind Instr., Diss. State Univ. of Iowa 1964.
Kammerregister heiBt in der Orgel des 17. bis An-
fang des 19. Jh. diejenige Orgelstimme, die im -> Kam-
merton stand (daher auch Kammerstimme), also eine
groBe Sekunde oder kleine Terz defer als alle anderen,
im Cornett- oder im Chorton stehenden Register der
Orgel. Das Kammergedackt (Musicgedackt) diente
zur Ausfiihrung des Generalbasses, der mit dem Kam-
merton rechnete, sonst aber vom Organisten in diesen
transponiert werden muBte. Eine transponierende
Koppel heiBt Kammerkoppel (Schlick, Adlung).
Kammerton (frz. ton de chambre; engl. chamber
pitch) wurde von -»■ Chorton, -* Cornetton und
-> Opernton unterschieden. Nach M.Praetorius wur-
de er vor der Taffel vnd in Convivijs zur froligkeit ge-
braucht, nach Adlung so bezeichnet, weil man ihn bey
der Tafel in Zimmern zur Frolichkeit gebraucht, daft man
die Vokalisten schonen konnte. Grundsatzlich gilt auch
fiir den K., daft der Thon so wol in Orgeln als andem In-
struments Musicis offt sehr varijre (Praetorius). - Nach
Praetorius und Mersenne war in der 1. Halfte des 17.
Jh. der K. hoher als der Chorton. Um 1700 wurde er
unter dem EinfluB franzosischer Holzblasinstrumente
tiefer als der Chorton. Hieriiber berichtet Quantz:
Nachdem aber die Franzosen, nach ihrem angenehmen tie-
fern Tone, die deutsche Querpfeife in die Flote traversiere,
die Schallmey in den Hoboe, und den Bombart in den Basson
gewandelt hatten, hat man in Deutschland auch angefangen,
den hohen Chorton mit dem K.e zu verwechseln ... Ich hal-
te . . . den deutschen sogenannten A-K., welcher eine kleine
Terze tiefer ist, als der alte Chorton, fiir den besten. Diesen
K. fiihrte J.Kuhnau, Bachs Vorganger im Leipziger
Thomaskantorat, bald nach seinem Amtsantritt 1702
fiir die Leipziger Kirchenmusik ein, so daB Bachs in
Leipzig entstandene Kirchenkompositionen fiir diese
Stimmhohe berechnet sind. Der K., der etwa einen
halben Ton tiefer lag als der heutige Stimmton, wur-
de auch fiir manche Orgelbauten verwendet, etwa fiir
G. Silbermanns Dresdener Orgeln, fiir J. Gablers Or-
gel in Weingarten und fiir die meisten Orgeln J. A.
Silbermanns (z. B. die im Kloster St. Blasien, bei deren
Planting sich Silbermann brief lich iiber die verschiede-
nen Stimmtone aufierte). - Von etwa 1700 bis um 1820
28*
435
Kanada
war der K. ziemlich konstant: Bachs Stimmton betrug
(nach der Dresdener Sophienorgel) 415,5 Hz, Handels
Stimmgabel hatte 422,5 Hz, die Berliner Stimmhohe
war 1752 422 Hz, Mozarts Stimmgabel gab 421,6 Hz,
und die Pariser Stimmhohe lag 1810 bei 423 Hz. Nach
1820 setzte ein Steigen des K.s ein, das im Streben nach
mehr Brillanz des Orchesterklangs begriindet sein
diirfte. 1858 waren folgende Stimmhohen erreicht:
Turin 445 Hz, Paris 449 Hz, Mailand 451 Hz, Berlin
452 Hz, London 453 Hz. 1874 stimmte man in London
455 Hz, um 1880 stimmte Steinway in New York seine
Klaviere auf 457 Hz ein. Durch die Wiener Stimmton-
konferenz von 1885 versuchte man, die Uberhohung
riickgangig zu machen und eine internationale Eini-
gung zu erzielen (-»■ Stimmton).
Lit.: Praetorius Synt. II; M. Mersenne, Harmonie uni-
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris
1963; J. Mattheson, Critica musica II, Hbg 1725, Neu-
druck Amsterdam 1964 ; Quantz Versuch; Adluno Mus.
mech. org.; K. Nake, Ober Orchesterstimmung, Dresden
1862; A. J. Ellis, On the Hist, of Mus. Pitch, Journal of
the Soc. of Arts 1880, separat London 1880, dazu G. Adler
in : Vf Mw I V, 1 888, beides in Nachdruck Amsterdam 1 963 ;
A. Schering, J. S. Bachs Lpz.er Kirchenmusik, = Veroff.
d. Neuen Bach-Ges. XXXVI, 2, Lpz. 1936, 21954; Fr. Ha-
mel, Die Schwankungen d. Stimmtons, DMK IX, 1944;
A. Mendel, Pitch in the 16 th and Early 17 th Cent., MQ
XXXIV, 1948 ; ders., On the Pitches in Use in Bach's Time,
MQ XLI, 1955. RW
Kanada.
Lit. : E. Gagnon, Chansons populaires du Canada, Quebec
1865, 3 1894; H. Kallmann, Cat. of Canadian Composers,
Toronto 1952; ders., A Hist, of Music in Canada 1534-
1914, Toronto (1960); W. Sargeant, Folk and Primitive
Music in Canada, Journal of the International Folk Music
Council IV, 1952; E. F. Fowkeu. R.Johnston, Folk Songs
of Canada, Waterloo (Ontario) 2 1955; Music in Canada,
hrsg. v. E. C. MacMillan, Toronto 1955 ; R. u. M. d'Har-
court, Chansons folkloriques frc. au Canada, Quebec
1956 ; G. P. Howell, The Development of Music in Cana-
da, Diss. Rochester (N. Y.) 1959, maschr.; M. Barbeau,
Canadian Folk Songs, Journal of the International Folk
Music Council XIII, 1961.
Kan on (griech. xiavcov; lat. canon; MaBstab, Regel),
- 1) im Altertum die MeBleiste zur Messung der Pro-
portional schwingender Saitenlangen, seit dem 2. Jh.
n. Chr. ->• Monochord genannt, sowie das aus der Mes-
sung gewonnene Zahlensystem der Intervallverhalt-
nisse. Daneben ist K. auch eine Bezeichnung fiir mo-
nochordahnliche Instrumente, noch im Mittelalter fiir
das Psalterium, und gelegentlich fiir Instrumententeile,
z. B. den Querstab der Kithara (bei Porphyrios), ver-
schiedene Trakturstabe der Hydraulis (bei Heron) oder
das GrifEbrett von Saiteninstrumenten (im Spatlateini-
schen). - 2) In der byzantinischen Liturgie ist K. eine
der wichtigsten hymnischen Dichtungs- und Liedfor-
men. Er schlieBt sich in Aufbau, Reihenfolge und In-
halt an die 9 biblischen Cantica an, gehort liturgisch in
die Matutin und folgte ursprunglich auf die Cantica,
an deren Stelle er spater trat. Der K. setzt sich aus 9
Oden zusammen, von denen die 2. Ode, die dem Can-
ticum des Mose vor seinem Tod (5. Mose 32, 1-43)
entspricht, meist weggelassen, aber dennoch mitge-
zahlt wurde. Im Triodion, einem K. von nur 3 Oden
fiir die Fastenzeit, findet sich in der Regel auch die 2.
Ode. Jede der 9, 8 oder 3 Oden des K.s besteht aus
einer Modellstrophe, dem -*■ Heirmos, und mehreren
formal und melodisch mit ihr ubereinstimmenden
Troparia. Der K., wohl zu Unrecht als Erfindung des
Andreas von Kreta (um 660-740) angesehen, trat als
Form gegen Ende des 7. Jh. auf, verdrangte das -> Kon-
takion und wurde seit dem 8. Jh. von vielen kirchlichen
Dichtern gepflegt, unter denen hervorzuheben sind:
Kosmas von Maiuma (f um 760), Johannes von Da-
maskus (um 675-750), Theophanes Graptos (um 775-
845), Theodoras Studites (759-826), Joseph von Thes-
salonike (762-832), Methodios (843-847 Patriarch von
Konstantinopel), Joseph »der Hymnograph« (um 816-
886), Bartolomeo von Grottaf errata (f 1055) sowie die
Schule dieses Klosters und die Nonhe Kasia (im 9. Jh.).
- 3) In der mehrstimmigen Musik ist K. zunachst ein
bestimmten Stucken beigefiigter Schliisselspruch, meist
als Anweisung, aus einer einzigen aufgezeichneten
Stimme mehrere Stimmen abzuleiten (ex una voce
plures deducere, Glareanus 1547). Sodann bezeichnet K.,
wie bis zum 17. Jh. auch ->■ Fuga, die fiir dieses Ver-
fahren besonders geeignete Satztechnik der strengen
-> Imitation, bei der mindestens eine Stimme, die
Conseguente, einer anderen, der stets notierten Guida,
in melodischer und rhythmischer Identitat (zuweilen
mit gewissen Einschrankungen) folgt. Das satztechni-
sche Grundschema des K.s setzt voraus, daB die K.-
Melodie sich abschnittsweise selbst zu kontrapunktie-
ren vermag. Der K.-SchluB erfolgt entweder in alien
Stimmen gemeinsam, so daB die Conseguente unvoll-
standig bleibt (Kennzeichnung der SchluBtone oft
durch Fermaten u. a.), oder lauft entsprechend dem
Anfang stimmenweise einzeln aus. Ein Zirkel-K. (Ca-
non infinitus oder perpetuus) liegt vor, wenn die Stim-
men in ihren Anfang einmiinden und somit theoretisch
unendlich sind (z. B. J.S.Bach, Musicalisches Opfer,
BWV 1079 Nr 2). Der Spiral-K. (Canon per tonos)
ist ein Zirkel-K., der durch Modulation seinen Anfang
auf jeweils neuer Tonstufe wiedergewinnt und da-
durch allmahlich »durch die T6ne« wandert (z. B. J. S.
Bach, ebenda Nr 3e; Modulation um einen Ganzton
aufwarts). - Zur eindeutigen Bestimmung eines nach
dem Grundschema gebauten K.s sind Stimmenzahl und
Einsatzabstand anzugeben. Die Differenzierung der K.-
Technikmachteesbereitsiml4./15.Jh. notwendig, dar-
iiber hinaus gegebenenf alls den Intervallabstand, die Be-
wegungsrichtung,dieMensurrelationderStimmenoder
weitere Besonderheiten der Ableitung zu vermerken.
Anhand dieser Kennzeichen, die gewohnlich in der K.-
Anweisung genannt werden, laBt sich die Vielfalt kano-
nischerMoglichkeiten systematisieren. Hinsichtlich der
Stimmenzahl wird beim K. Zwei- bis Vierstimmigkeit
bevorzugt, allerdings auch oft iiberschritten. Der viel-
stimmige K. hat haufig die Struktur eines mehrfachen
K.s, dessen Kennzeichen mehrere Guide sind. Als
Doppel-, Tripel-, Quadrupel-, allgemein Gruppen-K.
wird gewohnlich ein K. bezeichnet, den 2, 3 oder 4
gleichzeitig auftretende Guide eroffnen. Das 36st. Deo
gratias von Ockeghem(?) und die 24st. Motette Qui
habitat in adiutorio von Josquin, beriihmte Beispiele
extremer Stimmenzahl, sind demgegeniiber als Ad-
dition von 4 einfachen K.s anzusprechen: die 4 notier-
ten Stimmen werden nacheinander in jeweils 9- bzw.
6st. K.-B16cken eingefiihrt. Der K. kann entweder in
vollstSndig oder in teilweise kanonischem Satzgefiige,
d. h. als reiner oder gemischter (auch angewandter) K.,
auftreten. Im zweiten Fall verbindet er sich mit einer
oder mehreren freien Stimmen, deren Zahl und Ge-
prage den mannigfachen Moglichkeiten der K.-Be-
handlung angepafit werden konnen. Der Einsatzab-
stand der K.-Stimmen wird allgemein in Tempus-
oder Taktmensuren angegeben, oft auch durch Ein-
satzzeichen markiert. Die Fuga ad minimam des 15./16.
Jh. ist ein charakteristischer Typ mit engem Einsatzab-
stand von einer Minima (z. B. injosquins 6st. Agnus aus
der Missa Malheur me bat sowohl zwischen den geteil-
ten BaB- als auch Altstimmen). Aus der Gruppe von
K.-Arten mit dem Einsatzabstand null sind zunachst
Grenzfalle des K.s zu nennen: Canon sine pausis (z. B.
436
Kanon
Scheldt, Tabulatura nova, K. Nr 6 und 7) und -+ Faux-
bourdon, bei denen die K.-Stimmen standig parallel
gef iihrt werden, so da6 eine Stimme der anderen struk-
turell, aber nicht zeitlich »folgt«. Hinsichtlich des In-
tervallabstandes ist der K. auf gleicher Tonstufe (Ein-
klang oder Oktave) die ursprungliche und haufigste
Art. Der Intervall-K. tritt vorzugsweise in Quinte
und Quarte auf, die weitgehende intervallische Identi-
tat der Conseguente ermoglichen, wahrend in den
iibrigen Intervallen vielfach zur Wahrung der Ton-
art Ganzton- durch Halbtonschritte und umgekehrt
ersetzt werden miissen. Drei- und mehrstimmige
K.s konnen verschiedene Intervallabstande aufweisen.
Umkehrungs-(oder Gegen-)K., Krebs-K. und Spiegel-
krebs-K. entstehen dadurch, daB die Conseguente
nicht in der Bewegungsart der Guida, sondern in de-
ren -»■ Umkehrung, ->• Krebsgang oder in umgekehr-
tem Krebsgang fortschreitet. Bei Umkehrungs-K. und
Spiegelkrebs-K. geniigt die bloBe Angabe des Inter-
vallabstands der einsetzenden Stimmen nicht; zur we-
senthchen Bestimmung ist die Nennung derjenigen
Tonstufe notig, welche »beibehalten« bleibt, d. h. die
Achse der melodischen Spiegelung zwischen Guida
und Conseguente bildet (-> Umkehrung). Krebs- und
Spiegelkrebs-K. beginnen in der Regel ohne Einsatz-
abstand, was auch fur die K.-Arten mit ungleicher
Mensurrelation der Stimmen gilt: der Mensur- oder
Proportions-K. (oft mit dem Zusatz simul incipiendo)
ist an die Moglichkeiten der -> Mensuralnotation ge-
bunden, welche perfekte (dreizeitige) und imperfekte
(zweizeitige) Wertung der Noten vorsieht sowie
-> Proportionen (- 2) einbezieht. Das folgende Beispiel
ist aufzulosen mit Hilfe der vier Mensurzeichen, die die
Proportionen und Einsatztone der Stimmen angeben.
-jt-
Ubertragung :
(f Proportio dupla
O Tempus perfectum
(integer valor notarum)
<f3 Proportio tripla
C Tempus imperfectum
i i J "j — J^i i n
•o-
•» -S ■ _ . f, ■&■
y.»
U J IJJ J 1 =1
P. de la Rue, Missa L'homme armt,
Anfang des Agnus III (nach Glareanus, Dodekachordon,
Basel 1547, S. 445).
Das K.-Prinzip der ungleichen Mensurrelation be-
schrankt sich seit dem 16. Jh. auf den VergroBerungs-
oder Augmentations-K. (z. B.J. S.Bach, Variation IV
der Canonischen Veranderungen iiber Vom Himmel hoch,
BWV 769). Im Gegensatz zu den genannten K.-Arten,
bei denen die Conseguente der Guida stetig folgt, ent-
halt der im 15.-17. Jh. gelegentlich verwendete Aus-
sparungs- oder Reservat-K. Vorbehalte fiir die Ab-
leitung: z. B. in Nr 27-29 der 29 Canons on plain-song
melodies von Byrd sind 3st. Reservat-K.s aus einer ab-
schnittsweise rot und griin notierten Stimme zu ge-
winnen, indem eine Stimme die roten, eine andere die
griinen, die dritte unter Auslassung der Pausen rote
und griine Noten ubernimmt. Ahnlich sind 2st. K.s
ebenda in Nr 14-15 gemaB dem Schliisselspruch digni-
ora sunt priora zu losen, der besagen soil, daB die Con-
seguente aus den Guidanoten in der. Reihenfolge
ihrer rhythmischen Werte, beginnend mit dem groB-
ten, zu bilden ist. Die Wichtigkeit des Schliisselspruchs,
der besonders im 15. Jh. oft in Zitate gekleidet ist, als
Ratsel erscheint und »die Absicht des Komponisten
irgendwie verdunkelt wiedergibt« (voluntatem compo-
sitoris sub obscuritate quadam ostendens, Tinctoris' Diffi-
nitorium), macht verstandlich, daB »Canon« zumMerk-
mal und schlieBlich zur Bezeichnung der streng imi-
tatorischen Satztechnik werden konnte. Die Differenz
beider Wortbedeutungen von K. (Anweisung und
strenge Imitation) ist bei folgenden modernen Termini
zu beachten: unter Tenor- oder Linear-K. wird die
einzelne (Tenor-) Stimme verstanden, wenn in ihr ein
Soggetto mehrmals nacheinander auftritt und sie ver-
kiirzt notiert werden kann (z. B. Josquin, Gloria der
Missa Hercules Dux Ferrariae) ; Formal-K. dagegen ist
die auf mehrere Stimmen verteilte, kanonahnliche
Durchfiihrung eines solchen Soggettos (z. B. ebenda,
Kyrie I und 6st. Agnus). Unabhangig von der darge-
stellten Systematik konnen als weitere K.-Eigenschaf-
ten auftreten: das Fehlen einer Ableitungsanweisung
beim Ratsel-K. (enigmatischer K.), dessen Losung ge-
sucht werden soil, was z. B.J. S.Bach im Musicalischen
Opfer (BWV 1079 Nr 6) durch den Schliisselspruch
quaerendo inuenietis (nach Matth. 7, 7) ausdriickt, und
die Moglichkeit mehrerer Losungen im polymorphen
K. (z. B. der Byrd zugeschriebene K. Mm nobis Domine
mit elf 2- bis 4st. Losungen).
Die altesten Belege kanonartiger Technik, 2st. Bei-
spiele aus dem 12. Jh. (z. B. Hymnus Nunc sancte no-
bis spiritus, Hs. Oxford, Bodl., Corp. Christi Coll. 134,
f. 73) und dreistimmige aus dem 13. Jh. (z. B. Benedica-
mus Domino, Hs. F, f. 47'; Hu, f. 25'-26), beruhen auf
-> Stimmtausch, wie er von Odington (CS I, 245ff.)
als -> Rondellus beschrieben ist. Da es sich hierbei um
Stimmen gleicher Lage handelt, liegt klanglich eine
auf mehrere Stimmen verteilte Wiederholung dessel-
ben Satzabschnitts vor. In dieser Weise ist auch der
2st. Pes von Sumer is icumen in (»Sommer-K.«, um 1300
in der Abtei Reading aufgezeichnet) angelegt. Die 4
weiteren Stimmen dieses Stiickes unterhegen dagegen
dem Prinzip der -»■ Rota : sie beginnen nacheinander,
sind melodisch gleich und ermoglichen 1st. Notierung,
aus der mit Hilfe der beigegebenen Anweisung ein
mehrstimmiger Satz gewonnen werden kann. Ron-
dellus und Rota haben haufig Zirkelablauf und sind
besonders in England im 13./14. Jh. belegt. Auf dem
Festland entstanden im 14. Jh. als Formen der Gesell-
schaftskunst ->■ Chasse und -> Caccia. Sie zeigen die
Tendenz zu groBgliedrigem Bau und zielstrebigem
Fortschreiten. Ab 1400 drang die K.-Technik, nun
iiberwiegend unter dem Namen -> Fuga und in 1st.
Notierung mit dazugehorigem Canon (Anweisung),
in die geistliche Musik (Mefisatze und Motetten) ein.
Diese Entwicklung stand in Wechselwirkung mit ei-
ner fortschreitenden Festigung der Konsonanz-Disso-
nanz-Ordnung im musikalischen Satz iiberhaupt und
schuf in der Dufay-Zeit die fiir die niederlandische K.-
Technik wesentlichen Typen. Dariiber hinaus gewann
der K. Symbolbedeutung, die sich in (oft biblischen)
437
Kanoniker
Canonspriichen bekundete. In den Werken von Jos-
quin, Isaac, Mouton und de la Rue wurden Artistik,
musikalischer Gehalt und Sinnbildcharakter der K.-
Kunst zu einem Hohepunkt gefiihrt. Der 2-3st. Ge-
riist-K. als Kern eines groBeren Werkes war auch im
16. Jh. gebrauchlich (Messen von Palestrina) ; die
komplizierten K.-Arten traten dagegen zurtick und
wurden Gegenstand des theoretischen Interesses. Da
die K.-Technik, die vielfach als hochste, kunstvollste
Stufe der Kompositionslehre angesehen worden ist,
eine faszinierende Kraft der strengen Ordnung in sich
birgt, hat sie seither mannigfach und kontinuierlich als
Impuls gewirkt. Hervorzuheben sind die Bedeutung
des K.s im Orgelchoral und in der Kammermusik des
Barocks, der hohe Rang der K.-Verwendung beson-
ders im Spatwerk J.S.Bachs und die verstarkte Hin-
wendung zur K.-Technik seit etwa 1920. In der Schul-
musik seit der Reformation wurde der didaktische
Wert des K.s genutzt, vorwiegend durch Pflege be-
sonders einfacher Arten. Kanonische Miniaturkunst,
die bis zum umgangsmaBigen Musizieren im Mittelal-
ter (mittelalterlicher Lied-K.) zuriickverfolgt werden
kann, durchzieht als Gesellschafts-K. (in bestimmten
Epochen auch unter speziellen Namen wie -» Radel,
-*■ Round, -*■ Catch) die K.-Geschichte und pragt sich
daneben aus im Portrat- und Stammbuch-K. und ahn-
lichen Arten, die den K. als Standesausweis der Mu-
siker zeigen.
Lit. : zu 1) : S. Wantzloeben, Das Monochord als Instr. u.
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KANON, = Philologus, Suppl.-Bd XXX, 4, Lpz. 1937.
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weitert 21 897, griech. v. G.Soteriades, Athen 1 897 ; H. J.W.
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XII, 2, 1 (Byzantinisches Hdb. II, 1), Munchen 1959. -zu
3): O. A. Klauwell, Die hist. Entwickelung d. mus. K.,
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talanische Liedkunst d. 14. Jh., ZfMw IV, 1921/22; Fr.
Jode, Der K., 3 Teile, Wolfenbiittel 1925 (umfassende Bei-
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Univ. 1959, maschr. ; Fr. Ll. Harrison, Rota and Rondel-
lus in Engl. Medieval Music, Proc. R. Mus. Ass. LXXXVI,
1959/60. furKanon(-3): KJS
Kanoniker -*■ Harmoniker.
Kansas-City-Jazz, eine in Kansas City seit etwa 1925
entstandene Jazzspielweise, die sich in den 1930er Jah-
ren mit dem Big band-Jazz der Swing-Ara verband
und teilweise die Entwicklung zum moderneren Jazz
vorbereitete (Charlie Parker; Lester Young; -*■ Be-
bop; -> Cool Jazz). Typisch fur die Bands des K.-C.-J.
(Benny Moten, Count Basie) sind der federnde Jump-
Rhythmus (-»■ Bounce) und der bewuBte Riickgriff
auf den -> Blues als ->• Chorus, der gleichzeitig zur
Ausbildung der -> Riff-Technik gefiihrt hat.
kantabel ->■ cantabile.
Kantate (ital. cantata, von lat. und ital. cantare, sin-
gen), im 17. und bis Mitte des 18. Jh. als Cantata die
wichtigste Gattung des italienischen weltlichen Solo-
gesangs aufierhalb der Oper; im 18. Jh. die Hauptgat-
tung der deutschen evangelischen Kirchenmusik. Im
19. Jh. werden groBere, aus Sologesangen, Duetten
usw. und Chorsatzen bestehende Vokalwerke mit In-
strumentalbegleitung als K. bezeichnet, deren Verse
lyrische, d. h, weder epische noch dramatische Inhalte
(-> Oper, -> Oratorium) behandeln. Als Sammelbe-
zeichnung f iir Vokalmusik mit Instrumenten begegnet
K. heute hauptsachlich in der -> Jugendmusik. - Can-
tata war in der 1. Hilfte des 17. Jh. ein zunachst nur ge-
legentlich verwendeter Name fiir ein ausgedehnteres,
mehrteiliges Sologesangstiick mit B. c. Um 1620 her-
ausgewachsen aus den Monodien von Caccini und Peri,
erreichte die Cantata nach einer Periode formaler Ex-
perimente etwa seit der Jahrhundertmitte ihre Bliite-
zeit. Die bei A.Grandi (Cantade et Arie, 1620) erstmals
nachweisbare Bezeichnung wurde wohl in Analogie
zu der schon friiher bekannten Sonata gebildet. Die
Cantata besteht bei Grandi und seinen Nachfolgern
(G.P.Berti, C.Milanuzzi u. a.) aus einer Folge von 5-9
durchkomponierten Strophen eines madrigalischen,
d. h. heterometrischen Textes iiber gleichbleibendem
BaB, im Unterschied zu der gleichfalls strophischen
Aria (-> Arie), bei der alle Strophen auf die gleiche
Musik gesungen (aber wahrscheinlich ex tempore vari-
iert) wurden. Caccini, in dessen Nuoue musiche (1601)
beide Arten strophischer Komposition schon neben-
einander auftreten, bezeichnet die durchkomponierten
Stiicke noch als Aria. - Cantata hieBen seit Fr. Turin
(1624) auch die nichtstrophischen -*- Lamento-Kom-
positionen, woraus die »Sujet-Cantata« (E. Schniitz)
entstand. Monteverdi gebraucht fiir das strophisch
durchkomponierte Tempro la cetra (1619) die Bezeich-
nung Cantata noch nicht (sein Lamento d'Arianna wird
erst in spateren Abschriften Cantata uberschrieben),
ebensowenig P.Possenti fiir seinLamento d'Ariana (1 623)
und das strophische Udite, udite (1625), doch sind diese
Stiicke, wie auch die durchkomponierten strophischen
Gesange von Landi (Arie a una voce, 1620), obwohl der
Name fehlt, unter die Anfange der Gattung Cantata ein-
zuordnen. Von groBer Bedeutung fiir die weitere Ge-
schichte der Cantata waren die drei Biicher Musiche
varie (1633-41) von B.Ferrari, der den Basso ostinato
als satztechnisches Kunstmittel zu hochster Vollendung
fiihrte. AuBerdem bahnte sich in seinen Cantate auch
die prinzipielle Scheidung von Rezitativ und Arie an,
die das Gesicht der Gattung f ernerhin bestimmen sollte.
Den ersten Werken des neuen Stils fehlte noch das
wichtigste Element des spateren Recitativo, das Prosa-
artige, Ungebundene, das den Eindruck des Sprechens
im Gegensatz zum Singen bedingt. Die spatere Gegen-
satzlichkeit von Rezitativ und Arie entsprang zum
Teil aus dem gem angewendeten Wechsel von gera-
dem in den Tripeltakt. Dadurch entstand vom Musi-
kalischen her ein Kontrast zwischen mehr rezitieren-
den und mehr ariosen Teilen, so bei Peris Se tu parti
438
Kantate
(1609), das Riemann eine wirkliche kleine K.« nennt.
Die ariosen Teile (im Tripeltakt) kehren in vielen Can-
tate rondoartig wieder. Entscheidende Voraussetzung
fiir die Trennung von Rezitativ und Arie war jedoch
die Beschaffenheit des Textes, der Wechsel von Erzah-
lung und Betrachtung. Ferrari, der viele seiner Texte
selbst verfaBt hat, scheint der Urheber dieses bis ins 18.
Jh. (Neapolitanische Oper, Metastasio) wirksamen dich-
terisch-musikalischen Formschemas zu sein.
Die Bliitezeit der Cantata setzte mit den zahlreichen
Kompositionen von L. Rossi und G. Carissimi ein. Die
strophische Art der Cantata tritt nur noch selten auf,
um so haufiger die mehrsatzige, in der einzelne mit
vorangehendem Rezitativ kombinierte Da-Capo-
Arien aneinandergereiht sind. Textgestaltung und mu-
sikalische Mittel (Ritornell, Basso ostinato) verbiirgen
bei stark wechselnder Anzahl der Arien die Geschlos-
senheit einer Einzelszene. Die Hauptmeister der Can-
tata nach der Jahrhundertmitte sind Cavalli, Cesti und
Legrenzi, ferner A. Stradella. Beachtenswert ist die Bo-
logneser Schule, wo auch die Cantata con stromenti,
d. h. mit orchestraler oder solistisch konzertierender
Instrumentalbegleitung, zuerst erscheint, die dann bei
den Komponisten der Neapolitanischen Schule (Fr.
Provenzale, A. Scarlatti u. a.) haufiger begegnet, wo-
durch sich die Cantata der Opernszene nahert, nament-
hch dann, wenn ein Accompagnato hinzutritt. Bei A.
Scarlatti waren vielteilige Formen noch gleichberech-
tigt neben der nach ihm zur Norm werdenden 3- bis
4satzigen Cantata, die mehr und mehr ihre Selbstan-
digkeit gegeniiber der sie verdrangenden Opernarie
bzw. -szene verlor und schlieBlich in die Konzertarie
ausmiindete. - Im 17. Jh. gehorte die K. als Cantata da
camera zur -*■ Kammermusik. Als Gattung der geistli-
chen Musik war die Cantata in Italien unbekannt : Can-
tate mit geistlichem, aber italienischem Text sind keine
Kirchenmusik, sondern geistliche Kammermusik oder
Oratorien (diemitunter als Cantata bezeichnet wurden).
Geistliche Sologesange mit lateinischem Text trugen
stets die Bezeichnung Concerti ecclesiastici oder Mo-
tetti a voce sola. - In Frankreich wurde die Cantata erst
in der stereotypen Zwei-Arien-Form ubernommen,
doch wurde nicht selten eine dritte Arie (mit Rezitativ)
angehangt. Die K. gait als Dichtungsgattung (Haupt-
dichter: J. Bapt. Rousseau), die letzte Arie sollte den
Point moral der Geschichte enthalten. Die wichtigsten
Meister der kurzen Bliitezeit (1715-25) sind L.N.Cle-
rambault undJ.-Ph.Rameau. Die Sujet-K. mit antiken
Stoffen iiberwiegt, doch nehmen einige K.n Bezug auf
aktuelle Stoffe (Kaffee-K. von Bernier). Lange Zeit ist
die K. eine beliebte Kompositionsaufgabe fiir Wettbe-
werbe (z. B. fiir den Rompreis) geblieben.
In Deutschland veroffentlichte als erster K.Kittel 1638
nach italienischem Vorbild Arien und Cantaten, strophi-
sche Sololieder mitWiederholung des 1. Teils, die teil-
weise wie die Cantata durchkomponiert sind und (laut
Vorrede) den Dresdener Kapellsangern die italienische
Gesangskunst nahebringen sollten. Da auf Diminution
mehr Wert gelegt ist als auf Affetto, stehen die Stiicke
der Strophenaria naher als der Cantata. Fiir eine Ein-
biirgerung der weltlichen K. in Deutschland fehlten
damals nicht nur die Voraussetzungen bei den Sangern
und beim Publikum, sondern es mangelte vor allem an
deutschsprachigen K.n-Texten. Den Anregungen zu
madrigalischer Dichtung von Caspar Ziegler (1653),
die wie Kittels K.n aus der personlichen Umgebung
von Schiitz herriihrten, blieb hterarisches oder musi-
kalisches Echo versagt. Ansatze zu kantatenahnhchen
Kompositionen bei H. Albert erbrachten, da sie auf den
iiblicnen Liedtexten basierten, keinen kiinstlerischen
Gewinn gegeniiber der Strophenarie. Dagegen bahnte
sich auf dem Gebiet der protestantischen Kirchenmu-
sik eine echte Auseinandersetzung mit der Gattung
Cantata an. Seit im Geistlichen Concerto auGer dem
Bibelwort auch Choraltexte und geistliche Oden ver-
tont wurden, gab es mehrstrophige durchkomponierte
Stiicke, die gelegentlich Beriihrung mit der italieni-
schen Cantata aufweisen (z. B. Buxtehudes mit Aria
betitelte Kompositionen iiber Strophenbasse). Doch
werden die einzelnen Strophen nur ausnahmsweise
von einem einzigen Solisten vorgetragen, meistens
von den verschiedenen Stimmgattungen reihum ab-
wechselnd, auch mit Duetten, Trios und Choren un-
termischt (noch bei Bach wechselt die Besetzung fast
regelmaBig nach jedem Stuck, auch zwischen Re-
zitativ und Arie). Eingangs- und SchluBchor iiber ei-
nen Bibelspruch (Dictum) bilden haufig die Umrah-
mung fiir den strophischen Mittelteil, in den auch Ri-
tornelle eingeschaltet sein konnen. Die Textzusammen-
stellvmg aus Spruch und Ode (die wohl auf D.Pohle
zurii ckgeht) wurde am bedeutsamsten fiir die Zukunf t ;
sie erlaubte einen klaren architektonischen Aufbau
des Werkes und kombinierte das subjektive Dichter-
wort auf gliickliche Weise mit dem authentischen
Bibeltext. Ebensooft wurden aber auch andere mehr-
satzige, nichtstrophischeTextkombinationen angewen-
det, darunter auch die Dialogform. - Ph. Spitta hat fiir
die protestantischen Kirchenkompositionen des 17. Jh.,
denen zwar das Rezitativ fehlt, doch deren formale
Anlage im iibrigen schon auf die Kirchen-K. Bachs
hinweist, die Bezeichnung »altere K.« eingefiihrt (J. S.
Bach I, S. 226 und 291). Die Bezeichnung K. wurde
dann von Schering durchweg angewendet, unabhan-
gig davon, ob eine Beziehung zur italienischen Can-
tata vorliegt oder nicht; Kriterium hierfiir war ihm le-
diglich die Mehrsatzigkeit. Zu ihrer Zeit besafien diese
mehrteiligen Kompositionen keinen eigentlichen Gat-
tungsnamen. In den Manuskripten sind gewohnlich
nur Textanfang, Tonart, Besetzung und liturgische
Bestimmung angegeben. Wenn iiberhaupt eine Be-
nennung stattfand, wurde neben Motetto die Bezeich-
nung Concerto (so noch meist bei J. S. Bach) weiterhin
verwendet. Das Fehlen einer verbindlichen Gattungs-
bezeichnung, das besonders durch die in Sekundar-
quellen (Textdrucke, Dokumente usw.) angewendeten
Umschreibungen deutlich hervortritt, konnte nur bei
der iiberwiegend handschriftlichen Oberlieferung hin-
genommen werden. Seitdem die Bachsche Kirchenmu-
sik in der alten Gesamtausgabe gedruckt vorliegt, ist der
Gattungsname K. dafiir eingefiihrt, den man heute
auch - in unberechtigter Verallgemeinerung - fiir
geistliche Kompositionen der 2. Halfte des 17. Jh. in
Neuausgaben anwendet. - Die kontinuierliche Entfal-
tung der evangelischen vokal-instrumentalen Kirchen-
musik, an deren Hohepunkt die Werke J. S. Bachs
stehen, vollzog sich im 17. und 18. Jh. als Geschichte
einer Gattung, die anfanglich noch identisch war mit
dem Geistlichen Konzert (aus dem auch die Mehr-
satzigkeit organisch erwuchs). Aber die eigenthche K.,
die der Gattung spater den Namen geben sollte, war
innerhalb dieser Entwicklung urspriinglich nur eine
Sondererscheinung. Unter dem Titel Geistliche Canta-
ten statt einer Kirchen-Music erschienen 1704 geistliche
Dichtungen in madrigalischen, d. h. freien Versen
(ohne Strophenbindung), die der WeiBenfelser Pfarrer
Erdmann Neumeister vor oder um 1700 verfaBt hatte.
Im Vorwort erklart er die K. als eine Folge von Rezi-
tativen und Arien; als musikalisch-formales Vorbild
nennt er die Oper. Die Einf iihrung des Rezitativs in die
Kirchenmusik durch Neumeister geschah kaum aus
rein musikalischen Erwagungen (fiir Bibeltexte war es
schon vorher gelegentlich verwendet worden). Einer-
439
Kantate
seits konnte er in der Kombination Rezitativ-Arie das
subjektiv-religiose Empfinden starker hervortreten
lassen, andererseits bot das Rezitativ durch prosaartige
Ungebundenheit der Sprache mehr Raum fur theolo-
gische Erorterung als die Odenstrophe. Fiir die Arien
empfiehlt Neumeister die Da-Capo-Form, ohne sie
von der Dichtung her zur Bedingung zu machen. Die
ersten Kantatentexte Neumeisters, deren Inhalt Pre-
digtgedanken fiir alle Sonn- und Festtage des Jahres
bilden, wurden vollstandig vertont von J.Ph.Krieger.
Fiir Krieger, von dem wahrscheinlich die Anregung
zvir K. kam, hatte Neumeister schon friiher einen Jahr-
gang Poetische Oratorien (ohne Rezitative) gedichtet (von
alien Kompositionen Kriegers iiber Neumeister-Texte
ist keine einzige K. erhalten; vgl. M. Seiffert in DDT
LIII/LIV, 1916). Die Neuerung breitete sich rasch aus,
allerdings setzte sofort ein Prozefi der Verschmelzung
mit den herkommlichen Textgrundlagen der Kirchen-
musik ein: in einem Danziger Jahrgang von 1708 wur-
den die Texte . . . nachCantaten Art eingerkhtet / undumb
mehrer Erbauung willen gemeiniglich einen Spruch aus hei-
liger Schrifft vorgesetzet / ubrigens aber j die Gemeinde
desto mehr zu obligiren j hier und dar Stiicke aus bekandten
Choral Gesdngen eingerucket j und mithin einen jedenfrey-
gestellet j mitzusingen (vgl. Rauschning 1931). Schon fiir
den 2. Jahrgang seiner Kantatentexte (1708, die Musik
von Erlebach ist verloren) dichtete Neumeister Ein-
gangsverse fiir Chor- bzw. Tuttibesetzung; im 3. und
4. Jahrgang (1711 und 1714), komponiert von Tele-
mann, fiigte er die herkommlichen Dicta und Choral-
strophen ein (andernorts wurden umgekehrt auch altere
Texte durch Einfiigung von Rezitativen modernisiert).
Diese Textvermischung war die Voraussetzung fiir die
Ubertragung der Bezeichnung K. auf die Gattung der
»ordentlichen Kirchenstucke«, die schon 1739 von
Mattheson (Capellm., S. 215) beobachtet bzw. geriigt
wurde, aber erst bei Koch (1802) vollzogen erscheint.
DieEinf iihrung von Rezitativ und Da-Capo- Arie in die
Kirchenmusik war auch auf Ablehnung bei Theologen
(z. B. Chr.Gerber) und Musikern(J.H.Buttstedt) ge-
stoBen, doch setzten sich die Kritiker der Neuerung
nicht durch, vielmehr f olgten andere Dichter dem. Vor-
bild Neumeisters (S.Franck, J.K.Lichtenberg, J.J.
Rambach u. a.). Das Rezitativ vermochte die Auf-
merksamkeit der Komponisten erneut auf das Wort
hinzulenken: dies entsprach in besonderer Weise der
Auf gabe der K. als Predigtmusik (Auffiihrung im Got-
tesdienst meist unmittelbar vor der Predigt oder diese
umrahmend). Ein wesentliches, kiinstlerisches Merk-
mal der K. besteht in der Vielfalt der mbglichen Text-
zusammenstellungen aus Bibelwort und Choral einer-
seits als den Elementen der kirchlichen Tradition, Pre-
digtwort und subjektiv gefarbter religioser Aussage in
Rezitativ und Arie andererseits als Zeugen lebendiger
Gegenwart. Diese Vielfalt der Texte fand ihr Gegen-
stiick in der Fulle der musikalischen Gestaltungsmog-
hchkeiten, die vor allem Bachs K.n-Werk kennzeich-
net, aber eine prazise Definition der Gattung oder eine
systematische Einteilung nach K.n-Typen erschwert.
Mit wenigen Ausnahmen enthalten alle der rund 200
iiberlieferten K.n von Bach Rezitative und schlieBen
mit einer vom Chor bzw. Tutti ausgefiihrten Choral-
strophe. Bach hat auch einige Solo-K.n geschrieben
(z. B. BWV 51, 54 und 56), die nach Besetzung und
formaler Struktur der italienischen Cantata am nach-
sten kommen. Die meisten K.n Bachs kniipfen jedoch
durch ihre Erofmung mit grofien, vom Orchester be-
gleiteten Chorsatzen an die seit dem 17. Jh. bestehende
Tradition des evangelischen Geistlichen Concertos an.
Anstelle des Chores begegnen auch einleitende, meist
aus weltlichen Werken iibernommene Instrumental-
satze, die mitunter durch Einfiigung von Chorstim-
men in den Orchestersatz bearbeitet sind (z. B. BWV
110 nach BWV 1069). In der Leipziger Zeit entwickel-
te Bach besonders die Sonderform der Choral-K. zu
hochster Reife; er fand hierin keine Nachfolger. - In
der 2. Halfte des 18. Jh. wird die musikalische Pro-
duktion von Kirchen-K.n iiberschattet von aufklareri-
scher Kritik, die sich gegen die Art der religiosen Dich-
tung ebenso richtet wie gegen den »unkirchlichen«
Charakter ihrer Musik. Wahrend man im Gottesdienst
zu Anfang des 19. Jh. den einfachen Choralgesang fiir
erbaulicher zu halten begann als Figuralmusik, wan-
derten anspruchsvollere Kompositionen (C.Loewe,
Mendelssohn) in den Konzertsaal ab. Dort vollzog
sich auch die Wiederbelebung der Bachschen Kirchen-
musik. Erst im 20. Jh. erwacht wieder ein lebendiges
Interesse an neuen kirchenmusikalischen Kompositio-
nen, wobei unter anderen Formen auch eine erneuerte
K. gepflegt wird.
Die itahenische Cantata erlebte wahrend des 18. Jh. ei-
ne bescheidene Nachbliite an deutschen Furstenhofen.
Verbreitet war die Cantata (auch unter dem Namen
Serenata) vor allem als Gliickwunsch- und Gelegen-
heitskomposition (diese Art bestand auch in Italien und
Frankreich fort). Als Textdichter war Metastasio iiber
seinen Tod hinaus beliebt. Die Koloratur blieb Be-
standteil der Cantata bis nach 1800, doch fand etwa ab
1750 ein Ubergang zur Konzert-K. statt, angezeigt
durch haufigere Verwendung des Chores. Als inter-
nationale Gattung fand die italienische Cantata, im
Gegensatz zur nationalen deutschen und franzosischen
Konzert-K., im 19. Jh. keine Fortsetzung. - Im Gefol-
ge der Oper war um 1700 auch die weltliche K. iiber
deutsche Texte aufgekommen, vor allem in Hamburg
(R.Keiser, Gemiitsergotzung, 1698). Die wichtigsten
Textdichter waren Hunold, Gottsched (der sich im
Versuch einer Critischen Dichtkunst, Leipzig 4 1751, auch
theoretisch auBerte) und Herder. Deutsche weltliche
K.n stehen im Schaffen der meisten Komponisten am
Rande (C.H.Graun, Telemann, J. S.Bach, G.H. Stol-
zel, J. A.Hiller), doch fiihrt eine kontinuierliche und
bisher noch nicht zusammenfassend dargestellte Tra-
dition (Kirnberger, J. Chr. Fr. Bach, Fr.Benda, Abbe
Vogler u. a.) zur Konzert-K. des 19. Jh. Im Gefolge der
Handel-Verehrung, besonders auch seit Haydns Schbp-
fung und Jahreszeiten (und Beethovens 9. Symphonie)
wurde die Begeisterung fiir groBere Vokalwerke mit
Chor und Orchester geweckt (-»- Oratorium) . Als »Mu-
sikvereinskunst« (Schnoor 1939), auch unter Bertick-
sichtigung der zahlreichen Mannerchore, entstand eine
umfangreiche Literatur, wobei die Grenzen zwischen
Oratorium und K. flieBen. Die K. zeichnete sich immer
noch durch groBere Gegenwartsnahe aus (Beethoven
op. 136; Weber, Kampfund Sieg, 1815), doch wurden
auch Balladen, Marchenstoffe usw. vertont. Fiir diese
Werke (z. B. Schumann, DasParadies und die Peri, 1843;
M.Bruch, Szenen aus der Fritjofsage, 1864; J.Brahms,
Rinaldo, 1868, und Schicksalslied, 1871; R. Strauss, Wan-
derers Sturmlied, 1886; u. a.) bevorzugte H.Riemann
die genaueren, an der Textvorlage orientierten Be-
zeichnungen : Chorballade, Chorode, Legende, lyri-
sche Szene und Mysterium. Entstand noch 1921 als
Spatwerk der musikalischen Romantik Pfitzners Ei-
chendorff-K. Von deutscher Seele, so setzten schon im
gleichen Jahrzehnt als Zweig der »Gebrauchsmusik«
die besonders fiir das Gemeinschaftsmusizieren be-
stimmten K.n ein: P.Hoffer, Frohliche Wanderkantate
(nachEichendorff); Hindemith, Mahnung an diejugend,
sich der Musik zu befleifiigen (K. aus Ploner Musiktag).
Jugend-K.n komponierten in neuerer Zeit auch J. Haas,
H. Bergese, H. Brautigam u. a. Die zwei K.n von We-
440
Kantilenensatz
bern (iiber Dichtungen von H.Jone, op. 29, 1938/39,
und op. 31 , 1941/43) kniipfen weniger an das auBere (sti-
listische), als an das geistigeVorbild derGattungK. an.
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brucken 1965, maschr. HHa
Kantele (estnisch kannel; lettisch kuokle; litauisch
kankles), das finnische Nationalinstrument, eine flache
Zither ohne Griffbrett, mit 3eckigem Resonanzkorper
aus Holz und bis zu 30 Saiten (heute in der Regel aus
Stahl). Die K. wird auf den SchoB oder einen Tisch ge-
legt und mit den bloBen Fingern gespielt. - Die Jou-
hikko-K. ist eine Streichleier.
Ausg.: Kantelejo jouhikko savelmia (»K. u. Jouhikko-
Melodien«), = Suomen kansan savelmia V, hrsg. v. A. O.
Vaisanen, Helsinki 1928.
Lit.: O. Andersson, Strakharpan, Stockholm 1923, engl.
als: The Bowed Harp, London 1930; T. Norlind, Bidrag
till k. hist., StMf V, 1923; ders., Systematik d. Saiten-
instr. I, Gesch. d. Zither, Stockholm 1936; A. O. Vai-
sanen, Wirklichkeitsgrund d. finnisch-estnischen K.-Ru-
nen, Acta Ethnologica 1, 1938 ; ders., Y. Kilpinens kantele-
tar-Lieder, Kgr.-Ber. Hbg 1956; Fr, Bose, Die finnische
K., d. alteste Zither Europas, Atlantis XXIV, 1952.
Kantilene (frz. cantilene) bezeichnet seit Ende des 17.
Jh. (im AnschluB an die Grundbedeutung von lat.
->■ cantilena) einen Gesang oder ein Lied, nach Bros-
sard (1703) eine Komposition mit ausgepragter Melo-
diefuhrung (ahnlich -»■ cantabile), nach Koch (1802)
speziell eine kleine Solokantate, im 19. Jh. allgemein
eine (auch instrumentale) Melodie von ausgesprochen
gesanglich-lyrischem Charakter.
Kantilenensatz, in der neueren Musikgeschichts-
schreibung eine im AnschluB an -»■ Cantilena (- 5) ge-
bildete Bezeichnung fur den Typus des Liedsatzes im
14. und 15. Jh. mit textiertem, solistisch gesungenem,
wohl auch auf einem Instrument mitzuspielenden
Cantus und 1-3 instrumentalen Stimmen. Der K.
wurde in Frankreich ausgebildet als eine Spatform des
-»• Discantus und eine Art der mehrstimmigen -> Chan-
son, die in der in alien Stimmen textierten Form des
13. Jh. Cantilena, im spateren 15. und im 16. Jh. neben
Cantilena und Chanson auch -*■ Carmen hiefi, wah-
rend fur den K. eine spezielle Bezeichnung nicht be-
legt ist. A. Schering (1914) nannte das Lied im K. miB-
verstandlich »Diskantlied« (Oberstimmenlied) und Fr.
Ludwig einseitig »Balladenf orm« (z. B. ZfMw V, 1922/
23, S. 443) oder »Balladenstil«, da jener Typ des Lied-
satzes im 14. Jh. am haufigsten in der Ballade ausge-
pragt ist. Doch auch die Bezeichnung K. hat als »ge-
machter« (nicht historischer) Terminus Nachteile, vor
allem bei Abgrenzung gegenuber dem Chansonsatz,
der nach heutiger Ubereinkunft im 15. Jh. dem K.
folgte, wenngleich schon bei Machaut die Bezeichnung
Chanson (chanson notee, chanson mise en chant) als
Oberbegriff seiner Liedformen begegnet. - Der K.,
der die mehrstimmige Cantilena des 13. Jh. (Adam de
la Halle, L'Escurel) abloste, entstand als eine Schbp-
fung der Ars nova wohl vor dem Hintergrund des im-
provisiert begleiteten Trouvereliedes und unter dem
EinfluB der franzosischen Motette mit frei erfundenem
instrumentalemTenor. Der Dichterkomponist Machaut
erhob ihn in den (jetzt ganz ins Solistische gewendeten)
Refrainformen Ballade, Rondeau und Virelai zu hoher,
dem Motettensatz kiinstlerisch ebenbiirtiger Auspra-
gung. Von seinen insgesamt 41 mehrstimmigen Balla-
den und 21 Rondeaux sind 19 bzw. 8 zweistimmig, 17
bzw. 11 dreistimmig und 5 bzw. 2 vierstimmig. Dar-
unter befinden sich als Sonderart - unter dem EinfluB
der Motette stehend - zwei 3st. Tripelballaden (mit 3
verschiedenen Texten), eine 4st. Doppel- und eine 2st.
isorhythmische Ballade. (Von den 34 Virelais sind
7 zwei-, nur eine drei-, die iibrigen einstimmig.)
Seinem Typus nach geht der K. - im Unterschied
zum alteren Conductus- sowie zum Motettensatz -
von der Komposition des fur hohe, zuweilen mitt-
lere Mannerstimme geschaffenen Cantus aus, dem der
instrumentale Tenor frei beigegeben wird. Sowohl
die Kompositions- als auch die Uberlieferungsart
- zahlreiche Satze sind zwei- und dreistimmig, bzw.
drei- und vierstimmig tradiert - weisen in den 3- und
4st. Liedsatzen den Cantus-Tenor-Satz als Geriistsatz
aus, der durch Hinzufiigung eines instrumentalen
Contratenors (in der Lage des Tenors) oder Triplum
(in der Lage des Cantus) zur Drei-, durch Zufiigung
von Contratenor und Triplum zur Vierstimmigkeit er-
weitert werden konnte. Der Satz ist in alien Stimmen
versmaflig gcgliedert (mit gelegentlichen Ubcrlcitun-
gen in einer der Unterstimmen), die Zeilen des Stollen-
paars sind meist durch ouvert- und clos-Schliisse dif-
ferenziert, die Strophenteile auch sonst tonal zueinan-
der in Beziehung gesetzt sowie dieEnden des Anfangs-
und SchluBteils oft durch musikalischen »Rucklauf « ver-
bunden. Die fiir Synkopierungen geeignete Prolatio
minor-Einteilung des Taktes wird bevorzugt. Die
rhythmische Subtilitas der Ars nova-Notation ermog-
441
Kantillation
licht durch das Spiel der Synkopen, Vorhalte, Antizipa-
tionen, Tonverschweigungen usw. hochst diffizile har-
monischeBildungenvordemHintergrunddes2st.Kern-
satzes und im Rahmen des in der Regel klanglich perf ek-
ten Beginnens und Schliefiens der Partikel und Zeilen.
- Q mm T , T 1 ■; T 'a 1
[Cantus]
Contra-
tenor
Tenor
Machaut, Beginn der Ballade Nr 33.
Der K. strahlte im spateren 14. Jh. auch auf die mehr-
stimmige Liedkunst Italiens aus, namentlich auf die
Ballata (Fr.Landini). In der franzosischen Spatzeit,
nach Machauts Tod (1377), erlangte der jetzt fast aus-
schlieBlich 3- und 4st. K. die Vorherrschaft gegeniiber
der Motette (die -> Quelle Ch enthalt neben nur 13
Motetten 99 Kantilenensatze, davon 70 Balladen). In
Verbindung mit der auBersten Verfeinerung der No-
tationskunst steigerte sich die rhythmische, melodische
und klangliche Subtilitas der liedsatze. Gleichzeitig
schritt die gegenseitige Durchdringung des Motetten-
und K.es weiter fort, indem letzterer haufig die Iso-
rhythmie sowie die Doppel- und Tripeltextierung
aufnahm, wahrend die Motetten- und MeBsatze, na-
mentlich bei Binchois und dem jungeren Dufay, oft
nach Art des K.es gebildet wurden (»Kantilenenmo-
tette«, Besseler 1950; »Balladenmesse«, Ludwig, AfMw
VII, 1925, S. 424ff.). Wahrend sich nach 1400 inner-
halb der Liedformen im K. das Schwergewicht von
der Ballade auf das Rondeau verlagerte, wirkte der K.
(als von der Oberstimme her konzipierter Kernsatz,
der mannigfacher Erweiterungen fahig ist) auBer auf
Motette und Messe auch auf andere Gattungen ein, sei
es, daB nur die Oberstimme textiert ist (wie oft in der
Lauda, Frottola und im Villancico), sei es, dafi der
ganze Satz vokal ist (wie im Carol und im Fauxbour-
donstiick, in Hymnen und Antiphonen). Bis zur Zeit
Ockeghems ist der K. ein Haupttypus unter den
Kompositionsarten. Unter demEinfluBEnglands (Dun-
stable) und im Zuge der sich festigenden tonalen Har-
monik iiber einer Klangtrager-Tiefstimme wichen so-
wohl die Scheidung zwischen gesungenen und gespiel-
ten Stimmen als auch die Geriistsatzstruktur im Lied-
satz des spateren 15. Jh. der vokalen Gleichrangigkeit
und satztechnischen Unentbehrlichkeit aller Stimmen -
Kennzeichen des neueren -*■ Chanson-Satzes.
Lit. : Fr. Ludwio, Die mehrst. Musik d. 14. Jh., SIMG IV,
1902/03; ders. in: Adler Hdb.; J. Handschin, Mg. im
Oberblick, Luzern (1948), 21964; ders., Reflexions sur la
terminologie, RBM VI, 1952; H. Besseler, Bourdon u.
Fauxbourdon, Lpz. 1950; G. Reaney, Fourteenth Cent.
Harmony and the Ballades, Rondeaux, and Virelais of G.
de Machaut, MD VII, 1953; U. Gunther, Der mus. Stil-
wandel d. frz. Liedkunst in d. 2. Halite d. 14. Jh., darge-
stellt an Virelais, Balladen u. Rondeaux v. Machaut sowie
datierbaren K. seiner Zeitgenossen . . ., Diss. Hbg 1957,
maschr. ; E. Apfel, Beitr. zu einer Gesch. d. Satztechnik v.
d. friihen Motette bis Bach I, Munchen 1964 (S. 54ff. : Der
Satz d. mehrst. weltlichen Liedes seit d. Ars nova). HHE
Kantillation, Bezeichnung fur den bei biblischen
Gebeten und Lesungen des synagogalen Gottesdien-
stes gebrauchten, solistisch psalmodierenden Sprechge-
sang, der weitgehend die gleichen Charakteristika auf-
weist wie die aus ihm hervorgegangenen Lektions- und
-* Psalmtone der christlichen Kirche. Die urspriing-
lich nur iiber die Cheironomie gelehrte Bibellesung
in der Synagoge ist bereits durch Philon von Alexan-
drien (f um 45-50 n. Chr.) und das Neue Testament
bezeugt. Durch schlichte melodische Wendungen
werden Versmitte und -ende, mitunter auch der An-
fang hervorgehoben, wogegen der groBere Teil des
Textes auf dem (in den verschiedenen Vershalf ten gern
wechselnden) Rezitationston vorgetragen wird, der,
der orientalischen Praxis entsprechend, haufig umspielt
werden kann. Wenn auch die Friihf ormen der K. nicht
mehr rein erhalten sind, lassen sie sich doch als ge-
meinsames Element in der K. der Hauptgruppen der
Judischen Gemeinden feststellen. Die orientalische K.
ist, vor allem in ihren jemenitischen, persischen und in-
dischen Zweigen, als die al teste anzusehen. Sie lafit noch
Zusammenhange mit der ursprunglichen babyloni-
schen Tradition erkennen, die auch in den sephardi-
schen Gesangen f estzustellen sind.
Ua-yiq-ra Mo-she
lS-khol ziq-ney Yis-ra-el
ua-yo - mer a-le-hem
Exodus 12, 21. -Jemen (nach E.Gerson-Kiwi).
Die auf mundlicher Uberlieferung basierende altere
Tradition ubernahm fiir die K. nur in beschranktem
MaBe die melodisch reichere Gestaltung, die mit der sy-
stematischen Ausbildung eines weitentwickelten schrif t-
lichen Akzentsystems Hand in Hand ging. Dieses Sy-
stem von den textbegleitenden Akzentzeichen mit ei-
ner der -* ekphonetischen Notation nahekommenden
Bedeutung verdankt seine Vervollkommnung vor al-
lem der Schule von Tiberias um 900. Es ist fiir die schrif t-
liche Bibeliiberlieferung in der dort entwickelten Form
noch bis heute giiltig und bestimmt die von ihr aus-
gehende Gestaltung der K. im Unterschied zu der noch
heute bestehenden miindlichen Uberlieferung.
Lit. : A. Z. Idelsohn, Hebraisch-orientalischer Melodien-
schatz, 10 Bde, Lpz. 1914-32; ders., Phonographierte Ge-
sange u. Ausspracheproben d. jemenitischen, persischen u.
syrischen Juden, Sb. Wien 1917; ders., Die Vortragszei-
chen bei d. Samaritanern, Monatsschrift f. Gesch. u. Wiss.
d. Judentums LXI (N. F. XXV), 1917; ders., Parallelen
zwischen gregorianischen u. hebraisch-orientalischen Ge-
sangsweisen, Zf M w I V, 1 92 1 /22 ; P. K ahle, Die Lesezeichen
bei d. Samaritanern, in: Oriental Studies, Fs. P. Haupt, Balti-
more u. Lpz. 1926; R. Lachmann, Jewish Cantillation and
Song in the Isle of Djerba, Jerusalem 1940; E. Werner, Pre-
liminary Notes for a Comparative Study of Catholic and
Jewish Mus. Punctuation, Hebrew Union College Annual
XV, 1940; ders., The Origin of Psalmody, ebenda XXV,
1954; H. Avenary, Systematik u. Tradition im Vortrag d.
hebraischen Bibel, Jerusalem 1956 (Mikrofilm); S. Ro-
sowsky, The Cantillation of the Bible, NY 1957; S. Cor-
bin, La cantillation des rituels Chretiens, Rev. de Musicol.
XLVII, 1961 ; E. Gerson-Kiwi, The Legacy of Jewish Mu-
sic Through the Ages, Jerusalem 1963 ; J. Spector, Sama-
ritan Chant, Journal of the International Folk Music
Council XVI, 1964; ders., The Significance of Samaritan
Neumes . . . , Studia musicologica VII, 1965.
Kantionalsatz. Der gottesdienstliche Liedgesang in
der evangelischen Kirche war anfanglich einstimmig
und unbegleitet. Erst L. -> Osiander schuf fiir das ge-
meinsame Singen des Figuralchors der stadtischen La-
teinschule und der Kirchengemeinde einen vierstim-
migen homorhythmischen K. mit der Melodie in der
Oberstimme. 1586 veroffentlichte er in Niirnberg seine
Fiinfftzig Geistliche Lieder vnd Psalmen. Mit vier Stim-
men j auff Contrapunctsweise (fiir die Schulen vnd Kirchen
im loblichen Fiirstenthumb Wurtenberg) also gesetzt / das
442
Kantor
ein gantze Christliche Getnein durchaufi mit singen kan. In
der Vorrede heiBt es, daB die Componisten sonsten ge-
wbhnlich den Choral im Tenor fiihren. Wann man aber das
thut, so ist der Choral vnter andem Stimmen vnkenntlich:
Dann der gemein Mann verstehet nicht, was es fur ein
Psalm ist: vnd kan nicht mit singen. Darumb hob ich den
Choral inn den Distant genommen, damit er ja kenntlich,
vnd einjederLeye mit singen kbnne. Nach Osianders Vor-
bild entstand eine Reihe bedeutender Kantionalien,
u. a. von R. Michael (1593), J.Eccard (1597), S.Cal-
visius (1597), A.Raselius (1559), B.Gesius (1601), M.
Vulpius (1604), M.Praetorius (1605ff.), H.L.HaBler
(1608), J.H.Schein {Cantional oder Gesangbuch, 1627)
und M.Franck (1631). Der K. verdrangte nach und
nach den 1st. Gemeindegesang in der Kirche. Um die
Wende zum 18. Jh. wurde er durch Gesangbuchdrucke
mit Melodie und beziftertem BaB abgelost.
Ausg. : L. Osiander, Funfzig geistlicbe Lieder, hrsg. v. Fr.
Zelle, in: Wiss. Beilage zum Jahresber. d. 10. Realschule
zu Bin, Bin 1903; M. Praetorius, Musae Sioniae V-VIII,
= GAV-VIII,Wolfenbuttelu.Bln(1928ff.);H.L.HASSLER,
Kirchengesange,hrsg.v.R.v.Saalfeld,Augsburg(1925).
Lit.: Fr. Blume, Dieev. Kirchenmusik, Biicken Hdb., als:
Gesch. d. ev. Kirchenmusik, Kassel 2 1965, unter Mitarbeit
v. L. Finscher, G. Feder, A. Adrio u. W. Blankenburg; H.
Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsche Lied (1400-
1600), = Neue deutsche Forschungen CXCVII, Abt. Mw.
VII, Bin 1938; H. J. Moser, Die ev. Kirchenmusik in
Deutschland, Bin u. Darmstadt (1954); W. Blankenburg,
Der gottesdienstliche Liedgesang d. Gemeinde, in: Lei-
turgia. Hdb. d. ev. GottesdienstesIV, Kassel 1961 ; E. Wolf,
Der vierst. homophone Satz. Die stilistischen Merkmale d.
K. zwischen 1590 u. 1630, Wiesbaden 1965.
Kantor, allgemein Sanger, seit dem Mittelalter Kir-
chensanger, seit dem 16. Jh. speziell der fur die Kir-
chenmusik verantwortliche Schulgesanglehrer, in neue-
ster Zeit an groBeren Kirchen der leitende Kirchen-
musiker. Als Cantor bezeichnet noch Boethius, der
antiken Tradition entsprechend, den zu den niede-
ren Schichten gehorenden fahrenden Sanger im Ge-
gensatz zum gelehrten -> Musicus, der durch Kennt-
nis der spekulativen Musiktheorie die Einsicht in die
mathematischen Gesetze der Musik besaB. Bis ins
friihe Mittelalter, als man die Sanger der kirchlichen
Liturgie als Cantores bezeichnete, haftete an dem Be-
grifi etwas Abwertendes, bis sich eine eigene Theorie
und Lehre des Kirchengesangs entwickelte. Der mit
den Regeln der Gesangskunst vertraute Kirchensinger
wurde bei Guido von Arezzo in den Rang eines Mu-
sicus erhoben. Der allmahliche Wandel des Begriffs
cantor zeigt sich darin, daB im Gegensatz zum unge-
bildeten Praktiker, der nur nach dem Gehor sang
(cantor per usum), der kunsterfahrene Sanger jetzt
auch als Cantor per artem bezeichnet wurde. Zu die-
sem Kreis der gebildeten Cantores zahlten einerseits
die Sanger der Dom- und Hofkapellen, andererseits
die Sangmeister und Musiklehrer der Kloster-, Dom-
und Stadtschulen. - Ein neuer Typ des K.s bildete sich
im 16. Jh. an den protestantischen Lateinschulen her-
aus. So wie die Schule einerseits Bildungsanstalt sein
sollte, andererseits nach dem Vorbild der alten Stifts-
schule die Sanger fur den liturgischen Kirchengesang
stellen muBte, war auch der K. der Schule und der Kir-
che verpflichtet. In der Schule unterrichtete er nicht
nur in der Musik, sondern auch in wissenschaftlichen
Fachern. An vielen Orten muBte ein K. daher den
-»■ Akademischen Grad des Magisters erworben oder
wenigstens an einer Universitat studiert haben. Fur den
theoretischen Musikunterricht verfaBten zahlreiche
K.en im 16. und 17. Jh. eigene Lehrbucher der Musica
practica (Gesangslehre) ; den Stoff der Musica poetica
(Kompositionslehre) und der Musica theorica (speku-
lative Musiktheorie vermittelten sie einer Auswahl
begabter Schuler im Privatunterricht. Im Gottesdienst
leitete der K. zunachst den einstimmigen liturgischen
Gesang der Schuler. Schon im 16. Jh. wurde vielerorts
von ihm aber auch Figuralgesang gefordert, zuerst nur
an den Festtagen, schlieBlich jeden Sonntag; dabei
wurde sein Auswahlchor oder seine ->■ Kantorei re-
gelmaBig von den Stadtpfeifern unterstutzt. In gro-
Beren Stadten wurde vom K. erwartet, daB er die
sonntaglichen Motetten oder spater Kantaten selbst
komponierte. Die zunehmenden musikalischen und
kompositorischen Aufgaben konnte er in der Regel
nur erfiillen, wenn die Schule ihn vom wissenschaft-
lichen Unterricht entlastete und wenn die Stadt ein
zentrales Kantorat einrichtete, d. h. wenn sie dem K.
als dem Director musices die Verantwortung iiber die
Musik in alien Kirchen iibertrug. In einer solchen Stel-
lung gait der K. als die fiihrende Personlichkeit des
stadtischen Musiklebens. Er komponierte von Amts
wegen auch die Musik fur die stadtischen Feste und
muBte mit seinen Schiilern bei Hochzeiten und Fa-
milienfesten der Burger sowie regelmaBig bei Beerdi-
gungen singen. Die ihm aus diesen Nebendiensten zu-
fallenden Entschadigungen (Akzidentien) bildeten den
weitaus groBten Teil seiner Einkunfte. Die feste Leh-
rerbesoldung machte bei Demantius in Freiberg etwa
ein Sechstel, bei Bach in Leipzig etwa ein Siebentel
der Gesamtentlohnung aus. So war es fur viele K.en
eine Existenzfrage, wenn sie hartnackig um ihre Son-
derrechte und damit um ihre Nebeneinnahmen kampf-
ten. - Entsprechend den lokalen Unterschieden im
Schulwesen waren Stellung und Aufgaben des K.s ort-
Uch sehr verschieden. An kleineren Schulen stand der
K. im Kollegium an zweiter Stelle hinter dem Rektor;
hier nahm f iir ihn die -> Schulmusik einen relativ brei-
ten Raum ein. Dagegen hat man an vielen der im 16.
Jh. neugegriindeten zentralen Stadtschulen die musi-
kalischen Verpflichtungen der Schuler als unbequeme,
das eigentliche humanistische Bildungsprogramm sto-
rende Beigabe empfunden und den dafiir erforder-
lichen Musikunterricht soweit wie moglich einge-
schrankt. Hier wurde der K. seinem wissenschaftlichen
Unterricht entsprechend in das Kollegium eingeord-
net und konnte die 4. oder 5. Stelle einnehmen. An
einer Schule, die in alien Kirchen der Stadt die Musik
ausfuhren muBte, gab es mitunter 3 oder 4 K.en, von
denen jeder mit einer Klasse einer Kirche zugeteilt
war. Hier kam es ebenso zu einer Zersplitterung der
Krafte wie in den Stadten, in denen es mehrere Schu-
len, aber kein zentrales stadtisches Musikdirektorat gab.
In diesen relativ unbedeutenden und wegen der gerin-
gen Nebeneinnahmen auch wenig eintraglichen Kan-
toraten findet sich kaum ein bekannterer Komponist.
Nicht selten konnte hier der Organist zur fiihrenden
Musikerpersonlichkeit einer Stadt werden. Kleinere
Kantorate wurden vielfach nur als Durchgangsstation
auf dem Wege zu einem Pfarramt angesehen. In den
maBgebenden Musikzentren aber behauptete sich von
Johann Walter bis zu J. S. Bach eine feste Tradition
amtsbewuBter protestantischer K.en, die sich in den
Dienst von Kirche, Stadt und Biirgerschaft stellten
und von ihrem Kirchenamt her die hochste Stufe in
der Rangordnung der Musiker einnahmen. Die Tra-
dition endet im Zeitalter des Rationalismus, als die alte
Lebensordnung nicht mehr anerkannt wurde und das
stadtische Musikleben sich von Grund auf wandelte.
Lit. : R. Vollhardt, Gesch. d. Cantoren u. Organisten v.
d. Stadten im Konigreich Sachsen, Bin 1899 ; E. Preussner,
Die Methodik im Schulgesang d. ev. Lateinschulen d. 17.
Jh., Diss. Bin 1924,maschr.,Teildruckein: AfMw VI, 1924,
u. Fs. Fr. Stein, Braunschweig 1939; G. Schunemann,
443
Kantorei
Gesch. d. deutschen Schulmusik, 2 Teile, Lpz. 1928-32, 1
2 1 93 1 ; A. Werner, Vier Jahrhunderte im Dienste der Kir-
chenmusik, Lpz. 1933; G. Pietzsch, Bildungu. Aufgaben
d. K. im MA u. Friihprotestantismus, Die Musikpflege
IV, 1933/34; W. M. Luther, Die gesellschaftliche u. wirt-
schaftliche Stellung d. protestantischen K., MuK XIX,
1949; W. Gurlitt, Zur Bedeutungsgesch. v. musicus u.
cantor bei Isidor v. Sevilla, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit.
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg.1950, Nr 7,
Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesba-
den 1966; Kl. W. Niemoller, Grundziige einer Neube-
wertung d. Musik an d. Lateinschulen d. 16. Jh., Kgr.-Ber.
Kassel 1962; D. Krickebero, Das protestantische Kan-
torat im 17. Jh., = Berliner Studien zur Mw. VI, Bin 1965.
MR
Kantorei, in Stadten die vom Schulkantor geleitete
freiwillige Vereinigung sangesfreudiger Burger zur
Forderung der Kirchenmusik, auch der durch Man-
nerstimmen verstarkte Schulchor eines Kantors, an
Hofen die Vereinigung der besoldeten Berufssanger
oder der Sanger und Instrumentisten. - Fur die Aus-
fiihrung der Figuralmusik in den stadtischen Kirchen
stand dem Kantor der Chorus symphoniacus, ein aus
Schulern aller Klassen gebildeter Auswahlchor, zur
Verfiigung. Er wurde vervollstandigt durch die Schul-
kollegen des Kantors, die zur Mitwirkung verpflichtet
waren, sowie durch Gehilfen (meist ehemalige Schii-
ler), die freiwillig oder gegenEntschadigung mitsangen
(-> Adjuvantchore). Die Stadtpfeifer muBten diesen ge-
legentlich schon als K. bezeichneten Chor regelmaBig
bei der Figuralmusik unterstiitzten. - Die eigentlichen
burgerlichen K.en gehen in Zielsetzung und Organi-
sation zuriick auf vorreformatorische Laienvereinigun-
gen wie die Kalandbruderschaften (benannt nach den
an den Calendae, den ersten Monatstagen, abgehaltenen
Versammlungen) und die Stabulisten- oder Konstabler-
vereine (von lat. stabilire, befestigen, starken).Wahrend
vor der Reformation musikalische Sonderleistungen in
der Regel durch eine Stiftung veranlaBt waren und die
Ausfiihrenden oder die Bruderschaft dafiir Entscha-
digungen oder Vergiinstigungen erhielten, forderte
Luther, daB Laien sich ohne alle Stiftung und nur aus
frohlichem Gewissen und Herzen zu K.en zusam-
menschlieBen und bei der Kirchenmusik mitwirken
sollten. Diese Forderung blieb 2 Jahrhunderte lang das
Ideal der zahlreichen, vor allem in Mitteldeutschland
gegriindeten K.en. In den Satzungen wird stets be-
tont, daB die Hauptaufgabe das Singen im Gottesdienst
sei. In zunehmendem MaBe wurden die Mitgheder
aber auch durch die geselhgen Umrahmungen der
Ubungsabende und durch materielle Vorteile zum
Beitritt veranlaBt. Die K. sang bei Hochzeiten oder
Beerdigungen ihrer Mitgheder. Wer in Not geriet,
wurde unterstiitzt. Jahrlich wurde ein groBes Festmahl
veranstaltet, das sich an einigen Orten zu mehrtagigen
stadtischen Feiern ausdehnte. Auch nichtsingende Bur-
ger konnten die Mitgliedschaft erwerben, muBten je-
doch Beitrag zahlen. Im 16. Jh. war in vielen kleine-
ren Stadten erst durch die Griindung einer K. die Auf-
fiihrung mehrstimmiger Gesange im Gottesdienst
moglich geworden. Der 30jahrige Krieg unterbrach
die Entwicklung. Die in der 2. Halfte des 17. Jh. neu
gegriindeten oder wiederbelebten K.en hielten im all-
gemeinen am alten Motettenrepertoire fest und ver-
paBten den AnschluB an die neuere Kunstmusik. Pietis-
mus und Aufklarung fiihrten im 18. Jh. mit neuen Vor-
stellungen von Kirchenmusik und neuen Formen biir-
gerhcher Geselligkeit zum Ende der stadtischen K.en.
- Vorwiegend an den protestantischen, aber auch an
einigen katholischen Hofen bezeichnete man seit dem
16. Jh. als K. im Gegensatz zur -*■ Kapelle, der auch alle
Hofgeistlichen und MeBdiener angehorten, die selb-
standig gewordene Gruppe der hbfischen Sanger und
Organisten. Seit Mitte des 16. Jh. wurde den K.en
auch die Gruppe der Instrumentisten zugeordnet; diese
hatte bis dahin in geringerem Ansehen gestanden und
war deshalb organisatorisch stets von der Kapelle ge-
trennt und dem niederen Hofgesinde zugeordnet ge-
wesen, ftihrte aber mit den Sangern zusammen die
gottesdienstliche Figuralmusik aus. Sanger und Instru-
mentisten waren in den Hof-K.en etwa in gleicher
Zahl vertreten. Mit dem starkeren Ausbau der hofi-
schen Orchester im 17. Jh. (-> Kammermusik) verlo-
ren die Hof-K.en ihre Struktur und ihren Namen.
Lit. : A. Werner, Gesch. d. Kantoreiges. im Gebiete d. ehe-
maligen Kurfurstentums Sachsen, = BIMG I, 9, Lpz.
1902; ders., Freie Musikgemeinschaften alter Zeit im mit-
teldeutschen Raum, = Schriftenreihe d. Handelhauses in
Halle VII, Halle 1940; J. Rautenstrauch, Luther u. d.
Pflege d. kirchlichen Musik in Sachsen . . . Ein Beitr. zur
Gesch. d. sachsischen K., Lpz. 1907; H. Birtner, Ein
Beitr. zur Gesch. d. protestantischen Musik im 16. Jh.,
ZfMw X, 1927/28; W. Gurlitt, J. Walter u. d. Musik d.
Reformationszeit, Luther-Jb. XV, Munchen 1933; W. Eh-
mann, Das Musizierbild d. deutschen K. im 16. Jh., in:
Musik u. Bild, Fs. M. Seiffert, Kassel 1938; M. Ruhnke,
Beitr. zu einer Gesch. d. deutschen Hofmusikkollegien im
16. Jh., Bin 1963. MR
Kanzellen (lat. cancellae), in der Orgel die einzelnen
Abteilungen der ->• Windlade, die den Wind zu den
Pfeifen fiihren. Bei den Ton-K. (Schleifladen, Spring-
laden als den beiden wichtigsten Ton-K.-Systemen)
stehen iiber ein und derselben Kanzelle die Pfeifen,
die zu einer Taste gehoren, bei den Register-K. (mit
meist kegelf ormigen Ventilen, Kegelladen) dagegen al-
le zu derselben Stimme (Register) gehorenden Pfeifen.
Kanzone (prov. canso; ital. canzona, auch canzone,
Plur. canzone oder canzoni; frz. chanson; span, can-
cion; engl. canzon), - 1) Bezeichnung fur eine lyrische
Dichtungsgattung provenzalischer Herkunft, die dann
vor allem bei den Italienern vom 13. bis 17. Jh. ge-
pflegt wurde. Bereits bei den Provenzalen ist die K.
eng an die Musik gebunden. Ihrer strophischen Glie-
derung entspricht die Musik durch Wiederholung der
Strophenmelodie. Beispiel Quart Verba fresc' e-lfoilla par
(P-C 70, 39) des Bernart de Ventadorn:
SSilbler a ^ «
a b a b
lOSilbler 8 8 z , \
c c d a
Die Musik beriicksichtigt die strophische Einheit so-
wie die Zweiteilung der Strophe, jedoch nicht die klei-
neren Einheiten. Fur Dante steht die K. zuoberst in der
Hierarchie der lyrischen Gattungen als ein vulgarium
poetnatum supremum (De uulgari eloquentia II, VIII, 7).
Die K.n-Strophe wird gegliedert in Fronte und Sirima,
wobei die Fronte wiederum aus 2 Piedi bestehen kann
und die Sirima aus 2 Volte. Z wischen Fronte und Sirima
kann eine Chiave eingeschoben werden. Die Zahl der
Stanzen schwankt zwischen 2 und 10. Es iiberwiegen
jedoch die 5- bis 7strophigen K.n. Beispiel Petrarca,
S' i" '/ dissi mai, ch' i' vegna, komponiert von B.Trom-
boncino (gedruckt 1507; vgl. A.Einstein, The Italian
Madrigal III, Nr 12), 1. Stanze:
literarisch musikalisch
fronte
pi. piede \Z\,""\
L 2 .piede Cj J
.... a
; b
c
\ d
chiave | a ■-■■;
,.. a | !
i— 1. volta I -
r Lc i
L 2. volta r c i
•—a
e ;
f
% A !
444
Kanzonette
Aus dem 14.-15. Jh. sind nur vereinzelte K.n-Kompo-
sitionen bekannt, darunter als wichtigste Dufays 3st.
Liedmotette Vergine bella (nach Petrarca). Die italieni-
sche K. des friihen 16. Jh., auf Texte Petrarcas oder des
durch Bembo angeregten Petrarchismus, gehort nach
ihrer Kompositionsweise in die Nahe der -*■ Frottola,
mit der zusammen sie sich auch veroffentlicht findet
(z. B. Canzoni sonetti strambotti et frottole libro quarto,
Rom, bei A. de Antiquis und N.Giudici, 1517). Gegen
Mitte des 16. Jh. wurden auch volkstiimliche Formen,
die in den Stilbereich der -> Villanella (-> Villotta)
fallen und wie diese meist schlicht Note gegen Note
gesetzt sind, als Canzoni alia napoletana (1572) und
Canzoni villanesche (1541) bezeichnet. - 2) Im 16. und
17. Jh. ist K. auch ein Instrumentalstiick, entweder ei-
ne Bearbeitung einer franzosischen Chanson oder eine
in deren Stil gehaltene instrumentale Originalkompo-
sition. Die franzosische vokale Chanson, die sich in
Italien groBer Beliebtheit erfreute, und ihr instrumen-
taler Ableger hieBen hier Canzon (alia) francese, letzte-
rer auch, mit ausdriicklicher Unterscheidung von der
Vokalform, Canzona da sonar. M. A. Cavazzonis K.n
(Recerchari, motetti, canzoni, Venedig 1523) sind die
ersten unter dieser Bezeichnung nachweisbaren Wer-
ke. Wahrend in Italien die K. zu einer Gattung der
Klaviermusik wurde, blieben im Ursprungsland der
Chanson Attaingnants 1530 erschienene Chansons mu-
sicales reduictes en la tabulature des orgues, espinettes . . .
isoliert (weitere Chansoniibertragungen beschrankten
sich auf Bearbeitungen fur Laute). Obwohl viele der in
Italien entstandenen K.n als Uberschrift ein franzo-
sisches Textincipit aufweisen, sind die vokalen Vor-
lagen oft nicht mehr nachweisbar, so daB fur die Ge-
samtheit der K.n-Literatur der Anteil von Bearbeitun-
gen und primar instrumental konzipierten Neukom-
positionen nicht geklart ist. Tonrepetitionen in den
Kopfmotiven und lebhafter Rhythmus weisen auf die
franzosische Chanson zuriick. Imitierende wechseln mit
homophonen, stimmig dichte mit aufgelockerten Ab-
schnitten. Folgende 3 K.n-Typen lassen sich unter-
scheiden: die unmittelbar der Chanson nachgebildete
(oder ubertragene) 4st. K. mit imitierender Einleitung
und vielen abwechslungsreichen Abschnitten, die K.
mit deutlicher Neigung zu thematischer Vereinheit-
lichung und die groBangelegte mehrchorige K. (zu-
erst G.Gabrieli, 6 K.n, 1608). - K.n wurden als Inta-
volierung (meist diminuierte Bearbeitungen), in Par-
titur oder in Stimmbuchern (meist Originalkompo-
sitionen »alla francese«) veroffentlicht. Bei letzteren
war entweder die Auffiihrung durch Ensemble oder
nachtragliche Intavolierung und Bearbeitung fiir Or-
gel moglich. K.n fiir Tasteninstrumente veroffentlich-
ten neben M. A. Cavazzoni vor allem G. Cavazzoni
(sehr freie Chansonbearbeitungen), A. Gabrieli (di-
minuierte Bearbeitungen und Neukompositionen ; An-
naherung von K. und -> Ricercar), Cl.Merulo (viele
K.n ohne Modelle, doch dem Schema verpflichtet)
und G.P. Cima (16 K.n in Partitur, 1606). Frescobaldi
verlieB das iiberlieferte K.n-Schema weitgehend, seine
K.n (erschienen zwischen 1615 und 1640) wandeln oft
ein Thema in verschiedenen Abschnitten fugiert ab
(Variations-K.). Durch seine Schiller Froberger und
Kerll kam die K. nach Deutschland, wo noch Buxte-
hude und J.S.Bach (BWV 588) K.n schrieben. Die
K. fiir Tasteninstrumente ging in die -*■ Fuge tiber
(schon 1607 werden K.n im TabulaturBuch von B.
Schmid dem Jiingeren als Fugen bezeichnet ; Mursch-
hauser spricht noch 1707 von Canzona sivefuga). - Die
bedeutendsten Komponisten von in Stimmbuchern
veroffentlichten K.n nach Vicentino (1572) und In-
gegneri (1579) waren die von A.Raverii in seinem gro-
Ben Sammelwerk Canzoni per sonare con ogni sorte di
stromenti a 4, 5 e 8 con il suo basso generate per I'organo
(1608) vereinigten beriihmten italienischen Organi-
sten: G.Gabrieli, Cl.Merulo, G.Guami, Fl.Maschera,
L.Luzzaschi, C.Antegnati, P.Lappi, G. Frescobaldi,
G.B.Grillo, B.Chilese, O.Bartolini und T.Massaini,
auBerdem A.Banchieri, G.Cima und G.D.Rognoni.
In der K. fiir Ensemble trat um 1600 die Vierstimmig-
keit zuriick gegeniiber der -*■ Mehrchorigkeit (hier
finden sich auch Urspriinge des -> Concerto grosso),
doch begegnen seit Frescobaldi (II primo libro delle can-
zoni a 1, 2, 3 e 4 foci, 1628) auch generalbaBbegleitete
K.n fiir Soloinstrumente ; Erweiterung und Verselb-
standigung ihrer einzelnen Teile durch Takt- und
Tempowechsel fiihrten zur ->• Sonate. - 3) Das spate 18.
und das 19. Jh. haben den Namen K. nicht aufgegeben,
gebrauchen ihn aber hauptsachlich fiir Musikstiicke
von lyrischem Charakter, in denen eine kantable Me-
lodik iiberwiegt, vokal z. B. Voi che sapete aus Mozarts
Le Nozze di Figaro und instrumental der langsame Satz
in Tschaikowskys 4. Symphonie (in modo di canzone).
Lit. : Dante, De vulgari eloquentia II, VIII ; ders., Divina
commedia, Purgatorio II, 112; Boccaccio, DecameroneX,
7 ; L. Biadene, Indice delle canzoni ital. del s. XIII, Asolo
1886; A. Heuss, Die venetianischen Opern-Sinfonien,
SIMG IV, 1902/03; Fr. Gennrich, GrundriB einer For-
menlehre d. ma. Liedes, Halle 1932 ; W. Kruger, Das Con-
certo grosso in Deutschland, Wolfenbiittel 1932; A.
Schlossberg, Die ital. Sonata f. mehrere Instr. im 17. Jh.,
Diss. Heidelberg 1935; J. M. Knapp, The Canzone Fran-
cese and Its Vocal Models, Diss. Columbia-Univ. (N. Y.)
1941, maschr.; E. C. Crocker, An Introductory Study of
the Ital. Canzona for Instr. Ensembles, Diss. Radcliffe Col-
lege, Cambridge (Mass.) 1943, maschr. ; Kn. Jeppesen, Die
ital. Orgelmusik am Anfang d. Cinquecento, 2 Bde, Kopen-
hagen 1943, 2 1960; A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 Bde,
Princeton 1949; E. Segura Covarsi, La cancion petrar-
quista en la lirica espahola del siglo de oro, = Anejos de
cuadernos de lit. V, Madrid 1949. - H. Wilkins, The Deri-
vation of the Canzone, Modern Philology XII, 1914/15.
Kanzonette (ital. canzonetta, Diminutiv von canzo-
na) bezeichnet im spaten 16. und im 17. Jh. kurze Vo-
kalstiicke von leichter und geschwinder Art, die oft
den Charakter von Tanzliedern haben. Ihren Ursprung
hat die K. in Italien, wo sie sich neben der hohen
Kunstform des -*■ Madrigals und der suditalienischen
-*■ Villanella zu einer eigenen Gattung entwickelte mit
der volkstumlichen Strophenform aa b cc (in den K.n
wird meistentheils die erste vnd letzte Reye repetirt, die
mittelste aber nicht, Praetorius Synt. III). K.n sind von
einfacher Struktur, meist nicht polyphon gearbeitet;
sie zeigen gegeniiber dem Pathos des Madrigals den
raschen, aggressiv klopfenden Puis des Tanzes mit
kraftig bestimmten Ikten. An italienischen Kompo-
nisten sind u. a. zu nennen: Agazzari, Gastoldi (2 Bii-
cher 3st. Canzonette, 1592 und 1595), G.Torelli, O.
Vecchi (ab 1580 mit mehreren Buchern K.n), Viadana,
auch Monteverdi (Canzonette a tre voci, 1584, und eine
posthume Ausgabe mit 2st. K.n, 1651). Fiir die Beliebt-
heit der K. im letzten Drittel des 16. Jh. zeugen die
zahlreichen Drucke. Unter italienischem EinfluB kom-
ponierten K.n in Deutschland vornehmlich H. L. HaB-
ler (24 4st. Canzonette, 1590, und 4-8st. Neue Teutsche
gesang nach art der welschen Madrigalien und Canzonet-
ten, 1596), Gr. Aichinger, V.HauBmann (4st. weltliche
K.n, 1596), Chr. Demantius und L.Lechner. Schon
J.Regnart und A.Scandello hatten italienische mehr-
stimmige Liedtypen in Osterreich und Deutschland
eingefuhrt (-»■ Villotta). In England nahm sich vor al-
lem Th.Morley der K. an (3st. Canzonets, 1594, ^1631),
die sich dort um 1600 zum Ay re (-»• Air) entwickelte. -
Im 18. Jh. erschienen vereinzelt Soloheder (anfangs
mit GeneralbaB-, spater mit Klavierbegleitung) unter
445
Kapelle
der Bezeichnung K.* so von W. de Fesch (Canzonette
edarie a voce sola di soprano con basso continuo, 1738/39).
Canzonettas fur Singst. und Kl. komponierte J.Haydn
auf Texte von A. Hunter (Hob. XXVI, 25-30). Eine
Canzonetta fur Streichorch. von J. Sibelius (1911) be-
arbeitete Strawinsky fur 8 Soloinstr.
Ausg. : H. L. Hassler, Canzonette (1 590) u. Neue Teutsche
Gesang (1596), hrsg. v. R. Schwartz, = DTB V, 2, Lpz.
1904; Cl. Monteverdi, Canzonette (1584) u. Madrigali
(1651), hrsg. v. G. Fr. Malipiero, GA X u. IX, Asolau. Vit-
toriale degli Italiani (d. i. Gardone) (1929); ders., Canzo-
nette (1 584), hrsg. v. G. Cesari u. G. Pannain, = Istituzioni
e monumenti dell'arte mus. ital. VI, Mailand 1939; Th.
Morley, Canzonets to Three Voyces, hrsg. v. E. H. Fel-
lowes, = EMS I, London 1913 ; dass., revidiert v. Th.Dart,
London (1956); dass., Faks. hrsg. v. J. E. Uhler, = Loui-
siana State Univ. Studies, Humanities Series VII, Baton
Rouge (La.) 1957.
Lit. : Fr. Vatielli, Canzonieri mus. del cinquecento, RMI
XXVIII, 1921 ; H. J. Moser, Das deutsche Chorlied zwi-
schen Senfl u. HaBler, JbP XXXV, 1928; E. (Gerson-)Ki-
wi, Studien zur Gesch. d. ital. Liedmadrigals im 16. Jh.,
Wiirzburg 1938; dies., Sulla genesi delle canzoni popolari
nell '500, in: In memoriam J. Handschin, StraBburg 1962;
H. Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsche Lied (1400-
1640),= Neue deutsche Forschungen CXCVII, Abt. Mw.
VII, Bin 1938; A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 Bde,
Princeton (N. J.) 1949; L. Schrade, Monteverdi, NY
(1950), London 1951 ; Fr.-J. Machatius, Uber mensurale
u. spielmannische Reduktion, Mf VIII, 1955; W. Durr,
Die ital. Canzonette u. d. deutsche Lied im Ausgang d. 16.
Jh., Fs. L. Bianchi, Bologna (1960).
Kapelle (lat. ; ital. cappella; frz. chapelle; engl. chapel).
Cappella (auch capella), in der Merowingerzeit Be-
zeichnung einer Martinsreliquie, umfaBt seit dem 8.
Jh. einen dreifachen Begriffsinhalt, den dinglichen (als
gottesdienstliches Gerdt), den raumlichen (als Ort des
herrscherlichen Gottesdienstes) und den personlichen (als
die Gesamtheit der dem Hofe dienenden Geistlichen) (Kle-
witz, S. 119, Anm. 1). Der letztere ist fur die Musikge-
schichte bedeutsam, da die K. bis ins 16. Jh. in enter
Linie ein Element feudaler Herrschaftsstruktur dar-
stellt. Die Capellani unterstanden allein dem obersten
Geistlichen des Hofes; ihrer engen Bindung an die
Person des Herrschers entsprach es, daB sie neben der
(den Choralgesang einschlieBenden) Abhaltung der
Gottesdienste auch Aufgaben der Verwaltung, Recht-
sprechung und Diplomatic ubernahmen und fur die
Ausbildung jiingerer Krafte auf alien diesen Gebieten
sorgten. ihre Versorgung durch kirchliche Pfriinden,
deren Verleihung dem Herrscher zustand, diente vor
allem in der friiheren Geschichte der K. nicht zuletzt
dem Zweck, die Verbindung des Hofes mit den groBen
Kirchen seines Machtbereichs zu pflegen. Im 14. Jh.
wurde die Sangergruppe innerhalb der K. nach Zahl
und Ansehen zum bestimmenden Element. Nachweis-
bar ist diese Entwicklung zuerst 1336 am Hofe Papst
Benedikts XII. in Avignon, wo neben der wachsenden
Zahl von Capellani commensales (nun nurmehr ein
Ehrentitel) die Capella intrinseca mit 12 Capellani et
cantores und einem Leiter (ab 1341 : Magister capellae)
gebildet wurde, der nun die Ausgestaltung der papst-
hchen Gottesdienste oblag und die nach der Riickkehr
des Hofes nach Rom die Funktion der -»• Schola can-
torum iibernahm. Die Zahl der Sanger einer K. iiber-
stieg selten 20-25, wozu noch etwa 10 Sangerknaben
kommen konnten; eine groBere Zahl von Ausfuh-
renden verhinderte schon die charakteristische Auf-
fiihrungsweise des Singens aus dem -> Chorbuch.
Neben der geistlichen Mehrstimmigkeit pflegten die
Hof-K.n des 15. Jh. auch die mehrstimmige Chanson.
Das Vorbild der oft zur Reprasentation herangezogenen
Hof-K.n wurde an groBen Kirchen, bei denen die
rechtlichen Voraussetzungen zur Griindung einer K.
nicht gegeben waren, seit dem 15. Jh. durch Stiftung
von Kantoreien (auch Sangerei, Chor, in Frankreich
-*■ Maitrise) nachgeahmt, deren Mitglieder nicht
Geistliche, sondern im allgemeinen Burger oder Be-
rufsmusiker waren. Dadurch wurde die im 16. Jh. ein-
tretende Wandlung des K.-Begriffs vorbereitet; hielt
auch der kaiserliche Hof (als Nachfolger des burgundi-
schen) an der traditionellen Organisationsform der K.
im geistlichen Rahmen fest, neben der (in der Wiener
Hofmusik-K. bis um 1600) Instrumentisten undTrom-
peter getrennte, anderen Hofamtern unterstehende
Gruppen bildeten, so wurde anderwarts im allgemei-
nen die Bezeichnung K. auf die Gesamtheit der an ei-
nem Hof oder an einer Kirche wirkenden Musiker
iibertragen. Nach Ausweis der Bildzeugnisse wandelte
sich auch die Auffiihrungsweise; ist fiir das 15. Jh.
mehrfach rein vokale Besetzung belegt, so zeigen Dar-
stellungen der K. Maximilians I. Gesang mit Orgel
(dabei ist an alternatim-Praxis zu denken) oder mit
Blasern; ab etwa 1550 war Gesang mit verschiedenen
Instrumenten die Regel, wo nicht - wie in der -> Sixti-
nischen K. - durch besondere Vorschriften Instrumen-
te ausgeschlossen waren. Seit dem 17. Jh. dient das
Wort K. in zunehmendem Mafie zur Benennung von
Orchestern eines Hofes, einer Stadt, eines Theaters,
Regiments, Kurorts, schlieBlich eines Unterhaltungs-
betriebs. - Als historisches Erbe der Kapellmusik im
15.-16. Jh. hat sich die Satz- und Auffiihrungsweise
-*■ a cappella bis heute erhalten. Ihre Bezeichnung
weist darauf hin, daB die K. 2 Jahrhunderte lang der ent-
scheidende Trager der Kompositionskunst und -lehre
war. Die groBen Meister dieser Zeit waren fast alle
(auch Organisten wie Schlick und Hof haymer) Mitglie-
der einer K. Da die Diskantstimme von Knaben gesun-
gen wurde, die von einem zur K. gehorenden Magister
puerorum (oft ein Sanger oder Organist) ausgebildet
wurden, war auch die Voraussetzung fiir eine konti-
nuierliche Tradition gegeben. Andererseits zogen oft
politische Ereignisse, vor allem Regentenwechsel, be-
trachtliche Veranderungen oder Auflosung einer K.
nach sich; zusammen mit der ohnehin starken Wan-
derlust vieler Sanger, den haufigen Reisen ganzer K.n,
die sich gelegenthch zu regelrechten Wettbewerben
trafen, sowie der absoluten Vorherrschaft der franko-
flamischen Kompositions- und Gesangschule forder-
ten sie die ziemlich gleichmaBige Verbreitung eines
internationalen Repertoires, das kaum regionale oder
nationale Besonderheiten zulieB. Die handschriftlichen
Quellen dieser Musik sind zum groBen Teil in einer
oder fiir eine K. oder Kantorei entstanden; das No-
tieren und Ingrossieren gehorte zur Ausbildung des
jungen Sangers. Die Einzelstimmennotierung der
fiir die Auffiihrung bestimmten Handschriften hat ihr
Korrelat in der zur kompositorischen Niederschrift
und zum Studium benutzten -*■ Tabula compositoria.
Die sparliche Uberlieferung zur Tabula compositoria
entspricht dem vorwiegend miindlichen Charakter
des Unterrichts; was hier gelehrt wurde, wird zum
ersten Mai bei Tinctoris (in legibus licentiatus ac regis
Skiliae capellanus) greifbar und begriindet die auBer-
ordenthche Ergiebigkeit seiner Schriften, die zusam-
men mit denen seines Schiilers Gafrori fiir die Schul-
theorie des 16. Jh. grundlegend wurden.
Lit. : E. Fr. RiMBAULT.The Old Cheque Book of the Chapel
Royal, London 1871 ; Fr. X. Haberl, Bausteine f. Mg., 3
Bde, Lpz. 1885-88 ; H. C. de la Fontaine, The King's Mu-
sic, London 1898; L. Schiedermair, Die Blutezeit d. Ot-
tingen-Wallerstein'schen Hofk., SIMG IX, 1907/08 ; W. H.
Gr. Flood, The Engl. Chapel Royal Under Henry V and
VI, SIMG X, 1908/09; ders., The Beginnings of the Chapel
Royal, ML V, 1924; ders., Early Tudor Composers, Lon-
446
Kastagnetten
don 1925; M. Brenet, Les musiciens de la Ste-Chapelle
du Palais, Paris 1910; H.-W. Klewitz, Konigtum, Hofk.
u. Domkapitel im 10. u. 11. Jh., Arch. f. Urkundenfor-
schung XVI, 1939, separat Darmstadt 1960; J. Marix,
Hist, de la musique et des musiciens de la cour de Bour-
gogne . . ., = Slgmw. Abh. XXVIII, StraBburg 1939; Fr.
Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London (1958) ;
J.FLECKENSTEiN.DieHofk.d.deutschenKonigel, = Schrif-
ten d. Monumenta Germaniae Hist. XVI, 1, Stuttgart 1959;
G. Pietzsch, Die Beschreibungen deutscher Furstenhoch-
zeiten . . ., AM XV, 1960; ders., Quellen u. Forschungen
zur Gesch. d. Musik am kurpfalzischen Hof zu Heidelberg
bis 1622, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes-
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1963, Nr 6; N. Grass, Pfalzk. u.
Hofkirchen in Osterreich, Zs. f. Rechtsgesch., Kanonisti-
sche Abt. XL VI, 1960 - XLVII, 1961; E. Schmidt, Der
Gottesdienst am kurf iirstlichen Hofe zu Dresden, = Veroff.
d. Ev. Ges. f. Liturgieforschung XII, Gottingen 1961; B.
Guillemain, La cour pontificale d'Avignon, = Bibl. des
Ecoles frc. d'Athenes et de Rome CCI, Paris 1962; W.
Boetticher, Aus O. di Lassos Wirkungskreis. Neue ar-
chivalische Studien zur Munchner Mg., Kassel 1963; M.
Ruhnke, Beitr. zu einer Gesch. d. deutschen Hofmu-
sikkollegien im 16. Jh., Bin 1963, mit Bibliogr. ; N. Bridg-
man, La vie mus. au Quattrocento . . ., Paris (1964); U.
Gunther, Zur Biogr. einiger Komponisten d. Ars sub-
tilior, AfMw XXI, 1964.
Kapellknaben (Chorknaben; lat. pueri, scholares;
ital. f anciulli, putti ; span, mocos de capilla ; f rz. enf ants
de choeur; engl. choir boys, friiher children of the
chapel) heiBen die in einer Vokalkapelle singenden
Knaben. Schon in der hochmittelalterlichen ->• Kapelle
wurden in der Regel Knaben zum Choralgesang mit
herangezogen, mit deren Versorgung und musikali-
scher wie allgemeiner Ausbildung ein Kapellmitglied
bzw. Magister puerorum beauftragt war. Uberwie-
gend blieben die K. auch als Erwachsene im Kapell-
dienst; spater hatten sie vielfach nach dem Stimmbruch
Anrecht auf ein Stipendium fur das Universitatsstu-
dium. In den meisten Kapellen des 15.-16. Jh. hatten
die K. - selten mehr als 10 - den Discantus zu singen.
Einzelheiten der K.-Ausbildung dieser Zeit beschreibt
Johannes von Soest, ihre wesentlichen Grundlagen L.
Senfl. Die meisten bedeutenden Komponisten des 15.-
16. Jh. und viele aus spaterer Zeit begannen ihre Lauf-
bahn als K. Seit dem 17. Jh. kann die Bezeichnung K.
allgemein auf Sangerknaben groBerer Kirchenchore
ubertragen werden; hiufig ist ein solcher Chor, wie
die -»■ Maitrise in Frankreich, mit einer Internatsschule
verbunden.
Lit. : M. Brenet, Les musiciens de la Ste-Chapelle du Pa-
lais, Paris 1910, S. 15ff.; J. v. Soest, Selbstbiogr., hrsg. v.
J. C. v. Fichard, in : Frankf urtisches Arch. f. altere deut-
sche Lit. u. Gesch. I, 1811 ; L. Senfl, Liedtext »Lust hab
ich ghabt zuer Musica«, in: Deutsche Lieder I, hrsg. v. A.
Geering u. W. Altwegg, = RD X, Abt. Mehrst. Lied I,
Wolfenbuttel u. Bin 1938.
Kapellmeister (lat. magister cappellae) ist entweder
der Letter eines Chores (ital. maestro del coro; frz.
chef dechceur; engl. choirmaster) oder eines Orchesters
(auch Dirigent; ital. direttore; frz. chef d'orchestre;
engl. conductor). Der Titel ist zuerst in der Form Ma-
gister capellanorum regis um die Mitte des 1 1 . Jh. am
franzosischen Konigshof nachzuweisen und bezeichnet
hier bis um 1300 den obersten Hofgeistlichen. Am
papstlichen Hof in Avignon wird der Letter der Ca-
pellani et cantores capellae intrinsecae ab 1341 Magister
capellae (-»■ Kapelle) genannt. In gleichem Sinne heifit
K. bis 1500 nicht ein Musiker, sondern der Geistliche,
dem die Leitung des herrscherlichen Gottesdienstes und
damit die Oberaufsicht iiber die Kapellsanger oblag.
Noch jetzt bezieht sich in Italien Maestro di cappella
und in Frankreich MaJtre de chapelle auf Kirchenmu-
siker. Dagegen wurde K. in Deutschland seit dem 16.
Jh. zum Titel des Leiters einer Hofmusik (in Frank-
reich im 17.-18. Jh. Surintendant de la musique du Roi,
in England Master of the King's Music), dem im
stadtisch-kirchlichen Bereich der Titel Director mu-
sices (-> Musikdirektor) entsprach. Mit dem Absinken
des Wortes Kapelle verliert auch die Benennung K.
im 19. Jh. ihren bis dahin hohen Rang; sie kann nun
auf jeden Leiter eines musikalischen Ensembles ange-
wendet werden, bezeichnet besonders den 2. oder 3.
Dirigenten, der dem Musikdirektor oder (Chef-)Diri-
genten nachgeordnet ist. K. dient nun auch zur abfal-
ligen Charakterisierung eines bloB routinierten Or-
chesterleiters, wie auch eine eklektische Komposition
nun geringschatzig als »K.-Musik« bezeichnet wird.
Kapodaster ->• Capotasto.
Karlsruhe.
Lit.: W. Harder, Das K.r Hoftheater, mit einem Anh.:
Die K.r Oper, v. J. Siebenrock, K. 1889; H. Ordenstein,
Mg. d. Haupt- u. Residenzstadt K. bis 1914, K. 1915; H.
Poppen, Gesch. d. GroBherzoglichen Hofkirchenmusik zu
K., MGkK XXIV, 1919; W. Bauer, Das Hoftheater zu K.
1715-1810, Diss. Heidelberg 1923, maschr.; G. Haass,
Gesch. d. ehemaligen GroBherzoglich-Badischen Hof-
theaters K 1806-52, Bd I: 1806-22, K. 1934.
Kassation (von ital. cassatione, Entlassung), im 18.
Jh. ein mehrsatziges, locker gereihtes Werk im Cha-
rakter eines Standchens fur mehrere, meist solistisch
besetzte Instrumente. Die K. wurde wohl vorwiegend
fur Auffuhrungen im Freien komponiert. Eine ein-
deutige Abgrenzung zu den verwandten Gattungen ist
nicht moglich; der fur einige K.en charakteristische
Marsch als Einleitungs- oder SchluBsatz findet sich
z. B. auch in Divertimenti. Bezeichnend ist, daB bei J.
Haydns Streichquartetten Nr 1-12 im Entwurfkatalog
(vgl. Hob. I) der urspriingliche Titel Cassatio in Di-
vertimento geandert wurde. Oft kommen die Bezeich-
nungen Cassatio, Divertimento, Notturno, auch Sin-
fonia in verschiedenen zeitgenossischen Ausgaben oder
Abschriften gleicher Werke synonym vor.
Lit.: KochL, Artikel Cassatio; A. Sandberoer, Zur
Gesch. d. Haydnschen Streichquartetts, in: Ausgew. Auf-
satze zur Mg. I, Miinchen 1921 ; G. Hausswald, Mozarts
Serenaden, Lpz. 1951 ; R. Hess, Serenade, Cassation, Not-
turno u. Divertimento bei M. Haydn, Diss. Mainz 1963.
Kassel.
Lit.: J. D. v. Apeix, Gallerie d. vorzuglichsten Tonkiinst-
ler u. merkwiirdigen Musik-Dilettanten in Cassel, K. 1806;
W. Lyncker, Gesch. d. Musik u. d. Theaters in K., K.
1865, 21886; W. Bennecke, Das Hoftheater in K. v. 1814
bis zur Gegenwart, K. 1906 ; H. Kummer, Beitr. zur Gesch.
d. . . . Hoforch., d. Hofoper u. d. Musik zu K. im Zeitraum
v. 1760-1822, Diss. Ffm. 1922, maschr.; Fr. Blume, Geist-
liche Musik am Hofe d. Landgrafen Moritz v. Hessen, K.
1931 ; Jubilaum d. Hessischen Staatskapelle K. 1502-1952,
K. 1952; Chr. Engelbrecht, Die Hof kapelle d. Landgra-
fen Carl v. Hessen-K., 1677-1730, Zs. d. Ver. f. Hessische
Gesch. u. Landeskunde LXVIII, 1957; dies., Die K.er
Hof kapelle im 17. Jh. u. ihre anon. Musikhss. aus d. K.er
Landesbibl., = Mw. Arbeiten XIV, K. 1958; E. Wolff v.
Gudenberg, Beitr. zur Mg. d. Stadt K. unter d. letzten bei-
den Kurfursten (1822-66), Diss. Gottingen 1958, maschr. ;
K. Votterle, Haus unterm Stern, K. 1963.
Kastagnetten (span, castafiuelas, ma. castanetas; ka-
talanisch castanyoles; andalusisch auch palillos, Holz-
chen; portugiesisch castanholas; ital. castagnette und
castagnolc; frz. castagnettes ; engl. castanets), ein ein-
faches, in Spanien und Unteritalien verbreitetes Klap-
perinstrument, bestehend aus 2 Holzschalen (etwa von
der Gestalt einer mitten durchgeschnittenen Kasta-
nienschale), die mit einem Band am Daumen befestigt
und mit den anderen Fingern gegeneinander geschnellt
werden. Gespielt werden die K. von Tanzern (so beim
447
Kastilien
-> Flamenco). Ein ahnlicher, auch K. genannter Effekt
(Nebrija, 1492: castafiuelas entre dedos, digitorum
crepitus) kann auch durch Abschnellen der Finger von
der Daumenspitze auf den Daumenballen (»Finger-
schnalzen«) erzielt werden. Im modernen Orchester
werden zur Kennzeichnung spanischen oder neapoli-
tanischen Kolorits (Carmen von Bizet, Tannhauser von
Wagner) 3teilige K. verwendet, bei denen die beiden
Schalen abwechselnd gegen ein flaches Mittelteil schla-
gen, das an einem Stiel gehalten wird. .-»■ Krotala.
Lit. : Fray J. Fernandez de Rojas (Pseudonym Fr. A. Flo-
rencio), Crotalogia 6 ciencia de las castafiuelas, Madrid
1792; Fr. Asenjo Barbieri, Las castafiuelas. Estudio jo-
coso, Madrid 1 879 ; A. Moya, El triunfo de las castafiuelas,
Barcelona 1 882 ; Fr. A. Gevaert, Nouveau traite d'instru-
mentation, Paris 1885, deutsch v. H. Riemann, Lpz. 1887.
Kastilien
Lit. : E. GARcfA Chico, Documentos para el studio del arte
enCastilla. Maestrosde Hacer Organos, AM VII, 1953;
D. Devoto, La enumeracion de instr. mus. en la poesia
medieval castellana, in: Miscelanea en homenaje a H.
Angles 1, 1958-61 ; Cancionero popular de la Provincia de
Madrid, hrsg. v. M. GarcIa Matosu. a., 3 Bde, I— II Bar-
celona 1951-52, III Madrid 1960,
Kastraten (ital. castrati, von lat. castrare, verschnei-
den), auch Evirati. In Italien wurde schon seit der SpSt-
antike die Verstummelung von Knaben vorgenom-
men, um die ->■ Mutierung zu verhiiten und die Kna-
benstimme zu erhalten. Die Stimme der erwachsenen
K. vereinigte mit dem Timbre und der Tonlage der
Knabenstimme (soprano oder contralto) die Brustre-
sonanz und Lungenkraf t des Mannes ; dies erlaubte die
Ausfiihrung von virtuosen Passagen und eine erstaun-
liche Ausdehnung der -*■ Messa di voce. In der katholi-
schen Kirchenmusik in Italien vertraten die K. seit dem
17. Jh. zunehmend die -»• Falsettisten bei der Ausfiih-
rung des Diskants, doch war der eigentliche Ort ihrer
Erfolge die Oper. Eine Glanzleistung des beriihmten
K.-Sangers -> Farinelli (f 1782) ist in dessen Ausarbei-
tung der von seinem Bruder R. Broschi komponierten
Arie Son qual nave erhalten, die als Einlage der von
J.A.Hasse 1730 in Venedig uraufgefiihrten Oper Ar-
taserse diente. Das Publikum bevorzugte K.-Stimmen
so sehr, daB in der Opera seria Mannerstimmen nahezu
verschwanden. Sogar die Frauenstimmen hatten es
nicht leicht, sich zu behaupten, und iibernahmen des-
halb ofters Mannerrollen (»Hosenrollen«). Der K.-
Sanger Senesino (Fr. -> Bernardi) gait um 1710 mit
seinem Mezzosopran als einer der besten Sanger Euro-
pas. Von B. Ferri berichtet A.Bontempi 1695, daB sich
um seine Dienste mehrere Fursten bemuhten, weil er
eine Sopranstimme von unbeschreiblicher Reinheit und
Technik besaB. Der K.-Sanger G.Cafarelli (t 1783)
konnte sich von seinem erworbenen Vermogen ein
Herzogtum kaufen. Angesichts der Erfolge einiger K.
wurde die Kastration zu Ende des 17. Jh. zu einer ver-
werflichen Spekulation. Die katholische Kirche hat
zwar 1587 die Kastration verboten, doch war schon
1588 ein Kastrat papstlicher Sanger, und in A. -»• Mo-
reschi (f 1922) hat die Sixtinische Kapelle noch zu Be-
ginn des 20. Jh. einen K. besessen.
Lit.: Ch. Ancillon, Traits des eunuques . . ., o. O. 1707;
A. Vallisnieri, Lettres sur la voix des eunuques, Genf
1 730 ; G. Monaldi, Cantanti evirati celebri del teatro ital.,
Rom 1920; Fr. Habock, Die K. u. ihre Gesangskunst, Bin
u. Lpz. 1927; H. B. Bowman, A Study of the Castrati Sin-
gers and Their Music, Diss. Indiana Univ. 1952; A. He-
riot, The Castrati in Opera, London 1956; H. Hucke,
Die Besetzung v. S. u. A. in d. Sixtinischen Kapelle, in:
Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ;
Fr. Herzfeld, Magie d. Stimme, Bin, Ffm. u. Wien (1961);
W. Ruth, Die K. u. ihre Gesangskunst, in : Biihnengenos-
senschaft XV, 1963.
Katabasis (griech., Abstieg; lat. descensus), in der
Kompositionslehre des 17. und 18. Jh. eine musikali-
sche Figur. Sie besteht aus einem deutlich sich abhe-
benden Abwartsgang einer Stimme und dient haufig
zur bildhaften Darstellung von Textaussagen wie »hin-
abfahren«, »Erde«, »H6lle«, »Erniedrigung«, »Knecht-
schaft« u. a. (Beispiel: -> Paronomasia). Die K. ge-
hort wie ihr Gegensatz, die -»■ Anabasis, zur Gruppe
der ->• Hypotyposis-Figuren.
Katalonien.
Ausg. : — ► DenkmSler (Spanien).
Lit. : A. El! as de Molins, Diccionario biogr.-bibliogr. de
escritores y artistas catalanes del s. XIX, Gaceta mus. bar-
celonesca 1860ff. u. Revistamus. catalana 1904ff. ; O. Ur-
sprung, Span.-katalanische Liedkunst d. 14. Jh., ZfMw
IV, 1921/22; H. Angles, Cantors u. Ministrers in d. Dien-
sten d. Konige v. K.-Aragonien im 14. Jh., Kgr.-Ber.
Basel 1924; ders., La musica a Catalunya fins al s. XIII,
= Publicacions del Departament de musica de la Bibl. de
Catalunya X, Barcelona 1935; Fr. Pujol, L'oeuvre du
chansonnier populaire de la Catalogne, Kgr.-Ber. Wien
1927 ; D. Johner OSB, Die Musik in K. bis zum Ende d. 1 3.
Jh., Benediktinische Monatsschrift XVIII, 1936; H. Bes-
seler, Katalanische Cobla u. Alta-Tanzkapelle, Kgr.-Ber.
Basel 1949 ; J. Amades, Folklore de Catalunya, 2 Bde, Bar-
celona 1950-51; ders., Strumenti di musica popolare in
Catalogna, in: Kgr.-Ber. Musiche popolari mediterranee
Palermo 1954, Palermo 1959; ders., Las danzas de espadas
y de palos en Cataluiia . . . , AM X, 1 955 ; J. Romeu Figue-
ras, El cantar paralelistico en Cataluiia . . . , AM IX,
1954; M. Schneider, Singende Steine. Rhythmus-Studien
an drei katalanischen Kreuzgangen romanischen Stils,
Kassel 1955; H. Pepratx-Saisset, La sardane. La danse
des Catalans, Perpignan 1956; M. Valls, La musica cata-
lana contemporanea, Barcelona 1960.
Kaval, volkstiimliche jugoslawische Langsflote, die
auch in Albanien, Bulgarien und Rumanien vorkommt,
von enger Mensur, vorn 7 Griff- und 3 Schallocher,
hinten je ein Griff- und Schalloch. Der K. wird schrag
an den Mund gesetzt, der Klang ist weich; meist wer-
den zwei gleiche Instrumente gespielt, entweder im
Einklang oder mit Bordun.
Kavatine (ital. cavatina, Diminutiv von cavata; frz.
cavatine) ist in Opern und Oratorien des 18. und 19.
Jh. ein lyrisches Sologesangstiick mit Instrumentalbe-
gleitung, das sich von der Arie durch einfachere, fast
liedmaBige Behandlung abhebt, Textwiederholungen
und groBere Koloraturen einschrankt und mit seinem
schlichten, ein- bis zweiteiligen Aufbau vom Schema
der Da-Capo-Arie abriickt. Die K. entwickelte sich
aus der -> Cavata des friihen 18. Jh. zu einem selbstan-
digen Stiick. Beispiele aus dem Bereich des Oratoriums
sind die K.n Dem Druck erlieget die Natur und Licht und
Leben sind geschwachet in J.Haydns Die Jahreszeiten; aus
dem Bereich der Oper sind vor allem die 3 K.n aus he
Nozze di Figaro von W.A.Mozart zu nennen sowie
die K.n von CM. v. Weber: Und ob die Wolke sie ver-
hulle (Freischutz), Glbcklein im Thale und Hier dicht am
Quell (Euryanthe). - Gelegentlich kommt Cavatina als
Satziiberschrift in der Instrumentalmusik des 19. Jh.vor,
z. B. in Beethovens Streichquartett op. 130 (5. Satz) bis
hin zu J. J. Raffs Stucken fur V. und Kl. op. 85, Nr 3.
Lit. : N. Pirrotta, Falsirena e la piu antica delle cavatine,
CHM II, 1957.
Kegellade ->• Windlade.
Kehlkopf -> Stimme (- 2).
Kemance (persisch) ->-Kamanga.
Kenner und Liebhaber. An den Schonen Kiinsten
hatten im 18. Jh. neben den Berufskunstlern die K.
(frz: connaisseurs) und L. (frz. amateurs) groBen An-
teil. Der haufig synonym und vor dem 19. Jh. stets in
448
Kinderlied
positivem Sinn gebrauchte Ausdruck Dilettant (von ital.
diletto, Vergniigen) umfaBte beide Arten von Kunst-
und Musikinteressierten. Als Dilettanti bezeichneten
sich im 16.-18. Jh. in Italien Hofleute, darunter Musi-
ker wie Gesualdo, Cavalieri, Bardi, Albinoni, Astorga
und Marcello. Im Musikleben des 18. Jh. ist K., wer
die Regeln der Musik, auch die der alten oder nationa-
len Stile, kennt und die Kompositionen danach beur-
teilt. Ein K. war z. B. der Baron van Swieten, der Mo-
zart zum Studium des gebundenen Stils Bachs und
Handels anregte. Der L. dagegen spielt oder geniefit
die Musik unbefangen. Seinem Verstandnis kommen
Oberschriften entgegen, wie sie u. a. fiir Symphonien
und Sonaten Haydns und Beethovens gangig sind. Der
Forderung, die Musik dem Ort und der Zeit ihrer
Auffiihrung sowie den Zuhorern anzupassen, die im
18. Jh. Heinichen, Scheibe, Quantz und Reichardt
stellten, entspricht es, wenn Komponisten in ihren
Werken fiir L. auf gearbeitete oder gelehrte Setzweise,
auf improvisiert auszuzierende Adagios und schwierige
Modulationen verzichten und das Brillante und Gefdllige
(Quantz) des -»■ Galanten Stils bevorzugen. Die Be-
stimmung fiir K. oder L. wurde oft im Titel ausge-
sprochen; dabei gilt die Widmung an das »schone Ge-
schlecht« (z. B. C. Ph. E.Bach, Six sonates pour le clave-
cin, a I'usage des dames, 1770) als gleichbedeutend mit
»fur L.«. D.Scarlatti bestimmte seine Essercizi per gra-
vicembato (1738), Boccherini seine Quartette op. 1
(1761) und C. Ph. E.Bach seine 6 Sammlungen Sona-
ten, Fantasien und Rondos (1779-87) ausdriicklich fiir
K. u. L. Auch Mozart schrieb in der Regel fiir beide,
wenn auch z. B. in seinen Klavierkonzerten erkennbar
solche fiir K. (K.-V. 449 und 453 fiir Barbara de Ployer;
K.-V. 491) neben den Virtuosenkonzerten stehen. Das
Mechanische der Ausfiihrung konnten K. u. L. be-
herrschen. Mit der Steigerung der Spieltechnik in der
1. Halfte des 19. Jh. jedoch wurden viele Kompositio-
nen nur noch fiir Berufsspieler und -»■ Virtuosen aus-
fiihrbar; wo sich der L. dennoch mit ihnen vorwagte,
kam fiir ihn der jetzt abschatzige Begriff des Dilettan-
ten auf, wahrend gleichzeitig der des Kiinstlers eine
Aufwertung zu seiner heutigen Bedeutung erfuhr.
Seit der 2. Halfte des 18. Jh. gab es organisierte Kon-
zerte (-»■ Konzert - 2) fiir oder mit Beteiligung von
L.n, so die Concerts des amateurs ab 1769 in Paris, die
mit den Concerts spirituels rivalisierten. Bis weit in das
19. Jh. blieb der L. fiir offentliches Auftreten als Or-
chester- oder Chormitglied geschatzt, doch zog er sich
mehr und mehr auf die ->• Hausmusik bzw. den Kon-
zertbesuch zuriick.
Lit. : J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie d. Schonen Kilnste,
2 Teile, Lpz. 1771-74 u. 6. ; J. W. v. Goethe, Ober d. soge-
nannten Dilettantismus oder d. practische Liebhaberey in
d. Kunsten, 1799, in: Werke I, 47, Weimar 1896; KochL;
H. J. Moser, Amateur u. Professional, Mk XX, 1927/28;
ders., Die friihesten Zs. f. Musikliebhaber, Die Volksmu-
sik V, 1938; A. Schering, Kilnstler, K. u. L. d. Musik im
Zeitalter Haydns u. Goethes, JbP XXXVIII, 1931 ; E.
Preussner, Die burgerliche Musikkultur, Hbg 1935, Kas-
sel 2 1950; O. Schreiber, Orch. u. Orchesterpraxis in
Deutschland zwischen 1780u. 1850, = Neuedeutsche For-
schungen CLXXVII, Abt. Mw. VI, Bin 1938; H. Chr.
Worbs, Komponist, Publikum u. Auftraggeber . . . , Kgr.-
Ber.Wienl956.
Kenong -*■ Gong.
Kenthorn -*■ Klappenhorn.
Kettledrum (k'etldjAm, engl.) ->• Pauke.
Key (ki:, engl., Schliissel) ist wie das lateinische
-*■ clavis ein Wort von vielfacher Bedeutung: Taste
bei Klavier, Orgel usw., Klappe (ital. chiave; frz.
clef) bei den Blasinstrumenten, Tonbuchstabe, Schliis-
sel, Vorzeichen, auch Tonart (frz. clef); key-note ist
s. v. w. Tonika, keyboard (frz. clavier) s. v. w. Kla-
viatur und bei Saiteninstrumenten das Griffbrett mit
Biinden.
Kiedrich (Rheingau).
Lit. : W. Lipphardt, Die K.er Schola, Musica sacra LXVII,
1937; ders., K. im Rheingau, ein Dorf mit 600jahriger
Choraltradition, Benediktinische Monatsschrift XIX,
1937; P. Smets, Org. d. St. Valentinuskirche zu K., Mainz
1945; G. Toussaint, Neue Quellen zur Gesch. d. Chor-
stifts K., AfMw XIX/XX, 1962/63.
Kiel.
Lit. : W. v. Gersdorff, Gesch. d. Theaters in K. unter d.
Herzogen zu Holstein-Gottorp bis 1773, = Mitt. d. Ges. f.
K.erStadtgesch.Nr27,1911u.Nr28,1912;TH.Voss,P.L.
WockenfuB, Kantor an St. Nicolai in K. v. 1708-21, eben-
da Nr 33, 1926 ; G. Junge, Die Gesch. d. Theaters in K
1774-1841, Diss. K. 1928; K. Gudewill, Musik an d. K.er
Univ., Kgr.-Ber. K. 1963; ders., Musik an d. K.er Univ.,
in: Norddeutsche u. nordeuropaische Musik, = K.er
Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965; ders., Zur Gesch. d.
Faches Mw. an d. Chr.-Albrechts-Univ. in K., in: Musik-
erziehung in Schleswig-Holstein, ebenda XVII, 1965.
Kielfliigel ->• Cembalo.
K'in (chinesisch), eine Wolbbrettzither aus Holz mit
(5-)7 seidenen Saiten in verschiedenen Stimmungen
(darunter eine in Quinten). Das K. wird auf einen
Tisch (»K.-Altar«) gelegt, die rechte Hand zupft die
Saiten ohne Plektron, die linke greif t ; zum Auf finden
der Tone sind unter der Melodiesaite Griffmarken an-
gebracht. Das K. wird zuerst erwahnt im Shi-king
(»Buch der Lieder«, aus dem 9.-6. Jh. v. Chr.), doch
soil es schon Jahrhunderte friiher entstanden sein. Es
gait vor allem als sakrales Instrument; besonders der
Taoismus (seit dem 6. Jh. v. Chr.) hat sich spekulativ
mit ihm beschaftigt. Das Spiel auf dem K. bliihte vor
allem in der Ming-Dynastie (um 1368-1644) ; die her-
vorragende Schrift aus dieser Zeit ist K'in shen shih liu
fa (»16 Regeln fiir die Tone des K.«) von Leng Chien
(um 1375). Darin werden die vielfaltigen Klangschat-
tierungen beschrieben, die bei der leichten Ansprache
des Instruments je nach Wahl des Fingers und der An-
schlagstelle erzeugt werden konnen. Eine altere chi-
nesische Notation ist durch eine jiingere, wohl buddhi-
stische (mit mehr als 200 Zeichen) verdrangt worden.
Lit. : R. H. v. Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokio
1940, Addenda u. Corrigenda Tokio 1951 ; DERS.,Hsi K'ang
and His Poetical Essay on the Lute, Tokio 1941; H.Trefz-
ger, Das Musikleben d. T'ang-Zeit, Sinica XIII, 1938;
ders., Ober d. K , SMZ LXXXVIII, 1948.
Kinderlied. Den verschiedenen Entwicklungsstufen
vom Kleinkind bis ins Schulalter entsprechen in Text
und Melodik durchaus verschiedene Stufen des K.es.
Wahrend nach oben die Grenze zum -> Volkslied
fliefk, steht das fiir Kleinkinder geeignete K. textlich
und melodisch auf einer Stufe, die vielfach urtiimlich
erscheint : Aneinanderreihung pentatonischer Melodie-
formeln, haufig Wortklangspiele oder Lautmalerei;
eintonige, »leiernde« Melodik geht einher mit einfor-
migem, meist geradtaktigem Rhythmus, den schon
das Kleinkind bald spontan mit Bewegungen verbin-
det. Im 2. Lebensjahr beginnt das Nachplappern der
Texte oder Nachsingen der Melodien. Der Stimm-
umfang ist meist noch auf di-a 1 beschrankt, Halbtone
werden schwerer intoniert. Das K. ist Basis und Grund-
stock der -> Musikerziehung. Von der individuellen
Entwicklung des Kindes ist es abhangig, wann K.er
im Umfang von Sexte und Oktave und in 3teiliger
Liedform erfafit werden. Daneben bleibt die Verbin-
dung zwischen reihender, oft halbtonloser Melodik
und Bewegungsspielliedern und Abzahlversen be-
29
449
K'ing
stehen. - Das K. tragt Sinnzusammenhange der Um-
welt dem Kind als gesungene Sprache zu. Anderer-
seits werden Texte oft rein lautlich, ohne Sinnver-
standnis aufgenommen und weitergegeben. In man-
chen K.-Texten finden sich Nachklange von Sagen
oder Brauchtum der Vergangenheit, moglicherweise
sogar Reste alter Zauber- oder Beschworungsformeln
(z. B. : Heile, heile, Segen . . .). Moritaten und Balladen,
Reigenspiele, Mittwinterlieder sind ins K. eingegan-
gen. Manche K.-Texte und -Motive sind international
verbreitet (z. B. Briickenlieder), bei regionaler Ver-
schiedenheit der Melodien. - Die erste Textsammlung
von K.ern boten A. v. Arnim und C.Brentano im An-
hang zumlll. Band von Des Knaben Wunderhom (1808).
Seit Mitte des 19. Jh. erschienen zahlreiche Publikatio-
nen mit meist regionalem Repertoire, leider nur selten
mit den Melodien. In von Musikern besorgten Ausga-
ben erhielten die K.er oft Durschlusse, oder die fur
das K. charakteristischen gesprochenen Schliisse wur-
den mit festen Tonhohen wiedergegeben; die miind-
lich iiberlieferten Texte und Melodien wurden ortho-
graphisch bearbeitet, die oft allzu einformigen Melo-
dien »belebt«. Die Jugendmusikbewegung brachte die
Besinnung auf das ursprunglich KindgemaBe im K.
(Jode, Orff). - Die Liederfur Kinder (nach dem gleich-
namigen Gedichtband von F.Chr.WeiBe) von J. A.
Scheibe (1766 und 1768) gehoren der -»■ Schulmusik
an; Reichardts Liederfur Kinder (1781) stehen auf der
Grenze zwischen Kunst- und Volkslied (daraus z. B.
Schlaf, Kindchen, schlaf). In der Romantik regte das K.
Dichter und Komponisten an, sich bewuBt »kindlich«
zu geben, z. B. Schumann, Brahms, Reger, Humper-
dinck, Prokofjew, Knab; Mussorgskij verarbeitete K.-
Motive milieuschildernd in seiner »Kinderstube«.
Ausg. u. Lit.: Fr. Zimmer, Volkstiimliche Spiellieder u.
Liederspiele, Quedlinburg 1879; J. Lewalter (mit G. Es-
kuche), Hessische Kinderliedchen, Kassel 1891 ; ders. (mit
G. Schlager), Deutsches K. u. Kinderspiel, in Kassel . . .
gesammelt, Kassel 1911; P. Eickhoff, Westfalische ma.
Volkslieder, VfMw VIII, 1892; Fr. M. Bohme, Deutsches
K. u. Kinderspiel, Lpz. 1897, Neudruck 1924; W. Lehn-
hoff, Schone alte Singspiele, Miinchen 1907, 21918; K.
Wehrhan, K. u. Kinderspiel, = Hdb. zur Volkskunde IV,
Lpz. 1909; ders. u. J. Dillmann, Vierzehn Engel fahren.
K., in Frankfurt gesammelt, Ffm. 1923; ders., Frankfur-
ter Kinderleben in Sitte u. Brauch, K. u. Kinderspiel, Wies-
baden 1 929 ; Fr. J6de, Ringel Rangel Rosen. 1 50 Singspie-
le u. 100 Abzahlreime . . ., Lpz. 1913, '•1928; ders., Sing-
sang for Kinners, = Uns' Modersprak III/IV, Wolfenbiit-
tel 1930; H. Enders, Ringa Ringa Reia, = Osterreichisches
Liederbuch I, Wien 1924; J. Wenz, K. u. Kinderseele, in:
Musikerziehung. Stuttgarter Vortrage, hrsg. v. H. Keller,
Kassel 1928; ders., Die goldene Briicke, Kassel 1929; M.
Bohm, Volkslied, Volkstanz u. K. in Mainfranken, Nurn-
berg 1929 ; K. Ameln u. H. Hetzer, Lied u. Musik im Kin-
derleben, Kassel 1933 ; A. G6pel, Der Wandel d. K. im 18.
Jh., Diss. Kiel 1935, maschr. ; E. Goedel u. G. Waldmann,
Kinder singt mit, Mainz (1936); W. Pudelko, Das Rosen-
tor, Kassel 1941 ; ders., Mutter Sonne, Kassel (1942); E. v.
Bochmann-Eggebrecht u. H. Degn, Sonne Sonne schei-
ne, Hbg 1949; J. u. P. Opie, The Oxford Dictionary of
Nursery Rhymes, Oxford 1951 ; dies., The Oxford Nursery
Rhyme Book, Oxford 1955 ; B. Kurth, Das deutsche K. d.
19. Jh., Diss. Halle 1955, maschr.; R. Lorbe, Das K. in
Nurnberg. Versuch einer Phanomenologie des K., = Ntim-
berger Forschungen III, Nurnberg 1956; B. Bronson, The
Traditional Tunes of the Child Ballads with Their Texts,
According to the Extant Records of Great Britain and
America, Princeton (N. J.) 1959; W. S. Miles, Children's
Hymn and Chorus, London 1960; H. M. Enzensberger,
Allerleirauh, Ffm. 1961 (mit Bibliogr.); E. May, The In-
fluence of the Meiji Period on Japanese Children's Music,
Berkeley u. Los Angeles 1963. HHa
K'ing (tjing), chinesisches Schlaginstrument aus der
Familie der -»■ Lithophone. Es hat die Form eines
stumpfen Winkels; an dessen kurzerem Schenkel sind
in einem reich verzierten Gestell in 2 Reihen meist 16,
in friihercn Zeiten auch 12, 14 oder 24 Klingsteine auf-
gehangt, die mit Kloppeln angeschlagen werden. Jede
der beiden Reihen bildet eine Folge von Ganztonen,
die obere Reihe steht einen Halbton iiber der unteren :
fis gis ais/b c d e fis 1 gisi
f g a h cis dis f 1 g 1
Von den 12 Tonstufen (-> Lii) des chinesischen Tonsy-
stems enthalt die obere Reihe die »weiblichen« Tone
(yin lii), die untere die »mannlichen« (yang lii). Diese
Anordnung ermoglicht das Spiel aller traditionellen
(im Prinzip pentatonischen) Melodien, ihre Transpo-
sition und jeden Moduswechsel. Das Instrument wur-
de im Tempel- und Hof orchester verwendet. ->■ Chi-
nesische Musik.
Lit. : P.-M. Cibot, Essai sur les pierres sonores de Chine,
in: Memoires concernant l'hist., les sciences, les arts . . . des
Chinois ... VI, Paris 1780; A. V. Moule, A List of the
Mus. and Other Soundproducing Instr. of the Chinese,
Journal of the North China Branch of the Royal Asiatic
Soc. XXXIX, 1908; Fr. A. Kuttner, A »Pythagorean«
Tone-System in China. . ., Kgr.-Ber. Koln 1958.
Kinnor (hebraisch), eine Leier, ist neben dem Schofar
im Alten Testament das am haufigsten erwahnte In-
strument. Jubal wird (Gen. 4, 21) als Vorvater der K.-
und 'Ugab- Spieler genannt. Danach begegnet K. erst
wieder (1. Sam. 10, 5) als Instrument in den Handen
von Wanderpropheten, zusammen mit -> Newel,
Toph und Chalfl. Davids K. ist die assyrische Form der
Jochleier mit geschlossenem trapezoidem Rahmen
iiber dem Corpus und facherartiger Bespannung mit
meist 5, 7 oder 9 Saiten. Es war Hauptinstrument der
Tempelperiode und verbreitete sich iiber die syri-
schen Nordprovinzen westlich bis nach Hellas. - In
den Handen des koniglichen Dichtermusikers David
wird die Leier K. zum Symbol der Musik uberhaupt.
Leier und Harfe waren die bevorzugten Begleitinstru-
mente zum Gesang der Psalmen und religioser Poesien.
Kinoorgel ist ein Orgeltyp, der bei kleinem Pfeifen-
bestand eine groBe Anzahl von Registerausziigen be-
sitzt. Auch werden Schlaginstrumente, wie Gong, Vi-
braphon, kleine Trommel, iiber die Manual? und das
Pedal gespielt. Das ganze Instrument steht in Schwell-
kasten. Die K. wurde vor allem von der Wurlitzer
Company in den USA gebaut. Ursprunglich hatte die
K. den Stummfilm musikalisch zu illustrieren, sie ist,
wie die -> Hammondorgel, auch fiir Unterhaltungs-
musik und Schlager geeignet.
Kirchenlied ist, sofern nicht in einem allgemeinen
Sinn als geistliches gegenuber dem weltlichen Lied
verstanden, das nationalsprachige Gemeindelied als
Symbol christlichen Glaubens und Bestandteil des
Kultus. Wesentlich fiir den Begriff K. ist der mit ihm
verbundene Anspruch: das K. hat Tradition, ist allge-
meingiiltig und allgemein verbreitet; es steht fiir den
ganzen Glaubensinhalt der Kirche. - Die Bezeichnung
K. setzte sich um die Mitte des 17. Jh. durch, als (wie
im Titel des Luneburgischen Gesangbuchs von 1661)
zwischen gewohnlkhen alten Kirchen-Liedern und neuen
niitzlkhen Gesdngen, d. h. zwischen dem alten Choral
Lutherscher Pragung und dem neuen Andachtslied
(Aria), bewuBt unterschieden wurde. Hier ist das K.
durch seine Zugehorigkeit zum erweiterten Corpus
reformatorum, seine Aufgabe im Gemeindegottes-
dienst, seine allgemeine Verbreitung und die Einheit
von Wort und Weise bestimmt, die Aria dagegen als
erbauliches, vor allem der Privatandacht dienendes
geistliches Lied, das weder lange Lebensdauer noch
Symbolcharakter beansprucht. Wahrend diese Kluft
450
Kirchenlied
in anderen europaischen Landern (mit Ausnahme
Schwedens) weitaus weniger zutage tritt, da dort die
alten Lieder allmahlich umgesungen und zum Teil
durch neue ersetzt wurden, bestimmte sie die weitere
Geschichte des deutschen K.es. Nachdem gegen 1700
einerseits der KanonisierungsprozeB des reformatori-
schen Liedes abgeschlossen worden, andererseits das
neue Andachtslied tiefer in die kirchliche Frommig-
keit eingedrungen war, folgte - etwa mit den Lebens-
daten Bachs sich deckend - eine Ubergangszeit, in der
auch viele Andachtslieder Eingang in den fur den
Gottesdienst bestimmten Liedkanon fanden. In der
Zeit des spaten Pietismus Hallescher und Herrnhuter
Pragung, noch starker im Zeichen der Aufklarung ab
etwa 1750, nahm man dann gerade am kanonischen
Anspruch des reformatorischen Liedes AnstoB und er-
setzte es weitgehend durch »zeitgemaBe« Andachtslie-
der erwecklichen oder aufgeklarten Inhalts. Mit Be-
ginn des 19. Jh. erfolgte, durch Herder vorbereitet und
u. a. von E.M. Arndt vorgetragen, ein GegenstoB, der
wiederum dem reformatorischen K. zu seinem Recht
gegeniiber pietistischer und rationalistischer Verfla-
chung verhelf en sollte. Nachdem dieser GegenstoB zu-
nachst von den Ideen der nationalen Romantik und
des Historismus getragen war, wurde er allmahlich,
besonders intensiv mit Beginn des 20. Jh., seitens der
theologischen und liturgischen Bewegungen des Pro-
testantismus verstarkt. Da das K. nun wieder strikt in
den Dienst der Verkiindigung gestellt (K.Barth) und
gleichzeitig als Element des Kultus (W.Stahlin) ver-
standen wird, betrachtet man im wesentlichen das re-
formatorische K. als legitimen Trager dieses Namens
mit dem oben definierten Anspruch. Als solches wird
es in den Mittelpunkt des 1950 verbindlich fur alle
deutschen lutherischen und unierten Landeskirchen ge-
schaffenen Evangelischen Kirchengesangbuchs (-> Ge-
sangbuch) geriickt. Dabei ist freilich nicht zu iiber-
sehen, daB diese Leitidee eines liturgischen Bekenntnis-
liedes dem Anspruch der Gemeinde auf ein ihrem je-
weiligen Lebensgefiihl gemaBes Erbauungslied nicht
geniigt. Die praktischen Bemiihungen um ein »zeitge-
m5Bes«, u. a. an Jugendlied, Spiritual, Chanson, Jazz
und Schlager orientiertes geistliches Lied haben bisher
nicht zu iiberzeugenden Ergebnissen gefiihrt.
Das mit den Karolingern in Deutschland sich ausbrei-
tende Christentum fiihrte den gregorianischen Choral
ein und fur das Volk den einfachen Kyrie eleison-Ruf.
Auf einer zweiten Entwicklungsstufe entstanden in
Deutschland aus der Verbindung des iiberkommenen
Volksgesangs und des romischen liturgischen Gesangs
neue liedhafte Forrrien, deren wichtigste Arten in la-
teinischer Sprache die -*■ Sequenz (- 1) und in deutscher
die -> Leise sind. Dabei fuBten besonders die Leise oft
auf alteren Strophenmodellen, die durch neuen Text
und das angehangte Kyrie eleis zu christlichen Liedern
wurden. Besonders volkstiimlich sind die Rufe, eine an
die Leise angrenzende und an die Litanei ankniipfende
Gattung, die sich durch knappen Strophenbau (oft-
mals nur 2 Langzeilen) und groBe Strophenzahl mit
standig eingeschobenem Bittruf als Kehrreim aus-
zeichnet. Der typische Ruf Maria, unset Fraue gehort
zu den 1349 aufgezeichneten Liedern der GeiBlerbe-
wegung. - In schriftlichen Quellen erst seit dem 14. Jh.
greifbar, aber off enbar alter, ist eine zweite groBe Gat-
tung des geistlichen mittelalterlichen Liedes, die
-> Cantio, wie sie vor allem in Klostern und Schulen
gepflegt wurde. Lieder wie In dulcijubilo und Joseph,
lieber Joseph mein deuten darauf hin, daB diese Gattung
ihren Platz hauptsachlich im christlichen Weihnachts-
brauch hatte (etwa entsprechend den englischen Ca-
rols). Manche Cantiones sind auch in Mysterienspiele
und Marienklagen eingegangen. - In der Nahe des
geistlichen Kunstliedes steht eine dritte, vor allem im
15. Jh. bezeugte Gattung, die als spatmittelalterliche
Liedmystik bezeichnet werden kann: besonders Jesus-
und Marienlieder in den Formen des Minne- und
friihen Meistersangs, als Typenkontrafaktur oder
direkte Umdichtung weltlicher Vorlagen. Die von den
Niederlanden ausgehende Devotio moderna hat dieser
Gattung vor allem in Nonnenklostern Eingang ver-
schafft. Ihr Repertoire spiegeln u. a. das Hohenfurther
und das Liederbuch der Anna von Koln, die Mondseer,
Donaueschinger und Kolmarer Liederhandschriften
(-> Liederbucher). - Als letzte Gattung sind die Uber-
setzungen von Hymnen und anderen liedhaf ten liturgi-
schen Stucken zu nennen, die vereinzelt seit der Karo-
lingerzeit belegt sind, in groBerem AusmaB aber erst im
14. Jh. bei Hermann von Salzburg und im 15. Jh. bei
Heinrich Laufenberg begegnen. Von ersterem stammt
u. a. eine Verdeutschung des Hymnus A solis ortu car-
dine, von letzterem eine der vielen Ubertragungen der
Mariensequenz Ave maria praeclara maris Stella. - Am
Ausgang des Mittelalters steht eine Gruppe einzelner,
wohl samtlich erst im 15. Jh. geschaffener Lieder: sie
sind langer, schwingen textlich und musikalisch weiter
aus, sind freier und reicher in der Gedankenfiihrung
und weisen damit auf den Anbruch der Reformation
voraus, z. B. Komm heiliger Geist, Herre Gott; Ein Kin-
delein so lobelich; Wir glauben all an einen Gott und die
Weise Es ist das Heil uns kommen her.
Ab etwa 1522 nahm in den Bemiihungen Luthers um
die praktische Ausbreitung seiner Lehre das K. einen
wichtigen Platz ein. Es sollte vor allem das heilige
Evangelium treiben und in Schwang bringen. Als volks-
sprachiges Lied entspricht es den nationalen Grund-
lagen der Reformation, als Nachfahre des mittelalter-
lichen geistlichen Volksliedes wurzelt es im Volk, als
Lied schlechthin ist es besonders geeignet, zum leben-
digen Symbol einer Bewegung zu werden. Luther ging
von dem vorhandenen Liedbestand aus, um ihn im
Sinne des Evangeliums zu »bessern« und zu erweitern.
Auf diese Weise entstanden neue Strophen zu Gelobet
seist du, Jesu Christ; Nun bitten wir den heiligen Geist;
Wir glauben all an einen Gott; Hymnenubertragungen
wie Nun komm der Heiden Heiland; Komm Gott, Schop-
fer, heiliger Geist; ferner Lieder, die sich an einen bereits
vorhandenen weltlichen Typus anschlieBen, wie Nun
freut euch lieben Christen g'mein an den Typus des er-
zahlenden Liebesliedes, Ein neues Lied wir heben an und
Einfeste Burg an den des politischen Marktliedes, Vom
Himmel hoch an den des geselligen Kranzelliedes. An-
dere Lieddichtungen gehen nicht auf altere Textmo-
delle zuriick, halten sich dafiir aber an Bibeltexte wie
die Psalmlieder Ach Gott vom Himmel sieh darein; Es
wolle Gott unsgnddig sein; Aus tiefer Not oder die Kate-
chismuslieder Dies sind die heilgen zehn Gebot; Vater
unser im Himmelreich ; Christ unser Herr zum Jordan kam.
Luthers genialer Aussagekraft vermochten seine Zeit-
genossen nur wenig Gleichrangiges an die Seite zu stel-
len, am ehesten Speratus mit Es ist das Heil uns kommen
her, L. Spengler mit Durch Adams Fall ist ganz verderbt
und J. Gramann mit Nun lob mein Seel den Herren. Un-
auf f Slliger vollzog sich die Ubernahme und Neuf assung
der Weisen durch unveranderte Ubernahme {Gelobet
seist du,Jesu Christ), geringfiigige, durch Ubersetzung
hervorgerufene Anderungen {Nun komm der Heiden
Heiland), liedmaBige Formung choraler Vorlagen (Je-
saja dem Propheten das geschah), Erweiterung und Um-
bildung geistlicher Volkslieder {Christ ist erstanden zu
Christ lag in Todesbanden; Maria, du bist gnadenvoll zu
Es wolle Gott uns gnddig sein), Anknupfung an Typen
des weltlichen Liedes {Nun freut euch lieben Christen
29*
451
Kirchenlied
g'mein; Ein neues Lied wir heben an; Einfeste Burg; die
altere Weise zu Vom Himmel hoch , aus der die heute ge-
laufige Weise vielleicht durch Obersingen hervorge-
gangen ist). Sofern es sich um kunstvofiere Melodien
handelt (Aus tiejer Not schrei ich zu dir; Mit Fried und
Freud ichfahr dahin; beide aus dem Kreis J. Walters und
M.Luthers), mogen die wenigen reformatorischen
Weisen, zu denen sich bisher keine Vorlagen nachwei-
sen lassen, als Liedtenores fiir mehrstimmige Satze ge-
schaffen worden sein. - Nur sehr zogernd wurde das
K. in den Gottesdienst aufgenommen und ist hier zu-
nachst wiederum weniger von der Gemeinde, welche
keine eigenen Gesangbiicher besaB, als vom Schiiler-
chor gesungen worden, zumal viele Liedtenores fiir
die Gemeinde zu schwierig waren. Dem hat die nach-
lutherische Generation Rechnung getragen, vor allem
N.Hermann, dessen Lieder - zum Teil im Anklang
an geistliche Bergreihen - in Wort und Weise frische
und einfache Ziige zeigen (Lobt Gott ihr Christen allzu-
gleich; Erschienen ist der herrlich Tag; Steht aufihr Heben
Kinderlein). Erst im letzten Drittel des 16. Jh. biirgerte
sich mit der Hinwendung zum -> Kantionalsatz mit
Oberstimmenmelodie (L.Osiander, L.Lossius, M.
Praetorius) das reformatorische Lied als gottesdienst-
liches Gemeindelied fest ein. An neuen Liedern ent-
standen vor allem solche fiir den taglichen Wandel der
Christen und seine Festigung in Glaubensstreitigkeiten,
wie etwa N. Selneckers Lafi mich dein sein und bleiben. -
Zeigt das lutherische K. des Reformationsjahrhunderts
eine bunte Vielfalt, so entwickelte sich demgegeniiber
das reformierte K. - nach einer ersten Bliite durch die
noch stark dem Luthertum verpflichteten Reformato-
ren J. Zwick und A. Blaurer - geradlinig auf den Lob-
wasser-Psalter zu, der gegen Ende des 16. Jh. in den
ref ormierten Gemeinden meist fest eingef iihrt war und
als ref ormierter Liedkanon bis tief ins 18. Jh. giiltig ge-
blieben ist. Stark auf Volkstraditionen fuBt das Sonder-
gut der ->■ Bohmischen Briider.
Wahrend Ph.Nicolai an der Schwelle zum 17. Jh. sei-
ne beiden christusmystischen Lieder Wie schon leuch-
tet der Morgenstern und Wachet auf, ruft uns die Stimme
als genialer Einzelner schrieb, bildete sich in der ersten
Generation des 17. Jh. das mystisch-fruhpietistische
Andachtslied als eine eigene Gattung heraus, deren
hervorragende Vertreter J.Heerman als Dichter und
M. Vulpius als Melodieschopfer sind. Heermans Texte
(O Jesu Christe, wahres Licht; Herzliebster Jesu; Friih-
morgens, da die Sonn aufgeht; O Cott, dufrommer Gott)
zeigen die veranderte Blickrichtung des K.-Sangers:
hatte der reformatorische Liedsanger sich zu Gott und
seinen Heilstaten emporgewandt, so beginnt der Lied-
sanger des 17. Jh. sich selbst zum Gegenstand andachti-
ger Betrachtung zu machen, seine Einsamkeit und
Sundhaftigkeit zu beklagen und seine Begegnung mit
dem Seelenbrautigam Jesus zu preisen. Dem entspricht
musikalisch der Ubergang von der Volkslied- oder
C. f.- Weise zum solistischen Lied, wie er in den Kan-
tionalsatzen des M. Vulpius (Gelobt sei Gott im hochsten
Thron; Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all; Die helle
Sonn leucht' jetzt herfiir; Hinunter ist der Sonnen Schein)
sich anbahnt: die Weisen folgen weder einem vor-
gepragten Melodietypus oder »Ton«, noch sind sie auf
eine mehrstimmige Bearbeitung hin geschaffen; sie
sind knapp, strebig und setzen harmonisches H6ren
voraus. - Ahnliche Zuge, meist noch verstarkt, zeigt
das Lied der zweiten Generation, welcher neben J. Rist
(O Traurigkeit, o Herzeleid; Werde munter, mein Gemiite;
O Ewigkeit, o Donnerwort), C.Homburg (Jesu, meines
Lebens Leberi) und J. Franck (Jesu, meine Freude) in P.
Gerhardt (Ich steh an deiner Krippen hier; O Haupt voll
Blut und Wunden; Auf auf, mein Herz, mit Freuden; Die
giildne Sonne; Nun ruhen alle W alder) ein Dichter ange-
hort, der die Kraft orthodoxer GlaubensgewiBheit mit
der innigen Warme pietistischer Jesusfrommigkeit ver-
eint. Als Musiker kongenial zur Seite steht J. Criiger
(Frbhlich soil mein Herze springen; Nun danket alle Gott;
Ach wie ftiichtig, ach wie nichtig; Lobet den Herren alle,
die ihn ehren) ; ferner sind J. Schop (Sollt ich meinem Gott
nicht singen; Werde munter mein Gemiite) und J.Ebeling
(Du meine Seele singe; Warum sollt ich mich denngramen)
zu nennen. In der dritten Generation, namentlich bei
J.Neander (Lobe den Herren, den mikhtigen Konig der
Ehren), nimmt in den Liedtexten der nunmehr weich-
liche Jesuston zu; musikalisch vollzieht sich die Hin-
wendung zu einem Liedtypus, der - wie die Aria -
weiche, flieBende Achtelmelismen bevorzugt. Die 1.
Halfte des 18. Jh. ist von dem Bestreben des jiingeren
Pietismus beherrscht, sein Liedgut, das bis dahin fast
ausschlieBlich der Privatandacht gedient hatte, in den
Gemeindegottesdienst einzufuhren. DaB dies in gro-
Bem Umfang gelang, ist an der Zahl der von Bach
choralmaBig vertonten Arien abzulesen. Das jungere
pietistische Lied ist dementsprechend gemeindebe-
wuBt, dennoch in seinem Lebensgefiihl schwankend
zwischen sieghaftem Uberschwang und tiefster Siin-
denzerknirschung; die Jesusfrommigkeit bleibt domi-
nierend, verliert sich aber, besonders bei Zinzendorf,
in Sakramentsschwarmerei. GemaBigter dichten B.
Schmolck (Schmiickt das Fest mit Maien; Liebster Jesu,
wir sind hier) undJ.J.Rambach (Ich bingetauft aufdeinen
Namen) ; eine zarte Spatbliite niederrheinischer Mystik
bringen die Lieder G.Teerstegens (Ich bete an die Macht
der Liebe). Musikalisch treten neben den Ariatypus des
17. Jh. ein emphatischer (Jesus ist kommen, Grund ewiger
Freude; O Durchbrecher aller Bande), ferner ein tandeln-
der im Dreierrhythmus (Eins ist not), um dessentwillen
der Pietismus den Vorwurf der Weltlichkeit hat hin-
nehmen miissen, schlieBlich ein rational-schlicht und
isometrisch gebildeter Typus (O dafi ich tausend Zungen
hatte ; Herz und Herz vereint zusammen) . Viele der Wei-
sen sind anonym iiberliefert, von begeisterungsfahigen
Dilettanten geschaffen, oft in Anlehnung an weltliche
Vorlagen. - Nachdem im Pietismus an die 70000 Lie-
der entstanden waren, scheint um 1750 der Born er-
schopft. Die nun folgende Aufklarung verwandte fast
mehr Miihe darauf, die bestehenden Gesangbiicher zu
reinigen, als selbst Lieder zu dichten, besaB freilich in
Chr. F. Gellert (Wenn ich o Schopfer deine Macht) einen
fahigen Dichter, dessen Texte u. a. J. A.Hiller und C.
Ph. E.Bach vertont haben. Unter den damals beliebten
»Liedern im Volkston« ragt als geniale Schopfung her-
vor Der Mond ist aufgegangen (Worte von M. Claudius,
Weise von P.A.Schulz). Aus der Zeit des Idealismus
sind Fr.G.Klopstock (Auferstehn,ja auferstehn wirst du)
und E.M. Arndt (Ich weift, woran ich glaube; Du lieber,
heilger,frommer Christ), aus der Friihromantik Novalis
(Wenn ich ihn nur habe) bekannt geworden. Das 19. Jh.
brachte neben dem wiedererwachenden historischen
Interesse am K. auch Dichter hervor, die im Geiste der
Reformatoren zu schaffen versuchten, vor allem Fr.
Spitta mit seiner Sammlung Psalter undHarfe (Ich steh in
meines Herren Hand) und A. Knapp (Eines wiinsch ich mir
vor allem andern) . Von den Dichtern des 20. Jh. haben vor
allem R. A. Schroder und J. Klepper, in Vertonungen
von G.Schwarz, Chr.Lahusen u. a., Aufnahme in das
evangelische Kirchengesangbuch gefunden.
Wahrend das protestantische K. scit seinen Anfangen
ein konstituierender Bestandteil von Kultus und From-
migkeit gewesen ist und - ausgenommen im 19. Jh. -
auch in der Geistesgeschichte eine wichtige Rolle
spielte, hat das kathohsche K., von wenigen Ausnah-
men abgesehen, weder liturgisch unentbehrlich noch
452
Kirchenmusik
geistesgeschichtlich dominierend zu werden vermocht,
dafiir freilich in stillerer Anonymitat das Erbe des mit-
telalterlichen geistlichen Volksgesangs weitergefiihrt.
Nachdem sich die ersten gegenreformatorischen Ge-
sangbucher entweder eng an das protestantische Re-
pertoire angeschlossen oder eine nicht immer frucht-
bare Apologetik getrieben hatten, waren seit dem
Ende des 16. Jh. eine Reihe von Gesangbiichern be-
miiht, unter Auslassung des reformatorischen Liedguts
bewuBt an das mittelalterliche Erbe anzukniipfen; vie-
le alte Rufe und Leise teilen u. a. die Gesangbiicher
von N.Beuttner (1602ff.) und G. Comer (1625ff.) mit.
Die Folgezeit ist bis zum Ende des 17. Jh. beherrscht
von den Andachtsbuchem des Jesuitenordens mit ih-
rem teils volkstiimlichen, teils anspruchsvolleren ba-
rockmystischen Inhalt. Zu nennen sind vor allem Fr. v.
Spees Geistliches Psalterlein (1637) und W.Nakatenus'
Himmliches Palm-Gartlein (1660ff.). Angelus Silesius
steht mit seiner Heiligen Seelenlust von 1657 (Morgen-
stern der fin stern Nacht; Ich will dich lieben, meine Starke)
zwischen der jesuitischen und der gleichzeitigen friih-
pietistischen Dichtung. Im Zeitalter der Aufklarung
verfiel auch das katholische K. den Vorstellungen einer
»verniinftigen« Erbauung und Belehrung. Das 19. Jh.
brachte auf der einen Seite einen Zug zum mitunter
kraftlos-siiBlichen geistlichen Volkslied (Stille Nacht),
auf der anderen Seite eine Ruckbesinnung auf das
Traditionsgut (Sammlungen von J. F. Schlosser, J.
Kehrein und G.M.Dreves). Im 20. Jh. hat die katholi-
sche Jugendbewegung (K., 1928) dem Liedgesang Im-
pulse gegeben, die sich - wenn auch noch zogernd - in
der Gestaltung der neuen Diozesangesangbiicher aus-
zuwirken beginnen.
Lit. : M. Luther, Werke XXXV, Die Lieder Luthers, hrsg.
v. W. Lucke, H. J. Moser u. O. Albrecht, Weimar 1923. -
Hoffmann v. Fallersleben, Gesch. d. deutschen K. bis
auf Luthers Zeit, Hannover 3 1 861 ; Ph. Wackernagel,
Das deutsche K. v. d. altesten Zeit bis zum Anfang d. 17.
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Kirchengesanges ..., 8 Bde, Stuttgart 3 1866-77; W.
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bis gegen Ende d. 1 7. Jh., 4 Bde, Freiburg i. Br. 1 883-1 9 1 1 ;
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loh 1888-93, Nachdruck Hildesheim 1963; P. Dietz,
Die Restauration d. ev. K., Marburg 1903; A. F. W. Fi-
scher u. W. Tumpel, Das deutsche ev. K. d. 1 7. Jh., 6 Bde,
Gutersloh 1904-16; P. Sturm, Dasev. Gesangbuch d. Auf-
klarung, Barmen 1923; R. Giessler, Die geistliche Lied-
dichtung d.Katholiken im Zeitalter d. Auf klarung, = Schrif-
ten zur deutschen Lit. X, Augsburg 1928 ; W. Nelle, Gesch.
d. deutschen ev. K., Hbg 31928; W. Stahlin, Die Bedeu-
tungd. Singbewegung f. d. ev. Kirchengesang, Kassel 1928;
U. Leupold, Die liturgischen Gesange d. ev. Kirche im
Zeitalter d. Aufklarung u. d. Romantik, Kassel 1933; K.
Barth, Die kirchliche Dogmatik I, 2, Munchen 4 1948; W.
Blankenburg, WertmaBstabe f. Choralweisen, MuK
XVIII, 1948; O. Schlisske, Hdb. d. Lutherlieder, Gottin-
gen 1948; O. Sohngen, Die Zukunft d. Gesangbuchs, Bin
(1949); Chr. Mahrenholz, Das Ev. Kirchengesangbuch,
Kassel 1950; K. Berger, Barock u. Aufklarung im geist-
lichen Lied, Marburg 1951 ; Hdb. zum ev. Kirchengesang-
buch, hrsg. v. Chr. Mahrenholz u. O. Sohngen, 4 Bde,
Gottingen 1953ff. ; P. Gabriel, Das deutsche ev. K. v. M.
Luther bis zur Gegenwart, Bln 3 1956; I. Roebbelen, Theo-
logie u. Frommigkeit im deutschen ev.-lutherischen Ge-
sangbuch d. 17. u. friihen 18. Jh., = Forschungen zur Kir-
chen- u. Dogmengesch. VI, Gottingen 1957; Leiturgia.
Hdb. d. ev. Gottesdienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W.
Blankenburg, Bd IV: Die Musik d. ev. Gottesdienstes,
Kassel 1961 ; W. Wiora, The Origins of German Spiritual
Folk Song, Ethnomusicology VIII, 1964. MG
Kirchenmusik. - 1) Unter katholischer K. wird so-
wohl die den eigentlichen liturgischen Handlungen
(actiones liturgicae, z. B. ->• Messe, -> Offizium) zuge-
ordnete Musik als auchjene verstanden, welche bei den
iibrigen Gottesdiensten (pia exercitia, z. B. Andachten)
zum Vortrag gelangt. Sie wird wesentlich bestimmt
durch ihre unmittelbare Bindung an die -> Liturgie
im engeren und weiteren Sinne und ist ausgezeichnet
unter alien iibrigen kiinstlerischen Ausdrucksformen vor
allem deshalb, weil sie als der mit dem Wort verbundene
gottesdienstliche Gesang einen notwendigen und integrie-
renden Bestandteil der Jeierlichen Liturgie ausmacht (Ar-
tikel 112 der Constitutio de sacra Liturgia vom 4. 12.
1963). Das wechselseitige Verhaltnis von Liturgie und
Musik und deren gegenseitige Durchdringung ist hi-
storisch bedingt. Aus ihrer Einbeziehung in den Be-
reich der Liturgie erwachst die fundamentale und zu-
gleich vornehmste Auf gabe katholischer K. : die feier-
liche Ausgestaltung der liturgischen Handlung zum
Lobpreis Gottes und zur religiosen Erbauung der Glau-
bigen. Um dieser Auf gabe gerecht werden zu konnen,
muB sie selbst die in der Liturgie innewohnenden Ei-
genschaften - Heiligkeit, Giite der Form, Allgemein-
heit - besitzen, wie Pius X. in seinem richtungweisen-
den Motu Proprio Tra le sollecitudini (1903) fordert. -
Nach der Instructio de Musica sacra et sacra Liturgia vom
3. 9. 1958 umfafit die katholische K. (Musica sacra)
folgende Gattungen: a) Cantus gregorianus (-»■ Gre-
gorianischer Gesang). In ihm, der die genannten Ei-
genschaften am meisten in sich vereinigt und als das
vollkommenste Beispiel kirchlicher Musik gilt (vgl.
Motu Proprio, 1903), erblickt die Kirche den cantus
sacer Ecclesiae Romanae proprius et principalis. Er soil un-
ter den iibrigen Gattungen absoluten Vorrang genie-
Ben, bei liturgischen Handlungen die erste Stelle ein-
nehmen; b) Polyphonia sacra, die sakrale Mehrstim-
migkeit (a cappella) besonders der 2. Halfte des 16. Jh.,
vornehmlich geeignet zur feierlicheren Gestaltung der
liturgischen Akte; c) Musica sacra moderna (moderne
K.). Sie darf - auch unter Mitwirkung von Instrumen-
ten - in alien Actiones liturgicae verwendet werden,
wenn sie der dignitas, gravitas und sanctitas Liturgiae
entspricht und die Voraussetzungen fur eine werkge-
rechte Auffiihrung gegeben sind; d) Musica sacra pro
organo (solistische sakrale Orgelmusik); e) Cantus
popularis religiosus, der religiose Volksgesang (z. B.
das deutsche -> Kirchenlied) mit seinem bevorzugten
Platz in den (innerhalb und auBerhalb der Kirche voll-
zogenen) Pia exercitia, wahrend seiner Verwendung
bei den Actiones liturgicae Beschrankungen auferlegt
sind; f) Musica religiosa (geistliche Musik). Wenn-
gleich von religiosen Intentionen getragen, ist sie doch
nicht eigens fur den Cultus divinus bestimmt und darf
daher nur in den Pia exercitia zur Anwendung kom-
men. -Eine entscheidendeErweiterung dieses Rahmens
traf die Liturgiekonstitution des 2. — >■ Vatikanischen
Konzils, indem hier autoritativ festgestellt wird, daB die
Kirche alle Formen wahrer Kunst, welche die erforderli-
chen Eigenschaften besitzen, billigt und zur Liturgie zu-
lafit (Artikel 112). Dabei werden mit besonderem
Nachdruck auch die musikalischen Eigentraditionen,
vor allem der Missionslander, erwahnt und in ihrer
zentralen Bedeutung fur den Gottesdienst jener V61-
ker herausgestellt (Artikel 119). Uberdies rtickt die
Konstitution die aktive Teilnahme der Gemeinde am
liturgischen Gesang in den Vordergrund und empfiehlt
eine eifrige Pflege des religiosen Volksgesanges (Ar-
tikel 114 und 118). *" KWG
- 2) Wesen und Berechtigung der protestantischen K.
lutherischer Pragung als gottesdienstlicher Musik be-
ruhen auf -*• Luthers Auffassung von der Musik als ei-
ner laeta creatura (vgl. sein Encomion musices). Sie betont
neben ihrem gottlichen Ursprung zugleich ihre Nahe
zum Glauben. Der schopfungsmaBige Zusammenhang
von Musik und Freude liBt die Musik als eine Art Na-
453
Kirchenmusik
turform des Evangeliums (A.D.Miiller) und von daher
im theologischen Sinne als pradestiniert fiir das christ-
liche Leben des einzelnen sowie der Gemeinde erschei-
nen. Da Musik jedoch nicht nur Freude auszudriicken,
sondern auch hervorzurufen vermag, ist die K. in dop-
pelter Aufgabe Lobpreis und Verkundigung in einem.
Die Frage, ob sie angesichts der Polaritat von Luthers
Gottesdienstverstandnis als Wort (Predigt des Pfarrers)
und Antwort (Gebet und Lobgesang der Gemeinde;
vgl. die Einleitung der Predigt zur Einweihung der
SchloBkirche zu Torgau vom 5. 10. 1544) nur zur
letzteren gehort, ist gegenstandslos. Da die noten . . .
den text lebendig machen (Tischreden Nr 2545 u. 6.), hat
die K. immer auch die Fahigkeit und Aufgabe des Ver-
kiindigens. Ohne daB der Protestantismus je eine all-
gemeingiiltige Wesensbestimmung der K. geboten
hat, ist doch Luthers Musikanschauung zu alien groBen
Zeiten der K. bis zur Gegenwart bestimmend geblie-
ben. Auch Calvins Anschauung von der Musik be-
riihrt sich im wesentlichen Punkt mit der Luthers
(-> Calvinistische Musik). Im Unterschied zur katholi-
schen Auffassung von mehreren, verschieden gewerte-
ten Graden der K. steht die protestantische K., mit Aus-
nahme ihrer Beschrankung auf das Gemeindelied in
der Friihzeit des Calvinismus, alien Moglichkeiten
gottesdienstlicher Musik often. Grundlage bildet frei-
hch iiberall das durch Luther zu liturgischem Rang er-
hobene strophische Gemeindelied (quo verbum Dei vel
cantu inter populos maneat, Luther an Spalatin Ende
1523). Jedoch ist die K. zunachst als Lesungsmusik in
der Form der Evangelien- oder Spruchmotette, dann
aber mehr und mehr in der Form der musikalischen
Auslegekunst als Geistliches Konzert und Kantate von
Schiitz bis zu Bach neben und in Verbindung mit dem
Kirchenlied zum wichtigsten Bestandteil der gottes-
dienstlichen Musik geworden. Die Gegeniiberstellung
der Worte Concio und Cantio durch M.Praetorius
meint nicht eine Polaritat von Predigt und Gesang,
sondern die Musik als integrierenden Bestandteil got-
tesdienstlicher Verkundigung. Er erlautert das Be-
griffspaar mit einem Satz von Justinus Martyr (f 167) :
Es ist vnd bleibet Gottes Wort j auch das da im Gemuth
gedacht j mit der Stimme gesungen j auch auff Instrumenten
geschlagen vndgespielet wird (Widmung der Polyhymnia
caduceatrix et panegyrica, 1619). Hier findet sich zugleich
eine theologische Rechtfertigung der Instrumentalmu-
sik im Gottesdienst. Ausfiihrlicher erfolgte sie bereits
in einem Gutachten der Wittenberger Theologischen
Fakultat von 1597, dort mit ausdriicklichem Bezug auf
die instrumentalis musica .'. . wenngleich mit menschlicher
Stimme darunter nicht gesungen wird. War in der Zeit von
Luther bis Bach die Frage nach dem rechten Stil der K.
allenfalls von peripherer Bedeutung, weil sie jeweils
die sich ihr bietenden neuen musikalischen Errungen-
schaf ten auf grift, so wird diese Frage - nach einer Epo-
che des Niedergangs wahrend des Rationalismus - im
spaten 18. und beginnenden 19. Jh. entscheidend.
Wenn jetzt, vornehmlich unter den Auswirkungen der
Theologie Schleiermachers, die K. der religiosen Selbst-
darstellung und Erweckung frommer Gefiihle diente,
dann mufite die Frage nach der echten K. laut werden.
So fand die romantische Restauration in dem feierlich-
getragenen, an Palestrina und vor allem an einen miB-
verstandenen Eccard angelehnten puristischen a cap-
pella-Stil und dessen »edler Simplizitat« den Inbegriff
von K., vor dem auch J. S. Bach nicht bestehen konnte.
In dessen Werken trete doch einesteils eine Fremdartigkeit
der Ausdrucksweise hervor ..., andernteils eine gewisse
Manier des Kirchenstyls, der . . . unsern Bediirfnissen nicht
mehr entspreche (C.v.Winterfeld, Uber Herstellung des
Gemeinde- und Chorgesanges, S. 145). Diese Vorstellung
von K. blieb vorherrschend bis in die ersten Jahrzehnte
des 20. Jh., wenn sie auch in ihren wichtigsten Vertre-
tern, wie L. Schoeberlein, R.v.Liliencron, Ph. und Fr.
Spitta, Ph. Wolf rum sowie J.Smend, Auflockerung
erfuhr. Die kirchenmusikalische Erneuerung fiihrte
seit dem 2. Viertel dieses Jahrhunderts zu einer volligen
Neuorientierung der K. an der Reformation und ge-
wann damit auch ihre doppelte Aufgabe im Gottes-
dienst zuriick. Von den zahlreichen literarischen AuBe-
rungen erscheint die bekenntnishafte von H.Distler
(1935) besonders bedeutungsvoll. Die Gegenwart fiihr-
te demzufolge auch zu einer Erneuerung des kir-
chenmusikalischen Amtes und zu einer neuen liturgi-
schen Eingliederung der K. Mit der Uberwindung des
a cappella-Ideals hat sich die K. auch dem Reichtum
verschiedener musikalischer Stile geoffnet, wozu auch
die okumenische Ausweitung des kirchlichen Lebens
sowie die musikalischen Erscheinungsformen im Indu-
striezeitalter drangen. In neuester Zeit ist zufolge der
jiingsten Musikentwicklung, der sich die K. um ihrer
Aktualitat willen nicht entziehen kann und will, das Pro-
blem der Verstandlichkeit und Eignung heutiger Mu-
sik als K. brennend geworden, das freilich durch eine
Spaltung der K. in gottesdienstliche und geistliche Musik
(W. Fortner) nicht gelost werden kann. WBl
Lit.: zu 1): K. Weinmann, Gesch. d. K., = Slg Kosel VI,
Kempten 1906, Miinchen 4 1925; P. Wagner, Einfuhrung
in die kath. K., Diisseldorf 1919; O. Ursprung, Die kath.
K., Biicken Hdb.; M. Kat, De geschiedenis d. kerkmuziek,
Hiiversum 1939; K. G. Fellerer, Gesch. d. kath. K., = Ver-
off. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz
XXI, Diisseldorf 1939, 2 1949; ders., Soziologie d. K.,
= Kunst u. Kommunikation IX, Koln u. Opladen 1963;
F. Romita, Jus musicae liturgicae, Rom 1947; H. Lema-
cheru. K. G. Fellerer, Hdb. d. kath. K., Essen 1949; Do-
cumenta pontificia ad instaurationera liturgicam spectantia
I (1903-53) u. II (1953-59), collegit . . . A. Bugnini, = Bibl.
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1962; K. F. Muller, Der Kantor, Giitersloh 1964.
Kirchenschlufi -> Kadenz (- 1).
454
Kirchentone
Kirchentone (lat. modi, toni, tropi), auch Kirchen-
tonarten genannt, bilden das tonale Ordnungsprinzip,
die Art der Tonalitat der Musik vom friihen Mittelal-
ter bis ins 16. Jh., mit unmittelbaren Nachwirkungen
bis ins 17. und 18. Jh. - Ansatze zu einer Lehre von den
K.n und damit zu dem Versuch, die liturgischen Ge-
sange hinsichtlich ihrer tonalen Struktur zu erfassen
und verbindliche Normen fur sie aufzustellen, diirften
erst erfolgt sein, nachdem das gregorianische und
ambrosianische Melodienrepertoire fertig ausgebildet
war. Die Vermutung, daB bei der Entwicklung des
abendlandisch-lateinischen Systems der 8 K. byzanti-
nisch-griechische Einfliisse wirksam wurden, ist nahe-
liegend, da den lateinischen Modi und den byzantinj-
schen Echoi (->■ Oktoechos) neben der Anzahl und Be-
nennung (protus, deuterus, tritus, tetrardus) die Un-
terscheidung von authentischen und plagalen Modi
und deren paarweise Anordnung (authentisch/plagal)
gemeinsam sind. Als alteste bisher bekannte theoreti-
sche Quelle aus dem abendlandischen Raum, die sich
mit den 8 K.n befaBt, gilt die Musica disciplina des Au-
relianus Reomensis (entstanden um 850; Kap. 8-18,
GS I, 39b ff. ; vgl. dazu den bei GS I, 26f . unter dem
Namen des -*■ Alcuinus abgedruckten Traktat iiber
die 8 K.). Sie zeigt einen Modusbegriff, der sich pri-
mar auf die Beobachtung formelhafter Melodiewen-
dungen, des Tonraums und moglicher SchluBbildun-
gen griindet, wahrend eine Fixierung des Tonmaterials
(im Zusammenhang mit den K.n erstmals bei Odo von
St. Maur, Dialogus de musica, GS I, 259ff. ; ->■ Odo von
Cluny), der Intervalle sowie weiterer wich tiger Ein-
zelheiten fehlt. Wenige Jahrzehnte spater lassen sich die
ersten Anfange einer Herleitung und Rechtfertigung
der K. aus der griechischen Musiktheorie nachweisen.
Zwar beruhten jene - im Rahmen der Alia musica ein-
setzenden - Versuche auf einem folgenschweren Irr-
tum, da man die durch Boethius (De institutione musica
IV, Kap. 15, ed. Friedlein, S. 342) iiberlieferten Trans-
positionsskalen (tonoi) des Ptolemaios als Oktavgat-
tungen (A-a bis g-g 1 ) verstand und diese mit den K.n
identifizierte (GS I, 126b ff.). Gleichwohl schufen sie
die Basis fiir weitere Bestrebungen, die K. der Ord-
nung des geltenden (diatonischen) Systems anzupas-
sen. Den Endpunkt dieses langwierigen Systemati-
sierungsprozesses setzte der Reichenauer Mbnch -*■ Her-
mannus contractus mit seiner »Erfindung« des hypo-
mixolydischen, d. h. plagalen 8. Kirchentons (d-d 1 ),
welcher den ptolemaischen Tropus hypermixolydius
(a-a 1 ) abloste (Musica, GS II, 132a ff.). Als gemeinsa-
mes Bauprinzip liegen den paarweise miteinander ver-
bundenen authentischen und plagalen Modi nach Her-
mannus jeweils die gleiche Quart- und Quintgattung
und damit die gleichen Geriisttone (principals Utterae)
zugrunde. So enthalt etwa der phrygische Kirchenton
die 2. Quintspecies (e-h) mit dariiberstehender 2.
Quartspecies (hne 1 ), wogegen der hypophrygische
Kirchenton die umgekehrte Anordnung zeigt (H-e
+ e-h). Hieraus ergibt sich auch die wichtige Folge-
rung, daB dorischer und hypomixolydischer Modus
trotz Verwendung derselben Oktavgattung (d-d 1 ) in
ihrer inneren Struktur voneinander unterschieden sind
(dorisch: d-a = a-d 1 ; hypomixolydisch: d-g = g-d 1 ).
Das System der K. hat fortan folgende Gliederung
(h = Finalis, • = Tenor, + = ilterer Tenor) :
Erster Kirchenton, seit dem 10. Jh. auch dorischer Mo-
dus genannt (alteste Bezeichnung: protus authentus):
DEFGabcd (mittelalterliche Schreibweise, ent-
spricht den modernen Tonstufen d e f g a h c 1 d 1 ).
-£ *.- ■-■-
Zweiter oder hypodorischer Kirchenton (protus pla-
galis) :ABCDEFGa(=AHcdefga).
' ■ N ' : ' "
Dritter oder phrygischer Kirchenton (deuterus au-
thentus) : E F G a b c d e (= e f g a h c 1 d 1 e 1 ).
C - ■ ■ '
Vierter oder hypophrygischer Kirchenton (deuterus
plagalis): B C D E F G a b (= Hcdef g ah).
E - ■ •
Fiinfter oder lydischer Kirchenton (tritus authentus):
FGabcdef(=fgahc 1 d 1 e 1 f).
-f-
Sechster oder hypolydischer Kirchenton (tritus pla-
galis) :CDEFGahc(=cdefgah c 1 ).
^ ! ■ ■-
T-W-
Siebenter oder mixolydischer Kirchenton (tetrardus
authentus) : G a b c d e f g (= g a h c 1 d 1 e 1 f 1 g 1 ).
Achter oder hypomixolydischer Kirchenton (tetrardus
plagalis) :DEFGabcd(=defgahc 1 d 1 ).
-E-
Die komplexe, jeweils unverwechselbare Einheit eines
Kirchentons erf ahrt etwa seit der Mitte des 10. Jh. ihre
nahere Charakterisierung durch Finalis, Tenor und
Ambitus, die in den musiktheoretischen Schriften als
Hauptkriterien der Modi herausgearbeitet werden.
Unter ihnen kommt der Finalis und dem Tenor die
wichtige Bedeutung von Geriisttonen zu, wobei der
(entwicklungsgeschichtlich altere) Tenor als bevorzugt
angestrebter Ton einer Melodie oder - wie in den ver-
schiedenen Formen der Psalmodie - als Rezitationston
in Erscheinung tritt (-»• Repercussa). Demgegeniiber
stellt die Finalis den zentralen Bezugspunkt eines Ge-
sanges dar. Als Grund- und SchluBton der den ein-
zelnen K.n eigenen Skalen bildet sie das Regulativ fiir
den Melodieverlauf und ist zugleich ausschlaggebendes
Kriterium fiir die Beurteilung und modale Einord-
nung der Gesange. Vor diesem Hintergrund wird die
wahrend des ganzen Mittelalters maBgebliche Defi-
nition Odos von St. Maur verstandlich : Tonus vel mo-
dus est regula, quae de omni cantu in fine diiudicat (GS I,
257b). Das System der K. sieht fiir die einander zuge-
horigen authentischen und plagalen Modi die gleiche
Finalis vor (1 . und 2. Modus d, 3. und 4. Modus e usw.),
aber verschiedene Tenores. Letztere befanden sich in
den authentischen K.n urspriinglich eine Quinte, in den
plagalen eine Terz oberhalb der Finalis. Die noch heute
gebrauchliche endgiiltige Ordnung, nach welcher der
Tenor des 3. und 8. Modus auf c 1 statt h und der des
4. Modus auf a statt g gesungen wird, findet sich schon
im 1 2. Jh. bei Johannes Aff ligemensis (De musica, Kap.
11, CSM I, 82ff.). Der Tonumfang der einzelnen K.
war innerhalb des Systems prinzipiell an die Oktave
gebunden. Allerdings wurde er, im Hinblick auf die
praktischen Gegebenheiten des vorhandenen Melo-
diengutes, schon bald um einige Tonstufen erweitert.
Spatere Musiktheoretiker unterschieden zwischen dem
455
Kirchentone
regularen Ambitus eines Modus und solchen Tonstu-
fen, deren Verwendung nur »per licentiam« erlaubt
war. Nach Johannes Affligemensis diirfen z. B. alle
authentischen K. regular bis zur Oktave des Finaltones
ansteigen, entsprechend der Licentia bis zur None oder
Dezime, wahrend die plagalen Modi iiber einen As-
census zur Quinte (regula) bzw. Sexte (licentia) verfii-
gen. Im Unterschied hierzu wird der - nur per regu-
lam verlaufende - Melodieabstieg in den authentischen
Gesangen von der Untersekunde (Ausnahme: 5. Mo-
dus mit f als tiefstem Ton), in den plagalen Gesangen
von der Unterquarte oder -quinte begrenzt (Kap. 12,
CSM I, 91ff .). - Wie die Quellen des einstimmigen li-
turgischen Repertoires erkennen lassen, wurden zahl-
reiche Stiicke transponiert aufgezeichnet, wobei mit
Riicksicht auf den diatonischen Charakter des mittel-
alterlichen Tonsystems meist Transpositionen in die
Oberquinte oder -quarte zur Anwendung kamen (im
1. una 2. Modus gewohnlich von d nach a, im 3. von
e nach a, im 4. von e nach a oder h. im 6. von f nach
c 1 ; Transpositionen der iibrigen Modi kommen gar
nicht oder nur auBerst selten vor). In solchen Fallen
tritt an S telle der regularen Finalis die Confinalis (= af-
finahs: a, h, c 1 ) als SchluBton. Ferner begegnen, vor
allem in der Mehrstimmigkeit, Nebenformen des 1.
und 5. Modus mit regelmaBigem bmolle (= b) statt des
bdurum (= h) und als ihre Transpositionen authenti-
sche Skalen ohne Vorzeichen auf a und c 1 . In seinem
Dodekachordon von 1547 fiigte der humanistische Mu-
sikgelehrte -> Glareanus diese Skalen nebst ihren pla-
galen Formen dem herkommlichen System der K. als
eigenstandige Modi hinzu. AuBer den traditionellen 8
umfaBte das System nunmehr folgende 4 Modi: den
aolischen und hypoaolischen Modus (auf a und e mit
Finalis a) : „
-E-
=^n=
sowie den ionischen und hypoionischen Modus (auf c 1
und g mit Finalis c 1 ) :
C B ■
■f-
Damit waren samtliche Tone der diatonischen Grund-
skala - auBer h - als Finalis eines Kirchentons vertreten.
(Der schematisch aufgestellte lokrische und hypolo-
krische Modus auf h und f mit Finalis h wurde unter-
driickt.) Nach Glareanus setzte sich auch -»■ Zarhno
fiir die allgemeine Annahme des erweiterten Systems
der K. ein. In den Dimostrationi harmoniche (1571) fiihr-
te er erstmals eine neue Moduszahlung durch, welche
mit den Skalen auf c 1 (ionisch) und g (hypoionisch) als
1. und 2. Kirchenton beginnt.
Die Auflosung des Systems der K. ging Hand in Hand
mit der seit dem 16. Jh. sich anbahnenden Dur-Moll-
Tonalitat. Die K. blieben mit ihrer modalen Ordnung
dort bestehen, wo gregorianische Gesange polyphon
verarbeitet wurden, daneben auch im protestantischen
Choral. Beispiele fiir altere, kirchentonal gebundene
protestantische Chorale sind: Mit Fried und Freud ich
fahr dahin; Vater unser im Hitnmelreich; Durch Adams
Fall ist ganz verderbt (dorisch) ; Wer nur den lieben Gott
lafit walten (hypodorisch) ; Ach Gott, vom Himmel sieh
darein (phrygisch) ; Mitten wir im Leben sind (hypophry-
gisch) ; Nun bitten wir den heiligen Geist (lydisch) ; Es ist
das Heil uns kommen her (mixolydisch) ; Erhalt uns Herr
bei deinem Wort (aolisch) ; Allem zu dir, Herrjesu Christ
(hypoaolisch) ; Vom Himmel hoch, da komm ich her; Ein
feste Burg (ionisch) ; Nunfreut euch, lieben Christen gmein
(hypoionisch). Aus dem Transpositionssystem der K. zu
verstehende »modale« Vorzeichnung findet sich bis ins
18. Jh. Doch waren zur Zeit J.G. Walthers, der 1708 in
den Praecepta der Musicalischen Composition samtliche 12
Modi erlauterte, bey denen heiitigen Musicis nicht mehr
als Dorius, Aeolius und Ionicus im Gebrauch (Kap. 8, ed.
Benary, S. 164ff.). Noch im 19. Jh. spielten kirchen-
tonale Wendungen eine bedeutsame Rolle, so z. B. bei
Beethoven (Streichquartett A moll op. 132, 3. Satz:
Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in
der lydischen Tonart), besonders jedoch bei R.Franz,
Brahms und Chopin. In der 1. Halfte des 20. Jh. fiihr-
te das Bestreben zur Erweiterung des Dur-Moll-Sy-
stems vielfach zu einem Riickgriff auf die K., der da-
durch begiinstigt wurde, daB die K. im europaischen
Volkslied wirksam blieben.
Lit.: W. Brambach, Das Tonsystem u. d. Tonarten d.
christlichen Abendlandes im MA . . ., Lpz. 1881; G. Ja-
cobsthal, Die chromatische Alteration im liturgischen
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Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz.
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Tonartenlehre, in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u.
Lpz. 1930; W. Muhlmann, Die Alia musica, Diss. Lpz.
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dalitatsbestimmung in d. Tradition d. MeBgesange im IX.
bis XIII. Jh., Einsiedeln 1929; A. Auda, Les modes et les
tons de la musique, Briissel 1930; ders., Contribution a
l'hist. de l'origine des modes et des tons gregoriens, La
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friihen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; G. Reese, Music in
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no u. Hermann v. Reichenau als Musiktheoretiker, — Pu-
blikationen d. Schweizerischen Musikforschenden Ges.
II, 9, Bern (1961).
Kit (engl.) ->- Pochette.
Kithara (griech. >a&dtpa), in der Antike das neben der
Lyra am weitesten verbreitete Saiteninstrument der
Griechen. Das Wort ist seit dem 5. Jh. v. Chr. belegt
(u. a. Herodot I, 24, 5), kommt aber als Kitharis (xt-
&api.c;) bereits bei Homer (z. B. Ilias III, 54) und den
Lyrikern mehrfach vor. Die K. wird heute gewohnlich
als ein in der Regel 7saitiges, entweder gezupftes oder
mit ->- Plektron gespieltes Instrument charakterisiert,
456
Klangfarbe
das einen aus Holz gefertigten und in verhaltnismaBig
dicke Jocharme unmittelbar iibergehenden Schallkor-
per besaB (im Unterschied etwa zur ->- Lyra - 1). Diese
Charakteristik bezieht sich in erster Linie auf ein vom
Ende des 7. Jh. v. Chr. bis in romische Zeit auf Bild-
darstellungen nachweisbares Instrument mit unten ab-
geflachtem, kastenartigem Schallkbrper (die sogenann-
te Konzert-K.; siehe Abbildung links). Dariiber hinaus
soil der Name K. aber vielfach auch noch ein oder
mehrere ahnlich aussehende Instrumente mit erfassen,
; —
:_ — :
f h
\
/ (
> \
\%)
rHHL
z. B. ein Instrument mit unten abgerundetem Schall-
kbrper (ahnlich der ->■ Phorminx), das auf Vasenbil-
dern des 5. Jh. v. Chr. oft dargestellt wurde (die soge-
nannte Wiegen-K.; siehe Abbildung rechts). Ob es
sich in diesen Fallen um dasselbe oder um verschiedene
Instrumente (mit jeweils eigenem Namen) handelt, ist
unklar. Erst recht gilt dies fur die noch viel zahlreiche-
ren Instrumentenformen der Fruhzeit. Daher diirfte es
aussichtslos sein, zwischen K. und Kitharis sowie zwi-
schen Kitharis und Phorminx scharf unterscheiden zu
wollen, zumal diese Namen in der Antike selbst offen-
bar nicht immer klar auseinandergehalten wurden
(z. B. Ilias XVIII, 569f.: <pdgfiiyyc xi&dgi£e; Odys-
seel, 153ff. : xi&agiv . . . 6<poQ/ii£(ov; in hellenistischer
Zeit etwa Aristoxenos, fr. 102, ed. Wehrli: xiftagis
ydg icrtiv fj Avga). Aus demselben Grand ist die Frage
der Herkunft der K. sehr umstritten. Als gesichert gilt,
daB die K. zuerst bei den kleinasiatischen Griechen in
Gebrauch war (deshalb auch 'Aaiac; genannt, z. B. Eu-
ripides, Kyklops 443). Zusammen mit der auf Lesbos
im 7. Jh. v. Chr. zur Bliite gelangten Kitharodie (Ge-
sang mit K.-Begleitung) und mit den dort u. a. von Ter-
pandros geschaffenen kitharodischen Nomoi (-»■ No-
mos) scheint die von einem Schuler Terpanders, Ke-
pion, in eine neue Form gebrachte K. dann auch im
Mutterland ziemlich rasch FuB gefaBt zu haben. Denn
schon gegen Anfang des 6. Jh. v. Chr. sollen im Rah-
men der Pythischen Spiele in Delphi Preise fur die
Kitharodie und wenig spater fur die Kitharistik (K.-
Spiel ohne Gesang) ausgesetzt gewesen sein (Pausanias
X, 7, 4 und 7). Anders als die Lyra wurde die K. all-
mahlich das bevorzugte Instrument der Virtuosen, die
ihrerseits die Zahl der Saiten bis auf 11 und 12 erhoh-
ten (Timotheos und Melanippides gegen Ende des 5.
Jh. v. Chr.). Als typisches Virtuoseninstrument aber
eignete es sich nicht mehr fiir den gewohnlichen Mu-
sikunterricht (Aristoteles, »Politik« VIII, 6, 5). Die K.,
spater auch von den Romern iibernommen (lat. citha-
ra), blieb bis in die Spatantike in Gebrauch. Das Instru-
ment Davids, der hebraische -> Kinnor, in der Septua-
ginta noch xivtipa genannt, heiBt in der Vulgata (1.
Sam. 16, 23) cithara.
Lit.: Timotheos, Die Perser, hrsg. v. U. v. Wilamowitz-
Moellendorff, Lpz. 1903 (mit einem Modelltext d. virtuo-
sen Kitharodie) ; C. Sachs, Die griech. Instrumentalnoten-
schrift, ZfMw VI, 1923/24; ders., Die griech. Gesangsno-
tenschrift, ZfMw VII, 1924/25; ders., The Rise of Music
in the Ancient World, East and West, = The Norton Hist,
of Music I, NY (1943) ; L. Deubner, Die viersaitige Leier,
Mitt. d. Deutschen Archaologischen Inst., Athenische Abt.
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leben d. Griechen, Bin 1949; ders., Griechenland, = Mg.
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Henderson u. J. E. Scott, in: The New Oxford Hist, of
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G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom, = Mg. in Bildern II, 5,
Lpz. (1964). FZa
Klampfe -»■ Gitarre.
Klang ist der allgemeine Begriff fiir akustische Er-
scheinungen, die in der Skala der Einheitlichkeit etwa
zwischen Ton (pragnant) und Gerausch (amorph) lie-
gen. Dabei tragt dieser Begriff einen positiven Akzent
gegeniiber dem (amorphen) Gerausch und dem (ne-
gativen) Larm. Akustisch und psychologisch bestim-
mendes Merkmal ist seine -»■ Klangfarbe. Im umgangs-
sprachlichen Gebrauch dient der Begriff Kl. der allge-
meinen Charakterisierung von akustischen Eindriicken
(Glocken-Kl., Instrumenten-Kl., Kl.-Ideal). In der spe-
ziellen musikahschen Terminologie ist der Kl. die Ver-
bindung von simultan erklingenden Tonen (Zwei-KL,
-*■ Drei-Kl.) bzw. der Zusammen-Kl. von Tonen, der
nicht als Akkord und somit als Akkordfunktion auf-
gefaBt und benannt werden soil. - Im 19. Jh. biirgerte
sich vor allem im AnschluB an H. v. Helmholtz ein phy-
sikalisierender Gebrauch des Begriffs ein. In diesem
Sinne ist der Tonbegriff auf das erlebnismaBige Korre-
lat der Sinusschwingung eingeengt; als Klange werden
demgegeniiber alle Schallvorgange bezeichnet, in
denen Oberschwingungen enthalten sind. Diese Klas-
sifizierung entspringt dem damaligen Konzept der
Reduktion aller Horerscheinungen auf physikalische
Sachverhalte und Gesetze, widerspricht aber sowohl
den Hbrtatsachen als auch dem musikalischen Sprach-
gebrauch.
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
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cke, Experimentelle Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens,
= Schriftenreihe d. mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964.
Klangfarbe. - 1) historisch: Tonhohe und Dauer
sind »zentrale«, Lautstarke und Kl. »periphere« Ton-
eigenschaften (J.Handschin). Obwohl die Kl.n die
Wirkung von Musik wesentlich mitbestimmen, haben
sie eher verdeutlichende als konstitutive Funktion, da
sie, im Unterschied zu Tonhohen und Zeitwerten, kei-
ne Skala bilden. Zwar sind Einzelmomente der Kl., wie
Fiille und spezifische Helligkeit, im Sinne einer Stu-
fenfolge wahrnehmbar; im wesentlichen aber stehen
sich die Kl.n als selbstandige, nicht aufeinander redu-
zierbare Qualitaten gegeniiber. Mit dem akzessori-
schen Charakter der Kl. hangt es zusammen, daB sie
einerseits bis zum 19. Jh. kein Gegenstand der Musik-
theorie gewesen ist und andererseits nicht isoliert be-
trachtet werden kann. Die Instrumentationstechnik
orientiert sich oft weniger an der eigentlichen Kl. als
457
Klangfarbe
an der Intensitat und dem Volumen, der Spieltechnik
und der Artikulation der Instrumente. - Klangstile
sind ein Ausdruck individuell, zeitlich und national be-
grenzten geschichtlichen Lebens (W. Gurlitt). Sie sind
1) durch die Neigung entweder zum »Spalt-« oder zum
»Verschmelzungsklang« (A. Schering), 2) durch die
Bevorzugung bestimmter Instrumente und Instrumen-
tengruppen, 3) durch die Symbolfunktionen und die
Sozial- oder Ausdruckscharaktere von Instrumenten
und 4) durch die Vorliebe fur einen distanzierten oder
einen beseelten, dem Tonfall und Modulationsreich-
tum der menschlichen Stimme ahnlichen Klang ge-
kennzeichnet und bestimmt. So hangt z. B. die Ein-
fiihrung der Klarinette und des Waldhorns im 18. Jh.
mit der Orientierung am Klangideal der menschlichen
Stimme zusammen. - Man kann zwischen funktionel-
ler, den Tonsatz vordeutlichender und koloristischer,
die Wirkung belebender Verwendung der Kl. unter-
scheiden, ohne daB zwischen den beiden Momenten
ein ausschlieBender Gegensatz bestiinde. Die kontrast-
reichen Instrumentenensembles des 14. und 17. Jh.
dienten sowohl der Differenzierung der Stimmen als
auch der Buntheit des Klangbildes. Und umgekehrt ist
eine die Stimmen verschmelzende Instrumentation
nicht nur koloristisch, sondern als Darstellung eines
durch ineinandergleitende Akkorde bestimmten Ton-
satzes zugleich funktionell.
Lit. : W. Gurlitt, Die Wandlungen d. Klangideals d. Org.
im Lichte d. Mg., in: Ber. iiber d. Freiburger Tagung f.
deutsche Orgelkunst Augsburg 1926, Neudruck in: Mg. u.
Gegenwart II, = BzAf Mw II, Wiesbaden 1966; DERS.,Vom
Klangbild d. Barockmusik, in: Die Kunstformen d. Ba-
rockzeitalters, = Slg Dalp LXXXII, Bern u. Munchen
1956, Neudruck ebenda I, I, 1966; A. Schering, Hist. u.
nationale Klangstile, JbP XXXIV, 1927 ; G. Pietzsch, Der
Wandel d. Klangideals in d. Musik, AMI IV, 1932; Fr.
Dietrich, Vom Spielklang, DMK II, 1937; K. G. Felle-
rer, Satzstil u. Klangstil, Mk XXX, 1937/38; ders., Die
Klangwirklichkeit im mus. Erbe, Das Musikleben VI,
1953 ; E. Halfpenny, The Influence of Timbre and Tech-
nique on Mus. Aesthetic, The Music Review IV, 1943; J.
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ; Fr. Ernst,
Die Klangwelt d. alten Musik, SMZ XCII, 1952; E. Laaff,
Oberschatzung d. Klanges?, Das Musikleben VII, 1954;
H.J. MosER,Farbenu.Kl.,MusicaXI, 1957. CD
- 2) akustisch : Kl. benennt den »zustandlichen« Aspekt
unter den einem Klang zugeschriebenen Fundamental-
eigenschaften neben Tonhohe, Lautstarke und Dauer.
Der Begriff entstammt dem akustischen Konzept des
19. Jh. und deutet eine gewisse Parallelitat zum Visuel-
len an, in dem die Farbe eine analoge Funktion ausiibt.
In der klassischen Akustik wurde die Kl. auf das tonen-
de Objekt bezogen, auf das Musikinstrument bzw. die
Singstimme (»Geigen-Kl.«, »Klarinetten-Kl.«, »Chor-
Kl.«). Man suchte folglich die Kriterien in der Schall-
struktur des jeweiligenKlangerzeugers. Ausgangspunkt
dieser Bemiihungen und Beginn der modernen akusti-
schenForschungbildetedieKl.n-Theoriev.Helmholtz',
der dieErklarung fiir die Kl. in der Art und Weise sah, wie
die Bewegung innerhalbjeder einzelnen Schwingungsperiode
vor sich gent. Seine an Hand von Einzelbeobachtungen
auf gestellte Hypothese lautet, daB fiir die Kl. bestimm-
ter Musikinstrumente immer eine Teilschwingung be-
stimmter Ordnung innerhalb des Klangspektrums ent-
scheidend sei, deren Frequenz also mit der Tonhohe
wechsele (Relativtheorie). Diese Annahme wurde 1929
von E. Schumann widerlegt, der nach umfangreichen
Messungen mehrere Kl.n-Gesetze f ormulierte : 1) Die
Klange bestimmter Musikinstrumente weisen - wie
die Sprachlaute - unabhangig von ihrer Grundfrequenz
Gebiete verstarkter Teilschwingungen auf, die an feste
Frequenzbereiche (Formantstrecken, -> Formant) ge-
bunden sind. 2) Mit zunehmender Klangstarke verla-
gert sich bei gleicher Tonhohe das Intensitatsmaximum
auf Teilschwingungen hoherer Ordnungszahlen ( Aku-
stisches Verschiebungsgesetz).
1
1
1 1.
1
1
1
1.
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1
1
1
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1
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1
1
1
1
1
1
1 .
1
ft*
■ (
1
1
'
1
1
Schumannsches Verschiebungsgesetz beim Klang
einer Flote; bei Intensitatssteigerung verlagert
sich das Maximum auf Teilschwingungen hoherer
Ordnungszahl.
3) Liegt bei Klangen mit zwei Formanten das Intensi-
tatsmaximum im Bereich der tieferen Formantstrecke,
so springt es unter geeigneten Bedingungen bei Stei-
gerung der Klangstarke direkt auf die obere Formant-
strecke iiber (Schumannsches Sprunggesetz).
1
1 .
1
1
1
1 1
1
1 1
ll
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1
1
III
1
1
1
1
III
1 .
II.
■■■
i
it
;U^4.±i
tt
lll|IUli u .
Schumannsches Sprunggesetz beim Oboenklang;
das Maximum uberspringt bei Intensitatssteige-
rung von mf zu ff alle zwischen den Formant-
strecken liegenden Teilschwingungen.
4) Bei steigender Grundfrequenz, aber gleicher Intensi-
tat bleibt das Intensitatsmaximum so lange auf der glei-
458
Klangschliissel
chen Teilschwingung bestimmter Ordnungszahl, bis
die obere Grenze der Formantstrecke erreicht ist. Da-
nach springt es zuriick auf eine in der gleichen For-
mantstrecke befindliche Teilschwingung niederer
Ordnungszahl.
Hi
MS2
Grundfrtquenl
Qrvndfrtquenzlinit
Maximum im Formanten I
Maximum im Formanttn II
Ntbtnmaximum
Verlauf der Intcnsitatsmaxima innerhalb einer
Formantstrecke bei steigender Tonhohe.
5) Hat ein Instrumentenklang zwei Formanten, so bil-
den deren Maxima immer ein charakteristisches festes
und einf aches Frequenzverhaltnis, so Oboe 1:2, Eng-
lisch Horn 2:5 und Fagott 3:8 (Schumannsches For-
mantenintervallgesetz). - Mit der Formulierung dieser
GesetzmaBigkeit wurde die physikalische Beschreibung
der stationaren Schallvorgange zu einem gewissen Ab-
schluB gebracht. Sie bilden die Voraussetzung fiir die
weitere Behandlung der Fragen des Zusammenhangs
zwischen Schallstruktur und Klangerlebnis. Schon
Stumpf (1926) unterschied die Kl. im engeren und im
weiteren Sinn. Zu letzterer rechnet er alle erlebnisma-
Bigen Verschiedenheiten, die sich aus dem zeitlichen
Ablauf des Klanges ergeben, z. B. beim Zupfen, An-
blasen usw. Dazu gehoren auch die typischen Klang-
einsatze und Ausgleichsvorgange beim Ubergang von
einem zum anderen Ton. Vor allem die subjektive Sei-
te des Kl.n-Begriffs wird von Stumpf betont. So kann
ein Klang weich, hart, rauh, voll, leer sein, ein Vokal dun-
kel, hell. Wellek hat eine sehr weitgehende Klassifizie-
rung der emotionellen Affinitaten von Klangen gege-
ben, die jedoch noch empirischer Uberpriifung harrt.
Einen integrierenden Aspekt der Kl. hat Fr.Blume
(1959) als das sspezifische Kolorit« bezeichnet. Inner-
halb jeder Kulturgruppe wird das Klangmaterial aus
einem theoretisch unendlichen Reservoir in langen
Selektionsprozessen den spezifischen Horbedurfnis-
sen angepaBt, so daB sich die Klarige gegeniiber denen
anderer ethnischer Gruppen mehr oder minder stark
unterscheiden. Es entstehen charakteristische Eindrucks-
werte, welche gewissermaBen »iiber alles« wirken und
so das Integral eines spezifischen Kolorits entstehen
lassen. In diese Richtung weisen auch schon die von
Wellek gepragten Begriffe der integrierenden Klang-
eigenschaften bestimmter Instrumentengruppen, die
er als Gattungstimbre (Streicherklang, Blaserklang)
bezeichnet, doch fehlt hier der soziologisch differen-
zierende Akzent. Das alien Gemeinsame ist das Zustand-
liche, die emotionelle Farbung, welche alles von dem
Kl.n-Begriff Umschlossene auszeichnet.
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
.... Braunschweig 1863, «1913; Sachs Hdb.; C. Stumpf,
Die Sprachlaute . . . , Bin 1 926; E. Schumann, Die Physik d.
Kl., Habil.-Schrift Bin 1929 ; H. Backhaus, Uber d. Bedeu-
tung d. Ausgleichsvorgange in d. Akustik, Zs. f . Techni-
sche Physik XIII, 1932; ders., Uber Ausgleichsvorgange
an Streichinstr., ebenda XVIII, 1937; F. Trendelenburg,
KlSnge u. Gerausche, Bin 1935; ders., Einfuhrung in d.
Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1 96 1 ; Fr.Winckel,
Klangwelt unter d. Lupe, = Stimmen d. XX. Jh. I, Bin u.
Wunsiedel (1952), neubearb. als: Phanomene d. mus. H6-
rens, ebenda IV, (I960); Klangstruktur d. Musik, hrsg. v.
dems., Bin (1955); H. Husmann, Einfuhrung in d. Mw.,
Heidelberg (1958); Fr. Blume, Was ist Musik?, = Mus.
Zeitfragen V, Kassel 1959; W. Meyer-Eppler, Grundlagen
. . . d. Informationstheorie, Bin, Gottingen u, Heidelberg
1959; A. Wellek, Musikpsychologie u. Musikasthetik,
Ffm. 1963 ; H.-P. RErNECKE, Experimentelle Beitr. zur Psy-
chologic d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. mw. Inst. d.
Univ. Hbg III, Hbg 1964; V. Rahlfs, Die Kl., Diss. Hbg
1966, maschr. HPR
Klangfarbenmelodie nennt Schonberg am SchluB
seiner Harmonielehre (Wien 1911, 3 1922, englisch New
York 1947) eine Folge von Klangfarben, deren Be-
ziehung untereinander mit einer Art Logik wirkt, ganz
dquivalent jener Logik, die uns bei der Melodie der Klang-
hbhen geniigt. Die Idee der Kl. hat Schonberg im dritten
seiner Fiinf Orchesterstiicke op. 16 (1909), urspriinglich
Farben betitelt, zu verwirklichen versucht. Ansatze zur
Kl. finden sich in der spatromantischen und impressio-
nistischen Orchesterbehandlung, z. B. Wechsel von
Instrumenten auf gleichbleibender Tonhohe (Debussy) .
Im Unterschied zu Schonbergs Idee der Eigenstandig-
keit der Klangfarbe, verdeutlicht sie bei Webern die-
nend die Tonhohenstruktur der Komposition, die sich
somit zugleich als Farbstruktur darstellt. Ein weiterer
Schritt ist die Behandlung der Klangfarbe als Parame-
ter in der ->■ Seriellen Musik.
Klangfiguren -> Chladnische Klangf iguren.
Klangschliissel nennt H.Riemann die in seinen
theoretischen Schriften entwickelte und ausschliefilich
angewandte Harmoniebezeichnung, die aus derjenigen
G.Webers und A. v. Oettingens herausgewachsen ist
und stets einen Klang (Dur- oder Mollakkord) als
Hauptinhalt hinstellt, z. B. c? = C dur-Akkord (mit
kleiner Septime), g 9> = G dur-Akkord (mit kleiner
Septime und kleiner None und Auslassung der Prim)
usw. Beim Kl. werden ebenso wie beim GeneralbaB
die Zahlen 1-10 verwendet, aber die Intervalle nicht
vom BaBton aus gezahlt, sondem von der Prime des
Klanges. Fiir Durakkorde werden arabische Ziffern,
fiir Mollakkorde romische gebraucht; jene bedeuten
die Intervalle vom Hauptton nach oben, diese die nach
unten. Der Hauptton selbst wird mit einem lateini-
schen Buchstaben (c, a usw.) notiert. Die Zahlen haben
f olgende Bedeutung : 1 (I) Hauptton, 2 (II) groBe Se-
kunde, 3 (III) groBe Terz, 4 (IV) reine Quarte, 5 (V)
reine Quinte, 6 (VI) groBe Sexte, 7 (VII) kleine Septi-
me, 8 (VIII) Oktave (= Prime), 9 (IX) groBe None
(= Sekunde), 10 (X) groBe Dezime (= Terz). Alle
Zahlen, auBer 1, 3, 5 (8, 10) bzw. I, III, V (VIII, X), be-
deuten dissonante Tone; denn nur Haupt-, Terz- und
Quintton sind Bestandteile des (Dur- oder Moll-)Klan-
459
Klangstufen
ges. Chromatische Veranderungen der oben aufge-
zahlten 7 (10) Grundintervalle werden durch < fiir die
Erhohung und > fiir die Erniedrigung um einen Halb-
ton angezeigt. Den Durakkord (Oberklang) bezeich-
5
net das abkiirzende Zeichen + statt 3, den Mollakkord
1
(Unterklang) das Zeichen ° statt III; wo Zahlen (fiir
Lagen, Zusatztone usw.) das Klanggeschlecht anzeigen,
bleibt das Klangzeichen ( + oder °) weg. Auch wird, da
der Durakkord haufiger ist als der Mollakkord, bei
Fehlen jeder Bezeichnung der Durakkord gemeint.
Der Name Kl. unterscheidet diese an eine bestimmte
Tonart gebundene Bezeichnung von der daraus seit
1893 von Riemann entwickelten, fiir jede Tonart gel-
tenden -*■ Funktionsbezeichnung. -> Dualismus.
Lit. : H. Riemann, Skizze einer neuen Methode d. Harmo-
nielehre, Lpz. 1880, umgearbeitet als: Hdb. d. Harmonie-
lehre, Lpz. 21887, 51912, '1920, 101929; ders., Vereinfach-
te Harmonielehre . . ., London u. NY 1893, 2 1903; ders.,
Elementar-Schulbuch d. Harmonielehre, Lpz. 1906, Bin
u. Lpz. 31918.
Klangstufen -> Stufen, -*■ Stufenbezeichnung.
Klangvertretung nennen A.v.Oettingen und H.
Riemann in Weiterentwicklung eines Gedankens v.
Helmholtz' (1863) die besondere Bedeutung, die ein
Ton (oder ein Intervall) gewinnt, je nachdem er als
Bestandteil dieses oder jenes Dreiklangs aufgefaBt wird.
Gilt z. B. der Ton C als Terz des As dur-Dreiklangs, so
hat er eine andere Bedeutung fiir die Logik des Ton-
satzes, als wenn er als Terz des A moll-Dreiklangs auf-
tritt; in jenem Fall ist er nachstverwandt mit Des und
dem Des dur-Dreiklang, in diesem mit H und dem
E dur- und E moll-Dreiklang. Jeder Ton kann 6 ver-
schiedene Klange vertreten, namlich als Grundton,
Quinte und Terz 3 Dur- und 3 Molldreiklange, z. B. :
Im musikalischen Zusammenhang aber hat jeder Ton
nur eine einzige dieser Bedeutungen. Entsprechendes
gilt fiir Intervalle als Vertreter von Dreiklangen. Wird
ein Ton irgendeinem Dreiklang als dissonanter Ton
beigegeben oder anstelle eines von dessen Akkordto-
nen als Vorhalt oder alterierter Ton eingestellt, so ist
- nach Riemann - seine Bedeutung dennoch im Sinne
eines der oben genannten sechs Dreiklange, und zwar
des nachstverwandten, zu bestimmen.
Lit.: H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
. . ..Braunschweig 1863, 6 1913; A. v. Oettingen, Harmo-
niesystem in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz. 1866,
als: Das duale Harmoniesystem, Lpz. 2 1913; H. Riemann,
Mus. Syntaxis, Lpz. 1877; ders., Die Natur d. Harmonik,
= Slg mus. Vortrage, hrsg. v. P. Graf v. Waldersee, 4. Rei-
he, Nr40, Lpz. 1882; Riemann MTh.
Klangzentrum, als Zentrum eines Klanges (Rameaus
centre harmonique) der -> Grundton (- 1) eines Akkor-
des im Gegensatz zum BaBton; nach Hindemith (1937)
als tonales Zentrum der Bezugsklang einer Akkord-
gruppe, ahnlich -> Tonika; nach H. Erpf (1927) ein nach
Intervallzusammenhang, Lage im Tonraum und Farbe be-
stimmter Klang,. der dadurch konstitutive Bedeutung
erlangt, daB er nach kurzen Zwischenstrecken immer wie-
der auftritt. Klangzentren der letzteren Art finden sich
u. a. in Schonbergs op. 19, 6 und in Strawinskys Sacre
du Printemps (Anfang des 2. Teils).
Lit. : J.-Ph. Rameau, Trait6 de Fharmonie . . . , Paris 1 722 ;
H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neue-
ren Musik, Lpz. 1927; P. Hindemith, Unterweisung im
Tonsatz I, Mainz 1937, 21940, engl. als: Craft of Mus.
Composition I, London 1942.
Klappen sind die bei den Holzblasinstrumenten seit
dem 1. Drittel des 16. Jh. nachweisbaren, im 19. Jh.
auch bei den Blechblasinstrumenten verwendeten me-
tallenen, mit weichem Leder (meist Ziegenleder) ge-
polsterten VerschluBdeckel fiir die Tonlocher. Nach
ihrer Normalstellung, in der sie durch Federdruck ge-
halten werden, sind offene (Deck-Kl.) und geschlosse-
ne Kl. zu unterscheiden. Die geschlossenen Kl. schei-
nen erst im 17. Jh. aufgekommen zu sein. Urspriinglich
dienten die Kl., durch einfache Hebel betatigt, nur zur
Deckung der fiir die Finger nicht oder nur schwer er-
reichbaren Tonlocher; sie waren daher nur in sehr ge-
ringer Zahl angebracht, die sich im 18. Jh. allmahlich
steigerte. Die fiir das heutige Kl.-System der Holzblas-
instrumente maBgebende Verbesserung ersann Th.
-> Bohm, der im Jahre 1832 die erste -> Querflote an-
fertigen lieB, bei der die Tonlocher an den akustisch
richtigen Stellen des Rohres angebracht waren und die
mit einem sinnreich konstruierten Kl.-Mechanismus
versehen war. Ahnlich hatte bereits seit 1824 -*■ Al-
menrader am Fagott einige Tonlocher tiefer gelegt
und sie mit den entsprechenden Deck-Kl. versehen;
auch brachte er verschiedene andere Kl. zur Verbesse-
rung der Intonation und zur Erleichterung der Appli-
katur an. An den Holzblasinstrumenten und den Saxo-
phonen werden heute unterschieden: die Drehklappe
(modern), bei der die Bewegung des Hebels durch eine
am Rohr entlangfiihrende Welle auf die Klappe iiber-
tragen wird; die Ringklappe, ein ringformiger Beta-
tigungshebel, der iiber einem offenen Griffloch liegt
und beim Greifen bewirkt, daB die Klappe iiber einem
anderen Tonloch mitbewegt wird (nach SachsL wurde
diese Art von Kl. 1808 von Fr. Nolan erfunden); die
Trillerklappe zur Erleichterung der Ausfiihrung von
bestimmten Trillern; die Schleif- oder Oktavklappe
auf der Unterseite des Rohres, die der Erleichterung
des Uberblasens dient. Das Anbringen von KL an den
Blechblasinstrumenten zu Beginn des 19. Jh. konnte
sich gegeniiber den Vorteilen der etwa gleichzeitig er-
fundenen -> Ventile (- 2) nicht durchsetzen (-»■ Kl.-
Horn, ->• Ophikleide).
Klappenhorn (frz. bugle a clefs; engl. key bugle),
ein Blechblasinstrument mit Tonlochern und (ge-
schlossenen) Klappen. Erfolgreicher als das Waldhorn
mit Klappen (->■ Amorschall) waren Biigelhorner mit
Klappen, vor allem das Kl. von J. Halliday (Dublin,
patentiert 1810) mit 5 Klappen, das auch Kenthorn ge-
nannt wird (weil es ein Herzog von Kent als Signalhorn
in die englische Armee einfiihrte). Die Zahl der Klap-
pen wurde bald auf 6 oder - vornehmlich in Deutsch-
land - auf 7 erhoht (davon eine offene), wodurch
die der Naturtonreihe fehlenden Tone hervorgebracht
werden konnten, wenn auch nicht mit der gleichen
Reinheit wie auf Ventilhornern (-> Ventile - 2). -
Zur Kl.-Familie gehoren: Kl. in C oder B als Diskant
mit dem Umfang h-c3 bzw. a-b 2 , Kl. in F oder Es als
Alt (e-f 3 bzw. d-es3) sowie die -*■ Ophikleide.
Klappentrompete, eine 1801 von Weidinger (Wien)
erfundene Trompete, die zur Ausfiillung der Natur-
tonreihe mit diatonischen und chromatischen Stufen
4—6 gedeckte Tonlocher hatte.
Klappern, ein Gegenschlagidiophon aus Metall, Kno-
chen, Holz oder harten Fruchtschalen. Die Kl. gehoren
zu den altesten und verbreitetsten Rhythmusinstru-
menten. Aus den in Handform geschnitzten altagypti-
schen Kl. (um die Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtau-
sends) kann geschlossen werden, daB die Kl. aus dem
Handeklatschen hervorgegangen sind. Im Brauchtum
werden Kl. heute noch (auch unter verschiedenen
460
Klarinette
schallnachahmenden Bezeichnungen) neben Knarren
und -»• Ratschen vor allem zur Fastnacht verwendet
und in katholischen Kirchen an den Kartagen, wenn
die Glocken schweigen miissen. Besonders ausgebildete
Kl. sind die -> Kastagnetten. -*■ Crotales, -»• Krotala.
Lit. : I. Jurk-Bauer, Volkstumliche Larminstr., Diss. Hbg
1937; H. In der Gand, Volkstumliche Musikinstr. in d.
Schweiz, Schweizerisches Arch. f. Volkskunde XXXVI,
1937/38; H. Hickmann, La cliquette, un instr. de percus-
sion egyptien de l'epoque copte, Bull, de la Soc. d'archeo-
logie copte XIII, 1948/49; ders., Cymbales et crotales
dans l'Egypte ancienne, Annales du service des antiqui-
tes de l'Egypte XLIX, 1949; ders., Du battement de la
main aux planchettes entrechoquees, Bull, de l'lnst.
d'Egypte XXXVII, 1954/55.
Klarinette (ital. clarinetto, Diminutiv von -> clarino),
ein zylindrisches Blasinstrument mit einfachem, als
aufschlagende Zunge wirkendem Rohrblatt. Die Klar.
besteht aus Schnabel, Birne, Ober- und Unterstiick so-
wie Stiirze. In die Unterseite des Schnabels ist eine
schrage Bahn eingelassen, auf die das Blatt gebunden
oder (seit etwa 1810) geschraubt wird. Bis ins 19. Jh.
hinein wurde das Mundstiick, im Unterschied zur
modernen Spielweise, mit dem Blatt nach oben einge-
setzt. Auf der Klar., die akustisch (infolge des aufschla-
genden Rohrblatts) wie eine gedackte Pfeife wirkt,
sprechen nur die ungeradzahligen Naturtone an; es
wird daher in den 3. (Duodezime), 5. usw. Naturton
iiberblasen. Um den Abstand zwischen dem 1. und 2.
Register chromatisch zu uberbrucken, sind daher (min-
destens) 18 Grifflocher notig. - Die Klar. ist hervorge-
gangen aus dem -> Chalumeau (- 1). J. G. Doppelmayr
berichtet 1730, -» Denner habe Zu Anfang des laufen-
den Seculi . . . die sogenannte Clarinette erfunden; der
Name der Klar. ist zuerst im Titel eines anonymen
Sammelwerks (Airs a deux chalumeaux, deux trompettes,
. . . deux clarinettes, ou cors de chasse . . . ) des Amster-
damer Musikverlags Roger und Le Cene belegt (ca.
1716). Das verbesserte Chalumeau hatte ein Uberblas-
loch und 2 Klappen. Dadurch wurde das Spiel im 2.,
dem Clarinregister moglich. Die trompetenahnliche
Fiihrung der Klar. zeigen noch die Klar.n-Konzerte
von Molter (um 1740-50). Walther schreibt 1732:
Clarinetto . . . klingt von feme einer Trompete ziemlich
dhnlich. Die Ausnutzung des nicht uberblasenen Cha-
lumeauregisters zeigen deutlich erst die Klar.n-Kon-
zerte von Pokorny (1765). Damit bekam die Klar. den
ihr eigenen Klang, der schon von Eisel 1738 mit der
menschlichen Stimme verglichen wurde und der sie im
19. Jh. zu einem »romantischen« Instrument werden
lieB. Berlioz (1856) beschreibt die Register und die
Qualitaten der Klar. ausfiihrlich, besonders die Mittel-
lage sei favorable a Vexpression des sentiments ... les plus
poetiques. R.Strauss (in der Neuausgabe von Berlioz'
Werk, 1905) bemerkt: Die franzbsischen Klar.n haben
einen fiachen, naselnden Ton, wahrend die deutschen sich
der Gesangsstimme ndhern. - Nachdem die Klar. in der 1.
Halfte des 18. Jh. als Nebeninstrument von Oboisten
und Flotisten geblasen worden war, tauchen Klarinet-
tistenstellen in den Kapellakten nach 1750 auf (Mann-
heim 1759). Zu den ersten Komponisten, die Klar.n in
Oper und Symphonie vorschrieben, gehoren Rameau
(1749),J. Stamitz (1753) und C. Fr. Abel (1763; unterK.-
V. Anh. 1091 als Werk Mozarts bezeichnet). Um 1760
hatte die Klar. 4, gegen Ende des Jahrhunderts 6 Klap-
pen, bei der Klar. von I. -*■ Miiller um 1812 waren es 13.
Bis 1844 wurde das Bohmsche Ringklappensystem von
Klose und Buffet auf die Klar. iibertragen. In Deutsch-
land hielt sich noch lange das von Barmann verbesserte
System Mullers. Im klassischen Orchester (Haydn,
Londoner Symphonien; Beethoven von der 1. Sym-
phonie an) sind 2 Klar.n iiblich, im romantischen 3-4,
von neueren Komponisten werden auch mehr (Mah-
ler, 8. Symphonie: 6; Schonberg, Gurre-Lieder: 7) vor-
geschrieben. Konzerte f iir Klar. schrieben C. Stamitz,
A.Dimler, Rosetti, Mozart, Reissiger, Rietz, CM. v.
Weber, Spohr, Rimskij-Korsakow, Nielsen, Debussy,
Milhaud, Busoni, Copland, Hindemith und Seiber;
bedeutende Kammermusikwerke mit Klar. kompo-
nierten Mozart und Schubert, auBerdem Weber, Schu-
mann, Brahms, Reger, Bartok u. a. Beriihmte Klari-
nettisten alterer und neuerer Zeit, die zum Teil auch
Schulen verfaBten, sind : Joseph Beer, Fr. Tausch, Yost,
Lefevre, Blasius, Blatt, H.J. und K. Barmann, Fr.Berr,
Hermstedt, G. Chr. Bachmann, Miihlf eld, Ch. Draper,
Jost Michaels und H. Geuser. - Im Jazz war die Klar.
neben der Trompete das wichtigste Melodieinstrument,
bis sie vom Saxophon etwas in den Hintergrund ge-
drangt wurde. Hire groBe Zeit war der Swing der
1930er Jahre. Die bekanntesten Jazzklarinettisten sind
A.Nicholas, Benny Goodman, Artie Shaw, Woody
Herman, Stan Hasselgard, Buddy de Franco und Jim-
my Giuffre. - Ansatze zur Bildung einer Klar.n-Fa-
milie zeigten sich in der 2. Halfte des 18. Jh., doch ist
ein Teil der bis ins 19. Jh. entwickelten Lagen nur in
der -> Harmoniemusik verwendet worden. Im Or-
chester ist das Standardinstrument die Klar. in B (No-
tation transponierend im Violinschliissel, notierter Urn-
fang e-a 3 ), daneben die in A und C, selten die hoheren
in D, Es, F und As. Das ->■ Bassetthorn ist eine Altklar.
BaBklar.n gibt es seit etwa 1780, einen verbesserten
Typ brachte Sax 1838 heraus. Heute werden neben der
BaBklar. in B (eine Oktave unter der normalen) auch
die in A und C gespielt. KontrabaB- (inEs oder F, auch
in B) und OktokontrabaB-Klar.n sprechen bei weitem
schwerer an als die gewohnliche Klar. Im spaten 18. Jh.
entstand die Clarinette d'amour mit -> LiebesfuB.
Ausg. : Klarinettenduette aus d. Fruhzeit d. Instr., hrsg. v.
H. Becker, = Coll. mus. CVI, Wiesbaden (1954); Klar.-
Konzerte d. 18. Jh., hrsg. v. dems., = EDM XLI, ebenda
1957.
Lit. : J. G. Doppelmayr, Hist. Nachricht v. d. Nurnbergi-
schen Mathematicis u. Kiinstlern, Niirnberg 1730; J. Fr.
B. C. Majer, Museum musicum, Schwabisch Hall 1732,
Faks. hrsg. v. H. Becker, = DM1 1, 8, 1954; WaltherL; V.
Roeser, Essai d'instruction a l'usage . . . de ceux qui com-
posent pour la clar. et les cors, Paris 1764; F. Antolini, La
rettamanieradiscrivereperilclar., Mailand 1813 ;H. Ber-
lioz, Traite d'instrumentation et d'orchestration moder-
nes, Paris 1844, erweitert 21856, deutsch Lpz. 1843, NA
bearb. v. R. Strauss, Lpz. 1905, 21955 ; W. Altenburg, Die
Klar., Heilbronn 1904; G. Cucuel, La question des clar.
dans l'instrumentation du XVIIP s., ZIMG XII, 1910/11;
ders., Etudes sur un orch. au XVIIP s., Paris 1913 ; L. de
La Laurencie, Rameau et les clar. , La Rev. mus. mensuelle
IX, 1913; O. W. Street, The Clar. and Its Music, Proc.
Mus. Ass. XLII, 1 9 1 5/ 1 6 ; J.-G. Prod'homme, Notes d'arch.
concernant l'emploi des clar. en 1 763, Bull, de la Soc. f re.
de musicologie III, 1919; E. Elsenaar, De clarin, Hilver-
sum 1929 ; V. Aschoff, Experimentelle Untersuchungen an
einer Klar., Akustische Zs. I, 1936; P. Gradenwitz, The
Beginnings of Clar. Lit., ML XVII, 1936; A. Gabuzzi,
Origine e storia del clar., Mailand 2 1937; R. Dunbar,
Treatise on the Clar., London 1939 ; G. Lavo, Cenni storici
sull'origine del clar., Salerno 1939 ; H. Boese, Die Klar. als
Soloinstr. in d. Musik d. Mannheimer Schule, Dresden
1940; R. Maramotti, II clar., Bologna 1941 ; W. Nef, Die
Bafiklar., SMZ LXXXIV, 1944; R. B. CHATwrN, Handel
and the Clar., The Galpin Soc. Journal III, 1950; Th. Dart,
The Earliest Collections of Clar. Music, ebenda IV, 1951 ;
ders., The Mock Trumpet, ebenda VI, 1953; W. Kolne-
der, Die Klar. als Concertino-Instr. bei Vivaldi, Mf IV,
1951; F. G. Rendall, The Clar., London (1954, 21957);
H. Becker, Zur Gesch. d. Klar. im 1 8. Jh., Mf VIII, 1 955 ;
R. W. Young u. J. C. Webster, Die Innenstimmung v.
Musikinstr. (Ill), Die Klar., Gravesaner Blatter IV, 1958/
461
Klassik
60, H. 11/12; K. Opperman, Repertory of the Clar., NY
1960; H. Kunitz, Die Klar., (= Die Instrumentation IV),
Lpz. 1961 ; O. Kroll, Die Klar., Ihre Gesch., ihre Lit., ihre
groBen Meister, bearb. v. D. Riehm, Kassel 1964.
Klassik. Der Begriff des Klassischen vereinigt in sich
eine normative und eine geschichtliche Bedeutung; er
bezeichnet einerseits das schlechthin Vollendete, Mu-
stergiiltige, andererseits eine historische Stilkategorie,
die aber keinen iibergeschichtlichen Wertgedanken
einzuschlieBen braucht. Infolgedessen wird bei den
Kiinsten Kl. sowohl fiir einzelne Werke, einzelne Mei-
ster (Klassiker) als auch fiir ganze Epochen gebraucht.
So unsicher ein solcher, erst durch geschichtliche Be-
wahrung und weitreichende Ubereinkunft moglicher
Urteilsspruch bleiben muB, so ist doch stets gemeint,
daB ein emotional und rational gleichgewichtiger Dar-
stellungswille seine vollige Entsprechung im Kunst-
werk gefunden hat. Uber die Art und die Mittel der
Gestaltung wird zugleich ausgesagt, daB die einzelnen
kiinstlerischen Elemente ein harmonisches Ganzes bil-
den. In der Musik bezieht sich der Terminus KL vor
allem auf die Gipfelwerke Haydns, Mozarts und Beet-
hovens. Wie weit die drei GroBmeister das Kunstschaf-
fen ihrer engeren und weiteren Umwelt mitbestimmt
haben, ist eine Frage fiir sich, die nur bei Haydn, nicht
zuletzt als Folge seiner langen Lebenszeit, durchweg
positiv beantwortet werden kann. Mit Recht ist die
Wertung als »Klassiker« auch Komponisten anderer
Epochen und Nationen zuteil geworden, so etwa Bach
und Handel als »Altklassikern«. Klassische Hohepunkte
sind auch im Lebenswerk Glucks und Schuberts er-
kannt worden, ohne daB die Reihe damit abzuschlieBen
braucht. Kl. im weiten Sinn ist in alien Epochen mog-
lich. - In der internationalen Verstandigung ist »Wie-
ner Kl.« auch als Epochenbezeichnung gebraucht wor-
den, etwa fiir je 3 Jahrzehnte vor und nach 1800. Damit
finden auch Stilbestimmungen einen brauchbar abge-
steckten Zeitraum. Dieser iiberschneidet sich weitge-
hend mit der Bliitezeit deutscher Dichtkunst in der
»Weimarer Kl.«. Deren Ausrichtung auf eine freie,
selbstverantwortliche Ausbildung des einzelnen zu ei-
nem gelauterten Menschentum stand im Zeichen hoher
ethischer Wertsetzung. Ein neues Humanitatsideal trat
im Denken Herders, Goethes und Schillers hervor,
schon angekiindigt in den Begriffen Gott, Freiheit und
Unsterblichkeit bei Chr. Wolff, in der Kulturkritik
Lessings, bestatigt durch das smoralische Gesetz in mir«
Kants, durch den Gedanken der sittlichen Gemein-
schaft aller Menschen bei Hegel und in W.v.Hum-
boldts Theorie der Bildung, kiinstlerisch gestaltet u. a.
in Goethes groBem Erziehungsroman. Nach Schiller
erweckt das Erlebnis des Schonen notwendig den Trieb
zum guten Handeln. Beethoven hat sich um den An-
schluB an das Weimarer Bildungsgut zah bemiiht; die
menschliche Gesamthaltung der Weimarer Kl. stand
aber auch hinter dem Schaffen Haydns und Mozarts.
Damit diese Haltung zu kiinstlerischer Auswirkung
gelangen konnte, wurde ein bisher nicht gekanntes
MaB an personlicher und Schaffensfreiheit notig. Die
Musiker losten sich aus den Bindungen und der Gebor-
genheit der Hofe, der Kirche und der Stadte als freie
Kiinstler. Den Ubergang in diesen neuen Stand hat
Haydn erst nach Jahrzehnten hofischer Bedienstung,
gestiitzt auf seinen personlichen Ruhm, vollziehen kon-
nen, Mozart friihzeitig durch den Bruch mit dem Salz-
burger Hof , Beethoven nach dem Abschied von Bonn
zunachst unter dem Schutz der Wiener Hocharistokra-
tie. Das Geschehen in Wien spiegelte die europaische
Gesamtentwicklung; das im ausklingenden Absolutis-
mus wieder erstarkende Biirgertum wurde zunehmend
Mittrager der Musikiibung, im bffentlichen Konzert,
durch die Bildung von Musikvereinen und in einer
aufbliihenden Hausmusik. Mit dem Entstehen einer
smusikalischen Offentlichkeit« verfestigten sich die
Typen des reisenden Virtuosen, des Musiklehrers und
-schriftstellers, des musikalischen Unternehmers im
Konzert, im Verlag und in der Instrumentenfabrika-
tion. Als Organe seiner kunstrichterlichen Gewalt schuf
sich das Biirgertum Musikzeitschriften und offentliche
Kritik. Die damit geschaffenen Grundlagen behielten
ihre Giiltigkeit bis in die Gegenwart.
Die neue Kunsthaltung, die in Wien zu Gipfelleistun-
gen fiihrte, ist musikgeschichtlich in einer Anlaufzeit
(»Vorklassik«, u. a. -> Mannheimer Schule), einer Ver-
festigung (»Hochklassik«) und einem Auslauf neben
anderen Haltungen, der romantischen, biedermeierli-
chen, klassizistischen, zu erkennen. In einzelnen Gat-
tungen hat die Barockmusik ohne entschiedenen Bruch
in die neue Epoche hineingewirkt, vorziiglich in der
Vokalkunst. Der Ubergang von der gesellschaf tlich-ar-
tistischen Opera seria, ihrer franzosischen Abwandlung
bei Lully und Rameau sowie ihrer deutschen (vor allem
in Hamburg) zu den Meisterwerken Mozarts, zur Ver-
kiindigung biirgerlich-humanitarer Leitwerte in der
Entjiihrung und Zauberftote und in Beethovens Fidelio
verlief flieBend iiber den menschlich-vertieften Han-
delschen Typ, iiber spatneapolitanisches Erneuerungs-
streben, iiber Glucks reifste Werke. Die komische
Kleinoper (Opera buffa) hat bei der Ausbildung der
Lebenswahrheit auf der Musikbuhne entscheidend mit-
gewirkt. Ihr Ursprung aus der neapolitanischen Schule
(Pergolesi) blieb bis iiber die Jahrhundertwende hinaus
sichtbar. Die Schwenkung zum biirgerlichen Libretto,
auch ernsterer Haltung, in der Opera-comique und im
deutschen Singspiel hat den Boden fiir die Wiener
Meisterwerke mitbereitet. Verfriihte Versuche, den
italienischen und franzosischen GroBformen ein deut-
sches musikalisches Drama gegeniiberzustellen, hatten
Holzbauer und, in der Form des Mono-(Duo-)dramas,
A.Schweitzer in Verbindung mit Wieland schon zu
Beginn der Epoche gemacht. - In behutsamer Um-
wandlung setzte sich die katholische Kirchenkunst
des osterreichischen Spatbarocks - durch die liturgische
Bestimmung eng an die Uberlieferung gebunden - bis
zu Haydn und Mozart fort. Erst mit der Hochsteige-
rung des Ausdrucks der Individualist in Beethovens
Missa solemnis wurde der liturgische Zusammenhang
zugunsten konzertmaBiger Haltung gelockert. In der
evangelischen Kirche begann schon zuj. S.Bachs Leb-
zeiten, zugleich mit der zunehmenden Entkraf tung der
kirchlichen Musikiibung, eine Abwendung von der
barocken Kunst. DaB in Norddeutschland mit der Ver-
pflanzung religioser Erbauungsmusik in den Konzert-
saal ein neues, aufklarerisch-empfindsames geistliches
Oratorium entstand, konnte auf die Wiener Entwick-
lung um so weniger einwirken, als hier die Verbindung
mit dem altitalienischen Oratorium Dauer envies, ahn-
lich wie der AnschluB der englischen Komponisten an
die Handelschen Meisterwerke. Handels Vorbild regte
noch den alten Haydn zu den GroBwerken Die Schop-
fung und Diejahreszeiten an, in denen sich eine religiose
Grundhaltung mit der Darstellung irdischer Fiille ver-
bindet. - Entscheidende Vorgange in der Ausbildung
des -»■ Lieds (zum Klavier) zwischen dem Barock und
dem ersten deutschen GroBmeister Schubert spielten
sich auBerhalb Wiens ab. Obwohl die Entwicklung in
Wien nachvollzogen werden muBte und Haydn wie
Mozart das Lied nur am Rande ihres Schaffens pfleg-
ten, haben beide iiber die Ariette und das stimmungs-
haf te Arienlied hinaus Liedkunstwerke von klassischem
Rang geschaffen. Dagegen hat Beethoven unter dem
EinfluB hoher Dichtkunst (vor allem Gellerts und Goe-
462
Klassizismus
thes), aber auch mit dem Liederkreis An die feme Ge-
liebte die Wiener Klassik auch als Liedkomponist voll
reprasentiert. - In geschlossener Gesamtleistnng fiihr-
ten die Wiener GroBmeister die Instrumentalmusik zu
jener Hohe, an die sich die Bezeichnung »klassisch« in
erster Linie angekniipft hat und mit welcher der Be-
ginn eines »deutschen Zeitalters« der Tonkunst deutli-
cher als in der Vokalmusik erkannt worden ist. Einzel-
ne barocke Formen wie die Suite, Kammer- und Trio-
sonate, auch die Orgelkunst und Lautenmusik klangen
mit der Praxis des Generalbasses aus, andere erfuhren
Umwandlungen, die Neuschopfungen gleichkamen,
vor allem mit dem Ausbau des Sonaten-Satzzyklus.
Waren an dieser Entwicklung, die sich in Jahrzehnten
und weitraumig anbahnte, neben norddeutschen, boh-
mischen und osterreichischen Komponisten auch italie-
nische noch unmittelbar beteiligt, so verlagerte sich
seit etwa 1770 mit Haydn das Schwergewicht nach
Wien. Die neuen Baugesetze der Sonatensatzform im
engeren Sinne durchdrangen auch das altere Rondo,
die Variation und das Menuett und schliefilich die for-
mal geschlossenste Gestalt des Barocks, die Fuge. Ei-
genheiten der Klaviersonate, der Spielarten der Kam-
mermusik, der Symphonie und des Instrumentalkon-
zerts (nebst deren Verschmelzungsformen), auch des
neuen Divertimentos, erscheinen als besetzungs- und
zweckbedingte Abwandlungen der beherrschenden
Grundgestalt, noch bei den Fortbildungen in Beetho-
vens Spatwerk und weit dariiber hinaus.
Stilistisch wurde die Ausbildung einer »diskursiven
Tonsprache« (Riemann) grundlegend und folgenreich.
An die Stelle der barocken Einhelligkeit in Struktur
und Affekt traten Beweglichkeit und Spannungsfahig-
keit durch schnelle Kontrastierungen (Themenpolari-
tat) bzw. rasch wechselnden Ausdruck. Die Melodie als
Haupttrager des Ausdrucks umschlieBt in iibersichtli-
cher oder auch kunstvoll verschleierter Periodisierung
(-»■ Metrum - 3) die Bauelemente des Satzes (Motivauf-
schliefiung) und tritt im Stimmengefiige beherrschend
hervor. FaBlichkeit im Sinne der - haufig unmittelbar
eingewobenen - Volksmusik wurde oft angestrebt. Die
betonte Vereinfachung der Harmoniefiihrung auf der
vorklassischen Stufe, die Reduzierung der Funktionen
und der Akkordbildungen, wirkt gegen den Reichtum
der barocken Harmonik wie eine Absage. Dagegen ha-
ben die Wiener Klassiker den Reichtum harmonischer
Wirkungen durch die Ausdehnung des tonalen Bereichs
(auch im Zyklus), durch Alterationsklange und oft
iiberraschende Modulationen zuruckerobert und aus-
gebaut und dadurch die Grundlage f iir die »Ausdrucks-
harmonik«des 19. Jh. geschaffen. DerrhythmischeVer-
lauf wurde mannigfaltiger und plastischer. Die dy-
namischen und farblichen Schattierungsmoglichkei-
ten der (zum Teil baulich weiterentwickelten) Instru-
mente wurden in die neue Satzweise einbezogen. Dem
entspricht der Schritt zum Violoncello, zur Querflo-
te und zum Fortepiano bzw. dessen Ausbau vom
noch relativ zarten Tasteninstrument (Mozart) zum
Hammerfliigel mit orchestraler Wirkungsmoglich-
keit (Beethoven). Das virtuos-beweglichste und klang-
lich wandlungsfahigste Instrument, die Violine, und
mit ihr der Streichkorper wurden zur Grundsubstanz
des Orchesterklanges und bildeten in der kammermu-
sikalischen Einheit des Streichquartetts (-quintetts) die
reinste Erfullung des neuen Klangbediirfnisses. Dane-
ben wurden die selbstandigen Klangfarben der Blaser
(vor allem der neu ins Orchester eingetretenen Klari-
nette, der Horner, Trompeten und Posaunen) entdeckt
und ihr Wert fur satztechnische und ausdrucksmaBige
Differenzierung erkannt. Ging der Grundsatz der ba-
rocken Klangaufspaltung auch nicht vollig unter, so
setzte sich doch das Leitbild einer vielfaltig abgestuften
Klangverschmelzung durch. Gegeniiber der vielschich-
tigenEntwicklung der Jahrzehnte vor der Wiener Hoch-
klassik sind die Versuche der Musikgeschichtsschrei-
bung, vorbereitende Hauptkrafte als Galanten und
Empfindsamen Stil (mit einer Sturm-und-Drang-Epi-
sode) zu benennen, nur als erste Verstandigungsmittel
zu verstehen. Der Sammelbegriff »vorklassisch« er-
scheint insofern berechtigt, als die Wiener Meister die
noch unterschiedlichen und gesellschaftlich begrenzten
Kunsthaltungen des 18. Jh. zu einer »klassischen« iiber-
hohen und in ihrer Kunst der -*■ Komposition die ein-
zelnen Stilmittel zur Einheit verschmelzen konnten.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913; W. Fi-
scher, Zur Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils,
StMw III, 1915; A. Schering, Beethoven u. d. deutsche
Idealismus, Lpz. 1921 ; P. Moos, Die Philosophie d. Musik
v. Kant bis E. v. Hartmann, Stuttgart 21922; G. Becking,
Kl. u. Romantik, Kgr.-Ber. Lpz. 1925; A. Schmitz, Das
romantische Beethovenbild, Bin u. Bonn 1927; E. Bucken,
Die Musik d. Rokokos u. d. Kl., Bucken Hdb.; P. Mies,
Zu Musikauffassung u. Stil d. Kl., ZfMw XIII, 1930/31;
H . Birtner, Renaissance u. Kl. in d. Musik, Fs. Th. Kroyer,
Regensburg 1933; E. Preussner, Die biirgerliche Musik-
kultur, Hbg 1935, Kassel 21950; R. v. Tobel, Die Formen-
welt d. klass. Instrumentalmusik, = Berner Veroff. zur Mu-
sikforschung VI, Bern u. Lpz. 1935 ; R. Gerber, Klass. Stil
in d. Musik, in : Die Slg IV, 1 949 ; H. J. Moser, Goethe u. d.
Musik, Lpz. 1949; Thr. G. Georgiades, Zur Musik-
sprache d. Wiener Klassiker, Mozart-Jb. 1951; K. Ste-
phenson, Die mus. Kl., = Das Musikwerk VI, Koln
(1953); H. H. Eggebrecht, Das Ausdrucksprinzip im mus.
Sturm u. Drang, DVjs. XXIX, 1955; W. Seifert, Chr. G.
Korner, Ein Musikasthetiker d. deutschen Kl., = For-
schungsbeitr. zur Mw. IX, Regensburg 1960. KS
Klassizismus bezeichnet die formale Anlehnung ei-
nes Werkes oder einer Kunstrichtung an klassische Vor-
bilder. Dies schliefit notwendig den Begriff der stilisti-
schen Nachbildung ein, die sowohl zu schopferischer
Neugestaltung aufsteigen als auch zu epigonaler, ma-
nieristischer Nachahmung absinken kann. Als klassi-
zistisch im weitesten Sinne sind alle abendlandischen
KunstauBerungen einschlieBlich der Renaissance be-
nannt worden, die unter dem unmittelbaren EinfluB
der klassischen Antike standen. In zeitlicher Veren-
gung wird der Name auf antikisierende Stilkrafte an-
gewendet, die von etwa 1750 bis 1850 neben anderen
hervorgetreten sind, vor allem in den bildenden und
darstellenden Kiinsten. Im Bereich der Musik entfiel
die Moglichkeit zur Anlehnung an musikalische Mu-
ster des Altertums. Die Vorstellung der Florentiner
Camerata, mit einer Verschmelzung von Wort, Ton
und szenischer Darstellung der altklassischen Tragodie
nahe zu kommen, beruhte auf theoretischen Erwagun-
gen. Seitdem sind auch Stoffe aus der antiken Dich-
tung auf der Musikbiihne (einschlieBlich Ballett) und
auch in anderen Vokalformen immer wieder behan-
delt worden, u. a. in Meisterwerken von Handel, Gluck,
Mozart, bis in die neueste Zeit hinein durch R. Strauss,
Strawinsky, Krenek u. a., doch kann von daher ein
musikalischer Kl. nicht definiert werden. Der Begriff
wird im engeren musikhistorischen Sinn mit der Nach-
f olge der Wiener Klassiker verkniipft, vorwiegend im
Bereich der Instrumentalkomposition und zuweilen in
Gedanken an Schubert und Mendelssohn. Dabei darf
jedoch Klassizitat keineswegs als bloBes Nachahmen
und Epigonentum beurteilt werden, und es bleibt zu
bedenken, daB die Kompositionskunst des 19. Jh. ins-
gesamt aus Vorklassik und Klassik hervorgewachsen
ist und mit der Wiederentdeckung Bachs und Palestri-
nas Anlehnungen an Stile der Vergangenheit noch
weit iiber die Wiener Klassik zuriick wirksam gewor-
den sind, so bei Brahms, Reger, Busoni, Hindemith
463
Klausel
und in der neuen Chormusik. - Die Pariser Gruppe
um Strawinsky, »Les Six« und Cocteau haben in den
1920er Jahren fur ihre Riickgriffe auf Musik des 18. Jh.
die Bezeichnung Neoklassizismus gewahlt.
Lit.: O. Weinreich, Fr. Schuberts Antikenlieder, DVjs.
XIII, 1935; R. Gerber, Klass. Stii in d. Musik, in: Die Slg
IV, 1 949 ; W. Vetter, Schuberts Klassizitat, Mf VIII, 1 955.
KS
Klausel (lat. clausula) bezeichnet in der Grammatik
und Rhetorik den rhythmischen SchluB einer Periode,
in der Musiklehre eine SchluBformel oder einen Ab-
schnitt. In der musikwissenschaftlichen Literatur wird
KI. im allgemeinen als Bezeichnung fiir die SchluBfor-
meln einzelner Stimmen eines mehrstimmigen Satzes
verwendet. Die Unterscheidung zwischen Kl. und
-»■ Kadenz (- 1) stiitzt sich darauf, dafi die lateinisch
schreibenden deutschen Musiktheoretiker seit Anfang
des 16. Jh. (M. Schanppecher 1501, J.Cochlaeus 1507)
primar die Formeln der Einzelstimmen Kl.n nennen,
wahrend die Italiener (P. Aron 1523, N. Vicentino 1555,
G.Zarlino 1558) unter der Bezeichnung cadenza die
Stimmen zusammenfassen (Zarlino, Istitutioni harmoni-
che, 1 558, III, cap. 53:Ld cadenza adunque e vn certo atto, che
fanno le parti della cantilena cantando insieme). - Im Mit-
telalter wird der Terminus clausula, abgesehen von ei-
ner umstrittenen Stelle im Organumtraktat von Mont-
pellier, als Bezeichnung fiir einen Abschnitt im Choral
(GS II, 276b) oder in der Mehrstimmigkeit (CS 1, 271b,
342a, 357a, 363a, CS IV, 180a) verwendet. Anonymus
IV (13. Jh.) erwahnt (CS 1, 342a), daB Perotin die Orga-
na Leonins (-»- Organum) durch Kl.n erganzte (fecit
clausulas sive puncta plurima meliora) ; Fr. Ludwig nannte
darum Perotins Ersatzkompositionen Kl.n. - Die Ter-
mini clausum und apertum (frz. clos und ouvert) fiir den
Ganz- und den HalbschluB sind seit 1300 iiberlief ert (CS
III, 128b; Johannes de Grocheo). Als Halbschliisse, die
einen tonalen Gegensatz zum GanzschluB auf der 1. Stu-
fe bilden, werden im d- und f-Modus die 5., im e- und
g-Modus die 4. Stufe bevorzugt. Von clausula im Sin-
ne eines Schlusses auf der Finalis spricht, in Anlehnung
an die Grammatik, Adam von Fulda (1490; GS III,
352a). In der Theorie der Mehrstimmigkeit werden die
Kl.n als melodische Formeln beschrieben, die 2 oder
(nach Guilelmus Monachus, CS III, 289b) 3 Tone um-
fassen: die Antepaenultima, die Paenultima und die
Ultima. Das unterscheidende Merkmal einer Kl. ist der
Schritt oder Sprung von der Paenultima zur Ultima:
der Halbtonschritt aufwarts im
Diskant, die Tonwiederholung
oder (seit dem spaten 15. Jh.) der
Terzfall im Alt, der Ganzton-
schritt abwarts im Tenor und der
Quartsprung aufwarts oder der
Quintfall im BaB. (Die altere Formel des Contratenor
bassus, der Oktavsprung aufwarts, veraltete um 1500.)
Die Umschreibung der Diskantformel durch eine Aus-
weichung zur Unterterz wird
»Landino-Kl.« oder »Unter-
terz-Kl.« genannt :
P
^
A A
m
J. JTl i J.
-rr
r
Die Stimmen konnen ihre Formeln austauschen; er-
scheint die Diskant-, Alt- oder Tenorformel z. B. im
BaB, so sprechen die Theoretiker des 17. Jh. von einer
clausula cantizans, altizans oder tenorizans des Basses
(Chr.Bernhard, A. Werckmeister, J.G. Walther). S.
Calvisius (1592) und J.Lippius (1612), die sich in der
Sache, wenn auch nicht in der Terminologie, auf G.
Zarlino (1558) stiitzen und unter Clausula die mehr-
stimmige, von Zarlino cadenza genannte SchluBbil-
dung verstehen, teilen die Kl.n in eigentliche (propriae)
und uneigentliche (impropriae) ein: als Clausulae
propriae galten Kl.n auf den Stufen I (primaria), V (se-
cundaria) und III (tertiaria) der Tonart; die Secundaria
wurde auch als Clausula confinalis bezeichnet. Die um-
fassendste und verwickeltste Kasuistik und Terminolo-
gie der Kl.-Bildung entwarf W. C. Printz (1696).
Lit.: J. de Grocheo, De arte musicae, in: Der Musiktrak-
tat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Rohloff, = Media Latinitas
Musica II, Lpz. 1943; Fr. Ludwig, Die liturgischen Or-
gana Leonins u. Perotins, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; H.
Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; B. Meier,
Die Harmonik im C. f.-haltigen Satz d. 15. Jh., AfMw IX,
1952; ders., Wortausdeutung u. Tonalitat bei Orlando di
Lasso, KmJb XLVII, 1963 ; M. F. Bukofzer, Interrelations
Between Conductus and Clausula, Ann. Mus. I, 1953; A.
Schmitz, Die Kadenz als Ornamentum musicae, Kgr.-
Ber. Bamberg 1953; R. Jakoby, Untersuchungen iiber d.
Klausellehre in deutschen Musiktraktaten d. 17. Jh., Diss.
Mainz 1955, maschr. ; L. Finscher, Tonale Ordnungen am
Beginn d. Neuzeit, in: Mus. Zeitfragen X, Kassel 1962; G.
Schmidt, Strukturprobleme d. Mehrstimmigkeit im Re-
pertoire v. St. Martial, Mf XV, 1962; N. E. Smith, The
clausulae of the Notre-Dame School, 3 Bde, Diss. Yale
Univ. (Conn.) 1964. CD
Klaviatur (von lat. ->• clavis; frz. clavier; ital. tasta-
tura; span, tecla; engl. keyboard; lat. auch abacus), ei-
ne Reihe von Hebeln (Tasten), die mit den Handen
(-*■ Manual) oder FiiBen (-> Pedal - 1) gespielt werden
und eine -> Mechanik oder -»• Traktur in Tatigkeit
setzen. Die KL, vor allem als Manual, ist das gemein-
same Merkmal der Tasteninstrumente (u. a. Klaviere,
Glockenspiel, Celesta, Drehleier und Schliisselfiedel).
Eine Friihform der Kl. sind die Spielhebel an der anti-
ken ->■ Hydraulis; handbreit grofie Tasten gab es an
einzelnen Instrumenten (Sundre-Orgel um 1370), doch
sind seit dem Spatmittelalter Kl.en, die den modernen
mit Unter- und Obertasten ahnlich sind, nachweisbar.
Die friihesten Angaben iiber Kl.en sind uberliefert bei
Johannes Gallicus (CS IV, 298) sowie Georgius Ansel-
mi, Conrad von Zabern und Henri Arnaut de Zwol-
le aus dem 15. Jh. - Stumme und halbstumme Kl.en
(meist als Manuale fiir Pianofortes) wurden als Ubungs-
instrumente gebaut; bekannt wurde u. a. das Virgil-
Klavier (-1882), das eine mechanische Kontrolle des
Legatos erlaubte.
Lit. : T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr. II, Gesch. d.
Klaviers, Stockholm 1939, Hannover 21941; K. W. Gum-
pel, Das Tastenmonochord Conrads v. Zabern, AfMw
XII, 1955.
Klavier, die Gesamtheit der Claves (->• Clavis), be-
sonders im Sinne von Tasten eines Instruments (->■ Kla-
viatur), danach ein Tasteninstrument uberhaupt. Un-
ter Kl.en sind im engeren Sinne die klassischen Tasten-
instrumente Orgel, Clavicembalo, Clavichord und
Pianoforte zu verstehen, die bis zum Ende des 18. Jh. in
der Regel als geschlossene Gruppe der »clavierten In-
strumente« angesehen wurden (und im Barock den
->■ Fundamentinstrumenten zugehorten); die -> Kla-
viermusik bis ins 18. Jh. hinein war grundsatzlich auf
alien Kl.en ausfiihrbar, die verschiedene Art der Ton-
erzeugung war ein sekundares Merkmal. Vornehmlich
an Kl.en mit ihren festliegenden TSnen wurden seit
dem 16. Jh. (-»■ Archicembalo) akustische Probleme de-
monstriert (u. a. -»• Temperatur). - Der Begriff Kl.
wurde in der 2. Halfte des 18. Jh. vorwiegend auf das
Clavichord bezogen, ab etwa 1800 auf das Pianoforte
und von der 2. Halfte des 19. Jh. an auf das Pianino.
Lit.: Praetorius Synt. II/III; J.-J. Rousseau, Dictionnaire
de musique, Genf 1767(7), Paris 1768, Artikel Clavier;
Adlung Mus. mech. org. ; C. Krebs, Die besaiteten Kla-
vierinstr. bis zum Anfang d. 17. Jh., VfMw VIII, 1892; G.
Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in Coin I, Lpz.
1910; SachsL; Sachs Hdb.; C. Sachs, Das Kl., Bin 1923;
T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr. II, Gesch. d. Kl.,
Stockholm 1939, Hannover 21941.
464
Klavierbau
Kla vierauszug ist ein -*■ Arrangement von Ensemble-
musik (instrumental, vokal oder gemischt vokal-instru-
mental) fiir Klavier; er dient zum Kennenlernen durch
Spielen, zum Mitspielen oder Begleiten bei Proben,
seltener auch bei (Liebhaber-)Auffiihrungen. Insofern
dabei die dem Klavier eigene Moglichkeit der Voll-
stimmigkeit ausgenutzt wird, ist der Kl.-A. die Wie-
deraufnahme der alteren Praxis des Intavolierens (seit
dem 17. Jh. hatte der GeneralbaB das Arrangieren von
Instrumentalbegleitungen iiberfliissig gemacht). Das
Aufkommen des modernen Kl.-A.s nach der Mitte des
18. Jh. - zunachst vornehmlich in Deutschland - stand
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fortfall des
Generalbasses in der Komposition und damit auch fiir
die Probenarbeit. Auf dem neuen schallstarken und
modulationsfahigen Pianoforte konnte der Klang des
groBer werdenden Orchesters nachgeahmt werden.
Im Zusammenhang mit der Bearbeitungstechnik des
Kl.-A.s drangen Spielfiguren und Satzelemente der
Orchestermusik in die -> Klaviermusik ein, z. B. Trom-
mel- und Albertibasse, spacer u. a. Tremoli und Oktav-
verdoppelungen. Die friihesten bekannten Klavieraus-
ziige sind die zu J. Fr. Agricolas Cleofide (1754), Ga-
luppis // mondo alia roversa (1758) unci Hasses Alcide al
livio (1763). J.A.Hiller gab 1761-62 zeitgenossische
Symphonien (Raccolta delle megliore sinfonie) und ab
1766 seine Singspiele in Klavierausziigen heraus. Eige-
ne Systeme fiir die Singstimmen verwendeten zuerst
Andre (1776), Dittersdorf (1787) und Neefe (1797, Kl.-
A. von Mozarts Don Giovanni) ; der Kl.-A. mit in den
Klaviersatz einbezogenen Singstimmen blieb seitdem
auf den Gebrauch in der Hausmusik beschrankt. Seit
CM. v.Weber (1821) wird auch die originale Instru-
mentation im Notentext des Kl.-A.s angedeutet. Die
Anwendung des lithographischen Verfahrens, das den
Notendruck wesentlich verbilligte und hohere Aufla-
gen gestattete, begiinstigte die Ausbreitung des Kl.-A.s
seit etwa 1830 aufierordentlich. Besonders beliebt wur-
den Klavierausziige einzelner Instrumentalstiicke aus
erfolgreichen Opern (z. B. Opernmarsche, Ouvertii-
ren). Symphonische Musik fand vor allem in Form der
Bearbeitung zu 4 Handen Eingang in die Hausmusik.
Auch bedeutende Musiker fertigten - besonders in
jungen Jahren - Klavierbearbeitungen klassischer und
zeitgenossischer Orchesterwerke an (besonders ->- Liszt;
R.Wagners erstes Verlagsangebot an Schott war 1831
seine Klavierbearbeitung der 9. Symphonie von Beet-
hoven); die Grenze zwischen Kl.-A., Transkription
und Konzertparaphrase ist oft nicht scharf zu Ziehen.
Die Zunahme von Koloristik und Figuration in den
Orchesterstimmen fiihrte im Kl.-A. zur Ausbildung
spezifisch klavieristischer, den Orchestersatz nur klang-
lich nachahmender Spielfiguren. Der kompliziert ge-
wordene Orchestersatz des spaten 19. und des 20. Jh.
stellt die Bearbeiter vor die Wahl eines in Einzelheiten
reduzierten, aber leicht spielbaren oder eines moglichst
partiturgetreuen Klaviersatzes (z. B. waren die Kla-
vierausziige Tausigs von Werken R.Wagners kaum
spielbar, im Unterschied zu den von Wagner person-
lich veranlafiten von -*■ Klindworth). Der Partituraus-
zug (Miiller-Rehrmann) UberlieB es dem Spieler, wie
er den teilweise auf 3 oder 4 Systemen notierten Satz
auf dem Instrument darstellen will. Diese Schwierig-
keiten der Ausfiihrung, letztlich auch die Unmoglich-
keit der Wiedergabe moderner oder gar avantgardisti-
scher Orchestermusik auf dem Klavier, haben die Be-
deutung des Kl.-A.s geschmalert. Vor allem bei der
Einstudierung von musikalischen Biihnenwerken (fiir
Sanger und -*■ Korrepetitor) und beim Gesangsunter-
richt und -studium ist der Kl.-A. jedoch nach wie vor
ein unentbehrliches Hilfsmittel.
Lit.: K. Grunsky, Die Technik d. Kl.-A., dargestellt am
3. Aktv. Wagners Tristan, Lpz. 191 1 ; M. Broesike-Schoen,
Der moderne Kl.-A., Die Musikwelt II, 1921/22; ders. in:
Mk XVI, 1923/24 ; M. Hansemann, Der Kl.-A. v. d. Anfan-
gen bis Weber, Lpz. 1943; H. H. Eogebrecht, Artend. Gb.
im friihen u. mittleren 17. Jh., AfMw XIV, 1957; E. Valen-
tin, Vom Kl.-A. zum Partitur-Auszug, NZfMCXX, 1959.
Klavierbau. Klaviermacher als Hersteller von Cem-
bali und Clavichorden sind seit dem 2. Jahrzehnt des
15. Jh. nachweisbar in Venedig, Florenz, Mailand, Rom
und Antwerpen, etwas spater u. a. in Miinchen und
Paris. Vom Ende des 16. bis in die 2. Halfte des 18. Jh.
war Antwerpen durch das Wirken der -*■ Ruckers und
Couchet ein Zentrum des Kl.s. Dort hatten die Kla-
viermacher Zugang zur St.-Lukas-Gilde der Maler, zu-
nachst weil sie ihre Instrumente bemalten, ab 1558 in
ihrer Eigenschaft als Instrumentenmacher. Neben den
beriihmten Klaviermachern befafiten sich bis ins 19. Jh.
auch Orgelmacher, Organisten, Schreiner u. a. mit Kl.
- Einen Aufschwung nahm das Gewerbe nach der Er-
findung des Pianofortes im 18. Jh. Die bedeutendsten
Schulen des neueren Kl.s waren die der -> Silbermann in
Sachsen und im ElsaB, von denen die wichtigsten Kl.-
Schulen des spaten 18. Jh. ausgingen: die siiddeutsche,
seit dem Ende des Jahrhunderts in Wien (Stein, Strei-
cher, Graf, Walter, Bosendorfer), so wie die englische
(Tschudi, Kirkman, Zumpe, Longman & Broderip;
Broadwood seit 1773, 1862 wurden bei Broadwood
560 Arbeiter beschaftigt und iiber 2000 Klaviere ge-
baut). Die bekanntesten Manufakturen in Paris waren
die von Erard (1777, bis 1900 wurden 100000 Instru-
mente gefertigt), Pleyel (1807), Gaveau und Herz. In
den USA waren einige Werkstatten um die Mitte des
19. Jh. zu groBen Fabriken geworden, so Chickering
in Boston, Knabe in Baltimore und Steinway in New
York, ahnlich in Deutschland die neuen Firmen Ibach
in Barmen, Schiedmayer in Stuttgart, Bluthner in
Leipzig, Bechstein in Berlin (1853; 1863 fertigten dort
130 Arbeiter 400 Klaviere, 1914 1200 Arbeiter 5000
Klaviere), ferner u. a. Feurich, Forster, Grotrian-Stein-
weg, Ronisch und Sauter. Bedeutende Klavierfabri-
ken entstanden daneben in RuBland (Schroder in St.
Petersburg 1818), in der 2. Halfte des 19. Jh. auch in
Japan sowie in den Niederlanden (Rippen in Ede 1937).
Der Kl. erreichte bis zum 1 . Weltkrieg den Gipf el sei-
ner Konjunktur. 1911 wurden in den USA 350000
Klaviere verkauft, 1913 wurden in Deutschland 170000
hergestellt, davon 50% fiir den Export. Nach dem 2.
Weltkrieg ist der Umsatz in Europa starker zuriickge-
gangen als in den USA; er betrug 1966 in der Bundes-
republik Deutschland einschlieBlich West-Berlin etwa
20% deS Gesamtumsatzes der Musikinstrumentenin-
dustrie (->■ Instrumentenbau),
Lit. : S. Hansing, Das Pfte in seinen akustischen Antagen,
Schwerin 1888, 21909, Neudruck Bin 1950; D. Spillane,
The Hist, of the American Pfte, Its Technical Develop-
ment and Its Trade, NY 1 890 ; A. Dolge, Pianos and Their
Makers, Covina (Calif.) 1911-13; Th. Cieplik, Entwick-
lung d. deutschen Klavierindustrie . . . unter besonde-
rer Beriicksichtigung d. nordamerikanischen Konkurrenz,
Diss. GieBen 1923, maschr.; G. Roos, Die Entwicklung d.
deutschen Klavierindustrie nach dem Weltkriege bis ...
1923, Diss. Bin 1924, maschr., Auszug in: Jb. d. Philoso-
phischen Fakuttat Bin II, 1923/24; J. Goebel, Grundziige
d. modernen Klavierbaus, = Die Werkstatt LXVII, Lpz.
3 1 925, 4 1 952 ; Der Piano- u. Flugelbau, bearb. u. hrsg. v. H.
Junghanns u. a., = Bibl. d. gesamten Technik 396, Lpz.
1932, Bin 21952, Ffm. 31962 = Fachbuchreihe Das Musik-
instr. IV; O. Funke, Theorie u. Praxis d. Klavierstimmens,
Dresden 1940, als: Das Kl. u. seine Pflege, Radebeul 21946,
Ffm. 3 1962 = Fachbuchreihe Das Musikinstr. II; H.
Freygang, Die Produktions- u. Absatzbedingungen d.
deutschen Klavierindustrie, Diss. (Wirtschafts- u. Sozial-
wiss.) Bin (F. U.) 1949, maschr. ; Fr. J. Hirt, Meisterwerke
30
465
Kkvierduo
d. Klavierbaus, Olten 1955; D. H. Boalch, Makers of the
Harpsichord and Clavichord 1440 to 1840, London (1956);
P. J. Hardouin, Harpsichord Making in Paris, 18 th Cent.,
The Galpin Soc. Journal X, 1957, XII, 1959 - XIII, 1960;
Michel's Piano Atlas, Ffm. 21961 ; H. K. Herzog, Ta-
schenbuch d. Piano-Nrn, Ffm. (1961).
Klavierduo, Klavierquartett, Klavierquintett,
Klaviertrio -»■ Duo, -»■ Quartett, -*■ Quintett,
-> Trio.
Klaviermusik ist das Repertoire fiir die klavierten,
d. h. die Tasteninstrumente, das bis ins 18. Jh. zu einem
Ganzen verbunden war, in dem sich Satz und Ausfuh-
rung auf den Ebenen von Stegreifspiel, Improvisation,
Ubertragung (Intavolierung) und Komposition ge-
genseitig durchdringen und bedingen. Vor allem we-
gen der Vollstimmigkeit und der festen (temperierten)
Stirhmung waren Klaviere seit Beginn ihrer Geschich-
te in den verschiedensten Standesbereichen und Musi-
kerkreisen beliebt. Als traditionsreichstes der Klaviere
nahm die Orgel den ersten Rang ein. Eine feste Zuord-
nung von Teilen des Repertoires oder Gattungen zu
bestimmten Klaviertypen widersprache jedoch bis ins
18. Jh. dem Begriff und der Eigenart der Kl.-M. Das
schlieBt nicht aus, daB es Fakturen des Satzes gibt, die
auf einem bestimmten Klavier eigene Klangwirkun-
gen ergeben oder der Spieltechnik eines Klaviertyps
besonders entgegenkommen. Bezeichnend aber ist,
daB das Spiel von Tanzen auf der Kirchenorgel im 15./
16. Jh. immer wieder verboten werden muBte. Zu den
Griinden fiir das Auseinanderfallen des Repertoires,
das Entstehen von »zwei Kulturen« der Kl.-M., ge-
horen die nachbarocke Trennung der Spharen welt-
lich und kirchlich (geistlich) und damit die Festlegung
der Orgel auf den kirchlichen Bereich, andererseits das
Heraufkommen eines modernen Konzertbetriebs und
die Trennung der Literatur f iir Liebhaber und Virtuo-
sen, gleichzeitig mit der Ablosung des Cembalos durch
das Pianoforte. Als Konvention blieb noch - in Deutsch-
land bis um 1800, in England bis um 1830 - auf No-
tendrucken die Bestimmung »fiir alle Arten von Kla-
vieren«, seit den 1770er Jahrenjedoch oft mit ausdriick-
licher Nennung des Pianofortes und mit selbstver-
standlichem AusschluB der Orgel.
Es liegt nahe, daB auf der -> Orgel im 9./10. Jh. in ein-
facher Weise einstimmig intoniert oder (alternatim)
Choral gespielt wurde; 1st. Choralspiel hielt sich stel-
lenweise bis ins 16. Jh. Die Vieldeutigkeit des Begriffs
-> Organum laBt es nicht zu, eindeutige Zusammen-
hange zwischen der f riihen Mehrstimmigkeit und ihrer
Ausfuhrung speziell auf der Orgel festzustellen. Dar-
stellbar auf ihr sind aber sowohl der Satz Note gegen
Note (-*■ Discantus) in langeren Werten als auch der
Haltetonstil des Organum, bei dem eine bewegte Stim-
me gegen lange Cantusnoten in der Unterstimme (wie
beim -> Orgelpunkt) gesetzt ist. Eine dritte grundle-
gende Spielform der Kl.-M. ist im ->• Hoquetus vor-
gebildet; dem komplementar-rhythmischen Verlauf
entspricht technisch das Ablosen der Hande. Dem
klangbetonten Satz kommen das Blockwerk der mit-
telalterlichen Orgel, spater die Mixturen, Koppeln
und die MSglichkeit von Oktav- und Akkordgriffen
entgegen. Die Ausfuhrung bewegter Stimmen wurde
moglich auf Klavieren von zierlicherem Bau und leich-
terer Gangart. Die Anfange einer auch in Quellen be-
legten Kl.-M. fallen daher nicht zufallig in die Zeit der
Auflosung des Blockwerks (zunachst in Italien, im 14.
Jh. auch im iibrigen Europa) und des Aufkommens
der leichtgangigeren Mechaniken der Orgeln, vor al-
lem der kleineren Pfeifenklaviere (Positiv, Portativ,
Regal) und der Saitenklaviere (Clavichord, Cembalo)
im 13./14. Jh. Als alteste Quelle der Kl.-M. gilt der Ro-
bertsbridge-Codex (um 1320), der 2st. Estampien und
kolorierte Motetten (zum Teil aus dem Roman de Fau-
vel) enthalt, notiert in der Art der alteren deutschen
-*■ Orgeltabulatur. Im Klaviersatz des um 1420 abge-
schlossenen Codex Faenza (-> Quellen: Fa), in italieni-
scher Orgeltabulatur, mit 2st. MeB- und Liedsatzen
des Trecentos (Jacopo da Bologna, Landini) und der
Ars nova (Machaut), liegt iiber dem Tenor eine beweg-
te, rhythmisch und kontrapunktisch durchgeformte
Oberstimme. Dem hohen Stand dieser Kl.-M. ent-
spricht die angesehene Stellung von Klaviermeistern
wie ->• Landini und -*■ Squarcialupi, in Deutschland
spater das Ansehen Paumanns oder Hofhaymers; Or-
ganisten standen an Rang und Besoldung vor den ho-
fischen und stadtischen Spielleuten. Das wichtigste Do-
kument der Kl.-M. des 15. Jh. in Deutschland ist das
Buxheimer Orgelbuch (Bux), aufgezeichnet um 1460-
70. Es enthalt 4 Fundamenta (davon 2 unter dem Na-
men Paumanns ; ein weiteres Paumann-Fundamentum
•ist in Verbindung mit dem Lochamer Liederbuch iiber-
liefert; -*■ Fundamentbuch), liturgische Satze, die zum '
Teil noch der mehrstimmigen Stegreifausfiihrung des
Chorals nahestehen, Intavolierungen deutscher Tenor-
lieder und franzosischer Chansons sowie Praeludien.
Die Intavolierungen der alteren Schicht gehen von
zwei Geriiststimmen, Cantus und Tenor, aus (gele-
gentlich mit Contratenor), dieje kolorierend umschrie-
ben werden. Bei dem jiingeren Typ ist das Klangge-
riist des Satzes in Form von Griffen herausgezogen, die
dann durch Kolorierungen verbunden werden. Zu die-
sem Satztyp gehoren weitgehend die Ubertragungen
motettischer Vorlagen und von Tanzen der Paumann-
und Hofhaymer-Schule (Buchner, Kotter, Kleber, Si-
cher, Tabulaturen aus Lublin 1540 und Krakau 1548)
sowie der deutschen Koloristen der 2. Halfte des 16.
Jh. In deren gedruckten Tabulaturbiichern, in neuerer
deutscher Orgeltabulatur (Ammerbach 1571 , B. Schmid
der Altere und der Jungere, Paix, Loffelholtz, Normi-
ger 1598) herrschen viertonige (oft doppelschlagartige),
stereotyp angebrachte Diminutionsformeln vor. Au-
Berhalb dieser Gruppe steht Schlick, der 1512 bereits
einen Lauten- und Orgeltabulaturdruck erscheinen
lieB und in spaten Stiicken (1520) iiber die Drei- bis
Vierstimmigkeit hinausgehend bis zum lOst. Satz (mit
4 Pedalstimmen) gelangt. 1517 wurden bei A. de Anti-
quis Frottole intabulate da sonare organi gedruckt; 1523
erschienen mit den Recerchari, motetti, canzoni von M. A.
Cavazzoni Kompositionen, die die stimmige Satzanla-
ge in aufgelockerter klavieristischer Form vorbildlich
auspragen. Durch freie Verbindung der Formen des
Diminuierens und Passeggierens ist die Toccata des
Marcus-Organisten in Venedig, Merulo, gepragt, des-
sen Klavierlehre durch Diruta (1593) iiberliefert ist.
Seit der Mitte des 16. Jh. erschienen auch in Spanien
Drucke von Kl.-M., darunter die des bedeutenden
Cabezon (1557; Obras, posthum 1578), Lehrwerke von
Bermudo (1555), der die Diminution grundsatzlich ab-
lehnt, und von Santa Maria (1565). Tientos, Glosas
und Diferencias sind auch nach Cabezon die wichtig-
sten Satzformen der iberischen Schule, die iiber Correa
de Arauxo bis Cabanilles (f 1712) reicht. Nach den
Drucken von Tanzen und motettischen Satzen bei
Attaingnant, beginnend kurz vor 1530, erschien in
Frankreich nur vereinzelt Kl.-M., bis die Uberliefe-
rung 1623 mit Titelouzes Hymnes de Veglise im imitati-
ven, von der Vokalpolyphonie herkommenden Satz
wieder einsetzt. Von nachhaltigem EinfluB auf die KL-
M. des 17. Jh. in Deutschland war die Satztechnik der
englischen Kl.-M., wie sie im Mulliner Book (abge-
schlossen nach 1553), dem Fitzwilliam Virginal Book
(abgeschlossen erst um 1620 durch -*■ Tregian) und in
466
Klaviermusik
der gedruckten Sammlung Parthenia (1611) iiberliefert
ist. Die Gegenstimme zum unverzierten C. f . oder die
Abschnitte der Bearbeitung eines Lied- oder Tanzmo-
dells oder eines -» Ground ist gebildet durch sequen-
zierende, abschnittsweise rhythmisierte Spielfiguren.
In diesen Sammlungen sind neben britischen Kompo-
nisten, die meist Organisten der Chapel royal waren
(Blitheman, Byrd, Farnaby, Gibbons; Bull und Philips
wirkten auch als Hof organisten in Briissel), die Nieder-
lander Cornet und Sweelinck vertreten. In den Nie-
derlanden wirkten die stadtischen Organisten nach der
Reformation und dem Verlust der liturgischen Aufga-
ben in Konzerten und Abendmusiken mit. Davon
zeugt das Klavierwerk Sweelincks, das in Fantasien,
Echofantasien und Toccaten venezianischen, in Lied-
und Choralvariationen englischen EinfluB zeigt. Seine
Kompositionen und die seiner nord- und mitteldeut-
schen Schiiler Scheidt, J. Praetorius und Scheidemann
sowie die der Siiddeutschen HaBler und Erbach sind in
nord- und siiddeutschen Sarhmelhandschriften (Lfib-
benauer und Luneburger Tabulaturen, um 1640-60;
Wien, Minoritenkloster; Turiner Orgeltabulaturen)
iiberliefert, die teilweise durch die Praxis von Parodie
und Pasticcio als Gebrauchssammlungen gekennzeich-
net sind. Ist die siiddeutsche Kl.-M. des 17. Jh. aus-
gezeichnet durch Formenreichtum und satztechnische
Schulung italienischer Pragung, so wird in der nord-
deutschen, fiber Weckmann und Buxtehude bis zu
Bach fuhrenden Entwicklung das obligat und virtuos
eingesetzte Pedal zu einer Spezialitat. Als Klaviermei-
ster von europaischer Geltung ragt der Italiener Fres-
cobaldi heraus, dessen Kanzonen, Capricci, Toccaten,
Fantasien und Variationen ab 1608 gedruckt verbreitet
wurden. Sein in Partitur notiertes Spatwerk, Fiori mu-
sicali (1635), gait als Exemplum des strengen Stils in der
Kl.-M. Ausgepragter noch als bei Frescobaldi hat sich
bei seinem deutschen Schiiler Froberger die im 17. Jh.
vieldiskutierte Stillehre in der Notation niedergeschla-
gen. Froberger notiert den Stylus motecticus (gebun-
dene Formen wie Ricercar, Kanzone, Capriccio) in
Partitur, den Stylus fantasticus (Praludium, Toccata)
in italienischer, den Stylus choraicus (Tanze) sowie
den Stylus melismaticus (Lied- und Tanzvariation)
in franzosischer Tabulatur, worin sich die Geltung
f ranzosischer Klavieristen wie L. Couperin und Cham-
bonnieres fur die Tanz- und Suitenkomposition an-
zeigt. Die Kl.-M. im Umkreis der Wiener Hofkapelle
(Poglietti, Kerll, beide Muffat) dagegen kultivierte die
grofiangelegten Formen des italienischen strengen Stils
und des Programmstficks im Stylus fantasticus. Als Er-
weiterung des stilistischen Rahmens der modischen
Suite - der fast alle Klavieristen Mitteldeutschlands im
letzten Drittel des 17. Jh. Veroffentlichungen widme-
ten - fiihrte Kuhnau die Formtypen der Sonate in die
Kl.-M. ein (1692), verbunden mit literarischem Pro-
gramm und affekthaltigen Figuren (Biblische Historien,
1700). Vorwiegend fiir den liturgischen Dienst an der
Kirchenorgel bestimmt sind die strengen und gebunde-
nen Formen, Fuge und Choralbearbeitung, vonJ.C.F.
Fischer, Krieger und J.Pachelbel.
Die Festigung des Generalbasses in Komposition und
AusfUhrung im Laufe des 17. Jh. gab dem Klavier un-
ter den -»• Fundamentinstrumenten die bedeutendsten
Aufgaben, denn sowohl die Technik der Reduzierung
motettischer Satze auf Solostimme(n) und Begleitung
als auch der Generalbafi des solistischen ->■ Concertos
waren weitgehend am Klavier entwickelt und durch
dessen Grifftechnik bestimmt. Da das Concerto auch
auf einem Klavier allein (vornehmlich dem mit mehre-
ren Manualen) zu verwirklichen ist, errang das Klavier
eine Vorrangstellung, die es bis zum Ende des 19. Jh.
behalten sollte. Die Forderungen, die im spaten 17. und
im 18. Jh. an einen Organisten gestellt wurden und in
der Orgelprobe nachzuweisen waren, setzten sich da-
her zusammen aus dem Generalbafi (einschliefilich des
manierlichen, d. h. improvisiert auszuzierenden), der
»Tabulatur«, d. h. dem Spiel nach Tabulatur oder No-
ten fiberhaupt, sowie der Verffigung fiber freie und
gebundene Formen in der Improvisation. Diese Grund-
forderungen differenzieren sich in den nationalen Schu-
len der Kl.-M. Der in Oper und Ballett beheimatete
Recit- und Tanzstil findet sich nicht nur in den Tan-
zen, Rondeaus und Charakterstficken der Suiten von
Fr. Couperin und Rameau, sondern auch in den liturgi-
schen Livres d'orgue franzosischer Klavieristen. Den
vollstimmigen, gravitatischen Satzen (Ouvertfiren,
Allemanden, Plein jeu) steht eine durchsichtige, galan-
te Satzart gegenuber; sie beherrscht die fiber 500 Sona-
ten (auch Essercizi, Toccate genannt) des auf der iberi-
schen Halbinsel wirkenden Neapolitaners D. Scarlatti.
Seine Technik der vielf altigen Skalenfiguren, der Dop-
pelgriffe, des Uberschlagens der Hande entfaltete sich
auf dem Grund eines 2st. Satzes. Von Handels Kl.-M.
erlangten die Suiten (1722) groBte Verbreitung, mit
ihren hochbarock »deutschen« und konzertanten und
galanten »italienischen« Satzen, und die fiir Orgel,
Cembalo oder Harfe mit Orchester komponierten
Konzerte (op. 4, 1738), die dem Klavier die Rolle des
Concertinos im Concerto grosso zuweisen; sie wurden
ursprfinglich (ab 1735) als Intermezzi bei Oratorien-
aufffihrungen gespielt und waren (nach Burney) bis in
die 1780er Jahre in Konzert und Hausmusik beliebt. -
Die Geschichte des Klavierkonzerts beginnt mit J. S.
Bach, der zunachst, wahrend seiner Weimarer Tatig-
keit, Arrangements vor allem Vivaldischer Violinkon-
zerte fiir Org. (BWV 592-597) und fiir Cemb. (BWV
972-987) vornahm, spater auch mehrere fremde und
eigene Concerti fiir 1-4 Cemb. und Orch., wahrschein-
lich fiir sich und seine Sohne, arrangierte (BWV 1052-
1060 und 1062-1065). Original fiir Cembalo von Bach
komponiert sind nur der Solopart von BWV 1050 und
das Concerto C dur fiir 2 Kl. und Orch. (BWV 1061).
Bachs Sohne C.Ph.E., W. Fr. und J. Christian haben
entscheidend eingewirkt auf die weitere Geschichte
dieser fiir die gesamte Kl.-M. (und auch fiir den Piano-
fortebau) eirifluBreichen Gattung, die im Klavierkon-
zert der Wiener Klassiker, vor allem in den Werken
W. A. Mozarts und Beethovens kulminiert. Das Vir-
tuosentum des 19. Jh., in Verbindung mit differenzier-
tem Klangsinn und symphonischer Gestaltung des Kla-
vierparts, verhalf dem Klavierkonzert zu einer bis an
die Gegenwart heranreichenden Bliitezeit, deren Hohe-
punkte durch die Namen C. M. v. Weber, Mendelssohn
Bartholdy, R.Schumann, Chopin, Liszt, C.Franck,
Anton Rubinstein, Brahms, Tschaikowsky, Grieg und
Rachmaninow gekennzeichnet sind.
Der universellste Klavierist seiner Zeit und der Musik-
geschichte uberhaupt war J. S. Bach. Das Satzpaar Prae-
ludium (Toccata, Fantasie) und Fuge erhielt einerseits
durch seine grofiangelegten Formen mit Pedal, ande-
rerseits durch die beiden Sammlungen fiir Klavier
manualiter durch alle Tonarten, Das Wohltemperirte
Clavier (1722, 1744), die klassische Auspragung. Stil-
elemente franzosischer, italienischer und wohl auch
englischer Musik (Purcell) sind in seinem Suitenwerk
nachweisbar. Einen breiten Raum nehmen in Bachs
Kl.-M. die Exempla der Komposition ein, die zugleich
Unterweisung im Spiel sind. Der Hauptzweck liegt
bei den Inventionen (Praeambula) und Sinfonien (Fan-
tasien) auf klavieristischer Themenerfindung und -ver-
arbeitung und dem cantablen Spiel, bei den Choralbe-
arbeitungen des Orgelbiichleins auf der Durch- und
30*
467
Klaviermusik
Ausfiihrung des Chorals mit obligatem Pedal. Exem-
plarisch in der Stilisierung und daher dem Druck an-
vertraut sind die vier Teile der Clavier-Ubung: der 1.
Teil (geschlossen vorliegend 1731) ist der Suite (Par-
tita) mit wechselnden Typen von Einleitungssatzen ge-
widmet, der 2. (1735) dem italienischen Concerto und
der franzosischen Ouvertiire auf dem Cembalo mit 2
Manualen, der 3. (1739) den von Praeludium und Fuge
eingerahmten Choralbearbeitungen (oft als »Orgel-
messe« gedeutet) und 2st. Satzformen der inventions-
artigen Duette; den 4. Teil (1742) bilden die »Gold-
berg-Variationen«. Auslaufer der Gattung der (in Par-
titur geschriebenen) Kunstbiicher und damit primar
Kl.-M. ist die Kunst der Fuge. Fiir den Triosatz findet
Bach vielfaltige Anwendungen: in der Choralbear-
beitung, in der Sonate fiir 2 Manuale und Pedal sowie
in der Kammermusik, wo ein Melodieinstrument (Vio-
line, Viola da gamba, Flote) einen Cantus iibernimmt.
Bachs Klavierkonzert, zunachst entstanden aus Uber-
tragungen von Violinkonzerten, erwies sich als zu-
kunftstrachtiger als das Handels. Sein vollstimmiger
Satz uberwiegt die Ansatze eines modernen Galanten
Stils (z. B. im 2. Teil des WoMtemperirten Claviers),
hattejedoch zur Folge, daB die Verbreitung seiner Kl.-
M. nach seinem Tode zunachst auf seinen Schiilerkreis
beschrankt blieb. Von groBer Wirkung auf die Gene-
ration der Sturmer und Dranger waren Bachs »Cha-
rakterthema« und freie Satztypen, vor allem die Chro-
matische Phantasie. Nachdem C.Ph.E.Bach die Sonate
(auch fur Orgel) in einer Reihe von Veroffentlichungen
(1742 und spater) zu hoher Gestaltung gebracht hatte,
trat neben sie in den anschliefienden Sammlungen fiir
Kenner und Liebhaber (1779-87) die »freie« Phantasie
und das leichte Rondo. In seinem Versuch, etwa gleich-
zeitig mit den Lehrwerken fiir Flote bzw. Violine von
Quantz und L. Mozart erschienen, in der Wirkung (bis
Haydn und Beethoven) noch weiter reichend, ist das
System der Kl.-M. noch intakt. Gelehrt werden Fin-
gersatz, Manieren (einschlieBlich der »freien« Phanta-
sie) und GeneralbaB. Doch kiindigt. sich hier - wie
auch in den Schriften von Mattheson und Forkel -
die Spezifizierung von Gattungen auf bestimmte In-
strumente an. Seit den 1740er Jahren war in Deutsch-
land (am Hof Friedrichs des GroBen), seit den 1760er
Jahren in Paris, wahrscheinlich auch am Hof in Ma-
drid, wo Scarlatti wirkte, das Pianoforte in Gebrauch.
C.Ph.E.Bach, der 1733-78 etwa 50 Klavierkonzerte
komponierte, stellt in 2 Doppelkonzerten das Piano-
forte dem Cembalo gegeniiber. Waren von ihm die
aus der Oper kommenden Spielfiguren wie Trommel-
basse, Murkys und Albertische Basse noch abgelehnt
worden, so wurden sie im -»• Galanten Stil (Telemann,
Paradies, Galuppi, Durante, J. Chr. Bach), auch in Zu-
sammenhang mit der Herausbildung des modernen
-*■ Klavierauszugs, zu haufigen Begleitungsformen der
einfachen Melodie in der Diskantlage. Das Interesse an
der Erfindung von Spielfiguren nahm zu in der brillan-
ten Kl.-M. Zwar enthalt dementis Lehrwerk Gradus
ad Parnassum (1817) noch strenge Stiicke (Kanons),
doch schulbildend (Cramer, Field, Moscheles) war er
allein durch die neue Satzart, die - auf den neuen,
klangstarken englischen Pianofortes zu spielen - Ok-
taven, Doppelgrifflaufe, Trillerketten einsetzt. Mo-
zarts Spieltechnik, aus der Wiener Schule (Wagenseil,
Kozeluch) herkommend, ist »brillant« nur in einigen
Ecksatzen der Konzerte und in den Klaviervariationen.
Seine Sonaten und Konzerte, gewichtige Werke fiir
Kenner, mit Formen im »alten Stil« und mit ausgezier-
ten Adagios, schlieBen durch die an der barocken Kla-
vierkunst gebildete Artikulation ein mechanisches und
bloB gelaufiges Spiel aus. Seit Mozart gibt es einen
kompositorisch wie pianistisch vollgiiltigen Satz fiir
Klavier zu 4 Handen. Das umfangreiche Klavierwerk
Beethovens, der als Improvisator und charakteristi-
scher mehr denn als brillanter Spieler geruhmt wird,
erhebt sich iiber alle modischen Stromungen. Einzelne
Satze sind in der friihromantisch-brillanten Art etwa
Hummels oder Webers geschrieben, andere bahnen in
der Ausweitung der Spielfiguren auf die auBeren La-
gen bereits die kompositorisch vollgiiltige virtuose
Technik an (op. 53, 57, 73, 106). Grundlage fiir den
Satz Beethovens ist die -> Durchbrochene Arbeit und
das -»■ Obligate Akkompagnement kammermusikali-
schen oder symphonischen Stils. Die Zentren der mo-
dischen Kl.-M. zu seiner Zeit waren noch Paris, wo die
neuere Geschichte der Kammermusik mit Klavier be-
gann, undWien, wo Beethovens Schiiler Czerny das
Ideal der Gelaufigkeit und Fingerfertigkeit in zahlrei-
chen fiir Lehrzwecke bestimmten Kompositionenkodi-
fizierte: einen extrem homophonen Satz mit Bevorzu-
gung der hohen Diskantlage fiir Melodiefiguration bei
stereotyper Begleitung durch die linke Hand.
Das romantische Liedideal kiindigte sich im -> Cha-
rakterstiick bei Tomasek und Von'sek an, das bei Men-
delssohn (-» Lied ohne Worte) und vor allem bei Schu-
bert zu einem wesentlichen Element auch in der Sonate
wurde. Als Gegenpol zum Liedhaf ten dienen die durch-
gehaltenen poetisierenden Begleitungsfiguren (auch in
der Klavierbegleitung des Liedes) dem Ausdruck zu-
standlicher oder schwankender Stimmung. Als Ken-
ner der K1.-M. Beethovens, Schuberts, aber auch J. S.
Bachs, bildete Schumann seine ganz eigene Technik
der romantisch verschlungenen Stimmziige und Metren
aus. Auch als Kritiker stand er im Gegensatz zur modi-
schen Kl.-M. seiner Zeit, in der Pianisten wie Pleyel,
Herz (in dessen epigonenhaften Klavierkompositionen
sich fast das gesamte Repertoire von Figurationsfor-
meln seiner Zeit widerspiegelt) und Kalkbrenner ein
stark wachsendes Publikum von Zuhorern, aber auch
von Klavierlehrern und spielenden Dilettanten mit ih-
ren Kompositionen ebenso wie mit den Erzeugnissen
ihrer Verlage und Klavierfabriken beherrschten. Der
Reichtum an Figurationen im Klaviersatz Chopins
entstand auf dem Grund der romantischen Harmonik
durch eine Technik der diatonischen und chromati-
schen Nebennoten, die - auch in Doppelgriffen und
Oktawersetzungen - Passagen und Akkordzerlegun-
gen verzieren, so besonders in den Spielepisoden yon
Expositionen und Reprisen, in Durchfiihrungen der
Konzerte und Sonaten, in den Etiiden, Preludes, Scher-
zi und Impromptus. Zu diesem und dem akkordischen
Satz kontrastiert der von Field herkommende, von
Chopin in einigen Nocturnes, in 2. Themen von So-
natensatzen und getragenen Mittelteilen 3teiliger For-
men verwandte Satz; dessen (verzierte) Melodie in der
Diskantlage ist dem Belcanto der italienischen Oper
des friihen 19. Jh. abgelauscht und wird von einer groB-
raumigen Akkordbrechung in der linken Hand beglei-
tet. Chopins grundsatzlich homophone Satzanlage
wird nur episodisch von selbstandigen Mittelstimmen
und Polymelodik durchbrochen. Der sorgsamen Aus-
gewogenheit der Kantilenen und Spielepisoden des
Chopinschen Satzes steht der Klavierstil Liszts gegen-
iiber, dessen Pole pathetisches Rezitativ und Arioso
(z. B. als Daumenmelodie in der Tenorlage) sind. Die
betont symmetrische Figuration erscheint als Orna-
mentierung eines Geriistes vordergriindiger als bei
Chopin. Liszts kompakter Akkordsatz ist ein Zeichen
fiir den endgiiltigen Bruch mit der nachmozartschen
Schule der Fingertechnik. Die klavieristische Erfindung
Liszts, in dessen Werk die -> Transkriptionen und
-»■ Paraphrasen die Originalwerke an Zahl iibertreffen,
468
Klaviermusik
ist angeregt von Spielfiguren und Klang des Geigen-
spiels Paganinis und des Orchesters Berlioz'. Das Ab-
losen der Hande wird sowohl in raschen Passagen als
auch fiir die Kantilene eingesetzt. Durch virtuose
Sprungtechnik und Pedal lassen sich alle Elemente zu
einem mehrschichtigen Satz verbinden, der die No-
tierung zum Teil auf 3-4 Systemen erfordert. Liszts
Ruhm als reisender Virtuose und Improvisator ab 1836
uberstrahlte den aller Rivalen, Thalberg eingeschlos-
sen. Seine Spielart iiberlieferten mehrere Generationen
von Schiilern, darunter Biilow, Tausig, d' Albert und,
zwar als indirekter Schiiler, aber konsequenter Fort-
setzer, Busoni. Liszts Klaviersatz war Vorbild fiir die
Klavierkomposition der Neudeutschen Schule, russi-
scher Komponisten wie Tschaikowsky, Rubinstein,
bis zu Rachmaninow, Prokofjew und Chatschaturjan,
fiir die franzosische Kl.-M. des spaten 19. Jh. (Faure,
Franck, zum Teil noch Messiaen) ; sie war aber auch
Voraussetzung fiir groBangelegte Kompositionen aus
der Leipziger Mendelssohn-Schumann-Schule (z. B.
Klavierkonzert von Grieg) und fiir Brahms und Reger,
die jedoch kompositorisch an Beethoven ankniipf ten.
Liszts intimerer Spatstil (Lesjeux d'eau a la villa d'Este,
erschienen 1877), verbunden mit dem bewuBten Riick-
griff auf den spielerischen Geist der Clavecinisten des
18. Jh., ging in den Klaviersatz von Debussy und Ravel
ein. Deren Klangtechnik ermoglichte die Begegnung
mit dem Jazz, dessen gebildetste Solopianisten (Art
Tatum, Oscar Peterson) seit der Swing-Ara mit der
Harmonik auch das Repertoire von Spielformen der
Kl.-M. etwa seit Schumann einsetzten. Dieses Jazzkla-
vier war weitgehend von den Aufgaben der Rhythm
section befreit, die die linke Hand in den friihen, von
der Tanzmusik des 19. Jh. herkommenden Formen, im
-*■ Ragtime sowie im -»■ Boogie- Woogie bindet. Das
Schlagzeug als Vorbild fiir einen Klavierstil fiihrte zu
antiromantischer Motorik (Bartok, Allegro barbaro,
1911 ; Hindemith, Suite 1922). Als folgenreicher erwies
sich das Ausspielen von schlagzeugahnlichen Klangfar-
ben des Klaviers bei Bartok (u. a. Sonate fiir 2 Kl. und
Schlagzeug, 1937), friiher noch bei Ives (um 1909) und
Cowell, die durch -*■ Cluster, direktes Anzupfen oder
Schlagen der Saiten und des Instrumentenkorpers {Ban-
shee; Aeolian harp, 1925) die Klangfarben radikal zu er-
weitern und von den fiir das Klavier bislang charakteri-
stischen festen Tonhohen loszukommen suchten. Diese
Techniken, auch ihre Erganzung durch das ->• Prepared
piano und die Elektronik (Stockhausen, Kontakte, 1960;
Kagel, Transition JJ fur 2 Kl., Schlagzeug - d. h. Schla-
gel - und 2 Tonbander, 1958) bliebenbis in die 1960er
Jahre im Stadium des Experiments. Die Tendenz, den
Klavier- mit dem Orchesterklang zu verschmelzen, als
Fortsetzung der Verwendung des Klaviers als obligates
und nur episodenhaft konzertantes Instrument seit der
Spatromantik, erreichte bei Skrjabin (Promethee, 1911),
Strawinsky (Petrouchka, 1911 und 1946; Solofassung
1921), Schreker und Berg je eigene Losungen. Ein vol-
liges Aufgehen in den Ensembleklang folgte aber erst
zwingend aus dem von aller flachenhaften Gelauflg-
keitstechnik absehenden, stark auf isolierten Spriingen
und Griffen beruhenden Klaviersatz der strengen Rei-
hentechnik der seriellen und postseriellen Musik (We-
bern, Konzert op. 24, Variationen op. 27; Schonberg,
Suite op. 25; Messiaen, Modes de valeurs et d'intensites,
1949; Boulez, Sonaten, Structures fiir 2 Kl. ; Stockhau-
sen, Klavierstucke ab 1952; auch Henze, Sonata, 1959),
so daB das Klavier bei diesen Komponisten gleichzeitig
zu der fiir den Orchesterklang seit Schonberg wesent-
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Klirrfaktor -»■ Verzerrung.
Klosterneuburg (Niederosterreich), Augustiner-
chorherrenstift, gegr. um 1108.
Lit. : H. Pfeiffer, Kl.er Osterfeier u. Osterspiel, Jb. d. Stif-
tes Kl. 1, 1908 ; ders. u. B. Cernik, Catalogus codicum . . .
qui in bibl. canonic. Reg. S. Augustini Claustroneoburgi
470
Koloratur
asservantur, Wien 1922; L. Schabek, Alte liturgische Ge-
brauche ... an d. Stiftskirche zu KI., Kl. 1930; G. v. Ber-
ger, Das Osterspiel v. Kl., = Kl.er Weihespiele VIII, Kl.
1932; A. Weissenbach OFA, Musikpflege im Stift Kl.,
Anbruch XVIII, Wien 1936; B. Rzyttka, Die geistlichen
Lieder d. Kl.er Hs. 1228, Diss. Wien 1952, maschr.; Fr.
Zagiba, Die altesten mus. Denkmaler zu Ehren d. hi. Leo-
pold, Zurich, Lpz. u. Wien (1954).
Knarre -*■ Ratsche.
Kniegeige-*- Viola da gamba (- 1).
Koln.
Lit. : G. Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in Coin,
Kat., 3 Bde, Lpz. 1910-16; E. Wolff, Das mus. Leben in
K., K. 1917; A. Schmitz, Arch.-Studien iiber d. mus. Be-
strebungen d. K.er Jesuiten im 17. Jh., AfMw III, 1921;
ders., Der Anteil d. Musik in d. K.er Jesuitendramen . . .
1580-1700, Gregorius-BlattXLVI, 1921 ; ders., Monodien
d. K.er Jesuiten, Zf Mw IV, 1 921/22 ; A. Stehle, Die offent-
liche Musikpflege in K. als Statte d. Bildung, K. 1922; F.
W. Lohmann, Das »Coll. mus.« d. alten K.er Jesuitenkol-
legs, Jb. d. K.er Geschichts-Ver. V., 1923; H. Hack, Die
Gesch. d. K.er Dommusik, ebenda; H. Nelsbach, Die Or-
gelbauer d. K.erDoms, Gregorius-Blatt L, 1 926 ; W. Kahl,
Die Musik an d. alten Univ. K., in: Fs. zur Erinnerung an
d. Griindung . . . 1388, K. 1938; ders., Studien zur K.er
Mg. d. 16. u. 17. Jh., = Beitr. zur rheinischen Mg. Ill, K.
u. Krefeld 1953; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d.
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf V, 1940; K.
G. Fellerer, 2000 Jahre K.er Musik, Rheinische Blatter
XX, 1943, H. 4; ders., Die K.er Dommusik u. d. kirchen-
mus. Reform d. 19. Jh., in: Fs. Der K.er Dom, K. 1948;
Beitr. zur Mg. d. Stadt K., hrsg. v. dems., = Beitr. zur rhei-
nischen Mg. XXXV, K. 1959 (weitere Lit. dess. Verfassers
in: Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962); P. Mies, Das
K.ische Volks- u. Karaevalslied (1823-1923), = Denkma-
ler rheinischer Musik II, K. u. Krefeld 1951; ders. u. Kl. W.
Niemoller, Bibliogr. zur Mg. d. Stadt K., in: Beitr. zur
Mg. d. Stadt K., = Beitr. zur rheinischen Mg. XXXV, K.
1959; J. SmitsvanWaesbergheSJ, Mus. Beziehungen zwi-
schen Aachen, K., Liittich u. Maastricht v. 11.-13. Jh.,
ebenda VI, K. u. Krefeld 1 954 ; H. Oepen, Beitr. zur Gesch.
d. K.er Musiklebens 1760-1 840, ebenda X, 1955; Kl. Cre-
mer, Das Ordinarium Missae in d. K.er Choralfassung d.
19. Jh., KmJb XLIV, 1960; Kl. W. Niemoller, Kirchen-
musik u. reichsstadtische Musikpflege im K. d. 18. Jh.,
= Beitr. zur rheinischen Mg. XXXIX, K. 1960; W. Arlt,
Zum Repertoire d. K.er Domkapelle im ausgehenden 18.
Jh., KmJb XLVII, 1963; H. J. Zingel, Das K.er Giirze-
nichorch., K. 1963.
Konigsberg.
Lit. : A. Mayer-Reinach, Zur Gesch. d. K.er Hofkapelle
1578-1720, SIMG VI, 1904/05; G. Kusel, Beitr. zur Mg.
d. Stadt K. i. Pr., = K.er Studien zur Mw. II, K. 1923; B.
Rottluff, Die Entwicklung d. offentlichen Musiklebens
d. Stadt K. im Lichte d. Presse v. d. Mitte d. 18. Jh. bis zur
Mitte d. 19. Jh., Diss. K. 1924, maschr.; H. Guttler, K.
Musikkultur im 18. Jh., = K.er Studien zur Mw. IV, K.
1925 ; I. Peper, Das Theater in K./Pr. v. 1750 bis 181 1 ... ,
Diss. K. 1928; M. Federmann, Musik u. Musikpflege zur
Zeit Herzog Albrechts . . . 1525-78, = K.er Studien zur
Mw. XIV, Kassel 1932; Die zwei altesten K.er Gesangbii-
cher v. 1527, eingerichtet u. hrsg. v. J. M. Muller-Blat-
tau, = Veroff. aus d. Staats- u. Univ.-Bibl. zu K. I, Kassel
1933; E. Ross, Gesch. d. K.er Theaters v. 1811-34, Diss.
K. 1935 ; L. Finscher, Beitr. zur Gesch. d. K.er Hofkapel-
le, in: Musik d. Ostens I, Kassel 1962; W. Braun, J. Se-
bastian! (1622-83) u. d. Musik in K., in: Norddeutsche u.
nordeuropaische Musik, = Kieler Schriften zur Mw. XVI,
Kassel 1965; E. Kroll, Musikstadt K., Zurich u. Freiburg
i. Br. 1966.
Kothen.
Lit.: R. Bunge, J. S. Bachs Kapelle zu Cothen . . ., Bach-
Jb. II, 1905 ; H. Waschke, Die Hofkapelle in Cothen unter
J. S. Bach, Zerbster Jb. Ill, 1907; W. Vetter, Der Kapell-
meister Bach. Versuch einer Deutung Bachs auf Grund
seines Wirkens als Kapellmeister in K., Potsdam 1950; Fr.
Smend, Bach in K., Bin (1951); E. K6nig, Neuerkennt-
nissezu J. S. Bachs K.er Zeit, Bach-Jb. XLIV, 1957.
Kolfda (kol'eda, polnisch; Plur. koledy) hat verschie-
dene, auf Weihnachten bezogene Bedeutungen und
heifit in der Musik s. v. w. Weihnachtslied. Nachweis-
bar ist sie schon in Handschriften aus dem 12. Jh. Seit
dem 15. Jh. steigt die Zahl der uberlieferten Koledy
standig; auBer in Polen sind sie im tschechischen, slo-
wakischen und bulgarischen Bereich anzutreffen. Die
K. wird in der Kirche, in der hauslichen Gemeinschaft
oder als Gliickwunsch-K. (zu Weihnachten und Neu-
jahr) gesungen. Auf friihmittelalterliche Sequenzen
und Hymnen zuriickgehend, bewahrten die K.-Me-
lodien im kirchlichen Bereich ihren urspriinglichen
Charakter. Daneben gab es im weltlichen Bereich den
Volksliedern nahestehende (oder von diesen entlehnte)
Weihnachtslieder, die meist Pastoralki (Hirtenlieder)
genannt wurden; sie sind in groBer Zahl und vielen
Varianten lebendig. K. bzw. Pastoralka sind auch Be-
zeichnungen fiir Weihnachts- und Krippenspiele mit
reichem Instrumentarium. Komponisten wie Dichter
der Koledy blieben weitgehend anonym. Im 18./19. Jh.
trat an die Stelle des ursprunglich-volksttimlichen Cha-
rakters der K. ein Zug zur Sentimentalitat. K.-Melo-
dien gingen vielfach auch in die slawische Tanzmusik
ein. Die beruhmte, aus dem 18. Jh. stammende, wie-
genliedartige K. Lulajze,Jezuniu ist als Hauptthema des
Trios in Chopins Scherzo H moll op. 20 paraphrasiert.
Ausg. : M. M. Mioduszewski, Pastoralki i koledy z melo-
dyami,Krakaul843, Erganzungen Lpz. 1853; Z.Rothert,
Polskie koledy, Warschau 1956; E. Grotnik, Polskie ko-
ledy i pastoralki, Krakau 1957 (mit ausfuhrlichemVorw.);
Kolenden, 25 polnische Weihnachtslieder, iibers. u. hrsg.
v. M. Zollner, Hbg(1965).
Lit. : St. Dobrzycki, O koledach (»Uber Koledy«), Posen
1923 ; ders., Koledy polskie a czeskie. Ich wzajemny stosu-
nek (»Polnische u. tschechische Koledy in ihren gegenseiti-
gen Beziehungen«), Posen 1930; Lj. Romansky, Die ein-
fachen Koledo-Refrains d. bulgarischen Weihnachtslie-
der, Diss. Bin 1940, gedruckt in: Sbornik na Bulgarskata d
Akad. na naukite XXXVI, 4, Sofia 1942; J. Prosnak, O
melodiach koled polskich, Warschau 1956.
Kolo (serbokroatisch, Rad), jugoslawischer Schreit-
tanz von vorwiegend lebhafter, mitunter auch ruhiger
Bewegung, in Slowenien meist als Singtanz ausge-
f iihrt. Haufig wird er in einer langen Kette getanzt, der
sich immer mehr Tanzer anschlieBen konnen. In Ver-
bindung mit dem lokalen Brauchtum kennt der K.
zahlreiche Arten der Ausgestaltung, die mit verschie-
denen, auf den jeweiligen AnlaB bezogenen Spielele-
menten verbunden werden konnen. - Ein K. ist der 7.
Tanz der Slauischen Tiinze op. 72 von A. Dvorak.
Koloratur (ital. coloratura, von lat. -*■ color) heiBen
allgemein Verzierungen einer Gesangstimme _(-»■ Di-
minution - 2) , speziell das Verzierungswesen in der Arie.
Die K. steht in der Arie meist am Ende der einzelnen
Abschnitte und verwendet Triller, Laufe durch weite
Tonraume, groBe Spriinge sowie Sequenzen kleiner
Motive, teilweise im AnschluB an die instrumentale
Einleitung. - Die Geschichte der K. ist weitgehend
durch den Gegensatz einer nur der Virtuositat und ei-
ner auch der Dramatik dienenden Verzierung gepragt.
So schrieb Mozart in der Entfiihrung aus dem Serail eine
K.-Arie fiir die »gelaufige Gurgel« einer Sangerin; an-
dererseits steht die K. im Part der Konigin der Nacht
(Die Zauberflote) im Dienst der Dramatisierung und
der Charakterisierung. Auch Sinn- und Ausdrucksge-
halt bestimmter Worter und Satze konnen durch K.en
abgebildet werden. - G. Caccini hatte 1601 eine »edle
Leichtigkeit des Gesanges« (nobile sprezzatura di canto)
gefordert, und in Monteverdis Orfeo ist eine Szene so-
wohl unverziert als auch verziert notiert. Uber St.
Landis Morte d'Orfeo (1619), worin Charon ein 3teili-
ges Lied mit notierten K.en singt, reicht der Entwick-
471
Kolorierung
lungszug der K. bis zu Cavalli, in dessen Opernschaf-
fen in der Mitte des Jahrhunderts die K. als ein not-
wendiger Bestandteil der italienischen Opernarie ver-
ankert wird. Uber 150 Jahre blieb die K. ein teilweise
notierter, teilweise von Sangern (vornehmlich ->• Ka-
straten) improvisierter Teil der Arie. Bekannt durch
ihr technisches wie musikalisches Konnen waren im
18. Jh. Carestini und Farinelli, beide Schiiler von Ber-
nacchi; unter den Sangerinnen ragte Faustina -*■ Hasse-
Bordoni hervor. Gegen den auch in Deutschland seit
dem Ende des 17. Jh. herrschenden Arientyp (Kusser,
Keiser) steht der franzosische, in dem wegen der Ge-
bundenheit der Musik an das Textmetrum die K. kaum
eine Rolle spielt. Rossini zog um 1815 aus dem Verfall
der Verzierungskunst, wie sie die Sanger iibten, die
Konsequenz, samtliche K.en zu notieren. Wahrend in
Italien auch in der Folgezeit die K. ein Bestandteil der
Opernarie blieb (Verdi, Rigoletto), auch bei Weber
(Oberon) und in der GroBen Oper noch eine Rolle
spielte, wurde sie in Deutschland durch Wagner und
in seinem EinfluBbereich als undramatisch verbannt.
Der Wandel der Opernasthetik im 20. Jh., besonders
der Ruckgriff auf Formen des 18. Jh. bei R.Strauss,
stellte auch die K. wieder in den Dienst der Personen-
charakteristik. Hochste Anforderungen an die techni-
sche Perfektion der Gesangstechnik stellt Strauss in der
K.-Arie der Zerbinetta (Ariadne auf Naxos). Drama-
tisch verankert sind auch die K.en der Lulu (Berg). Bei
Strawinsky wird die K. parodistisch mit der Aufnah-
me alter Formen (Cabaletta) verwendet (The Rake's
Progress).
Lit. : H. Goldschmidt, Die Lehre v. d. vokalen Ornamen-
tik I, Charlottenburg 1 907 ; E. Wellesz, Studien zur Gesch.
d. Wiener Oper I, StMw 1, 1913 ; Fr. Habock, Die Kastra-
ten u. ihre Gesangskunst, Bin u. Lpz. 1927; R. Haas, Auf-
fiihrungspraxis d. Musik, Biicken Hdb. ; M. Hogg, Die
Gesangskunst d. F. Hasse u. d. Sangerinnenwesen ihrer
Zeit in Deutschland, Diss. Bin 1931 ; H. Faller, Die Ge-
sangsk. in Rossinis Opern u. ihre Ausfuhrung, Diss. Bin
1935; L. Medicus, Die K. in d. ital. Oper d. 19. Jh., Diss.
Zurich 1939; G. Hausswald, Instrumentale Ziige im Bel-
canto d. 18. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953 ; H. Chr. Wolff,
Die Barockoper in Hbg (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbuttel
1957. HK
Kolorierung (von lat. colorare, ausschmiicken), ein
Begriff, der von der Musikwissenschaft zur Analyse
von Musik des spaten Mittelalters entwickelt wurde.
Er wurde gewonnen zunachst im AnschluB an den Be-
griff color (-»■ Color - 2), der aber im Sinne der Tech-
nik der »Koloristen« (->■ Diminution - 2) des 16. Jh. ver-
standen wurde (A. Schering) ; spater wurde jeder Zu-
sammenhang mit Color geleugnet (R.v. Ficker). - Der
Begriff K. soil das (hypothetische) Verfahren bezeich-
nen, durch das eine melodische Vorlage soweit umge-
bildet wird, daB eine neue Melodiegestalt entsteht.
In der Geschichte des Begriffs K. sind jeweils ver-
schiedene Aspekte betont worden. Schering entwickel-
te an der Trecentomusik die These, die melismenrei-
chen Oberstimmen seien unter Anlehnung an bereits Ge-
gebenes, hier des Volksliedes, entstanden und man miisse
sie »dekolorieren«, um die urspriinglichen Weisen
wiederherzustellen :
XL- * ~
Ficker und A.Orel die Frage, inwieweit die K. ein
kompositorisches Verfahren war. Messen und Mo-
tetten des friihen 15. Jh. wurden daraufhin untersucht,
in welchem MaBe damals bekannte liturgische Melo-
dien in ihnen verarbeitet waren. War fur Schering der
thematische Urstoff eine plastische Liedgestalt, deren
Formkrafte in die Komposition einflieBen, so ist fur
v. Ficker die Vorlage nur eine beziehungslose Aufeinan-
derfolge von Tonen ohne melodische Eigenbedeutung. Sche-
ring wollte »Volkslieder« finden, v. Ficker mochte zei-
gen, wie aus einem Geriist die Komposition entsteht.
In dem folgenden Beispiel (DTO XXVII, 1, S. 98)
sind die Tone der »Urmelodie« mit * bezeichnet.
t) *
#
*
*
* *
•
Sanctus
A *
Da zeitgenossische Quellen fehlen, blieb Scherings
These unbewiesen. Stand bei ihm die Dekolorierung
als analytische Methode im Vordergrund, so bei R.v.
Th.Kroyer wandte sich gegen diese Annahme, derm sie
stempelte den alten Phonasken zum Abschreiber. Auch
konne die Ahnlichkeit zwischen Vorlage und kolorier-
ter Gestalt wegen der Verwandtschaft vieler Melodien
des gleichen Modus auf blofiem Zufall beruhen. - Im
Gegenzug zu Kroyers Bedenkeh untermauerte v. Ficker
seine Theorie 1924 historisch durch eine Geschichte
der K.s-Technik in der Messenkomposition des friihen
15. Jh. Von den notengetreuen Obernahmen ganzer
liturgischer Melodien ausgehend, stellte er die K.s-
Technik in eine Entwicklung, die zu immer weiter-
gehender Freiheit gegeniiber den Vorlagen filhrte. Wo
der strikte Nachweis nicht moglich war, half der Hin-
weis auf die Tradition. J. Handschin diff erenzierte den
Begriff der K. in Paraphrasierung (die Vorlage ist nur
noch ideell vorhanden), Variierung (Nacheinander
von Original und Bearbeitung der Melodie), Figurie-
rung, Komprimierung (Auslassen von Tonen) und K.
Seine Beispiele entnahm er hauptsachlich dem Reper-
toire der englischen Ordinariumstropen. H.Besseler
und W.Korte wiesen Scherings These, die Trecento-
musik beruhe auf K., zuriick. Die Ordinariumskom-
positionen, besonders die englischen, und die Hym-
nenkompositionen des 14. und vor allem des friihen 15.
Jh. aber gel ten allgemein als koloriert. - Nach 1945 hat
sich die musikwissenschaftliche Themenstellung ver-
andert : die kontrapunktische Technik wurde starker als
die melodische akzentuiert; doch nahert sich der Ver-
such, die Satztechnik einer Komposition durch Re-
duktion auf deren kontrapunktische Geriiste zu unter-
suchen, dem Verfahren der Dekolorierung.
Lit.: A. Schering, Das kolorierte Orgelmadrigal d. Tre-
cento, SIMG XIII 1911/12; ders., Studien zur Mg. d.
Friihrenaissance, = Studien zur Mg. II, Lpz. 1914; A.
Orel, Einige Grundformen d. Motettkomposition im 15.
Jh., StMw VII, 1920; R.v. Ficker, Die Kolorierungstech-
nik d. Trienter Messen, ebenda ; ders., Die friihen Messen-
kompositionen d. Trienter Codices, StMw XI, 1924; Th.
Kroyer, Denkmaler d. Tonkunst in Osterreich, Zf Mw V,
1922/23, dazu R. v. Ficker, A. Orel, SchluSwort v. Th.
Kroyer, ebenda ; P. Wagner, Zur Vorgesch. d. Missa, Gre-
gorius-Blatt XLVIII, 1923; J. Handschin, Zur Frage d.
melodischen Paraphrasierung im MA, ZfMw X, 1927/28;
H. Besseler, Von Dufay bis Josquin, ZfMw XI, 1928/29;
W. Korte, Studie zur Gesch. d. Musik in Italien im ersten
Viertel d. 15. Jh., = Munsterische Beitr. zur Mw. VI, Kas-
sel 1933 ; H. Federhofer, Akkordik u. Harmonik in friihen
Motetten d. Trienter Kodices, Diss. Wien 1936, maschr.;
E. H. Sparks, C. f. in Mass and Motet 1420-1920, Berkeley
(Calif.) u. Los Angeles 1963. HK
Kolumbien.
Lit. : E. Closson, A propos de la zambumbia colombienne.
Bull, de la Soc. Internationale de Musicologie II, 1930/31 ;
472
Komposition
E. de Lima, La musique colombienne, ebenda; ders., La
chanson populaireen Colombie, AMI IV, 1932; ders., Di-
verses manifestations folkloriques sur la cote des Antilles
en Colombie, AMI VII, 1935; J. I. Perdomo Escobar, Hist,
de la miisica en Colombia, Bogota 1945; Fr. Bose, Die Mu-
sik d. Chibcha u. ihrer heutigen Nachkommen, Internatio-
nales Arch. f. Ethnographie XLVIII, 1958; H. Zapata
Cuencar, Compositores colombianos, Medellin 1962; R.
Stevenson, La miisica colonial en Colombia, Cali 1964;
A. Prado Tovar, Traditional Songs in Choco, Colombia,
= Inter- American Music Bull. Nr 46/47, Marz-Mai 1965.
Kombinationen sind in der Orgel Kollektivziige, die
durch Druckknopfe, Handgriffe oder FuBtritte eine
festgelegte Anzahl von Registern (Organo pleno, Tutti
u. a.) oder frei eingestellte Registrierungen (freie K.,
Setzer-K. ; engl. setter pistons) erklingen lassen.
Kombinationstdne werden horbar, wenn durch
->- Verzerrung von zwei oder mehreren gleichzeitigen
Schwingungsvorgangen zusatzliche Schwingungen
(Kombmationsschwingungen) entstehen. Ihre Frequen-
zen ergeben sich rechnerisch als Summen bzw. Differen-
zen der Primarf requenzen oder ihrer Vielf achen. Diffe-
renztbne wurden zuerst von -> Tartini und -»• Sorge be-
obachtet; H. v. Helmholtz postulierte auBerdem Sum-
mationstone, die bisher aber nicht nachgewiesen wer-
den konnten. Haben zwei Schwingungen das Verhalt-
nis m : n, so bilden sich als Kombinationsschwingungen
z. B. m- n (Differenzschwingung) bzw. m + n (Sum-
mationsschwingung). Nach Husmann wird in iiber-
sichtlicher Abkiirzung fiir den Kombinationston K,
den DifEerenzton D, den Summationston S eingesetzt.
Dazu zeigen Indizes an, welche Teilschwingungen den
K.n zugrunde liegen; die Quersummen der Indizes ge-
ben die Ordnung in der Potenzreihe an, in der sie ent-
stehen. Die aus den Primarschwingungen m:« resul-
5 o> o £ o < t>
E
si
tierenden Kombinationen Ku erscheinen dann als Dn
(m-«) und Sn (m+ri). Ebenso werden die Kombi-
nationsschwingungen hoherer Ordnung dargestellt:
S21 (2m + «) und S12 (m + 2n), bzw. D21 (2m- n) und
D12 (m-2n) usw. Theoretisch lassen sich behebige
Kombinationen bilden; gehort werden K. nur etwa
bis zur achten Ordnung.
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
. . ., Braunschweig 1863, "1877, 61913; W. Preyer, Ober
Combinationstone, Sb. d. Jenaischen Ges. f. Medicin u.
Naturwiss. f. d. Jahr 1878, Jena 1879; C. Stumpf, Tonpsy-
chologiell.Lpz. 1890,NachdruckHilversumu. Amsterdam
1965 ; ders., Beobachtungen iiber subjektive Tone u. Dop-
pelthoren, Zs. f. Psychologie u. Physiologie d. Sinnesorga-
ne XXI, 1899; F. Krueger, Beobachtungen an Zweiklan-
gen, in: Philosophische Studien XVI, 1900; ders., Zur
Theorie d. Combinationstone, ebenda XVII, 1901 ; G. v.
Bekesy, Uber d. nichtlinearen Verzerrungen d. Ohres,
Annalen d. Physik XX, 1934; H. Husmann, Vom Wesen d.
Konsonanz, in: Mus. Gegenwartsfragen III, Heidelberg
1953 ; J. P. Fricke, Ober subjektive Differenztone hochster
horbarer Tone u. d. angrenzenden Ultraschalls im mus.
Horen, =K61ner Beitr. zur Musikforschung XVI, Re-
gensburg 1960; H.-P. Reinecke, H. Riemanns Beobach-
tungen v. »Divisionstonen« ..., in: H. Albrecht in me-
moriam, Kassel 1962. WiD
Komma. - 1) Das Verhaltnis des groBen zum klei-
nen Ganzton ergibt das didymische oder syntonische
K - t : f = i bzw - 203,9 ~ 182,4 = 21,5 Cent - Das
Verhaltnis von 12 reinen Quinten zu 7 Oktaven er-
gibt das pythagoreische K. (y) : (y) = g^gg bzw.
701,96 • 12 - 1200 • 7 = 23,5 Cent. Fur das syntonische
K. ist von A. v. Oettingen der K.-Strich (z. B. : "c) in die
Buchstaben-Tonbezeichnung eingef iihrt worden (-> In-
tervall). - 2) In der Literatur fiir Gesangsstimmen und
Blasinstrumente wird das K.-Zeichen (') benutzt, urn
die Stellen zu bezeichnen, bei denen geatmet werden
soil; in ahnlichem Sinn angewendet kommt es in In-
strumentalwerken vor, wenn eine »Luftpause«, d. h.
eine nicht ihrem Werte nach notierte Unterbrechung
beabsichtigt ist.
Komplet (lat. completorium), - 1) die letzte Hore im
-*■ Offizium der katholischen Kirche. Sie beschlieBt das
tagliche Stundengebet. Im abendlandischen Liturgie-
bereich wurde ihr Aufbau erstmals in der Regel des hi.
Benedikt (Kap. 29) erlautert. Nach dem Romischen
Brevier enthalt die K. folgende Teile: a) Officium ca-
pituli (seit 1568) : Einleitende Benedictio Noctem quie-
tam - Lectio brevis Fratres: Sobrii estote (1 . Petr. 5, 8-9) -
Schuldbekenntnis (Confiteor) und Absolution; b) Of-
ficium chori: 3 Psalmen mit Antiphon - Hymnus Te
lucis ante terminum - Capitulum Tu autem (Jer. 14, 9),
Responsorium breve In manus tuas und Versikel Custodi
nos - Canticum Simeonis Nunc dimittis (Luc. 2, 29-32)
mit Antiphon Salva nos - Oration Visita quaesumus -
SchluBsegen - Marianische Antiphon. - Gegeniiber
der romischen Form der K. zeichnet sich die monasti-
sche durch groBere Einf achheit aus. Die K. der mailan-
dischen Liturgie ist umf angreicher. - 2) Completorium
war auch die Bezeichnung der SchluBantiphon im
letzten Stundengottesdienst (Lucernarium = romische
Vesper) des mailandischen und gallikanischen Ritus;
beide Liturgien besaBen im Mittelalter keine K.
Komposition (lat. compositio) in der Musik ist heute
allgemein das tonschriftllch ausgearbeitete Werk, des-
sen Gelingen schopferische musikahsche Begabung
und umfassende Ausbildung voraussetzt und das mit
der klingenden Ausfiihrung rechnet. (Im Sinne des
-*■ Urheberrechts ist K. jede selbstandige Schopfung,
unabhangig von ihrer kiinstlerischen Bewertung.) -
473
Komposition
Durch die Person des Komponisten, besonders durch
seine Stellung in der Gesellschaft, ist die K. vielfaltig
verflochten mit der politischen, kirchen-, kultur- und
sozialgeschichtlichen, der wissenschaf ts-, literatur- und
kunstgeschichtlichen Situation ihrer Entstehungszeit.
Gleichwohl ist das Komponieren ein spezifisches »Den-
ken in T6nen«, das seiner eigenen GesetzmaBigkeit und
Logik f olgt und das sich einerseits mit der -*■ Theorie
der Musik auseinandersetzt, andererseits selbst als Ge-
genstand der Reflexion Theorien zu beeinflussen, zu
bestimmen und zu stiften vermag. Dem Studium der
K. dient die K.s-Lehre (Harmonie- und Kontrapunkt-
lehre; Zwolftontechnik; Rhythmik, Metrik, Formen-
und Instrumentationslehre) ; doch kniipf t der Kompo-
nist vor allem an die Werke der Meister an, die er sich
(im einzelnen und Prinzipiellen) zum Muster wahlt.
Die K. selbst aber mu6, um giiltig zu sein, die Forde-
rung der Neuheit, der Originalitat erfiillen. - Als ton-
schnf tliche Ausarbeitung von Musik - die der -> Im-
provisation bzw. Stegreifausfuhrung gegeniibersteht
(meist jedoch in der Ausfiihrung in bestimmter Weise
mit ihr rechnet und kompositorisch sich mit ihr aus-
einandersetzt) - ist die K. in ihren Anfangen und in
ihrer Fortentwicklung mit der Geschichte der -»• No-
tenschrift unlosbar verbunden. Voll greifbar ist sie
im Bereich der Einstimmigkeit erst seit dem 9. Jh.
(Sequenz, Tropus), in der Mehrstimmigkeit seit dem
12. Jh. (-»■ Organum; -> Quellen: Calixtinus, SM)
bzw. erst nach Ausbildung der -> Modalnotation
(->• Notre-Dame-Epoche; -*■ Discantus), die dem Auf-
zeichnen von Musik die Eindeutigkeit der Tondauern
hinzugewann. Seitdem steht die Geschichte der K. im
Mittelpunkt der abendlandischen -»• Geschichte der
Musik und entlaBt jedes ihrer bedeutenderen Werke
in eine Geschichte seines Verstehens, die sich in ->• In-
terpretation, -> Auffiihrungspraxis und -*■ Editions-
technik widerspiegelt. - In ihrer Logik und Art der
Aussage ist die K. bedingt durch den geschichtlichen
Status der tonsprachlichen Gegebenheiten (Tonsystem
und Tonalitat, Verhaltnis von Stimme und Klang,
Dissonanzbehandlung, Messung und Gliederung der
Zeit durch Mensur bzw. Takt, Metrum und Rhyth-
mus u. a.). Diese bilden, sich gegenseitig bedingend,
jeweils ein System geltender musikalischer Werte, das
die K. einerseits erfiillen muB, andererseits zugunsten
neuer Sprachmoglichkeiten zu bereichern und zu ver-
wandeln strebt. Die geschichtliche Relevanz einer K.
griindet in der Kraft solchen Verwandelns, wahrend
die K. als Erfiillung eines (oder ihres) Wertesystems
ein epochal (oder personell) Jeweihges, also Unersetz-
liches ist und somit - verbunden mit QuaUtat (die als
Sinnfulle zu definieren und zu analysieren ist) - fort-
dauernde Geltung zu erlangen vermag. Oberwiegt
z. B. in Viadanas Cento concerti ecclesiastici oder in C.
Ph.E. Bachs oder J. Stamitz' Schafien die geschichtliche
Relevanz und zeichnet sich das Gesamtwerk z. B. von
Schiitz, von J.S.Bach oder von W.A.Mozart durch
eine die zeitgenossische Erfiillung eines Wertesystems
iiberragende Qualitat aus, so verbindet die K.s-Kunst
etwa Dufays, Monteverdis und Weberns beides in
gleich hervorragender Weise. - Bei aller geschichtli-
chen Bedingtheit hat die K. doch stets tonsprachliche
Grundforderungen zu erfiillen, so die der FaBlichkeit,
der Gliederung und des Zusammenhangs, der Man-
nigfaltigkeit, des SchlieBens (-»■ SchluB), und kompo-
sitionsgeschichthche Prozesse wiederholen sich, z. B.
das Eindringen der Dissonanzen von der SchluBge-
staltung ins Satzinnere oder die kompositorische Fixie-
rung von zunachst improvisatorischen Zusatzen. Eine
Reihe von Grundtatsachen kompositorischen Gestal-
tens kann durch Begriffe wie Wiederholen (auch Se-
quenz, Stimmtausch, Umkehrung), Nachahmen
{-*■ Imitation), Verandern (-> Variation), Schmiicken
(-»■ Color - 2, -> Diminution - 2, -*■ Figuren) um-
schrieben werden. Auch Gesichtspunkte bleiben kon-
stant, so die Beziehung zur Sprache, grammatisch, rhe-
torisch, deklamatorisch (->■ Deklamation), die sich in
Gestaltungsprinzipien und in der -+ Terminologie zu
erkennen gibt, oder die sozialgeschichtlich veranlaBte
Entstehung (z. B. als -»■ Festmusik oder als -*■ Salon-
musik). Wenn auch die Geschichte der K. wesentlich
nicht unter der Perspektive der Vervollkommnung
(des »Fortschritts«) betrachtet werden kann, da jede
Verwandlung des Geltenden neben Gewinn auch Ver-
lust bedeutet, zeigt sie doch Zielstrebigkeit, nicht nur
im Schaffen eines Komponisten (z. B. Haydns), son-
dern auch innerhalb von Zeitabschnitten: Die mehr-
stimmige Musik des Mittelalters steigerte vor allem die
rhythmischen K.s- (zugleich Notierungs-)m6gUchkei-
ten bis hin zur -*■ Ars nova (und Ars subtilior) des 14.
Jh. ; J. S. Bachs Art der K. bedeutet den Hohepunkt der
Zeit einer Auseinandersetzung von kontrapunktischer
Stimmigkeit und sich emanzipierender Akkordlogik;
und das 19. Jh. kann als eine Epoche der fortschreiten-
den Sublimierung und der Auflosung der funktionalen
Harmonik beschrieben werden. Dariiber hinaus kann
die gesamte Geschichte der K. als zielstrebig angesehen
werden : z. B. als Steigerung des Neuheitsanspruchs in
Verbindung mit dem Anwachsen der kompositori-
schen Moglichkeiten, zugleich als Fortschreiten von
der Anonymitat des Komponisten (->■ Anonym) zur
Nennung seines Namens (seit dem 14. Jh.) und zum
Begriff des »ingenium« (16. Jh.) und dem des »Origi-
nalgenies« (18. Jh.), oder als Entwicklung der K. von
ihrer Nachbarschaf t zur Sprache im Mittelalter (-> Co-
lor - 2, -> Flores, Clausula, -> Talea, auch Compositio,
s. u.) zum Ausdruck der Sprache in Humanismus und
Renaissance, weiterhin zur »Versprachlichung« der In-
strumentalmusik im Barock, ihrer Auffassung als »rei-
ner« Musik in der Klassik bis zum Entstehen des Be-
griffs der -*■ Absoluten Musik im 19. Jh. und der »ab-
soluten« (oder »totalen«) K. im 20. Jh.
Das mittelalterliche Musikschrifttum gebraucht die
Worter componere und compositio weithin in voka-
bularer Bedeutung (oft in der Gegenuberstellung
simplex-compositus), z. B. fiir das Zusammenfugen
von einfachen IntervaUen zu abgeleiteten (CS III, 424b :
. . . tonus cum dyapente . . . dicitur a tono et dyapente com-
positus), von IntervaUen (simplices symphoniae) zu
mehrtonigen Klangen (GS I, 162a), von Stimmen zu
einem mehrstimmigen Satz (CS IV, 26b: simplex
cantus - compositus cantus), von Noten (figurae sim-
plices) zu einer Ligatur (CS III, 336), von Zeiteinheiten
zu einem iibergeordneten Zeitwert (CS III, 137b). In
einem terminologisch gefestigteren Sinn (gegeniiber
der vokabularen Bedeutung jedoch nicht immer scharf
abzugrenzen) bezeichnen componere und compositio
die nach Tonf iihrung, GUederung und Rhythmik rech-
te, auf Einheit, Mannigfaltigkeit und Wohllaut be-
dachte Bildung eines Cantus, seit dem friihen 11. Jh.
auch unter EinschluB seiner schrif tlichen Auf zeichnung
(Guido von Arezzo, Micrologus, cap. XV: De commoda
vel componenda modulatione, CSM IV, 162; Johannes
Affligemensis, De arte musica, cap. XVIII : Praecepta de
cantu componendo, CSM I, 117). Hierbei handelt es sich
sehr wahrscheinlich um eine Anlehnung an den com-
positio-Begriff der antiken Rhetorik, der das wohllau-
tende Zusammenfugen der Worter zum Satzganzen
benennt, in bezug auf GUederung, Wortwahl und -ver-
bindung mit dem Ziel des recte und des bene dicere.
Neben componere in der fixierten und seit dem 13. Jh.
immer ausschlieBlicher auf die mehrstimmige Musik
474
Komposition
eingegrenzten Bedeutung steht das Wort modulari
(Johannes Affligemensis, ebenda H: ... modulatur id est
componitur) ; modulari ist in seiner spezifisch musikali-
schen Verwendung jedoch alter und zunachst zentraler
als componere und einerseits konkreter in seinem an
Modus angelehnten Sinn, andererseits umfassender in
seinem Anwendungsbereich (->• Modulatio). Bis ins
spateMittelalter stehen neben componere und modulari
- teils gleichbedeutend und gleichrangig - die Worter
fingere (Boethius, De institutione musica I, 34), facere
(Guido, CS IV, 167), formare (Johannes de Grocheo,
ed. Rohloff, S. 57), ordinare (tenorem; Aegidius de
Murino, CS III, 24), notare (Anonymus A. de Lafage,
Ann. Mus. V, 1957, S. 30), edere (Quartumprincipale, CS
IV, 268), scribere (Prosdocimus de Beldemandis, CS
III, 194). Ebenso wie dieseWorter erscheint auch com-
ponere bis ins 15. Jh. fast stets in Verbindung mit einem
es naher bestimmenden Objekt (componere cantum,
cantilenam u. a. ; compositor cantus bzw. cantuum). -
Obwohl vor allem das -> Organum im Stadium Pero-
tins, die -> Motette seit Vitry, der ->■ Kantilenensatz
seit Machaut, die ->• Ballata und das -»■ Madrigal seit
Landini als hochentwickelte K.s-Kunst zu beurteilen
sind und die Geschichte der mittelalterlichen K. im
Fortschreiten vom -> Discantus zum Contrapunctus
(-»■ Kontrapunkt) und von der -> Notre-Dame-Epo-
che zur -»■ Ars antiqua und -»■ Ars nova und zum Auf-
bliihen der Kunst des -» Trecentos als ein bestandiges
Erweitern und Verwandeln des Systems der musika-
hsch geltenden Werte sich darstellt, hat sich im mittel-
alterlichen Denken der Begriff der K. im modernen
Sinn der schopferischen Leistung eines Individuums
nur langsam (etwa seit dem 13. Jh.) entwickelt. Das
Bilden, Machen, Schreiben, Notieren, Finden und Er-
finden verstand sich in erster Linie als artifizielles, d. h.
auf Wissenschaft, Lehre und Fertigkeit beruhendes
Zum-Erscheinen-Bringen eines durch Uberlieferung
und Auctoritas zu erhellenden, in der Contemplatio zu
ergriindenden immerwahrenden Seins und Wesens
des Klingenden als -»■ Harmonia.
Im 15. und 16. Jh., zur Zeit des -*■ Humanismus und
der Renaissance, steigerten sich Moglichkeiten und
Freiheit der K. in Verbindung mit dem Aufkommen
der fruhneuzeitlichen Harmonik (des neuen Ideals
klanglicher Suavitas anstelle des Primats rhythmischer
Subtilitas), der C. f.-freien K., der Text- und Affekt-
darstellung und des musikalisch-kompositorischen
Ziels der Varietas, Elegantia, Exornatio, Expressio. Fur
Tinctoris (Liber de arte contrapuncti, \ i Hl ' , Prologus, CS
IV, 77b) gibt es erst seit den 1430er Jahren, dem Schaf-
fen Dunstables, Dufays und Binchois', dem Beginn der
-*■ Niederlandischen Musik (-*■ Franko-flamische Schu-
le), quippiam compositum . . ., quod auditu dignum ab
eruditis existimetur. Er unterscheidet nun aufs deutlich-
ste die Stegreifausfuhrung der Mehrstimmigkeit durch
die Concentores (concentus super librum, super librum
cantare; -»■ Sortisatio) und die schrifthch ausgearbeitete
mehrstimmige Musik (cantus compositus ; -*■ Res facta)
und definiert den Compositor: est alicujus novi cantus
editor (Diffinitorium, 1473/74). Auch z. B. Glareanus
setzt sich in seiner Gegeniiberstellung von Phonascus
und -»■ Symphoneta (letzterer »jetzt allgemein« com-
positor genannt, Vorrede zum III. Buch des Dodeka-
chordon, 1547) und in seiner Wiirdigung der bedeuten-
den Symphoneten seiner Zeit (De Symphonetarum in-
genio, ebenda III, cap. XXVI) mit der neuen Geltung
des Komponisten auseinander. An die Stelle des spat-
mittelalterlichen musicus-cantor tritt der musicus-
componista (Gurlitt), der das theoretische Wissen ganz
in den Dienst der Schaffenspraxis stellt. Das musikali-
sche Werk gilt in seinem Gelingen als abhangig von
den Viribus ingenii (naturali quadam ac ingenita virtute
magis quam arte, Glareanus, II, cap. XXXVIII), vom
impetu quodam naturali (Coclico 1552), vom celeste in-
flusso (Aaron 1545) ; es folgt im LehrprozeB des Nach-
ahmens von Exempla den gepriesenen Vorbildern,
muB jedoch selbst neu und an der bestandigen Ver-
vollkommnung der Musik beteiligt sein; als opus per-
fectum et absolututn uberdauert es den Tod und begriin-
det den Nachruhm des Komponisten (Listenius 1537).
Neben den Begriff des Contrapunctus, der - schon
auf Grund seines Namens - an bestimmte Satzprin-
zipien gebunden blieb (-> Kontrapunkt), trat seit An-
fang des 16. Jh. der zum selbstandigen Begriff ge-
festigte Terminus compositio, zunachst gleichbedeu-
tend, dann in dem umfassenderen Sinne der »Gestal-
tung« (constitutio cantilenae, A. Ornitoparchus 1517).
Compositionis regula liberior est, et in hacplura licent quam
in contrapuncto (Coclico 1552). Der compositio-Begriff
schloB hinfort den extemporierten Kontrapunkt aus,
bezog den Contrapunctus scriptus mit ein und ver-
mochte von nun ab alle Neuerungen der musikalischen
Setzkunst zu umgreifen. Die Kontrapunktlehre im
friihhumanistischen Stadium der Lehrbucher von Gaf-
fori (ab 1478), Adam von Fulda (1490) und -»■ Tincto-
ris wurde zur K.s-Lehre (ars componendi) erweitert.
Diese Entwicklung wurde besonders gefordert von
einer an der Kolner Universitat zentrierten Schule der
Musiklehre (-> Wollick und Schanppecher, -»■ Coch-
laeus, -»• Glareanus) und stand stark unter dem EinfluB
der K.en Josquins. Zu nennen sind die gedruckten
Lehrbucher von Schanppecher (ars componendi, = Teil
4 des Opus aureum musicae, Koln 1501), Cochlaeus 1511,
Ornitoparchus 1517, Galliculus 1520 und Luscinius
1536. In Deutschland entstand seit der Mitte des 16. Jh.
eine eigene Art und Tradition der K.s-Lehre unter der
humanistischen Benennung -* Musica poetica (-*■ Me-
lopoie). In Italien erschienen die Lehrwerke der Wil-
laert-Schiiler Vicentino (1555) und Zarlino (1558), des-
sen grundlegende Neufassung der Musica prattica
weithin ausstrahlte (Artusi ab 1586, Zacconi 1592, Cal-
visius 1592, Morley 1597, Sweelinck), jedoch in Italien
selbst bereits seit den 1570er Jahren bei den Verfech-
tern der neuen K.s-Art zum Inbegriff alter, zu iiberho-
lender Theoreme wurde (->■ Camerata). Neben der
vokalmusikahsch konzipierten K.s-Lehre und in Ver-
bindung mit dem systematischen Ausbau der Lehre
von der (auch vokalen) -> Diminution (- 2) und ->• Va-
riation erstarkte die Spiellehre fiir den Organisten
(-> Fundamentbuch; Schlick 1511) sowie die instru-
mentale Handwerkslehre allgemein (M. Agricola 1529)
und speziell fiir Tasteninstrumente (Virdung 1511, G.
Diruta 1593), Laute (Judenkiinig um 1515, 1523, H.
Gerle 1532, 1552, Newsidler 1537), Streichinstrumente
(Ganassi 1542/43, Ortiz 1553) und Blockflote (Ganassi
1535).
Die Geschichte der K. im 16. und beginnenden 17. Jh.
wurde entscheidend bestimmt durch die zunehmend
klanglich-akkordischeRechtfertigungdesSatzes(-»-Ak-
kord - 1 ; ->■ BaB - 1 ; ->• Fundamentum), durch die neu
entstehende selbstandige -*■ Instrumentalmusik (-> Ri-
cercar, -> Toccata usw.) und vor allem durch das sich
steigernde Streben nach Ausdruck (des Textes und der
Affekte), der gegeniiber dem Kontrapunkt ein neues,
in Akkordik und Instrumentalismen begriindetes, bald
auch die reine Instrumentalmusik einbeziehendes Sy-
stem des Geltens und Bedeutens der Tonsetzungen
rechtfertigte und konstituierte. Die Neuerungen zen-
trieren sich um die Begriff e: -> Coro spezzato, -> Mehr-
chorigkeit, ->■ Concerto; -*■ GeneralbaB; -> Musica re-
servata, -*■ Monodie, ->■ Seconda pratica (->• Chroma-
tik, ->• Durezza, ->■ Konsonanz/Dissonanz - 1). Gleich-
475
Komposition
zeitig hatte die weitgehende Unvereinbarkeit alter und
neuer K.s-Prinzipien ein Auseinanderfallen der K. in
»Stile« zur Folge. - GemaB den wichtigsten K.s-Stilen
des 17. Jh. (-»• Barock): dem vornehmlich von der
katholischen Kirche sanktionierten »alten« (contra-
punctischen) Stilus ecclesiasticus und dem die motetti-
sche a cappella-Tradition erneuernden Stil der Chor-
musik, ferner dem neuen monodischen bzw. solistisch
concertierenden Stil und dem damit verbundenen Ge-
neralbaB, gliedert sich die K.s-Lehre seit Beginn des
17. Jh. (entsprechend der neuen ->• Stil-Lehre) in eine
Lehre, die wesentlich im uberlieferten Kontrapunkt,
dem »Palestrina-Stil«, verharrt (so Berardi 1690 und
noch Fux 1725) und eine Lehre, die auf ihn eine K.s-
Lehre aufbaut (so z. B. die Musica poetica von Herbst,
1643, und die Praecepta der Muskalischen Composition
von J. G. Walther, hs. 1708), ferner eine auf den Stilus
recitativus zugeschnittene Lehre (Chr.Bernhard), ne-
ben der die praktische Generalbafllehre steht. Der Ge-
neralbaB, von Fr.Gasparini 1708 als composizione es-
temporanea bezeichnet, wurde seit der Wende zum 18.
Jh. auch als Weg zur Composition gelehrt (Niedt, Mu-
sicalische Handleitung I, 1700; auch Heinichen, Der Ge-
neralbafi in der Composition, 1728, Sorge 1745-47 und
noch Kirnberger 1781) und blieb mit der seit Rameaus
Traite de Vharmonie (1722) entstehenden -> Harmonie-
lehre bis ins 19. Jh. verbunden. - Gegeniiber dem aus
vokalmusikalischer Tradition entworfenen, vom 2st.
C. f.-Satz ausgehenden Gradus ad Parnassum von Fux
(1725) war J. S.Bachs K.s-Lehrgang instrumentalmu-
sikalisch (»clavieristisch«), klanglich (»harmonisch«)
konzipiert: Nach dem Zeugnis seiner Schiiler (Kirn-
berger, C. Ph. E.Bach, der Forkel berichtete) begann
Bachs K.s-Unterricht mit dem Spielen und Aussetzen
des Generalbasses (nach Niedts Handleitung, Spitta II,
S. 597ff.) und der 4st. Harmonisierung von Choralme-
lodien; erst auf dicscr Basis des vollstimmigen Akkord-
satzes erfolgte die Unterweisung in jenen K.s-Arten,
denen Bachs Lehrwerke (namentlich Inventionen, Wohl-
temperiertes Klavier und Kunst der Fuge) als Muster die-
nen. DaB Bach seiner Lehre den protestantischen Cho-
ral zugrunde legte, beleuchtet das fiir den Reichtum
seines Tonsatzes bezeichnende Sich-Durchdringen des
modalen (kirchentonalen) und des dur-moll-tonalen
Systems der Ton- und Klanggeltung (Beispiel: O
Haupt uoll Blut und Wunden) . Und wenn C. Ph. E. Bach
die Grundsatze des Vaters »antirameauisch« nennt, so
mag damit generell Rameaus vereinfachendes Zuriick-
fiihren der Harmonik und Stimmfiihrung auf jene
principes naturels gemeint sein, die freilich in der Folge-
zeit maBgebend wurden.
In der Vorklassik (-» Mannheimer Schule, ->• Wiener
Schule - 1 ; C. Ph. E. Bach, J. Chr. Bach) wurde das Sy-
stem des Geltenden zu Grundprinzipien einer wesenhaf t
instrumentalmusikalischen Tonsprache hin verwan-
delt, die dann in der Klassik eine »Norm« darstellen:
klare Kadenz-(Funktions-) Harmonik, (tanz)liedhaftes
Singen der Melodie, ausgepragte Takt- und Taktgrup-
penmetrik in Form von Satzgliedern (Einzeltakt, Takt-
gruppe, Halbsatz, Periode), die - in Verbindung mit
der Dynamik und im Wechsel mit (oft sequenzieren-
den und modulierenden) »Entwicklungs«-Partien -
nach dem Prinzip des Aufstellens und Beantwortens
miteinander korrespondieren (-* Symmetrie) und als
bestandiges (abgestuftes) Endigen und Neuanfangen
das Kontrastieren ermoglichen. Die Form dieses Gel-
tenden, in welchem das spezifisch Menschhche (zu-
nachst ebenfalls noch durch Konvention genormt) sich
ins Spiel bringt, ist vor allem die -»• Sonatensatzform
und der Sonaten-Satzzyklus (mit Lied-, Variations- und
Rondoformen) und speziell das -*• Menuett, das als
Tanzliedtypus jene kompositorischen Grundprinzipien
bietet und fordert und dessen Stellung im K.s-Unter-
richt der Mozart-Zeit etwa derjenigen des Chorals in
Bachs K.s-Lehrgang zu vergleichen ist. Die wichtig-
sten K.s-Lehren des spateren 18. Jh., Riepel (1752) und
H. Chr. Koch (1782-93), stellen die Taktgruppenmetrik
des -»■ Satzes in den Vordergrund, exemplifizieren sie
vorzugsweise an Tanzsatzen (besonders Menuetten),
erklaren die Normalf alle und kodifizieren die Abwei-
chungen. Doch die Wiener -*■ Klassik beginnt dort,
wo auf der Grundlage des Normativen die K. als ein-
maliger Fall verwirklicht, das spezifisch Menschhche
zum individuell Menschlichen gesteigert wird, wie
z. B. schon im Trio von Mozarts Menuett K.-V. 65a
(Nr 4) von 1769, wo - bei Ruckgriff
auf s erste Taktmotiv des Menuetts
das Taktmetrum (' « ^) durch Be-
tonungskeil, Uberbindung und wechselnde Phrasie-
rung »Leben« erhalt, um im Nachsatz um so deutlicher
als das Normgebende hervorzutreten:
iff 4 , ?t f-y-f-
$=3==H=£
M
/
•>■■]}> r 1 1 ^^
m
^
^
^
rrr j | r t -.
^m
^m
Das Komponieren als Umgehen mit dem Normativen
(im Sinne des Abweichens, Eingreifens, Durchbre-
chens) steigert die Wiener Klassik zu hochster Subtili-
t'at in Symphonie, Sonate, Konzert, Oper und Kirchen-
musik, Fantasie und Fuge, besonders im -»■ Streich-
quartett. Dabei bereichert sie die K.s-Kunst dutch Aus-
bildung des -> Obhgaten Akkompagnements, der
-> Durchbrochenen und der -*■ Thematischen Arbeit,
der -> Durchfiihrungs-Technik, des Ableitungs- und
Variationsverfahrens der Motive, Themen und Satze
so wie generell durch Ankniipf en an das lebenswirkliche
Agieren der Opera buff a, Einbeziehen der Wiener kon-
trapunktischen Schultradition undLernen an J. S.Bach.
Mittelpunkt und Inhalt der klassischen Kunst ist der
Mensch in seiner Lebendigkeit und Individualitat, Frei-
heit (durch Bindung) und durchgeistigten Schonheit.
DaB das spezifisch Menschhche in Form des liedhaften
Singens, des Sich-Bewegens im Takt und des korre-
spondierenden »Aufstellens und Beantwortens« den
normgebenden Prinzipien als solchen schon innewohnt,
ermoglichte die volhge Einigung von Meinen (Inhalt)
und Erscheinen (Form) der K. und somit die immer
wieder bewunderte »Reinheit« dieser Musik, die in
dem Sinne rein ist, dafi ihr - in Erfiillung des der Mu-
sik wesentlichen Unbegrifflichen und Ungegenstand-
lichen - kein vom Komponisten beabsichtigter begriff-
licher Inhalt eingestaltet zu sein braucht.
Die Geschichte der K. im 19. Jh. kann beschrieben wer-
den als bestandige Auseinandersetzung mit der Wiener
Klassik (und zunehmend mit der -> Geschichte der
Musik iiberhaupt), einerseits als bewuBtes Ankniipf en
476
Komposition
und Weiterfiihren (Mendelssohn, Schumann, Brahms,
Reger), andererseits als erklarter Wille zum Neuen
(Berlioz, ->■ Neudeutsche Schule, ->■ Zukvinftsmusik).
Konservativismus und Fortschrittsfanatismus bildeten
eine jener Antithesen, die das 19. Jh. kennzeichnen
und die in Erscheinung traten z. B. auch als Gegensatz
der Qualitat (Epigonentum und totales Vergessen-
werden - hochste Genialitat und geschichdiche Rele-
vanz), alsWiderstreit sozialgeschichtlicher Gegebenhei-
ten (Kiinstler-Publikum; Bourgeoisie-Masse; Haus-
lichkeit-Offentlichkeit) und als Kontraste der GroBen-
ordnung: einerseits biedermeierliche Geniigsamkeit und
»schone Gemiitlichkeit« (Schumann 1840), das extrem
Kleine als -> Charakterstiick, ->• Salonmusik, -»■ Haus-
musik, auch etwa in Schumanns K.en »£iir die Jugend«
(op. 68 und 79 mit Titelblattern von L.Richter), an-
dererseits das Phantastische und Gigantische, das ex-
trem GroBe in Musikdrama, Symphonie, auch etwa als
->■ Pestmusik. - Kompositorisch erscheint der antithe-
tische Grundzug der Musik des 19. Jh. vor allem im
Auseinanderbrechen der klassischen Einigung von Mei-
nen und Erscheinen in die Dualitit von »Inhalt« (-> Aus-
druck) und »Form« (-»• Absolute Musik). Das Abstra-
hieren der Form (auch als -*■ Formenlehre) bedeutete
die Isolation des Inhalts, der, von der musikalischen
-*■ Romantik vielfaltig begrifflich umschrieben und
»gewollt«, zu einer die K. motivierenden Instanz erho-
ben wurde und als solche die »Reinheit« (Gegenstands-
und Begriffslosigkeit, Absolutheit) der Musik in Frage
zu stellen begann. Mit Beethoven entstand eine Kunst,
die mit einet gewissen Betonung iibet sich selbst hinausweist
(im Sinne von willensmiifiiger Anspannung, Tugendim-
puls, Kraftausbriichen), so daB wit bei Beethoven mit det
tein musikalischen . . . Anschauung nicht auskommen
(Handschin 1948, S. 349ff.). Weithin im 19. Jh. ist ein
von auBen her Kommendes, inhaltlich Beabsichtigtes,
das Bewegende der stonend bewegten Form«. Es hat
die Namen: Programm (-> Programmusik) ; oder das
biographisch faBbare, in der Intimsphare beheimatete
Erleben (Berlioz plante seine Symphonie fantastique als
ein Werk, oil le developpement de mon infemale passion
doit ette peint; Lettres intimes, hrsg. von Ch. Gounod,
Paris 1882, S. 63) ; oder das Beeindrucken undSchockie-
ren (Berlioz' Huit scenes de Faust sollten epouvantet le
tnonde musical; ebenda S. 30); oder Menschheitsrevolu-
tion (Wagners »vollkommenes Kunstwerk« ist ihm Vor-
bereitung und Ausdruck der vollkommenen mensch-
lichen Gesellschaft, die an die Stelle der Unfdhigkeit
unsetet ftivolen Kultut zu treten hat; Das Kunstwetk det
Zukunft, 1850); oder »Todesverkiindigung«, »Erge-
bung«, »Verklarung« (Bruckner iiber seine 8. Sympho-
nie am 27. 1. 1891) ; oder Sehnsucht nach der Natur als
dem Unverdorbenen und Heilen (Mahler am 18. 2.
1896 iiber seine Musik: Sie ist immet und ubetall nut Na-
tutlaut!). Det Rifi etfolgt von dtitbenjenseits det eigenen Be-
wegung det Musik. In sie witd eingegtiffen (Adorno, Mah-
let ..., 1960, S. 11, im Hinblick auf Mahlers 1. Sym-
phonie, 1. Satz, Partitur S. 35). Am feinsinnigsten und
musikalischsten ist das die Musik Bewegende im 19.
Jh. durch den Begriff des »Poetischen« bezeichnet, der
auch im Wort »Tondichter« angesprochen ist (er habe
gedichtet, odet wie man sagt komponitt, schrieb Beethoven
an Nanette Streicher, 30. 7. 1817). . , , eine neue poeti-
sche Zeit votzubeteiten, beschleunigen zu helfen, gehorte
zu Schumanns Zielen seiner Neuen Zeitschrift fiir Mu-
sik (zur Eroffnung des Jahrganges 1835). Der Ausdruck
der K. ist um so »poetischer«, je meht . . . det Musik vet-
wandte Elemente die mit den Tonen erzeugten Gedanken
odet Gebilde in sich ttagen (Schumann, Rezension von
Berlioz' Symphonie phantastique, 1835). Das Dichteri-
sche der Musik beruht auf Analogien und Assoziatio-
nen und ist s. v. w. das Musikalische der Dichtung
bzw. das am Gegenstandlichen kunstlerisch verdichtete
Gef iihls- oder Stimmungsmoment : eine Ftuhlingsddm-
metung oder das Bild eines Schmettetlings, det auf einem
Blatte am Bache mit fottschwimmt. Das Poetische ist die
Kraft, die die scheinbate Fotmlosigkeit rechtfertigt und
die Musik von der Vorder- und Nachsatzentsprechung
und vom Gesetz det Taktschwete befreit, so daB sie sich
zu einet hbheten poetischen Intetpunktion (wie ... in det
Ptosajean Pauls) selbstandig [zu] etheben scheint (Schu-
mann, ebenda) . - Damit ist der kompositionsgeschicht-
liche ProzeB des 19. Jh. angedeutet, der zur Musik des
20. Jh. fiihrte. Das die K. Motivierende (das inhaltlich
Beabsichtigte) war die eigentlich geschichtliche Kraft;
. . . aufietmusikalische Tendenzen . . . waten die Utsachen
von Vetandetungen in alien Etscheinungsfotmen det musi-
kalischen Substanz (Schonberg 1957, S. 74). Indem die-
se Tendenzen harmonisch, melodisch, metrisch das
System des Geltenden zu den Grenzen der Tonalitat
hin zu verwandeln, die uberkommenen Formen zu
sprengen und neue, je individuelle und darum von ih-
rem inhaltlichen Moment nicht mehr abstrahierbare
Formungen zu bilden vermochten, hoben sie den
Form/Inhalt-Dualismus wieder auf und fiihrten die
Musik zu neuer Reinheit in sich selbst. Diese neue Ab-
solutheit der Musik brach als -»■ Neue Musik am deut-
lichsten in der -> Atonalitat und Expressivitat der
-> Wiener Schule (- 2) hervor : die Materialitat der Mu-
sik erlangt erneut Autonomic; Inhalte werden sprach-
lich unformulierbar; das Komponieren selbst verab-
solutiert sich in dem MaBe, wie Stil-, Gattungs- und
Formkategorien sekundar werden und der komposi-
torische ProzeB in die »Materialerstellung« einriickt
(->• Serielle Musik, -* Elektronische Musik, -»■ Mu-
sique concrete) ; Form entsteht (wie ihr »Inhalt«) jedes-
mal neu, oder sie wird dem Mitspielen des Zufalls
(->• Aleatorik) preisgegeben. Das musikahsche Material
ist nicht mehr durch Selektionsprozesse beschrankt
und durch ein System des Geltenden pradeterminiert,
sondern strebt nach Unbegrenztheit, die (von Fall zu
Fall) kompositorisch begrenzt werden muB. K. wurde
seit Schonberg, Berg und Webern somit auch in dem
Sinne »total«, daB sie sich der Formulierbarkeit von
Regeln zu entziehen schien und sowohl die Komponisten
als auch die Zuhotet nut aufihten Instinkt angewiesen sind
(Bartok 1920). Wetwagthiet Theotie zufotdetn! (Schon-
berg, SchluBsatz seiner Harmonielehte, 1911). - Doch
gerade die Versuche theoretischen Durchdringens der
Musik der Wiener Schule (besonders der K.en We-
berns) stehen im Hintergrund der Seriellen Musik, de-
ren Exponenten nicht nur Merkmale des Tones (Quali-
tat, Hohe, Farbe usw.), sondern auch die Eigenschaften
des Tonsatzes (Gefiige, Dichte, Gruppierung usw.)
pradeterminieren. Die Begrenzung der unbegrenzten
Materialitat (die Klarstellung des Geltenden) geschieht
hier nicht mehr eigentlich kompositorisch als Setzen
von Tonen, sondern die K. gehorcht dem Plan, der
sie steuert. Das Problem der Neuen Musik nach 1950
scheint das Horproblem zu sein, namlich die Erschei-
nung, daB in der Musik das Ausdenken wesentlichet
witd als das Ausfiihten und Anhbren (Kf enek 1955, S. 35).
Doch das wird vorubergehen.
Die groBen Lehrbucher der K. von Momigny (1803-
06), A.Reicha (ab 1818), G.Weber (1817-21), Logier
(1827), A.B.Marx (1837-47), Lobe (1850-67), Sechter
(1853-54), Prout (in Einzeldarstellungen ab 1876), Ja-
dassohn (1883-89), d'Indy (ab 1903) verbinden in stu-
fenweisem Aufbau die aus Klassik und Barock abstra-
hierten Lehrgegenstande : Harmonielehre (mit Melo-
dielehre und Satzbau; kleinere Formen), Kontrapunkt
(mit Kanon und Fuge), Formen- und Instrumentations-
477
Komposition
lehre (zusammengesetzte Formen, Stilarten, Gattun-
gen, Orchestersatz, Ensemblesatz) . Dabei f iihrt der Weg
von der »reinen« zur »angewandten« K. (Marx), vom
»reinen Satz« zur »freien K.« (Jadassohn), von der »mu-
sikalischen Zeichnung« (Formgebung) zur »musikali-
schen Farbengebung und speziellen Charakteristik«
(Riemann, Vorwort 1913, S. V) und stellt die Analyse
von Beispielen aus der Geschichte in den Mittelpunkt.
Die Tradition der K.s-Lehre des 19. Jh. brachte H.Rie-
manns Grofie Kompositionskhre (1902-13) zu einem ab-
schlieBenden Hohepunkt. Seine Vorganger sind vor
allem H.Chr.Koch (Periodenbau), Momigny (»Takt-
moriv«- und Phrasierungslehre, wobei manche, speziell
metrische Einsicht dem Systemzwang Riemanns zum
Opfer fiel), G.Weber (Funktionsbezeichnungen) und
Marx (Anlage der K.s-Lehre). Riemanns Lehre setzte
sich zum Ziel, das Bleibende in der Erscheinungen Wechsel
seiner ewigen Bedeutung nach zum Bewufitsein zu bringen:
die innere Gesetzmafiigkeit, die zwingende Logik, welche
alles Kunstschaffen alter Zeiten beherrscht (Vorwort 1913,
S. VII). Und es kennzeichnet die Situation, wenn Rie-
mann 1913 urteilt, dafi das Neue an dem Neuesten . . .
sich in absichtlichen Gegensatz zu dem durch hartes Ringen
von Jahrhunderten erreichten Normativen setzt, dafi es eben
darum sich einer systematischen Darstellung entzieht und
nicht Gegenstand einer schulmdfiigen Lehre sein kann (eben-
da). Gleichwohl bleibt es gultig fur den Lernenden,
- ob er an Schonberg oder Hindemiths Lehrwerk an-
kniipft, ob er sich Bartok oder Strawinsky zum Vor-
bild wahlt oder ob er auf der Basis der Zwolftontech-
nik und Seriellen Musik neue Wege sucht - : daB er die
Kunst weiterfuhren soil, ausgeriistet mit dem Konnen derer,
die vor ihm schufen (Riemann 1902, S. 2).
Bibliogr.: — > Kontrapunkt, — >Musica poetica, — >Harmo-
nielehre, — » Formenlehre, — > Zwolftontechnik, — > Elektro-
nische Musik, — » Serielle Musik, — » Theorie d. Musik. -
Im f olgenden gilt d. Abk. C. fur d. altere deutsche sowie fur
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Der allezeit fertige Polonoisen- u. Menuetten-Componisl
478
Komposition
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NY 1947; B. Bartok, Das Problem d. neuen Musik, Melos
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Musik (Gesammelte Aufsatze), Bin 1923, NA (revidiert u.
erganzt) hrsg. v. J. Herrmann als: Wesen u. Einheit d. Mu-
sik, = Hesse's Hdb. d. Musik LXXVI, Bin 1956; Kn.
Jeppesen, Palestrinastil ..., Kopenhagen 1923, deutsch
als: Der Palestrinastil u. d. Dissonanz, Lpz. 1925, engl.
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Grues, E. Kruttge u. E. Thalheimer, Koln 1925, NA in:
H. H. Stuckenschmidt, Neue Musik, = Zwischen d. beiden
479
Komposition
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Universal Ed., Wien 1925; H. Erpf, Studien zur Harmo-
nie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 1927; J. Geh-
rino, Grundprinzipien d. mus. Gestaltung, = Slg mw.
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Psychologie d. mus. K., = Musikpsychologische Studien
III, Lpz. 1928; J. Bahle, Zur Psychologie d. mus. Gestal-
tens . . ., Arch. f. d. gesamte Psychologie LXXIV, 1930,
auch separat Lpz. 1930; ders., Der mus. SchaffensprozeB,
Lpz. 1936; ders., Eingebung u. Tat im mus. Schaffen, Lpz.
1939; A. Schonberg, Zur Kompositionslehre, Mk XXIII,
1930/3 1 ; P. Goetschius, The Structure of Music . . . Origin
and Employment of the Fundamental Factors of Music C,
Philadelphia (1934); C.De Sanctis, La polifonia nell'arte
moderna spiegata secondo i principi classici, 3 Bde, Mai-
land 1934; H. Vater, Mus. Produktion, Arch. f. d. gesam-
te Psychologie XC, 1934, separat Lpz. 1934; R. O. Morris,
The Structure of Music, Oxford 1935 ; H. W. v. Walters-
hausen, Erfindung u. Gestaltung d. dramatischen Musik,
in: Hone Schule d. Musik I, hrsg. v. J. Miiller-Blattau,
Potsdam (1935); W. Twittenhoff, Die musiktheoreti-
schen Schrif ten J. Riepels . . . , = Beitr. zur Musikfor-
schung II, Bin 1935; Fr. Brandt, Wie entsteht eine K.?,
Diisseldorf 1936; W. Fortner, Musiklehre u. Komposi-
tionsunterricht, in: Deutsche Musikkultur I, 1936; ders.,
K. als Unterricht, AfMw XVI, 1959; H. L. Denecke, Die
Kompositionslehre H. Riemanns, Diss. Kiel 1937; A.
Gastoue, Un ms. inconnu : un cours de c. de Gounod, Rev.
de Musicol. XXIII, 1939; H. Pfitzner, Uber mus. Inspi-
ration, Bin 1940,41943, dazu: J. Bahle, H. Pfitzner u. d.
geniale Mensch, Konstanz 1949; A. I. MacHose, The
Contrapunctal Harmonic Technique of the 18 th Cent.,
NY (1947); J. Handschin, Mg. im Uberblick, Luzern
(1948), 2 1964; Fr. Martin, Die Verantwortung d. Kom-
ponisten, in: Stimmen I, 1948; L. Dallapiccola, Kom-
positionsunterricht u. Neue Musik, Melos XVI, 1 949 ; J. P.
Thilmann, Probleme d. neuen Polyphonie, Dresden 1949;
E. T. Ferand, »Sodaine and Unexpected« Music in the
Renaissance, MQ XXXVII, 1951 ; ders., Improvvisazioni
e c. polifoniche, RMI LIV, 1952; H. W. Zimmermann,
Neue Musik im Kompositionsunterricht, Musik im Un-
terricht (allgemeine Ausg.) XLII, 1951; R. F. Brauner,
Aus d. Werkstatt d. Komponisten, Wien 1952; P. Hinde-
mith, A Composer's World: Horizons and Limitations,
Cambridge (Mass.) 1952, deutsch als: Komponist in sei-
ner Welt, Freiburg i. Br. u. Zurich 1959; ders., Krafte u.
Verlauf d. mus. K., Universitas VII, 1952; W. Gurlitt,
Die Kompositionslehre d. deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.-
Ber.Bamberg 1953, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I,
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966; B. Blacher, Die mus. K.
unter d. EinfluB d. technischen Entwicklung d. Musik, in:
Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin (1955);
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F. E. Niedt, J. Riepel u. H. Chr. Koch, Diss. Heidelberg
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Kompositionslehre d. fruhen 16. Jh., KmJb XL, 1956;
ders., Musica poetica u. mus. Poesie, AfMw XXIII.1966;
G . P. S. jACOB.The Composer and His Art, London 1 956; L.
Dallin, Techniques of Twentieth Cent. C., Dubuque (la.)
1957; A. Palm, J.-J. de Momigny (1762-1842), Leben u.
Werk, Diss. Tubingen 1957, maschr. ; B. Schaffer, Nowa
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(»Neue Musik. Probleme d. neuen Kompositionstechnik«),
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P. Benary, Die deutsche Kompositionslehre d. 18. Jh.,
= Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961; E.
Apfel, Uber d. Verhaltnis v. Musiktheorie u. Kompo-
sitionspraxis im spateren MA (etwa 1200-1500), Kgr.-Ber.
Kassel 1962; ders., Beitr. zu einer Gesch. d. Satztechnik v.
d. fruhen Motette bis Bach, 2 Bde, Munchen 1964-65; R.
Stephan, Horprobleme serieller Musik, in: Der Wandel
d. mus. Horens, hrsg. v. S. Borris, = Veroff. d. Inst, f . Neue
Musik u. Musikerziehung Darmstadt III, Bin (1962); P.
Boulez, Musikdenken heute 1, = Darmstadter Beitr. zur
Neuen Musik V, Mainz (1963); Fr. Neumann, Das Ver-
haltnis v. Melodie u. Harmonie im dur-moll-tonalen Ton-
satz, insbesondere bei J. S. Bach, Mf XVI, 1963; K. Stock-
hausen, Texte zurelektronischen u. instr. Musikl. Auf satze
. . . zur Theorie d. Komponierens, Koln 1 963. HHE
Konkordanz. C.Stumpf verwendet die Ausdriicke
K. und Diskordanz (von lat. -> concordantia/discor-
dantia), um den Konsonanz- und Dissonanzbegriff der
Funktionstheorie (-»■ Funktionsbezeichnung) von dem
der Tonpsychologie zu unterscheiden. Der Zusammen-
klang e-g-h, tonpsychologisch eine Konsonanz, bildet
als Durchgangsakkord zwischen C dur- und F dur-
Dreiklang funktional eine Diskordanz. 1st die Konso-
nanz in der Tonempfindung begriindet, so ist die K.
eine Sache der Auffassung und des beziehenden Denkens.
Lit. : C. Stumpf, Konsonanz u. K., in : Beitr. zur Akustik u.
Mw. VI, Lpz. 1911; ders., Konsonanz u. K., Zs. f. Psycho-
logie LVIII, 1911 ; R. Munnich, K. u. Diskordanz, ZIMG
XIII, 191 1/12 ; H. Riemann, Stumpf's »K. u. Diskordanz«,
ebenda; R. Hohenemser, Uber K. u. Diskordanz, Zs. f.
Psychologie LXXII, 1914/15.
Konservatorium (ital. conservatorio; frz. conserva-
toire; engl. conservatory), in Deutschland die bedeu-
tenden Institute auch Hochschule fiir Musik, wer-
den groBere Musikschulen genannt, in denen die Schii-
ler in Komposition, in alien Instrumentalfachern (auch
Volksmusikinstrumente), in Dirigieren, Gesang (auch
Opemensembleklassen), in musikpadagogischen Fa-
chern (-> Schulmusik, -» Privatmusikerziehung), auch
in Kirchenmusik (Orgel) ausgebildet und Diplome
bzw. staatliche Zeugnisse erlangen konnen. - K. (lat.
conservare, erhalten, verwahren) bezeichnete urspriing-
lich in Italien eine »Bewahranstalt« (Waisenhaus, Pfle-
geheim), in der musikalisch begabte Waisenkinder
Musikunterricht erhielten, anfangs besonders um den
Nachwuchs fiir die Kirchenchore, seit dem 17. Jh.
auch um junge Krafte fiir die Opemunternehmen her-
anzubilden. Die ersten Griindungen solcher Anstalten
gehen in das 16. Jh. zuriick, so das Conservatorio Santa
Maria di Loreto in Neapel (1537). Friihe Griindungen
von Musikschulen auBerhalb Italiens sind u. a. die Ecole
Roy ale de Chant et de Declamation in Paris (1784; vor
allem fiir den Opernnachwuchs bestimmt), das K. in
Prag (1811) und das K. der Gesellschaft der Musik-
freunde in Wien, letzteres als Singschule von A. Salieri
1817 gegriindet. In Deutschland gilt als eine der ersten
Musikschulen die Theater- und Musikabteilung, die
um 1775 der Hohen Carls-Schule in Stuttgart ange-
schlossen wurde. An ihr und an der 1772 gegriindeten
Ecole des demoiselles wurde der Nachwuchs fiir Hof-
kapelle, Theater und Ballett des Herzogs Carl Eugen
von Wiirttemberg herangebildet. Nach der 1804 durch
Zelter in Berlin errichteten Ordentlichen Singschule
nach Art der italienischen Konservatorien erfolgte
1822, ebenfalls durch Zelter, die Griindung des Konig-
lichen Instituts fiir Kirchenmusik, seit 1922 Staatliche
Akademie fiir Kirchen- und Schulmusik und von 1933-
1945 Hochschule fiir Musikerziehung genannt, dann
der Hochschule fiir Musik eingegliedert, mit den Di-
rektoren K. Fr. Zelter (1822-32), A. W. Bach (1832-69),
A.Haupt (1869-91), R.Radecke (1892-1907), H.
Kretzschmar (1907-22), C. Thiel (1922-27), H.J. Moser
(1927-33) und E.Bieder (1934-45). Die Heranziehung
vieler hervorragender Lehrer begrundete den hohen
Rang dieser Schule, so auch bei dem schon 1810 ge-
griindeten Akademischen Institut fiir Kirchenmusik
in Breslau (ab 1929 Institut fiir Schul- und Kirchenmu-
sik, spater Hochschulinstitut fiir Musikerziehung). Die
Griindung einer Koniglichen Hochschule fiir Musik in
Berlin erfolgte 1869, nachdem die Errichtung einer
Hochschule unter Mendelssohn 1840 an der Uneinig-
keit der zustandigen Stellen gescheitert war. J.Joachim,
der erste Direktor (1869-1907), verstand es, durch die
Berufung vorziiglicher Lehrkrafte die neue Institution
schnell zu groBer Bedeutung zu fiihren. Den Unter-
richtsklassen fiir Tasten-, Streich-, Blasinstrumente und
480
Konservatorium (Deutschland)
Gesang wurde 1925 ein Seminar fiir Musikerziehung
und eine staatliche Schauspielschule angegliedert. Jahr-
zehntelang nahm unter alien deutschen Konservatorien
das von Mendelssohn gegriindete K. zu Leipzig die er-
ste Stelle ein (eroffnet 1843, ab 1876 Konigliches K., seit
1927 Landes-K., seit 1941 Staatliche Hochschule, nach
1945 mit dem Zusatz Mendelssohn- Akademie). Hier
wirkten als Lehrer u. a. F.Mendelssohn Bartholdy, R.
Schumann, Ferd. David, M.Hauptmann, E.F.Richter,
Ferd.Hiller, N.W.Gade, J.Moscheles, J.Rietz, K.Rei-
necke, Fr.Brendel, S.Jadassohn, H. Kretzschmar, G.
Schreck, M. Reger, H. Sitt, A. Nikisch, K. Straube, C. A.
Martienssen, A. Schering, S. Karg-Elert, G. Ramin, Fr.
Reuter, H.Grabner, K.Thomas, G.Raphael, J.N.Da-
vid, G.Trexler.W. Weismann, F.Fr.Finke. - Den Na-
men Hochschule trug wohl als erstes dieser Institute die
1869 gegriindete Konigliche Hochschule fiir Musik in
Berlin. Heute bezeichnet Hochschule in Deutschland
in der Regel die ranghochsten Musikschulen, denen
allein die Ausbildung von Schulmusikern vorbehalten
ist (das Staatliche Hochschul-Institut in Mainz ist aus-
schlieBlich fiir die Ausbildung von Schulmusikern be-
stimmt). - Mit den Volks- und Jugendmusikschulen,
Konservatorien und Staatlichen Hochschulen ist eine
Schichtung der Lehrstatten gegeben, die mit ihren
progressiven Anspriichen den Nachwuchs fiir alle Be-
reiche des Musiklebens heranzuziehen bestimmt sind.
Einigen der Institute ist eine Tonmeister- oder Ton-
ingenieurschule angeschlossen (eine Tontechnikerschu-
le befindet sich in Niirnberg, seit 1964 der Schule fiir
Rundfunktechnik angegliedert). Der deutschen Be-
zeichnung Hochschule entsprechen im Ausland die
Namen K., -»■ Akademie oder College. Eine nicht un-
bedeutende Rolle in der heutigen Musikerausbildung
kommt den Ferien- und Meisterkursen zu, in denen
international anerkannte Kiinstler und Wissenschaftler
fiir die Dauer von einigen Wochen Kurse in ihrem
Fachgebiet abhalten. - Seit 1953 besteht ein Verband,
der die europaischen K.s-Direktoren in regelmaBigen
Kongressen zur Erorterung von Problemen der Mu-
sikausbildung zusammenfiihrt, anfangs als Internatio-
nale Vereinigung der Direktoren der europaischen
Musikhochschulen, Akademien und Konservatorien,
seit 1956 als Association Europeenne des Academies,
Conservatoires et Musikhochschulen.
In der folgenden Aufstellung erscheint eine Auswahl euro-
paischer und nordamerikanischer Institute mit Namen,
Grundungsjahr und Griinder; die ursprunglichen Namen
und die Daten der erfolgten Umwandlungen stehen in ( ) ;
es folgen die Namen bekannter bzw. gegenwartiger Direk-
toren mit Wirkungsdaten. Schulen ohne den Vermerk pri-
vat (priv.) sind staatlich bzw. stadtisch, was teils auch aus
dem Titel (Stadtisch bzw. Staatl.) hervorgeht (KM = Kir-
chenmusikschule). Alle fremdsprachlichen Formen des
Wortes K. sind im folgenden mit C. oder K. abgekiirzt.
Belgien.
Antwerpen, Koninklijk Vlaams Muziekc., 1898 v. P.
Benoit. Ders. (1898-1901), Fl. Peeters (1952-). Lit.: A. L.
M. Corbet, Het Koninklijk Vlaamsch C, A. 1941.
BrCssel, C. Royal de Musique, 1832. Fr.-J. Fetis (1833-
71), Fr.-A. Gevaert (1871-1908), E. Tinel (1908-12), M.
Poot (1949-). Lit.: Annuaire du C. Royal de Musique de
Br., 1877ff.; E. Mailly, Les origines du C. Royal de Mu-
sique de Br., Br. 1879.
Danemark.
Kopenhagen, Det Kongelige Danske Musikk., 1867 v. P.
W. Moldenhauer (Kjobenhavns Musikk. -1902). N. W.
Gade mit J. P. E. Hartmann u. H. S. Paulli (1867-90 bzw.
1900), Kn. Riisager (1956-). Lit.: S. Berg, Det Kongelige
Danske Musikk. 1917-55, K. 1959.
Deutschland.
Aachen, Gregoriushaus - KM, K., Musikseminar, 1881
v. H. Bockeler. Ders. (1881-90), H. Freistedt (1940-).
Berlin, Hochschule f. Musik, 1869 v. J. Joachim. Ders.
(1869-1907), H. Kretzschmar (1909-20), Fr. Schreker
(1920-32), G. Schunemann (1932-33), Fr. Stein (1933-45),
P. Hoffer (1948-49), W. Egk (1950-53), B. Blacher (1953-).
Lit.: Fr. W. Langhans, Die Konigliche Hochschule f. Mu-
sik zu Bin, Lpz. 1873; S. Borris, Hochschule f. Musik,
= Bln, Gestalt u. Geist III, Bin (1964). - Stadtisches K.,
1850 v. J. Stern (Stern'sches K. -1936, K. d. Reichshaupt-
stadt -1945). Ders. (1850-83), G. Hollander (1895-1915),
H. Tiessen (1945-49), H. J. Moser (1950-60), K. Westphal
(1962-). Lit.: W. Klatte u. L. Misch, Das Sternsche K. d.
Musik zu Bin 1850-1925, Bin 1926. - Berliner KM, 1928 v.
F. Reusch. Ders. (1928-29), G. Schwarz (1929-35), G.
Grote (1935-55), H.-M. Schneidt (1955-63), H. W. Zim-
mermann (1963-). Lit.: Fs. zur Feier d. lOOjahrigen Be-
stehens d. staatl. akademischen Inst. f. KM 1822-1922,
hrsg. v. M. Schipke, Bin 1922. - Deutsche Hochschule f.
Musik »Hanns Eisler«, 1950 v. G. Knepler. Ders. (1950-
59), E. Rebling (1959-). - Braunschweig, Niedersachsi-
sche Musikschule, 1939 (Staatsmusikschule -1962). G.
Bittrich (1939-44), H. Kiihl (1955-). - Breslau (bis 1945),
Schlesische Landesmusikschule, 1880 (Schlesisches K.
-1936). A. Fischer (1880-93), H.Boell(1936-45).-Ev.KM
d. Provinz Schlesien, 1927. O. Burkert (1927-45). Fortfuh-
rung dieser KM in Gorlitz.
Danzig, D.er K. u. Musikseminar, 1900 v. L. Heidings-
feld. Ders. (1900-20), H. Sommerfeld (1927^*5). - Rie-
mann-K., 1906 v. C. Adami u. P. Wermbter. P. Wermbter
(1912-33). - Darmstadt, Stadtische Akad. f. Tonkunst,
1851 v. Ph. Schmitt. Ders. (1851-1909), W. Kolneder
(1959-65), G. Meyer-Sichting (1965-). - Detmold, Nord-
westdeutsche Musikakad., 1946. W. Maler (1946-59), M.
Stephani (1959-). - Dresden, Staatl. Hochschule f. Musik,
1 856 v. F. Trostler (Konigliches C. -1918, K. d. Stadt 1937-
52). C. G. Reissiger (1856-59), J. Rietz (1860-77), Fr.
Wullner (1877-84), F. Fr. Finke (1946-51), K. Laux(1952-
63), H.-G. Uszkoreit (1 963-). Lit. : E. ReuB, Zum 50jahrigen
Bestehen d. Koniglichen K. in Dr., ZIMG VII, 1905/06. -
Dusseldorf, R.-Schumann-K., 1902 v. J. Buths u. O.
Neitzel (Buths-Neitzel-K. -1935). J. Buhts (1902-20), J.
Neyses (1945-65), J. Baur (1965-). - Landes-KM d. Ev.
Kirche im Rheinland, 1949. G. Schwarz (1949-).
Essen, Folkwang-Hochschule Musik, Theater, Tanz, 1927
v. R. Schulz-Dornburg (Folkwangschule f. Musik, Tanz,
Schauspiel u. Sprechen -1963). Ders. (1927-32), H. Erpf
(1932-43), H. Dressel (1956-). - Esslingen, KM d. Ev.
Landeskirche in Wurttemberg, 1945. H. A. Metzger
(1945-).
Frankfurt am Main, Staatl. Hochschule f. Musik, 1878
v. J. P. J. Hoch (Dr. Hoch'sches K. -1938). J. Raff (1878-
82), B. Scholz (1882-1908), J. Knorr (1908-16), B. Sekles
(1923-33), H. Reutter (1936-45), Ph. Mohler (1958-). Lit.:
H. Hanau, Dr. Hoch's C. zu Ffm., Ffm. 1903. - Freiburg
im Breisgau, Staatl. Hochschule f. Musik, 1946. G. Scheck
(1946-64), C. Seemann (1964-).
Gorlitz, Ev. KM, 1947. E. Wenzel (1947-50), H. Schnei-
der (1951-63), R. Lammert (1964-).
Halle/Saale, Staatl. Hochschule f. Theater u. Musik,
1947. H. Stieber (1947-49), F. Bennedik (1949-53), A.
Hetschko (1953-55). - Ev. KM, 1926 v. D. Schottler (KM
Aschersleben-1939). J. Burger (1926-40), K. Fiebig (1941-
50), E. Wenzel (1951—). - Hamburg, Staatl. Hochschule f.
Musik, 1943 (Schule f. Musik u. Theater -1950). E. G.
Klussmann (1943-50), Ph. Jarnach (1950-59), W. Maler
(1959-). - Hannover, Staatl. Hochschule f. Musik u.
Theater, 1897 v. K. Leimer (Stadtisches K. -1957, Nieder-
sachsische Hochschule -1962). Ders. (1897-1935), F. Pro-
haska (1961—). - KM d. Ev.-Lutherischen Landeskirche,
1945. F. Meyer (1945-54), K. F. Miiller (1955-). - Heidel-
berg, Staatl. anerkannte Hochschule f. Musik u. Theater
u. K. d. Musik, 1894 v. O. Seelig (Stadtisches K. -1949).
Ders. (1894-1934), E. L. v. Knorr (1962-). - Ev. Kirchen-
mus. Inst., 193 1 v. H. M. Poppen. Ders. (193 1-56). H. Haag
(1956-). - Herford, Westfalische Landes-KM, 1948. W.
Ehmann (1948-).
Karlsruhe, Badische Hochschule f. Musik, 1884 (GroB-
herzogliches K. -1920, Badisches K. -1929). H. Orden-
stein (1884-1921), G. Nestler (1957-65), W. Kolneder
(1966-). - Kassel, Musikakad. d. Stadt, 1939. R. Gress
(1939-45 u. 1951-59), K. Herfurth (1959-). - Koln, Staatl.
Hochschule f. Musik, 1850 v. F. Hiller (Rheinische Musik-
31
481
Konservatorium (Finnland)
schule -1858, K. -1925). Ders. (1850-85), Fr. Wullner
(1885-1902), Fr. Steinbach (1902-14), H. Abendroth
(1915-34) mit W. Braunfels (1925-34 u. 1946-50), H. Mers-
mann (1947-57), H. Schroter (1957-).- Rheinische Musik-
schule, K. d. Stadt, 1850 (s. o., 1925 erfolgte die Trennung,
1962 Neugriindung). H. Abendroth u. W. Braunfels (1925-
34), H. W. Schmidt (1962-). Lit.: Fs. zur Feier d. Griin-
dung d. K.er K. im Jahre 1850 u. d. Staatl. Hochschule f.
Musik K. im Jahre 1925, K. (1940). - Konigsberg (bis
1945), K.f. Musik, 1881.
Leipzig, Staatl. Hochschule f. Musik, 1843 v. F. Mendels-
sohn Bartholdy (seit 1876 Konigliches K., Landesk. 1927-
41). Ders. (1843-47), C. Schleinitz (1847-81), R. Fischer
(1946-). Lit.: Fs. zum 75jahrigen Bestehen d. Koniglichen
K. d. Musik zu Lpz., Lpz. 1918; Landesk. d. MusikzuLpz.,
gegr. 1843, Lpz. 1937. - Lubeck, Schleswig-Holsteinische
Musikakad. u. Norddeutsche Orgelschule, 1933 (Staatsk.
-1950). H. Dressel (1934-35), J. Rohwer (1955-).
Mainz, Staatl. Hochschulinst. f. Musik, 1947. E. Laaff
(1947-). - P. Cornelius- K., 1880 v. P. Schumacher (P.
Schumachersches K. d. Musik -1920, Stadtische Musik-
hochschule u. K. -1937). Ders. (1880-91), H. Rosbaud
(1923-30), H. Gal (1930-33), L. Windsperger (1933-35),
G. Kehr (1953-61), O. Schmidtgen (1961-64), V. Hoff-
mann (1966—). - Mannheim, Stadtische Hochschule f. Mu-
sik u. Theater, 1899 v. W. Bopp (priv. -1933). Ders. (1899-
1907), R. Laugs (1951-). - Munchen, Staatl. Hochschule
f . Musik, 1 846 v. Fr. Hauser (K. -1 867, Konigliche Musik-
schule-1892, Akad. d. Tonkunst-1924). Ders. (1846-64),
H. v. Biilow (1867-69), Fr. Wullner (1869-77), J. Rhein-
berger (1877-1901), F. Mottl (1904-11), H. BuBmeyer
(1911-19), S. v. Hausegger (1920-34), J. Haas (1946-50),
R. Heger (1950-54), K. Holler (1954-). Lit.: Fs. zum50jah-
rigen Bestehen d. Akad. d. Tonkunst in M., 1874-1924, M.
1924. - R.-Strauss-K., 1927 v. J. Trapp (Trapp'sches K. d.
Musik-1962, K. d. Landeshauptstadt-1964). Ders. (1927-
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wuchs. Statistische Erhebungen 1960/61 d. Deutschen Mu-
sikrates, hrsg. v. H. Sass u. W. Wiora, Mainz (1962).
Konsonanten (von lat. consonare, mitklingen) sind
Sprachlaute, die durch Beruhrung der Zunge mit wei-
chem oder hartem Gaumen, den Zahnen oder durch
Beruhrung beider Lippen oder der Unterlippe mit den
Oberzahnen gebildet werden. Die K. unterteilen sich
in solche, die den Atemstrom unterbrechen (intermit-
tierende) oder weiterflieBen lassen (kontinuierliche),
auBerdem in solche, die iiberwiegend Gerauschcharak-
ter haben (stimmlose) oder bei denen Stimmlippen-
schwingungen beteiligt sind (stimmhafte). Bei den
stimmlosen VerschluBlauten setzt im Gegensatz zu den
stimmhaften die Stimmlippenschwingung erst nach
Sprengung des Verschlusses ein. Der Schwingungs-
vorgang bei den stimmhaften K. ist gegeniiber dem
bei den Vokalen nicht streng periodisch. Bei r kom-
men die Schwingungen der Zunge oder des Zapfchens
hinzu (20-40 Hz), die die Amplitude des in der Fre-
quenz der Stimmlippen schwingenden Luftstromes
modulieren. Die Bestimmung der Frequenzlage der
verschiedenen K.-Gerausche erfolgte zuerst durch
Suchtonanalysen (-*■ Frequenzanalyse), die zeitliche
Ausbildung der Frequenzkomponenten wurde durch
Oktavsiebanalysen erkannt. -*■ Aussprache, -*■ Vokale.
Lit.: C. Stumpf, Die Sprachlaute, Bin 1926; O. v. Essen,
Allgemeine u. angewandte Phonetik, Bin 1953, 3 1962; H.
Lullies, Physiologie d. Stimme u. Sprache, in: Lehrbuch
d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. Schutz,
Bin, GSttingen u. Heidelberg 1953; F. Trendelenburg,
Einfuhrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg
31961.
Konsonanz und Dissonanz (lat. consonantia und
dissonantia, griech. aufitpwvia und 8ia9«vta). - 1) K.
bedeutet »Zusammentonen«, D. »Auseinandertonen«.
Zwischen K. und D. besteht einerseits ein gradueller
Unterschied (die hohere K.- ist eine niedrigere D.-
Stufe und umgekehrt), andererseits eine spezifische
Differenz oder ein Gegensatz. Die K.-Grade sind ma-
thematisch, akustisch und tonpsychologisch bestimm-
bar. Mathematisch entspricht einem hbheren K.-Grad
ein einfacheres, einem niedrigeren ein komplizierteres
Zahlenverhaltnis ; die Proportionen 1 : 2 (Schwingungs-
frequenzen) oder 2:1 (Saitenlangen) reprasentieren die
Oktave, 2 : 3 die Quinte, 3 : 4 die Quarte, 4 : 5 die grofie
und 5 : 6 die kleine Terz. Die Tonverwandtschaf t in der
Aufeinanderfolge ist der K. im Zusammenklang zwar
im allgemeinen, aber nicht immer analog; der Ganz-
ton, simultan eine D., begriindet als Sukzessivintervall
eine nahe Tonverwandtschaft. Die spezifische Diffe-
renz zwischen K. und D. ist einerseits durch die Ab-
stufung in K.-Grade fundiert, erscheint andererseits
aber als Sache der Aujfassung und des beziehenden Den-
kens (C. Stumpf); die Quarte bildet trotz ihres hohen
K.-Grades im Kontrapunkt seit dem 14. Jh. eine D. Ist
der graduelle Unterschied von Natur gegeben, so ist
der spezifische geschichtlich, in der Struktur des Ton-
systems und der Technik der Mehrstimmigkeit, be-
griindet. Eine K. ist im mehrstimmigen Satz ein selb-
standiger, eine D. ein abhangiger Zusammenklang.
484
Konsonanz und Dissonanz
Der dissonierende Ton muB entweder in einen konso-
nierenden aufgelost oder als »harmoniefremder« Zu-
satz aufgefaBt werden; wird keine der Bedingungen
erfullt, so ist die spezifische (nicht die graduelle) Diffe-
renz zwischen K. und D. aufgehoben (Schonberg:
»Emanzipation der D.«). Im Tonsystem ist eine K. ein
konstitutives, eine D. ein abgeleitetes Intervall, also
eine indirekte K. (Guido von Arezzo bezeichnete
samtliche diatonischen Intervalle als consonantiae). Als
Difierenz zwischen Quarte und Quinte entsteht der
Ganzton, zwischen groBer Terz und Quarte der diato-
nische Halbton, zwischen kleiner und groBer Terz der
chromatische Halbton. Die Ableitung von den K.en
entscheidet iiber die Auswahl der musikalisch brauch-
baren D.en aus der unendlichen Menge moglicher
Tonabstande. Zwischen dem K.-Begriff der Satztech-
nik und dem des Tonsystems konnen Divergenzen be-
stehen; die Quarte, im Kontrapunkt des spateren Mit-
telalters eine D., ist im Tonsystem ein konstitutives In-
tervall, also eine K. - Im asthetischen Urteil iiber den
»Wohl-« oder »Ubellaut« (C. Ph. E. Bach) und den Aus-
druckscharakter eines Zusammenklangs verschranken
sich akustische Momente mit logischen; eine scharfe
D. kann leicht, eine milde schwer verstandlich sein. -
In der Antike und im friihen Mittelalter galten einzig
die Geriistintervalle des Tonsystems als symphon: die
Consonantiae simplices Quarte, Quinte und Oktave
und die Consonantiae compositae Undezime, Duode-
zime und Doppeloktave. Die Symphonia wurde ei-
nerseits psychologisch als Mischung der Tone beschrie-
ben, andererseits mathematisch als vielfache oder iiber-
teilige Proportion in den Grenzen der Vierzahl (qua-
ternarius numerus) definiert; allerdings fallt die Un-
dezime (3:8) aus dem Quaternarius numerus heraus.
Die Frage, ob die Bestimmung der groBen Terz des
Enharmonion als 4 : 5 und der kleinen Terz des Chroma
als 5 : 6 (Archytas, Didymos) eine Auff assung als K.en
einschlieBe, ist gegenstandslos, da die Terz kein Geriist-
intervall war. - Das -*■ Organum des 9.-11. Jh. stiitzte
sich auf Quarte und Quinte, die als symphon und zu-
gleich diaphon (-> Diaphonia), also als ein Zusammen-
stimmen von Verschiedenem, begriffen wurden. Terz
und Sexte verfestigten sich im 12.-14. Jh. allmahlich
von akzidentiellen D.en zu essentiellen Zusammenklan-
gen, die als »unvollkommene« K.en (consonantiae im-
perfectae) eine den musikalischen Fortgang bestim-
mende Antithese zu den »vollkommenen« K.en (con-
sonantiae perfectae), Oktave und Quinte, bilden
(->■ Concordantia, -*■ Discordantia) . DaB sie »unvoll-
kommen« seien, besagte, daB sie zwar in Parallelen
fortschreiten durften, sich am SchluB eines Abschnitts
aber in vollkommene K.en auflbsert sollten. Seit dem
spaten 15. Jh. wurden die Terzen als selbstandige Zu-
sammenklange aufgefaBt, als uberteilige Proportionen
(4:5 und 5:6) start als abgeleitete Intervalle (Ditonus,
d. h. doppelter Ganzton = 64:81) bestimmtundalskon-
stitutiv fiir das Tonsystem begriffen. - Die D. gait im
-*■ Kontrapunkt des 15. und 16. Jh. als Ubergang zwi-
schen 2 K.en. Die unbetonte D. wurde als -*■ Durch-
gang (transitus; la) durch Sekundschritte exponiert
la b una " aufgelost, die
J . 1 _l^~>_l j betonte D. als
<h „ 1 o I I . I .^ ^ "* Vorhalt (sus-
i) ^y pensio; lb) durch
Vorausnahme des dissonierenden Tones »vorbereitet«
und durch einen Sekundschritt abwarts aufgelost. Eine
zulassige Ausnahme bildete die -*■ Cambiata. Irregulare
2 a b D.en, die Auslas-
,J . „ y j- — r~>J I . sung der Vorberei-
tungs-K. (-* Ellip-
sis ; 2a) oder das Ab-
springen von der D. in eine andere Stimme (->■ Hetero-
lepsis; 2b), wurden im 17. und friihen 18. Jh. als -> Fi-
guren gerechtfertigt. Andererseits setzte sich allmahlich
die Unterscheidung zwischen »wesentlichen« und »zu-
falligen«D.en(J.Ph.Kirnberger)durch: zwischen Sept-
akkorden, die als Ganzes dissonieren, und »harmonie-
fremden« Tonen, die durch die Stimmfiihrung moti-
viert sind. Die Bezeichnungen fiir »zufallige« D.en sind
nicht fest umrissen: Durchgang wird eine unbetonte
3 a be d e
r r r r r r
und durch einen Sekundschritt exponierte (3a), manch-
mal aber auch eine durch einen Sprung herbeigefiihrte
(3b) oder eine betonte D. (3c) genannt, Vorhalt die vor-
bereitete (3d) oder unvorbereitete (3c) betonte D., An-
tizipation die unbetonte Vorausnahme einer K. (3e). -
Die -*■ Harmonielehre des 19. Jh. ersetzte die Differenz
zwischen K. und D. durch die Unterscheidung zwi-
schen harmonischen und harmoniefremden Tonen
oder gebrauchte die Ausdriicke K. und D. als Synony-
me fiir harmonisch und harmoniefremd. G.Weber
klassifizierte samthche leitereigenen Septakkorde als
harmonisch, die iibrigen Tone als harmoniefremd. H.
Riemann laBt dagegen einzig die Dreiklange der Toni-
ka, Dominante und Subdominante als Harmonien gel-
ten ; so fallt z. B. der Ton d des Akkords d-f-a in C dur
als Zusatz zu den Subdominanttonen f und a unter den
Begriff des harmoniefremden Tons, also der D.
Lit.: A. v. Oettingen, Harmoniesystem in dualer Ent-
wickelung, Dorpat u. Lpz. 1866, als : Das duale Harmonie-
system, Lpz. 2 1913; C. Stumpf, Gesch. d. Consonanzbe-
griflfs I, Abh. d. kgl. bayerischen Akad. d. Wiss., philoso-
phisch-philologische u. hist. Klasse XXI, 1897; ders., K.
u. D., in: Beitr. zur Akustik u. Mw. I, Lpz. 1898; H. Rie-
mann, Zur Theorie d. K. u. D., in : Praludien u. Studien III,
Lpz. 1901 ; St. Krehl, Die D. als mus. Ausdrucksmittel,
ZfMw I, 1918/19; E. Hartmann, K. u. D., zur Gesch. ih-
res Begriffs u. ihrerTheorien, Diss. Marburg 1923, maschr. ;
I. Krohn, Zur Analyse d. K.-Gehalts, Fs. H. Pipping, Hel-
sinki 1924; Kn. Jeppesen, Der Palestrinastil u. d. D., Lpz.
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maschr. ; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ;
H. Husmann, Vom Wesen d. K., in: Mus. Gegenwartsfra-
gen III, Heidelberg 1953; ders., Verschmelzung u. K.,
Deutsches Jb. d. Mw. I (=JbP XLVIII), 1956; J. Loh-
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XIV, 1957; C. Dahlhaus, Oberd. D.-Begriffd. MA, Kgr.-
Ber. Koln 1958; ders., Intervalld. u. Akkordd., Kgr.-Ber.
Kassel 1962; R. Bobbitt, The Physical Basis of Intervallic
Quality and Its Application to the Problem of Dissonance,
Journal of Music Theory III, 1959; B. Stockmann, Ober
d. D.-Verstandnis Bachs, Bach-Jb. XLVII, 1960. CD
- 2) K. und D. als spezifische horpsychologische Er-
scheinungsweisen zunachst an Zweiklangen, dann auch
an Mehrklangen sind schon seit den Pythagoreern und
neuerdings seit einem Jahrhundert unter moderner
Methodik Gegenstand experimenteller Untersuchun-
gen. Diesen wurde zumeist die Hypothese der »klassi-
schen« Psychophysik (-> Horpsychologie) zugrunde
gelegt, wonach sich alle erscheinungsmaBigen (»pha-
nomenalen«) Sachverhalte auf einfache physikalische
oder physiologische zuriickfuhren lassen sollen. Schon
Leibniz und L.Euler erklarten K. und D. aus einem un-
bewuBten Zahlenvergleich oder Rechnen. H. v. Helm-
holtz (1862) gab zweiKriteriendafiiran, und zwar : 1) K.
ist eine stetige (kontinuierliche), D. eine intermittieren-
de Tonempfindung, beide sind polare Gegensatze einer
Dimension des Klangeindrucks. D. entstehe durch Sto-
rungen zweier (odermehr) gleichzeitiger Schwingungs-
485
Konsonanz und Dissonanz
vorgange bei kompliziertem Frequenzverhaltnis inf ol-
ge des Auftretens von Schwebungen zwischen den
Primar- oder auch Teil- und Kombinationstonen. K.
stelle eine Ausnahme von dieser Regel dar, indem sol-
che Storungen bei ganzzahligem Frequenzverhaltnis
entfallen oder nur abgeschwacht auftreten, so daB sie
den Klangeindruck nicht wesentlich beeinflussen.
2) Kriterium der K. ist das Zusammenfallen von Ober-
schwingungen beider Primartone (»Klangverwandt-
schaft«). Stumpf wies die nur beschrankte Gultigkeit
beider Helmholtzscher Kriterien nach und erblickte
die K. in der eindrucksmaBigen (phanomenalen) An-
naherung desZweiklangs an denEinklang (»Verschmel-
zung«). Th.Lipps und nach ihm v.Hornbostel nahmen
als Ursache der K. zentralnervose Prozesse an in Ge-
stalt von Gliederungen der Schwingungsimpulse in
»Mikrorhythmen«, deren gutes Zusammenpassen die
K. ergeben soil. F.Krueger, der Begriinder der Leipzi-
ger ganzheitspsychologischen Schule, sah in der Ver-
traglichkeit oder Unvertraglichkeit der beim Zusam-
menklingen entstehenden Kombinations-, zumal Dif-
ferenztone, den Ursprung von K. und D.: eine zur
harmonischen Reihe erganzende Ordnung des Diffe-
renztonunterbaus ist bei K. gegeben und fur dehWohl-
klang und das Feststehende maBgebend, wahrend im
Falle der D. Storungen, Triibung und Unklarheit in
diesem Unterbau eine Beeintrachtigung des Klangein-
drucks im Sinne der Labilitat herbeifiihren. Wellek
(1934) und sein Schiiler Sandig (1939), sodann nach
ihnen Husmann ging'en von Experimenten mit »ge-
trenntohrig« (dichotisch, binaural) gebotenen Zwei-
klangen aus und widerlegten den Alleinanspruch des
Kruegerschen Kriteriums. Husmann definiert in An-
lehnung an die antike Musiktheorie als K. dasjenige Er-
scheinungsmaflige . . . , was der Tatsache entspricht, dafi die
physikalischen Schwingungen konsonanter Intervalle ein-
fache Zahlenverhd'ltnisse bilden (1952). Hier besteht je-
doch der von Hornbostel und Wellek vorgetragene
Einwand, daB etwas uberscharfe Intervalle (z. B.
200:401 Hz) in unwissentlicher Beurteilung als bessere
K.en imponieren als streng exakte (»Schwellentatsa-
che«). Husmanns »Koinzidenztheorie« der K. geht da-
von aus, daB selbst bei getrenntohriger Darbietung
zweier Schwingungen sich »subjektive« oder »Ohr-
Obertone« im Sinne von Helmholtz bilden, deren
Existenz neuerdings nachgewiesen ist, und daB die
Strukturen der nervosen Prozesse im zentralen Bereich
zur Deckung gelangen und damit den Eindruck der K.
hervorrufen. D. sei indes nicht Gegenpol der K. und
habe nichts mit den Schwingungsverhaltnissen selbst
zu tun. Sie sei vielmehr eine Art von Storung, die erst
beim Zusammenklingen entstehe und auch bei konso-
nanten Intervallen in mehr oder minder schwacher
Form anzutreffen sei. K. und D. seien daher zwar als
parallel entgegengesetzte, aber voneinander weitgehend
unabhangige, auf verschiedenen Ebenen der Wahrneh-
mung etablierte Phanomene anzusehen. In Fortfiih-
rung der Theorie Husmanns zeigten die Untersuchun-
gen iiber Binauraltone von Reinecke (1964), daB vor
allem bei ganzzahligen Schwingungsverhaltnissen der
Klangeindruck zu hoheren Strukturen erweitert wer-
den kann (aus der Terz wird ein Dreiklang, aus der
Quarte ein Quartsextakkord), was auf sehr komplexe
Prozesse beimZustandekommen klanglicherEindrticke
hindeutet. In diesem Sinne ist auch die von Wellek
(1958 und 1963) formulierte »Multiplizitatstheorie« der
K. anzusetzen, die einen Versuch darstellt, die Ergeb-
nisse eigener und alterer fremder Experimente zusam-
mengefaBt auf einen Nenner zu bringen, das Phano-
men der K. auf vielfaltige Wurzeln sowohl phano-
menaler wie physiologischer Art zuriickzuftthren.
Lit.: H.v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
als physiologische Grundlage f. d. Theorie d. Musik,
Braunschweig 1863, 41877, 61913; C. Stumpf, Tonpsycho-
logie, 2 Bde, Lpz. 1883-90, Nachdruck Hilversum u. Am-
sterdam 1965; F. Krueger, DifTerenztone u. K., Arch,
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Konsonanztheorie, AfMw IX, 1952; ders., Vom Wesen d.
K., = Mus. Gegenwartsfragen III, Heidelberg 1953 ; ders.,
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Konstanz.
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II, 1897/98 - III, 1898/99; A. Dold OSB, Die K.er Ritua-
lientexte in ihrer Entwicklung v. 1482-1721, Munsteri.W.
1 923 ; O. C. A. zur Nedden, Zur Mg. v. K. um 1 500, ZfMw
XII, 1929/30; J. Autenrieth, Die Domschule v. K. zur
Zeit d. Investiturstreits, = Forschungen zur Kirchen- u.
Geistesgesch., N. F. Ill, Stuttgart (1956); P. Zinsmaier,
Eine unbekannte Quelle zur Gesch. d. ma. Liturgie im
K.er Munster, Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins CIV, 1956;
Cl. Gottwald, Das K.er Fragment, AMI XXXIV, 1962;
M. Schuler, Die K.er Domkantorei um 1500, AfMw
XXI, 1964; ders., Der Personalstatus d. K.er Domkan-
torei um 1500, ebenda; ders., Die Musik in K. wahrend d.
Konzils 1414-18, AMI XXXVIII, 1966.
Kontakion (griech., Stabchen). Mit dem Aufkom-
men des K. im 6. Jh. beginnt das goldene Zeitalter der
byzantinischen -> Hymnographie. Die Erfindung des
K. wird Romanos »dem Meloden« zugeschrieben.
Wenn auch nicht wirklich der Erfmder, so war Ro-
manos doch jedenfalls der bedeutendste Dichter von
Kontakia und verdiente sich durch sein Schaffen auf
diesem Gebiet den Beinamen eines »christlichen Pin-
dar*. Sein erstes Werk in dieser Form soil das Weih-
nachts-K. gewesen sein. Weitere Schopfer von Kon-
takia waren Kyriakos, Georgios, Theodoros Studita
so wie in der Spatzeit derK.-Dichtung Bartolomeo von
Grottaferrata (f 1055). - Die Urspriinge der Form des
K. sind in Syrien zu suchen. Es besteht aus einer Einlei-
tungsstrophe, dem Kukulion oder Prooimion oder K.,
und bis zu 40 Oikoi (»Hauser«, Strophen), deren Bau
sich nach dem ersten Oikos (nicht nach dem Kukulion)
richtet. Das Kukulion und die folgenden Strophen en-
den- mit dem gleichen Akroteleution oder Ephymnion
(Refrain). Die Anfangsbuchstaben der Strophen eines
K. ergeben oft ein Akrostichon. Als solistischer Gesang
(mit Chorrefrain) weist das K. eine stark melismatische
Melodik auf; es findet sich im Psaltikon aufgezeichnet.
Von den beriihmtesten Kontakia seien das Weihnachts-
K. des hi. Romanos und der demselben zugeschriebene
-> Akathistos hymnos genannt.
Ausg. : Contacarium Ashburnhamense, hrsg. v. C. H0EG,
= Monumenta Musicae Byzantinae IV, Kopenhagen 1956.
Lit.: P. Maas, Das K., Byzantinische Zs. XIX, 1910; E.
Wellesz, A Hist, of Byzantine Music and Hymnography,
Oxford 1949, 21961 ; ders., K. u. Kanon, in: Atti del con-
gresso internazionaie di musica sacra Rom 1950; ders.,
Zum Stil d. Melodien d. K., in: Miscelanea en homenaje a
H. Angles II, Barcelona 1958-61; C. Floros, Das K.,
DVjs. XXXIV, 1960; K. Levy, The Slavic Kontakia and
Their Byzantine Originals, in : Queens College of the City
Univ. of NY, Department of Music, Twenty-Fifth Anni-
versary (1937-62), hrsg. v. A. Mell, NY 1964.
486
Kontrafaktur
Kontertanz -> Contredanse.
Kontrabafi (ital. violone, violone grosso, contravio-
lone, contrab basso; frz. basse double, contrebasse; engl.
double bass), - 1) das grofite der Streichinstrumente
(abgesehen von Riesenbassen; ->• Octobasse), das durch
tiefe Lage und fiilligen Ton ausgezeichnet ist. Der
Kb. hat heute meist ein Corpus vom Viola da gamba-
Typ mit flachem, oben abgeschragtem Boden und
spitz zulaufenden Schultern, seltener ein Corpus vom
-»■ Viola da braccio-Typ; auch Mischformen kom-
men vor. Die Normalstimmung ist iE iA D G (Um-
fang bis d 1 und hdher, besonders mit Flageolett) ; als
16'-Instrument wird der Kb. im BaBschliissel eine Ok-
tave hoher als klingend notiert. - Der Kb. ist hervor-
gegangen aus den tiefsten Instrumenten des -*■ Viola da
gamba-Stimmwerks, doch wurden in Italien im 16.
Jh. auch Kontrabasse mit gewolbtem Boden gebaut.
Praetorius bildet 1619 eine 5saitige Grofi Contra-Bas-
Geig und einen 6saitigen Violone, Grofi Viol-de Gamba
Bass, ab, deren Corpora iiberwiegend Merkmale des
Viola da braccio-Typs zeigen; die Stimmung in Quar-
ten befindet Praetorius fur gut. Im 17. Jh. wurde der
Kb. in Deutschland und Italien zur Ausfiihrung der
BaBstimme im vokalen und instrumentalen Ensemble
eingesetzt, besonders in groBen Raumen (Kirchen) und
in der Oper. In Paris, wo er erst 1706 in Marais' Alcyone
ausdriicklich gefordert wurde, war er bis 1719 noch
Nebeninstrument. Im 18. Jh. und bis ins 19. hinein
waren mehrere Stimmungen in Gebrauch, darunter
die in iG D A (auch jG D G) oder iADG fiir 3saitige
Kontrabasse, die (noch von R.Strauss) wegen ihrer
leichten Ansprache bei groBer Klangfiille und gut
zeichnender Bafilinie geschatzt wurden. Koch (1802)
berichtet, dafi die jE-Saite des 4saitigen Instruments
auch auf iEs oder ]D heruntergestimmt wurde. Von
Wagner und in der modernen Literatur wird bisweilen
das jC gefordert, wozu 5saitige Kontrabasse oder sol-
che mit C-Maschine (durch die die iE-Saite verlangert
werden kann) verwendet werden. Etwa gleichzeitig
mit der modernen Stimmung wurde der Kb. ohneBun-
de um 1800 zur Regel. Der Bogen (seit Simandl in der
modernen konkaven Form) wird nach Landern unter-
schiedlich gef iihrt : entweder mit seitlichem Untergriff
oder (nach Bottesini) wie der Violoncellobogen mit
Obergriff (deutsche bzw. franzosische Bogenfiihrung).
Wahrend im klassischen Orchester der Kb. in der Re-
gel oktavierend mit dem Violoncello gef iihrt und nicht
gesondert notiert wurde, wird er seit Beethoven viel-
fach selbstandig eingesetzt. Konzerte fiir Kb. schrie-
ben neben Dittersdorf u. a. Vanhal, C. Stamitz und
Capuzzi. Daneben wird er in der Kammermusik ver-
wendet (Boccherini, Quintett, 1787; ferner u. a. bei
Schubert, Forellenquintett ; Dvorak, Quintett op. 77,
1875), seltener solistisch (Hindemith, Sonate). Fiir die
Kammermusik im 18. Jh. gab es auch ein handliche-
res Instrument der gleichen Lage, jedoch von gerin-
gerer Tonfiille (-* Bassett). Besonders wirkungsvoll
ist das Pizzicato des Kontrabasses, das im Jazz durch-
gangig angewendet wird, wo der Kb. friih die Tuba
verdrangt hat. Bekannte Kontrabassisten alterer und
neuerer Zeit: W.Hause, J.Abert, Laska und Kusse-
witzky, im Jazz O. Pettiford und Ch. Mingus. - 2) eine
1845 von Cerveny gebaute kreisrunde -> Tuba (- 2) in
C, iB, iF und iEs; 1873 baute er noch einen Sub-Kb.,
der bis 2 A reicht. - 3) in der Orgel eine 16'- oder 32'-
Labialstimme im Pedal, als Nachahmung der Blech-
kontrabasse auch als 16'-Zungenstimme.
Lit. : zu 1 ) : Praetorius Synt. II ; Quantz Versuch ; KochL,
Artikel Contra- Violon ; Fr. Warnecke, Ad infinitum. Der
Kb., Seine Gesch. u. seine Zukunft, Hbg 1909 ; M. Flech-
sig, Spielkultur auf d. Kb., Lpz. 1934; E. Halfpenny, A
Note on the Genealogy of the Double Bass, The Galpin
Soc. Journal I, 1948; A. Planyavsky, Der Kb. in d. Kam-
mermusik, Osterreichische Musikzs. XIII, 1958.
Kontrafaktur (von lat. contrafacere, dagegen ma-
chen, nachahmen) bezeichnet das Abfassen eines Lied-
textes auf eine schon vorhandene Melodie (Gennrich 1963),
in der Regel unter formalem und (bzw. oder) inhalt-
lichem Bezug auf einen friiher mit ihr verbundenen
Text. Schon der sinnverandernde Austausch weniger
Worter fallt in den Bereich der K. Sie betrifft vor al-
lem die 1st. Musik. Aber auch Umtextierungen von
oder in mehrstimmigen Tonsatzen werden heute unter
diesen Begriff gestellt. Ab 1600 hiefi das gleiche Ver-
fahren zumeist -v Parodie. - Die K. besitzt ein hohes
Alter. Im Gregorianischen Gesang sind seit dem Mit-
telalter bis in die Neuzeit haufig neue Texte vorgege-
benen Singweisen unterlegt worden. Zu Beginn seines
27. Liedes beschreibt Bernart de Ventadorn den Vor-
gang, rechte Worte zu einem Ton zu fmden. Uber-
schriften wie contre le chant oder super cantilenam ver-
weisen gelegentlich auf das Modell. Die grofie Rolle
der K. im Mittelalter erklart sich aus dem Schaffens-
prinzip dieser Zeit, Neues in engem AnschluB an Be-
stehendes zu gewinnen, und aus dem intensiven kiinst-
lerischen Austausch zwischen den Volkern. Durch
Ubersetzung von einer Sprache in die andere und
durch Nachahmung beruhmter Muster entstand ein
umfangreiches, internationales Liedgut. Die Erfor-
schung der K. ermoglicht es, scheinbar verschollene
Melodien, z. B. fiir den deutschen Minnesang oder fiir
das deutsche Barocklied, wiederzugewinnen. - Den
groBten Anteil unter den K.en haben geistliche Um-
dichtungen weltlicher Lieder (contrafact uff einen geist-
lichen Sinn, Hs. Pfullingen, 15. Jh.). Seit dem 12. Jh.
diente das Verfahren dem neu sich entfaltenden Ma-
rienkult. Aus dem Kreis deutscher Dichtermusiker des
ausgehenden Mittelalters ragt H. Lauffenberg als Ver-
fasser geistlicher K.en hervor. - Wahrend der lutheri-
sche Choral vor allem an das vorreformatorische geist-
liche Liedgut ankniipft, gewann im letzten Drittel des
16. Jh. die geistliche und moralische »Besserung« ur-
spriinglich profaner Gesange erneut an Bedeutung.
Mit erbaulichen Umdichtungen wollten der Alzeyer
Burggraf Philippsen der Jungere zu Winnenberg und
Beilstein, der Prediger zu Stade H.Wepse (Vespasius)
und der Jurist H.Knaust verhafite »Buhlenlieder« ver-
drangen. Aus anderen europaischen Landern sind ahn-
liche Bestrebungen bekannt. Haufig stiitzten sich Psal-
mendichtungen auf weltliche Melodien (-> Souter-
liedekens). In zunehmendem MaBe wurden seit der
Mitte des 16. Jh. ganze Tonsatze, Chansons, Madrigale,
Villanellen und Kanzonetten, darunter Scheins Musica
boscareccia, in den geistlichen Bereich uberfiihrt, wobei
die Oberstimmen zum Teil in den Rang von Kirchen-
liedern aufstiegen. J.Regnarts Venus, du und dein Kind
wurde zu Auf meinen lieben Gott, H.L.HaBlers Mein
Gmiith ist mir verwirret zu Herzlich tut mich verlangen
bzw. O Haupt voll Blut und Wunden und G. G.Gastoldis
A lieta vita zu In dir ist Freude. - Seit etwa 1650 hat
die K. sichtlich an Bedeutung und Dynamik verlo-
ren. Man dichtete nun nicht mehr an einer bestimm-
ten Melodie entlang, sondern rechnete mit Neuverto-
nung oder uberliefi die Auswahl einer metrisch passen-
den Weise der kirchenmusikalischen Praxis. Je weiter
sich geistliche und weltliche Musik voneinander ent-
fernten, desto schwieriger wurde ein Austausch zwi-
schen beiden Spharen. Nur in den Erweckungsbewe-
gungen hat er sich bis heute und anscheinend miihelos
vollzogen.
Lit.: K. Hennio, Die geistliche K. im Jh. d. Reformation,
Halle 1909; Fr. Gennrich, Lat. Kontrafacta altfrz. Lie-
487
Kontrapunkt
der, Zs. f. romanische Philologie L, 1930; ders., Liedk. in
mhd. u. ahd. Zeit, Zs. f. deutsches Altertum LXXXII, 1948,
u. in : Der deutsche Minnesang, = Wege d. Forschung XV,
Darmstadt 1961, Nachdruck 1963; ders., Lat. Lied-K.., Ei-
ne Auswahl lat. ConductusmitihrenvolkssprachlichenVor-
bildern, = Mw. Studienbibl. XI, Darmstadt 1956; ders.,
Die K. im Liedschaffen d. MA, = Summa musicae medii
aevi XII, Langen bei Ffm. 1965; Fr. Blume, Die ev. Kir-
chenmusik, Biicken Hdb., als: Gesch. d. ev. Kirchenmusik,
Kassel 21965; Kn. Jeppesen (mit V. Brandal), Die mehrst.
ital. Laude um 1500, Kopenhagen 1935; M. C. Pfleoer,
Untersuchungen am deutschen geistlichen Lied d. 13. bis
16. Jh., Diss. Bin 1935; A. A. Abert, Das Nachleben d.
Minnesangs im liturgischen Spiel, Mf I, 1948; J. Hand-
schin, Gesungene Apologetik, in: Miscellanea liturgica in
honorem L. C. Mohlberg II, = Bibliotheca »Ephemerides
Liturgicae« XXIII, 1949, u. in: Gedenkschrift J. Handschin,
Bern u. Stuttgart 1957; J. A. Huisman, Neue Wege zur
dichterischen u. mus. Technik Walthers v. d. Vogelweide,
= Studia litteraria Rheno-Traiectina I, Utrecht 1950;
N. Schi0rring, Det 16. og 17. arhundredes verldslige
danske visesang I u. II, Kopenhagen 1950; F. Ghisi,
Strambotti e laude nel travestimento spirituale della poesia
mus. del Quattrocento, CHM I, 1953; ders., L'Aria di
Maggio et le travestissement spirituel de la poesie mus.
profane en Italie, in: Musique et poesie au XVI e s., = Col-
loques internationaux du Centre National de la Recher-
che scientifique, Sciences humaines V, Paris 1954; H. Al-
brecht, Zur Rolle d. K. in Rhaus Bicinia v. 1545, Fs. M.
Schneider, Lpz. (1955); S. W. Kenney, Contrafacta in the
Works of W. Frye, JAMS VIII, 1955; U. Aarburg, Melo-
dien zum fruhen deutschen Minnesang. Eine kritische Be-
standsaufnahme, Zs. f. deutsches Altertum LXXXVII,
1956/57, u. in: Der deutsche Minnesang, = Wege d. For-
schung XV, Darmstadt 1961, Nachdruck 1963; K. v. Fi-
scher, K. u. Parodien ital. Werke d. Trecento u. fruhen
Quattrocento, Ann. Mus. V, 1957; E. Jammers, Der Vers
d. Trobadors u. Trouveres u. d. deutschen K., in : Medium
Aevum Vivum, Fs. W. Bulst, Heidelberg 1960; J. Muller-
Blattau, K. im alteren geistlichen Volkslied, Fs. K. G.
Fellerer, Regensburg 1962; M. Honegger, La chanson
spirituelle huguenote au XVI e s., Jb. f. Liturgik u. Hym-
nologie IX, 1 963 ; Th. Gollner, Landinis Questa f anciulla
bei O. v. Wolkenstein, Mf XVII, 1964; J. Aengenvoort,
Die K. in d. Gesch. d. geistlichen Liedes, Musik u. Altar
XVIII, 1966; W. Braun, Die ev. K., Jb. f. Liturgik u.
Hymnologie XII, 1966. WB
Kontrapunkt (lat. contrapunctus oder -um; ital. und
span, contrapunto; frz. contrepoint; engl. counter-
point), das aus punctus contra punctum (Note gegen
Note; -»- Punctus - 1) entstandene, seit dem 14. Jh. ge-
brauchliche und fortan in der mehrstimmigen Musik
des Abendlandes zentrale Begriffswort mit den Bedeu-
tungsfeldern : 1) als grundlegendes Satzprinzip, als Satz-
oder (improvisatorische) Singpraxis und als -*■ Satz-
lehre; 2) als Bezeichnung fur die nach dem K.-Prinzip
gewonnene Stimme oder fur eine ganze kontrapunkti-
sche Komposition; 3) als spezielle Satztechnik der Ver-
tauschung oder Versetzung einzelner Stimmen, wo-
durch »doppelter« oder »mehrf acher« K. entsteht.
1) Prinzip, Praxis und Lehre des K.s dienen im 14./15.
Jh. dazu, einen Cantus bzw. C. f. au£ Grund von Kon-
sonanz- und Konsorianzfolgeregeln mit einer Gegen-
stimme (oder mehreren) zu versehen, und beruhen dar-
auf, daB »Note gegen Note« gesetzt, d. h. je eine Ge-
genstimmennote je einer Cantusnote intervallmaBig
»zugemessen« wird. Damit regelt das K.-Prinzip den
Zusammenklang, aber zugleich auch die Fortschrei-
tung, indem der Cantusverlauf sowie der Rangunter-
schied von perfekten (Einklang, reine Quinte und Ok-
tave) und imperfekten (Terzen, Sexten) Konsonanzen
die Konsonanzfolgen bestimmen. Der K. in dieser ur-
spriinglichen Weise ist hervorgegangen aus dem -*■ Dis-
cantus, genauer : aus dem wohl fiir Improvisation und
Lehrzwecke geschaffenen Discantus simplex (qui nihil
alius est quam punctus contra punctum, Petrus dictus Pal-
ma ociosa, 1336) und gait zunachst als Grundlage der
Discantuspraxis (contrapunctus . . . est . . . fundamentum
discantus . . . aliquis non potest discantare, nisi priusfaciat
contrapunctum, CS III, 60b). Bis ins 15. Jh. blieb der zu-
weilen noch weiterhin discantus genannte K. beschrankt
auf den 2st. Note-gegen-Note-Satz und auf Konso-
nanzen. Die Regeln verlangen Gegenbewegung der
Stimmen sowie Wechsel zwischen perfekten und im-
perfekten Konsonanzen als allgemeine Norm, von der
nur im Schutze anderer Vorschriften abgewichen wird.
Perfekte Konsonanzen sind fiir Anfangs- und SchluB-
klang verbindlich, diirfen keine Parallelfolgen aus glei-
chen Intervallen bilden, konnen aber bei ungleichen
Intervallen parallelgefiihrt werden, wenn eine Stimme
im Sekundgang fortschreitet. Imperfekte Konsonan-
zen werden in die stufenbenachbarten perfekten wei-
tergefiihrt, gleichsam »aufgelost« (kleine Terz zum
Einklang, groBe Terz - und, wohl spater, kleine Sexte -
zur Quinte, groBe Sexte zur Oktave), was jedoch durch
eine Kette von zwei bis vier gleichen, stufenweise
schreitenden imperfekten Konsonanzen hinausgezo-
gert werden kann; die Paenultima muB imperfekt sein.
Die Folge intervallverschiedener imperfekter Konso-
nanzen (die deren Auflosungsstreben nicht vollstandig
erfullt) ist, wie Erwahnungen und Notenbeispiele zei-
gen, gestattet. Die fruhen K.-Regeln beriicksichtigen
meist nur je zwei benachbarte Zusammenklange, aber
nicht den melodischen Gesamtverlauf der Gegenstim-
me, der ein Sekundarergebnis der Setzung bleibt. Ak-
zidentiengebrauch (->■ Musica ficta) tritt auf zur Ver-
meidung des -> Mi contra Fa (der nicht reinen Quinte
oder Oktave) und als Auspragung des klanglichen
Strebens der imperfekten zu den perfekten Konsonan-
zen (vgl. die dulcior armonia bei Prosdocimus de Bel-
demandis, CS III, 199). Trotz der Beschrankung auf
Konsonanzen und 2st. Note-gegen-Note-Satz verkor-
pert der friihe K. bereits dasjenige Regelsystem, wel-
ches f iir Jahrhunderte das gultige Fundament des mehr-
stimmigen Satzes geblieben ist. Dissonanzen werden in
den Traktaten der Friihzeit vereinzelt erwahnt, aber
nicht in die K.-Lehre einbezogen ; der Cantus f ractibilis,
eine in kleine Notenwerte aufgegliederte Gegenstim-
me mit erlaubten, kaum erorterten Dissonanzen, steht
auBerhalb des K.s (CS III, 27) ; die Beispiele fiir eine
Diminutio des K.s (CS III, 62ff.) zeigen lediglich rhyth-
mische Gliederungsmoglichkeiten. Die allmahliche,
zunachst kritisierte Ausdehnung der Bezeichnung K.
auf den Satz mehrerer Noten gegen eine (plurimarum
notarum contra aliquant unicam solam notam . . . positio,
CS III, 194a) laBt sich Anfang des 15. Jh. nachweisen.
Die Neuerungen der K.-Lehre im Laufe dieses Jahr-
hunderts betreffen die Einbeziehung der Dissonanzen
sowie die Behandlung des drei-(und mehr-)stimmigen
Satzes und rhythmisch freier Gegenstimmen. Die im
2st. K. zu den Dissonanzen zahlende reine Quarte wird
im mindestens 3st. Satz konsonant verwendet, wenn
sie iiber einer Terz oder Quinte steht.
Entscheidende Bedeutung fiir die Entwicklung des K.s
gewann der kompositionsgeschichtliche Einschnitt um
1430, der zur niederlandischen Polyphonie f iihrte, und
unter dessen Eindruck die erste umfassende K.-Lehre,
der Liber de arte contrapuncti (1477) des Johannes Tinc-
toris (CS IV), entstand. Dieses Werk griindet sich
didaktisch auf den Note-gegen-Note-Satz (contra-
punctus simplex), leitet aber ein neues Stadium ein:
den Kern der Lehre bildet der K. in unterteilten oder
gemischten Notenwerten (contrapunctus diminutus
oder floridus), bei dem nun Dissonanzen »unter der Be-
dingung besonnener Erwagung zuweilen zugelassen
werden« (cum ratione moderata interdum permittuntur,
134b), so die vorbereitete Synkopendissonanz, die se-
488
kundgebunden ein- und weitergefiihrte Durchgangs-
dissonanz, jedoch nur zwischen den Zahlzeiten, also
»unbetont« verwendet, die Wechseltondissonanz, be-
schrankt auf so kurze Notenwerte, »daB man sie kaum
hort« (ut uix exaudiatur, 145a), und als seltene Ausnah-
me (quamvis hoc rarissime, 145a) der Terzsprung aus ei-
ner Dissonanz. Tinctoris unterscheidet (129 u. 6.), auch
hinsichtlich der Regelstrenge, zwischen komponiertem
K. (qui scriptofit) oder -> Res facta und improvisiertem
(mente), der auch schlechthin (absolute) K. heiBt oder
mit super librum cantare umschrieben wird. Die Kom-
position muB die Konsonanzregeln zwischen alien
Stimmen erfiillen, bei der Improvisation geniigt das je-
weilige Konsonieren mit dem Tenor. Die Lehre des
Tinctoris zeigt eine Hinwendung zur freien Figural-
musik und ein Aufgehen der Konsonanzfolgeregeln in
allgemeineren Stimmf iihrungsregeln : das Kontrapunk-
tieren iiber figuriertem statt planem Cantus wird be-
vorzugt; sogar die beliebige Stimme einer Res facta
kann als Satzgrundlage dienen ; storende Wiederholun-
gen (redictae) in einer Stimme werden untersagt, Viel-
falt (varietas) in der Wahl der satztechnischen Mittel
wird dagegen gefordert. Die Schrift des Tinctoris be-
einfluBte die Kompositionslehre bis zur Mitte des 16.
Jh. stark und wurde in ihrer Methode (hochwertige,
in sich geschlossene Notenbeispiele ; Berufung auf an-
erkannte Komponisten) nachgeahmt. Anfang des 16.
Jh. tritt Compositio (-*• Komposition) als selbstandige
Bezeichnung neben K. Beide Ausdriicke werden in der
Folgezeit uneinheitlich verwendet, oft synonym, zu-
weilen als Gegensatze (z. B. von Coclico 1552). Auch
gegeniiber -> Sortisatio ist K. nicht eindeutig abzu-
grenzen. Wirkung und Verbreitung der K.-Lehre
wuchsen mit dem Erscheinen der ersten gedruckten
V D
per sanc-tu - a - ri-um
Kontrapunkt
Abhandlungen, u. a. von Ramos de Pareja (Bologna
1482), Burtius (Bologna 1487), Gaffori (Mailand 1496),
Duran (Salamanca um 1500), G. Guerson (Utilissime
musicales regule, Paris um 1500). Uber die Lehre des
Tinctoris hinausgehende Einzelheiten finden sich bei
Adam von Fulda (um 1490) in der Regel, daB wenig-
stens eine Stimme des Satzes dem tonartlichen Modus
angepafit sein und dementsprechend »schon und ange-
messen« (pulcre localiterque) Klauseln bilden soil (GS
HI, 352b), bei Cochlaeus (1507) und Aaron (1523) mit
Hinweisen auf die Simultankonzeption der Stimmen,
die nun an Bedeutung gewann, bei Ornitoparch (1517)
in Erorterungen der Klauseln, bei verschiedenen Auto-
ren in genaueren Bestimmungen der Dissonanzbehand-
lung und in Bemerkungen, die eine wachsende Beriick-
sichtigung der Sangbarkeit und melodischen Gestalt
der Stimmen zeigen (der Ausdruck -> cantabile wird
wichtig).
Durch die Wandlung, die sich seit Tinctoris anbahnte,
wurde K. im 16./17. Jh. vorwiegend zum Prinzip der
Kombination selbstandiger, melodisch und rhythmisch
eigen-, aber auch etwa gleichwertiger Stimmen im
Rahmen geordneter Klange und Fortschreitungen. Das
Prinzip des ffiihen K.s ist damit nicht aufgehoben, son-
dern erweitert; es bleibt gultig und gegenwartig im
Note-gegen-Note-Satz, von dem die K.-Lehre auch in
dieser Epoche ausgeht. Zwei K.-Theoretiker, Schiiler
A. Willaerts, sind fiir das 16. Jh. besonders zu erwahnen:
N. Vicentino behandelt in L'antka musica ridotta alia
moderna prattica (1555) neben den tradierten K.-Grund-
lagen nachdrucklich die freie, nicht C. f.-gebundene
Komposition, die Technik des Kanons, der Imitation,
des doppelten K.s und der Mehrchorigkeit und erhebt
die zukunftweisende Forderung, daB die Musik den
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489
Kontrapunkt
Textinhalt auszudriicken habe. Das III. Buch der Isti-
tutioni harmoniche von G. Zarlino (1558) ist eines der be-
deutendsten K.-Lehrwerke. Seine Leitgedanken lassen
sich durch die Hauptregeln in Capitel 26 skizzieren:
Der K. soil von einem — ► Soggetto ausgehen, soil
hauptsachlich aus Konsonanzen, sodann aber auch aus
vielen hinzutretenden, regelentsprechenden Dissonan-
zen bestehen; die Einzelstimmen miissen melodisch
gut fortschreiten; aus einer Vielfalt (diversita) der Mit- .
tel soil die Harmonia der Komposition erwachsen ; die
Ordnung des tonartlichen Modus und die Anpassung
der Musik an den Text (inhaltlich und, wie die grund-
legenden Textierungsregeln in Buch IV, Cap. 33, zei-
gen, deklamatorisch) sind zu beachten. Auch Zarlino
geht methodisch vom Contrapunto semplice (Note
gegen Note) aus, schlieBt den 2st. Contrapunto di-
minuito an, bei dem der Dissonanzgebrauch eingehend
erortert wird, und behandelt dann wie Vicentino, aber
mit Beschrankung auf die geistliche Vokalmusik, die
Satztechniken seiner Zeit. Zarlinos Lehre wurde oft
gekiirzt, vereinfacht oder abgewandelt iibernommen,
u. a. in den Schrif ten von Artusi (1586/89) , Tigrini (1 588) ,
Diruta (1609), Zacconi (1622); sie gelangte durch Cal-
visius (1592) und Sweelinck (um 1600) nach Deutsch-
land, durch Morley (1 597) nach England und hat bis hin
zu Fux (1725) Starke Wirkung ausgeiibt.
Das Wesen des K.s in der 2. Halfte des 16. Jh. wird ge-
wohnlich am Palestrina-Stil dargestellt, der vielfach als
Inbegriff des K.s bzw. der -> Polyphonie gilt. Diese
Wertung, die leicht den Blick f iir andere kontrapunkti-
sche Kunst verkurzt, bezieht ihre Berechtigung nicht
nur aus der Vollkommenheit der Werke Palestrinas,
sondern auch aus dem einzigartigen Phanomen ihrer in
erstaunlichem MaBe durch Regeln erfaBbaren und da-
durch beispielhaften kompositorischen Strenge und
Konsequenz. Hauptmerkmale des Palestrina-Stils, des-
sen Kategorien nur teilweise der Lehre Zarlinos ent-
stammen und wesentlich erst aus der historischen Riick-
schau durch Berardi (Arcani musicali, 1690), Fux (1725),
Jeppesen (1925) u. a. formuliert wordeh sind, seien an-
hand eines Beispiels (siehe vorhergehende Seite) aus der
Motette Exaudi Domine preces servi tui von G. P. Palestri-
na (GA, hrsg. von R.Casimiri, III, S. 136, Rom 1939)
dargestellt: Jedem Textabschnitt entspricht im Con-
trapunctus diminutus (bis Takt 35) ein Soggetto, das
imitierend die Stimmen durchwandert (Takt 25/26
endet der Abschnitt illumina faciem tuam), im Contra-
punctus simplex (36-40) eine von der Deklamation ge-
pragte Folge von Klangen, die in eine Kadenz fiihrt. Die
Konsonanz des vollstandigen Dreiklangs mit Grundton
im BaB ( A ) wird ausgenutzt, iiberwiegt gegenuber dem
»Sextakkord« (A) und bestimmt den Contrapunctus
simplex. Dissonanzen treten auf als Durchgang (D) und
Vorhalt (V), der gelegentlich mit dem die folgende No-
te vorausnehmenden »Portament« (P) verbunden wird.
Beide sind oft begleitet von einer fallenden Vierton-
gruppe, die einen »betonten« Durchgang bildet und sich
zur Obersekunde wendet (, ,) ; diese Floskel gehort
neben der -»■ Cambiata (C), die einen Sprung aus der
Dissonanz enthalt, zu den wenigen, typischen Formeln,
in denen bestimmte Freiheiten der Dissonanzbehand-
lung gestattet sind. Sukzessiv komponierte Stimmen-
abschnitte (Alt 28-30, Tenor 32-35) werden so in den
Satz eingeschmolzen, daB sie nicht als sekundare Ge-
bilde wirken. Melodisch herrscht Sekundbewegung
vor ; Spriinge (in kleiner und groBer Terz, reiner Quar-
te, Quinte und Oktave sowie kleiner Sexte - diese aber
nur aufwarts) sind von der metrischen Stellung abhan-
gig und werden durch anschliefiende Richtungsande-
rung ausgeglichen. Ober die detaillierten Regeln fiir
den rhythmischen Ablauf und fiir die Textzuordnung
unterrichtet Jeppesen. - Neben dieser hohen Auspra-
gung des K.s wuchs in der Madrigalkunst, danach in
der Monodie, eine starke Tendenz, die Musik dem
Wort unterzuordnen. Das Bemuhen um deutliche
Deklamation, um Darstellung des Textinhaltes und
um Nachahmung von Affekt und Dramatik durch die
Musik fiihrte zu einschneidenden satztechnischenNeue-
rungen. Die Dissonanz gewann selbstandigen Aus-
druckswert, wurde als »Harte« (-> Durezza) zu ent-
sprechenden Textwortern bewuBt gesucht und freier
verwendet. Die tonartlichen Modi verloren bei gestei-
gerter Chromatik ihre Eigenart und Geltung. Der auf
Solo- und Begleitstimme reduzierte monodische Satz
hob die kontrapunktische Gleichwertigkeit der Stim-
men auf und forderte in der GeneralbaBpraxis die
Emanzipation des harmonischen Prinzips. Als erste
Konsequenz dieser Entwicklung spaltete sich der K. in
den strengen, iiberlieferten, in der geistlichen Musik
beibehaltenen Contrapunto osservato (auch -»- Prima
pratica genannt) und den freieren, von der weltlichen
Musik getragenen Contrapunto commune (-> Seconda
pratica). Die Kluft zwischen strengem und freiem Satz
ist Gegenstand theoretischer Auseinandersetzungen
seit V.Galilei (1588). Von den Uberbriickungsversu-
chen des 17. Jh. ist erwahnenswert Chr. Bernhards Ein-
teilung (um 1660) nach satztechnischen Erscheinungen
(nicht nach Gattungen) in Contrapunctus gravis (oder
Stylus antiquus) und Contrapunctus luxurians (Stylus
modernus), letzterer unterteilt in communis und co-
micus oder theatralis (-»■ Stil). Die Wichtigkeit des
strengen K.s fiir die Unterweisung blieb im 17. Jh. un-
bestritten. Zahlreiche Schriften geben die Lehre ge-
ringfiigig vereinfacht oder methodisch verandert wei-
ter; noch der Gradus ad Pamassum (1725) von Fux steht
in dieser Tradition. Das kompositorisch Neue der Se-
conda pratica wurde nicht in einem eigenen Lehrsy-
stem festgelegt, sondern fiihrte zu Regeln oder Lehr-
gebieten, die den strengen K. voraussetzen, wie in der
-»■ Musica poetica die Lehre von den -»- Figuren, die
zur Abbildung oder Deutung des Textes bestimmte
Satzfreiheiten gestatten. Auch die Anerkennung des
Dreiklangs, der -*■ Trias harmonica, als vollkommen-
ster Harmonie und das Verstandnis von Komposition
als einer Folge solcher Klange durch Lippius (1612)
vollzogen sich auf dem Boden des K.s, auch wenn dieser
Terminus kritisiert wurde (Compositio . . . barbare Con-
trapunctus a punctum contra punctum ponendo dicta). Doch
bahnte sichdamit die zweite Konsequenz des Umbruchs
um 1600 an, die aber erst ein Jahrhundert spater deut-
lich gezogen wurde: die Spaltung des bisher einheitli-
chen K.-Prinzips in zwei um den Vorrang streitende,
sich zuweilen isolierende Prinzipien, den nunmehr
linear verstandenen K. und die Harmonik (-»■ Harmo-
nielehre).
Die GeneralbaBpraxis und -lehre, die das Komponie-
ren mit dem Material fertiger Akkorde forderte, hob
den K. nicht auf. Solange strenge Stimmigkeit ge-
wahrt blieb, bildete das System fest verfiigbarer Klan-
ge keinen ausschliefienden Gegensatz zum K., son-
dern beide erganzten sich. Das Verhaltnis dieser Er-
ganzung kehrte sich schlieBlich um: die Harmonik,
zuerst durch Rameau (1722) formuliert, wurde Grund-
lage fiir den K. In diesem Sinn definiert Kirnberger
(1771) K. als die Kunst nach den Regeln derguten Harmo-
nie zu einem gegebenen einstimmigen Gesang noch eine
oder mehrere Stimmen hinzu zu setzen. Die kontrapunk-
tische Komposition auf harmonischer Grundlage fand
im Werk J. S. Bachs, Kirnbergers Vorbild, ihren Hohe-
punkt. Mit dem Obergang zur Klassik verselbstandigte
sich die Harmonik, pragte die Melodik den weitgehend
490
Kontrapunkt
in Melodie und Begleitung zerlegbaren Satz sowie sei-
nen metrisch-periodischen Verlauf und verdrangte den
K. Der Verwendung der Dissonanzen eroffneten sich
durch deren harmonische Motivierung neue Moglich-
keiten. Es bleibt bedeutungsvoll, daB auch die Klassiker
noch mit dem K. im Gewande der Fuxschen Lehre ver-
traut waren, wie an kontrapunktischen Partien inner-
halb der klassischen Musik zu erkennen ist. In dieser
Epoche ist K. zu einem Teil als Anlehnung an den K.
vor allem Bachs und Handels zu verstehen ; im wesent-
lichen aber erscheint der K., nun besonderen Strecken
der Steigerung und Verdichtung vorbehalten, als Prin-
zip der imitierenden oder kontrastierenden Verflech-
tung von thematischen und motivischen Elementen in
den verschiedenen Stimmen des Satzes. In einer dem
kontrapunktischen Schaffen fernstehenden Zeit forder-
ten die Schriften von Cherubini (1835), Bellermann
(1862) u. a. die historische und padagogische Beschaf-
tigung mit dem »strengen K.«, der in der Unterwei-
sung als Schul-K. neben die Harmonielehre trat, weni-
ger als deren Erganzung, vielmehr als Lehre (»Theo-
rie«) eines anderen Stiles. Von historisierenden Sonder-
fallen abgesehen, begann erst in der Spatromantik eine
neue Wendung zum K. Au£ Grund des gesteigerten
Dissonanzgehalts in den Akkorden und erweiterter
Moglichkeiten der Modulation wurde die Behandlung
der Dissonanzen immer verwickelter. Die Respektie-
rung ihres Auflosungsstrebens fiihrte zu einer klanglich
und harmonisch besonders angereicherten Polyphonie
(etwa bei Brahms und Bruckner), seine Ignorierung
dagegen eroffnete den Weg zur Aneinanderfiigung
weitgehend beliebiger Klange, die vorwiegend als
Farb- oder Reizwerte motiviert sind (->• Impressionis-
mus). Seit der Jahrhundertwende wurde kontrapunkti-
sches Denken zu einem der Impulse fur die neue Mu-
sik, in der - da Tonalitat und funktionale Harmonik
aufier Kraft gesetzt sind - die Tone primar linear ge-
bunden werden und den neuen Klang wie auch die
Klangfolge ermoglichen und rechtfertigen. Der iiber-
kommene Begriff des K.s kann jedoch weder die Fiille
neuer satztechnischer Phanomene erfassen noch den
radikal veranderten klanglichen Grundlagen - auch
wo er sie provozierte - gerecht werden. Bemerkens-
wert ist aber, daB in der -*■ Seriellen Musik die Ab-
leitung des Linearen wie des Klanglichen aus einem
einheitlichen Material, der -*■ Reihe, eine geistige
Verwandtschaft mit dem alten, ungeteilten K.-Prinzip
aufweist.
2) Neben Prinzip, Praxis und Lehre wird auch deren
Resultat, die gewonnene Gegenstimme oder der ganze
Satz, K. genannt. Zwischen diesen Bedeutungen ist
nicht immer klar zu unterscheiden ; Ausdriicke wie
facere contrapunctum, contrapunctare, contrapuncta-
tio beziehen sich sowohl auf die einzelne Stimme wie
auf das Verfahren, nach dem sie geschaffen ist. Der
Stimmenname K. bezeichnet im Gegensatz zu -*■ Dis-
kant eine in ihrer Lage unabhangige Stimme und
scheint nur in Lehrschriften und ihren Exempla, nicht
aber in praktischen Quellen verwendet worden zu
sein. In der Fugenlehre wird die zum Thema erklingen-
de Partie der Gegenstimme K. genannt (->■ Gegensatz,
-*■ Kontrasubjekt). Da kontrapunktische Kompositio-
nen meist spezielle Gattungsnamen tragen, tritt K. als
Bezeichnung eines ganzen Satzes selten auf, z. B. in
Willaerts Fantasie, Recercari, Contrapunti a tre uoci (1551)
oder, als bekanntester Beleg, im Erstdruck von J. S.
Bachs Kunst der Fuge.
3) Die zuerst von Vicentino beschriebene Technik des
doppelten K.s besteht darin, einer Stimme eine zweite
hinzuzuf iigen, die entweder Ober- oder Unterstimme
sein kann, so daB sich durch Stimmenumschichtung
aus einem Satz zwei Fassungen herstellen lassen, deren
Intervallrelationen verschieden sind. Die Auswahl an
brauchbaren Intervallen und Fortschreitungen ist ge-
geniiber dem einfachen K. eingeschrankt. Die Ver-
tauschung der Stimmen durch Oktavierung (doppelter
K. der Oktave) erweist sich als giinstig, weil alle Inter-
valle auBer Quarte und Quinte beim Austausch ihren
(perfekt wie imperfekt) konsonanten bzw. dissonan-
ten Charakter bewahren, und uberwiegt bei weitem.
Schwierigere Bedingungen stellt der doppelte K. bei
der Versetzung auf eine andere Tonstufe (in der Praxis
Versetzung um eine None bis Duodezime), wie aus fol-
gender Obersicht zu ersehen ist (Zahlen statt Intervall-
namen) : Das Intervall der
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
wird im doppelten K.
der 8 zu 8 7 6 5 4 3 2 1
der 9 zu 9 8 7 6 5 4 3 2 1
der 10 zu 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
der 11 zu 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
der 12 zu 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
Beim mehrfachen K. werden drei oder mehr Stimmen
ausgetauscht, z. B. in den thematischen Teilen von J. S.
Bachs Sinfonia F moll (BWV 795) als 3facher K. der
Oktave.
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493a-b, 496a-498b; CS IV, 76b-153b, 278a-294a, 383a-
396b, 443b-454b; CSM 7, Liber secundus, 1-53; CSM 9,
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Kontrasubjekt, auch Gegensatz, ein Kontrapunkt
zum Thema einer Fuge, der £iir den Verlauf des Stiickes
beibehalten wird. Das K. setzt mit oder zu dem -»- Co-
mes ein, hat ungefahr dessen Lange und kontrastiert zu
ihm: „
Comes
Ende und Uber- Kontrasubjekt
leitung vom Dux
J. S. Bach, Wohltemperirtes Clavier II,
Fuge As dur, BWV 886.
Das K. kehrt mit jedem weiteren Auftreten des The-
mas wieder (einzelne Ausnahmen sind moglich) und
muB mit diesem als Ober- wie Unterstimme einen kor-
rekten Satz bilden, d. h. im doppelten Kontrapunkt
stehen. Zuweilen wurden auch die zum Grundthema
hinzutretenden Themen der Doppel-, Tripel- oder
Quadrupelfuge K. genannt, wie z. B. in C.Ph.E.Bachs
Vermerk am SchluB der Handschrift von J. S. Bachs
Kunst der Fuge: Uber dieser Fuge, wo der Nahme BACH
im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser ge-
storben.
Konzert (von -> concerto), - 1) (engl. concerto) be-
zeichnet seit dem spaten 18. Jh. ein mehrsatziges Werk
(das einsatzige ist das -> Konzertstiick) fur Soloinstru-
ment(e) und Orchester (-*■ Doppelkonzert, -> Tripel-
konzert, -*■ Quadrupelkonzert, -*■ Symphonie con-
certante), meist in Form des Sonaten-Satzzyklus. Das
K. ging hervor aus dem -» Concerto und dem -»• Con-
certo grosso, von denen es sich vor allem unterscheidet
durch den Fortfall der Generalbafibegleitung fur den
(oder die) Solisten und durch die daraus resultierende
Aufhebung der starren Gegeniiberstellung von Solo
und Tutti (die nur noch gelegentlich in virtuosen K.n
des 19. Jh., z. B. bei Paganini, wiederkehrt). Die nach
Zahl und Bedeutung uberwiegenden Besetzungen des
neueren Solo-K.s sind das Violin-K. (->■ Violinmusik)
und das Klavier-K. (-> Klaviermusik). Die seit dem 17.
Jh. concertierend verwendeten Instrumente -» Trom-
pete (- 1), ->■ Querflote, -> Oboe (- 1), ->• Fagott er-
hielten mit ihrer Weiterentwicklung hinsichtlich der
Spielbarkeit und Klangfarbe seit dem spaten 18. Jh.
neue Aufgaben als Soloinstrumente im K. Hinzu ka-
men seit dem 18. Jh. -»■ Violoncello (- 1), ->■ Viola (- 2),
-»- KontrabaB (- 1), -s-Waldhorn, -»- Klarinette, im 19.
Jh. auch das -> Saxophon und die ->■ Harmomka-In-
strumente, im 20. Jh. Schlagzeug, Ondes Martenot (K.
von Jolivet 1947) und andere elektrische Instrumente
sowie das wiederentdeckte Cembalo (K.e von de Falla
1928, Distler 1936). -Etwa seit der Zeit der Bach-S6h-
ne hat vor allem der 1. Satz des K.s -*■ Sonatensatzform,
492
Konzert
zunachst noch mit Resten der Ritornellform. Alle Satz-
teile sind erweitert durch solistische Eingange, Spiel-
episoden (-*• Kadenz - 2), zum Teil auch durch ein 3.
Thema (-»■ Exposition). Stent das Soloinstrument im
brillanten und virtuosen K. dem geschlossenen Or-
chester gegeniiber, so sind die Grenzen im spatroman-
tischen K. verwischt, da hier einerseits das Soloinstru-
ment obligat ins Orchester einbezogen wird, anderer-
seits aus dem Orchester Soli heraustreten und in Episo-
den mit dem eigentlichen Solo duettieren. - Wie die
gleichzeitige Symphonie oder Sonate ist das K. in der
Regel dreisatzig. Das romantische K. zeigt Verbindung
der Satze (Beethoven, Mendelssohn, Schumann, Pfitz-
ner) bis zur Einsatzigkeit und monothematischen Anla-
ge (Liszt), wobei die Satzcharaktere noch erkennbar
sind. Als 4. Satz kommt (so bei Litolff, Brahms) das
Scherzo hinzu ; Erweiterung in Analogie zur Chorsym-
phonie findet sich u. a. bei Busoni (Klavierkonzert).
- 2) K. (engl. concert) bedeutet auch eine musikahsche
Zusammenkunft, bei der umgangsmafiig oder -fiir das
moderne K.-Wesen eigentumlich - darbietungsmaBig
musiziert wird. Fiir Solodarbietungen sind neben K.
auch Bezeichnungen wie Klavier- oder Liederabend
(Soiree), Soliloques und Recital (-»• Recit) gebrauch-
hch. Darbietung von Musik in Kirche, Kammer, Zunf t,
-*■ Akademie, -»■ Collegium musicum und Salon rich-
tete sich an einen abgegrenzten Zuhorerkreis, obwohl
auch hier Gaste zugelassen wurden. Das moderne K.-
Leben mit K.en, die nach dem Vorbild der veneziani-
schen Oper (seit 1637) von jedermann gegen Entgelt
besucht werden konnen, offentlich durch Annoncen
bekanntgemacht, auch in Reihen mit Subskription und
Abonnement von Impresarii und -»■ Konzertdirektio-
nen veranstaltet werden, entwickelte sich von England
aus. Der Violinist J. Banister gab in seinem Haus in
London 1672-78 K.e gegen Eintrittsgeld; fiir das Pro-
gramm konnten die Zuhorer Wiinsche SuBern. K.-
Veranstalter in London waren nach ihm u. a. Th. Brit-
ton 1678-1714, R.King zusammen mit dem deutschen
Opernunternehmer J.W.Franck 1690-93, mit einem
eigenen Konzertsaal. 1710-92 bestanden die K.e der
Academy of Ancient Music, 1765-82 die Bach-Abel-
K.e. Die Promenaden-K.e seit 1895 sind eine typisch
englische Einrichtung. In Frankreich veranstaltete der
Lautenist Gallot ab 1683 wochentlich K.e. Bei den
Concerts italiens ab 1713 wurde vorwiegend italieni-
sche Kammermusik gespielt. In den Concerts spirituels
(1725-91, erneuert 1805) wurde zunachst in der Kar-
woche geistliche Musik aufgef iihrt, sparer fanden diese
K.e vor allem an den opernfreien Tagen start. Ab 1769
rivalisierte mit ihnen das von Gossec gegriindete Con-
cert des amateurs. In Deutschland entwickelten sich
K.-Reihen vor allem in den Stadten mit wohlhabender
Biirgerschaft, so in Frankfurt am Main (Grofies K. ab
1739), Hamburg (Subskriptions-K.e ab 1761), Mann-
heim ab 1 779, Erfurt ab 1 780. Am bekanntesten wurden
die Gewandhaus-K.e in Leipzig ab 1781 (unter J. A. Hil-
ler), die hervorgingen aus dem 1743 von Doles gegriin-
deten GroBen Concert. Die Berliner Musikiibende
Gesellschaft gab ab 1749 K.e, ab 1770 fanden die Ber-
liner Liebhaber-K.e start, ab 1791 die Chor-K.e der
-*■ Singakademie, wahrend Reichardt mit der Konig-
lichen Kapelle K.e nach dem Vorbild der Concerts
spirituels gab. In St. Petersburg fanden regelmaBige Sf-
fentliche K.e ab 1762 start, in Stockholm ab 1771. In
Rom gab es geregelte weltliche K.e seit der Griindung
der Pontificia Accademia Filarmonica Romana 1822. -
VergnUgungsgarten mit K.en sind in England seit der
2. Halfte des 17. Jh. bekannt; die Vauxhall Gardens
waren 1730-1859 K.-Statte. Die Garten- und Platz-
K.e der -> Militarmusik boten, auch in Deutschland, oft
zeitgenossischeWerke in Bearbeitungen (-> Harmonie-
musik). - Die von Komponisten mit eigenen Werken
veranstalteten K.e (Akademien, Benefiz-K.e) sind im
19. Jh. auBer Gebrauch gekommen, teils durch das
offentliche K.-Wesen, teils weil sich den Komponisten
andere Einnahmequellen erschlossen (z. B. durch das
-*■ Urheberrecht). - Trager des offentlichen K.-Lebens
sind heute die Lander und die groBen Stadte mit eige-
nen Symphonieorchestern (etwa 7-12 Abonnements-
K.e pro Saison), die erganzt werden durch reisende
Orchester und Solisten. K.e, die hinsichtlich Besetzung
und Programm AuBergewohnliches bieten, finden oft
im Rahmen von -> Festspielen start oder bilden deren
eigentlichen AnlaB. - Bis ins 19. Jh. waren umfangrei-
che K.-Programme mit zum Teil wechselnder Be-
setzung iiblich (eine Akademie Mozarts vom 15. 10.
1790 hatte die Programmfolge: Symphonie, Arie, Kla-
vier-K., Arie; im 2. Teil: Klavier-K., Duett, Improvi-
sationen Mozarts, Symphonie). Symphonie-K.e dau-
ern heute etwa li/ 2 -2 Stunden und bringen durch-
schnittlich 3-4 Werke verschiedener Komponisten, oft
in chronologischer Ordnung (oder mit einem klassi-
schen Repertoirestuck am SchluB) und mit einem Werk
fiir Soloinstrument und Orchester (meist im ersten
Teil, vor der Pause). Programme, die vom herrschen-
den Publikumsgeschmack abweichen, konnen sich vor
allem die Rundf unkanstalten, die nicht von Einnahmen
aus Eintrittskarten abhangig sind, in ihren offentlichen
K.en erlauben. Rundfunksendungen gehen oft vom
Prinzip des K.-Programms mit einheitlicher Besetzung
ab, wenn Schallaufzeichnungen, die zu verschiedenen
Zeiten mit verschiedenen Musikern oder Ensembles
hergestellt wurden, zu einer Darbietung vereinigt
werden.
Lit.: zu 1): A. Schering, Gesch. d. Instrumental, bis auf
d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen I,
Lpz. 1905, 21927, Nachdruck Hildesheim 1965; Fr. Blu-
me, Die formgeschichtliche Stellung d. Klavierk. Mozarts,
Mozart-Jb. II, 1924; ders., Mozarts K. u. ihre Oberliefe-
rung, in: Syntagma musicologicum, Fs. Fr. Blume, Kassel
1963; H. Engel, Das Instrumental^, = Fiihrer durch d.
Konzertsaal I, 3, Lpz. '1932; ders., Das Solok., = Das
Musikwerk XXV, Koln (1964); E. J. Simon, The Double
Exposition in the Classic Concerto, JAMS X, 1957; A.
J. B. Hutchings, The Baroque Concerto, London 1961 ;
W. Kolneder, Die Solokonzertform bei Vivaldi, = Slg
mw. Abh. XLII, StraBburg u. Baden-Baden 1961; W. Le-
bermann, Zur Frage d. Eliminierung d. Soloparts aus d.
Tuttiabschnitten in d. Partitur d. Solok., Mf XIV, 1961, da-
zu H. Beck, Das Soloinstr. im Tutti d. K. d. 2. Halfte d. 18.
Jh., ebenda.
- zu 2): Th. Busby, Concert-Room and Orch. Anecdotes
.... 3 Bde, London 1825; A. A. E. El wart, Hist, de la
Soc. des concerts du Conservatoire, Paris 1860, 2 1863,
Paris 1885 v. E. M. E. Deldevez; ders., Hist, des concerts
populaires ..., Paris 1864; H. Kretzschmar, t)ber d.
Stand d. offentlichen Musikpflege in Deutschland, in:
Slg mus. Vortrage XXI/XXXVII, hrsg. v. P. Graf v. Wal-
dersee, Lpz. 1881; M. Brenet, Les concerts en France
sous l'Ancien regime, Paris 1900; C. Pierre, Le concert
spirituel 1725 a 1790, Paris 1900; H. Staudinger, Indivi-
duum u. Gemeinschaft in d. Kulturorganisation d. Ver.,
= Schriften zur Soziologie d. Kultur 1, Jena 1913; P. Bek-
ker, Das deutsche Musikleben, Stuttgart u. Bin 1916; A.
Dandelot, La Soc. des concerts du Conservatoire de 1828
a 1923, Paris 1923 ; K. Meyer, Das K., Stuttgart (1925); G.
Pinthus, Das Konzertleben in Deutschland, =Slg mw.
Abh. VIII, StraBburg 1932; E. Preussner, Die burgerliche
Musikkultur, Hbg 1935, Kassel 21950; W. v. d. Wall u.
Cl. M. Liepmann, Music in Institution, NY 1936; G.
Mauge, Concert, Paris 1937; R. Wangermee, Les premiers
concerts hist, a Paris, in: Melanges E. Closson, Briissel
1948; H. Rutz, Das K.-Leben v. heute, Europa-Arch. VI,
1951 ; E. Gerhardt, Recital, London 1953; R. Bauer, Das
K., Bin 1955; J. Subira, Conciertos espirituales espafloles
en el s. XVIII, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1926.
493
Konzertdirektion
Konzertdirektion, ein Geschaftsunternehmen, das
sich mit der Vorbereitung und Durchfiihrung musi-
kalischer Veranstaltungen befaBt, auf eigene Rechnung
oder im Auftrag. Die K. iibernimmt - als Konzertagen-
tur - auch die' Vermittlung von Engagements (Manage-
ment) fiir Instrumentalisten und Konzertsanger(innen) ;
Opernengagements werden von Theateragenturen
(Impresarios) vermittelt. - Die ersten Konzertunter-
nehmer traten in England schon Ende des 17. Jh. auf
(z. B. J. Banister), doch trat ihr EinfluB im Konzertle-
ben hinter dem der musikalischen -»■ Gesellschaften
zuriick. Im 18. Jh. iiberwogen die von den Musikern in
eigener Regie veranstalteten ->■ Akademien. Die erste
K. im modernen Sinn griindete H. Wolff 1 880 in Berlin.
Lit.: P. Bekker, Das deutsche Musikleben, Stuttgart u.
Bin 1916; E. Stargardt- Wolff, Wegbereiter grofier Mu-
siker, Bin u. Wiesbaden 1954.
Konzertfuhrer.
H. Kretzschmar, Fuhrer durch d. Konzertsaal, 2 Bde
in 3, I Sinfonie u. Suite, II Vokalmusik, 1, Kirchliche
Werke, 2, Oratorien u. weltliche Chorwerke, Lpz. 1887-
90, neubearb. u. erweitert als: I, Orchestermusik, 1, Sin-
fonie u. Suite (v. Gabrieli bis Schumann), v. Fr. Noack
71932, 2, Sinfonie u. Suite (v. Berlioz bis zur Gegenwart),
v. H. Botstiber '1932, 3, Das Instrumentalkonzert, v. H.
Engel 71932, II, 1, ^1921, 2, v. H. Schnoor 51939, III, Die
Kammermusik, v. H. Mersmann, 4 Bde, Lpz. 1930-33 ; M.
Burkhardt, Fuhrer durch d. Konzertmusik, Bin 1909,
3 1918; Th. Muller-Reuter, Lexikon d. deutschen Kon-
zertlit., 2 Bde, Lpz. 1909-13, Nachtrag 1921 ; W. Georgii,
Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Freiburg i. Br. 41965;
M. Senechaud, Concerts symphoniques .... Lausanne
1947; ders., Le repertoire symphonique, Paris 1954; A.
Veinus, The Victor Book of Concertos, NY 1948; G. v.
Westerman, Knaurs K., Munchen u. Zurich 1951, 'I960;
H. Renner, Reclams K. (Orchestermusik), Stuttgart 1952,
51961 ; O. Schumann, K., Wilhelmshaven 1952; K. Blau-
kopf, Lexikon d. Symphonie, Koln 1953; K. Bauer, Das
Konzert, Bin 1955; M. Grater, K., Neue Musik, = Fi-
scher Biicherei XCIV, Ffm. (1955, 21958); Konzertbuch,
Orchestermusik, hrsg. v. K. Schonewolf, 2 Bde, Bin 1958-
60, 1 5 1 961 , II 3 1 962 ; G.-W. Baruch, K., 99 Orchesterwerke
v. Beethoven bis R. Strauss, = Fischer Biicherei CCXCIX,
Ffm. (1960); R. Kloiber, Hdb. d. klass. u. romantischen
Symphonie, Wiesbaden 1964; Meisterwerke d. Musik.
Werkmonographien zur Mg., hrsg. v. E. L. Waeltner,
H. Iff., Munchen 1965ff.
Konzertina, ein ->■ Harmonika-Instrument mit 4-
oder 6eckigem Querschnitt; es wurde 1834 von dem
Klarinettisten C.Fr.Uhlig (1789-1874) in Chemnitz
gebaut, der die Handharmonika von Demian kennen-
gelemt hatte. Statt der gekoppelten Basse fuhrte Uhlig
fiir die Jinke Hand Einzeltone ein, mit denen er jeden
Akkord in jeder Lage und Stellung (dem Umfang ent-
sprechend) spielen konnte. Die erste K. hatte 5 Melo-
die- und 5 BaBknopfe; da wie bei der Harmonika im
Auf zug andere Tone erklangen als im Zudruck, hatte
sie auf jeder Seite 10 Tone. Diese Anlage wurde bald
auf 40 Tone, 1840 auf 56 und bis 1872 auf 78 Tone er-
weitert, auf Anregungen von M.Neubert (1869-1926)
und R. Lindner (1853-1931) auf 102 Tone (»Scheffler-
sche Tonlage«) und durch K. Jobst auf 124 Tone (»Carls-
felder Tonlage«). Die Einheits-K. wurde 1924 von ei-
ner Kommission des damaligen Deutschen K.- und
Bandonionbundes ausgearbeitet und war 128t6nig. Bis
1868 wurden die Instrumente einchorig, dann durch
Hinzufiigung der oberen Oktave zweichorig gebaut.
Die Notierung erfolgte im sogenannten Waschleinen-
system : auf einer Linie waren die Notenwerte verzeich-
net, die dariiberstehenden Zahlen bezeichneten die
Knopf e, die in Verbindung mit den Auf- und Zudruck-
zeichen zu greifen waren. Die Tone und Akkorde der
linken Hand wurden ebenfalls durch Zahlen darge-
stellt. Nach 1920 notierte man die Tone der rechten
Hand in der ublichen Notenschrift, um Streichern ein
Mitspielen zu ermoglichen, wahrend die Zahlen fiir
den K.-Spieler beibehalten wurden. Bei den beschei-
denen musikalischen Anspriichen der Spieler, die sich
auf Volks- und Unterhaltungsmusik beschrankten,
war diese Notation ausreichend. Die K. wurde im Lau-
fe der Zeit durch das -»• Bandonion verdrangt.
Konzertmeister (engl. leader; amerikanisch concert
master; frz. violon solo bzw. chef d'attaque; ital. vio-
lino primo), der erste Geiger eines Orchesters, der das
Einstimmen zu leiten, das Spiel anzufiihren, die Vio-
linsolostellen zu spielen und in Proben zuweilen den
Dirigenten zu vertreten hat. In groBeren Orchestern
gibt es mehrere K., z. B. die Stimmfiihrer der 2. Vio-
linen, Bratschen oder Violoncelli. In Hofkapellen des
17.-19. Jh. war der K. Orchesterleiter (z. B. Bach in
Weimar 1714-17) ; er war der Regente bey der Instru-
mental-Musik (Mattheson Capellm., S. 483).
Konzertsaal. Im 19. Jh. hatte der K., ein Reprasen-
tant des musikalischen Bildungsanspruchs des aufstre-
benden biirgerlichen SelbstbewuBtseins, zunachst ein
den hofischen Fest- und Prunksalen nachempfundenes
Aussehen. Die wachsenden Zuhorerzahlen yerlangten
zum Teiljedoch wesentlich groBere Dimensionen. Da-
bei fuhrte die Forderung qualifizierter Musikdarbie-
tung zur Suche nach meBbaren Kriterien der -> Raum-
akustik. Als wichtige GroBen werden heute -> Nach-
hall und -*■ Diffusitat genannt. Die geometrischen Di-
mensionen naherten sich vom Quader ausgehend im
Laufe der Zeit zunehmend der Muschelform an. Die
GroBe der Konzertsale schwankt zwischen 5000 und
22000 m 3 (Royal Festival Hall London). Eine wichtige
Rolle scheint auch das Verhaltnis des Raumvolumens
zur Besetzungsdichte (angegeben als Volumen pro
Sitzplatz) zu spielen. Es bewegt sich zwischen 6 und
17 m 3 . Bislang konnten aus den Nachhallkurven von
Konzertsalen keine eindeutigen Qualitatskriterien ab-
gelesen werden; sie unterscheiden sich im leeren ge-
geniiber dem besetzten Zustand zum Teil wesentlich
voneinander. Die Nachhallzeiten gehen bei voller
Publikumsbesetzung auf etwa 70% (z. B. groBer Kon-
zerthaussaal Wien) bis 90% (Royal Festival Hall Lon-
don) gegeniiber den Leerwerten zuriick.
Lit.: L. Cremer, Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik,
I Geometrische Raumakustik, Lpz. 1948, II Statistische
Raumakustik, Stuttgart 1 96 1 ; P. H . Parkin, W. E. Scholes
u. A. G. Derbyshire, The Reverberationtimes of Ten Bri-
tish Concert Halls, Acustica II, 1952; W. Kuhl, Uber
Versuche zur Ermittlung d. giinstigsten Nachhallzeit gro-
Ber Musikstudios, ebenda IV, 1954, Beih. 2$ L. Cremer,
L. Keidel u. H. Muller, Die akustischen Eigenschaften
d. groBen u. d. mittleren Saales d. neuen Liederhalle in
Stuttgart, ebenda VI, 1 956, Beih. 2 ; E. Meyer u. H. Kutt-
ruf, Zur akustischen Gestaltung d. neuerbauten Beetho-
venhalle in Bonn, ebenda IX, 1959; Fr. Bruckmayer,
Hdb. d. Schalltechnik im Hochbau, Wien 1962.
Konzertstuck, auch Concertino, seit dem spaten 18.
Jh. ein einsatziges Solokonzert oder eine groBere, fiir
den Konzertvortrag ohne Orchester bestimmte Kom-
position (Chopin, Allegro de concert op. 46; Schumann,
Sonate op. 14, bezeichnet als Concert sans orchestre).
Neben der regularen oder verkiirzten Sonatensatz-
form (Schumann, Concertstiick fiir 4 Horner und Orch.
op. 86; Concertstiick, Introduktion und Allegro appas-
sionato fiir Kl. und Orch. op. 92; der 1. Satz des Kla-
vierkonzerts war zunachst unter der Bezeichnung Fan-
tasie als K. gedacht) oder dem in einen Satz zusammen-
gezogenen Sonaten-Satzzyklus kommen als K.e vor:
Rondos (Mozart K.-V. 382); Variationen (Chopin
op. 2); Tanze (Chopin, Krakowiak op. 14); Charakter-
stiicke wie Romanzen (Beethoven, fiir V. und Orch.
494
Korea
op. 40 und 50) und Capricci (Mendelssohn, Capriccio
brillant op. 22 fur Kl. und Orch.) oder Ravels Tzigane
fiir V. und Orch. ; auch freie Formen der Programm-
musik (CM. v.Weber, K. op. 79 fur Kl. und Orch.).
Lit.: H. Engel, Die Entwicklung d. Deutschen Klavier-
konzertes v. Mozart bis Liszt, Lpz. 1927; ders., Das In-
strumentalkonzert, = Fiihrer durch d. Konzertsaal I, 3,
Lpz. 71932.
Kopenhagen.
Lit.: Th. Overskou, Den danske skuespil indtil vor tid,
5 Bde, K. 1854-64; A. Hammerich, Musiken ved Christian
den Fjerdes Hof, K. 1892, deutscher Auszug.v. C. EUing
in: VfMw IX, 1893; ders., Musikhistorisk Museum, K.
1909, deutsch v. E. Bobe, K. 191 1 ; A. Aumont u. E. Col-
lin, Det Danske Nationalteater 1 748-1 889, 3 Bde, K. 1 896-
1900; C. Thrane, Fra hofviolonernes tid, K. 1908; V.
Christensen, Stadsmusikanten, in : Hist, meddedelser om
K. V, 1915/16; T. Krogh, Zur Gesch. d. danischen Sing-
spiels im 18. Jh., K. 1924; G. Hetsch, Musiklivet (1870-
1914), in : Danmark i fest og glaade V, 1935/36 ; H. Funck,
Beitr. zur Altohaer Mg., Altonaische Zs. f. Gesch. u. Hei-
matkunde VI, Neumiinster (Holstein) 1937, S. 64ff.: K.
mus. Romantik um 1840; N. Friis, Det Kongelige Teater,
K. 1943; ders., Det danske Hoftrompeter Korps, K. 1947;
ders., Det Kongelige Kapel, K. 1948 ; A. Kjerulf, Hundre-
de ar mellem noder (Gesch. d. Musikverlags Wilhelm
Hansen), K. 1959.
Kopfstimme -»■ Register (- 3).
Koppeln (von lat. copula, Band, Verbindung; frz.
tirasses; ital. accopiamenti ; engl. couplers) sind Spiel-
hilfen, die in der Orgel die verschiedensten Verbin-
dungen von Spieltrakturen und Registern herstellen,
sei es mit der Hand durch Druckknopfe, sei es mit dem
FuB durch Tritte. Die Normal-K. ermoglichen es, die
gezogenen Register eines Manuals auf einem oder meh-
reren anderen Manualen, auch auf dem Pedal, mitzu-
spielen. Mechanische, pneumatische und elektrische K.
sind von je verschiedener Bauart. Oktav-K. lassen als
Super-K. die hoheren Oktaven im gleichen oder im
anderen durch sie angekoppelten Manual mitklingen,
Sub-K. dagegen die Unteroktaven, soweit sie ausge-
baut sind. Die Melodie-K. (Melodiefiihrer, Vorsanger)
lassen zur Melodieverstarkung die Oktave des hoch-
sten Tones eines gegriffenen Akkordes im gleichen
Manual mitklingen oder koppeln nur ihn aus einem
anderen - starker zu registrierenden - Manual in Nor-
mal- oder Oktavlage an. Oktav- und Melodie-K. und
iiberhaupt ein Zuviel an K. lehnt der Orgelbau heute
wegen des klaren Werkprinzips einer Orgel ab.
Koptische Musik. Die agyptischen Christen haben
schon sehrfruh eineeigeneliturgische Musik entwickelt,
die sich eng an den byzantinischen Kult anschlieBt.
Dariiber hinaus scheint sie auch Reste altagyptischer
Elemente zu enthalten. Die Trennung der koptischen
Kirche von Byzanz im Jahre 451 und die Eroberung
(640) und damit verbundene Islamisierung Agyptens
durch die Araber haben auf die Entwicklung der K.n
M. stark eingewirkt im Sinne einer merkbaren An-
passung der Liturgie an das Empfinden der agyptischen
Glaubigen und einer Erneuerung der Volksmusik, wo-
mit eine gewisse Riickkehr zur altehrwurdigen musi-
kalischen Tradition im Niltal, nach den Perioden zeit-
weiser Uberf remdung in f riiheren Jahrtausenden ver-
bunden war. - Seit dem 10./11. Jh. erscheinen in kop-
tischen Manuskripten ekphonetische und neumenarti-
ge Zeichen, die der griechischen und byzantinischen
Akzent- und Musikschrift entnommen sind oder sich
gelegentlich an jiidische Lektionszeichen (taamim) an-
lehnen. Diese Aufzeichnungsversuche sind aber verein-
zelt geblieben und wieder in Vergessenheit geraten.
Die koptische Kirchenmusik mit ihrer 1st. Liturgie
wurde bis heute mundlich uberliefert und besonders in
Sangerschulen gepflegt. Dabei ist erstaunlich, wie die
Priester und die (meist blinden) Kirchensanger das rie-
sige Repertoire gedachtnismaBig beherrschten. Der tra-
ditionelle Gesangsstil unterscheidet sich in der Klang-
farbe deutlich vom arabischen Kunstgesang. Liturgi-
sche Sprache ist weiterhin das auf das Altagyptische zu-
riickgehende Koptische, jedoch werden bestimmte
Teile der Messe, vor allem katechetische Deklamatio-
nen, auch in arabischer Sprache zugelassen. Damit
dringt unmerklich arabischer Stil und Geschmack in
den Gottesdienst ein. Zu unterscheiden sind 3 Formen
der Messe: die des hl.Basilius (329-379), die als die 31-
teste gilt, die Messe des hi. Gregor von Nazianz (fiir
groBe Festtage) und die des hi. Kyrillos (heute fast ganz
vergessen). - Die Kopten gelten zu Recht als die direk-
ten und unverfalschten Nachkommen der alten Agyp-
ter, wird doch sogar der Name »Kopte« entweder von
der alten oberagyptischen Stadt Koptos oder von der
griechischen Bezeichnung aigyptios abgeleitet. Sie ha-
ben noch lange eine eigene, echt agyptische Volksmu-
siktradition bewahrt, die bis heute im Lied des Fella-
chen trotz schwerwiegender arabisch-islamischer Be-
einflussung weiterlebt. Dieses konservative Element
hatte die Aufspaltung des agyptischen Musiklebens in
ejne stadtische, stark iranisch-arabisch beeinfluBte
Kunstmusik und eine folkloristische Musik der Land-
bevolkerung zur Folge. Die koptische Volkskunst der
Vergangenheit muB jedenfalls noch so viel Lebens-
kraft besessen haben, daB es sogar zur Neuschaffung
verschiedener Musikinstrumente gekommen ist. Hier-
zu gehoren Blasinstrumente aus Vogelknochen und
Lauteninstrumente mit eingeschniirten Flanken, wah-
rend Langfioten und Doppelklarinetten aus Bambus
auf altagyptische Klangwerkzeuge zuriickgehen. Ty-
pisch fiir den koptischen Gottesdienst ist das ebenfalls
auf die altagyptische Liturgie zuriickgehende Sistrum.
Erst in jiingster Zeit wird es durch das modernere Tri-
angel verdrangt. Koptische Instrumente im weitesten
Sinne des Wortes sind auch Handgriffglocken, Seman-
terien, Klappern und Handgriffklappern, teils im Got-
tesdienst, teils in der Volksmusik verwendet ; auch ver-
mittelten die Kopten dem Abendland den Gebrauch
der liturgischen Glockchen orientalischen Ursprungs.
Lit.: J. Blin, Chants liturgiques coptes, Kairo 1888; L.
Badet, Chants liturgiques des Coptes, Kairo 1899; W.
Crum, Cat. of the Coptic Mss., Manchester 1909; Th.
Gerold, Hist, de la musique des origines a la fin du XIV s.,
= Manuels d'hist. de Fart, Paris 1936; H. Hickmann, La
cliquette, un instr. de percussion egyptien de l'epoque
copte, Bull, de la Soc. d'archeologie copte XIII, 1948/49;
ders., Observations sur les survivances de la chironomie
egyptienne dans le chant liturgique copte, Annales du ser-
vice des antiquites de FEgypte XLIX, 1949; ders., Un
instr. a cordes inconnu de l'epoque copte, Kairo 1949;
ders., Quelques observations sur la musique liturgique des
Coptes d'Egypte, Kgr.-Ber. Rom 1950; ders., Quelques
nouveaux aspects du role de la musique copte dans l'hist.
de la musique en Egypte, Bull, de la Soc. d'archeologie
copte XV, 1958/60; ders., K. M., in: Koptische Kunst,
Ausstellungs-Kat. d. Villa Hiigel e. V., Essen 1963; P. R.
Menard, Note sur les musiques arabes et coptes, Les ca-
hiers coptes II, Kairo 1952; ders., Notation et transcription
de la musique copte, ebenda III, 1953 ; ders., Une etape de
Fart mus. egyptien: la musique copte, Rev. de Musicol.
XXXVI, 1954; ders., Note sur la memorisation et l'impro-
visation dans le chant copte, Etudes gregoriennes III, 1959 ;
M. Huglo OSB, La chironomie medievale, Rev. de Mu-
sicol. XLIX, 1963. HaH
Korea.
Lit.: A. Eckardt, K.nische Musik, Mitt. d. Deutschen
Ges. f. Natur- u. Volkerkunde Ostasiens XXIVB, 1930;
Ch. S. Keh, Die k.nische Musik, = Slg mw. Abh. XVII,
StraBburg 1935 ; J. L. Boots, K.n Mus. Instr. and an Intro-
duction to K.n Music, in : Transactions of the RoyalAsiatic
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Kornett
Soc, K.n Branch, 1940; K., in: Bibliogr. of Asiatic Musics,
Notes II, 7, 1949/50; C..S. Cho, Songs of K., Dubuque
(la.) 1950; W. S. Lim, Present Status of Music in K., Kgr.-
Ber. Wien 1956; J.-G. Kim, Musikethnologische Studien
liber d. k.nische Volkslied, Diss. Wien 1964, maschr.
Kornett (f rz. cornet a pistons, kleines Horn mit Pump-
ventilen; auch einfach Piston genannt), - 1) aus dem
Posthorn durch Einbau von Ventilen hervorgegange-
nes Blechblasinstrument, das zuerst in Frankreich (viel-
leicht von Halary vor 1830) gebaut wurde. Urspriing-
lich von gedrungener Form, wurde es seit etwa 1920
der Trompete sehr stark angeglichen, so daB sich heute
Flugelhorn, K. und Trompete nur noch geringfugig
unterscheiden (im Bau des Mundstiicks und in der
Mensur, wobei das K. zwischen dem weiteren Fliigel-
horn und der engeren Trompete steht). Der Ton des K.s
ist weniger hart und glanzend als der der Trompete
und weniger fiillig als der des Flugelhorns. Das wich-
tigste Instrument ist das Sopran-K. in B (Umfang et-
wa f-c3), daneben in C und A; in der Harmoniemusik
werden auBerdem das Pikkolo-K. (Cornettino, vor
allem in Es) und das Alt-K. (vor allem in Es, eine Ok-
tave unter dem Pikkolo-K.) verwendet. Wie fiir die
moderne Trompete in B und die Instrumente der
-> Btigelhorn-Familie, wird fiir das K. die transponie-
rende K.-Notierung verwendet. (Beim K. in B er-
klingt der Ton einen Ganzton tiefer als geschrieben.)
In das Orchester wurde das K. durch Rossini einge-
fiihrt (Guillaume Tell, 1829), konnte sich aber, zugun-
sten der Trompete, auf die Dauer nicht behaupten.
Neben der Verwendung in der Harmoniemusik spielte
das K. im Jazz zunachst eine groBe Rolle, bis es auch da
von der Trompete verdrangt wurde (bald nach 1920).
Von Jazzmusikern werden jedoch fast ausnahmslos
Trompeten mit Pistonventilen gespielt. - 2) In der Or-
gel ist K. (Cornett) entweder eine den Ton des Zink
nachahmende Zungenstimme 4' oder 2', im Pedal oft
als doppelchoriges Singend Cornett 2' mit verkiirzten
Bechern disponiert, oder eine gemischte Stimme, zu-
meist drei-, vier- oder fiinffach auf 22/ 3 ', 4', 8' oder 16'
(GroB-K.). Von der Mixtur unterscheidet sich das K.
durch Repetitionslosigkeit, weitere Mensur und die
charakteristische Terz (5. Partialton), die nur in den
seltenen Oktav-K.en fehlt. Das Septimen-K. nimmt
- zumeist im Diskant - eine Sept hinzu. Als Rohrwerk-
verstarker begann das K. friiher ofter ab f oder c 1 .
Lit. : zu 1) : M. Rasmussen, On the Modern Performance of
Part Originally Written for the Cornett, Brass Quarterly
I, 1957.
Korrepetjtor (lat., »Mitwiederholer«) nennt man den
Kapellmeister (Oper, Ballett), dessen Aufgabe das Ein-
studieren der Solopartien am Klavier ist. Der K. fiir
das Einstudieren der Chore an Operntheatern heiBt im
allgemeinen Chordirektor.
Lit.: R. Hartmann, Hdb. d. Korrepetierens, Bin 1926.
Kortholt (Kurzholz; engl. curtail; frz. courteaud), im
17. Jh. ein Doppelrohrblattinstrument mit Windkapsel;
in das zylindrische Corpus ist ein doppelter Windkanal
gebohrt. Es steht geschichtlich zwischen der alteren
-> Rauschpf eife und dem barocken Fagott. Zusammen
mit den Fagotten und Dolzianen nennt M.Praetorius
(Synt. II, S. 23) Corthol und DoppelCorthol (in Tenor-
BaB-Lage) und SingelCorthol (in Tenor-Alt-Lage).
Koto (japanisch), Bezeichnung fiir eine Reihe von
Saiteninstrumenten, speziell fiir die Wolbbrettzither,
die aus China (->• K'in) nach Japan gekommen ist, wo
sie im 5. Jh. erwahnt wird. Im 8. Jh. war der K. 6saitig
(Yamato-K. oder Wagon), im 9. Jh. 13saitig und ge-
horte als hofisches Instrument (S6no-K.) zum Instru-
mentarium der chinesisch beeinfluBten »Linksmusik«.
Seit dem 17. Jh. entstand eine volkstumliche Literatur
fiir K., fiir die das Spielgut fiir -> Samisen Vorbild
war. Auch in Stiicken mit Gesang hat das Instrument
den Vorrang. Der moderne groBe K. ist 180-190 cm
lang, hat 13 oder mehr Saiten, die durch bewegliche
Stege gestimmt werden, und wird mit Plektron ge-
spielt. Der wichtigste neuere Meister des K.-Spiels war
M. -> Miyagi.
Ausg. : S. Izawa, Collection of Japanese K.-Music, Tokio I
1888, 21914, II 1914; Shochikubai, Japanese K.-Music,
hrsg. v. Yamase j. Yamada, Tokio o. J.
Lit. : E. T. Piggott, Principal Tunings of the Modern Ja-
panese K., London 1892; J. Obata, Acoustical Investi-
gations of Some Japanese Mus. Instr., Tokio 1930; M.
Nomura, Treatise on the Three Instr. of the Sankyoku,
Tokio 1958; W. P. Malm, Nagauto, The Heart of Kabuki
Music, Rutland (Vt.) u. Tokio 1963.
Krakau.
Ausg.: Pie$ni ludu krakowskiego (»Die Lieder d. Kr.er
Volkes«), hrsg. v. Wt. Pozniak, Kr. (1956); Muzyka w
dawnym Krakowie (»Die Musik im alten Kr.«), hrsg. v.
Z. M. Szweykowski, Kr. 1964.
Lit.: A. Chybinski, Materialy do dziejow krolewskiej ka-
peli Rorantystow na Wawelu (»Materialien zur Gesch. d.
koniglichen Rorantistenkapelle auf SchloB Wawel«), I
1540-1624, Kr. 1910, II 1624-94, in: Przeglqd muzyczny
IV, 1911; ders., Nowe materialy do dziejow krolewskiej
kapeli Rorantystow . . . na Wawelu (»Neue Materialien
zur Gesch. d. koniglichen Rorantistenkapelle . . .«), Lem-
berg 1925 ; ders., Muzycy wfoscy w kapelach katedralnych
krakowskich 1619-57 (»Die ital. Musiker in Kr.er Kathe-
dralkapellen . . .«), I. Teil, Posen 1927; ders., 3 przyczynki
do historii muzyki wKrakowie w 1 polowie XVII wieku
(»3 Beitr. zur Gesch. d. Kr.er Musik in d. 1. Halfte d. 17.
Jh.«), Warschau 1927; Zdz. Jachimecki, Muzyka na
dworze krola Wladyslawa Jagielry (»Die Musik an d. Hofe
d. Konigs Wladyslaw Jagiello«), Kr. 1915; J. Wt. Reiss,
Muzyka w Krakowie w XIX w. (»Die Musik im Kr. d. 19.
Jh.«), Kr. 1931; ders., Almanach muzyczny Krakowa,
1780-1914 (»Kr.er Musikalmanach . . .«),2Bde,Kr. 1939;
G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis
zur Mitte d. 16. Jh. (Prag, Wien, Kr.), AfMf I, 1936; A.
Klose, Die mg. Beziehungen zwischen Kr. u. Schlesien im
15. u. 16. Jh., Deutsche Monatsh. VI, Posen 1939; A.
Szweyko-wska, Pocza.tki Krakowskiej Kapeli Katedralnej
(»Die Anfange d. Kr.er Domkapelle«), Muzyka IV, 1959;
J. Dobrzycki, Hejnaf Krakowski (»Kr.er Turmblasen«),
Kr. 1961.
Krakowiak (frz. Cracovienne, »Krakauer«), polni-
scher Tanz aus der Gegend um Krakau, im schnellen
2/4-Takt mit synkopiertem Rhythmus:
Der charakteristische Rhythmus des Kr., der auch un-
ter den Namen Flisak, Wloczek, Kopeniak, Suwany
vorkommt, findet sich schon unter den mit Chorea
Polonica, Volta Polonica, Polnisch Tanz benannten
Tanzen und Liedern des 16. und 17. Jh., z. B. in den
Tabulaturen von Johannes de Lublin (1537-47), Nor-
minger und Fuhrmann. Kr.s komponierten Chopin
(Kl.-Konzert op. 11, 3. Satz, und Kr. op. 14), Pade-
rewski (Kr. op. 3) und L.Rozycki (Kr. im Ballett Pan
Twardowski).
Krebsgang (bezeichnet mit lat. cancrizans, recurrens
oder per motum retrogradum; ital. alia riversa oder
auch al rovescio), das Verfahren, eine Melodie oder ein
Satzgefiige riickwarts zu lesen und in dieser Gestalt
kompositorisch zu verwerten. Der Kr. hat ein literari-
sches Vorbild in solchen Worten oder Satzen, die auch
496
Kroatien
beim Riickwartslesen der Buchstaben (gelegentlich
auch der Silben oder Worte) einen Sinn ergeben (Pa-
lindrom, anazyklische Verse oder Versus recurrentes).
In der Musik setzt er Notation voraus, weil die Fahig-
keit, ihn als solchen gehorsmafiig zu erfassen, auf klein-
ste Partikel beschrankt bleibt. Der Kr., eine der kiinst-
lichsten Techniken im musikalischen Satz, geht bis in
die Notre-Dame-Epoche zuriick: die Hs. F enthalt am
SchluB der Dominus-Klauseln (f. 150') ein Stuck mit
dem Cantus als Kr., worauf der Textzusatz Nus-mi-do
(silbenweise Riickwartslesung von Dominus) iiberdies
hinweist. Der Kr. ist als konstruktives Mittel und Spiel
zu werten, wird aber dariiber hinaus in vielen Fallen
zum Symboltrager, so etwa - auf Grund des Doppel-
sinns oder des Zusammenfallens der Begriffe »Anfang«
und »Ende«- zur Darstellung von Tod, Ewigkeit, Un-
endlichkeit u. a. DaB Machauts 3st. Rondeau Nr 14 Ma
fin est mon commencement auch in solchem Sinn verstan-
den werden soil, liegt nahe; hier ergibt sich der Tenor,
wie es die auf dem Kopf stehende Textierung fordert,
aus dem Kr. der niedergeschriebenen Oberstimme, und
der bis zur Mitte auf gezeichnete Contratenor ist durch
seinen eigenen Kr. zu erganzen. Noch offenkundiger
ist der Symbolcharakter des Kr.s im Schlufibeispiel aus
dem Compendium musices von Coclico, einem 8st.
Krebskanon iiber zwei auf das »Ende« bezogene Bibel-
verse (Vulg. Ps. 118, 96; Matth. 10, 22 oder 24, 13)
oder in Scheidts Canon retrogradus a 3 voc. super In te
Domine speravi (non confundar in aetemum ; Vulg. Ps. 30,
2; Tabulatura nova). Auch die Anweisungen zum Kr.
wurden gelegentlich verschliisselt und in Zitate einge-
kleidet, so z. B. bei dem genannten Stuck von Coclico
mit Canon. Per aliam viam reversi sunt in regionem suam
(Matth. 2, 12) oder in der Missa Alleluia von de la Rue
mit vade retro Satanas (Mark. 8, 33). - Hinsichtlich der
musikalischen Verarbeitung des Kr.s lassen sich unter-
scheiden: 1) Kr. einer Stimme innerhalb des Satzes,
z. B. der vor- und riickwarts schreitende Tenor in Du-
fays isorhythmischer Motette Balsamus et mundi oder
das Fugenthema in Beethovens Sonate op. 106; 2) Kr.
eines Satzgefiiges, indem alle Stimmen von einem
Zeitpunkt an - der dadurch zum Mittelpunkt oder zur
»Achse« wird - in ihren eigenen Kr. iibergehen, wie in
J.Haydns Menuetto al rovescio (Klaviersonate A dur,
Hob. XVI, 26, u. a.) oder in der Fuga tertia in F aus
Hindemiths Ludus tonalis. Schonberg kombiniert im
Pierrot lunaire (Nr 18, Der Mondfieck) diese Technik im
4st. Instrumentalsatz mit einer freien Sprechstimme
und einer Fuge im Klavier; 3) Spiegel-Kr. eines Satz-
gefiiges, indem dieses als Ganzes auch mit umgekehr-
tem Notenblatt, also in Kr. und -*■ Umkehrung zu le-
sen ist, z. B. J.Haydns Canon cancrizans a tre (Thy voice
o Harmony is divine) von 1791 oder Praeludium und
Postludium aus Hindemiths Ludus tonalis; 4) der Krebs-
kanon im eigentlichen Sinn: das simultane Erklingen
von Melodievorlage und deren Kr., z. B. J. S.Bachs
Canon a 2 aus dem Musicalischen Opfer (BWV 1079, 3a)
oder die 8st. Motette Diliges Dominum von Byrd; 5) der
Spiegelkrebskanon: die Vereinigung von Vorlage und
Kr. in der Umkehrung Diesen seltenen Typ vertreten
die wohl zu unrecht W.A.Mozart zugeschriebenen 4
Spiegelkanons (K.-V. Anh. 284 da ), die von zwei ein-
ander gegeniiberstehenden Spielern aus ein und dem-
selben Notenblatt ausgefiihrt werden konnen. - Der
Kr. - obwohl er relativ selten vorkommt - ist kenn-
zeichnend fur streng konstruktive Moglichkeiten des
Komponierens, die im 15. Jh. entwickelt und bis ins 17.
Jh. besonders gepflegt wurden. Mindestens seit Kircher
(1650) wird der Kr. auch theoretisch behandelt. - In
der seriellen Technik des 20. Jh. sind Kr. und Spiegel-
Kr. neben der Umkehrung als Ableitungsweisen der
-> Reihe eine Grundlage f iir das Kompositionsverfah-
ren geworden. Beispiel einer mehrschichtigen Verwen-
dung des Kr.s ist der 2. Satz der Symphonie op. 21 von
Webern: eine krebsgleiche Reihe wird in axial krebs-
gangigen Variationen durchgefiihrt, wobei ein Satz-
ganzes entsteht, das hinsichtlich der Reihen-(und Ton-)
Anordnung ebenfalls krebsgleich verlauft.
Lit.: Pauly-Wissowa RE, Artikel Palindrom; A.W.Am-
bros, Gesch. d. Musik III, Breslau 1868, S. 67f.; H. Rie-
mann, Hdb. d. Mg. II, 1, 1907, 21920, S. 84ff; L. K. J. Fei-
ninger, Die Fruhgesch. d. Kanons bis Josquin des Prez
(um 1500), Emsdetten i. W. 1937. KJS
Kremsier (Kromeriz, Tschechoslowakei).
Lit.: P. Nettl, Zur Gesch. d. Musikkapelle d. Furstbi-
schofs Karl Liechtenstein-Kastelkorn v. Olmutz, ZfMw
IV, 1921/22; Fr. Hogler, Die Kirchensonaten in Kr., Diss.
Wien 1926, maschr.; E. H. Meyer, Die Bedeutung d. In-
strumentalmusik am furstbischoflichen Hof zu Olomouc
(Olmutz) in Kromefiz (Kr.), Mf IX, 1956, auch in: Auf-
satze iiber Musik, Bin 1957.
Kreuz -»■ Akzidentien.
Kreuzkantoren. Das Kantorenamt der Kreuzschule
in Dresden ist von einer Anzahl bedeutender Kirchen-
musiker bekleidet worden. Es folgten nacheinander:
S.Baumann (-1553), J. Seiner (-1560), A.Petermann
(-1585), B.Kohler (-1589), B.Petermann (-1606), S.
Ruling (-1615), Chr. Neander (-1625), M. Lohr (-1654),
J.Beutel (-1694), B.Petritz (-1713), J.Z.Grundig
(-1720), Th.Chr.Reinhold (-1755), G.A.Homihus
(-1785), Chr.E.Weinlig (-1813), Chr.T.Weinlig
(-1817), Chr.H.Uber (-1822), Fr.W.Agthe (-1828),
E.J. Otto (-1875), Fr.O.Wermann (-1906), O.Richter
(-1930), seitdem Rudolf Mauersberger. -> Thomas-
kantoren.
Lit.: O. Meltzer, Die Kreuzschule zu Dresden bis zur
Einfiihrung d. Reformation (1539), Dresden 1886; K. H.
Neubert, Aus d. Gesch. d. Kreuzschule, Dresden 1893;
K. Held, Das Kreuzkantorat zu Dresden, Diss. Lpz. 1894;
O. Socher, 700 Jahre Dresdner Kreuzchor, Dresden 1937 ;
E. H. Hofmann, Capella sanctae crucis, Bin 1956; dies.,
Der Dresdner Kreuzchor, Lpz. 1962; H. Bohm, Dieev. Kr.,
in: Kirchenmusik heute, Fs. R. Mauersberger, Bin 1959.
Kritik ->■ Musikkritik.
Krjuki (russ., Haken) heiBen die Schriftzeichen des
russischen Kirchengesangs, deren alteste bekannte For-
men mit den byzantinischen des 12.-13. Jh. identisch
sind. Es handelt sich dabei um mehrere Schriftarten,
die zum Teil gleichzeitig im Gebrauch waren. Neben
der -»■ ekphonetischen Notation fiir die Lesungen und
der Kontakarien-Notation (bis ins 14. Jh. nachgewie-
sen) unterscheidet J. v. Gardner 4 Schrif ttypen : Stolp-
Notation (11.-20. Jh.), Putj-Notation (15.-17. Jh.),
Demestische Notation (16.-20. Jh.) unci Kasan-No-
tation (16.-17. Jh.). Die Stolp-Notation wird seit dem
17. Jh. nur noch von den Altglaubigen gepflegt; dage-
gen hatte die Staatskirche eine -*■ Choralnotation mit
Funfliniensystem eingef iihrt.
Ausg. : Ein hs. Lehrbuch d. altruss. Neumenschrift I, hrsg.
v. J. v. Gardner u. E. Koschmieder, = Bayerische Akad.
d. Wiss., phil.-hist. Klasse, Abh., N. F. LVII, Munchen
1963 (mit Bibliogr.).
Kroatien.
Ausg.: V. Zganec, Hrvatske pucke popijevke iz Medji-
murja (»Kroatische volkstiimliche Gesange v. Medjimur-
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narodne pjesme kajkavske(»Kroatisch-kajkawischeVolks-
lieder«), Zagreb 1950; ders., Narodne popijevke Hrvat-
skog Zagorja (»Volksgesange v. Hrvatsko Zagorje«), 2
Bde, Zagreb 1950-52; ders. (mit N. Sremec), Hrvatske
narodne pjesme i plesovi (»Kroatische Volkslieder' u.
-tanze«), Zagreb 1951 ; B. Bart6k u. A. B. Lord, Serbo-
32
497
Krotala
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baic, Muzicki folklor Hrvatskog Primorja i Istre (»Mus.
Folklore v. Hrvatsko Primorje u. Istrien«), Rijeka 1956;
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kroatischen mus. Vergangenheit«), Bd I: V. Jelic (1596—
1636?) . . ., hrsg. v. A. Vidakovic, Zagreb 1957.
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OstergesangeaufLussin,SIMGIV,1902/03;DERS.,Volkslie-
der in Lussingrande, ebenda ; ders., Alte KirchengesSnge d.
ehemaligen Diozese Ossero, SIMG VI, 1904/05; J. Vajs,
Toni missae ..., Krk 1904; ders., Memoriae liturgiae
slavicae in dioecesi Axerensi, Krk 1906; ders., Najstariji
hrvatskoglagolski misal (»Das alteste kroatisch-glagoliti-
sche Missale«), 1948 ; L. Jelic, Fontes hist, liturgiae glago-
lito-romanae .... Krk 1906 ; M. Ogrizovic u. N. Andric,
Hrvatska opera 1870-1920 (»Die kroatische Oper . . .«),
1920; B. Sirola, Pregled povijesti hrvatske muzike (»Ab-
riB d. Gesch. d. kroatischen Musik«), 1922 ; DERS.,Hrvatska
narodna glazba (» Kroatische Volksmusik«), 1940—42;
ders., Hrvatska umjetnicka glazba (»Kroatische Kunst-
musik«), 1942; ders., Horvat nep hangszerck (»Kroati-
sche Volksmusikinstr.«), Melanges offerts a Z. Kodaly,
Budapest 1943 ; ders., Crkvena glazba u Hrvatskoj (»Kir-
chenmusik in Kr.«), o. J. ; ders., Die Volksmusik d. Kroa-
ten, in : Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956;
L. K. Goetz, Volkslied u. Volksleben d. Kroaten u. Ser-
ben, 2 Bde, Heidelberg 1937; Dr. Plamenac, Music of the
16 th and 17 th Cent, in Dalmatia, PAMS IV, 1939; ders.
in: G. Reese, Music of the Renaissance, NY (1954), 21959,
S. 757ff.; Dr. Kniewald, IUuminacija i notacija zagre-
backih liturgijskih rukopisa («Buchmalerei u. Notation d.
Zagreber liturgischen Hss.«), 1944; V. Zganec, Kroati-
sche Volksweisen u. VoIkstSnze, 1944; A. Vidakovic,
Sakramentar MR 126 metropolitanske knjiznice u Zagre-
bu (»Das Sakramentar MR 126 d. Metropolitan-Bibl. in
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u. slavische Choraltradition . . ., KmJb XXXVII, 1953;
ders., Die Funktion d. Volksliedgutes in d. Entwicklung d.
sudosteuropaischen Mg., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; K.
KovaCevic, Hrvatski kompozitori i njihova djela (»Die
kroatischen Komponisten u. ihre Werke«), 1960; A. B.
Lord, The Singer of Tales, = Harvard Studies in Com-
parative Lit. XXIV, Cambridge (Mass.) 1960.
Krotala (griech. xp6xaXa; lat. crotala), iiberwiegend
paarig gebrauchte (Hand-)-*Klappern (FuBklapper
-*■ Scabillum) besonders der griechischen Antike, die
in einfacher Form zwei bewegliche Schenkel eines ge-
spaltenen Rohrs, gegeneinandergeschlagene Stabchen
oder Brettchen, in Weiterentwicklung aber auch von
kastagnettenartig ausgehohlter und verkiirzter Form
sein konnten (Holz, Erz oder Ton). Hier sind die Gren-
zen zu den kleinen metallenen Tanzbecken (-»■ Kym-
bala, -*■ Zimbeln - 1) oft nicht mehr exakt zu Ziehen.
Die in mittelalterlichen Abbildungen haufig anzutref-
fenden Gabelbecken sind eine Mischform beider In-
strumente. Die Kr. wurden in den orgiastischen Riten
des Dionysos und in denen der Kybele (Euripides,
Pindar) verwendet ; sie wurden vorwiegend von Frauen
gespielt (Herodot), Vasenbildern zufolge vor allem
beim Tanz.
Lit.: M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949.
Krummbogen -*■ Stimmbogen.
Krummhorn (ital. cromorno, cornomuto torto; engl.
und £rz. cromorne, frz. auch tournebout), - 1) ein
Doppelrohrblattinstrument mit Windkapsel und zy-
lindrischem Corpus, das am unteren Ende schwach
konisch und wie eine Kriicke gebogen ist. Das Kr. hat
6-8 vorderstandige Grifilocher (die beiden unteren
auch mit Klappcn), ein Daumenloch, dazu 1-2 Stimm-
locher. Das Kr.-Stimmwerk hat 1511 bei Virdung 4
GroBen, bei Praetorius 1618 besteht es aus Exilent
(ci-d2), Diskant (g-a»), Alt-Tenor (c-d»), BaB Chorist
(F- oder C-g), GroBbaB (C- oder iA-d). Das Kr. iiber-
blast nicht. Der Klang ist dunkel und gleichmaBig, da-
bei leicht schnarrend. Im 16. und 17. Jh. war es beson-
ders in Deutschland beliebt. - 2) in der Orgel - seit dem
Ende des 15. Jh. nachweisbar - eine Zungenstimme,
meist im Oberwerk oder Riickpositiv als 8' (selten auch
16'), disponiert mit engem zylindrischem Aufsatz.
Das Register wurde im 19. Jh. von der Klarinette ver-
drangt. In neueren Orgeln ist es wieder haufig zu fin-
den. Das im Klang cembaloartige Rohr-Kr. in 16'- und
8'-Lage, von E.K.RoBler entworfen, fugt in den zy-
lindrischen Aufsatz ein teilgedecktes Rohr ein. Da-
durch erklingen noch hohere Partialtone.
Lit.: zu 1): S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511),
Faks. hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882;
dass., Faks. hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius
Synt. II; M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636,
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; C. Sachs,
Doppione u. Dulzaina. Zur Namensgesch. d. Kr., SIMG
XI, 1 909/ 1 ; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Wind-
kapsel, AfMw VII, 1925.
Krupalon, Krupezion (griech.) -> Scabillum.
Kuba.
Lit. : E. Sanchez de Fuentes y Pelaez, Consideraciones
sobre la musica cubana, Habana 1936 ; ders., Viejos ritmos
cubanos, ebenda 1937; H. Courlander, Mus. Instr. of
Cuba, MQ XXVIII, 1942; J. Nin-Culmell, The Music of
Cuba, Washington (D. C.) 1943; A. Carpentier, La mu-
sica en Cuba, Mexiko 1946, Habana 2 1961 ; F. Ortiz, Los
bailes y el teatro de los negros en el folklore de Cuba, eben-
da 1951 ; ders., Los instr. de la musica afrocubana, 5 Bde,
ebenda 1952-55 ; ders., La af ricania de la musica f olklorica
de Cuba, ebenda 1952; M. Blanco Barzaga, Origen y
evolution de la musica en Cuba, ebenda 1952; G. Torn-
berg, Mus. Instr. of the Afro-Cubans, Ethnos XIX, 1954;
M. MacIa de Casteleiro, La musica religiosa en Cuba,
Habana 1956 ; P. H. Balaguer, La Capilla de Musica de la
catedral de Santiago de Cuba, Revista mus. chilena XVIII,
1964, A. Leon; Musica folklorica cubana, Habana 1964.
Kubanischer Jazz ->• Afro-Cub an Jazz.
Kuckucksruf (frz. coucou), barockes Orgelregister
als Imitation des Kuckucksrufs (-> Vogelgesang), be-
stehend aus meist gedackten Pfeifen im Intervall einer
kleinen Terz (fZ-d 2 ). Die Ventile werden durch ein
Windrad in regelmaBigem Ab stand geoffnet.
Kuhreigen, sehr alte, heute fast ausgestorbene Hirten-
weisen der deutschsprachigen Schweiz. Sie sind drei-
teilig, mit melismatischen Rahmenteilen und einem
rufartigen Mittelteil, der die einzelnen Tiere der Rin-
derherde mit Sondernamen bedenkt. Der K. war ur-
spriinglich wohl ein magischer Mannertanz (Frucht-
barkeitszauber, vielleicht Tiermaskentanz). Aus ihm
wurde durch Einfiigung gregorianisch-litaneihafter
Elemente der Alpensegen, der in seinen Melodiefor-
meln und im Eingangswort Lobet, o lobet (von loba,
Kuh, daher auch Lobetanz) noch die alte tiermagische
Grundlage verrat. DemK. ahnlich sind Viehlockrufe
(lokk, rop, huing) skandinavischer Hirten. In spatiiber-
lieferte, namentlich welsch-schweizerische Fassungen
drangen liedhafte oder chansonmaBige Ziige ein (ranz
des vaches). In der Kunstmusik kommen K. u. a. vor
bei Rhaw (Bicinia gallica, 1545) und im 19. Jh. bei Liszt
(Album d'un voyageur, 1835/36, nach der Aufzeichnung
des K.s von F. F. Huber paraphrasiert).
Lit.: J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf
1767(7), Paris 1768, darinein K.; G.Tarenne, Recherches
sur les ranz des vaches, ou sur les chansons pastorales des
bergers de la Suisse, Paris 1 8 1 3 ; A. Tobler, Kiihreihen oder
Kuhreigen, Jodel u. Jodellied in Appenzell, Zurich 1890;
498
Kymbala
L. Gauchat, Etude sur le ranz de vaches fribourgeois,
Zurich 1899; M. F. Bukofzer, Zur Erklarung d. »Lobe-
tanz« durch d. schweizerische Volksmusik, Schweizeri-
schesArch. f.Volkskunde XXXVI, 1937/38; W.Sichardt,
Der alpenlandische Jodler u. d. Ursprung d. Jodelns,
= Schriften zur Volksliedkunde u. volkerkundlichen Mw.
II, Bin 1939; C.-A. Moberg, Om Vallatar. En studie i de
svenska fabodarnas musikaliska organisation («Uber K.,
eine mus. Organisation d. schwedischen Sennhiitten«),
STMf XXXVII, 1955; ders., Kuhreihen, Lobetanz u.
Galder, Deutsches Jb. d. Mw. Ill (= JbP L), 1958; ders.,
Kuhreihen, Lobetanz u. Galder, in: In memoriam J. Hand-
schin, StraBburg 1962.
Kujawiak, polnischer Tanz in Kujawien (am linken
Weichselufer), im 3/4-Takt, mit lyrischer Melodik,
eine langsame, nicht gesprungene Abart des Mazur.
Triolen, Vorschlage, auch Tempoverzogerungen sind
haufig. Im stilisierten K. seit Mitte des 19. Jh. domi-
niert die Molltonart. H. Wieniawski nannte K. seine
2. Mazurka fur V. und Kl. (op. 13).
Kurrende (von lat. currere, laufen, oder von corra-
dere, zusammenkratzen, betteln), ein aus bediirftigen
Schiilern gebildeter Chor, der gegen Brot- oder Geld-
gaben in den StraBen sang. K.n bestanden bereits vor
der Reformation. Auch Luther ist in Eisenach als
Knabe Mitglied einer K. gewesen. Im 16. Jh. wurde an
vielen Orten das K.-Singen zunachst verboten, nicht
zuletzt weil nach der Auflosung zahlreicher Kloster-
und Stiftsschulen das unorganisierte Almosensingen
iiberhandgenommen hatte. Die neugegriindeten Stadt-
schulen fiihrten aber, unterstiitzt von den stadtischen
Behorden, die organisierte K. wieder ein. Bediirftigen
Kindern wurde nur dadurch der Schulbesuch ermog-
licht. Schul- und spezielle K.-Ordnungen legten fest,
unter welchen Bedingungen die Aufnahme in die K.
moglich war, in welchen StraBen, an welchen Tagen
und in welcher Tracht (meist schwarze Radmantel und
flache Zylinderhiite) die K. sang, wie die Almosen zu
verteilen waren und wie man sich auf den StraBen zu
verhalten hatte. Im allgemeinen sang die K. einstim-
mige liturgische Gesange und Kirchenlieder, selten
auch mehrstimmig. Vom K.-Gesang zu unterscheiden
ist das ebenfalls von der Schule organisierte Singen bei
Beerdigungen und Hochzeiten, das auch eine wichtige
Einnahmequelle fur Schiiler und Lehrer darstellte. Die
K.n hielten sich an den meisten Orten bis ins 18. Jh.,
vereinzelt bis ins 19. Jh. Im 19. und noch im 20. Jh.
wurde, ankniipfend an die Bemuhungen von J.F.
Marquardt (1810-93, Berlin), in einigen Stadten ver-
sucht, das K.-Wesen neu zu beleben.
Lit. : J. F. Marquardt, Was singt unserer Zeit d. Witten-
berger Nachtigall?, Bin 1883; J. Rautenstrauch, Luther
u. d. Pflege d. kirchlichen Musik in Sachsen, Lpz. 1907;
W. Nicolai, Die Wiederbelebung d. K. in Eisenach, Bach-
Jb. XI, 1914 ; S. Nystrom, Die deutsche Schulterminologie
in d. Periode 1300-1740, Helsinki 1915; G. Schunemann,
Gesch. d. deutschen Schulmusik, 2 Teile, Lpz. 1928-32, 1
2 1931 ; P. Epstein, Der Schulchor v. 16. Jh. bis zur Gegen-
wart, Lpz. 1929.
Kurze Oktave (Mi-Re-Ut) heiBt die in Klavieren aus
dem 16. bis gegen Ende des 18. Jh. sowohl im Manual
als auch im Pedal vorkommende Einrichtung der Kla-
viatur fur die tiefste (groBe) Oktave, die fur Cis, Dis,
Fis und Gis keine Tone hat, die Tasten aber so zusam-
menruckt, daB der tiefste Ton (C) scheinbar E ist; es
entsteht eine diatonische Skala der groBen Oktave mit
B (zwischen A und H) :
ut
d. h. C F G A H sind Untertasten, D E und B Ober-
tasten; oder auch in der Anordnung:
re
D
mi
E
B
cis
G
A
H
c
mi
ut
C
re
D
B
cis
E
F
G
A
H
c
d
mit C D und B als Obertasten.
Auch nennt man K. O. die Anordnung der Tasten fur
die GroBe Oktave mit Weglassung aller oder einiger
Obertasten fur chromatische Tone der C dur-Skala
(Cis, Dis, Fis, Gis), z. B. (bei Cerone und Mersenne):
D
Fis
Gis
B
G A H
Mit dieser Anordnung der K.n O. rechnet wohl auch
S.Scheidt in seiner Tabulatura nova (1624), die fur die
Orgel in der Moritzkirche in Halle bestimmt war. Die
Einrichtung der K.n O. erklart sich daraus, daB das
Pedal der Orgel sich lange auf die in der Guidonischen
Hand gelehrte Diatonik mit B als einziger chromati-
scher Note beschrankte, wobei F der tiefste Ton blieb ;
da das Pedal zunachst hauptsachlich fiir ausgehaltene
Tone (Bordunspiel, »Orgelpunkte«) gebraucht wurde,
geniigte es, jene Tone zur Verfiigung zu haben. Um
nun die Tone E D C (Mi-Re-Ut) in der Tiefe zu ge-
winnen, ohne doch die Klaviatur wesentlich zu ver-
breitern, setzte man eine Taste links an und schob die
andern dazwischen. Diese z. B. von Diruta (1597) Mi-
Re-Ut genannte Einrichtung wurde dann auch bei
neugebauten Orgeln getroffen, da sich die Organisten
an die K. O. gewohnt hatten.
Im Unterschied zur K.n O. gibt es die gebrochene
Oktave; bei ihr sind die Obertasten D und E geteilt
(gebrochen), so daB auf ihren hinteren Half ten die
Tasten der Tone Fis und Gis stehen:
Fis
Gis
B
cis
D
E
F
G
A
H
c
Gebrochene Oktaven wurden im 16.-17. Jh. auch auf
Instxumenten verwendet, bei denen die Zahl der Ton-
stufen auf iiber 12 pro Oktave vermehrt war (-»• Archi-
cembalo). Werckmeister bezeichnet die gebrochene
Oktave als K. O. ; eindeutig sind beide Bezeichnungen
nach der Terminologie des 17.-18. Jh. nicht zu unter-
scheiden. W.A.Mozart z. B. verstand unter gebroche-
ner Oktave die K. O. (mit D E B als Obertasten).
Lit.: A. Werckmeister, Erweiterte u. verbesserte Orgel-
Probe, Quedlinburg 1698, Nachdruck Kassel 1927; A. G.
Ritter, Zur Gesch. d. Orgelspiels . . ., 2 Bde, Lpz. 1884;
G. Kjnsky, K. O. auf besaiteten Tasteninstr., ZfMw II,
1919/20.
Kurztoninstrumente, eine von A.Schonberg ge-
pragte Bezeichnung fiir Instxumente, deren Tondauer
nach dem Anschlagen oder AnreiBen nicht beliebig
verlangert werden kann, wie das bei den Bias- und
Streichinstrumenten moglich ist. In Moses und Aron
notiert Schonberg als K. Klavier, Harfe, Xylophon,
Glockenspiel, Gitarre, Mandoline und Celesta,
Kyklosis (griech.) ->-Circulatio.
Kymbala (griech., Sing. xufz(3aXov, von xu|i(3T],
Topf, Becken, und paXXciv, werfen, schlagen; lat.
cymbala, vasa aera, auch acetabula, Essignapfe), antike
-*■ Becken, die in der griechisch-romischen Antike als
Klanggerate besonders der vorderasiatischen Gottin-
32»
499
Kyriale
nenkulte bekannt waren. Auch als Larminstrumente
im Dionysoskult (K. in der Hand der Manaden) sind sie
haufig anzutreffen. Xenophon vergleicht den Huftritt
der Pferde mit dem Gerausch des Kymbalon. Auf
Grund zahlreicher Abbildungen lassen sich 2 Grund-
formen unterscheiden : flache, tellerartige und mehr
glockenahnliche, gefaBformige Gebilde mit oder ohne
Rand, die paarweise (deshalb meistens die plurale
Bezeichnung) gegeneinandergeschlagen werden. In der
Bibel entsprechen den K. die Instrumente meziltajim
(I. Chron. 15, 16) und zelzlim (II. Sam. 6, 5; Ps. 150, 5,
dieses wohl eher den Kastagnetten ahnlich). Bekannt
waren auch Gabelbecken: kJeine Becken, die an den
Enden zweier Gabeln saBen und beim Schiitteln anein-
anderschlugen. - Das lateinische Wort -> cymbala,
dem das deutsche -> Zimbeln entlehnt ist, bezeichnete
im Mittelalter eine ganze Reihe von Instrumenten:
Becken, Gabelbecken, Klappern, Schellen, Glocken,
Glockenspiel. Mittelalterliche Abbildungen belegen
das Vorkommen der den antiken K. ahnlichen Becken
(besonders auch Gabelbecken) in reichem MaBe.
Lit.: Sachs Hdb.; C. Sachs, Geist u. Werden d. Musik-
instr., Bin 1929, Nachdruck Hilversura 1965; E. Kolari,
Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten Testament, Hel-
sinki 1947; M. Weoner, Das Musikleben d. Griechen, Bin
1949; H. Hickmann, Cymbales et crotales dans l'Egypte
ancienne, in : Annales du service des antiquites de l'Egypte
XLIX, 1949; ders., Vorderasien u. Agypten im mus. Aus-
tausch, Zs. d. Deutschen Morgenlandischen Ges. CXI
(= N. F. XXXVI), 1961 ; Fr. Behn, Musikleben im Alter-
tum u. friihen MA, Stuttgart 1954; G. Fleischhauer,
Etrurien u.Rom, = Musikgesch.inBildernII,5,Lpz. (1964).
Kyriale, eines der -*■ Liturgischen Biicher; es enthalt
die (auch im -> Graduale - 2 befindlichen) Choralme-
lodien des Ordinarium missae, ebenso die Gesange fur
Totenmesse und Exequien nebst den Toni communes
missae usw. Die vatikanische Ausgabe des K. seu Ordi-
narium missae erschien 1905. Sie wurde neuerdings er-
ganzt in den Variationes in cantu in Missali, Kyriali, Gra-
duali et Antiphonali vom 3. 5. 1961 (vgl. Ephemerides
Liturgicae LXXV, 1961).
Kyrie eleison (griech. Kvqie eXeXaov), ein bereits
in der Antike verbreiteter Bittruf, dessen Gebrauch im
christlichen Gottesdienst zunachst in Antiochien und
Jerusalem nachweisbar ist (4. Jh.). Wahrend des 5. Jh.
in Rom eingefiihrt (K.-Litanei ahnlich wie in der grie-
chischen Liturgie zu Beginn der Messe), nahm das K.
sodann seinen Weg nach Mailand und Gallien, wo es
seit dem Konzil von Vaison (529) praktiziert wurde.
Wie Gregor der GroBe erwahnt (Migne Patr. lat.
LXXVII, 956), wurden zu seiner Zeit in Rom neben
der K.-Litanei des feierlichen Gottesdienstes (vorge-
tragen von Klerikern mit Antwort durch das Volk,
darunter wechselweise Christe eleison) in den Missae
cotidianae einf ache, vom Litaneitext abgeloste K.-Ruf e
verwendet. Ihre Verselbstandigung wird endgiiltig im
1. romischen Ordo (Ende 7. Jh.), die spater allgemein
beibehaltene Neunzahl der Anrufungen (3 K. + 3
Christe + 3 K.) im 4. Ordo (8. Jh.) bestatigt. Als einzi-
ger Trager des K.-Gesangs erscheint in der romischen
Pontifikalliturgie nunmehr die Schola, wogegen fur
den Bereich der romisch-frankischen Bischofsmesse
Schola und Regionarii (Subdiakone) genannt werden.
- Innerhalb der romischen MeBfeier bildet das K. den
1. Teil des Ordinarium missae. Sein gesungener Vor-
trag erfolgt alternierend zwischen Chorus und Can-
tores (Schola) oder zwei Halbchoren. Aus dem sehr um-
fangreichen Repertoire 1st. K.-Vertonungen (Schwer-
punkt im 11./12. und 15. Jh.; dazu im 9.-16. Jh. eine
Fiille von K.-Tropen) bietet das Vatikanische Graduale
bzw. Kyriale mit insgesamt 30 Melodien einen nur be-
grenzten Ausschnitt. Fur den formalen Bau der Melo-
dien lassen sich als wichtigste Schemata erkennen:
1) A A A (gleiche Gestaltung aller 9 Anrufungen nach
dem Litaneiprinzip) ; 2) A B A (melodische Eigenstan-
digkeit der Christe eleison-Gruppe gegenuber den bei-
den K.-Gruppen) ; 3) A B C (gleiche Melodie fur je-
weils 3 Anrufungen), wobei zusatzlich die mittlere
Anrufung jeder Gruppe mit eigener Melodie versehen
sein kann (axa-byb-czc). Hiervon unabhangig
wird sehr haufig die Schlufianrufung durch melodi-
sche Steigerung ausgezeichnet. - Im Rahmen der li-
turgischen Praxis erscheint das K. ebenf alls im Offizium
(Beginn der Preces), desgleichen am Anfang und Ende
der Litaneien. - Die Beteiligung des Volkes am K.-
Gesang, wie sie vor allem nordlich der Alpen bei Pro-
zessionen usw. gepflegt wurde, fand hier bis zum spa-
ten Mittelalter ihren Niederschlag in volkstumlichen
Kirchenliedern, den sogenannten -*■ Leisen.
Lit.: P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me-
lodien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Nachdruck Hildesheim
u. Wiesbaden 1962; M. Melnicki, Daseinst. K. d. lat. MA,
= Forschungsbeitr. zur Mw. I, Regensburg 1954; M.Hu-
olo, Origine et diffusion des K., Rev. gregorienne XXXVII,
1958; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien,
Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; H. Husmann, Tropen- u. Se-
quenzenhss., = RISM B V 1 , Munchen u. Duisburg (1964),
500
Stimmlappen
Pfeifenkorptr
Oberlobium
Labiumbreite
Au/schnitt
Kemspalt
Unteriabhjm
Fuftoffnung
La, in der mittelalterlichen -*■ Solmisation die 6. Silbe
des Hexachords (im Sinne von a, d oder e) ; in romani-
schen Sprachen Name fur den Ton A.
Labialpfeifen (Lippenpf eifen, von lat. labium, Lippe)
gehoren zum altesten und wichtigsten Bestand der
-»■ Register (- 1) der Orgel. Das
Kennzeichen der L. ist das Labium
(Pfeifenmund) mit seinen beiden
Lippen, dem Ober- und Unter-
labium, am unteren Ende der
Pfeife uber dem PfeifenfuB. Der
Orgelwind flieBt durch den
Kernspalt, bricht sich an der
Kante des Oberlabiums und ver-
setzt dadurch die Luftsaule im
Pfeifenkorper in Schwingungen,
die eine stehende Welle bilden.
Um die Ansprache zu erleich-
tern, werden L. auch mit -> Bar-
ten versehen.
Lit.: K. Th. KOhn, Klangfarbe u.
Wirbelform einer Lippenpfeife in Abhangigkeit v. d. Bau-
weise, Diss. Bin 1940; J. Kreps OSB, Le tuyau a bouche. . . ,
Melanges E. Closson, Brussel 1948 ; J. Meyer, Uber d. Re-
sonanzeigenschaften offener L., Acustica XI, 1961 ; H.
Danzer, Ober d. stationaren Schwingungen d. Orgelpfei-
fen, Zs. f. Physik CLXII, 1961 ; D. Wolf, Ober d. Eigen-
frequenzen labialer Orgelpfeifen, ebendaCLXXXIII, 1965;
J. Sundberg, Mensurens betydelse i oppna labialpipor,
= StudiamusicologicaUpsaliensia, N. F. Ill, Uppsala 1 966.
Landler (auch Landerer oder Oberlandler, wohl so ge-
nannt nach dem Landl, Osterreich ob der Enns), ein
seit etwa 1800 unter diesem Namen bekannter Tanz
in ruhigem Gleichschritt (3/8- S J J J I J J J I
oder 3/4-Takt).Er hat 2teiligen 4 i r i r 1 r
Aufbau zu je 8 Takten; beide Teile werden ein- oder
mehrmals wiederholt, so bei Mozart, 6 Landlerische f iir
2 V. und B., K.-V. 606 (1791), Beethoven, 11 Modlin-
ger Tiinze (1819), Schubert, 4 KomischeL. D dur (1816)
und 8 L. Fis dur (1816). Zu Anfang des 19. Jh. wurde
der L. vom Wiener Walzer verdrangt. Wenig mit dem
alten L. zu tun haben die so bezeichneten Stiicke von
St. Heller, A.Jensen, J. Raff u. a. - Der volkstumliche L.
hatzahlreiche Stammesvarianten: Steirer, Tiroler, Bay-
rischer (Schuhplattler), Egerlander, Bohmerwaldler,
Siidmahrischer, Siebenbiirger; in der Steiermark und
im Salzkammergut wird der L. auch in Verbindung
mit dem Schnaderhiipferl getanzt. Neben dem unge-
radtaktigen L. gibt es in Oberosterreich (Lauffen im
Salzkammergut) auch eine Art, die in Geradtakten
steif daherschreitet. Eine franzosische Nachahmung des
L.s ist die Tyrolienne.
Lit. : H. GreLGE, Der geradtaktige L Das deutsche
Volkslied XLII, 1940; E. Hanza, Der L., = Forschungen
zur Landeskunde v. Niederosterreich IX, Wien 1957; H.
Derschmidt, Der »Steinhauser Landler«, Jb. d. Osterrei-
chischen Volksliedwerkes IX, 1960; H. Dreo, Volksmusik
aus d. Seewinkel, ebenda XI, 1962.
Lage, - 1) in der Harmonielehre a) die Anordnung
eines Dreiklangs in bezug auf seinen hochsten Ton.
Dieser kann die Terz, die Quinte oder die Oktave
bzw. deren Oktavversetzungen liber dem Grundton
sein ; entsprechend befindet sich der Akkord in Terz-,
Quint- oder Oktav-L. ; b) der Abstand der Akkordtone
untereinander. Im 4st. Satz spricht man von enger
L., wenn zwischen
die Tone der drei
Oberstimmen keine
akkordeigenen To-
ne eingefiigt wer-
den konnen. An- ,
dernfallsliegt weite en 8 eL - weiteL - E«mi«hteL.
L. vor. Mit gemischter L. bezeichnet man die Falle, in
denen zwei Stimmen zueinander in enger, imVerhaltnis
zu den anderen Stimmen jedoch in weiter L. stehen. Der
Abstand zur BaBstimme bleibt bei der L.n-Bezeich-
nung jeweils unberiicksichtigt. In der Praxis wechseln
die L.n innerhalb einer Komposition standig, wenn
auch bei manchen Kompositionsgattungen die eine
oder die andere L. bevorzugt wird. So uberwiegt im
gemischten Chorsatz die weite L., auch im Streichquar-
tett ist sie an bestimmten Stellen von groBerWirkung.
Dagegen ist f iir die Klaviermusik (auch im -*■ General-
baB) die enge L. charakteristisch. Veraltet ist die Be-
zeichnung L. fur die Angabe, welcher Ton eines Ak-
kords im BaB liegt, ob also Grundstellung oder -*■ Um-
kehrung vorliegt. - 2) Stimm-L., d. h. Tonumfang und
spezifische Farbung der Gesangsstimme ; sie wird so-
wohl vom Gesamtumfang wie von der L. der am
miihelosesten singbaren Tone bestimmt (Sopran, Alt,
Tenor, BaB). Ein Ausschnitt aus dem Tonvorrat einer
Stimme oder eines Instrumentes kann als Mittel-L.,
hohe L. usw. gekennzeichnet werden. Die Stimmen im
Chorsatz werden nach den jeweiligen Stimm-L.n der
Sanger benannt, im Unterschied zur Bezeichnung ei-
ner Stimme als -> Lagenstimme. - 3) Bei Streichinstru-
menten wird mit L. der vom 1 . und 4. Finger bestimm-
te Stand der Hand auf dem Griffbrett bezeichnet, zu-
gleich der Tonraum, der mit diesem Stand zur Verfii-
gung steht. Die Sekunde tiber der leeren Saite ist in der
1. L. der gewohnliche Platz des 1. Fingers. Die L.n
werden fortlaufend numeriert: auf der Terz steht die
2. L., auf der Quarte die 3. L. usw. In der halben L. un-
ter der 1 . L. steht der 1 . Finger auf dem um einen Halb-
ton erhohten Ton der leeren Saiten, wobei die anderen
Finger mit der abwarts geruckten Hand entsprechend
tiefer gestellt werden. Beim Violoncello muB im Be-
reich der unteren L.n fur jede L. eine tiefe und eine
hohe Form unterschieden werden, da Unterarm und
Daumen im Halbtonabstand aufriicken, auBerdem eine
enge und eine weite Stellung, je nachdem, ob der Ab-
stand zwischen 1. und 2. Finger eine kleine oder eine
groBe Sekunde betragt. Dasselbe gilt grundsatzlich
auch fur die Viola da gamba. Beim KontrabaB werden
die L.n in Ganz-L.n und Zwischen-L.n gezahlt oder
501
Lagenstimme
aber halbtonweise fortschreitend durchnumeriert.
Richtige Wahl der L.n und ein musikalisch sinnvoller,
unmerklicher L.n-Wechsel sind bei alien Streichinstru-
mentenwesentlicheVoraussetzungenzurBeherrschung
des Instrumentes.
Lagenstimme, moderne Bezeichnung fur eine Stim-
me im alteren polyphonen Satz, deren Klangraum
nicht durch den Umfang einer menschlichen Stimm-
gattung vorgezeichnet, sondern durch ihr Verhaltnis
zum Tenor als -*■ Fundamentum relationis bestimmt
ist. In der Musik des 14.-16. Jh. sind Kompositionsgat-
tungen wie Messe und Motette einerseits, Ballade und
Chanson andererseits oft mit typischen Stimmkombi-
nationen verbunden; dabei hangen von der Lage einer
Stimme auch die tonartliche Zuordnung und die rhyth-
mische Beweglichkeit ab. Solche Stimmkombinatio-
nen sind z. B. : 3st. Motettensatz der franzosischen Ars
nova (Ph. de Vitry, Heu, Fortuna subdola: Tenor f-d 1 ,
beide Oberstimmen d-e 2 ); 3st. Kantilenensatz der
franzosischen Ars nova (G. de Machaut, Ballade Nr 3 :
Tenor und Contratenor B-di, Textstimme f— gi) ; 3st.
Chanson des 15. Jh. mit Contratenor bassus (J.Regis,
Sil vous plaist: Contratenor F-b, Tenor B-es 1 , Ober-
stimme g-b 1 ), 4st. Satz der franko-flamischen Schule
mit beiden Mittelstimmen in gleicher Lage (Josquin,
Missa Da pacetn : Bassus G-b, Tenor d-es 1 , Altus c-g 1 ,
Discantus a-es 2 ) oder mit Unterteilung in 2 Stimm-
paare (Tenor und Discantus, Bassus und Altus), die im
Oktavabstand disponiert sind (Ockeghem, Missa pro-
lationum: Bassus F-d 1 , Tenor B-ai, Altus f-d 2 , Discan-
tus a-f 2 ). Seit der Palestrina-Zeit hat sich die letztge-
nannte Stimmkombination fur den Chorsatz a cappella
durchgesetzt, doch wird sie in neuerer Zeit durch Be-
ziehung auf die normalen menschlichen Stimmlagen
erklart; danach gilt als Regel : BaB E-di (Bariton A-e 1 ),
Tenor c-a 1 , Alt a-f 2 , Sopran c!-a 2 . Die Anlage eines
Satzes mit L.n findet sich jedoch noch bei Schiitz und
Lully, und zwar auch in instrumentalen Stiicken.
Lai (le, frz.), Leich, eine der Hauptgattungen der
mittelalterlichen volkssprachlichen Lyrik; die Texte
behandeln religiose (vor allem als Marien-L.) oder
weltliche Them en (Minne-, Pastourellen-L.). Der alt-
franzosische L. (von altirisch laid, Lied) ist seit der Mit-
te des 12. Jh., der mittelhochdeutsche Leich (zu gotisch
laiks, germanisch + laik, Tanz, Spiel) seit 1198 belegt;
letzterer ist in der Sache wie in der Benennung sicher
vom altfranzosischen L. beeinfluBt. Die Herleitung des
beiden zugrunde liegenden Formprinzips ist umstrit-
ten ; erwogen wurde die liturgische Sequenz, aber auch
eine vorliterarische Form keltisch-irischen Ursprungs,
der die dem Prinzip nach gleichen Formen -*- Se-
quenz (- 1), -> Descort, L. und Leich sowie die ahnlich
gebauten Tanzlieder -*■ Estampie, Ductia und Nota
entstammen sollen. - Der L. ist durch seine nichtstichi-
sche, unstrophische Form gekennzeichnet. Er besteht
aus metrisch wie musikalisch verschieden gebauten
Teilen unterschiedlicher Lange. Die GroBformen kon-
nen bis zu 300 Versen umfassen. Die einzelnen Teile
werden von metrisch und musikalisch gleichgebauten,
sich auf mannigfaltige Weise wiederholenden Versi-
keln gebildet, die in sich reich gegliedert sein konnen.
Neben der einfachsten Form einer f ortschreitenden Re-
petition (AA BB CC . . .) gibt es den Typus mit einfa-
chem Eingangs- und SchluBversikel (A BB CC DD E,
auch A BB CC DD A) oder Wiederholungen ganzer
Versikelgruppen (AA BB CC ... AA BB CC . . .)
als Typus des doppelten (oder mehrfachen) Cursus,
wie er auch in archaischen Sequenzen erscheint. Da-
bei konnen sich metrische und melodische Wieder-
holungen uberschneiden. Unter den Abweichungen
vom einfachen Formtypus sind ferner zu nennen die
Zufiigung einer melodisch selbstandigen oder aus dem
Vorhergehenden entwickelten -*■ Cauda (- 2) am
SchluB eines Versikels oder Teiles sowie die Abwand-
lung des Melodieanfangs oder -schlusses (apertum -
clausum, entsprechend der Beschreibung der Estampie
bei J. de Grocheo, ed. Rohloff , S. 53) bei der Wieder-
holung eines Versikels. In Deutschland war der L. vor-
nehmlich im 13. Jh. beliebt, doch sind nur wenige Me-
lodien iiberliefert. In Frankreich ist er in einer strenge-
ren Formung noch im 14. Jh. u. a. in Fauv (vier 1st. L.s;
-> Quellen) sowie bei Machaut und E.Deschamps an-
zutreffen. Der L. besteht jetzt meist aus 12 Doppelver-
sikeln (Strophenpaaren) von gleichem oder verschiede-
nem Bau; regelmaBig ist jedoch der 12. Doppelversikel
metrisch und musikalisch dem ersten gleich. Die
Machaut-Quellen iiberliefern 24 L.s, von denen 6 nicht
komponiert wurden, aber unter die L.s mit Noten ein-
gereiht sind (Nr 4, 8, 9, 11, 13, 20). Die einzelnen Ver-
sikel sind ihrerseits in 2 Halften geteilt, die zur gleichen
Melodie mit apertum- und clausum-SchluB gesungen
werden; fur einen derartigen Doppelversikel ergibt
sich demnach die melodische Folge AA'AA'. Der letzte
Doppelversikel enthalt die Melodie des ersten oft in der
Transposition in die Oberquinte (einmal in die Unter-
quarte). Von der Norm des einstimmigen »durchkom-
ponierten« L. weichen ab die L.s Nr 1 (die Melodie des
ersten Versikels gilt auch fur alle folgenden), 2 (nur 7
Doppelversikel) sowie die mehrstimmigen L.s Nr 16
(die ungeradzahligen Doppelversikel sind einstimmig,
die geradzahligen sind 3st. Chaces, deren letzte melo-
disch mit dem ersten Doppelversikel iibereinstimmt),
17 (jeder Doppelversikel ist eine 3st. Chace) und 23
(nach Hoppin als 2st. Satz zu deuten).
Ausg. u. Lit.: F. Wolf, Uber d. L., Sequenzen u. Leiche,
Heidelberg 1841 ; L. et descorts hi;, . . ., hrsg. v. P. Aubry
(mit A. Jeanroy u. L. Brandin), = Melanges de musicologie
critique III, Paris 1901 ; G. O. Gottschalk, Der deutsche
Minneleich . . ., Diss. Marburg 1908; Gesange v. Frauen-
lob, Reinmar v. Zweter . . . , hrsg. v. H. Rietsch, = DTO
XX, 2 (Bd 41), Wien 1913 ; H. Spanke, Eine neue Leichme-
lodie, Zf Mw XIV, 1931/32; ders., Sequenz u. L., Studi me-
dievali, N. S. XI, 1938 ; ders., Deutsche u. frz. Dichtung d.
MA, Stuttgart u. Bin 1943 ; Fr. Gennrich, GrundriB einer
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; ders., Zwei altfrz.
L., Studi medievali, N. S. XV, 1942 ; ders., Der mus. Nach-
laB d. Troubadours, = Summa musicae medii aevi III— IV,
Darmstadt 1958-60; ders., Die Kontrafaktur . . ., ebenda
XII, Langen bei Ffm. 1965 ; E. H using, Deutsche Leiche u.
Lieder, Wien 1932; M. C. Pfleger, Untersuchungen am
deutschen geistlichen Lied d. 1 3. bis 1 6. Jh., Diss. Bin 1937;
G. de Machaut, Mus. Werke IV (Messe u. L.), aus d.
NachlaB v. Fr. Ludwig hrsg. v. H. Besseler, Lpz. 1943,Neu-
druck 1954; H. Kuhn, Minnesangs Wende, Tubingen
1952; G. Reichert in: Minnesang d. 13. Jh., aus: C. v.
Kraus' »Deutsche Liederdichter«, ausgew. v. H. Kuhn,
ebenda 1953; G. Reaney, The L. of G. de Machaut
Proc. R. Mus. Ass. LXXXII, 1955/56; R. H. Hoppin, An
Unrecognized Polyphonic L. of Machaut, MD XII, 1958;
J. Maillard, Problemes mus. et litteraires du L., Quadri-
vium III, 1958 ; ders., Le»L.« et la »Note« de Chevrefeuille,
MD XIII, 1959; ders., L. et Chansons d'Ernoul de Gasti-
non, MD XVII, 1963; Br. Stablein, Die Schwanenklage.
Zum Problem L. - Planctus - Sequenz, Fs. K. G. Fellerer,
Regensburg 1962; E. Jammers, Ausgew. Melodien d. Min-
nesangs, = Altdeutsche Textbibl., Erganzungsreihe I, Tu-
bingen 1963; K. H. Bertau, Sangverslyrik, = Palaestra
CCXL, Gottingen 1964.
Laisse (les, frz.), eine in der friihen altfranzosischen
Dichtung, vor allem der -> Chanson de geste, ubliche
Strophenform. Die L. ist eine Folge von assonierenden
Versen beliebiger Zahl, die oft durch einen kiirzeren
Vers abgeschlossen wird, der nicht assoniert. An L.n-
Melodien ist auBer einer Zeile einer Chanson de geste-
Parodie nur die Melodie zu den L.n der Chantefable
502
Lamento
Aucassin et Nicoktte (13. Jh.) erhalten: eine Melodie im
G-Modus sowie fur die kurzere SchluBzeile eine Cauda
im C-Modus.
Lit.: Fr. Gennrich, GrundriB einer Formenlehre d. ma.
Liedes, Halle 1932; U. Aarburg, Die Laissenmelodie zu
»AucassinetNicolette«, Mf XI, 1958.
Lamentation. In der Liturgie der romisch-katholi-
schen Kirche sind die Lektionen in den ersten Noktur-
nen der drei letzten Kartage (-> Tenebrae, daher in
Frankreich oft lecons de tenebres fiir L.en) den L.es
Jeremiae entnommen (->■ Threnos) : fiir Griindonners-
tag Kap. 1, 1-14, Karfreitag II, 8-15, III, 1-9, Karsams-
tag III, 22-30, IV, 1-6, V (Oratio Jeremiae), 1-11. Diese
Ordnung ist seit dem Tridentiner Konzil verbindlich.
Diejeweils erste Lektion beginnt mit denWorten Incipit
Lamentatio Jeremiae bzw. De L.e . . ., die Lectio III am
Karsamstag mit Incipit Oratio . . . Am Anfang jedes
Verses stent ein hebraischer Buchstabe, jede Lektion
schlieBt mit dem Vers Jerusalem, Jerusalem, convertere
ad Dominum Deum tuum (nach Hosea 14, 2). Wie die
Passion wird auch die L. im feierlichen Gottesdienst
durch eine eigene Lektionsweise ausgezeichnet. Seit
dem Tridentiner Konzil ist der romische Tonus l.um,
der an den 6. Psalmton anklingt, offiziell vorgeschrie-
ben. - Die wichtigste Quelle fiir die Friihgeschichte
der mehrstimmigen L., die sich bis zur Mitte des 15.
Jh. zuruckverfolgen laBt, ist der L.s-Sammeldruck
von Petrucci (1506) mit Kompositionen von A. Agri-
cola, de Orto, de Quadris, Gaspar, Lapicida, Tinctoris,
Ycart und Anonymi. Bezeichnend fiir die Werke die-
ser und der spateren Sammlungen ist, daB die Kom-
ponisten eine verschiedene Auswahl aus den Threni-
Kapiteln treffen und sich auch in der Anzahl der kom-
ponierten Verse und in deren Gruppierung in Lek-
tionen sehr unterscheiden. Durch die Mitvertonung
der hebraischen Buchstaben und des Jerusalem- Verses
bleibt in alien Werken der Charakter der L. als liturgi-
scher Lectio gewahrt. In der melodischen Substanz sind
die meisten L.en der Petrucci-Sammlung von dem ro-
mischen Tonus l.um gepragt, der teils als C. f. deut-
lich erkennbar ist, teils freier verarbeitet erscheint.
Vierstimmigkeit und homorhythmischer Satz herr-
schen vor. Tromboncino wiederholt bei seiner etwa
60 Verse umfassenden L. die musikalischen Einzelab-
schnitte des Anfangs in gleicher oder anderer Reihen-
folge. Auffallig ist auch eine Art strophenmaBiger Ge-
staltung bei de Quadris. - Mit der Petrucci-Sammlung
beginnt die das ganze 16. Jh. vor allem in den Nieder-
landen, Frankreich, Italien und Spanien wahrende Blii-
tezeit der mehrstimmigen L. Ein L.s-Druck von Mon-
tanus & Neuber (1549) enthaltWerke von Crecquillon,
Fevin, J. Gardano, de la Rue und Sermisy. Die L.en von
Fevin und Sermisy erschienen bereits 1534 bei Attain-
gnant und noch 1557 bei Le Roy & Ballard (dort au-
Berdem L.en von Arcadelt, Carpentras und Festa).
Carpentras' L.en (gedruckt 1532) wurden bis 1587 re-
gelma'Big in der papstlichen Kapelle in Rom gesungen.
Kennzeichen der L. in der 1 . Half te des Jahrhunderts
sind eine festere Bindung an den romischen Tonus l.um
und deutliche Nahe zur motettischen Satz- und Aus-
druckskunst. - Hohepunkte in der Entwicklung der L.
sind die Vertonungen von Morales (1564), Victoria
(1581), Lassus (1585), Gallus (1587) und vor allem von
Palestrina (5 Bucher seit 1564, davon nur das erste 1588
gedruckt). Palestrinas L.en losten in der papstlichen
Kapelle 1587 diejenigen von Carpentras ab. Sie gehoren
zu den reifsten Werken des Meisters und lassen gegen-
iiber den L.en der ersten Jahrhunderthalfte eine starke-
re Tendenz zu homorhythmischer Satzweise erkennen,
zugunsten einer sprachgerechten Deklamation. Die
Bindung an den choralen L.s-Ton ist in der Palestrina-
Zeit nicht mehr so eng wie vorher. Weitere L.en schrie-
ben in der 2. Halfte des 16. Jh. u. a. Byrd, G.Nasco,
Tallis, A. de Torrentes, R.White.
Vom 17. Jh. an lieB das Interesse an einer Vertonung
der Threni immer mehr nach. Die L.en von Luyton
(1604) und Viadana (1609) stehen noch in der Tradi-
tion des 16. Jh.; das gleiche gilt fiir Allegri, dessen L.en
ab 1641 in der papstlichen Kapelle zum Teil anstelle
der Palestrinensischen gesungen wurden. Sonst aber
greift der neuitalienische monodische Stil auch auf die
L. iiber, so bei Carissimi, Charpentier und Rosenmiiller.
Die L. weist hier zwar im textlichen GrundriB noch die
Kriterien einer liturgischen Lectio auf (hebraische Buch-
staben, Jerusalem- Vers usw.), entfernt sich aber von
ihr insofern, als die stark affekthaltigen Texte der Thre-
ni (z. B. die Worte Plorans ploravi in node . . .) nun mit
den musikalischen Ausdrucksmitteln des 17. Jh. das
Pathos einer Klage gewinnen. Damit riicken die L.en
des 17. Jh. vielfach in die Nahe der -*■ Lamento-Ge-
sange aus Oper, Oratorium und Kantate. - Fiir das 18.
Jh. ist u. a. auf die L.en von Fr. Couperin (le grand),
Delalande, Durante und J.-H. Fiocco hinzuweisen. Im
20. Jh. ragen die Lamentatio Jeremiae Prophetae von
Kfenek (1941/42) und die Threni von Strawinsky (1958)
hervor. Beide Komponisten greifen hier bewuBt auf
musikalische Stilmittel aus der Bliitezeit der L. zuriick
und verbinden sie mit moderner Satzweise.
Von den L.en im liturgischen Sinn sind die L.en zu un-
terscheiden, die weder liturgisch noch Lektionen sind,
und solche Kompositionen, denen zwar einzelne Verse
aus den Threni zugrunde liegen, die aber keine Lektio-
nen sind. Zur 1. Gruppe gehoren Klagegesange wie die
einstimmigen deutschen und lateinischen L.en im Neu-
markter Cantional (um 1480). Sie haben textlich nichts
mit den Threni zu tun, iibernehmen aber von den li-
turgischen L.en den charakteristischen Jerusalem- Vers.
Zur 2. Gruppe zahlt Dufays Lamentatio Sanctae Matris
Ecdesiae Constantinopolitanae, eine doppeltextige Mo-
tette mit einem Threni-Text im Tenor. In Analogie
zur Passionsmotette kann hier von einer L.s-Motette
gesprochen werden. Auch Patres nostri peccaverunt von
Cornago und O vos omnes von Compere vertreten die-
sen Typus.
Ausg. mehrst. L. (nur Sammelpublikationen) : G. E. Wat-
kins, Three Books of Polyphonic L. of Jeremiah, 1549-64,
Diss. Univ. of Rochester (N. Y.) 1954, maschr. ; Treize
livres de motets parus chez P. Attaingnant en 1534 et
1535, neu hrsg. v. A.T. Merrit, 10 e livre, Monaco (1962);
Mehrst. L. aus d. 1. Halfte d. 16. Jh., hrsg. v. G. Massen-
keil, = MMD VI, Mainz 1965.
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; A. E. Schroder, De meerst. muziek op de lamenta-
ties van Jeremia tot het einde der 18e eeuw, Diss. Lowen
1948; dies., Les origines des 1. polyphoniquesauXV e s. dans
les Pays-Bas, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; G. Massenkeil, Zur
Lamentationskomposition d. 15. Jh., AfMw XVIII, 1961 ;
ders., Eine span. Choralmelodie in mehrst. Lamentations-
kompositionen d. 16. Jh., AfMwXIX/XX, 1962/63. GMa
Lamento (ital., Klage, Klagelied), Bezeichnung fiir
eine Musik von klagendem Charakter. In der Oper des
17./18. Jh. ist L. eine oft vor dem Umschwung der
Handlung eingesetzte Klageszene. Das erste bekannte
Beispiel der Gattung ist das L. a" Arianna von Monte-
verdi (1608, gedruckt 1623; bearbeitet als 5st. Madri-
gal 1614, als geistliche Kontrafaktur Pianto della Ma-
donna 1641). Ein L. d'Otimpia wurde auBer von Mon-
teverdi auch von D'India (1623) komponiert. Die L.-
Kompositionen bilden eine der Wurzeln der Cantata
(-»• Kantate). Bedeutende Lamenti schrieben in ihren
Opern Cavalli (zuerst in Gli amori di Apollo e di Daf-
ne, 1640; L. der Hecuba in Didone, 1. Akt) und Pur-
503
»Landinosche Sext«
cell (Dido and Aeneas, 1691). Haufig liegt dem L. als
BaC einPassacaglia-(Ciaccona-)BaB zugrundebzw. ein
chromatischer Quartgang (-»■ Passus duriusculus; »L.-
BaB«), so noch in J. S. Bachs Capriccio sopra la lontananza
del suofratello dilettissimo. - Die Bezeichnung L. (auch
frz. lamentation) gebraucht Froberger gleichbedeu-
tend mit -»■ Tombeau und -*■ Plainte (- 2) : Allemanden
L. sopra . . . Ferdinando IV, Lamentation faite sur la mort . . .
de ... Ferdinand III. - Nach Walther (1732) ist L. ein
trauriges Vor- und Zwischen-Spiel von Instrumenten, an
statt einer Sonatae oder eines Ritornello; in diesem Sinne
ist z. B. noch das Vorspiel zu Berlioz* Les Troy ens a
Carthage (1863) als L. bezeichnet. - Den Titel L. di
Tristano tragt eine textlose instrumentale -»■ Estampie
aus dem 14. Jh. -> Threnos.
Ausg. : CI. Monteverdi, L. d'Arianna, u. a. Schering
Beisp. Nr 177; CI. Monteverdi, 12 composizioni vocali
inedite profane e sacre, hrsg. v. W. Osthoff, Mailand
(1958).
Lit. : P. Epstein, Dichtung u. Musik in Monteverdis »L.
d'Arianna«, ZfMw X, 1927/28 ; J. A. Westrup, Montever-
di's »L. d'Arianna«, MR I, 1940; W. Osthoff, Montever-
di-Funde, AfMw XIV, 1957. - M. Schneider, Klagelieder
d. Volkes in d. Kunstmusik d. ital. Ars nova, AMI XXXIII,
1961 ; W. Laade, Die Struktur d. korsischen L.-Melodik,
= Slg mw. Abh. XLIII, StraBburg u. Baden-Baden 1 962.
»Landinosche Sext«,»Landinoklausel«, ->Klau-
sel.
Langaus wurde an der Wende des 18./19. Jh. eine
Ausfiihrung des -»■ Deutschen Tanzes genannt, bei der
das Tanzerpaar mit groBen Schritten in sehr raschem
Tempo und wenig Drehungen mehrmals den Tanz-
saal durchmaB. Bei dem sehr schnellen Tempo der
Musik kamen mehrere Zweitaktgruppen auf eine Um-
drehung. Der L. gehort zu den direkten Vorformen
des Walzers.
Lit.: E. Schenk, Der L., Studia musicologica III, 1962.
Langleik (norwegisch) -* Hummel.
Laos -*■ Hinterindien.
Lappland,
Ausg. u. Lit.: A. Launis, Lappische Juoigos-Melodien,
= Suomelais-ugrilaisen seuran, Toimituksia (Memoires de
la Soc. finno-ougrienne) XXVI, Helsinki 1908; K. Tiren,
Die lappische Volksmusik, = Acta lapponica III, Stock-
holm 1942; E. Emsheimer, A Lapp Mus. Instr., Ethnos
XII, 1947, auch in: Studia ethnologica eurasiatica, = Mu-
sikhist. museets skrifter I, Stockholm 1964; ders., Lappi-
scher Kultgesang, Kgr.-Ber. Liineburg 1950, auch ebenda;
R. Graff, Music of Norwegian Lapland, Journal of the In-
ternational Folk Music Council VI, 1954; W. Danckert,
Tonmalerei u. Tonsymbolik in d. Musik d. Lappen, Mf IX,
1956; Lapska singer, = Skrifter utg. genom Landsmals-
och Folkminnesarkivet i Uppsala, Serie C. 2., Uppsala
1958ff.
Larga (erganze: nota oder figura, lat., die breite), in
der -*■ Mensuralnotation des 14.-15. Jh. ein Noten-
wert, der noch groBer ist als die ->• Maxima. J. Verulus
de Anagnia bestimmt ihn mit 6-12 Breves. Die L.
wird als sehr stark verbreiterte Longa geschrieben,
wobei fur jeden Longawert eine Cauda notiert werden
kann, z. B. :
largando, auch slargando, allargando (ital., breiter
werdend), in der Regel eine mit crescendo verbundene
Vortragsbezeichnung, die einen durch ritenuto unter-
stiitzten, pathetisch ausladenden Ausdruck f ordert.
Larghetto (ital., Diminutiv von Largo, etwas breit).
Vom gewichtigeren Largo unterscheidet sich das L.
durch einen leichteren, flieBenderen Vortrag. Handel
bezeichnet Sicilianoarien im 6/8- oder 12/8-Takt im
allgemeinen als L. und verwendet die Vorschrift un
poco 1. sogar fur ein Menuett (Concerto grosso op. 6
Nr 5, 1739). Bei Mozart nahert sich das L. dem Andan-
te; K.-V. 489 ist im Autograph als L., in Mozarts Ver-
zeichnis seiner Werke als Andante bezeichnet. Beet-
hoven kennt auBer dem ruhig flieBenden L. (op. 46)
auch ein gewichtiges (op. 84, 2. Zwischenaktsmusik)
und ein expressives (op. 95).
Largo (ital., breit). Als Tempovorschrift ist L. seit
dem friihen 17. Jh. nachweisbar. G. Caccini spricht von
einer misura piu larga (1601), G. Frescobaldi von ei-
nem tempo 1. (1615). Seit der Mitte des 17. Jh. ist L.
die typische Tempovorschrift des ruhigen (nun nicht
mehr als schnelle -*■ Tripla aufgefaBten) 3/2- oder 3/4-
Taktes, vor allem des Sarabandenrhythmus (A. CoreUi),
der abef nicht zerdehnt werden darf, derm mit der
Vorschrift L. ist im 17. und friihen 18. Jh. kein sehr
langsames Tempo, sondern eine geringe Modifikation
des mittleren ZeitmaBes (Tempo ordinario) gemeint.
Die Tempodifferenz zwischen L. und Adagio war bis
zum Ende des 18. Jh. keiner festen Norm unterworfen.
Zwar definieren Brossard (1703) und J. G. Walther
(1732) das L. als sehr langsames ZeitmaB (fort lente-
ment) und als gedehntes, doppeltes Adagio (adagio
adagio). Wesentlicher als die Tempodifferenz aber
scheint der Unterschied zwischen dem gewichtigeren
Vortrag des L. und dem behutsameren des Adagio ge-
wesen zu sein. Es ware sonst widersinnig, daB Handel
L. ma non adagio (Anthem In the Lord put I my trust,
GA XXXIV), Vivaldi L. ma piu tosto andante (Pin-
cherle Nr 21 1) vorschreibt ; auch in Haydns Symphonie
Hob. I, 88 fordert die Vorschrift L. weniger ein sehr
langsames ZeitmaB als eine nachdrtickliche Akzentu-
ierung. Mozart verwendet die Bezeichnung L. vor al-
lem fur rhythmisch pointierte langsame Einleitungen.
Bei Beethoven, der Introduktionen eher als Grave be-
zeichnet, erscheint das L. als beschwertes Adagio. Zu-
satze wie appassionato (op. 2), con gran espressione
(op. 7) oder mesto (op. 10) bezeugen das Pathos, das
Beethoven mit dem Begriff des L. verbindet. - L. assai
und L. molto bedeuten sehr breit. Der Superlativ
Larghissimo ist schon im 17. Jh. nachweisbar (A.Scar-
latti, Clearco in Negroponte, 1686), wird aber selten ver-
wendet.
Laryngoskop, Kehlkopfspiegel, ->Gesangskunst,
-*■ Stimme (-2).
Lassu (ungarisch) -*■ Csardas.
Lateinamerika.
Lit. : E. Hague, Latinamerican Music, Santa Ana (Calif.)
1934; Fr. C. Lange, Los estudios mus. de la Amdrica la-
tina publicada ultimamente, Cambridge (Mass.) 1938; W.
Berrien, Some Considerations Regarding Contemporary
Latin American Music, in: Concerning Latin American
Culture, hrsg. v. Ch. C. Griffin, NY 1939; G. Chase, A
Guide to Latin American Music, Washington 1941, erwei-
tert 2 1962; ders., A Bibliogr. of Latin American Folk Mu-
sic, ebenda 1 942 ; M. J. Herskovits, El estudio de la miisica
negra en el hemisferio occidental, Boletin latino-america-
no de miisica V, 1941; G. Duran, Recordings of Latin
American Songs and Dances, Washington 1942; Ch. See-
ger, Music in Latin America, ebenda 1942; B. Grosbayne,
The Music of Mexico, Central and South America, Brook-
lyn (N. Y.) 1943; N. R. Ortiz Oderigo, Panorama de la
miisica afro-americana, Buenos Aires 1944; ders., Miisica
y miisicos de Am6rica, ebenda 1949, 2 1958 ; N. Slonimsky,
Music of Latin America, NY 1945, 3 1949, span. Buenos
Aires 1947; C. Vega, Miisica sudamericana, Buenos Aires
1946 ; O. Mayer-Serra, Miisica y miisicos de Latinoameri-
ca, 2 Bde, Mexiko 1947; D. Emrich, Folk Music of the
United States and Latin America, Washington 1948; E.
Martin, La miisica hispanoamericana del presente (1953),
Habana 1953; J. Subira, Hist, de la miisica espafiola e
hispanoamericana, Barcelona 1953, deutsche Bearb. v.
504
Laudes regiae
A.-E. Cherbuliez als: Mg. v. Spanien, Portugal, L., Zurich
u. Stuttgart 1957; J. Haskins, Panamericanism in Music,
Notes II, 1 5, 1957/58 ; L. Lekis, Folk Dances of Latin Ame-
rica, NY 1958; A. Pardo Tovar, Iberoamerica en su mu-
sica, = Ediciones III, Montevideo 1958 ; D. Devoto, Pano-
rama de la musicologia latinoamericana, AMI XXXI, 1959.
Lauda (auch laude, ital.), ein von den Bruderschaften
der Laudesi (Compagnie de' laudesi) gepflegter hym-
nenartiger geistlicher Lobgesang mit italienischem (bis-
weilen auch lateinischem) Text. Schwerpunkte seiner
Verbreitung waren die Stadte Umbriens (zu gleicher
Zeit ging von Perugia die GeiBlerbewegung aus), der
Toskana (mit Florenz als der bedeutendsten Pflege-
statte) und Norditaliens. Die Bliitezeit des L.-Singens
falltin das 13.-16. Jh. ; doch finden sich noch im 20. Jh.
spate Nachklange. - Die 1st. L. des 13.-14. Jh. ist in der
Form der -»■ Ballata ahnlich; sie beginnt mit einer Ri-
presa, die wahrscheinlich vom Chor nach jeder (soli-
stisch vorgetragenen) Strophe wiederholt wurde. - Im
Strophenbau iiberwiegt Vierzeiligkeit, doch gibt es
auch Strophen mit bis zu 9 Zeilen. Kontrafakturen von
Tanz- oder Volksmelodien sind nachgewiesen. Wich-
tigste Quellen f iir die L. der friihen Zeit sind : Codex
Magliabechiano ILL 122 der Biblioteca Nazionale in
Florenz (14. Jh.) und Codex 91 der Biblioteca Comu-
nale von Cortona (13. Jh.), beide in Quadratnotation.
In Handschriften des 15. Jh. hat Damilano (1963) 92
mehrstimmige Laude nachgewiesen. Als bekannteste
Meister der mehrstimmigen L. um 1 500 gel ten B. Trom-
boncino und M.Cara. 122 mehrstimmige Laude im
4st. Satz Note gegen Note wurden 1508 von Petrucci in
2 Biichern gedruckt (Unica in der Biblioteca Colombi-
na, Sevilla: 12-1-4 und 12-1-28). In ihrem akkordli-
chen, klanggesattigten Satz sind sie von der ->■ Frottola
her bestimmt. Im Zeitalter der Gegenreformation gab
der Dominikaner S. Razzi ein Buch l-4st. Laudi spiritua-
li heraus (Venedig 1563, vielfach auf weltliche Melo-
dien zuriickgehend). Die im Kreise des hi. F.Neri ge-
pflegte L., darunter vor allem die dialogische L., stellt
eine der Wurzeln des -*■ Oratoriums dar.
Ausg.: Kn. Jeppesen (mit V. Breindal), Die mehrst. ital.
Laude um 1500, Lpz. u. Kopenhagen 1935; F. Liuzzi, La 1.
e i primordi della melodia ital., 2 Bde, Rom (1935).
Lit.: D. Alaleona, Le laudi spirituali ital. nei s. XVI e
XVII . . ., RMI XVI, 1909; A. Schering, Gesch. d. Ora-
toriums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III, Lpz.
1911, Nachdruck Hildesheim 1966; E. J. Dent, The Laudi
spirituali in the XVI th and XVII "> Cent., Proc. Mus. Ass.
XLIII, 1916/17; Kn. Jeppesen, Die mehrst. ital. L. d. 16.
Jh., Kgr.-Ber. Luttich 1930; J. Handschin, t)ber d. Laude
. . ., AMI X, 1938; J. Wolf, L'ltalia e la musica religiosa
medievale, RMI XLII, 1938; F. Ghisi, Un processionale
inedito . . ., RMI LV, 1953; ders., Strambotti e laude . . .,
CHM I, 1953 ; ders., Gli aspetti mus. della 1. fra il XIV e il
XV s., prima meta, in: Natalicia musicologica, Fs. Kn.
Jeppesen, Kopenhagen 1962; P. Damilano, Giovenale
Ancina, musicista filippino (1545-1604)* Florenz 1956;
ders., Laudi lat. in un antifonario bobbiese del Trecento,
CHM III, 1963 ; ders., Fonti mus. della 1. polifonica intor-
no alia meta del s. XV, ebenda ; S. W. Kenney , In Praise of
the L., in : Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs.
G.Reese, NY (1966).
Lauda Sion (lat.), die Sequenz des Fronleichnams-
festes, um 1263 vom hi. Thomas von Aquin nach dem
Vorbild der Kreuzessequenz Laudes cruris attollamus
(Analecta hymnica LIV) gedichtet. Der primar im tro-
chaischen Metrum gehaltene Text mit dem Reimsche-
ma a a b (Strophe) c c b (Gegenstrophe) ist durch eine
gegen Ende des Stiickes vollzogene Ausweitung der
Strophen von 3 auf 4 bzw. 5 Verse gekennzeichnet
(aaab-cccb bzw. aaaab-ccccb). Beachtens-
wert ist ferner die gleichfalls im Laudes cruris attollamus
vorgegebene und vom Grundschema (a = 8 Silben,
b = 7 Silben) abweichende Form der Verse Dies enim
. . . recolitur und Vetustatem . . . lux eliminat. Nach den
Forschungen D.Johners wurde auBer dem Textmodell
vermutlich auch die Melodie der Kreuzessequenz fur
das L. S. ubernommen (7. Kirchenton). Ihre Eigenart
griindet sich auf eine Vielzahl von Motiven, verbunden
mit einer starken Vereinheitlichung der SchluBverse.
Das Anf angsmotiv entstammt dem Alleluia Duke lignum
vom Fest Kreuzerhohung. - Die vorvatikanische Fas-
sung der Melodiezeile zur 1. Doppelstrophe und zum
Alleluia des L. S. wird von Hindemith im 6. Bild seiner
Oper Mathis der Mater und im SchluBsatz der gleichna-
migen Symphonie verarbeitet.
Ausg.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in
seinen Singweisen v. d. friihesten Zeiten bis gegen Ende d.
17. Jh. I, Freiburg i. Br. 21886, Nachdruck Hildesheim
1962; Analecta hymnica medii aevi L, hrsg. v. Cl. Blume
SJ u. G. M. Dreves, Lpz. 1907 (Text d. L. S.).
Lit.: D. Johner OSB, Zur Melodie d. Fronleichnams-Se-
quenz, Benediktinische Monatsschrift XXI, 1939.
Laudes (lat.) heiBt im -*■ Offizium der romisch-ka-
tholischen Kirche das alte und eigentliche Morgenge-
bet, welches heute im AnschluB an die Matutin den
Ablauf der taglichen Horen eroffnet. Wenngleich eini-
ge sehr friihe Quellen vom gemeinsamen Morgenlob
der christlichen Gemeinden sprechen (z. B. Plinius der
Jiingere, Epistola X, 96; Tertullian, De oratione XXV,
23), so ist der genaue Verlauf seiner geschichtlichen
Entfaltung jedoch nur schwer zu fassen, nicht zuletzt
wegen der uneinheitlichen Terminologie. So nannte
man das Morgenlob u. a. solemnitas matutina oder
matutini (psalmi), wahrend der Name Matutin spa-
ter auf das urspriinglich vigiliae genannte nachtliche
Gebet uberging ; zum anderen war 1. die Bezeichnung
der als Einheit aufgefafiten 3 (Lob-)Psalmen 148-150
(Laudate Dominum de caelis, Cantate Domino canticum
novum, Laudate Dominum in Sanctis eius), die bis zur
Brevierreform Pius' X. einen festen Bestandteil dieser
Hore bildeten und ihr den Namen gaben. Der Cha-
rakter der L. als Morgenlob kommt deutlich im Inhalt
der Textstiicke zum Ausdruck: die Psalmen sind nach
den Motiven des Lichtes und des Lobens ausgewahlt;
dasselbe gilt von den Antiphonen, Versikeln und Hym-
nen, soweit sie nicht an hohen Festen den Texten der
Tagesmesse entsprechen. - Im formalen Aufbau glei-
chen die L. weithin der Vesper. Nach der romischen
Fassung schliefien sich dem Einleitungsversikel 5 Anti-
phonen (Osterzeit: eine Antiphon) mit 4 Psalmen und
einem alttestamentlichen ->■ Canticum an (letzteres ein-
geschoben zwischen 3. und 4. Psalm), auBerdem Capi-
tulum, Hymnus, Versikel und das neutestamentliche
Canticum Benedktus Dominus Deus Israel nebst Anti-
phon, worauf die Tagesoration (teils mit vorausgehen-
den Preces) und das Benedicamus Domino die Hore be-
schlieBen. Demgegeniiber werden die L. des monasti-
schen Offiziums nach dem Einleitungsversikel mit
Psalm 66 {Deus miser eatur nostri) eroffnet. Auf ihn fol-
gen an gewohnlichen Sonntagen 3 Psalmen zu einer
1. Antiphon, ein alttestamentliches Canticum mit 2.
Antiphon und die (ohne Gloria patri miteinander ver-
bundenen) Psalmen 148-150 zur 3. Antiphon. Davon
abweichend ist in den L. der Fest- und Werktage so-
wie aller Sonntage der Advents-, Vorfasten- und Fa-
stenzeit jedem der ersten 3 (samstags 2) Psalmen ei-
ne eigene Antiphon zugeordnet (ausgenommen die
Osterzeit, in der die genannten Psalmen nur eine ein-
zelne Alleluiaantiphon erhalten). Uberdies findet sich
in den monastischen L. nach dem Capitulum ein Re-
sponsorium breve, ferner gehen der Tagesoration Kyrie
eleison und Pater noster voraus.
Laudes regiae (lat.) -*■ Akklamationen.
505
Laufzeitunterschied
Laufzeitunterschied. Um eine besrimmte Entfer-
nung zuriickzulegen, braucht der -> Schall infolge
seiner endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit (etwa
340 m/sec) eine gewisse Zeit (Laufzeit). Die bei der Aus-
breitung eines Schallsignals an zwei nacheinander pas-
sierten Punkten zu beobachtende zeitliche Differenz
wird als L. bezeichnet. Besonders gut zu beobachten
ist der L., wenn ein Schall infolge Reflexion den glei-
chen Punkt nacheinander zweimal in einem bestimm-
ten zeitlichen Mindestabstand (»kritischer L.«) passiert.
Er macht sich dann als -> Echo (bei mehreren, dicht
aufeinanderfolgenden Reflexionen als Flatterecho oder
->• Nachhall) bemerkbar. Es ist ein besonderes Problem
der ->• Raumakustik, die vorwiegend in groBeren
Raumen durch L.e bei der Schallausbreitung auftreten-
den Storungen zu vermeiden bzw. zu beseitigen. Dies
kann u. a. durch Anbringen von Schallschluckstoffen
geschehen, da der kritische L. wesentlich von der In-
tensitat der Reflexionen abhangt. Auch bei der Sprach-
und Musikiibertragung durch mehrere Lautsprecher
wirkt der L. der beim Horer von den einzelnen Laut-
sprechern eintreffenden Schallwellen unter Umstan-
den storend. Abhilfe kann durch Lautsprecheranord-
nung mit besonderer Richtwirkung oder durch Zwi-
schenschalten einer kiinstlich schallverzogernden An-
lage geschaffen werden.
Lit. : H. Haas, Ober d. EinfluB eines Einfachechos auf d.
Horsamkeit v. Sprache, Acustica 1, 1951 ; G. R. Schodder,
F. K. Schroeder u. R. Thiele, Verbesserung d. Horsam-
keit eines Theaters durch eine schallverzogernde Leise-
sprechanlage, ebenda II, 1952; H. Petzoldt, Elektroaku-
stik IV, Lpz. 1957; L. Cremer, Statistische Raumakustik,
= Die wiss. Grundlagend. Raumakustik II, Stuttgart 1961.
Laun£ddas, Lioneddas, Leuneddas, auch Henas, in
Sardinien noch heute iibliches Blasinstrument unbe-
kannten Ursprungs (agyptisch, etrurisch oder phoni-
kisch), bestehend aus 3 Schilfrohren verschiedener
Lange, von denen 2 (fur die linke Hand des Blasers)
aneinander befestigt sind, das dritte, kleinste, fur die
rechte Hand bestimmt ist. Das langste Rohr (tumbu)
hat keine Tonlocher und gibt nur einen (Bordun-)Ton ;
die beiden anderen Rohre haben 4 Tonlocher und er-
moglichen je 5 Tone. Das Mundstiick hat bei alien
drei Rohren eine einfache aufschlagende Zunge aus
einem aus dem Pfeifenrohr herausgeschnittenen Blatt.
Der Blaser nimmt alle 3 Mundstticke zugleich in den
Mund und spielt zweistimmig in Terzen und Sexten
iiber dem Bordun des Tumbu.
Lit.: G. Fara, Su uno strumento mus. sardo, Turin 1913;
ders., Sull'etimologia de »1.«, Turin 1918; ders., Le »1.«
sarde, Rendiconti del Regio Istituto lombardo II, Bd 51,
Mailand 1937; A. Voigt, Las 1., MMR LXVII, 1937; F.
Karlinger, »L.«, Skizze eines Kultinstr., Musica sacra
LXXVIII, (Koln) 1958.
Lausanne.
Lit. : A. Huguenin, Le theatre de L. des sa fondation en
1871 jusqu'anos jours, L. 3 1933;H.Stierlin-Vallon, Mu-
sique d'hier et aujourd'hui a L., L. 1940; P.-A. Gaillard,
Esquisse hist, de la tradition mus. a L., SMZ XCV, 1955;
H. Husmann, Zur Gesch. d. MeBliturgie v. Sitten u. iiber
ihren Zusammenhang mit d. Liturgie v. Einsiedeln, L. u.
Genf.AfMw XXII, 1965.
Laute (von arabisch al-'tid; span, laud; ital. liuto; frz.
luth; engl. lute). - 1) In der Systematik der Musikin-
strumente sind L.n zusammengesetzte Saiteninstru-
mente, bei denen die Saitenebene parallel zum Reso-
nator liegt. Neben den Joch-L.n (f iir die die Bezeich-
nung ->• Leier gelaufig ist) steht die groBe Gruppe der
Stiel-L.n, bei denen die Saiten an einem durch das
Corpus gespieBten oder vom Corpus abgesetzten Hals
befestigt sind. Langhals-L.n sind zuerst im 2. Jahrtau-
send v. Chr. im Zweistromland nachweisbar, wohin
sie von wahrscheinlich nichtsemitischen Berg- und
Reitervolkern (Chussiter) gebracht wurden. Auch nach
Agypten, wo die Langhals-L. zuerst vereinzelt zur Zeit
der XV.-XVII. Dynastie (18.-16. Jh. v. Chr.) nach-
weisbar ist, wurde sie mit dem Hyksos-Einfall gebracht.
Erst nach etwa 1500 v. Chr. wird sie auch in den Han-
den einheimischer Berufsmusiker dargestellt; neben
der grofien Langhals-L. gab es eine zierlichere f iir San-
gerinnen. Zu den Langhals-L.n gehort der -*■ Tanbur,
von dem wahrscheinlich ->■ Domra, -*■ Balalaika und
-> Colascione abstammen. Langhals-L.n sind die mei-
sten Streichinstrumente, die -*■ Kamanga und die
abendlandische -> Fiedel (- 1 ; -»• Viola - 1) mit ihren
Abkommlingen; gezupfte Fiedeln sind die -> Cistern. -
Die Kurzhals-L. wird erst im 7. Jh. greifbar, einer-
seits als arabischer -> 'Od, andererseits als ostasiati-
sche -»■ P'i-p'a. Gegeniiber dem gebauchten Corpus des
'Od hat die P'i-p'a Zargen, ebenso wie die ->■ Gitarre,
deren Herkunft nicht geklart ist. - 2) Die abendlandi-
sche L. (im engeren Sinn) hat sich im 13./14. Jh. in
Spanien aus dem 'Ud entwickelt. Sie war in Europa im
16.-17. Jh. ein hochgeschatztes und ahnlich universales
Instrument wie das -»■ Klavier, das in mancher Hin-
sicht das Erbe der L. antrat; der L. entspricht im 16.-
17. Jh. in Spanien die -> Vihuela. Die europaische L.
ist eine Kurzhals-L., meist mit vom Hals abgeknicktem
Wirbelbrett, mit gebauchtem Corpus (ohne Zargen),
das aus diinnen Holzspanen zusammengesetzt ist. Sie
hat daher ein geringes Gewicht, einen delikaten Ton,
ist aber anfallig, auch in der Stimmhaltung. In die
Decke ist ein mit einer Rosette verziertes Schalloch
eingelassen. Das breite Griffbrett hat Biinde. Der Be-
zug besteht aus Darmsaiten; zunachst waren es 4, in
Quarten wie der 'Ud oder, wohl zu Anfang des 15.
Jh., in der Stimmung c f a d 1 . Die Normalstimmung
der 6chorigen llsaitigen klassischen L. des 16. Jh. war
A d g h e 1 a 1 oder G c f a di g 1 (Terz-Quart-Stimmung
wie auf der -»■ Viola da gamba - 1). Die hochste Saite
(nach moderner Zahlung die erste, bei Virdung 1511
mit Quintsait bezeichnet; bei Lanfranco 1533 ital. can-
to, cantino ; frz. -> chanterelle) war nur einfach bezo-
gen, die tibrigen doppelt: die 2. (Kleinsangsaite; sotta-
na, sottanelle) und die 3. (GroBsangsaite ; mezzana,
mezzanelle) im Unisono, die 4.-6. (Klein-, Mittel- und
GroBbrummer; tenori, bordoni, bassi) in Oktaven ge-
stimmt. 7chorige 13saitige L.n gab es schon im friihen
16. Jh. (Satze bei Gerle 1532), der 7. Chor steht eine
Quarte oder einen Ganzton unter dem 6. Vom Ende
des 16. bis um die Mitte des 17. Jh. wurden daneben
8-llch6rige L.n verbreiteter. Ab 1638 (D.Gaultier)
kam eine neue Stimmung (nouveau accord) auf in
A d f a d 1 fi. Daneben gab es Scordatura, charakteri-
stisch z. B. in Newsidlers Derjuden Tantz (1544). Das
Spielgut bestand aus freien Stiicken (Praludien, Fan-
tasien) und Tanzen der Zeit (u. a. Passamezzo, Pavane,
Saltarello, Galliarde, Courante, Allemande) sowie aus
vokalen Stiicken (Motetten, Liedsatzen), die in ->■ Lau-
tentabulatur abgesetzt (intavoliert) wurden. Dabei
wurde die Diskantstimme meist koloriert, so bereits
in den ersten Drucken zu Anfang des 16. Jh. ; diese
Praxis reicht wohl in das 15. Jh. zuriick. Die Laufe ver-
langen eine ausgebildete Technik der linken Hand. Fur
den Wechselschlag wurden dabei Daumen und Zeige-
finger (u. a. Besard 1603), auch Zeige- und Mittelfin-
ger gebraucht. Der Fingersatz wird zum Teil in der
Tabulatur vorgeschrieben. Der kleine Finger, bei Ger-
le 1532 noch der kleine und der Ringfmger, wird auf
die Decke gestutzt. Akkorde werden entweder mit
dem Daumen durchstrichen (schrumpsen), oder es
werden mit dem Daumen der BaBton gegriffen und
506
Lautentabulatur
mit dem Zeigefinger die ubrigen Tone des 4-6st. Ak-
kordes angeschlagen. Der Quergriff (frz. barre; engl.
crossed stop) wird mit Fingersatz u. a. bei Phalese 1545
und Gerle 1552 angegeben. Das Lagenspiel ging in der
Regel bis zum 6. Bund. Im 15. Jh. entstanden wahr-
scheinlich die ersten L.n-Lieder, die in den Tabulaturen
des friihen 16. Jh. zuerst in Italien (Frottole), dann in
Deutschland (Tenorlieder, u. a. bei Schlick 1512),
Frankreich (Chansons, spater im 3. Drittel des 16. Jh.
Airs de cour), den Niederlanden und England (Songs
und Ayrs, weitgehend an italienische Vorbilder wie
Madrigale, Balletti ankniipfend) erschienen. Der Satz
ist polyphon oder pseudomonodisch, der Superius wird
fur Gesang in Mensuralnoten notiert, in 4st. Satzen
wird der Contratenor altus auch ausgelassen. Stiicke
fur 2 L.n (Diskant- und Tenor-L. im Abstand eines
Ganztons, einer Quarte, Quinte oder Oktave) sind zu-
erst bei Barberiis 1549 erhalten, fur 3 (Diskant-, Tenor-
und BaB-L.) und 4 L.n zuerst bei Hadrianus 1584. Ne-
ben dem solistischen Spiel und dem im Ensemble wur-
den L.n viel im GeneralbaB verwendet, besonders die
->■ Erzlauten (BaBlauten). Die theorbierte L. (ital. liuto
attorbato) ist im Unterschied zur -> Theorbe etwas
kleiner und hat doppelchorigen Bezug. - Moderne
Schulen f iir L. schrieben F.J. Giesbert und H. Neemann.
Um die Wiedererweckung der alten L.n-Musik mach-
ten sich u. a. H.D.Bruger und W. Gerwig verdient.
Ausg. : J. P. N. Land, Het luitbook van Thysius, Amster-
dam 1889; Osterreichische Lautenmusik im 16. Jh., hrsg.
v. A. Koczirz, = DTO XVIII, 2, Wien 1911; Chansons au
luth et airs de cour frc. du 1 6 e s., hrsg. v. A. Mairy u. L. de
La Laurencie, = Publications de la Soc. frc. de musicolo-
gie I, 3/4, Paris 1934; Lautenmusik d. 17.-18. Jh., hrsg. v.
H. Neemann, = RD XII, Lpz. 1939, Ffm. 21961 ; Les lu-
thistes, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1957ff.
Lit.: zu 1): E. M. v. Hornbostelu. C. Sachs, Systematik
d. Musikinstr., Zs. f. Ethnologie XLVI, 1914, engl. v. A.
Baines u. Kl. P. Wachsmann als: Classification of Mus.
Instr., The Galpin Soc. Journal XIV, 1961 ; Fr. Behn, Die
L. im Altertum u. fruhenMA, ZfMw I, 1918/19; C.Sachs,
Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hil-
versum 1965; W. Stauder, Zur Fruhgesch. d. L., Fs. H.
Osthoff, Tutzing 1961. - zu 2): S. Virduno, Musica ge-
tutscht, (Basel 1511), hrsg. v. R. Eitner, = PGf M, Jg. X, Bd
XI, Bin 1882, dass., Faks. hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ;
R. Dowland, Varietie of Lute-Lessons (1610), Faks. hrsg.
v. E. Hunt, London 1958; Praetorius Synt. II; M. Mer-
senne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr.
Lesure, 3 Bde, Paris 1963; Th. Mace, Musick's Monu-
ment, London 1676, Faks. Paris 1958 ; E. G. Baron, Hist.-
Theoretische u. Practische Untersuchung d. Instr. d. L.,
Niirnberg 1727, Faks. Amsterdam 1965; A. Schubiger
OSB, System d. L. aus einem Ms. v. Jahre 1532, Mf M VIII,
1876; G. Branzoli, Ricerche sullo studio del liuto, Rom
1889; E. Radecke, Das deutsche weltliche Lied in d. Lau-
tenmusik d. XVI. Jh., VfMw VII, 1891 ; M. Brenet, Notes
sur l'hist. du luth en France, RMI VI, 1899; O. Korte, L.
u. Lautenmusik bis zur Mitted. 16. Jh., = BIMG 1, 3, Lpz.
1901 ; O. Chilesotti, Note circa alcuni liutisti ital., RMI
IX, 1902; W. L. v. Lutgendorff, Die Geigen- u. Lauten-
macher v. MA bis zur Gegenwart, 2 Bde, Ffm. 1904,
5-61922; J. Ecorcheville, Le luth et sa musique, SIMG
IX, 1907/08; H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912,
3 1921 ; E. Engel, Die Instrumentalformen in d. Lautenmu-
sik d. 16. Jh., Diss. Bin 1915; L. Frati, Liutisti e liutai a
Bologna, RMI XXVI, 1919; A. Toscanelli, II liuto, Mai-
land 1921 ; J. Pulver, The Lute in England, Mus. Opinion
LVII, 1 923 ; L. de La Laurencie, Les femmes et le luth en
France aux XVI 8 et XVII e s., Correspondant CCLXIV,
1925; ders., Les luthistes, = Les musiciens celebres, Paris
1928 ; M. R. Brondi, II liuto e la chitarra : richerche storiche
sulla loro origine, Turin 1926; H. Osthoff, Der Lautenist
Santino Garsi da Parma, = Slg mw. Einzeldarstellungen
VI, Lpz. 1926; J. Zuth, Hdb. d. L. u. Gitarre, Wien 1926-
28 ; K. Geiringer, Vorgesch. u. Gesch. d. europaischen L.,
ZfMw X, 1927/28; K. Koletschka, E. ReuBner d. J. u.
seine Bedeutung f. d. deutsche Lautenmusik d. 17. Jh.,
StMw XV, 1928 ; H. Neemann, J. S. Bachs Lautenkompo-
sitionen, Bach-Jb. XXVIII, 1931; E. Magni-Dufflocq,
Storia del liuto, Mailand 1931 ; R. Gabrielli, I liutai mar-
chigiani, Note d'arch. XII, 1935; H.-P. Kosack, Gesch.
d. L. u. Lautenmusik in PreuBen, = Konigsberger Studien
zur Mw. XVII, Kassel 1935; G. Kinsky, Der Lautenma-
cher H. Frei, AMI IX, 1937; W. Boetticher, Studien zur
solistischen Lautenpraxis d. 16. u. 17. Jh., Habil.-Schrift
Bin 1943, maschr. ; V. Denis, De muziekinstr. in de Neder-
landen en in Italie naar hun afbeelding in de 1 5 e -eeuwsche
kunst I, = Publicaties op het gebied d. geschiedenis en d.
philologie III, 20, Lowen 1944; K. Dorfmuller, Studien
zur Lautenmusik in d. 1. Halfte d. 16. Jh., Diss. Munchen
1952, maschr.; D. Lumsden, De quelques elements etran-
gers dans la musique anglaise pour le luth, in: La musique
instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955 ; R.
de Morcourt, Le livre de tablature de luth de D. Bianchini
(1546), ebenda; Th. Dart, Miss Mary Burwell's Instruc-
tion Book for the Lute, The Galpin Soc. Journal XI, 1958;
Le luth et sa musique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958;
ders., L'organisation internationale des recherches sur la
musique pour luth et ses sources polonaises, Kgr.-Ber.
Warschau 1960; ders., La musique pour luth, Kgr.-Ber.
N Y 1 96 1 , Bd I ; D. Gill, The Elizabethan Lute, The Galpin
Soc. Journal XII, 1959; D. Poulton, Notes on Some Dif-
ferences Between the Lute and the Vihuela and Their Mu-
sic, The Consort Nr 16, 1959; Wm. S. Casey, Printed Engl.
Lute Instruction Books, 1586-1610, Diss. Univ. of Michi-
gan 1960, maschr.; O. Peter-de Vallier, Die Musik in J.
Fischarts Dichtungen, AfMw XVIII, 1961 ; D. Stevens,
German Lute-Songs of the Early Sixteenth Cent., Fs. H.
Besseler, Lpz. 1961 ; H. Radke, Beitr. zur Erforschung d.
Lautentabulaturen d. 16.-18. Jh., Mf XVI, 1963; ders.,
Wodurch unterscheiden sich L. u. Theorbe ?, AMI XXXVII,
1965.
Lautenclavicymbel, ein von J. Chr. Fleischer kon-
struiertes Cembalo mit Doppelsaiten aus Darm. Es
klang nach Fleischers eigenen Worten vollkommen als
3. Lauten an Force. Bereits Virdung (1511) erwahnt
Klaviere mit Darmbesaitung. Auch J.S.Bach lieB um
1740 ein L. bei Z.Hildebrand arbeiten mit 2 Choren
Darmsaiten und einem 4' aus Messing, das eine kiirzere
Mensur als die ordentlichen Clavicymbel hatte . . . Es klang
nach Adlungs Bericht mehr der Theorbe als der Laute
ahnlich; jedoch mit Lauten- und Cornetzug konnte man
auch bey nahe Lautenisten von Profejiion damit betriigen.
Lit.; S. Virdung, Musica getutscht, (Basel 1511), hrsg. v.
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass., Faks.
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Adlung Mus. mech. org.
Lautentabulatur, eine Griffschrift, bei der durch
Buchstaben, Ziffern und Zeichen die Grifistelle (Saite
und Bund) der ->■ Laute (- 2), durch Rhythmuszeichen
die zeitliche Aufeinanderfolge der Griffe sowie durch
Zusatzzeichen Fingersatz und Verzierungen angege-
ben werden. Den verschiedenen Arten der L. ist das
Prinzip der Darstellung des Rhythmus gemeinsam: die
rhythmischen Wertzeichen werden als Notenzeichen
oder Notenhalse (I = Semibrevis, [ — Minima, usw.)
iiber die Griffzeichen gesetzt, wobei haufig von einer
Folge gleicher "Werte nur der erste angegeben ist (Bei-
spiel 3) ; sie beziehen sich auf das Ganze des mehrstim-
migen Satzes und konnen deshalb von jedem Ton bzw.
Zusammenklang nur den Eintritt, nicht aber die Dauer
angeben. Bei der Obertragung in Notenschrift kann
entweder diese Eigenart der L. nachgeahmt werden
(Beispiel la), oder es konnen die Tondauern entspre-
chend der mehr oder weniger stimmigen Satzart ausge-
schrieben werden (Beispiele lb, 2, 3). Zuweilen wird
das Liegenbleiben von Griffen durch besondere Zei-
chen in der Tabulatur gefordert (z. B. Schragstriche,
Beispiel 3). - Die deutsche L. (Beispiel 1) ist im Hin-
blick auf ein 5choriges Instrument entwickelt worden
(M. Agricola schreibt 1529 ihre Erfindung C.Paumann
zu). Ohne Verwendung von Linien fur die Saiten wird
jede Grifistelle durch ein eigenes Zeichen angegeben.
507
Lautentabulatur
Die leeren Saiten (Normalstimmung c f a di g 1 oder
dghe 1 a 1 ) sind, von der tiefsten an gezahlt, mit 1-5
bezeichnet, das 1. Bund mit a-e, das 2. mit f-k usw. ;
vom 6. Bund an werden doppelte oder uberstrichene
Buchstaben gesetzt. Fiir die Bunde des um 1500 hinzu-
gefiigten 6. Chores (G bzw. A, »GroBbrummer«) wer-
den in den Lautenbuchern verschiedene Zeichen ge-
braucht (GroBbuchstaben, uberstrichene Ziffern oder
Kleinbuchstaben). - Die italienische L. (Beispiel 2) ver-
wendet 6 Linien, die die Saiten (Normalstimmung
G c f a di g 1 oder A d g h e 1 ai) darstellen, die hochste
Saite (cantino) liegt dabei unten, wie es der Haltung der
Laute beim Spiel entspricht. Auf oder iiber den Linien
wird durch die Ziffern 0-9 das Bund angezeigt (0 = lee-
re Saite, 1 = 1. Bund, usw.). Die Prinzipien des italieni-
schen Systems g'elten im allgemeinen auch fiir die spa-
nische Tabulatur fiir -*■ Vihuela. - Die franzosische L.
(Beispiel 3) hatte zunachst 5 Linien; seit Adriaensen
1584 setzte sich das Sechsliniensystem durch. Die ober-
ste Linie entspricht, umgekehrt wie bei der italienischen
L., dem hochsten Chor (Normalstimmung wie bei der
italienischen Lautenstimmung). Auf die Linien gesetzte
Buchstaben geben das Bund an (a = leere Saite, b = 1.
Bund, usw.); die nicht gegriffenen BaBsaiten werden
unter dem Liniensystem durch den Buchstaben a und
eine nach der Tiefe fortschreitende Zahl von iiberge-
setzten Strichen bezeichnet. England entwickelte keine
eigenstandige Form der Notation von Lautenmusik,
sondern ubernahm die franzosische L. Diese verdrangte
seit etwa 1600 allmahlich die anderen Systeme und er-
hielt sich in der Form des nouveau ton von D. Gaultier
(Stimmung der Hauptsaiten A d f a d 1 f 1 ) bis zumEnde
des 18. Jh. in Gebrauch.
Von den Handschriften in L. seien in Auswahl genannt
(mit den zusatzlichenAbkurzungen: ONB = Osterrei-
chische Nationalbibliothek, o. Sign. = ohne Signatur,
StB = Staatsbibliothek, UB = Universitatsbibliothek) :
a) in deutscher L. : L. des St.Craus aus Ebenfurt
(Wien, ONB, Ms. 18688; 1. Halfte des 16. Jh.);
Hirschberger L. (Breslau, Mus. Inst, bei der Univ.,
o. Sign. ; 1537-44) ; L. des Hans D. von Mentz (? ; Miin-
chen, StB, Mus. Ms. 1512; um 1540); L. des H.H.
Beispiel 1
A. Schlick, Tabulaturen etlicher Lob-
gesang, Mainz 1512, S. 79.
ir f r r r r r
iT'-r^wrrK*
S3 8*1 f *°<l *s**+* f*f»s
Beispiel 2
O. Petrucci, Intabolatura de lauto,Libro b
primo, Venedig 1507, S. 39 (Ubertra-
gung nach Schering Beisp., S. 63).
a
I- J
iffff £ \s$ Jrf fit!!? rr p i
b
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u
aJa^-ai j«j j.jju j
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• e
— —
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e
^*^ . c a
a
c.^* -o .
^
t
Beispiel 3 R.Ballard, 'Premier livre, Paris 1611 (Tabulatur und Ubertragung nach der NA von A.Souris und
S.Spycket, =Les luthistes V, Paris 1963, S. 1).
508
Lautsprecher
Herwart (?; Miinchen, StB, Mus. Ms. 267; entstanden
wahrscheinlich Augsburg um 1570; zum Teil in italie-
nischer L.); Tabulatur des L.Iselin (Basel, UB, Ms. F
IX 23; datiert 1575); das Lieder- und Lautenbuch des
P. Fabricius (Kopenhagen, Kgl. Bibl., Ms. Thott 4° 841 ;
vermutlich 1605-08 in Rostock angelegt); Tabulatur
des J. Nauclerus (Berlin, StB, Mus. Ms. 40141; datiert
1615). - b) in italienischer L. : V.Capirola um 1517
(Chicago, Newberry Library, o. Sign.; die a'lteste L.-
Hs. iiberhaupt) ; Lautenbuch des J. Fugger (Wien.ONB,
Ms. 18790; 2. Halfte des 16. Jh.); Lautenbuch des O.
Fugger (Wien, ONB, Ms. 18821; angelegt Bologna
1562); J.Gorzanis 1567 (Munchen, StB, Mus. Ms.
1511a); L. des H.H. Herwart (?; Munchen, StB, Mus.
Ms. 266; entstanden wahrscheinlich Augsburg um
1570); V.Galilei 1584 (Florenz, Bibl. Naz., Ms. An-
teriori a Galileo VI) ; die L.en des Ph. Heinhofer (Wol-
fenbuttel, Herzog August Bibl., Cod. Geielf. 18.7. und
18. 8. ; 2 Bde, datiert 1604) ; L. des G. Rasponi (Florenz,
Bibl. Naz., Ms. Magi. XIX.105; datiert 1635). - c) in
franzosischer L. : L. des B.Amerbach (Basel, UB, Ms.
F IX 56; um 1520); Wickhambrook Lute Manuscript
(New Haven/Conn., Yale Univ. Library, Cod. Wick-
hambrook; um 1570-1600, vielleicht von J.Johnson
angelegt); L. des J.Thysius (Leiden, UB, o. Sign.; um
1600) ; L. des Due de Croy et d'Arschot (Valenciennes,
Bibl. Municipale, Ms. 429 = Mangeart Nr 409; um
1600); L. des A.Dlugoraj (Leipzig, Stadtbibl., Ms.
II. 6.15.; datiert 1619); Tabulatur des K.St.R.Dusiacki
(Berlin, StB, Mus. Ms. 40. 159; datiert Padua 1620) ; L.
des J. de Geer (Norrkoping, Stadtbibl., o. Sign. ; da-
tiert Paris 1639) ; L. des J. Stobaeus (London, Brit. Mus.,
Ms. Sloane 1021 ; datiert 1640); L. des Lord Herbert of
Cherbury (Cambridge, Fitzwilliam Museum, o. Sign. ;
1. Halfte des 17. Jh.); D.Gaultier, La Rhetorique des
dieux (Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 C 12 = Ha-
milton 142; um 1655); L. der P.Ruthwen (Paris, Bibl.
du Conservatoire, Ms. 24372; datiert 1656); Miss M.
Burwell's Book (Cambridge, Fitzwilliam Museum, o.
Sign.; um 1670); L. der M.Monin (Paris, Bibl. Nat.,
Ms. Vm' 6212; datiert 1664); J.G.Peyer um 1670
(Wien, ONB, Ms. 18826); L. des S. de Brossard (Paris,
Bibl. Nat., Ms. Vm 2658 reserve; begonnen Caen
1672-73); L. des E.Vaudry de Saizenay (Besancon,
Bibl. de la ville, o. Sign.; 2 Bde, datiert: I 1682-86,
II begonnen 1699) ; Tabulatur des Graf en Wolkenstein-
Rodenegg (Berlin, StB, Mus. Ms. 40149; datiert 1684-
86); J.Th.Herold 1702 (Wien, ONB, Ms. 18760);
S.L.Weifi um 1730-50 (Dresden, Landesbibl., Musi-
ca2841 V.l).
Die wichtigsten L.-Drucke sind: a) in deutscher L. : A.
Schlick 1512; H.Judenkiinig o. J. (1515-19) und 1523;
H.Gerle 1532, 1533, 1536 und 1552; H.Newsidler
1536, 1540 und 1544; R. Wyssenbach 1550 und 1563;
HJ.Wecker 1552 (fur 2 Lauten); B. de Drusina 1556
und 1573;W.Heckel 1556; S.Ochsenkhun 1558; M.
Newsidler 1566 und 1574; B.Jobin 1572 und 1573; M.
Waissel 1573, 1591 und 1592. - b) in italienischer L.:
F. Spinaccino 1507 und F. Bossinensis 1508 und 1511
(als Buch I— II bzw. IV-V bei Petrucci erschienen; Buch
III von J. A. Dalza ist verloren) ; B. Tromboncino o. J. ;
A. Willaert 1536; Francesco da Milano 1536, 1546 und
1547; G. Abondante 1546 und 1548; D.Bianchini 1546;
J.M. da Crema 1546; M.-A. del Pifaro 1546; A.Rotta
1546; M. de Barberiis 1546; S.Gintzler 1547; P. de
Teghi 1547; G.P.Paladino ca. 1549, 1553 und 1560; V.
Bakfark 1553; B.Balletti 1554; G.Gorzanis 1561, 1564,
1570 und 1571; V.Galilei 1563, 1568 und 1584; G.C.
Barbetta 1569, 1582, 1585 und 1603; S.Kargl 1574,
1578 und 1586; G.Fallamero 1584; S.Verovio 1586,
1589, 1591 und 1595; O.Vecchi 1590; G.Paolini 1591
(fur 3 Lauten); G. A.Terzi 1593 und 1599; S.Molinaro
1599; C.Negri 1602 und 1604; D.M.Melli 1602 und
1609; P.P.Melli 1614 und 1616; J.RKapsberger 1610,
1611 und 1612; spanische L.-Drucke: L.Milan 1535;
L. de Narvaez 1538; A. de Mudarra 1546; A. de Val-
derabano 1547; D.Pisador 1552; M. deFuenllana 1554;
F.J.Bermudo 1555; Fr.Tomas de Sancta Maria 1565;
E. Daza 1576. - c) in franzosischer L. : Attaingnant 1529
und 1530; Phalese 1546, 1547, 1552, 1568, 1570 und
1573; A. de Rippe 1552-62; J. Belin 1556; V.Bakfark
1564; E.Adriaensen (Hadrianus) 1584 und 1592; A.
Denss 1594; W.Barley 1596; J.Dowland 1597, 1600,
1603 und 1605; Th.Morley 1597; M.Reymann 1598
und 1613; J.Ruden 1598; A.Francisque 1600; J. v. d.
Hove 1601, 1612 und 1616; J.-B.Besardus 1603, 1614
und 1617; G.Bataille 1609-15; R.Dowland 1610; R.
Ballard 1611 und 1614; G.L.Fuhrmann 1615; E.Mer-
tel 1615; N.Vallet 1615-20; P.Ballard 1615-18; A.
Boesset 1621-28; J. D.Mylius 1622; E.Moulinie 1624-
35; A.Valerius 1626; G.B.Abbatessa 1627, 1635 und
1652; P.Gaultier 1638; E.Reusner d. A. 1645; B.Gia-
nocello 1650; E.Reusner d. J. 1667 und 1676; D.Gaul-
tier um 1669 und 1672; J. Bitter 1682; J.Kremberg
1689; J.Mouton o. J.; Ph.F.Le Sage de Richee 1695;
J.G.Conradi 1724; A. Falkenhagen o. J. und 1740;
D.Kellner 1747; F.Seidel 1757; J. Chr. Berger 1760;
K.Kohaut 1761.
Lit. : O. Korte, Laute u. Lautenmusik bis zur Mitte d. 16.
Jh. Unter besonderer Beriicksichtigung d. deutschen L.,
= BIMG 1, 3,Lpz. 1901 ; WolfN ; H. Sommer, Lautentrak-
tate d. 16. u. 17. Jh. im Rahmen d. deutschen u. frz. L.,
Diss. Bin 1923, maschr., Auszug in: Jb. d. Phil. Fakultat d.
Univ. Bin 1 922/23; J. Dieckmann, Die in deutscher L. ttber-
lieferten Tanze d. 16. Jh., Kassel 1931 ; O. Gombosi, Re-
zension v. PaM II (L. Milan), ZfMw XIV, 1931/32; ders.,
Bemerkungen zur L.-Frage, ZfMw XVI, 1934; L. Schra-
de, Das Problem d. L.-Ubertragung, ZfMw XIV, 1931/32;
K. Dorfmuller, Studien zur Lautenmusik d. 1. Halfte d.
16. Jh., Diss. Munchen 1952, maschr.; L. H. Moe, Dance
Music in Printed Ital. Lute Tabulature from 1507 to 161 1,
2 Bde, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1 956 ; Le luth et sa mu-
sique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958 (darin u. a.: G. Thi-
bault, Un ms. ital. . . . du XVI e s. ; W. Boetticher, Les oeu-
vres de Roland de Lassus mises en tablature de luth; K.
Dorfmuller, La tablature de luth allemande . . . ; M. Po-
dolski, A la recherche d'une methode de transcription for-
melle des tablatures de luth ; A. Souris, Tablature et syn-
taxe); ApelN ; G. Birkner, La tablature de luth de Charles,
Due de Croy et d'Arschot (1560-1612), Rev. de Musicol.
XLIX, 1963 ; H. Radke, Beitr. zur Erf orschung d. L. d. 16.-
18. Jh., Mf XVI, 1963 ; The Wickhambrook Lute Ms., iiber-
tragen u. hrsg. v. D. E. R. Stephens, = Collegium Musi-
cum Series IV, New Haven (Conn.) 1963.
Lautsprecher sind elektroakustische Gerate, die, zu
den sekundaren -*■ Schallwandlern gehorend, Wechsel-
strbme in konforme Schallschwingungen umwandeln.
Sie sollen moglichst alle Schwingungen des Horbe-
reichs frequenz- una amplitudenge-
treu wiedergeben; die nichtlinearen
Verzerrungen sollen so gering wie
moglich bleiben. Der elektrodyna-
mische L. (bereits 1878 von W. v.
Siemens entwickelt; die Abbildung
stellt einen Schnitt durch einen elek-
trodynamischen L. dar) hat sich fiir
diese Zwecke besonders bewahrt.
Nach dem Prinzip, daB auf einen
stromdurchflossenen Leiter durch ein
Magnetfeld Krafte ausgeiibt werden,
welche zu einer Bewegung des Lei-
' ters je nach Stromrichtung fiihren,
werden bei diesem L. die Ausgangs-
wechselstrome des Verstarkers einer
509
Lautstarke
Schwingspule A zugefiihrt, die freischwingend und ge-
federt im Ringspalt eines starken Permanentmagneten
B angebracht ist. Die Spule wird in das Magnetfeld
hineingezogen oder herausgetrieben, je nachdem in
welcher Richtung der Strom flieBt, so daB die mit der
Spule fest verbundene Konusmembran C entsprechen-
de Bewegungen ausfiihrt. Um eine frequenzgetreue
Ubertragung zu ermoglichen, wird das schwingende
System so konstruiert, daB seine Resonanzfrequenz un-
terhalb des zu iibertragenden Frequenzbereiches liegt.
Die Membran, die sich beim Schwingen leicht unter-
teilen wiirde, erhalt eine etwas gekriimmte Form. Am
Rande wird sie weich eingespannt. Da ihre Abmessun-
gen, zumal im unteren Frequenzbereich, klein gegen-
iiber der Wellenlange sind (X = 3,4 m bei 100 Hz), wird
das L.-System zweckmaBig in eine starke Schallwand
oder in ein Gehause eingebaut, um zu vermeiden, daB
sich die nach vorn und hinten (gegenphasig) abge-
strahlten Schallwellen gegenseitig ausloschen. Eine
gleichmaBige Schallverteilung wird durch Kombina-
tion mehrerer L. erzielt. Fiir die Wiedergabe hoher
Frequenzen werden auch Kondensator-L. (elektrostati-
sche L.) oder Kristall-L. benutzt, die in geeigneter Zu-
sammenstellung mit elektrodynamischen L.n kombi-
niert werden. Zur Beschallung groBer Raume oder im
Freien werden oft sogenannte L.-Zeilen eingesetzt, bei
denen Ubereinander mehrere L.-Einzelsysteme ange-
ordnet sind, die gleichphasig erregt werden und eine
gerichtete Abstrahlung ermoglichen.
Lit. : H. Rosters u. H. Harz, Ein neuer Gesichtspunkt f.
d. Entwicklung v. L., Technische Hausmitt. d. NWDR III,
1951 ; G. Buchmann, Fortschritte in d. Entwicklung v. L.,
Acustica IV, 1954; L.-Taschenbuch, bearb. v. H. Willi-
ges, Bin (1962, 71965). WL
Lautstarke. Zwischen der Starke einer Tonwahrneh-
mung - der L. - und der -»■ Intensitat des auslosenden
Schwingungsvorganges lassen sich innerhalb gewisser
Grenzen bestimmte approximative GesetzmaBigkei-
ten nachweisen. Die physikalisch-quantitative Deutung
durch die Psychophysik, nach der eine eben merkbare
Intensitatsanderung dem urspriinglichen Schallreiz
proportional ist (Webersches Gesetz) bzw. nach der
eine logarithmische Entsprechung zwischen Reiz- und
sogenannten EmpfindungsgroBen besteht (Fechner-
sches Gesetz), vermagjedoch nur die eine Erscheinungs-
form der L. zu beleuchten, namlich die im unmittelba-
ren Vergleich von Schallstarken erfaBbare, die L. als
Empfindungsniveau. (Auf O.Fr.Rankes einschranken-
de Formulierung sei hingewiesen.) Dagegen ist die L.
als musikalische Gestaltqualitat nicht mehr rein quan-
titativ, also anhand einer Intensitatsskala, darstellbar.
Zwar fordern in der Musik Bezeichnungen wie £f, mf,
p lediglich eine unterschiedlich intensive Tongebung,
fur die Beurteilung der L. - z. B. eines Orchesterklan-
ges - durch einen H6rer spielt jedoch die objektive
Schallintensitat am Ohr des Horers nur noch eine un-
tergeordnete Rolle. Vielmehr ist die gesamte Struktur
des beurteilten Schallsignals - in erster Linie das Teil-
frequenzspektrum und die zeitlichen Anderungen -
fiir das Zustandekommen einer bestimmten L.-Wahr-
nehmung verantwortlich. Der Begriff der Lautheits-
konstanz spielt hier eine wesentliche Rolle. Kl. Mohr-
manns Versuche mit verschiedenen Schallen ergaben
eine deutliche Abhangigkeit der Lautheitsbeurteilung
von der Sendeintensitat und von der visuellen Lokali-
sierungsmoglichkeit der Schallquelle, wahrend die Ent-
fernung zwischen Sender und Horer weitgehend ohne
EinfluB bleibt.
Als MaB fiir die subjektive L. im direkten Vergleich
verschiedener Frequenzen wurde auf Vorschlag H.
Barkhausens das Phon eingefiihrt. Laut Definition ist
fiir die Bezugsfrequenz von 1000 Hz der Phonwert
gleich dem Wert des Schalldruckpegels in dB (-v De-
zibel). Fiir die iibrigen Frequenzen ist der Phonwert
jeweils gleich dem der gleich laut gehorten Bezugs-
frequenz. Auf Grand solcher Horvergleiche wurden
zunachst von B.A.Kingsbury (1927), spater - wesent-
lich genauer - von H.Fletcher und W.A.Munson
(1933) und schlieBlich von D.W.Robinson und R.S.
Dadson (1956) Kurven gleicher L. aufgenommen, de-
ren untere (->• Horschwelle) und obere Kurve das
-> Horf eld umschlieBen.
Kurven gleicher L.
(nach D. W. Robinson und R. S. Dadson).
Diese Kurven geben allerdings keine Auskunft iiber
die sogenannte Lautheit, d. h. dariiber, welche Inten-
sitat (bei gleicher Frequenz) als z. B. doppelt oder halb
so laut wie eine Bezugsintensitat empfunden wird. Da-
her wurde das Sone als ZusatzmaB fiir die Lautheit ein-
gefiihrt, wobei - willkurlich - 40 dB (bei 1000 Hz)
= 1 sone entsprechen sollen; derjenige Schalldruckpe-
gel (bei gleicher Frequenz), der als doppelt so laut emp-
funden wird, entspricht 2 sone (im Mittel 48 dB) usw.
sane
10 !
10'
1
20 30 iO SO SO
BO 90 100 dB
Abhangigkeit der Lautheit vom Schalldruckpegel.
Eine Unterscheidung zwischen L. und Lautheit ist je-
doch wenig sinnvoll, da ihre MaBeinheiten Phon und
Sone lediglich als einmal nichtlinearer, einmal linearer
MaBstab der gleichen subjektiven GroBe L. dienen (E.
Skudrzyk).
Lit. : K. Scholl, Vom absoluten Eindruck bei Schallstar-
kevergleichen, Zs. f . Psychologie LXXXI V, 1 920 ; H. Lach-
mund, Ober d. Abhangigkeit d. scheinbaren Schallstarke
v. d. subjektiven Lokalisation d. Schallquelle, . . ., ebenda
LXXXVIII, 1922; H. Barkhausen, Ein neuer Schallmes-
ser f. d. Praxis, Zs. f. technische Physik VII, 1926; B. A.
510
Lehrstiick
Kingsbury, A Direct Comparison of the Loudness of Pure
Tones, Physical Review II, 29, 1927; ders. u. U. Steudel,
Die L. v. Gerauschen, in: HF-Technik u. Elektroakustik
XLI, 1933; H. Fletcher u. W. A. Munson, Loudness, Its
Definition, Measurement and Calculation, JASA V, 1932/
33; F. Aigner u. M. J. O. Strutt, Uber eine physiologi-
sche Wirkung mehrerer Schallquellen auf d. Ohr . . . , Zs. f.
technische Physik XV, 1934; E. Lubcke, Uber d. Zunahme
d. L. bei mehreren Schallquellen, ebenda XVI, 1935; W.
Burck, P. Kotowski u. H. Lichte, Die L. v. Knacken, Ge-
rauschen u. Tonen, Elektrische Nachrichtentechnik XII,
1935; St. Sm. Stevens u. H. Davis, Psychophysiological
Acoustics : Pitch and Loudness, JASA VIII, 1 936/37 ; dies.,
Hearing, Its Psychology and Physiology, NY (1938), 51960;
M. Kwiek, Uber L. u. Lautheit, Akustische Zs. II, 1937;
Kl. Mohrmann, Lautheitskonstanz im Entfernungswech-
sel, Zs. f. Psychologie CXLV, 1939; L. L. Beranek, J. L.
Marshall, A. L. Cudworth u. A. P. G. Peterson, Calcu-
lation and Measurement of the Loudness of Sounds, JASA
XXIII, 1951; I. Pollack, On the Measurement of the Loud-
ness of White Noise, ebenda; ders., On the Threshold and
Loudness of Repeated Bursts of Noise, ebenda; W. R.
Garner, An Informational Analysis of Absolute Judge-
ments of Loudness, Experimental Psychology XLVI, 1953;
G. Quietzsch, Zur Theorie d. L. u. Lautheit, Technische
Hausmitt. d. NWDRV, 1953; ders., Objektiveu. subjekti-
ve Lautstarkemessungen, Acustica V, 1955 ; O. Fr. Ranke,
Physiologie d. Gehors, in: Lehrbuch d. Physiologie, hrsg.
v. W. Trendelenburg u. E. Schiitz, Bin, Gottingen u. Hei-
delberg 1953; H.-P. Reinecke, Uber d. doppelten Sinn d.
Lautheitsbegriffes beim mus. Horen, Diss. Hbg 1953,
maschr.; ders., Experimented Beitr. zur Psychologie d.
mus. Horens, = Schriftenreihe d. mw. Inst. d. Univ. Ill,
Hbg 1964; E. Skudrzyk, DieGrundlagend. Akustik, Wien
1954; E. Zwicker u. R. Feldtkeller, Uberd. L. v. gleich-
fdrmigen Gerauschen, Acustica V, 1955; R. Feldtkeller
u. E. Zwicker, Das Ohr als Nachrichtenempfanger, = Mo-
nographien d. elektrischen Nachrichtentechnik XIX, Stutt-
gart 1956; D. W. Robinson u. R. S. Dadson, A Re-deter-
mination of the Equal-Loudness Relations for Pure Tones,
British Journal of Applied Physics VII, 1956; dies., Tresh-
old of Hearing . .., JASA XXIX, 1957; P. R. Hofstatter,
Gehorsinn, in: Psychologie, = Das Fischer Lexikon VI,
Ffm. (1957); ders., Psychophysik, ebenda; D. W. Robin-
son, The Subjective Loudness Scale, Acustica VII, 1957;
E. Zwicker, Cber psychologische u. methodische Grund-
lagen d. Lautheit, Acustica VIII, 1958.
Leader (l'i:cb, engl., Fiihrer), - 1) bezeichnet in Eng-
land den Konzertmeister (der in Nordamerika con-
certmaster heiBt), in Nordamerika den Dirigenten (in
England conductor genannt) ; - 2) englische Bezeich-
nung fiir den -»■ Dux.
Leere Saite (engl. open string ; frz. corde a vide, oder
nur a vide; ital. corda vuota, einfach auch vuota; span.
cuerda al aire), bei den Saiteninstrumenten mit Griff-
brett Bezeichnung fiir das Erklingenlassen einer Saite
in ihrer ganzen Lange, also ohne Fingerauf satz, zuwei-
len durch eine Null iiber der Note gef ordert. Der Klang
der l.n S. ist gegeniiber dem des gleichen gegriffenen
Tones offener, weniger differenzierbar. Solange auf
Darmsaiten und ohne Vibrato gespielt wurde, benutzte
man die 1. S. haufig neben gegriffenen Tonen, was
heute durch neue Fingersatztechnik vermieden wird,
wenn nicht (wie z. B: am Beginn von A. Bergs Violin-
konzert) besondere Absicht vorliegt. -> Bariolage.
legato (ital., auch ligato) bedeutet, daB die Tone ge-
bunden, verbunden, »angeschleift«, gezogen hervor-
gebracht werden sollen; bezeichnet wird es durch
-> Bogen (- 1). Das L. wird im Gesang erreicht, wenn,
ohne abzusetzen, d. h. ohne den Atemstrom zu unter-
brechen, der Spannungsgrad der Stimmbander veran-
dert wird, so daB der erste in den zweiten Ton wirk-
lich iibergeht. Ahnlich ist der Vorgang bei den Blas-
instrumenten, wo ebenfalls der Atemstrom nicht un-
terbrochen, sondern nur die Applikatur oder Lippen-
spannung verandert wird. Auf den Streichinstrumen-
ten bedeutet 1. die Bindung mehrerer Tone auf einem
Bogenstrich. Auf Tasteninstrumenten werden Tone
gebunden, indem man eine niedergedriickte Taste erst
im Augenblick des Anschlagens eines anderen Tones
freigibt, zuweilen sogar eine Nuance sparer. In der Kla-
viermusik des 18. Jh. sind gebrochene Akkorde unter
L.-Bogen oft legatissimo auszufiihren. - ben 1. heiBt
gut gebunden; non 1. entspricht einer Artikulation
zwischen portato und staccato.
leggiero (ledd3'e:ro, ital.), auch leggieramente oder
leggiadro, leicht, leger, das leicht perlende Spiel auf
dem Klavier, eine Anschlagsart zwischen legato und
staccato, von ersterem dadurch unterschieden, daB sie
nur niicntiger Schlag und nicht nachhaltiger Druck ist;
von mezzolegato unterscheidet sie sich durch nervigen
Anschlag, vor allem durch loses Zuriickspringen der
Finger. Das L. ist nur piano moglich und geht bei
starkerem Anschlag in mezzolegato iiber.
Lehrstiick, ein aus der Verbindung von »Gebrauchs-
lyrik« und »Gebrauchsmusik« Ende der 1920er Jahre in
Deutschland entstandener oratorienhafter Typus einer
fiir altere Schiiler und Erwachsene gedachten -»■ Schul-
oper mit zeitbedingten Stoffen auf illusionsloser Biih-
ne. Der kurzen Bliitezeit des L.s setzte 1933 der Natio-
nalsozialismus ein Ende. In der Gegenwart wird das L.
noch in der DDR gepflegt. Der Schopfer dieser zu-
nachst literarisch-dramatischen, auf die Anlage des
mittelalterlichen Moralitatenspiels gestiitzten Sonder-
form des Epischen Theaters ist B. -» Brecht. Typisches
Beispiel fiir das musikalische L. ist Brechts Derja-Sager
(1930) mit der Musik von Weill, der betont: Die pad-
agogische Wirkung der Musik kann ndmlich darin bestehen,
dafl der Schiiler sich auf dem Umweg iiber ein musikalisches
Studium intensiv mit einer bestimmten Idee beschaftigt, die
sich ihm durch die Musik plastischer darbietet und die sich
starker in ihm festsetzt, als wenn er sie aus Biichern lernen
mufite. Das L. soil im Sinne der »epischen« (und im Ge-
gensatz zur »dramatischen«) Oper Stellung beziehen
und auf das Verhalten wirken (vgl. Brecht, Schriften,
S. 21). Neben smusikalische Dialoge« der Einzeldar-
steller tritt der nicht agierende Chor (singend oder
sprechend), der auBer seiner kommentierenden und
erzahlenden Aufgabe in erster Linie als »Lehrchor« den
»Lehrgedanken« iibermittelt ; dieser will das bei der
Auffiihrung aktiv mitwirkende Publikum und die
Darsteller selbst zu ernsthafter Diskussion iiber das auf-
gezeigte Problem bewegen. Die einfach gehaltene,
fiir Laien gedachte Musik verzichtet weitgehend auf
eigengesetzliche Entfaltung. 1929 wurden in den Ba-
den-Badener Musikwochen die ersten musikalischen
L.e aufgefiihrt, darunter zwei Werke mit Texten von
Brecht: Der Flug Lindberghs (Musik von Weill und
Hindemith) und Badener L. vom Einverstdndnis (Hinde-
mith). Das bedeutendste L. Brechts ist die 1930 durch
den Arbeiterchor GroB-Berlin uraufgefiihrte Mafinah-
me mit der Musik von Eisler. An weiteren L.en, die
ganz unterschiedliche »Lehrabsichten« verfolgen, seien
genannt: H.HeiB/E.MeiBner, L. vom Beruf (1930) und
L. von der Berechtigung (1931); E.Toch/A.Doblin, Das
Wasser; H. Reutter/R. Seitz, Der neue Hiob; W.Fort-
ner/A.Zeitler, Cress ertrinkt (1930): P.Dessau/R.Seitz,
Tadel der Unzuverlassigkeit (1932); E. Rabsch/W. Ger-
hard, Die Brucke (1933).
Lit. : H. Trede u. H. Boettcher, L., Musik u. Ges. 1, 1930/
31; H. Heiss, Das L. im Urteil d. schaffenden Musiker,
ebenda; H. Mersmann, Die moderne Musik seit d. Ro-
mantik, Biicken Hdb. ; S. Gunther, L. u. Schuloper, Melos
X, 1931; K. Weill, Uber meine Schuloper »Der Jasager«,
in: Das Volksspiel VIII, 1932, H. 4; B. Brecht, Schrif-
ten zum Theater, hrsg. v. S. Unseld, = Bibl. Suhrkamp
511
Leich
XLI, Bin u. Ffm. (1957); J. Willett, The Theatre of B.
Brecht, London 1959, deutsch Hbg 1964; M. Esslin,
Brecht, Ffm. u. Bonn 1962; H. Braun, Untersuchungen
zur Typologie d. zeitgenossischen Schul- u. Jugendoper,
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XXVII, Regensburg
1963.
Leich -> Lai.
Leier (aus griech. Xiipa iiber lat. lyra; mhd. lire; frz.
und engl. lyre) ist heute meist als systematischer Be-
griff gebrauchlich. Man versteht darunter der antiken
Lyra und Kithara ahnliche Zupfinstrumente mit scha-
len- oder kastenformigem Schallkorper, zwei Jochar-
men und einem an ihnen befestigten Joch, von dem aus
die Saiten zum Schallkorper gespannt sind. Beim Spie-
len werden die Saiten mit der rechten Hand gezupft
oder mit -*■ Plektron zum Klingen gebracht; mit der
linken Hand werden sie nicht verkiirzt, sondern nur
gedampft. Die L.-Instrumente waren im alten Orient
weit verbreitet, zuerst bei den Sumerern (groBe Stand-
und kleinere Trag-L.n mit bis zu 11 Saiten), dann auch
bei den Agyptern (im Mittleren Reich asymmetrische,
im Neuen Reich auch symmetrische Kasten-L.n, dazu
asiatische Riesen-L.n), Griechen (-> Phorminx, -> Ki-
thara, -»• Lyra - 1, -*■ Barbitos), Juden (-»• Kinnor) u. a.
Der Typ der Schalen-L. ist heute noch in Agypten,
Athiopien, Nubien und Ostafrika zu finden (kerar,
auch kissar, von griech. xi&dcpoc, genannt, als Riesen-L.
bagana). Im nordlichen Europa sind L.n als Zupf- und
als Streichinstrumente seit dem Friihmittelalter belegt
(-> Crwth, -> Rotta - 2). - Der im mittelalterlichen
Schrifttum begegnende Name lira (lire u. a.), aus dem
im Deutschen L. hervorging, scheint zur Bezeichnung
von verschiedenen Saiteninstrumenten gedient zu ha-
ben, u. a. auch von Streichinstrumenten. Daher konnte
die Vielle zum Namen Dreh-L. kommen.
Lit.: H. Panum, Harfe u. Lyra im alten Nordeuropa, SIMG
VII, 1905/06; C. Sachs, Geist u. Werden d. Musikinstr.,
Bin 1929, Nachdruck Hilversum 1965; ders., The Hist, of
Mus. Instr., NY (1940); A. O. Vaisanen, Die L. d. ob-
ugrischen Volker, Eurasia septentrionalis antiqua VI, 1 93 1 ;
M. Wegner, Die Musikinstr. d. alten Orients, = Orbis an-
tiquus II, Minister i. W. 1950; J. Werner, Harfe u. L. im
germanischen Friih-MA, in: Aus Verfassungs- u. Landes-
gesch., Fs. Th. Mayer I, Lindau u. Konstanz (1954); W.
Stauder, Die Harfen u. L. d. Sumerer, Ffm. 1957; ders.,
Die Harfen u. L. Vorderasiens in babylonischer u. assyri-
scher Zeit, Ffm. 1961 ; H. Hickmann, Artikel L., in: MGG
VIII, 1960; O. Seewald, Die Lyrendarstellungen d. ostal-
pinen Hallstattkultur, Fs. A. Orel, Wien u. Wiesbaden
(I960); E. Emsheimer, Die Streichl. v. Danczk, STMf
XLIII, 1961, auch in: Studia ethnologica eurasiatica,
= Musikhist. museetsskrifter I, Stockholm 1964; B. Aion,
Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen Raumes bis um 700
v.Chr., Diss. Ffm. 1963.
Leier kasten ->Drehorgel.
Leipzig.
Lit. : E. Rothe u. H. Heilemann, Bibliogr. zur Gesch. d.
Stadt L., Sonderbd III, Die Kunst, = Schriften d. Hist.
Kommission d. Sachsischen Akad. d. Wiss. XXXV, Wei-
mar 1964. - A. Dorffel, Gesch. d. Gewandhauskonzerte
zu L., L. 1884; P. Langer, Chronik d. L.er Singakad.
1802-1902, L. 1902; R. Wustmann, Mg. L. I bis zur Mitte
d. 17. Jh., L. u. Bin 1909, 21926, II (v. 1650-1723) u. Ill Das
Zeitalter J. S. Bachs u. J. A. Hillers (v. 1723-1800) v. A.
Schering, L. 1926-41 ; Fr. Schmidt, Das Musikleben d.
burgerlichen Ges. L. im Vormarz (1815-48), = Mus. Ma-
gazln XLVII, Langensalza 1912; G. Fr. Schmidt, Die al-
teste deutsche Oper in L., Fs. A. Sandberger, Munchen
1918; H. Hofmann, Gottesdienst- u. Kirchenmusik in d.
Univ.-KirchezuSt. Pauliseitd. Reformation (1543-1918),
Beitr. zur Sachsischen Kirchengesch. XXXII, 1919; P.
Bennemann, Musik u. Musiker im alten L., L. 1920; A.
Schering, Die L.er Ratsmusik v. 1650-1775, AfMw III,
1921 ; Fr. Reuter, Die Gesch. d. deutschen Oper in L.
(1693-1720), Diss. L. 1922, maschr.; M. Bigenwald, Die
Anfange d. L.er AmZ, Diss. Freiburg i. Br. 1938; G.
Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis
zur Mitte d. 16. Jh.: L., AfMf III, 1938; O. Schafer, Der
L.er Riedelver., in: Die Musikpflege IX, 1938; H. Schulz,
Die Musikforschung in L., AMz XLV, 1938; H.-J. N6s-
selt, Das Gewandhausorch., L. 1943 ; Fs. zum 175jahrigen
Bestehen d. Gewandhauskonzerte 1781-1956, hrsg. v. H.
Heyer, L. 1956; G. Hempel, Das Ende d. L.er Ratsmusik
im 19. Jh., AfMw XV, 1958 ; ders., Die burgerliche Musik-
kultur L. im Vormarz, Beitr. zur Mw. VI, 1964; Fr. Hen-
nenberg, Das L.er Gewandhausorch., L. 1962.
Leise, Bezeichnung fur alt- und mittelhochdeutsche
sowie slawische volksttimliche Kirchenlieder, die von
der ein- oder angefugten Akklamation Kyrie eleison
(verdeutscht auch Kirleis; tschechisch Krles) herruhrt.
Zu der Gruppe der liturgisch nicht gebundenen L.n
(Schlachtrufe, Wallfahrts- und Kreuzzugslieder) ge-
hort die alteste Aufzeichnung eines deutschen geistli-
chen Liedes iiberhaupt, das Freisinger Petrus-Lied Un-
sar trohtin licit farsalt aus dem 9. Jh. Die liturgischen L.n
sind strophisch (2. und folgende Strophen erst seit dem
15./16. Jh. hinzugedichtet), meist vierzeilig mit paari-
gen Reimen, und gehen textlich und musikalisch meist
auf altere Modelle zuriick, so auf Sequenzen, denen sie
auch tropierend eingefiigt wurden. Die wichtigsten
L.n sind: die Oster-L. Christ ist erstanden, zur Sequenz
Victimae paschali laudes, aus dem 12. Jh.; die Pfingst-L.
Nun bitten wit den heiligen Geist, zur Sequenz Veni sancte
spiritus, wohl aus dem 12. Jh., belegt zuerst um 1250;
die Fronleichnams-L. Gott seigehbet undgebenedeiet, zur
Sequenz Lauda Sion; die Weihnachts-L. Gelobet seist
du,Jesu Christ, zur Sequenz Grates nunc omnes; Mitten
wir im Leben sind, zur Antiphon Media vita in morte
sumus, vom Ende des 15. Jh.
Lit. : W. Lipphardt, Die ma. L., Musik u. Altar XV, 1963 -
XVI, 1964.
Leistungsschutz ist ein dem ->- Urheberrecht ver-
wandtes Schutzrecht. Es gilt in erster Linie fur die aus-
ubenden Kunstler, die dadurch gegen Ausnutzung ih-
rer Leistung z. B. durch Tontragerhersteller und Sen-
deanstalten gesichert sind. Der L. wurde 1961 durch
ein internationales Abkommen in Rom von 18 Staaten
beschlossen. Diesem Abkommen ist die Bundesrepu-
blik Deutschland 1965 beigetreten. Gleichzeitig hat sie
in dem neuen Urheberrechtsgesetz den L. erstmalig ge-
setzlich geregelt. - Neben dem L. fiir ausubende Kiinst-
ler gibt es einen solchen fiir wissenschaf tliche Ausgaben
urheberrechtlich nicht geschiitzter Werke sowie fiir
Ausgaben nachgelassener Werke, ferner fiir Lichtbil-
der, Tontragerhersteller, Sendeunternehmen und Film-
hersteller. Die Schutzdauer fiir die genannten Kate-
gorien ist verschieden. Die ausubenden Kunstler haben
ihre L.-Rechte in der Gesellschaft zur Verwertung von
L.-Rechten (GVX) vereinigt und zur Wahrnehmung
der -> GEMA ubertragen (Kontrolle und Einzug der
Gebiihren).
Leitmotiv, Bezeichnung fiir eine pragnante musikali-
sche Gestalt, die in wortgebundener oder programma-
tischer Musik einem bestimmten dichterischen Mo-
ment (einer Idee, Sache, Person u. a.) zugeordnet ist
und im musikalischen Text immer dann erscheint,
wenn dieses dramatisch-poetische Moment gemeint ist.
Das L. kann dabei direkt auf das Geschehen hinweisen
(z. B. eine auftretende Person ankiindigen) oder indi-
rekt kommentierend - auch psychologisch motivierend
oder analysierend - einbezogen werden (z. B. Wagner,
Gotterdammerung, 1. Akt, 2. Szene: Hagen begruBt
Siegfried auf die Tone des »Fluch-Motivs«). Die dem
L. - iiber den immanent musikalischen Sinn hinaus -
innewohnende Bedeutung, die sowohl seine konkrete
musikalische Gestalt als auch etwaige Veranderungen
512
Leitton
bestimmt, ergibt sich primar aus seinem ersten Auftre-
ten in einer bestimmten dramatischen (programmati-
schen) Situation oder zu bestimmten Worten; voll-
standig erfassen laBt sie sich aber nur durch ein In-Be-
ziehung-Setzen der verschiedenen Erscheinungsweisen
des L.s. Dieses spiegelt Vergangenes und Zukiinftiges
im je Gegenwartigen. Seine formale Intention ist daher
epischer Natur; Th.Mann (1939) nennt es eine vor-
und zuriickdeutende magische Formel, die das Mittel ist,
einer inneren Gesamtheit injedetn Augenblick Prasenz zu
verleihen. - Bevor H.v.Wolzogen (1876) den Begriff
L. in seinen Wagner-Analysen anwendet, benutzt ihn
schon Fr.W.Jahns (1871) fur das strenge Durchfuhren
aller einzelnen Charactere in Opern C.M.v. Webers; er
unterscheidet dabei L.e fiir Situationen und Personen.
Gleichzeitig gibt G.Federlein (1871) Wagnerschen
Motiven erstmals Namen (z. B. »Walhall-Motiv« u. a.).
Wagner selbst spricht nicht von L.en, sondern von
»melodischen Momenten«, »thematischen Motiven«,
»Grundthemen«, »Ahnungsmotiven«, »Erinnerungs-
motiven« u. a. - Die Technik des Erinnerungsmotivs,
das einzelne Nummern einer Oper sinnf allig verbindet
(so schon in Mozarts Zauberflote die Sarastro-Akkorde)
und bei seinem Wiedererscheinen oft nur den Charakter
einer absoluten Reminiszenz hat (Wagner IV, 324), ist
seit dem spateren 18. Jh. verbreitet, vor allem in den
Opern der franzosischen Schule nach Gluck (Gretry,
Richard C<eur-de-Lion, 1784; Mehul, Ariodant, 1799;
Catel, Se'miramis, 1801) ; ferner in der Gustavianischen
Oper der 2. Halfte des 18. Jh. in Schweden (Joh. Gottl.
Naumann u. a.) ; dann - zu Wagner hinf iihrend - in
der deutschen romantischen Oper (Spohr, Faust, 1816;
Hoffmann, Undine, 1816; Weber, Der Freischiitz, 1821,
Euryanthe, 1823; Marschner, Der Vampyr, 1828); da-
neben im Melodram (Reichardt, Ino, 1779) und in der
Ballade (Loewe). Wagner selbst wendet sie in seinen
friihen Werken an (Die Feen, 1833, Das Liebesverbot,
1836, Derfliegende Hollander, 1841), aber auch im spa-
ten 19. Jh. ist sie anzutreflen (u. a. bei Bizet, Lespicheurs
deperles, 1862/63, und Verdi, Lafcrzadeldestino, 1862).
Im Zuge der Auflosung der geschlossenen Opernfor-
men erhob Wagner dieseTechnik zum tragenden musik-
dramatischen Formungsprinzip. Er konnte dabei an Ten-
denzen Marschners und Webers anknupfen, war aber
auch von Berlioz, der das Erinnerungsmotiv in die
Symphonik einfuhrte (->■ Idee fixe, -»• Programmusik),
stark beeinfluBt. In der theoretischen Begriindung des
Verfahrens ist die Durchfiihrungstechnik Beethovens
das Vorbild fiir Wagner: die neue Form der dramatischen
Musik soil die Einheit des Symphoniesatzes aufweisen . . .
Diese Einheit gibt sich ... in einem das ganze Kunstwerk
durchziehenden Cewebe von Grundthemen, welche sich,
ahnlichwieim Symphoniesatze, gegeniiberstehen, erganzen,
neu gestalten, trennen und verbinden: nur dafi hier die ...
dramatische Handlung die Gesetze der Scheidungen und Ver-
bindungen gibt (X, 185). Doch besteht zwischen der
konstruktiv-thematischen Arbeit Beethovens und dem
mehr assoziativen L.-Verfahren Wagners nur auBerli-
che Analogic Geschlossenheit der kleinen und grofien
Abschnitte hat Wagner durch Anordnung der L.e nach
iibergeordneten Formprinzipien zu erreichen gesucht;
als deren wichtigstes ist von A.Lorenz der -» Bar er-
kannt worden. - Die Kritik an dem Wagnerschen Ver-
fahren betont die Gefahr der VerauBerlichung zum
Plakativen: das an seinem Ausdruckscharakter festhal-
tende L., der Allegorie naher als dem Symbol, vermittelt
als Zeichen geronnene Bedeutung (Adorno 1946, S. 44)
und steht so im Widerspruch zum dynamischen musi-
kalischen ProzeB. - In der Nachfolge Wagners wird
die L.-Technik allgemein angewendet (u. a. von Cor-
nelius, Humperdinck, Delius, Blech, Faure, Pfitzner,
R. Strauss, auch Janacek, Kdtja Kabanovd, 1919-21) ;
aber selbst bei intendierter Abkehr vom Musikdrama
Wagners wird sie gelegentlich ubernommen (Debussy,
Pellias et Melisande, 1902). Von den Komponisten der
Neuen Musik nutzt vor allem A. Berg - in Weiterf iih-
rung des Wagnerschen Verfahrens - die Moglichkeit,
durch Leit- oder, besser gesagt, durch Erinnerungs-Motive
Zusammenhdnge und Beziehungen herzustellen und damit
wieder Einheitlichkeit zu erreichen (Berg, Wozzeck- Vor-
trag, in: Redlich, S. 318). Im Wozzeck (1922) ist die
Formung durch leitmotivische Techniken weitgehend
identisch mit den absolut musikalischen Formen der
einzelnen Szenen (z. B. 2. Akt, 2. Szene: Fuge iiber die
3 L.e von Hauptmann, Doktor und Wozzeck). In
Schonbergs nachgelassener Oper Moses und Ann sind
- im Rahmen einer thematisch konzipierten Zwolf-
tontechnik - den zentralen Ideen der Handlung the-
matisch-motivische Gestalten zugeordnet, deren Inter-
vallanordnung die Grundlage fiir situationsbedingt
charakterisierte Varianten bildet. H. W.Henze verbin-
det in Der Prinz von Homburg (1960) bestimmte Spha-
ren durch verwandte Motivik. -Eine zum bloB Plakat-
haften abgesunkene L.-Technik kennt die -> Filmmu-
sik. - Bedeutend ist der EinfluB des Wagnerschen L.-
Verfahrens auf die Literatur. Vor allem Th.Mann hat
es in ausdriicklicher Ankniipfung an Wagner als Mittel
epischer Gestaltung virtuos angewendet.
Lit.: R. Wagner, Oper u. Drama (1851), Eine Mitt, an
meine Freunde (1851), u. t)ber d. Anwendung d. Musik
auf d. Drama (1879), in: Samtliche Schriften u. Dichtun-
gen (Volksausg.) III/IV u. X, Lpz. (1912-14); G. Feder-
LEiN,»Das Rheingold« v. R. Wagner. Versuch einermus. In-
terpretation, Mus. Wochenblatt II, 1871 ; ders., »Die Wal-
k(ire« . . . , ebenda III, 1 872 ; Fr. W. Jahns, C. M. v. Weber
in seinen Werken, Bin 1 87 1 ; H . v. Wolzogen, Motive in R.
Wagners »Siegfried«, Mus. Wochenblatt VII, 1876; ders.,
Thematischer Leitf aden durch d. Musik zu R. Wagners Fest-
spiel »Der Ring d. Nibelungen«, Lpz. 1876; ders., Motive
in Wagners »Gdtterdammerung«, Mus. Wochenblatt VIII,
1 877 - X, 1 879; H. Abert, R. SchumannsGenoveva, ZIMG
XI, 1909/10; E. Haraszti, Le probleme du L., RM IV,
1923 ; E. Bucken, Der heroische Stil in d. Oper, = Veroff.
d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg V, 1,
Biickeburg u. Lpz. 1924; A. Lorenz, Das Geheimnis d.
Form bei R. Wagner, 4 Bde, Bin 1924-33; G. Abraham,
The L. Since Wagner, ML VI, 1925 ; K. Ph. Bernet Kem-
pers, Leidmotieven, herinneringsmotieven en grondthe-
mas, Paris u. Amsterdam 1929; A. Berg, Wozzeck-Vor-
trag (1 929), in : H. F. Redlich, A. Berg. Versuch einer Wiir-
digung, Wien u. Zurich 1957, engl. London u. NY 1957 ; K.
Worner, Beitr. zur Gesch. d. L. in d. Oper, Diss. Bin 1931,
maschr., Auszug in: ZfMw XIV, 1931/32; ders., Gottes-
wort u. Magie. Die Oper »Moses u. Aron« v. A. Schon-
berg, Heidelberg 1959; R. Englander, Zur Gesch. d. L.,
ZfMw XIV, 1931/32; M. Lamm, Beitr. zur Entwicklung d.
mus. Motivs in d. Tondramen R. Wagners, Diss. Wien
1932, maschr.; L. Sabanejew, Remarks on the L., ML XIII,
1932; A. Schering, Beethoven u. d. Dichtung, =Neue
deutsche Forschungen LXXVII, Abt. Mw. Ill, Bin 1936;
Th. Mann, R. Wagner u. d. »Ring d. Nibelungen« (1937),
in: R. Wagner u. unsere Zeit, Ffm. (1963); ders., Einfuh-
rung in d. »Zauberberg« (1939), in: Der Zauberberg, Ffm.
(1959); Th. W. Adorno, Versuch iiber Wagner, Bin u.
Ffm. 1952, Miinchen u. Zurich 21964; D. de la Motte,
H. W. Henze, Der Prinz v. Homburg, Mainz (1960); G.
Knepler, Mg. d. 19. Jh. II, Bin 1961 ; ders., R. Wagners
mus. Gestaltungsprinzipien, Beitr. zur Mw. V, 1963; J.
Matter, La fonction psychologique du 1. wagnerien, SMZ
CI, 1961 ; J. Mainka, Sonatenform, L. u. Charakterbeglei-
tung, Beitr. zur Mw. V, 1963; H. Petri, Lit. u. Musik.
Form- u. Strukturparallelen, = Schriften zur Lit. V, GSt-
tingen (1964). RB
Leitton (lat. subsemitonium; frz. note sensible; engl.
leading note) heiBt ein zu einem anderen hinleitender,
denselben in der Erwartung anregender Ton, der vor-
zugsweise einen Halbton unter der Tonika liegt, z. B.
33
513
Leittonwechselklang
h in C dur. Der Schritt vom L. zum Zielton ist im-
mer eine kleine Sekunde. Der L. kann natiirlich (leiter-
eigen) oder kunstlich (eingesetzt), steigend oder fallend
sein. Seine vorwartsgerichtete Tendenz ist melodisch
durch die geringe Distanz zum folgenden Ton, har-
monisch durch die Zugehorigkeit zu einem meist do-
minantischen Klang zu begriinden. - Die Kirchentone
des Mittelalters kennen, abgesehen vom 5. und 6. Mo-
dus, den leitereigenen L. als Halbtonschritt von der 7.
zur 8. Stufe nicht; die uberwiegende SchluBwendung
von der 2. zur 1. Stufe ergibt nur im 3. und 4. Modus
einen natiirlichen L. Dagegen tritt seit dem 13. Jh. der
L. regelmaBig in den SchluBwendungen mehrstim-
miger Satze au£. Die Regel, daB hierbei 2 Stimmen (im
allgemeinen Tenor und Discantus) in der Folge groBe
Sexte - Oktave (oder kleine Terz - Einklang, kleine
Dezime - Oktave) zu setzen sind, ergibt in den meisten
Fallen tiber der fallenden groBen Sekunde des Tenors
einen steigenden L. des Discantus (mit Ausnahme der
»clausula in mi«, bei der der Tenor einen fallenden lei-
tereigenen L. ausfuhrt). Wo dieser L. nicht leitereigen
ist, wird er als ->■ Subsemitonium modi nicht durch
-*• Akzidentien vorgeschrieben, sondern muB von den
Ausfiihrenden durch -»■ Alteration (- 2) hergestellt
werden. Seitdem ist der L. ein grundlegendes Element
der SchluBbildung geblieben, nicht nur im Verband
der mehrstimmigen -> Klausel bis ins 16. Jh., sondern
auch in der Folgezeit in der ->■ Kadenz (- 1) der Dur-
Moll-Harmonik. Hier ist er als steigender (natiirlicher)
L. der Halbtonschritt von der 7. zur 8. Stufe (z. B.
in C dur h-c), harmonisch entweder Terz der Do-
minante oder Quinte der Dominantparallele (->■ L.-
Wechselklang). Als fallender (natiirlicher) L. ist er in
Moll der Halbtonschritt von der 6. zur 5. Stufe (z. B.
in A moll f-e), harmonisch entweder Terz der Subdo-
minante, Quinte des Neapolitanischen Sextakkordes
oder kleine None des Dominantseptnonakkordes. Der
fallende (natiirliche) L. kann in Dur auch als Halbton-
schritt von der 4. zur 3. Stufe in Erscheinung treten
(z. B. f-e). In diesem Falle ist er entweder die Septime ei-
nesDominantseptakkordes, oder, bei einem phrygischen
SchluB, der Halbton iiber dem SchluBton. Jedes jj oder
\>, welches einen leiterfremden Ton bringt, fiihrt einen
Ton ein, der als L. wirkt und einen Halbtonschritt nach
oben (jt) oder unten (\>) erwarten laBt. So wirkt z. B.
fis als L. zu g, b als L. zu a. Die Einfuhrung leiterfrem-
der Tone als kiinstliche Leittone ermdglicht eine Ver-
bindung zwischen alien Klangen; jeder Klang kann
durch Einsetzen von Leittonen (-» Alterierte Akkorde)
zielenden, d. h. im erweiterten Sinne dominantischen
Charakter bekommen und einen neuen Klang fordern.
Indem die kunstlichen Leittone die Dur-Moll-Harmo-
nik erweiterten, fiihrten sie zu deren Auflosung.
Lit.: H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d.
neueren Musik, Lpz. 1927; L. H. Skrbensky, L. u. Altera-
tion ind. abendlandischen Musik, Diss. Prag 1928, maschr.;
J. Clough, The Leading Tone in Direct Chromaticism:
From Renaissance to Baroque, Journal of Music Theory I,
1957.
Leittonwechselklang nennt H. Riemann den Klang,
der in Dur durch Einsetzen des auf wartsf iihrenden Leit-
tons zum Tonikagrundton (z. B. h-[c]-e-g; in Drei-
klangslage: e-g-h) und in Moll durch Einsetzen des ab-
wartsfiihrenden Leittons zur Tonikaquinte (z. B.
a-c-[e]-f ; in Dreiklangslage : f-a-c) entsteht. Entspre-
chend wird der L. zur Subdominante und zur Domi-
nante gebildet. Die Dreiklange der 3. Stufe in Dur und
der 6. Stufe in Moll stimmen je mit dem L. der Dur-
bzw. der Molltonika iiberein; ihre Bedeutung als L. er-
halten sie erst durch den musikalischenZusammenhang.
Innerhalb der Kadenz gilt der L. als Stellvertreter der
Tonika; in Moll ist er der eigentliche TrugschluBakkord.
Riemann kennzeichnet den L. mit < fur den aufsteigen-
den und > f iir den absteigenden Leitton (Dur : ■? ; Moll :
:?). Der L. zahlt zu den ->■ Nebendreiklangen ; er wird
auch als Gegenklang (Maler) oder Gegenparallele (Dist-
ler) bezeichnet. Zu unterscheiden ist der L. vom -»■ Pa-
rallelklang.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. 9 1921 ; W.
Maler, Beitr. zur Harmonielehre, 3 H., Lpz. 1931, neu-
bearb. mit G. Bialas u. J. Driessler als: Beitr. zur durmoll-
tonalen Harmonielehre, Miinchen u. Lpz. 3 1950, Miinchen
u. Duisburg 4 1957; H. Distler, Funktionelle Harmonie-
lehre, Kassel 1940; E. Seidel, Die Harmonielehre H. Rie-
manns, in: Beitr. zur Musiktheorie d. 19. Jh., hrsg. v. M.
Vogel, = Studien zur Mg. d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966.
Lektionston -> Lesungen.
Leningrad (bis 1914 St. Petersburg, 1914-24 Petro-
grad).
Lit. : E. Albrecht, AbriB d. Gesamttatigkeit d. Petersbur-
ger Philharmonischen Ges., St. Petersburg 1884; M. Iwa-
now, Perwoje desjatiletije postojannowo italjanskowo tea-
tra w Petersburge w XIX. weku, lete 1 843-53 (»Das 1 . Jahr-
zehnt d. standigen ital. Theaters in St. Petersburg im 19. Jh.,
1843-53«), ebenda 1893-94; ders., Proschloje italjanskogo
teatra w Petersburge w XIX. weku w wtoroje desjatiletije,
1853-63 (»Chronik d. ital. Theaters in St. Petersburg im 2.
Jahrzehnt d. Theaters . . .«), ebenda 1893-94; N. Findei-
sen, Gesch. d. St. Petersburger Sektion d. Kaiserlich Russ.
Musikges. 1859-1909, ebenda 1909; P. N. Stolpjanskij,
Stary Petersburg: musyka i musizirowanije (»Das alte Pe-
tersburg: Musik u. Musizieren«), L. 1925; Wl. I. Bunimo-
witsch (Pseudonym: Musalewskij), Starschejschi russki
chor (»Der alteste russ. Chor: zur 225-Jahresfeier d. L.er
akad. Kapelle«), L. 1938; Leningradski gossudarstwenny
ordena Lenina akademitscheski teatr opery (»Das L.er
staatl. akad. S. M. Kirow-Opern- u. Ballett-Theater«),
hrsg. v. A. M. Brodskij, L. 1940; R.-A. Mooser, Operas,
intermezzos, ballets, cantates, oratorios joues en Russie
durant le XVIII e s., Genf 1945, 31964; ders., Annales de la
musique et des musiciens en Russie au XVIII e s., 3 Bde,
Genf 1948-51 ; Leningradskije kompository, hrsg. v. M. A.
Gluch, Moskau 1950.
lentement (latm'a, frz.), langsam; haufig Uberschrift
des pathetischen Einleitungsteils in der franzosischen
Ouvertiire des 17./18. Jh. -> Grave.
Lento (ital., langsam, locker; frz. lent, lentement) ist
als Tempovorschrift seit dem friihen 17. Jh. nachweis-
bar (M. Praetorius, Polyhymnia caduceatrix, 1619), wird
aber selten verwendet. Die Abgrenzung zu Largo und
Adagio ist unsicher; doch scheint im 18. Jh., als sich
die Norm durchsetzte, daB ein Largo langsamer als ein
Adagio sei, mit L. ein Vortrag gemeint zu sein, der so
langsam, wenn auch nicht so gewichtig wie der eines
Largo ist. Nach J.-J. Rousseau (1767) ist Lent das fran-
zbsische Analogon zu Largo; Haydns Vorschrift Adagio
non 1. (Hob. Ill Nr 4) setzt voraus, daB ein L. langsamer
als ein Adagio ist. L. assai (Beethoven, op. 135) bedeu-
tet sehr langsam.
Lesson (l'esn, engl. ; frz. lecon, Aufgabe, Lehrstiick), in
England im 17.-18. Jh. eine Bezeichnung fur Instru-
mentalstiicke (hauptsachlich fur Tasteninstrumente),
die zum Unterricht im Instrumentalspiel herangezogen
und oft auch fur diesen Zweck - z. B. mit besonderen
technischen Schwierigkeiten - komponiert wurden. So
wurden auch D. Scarlattis 30 Essercizi per gravkembah
in der englischen Ausgabe von Th. Roseingrave (1738)
als L.s bezeichnet. Daneben wurden Suitensatze, auch
andere Stiicke oft L.s genannt, wie in Roseingraves 8
Suits of l.s for the harpsicord or spinnet (um 1725).
Lesungen (lat. lectiones) sind neben Gesang und Ge-
bet Grundformen liturgischer Feier. In der Messe bil-
den sie die Sinnmitte des Wortgottesdienstes (-> Epi-
514
Lexika
stel, -*■ Evangelium). Im nichteucharistischen Gottes-
dienst waren sie urspriinglich - zumindest im Gemein-
deoffizium - das wichtigste Element, heute sind sie oft
nur noch rudimentar vorhanden. Die wichtigste Quel-
le der liturgischen L. ist die Bibel, daneben - im Stun-
dengebet - Texte der Kirchenvater. Die Constitutio de
sacra Liturgia (1963) ordnet einen mehrjahrigen Zyklus
von Schriftlesungen an (Artikel 51) und gestattet den
Gebrauch der Volkssprache (Artikel 36 und 54). - Das
Bemiihen, den Vortrag der L. feierlich auszugestalten,
fiihrte zur Entstehung eigener Lektionstone, d. h. rezi-
tativischer Formeln, deren Ganz- und Teilschliisse durch
Interpunktionszeichen angezeigt werden. ->■ Toni com-
munes.
Lit.: P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me-
Iodien III, Lpz. 1921 , Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; G. Kunze, Die L., in: Leiturgia II, Kassel 1955; J.
A. Jungmann SJ, Wortgottesdienst, Regensburg 1965.
Lettland.
Ausg. u. Lit.: J. Zalitis, Lettish Music, in: M. Edelberg,
Latvija, Kopenhagen 1934; U. Katzenellenbogen, Anth.
of Lithuanian and Latvian Folksongs, Chicago 1935; O.
Loorits, Volkslieder d. Liven, = Verhandlungen d. Ge-
lehrten Estnischen Ges. XXVIII, Reval 1936; J. Karklin,
Deutsche Volksliedmotive im Liederschatz d. Letten u.
Litauer, Diss. Heidelberg 1955, maschr.; L. Apkalns, Die
lettische Volksmusik, Anthropos LIV, 1 959.
Lexika geben in alphabetisch geordneten Artikeln
Auskunft iiber musikalische Sachbegriffe (Gruppe A:
Sach-L.) oder iiber Leben und Werke von Musikern
und Musikgelehrten (Gruppe B: Biographische L.)
oder iiber beide Gebiete (Gruppe C: Universale Mu-
sik-L.). Einige L. beschranken sich auf Teilgebiete
(Spezial-L.). - In der Antike setzt die gelehrte Lexiko-
graphie - urspriinglich Glossarien zur Erklarung unge-
wohnlicher Ausdriicke - im 3. Jh. v. Chr. (Alexan-
drinerzeit) als Zweig der Grammatik ein. Die meisten
mittelalterlichen Wortsammlungen (Vocabularia, Dic-
tionaria, Alphabeta u. a.) fuBen auf den Etymologiae
von -»• Isidorus von Sevilla (f 636), die enzyklopadisch
das iiberlieferte Wissen der Spatantike und seine Ter-
minologie, verbunden mit dem christlichen Gedan-
kengut, nach Sachgruppen geordnet zusammenfassen.
Ein Exzerpt aus Isidorus' Abschnitt De musica stellt das
anonyme Vocabulariutn musicum aus dem 11. Jh. dar
(NA von A. de Lafage 1864). Eine fiir den Schulun-
terricht bestimmte Wortsammlung von Johannes de
Garlandia ist der nach 1218 entstandene Dictionarius.
Die Wortumschreibungen dieser mittelalterlichen
Glossarien stehen an sachlicher und terminologischer
Aussagekraft hinter den in den gleichzeitigen Musik-
traktaten gegebenen Begriff serklarungen meist zuriick.
Eines der ersten durch den Buchdruck verbreiteten
Universal-L., der Vocabularius return von Wenzeslaus
Brack (Augsburg 1478, bis 1509 etwa 12 Auflagen),
ist noch stark von Isidorus abhangig. Er umschreibt
etwa 80 lateinische musikalische Ausdriicke, zum Teil
auf deutsch, z. B. Armonia j einhellig lieplich gesang.
Ahnlich angelegt ist das Novum dktionarii genus von
Erasmus Alberus (Frankfurt am Main 1540). Einzelne
terminologische Auf schliisse geben die lateinisch-natio-
nalsprachlichen Worterbiicher des 15. Jh.
Geistiger Vorf ahr der neuzeitlichen musikalischen Sach-
L. ist das Terminorum musicae diffinitorium von Johannes
Tinctoris (gedruckt ohne Angabe von Druckort und
-jahr; nach CS IV: zwischen 1471 und 1476 in Treviso,
nach Van den Borren: um 1473/74, nach Alessi: um
1495). Er erklart auBer den 22 Tonbenennungen (A LA
MI RE usw.) und den 21 moglichen Hexachordmuta-
tionen rund 250 musikalische Termini in prazisen De-
finitionen (z. B. : Armonia est amoenitas quaedam ex con-
venient! sono causata) und bietet erstmals in lexikalischer
Anordnung sachliche und terminologische Auskiinfte
(z. B. iiber Cantor, Compositor, Musicus, Res facta,
Clausula), die eine selbstandige Erganzung zu den mu-
siktheoretischen Schriften der Zeit bilden. In seiner
Art blieb das Diffinitorium bis ins 18. Jh. eine isoliert
dastehende Leistung. - Die Vokabularien und enzyklo-
padischen Nachschlagewerke des 16. Jh., die auch mu-
sikalische Termini enthalten, sind von Coover (1958)
zusammengestellt; musikalische Fachwbrterbucher aus
dem 16. Jh. sind nicht bekannt. - Das Aufkommen
neuer italienischer Fachausdriicke rief im 17. Jh. die
Gattung der alphabetisch geordneten Appendices her-
vor, die nach dem Vorbild von M. Praetorius' Syntag-
ma musicum III (1619) bis ins 18. Jh. vielen Schulbiichern
der Musica practica beigegeben wurden (vgl. Bibliogr.,
Gruppe E). Aufgabenstellung und Wert dieser Appen-
dices ahneln denen der mittelalterlichen Glossarien.
Auch das fiir den »Anfahenden« bestimmte Kapitel
XII: Von der Erklarung etlicher musicalischer Kunstwbrter,
in Fr.E.Niedts Handleitung zur Variation II (Hamburg
1706, 21721 bearbeitet von J. Mattheson) und die 270
musikalischen termini nach dem Alphabet, die J. G.Wal-
ther in den I. Teil seiner Praecepta der musicalischen Com-
position (1708) einfiigte, gehorten ihrer urspriinglichen
Bestimmung nach in den Bereich der musikalischen
Elementarlehre, doch sind beide Arbeiten Vorstufen
fiir Walthers Lexikon von 1732. - Eine Vereinigung
der bis dahin streng geschiedenen Gattungen des alpha-
betisch geordneten Diffinitoriums und des fortlaufen-
den Musiktraktats, somit eine Zwischenstation zur mo-
dernen Lexikographie, liegt vor in dem lateinischen
Clavis ad Thesaurum magnae artis musicae des Prager
Magisters und Organisten Th.B.Janowka (Prag 1701).
Demgegeniiber erwuchs das Dictionaire de musique von
S. de Brossard (Paris 1703) aus einer Erweiterung des
kleinen musikalischen Glossars, das er seiner Solo-
motettensammlung Elev ations (1695) vorangestellt hat-
te. Bezeichnend fiir die moderne Grundhaltung seines
Lexikons ist die Aufmerksamkeit, mit der er die neuen
Affekt- und Tempobezeichnungen eingearbeitet hat.
Der unausgefiihrte Plan eines bio-bibliographischen
Lexikons (fiir das Brossards bibliophile Sammlertatig-
keit Anregung und Grundlage ergab) fand seinen Nie-
derschlag in dem 3. Appendix des Dictionaire mit ei-
nem Katalog von iiber 900 Autoren. Die Fortfiihrung
dieser letzteren Arbeit war fiir J. G. Walther der An-
satzpunkt zu seinem 1732 erschienenen Musicalischen
Lexicon (Vorabdruck des Buchstabens A 1728). DasEr-
gebnis seiner umfassenden Bemuhungen machte Wal-
ther zum Begriinder der musikbiographischen Lexi-
kographie, die bis zu E.L. Gerbers biographischem
Lexikon 1790/92 Bereicherung nur durch die Ehren-
Pforte (1740) von J. Mattheson erfuhr. Auch in vielen
Sachartikeln kniipft Walther an das Dictionaire von
Brossard an, doch erweiterte er dessen Material erheb-
lich. Sein Lexikon ist eine Synthese der traditionellen
Gattungen: Etymologien, Glossar (Appendix), Diffi-
nitorium und Traktat. Doch gemaB der noch in den
Artes liberales und der Ars musica wurzelnden Grund-
konzeption und entsprechend der umfangreichen ex-
zerpierten Literatur zeigt Walthers Lexikon einen aus-
gesprochen retrospektiven Zug. Seine Bedeutung liegt
beschlossen in der (deutschsprachigen) lexikalischen
Zusammenfassung des musikalischen Sachwissens der
Barockzeit, das mit dem biographisch-bibliographi-
schen Bericht verbunden ist.
Schon in dem mit T. S. gezeichneten Beitrag zu einem
musicalischen Worterbuch (1765) wurde von einem unbe-
kannten Autor auf die nahe Verwandtschaft der maleri-
schen Kunstworter mit denen musikalischen hingewiesen.
33*
515
Lexika
Die Ubertragung von Maximen der »Schonen Kun-
ste« auf die Einzelkiinste und ihre Sachbegriffe ist
dann einer der Hauptgedanken der AUgemeinen Theo-
rie der Schonen Kiinste (Leipzig 1771-74) von J. G. Sulzer
(angeregt von M. Lacombes Dictionaire portatif des
beaux arts, Paris 1753), deren musikalische Artikel
unter Mitarbeit von J.Ph.Kirnberger und J. A. P.
Schulz entstanden. Kennzeichen fur die in Deutsch-
land von Sulzer angeregte Richtung sind: 1) die Uber-
setzung fremdsprachlicher Fachausdriicke in die Natio-
nalsprachen, 2) das Schwinden des etymologischen
Interesses (die verbliebenen fremdsprachlichen Termi-
ni werden zu Chiffren fur Sachbegriffe), 3) die allge-
meine Neuorientierung der musikalischen Termino-
logie an dem asthetischen Regulativ der Schonen Kiin-
ste. - Bezeichnend fur den neuen soziologischen Be-
reich der musikalischen Lexikographie nach Walther
sind die fiir den »Liebhaber« zugeschnittenen Worter-
biicher, voran die schon 1737 von den Gebriidern Stb-
Bel in Chemnitz fiir die Liebhaber musicalischer Wissen-
schaften herausgegebene gekiirzte Bearbeitung von
Walthers Lexikon sowie das fiir Anf anger in der Musik
bestimmte Kurzgefafite musikalische Lexikon von G. Fr.
Wolf (1787). In England entsprechen diesem Zweig
das Lexikon von J.Hoyle (1771) und das kleine Sach-
wbrterbuch von J.W.Calcott (1792), in Frankreich
das Dictionaire von J.J. O. de Meude-Monpas (1787),
die auf den vorher in beiden Landern entstandenen
Fachworterbtichern fuBen: 1740 erschien in London,
wohl als erstes englisches Musiklexikon, A Musical
Dictionary of Terms vonJ.Grassineau, eine selbstandige
Bearbeitung von Brossards Dictionaire, und 1768 in Pa-
ris das urspriinglich fiir die franzosische Enzyklopadie
entworfene Dictionaire de musique von J.-J. Rousseau. -
Einen Hohepunkt unter den musikalischen Sach-L.
bedeutete H.Chr.Kochs Musikalisches Lexikon von
1802. Ohne die Verbindung zur Vergangenheit zu 16-
sen, bietet es - speziell im AnschluB an Kochs Kompo-
sitionslehre (1782-93) und namentlich in Artikeln wie
Periodenbau, Satz, Absatz, Einschnitt - ein hochquali-
fiziertes Begriffssystem zumal der vor- und friihklassi-
schen Musik- und Satzlehre - in einigen Stiicken ein
wichtiger Ankniipfungspunkt fiir H.Riemann. Eine
gleichrangige Leistung ist das Tonkiinstler-Lexikon von
E.L. Gerber (in 2 Banden, 1790-92; 4 Erganzungsban-
de 1812-14), das den biographischen Teil vonWalthers
Lexikon erganzen und f ortf iihren sollte. Die Biographie
universelle des musiciens et bibliographic ginerale de la mu-
sique (in 8 Banden 1835-44) des Belgiers Fr.J.Fetis ist
gekennzeichnet durch das Bestreben, tiber die lexikali-
sche Notiz hinaus zu einer historischen Gesamtschau
vorzudringen. Die lexikographischen Schwachen die-
ses Werkes, die aus der bewundernswerten Alleinautor-
schaf t (zum Teil auch aus den ungeniigenden Kommu-
nikationsmitteln seiner Zeit) herriihren, schmalern mit-
unter seine Zuverlassigkeit, nicht jedoch seine Bedeu-
tung. Ein bibliographisches Auskunf tsmittel (-*■ Biblio-
graphic) mit dem neuartigen Ziel, speziell iiber musika-
lische Quellen zu informieren, erstand in R.Eitners
Biographisch-bibliographischem Quellenlexikon (10 Bande,
1900-04, mitErganzungen).
Das wachsende literarische Bedurfnis der Musiklieb-
haber machte das Musiklexikon im 19. und 20. Jh. zu
einem Hauptartikel des musikalischen Buchermarktes.
Coover (1958) verzeichnet fiir die Zeit seit 1800 mehr
als 400 Titel (darunter 130 Sach-L.), mit Neuaufla-
gen und Ubersetzungen sogar fast 1200. Der durch
die einsetzende historische Forschung angeschwolle-
ne Stoff fiihrte einerseits zur vielbandigen Musiken-
zyklopadie (Schilling, Mendel/ReiBmann, Grove, Hub-
bard, Lavignac/de La Laurencie u. a.), andererseits zu
Spezial-L., unter denen hervorzuheben sind die L.
iiber Instrumente von Sachs, iiber (katholische) Kir-
chenmusik von d'Ortigue und von WeiBenback, iiber
Opem von Clement/Larousse. Fuhrend unter den Mu-
sik-L., die Personen und Sachen umfassen, wurde das
Musik-Lexikon von H.Riemann (seit 1882), das in sich
verbindet die Bestimmung auch fiir den praktischen
Musiker und den gebildeten Laien mit hochqualifizier-
ter wissenschaf tlicher Information, die der umf assenden
musikgeschichtlichen Arbeit und eigenstandigen Kon-
zeption Riemanns entsprang. Die groBe Zahl der Neu-
auflagen und Ubersetzungen bestatigte Riemanns
Konzeption des wissenschaftlichen Handlexikons. -
Bedeutende Leistungen der modernen musikalischen
Lexikographie sind: das seit 1949 unter Mitarbeit in-
und auslandischer Musikforscher von Fr. Blume her-
ausgegebene enzyklopadische Werk Die Musik in Ge-
schichte und Gegenwart; die Neubearbeitungen von
Grove's Dictionary durch H. C. Colles (3. und 4. Aufla-
ge in 5 Banden) und Eric Blom (5. Auflage 1954 in 9
Banden, Erganzungsband 1961) ; das Harvard Dictionary
of Music (seit 1944) von W.Apel und im spanischen
Bereich das Diccionario de la musica Labor von H. Angles
und J.Pena (1954). In Deutschland gewann Bedeutung
als praktisches Nachschlagewerk H.J.Mosers Musik-
Lexikon (seit 1933/35). Das Liebhaberlexikon erhielt in
letzter Zeit neue Impulse durch Publikationen in en-
zyklopadischen Taschenbuchreihen, z. B. von R.Illing
(Penguin-Books) und von R. Stephan (mit C.Dahl-
haus, Fischer-Biicherei). - Als ein Speziallexikon wur-
de ein Handworterbuch der musikalischen -»■ Termi-
nologie von W. Gurlitt seit 1950 geplant, dessen Durch-
fiihrung im Rahmen der Musikgeschichtlichen Kom-
mission der Akademie der Wissenschaften und der Li-
teratur (Sitz Mainz) seit 1965 in den Handen von H. H.
Eggebrechtliegt.EinUntemehmenzurErforschung'der
lateinischen musikalischen Fachsprache des Mittelalters
ist das auf Anregung von W. Bulst (Heidelberg) und
Thr. G. Georgiades (Munchen) 1960 gegriindete Lexi-
con Musicum Latinum der Musikhistorischen Kommis-
sion der Bayerischen Akademie der "Wissenschaften, das
das Musikschrifttum von der Spatantike bis ins 12. Jh.
mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung auf-
nimmt und auswertet (-> Dokumentation). Eines der
grbBten lexikalischen Unternehmen iiberhaupt ist
RISM, das von der Internationalen Gesellschaft fiir
Musikwissenschaft und der Internationalen Vereini-
gung der Musikbibhotheken herausgegebene Internatio-
nale Quellenlexikon der Musik (erste Publikationen seit
1960), das sich zur Aufgabe gemacht hat, samtliche
musikalischen Quellen systematisch zu erfassen.
Bibliogr. (chronologisch, bis 1800 vollstandig) :
Gruppe A: Sach-L. (Glossare, Vokabularien u. terminolo-
gische Appendices siehe Gruppe E) : J. Tinctoris, Termi-
norum musicae diffinitorium, o. O., o. J., gedruckt in Tre-
viso um 1471/76 (nach CS IV) oder um 1473/74 (nach Van
den Borren) oder um 1495 (nach Alessi), Ms. Briissel mit
Textvarianten, NA (nach d. Druck) v. J. N. Forkel, Allge-
meine Litteratur d. Musik, Lpz. 1792, danach bei P. Lich-
tenthal, Dizionario . . . Ill, Mailand 1826, auch im Anh. d.
engl. Ausg. v. Hamilton's Celebrated Dictionary, NA mit
deutscher Obers. u. Anm. v. H. Bellermann in: Jb. f. mus.
Wiss. 1, 1863, NA (nach d. Ms. Briissel) v. E. de Coussema-
ker, in: J. Tinctoris, Tractatus de musica, Lille 1875, u. in:
CS IV, NA (nach Druck u. Ms.) mit frz. Obers. v. A. Ma-
chabey, Paris 1951 ; Th. B. Janowka, Clavis ad Thesau-
rum magnae artis musicae . . ., Prag 1701; S. de Bros-
sard, Diction(n)aire de musique . . ., Paris 1703 (vgl. aber
CooverNrl45),21705, 3 171 8, NachdruckmitZusatzen Am-
sterdam (Roger) o. J., 2 o. J., ebenda (Mortier) o. J., Nach-
druck d. Ausg. v. 1703, ebenda 1964; J. Grassineau, A
Mus. Dictionary of Terms (nach Brossard), London 1740,
hrsg. v. J. Robson mit Anh. aus Rousseaus Dictionnaire
516
Lexika
21769, bearb. v. J. C. Heck, hrsg. v. T. Williams 3 1784; »T.
S.«, Beitr. zu einem mus. Worterbuch, in : Berlinisches Ma-
gazin I, 1765, Nachdruck in: J. A. Hiller, Wochentliche
Nachrichten . . . II— III, Lpz. 1767-69; J.- J. Rousseau,
Dictionnaire de musique, Genf 1767(7), Paris 1768, 1775,
1791, 1801 u. 1825, Amsterdam 1768, 1769 u. 1772, Genf
1781, audi in: GA London 1776 u. Zweibrucken 1782,
engl. Obers. v. W. Waring, London 1770, 21779, d. I. Bd
f. d. Encyclopedic methodique par ordre des matieres
hrsg. v. P. L. Ginguenfi mit N. E. Framery, Paris 1791,
d. II. Bd bearb. v. J. J. de Momigny, Paris 1818; J. Hoy-
le, Dictionarium musica [sic!] ... (nach Grassineau),
London 1771, 21790; J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie
d. Schonen Kunste in einzeln, nach alphabetischer Ord-
nung d. Kunstworter auf einander folgenden Artikeln ab-
gehandelt, 2 Bde, Lpz. 1771-74, Nachdruck v. Heilmann,
Biel 1777, Lpz. 21778-79 (2. verbesserte Auflage, mit kai-
serlichem Privileg v. 13. April 1772), in 4 Bden als neue
vermehrte Auflage mit bibliogr. Anm. hrsg. v. Fr. v. Blan-
kenburg 3 1 786-87, als neue vermehrte 2. Auflage mit neuen
Anm. 4 1 792-94, samtliche Zusatze auch separat als: Fr.
v. Blankenburg, Litterarische Zusatze zu J. G. Sulzers
allgemeiner Theorie d. schonen Kunste . . . , 3 Bde, Lpz.
1796-98, ein literarisches Jb. ohne mus. Beitr. sind d.
»Nachtrage« v. J. G. Dyk u. G. Schatz, Charaktere d. vor-
nehmsten Dichter aller Nationen .... 8 Bde, Lpz. 1 792-
1808; J. N. Forkel, Genauere Bestimmung einiger mus.
Begriffe. Eine Einladungsschrift (enthalt d. Artikel: Mu-
sik, Musikus, Direktion einer Musik, Concert), Gottingen
1780, Nachdruck in: C. Fr. Cramer, Magazin f. Musik, I.
Jg., Hbg 1 783, S. 1039-1072; J. G. L. Wilke, Mus. Handwor-
terbuch, Weimar 1786; J. J. O. de Meude-Monpas, Dic-
tionnaire de musique, Paris 1 787 ; J. W. Calcott, Explana-
tion of the Notes, Marks, Words etc. Used in Music, Lon-
don 1792; ders., Ms. eines (ungedruckten) Lexikons, 2
Bde, 1798, London (Brit. Mus. Add. 27649-50); Kurzge-
faBtes Handworterbuch iiber d. Schonen Kunste, Von ei-
ner Ges. v. Gelehrten, 4 Bde, Lpz. 1795 (mus. Artikel v. Fr.
A. Baumbach); J. Verschuere-Reynvaan, Muzykaal
konst-woordenboek, I. Bd (A-M), Amsterdam 1 795 ; J. H.
Knecht, Kleines alphabetisches Worterbuch d. vornehm-
sten u. interessantesten Artikel aus d. mus. Theorie, Ulm
1795; C. Envallson, Svensk mus. lexikon, Stockholm
1802; H. Chr. Koch, Mus. Lexikon, 2 Bde, Ffm. 1802,
Offenburg o. J., Heidelberg 1817, gekiirzte Bearb. als Kurz-
gefaBtes Handworterbuch . . ., Lpz. 1807, Ulm 2 1828, eine
2. durchaus umgearbeitete u. vermehrte Auflage (Verkur-
zung d. Artikel, Vermehrung ihrer Zahl) unter d. Titel : A.
v. Dommer, Mus. Lexicon auf Grundlage d. Lexicon's v.
H. Chr. Koch, Heidelberg 1865 (in Lieferungen seit 1864);
Fr.-H.-J. Castil-Blaze, Dictionnaire de musique mo-
derne, 2 Bde, Paris 1821, 21825, verkurzter Nachdruck
hrsg. v. J. H. Mees, Brussel 1 828 ; J. E. Hauser, Mus. Lexi-
kon, MeiBen 1828.21833; C. Gollmick, Kritische Termi-
nologie, Ffm. 1833, 21839; J. A. Hamilton, Dictionary of
Mus. Terms, London 1839, als: A Dictionary of two thou-
sand . . . terms .... NY 1842, als: Hamilton's Celebrated
Dictionary . . . , hrsg. v. J. Bishop (im Anh. Tinctoris' Dif-
finitorium), London 1 849, weitere Auflagen bis etwa 1 894 ;
L. u. M. Escudier, Dictionnaire de musique d'apres les
theoriciens, 2 Bde, Paris 1 844, 21 854, 5 1 872 ; P. Frank ( = C.
W. Merseburger) vgl. Gruppe C; A. Barberi, Dizionario
enciclopedico universale dei termini tecnici della musica
antica e moderna . . ., 3 Bde, Mailand 1870-74; J. Stainer
u. W. A. Barrett, A Dictionary of Mus. Terms, Boston u.
NY 1876, London u. NY 51898; Fr. Niecks, A Concise
Dictionary of Mus. Terms, London 1 884, 2 1 884 [sic !], 5 1 900;
F. Pedrell, Diccionario tecnico de la musica, Barcelona
1894; Th. Baker, A Dictionary of Mus. Terms, NY 1895,
251939; J. Pulver, A Dictionary of Mus. Terms, London
1913; H. J. Moser, Mus. Worterbuch, =Teubners kleine
Fachworterbiicher XII, Lpz. u. Bin 1923; M. Brenet, Dic-
tionnaire pratique et hist, de la musique, posthum hrsg. u.
erganzt v. A. GastouS, Paris 1926, 2 1930, span. v. A. Bar-
bera u. a. als : Diccionario de la musica hist, y tecnico, Bar-
celona 1946; K. Gerstberger, Kleines Hdb. d. Musik,
Kassel 1932, 31933, erweitert -11937, 5 1949; W. Apel, Har-
vard Dictionary of Music, Cambridge (Mass.) 1 944, 7 1 9 5 1 ,
81953; R. Stephan (mit C. Dahlhaus), Musik, = Das Fi-
scher Lexikon V, Ffm. 1957ff. ; E. Thiel, Sachworterbuch
d. Musik, = Kroners Taschenausg. 210, Stuttgart 1962.
Gruppe B: Biogr. L. (Auswahl-L., zeitlich oder nach Ge-
bieten, siehe Gruppe D) : J. Mattheson, Grundlage einer
Ehren-Pforte ..., Hbg 1740, NA v. M. Schneider, Bin
1910; J. A. Hiller, Lebensbeschreibungen beruhmter Mu-
sikgelehrter u. Tonkiinstler, Lpz. 1784; E. L.Gerber, Hist.-
biogr. Lexikon d. Tonkunstler, 2 Bde, Lpz. 1 790-92, Nach-
trage v. J. Fr. Reichardt in: Mus. Wochenblatt (1 792) u. in:
Mus. Monatshefte (1793), v. E. Fl. Fr. Chladni in: H. Chr.
Koch, Journal d. Tonkunst, H. 2 (1795), S. 191ff., v. Fr.
S. Kandlerin: Ober Lebenu. Werked.G. P. da Palestrina,
Lpz. 1834 (Anhang); ders., Neues hist.-biogr. Lexikon d.
Tonkunstler, 4 Bde, Lpz. 1812-14, frz. Bearb. v. A. E.
Choron u. Fr. J. M. Fayolle als: Dictionnaire hist, des
musiciens, 2 Bde, Paris 1 8 1 0- 1 1 , 2 1 8 1 7, engl. London 1 824,
21827; G. Bertini, Dizionario storico-critico degli scrit-
tori di musica, 4 Bde, Palermo 1 8 1 4-1 5 ; Fr.-J. Fetis, Biogr.
universelle des musiciens et bibliogr. generate de la musique,
8 Bde, Brussel, Mainz u. Paris 1835^14, Mainz 2 1861, Paris
21860-65, 31866-68, 2 Nachtragsbde v. A. Pougin, Paris
1878-81, auch Paris Bd I 21883, II- VIII 21878, 2 Suppl.-
Bde 21881, Nachdruck d. 2. u. letzten Auflage in 10 Bden,
Brussel 1963, ital. v. E. Favilli als: 11 piccolo Fetis, Piacenza
1925; P. Frank (=C. W. Merseburger) vgl. Gruppe C;
C. Schmidl, Dizionario universale dei musicisti, Mailand
1890, 21926-29, NA mit 3. (Suppl.-)Bd 1937-38; R. Eit-
ner, Biogr.-bibliogr. Quellen-Lexikon, 10 Bde, Lpz. 1900-
04, NA (mit alien Nachtragen) NY 1947, Graz 1959, Nach-
trage: I. Beilage zu MfM XXXVI, 1904, H. 1 nach S. 16,
II. Beilage im Anh. v. Bd X, III. Beilage zu MfM XXXVI,
1904, H. 11, nach S. 194, IV. Beilage zu MfM XXXVII,
1905, H. 1 nach S. 16 (S. 17-59 doppelt!), Miscellanea Mu-
sicae Bio-bibliographica, hrsg. v. H. Springer, M. Schnei-
der u. W. Wolff heim, Lpz. 1 91 3-1 6 (3 Jg., je 4 H.), R. Jauer-
nig in : Mf VI, 1953 ; Th. Baker, Biogr. Dictionary of Mu-
sicians, NY 1900, London 1901, NY 2 1905 (mit Suppl.),
bearb. v. A. Remy 31919, hrsg. v. G. Reese "1940, bearb. v.
N. Slonimsky '1958, <>1965; J. RicartMatas, Diccionario
biogr. de la musica, Barcelona 1956; Musikkens Hvem
Hvad Hvor, Biografier, 2 Bde, hrsg. v. L. E. Bramsen jr.,
Kopenhagen 1961.
Gruppe C: Universal-L. : J. G. Walther, Musicalisches
Lexicon . . ., Lpz. 1732, Faks. hrsg. v. R. Schaal, = DM1 1,
3, 1953, verkurzter Nachdruck als: KurtzgefaBtes Musi-
calisches Lexicon, hrsg. v. J. Chr u. J. Stossel, Chemnitz
1737, 21749; G. Fr. Wolf, KurzgefaBtes mus. Lexikon
(nach Walther u. Sulzer), Halle 1787, vermehrt 21792, ver-
mehrt nach Koch 31806, Nachdruck d. 1. Auflage Wien
1800,danisch Kopenhagen 1813; anon., Universal Dictio-
nary of Music (Th. Busby u. K. Fr. Abel?), London 1786,
nur wenige Lieferungen erschienen ; Th. Busby, A Comple-
te Dictionary of Music, London 1801, bearb. v. J. A. Ha-
milton 21810, 51823; P. Gianelli, Dizionario della musica
sacra e profana, 3 Bde, Venedig 1801, in 7 Bden 21820,
31830; P. Lichtenthal, Dizionario e bibliogr. della musi-
ca, 4 Bde, Mailand 1826, frz. v. D. Mondo, Paris 1839; G.
Schilling, Encyclopadie d. gesammten mus. Wiss., oder
Universal-Lexicon d. Tonkunst, 6 Bde, Stuttgart 1835-38,
NA mit Suppl.-Bd 1840-42, verkurzt in einem Bd hrsg. v.
F. S. Gassner, Stuttgart 1849; J. F. G. Schuberth, Mus.
Handbuchlein . . ., Hbg (31848), Lpz. ("1850), bearb. y. R.
Musiol als: J. Schubert's mus. Conversations-Lexicon
('"1877), bearb. v. E. Breslaur mit Suppl. v. B. Vogel
(H1894), engl. Obers. nach d. 4. Auflage, Lpz. o. J. (vgl.
Coover Nr 1031); J. W. Moore, Complete Encyclopedia
of Music, Boston 1852, 31880; J. Schladebach (verlieB d.
Unternehmen bereits 1855), Fr. Liszt, H. Marschner, C. G.
Reissiger u. L. Spohr, Neues Universal-Lexikon d. Ton-
kunst, Dresden, Bin, Wien 1855, ab Bd II hrsg. v. E. Berns-
dorf, III Offenbach 1861, Suppl. 1865; P. Frank (= C. W.
Merseburger), Taschenbuchlein d. Musikers, 2 Bde (I Sa-
chen, II Kleines Tonkunstlerlexikon), Lpz. 1858-60, seit
1926 bearb. v. W. Altmann, 1 31 1943, II Regensburgitl936,
I nld. Obers. Groningen 1877, 2 1909; C. J. Melcior, Dic-
cionario enciclopedico de la musica, Lerida 1859; J. L.
Homer, Musik-Lexicon, Stockholm 1864, Suppl. 1867; J.
Parada y Barretto, Diccionario tecnico, hist, y biogr. de
la musica, Madrid 1868 ; A. Barberi u. G. B. Beretta (mit
C. Malossi), Dizionario artistico-scientifico-tecnologico
mus., 3 Bde, Mailand 1869-72; H. Mendel, Mus. Con-
versations-Lexikon, 1 1 Bde (ab Bd VII hrsg. v. A. ReiB-
mann), Bin u. NY 1870-79, 21880-82, Suppl. Bin 1883 ; O.
517
Lexika
Paul, Handlexikon d. Tonkunst, 2 Bde, Lpz. 1870-73,
2 1873 ; G. Grove, A Dictionary of Music and Musicians,
4 Bde, London u. NY 1878-79, 1890 u. 6., Suppl. 1889 u.
21904-10 in 5 Bden bearb. v. J. A. Fuller-Maitland, 31927
u. "1940 (mit Suppl.-Bd) bearb. v. H. C. Colles, 51954 in 9
Bden bearb. v. E. Blom, Suppl. 1961, American Suppl
hrsg. v. W. S. Pratt, N Y 1 920, 2 1 928 ; H . A. Viotta, Lexicon
d. toonkunst, 3 Bde, Amsterdam 1881-85; H. Riemann,
Musik-Lexikon, Lpz. 1882, 21884 (beide Auflagen in d. Rei-
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Gruppe E: Glossare, Vokabularien u. terminologische
Appendices (d. hier nicht angegebenen Titel sind unter d.
Namen d. Verfassers im Personenteil zu finden): anon.,
Vocabularium musicum (11. Jh.), hrsg. v. A. de Lafage,
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Nachdruck Amsterdam 1964; J. de Garlandia, Dictio-
narius (nach 1218), hrsg. v. A. Scheler, Lexicographie lat.
du XII e et du XIII e s., Jb. f. romanische u. engl. Lit. VI,
1865, separat Lpz. 1867, weitere Ed. vgl. E. Habel; E. Al-
berus, Novum Dictionarii genus, Ffm. 1540; M. Praeto-
rius 1619; N. Gengenbach 1626; Chr. Demantius (1602),
81632; A. Profe 1641 ; J. A. Herbst 1642; J. M. Corvinus
1646; N. Zerleder 1658; G. Falck 1688; J. C. Lange
1688; J. G. Ahle 1690; J. S. Beyer 1703; J. Fr. E. Niedt
1 706 ; J. G. Walther, Praecepta . . . , 1 708 ; anon., A short
explication of such foreign words as are made use of in
musick books, London 1 724 ; P. Prelleur 1 73 1 ; J. F. B. C.
Majer 1732; M. Spiess 1746; W. Tans'ur, A New Mus.
Grammar, London 1746, . . . and Dictionary 3 1756, 7 1829;
L. Mozart 1756; J. L. Albrecht 1761 ; J. A. Hiller 1774
u. 1792; Du Cange 1778; H. Gram (mit S. Holyoke u. O.
Holden), The Massachusets Compiler of Theoretical and
Practical Elements of Sacred Vocal Music, Together with
a Mus. Dictionary, Boston 1795; Fetis 1830; G. Schil-
ling, Mus. Konversationslexikon, 2 Bde, Augsburg 1 840,
21844; J. Fr. G. Schuberth, vgl. Coover Nr 1035^7, 1025,
1048-50 u. 1024; G. Schad, Musik u. Musikausdriicke in
d. mittelengl. Lit., Diss. Gieflen 1910 (mit Verz. v. 248
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clopedie, Paris 1755; ders., Suite d'Erreurs . . . , Paris 1 756 ;
J. N. Forkel, Allgemeine Litteratur d. Musik, Lpz. 1792,
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et du XIII e s., Jb. f. Romanische u. Engl. Lit. VI, 1856, se-
parat Lpz. 1867; K. J. Gross, Sulzers Allgemeine Theorie
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Mf VIII, 1955; O. Wessely, Ein Musiklexikon v. Fr. Le
Cocq, in : H. Albrecht in memoriam, Kassel 1 962.
Liber usualis (lat.), ein von den Solesmer Monchen
fur den praktischen gottesdienstlichen Gebrauch ein-
gerichtetes Choralbuch, dessen Inhalt eine Verbindung
von Teilen des ->■ Graduales (- 2) und des -> Anti-
phonales sowie von Gebets- und Lesungstexten der
Sonntage und wichtigeren Feiertage darstellt. Fur we-
nige hohe Festtage ist auch die (sonst nur in Teilausga-
ben fur Weihnachten, Kartage und Totenof fizium vor-
liegende) Liturgie der Matutin aufgenommen. Der L.
u. zahlt nicht zu den of fiziellen -> Liturgischen Biichern
der romischen Kirche.
Libretto (ital., kleines Buch, Diminutiv zu libro,
Buch; entsprechend frz. livret zu livre) ist seit dem aus-
gehenden 18. Jh. das in kleinem Format oder als Heft
publizierte Textbuch zu musikalischen Buhnenwerken
(Opern, Operetten, Singspielen), Oratorien, Kantaten,
Serenate, im iibertragenen Sinn deren Text selbst,
auch das Szenarium von Balletten und Pantomimen. -
Das Begriffswort L. bezeichnet nicht eine literarische
Gattung, sondern verweist auf die Bestimmung bzw.
Verwendung eines Textes. Das schlieBt nicht aus, daB
das L. im Hinblick auf seine Zugehorigkeit zu einer lite-
rarischen Gattung und deren literarhistorischen Kri-
terien angesprochen werden kann (z. B. als pastorales
Drama, Tragodie, Komodie oder als Ode). Es ist je-
doch unbillig, Libretti nach rein literarischen MaBsta-
ben zu beurteilen. Ihre Qualitat erweist sich erst im
kompositorischen ProzeB, durch welchen der Text
zu der vom Librettisten und Komponisten (meist in
engem gegenseitigem Kontakt) beabsichtigten Bestim-
mung gelangt ; da ist es am besten wenn ein guter kompo-
nist der das Theater versteht, und selbst etwas anzugeben
im stande ist, und ein gescheidter Poet, ats ein wahrer Pho-
nix, zusammen kommen (Mozart an seinen Vater, 13. 10.
1781). So verlangt die Nummernoper als Typus u. a.
abgeschlossene, oft strophisch gegliederte, den Hand-
519
Libretto
lungsablauf unterbrechende Textpartien fiir solistischen
Gesang, und der Librettist muB hierfiir dramaturgisch-
poetologische Moglichkeiten ausfindig machen (z. B.
den Reflexionsmonolog oder den lyrischen Monolog
zur Bekundung der Gefuhle eines Helden), oft au£ Ko-
sten des dramatisch-dialogischen Prinzips.
Einer der ersten Opernlibrettisten, O. -> Rinuccini,
Mitglied der -»■ Camerata, verwendete im AnschluB
an das Hirtendrama Tassos und Guarinis (-»■ Pastorale)
antik-mythologische Stoffe. Als hofische Darbietung
hatten sie in einem harmonischen Ausklang (lieto fine)
zu enden, ein Grundsatz, der bis zum Ende des 18.
Jh. befolgt wurde. Rinuccinis Texte (La Dafne, 1598;
L'Euridice, 1600; L'Arianna und II Narciso, 1608) zei-
gen Deklamation in 7- und HSilblern, geschlossene
Formen nur in Ansatzen (z. B. Chore in 8Silblern);
Akt- und Szeneneinteilung sowie Biihnenanweisun-
gen fehlen. Mit der Kommerzialisierung des Opern-
theaters in Venedig (1637) wurden die Sujets publi-
kumswirksamer. Seit -*■ Busenellos L'incoronazione
di Poppea (1642) wurden auch historische Stoffe mit
straffer Handlungsfiihrung gestaltet und gleichzei-
tig komische Dienerfiguren (parti buffe) in das Sze-
narium eingebaut. Das L. der romischen Oper zwi-
schen etwa 1620 und 1660 zeigt neben Stoffen aus
Mythologie, antiker Geschichte und Renaissanceepen
2 L.-Typen, an deren Entwicklung der Kardinal -*■ Ro-
spigliosi beteiligt war : der erste Typ behandelt religiose
Themen (// Sant'Alessio, 1634; die Handlung bewegt
sich um eine legendar-geschichtliche Hauptperson, die
Nebenpersonen sind Typen aus dem romischen Leben
jener Zeit) oder allegorische Stoffe in der Tradition der
Rappresentazione di anima et di corpo (La vita umana,
1656; vielleicht von Rospigliosis Neffen Jacopo, mit
Personifikationen der Tugend, der Unschuld, der Ver-
nunft, des Vergniigens usw.). Der zweite Typ legte
den Grund zur komischen Oper (Chi soffre speri, 1639;
Dal male il bene, 1653). - Unter demEindruck von Auf-
fiihrungen italienischer Opern in Paris schrieb -> Per-
rin die ersten franzosischen Libretti mit iiberwiegend
pastoralem Charakter (La Pastorale und Ariane ou le ma-
nage de Bacchus, 1659; Pomone, 1671). Das Vorbild der
klassischen franzosischen Tragedie wurde bestimmend
fiir das L. der von Ph. -> Quinault und J.-B.Lully be-
griindeten -> Tragedie lyrique, der deklamierend-rezi-
tierenden 5aktigen Oper mit Prolog. - Wahrend dieser
L.-Typ auch im 18. Jh. fiir die franzosische Oper maB-
gebend blieb, zerfiel das italienische L. im Laufe des 17.
Jh. in eine mehr oder minder lose Abfolge von Arien.
Nach dem Vorbild des franzosischen klassischen Thea-
ters versuchte zunachst -*■ Zeno, vor allem aber -*■ Me-
tastasio, dem L. wieder Geschlossenheit zu geben. Me-
tastasios Dramen, dreiaktige schematische Intrigen-
stiicke auf Sujets aus der antiken Geschichte, sollten
durch die Darstellung tugendhafter und groBmiitiger
Helden, die sich in schwierigen Situationen bewah-
ren muBten, eine moralische Wirkung ausiiben. Cha-
rakteristisch ist das periodische Abwechseln von Dia-
log zur Fortf iihrung der Handlung (Rezitativ) und ei-
nem eine Szene abschliefienden Ruhepunkt in meist
kurzen Versen (Arie). Diesen L.-Typ, der die Opera
seria des 18. Jh. beherrschte, iiberwanden -> Calzabigi
und Gluck. BeeinfluBt von der franzosischen Oper,
betonten sie den Vorrang menschlichen Empfindens
und einer einfachen, psychologisch begriindeten
Handlung; als Sujets bevorzugten sie mythologische
Stoffe (Orfeo ed Euridice, 1762; Alceste, 1767; Paride ed
Elena, i780). Ihre Grundsatze blieben fiir die italieni-
sche Oper ohne Nachwirkung, beeinfluBten aber in
Frankreich durch Glucks franzosische Umarbeitungen
seiner Calzabigi-Opern (Orphee et Euridice, 1 774 ; Alceste,
1776) und durch seine Spatwerke (Iphigenie en Aulide,
1774; Iphigenie en Tauride, 1779) die nachfolgende Ge-
neration. - Die komische Komponente, aus dem L. der
Opera seria seit Zeno und Metastasio ausgeschieden
und auch von Calzabigi und der Tragedie lyrique
gemieden, verselbstandigte sich in Intermezzi (-»■ In-
termedium) und in den anfanglich in neapolitanischem
Dialekt gehaltenen Opere buffe mit einer auf Situations-
komik (Verkleidungen, Verwechslungen) beruhenden,
von den Typen der Commedia dell'arte bestimmten
Handlung. C. -* Goldoni schuf das noch von Da Ponte
bevorzugte L. des Dramma giocoso in musica, in dem
den Buffogestalten ernste Rollen (parti serie) gegen-
iibergestellt werden (// mondo della luna, 1750; Ilfilosofo
di campagna, 1754) ; spater schrieb er unter dem EinfluB
der Comedie larmoyante empfindsame Texte (La buona
figluola, 1760). Die in Frankreich aus dem volkstiimli-
chen -> Vaudeville und der Comedie melee d'ariettes
unter dem AnstoB von Auffiihrungen italienischer In-
termezzi in Paris (->■ Buffonistenstreit) entstandene
Opera-comique wechselte zwischen gesprochenem
Dialog und eingeschobenen Musikstucken. Ch. S.
-*■ Favart und seine Nachfolger -»■ Sedaine und J. Fr.
-> Marmontel nahmen in das L. Personen niederen
Standes (Bauern, Burger) auf, die zu den hoheren, oft
als lasterhaft gezeichneten Personen einen starken Ge-
gensatz bildeten. Seit den 1760er Jahren verlagerte sich
der Akzent der Texte auf das Riihrselig-Sentimentale;
auch marchenhafte und exotische Stoffe fanden immer
mehr Beachtung. Gegen Ende des 18. Jh. entstand im
Rahmen der Opera-comique der die Zeitereignisse wi-
derspiegelnde Typ der Revolutions- und Schreckens-
oper. Sein Grundthema ist der von politischen Gewal-
tigenbedrohte.inAngstundUnfreiheitlebendeMensch:
Szenen zufriedenen, burgerlichen Familiengliicks bil-
den den Kontrast; zum SchluB stellt gottliche Gerech-
tigkeit die Ordnung wieder her. Im sogenannten Ret-
tungsstiick muB der Erretter viele Schwierigkeiten
uberwinden, um den (meist dem je anderen Geschlecht
angehorenden) Gefangenen zu befreien. - Die Ab-
kehr des franzosischen Theaters von der klassizistischen
Klarheit und RegelmaBigkeit seit etwa 1800 war eine
dem europaischen Theater gemeinsame Erscheinung.
Das Buhnengeschehen wurde handlungsreicher, bloB
sichtbare Vorgange konnten neben das Wort treten.
Die Zahl der agierenden Personen war nicht mehr be-
schrankt ; der bisher iiberwiegend das Geschehen kom-
mentierende oder begleitende Chor konnte in die
Handlung einbezogen werden. Stoffe tragischen Ge-
halts (z. B. Shakespeares oder Schillers Dramen, Scotts
Romane) wurden nunmehr haufig fiir die Librettistik
herangezogen; in Analogie zum Sprechtheater waren
nun auch tragische Ausgange moglich. In Frankreich
schuf -»■ Scribe, der in der Opera-comique sich in tra-
ditionellen Bahnen bewegte (La dame blanche, 1825 ; Fra
Diavolo, 1 830) , den formal die Tradition der f iinf aktigen
ernsten Oper fortsetzenden L.-Typ der groBen Oper.
Stoffe mit geschichtlichem Hintergrund (La muette de
Portici, 1828; Robert le diable, 1831 ; Gustave III ou le bal
masque, 1833; Lajuive, 1835; Les Huguenots, 1836; Le
prophete, 1849; Les vepres siciliennes, 1855; L'Africaine,
1 865, posthum) entf al teten sich in auf wendigen Massen-
szenen von stark SuBerlicherWirkung. Die immer wie-
derkehrenden Theaterklischees (Trinklied, Liebesduett,
Racheschwur, groBe Gebetsszene, Triumphzug, Na-
turereignisse, das unschuldige Madchen, der Bose-
wicht, Verstrickung in Schuld und Reue des Helden,
SchluBeff ekte und -enthiillungen) wurden zu unerlaB-
lichen Bestandteilen der Oper des 19. Jh.
Die deutsche Librettistik, die in ihren Anf angen bis in die
Friihzeit der Oper zuriickreicht (Martin Opitz, Dafne,
520
Libretto
1627; Judith, 1637; G.Ph.Harsdorffer, Seelewig, 1644),
hatte im 17. und 18. Jh. im Schatten der italienischen
und franzosischen Oper gestanden. Die Werke der
Hamburger Nationaloper sind zum Teil Ubersetzun-
gen und Bearbeitungen italienischer Libretti oder
fremdsprachiger Komodien, doch finden sich auch
selbstandige Ansatze (Texte nach Stoffen der Bibel
oder der deutschen Geschichte). Ein spezifisch deut-
scher L.-Typ setzte sich erst im 18. Jh. mit dem -> Sing-
spiel durch, in Norddeutschland unter dem EinfluB
der -> Ballad opera, inWien durch Verarbeitung italie-
nischer (Opera seria und buff a) und franzosischer (Ope-
ra-comique) Einfliisse in urwiichsigen Volksstiicken.
Charakteristisch ist eine ans Riihrselige grenzende
Handlung mit Zauber- und Posseneinlagen. Auf dem
Boden dieses Wiener Singspiels entstanden sowohl
-»■ Schikaneders biihnenwirksames, Maschinenkomo-
die und Zauberoper, Exotik, Hanswurstiade und Frei-
maurerideen einbeziehendes Textbuch zur Zauberflote
als auch - darauf fuBend - die Zauberstiicke Ferdinand
Raimunds. Die iibrige deutscheLibrettistik in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jh. dagegen war haufig in den Fes-
seln einer Handlung mit sentimentalen, naturhaften,
iibernatiirlichen und damonischenElementen befangen
(z. B. Fr.Kind, Der Freischiitz oder Die Rosen desEremi-
ten, 1821), haufig verbunden mit einem historischen Mi-
lieu (-> Chezy , Euryanthe, 1 823 ; W. A. Wohlbriick, Der
Vampyr, 1828; Der Templer und die Jiidin, 1829). Ne-
ben diesem romantisch-nationalen L.-Typ gab es das
Elemente des Singspiels und der Opera-comique ver-
schmelzende burgerlich-komische (biedermeierliche)
L. des Dichterkomponisten A. -»■ Lortzing.
Eine neue Orientierung erlangte die Librettistik seit
den 1840er Jahren durch vier Personlichkeiten, die zu-
gleich als Textdichter und als Komponisten hervorge-
treten sind: Berlioz in Frankreich, R.Wagner in
Deutschland, Boito in Italien und Mussorgsky in RuB-
land. Berlioz, der im Vorwort zuLa damnation de Faust
die Selbstandigkeit eines L.s gegeniiber seiner literari-
schen Vorlage forderte, iibertrug die Elemente der
Grand opera auf literarische Stoffe (La damnation de
Faust, 1846; Les Troyens, 1856-59; Beatrice et Benedict,
1862). Wagner, ausgehend vom L.-Typ der franzosi-
schen GroBen Oper (Rienzi) und der deutschen roman-
tisch-nationalen Oper (Tannhauser, Lohengrin), ent-
nahm die Stoffe seiner Musikdramen dem germani-
schen und keltischen Mythos. Es sind episch angelegte
und zum Teil eigenwillig-altertiimlich versifizierte
Dichtungen (-> Stabreim im Ring des Nibelungen).
Boito schloB sich ganz der Tradition seines Landes an,
doch ordnete er die Opernschablonen dem dramati-
schen Ablauf unter. Bei der Neubearbeitung von Ver-
dis Simone Boccanegra (1881) z. B. schuf er im Finale des
1. Aktes den Angelpunkt des Geschehens: eine drama-
tisch hochgespannte Staatsszene, aus der (metrisch
durch 7Silbler abgehoben) ein groBes Ensemble heraus-
ragt. Im Otello (1887) setzte er wirkungsvolle Szenen an
exponierte Stellen (Sturm am Anfang, Racheduett
Ende des 2. Aktes) und vereinfachte die Handlung (Ge-
gensatz von lyrisch und dramatisch im letzten Akt);
eigene Erfindungen wie das Liebesduett, das apodikti-
sche Credo des Iago und das Ave Maria mit seinem
katholischen Ambiente typisieren die Gestalten im
Sinn und Geschmack des 19. Jh. Mussorgskijs Boris Go-
dunow (1874, 2. Fassung) und Chowanschtschina (1886,
unvollendet) - weniger geschlossene Werke als viel-
mehr Abfolgen verschiedener Szenen - sind vom rus-
sischen Volk und seiner Geschichte her konzipiert.
Hauptakteur ist die Volksmasse, die sich in einzelnen
Vertretern individualisiert. So stehen in der SchluB-
szene des Boris ganz verschiedene Schichten unvermit-
telt nebeneinander: das Volk, die entlaufenen Monche,
die Jesuiten, die Kinder, der Blodsinnige ; der falsche,
auf den Schild gehobene Dimitrij ist, wie auch Boris
selbst, ein aus der Masse hervortretender Exponent, der
fruher oder spacer untergeht.
Fur das -> Musiktheater des 20. Jh. schreiben haufig
namhafte Dichter (z. B. H. v. Hof mannsthal, St. Zweig,
Ingeborg Bachmann) bzw. viele Komponisten selbst
(z. B. Prokofjew, Hindemith, Kfenek, Egk, Orff) die
Texte, die so verschieden auf ein bestimmtes Werk hin
konzipiert sind, daB nur bedingt von L.-Typen gespro-
chen werdenkann.Es lassen sichjedochfolgende Aspek-
te herausstellen : 1 ) Abf assung eines L.s nachliterarischen
Vorlagen (S. Prokofjew, Ljobow k trem apelsinam [»Die
Liebe zu den drei Orangen«] nach Carlo Gozzi; L.Jana-
cek, Z mrtveho domu [»Aus einem Totenhaus«] nach
Dostojewskij ; St. Zweig, Die schweigsame Frau nach
Ben Jonson; C.Orff, Der Mond und Die Kluge nach
Grimmschen Marchen; W.Egk, Peer Gynt nach Hen-
rik Ibsen, Die Verlobung von San Domingo nach der
gleichnamigen Novelle von Heinrich v. Kleist; Heinz
v.Cramer, II Re Cervo nach Gozzi; I. Bachmann, Der
junge Lord nach einer Hauffschen Parabel) ; 2) die Uber-
nahme eines unbearbeiteten, hochstens gekiirzten oder
iibersetzten literarischen Werkes (Debussy, PelUas et
Milisande von Maurice Maeterlinck; R.Strauss, Salome
[= Salome] von Oscar Wilde, Elektra von H.v.Hof-
mannsthal; A. Berg, Wozzeck [= Woyzeck] von Georg
Biichner; O.Schoeck, Penthesilea von Kleist; C.Orff,
Antigone und Kdnig Odipus von Sophokles in der deut-
schen Obersetzung von Holderlin; W.Fortner, Blut-
hochzeit von Garcia Lorca; B.Britten, Mid Summer
Night's Dream von Shakespeare; G.Klebe, Die Rduber
von Schiller und Jacobowsky und der Oberst von Franz
Werfel) ; 3) Darbietung einzelner dramatischer Szenen
oder literarischer Texte, zuweilen verbunden durch ei-
nen Sprecher (Strawinskys Oedipus Rex, Orffs Trionfi) ;
4) das artistische, auch altere Formen (z. B. Nummern-
oper) iibernehmende L. (H. v. Hof mannsthal, Ariadne
auf Naxos; Wystan Hugh Auden und Chester Kail-
man, The Rake's Progress).
Eine Schwierigkeit im Opernrepertoire ist die Auf-
fiihrung fremdsprachiger Werke. Der Idealfall ihrer
Darbietung in Originalgestalt ist bei bekannten Opern
nur problematisch, wenn Anspielungen oder andere
Details vom Publikum nicht mehr verstanden werden,
bei unbekannten oder neuen Opern aber schwer durch-
fiihrbar. Andererseits gehen durch Obersetzungen
wichtige Einzelheiten (Silbenklang, Wortbedeutung,
Syntax, Metrik usw.) verloren. Auf keinen Fall darf
die musikalische Struktur angetastet werden, wie dies
fruher oft bei der Obersetzung vor allem von italieni-
schen und franzosischen Rezitativen oder bei sprach-
lich dem Deutschen ferner stehenden Opern wie z. B.
der »Verkauften Braut« von Smetana der Fall gewesen
ist. Ein solcher Eingriff steht nur dem Autor selbst zu,
der dabei seine Werke zum Teil wesentlich verandert,
wie es z. B. Glucks franzosische Umarbeitung seiner
italienischen Opern Alceste und Orfeo oder seine deut-
sche »Iphigenie« nach seiner franzosischen Iphiginie en
Tauride erweisen.
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Mozart-Ubers., Diss. Mainz 1954, maschr. - Kat., Verz.,
Hdb. usw. — ► Oper.
Licenza (litf'Entsa, ital., Erlaubnis, Beurlaubung ; lat.
licentia; engl. und frz. licence), - 1) im 17. und 18. Jh.,
ausgehend von der literarischen L., ein an das Publi-
kum gewendeter -*■ Epilog in Biihnenwerken (Oper,
Schauspiel), der als Huldigungskomposition eine hohe
Personlichkeit, einen Patron u. a. feiert. Die L., be-
stehend meist aus Rezitativ und Arie, teils auch mit ab-
schlieBendem Chor, ist entweder locker angefiigter
Teil des Werkes selbst (z. B. in der Festoper Costanza e
Fortezza von J.J. Fux) oder wird eigens fur den festli-
chen AnlaB hinzukomponiert. So sind die im Auto-
graph als L. bezeichneten Rezitative und Arien K.-V.
36 (1766) und K.-V. 70 (1769) W. A. Mozarts fur Schau-
spielauffuhrungen zu Ehren des Erzbischofs von Salz-
burg entstanden. - 2) Im Barock ist Licentia in Anleh-
nung an die Rhetorik einer der Namen fur die satz-
technische Figur, die somit als »Freiheit« gegeniiber
dem regularen (kontrapunktischen) Satz verstanden
ist; spater ist L. auch eine Kennzeichnung interpretato-
rischer Freiheit. Beethoven nennt die SchluBfuge der
Sonate op. 106 wegen ihrer freieren Setzweise eine
fuga . . . con alcune licenze; Tschaikowskys 5. Sympho-
nic op. 64 weist auf ein Andante cantabile, con alcuna I.
- 3) -> Lizenz.
Lit.: zu 1): P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d.
2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 1921.
Lichanos (g'riech.) -^Systemateleion.
Lichttonverfahren ->• Schallauf zeichnung.
Liebesfufl (frz. pavilion d'amour), ein birnenformiges
Schallstiick mit nur kleiner Offnung. Durch einen L.
wird der kraf tige Klang von Rohrblattinstrumenten ge-
dampft, wie bei den im 18. Jh. beliebten Clarinetto
d'amore, Fagotto d'amore, Oboe d'amore und Oboe
da caccia und beim modernen -> Englisch Horn.
Liebhaber -* Kenner undLiebhaber.
Lied in seiner allgemeinsten Bedeutung ist ein gesun-
genes bzw. fur Gesangsvortrag bestimmtes oder ein
nach dem Vorbild gesungener L.er konzipiertes Ge-
dicht aus mehreren Strophen gleicher Verszahl mit
(mindestens annahernd) gleicher Silbenzahl. Begriff-
lich und historisch besteht eine unlosbare Einheit zwi-
schen dem literarischen L.-Gedicht und seiner musi-
kalischen Darstellung. Letztere beruht auf dem Prinzip
der Bildung von Zeilenmelodien innerhalb der Strophe
und der (meist unveranderten) Ubertragung der Stro-
phenmelodie als Ganzes auf die anderen Strophen des
Gedichtes. Als eine der Grundf ormen sowohl sprachli-
chen als auch musikalischen Gestaltens gewinnt der
Begriff L. jedoch eine Vielschichtigkeit, die eine alle
Teilaspekte umfassende Definition unmoglich macht;
je nach den historischen Gegebenheiten ist der L.-Be-
griff oft zu erweitern oder einzuengen. - Als Dichtung
impliziert der Begriff L. die strukturellen Qualitaten
der L.-Strophe: die relativ kleine Zahl der Verse, die
haufige Vierhebigkeit, die meist gleiche Akzentlage
und das - neben der Sprechmelodie - wichtigste klang-
liche Element des L.-Gedichts, den Endreim. Hinsicht-
lich Inhalt und Umfang der L.-Dichtung kann der
literarhistorische Begriff L. - bedingt durch die Wort-
geschichte - weniger eingeengt werden als der musi-
kalische. Die Bedeutung Strophengedicht scheint das
Wort L. (ahd. liod) auf dem Weg iiber den mittelhoch-
deutschen Plural diu liet (die Strophenreihe) angenom-
men zu haben. Althochdeutsche und mittelhochdeut-
sche Versepen heiCen ebenso L.er (vgl. die SchluBzeile
des Nibelungen-L.s diesze liet heizt diu klage) wie die
L.er im Minne- und Meistersang. Dieser erweiterten
Bedeutung entspricht die Bezeichnung der literari-
schen wie der musikalischen Quellen als -> L.er-Bii-
cher. - Der musikalische L.-Begriff ist einerseits viel
enger und umrissen durch die Vorstellungen »Kunst-
L.« (d. h. in erster Linie das L. Schuberts und die Ge-
522
Lied
schichte des deutschen L.es) und »Volks-L.«, anderer-
seits sehr weit, insofern er das »Liedhafte« und die
mannigfachen Erscheinungsformen des L.es auBerhalb
von Volks-L. und deutschem Kunst-L. mit umfaBt. L.
als musikalischer Begriff impliziert die Qualitaten des
vokalen Vortrags, der musikalischen L.-Gestaltung
(Sangbarkeit, liedhafte Melodik) und damit indirekt
die fiir den musikalischen Ausdruck maBgebenden in-
haltlichen Qualitaten des L.-Gedichts. Auch die Be-
dingung, daB das L. als abgeschlossenes musikalisches
Vortragsstiick eine uberschaubare Ausdehnung nicht
iiberschreiten sollte, wirkt sich auf den Inhalt des Ge-
dichtes aus und macht das lyrische Genre besonders
geeignet fiir die L.-Dichtung; die Erzahlung kleiner,
oft bildhafter Begebenheiten ist jedoch nicht ausge-
schlossen (z. B. Goethe, Heidenroslein). Hier kann die
Grenze zwischen L. als musikalischer Gattung und
-> Ballade (- 2) nicht scharf gezogen werden. Voraus-
setzungen fiir die Sangbarkeit der L.-Melodie sind : ein
auch mit nicht ausgebildeter Stimme beherrschbarer
Ambitus, syllabische (melismenlose oder -arme) Verto-
nung, eine in ihrer Grundsubstanz durch diatonische
Schritte (auch durch Dreiklangszerlegungen) gekenn-
zeichnete Melodie, melodisch geschlossene Teile (Zei-
lenmelodien), schlichte Periodizitat, d. h. einfache Auf-
stellungs- und Antwortverhaltnisse sowohl innerhalb
der Zeilenmelodien als auch zwischen diesen, tonale
Geschlossenheit des Ganzen bei einfachem Modula-
tionsplan (-» L.-Form). Diese Qualitaten werden auch
zusammenfassend mit dem Begriff »liedhaft« umschrie-
ben ; Liedhaftigkeit, Periodizitat und Vierhebigkeit des
Verses stehen in engem ursachlichem Zusammenhang.
Andererseits bezieht sich liedhaft weder auf den Stro-
phenbau noch auf die L.-Form. Besondere Einfachheit
der musikalischen Struktur und damit eine ausgeprag-
te Sangbarkeit, die ihre Bestatigung in der weitgehend
miindlichenVerbreitung und Uberlief erung findet wie
auch in der Moglichkeit des spontanen Mitvollzugs,
kennzeichnen das -*■ Volks-L. (auch den -*■ Gassen-
hauer und -> Schlager); sie sind auch eine Voraus-
setzung fiir die Brauchbarkeit des L.es als Arbeits-,
Tanz- und als Gemeinschafts-L. (z. B. Kirchen-L.,
Nationalhy mnen) .
Das Kunst-L. bewegt sich in dem weiten Bereich zwi-
schen Volkstiimlichkeit und auBerster kunstmafiiger
Verfeinerung und Expressivitat; als Beispiele polarer
Gegensatzlichkeit seien genannt: J.A.P.Schulz, Der
Mond ist aufgegangen (1782), das an der Schwelle zum
Volks-L. steht, und R.Strauss, Vier ktzte L.er (1949),
die das L. in die Nahe symphonischer Dichtung riicken.
Dieser Bereich ist gekennzeichnet durch die Span-
nungsverhaltnisse zwischen vorgegebenem Vers- bzw.
Sprachrhythmus und frei schaffender musikalisch-
rhythmischer Gestaltung, zwischen sangbarer und aus-
drucksbetonter Melodik und besonders zwischen der
strophischen Struktur des Textes und den Erfordernis-
sen einer den Textinhalt musikalisch ausdriickenden
Komposition. Die unverandert wiederkehrende Stro-
phenmelodie war seit altester Zeit oft Modell fiir ein
metrisches Geriist, nach dem auBer den Strophen eines
L.es auch weitere L.-Gedichte gesungen werden konn-
ten. Diese Modellvorstellung, die auch dem »Ton«
bzw. der »Weise« des Minne- und Meistersangs zu-
grunde liegt, und die ein relativ lockeres VerhSltnis
zwischen Text und Melodie voraussetzt, spielt eine be-
deutende Rolle fiir -*■ Kontrafaktur (das Singen geist-
hcher Texte auf weltliche Melodien) und ->■ Kirchen-
L. (gemeinsame Melodien zu L.ern fiir verschiedene
Zeiten und Gelegenheiten des Kirchenjahres). - Das
Kunst-L. laBt den Text nicht nur auf eine passende und
sangbare Melodie erklingen, sondern interpretiert ihn
zugleich (auch Volkstumlichkeit und Volksliednahe
sind Interpretationen des Textes, die Beherrschung der
Kunstmittel voraussetzen). Prinzipiell geht die schop-
ferische Auseinandersetzung mit dem L.-Gedanken
von der strophischen Form aus; gleichwohl nimmt die
Komposition in verschiedenartigster Weise Rucksicht
auf den Sinn- und Ausdrucksgehalt des Textes, einer-
seits durch die Interpretation des Textes bzw. der lyri-
schen Stimmung mittels der -> Begleitung, anderer-
seits durch vielfaltiges Abwandeln der strophischen
Form (die zitierten Titel sind Beispiele aus Schuberts
L'.ern): mitunter gehen Melodie und Begleitung auf
einzelne Textstellen der spateren Strophen ein (Frtih-
lingssehnsucht), oder der strophische Text wird ganz
(Kriegers Ahnung) oder teilweise (Mignons Gesang)
durchkomponiert. Dies geschieht besonders dort, wo
sich die lyrische Stimmung im Verlaufe des Gedichts
andert (Sehnsucht von Schiller) oder wo, wie in rhap-
sodischen Gesangen, Umfang und Metrum der Stro-
phen wechseln (Ganymed). Mit Gedichten wie Freud-
voll und leidvoll (Klarchens L. aus Egmont), Uber alien
Wipfeln ist Ruh (Wanderers Nachtlied I) oder Tiefe Stille
herrscht im Wasser (Meeres Stille) hatte Goethe Textvor-
lagen fiir musikalische Stimmungs- und Seelengemal-
de geschaff en, in denen das strophische Element keine
Rofie mehr spielt. In Schuberts Werk sind neben dem
schlichten Strophen-L. (Ich denke dein) alle Arten von
L.-Gedichten und liedahnlicher Dichtung, auch Ge-
sange mit Ariencharakter (Die Allmacht, An die Leyer)
und kantatenhafte Mischformen (Prometheus) gleicher-
maBen unter dem Sammelbegriff L. vereinigt. Seitdem
ist eine Tendenz spiirbar geworden, den musikalischen
L.-Begriff standig zu erweitern. Einerseits zahlen zur
Gattung L. nun auch Vertonungen nichtstrophischer
Lyrik, die hinsichtlich Besetzung und kompositori-
scher Faktur L.-Geprage zeigen, andererseits ist das
Kunst-L., seit es (durch Schubert) zu einer Kompo-
sitionsgattung mit Anspruch geworden ist, dem Diktat
der Fortentwicklung des musikalischen Satzes unter-
worfen und wird dadurch sowohl dem Bereich des
Volkstiimlichen als auch dem des »Liedhaften« immer
mehr entriickt.
Welche Erscheinungen zur Geschichte der so wenig
fest umrissenen Gattung L. zahlen, ist daher wesent-
lich davon abhangig, wie weit oder wie eng der Be-
griff L. gefaBt wird. Zuweilen heiBen uberlieferte ein-
stimmige syllabische Versvertonungen L.er, unabhan-
gig von einer strophischen Struktur des Textes (z. B.
»Seikilos-L.«, l.Jh. n. Chr.), oderantike Strophendich-
tung in quantitierendem Metrum, fiir die Gesangsvor-
trag anzunehmen ist (z. B. die »Spott-L.er« des Archi-
lochos, 7. Jh. v. Chr., oder die Strophendichtungen
der Sappho, 7. Jh. v. Chr.). Im antiken ->• Melos kann
eine dem abendlandischen L. gleichkommende oder
ahnliche Erscheinung gesehen werden; doch die un-
mittelbaren Vorganger des europaischen volkssprach-
lichen L.es waren lateinische rhythmische Strophen-
dichtungen des Mittelalters (meist geistlichen Inhalts) :
-*■ Planctus, Reimsequenz (-> Sequenz - 1), -* Con-
ductus (-> Cantio), — >■ Cantilena (- 1), vor allem je-
doch der -*■ Hymnus, unter dessen EinfluB der End-
reim als eine wichtige Voraussetzung fiir pragnante
strophische Formen in die volkssprachliche Dichtung
iibernommen wurde (Ansatze dazu z. B. im Althoch-
deutschen bei Otfried, 9. Jh.). - In der Geschichte der
abendlandischen Mehrstimmigkeit wurde liedhafte
Melodik durch satztechnische Gegebenheiten in be-
stimmten Epochen begiinstigt, in anderen weitgehend
ausgeschlossen; z. B. weisen der durchimitierte Satz
der klassischen Vokalpolyphonie (Motette seit dem
15. Jh., Madrigal des 16. Jh.) sowie die der Musica
523
Lied
poetica bzw. der ausdrucksbetonten italienischen Mo-
nodie verpflichtete GeneralbaBmusik kaum liedhafte
Struktur au£; dagegen kommen der klangliche Satz
des 15./16. Jh. sowie vor allem der auf der harmoni-
schen Kadenz basierende Satz des 18./19. Jh. dem Mo-
ment des Liedhaften entgegen. Doch wahrend sich
in Deutschland trotz Beeintrachtigung des Liedhaften
durch die Wandlungen der Satztechnik eine weit-
gehende Kontinuitat der L.-Geschichte (allerdings mit
einem Einschnitt in der Zeit um 1700) feststellen laBt,
gibt es in den iibrigen europaischen Landern keine
der deutschen Entwicklung vergleichbare Geschichte
des L.es; hier konzentriert sich die Liedhaftigkeit in
folgenden nationalen, zeitlich meist begrenzten Er-
scheinungen : -> Trobadors und Trouveres, -> Chan-
son, -> Chanson de geste, -> Air, -> Vaudeville
(-> Franzosische Musik); Cancion (-> Cancionero),
-> Cantigas, ->■ Romanze (Spanische Musik) ; -> Kan-
zone (- 1), ->• Frottola, -> Giustiniane, -> Canto carna-
scialesco, -> Lauda, -»• Villota, -> Villanella, -»■ Kanzo-
nette, ->■ Arie (-> Italienische Musik); Air und Song
(-> Britische Musik) . -Die Geschichte des deutschen L.es
laBt sich in 5 Epochen fassen: 1) das einstimmige bzw.
einstimmig uberlieferte L. ; 2) das Tenor-L., a) mit in-
strumentalen Begleitstimmen, b) im vokalen C. f .-Satz,
c) im durchimitierten polyphonen Vokalsatz; 3) das
GeneralbaB-L., a) im mehrstimmigen Vokalsatz, teil-
weise mit Instrumenten, b) als Arien-L. mit GeneralbaB,
c) das Solo-L. der 1. Halfte des 18. Jh.; 4) das volkstiim-
Iiche Kunst-L. mit Klaviersatz seit der 1. Berliner L.er-
Schule (1752) ; 5) das deutsche L. seit Schubert.
Wahrend im Mittelalter das einstimmige bzw. ein-
stimmig uberlieferte deutsche L. (mit seinen Formen
Spruch, L. und Leich) dem -> Minnesang zugehort
(und im -»■ Meistersang weiterhin gepflegt wurde),
werden bei zwei nicht in der engeren Tradition des
Minnesangs stehenden Meistern, Oswald von Wol-
kenstein und dem Monch von Salzburg, erstmals im
deutschen L. Ansatze zum mehrstimmigen Satz greif-
bar (in der Mondsee-Wiener-L.er-Handschrift und in
den ->• Quellen Loch und Sche). Einsetzend mit dem
im Glogauer L.er-Buch (Qlo, um 1480) iiberlieferten
Repertoire beginnt die Geschichte des Tenor-L.s, der
ersten spezifisch deutschen Leistung im Bereich der eu-
ropaischen weltlichen Mehrstimmigkeit. Nur wenige
der Tenores sind urspriingliche Volks-L.er, die mei-
sten sind hofische L.er oder auf den mehrstimmigen
Satz hin geschaffen. Einen Nebenzweig bilden die
-»■ Bergreihen. Im 3st. Kernweisensatz des Tenor-L.es
wird der liedhafte Tenor in ein Stimmengeflecht ein-
gebettet, das ihn als C. f. einerseits kostbar und be-
deutsam, andererseits aber auch abhangig von den zu-
gesetzten, durch Lage, Klauseln und Motivik eigen-
standigen Stimmen erscheinen laBt. Die beiden wich-
tigsten Satztypen sind der Satz Note gegen Note und
der haufigere Diskantsatz mit melismatischen Begleit-
stimmen, die zunachst instrumental, erst seit den 1 530er
Jahren auch vokal gedacht sind. Wichtige L.er-Samm-
Iungen dieser Zeit sind die von Oglin (1512), Schoffer,
Aich, Ott, Egenolf, Apiarius, Formschneyder, Forster
(1539-56), C. Othmayr (1549) und Kugelmann (1558).
Die zumeist aus dem siidlichen deutschen Sprachraum
stammenden Komponisten gehoren drei Generationen
an : der ersten Finck, Isaac, Adam von Fulda, Hofhay-
mer und Stoltzer, der zweiten - neben dem iiberragen-
den Senfl - S.Dietrich, Arnold von Bruck, Lemlin
und Greitter, der dritten G. Forster, J. von Brandt, Zir-
ler und C. Othmayr. Nachdem schon bei Senfl durch-
imitierte Satze aufgetreten waren und auch bei Forster
und Othmayr die Bedeutung des C. f. zuriicktrat ge-
geniiber der polyphon-kontrapunktischen Faktur des
Satzes, begannen die Niederlander le Maistre und Las-
sus im letzten Drittel des 16. Jh. den Kernweisensatz in
eine in alien Stimmen durchimitierte L.-Motette um-
zuformen. Doch fur die weitere Geschichte des L.es
war der homophone Oberstimmensatz wegweisend,
wie ihn - unter dem EinfluB von Villanella und Canzo-
netta - zuerst Regnart, dann u. a. HaBler (1601), Lech-
ner, Demantius und M. Franck gepflegt haben.
Die erste Generation von L.-Komponisten des 17. Jh.
stand stark unter dem EinfluB der italienischen Mon-
odie und der Kanzonette: Schein (1609, 1621-28, auch
5st. Chor-L.er 1624 und 1626), Nauwach (1623 und
1627), Selle (1636) und H.Albert, dessen Arien (8 Teile
1638-50) einen der wertvollsten Beitrage des 17. Jh.
zum deutschen L. darstellen. In der zweiten Generation
- um die Dichter Opitz, C.Homburg, Rist, Fleming,
Dach, v. Zesen, Harsdorffer und P. Gerhardt - bildeten
sich regionale Schulen in Hamburg (Schop, Pape, J.
Praetorius, P. Meier, Th. Selle, C. Flor, G. Voigtlander,
J.Schwieger, C.Stieler), Nordostdeutschland (C.Wer-
ner, J. Weichmann, G.Weber), Sachsen (A.Hammer-
schmidt, Chr.Dedekind, vor allem A.Krieger), Thii-
ringen (G. Neumark, J. Loewe, J. Weiland, W. Fabri-
cius, J. R. Ahle) und in Niirnberg (G. Staden, E. Kinder-
mann, C. Armschwanger). Bei der letzten Generation
liegt das Schwergewicht im Siiden. Wahrend Erie-
bach seine L.er der Arie annaherte, zeigen anonyme
Miinchner L.er-Handschriften gefallig-weiche Ziige
in der Art der volkstumlichen L.er des Osterreichers
v. Schniiffis. Doch wurde das L. im 17. Jh. nicht mehr
als zentrale Gattung gesehen und erstrebt; die verschie-
denen L.-Vertonungen entstehen ohne inneren Zu-
sammenhang und abseits des eigentlichen Ganges der
musikgeschichtlichen Entwicklung. Am ehesten ist um
und nach 1700 der Grundtyp des L.es verwirklicht in
der eine flieBend-weiche Jesus-Lyrik vertonenden
geistlichen Aria (Vulpius, Criiger, Buxtehude, Bbhm,
J. S.Bachs Schemelli-L.er), andererseits im geselligen
mehrstimmigen Tanz- und Scherz-L. - In der 1. Halfte
des 18. Jh. stand das L. im Schatten der Opernarie. Er-
wahnenswert sind jedoch V.Rathgebers Augsburqcr
Tafel-Confect (1733-46) und Sperontes' Singende Muse
an derPleifie (1736-45), letztere eine Sammlung textier-
ter Tanzsatze. Empfindsamkeit und neue Erlebnislyrik
klingen an in den Dichtungen von Gellert, Hagedorn,
Giinther u. a., die von Komponisten wie J. F. Graf e,
Telemann, V. Gorner, A. K.Kunzen, J.E.Bach und V.
Herbing vertont wurden (-> Galanter Stil). Erstmals in
der -> Berliner Schule wurde das L. wieder zu einer
wesentlichen Gattung; Reflexion iiber das L. und theo-
retische Forderungen zu seiner dichterischen und mu-
sikalischen Gestaltung (Chr. G.Krause 1753) gingen
einher mit einem Aufschwung der Kompositions- und
Publikationstatigkeit. Durch das -> Singspiel(J. A.Hil-
ler) gelangte das L. in die Oper, wo es seither, beson-
ders in der volkstumlichen und romantischen Oper des
19. Jh., seinen festen Platz neben der Arie hat. Auf das
romantische L. weisen die Klopstock-L.er Glucks
(1785/86) und manche Balladen Zumsteegs voraus.
Aus dem GeneralbaB war die Klavierbegleitung her-
vorgegangen, die Singstimme wird nun meist auf ei-
nem eigenen System notiert. Fur die Wiener Klassiker,
die auBer der Sammlung von Steffan (1778-82) keine
lokale L.-Tradition vorfanden, hatte das L. keine zen-
trale Geltung, doch ist Beethovens An die feme Geliebte
der erste bedeutende L.er-Zyklus. Der Weg zum L.
der Romantik fiihrte iiber die Volkstiimlichkeit der 2.
Berliner L.er-Schule; J. A. P. Schulz, Reichardt (-*L.er-
Spiel), Zelter (-»- L.er-Tafel) ; von dem durch Herder
inaugurierten Volksliedgedanken gingen bis weit ins
19. Jh. entscheidende Impulse aus. Fur Schubert bil-
524
Liederbiicher
den die vorausgegangenen Tendenzen der Geschichte
des L.es eine ebenso wichtige Ausgangsposition wie
seine Nahe zu den Klassikem und seine Bewunderung
fiir sie. In Schuberts kompositorischem Schaffen ist das
L. die zentrale Gattung (ca. 600 L.er auf Gedichte von
Goethe, HSlty, M. Claudius, Klopstock, Ossian, Schil-
ler, W.Miiller, Mayrhofer, W.Scott, Novalis, Riik-
kert, Heine u. a.), daruber hinaus strahlt das L. seit
Schubert aus in die Instrumentalmusik (->• Charakter-
stiick, -*■ L. ohne Worte, -»■ Paraphrase). Die Volks-
tiimlichkeit des L.es im 19. Jh. onenbart sich u. a. in
der groBen Zahl von L.ern, die fiir den Dilettanten und
seine Hausmusik (mit Klavier oder Gitarre) oder als
Chor-L.er fiir die L.er-Tafeln und Gesangvereine ge-
schrieben wurden, u. a. von C.M. v.Weber, Spohr, B.
Klein, C.Kreutzer und Silcher. - Die Spaltung der
deutschen Musik in zwei Richtungen ist auch in der L.-
Komposition bis ins 20. Jh. hinein deutlich. Auf der Sei-
te der Klassizisten stehen nach Schumann u. a. Mendels-
sohn Bartholdy, R.Franz, A.Jensen und Brahms, wah-
rend Liszt, Wagner, H.Wolf, Reger, Pfitzner und R.
Strauss als Exponenten der Neudeutschen Schule das
tonmalende, symbolisierende und psychologisch aus-
deutende Moment der L.-Begleitung steigerten und
melodisch (auch in Orchester-L.ern) der Deklamation
und dem dramatischen Ausdruck zuneigten. Die L.-
Tradition des 19. Jh. fuhrten in der Neuen Musik u. a.
Hindemith, Reutter und Fortner weiter. Fiir die Kom-
ponisten der Wiener Schule, namentlich Schonberg
(George-L.er op. 15, 1908/09), Webern (ab op. 3,
1908) und Berg (op. 2, 1908/09), bedeutete die L.-
Komposition die intensive Auseinandersetzung mit den
durch die atonale Melodik und Harmonik entstande-
nen Problemen einer faBlich geformten Expressivitat.
- Unter dem EinfluB des deutschen L.es entstanden in
den anderen Landern seit dem internationalen Be-
kanntwerden Schuberts ab etwa 1835 L.-Kompositio-
nen mit Einschmelzung nationaler Tradition oder na-
tionalen Kolorits, so in Frankreich (unter den Bezeich-
nungen le lied oder melodie, romance und chanson)
von Berlioz, Gounod, Bizet, Franck, Massenet, Du-
parc, Faure, R.Hahn, Ravel, in RuBland von Tschai-
kowsky, Mussorgsky und Glasunow, in England von
Delius, Vaughan Williams und Britten, in den skandi-
navischen Landern von Grieg, Sinding, Kilpinen, Si-
belius und Nielsen, in Italien von G.B.Giordani und
Malipiero sowie in Spanien von de Falla.
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asthetik d. mittleren Goethezeit 1770-1814, = Studien zur
Mg. d. 19. Jh. Ill, Regensburg 1965.
Liederbiicher, Liederhandschriften stellcn fiir
Minne- und Meistersang sowie fiir das Volks- und Ge-
sellschaftslied des 15./16. Jh. die bedeutendste Quelle
dar; an mehrstimmigen handschriftlichen L.n sind die
->■ Quellen Clog, Loch und Sche hervorzuheben. Wich-
tige 1st. Liedersammlungen seit dem hohen Mittelalter
(-> Carmina Burana, um 1300) im deutschen Sprach-
raum sind (fiir Frankreich -> Chansonnier, fur die Nie-
derlande -»■ Souterliedekens) :
Jenaer Liederhandschrift (um 1350; aufbewahrt in der
Universitatsbibl. Jena, Sigel J), mit 91 Melodien die
wichtigste musikalische Quelle des mittelhochdeut-
schen Liedes im Ubergang vom Minnesang zum Mei-
stersang (Ausg. : von Fr. H. von der Hagen in Band IV
der Minnesinger, Leipzig 1838, als diplomatischer Ab-
druck; als photographische Reproduktion von K.K.
Miiller, Jena 1896; originalgetreuer Abdruck mit
525
Liederbiicher
Ubertragung der Melodien von Fr.Saran mit G.Holz
und E. Bernoulli, 2 Bande, Leipzig 1901, Nachdruck
Hildesheim 1966; Lit.: Fr.Saran, Zu den Liedem derje-
naer Liederhandschrift, in: Beitrage zur Geschichte der
deutschen Sprache und Literatur XXVII, 1902; K.
Bartsch, Untersuchungen zur Jenaer Liederhandschrift,
— Palaestra CXL, Leipzig 1923; E. Jammers, Untersu-
chungen iiber die Rhythmik und Melodik der Melodien der
Jenaer Liederhandschrift, ZfMw VII, 1924/25; C.G.
Brandis, Zur Entstehung und Geschichte der Jenaer Lie-
derhandschrift, in: Zeitschrift fur Biicherfreunde, N. F.
XXI, 1929).
Handschrift Wien 2701 (1. Halfte des 14. Jh.), Gesange
von Frauenlob, Reinmar von Zweter und Meister
Alexander (hrsg. von H.Rietsch, = DTO XX, 2, Band
41, Wien 1913).
Mondsee-Wiener Liederhandschrift (um 1400; Osterrei-
chische Nationalbibl. Codex 2856, vorher Codex Lu-
naelacensis f. 119), auch nach dem friiheren Besitzer
Peter Sporls Liederbuch genannt, enthalt 83 numerierte
Musikstiicke, darunter 56 weltliche Lieder, hauptsach-
lich vom ->■ Monch von Salzburg (Ausg. von F.A.
Mayer und H.Rietsch, in: Acta germanica III— IV,
1894-96; Lit.: O.Ursprung, Vier Studien zur Geschichte
des deutschen Liedes II, Die Mondseer Liederhandschrift
von Hermann, dem Monch von Salzburg, AfMw V
1923).
Heidelberger Liederhandschrift (nach 1400; Codex Hei-
delberg, Universitatsbibl., Pal. germ. 329 - nicht iden-
tisch mit der Grofien Heidelberger Liederhandschrift, der
sogenannten Manessischen Handschrift, Pal. germ. 848),
im Auftrag H. von -* Montforts angefertigter Codex
mit Weisen B.Mangolts (Ausg. : H. v. Montfort, Lieder,
mit den Melodien des B.Mangolt, hrsg. von P.Runge,
Leipzig 1906; Lit.: E. Jammers, H.v.Monforts Lieder-
handschrift, Heidelberg 1957, Sonderdruck aus: Ruper-
to-Carola IX, 1957, Band 21).
Hohenfurter Liederbuch (im Zisterzienserkloster Hohen-
furt nach 1450 entstanden; heute aufbewahrt in Boh-
misch-Budweis), eine fur das spatmittelalterlicheVolks-
lied reichhaltige Quelle, enthalt neben 79 Liedern 38
Weisen (Ausg.: W.Baumker, Ein deutsches geistliches
Liederbuch mit Melodien aus dem 15. Jh., Leipzig 1895;
Lit.: R.Batka, Das Hohenfurter Liederbuch, in: Deutsche
Arbeit I, 1901 ; W. Salmen, Das Erbe des ostdeutschen
Volksgesanges, Wurzburg 1956).
Wienhauser Liederbuch (1460; Klosterbibl. Wienhausen,
Kreis Celle/Aller), bedeutendster Sammelband mittel-
alterlicher Liedkunst in Niedersachsen mit 59 Lied-
texten (17 lateinisch, 6 in lateinisch-niederdeutscher
Wechselsprache und 36 niederdeutsch), einer Reim-
prosa und 15 Melodien in gotischer Hufnagelnoten-
schrift auf 4 Linien (Ausg. in Faksimile und Uber-
tragung mit Kommentar von H. Sievers, 2 Bande,
Wolfenbuttel 1954; Lit.: W.Irtenkauf, Einige Ergan-
zungen zu den lateinischen Liedern des Wienhauser Lie-
derbuchs, Mf X, 1957).
Kolmarer Liederhandschrift (um 1460; Bayerische Staats-
bibl. Miinchen, Handschrift cgm. 4997, Sigel K, auch
C, in germanistischer Literatur auch t), bedeutende
musikalische Quelle des Minne- und Meistersanges,
105 Melodien meist geistlichen Inhalts (Ausg.: Die
Sangesweisen der Colmarer Handschrift und die Lieder-
handschrift Donaueschingen, hrsg. von P.Runge, Leip-
zig 1896; Lit.: Fr.Eberth, Die Minne- und Meisterge-
sangweisen der Kolmarer Liederhandschrift, Detmold 1935;
H. O. Burger, Die Kunstauffassung der fruhen Meister-
singer - Eine Untersuchung iiber die Kolmarer Handschrift,
— Neue Deutsche Forschungen LXXV, Abteilung
Deutsche Philologie II, Berlin 1936; R.Zitzmann, Die
Melodien der Kolmarer Liederhandschrift, Wurzburg 1944;
R. Genseke, Die Kolmarer Handschrift und ihre Bedeutung
fur den deutschen Meistergesang, Diss. Tubingen 1955,
maschr. ; H. Husmann, Aufbau und Entstehung des cgm
4997, DVjs. XXXIV, 1960).
Donaueschinger Liederhandschrift (2. Halfte des 15. Jh.;
Donaueschingen, Furstlich Furstenbergische Hofbibl.,
ms. 120, Sigel D), vielleicht aus dem ElsaB stammende
spate Quelle des Minnesangs, enthalt in dem von Mei-
stersingern angelegten Musikteil (S. 205-322) 39 Texte
mit 21 Tonen (allein 14 Tone Frauenlobs). Mit Ausnah-
me der Salve regma-Paraphrase von Reinmar von Zwe-
ter stehen alle Lieder auch in K, das wahrscheinlich auf
der gleichen Vorlage beruht. (Ausg. : Die Sangesweisen
der Colmarer Handschrift und die Liederhandschrift Donau-
eschingen, hrsg. von P.Runge, Leipzig 1896).
Rostocker Liederbuch (um 1470/80; Universitatsbibl.
Rostock Mss. phil. 100/2), entstanden in einem Freun-
deskreis der Rostocker Universitat, spiegelt in 29 ein-
stimmigen und zwei 2st. Melodien die ins Biirgerliche
abgewandelte hofische Tradition des Minne- und Ge-
sellschaftsliedes des 15. Jh. wider (Ausg.: von B.Clau-
fien und A. Thierfelder, Rostock 1919; Das Rostocker
Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift, neu
hrsg. von Fr.Ranke und J. Miiller-Blattau, = Schriften
der Konigsberger Gelehrten Gesellschaft, Geisteswis-
senschaftliche Klasse IV/5, Halle 1927; Lit. : J. Muller-
Blattau, Wach auff, mein hort!, in: Studien zur Mu-
sikgeschichte, Festschrift G.Adler, Wien und Leipzig
1930; H.Rieschel, Die alten niederdeutschen Lieder des
Rostocker Liederbuches, DMK III, 1938/39; Ostdeutscher
MmneMng.hrsg.vonM.LangundW. Salmen,= Schrif-
ten des Kopernikuskreises III, Lindau und Konstanz
1958).
Liederbuch der Anna von Koln (um 1500; seit 1863 in
der damaligen Kgl. Bibl. Berlin, jetzt Stiftung Preu-
Cischer Kulturbesitz Tubingen, Depot der Staatsbibl.,
Ms. germ. Oct. Nr 280), 24 zumeist 1st. Melodien
geistlichen Inhalts im Stile des weltlichen Volksliedes,
zum taglichen Gebrauch im Kloster geschrieben (Ausg.:
Liederbuch der Anna von Koln, hrsg. von W. Salmen
und J.Koepp, =Denkmaler rheinischer Musik IV,
Koln 1953; vgl. auch W. Salmen in: KongreG-Bericht
Utrecht 1952).
Durch die Erfindung des Notendrucks wurden zu Be-
ginn des 15. Jh. die Liedersammlungen haufiger und
umfangreicher; sie en thalten jetzt alle mehrstimmige
C. f.-Lieder (Tenor lieder), so z. B. die Liederbiicher
des Arnt von ->- Aich, E. -> Oglin, H. -> Ott, G.
-*■ Forster u. a. Ein spater Nachfahre der handschrift-
lichen, als Quellen f iir das Volkslied wichtigen Lieder-
biicher ist das Liederbuch des Studenten -*■ Clodius (1665-
69). Sehr bekannt wurde um 1800 das Mildheimische
Liederbuch, herausgegeben Gotha 1799 von R.Z.Bek-
ker (mehrfach aufgelegt, zuletzt 1838 mit 800 Gedich-
ten); die Melodien stammen von zeitgenossischen
Komponisten wie J.Fr. Reichardt, J. A. P. Schulz, J. A.
Hiller, Schubart, Neefe, Zelter, Nageli u. a. (vgl. M.
Friedlaender, Das deutsche Lied im 18. Jh., 2 Bande, 3
Abt., Stuttgart 1902, Nachdruck Hildesheim 1962).
Liederkranz -> Liedertaf el.
Liederspiel ist eine dem -»■ Singspiel nahestehende
Gattung des musikalischen Theaters, die in gesproche-
ne Dialoge volkstiimlich-schlichte Lieder einstreut.
Unter dem EinfluB Goethes schuf J. Fr. Reichardt mit
Lieb und Treue (erste offentliche Auffiihrung: Berlin
1800) sein erstes als L. bezeichnetes Werk und auBerte
sich dariiber in einem programmatischen Aufsatz
(AmZ 1801, S. 709-717, zitiert in KochL): Ich nannte
das Stuck L., well Lied und nichts als Lied den musikali-
schen Inhalt des Stiickes ausmachte. Reichardt wollte mit
526
Lied ohne Worte
dem L. ein deutsches, betont lyrisches Gegenstuck zum
-> Vaudeville schaffen. Durch seine Nachahmer Fr. H.
Himmel (Frohsinn und Schwarmerei, 1801 ; Fanchon das
Leyermadchen, 1804),K.Eberwein(HolteisLenore, 1832)
und viele andere erlangte das L. groBe Beliebtheit. Die
Grenzen zu Singspiel, Operette, Vaudeville verwischten
sich nun allerdings; oft suchte die Musik zu sehr die
Nahe des Volkstiimlichen, und schon um 1830 war
das aus einer poetisch-musikalischen Idee geborene L.
weitgehend in den Bereich der Posse hiniibergewech-
selt. Versuche Mendelssohns (Heimkehr aus der Fremde,
1829) und Lortzings (Der Pole und sein Kind, 1832), das
L. zu neuem kunstlerischem Leben zu erwecken, blie-
ben isoliert. - Neben das szenische L. trat das konzert-
maBige L. (ohne gesprochene Dialoge) fur mehrere
Stimmen, meist Vokalquartett, eine lyrische Form mit
leicht dramatischer Farbung. Bekannte Beispiele sind
L.Bergers Die schone Mullerin (1816), R. Schumanns
Spanisches L. (1849), die Zigeunerlieder und die Liebes-
/ierfer- Walzer von Brahms, in neuerer Zeit das Deutsche
Volks-L. von H. Zilcher und das Deutsche L. von H. v.
Herzogenberg. - Die Bezeichnung L. wird auch heute
noch bei Vokalwerken verwendet, zumeist Choren,
die in lockerer zyklischer Form Texte eines Dichters
vereinen, sowie bei kleinen, fiir die Schule bestimm-
ten szenischen Kantaten.
Lit.: L. Kraus, Das L. in d. Jahren 1800-30, Diss. Halle
1921, maschr., Auszug in: Jb. d. philosophischen Fakultat
Halle 1921/22.
Liedertafel, ein von Zelter 1809 in Berlin gegriinde-
ter Kreis von zunachst 24 mannlichen Mitgliedern
(Sangern, Dichtern und Komponisten), die zum Teil
auch der Singakademie verbunden waren. Die L. ent-
stand in romantischer Erinnerung an die Tafelrunde
der Artus-Sage. Sie gab sich feste Statuten und pflegte
in einer von vaterlandischen Ideen getragenen Gesellig-
keit vor allem das Chorlied fiir Mannerstimmen, fiir
das Zelter zahlreiche eigene Kompositionen beisteuer-
te. Zelters L. wurde zu einer wichtigen Keimzelle fiir
den deutschen -»■ Mannerchor. Ihr Vorbild, aber auch
ihre Exklusivitat, veranlaBten L.Berger und B.Klein
1819 zur Griindung der jiingeren Berliner L. ; auBer-
dem wurden nach dem Berliner Vorbild zahlreiche
weitere L.n gegriindet, u. a. 1815 in Leipzig, 1818 in
Magdeburg, 1823 in Hamburg, 1827 in Bremen, 1830
in Hannover, 1839 in Dresden. - Im siiddeutschen
Raum entstanden nach dem Vorbild des 1810 von H.
G.Nageli in Zurich gegriindeten, vom humanistisch-
sozialen Bildungsideal Pestalozzis gepragten Manner-
gesangvereins volkstumliche, alien Schichten offen-
stehende Liederkranze, so schon 1817 der Musikverein
in Schwabisch Hall, 1818 der Singkranz in Heilbronn,
1824 der Stuttgarter Liederkranz und 1825 der Lieder-
kranz in Ulm (hier und in Memmingen wurde an
noch bestehende Traditionen des Meistersangs ange-
kniipft). - Die bestehenden Chorvereinigungen, so-
wohl L.n als auch Liederkranze, schlossen sich im Lau-
fe des 19. Jh. zu -*■ Sangerbiinden zusammen.
Ausg. : Aus d. Liederschatz d. Zelterschen L., hrsg. v. H.
Hoppe, Bin (1931).
Lit.: H. Kuhlo, Gesch. d. Zelterschen L. v. 1809-1909,
Bin 1909; H. Dietel, Beitr. zur Friihgesch. d. Mannerge-
sanges, Diss. Bin 1938.
Liedform, eine von A.B.Marx (1839) gepragte Be-
zeichnung fiir 2- und 3teilige Formen geringen oder
mittleren Umfangs. Der Name L. ist als asthetische
Charakteristik zu verstehen; er soil die Einfachheit und
Pragnanz der Formen bezeichnen, nicht deren Her-
kunft, die ehcr in den Tanzsatzen des 16. und 17. Jh. als
im Lied zu suchen ist. Eine Liedstrophe besteht aus
Zeilen, die je zwei 4/4-Takte umfassen, wenn der Vers
vierhebig ist; die Grundeinheit der L. jedoch ist der
4taktige Satz, die 8taktige Periode oder der aus einem
Vordersatz, einer sequenzierenden Fortspinnung und
einem kadenzierenden Epilog zusammengesetzte »Fort-
spinnungstypus« (W.Fischer 1915). - Die kleinste L. ist
zweiteilig mit Wiederholung jedes der beiden Teile.
Der 1 . Teil schlieBt mit einem HalbschluB in der Haupt-
tonart oder einem GanzschluB in einer verwandten
Tonart (Dominante in Dur, Tonikaparallele oder Do-
minante in Moll) ; der 2. Teil f iihrt von der neuen Ton-
art zur Haupttonart zuriick. Die Teile sind melodisch
verschieden: |: a :||: b :|, oder durch Wiederkehr der
Anfangs- oder SchluBpartie miteinander verbunden:
|: ax :|[: ay :[ oder j: ax :||: bx :]. Seltener ist der ganze
2. Teil eine Variante des ersten (A. Corelli, Kammerso-
nate op. 4, V, Allemanda). - Als L. im engeren Sinne
gilt die 3teilige L., deren Kennzeichen die Wiederkehr
des Anfangs nach einem abweichenden Mittelteil ist:
a b a ; die 3teilige Reihungsform a b c, in Tanzen des 16.
Jh. : I:, a :||: b :||: c :|, wird nicht zu den L.en gezahlt.
Der 1. Teil wird fiir sich wiederholt, der zweite und
dritte werden zusammengef aBt : |: a :||: b a :|, so daB
die 3teilige L. an den Reprisenbar des Mittelalters :
|: a :||: b a :|, erinnert. Im 2. Teil, der in einer kon-
trastierenden Tonart steht, werden nicht selten Motive
des 1. Teils verarbeitet (A.Vivaldi, Kammersonate op.
1, IV, Allemanda). Die 3teilige L. des friihen 18. Jh. bil-
det, neben der Konzertform, eine der Voraussetzungen
der Sonatensatzform. Andererseits wirkte in der Klas-
sik die Sonatensatzform auf die L. der Menuett- oder
Scherzosatze zuriick und fiihrte zu deren Erweiterung
und Differenzierung (Mozart, Streichquartett K.-V.
464, Menuetto). - Durch Potenzierung der 3teiligen L.
entsteht die zusammengesetzte L. : A (|: a :||: b a :j) B
(|: c :||: d c :|) A (j: a :||: b a :|), die z. B. durch das
Menuett mit Trio reprasentiert wird. Eine Ausdehnung
der Bezeichnung L. auf groBe, aber nicht durch Po-
tenzierung entstandene Formen des Typus A B A, z. B.
die Da-Capo-Arie, ware verwirrend. Als zusammen-
fassenden Namen fiir samtliche Formen, die auf der
Wiederkehr des Anfangs nach einem abweichenden
Mittelteil beruhen, pragte A.Lorenz (1924) den Aus-
druck »Bogenform«. CD
Lied ohne Worte (frz. romance bzw. chanson sans
paroles ; engl. song without words) ist von F. Mendels-
sohn Bartholdy (8 Hefte mit je 6 L.ern o. W. fiir Kl. :
op. 19, 1830-32; op. 30, 1833-34; op. 38, 1836-37; op.
53, 1841; op. 62, 1842-44; op. 67, 1843-45; op. 85,
1834-45; op. 102, 1842-45) bis A.Schonberg (6. Satz
der Serenade op. 24, 1923) eine sehr gebrauchliche Be-
zeichnung fiir kiirzere Instrumentalstiicke (-»• Charak-
terstiick) nach Art der instrumental begleiteten Lieder
jener Zeit; oft beginnt und beschlieBt bei Mendelssohn
die »Begleitung« allein das Stuck. Die musikalischen
Vorbilder fiir die L.er o. W. von Mendelssohn, auf den
der Name zuriickgehen diirf te, sind in kantablen Kla-
vieretuden des friihen 19. Jh. zu sehen, vor allem in den
12 Etiiden op. 12 (1820) und den 15 Etiiden op. 22 (vor
1830) von Mendelssohns Lehrer L.Berger, sowie in
den Studien fiir Kl. op. 70 (1826) von I.Moscheles.
Der unmittelbare EinfluB von W.Taubert (op. 16,
1831) auf Mendelssohns L.er o. W. (W.Kahl) wird be-
stritten.
Lit. : W. Kahl, Zu Mendelssohns L. o. W., Zf Mw III, 1920/
21; ders., Aus d. Friihzeit d. lyrischen Klavierstilcks,
ZfM LXXXIX, 1922; Ch. Wilkinson, How to Interpret
Mendelssohn's »Songs Without Words«, London 1930;
W. Georgii, Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Frei-
burg i. Br. 4 1965 ; D. Siebenkas, Zur Vorgesch. d. L. o. W.
v. Mendelssohn, Mf XV, 1962.
527
Liegnitz
Liegnitz (Schlesien).
Lit.: W. Scholz, Beitr. zur Mg. d. Stadt L L. 1941;
H. Unverricht, Zur Gesch. d. Klavierbaues in L., Instru-
mentenbau-Zs. IX, 1955.
Ligatur (lat. ligatura, Verbindung), - 1) in der Modal-
und Mensuralnotation das zwei oder mehr Noten
graphisch zu einer Einheit zusammenf assende Zeichen
(daher definiert als figura ligata oder figura compo-
sita) im Unterschied zur Einzelnote (figura simplex),
bisweilen aber auch zur
-> Coniunctura, d. h. ei- S = Semibrevis
ner nicht zusammenhan- L = Longa
gend geschriebenen No- B = Brevis
tenfolge (mit -> Curren-
tes), die trotzdem nur ein
einziges Zeichen bildet
(z. B. Climacus ■♦J. Das binaria
Wort ist in dieser Bedeu- . _ •
ternana
prietate (letzteres gilt stets fur die beiden ersten Tone
gemeinsam) und am SchluB sine perfectione geschrie-
ben sind. Die graphischen Mittel - Weglassen oder
Hinzufiigen eines Striches (cauda, tractus) und schrage
(l.a obliqua) statt rechtwinklige Schreibung (l.a recta) -
waren fiir die absteigenden L.en anders als fur die auf-
steigenden (gerechnet jeweils vom ersten zum zweiten
Ton). Das Prinzip, nach dem die rhythmischen Werte
ermittelt werden, zeigt folgende Zusammenstellung :
descendens
binaria
ascendens
ternana
tung seit dem 13. Jh. be-
legt (Discantus positio vul-
garis, ed. Cserba, S. 190
u. 6.). Die altesten L.en,
also die der Modalnota-
tion, sind im wesentlichen
aus -*■ Neumen (-1) des
nordf ranzosischen Schrif t-
typus ubernommen: Pes = 3, Flexa = l, Scandicus = 3,
Climacus = ^ (Variante der obigen Form), Torculus
= A, Porrectus = J u. a. Ob diese Zeichen bereits vor
der Ubernahme rhythmisch festgelegt waren (etwa
im Sinne der durch Guido von Arezzo, Micrologus
XV, CSM IV, 163, bezeugten mora ultimae vocis),
ist umstritten. Im Unterschied zu den wohl noch nicht
modalrhythmisch zu verstehenden melismatischen
Partien beruhten die Discantuspartien des 2st. -*■ Or-
ganum der Notre-Dame-Epoche in Rhythmus und
Schrift schon auf dem modalen Prinzip, so daB man
es hier oflenbar mit den Anfangen der L.en-Schrei-
bung zu tun hat. Es scheint von vornherein als allge-
meine Regel gegolten zu haben, daB jeweils die
SchluBnote einer L. den relativ langsten Wert erhalt
(entsprechend der spateren Longa). Damit waren
aber zunachst nur die 2tonigen L.en (binariae) rhyth-
misch festgelegt (etwa Brevis + Longa), die mehr-
tonigen jedoch nicht. Immerhin war der Gebrauch
3t6niger L.en (ternariae) so streng geregelt, daB
trotz ihrer Mehrdeutigkeit aus der gewahlten L.en-
Kombination im allgemeinen klar genug hervorging,
in welchem Rhythmus die Ternaria jeweils gelesen
werden muBte (-»■ Modus - 2). Wie aber die mehr
als 3tonigen L.en rhythmisch aufzuf assen sind, laBt sich
heute vielfach nicht mehr mit Sicherheit f eststellen. Im
Zuge der alsbald notwendig gewordenen genaueren
Festlegung des Rhythmus durch die Notenschrift
{-*■ Mensuralnotation) wurde das mit festen rhythmi-
schen Werten (Longa, Brevis, Semibrevis) rechnende
L.en-System geschaffen, das, von geringfiigigen An-
derungen abgesehen, bis ins 16. Jh. hinein in Geltung
blieb. Bezeugt ist dieses System zuerst durch die Theo-
rie (J. de Garlandia, ed. Cserba, S. 198ff., und CS I,
178ff., etwas spater Franco von Koln, ed. Cserba, S.
240ff.) ; in der Praxis scheint es erst allmahlich Verwen-
dung gefunden zu haben (-> Ars antiqua). In ihrer
rhythmischen Bedeutung konnen die L.en am Anfang
(->• Proprietas) und am SchluB (-» Perfectio - 1) modi-
fiziert werden. Von den aus der Modalnotation tiber-
nommenen Grundformen (cum proprietate und cum
perfectione) unterscheiden sich die neu hinzugekom-
menen abgeleiteten Formen dadurch, daB sie am An-
fang entweder sine proprietate oder cum opposita pro-
cum proprietate
sine proprietate
cum opposita
proprietate
cum
perfectione
sine
perfectione
cum
perfectione
sine
perfectione
(Grundform)
|N B B
\BBB
\ L L
\ LBL
S L B
\LBB
h.kss
^ SSL
^ SSB
% B L
\ BBL
3 B L
^ BBL
J B B
^BBB
3 L L
3 LBL
f L B
jPLBB
> USS
^3 SSL
y SSB
Bei mehrtonigen L.en haben die mittleren Tone den
Wert von Breven gemaB der Regel: omnis media brevis,
nisi per oppositam proprietatem semibrevietur (Franco von
Koln, ed. Cserba, S. 243). Bis gegen Ende der Ars an-
tiqua konnte die letzte Note einer L. durch Hinzufiigen
eines senkrechten SchluBstrichs (nach unten oder nach
oben) in eine -»• Plica umgewandelt werden; nach dem
Verschwinden der Plica war der abwarts gerichtete
SchluBstrich nur mehr Kennzeichen der SchluBlonga
(z. B. j = J). Die farbige und die Hohlschreibung
(-»■ Color - 1) haben am L.en-System im Prinzip nichts
geandert. - 2) die seit dem 16. Jh. allmahlich in Ge-
brauch gekommene Bindung (ital. legatura; frz. liai-
son) von Einzelnoten durch einen -> Bogen (- 1) und
speziell die auf guten Taktteil herubergebundene Note
(->■ Synkope).
Lit.: zu 1): W. Niemann, Uber d. abweichende Bedeutung
d. L. in d. Mensuraltheorie d. Zeit vor J. de Garlandia,
= BIMG I, 6, Lpz. 1902; H. Rietsch, Ein Gedachtnisbe-
helf f. d. Ligaturenlesung, ZfMw VIII, 1925/26; O. Ur-
sprung, Die L. ... , AMI XI, 1939. FZa
Limma (griech.) -»-Apotome.
Lingualpfeifen (auch
Rohr-oderSchnarrwerk;
engl. reed stops; frz. jeux
d'anches) sind -*■ Regi-
ster (- 1) der Orgel, bei
denen der Luftstrom,
ahnlich wie bei den Rohr-
blattinstrumenten, von
einem schwingenden
Metallblatt (-»■ Zunge)
periodisch unterbrochen
wird. Die Zunge liegt auf
einer Kehle. Mit einer
Kriicke kann der schwin-
gende Teil der Zunge
verkiirzt oder verlangert
werden, um die Tonhohe zu regulieren. Das 19. Jh.
baute gerne auch durchschlagende Zungen. Die Klang-
farbe der L. wird durch die Breite und Dicke der Zun-
ge und von der Form des Schallbechers (-> Aufsatze)
bestimmt. L. werden zu 16', 8' und 4', im Pedal auch
zu 32' und 2' gebaut.
Stimmkrucke
Zunge
Stiefet
528
Lira
Liniensystem (auch kurz System), das Schema von 5
parallelen Linien, auf und zwischen denen die Noten
eingetragen werden. Diese Technik der Notation
reicht in ihren Urspriingen bis ins 10. Jh. zuriick. In
Analogie zur Richtlinie des Textes wurde bei diastema-
tischer Notierung eine solche Richtlinie auch zur deut-
licheren Hohenordnung der Neumen verwendet (vor-
wiegend geritzt, nicht selten auch gefarbt), ohne daB
zunachst der Linie eine bestimmte Tonhohe zugeord-
net gewesen ware. Auch in Hucbalds De harmonica in-
stitutione (GS I, 104ff.) haben die Linien keine primare
Tonhohenbedeutung; sie sind hier als Abbilder von
Saiten gedacht, deren Zwischenraume durch vorange-
stelltes T(onus) oder S(emitonium) in ihren Abstanden
ita^
T
li""
in quo
lus
T
Ec isra v /
\ /
no
S
"^ce / ""he'
do'
on
T
vere
e
T
x est
^_
_^
")■ »M . ••*'--"'*•"•* «,";.
Ec-ce ve-re is-ra-he-li - ta in quo do
fixiert sind (Beispiel nach Briissel, Bibl. Royale, 10078/
95, f. 87).
Dieser Technik, bis zu 18 Linien ausgeweitet, bedient
sich auch die Musica Enchiriadis {-*■ Dasia-Zeichen).
Gesang nach Neumen auf Linien und in Zwischenrau-
men wird zuerst 986 fiir das Kloster Corbie iiberlie-
fert (Gerbert 1774, II, S. 61). Doch war es Guido von
Arezzo (Regulae rhythmkae, um 1025, GS II, 30ff.),
der gegeniiber der mancherorts geiibten Praxis, zwi-
schen 2 Linien 2 oder 3 Zwischentone zu plazieren, mit
dem Vorschlag nur eines Zwischentons (d. h. mit Ter-
zenschichtung), mit -*■ Schliisseln und roter (spater ge-
legentlich griiner) Farbung der F- und gelber (oder grii-
ner) der C-Linie, fiir die Folgezeit maBgebend wurde.
Seine Methode setzte sich im 11. und 12. Jh. in Italien,
Frankreich, Spanien und England allgemein durch und
verdrangte in Siidfrankreich die einfachere, iiberwie-
gend mit nur einer Linie notierte Diastematie der aqui-
tanischen Neumenschrift, in der auch die mehrstim-
migen St.-Martial-Handschrif ten geschrieben sind
(->• Quellen: SM). In Deutschland dauerte die Uber-
gangszeit bis um 1300, doch hielten St. Gallen und eini-
ge von ihm abhangige Kloster noch bis zum 15. Jh. an
den linienlosen Neumen f est. Bei sehr hoher oder tief er
Lage des zu notierenden Gesangs wurden die Tonorte
von C bzw. f nicht selten auch durch in den Zwischen-
raum eingefiigte kolorierte Linien markiert (Wagner
21912, S. 289). Fur die einstimmige Musik setzte sich
seit dem 12. Jh. dasnochheutein der -»■ Choralnotation
gebrauchliche Vierliniensystem durch. In der mehr-
stimmigen Musik wurde nach einer in den Anfangen
schwankenden Linienzahl das Fiinfliniensystem je
Stimme allgemein iibhch, wenn auch die itahenische
Trecentomusik haufig 6 Linien verwendet und verein-
zelt (vgl. etwa die -*■ Quellen BL und Tr 89) noch im
15. Jh. 6 und 8 Linien zu linden sind. In der ->• Tabula
compositoria werden noch im 16. Jh. 10 Linien in ein
System zusammengezogen. - Wahrend die Lautenta-
bulaturen die 6 Linien als Abbilder der Saiten des In-
struments benutzen, greifen itahenische, franzosische
und englische Tabulaturen fiir Tastehinstrumente zu-
nachst auf die groBere Linienzahl partiturmaBiger Auf-
zeichnungen zuriick, legen dann aber zu leichterem
Uberblick die rechte und linke Hand in je einem eige-
nen System auseinander, wobei entweder beide Syste-
me die gleiche Linienzahl aufweisen (5, 6 oder 7) oder
das L. der rechten Hand mit einer geringeren Zahl von
Linien auskommt als das der linken (z. B. 5 zu 6, 6 zu 7,
5 zu 8 oder 6 zu 8). - Die Zahlung der Linien erfolgt
von unten nach oben. Hilfslinien, d. h. Linien oder Li-
nienfragmente unter oder fiber dem System, die in den
Slteren Notationen durch Schltisselwechsel vermieden
wurden, werden heute gebraucht, wo die Stimmfiih-
rung den Umfang des Systems iiberschreitet. 1st ihre
Zahl auch theoretisch unbegrenzt, so beschrankt sich
die moderne Notation im Hinblick auf groBere Uber-
sichtlichkeit auf die Zahl von 5 Hilfslinien und bevor-
zugt bei rascherem Tempo die Oktavierungszeichen 8va
oder 8 va bassa (-»■ Abbreviaturen - 9). -> Tonsystem.
Lit.: M. Gerbert OSB, De cantu et musica sacra II, St.
Blasien 1774; P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregoriani-
schen Melodien II, Lpz. 2 1912, Nachdruck
Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders., Aus
d. Friihzeit d. L., AfMw VIII, 1926; WolfN.
Linos (griech. Mvoc;), eine uralte Weise,
die (nach Herodot 2, 79) auBer bei den
Griechen auch in Phonizien, in Agypten,
auf Zypern und anderwarts heimisch ge-
wesen sein soil. Der L. war urspriinglich
wohl ein Trauergesang (moglicherweise
lus non est von oder fiir L., einen mythischen San-
ger), ist aber auch als Gesang bei der Weinlese bezeugt
(Homer, Bias 18, 570).
Linz an der Donau.
Lit. : O. Wessely, L. u. d. Musik - Von d. Anfangen bis
zum Beginn d. 19. Jh., Jb. d. Stadt L. 1950, L. 1951 ; ders.,
Die Musikinstr.-Slg d. Oberosterreichischen Landesmu-
seums, = Kat. d. Oberosterreichischen Landesmuseums
IX, L. (1952); ders., Das L.er Musikleben in d. 1. Halfted.
19. Jh., Jb. d. Stadt L. 1953, L. 1954; K. M. Klier, L. im
Liede, ebenda 1954 (Nachtrage ebenda 1960), L. 1955 ; H.
Wimmer, Das L.er Landestheater 1803-1958, = Schriften
d. Inst. f. Landeskunde v. Oberosterreich XI, L. 1958; W.
Jerger, Von d. Musikvereinsschule zum Bruckner-Kon-
servatorium 1823-1963, L. 1963.
Lippenpfeifen -» Labialpfeifen.
Liqueszens (von lat. liquescens, flieBend werdend),
eine verschleifende Art des Vortrags, die in der Neu-
menschrift (Neumen - -1) besonders gekennzeichnet
wurde. Sie war durch die Aussprache gewisser Laute
bedingt (SchluBlaute der Diphthonge ei, au, eu, Zwi-
schenlaute zwischen Konsonanten wie ad-te, Beilaute
der liquiden Konsonanten 1, m, n, r). Das Zeichen fiir
die L., das aus dem Hyphen der antiken Prosodie abzu-
leiten ist, ist ein runder Haken, der in einigen Schriften
als Cephalicus, Epiphonus, Ancus mit dem Hauptzei-
chen zusammengeschrieben, sonst aber hinzugesetzt
wird (eine Sonderform ist das -*■ Quilisma). Aus ihm
entwickelte sich spater die -> Plica, die zwar eine ahn-
liche Bedeutung besitzt, jedoch nicht mehr an die Form
des Lautes gebunden ist.
Lira (ital., von griech. -*■ lyra), Name fiir ein in ver-
schiedenen Dimensionen und Stimmungen gebautes
Streichinstrument der Renaissance, dessen Grundtyp,
die L. da braccio, ebenso wie die damals auch L. ge-
nannte -*■ Viola, auf die mittelalterliche Fiedel zuriick-
geht. Auf Bildwerken wird das vermeintlich antike
Instrument in den Handen von Orpheus, Apoll, Ho-
mer, Konig David und von Musen dargestellt. Liren
konnten zu mehreren im Ensemble gespielt werden,
wie z. B. aus einem Werk von Gombert hervorgeht:
Musica quatuor vocum (vulgo Motecta nuncupatur), Lyris
maioribus, ac Tibiis imparibus accomodata (1539), wurden
aber meistens als Begleitinstrument zu Sologesangen
(Schering Beisp. Nr 99) oder in gemischten Ensembles
verwendet. Charakteristisch fiir die L. da braccio sind
die abgespreizten Saiten (meist 2 von insgesamt 7), das
fast immer bundlose breite Griffbrett, der herz- oder
34
529
Lira organizzata
blattformige Wirbelkasten mit vorderstandigen Wir-
beln sowie der nur schwach gewolbte Steg, der mehr-
stimmiges Spiel erleichtert. Eine abgespreizte, nicht
iiber das Griffbrett laufende Saite kommt bereits bei
Fiedeln des 13. Jh. vor. Das Titelblatt einer Epithome
Plutarchi (Ferrara 1501) zeigt z. B. eine Fiedel mit 5
Griffbrett- und 2 abgespreizten Saiten. Das Corpus der
L. ist entweder nur schwach eingezogen (so noch auf
einer Intarsie des 15. Jh. in Urbino), in 2 Biigeln ausge-
bildet (B.Montagnas Madonna von 1499; V. Carpac-
cios »Darstellung Jesu im Tempeh von 1510), oder es
hat Ober-, Mittel- und Unterbugel und kommt da-
mit der spateren Violine nahe (Holzschnitt in: Ovid,
Metamorphoseos Vulgare, Venedig 1497; erhaltene L.
von Joan Maria, wahrscheinlich Brescia um 1540 mit
Boden- und Deckenwolbung). Stimmung und Na-
men der Saiten sind nach Lanfranco (1533) : d d 1 (bassi),
g g 1 (bordoni), d 1 a 1 e 2 (tenore, sottanella, canto). - Die
L. da gamba (krone perfetto, arciviola da 1., auch arci-
violata 1., accordo), das BaBinstrument der L.-Familie
mit 9-16 Saiten und meist bebiindetem Griffbrett,
hielt sich in Italien bis zur Mitte des 17. Jh. Auch bei der
L. da gamba wird unterschieden zwischen den auBer-
halb des Griffbretts sowie den ersten zwei iiber dem
Griffbrett liegenden Saiten einerseits (beides sind je-
weils in Oktaven gestimmte Chore) und alien iibrigen
Saiten andererseits, die in Quinten gestimmt werden.
Cerreto (1601) gibt als Stimmung an: G g (corde di
fuor), c c 1 , g di, a el, h fis 1 , cisi (corde di dentro). Mer-
senne (1636/37) beschreibt eine 15saitige, nach dem
gleichen Prinzip gestimmte (BaB-)»Lyre«.
Lit.: A. Haidecki, Die ital. L. da braccio, Mostar 1892;
G. R. Hayes, Mus. Instr. and Their Music 1500-1750, 2
Bde, London 1928-30; B. Disertori, L'arciviolata 1. in un
quadro del Secento, RMI XLIV, 1940; ders., Pratica e
tecnica della 1. da braccio, RMI XLV, 1941 ; E. Winter-
nitz, Quattrocento-Intarsien als Quellen d. Mg., Kgr.-
Ber. Koln 1958; ders., Artikel L. da braccio, in: MGG
VIII, 1960.
Lira organizzata, Lira tedesca (ital.), -*■ Dreh-
leier.
Lirone perfetto (ital.) ->- Lira.
l'istesso tempo, lo stesso tempo, medesimo tempo
(ital.), dasselbe (d. h. im gleichen) ZeitmaB. Tempo-
vorschrift beim Wechsel vom geraden zum ungeraden
Takt (und umgekehrt), welche die gleichbleibende
Zeitdauer der Notenwerte (z. B. Viertel = Viertel,
aber auch 2/4 J = 6/8 J.) oder der Takte (z. B. Ganz-
takt = Ganztakt, 4/4 o = 3/4 J.) fordert.
Litanei (griech. AiTaveta; lat. litania oder letania,
spater litaniae), ein Bittgebet oder Bittgesang in Form
von Anrufungen. Ihren fiir das 5. bis 7. Jh. in der ro-
mischen Kirche nachweisbaren Urtyp stellt die aus der
Ostkirche stammende Kyrie-L. (-> Leise) dar, bei der
das Volk die von einem Vorbeter bzw. Vorsanger am
Anfang der Messe oder am SchluB von Laudes und
Vesper vorgetragenen Gebete jeweils mit der Bittfor-
mel Kyrie eleison beantwortete. (Weitere Bittformeln:
Amen; Te rogamus, audi nos; Ora pro nobis.) Wahrend
des 7. Jh. entstand in Rom mit der Allerheiligen-L. die
einzige seit dem Mittelalter liturgisch vollgiiltige Form
(heutige Textfassung von Pius V.). Von den zahlrei-
chen Neuschopfungen gestattete Clemens VIII. (1601)
nur die volkstiimliche Lauretanische L. (zu Ehren
Marias, genannt nach dem Wallfahrtsort Loreto). Ge-
genwartig werden sechs approbierte L.en (vor allem
bei Andachten) verwendet (Texte im Rituale Roma-
num). In der offiziellen Liturgie wird jedoch nur die
Allerheiligen-L. vorgetragen (z. B. wahrend der Oster-
nachtsfeier, in den Weihe- und Benediktionsmessen,
bei der Kirchweihe sowie bei der Prozession am Fest
des hi. Markus und an den drei Bittagen vor Christi
Himmelfahrt). Ihre Choralfassung ist u. a. im Gra-
duale und im Antiphonale Romanum enthalten. -
Seit dem 16. Jh. wurden die L.en - an erster Stelle die
lauretanische - vielfach mehrstimmig vertont, oft als
Falsobordonesatz (z. B. von Palestrina und Lassus), und
in dieser Setzweise, mit englischen Texten versehen,
auch in die anglikanische Kirche iibernommen. Als
bedeutendste Sammlung alterer mehrstimmiger L.en
erschien 1596 der Thesaurus litaniarum des Georgius
Victorinus. - Unter Mozarts Werken befinden sich 4
L.-Kompositionen (K.-V. 109, 125, 195, 243).
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me-
lodien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; K. G. Fellerer, Mozarts L., in: Ber. iiber d. mw.
Tagung d. internationalen Stiftung Mozarteum in Salz-
burg 1931, Lpz. 1932; Th. Thelen, L., in: Hdb. d. kath.
Kirchenmusik, hrsg. v. H. Lemacher u. K. G. Fellerer,
Essen 1949; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington
(1958); J. Roth, Die mehrst. lat. Litaneikompositionen d.
16. Jh., =K61ner Beitr. zur Musikforschung XIV, Re-
gensburg 1959.
Litauen.
Ausg. u. Lit.: Chr. Bartsch, Dainii balsai. Melodien li-
thauischer Volkslieder, 2 Bde, Heidelberg 1886-89; C.
Sachs, Die litauischen Instr., Internationales Arch. f. Eth-
nographic XXIII, 1915; J. Zilevicius, Native Lithuanian
Mus. Instr., MQ XXI, 1935; U. Katzenellenbogen, Anth.
of Lithuanian and Latvian Folksongs, Chicago 1935; Lie-
tuvin liaudies melodijos (»Volkstiimliche litauische Me-
lodien*), hrsg. v. J. Ciurlionyte, Kaunas 1938; Lietuviu.
liaudies dainos (»Litauische Lieder«), hrsg. v. dems., Wil-
na 1955; J. Balys, Lithuanian Narrative Folksongs, = A
Treasury of Lithuanian Folklore IV, Washington 1954;
Z. Ivinskis, Kirchengesang in L. im 16.-17. Jh., Jb. d.
Baltischen Forschungsinst. I, 1954; A. Maceina, Das
Volkslied als Ausdruck d. Volksseele. Geist u. Charakter
d. litauischen Dainos, ebenda II, 1955; J. Karklin, Deut-
sche Volksliedmotive im Liederschatz d. Letten u. Litauer,
Diss. Heidelberg 1955, maschr. ; W. Banaitis, Kanonfor-
men in d. litauischen Volksmusik, in: Pro Musica. Zs. f.
Musik, 1958; G. Cetkauskaite, Principes du classement
du folklore mus. lituanien, Studia musicologica VII, 1965.
Lithophone (von griech. a&o?, Stein), Schlagidio-
phone aus Stein; auBer nichtabgestimmten Klang-
werkzeugen primitiver Kulturen (Steinklappern, -ras-
seln) versteht man darunter zumeist plattenformige
Klangsteine (Phonolithen), die durch Auswahl der
Steinart, GroBe und Abschleifung auf eine bestimmte
Tonhohe gebracht sind. Mehrere solcher Steine, die
wie ein Gongspiel aufgehangt oder horizontal aufge-
reiht sein konnen, stellen ein Steinspiel dar, das beson-
ders in der Musikkultur Chinas bis in die jungste
Zeit eine bedeutende Rolle spielte (-» K'ing) . Alteste Be-
lege (um 1400 v. Chr.) sind schriftliche Erwahnungen
in Dokumenten der Schang-Dynastie und ein jiingst
ausgegrabener Klangstein aus derselben Epoche (in
Anyang, China). Von China ausgehend wurden die
L. im ganzen Fernen Osten bekannt (Turkestan, Korea,
Japan, Indochina). Neuerdings glaubt man, auch in
Afrika und Sudamerika L. entdeckt zu haben. Die mu-
sikhistorische Bedeutung dieser L. liegt darin, daB der
klingende Stein, sofern er unbeschadigt und von Alter
und Witterung unbeeinfluBt ist, seine urspriingliche
Stimmung behalt und deshalb Riickschliisse auf langst
vergangene Tonsysteme zulafit. Lithophonahnliche
(nicht massive) Instrumente sind die indische Ton-
trommel (ghatam) und die persisch-indischen -*• Jal-
tarang. - In Europa nahm C. Orff das Steinspiel, be-
stehend aus 6 abgestimmten liegenden Steinplatten
- dis 2 e 2 f 2 fis 2 (ges 2 ) g 2 a 2 -, in sein Schlagzeug auf (An-
tigonae, Trionfo di Afrodite), nachdem das 19. Jh. nur ei-
nige kuriose Versuche hervorgebracht hatte (Fr.We-
530
bers »Lithokymbalon« in Wien 1837; das Spiel der
Briider Bozz auf Pflastersteinen in Berlin 1880).
Lit. : A. Huth, Die Musikinstr. Ost-Turkistans bis zum 11.
Jh. n. Chr., Diss. Bin 1 928 ; H. Simbrioer, Klangsteine . . . ,
in: Anthropos XXXII, 1937; A. Schaeffner, Une im-
portante decouverte archeologique: le 1. de Ndut Lieng
Krak (Vietnam), Rev. de Musicol. XXXIII, 1951 ; H. Hus-
mann, Das neuentdeckte Steinzeitlithophon, Mf V.1952;
Fr. A. Kuttner, Nochmals: d. Steinzeit-L. v. Annam,'
Mf VI, 1953; B. Fagg, The Discovery of Multiple Rock-
Gongs in Nigeria, in: African Music I, 3, 1956; R. Mauny,
Nouvelles pierres sonores d'Afrique occidentale, Notes
africaines LXXIX, 1958.
Liturgie (griech. AeiTOUpyta; lat. liturgia). Leitur-
gia bezeichnet im klassischen Griechisch ein im Inter-
esse des Volkes unternommenes, offentliches Werk, in
der griechischen Bibel den priesterlichen Kult. Im
christlichen Osten (-»■ Byzantinischer Gesang) ist L.
einf ach Name fur die Messe. (L. der Katechumenen ent-
spricht dem Wortgottesdienst der romischen Messe,
L. der Glaubigen der eigentlichen Eucharistiefeier.) Im
Westen wird der Begriff erst seit dem 16. Jh. verwen-
det, zunachst ebenfalls eingeengt auf die Messe, dann
(in der kirchenamtlichen Sprache seit dem 19. Jh.) fiir
die Gesamtheit des rechtlich geordneten Gottesdienstes.
Ob nur die durch papstlich approbierte Biicher gere-
gelten Handlungen L. sind (im Unterschied zu den pia
exercitia bischof lichen Rechtes; vgl. die Instruktion
iiber Kirchenmusik und L. vom 3. 9. 1958), oder ob L.
»Gottesdienst der Kirche« bedeutet (Jungmann), bleibt
diskutiert. Die Liturgiekonstitution des 2. Vatikani-
schen Konzils vermeidet eine Definition der L., um-
schreibt aber ihre wesentlichen Elemente: Verherrli-
chung Gottes und Heiligung der Menschheit als »Voll-
zug des Priesteramtes Christi« in der Kirche (Artikel
5-13). - Die heutige Form der katholischen L. geht
hauptsachlich auf die liturgischen Neuordnungen von
Pius V. und Clemens VIII. zuriick (Breviarium Roma-
num 1568, Missale Romanum 1570, Pontificale Romanum
1596), doch sind seit Pius X. wichtige Reformen im
Gange. - Untrennbar mit der Geschichte der L. ist die
Entwicklung liturgischer Musik verbunden. Aus vor-
christlichen (sowohljiidischen wie antik- griechischen)
Elementen entstanden in Ost und West verschiedene
Formen liturgischer Musik (->■ Gregorianischer Gesang,
-*■ Ambrosianischer Gesang, -*■ Gallikanischer Gesang,
->■ Mozarabischer Gesang, -*■ Messe). Das Verhaltnis
von L. und Musik birgt Spannungselemente. So zeigte
die Kirchenmusik seit dem Mittelalter immer wieder
die Tendenz zu einer - von der Bindung an die L. mehr
oder weniger gelosten - Eigenentwicklung. Demge-
geniiber betonten kirchliche Erlasse stets die dienende
Aufgabe der Musik im Ganzen der L. Marksteine die-
ser Auseinandersetzung waren : Constitutio Johannes'
XXII. Docta Sanctorum Patrum (1324/25); Sessio XXII
des -> Tridentiner Konzils (1562) ; Motu proprio Pius'
X. Tra le solkcitudini (1903) ; Enzyklika Pius' XII. Mu-
sicae sacrae discipline! (1955). - Daneben ftihrte seit dem
10. Jh. die Entwicklung der nur gelesenen Messe (an-
stclle des gesungenen Amtes) und des privat vom ein-
zelnen Priester rezitierten (anstatt von einer Gemein-
schaft gesungenen) Stundengebets dazu, die Musik als
bloB auBerliches Verfeierlichuhgselement abzuwerten.
Die liturgische Erneuerung im 20. Jh. bewirkte wieder
ein tieferes Verstandnis der L. und damit auch des rech-
ten Ortes der Musik in ihr. Die Choralstudien der Be-
nediktiner von Solesmes schufen im 19. Jh. die Voraus-
setzungen fiir die musikalische Reform der liturgischen
Biicher unter Pius X. (-»■ Kirchenmusik - 1).
Im protestantischen Gottesdienst tritt die L. gegeniiber
der Wortverkiindigung zuriick. Doch sind in der
lutherischen und in der Hochkirche heute Bestrebun-
Liturgisches Drama
gen im Gange, dem seit Mitte des 18. Jh. eingetretenen
Verfall der L. Einhalt zu gebieten, eine durchgeplante,
auf die Verkiindigung bezogene Gestaltung der gottes-
dienstlichen Formen zu erreichen und den Gottesdienst
durch Wiedererwecken der alten Symbolwerte zu er-
neuern. Der wichtigste Orientierungspunkt sind die
liturgischen Bestimmungen und Gepflogenheiten des
Reformationszeitalters. Die liturgische Bewegung der
1920er/30er Jahre und die Reformen von -> Gesang-
buch und -> Agende sind ein Zeugnis von diesen Be-
strebungen und ihren Ergebnissen. Auch wird in neue-
rer Zeit versucht, den Gregorianischen Gesang in den
evangelischen Gottesdienst einzubeziehen (Alpirsba-
cher Kreis). -»■ Kirchenmusik (-2).
Lit.: Zur kath. L.: P. Wagner, Einfiihrung in die Grego-
rianischen Melodien I, Lpz. 3 1 9 1 1, Nachdruck Hildesheim
u. Wiesbaden 1962; L. Eisenhofer, Hdb. d. kath. Liturgik,
2 Bde, Freiburg i. Br. 1932-33, M941 ; C. Vaoaggini, II
senso teologico della liturgia, Rom 1957, deutsch als: Theo-
logie d. L., Einsiedeln 1959; H. Schmidt SJ, Introductio
in liturgiam occidentalem, Rom, Freiburg i. Br. u. Barce-
lona 1960; L'eglise en priere, hrsg. v. A.-G. Martimort,
Tournai 1961, deutsch als: Hdb. d. Liturgiewiss. I, Frei-
burg i. Br., Basel u. Wien (1963); J. A. Jungmann SJ, Mis-
sarum Sollemnia, 2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel
5 1962; H. Volk, Theologische Grundlagen d. L., Mainz
(1964). - Zur ev. L. : G. Rietschel u. P. Graff, Lehrbuch
d. Liturgik I, Gottingen 2 1951 ; Leiturgia. Hdb. d. ev. Got-
tesdienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. Blankenburg,
Kassel 1954ff.; L. Fendt, Einfiihrung in d. Liturgiewiss.,
Bin 1958; E. L. Brand, The Liturgical Function of Music,
Diss, theol. Heidelberg 1959, maschr. ; Die Religion in
Gesch. u. Gegenwart IV, Tubingen 3 1960, Sp. 401ff.
Liturgische Biicher sind in der romischen Kirche of-
fizielle, d. h. formlich approbierte und in einer Editio
typica vorliegende Biicher mit den gottesdienstlichen
Texten, Melodien und rituellen Anweisungen. Wie
noch heute in den Ostkirchen, waren sie ursprunglich
verschiedenen Tragern der liturgischen Handlung
(Priester, Lektor, Kantor usw.) zugeordnet. Die L.n B.
der romischen Kirche wurden nach dem -> Tridentiner
Konzil neu herausgegeben und allgemein verpflich-
tend vorgeschrieben (Ausnahmen: mailandische und
altspanische Liturgie, Lyon, Braga urtd einige Orden).
Unter ihnen sind zu nennen : ->■ Brevier (letzte of fizielle
Ausgabe 1961), -* Missale (1962), -+ Pontificale (1962),
-> Rituale (1952); fur den Gesang: -> Kyriale (1905),
-» Graduale (- 2; 1908), -* Antiphonale (1912), Can-
torinus (191 1). - Die Liturgiekonstitution des 2. -»■ Va-
tikanischen Konzils (1963) sieht eine Revision aller L.n
B. vor (Artikel 25).
Liturgisches Drama und Mysterienspiele. Die
bis ins spate Mittelalter lebendige Tradition von zu-
nachst liturgischen (d. h. an die Liturgie angeschlos-
senen, im Kirchenraum stattfindenden), dann geistli-
chen Spielen (auBerhalb der Kirche) nahm ihren Aus-
gang von dem seit dem 10. Jh. nachweisbaren Oster-
tropiis Quern queritis in sepulcro mit seinem Dialog zwi-
schen dem Engel und den heiligen Frauen, der Tuotilo
von St. Gallcn zugeschrieben wird. Ursprunglich vor
dem Introitus gesungen, wurde er schliefilich ins Of-
fizium verlegt und fand seinen Platz entweder in der
Vesper vor dem Magnificat oder in der Matutin vor
dem Te Deum. Erst hier erfolgte seine Ausweitung,
die mit der von drei (den drei Marien entsprechenden)
Priestern verkundigten Botschaft von der Auferste-
hung weitere Szenen der Auferstehungsgeschichte ver-
bindet. Dazu gehoren u. a. des Petrus und Johannes
Gang zum Grabe, Maria Magdalenens Begegnung mit
dem auferstandenen Christus sowie die Riickkehr vom
Grabe, die haufig mit Wipos Ostersequenz Victimae
paschali laudes verbunden wurde. Die Ausgestaltung
34*
531
Liturgisches Drama
der Szenenfolge variierte in lokalen und regionalen
Traditionen und erreichte ihren Hohepunkt wohl im
13. Jh. Die Einfuhrung ahnlicher Szenen an anderen
Kirchenfesten, wie Weihnacht, Epiphanie und Him-
melf ahrt, bald auch an Marienfesten, erf olgte nach dem
Vorbild des Osterspiels, wobei ebenfalls gern von ei-
nem Tropus ausgegangen wurde. Diesen Zusammen-
hang laBt am deutlichsten die Befragung der Hirten
(Quern queritis in presepe) von Weihnachten erkennen,
die ihrerseits mit anderen Szenen zusammentritt, so
etwa mit dem zunachst selbstandigen Officium pasto-
rum, dem Gang zur Krippe. Dieses Weihnaehtsspiel
fand seinen Platz in der Matutin ebenso wie das Offi-
cium stellae mit den Drei Konigen anEpiphanias. Uber-
all sind dramatische Ansatze enthalten, deren nicht sel-
ten sich auswachsende drastische Gestaltung dazu bei-
getragen haben mag, daB die Spiele sich vom liturgi-
schen Zusammenhang und vom Raum der Kirche
losten und seit dem 13. Jh. vor das Kirchenportal oder
auf den Kirchplatz verlegt wurden. Dieser Ortswechsel
kennzeichnet gleichzeitig das Heraustreten der Spiele
aus der Kloster- oder Kapitelgemeinschaft und den
Beginn ihrer Wandlung zum geistlichen Volksschau-
spiel. Damit parallel gent der wachsende Anteil schon
frtiher eingefiihrter vulgarsprachlicher Texte (vgl. den
»Sponsus« bei Gennrich) und gesprochener Partien.
Spiele in den Volkssprachen sind seit dem Beginn des
14. Jh. nachzuweisen und werden (anfanglich unter Lei-
tung eines Geistlichen) von Laien ausgefiihrt.
Die bildhaften und einpragsamen Darstellungen wur-
den zuerst in Frankreich als mysteres bezeichnet, wo-
bei mystere von ministerium (= officium und alter
ordo) abzuleiten ist. Eine besondere Art der M. waren
die gegen Ende des 14. Jh. aufgekommenen Moralita-
ten, in denen abstrakte Eigenschaften personifiziert
wurden. In den M.n, die im Gegensatz zu den Anfan-
gen der Gattung iiberwiegend rezitierte, nicht mehr
gesungene Texte aufweisen, nimmt die Musik den-
noch einen groBen Raum ein durch Einfiigung von
zum Teil lateinischen und liturgischen Gesangen (z. B.
Hymnen) und Choren sowie Instrumentalspiel, nicht
selten auch Tanzen. Wie weit solche Einschube sich
vom eigentlichen Spiel entfernen konnten, zeigen die
den Rappresentazioni sacre beigefiigten ->• Interme-
dien. Zur Darstellung gelangten Geschehnisse des Alten
und Neuen Testaments, aber auch Legenden- und Mi-
rakelstoffe, die den Auffiihrungen noch grofiere Frei-
heiten boten. Die mehrere Tage hindurch an den Vor-
und Nachmittagen stattfindenden M., die als groBe
Volksfeste (haufig mit Wagenumziigen) begangen
wurden, konnten in ihrem Inhalt von der Erschaffung
der Welt iiber das Leben Jesu bis zum letzten Gericht
reichen. Weihnachts-, Passions- und Osterspiel und
das Spiel vom Antichrist waren darin nur noch Teile
eines das gesamte Weltgeschehen umfassenden Gan-
zen, das mit dem immer starkeren Hervortreten welt-
lichen Glanzes und auBeren Gepranges den EinfluB von
Ideen rdmischer Rinascita und die Auflosung des mit-
telalterlichen Weltbildes erkennen laBt. Hier liegt einer
der wesentlichen Griinde fiir die Ablehnung der M.
durch die Reformation und auch durch die Jesuiten,
die die M. bei Ubernahme mancher ihrer Stoffe und
Praktiken durch andere Formen des geistlichen Dra-
mas (-»• Schuloper) ersetzten. Reste der mittelalter-
lichen M. haben sich in gewissen Traditionen von
geistlichen Volksschauspielen erhalten. Am bekannte-
sten sind die Passionsspiele von Oberammergau, die
(unter Verwendung alterer Vorlagen) 1634 erstmals
aufgefuhrt wurden. Auch hier hat die Musik noch
starken Anteil. Die gegenwartig verwendeten Kom-
positionen von 1815 stammen von Rochus Dedler, der
als Lehrer und Organist in Oberammergau tatig war.
Vor dem geistigen Hintergrund bayerischer Spieltra-
dition schuf C. Orff das Osterspiel Comoedia de Christi
Resurrectione (1957) und das Weihnaehtsspiel Ludus de
nato Infante mirificus (1960).
Lit. : A. Schubiger OSB, Mus. Spicilegien, = PGf M, Jg.
I V, 2, Bd V, Lpz. 1 876; P. Bohn, Marienklage u. Theophilus,
MfM IX, 1877; L. Petit de Julleville, Les mysteres, 2
Bde, Paris 1880; K. F. Kummer, Sechs altdeutsche My-
sterien nach einer Hs. d. 1 5. Jh., Wien 1 882 ; F. Pedrell, La
festa d'Elche, SIMG II, 1900/01 ; ders., La festa d'Elche ou
le drame lyrique liturgique espagnol, Paris 1906; E. Roy,
Le mystere de la passion en France du XIV e au XVI e s.,
Rev. bourguignonne XIII, 1903 -XIV, 1904, separat Dijon
(1904); P. Wagner, Das Dreikonigsspiel zu Freiburg i. d.
Schweiz, Freiburger Geschichts-Blatter X, 1903; ders.,
Ein rheinisches Osterspiel in einer Hs. d. 17. Jh., Zs. f.
deutsches Altertum LVI, 1918; H. Diemer, Oberammer-
gau u. seine Passionsspiele, Miinchen 2 1910; L. Witt-
mann, Die Oberammergauer Passionsmusik, Oberammer-
gau 1910; Ch. Maclean, Oberammergau, ZIMG XII,
1910/11 ; M. J. Rudwin, A Hist, and Bibliogr. Survey of
the German Religious Drama, Pittsburgh 1924; A. Orel,
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ris 1929-3 1 ; ders., Hist, de la mise en scene dans le theatre
religieux frc. du moyen age, Paris (1952); Fr. Gennrich,
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Medieval Church Drama, MQ XLVIII, 1962; F. Michael,
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Le drame liturgique medieval a St-Martial, Rev. de la Soc.
d'hist. du theatre VII, 1955; E. Krieg, Das lat. Osterspiel
v. Tours, = Literarhist.-mw. Abh. XIII, Wurzburg 1956;
H. Kindermann, Theatergesch. Europas I, Salzburg
(1957); K. Langosch, Geistliche Spiele, Darmstadt 1957;
J. Stevens, Music in the Medieval Drama, Proc. R. Mus.
Ass. LXXXIV, 1957/58; R. B. Donovan, The Liturgical
Drama in Medieval Spain, = Pontifical Inst, of Mediaeval
Studies and Texts IV, Toronto 1958; W. Irtenkauf u. H-
Eggers, Die Donaueschinger Marienklage . . . , Carinthia
CXLVIII, 1958; Sacre rappresentazioni nel ms. 201 della
Bibl. municipale di Orleans, Faks. u. Cbertragung hrsg.
v. G. Tintori u. R. Monterosso, = Instituta et monumen-
ta I, 2, Cremona 1958; O. Ursprung, Hildegards Drama
»Ordo Virtutum«, Gesch. einer Seele, in: Miscelanea en
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; E. A. Bow-
les, The Role of the Mus. Instr. in Medieval Sacred Dra-
532
Lombardischer Rhythmus
ma, MQ XLV, 1959; H. Craig, Engl. Religious Drama of
the Middle Ages, Oxford (1961); M. M. McShane, The
Music of the Medieval Liturgical Drama, Diss. Catholic
Univ. of America (Washington/D. C.) 1961, maschr. ; W.
Elders, Gregorianisches in liturgischen Dramen d. Hs.
Orleans 201, AMI XXXVI, 1964; M. Bernard, L'officium
stellae nivernais, Rev. de Musicol. LI, 1965.
Lituus (lat., urspriinglich Krummstab der Auguren),
war bei den Romern ein militarisches Signatinstrument
mit konischer Rohre und Kesselmundstiick, das be-
reits die Etrusker kannten. Im 16./17. Jh. war L. die
lateinische Bezeichnung fur das Krummhorn, im 18.
Jh. fiir den Zink. Die beiden Litui in Bachs Kantate O
Jesu Christ, mein's Lebens Licht (BWV 118) waren tiefe
(Tenor-)Trompeten in B. Als Orgelregister war L. im
16.-18. jh. eine Zungenstimme.
Lit.: Praetorius Synt.; WaltherL; Adlung Mus. mech.
org.; C. Sachs, L. u. Karnyx, Fs. R. v. Liliencron, Lpz.
1910; ders., Die Litui in Bachs Kantate »0 Jesu Christ«,
Bach-Jb. XVIII, 1921 ; F. Leifer, Studien zum antiken
Amterwesen I, Lpz. 1931 ; A. Voigt, Die Signalinstr. d. ro-
mischen Heeres u. d. L., Deutsche Instrumentenbau-Zei-
tung XXXIV, 1932.
Liuto (ital.) -*■ Laute; arciliuto ->■ Erzlauten; 1. at-
tiorbata (ital.), eine Laute, die zur -*■ Theorbe umge-
baut ist (theorbierte Laute). Liutaio ist eigentlich Lau-
tenmacher, dann aber allgemein der Verfertiger von
lautenartigen und auch von Streichinstrumenten (wie
-»■ Luthier).
Lizenz (von lat. licentia, Erlaubnis, Befugnis), im
-*■ Urheberrecht die Ubertragung eines Nutzungs-
rechtes gegen eine L.-Gebuhr. Bei Tontragern erhal-
ten Urheber und Verleger Gebiihren, die durch Ver-
wertungsgesellschaften verwaltet werden (in der Bun-
desrepublik ->- GEMA, fruher AMMRE). Bei Konzert-
auffuhrungsrechten (sogenannten Kleinen Rechten, in
der Bundesrepublik ebenfalls durch die GEMA verwal-
tet) spricht man von Gebiihren, bei Buhnenrechten
(GroBen Rechten, verwaltet durch die Verleger) von
-> Tantiemen. Ubertragt ein Verlag auf einen anderen
(Subverlag) das Recht zur Ausgabe eines Werkes (L.-
Ausgabe), ist Vereinbarung einer L.-Gebiihr iiblich. -
Unter Zwangs-L. versteht man die im Urheberrechts-
gesetz verankerte Verpflichtung zur Genehmigung von
Schallplattenaufnahmen an jeden anderen gegen ange-
messene Vergiitung, sobald eine erste Aufnahme ge-
nehmigt worden ist. -*■ Licenza.
Lit.: E. Schulze, Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche
Urheberrechtsges., Bin 1951, 21956; W. Bappert u. E.
Wagner, Rechtsfragen d. Buchhandels, Ffm. 21958 ; H. D.
Beck, Der Lizenzvertrag im Verlagswesen, = Urheber-.
rechtliche Abh. d. Inst. f. auslandisches u. internationales
Patent-, Urheber- u. Markenrecht d. Univ. Miinchen II,
Munchen 1961; A. v. Hase, Der Musikverlagsvertrag,
ebenda III, 1961 ; Stellungnahme d. Musikverleger v. 16. 4.
1963 zur Regierungsvorlage eines Urheberrechtsgesetzes
(Bundestags-Drucksache IV/270), Bonn 1963.
Loa ist im Spanien des 16.-18. Jh. ein kurzes instru-
mentalbegleitetes Vorspiel zu Theaterstiicken (autos
sacramentales, comedias, zarzuelas).
Lit.: E. Cotarelo y Mori, Coleccion de entremeses, 1.,
bailes, jacaras y mojigangas desde fines del s. XVI a media-
dos del XVIII, Madrid 1911.
Lobetanz -»■ Kuhreigen.
Lochamer Liederbuch -»■ Liederbiicher; ->• Quel-
len: Loch.
loco (lat./ital., »an seinem Platz«), hebt ein vorausge-
gangenes 8va (all'ottava) auf. In Violinkompositionen
auch nach vorausgegangenem sul G, sul D oder4 me
corde usw. Anweisung, wieder in gewohnlichen La-
gen zu spielen.
Logarithmus. Der L. einer Zahl z (log z) ist der Ex-
ponent a derjenigen Grundzahl (Basis) «, die potenziert
der Zahl z gleich ist; d. h. "log z = a, wenn n" = z
(n > 1 oder 1 > n > 0). So ergibt sich fiir den L. zur Ba-
sis 10, denBriggsschen oder dekadischen L. ( 10 log= lg)
von 100 (lg 100) = 2, weil 10 2 = 100 ist. Da fur das Po-
tenzrechnen die Regeln n"-nb= n a *>> und n":n>> = n"-b
gelten, konnen durch Aufsuchen des L. die Multipli-
kationen auf Additionen, die Divisionen auf Subtrak-
tionen zuruckgefiihrt werden. Bei der logarithmischen
Rechnung addiert bzw. subtrahiert man jedoch nicht
mehr zahlbare GroBen wie cm, g, sec oder Energiewer-
te, sondern stellt das Verhaltnis dieser GroBen zu zweck-
maBig gewahlten GrundgroBen fest. Die Logarithmen
zur Basis e (= 2,71828), die natiirlichen Logarithmen
(''log = In), spielen hauptsachlich in Wissenschaft und
Technik eine Rolle. Dieses Logarithmensystem ist z. B.
in die Exponentialf ormel der -*■ Dampf ung von schwin-
gungsfahigen Systemen eingegangen (-»■ Nachhall).
Die logarithmische Intervallberechnung geschah zu-
nachst mit dem dekadischen L., bei dem z. B. die Ok-
tave 2:1 den Wert des lg 2 = 0,30103 hat. Euler be-
riicksichtigte die besondere Stellung der Oktave ge-
geniiber den anderen Intervallen und errechnete fiir
sie den Wert >1<, indem er die Logarithmen auf die
Basis 2 bezog (dyadischer L.). Mit dem dekadischen L.
ist der dyadische durch die Beziehung
2 log z = lg z : lg 2 = lg z : 0,30103
verbunden. Multipliziert man die lOer- und 2er-
Logarithmen mit 1000, so erhalt man fiir die Oktave
301,03 -> Savarts bzw. 1000 -> Millioktaven. Bei der
Rechnung in -> Cents, deren Logarithmen auf die
1200
Basis [/^bezogen sind, ist die Oktave gleich 1200
gesetzt.
Lokrisch-*- Sy sterna teleion.
Lombardei (Italien).
Lit.: L. Parigi, I pittori lombardi e la musica, Mailand
1934; E. T. Ferand, The »Howling in Seconds« of the
Lombards, MQ XXV, 1939; Cl. Sartori, Une pratique
des musiciens lombards (1582-1639), in: La musique instr.
de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955; G.
Barblan, Le orch. in Lombardia all'epoca di Mozart,
Kgr.-Ber. Wien 1956; Musicisti lombardi ed emiliani. Per
la XV settimana mus., hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron-
caglia, Siena 1958.
Lombardischer Rhythmus. Lombardischen Ge-
schmack nennen Quantz (1752) und J.Fr.Agricola
(1757) eine Schreibart, bei der man bisweilen, von zwo
oder drey kurzen Noten, die anschlagende kurz machet, und
hinter die durchgehende einen Punct setzet (Quantz Ver-
such, XVIII, 58), z. B. in Vivaldis Violinkonzert F dur
(Pincherle Nr 317), 1. Satz, Takt 21f. :
L. Rh. ist bereits im 16. Jh. gelegentlich (z. B. Ganas-
si 1535), seit dem Stilwandel um 1600 haufig nachzu-
weisen (z. B. Caccini 1601, Frescobaldi 1614 im Vor-
wort zum 1. Buch seiner Toccaten). Als Vortragsma-
nier oder notiert ist er seit dem Ende des 17. Jh. auch in
Frankreich anzutreffen; um die Mitte des 18. Jh. war
er allgemein sehr beliebt. Fr. Couperin beschreibt ihn
als Vortragsmanier in den Verzierungstabellen zu sei-
nen Pieces de clavecin (1713) wie
folgt: Coules, dont les points ^g a L f T p f f t
marquent que la seconde notte i
chaque terns doit itreplus appuyee. Diese fast immer durch
Zeichen angedeutete oder in grofien Noten ausgeschrie-
bene Figur, z. B. :
533
London
J.S.Bach, Cembalokonzert D dur, BWV 1054,
2. Satz, Takt 23f .
erwahnt schon Loulie 1696 (Elements ou principes de nui-
sique, S. 62) als eine Moglichkeit der Ausf uhrung
gleichartig notierter Tonfolgen fur Noten mit dem
halben Wert der Zahleinheit im ternaren Takt (z. B.
Achtel im 3/4-Takt) und deutet sie f olgendermaBen an :
m u^ \ >i ir [f^-u
w
Zur Ausfuhrung sagt Agricola (S. 68), daft bey dieser
Figtir die erste Note starker und scharfer angegeben werden
mufi, als wenn sie ein Vorschlag ware. Auch vom Rhyth-
mus alia -> zoppa ist der L. Rh. zu unterscheiden. In
volkstumlicher Musik ist der Rhythmus JJ-, auch
Scotch snap oder Scotch catch genannt, charakteri-
stisch fiir den schottischen Strathspey und die pseudo-
schottischen Lieder des 18.-19. Jh. sowie fiir die Wei-
sen der Ungarn, aber auch der Slowaken, Polen und
WeiBrussen.
Lit.: H. Goldschmidt, Die ital. Gesangsmethode im 17.
Jh., Breslau 1890, 21892, S. 1 1 6fT. ; R. Lach, Studien zur
Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913;
C. Sachs, Rhythm and Tempo, NY 1953, S. 301ff.
London.
Lit.: J. Ward, The Lives of the Professors of Gresham
College, L. 1740 (mit 12 Musikerbiogr.); anon. (J. Haw-
kins), An Account of the Institution and Progress of the
Acad, of Ancient Music, L. 1 770; W. Jackson, Observations
on the Present State of Music in L., L. 1791 ; M. Kelly,
Reminiscences of the King's Theatre, NY 1826, L. 21826,
2 Bde; E. Taylor, Gresham College, L. 1838; G. Hogarth,
The Philharmonic Soc. of L. ... (1813-62), L. 1862; Ch.
Box, Church Music in the Metropolis, L. 1884; H. Klein,
30 Years of Mus. Life in L., NY 1903; H. S. Wyndham,
The Annals of Covent Garden Theatre, from 1732-1897,
2 Bde, L. 1906; W. H. Gr. Flood, The Engl. Chapel Royal
Under Henry V and VI, SIMG X, 1908/09; ders., The
Beginnings of the Chapel Royal, ML V, 1924; H. C. de
Lafontaine, The King's Musick . . . (1460-1700), L. 1909;
C. W. Pearce, Notes on Old L. City Churches, L. 1909;
M. B. Foster, Hist, of the Philharmonic Soc. of L., 1813-
1912, L. 1912; W. H. Cummings, The Lord Chamberlain
and Opera in L., Proc. Mus. Ass. XL, 1913/14; S. J. A.
Fitz-Gerald, The Story of the Savoy Opera, L. 1924; E.
St. Roper, The Chapels Royal and Their Music, Proc.
Mus. Ass. LIV, 1927/28 ; E. J. Dent, Foundations of Engl.
Opera, Cambridge 1928 ; ders., A Theatre for Everybody,
The Story of the Old Vic. and Sadler's Wells, L. 1945 ; W.
L. Sumner, A Hist, and Account of the Organs of St. Paul's
Cathedral, L. 1 93 1 ; ders., Music in L. from the Restoration
to Handel, in: Essays and Lectures, Oxford 1945; H. A.
Scott, L. Earliest Public Concerts, MQ XXII, 1936; ders.,
L. Concerts from 1700 to 1750, MQ XXIV, 1938; R. El-
kin, Queen's Hall, 1893-1941, L. 1944; ders., Royal Phil-
harmonic. The Annals of the Royal Philharmonic Soc, L.
1947; ders., The Old Concert Rooms of L., L. 1955; D.
Sh awe-Taylor, Covent Garden, L. 1948; L. G. Lang-
will, Two Rare Eighteenth-Cent. L. Directories, MLXXX,
1 949; B. Neel, The Story of an Orch., L. 1 950; H. W. Shaw,
Eighteenth Cent. Cathedral Music, L. 1 952; W. L. Wodfill,
Musicians in Engl. Soc. from Elizabeth toCharlesI, = Prin-
ceton Studies in Hist. IX, Princeton (N. J.) 1953; H. J.
Foss u. N. Goodwin, L. Symphony. Portrait of an Orch.,
1904-54, L. 1954; J. Harley, Music and Musicians in
Restoration L., MQ XL, 1954; E. Pine, The Westminster
Abbey Singers, L. 1954; M. Stapleton, The Sadler's Wells
Opera, L. 1 954 ; H. C. Baillie, A L. Church in Early Tudor
Times, ML XXXVI, 1955; ders., A L. Gild of Musicians,
Proc. R. Mus. Ass. LXXXII, 1955/56; ders., L. Churches,
Their Music and Musicians, Diss. Cambridge 1957/58;
ders., Some Biogr. Notes on L. Musicians, Proc. R. Mus.
Ass. LXXXV, 1958/59; W. S. Scott, Green Retreats. The
Story of Vauxhall Gardens, 1661-1859, L. 1955; W. C.
Smith, The Ital. Opera and Contemporary Ballet in L.
1789-1820, = The Soc. for Theatre Research, Annual Vol.
Ill, 1953/54, L. 1955; M. Tilmouth, The Royal Acad, of
1695, ML XXXVIII, 1957; ders., Some Early L. Concerts
and Music Clubs, 1670-1 720, Proc. R. Mus. Ass. LXXXIV,
1957/58; ders., A Calendar of References to Music in
Newspapers Published in L. . . . (1660-1719), L. 1961 ; H.
Rosenthal, Two Cent, of Opera at Covent Garden, L.
1958; J. Merrill Knapp, A Forgotten Chapter in Eigh-
teenth-Cent. Engl. Opera, ML XLII, 1961 ; Ph. Lord, The
Engl.-Ital. Opera Companies 1732-33, MLXLV, 1964.
Longa (erganze: nota oder figura; lat., die lange), No-
tenwert der -*■ Mensuralnotation: m, seit dem 15. Jh.:
t^, Pause: EE oder ~[~ . Als SchluBnote iibersteigt der
Wert der L. oft den von 2 Breves. In moderner Nota-
tion erscheint die L. nicht mehr quadratisch, sondern
breitgezogen (ca).
Longway (l'orjwei, engl.) -*■ Country dance.
lo stesso tempo (ital.) -*■ l'istesso tempo.
Lothringen.
Ausg.: L. Pinck, Verklingende Weisen, 5 Bde, I-IV Hei-
delberg 1926-39, V, hrsg. v. A. Merkelbach-Pinck mit J.
Muller-Blattau, Kassel 1962.
Lit.: A. Jacquot, La musique en Lorraine, Paris 2 1882;
ders., Essai de repertoire des artistes lorrains, Paris 1904;
ders., Les facteurs d'orgues et de clavecin lorrains, Paris
1910; J.-J. Barbe, Dictionnaire des musiciens de la Mo-
selle . . . , Metz 1929 ; L. Pinck, Das Odilienlied in L., Arch,
f. Elsassische Kirchengesch. VIII, 1933; J.Brauner (mit L.
Pinck), Kath. deutsche Kirchengesangbiicher in L., StraB-
burg 1938 ; O. Druner, Die deutsche Volksballade in L.,
Beitr. zur Erforschung ihrer Weisen, = Schriften d. Wiss.
Inst. d. ElsaB-Lothringer im Reich an d. Univ. Ffm., N. F.
XXI, Ffm. 1939; H. Lepage, Etudes sur le theatre en Lor-
raine, in: Memoires de la Soc. d'archeologie lorraine,
Nancy 1948.
Loure (lu:r, frz., von spatlat. lura, s. v. w. Luftsack,
moglicherweise auch von altnordisch ludr, danisch
luur, s. v. w. Alphorn), im spatmittelalterlichen Frank-
' reich eine ->- Sackpfeife, deren Name und Gebrauch
sich bis ins 20. Jh. besonders in der Normandie erhal-
ten haben. - Auf die Spielweise der L. nimmt die Vor-
tragsbezeichnung loure Bezug ; sie empfiehlt dem Aus-
fiihrenden, von zwei gleichlangen Vierteln (oder Ach-
teln) dem ersten un peu plus de temps et deforce zu geben
(BrossardD), jedoch ohne den Effekt einer Punktierung,
und untersagt ihm andererseits, die auf eine tatsachlich
punktierte Note folgende abgestoBen zu spielen (loure,
s. v. w. geschleift). - AuBer einem Instrument bezeich-
net L. (wie ->■ Musette - 4) einen Tanz landlicher Her-
kunf t, der im letzten Jahrzehnt des 17. Jh. hoffahig wur-
de und Aufnahme in die Opern-, Ballett- und Konzert-
musikfand. Nach Charpentier (Medee, 1694) und Cam-
pra (Prologue de I 'Europe galante, 1697) gebrauchte Dela-
lande seit 1698 die L. haufiger in seiner Intermedien-
und Ballettmusik. Auf ihre Beliebtheit am Hof e zu Ver-
sailles weisen Bemerkungen in zeitgenossischen Druk-
ken, z. B. : L. dansee par le Roy und L. dansee par M. le
Due de Chartres (Delalande, Lesfolies de Cardenio, 1720,
und L'Inconnu, 1720). Mattheson (1739), der die meist
im 6/4-, selten im 3/4-Takt stehende L. falschlich als
eine Abart der -*■ Gigue bezeichnet, hebt sie von deren
englischen und italienischen Formen als »spanisch« ab
wegen ihrer steifen, gravitatischen Tanzfiguren und
ihres langsamen ZeitmaBes. Fast ausnahmslos beginnt
die L. mit dem charakteristischen Auf takt:
f ^j i j- jj j- ;j i
534
Luren
Entsprechend ihrer Herkunft aus der Vulgarmusik
wurde die L. in Opern oft zur Charakterisierung na-
turhafter Wesen eingesetzt (z. B. L. pour les Centaures
in Pirithoiis von Mouret, 1723; L. im Ballett zu Zoro-
astre von Rameau, 1749/56, wozu les peuples elemen-
taires rendent hommages a Zoroastre). - Uber die Ballett-
musik fand die L, Eingang in die franzosische -*■ Suite
fiir Orchester und schlieBlich in die Kammer- bzw.
Solosuite des Spatbarocks. Fr. Couperin reihte sie in ein
Concert dans legout thiatral (= Les Gouts reunis Nr VIII)
ein, Telemann in zahlreiche seiner Ouverturensuiten.
J.S.Bach gab der L. die kunstvollste Pragung in der 3.
Partita (BWV 1006) fur Solovioline und in der 5. Fran-
zosischen Suite (BWV 816). Als Charakterstiick fiir
Klavier hielt sich die L. - nach dem Untergang der
franzosischen Ouvertiire - noch bis zur Wende des
18./19. Jh. (vgl. Tiirk, Klavierschule, 1789, und KochL).
Lit. : D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 1789, Faks.
hrsg. v. E. R. Jacobi, = DM1 I, 23, 1962; P.-M. Masson,
L'opera de Rameau, Paris 1930, 2 1943 ; N. Dufourcq, M.-
R. Delalande, Paris 1957. RG
Lucca.
Lit.: L. Nerici, Storia della musica in L., = Memorie e
documenti per servire alia storia di L. XII, L. 1880; L.
Landucci, Per le tradizioni mus. lucchesi . . . , L. 1906 ; A.
Bonaccorsi, Spettacoli mus. lucchesi: LeTasche, in: Boll,
storico lucchese VII, 1935; ders., Cat. con notizie biogr.
delle musiche dei maestri lucchesi ..., CHM II, Florenz
1 956; U . Rolandi, Spettacoli per la f unzione delle »Tasche«
in L., in: II libretto per musica attraverso i tempi, Rom 1951.
Lii (chinesisch), die 12 durch Quintschritte auseinan-
der entstehenden Tone des chinesischen Tonsystems.
Nach dem Mythos hat ein Phonixpaar dem Minister
Ling-Luh (um 2600 v. Chr.) die 12 Tone vorgesungen,
der himmlische Phonixvogel sang 6 Tone, sein Weib-
chen ebenfalls. Zu jedem Ton sol] Ling-Lun ein gleich-
tonendes Rohr geschnitten haben (vgl. Pfrogner, S. 70).
Historisch hat sich das System der mannlichen (yang)
und weiblichen (yin) Tone wahrscheinlich in der
Schang-Dynastie (1500-1050 v. Chr.) herausgebildet.
In dieser Zeit wurden die Quinten durch Uberblasen
oder Verkurzen des Rohrs gewonnen. Benutzt werden
fiir die halbtonlose pentatonische Gebrauchsleiter die
durch die ersten 5 Quintschritte vom Ton huang
tschung aus gewonnenen Tone. Fiir das voile System
der 12 Lii, das vor allem auf dem K'in durch Saitentei-
lung erstellt werden kann, wurde im 16. Jh. auch eine
Temperatur erfunden.
Lit.: »Friihling u. Herbst d. Lii Wu Pe«, libers, u. hrsg. v.
R. Wilhelm, Jena 1928; H. Pfrogner, Die Zwolfordnung
d. Tone, Zurich, Lpz. u. Wien 1953; Fr. A. Kuttner, A
»Pythagorean« Tone-System in China ..., Kgr.-Ber.
Koln 1958 ; W. Kaufmann, Mus. Notations of the Orient,
= Indiana Univ. Series XL, Bloomington 1967.
Liibeck.
Lit.: J. v. Magius, Bemerkungen uber d. Theater in L., L.
1 804, Faks. L. 1938; C. v. Hahn-Neuhaus, Uber d. Theater
in L., L. 1823; C. Stiehl, L.isches Tonkiinstlerlexikon,
Lpz. 1887; ders., Mg. d. Stadt L., L. 1891 ; ders., Gesch. d.
Theaters in L., L. 1902; W. Stahl, K. Ruetz (1708-55),
ein l.ischer Zeit- u. Amtsgenosse J. S. Bachs, Fs. D. Fr.
Scheurleer, 's-Gravenhage 1925; ders., Gesch. d. Kirchen-
musik in L. bis zum Anfang d. 19. Jh., Kassel 1931 ; ders.,
Die »Totentanz«-Org. d. Marienkirche zu L., Mainz 1932,
2 1942; ders., Die L.er Abendmusiken im 17. u. 18. Jh.,
L. 1937; ders., L. Org., L. 1939; ders., Mg. Beziehungen
zwischen Gottorp, Husum u. L., in: L.er Blatter LXXXII,
1939; ders. mit J. Hennings, Mg. L., 2 Bde, Kassel 1951-
52 ; W. Jannasch, Gesch. d. lutherischen Gottesdienstes in
L. v. d. Anfangen d. Reformation bis zum Ende d. Nieder-
sachsischen als gottesdienstlicher Sprache . . . , Gotha
1928 ; E. H. Fischer, L.er Theater u. Theaterleben in friihe-
ster Zeit bis zur Mitte d. 1 8. Jh., L. 1932 ; H. Edelhoff, Die
Abendmusiken in L., MuK VIII, 1936; Chr. Mettin, 200
Jahre Stadttheater in d. Beckergrube, L. 1953; G. Kar-
stadt, Die Slg alter Musikinstr. im St. Annen-Museum,
= L.er Museumshefte II, (1955); ders., Die»extraordinai-
ren« Abendmusiken D. Buxtehudes, =Veroff. d. Stadt-
bibl. L., Neue Reihe V, L. 1962.
Liineburg.
Lit.: W. Junghans, J. S. Bach als Schiiler d. Partikular-
schule zu St. Michaelis in L. . . . , Programm d. Johan-
neums zu L. 1870; M. Seiffert, Die Chorbibl. d. St. Mi-
chaelisschule in L. zu S. Bachs Zeit, SIMG IX, 1907/08;
E. W. Bohme, 150 L.er Musiker-Namen (1532-1864)
L. 1950, maschr. ; G. Fock, Der junge Bach in L., Hbg
1950; Fr. Blume u. M. Ruhnke, Aus d. Mg. d. Stadt L.,
in: Aus L. tausendjahriger Vergangenheit, L. 1956; H.
Sievers, Bach u. d. Musikleben welfischer Residenzen, in:
Bach-Festbuch, L. 1956; Fr. Onkelbach, L. Lossius u.
seine Musiklehre, = Kolner Beitr. zur Musikforschung
XVII, Regensburg 1960; P. A. v. Magnus, Die Gesch. d.
Theaters in L. bis zum Ende d. 18. Jh., L. 1961 ; H. Wal-
ter, Beitr. zur Mg. d. Stadt L. im 17. u. beginnenden 18.
Jh., Diss. Koln 1962, maschr.
Liittich.
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pays de Liege, L. (1930) ; J. Flament, Le theatre liegeois au
XVIII e s., Brussel 1935; J. Smits van Waesberghe SJ, Some
Music Treatises . . ., MD III, 1949; ders., Mus. Beziehun-
gen zwischen Aachen, Koln, L. u. Maastricht v. 11.-13.
Jh., = Beitr. zur rheinischen Mg. VI, Koln u. Krefeld 1 954 ;
Les »Motets Wallons« du ms. de Turin, 2 Bde, hrsg. v. A.
Auda, Brussel (1953) ; J. Quintin, Les maitres de chant de
la cathedrale St-Lambert a Liege auxXV e etXVI e s., RBM
VIII, 1954; ders., Les maitres de chant et la maitrise de la
collegiale St-Denis, a Liege, au temps de Gretry, = Acad.
Royale de Belgique.Classe des beaux-arts, Memoires, Col-
lection in-8° II, 13, 3, Brussel 1964; J. Philippe, Glanes
hist, sur les musiciens de l'ancien pays de Liege, L. 1 956 ; S.
Clercx-Lejeune, Mille ans de tradition mus., in: Liege et
l'occident, L. 1958.
Luren (danisch Lur, Plural Lurer) sind kunstvoll in
mehreren Teilen aus Bronze gegossene Blasinstrumen-
te (Horner) der germanischen Vorzeit, S-formig ge-
wunden und gedreht, wobei der untere und der obere
Teil in einer zum Mittelteil senkrechten Ebene liegen.
Die bis iiber 2 m langen, leicht konischen L. werden
oben meist mit einem flachen Zierteller, oft mit Son-
nenornamenten, abgeschlossen und haben konische
oder kesselformige Mundstiicke. Ihr Klang ist dem
der Posaune ahnlich. Seit 1797 fand man solche Instru-
mente und nannte sie Lur (obwohl man von diesem
in den nordischen Sagas erwahnten Kriegsinstrument
der Wikingerzeit nichts Naheres wuBte). Die 49 be-
kannten L. stammen zum groBeren Teil aus Danemark,
zum kleineren aus Norddeutschland, Norwegen und
Schweden. Das Nationalmuseum in Kopenhagen be-
wahrt 19 zum Teil noch spielbare L. aus dem 16.-6. Jh.
v. Chr., die meist als je zwei symmetrische gefunden
wurden. Diese Form deutet wohl auf das Vorbild von
Mammutzahnen oder Tierhornern. Die L. waren ger-
manische Kultinstrumente. Das ergibt sich aus dem oft
angebrachten Sonnenornament, aus den Fundorten
und aus Felsbildern der Bronzezeit. Da je 2 L. gleich
groB sind, wurden sie wohl paarweise benutzt. Ein
heutiger Blaser erreicht zwar den 12. Oberton, aber
die Hypothese einer Mehrstimmigkeit im iiblichen
Sinne (O.Fleischer 1898 und 1915, W. Pastor 1910,
K.Grunsky 1933) ist unhaltbar. Die Art des L.-Spiels
erklarte R.v.Ficker 1929 durch den Hinweis auf eine
uralte, in der Normandie fortlebende Hornermusik: 2
oder mehrere Naturhorner derselben Stimmung um-
kreisen immer den gleichen Vierklang oder Fiinfklang,
als Abschattierung einer stets gleichen Klangqualitat,
dem Glockengelaut einer Kirche vergleichbar. Wahr-
scheinlich wurden also bei der Kultmusik der Germa-
nen die L. im Sinne primarer Klangwirkung benutzt.
535
Luthier
Lit. : A. Hammerich, Studier over bronzelurerne i Natio-
nalmusaeet i KJ0benhavn, Aarboger for nordisk olkyn-
dighed og hist. VIII, 1 893, deutsch in : Vf Mw X, 1 894, dazu
K. Kromanin: Aarb0ger . . . XVIII, 1903-XIX, 1904; H.
Schmidt u. Fr. Behn, Die L. v. Daberkow, Prahist. Zs.
VII, 1915; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik I,
Stuttgart u. Bin 1920, 5 1930; R. v. Ficker, Primare Klang-
formen, JbP XXXVI, 1929; C. Sachs, Geist u. Werden d.
Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hilversum 1965; A. Ol-
deberg, A Contribution to the Hist, of the Scandinavian
Bronze Lur in the Bronze and Iron Ages, Acta Archaeo-
logica XVIII, 1947 ; H. Chr. Broholm, W. P. Larsen u. G.
Skjerne, The Lures of the Bronze Age, Kopenhagen 1949 ;
H. Chr. Broholm, Bronzelurerne i Nationalmusaeet,
ebenda 1959.
Luthier (liitj'e, frz.; ital. liutaio), Lautenmacher, auch
Verfertiger von Zupf- und Streichinstrumenten oder
iiberhaupt Musikinstrumentenmacher und -handler.
Luzern.
Lit. : F. J. Breitenbach, Die groBe Org. d. Hofkirche in L.,
1920; J. A. Saladin, Die Musikpflege am Stift St. Leode-
gar in L., in: Der Geschichtsfreund C, 1948; J. B. Hilber,
Die Musikpflege in d. Stadt L., = L. im Wandel d. Zeiten
IX, L. 1958; R. Kaufmann, Das R.-Wagner-Museum in
Tribschen in L., ebenda X, L. 1958.
Lydisch -» Systema teleion.
Lyon.
Lit.: D. G. E. Monnais, De la musique a L. depuis 1713
jusqu'a 1852, Rev. et Gazette mus. de Paris XX, 1953; J.
PoTHiEROSB,Lechantdel'eglisedeL.duVIII e auXVIII e s.,
Rev. de l'art Chretien XXV, 1881 ; M. Reuchsel, La mu-
sique a L., L. 2 1903; A. Salles, L'opera ital. et allemand a
L. au XIX e s. (1805-22), L. 1907; L. Vallas, Un siecle de
musique et de theatre a L., L. 1932; G. Vuillermoz, Cent
ans d'opera a L. ... 1831-1931, L. 1932; S. Corbin, La
notation mus. neumatique. Les quatre provinces lyon-
naises, L., Rouen, Tours et Sens, Diss. Paris 1957, maschr. ;
J. Tricou, Documents sur la musique a L. au XVI e s., Bull,
de la Soc. hist, et archeologique de L. XXI, 1957/62; H.
Glahn, Et fransk musikhandskrift . . . , Fund og forskning
. . . V/VI, Kopenhagen 1958/59.
Lyra (griech. Xupa, das Wort ist wohl nichtgriech.
Herkunft), - 1) die antike »Schildkrotenleier«, ein dem
Barbitos, der Kithara, der Phorminx ahnliches, von
diesen aber schon im Altertum nicht immer klar unter-
schiedenes Saiteninstrument, das bei den Griechen zu-
mal in klassischer und nachklassischer Zeit weiteste
Verbreitung fand. Der Name begegnet in den Quellen
erstmals um 600 v. Chr. (im neugefundenen Sappho-
Fragment 103 bei Lobel-Page und im homerischen
Hermes-Hymnus, Vers 423). Als Schallkorper diente
der Panzer einer Schildkrote, spater auch ein ahnlich
geformtes Corpus aus Holz (ein bronzenes in Kertsch
auf der Krim, dem antiken Pantikapaion, gehorte
wahrscheinlich nicht zu einem wirklichen Instrument,
sondern zu einer plastischen Nachbildung). Auf Vasen-
bildern sind die Jocharme anfangs gerade dargestellt
(Hydria aus Analatos, Anfang des 7. Jh. v. Chr.), spater
in geschwungener Form, oft in der Art von Tierhor-
nern. Die Erhohung der Saitenzahl von 5 auf 7 wird
Terpandros (7. Jh. v. Chr.) zugeschrieben; der Ge-
brauch des ->- Plektrons beim Spielen ist seit dem Her-
mes-Hymnus bezeugt (Vers 53 u. 6.). Ober die Her-
kunft des Instruments besteht keine Klarheit. Da der
Typ der Schildkrotenleier im Orient unbekannt war,
scheint es sich um eine griechische Erfindung zu han-
deln. Darauf laBt auch der verhaltnismaBig junge, zum
ersten Mai im Hermes-Hymnus erzahlte Mythos schlie-
Ben, wonach Hermes das Instrument - es heiBt dort
Phorminx, Chelys, L. und Kitharis - erfunden und
seinem Bruder Apollon iibergeben habe. Im Unter-
schied zur -> Kithara hat die L. die Entwicklung zum
vielsaitigen Virtuoseninstrument offenbar nicht mit-
gemacht. Sie gait in hellenistischer Zeit als das eigent-
liche Instrument der Dichter und Sanger (damals kam
die Bezeichnung »Lyrik« auf), doch laBt sich schwer
entscheiden, wie weit der Begriff der L. hierbei gefaBt
war. Die Romer unterschieden kaum noch zwischen
L. und Kithara. Im f riihen Christentum traten weder das
Instrument noch sein Name in Erscheinung. - 2) -»■ Li-
ra. - 3) -»■ Leier. - 4) ein in Militarkapellen seit dem 19.
Jh. gebrauchliches, dem -*■ Schellenbaum ahnliches
Instrument (auch Stahlspiel oder Glockenspiel genannt),
dessen aufeinander abgestimmte Stahlplatten auf einem
lyrafbrmigen Rahmen lose angebracht sind und mit
einem Hammerchen zum Klingen gebracht werden.
- 5) lyraformiges Pedalgestell bei Klavierinstrumenten.
Lit. : zu 1) : K. v. Jan, De fldibus Graecorum, Bin 1 859 ; W.
Johnsen, Die L., Bin 1879; L. Deubner, Die viersaitige
Leier, Mitt. d. Deutschen Archaologischen Inst., Atheni-
sche Abt. LIV, 1929; T. Norlind, L. u. Kithara in d. An-
tike, STMf XVI, 1934; O. Gombosi, Tonarten u. Stim-
mungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck
1950; C. Sachs, The Hist, of Mus. Instr., NY (1940); M.
Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949; Fr.
Behn, Musikleben im Altertum u. friihen MA, Stuttgart
1954; Poetarum Lesbiorum Fragmenta, hrsg. v. E. Lobel
u. D. Page, Oxford 1955 ; R. P. Winnington-Ingram, The
Pentatonic Tuning of the Greek Lyre . . . , Classical Quar-
terly L (= N. S. VI), 1956; B. Aign, Die Gesch. d. Musik-
instr. d. agaischen Raumes, Diss. Ffm. 1963. FZa
Lyra barberina, auch Amphichord, eine 1632 von
G. B. -*■ Doni erdachte Leier mit drei, in einem Drei-
eck angeordneten Jocharmen. Die drei Saitenbeziige
sollten in Dorisch, Phrygisch und Ionisch gestimmt
werden.
Lyragitarre, in Lyraform gebaute, 6saitige Gitarre
mit einem oder zwei Schallochern, im friihen 19. Jh.
in dieser Gestalt beliebt. Das Vorbild der Form ist, an-
tikisierenden Bestrebungen entsprechend, die Kithara.
Griffbrett, Biinde und Bezug sind von der Gitarre
iibernommen. Die unbequemer zu spielende L. klingt
im Vergleich zur Gitarre lauter, jedoch dumpfer. Sie
war besonders in Berlin hochgeschatzt und ist bis etwa
1830 nachweisbar.
Lit. : D. Fryklund, Studier over 1., STMf IX, 1927 ; ders.,
Une lyre-guitare d'Ory, Halsingborg 1957.
536
M
M, Abk. : - 1) M. bzw. m. (in der Orgelmusik) = Ma-
nual bzw. manualiter; - 2) m. (in der Klaviermusik)
= mano (ital.) oder main (frz.), Hand; m. d. = mano
destra (ital.) oder main droite (frz.), rechte Hand; m. s.
= mano sinistra (ital.) bzw. m. g. = main gauche (frz.),
linke Hand; - 3) m. = meno (ital.), weniger; - 4) m.
-»■ mezzo.
Maastricht.
Lit. : J. Smitsvan Waesberohe SJ, Mus. Beziehungen zwi-
schen Aachen, Koln, Liittich u. M. v. 1 1.-13. Jh., = Beitr.
zur rheinischen Mg. VI, Koln u. Krefeld 1954; G. Quaed-
vlieg, Preludium en fuga. Hist, overzicht van enige der be-
langrijkste org. uit de stadt M., (M. 1957) ; ders., Klokken
en klokkenspelen te M., in: Miscellanea Trajectensia, M.
1962.
Machicotage (mafikat'a.'j, frz.) ist die Bezeichnung
fiir eine an der Kirche Notre-Dame zu Paris geubte
Praxis der Ornamentierung des Gregorianischen Ge-
sangs, die darin bestand, daB von einer 6 oder 7 Chora-
listen umfassenden Gruppe (frz. machicots; lat. mace-
conici, macicoti oder massicoti) Koloraturen, Laufe,
Verzierungen, Fiorituren, auch Terzgange zwischen
den Noten des Chorals gesungen wurden. Diese eigen-
tiimliche Auffiihrungsweise laBt sich bis an das Ende
des 14. Jh. zuruckverfolgen und hat sich bis ins friihe
19. Jh. erhalten. Ihre Herkunft ist ebenso ungeklart wie
die Etymologie ihrer Benennung. DaB die Institution
der Macicotia (und dementsprechend vielleicht auch
die geschilderte Gesangspraxis) nicht auf Frankreich
beschrankt war, belegt die Existenz von Maceconici
(ital. maceconchi) in Mailand und Genua (hier als Mas-
saconici bezeichnet).
Lit.: WaltherL; G. Menage, Dictionnaire etymologique
de la langue frc. II, NA Paris 1750; Mus. Conversations-
Lexikon VII, begrundet v. H. Mendel, fortgesetzt v. A.
Reissmann, Bin 1877, Artikel Machicots.
Madrid.
Lit.: L. Carmena y Millan, Cronica de la opera ital. en
M. desde el afio 1738 hasta nuestros dias, M. 1878, dazu 2
Suppl., 1879u.l880;A. Pena y Goni, La opera espaflola y
la musica dramatica en Espafia en el s. XIX, M. 1881 ; E.
Cotarelo y Mori, Estudios sobre la hist, del arte escenico
en Espafia, 3 Bde, M. 1896-1902; ders., Origenes y esta-
blecimiento de la opera en Espafia hasta 1 800, M. 1917; J.
SubirA, La musica en la casa del Duque de Alba, M. 1927 ;
ders., La musica de cimara en la corte madrilena durante
el s. XVIII y principios del XIX, AM I, 1946; ders., Hist,
y anecdotario del Teatro Real, M. 1949; ders., El teatro
del Real Palacio, M. 1950; ders., Sinfonismos madrilefios
en el s. XIX, = Publicaciones del Inst, de estudios madri-
lefios VII, M. 1954; ders., La musica en la capilla y mo-
nasterio de las Descalzas Reales de M., AM XII, 1957;
ders., Necrologias mus. madrilefias (Afios 1611-1808),
AM XIII, 1958 ; ders., La musica en la Real Capilla madri-
lefia y en el Colegio de Nifios Cantorcicos, AM XIV, 1959;
A.M. Coe, Cat. bibliogr. y critico de las comedias anuncia-
das en los periodicos de M. desde 1661 hasta 1819, Balti-
more 1936;M. Munoz, Hist, del Teatro Real, M. 1946;A.
MartInez Olmedilla, Los teatros de M., M. 1947; N. A.
Solar-Quintes, Panorama mus. desde Felipe III a Carlos
II, AM XII, 1957; ders., Nuevos documentos sobre mi-
nistriles, trompetas, cantoricos, organistas y capilla real de
Felipe II, in: Miscelanea en homenaje a H. Angles II,
Barcelona 1958-61.
Madrigal (ital. madrigale, auch madriale, gelegentlich
mandriale), eine seit Anfang des 14. Jh. in Norditalien
nachweisbare Bezeichnung fiir lyrisch-musikalische
Formen italienischer Herkunft. Erstmals erwahnt um
1313 von Francesco da Barberino in den Glossen zu den
Documenti d'Amore, wird das M. theoretisch bereits von
Antonio da Tempo in seinem Traktat Summa artis ryt-
mici vulgaris dictaminis (entstanden 1332) behandelt. Die
von da Tempo eingef iihrte Etymologie : ital. marigalis
bzw. lat. mandrialis von lat. mandra (Herde), ist philo-
logisch nicht haltbar. Man neigt vielmehr dazu, das be-
reits von Pietro Bembo in seinen Prose della volgar lin-
gua (1525) erwogene materiale als Etymon anzusetzen.
Der von den Theoretikern betonte pastorale Charak-
ter des M.s trifft fiir eine grofie Zahl der iiberlieferten
M.-Texte des Trecentos zu, kann aber nicht als gat-
tungstypisch bezeichnet werden. Zwar kniipft die M.-
Dichtung haufig an ein Naturbild an und sammelt sich
zur Erzahlung eines Liebeserlebnisses, entfernt sich
aber von der leichtlebigeren Pastourelle, indem sie phi-
losophisch kontemplativ auch ernst-didaktische, eroti-
sche, satirische oder politische Inhalte (zuweilen in al-
legorischer Einkleidung) aufnimmt. Zufolge der ihm
eigentiimlichen Beweglichkeit des formalen Aufbaus
gehorte das M. nicht zum hohen Stil der italienischen
Dichtung ; der Ruf des Einfachen und Kunstlosen haf-
tete ihm an. Erst um die Mitte des 14. Jh. wurde diese
vornehmlich fiir Musik bestimmte Gedichtform mit
den Dichtem Petrarca, N. Soldanieri und Fr. Sacchetti
zur eigentlich literarischen Gattung. - Seinem Grund-
typus nach besteht das M. aus zwei (oder mehr) Ter-
zetti, auf die eine meist zweizeilige abschlieBende Cop-
pia folgt. Die Verse sind 7- und HSilbler. Der lite-
rarische Aufbau wird musikalisch in der Regel zwei-
teilig wiedergegeben: Teil A fiir die einzelnen Terzetti,
Teil B, Ritornello genannt, fiir die Coppia. Das M. er-
scheint von vornherein als mehrstimmige solistische
Gattung. Die alteste der -> Quellen, Codex Rossi (Rs),
enthalt als altere Schicht anonyme 2st. M.e aus der
Zeit von 1328-32. Das zunachst zwei-, spater dreistim-
mige italienische ->• Trecento-M. entwickelte sich musi-
kalisch wohl aus einer bodenstandigen organalen Zwei-
stimmigkeit. Die Oberstimme ist reich melismatisch
(besonders am Anfang und SchluB des Verses), flieBt in
melodischer Rundung und sanfter Rhythmik, meist
hoch ansetzend, dann tiefer gleitend, um am Ende der
Verszeile mit der Unterstimme einen Oktav- oder
Einklang zu bilden. Die Unterstimme, Tenor genannt,
ist in der Bewegung ruhiger, nicht schematisch rhyth-
misiert und dient als Klangtrager. Das spater auf treten-
de kanonische M. mit imitatorischer Fiihrung der Stim-
men weist auf die ->■ Caccia. Die hervorragendsten
537
Madrigal
M.-Komponisten des 14. Jh. sind Giovanni da Cascia,
Piero da Firenze, Jacopo da Bologna, Bartolino da Pa-
dova, Gherardello da Firenze, Donato, Lorenzo, Ni-
colo da Perugia, Francesco Landini, Paolo Tenorista
und der Liitticher Johannes Ciconia. Im spateren 14.
Jh. wurde das M. in der Gunst der Gesellschaft von
der -> Ballata verdrangt und zur Gelegenheitsmusik
bei besonderen Anlassen, zum Huldigungs-M. und zur
-*■ Festmusik.
Mit dem Trecento-M. hat das M. des 16. und friihen
17. Jh. nicht viel mehr als den Namen gemeinsam,
wenn auch die wenigen M.-Texte von Petrarca und
Boccaccio als Vorbild dienten. Das M. neuer Pragung
ist aus der Vereinigung von italienischer M.-Dichtung
und niederlandisch-kontrapunktischer Satzart und nur
indirekt aus der Frottola erwachsen. Die alteste Samm-
lung mit dem Titel M.i de diversi musici, Libro primo
de la Serena erschien 1530 in Rom. Die Texte sind zu-
meist frei (nicht mehr strophisch) geformt und epi-
grammatisch zugespitzt. Neben dem neuen M. im en-
geren Sinn wurden auch Sonett, Kanzone und Stram-
botto nach Art des M.s komponiert und vom M.-Be-
griff mit umschlossen. Das M. spiegelt eine asthetisch
orientierte Gesellschaftskunst, die in den literarischen
Zirkeln, an den Fiirsten- und Adelshofen und in den
Akademien der italienischen Stadtrepubliken bliihte.
Es erstrebte Gleichberechtigung mit der herrschenden
Motette der Niederlander und wurde zur eigentlichen
Kammermusikform des 16. Jh. und zum Experimen-
tierfeld fur alle Neuerungen auf dem Gebiet der Text-
darstellung und der Harmonik. Die M.-Dichtung des
friihen Cinquecentos wurde gepragt durch den spateren
Kardinal Pietro Bembo und seinen humanistischen
Kreis. In der Reaktion auf den Formschematismus der
Frottolisten hatte sich Bembo um eine Hebung und
Neuorientierung der Dichtkunst am Vorbild Petrarcas
bemiiht, der im Petrarkismus zum stilbestimmenden
Vorbild des Jahrhunderts wurde. Im M. als literarischer
Gattung, die Bembo als Rime libere (d. h. ohne teste
Verszahl und Reimbindung) charakterisiert, fand er
eine freiere Form der dichterischen Aussage, in der das
Einzelwort als Bedeutungstrager wie als Klangphano-
men eine Neubewertung erfuhr. Vorbildhaft wurde er
durch die in seinen philosophischen Dialog iiber die
Liebe (Asolani, 1505) eingestreuten Gedichte und seine
Rime (1530), schwerbliitige Lyrik der unerwiderten
Liebe. - Die Geschichte des M.s von etwa 1530-1620
laGt sich in 3 Phasen darstellen. Die Hauptmeister der
1. Phase (bis 1550) sind der Franzose Ph. Verdelot, der
Italiener C. Festa, spater die Niederlander J. Arcadelt,
I. Gero und der Italiener A. della Viola. Ihre starkeWlr-
kung zeigt sich z. B. darin, dafi Arcadelts erstes M.-
Buch (1539) 31 Auflagen erfuhr (bis 1654). Die vor-
wiegend 4st. Satze werden zuweilen von 2st. Partien
unterbrochen. Mit Willaert und dessen Schuler und
Amtserbe Cipriano de Rore folgt eine 2. Phase (bis
1580), die Hochbliite des klassischen M.s mit seinem
durch Chromatik gesattigten Ausdrucksstil. In de Ro-
res etwa 125 M.en, davon etwa ein Viertel auf Texte
von Petrarca, herrscht die Fiinf- und Sechsstimmigkeit
vor. Willaert vereinigt in seinem Spatwerk mit dem
programmatischen Titel Musica nova (1559) Motetten
und M.e gleichen Stils. Seine M.e sind starker motet-
tisch gebunden, wahrend de Rore die affektuose Seite
des neuen Stils hervorhob. Madrigalisten von europai-
scher Geltung sind Lassus, Palestrina, de Monte und A.
Gabrieli. In dem MaCe wie das M. bildhaft (imitazione
della natura), schildernd und wortausdeutend (imitar
le parole) wird, riickt es zur herrschenden Gattung der
neuen Kunst auf. In der 3. Phase (bis 1620) treten bei
Marenzio, Gesualdo, Monteverdi u. a. jene Freiheiten
auf, die das M. zum Versuchsfeld fur alle Wagnisse der
Musica nova gemacht haben. Zudem wird bei Monte-
verdi der dramatische Hintergrund des neuen M.s
deutlich. In seinem 5. M.-Buch (1605), in dessen Vor-
rede die Prima und -*■ Seconda pratica gegeneinander
ausgespielt werden, kommen das M.e concertato und
das Solo-M. mit GeneralbaB auf, wozu Anfange bei
L.Luzzaschi (M.i per cantare et sonare, 1601) begegnen.
Als Textdichter treten jetzt (neben Petrarca) Ariost,
Guarini und Marino hervor. Es erbluhte die idyllische
Schaferpoesie mit ihren M.i pastorali, und es entstand
die -> M.-Komodie. Unter der Einwirkung der Ge-
genreformation in Italien entstanden auch geistliche
M.e (m.i spirituali), u. a. von Palestrina (1581 und
1594), de Monte (5 Biicher 1581-93) und Lassus (Lagri-
me di San Pietro, 1594, deren Texte durch strenge BuB-
fertigkeit bestimmt sind). - Fur die franzosische Mu-
sik gewann das italienische M. - trotz des verstark-
ten italienischen Einflusses um 1570 und des Zuriick-
tretens der -> Chanson am Ende des 16. Jh. - keine we-
sentliche Bedeutung, doch fand es in England und
Deutschland um so produktivere Aufnahme. Als Mu-
sica Transalpina erschien die alteste Sammlung italieni-
scher M.e mit Ubersetzung der Texte ins Englische,
herausgegeben von N.Yonge (London 1588, 2. Band
1597). Das Zeitalter Shakespeares brachte eine Bliite-
zeit des englischen M.s (Byrd, Morley, Weelkes, Wil-
bye, spater Gibbons, Ward, Tomkins). Morley und
Weelkes veroffentlichten ihre ersten M.e 1594 und
1597; im letzteren Jahr erschien The first set of English
M.s von G.Kirbye. Morley veranstaltete 1601 eine
Sammlung M.e zu 5-6 Stimmen von verschiedenen
englischen Komponisten mit dem Titel The Triumphes
of Oriana, in denen die Konigin Elisabeth unter dem
Namen Oriana gefeiert wird. In England blieb dank
der 1741 in London gegrundeten M.-Society der a cap-
pella-Stil des M.s bis heute beliebt. Den vollstandigcn
Bestand an altenglischen M.en gab E. H. Fellowes in 36
Banden (London 1913-24) als English M. School heraus
(->■ Denkmaler). - In Deutschland traten nicht nur
zahlreiche italienische M.-Sammlungen im Druck her-
vor, sondern es nahmen sich des M.s auch Meister an
wie HaBler (italienische 5-8st. M.i und Neue Teutsche
gesang nach art der welschen M.ien, beide 1596), H.
Schutz mit seinem Erstlingswerk II primo libro de M.i
(1611) und J. H. Schein mit seinen 6st. Diletti Pastorali,
Hirten Lust, auff M.-manier (1624). Bemerkenswert ist
die Schrift von Caspar Ziegler (H. Schutz nannte ihn
seinen Schwager) von den M.en, einer schonen und zur
Musik bequemsten Art Verse, wie sie nach der Italianer
Manier in unserer deutschen Sprache auszuarbeiten (Leip-
zig 1653, 2 1685). Sie behandelt das M. zum erstenmal
in der deutschen Poetik und bereitete den Weg fur die
m.ische Kantaten- und Operndichtung des 18. Jh. -
Von deutschen zeitgenossischen Komponisten schrie-
ben M.e u. a. Hindemith, W.Maler, K.Marx, Orff,
E. Pepping, H.Reutter, K.Thomas, W. Weismann.
Lit. : E. Vogel, Bibl. d. gedruckten weltlichen Vocalmusik
Italiens. Aus d. Jahren 1500-1700, 2 Bde, Bin 1892, Nach-
trage v. A. Einstein in: Notes II, 2, 1944/45 - 5, 1947/48,
Nachdruck (mit d. Nachtragen) Hildesheim 1 962 ; P. Wag-
ner, Das M. u. Palestrina, Vf Mw VIII, 1 892 ; R. Schwartz,
H. L. HaBler unter d. EinfluB d. ital. Madrigalisten, Vf Mw
IX, 1893; Ph. Spitta, Die Anfange m.ischer Dichtung in
Deutschland, in: Mg. Aufsatze, Bin 1894; Th. Kroyer,
Die Anfange d. Chromatik im ital. M. d. 16. Jh., = BIMG
I, 4, Lpz. 1902; O. Kinkeldey, L. Luzzaschi's Solo-M.,
SIMG IX, 1907/08; G. Cesa-ri, Die Entstehung d. M. im 16.
Jh., Cremona 1908, ital. in: RMI XIX, 1912; E. Schmitz,
Zur Gesch. d. ital. Continuo-M. im 17. Jh., SIMG XI,
1909/10; A. Schering, Das kolorierte Orgelm. d. Trecento,
SIMG XIII, 1911/12; F. Keiner, Die M. Gesualdos v.
Venosa, Diss. Lpz. 1914; E. H. Fellowes, The Engl. M.
538
Mannerchor
Composers, Oxford 1921, (21948); E. Li Gotti, L'ars nova
e il m., in: Atti della Reale Accad. di scienze, lettere e arti
di Palermo IV/4, 2, 1944; ders., II m. nel Trecento, in:
Poesia III/IV, 1946; J. Br. Trend, A Note on Span. M.,
Kgr.-Ber. Liittich 1930; H. Engel, Contributo alia storia
del m., Rass. mus. V, 1931 ; ders., Die Entstehung d. ital.
M. u. d. Niederlander, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., L.
Marenzio, Florenz 1956; E. (Gerson-)Kiwi, Studien zur
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Schultz, Das M. als Formideal, = PaM X, Lpz. 1939; A.
v. Konigslow, Die ital. Madrigalisten d. Trecento, Wiirz-
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»caccia«e del »m.« trecentesco, RMI XLVIII, 1 946 - XLIX,
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H. Besseler, Lpz. 1961 ; A. Einstein, The Ital. M., 3 Bde,
Princeton (N. J.) 1949 (Bd III mit 97 vollstandigen Beispie-
len); A. Obertello, M. ital. in Inghilterra, Mailand 1951 ;
K. v. Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen
Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen Mu-
sikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956); J. Kerman, The
Elizabethan M., = American Musicological Soc, Studies
and Documents IV, NY 1962; M. L. Martinez, Die Mu-
sik d. friihen Trecento, = Munchner Veroff. zur Mg. IX,
Tutzing 1963; Chanson and M. 1480-1530. Studies in
Comparison and Contrast, hrsg. v. J. Haar, =Isham
Library Papers II, Cambridge (Mass.) 1964.
Madrigalkomodie, die neuere Bezeichnung fur ein
als Madrigalzyklus oder in madrigalahnlichen Satzen
vertontes Theaterstiick. Das bedeutendste Beispiel die-
ser Gattung aus der Zeit der ersten Opernversuche ist
L'Amfiparnaso (Commedia harmonica, aufgefiihrt in
Modena 1594, gedruckt 1597) von O.Vecchi; er be-
steht aus Prolog und 3 Akten (insgesamt vierzehn 5st.
Szenen im Madrigalstil) mit Figuren der Commedia
dell'arte (Pantalone, Dottore Gratiano usw.). Die M.
ist das oberitalienische Gegenstiick zur Humanisten-
oper in Florenz; sie liebt derbe und komischeWirkun-
gen und bedient sich musikalisch des illustrativen Ma-
drigals, der Kanzonen, Capricci und mehrstimmigen
Liedsatze. M.n komponierten u. a. A. -> Banchieri, G.
-> Croce, Gasparo -> Torelli.
Lit.: E.J.Dent, The »Amfiparnaso« of O.Vecchi, MMR
XXXVI, 1906; ders., Notes on the »Amfiparnaso« of O.
Vecchi,SIMG XII, 1910/11; J. CHol, L'Amfiparnaso...,
RMI XL, 1936; C. Perinello, L'Amfiparnaso, RMI XLI,
1937; G. Camillucci, L'Amfiparnaso, RMI LIII, 1951 ; L.
Ronga, Lettura storica dell' »Amfiparnaso« di O. Vecchi,
Rass. mus. XXIII, 1953, auch in : Arte e gusto nella musica,
Mailand u. Neapel 1956.
Mahren ->■ Tschechoslowakei.
Mannerchor, allgemein eine Vereinigung von im
Chor, d. h. nicht solistisch singenden Mannern. In
Deutschland bestehen zahlreiche, auf der Tradition des
19. Jh. aufbauende M.-Vereine, so daB der M. heute
eine der bedeutendsten Formen des Laiensingens dar-
stellt. Auch ein f iir Mannerstimmen komponiertes oder
bearbeitetes Werk heifit M. - Der M. hat, auch in
auBereuropaischen Hochkulturen, seinen festen Platz
im kultischen Bereich als Priester- oder Monchschor.
Mannerstimmen waren die wichtigsten Trager der
abendlandischen kirchlichen Mehrstimmigkeit. In der
Vokalpolyphonie des 16. und 17. Jh. ist ->• Voces ae-
quales eine Besetzungsangabe fiir Werke ohne Dis-
kant, die nur von Mannerstimmen auszufiihren sind;
chorische oder solistische Besetzung ist in jener Zeit,
vor allem bei weltlichen Werken, freigestellt (->■ Quar-
tett). Kompositionen fiir Voces aequales enthalten z. B.
Forsters Frische Teutsche Liedlein (1539), Othmayrs
Reutterische und Jegerische Liedlein (1549), M.Francks
Musicalische Bergkreyen (1602) und Reuterliedlein (1603).
Der M. begegnet seit dem 17. Jh. vor allem in der
Oper (-> Opernchor). Er wird den Hauptpersonen zur
Verdeutlichung ihrer sozialen Stellung zugeordnet
(z. B. dem Feldherrn die Krieger, dem Konig das Ge-
folge), auch dient er der Milieuschilderung (Chore der
Gefangenen, Landleute, Jager, Soldaten, Matrosen,
Priester) oder zur Kennzeichnung der mannlichen ge-
geniiber der weiblichen Sphare (z. B. Wagner, Der
Jliegende Hollander). Seit dem 17. Jh. pfiegten die eng-
lischen -> Catch- und ->■ Glee-Clubs den Mannerge-
sang. Gegen Ende des 18. Jh. waren es Mannerbiinde
(Freimaurer, Studenten) und gesellige Mannerrunden,
denen Lieder fiir M. ihre Entstehung verdanken, z. B.
die Gesange fiir 4 Mannerstimmen von M.Haydn
(1788). - Das 19. Jh. brachte dem M. einen Aufschwung
durch die Zeltersche ->■ Liedertafel und die sich daran
anschlieBenden Grundungen sowie durch die starker
dem Volkslied verbundenen siiddeutschen Chorverei-
ne (Liederkranze), in Frankreich seit 1836 durch die
-»• Orpheons. 1849 wurde der Deutsche Sangerbund
in Nordamerika gegriindet, 1862 in Coburg der Deut-
sche Sangerbund (->■ Sangerbiinde). - Die eigentlich
kunstmaBige Form des M.s hat Schubert begriindet;
er schrieb zahlreiche Werke f iir M. , teils mit Klavierbe-
gleitung, teils unbegleitet, einige mit Begleitung meh-
rerer Instrumente (Schubert GA, Serie XVI, Nr 1-46).
Fiir die weitere Entwicklung des Mannergesangs wa-
ren sowohl das neuerwachte vaterlandische Empfinden
(Th. Korner; M. v. Schenkendorf ; E. M. Arndt; C. M. v.
Weber, Vaterlandische Gesange, 1812, Leyer und Schwert,
1814) als auch die Wiedererweckung des Volkslieds von
Bedeutung. So sammelte Silcher ab 1826 Volkslieder
und setzte sie fiir 4 Mannerstimmen. Sehr nachhaltige
Wirkung hatten die beiden auf Anregung Kaiser Wil-
helms II. von der PreuBischen Volksliedkommission
herausgegebenen Sammlungen (»Kaiserliederbiicher«),
deren erste unter Leitung von R. v. Liliencron entstan-
dene als Volksliederbuchfur M. (2 Bande, Leipzig 1906)
bestimmt war. Es entstand eine reiche Literatur fiir M.,
u. a. von Abt, Brahms, Cornelius, Dvorak, Fr.E.Fesca,
Grieg, Fr. Hegar (Chorballaden), E. T. A. Hoffmann, C.
Kreutzer, Kuhlau, Lindpaintner, Loewe, Lortzing, H.
Marschner, Mendelssohn Bartholdy, Albert und E.
Methfessel, Pfitzner, R.Schumann, Spohr, R.Strauss,
Thuille.Fr.Wullner.DurchKompositionenvonBruch,
Bruckner, J.Haas, Hauptmann, Kaun, B.Klein, A.B.
Marx, J. und Fr. Otto sowie Reger erlangte der M. auch
in Kirchen- und Konzertmusik Bedeutung (Motetten,
Oratorien, Kantaten). Unabhangig von der M.-Be-
wegung bezogen Busoni, Cherubini, Dallapiccola,
Debussy, Liszt, G.Fr.Malipiero, Milhaud, Schonberg
und Strawinsky den M. in ihr Schaffen ein. Fiir M. a
cappella schriebenu. a. Bartok, Distler.Janacek, Hinde-
mith, Kodaly und Orff. Seit 1930 bemiihte sich die
aus dem Bund der Mannerchore im Deutschnationa-
len Handlungsgehilfenverband hervorgegangene Lo-
beda-Bewegung unter C. Hannemann und F. Kelbetz,
die Sangerbewegung aus dem Geist der musikalischen
Jugendbewegung zu erneuern. Das Volkslied und sei-
ne Bearbeitung wurden zum Ausgangspunkt einer
neuen Literatur fiir M. (Knab, E.L.v.Knorr, H.Lang,
K.Marx, Rein). Zu den Komponisten, die sich seit dem
2. Weltkrieg um Werke fiir M. bemuhen, gehoren
Biichtger, Desch, Erdlen, Geilsdorf, H.Hermann,
Hansjakob Heuken, Knab, Lemacher, Lissmann, Qui-
rin Rische, H. Schroeder, Sendt, Siegl, Strecke, Stiir-
mer, Wittmer und Zoll.
Lit.: H. G. Nageli, Gesangbildungslehre f. M., Zurich
1817; Der Mannergesang, d. bisher f. ihn erschienenen
Compositionen u. d. allgemeinen Mannergesangfeste zu
Dresden 1842 u. 1843, Blatter d. Erinnerung, hrsg. v. M. L.
Lowe, H. 1 , auch als : Der deutsche Mannergesang I, Dres-
den 1844; O. Elben, Der volksthumliche deutsche Man-
nergesang, Tubingen 1855; Fr. Chrysander, Statistik d.
Gesangver. u. Concertinst. Deutschlands u. d. Schweiz,
Jb: f. Mus. Wiss. 1, 1867; M. H. Schmidt, Ueber Manner-
539
maestoso
gesang, Magdeburg 1867; R. Matz, Gesch. d. deutschen
Mannergesangs, Langensalza 1881; B. Widmann, Die
kunsthist. Entwicklung d. M., Lpz. 1884 ; J. Bautz, Gesch.
d. deutschen Mannergesanges, Ffm. 1890; A. Ruthardt,
Wegweiser durch d. Lit. d. Mannergesanges, Lpz. 1892;
Ph. Spitta, Der deutsche Marinergesang, in : Mg. Auf satze,
Bin 1894; E. Challier, GroBer Mannergesangs- Kat.,
GieBen 1900, 6. Nachtrag 1912; K. Friedrichs, Der deut-
sche Mannergesang in Theorie u. Praxis, Lpz. 1903; G.
Schade, Der deutsche Mannergesang, 2 Bde, Kassel 1903 ;
A.K6NiG,DerdeutscheM.,Trierl906;A.HEUSS,DasVolks-
liederbuch f. M., ZIMG VIII, 1906/07; H. Thierfelder,
Vorgesch. u. Entwicklung d. deutschen Mannergesangs,
Hildburghausen 1 923 ; Fvihrer durch d. gesamte a cappella-
Mannerchorgesang-Lit., Zurich 1925, Nachtrag: Ftihrer
durch d. Schweizer M.-Lit. 1933-47, Zurich 1947; G. Bott-
cher, Die Aufgaben d. M.-Dirigenten, Lpz. 1926 ; R. Buck,
Wegweiser durch d. M.-Lit., Dresden 1926; R.Kotzschke,
Gesch. d. deutschen Mannergesangs, hauptsachlich d. Ver-
einswesens, Dresden 1927; H. G. Schmidt, Das Manner-
chorlied Fr. Schuberts, Hildburghausen 193 1 ; R. Thomann,
Der Mannergesang, in: Der Chorgesang in d. Schweiz,
hrsg. v. P. Budry, Zurich 1932; G. Gotsch u. F. Kelbetz,
M. oder singende Mannschaft. M. in d. Entscheidung, Hbg
1934; F. W. Kranzhoff, Die Entwicklung d. Mannerge-
sanges in Westfalen im 19. Jh., Dortmund 1934; G. Schu-
nemann, Fuhrer durch d. deutsche Chorlit., I: M., Wol-
fenbuttel 1935; J. Jernek, Der osterreichische Manner-
chorgesang im 19. Jh., Diss. Wien 1937, maschr.; H. Die-
tel, Beitr. zur Fruhgesch. d. Mannergesanges, Diss. Bin
1938; J. Herrmann, Die Entwicklung d. M. in Schlesien,
Breslau 1939; W. Jerg, Hegar, ein Meister d. Manner-
chorliedes, Diss. Zurich 1946; R. Werner, Der Manner-
gesang in unserer Zeit, Neue Musikzs. IV, 1950; E. Va-
lentin, Hdb. d. Chormusik, I Regensburg 1953, '1956, II
mit H. Handerer, 1957 ; Chorkat. d. Deutschen Sangerbun-
des, hrsg. v. Fr. J. Ewens, K61n 1958; H. Blommen, An-
fange u. Entwicklung d. Mannerchorwesens am Nieder-
rhein, = Beitr. zur rheinischen Mg. XLII, Koln 1960; E.
Escofier, 100 Jahre Deutscher Sangerbund, Jb. d. Deut-
schen Sangerbundes XVIII, 1962 ; H. Leister, C. Kreutzers
Lieder f. M., Diss. Mainz 1963. - Zs. Der Chor, hrsg. v.
Deutschen Allgemeinen Sangerbund, Mainz 1949, Ffm.
1950ff.
maestoso (auch maestuoso, ital.), Vortragsbezeich-
nung (meist in Verbindung mit einer Tempovorschrif t,
z. B. lento m., allegro m.) mit der Bedeutung maje-
statisch, nach Walther (1732) ansehnlich und langsam,
iedoch mit einer lebhaften Expression.
Maestro, in Italien inoffizieller Titel fur Lehrer an
Konservatorien, fiir Komponisten, Interpreten und Di-
rigenten. Der Titel M. ist schon im 17. Jh. nachweisbar
(so in der Uberschrift von Cerones El Melopeo y M.,
1613) und scheint von jungen Kunstlern so begierig
und unbedenklich angenommen worden zu sein, dafi
die meisten Maestri niemals Scholaren gewesen (Quantz
1752, Einleitung, § 14). Dem M. al cembalo fiel im Or-
chester des 17. bis friihen 19. Jh. zusammen mit dem
-*■ Konzertmeister die Leitung der Musik zu (Doppel-
direktion; -> Dirigieren).
Magazinbalg heiBt in der Orgel (und in ahnlichen
Instrumenten) ein ->■ Balg, der von den Schopfbalgen
oder dem elektrisch betriebenen Schleudergeblase her
gespeist wird und als Vorratsbehalter fiir den Wind
und zur Druckregulierung dient.
Magdeburg.
Lit. : B. Engelke, Gesch. d. Musik im Dom v. d. altesten
Zeiten bis 1631, Geschichtsblatter f. Stadt u. Land M.
XLVIII, 1913; E. Brinkmann, Das M.isch Lied. Aus d.
Stadtarch. Muhlhausen i. Th., M. 1931 ; E. Valentin, Mg.
M., Geschichtsblatter f. Stadt u. Land M. LXVIII/LXIX,
1933/34; O.Riemer, Musik u. Musiker in M., = M.erKul-
tur- u. Wirtschaftsleben XIV, M. (1937).
Maggiore (madd3'o:re, ital., groBer; frz. majeur),
s. v. w. Durakkord (harmonia di terza m.), auch Dur-
tonart. Die Bezeichnung M. in Trios von Marschen,
Tanzen, Scherzi, in Rondos oder in Variationen deu-
tet an, dafi der betreffende Teil in der Paralleltonart
oder Variante derjenigen Molltonart steht, die Haupt-
tonart des Stiickes ist; umgekehrt gibt M. nach einem
mit -+ Minore bezeichneten Trio den Wiedereintritt
der Haupttonart an, wenn diese eine Durtonart ist.
Magnetophone- Schallaufzeichnung.
Magnificat (lat.), der nach seinem Anfangswort be-
nannte Lobgesang Maria (Canticum Beatae Mariae
Virginis; Luk. 1, 46-55). Spatestens seit der Regel des
hl.Benedictus (um 530) bildet das M. als eines der drei
Cantica maiora im Of fizium der romischen Kirche den
Hohepunkt der -»■ Vesper. Sein musikalischer Vortrag
erfolgt nach einer der 8 Formeln der antiphonischen
Offiziumspsalmodie, jedoch mit der Wiederholung
des Initiums am Anfang jedes Verses. Fiir feierliche
Gelegenheiten steht zusatzlich eine reichere Melodie-
formel fiir die erste Vershalfte zur Verfiigung. AuBer
im Evangelium von Visitatio (2. Juli) fmden sich ein-
zelne M.-Verse auch innerhalb des Proprium missae
und in Offiziumstexten. - Auf Grand seiner hervor-
ragenden Stellung als Vespergesang gewann das M.
seit Mitte des 15. Jh. auch innerhalb der mehrstimmi-
gen Musik zunehmend an Bedeutung. Die altesten Be-
lege (hauptsachlich englischer Provenienz) des grofien,
bisher wenig erforschten Bestandes an M.-Kompo-
sitionen sind groBtenteils anonym; bald traten nament-
lich Dunstable, Dufay und Binchois hervor. Mit Aus-
nahme der Choralintonation (1. Vers) ist gewohnlich
der gesamte Text des Canticum vertont, meist drei-
stimmig im Fauxbourdonsatz. Schon friih scheint sich
jedoch im liturgischen Gebrauch der alternierende
Vortrag von ein- und mehrstimmigen Versen durch-
gesetzt zu haben; im 16. Jh. wurden im allgemeinen
nur noch die geradzahligen Verse mehrstimmig gesetzt
(Obrecht um 1510, P. de la Rue um 1515, Senfl 1537,
Renner 1544, Palestrina um 1560 und 1591). Die selte-
neren Vertonungen der ungeradzahligen Verse begin-
nen nach der 1st. Intonation (M.) mit den Worten
anima mea (Chr.Morales 1545, Ortiz 1565, Palestrina
1591, Orfeo Vecchi 1603). Bis zum Anfang des 17. Jh.
stellen die mehrstimmigen M. fast ausnahmslos Cho-
ralbearbeitungen dar, welche die liturgischen Psalm-
formeln entweder als C. f. oder als Grundlage einer
motettischen Komposition verwenden. Bezeichnend
ist daher die Hinzufiigung des jeweiligen Psalmtones
im Titel (M. primi toni). Fiir die hturgische Praxis wur-
den seit dem 16. Jh. auch M. in alien Kirchentonarten
geschrieben und in den Drucken so angeordnet. - Zu-
sammen mit der Vesper iibernahmen die Reformato-
ren auch das M. in die protestantische Liturgie. In sei-
ner lateinischen Form oder in der deutschen Uber-
setzung von M. Luther (Meine Seek erhebt den Herrn ...),
die fast immer auf den -> Tonus peregrinus gesungen
wurde, erlangte es bald ebenso wie die englische Fas-
sung im anglikanischen -> Service eine zentrale Stel-
lung in der Musik der Ref ormationszeit. Neben den M.
tiber gregorianische C. f. entstanden im 17. Jh., ver-
mudich nach dem Vorbild von O. de Lassus (1573), Pa-
rodie-M. iiber Madrigal- oder Motettenvorlagen (De-
mantius 1602, M.Praetorius 1611; J.Stadlmayr 1614).
Eine Sonderform in Deutschland ist das protestantische
Weihnachts-M., bei dem der Text von deutschen und
lateinischen Weihnachtsgesangen tropiert wurde. Noch
die erste Fassung (1723) von J.S.Bachs M. wurde mit
eingeschobenen Weihnachtschoralen ausgef iihrt. Nach
den solistisch, bisweilen auch mehrchorig concertie-
renden M. der Barockzeit (Monteverdi, Schiitz u. a.)
verringert sich die Zahl der M.- Vertonungen. Als spa-
540
Maitrise
tere Beispiele seien genannt die M. von W. A. Mozart
und Mendelssohn Bartholdy und aus neuerer Zeit die
M. von H. Schroeder und Pepping.
Als selbstandiger Zweig entwickelte sich die M.-Bear-
beitung fiir Orgel. Fur den liturgischen Gebrauch be-
stimmt, bestand sie meist aus mehreren, -»■ Versett ge-
nannten Teilen gleicher Tonart, die alternierend mit
dem 1st. Choral vorgetragen wurden. Die C. f.-ge-
bundenen Orgel-M. pragen seit den friihesten Beispie-
len in Paumanns Fundamentum organisandi (1452) una im
Buxheimer Orgelbuch (um 1470) diejeweils herrschen-
de Kompositionsart der -> Choralbearbeitung (- 2)
aus. Den ersten Zyklus von instrumentalen M. bietet
ein Druck von P. Attaingnant (M. sur les huit tons . . . ,
1530). Es folgten im 16. Jh. G.Cavazzoni (1543) und
A. de Cabezon (1578) mit seinen meist imitativ ange-
legten M.-Versetten. Aus England sind, trotz der dor-
tigen reichen Tradition an liturgischer Tastenmusik,
keine instrumentalen M.-Vertonungen iiberliefert. Die
M.-Zyklen des 17. Jh. (H. Praetorius, Scheidt, Scheide-
mann) reihen haufig einzelne Versetten in verschiede-
nen Techniken der C. f.-Bearbeitung (C. f.-Satz, Cho-
ralricercar, Choralfantasie) aneinander. Doch schon in
dieser Zeit zeigt sich die Neigung zur freieren Verset-
tenkomposition, so in den Orgel-M. von Titelouze
(1626), dessen ricercarartige Bearbeitungen teilweise
ganz von den gregorianischen C. f.-Vorlagen abwei-
chen. Die M.-Bearbeitungen in Kerlls Modulatio orga-
nica (1686) und bei seinen Nachfolgern Speth (1693)
und Miirschhauser (1696) sowie die M.-Fugen von J.
Pachelbel weisen nur noch Anklange an die Psalmtone
auf . In der Orgelmusik des 18. Jh. wurden die grego-
rianischen C. f. des M. fast nur noch in Frankreich ver-
tont (L. Marchand, M. Corrette der Altere, J. F. Dan-
drieu u. a.); indessen erfreuten sich die C. f.-freien
Versetten, haufig bereits nach Dur und Moll geordnet,
zunehmender Beliebtheit.
Lit. : Th. W. Werner, Die M.-Kompositionen A. Rener's,
AfMw II, 1919/20; Fr. Dietrich, Gesch. d. deutschen Or-
gelchorals im 17. Jh., = Heidelberger Studien zur Mw. I,
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zur M.-Komposition d. 15. Jh., Diss. Koln 1956; H. Ost-
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tiges M. aus d. Zwickauer Ratsschulbibl., Fs. H. Besseler,
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Mail and.
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all'intero autunno 1818, 4 Bde, M. 1818-25; L. Romani,
Teatro della Scala, M. 1862; P. Cambiasi, Rappresentazio-
ni date nei r. teatri di Milano 1778-1872, M. 21872; ders.,
La Scala. Note stor. e statistiche (1778-1889), M. "1889,
Suppl. (1 888-98), M. 1 898 ; ders., La Scala (e Canobbiana)
1778-1906, M. 51906; G. Martinazzi, Cenni stor. dell' Ac-
cad, dei Filodrammatici di Milano (gia Teatro Patriottico),
M. 1879 ; D. Muoni, Gli Antegnati organari insigni e serie
dei maestri di cappella del duomo di Milano, Arch. stor.
lombardo I, 10, 1883; E. Motta, Musici alia corte degli
Sforza, ebenda II, 4, 1887; A. Paolicci-Brozzi, Contribu-
te alia storia del teatro: II teatro a Milano nel s. XVII, M.
1892; ders., II R. Ducal Teatro di Milano nel s. XVIII, M.
1894; B. Gutierrez, II Teatro Carcano 1823-1914, M.
1914; G. Cesari, Musica e musicisti alia corte sforzesca,
RMI XXIX, 1922, dass. reich illustriert in: Fr. Malaguzzi-
Valeris, La corte di Lodovico il Moro, M. 1923, 21929; G.
M. Ciampelli, II primo lustro di vita mus. del Teatro del
Popolo di Milano, M. 1927 ; ders., Ente concerti orchestra-
li: sei anni di vita, Milano 1924-29, M. 1929; G. Macchi,
La Scala, dalle origini all'ordinamento attuale, M. 1927;
ders., G. M. Ciampelli u. B. Gutierrez, La Scala nel 1 830
e nel 1930, M. 1930; V. Ramperti, Per la storia del teatro
milanese, M. 1929 ; A. De Gani, I maestri cantori e la cap-
pella mus. del duomo di Milano, 1395-1930, M. 1930; G.
Morazzoni, I palchi del Teatro alia Scala, M. 1930; ders.,
La Scala (3. 8. 1778 - 1 1. 5. 1946), M. 1950; L. Parigi, La
musica nelle gallerie di Milano, M. 1935; C A. Vianello,
Teatri, spettacoli e musiche a Milano nel s. scorso, M. 1 941 ;
F. Armani u. B. Bascape, La Scala 1778-1950, M. 1951 ;
G. Cesari u. F. Fano, La cappella mus. del duomo di Mi-
lano, = Istituzioni e monumenti dell'arte mus. ital., N. S. I,
M. 1956; La Scala, hrsg. v. Fr. Amati, M. (1956); Cl. Sar-
tori, Le musiche della cappella del duomo di Milano, Flo-
renz 1958; ders., Casa Ricordi 1808-1958, M. 1958; Mu-
seo (civico) di antichi strumenti mus. Milano, Kat. hrsg. v.
N. u. Fr. Gallini, M. 1963.
Mailandischer Gesang-*- Ambrosianischer Ge-
sang.
Mainz.
Lit.: J. Peth, Gesch. d. Theaters u. d. Musik zu M., M.
1 879, Nachtrag 1 883 ; B. Ziegler, ZurGesch. d. Privilegium
exclusivum d. M.er Musikstechers B. Schott, Fs. G. Lei-
dinger, Munchen 1930; P. A. Merbach, Fs. zum lOOjahri-
gen Bestehen d. M.er Stadttheaters, M. 1933; K. Schwei-
ckert, Die Musikpflege am Hof e d. Kurfursten v. M. im 1 7.
u. 18. Jh., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt M. XI, M. 1937; G.
Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis
zur Mitte d. 16. Jh., AfMf VI, 1941 ; G. P. Kollner, Der
Accentus Moguntinus, Diss. M. 1950, maschr. ; A. B.
Gottron, Mozart u. M., M. (1951); ders., Gutenberg-
Museum M., Tausend Jahre M.er Musik, M. 1957; ders.,
M.er Mg. v. 1500-1800, = Beitr. zur Gesch. d. Stadt M.
XVIII, M. 1959; L. Strecker, R. Wagner als Verlagsge-
fahrte, M. 1951; H. Reifenberg, Messe u. Missalien im
Bistum M. seit d. Zeitalter d. Gotik, = Liturgiegeschicht-
licheQuellen u. Forschungen XXXVII, Miinsteri. W. 1960;
Th. H. Klein, Die Prozessionsgesange d. M.er Kirche aus
d. 14. bis 18. Jh., Speyer 1962; H. Federhofer, Zwei M.er
Slgen v. Musikerbriefen d. 19. Jh., M.er Zs. LX/LXI, 1965/
66; H. Unverricht, Musik im Spiegel d. sachsisch-thurin-
gischen allgemeinen Zss. aus d. letzten Viertel d. 18. Jh.,
ebenda.
Maitrise (metr'i:z, frz., Singschule), seit dem 15. Jh.
in Frankreich und Belgien nachgewiesene Bezeichnung
fiir die Gesamtheit der einer Kathedrale oder Kollegial-
kirche dienenden Musiker, auch speziell fiir das Haus,
in dem die Sangerknaben untergebracht waren, deren
Unterricht einem Maitre des enfants oder dem Maitre
de chapelle, in den auBermusikalischen Fachern vieler-
orts auch einem eigenen Maitre de grammaire iibertra-
gen war. Die M. war in der Art einer -»• Kapelle oder
einer -*■ Kantorei aufgebaut. Seit dem 16. Jh. wurden
in zunehmendem MaBe auch Instrumentalisten zu
Auffuhrungen herangezogen und in die M. aufgenom-
men. Bis ins 18. und 19. Jh. haben sich in den M.n alter-
tiimliche Musizierweisen, wie der Chant sur le livre
(super librum cantatio; -»■ Sortisatio), und die Beglei-
tung des Choralgesangs mit Serpent oder Fagott erhal-
ten. Nachdem in der Franzosischen Revolution die
meisten M.n aufgelost worden waren, lebte die Pflege
der Kirchenmusik in Frankreich im 19. Jh. in neuer
Form wieder auf. Doch hat eine Reihe moderner Kir-
chenchore wieder den Namen M. angenommen.
Lit. : Ch. Gomart, Notes hist, sur la m. de St-Quentin, in:
Etudes St-Quentinoises I, 1844/51; J. Houdoy, Hist, ar-
tistique de la cathedrale de Cambrai, Memoires de la Soc.
des sciences . . . de Lille IV, 7, Lille 1 880 ; A. R. Collette u.
A. Bourdon, Hist, de la m. de Rouen, Rouen 1892; F. L.
Chartier, L'ancien chapitre de Notre-Dame de Paris et sa
541
Malaguena
m., Paris 1897; J.-M. Clerval, L'ancienne m. de Notre-
Dame de Chartres du V e s. a la Revolution, Paris 1899 ; R.
Garraud, Hist, de la m. de la cathedrale de Dijon, Dijon
1 899 ; G. Van Doorslaer, Notes sur les jubds et m. des egli-
ses . . . a Malines, Bull, du Cercle archeologique de Malines
XIV, 1906; ders., Lam.de St-Rombaut a Malinesjusqu'en
1580, Musica Sacra XLIII, 1936 (Brugge); M. Brenet,
Les musiciens de la Ste-Chapelle du Palais, Paris 1910; E.
Fyot, L'origine de la m. de la Ste-Chapelle a Dijon, Me-
moires de l'Acad. de Dijon V, 2, 1917/19 ; ders., La m. de
la Ste-Chapelle a Dijon, Rev. de Bourgogne X, 1920; F.
Delcroix, La m. de Cambrai, Memoires de la Soc. d'emu-
lation de Cambrai LXVIII, 1921 ; R. Wangermee, Le traite
du chant sur le livre de P. L. Pollio, M61anges Ch. Van den
Borren, Antwerpen 1945 ; G. Roussel, Les m. d'enfants et
les offices liturgiques, Atti del Congresso internazionale di
Musica Sacra Rom 1950; P. Pimsleur, The French M.,
The Mus. Times XCV, 1954 ; J. Prim, Chant sur le livre in
French Churches in the 1 8 th Cent. , JAMS XIV, 1961.
Malaguena (malag'ejia, span.), siidspanisches Tanz-
lied (aus Malaga), eine Art des -> Fandangos. Kennzei-
chen der M. ist ein harmonisches Geriist, das aus den
Dreiklangen iiber den Q a J, , g(l|)|i
Tonen des absteigenden
Molltetrachords besteht
und, ostinatoartig repetiert, als Grundlage fiir zumeist
improvisierte Melodien dient. In der Konzertmusik
gibt es die M. u. a. in Werken von Albeniz (Iberia IV)
und Ravel (Rapsodie espagnole).
Malaia ->• Hinterindien.
Mambo, Modetanz aus der Familie der siidamerika-
nisch-kubanischen Tanze. Unmittelbar nach dem 2.
Weltkrieg fand der M. Eingang in den -> Afro-Cuban
Jazz; dabei erhielt er seine charakteristische Auspra-
gung unter demEinfluB des -*• Swing und der -*■ Rum-
ba. Deren eigentiimliches Instrumentarium (u. a.
Rumbakugeln) wurde in die Schlagzeuggruppe des
Jazzorchesters aufgenommen ; zugleich iiberlagerte sich
dem Rumbarhythmus derjenige des Foxtrotts nach
dem Schema:
Rumba: | J «QJ J I
Foxtrott und M.: | JJJJJJJJ I
Der seit 1955 auch in Europa verbreitete M. wird mit
einem gestreckten und einem gebeugten Bein, bei fort-
wahrender Bewegung der Hiiften, zu Paaren getanzt.
Lit. : B. Taylor, M. and How to Play Them, NY 1950.
mancando, mancante (ital.), abnehmend, wie -»■ ca-
lando.
Manchester.
Lit.: G. Behrens, Sir Ch. Halle and After, M. 1926; The
Halle Magazine 1-110, M. 1946-59; J. F. Russell, A Hist,
of the Halle Concerts, 1 858-1939, M. 1948-56 ; C. B. Rees,
100 Years of the Halle, London 1957; M. Kennedy, The
Halle Tradition, M. 1960.
Mandola (ital.) -»- Mandora, ->■ Mandoline.
Mandoline (ital. mandolino, Diminutiv von mando-
la; span, bandolin), Saiteninstrument aus der Familie
der Lauten, mit kiirbisartig gewolbtem Schallkorper
(tiefer gewolbt als bei den Lauten, aber kleiner). Es gibt
zwei Haupttypen der M., deren erster, die Mailiindi-
sche M., eine abgewandeltc ->■ Mandora mit seitenstan-
digen Wirbeln und geschweiftem Wirbelkasten ist.
(Die Abbildung zeigt ein Instrument des Mailanders
Fr.Presber, 1773.) Der zweite Typ, heute hauptsach-
lich in der Form der (4chorigen) Neapolitanischen M.
verbreitet, kam wohl um 1650 zuerst in Florenz (als
Florentinische M., 5chorig) auf. Die Herkunft dieses
Typs aus der Mandora ist umstritten. Er unterscheidet
sich von der Mandora durch die Form des Corpus (mit
einem oder mehreren runden, of-
fenen Schallochern) und durch
die hinterstandigen Wirbel (heu-
te mit Stellschraubvorrichtung).
Dieser Typ wurde mit einigen
Abwandlungen auch als Genue-
sische M. (5-6chorig), Paduani-
sche M. (5chorig), Romische M.
(4chorig), SienesischeM. (4-6sai-
tig) und Sizilianische M. (IchSrig
zu 2 Saiten oder 3chorig zu je 3
Saiten) gebaut. Daneben wurde
aus der Neapolitanischen M. eine
Grofiform (eine Oktave tiefer
klingend) entwickelt, die den Na-
men Mandola erhielt; dadurch
sind Verwechslungen mit der
Mandora moglich. Die M. wird
mit einem Plektron aus Schild-
patt (heute meist aus Kunststoff)
im Tremolo gespielt, doch wird
sie daneben auch gezupft. Die
Saiten sind in der Zarge (bei der
MailandischenM. an einem Quer-
riegel) befestigt. Das Saitenma-
terial der 4chorigen M. vor Einfiihrung der Stahlbe-
saitung durch P. Vinaccia in der 1. Halfte des 19. Jh.
war in der Regel (vom tiefsten zum hochsten Saiten-
paar): Darm (auch umsponnen), Kupfer oder Messing,
Stahl und wieder Darm. Der Bezug der Neapolitani-
schen M. besteht aus 8 paarweise im Einklang gestimm-
ten Saiten, die 4 Chore sind in Quinten (wie die Violi-
ne) gestimmt : g d 1 a 1 e 2 . Die Mailandische M. hat 6 (zu-
weilen auch 5) Saitenpaare und die Stimmung g h e 1 a 1
d 2 e 2 bzw. g c 1 a 1 d 2 e 2 . Die M. erlebte ihre Hochblute
um die Wende des 18. Jh. (P. Vimercati aus Mailand, B.
Bartolazzi aus Venedig). Sie ist in Italien, besonders in
Neapel, noch heute als Melodieinstrument in Gebrauch
und wird durch die Gitarre begleitet; in Deutschland
und Osterreich wird das M.n-Spiel wieder in Volks-
musikgruppen und M.n-Orchestern gepflegt. In Eng-
land war die M. bis 1713 unbekannt. Vivaldi kompo-
nierte ein Konzert fiir M. und zwei fiir 2 M.n; Mozart
verwendete die M. fiir das Standchen im Don Giovanni ;
Beethoven schrieb um 1790 eine Sonatine und ein
Adagio fiir M. und Cemb. ; bei Verdi begegnet die M.
im Otello (1887). Im Orchester des 20. Jh. wird sie von
Mahler (7. und 8. Symphonie), von Schonberg als
-»■ Kurztoninstrument (Serenade op. 24, Moses und
Aron), von Strawinsky (Agon), Webern undHenze vor-
geschrieben.
Lit. : B. Bortolazzi, Anweisung, d. M. selbst zu erlernen,
Lpz. 1805 ; J. Zuth, Die Mandolinenhss. in d. Bibl. d. Ges.
d. Musikfreunde in Wien, Zf Mw XIV, 193 1 /32 ; K. Wolki,
Die Gesch. d. M., Bin 1940; G. de St.-Foix, Un fonds in-
connu de compositions pour m. (XVII e s.), Rev. de Musi-
col. XVII, 1933; A. Buchner, Beethovens Kompositionen
f. M., Beethoven-Jb. Ill, 1957/58. - Zs. Die M., hrsg. v. J.
Zuth, Wien 1924, 1925 vereinigtmitd.Zs. MusikimHaus.
Mandolone, auch Arcimandola, im 18. Jh. eine italie-
nische BaBmandoline, 7-8chorig (Doppelsaiten) in der
Stimmung F (G) A d g h e 1 a 1 .
Mandora (Mandola, Mandore), ein altes, der Laute
ahnliches, ziemlich kleines Zupfinstrument orientali-:
scher Herkunft, das zuerst 1235 in der Provence nach-
weisbar ist. Bis ins 16. Jh. unterscheidet es sich von der
Laute durch das flachere, unmittelbar in den Hals aus-
laufende Corpus und den weniger stark abgeknickten,
geschweif ten Wirbelkasten. Die M. ist wahrscheinlich
identisch mit der Guitarra morisca des 12./13. Jh. und
dem -> Qopuz. Virdung (1511) und Agricola (1528)
542
bilden sie unter der Bezeichnung Quinterne ab. Die
alteste europaische Form der M. war 4(-5)saitig; um
1450 hatte sie chorige Beziige (Doppelsaiten). Erst im
16. Jh. kam es zu einer Annaherung an die Form der
Laute (abgesetzter Hals, Rosette, Doppelbesaitung) , wo-
bei die Vierzahl der Chore sowie der geschweifte Wir-
belkasten blieben. Die 4 Chore waren zumeist c g c 1 gi
(oder f 1 oder el) gestimmt. Praetorius (1619) nennt
5chorige Mandoren (c g c 1 gi c 2 oder c f el f 1 c 2 ). Mer-
senne zufolge (1636) ist das Instrument 1^2 FuB lang
und hat 9 Biinde; wenn mehr als 4 Chore vorhanden
sind, handelt es sich um eine Mandore luthee. Die
fruhbarocken Bezeichnungen Mandiirchen, Mandu-
rinchen, Pandurina weisen auf die kleinere Gestalt der
M. im Vergleich zu den groCeren Lauten hin. Im 17.
Jh. entstand die Mandurina (»Mailandische Mandoli-
ne*) von schmalerer Bauart, mit (meist) offenem
Schalloch und 6 Saitenchoren (im 18. Jh. 6 einfache
Saiten aus Darm), deren tiefster, wie bei der -> Man-
doline, auf g gestimmt ist.
Lit. : A. Koczirz, Zur Gesch. d. Mandorlaute, in: Die Gi-
tarre II, 1920/21 ; K. Geiringer, Der Instrumentenname
»Quinterne« u. d. ma. Bezeichnungen d. Gitarre, Mandola
u. d. Colascione, Af Mw VI, 1924.
Manier (mittellat. maneria und maneries, Art, Ge-
wohnheit, von man[u]arius, zur Hand gehorig, hand-
lich; frz. maniere, Art und Weise; ital. maniera).
- 1) Maneria oder Maneries ist ein Terminus der mit-
telalterlichen Lehre von den Kirchentonen, der in den
gegen 1150 entstandenen Choraltraktaten der Zister-
zienser mafigeblich erlautert wird. Hiernach enthalt
das diatonische System insgesamt 4 Maneriae, die
sich auf der Grundlage verwandter Oktavgattungen
durch verschiedene Abfolge der Ganz- und Halbton-
intervalle voneinander unterscheiden : Prima [maneria]
est, quae afinali ascendit per tonum et semitonium, et des-
cends per tonum (= C-jD|-E-F . . . oder G-jaj-tr-c . . .).
Secunda, quae afinali ascendit per semitonium et tonum, et
descendit per tonum (= D-ffiUF-G . . . oder a-lN-c-d)
usw. (GS II, 266a). Nach Ansicht der Zisterzienser
werden in den Maneriae, die stets der Dispositio (dem
charakteristischen Intervallgefiige) eines Gesanges zu-
geordnct sind, die antiken Modi protus, deuterus,
tritus und tetrardus greifbar, die dann erst von den
»modemi« jeweils in einen authentischen und den
dazugehorigen plagalen Kirchenton (modus) unter-
teilt worden seien. - In der mittelalterlichen Musik-
lehre ist Maneries auch, synonym mit -> Modus (- 2),
Bezeichnung der rhythmischen Schemata: Modus vel
maneries vel temporis consideratio est cognitio longitudinis
et brevitatis meli sonique (Anonymus IV, CS I, 327b;
weitere Belege CS I, 175a, und CS I, 279a). - 2) Die
italienische Kunstlehre des 16. Jh. (Vasari) bezeichnet
als Maniera die individuelle Gestaltungsweise eines
Kiinstlers, sofern sie nicht auf die Grundprinzipien der
Kunsttheorie zuruckzufiihren, sondern allein Ausdruck
seiner Personlichkeit ist. Um 1600 wurde im italieni-
schen Musikschrifttum die nobile maniera di cantare
(Caccini 1601) zum Lehrgegenstand, vor allem als Vor-
trag der -> Monodie mit den ihr gemaBen Gesangs-
verzierungen. Deutsche Gesangschulen des 17. Jh. ver-
festigten im AnschluB hieran das Wort M. zu einem
Terminus: M. Praetorius lehrte das Singen vffjetzige
Italianische M. (Synt. Ill im AnschluB an Bovicelli und
Caccini) ; eine ausf iihrliche Lehre Von der Singe-Kunst
oder M. legte Chr.Bernhard vor. Seit Ende des 17. Jh.
umfaBt der Terminus M.en auch die ->■ Verzierungen
der Instrumentalmusik. Fr. W. Marpurg unterscheidet
in seiner Klavierschule (1755) zwischen Setz- und Spiel-
Mannheimer Schule
iM.en und versteht unter ersteren die ausgeschriebenen
Figuren und Passagen, unter Spiel-M.en die improvi-
sierten Verzierungen, deren Form den Setz-M.en ent-
spricht.
Lit.: zu 1): Domni Guidonis in Caroli-loco abbatis Re-
gulae de arte musica, CS II, 150ff. ; Tonale S. Bernardi, GS
II, 265ff. ; Praefatio seu Tractatus de cantu seu correctione
Antiphonarii, in: Sancti Bernardi . . . Opera omnia, hrsg.
v. J. Mabillon, Nova Ed., Bd 1, 2, Paris 1719, S. 701ff. ; G.
Reese, Music in the Middle Ages, NY (1940), London 1941 ;
K. W. Gumpel, Zur Interpretation d. Tonus-Definition d.
Tonale Sancti Bernardi, Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz,
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1 959, Nr 2. - zu 2) :
L. Schrade, Von d. »Maniera« d. Komposition in d. Mu-
sikd. 16. Jh.,ZfMwXVI, 1934(umstritten).
Mannheim.
Lit. : A. Pichler, Chronik d. GroCherzogl. Hof- u. Natio-
naltheaters in M., M. 1879; Fr. Walter, Gesch. d. Thea-
ters u. d. Musik am Kurpfalzischen Hofe, = Forschungen
zur Gesch. M. u. d. Pfalz I, Lpz. 1 898 ; ders., Arch. u. Bibl.
d. GroBherzoglichen Hof- u. Nationaltheaters in M. 1779-
1839, 2 Bde, Lpz. 1899; E. L. Stahl, Das M.er National-
theater, 2 Bde, M., Bin u. Lpz. 1929-40; ders., Mozart am
Oberrhein, StraBburg 1942; 175 JahreNationaltheater M.,
zusammengestellt v. H. Stubenrauch, W. Herrmann u.
Cl. H. Drese, M. 1954; E. Schmitt, 100 Jahre Musica
sacra in d. Kurpfalz, M.er H., Jg. 1959, H. 1 ; A. Ciechano-
wiecki, M. K. Oginski u. sein Musenhof zu Slonim, = Beitr.
zur Gesch. Osteuropas II, Koln u. Graz 1961 ; G. Hart,
Die Holzblasinstrumentenmacher Eisenmenger. Ein Beitr.
zur Gesch. d. M.er Musikinstrumentenbaues, M.er H.,
Jg. 1961, H. 2.
Mannheimer Schule, der unter dem pf alzischen Kur-
fiirsten Karl Theodor (1743-99) in Mannheim wirken-
de Kreis von Komponisten, die in ihrer hervorragen-
den Bedeutung fur die klassische Instrumentalmusik
von H.Riemann wiederentdeckt wurden. Bedeutsam
ist vor allem die altere, von dem Deutschbohmen J.
Stamitz (f 1757) gefiihrte Gruppe (etwa 1745-60), be-
sonders Fr. X. Richter (der aus Mahren stammt, ab 1747
in Mannheim) und A.Filtz (wahrscheinlich aus Boh-
men, ab 1754 in Mannheim) neben dem Wiener I.
Holzbauer (ab 1753 in Mannheim), ferner der Italiener
C. G. Toeschi (ab 1752 in Mannheim) und der nicht in
Mannheim wirkende Stamitz-Schiiler Fr.Beck. Im
neuen Stil der Mannheimer Instrumentalmusik, bereits
in Stamitz' op. 1 epochemachend ausgepragt, ist der
harmonische Verlauf nicht mehr vom BaB her konzi-
piert (generalbaBmaBig notiert), sondern primar durch
die Melodie bestimmt. Dieser melodischen Sinnfallig-
keit des Satzes entspricht die Gliederung seiner har-
monisch-melodischen Teile in Zwei-, Vier-, Achttakt-
gruppen (Sinneinheiten), ein zur Wiener Klassik fiih-
rendes Ordnungsprinzip, das die neuen dramatischen
und expressiven Errungenschaften der Mannheimer
musikalisch ermoglichte : die kompositorisch-substan-
tiellen, klanglichen und dynamischen Kontraste auf
engstem Raum, die betontere Anlage von zweitem
Thema und Durchfuhrung, auch die zahlreichen, auf
Effekt zielenden Mannheimer Manieren, so die typi-
schen Crescendofiguren bei statischer Harmonie, die
Tremoli, gebrochenen Akkorde, »Raketen«-, »Fun-
ken«-, »Walzen«-Motivik, die Seufzer- und Vorhalts-
melodik, die abrupten Generalpausen. Zu den bleiben-
den Neuerungen gehoren die Verselbstandigung der
Blaser, vor allem der Horner und Holzblaser (Klarinet-
ten), und die psychologisch motivierte Eingliederung
des Menuetts an die dritte Stelle des Sonaten-Satzzyk-
lus sowie vor allem die von der dynamisch-expressiven
Beweglichkeit des Satzes geforderte dirigentische Sub-
tilitat der orchestralen Ausfiihrung. Die Instrumental-
werke der Mannheimer erregten seit der Mitte des 18.
Jh. besonders in Paris und London groBes Aufsehen;
543
Mantua
sie wurden in Mengen und zum Teil in drei- und mehr-
f achen Ausgaben, zumal in Paris, Amsterdam und Lon-
don (-»■ periodique) , gedruckt, und zahlreiche bedeuten-
de Komponisten, so der Augsburger J. Schobert (Kam-
mermusik mit Klavier) und der Franzose Fr.-J. Gossec,
standen nachweislich unter Mannheimer EinfluC. -
Von den deutschen Zentren vorklassischer Instrumen-
talmusik ist Berlin (C.Ph.E.Bach) gekennzeichnet
durch die Bach-Tradition (->• Berliner Schule) und
den norddeutschen »gearbeiteten« Stil (Graupner, Fasch,
Graun, Hasse), Wien (Wagenseil, Monn, -> Wiener
Schule - 1) durch den mehr evolutionaren Gang ei-
ner groBen Musikkultur, die Nahe Italiens und Fuxens
hohe Schule der »regulierten Komposition«, wahrend
Mannheim, ebenfalls stark italienisch beeinfluBt, doch
zugleich mitgepragt durch die volkstiimliche Ur-
spriinglichkeit bohmischen Musikantentums und be-
giinstigt durch den Ehrgeiz eines Kurf iirsten und das
Genie eines Stamitz, in jener revolutionierenden Weise
»original« wirkte, die dem norddeutschen Standpunkt
als Unkultur erscheinen muBte. So kam es auch, daB
die Mannheimer Musik in ihrer geschichtlichen Rol-
le zeitlich begrenzt ist und im SchafEen einer spate-
ren Gruppe unter der Fiihrung des Stamitz-Schulers
und -Nachfolgers Chr. Cannabich (C. u. A. Stamitz,
F. Franzl, E.Eichner, W. Cramer, Fr. Danzi u. a.) weit-
gehend verflachte, wahrend sich das Schwergewicht
der Entwicklung nach Wien verlagerte. Mannheim -
eine herrliche Schule in der Ausfuhrung, aber nicht in der
Erfindung. Monotonieherrschthierim Geschmack . . . (Schu-
bart, Deutsche Chronik, 1775, S. 591), und in der Zeit
der Ubersiedlung des Mannheimer Hofes nach Miin-
chen sprach auch L.Mozart (Brief an den Sohn, 11. 12.
1777) vom vermanierierten Mannheimer gout.
Ausg.: Sinfonien d. pfalzbayerischen Schule, hrsg. v. H.
Riemann, = DTB III, 1, 1902, VII, 2, 1906 u. VIII, 2, 1907
(mit thematischem Kat. u. Vorw.); Mannheimer Kammer-
musik d. 18. Jh., hrsg. v. dems., = DTB XV, 1914, u. XVI,
1915 (mit thematischem Kat.).
Lit. : G. J. Vogler, Churpfalzische Tonschule, Mannheim
1778; ders., Betrachtungen d. Mannheimer Tonschule I-
III, ebenda 1 778-8 1 ; A. Heuss, Zum Thema »Mannheimer
Vorhalt«, ZIMG IX, 1907/08 ; ders., Uber d. Dynamik d.
M. Sch., Fs. H. Riemann, Lpz. 1909, II. Teil in: ZfMw II,
1919/20; L. Kamienski, Mannheim u. Italien, SIMG X,
1908/09; H. Riemann, Beethoven u. d. Mannheimer, Mk
VII, 1907/08; ders., Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913; W.
Fischer, Zur Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils,
StMw III, 1915; R. Sondheimer, Die formate Entwick-
lung d. vorklass. Sinfonie, AfMw IV, 1922; ders., Das eu-
ropaische Mannheim, Mannheim 1940; Fr. Waldkirch,
Die konzertanten Sinfonien d. Mannheimer im 18. Jh.,
Diss. Heidelberg 1931 ; H. Stephan, Der Mannheimer Stil
u. seine deutsch-bohmischenVertreter, in : Der Ackermann
aus Bohmen IV, Prag 1936; H. Boese, Die Klar. als Solo-
instr. in d. Musik d. M. Sch., Dresden 1940; W. H. Reese,
Grundsatze u. Entwicklung d. Instrumentation in d. vor-
klass. u. klass. Sinfonie, Diss. Bin 1940; W. Senn, Vorw.
zu: DTO LXXXVI, Wien 1949; G. Croll, Zur Vorgesch.
d. »Mannheimer«, Kgr.-Ber. Koln 1958; J. P. Larsen, Zur
Bedeutung d. »M. Sch.«, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg
1962; R. Fuhrmann, Mannheimer Kl.-Kammermusik,
Diss. Marburg 1963. HHE
Mantua.
Lit. : A. Bertolotti, Musici alia corte dei Gonzaga . . .
dal s. XV al XVIII, Mailand (1890), dazu E. Vogel in:
VfMw VII, 1891, S. 278; A. D'Ancona, II teatro manto-
vano nel s. XVI., Turin 2 1891 ; E. Lui u. A. Ottolenghi, I
cento anni del Teatro Sociale di Mantova 1822-1922, M.
1923; J. Pulver, Music in M. (1590-1610), MMR LXVI,
1936; E. Schenk, Mozart in M„ StMw XXII, 1955; Cl.
GALLico.La musica a Mantova all'epoca dTsabella d'Este
e la tradizione mus. ital., Bolletino stor. mantovano III,
1958; P. M. Taomann, Archivalische Studien zur Musik-
pflege am Dom v. M., Diss. Bern 1965,maschr.
Manual (von lat. manualis, zur Hand gehorend), bei
Tasteninstrumenten die fur das Spiel der Hande be-
stimmte Klaviatur. Seit dem 15. Jh. sind M.e mit kiir-
zeren Ober- und langeren Untertasten nachweisbar.
Die Regel, daB die Stammtone den Untertasten, die
Akzidentien den Obertasten zugehoren, wurde im 16-
18. Jh. vielfach durch die -» Kurze Oktave durchbro-
chen. Der Umfang des M.s war um 1400 etwa 2 Ok-
taven, um 1500 etwa 3 Oktaven (F-£). Im 16.-18. Jh.
begann das M. meist mit C und reichte bis c3 oder &,
an italienischen Cembali ohne 4' auch hoher. Die tief-
ste Oktave war oft als Kurze Oktave angelegt; dar-
iiber hinaus wurden haufig zur Tiefe hin einige Tone
(aber keine vollstandige chromatische Skala) bis \G
oder iF angefugt (ravalement). Orgeln in mitteltoniger
Stimmung hatten fiir dis/es und gis/as mitunter eine
geteilte Obertaste (Praetorius Synt. II, S. 186; Orgel des
E.Compenius in Biickeburg). Mit dem Aufkommen
des Pianofortes im 18. Jh. setzte sich die Orientierung
auf F mit voller Chromatik auch fiir das Cembalo
durch, wahrend Orgel und Clavichord weiterhin in
der C-Orientierung verblieben. Bei modernen Orgeln
reicht das M. von C bis f 3 oder a3, ausnahmsweise bis
c*, in franzosischen Orgeln (Cavaille-Coll) bis g3. Auf
dem Pianoforte wurde das M. nach 1800 auf jC-f 4 aus-
gebaut, um 1825 auf iC-c5, nac h 1880 auf 2 A-a4 oder
2A-c5. Die Breite der Tasten war Schwankungen un-
terworfen; heute nehmen 21 Untertasten die Breite
von 50 cm ein, in M.en des 18. Jh. nur 46-48 cm. Re-
formen fiir das M. wurden mehrfach versucht: Vin-
cent schlug 1874 ein chromatisches M. mit stetig ab-
wechselnden Ober- und Untertasten vor mit Verzicht
auf die charakteristische Gruppierung von 2+3 Ober-
tasten in der Oktave von 7 Untertasten. Seine Idee
wurde 1882 vonjanko aufgegriffen, bei dessen M. 2
chromatische Tastenreihen (beginnend auf c bzw. cis)
iibereinanderliegen. Jede Taste hat 3 Anschlagstellen
und geringere Breite, so daB groBe Griffe spielbar sind
und ein chromatisches Glissando in alien Tonarten er-
moglicht wird. Ein Pianoforte a double clavier ren-
verse mit 2 M.en - auf dem einen sind die Tone auf-
steigend, auf dem anderen absteigend angeordnet - er-
fand Mangeot 1876. Ein M. in Bogenform konstruier-
te A. Schulz 1908, eines in Strahlenform Clutsam 1909.
Mehrere M.e sind an der Orgel seit 980 (Orgel in
Winchester), am Cembalo seit etwa 1530 nachweisbar.
An der Orgel gibt es 2 bis 4, selten 5 oder mehr, am
Cembalo bis zu 3 M.e. Bei 2 M.en liegt das Haupt-M.
meist unten, bei dreien in der Mitte. - Am M.-Bild
mit der Normalanordnung der Unter- und Obertasten
sind auch Versuche zur Neugestaltung der Notenschrif t
orientiert, wie die Zwolftonschrift von Hauer.
Lit. : A. Kircher SJ, Musurgia universalis, 2 Bde, Rom
1 650, 21 690 ; P. v. Jank6, Eine neue Klaviatur, Wien 1886;
R. Hausmann, Das Janko-Kl. u. seine technische Vervoll-
kommnung, ZIMG V, 1903/04; F. B. Boyes, Das Janko-
Kl., Wien u. Lpz. 1904; T. Norlind, Systematik d. Saiten-
instr. II, Gesch. d. Kl., Stockholm 1939, Hannover 21941 ;
J. Handschin, Aus d. alten Musiktheorie V : Zur Instru-
mentenkunde, AMI XVI/XVII, 1944/45; S. Marcuse,
Transposing Keyboards on Extant Flemish Harpsichords,
MQ XXXVIII, 1952; Fr. Ernst, Der Fliigel J. S. Bachs,
Ffm., London u. NY 1955; K. W. Gumpel, Das Tasten-
monochord Conrads v. Zabern, AfMw XII, 1955.
manualiter (lat., Abk. : man., m.), in Orgelkompo-
sitionen fiir Manual (d. h. ohne Pedal).
Maqam (Plur. maqamat, arabisch, urspriinglich s. v. w.
Versammlungsplatz fiir Vortrage, dann Standort des
Singers vor dem Kalifen) ist der Name fiir die Melo-
diemodelle in der arabischen, persischen und tiirki-
schen Musik. Entsprechende regionale Bezeichnungen
544
Maqam
sind in Agypten nagama (Melodie), in Tunesien tab'
(Charakter), in Algerien sana'a (Arbeit, Handwerk,
Kunst), persisch 'awaz (Gesang) mit den Nebenfor-
men su'ab und sudiid sowie dastgah (aus dast, Hand,
auch MaBeinheit, und gah, das in Zusammensetzun-
gen Zeit oder Ort, Platz, heiBen kann). - Der orien-
talische Musiker denkt nicht in Tonen, sondern in
melodischen Gestalttypen, die als ungeteilt fortstro-
mende Melodielinien ausgefiihrt werden. Solchem in
der Intonation nicht festgelegten Musizieren entspricht
die Schriftlosigkeit; an die Stelle der schriftlichen
Festlegung tritt die zwischen Erklingen und Tonleiter
stehende M.-Formel. Jeder M. hat seine eigene Art
und Geschichte. Urspriinglich als Volksmelodien im
Gebrauch, wurden einige von ihnen typisiert und so-
mit lehr- und lernfahig. An ihre Herkunft erinnert das
Kennwort des verschollenen Textes (mahur, sahnaz).
In den feinen und endlos zahlreichen Unterschieden
der Maqamat kommt die religiose, sprachliche, politi-
sche und volksmaBige Zerrissenheit der arabisch-isla-
mischen Kultur zum Ausdruck. Die friihe Ausbildung
der M.-Technik ist im islamischen Zentrum Mesopo-
tamiens zu suchen und erhielt durch die Beimischung
des offenbar alteren Modellsystems Persiens eine theo-
retische Grundlage. Die M.-Technik wurde charakte-
ristisch f iir die stadtische Kunstmusik Arabiens, die sich
mehr und mehr von den Altstilen der Nomaden- und
Bauernmusik, auch der Frauenmusik trennte, die das
M.-Prinzip nicht oder nur rudimentar annahmen. Mit
der westlichen Expansion des Islams loste sich die arabi-
sche Stadtmusik von den persischen Vorbildern (trotz
Ubernahme eines guten Teils der Nomenklatur und
praktischen Lehre) und zeigt heute kaum mehr ge-
meinsame Ziige. Systematisiert und auf modale Lei-
tern reduziert ist die M.-Lehre in einigen islamischen,
doch stark hellenisierenden mittelalterlichen Traktaten
dargestellt, so bei al-Kindi, Ibn Zaila (mit Darstellung
der Ethoslehre der Maqamat und ihrer kosmischen
Beziehungen), Ibn Sina (->■ Avicenna) und Safi-ad
Din (dort erstmals die Nennung der 12 Maqamat und
6 'Awazat). - Musikalisch ist ein M. gekennzeichnet
durch seinen Grundton und eine Reihe von typischen
Melodiewendungen. Die M.-Grundtone sind isolierte
Klangeinheiten ; es gibt keine Oktavwiederholung in
derBenennung:
yakah 'usairan 'iraq last dukah slkah gahirkah
nawa husaini 'aug mahur (kiidan) muhaiyir gawab
Auf einem Grundton konnen mehrere Maqamat oder
M.-Familien ihren Sitz haben:
Verschiedenen Maqamat kann sogar die gleiche Ma-
terialleiter zugrunde liegen, sofern sie verschiedene
Melodiemodelle auspragen:
bjgaz-kar
Erst die Nebenmaqamat ergeben den vollen Umfang
einer M.-Einheit. Einen glatten Ubergang zwischen
den Maqamat zu erzielen, gehort zum kiinstlerischen
Spiel. Modulieren heiBt hier nicht nur eine neue Mo-
dalitat gewinnen, sondern auch die Melodieformeln
entsprechend wandeln. Ein kleines Lied kann allenfalls
»im Ton« eines M. stehen, zur vollen Ausbildung ist
eine GroBform notig. Sie besteht aus dem takt- und
textfreien Taqsim und dem metrisch geregelten Basrav.
Es gibt verschiedene Taqsim-Formen, solistisch mit
oder ohne Bordun, auch gesungen (Vokalisen auf ya
laili, »o, meine Nacht«), auch im Zusammenspiel meh-
rerer Instrumente, mit oder ohne »Ritornelle«. Im
Basrav tritt eine Gruppe von Rhythmusinstrumenten
hinzu mit eigenen rhythmischen Perioden ('iqa'), uber
die die melodischen Perioden hinweggleiten. In der
tiirkischen Musik ist der Rhythmus durch die Usui ge-
regelt, von denen es etwa 60 gibt, so den Usui tiirk
aksage (»tiirkischer Hinker«, 2+3) und den Aksak se-
ma'I (»hinkender Dreher«, 3 + 2+2+3). Sie werden
auf Schlaginstrumenten mit »dumpfen« und »klaren«
Schlagen, schlicht oder auch verziert, angegeben. -
Unter dem Druck westlicher Musik verdrangt der
Leiterbegriff die alte orientalische Denkform in Melo-
diemodellen; die reichen M.-Listen der mittelalterli-
chen Diwane verlieren mehr und mehr ihren klingen-
den Bezug. Die Zahl der in Gebrauch befindlichen
Maqamat schwankt nach Ort und Bildungsstand:
wahrend in Agypten etwa 8 in standigem Gebrauch
sind (Berner), verfugen gute Bagdader Musiker uber
etwa 20, persische auch bis zu 30 und mehr. In der tiir-
kischen Musik waren jeweils etwa 100 Maqamat ge-
brauchlich. Insgesamt lassen sich bisher 520 Maqamat
nachweisen.
Lit. : al-Kindi, Risala fl hubr ta'llf al-alhan (»Abh. uber d.
innere Wissen bei d. Komposition v. Melodien«), hrsg. v.
R. Lachmann u. M. el-Hefni, = Veroff. d. Ges. zur Erfor-
schung d. Musik d. Orients I, Lpz. 1931 (mit deutscher
Ubers.); Avicenna, Kitab aS-Sifa, NA Teheran 1895/96,
Kap. XII f rz. in : Baron R. d'Erlanger, La musique arabell,
Paris 1935; ders., Kitab an-Nagat, als: Ibn Sinas Musik-
lehre, hrsg. v. M. el-Hefni, Bin 1 93 1 ; SafI-ad DIn, Kitab al-
adwar.frz.ebendalll, 1938; ders., ar- Risala aS-Saraflya...,
hrsg. v. Carra de Vaux als: Le traite des rapports mus. ou
renitre a Scharaf ad-Din, Journal Asiatique VIII, 1891; A.
Z. Idelsohn, Die M. d. arabischen Musik, SIMG XV, 1913/
14, auch in: Thesaurus IV, 1923; R. Lachmann, Musik d.
Orients, Breslau 1929; A. Berner, Studien zur arabischen
Musik ... in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f.
35
545
Maracas
Deutsche Musikforschung II, Lpz. 1937; C. Sachs, The
Rise of Music in the Ancient World, NY (1943); H. G.
Farmer, The Music of Islam, in : The New Oxford Hist, of
Music I, London 1957; H. Hickmann u. Ch. Gr. Due de
Mecklenbourg, Cat. d'enregistrements de musique folk-
lorique egyptienne, = Slg mw. Abh. XXXVII, StraBburg
u. Baden-Baden 1958; Khatschi Khatschi, Der Dastgah,
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XIX, Regensburg
1962; G. Oransay, Die traditionelle tiirkische Kunstmusik,
= Ankaraner Beitr. zur Musikforschung I, Kii|-Veroff.
Nr 3, Ankara 1964; ders., Chronologisches Verz. turki-
scher Makamnamen, ebenda II, 1965; ders., Die melo-
dische Linie u. d. Begriff Makam d. traditionellen tiirki-
schen Kunstmusik v. 15. bis zum 19. Jh. (Diss. Miinchen
1962), ebenda III, Nr 7, 1966. EGK
Maracas, Rasselinstrument lateinamerikanisch-india-
nischer Herkunf t (auf Grund der haufigen Verwendung
in der Rumba auch Rumbakugeln genannt), bestehend
aus einem Paar ausgehohlter Kalebassen, die mit
Schrot, Samen- oder Sandkornern gef iillt und jeweils
an einem Stiel befestigt sind. Jede Hand halt eine
Maraca; das Spielen erfolgt entweder durch ruckarti-
ges, in beiden Handen abwechselndes Schlagen oder
durch anhaltendes Schiitteln (Wirbeln), auch in Kom-
bination beider Spielarten. Der Klang der geschlage-
nen M. ist kurz, scharf, schnalzend. Sie werden in fast
alien lateinamerikanischen Tanzen verwendet und fan-
den von dortEingang in das Schlagzeug des modernen
Orchesters (Varese, Milhaud, Boulez).
Marburg.
Lit.: G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen
Univ. . . ., AfMf VII, 1942; H. Engel, Die Musikpfleged.
Philipps-Univ. zu M. seit 1527, M. 1957.
marcato (ital., Abk. : marc), markiert, nachdriick-
lich herausgehoben.
Marching band (m'a:tfirj basnd, engl.), auch Brass
band, Street band, Bezeichnung fur Kapellen der nord-
amerikanischen Neger, die seit der 2. Half te des 19. Jh.
Marschmusik der WeiBen nachzuahmen versuchten.
Solche Kapellen spielten, vor allem in New Orleans,
bei Begrabnissen, Hochzeiten, Wahlkampagnen und
im Karneval (mardi gras). AuBer Marschen gehorten
zu ihrem Repertoire Chorale, instrumental ausgefiihrte
-> Blues und -*■ Negro spirituals. Durch die M. b.s er-
gab sich - wohl auch unter dem EinfluB des -»■ Rag-
time - zum ersten Male im instrumentalen Gruppen-
musizieren eine Verbindung europaischer Marschmu-
sik (4/4-Takt, funktionale Harmonik) mit der mu-
sikalischen Negerfolklore Nordamerikas (-> Beat - 1 ;
->• Off-beat; Blue notes; -»■ Dirty tones; ->■ Hot-In-
tonation), die eine Vorstufe des ->- Jazz darstellt.
Maria Laach (Rheinland), Benediktinerabtei, gegr.
Lit.: J. Wegeler, Das Kloster L., Gesch. u. Urkunden-
buch.Bonn 1854;Th.Bogler, M.L., Vergangenheitu. Ge-
genwart, =Kunstfuhrer XII, Miinchen u. Zurich 41961.
Marianische Antiphonen (lat. Antiphonae Beatae
Mariae Virginis), die vier dem -»■ Offizium der ro-
misch-katholischen Kirche zugehorenden (psalmlosen)
Antiphonen -»- Alma redemptoris mater, -»■ Ave regi-
na caelorum, ->- Regina caeli und -»■ Salve regina. Ihre
wechselweise Verteilung auf das Kirchenjahr (als
SchluBantiphonen der ->■ Komplet - 1) laBt sich erst-
mals 1249 bei den Franziskanern, ab 1350 ebenfalls im
Brevier der Kurie belegen. 1568 wurden sie von Pius V.
im Rahmen des gemeinsam vollzogenen Stundenge-
bets als AbschluB aller selbstandigen Horen angeord-
net. Nach dem Generaldekret der Ritenkongregation
vom 23. 3. 1955 werden die M.n A. im heutigen Offi-
zium wiederum nur amEnde der Komplet vorgetragen.
546
Marimba (in Afrika auch balafo; engl. auch gourd
piano) , af rikanisches und durch Negersklaven nach Mit-
telamerika gelangtes xylophonartiges Schlaginstru-
ment; es besteht aus Holzplatten verschiedener GroBe
und Stimmung, die auf einem Rahmenunterbau befe-
stigt sind und mit 2 Schlagstaben bearbeitet werden (zu-
weilen von 2 Spielern). Unter den Platten befinden sich
zumeist Resonanzkalebassen aus Kiirbis oder Zedern-
holz. Der Zusammenhang der M. mit den sudasiati-
schen und ozeanischen Xylophonen gilt seit den For-
schungen v.Hornbostels als erwiesen. In Lateinameri-
ka, besonders in Guatemala, wurde sie Volksinstru-
ment. Von dort gelangte das Instrument in die Unter-
haltungs- und Konzertmusik (Former, The Creation),
meist in verbesserter Form, z. B. als Marimbaphon
(mit Resonanzrohren aus Leichtmetall, Umfang c-c 4 ,
aber auch in tieferer Stimmung) oder als Mischform
Xylorimba (ci-c5, ohne Resonanzrohren). Alle diese
Arten unterscheiden sich vom trapezformigen (euro-
paischen) -> Xylophon besonders durch die klaviatur-
maBige Anordnung der Klangplatten.
Lit.: S. F. Nadel, M.-Musik, = Sb. Wien CCXII, 3, 1931 ;
F. Ortiz, La afroamericana »M.«, Anales de la Soc. de
geografia e hist. (Guatemala) XXVII, 1953/54; D. Vela,
Lam., Guatemala 1962.
Marsch (frz. marche, im 17. Jh. das Signal zum Auf-
bruch; ital. marcia; von lat. marcare, hammernd
schreiten), eine Musik, deren Zweck es ist, die Bewe-
gung, das Tempo, auch den Gleichschritt (-> Armee-
marsche) einer schreitenden Gruppe zu regeln. Die M.-
Musik ist daher oft lautstark und rhythmisch akzentu-
iert. Mit dem Tanz beriihrt sie sich in den Gattungen
der Schreittanze (Intrada, Pavane, Polonaise), doch ist
beim M. gegeniiber dem Tanz mit seinen geregelten
Touren die Periodik weniger ausgepragt, die Vielfalt
der Metren und Rhythmen geringer (Marsche stehen
iiberwiegend in geraden Taktarten C, (f, 2/4, »Reiter-
marsche« in 6/8), die Tempounterschiede zwischen den
Typen sind nicht ganz so groB. Gemeinsam ist dem
Tanz und dem M. die Moglichkeit zu musikalischer
Stilisierung. - Der Verschiedenheit der Anlasse fur M.-
Musik entspricht die Vielfalt der Charaktere bis in die
stilisierten Formen hinauf ; ausgepragt ist der Typ des
Priester-M.es (Gluck, Alceste; Mozart, Die Zauber-
flbte; Wagner, Parsifal), der Trauer-M. (Handel, Saul,
entgegen der Gepflogenheit in Dur; Beethoven, 3.
Symphonie, Sonate op. 26; Chopin, Sonate op. 35;
Wagner, Gotterdammerung; Mahler, 5. Symphonie),
der beschwingte Hochzeits-M. (Mendelssohn Barthol-
dy, Sommernachtstraum; Wagner, Lohengrin).
Wie der Tanz, so war auch der M. in der griechischen
Antike vom Sprachrhythmus gepragt. Mit dem Aulos
begleitete Marsche gab es beim Kriegszug, beim Um-
zug im Komos, von wo er als Ein- und Auszugs-M. in
die Komodie kam. - Auf der Tradition der spatmittel-
alterlichen Prozessionsgesange, Kreuzfahrer- und
Landsknechtslieder baut der neuere M. auf. Er ent-
stand, als Trompeterfanfaren (Posten) in Liedform ge-
bracht und als von den Querpfeifern Lieder zum Trom-
melschlag gespielt wurden. Die Liedform des M.es seit
dem 17. Jh. besteht aus zwei Teilen zu je 8-16 Takten.
Nach dem Vorbild vor allem des Menuetts kam nach
1750 ein melodioses Trio (oft in der Subdominante)
hinzu. Der stilisierte M. findet sich fast iiberall in der
Suitenmusik. Besonders weit getrieben ist die Stili-
sierung (unregelmaBige Perioden) in der Klaviermu-
sik (My Ladye Nevells Booke, 1591 ; Bach, Notenbiich-
lein £iir Anna Magdalena; Beethoven, Sonate op. 101).
Die Traditionen der franzosischen M.-Musik faBte im
17. Jh. Lully zusammen, der Ballettmarsche auch im
ungeraden Takt schrieb. Zum rhythmisch betonten
Masque
Glanz und Schwung des franzosischen M.es kontra-
stiert im 18. Jh. der melodisch ausgepragte Opern-M.
der f riihen Neapolitanischen Schule. Wahrend der Sui-
ten-M. in Frankreich und dem nordlichen Deutsch-
land im 18. Jh. franzosischen Vorbildern folgt (J.C.F.
Fischer und Krieger 1704), verbindet der M. in ->■ Kas-
sation, Divertimento und Serenade seit Fux italieni-
sche und siiddeutsch-osterreichische Art. Von mitrei-
Bendem Schwung ist der M. der ->• Janitscharenmusik.
Die Marsche seit der Franzosischen Revolution sind ge-
kennzeichnet durch vorwartstreibende punktierte
Rhythmen, wie in den Revolutionshymnen und -mar-
schen {Marseillaise) und in der Oper auBerhalb Frank-
reichs, vor allem bei Spontini. Im 19. Jh. kamen neue,
national gefarbte Marsche auf , darunter die slawischen
und ungarischen. Wahrend die Thementypen und die
Rhythmen der Marsche fast bei alien Komponisten
episodisch auftreten, wird der M. selbst, oft als Huldi-
gungs-M., zum Gelegenheitswerk (Wagner, Berlioz,
Meyerbeer). In der Neuen Musik erscheint er dagegen
haufig als karikierend oder grotesk (Hindemith, op. 41,
Symphonia Serena, Septett; Prokofjew, Lord Berners).
Glanzende Marsche der unterhaltsamen Musik schrieb
u. a. Elgar in Pomp and Circumstance. Eine schopferische
Neubelebung erf uhr der M. durch Hot-Spielweise und
Swing im Two beat-Jazz.
Ausg. : H. Spitta, Der M., = Mus. Formen in hist. Reihen
VI, Bin (1931); H. Schmidt, Marsche u. Signale d. deut-
schen Wehrmacht, ebenda XV, 1933; Hist. Blatter. Slg
hist. Feld- u. Armeemusik, hrsg. v. Fr. Deisenroth, H.
1-8, Bonnu. Wiesbaden 1961-(64).
Lit. : Th. Arbeau, Orchfaographie, Langres (1588), NA v.
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948;
Mattheson Capellm. ; G. Thouret, Friedrich d. GroBe als
Musikfreund u. Musiker, Lpz. 1898; E. Bucken, Der he-
roische Stil in d. Oper, =Veroff. d. Furstlichen Inst. f.
mw. Forschung zu Buckeburg V, 1, Lpz. 1924; K. Strom,
Beitr. zur Entwicklungsgesch. d. M. in d. Kunstmusik bis
Beethoven, Diss. Munchen 1926; R. Beling, Der M. bei
Beethoven, Diss. Bonn 1960; R. Steglich, Cber Beetho-
vens MSrsche, Fs. A. Orel, Wien u. Wiesbaden (1960).
Marseillaise -> Nationalhymnen (Frankreich).
martelement (martelm'a, frz.), »hammerartig«, auf
der Harfe das wiederholte schneile, scharfe Anschlagen
eines Tones, das »Hammern«, das auf der Doppelpedal-
harfe auf zwei Saiten hervorgebracht wird. In der Kla-
viermusik des 17. Jh. war martellement auch gleichbe-
deutend mit -> Mordent.
martellato (ital.), martele (frz.), »gehammert«; in
der Klaviermusik (Liszt) und beim Streichinstrumen-
tenspiel ein besonders kraftig ausgefiihrtes -»■ Staccato.
In beiden Fallen umschreibt m. das klanglicheErgebnis.
Masque (ma:sk, engl., auch mask), festliche Masken-
spiele, die im 16. und 17. Jh. am englischen Hofe, zum
Teil von den Adligen selbst, aufgefiihrt wurden. Die
M. bestand aus allegorischen und mythologischen Sze-
nen, in denen Musik, Tanz, Mimik und reiche Deko-
ration zusammenwirkten. - Vorlaufer der M. sind im
14. und 15. Jh. in England f olkloristische Umziige mas-
kierter Gestalten, die Mummings und Disguisings. Sol-
che Maskeraden gab es auch auf dem Festland, wo sie
jedoch schon friih mit dem hofischen Leben verbunden
waren. In Frankreich und Burgund gab es im 14. Jh.
die Entremets als Maskenspieleinlagen in hofische Fe-
ste, spater das Ballet, dessen Tanze zu Mummereyen
und Vffziigen gemacht / welche zur Mascarada gespielet
werden (Praetorius Synt. III). Ein solches Ballet bestand
in der Regel aus der Intrada (Einzug der Vermumm-
ten), den Figuren (das getanzte Spiel, meist als Morali-
tat mit biblischen, allegorischen oder mythologischen
35*
Gestalten) und der Retrajecte (Abzug der Vermumm-
ten). Bei den Tanzen handelt es sich um Branlen, Cou-
ranten, Volten, Gagliarden usw. Als Hohepunkt dieser
Gattung gilt das von -»■ Baltazarini inszenierte Balet
comique de la Royne (1581), dem erstmalig eine einheit-
liche Handlung zugrunde lag und wo in Rede und
Wechselrede Gesange, Instrumentalmusik und Tanze
eingeflochten waren und das damit die Reihe der -»■ Bal-
lets de cour eroffnete. In der italienischen Mascherata
oder Maschara erschienen Vermummte in Pancketen /
vndfurnehmerPersonen Collationibus mit einer Music (Prae-
torius Synt. Ill), die aus einer freien Folge gesungener
oder gespielter Tanze bestand. - England ubernahm im
16. Jh. das Maskenspiel als hofische Unterhaltung von
Frankreich und Italien. Die M. entwickelte im 16. Jh.
bis zu ihrer Bliitezeit unter dem Dichter Ben Jonson
und dem Biihnenarchitekten Indigo Jones am Hofe
Jacobs I. (1603-25) und Karls I. (1625-49) eine feste
Grundform. In einem Prolog in Versen (presentation)
wurde die Handlung (device) erlautert, auch Lobreden
auf die anwesenden Adligen oder den Konig gehalten.
Mit groBem Prunk erschienen dann die 8 bis 16 Dar-
steller,meistAngeh6rigedesHofes,in ihrer Maskierung.
Mehrere Musikgruppen begleiteten diesen Aufzug
teils auf, teils hinter oder neben der Biihne, teils auch
im Zuge der Masquers selbst. Es folgte das eigentliche
Spiel mit gesprochenen Dialogen, zur Laute gesunge-
nen Liedern (ay res), madrigalesken Choren, Tanzen
und mimischen Gebarden. Bei dem anschlieBenden
Main dance, dem festlichen Hohepunkt der M., ver-
lieBen die Masquers die Biihne und wahlten noch in-
cognito aus dem Publikum die ihnen standesgemaBen
Partner zum Tanze aus. Das Fest schloB mit der De-
maskierung auf der Biihne und dem SchluBtanz. Die-
ses Grundschema erweiterte Ben Jonson 1609 in seiner
M. of Queens um eine Antimasque, die als spectacle of
strangeness in die Main masque eingeschoben oder ihr
vorangestellt wurde und in scharfem Kontrast zu ihr
stand. Die vom franzosischen Ballet de cour beeinfluB-
ten schwierigen Tanze dieser grotesken und bald sehr
beliebten Antimasque wurden stets von Berufsschau-
spielern ausgefiihrt. - Die M. war mehr eine literari-
sche als eine musikalische Gattung. Oberliefert sind
vollstandige Texte oder gedruckte Programmzettel mit
den Texten der Presentation und der Lieder, aber kei-
ne zusammenhangende Buhnenmusik, die es fur die
M. vielleicht nie gegeben hat. Komponisten wie Th.
Campian, J. Coperario, A.Ferrabosco II, Robert John-
son (f uml634) schrieben fur die M. Ay res, Chore und
Tanze, die oft nur als Bearbeitung fur Laute oder Vir-
ginal erhalten sind. N.Laniere f unite im 2. Jahrzehnt
des 17. Jh. den italienischen Stile recitativo ein, der be-
sonders von den Briidern H. und W. Lawes auf gegrif-
fen wurde. Zur Zeit Cromwells, der das Sprechtheater
verboten hatte, durf te die M. als musikalische Gattung
weiter aufgefiihrt werden, wurde aber wahrend der
Restauration durch die Oper verdrangt. Die M. lebte
noch eine Zeitlang als Intermedium im Schauspiel und
in der Oper fort, wahrend sie im ubrigen wieder zur
folkloristischen Maskerade absank. In Biihnenmusiken
von Purcell {The Fairy Queen, King Arthur, Dido and
Aeneas) und Handel (Ballettmusik zu Alcina und Ario-
dante) sind nochEinfliisse der M. spiirbar. 1738 kompo-
nierte Th.A.Arne Musik zu Miltons beriihmter M.
Comus aus dem Jahre 1634, deren ursprungliche Musik
von H. Lawes groBtenteils verloren ist. Eine spate M.
ist G. A. Macfarrens Freya's Gift zur Hochzeit von
Eduard VII. (1863).
Ausg.: Th. Campian, »M. for Lord Haye's Marriage«
(1607), hrsg. v. G. Arkwright, = The Old Engl. Ed. I, Lon-
don 1889; H. Lawes, Ayre »Sweet Echo« aus »Comus«,
547
Matassins
Davison-Apel Anth. I ; Th. A. Arne, »Comus«, hrsg. v. J.
Herbage, = Mus. Brit. Ill, London 1951 ; King James'
Delight, hrsg. v. P. M. Young, London 1959; A. J. Sabol,
Songs and Dances for the Stuart M., Providence (R.I.) 1959.
Lit. : R. Brotanek, Die engl. Maskenspiele, = Beitr. zur
engl. Philologie XV, Wien u. Lpz. 1902; P. Reyher, Les
m. anglais, Paris 1909; W. J. Lawrence, Notes on a Col-
lection of M. Music, ML III, 1922; M. S. Steele, Plays and
M.atCourtDuringtheReignsof Elizabeth, James and Char-
les, New Haven (Conn.) u. London 1 926 ; E. Welsford, The
CourtM.,Cambridgel927;E. J.Dent, Foundationsof Engl.
Opera, ebenda 1928 ; A. W. Green, The Inns of Court and
Early Engl. Drama, New Haven (Conn.) u. London 1931 ;
J. P. Cutts, Jacobean M. and Stage Music, ML XXXV,
1954; ders., R. Johnson . .., ML XXXVI, 1955; ders., Le
rdle de la musique dans les m. de Ben Jonson, in: Les fetes
de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1956; ders.,
R. Johnson and the Court M., ML XLI, 1960; G. Wick-
ham, Contribution de Ben Jonson et de Dekker aux fetes
du couronnement de Jacques I er , in : Les f etes de la Renais-
sance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1956; D. Heartz, A
Span. »M. of Cupid«, MQ XLIX, 1963. UM
Matassins (matas'e, frz., auch matasins, matachines,
[von ital. mattacino, verriickt] oder les buffons, air des
bouffons, -► Buffo), eine Art lebhafter Kriegstanze
(->• Schwerttanz), beliebte Einlage in franzosischen
Ballets des 16.-17. Jh. und auf englischen Biihnen in
Elisabethanischer Zeit, beschrieben in Arbeaus Orche-
sographie (Paris 1588, S. 97ff.). Der »Matachino« ist eine
Harlequinfigur, die mit grotesken Spriingen auftritt.
Vereinzelt begegnen M. auch als -> Totentanz mit ei-
nem die Gestalt des Verstorbenen darstellenden Tanzer
als Hauptfigur, z. B. in Italien (zwischen Toskana und
Sizilien), wo diese Tanze mit dem uralten Motiv des
Auferstehungszaubers zusammengehen. Ein Beispiel
findet sich in A. Normigers Lautentabulatur (1598, wie-
dergegebenbeiW.Merian: Mattasin oder Toden Tantz).
Lit.: W.Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbu-
chern.Lpz. 1927;P.NETTL,DieMoresca,AfMwXIV, 1957.
Matutin (lat. matutinum, urspriinglich vigiliae, Nacht-
wache), die erste Hore im Stundengebet der romisch-
katholischen Kirche, das sogenannte Officium noctur-
num. Nach der Regel des hi. Benedictus soil sie zur 8.
Nachtstunde (etwa 2 Uhr) beginnen, doch wird sie seit
altester Zeit meist schon am Vorabend oder in den
friihen Morgenstunden des betreffenden Tages ge-
feiert. Ihr Aufbau im heutigen romischen Brevier:
2 einleitende Versikel (Domine, labia mea aperies und
-> Deus in adiutorium meum intende), -> Invitatorium
mit Ps. 94, Hymnus. Es folgen, dem liturgischen Rang
des Tages entsprechend, eine oder 3 Noktumen: Of-
ficium unius nocturni oder trium nocturnorum. Beide
Formen enthalten insgesamt jeweils 9 Psalmen mit ih-
ren Antiphonen; hinzu kommen pro Nokturn 3 Lek-
tionen und 3 Responsorien. Als Uberleitung von den
Psalmen zu den Lektionen finden sich in jeder Nok-
turn ferner Versikel, Pater noster, Absolutio und Be-
nedictio. Mit Ausnahme der Advents-, Vorfasten-,
Fasten- und Passionszeit beschlieBt an alien Sonn- und
Festtagen das -> Te Deum (anstelle des letzten Respon-
soriums) die M., ebenso an den Ferialtagen der weih-
nachtlichen und der osterlichen Zeit. - Abweichend
vom romischen umfassen im monastischen Offizium
Nokturn I und II jeweils 6 Psalmen mit Antiphonen so-
wie 1, 3 oder 4 Lektionen mit Responsorien bzw. Ver-
sikeln. Die an Sonn- und Festtagen hinzukommende III.
Nokturn enthalt 3 alttestamentliche Cantica mit nur ei-
ner Antiphon, desgleichen 4 Lektionen, gefolgt von je
einem Responsorium. Am SchlufS dieser Nokturn ste-
hen Te Deum, Evangelium, Hymnus Te decet laus, Ora-
tion und -*■ Benedicamus Domino (letzteres entfallt, wenn
die -> Laudes folgen). - Die Liturgiekonstitution des 2.
-vVatikanischen Konzils sieht fur die M. im Rahmen
der Neuordnung des Stundengebets weniger Psalmen
und langere Lesungen vor (Artikel 89c). - Samtliche
Texte der M. sind in den Brevierausgaben enthalten.
Lit.: P. Rad6 OSB, Enchiridion Liturgicum I, Rom, Frei-
burg i. Br. u. Barcelona 1961.
Maultrommel (auch Brummeisen; schweizerisch
Triimpi; frz. guimbarde; engl. Jew's harp; ital. scac-
ciapensieri), Zupfidiophon, besteht aus einem Stahl-
biigelinHufeisenform ( et-
wa 5 cm) ; an seinem Scheitel -
ist eine diinne Stahlzunge be-\,
festigt, die frei zwischen den
schnabelartig verlangerten
Enden des Hufeisens in einen hochgebogenen Haken
auslauft. Der Spieler fiihrt den Rahmen in die Mund-
hohle, halt die auslauf enden Enden mit den Zahnen fest
und zupft die aus dem Mund herausragende Stahlzunge
mit dem Finger an. Die als Resonator dienende Mund-
hohle laB t durch entsprechende Veranderung der Mund-
stellungverschiedeneObertonederZungenschwingung
einzeln horbar werden; so konnen einf ache Melodien auf
dem sehr leisen Instrument gespielt werden. M.n aus
Palmholz oder Bambus sind in Zentral- und Sudasien
sowie in Ozeanien verbreitet (als K'api in Tibet, Geng-
gong auf Bali), Nordasien und Europa kennen nur die
metallene M. Das alteste europaische Instrument wur-
de in den Ruinen der 1399 zerstorten Burg Tannen-
berg in Hessen gefunden. Auf H.Burgkmairs Darstel-
lung »Triumph Kaiser Maximilians « (1515) erscheint die
M. als Instrument der Musica vulgaris oder irregularis
(Volksmusik) auf dem Narrenwagen. Virdung nennt
sie zu dieser Zeit (1511) trumpel, Fischart erwahnt in
seinem Gargantua (1582) eine maultrumme. Das 17./
18. Jh. kennt sie auch unter den Bezeichnungen crem-
balum und trombula. Um 1800 wurde sie fur kurze
Zeit ein Virtuoseninstrument (Konzert fur M. und
Mandora von J. Albrechtsberger) ; J. H. Scheibler faBte
unter dem Namen Aura bis zu 10 M.n zu einem In-
strument zusammen (1816). Im Volksbrauchtum der
Alpenlander ist die M. das Instrument der Liebeswer-
bung; dort war die Herstellung von M.n einer eigenen
Zunft der M.-Macher vorbehalten (in Molln/Ober-
osterreich Handwerksordnung von 1679).
Lit.: C. Sachs, Die M., Zs. f. Ethnologie XLIX, 1917; M.
Heyman, La guimbarde, RM IV, 1923; E. Emsheimer,
Uber d. Vorkommen u. d. Anwendung d. M. in Sibirien u.
Zentralasien, Ethnos VI, 1941, auch in : Studia ethnomusi-
cologicaeurasiatica, = Musikhist.museetsskrifterl, Stock-
holm 1964; L. Hwei, A Comparative Study of the Jew's
Harp Among the Aborigines of Formosa and East Asia,
Bull, of the Inst, of Ethnology of the Acad. Sinica I, 1956;
K. M. Klier, Volkstiimliche Musikinstr. in d. Alpen, Kas-
sel 1956; W. D. Scheepers, De mondharp, Mens en melo-
die XII, 1957 ; E. Leipp, Etude acoustique de la guimbarde,
Acustica XIII, 1963.
Maxima (erganze: nota oder figura; lat., die grofite),
Notenwert der -»■ Mensuralnotation des 14.-16. Jh., im
13. Jh. Duplex longa genannt. Die M. gilt immer 2
Longae und wird als Longa mit doppelt breitem Cor-
pus geschrieben: ■, seit dem 15. Jh. : a, Pause: II
oder II .
Maxixe (maj'ija, port.), landlicher Tanz aus Brasilien
(Rio de Janeiro) in synkopiertem 2/4-Takt und raschem
Tempo. Der M. wurde um 1915 in Europa Modetanz.
Mazedonien.
Ausg. u. Lit. : E. Cuckov, Contenu ideologique et proces
rythmique de la danse populaire macedonienne, Journal
of the International Folk Music Council IV, 1952; 2. Fir-
548
Mechanik
fov, Les caracteres metriques dans la musique populaire
mac6donienne, ebenda; ders., Makedonski narodni pesni
(»Mazedonische Volkslieder«), 4 Bde, Skopje 1953; ders.
u. G. Pajtondziev, Makedonski narodni ora (»Mazedoni-
sche Volkstanze«), Skopje 1953 ; B. A. Kremenliev, Bulga-
rian-MacedonianFolk Music, Berkeley (Calif .) 1952; Y. Ar-
batsky, Beating the Tupan in the Central Balkans, Chicago
1953 ; V. Hadzi-Manov, Makedonski narodni pesni (»Ma-
zedonische Volkslieder«), 4 Bde, Skopje 1953-56; ders.,
Makedonski borbeni narodni pesni (»Kampflieder d. ma-
zedonischen Volkes«), Skopje 1960; M. A. Vasiuevic, Ju-
goslovenski muzicki folklor II. Makedonija, Belgrad 1953.
Mazur (m'azur, polnisch), ein aus Masowien stam-
mender polnischer Sprung- und Drehtanz (auch Tanz-
lied) im schnellen Dreiertakt (3/4 bzw. 3/8) und oft
in punktiertem Rhythmus, mit wechselnder Betonung
der schwachen Taktteile (2 und 3), in der SchluBphase
auch mit Betonung des 1. Taktteils, z. B.:
|J1J J |JJ J |J1JJ |J J |
4 > > > > >
Der M. wurde seit etwa 1600 auch in hoheren Kreisen
der polnischen Gesellschaft getanzt. Seit der Mitte des
18. Jh. verbreitete er sich in RuBland, Deutschland,
England und Paris als Gesellschaftstanz, der noch bis
Ende des 19. Jh. sehr beliebt war. Schon Nachtanze
des 17. Jh. enthalten zuweilen M.-Rhythmen (z. B. bei
J. A. Schmelzer). Der Name M. taucht in der Kunst-
musik friih bei J.Riepel (1752), spater bei Marpurg
und Kirnberger auf. Ebenfalls seit der Mitte des 18. Jh.
wurden M.s in polnischen Opern, Balletten und selbst
in polnischer Kirchenmusik (Messe, kirchliche Sym-
phonic) verwendet. Bedeutende Ballett-M.s schrieb St.
Moniuszko (auch in den Opern »Das GespensterschloB«,
1865, und Halka, 1858). Die Mazurka, eine stilisierte
Verschmelzung von M., -*■ Kujawiak und -»■ Oberek,
gelangte durch Fr. Chopin, K. Szymanowski und H.
Wieniawski in die Konzertmusik.
Lit.; Ph. Gawlikowski, La mazurka, Paris 1857; F.
Starczewski, Die polnischen Tanze, SIMG II, 1900/01;
T. Norlind, Zur Gesch. d. polnischen Tanze, SIMG XII,
1910/11; H. Windakiewicz, Wzory ludowej muzyki pol-
skiej w mazurkach Fr. Chopina (»Vorbilder polnischer
Volksmusik in d. Mazurken v. Chopin«), Krakau 1926; Z.
KwaSnicowa, Polskie tarice ludowe. M., Warschau 1953;
K. Horak, Die Mazurka als osterreichischer Volkstanz,
Karntner Museumsschriften XIX, Tanz u. Brauch, Kla-
genfurt 1959; D. Idaszak, Mazurek w polskiej muzyce
XVIII wieku, Kgr.-Ber. Warschau 1960; Z. St^szewska u.
J. Ste.szewski, Zur Genese u. Chronologie d. Mazurka-
rhythmus in Polen, ebenda.
Mazurka -> Mazur.
Meane (mi:n, engl. ; mittelengl. mene; von lat. me-
dius) heiBt in der mehrstimmigen englischen Vokal-
und Instrumentalmusik des 14.-17. Jh. die heute in
England alto oder contralto genannte Mittelstimme.
Schon die Chronik des Robert Mannyng von 1338
spricht in diesem Sinn von mene, treble and burdoun.
Morley (A Plaine and Easy Introduction, 1597) setzt m.
synonym mit alto. In den englischen Diskanttraktaten
des 15. Jh. hat der M. einen eigenen — >• Sight; im sight
of faburdun des Pseudo-Chilston tragt er den C. f.
(->■ Faburden). Englische 3st. Orgelkompositionen des
16. Jh. (z. B. J.Redford, O Lux with a m., Mus. Brit. I,
S. 24) haben als satztechnische Eigenart einen zwischen
verschiedenen Stimmlagen wechselnden, im Werktitel
daher ausdriicklich genannten M., der wegen seines
groBen Umfangs abwechselnd von der rechten und
der linken Hand gespielt werden muB. Oft ist der M.
dann in schwarzen Noten und seiner Lage entsprechend
zwischen den Liniensystemen der Ober- und Unter-
stimme wechselnd auf geschrieben (Beispiel : The Mul-
liner Book, herausgegeben von D. Stevens, Mus. Brit. I,
Faks. S. XIV). Redfords bekanntes Gedicht iiber den
M. (Long have I been a singing man) bestatigt diesen
Stimmcharakter : The mene in cumpas is so targe / That
evry parte mustjoyne tlierto. Die Ausfiihrung des M. vom
Manneralt belegen im 16. Jh. Vermerke in Stimmbii-
chern wie This M. part is for men und Uberschriften zu
MeBsatzen fiir Mannerstimmen wie Mass for a M. von
Shepherd u. a. - M. viall ist in den Consorts of viols
eine normalerweise die Mittelstimme spielende Vio-
line. Heute werden in England die mittleren Saiten der
Streichinstrumente small m. und great m. genannt.
Mechanik (engl. action ; frz. mecanique ; ital. meccani-
ca) wird der Apparat genannt, der bei Musikinstru-
menten, besonders bei Saitenklavieren (bei der Orgel
->■ Traktur), iiber eine Klaviatur in Gang gesetzt, die
Tonbildung bewirkt. Die einfachste Klavier-M. ist die
des Clavichords. Auf demEnde eines Tastenhebels sitzt
eine ->■ Tangente, die gegen die Saite gedriickt wird.
JL
-Saite (Querschm'tt)
-Tangente
r *i
1
Bei der M. des Cembalos sitzt auf dem Hebelende eine
Dockc (Springer; engl. jack; frz. sautereau; ital. sal-
terello) mit einer beweglichen Zunge, aus der ein Kiel
(Rabenfeder, Lederzunge, Kunststoffplektron) hervor-
ragt. Wird die Taste gedriickt, so reiBt der Kiel beim
Aufwartsgehen die Saite an, wird die Taste losgelas-
"So*-
^
g
1 Springer
sen, so weicht die Zunge beim
Ruckfall aus, wahrend ein oben an
der Docke befestigter einfacher
Dampfer die Saite zur Ruhe bringt.
Bei der Hammer-M. wird der Hammer gegen die Sai-
te geschleudert, ist also auf dem letzten Teil seines We-
ges nicht mehr in Kontakt mit Taste und Finger. Je
nach der Geschwindigkeit, mit der der Hammer auf
die Saite trifft, wird diese mehr oder weniger kraftig
angeschlagen (-> Pianoforte). Eine sehr einfache Art
der Hammer-M. hat bereits H.Arnault von Zwolle
(um 1460) beschrieben. Die erste voll ausgcbildete
Hammer-M. erfand Cristofori 1709 (beschrieben 1711
von Maffei, deutsche Ubersetzung in Matthesons Criti-
ca musica II, 1725). Bei dieser StoB-M. sitzt der Hammer
mit einer Achse beweglich in einer Leiste. Ein StoBer
hebt bei Anschlag den Treiber, der den Hammer gegen
die Saite schnellt. Bevor der Hammer auf die Saite
trifft, weicht die StoBzunge aus, so daB der Hammer
zuriickfallen kann.
Diese StoB-M. wurde aufgegriffen von Schroter 1717
und G. Silbermann um 1731. Ober Zumpe kam sie in
den englischen Klavierbau, wo sie 1772 von Backers
und 1777 von Stodart verbessert wurde. Die letzte
Ausformung erhielt sie bis 1821 von Erard und 1840
von Herz: Der Hammer wird beim Ruckfall von ei-
nem Repetierhebel abgefangen, so daB er noch vor
dem Loslassen der Taste zu neuem Anschlag bereit ist
(Repetitions-M. mit doppelter Auslosung). Eine auf-
rechte StoB-M. fiir das Pianino erfand Wornum 1842
(tape check-action). Ein Bandchen fiihrt hier den Ham-
mer nach dem Anschlag zuruck. Eine Prell-M. wurde
zuerst von G. Silbermann 1728 gebaut, 1773 von Stein
549
Mechanische Musik
weiterentwickelt. Bei ihr ist der Hammcrstiel in einer
Kapsel auf der Taste befestigt. Beim Niederdrticken der
Taste hakt das Ende des Hammerstiels in die Auslo-
sung ein.
Prell-M.en hatten die Pianofortes der Wiener Schule,
doch ging Streicher 1840 auf StoB-M. iiber, 1909 stell-
te Bosendorfer die Herstellung von Pianofortes mit
Prell-M. ein. - Neben diesen Grundtypen von Ham-
mer-M.en gibt es zahlreiche Varianten (oberschlagige
Zug-M. £iir Fliigel; Tangenten-M. mit Hammer). Ei-
ne Sonderart ist die Streich-M. beim ->■ Bogenflugel. -
Zur M. gehort beim Cembalo und Hammerklavier ei-
ne Dampf ung, entweder eineEinzeldampf ung oder eine
gemeinsame, die durch ein Pedal aufgehoben werden
kann. Der Hammerkopf der Pianoforte-M. war zu-
nachst mit Leder bezogen, mit Filz zuerst bei Pape 1826.
Lit. : W. Pfeiffer, Die Verlangerung in d. Klavierm., Diss.
Innsbruck 1923, maschr., gedruckt Bin 1949; ders., Taste
u. Hebelglied, Lpz. 2 1931 ; ders., Vom Hammer, Stuttgart
1948; ders., Uber Dampfer, Federn u. Spielart, Bin 1950;
Der Piano- u. Flugelbau, hrsg. v. H. Junghanns u. a.,
= Bibl. d. gesamten Technik 396, Lpz. 1932, Bin 21952,
Ffm. 31962, = Fachbuchreihe Das Musikinstr. IV; R. E.
M. Harding, The Piano-forte, Cambridge 1933; Fr. J.
Hirt, Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955; E. A.
Bowles, On the Origin of the Keyboard Mechanism in the
Late Middle Ages, Technology and Culture VII, 1966.
Mechanische Musik wird durch mechanische Vor-
richtungen wiedergegeben, wobei alles Subjektive der
Wiedergabe (Interpretation) ausgeschaltet ist. Idee und
praktische Versuche sind nicht neu. H. L. HaBler (1601),
spater Haydn, Mozart und Beethoven haben Stiicke
fur ->■ Mechanische Musikwerke geschrieben und sie,
jedenfalls Haydn, zum Teil selbst auf die Walze ge-
steckt. Zum Schlagwort wurde M. M. beim Donau-
eschinger Musikfest von 1926, auf dem Hindemith mit
seiner Musik zum Triadischen Ballett von O.Schlem-
mer fur mechanische Org. und der Toccata f iir mecha-
nisches Kl. sowie E. Toch mit Kompositionen f iir das
Welte-Mignon-Kl. hervortraten. Ihre Vorziige pries
Hindemith (1927) : Moglichkeit der absoluten Festkgung
des Willens des Komponisten, Unabhangigkeit von der au-
genblhklichen Disposition des Wiedergebenden, Enveite-
rung der technischen und klanglichen Mdglichkeiten, Ein-
dammung des liingst iiberreifen Konzertbetriebs und Perso-
nenkults, wohlfeile Verbreitungsmoglichkeiten guter Musik.
In mancher Hinsicht bedeutet die Elektronische Musik
eine Weiterfiihrung solcher Ideen.
Lit.: E. Felber, Entwicklungsmoglichkeiten d. M. M., Mk
XIX, 1926/27; P. Bekker, Organische u. M. M., Stuttgart
1928; E. Fr. Schmid, J. Haydn u. d. Flotenuhr, ZfMw
XIV, 1931/32; ders., H. L. HaBler u. seine Bruder, Zs. d.
Hist. Ver. f. Schwaben LIV, 1941, S. 141ff. (Haulers Or-
gelautomat) ; H.-P. Schmitz, Die Tontechnik d. Pere En-
gramelle, = Mw. Arbeiten VIII, Kassel 1953; P. Graden-
witz, Wege zur Musik d. Gegenwart, = Urban Bucher
LXX, Stuttgart (1963).
Mechanische Musikwerke sind Apparate, die mit
mechanischen Mitteln Tonstiicke wiedergeben kon-
nen. Nach der Art, wie sie in Bewegung gesetzt wer-
den, sind zu unterscheiden: M. M. mit Federkraft oder
Gewichten (Spieluhren, -> Glockenspiel) und Werke
mit einer Drehkurbel (->• Drehorgel, »Leierkasten«).
Nach der Tonerzeugung gibt es M. M. mit Glocken,
Stahlstabchen (Stahlkammen) oder Saiten und Werke
mit Lippen- oder Zungenpfeifen (-> Flotenuhr). Al-
len alteren M.n M.n gemeinsam ist die Stiftwalze. Bei
den Glockenspielen (Carillons), den wohl altesten M.n
M.n, werden durch die Stifte die Hammer angehoben,
welche die Glocken schlagen, oder es wird eine Feder
ausgelost, die den Hammeranschlag bewirkt. Bei klei-
neren Spieldosen und Spieluhren reiBen die Stifte ver-
schieden abgestimmte Zahne eines Metallkamms an.
Bei den Drehorgeln ofmen die Stifte die Ventile zu den
einzelnen Pfeifen; fur langere Tone werden Draht-
klammern gebraucht, die entsprechend ihrer Lange die
Ventile offenhalten. In der Drehorgel dreht sich die
Walze viel langsamer als die Kurbel, die gleichzeitig
das abwechselnde Aufziehen der beiden Schopfbalge
zu besorgen hat. Seit Vaucanson (1738) gibt es Spiral-
walzen, die auch bei kleinem Durchmesser langere Ton-
stiicke aufnehmen konnen. Es gab mehrere Methoden,
eine Komposition in einen Stiftplan zu iibertragen, nach
dem der Walzenstecher die Walze »notierte«. Umge-
kehrt lassen sich heute von erhaltenen Walzen Musik-
werke ablesen, mit dem originalen Tempo, der Arti-
kulation und den Verzierungen; Zu den bedeutendsten
M.n M.n gehorte die Orgel im Pommerschen Kunst-
schrank (1617; 1945 in Berlin zerstort). Fur M. M.
komponierten u. a. H.L. HaBler, J.K.Kerll, Handel,
W. Fr. und C. Ph. E.Bach, J. Haydn, W. A. Mozart (K.-
V. 594, 608, 616) und Beethoven (Adagio assai F dur,
2 Allegri, Scherzo; -> Orchestrion - 2). - In mechani-
schen Klavieren vom Anfang des 20. Jh. ist die Walze
oft ersetzt durch Scheiben mit eingestanzten Lochern
(»Notenblatter«). Eine neuartigeErfindung, die als Vor-
laufer der Schallplattenaufnahme gelten kann, weil sie
nicht nur die mechanische Wiedergabe, sondern auch
die Aufnahme von Musik gestattete, realisierte E.
^-Weltedurchseinen»Welte-Mignon-Reproduktions-
fliigel« (1904). Das gleiche System wurde auch fur die
»Welte-Philharmonie-Orgel« (1913) angewendet. An
die Stelle der Stiftwalze trat hier ein Papierband mit
Schlitzen. Dieser Notenstreifen gleitet iiber eine Leiste,
in der sich so viele kleine Offnungen befinden, wie das
Klavier Tone hat. Von jeder dieser Offnungen fuhrt ei-
ne Rohrenleitung zu der zugehorigen Klaviertaste. So-
bald ein Schlitz im Notenblatt auf eine Offnung in der
Leiste trifrt, wird durch Druckluft, ahnlich wie bei der
Rohrenpneumatik der Orgel, die entsprechende Taste
niedergedriickt. Eine Reihe von Hilfslochern im No-
tenblatt wirkt auf die Pedale, andere bringen durch
Regelung des Winddruckes den verschieden starken
Anschlag derTastenhervor; bei Orgel oder Harmonium
betatigen die Hilfslocher die Registrierung. Ein Elek-
tromotor bewegt das Notenband und betreibt die Bla-
sebalge. Die Notenblatter wurden von Hand' gezeich-
net und dann gestanzt oder durch einen besonderen
Aufnahmeapparat direkt wahrend des Spieles gelocht.
Dieses Aufnahmeverfahren, das im Prinzip dem -> Me-
lograph entspricht, hat u. a. das Spiel folgender Kiinst-
ler auf Orgel oder Klavier festgehalten: mit eigenen
Orgelkompositionen E. Bossi, Reger; mit eigenen Kla-
vierkompositionen Debussy, G.Faure, Glasunow, E.
Granados, Grieg, Humperdinck, Kienzl, Ljapunow,
Mahler, Petyrek, Ravel, Reger, Saint-Saens, C.Scott,
Skrjabin, R.Strauss; ferner das Klavierspiel von d' Al-
bert, Busoni, Teresa Carreno, Anette Essipow, A.
Griinfeld, Leschetizky, J.V. da Motta, Mottl, A.Ni-
kisch, Pugno, C. Reinecke, Reisenauer, X. Scharwenka,
Stavenhagen. Eine Auswahl hiervon, auf Schallplatten
uberspielt, wurde 1957 von Telefunken herausge-
bracht; einen spielfahigen Welte-Mignon-Fliigel be-
sitzt z. B. das Deutsche Museum in Miinchen. - Eine
Sonderstellung nehmen M. M. ein, bei denen Tempo,
Tonstarke und Registrierung verandert werden kon-
nen (Pianola, Phonola). Die motorische Kraft fur die
Fortbewegung des Notenbandes und den Anschlag der
550
Tasten wird durch Pedaltreten aufgebracht; zur weite-
ren Bedienung sind Hebel vorhanden.
Lit. : S. deCaus, Les raisons des forces mouvantes avec di-
verses machines ..., Ffm. 1615; A.Kircher SJ, Musurgia
universalis, 2 Bde, Rom 1650, 21690; J. de Vaucanson,
Mecanisme du fluteur automate . . ., Paris 1738, engl. als:
An Account of the Mechanism of an Automaton . . . , Lon-
don 1742; Fr. Bedos de Celles OSB, L'art du facteur
d'orgues, 4 Teile in 3 Bden, Paris 1766-78, Faks. hrsg. v.
Chr. Mahrenholz, Kassel 1936, dass. = DM1 I, 24-26,
1964-65; M.-D.-J. Engramelle, La tonotechnie ou l'art
de noter les cylindres . . . dans les instr. de concerts meca-
niques, Paris 1775; Fr. M. Feldhaus, Die Technik d. An-
tike u. d. MA, Potsdam 1930; E. Fr. Schmid, H. L. HaBler
u. seine Briider, Zs. d. Hist. Ver. f. Schwaben LIV, 1941
(S. 135-166 iiber HaBlers M. M.); A. Protz, Mechani-
sche Musikinstr., Kassel 1943; J. E. T. Clark, Mus.
Boxes, Birmingham 1948, erweitert London 3 1961; H.
Matzke, Unser technisches Wissen v. d. Musik, Lindau
(1949), Wien P1950); H.-P. Schmitz, Die Tontechnik d.
Pere Engramelle, = Mw. Arbeiten VIII, Kassel 1953 ; A.
Chapuis, Hist, de la boite a musique et de la musique me-
canique, Lausanne 1955; A. Buchner, Vom Glocken-
spiel zum Pianola, Prag (1959); E. Mainoot, Les automa-
tes, Paris 1959 ; R. Quoika, Altosterreichische Hornwerke,
Bin 1959; L. Misch, Zur Entstehungsgesch. v. Mozarts u.
Beethovens Kompositionen f. d. Spieluhr, Mf XIII, 1960;
E. Simon, Mechanische Musikinstr. fruherer Zeiten u. ihre
Musik, Wiesbaden 1960; W. Krumbach, Zur Musik d.
Pommerschen Kunstschranks (1617), Mf XIV, 1961.
Mecheln.
Lit. : G. Van Doorslaer, Les carillons et les carillonneurs
de la tour Saint- Rombaut a Malines, Bull, du Cercle archeo-
logique . . . de Malines IV, 1893; ders., Notes sur les fac-
teurs d'orgues malinois, M. 1911; ders., Notes sur la mu-
sique et les musiciens a Malines, M. 1934; R. Van Aerde,
Menestrels communaux et instrumentistes divers etablis
ou de passage a Malines de 1 3 1 1 a 1 790, Bull, du Cercle ar-
cheologique . . . de Malines XXI, 1911 ; ders., Musicalia.
Notes pour servir a l'hist. de la musique, du theatre et de la
danse k Malines, XIV e et XV e s., M. 1921 ; ders., Les ventes
de musique et d'instr. de musique a Malines de 1773 a
1830, M. 1932; ders., A la recherche des ascendants de
Beethoven, Rev. beige d'archeologie et d'hist. de l'art IX,
1939.
Mecklenburg.
Lit.: Fr. Chrysander, Musik u. Theater in M., Arch. f.
Landeskunde in d. GroBherzogtiimern M. V, 1855 ; ders.,
Neue Beitr. zur m.ischen Mg., ebenda VI, 1856; J. Bach-
mann, Gesch. d. ev. Kirchen-Gesanges in M., Rostock
1881; Cl. Meyer, Gesch. d. M.-Schweriner Hofkapelle,
Schwerin 1913; ders., Gesch. d. Giistrower Hofkapelle
(1552-1695), Jb. d. Ver. f. m.ische Gesch. u. Altertums-
kunde LXXXIII, 1919; E. Schenk, Musik in M., M.ische
Monatshefte X, 1934; W. Haacke, Die Entwicklungs-
gesch. d. Orgelbaus im Lande M.-Schwerin (v. d. Anfan-
gen bis ins ausgehende 18. Jh.), Wolfenbvittel 1935; H.
Rentzow, Die m.ischen Liederkomponisten d. 18. Jh.,
= Niederdeutsche Musik II, Hannover 1938; H. Erd-
mann, Schulmusik in M.-Schwerin, v. Pestalozzi bis zum
Ende d. 19. Jh., = Rostocker Studien VIII, Rostock 1940;
ders., Zur mus. Praxis d. m.ischen Volkstanzes, Deutsches
Jb. f. Volkskunde II, 1956; ders., Erzgebirgische Bergmu-
sikanten in M„ StMw XXV, 1962; H. Milenz, AbriB d.
m.ischen Mg. bis zum Jahre 1933, Schwerin (1940).
medesimo tempo (ital.) -> 1'istesso tempo.
Mediante (lat. medius, in der Mitte liegend) heiBt seit
Ch.Masson (1694) die 3. Stufe der Tonleiter wegen
ihrer Lage zwischen Prime und Quinte. Die Bezeich-
nung war im 18. Jh. weit verbreitet, gait doch die M.
als der Ton qui determine le mode (Rousseau). Rameau
gebraucht den Terminus - gleichgewichtig neben note
tonique, dominante und note sensible - nur in seinem
Traite" de I'harmonie (1722). Wahrend M. urspriinglich
die 3. Stufe als Einzelton bezeichnete, wurde in neuerer
Zeit der Terminus auch auf den iiber dicsem Ton auf-
gebauten Dreiklang iibertragen und zugleich auf alle
Mehrchorigkeit
im Terzverhaltnis zu einer Hauptfunktion stehenden
-> Nebendreiklange, die als Ober- und Untermedian-
ten bezeichnet werden.
Mediatio (lat.) -»-Psalmt6ne.
Mediator (frz. mediator), s. v. w. -*■ Plektron. Die
Anweisung »mit M.« gibt G.Mahler in seinem Lied von
der Erde (VI. Der Abschied) fur die 1 . Harf e.
Medicaea -> Editio Medicaea.
Medium (lat., Mitte, Halfte); nach Tinctoris (CS IV,
171a und 179b) heiBt »vulgariter« cantus ad m. oder per
m. ein in Proportio dupla notiertes Stuck, da dessen
Noten mit der Halfte ihres normalen Wertes gesungen
werden. - M. ist im 16. Jh. auch ein Name fur Tenor
(auch media vox).
Medley (m'edli, engl., Gemisch) -»■ Fricassee.
Mehrchorigkeit, Kompositionsart fiir 2, 3 oder mehr
alternierende, ineinandergreifende und sich vereinen-
de Chore. Sie ist die kirchliche -»■ Festmusik des Ba-
rocks und eine der Hauptarten des ->■ Concertos, ge-
kennzeichnet durch Klangf iille und dramatischen Kon-
trast, Farbwirkungen, Raumeffekt und Bildlichkeit. -
Franko-flamische Komponisten um 1500 (Mouton,
Brumel, vor allem Josquin Desprez) gliederten bereits
haufig den Chorsatz in vollstimmige (z. B.: S. A. T. B.)
und teilchorig alternierende Partien (z. B.: S. A. T. -
T. T. B.), eine Gruppierungsweise der Stimmen, die
neben der eigentlichen M. fortbestand. Zeugnisse und
Quellen fiir das Alternieren von Klanggruppen finden
sich seit Mitte des 15. Jh. ; fiir die Zeit um 1550 ist na-
mentlich fiir Oberitahen (Padua, Treviso, Bergamo)
die dialogisierende Stimmengruppierung vielstimmi-
ger akkordischer Satze bei volkstiimlichen Gattungen
nachgewiesen. Sowohl in diesen Vor- und Friihfor-
men der M. als auch speziell im alternierenden Vortrag
antiphonaler Formen wurzeln die Salmi spezzati Wil-
laerts (1550), der die 8st. Komposition nicht als erwei-
terte Vierstimmigkeit oder (in Vervielfaltigung der 4
Stimmlagen) als reale Achtstimmigkeit behandelt und
willkiirlich wechselnd gruppiert, sondern sie nach Art
des von Zarlino 1558 beschriebenen -*■ Coro spezzato
von vornherein als Doppelchor, d. h. als zweimal 4st.
Chorsatz, anlegt. Durch die getrennte Plazierung der
Chore - begiinstigt durch 2 Orgelemporen im Zen-
tralbau der Markuskirche zu Venedig - wird der Raum
zu einem Faktor der Kompositionsart und der musi-
kalischen Wirkung erhoben. M. und getrennte Auf-
stellung der Chore bleiben, wie die literarischen Zeug-
nisse bestatigen, auch im Barock wesensmaBig mitein-
ander verbunden.
Die von Willaert ausgehende M. der -> Venezianischen
Schule (- 2) wurde von dessen Schijlern Zarlino und
N. Vicentino (1555) theoretisch erortert und im Schaf-
fen A. Gabrielis (Concerti, posthum 1587) und G. Ga-
brielis (Drucke von 1597 und 1615) zu ihrem Hohe-
punkt gef iihrt durch Einbeziehung der Gattungen Mo-
tette, Magnificat und Messe, Steigerung bis zu 4 Cho-
ren, Einsatz von Solopartien, Instrumenten und In-
strumentalchoren und Komposition rein instrumenta-
ler M. Kennzeichnend fiir die M. und ihre Entwick-
lung ist die Bezogenheit des vielstimmigen Satzes auf
den als ->■ Basis fungierenden BaB, der das musikali-
sche Geschehen tragt und fiihrt. Der damit gebotenen
Verstarkung des Basses (dessen Verdopplung Zarlino
1589 eigens empfiehlt) dient der Basso pro organo
(-» Basso seguente), womit prinzipiell das Instrument
zu einem Faktor des Satzes erhoben ist. Die kontrastie-
rcnden Hoch- und Tiefchore erfordern - infolge der
Erweiterung des Klangraums - den Einsatz von Instru-
551
Mehrchorigkeit
menten (A. Gabrieli) und Instrumentalchoren (G. Ga-
brieli); daraus resultieren die Titel Symphonia, Con-
certo und Sonata sowie (besonders in G. Gabrielis in-
strumentaler M.) die Ausbildung eines spezifischen In-
strumentalstils. Die Moglichkeit »orchestraler« Ver-
dopplung der Stimmen in pleno Choro rechtfertigt Prae-
torius (Synt. Ill, S. 91f.). Kontrastierend solistische Par-
tien verbinden innerhalb der M. das chorische und
das solistische Concertieren. - Nach 1580 verbreitete
sich die M. rasch auch auBerhalb Venedigs (-»■ Romi-
sche Schule; -> Benevoli) und jenseits Italiens. N6rd-
lich der Alpen stellt - neben den mehrchorigen Chan-
sons und (nichtliturgischen) Motetten von Lassus - das
Opus musicum (1586-90) von J. -> Gallus eineformliche
Schule des doppelchorigen Tonsatzes dar (H.Riemann).
In Deutschland begegnet die M. namentlich im Werk
der Gabrieli-Schtiler H.L.HaBler und H. Schiitz und
im Schaffen von M.Praetorius. Letzterer in seinem
Synt. Ill, Viadana in der Vorrede seiner Salmi a quattto
chori per cantare, e concertare (1612) und Schiitz in der
Vorrede seiner Psalmen Davids (1619) geben detaillierte
Angaben iiber die Praxis der M. Die Capella kann auf-
geteilt werden in: 1) Vokalchor, von G. Gabrieli Ca-
pella, von Praetorius Capella (oder Chorus) vocalis,
auch Chorus principalis (da er nicht ausgelassen wer-
den kann), von Schiitz Coro Favorito genannt; kom-
men in einer Komposition mehrere solcher Chore vor,
denen nach Belieben auch Instruments beigeordnet wer-
den konnen, werden sie meist nach Lage und Klangfar-
be verschieden gruppiert und besetzt, z. B. : S. S. A. A.
(mit Violenchor und Cembalo) neben T. T. B. B. (mit
Posaunenchor und Orgel); 2) Instrumentalchor, Ca-
pella (oder Chorus) instrumentalis, von Schiitz einfach
Capella genannt; diese Chore dienen zum starcken
Gethon vnnd zur Pracht (Schiitz) und konnen in einer
oder alien Stimmen auch vokal besetzt oder auch ganz
ausgelassen werden; 3) Chorus pro Capella, auch Ple-
nus Chorus, Ripieni oder Tutti (Omnes), vokal und
instrumental besetzt, dient allein zur erfiillung vnd be-
sterckung der Music (Praetorius) ; 4) Concertatstimmen,
die solistischen Stimmen der Chore, die zusammen
wiederum einen Chor ergeben konnen; fur ihre Be-
gleitung empfiehlt Praetorius die Capella fidicinia (ei-
nen Chor aus besaiteten Instrumenten) oder ein ->■ Con-
sort. Ober die Fiille der Arten, wie die Concert per
Choros angeordnet werden konnen, handelt am aus-
fiihrlichsten Praetorius (Synt. III). Ein schones Beispiel
fur die abbildlich gemeinte Gruppierung der Chore
in Haupt- (Nah-) und Fernchor gibt Schiitz im III. Teil
seiner Musicalischen Exequien (1636). - Nicht nur wah-
rend der Barockzeit (Lully, Te Deum fur 9st. Doppel-
chor und Orch., 1677; Purcell, Anthem Behold now
praise the Lord fur 7st. Doppelchor mit Orch. ; G. O.
Pitoni, Messen fur drei bis neun 4st. Chore; J. S. Bachs
Motetten fur 8st. Doppelchor, Matthauspassion), son-
dern auch weiterhin ist die M. die Kompositionsart fur
die kirchliche Festmusik geblieben, namentlich fur die
Festmesse und -motette: W.A.Mozart, Messe in C
moll, K.-V. 427; Mendelssohn, Herr Gott, dich loben
wir fur 8st. Doppelchor und Orch. (1843); Berlioz, Te
Deum f iir 3 Chore, Orch. und Org. op. 22 (1855); Bruck-
ner, Messe E moll fur 8st. Doppelchor und Blasorch.
(1866); Brahms, Triumphlied op. 55 und Fest- und Ge-
denkspriiche op. 109; Verdi, TeDeum (1898); H.Distler,
Motette Herzlich lieb hab ich Dich, o Herr op. 2 fiir 2
Chore (1931). M. gibt es daneben auch etwa in der
Oper (R.Wagner, Blumenmadchenszene mit 12st.
Vierchorigkeit im 2. Akt des Parsifal) und in der Sym-
phonic (G.Mahler, 8. Symphonie, 1907).
Lit. : N. Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna
prattica, Rom 1555, Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, = DM1
I, 17, 1959 (f. 85); Praetorius Synt. Ill; E. Hertzmann,
Zur Frage d. M. in d. 1. Halfte d. 16. Jh., ZfMw XII, 1929/
30; H. Zenck.N. Vicentinos»L'anticamusica«(1555), Fs.
Th. Kroyer, Regensburg 1933; L. Reitter, Doppelchor-
technik bei H. Schiitz, Diss. Zurich 1937; R. Unger, Die
mehrchorige Auffiihrungspraxis bei M. Praetorius . . . ,
Wolfenbiittel (1941); W. Gurlitt, Kirchenmusik u. Kir-
chenraum, MuKXIX, 1949;G. d'Alessi, La cappella mus.
del duomo di Treviso, 1300-1633, Vedelago 1954; W.
Boetticher, Eine Friihfassung doppelchoriger Motetten
O. di Lassos, AfMw XII, 1955; W. Ehmann, H. Schiitz:
Die Psalmen Davids, 1619, in d. Auffiihrungspraxis, MuK
XXVI, 1956; D. Arnold, Zur BaBfiihrung in d. mehrcho-
rigen Werken A. Gabrielis, Mf XII, 1959; St. Kunze, Die
Instrumentalmusik G. Gabrielis, = Munchner Veroff. zur
Mg. VIII, Tutzing 1963 ; P. Winter, Der mehrchorige Stil,
Ffm., London u. NY 1964. HHE
Mehrklangsketten nennt H. Erpf Folgen von Mehr-
klangsbildungen, die in ihrem Nacheinander keine ge-
meinsame Grundbeziehung mehr, sondem nur noch aufge-
reihte Beziehungen von Element zu Element enthalten.
Lit. : H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d.
neueren Musik, Lpz. 1927.
Mehrstimmigkeit -> Polyphonic
Meiningen.
Lit. : Chr. Muhlfeld, Die herzogliche Hofkapelle in M.,
= Neue Beitr. zur Gesch. d. deutschen Altertums XXIII,
M. 1910; H. Poppen, 50 Jahre Meininger Mg., ebenda
XXXIV, 1929; O. GOntzel, Vom Werden u. Wirken d.
Meininger Landeskapelle, Fs. zum M. Reger-Fest 1937;
ders., Das M.-Reger-Arch. in M., Fs. M. Reger, Lpz. 1953;
H. Grabner, Reger u. d. Meininger Hofkapelle, Fs. Elsa
Reger, = Veroff. d. M. Reger-Inst. II, Bonn 1950; G. Kraft,
Mg. d. Stadt M., Weimar 1958.
Meistersang, im engeren Sinne die Liedkunst der
zunftmaBig geordneten biirgerlichen Singschulen in
vielen deutschen Stadten des 15.-16. Jh. Im weiteren
Sinne gehort zur Geschichte und Vorgeschichte des
M.s auch die Kunst der an Furstenhofen wirkenden
wandernden Sanger des spaten Mittelalters, die die
Formen des hofisch-ritterlichen -> Minnesangs mit ei-
ner neuen, realistischen Haltung erfiillten. Bereits die
Meistersinger des 15.-16. Jh. sahen hier den Ursprung
ihrer handwerklich iiberlieferten Dichtungs- und Mu-
sizierweise und feierten ->• Frauenlob als Begriinder
der altesten Singschule in Mainz, die um 1315 entstan-
den sein soil. Das »alte goldene Buch von Mainz« scheint
in der um 1470 abgeschlossenen Kolmarer Liederhand-
schrift (->■ Liederbiicher) vorzuliegen (Stackmann 1959,
S. XL VIII). Als Stifter des M.s gehort Frauenlob zu den
»12 alten Meistern«: Walther von der Vogelweide,
Wolfram von Eschenbach, Konrad Marner, Heinrich
von Miigeln, Klingsor, der starke Boppe, Bartel Re-
genbogen, Reinmar von Zweter, der Kanzler, Konrad
von Wiirzburg und der alte Stolle. Singschulen bestan-
den in alien bedeutenden Stadten, vornehmlich in den
siiddeutschen Reichsstadten, z. B. in StraBburg, Schlett-
stadt, Colmar, Freiburg im Breisgau, Worms, Augs-
burg und nicht zuletzt in Nurnberg mit Hans Folz (aus
Worms stammend, spatestens ab 1459 als Wundarzt in
Nurnberg ansassig, wo er Anfang 1513 starb) und H.
-> Sachs als einem der bedeutendsten Meistersinger. Im
spaten 16. Jh. verfiel der M. ; seine letzten Spuren finden
sich (in Ulm und Memmingen) noch im 19. Jh., wo die
Tradition durch den Mannerchor im Liederkranz iiber-
nommen wurde. - Als Vorbild dienten dem M. die Ge-
sangschulen, Kalande und Bruderschaf ten der Kirchen
und Kloster sowie die stadtische -> Zunf t. Durch stren-
ge, auf Tafeln geschriebene Regelordnungen (Tabula-
tur) waren die Meistersinger zunftmaBig zusammenge-
schlossen. In schwarzem Gewand mit dem Barett traten
sie regehnaBig in der Kirche zum Schulsingen zusam-
552
Melisma
men, fur das ein geistliches Repertoire und wiirdiges
Zeremoniell vorgeschrieben waren. Aufierdem f and das
kurzweilige Zech-(Gesellschafts-)Singen statt. Der Sin-
§er hatte seinen Platz auf dem Singestuhl, 3 oder 4 Mer-
er saBen am Tisch im Gemerk, das mit Vorhangen ver-
schlossen war. Jeder Merker hatte eine bestimmte Seite
des Singens zu beurteilen: die Reinheit des Bibeltextes,
das Bef olgen der-* Tabulatur (- 2) , dieWahl der Reime
und der metrisch-musikalischen Strophenform (»Ton«
oder »Weise«).Wer die Tabulatur noch nicht recht ver-
stand, hieB Schiiler, wer mit ihr vertraut war, Schul-
freund, wer den alten »T6nen« neue Texte unterzulegen
wuBte, Tichter, wer einen neuen Ton erfand, Meister.
Die bei einer Meisterfreiung gesungene Liedweise gait
als Eigentum der Singschule, nicht des Meisters, der sie
erfunden hatte. - Die fiir den M. verbindliche Form des
Strophenbaus hieB -*■ Bar. Die Namen der »T6ne« rich-
teten sich u. a. nach der Reimordnung (Kreuzton mit
kreuzformiger Reimstellung) oder nach dem Stoff
(Jungfrauenweis nach dem Gleichnis der klugen und
torichten Jungfrauen) oder nach Stand und Herkunft
des Meisters (der wilde Ton nach Bastian Wilde), oder
die Tone erhielten poetische Namen (blauer Ton). Wie
der Minnesang seine Melodie in Choralnoten auf-
schrieb, so bediente sich auch der M. des 16. Jh., der
vorgab, die Lieder der alten Meister weiterzugeben,
derselben Notenform (trotz einiger an die Mensural-
lehre erinnernder Formen); indessen gebrauchte er
statt der gefiillten Noten (meist Semibreven) hohle
Noten und nur fiir die Koloraturen (Blumen) die Mi-
nimen. Eine Reihe von Handschriften des M.s enthalt
gesondert die Texte, wahrend die Melodien in be-
sonderen Notenfaszikeln zusammengefaBt sind. Eine
der wertvollsten Handschriften mit Noten ist die des
Magdeburger Meistersingers V.Voigt (1558), eine
Prachthandschrift der Universitatsbibliothek Jena. Der
Stoffkreis des M.s war vorwiegend geistlichen Inhalts
mit dem Vorrang der Bibel (im 16. Jh. in der Uber-
setzung Luthers) : Siindenf all, Erlosung, Trinitat, Maria
Empfangnis, eschatologische Motive, allegorische Bil-
der der Bibelexegese, und bis in die Reformationszeit
mariologische Themen; dazu kamen die politischen
und historischen Lieder, die Schul-, Straf- und Wett-
kampflieder sowie oft derb-drastische Buhl- und
Schwanklieder. Lehrhaf tigkeit ist ein Kennzeichen vie-
ler Texte des M.s. Unter den Meistersingern ragen als
Musiker H.Sachs (mit der Silberweise, textlich eine
Paraphrase des Salve regina), H.Folz (mit dem Ketten-
ton) und Konrad Nachtigall (mit dem geschiedenen
Ton) hervor. An der Silberweise von H.Sachs wird
die Nahe des M.s zum Kirchenlied Luthers und zur
evangelischen Musikanschauung (J.Walter) deutlich.
So ist es verstandlich, daB C. Spangenberg in seinem
M.-Buch (1598) Martin Luther unter den Meistersin-
gern mit auffiihrt. -Ein farbiges und lebensvolles, aber
im Geist des 19. Jh. umgefarbtes Bild des M.s mit sei-
nem Silbenzahlen und Reimeschmieden hat R. Wagner
in seiner Oper Die Meister singer von Niirnberg (Urauf-
fuhrung Miinchen 1868) entworfen und sich dabei in
der Hauptsache auf die Darstellung des M.s von J. Chr.
Wagenseil (1697) gestiitzt.
Ausg.: Die Sangesweisen d. Colmarer Hs. u. d. Liederhs.
Donaueschingen, hrsg. v. P. Runge, Lpz. 1896, Nachdruck
Hildesheim 1965 ; Jenaer Liederhs., hrsg. v. Fr. Saran, G.
Holz u. E. Bernoulli, 2 Bde, Lpz. 1901 ; Das Singebuch d.
A. Puschmann, hrsg. v. G. Munzer, Lpz. 1906; Die Je-
naer Liederhs., Faks. ihrer Melodien, hrsg. v. Fr. Genn-
rich, = Surama musicae medii aevi XI, Langen 1963;
ders., Troubadours, Trouveres, Minne- u. Meistergesang,
= Das Musikwerk (II), Koln (1951, 21960).
Lit. : J. Walter, Lob vnd preis d. loblichen Kunst Musica,
Wittenberg 1538, hrsg. v. W. Gurlitt, Kassel 1938; A.
Puschmann, Griindlicher Ber. d. deutschen Meisterge-
sanges . . . , Gorlitz 1 571 , NA hrsg. v. R. Jonas, Halle 1 888 ;
C, Spangenberg, Von d. edlen vnnd hochberiiembten
Kunst d. Musica . . . (Ms. StraBburg 1598), = Bibl. d. li-
terarischen Ver. in Stuttgart LXII, Stuttgart 1861, Nach-
druck Tubingen 1966; J. Chr. Wagenseil, De Sacri Rom.
Imperii Liberia Civitate Noribergensi Commentatio, Alt-
dorf 1697 (darin: Buch v. d. Meister-Singer holdseliger
Kunst . . .); E. Martin, Urkundliches iiber d. Meister-
singer v. StraBburg, = StraBburger Studien I, StraBburg
1882; O. Plate, Die Kunstausdriicke d. Meistersinger,
ebenda III, 1888; C. Mey, Der Meistergesang in Gesch.
u. Kunst, Karlsruhe 1892, Lpz. 21901; Niirnberger Mei-
stersinger-Protokolle v. 1575-1689, 2 Bde, hrsg. v. R. Dre-
scher, = Bibl. d. litterarischen Ver. in Stuttgart CCXIII-
CCXIV, Stuttgart 1897-98, Nachdruck Tubingen 1961;
P. Runge, G. Munzer, R. Staiger u. E. Bernoulli in :
Kgr.-Ber. Basel 1906 (Ober d. Notation d. Meisterge-
sangs); R. Staiger, Benedict v. Watt, = BIMG II, 13,
Lpz. 1914; W. Stammler, Die Wurzeln d. Meisterge-
sangs, DVjs. I, 1923; E. Jammers, Untersuchungen iiber
d. Rhythmik u. Melodik d. Melodien d. Jenaer Lieder-
hs., ZfMw VII, 1924/25; A. Heiberg, Zur Tabulatur d.
Meistergesangs ..., Diss. Prag 1925, maschr., Auszug
in: Jb. d. Phil. Fakultat d. deutschen Univ. in Prag III,
1925/26; K. Unold, Zur Soziologie d. (ziinftigen) deut-
schen Meistergesangs, Diss. Heidelberg 1932; Fr. Eberth,
Die Minne- u. Meistergesangsweisen d. Kolmarer Lie-
derhs., Detmold 1935; H. O. Burger, Die Kunstauf-
fassung d. friihen Meistersinger, = Neue Deutsche For-
schungen LXXV, Abt. Deutsche Philol. II, Bin 1936; A.
Taylor (mit F. H. Ellis), A Bibliogr. of Meistergesang,
= Indiana Univ. Studies CXIII, Bloomington 1936;
ders., The Literary Hist, of Meistergesang, NY 1937; B.
Nagel, C. Spangenbergs M.-Bild, Arch. f. Kulturgesch.
XXXI, 1943; ders., Der deutsche M., Heidelberg 1952;
ders., M., = Slg Metzler, Abt. D (Literaturgesch.), Stutt-
gart 1962; R. Zitzmann, Die Melodien d. Kolmarer Lie-
derhs = Literarhist.-mw. Abh.IX, Wiirzburgl944;K.
Stackmann, Der Spruchdichter Heinrich v. Mugeln, Hei-
delberg 1958; ders., Die kleineren Dichtungen Heinrichs
v. Mugeln, = Deutsche Texte d. MA L, Bin 1959 ; H. Hus-
mann, Aufbau u. Entstehung d. cgm 4997 (Kolmarer Lie-
derhs.), DVjs. XXXIV, 1960; B. Kippenberg, Der Rhyth-
mus im Minnesang, = Miinchner Texte u. Untersuchun-
gen zur deutschen Lit. d. MA III, Miinchen 1962; H. Fi-
scher, Zu Leben u. Schriften d. H. Folz, Zs. f. deutsches
Altertum XLV, 1966 ; Chr. Petzsch, Zu d. sogenannten H.
Folz zugeschriebenen Meistergesangsreform, in: Paul u.
Braunes Beitr. zur Gesch. d. deutschen Sprache u. Lit.
LXXXVIII, 1966; ders., Text-Form-Korrespondenzen im
ma. Strophenlied, DVjs. XLI, 1967.
Melanesien -s-Ozeanien.
Melisma (griech., Gesang, Lied), - 1) Bezeichnung
fiir Melodien oder Melodieteile, die nur auf eine Silbe
gesungen werden; sie schliefit grundsatzlich auch Ko-
loratur und Arten der Verzierung ein, doch bezeichnet
der heutige Sprachgebrauch mit M. vor allem die Vo-
kalisen in der mittelalterlichen Ein- und Mehrstimmig-
keit (responsoriale Psalmodie, Organum) ; im mittelal-
terlichen Musikschrifttum ist der Terminus nicht ge-
laufig. Gegensatz zur melismatischen ist die syllabische
Art, bei der jeder Silbe nur eine Note zugeordnet
wird. Der in neuerer Zeit gepragte Ausdruck »neuma-
tischer Stil«, der zwischen beiden vermitteln und fiir
melismatische Bildungen mit nicht mehr als etwa 4
Tonen ver wendet werden soil, zieht eine historisch will-
kiirliche Grenze. - 2) Unter M. versteht die barocke
Musikliteratur, wohl in Anlehnung an die urspriingli-
che (griechische) Bedeutung des Wortes, auch eine
iiber Verse gesetzte Composition (J. G.Walther, Praecepta,
ed. Benary, S. 49), unter Stilus melismaticus einen na-
turlkhen Styl, den alle Welt fast ohne Kunst singen kan
(WaltherL; ahnlich Mattheson Capellm., S. 74, 90, 92).
- 3) Die Melismatik ist eines der wichtigsten Elemente
der orientalischen Melodik. In der mittel- und vorder-
553
Melodic section
orientalischen Vokalmusik nimmt sie breiten Raum
ein; speziell in der traditionellen indischen Kunstmu-
sik wird der Text zur Nebensache und von Vokalisen
iiberwuchert bzw. ganz von ihnen ersetzt. - Auch die
Musik der Naturvolker kennt Melismatik, ebenso die
Volksmusik Europas, hier besonders die orientalisch
beeinfluBte: der Fado in Portugal, die Flamencolieder
Siidspaniens, die Volkslieder des siidlichen Balkans. In
der Melodik der nord- und zentraleuropaischen Volks-
lieder ist sie seltener und weniger ausgedehnt. Es wird
vermutet, daB die Melismatik in die abendlandische
Vokalmusik des Mittelalters iiber die friihchristlichen
Gesange aus dem hebraisch-orientalischen Kultgesang
und in die weltliche Vokalmusik (Trobador- und Min-
nesang) aus dem mittelalterlichen arabischen Kunstge-
sang eingedrungen sind.
Lit. : zu 3) : R. Lach, Studien zur Entwicklungsgesch. d.
ornamentalen Melopoie, Lpz. 191 3 ; A. Z. Idelsohn, Paral-
lelen zwischen gregorianischen u. hebraisch-orientalischen
Gesangsweisen, ZfMw IV, 1921/22; R. v. Ficker, Primare
Klangformen, JbP XXXVI, 1929; P. Collaer, La migra-
tion du style melismatique oriental vers l'occident, Journal
of the International Folk Music Council XVI, 1964.
Melodic section (mil'sdik s'ekjsn, engl.) ->• Band.
Melodie (griech. u,eA<p8ta, von [z£Xo<;, Lied, und
4>8t), Gesang; als Wort belegt seit Platon, z. B. »Ge-
setze« 790e) tritt in Erscheinung als in der Zeit sich ent-
faltende selbstandige Tonbewegung. Gegeniiber we-
niger selbstandigen Tonfolgen wie die von Neben-,
Begleit-, Fiillstimmen zeichnet sie sich gewohnlich aus
durch innere Folgerichtigkeit oder Gesanglichkeit oder
leichtere FaBlichkeit oder durch Festigkeit und Ge-
schlossenheit ihrer Gestalt. M. im engeren Sinne, als
konkrete Erscheinung, enthalt auch das rhythmische
Element in sich. Im weiteren Sinne kann sie als Urbild
aller »horizontalen« oder »linearen« Tonbewegungen
auf gef afit und daher als musikalisches Grundphanomen
angesprochen werden, das in keiner Musik ganz fehlt.
Unter Melodik versteht man eine bestimmte Art der
M.-Bildung, ein bestimmtes melodisches Prinzip (z. B.
Bachs Melodik; Treppenmelodik). Bisweilen wird je-
doch die Bezeichnung Melos bevorzugt, vornehmlich
bei einstimmiger oder harmonisch nicht gebundener
Musik (Volksmusik, auBereuropaische, moderne Mu-
sik)! - Was heute als M. bezeichnet wird, konnte in der
Antike und im Mittelalter je nach dem Zusammenhang
verschieden benannt werden, so etwa griech. dyXaog
olfiog doidfjg (»strahlender Gang des Gesangs«, ho-
merischer Hermes-Hymnus 451), uiXoi;, v6u,o<;, cJ>8y);
lat. modus (modulatio, modulamen, modulus), can-
tus, cantilena, cantio; ahd. sane, seit Notkers Martia-
nus-Kommentar auch Weise, im Meistersang Ton,
ahnlich engl. tune. - Die urspriingliche Bedeutung des
Wortes M. zielte mehr auf die Ausfiihrung, das Singen,
den Gesangsvortrag eines -> Melos. Wohl im Zusam-
menhang mit der allmahlichen Festlegung und Kano-
nisierung der liturgischen M.n im friihen Mittelalter
wandelte sich der M.-Begriff und damit auch die Be-
deutung des Wortes. Wahrend melos sich nur noch als
gelehrtes Wort hielt, fand der im Mittellatein verhalt-
nismaBig seltene Terminus melodia auf dem Weg iiber
das Altfranzosische allmahlich Eingang in die Volks-
sprachen. Aber erst um 1600, als sich die Musik nicht
mehr dem Harmoniabegriff der klassischen Vokal-
polyphonie unterordnete (vgl. Seconda prattica . . . in-
tende che sia quella che versa intorno alia perfetione della
melodia, cioe che considera Varmonia comandata, e non co-
mandante, Dichiaratione in Monteverdis Scherzi musi-
cali, 1607), riickte das Begriffswort M. allmahlich ganz
in den Vordergrund (Monteverdi plante sogar eine
eigene Abhandlung unter diesem Titel; -»- Melodie-
lehre). Seither galten M. und Harmonie (iiber den
von Rameaus Traiti de I'harmonie, 1722, ausgelosten
Vorrangstreit hinweg) als die beiden komplementaren
Halften der Musik. Die durch den geschichtlichen
Wandel bedingte Verschiebung, Erweiterung, Verall-
gemeinerung des M.-Begriffs einerseits und die mit der
Anwendung auf altere geschichtliche Epochen sowie
auf fremde Musikkulturen verbundene Ausdehnung
und Zersplitterung des Begriffs andererseits kennzeich-
nen den neuzeitlichen Gebrauch des Wortes. Die Be-
trachtung fremder Musikkulturen unter dem Gesichts-
punkt der M. hat als Gewinn u. a. auch neue Fragestel-
lungen f iir die Erf orschung der alteren, im wesentlichen
einseitig melodisch orientierten Musik Sudeuropas ein-
gebracht (Griechische Musik, Byzantinische Musik,
Gregorianischer Gesang). So etwa die Einsicht, daB fur
die Musik des Vorderen Orients die Art, die Intensitat
des Hervorbringens einer Tonbewegung offenbar viel
wesentlicher ist als die Tonfolge an sich. Anders dage-
gen im Abendland, wo alle Stimmen seit dem Auf-
kommen der Mehrstimmigkeit als Bestandteile eines
iibergeordneten Ganzen, namlich des rational bestimm-
ten klanglich-harmonischen Gefiiges der Komposition
verstanden wurden. - Im folgenden wird M. unter fiinf
Gesichtspunkten zu fassen versucht.
1) Grundlegende Bedeutung kommt zunachst dem
aus der Psychologie stammenden und dort u. a. am
Phanomen der M. herausgearbeiteten Begriff der Ge-
stalt als einer selbstandigen Qualitat zu (Chr.v.Ehren-
fels). Mit ihm werden zwei allgemeine Merkmale er-
faBt: M. ist erstens nicht bloB die Summe aller in ihr
enthaltenen Tone, sondern etwas diesen Elementen
gegeniiber Neues, Ubergeordnetes, und zweitens ist M.
von absoluten Reizwerten (von absoluter Tonhohe)
unabhangig und somit transponierbar. Jede M. hat
dariiber hinaus ihre eigene Gestalt, doch gilt es von
vornherein zu scheiden zwischen verschiedenen Grund-
haltungen. Im Orient beispielsweise ist der Verlauf
einer M. im Prinzip nicht genau, nicht Ton fur Ton
festgelegt. Die M. hat keine feste, »objektivierte«, vom
jeweiligen Vortrag ablosbare Gestalt. Zu verbindlichen
Normen auskristallisiert haben sich dort (und wahr-
scheinlich auch in der Antike; -*■ Nomos) lediglich
typische Gestaltungsweisen von M.n in Verbindung
mit gewissen Modellvorstellungen (->■ Maqam, -> Ri-
ga, ->■ Patet), und nicht die Einzelgestalten selbst.
Daher lassen sich solche M.n in europaischer Noten-
schrift nur schwer wiedergeben (was wir aufschreiben
konnen, das ist nicht einmal wissenschaftlich das Wichtigste,
Sachs 1930, 21959, S. 15). Strenges Unisono ist derarti-
ger Musik fremd; beim Zusammenmusizieren ergibt
sich vielmehr ein eigentiimliches Nebeneinander von
ahnlich gestalteten melodischen Linien (->■ Heteropho-
nie). Die Grundhaltung der abendlandischen Kirchen-
und Kunstmusik zeichnet sich demgegenuber aus durch
die Tendenz zum Festlegen, »Objektivieren« der M.
als Gestalt bis in die einzelnen Tone, in einem spateren
Stadium bis in die rhythmischen Werte hinein. Damit
verbunden war die Ausschaltung des Irrationalen im
Tonmaterial (darunter auch der fur das friihe Mittelal-
ter vereinzelt bezeugten Vierteltone), in der Art der
Bewegung und des Vortrags (z. B. -*■ Liqueszens,
-> Plica). Die seit dem Aufkommen der Mehrstimmig-
keit zur Regel gewordene eindeutige schriftliche Fest-
legung von M.n erlaubte ihrerseits nun wieder die be-
wuBte, geregelte Abweichung vom »normalen« Vor-
trag (z. B. Zerdehnung der Cantustone wie im Orga-
num der Notre-Dame-Epoche, Augmentation, Ver-
kleinerung, Diminution, Verzierungen, im Falle der
Kolorierung war sogar vollige Umgestaltung der zu-
grunde liegenden M. moglich). Das europaische
554
Melodie
->■ Volkslied hingegen laBt sich beziiglich der unter-
schiedlichen Festigkeit der melodischen Gestalt ver-
schiedenen Zwischenstufen zwischen den beiden ge-
nannten Grundhaltungen zuordnen.
2) Im Unterschied zur Sprach-M. bewegt sich die mu-
sikalische M. auf deutlich gegeneinander abgesetzten
Tonstufen (worauf bereits Aristoxenos, »Harmonik« 8,
hinwies). Diese Tonstufen sind in der Regel als feste
Tonhohen gemeint, auch wenn sie in der Praxis kleine-
ren Schwankungen unterliegen (z. B. Differenz zwi-
schen reiner und temperierter Stimmung, unsaubere
Intonation; ->■ Dirty tones). Dagegen weisen Interval-
le, die nicht nach dem Konsonanzprinzip ausgewahlt,
sondern nach dem Prinzip der ->■ Distanz abgeschatzt
werden (auBer bei Naturvolkern auch beim Vortrag
des S&maveda in Indien, beim N6-Gesang in Japan
u. a.), meist groBere Schwankungen auf (vgl. auch die
Diskrepanz zwischen instrumentaler Stimmung und
vokaler Intonation in manchen Musikkulturen, z. B.
in Siidostasien). Es kommt aber auch der Fall vor, daB
zwischen festen Tonstufen bewegliche eingeschaltet
erscheinen (z. B. Pien als eine Art melodischer Uber-
gangston in chinesischer Musik). Nach der Zahl der in
einer Oktave enthaltenen Tonstufen werden haupt-
sachlich pentatonische und heptatonische M.n unter-
schieden, wobei die pentatonischen in halbtonlose (an-
hemitonische) und halbtonhaltige (hemitonische) un-
terteilt werden (-> Pentatonik). Innerhalb einer M.
konnen die Tonstufen entweder unverandert beibe-
halten oder nach bestimmten Regeln erhoht oder er-
niedrigt werden (-> Metabole, -> B - 1, -*■ Musica
ficta, melodisches ->- Moll, -*■ Alteration - 2). Die un-
verandert beibehaltenen Tonstufen werden gewohnlich
als »leitereigene« Tone bezeichnet. Unter Leiter ver-
steht man dabei gleichartigen M.n zugrunde liegende
und im engeren Sinne zu einer Tonart (t6vo?, ^)X°?>
modus, Kirchenton) gehorige, systematisch geordnete
Tone. Wechsel der Tonhohe auf einer Tonstufe kann
entweder Systemwechsel (Modulation) bedeuten oder
aber konstitutiv fur ein System sein (etwa wenn eine
M. bei steigenderBewegung den hoheren, bei fallender
den tieferen Ton benutzt, wie u. a. im melodischen
Moll); doch lassen sich diese beiden Falle praktisch
nicht immer klar auseinanderhalten. Die Unterschei-
dung von Haupt- und Nebentonen spielt in fast alien
Musikkulturen eine Rolle und tritt meist im Zusam-
menhang mit anderen, fiir den jeweiligen M.-Typ be-
zeichnenden Momenten auf (charakteristische melodi-
sche Wendungen, typischer Tonumfang, oft schema-
tischer oder von Modellvorstellungen geleiteter M.-
Verlauf , Bindung an ein bestimmtes -> Ethos, an Stim-
mungen und Gefiihle, an kosmologische oder magi-
sche Vorstellungen). Der Tonartenbegriff scheint sich
jedoch erst allmahlich aus solcher Unterscheidung ent-
wickelt zu haben (dafiir, daB sich Tonart und Leiter
nicht zu decken brauchten, ist etwa das Beispiel des auf
der gleichen Leiter beruhenden 1. und 8. Kirchentons
bezeichnend). In der Antike wurden zusatzlich drei
Tongeschlechter (-> Genos) unterschieden (diatonisch,
chromatisch, enharmonisch). Im Gregorianischen Ge-
sang war es in erster Linie der durch seine Stellung (lo-
cus) unter den benachbartenTonen (sociales) bestimmte
SchluBton der M. (-> Finalis - 1), der als modaler
Grundton empf unden wurde (was in der Antike und im
friihen Christentum anscheinend noch nicht allgemein
der Fall war) und zur Aufstellung von vier Tonarten
fiihrte. Die spater im AnschluB an das byzantinische
System des -> Oktoechos eingefiihrte weitere Unter-
scheidung authentischer und plagaler Formen (daher
acht -»■ Kirchentone) orientierte sich am zweiten Haupt-
ton (-> Repercussa, Tenor) und am Tonumfang (Am-
bitus). Damit waren zugleich auch zwei melodische Be-
wegungstypen auseinandergehalten, schematisch dar-
gestellt:
authentisch plagal
Finalis
Die Praxis kannte jedoch zahlreiche M.n, die sich sol-
cher Norm nicht fiigten (-» Tonus peregrinus, modu-
Herende M.n, authentisch-plagale »Mischformen«). In
der Mehrstimmigkeit kam das klanglich-harmonische,
spater auch das rational-rhythmische Moment als mit-
bestimmender und dadurch alles Melodische verwan-
delnder Faktor hinzu. Erst in der Dur-Moll-Tonalitat
erreichte die Musik als Ganzes wieder eine dem alten
Tonartenbegriff vergleichbare einheitliche Orientie-
rung im Klangraum (Harmonie als Komplementar-
begriff zu M.). Die A tonalitat jedoch rechnet mit 12
gleichberechtigten Tonstufen im Halbtonabstand wie-
der ohne feste Orientierung.
3) Der Zusammenhang von Sprache und Musik spie-
gelt sich in der M. auf vielfaltige Weise (-»■ Deklama-
tion). Epische, lyrische und dramatische, sakrale und
profane, rhythmisch gebundene und ungebundene
Texte etwa bringen von vornherein Differenzierungen
des Melodischen mit sich. Doch kann die musikalische
Komponente auch so sehr dominieren oder verselbstan-
digt sein, daB der Text ihm gegemiber in den Hinter-
grund tritt, ja belanglos erscheint (C. Sachs sieht in der
»logogenen«, d. h. wortgezeugten, und in der »patho-
genen«, d. h. rauschgezeugten Melodik zwei gegen-
satzliche Urformen). Typische Arten aus alterer Zeit
sind Rezitationsmelodik (so vermutlich der Rhapso-
den- und Schauspielervortrag der Griechen, Vortrag
von Prosatexten in der christlichen Kirche), relativ
selbstandige syllabische Melodik (wahrscheinlich die
Lyrik der Griechen, musikalisch einfachere Formen des
Liedes u. a.) und melismatische Melodik (Alleluia,
Graduale und andere MeBgesange; noch heute im
Orient weithin vorherrschend). In der Regel zeichnen
sich im melodischen Duktus gewisse Grundgegeben-
heiten des Textes ab, wie Textgliederung (Vers- und
Stropheneinteilung der Dichtung, Sinn- und Inter-
punktionsgliederung der Prosa) und Sprachrhythmus
(VersmaBe der Dichtung, Wort- und Satzakzente der
Prosa). So bedient sich etwa die Rezitationsmelodik in
der lateinischen Liturgie (Psalmodie, Oration, Prafa-
tion, Lektion u. a.) typischer, den jeweiligen Akzent-
verhaltnissen angepaBter Kadenzformeln zur Verdeut-
lichung der Sinngliederung (Mediatio : Flexa, Metrum ;
Terminatio: Differentia, Punctus), z. B. am SchluB der
Lektion :
Metrum
-?—: = = 1 z
■
Tu au - tem
Punctum
Do -
■ mi - ne
Punctum
mi ■
- se
-
* "
Ml "
_
II
re - re no - bis.
V De - o
gra - ti - as.
Nach der zugrunde liegenden Lehre der Grammatiker
werden Satz (periodus) und Satzteile (comma, colon)
durch -> Distinctio, Media distinctio und Subdistinctio
getrennt. Diesem Gliederungsprinzip folgen auch die
iibrigen Gesangsarten. Melismatische Gesange weisen
dariiber hinaus primar musikalisch zu verstehende Glie-
derungen auf (ebenfalls Distinctio genannt), sei es nach
selbstandigen Wortern oder innerhalb lingerer Melis-
men, z. B. im 2. Weihnachtsgraduale : Benedictus / qui
venit J in nomine / Domini: / Deus Dominus, / et illuxit
555
Melodic
nobis I, wobei auf die letzte Silbe (-bis) ein dreigliedriges
Melisma gesungen wird. Nicht selten scheinen durch
langere Melismen besonders gewichtige Wbrter her-
vorgehoben zu sein (Interpretationsmelisma). Nach
ahnlichen Prinzipien verfuhr spater die Mehrstimmig-
keit, die im iibrigen manche »VerstoBe« gegen die
Sprache zulieB (falsche Betonung, Verweilen bei un-
wichtigen Wbrtern u. a.). Die metrische und rhythmi-
sche Beschaffenheit mittelalterlicher Texte mag eine
geregelte Rhythmisierung der dazugehorigen M.n be-
giinstigt haben (Hymnus, Tropus, Conductus, Tro-
bador- und Trouveregesang, Minne- und Meistersang;
vielleicht eine der Wurzeln der modalen Rhythmik).
In der spatmittelalterlichen Musik und Melodik be-
gannen u. a. Wortdeklamation (seit Dunstable) und
»textgezeugte« Rhythmen (seit den Niederlandern), im
16. Jh. dann derEinfluB antiker Metrik (humanistische
->■ Odenkomposition) und Rhetorik an Bedeutung zu
gewinnen (musikalisch-rhetorische -> Figuren, die na-
mentlich der musikalischen Textausdeutung dienten).
In der Vokalmusik verlagerte sich das Gewicht auf die
Darstellung von Affekten (zumal in der Oper). Struk-
turunterschiede der einzelnen Sprachen machten sich
gegeniiber frtiher verstarkt bemerkbar (vgl. Luther,
Wider die hitnmlischen Propheten, 1525: Es mus beyde text
und notten, accent, weyse und geperde aus rechter mutter
sprach und stymme komen, sonst ist alles eyn nachomen, wie
die affen thun - eine Forderung, die im deutschen Sprach-
gebiet erst Schiitz ganz erfullt hat). Aber auch in der
Instrumentalmusik finden sich nunmehr Ziige, die oh-
ne die Erfahrungen in der Vokalmusik nicht denkbar
waren (quasi textgezeugte Rhythmen und Motive, die
Artikulation, iiberhaupt das »Sprechende«, »Singen-
de«). SchlieBlich war es R.Wagner, der sich gegen die
Herrschaf t der mit dem Text nur noch auBerlich ver-
bundenen (gleichsam instrumental konzipierten) abso-
luten M. in der Oper wandte und seit dem Tristan seine
Konzeption von der auf Wortwiederholungen ganz
verzichtenden unendlichen M. verwirklichte (vgl. Ge-
sammelte Schriften III, IV, VII) .
4) In der Tanz- und Marschmusik hangen ausgeprag-
ter Rhythmus und melodische oder iiberhaupt musi-
kalische Responsion eng zusammen. Bereits in der
griechischen Antike muB das melodische Moment
(iiber das rhythmische hinaus) die auBere Responsion
von (orchestisch gebundenen) Versen und Strophen
verdeutlicht haben; das Uberhandnehmen des Musi-
kalischen im neuen Dithyrambos fiihrte dann aller-
dings zur Preisgabe der auBeren Responsion. Im Abend-
land wirkte sich die Entstehung einer hypotaktischen
Betonungsordnung (Takt) innerhalb des Tanzes dahin-
gehend aus, daB sich der musikalische Ablauf zuneh-
mend sy mmetrisch gliederte (2+2 oder 4+4 oder 8 + 8
Takte; ->■ Metrum - 3, -> Periode, ->■ Symmetric).
Wo ein fester BaB (Ostinato, so bei Folia, Ground,
Chaconne, Passacaglia usw.) oder ein festes harmoni-
sches Geriist (z. B. im Blues) diese tektonische Aufgabe
iibernimmt, kann sich das Melodische jedoch wieder
freier, improvisierend oder variierend entfalten, beson-
ders bei instrumentaler Ausfiihrung. Von der Rhyth-
misierung der Oberstimmen kann auch eine Intensi-
vierung des Grundrhythmus ausgehen (Punktierung
im Marsch, swing im Jazz u. a.) .
5) Zahlreich sind die mehr immanent-musikalischen
Fragen der M.-Bildung. Eine in der Musikethnologie
entwickelte Typologie geht von der Bewegung im
Detail aus: Treppen-, Sprung-, Sturz-, Pendel-, Gir-
landen-, Fanfarenmelodik u. a. Die Bewegung im gan-
zen ist dagegen in den drei Bewegungstypen des As-
zendenz-, Schwebe- und Deszendenzmelos erfaBt (W.
Danckert). Untcr den sich freier entfaltenden Gesan-
gen der lateinischen Liturgie (Concentus) konnen drei
Arten der M.-Bildung unterschieden werden : die erste
hat es mit modellgebundenen, »typischen« M.n zu tun,
die sich ganz verschiedenen Texten anpassen (nament-
lich Antiphonen), die zweite mit M.n, die (nach P.
Wagner) auf der Verwendung »wandernder« Melis-
men und Wendungen beruhen (besonders Tractus und
Gradualien; eine andere Deutung, mehr im Sinne der
ersten Art, schlagt Br. Stablein in MGG V, Sp. 651,
vor), und die dritte mit Original-M.n, die an bestimm-
te Texte gebunden bleiben. In »primar klanglich« (R. v.
Ficker) orientierter Musik herrscht Umspielungs-, Pen-
del- oder Figurationsbewegung vor (z. B. pentatoni-
sche Musrk, Gamelan; Mehrstimmigkeit des hohen
Mittelalters, spater teilweise in der Instrumentalmu-
sik) ; Stimmtausch, Kanon, Hoquetus, Sequenzen oder
verwandte Erscheinungen sind haufig. Im Abendland
haben sich die Zusatz- oder Begleitstimmen eines
mehrstimmigen Satzes erst allmahlich zu innerer Selb-
standigkeit und somit zu eigenen M.-Stimmen entwik-
kelt. Wesentlichen Anteil daran hatte die zunehmen-
de Beherrschung der unvollkommenen Konsonan-
zen und der Dissonanzen (vgl. die Regelung der Syn-
kopen-, Durchgangs-, Dreh-, Portamento-, Doppel-
dissonanz sowie die Rolle der Klauseln), aber auch die
Uberwindung der fiir die Werdezeit der Mehrstim-
migkeit typischen formelhaften Rhythmik, wie sie
etwa noch bei Machaut zu finden ist (Anfang der Mo-
tette 20, nach Fr.Ludwig, Machaut-GA III) :
Trop plus est_ be - le que_ biau - - - te
Ausgewogenheit der melodischen Bewegung, Aus-
gleich groBerer Spriinge durch (moglichst stufenweise
gef iihrte) Gegenbewegung und Vermeidung von Wie-
derholungen, Symmetrien und Sequenzen kennzeich-
nen dagegen die Stufe der klassischen Vokalpolyphonie
(Palestrina, Missa Papae Marcelli) :
I
rrr i rrrrrH.u
^
Ky - rie e - lei
Die seit dem 16. Jh. an Boden gewinnende Instrumen-
talmusik stellte den typischen Gesangs-M.n (Lied, Arie,
Deklamations-M. u. a.) alsbald mehr instrumental kon-
zipierte M.n zur Seite (Dreiklangs-M.n, motivisch und
thematisch gepragte M.n, Ranken-M.n, durch Figura-
tionen und Spielfiguren getragene M.n), bis hin etwa
zu J. S.Bach im Sinne kontinuierlicher Fortspinnung
gestaltet, vielfach aber auch verschmolzen mit vokalen
Elementen (Bach, H moll-Messe) :
Ky-ri-e e-le i - son,Ky-ri-e
Durch besondere Wendungen der M. werden die zur Voll-
stdndigkeit der Modulation erforderlichen Tone so in einer
einzigen Stimme vereinigt, dafi mitunter eine zweyte we-
der nbthig noch moglich isf ( J. N. Forkel, J. S.Bach, 1802,
S. 31; vgl. dazu H.Riemanns Begriff der »Mehrstim-
migkeit durch Brechung« und E.Kurths Begriff des
»linearen Kontrapunkts«). Fiir die M.-Bildung der Wie-
ner Klassiker scheint besonders charakteristisch zu sein,
daB das parataktisch anmutende Verf ahren der »Anein-
anderreihung« von kleineren M.-Gliedern, Motiven,
Wendungen, wie es von den Vorklassikern her bekannt
ist, nunmehr auf der getrennten Handhabung von rhyth-
misch-tonlicher Gestalt und metrischer Gewichtsverteilung
beruht (Thr. G. Georgiades), so auch in der bekannten
Haydn-M. (Quartett Hob. Ill, 77) :
556
Melodrama/Melodram
Poco ada gio. C antabile
p dolce
Im 19. Jh. kam es dann immer mehr zu einer Schei-
dung : auf der einen Seite die leicht eingangigen, zwi-
schen Kunst (Verdi, Bizet) und Banalitat (Gassenhauer,
spater Schlager) schwankenden M.n, auf der anderen
Seite die in bewuBtem Gegenzug geschaffenen an-
spruchsvollen und nicht ohne weiteres reproduzierba-
ren M.n, etwa die von Wagner, zugespitzt in der Mo-
dernen Musik (Zwolftonreihe als Metamorphose der
M.; Schonbergs -*■ Klangfarben-M. ; vgl. auch die
Kontro verse zwischen Pfitzner und Berg iiber die M.).
Lit. : Chr. v. Ehrenfels, t)ber Gestaltqualitaten, Viertel-
jahresschrift f. wiss. Philosophie XIV, 1890; S. Jadassohn,
Das Wesen d. M. in d. Tonkunst, Lpz. 1899; Th. Lipps,
Zur Theorie d. M., Zs. f. Psychologie u. Physiologie d.
Sinnesorgane XXXII, 1901; F. Weinmann, Zur Struktur
d. M„ ebenda XXXV, 1904; Th. Fr. Dunhill, The Evo-
lution of Melody, Proc. Mus. Ass. XXXIV, 1907/08 ; E. M.
v. Hornbostel, M. u. Skala, JbP XIX, 1912; R. Lach,
Studien zur Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melo-
poie, Lpz. 1913; H. Riemann, Folkloristische Tonalitats-
studien I, Lpz. 1916; E. Kurth, Grundlagen d. linearen
Kontrapunkts, Bern 1917, 51956; ders., Musikpsycholo-
gie, Bin 1930, Bern 21947 ; A. Berg, Die mus. Impotenz d.
»Neuen Asthetik« H. Pfitzners, Musikblatter d. Anbruch
II, 1920, auch in: W. Reich, A. Berg, Zurich 1963 ; P. Wag-
ner, Einfuhrung in d. Gregorianischen M. Ill, Lpz. 1921,
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; E. Hoffmann,
Das Wesen d. M., Bin 1924; Kn. Jeppesen, Der Palestrina-
stil u. d. Dissonanz, Lpz. 1925, engl. Kopenhagen u. Lon-
don 1927, 21946 ; P. Klebs, Von d. M. u. d. Aufbau d. mus.
Formen, Kassel 1927; K. Roeseling, Beitr. zur Unter-
suchung d. Grundhaltung romantischer Melodik, Diss.
Kbln 1928; R. v. Ficker, Primare Klangformen, JbP
XXXVI, 1929; R. Lachmann, Musik d. Orients, Breslau
1929; C. Sachs, Vergleichende Mw., = Musikpadagogi-
sche Bibl. VIII, Lpz. 1930, Heidelberg 21959; W. Dan-
ckert, Ursymbole melodischer Gestaltung, Kassel 1932;
ders., GrundriB d. Volksliedkunde, Bin 1939; ders., Me-
lodische Tonalitat u. Tonverwandtschaft, Mk XXXIV,
1941/42; ders., Melodische Funktionen, Fs. M. Schneider,
Lpz. (1955); H. v. Zingerle, Zur Entwicklung d. Melodik
v. Bach bis Mozart, Lpz. 1936; G. Ferchault, Introduc-
tion a l'esthetique de la melodie, Gap 1 946 ; J. Handschin,
Der Toncharakter, Zurich (1948); Fr. Metzler, Tonali-
tat u. melodische Struktur d. alteren deutschen u. nordi-
schen Volksweise mit besonderer Beriicksichtigung d. is-
landischen Kleinmelodik, Diss. Tubingen 1950, maschr.;
B. Szabolcsi, A melodia tortenete, Budapest 1950, 2 1957,
deutsch als: Bausteine zu einer Gesch. d. M., Budapest
1959; ders., Kleine Beitr. zur Mg. d. 18. Jh., StMw XXV,
1962; Br. Stablein, Zur Entstehung d. gregorianischen
M., KmJb XXXV, 1951 ; Thr. G. Georgiades, Musik u.
Sprache . . . , = Verstandliche Wiss. L, Bin, Gottingen u.
Heidelberg 1954; Fr. Noske, La melodie frc. de Berlioz a
Duparc, Paris 1 954 ; W. Wiora, Alter als d. Pentatonik, in :
Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956; ders.,
Elementare Melodietypen als Abschnitte ma. Liedweisen,
in: Miscelanea en homenaje a H. Angles II, Barcelona
1958-61 ; J. Chailley, Essai sur les structures melodiques,
Rev. de Musicol. XLIII/XLIV, 1959; H. Chr. Wolff, Zur
Melodiebildung J. S. Bachs, StMw XXV, 1962. FZa
Melodielehre ist im engeren, eigentlichen Sinne Me-
lodiebildungslehre, im weiteren Sinne auch eine melo-
disch orientierte allgemeine oder propadeutische Mu-
siklehre. Elemente einer mehr allgemeinen M. finden
sich in der Antike (Lehre von den Tonarten, Tonge-
schlechtern, von der -> Melopoie - 1 und Metabole),
bei den Arabern, Indern, Chinesen u. a. EinfluB auf die
Melodiebildung gewannen seit dem friihen Mittelalter
die Lehren von den Kirchentbnen, Hexachorden (Sol-
misarion), Redeteilen (-> Distinctio), in der Mehrstim-
migkeit die Satzlehren (Fortschreitungs-, Stimmfuh-
rungs-, Diminutions-, Verzierungsregeln) und hin-
sichtlich der rhythmischen Gestaltung die Mensural-
und Taktlehren. Haufig waren es miindlich iiberliefer-
te Handwerksregeln, denen sich die Melodiebildung
fiigte (Meistersang u. a.). Noch das 17. Jh. kannte, der
damaligen mehr allgemeinen Bedeutung des Wortes
Melodie entsprechend, keine eigentliche M. (die von
Monteverdi im Brief vom 22. 10. 1633 angekiindigte
Schrift Melodia ovvero seconda pratica muskale ist nicht
erschienen ; erwahnt sei das allgemein gehaltene SchluB-
kapitel Discorso sopra la perjettione delle melodie aus G.B.
Donis Compendio del trattato de' generi e modi . . . , 1635).
J.Matthesons Kern Melodischer Wifienschafft, bestehend
in den auserlesensten Haupt- und Grund-Lehren der musi-
calischen Setz-Kunst oder Composition . . . , 1737, darf
somit als eine der ersten theoretisch-praktischen M.n
angesprochen werden (hervorgehoben seien Cap. Ill
Von der Kunst einegute Melodie zu machen, Cap. IV Vom
Unterschied der Vocal- und Instrumental-Melodien, Cap. VI
Von den Gattungen der Melodien und ihren besondem
Abzeichen). Es folgen weitere einschlagige Veroffent-
lichungen von Chr. Nichelmann (1755), J.Riepel (1755
und 1 757) , E. G. Baron (1 756) , A. Reicha (1 814) , L. BuB-
ler (1879), H. Riemann (1883, auch Grofie Kompositions-
lehre I, 1902), E.Toch (1923), K.Blessinger (1930), J.
Smits van Waesberghe (1950) u. a. Fragen der M. wer-
den speziell in der Metrik (H. Riemann 1903), im iibri-
gen meist in Harmonie-, Kontrapunkt- und Kompo-
sitionslehren behandelt.
Lit.: P. Benary, Die deutsche Kompositionslehre d. 18.
Jh., =Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961;
ders., Die Stellung d. M. in d. Musiktheorie d. 18. Jh. in
Deutschland, Kgr.-Ber. Kassel 1962; K. G. Fellerer, Zur
M. im 18. Jh., Studia Musicologica III, 1962.
Melodik (nur im Deutschen gebrauchliche Analogie-
bildung zu Harmonik, aus dem Anfang des 19. Jh. ;
->■ Harmonie, im 19. Jh. gewohnlich s. v. w. -v Melo-
dielehre, im 20. Jh. hingegen vielfach s. v. w. ->■ Melodie
in allgemeiner Bedeutung (eine bestimmte Art der Me-
lodiebildung oder ein bestimmtes melodischesPrinzip).
Melodium, kleines Harmonium; etwa 1844 von dem
franzosischen InstrumentenmacherJ. Alexandre ( * 1804,
f 1876 zu Paris) gebaut, der ab 1829 als einer der ersten
den Harmoniumbau betrieb.
Melodrama/Melodram (griech.). Unter Melodra-
ma ist das Buhnenmelodram, unter Melodram die
Kombination Sprechen und Musik zu verstehen. Nach
Vorf ormen in Rousseaus Scene lyrique Pygmalion (Lyon
1770) ist das Melodrama seit Georg Bendas ->• Mono-
dramen ein bestimmter Typ des musikalischen Schau-
spiels, in welchem das gesprochene Wort und die
Handlung von Musik begleitet, genauer durch im Aus-
druck standig wechselnde Musik untermalt und erlau-
tert werden. Nach dem Abklingen der Monodram-
Mode (um 1780) wurden noch die Melodramen von
I.v.Seyfried (z. B. Saul, 1810; Timur, 1822; Sintram,
1823) und K.G.ReiBiger (Yelva, 1827) beachtet. In
Frankreich suchte man nach Debussys Tod das Musik-
drama durch (meist antikisierende) Melodramen (Bal-
lette mit Rezitation) zuruckzudrangen. Die Haupt-
werke dieser Richtung sind M.Emmanuels Salamine
(1922), A.Roussels La Naissance de la lyre (1924), Ho-
neggers Amphion und Semiramis (1931 und 1933, bei-
de nach Dichtungen von P.Valery), Mille et une nuit
(1937) und Strawinskys Persephone (1934, nach A. Gide).
In Deutschland entstanden der Einakter Sanctissimum
von W.Kienzl (1925) und die »Kurzoper fur Schau-
spieler« Das Wundertheater von H.W.Henze (1948). -
Das Zusammenwirken von gesprochenem Wort und
Musikbegleitung wird seit dem ausgehenden 18. Jh.
557
Melodrama/Melodram
Melodram (ital. melologo) genannt. Dieses Zusam-
menwirken gibt es nicht nur in den ganz von ihm be-
herrschten Biihnenwerken, sondern vielfach (und spa-
ter sogar hauptsachlich) im Rahmen von Schauspiel-
musiken (z. B. in Beethovens Musik zu Goethes Eg-
mont) und Opern (z. B. Fidelio : Kerkerszene, Freischiitz :
Wolfsschlucht). Der auBerordentliche Erfolg der Ben-
daschen Monodrame lieB Konzertmelodrame ent-
stehen - meist handelt es sich urn Balladen -, in denen
die Deklamation von Musik (Klavier oder Orchester)
begleitet wird. Obgleich gegen das Melodram (na-
mentlich durch R.Wagner) asthetische Einwande er-
hoben wurden, hat das Genre doch f ortbestanden und
war zeitweilig - so um 1900 durch die Wirksamkeit
der Rezitatoren Ernst v. Possart (1841-1921) und L.
-> Wiillner - sogar sehr beliebt. Bekannt und zu ihrer
Zeit geschitzt waren von J.R.Zumsteeg Tamira (1788)
und Friihlingsfeier (1804), von B.A.Weber Gang nach
dem Eisenhammer, von Schumann Zwei Balladen op. 122
(1852), von Liszt u. a. Lenore (1858) und Der blinde San-
ger (1875), von R. Strauss u. a. Enoch Arden op. 38 (1897),
von M. Schillings u. a. das Hexenlied op. 15 (1904), fer-
ner Werke von F. Hummel, J. Reiter, B.Siegwart und
J.Pembaur. Bedeutend sind W.T.Waltons (stilistisch
zwischen Strawinsky und Weill stehende) Komposi-
tionen des Gedichtzyklus Facade von Edith Sitwell
(1923). - In manchen der melodramatischen Kompo-
sitionen, z. B. in der Musik zu Preziosa von C.M.v.
Weber und in Milhauds Musik zu Claudels Orestie-
Obersetzung (Les Choephores, 1916), erscheint der
Rhythmus des zu sprechenden Textes dutch Noten
fixiert. Mit Humperdincks Die Konigskinder (1. Fassung
1897) entstand das »gebundene Melodram«, in dem ne-
ben dem Rhythmus auch die Tonhohe der Sprechstim-
me durch eine eigene Notenschrif t (J-J, J) -J))
festgelegt wird. Schonberg hat das gebundene Melo-
dram seit den Gurre-Liedern (1 900-1 1 ) weiterentwickelt .
In Pierrot lunaire (1912), einem Melodramenzyklus mit
Kammermusikbegleitung mit abermals neuer Noten-
schrif t (J-J, J)-/l)> differenzierte er den Sprech-
vortrag durch Angaben wie »tonlos gefliistert«, oder
»mit Ton gesprochen«, in dem Einakter Die gliickliche
Hand (1910-13) komponierte er gesprochene Polypho-
nie und Harmonik. In einigen der spateren Werke,
etwa der Ode to Napoleon (1942), vereinfachte Schon-
berg seine Anweisungen, indem er nicht mehr Ton-
hohen, sondern mit Hilfe einer einzigen Notenlinie
Distanzen (andeutungsweise) komponierte. A. Berg
hat im Wozzeck alle bekannten Arten des Melodrams
angewendet: sowohl jene Arten, die die Sprechstimme
uberhaupt nicht (I, 350ff.) oder nur rhythmisch fixie-
ren (II, 514ff.), als auch die neuere, gebundene Art (I,
207ff. u. 6.) ; in der Lulu (Prolog, Monoritmica) reali-
sierte er ein Kontinuum vom gewbhnlichen Sprechen
bis zum Belcanto. An Schonberg und Berg haben dann
Wl.Vogel (Drei Sprechlieder nach A. Stramm, 1925)
und P.Boulez in seinen Kantaten (zuerst in Le visage
nuptial, 1948) angekniipft. Vogel kultivierte, im An-
schluB an Milhauds Les Choephores, in seinen Oratorien
den Sprechchor (z. B. in Thyl Claes, 1942), worin ihm
wieder andere, z. B. L.Nono (La Victoire de Guernica,
1954), folgten.
Lit.: R. Batka, Melodramatisches, in: Mus. Streifziige,
Lpz. 1899; E. Istel, Die Entstehung d. deutschen Melo-
dramas, Bin u. Lpz. 1906; P. Ginisty, Le m61odrame, Pa-
ris 1910; R. Austen, Les premiers melodrames fr?., Paris
1912; J. F. Mason, The Melodrama in France, Baltimore
1912; M. Steinitzer, Zur Entwicklungsgesch. d. Melo-
drams u. Mimodrams, = Die Musik XXXV, Lpz. (1919);
E. C. Van Bellen, Les origines du mdlodrame, Utrecht
1927; H. Martens, Das Melodram, = Mus. Formen in
hist. Reihen XI, Bin (1932); L. Gramisch, Die Erschei-
nungsformen d. melodramatischen Stils im 19. Jh., Diss.
Wien 1936, maschr.; H. Sacher, Die Melodramatik u. d.
romantische Drama in Frankreich, Lpz. 1936; H. Clesius,
Zur Asthetik d. Melodramas, Diss. Bonn 1944, maschr.;
M. W. Disher, Blood and Thunder. Mid-Victorian Melo-
dramas and Its Origins, London 1949; J. Subira, El com-
positor Iriarte y el cultivo espafiol del melologo, 2 Bde,
Barcelona 1949-50; J. Van der Veen, Le melodrame mus.
de Rousseau au Romantisme, 's-Gravenhage 1955; R. Ste-
phan, Zur jungsten Gesch. d. Melodrams, AfMw XVII,
1 960 ; G. Schuhmacher, Gesungenes u. gesprochenes Wort
in d. Werken Wl. Vogels, AfMw XXIV, 1967. RSt
Melograph (Pianograph, Eidomusicon), eine Vor-
richtung an Klavieren, die alles, was darauf gespielt
wird, in einer dechiffrierbaren Notierung zu Papier
bringt, so daB auch Improvisationen damit fixiert wer-
den konnen. Versuche, gute M.en herzustellen, sind in
grofier Zahl untemommen worden, z. B. von Creed
(um 1745)J. Fr. Unger (1752, 1774), Engramelle (1775),
Stanhope (AMz VI, 1804, Sp. 751), B.-A.Bertini
(1812), J. Ch. Clifton (1816), Eisenmenger (1838), Gue-
rin (1844), J.-H.Pape, Schmeil (1850), J.-N.Adorno
(1855), Careyre, J. Capentier (1880, elektrisch), Lau-
renz Kromar (1905), Fr. A.E.Keller, Koppensteiner
(1913), Van Elewyck, Witzels. ->■ Mechanische Mu-
sik werke (Reproduktionsklaviere).
Melophon-*- Concertina.
Meloplast nannte P.Galin seine auf J.-J. Rousseaus
Anregung zuriickgehende Methode fiir den musikali-
schen Elementarunterricht, die im 19. Jh. durch Ver-
offentlichungen von -> Cheve (mit A.Paris) in Frank-
reich popular wurde. Ihr Hauptmerkmal ist die Ver-
wendung der Ziffern 1-7 zur graphischen Darstellung
der 7t6nigen Durskala ut re mi fa sol la si. Hohere
und tiefere Oktave werden durch einen Punkt tiber
oder unter der Ziffer gekennzeichnet; ein Punkt neben
der Ziffer bewirkt die Verlangerung des Notenwertes.
Die Ziffer steht fiir die Pause. Schrag durchgestriche-
ne Ziffern bedeuten Alteration (z. B. 5 = gis, 5 = ges).
Melopoie (griech. (jteXoTtoita, von [i€Xo^ undnoieiv,
machen), - 1) in der griechischen Antike zunachst so-
viel wie Herstellung eines -»■ Melos, im besonderen bei
Platon (Symposion 187d) das Erfmden musikalischer
Weisen, bei Aristoteles (»Poetik«, 1449b) diemelodische
Kunst, welche die Verse erst zu voller Entfaltung
bringt. In der griechischen Musiktheorie seit Aristo-
xenos war die M. dann auch Gegenstand einer eigenen,
im AnschluB an die harmonische Wissenschaft behan-
delten Lehre. Wie die erhaltenen Abrisse dieser Lehre
(Kleoneides § 14, Aristeides Quintilianus 28ff., dazu
Bryennios 3, 10, Martianus Capella 9, 965 mit dem
Kommentar des Remi d'Auxerre, GS I, 79f.) zeigen,
ging es dabei primar um Fragen der systematischen
Auf gliederung des Gebiets der M. und nicht um hand-
werkliche Fragen der Melodiebildung. - 2) In der Zeit
des Humanismus wurde die antike Lehre von der M.
wieder auf gegriff en (sogar der Astronom J. Kepler be-
faBte sich mit ihr, Harmonices mundi 3, 15), aber der
Terminus M. kam auch losgelost von jener Lehre in
Gebrauch (zuerst mit Titel von P. Tritonius' Odenver-
tonungen, 1507) und bedeutete dann meist soviel wie
Kompositionslehre oder Kunst der Melodiebildung (S.
Calvisius, MeAonoda sive Melodiae condendae ratio, 1592;
M. Praetorius kiindigte den nicht erschienenen IV. Band
seines Syntagma musicum,der die Kompositionslehre von
H.Baryphonus enthalten sollte, unter dem Titel De
Melopoiia an; M.Mersenne, Harmonicorum libri XII,
1635, definierte S. 144: Melopoiia nil aliud est quam Ars
Melodiae, sen Cantilenae cuiuspiamfaciendae) . Daher wur-
558
Mensur
den M. und -»■ Musica poetica haufig gleichgesetzt.
Seit dem 18. Jh. wird das Wort seltener in einem auf
neuere Musik iibertragenen Sinne gebraucht, in der
Musikwissenschaft z. B. von R. Lach.
Melos (griech. uiXoc;, Plur. jjl^ai); lat. auch melum),
im Griechischen in zwei verschiedenartigen Bedeutun-
gen belegt, einerseits als »Glied« (seit Homer), anderer-
seits (nachhomerisch) als »Weise, Melodie, zum Ge-
sangsvortrag bestimmtes lyrisches Gedicht«. Falls es
sich etymologisch um dasselbe Wort handelt, laBt sich
als musikalische Grundbedeutung etwa »gegliederte
Weise« erschlieBen. In musikalischer Bedeutung be-
gegnet das Wort seit Alkman (Mitte des 7. Jh. v. Chr.)
. und bezeichnet sowohl die gesungene (fr. 39 Page
= 92 Diehl) als auch die instrumentale Weise (fr. 126
P = 97 D), seit Pindar dann auch das gesungene lyri-
scheGedicht (»01ympien«9, 1) imUnterschiedzuEpos,
Iambps, Elegie undEpigramm. Aus dieser Bedeutungs-
breite erklart sich der unterschiedliche, teilweise wider-
spriichlich erscheinende Wortgebrauch bei spateren
Schrif tstellern. In der griechischen Musiktheorie wurde
M. meist als gegeniiber dem Rhythmus selbstandige
melodischeKomponente der Musik auf gef aBt. So konn-
te die Wissenschaft vom M. (ij nEQi fieXovg iniaxr]fir\,
Aristoxenos, »Harmonik« 1, 11), zu der vor allem
die Lehren von der Harmonik (-> Harmonia) und
von der -> Melopoie (- 1) gehorten, unabhangig von
der Rhythmuslehre entwickelt werden. Aristoxenos
hob das musikalische ausdriicklich vom sprachlichen
M. ab (-»• Prosodie - 1). In der lateinisch geschriebenen
Musiktheorie der Spatantike und des Mittelalters kehrt
M. als verhaltnismaBig selten verwendeter Terminus
wieder, der sich bedeutungsmaBig mit verwandten
Ausdriicken (cantilena, cantus, melodia u. a.) beriihrt
oder iiberschneidet. - In der Neuzeit ist das zunachst
selten und nur im Zusammenhang mit der Antike ge-
brauchte Wort wohl erst seit R.Wagner auf neuere
Musik angewendet worden (z. B. das neue Beethoven-
sche M., in: Uber das Dirigieren). Spater fand es auch
Aufnahme in die wissenschaftliche Fachsprache (z. B.
W. Danckerts Begriffe des Aszendenz-, Schwebe- und
Deszendenz-M.).
Lit. : Poetae melici Graeci, hrsg. v. D. Page, Oxford 1962;
R. Westphal, Griech. Harmonik u. Melopoie, in: A. Ross-
bach u. R. Westphal, Theorie d. musischen Kiinste d. Helle-
nen II, Lpz. 3 1 886 ; W. Danckert, Ursymbole melodischer
Gestaltung,Kassell932;H.KoLLER,M.,GlottaXLIII,1965.
Membran. Die M. gehort zu den zweidimensionalen
Schwingungssystemen und bildet in dieser Kategorie
das Gegenstuck zur (eindimensional) schwingenden
Saite. Beide werden durch eine kiinstlich erzeugte
Spannung schwingungsfahig. Als M.en eignen sich
weiche, nachgiebige Stoffe, wie Leder, Pergament,
Kunststoff oder diinne Metallfolien. Die ideale M. be-
sitzt (im Gegensatz zur schwingenden Platte) keine
Elastizitat; an ihre Stelle tritt die kiinstlich durch dau-
ernde auBere Kraf te erzeugte Spannung (p) . Ihr Schwin-
gungsverhalten hangt auBer von der Spannung von
der Dichte (q) des Materials ab, woraus sich fur eine
allseitig unter gleicher Spannung stehende kreisformi-
ge M. folgende Beziehung fiir die Ausbreitungsge-
schwindigkeit (c) von Biegewellen auf ihrer Oberflache
ergibt: c= ]/— . M.en verschiedener Formen (kreisfor-
mig-, elliptisch-, quadratisch- oder rechteckig-ebene
M.en und Konus-M.en) sind Bauelemente in -> Mi-
krophon und -*■ Lautsprecher. - Kolben-M.en sind
starre Scheiben, die als Ganzes quer zu ihrer Ebene
schwingen, ohne sich zu deformieren; es handelt sich
dabei also nicht um M.en im strengen Sinne.
Lit.: A. Kalahne, Grundzuged. mathematisch-physikali-
schen Akustik, 2 Bde, Lpz. u. Bin 1910-13; ders., Schall-
erzeugung mit mechanischen Mitteln, in: Hdb. d. Physik
VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. Scheel, Bin 1 927 ; H. Bouasse,
Cordes et membranes, Paris 1926; F. Trendelenburg,
Einfuhrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg
31961.
Membranophone (Fellklinger, von lat. membrana,
Haut, Pergament, Fell), eine 1880 von V. Ch. Mahillon
(instruments membranophones) gepragte, von C. Sachs
und E.M.v.Hornbostel (1913/14) iibernommene Be-
zeichnung fiir solche Musikinstrumente, bei denen eine
in Schwingung versetzte gespannte Membran als Ton-
erzeuger dient. Die Membran kann geschlagen (Trom-
mel, Pauke), gerieben (-> Reibtrommel) sowie ange-
sungen werden (-> Mirliton).
Menestrel (altfrz. auch menestrier, menetrier, von
spatlat. ministerialis, Dienstmann; span, ministril; ital.
menestrello; engl. minstrel), in Frankreich im 11. Jh.
ein Dienstmann, in den f olgenden Jahrhunderten spe-
ziell ein Musikant oder Sanger, meist niederer Her-
kunft, der im Dienst eines Adligen stand und neben
eigenen Liedern auch die seines Herrn vortrug. Durch
ihre Bindung an ein Dienstverhaltnis unterscheiden
sich die M.s von den anderen mittelalterlichen -> Spiel-
leuten (- 1 ; ->• Vaganten, -»■ Jongleur), wenngleich ihre
soziale Einstufung wie auch ihre Auf gaben nach Lan-
dern und Zeiten verschieden waren. M.s gab es auch
in Spanien, Italien, England und in den Niederlanden.
Auch ihre Abgrenzung gegeniiber den Pfeifern und
Trompetern ist generell nicht bestimmbar. Seit dem
friihen 14. Jh. schlossen sich die M.s in groBeren
Stadten zu gildenartigen Bruderschaften zusammen,
so in Paris seit 1321 mit eigener Kirche (St-Julien des
Menetriers), eigenem Spital und einem gewahlten Roi
des menetriers (spater Roi des violons). In England kam
cs um 1350 zur Griindung einer Bruderschaft in Lon-
don und 1381 zur Errichtung eines eigenen Court of
Minstrels in Tutbury (Staffordshire). Mit dem aus-
gehenden 16. Jh. verloren sich die M.s in England und
Schottland als eigener Stand und traten nur noch als
Dorfmusikanten auf.
Lit. : B. Bernhard, Recherches sur l'hist. de la corporation
des menetriers ou joueurs d'instr. de la ville de Paris, in :
Bibl. del'EcoledesChartes, SerieA.III, 1841/42; E. Van
der Straeten, Les M. aux Pays-Bas . . ., Briissel 1878; A.
Vidal, La Chapelle St-Julien-des-M6nestriers . . ., Paris
1878; W. Grossmann, Fruhmittelengl. Zeugnisse uber
Minstrels 1100-1400, Diss. Bin 1906; E. Duncan, The
Story of Minstrelsy, London 1907; H. Angles, Cantors u.
Ministrers in d. Diensten d. Konige v. Katalonien-Arago-
nien im 14. Jh., Kgr.-Ber. Basel 1924; ders., Els cantors i
organistes franco-flamencs . . . , Fs. D. F. Scheurleer,
's-Gravenhage 1925; ders., La musica en la corte del
Rey Don Alfonso V de Aragon, in : Span. Forschungen d.
Gorresges. 1, 8, Miinsteri. W. 1939; ders., Mus. Beziehun-
gen zwischen Deutschland u. Spanien . . . , Af Mw XVI,
1959; Fr. Lesure, La communaute des »joueurs d'instr.«
au XVI e s., Rev. hist, de droit fr?. et etranger XXXI, 1953 ;
Fr. de P. Baldell6, La musica en la casa de los reyes de
Aragdn, AM XI, 1956; N. A. Solar-Quintes, Panorama
mus. desde Felipe III a Carlos II, AM XII, 1957; ders.,
Nuevos documentos sobre ministriles . . . , in : Miscelanea
en homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; W. Sal-
men, Der fahrende Musiker im europaischen MA, = Die
Musik im alten u. neuen Europa IV, Kassel 1960; H. H.
Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = In-
diana Univ. Humanities Series XLV, Bloomington 1961.
Mensur (lat. mensura, MaB; ital. misura; frz. mesure;
engl. measure), - 1) die fiir ein Instrument charakte-
ristischen, die Stimmung, den Klangcharakter und die
Spielweise bestimmenden MaBe oder MaBverhaltnisse.
Bei der Orgel bezeichnet M. das Verhaltnis der Weite
559
Mensuralmusik
einer (Labial- oder Lingual-)Pfeife zu ihrer Lange, das
zwischen 1:5 und 1:30 differieren kann und wobei
zwischen weiter (z. B. Hohlflote), mittlerer (Prinzi-
pal-) und enger (Gamben-)M. unterschieden wird
(-> Register - 1). Weite M. ergibt einen weichen, enge
M. einen scharfen, streichenden Ton, oder (nach
Werckmeister) : Weite Pfeiffen machen einen pompichten
volligen Klang j Enge einen lieblichen / und nicht so volli-
gen Resonans (Erweiterte . . . Orgel-Probe, Quedlinburg
1698, Register, Cap. 14). Bei besaiteten Klavieren be-
zeichnet M. die MaBe der gesamten Saitenanlage, d. h.
die Langen, Durchmesser und die Spannung der Sai-
ten sowie die Anschlagstellen der Hammer; daneben
werden als M.en auch die MaBe der Tasten (->■ Manual)
angesprochen. Beim -> Monochord heiBen M.en die
Teilungen der Sake; analog hierzu werden bei Saiten-
instrumenten mit Griffbrett und Biinden als M.en die
Stellungen der Bunde bezeichnet, bei alien Saitenin-
strumenten auBerdem die Lange der schwingenden
Saite vom Sattel bis zum Steg, daneben auch die MaBe
des Corpus und die Lange desHalses(->Violine,->- Vio-
loncello - 1, -> Viola -2). Bei Blasinstrumenten gelten
- neben der M. als dem Verhaltnis der Lange zur Weite
des Rohrs - auch die MaBe, die die Stellung der Griff-
(bzw. Ton-)locher festlegen, als M.en.
- 2) ein Grundbegriff der Mensuralmusik vom 13. bis
ins 17. Jh., durch den die Geltung der einzelnen Noten-
werte in der -*■ Mensuralnotation bestimmt wird. Die
Definition lautet bei Franco von KSln: M.a est habi-
tudo quantitatem, longitudinem et brevitatem cujuslibet can-
tus mensurabilis manifestans (ed. Cserba, S. 231), bei
Tinctoris: Mensura est notarum adaequatio quantum ad
pronuntiationem (CS IV, 185a). Der Wert der einzelnen
Note wird durch Beziehung auf die Teilung und Unter-
teilung der Longa perfecta (->• Perfectio - 2) bestimmt,
deren verschiedene Arten seit dem 14. Jh. durch M.-
Zeichen vorgeschrieben werden. In der Hauptsache un-
terschied man perfekte (3teilige) und impertekte (2tei-
lige) M. Die M. der Longa hieB -*■ Modus (- 3), die der
Brevis ->■ Tempus, die der Semibrevis -»■ Prolatio. Im
Chorgesang wurde die M. auch durch eine sichtbare
Schlagbewegung mit der Hand oder dem Stock ange-
zeigt, namlich durch den ->■ Tactus (ital. battuta). Auch
nach derEntstehung des modernen »Akzentstufentakts«
(Besseler) um 1600 bleibt M. als Bezeichnung fur die
Gruppierung der Notenwerte im Takt noch bis ins
18. Jh. gebrauchlich und hat sich bis heute in franzo-
sisch mesure (= Takt) erhalten. J. G. Walther erklart M.
als: der Tact, oder vielmehr: die Ausmessung der Noten
und Pausen (WaltherL). Mattheson unterscheidet la
Mesure, die Maqfi, nehmlich der Zeit als dusserliche von
le Mouvement, die Bewegung als der innerlichen Beschaf-
fenheit der Zeitmaasse; erstere betrifft die gewohnlichen
mathematischen Eintheilungen; durch die andre hergegen
schreibt das Gehor, nach Erfordern der Gemuths-Bewegun-
gen, gewisse ungewbhnliche Regeln vor, die nicht allemahl
mit der mathematischen Richtigkeit iibereinkommen, son-
dern mehr auf den guten Geschmack sehen (Mattheson
Capellm., S. 171ff.).
Lit. : zu 1) : Chr. Mahrenholz, Die Berechnung d. Orgel-
pfeifen-M. . . . , Kassel 1938. - zu 2) : G. SchOnEmann, Zur
Frage d. Taktschlagens . . ., SIMG X, 1908/09; C. Sachs,
Rhythm and Tempo, NY 1953; W. Gurlitt, Form in d.
Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz,
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse 1954, Nr 13; H. H.
Eogebrecht, Studien zur mus. Terminologie, ebenda 1955,
Nr 10; H. Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz.
CIV, 6, 1959.
Mensuralmusik, die in -»• Mensuralnotation aufge-
zeichnete, zum Bereich der -> Musica mensurabilis ge-
horende mehrstimmige Musik des 13.-16. Jh.
Mensuralnotation (von lat. mensura, MaB, und no-
ta, Zeichen), die im 13. Jh. ausgebildete Art der Musik-
aufzeichnung mitUnterscheidung verschiedenerrhyth-
mischer Werte der Noten durch ihre Form, im Unter-
schied zur Choralnotation, welche nur die Tonhohe
anzeigt, sowie zur Modalnotation der Notre-Dame-
Epoche. Die M. wurde notwendig, als man in der Mo-
tette des 13. Jh. begann, von dem gleichzeitigen Vor-
trag derselben Textsilben durch alle Stimmen abzu-
gehen; dementsprechend fiel - zuerst in den Oberstim-
men - die Bindung an einen -> Modus (- 2), der in den
friiheren Motetten nicht durch die Notation ausge-
driickt, sondern durch den rhythmischen Text gege-
ben war. Damit verschwanden auch die bei der No-
tierung melismatischer Partien fur die Modalnotation
charakteristischen Ketten von Ligaturen. Die M. in
ihrem voll ausgebildeten Friihstadium wurde zuerst be-
schrieben bei Franco von Koln (Ars cantus mensurabilis,
um 1250), dessen Darstellung mit der M. im 7.-8. Fas-
zikel der -> Quelle Mo iibereinstimmt; deren 2.-6.
Faszikel, in einer weniger konsequenten (»vorfranco-
nischen«) M. notiert, stehen der Lehre des Lambertus
nahe. Die M. des 13. Jh. iibernimmt aus der alteren
Notation die -> Ligaturen (- 1) sowie die -*■ Plica und
die ->• Divisio modi (- 2). Franco kennt folgende No-
ten (ed. Cserba, S. 234) :
Bezeichnung: Note: Pause:
Duplex longa
Longa
Brevis
Semibrevis
3E
Alle Notenwerte sind auf die Longa perfecta bezogen,
deren Dauer als -*■ Perfectio (- 2) bezeichnet wird. Die
Duplex longa ist im Unterschied zu Longa und Brevis
immer zweizeitig; sie gilt 2 Longae. Die Longa per-
fecta gilt 3 Tempora; durch eine vor- oder nachgestell-
te Brevis verliert sie ein Drittel ihres Werts und wird
zur 2zeitigen Longa imperfecta (-> Imperfektion). Die
Dauer der Brevis recta, ein Drittel einer Perfectio, be-
zeichnet Franco auch als Tempus schlechthin (Unum
tempus appellatur illud, quod est minimum in plenitudine
vocis; ed. Cserba, S. 236). Sind fur eine Perfectio nur 2
Breves notiert, so bleibt die erste als Brevis recta un-
verandert; die zweite wird als Brevis altera im Wert
verdoppelt (-> Alteration - 1) und gilt dann ebensoviel
wie eine Longa imperfecta. Fur die Teilung der Brevis
gelten (mit geringen Abweichungen) die gleichen Re-
geln wie fur die der Longa: die Brevis besteht grund-
satzlich aus 3 Semibreves; sind fur ein Tempus nur 2
Semibreves notiert, so erhalt die erste (Semibrevis mi-
nor) ein Drittel, die zweite (Semibrevis maior) 2 Drit-
tel des Gesamtwerts; jedoch kann die Brevis nicht
durch eine ihr folgende oder vorangehende Semibrevis
imperfiziert werden. Es ist aber fraglich, ob dieser
Rhythmus bei der Brevisteilung streng eingehalten
wurde; neuere Ubertragungen schreiben vielfach die
Brevis als Viertelnote mit Unterteilung in 3 triolierte
Achtel oder 2 Achtel. Zweizeitige Teilung aller Noten
wird angenommen fur die »englische M.« des spaten
13. und friihen 14. Jh., die die Brevis als ♦, die Semi-
brevis als /♦ schreibt; zu ihren ->• Quellen gehort ein
Teil der Fragmente Wore sowie die erste Niederschrift
des Sommerkanons; in der Musiklehre konnen nur ei-
nige Hinweise bei Odington (nach dem Manuskript
zitiert bei Handschin 1949, S. 76) und R. de Handlo
(CS I, 388f.) auf sie bezogen werden.
560
Mensuralnotation
In der Folge kam es, nicht zuletzt wegen der wieder-
holten Tempoverbreiterung der Grundwerte, mehr-
fach zu einer Erweiterung des Franconischen Systems
durch Hinzufiigung kleinerer Notenwerte. Nachdem
Petrus de Cruce (um 1300) Teilung der Brevis in bis zu
9 Semibreves zugelassen hatte, begriindeten Ph. de Vi-
try und J. de Muris um 1320 die M. der -> Ars nova.
Sie kennt als kleinste Notenwerte die Minima und Se-
miminima; die Minima ist - wie auch die Maxima
(Francos duplex longa) - immer zweizeitig. Bei den
iibrigen Noten stehen nunmehr 2- und 3zeitige Tei-
lung gleichrangig nebeneinander. Zu Beginn eines
Satzes oder Abschnitts zeigen -*■ Mensurzeichen die je-
weils gewahlte Kombination von Zwei- und Dreizei-
tigkeit in den 4 Gradus an: Maxima-Longa-Gruppen
oder Folge von Maximae (modus maior perfectus oder
imperfectus), 3- oder 2zeitige Longae (modus minor
perfectus oder imperfectus), Breves (tempus perfec-
tum oder imperfectum) unci Semibreves (prolatio ma-
ior oder minor). Voriibergehender Wechsel von Zwei-
zu Dreizeitigkeit oder umgekehrt wird durch rote
(oder hohle) Noten angezeigt (-> Color - 1). Die italie-
nische Musik des friihen Trecentos entwickelte ein eige-
nes System der M. mit 8 verschiedenen -> Divisiones
der Brevis, das bei Marchettus de Padua und Pr. de Bel-
demandis beschrieben ist, aber bereits in den Quellen
des spateren Trecentos der franzosischen M. weichen
muBte. Diese war um 1400 gekennzeichnet durch das
Eindringen einer groBen Zahl neuer Notenformen, die
eine klare Lesung der durch die verschiedenen Arten der
-*■ Proportion (- 2) und ->■ Imperfektion uniibersicht-
lich gewordenen M. erleichtern sollten. Doch blieben
diese Zeichen, wie z. B. das -> Dragma, vieldeutig; ihre
Bedeutung muB fiir jede Quelle neu erschlossen wer-
den. Im 15. Jh. kam es im Zusammenhang mit dem
Ubergang von Pergament zu Papier als Beschreibstoff
zum Ersatz der schwarzen gefiillten Noten durch hohle
(»weiBe«) fiir die Minima und groBere Notenwerte.
Die halbe Minima wurde fortan bis um 1550 entweder
ebenf alls als hohle Note, und zwar mit Fahnchen (-> Fu-
sa), geschrieben oder als schwarze gefiillte Minima ohne
Fahnchen (-»• Semiminima). Entsprechend schwankt
auch die Schreibung der kleineren Notenwerte; z. B.
gibt Schanppecher 1501 folgende Noten- und Pau-
senzeichen an (ed. Niemoller, S. 3 und 13) :
Bezeichnung: Note: Pause:
Maxima
Longa
Brevis
Semibrevis
Minima
Semiminima
Fusa
Semifusa
it
=1 F
Wie die Noten von der Semiminima an waren auch
die Pausen von der Fusa abwarts'eine Zeitlang schwan-
kend, bis endlich hier wie dort die an erster Stelle gege-
benen Zeichen alleinherrschend wurden. Diese Zeichen
entsprechen den noch heute iiblichen -»■ Noten und
Pausen. Die Rundung der Noten war in der gewohn-
lichen Schrift (jedoch nicht bei den Kalligraphen)
schon im 15. Jh. iiblich; im Druck wurde sie - abge-
sehen von vereinzelten Versuchen durch Carpentras
(1532) und Granjon (1559) - erst gegen 1700 einge-
fiihrt. Ist demnach die heutige Notenschrift eine Art
der M., so ist doch die Epoche der M. im engeren Sinne
um 1 600 mit dem Ubergang zur ausschliefilichen Zwei-
zeitigkeit aller Notenwerte und zum modemen Takt-
system abgeschlossen.
Die M. des 13.-16. Jh., verbunden mit dem Prinzip der
Einzelstimmennotierung, war zur Ausfiihrung durch
Sanger oder durch Spieler von Melodieinstrumenten
bestimmt. Ihr Geltungsbereich war jedoch einge-
schrankt: Einstimmigkeit wurde teils in Neumen und
Choralnotation geschrieben, teils zwar mit Zeichen
der M., aber nur selten mit konsequent mensuraler
Deutung dieser Zeichen. Fiir Akkordinstrumente gab es
seit dem 14.-15. Jh. die -> Tabulatur (- 1), fiir Studien-
zwecke und die Niederschrif t des Komponisten (jeden-
falls des weniger geiibten) die bisher nur fiir das 16.-
18. Jh. bflegte -> Tabula compositoria. Hier ermog-
lichte die Eintragung aller Stimmen in ein Zehnlinien-
system einen raschen Oberblick iiber die Klangfort-
schreitungen ; die durchgezogenen Brevistaktstriche
regten dazu an, groBe Notenwerte und Synkopen so
aufzulosen, daB jeweils am Taktanfang der Zusam-
menklang aller Stimmen deutlich sichtbar wurde. Trat
in derEinzelstimmennotierung der harmonische Aspekt
eines Satzes nicht zutage, so standen andererseits be-
stimmte Merkmale der mehrstimmigen Komposition
des 13.-16. Jh. - wie Mensurschichtung und -wechsel,
die Anwendung von Proportion, Diminution, Aug-
mentation, Kanon und Isorhythmie - in engem Zu-
sammenhang mit der Notation jeder Stimme fiir sich.
Die Lehre von der M. machte bis ins 15. Jh. den wich-
tigsten Teil der Theorie der Mehrstimmigkeit aus.
Daneben erschien die Lehre vom Kontrapunkt erst bei
Tinctoris als ein Stoffgebiet gleichen Gewichts; im 16.
Jh. wurde sic cndgiiltig zum Fundament der Kompo-
sitionslehre, wahrend die Notationskunde, entspre-
chend auch der zunehmenden Vereinfachung der M.,
zu einer Elementarlehre absank.
Lit. : H. Bellermann, Die Mensuralnoten u. Taktzeichen
d. XV. u. XVI. Jh., Bin 1858,.hrsg. v. H. Husmann +1963
(grundlegend, mit reichem Ubungsmaterial) ; J. Wolf,
Gesch. d. M. v. 1250-1460, 3 Bde, Lpz. 1904, Nachdruck
in einem Bd Hildesheim u. Wiesbaden 1965, dazu Fr. Lud-
wig in : SIMG VI, 1 904/05 ; WolfN ; ApelN.
Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de musica, hrsg.
v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw. II, 2,
Regensburg 1935; Franco v. K6ln, Ars cantus mensura-
bilis, Ausg. v. E. de Coussemaker nebst 2 hs. Fassungen,
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl. XV/XVI, Darm-
stadt 1957; Lambertus (Pseudo-Aristoteles), Tractatus de
musica, CS I; H. Sowa, Ein anon, glossierter Mensural-
traktat 1279, = Konigsberger Studien zur Mw. IX, Kassel
1930; W. Odinoton OSB, De speculatione musices, CS I;
R. de Handlo, Regulae, CS I; Ph. de Vitry, Ars nova,
hrsg. v. G. Reaney, A. Gilles u. J. Maillard, = CSM VIII,
Rom 1 964 ; J. de Muris, Ars novae musicae, GS HI, 294ff . ;
Libellus practicae cantus mensurabilis secundum J. de Mu-
ris, CS III; H. Angles, Dos tractats medievals de musica
figurada, in: Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, Bin 1929; Anon, ex
cod. vat. lat. 5129, hrsg. v. A. Seay, = CSM IX, Rom
1964; Marchettus de Padua, Pomerium, hrsg. v. G. Vec-
chi, ebenda VI, 1961 ; J. Wolf, L'arte del biscanto mi-
surato secondo el maestro Jacopo da Bologna, Fs. Th.
Kroyer, Regensburg 1933; anon., Notitia del valore delle
note . . ., hrsg. v. A. Carapetyan, = CSM V, Rom 1957;
Pr. de Beldemandis, Tractatus practice de musica men-
surabili, u. : Tractatus practice de musica mensurabili ad
modum Italicorum, CS III; Cl. Sartori, La notazione
ital. del Trecento in una redazione inedita del »Tractatus
practice cantus mensurabilis ad modum Italicorum« di Pr.
de Beldemandis, Arch. Romanicum XX, 1936, separat
Florenz 1938; Guilelmus Monachus, De preceptis artis
musice . . . , CS III (verbesserte Lesarten bei M. F. Bukof-
36
561
Mensurzeichen
zer, Gesch. d. engl. Diskants . . ., = Slg mw. Abh. XXI,
StraBburg 1936), neu hrsg. v. A. Seay, = CSM XI, Rom
1965 ; J. Tinctoris, Tractatus de notis et pausis, Tractatus
de regulari valore notarum, Liber imperfectionum nota-
rum, Tractatus alterationum, Scriptum super punctis mu-
sicalibus, Proportionale musices, alles in : CS IV ; B. Ra-
mos de Pareja, Musica practica, Bologna 1482, neu hrsg.
v. J. Wolf, = BIMG I, 2, Lpz. 1901 ; G. De Podio, Ars mu-
sicorum, Valencia 1495; ders., In Enchiridion de princi-
piis musicis . . ., Ms., Abschnitt iiber d. M. hrsg. in: H.
Angles, La notation mus. espafiola de la segunda mitad del
s. XV, AM II, 1947; Fr. Gaffori, Practica musice, Mai-
land 1496, als: Musicae utriusque cantus practica, Brescia
1497 u. 6.; M. Schanppecher, Musica figurativa (=N.
Wollick, Opus aureum III-IV), Koln 1501, neu hrsg. v. Kl.
W. Niemoller, = Beitr. zur rheinischen Mg. L, Koln 1961 ;
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berg 1537, als: De arte canendi 2 1540u. 6. ; H. Glareanus,
Dodekachordon, Basel 1547, deutsch v. P. Bohn, = PGfM,
Jg. XVI-XVIII, Bd XVI, Lpz. 1888-90.
G. Jacobsthal, Die Mensuralnotenschrift d. 12. u. 13. Jh.,
Bin 1871 ; H. Riemann, Studien zur Gesch. d. Notenschrift,
Lpz. 1878; Riemann MTh; A. Pirro, De la notation propor-
tionelle, La Tribune de St-Gervais I, 1 895 ; E. Praetorius,
Die Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius . . . , = BIMG II, 2,
Lpz. 1905; A. Chybinski, Teoria mensuralna . . . (»Die
Mensuraltheorie in d. polnischen Musiklit. d. 1. Halfte d.
16. Jh.«), Sb. Krakau 1910; W. Belian, Die Mensuraltheo-
rie in Deutschland um d. Mitte d. 16. Jh., Diss. Bin 1919,
maschr. ; A. Schering, Takt u. Sinngliederung in d. Musik
d. 16. Jh., AfMw II, 1919/20; J. Handschin, Die altesten
Denkmaler mensural notierter Musik in d. Schweiz, AfMw
V, 1923; ders., The Summer Canon ... I, MD III, 1949;
A. M. Michalitschke, Zur Frage d. Longa . . . , Zf Mw
VIII, 1925/26; ders., Studien zur Entstehung . . . d. M.,
ZfMw XII, 1929/30; H. Birtner, Die Probleme d. spatma.
M. . . ., ZfMw XI, 1928/29; M. F. Bukofzer, »Sumer is
icumen in«. A Revision, = Univ. of California Publications
in Music II, 2, Berkeley 1944; ders., Two Mensuration
Canons, MD II, 1948; Mw. Studienbibl., hrsg. v. Fr.
Gennrich, I-IV Nieder-Modau 1946-48, seit V/VI Darm-
stadt u. Langen 1953ff.; A. Briner, Der Wandel d. Musik
als Zeitkunst, Wien 1955 ; L. A. Dittmer, The Dating and
the Notation of the Worcester Fragments, MD XI, 1957;
C. Parrish, The Notation of Medieval Music, London
1958; K. v. Fischer, Zur Entwicklung d. ital. Trecento-
Notation, AfMw XVI, 1959; C. Dahlhaus, Zur Theorie
d. Tactus im 16. Jh., AfMw XVII, 1960; ders., Zur Ent-
stehung d. modernenTaktsystems im 17. Jh., Af Mw XVIII,
1961 ; R. M. Hoppin, Notational Licences of G. de Ma-
chaut, MD XIV, 1960; U. GOnther, Die Anwendung d.
Diminution in d. Hs. Chantilly 1047, AfMw XVII, 1960;
dies., Der Gebrauch d. tempus perfectum diminutum in d.
Hs. Chantilly 1047, ebenda; dies., Die M. d. Ars nova . . . ,
AfMw XIX/XX, 1962/63 ; H. O. Hiekel, Der Madrigal- u.
Motettentypus in d. Mensurallehre d. M. Praetorius, eben-
da; S. Gullo, Das Tempo in d. Musik d. 13. u. 14. Jh.,
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden
Ges. II, 10, Bern (1964).
Mensurzeichen geben in der -»■ Mensuralnotation
des 14.-16. Jh. das MaB bzw. den Teilungsmodus der
Notenwerte an. Fur die Gruppierung der kleineren
Notenwerte haben sie eine annliche Bedeutung wie
die moderne Taktvorzeichnung, die sich aus den M.
entwickelte. Im Unterschied zur modernen Taktvor-
zeichnung geben die M. jedoch keine Grundlage fur
die metrische Gliederung eines Satzes. Der Beginn ei-
ner neuen Zahlzeit wird dadurch ausgezeichnet, daB er
in der Regel konsonant sein soil. - Die M. erscheinen
zuerst in Ph. de Vitrys Ars nova (CSM VIII, 24 und 27),
werden in den Musikhandschrif ten jedoch erst seit Be-
ginn des 15. Jh. regelmafiig verwendet. Ihre Entstehung
hangt zusammen mit der Gleichberechtigung von
Zwei- und Dreiteilung, die eine Neuerung der fran-
zosischen Ars nova war. Die wichtigsten Zeichen sind
der Kreis O fur das Tempus perfectum (Brevis = 3 Se-
mibreves; -*■ Perfectio - 2, -»■ Tempus) und der Halb-
kreis C fur das Tempus imperfectum (Brevis = 2 Se-
mibreves). Die -*■ Prolatio wurde zunachst durch 3
oder 2 Punkte im Tempuszeichen angezeigt (Ars per-
fecta in musica magistri Ph. de Vitriaco, CS III, 33b) ; im
15.-16. Jh. gilt der Brauch, die Prolatio maior (Semi-
brevis = 3 Minimae) durch einen Punkt im Tempus-
zeichen anzuzeigen, die Prolatio minor (Semibrevis
= 2 Minimae) dagegen unbezeichnet zu lassen (vgl. Pr.
de Beldemandis, CS III, 215a). Fur den Modus minor
perfectus (Longa = 3 Breves) und imperfectus (Longa
2 Breves) gibt Ph. de Vitry die M.
und
an; spater werden sie meist durch Pausen ersetzt, deren
Gruppierung durch den Modus vorgeschrieben ist (3
Pausae perfectae fur den Modus maior perfectus cum
modo minori perfecto, 2 Pausae imperfectae fur den
Modus maior imperfectus cum modo minori imper-
fecto usw.). Die gebrauchlichsten M. waren:
modus minor cum tempore cum prolatione
03 perfectus perfecto maiori
03 perfectus perfecto minori
G3 perfectus imperfecto maiori
C3 perfectus imperfecto minori
02 imperfectus perfecto maiori
02 imperfectus perfecto minori
G2 imperfectus imperfecto maiori
C2 imperfectus imperfecto minori
Menuett (frz. menuet, von menu pas, kleiner Schritt),
ein Tanz, der seine Urspriinge in einem Volkstanz der
Provinz Poitou haben soil, als Hoftanz aber erst unter
Ludwig XIV. eingefiihrt wurde. Das erste M. soil der
Konig nach der Musik Lullys 1653 getanzt haben. Die-
ser Paartanz, dessen Figuren hoch stilisiert waren, ver-
breitete sich rasch una wurde, besonders in Deutsch-
land, im 18. und beginnenden 19. Jh. am Anfang jedes
Balles getanzt, nachdem das M. urspriinglich in der
Nachbarschaft von Gavotte und Courante am SchluB
stand. Einfache fur den Tanz bestimmte M.e schrieben
fast alle Komponisten des 18. Jh., auch noch Beetho-
ven (12 M.e fur einen Maskenball, 1799). Die Beliebt-
heit des M.s spiegelt sich auch in zahlreichen »menuett-
artigen« Liedern. - Musikalisch bestahd das M. aus 2
Teilen im 3/4-Takt, die beide wiederholt wurden und
je 4 oder 8 Takte umfaBten, eine Taktordnung, die
(nach Riepel, 1752) unserer Natur . . . eingepflanzet ist.
Fur die vorklassische und klassische Musik ist es be-
zeichnend, daB die ->• Komposition im 18. Jh. weitge-
hend an Hand des M.s gelehrt wurde (Notenbuch fur
W.A.Mozart 1762; Mozarts Brief an den Vater vom
14. 5. 1778). So auch exemplifizieren Mattheson (Ca-
pellm.) die Methoden der Analyse, Riepel (De rhyth-
mopoeia) die Anfangsgriinde zur musikalischen Setzkunst
und H. Chr. Koch seine Anleitung zur Composition weit-
gehend am M. ; nach der Jahrhundertmitte wurde die
M.-Komposition auch zu einem musikalischen Spiel,
zu dem u. a. Kirnberger (Der allezeit fertige Polonoisen-
und Menuettenkomponist, 1757) eine Anweisung schrieb
(-»■ Aleatorik). - Schon bald nach der mutmaBlichen
Entstehung wurde das M. als stilisierter Tanz in die
Suite aufgenommen (um 1670 durch Chambonnieres,
in Deutschland durch J. H. Schmelzer). In den Klavier-
suiten von Lebegue (1677) erhielt das M. seinen Platz
am SchluB der Suite; in Muffats Florilegium (1695-98)
ist es schon der haufigste Tanz, der auch paarweise auf-
tritt; nach dem zweiten M. wird das erste wiederholt.
Diese Anordnung wurde spater als M. und -*■ Trio
(wegen der urspriinglich meist 3st. Faktur des zweiten
M.s) zur Regel. Uber das Tempo des friihen M.s gibt
es widersprechende Aussagen, doch scheint das stili-
sierte M. langsamer als das Tanz-M. gespielt worden
zu sein. Neben den Suiten enthalten Serenaden und
Kassationen bis ins 19. Jh. (Brahms) meist mehrere M.e.
562
Messe
In die -* Symphonie drang es iiber die dreiteilige nea-
politanische Opernsinf onia (Scarlatti) ein, die miteinem
tanzartigen,auchM.genanntenSatzim3/8-TaktschloB.
Die Mannheimer (J. Stamitz) und die Wiener (Monn,
J. Chr. Wagenseil) Vorklassiker schrieben 4satzige Sym-
phonien mit langsamem M. ; die Berliner (C.Ph.E.
Bach) lehnten dagegen den Tanzsatz in der Symphonie
ab. In der franzosischen Orchestermusik des 18. Jh. fin-
den sich 4sa'tzige Symphonien mit M. als einem der Mit-
telsatze, 3satzige mit M. am SchluB oder in der Mitte
oder ohne M., 2satzige mit oder ohne M. In Haydns
4satzigen Symphonien und Quartetten bildet das M.
den 3., seltener den 2. Satz. Mozart wechselt in seinen
Symphonien zwischen dem 3satzigen Typ ohne M.
und dem 4satzigen mit M. - Wahrend in der ersten
Entwicklungsphase das M. in seiner musikalischen Fak-
tur weitgehend der einfachen Tanzkomposition ver-
pflichtet blieb, stilisierte Haydn es in Symphonien und
Quartetten zum spezifisch symphonischen Satz. Bei
ihm wurden die M.e schneller und gleichzeitig mit
scherzohaften Elementen durchsetzt. Einige der M.-
Satze in den 6 Quartetten Hob. Ill, 37-42, nannte
Haydn -*■ Scherzo, in den Quartetten Hob. Ill, 31-36,
aber noch M., obwohl sie teilweise (besonders das
M.o alia zingarese in Hob. Ill, 34) von den Scherzi we-
nig unterschieden sind. Beethoven bezeichnete den 3.
Satz der 1. Symphonie noch als M., wenngleich er dem
Charakter nach ein Scherzo ist. Eine geradlinige Ent-
wicklung vom M. zum Scherzo ist nicht festzustellen.
Haydn komponierte nach den Scherzi wieder tanz-
hafte M.e; bei Beethoven ist schon in den Klaviertrios
op. 1 der Typ des Scherzos voll ausgebildet, doch
schrieb er spater wieder langsame M.e (op. 59 Nr 3).
Mozart behielt in Symphonien und Serenaden weit-
gehend den Ton des M.s bei; in seinen »Haydn-Quar-
tetten« verwandelte er die M.e in kleine Sonatensatze
(K.-V. 464). - Schubert schrieb bis in seine Spatzeit
in Klaviersonaten und Quartetten M.e neben Scherzi,
doch seine Tanzkompositionen bevorzugen Deutsche
Tanze und Landler. Im Laufe des 19. Jh. trat das M. zu-
riick, lebte aber in der verwandelten Form des lang-
samen Tempo di Minuetto, das iiber Beethoven und
die Violinkonzerte W.A.Mozarts bis zu J. Chr. Bachs
Symphonien zuriickreicht, oder als quasi Minuetto
(Brahms op. 51 Nr 2) weiter. An die Stelle des M.s tra-
ten unbezeichnete scherzo- oder landlerartige Satze,
auch Walzer (Tschaikowsky). Im 20. Jh. griff nicht al-
lein der Neoklassizismus auf das M. zuriick (Ravel, Pro-
kofjew), sondern auch Schonberg (Serenade op. 24, Kla-
viersuite op. 25).
Lit. : P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 2. Half-
te d. 17. Jh., StMw VIII, 1921 ; W. Essner, Die Thematik
d. M. in d. Streichquartetten J. Haydns, Diss. Erlangen
1923, maschr.; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin
1933, engl. NY 1937 u. London 1938, frz. Paris 1938; M.
Reimann, Untersuchungen zur Formgesch. d. frz. Kl.-
Suite, = Kolner Beitr. zur Musikforschung III, Regens-
burg 1940; H. Goldmann, Das M. in d. deutschen Mg. d.
17. u. 18. Jh., Diss. Erlangen 1956; I. Herrmann-Benoen,
Tempobezeichnungen, = Munchner Veroff. zur Mg. I,
Tutzing 1959; G. Massenkeil, Untersuchungen zum Pro-
blem d. Symmetrie in d. Instrumentalmusik W. A. Mo-
zarts, Wiesbaden 1962. HK
Mese (griech.) -> Systema teleion.
Messa di voce (m'essa di v'o:tJe, ital.) ist die Be-
zeichnung fiir eine dynamische Gesangsverzierung bei
lang ausgehaltenen Noten, die in der Zeit des itaheni-
schen Belcantos sehr beliebt war. Sie besteht aus einem
allmahlichen Anschwellen des Tones vom zartesten
Pianissimo bis zum starksten Fortissimo und aus einem
entsprechenden Abschwellen bis zur Ausgangsla-
ge (-=;:=—). Die Beherrschung der M. di v. (nicht
zu verwechseln mit -*■ mezza voce) war ein Priifstein
fiir gute Stimmbildung. Die M. di v. wurde auch auf
Melodieinstrumente ubertragen und als solche von
Quantz, Tartini u. a. beschrieben. Tartini halt die M.
di v. fiir unvereinbar mit einem Vibrato, aber in Ver-
bindung mit einem langen und allmahlich rascher wer-
denden Triller empfiehlt er eine M. di v. semplice dal
Piano, al Forte (nur anschwellend). Wohl als erster hat
D.Mazzocchi (1638) die Bezeichnung M. di v. ver-
wendet, allerdings nur fiir ein allmahliches Anschwel-
len der Tonstarke in Verbindung mit einem -> Porta-
mento bei bestimmten ansteigenden Halbtonschritten;
er versieht diese Gesangsart mit einem besonderen Zei-
chen: v . Heute wird das An- und Abschwellen des To-
nes in der Gesangspadagogik als Grundlage des dyna-
mischen Vortrags gelehrt. Die Bezeichnung Schwell-
ton ist hierfiir zutreffender als M. di v., wenn auch
- stimmtechnisch gesehen - kein groBer Unterschied
bestehen mag.
Messanza (ital.) — >- Quodlibet.
Messe (lat. missa; ital. messa; frz. messe; span, misa;
engl. mass) ist nach katholischer Lehre die in Gestalt
eines Mahlopfers vollzogene, sakramentale Vergegen-
wartigung des Erlosungswirkens Jesu Christi, vor al-
lem seines Kreuzesopfers. - Das spatlateinische Wort
missa (Entlassung) bezeichnet als Liturgieterminus nach
dem Zeugnis Isidors von Sevilla die Entlassung der
Katechumenen im Rahmen der f ruhchristlichen Opfer-
feier: Missa tempore sacrificii est, quando catechumeni /oris
mittuntur . . . (Etymologiae VI, 19, 4). Seit dem Ausgang
des 4. Jh. - friihestens seit Ambrosius (Epistola XX:
Migne, Patr. lat. XVI, 995) - findet es sich daneben be-
reits im heutigen Sinne als Name fiir den MeBgottes-
dienst. Die Frage, wie das Wort missa (Entlassung)
zum Namen fiir die Eucharistiefeier wurde, ist noch
nicht eindeutig geklart worden (vgl. hierzu die Deu-
tungen von Jungmann und Maurice-Denis-Boulet). -
Im Unterschied zum Westen blieb in den Kirchen des
Ostens die liturgische Vielfalt der christlichen Friihzeit
erhalten. So wird die M. nach byzantinischem Ritus in
griechischer, slawischer (->- Altslawischer Kirchenge-
sang) und in anderen Sprachen gefeiert. Wichtige Li-
turgietypen des Ostens sind fernerhin die koptische
(-> Koptische Musik), westsyrische und ostsyrische
Liturgie. Demgegeniiber grundet sich die MeBfeier in
der Kirche des Westens bis heute auf eine einheitliche
Ordnung, wenn auch der allgemeinen Forderung des
2. ->• Vatikanischen Konzils nach »berechtigter Vielfalt
und Anpassung an die verschiedenen Gemeinschaften,
Gegenden und V61ker« Rechnung getragen wird (Con-
stitutio de sacra liturgia vom 4. 12. 1963, Artikel 38).
Hierbei weicht die bisher fast ausschlieBlich verwende-
te lateinische Kirchensprache in Messen mit dem Volk
weithin der jeweiligen Muttersprache (Artikel 36 und
54; vgl. dazu die Instructio ad exsecutionem constitutionis
de sacra liturgia recte ordinandam vom 26. 9. 1964, Arti-
kel 57-59). - Der Begriff M. findet zum Teil auch in
den Kirchen der Reformation Verwendung. Soweit
deren Gottesdienst nicht reiner Predigtgottesdienst ist,
fuBt er in seinen auBeren Formen auf romisch-katholi-
scher Tradition.
Die M. ist ihrem Wesen nach eine Feier, welche seit
alters her in Weiterfiihrung synagogaler Praxis den
Gesang als integrierenden Bestandteil in sich schlieBt.
Die nur gelesene M. stellt eine Schwundform der ge-
schichtlich alteren, gesungenen M. dar. Nach dem
Grad der Feierlichkeit unterscheidet man im romisch-
katholischen Ritus (vgl. Instructio de musica sacra et sa-
cra liturgia vom 3. 9. 1958, cap. I): 1) Missa in cantu:
a) Missa solemnis = Hochamt (Levitenamt) eines Prie-
36 »
563
Messe
sters mit Assistenz von 2 oder einem Leviten (Diakon
und Subdiakon oder nur Diakon), als Missa pontificalis
das Hochamt (Pontifikalamt) des Bischofs, dem Dia-
kon und Subdiakon, ein Presbyter assistens und 2 Ka-
noniker als Ehrendiakone assistieren; b) Missa cantata:
einf aches Amt ohne Assistenz; 2) Missa lecta (friiher
audi Missa privata genannt): eine vom Priester nur
gelesene M., die heute unterEinbeziehung volkssprach-
licher Gesange und Gebete vielfach als Gemeinschafts-
oder Betsingmesse gestaltet wird. - Die gesungenen
Teile der romischen M. bestehen aus den Sologesangen
des Priesters (oder seiner Assistenz, s. u.), dem Ordi-
narium missae und dem Proprium missae. Das Ordi-
narium - nach Ursprung und Funktion Gesang der
Gemeinde - enthalt 5 feststehende, textlich gleichblei-
bende Stiicke: -> Kyrie eleison, .-»■ Gloria in excelsis
Deo, -> Credo in unum Deum, -> Sanctus (mit -> Be-
nedictus qui venit) und -»■ Agnus Dei. Hingegen um-
faBt das Proprium missae (unterteilt in ->■ Proprium de
tempore und -*■ Proprium de Sanctis) die nach den
Anlassen des Kirchenjahres von Tag zu Tag wechseln-
den Gesange; sie beziehen sich auf den jeweils beson-
deren Charakter der Sonn- und Festtage. Bei den
Propriumsstiicken wird in den wechselweise von So-
list(en) und Chor vorgetragenen responsorialen Gesan-
gen eine altere Schicht greifbar. Hierzu gehoren das
-*■ Graduale (- 1) und das Alleluia (2. und 3. Proprium-
stiick). Letzteres wird an Tagen der Bufie und Trauer
durch den ->■ Tractus ersetzt. In diesen Stiicken ist
der Gesang selbst liturgische Handlung. Die jiingere
Schicht umfaBt antiphonische, d. h. zwischen 2 Cho-
ren oder Schola und Chor aufgeteilte Begleitgesange
zu bestimmten liturgischen Handlungen : die Antipho-
na ad Introitum mit Psalmvers(en) und kleiner Doxo-
logie zumEinzug des Priesters (-*■ Introitus, 1. Propri-
umstiick) ; die Antiphona ad Offertorium zur Gaben-
bereitung bzw. zum Opfergang (-*■ Offertorium, 4.
Propriumsstiick) ; die Antiphona ad Communionem,
heute auch mit Psalmversen und Gloria patri, zum
Kommuniongang der Glaubigen (-> Communio, 5.
Propriumsstiick). Ordinarium und Proprium missae
konnen in lateinischer Sprache sowie in approbierten
Ubersetzungen gesungen werden.
AuBerer Aufbau der M. : 1) Wortgottesdienst. Wah-
rend der Zelebrant mit seiner Assistenz einzieht, tragt
der Chor den Introitus vor, darauf die Gemeinde im
Wechsel mit dem Chor (oder dieser allein) den Erbar-
mensruf Kyrie eleison - Christe eleison - Kyrie eleison,
anschlieBend (vom Priester intoniert) das Gloria in ex-
celsis Deo. Der Priester singt die -> Oration (Tagesge-
bet). Es folgen die Schrif tlesungen : ->■ Epistel (im
Hochamt vom Subdiakon oder einem Lektor gesun-
gen ; als Antwortgesang das Graduale mit Alleluia oder
Tractus, Sequenz) und -»■ Evangelium (im Hochamt
vom Diakon oder vom Priester selbst gesungen; wer-
den die Lesungen beim Hochamt in der Muttersprache
verkiindet, so kann der Vortrag auch ohne Gesang voll-
zogen werden). Deutung des Schrif twortes ist die Pre-
digt. Ihr schlieBt sich an Sonn- und Feiertagen das
Credo an (Intonation durch den Zelebranten). Den
AbschluB des Wortgottesdienstes bildet die Oratio
communis (auch Oratio fidelium, im Deutschen meist
Fiirbitten genannt). 2) Eucharistiefeier. Zur Gabenbe-
reitung singt der Chor die Antiphona ad Offertorium.
Hierauf erklingen als Gesang des Priesters die Oratio
secreta seu super oblata (Gebet iiber die Opfergaben)
und die -»■ Prafation (Beginn des Canon missae, Eu-
charistisches Hochgebet), unmittelbar danach das
Sanctus (Gemeinde oder Chor). Sodann spricht der
Zelebrant leise die Fortsetzung des Canon missae, wel-
cher mit der Wandlung (Transsubstantiation, Ver-
wandlung des Brotes und Weines in das Fleisch und
Blut Christi) seinen Hohepunkt findet. Das -> Pater
noster (gesungen vom Priester oder von Gemeinde
und Priester, auch in der Muttersprache) mit nachfol-
gendem Gebet Libera nos, welches der Zelebrant (eben-
so wie die dem Gebet des Herrn vorausgehende Ka-
nonschluBdoxologie) singt oder laut spricht, leitet
iiber zum Kommunionteil der M.: nach der Brot-
brechung singt die Gemeinde bzw. der Chor das Ag-
nus Dei; die Kommunionausteilung wird von der An-
tiphona ad Communionem begleitet (Chor). Der Post-
communio (SchluBgebet) des Priesters folgt die Ent-
lassung der Gemeinde mit Ite missa est (im Hochamt :
Diakon) und Segen.
Die aufkommende Mehrstimmigkeit (->• Organum)
bemachtigte sich zunachst nur (meist tropierter) Ein-
zelteile des MeBpropriums und -ordinariums. So ent-
halt der Mailander Organumtraktat (um 1100) eine 2st.
Bearbeitung des Kyrietropus Cunctipotens genitor, eben-
so der Codex Calixtinus (um 1150; -> Quellen). Die li-
turgische Mehrstimmigkeit der Notre-Dame-Epoche
konzentrierte sich hinsichtlich der M. wesentlich auf die
solistischen Teile der responsorialen Gattungen Gra-
duale und Alleluia, wahrend in der franzosischen Ars
antiqua des 13. Jh. die MeB- hinter der Motettenkom-
position ganz zuriicktrat, um dann im 14. Jh., wohl in
Zusammenhang mit der Constitutio Docta Sanctorum
(1324/25) des Papstes Johannes XXII. in Avignon, zu-
nachst in Form mehrstimmiger Ordinariumsstiicke
wieder hervorzutreten (34 Ordinariumssatze verzeich-
net z. B. die Hs. Apt, -> Quellen). In England iiberlie-
fert schon das Winchester-Tropar (WiTr, vor 1050?)
zahlreiche zweistimmige und meist tropierte Kyrie-,
Gloria-, (Oster-)Introitus-, Alleluia- und Tractusorga-
na, und hier setzt sich die Tradition der mehrstimmigen
Bearbeitung von MeBteilen fort, namentlich in den 2st.
Ordinariumstropen und Propriumssatzen fiir Marien-
messen im 11. Faszikel des Codex W\, ferner im Worc-
Repertoire und im Codex OH (-> Quellen). Erst das 14.
Jh. bringt Bearbeitungen des vollstandigen Ordina-
riums: aus der erstenjahrhunderthalfte die 3st. M. von
Tournai und 1364(?) die 4st. M. von Machaut mit so-
wohl isorhy thmisch angelegten wie auch nichtisorhy th-
mischen.vorwiegendsyllabischdeklamierendenSatzen,
spater die M.n von Barcelona, Toulouse und Besanfon
(Sorbonne-M.). Um 1400 lassen sich mehrere Typen
mehrstimmigerOrdinariumssatzeunterscheiden: 1) mo-
tettische Satze mit liturgischem Tenor-C. f . und zwei
duettierenden Oberstimmen; 2) C. f .-lose (freie) homo-
rhythmische Satze mit gleichem Text in alien Stim-
men; 3) in England wie bei 2), aber mit liturgischem
Bezug auf eine Choralmelodie; 4) Satze mit Diskant-
lied-Technik (nach Art des -*■ Kantilenensatzes), frei
erfunden oder mit Choralkolorierung im Diskant. In
der 1. Halfte des 15. Jh. entstanden weiterhin zahlreiche
Einzelsatze (so namentlich von Dufay zwischen etwa
1420 und 1440), daneben auch Satzpaare (->■ Quellen:
TuB, BL, Ao, Tr), in England 4teilige MeBordinarien
(Gloria, Credo, Sanctus, Agnus, z. B. von Dunstable
und Power). Seit den 1420er Jahren (Missa sine nomine)
erarbeitete Dufay das vollstandige (5teilige) MeBor-
dinarium als musikalischen Zyklus. Bahnbrechend war
seine Missa Caput (wohl um 1440, Kyrie erganzt 1463) :
der Satz wird nach dem Vorbild der 4st. Motetten-
komposition durch Hinzufiigung eines Contratenor
secundus in Tieflage zur Vierstimmigkeit ausgeweitet,
und alle Satze werden zyklisch verbunden vor allem
durch gemeinsamen C. f. geistlicher oder weltlicher
Herkunft (wohl ein von den Englandern iibernom-
menes Prinzip), daneben durch gemeinsames Anfangs-
motiv der Oberstimmen. Die »Tenor-M.« wurde un-
564
Messe
ter zunehmender Vokalisierung der Stimmen fortge-
setzt von Ockeghem, Obrecht, Josquin, de la Rue,
Isaac u. a., und es entfaltete sich nach 1450 jene neue
Art, bei der die vorgegebene Tenormelodie audi die
kontrapunktierenden Stimmen durchdringt (schon in
Dufays spater Missa Ave regina caelorum) bis hin zu be-
tonter Gleichberechtigung aller Stimmen, die in
»durchimitierender« Art an der vorgegebenen Melo-
diesubstanz teilhaben (Josquin, Missa Pange lingua).
Isaacs Missa carminum, eine Lied-M., zeichnet sich
durch Verwendung deutscher Liedweisen aus. Ein
weiterer Schritt ist die freie polyphone M., die auf jeg-
liche Verarbeitung vorgegebener Melodiesubstanz ver-
zichtet (Ockeghems spate Missa Mi-mi). Die auf Jos-
quin folgende MeBkomposition fiihrt im wesentlichen
diese Typen weiter; im Mittelpunkt stehenjetzt die Te-
nor-(C. f.-)M., zuweilen sechsstimmig mit vier freien
Stimmen zum C. f.-Kanon, und die frei angelegte M.
bei Mouton, Brumel, Senfl, A. Agricola, H. Finck,
Richafort, Clemens non Papa, Gombert, Willaert, Pa-
lestrina, Ph. de Monte, Lassus. Daneben entstand die
->■ Parodie-M. Die gegenreformatorische Bewegung
des -»■ Tridentiner Konzils (nach 1550) verbot M.n
mit weltlichen Vorlagen, besonders die Tenor-M.n
mit vulgarem C. f . - Seit dem ausgehenden Mittelalter
ist die mehrstimmige Komposition des Proprium mis-
sae geschichtlich von geringerer Bedeutung. In einem
seiner fruhen Mefizyklen fafit Dufay Proprium und
Ordinarium in einer Plenar-M. zusammen (Missa
Sancti Jacobi, um 1427). Bedeutende mehrstimmige
Proprien schuf H.Isaac mit seinem vom Konstanzer
Domkapitel bestellten, 1507-09 geschriebenen 4st.
Choralis Constantinus (gedruckt in 3 Banden, unter
Hinzufiigung von Satzen Senfls, Niirnberg 1550-55);
auf die anonyme Propriensammlung Contrapunctus . . .
super piano cantu missarum solemnium totius anni (Lyon
1528, 3 S'atze sind von Layolle) folgen 1538-45 drei
Sammeldrucke Rhaws, in denen einzelne Propriums-
satze verschiedener Meister zu Zyklen zusammenge-
stellt sind. Weitere Propriumssammlungen von katho-
lischen und protestantischen Komponisten sind bis um
1600 nachzuweisen (Chr.Erbach, 1604-06). Dagegen
setzte sich seit Palestrina und Lassus das Verf ahren durch,
Vertonungen einzelner Propriumsstiicke (vor allem des
Offertoriums und des Introitus) f iir das ganze Kirchen-
jahr gesammelt zu veroffentlichen.
G.Gabrieli iibertrug 1597 die venezianische Doppel-
chorigkeit sowie den instrumental begleiteten Solo-
gesang, mithin den concertierenden Stil, auf die M. Ab
1600 lassen sich zwei Stilarten unterscheiden, einer-
seits concertierende M.n, entweder fur Vokalsolisten
mit GeneralbaBbegleitung oder im mehrchorigen Satz,
auch in Kombination beider Satzarten und mit Instru-
menten, andererseits die an der polyphonen Tradition
orientierte M. im kontrapunktischen Stilus gravis
fur die Capella (d. h. fur einen Sangerchor). AuBer-
dem gibt es M.n im Stilus mixtus. Monteverdi kom-
ponierte fiir seine Messa a 4 da capella (1641), die iiber
den motettischen Stil hinaus von Errungenschaften des
Madrigals durchdrungen ist, Ersatzstiicke in concertie-
render Art. Das Nebeneinander von »altem« und
»neuem« Stil laBt sich noch bis ins 18. Jh. verfolgen.
Als erstes Werk der solistisch concertierenden M. gilt
die Missa dominicalis von Viadana (II. Buch der Con-
cetti ecclesiastici, 1607), doch blieb dieses relativ an-
spruchslose Werk, das iiber die Choralmelodien fiir
die gewohnlichen Sonntage komponiert ist, hinsicht-
lich seiner Besetzung fiir Tenor-(= Bariton-)Solo und
GeneralbaB innerhalb der MeBkomposition ein Einzel-
fall. Der Terminus Missa concertata begegnet seit 1610
fiir Werke mit mehreren solistisch behandelten Stim-
men und Gb. Mehrchorige M.n kpmponierten nach
G.Gabrieli vor allem A. Grandi (1636) und T.Merula;
auch Carissimi schrieb meist mehrchorig, daneben
aber auch Parodie-M.n und C. f.-M.n. M.n im Stilus
mixtus komponierten Frescobaldi, A.Melani u. a. In
Deutschland entstanden l-3chorige M.n (a cappella
mit Gb. ad libitum) von J. Stadlmayer sowie dessen
Missae concertatae. Im 17. Jh. begegnen zahlreiche hand-
schriftliche und gedruckte Sammelwerke, in denen
M.n im »alten« und »neuen« Stil nebeneinanderstehen.
Fux (Gradus ad Parnassum, 1725) wiirdigt und gliedert
den »gemischten Stil« je nach den Gewichtsverhaltnis-
sen, die alter und neuer Stil einnehmen. Er komponier-
te iiber 50 M.n (kontrapunktische Chor-M.n und kon-
zertierende M.n). Hatte unter den musikalischen For-
men um 1500 die mehrstimmige M. den ersten Rang
eingenommen, so tritt sie seit dem Ende des 16. Jh., da
der neue-Stil vorwiegend in Motette und Madrigal sich
auspragte, in ihrer historischen Bedeutung zuriick,
wahrend die mehrchorige M. zu gewaltigen AusmaBen
sich steigerte (Benevolis Salzburger Domweih-M. von
1628 zu 52 St., von der sogar eine 12chorige Fassung
iiberliefert ist). Nebenher entstanden Kurz-M.n (schon
bei Palestrina und G.Gabrieli) und Parodie-M.n iiber
Weihnachtslieder; als Titel erscheint »Missa pastorale«
zuerst bei G. Ziretti. »Pastoral«-M.n schrieben Durante,
Pitoni, Zelenka, Abbe Vogler, M.Haydn und dessen
Schiiler A. Diabelli. Der Neapolitaner A. Scarlatti f iihr-
te die Arie in die M. ein; ihm folgten u. a. L.Vinci,
Leo, Durante. Einwirkungen der Oper zeigen auch die
M.n von Pergolesi, Jommelli, Lotti und Caldara (etwa
60 M.n) ; ihnen folgten u. a. Holzbauer (23 M.n) und
Tuma (53 M.n). - Von den Meistern der Wiener Klas-
sik schrieb J.Haydn 14 Orchester-M.n, zudem die kan-
tatenartige Caecilien-M. (1782); er fand zu einem
eigenen Stil besonders in seinen 6 spaten M.n, in de-
nen anstelle der Arie das Soloquartett tritt (Heilig-M.,
1796; Pauken-M., 1796; Nelson-M., 1798; Theresien-
M., 1799; Schopfungs-M., 1801; Harmonie-M., 1802).
- Von Mozart sind 19 M.n iiberliefert; er war in seiner
Salzburger Zeit zur Komposition von Kurz-M.n ge-
notigt, weil auf f iirstbischofliche Weisung hin die MeB-
feier, auch beim Hochamt, 45 Minuten nicht iiber-
schreiten durfte. Aus Mozarts Wiener Zeit stammen
die groBangelegten M.n mit Choren Und Koloratur-
arien, wie die Kronungs-M., K.-V. 317 (1779), und die
M.n C dur, K.-V. 337 (1780), und C moll, K.-V. 427
(1782). -Beethoven schrieb 2 grofie M.n; 1807 entstand
die M. in C dur, 1819-23 die Missa solemnis fiir 4 Solo-
St, Chor, Orch. und Org. in D dur. Dieses Spatwerk
mit seinen ausladenden kontrapunktischen und breiten
symphonischen Abschnitten, urspriinglich als -*■ Fest-
musik bestimmt, sprengt den Rahmen der Liturgie und
legt eine konzertmaBige Auffiihrung nahe. In Frank-
reich schrieb Cherubini 11 musikalisch gewichtige
symphonische M.n. C. M. v.Webers fiir Dresden ge-
schriebene M.n Es dur (1802) und G dur (1819, Jubel-
M. zum 50. Hochzeitstag des Konigs von Sachsen) zei-
gen einen dramatischen Grundzug und haben Anre-
gungen seines Lehrers Abbe Vogler aufgenommen.
Von Schuberts 6 M.n sind die vier fruhen (F dur, D 105,
1814; G dur, D 167, 1815; B dur, D 324, 1815; C dur,
D452, 1816) fiir die Liechtentaler Kirche geschrieben;
von groBer Bedeutung sind die beiden groBen M.n
As dur (D 678, 1819-22) und Es dur (D 950, 1828).
Liszt schrieb 3 symphonisch angelegte M.n, eine fiir
Mannerchor (1848, 2. Fassung 1869), die musikalisch
prunkvolle Graner M. (1855) und die M. zur Kronung
von Franz Joseph II. zum ungarischen Konig (1867) ;
seine Missa choralis (1865) bringt eine Ruckwendung
zum schlichteren Satz, zuEinstimmigkeit und Orgelbe-
565
Messe
gleitung. Liszt bekennt in spatromantischer Haltung,
die Kirchenmusik sei weihevoll, stark und wirksam,
sie vereinige in kolossalen Verhaltnissen Theater und
Kirche, sie sei zugleich dramatisch und heilig, pracht-
entfaltend und einfach (Uber zukiinftige Kirchenmusik,
1834). In seinen friihen M.n verfahrt Bruckner traditio-
nell (C dur, 1842; Choral-M. fiir vierstimmigen ge-
mischten Chor und Org. auf den Griindonnerstag,
1844; Missa sokmnis, 1854). Bruckners spate M.n sind
ein Gipfel der symphonischen MeBkomposition, in-
dem sie a cappella-Stil und Symphonik verschmelzen
(D moll, 1864; E moll, 1866; F moll, 1868). Unter den
groBen Musikern Frankreichs folgen Gounod (M. so-
lennelle, 1855; M.funebre fiir 4 Singst. und Org., 1883),
Saint-Saens (1856) und C.Franck (2 M.n fiir Solo-St.
und Org., 1858 und 1860). Die vom Caecilienverein
(->■ Caecilianismus) getragenen Bestrebungen zur Pfle-
ge der kirchlichen a cappella-Musik des 16. Jh. standen
der Instrumental-M. ablehnend gegeniiber. - Die Mefi-
komposition der neueren Zeit, so besonders die unter
dem Eindruck der M. von G. de Machaut von Stra-
winsky (1948) komponierte M. fiir Chor und Blaser
(nach dem Vorbild der ostlichen Kirchenmusik ohne
Orgel), erstrebt, wenngleich ihrer Herkunft nach nicht
liturgisch, mit artistischen Mitteln den Eindruck des
Dogmatischen und Entpersonlichten. Aus dem 19. Jh.
sind noch zu nennen Fr.Kiel mit seiner Missa solemnis
(1867, komponiert 1865) sowie die Grofie M. von F.
Draeseke (1891) und dessen a cappella-M. (1909). Ja-
naceks »Glagolitische M.« (1926) gehort zu den be-
deutenden Werken. Die jiingste Vergangenheit brach-
te zahlreiche Versuche, auch in der gesungenen M. des
katholischen Ritus wieder die Gemeinde zu Wort kom-
men zu lassen: entweder durch die Wiederbelebung
des Volkschorals (wahrend der Chor das Proprium
missae mehrstimmig singt) oder durch Ordinariums-
vertonungen, die im Wechsel von Chor und Gemein-
de gesungen werden (alternatim-M.n, z. B. von H.
Schroeder, E. Tittel, J. Gelineau) .
Fiir die evangelische M. hat -*■ Luther 3 Losungen vor-
geschlagen: die im Text von Opfer- und Werkheilig-
keit gereinigte lateinische Missa (alternatim mit Or-
gel), die deutscheLied-M. sowie die deutsche Ubertra-
gung der lateinischen MeBgesange. Schon in den ersten
Jahren der Reformation waren vereinzelte deutsche
M.n entstanden, so in Niirnberg, Reutlingen, Pforz-
heim, Wertheim, StraBburg. Luther, der diese M.n
und vor allem die der »Schwarmer« Karlstadt (1521/22
fiir Wittenberg) und Th.Miintzer (1524 fiir Alstedt)
zum Teil nicht billigte, sah sich dadurch zur Ausarbei-
tung seiner eigenen Formula missae (1525) und dem zu-
sammen mit C. Rupsch und J. Walter ausgearbeiteten
Entwurf einer Deudschen M. (Wittenberg 1526) veran-
laBt. Doch begegnete er dieser Aufgabe mit Zuriick-
haltung, zumal er seine Reformvorschlage nicht als
bindende Form betrachtete. Er lieB alles fallen, was mit
dem Opferakt des Priesters zusammenhing, vor allem
den Canon missae. Andere Stiicke der M. ersetzte er
durch Psalmlieder in der Muttersprache, wahrend das
3malige griechische Kyrie allgemein beibehalten wur-
de. Indem Luther das Sakrament nur als eine andere
Form des Wortes Gottes ansah und deshalb mit der
Predigt die Botschaf t des Evangeliums in den Mittel-
punkt der M. riickte, wurde aus dem romischen Opfer-
gottesdienst ein das Evangelium verkiindigender Pre-
digtgottesdienst mit anscMieBender Abendmahlsfeier.
- Das MeBrepertoire der mehrstimmigen evangeli-
schen Kirchenmusik bestand aus Vertonungen des ro-
mischen Ordinarium missae (lateinisch oder in deutscher
Ubersetzung) und schloB auch Werke katholischer
Komponisten ein. Das zeigt sich schon in den beiden
566
groBen Niirnberger Sammlungen von 1539 (Liber
quindecim missarum, Petrejus; Missae tredecim, Form-
schneyder) sowie dem Wittenberger Opus decern mis-
sarum Rhaws von 1541, das Kurz- und Lied-M.n u. a.
von Isaac und Senfl enthalt. Die groBen deutschen
Meister standen von jeher der M. als GroBform relativ
fern. Der lutherische Gottesdienst hielt zwar bis ins
18. Jh. an der M. oder der aus Kyrie und Gloria be-
stehenden Kurz-M. fest, doch fiihrte die Verlagerung
des Schwergewichts auf die Predigt und die Verlesung
von Epistel und Evangelium zur Bevorzugung anderer
Kompositionsgattungen : der Motette (zumeist auf
biblischen Text), spater des Geistlichen Konzerts und
der predigthaften Kirchenkantate, die J.S.Bach als
»Hauptmusic« im Gottesdienst bezeichnete. - Im 17.
Jh. entstanden zahlreiche M.n von evangelischen Kom-
ponisten im figuralen und im neuen concertierenden
Stil, auch im Stilus mixtus, der Altes und Neues zu-
sammenfafite. M. Praetorius schrieb eine Teutsche Mis-
sa (in Polyhymnia caduceatrix et panegyrica, 1619, Nr 38)
aus Ordinariumsliedern und concertierende M.n, Selle
einige M.n alten Stils und eine 9st. Missa concertata.
Weitere M.n sind iiberliefert z. B. von J.R. Ahle, Ca-
pricornus, dem Schiitz-Schuler Bernhard, Kniipfer,
Rosenmiiller, Theile (Missa juxta veterum contrapuncti
stylum), Buxtehude, Pohle (iiber deutsche Kirchenlie-
der), J.Ph.Krieger, Schieferdecker, Schelle, Thieme,
Erlebach, Buttstedt, J. Fr. Fasch (1730), Stolzel und C.
Fr.Fasch (16st. M.). Von J.S.Bach sind 4 Kurz-M.n, 4
Sanctuskompositionen, eine Bearbeitung einer M. von
Palestrina sowie seine spater so genannte Messe in H
moll erhalten. Diese beriihmte M. setzt sich aus vier
selbstandigen, auch handschriftlich gesondert iiberlie-
ferten Werken zusammen, denen Bach keinen gemein-
samen Titel gegeben hat: einer »Missa«, d. h. einer nur
aus Kyrie und Gloria bestehenden evangelischen Kurz-
M. (Missa brevis), einem Symbolum Nicaenum (Cre-
do), einem Sanctus sowie einer Parodierung der Texte
Osanna, Benedictus, Agnus Dei, Dona nobis pacem.
Ihrer Form nach ist Bachs so genannte M. in H moll
unromisch und innerhalb der katholischen Mefiliturgie
nicht verwendbar (vgl. die grundlegende Untersuchung
von Fr. Smend im Kritischen Bericht zur Neuen Aus-
gabe samtlicher Werke Bachs, Serie 2, Bd I, 1956). -
Stilistisch verschiedenartig sind die neueren M.n, die
im Zeichen der Wiederbelebung der alten Chor-M.n
stehen, u. a. von J. N. David, Moeschinger, Pepping,
A.Brunner, Burkhard, K.Thomas, Borris, Collum.
Neubelebungen der 1st. M. werden in der evangeli-
schen Kirche von der Alpirsbacher Bewegung und von
dem Kreis der Berneuchner unternommen. Eine ein-
stimmige unbegleitete M. fiir Singstimmen schrieb H.
Erpf (1926). Die altkatholische M., wie sie seit etwa
80 Jahren in Deutschland und der Schweiz gefeiert
wird, ist eine romische M. in deutscher Sprache. -Eine
geschichtlich wichtige Sonderform der M. ist die
-»■ Orgelmesse.
Lit. : A. Schnerich, Der Messentypus v. Haydn bis Schu-
bert, Wien 1 892, erweitert als : M. u. Requiem seit Haydn u.
Mozart, Wien u. Lpz. 1909 ; ders., Zur Chronologie d. M.
Haydns, ZfMw XVII, 1935; G. Eisenring, Zur Gesch. d.
mehrst. Proprium Missae bis urn 1560, = Veroff. d. Gre-
gorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz VII, Diissel-
dorf (1913); P. Wagner, Gesch. d. M. I = Kleine Hdb. d.
Mg. nach Gattungen XI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildes-
heim 1963 ; G. Adler, Zur Gesch. d. Wiener Messenkom-
position in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw IV, 1916; Fr. Lud-
wig, Die mehrst. M.d. 14.Jh.,AfMwVII, 1925;J.Schmidt-
Gorg, 4 Parodie-M. d. 16. Jh., KmJb XXV, 1930; L. Ei-
senhofer, Hdb. d. kath. Liturgik II, Freiburg i. Br. 1933,
2 1941 ; H.-A. Sander, Ital. Messenkompositionen d. 17. Jh.
aus d. Breslauer Slg d. D. Sartorius, Diss. Breslau 1934;
E. Schild, Gesch. d. protestantischen Messenkompositio-
Metronom
nen d. 17. u. 18. Jh., Diss. GieBen 1934; K. G. Fellerer,
Zur deutschen Singm. d. 18./19. Jh., KmJb XXXI, 1936 -
XXXIII, 1938; ders., Die M. Ihreraus. Gestalt v. MA bis
zur Gegenwart, Dortmund 195 1 ; W. Schulze, Die mehrst.
M. im friihprotestantischen Gottesdienst, = Kieler Beitr.
zur Mw. VIII, Wolfenbiittel 1940; A. A. Dimpfl, Die Pa-
storalm., Diss. Erlangen 1945, maschr. ; A. Piovesan, La
messa nella musica dalle origini al nostro tempo, Turin
1949; A. Fortescue, The Mass . . ., NY 1950; R. B. Le-
naerts, The 16 lll -Cent. Parody Mass in the Netherlands,
MQ XXXVI, 1950; W. Lipphardt, Die Gesch. d. mehrst.
Proprium Missae, Heidelberg 1950; H. Harder, Die M. v.
Toulouse, MD VII, 1953; dies. (Stablein-Harder), Four-
teenth-Cent. Mass Music in France, = MSD VII, Rom
1962; Thr. G. Georoiades, Musik u. Sprache. Das Wer-
den d. abendlandischen Musik, dargestellt an d. Vertonung
d. M., = Verstandliche Wiss. L, Bin, Gottingen u. Heidel-
berg 1954; L. Schrade, A 14 lll -Cent. Parody Mass, AMI
XXVII, 1955 ; ders., The Cycle of the Ordinarium Missae,
in: In memoriam J. Handschin, StraBburg 1962; R. Jack-
son, Mus. Interrelations Between Fourteenth Cent. Mass
Movements, AMI XXIX, 1 957 ; E. B. Warren, The Masses
of Fayrfax, MD XII, 1958; J. A. Junomann SJ, Missarum
Sollemnia, 2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962;
A. Adrio, Die Komposition d. Ordinarium Missae in d.
ev. Kirchenmusik d. Gegenwart, Fs. Fr. Blume, Kassel
1963 ; N. Maurice-Denis-Boulet, Allgemeine Einfiihrung
in d. Liturgie d. M., in: Hdb. d. Liturgiewiss. I, hrsg. v.
A.-G. Martimort, Freiburg i. Br., Basel u. Wien (1963);
E. Sparks, C. f. in the Mass and Motet, 1420-1 520, Berke-
ley u. Los Angeles 1963 ; K. v. Fischer, Neue Quellen zum
einst. Ordinariumszyklus d. 14. u. 15. Jh. aus Italien, in:
Liber Amicorum, Fs. Ch. Van den Borren, Antwerpen
1964; R. Hoppin, Reflections on the Origin of the Cyclic
Mass, ebenda; Ph. Gossett, Techniques of Unification in
Early Cyclic Masses and Mass Pairs, JAMS XIX, 1966.
Metabasis (griech. ; lat. transgressio, das Oberschrei-
ten), in der Kompositionslehre des 18. Jh. (Vogt 1719,
SpieB 1745) eine musikalische Figur, die offenbar in
Analogie zu ihrer Bedeutung in der Rhetorik (Wechsel
der Anrede, des Gegenstandes, Themas) verstanden
wird als das wechselseitige Sich-Ubersteigen zweier
oder mehrerer Stimmen.
Metabole (griech. uxrapoXr), Veranderung), in der
griechischen Musiktheorie Bezeichnung des Wechsels,
des Ubergangs. Rhythmisch wurden zwei Arten der
M. unterschieden (Tempo, VersfuB), »harmonisch«
vier (Tongeschlecht, System, Tonart, Melopoie; bis-
weilen auch Stimmlage und Ethos). Martianus Capella
iibersetzt m. mit transitus (§ 964) und Remi d'Auxerres
verdeutlicht diese Ubersetzung durch permutatio,
commutatio (GS I, 78b). -> Mutation (- 2).
Lit. : W. Vetter, Artikel M. in : Pauly-Wissowa RE XXX,
1932, Sp. 1313-16.
Metalepsis (griech., Vertauschung), in der Kompo-
sitionslehre des 17. Jh. eine auf die Musik ubertragene
Bezeichnung einer rhetorischen Figur. Die rhetorische
M. ist gegeben, wenn das Folgende nur in Verbindung
mit dem Vorausgegangenen zu verstehen ist (oder um-
gekehrt). In dem von Burmeister (Musica poetica, 1606)
angefiihrten 5st. Beispiel (Lassus, GA VII, S. 38) wer-
den zu Beginn die Worte De ore prudentis von nur 3
Stimmen, anschlieBend die folgenden Worte procedit
mel von alien Stimmen imitierend vorgetragen, so daB
2 Stimmen textlich nur aus den vorausgegangenen
anderen Stimmen zu verstehen sind. Burmeisters Er-
klarung nimmt jedoch nicht auf die genannte Bedeu-
tung der rhetorischen M. Bezug, sondern beschreibt
sie als Fuga mit 2 Soggetti.
Metallophon, - 1) instrumentenkundliche Gattungs-
bezeichnung fur ein -> Idiophon aus Metall (z. B.
Klappern, Becken, Gong, Triangel, Glocke, Celesta
u. a.). M.e sind wesentlicher Bestandteil der verschie-
denen indonesischen Gamelanarten (Bonang, Gender,
Gong) ; - 2) im engeren Sinne Sammelbegriff f iir Me-
tallstab- oder Stahl(platten)spiele, die in ihrer Form auf
das xylophonahnliche Glockenspiel zuriickgehen. Im
modernen Schlagzeug ist das M. ein in der Form dem
Vibraphon ahnliches Instrument (mit Resonanzrohren,
jedoch ohne Vibrato vorrichtung).
Metamorphosen (griech., Verwandlungen), Titel
eines Zyklus von Fabeln des romischen Dichters Ovid,
deren Inhalt Dittersdorf 12 Symphonien (1785) als li-
terarisches Programm zugrunde legte. Dagegen deu-
tet Hindemith mit dem Titel Sinfonische M. tiber The-
men von C. M. v. Weber (1943) an, daB er das themati-
sche Material in »verwandelter« Gestalt ubemimmt, im
Unterschied zur traditionellen Technik der Variation
uber vorgegebene Themen. Ahnlich, auf die themati-
sche Verarbeitung bezogen, gebraucht auch R. Strauss
(1946) die Bezeichnung M. als Werktitel.
Lit. : W. Brennecke, Die M.-Werke v. R. Strauss u. P.
Hindemith, in : H. Albrecht in memoriam, Kassel 1962.
Metrik (von griech. [texv?]] (/.erpixY) iiber lat. [ars] me-
trica), - 1) Verslehre (-»■ Metrum - 1). - 2) Musikalische
M. ist die Lehre vom ZusammenschluB gleichgroBer
Zeitteile (Zahlzeiten, Takte) zu musikalisch relevanten
Einheiten hoherer Ordnung (-> Takt, -*■ Metrum - 3).
Metronom (Neubildung aus griech. uixpov, hier
s. v. w. Takt, und v6u,oc;, Gesetz, Regel), als Wort und
Sache belegt seit E. Loulie 1696, in der heute verbreite-
ten Konstruktion ein 1816 von J.N. -»• Malzel (Metro-
nom Malzel, Abk. : M. M.) in Paris zum. Patent ange-
meldetes Uhrwerk, das ein aufrechtstehendes Pendel
mit verschiebbarem Gewicht antreibt. Auf einer Skala
kann das Pendel fur 40 bis 208 Schlage in der Minute
eingestellt werden. Der Ausschlag ist sichtbar und hor-
bar; das Gehause wirkt als Resonator. Manche M.e
haben ein Lautewerk, das zu bestimmten Takten, dem
2., 3. oder auch 6. und 8., einen Glockenschlag gibt. Das
M. dient zur Festlegung des Tempos, in dem der Kom-
ponist, Herausgeber oder Spieler das Werk ausgefiihrt
wissen will, wobei angegeben wird, auf welchen No-
tenwert sich die Angabebezieht (z. B. M.M. J = 120).
Haufig wird das M. dazu verwendet, den Spieler zum
genauen Einhalten des Tempos zu erziehen, wie es
schon Mace 1676 mit einem Fadenpendel erreichen
wollte. Angaben in M.M. gab als erster Beethoven in
einigen seiner spaten Werke (Sonate op. 106, 9. Sym-
phonic). Spater verwendeten das M. u. a. Schumann,
Reger, Debussy, Ravel, Strawinsky. Brahms und
Wagner sprachen sich gegen das M. aus. Reger (Fuge
D dur op. 59; Fuge B-A-C-H op. 46) und Pepping
(Toccata Mitten wir im Leben sind) haben versucht, mit
M.-Zahlen Hinweise fur die Agogik zu geben. M.e
verschiedener Konstruktion erfanden vor Malzel u. a. :
J.Sauveur (1701), J. G. E. Stockel (1796), G.Weber
(1813). Moderne Ausfuhrungen sind das Taschenuhr-
M., das Blink-M. und elektrische M.e. Ein Musikchro-
nometer, besonders f iir die Kombination von Biihnen-
und Filmszenen, konstruierte 1926 C.R.Blum.
Lit. : Th. Mace, Musick's Monument, London 1676, Faks.
Paris 1958; E. Loulie, Elements ou principes de musique
. . . , Paris 1696; G. Weber, Ueber chronometrische Tem-
pobezeichnung, Mainz 1817; O. Baensch, Zur neunten
Symphonie, Neues Beethoven-Jb. II, 1925; C. R. Blum,
Das Musik-Chronometer . . ., Lpz. 1926; E. Borrel, Les
indications metronomiques laissees par les auteurs frc. du
XVIP et XVIII" s., Rev. de Musicol. XII, 1928; R. Kirk-
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Tempi, Beethoven-Jb. HI, 1955/56; W. Gerstenberg, Au-
thentische Tempi f . Mozarts »Don Giovanni« ?, Mozart-
Jb. 1960/61 ; D. Kamper, Zur Frage d. Metronombezeich-
nungen R. Schumanns, AfMwXXI, 1964.
567
Metrum
Metrum (latinisierte Form von griech. uiTpov, MaG).
- 1) M. als Terminus der Verslehre wird in verschiede-
nem Sinne gebraucht. Heute ist unter M. gewohnlich
die einem Vers als ganzem zugrunde liegende Versf orm
zu verstehen (-> VersmaBe). Die altesten, aus dem 5. Jh.
v. Chr. stammenden metrischen Fachausdriicke (z. B.
Hexameter, Trimeter) zeigen jedoch, daB die Wortbe-
deutung urspriinglich spezieller und zugleich pragnan-
ter war: M. meinte die sich durch innere Responsion
(mehrfache Wiederkehr im Vers) als feste quantitats-
rhythmische Gestalt heraushebende MaBeinheit (im He-
xameter das daktylische M. -*-TO, im Trimeter das
iambische M. v7 - ^ -) . Basis dieser Verskunst bildete die
der griechischen Sprache eigentiimliche »musikalische«
Beschaffenheit (->■ Griechische Musik, -*■ Quantitat,
-»• Prosodie - 1 ) . Anfangs wurde nur eine bestimmte Art
vonVersen, die heute Sprechverse heiBen, auf Metra zu-
ruckgefiihrt (auBer den beiden genannten noch Penta-
meter und Tetrameter), wahrend die meist komplizier-
teren iibrigen Versarten, nach moderner Terminologie
die Sing verse, zu den pu$-u.ot (Rhythmen) rechneten.
Erst in hellenistischer Zeit kam es zur Einbeziehung der
Singverse in die metrische Betrachtungsweise. Die von
Aristoxenos eingefiihrte begrifEliche Scheidung zwi-
schen Rhythmus und rhythmisiertem Stoff trug ihrer-
seits dazu bei, daB sich eine von der Rhythmuslehre ge-
trennte Verslehre, die Metrik, bildete. Im Zusammen-
hang mit dem Versuch, vormals an Tanz gebundene
Singverse zu zergliedern, wurde dann die Lehre von den
VersfiiBen, die bei Aristoxenos (»Rhythmik-Fragmen-
te«) bereits faBbar wird, systematisch ausgearbeitet. Den
iiberlieferten metrischen Theorien gegeniiber (Hephai-
stion mit Kommentaren, Aristeides Quintilianus I, 20-
29, metrische Scholien zu Dichtertexten u. a.) ist jedoch
Vorsicht geboten, da sie vielfach nicht auf der Einsicht
in die urspriinglichen Sachverhalte beruhen. Wie die
romischen Dichter im Versbau, so versuchten auch die
romischenMetriker (u. a. M. Victorinus, CaesiusBassus,
Terentianus Maurus, Augustinus mit De musica) in der
Theorie weitgehend griechischen Vorbildern zu folgen
(trotz der Andersartigkeit des Lateins; -> Akzent - 1). -
Der Unterschied zwischen langen und kurzen Silben ist
in der antiken Quantitatsmetrik auf das rationale Ver-
haltnis von 2zeitiger Lange (-) und lzeitiger Kiirze (^)
festgelegt (ausnahmsweise konnte die Lange auch an-
derthalbzeitig sein). Die Abfolge dieser Elemente war
streng geregelt, wobei in bestimmten Fallen Austausch
der Elemente eintreten konnte (z. B.^w; oder elemen-
tum anceps, notiert ^, ^ oder x).
Von den 28 VersfiiBen der spatantiken Theorie seien als
wichtigste genannt:
3zeitig ^ - Iambus
- y Trochaeus
4zeitig w^ - Anapaest
- ^ ^ Dactylus
- Spondeus
5zeitig ^ — Baccheus
- ~ - Creticus
6zeitig ^y — Ionicus (a minore)
- ^ ^ - Choriambus
AuBer Iambus, Trochaeus und Anapaest, diejeweils erst
als DoppelfuB ein M. fiillen, kann jeder VersfuB als M.
aufgefaBt werden. Fallt ein Verseinschnitt (Wortende)
in das Innere eines VersfuBes, wird dies als Zasur be-
zeichnet, trifft er hingegen mit dem Ende eines Vers-
fuBes zusammen, wird von Diarese gesprochen. Ein
VersmaB, das sich nicht ohne weiteres in VersfiiBe zer-
legen lafit, wird seit spathellenistischer Zeit meist nach
Dichtern benannt (z. B.-U-^v-u- hieB x6 rXoxco-
vsiov, lat. m. Glyconeum oder [versus] Glyconeus, nach
den VersmaBen eines Dichters Glykon). In der An-
tike gab es zwei verschiedene Theorien der Metrik.
Die eine ging von der Annahme einer begrenzten Zahl
von Grundmetra aus (metra prototypa oder physica),
wahrend die andere alle Metra vom Hexameter und
vom iambischen Trimeter ableitete (Derivationstheo-
rie). - Neben dem quantitierenden Versprinzip, das in
der gelehrten Dichtung des Mittelalters und der Neuzeit
weiterlebt, setzte sich, ausgehend von der christlichen
Hymnendichtung, ein Versprinzip durch, das teils auf
der Unterscheidung betonter und unbetonter Silben,
teils auf der Silbenzahlung beruhte. Im Zusammenhang
damit trat erstmals der -*■ Reim auf. Quantitierende
Verse hieBen im Mittelalter metra, nichtquantitierende
dagegen seit Beda (f 735) rythmi (volkssprachlich rime,
rim ist seit dem 12. Jh. belegt), aber auch prosa. Im Mit-
telalter finden sich lediglich Ansatze zu einer Lehre vom
rhythmischen Versbau (z. B. Dante, De vulgari eloquen-
tia, um 1308; A. da Tempo, Summa artis rytmici vulgaris
dktaminis, 1332; E.Deschamps, L'art de dictier et defere
chatifuns, 2. Halfte des 14. Jh.). Erst seit dem Humanis-
mus, mit dem die Zeit volkssprachlicher Nachbildungen
antiker Vers- und Strophenformen begann (u. a. Ode,
Vers mesures) , kam es zur Ausbildung volkssprachlicher
Verslehren, bis zum 19. Jh. allerdings in oft allzu enger
Anlehnung an die antike Metrik. Von den aus dieser An-
lehnung erwachsenen MiBverstandnissen sind beson-
ders hervorzuheben: die falschliche Gleichsetzung von
neuzeitlicher Versbetonung mit antiker Lange (darauf
beruht einerseits die Umdeutung quantitierender in ak-
zentuierende Vers- und Strophenformen, andererseits
der akzentuierende Vortrag quantitierender Verse, und
zwar nicht nach den Wort-, sondern nach den hypothe-
tischen Versakzenten, den Versikten) sowie die unsach-
gemaBe musikalische Auslegung antiker und neuzeit-
licher Versrhythmen (im Fall der Antike durch Anwen-
dung des neuzeitlichen Taktbegriff s, im Fall der Neuzeit
durch einseitige Festlegung irrationaler sprachlicher auf
rationale musikalische Rhythmen) . Die Umdeutung der
metrischen Begriffe -> Arsis und Thesis geht auf die
Spatantike zuriick.
- 2) M. bezeichnet auch die als »Mittelkadenz« ge-
brauchliche melodische Interpunktionsformel der latei-
nischen liturgischen Rezitationsgesange (Psalmodie,
Oration, Lektion, Praf ation ; -> Toni communes ; Bei-
spiel: -> Melodie), als Terminus in dieser Bedeutung be-
legt wohl seit Guy d'Eu (12. Jh., CS II, 179ff .).
- 3) Innerhalb der auf dem Taktprinzip beruhenden Mu-
sik versteht man unter M. im allgemeinen eine auf qua-
litativer Abstufung gleichgroBer Zeitteile beruhende,
musikalisch wirksame Ordnung oder MaBeinheit. Pro-
totyp eines metrischen Ordnungsgef iiges ist der ->■ Takt
als derZusammenschluB von2-4 wirklichenZahlzeiten.
Dariiber hinaus konnen Unterteilungswerte von Zahl-
zeiten oder auch Taktgruppen 2-, 3-(oder 4-)teilige
metrische Ordnungen bilden. Die Frage nach den
Grundlagen und Prinzipien solcher Ordnungsgefiige
gehort zu den meist umstrittenen der Theorie und bildet ein
Kernproblem der Analyse (G. Becking). Insbesondere
besteht keine Einigung dariiber, ob und wie weit es
sich um eine Akzent- (M. Hauptmann, Th. Wiehmayer
u. a.) oder aber eine Gewichtsabstufung handelt (Rie-
mann), und ob solche Abstufungen ideell oder effektiv
aufzufassen sind. Die Art des Zusammenhangs metri-
scher Bildungen mit anderen musikalischen Faktoren
wie -> Rhythmus, -> Tempo, harmonischem und mo-
tivisch-melodischem Verlauf, -> Dynamik (- 1) wird
verschieden beurteilt. Dagegen ist ein EinfluB von sei-
ten des Tanzes und von orchestischen Vorstellungen
(Korrespondenz, Symmetrie) historisch nachweisbar
(->■ Tanz). - Nachdem die Metrik in der Spatantike als
Teilgebiet der Ars -> Musica aufgefaBt und auBer in
568
Metrum
grammatischenauchinmusiktheoretischenSchriftenbe-
handelt wurde (Aristeides Quintilianus, Augustinus) , hat
die mittelalterliche Musiktheorie immer wieder auf die
iiberlieferten metrischen Lehren zuriickgegriffen, um
musikalische Sachverhalte zu verdeutlichen (u. a. Guido,
Micrologus XV; auch die spate Modaltheorie, -> Mo-
dus - 2). Metrische und musikalische Begriffe verban-
den sich in der Renaissance in derWeise, daB die antiken
VersfiiBe mit den an die Schlagzeit gebundenen rhyth-
mischen Elementarbildungen der Musik koordiniert er-
scheinen. So setzte etwa Fr. Salinas (1577) die VersfiiBe
zu Arsis und Thesis im Sinne von Sublatio und Positio
manus in Beziehung (andererseits gab es unter den me-
trischen Odenkompositionen aber auch solche, die sich
nicht ohne weiteres der Schlagzeit unterordnen lassen;
ahnlich sind auch viele protestantische Kirchenlieder
metrisch-rhythmisch »frei« gestaltet). RhythmischeEle-
mentargebilde in der Musik wurden fortan haufig als
Ton- bzw. KlangfuBe angesprochen, wahrend M. all-
mahlich mit dem damaligen Begriff des Taktes gleich-
gesetzt wurde (BrossardD, 1703: Metron. Terme Grec,
en Latin Tactus, ou Mensura, en Italien Battuta, ou Tatto,
en AUemand Tact, en Francois Mesure). In Richtung auf
die qualitative Unterscheidung der Schlag- und Zahl-
zeitenzielteiml7. undl8.Jh. der Begriff der Quantitas
notarum intrinseca (quantitas accentualis), der bei Wal-
therL damit erklart wird, daB sich auBerlich gleichwer-
tige Noten innerlich durch ihre Stellung im Takt unter-
scheiden, da der ungerade Tact-Theil lang, und der gerade
Tact- Theil kurtz ist. Am Begriff der inner(lich)en Quan-
titat hielt etwa noch J. A. P. Schulz fest (Artikel Tact in
Sulzers Allgemeiner Theorie der Schonen Kiinste), doch
prazisierte er, daB es sich um die Takttheile in Absicht
ihres verschiedenen Gewichts und der darauf zu legenden
Accente handelt, veranschaulicht u. a. durch folgendes
Beispiel(4/4-Takt):
'P P P P P P P P T
Er, der al-les ord-net und er - halt.
Bei H.Chr.Koch (1802) ist schlieBlich fur den Begriff
des TonfuBes weniger das quantitative Verhaltnis der
Tone zueinander als die Stellung zum M. (welches man
auch das Taktgewicht nennet) entscheidend, wie zumal das
letzte der 4 Trochausbeispiele zeigt:
- \J — VJ — w
J.Ph.Kirnberger hatte dariiber hinaus beobachtet, daB
es im 2- wie im 3zeitigen Takt Melodien gibt, in denen
offenbar ganze Tackte wechselweise von schwerem und leich-
tem Gewichte sind, so dafi man einenganzen Tackt nur wie
eine Zeitfiihlet; daher miissen nothwendig zwey Tackte zu-
sammen genommen werden, um nur einen auszumachen, des-
sen erster Theil lang, der andere kurz ist (Kunst des reinen
Satzes II, 1774, S. 131). Doch seien solche zusammenge-
setzten Tacktarten (z. B. 4/4 aus 2x2/4, oder 6/8 aus
2 x 3/8) musikalisch nicht identisch mit den einfachen,ge-
wdhnlichen gleicher Vorzeichnung, dajene mit der zwei-
ten Takthalf te, diese aber mit dem Taktanf ang schlieBen.
Nach G.Weber unterscheiden sich die Takte, riicksicht-
lich ihres grofieren oder geringeren inneren Gewichtes, eben
so von einander, wie die Takttheile unter sich ;d.h.es heben
sich schwere Takte vor leichteren heraus (Theorie der Ton-
setzkunstl,n&24,SA03).
M. Hauptmann, der Begriinder der modernen musika-
lischen Metrik, hat erstmals die Frage nach den Prinzi-
pien metrischer Bildungen gestellt und zu beantworten
versucht. Von der kleinsten metrischen Einheit, dem
2teiligen M., in dem er eine Art metrischer Urform
sieht, werden die grofieren dialektisch abgeleitet: im
3teiligen M. tritt dem ersten ein zweites Paar gegeniiber
(Antithese), im 4teiligen ist iiber die Antithese hinaus
die hochste Bestimmtheit und zugleich Geschlossenheit
erreicht (Synthese). Mehr als 4teilige Bildungen ent-
stehen aus den 3 Gmndmetra entweder durch Multipli-
kation mit den Zahlen 2 bis 4 (von 2 x 2 bis 4 x 4) oder
aber durch bloBe Addition der Grundmetra (2+3, 3+4
u. a.). Addierende Grundformen konnen jedoch auch
metrische Einheiten hoherer Ordnung bilden, z. B.
(2 + 3) x 4. Im 2teiligen M. hat das Erste gegen sein Zwei-
tes die Energie des Anfangs und damit den metrischen Accent.
Die Folge betont-unbetont wird als »metrisch-positiv«
bezeichnet (durch Zahlen symbolisch ausgedriickt : 1-2),
im Unterschied zur »metrisch-negativen« Folge unbe-
tont-betont (2-1). Aus der Kombination der Akzente
verschiedener Ordnungen ergeben sich qualitative Un-
terschiede, etwa des doppelt-2zeitigen gegeniiber dem
4zeitieen M. :
° . 1-2
r r f f " <^x5^>
I I I I 1-21-2
r r r r
Hauptmann erkannte, daB eine »metrisch-positive« Rei-
he (1-21-2.. .) von sich aus zu keinem Ende kommen
kann, da die unbetonte Zeit (2) keine Schlufikraft be-
sitzt ; in diesem Fall sei nur ein »rhythmischer Schlufi«
moglich, der durch die rhythmische Zusammenfassung
2-1 herbeigefiihrt wird:
metrisch: 1-2 1-2 l[-2]
rhythmisch: 2-1 2-1
In einer »metrisch-negativen« Reihe (2-1 2-1 . . .) gibt
es diese Schwierigkeit nicht.
DaB H.Riemann die »metrisch-positive« Ordnung ver-
warf und die »metrisch-negative« als die musikalisch
einzig berechtigte ansah, erklart sich aus seiner umfas-
senden, die Auftaktigkeit (-> Auftakt) zum musikali-
schen Grundprinzip erhebenden Gesamtkonzeption (in
welcher man heute allerdings gewisse zeitbedingte Ziige
kaum verkennen wird, etwa die Abhangigkeit vom ein-
seitig harmonischen Dynamismus in der deutschen spat-
romantischen Musik). Die zugleich als Lehre von den
Symmetrien (-> Symmetrie) und vom Periodenbau
(->■ Periode) ausgebildete metrische Lehre Riemanns
geht von der kleinsten metrischen (zugleich symmetri-
schen) Einheit aus, dem nach dem Prinzip von Aufstel-
lung und Antwort gebauten, aus der Folge leicht-schwer
bestehenden auftaktigen Motiv (J | J). Nach dem glei-
chen Prinzip sind die hbheren metrischen (symmetri-
schen) Einheiten gebildet: Taktgruppe, Halbsatz und
Periode. Jede dieser Einheiten hat eine feste metrische
Ordnung, wobei sich die Gewichte mit zunehmender
Ausdehnung potenzieren und dadurch eine Steigerung
der SchluBkraf t bewirken. Die Gewichte haben zugleich
gliedernde Bedeutung (->■ Phrasierung). Daher ergibt
sich etwa folgendes Schema vom motivischen, metri-
schen und symmetrischen Aufbau einer normalen 8tak-
tigen Periode :
Taktgruppe
Jlj'j U"J U'J U^ U'J IJ'JU'JIJ
(1)- (2)= (3)" (4)= (5)- (6)= (7)- (8) B
Takt , ^_
Vordersatz
Nachsatz
Periode
Jede Taktzahl hat hier eine bestimmte metrische Bedeu-
tung. Abweichungen von diesem als »normatives
569
Metrum
Grundschema« aller musikalischen Satzbildung aufge-
faBten Periodenbegrifi versteht Riemann als Storungen
des symmetrischen Aufbaus (die Kunst der Meister zeigt
sich . . . gerade in der Durchbrechung soldier starren Regel-
mafiigkeit durch motivierte und als solche sofort verstdndliche
Abweichungen). Als solche sind besonders zu nennen:
a) Anfang ex abrupto, wenn ein Stuck nicht mit dem
ersten Takt des Grundschemas beginnt; b) zu Dehnun-
gen des Schemas fiihrende Einschaltungen (gekenn-
zeichnet durch Buchstaben hinter der Taktzahl, z. B.
6a) ; c) zu Erweiterungen des Schemas fiihrende An-
hange, entweder als Uberbietung der SchluBwirkung
durch gesteigerte Nachbildung des letzten Gliedes der
Symmetrie oder als SchluBbestatigung(en) (gekenn-
zeichnet durch 8a, 8b, 8c usw.) ; d) Takttriolen (Triolen-
bildung aus ganzen Takten, wobei zwei leichte Takte
einander f olgen) ; e) Auslassungen, Elisionen als Uber-
springen eines Taktes (meist des leichten ersten Taktes
eines Halbsatzes; daher stoBen dann 2 schwere Takte
auf einander) ; f) ein Sonderfall der Auslassung ist die
-*■ Verschrankung von 2 Perioden (Umdeutung eines
schweren Taktes zum leichten Takt, z. B. 8 = 1). Ferner
geht auf Riemann der Begriff der ->• Polymetrik zuriick.
Th.Wiehmayers Bemiihen war darauf gerichtet, von
Riemanns Auftakttheorie loszukommen und eine Me-
trik auf der Basis von Hauptmanns Grundthesen (»me-
trisch-positive« Ordnung, Akzentabstufung) zu ent-
wickeln. Gegen Riemanns und besonders E.Tetzels
taktmetrische Umdeutung ganzer Stucke (Taktstrich-
versetzung) wurde vielfachEinspruch erhoben; ein Son-
derproblem ist Mozarts nachtragliche Taktstrichver-
setzung im Autograph des Duetts Bei Mannern aus der
Zauberflote (vgl. dazu schon M. Hauptmanns Briefe an
Hauser II, 1871, S. 169). Aus der unterschiedlichen Nu-
ancierung der taktmetrischen Gewichte bei verschiede-
nen Meistern zieht G. Becking Riickschlusse auf typolo-
gische Grundhaltungen (->■ Typologie). R. Steglich un-
terscheidet innerhalb der reinen (absoluten) Taktquali-
tat »gleichwellige« und »ungleichwellige« Gewichtsver-
haltnisse. DieEigenart des antiken wie auch des neuzeit-
lichen M.-Begriffs arbeitet Thr. G. Georgiades (1949)
heraus durch Gegenuberstellung der Begriffe »erfiillte
Zeit« und »leere Zeit«. Ausgehend von der Unterschei-
dung zweierSatzstrukturen, einerharmonisch-metrisch
schlieBenden und einer zumEnde metrischer Taktgrup-
pen hin harmonisch fortgesetzt sich offnenden, halt
Georgiades (1967) zwei einander gegensatzliche, als
Periodenbau und Gerustbau bezeichnete Satzprinzipe
auseinander. - AuBerhalb der taktgebundenen Musik
werden die Termini M. und metrisch meist in weiterem
Sinne verwendet, etwa zur Kennzeichnung von rhyth-
mischen Ordnungsgef tigen, die nicht als Taktordnung
bezeichnet werden konnen, z. B. in der Modal- und
Mensuralmusik so wie im Jazz, aber auch sonst in auBer-
europaischer Musik.
Lit. : zu 3) : M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d.
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XV, 1963.
mezza manica (m'eddza m'a:nika, ital., manica,
Armel), in der Applikatur (->■ Fingersatz) der Streichin-
strumente die verminderte erste, halbe Position (— >• La-
ge - 3) der Hand.
mezza voce (m'eddza v'o:tfe, ital., mit halberStim-
me; Abk. : m. v.), Vortragsanweisung in Gesangs-,
hauptsachlich Opernpartien, bedeutet: mit verhalte-
570
ner Stimme, in der Sprechtonstimme (nicht voll aus-
gesungen) vorzutragen; damit ist eine mehr oder min-
der starke Veranderung der Klangfarbe verbunden.
Der Anweisung m. v. entspricht im Sprechtheater das
»beiseite gesprochen«; m. v. ist daher nicht gleichbe-
deutend mit piano und verlangt deutliche und ver-
standliche Artikulation. - Die Vorschrift m. v. begeg-
net auch fur Streichinstrumente (z. B. Haydn, Hob. Ill,
26, 3. Satz) und ist, ahnlich wie ->■ sotto voce, eine An-
weisung, mit gedampf tem Klang, aber ohne Dampfer
zu spielen.
mezzo (m'eddzo, ital.), in Zusammensetzungen s. v. w.
halb-, mittel-; mezzoforte (Abk. : mf) ->• forte, mezzo-
piano (Abk. : mp) -» piano. -*■ mezza manica, -> mezza
voce (Abk. : m. v.), -»■ mezzolegato, -»■ Mezzosopran.
mezzolegato (meddzoleg'a:to, ital., halbgebunden),
brillante Anschlagsart beim Klavierspiel, wie ->■ leg-
giero ein Herabschnellen der Finger ohne Druck, doch
ohne das schnelle Zuruckspringen des leggiero-An-
schlags, daher starker gebunden; m. wird in Italien
auch legatostaccato genannt.
Mezzosopran (von ital. mezzo soprano; frz. bas-
dessus), eine weibliche Sopranstimme, die sich gegen-
iiber dem -»■ Sopran (- 2) vor allem durch dunkleres
Timbre, durch einen meist tieferen Stimmumfang (im
allgemeinen etwa g-b 2 ) und durch einen weitergespann-
ten Bereich des Brustregisters abhebt. Eine typische
M.-Partie ist die Titelrolle in Carmen. In der Biih-
nenpraxis ergeben sich jedoch je nach den vorhan-
denen Kraften oft Uberschneidungen in der Vertei-
lung der Rollenfacher zwischen dramatischem So-
pran, M. und Alt (Eboli in Don Carlos, Octavian in
Der Rosenkavalier). Besonders giinstig sind die Quali-
taten der M.-Stimme fiir den Liedvortrag. - M.-
Schliissel wird der c-Schliissel auf der 2. Linie (von un-
ten) genannt.
mf, Abk. fiir mezzoforte (-»■ forte).
Mi, in der mittelalterlichen ->■ Solmisation die 3. Silbe
des Hexachords (im Sinne von e, a oder h) ; in romani-
schen Sprachen Name fiir E. Der Merksatz in der mit-
telalterlichen Theorie, Mi contra Fa, diabolus in musica
(»Mi gegen Fa, der Teufel in der Musik«), erklart sich
aus der Zweideutigkeit der Tonstufe bfa/bmi, die im
Zusammenhang mit dem Mi oder Fa eines anderen
Hexachords nach der Aussage von Tinctoris (CS IV,
146a) zu »falschen Konkordanzen«, meist zum -> Tri-
tonus (bmi-f fa, emi-bfa) fiihrt. Nach J. de Muris (CS
III, 71b) wurden diese Dissonanzen in der -»■ Musi-
ca ficta durch Vorzeichnung von \> oder \ vermieden.
- In der barocken Musiklehre bezeichnet Mi contra
Fa die Relatio non harmonica, den unharmonischen
-> Querstand.
Mikrobar (Abk. : fib) ist die Einheit des ->■ Schall-
drucks. 1 Bar entspricht etwa dem Druck einer At-
mosphare (lAtm= 1,013 Bar); 1 |xb ist der millionste
Teil von 1 Bar (1 ub = 0,000001 Bar). Im Vergleich zu
der auf der Erdoberflache lastenden Luftmasse, deren
Druck in Millibar gemessen wird (1 mb = '/looo Bar),
reichen die Druckmessungen der Luftschwingungen,
die vom menschlichen Ohr gerade noch wahrgenom-
men werden, bis zu 0,0002 jib = 2- 10- 10 Bar.
Mikronesien -> Ozeanien.
Mikrophon ist als primarer -*■ Schallwandler ein Ge-
rat zur Umwandlung von Schallschwingungen in kon-
forme elektrische Wechselspannungen. Je nach ihrer
prinzipiellen Bauweise werden elektrostatische, -dyna-
mische, -magnetischc und piezoelektrische M.e unter-
Mikrophon
schieden. Zur Charakterisierung der Ubertragungsei-
genschaften von M.en dient in erster Linie das Uber-
tragungsmaB (Empfindlichkeit) it, das angibt, wieviel
Spannung (in mV) ein M. bei dem Schalldruck von
1 (j.b abgibt, sowie die Frequenzkurve, die das Ubertra-
gungsmaB als Funktion der Frequenz darstellt, und die
Richtcharakteristik.ElektrostatischeM.e(w fw 1 mV/(xb)
bestehen im wesentlichen aus einem Kondensator, (les-
sen eine Elektrode als straff gespannte diinne Kunst-
stoffmembran mit aufgedampfter Metallflache ausge-
bildet ist. In geringem Abstand von ihr befindet sich
eine feste Elektrode, die iiber einen hochohmigen
Widerstand auf etwa 100 Volt aufgeladen ist. Die
->■ Membran biegt sich im Rhythmus der auftreffen-
den Schallwellen mehr oder weniger durch und veran-
dert damit die Kapazitat des Systems; dabei kommt es
am Aufladewiderstand zu Spannungsanderungen, die
in den angeschalteten Verstarkern vergroCert werden.
IHh
-ozum Gilter
rfes I Ifcrs/a/tors
Schaltung eines Kondensator-M.s.
Da dieEigenfrequenz der Membran an die obere Gren-
ze des Ubertragungsbereich.es gelegt wird und die
-> Dampfung des Systems sehr hoch ist, ergibt sich ei-
ne auBerordentlich gleichmaBige Ubertragung im Hor-
bereich. Aus diesen Griinden eignet sich das Konden-
sator-M. fiir hochwertige musikalische Ubertragun-
gen. - Beim elektrodynamischen M. (ii m 0,1 rnV/^ib)
ist an der elastisch gehalterten Empfangsmembran eine
kleine Spule befestigt, die im Ringspalt eines kraftigen
Magneten schwingt. Sie taucht bei Schalleinwirkung
mehr oder weniger tief in das Magnetf eld ein, wodurch
Wechselstrome induziert werden, die durch einen
Ubertrager auf den Eingang des nachfolgenden Ver-
starkers gegeben werden. Diese M.e werden wegen
ihres widerstandsfahigen Aufbaus und der Moglich-
keit, das M. direkt iiber lange Kabel an den Vorver-
starker anzuschlieBen, zu Reportagen, auch im Freien,
benutzt. -Elektromagnetische M.e werden seltener ge-
braucht. Ihre Frequenzkurve hat meist nicht die Aus-
geglichenheit der beiden obengenannten M.e. - Das
Prinzip piezoelektrischer M.e (ii «* 0,2 rnV/jib) be-
ruht auf der Eigenschaft mancher Kristalle, bei Ver-
formung Spannung abzugeben. Meist werden zwei
Zellen miteinander kombiniert und von einer Mem-
bran gesteuert. Ihre Frequenzkurve kann iiber den
ganzen Frequenzbereich ziemlich gleichmaBig ausge-
bildet werden und zeigt nur einige geringe Maxima
und Minima.
M.e haben auf Grund ihrer Wirkungsweise die Eigen-
schaft, die Intensitat eines Schalles richtungsabhangig
zu registrieren. Grundsatzlich lassen sich zwei Typen
unterscheiden : Druckempf anger und Schnelleempf an-
ger. Im Druckempf anger wird die M.-Kapsel durch die
Membran luftdicht abgeschlossen, so daB die Druck-
schwankungen der umgebenden Luft registriert wer-
den. Da Druckschwankungen ungerichtet sind, ist ein
solches M. fiir jeden Schall, mit Ausnahme hoher Fre-
quenz (Schattenwirkung), unabhangig von der Ein-
fallsrichtung, etwa gleich empfindlich. Es besitzt »Ku-
gel-Charakteristik«, d. h. alle Schallquellen gleicher In-
tensitat, die im M. gleichstarke Wechselspannungen
erzeugen, liegen auf einer Kugeloberflache um das
M. (die folgenden Abbildungen nach H. Husmann):
571
Mikrophon
Wird die Riickseite der M.-Kapsel durchlochert, ent-
steht ein Schnelleempfanger, der nicht mehr Druck-
schwankungen, sondern Druckdifferenzen der von
vorn und hinten mit einer kleinen zeitlichen Verzo-
gerung auftreffenden Schallwellen registriert. Diese
Druckdifferenzen sind der Schallschnelle (->■ Schall)
proportional. Da sich die Luftteilchen vorwiegend in
der Ausbreitungsrichtung des Schalles hin und her be-
wegen (-»■ Wellen), ist der Schnelleempfanger fur
Schalle, die senkrecht von vorn oder hinten auf das M.
treffen, am empfindlichsten. Schnelleempfanger haben
»Achter-Charakteristik« :
270°
'/7 \^>> N
// . v
\ /'
\\ ■ . //
*\ .• s'
//■'"' X\\
' /' " \ x
I I i
\ / '
i \ / *
v '■-.. /
90°
mawJUi
iso°
Werden diese beiden M.-Typen zu einem Druck-
Schnelle-Empfanger kombiniert, so weist dieser »Nie-
ren-Charakteristik« auf :
270°
vis. ..-/,■
Lit. : L. L. Beranek, Acoustic Measurements, NY u. Lon-
don (1949), 2 1950; H. Husmann, Einfuhrung in d. Mw.,
Heidelberg (1958); F. Trendelenburg, Einfuhrung in d.
Akustik, Bin, Gottingenu. Heidelberg 3 1961.
Militarmusik (friiher: Feldmusik) umfaBt im Mili-
tarwesen seit dem 17. Jh. erne Reihe musikalischer Gat-
tungen, die sich im wechselseitigen Austausch mit der
zweckfreien Kunstmusik gefestigt haben und in der
Literatur des von Militarmusikern geschaffenen sym-
phonischen Blasorchesters gipfeln. Ihr Zweck war zu-
nachst die Sicherung militarischer Ordnungen durch
-»■ Signale und durch -»■ Marsch-Musik (-» Armee-
m'arsche), die Erweckung von Mut und Begeisterung
(das Spiel von Musikkorps wahrend der Schlacht ge-
horte noch im spaten 19. Jh. zu den Aufgaben der M.),
daneben auch Werbung und Unterhaltung. In ver-
gleichbarer Weise findet sich der Einsatz von Gesang
und Schallgeraten bei den Natur- und Kulturvolkern
aufierhalb Europas zur kultischen Vorbereitung und
Begleitung des Kriegszuges. - Am Ausgang des abend-
landischen Mittelalters fiihrten die Ritter Trompeten
und Pauken, das FuCvolk der Landsknechte Pfeifen
und Trommeln (->■ Spielleute - 2). Im 17. Jh. wurde im
Zusammenhang mit einer neuzeitlichen Ausbildung
des Militarwesens auch die M. neu organisiert und in-
stitutionalisiert. Trager der M. wurden neben den
Signalisten nunmehr die Musikkorps mit (4) Schal-
meien, spater (6) Oboen (weswegen die deutschen Mi-
litarmusiker bis 1918 auch Hautboisten genannt wur-
den). Ihnen obliegt bis in die Gegenwart neben der re-
gularen Marschmusik die Aufgabe, bei reprasentativen
Anlassen (Paraden, Staatsempfangen, Festen) wie auch
zur Unterhaltung (bei der Truppe in Feldquartier, La-
ger, Kaserne und Kasino, vor der Bevolkerung bei
Platz-, GroB- und Gartenkonzerten) aufzuspielen. Ab
etwa 1750 hatten die Musikkorps Holz- und Blech-
blaser (-> Harmoniemusik) sowie ab der Wende des
18./19. Jh. Schlagzeug (->• Janitscharenmusik). Nach
den Napoleonischen Kriegen gelangten mit der Ent-
faltung der Konzertblasmusik die neuen Ventilinstru-
mente Waldhorn und Trompete, die weitmensurier-
ten Bugelhorner, in Frankreich (1845) die schlanke-
ren Saxhorner in die Militarkapellen, sowie (1835) zur
Losung des BaBproblems die BaBtuba, die Serpent
und Ophikleide abloste. Die iiberkommene Vielfalt
der Besetzungen wurde in PreuBen unter Wieprecht
(1838-72, Direktor der Gardemusik) vereinheitlicht,
in Osterreich unter Leonhardt (1851). In PreuBen
schrieb das Wieprechtsche Normal-Instrumental Tableau
(1860) fur jede Waffengattung eine bestimmte Be-
setzung vor; zugleich wurde damit das Zusammen-
spiel verschiedener Kapellen ermoglicht. Die Infante-
rie erhielt eine Harmoniemusik, die Kavallerie und Ar-
tillerie sowie die Jager eine ->■ Blechmusik mit vor-
herrschendem Trompeten- bzw. Waldhornklang. In
Frankreich setzte sich seit 1845 die Besetzung mit Saxo-
phon durch, in England kam es zur Vereinheitlichung
zur Zeit der Griindung der Royal Military School of
Music (1857). In Italien erarbeitete 1865 in Neapel eine
Kommission unter Mercadante eine Neubesetzung fiir
Militarkapellen. Von den USA wurden als neuere BaB-
tuben Sousaphone (ab 1908) in die M. eingefiihrt. Die
Militarkapellen (auch Zivilkapellen der Verbande,
Stadte und Vereine) der meisten Lander glichen sich in
der Harmoniemusik der deutschen oder franzosischen
Besetzung (mit Saxophonen, so in den Niederlanden,
England, Spanien, den USA und der UdSSR) an. In
Japan hatte die Infanterie die franzosische, die Marine
die deutsche Besetzung. In Deutschland wurde die Be-
setzung mit Saxophonen ab 1935 fiir die Luftwaffen-
musik charakteristisch ; auf dieser Besetzung basiert die
M. der Bundeswehr. - Nach 1871 verfiigte jede deut-
sche Militarkapelle auch iiber eine komplette »Streich-
musik« (Nebeninstrumente), so daB sie in der Lage war,
auch symphonische Musik zu spielen, in Kirchenkon-
572
zerten mitzuwirken und in vielen Stadten das Theater-
orchester zu stellen. Das Auftreten von Militarmusi-
kern als Biihnenmusik in der Oper war schon im 18.
Jh. haufig. - Das Repertoire der neuzeitlichen M. um-
faCt neben Marschen zum groBen Teil Arrangements
aus Opern und symphonischer Musik. Spontini, Mey-
erbeer, Liszt, Wagner, R.Strauss, Pfitzner, Respighi
u. a. haben Bearbeitungen ihrer Kompositionen au-
torisiert. Im 19. Jh. wurden Bearbeitungen von Sym-
phonien Beethovens u. a. von Biilow gutgeheiBen;
fur Kompositionen der »Neutoner« (wie Liszt'' und
Wagner) traten M.-Orchester ein. Neben anderen hat
z. B. Rimskij-Korsakow Bearbeitungen fur M. selbst
geschaffen, R. Strauss hat M.-Bearbeitungen seiner
Symphonischen Dichtungen selbst dirigiert. Die iibliche
Bestiickung der Militarkonzerte mit Potpourris, Fan-
tasien und Charakterstucken wird in Deutschland seit
den 1930er Jahren durch den Einsatz von Original-
werken zeitgenossischer Komponisten erganzt (Blacher,
Genzmer, Grabner, HeiB, Hindemith, Hoffer, H.Si-
mon, Fried Walter u. a.). - Wahrend die ritterlichen
Hof- und Feldtrompeter Offiziersrang hatten, gehor-
ten die Militarmusiker im 18./19. Jh. dem Mann-
schafts- oder Unteroffiziersstand an. Offiziersrang hat-
ten in Deutschland seit 1938 die Militarkapellmei-
ster vom Musikmeister (Leutnant) bis zum Obermu-
sikinspizienten (Oberstleutnant). Militarkapellmeister
waren zeitweise Sarrette, Gossec, Catel, C.Gurlitt,
Komzak, Keler-Bela, Ziehrer, v.Reznicek, Ivanovici,
Rimskij-Korsakow, Jones, Lehar und Fucik. Der Nach-
wuchs der Militarmusiker wurde im 17.-19. Jh. in den
Stadtpfeifereien ausgebildet, gelegentlich in eigenen
M.-Schulen oder an Konservatorien. Die Musikmeister
legten seit 1874 ihre Priifung an der Staatlichen Aka-
demischen Hochschule fur Musik in Berlin ab, wo
auch die M. als kunstlerisches Fach vertreten war. -
Den etwa 600 deutschen Militarkapellen von 1913
standen 1963 nur 21 (bei der Bundeswehr) gegeniiber.
Lit.: Deutsche Militar-Musiker-Zeitung, Bin 1879ff. - L.
Fronsperger, Fiinff Biicher v. Kriegsregiment, Ffm. 1555 ;
H. Fr. v. Fleming, Der vollkommene teutsche Soldat,
Lpz. 1726; J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur
heroisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795,
NA Dresden 1911, Nachdruck Amsterdam 1966; J. G.
Kastner, Manuel general de musique militaire, Paris 1 848;
A. Kalkbrenner, W. Wieprecht . . ., Bin 1882; ders., Die
Organisation d. Militarmusikchore aller Lander, Hanno-
ver 1884; J. H. Saro, Instrumentationslehre f. M., Bin
1883 ; A. Dolleczek, Entwicklung d. militarischen Musik
im osterreichischen Heere, in: Monographic d. k. u. k.
osterreichisch-ungarischen blanken u. Hand-Feuerwaffen,
Wien 1896; G. Pares, Traite d'instrumentation et d'or-
chestration a l'usage des musiques militaires, Paris 1898;
O. Fleischer, Musikinstr. d. deutschen Churzeit, Zflb
XIX, 1 899 - XX, 1 900 u. XXXI, 1 9 1 1 ; H. Eichborn, Mili-
tarismus u. Musik, Bin 1909; Fr. Behn, Musik im romi-
schen Heere, Mainzer Zs. VII, 1912; H. G. Farmer, The
Rise and Development of Military Music, London 1912;
ders., Handel's Kettledrums and Other Papers on Military
Music, London 1950, 21960, Nachdruck (1965); C. A.
Laaser, Gedrangte theoretisch-praktisehe Instrumenta-
tions-Tabelle f. Militar-Infanterie-Musik, Lpz. 3 1913; M.
Brenet, La musique militaire, Paris 1917; E. Bucken, Der
heroische Stil in d. Oper, = Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f.
mw. Forschung zu Buckeburg V, 1, Lpz. 1924; M. Chop,
Gesch. d. deutschen M., Hannover (1926); J. Mackenzie-
Rogan, Fifty Years of Army Music, London 1926; J. Ph.
Sousa, Marching Along, Boston 1928; G. Kandler, Die
kulturelle Bedeutung d. deutschen M. , Bin 1 93 1 ; ders., Zur
Gesch. d. deutschen Soldatenmusik, in: Deutsche Solda-
tenkunde, hrsg. v. B. Schwertfeger u. E. O. Volkmann, Bin
1937; ders., M. - heute, in: Soldat im Volk VI, (Bonn)
1957; H. Schmidt, M., in: Atlantisbuch d. Musik, Zurich
1934; ders., M. u. Marschmusik, in: Hohe Schule d. Mu-
sik IV, hrsg. v. J. M. Miiller-Blattau, Potsdam (1935); A.
Minnesang
Vessella, La banda dalle origini fino ai nostri giorni, Mai-
land 1935; J. Reschke, Studie zur Gesch. d. brandenbur-
gisch-preuBischen Heeresmusik, Diss. Bin 1936; Heeres-
Dienstvorschrift 32. Bestimmungen f. Musik- u. Trompe-
terkorps d. Heeres v. 1. 9. 1936, Bin 1936; O. Schreiber,
Orch. u. Orchesterpraxis in Deutschland zwischen 1780 u.
1850, = Neue deutsche Forschungen CLXXVII, Abt. Mw.
VI, Bin 1938; N. P. Iwanow-Radkewitsch, Obschtschie
osnowy instrumentowki dlja duchowych orkestrow (»A11-
gemeine Grundlagen d. Instrumentation f. Blasorch.«),
Moskau 21957; H. E. Adkins, Treatise on the Military
Band, London 1958; M. Thomas, H. A. Neithardt, Diss.
Bin 1959 (F. U.). GKa
Millioktave (Abk. : mo) = Viooo Oktave, von F. W.
Opitz 1834 eingefuhrtes.jedoch erst von A.v.Oettingen
so benanntes IntervallmaB. Ein Frequenzverhaltnis -jr
h 2
wird nach der Formel 1000 • 2 log 7- umgerechnet, so
J2
daB sich die Oktave zu 1000- 2 log2= lOOOmo er-
gibt. Dieses IntervallmaB ist heute weniger gebrauch-
fich; bevorzugt wird das -> Cent.
M}mesis (griech., Nachahmung), in der Komposi-
tionslehre des 17.-18. Jh. eine in Anlehnung an die
Rhetorik erklarte musikalischeFigur. Burmeister (1606)
bezeichnet mit M. die Aufeinanderfolge zweier Noe-
men (-»■ Noema), deren zweites im Unterschied zur
-»- Analepsis in veranderter Stimmlage erscheint. J.
Walther (1732) hingegen spricht (im AnschluB an
Thuringus) von M. (oder Imitatio), wenn ein gewisses
thema in einer Stimme iminer wiederholt wird. Bereits
Stomius kennt den Begriff, bezeichnet aber damit die
Fuge. Gemeinsam ist all diesen Definitionen das Mo-
ment der Wiederholung. Dabei wird die ursprungliche
rhetorische Figur der M. insofern verallgemeinert, als
diese den speziellen Fall der (charakterisierenden oder
auch verspottenden) Nachahmung der Redeweise ei-
nes anderen meint. Vogt (1719) und SpieB (1745) ver-
stehen die M. in dieser speziellen Bedeutung (cum ali-
quis aherius vocem imitatur).
Lit.: J. Stomius, Prima ad musicen instructio, Salzburg
1536.
Minima (zu erganzen : nota oder figura, lat., die klein-
ste), Notenwert der ->• Mensuralnotation, geschrieben
als Semibrevis mit Cauda: ♦, seit dem 15. Jh.: )>, Pau-
se: ^ . Sie erscheint zuerst bei Ph. de Vitry (CSM VIII,
23, 75, 85ff.) und Marchettus de Padua (CSM VI,
143fL, 174fi.). Im 14. Jh. wurde die M. als eine Semi-
brevis m. aufgefaBt; sie gilt nach Vitry i/g Brevis, im
System der italienischen ->• Divisiones bei Marchet-
tus 1/6. Vs °der 1/12, bei Pr. de Beldemandis (ed. Sartori,
S. 41f.) 1/4 bis i/ 12 Brevis. Erst urn 1400 setzte sich die
M. als eigenstandiger Notenwert durch, der je nach
der Prolatio 1 J2 oder '/3 Semibrevis ausmacht. Auch
die Schreibweise der M. wechselte im 14. Jh., ehe sich
einheitlich ♦ durchsetzte. Aus der »weiBen« M. (i) ging
die heutige Halbe Note (J) hervor, die noch jetzt ital.
m., engl. minim heiBt. - Fuga sub minimam ist im 16.
Jh. die Bezeichnung fiir einen Kanon, bei dem die
nachahmende Stimme um eine M. spater einsetzt als
die erste.
Minnesang. Obwohl das Wort M., im Mittelalter
sehr selten verwendet, zunachst nur die Liebeslyrik des
adeligen Singers bezeichnet, kann unter ihm die ge-
samte einstimmige weltliche mittelhochdeutsche Lyrik
(einschlieBlich der deutschen Lieder in den -»■ Carmina
Burana) bis zum Anfang des 15. Jh. verstanden werden.
Dies entspricht dem Befund der Quellen, der eine Ab-
sonderung gemaB jenem engeren Sinne des Wortes
nicht aufweist. Die textliche Oberlieferung beginnt
mit dem 13. Jh. ; ihre Hauptquelle ist die sogenannte
573
Minnesang
Manesse-Handschrift (Heidelberg, CPgerm. 848, um
1315-30). Die musikalische Uberlieferung setzt erst
mit dem 14. Jh. ein. Die wichtigsten Quellen sind, ne-
ben einem Blatt einer groBen Liederhandschxift im
Staatsarchiv Miinster, die Liederhandschrif ten (-»■ Lie-
derbiicher) Jena, Wien, Kolmar, Donaueschingen,
Mondsee-Wien (Sporl) sowie Hugo von Montforts
Codex (Heidelberg, CPgerm. 329), ferner Oswald von
-> Wolkensteins Sammlungen seiner Lieder (Wien 2770
und Innsbruck, Univ.-Bibl.), einige -> Neidhardt-
Handschriften (Berlin, germ. 2° 779, Wien, s. n. 3344
u. a.), Michel Behaims Handschriften (Heidelberg,
CPgerm. 312 und 334, und Miinchen, Cgm 291), aus
der Ubergangszeit ferner die Handschrif t Berlin, germ.
2°922, und schlieBlich einige verspatete und zweifelhaf-
te Aufzeichnungen in Meistersingerhandschriften (so
Niimberg, Will. III. 784). Diese Quellen bezeugen die
Verbreitung des M.s und weisen auf die Hofe und
Stadte, wo er gepflegt worden ist, so auf die staufischen
Hofe in den Herzogtumern Franken und Schwaben,
den Babenberger Hof in Wien und Steiermark, den
Habsburgischen in Osterreich oder in der Schweiz, die
ostdeutschen Ftirstenhofe und die Stadte wie StraB-
burg, Augsburg und vor allem Zurich. DieEntstehung
des M.s im engeren Sinne - d. h. der »Liebeslyrik« des
Adels in der eigentiimlichen Form der Entsagung oder
des vorgetauschten Ehebruchs - ist ein schwieriges kul-
turgeschichtliches Problem. Er wurzelt einerseits in
einem »volkstiimlichen« Lied, das sich von kultischen
Formen loste, dann aber auch im religiosen Lied sowie
in fremden Vorbildern, franzosischen und provenzali-
schen, die ihrerseits vielleicht von der arabischen Poesie
beeinfluBt waren. Die Literarhistoriker unterscheiden
etwa folgende Entwicklungsstufen: »Friihe Klange«
um 1150 (davon nur weniges unter den Namen Kiiren-
berg und Dietmar von Aist erhalten) ; »Der neue Sang«
im letzten Drittel des 12. Jh. (M.s Friihling: Veldeke,
Hausen, Reinmar, Morungen); »Weitung und Um-
schwung« um 1200 (Walther von der Vogelweide,
Neidhardt) ; »M.s Wende« etwa ab 1220 (Burkhart von
Hohenfels, Neifen, Winterstetten usw.) und »Aus-
klang«. Von diesen Entwicklungsstufen kommt f iir die
Musikgeschichte fast nur die letzte, allenfalls noch die
vorletzte, in Frage, entsprechend den spaten Nieder-
schriften der Melodien. Fur den »neuen Sang« laBt sich
jedoch die Moglichkeit nutzen, daB deutsche Lieder
nach romanischen Weisen, zum Teil wohl fast unver-
andert, gesungen wurden. Die Hochbliite des M.s ist
also am diirftigsten iiberliefert. - Trager dieser deut-
schen weltlichen Einstimmigkeit waren zunachst der
Hochadel und noch mehr die Ministerialen, deren
Stand damals aufstieg, dann spater der Stadtadel und
angesehene Burger (Notare, Lehrer, Waffenschmiede
usw.), daneben Berufsmusiker (landlose Ministerial-
sohne oder Fahrende), die gegen Lohn sangen und oft
in einem mehr oder minder festen Dienstverhaltnis zu
den Fursten standen.
Die iibliche Scheidung des M.s in die Gattungen Spruch,
Lied und Leich wird seit einiger Zeit angegriffen ; vor
allem einige Literarhistoriker versuchen, Spruch und
Lied zusammenzufassen (Fr.Maurer, Hugo Moser);
seitens der Musikforschung wird manche Form des
Liedes und Spruches aus der Leichform abgeleitet, und
damit werden diese Gattungen um ihre Selbstandig-
keit gebracht (Gennrich). Man wirdjedoch gut tun, die
alte Einteilung beizubehalten, vor allem im Bereich
des Musikalischen. Der Spruch ist im wesentlichen re-
zitativisch; seine Quellen sind ein einheimisches und
das kirchliche Rezitativ. Fur den strophischen Aufbau
hatte sich allerdings die Barform (A A B) durchgesetzt,
wahrscheinlich wesentlich durch Walther, der den
Spruch hoff ahig machte. Da der Spruch als Ubermitt-
lung von Lehren und Weisheiten allmahlich nach einer
ausgedehnteren Strophenform verlangte, wurde der
Abgesang gern durch ein zweites Stollenpaar erweitert
(A A B B C). Das Lied hingegen hat gebundene Me-
lodik; es bevorzugt die Kanzonenform, d. h. es benutzt
fast ausschlieBlich die Barform. Die Musik ermoglicht
den Riickgriff auf den Anfang durch einen dritten Stol-
len als AbschluB (A A B A). Kehrreime sind im Rah-
men des iiberkommenen Bestandes selten. Gelegent-
lich linden sich auch Rondellweisen. Nichtgegliederte
Strophen sind in der Spatzeit nachweisbar, sie sind aber
wohl Nachfahren alterer, nicht belegbarer Melodien.
Die mannigfachen Unterschiede des Spruches oder
Liedes, von denen der Literarhistoriker spricht und die
auf dem verschiedenen Inhalt beruhen, lassen sich mu-
sikalisch nicht oder nur selten feststellen. Nur fur das
-> Tagelied oder Wachterlied ist eine Vorliebe fiir me-
lismatische Gestaltung nachzuweisen. Anders steht es
um dasTanzlied.Es verlangt einen ausgepragtenRhyth-
mus, oft zuungunsten der Melodik. Dementsprechend
hat es eine eigeneEntwicklung, die mit nichtgeglieder-
ter Strophe und bestimmten rhythmischen und melo-
dischen Formeln beginnt. Unter hofischem EinfluB hat
auch das Tanzlied die Barform iibernommen. Der
Leich schlieBlich ist, wie die kirchliche Sequenz, ein
Lob- und Lehrgedicht, das aber dem Tanze nahesteht
oder sogar tanzbar ist. Er ist nicht von der kirchlichen
Sequenz abzuleiten, sondern beide gehen auf gemein-
same, auBerliturgische Formen zuriick. Wahrend die
klassische Sequenz der Kirche nur die Form mit Ver-
dopplung der Binnenglieder kennt (Abbccdd ... Z),
ist die volkssprachige Form vielfaltig und von Beispiel
zu Beispiel verschieden gebaut, vor allem auf der
Grundlage des doppelten oder mehrfachen Cursus
(Abbccddbbccdd ... Z).
Zu den Schwierigkeiten, die die diirftige und spate
Uberlieferung dem musikalischen Verstandnis des M.s
bereitet, kommen die Probleme des Vortrages der er-
haltenen Melodien. Die Weisen sind in der Regel in
Choralnotation iiberliefert; diese gibt keine Auskunft
uber die Dauer der Tone, also auch nicht iiber den mu-
sikalischen Rhythmus. Sie enthalt aber Zeichen wie die
Liqueszenzen oder Pliken, deren Deutung hier Schwie-
rigkeiten bereiten kann; bisweilen konnen auch die
Formen der spaten Choralnoten miBdeutet werden
(Kolmarer Handschrif t). Die Zeichen der Mensural-
notation werden in spaten Handschriften benutzt, aber
durchaus nicht immer mit einwandfreier Folgerichtig-
keit (Sporlsche Handschrif t). Andere Handschriften
(so Berlin, germ. 2° 922) bringen die Noten vor dem
Text, was auf instrumentale Mitwirkung hinweist, auf
jeden Fall aber die Zuweisung der Tone zu den Silben
des Textes sehr erschwert, vor allem wenn die Zahl der
Tone groBer oder geringer ist als die der Silben. Auch
dieser etwaige UberschuB von Silben oder die Melis-
matik mancher Lieder haben die Frage nach der Betei-
ligung von Instrumenten beim Vortrag gestellt. Dazu
kommt die gruhdsatzliche Frage, wieweit die iiberlie-
ferten Melodien dem Original entsprechen oder ob
man iiberhaupt von einem verpflichtenden »Original«
sprechen darf. Aus all dem ergibt sich, daB Ubertra-
gungen der Melodien aus den vorliegenden Notatio-
nen in die heutige Notenschrift nur mit vielen Vorbe-
halten gemacht werden konnen, ohne daB sie deswe-
gen ihren Wert als Versuche verlieren, die die An-
schauung des Obertragenden iiber die Musik des M.s
durch das heutige Notenbild verdeutlichen. - Hinsicht-
lich des Rhythmus stehen verschiedene Theorien ein-
ander gegeniiber. Die modale Interpretation bestimmt
den Rhythmus der Melodien unter Verwendung der
574
Minnesang
6 Modi der Modallehre. Dabei wird meist - unter dem
Einflufi der Regeln der Mehrstimmigkeit - ein Modus-
wechsel streng verpont (Ludwig, Gennrich, anders
Jammers). Die Verfechter der Vierhebigkeit ordnen
die Melodien so, daB die Verse einen Raum von je 2,
4 oder 6 Takten oder taktahnlichen Einheiten fiillen.
Unter dem EinfluB von Germanisten, die bisweilen
eine Abneigung gegen Modi mit langen »Senkungen«
haben, werden hier die Melodien meist im geraden
Rhythmus iibertragen (Riemann, Saran). Beide Ord-
nungen, die modale oder die vierhebige, werden von
solfhen Theoretikern, die einen Einflufi des Choral-
rhythmus vermuten, bei den Melismen durchbrochen
(Molitor, anders Jammers). Wahrscheinlich ist der
Rhythmus ein Ergebnis mehrerer Komponenten, von
Gattung zu Gattung, vielleicht sogar von Fall zu Fall
verschieden, und sicherlich gewahrt er dem Vortra-
genden in grofiem Mafie Freiheit. Das Instrument
diirfte eine rein dienende Rolle gespielt haben und erst
am Ende des M.s zu starkerer Beachtung gelangt sein,
ebenso wie die Mehrstimmigkeit, von der Zeit des
Ausklanges abgesehen, im Rahmen einfachster Formen
und der Improvisation geblieben sein diirfte. Wo echte
Mehrstimmigkeit vorliegt, sollte man trotz gelegent-
licher Ubergange nicht von M. sprechen (->■ Lied). -
Die Tonalitat des M.s ist verhaltnismaBig am leichtesten
zu erkennen. Hier besteht aber die Frage, ob Lieder
mit dem Grundton oder der Finalis C schlechthin als
transponierte lydische Weisen, d. h. als Melodien im
Rahmen des Systems der Kirchentone oder als Vorstu-
fen moderner Durtonalitat zu verstehen sind. Wie
aber die Melodik grundsatzlich von der echten Grego-
rianik verschieden und ihrer Natur nach tonraumlich
und nicht blofi rein bewegungsmaBig ist, also nur mit
dem Tonsystem des »mittelalterlichen Chorals« zusam-
mengebracht werden sollte, so kann auch die besondere
Art vieler C-Lieder nicht ubersehen werden.
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schmidt u. W. Mohr, Bin 21965. EJ
Minore (ital., kleiner; frz. mineur), s. v. w. Mollak-
kord (armonia di terza m.), auch Molltonart. Oft tritt
M. als Uberschrift eines Zwischensatzchens (Trio) in
Marschen, Tanzen, Rondos usw. auf, wenn dieses in
der Mollvariante der Durtonart des Hauptteils stent;
auch eine in der Mollvariante stehende Variation eines
Themas in Dur wird mit M. bezeichnet. Ebenso gibt
M. nach einem mit ->■ Maggiore bezeichneten Trio in
Dur das Wiedereinsetzen der Haupttonart an, wenn
diese Moll ist.
Minstrelsy, Negro minstrelsy (m'instialsi, engl.),
in Amerika ab etwa 1800 umherziehende Truppen
weiBer Schauspieler, Sanger und Tanzer, die in ihre
Minstrel-shows die Lebensweise und das Milieu der
amerikanischen Neger einbezogen. Die Darsteller tra-
ten mit schwarz gefarbten Gesichtern in bunten Kostii-
men auf und imitierten negerische Lieder und Tanze
(cakewalk, coon songs, plantation songs), die auf dem
Banjo oder auf primitiven Instrumenten begleitet wur-
den. Bis etwa 1830 bestanden die Vorstellungen haupt-
sachlich aus Auftritten einzelner Darsteller (extrava-
ganzas), die teilweise - wie Jim Crow Rice - groBe Be-
riihmtheit erlangten. Um 1850 bildete sich eine En-
sembleform der M. heraus, deren Darbietungen nach
einem festgelegten Showprogramm abliefen. Der
Hohepunkt der M. fallt in die Zeit zwischen 1860-70.
Die M. ist die fruheste Nachahmung negerischen Mu-
sizierens durch WeiBe, hat in der amerikanischen Of-
fentlichkeit das Interesse an Liedern und Tanzen der
Neger geweckt und erlangte dadurch Bedeutung in
der Vorgeschichte des Jazz.
Mi-Re-Ut -> Kurze Oktave.
Mjrliton (frz., Etymologie nicht gesichert; engl.
kazoo), Membranophon, bestehend aus einer mit ab-
schlieBender (Papier-) Membran versehenen Rohre; in
die hineingesprochen oder -gesungen (bzw. -gesummt)
wird, wobei die Membran die Stimme verfarbt und
verstarkt. Dieses Prinzip der Stimmveranderung und
-entstellung ist in Form der Gesichtsmaske bei rituellen
Handlungen in primitiven Kulturen weit verbreitet. In
Europa ist das M. als Kinderinstrument bekannt, im
Mittelmeerraum auch als Instrument urtiimlicher
Volksiiberlieferung (Sardinien, Aragon). Einige Be-
deutung erlangte im 16./17. Jh. in Frankreich die Zwie-
belflote (frz. flute a l'oignon) oder »Eunuchenflote«
(flute eunuque, Mersenne, Harmonic universelk, 2291.),
ein flotenformiges M., bei der eine Zwiebelhaut als
Membran dient. Beispiele fiir sogenannte freie M.s, bei
denen die Membran nicht in einer Rohre oder derglei-
chen verschlossen ist, sind ein angesummtes Stuck
Baumrinde (z. B. die Flatsche in Karnten) oder das Bla-
sen auf dem Kamm, der ein Stuck Seidenpapier (als
Membran) strafft (Schlick 1511 : durch ein strell). - Das
Kazoo der amerikanischen Neger, ein R6hren-M., ist
im Jazz neben Tub, Jug, Washboard u. a. ein haufig
verwendetes Instrument in bluesbegleitenden Kombi-
nationen.
Miserere mei Deus (lat, Gott sei mir gnadig), Psalm
50 (Vulgatazahlung), gehort inhaltlich zu den BuBpsal-
men und wird in der romischen Liturgie heute u. a. bei
den -> Exequien (wahrend der Uberf iihrung) verwen-
det. Bis zur Neuordnung der Karwochenliturgie (1955)
hatte das M. aufierdem seinen festen Platz im Offi-
zium der drei letzten Kartage. Seit dem 16. Jh. be-
vorzugter Gegenstand mehrstimmiger Vertonungen,
bildete es in der Sixtinischen Kapelleden feierlichen
AbschluB des sogenannten Tenebrae-Offiziums (Ma-
tutin und Laudes vom Griindonnerstag, Karfreitag und
Karsamstag). Eine fast legendare Beriihmtheit erlangte
bei diesen Auffiihrungen das 1638 entstandene doppel-
chorige M. von Gr. Allegri (im traditionellen -*■ Falso-
bordone-Satz zu 4 und 6 Stimmen mit 9st. SchluBchor),
das lange Zeit strengstens gehutet wurde (erste Druck-
legung 1771) und sich bis 1870 im Repertoire der Six-
tina halten konnte. AuBer ihm kam seit 1714 das M.
von T.Baj zum Vortrag; 1821 fand auch die lOst. M.-
Vertonung G. Bainis Aufnahme in das Repertoire. Die
altesten mehrstimmigen Vertonungen stammen von
Josquin Desprez (5st. Motette) und C. Festa (9st. Satz
im Wechsel mit choralen Partien, komponiert 1517). -
In Form von Umdichtungen lebt das M. fort in den
deutschen Kirchenliedern Erbarm dich mein, o Herre
Gott (1524) und O Herre Gott, begnade mich (1525).
Missa (lat.) -> Messe.
Miss ale (mittellat, MeBbuch) heiBt das in der romi-
schen MeBliturgie fiir den zelebrierenden Priester be-
stimmte Buch folgenden Inhalts: Einleitungsteil (Ka-
lendarium, Rubriken, Gebete vor und nach dem MeB-
opfer); Proprium de tempore (Formulare fiir die Sonn-
tage und beweglichen Feste, ausgenommen Heiligen-
feste) ; Ordo missae und Canon missae (unveranderliche
Teile der Messe); Proprium de Sanctis und Commune
Sanctorum (Formulare fiir die an ein Kalenderdatum
576
Mittelalter
gebundenen Feste, meist Heiligenfeste, und fur das
Kirchweihfest bzw. Heiligenfeste ohne eigenes For-
mular); Votiv- und Totenmessen; Benediktionen so-
wie Proprium Sanctorum und Commune Sanctorum pro
aliquibus locis (Formulare lokal gefeierter Heiligen-
feste). Die offizielle Ausgabe des M.s wurde 1570 von
Pius V. eingefiihrt (letzte offizielle Ausgabe 1962).
Nicht auf das M. Romanum verpflichtet wurden hier-
bei alle Kirchen, die iiber einen eigenen, mindestens
200 Jahre alten Ritus verfiigten. Noch heute benutzen
die Kartauser, Dominikaner, Pramonstratenser, Zi-
sterzienser und Karmeliten eigene Missalen, ebenso
der mailandische und altspanische Liturgiekreis. Fiir
den Laiengebrauch erschien das M. Romanum 1884
in einer von dem Beuroner Benediktiner Anselm
Schott besorgten deutschsprachigen Ausgabe, die seit-
dem als »Schott«(-MeBbuch) die groBte Verbreitung
fand. - An Melodien enthalt das M. : Gloria- und Cre-
dointonationen, Prafationen, Pater noster und Entlas-
sungsrufe, ferner bestimmte Gesange der Karwochen-
liturgie u. a. - Als M. plenarium bezeichnete man im
Mittelalter jene MeBbiicher, die auBer den Texten auch
die Melodien aller Gesangstiicke enthielten.
Lit. : W. H. J. Weale u. H. Bohatta, Cat. Missalium Ritus
Lat. ab anno M.CCCC.LXXIV impressorum, London u.
Lpz. 1928.
Misticanza (ital., s. v. w. Mischmasch) -*■ Quod-
libet.
misurato (ital.), gemessen, im Takt, gleichbedeutend
mit a -> battuta.
Mittelalter. Im 19. Jh. wurde die Musik des MA
meist unter dem Gesichtspunkt der Theorie behandelt,
da nur auf diesem Gebiet durch M. Gerbert (1784) und
E. de Coussemaker (1864-76) umfangreiches Material
veroffentlicht worden war. Die ErschlieBung der ei-
gentlichen Musikhandschriften erfolgte erst seit etwa
1900, vor allem durch die Lebensarbeit Fr.Ludwigs.
Er gab 1924 die erste giiltige Gesamtdarstellung (in
Adler Hdb.), veroffentlichte die Kompositionen von
G. de Machaut, beteiligte sich auch an der ersten syste-
matischen Vorfiihrung mittelalterlicher Musik durch
W. ->- Gurlitt 1922 in der Kunsthalle zu Karlsruhe.
Seitdem sind neue Untersuchungen und Ausgaben er-
f olgt, in besonders vielseitiger Form durch J. -> Hand-
schin. - Das MA hat die Fuhrerstellung der europai-
schen Musik begriindet, denn diese beruht auf dem
damals geschaffenen System der Mehrstimmigkeit.
Gesang und Instrumente wirkten dabei zusammen,
wahrend die Theorie fiir das Richtige eine Begriindung
gab. So erneuerte das MA den Zusammenhang von
Musik und Theorie, wie er in der Antike bestanden
hatte. Als Ausgangspunkt diente das spatlateinische
Schrifttum von Boethius, Cassiodorus und Isidorus
von Sevilla. Es iibermittelte neben technischen Dingen
auch eine Musikanschauung, an deren Grundgedanken
Europa bis ins 18. Jh. hinein festhielt. Ihr Kern war das
Prinzip des Numerus, wonach die gesamte Weltord-
nung auf der Zahl beruht. DaB auch in der Musik die
Zahl maBgebend sei, war fiir die Theorie stets der ent-
scheidende Gesichtspunkt. Schwierigkeiten ergaben
sich aus der Obernahme des pythagoreischen Quinten-
systems, so daB die Terz umstritten blieb. Das Wesen
der Musik liegt in der ->■ Harmonia. Hierdurch war
sie der nach dem Numerus geordneten Welt geheim-
nisvoll verbunden. So bezeichnete man nach spatan-
tiker Art als Musica mundana die Spharenharmonie,
Musica humana den leibseelischen Mikrokosmos des
Menschen, Musica instrumentalis vel sonora die real
erklingende Musik. Fiir das Christentum erhob sich
iiber diesen drei Bezirken noch Musica coelestis vel
divina, die Musik der himmlischen Welt, da alles Seien-
de als Schopfung Gottes theozentrisch geordnet war.
So gait die Musik dem MA als Hinweis auf das Tran-
szendente, ihre Ordnung als ein Symbol. - Fiir die Mu-
sikpraxis war der Zusammenhang mit dem Christen-
tum gleichfalls fundamental. Im Mittelpunkt stand
die als Gregorianischer Gesang bezeichnete Form des
romischen Kultgesanges, die das Frankenreich in den
Jahrzehnten um 800 iibernahm. Ihr Melodiebestand
war die unantastbare Grundlage, die man fur Jahrhun-
derte ausgebaut, gleichzeitig aber auch durch neue
Formen bereichert hat. Zunachst Interpolationen im
Choralgesang, wurden Sequenz und Tropus oft selb-
standig, womit der syllabische Vortrag Raum gewann.
Hier also trat an die Stelle des auf Melismatik beruhen-
den choralischen Stimmstromes eine Melodie mit iso-
lierten Einzeltonen. Sie war auf Instrumenten spielbar
und ist von ihnen wohl oft nach dem Prinzip der He-
terophonie begleitet worden. Dazu kam schon im 9.
Jh. die Mehrstimmigkeit, hauptsachlich mit Parallel-
bewegung in der Quarte und Quinte. Ihre Bezeich-
nung als Organum zeigt, daB Instrumente dabei eine
Rolle spielten, vor allem die wohl aus Byzanz iiber-
nommene, jetzt in Kirchen zugelassene Orgel. Die ent-
scheidende Zeit war das 12. Jh. Damals wurde Epen-
gesang in der Nationalsprache vom Rittertum bevor-
zugt, wahrend sich das geistliche Drama reich entfal-
tete. Nachdem Reim und Strophe bereits im Lateini-
schen durchgedrungen waren, entstand mit dem pro-
venzalischen Minnesang die Hauptform ritterlicher
Lyrik. Alle diese Formen sind einstimmig. Das 2st.
-*■ Organum pflegte man kunstvoll im Umkreis der
Abtei St-Martial, wo die Organalstimme vereinzelt
sogar ihren eigenen, den Tenor tropierenden Text
erhielt. Die Aufzeichnung dieser Organa laBt noch
kein Ordnungsprinzip des Rhythmus erkennen. So
wurden sie schon in der 2. Half te des 12. Jh. vom Nor-
den iiberfliigelt.
Die Musik wandelte sich hierbei so grundlegend, daB
um 1200 eine neue Ordnung sichtbar wird, die »mu-
sikalische Gotik«. Ihr Schwerpunkt liegt in Nordfrank-
reich, wenn auch im 13. Jh. offer Englander, Deut-
sche, Spanier mitwirkten. Das gotische Zeitalter glie-
dert sich in 3 Abschnitte: Notre-Dame-Epoche, Ars
antiqua und Ars nova nebst Auslaufern. Fiir die Notre-
Dame-Epoche ist charakteristisch, daB ein einheitli-
cher Gesamtstil alle Bezirke der Musik durchdrang. Er
hatte seinen Ursprung in der 1163-1235 erbauten Pa-
riser Kathedrale, wo das Organum sy stematisch gepflegt
wurde, zunachst unter Leoninus, dann unter Perotinus
Magnus (denEhrentitel verliehen ihm die Nachfolger).
Perotin ging im Organum zur Dreistimmigkeit mit
festem Rhythmus iiber, um 1200 auch zur hochfeier-
lichen Vierstimmigkeit. Grundlage war der einheitlich
ablaufende Modalrhythmus, den die Theoretiker mit
dem System der 6 Modi zu erfassen suchten. Durch
diese Rhythmik war es moglich, dem Oberbau ge-
wisser Organumabschnitte einen Text (frz. mot) zu
unterlegen, womit die Form der -> Motette entstand.
Fiir 2-4 Stimmen mit lateinischen, bald auch franzosi-
schen Worten bearbeitet oder neu geschaffen, zeigt
sie die Herkunft aus dem Organum durch einen Cho-
raltenor, der als Grundlage dient. Ist Perotins Tatig-
keit auf diesem Gebiet wahrscheinlich, so wird sie aus-
drucklich bezeugt fiir den Conductus, die Hauptform
der geselligen Musik mit lateinischem Text, die zu-
nachst fiir Kleriker gedacht und oft nur einstimmig
war. Die Melodie des 2-3st. Satzes ist stets frei er-
funden, der Text iiberwiegend Note gegen Note ge-
setzt, wahrend sich in den umrahmenden Melismen
hohe Kunst entfalten kann. - Durchaus einstimmig
37
577
Mittelalter
ist der Bezirk des Minnesangs. Hier wirkte das Vorbild
aus der Provence schon seit dem 12. Jh. auf die Deut-
schen, formal die Kanzonenstrophe mit 2 Stollen und
Abgesang. Der hohe Stil des Minnesangs gipfelt bei
Walther von der Vogelweide, wahrend Neidhardt von
Reuenthal den dorf lich-realistischen vertritt. Die nord-
franzosischen Trouveres iibernahmen den Minnesang
gleichzeitig mit den Deutschen. Sie gaben dem Spiel-
mannselement mehr EinfluB, ebenso der Verbindung
mit Notre-Dame, so daB hier bald die modale Rhyth-
mik herrschte. Als der beriihmteste Trouvere gilt Thi-
baut IV., Graf von Champagne. - In der Ars antiqua
andert sich das Bild, da die bisherige Mannigfaltigkeit
des Musizierens durch die Herrschaft einer einzigen
Form abgelost wird. Organa und Conductus werden
zwar aufgefiihrt, aber die Neukomposition gilt fast
nur der Motette. Ihr Haupttypus ist die 3st. Doppel-
motette mit 2 verschiedenen Texten, lateinisch oder
franzosisch oder gemischt, wobei der Tenor meist
noch dem Choral, oft jedoch der Profanmusik ent-
stammt. Auch Tripelmotetten mit 3 verschiedenen
Texten gibt es. Der gelegentlich vorkommende -> Ho-
quetus spielt nur eine Nebenrolle. Seit etwa 1230 ent-
wickelte sich die bisher modale Rhy thmik immer f reier,
was zur Durchbildung der Mensuralnotation fiihrte.
Um 1250 schrieb Franco von Koln das Lehrbuch, auf
dem die "Weiterentwicklung beruht. Er hat vielleicht
auch Motetten komponiert, ahnlich wie der Dichter-
musiker Adam de la Halle aus Arras. Zur jiingeren
Gruppe gehort der Kantor Petrus de Cruce aus Amiens,
der 1298 fur den franzosischen Konig ein Offizium auf
Konig Ludwig den Heiligen zu komponieren hatte,
sonst aber durch Motetten mit ganz frei deklamieren-
der Oberstimme bekannt ist. Soziologisch ist in der
Ars antiqua der Typ eines Musikkollegiums mit Be-
rufsmusikern und biirgerlichen Kennern (cantores et
layci sapientes) bezeugt. Zum ersten Male erscheint
hier das asthetisch eigenwertige Kunstwerk, das nur
den Kennern verstandlich ist. Dies bestatigt Johannes
de Grocheo, der um 1300 das Pariser Musikleben in
seiner sozialen Schichtung beschrieb. Der neuzeitlich
anmutende Realismus in seinem Traktat ist jedoch nur
die eine Seite der Ars antiqua. Auf der anderen steht
Jacobus von Liittich (Jacobus Leodiensis), fur den eben-
falls der Eindruck der freien Kunst Petrus de Cruces
entscheidend war. Sein Speculum musicae faBt den
Universalismus des Mittelalters in einzigartiger Wei-
se zusammen.
Die Wendung zur Ars nova um 1320 ist verkniipft
vor allem mit dem Sohn eines Hofbeamten in Paris
und Begiinstigten des franzosischen Konigshauses,
Philippe de Vitry. Sein Motettentyp verwendet nach
wie vor 2 verschiedene Texte in Ober- und Mittel-
stimme, auch ein Tenorfundament, das uberwiegend
dem Choral entstammt. Neu ist jedoch, auf Grand
mehrfacher rhythmischer Wiederkehr von 10-20 Tak-
ten, eine »Isoperiodik« des Ganzen. Sie kann sich zur
-*■ Isorhythmie verscharfen: zur genauen rhythmi-
schen Wiederkehr bei verschiedenem Melos. Neu ist
ferner die aus England stammende Betonung der Terz
im Dreiklang, die Bereicherung solistischen Manner-
singens durch Knabenstimmen und Instrument* und
die nun haufig anzutreffende Vierstimmigkeit mit
Contratenor. So ist die Motette nun eine farbenreiche,
rein musikalische GroBform, die auf der Zahlordnung
im Tenor beruht und die mittelalterliche Musikan-
schauung eindrucksvoll verkorpert. Der historische
Zusammenhang, in dem Vitry stand, ist klar erkenn-
bar an der asthetischen Eigengesetzlichkeit seiner Mo-
tette, weit iiber das MaB der Ars antiqua hinaus. Ge-
gen diese Kunstauffassung erhob Papst Johannes XXII.
1324/25 Bedenken hinsichtlich des kirchlichen Be-
reichs. - Die Theorie der Ars nova, auBer durch Vitry
besonders vom Pariser Astronomen Johannes de Muris
dargestellt, erfaBt im Rahmen der Scientia musicae
nunmehr das Kunstwerk. Zu ihm gehorte auBer der
Motette sogleich das Kunstlied (lat. cantilena). Guil-
laume de Machaut, als Sekretar Konig Johanns von
Luxemburg auf Erneuerung des Minnesangs bedacht,
pflegte auBer 1st. Liedformen vor allem den Sologe-
sang fur eine Mannerstimme mit 1-3 Instrumenten.
Zur Vertonung dienten eigene Balladen, Rondeaus
und Virelais in der sseconde rhetorique« genannten
Verskunst. Hier entstand durch freie, oft expressive
Rhythmik und Intensivierung des Klanges der Typ des
Kunstlieds im -> Kantilenensatz. Er gipfelt in Machauts
3st. Balladen. Als Nebenform kennt Frankreich die
Chasse mit 3 gleichen Stimmen im Kanon. Die italie-
nische Caccia, unabhangig davon, entwickelte sich zur
gleichen Zeit. Sie bildet, zusammen mit dem 2st. Ma-
drigal, die Grundlage der Trecentomusik Italiens. Spa-
ter kam die Ballata, auch die Vorliebe fiir den 3st. Satz
hinzu; sie sind fiir Francesco Landini bereits charakte-
ristisch. Zugleich verstarkte sich der franzosische Ein-
fluB. Vergleicht man das Gesamtschaffen beider Lan-
der, dann erweist sich als empfindlichste Liicke das
Fehlen einer musikalischen GroBform in Italien. Die
Trecentomusik hat kein Gegenstiick zur isorhythmi-
schen Motette, die erst spat gelegentlich nachgeahmt
wurde. Gerade diese Form gewann im Norden an Be-
deutung, denn Machaut, der mit franzosischen Mo-
tetten begonnen hatte, schuf in seiner Spatzeit groBar-
tige lateinische Motetten und nach ihrem Muster ei-
nen 4st. MeBzyklus (vermutlich 1364 zur Kronung des
franzosischen Konigs in Reims). Die Kirchenmusik
spielte seit der Ars nova eine bescheidene Nebenrolle
und folgte meist weltlichen Vorbildern. Im Sinne der
Kritik von Papst Johannes XXII. war man oft bemiiht,
das Profane in der Kirche abzudampfen. Die franzosi-
sche Spatzeit nach Machauts Tode 1377 bewahrte ne-
ben dem Kantilenensatz, der immer komplizierter
wurde im Sinne einer freien Kunst, auch die GroBform
der Motette und mit ihr ein Hauptmittel zur Erneue-
rung der Kirchenmusik im 15. Jh.
Der Zusammenhang der nun sich anschlieBenden Zeit
mit dem MA ist nicht zu bezweifeln. Im 15. Jh. ge-
schah jedoch soviel Neues, daB schon damals von einer
1430-40 einsetzenden Nova ars gesprochen wurde. Mit
ihr begann die sniederlandische Epoche« der Musik, die
auch das 16. Jh. umfaBt (->■ Niederlandische Musik).
Sie beruht auf einem dem MA unbekannten »Singstil«;
die Einzelstimme wurde gleichsam ein zu singender
Stimmstrom, der Satz ein Zusammenklang solcher
Strome im Wechsel von Konsonanz und Dissonanz,
die Musik dem Wort angenahert und bald wortahn-
lich. Hiermit erneuerte sich der eingangs erwahnte
choralische Stimmstrom der Gregorianik, die nun oft
polyphon bearbeitet wurde. Im Zusammenhang mit
dem MA seien nur zwei Abschnitte der niederlandi-
schen Epoche kurz behandelt : die Dufay-Zeit als erste
Auspragung des Neuen und die Reformation wegen
des gesteigerten deutschen Anteils. - In der Dufay-
Zeit lag die Fiihrung zeitweilig bei England. Es iiber-
mittelte dem Kontinent manches festgehaltene mittel-
alterliche Gut, als eigenes den auf Terz und Sexte be-
ruhenden Vollklang und den C. f . als Grundlage eines
Ordinariumszyklus. Da Englands Schwache in der
Profanmusik lag, und gerade hierin die Starke des
Kontinents, ubernahm die Fiihrung bald der universale
Musiker Guillaume Dufay. In Kantilenensatz und Mo-
tette verwurzelt, liedmaBig empfindend, strebte er
ahnlich den Notre-Dame-Musikern nach einem zeit-
578
Modalnotation
gemaBen Gesamtstil mit EinschluB des Profanen. Es
kennzeichnet die Epoche, daB man keine freie Kunst
im Sinne Vitrys wiinschte, sondern eine dienende, und
so steht nun der nach Motettenvorbild angelegte 5tei-
lige Ordinariumszyklus als GroBform voran. Schon
friih franzosische und italienische Volkslieder einbe-
ziehend, entnahm Dufay als erster den Tenor der
Messe auch franzosischen Chansons. Andere benutzten
deutsche, italienische oder sonstige Vorlagen, und so
war bald der profane Bereich voll einbezogen als Aus-
druck eines christlich geweihten Abendlandes.
Mit der Reformation wird der gesteigerte Anteil sicht-
bar, mit dem Deutschland nun an der Musik beteiligt
war. Als ihr Trager gesellte sich im 15. Jh. zu Fiir-
stenhof, Kirche, Kloster und Schule das Biirgerhaus.
Schon vor 1500 iibernahm man nach dem Zeugnis von
Adam von Fulda den niederlandischen Singstil, wie
auch der fiihrende Flame Heinrich Isaac durch seine
Tatigkeit fiir Kaiser Maximilian I., Friedrich den Wei-
sen und das Domkapitel von Konstanz, als Lehrer
Senfls und als Komponist deutscher Liedsatze nach-
haltig auf die deutsche Musik des 16. Jh. gewirkt hat.
Zur Verbindung mit dem Italien der -*■ Renaissance
kam die Anteilnahme von Humanisten (-»• Humanis-
mus). In breiter Schicht wirksam wurde jedoch die
Reformation, die durch Martin -» Luther mit der Mu-
sik in positivster Form verbunden war. Die Schop-
fung und Einfiihrung des Gemeindeliedes - satztech-
nisch ein Gesellschaftslied - gab dem seit der Dufay-
Zeit wirksamen Liedprinzip die zeitgemaBe, zukunfts-
trachtige Gestalt. Ausgehend vom Singstil niederlan-
discher Pragung, hat jedoch Luther die Musik iiber-
haupt bejaht, als eine dem Wort ebenburtige Kraft im
Gottesdienst zugelassen, auch das Profane an ihr als
Gabe Gottes betrachtet. In Deutschland ging es nicht
um freie, sondern um dienende Kunst. Auch der Kom-
ponist, Musicus poeticus genannt (-»■ Musica poetica),
blieb als Individualitat eingefiigt in die theozentrische
Welt des Christentums, ein bis zur Zeit J. S. Bachs maB-
gebender Vorgang. Die Reformation hat das theo-
zentrische Weltbild des MA fiir die Musik mit nach-
haltiger Wirkung erneuert.
Lit. (Gesamtdarstellungen) : Fr. Ludwig, Die geistliche
nichtliturgische, weltliche einst. u. d. mehrst. Musik d. MA
bis zum Anfang d. 15. Jh., Adler Hdb.; H. Besseler, Die
Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb. ; A. Pirro,
Hist, de la musique de la fin du XIV e s. a la fin du XVI e ,
Paris 1940; G. Reese, Music in the Middle Ages, NY (1940),
London 1941 ; ders., Music in the Renaissance, NY(1954),
21959; J. Handschin, Mg. im Oberblick, Luzern (1948),
21964; The New Oxford Hist, of Music, II Early Medieval
Music up to 1300, hrsg. v. A. Hughes OSB, London 1954,
21955, III Ars Nova and the Renaissance 1300-1540, hrsg.
v. dems. u. G. Abraham, ebenda 1960. HB
Mittelstimmen, im mehrstimmigen Satz die zwi-
schen Ober- und Unterstimme liegenden Stimmen.
Wahrend im polyphonen Satz die M. meist selbstan-
dig gefuhrt sind, haben sie im homophonen Satz den
Charakter von -> Fiillstimmen.
Mittenwald (Oberbayern).
Lit.: J. Macon, Die Entwicklung d. Geigenindustrie in
M., Diss. Erlangen 1913; J. Reiter, 250 Jahre M.er Gei-
genbau 1685-1935, M. (1936).
Mittonen -»■ Resonanz.
Mixolydisch -> Systema teleion, -> Kirchen-
tbne.
Mixtur (von lat. miscere, mischen, mixtura, Vermi-
schung; frz. fourniture, Zubehor, auch plein jeu; engl.
mixture; span, lleno) ist die gebrauchlichste aller ge-
mischten Stimmen der Orgel, die deren Klang den
orgeleigenen Glanz verleiht. Sie besteht aus mehreren
(3 bis 8, vom 13.-16. Jh. bis zu 18, 22 und mehr) hoch-
liegenden Pfeifenreihen (Choren), die mit Oktaven
und Quinten, seltener auch Terzen besetzt sind. Er-
klingen auf einer Taste 3 Pfeifen zugleich, so heiBt die
M. dreichorig oder dreifach, bei 4 Pfeifen vierchorig
oder vierfach usw. Angaben wie drei- bis fiinffach
oder fiinf- bis achtfach besagen, daB die M. zur Hohe
hin mehr (5 bzw. 8) Chore hat als in den tieferen La-
gen. Die M. der alteren Orgel konnte auch mehrere
gleich hohe, aber verschieden mensurierte Chore
(Doppelchore) haben, deren schwebender Klang den
Glanz der M. noch erhohte. Das Abbrechen hoher Cho-
re, um mit einem tiefer liegenden Chor neu anzusetzen,
heiBt Repetition {-*■ Formant). Die FuBtonbezeich-
nung einer M. richtet sich nach dem tiefsten Chor auf
der Taste C. Demnach disponiert M. dreifach 2' auf C:
ci gi c2 (d. h. 2' 1 1/ 3 ' 1'). Eine 6- bis 8fache M. A. Schnit-
gers hat beispielsweise folgenden Aufbau:
C H/3' 1' 2 /3' V2' 1/3' V4'
c 2' U/3' 1' 2/3' 1/2' V2' W
g 2' H/3' 1' 1' 2/3' 2/3' i/ 2 '
c' 22/3' 2' 2' H/3' 1' 1' 2/3'
g' 4' 22/3' 2' 2' H/3' 1' 1' 2/3'
c" 4' 4' 22/3' 22/3' 2' 2' 11/3' 1'
g" 4' 4' 22/3' 22/3' 2' 2' H/3' I1/3'
In der Mannigf altigkeit der Zusammensetzung der M.
zeigt sich die Kunst des Orgelbauers. Mehrchorigkeit
und Repetition sind die beiden Hauptmerkmale der
M., fiir die in der Zeit der romantischen Orchesteror-
gel das Verstandnis schwand, um mit der Orgelbewe-
gung neu gewonnen zu werden. Die M. gehbrt mit
Hintersatz, Scharf, Cimbel, Cymbale u. a. zur Pleno-
gruppe; sie ist nicht als Einzelregister zu verwenden,
sondern - wie der franzosische Name fourniture (Zu-
behor) sagt - als Klangkrone und -fiillung (mit Cym-
bale) insbesondere dem Pleno zugehorig. Ihire Mensur
ist nach Prinzipalart verhaltnismaBig eng, nach den
hohen FuBtonlagen sich noch verjiingend, dadurch
silbrig hell und nicht schreiend. Hierauf hat A. Schlick
in seinem Spiegel der Orgelmacher und Organisten (1511,
Cap. 6 und 7) mit folgenden kraftigen Worten hinge-
wiesen: Es soil auch nit vbersetzt sein mit andern grossen
pfeiffen / die dz werck ruch vnd grob / gut schweynisch ma-
chen I als die seuw schreyen etc. Sonder von klein pfeiffen
die selbigen recht proportioniert machent ein gut zart schnei-
dent m. vnd wie woll in selben auch mbgen kleiner quint-
lein sein I dock das sie nit gehort werden / scherpffen vnd
stercken auch woll . . . auch die chor all gegen ein ander von
vnden an bifi oben hinvfi recht proportioniert sein sollen /
einand' nit vberschreyen . . .
Mixtur-Trautonium ->-Trautonium.
Mizmar (arabisch; auch zamr) ist allgemein eine Be-
zeichnung fiir Holzblasinstrumente, speziell fiir Dop-
pelrohrblasinstrumente. ->• Zurna.
M. M., Abk. fiir -»■ Metronom Malzel.
Modalnotation (moderne Analogiebildung zu Men-
suralnotation). Geschaffen in der noch wenig aufge-
hellten Friihzeit der ->■ Notre-Dame-Schule wohl im
Zuge planmaBiger Einbeziehung modaler Rhythmen
in die mehrstimmige Kunst, diente die M. bis zur all-
mahlichen Auskristallisierung der ->■ Mensuralnotation
(Mitte des 13. Jh.) der Aufzeichnung modalrhythmisch
komponierter Teile und Stiicke innerhalb des Notre-
Dame-Repertoires. Als solche sind zu nennen : ->• Dis-
cantus-Partien (die in nichtmodal notierten 2st. Organa
als modale Einschiibe erscheinen), ->■ Klauseln, 3- und
4st. ->■ Organa, friihe -> Motetten, -*■ Conductus. Die
aus der nordfranzosischen Neumenschrift in ihrer Aus-
579
Modalnotation
pragung als »Quadratnotation« (Fr. Ludwig) gewonne-
ne und mit ihr weiterhin verbunden gebliebene M. bil-
det eine Zwischenstufe zwischen (rhythmisch indiffe-
renter) Neumenschrift und (rhythmisch differenzie-
render) Mensuralnotation. Charakteristisch fiir diese
Zwischenstufe ist, dafi sie zwar weitgehend noch mit
rhythmisch mehrdeutigen Schriftzeichen operiert (z. B.
kann ein 3toniges Zeichen wenigstens 4 verschiedene
Bedeutungen haben; siehe untenstehende Ubersicht),
aber bereits zur genauen Festlegung unterschiedlicher
rhythmischer Bewegungsablaufe tendiert. Drei Fakto-
ren konnen dem einzelnen Zeichen rhythmische Be-
stimmtheit verleihen: 1) die Unterscheidung nach der
in einem Zeichen enthaltenen Anzahl von Tonen (1-,
2-, 3-, 4tonige Neumenklassen: nota simplex, binaria,
ternaria, quaternaria; eine wichtige Sonderstellung
nimmt dabei die -*■ Plica ein), 2) die auf wenige und
typische Falle beschrankte Kombination von Zeichen
verschiedener Klassen (-> Cbniunctura), 3) die diesen
Kombinationen zugeordneten verschiedenen modalen
Rhythmen (-> Modus - 2). Kernstiick der M. waren
die mehrtonigen Neumen, nunmehr -> Ligaturen (- 1)
genannt. Aus den Angaben der erst spat einsetzenden
und bereits auf dem Boden der Mensuraltheorie stehen-
den Musiktraktate (Discantus positio vulgaris, Johannes
de Garlandia, Anonymus IV und VII u. a.) ergibt sich
etwa folgendes, das Prinzip veranschaulichende Bild
(L = Longa, B = Brevis) :
Modus
Kombination
Beispiel
rhythmische ]
mittelalterliche Theorie
3edeutung
heute
1.
322...
|As^
LBL BL BL
IAA1AIA
2.
...223
%sr*'
BL BL BLB
jj jj jjj
3. (oder 6.)
133...
h A \
L BBL BBL
J. jjj. jjj.
4.
kommt offenbar
sehr selten vor und ist umstritten
5.
111...
hn
LLL
J. J. J.
6. (oder 3.)
433...
\ A ra
BBBB BBB BBB
jjjj jjj jjj
(Da Theorie und Praxis nicht immer ubereinstimmten,
gehen die Auffassungen heute nicht selten erst recht
auseinander.) Zur Kennzeichnung des Anfangs und des
Endes einer Ligaturenkette dient ein senkrechtes Strich-
lein, das zugleich die Bedeutung eines Gliederungs-
oder eines Pausenstrichs erhielt (-»■ Divisio modi - 1 ;
-> Suspirium). Die Anzahl der zwischen zwei Pausen-
strichen stehenden regularen Ligaturen gibt AufschluB
iiber den ->• Ordo des betreffenden Modus. Komplika-
tionen und Unklarheiten ergeben sich haufig durch
Abweichungen von der Norm : vor allem bei Tonwie-
derholungen, durch Spaltung (fractio modi) oder Ver-
schmelzung (extensio) von Normalwerten sowie durch
syllabische Textunterlegung (bei Conductus und Mo-
tette). Fiir die Rekonstruktion des urspriinglich ge-
meinten Rhythmus erweist sich manchmal (aber nicht
immer) die mensurale Umschrift eines modalrhyth-
misch mehrdeutig notierten Stiicks als niitzlich.
Lit.: Fr. Ludwig, Repertorium organorum ... 1, 1, Halle
1910, S. 42ff., Nachdruck hrsg. v. L. A. Dittmer, NYu. Hil-
desheim 1964; H. Husmann, Die dreist. Organa d. Notre-
Dame-Schule mit besonderer Beriicksichtigung d. Hss.
Wolfenbuttel u. Montpellier, Diss. Bin 1932, Teildruck
Lpz. 1935; ApelN; R. v. Ficker, Probleme d. modalen
Notation, AMI XVIII/XIX, 1946/47; W. G. Waite, The
Rhythm of the Xll^-Cent. Polyphony, = Yale Studies in
the Hist, of Music II, New Haven (Conn.) 1954; Fr. Za-
miner, Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat.
3025), = Miinchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; H.
Tischler, A propos the Notation of the Parisian Organa,
JAMS XIV, 1961 ; E. Thurston, A Comparison of the St.
Victor Clausulae with Their Motets, in: Aspects of Me-
dieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966).
FZa
Modena (Emilia).
Lit. : V. Tardini, I teatri di M., 2 Bde, M. 1899/1900-1902;
E. Schenk, Osservazioni sulla scuola istrumentale mode-
nese nel Seicento, Atti e memorie della Accad. di scienze,
lettere e arti di M. V, 10, 1952; G. Roncaqlia, La scuola
istrumentale modenese del s. XVII, Sonder-H. d. Accad.
mus. chigiana, Siena 1956; ders., La cappella mus. del
duomo di M., = Hist. Musicae Cultores Bibl. V, Florenz
1957; ders., Gli Ambreville, musicisti modenesi, Atti e
memorie della deputazione di storia patria per le antiche
provincie modenesi VIII, 11, 1959.
moderato (ital.), modere (frz.), Abk.: mod., ge-
maBigt, eine Tempobezeichnung, die als Allegro m.
zu verstehen ist.
Modern Jazz (m'odan d3a:z, engl.), Sammelbezeich-
nung fiir die seit etwa 1953 (-»• Cool Jazz) einsetzenden
Versuche, den Jazz zu »modernisieren«, d. h. ihn durch
harmonische, kontrapunktische, klangliche und f ormale
Mittel im Sinne heutiger Kunstmusik zu verf einem. Die
Entwicklung begann an derWestkiiste der USA (San
Francisco, Los Angeles). In diesem West-Coast-Jazz, an
dessen Ausbildung vor allem weiBe Musiker beteiligt
waren (G.J. Mulligan, Shorty Rogers, Jimmy Giuffre),
entstand eine elegant-kontrapunktische, fast spannungs-
lose Musizierart, oft
auf Grand raffinier-
ter Arrangements.
Ahnliche Versuche
unternahm, in kam-
mermusikalischem
WoUen, Dave Bru-
beck, ein Komposi-
tionsschiiler von D.
Milhaud. An der
Ostkiiste mit dem
Zentrum New York
entwickelte sich der
besonders von f arbi-
gen Musikern be-
stimmto East-Coast-Jazz. Riickgrifle auf den -»• Be-bop
(Hard bop) und den -»■ Blues kennzeichnen diese mehr
expressiv-vitale Richtung (Horace Silver, Art Blakey).
- In kompositorischer Fixierung hat John Lewis (Mo-
dern Jazz Quartet) eine neue Verbindung wesentlicher
Momente des Jazz mit solchen der europaischen Kunst-
musik (Riickgrifle auf formale und kontrapunktische
Prinzipien der Barockmusik, Einbeziehung moderne-
rer Harmonik) angestrebt.
Modinha (moS'ijia, port., Modelled) war im 18./19.
Jh. zunachst eine Art virtuoser Arie, komponiert von
portugiesischen Komponisten nach dem Vorbild ita-
lienischer Opernarien unter Verwendung einheimi-
scher Melodien. Die M.s fanden auch in zeitgenossi-
sche Singspiele Eingang. In schlichterer Gestalt waren
sie in alien Volksschichten verbreitet. Nach der Kolo-
nisation Brasiliens durch die Portugiesen wurde die M.
hier, verquickt mit einheimischen Melodien, zu einem
einf achen, auch trivialen Volkslied der niederen Schich-
ten und gelangte so im 20. Jh. ins Ursprungsland zu-
riick, wo sie heute in Strophenform, ein- bis zweistim-
mig, zur Gitarre (oder mit Klavier) gesungen wird. -
Von H. Villa-Lobos gibt es 2 Alben M.s e catifdes aus
denjahren 1933-43.
Ausg. u. Lit. : C. das Neves u. G. de Campos, Cancioneiro
de musicas populares, 3 Bde, Porto 1893-98. - M. de An-
drade, M. imperials, S5o Paulo 1930; J. B. Siqueira, M.
do passado, Rio de Janeiro 1955.
580
Modulation
Modulatio und modulari (lat., von modus, MaB) sind
zentrale Begriffsworter in mittelalterlichen Musikde-
finitionen, so bei Augustinus: Musica est scientia bene
modulandi (erstmals belegt bei Censorinus, De die natali
X, 3, tibernommen aus Varros Disciplinae VII), dann
bei Cassiodorus (II, 5, 2; GS I, 16a) und Isidorus (II,
15, 1; GS I, 20a) und vielerorts, bis hin zu Tinctoris:
Musica est modulandi peritia, cantu sonoque consistens (Dif-
jinitorium, 1473/74). Modulari ist hier das dem tonlichen
und rhythmischen MaB (->■ Modus - 1) entsprechende,
als solches von Numerus und Ratio abhangige, daher
im Rang einer Scientia stehende musikalische Gestalten.
Nach Augustinus (I, 3) kann das MaB (modus) nur in
Vorgangen der Bewegung (motus) gestort werden,
und nach ihm ist M. die »Kenntnis des Bewegens« (m.
non incongrue dicitur movendi quaedam peritia) ; denn in
reenter (ethisch wirksamer) Weise wird etwas nur
dann bewegt, wenn es das MaB wahrt (Non enim pos-
sumus dicere bene moveri aliquid, si modum non servat . . .).
Indem der Begriff der M. das Prinzip der zahlhaft ge-
ordneten musikalischen Bewegung benannte, die als
harmonica m. alien Dingen zugrunde liegt, diente er
zugleich der kosmologischen Sinngebung der ->■ Musi-
ca (besonders ausf iihrlich bei Jacobus Leodiensis, Specu-
lum musicae I und II, CSM III, I, 15f. und Ha, 12ff.). In
Spatmittelalter und Renaissance verloren sich in den
Musikdefinitionen der durch bene bezeichnete ethische
und der kosmologische Begriffsinhalt von m., indem
bene durch recte oder regulariter u. a. und modulari
durch canere oder cantare ersetzt wurden. Unabhangig
davon und nicht im Widerspruch zu Augustinus' Be-
stimmung wurde m. (modulari, auch modulamen,
modulator) im lateinischen Musikschrifttum des Mit-
telalters oft teils gleichbedeutend mit componere, can-
turn formare u. a. (-*■ Komposition), teils im Sinne der
Ausfiihrung eines Gesanges (canere, decantare u. a.)
gebraucht. Noch im 18. Jh. definiert J.G.Walther
(1732) M. als die Fuhrung einer Melodie oder Sang- Weise
und bezeichnet J.Mattheson (Capellm., S. 109) die
Kunst zierlich zu singen und zu spielen als Modulatoria
vocalis et instrumentalis. - Da Modus auch die Bedeu-
tung von »Tonart« (tropus, tonus) hatte, bezeichnete
M. speziell die der Tonart entsprechende Gestaltung
und dies ebenfalls bis ins 18. Jh. : modulieren heiBt, den
guten Regeln der Modorum folgen (WaltherL, Artikel
Musica Modulatoria). In seiner heutigen Grundbedeu-
tung hat sich -*■ Modulation (- 1) erst seit dem 18. Jh.
allmahlich verfestigt als Bezeichnungsfragment fur den
Ausdruck »Modulation [Tonfiihrung] von einer Ton-
art zur anderen« (vgl. Eggebrecht, S. 114fl.). Der
Wechsel der Tonart wurde in friiheren Zeiten -»■ Me-
tabole, Transitus per tonum (Remi d'Auxerres, GS I,
79a), Mutatio per modum vel tonum (-»• Mutation - 2)
oder Alteratio modi (Chr. Bernhard, ed. Muller-Blat-
tau, S. 79 und 108) genanrit.
Lit.: E. Holzer, Varroniana, in: Ulmer Gymnasialpro-
gramm 1890; H. Edelstein, Die Musikanschauung Au-
gustins nach seiner Schrift »De musica«, Freiburg i. Br.
1929 ; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie,
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. so-
zialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10. HHE
Modulation (von lat. -> modulatio). - 1) In der dur-
moll-tonalen Musik bezeichnet M. den Ubergang aus
einer Tonart in eine andere bzw. das Ubergehen der Be-
deutung des Hauptklanges (Tonika) auf einen anderen
Klang (Riemann). Jede M. setzt voraus, daB zunachst
eine Ausgangstonart durch ihre wesentlichsten Akkor-
de eindeutig dargestellt ist. Die eigentliche M. voll-
zieht sich dann durch Umdeutung der Akkorde aus der
Bedeutung, welche sie in der zum Ausgange genommenen
Tonart haben, zu derjenigen, welche ihnen in einer ande-
ren Tonart zukommt (Riemann). Mit dem eindeutigen
SchluB in der Zieltonart ist die M. beendet. Das nur
fliichtige Verlassen der alten Tonart, dem sofort die
Ruckwendung folgt, heiBt Ausweichung und gilt noch
nicht als M. Von der M. durch Umdeutung wird die
harmonische Ruckung unterschieden, das unverbun-
dene Nebeneinanderstellen von Satzteilen in verschie-
denen Tonarten. Es ist jedoch zu beachten, daB in je-
dem einheitlich gearbeiteten musikalischen Kunstwerk
auch die Partien, die sich nicht in der Haupttonart be-
wegen, dennoch in deren Banne stehen. Die durch M.
eingefuhrten fremden Tonarten haben ihre eigentliche
Bedeutung durchaus in ihrer Beziehung zur Hauptton-
art, so daB M.en eines Tonstiicks als »>Tonalitatsschritte«
einer ahnlichen Beurteilung unterliegen wie Klang-
folgen als Harmonieschritte, worauf u. a. auch Hinde-
mith hingewiesen hat. MaBgebend fiir die M. ist die
Verwandtschaft der Tonarten, die nichts anderes ist als
die VerwandtschaftderHauptklange (Toniken). Schrit-
te zu Tonarten, die nicht direkt quint- oder terzver-
wandt sind, erfordern ebenso eine Rechtfertigung (den
vorherigen oder nachtraglichen Obergang zu direkt
verwandten Tonarten) wie Folgen entfernt verwandter
Klange. - Die Bezeichnung M. fiir den Ubergang der
Tonikabedeutung auf einen anderen Klang hat sich im
deutschen Sprachbereich erst im Laufe des 19. Jh. all-
gemein durchgesetzt. In den deutschen Musiklehren
des 18. Jh. wird der Tonartwechsel vielfach Auswei-
chung genannt. Den Obergang von einer Tonart zur
anderen unterscheidet noch G.Weber 1818 als »aus-
weichende« M. von der »leitereigenen«, dem Verblei-
ben in derselben Tonart. Bevorzugt waren im 18. Jh.
im allgemeinen nur Ausweichungen in die benachbar-
ten Tonarten der Haupttonart (die 5 »Nebentonarten«) :
in Dur die »harten« Tonarten der Quinte und Quarte
sowie die »weichen« der Sexte, Terz und Sekunde, in
Moll die »weichen« Tonarten der Quinte und Quarte
sowie die »harten« der Terz, Sexte und Septime. Accor-
de, die auf einen anderen Ton oder Tonart ihr Absehen ha-
ben . . . konnen nur zufalligerweise im Vorbeygehen be-
rtihret werden (Marpurg 1762). Auch wurde die Anzahl
der M.en vom Umfang der Stiicke abhangig gemacht.
Haufige und rasche M.en sowie solche in entfernte
Tonarten waren nur im Rezitativ und in der freien
Fantasie erlaubt. Noch G.J.Vogler, dessen Lehren die
Harmonik der f riihen deutschen Romantik - vor allem
die seines Schiilers CM. v. Weber - entscheidend be-
einfluBt haben, wollte 1776 die Anzahl der moglichen
Ausweichungen auf 44 beschrankt wissen. Fiir die Auf-
hebung dieser, besonders durch die Musik der Wiener
Klassik bald iiberholten Vorschriften setzte sich als
Theoretiker zuerst G. Weber ein. Fetis' Vorahnung von
zunehmender Chromatik und Enharmonik in der Mu-
sik (1844) wurde durch die musikalische Entwicklung
im ausgehenden 19. Jh. weitgehend bestatigt. H. Rie-
mann machte 1887 als erster die M.s-Lehre einer syste-
matischen und erschopfenden Behandlung fahig, in-
dem er die Akkorde, die umgedeutet werden, doppelt
bezeichnete (z. B. T6 = S6). Die zunehmende chro-
matisch-enharmonische Ausweitung der Tonalitat in
der Spatphase der dur-moll-tonalen Musik fiihrt zu ei-
nem Zuriickdrangen des Begriffs M. im Sinne eines
selbstandigenEreignisses im tonalen Ablauf. Die inner-
halb einer Komposition erreichten Tonarten werden
nicht mehr als verschiedene »Tonalitaten« gedacht,
sondern als Glieder eines tonalen Gesamtprozesses ver-
standen, der als »Monotonalitat« (Schonberg, S. 19) be-
grifflich definiert wird. Danach wird jede Abweichung
von der Tonika als in der Tonart stattfxndend betrachtet,
d. h. Monotonalitat begreift M. ein. Die Abweichungen
von der Tonart gelten als Regionen innerhalb der Ton-
581
Modulus
art, untergeoti.net der Zentralgewalt der Tonika. Aufdiese
Weise wird ein Verstehen der harmonischen Einheit inner-
halb eines Stiickes erreicht (Schonberg, S. 19).
- 2) In der Akustik bezeichnet die M. die periodische
Veranderung einer charakteristischen GroBe einer
Schwingung. Verandert werden konnen die Amplitude
(Amplituden-M., Abk. : AM), die Frequenz (Frequenz-
M., Abk.: FM) sowie die Phase (Phasen-M.). Der Be-
trag dieser periodischen Veranderung wird als M.s-
Hub in Prozenten angegeben, ihre Haufigkeit pro sec als
M.s-Frequenz in Hertz. AM und FM spielen vor allem
in der Rundfunktechnik eine Rolle. In der musikali-
schen Praxis sind sie als Tremolo bzw. Vibrato (oft
kombiniert) zu beobachten. Haufig werden modulier-
te Schallvorgange auch im -> Horversuch verwendet.
Lit. : zu 1) : J. D. Heinichen, Der Gb. in d. Compo-
sition, Dresden 1 728 ; Bach Versuch ; Fr. W. Mar- 1 .M. :
purg, Hdb. bey d. Gb. u. d. Composition I, Bin
2 1762; J. Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen 2.M.:
Satzes in d. Musik I, Bin u. Konigsberg 1771 ; G. J. _ M
Vogler, Tonwissenschaft u. Tonsetzkunst, Mann- ■'•M. :
heim 1776; ders., Hdb. d. Harmonielehre u. f. d. . . .
Gb., Prag 1 802 ; H. Chr. Koch, Versuch einer An- 4 - M - :
leitungzur Composition II, Lpz. 1787; KochL;H. c v* .
Chr. Koch, Mus. Lexikon, bearb. v. A. v. Dom- ' ' "
mer, Heidelberg 1865; A. Reicha, Cours de com- ,- w .
position mus. . . . , Paris 1818 ; G. Weber, Versuch ' ' '
einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst II, Mainz 1818 ;
Fr.-J. Fetis, Traite complet de la theorie et de la pratique
de l'harmonie, Paris 1844, 71861, "1879; H. Riemann,
Systematische Modulationslehre als Grundlage d. mus.
Formenlehre, Hbg 1887; ders., Hdb. d. Harmonielehre,
Lpz. 31898; Riemann MTh; M. Reger, Beitr. zur Mo-
dulationslehre, Lpz. 1903, 2*1952; H. Kurzmann, Die M.
in d. Instrumentalwerken Mozarts, StMw XII, 1925; H.
Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren
Musik, Lpz. 1927; W. Maler, Beitr. zur Harmonielehre,
3 H., Lpz. 1931, neu bearb. mit G. Bialas u. J. Driessler
als: Beitr. zur durmolltonalen Harmonielehre, Milnchen
u. Duisburg •'1957; J. Stephan, Der modulatorische Auf-
bau in Bachs Gesangswerken, Diss. Innsbruck 1933,
maschr.; G. Wilcke, Tonalitat u. M. im Streichquartett
Mendelssohns u. Schumanns, Lpz. 1933; H. Schenker,
Neue mus. Theorien u. Phantasien III : Der freie Satz, Wien
1935, 2 1956; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I,
Mainz 1937, 21940, engl. als: Craft of Mus. Composition I,
London 1942; A. Schonberg, Structural Functions of
Harmony, hrsg. v. H. Searle, NY 1954, deutsch v. E. Stein
als: Die formbildenden Tendenzen d. Harmonie, Mainz
(1957); W. Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre, 2 Bde, Regens-
burg 1957-59; R. Woodham, The Meaning of M., MR
XXI, 1960; E. Seidel, Die Enharmonik in d. harmoni-
schen GroBformen Fr. Schuberts, Diss. Ffm. 1962; Beitr.
zur Musiktheorie d. 19. Jh., hrsg. v. M. Vogel, = Studien
zurMg.d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966.
Modulus (lat., Diminutiv von -> modus), in der mit-
telalterlichen Musiklehre eine der vielen Bezeichnun-
gen fur eine Melodieformel (z. B. fiir die Tonartformel
im Tonar), auch fur eine Stimme oder einen Stimm-
abschnitt im mehrstimmigen Satz, besonders fiir die
Melismen des Organum im 12.-13. Jh. Auch in der Be-
deutung der (haufig instrumentalen) Verzierungsfigur
(eines musicalischen Formelchen, WaltherL) kommt M.
vor. - M. bezeichnet auch den verschiebbaren Steg des
-»■ Monochords.
Modus (lat., das einer Sache innewohnende MaB, dann
auch Vorschrift, Regel, Art und Weise), - 1) in der la-
teinischen Literatur zunachst belegt im Sinne von Ab-
gemessenheit der Tonbewegung, Melodie, Weise
(-> Modulatio). Boetbius (De institutione musica TV, 15)
gebraucht dann die Benennung modi fiir die Tropi
oder Toni, d. h. fiir die Oktavgattungen und Tonarten
der griechischen Musiktheorie. Im friihen Mittelalter
hat sich unter dem EinfluB der boethianischen Termi-
nologie m. neben tonus und tropus als Bezeichnung
der -> Kirchentone und spater der -*■ Tonarten einge-
biirgert (vgl. ital. modo, frz. und engl. mode; Tonge-
schlechter: frz. mode majeur und mineur, -> Genos).
- 2) Als Terminus der zusammen mit der Rhythmik
der -> Notre-Dame-Schule auf gekommenen, heute im
einzelnen noch nicht ganz durchsichtigen Rhythmus-
lehre ist M. erst verhaltnismaBig spat bezeugt (seit del
Discantus positio vulgaris, ed. Cserba, S. 193, CS 1, 96b).
Diese mit der -»• Modalnotation verbundene, in ihrei
Entstehung noch wenig geklarte Lehre beruhte auf del
Unterscheidung verschiedener dreizeitiger Rhythmen.
In den altesten erreichbaren, aber schon ein fortge-
schrittenes Stadium (friihe Mensuraltheorie) reprasen-
tierenden Darstellungen der Lehre galten folgende Mo-
di als Grundformen (L = Longa ■, B = Brevis ■) :
LBLBL... VI"! (J J J J J)
BLBLB... ■ V 1 " (Jd JJ J)
LBBLBBL...^,.^..^ (J- J J J- J J J-
BBLBBL... ■■^■■^ (JJJ-JJJ-)
LLLL ... H 1 1 1 (J- J- J- J*)
BBBB... ■■■■ (J J J J)
Daneben gab es auch Modi irregulares, z. B. (CS 1, 97b,
328a):LLBLLB... ^ ■ ^ ■ (J- J J J- J J;
weitere solche Modi nennt Anonymus IV (CS 1, 361f.).
Die Benennung der Modi nach antiken VersfiiBen
(trochaeus, iambus, dactylus, anapaestus, molossus, tri-
brachys) ist erst aus viel spaterer Zeit und nur in Ver-
bindung mit der Bestimmung des -*■ Ordo bekannt
(W.Odington, CS I, 238ff.). Das Verhaltnis der Modi
zueinander, die Unterscheidung von primaren und
sekundaren (abgeleiteten) Modi, war bereits im 13. Jh.
umstritten (seit Garlandia). Die Betonung der modalen
Rhythmen wird heute nicht ganz einheitlich beurteilt;
z. B. unterscheiden einige Forscher zwei Betonungen
des 2. M., J J J J und J a) Jo, wobei die letztere
> > > >
uneigentlich sei und den Rhythmus zu einem »auftakti-
gen« 1. M. mache; der 3. M. wird meist als d- J d
betont auf gef aBt. In Anlehnung an die modalen Rhyth-
men werden heute mehrfach auch nichtmodal notierte
Stiicke auBerhalb des Notre-Dame-Kreises rhythmisch
gedeutet (-»■ Trobadors, -»■ St-Martial u. a.). - 3) Auf
der Stufe der ->■ Mensuralnotation (-» Mensur - 2) er-
hielt M . im 1 4. Jh . allmahlich eine von der Beziehung auf
bestimmte Rhythmen unabhangige, abstrakte Bedeu-
tung, die lediglich das Verhaltnis der groBten Noten-
werte untereinander erf aBt: M. maior betrifft das Ver-
haltnis von Longa zu Maxima, M. minor das von Bre-
vis zu Longa. Der Zusatz perfectus besagt, dafi es sich
um das Verhaltnis 1 : 3, imperfectus, daB es sich um das
Verhaltnis 1:2 handelt. In der Praxis war eine beson-
dere Vorzeichnung meist nicht iiblich. - 4) Als Be-
zeichnungsfragment begegnet M. u. a. in den Bedeu-
tungen Intervall (von m. consonantiarum) und Kom-
positionsweise (z. B. m. fauxbourdon).
Lit. : H. Huschen, Der M.-Begriflf in d. Musiktheorie d,
MA u. d. Renaissance, Mittellat. Jb. II, 1965. - zu 2): G.
Jacobsthal, Die Mensuralnotenschrift d. 12. u. 13. Jh.,
Bin 1871; Riemann MTh; Fr. Ludwig, Repertorium or-
ganprum . . ., 1, 1, Halle 1910, S. 42Sf., Nachdruck hrsg. v.
L. A. Dittmer, NY u. Hildesheim 1964; A. M. Micha-
litschke, Theorie d. M., Regensburg 1923 ; J. Handschin,
Zur Notre-Dame-Rhythmik, ZfMw VII, 1924/25; H. So-
wa, Zur Weiterentwicklung d. modalen Rhythmik, ZfMw
XV, 1932/33 ; J. Chailley, Quel est l'auteur de la »theorie
modale« dite de Beck-Aubry ?, Af M w X, 1 953 ; L. A. Ditt-
582
Mongolei
mer, Binary Rhythm, Mus. Theory and the Worcester
Fragments, MD VII, 1953; H. Husmann, Das System d.
modalen Rhythmik, AfMw XI, 1954; Fr. Gennrich, Wer
ist d. Initiator d. »Modaltheorie« ?, Miscelanea en homena-
je a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; ders., Streifziige
durch d. erweiterte Modaltheorie, AfMw XVIII, 1961 ; E.
H. Sanders, Duple Rhythm and Alternate Third Mode in
the 13 th Cent., JAMS XV, 1962; Br. Stablein, Modale
Rhythmen im St-Martial-Repertoire?, Fs. Fr. Blume,
Kassel 1963; Fr. Reckow, Der Musiktraktat d. Anon. 4,
= BzAfMw IV, Wiesbaden 1967; H. Vanderwerf, De-
klamatorischer Rhythmus in d. Chansons d. Trouveres,
Mf XX, 1 967. - zu 4) : H. H. Eggebrecht, Studien zur mus.
Terminologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d.
geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10.
Moll (lat. mollis, weich, sanft, schlaff) bezeichnet das
weiche Tongeschlecht mit kleiner Terz und kleiner
Sexte, bildet mit -> Dur ein Begriffspaar und teilt des-
sen Benennungs- und Bedeutungsgeschichte. Die all-
mahliche Umwandlung der Kirchentone in die beiden
neuzeitlichen Tongeschlechter endete jedoch fur M.
weniger eindeutig als fur Dur. Noch heute werden in
der Praxis 3 Formen der M.-Skala unterschieden:
natiirliches M.
melodisches M.
harmonisches M.
L^>-
m
Tonika Dominante
Sie weichen im oberen Teil (6.-8. Stufe) voneinander
ab. Die naturliche oder reine M.-Tonleiter, der von
Glareanus als 9. (bzw. 10.) Ton den 8 ->■ Kirchentonen
angegliederte aolische Modus, kommt ohne Erhohun-
gen aus, findet aber in der dur-moll-tonalen Musik
meist nur als absteigende melodische M.-Skala Ver-
wendung, da die klassische und romantische Harmonik
auch in M. nicht auf den Leitton verzichtet. Dessen
Einfiihrung ins Aolische macht - zur Vermeidung der
»unsanglichen« iibermaBigen Sekunde (f-gis) - auch
dieErhohung der 6. Stufe zur groBen (dorischen) Sexte
uber der 1 . Stufe notwendig, wodurch die auf steigende
melodische M.-Tonleiter entsteht. Die harmonische
M.-Skala kann als eine zur
Leiter angeordnete Zu-
sammenstellung der Tone
angesehen werden, die in
M. die vollstandige Ka-
denz bilden (Beispiel in Subdominante
A moll). Durch den harmonisch motivierten Gebrauch
dieser Tonleiter findet der unsangliche Schritt von der
6. zur 7. Stufe auch in die Melodik Eingang, wird als
reizvoll empf unden und in der -> Zigeunertonleiter, ei-
nem gleichsam lydisch gef arbten M. , sogar zweimal ver-
wendet. - Dur- und M.-Dreiklang gelten seit Zarlino
(1558) als die zwei Akkorde, auf denen alle Vielfalt to-
naler Harmonie beruht. Beide unterscheiden sich durch
die Einstimmung ihres mittleren Tones, der in M. eine
kleine Terz zum Grundton bildet. Die unleugbare
Tatsache des gleichen oder zumindest ahnlichen Kon-
sonanzgrades, aber unterschiedlichen Klangcharakters
beider Dreiklange hat die Musiktheorie vom 16. bis
zum 20. Jh. beschaftigt, ohne daB eine allgemeinver-
bindliche Erklarung dafiir gefunden werden konnte.
Fiir Zarlino, der die Existenz der Partialtone noch nicht
kannte, war der M.-Akkord weniger vollkommen als
der Durakkord, da die Saitenlangen seiner Tone (nur)
der arithmetischen und nicht wie beim Durdreiklang
der harmonischen Proportion entsprechen. Rameau
schwankte in der Beurteilung des M.-Dreiklangs. An-
fanglich (1722) gegen Zarlino eingenommen, kommt
er 1737 doch auf die arithmetische Proportion zuriick
und gelangt zu einer quasi dualistischen M.-Erklarung.
Deren akustischer Fragwiirdigkeit wird er sich in der
Demonstration (1750) bewufit und nimmt fiir den M.-
Akkord zwei Erzeugertone an, womit er H. v. Helm-
holtz' Erklarung vorwegnimmt. Im Anhang seiner
Spatschrift Code de musique (1760) benutzt er zur Ab-
leitung des M.-Dreiklangs ausschlieBlich die Oberton-
reihe (e2-g2-h2 = 10:12:15 uber C = 1). Die einseitige
Betrachtung des M.-Akkords unter dem Aspekt der
Partialtone vermag aber dessen Konsonanz nicht zu
erklaren, da sich einerseits der Ton es des Dreiklangs
c es g nicht unter den Obertonen von c befindet und
andererseits der Grundton des M.-Dreiklangs, der in
der Partialtonreihe vorkommt (e 2 -g 2 -h 2 ), nicht mit
dem Grundton der Partialtonreihe (C) zusammenfallt.
H.v.Helmholtz charakterisiert daher 1862 den M.-
Dreiklang als »getriibte« Konsonanz und analysiert ihn
als Kombination derElemente zweier Durklange, z. B.
c-es-g als c-g (von C) + es (von Es). Mit dieser Auffas-
sung verwandt ist die M.-Erklarung des »Monismus«
(A.J. Polak, Uber Zeiteinheit in bezug auf Consonanz,
Harmonie und Tonalitat, Leipzig 1900; G. -»■ Capellen
1904), wonach der M.-Klang als »vermittelte« (»kom-
binierte«) Konsonanz nicht unabhangig auf sich beruht,
sondern stets von mehreren Dur-(Natur-)Klangen ab-
geleitet ist. Der von Hauptmanns dialektischer Erkla-
rung des Dur-M.-Gegensatzes ausgehende -> Dualis-
mus A.v. Oettingens und Riemanns sucht dagegen das
den M.-Dreiklang bildende Terz-Quint-Verhaltnis
nicht oberhalb, sondern unterhalb des harmonischen
Zentrums. Dur- und M.-Dreiklang sind hier zwar po-
lar entgegengesetzte, aber gleichberechtigte Konso-
nanzen. Kurth (1913) betrachtet Dur- und M.-Akkor-
de gleicher Basis als entgegengesetzt gerichtete relativ
schwachste Abweichungen vom (imaginaren) Fall ab-
soluter Ruhe. Denn jede groBe Terz habe Leittonspan-
nung nach oben, jede kleine nach unten. Die mangeln-
de Eindeutigkeit des M.-Geschlechts gibt zwar der
Musiktheorie Ratsel auf, hat aber das Komponieren
ungemein befruchtet. M.-Harmonik schwankt zwi-
schen gleichnamigem und parallelem Dur; sie wirkt
daher im ganzen farbiger als die Durharmonik und
wurde im 19. Jh. dem Dur vorgezogen.
Lit. : —> Dur, — » Dualismus, — ► Harmonielehre.
Moment musical (mom'a miizik'al, frz., musikali-
scher Augenblick), instrumentales ->• Charakterstiick
in einfacher Liedform und von intimer Haltung. Der
Name M. m. taucht im Zusammenhang mit den 6
Klavierstiicken op. 94 (D 780) von Fr. Schubert erst-
mals auf, die 1828 unter dem Titel Momens musicals er-
schienen. Der Titel in dieser Form stammt wahrschein-
lich von dem Wiener Verleger Leidesdorf, der Jahre
vorher eigene Momens melancholiques herausgebracht
hatte. Moments musicaux fiir Orch. (op. 19, 1955)
schrieb G.Klebe.
Mongolei.
Lit. : P. J. van Oost, La musique chez les Mongols des
Urdus, Anthropos X, 1915 -XI, 1916; I. Krohn, Mongoli-
sche Melodien, ZfMw III, 1920/21 ; E. Emsheimer, Uber d.
Vorkommen u. d. Verwendung d. Maultrommel in Si-
birien u. Zentralasien, Ethnos VI, 1941 ; ders., Preliminary
Remarks on Mongolian Music and Instr., in: Reports
from the Scientific Expedition ... of Sv. Hedin . . . , Publi-
cation 21 , VIII, Ethnography 4, The Music of the Mongols
I, Eastern Mongolia, Stockholm 1943 ; ders., Mongolische
Musik, in : Studia ethnomusicologica eurasiatica, = Mu-
sikhist. museets skrif ter I, ebenda 1 964; Ch. Takeda, Songs
of the Mongols. Motations and Explanations, Journal of
the Soc. for Research in Asiatic Music, H. 10/1 1, 1952; L.
583
Monochord
Vass, A mongol zenerol (»t)ber mongolische Musik«), Uj
zenei szemle VI, 1 955 ; L. Picken, The Music of Far-Eastern
Asia, in: The New Oxford Hist, of Music I, London 1957.
Monochord (griech., von [i6vo<;, einzig, und x°pStj>
Sake; auch xavtov; lat. regula, norma) besteht aus ei-
nem rechteckigen Resonanzkasten mit einer lings dar-
iibergespannten Saite, die an zwei Punkten gesttttzt
oder befestigt wird und durch einen verschiebbaren
Steg (modulus, spater meist magadis oder magada,
auch stephanus genannt) beliebig geteilt werden kann.
Eine auf den Resonanzkasten gezeichnete Skala mar-
kiert die einzelnen Teilungspunkte, so daB mit Hilfe
des M.s jedes Intervall in akustischer Reinheit klingend
dargestellt werden kann. Angeblich von Pythagoras
erfunden, war es seit der Antike vor allem zur mathe-
matischen Bestimmung und Erklarung der musikali-
schen Tonverhaltnisse als Demonstrations- und Kon-
trollwerkzeug von hervorragender Bedeutung (-* Ka-
non - 1). Wahrend sich das friihe Mittelalter (Boethius),
der antiken Praxis folgend, des M.s als eines Systems
bediente und an ihm die der Musica zugrunde hegen-
den Proportionen im Rahmen einer Theoria der Be-
trachtung zuganglich machte, fand diese Aufgabe des
M.s seit dem 10. Jh. eine grundlegende Erweiterung,
indem das Instrument nunmehr auch als praktdsches
Hilfsmittel fiir den Musikunterricht zur Demonstratio
rudimentorum ad oculos und zum Erlernen von Ge-
sangen herangezogen wurde. Dabei garantiert die nach
der Mensura m.i vorgenommene Saitenteilung eine ab-
solute mathematisch-akustische Exaktheit: quod enim
bene mensuratum est, nunquam fallit (GS I, 253a). Die
Tonstuf en werden durch Teilung der Saite in den Pro-
portionen 2:1 (Oktave), 3:2 (Quince), 4:3 (Quarte)
und 9:8 (Ganzton) gefunden; der Kommentar zu H.
Spechtsharts Flores musicae spricht von Mensura bi-
naria, ternaria, quaternaria und novenaria. Im Micro-
logus (Cap. Ill) gibt Guido von Arezzo zwei Teilun-
gen, von denen sich die erste leichter dem Gedachtnis
einpragen und die zweite schneller zum Ziele fiihren
soil. Im Gegensatz zu den M.-Mensuren, deren Uber-
Ueferung einen wesentlichen Bestandteil der mittelal-
teriichen Musiktraktate ausmacht (Odo von St. Maur,
Guido von Arezzo, Johannes Affligemensis), sind kon-
krete Angaben iiber den Bau des Instruments, seine
GroBe und seine Saitenlange nur relativ selten zu fin-
den. - Aus dem M. ist im spaten Mittelalter das Clavi-
chord hervorgegangen, wobei das ebenfalls mono-
chordum genannte Polychord eine Zwischenstufe bil-
det (1434 erwahnt Georgius Anselmi ein mehrsaitiges
Instrument mit Tasten, d. h. ein Tastenpolychord oder
Clavichord; vgl. auch J. Gallicus, CS IV). Eine Sonder-
art ist das Tasten-M. (Clavi-M.), wie es um 1460/70 im
Novellus musicae artis tractatus des reformfreudigen Ma-
gisters Conrad von Zabern beschrieben wird. Dieses
entstand nach dem Vorbild des commune clavichor-
dium, welches auf eine Saite beschrankt und mit einer
dem Guidonischen System entsprechenden Tastenreihe
versehen wurde (rut - ela, d. h. G-e 2 = 20 Tasten + 2
den Claves hdurorum eingefiigte Claves bmollium).
Eine wohldurchdachte Tastenbeschriftung (inscriptio)
dient der Veranschaulichung der musikalischen Grund-
begriffe. Sie enthalt die Tonbuchstaben (litterae oder
claves), Solmisationssilben (syllabae oder voces) und
Schliisselbuchstaben (F, c, g) sowie eine Markierung
der Hexachordanfange. Uber die zahlreichen Verwen-
dungsmoglichkeiten des Tasten-M.s berichtet Conrad
ausfiihrlich in seinem Opusculum de monochordo (ge-
druckt zwischen 1462 und 1474). Wertvolle Angaben
iiber das M. linden sich gleichfalls in der Musica practica
des Ramos de Pareja (hrsg. v. J. Wolf, =BIMG I, 2,
Leipzig 1901).
Lit. : Flores musice ... v. Hugo v. Reutlingen, hrsg. v. C.
Beck, = Bibl. d. litterarischen Ver. in Stuttgart LXXXIX,
Stuttgart 1868, Nachdruck Amsterdam o. J.; Die Musik-
traktate Conrads v. Zabern, hrsg. v. K.. W.Gumpel, = Akad.
d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss.
Klasse, Jg. 1956, Nr 4; Georgius Anselmi Parmensis, De
musica, hrsg. v. G. Massera, = Hist. Musicae Cultores,
Bibl. XIV, Florenz 1961 ; S. Wantzloeben, Das M. als
Instr. u. als System, Halle 1911; J. Handschin, Aus d. al-
ien Musiktheorie V: Zur Instrumentenkunde, AMI XVI/
XVII, 1944/45; W. Nef, The Polychord, The Galpin Soc.
Journal IV, 1951 ; K. W. GOmpel, Das Tastenm. Conrads
v. Zabern, AfMw XII, 1955; J. Chailley, Le monocorde
et la theorie mus., in: Organicae voces, Fs. J. Smits van
Waesberghe SJ, Amsterdam 1963. KWG
Monodie (griech. u,ov<o8£a, Einzel-, Sologesang), in
der griechischen Antike der wohl meist von einem mit-
spielenden Instrument (Aulos, Kithara, Lyra) unter-
stiitzte Gesang eines einzelnen (vgl. Pseudo-Aristote-
les, Problemata XIX, 9 und 43). Bezeugt ist das Wort als
Benennung einer bestimmten, fiir die Tragodien von
Euripides charakteristischen Art von gesungenen, oft
monologahnlichen Schauspielerpartien (zuerst durch
Aristophanes, z. B. »Frosche« 849, 944, 1330, wo diese
Art parodiert wird), spater auch allgemein als zusam-
menfassende Bezeichnung fiir andere Arten von Ein-
zelgesangen, etwa der Rhapsoden und Kitharoden
(Platon, »Gesetze« 764d-e). Als Terminus hat sich M.
anscheinend erst im Gefolge der alexandrinischen Phi-
lologen allmahlich eingebiirgert (Tragodienkommen-
tare, Lexika). Bei Aristoteles gehoren die Tragodien-
M.n zu den za djio xfjg axtjvfjg (»Poetik« 1452b), ha-
ben also noch keinen eigenen Namen. Eine scharf e Ab-
grenzung gegen die im Drama sonst vorkommenden
Schauspielergesange scheint deshalb kaum moglich.
Was die M. auszeichnete, war offenbar die lyrisch-
musikalische Nachahmung und Darstellung ((xtjxTjan;)
des tiefsten Schmerzes, seltener auch der hochsten Freu-
de (in den »Phoinikerinnen« von Euripides letzteres et-
wa 301ff., ersteres dagegen 1485ff.). Bei Euripides kon-
nen vom Rhythmus her drei verschiedene Typen von
M.n unterschieden werden: a) die nichtstrophischen
anapastischen Klagegesange (z. B. »Troerinnen« 98ff. ;
vgl. auch Sophokles, »Elektra« 86ff.) ; b) strophisch ge-
baute Gesange, haufig threnodischen Charakters (z. B.
»Alkestis« 393fi. und 406ff.; -*■ Threnos), doch sind die
respondierenden Strophen mitunter weit voneinander
getrennt (so entspricht im »Hippolytos« der Chorpar-
tie 362S . die solistische Partie 668ft .) ; c) in den Spat-
werken die wohl unter dem EinfluB des jiingeren
-> Dithyrambos entstandenen nichtstrophischen, rhyth-
misch (und melodisch?) nunmehr ganz dem Sinn der
Worte angepaBten Gesangspartien (z. B. der Bericht
des atemlosen, dem Tode entronnenen phrygischen
Sklaven im »Orestes« 1369-1502). Uber das Schicksal
der Tragodien-M. nach Euripides' Tod (406 v. Chr.)
ist wenig bekannt. Im 2. Jh. n. Chr. war sie noch im
Theater zu horen (Lukianos, De saltatione, 27), doch
scheint sich der Begriff damals oder schon vorher bis-
weilen zu dem des Klagegesangs verengt zu haben (Phi-
lostratos, Vita Apollonii IV, 21). Heute werden vielfach
auch andere und verschiedenste Arten solistischer Ge-
sange der Antike monodisch genannt, z. B . die der Chor-
lyrik gegeniibergestellte solistische Lyrik der Sappho
und des Alkaios oder die solistischen Gesangspartien in
der altattischen und dann wieder in der romischen Ko-
modie (lat. cantica, mutatis modis cantica).
In Ruckbesinnung und als Wiederbelebung der antiken
Musik, ihrer in Texten beschriebenen mirabili effetti,
entstand gegen Ende des 16. Jh. in Italien die M. ge-
nannte neue Art des instrumental begleiteten Sologe-
sangs. Sie wurde zuerst in der Florentiner -> Camerata
584
Monodram
erortert und erprobt und dann als Stile recitativo zu-
sammen mit der Ausbildung des GeneralbaBsatzes zu
kiinstlerisch vollgiiltiger Auspragung gefiihrt, nament-
lich durch Caccini und Monteverdi in den Gattungen
Oper, Arie und Solomadrigal. Eine Entwicklung von
der Herrschaft des durchimitierenden Vokalsatzes in
Richtung des begleiteten Sologesanges laBt sich aller-
dings schon seit dem friiheren 16. Jh. verfolgen, sowohl
im Hervortreten des Lautenliedes (L.Milan 1535; Airs
de cour, herausgegeben von A. le Roy, 1571) als auch
in der Praxis des Arrangierens mehrstimmiger Vokal-
musik £iir eine (oft kunstvoll diminuiert vorgetragene)
Singstimme mit Lauten- oder Klavier-(Orgel-)Beglei-
tung, von Einstein »Vor- oder Pseudo'-M.« genannt.
Die allgemeine Forderung jener Zeit, daB die Musik
Dienerin des Textes sein solle, forderte eine die Ober-
stimme als Melodietrager hervorkehrende homophone
Satzweise und fiihrte vor allem in der Madrigalkunst
zu jener Affektsteigerung seitens Deklamation und
Harmonik, die in Abwehrstellung gegeniiber dem tra-
dierten Kontrapunkt das Neuland der -> Seconda pra-
tica erobern half. Doch die M. im eigentlichen Sinn ist
jene grundsatzlich neue Art der Musik, die - im Un-
terschied zum gleichzeitig aus der Motette entstehen-
den solistischen -> Concerto - unter der antikisieren-
den Leitidee des cantare con affetto originar als Solo-
gesang mit Akkordbegleitung konzipiert ist. Nach
Caccinis Vorwort zu Le nuove musiche (Florenz 1601),
dem bedeutenden Manifest der M., ist diese neue ma-
niera di cantare ein quasi in armoniafauellare, wobei Men-
sur, Tempo und Tondauern sowie die improvisierten
Verzierungen ganz vom Sinn- und Affektgehalt des
Textes abhangig sind. Die M. ist Nachahmung des
affektgeladenen, in seelischer Erregtheit fluktuierenden
Sprechens der dafiir besonders geeigneten italienischen
Sprache. Ihre Melodik zeichnet sich aus durch schnel-
len Wechsel langer und kurzer Tone, groBen Ambitus
und dissonante Spriinge. Der monodische (zur M. ge-
horende) GeneralbaB, oft als liegender BaBton notiert,
^ o_
Te-seo mi- o, Se tu sa-pes-
°' ==
t 1.
CI. Monteverdi, Lamento d'Arianna (1608).
hat die Aufgabe, die Klange darzustellen, dencn die
Melodietone zugehoren oder zu denen sie - wie zu
»Klangpolen« - als Dissonanzen gespannt sind, oft frei
einsetzend, nicht mehr kontrapunktisch (intervallisch),
sondern als akkordbezogene Tone gemeint. Mehr als
bei anderen Musikarten wird in der M. die Kompo-
sition erst durch die -*■ Gesangskunst des Singers ver-
vollstandigt und vollendet, der, vom Gehalt des Textes
affiziert, die Empfindungen theatralisch zur Schau
stellt, als ob sie ihn selbst ganz erfiillten. Eine Differen-
zierung der M. in eine mehr rezitierende und eine mehr
ariose Art ist schon in den Madrigalen und Arien von
Caccinis Le nuove musiche festzustellen. Nach G.B.Do-
ni (Compendio, 1635) ist die Musica monodica dement-
sprechend entweder piu semplice, detta stile recitativo
oder piu ariosa. In seinen Annotazioni (1640) gliedert
Doni den stile monodico in den psalmodierenden stile
narrativo, den mehr ariosen stile speciale recitativo und
den hochststehenden, fur das Theater geeignetsten stile
espressivo. Nicht nur auf Rezitativ und Arie, Oper und
Kantate, sondern auf alle Arten und Gattungen der
Musik hat die M. kompositorisch und vortragsmaBig
ausgestrahlt. Sie bildet den Ausgangspunkt der gesamten
modernen Musik (H.Riemann), wenngleich sie in rein-
ster Form nur in den Jahrzehnten um 1600 in Italien
bliihte und namentlich in Deutschland die Tradition
des kontrapunktischen (motettischen) Satzes umbil-
dend ihr entgegenwirkte (-»■ Figuren). - Der schon bei
J. G. Walther (1732, Artikel Cantus monodicus) und
heute oft sehr weit gefaBte Sprachgebrauch versteht
M. falschlich einerseits als ein-(statt einzel-)stimmigen
Gesang (z. B. Choral), andererseits als begleiteten So-
logesang schlechthin (z. B. Liedarten, Geistliches Con-
certo) und verunklart die Besonderheit der M. im
historischen Sinne.
Lit. : L. Torchi, Canzoni ... ad una voce nel s. XVII,
RMI I, 1894; M. Kuhn, Die Verzierungs-Kunst in d. Ge-
sangs-Musik d. 16. u. 17. Jh., = BIMG I, 7, Lpz. 1902; E.
ScHMiTZ.ZurFriihgesch.d.lyrischen M. Italiens im 17. Jh.,
JbP XVIII, 191 1 ; A. Einstein, Ein unbekannter Druck aus
d. Fruhzeit d. deutschen M., SIMG XIII, 1911/12; ders.,
Der »stile nuovo« auf d. Gebiet d. profanen Kammermu-
sik, Adler Hdb.; ders., Firenze, prima della monodia,
Rass. mus. VII, 1934; A. Schering, Zur Gesch. d. beglei-
teten Sologesangs im 16. Jh., ZIMG XIII, 1911/12; P.
Nettl, Uber ein hs. Sammelwerk v. Gesangen ital. Fruhm.,
ZfMw II, 1919/20; Ch. Spitz, Die Entwicklung d. »Stile
Recitativo«, AfMw III, 1921; W. Krabbe, Die Lieder
Georg Niege's v. Allendorf. Zur Gesch. d. M. im 16. Jh.,
AfMw IV, 1922 ; Fr. Blume, Das monodische Prinzip in d.
protestantischen Kirchenmusik, Lpz. 1925 ; E. Katz, Die
mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1926; F.
Ghisi, Alle fonti della monodia, Mailand 1940; D. P. Wal-
ker, Mus. Humanism in the .16 th and Early 17" 1 Cent., MR
II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus. Humanismus im
16. u. friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; H.
H. Eggebrecht, Arten d. Gb. im friihen u. mittleren 17.
Jh., AfMw XIV, 1957 ; ders., H. Schiitz, Musicus poeticus,
= Kleine Vandenhoeck-Reihe LXXXIV, Gottingen 1959;
Thr. G. Georgiades, Musik u. Rhythmus bei d. Griechen,
= rde LXI, Hbg (1958); Cl. V. Palisca, V. Galilei and
Some Links Between »Pseudo-Monody« and Monody,
MQ XLVI, 1960; W. V. Porter, The Origins of the Ba-
roque Solo Song, 2 Bde, Diss. Yale Univ. (Conn.) 1962,
maschr. ; P. J. Willetts, A Neglected Source of Monody
and Madrigal, ML XLIII, 1962; J. Racek, Die ital. beglei-
tete M. u. d. Problem d. Entwicklung d. ital. Solokantate,
in: Liber Amicorum, Fs. Ch. Van den Borren, Antwerpen
1964; P. C. Aldrich, Rhythm in 17°>-Cent. Italian Mon-
ody, NY 1966. HHE
Monodram (griech.), das Biihnenmelodram des 18.
Jh., eine Verbindung von gesprochenem Wort und er-
lauternder Instrumentalmusik unter AusschluB des
Gesanges (->■ Melodrama), mit nur einer handelnden
Person und (zumeist) mit Chor. Es hat sich im An-
schluB an Rousseaus Pygmalion (Lyon 1770) in Deutsch-
land entwickelt, erreichte 1775 mit Georg Bendas
Ariadne au/Naxos (Gotha, Text von Chr. Brandes) und
Medea (Leipzig, Text von Fr. W. Gotter) sensationellen
Erfolg und wurde als Beginn einer »neuen Gattung des
Schauspiels« begriiBt. Es handelte sich dabei im wesent-
lichen um deklamierte, empfindsame Monologe (rhy th-
mische Prosa, Verse) der Heroine (zunachst Madame
Brandes, Madame Seyler) mit gleichzeitiger, musikali-
585
Montenegro
scher Untermalung durch das Orchester (Stilelemente
des Opernaccompagnatos und des Balletts). Bald aber
wurde versucht, das M., in dem antikisierende Texte
vorherrschen, durch Einfiihrung von Nebenpersonen
(Duodram) dramatisch zu erweitern und es zugleich
musikalisch immer mehr zu festigen, wenn nicht gar
der Oper zu nahern. Schon bald nach 1780 begann die
Bewegung, die mit den Bemiihungen um eine deutsche
Nationaloper eng zusammenhangt, wieder abzuflauen.
Ariadne und Medea hielten sich jedoch noch lange dar-
iiber hinaus im Repertoire der deutschen Theatertrup-
pen. Wichtige Beitrage zum M. bzw. Duodram schrie-
ben auBerdem Neefe (Sophonisbe, 1778, mit Chor), J.
Fr.Reichardt (u. a. Ino, 1779, mit entwickelter Durch-
f iihrung des Leitmotivs) , G. J. Vogler (Lampedo, 1 779) , P.
v. Winter (u. a. Cora undAlonzo, 1778), Danzi (Kleopatra,
1 780) u. a. Auch W. A. Mozart und J. G. Naumann (An-
dromache-Text, 1777) planten M.-Kompositionen. Als
bedeutendster M.-Text gilt heute die auf den Tod von
Glucks Nichte Marianne gedichtete Proserpina (1776)
von Goethe. Mit dem »Monodrame lyrique« Ulio er-
ganzt und schlieBt Berlioz die szenische Auffiihrung
seiner Symphonie fantastiaue (Episode de la vie d'un ar-
tiste). Neuerdings verwendete A. Schonberg die Be-
zeichnung M. fiir seine einaktige Oper Erwartung (op.
17, 1909), weil in ihr nur eine einzige Person auftritt.
Lit.: A. Koster, Das lyrische Drama d. 18. Jh., PreuBi-
sches Jb. LXVIII, 1891 ; E. Istel, J.-J. Rousseau als Kom-
ponist seiner lyrischen Szene Pygmalion, =BIMG I, 1,
Lpz. 1901 ; Fr. Bruckner, G. Benda u. d. deutsche Sing-
spiel, SIMGV, 1903/04.
Montenegro.
Lit. : F. Troi, O muzickoj osetlivosti Juznosrbijanaca, Su-
madinaca i Crnogoraca (»t)ber d. mus. Empfinden d.
Siidserben, d. Schumadiaer u. d. Montenegriner«), Skopje
1931; G. Becking, Der mus. Bau d. montenegrinischen
Volksepos, Arch. nSerlandaises de phonetique experi-
mentale VIII/IX, 1932.
Montserrat (K a t a 1 o n i e n) , Benediktinerkloster,
gegr. Anfang 11. Jh.
Ausg. : — » Denkmaler (Spanien 5).
Lit. : B. Saldoni, Resefia hist, de la escolania . . . de M.,
Madrid 1856; D. Pujol, Compositors montserratins, Re-
vista Mus. Catalana XXIX, 1932; A. Caralt, L'Esco-
lania de M., M. 1955; H. Angles, El »Llibre Vermell« de
M. ylos cantos y la danza sacra de los peregrinos durante
el s. XIV, AM X, 1955; J. M. Madurell Marimon, Tres
f undacions liturgiques montserratines, in : Miscelinea en
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61. - Revista
Montserratefia I-XI, 1907-17; Analecta Montserratensia
I-VII, 1917-28.
Mora (lat., Verzogerung) ->• Retardatio.
Moralitaten ->• Liturgisches Drama undMyste-
rienspiele.
Mordent (»Bei6er«, frz. mordant, pince; engl. mor-
dent, beat; ital. mordente), eine zur Familie der -*■ Tril-
ler gehorende -+ Verzierung, die in einem ein- oder
mehrfachen Wechsel zwischen einer Note und ihrer
unteren diatonischen oder chromatischen Nebennote
besteht, im kiirzesten Fall (auf Tasteninstrumenten) als
»Zusammenschlag« (-»• Acciaccatura), wobei die Taste
der Nebennote sofort nach dem Anschlag losgelassen
wird. -Eine M. genannte und urspriinglich fiir die Mu-
sik auf Tasteninstrumenten charakteristische Verzie-
rung findet sich bereits in deutschen Orgelbuchem des
15./16. Jh. dargestellt und mit besonderen Zeichen ver-
sehen; H. Buchner beschreibt in seinem Fundamentum . . .
(um 1520) eine der Acciaccatura ahnliche Form des
M.s, wahrend E. N. Ammerbach etwa 50 Jahre spater
einen Mordant definiert, der als Vorform des spateren
Trillers anzusprechen ist. - Seine klassische Form er-
hielt der M. im 17./18. Jh. als eine der haufigsten Ver-
zierungen jeder Art von Instrumentalmusik. Manche
Theoretiker, besonders im 17. Jh., verlangen fiir den
M. ausschlieBlich die chromatische und nicht die dia-
tonische Nebennote. Die Zahl der Wechselschlage (ob
ein- oder mehr als einmal) richtet sich nach den mu-
sikalischen Gegebenheiten und geht nicht aus dem
Zeichen (*-) hervor. Im 18. Jh. kommt gelegentlich
das Zeichen «♦* fiir den langeren M. vor (auch bei
J.S.Bach), das leicht zu verwechseln ist mit A^vfiir
den Triller mit Nachschlag. - Quantz
kennt unter dem Namen M. nur eine
aus dem Vorschlag von unten abge-
leitete Verzierung, die groBe Ahnlichkeit hat mit der zu-
sammengesetzten, vor allem bei den Franzosen seiner
Zeit beliebten und verbrei-
^rrircmr
teten Verzierungsform des
Pince et port de voix (Ra-
meau 1706/1724) oder Cheute et pince bei d'Anglebert
(1689, Beispiel a; die Umkehrung dieser Verzierung
ergibt den Pralltriller, Beispiel b) :
^PT i pLttf i j lL h\(m
Dagegen lehrt Quantz bei springenden Noten die fol-
genden beiden Arten von Battements:
L.Mozart verwendet (Violinschule, 1756) die Bezeich-
nung Mordant auch fiir Verzierungen, die ihrem No-
tenbild zufolge identisch zu sein scheinen mit dem
-> Anschlag (- 1) und mit dem ->■ Doppelschlag, sich
aber durch ihren Vortrag von ihnen unterscheiden, in-
dem sie nicht zum singbaren Vortrag gehoren (wie jene),
sondern unveranderlkh . . . mit der grofiten Geschwindig-
keit vorgetragen werden, wobei die Starke . . . allezeit auf
die Hauptnote fallt. Auch hierin hat L.Mozart offen-
sichtlich die Anschauungen G.Tartinis ubernommen
(wie auch etwa im Falle des -> Vibratos), der in seinem
Traite des agrements in ahnlicher Weise mit Mordente
zunachst einen unbetonten und raschen Doppelschlag
(auf den Schlag) bezeichnet und erst in zweiter Linie
einen (ebenso auszufiihrenden).M.,Bei den franzosi-
schen Geigern entsprach eine Martellement genannte
Verzierung dem M. (L'Abbe le Fils 1761):
(Fiir den Triller bei Melodieinstrumenten verwendeten
die Franzosen in jener Zeit meistens das Zeichen +.)
Turk (Klavierschule, 1789) scheint bei seinem Batte-
ment teilweise auf Quantz zuriickzugreif en :
Allegro Moderate
Falls die Note mit einem M. an die vorangehende, um
eine Sekunde tiefere Note angebunden ist, mufi diese
iibergebunden und der M. erst nach dem Schlag (un-
betont) genommen werden (J.S.Bach, Aria der Gold-
berg-Variationen, BWV 988, Takt 1, 5, 9). - Der M.
kann auch eine reine Haltef unktion einnehmen, als Pin-
ce continu (vgl. Fr. Couperin, Verzierungstabelle). Be-
reits im 18. Jh. wurde der Name M. haufig auch fiir ei-
ne Art -> Schneller verwendet, J. W. Callcott (A Musi-
cal Grammar, 1806) nennt .
den Schneller auf stufen-
weise absteigenden No-
586
Moskau
ten M.e of the Italian School. Im 19. Jh. verschwand der
M. als Verzierung allmahlich ganz. Es setzte eine all-
gemeine Verwirrung und Verwechslung der Zeichen
und Namen von M., Schneller und Pralltriller ein:
J.N. Hummel (Klavierschu-
le, 1828) kennt nur noch
die Bezeichnung Schneller
(Zeichen und Ausfiihrung
siehe nebenstehendes Bei-
spiel). L. Spohr (Violinschu-
le, 1832) spricht von Pralltriller oder Schneller (*•) und
von Doppelschlag oder M. (y jf-^ rt~
oder ~), wobei er die Ausfiih- Q — T'f'^z ^'
rung des ersteren wie in neben- A L a=j-
stehendem Beispiel angibt, aber
gleichzeitig fiir die Verzierungen derfriihern Zeit, zum
Behuf des Vortrages der damaligen Kompositionen auf L.
Mozarts Violinschule verweist. G.Duprez erwahnt in
seiner 1845 erschienenen Gesangschule (L'art du chant)
keine einzige dieser Verzierungen mehr.
Lit. : — > Verzierungen. ERJ/BB
morendo (ital., ersterbend), smorzando, mancando,
calando und deficiendo fordern aufterstes Diminuendo
unter gleichzeitigem Ritardando.
Moresca (ital.; span, morisca; engl. morris dance), ein
in der Renaissance sehr beliebter Tanz, der 1427 in
Burgund bezeugt ist (de Laborde II, S. 248 und 254)
und seine Anfange im 14. Jh. haben diirfte. Die Her-
kunf t der M. ist umstritten ; sie wird einerseits mit den
Kampfen der Christen in Spanien gegen die Mauren in
Verbindung gebracht (span, morisco, Mohr, Maure),
andererseits mit Fruchtbarkeitstanzen. Die erstere Ab-
leitung geschah im Blick auf die M. genannten Chor-
tanze in Doppelfrontaufstellung, bei denen die eine
Partei die Christen, die andere (mit geschwarzten Ge-
sichtern) die Mauren im Kampf darstellten. Eine andere
Erklarung (so schon Sachs) leitet das Wort M. von
griech. u,<op6i; ab (lat. morio, der Narr im antiken
Mimus). Im 15. Jh. ist die M. in Berichten fiber Ballette
und gesellschaftliche Veranstaltungen der meistgenann-
te Tanz, beschrieben als Gruppen- oder Solotanz mit
dem Motiv des Schwerttanzes, ausgefuhrt von Perso-
nen mit Masken oder geschwarzten Gesichtern und
Schellenkleid. Arbeau z. B. beschreibt die M. als Solo-
tanz, bei dessen Ausfiihrung der Tanzer Schellen an
den Knocheln trug. Seit dem 15. Jh. bezeichnet M.
allgemein Tanzspiele, besonders in der Zwischenakt-
unterhaltung (Intermedium, Masque) von Komodien
und Dramen. So fuhrte man 1519 in Rom vor Papst
Leo X. die Suppositi von Ariost auf, die mit mehreren
Intermedien durchsetzt waren : L' ultimo intermedio fu
la m., che si rappresentd lafauola di Gorgon, et fu assai
bella. Moresken finden sich auch in Cavalieris Rappre-
sentazione di anima e di corpo und in der Oper, z. B. als
SchluBballett in Monte verdis Orfeo (1607) und noch in
den Balletten der beiden Schmelzer in Wien. Auch
Drachen-, Hirten-, Narren- und Betrunkenenszenen
wurden Moresken genannt. In Frankreich erscheinen
Entrees de morisques haufig in den Balletten. Die als
M. bezeichneten Melodien sind anfangs geradtaktig, erst
seit dem 17. Jh. auch ungeradtaktig. Die vokale Mores-
ke (u. a. Lasso 1555) hatte keine lange Lebensdauer. Im
Volkstanz ist die M. bis heute lebendig. Sie hat im eng-
lischen -*■ Morris dance eine eigene Tradition.
Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA v.
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948 ; L. E.
S. J. de Laborde, Les dues de Bourgogne, 3 Bde, Paris
1849-52; A. D'Ancona, Origini del teatro in Italia II, Tu-
rin 1891, S. 90; Ph. M. Halm, Der Moriskentanz, in: Bay-
rischer Heimatschutz XXIII, 1927; C. Sachs, Eine Welt-
gesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 1938,
frz. Paris 1938; P. Nettl, Ein osterreichisch-bohmisches
Ms. volkstiimlicher Barockmusik, Mf V, 1952; ders., Die
M., AfMw XIV, 1957; R. Wolfram, Neue Funde zu d.
Morisken u. d. Morristanzen, Zs. f. Volkskunde L, 1953; D.
Heartz, Un divertissement de palais pour Charles Quint
a Binche, in: Fetes et ceremonies au temps de Charles
Quint, = Les fetes de la Renaissance II, Paris 1960.
Moritat -> Bankelsang.
Morris dance (m'ajis dams, engl.), ein ehemals in
England beliebter und weit verbreiteter Tanz, dessen
Friihf ormen mit der festlandischen ->■ Moresca uberein-
stimmen. Der M. d. entwickelte auf der britischen In-
sel eine eigenstandige Tradition und blieb bis ins 19.
Jh. eine typische Auspragung des englischen Volkstan-
zes. Im Zuge der allgemeinen Besinnung auf Volks-
kunst wurde er in der 2. Halfte des 19. Jh. wiederbe-
lebt ; heute wird er hauptsachlich in den Mbrris-Gilden
gepflegt. - Am M. d. nehmen bis auf vereinzelte Aus-
nahmen ausschlieBlich Manner teil. Die Bezeichnung
M. d. umfaBt landschaftlich sehr unterschiedliche Er-
scheinungsformen, vom prozessionsartigen Umzug
(etwa zu Maifeiern), bei dem die Teilnehmer mit Tier-
fellen, Masken oder geschwarzten Gesichtern auftre-
ten, bis hin zum hochentwickelten Tanz mit festge-
legten Figuren (etwa dem ->■ Country dance vergleich-
bar). Von letzterem ist eine Form besonders ausge-
pragt, die von 6 Mannern in Kostfim und Maske mit
einem Narren (einem weiblich verkleideten Mann)
und einem weiteren Teilnehmer, der die Pappfigur
eines Pferdes um die Hfiften tragt, ausgefuhrt wird.
Der Tanz ist von kraftvoller Bewegung, an der auch
die Arme beteiligt sind. Eine weitere unter dem Na-
men Morris auftretende Form ist der Schwerttanz.
Die Melodien sind geradtaktig, nur gelegentlich, be-
sonders bei Sprungfiguren, ungeradtaktig. In das Re-
pertoire wurden auch festlandische Moresken iiber-
nommen, oft von Einhandflote und Trommelchen
(pipe and tabor) begleitet; auch Melodien von Liedern
und Opernarien des 17./18. Jh., nicht selten mit obszb-
nen Texten unterlegt, wurden verwendet.
Ausg. u. Lit. : C. J. Sharp, The Morris Book, 5 Teile, I— III
mit H. C. Mac-Ilwaine, V mit G. Butterworth, London
1907-13; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933,
engl. NY 1937u. London 1938, frz. Paris 1938; R. Wolfram,
Neue Funde zu d. Morisken u. d. Morristanzen, Zs. f.
Volkskunde L, 1 953 ; W. Kimber, M. d. Tunes . . . , Journal
of the Engl. Folk Dance and Song Soc. VIII, 1959; L.
Blake, The Morris in Wales, ebenda IX, 1960; D. Howi-
son u. B. Bentley, The North-West-Morris, ebenda. -
The Journal of the Engl. Folk Dance Soc., 1927-31 ; The
Journal of the Engl. Folk Dance and Song Soc., 1932ff.
Moskau.
Lit. : N. Dimitrijew, »Die kaiserliche Opernbiihne in M.«,
M. 1 898, russ.; N. Findeisen, Die Forderer d. russ. Kirchen-
gesanges in M., ZIMG 1, 1899/1900; N. D. Kaschkin, Mos-
kowskoje otdelenije russkowo musykalnowo obschtschest-
wa 1860-1910(»DieM.er Abt.d.russ. Musikges. . . .«),M.
1910; A. W. Nelidow, Teatralnaja Moskwa (»40 Jahre
Theater inM.«), Bin u.Rigal931 ; A.Sawerdjan, Bolschoj
teatr Sojusa SSR (»Das GroBe Theater d. Sowjetunion«),
M. 1952; Wl. A. Natanson, Is musykalnowo proschlowo
Moskowskowo Uniwersiteta (»Aus d. mus. Vergangenheit
d. M.er Univ.«), M. 1955 ; Balet Gosudarstwennowo orde-
na Lenina Akademitscheskowo Bolschowo Teatra SSSR
(»Das Ballett d. Staatl. Akademischen GroBen Theaters d.
UdSSR«), hrsg. v. A. I. Anisimowa, M. 1955; H. Bellew,
Ballet in Moscow Today, London 1956; Teatry Moskwy.
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ters. Bemerkungen«), M. 1962; M. Goldstein, Das Sym-
phonieorch. d. Bolschoi-Theaters . . . 1857, Das Orch.
XIII, 1965.
587
Motette
Motette (mittellat. motetus, auch motellus, mutetus,
motecta u. a.; frz. und engl. motet; ital. motetto), seit
ihrem Aufkommen wohl schon in der Bliitezeit der
-*■ Notre-Dame-Epoche (mit Vorformen im Reper-
toire von -*■ St-Martial) eine der zentralen Gattun-
gen mehrstimmiger Vokalmusik, deren Merkmale je-
doch im Laufe ihrer vom 13. Jh. bis heute sich er-
streckenden Geschichte mehrfach wechselten, so daB
sich eine einheitliche Definition nicht geben laBt. - Die
Frage, wie die Gattung zu ihrem Namen kam, ist seit
langem umstritten und noch nicht geklart. Vermutlich
ist motetus die latinisierte Form des altfranzosischen
Wortes motet, das als eine Ableitung von altf ranzosisch
mot (Wort, diskutiert wird die Bedeutung Vers, Stro-
phe) gilt. Der M. liegt in ihrem Ursprung das mittel-
alterliche Verfahren des Tropierens zugrunde (-»• Tro-
pus, ->• Sequenz - 1), d. h. die nachtragliche Textun-
terlegung unter ein gegebenes Melisma bzw. das Zu-
oder Einfiigen von Text, der einen gegebenen Text
paraphrasiert. Dire Entstehung ist daher in der Friihzeit
weniger ein musikalischer als vielmehr ein poetischer
Vorgang: die Oberstimmen von -*■ Discantus-Partien
(Klauseln) wurden nachtraglich syllabisch mit rhyth-
mischen lateinischen (spater vorwiegend franzbsischen)
Texten versehen. 30 der 102 Klauseln in den Klausel-
faszikejn der Handschrift W\ (-»■ Quellen) lebten nach-
weislich als M.n weiter; und etwa ein Drittel der rund
70 M.n in der Handschrift F gehen auf Klauseln zu-
riick, die ebenfalls in F uberliefert sind. Als Unterstim-
me (Cantus, spater Tenor genannt) dient also weiterhin
- wie bei den Klauseln - ein melismatischer Ausschnitt
eines Mefi-(Gradual- oder Alleluia-), seltener eines Of-
fiziumsgesangs. Die Texte der Oberstimmen, die sich
dem Rhythmus und der Gliederung der praexistenten
Oberstimmenmelismen anpassen, sind in der Regel
auf die Worter oder Textsilben des Choralmelismas
(bzw. auf den Textzusammenhang, den jene repra-
sentieren) bezogen, sowohl inhaltlich als auch sprach-
lich (vor allem durch Assonanz), z. B: Tenor: Ex se-
mine, Oberstimme: Ex semine Abrahae divino modet ami-
ne . . . Die textierte Oberstimme paraphrasiert hier al-
so in »vertikaler« Richtung die Worte ex semine, in »ho-
rizontaler« Richtung tropiert sie den gesamten Versus
alleluiaticus. Soweit in den Oberstimmen derselbe Text
syllabisch vorgetragen wird, weist der Oberstimmen-
komplex Ahnlichkeit mit dem -»■ Conductus auf
(»Conductus-M.«); dementsprechend sind die 6 »M.n«
in der friihesten Notre-Dame-Handschrift {W\) unter
die Conductus eingereiht (wobei der Rhythmus nun
nicht mehr durch modale Aufzeichnung, sondern
durch den Text bestimmt und in alien Fallen die Un-
terstimme weggelassen ist). Der Zeitpunkt, an dem die
textierte Klausel allgemein den Namen motetus er-
hielt (vermutlich erst im AnschluB an die motet ge-
nannte franzbsische Textierung), ist ungewiB. J. de
Garlandias Erwahnung von moteti (CS I, 179b) be-
zeugt, daB gegen 1240 der Terminus bekannt war;
doch die motetus-Definition in der Discantus positio
vulgaris kann Interpolation des Hieronymus de Mo-
ravia sein (ed. Cserba, S. 193), der an der gleichen Stelle
den im spaten 12. Jh. noch unbekannten Terminus
firmus cantus gebraucht. Es ist anzunehmen, daB die
textierte Klausel zunachst (auch) als Tropus fungierte,
d. h. (so wie die untextierte) beliebig in die Choralbe-
arbeitung eingesetzt wurde, bevor sie sich zur M. ver-
selbstandigte. Als solche konnte sie dann aber auch neu
komponiert werden, teils unter Benutzung weltlicher
Tenores und Refrains. Als M. mit bevorzugt vulgar-
sprachlichem, zuweilen satirischem und oft erotischem
Text verlieB sie im Verlauf des 13. Jh. den kirchlichen
Raum und den geistlichen Bereich und gewann ei-
ne zunehmend artistische Auspragung. Die textierte
Stimme iiber dem Cantus (Tenor) hieB nun nicht mehr
-»- Duplum, sondern Motetus; die Bezeichnung wurde
auf das ganze 2- bis 4st. Stiick iibertragen, f iir dessen 3.
und 4. Stimme die alteren Bezeichnungen -*■ Triplum
und -*■ Quadruplum beibehalten wurden. - In England
hingegen blieb die M. des 13. und 14. Jh. (sofern der
Name M. hier iiberhaupt zutreffend ist) ausschlieBlich
geistlich-kirchliche, so auch nur lateinisch textierte
Kunst. Nach Ausweis der Worcester-Fragmente
(->■ Quellen: Wore) kannte die englische Musik die
Plazierung des Choralbearbeitungstropus innerhalb
der Choralbearbeitung (ed. Dittmer, Nr 81 : Alleluia.
Natiuitas gloriosae; auch Nr 52) so wie das vollstandige
Textieren der Bearbeitung einer ganzen Choralmelo-
die (Nr 27: Alleluia. Pascna nostrum, ohne Haltetbne;
auch Nr 2) und die Textierung der Oberstimmen eines
frei ermndenen Tenors (-* Pes - 2) oder eines Choral-
ausschnitts (z. B. Nr 37 und 72) , wobei diese Satzejedoch
in keinem Fall auf eine Klausel zuruckgehen. - Auf
dem Festland wurde die (nun vornehmlich weltliche)
M. zur f iihrenden Gattung der ->■ Ars antiqua (wich-
tigste -> Quellen: Mo, Hu und Ba, neben F, W% und
Ma). Sowohl der Art des Discantussatzes, bei der jede
der Oberstimmen fur sich primar auf die in grbBeren
Notenwerten (vornehmlich im 3. oder 5. -*■ Modus - 2)
rhythmisierte Unterstimme bezogen und durch eine
neue Stimme ersetzbar ist, als auch der Idee des Tropie-
rens entspricht das fur die Ars antiqua-M. bezeichnen-
de Phanomen der Mehrtextigkeit (auch Mehrsprachig-
keit) und des Umtextierens : jede Stimme kann, auch
durch Ersatz eines Textes durch einen anderen und
auch weiterhin in der Regel mit inhaltlichem Bezug
auf den Tenor und auf die anderen Texte, einen je
eigenen lateinischen oder franzbsischen Text vortra-
gen, so daB die (auch zweisprachige) Doppel- und Tri-
pel-M. entsteht. Franco von Koln bezeichnet die M.
dementsprechend als discantus cum diversi litteris (mit
verschiedenen Texten), wozu er auch die 2st. M. zahlt,
quia tenor cuidam litterae aequipollet (ed. Cserba, S. 252).
Der heterogenen Stimmendisposition der M., die
durch die Wahl der den Tenor ausfiihrenden und die
Oberstimme mitspielenden Instrumente unterstrichen
werden kann, entspricht die meist stimmenmaBige
Aufzeichnung: in der Regel sind iiber dem Tenor in
Kolumnen das Triplum links und der Motetus rechts
notiert, wodurch der Tenor auch im Schriftbild als
-> Fundamentum relationis des Satzes und Bezugspunkt
der Texte veranschaulicht ist. Noch vor 1300 schuf
- nach Aussagen von Zeitgenossen (z. B. Jacobus Leo-
diensis, CS II, 401f.) - Petrus de Cruce einen besonders
in den Faszikeln 7 und 8 der Handschrift Mo zahlreich
vertretenen neuen M.n-Typus, der sich durch grbBere
Subtilitas des rhythmischen Verlaufs auszeichnet, in-
dem fur eine Brevis auch mehr als 3 (bis zu 9) Semi-
breven treten kbnnen (z. B. Lone tans me j Aucun ont
trouve j y4NNUN[tiantes], Mo 7, 254, wo das Triplum
zufolge der kleineren Notenwerte bei syllabischer
Textunterlegung mehr als doppelt so viele Verse vor-
tragt als der Motetus). - Die neue Formungsart der M.
in der -*■ Ars nova ist die durch Fortbildung alterer
Prinzipien derM.n-Komposition (Tenorwiederholung,
strophische Disposition des Textes) von Philippe de
Vitry ausgebildete ->■ Isorhythmie, die u. a. von J. de
Muris erklart wurde und in den M.n Machauts vollen-
dete Auspragung erfuhr.
Die isorhythmische Anlage blieb noch fur die groBe
spatgotische Reprasentations-M. kirchlich-politischer
Pragung (z. B. bei Dufay ; -»■ Festmusik) und f iir einen
groBen Teil der liturgischen bzw. geistlichen M.n von
Dunstable verbindlich. Dabei erfolgte einerseits eine
588
Motette
Vereinfachung der Isorhythmie . (Kongruenz von
-> Color - 2 und -> Talea), andererseits wurde die
Oberstimmenisorhythmie von Dufay durch eine iso-
melische, d. h. einen festen Melodiekern paraphrasie-
rende Technik ersetzt (z. B. in Dufays Florentiner
Domweih-M. Nuper rosarum flores / Terribilis est locus
iste von 1436, GA I, 2). Eine italienische Seitenlinie der
isorhythmischen Ars nova-M. kam mit einem um 1400
von Ciconia geschaffenen M.n-Typus auf. Der Tenor
ist hier kein Cantus prius factus, sondern vom Kom-
ponisten frei erfunden und stiitzt baBmafiig die beiden
(nach dem Vorbild der 3st. -+ Caccia) kanonartig oder
imitierend angelegten Oberstimmen. Spezifische BaB-
schritte zeichnen diese, auf harmonisch-tonale Verf esti-
gung des Satzgefiiges hin komponierten Tenores aus,
die zuweilen mit fingierten Tenorkennwortern den
Anschein echter Choralausschnitte zu erwecken su-
chen und des ofteren auch isorhythmische Anlage auf-
weisen. Als eine kleinere Form steht in der 1. Halfte
des 15. Jh. neben der groBen isorhythmischen die drei-
stimmige liedartige M. in der Faktur des -»■ Kantilenen-
satzes, deren Discant gelegentlich die Kolorierung ei-
ner Choralmelodie aufweist (vgl. Dufays Alma redemp-
toris mater, DTO XXVII, 1). Als geistliche Mehrstim-
migkeit vornehmlich mit Marien- und Gebetstexten
in Tateinischer Sprache halt sie zwischen liturgischer
und weltlicher Kunst die Mitte. Bei haufigem Ein-
schub instrumentaler Vor-, Zwischen- oder Nachspiele
steht hier dem vokalen, instrumental unterstiitzten
Diskant eine instrumentale Begleitung von Contra(te-
nor) und Tenor gegeniiber. Beispielhaft fiir C. f .-freie
Stiicke dieser Art sind von Dufay Flosflorum (GA I, 3,
und Chw. XIX) und, mit italienischem Text, Vergine
bella (Chw. XIX), in England von L. Power Anima mea
liquefacta est (Schering Beisp. 37). Vor allem in der 2.
Halfte des 15. Jh. kommen gelegentlich M.n ahnlicher
Art vor mit einem C. f.-Gerust im Tenor, z. B. bei L.
Compere, O vos omnes (H.Besseler, Altniederlandische
M.n, Kassel 1929), auch bei J.Touront, Obrecht und
Agricola. Auch in England gibt es in der 1. Halfte des
15. Jh. einen dreistimmigen C. f.-freien M.n-Typus
von liedmaBigem Charakter in homorhythmischem
Satz, z. B. Dunstables Quampukhra es.
Die nach 1450 mit dem Anbruch der Niederlandischen
Musik (Ockeghem, Obrecht) vollzogene Riickwen-
dung der M. zur Sakralmusik und zum gregorianischen
Choral sieht schon Tinctoris (um 1474) in den Texten
cujusvis materiae, sed frequentius divinae (CS IV, 185b).
Neben nicht liturgisch gebundenen Texten treten nun
Propriumsstiicke, Sequenzen und Cantica in den Vor-
dergrund; mit Josquin kommen die Psalm- und die
Evangelien-M.n hinzu, die spater (lateinisch, ab etwa
1550 haufig auch deutsch) vor allem im protestanti-
schen Deutschland eine grofie Rolle spielten. Eine Son-
dertradition, die wahrscheinlich mit der Ambrosiani-
schen Liturgie verbunden ist, liegt in den Motetti mis-
sales (»Vertretungsmessen«) des spaten 15. Jh. vor; be-
kannt sind 8 Zyklen (Compere, Gaspar van Weerbeke,
Gaffori und anonym) zu je 8 M.n, die (mit nicht litur-
gisch gebundenen Texten) Ordinariums- und Propri-
umsstiicke zyklisch zusammenfassen. Der mittelalter-
liche Schichtenbau des M.n-Satzes wurde im spaten
15. Jh. aufgelost zugunsten einer melodisch-rhythmi-
schen Angleichung und klanglichen Verschmelzung
der Stimmen; die mittelalterliche Mehrtextigkeit wich
endgiiltig der gleichen Textlegung in alien Stimmen.
Obwohl die M. am Anfang des 16. Jh. noch haufig lang-
mensurierte C. f.-Geriiste und konstruktive Kanon-
anlagen aufweist, steht nun, vornehmlich seit Josquin,
die Beriicksichtigung des Textwortes im Vordergrund.
Von den M.n-Komponisten neben Josquin sind vor al-
lem Isaac, P. de la Rue und Brumel zu nennen. Die
M.n zwischen Ockeghem und Josquin sind teils mit,
teils ohne Choralsubstanz in den Stimmen gebildet und
zeigen gelegentlich den homophonen Satzstil der mehr-
stimmigen italienischen Lauda oder Frottola (z. B.
Josquins Tu solus qui facts mirabilia, GA Nr 14). Die
Vierstimmigkeit wurde noch im 15. Jh. und auch fiir
Josquin zur Regel ; daneben entstanden 5- und 6st. M.n.
Durch paarig-imitierende Bicinien und durch Ver-
wendung der Durchimitation mit regelmaBigen Ein-
satzabstanden erhielten die Kompositionen ein aufge-
lichtetes und formklares Satzbild (z. B. Josquins 4st. M.
Ave Maria, GA Nr 1). Josquins Beispiel war maBge-
bend fiir viele seiner Zeitgenossen und Nachfolger
(am deutlichsten bei J.Mouton, dem Lehrer Willaerts)
und bleibt auch dort noch erkennbar, wo eine (seit
Willaert haufig bis zur Doppelchorigkeit, -*■ Coro
spezzato) erweiterte Stimmenzahl oder gewollt »asym-
metrische« Imitationsanlage der klassischen Stilklarheit
entgegenwirken (z. B. Isaac, Gombert). Parallel mit
dem Ausscheiden instrumentaler Elemente und Wen-
dungen (entsprechend der zuriickgehenden Bedeutung
der Instrumente in der kirchlichen Auff iihrungspraxis)
ging eine Homogenisierung des Satzes, die Herausbil-
dung eines primar vokal gepragten »Stimmstroms«
(-»■ Vokalmusik). Hochste Auspragung hat dieser Stil,
die »Klassische Vokalpolyphonie«, im Werk Palestrinas
erreicht (-»■ Kontrapunkt). Waren die bedeutendsten
M.n-Komponisten vor Palestrina ihrer Herkunft nach
meist Niederlander (->• Niederlandische Musik), so
wurden seit der Jahrhundertmitte Rom und eine an Pa-
lestrina orientierte Generation italienischer Kompo-
nisten (Animuccia, Giovannelli, Marenzio, G.M.Na-
nino, Suriano, daneben der Spanier Victoria) zu einem
bedeutenden Orientierungspunkt der weiteren Ent-
wicklung. Die Komponisten Oberitaliens bewahrten
sich demgegemiber eine gewisse Eigenstandigkeit und
schlossen sich nur teilweise den Tendenzen der beiden
groBen Zentren Rom und Venedig an. - In Deutsch-
land erfolgte die Ausbildung des polyphonen Vokal-
satzes in der Josquin-Nachfolge (Senfl, J. Walter, J.
Gallus und Lassus) ahnlich wie in Italien; die Reforma-
tion iibte zunachst keinen entscheidenden EinfluB auf
die M.n-Komposition aus. Deutschsprachige M.n gibt
es seit dem spaten 16. Jh., wahrend in England um
1560-80 von Tye und Tallis als spezielle Gattung der
M. mit englischem Text das -»- Anthem ausgebildet
wurde. Das etwa 1200 lateinische M.n umfassende
Werk von Lassus ist stilistisch weniger einheitlich als
das M.n- Werk Palestrinas; u. a. zeigt sich die Einwir-
kung des italienischen Madrigals, wobei die Durch-
imitation zusehends aufgelockert wird. Lassus ent-
wickelte auch die neue Lied-M., in der - im Unter-
schied zur alteren C. f.-(Tenor-)M. und zum homo-
phonen Kantionalsatz - eine Liedweise oder mehrere
miteinander verschmolzene Melodien das polyphone
Gewebe durchsetzen.
Das 17. Jh. ist gekennzeichnet durch einen Stilpluralis-
mus; die bis dahin relativ einheitliche Gattung der M.
verzweigte sich in verschiedenartigste Gestaltungen.
Die polyphone Chor-M. wurde in Italien wie auch in
Deutschland weiterhin gepflegt. In Rom, vor allem fiir
die Sixtinische Kapelle, blieb der Palestrina-Stil als
authentische kirchliche Kunst bis ins 19. Jh. verbind-
lich und wurde durch mehrere papstliche Dekrete aus-
driicklich gefordert, zugleich wurde er schon bald nach
Palestrinas Tod satztechnisches Vorbild (besonders bei
Cerone, Martini und Fux). In Deutschland wirkte zu-
nachst noch die Bliitezeit der M. nach. Vor allem wur-
den hier Lied-M. und Spruch-M. (letztere ohne Lied-
substanz, doch mit strophischem Text) aufgegriffen
589
Motette
und blieben bis 1620 vorbildlich. Beispiele dafiir sind
L.Lechners Lied-M. Christ, der du bist der helle Tag (7
Teile iiber 7 Liedstrophen, 1577; GA III) und als singu-
lare Leistung auf dem Gebiet der Spruch-M. seine 15
»Deutschen Spriiche von Leben und Tod« (1606 ; hrsg.
v. W.Lipphardt, Kassel 1929). Die Lied-M. umfaBt et-
wa zwei Drittel des GesamtschafEens von M. Praetorius,
von der Zwei- und Dreistimmigkeit bis zur Mehrcho-
rigkeit. Wichtige deutsche M.n-Sammlungen des 17.
Jh. sind das von E. Bodenschatz herausgegebene Flori-
legium selectissimarum cantionum (Leipzig 1603, 89 M.n;
2 1618 unter dem Titel Florilegium Portense, 115 M.n,
2. Teil 1621, 150 M.n) und das von Schadaeus und C.
Vincentius zusammengestellte Protnptuarium musicum
(4 Teile, StraBburg 1611-17, mit Gb.). Reprasentanten
der deutschen Chor-M. des 17. Jh. sind Demantius,
Schein, Scheidt und vor allem Schiitz (Geistliche Chor-
Music, Dresden 1648). -Eine wichtige Neuerung, die
nicht nur die Satztechnik der M. revolutionierte, son-
dern auch auf andere Gattungen ausstrahlte, bedeute-
ten die Cento concerti ecclesiastici (1602) von L. Viadana.
Fortan bildeten ein- bis vierstimmige solistische M.n
mit GeneralbaB (die Bezeichmmg — > Concerto bezieht
sich hier auf das concertierende Element der Satztech-
nik und die solistische Besetzung) einen Hauptzweig
der Gattung. Ein ebenso wichtiger Ausgangspunkt f iir
die M. des 17. Jh. wurden die aus der venezianischen
Tradition hervorgegangenen mehrchorigen Concerti
G. Gabrielis, groBe Fest-M.n, die meisten unter Hinzu-
ziehung von Instrumenten. Traditioneller kontrapunk-
tischer Satz, Soloconcerto und Mehrchorigkeit wurden
vor allem in Deutschland auf vielfaltige Weise mitein-
ander verbunden; in mehrsatzigen Kompositionen
wechselten die verschiedenen Satzarten ab. Dieses Ver-
binden und Abwechseln verschiedenartiger Elemente
war eine der Voraussetzungen fur das Herauswachsen
der deutschen geistlichen -> Kantate aus der M. Wich-
tigen Anteil an dieser Entwicklung zwischen Schiitz
und Bach hatten u. a. Weckmann, Rosenmiiller, Bux-
tehude und Pachelbel. In evangelischen Kantoreien,
vor allem Thiiringens, wurde daneben die Chor-M.
weiterhin gepflegt (vgl. RD I, 1935, mit M.n von
Joh., Joh.Mich. und Joh. Christoph Bach). J.S.Bachs
anspruchsvolle 6 M.n (4 davon fur 8st. Doppelchor)
folgen dieser Tradition. Das Mitgehen von Instrumen-
ten (colla parte) war in der M. bis einschlieBlich J. S.
Bach eine Selbstverstandlichkeit. Erst in der Roman-
tik setzte sich unter Berufung auf die Aufftihrungs-
praxis der Sixtinischen Kapelle das rein vokale Auf-
fiihrungsideal (a cappella) durch. - Die franzosische
M. des 17. und 18. Jh. ist entweder einstimmig soli-
stisch mit GeneralbaB oder verbindet mehrstimmige,
einstimmige und doppelchorige Abschnitte, zumeist
unter Mitwirkung obligater Instrumentalstimmen, mit
selbstandigen Instrumentalteilen, stets mit GeneralbaB,
so z. B. bei Lully, M.-A. Charpentier, Delalande, Campra
und Rameau. - Mit dem Niedergang der Kantoreien in
Deutschland und dem Verschwinden der -> Maitrises
in Frankreich trat die M. in den Hintergrund. Mozarts
beruhmte M. Exsultate, jubilate (K.-V. 165), 1773 in
Mailand fiir den Sopranisten Rauzzini geschrieben,
kniipft bei der italienischen Solo-M. des Barocks an.
Als geistliches oder weltliches Chorwerk mit ernsten,
besinnlichen Texten aber hat sich die M. durch das 19.
Jh. bis heute erhalten (Schumann, Mendelssohn, Gou-
nod, C. Franck, Brahms, Saint-Saens, Dubois, d'Indy,
Ch. Bordes, Bruckner, Reger, Kaminski, Perosi, Tinel).
Mit den Bestrebungen der Jugendmusikbewegung,
der kirchenmusikalischen Erneuerung und dem damit
verbundenen Ankniipfen an die Chorkunst des 15.-17.
Jh. hat' die M.n-Komposition seit dem 1. Weltkrieg
wieder lebhaftes Interesse gefunden (Distler, Pepping,
Brunner, J.N.David, Raphael, Thomas, Kfenek), wo-
bei alte Techniken, vor allem die Verwendung kirchen-
tonartlich gepragter Harmonik, mit neuen komposi-
torischen Mitteln verbunden werden.
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zu einer Gesch. d. Satztechnik v. d. friihen M. bis Bach, 2
Bde, Miinchen. 1964-65; F. Mathiassen, The Style of the
Early Motet, = Studier og publikationer fra Musikvidens-
kabeligt Inst. Aarhus Univ. I, Kopenhagen 1966.
Motiv (spatlat. motivus, beweglich) bedeutet in der
Musiklehre seit der 2. Halfte des 18. Jh. das kleinste
Glied (Sinnttager) einer Komposition. Die ersten An-
satze zu einer musikalischen M.-Lehre finden sich bei
J. Mattheson (1737), der die Melodie in »Klang-FUBe«
(Metren) zerlegt. j.Riepels Lehre (1752-68) von der
»Rhy thmopoie« oder »Taktordnung« und H. Chr. Kochs
Untersuchungen iiber die Satzglieder der Melodie
(1782-93) gehen vom M. als Bauelement der Kom-
position aus, ohne daB der deutschen Musiklehre des
18. Jh. das Wort M. schon gelaufig war. Nach M. Fr. v.
Grimm (Artikel Motif der Encyclopedie) war es italie-
nische Gepflogenheit, den Hauptgedanken einer Arie
(la principale pensee d'un air) m.o zu nennen ; dieses be-
stimme deren Melos und Deklamation und erweise die
Begabung des Komponisten (ahnlich J.-J. Rousseau
1768). Die ersten Versuche einer Definition des Be-
griffs M. finden sich in der 1. Halfte des 19. Jh. bei A.
B.Marx (1837) und J. Chr. Lobe (1844). - H.Riemann
definiert das M. als ein Melodiebmchstiick, . . . das fur sich
eine kleinste Einheit von selbstandiger Ausdrucksbedeutung
bildet (1903, S. 14). Das Verstehen einer Melodie hangt
vom Erkennen der vom Komponisten gemeinten M.-
Begrenzungen ab, die weitgehend durch die rhyth-
misch-metrischen und harmonischen Verhaltnisse be-
dingt sind. Nach Riemann beruht alles musikalische
Werden und Wachsen darauf, daB einem Ersten ein
Zweites (»symmetrisch«) gegeniibertritt, in der natiir-
lichen Folge leicht-schwer (so schon Momigny. La
musique marche du leue aufrappe et non dufrappe an leve).
? J I J und nicht ? J J I ist nach Riemanns Auf-
4 ^^ 4 ;;;—_
fassung die »Urzelle« aller Musik. Die Schwerpunkts-
note muB jedoch nicht immer auch zugleich Endnote
des M.s sein. Sie kann in eine -> Weibliche Endung ver-
wandelt werden, z. B. :
j J^ i Tr anstatt j«^ i r
Intervalle zwischen den Grenztbnen zweier M.e (dem
SchluBton des vorhergehenden und dem Anfangston
des folgenden M.s) werden nicht melodisch aufgefaBt;
Riemann nennt sie tote Intervalle. FUllt ein M. einen
aus zwei oder drei Zahlzeiten bestehenden Takt, so daB
sein Schwerpunkt jedesmal ein Taktschwerpunkt ist,
so heiBt es Takt-M. ; f iillt es nur die Zeit einer Zahl-
zeit, so heiBt es Unterteilungs- oder Figurations-M.
Verwachsen mehrere M.e zu einer Sinneinheit, so ent-
steht eine Phrase. Hier sind die Intervalle zwischen den
M.n nicht tot, jedoch von untergeordneter Bedeutung
im Vergleich zu den Intervallen, die die M.e bilden.
Die dem -»■ Ausdruck des M.s entsprechende, selbst-
verstandliche dynamische und agogische Vortragswei-
se ist nach Riemann Steigerung bis zur Schwerpunkts-
note und bei derEndigung diminuendo mit Dehnung:
Anfang des Hauptthemas des 1. Satzes der 2. Sympho-
nie von Brahms
f olgendermaBen phrasiert wissen :
Die ausschliefilich auftaktige M.-Auffassung Riemanns
f iihrt bisweilen zu bedenklichen Konsequenzen, vor al-
lem in seiner Phrasierungslehre. So wollte er 1895 den
Dem aber steht die Verarbeitung dieser 4 Takte in der
Durchfiihrung des Satzes entgegen (Takt 246fL). R.
Westphal (1880) und Th. Wiehmayer (1917) leiten das
M. aus den verschiedenen Klangf iiBen ab (Gleichsetzung
von poetischer Metrik und musikalischer Rhythmik),
wahrend Riemann im M. keineswegs ein nur rhyth-
misches Gebilde sah, sondern vielmehr ein nach alien Sei-
ten hin bestimmtes musikalisches Konkrete, an welchem Me-
lodie, Harmonie, ja Dynamik und Klangfarbe usw. Anteil
haben. Eine zukiinftige M.-Lehre hat diesen umfassen-
deren Standpunkt zu wahren und Riemanns Warnung
vor iibertriebener M.-Suche und »M.-Reiterei« zu be-
achten. Sie muB aber auch beriicksichtigen, daB nicht
alle Dimensionen dieses »musikalisch Konkreten« je-
weils gleich wichtig sind. So wird z. B. die motivische
Quartenfolge in Schonbergs 1. Kammersymphonie
op. 9 zunachst als Tonhohenkonstellation wahrgenom-
men ; was in den iibrigen Dimensionen gleichzeitig ge-
schieht, ist nur akzidentiell und vom M. her nicht ty-
pisch. Ob diese notwendige neue M.-Lehre jedoch
mehr als nur retrospektive Bedeutung erlangen wiirde,
erscheint angesichts der jtingsten, von -*■ Thema und
M. fortstrebenden musikalischen Entwicklung fraglich.
Lit.: BrossardD, Artikel Motivo; J. Mattheson, Kern
Melodischer Wiss., Hbg 1737; Mattheson Capellm.; J.
Riepel, Anfangsgriinde zur mus. Setzkunst . . . , Augsburg
1752, Regensburg 21754; Encyclopedie ou Dictionnaire
raisonne des sciences, des arts et des metiers, hrsg. v. D. Di-
derot u. J. d'Alembert, Bd X, Neuchatel 1765, Artikel
Motif; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf
1767(?), Paris 1768, Artikel Motif; H. Chr. Koch, Versuch
einer Anleitung zur Composition, I Rudolstadt 1782, II— III
Lpz. 1787-93; J.-J. DEMoMiGNY,Courscompletd'harmonie
et de composition . . ., 3 Bde, Paris 1 806; A. Reicha, Traite
de melodie . . ..Paris 1814,21832, H1911 ; A. B. Marx, Die
Lehre v. d. mus. Komposition I, Lpz. 1837, neubearb. v.
H. Riemann '1887; J. Chr. Lobe, Compositionslehre oder
umfassende Lehre v. d. thematischen Arbeit, Lpz. 1844;
R. Westphal, Allgemeine Theorie d. mus. Rhythmik seit
J. S. Bach, Lpz. 1880; L. Wolff, Geschichtliche Studien
iiber d. mus. M. u. seine Durchfiihrung, Diss. Lpz. 1890;
H. Riemann, Was ist ein M.?, in: Praludien u. Studien I,
Heilbronn 1895; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me-
trik, Lpz. 1903; Th. Wiehmayer, Mus. Rhythmik u. Me-
trik, Magdeburg 1917; E. Schwarzmaier, Die Takt- u.
Tonordnung J. Riepels . . ., Wolfenbiittel 1936; A. Feil,
Satztechnische Fragen in d. Kompositionslehren v. Fr. E.
Niedt, J. Riepel u. H. Chr. Koch, Diss. Heidelberg 1955;
H. Keller, Phrasierung u. Artikulation, Kassel 1955; E.
Jammers, Takt u. M., AfMw XIX/XX, 1962/63.
Motus (lat., Bewegung), bei der Stimmfiihrung bzw.
Themenbildung ist M. contrarius -*■ Gegenbewegung
oder -*■ Umkehrung ; M. obliquus ->■ Seitenbewegung ;
M. rectus -> Parallelbewegung, auch Bezeichnung fiir
denEintritt eines Fugenthemas in seiner originalen Ge-
stalt (in motu recto) im Unterschied zur Umkehrung
(in motu contrario) ; M. retrogradus -> Krebsgang.
Mozarabischer Gesang ist der Gesang der spani-
schen Christen unter arabischer Herrschaft (musta'rib).
Er stammt aber aus alterer Zeit, wie alle lateinischen
Choralarten, ist in der westgotischen Zeit geformt
worden und gehort (ahnlich dem -»■ Ambrosianischen
Gesang) zur Gruppe des -*■ Gallikanischen Gesangs (im
591
Mozarabischer Gesang
weiteren Sinne). Das zeigt die Ordnung der MeBge-
sange, die zum Teil die gleichen Namen haben wie die
der gallikanischen Liturgie. Doch ist die gemeinsame
Urform, wie sie sich auch in der Gregorianik erhalten
hat, nicht zu iibersehen. Die MeBgesange sind: Anti-
phona ad praelegendum (gallikanisch, heute Offizium;
romisch Introitus), Gloria (selten), Trisagion ("Ayiog 6
&e6g, gallikanisch), Benedictus es (gallikanisch), Psallen-
dum (romisch Graduale), Clamor (nur im mozarabi-
schen Ritus), Threnos, Laudes (romisch Alleluia), Sacri-
ficium (romisch Offertorium), Preces (gallikanisch),
Agios, Agios Dominus Deus (romisch Sanctus), Anti-
phona ad pacem, Antiphona ad conf ractionem (romisch
Agnus Dei), Antiphona ad accedentes (gallikanisch
Trecanum; romisch Communio). - Die an die Ostkir-
chen erinnernde Vorliebe fur die Hymnenkomposition
vermochte sich bei einander widerstreitenden Synoden-
beschliissen nicht entscheidend durchzusetzen. Doch
wurden auBerhalb der Messe Hymnen und Sequen-
zen gepflegt. Im Gegensatz zu Rom war man sich der
Verfasserschaft mehrerer Komponisten bei der Ent-
stehung des Chorals wohl bewuBt. - Der M.e G. wur-
de im 11. Jh. durch die Gregorianik fast restlos besei-
tigt; nur wenige, sehr einfache Gesange haben sich er-
halten, so da8 nur beschrankte Aussagen mit vielen
Vorbehalten mSglich sind. Mit dem Gesang wurde
auch die mozarabische Neumenschrift verdrangt. Sie
hat ihre nachsten Verwandten in italienischen, nicht in
gallikanischen Neumen. Wichtigstes Neumendoku-
ment ist das Antiphonar von Leon (10. Jh.). Da aber
auch die mozarabischen Neumen keine Angaben ttber
Tonhohe oder Intervalle machen, lassen sich die Me-
lodien der Quellen nicht lesen. So ist der M.e G. fur
uns tot. Sein konservativer Charakter wird aber deut-
lich sichtbar. Fur einige Gesangsarten wurde das ganze
Jahr hindurch nur ein Text verwendet, so fur die Anti-
phona ad accedentes der uralte Communiotext Gustate
et videte. Ahnlich der gallikanischen Messe war die Be-
teiligung des Volkes groBer als in der romischen (papst-
lichen) Liturgie; beim Pater noster z. B. erfolgte nach
jeder Bitte eine Akklamation des Volkes: Amen oder
Quia Deus es, und der Clamor hat seinen Namen an-
scheinend von den in ihm enthaltenen Akklamationen.
Der Tonus currens war gleichf alls der altere, namlich a,
und noch nicht verdrangt von dem subsemitonalen c.
Verwendet wurde die gallikanische Repetitionsweise:
nach den Versen wird nur der SchluBteil des Respon-
sum wiederholt. Selbstverstandlich kennt der M.e G.
auch sehr ausgedehnte Melismen mit mehr als 200 T6-
nen; ihre Kompositionstechnik, etwa beim Alleluia,
erinnert an die ambrosianische.
Ausg.: Antifonario visigotico mozarabe de la Catedral de
Leon, I Faks., II Text, hrsg. v. L. Brou OSB u. J. Vives,
= Monumenta Hispaniae Sacra, Series liturgica V, 1-2,
Madrid, Barcelona u. Leon 1953-59.
Lit.: G. Prado OSB, Mozarabic Melodies, Speculum III,
1928; ders., Estado actual de los estudios sobre la musica
mozarabe, in: Estudios sobre la liturgia mozarabe, = Pu-
blication del Inst, provincial de investigaciones y estudios
toledanos III, 1, Toledo 1965; P. Wagner, Der mozarabi-
sche Kirchengesang u. seine Uberlieferung, in : Span. For-
schungen d. Gorresges. 1, 1 , Munster i. W. 1928 ; ders., Un-
tersuchungen zu d. Gesangstexten u. zur responsorialen
Psalmodie d. altspan. Liturgie, ebenda I, 2, 1930; C. Roio
OSB u. G. Prado OSB, El canto mozarabe, Barcelona
1929 ; L. Brou OSB, L'antiphonaire visigothique et l'anti-
phonaire gregorien au debut du VIII e s., AM V, 1950, u.
in : Atti del Congresso Internazionale di Musica Sacra Rom
1950, Tournai 1952; ders., L' Alleluia dans la liturgie moz-
arabe, AM VI, 1951; ders., Sequences et tropes dans la
liturgie mozarabe, Hispania sacra IV, 1 95 1 /52 ; H. Angles,
Lat. Chant Before St. Gregory, in: The New Oxford Hist,
of Music II, London 1954, 2 1965 ; ders., Die Sequenz u. d.
Verbeta im ma. Spanien, StMf XLIII, 1961 ; E. Werner,
Eine neuentdeckte mozarabische Hs. mit Neumen, in : Mis-
celanea en homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61.
»Mozartquinten« ->ParalIelen.
mp, Abk. fur mezzopiano, -*■ piano.
Muhlhausen (Thiiringen).
Lit.: R. Jordan, Aus d. Gesch. d. Musik in M., =Zur
Gesch. d. Stadt M. in Th. V, M. 1905; E. Brinkmann,
Neue Beitr. zur M.er Mg., Muhlhauser Geschichtsblatter
XXIX, 1928/29; ders., Neue Forschungen zum Leben d.
groCen M.er Musiker . . . Joachim a Burgk, J. Eccard, J. R.
Ahle, J. G. Ahle, J. S. Bach, Fs. A. Tille, Weimar 1930;
ders., Die Musikerfamilie Bach in M., M. 1950.
Miinchen.
Lit. : L. Westenrieder, Zustand d. Musik in M. in d. letz-
ten Jahrzehnten d. 18. Jh., Jb. d. Menschengesch. in Bayern
I, M. 1783 ; Fr. M. Rudhart, Gesch. d. Oper am Hofe zu
M.I, Freising 1 865 ; Fr. Grandaur, Chronik d. Kgl. Hof-
u. Nationaltheaters in M., M. 1878; Fr. X. Haberl, Ar-
chivalische Excerpte uber d. herzogliche Hofkapelle in M.,
KmJb IX, 1894 - XI, 1896; A. Sandberger, Beitr. zur
Gesch. d. bayerischen Hofkapelle unter Orlando di Lasso,
I u. Ill, Lpz. 1 894-95 ; ders., Ausgew. AufsStze zur Mg. I,
M. 1921, revidiert NY 1948; L. Schiedermair, Die Anfan-
ge d. M.er Oper, SIMG V, 1903/04; Br. Hirzel, A. Goss-
win . . . Ein Beitr. zur Gesch. d. Hofkapellen in M. u. Frei-
sing, M. 1909 ; E. Bucken, M. als Musikstadt, Lpz. (1923) ;
M. Zenger, Gesch. d. M.er Oper, hrsg. v. Th. Kroyer, M.
1923 ; O. Ursprung, Mg. M., M. 1927; ders., M. mus. Ver-
gangenheit, v. d. Fruhzeit bis zu R. Wagner, M. 1927 ; P. L.
Sohner, Die Musik im M.er Pom Unserer Lieben Frau
M. 1934; Fr. Ihlau, Die Entwicklung d. Musikberichter-
stattung in d. M.er »Neuesten Nachrichten« ... bis zum
Jahre 1860, Diss. M. 1935; P. Beckers, Die nachwag-
ner'sche Oper bis zum Ausgang d. 19. Jh. im Spiegel d. M.er
Presse, Diss. M. 1936; Cl. Neumann, Die Harmonik d.
M.er Schule um 1900, M. 1939; I. Grassl, M.er Brauchtum
u. Leben im 18. Jh., Diss. M. 1940; W. Eichner, M. Ent-
wicklung als Musikstadt, Diss. M. 1 95 1 , maschr. ; F. Lepel,
Die ital. Opera u. Opernauffuhrungen am kurfurstlichen
Hofe zu M. (1654-1787), Bin 1953 ; W. Zentner, 60 Jahre
M.er Philharmoniker, Fs., M. 1953 ; J. M. Lutz, Die M.er
Volkssanger, M. 1956; H. Wagner, 200 Jahre M.er Thea-
terchronik 1750-1950, M. (1958); K. H. Ruppel, Musica
Viva, M. 1959; Fs. 200 Jahre Residenz-Theater in Wort
•u. Bild, hrsg. v. A. Lippl, M. 1961 ; W. Frei, Die bayerische
Hofkapelle unter Orlando di Lasso, Mf XV, 1962; H.
Friess, Festspieled. Operzu M., M. 1962; W. Boetticher,
Aus O. di Lassos Wirkurigskreis. Neue archivalische Stu-
dien zur M.er Mg., Kassel 1963; H. Bolongaro-Crevenna,
L'Arpa Festante. Die M.er Oper 1651-1825, M. (1963); R.
Eras, Zur Deutung v. Mielichs Bild d. bayerischen Hof-
kapelle, Mf XVI, 1963; Nationaltheater M., Fs. d. Baye-
rischen Staatsoper zur Eroffnung d. wiederaufgebauten
Hauses, hrsg. v. H. Friess u. R. Goldschmit, M. 1963.
Munster (Westfalen).
Lit.: K. G. Fellerer, Schulgesange aus M. Humanisten-
zeit, ZfMw XIII, 1930/31 ; ders., Zu d. Cantus ecclesiastici
missae d. Kolner u. M.ischen Tradition im 19. Jh., in: Der
kultische Gesang d. abendlandischen Kirche, Fs. D. Joh-
ner OSB, Koln 1950; ders., Zur Gesch. d. Org. im Dom zu
M. im 17. Jh., KmJb XXXIV, 1950; H. Schorer, Das
Theaterleben in M. in d. 2. Halfte d. 19. Jh., = Die Schau-
buhne X, Emsdetten i. W. 1935; W. Wormann, Aite Pro-
zessionsgesSnge d. Diozese M., Diss. M. 1949, maschr.
Multiplicatio (lat., Vervielfaltigung), in der Kompo-
sitionslehre des 17. und 18. Jh. als musikalische Figur
die Aufteilung einer Note (bei Bernhard und Walther
1708 : einer Dissonanz) in mehrere kleinere Notenwer-
te (Beispiel nach Bernhard) :
statt: so:
592
Mundstuck
Mit ihr verbindet sich oft die Extensio (lat., Ausdeh-
nung), die Verlangerung einer Dissonanz iiber ihre
regulare Dauer (Beispiel nach Bernhard) :
" 7
Mundharmonika (frz. harmonica a bouche; engl.
mouth harmonica oder mouth organ) ist eine Bezeich-
nung fiir Instrumente mit durchschlagenden Zungen,
die durch den menschlichen Atem in beiden Richtun-
gen (Aus- und Einatmen) zum Schwingen gebracht
werden. Bei den heute gebrauchlichen M.s ist zwi-
schen diatonischen und chromatischen Modellen zu un-
terscheiden, zu denen noch BaB-M., Akkordbegleit-
instrumente und Spezialinstrumente kommen. Die dia-
tonischen und die chromatischen M.s sind durchweg
wechseltonig, d. h. jeder Tonkanal enthalt 2 Zungen,
von denen eine auf Blasen, die andere auf Ziehen an-
spricht. Bei den diatonischen Richter-Modellen enthal-
ten also die lOkanaligen Instrumente 20 Tone (3 Okta-
ven, untere und obere Oktave unvollstandig), die 12ka-
naligen verfiigen iiber 3 vollstandige Oktaven. Die
Richter-Modelle sind in alien Dur- und Molltonarten
als Melodieinstrumente gebrauchlich. Beim Spiel wer-
den die nicht benotigten Tonkanale mit der Zunge ab-
gedeckt. Die Knittlinger M.s sind Oktav- bzw. Dop-
peloktavinstrumente. In Tonaufbau und -anordnung
entsprechen sie der lOkanaligen Richter-M. ; sie unter-
scheiden sich von ihr dadurch, dafi jeder Ton durch 2
Stimmzungen im Abstand von einer oder zwei Okta-
ven hervorgebracht wird. Die M.s des Wiener Systems
kommen als Oktavinstrumente oder als Tremolo-M.
(mit Schwebetonreihe zur Grundreihe) vor. Sie unter-
scheiden sich in der Tonanordnung wesentlich von den
Richter-Modellen und kennen keine genormte Grofie.
Es sind Soloinstrumente, die meist zweistimmig (mit
zugespitztem Mund) geblasen werden. - Die chroma-
tischen M.s lassen irh Rahmen ihres Tonumfangs das
Spiel aller Stammtone und abgeleiteten Tone zu. Die
als Familie gebaute Educator-M. (S., A., T. und B.)
folgt in der Tonanordnung dem Aufbau der Klavier-
tastatur. Die Chromonica ist eine Kombination zweier
um einen Halbton verschiedener diatonischer Richter-
Instrumente (C dur und Cis dur) ; ein von Hand beta-
tigter Kanzellenschieber verschlieBt auf Wunsch die
eine oder die andere Tonreihe. - Das in den 1920er
Jahren aufgekommene Gruppenmusizieren mit M.s
erf orderte Spezialinstrumente fiir den BaB und die har-
monische Begleitung. Die Bafl-M.s (als einfache und
als Oktavbasse gebrauchlich) sind 2teilige, durch Schar-
niere beweglich miteinander verbundene Instrumente,
die unten die C dur-, oben die Fis dur-Tonleiter geben
und so das Spiel chromatischer Tonfolgen gestatten.
Die Akkordbegleitinstrumente sind ebenfalls 2teilig;
sie geben oben auf Blasen die Durdreiklange, auf
Ziehen die gleichnamigen Dominantseptakkorde, un-
ten auf Blasen die gleichnamigen Molldreiklange und
auf Ziehen in wechselnder Folge UbermaBige Drei-
klange und verminderte Septakkorde. - Zu den M.-
Spezialinstrumenten gehoren die pentatonische M. und
Instrumente mit ' auBereuropaischen Tonfolgen, aber
auch neuartige Kombinationen von Melodie- und Be-
gleitinstrumenten, die sich - wie die Harmonetta - ei-
ner Tastatur sowohl fiir das Einzelton- als auch fiir das
Akkordspiel bedienen. Die Weiterentwicklung der M.
in unseren Tagen fiihrte zur Melodica, einem Bias-
instrument mit durchschlagenden Zungen (nur auf
Blasen erklingend) und mit einer kleiner mensurierten
Klaviertastatur (h-c3 bzw. f-g 2 ) oder mit 4eckigen
Knopf tasten in gleicher Anordnung (&-& bzw. f-e 2 ).
- Abgesehen vom Gruppenmusizieren, beginnt die Ge-
schichte der M.-Literatur erst nach dem 2. Weltkrieg
(Konzerte von A.Benjamin, H.Herrmann, Milhaud,
M. Spivakovski, G.Whettam). Die Bedeutung der M.
liegt jedoch mehr auf dem Gebiet der elementaren Mu-
sikerziehung. Das M.-Spiel ist iiberall in der Welt ver-
breitet, wird im Ausland aber vor allem solistisch vir-
tuos gepflegt.
Lit. : A. Fett, 30 Jahre Neue Musik f . Harmonika 1927-57,
Trossingen (1957, 4 1964); ders., Die Melodica, = Kleine
Bucherei d. Harmonika-Freundes XVI, Trossingen 1966;
ders. , Die M. , Kleine Instrumentenkunde, ebenda IV, 1966;
H. Herrmann, Einfiihrung in d. Satztechnik f. M. -Instru-
mente, Trossingen (1958). • AWF
Mundorgel, ein Blasinstrument, bestehend aus einer
Windkammer mit einem vorragenden Mundstuck und
einer Anzahl senkrecht stehender, im Kreis angeord-
neter Bambus- oder Holzpfeifen von verschiedener
Lange mit durchschlagenden Zungen aus Metall. Jede
Pfeif e hat direkt iiber dem Socket und unterhalb der
Zunge ein Griffloch; wird es geschlossen, so erklingt
die Pfeife. In Indochina wird die M. noch heute als ein-
faches volkstiimliches Instrument (mit einer Wind-
kammer aus Kurbisschale) allein oder zum Gesang ge-
spielt. Beim Solospiel kann neben den charakteristi-
schen lang ausgehaltenen Zusammenklangen (mit bis
zu 6 TSnen) eine Melodie gespielt werden. Die alteste
erhaltene chinesische M. (sheng) stammt aus dem 6.
Jh. Von China kam sie spatestens im 9. Jh. nach Japan.
Die japanische M. (sho) mit 17 Pfeif en gehort zum In-
strumentarium der chinesischen Richtung Togaku in-
nerhalb der Kunstmusik. Der Bau der -> Harmonika-
Instrumente mit durchschlagenden Zungen um 1800
war zum Teil durch die Kenntnis der ostasiatischen In-
strumente angeregt.
Lit. : A. Schaeffer, Origine des instr. de musique, Paris
1936; L. C. Goodrich, The Chinese Sheng and Western
Mus. Instr., China Magazin XVII, 1941; L. Traynor u.
Sh. Kishibe, The Four Unknown Pipes of the Sho . . . ,
Journal of the Soc. for Research in Asiatic Music IX, 195 1 .
Mundstuck (frz. embouchure; engl. mouthpiece) ist
bei Blasinstrumenten die Anblasvorrichtung; ein ei-
gentliches M. f ehlt der Querflote, es kann auch bei (pri-
miti ven) Horninstrumenten f ehlen. Bei den abendlandi-
schen Blockfloten und Klarinetten ist das M. in Schna-
belform ausgebildet, bei Doppelrohrblattinstrumenten
ist das Rohr M. (beim Windkapselansatz erganzt durch
eine trichter- oder kreiselformige Pirouette oder eine
Lippenscheibe als Stiitze fiir die Lippen). Horninstru-
mente, besonders die aus Metall (Blechblasinstrumen-
te), haben schon seit der Antike M.e. Die Bauart der
I
M.e von Waldhorn, Trompete und BaBtuba.
M.e variiert zwischen der des Waldhorns in Form ei-
nes Trichters und der der Trompete in Form eines
bauchigen Kessels; die Zinken hatten M.e mit beson-
ders enger Bohrung und scharfem Rand. M.e an BaB-
instrumenten sind groBer als an hohen Instrumenten,
weil eine groBere Masse der schwingenden Lippen er-
forderlich ist. Ein enges, tiefes M. erleichtert die An-
38
593
Muneira
sprache der hohen Tone, ein weites, flaches die der
tiefen Tone.
Lit.: V. Bach, Embouchure and Mouthpiece Manual,
Mount Vernon/N. Y. (1954).
Muneira (mun'eira, span. ; galicisch muineira, Miille-
rin), ein spanischer Volkstanz aus den Nordprovinzen
Galicien und Asturien, der in maBig bewegtem 6/8-
Takt gleich der galicischen Alborada zu Gaita, Pandero
und Tamboril gesungen und getanzt wird.
Murkys, in Deutschland (oft abwertend) gebrauchte
Bezeichnung unbekannter Herkunft f iir die als dilettan-
tisch geltenden fortlaufenden gebrochenen Oktavbasse
^ U,\T\T\
(Murkybasse, auch als -> Brillenbasse notiert) zur Be-
gleitung einer Melodie in Kompositionen fiir Tasten-
instrumente, seltener in Orchesterwerken. Auch leicht
eingangige Stiicke mit Verwendung dieser Art des
Basses wurden im 18. Jh. so genannt, z. B. 11 Num-
mern bei Sperontes (Singende Muse an der Pleifie, 1 736ff .) .
Musette (miiz'et, frz.), - 1) in Frankreich im 17.-18.
Jh. eine Sackpfeife mit einem kleinen Blasebalg. Die
Spielpfeife war zylindrisch mit Doppelrohrblatt und
hatte 7 offene Grifflocher sowie 4 Tonlocher mit ge-
schlossenen Klappen (Umfang fi-a 3 oder c3). Um 1650
fiigte J.Hotteterre eine zweite kleine Spielpfeife fiir die
hochsten Tone (bis d 3 ) hinzu. Der Bordun war wie ein
Rankett gebohrt, jedoch mit 4 Doppelrohrblattern so-
wie mit Schiebern (frz. layettes) versehen, durch die
die Lange der Kanale abgeteilt und damit die Hohe der
Borduntone verandert werden konnte. In Frankreich
war die M. zusammen mit der Drehleier (vielle) das
Favoritinstrument bei den Schaf erspielen der aristokra-
tischen Gesellschaft. Sie wurde in prachtiger Ausstat-
tung hergestellt, mit Brokatiiberzug des Balgs, Pfei-
fen aus Ebenholz und Elfenbein. Beruhmte Spieler der
M. waren u. a. die Briider -> Chedeville, H. Baton, J.
-> Aubert sowie Mitglieder der Familien Philidor und
Hotteterre. - 2) alter Name fiir die windsacklose Schal-
mei; auch M. de Poitou oder Hautbois de Poitou ge-
nannt. - 3) In franzosischen Orgeln ist M. ein 8'-
oder 4'-Rohrwerk mit konischen Bechern, von zart
naselndem Klang, in neueren deutschen Orgeln dage-
gen gelegentlich mit trichterformigen Bechern und
schnarrend-hellem Klang. - 4) ein Tanz im 2/4-, 3/4-
oder 6/8-Takt, in maBigem Tempo; charakteristisch
ist der Bordun. Der Tanz, wohl urspriinglich von dem
Instrument M. begleitet, war sehr beliebt am Hofe Lud-
wigs XIV. und Ludwigs XV. Die M. findet sich unter
den Tanzen der franzosischen Ballette des 18. Jh. (De-
lalande), in der Oper, z. B. in Destouches' Callirhoe
(1712) und in Handels Alcina (1736), in der Klavier-
musik von Fr.Couperin, J.-Ph.Rameau und J. S.Bach
(Englische Suite Nr 3, Gavotte ou la M., BWV 808), in
Schonbergs Suite fiir Kl. op. 25. - Der im 19. Jh. volks-
tiimliche Bal champfitre wurde nach dem bei ihm ver-
wendeten Instrument auch als Bal m. bezeichnet. Als
Begleitinstrument trat am Ende des 19. Jh. das Ak-
kordeon hervor, das zur Erzielung charakteristischer
Effekte oft leicht verstimmt wurde (accordeon m.).
Noch heute ist der Valse m. dieser Klangcharakter ei-
gen; hinzu kommt eine spezifische Melodiefuhrung,
deren besinnlich-heitere Melancholie in Film- und Un-
terhaltungsmusik mit der Vorstellung des »vieux Paris«
verbunden wird.
Lit.: zu 1): M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris
1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; Ch.-E.
Borjon de Scellery, Traite de la m., Lyon 1 672 ; J. Hotte-
terre, Methode pour la m. , Paris 1 737 ; E. H. de Bricque-
ville, Les m., Paris 1894; E. Thoinan (= A.-E. Roquet),
Les Hotteterre et les Chideville, Paris 1 894 ; J. Eppelsheim,
Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Munchner Veroff.
zur Mg. VII, Tutzing 1961.
Musica (lat., von griech. [aouctixtj, -*■ Griechische
Musik), wie fiouciixr) urspriinglich Adjektiv, schon in
der Antike, alsBezeichnungsfragment von Arsm. (jxou-
(jixt) t£x v ?]) °der M.scientia ((xouaix'fj ^Tucrr/jfiir)), hau-
figsubstantivischgebraucht.-DenmittelalterlichenBe-
griffsbestimmungen von M. liegen die Schriften von
Augustinus, Martianus Capella, Cassiodorus, Boethius
und Isidorus von Sevilla zugrunde, die einerseits grie-
chischen Traditionen vornehmlich pythagoreisch-pla-
tonischer Pragung verpflichtet sind und andererseits
teilweise bereits christliches Gedankengut vermitteln.
Obwohl unter dem EinfluB sich wandelnder philoso-
phisch-theologischer Fragestellungen die traditionellen
M.-Definitionen und -Klassifikationen vielfach gean-
dert, auch abgelehnt wurden, bleibt dennoch eine bis in
die Neuzeit hinein kontinuierliche (wenn auch seit dem
Spatmittelalter immer mehr zum Topos erstarrende)
Grundkonzeption erkennbar, die sich in zwei haufig
miteinander verschrankten Bedeutungsbereichen mit
jeweils eigenen Unterteilungen manifestiert.
1) M. ist die scientia bene modulandi (-»■ Modulatio), im
weiteren Sinne das auf harmonischen Zahlenverhalt-
nissen beruhende musische Tun in Sprache, Musik und
Tanz. Diesem umf assenden Begrifl gemaB widmet sich
Augustinus in seiner Schrift De musica eingehend der
Metrik ; nach Aurelianus Reomensis (entsprechend Boe-
thius 1, 34) ist nur derjenige ein -»■ Musicus, der auch die
Facultas de poetarum carminibus . . . sine errore iudicandi
besitzt (GS I, 34a). al-Farabi (De ortu scientiarum, ed.
Baeumker, S. 19) und R.Bacon (Opus tertium, ed. Bre-
wer, S. 232) beriicksichtigen in ihren M.-Klassifikatio-
nen ausdriicklich auch den Tanz (gestus) ; Bacon teilt die
M. circa vocem humanam in M. in cantu (= M. melica)
und M. in sermone ein (ebenda, S. 230). Eustache Des-
champs (L'art de dictier, ed. Raynaud, S. 269f.) versteht
unter musique naturelle die Dichtkunst, unter musiquc
artificielle die eigentliche Musik.
2) M. ist jene disciplina quae de numeris loquitur, qui ad
aliquid sunt his qui inveniuntur in sonis (Cassiodorus II, 5,
4) : eine »Mathematische Wissenschaft« noch in der Ba-
rockzeit (Werckmeister, Musicae mathematicae Hodegus
curiosus, S. 9f.) und Romantik (Novalis, Fragmente IV,
227: Aller Genufi ist musikalisch, mithin mathematisch),
mitunter auch die Lehrschrif t iiber die M. selbst; ihr Stoff
wurde im Rahmen des Quadriviums gelehrt (-»■ Ars
m.). Ferner ist M. (als Aquivalent zu -* Harmonia) das
auf Zahlenproportionen beruhende Ordnungsprinzip,
nach dem alles Sein gestaltet ist (Jacobus Leodiensis,
CSM III, 1, 11 : M. enim genet aliter sumpta obiective quasi
ad omnia se extendit), sowie die hieraus resultierende
Geordnetheit (Harmonie) des Seins. Diese M. ist von
Boethius in Anlehnung an griechische Traditionen auf-
gegliedertwordenindieBereicheM.mundana(ap(xovta
x6ct(xou), M. humana (apfiovta i^ux*)?) und M., quae in
quibusdam constituta est instrumentis (spater: M. instru-
mentalisbzw. M. sonora; -f) Iv opyavon; (xouoixrj). M.
(auch harmonia, compositio) mundana ist die Harmonie
des Makrokosmos, die sich einerseits in der Bewegung
der Spharen (-»• Spharenharmonie), andererseits in der
regelmaBigen Abf olge der Jahreszeiten, der Zusammen-
ordnung der Elemente zeigt; bei Regino von Priim
(GS I, 235a) und Pseudo-Beda (Migne Patr. lat. XC,
911) heiBtsie M. coelestis. Egidius Zamorensis (GS II,
376b ff.) unterscheidet zwischen M. mundana als der
M. in terris vel in temporibus und M. coelestis als der M.,
durch welche ipsum coelum volvitur. NicolausWollick
594
Musica
(ed. Niemoller, S. 12) setzt beide einander gleich. M.
humana ist die Harmonie des menschlichen Mikrokos-
mos, die sich im Wirken der Temperamente, Glieder
und Organe, im Verhaltnis zwischen Seele und Leib
wie zwischen geistigen und seelischen Kraften auBert,
erkennbar beispielsweise am einwandfreien ethischen
Verhalten (Cassiodorus II, 5, 2). Da die Seele nach py-
thagoreisch-platonischer Auffassung aus konsonieren-
den Zahlen zusammengefiigt ist, kann die erklingende
Musik EinfluB auf sie nehmen (-> Ethos). M. instru-
mentalis ist jene Harmonie, die in den Proportionen
und Intervallen der durch Klangwerkzeuge (mensch-
liche Stimme, Instrumente) hervorgebrachten, per sen-
sum wahrnehmbaren Tone waltet; nach einer Legende
ist sie von Pythagoras inventa ex malleorum sonitu (Cas-
siodorus II, 5, 1, nach Gaudentios, in: Jan, Scriptores,
340). Auf den gleichen Voraussetzungen beruht die
Einteilung in M. naturalis (in der Regel M. mundana
und M. humana umfassend) und M. artificialis (in der
Regel der M. instrumentalis entsprechend) ; sie ist erst-
mals bei Regino von Priim (GS 1, 232a ff.) nachweisbar
und wurde seit dem spaten Mittelalter von der (hin-
sichtlich der Abgrenzung der Bereiche analogen, be-
reits in der Antike gelaufigen) Klassifizierung in M.
theor(et)ica (speculativa) und M. practica (activa)
verdrangt.
Die Musik (in der Regel als cantus, cantilena, erst seit
dem spateren Mittelalter haufiger als m. bezeichnet) hat
innerhalb beider Bedeutungsbereiche ihren Platz. Dem
BewuBtsein einer »inneren Identitat« (Handschin, Die
Spharenharmonie, S. 366) zwischen Universum und sich
auf harmonische Proportionen griindender Musik ent-
spricht die strenge Scheidung zwischen dieser und allem
nur naturwiichsig Erklingenden. Zwar erwahnt schon
Regino von Priim (GS I, 233b und 236a), dafi nonnulli
auch den Gesang der irrationabilis creatura (z. B. der V6-
gel) in den Begriff der M. (naturalis) einbezogen, doch
gilt im allgemeinen bis ins spate Mittelalter (das seinen
M.-Begriff nun vielfach auf alles Erklingende ausdehnt)
der Satz des Johannes Affligemensis, daB solus . . . discre-
tus (scilicet: sonus) ...ad musicam pertinet (CSM I, 58).
Das Musizieren in diesem Sinne heiBt beim Anonymus
A. de Lafage (Ann. Mus. V, 1957, S. 13) naturaliter per
musicam canere ; die gleiche Vorstellung wirkt noch nach
in der humanistisch-geschraubten Umschreibung von
»komponieren« etwa mit musicis numeris accomodate (G.
Otto 1610). - Nach den Mitteln der Tonerzeugung
wird die klangreale M. von Isidorus (III, 19-22) einge-
teilt in M. harmonica (menschliche Stimme), M. orga-
nica (Blasinstrumente) und M. rhythmica (Schlag- und
Saiteninstrumente). In dem MaBe, in dem dieEntwick-
lung der -> Komposition eine terminologische Diffe-
renzierung zwischen bestimmten Techniken und Setz-
weisen nahelegte, wurden (besonders seit dem 13. Jh.)
neue Einteilungen dieser M. geschaffen. Sie betrefien
vor allem die Unterscheidung zwischen (einstimmi-
gem) Choral und Mehrstimmigkeit in Begriffspaaren
wie M. plana (M. Gregoriana, M. armonica simplex)
und -> M. mensurabilis (M. mensuralis, M. armonica
multiplex). Johannes de Grocheo (ed. Rohlofi, S. 47ff.)
unterscheidet zwischen M. simplex vel civilis, quam
vulgarem musicam appellamus (weltlicheEinstimmigkeit)
und M. composita vel regularis vel canonica, quam
appellant musicam mensuratam (Mehrstimmigkeit), de-
nen er als dritte Kategorie das genus ecclesiasticum an-
fiigt. Die seit Adam von Fulda (GS III, 333b) obligato-
rische Scheidung zwischen M. usualis (Wollick, S. 13:
M. vulgaris sive usualis) und M. regulata scheint hier
bereits im Ansatz greifbar. Die M. regulata ihrerseits
teilt sich in die Bereiche von M. vera (recta) und ->■ M.
ficta (falsa).
Die Obernahme des antik-philosophischen M.-Begriff s,
speziell in seiner unter 2) erfaBten Bedeutungsrichtung,
in die christliche Vorstellung von der Schopfungsord-
nung wird durch Liber Sapientiae 11, 21 (Omnia in nume-
ro et mensura et pondere disposuisti) weitgehend gerecht-
fertigt. Neben diese abstrakt-numerusbestimmte M.-
Auffassung trat in friihester Zeit der Gedanke an den
klingenden Lobpreis, den Spharen (Hiob 38, 7) und
Engel, daneben die ganze belebte und unbelebte Natur
dem Schopfer darbringen. Als Abglanz und zugleich
Teil solch universaler Liturgie wurde die irdische Litur-
gie zur eigentlichen Auf gabe des Frommen. Die Pflege
des »enzyklopadischen Bildungsideals« der Antike, das
der M. einen zentralen Platz innerhalb der philosophi-
schen Propadeutik zugewiesen hatte, wurde in den
irischen und angelsachsischen Raum zuriickgedrangt
und f and erst wieder seit dem 8. Jh. dank der karolin-
gischen kulturellen Bestrebungen Eingang in einige
frankische Klosterschulen. Statt dessen entstand in der
monastischen, vom »asketischen Bildungsideal« (beide
Ausdriicke nach Pietzsch) gepragten Sphare in An-
schluB an die Facher Grammatica und Computus eine
ganz auf die liturgische Praxis ausgerichtete Musiklehre.
Diese brachte bei der Neubildung einer die musikalische
Form (Comma, Colon, Periodus; Punctus, Clausula;
Distinctio) und Kompositionstechnik (Color, Talea,
Flores) urnfassenden Terminologie erstmals die (spater
in der -*■ M. poetica nochmals intensiv durchdachten)
Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Sprache syste-
matisch zum Ausdruck; sie eignete sich auch die fiir die
Monochordmessung und Berechnung der Mensura
fistularum unentbehrlichen mathematischen Grund-
lagen an und verstand es, die irrationale »Jubilus-Gesin-
nung« (Hammerstein, S. 121) der christlichen Frtihzeit
in die hochst rationale Lehre von den Tonarten und der
Mehrstimmigkeit zu integrieren. Dagegen verzichtete
die das enzyklopadische Ideal vertretende Literatur
(Walther von Speyer, Alanus ab Insulis) weitgehend
auf den AnschluB an die kompositorische Entwicklung
und stagnierte schlieBlich, je mehr der Komponist selbst
in seinem Werk theoretische MaBstabe setzte.
Seit dem Bekanntwerden der Aristoteles-Schriften im
13. Jh. konzentrierte sich das Interesse zunehmend auf
die empirisch fafibare, konkrete Musik. Der Verzicht
auf die Behandlung der spekulativen Zweige der M.
wird von einigen Autoren nicht nur programmatisch
hervorgehoben (Engelbert von Admont, GS II, 289a),
sondern sogar mit ironischen Worten begriindet (Jo-
hannes de Grocheo, S. 46). R.Bacon (S. 230) lafit als M.
nur noch cantus und sonus instrumentorum gelten. Zu
Beginn des 14. Jh. versuchte Jacobus Leodiensis zwar,
noch einmal die Boethianische Konzeption zu restau-
rieren und zugleich mit der christlich-theologischen
Auffassung zu vereinen, indem er, als hochste Stufe
eines urnfassenden Systems, der M. mundana, humana
und instrumentalis die M. coelestis vel divina anfiigte
(die sowohl den abstrakten Ordnungs- und Proportions-
zusammenhang der himmlischen Dinge als auch die
Liturgie derEcclesia triumphans einschlieBt; CSM III,
1, 37), doch zeigen gleichzeitige Umdeutungen der Be-
griffe von M. humana und M. instrumentalis zu »Vo-
kal-« und »Instrumentalmusik« (Summa musicae, GS III,
199a ff.; Nicolaus von Capua, ed. A. de Lafage, S. 311)
und das Ersetzen der M. mundana durch M. angelica
(Engelsmusik; Nicolaus von Capua, ebenda), in wel-
chem MaBe sich die rein empirische Konzeption bereits
durchgesetzt hatte. Je mehr schlieBlich die auf der kos-
mologischen Abbildlichkeit der Musik (nach Boethius
1, 20, ist die M. instrumentalis imitatio der M. mundana)
beruhende, spezifisch mittelalterliche Anonymitat des
Werkes (Eggebrecht, Kgr.-Ber. New York 1961 , Bd I,
38*
595
Musica
S. 198) angesichts der Erwartung einer durch stetige
Novitas ausgezeichneten individuellen kiinstlerischen
Leistung des Practicus (-»• M. reservata) verlorenging,
desto mehr sank auch die M. theorica zur blofien Lehre
von Tonsystem und Intervallproportionen, zum prak-
tisch-(nicht mehr spekulativ-)mathematischen »Hin-
tergrund« jener Komposition ab, die das Ingenium
ihres Schbpfers beweist und seinen Ruhm begriindet.
Fiir die italienische Renaissance ist sie speculazione . . .
senzafrutto, wenn sie nicht auf ihren letzten Zweck zu-
riickgefiihrt wird, che consiste nell'essercitio de naturali,
& artificial! istrumenti . . . (Zarlino, Istituzioni harmo-
niche, 1558, 1, 11).
Im 17. Jh. kam die M. theorica (im kosmologisch-um-
fassenden Sinne) besonders in Deutschland nochmals zu
hohem Ansehen. Die Moglichkeit, nun mit naturwissen-
schaftlichen Methoden etwa im Bereich der Akustik
(Galilei, Mersenne, Sauveur) und der Astronomie (Kep-
ler) zu beweisen, was dem Mittelalter Axiom war, f iihrte
zu einer neuerlichen Konstatierung universaler ->• Har-
monia und somit auch zu einer Restauration des antik-
mittelalterlichen M.-Begriffs (Fludd, Werckmeister).
Aber es ist nicht nur der Unterschied zwischen fraglos-
staunendem Betrachten (das auch die reformatorische
Musikanschauung noch charakterisiert) und bohrendem
Fragen hach Sinn und Bedeutung dieser Harmonia, der
Mittelalter und Neuzeit trennt, sondern auch in der (fiir
das Mittelalter undenkbaren, weil hochst pleonasti-
schen) Benennung M. mathematica zeigt sich der in-
zwischen vollzogene Wandel : mit dem Begriff von M.
allein ist gemeinhin nur noch der Bereich der Praxis an-
gesprochen. M. bezeichnet nun z. B. auch ein Corpo oder
Versammlung von Musicis (WaltherL, Artikel M.) ; mu-
sique ist sogar in der eingeschrankten Bedeutung von
»Vokalmusik« oder »Figuralmusik« anzutreffen. Nicht
erstEinteilungen wie la musique se divise aujourd'hui plus
simplement en melodic ou en harmonie (Framery, Gingue-
ne, De Momigny, Encyclopedic methodique. Musique,
Paris 1818, Artikel Musique) dokumentieren das Ende
des universalen M.-Begriffs. Schon Mattheson hatte es
mit aller Scharfe konstatiert, wenn er den Titel der
Schrift Ut Mi Sol Re Fa La, Tola M. et Harmonia Aeterna
seines traditionsverbundenen Kontrahenten Buttstedt
mit den Worten parodierte: Todte (nicht tota) M. (Das
Beschiitzte Orchestre, Titelblatt).
Lit.: W. Grossmann, Die einleitenden Kap. d. Speculum
Musicae v. Johannes de Muris (Jacobus Leodiensis), = Slg
mw. Einzeldarstellungen III, Lpz. 1924; H. Besseler, Mu-
sik d. MA in d. Hamburger Musikhalle 1.-8. April 1924,
ZfMw VII, 1924/25 ; ders., Die Musik d. MA u. d. Renais-
sance, Biicken Hdb. ; H. G. Farmer, The Arabian Influence
on Mus. Theory, London 1925 ; J. Handschin, Die Musik-
anschauung d. Johannes Scotus (Eriugena), DVjs. V, 1927 ;
ders., Die Spharenharmonie in d. Geistesgesch., Neue Ziir-
cher Zeitung Nr 2435, 1929, Neudruck in: Gedenkschrift
J. Handschin, Bern u. Stuttgart 1957; P. Rajna, Le deno-
minazioni di Trivium e Quadrivium, Studi Medievali I,
1928; H. Zenck, S. Dietrich. Ein Beitr. zur Musik u. Mu-
sikanschauung im Zeitalter d. Reformation, = PaM III, 2,
Abh. I, Lpz. 1928; ders., Studien zu A. Willaert. Unter-
suchungen zur Musik u. Musikanschauung im Zeitalter d.
Renaissance, Habil.-Schrift Lpz. 1929, Teilveroff. in:
ZfMw XII, 1 929/30; ders., Grundf ormen deutscher Musik-
anschauung, Jb. d. Akad. d. Wiss. in Gottingen f. 1941/
42, Neudruck in : H. Zenck, Numerus u. Affectus, hrsg. v.
W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel 1959; G.
Pietzsch, Die Klassifikation d. Musik v. Boetius bis Vgo-
lino v. Orvieto, = Studien zur Gesch. d. Musiktheorie im
MA I, Halle 1929, dazu L. Schrade in: ZfMw XIII, 1930/
3 1 ; ders., S. Calvisius u. J. Kepler, Die Musikpflege I,
1930; ders., Die Musik im Erziehungs- u. Bildungsideal
d. ausgehenden Altertums u. friihen MA, = Studien zur
Gesch. d. Musiktheorie im MA II, Halle 1932, dazu Th.
Gerold in: Rev. de Musicol. XVI, 1932; E. Beichert, Die
Wiss. d. Musik bei al-Farabi. Ein Beitr. zur ma. Musik-
theorie, Diss. Freiburg i. Br. 1 930 ; H. Birtner, Studien zur
nld.-humanistischen Musikanschauung, Heidelberg 1930;
L. Schrade, Das propSdeutische Ethos in d. Musikan-
schauung d. Boethius, Zs. f. Gesch. d. Erziehung u. d.
Unterrichts VII, 1930; ders., Die Stellung d. Musik in d.
Philosophie d. Boethius, Arch. f. Gesch. d. Philosophie
XLI, 1932; ders., Music in the Philosophy of Boethius,
MQ XXXIII, 1947; Th. Gerold, Les peres de l'eglise et la
musique, Paris 1931 ; R. Schafke, Aristeides Quintilianus,
Vond. Musik, Bin 1937 ; W. Gurlitt, Die Musik in Raffaels
Heiliger Caecilia, JbP XLV, 1938; ders., Der Begriff d.
sortisatio in d. deutschen Kompositionslehre d. 16. Jh.,
TVer XVI, 1942; ders., Die Kompositionslehre d. deut-
schen 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953 (Neudruck
aller zitierten Arbeiten Gurlitts in: Mg. u. Gegenwart I,
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966); M. F. Bukofzer, Specu-
lative Thinking in Medieval Music, Speculum XVII, 1942;
E. Rohloff, Studien zum Musiktraktat d. Johannes de
Grocheo, = Media Latinitas M. I, Lpz. 1 943 ; E. de Bruyne,
Etudes d*esth6tique m£di6vale, 3 Bde, Brugge 1946; ders.,
L'esthetique du moyen age, = Essais philosophiques III,
Lowen 1947; E. T. Ferand, »Sodaine and Unexpected«
Music in the Renaissance, MQ XXXVII, 1951; R. Dam-
mann, Zur Musiklehre d. A. Werckmeister, AfMw XI,
1954; ders., Der Musikbegriff im deutschen Barock, Koln
1967; H. Huschen, Untersuchungen zu d. Textkonkordan-
zen im Musikschrifttum d. MA, Habil.-Schrift Koln 1955,
maschr. ; ders., Der EinfluB Isidors v. Sevilla auf d. Musik-
anschauung d. MA, Miscelanea en homenaje a H. Angles I,
Barcelona 1958-61; H. Roller, 'EykukXioc; itat6eia,Glot-
ta XXXIV, 1955; J.Lohmann, Diegriech. Musik als mathe-
matische Form, AfMw XIV, 1957; ders., Der Ursprung d.
Musik, AfMw XVI, 1959; Thr. G. Georoiades, Musik u. ,
Rhythmus bei d. Griechen, = rde LXI.Hbg ( 1 958); L. Rich-
ter, Die Aufgaben d. Musiklehre nach Aristoxenos u. Kl.
Ptolemaios, AfMw XV, 1958; ders., Zur Wissenschafts-
lehre v. d. Musik bei Platon u. Aristoteles, = Deutsche
Akad. d. Wiss. zu Bin, Schriften d. Sektion f. Altertums-
wiss. XXIII, Bin 1961 ; ders., Griech. Traditionen im Mu-
sikschrifttum d. Romer, AfMw XXII, 1965 ; C. MacClin-
tock, Molinet, Music, and Medieval Rhetoric, MD XIII,
1959; Ch. H. Haskins, Studies in the Hist, of Mediaeval
Science, NY («1960); H. H. Eggebrecht, Der Begriff d.
»Neuen« in d. Musik v. d. Ars nova bis zur Gegenwart,
Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; ders., Musik als Tonsprache,
AfMw XVIII, 1961 ; O. Sohngen, Theologische Grundla-
gen d. Kirchenmusik, in : Leiturgia IV, hrsg. v. K. F. Muller
u. W. Blankenburg, Kassel 1961; ders., Die Musikauf-
fassung d. jungen Luther, in : Gemeinde Gottes in dieser
Welt, Fs. Fr.-W. Krummacher, Bin 1961; R. Hammer-
stein, Die Musik d. Engel, Bern u. Miinchen (1962); P.
Vossen, Der Libellus Scolasticus d. Walther v. Speyer. Ein
Schulber. aus d. Jahre 984, Bin 1962; F. A. Gallo, La de-
finizione e la classificazione della m. nella »Summula« di
Henricus Helene, in: Jucunda Laudatio I, 1963. FrR
Musica coelestis, Musica divina (lat.)-»Musica.
Musica Enchirjadis (lat.) -> Dasia-Zeichen,
-> Organum.
Musica ficta (Musica falsa, lat.), eine vom 13. bis zum
16. Jh. gebrauchliche Bezeichnung fiir die Bildung
hexachordfremder Tone oder transponierter Hexa-
chorde mittels -> Akzidentien, mitunter auch fiir diese
Tone oder Hexachorde bzw. fiir die verwendeten Ak-
zidentien selbst. Vielfach begegnen in entsprechender
Bedeutung auch die Ausdriicke synemmenon und des-
sen lateinische Ubersetzung coniuncta. Bei der Be-
griffsbildung liegt die mittelalterliche Vorstellung von
der prinzipiellen Vollkommenheit der ->■ Hexachord-
Gliederung des Tonsystems zugrunde, in dem die Auf-
spaltung einer Tonstufe in ihre Halbtone nur am Ort
des b (brotundum, bquadratum) vorgesehen ist. Infol-
gedessen findet sich jede andere um einen Halbton er-
hohte oder erniedrigte Tonstufe extra manum (Tincto-
ris, CS IV, 37b) ; sie ist contra regularem vocum in gam-
mate (hexachordale Grundskala) dispositionem gebildet
596
Musica ficta
(Jacobus Leodiensis, CS II, 293b) und steht dort, ubi
non esse videtur (Prosdocimus, CS III, 198a); sie kann
deshalb nur als ficta (kiinstlich gebildet) oder gar als
falsa bezeichnet werden. Diese im Namen ausgespro-
chene negative Beurteilung konnte um so weniger auf-
rechterhalten werden, je regelmaBiger und selbstver-
standlicher sich schon seit dem spateren 13. Jh. die
mehrstimmige Komposition der M. f. bediente. So
finden sich in den Traktaten sehr bald Abschwachun-
gen wie non tamen falsa musica, sed inusitata ( Anonymus
II, CS 1, 310b), und seit dem 14. Jh. wird immer haufi-
ger betont, daB es sich bei der M.f sive falsa ganz im
Gegenteil um eine Musica vera et necessaria handle (Phi-
lippe de Vitry, CS III, 18b), die iiberall dort niitzlich
sei und causa adiutorii (Petrus dictus palma ociosa, SIMG
XV, 513) Anwendung finde, wo es gelte, causa. necessi-
tatis et causa pulchritudinis cantus per se (Anonymus II,
CS 1, 312a) dissonante Melodieschritte und diskordante
Zusammenklange, besonders den Tritonus, zu vermei-
den. Konzentrierte sich also der Gebrauch der M. f . auf
die mehrstimmige Komposition, so war er doch im
1st. Choral nicht ohne Bedeutung (Jacobus Leodien-
sis, CS II, 293a ft.), wenngleich umstritten (als friihe-
ster greifbarer Beleg fur die Einfiihrung hexachord-
fremder Halbtone gilt bereits Odos Musica, GS I, 274,
in der f reilich von M. f. noch nicht die Rede ist) . - Z wei
Moglichkeiten der praktischen Verwirklichung von
M. f. werden gelehrt: entweder bezieht sich das Akzi-
dens nur auf die unmittelbar nachfolgende Note und
lost diese (als mi bzw. fa) einzeln aus dem Zusammen-
hang der ->■ Solmisation, oder die Akzidentiensetzung
bewirkt die Transposition des ganzen Hexachordes auf
eine beliebige andere Stufe (deshalb wird die M. f . hau-
fig auch falsa mutatio genannt) : dort also nur »akzi-
dentelle«, hier »leitereigene Bedeutung« fiir die mit
Akzidentien versehenen Tone (R.v.Ficker; die Schei-
dung zwischen Musica falsa und M. f. als spezielleren
Bezeichnungen fiir die erstere bzw. letztere Methode
ist jedoch - wenn iiberhaupt - friihestens seit dem
15. Jh. zutreffend). Wahrend nach der ersten Methode
theoretisch von Anfang an auch entlegenere Halbtone
verwendet werden konnten, erreichte die Entwicklung
des Hexachordsystems erst bei J. Hothby jenes Stadium,
in dem auf jedem Ton der Leiter Hexachordbildung
moglich war; doch geniigten den praktischen Bediirf-
nissen zumeist die wohl schon seit dem spateren 13. Jh.
bekannten transponierten Hexachorde auf A, B, D und
E. Am Anfang des 15. Jh. stellte Prosdocimus eine
vollstandige chromatische Leiter zusammen. Fiir In-
strumente, besonders fiir die Orgel, bezeugen bereits
zu Beginn des 14. Jh. Philippe de Vitry (CS III, 26a-b)
und Jacobus Leodiensis (CS II, 294a-b) das Vorhan-
densein aller Halbtone. - In den praktischen Denkma-
lern fallen beim Vergleich verschiedener handschrift-
licher Fassungen der gleichen Komposition immer
wieder erhebliche Abweichungen in Anwendungs-
weise und Haufigkeit der Akzidentien auf, und mit-
unter scheinen sich diese Fassungen, zumal in den Quel-
len des 14. Jh., sogar zu widersprechen. Die Frage, in-
wieweit Akzidentien zu erganzen oder zu berichtigen
seien, konnte bisher noch nicht endgiiltig gelost wer-
den: die Forderungen der Stimmfuhrungsregeln sind
nur im 2st. Satz {consequent erfiillbar, die weniger
konkret formulierten Faustregeln, das Subsemitonium
und die »una nota supra la« betrefiend, vermogen nur
einen Teil der strittigen Falle zu klaren. Sie sind iiberdies
noch tonartlich eingeschrankt, wahrend sich die mehr-
stimmige Musik gerade des 14. Jh. oft weit von der Kir-
chentonalitat zu entfernen scheint. Angesichts des all-
mahlichen Obergangs zur Dur-Moll-Tonalitat (schon
seit dem 14. Jh.) fallt die Entscheidung oft schwer
zwischen den Moglichkeiten, die Akzidentien im Sinne
traditioneller Kirchentonalitat oder im Sinne moderner
dominantischer Harmonik zu erganzen. In vielen Fal-
len bewirkt iiberhaupt jede Systematik eine Minde-
rung jener charakteristischen Spannung zwischen noch
nicht ganzlich abgestreifter kirchentonartlicher Bin-
dung und neuem klanglichem Wollen, die die Musik
dieser Epoche auszeichnet. Und selbst bei der Aufhe-
bung diskordanter Zusammenklange mit Hilfe von
M. f. ist Vorsicht geboten, da sich gewisse Diskordan-
zen diesem Eingriff entziehen (z. B. die nicht seltenen
Sekund- und Septzusammenklange auf Mensurschwer-
punkten) und die Theoretiker schon seit dem 13. Jh. auf
den besonderen kompositorischen Reiz der Diskordan-
zen hinweisen. Die vielen vorliegenden Einzelunter-
suchungen haben gezeigt, daB Entstehungszeit und
-ort, Schul tradition und Zugehorigkeit zum geistlichen
oder weltlichen Repertoire und viele weitere Faktoren
bestimmenden EinfluB auch auf Art und Umfang des
Gebrauchs von M. f. genommen haben und daB ge-
wisse UnregelmaBigkeiten wie die »b-h-Schwankung«,
das gelegentliche Ausbleiben der Leittonerhohung in
Klauseln oder ungewohnliche harmonische Harten ge-
radezu bezeichnend fiir das Klangempfinden jener
Epoche sind. Auch auf viele abweichende Fassungen
gleicher Kompositionen muB diese positive Beurtei-
lung im Sinne der Gleichwertigkeit der Fassungen aus-
gedehnt werden. - Die Musiklehre des Humanismus
sah in den Voces fictae ein wichtiges Mittel der harmo-
nischen Verzierung und Abwechslung, begann aber zu-
gleich, der immer komplizierteren Mutationsvorgange
uberdriissig, fiir die Voces fictae eigene Solmisations-
silben zu erfinden (in Anlehnung an die Bestrebungen,
die Zahl der Solmisationssilben den Tonen der Oktave
anzugleichen). S.Calvisius fiihrte 1600 innerhalb seines
-> Bocedisations-Systems eigene Silben fiir b und h
so wie fiir fis ein, aber erst das von D. Hitzler entwickel-
te System der -*■ Bebisation machte jegliche Mutation
beim Vortrag der Voces fictae unnotig (1623). Als Be-
zeichnung fiir einen Gesang, welcher in der Vorzeichnung
viele \jp oder jjjj hat, und dadurch denen Clavibus andere
Benennungen andichtet (J. G. Walther 1708), wurde der
Ausdruck Cantus fictus gelegentlich noch im 18. Jh.
verwendet. Die deutsche Obertragung fiir M. f., »er-
tichte musica«, findet sich schon um 1543 bei G. Donat.
Lit.: R. Hirschfeld, Notizen zur ma. Mg., MfM XVII,
1885 ; A. Einstein, CI. Merulos Ausg. d. Madrigale d. Ver-
delot, SIMG VIII, 1906/07; H. Riemann, Verloren gegan-
gene Selbstverstandlichkeiten in d. Musik d. 15.-16. Jh.,
Die M. f., = Mus. Magazin XVII, Langensalza 1907; Rie-
mann MTh; A. Aber, Das mus. Studienheft d. Wittenber-
ger Studenten Georg Donat (um 1543), SIMG XV, 1913/
14; R. v. Ficker, Beitr. zur Chromatik d. 14.-16. Jh., StMw
II, 1914; K. Dezes, Prinzipielle Fragen auf d. Gebiet d. fin-
gierten Musik, Diss. Bin 1922, maschr. ; M. Cauchie, La
puretd des modes dans la musique vocale franco-beige au
debut du XVI C s., Fs. Th. Kroyer, Regensburg 1933; J.
Handschin, Rezension d. Fs. J. Wolf (Bin 1929) in: Zf Mw
XVI, 1934, S. 120f. ; L. Balmer, Tonsystem u. Kirchentone
bei J. Tinctoris, = Berner Veroff. zur Musikforschung II,
Bern u. Lpz. 1935; J. S. Levitan, Ockeghem's Clefless Com-
positions, MQ XXIII, 1937, dazu C. Dahlhaus, Ockeghems
»Fuga trium vocum«, Mf XIII, 1960; ders., A. Willaert's
Famous Duo . . . , Quidnam ebrietas, TVer XV, 1939, dazu
E. E. Lowinsky in: TMw XVIII, 1956; Ll. Hibberd, M. f.
andlnstr. Music c. 1250-c. 1350, MQ XXVIII, 1942; E. E.
Lowinsky, Secret Chromatic Art in the Netherlands Mo-
tet, = Columbia Univ. Studies in Musicology VI, NY 1946;
ders., M. Greiter's Fortuna: An Experiment in Chromati-
cism and in Mus. Iconography, MQ XLII, 1956 - XLIII,
1957; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950;
G. Reaney, Fourteenth Cent. Harmony ..., MD VII,
1953 ; ders., The Ballades, Rondeaux, and Virelais of G. de
Machaut .... AMI XXVII, 1955; ders., Modes in the
597
Musica figurata
Fourteenth Cent., in Particular in the Music of G. de
Machaut, in: Organicae voces, Fs. J. Smits van Waes-
berghe SJ, Amsterdam 1963, dazu C. Dahlhaus, Der »Mo-
dus duodecimae« d. Nicolaus v. Capua, Mf XVI, 1963; S.
Clercx-Lejeune, J. Ciconia theoricien, Ann. Mus. Ill,
1955 ; C. Dahlhaus, Die Termini Dur u. Moll, Af Mw XII,
1955; M. Ruhnke, J. Burmeister, = Schriften d. Landes-
inst. f . Musikf orschung Kiel V, Kassel 1 955; R. L. Crocker,
Discant, Counterpoint, and Harmony, JAMS XV, 1962;
B. Stellfeld, Prosdocimus de Beldemandis als Erneue-
rer d. Musikbetrachtung, in: Natalicia Musicologica, Fs.
Kn. Jeppesen, Kopenhagen 1962; A. Seay, The 15 th -Cent.
Coniuncta, in: Aspects of Medieval and Renaissance Mu-
sic, Fs. G. Reese, NY (1966). FrR
Musica figurata (lat.) -> Cantus f iguratus.
Musical (mj'u : zikal), Kurzform von engl. m. comedy,
m. play, heute international gebrauchliche Bezeich-
nung fiir eine amerikanische Gattung des musikalischen
Unterhaltungstheaters, ein (meist reich ausgestattetes)
Biihnenstiick mit gesprochenem Dialog, Gesang
(Songs, Ensembles, Chore) und Tanz. Es ist, meist in
2 Akte geteilt, frei von jeder Schematik der Handlung
und Besetzung. Das heutige amerikanische M., ein auf
Serienauffuhrungen gerichtetes, typisches Produkt der
Theater am Broadway in New York, verwendet oft
auf die Gegenwart bezogene, vorwiegend heitere Su-
jets. In neuerer Zeit werden haufig Stoffe der Welt-
literatur (Romane, Schauspiele) sowie zeitgenossische
dramatische und epische Werke herangezogen, z. B. :
R. -»■ Rodgers, The Boys from Syracuse (1938, nach
Shakespeares Comedy of Errors) und Carousel (1945,
nach Molnars Liliom), C. -»■ Porter, Kiss me, Kate (1948,
nach Shakespeares The Taming of the Shrew), Frederick
Loewe (* 1904), My Fair Lady (1956, nach G.B.Shaws
Pygmalion; ein Welterfolg, der mit allein 2717 Vor-
stellungen am Broadway alle Auffuhrungsrekorde
brach), Bob Merill, New Girl in Town (1957, nach
O'Neills Drama Anna Christie). - Amerikanische Thea-
terhistoriker (C.Smith, D.Ewen) verfolgen die Ent-
wicklung des M.s zuriick bis zu dem Schaustiick The
Black Crook (New York 1866), einer sogenannten Ex-
travaganza mit einer bunt zusammengewurfelten
Handlung, Liedern, Choren, Balletten und sensationel-
len Biihneneffekten. Die eigentliche Entwicklung des
M.s begann ab etwa 1900. Nach und nach wurden
- zunachst ohne durchgehende Handlung - Grundzii-
ge verschiedener Arten musikalisch-theatralischer Un-
terhaltung vereinigt : Minstrel show, Burlesque, Extra-
vaganza, Vaudeville, Operette, Pantomime, Ballett und
die nach dem Vorbild der Pariser Revue entstandene
Ausstattungsshow (Fl. -> Ziegfield). Unter Hebung des
literarischen und musikalischen Niveaus gelang es, eine
eigenstandige Gattung zu entwickeln.
Es lassen sichheute zweiHauptlinien unterscheiden (vgl.
Schmidt-Joos, S. 15): Eine »europaische«, beginnend
mit Werken von Komponisten, die aus der englischen
und mitteleuropaischen Operettentradition kamen:
Victor Herbert (1859-1914), Gustav Kerker (1857-
1923), Ludwig Englander (1859-1914), Gustave Lu-
ders (1866-1913), Karl Hoschna (1877-1911), R.
-*■ Friml, S. -> Romberg; diese Linie fiihrt iiber J.
-> Kern (Show Boat, 1927), Rodgers (in seinen M.s mit
dem Buchautor O. -»• Hammerstein II) zu Loewes My
Fair Lady. Typisch sind: exotische oder historische
Sujets (Liebesgeschichte als Hauptthema), Neigung zu
»romantisch«-sentimentalen Melodien und eine der
europaischen Operette entsprechende Instrumentation.
Eine »amerikanische« Linie des M.s stellt sich in be-
wufiten Gegensatz zur europaischen Operette: sie setzte
mit den musikalischen Komodien von George M.
Cohan (1878-1942) ein (Little Johnny Jones, 1904; The
Royal Vagabond, 1919) und f iihrte zunachst zu -»■ Gersh-
win, der (ausgehend von Strike up the Band, 1930, und
Of Thee I Sing, 1931) mit Porgy and Bess (1935) zum
Schopfer einer amerikanischen Volksoper wurde. Die
weitere Entwicklung dieser amerikanischen Linie f iihr-
te zu Rodgers (mit dem Buchautor Lorenz Hart, 1898-
1943), C.Porter, Frank Loesser (* 1910; Guys and Dolls
und How to Succeed Business, 1961) und zu Meredith
Willson (* 1902; The Music Man, 1957). Werke dieser
Richtung haben meist ausgesprochen amerikanische,
oft groBstadtische Sujets, satirische oder parodistische
Ziige, pragnant gestaltete Melodien und verwenden
Mittel der modernen amerikanischen Unterhaltungs-
musik und des Jazz. Um 1940/41 begann die Zeit des
sogenannten M. play, das die Handlungsthematik er-
weiterte, z. B. durch Aufnahme der Negerfolklore
(Cabin in the Sky, 1940, von Vernon Duke, -> Dukel-
sky) und Stellungnahme zu sozialen und gesellschaftli-
chen Problemen: Zuhalter als negativer Held (Pal
Joey, 1940, von Rodgers), psychoanalytische Heilung
einer Frau (Lady in the Dark, 1942, von K. -> Weill),
Gleichheit aller Menschen (Finians Rainbow, 1947, von
Buston Lane), 2. Weltkrieg und Rassenprobleme (South
Pacific, 1949, von Rodgers). - Kennzeichnend fiir das
neuere M. ist seine Entstehung und Produktion in en-
ger Gemeinschaftsarbeit von Produzent, Buchautor,
Songtexter, Komponist, Arrangeur, Ausstatter, Re-
gisseur, Choreograph und Dirigent. Das moderne M.
ist fiir Darsteller gedacht, die gleich gut als Schauspieler,
Sanger und Tanzer sind. - Seit den 1930er Jahren war
fiir die Entwicklung des M.s die Mitarbeit bekannter
Choreographen bedeutend, die eine Verschmelzung
von Ballett und Tanz mit der Handlung zum Ziel hat-
te; bezeichnend hierfiir war die Choreographie von
G.Balanchine zu Rodgers' On Your Toes (1936), von
Agnes de Mille zu Rodgers' Oklahoma (1943) und von
Jerome Robbins zu L. -> Bernsteins West Side Story
(1957). In den 1960er Jahren zeichnen sich einerseits ei-
ne weitere Integrierung der M.-Elemente und eine zu-
nehmende Perfektionierung des Auffiihrungsstils ab
(Rodgers, Do I Hear a Waltz, 1965), wahrend anderer-
seits eine Stilisierung und Uberwindung des realisti-
schen Darstellungsstils angestrebt wird (Jerry Bock,
Fiddler on the Roof 1964). An erfolgreichen amerikani-
schen M.s seien noch angefiihrt: Richard Adler, The
Pajama Game (1954), Damn Yankees (1955); Harold
Aden (* 1905), der von alien modernen M.-Kompo-
nisten die engste Beziehung zum Jazz hat, schrieb fiir
Negerensemble St. Louis Woman (1946), Jamaica (1957),
und griff in Bloomer Girl (1944) und Saratoga (1959)
Negerprobleme auf; I. -*■ Berlin, Annie Get Your Gun
(1946), Call Me Madam (1950) ; Bernstein, On the Town
(1944), Wonderful Town (1953); M. -* Blitzstein, No
for an Answer (1940) Jerry Herman, Hello Dolly (1964) ;
B.Lane, On a Clear Day You Can See Forever (1965);
Loesser, The Most Happy Fella (1956) ; Loewe, Camelot
(1960); Merrill, Funny Girl (1964); Porter, Anything
Goes (1934), Jubilee (1935), Can Can (1953), Silk Stock-
ings (1955); Rodgers mit Hart: The Connecticut Yankee
(1927, Neufassung 1943), Babes in Arms (1937), /
Married an Angel (1938), By Jupiter (1942), mit Ham-
merstein: The King and I (1951), Flower Drum Song
(1958), The Sound of Music (1959) ; Harold Rome, Fanny
(1954) ; Stephan Sondheim, A Funny Thing Happened
on the Way to the Forum (1962) ; Charles Strouse, Golden
Boy (1964); Jule Styne, Gypsy (1959), Funny Girl (1964);
James Van Heusen, Skyscraper (1965) ; V. -> Youmans,
No, No, Nanette (1925, der erste international M.-
Erfolg uberhaupt). - Das amerikanische M. wurde vor
allem in England beliebt, wo sich bald eine eigene M.-
Tradition herausbildete. Hohepunkt des leichten, der
Show nahestehenden englischen M.s ist Salad Day
598
Musica poetica
(1954) von Julian Slade. Meist weisen die modernen
englischen M.s stark realistische Ziige auf. An Kompo-
nisten seien genannt: Lionel Bart (Oliver, 1960; Maggie
May, 1964), David Heneker (Haifa Sixpence, 1963),
Anthony Newley (The Roar of the Greasepaint, the
Small of the Crowd, 1965), Cyril Ornadel (Pickwick).
Das M. in Frankreich ist intimer, mehr auf Einzelper-
sonen zuge'schnitten als auf singendes und tanzendes
Ensemble. In der Musik hat das franzosische Chanson
den Vorrang gegeniiber dem amerikanischen Song.
Hervorzuheben ist das M. Irma la Douce (1956) mit der
Musik von Marguerite Monnot. In Deutschland schrie-
ben M.s u. a.: Dostal (So macht man Karriere, 1961),
Kreuder (Bel Ami, 1960), Lothar Olias (Prarie-Saloon,
1958; Heimweh nach St. Pauli, 1962), Mischa Spoliansky
(Katharina Knie, 1957, nach C.Zuckmayer).
Lit.: J. W. McSpadden, Operas and M. Comedies, NY
1946, erweitertNY 1951 u. 1954; C. Smith, M. Comedy in
America, NY (1 950) ; J. Burton, The Blue Book of Broad-
way M., NY 1952; D. Taylor, Some Enchanted Evenings,
NY 1953; L. Bernstein, The Joy of Music, NY 1954, 61959,
deutsch Stuttgart 1961 ; J.T. Howard, Our American Mu-
sic, NY "1954; G. Chase, America's Music . . ., NY 1955,
deutsch Bin u. Wunsiedel (1958); L. Engel, Planning and
Producing the M. Show, NY 1957; D. Ewen, Complete
Book of the American M. Theatre, NY (1958); E. Helm,
Vom Wesen d. amerikanischen M., NZfM CXX, 1959; St.
Green, The World of M. Comedy, NY 1960; H. Koegler,
Ballet international. Bin (1960); B. Grun, Kulturgesch. d.
Operette, Munchen (1961); S. Schmidt- Joos, Das M.,
Miinchen 1965 (mit Diskographie, Verz. v. Songs u. wei-
terer Lit.). - The Best Plays, NY, Jg. 1899/1909, 1909/19,
1919/20ff.
Musical comedy (mj'u : ziksl k'amidi, engl.) -
rette, -> Musical.
-Ope-
Musica mensurabilis (lat., mefibare Musik), auch
Cantus mensurabilis (seit dem 15. Jh. auch -> Cantus
figuratus), hieB im Mittelalter, besonders seit Franco
von Koln (Mensurabilis musica est cantus longis brevi-
busque temporibus mensuratus, ed. Cserba, S. 231), die
rhythmisch geregelte mehrstimmige Musik im Unter-
schied zum (nichtmensuralen) 1st. Kirchengesang (Mu-
sica plana, -*■ Cantus planus). Der rhythmische Be-
griff der Mensura, der seit der 2. Halfte des 13. Jh.
zentrale Bedeutung gewann (-> Mensuralnotation),
beruhte auf den musikalischen und notationstechni-
schen Erfahrungen der Notre-Dame-Epoche (-> Mo-
dalnotation). Noch innerhalbjenerEpoche wurde der
Begriff mensurabilis eingefuhrt (Discantus positio vul-
garis, ed. Cserba, S. 190: Mensurabile est quod mensura
unius temporis vel plurium mensuratur) ; er umfaBte zu-
nachst aber nur den einzeitigen (Brevis) und zweizeiti-
gen Notenwert (Longa) ; kiirzere und langere Noten-
werte galten als ultra mensuram. Seine fiir die Folgezeit
gultige Pragung erhielt der Begriff dann durch die
Mensurallehre Francos, die als rationale Notenwerte
Duplex longa, Longa, Brevis und teilweise Semibrevis
umf aike ; spater kamen kleinere Werte hinzu. Eine fiir
die Zeit des Ubergangs von vormensuralen Formen
der Mehrstimmigkeit zur M. m. typische Erscheinung
war das -> Organum duplum mit dem Wechsel von
rhythmisch strengen und freieren Abschnitten, daher
von Franco auch musica partim mensurabilis genannt.
Musica mundana, Musica humana, Musica in-
strumentalis (lat.) -+ Musica.
Musica plana (lat.) -> Cantus planus.
Musica poetica hieB seit Mitte des 16. Jh. bis zum Be-
ginn des 18. Jh. in Deutschland die Kompositionslehre
(auch Melopoetica und Melopoiia, -*■ Melopoie — 2 ge-
nannt), welche die Kunst des Musicus poeticus (Melo-
poeta) lehrt; ihr Ziel ist (nach Listenius) »das nach dem
Tode des Kiinstlers fortbestehende, vollendete Werk«
(-*■ Opus); sie ist ars ipsafingendi musicum carmen (Fa-
ber) ; sie lehrt, wie man . . . einen neuen Gesang . . .
machen soil (Herbst). Der Name M. p. entstand wohl
nach 1530 in Erweiterung der spatantiken und mittel-
alterlichen Einteilung der Musik in Musica theoretica
und practica und im Riickgriff auf den Begriff der
Poiesis des Aristoteles sowie auf seine Dreigliederung
des Tuns in geistiges Betrachten (Sidvoux &e(OQrfiixr)),
praktische Uberlegung (- jiQaxrucr]) und schopferi-
sches Hervorbringen (- TiotrjTixtf). Diese Dreigliede-
rung, die vor allem durch Quintilianus' Lehrbuch der
Rhetorik verbreitet wurde, ist im Blick auf die Musik
in den tria . . . genera . . ., quae circa artem musicam ver-
santur, bei Boethius iiberliefert (De institutione musica I,
34: das »genus poetarum« fingit carmina; . . . naturali
quodam instinctufertur ad carmen). Wohl von daher im
16. Jh. ubernommen, findet sich die Dreiteilung der
Musik in Musica theoretica, practica und poetica nebst
dem neuen Begriff des Musicus poeticus erstmals in
der lateinischen Musica des Magisters N. Listenius
(Wittenberg 1 537) , die aus dem Kreis der Wittenberger
Reformatoren hervorgegangen ist. Humanistisch ist
die Betonung des Schopferischen, auch die des Ruhms
und Nachruhms im Begriff des 7roieTv und die zugleich
in diesem Begriff enthaltene Verbindung der Kompo-
sitionslehre mit der Poetik und Rhetorik, auch Gram-
matik, also mit den sprachlichen Artes (-* Ars musica),
wie es die seit Faber und DreBler sich immer mehr aus-
bildende Lehrweise und Terminologie der M. p. (pe-
riodus »Satz«, incisiones »Satzglieder«; inventio[-> In-
ventionj-dispositio-elaboratio/decoratio ; exordium-
medium-finis; flosculi, flores, colores, figurae, licen-
tiae usw.), noch mehr aber die Kompositionsart des
Musicus poeticus selbst anzeigen. Lutherisch ist die
Vorstellung, daB der Musicus poeticus das »neue Werk«
besonders auch.im Bereich der Kirchenmusik schafft -
gegeniiber dem seit etwa 1600 datierenden Dualismus
von Musiche secolari und Musiche ecclesiastiche in
Italien. Der Haltung der deutschen Kantoren entspricht
die Verbindung und Verbindungsfahigkeit der M. p.
mit dem spekulativen Moment der Musica theoretica,
wie es oben in der Dreiteilung der Musik zum Aus-
druck kommt. Auf Grund ihres sachlichen Zusammen-
hanges besonders mit der Arithmetik und Poetik steht
die Musik auch als Kunst des Musicus poeticus noch
immer inmitten der Freien Kunste wie die Sonne unter
den Sieben Planeten (H.Schutz, 7. 3. 1641). Im 16. Jh.
hat die M. p. verschiedentlich Eingang in den Unter-
richt der Lateinschulen gefunden: in Hof z. B. soil sie
bis 1570 nach Faber gelehrt worden sein, in Magde-
burg trug DreBler seine M. p. zunachst (1559 und 1561)
jedes zweite Jahr (abwechselnd mit der Musica practi-
ca), ab 1563 dann auBerhalb des offiziellen Unterrichts
vor. - Die M. p. , die an die Lehrwerke des N. Wollick, J.
Cochlaeus, H. Glareanus, J. Galliculus, A. P. Coclico, G.
Zarlino u. a. ankniipf t, wird (letztmalig bei J. A. Herbst)
eingeteilt in -> Sortisatio, die usuelle Stegreifausfiih-
rung der Mehrstimmigkeit, die jedoch schon bei Faber
als Lehrgegenstand ausgeklammert wird, und Compo-
sitio auf der Grundlage des Kontrapunkts (secundum
veram rationem). In der Tat bleibt der regulare kontra-
punktische Satz fiir den deutschen Musicus poeticus
des 17. Jh. das Fundament alien Komponierens, und die
schmuckenden oder den Text darstellenden und aus-
deutenden -+ Figuren gelten als das Besondere gegen-
iiber jenem Regularen. Gegenstand der M. p. ist die
Vokalmusik, doch schlieBt dann J. G. Walther (1708)
auch die Instrumentalmusik mit ein. Im ausgebildeten
Status des 17. Jh. ist ihr Inhalt in der Regel folgender:
599
Musica reservata
Lehre von den Tonen und Intervallen, von den Inter-
vallverbindungen und der Dissonanzbehandlung, Be-
schreibung der Lagenstimmen, Lehre von den Klau-
seln und Tonarten, von den Satzteilen und der Text-
applikation und die Lehre vom Ausdruck des Textes;
diese durchzieht das gesamte Lehrbuch und gipfelt in
der Figurenlehre, die erstmals durch J.Burmeister
(1606) systematisch ausgebaut wurde. Charakteristisch
ist der stetige Hinweis auf dieExempla der Meister, be-
sonders auf Lassus, aber z. B. auch auf Josquin Desprez,
Isaac und Senfl (so bei Faber) oder auf de Monte, Ma-
renzio, H.L.HaBler u. a. (so bei J.A.Herbst). - Lehr-
werke: H. Faber, M. p. (hs. Braunschweig 1548); G.
DreBler, Praeceptamusicaepoeticae (hs. Magdeburg 1563,
hrsg. von B.Engelke, in: Geschichtsblatter f iir Stadt und
Land Magdeburg XLIX/L, 1914/15); S.Calvisius, Me-
lopoeia . . . quam vulgo Musicam poeticam vocant (Erfurt
1592) ; J. Burmeister, Hypomnematum musicae poeticae . . .
synopsis (Rostock 1599) und M. p. (Rostock 1606; Faks.
hrsg. von M.Ruhnke, =DM1 1, 10, 1955); J.Nucius,
Musices poeticae . . . praeceptiones (NeiCe 1613); J. Thu-
ringus, Opusculum bipartitum (Berlin 1625) ; J. A. Herbst,
M. p. (Niirnberg 1643); Chr.Bernhard, Tractatus com-
positionis augmentatus und Ausfiihrlicher Bericht vom Ge-
brauche der Con- und Dissonantien (NA unter dem Titel
Die Kompositionslehre H. Schiitzens . . . , hrsg. von J.
Miiller-Blattau, Leipzig 1926, 21963); J.G.Walther,
Praecepta der Musicalischen Composition (hs. Weimar
1708, NA von P. Benary, = Jenaer Beitrage zur Musik-
forschung II, Leipzig 1955).
Lit.: N. Listenius, Musica, Wittenberg 1537, Faks. nach
d. Auflage v. 1549 hrsg. v. G. Schunemann, — Veroff. d.
Musik-Bibl. P. Hirsch VIII, Bin 1927 ; J. A. Scheibe, Com-
pendium musices theoretico-practicum . . . , um 1730, hrsg.
v. P. Benary, in: Die deutsche Kompositionslehre d. 18. Jh.,
= Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961 ; H.
Zenck, Grundformen deutscher Musikanschauung, Jb. d.
Akad. d. Wiss. in Gottingen f. 1941/42, auch in: H. Zenck,
Numerus u. Affectus. Studien zur Mg., hrsg. v. W. Gersten-
berg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel 1959; W. M. Luther,
G. Dressier, = Gottinger mw. Arbeiten I, Kassel 1942; W.
Gurlitt, Musik u. Rhetorik ..., Helicon V, 1944, Neu-
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden
1966;ders., Die Kompositionslehre d.deutschen 16. u. 17.
Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neudruck ebenda; A.
Schmitz, Die Bildlichkeit d. wortgebundenen Musik J. S.
Bachs, =Neue Studien zur Mw. I, Mainz (1950); ders.,
Die Figurenlehre in d. theoretischen Werken J. G. Walthers,
AfMw IX, 1952; ders., Musicus poeticus, in: Universitas,
Fs. A. Stohr, Bd II, Mainz 1960; M. Ruhnke, J. Burmeister,
= Schriften d. Landesinst. f . Musikforschung Kiel V, Kas-
sel 1955 ; Kl. W. Niemoller, Ars musica - ars poetica - m.
p., Kgr.-Ber. Hbg 1956; Fr. Feldmann, Das »Opusculum
bipartitum« d. J. Thuringus (1625) . . ., AfMw XV, 1958;
H. H. Eggebrecht, Zum Figur-Begriff d. M. p., AfMw
XVI, 1959; ders., H. Schiitz, Musicus poeticus, = Kleine
Vandenhoeck-ReiheLXXXIV, Gottingen 1 959 ; W. Wiora,
M. p. u. mus. Kunstwerk, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg
1962; C. Dahlhaus, M. p. u. mus. Poesie, AfMw XXIII,
1966; Chr. Stroux, Die M. p. d. Magisters H. Faber, Diss.
Freiburg i. Br. 1966, maschr. HHE
Musica reservata, abgekiirzt Reservata genannt,
laBt sich als verschieden definierter Begriff, aber auch
ohne nahere Kennzeichnung, in bisher etwa 10 Druk-
ken, Brief en und Aktenstiicken der Zeit von 1552 bis
1625 nachweisen. Die friiheste Belegstelle bietet A. P.
Coclico, die spateste J. Thuringus, der sie von E.Hoff-
mann (1582) ubemimmt. Der Begriff wird im weite-
ren und engeren Sinne verwendet. Der am Miinchner
Hof nachweisbare niederlandische Humanist S.Qui-
ckelberg (1560) erblickt die M. r. im Ausdrucksstil von
Lassus' BuBpsalmen, und der weitgereiste J.Taisnier
(1559), der u. a. am Hof Kaiser Karls V. als Musiker
wirkte, identifiziert sie mit der (von ihm abgelehnten)
Musica nova seiner Zeit schlechthin, so daB von hier
aus der Begriff ganz allgemein fortschrittliche Vokal-
musik des Renaissancezeitalters bedeutet. Dagegen
charakterisieren M. r. im engeren Sinne der Anonymus
von Besancon (1571) durch das Vermeiden von Ka-
denzen (fuggir la cadenza) und E. Hoffmann (1582)
durch die Verwendung von Chromatik in Vokalmu-
sik. Da der Terminus ohne nahere Erklarung von dem
GrazerHofmusikerR.Ballestranoch 1610/11 gebraucht
wird (musicalische Symphonien und Harmonien aufier et-
licher reservata) und artahnliche Bezeichnungen wie Re-
gole piu riservate e recondite und Musico riservato um
dieselbe Zeit begegnen, ist seine Einengung auf Re-
naissancemusik in dieser oder jener Form jedoch frag-
wiirdig. Andererseits gestatten die bisher bekannt ge-
wordenen Quellen keine Identifizierung mit Monodie
oder Seconda pratica. Der in seiner Bedeutung viel-
fach iiberschatzte Terminus diirfte ein modisches
Schlagwort gewesen sein, das verschiedene Aspekte
und Auslegungen zulaBt, im Grunde aber weniger die
Satztechnik, als vielmehr den soziologischen Ort der so
bezeichneten Musik betrifft. In diesem Sinne umfaGt
M. r. die fur hofische oder patrizische Kreise zumindest
der Niederlande, Deutschlands und Italiens »reservier-
te« geistliche und weltliche Kammermusik der Renais-
sance und des Friihbarocks, soweit sich diese durch
Verwendung ungewohnlicher Mittel, durch auffallen-
de Tonartenwechsel, gehaufte Chromatik, Enharmo-
nik, Musica ficta, gesucht kiinstliche Kontrapunktik
oder manieristische und exzentrische Ziige auszeichnet.
Lit.: M. van Crevel, A. P. Coclico, Den Haag 1940 (mit
alterer Lit.); W. Clark, A Contribution to Sources Of M.
R., RBM XI, 1957; H. Federhofer, Monodie u. m. r.,
Deutsches Jb. d. Mw. II (= JbP XLIX), 1957; A. P. Cocli-
co, M. R. Consolationes piae ex psalmis Davidicis, hrsg.
v. M. Ruhnke, = EDM XLII, Abt. Motette u. Messe V,
Lippstadt 1958; B. Meier, Reservata-Probleme, AMI
XXX, 1958 ; Cl. V. Palisca, A Clarification of »M. R.« in
J. Taisnier's »Astrologiae«, 1559, AMI XXXI, 1959; H.
Hucke, Das Problem d. Manierismus in d. Musik, Litera-
turwiss. Jb. ... d. Gorres-Ges., N. F. II, 1961. HF
Music box (mj'u:zik boks, engl., auch juke box), ein
Schallplattenautomat in offentlichen Lokalen, der
durch Geldeinwurf in Tatigkeit gesetzt wird. Je nach
GroBe bestehen bis zu 400 Wahlmoglichkeiten (200
Platten, hauptsachlich Schlager). Ruhebedurftige Gaste
konnen gegen Geldeinwurf eine stumme Platte (Silent)
wahlen. NeUere Gerate verfiigen iiber einen Populari-
tatsmesser, mit dem festgestellt werden kann, wie oft
jede einzelne Plattenseite gewahlt wurde. - Das Ge-
schaft mit Rieseneinnahmen durch Aufstellen von M.
b.es in offentlichen Lokalen begann Mitte der 1930er
Jahre in den USA; bereits 20 Jahre spater hatte die Zahl
der dort aufgestellten Automaten 500000 weit iiber-
schritten. In der Bundesrepublik wurden 1966 von
4000 Aufstellern uber 60000 M. b.es betrieben. Die
Aufsteller bezahlen dem Wirt eine Platzmiete oder be-
teiligen ihn (allgemein mit 20%) an den Einnahmen
und sorgen f iir einen regelmaBigen Austausch der Plat-
ten (4-5 pro Monat). Abgaben wie Umsatzsteuer, Ver-
gniigungssteuer und an die -> GEMA sowie ein modi-
scher und technischer VerschleiB der Gerate sind wei-
tere wesentliche Unkosten. Die GEMA kassiert jahr-
lich etwa 4 Millionen DM an Pauschalen von den Auf-
stellern (dariiber hinaus noch 0,32 DM pro Platte von
den Plattenherstellern). An Umsatzsteuern flieBen dem
Staat jahrlich etwa 4,3 Millionen DM aus dieser Bran-
che zu. Neben dem Aufstellergewerbe entwickelte sich
in Deutschland nach dem ersten Auf tauchen amerika-
nischer Modelle (um 1951) auch bald eine eigene M.
b.es-Produktion, deren Export heute hinter dem der
USA an 2. Stelle steht.
600
Musik
Musicologie (muzikala3'i, frz.), Musicologia (mu-
zikolod3'i: a, ital.),Mu s i c o 1 o g y (mju : zik'atad3i, engl.)
-*■ Musikwissenschaft.
Musicus, im klassischen Latein als Lehnwort dem grie-
chischen (xou<tix6i; nahestehend, bezeichnet zunachst
den altgriechischen Dichtermusiker (z. B. Orpheus, Pin-
dar), dann auch den Musikgelehrten (z. B. Aristoxenos;
vgl. Quintilianus, Institutio oratoria 1, 10, 9 und 22), spa-
ter den in den Artes, speziell in der Ars musica kundi-
gen Musiker. Daher gait als M. (im Unterschied zum
-*■ Kantor), qui ratione perpensa canendi scientiam non ser-
vitio operis sed imperio speculations adsumpsit und auf
Grand dieses Wissens Musik zu beurteilen vermag
(Boethius, De institutione musica 1, 34) . Indem er das Wal-
ten der Zahl und der Zahlenverhdltnisse als des gestalterisch
unsinnlichen Prinzips in der sinnlichen Wirklichkeit aus-
weist, iibt er Wahrheitsschau unter dem Gesichtspunkt der
musica (Gurlitt). - Schon im friihen Mittelalter erhielt
das Wort M. kennzeichnende Beiworter: der M. artifi-
cialis, der reine Theoretiker, unterscheidet sich vom
unwissenden Sanger und Spieler (M. naturalis); dem
M. theoreticus oder speculativus tritt der Poeta oder
M. practicus gegeniiber. Vom M., der auch als Lehrer
der -> Ars musica in der Universitat wirkte, wurden
neben wissenschaftlich gegriindeter Urteilsfahigkeit
auch praktische Fahigkeiten gefordert, vor allem die
Beherrschung des Gesangs. Diese Annaherung von
Theorie und Praxis gipfelte in dem Idealbild eines Ge-
sangskunst und Theorie beherrschenden M. perfectior
(Jacobus Leodiensis, Speculum musicae I, 3) und fiihrte
zur Auf wertung des praktischen Musikertums wahrend
des 15. und 16. Jh. Ausiibende und schopferische Mu-
siker wurden nun dem Musikgelehrten gleichberechtigt
an die Seite gestellt, und auch ausiibende Musiker, vor
allem Komponisten, wurden Musici genannt. C. Festa
wird 1545 in den Tagebuchern der Sixtinischen Kapelle
als M. eccelentissimus bezeichnet; Luther nennt in den
Tischreden Josquin, de la Rue und Heinrich Finck ȣeine
musici«. Doch bis hin zu J. A. Scheibes Der Critische M.
(1737-40) blieben theoretische Ausbildung und ge-
lehrtes Fachwissen ein Kennzeichen des M. - Das Zu-
sammentreffen von Fachlehre und Schopfertum im
Komponisten spiegelt im 16. und 17. Jh. dessen Be-
zeichnung als M. poeticus (-> Musica poetica). Bei
Zarlino (Istitutioni harmoniche, 1558, I, 11) gipfelt das
Idealbild im Begriff des musico perfetto, des Musik-
gelehrten, der sich in Gesang und Instrumentenspiel
auskennt; denn das Ziel der speculatio sei die klang-
liche Ausfiihrung. Aber auch der musico prattico als
compositore, cantore (Sanger) oder sonatore (Instru-
mentalist) kann musico perfetto genannt werden, wenn
er die theoretischen Grundlagen seiner Tatigkeit be-
herrscht. - Schon 1497 heifk es in einem Reformplan
der papstlichen Musik: joculatores, istriones, tibicines,
ceteri musici . . . a palacio eiciantur. In den Tagebuchern
der Sixtinischen Kapelle werden am Anfang des 16.
Jh. die Kapellsanger Musici secreti genannt. Wie im
Italienischen musico, so bezeichnet im Deutschen M.
in der Folgezeit das Mitglied einer hofischen oder
stadtischen Kapelle (Hof- und Cammermusici; Rats-
oder Stadtmusici). Nachdem im 18. Jh. die Bedeutung
von M. als ausiibendem Musiker vorherrschend ge-
worden war, begann im 19. Jh. eine Bedeutungsver-
. flachung, oflenbar unter Einwirkung der untergeord-
neten Stellung des Hof-M. 1810 schrieb Beethoven an
I. v. Gleichenstein, um sich gegen die Rolle eines Mu-
siklieferanten zu wehren : Bin ich denn gar nichts als Dein
Musikus . . .? Der Begriff des M. ist heute ganzlich auf
die Ebene des sozial niedrigstehenden, bohemehaften
Unterhaltungsspielers abgesunken, wie es Schlager-
texte zeigen (Es war einmal ein M., der spielte im Cafe").
- Die Wortform Musikant hat im 18. Jh. einen ahnli-
chen Bedeutungswandel erfahren. Im 16. und 17. Jh.
bezeichnete sie, ahnlich M., alle Musiktreibenden. Be-
reits 1740 schrankte J.Mattheson (Grundlagen einer
Ehrenpforte XXXIII, § 49/50) die Benennung Musikant,
dawieder sich einige heute so sehr spreutzen und sperren, auf
Sanger und Instrumentalisten ein. Seit der Wende zum
19. Jh. wird unter Musikant der biirgerliche und bauer-
liche Gelegenheitsspieler, vor allem der fahrende Mu-
siker verstanden: ein armerLump (Eichendorffs Gedicht
Der wandernde Musikant). In der ->• Jugendbewegung
wurde das Wort zur Bedeutung des ungekiinstelt
(-> musikantisch), spielmannisch in Gemeinschaft Mu-
sizierenden wieder aufgewertet (Jodes Zeitschrift Die
Musikantengilde, 1919-23, und Sammlung Der Musi-
kant, 1925). - Als Musiker wurden bis ins 18. Jh. Mu-
siktreibende aller Art bezeichnet. Noch 1758 faBte Ad-
lung (Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit) Kom-
ponisten, Theoretiker und Instrumentalisten unter die-
sem Wort zusammen. Erst seit dem 19. Jh. ist Musiker
meist der die Musik berufsmafiig Ausiibende.
Lit. : Fr. X. Haberl, Die romische »Schola cantorum« u.
d. pSpstlichen Kapellsanger bis zur Mitte d. 16. Jh., Vf Mw
III, 1 887, auch separat als : Bausteine f . Mg. Ill, Lpz. 1 888 ;
J. Sittard, Zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters am Wurt-
tembergischen Hofe I, Stuttgart 1890; H. Zenck, Zarlinos
»Istitutioni harmoniche« als Quelle zur Musikanschauung
d. ital. Renaissance, ZfMw XII, 1929/30; P. R. Coleman-
Norton, Cicero M., JAMS 1, 1948 ; W. Gurlitt, Zur Be-
deutungsgesch. v. m. u. cantor bei Isidor v. Sevilla, = Akad.
d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss.
Klasse, Jg. 1950, Nr 7, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I,
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966; W. Stahl (mit J. Hen-
nings), Mg. Liibecks I, Kassel 1951 ; M. Ruhnke, Beitr. zu
einer Gesch. d. deutschen Hofmusikkollegien im 16. Jh.,
Bin 1963.
Musik (ital. musica; span, und port, musica; frz. musi-
que ; rumanisch muzica ; schwedisch und danisch musik ;
norwegisch musikk; nld. muziek; afrikaans musiek;
engl. music ; polnisch muzyka ; russ. und ukrainisch mu-
syka; bulgarisch musika; tschechisch muzika; serbo-
kroatisch muzsika; ungarisch muzsika; finnisch mu-
siikki) ist - im Geltungsbereich dieses Wortes: im
Abendland - die kunstlerische Gestaltung des Klingen-
den, das als Natur- und Emotionslaut die Welt und die
Seele im Reich des Horens in begriffsloser Konkretheit
bedeutet, und das als Kunst in solchem Bedeuten ver-
geistigt »zur Sprache« gelangt kraf t einer durch Wissen-
schaft (Theorie) reflektierten und geordneten, daher
auch in sich selbst sinnvollen und sinnstiftenden Mate-
rialitat. Denn das Element der M., der Ton, ist einerseits
(vormusikalisch) Sinntrager als horbares In-Erschei-
nung-Treten der Innerlichkeit seines Erzeugers, ande-
rerseits (innermusikalisch) Sinntrager als Nutzniefier ei-
ner Gesetzgebung (Tonordnung), die den Ton dem
spezifisch musikalischen Gestalten, Bedeuten und Ver-
stehen verfiigbar macht und die dabei zugleich, indem
sie der Naturgegebenheit des Klingenden Rechnung
tragt, Naturgesetzlichkeit ins Spiel bringt. Und auch das
musikalische Gestalten der Tone orientiert sich (vormu-
sikalisch) an Prinzipien, die dem horbaren Erscheinen
und Sich-AuGern des Seienden iiberhaupt zugrunde lie-
gen (hoch-tief, laut-leise, lang-kurz, schnell-langsam,
ruhig-bewegt, »dicht«-»locker« usw.), transf ormiert sie
jedoch in ein System spezifisch musikalischer Gestal-
tungsweisen, die somit zugleich horbarer Inbegriff und
auslegende Verwirklichung von Prinzipien des Seien-
den sind. Die Sinngebung und -deutung der M. bewegt
sich seit je zwischen diesen beiden Polen : dem vor-(oder
auBer-) musikalischen Bedeuten des Tons und seiner Ge-
staltungsart einerseits und der Eigengesetzlichkeit der
601
Musik
M. als Kunst andererseits. Doch der Ausdruck einer In-
nerlichkeit ist jedem Klingenden inharent, und selektive
Gesetzgebung ist fur jede musikalische Gestaltung not-
wendig. Einer M. , die so konkret sein will, wie die Natur
des Horbaren selbst, mangelt es an Kunst, wahrend die
M., die ihre Gesetzgebung in »absoluter« Freiheit zu er-
finden trachtet, in der Gefahx stent, die Verbindlichkeit
und Verstehbarkeit einzubuBen, da in ihrer Materialitat
nichts Objektives mehr zur Sprache kommt. - Die
»Sprachfahigkeit« der M. beruht auf der Geistfahigkeit
der seit der griechischen Antike vom und als Logos er-
schlossenen Physis des tonenden Materials (-> Musik-
wissenschaft, -»• Harmonia) und begriindet die Ge-
schichtsfahigkeit (-> Geschichte) der M. In der Verfii-
gungskraft und als Trager des Geistes ist die M. stets
Teil und Zeugnis einer sozial-, religions-, kunst- und
wissenschaftsgeschichtlich gepragten geistig-geschicht-
lichen Situation, die auch musikalisch nach eigenem
Ausdruck verlangt und (z. B. als AnlaB zurEntstehung
von Gattungen und Stilen) die »autonome«Entwicklung
der M. durchkreuzt. Dennoch hat jedes musikalisch
Giiltige Bedeutung auch in einem immanent musikge-
schichtlichen (seit dem spateren Mittelalter speziell kom-
positionsgeschichtlichen) ProzeB. Dabei ist es als es selbst
unwiederholbar in seiner Art der Schonheit und Aus-
sage und gleichwohl ein Reprasentant jenes Immerwah-
renden, Grundsatzlichen, das »die« M. definiert. Dieses
Immerwahrende besteht nicht in der Art wie (jeweils),
sondern in der Tatsache, dafi (uberhaupt) die M. aus der
vormusikalischen Natur des Klingenden Objektbezo-
genheit und Vorpragung ihres Sinnes bezieht; daB sie
wesenhaf t mit Sprache und Tanz verbunden ist ; daB sie
auf ->■ Theorie basiert und theoriefahig ist; daB sie ein
System des musikalisch Geltenden benotigt; daB alles
Bedeuten ihrer Faktur immanent oder mit ihr sinnfallig
verbunden ist; daB sie, um faBlich zu sein, melodische,
rhythmische und harmonische Grundprinzipien, phy-
siologische und psychologische Grundbedingungen des
Gestaltens und Formens erf iillt ; daB sie zwischen den als
vokal (-> Vokal-M.) und instrumental (-> Instrumen-
tal-M.) und als -»• Improvisation (Stegreifausfiihrung),
Schrif t (-»■ Notenschrif t, -»■ Komposition) und -*■ Inter-
pretation anzusprechenden Polen zur Wirklichkeit ge-
langt ; daB sie »an sich« nichts begrifflich Konkretes, son-
dern nur Gesetze und Prinzipien der Dinge, das »Formak
vonEreignissem (H. Lotze), darstellenundbedeutenkann;
daB sie sich in ihren autonomen Moglichkeiten gleich-
wohl mit Sprache und Bild, mit »Inhalten« auseinander-
setzt (-> Tonmalerei, ->■ Figuren, -> Programm-M.)
und Zwecken zu dienen vermag (z. B. als Tanz und
Marsch, oder als -> Fest-M., -*■ Salon-M., -»■ Unterhal-
tungs-M. und -> Schlager) ; daB sie insgesamt stets einge-
spannt ist zwischen Natur und Kunst, Theorie und
Praxis, usueller Dienstbarkeit und artifizieller Freiheit,
Tradition und Neuerung, immerwahrenden Prinzipien
und geschichtlichem Wandel. Die Frage, was »die« M.
ist (die Wesensfrage, Gegenstand der in der neueren
Musikwissenschaft so genannten Musikphilosophie),
fiihrt durch die Erfahrung und Bewaltigung der ge-
schichtlichen Wirklichkeit hindurch zu einer Abstrak-
tion, die jedoch, als Verstehen der Wirklichkeit, selbst
nur geschichtlich sein kann und sich mit jeder Neuen M.
verwandelt und bereichert, wahrend die Frage nach
Schonheit und Aussage eines musikalisch Wirklichen
von aller Abstraktion notwendig in die Geschichte zu-
riickf iihrt, auch wo sie die Neue M. betrifft, die als solche
Altes voraussetzt.
Fiir die Begriffe Gesang (singen) und (religioses) Fest
wurde im Sumerischen das gleiche Keilschriftzeichen,
das stilisierte Bild eines Stufentempels, verwendet, das
somit beide Begriffe als sinnverwandt auswies. Das ak-
kadische Wort negiitu, »M«. , Freude, wird aus dem Ver-
bum negu, sich f reuen hergeleitet. Im Chinesischen wer-
den die Worter y oh (y iieh ; mittelchinesisch ngik) , »M«. ,
und loh (mittelchinesisch lak) , Freude, wegen ihrer Laut-
ahnlichkeit (die vielleicht auf einen etymologischen Zu-
sammenhang deutet) mit dem gleichen Schriftzeichen
geschrieben (dem Zeichen fiir dasihnennrsprunglich
lautahnliche Wort Eiche, das stilisierte Bild eines Bau-
mes mit Fruchten). Die Lautahnlichkeit zwischen »M.«
und Freude, die im Altchinesischen noch groBer gewe-
sen sein mag, wurde stets als Ausdruck semantischen Zu-
sammenhanges empfunden. Im Sanskrit heiBt Gesang
gandharvavidya, s. v. w. die Kunst (das Wissen) der
Gandharven (Genien, hohere Wesen) oder samglta-
vidya, Lehre vom Gesang; in christlicher Zeit hat
sich das Wort marga als Bezeichnung der seriosen »M.«
durchgesetzt (-> Indische Musik) . In f riihmittelalterliche
arabische Ubersetzungen wurde griechisch |iouauc?j (in
der Form mflslql) tibernommen, da im Arabischen (wie
im Lateinischen) ein vergleichbares Begriffswort fehlte.
In den slawischen Sprachen sind (mangels schriftlicher
Uberlieferung vor dem 9. Jh.) nur aus dem Griechischen
stammende Lehnworter nachweisbar. Das tschechische
Wort hudba (aus der Wurzel + gud-, klingen) und das
sudslawische Wort glazba (von glas, Stimme) sind -
moglicher weise als Neuschopf ungen - erst im Zuge eines
nationalen Sprachpurismus am Anfang des 19. Jh. an die
Stelle des Lehnwortes fiir M. getreten. - Insgesamt
fehlt es jedoch an Vorarbeiten, um die Frage beantwor-
ten zu konnen, inwieweit in auBereuropaischen Kultu-
ren die je eigenstandigen Benennungen der Gestaltung
des Klingenden eine gegeniiber dem europaischen Be-
griffswort M. je anders- und eigenartige Auffassung er-
kennen lassen.
Die Wortprdgung »M.« ist so unnachahmlich griechisch wie
Mythos und Logos (Gurlitt 1950, S. 9). Sie fiihrt zuriick
auf den Begriff Musike der -> Griechischen M. Nach
dem Mythos (vgl. Hesiod, »Theogonie«, 94ff.) ist die
M. - Inbegriff musischen Vermogens - Apollons und
der ->• Musen Geschenk an den Menschen, der durch
ihre Gunst zu musischem Werk berufen und befahigt
wird. Neben dem Mythos vom gottlichen Ursprung
der M., der - ihr den Namen gebend - eine praktisch
wirksame leibseelische Begabung zur Wesensbestim-
mung der M. erhebt, steht die Legende von der Erfin-
dung der M. durch Pythagoras (Iamblichos, De vita Py-
thagorica, 115ff. ; Boethius 1, 10), die besagt, daB auch die
theoretischeErkundung des Klingenden Voraussetzung
der M. ist. Das musische und das py thagoreische Prinzip,
die in ihrem Zusammenwirken die abendlandische Idee
derM.bestimmen,verhaltensichzueinanderwiedasVer-
mogen der Seele und dasjenige des Verstandes, wie die
Schopfung des Dichtersangers (den der Gott begabt,
zuschaffenwieein Gott) unddieErfindung desDenkers,
wie der Ton alsEmpfindungslaut (der ein Inneres kund-
tut) und der Ton als Naturgesetz (den das Monochord
beweist) : wie Mythos und Logos, Dichten und Denken,
Kunst und Wissenschaft, Praxis und Theorie. - Neben
die antike Sinngebung der M. trat zu Beginn des euro-
paischen Mittelalters die biblische Rechtfertigung. Sie
pragt sich aus in der Ableitung des Wortes M. von
agyptisch moys im Sinne von Wasser (als Lebensspen-
der) oder im Hinblick auf lat. Moyses (Moses, als Lob-
sanger Gottes ; Exodus 15, 1), ferner in der Legende von
derErfindung der M. durch die biblischenErzvater Thu-
bal (Jubal) und Thubalkain (Genesis 4, 21f.) und in der
Erklarung der zahlhaft-kosmologischen Bedeutungs-
kraft der M. durch Hinweis auf Liber sapientiae 11, 22
(Sed omnia in mensura, numero et pondere disposuisti) . Das
Ineinandergreifen antiker und christlicher Sinngebung
der M. kennzeichnet speziell jenen iiber einjahrtausend
602
Musik
wahrenden Zeitraum, in dem die Klassifikationen und
Definitionen der -> Musica Geltung und Geschichte
hatten.
Neben der deutschen Wortform music (entsprechend
musica mit Betonung auf der ersten Silbe, so noch z. B.
in Rathgebers Tafel-Confectl, 1733: Dernichtdie Mtisik
liebt. . .) begann sich seit dem 17. Jh. unterEinfluB des
franzosischen musique die Betonung auf der letzten Sil-
be durchzusetzen (hierzu Gurlitt 1950, S. 10). Dieser
Betonungswechsel des Wortes M. markiert den endgiil-
tigen, stark von Frankreich inaugurierten Durchbruch
der neuzeitlichen Grundauffassung der M., die deren
sinnliche und praktische Seite, ihre naturwissenschaft-
liche Begriindung und psychologische Wirkung in den
Vordergrund riickte. An die Stelle der musica scilicet ars
(WaltherL; -*■ Ars musica) trat die M. als Tonkunst
(Tonsprache), die - nach den Einteilungsgriinden des
materialen Verfahrens und des sinnlichen Wirkens - als
fur das Ohr bestimmte Zeitkunst ins System der »Scho-
nen Kunste« eingereiht wurde. Die Frage nach ihrem
Ursprung wurde hinf ort wissenschaftlich zu beantwor-
ten versucht in Theorien iiber die Entstehung der M. aus
der Sprache (Rousseau, Herder, Spencer), der Zucht-
wahl (Darwin), dem Arbeitsrhythmus (Biicher), der
Evolution von der Ein- zur Mehrtonigkeit (Lach). In
ihren elementaren Grundlagen wurde sie Gegenstand
der -*■ Akustik, der seit dem 19. Jh. die Tonpsychologie
(-*■ Horpsychologie), seit dem 20. Jh. die -> Musikpsy-
chologie zur Seite traten. In ihrer kiinstlerischen Seins-
und Wirkensweise trat sie ins Blickfeld der -> Asthetik.
Ihre ->■ Theorie verlor das Spekulative und wurde zur
Logik eines spezifisch kompositorischen Denkens, aus
dessen praktischem Ergebnis das Theorem in der Re-
gel nachtraglich extrahiert wird. Ihre technische Unter-
weisung gipfelte im Ausbau der Kompositionslehre
(-> Komposition). Ihr Traditions- und Entwicklungs-
prozeB wurde als Wissenschaft ihrer Geschichte reflek-
tiert. Ihr Wesen wurde begriffen als das in Ton und
Klang sinnliche Erscheinen der Idee oder der Innerlich-
keit, das sich als Kunst Gesetze gibt zwischen den Polen
des Bedeutens als -*■ Ausdruck und der Reinheit der M.
in sich selbst (->■ Absolute M.). - Das tonkiinstlerische
Gestalten ist in erster Linie subjektiver Ausdruck seelischen
Erlebens . . . ; in zweiter Linie ein Formen, Bilden, das dem
Kunstler selbst als ein aus seinem Innern entaufiertes Objek-
tives gegeniibertritt . . . ; erst in dritter Linie kann es auch
gewollte Nachbildung eines objektiv Gegebenen sein, das
. . . durch Subjektivieren, Durchtranken mit individuellem
Empfinden . . ., als ein neues Objektives Kunstwert erhalt
(Riemann 1908, Einleitung).
Die Definitionen der M. im Zeitraum vom spateren 18.
bis aim 20. Jh. betonen den Empfindungs-(Gefiihls-)
Gehalt der M. : sie ist Natur in Sprache der Leidenschaft
und Zaubersprache der Empfindung (Herder); sie entstand
als Tonleidenschaftlicher Ausdruck eines Gefiihls und ist eine
wahre Empfindungsrede (Forkel) ; sie ist die Kunst durch
Tone Empfindungen auszudrucken (KochL) ; sie ist verkor-
pertefafibare Wesenheit des Gefiihls [ . . . ohne Hilfe der Re-
flexion. . . Hauch von Mundzu Mund, stromendes Blut in
den Adern desLebens!] (Liszt). Oder die Begriffsbestim-
mungen betonen die Eigengesetzlichkeit der M. : sie ist
das kunstliche Spiel der Empfindungen des Gehors (Kant) ;
Spiel [Formenspiel] ist ihr Wesen (Nagcli) ; sic ist tonend
bewegteForm (Hanslick). Andere Definitionen bestimm-
ten das Wesen der M. als sinnliche Vergegenwartigung
des Prinzips der Welt : sie ist in Tonen ausgesprochene Sans-
krita der Natur (E. T.A.Hoffmann); ihre Hauptaufgabe
besteht darin, die Art und Weise wiedererklingen zu lassen,
in welcher das inner ste Selbst seiner Subjektivitat und ideellen
Seek nach in sich bewegt ist (Hegel) ; sie ist Abbild des Wil-
lens selbst ...; die anderen Kiinste reden nur vom Schatten,
sie aber vom Wesen (Schopenhauer) ; sie ist Darstellung der
Natura naturans (Lotze) ; sie ist eine Dynamik von Willens-
regungen (E.Kurth); ... wenn das beweglich Farbige ver-
schwindet, tritt das Bewegende im Klang hervor (Hildegard
Jone in : A. Webern, II. Kantate op. 31). Oder die Defi-
nitionen f ormulieren die kosmologische Bedeutsamkeit
der M. : sie ist Nachklang aus einer entlegenen harmonischen
Welt (Jean Paul) ; sie ist nichts anderes als der vernommene
Rhythmus und die Harmonie des sichtbaren Universums
selbst (Schelling) ; sie ist ein Teil des schwingenden Weltalls
(Busoni) ; ihr Zweck ist, eine Ordnung zwischen den Din-
gen herzustellen, und sie erscheint als ein Element, das eine
Vereinigung mit unserem Nachsten schafft - und mit dem
hochsten Wesen (Strawinsky). Trotz der zum Teil gegen-
satzlichen Positionen und dogmatischen Perspektiven
haben die Definitionen gemeinsam die Gebundenheit
an die musikgeschichtliche Situation der Neuzeit, er-
sichtlich an der verbreiteten »Gefiihls«-Betontheit und
an dem Dualismus von Form und Gehalt, auch am Ver-
standnis der Welt, die in der M. sich abbildet (als »Wille«
oder »Dynamik«) und an der oft wenig konkreten und
subjektivistischen Art der kosmologischen Deutung.
Gleichwohl bezeugen auch die neuzeitlichen Bestim-
mungen der M. das Immerwahrende ihres Wesens : die
Innerlichkeit des Sinntragers, die begriff slose Konkret-
heit des Bedeutens, die sinnstiftende Kraft der Tonord-
nung und der Formungsgesetze und deren Geltung als
Inbegriff des Seienden im Reich des Horbaren. Wie aber
die angefiihrten Definitionen nur eine bestimmte (die
neuzeitliche) Situation in der Geschichte des M.-Ver-
standnisses umreifien und im Zeitraum zweier Jahrhun-
derte zugleich einen Wandel der Wesensbestimmung
skizzieren, der - als Reflex musikalischer Wirklichkeiten
- von der Gefuhlsbezogenheit zur Formbetontheit und
weiter zum Suchen eines neuen Prinzips und Begriff s der
Ordnung fiihrt, so iiberhaupt gelangt »die« M. nur im
ProzeB der Geschichte zu konkreter Wirklichkeit. Da-
her ist das Sich-Erinnern an die Geschichte der M., sei es
in Form musikalischer Traditionen oder in der Arbeit
musikgeschichtlicher Reflexion, die Voraussetzung zum
Erkennen dessen, was M. ist. Das Interesse an der Ge-
schichte entziindet sich an der Wesensfrage, deren Be-
an twortung die Geschichte zu iiberwinden (oder »auf zu-
heben«) vermag, indem sie sie zu bewaltigen sucht.
Doch auch die eingangs gegebene und in diesem Artikel
interpretierte Definition der M. ist zeitgebunden. Indem
sie das »Bedeuten« und die »Eigengesetzlichkeit« der M.
wieder zu vereinen versucht, hat sie geschichtlichjenen
Dualismus der Perspektiven zur Voraussetzung, der die
musikasthetische oder -philosophische Besinnung seit
dem beginnenden 19. Jh. als Reflexion der M. der Wie-
ner Klassik ausweist. In der Klassik war die Fahigkeit der
M., Geistiges oder Empfundenes rein musikalisch zu
versinnlichen, Poiesis und Mimesis ineinander auf gehen
zu lassen, das sich selbst Bedeutende und damit auch sich selber
Deutende zu sein (Hegel), vollkommen verwirklicht
(-»■ Komposition). Seitdem ist jede Wesensbestim-
mung der M. (meist unbewufit) mitgepragt nicht nur
durch die Erf ahrung und den Versuch des begrifflichen
Erfassens dieser Art von Einheit und Vollkommenheit,
sondern noch mehr durch den Dualismus von Gehalt
und Formung, der ihr Widerpart ist.
Lit.: Etymologie, Ursprung: C. Stumpf, Betrachtungen
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wiss. XXXV, Bonn 1966. HHE
Musikasthetik -> Asthetik.
Musikalienhandel halt eine Auswahl der von den
Musikverlagenjeweils angebotenen Erzeugnisse (auch
Musikbiicher) in seinem Ladengeschaft zum Verkauf
bereit und besorgt das nicht am Lager Befindliche. Ne-
ben Verlag und Sortimentsgeschaft gibt es das GroB-
sortiment, das dem Sortimenter die Moglichkeit bietet,
Musikalien samtlicher Verleger aus einer Hand zu be-
ziehen. Die Tatigkeit des ausgebildeten Sortimenters,
der auf Grund seiner eingehenden Kenntnisse den Kun-
den berat, ist fur den geregelten Absatz der Verlags-
werke, vor allem fiir das rasche Bekanntwerden von
Neuerscheinungen, von ausschlaggebender Bedeutung.
Die iiberwiegende Zahl der Musikalienhandlungen ist
auch auf den Verkauf von Schallplatten und Musik-
instrumenten eingestellt bzw. angewiesen. Die Ge-
schichte des M.s ist eng mit der Entwicklung der
-»■ Musikverlage verbunden. Eine fiir den M. wichtige
Voraussetzung ist der einheitliche Ladenpreis fiir Mu-
sikalien und Musikbiicher, un dessen Fortbestand ge-
genwartig gekampft wird. Grundlage des Geschafts-
verkehrs in der Bundesrepublik ist eine Verkaufsord-
nung, die auf einer Vereinbarung zwischen dem Deut-
schen Musikverleger-Verband und dem Sortimenter-
verband (Deutscher Musikalienwirtschaf tsverband, zur
Zeit in Bonn) beruht. Diese Verkaufsordnung ist eine
Parallele zu der buchhandlerischen Verkaufsordnung.
Lit. : K. A. Gohler, Die MeBkat. im Dienste d. mus. Ge-
schichtsforschung, SIMG III, 1901/02; ders., Verz. d. in
d. Frankfurter u. Lpz.er MeBkat. d. Jahre 1564-1759 an-
gezeigten Musikalien, 4 Teile, Lpz. 1902, Nachdruck Am-
sterdam 1964; R. Eitner, Buch- u.. Musikalien-Handler,
Buch- u. Musikatiendrucker nebst Notenstecher, Beilage
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Musikalien-Lagerkat. v. 1622, Mf XVI, 1963; R. Elvers,
Musikdrucker, Musikalienhandler u. Musikverleger in
Bin 1750-1850, Fs. W. Gerstenberg, Wolfenbfittel u. Zfi-
rich 1964. - Zss.: Musikhandel, Bonn seit 1949/50; An-
zeiger d. osterreichischen Buch-, Kunst- u. M., Wien seit
1860; Mus. Opinion and Music Trade Review, London
seit 1877; Music Trade's Review, NY seit 1873, The Music
Trades, NY seit 1890.
Musikalitat -> Begabung.
musikantisch heiBt (umgangssprachlich) ein Musi-
zieren und Komponieren, das sich natur- und sinnen-
froh auBert, z. B. durch besondere rhythmische Verve,
oder durch Anlehnung an Elemente der Volksmusik.
Die Bedeutung von m. weicht von der des Wortes
604
Musikerziehung
Musikant teilweise ab (-> Musicus). Ah Charakterisie-
rung von musikalischen Leistungen und Personlichkei-
ten ist m. als Positivum gemeint, soweit das m.e Ele-
ment nicht den Geist verneint oder iiberwuchert. M.e
Zuge sind den meisten groBen Musikern eigen und
machen einen Teil ihres Erfolges beim Publikum aus.
Musikautomaten -> Mechanische Musikwer-
ke, -*■ Music box.
Musikbogen (engl. musical bow; frz. arc musical), das
einf achste Saiteninstrument aus der Familie der -> Zi-
ther (- 1 ; Stabzither). Der M. besteht aus einem elasti-
schen gekriimmten Stab, der eine an beiden Enden be-
f estigte Sehne oder Saite, seltener2-3 Saiten, spannt. Aus
einem starren (geraden) Stab besteht das in der Horn-
bostel-Sachsschen Sy stematik zur Unterscheidung vom
M. als Musikstab bezeichnete Instrument, bei dem die
Saite liber einen Steg lauft. Die Lange des M.s liegt ge-
wohnlich zwischen 80 und 120 cm, iibergroBe Instru-
mente sind bis zu 3 m lang (Ostafrika). Das Spiel erfolgt
durch Anschlag der Saite mit einem Stockchen oder
durch Streichen (Schrapen) mit einem angerauhten
Stabchen, seltener auch durch AnreiBen mit dem Finger.
Durch Veranderung der Bogenkriimmung (und somit
der Saitenspannung) mit Hilf e einer vom Bogen iiber die
Saite gelegten Stimmschlinge, durch die die Saite an den
Bogenherangezogenwird,oderauchdurch(Flageolett-)
Griffe mit dem Finger konnen einfache Tonfolgen er-
zeugt werden. Als naturlicher Resonator zur Verstar-
kung des Saiten-(Grund-) Tones und zur Hervorhebung
von Obertonen kann die Mundhohle dienen (ahnlich
wie beim Spiel der ->■ Maultrommel) ; auch aus Kale-
bassen (ausgehohlten Kiirbissen) bestehende Resonato-
ren finden haufig Verwendung. Die hauptsachlichen
Verbreitungsgebiete des M.s sind Siidafrika, Siidameri-
ka und Ozeanien. Wie die af rikanische -> Sansa wird der
M. nicht im Gruppen- sondern nur im Einzelspiel ver-
wendet; das einstimmige Spiel (auch bordunierendes
Mitklingen des Grundtons der Saite) wird gelegentlich
mit Gesang verbunden (M.-Lieder) .Die Fragen, ob (und
auf welcher Kulturstufe) der M. aus dem SchieBbogen
entstanden ist und ob der M. in der Geschichte der Mu-
sikinstrumente isoliert steht oder als Vorstufe zu den
Friihf ormen der Harf e gelten kann, sind noch nicht ein-
deutig beantwortet.
Lit. : O. T. Mason, Geographical Distribution of the Mus.
Bow, The American Anthropologist X, 1897 (vgl. auch
ebenda XI, 1898, S. 93ff. u. 187) ; M. H. Saville, The Mus.
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nal of the International Folk Music Council XVIII, 1966.
Musikdiktat, ein der Gehorbildung dienender Zweig
des Musikunterrichts, dessen Bedeutung Nageli und
C.G.Hering erkannten. Seine Aufgabe besteht in der
Schulung der musikalischen Auffassungsfahigkeit. Der
Lehrer singt oder spielt kurze Musikbeispiele, die der
Schiiler in Notenschrift umzudenken und zu forieren
hat. Stufenweise wird von einfachen melodischen, har-
monischen und rhythmischen Bauelementen bis zu
komplizierten musikalischen Gestalten fortgeschritten,
u. a. auch zur Fixierung eines Harmonieverlaufs in
Akkordsigeln, zumErfassen der Modulationswege, der
Besetzung eines Stiickes und der Instrumentation.
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Jersild, Lehrbuch d. Gehorbildung, Rhythmus, Kopen-
hagen 1956.
Musikdirektor (lat. director musices), urspriinglich
der oberste beamtete Musiker in einer Stadt (wie J. S.
Bach in Leipzig, G.Ph.Telemann und C.Ph.E.Bach
in Hamburg). Seine musikalischen und organisatori-
schen Pflichten entsprachen denen des hofischen -> Ka-
pellmeisters. Seit dem 19. Jh. ist M. ein allgemein iib-
licher Titel fur Leiter von musikalischen Institutionen,
besonders Gesangvereinen. Im Orchester trug wah-
rend des 19. Jh. gewohnlich der ->• Konzertmeister die-
sen Titel. Bis ins 20. Jh. wurden von Regierungen die
offiziellen Titel Koniglicher, GroBherzoglicher, Her-
zoglicher und Fiirstlicher M. verliehen. Die heute von
Kommunalbehorden, Universitaten und den evange-
lischen Landeskirchen an die Leiter der ihnen zugeord-
neten musikalischen Einrichtungen vergebenen Titel
sind Stadtischer M., vielfach zum Generalmusikdirek-
tor (GMD) gesteigert (erstmals 1819 in Berlin fur Spon-
tini), Universitats-M. und Kirchen-M.
Musikdrama, eine von Theodor Mundt gebildete
Bezeichnung fiir die Oper als Einheit von Dichtkunst
und Tonkunst, im Unterschied zum musikalischen Dra-
ma, in welchem die Musik nur ah Intermezzo mitspielte.
Spater (und bis heute) wurde das Begriffswort M. vor
allem mit den Bestrebungen R.Wagners und seiner
Nachfolger (-+ Oper) verbunden, obwohl Wagner
selbst den Begriff M. ausdriicklich abgelehnt hat.
Lit.: Th. Mundt, Kritische Walder, Lpz. 1833; R. Wag-
ner, tJber d. Benennung »M.«, in : SSmtliche Schrif ten u.
Dichtungen IX, Lpz. (5 1 9 1 1).
Musike -> Griechische Musik.
Musikerziehung hat die Entf altung und Lenkung der
musikahschen Anlagen im Menschen zum Ziel. Musik
ist einerseits ein Medium der erzieherischen EinfluB-
nahme auf den jugendlichen Menschen, andererseits
ein Sachgebiet derErziehung, auf dem Fahigkeiten und
Kenntnisse aus dem Gebiet der Musik vermittelt wer-
den. Nur die Einheit der beiden Auf gabenstellungen,
Erziehung durch Musik und Erziehung zur Musik, ver-
biirgt Berechtigung und Erf olg der M. - Voraussetzung
fiir eine Erziehung durch Musik sind die seit der An-
tike erorterten Krafte und Wirkungen der Musik. M.
kann zur seelischen Gelostheit, zur Kontaktfreudigkeit
und Ausbildung der Ausdrucksfahigkeit ebenso beitra-
gen wie zur Schulung der Konzentrationsfahigkeit, zur
605
Musikerziehung
Weckung von Phantasiekraften und zur Selbstbesin-
nung. Im Sonderf all vermag sie bei der Heilung korper-
lich oder seelisch Gehemmter mitzuwirken (-»■ Musik-
therapie). Die Vokalmusik kann auch als Tragerin reli-
gioser, ethischer oder gemiitsbildender Inhalte (Chora-
le, Lehrgedichte, Volkslieder) erzieherisch wirken. Eine
zeitgemafie M. wird auch der Massenbeeinflussung
durch Musik (politisches Kampflied, rhythmische Ent-
hemmung im Sho wgeschaf t) entgegenarbeiten konnen.
Eine der wichtigsten Auf gaben der M. ist die Entwick-
lung der Fahigkeit, das Schone zu erleben und den
Menschen zur Anerkennung, womoglich auch zur Er-
kenntnis asthetischer Werte zu fiihren. - Erziehung
durch Musik fiihrt nur dann zu Ergebnissen, wenn die
padagogische Absicht hinter die Bemuhung um prak-
tisch-musikalische Ausbildung zuriicktritt. Der allge-
mein-padagogische Grundsatz, daB der zu Erziehende
zu eigener Betatigung angeleitet werden miisse, gilt
nirgends so uneingeschrankt wie hier. Die M. be-
schrankt sich daher nicht auf die Ausbildung eines
kiinftigen Fachmusikerstandes, sondern hat jedem Ju-
gendlichen gegenuber eine praktisch-erzieherische
Aufgabe. Erstrebt wird eine vom friihesten Kindesal-
ter iiber die ganze Jugendzeit bis zur Erwachsenenbil-
dung fuhrende, sorgfaltig abgestufte musikalische Aus-
bildung, die geeignet ist, dem Fachmusiker als allge-
meine Grundlage zu dienen, dem Laienmusiker das
Riistzeug ftir die -»■ Hausmusik mitzugeben und mog-
lichst viele der Musik auf geschlossene Menschen heran-
zubilden. Nur auf der Grundlage einer weit verbrei-
teten Musikpflege kann eine hohe Musikkultur auf die
Dauer gedeihen.
Friihzeitige Begegnung und aktive Auseinandersetzung
mit der Musik sind spater schwer und oft nur unvoll-
standig zu ersetzen. Die M. beginnt daher schon beim
Kleinkind mit dem Vorsingen von Kinder- und Wie-
genliedern und regt den erwachenden kindlichen Nach-
ahmungstrieb an; wechselseitiges Vor- und Nachsin-
gen f ordert die geistige und - in Verbindung mit Tanz-
und Bewegungsspielen - auch die korperliche Ent-
wicklung des Kindes. Aktive Musikausiibung im Kreis
der Familie bleibt fiir die M. des Heranwachsenden
wichtigste Voraussetzung. Im Kindergarten und im
Schulunterricht wird die M. der jeweiligen Altersstufe
angepaBt. Angesichts der grundlegenden Bedeutung
der Musik fiir die Charakter- und Personlichkeitsbil-
dung hat jedes Kind Anspruch auf einen angemessenen
Anteil der M. innerhalb der Gesamtausbildung. Zur
Aktivierung und bestmoglichen Forderung der musi-
kalischen Begabung reicht der Musikunterricht der
Schule oft nicht aus. Als Folge der durchschnittlich zu
groBen Schiilerzahl in den einzelnen Klassen entstehen
starke und zur Opposition geneigte Gruppen von we-
niger Begabten, die eine musikerzieherische Arbeit
empfindlich beeintrachtigen konnen und ein Abstel-
len der Unterrichtsforderungen auf ein zu niedriges
DurchschnittsmaB erzwingen. Auswahlchor und Schul-
orchester konnen die zu geringe Intensitat der schuli-
schen M. wenigstens teilweise ausgleichen. Eine wert-
volle Erganzung der M. in der Schule bietet der Grup-
penunterricht der stadtischen Jugendmusikschulen, in
denen Kestenbergs Idee der »Volks-Musikschulen«
Gestalt gewann und die heute als moderne soziale Ein-
richtung neben den bewahrten Konservatorien be-
stehen. Daneben gibt es den Weg der -> Privatmusik-
crziehung ; in Bayern und Osterreich erteilen die Mu-
siklehrer der Oberschulen Begabten unentgeltlich In-
strumentalunterricht. - Ein Zeitpunkt fur den Beginn
des Instrumentalunterrichts kann nicht allgemeinver-
bindlich festgelegt werden; friiher Beginn ist vorteil-
haft, doch wird man bei Kindern unter fiinf Jahren
selten Erf olge erzielen. In diesem Alter ist rhythmische
Gymnastik eine gute Vorschulung. Je nach Veranla-
gung ware der Eintritt in ein Kinderballett denkbar.
Dem jugendlichen Anfanger sollte auf alien Gebieten
der Musik prinzipiell die Moglichkeit der spateren Be-
rufsausiibung offenstehen. Das bedeutet, daB im Un-
terricht von jedem Schuler und von jedem Lehrer stets
die voile Leistung zu fordern ist. Oft wird der Wert
der musikalischen Begabung des Kindes zu gering ge-
schatzt, z. B. wenn die Eltern bei der Wahl des Lehrers
leichtfertig verfahren oder an den Ausbildungskosten
sparen, oder wenn der musikalischen Betatigung durch
falsche Auswahl der Instrumente der Zugang zur gro-
Ben Kunstmusik verbaut wird und die musikalische
Ausbildung (mit der Begriindung, daB der Musiker-
beruf nicht in Frage komme) auf das Niveau einer
falsch verstandenen Hausmusik beschrankt bleibt. An-
dererseits sind Rundfunk- und Schallplattendarbietun-
gen nicht durchwegs geeignet, das hausliche Musizie-
ren zu fordern, insofern sie die Musik fertig anbieten
und dadurch lihmend auf die kindliche Aktivitat ein-
wirken. DerErfolg der M. ist abhangig von einem aus-
gewogenen Verhaltnis zwischen dem Auf nehmen bzw.
Erkennen der musikalischen Leistungen anderer und
der eigenen, aktiven Auseinandersetzung mit dem mu-
sikalischen Kunstwerk. Neben der rein technischen
Ausbildung des Schiilers ist auch einer iiber die bloB
formale und harmonische Analyse hinausgehenden
Werkbetrachtung Beachtung zu schenken.
Anreiz zu intensiver und zielstrebiger Beschaftigung
mit dem Instrument bieten die Klavierspielwettbewer-
be fiir Kinder verschiedener Altersstufen; der »Tag der
Hausmusik« und die jahrlichen Jugendwettbewerbe
(z. B. »Jugend musiziert«) geben dariiber hinaus Ge-
legenheit zur Bewahrung auf dem Podium (die Preis-
trager erhalten Gutscheine fiir Unterrichtsbeihilfe und
Instrumentenkauf). Gesangunterricht wird heute meist
im Hinblick auf eine Biihnenlaufbahn genommen (und
setzt dann auch systematisches Klavierstudium voraus),
nur noch selten von stimmbegabten Laien, die sich
meist mit der Mitwirkung in Choren und Kantoreien
begniigen. Das eigentliche Musikstudium erfolgt an
einer Musikhochschule bzw. Akademie (-»• Konserva-
torium). Eine besondere Ausbildung ist fiir die Schul-
musiker erforderlich (-> Schulmusik). - Der musikali-
sche Nachwuchs mifk sich bei den groBen internationa-
len Wettbewerben (->• Preise und Wettbewerbe). Die
nationalen Musikerzieherverbande sind zusammenge-
schlossen in der International Society for Music Educa-
tion (ISME). In der Bundesrepublik Deutschland sind
die wichtigsten Verbande, die die Forderung der M. zu
ihren Aufgaben zahlen: Arbeitsgemeinschaft fiir M.
und Musikpflege (Hamburg), Genossenschaft deutscher
Biihnen-Angehorigen in der Gewerkschaft Kunst des
DGB (Hamburg) , Institut fiir Neue Musik und M. e. V.
(Darmstadt), Internationales Institut fiir Jugend- und
Vokalmusik e. V. (Trossingen), Kulturkreis im Bundes-
verband der Deutschen Industrie e. V. (Koln), Tonika-
Do-Bund, Musikalische Jugend Deutschlands e. V.
(Miinchen), Arbeitskreis fiir musikalische Erziehung
(Hannover), Verband deutscher Schulmusiker e. V.
(Koln-Klettenberg), Verband deutscher Musikerzieher
und konzertierender Kiinstler e. V. (VDMK, Miinchen;
hervorgegangen aus dem Verband deutscher Tonkiinst-
ler und Musiklehrer e. V., VDTM, Berlin).
Lit. : E. Kraus, Internationale Bibliogr. d. musikpadagogi-
schen Schrifttums, Wolfenbuttel 1959. - A. Reissmann,
Die Hausmusik, Bin 1884; St. Macpherson, Mus. Edu-
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padagogischerVersuch, Wolfenbuttel 1919,NAin: Musiku.
Erziehung, ebenda 2 1932; L. Kestenberg, M. u. Musikpfle-
ge, Lpz. 1921, 2 1927; ders., Wege zur Entwicklung d. M.,
606
Musikethnologie
Mk XX, 1927/28; Musikpadagogische Bibl., hrsg. v. dems.,
Lpz. 1 929ff. , f ortgef tthrt v. E. Preussner, Heidelberg 1 959ff. ;
S. N. Coleman, Creative Music for Children: A Plan of
Training, Based on the Natural Evolution of Music, In-
cluding the Making and Playing of Instr., NY 1922; dies.,
A Children's Symphony, NY 1931 ; W. Howard, Die Leh-
re v. Lernen, Wolfenbiittel 1925; ders., Auf d. Wege zur
Musik, 29 H„ Bin 1926-27 ; ders., Probleme d. Musikpad-
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Fr. Reuter, Musikpadagogik in Grundziigen, Lpz. 1926;
ders., Grundlagen d. M., Wiss. Zs. d. M.-Luther-Univ.
Halle- Wittenberg, Ges.- u. sprachwiss. Reihe IV, 1954/55 ;
E. Preussner, Allgemeine Padagogik u. Musikpadagogik,
= Musikpadagogische Bibl. I, Lpz. 1929, als: Allgemeine
Musikpadagogik, Heidelberg 2J959 ; G. Schunemann, M.,
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tion 1932-48, Chicago 1949 ; H. J. Moser, Lebensvolle M.,
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Notlage d. M. u. Musikpflege, Denkschrift hrsg. v. d. Ar-
beitsgemeinschaft f . M. u. Musikpflege, Kassel 1953; Hdb.
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zur M. Ill, Bin u. Darmstadt 1954; H.-I. Marrou, Gesch.
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in d. 1. Halfte d. 19. Jh. in Deutschland, Beitr. zur Mw. II,
1960; I. Benzing-Vogt, Methodik d. elementaren M.,
Zurich 1966. HHa
Musikethnologie (engl. ethnomusicology), musikali-
sche Volkerkunde, ist die seit etwa 1940 gebrauchliche
Bezeichnung fur die Wissenschaft von der Musik der
auBereuropaischen Volker. Sie gilt als ein Teilgebiet
der Musikwissenschaft, ist jedoch ebenso auch ein
Forschungszweig der Ethnologie, Anthropologic, So-
ziologie und Vblkerpsychologie. In Europa wird sie
meist von ethnologisch geschulten Musikwissenschaft-
lem, in den USA wurde sie anfangs von musikwissen-
schaftlich gebildeten Anthropologen betrieben. Eine
strenge Aufteilung des Fachgebiets in die Musik der
Kulturvolker (besonders Asiens) und die der Natur-
volker ist heute nur noch mit Vorbehalten moglich, da
Umfang und Formenreichtum des Kulturbesitzes nicht
im Sinne einer solchen Aufteilung gewertet werden
konnen. Der Vergleich mit der abendlandischen Musik
und ihrer -*- Geschichte kann nur fruchtbar werden,
wenn er im vollen Verstandnis der Eigenart des Frem-
den erfolgt. Wahrend die ->• Vergleichende Musik-
wissenschaft ihre Untersuchungen in der Hauptsache
auf einzelne Elemente der Musikkultur beschrankte, ist
die moderne M. bestrebt, die Musik und Musikan-
schauung fremder Volker als geschlossenes Ganzes und
in engem Zusammenhang mit der geistigen undma-
teriellen Kultur zu sehen. - Die Erforschung histori-
scher Zusammenhange ist eine wesentliche Aufgabe
der M., eine weitere die Abgrenzung regionaler Ver-
breitungsgebiete bestimmter Formen, Stile, Instrumen-
te, Musizierpraktiken, religioser und sozialer Gegeben-
heiten und Anschauungen. Die Musik der asiatischen
Kulturvolker z. B. ist, nicht anders als die alteuropai-
sche, vielfach geschichtet; neben der Kunstmusik der
Oberschicht mit ihrer Geschichte und ihrem theoreti-
schen Fundament steht die Musikiibung der unteren
Schichten sowie die Musik eingesprengter nationaler
Minderheiten und absorbiertcr Fremdvolker, wobei
zwischen alien Schichten mannigfache Wechselbe-
ziehungen bestehen. Die kartographische und strati-
graphische Arbeitsweise der M. schlieBt die Musik
Europas nicht nur »vergleichend« in ihre Betrachtung
ein, sondern befaBt sich auch mit der Angleichung und
Aneignung europaischer Faktoren in der Musik der
auBereuropaischen Volker, so sehr die M. auch darauf
bedacht bleibt, den Zustand vor der Beriihrung mit
der abendlandischen Musikkultur festzuhalten. - Fiir
die Erforschung der Musikgeschichte der Volker kon-
nen die miindlichen Stammesuberlieferungen bei den
schriftlosen Volkern, archaologische Funde, bildliche
Darstellungen und schriftliche Aufzeichnungen bei
den Kulturvolkern als Quellen dienen. Die Erschlie-
Bung musiktheoretischer Quellen wird heute weit-
gehend von Angehorigen der betreSenden Nationen
selbst als nationale Musikgeschichte und Musikwissen-
schaft betrieben. Die meisten Staaten verfiigen heute
iiber eigene nationale Forschungsinstitute und Archive.
Die Fiille des Stoffes, der Probleme und Forschungs-
richtungen erzwingt eine Spezialisierung in regionaler
und sachlicher Hinsicht.
Die Anfange der M. reichen bis ins 17. Jh. zuriick
(Mersenne 1636; A.Kircher SJ, Musurgia, 1650, und
Oedipus Aegyptiacus, 1652), als im Zeitalter der Ent-
deckungen das Interesse an Leben und Kunst fremder
Volker zu erwachen begann. 1768 brachte J.-J. Rous-
seau in seinem Dictionnaire de musique im Anhang 4
Beispiele Exotischer Musik, und 1779 erschien in Paris
die erste wissenschaftliche Monographic: Mimoire sur
la musique des Chinois, tant anciens que modernes von J.J.
M.Amiot SJ. 1792 folgte W. Jones' On the Musical
Modes of the Hindus und 1842 als erste deutsche Studie
Die Musik der Araber von R. G. Kiesewetter. Die erste
zusammenfassende musikethnologische Darstellung
enthalt der 1869 erschienene Band I der Histoire ginhale
de la musique von -*■ Fetis. Die Kenntnis der Musik der
auBereuropaischen Volker blieb jedoch noch lange
luckenhaft und das wissenschaftliche Interesse daran
auf die Erorterung der von der abendlandischen Mu-
sik abweichenden Tatbestande gerichtet. Mit dem in
Amerika erfundenenPhonographen machteW. Fewkes
1889 die ersten Phonogramme von Indianermelodien,
die von B.I. Gilman analysiert und nach einem beson-
deren Notationsverfahren 1891 publiziert wurden.
Tonhbhenmessungen an Melodien und Instrumenten,
akustische und tonpsychologische Untersuchungen
standen im Mittelpunkt der jungen europaischen Schu-
le der Vergleichenden Musikwissenschaft, als deren
erstes wichtiges Ergebnis der Nachweis der siebenstufig
temperierten Skala der Siamesen durch Stumpf (1901)
gelten kann. Durch seinen Mitarbeiter E.M.v.Horn-
bostel erfuhr das neue Forschungsgebiet eine Erweite-
rung nach der Seite der Musikwissenschaft und Eth-
nologie; er entwickelte die grundlegenden Methoden
der M., als deren bedeutendster Vertreter er Weltgel-
tung errang. Der Berliner Schule sind seine Mitarbei-
ter O.Abraham, C.Sachs, R.Lachmann und seine
Schiiler G.Herzog,- M.Kolinski, Fr.Bose, H.Hick-
mann, ferner Marius Schneider, W.Wiora, H.Hus-
mann und J. Kunst zuzurechnen. Als Anreger und
Lehrer war er das Vorbild einer ganzen Generation von
Wissenschaftlern (B.Bartok, I.Krohn, A. O. Vaisanen,
E.Emsheimer, K. G. Izikowitz.Z.Estreicher.E. Gerson-
Kiwi). Auch die Wiener Schule, von R.Lach (1874-
1958) begriindet, hat seine Methoden groBenteils iiber-
nommen, besonders Lachs Schiiler L.Hajek, A.Z.Idel-
sohn, S.Nadel, W.Graf. Eigene Wege gingen in Eu-
ropa E.Beck und seine Schiiler, darunter namentlich
W. Danckert und W. Heinitz. Die amerikanische Schu-
le der M., von Th.Bakcr, B.I. Gilman und A.Fletcher
ausgehend.fandin dem Anthropologen Fr.Boas(Haupt-
werke 1884-88) ihren eigentlichen Begriinder, in Fr.
Densmore, H.H.Roberts und G.Herzog ihre bedeu-
tendsten Vertreter. Letzterer fuhrte die Methode der
Berliner Schule in Amerika ein und verschmolz sie
mit der von Boas entwickelten Arbeitsweise, wonach
die Musik einzelner Stamme moglichst aus der unmit-
607
Musikfeste
telbaren Anschauung und in ihrer Einbettung in das
soziale und religiose Stammesleben zu erforschen sei.
Durch ihn und seinen Schiiler Br.Nettl gewann die
Musikwissenschaft wieder starkeren EinfluB auf die
amerikanische M., so daB sich heute die Arbeitsweisen
in der Alten und Neuen Welt nahezu decken. Auch die
europaischen Forscher sind heute mehr und mehr zur
»Feldarbeit« iibergegangen, wie es etwa die neueren
Arbeiten der Berliner Schule, z. B. K.Reinhard und
sein Schiilerkreis, zeigen.
Lit.: Journal of the International Folk Music Council,
seit 1949; Ethnomusicology, seit 1953; Jb. f. mus. Volks-
u. Volkerkunde, seit 1962. - R. Lachmann, Die Musik d.
auBereuropaischen Natur- u. Kulturvolker, Biicken Hdb. ;
ders., Musik d. Orients, Breslau 1929; ders., Musiksyste-
me u. Musikauff assung, Zs. f . vergleichende Mw. Ill, 1935 ;
G. Herzoo, Speech-Melody and Primitive Music, MQ
XX, 1934; M. Schneider, Ethnologische Musikforschung,
in: Lehrbuch d. Volkerkunde, hrsg. v. K. Th. PreuB, Stutt-
gart 1 937 ; ders., Die Musik d. Naturvolker, in : dass., hrsg.
v. L. Adam u. H. Trimborn, ebenda 3 1 958 ; Fr. Bose, Klang-
stile als Rassenmerkmale, Zs. f. Rassenkunde XIV, 1943/
44; ders., MeBbare Rassenunterschiede in d. Musik, Ho-
mo II, 1952; ders., Mus. Volkerkunde, Freiburg i. Br. 1 953;
ders., Musikgeschichtliche Aspekte d. M., AfMw XXIII,
1 966; J. Handschin, Exotische Musik, in: Musica aeterna I,
Zurich 1 948 ; J. Kunst, Ethnomusicology, Den Haag 1955,
3 1959 (mit Suppl.) ; A. P. Merriam, The Use of Music in the
Study of a Problem of Acculturation, The American An-
thropologist LVH, 1955; ders., Ethnomusicology - Dis-
cussion and Definition of the Field, Ethnomusicology IV,
1960; ders., The Anthropology of Music, (Chicago) 1964;
K. Dittmer, Ethnologie u. M., Kgr.-Ber. Hbg 1956; Br.
Nettl, Music in Primitive Culture, Cambridge (Mass.)
1956; C. Brailoiu, L'ethnomusicologie, in: Precis de Mu-
sicologie, hrsg. v. J. Chailley, Paris 1958; ders., Musicolo-
gie et ethnomusicologie aujourd'hui, Kgr.-Ber. Koln 1958;
M. Karpeles, The Collecting of Folk Music and Other
Ethnomusicological Material, London 1958; R. Katza-
rova-Koukoudova, L'ethnomusicologie en Bulgarie de
1945 a nos jours (1959), AMI XXXII, 1960; Cl. Marcel-
Dubois, Ethnomusicologie de la France 1945-59, ebenda;
Les Colloques de Wegimont I, 1954, Briissel 1956; dass.
Ill, 1956, Ethnomusicologie II, = Bibl. de la faculte de
philosophie et lettres de l'Univ. de Liege CLVII, Paris 1 960;
Fr. Gillis u. A. P. Merriam, Ethnomusicology and Folk
Music: An International Bibliogr. of Dissertations and
Theses, = Special Series in Ethnomusicology I, Middle-
town/Conn. (1966). FB
Musikfeste -»• Festspiele.
Musikgeschichte -> Geschichte der Musik.
Musikkritik beurteilt in periodischen Veroffentli-
chungen sowohl das musikalische Kunstwerk selbst als
auch dessen Wiedergabe und berichtet in wertender
Stellungnahme iiber aktuelle Erscheinungen des Mu-
siklebens, z. B. iiber kulturpolitische Fragen der Mu-
sikpraxis, Programmbildung in Konzerten, Repertoire
von Opernhausern. In dieser Form besteht die M. seit
dem 18. jh. namentlich in Deutschland (Mattheson,
Scheibe, Fr. W. Marpurg, J. N. Forkel, J. A. Hiller, J. Fr.
Reichardt) und Frankreich (Fr. M. Grimm, J.-J. Rous-
seau). Sie war zunachst uberwiegend auf Geschmacks-
und Stilfragen, Komposition und Satztechnik gerich-
tet. Als Veroffentlichungsorgane dienten die in dieser
Zeit entstehenden musikalischen ->• Zeitschriften. Mit
Ch. Avisons Essay on Musical Expression (1752) und den
Reiseberichten Ch.Burneys (1771-73) trat England in
den Kreis der Lander, die zu den Grundlagen der mo-
dernen M. beitrugen. Dagegen begannen in Italien erst
in den 1830er Jahren die Tageszeitungen Opernfeuille-
tons (Appendici) zu drucken. - Als standige Einrich-
tung der Tagespresse trat die M. zuerst in Berlin auf,
wo 1788-1813 Fr.Rellstab, ab 1826 sein Sohn L.Rell-
stab in der Vossischen Zeitung schrieben. Mit der tagli-
chen Berichterstattung in Tageszeitungen wurde die
darstellende Leistung der Musiker in Oper und Kon-
zert zum Hauptgegenstand. Dadurch gewann die Kri-
tik EinfluB auf das Musikleben, das auch wirtschaftlich
von ihr abhangig zu werden begann. Das 19. Jh. wurde
so zu der Epoche, in der sich musikalischer Journalis-
mus zu einem wichtigen musiksoziologischen Faktor
entwickelte. Gleichzeitig traten neben die hauptberuf-
lichen Kritiker schopferische Musiker, die zeitweise
ihre Feder in den Dienst der Tagespresse stellten, teils
aus wirtschaftlichen Griinden, teils um fur ihre astheti-
schen Oberzeugungen eintreten zu konnen. E.T.A.
Hoffmann, CM. v. Weber, R.Schumann, R.Wagner
und Hugo Wolf in Deutschland, Fr.-J.Fetis und H.
Berlioz in Frankreich, A. N. Serow in RuBland wirkten
als bekennende Rezensenten und gaben der M. ein Ge-
wicht, von dem alle Angehorigen des Kritikerstandes
Nutzen hatten. Das Beispiel H.Heines, der als nicht-
geschulter Musiker 1836-47 M.er fiir die Augsburger
Allgemeine Zeitung in Paris war, machte Schule nicht nur
in Deutschland und Osterreich. In den Kampf um
Wagner griff en in Paris Nichtmusiker wie Th. Gautier
und Ch. Baudelaire begeistert ein. Der moderne Feuille-
tonismus, Heine weitgehend verpflichtet, gab durch
seinen Glanz und die Suggestivitat seiner Sprache auch
der M. eine Macht, die sich am wirksamsten in E.
->• Hanslick, fiir den englischen Sprachbereich in G.B.
->• Shaw verkorperte. Hanslick beherrschte von Wien
aus mehr als ein halbes Jahrhundert lang (1 848-1 900) Ge-
schmack und MusikbewuBtsein von Generationen.
Seiner kritischen Haltung Wagner und Bruckner, aber
auch Verdi und Tschaikowsky gegenuber, seiner ent-
schiedenen Parteinahme fiir Brahms entsprach die
uberwiegend konservative englische Kritik der Briider
->■ Davison. Erst seit Shaws Tatigkeit in The Star und
in The World 1889-94 fand die Partei der Wagner-
Feinde eine uberlegene Gegenfront. - Als Prophet
Wagners, Berlioz' und Liszts, aber auch der national-
russischen Oper, trat ab 1851 in RuBland A.N. Serow
in die Arena. Sein Gegenspieler und einstiger Jugend-
freund S. Stassow vertrat den russischen Nationalismus,
kampf te fiir die »Fiinf« (namentlich fiir Mussorgsky),
aber auch fiir Tschaikowsky und gegen Wagner. Ihm
stand der noch radikalere Nationalist C.Cui geistig
nahe. - Auch in Italien entwickelte sich die moderne
M. im Kampf um Wagner. F. -*■ Filippi (ab 1859 an
der Mailander Perseueranza), der Marchese d'Arcais als
Vorkampfer italienischer Symphonik und A.Boito
schufen in den 60-70er Jahren des 19. Jh. eine Tradition,
die der Nichtmusiker G.d'Annunzio als leidenschaft-
licher Wagnerianer fortsetzte. Seit den 1880er Jahren
gab es eine sachkundige, kultivierte und einfluBreiche
M. in der nordamerikanischen Presse. Ihre Vertreter
H.E. Krehbiel, H. T. Finck, W. J. Henderson, R. Aldrich
und J.G.Huneker entwickelten sich, vom Wagner-
Erlebnis ausgehend, zu virtuosen Chronisten der nach-
wagnerischen Moderne. - Die Stilwandlungen im spa-
ten 19. und im 20. Jh. haben Typus und Funktion der
M. verandert. Ihre Aufgabe in einem Musikleben, das
vorwiegend der Pflege zeitgenossischer Produktion
gait (wie im 18. und friihen 19. Jh.), war konservierend.
In einer Praxis aber, die selbst zunehmend konserva-
tiv wurde, wie vor allem seit 1900, muBte sie sich fiir
die Forderung von Neuem einsetzen. So stehen im
20. Jh. die fiihrenden M.er vielfach in einer Front mit
den modernen Komponisten und zugleich haufig in
Opposition zu Mehrheit, Macht und Markt. In Berlin,
das nach Hanslicks Riicktritt 1895 zum europaischen
Zentrum der M. wurde, hatteW.Tappert eine moder-
nistische Richtung geschaffen. Ihr schlossen sich O.Bie
und A.WeiBmann, spater W.Schrenk, A.Einstein, H.
608
Strobel und H. H. S tuckenschmidt an. In ahnlichem Sinn
wirkten in Frankfurt P. Bekker und K. Holl.
Wahrend Englands fiihrender Kritiker E.Newman
1905-58 mehr die Sache Wagners und Wolfs als die
der Zeitgenossen vertrat, waren E.J. Dent und E.Evans
Vorkampfer der internationalen Moderne. CI. Debussy
als Komponist, R. Rolland als Musikforscher gaben zu
Anfang des 20. Jh. der franzosischen M. mehr Ansehen
als die ModegroBen der Tagespresse. In Wien stand
neben dem einfluBreichenJ. Korngold, Hanslicks Nach-
folger an der Neuen Freien Presse, eine Phalanx fort-
schrittlicher Manner wie M.Graf und P.Stefan. Seit
den 1930er Jahren haben autoritare Staatsformen, fa-
schistische wie kommunistische, versucht, den Kriti-
kern offizielle Meinungen aufzuzwingen. Dadurch
wird Kritik in ihrem Kern zerstort, die geistige Inte-
gritat des Kritikers beseitigt. Konsequenterweise ersetz-
te 1936 eine deutsche Regierungsverordnung M. durch
»Musik-Betrachtung«. In der sowjetrussischen Presse
konnte bis zu Stalins Tod auch in der M. keine andere
als die offizielle Asthetik vertreten werden. Nach 1945
ist die M. in Mitteleuropa unter modernistischer Fiih-
rung wieder zu einer Macht geworden, die in Nord-
amerika ein starkes Gegengewicht findet. Uber die
Tagespresse hinaus stehen dem modernen Kritiker in
Rundfunk und Fernsehen neue Medien der Meinungs-
bildung zu Gebote. Der ungemein gesteigerte Konsum
von Musik hat Tatigkeit und Aufgabenbereich der M.
ebenso erweitert wie ihren EinfluB. Noch mehr als im
19. Jh. tritt die reproduktive Leistung in den Vorder-
grund des Musiklebens. Da gleichzeitig aber die Tech-
niken und Stilgrundlagen der Komposition sich uber
die Tradition hinaus entwickeln, steht die M. zwischen
zwei einander widersprechenden Verpflichtungen. Sie
muB Chronik und Urteil der Praxis, des »Betriebs«,
sein, der sich an die groBe Mehrheit der Horer wendet,
und sie muB sich und ihre Leser an der Auseinander-
setzung uber die kompositorische Lage beteiligt halten.
Nach der Auffassung Remy de Gourmonts und T. S.
Eliots sind Vergleich und Analyse die Werkzeuge der
Kritik. Ihr Ziel ist die Deutung von Werken sowie die
Messung von Auffiihrungen an den Forderungen des
Werkes. Entscheidend fur Wert und Wirkung seiner
Arbeit sind Bildungsgrad, Sachkenntnis, Erlebnis- und
Sprachkraft des Kritikers. BewuBt urteilt er immer sub-
jektiv; deshalb waren Versuche wie die kollektive
Dreimannerkritik problematisch, die 1930 in der Zeit-
schrift Melos durchgef iihrt wurde. - 1913 griindeten P.
Bekker, A.HeuBundH. Springer den Verbanddeutscher
M.er, der bis zur Aufldsung 1933 etwa 150 Mitglieder
zahlte. Ahnliche Standesorganisationen befinden sich in
Frankreich, England und den USA. Eine Fachgruppe
M. besteht seit 1952 im Verband der deutschen Kritiker.
Lit. : G. Cucuel, La critique mus. dans les rev. du XVIII e s.,
Annee mus. II, 1913 ; A. Schering, Aus d. Gesch. d. mus.
Kritik in Deutschland, JbP XXXV, 1928; M. Faixer, J.
Fr. Reichardt u. d. Anfange d. mus. Journalistik, = K6-
nigsberger Studien zur Mw. VII, Kassel 1929; K. Varges,
H. Wolf als M.er, Magdeburg 1934; M. C. Boyd, Compo-
ser and Critic: 200 Years of Mus. Criticism, NY 1946; A.
Machabey, Traite de la critique mus., Paris 1947; A. R.
Oliver, The Encyclopedists as Critics of Music, NY 1947;
Fr. Roh, Der verkannte Kunstler, Munchen 1948; H. H.
Stuckenschmidt, Zur Problematik d. M., Af Mw IX, 1 952;
ders., Glanz u. Elend d. M., = Hesses kleine Biicher 1,
Bin 1957 ; Fr. Baake, G. B. Shaw als M.er, Af Mw X, 1953 ;
A. Sychra, Parteiliche M. als Mitschopferin einer neuen
Musik, Bin 1953; C. Lachner, Die M. (Versuch einer
Grundlegung), Diss. Munchen 1955, maschr.; H. Kirch-
meyer, I. Strawinsky. Zeitgesch. im Personlichkeitsbild,
= Kolner Beitr. zur MusikforschungX, Regensburg 1958;
A. Della Corte, La critica mus. e i critici, Turin 1961 ;
G. B. Shaw, How to Become a Mus. Critic, hrsg. v. D. H.
Musikpsychologie
Laurence, NY u. London 1961 ; U. Backer, Frankreichs
Moderne v. CI. Debussy bis P. Boulez, = Kolner Beitr. zur
Musikforschung XXI, Regensburg 1962; dies., Frank-
reichs Musik zwischen Romantik u. Moderne, = Studien
zur Mg. d. 1 9. Jh. II, Regensburg 1 965 ; Beitr. zur Gesch. d.
M., hrsg. v. H. Becker, ebenda V, 1 966. HHS
Musikpsychologie ist eine nach unsystematischenVor-
laufern 1931 von E. Kurth begriindeteeigeneDisziplin,
in der die Tonpsychologie (jetzt -*■ Hor- oder Genor-
psychologie genannt) fortgefuhrt wird unter dem kul-
turpsychologischen Aspekt der Analyse der objektiv-
geistigen Struktur »Musik« und ihrer Auffassung, Nach-
gestaltung und Neuschopfung wie auch der Musikalitat
(-> Begabung), die in alledem vorausgesetzt ist. Nach
Kurth bildet die Ton-(oder Gehor-)Psychologie den
Unterbau einer M. von der analytischen Seite her durch
isolierende Einzelbetrachtung ihrer Voraussetzungen.
Gehorpsychologie ist mehr auf das Sinnesgebiet der Musik
als aufdiese selbst gerichtet, greift in die Physiologie und
in die physikalische Akustik uber, will neben Analyse
und Vergleich stets auch auf die Ursachen oder Korrelate
zuriickleiten (dies in der heute so genannten Psycho-
akustik). Das Gebiet der M. im eigentlichen Sinne wird
f olglich durch AusschlieBung danach bestimmt, was die
Gehorpsychologie UbriglaBt, d. h. was sich dieser, als
einer schlichten Sinnespsychologie, entzieht. Nach der
entgegengesetzten Richtung hin - gewissermaBen nach
oben - hebt sich die M. von der Musikasthetik ab, die
gleichwohl von ihr wissenschaf tlich f undiert wird. Nach
Kurth wird der Musikasthetik die Behandlung des
Kunstwerks als solchem und seiner »Inhalte«, vor allem
natiirlich die Wertung (Musikkritik), dann aber auch die
Psychologie des musikalischen Schaffens und die Frage
der gefiihlsauslosenden Wirkung der Musik vorbehal-
ten. Letzteres hat sich schon aus rein definitorischen
Griinden nicht durchgesetzt. Gerade die Gefiihls- und
Ausdruckswirkung der Musik als eine Spezialfrage der
allgemeinen Gefuhlspsychologie und die Psychologie
des Schaffensvorgangs werden in der M. als zwei ihrer
Kernf ragen behandelt und moglichst nach ihrer Klarung
auf Grund psy chologischer Kriterien an die Musikasthe-
tik vermittelt. Aber auch die Musiksoziologie ist eine
von der M. teils begriindete, teils ihr nebengeordnete
Sonderdisziplin, zumal als Sozialpsychologie der Musik,
die vor allem die Frage nach der Stil- und Geschmacks-
entstehung stellt wie auch nach der Rezeption von Mu-
sik. Fiir die historische Musikwissenschaft ist die M. nur
im hier definierten engeren Sinne unmittelbar von Be-
deutung, die Ton- oder Gehorpsychologie nur auf dem
Umwege iiber diese, d. h. soweit sie als Voraussetzungs-
disziplin in die eigentliche M. eingeht.
In Kurths M. wird mit physikalischen Analogien ope-
riert. Er unterscheidet am Tonmaterial »Kraft, Raum,
Materie« und untersucht die Erscheinungsformen der
»Klangmaterie« und des »Bewegungsablaufs«. In einer
Theorie des musikalischen Raumes unterscheidet er ton-
psychologischen von musikpsychologischem Raum,
ersteren als mehr oder minder klar dimensioniert, letz-
teren als einen »Gefiihlsraum« von komplexer, nicht
nachmeBbarer, anmutungshaf ter Erlebnisqualitat. Die-
ser Ansatz wurde von Wellek auf die Dimension der
musikalischen Zeit iibertragen. »Gelebte Zeit« ist nicht
chronometrisch meBbar, und Symmetrie der Metrik ist
nicht identisch mit gleichen Taktzahlen (wie auch schon
Kurth gefunden hat). Schon der Einzelton oder -klang
ist musikpsychologisch gesehen reichhaltiger als gehor-
psychologisch. Durch seine Stellung im erlebten Musik-
system wachsen ihm qualitative Dimensioncn zu, vor
allem die der ->■ Tonigkeit, die ihm rein als einem »Ein-
zelphanomen fiir das Ohr« nicht zukamen. Aus der
qualitativen Mehrseitigkeit der sogenannten -*■ Ton-
39
609
Musikpsychologie
hohe erwachsen mehrseitige qualitative Aspekte der
Tonzwei- und -mehrheiten, zunachst einerseits unter
dem »linearen« Aspekt der Hohe im Wortsinne und der
Helligkeit, andererseits unter dem »zyklischen« der To-
nigkeit. An der Melodie (der sukzessiven Tonmehrheit)
stellt sich das erstere als Profil oder Relief, das letztere als
Melodiefarbe und Meloscharakter dar, z. B. stufig oder
sprunghaf t im Profil, stimmig in der Farbe bei Kantilene
(sangbar), sperrig bei Wagnerschem Sprechgesang (un-
sangbar).
Entsprechendes gilt fur die Akkordfolge, zunachst den
»Akkordschritt«. Dieser zeigt »linear« (der Hohe und
Helligkeit nach) GroBe und Richtung nebst Stimmbe-
wegung, »zyklisch« (den Tonigkeiten nach) Akkord-
schrittfarbe und Harmoniecharakter, »stimmig« bei
»Riickung« (ohne harmonischen Funktionswechsel)
oder bei SchluB, »unstimmig« bis »sperrig« bei Altera-
tionen und harmonischen Spriingen. Das harmonische
und auch das kontrapunktische Horen, wie uberhaupt
das Musikhoren, ist Zeitgestaltung und als solche als ein
bestandiges Vorweggestalten und Ganz-Setzen von
Teilganzen zu verstehen. Es wird in seiner deutenden
Tatigkeit bei der Vieldeutigkeit musikalischer Zusam-
menhange nur moglich dadurch, daB ein »Gesetz der
Parsimonie«, ein Okonomieprinzip (hier : der einf ach-
sten Deutung), waltet. Etwa im System der temperier-
ten Stimmung, das enharmonisch verschiedene Tone
nicht tatsachlich in ihrer Frequenz unterscheidet, gleich-
wohl aber harmonisch wie melodisch mit diesen Unter-
schieden genau so arbeitet wie jede reingestimmte Mu-
sik, gilt, daB stets die einf achere, naherliegende Deutung
als das Gegebene hinzunehmen ist, solange der Horer
nicht gezwungen ist, da von abzugehen. Der Harmonie-
charakter der einzelnen Akkordschritte erhalt ein neues
Gesicht vom Ganzen her, in das er sich einfiigt. So er-
klaren sich Scheinkonsonanz und -v Auffassungsdisso-
nanz im Sinne von Riemann, d, h, die Tatsache, daB ein
in sich konsonanter Akkord (Dreiklang) im Zusammen-
hang den Charakter des Unstabilen, Nichtendgiiltigen,
Auflosungsbediirftigen annehmen kann. Im Zusam-
menbauen mehrerer »Satze« zu groBeren musikalischen
Formgebilden stellen sich jeweils weitere, immer kom-
plexere Gesamtqualitaten ein, abermals mit Stimmig-
keits- und Unstimmigkeitscharakter, je nach Art und
Grad der angewandten Kontrastwirkungen. Im kon-
kreten Musikhoren nimmt der ProzeB von hier seinen
Ausgang, verlauft von »oben« herab. Zunachst und im-
mer sind die »hochsten« der Ganzqualitaten als werdend
begriffen in ihrer f ortschreitenden »Aktualgenese« ; und
was sich an ihnen an Teilkomplexqualitaten mehr oder
minder abgehoben herausstellt, hangt jeweils sehr weit
vonEinstellung, Typ, Schulung usw., also vom »Struk-
turellen«, im Horer ab. Die ubergreifenden Komplex-
qualitaten groBerer musikalischer Zusammenhange
saugen die der Glieder in sich auf . Im allgemeinen wird
gelten, daB die musikalisch belangvollsten Qualitaten
der Glieder, wie z. B. die Sonanz desEinzelakkords, sich
am weitesten »als solche« erhalten werden, wenn auch
natiirlich nie imbeeinfluBt von den ubergreifenden
Ganzqualitaten. Besonders auch sind es Rhythmus,
Tempo, Akzente, die fur das Heraustreten solcher Ein-
zelzugejeweilsbestimmendsind: Bedingungen, die der
Komponist, wo es ihm an solchen Einzelziigen liegt,
stets sorgfaltig in Rechnung stellt. So hangen denn auch
die Gefuhlswirkungen und, aus ihnen wachsend, die
komplexen Raumwirkungen von Musik, uberhaupt
alles Physiognomische an ihr, wesentlich an den uber-
greifenden Ganzen.
Am Rhythmischen ist Tempo und Takt (Agogik) von
der eigentlichen rhythmischen Erf iillung zu unterschei-
den. Temposteigerungen entsprechen im Klanglichen
einer Zunahme an Helligkeit, gekreuzte Rhythmen ein-
fachen Konsonanzen und Dissonanzen. Zum eigentlich
Rhythmischen haben Menschen von verschiedenem
motorischem Typ oder Bewegungstyp ein unterschied-
liches Verhaltnis, wie E. Sievers und G. Becking zuerst
gef unden haben (-> Typologie) . Desgleichen ist das Ver-
haltnis zum Klangmaterial, nach den Befunden von
Wellek, typologisch gebunden : beim »linearen« Musi-
kalitatstyp durch eine vorwiegende Orientierung an den
»linearen« Ton- und Klangeigenschaften, beim »pola-
ren« oder »zyklischen« durch vorwiegende Orientierung
an den »zyklischen«. Dem linearen Typ gemaB ist das
»lineare«, kontrapunktische Denken und Musizieren,
dem »polaren« oder »zyklischen« das harmonisch-klang-
farbliche. Ersterer Typ ist, wie Wellek fand, iiberwie-
gend in Norddeutschland, letzterer in Siiddeutschland
einschlieBlich Osterreich beheimatet. Dem entspricht,
daB historisch die Wiege der polyphonen Musik im
Norden, die der homophonen im Siiden Europas zu
suchen ist. Auch bestimmte Ziige im Musikschaff en ein-
zelner zumal romantischer Meister lassen sich aus ihrer
Neigung zu einem der beiden Musikalitatstypen ver-
stehen (nicht : »erklaren«), z. B. auch (technisch) das not-
gedrungene Komponieren am Klavier beim extrem
Zyklischen. Die Auffassung, daB Musikalitat uberhaupt
und grundsatzlich ein Merkmal eines bestimmten Per-
sonlichkeitstyps sei, muB hiernach als widerlegt ange-
sehen werden. Ein weiterer, besonderer Typ des Musik-
horens ist durch seine Eigenart f iir die Entstehung von
-> Tonmalerei und ->■ Programmusik von Bedeutung.
Es ist dies der Synasthetiker oder (spezieller) der Far-
benhorer (->• Farbenhoren) , der nicht nur einzelne Tone
mit einzelnen Farben, sondern ebensowohl ganze Mu-
sikstiicke mit ganzen vor Augen gesehenen Gemalden
verbinden kann (Bilderhoren) und zurEntwicklung ei-
ner -»• Farbenmusik als eines optischen Aquiyalents f iir
Musik oder auch als einer optisch-akustischen Kunstsyn-
these tendiert. Ein Problem der M. ist auch die -*■ Mu-
siktherapie, die neuerdings in der zumal nach C. G.Jung
ausgerichteten Psychotherapie eifrige Vorkampfer ge-
funden hat. Die durchaus glaubhaften Erfolge einer
Musiktherapie sind indes vermutlich groBenteils nicht
spezifisch, d. h. sie konnten durch andere Mittel der
Konzentration, Beruhigung und Entspannung ebenso
gut erreicht werden, z. B. durch andere asthetische An-
gebote wie Farben und Gemalde. Dies spricht zwar nicht
grundsatzlich gegen den pragmatischen Wert einer ge-
zielten Musiktherapie, nimmt ihr aber doch den Eigen-
charakter und laBt das ganze Thema f raglich erscheinen.
Lit. : M. Pilo, Psicologia mus., Mailand 1903, deutsch Lpz.
1906; G. Becking, Der mus. Rhythmus als Erkenntnis-
quelle, Augsburg 1928, Nachdruck Stuttgart 1958; E.
Kurth, M., Bin 1930, Bern 21947; R. Wallaschek, Psy-
chologische Aesthetik, hrsg. v. O. Katann, Wien 1930; R.
Muller-Freienfels, Psychologie d. Musik, Bin 1 936 ; J. S.
Mursell, Psychology of Music, NY 1937 ; C. E. Seashore,
Psychology of Music, NY 21938 ; M. Schoen, The Psycho-
logy of Music, NY 1940; G. Revesz, Inleiding tot de mu-
ziekpsychologie, Amsterdam 1944, 2 1946, deutsch Bern
1946, engl. London u. NY 1953, ital. Florenz 1954; J.
Handschin, Der Toncharakter. Eine Einfiihrung in d.
Tonpsychologie, Zurich (1948); E. Roiha, Johdatus mu-
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Musikasthetik. GrundriB d. systematischen Mw., Ffm.
1963; J. Guilhot (mit J. Jpst u. M. A. Guilhot), Musique,
psychologie et psychotherapie, Paris (1964). AW
Musiksoziologie -> Soziologie.
Musiktheater erf aBt besser als die uberkommeiie Gat-
tungsbezeichnung -*■ Oper die Vielgestalt aller Verbin-
dungen von Wort, Szene und Musik im 20. Jh. und wird
610
Musiktheater
von manchen als iibergeordnete Bezeichnung f iir solche
Verbindungen iiberhaupt verstanden. Der Begriff, in
Deutschland bereits seit mehreren Jahrzehnten iiblich,
wird auch solchen Werken gerecht, die von den Kom-
ponisten zwar noch als Opern bezeichnet werden, es im
geschichtlichen Sinne aber nicht mehr sind. Er schlieBt
in sich echte Opern wie Bergs Wozzeck (1917-21, ur-
aufgefiihrt 1925), Dallapiccolas Volo di notte (1940) und
Henzes Prinz von Homburg (1960), aber auch episches
Theater wie Strawinskys Histoire du soldat (1918),
Brecht-Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
(1930) und Claudel-MilhaudsC/imtop/ie Co/om& (1930),
vertontes Schauspiel wie Milhauds Orestie (1913-22,
Urauffiihrung des Gesamtwerkes erst 1963) und Orffs
Antigonae ( 1 949) , aber auch Funk- und Femsehopern wie
BlachersF/wf (1947), Henzes Landarzt (1. Fassung 1951),
Menottis Amahl and the Night Visitors (1951) und Stra-
winskys Flood (1963), Mischungen aus Oper und Orato-
rium wie Strawinskys Oedipus rex (szenische Urauffiih-
rung 1928) und Honegger-Claudels/eanne d'Arc au bu-
cher (1938), aber auch aus Oper und Ballett wie Blachers
Preuflisches Marchen (1950) und Henzes Boulevard Soli-
tude (1952), Schulopern wie Hindemiths Wir bauen eine
Stadt (1930) und-> Lehrstucke wie Weilhjasager (1930),
aber auch absurdes Theater wie Stockhausens Originale
(1961) und Kagels Sur Scene (1963). Bis in die 30er Jahre
des 20. Jh. ist iiberall da, wo modernes M. aufkam, ein
Unbehagen an den um 1900 herrschenden Opern typen
zu spiiren, das sich oft zum Protest gegen die Oper als
Gattung steigerte. Bei der Auseinandersetzung um die
Allgemeinverbindlichkeit und Lebensfahigkeit der
Oper ging es nicht allein um die Musik und um deren
Verhaltnis zum Text, sondern ebenso um die Wahl der
Stoffe, ihre sprachliche wie szenische Realisation. Doch
wurde die Rolle der Musik zunachst entscheidend auf-
gewertet. In der spatromantischen nachwagnerschen
wie in der veristischen Oper hatte ihre Auf gabe oft bloB
noch darin bestanden, das nachzuzeichnen, was explizit
oder implizit bereits im Text angelegt war.
1909 entstand Schonbergs Erwartung (1924 uraufge-
f iihrt) ; das Werk gehort seiner mittleren Schaffenspe-
riode an. Deren aphoristischer Stil, in diesem zum M.
ausgeweiteten Monodrama angewendet, gibt der Mu-
sik eine eigene Bedeutung und ermoglicht zugleich, den
seelischenEmotionen mit der Genauigkeit eines Seismo-
graphen zu folgen (Adorno). In seinem anderen ex-
pressionistischen Einakter, dem »Drama mit Musik«
Diegiiickliche Hand (1910-13, uraufgefuhrt 1924), treten
genau vorgeschriebene Beleuchtungseff ekte und panto-
mimische Darstellung gleichberechtigt neben die weni-
gen, teils gesungenen, teils gesprochenen Worte. Stra-
winskys Histoire du soldat wird gelesen, gespielt und ge-
tanzt, jedoch nicht gesungen. Die Befreiung des Dar-
stellers von der Musik starkt - wenn auch anders als bei
Schonberg - die Autonomic der Musik, die, in knappe
geschlossene Nummern gegliedert, auch konzertant
auf f iihrbar ist. Ihre kleine Besetzung, ein Ensemble von
nur 7 Musikern, markiert schon auBerlich die Distanz
zur Oper. Zweifel an den als verbraucht empfundenen
WirkungenderpsychologisierendenszenischenBegleit-
musik des Musikdramas spricht auch aus Busonis Doktor
Faust (1914-24, uraufgefuhrt 1925), worin entscheiden-
den Szenen instrumentale Formen zugrunde liegen. Der
hier eingeschlagene Weg fand seine Fortsetzung im
Biihnenschaffen Hindemiths, vor allem in dessen Car-
dillac (1. Fassung 1926), dem Prototyp der »Musizier-
oper« (Stuckenschmidt) mit ihrer Spaltung von Text
bzw. Handlung und Musik (z. B. die nur von einem
konzertanten Flotenduett begleitete Liebesszene am En-
de des 1 . Aktes) . Mit Busonis Verf ahren verwandt , wenn
auch von ihm unbeeinfluBt, ist Bergs Kompositions-
weise im Wozzeck. Das Werk, eine echte Oper, ist
gleichzeitig von instrumentalen Formen her kompo-
niert; so sind die 5 Szenen des 2. Aktes eine Sympho-
nic in 5 Satzen. Mit der Wahl eines bedeutenden lite-
rarischen Werkes als Libretto beschritt Berg einen
Weg, den vor ihm schon Debussy und Strauss gegan-
gen waren. Von der revolutionaren Dramaturgic W.
Meyerholds beeinfluBt ist Ljubow k trem apelsinam
(»Die Liebe zu den drei Orangen«, nach Gozzi, 1921)
von Prokofjew. Mit diesem Werk, aber auch mit Stra-
winskys Mavra (1922) und spater mit Nos (»Die Nase«,
1930) von Schostakowitsch trat die Groteske in die
Musikkomodie.
Tendenzen zur Entromantisierung und zur Aktualisie-
rung der Stoffe fiihrten in den 20er Jahren zur »Zeit-
oper« (Stuckenschmidt) ; z. B.Jonny spielt auf (1927) von
Kfenek oder Neues vom Tage (1929) von Hindemith.
Durch die Zusammenarbeit Weills mit Brecht erfuhr
die Zeitoper ihre sozialkritisch aggressi vste Ausf ormung
(Dreigroschenoper, 1928 ; Aufstieg und Fall der Stadt Maha-
gonny, 1930). Das asthetische Ideal der »neuen Sachlich-
keit« bewirkte musikalische Vereinfachung. Elemente
des Jazz und der Vulgarmusik drangen ins M. ein. Dabei
gelang Weill ein neuer Vokalstil (»Songstil«), der mehr
des singenden Schauspielers als des S angers bedarf . Nicht
zuletzt in den Buhnenwerken P. Dessaus (Das Verhor des
Lukullus, 1949) wirkte er bis in die Jahrhundertmitte
nach. Milhauds verkiirzte dramatische Formen gegen
Ende der 20er Jahre (z. B. V enlevement d'Europe, 1927) -
er gebraucht daf iir den Begriff »opera-minute« - lassen
sich nicht mit den seit Anf ang des 20. Jh. so zahlreichen
Einaktern z. B. von Schonberg, Bartok (Herzog Blau-
bartsBurg, 1911), Hindemith (Nusch-Nuschi, 1921) oder
Kfenek (Der Diktator, 1928), aber auch von R.Strauss
und Puccini auf einen Nenner bringen. Sie sind vielmehr
Zeugnisse f iir die Behandlungs weise antiker Stoffe durch
die Groupe des Six und deren Wortfiihrer J.Cocteau;
hierher gehort auch Honegger-Cocteaus Antigone
(1927), ein Versuch, de photographier la Grece en aero-
plane (Cocteau). Aus der gleichen geistigen Umgebung
stammt Strawinskys Opernoratorium Oedipus rex.
Der lateinisch gesungene Text (Cocteau und J.Da-
nielou), der auf Sophokles' Drama aufbaut, wird vor
jeder Szene durch einen Sprecher erlautert, damit sich
der Horer allein auf die Musik konzentriere. Diese,
neoklassizistisch gebunden wie in Milhauds Kurzopern,
hatjedoch einen ausgesprochen archaisierenden Grund-
ton, den das Statuarische der Szene unterstreicht. Er
wirkt in Strawinskys Persephone (1934, Text von A.
Gide)i einer Mischung aus Melodram, Oratorium,
Pantomime und Oper, ja noch in seiner spaten, 12toni-
gen Fernsehoper The Flood weiter. Dagegen kniipft
Kfeneks Aktualisierung der Orestie (Leben des Orest,
1930) - in Gestalt einer groBen Oper - musikalisch an
Neuromantik und Jazz an. Als christliches Gegenstiick
zu Brecht-Weills epischem M. mag Christophe Colomb
von Claudel und Milhaud gelten. Der menrschichtig
ablaufenden Handlung (mitErzahler, einer zum Teil in
mehrere Personen aufgespaltenen Titelfigur und filmi-
schen Einblendungen) sekundiert eine polytonale Mu-
sik, die Einf aches mit Kompliziertem mischt und Melo-
dram, Rezitativ, Arie, oratorische Chore und Ballett-
pantomime vereinigt. Nach 1930 verebbte die Flut ex-
perimenteller Werke des M.s. Mathis der Maler (entstan-
den 1 934-35) , im Schaff en Hindemiths der Wendepunkt
zu einem gemaBigteren musikalischen Stil, tendiert zur
Bekenntnisoper, wie sie Pfitzner im Palestrina schuf.
Kfeneks Buch zu seinem ersten 12tonigen Biihnenwerk
Karl V. (komponiert 1930-33) erinnert in mancher Hin-
sicht an Claudels Christophe Colomb. Die klanglich
auBerordentlich harte Musik scheint jedoch der Tradi-
39*
611
Musiktheater
tion der symphonischen Oper verpflichtet. G. Fr. Ma-
lipieros Versuchen, die italienische Musikbiihne durch
Riickbesinnung auf die italienische Oper vor allem des
17. Jh. (Monteverdi) dem Bannkreis Verdis und Pucci-
nis zu entziehen (u. a. Lafavola delfiglio cambiato, nach
Pirandello, 1933), blieb der Erfolg versagt. Honeggers
Jeanne a" Arc au bucher, ein szenisches Oratorium, ver-
zichtet zwar im Unterschied zu Strawinskys Oedipus
auf die Arie, gibt sich aber im ganzen volkstiimlicher.
Mit Porgy and Bess (1935) gelang Gershwin eine Wieder-
belebung der Volksoper aus der amerikanischen Neger-
folklore.
Die politische Situation der 30er Jahre in Mitteleuropa
wie in RuBland, von dem nach 1917 entscheidende Im-
pulse zur Emeuerung des Theaters ausgegangen waren
(Meyerhold), war einer kontinuierlichen Entwicklung
des modernen M.s nicht giinstig. Mathis und Karl V.
konnten nur auBerhalb Deutschlands und Osterreichs
zur Urauffiihrung gelangen (1938 in Zurich bzw. in
Prag), ebenso Bergs als Torso hinterlassene Lulu (Zu-
rich 1937). DieerzwungeneEmigration hinderte Schon-
berg an der Beendigung seines umfangreichsten Biih-
nenwerkes, der (symphonischen) Oper Moses und Ann.
Schostakowitschs Oper Lady Macbeth Mzenskowo ujesda
(»Lady Macbeth des Mzensker Kreises«, 1934) erfolg-
reich in Leningrad uraufgefuhrt, wurde 1936 in der
Sowjetunion zwangsweise vom Spielplan abgesetzt und
durfte erst 1963 in einer veranderten Fassung unter dem
Titel Katerina Ismailowa wieder erscheinen. In Deutsch-
land gelang es W.Egk (Peer Gynt, 1938), H. Reutter (Dr.
Johannes Faust, 1936) und R.Wagner-Regeny (Der
Giinstling, 1935), sich trotz Verwendung gemaBigt mo-
derner Mittel der kiinstlerischen Gleichschaltung im
Dritten Reich zu entziehen und ein eigenes Profil zu be-
wahren. In der inneren Emigration entstand K. A. Hart-
manns musikalisch sehr personlicher Beitrag zum epi-
schen M., Simplicius Simplicissimus (1934, Urauffiihrung
erst 1949). Zur kulturellen Generallinie der Hitler-Zeit
in Opposition stand auch C. Orff , dessen CarminaBurana
1937 uraufgefuhrt wurden. Das gesamte dramatische
CEuvre Orffs - Marchen wie Die Kluge (1943), bairi-
sches Welttheater wie Die Bernauerin (1947), Astutuli
(1953) oder das Osterspiel Comoedia de Christi Resurrec-
tione (1957), antike Tragodien wie Antigonae (1949) und
Oedipus der Tyrann (1959) sowie die 1953 mit den Car-
mina Burana zu einem Tritticco teatrale vereinigten Ca-
tulli Carmina (1943) und Trionfo di Afrodite (1953) - halt
weitesten Abstand zur Oper. Mit der immer wieder be-
tonten Nahe zum epischen M. der 20er Jahre durfte der
besondere Standort des Orffschen M.s allerdings nicht
hinreichend bestimmt sein. Auch der Hinweis auf die
uniiberhorbaren Anklange der musikalischen »Arche-
typen« Orffs an Strawinsky (besonders an LesNoces) be-
sagt wenig. Orffs dramatische Konzeption zielt viel-
mehr auf die Unterordnung aller am Biihnenwerk be-
teiligten Kiinste - also auch der Musik - unter den Pri-
mat des Theatralischen.
Die Weiterentwicklung des M.s nach dem 2. Weltkrieg
ist dadurch gekennzeichnet, daB viele Komponisten
wieder zur Oper zuriickstreben. Jedoch beziehen sie die
durch die Reform werke der 1. Jahrhunderthalfte ge-
schaffenen neuen musikalischen wie dramaturgischen
Mittel mit ein. So werden nach dem Vorbild Bergs oft
ganze Szenen auf Instrumentalformen aufgebaut, z. B.
die aus drei Ricercari bestehende 3. Szene des Einakters
II Prigioniero (1950) von Dallapiccola. Auffallig ist je-
doch, daB sich gerade das Streben zuriick zur Oper so
gern mit der Neigung verbindet, die verschiedensten
musikalischen Stile miteinander zu vermischen. Die mu-
sikalischen Stilmerkmale der Opern Brittens - u. a. Peter
Grimes (1945), The Rape ofLucretia (1946), Albert Herring
(1947), The Turn of the Screw (1954) - verweisen auf den
italienischen Verismo, auf Mahler und Berg, Debussy
und Strawinsky. Auch Henze schreibt nach experimen-
tellen Anfangen (die »Oper f iir Schauspieler« Das Wun-
dertheater, 1 . Fassung 1949, und Funkopern) , die er spater
der Oper wieder annaherte, nur noch Opern, z. B. Konig
Hirsch (1. Fassung 1956, 2. Fassung 1958, gekiirzt als:
II Re Cervo oder die Irrfahrten der Wahrheit, 1963), Elegie
fur junge Liebende (1961), Der junge Lord (1965) und Die
Bassariden (1966). Ihr stilistischer Rahmen reicht von
Puccini und Strauss bis zur Seriellen Musik. Doch ge-
lang es Henze wie Britten, die heterogensten Stilele-
mente zu einer Einheit zu verschmelzen. Strawinsky
beschwort in seiner Oper The Rake's Progress (1951)
Opernstile vor allem des italienischen 18. und friihen
19. Jh. Sich scheinbar polemisch gegen alle (auch seine
eigenen) experimentellen Biihnenwerke der 20er Jahre
stellend, spielt jedoch der Meister hier mit ungeglaub-
ten Konventionen (Adorno). Tatsachlich wirken, wie
das Beispiel Menottis lehrt (Der Konsul, 1950), Wie-
deranknupfungsversuche an iiberkommene Opernty-
pen problematisch, wenn sie das Gefiihl fur historische
Distanz vermissen lassen. Andererseits wenden sich
die vielen Komponisten, die heute fur die Musikbiih-
ne schreiben, an ein Publikum, das auf die klassischen
Werke der Operngattung von Mozart bis Strauss und
Puccini eingeschworen ist. Einer gewissen Drastik der
Wirkungen, wie sie der Oper eigen ist, kann daher
auch das moderne M. nicht entraten, soil es beim
Publikum Erfolg haben. Dies gilt selbst fur die dem
epischen Theater nahestehende -> Funkoper. Es zeigt
sich aber vor allem an der fiir das gesamte 20. Jh. so
typischen Tendenz zur Literarisierung der Libretti. Hier
besteht die Gefahr, entweder das literarische Werk, das
man fiir das M. adaptiert, zu verfalschen oder aber die
Musik zugunsten der Dichtung zu vernachlassigen. An-
scheinend hindert diese Gefahr die Komponisten nicht
daran, sich ihr immer wieder auszusetzen. So entstanden
»Dramenopern« nach Biichner (G. v. Einem, Dantons
Tod, 1947), Gogol (Egk, Der Revisor, 1957), G. Kaiser
(Blacher, Rosamunde Floris, 1960), Kleist (Henze, Der
Prinz von Homburg, 1960), Lenz (B.A.Zimmermann,
Die Soldaten, 1965), Lorca (Fortner, Die Bluthochzeit,
1957), Schiller (Klebe, Die Rduber, 1957), Shakespeare
(Sutermeister, Romeo und Julia, 1940, und Frank Martin,
Der Sturm, 1956). Vielfach ist es der Mangel an fahigen
Librettisten - H. Strobel gehort zu den Ausnahmen -,
der die Komponisten dazu zwingt, sich an bewahrte
Dramen der Weltliteratur zu halten. Nur wenige (Hin-
demith, Kfenek, Egk und Orff) wagen es, Textbiicher
selbst zu verf assen. Auch findet sich - abgesehen von W.
H. Auden (mitE. Ch. Kallman), der fiir Strawinsky und
Henze, I. Bachmann, die fiir Henze, H. v. Cramer, der
fiir Henze und Blacher schreibt - nach Brecht und Clau-
del selten ein Dichter, der dazu bereit ist, mit einem
Komponisten zusammenzuarbeiten. Vielleicht ist die -
im Unterschied zur »Zeitoper« der 20er Jahre - auff allige
Abkehr des M.s der Jahrhundertmitte von aktuellen
Stoffen damit zu erklaren. Leonore 40/45 von Lieber-
mann und Strobel (1952), Aniara von K.B.Blomdahl
(1959) und Intolleranza von Nono (1961) bestatigen als
Ausnahmen die Regel. Dafiir entwickelt sich seit 1960
ein musikalischer Seitenzweig des absurden Theaters,
z. B.: J. Cage (Theatre Piece, 1960), M.Kagel (Tremens,
1966), P.Schat (Labyrinth, 1966), H.Pousseur und M.
Butor (Votre Faust, 1967).
Lit. : Th. W. Adorno, Philosophie d. neuen Musik, Tubin-
gen 1949, Ffm. 21958; ders., Burgerliche Oper, in: Klang-
figuren, =Mus. Schriften I, Ffm. 1959; ders., Oper, in:
Einleitung in d. Musiksoziologie, Ffm. 1962; Oper im 20.
Jh., = Musik d. Zeit VI, hrsg. v. H. Lindlar, Bonn (1954) ;
612
Musiktherapie
B. Britten, Das Opernwerk, ebenda XI, (1955); B. Brechts
Dreigroschenbuch, Ffm. 1960; Lebt d. Oper?, = Musik d.
Zeit, hrsg. v. H. Lindlar u. R. Schubert, N. F. Ill, Bonn
(1960); R. Schubert, Strawinsky u. d. mus. Theater, in:
I. Strawinsky. Eine Sendereihe d. WDR zum 80. Geburts-
tag, hrsg. v. O. Tomek, Koln 1963 ; K. Stockhausen, Ori-
ginate, mus. Theater, in: Texte II, Koln (1964); H. H.
Stuckenschmidt, Oper in dieser Zeit, Velber b. Hannover
1964; Die moderne Oper: Autoren, Theater, Publikum
(Round Table), in : Kgr.-Ber. Salzburg 1 964 ; W. Panofsky,
Protest in d. Oper, Miinchen 1966. ESe
Musiktheorie -> Theorie der Musik.
Musiktherapie (engl. music therapy) wurde in den
letzten Jahrzehnten in Zusammenarbeit von praktischen
Arzten, Physiologen, Psychologen, Heilpadagogen,
Musikern und Musik- bzw. Beschaftigungstherapeuten
als eine eigenstandige medizinisch-psychologische The-
rapieform (auch im Hinblick auf einen medizinischen
Gesamtbehandlungsplan) entwickelt. Die in Deutsch-
land und zahlreichen anderen (auch ost-)europaischen
Staaten und in den USA gewonnenen Erfahrungen ha-
ben die kathartische, ordnende und aktivierende Wir-
kung der M. bestatigt. Experimentelle Untersuchungen
erwiesen den EinfluB der Musik auf vegetative Ablauf e
wie Blutdruck, Pulsschlag, Atmung und Muskelspan-
nung. Fur die Ausubung der M. gibt es jedoch noch
keine einheitlichen Richtlinien, da die M. sich noch
im Stadium wissenschaftlicher Erprobung befindet
(-»■ Musikpsychologie) . - »Behandelt « werden vor allem
Gemiits- und Geisteskranke, zerebral geschadigte, gei-
stig zuriickgebliebene, bewegungsbehinderte, blinde
oder gehorlose (vgl. Katz und Revesz 1926) Kinder
in Nervenheilanstalten, Krankenhausern, Privatpraxen
oder Sonderschulen. Bei der aktiven M. gestalten die
Patienten unter Leitung einer Fachkraft Melodie und
Rhythmus selber (Orffsches Instrumentarium, Streich-,
Zupfinstrumente, Handglocken), bei der passiven M.
horen sie Musikaufnahmen (vorwiegend Bach, Haydn,
Mozart, auch Programmusik wie Smetanas »Moldau«,
keinesfalls dynamisch ausgepragte, emotionell-roman-
tische Werke, moderne Musik oder Jazz). Aufierdem
kann M. in Verbindung mit (tanzerischer) Gruppen-
gymnastik, Schlaftherapie, autogenem Training oder
Hypnose angewandt werden. In den USA hat die M.
seit langerer Zeit nennenswerte Erf olge zu verzeichnen.
An der Wiener Akademie fiir Musik und darstellende
Kunst wird M. seit 1959 gelehrt und gleichzeitig in Spi-
talern und Krankenhausern ausgeiibt.
Nach einem unter den Naturvolkern verbreiteten Glau-
ben werden Krankheiten durch Damonen oder bose
Geister erregt. Diese zu vertreiben und den Kranken
durch Reinheits- und Suhnevorschrif ten bzw. -riten ih-
rem verderblichen EinfluB zu entziehen, ist seit jeher
Auf gabe der Zauberpriester, Medizinmanner und Be-
schworer. Gesang und Tanz spielen dabei allgemein
eine wesentliche Rolle, vor allem aber der Rhythmus.
In den alten Kulturen hielten sich, selbst lange nach dem
Aufkommen des Gotterglaubens, Uberreste primitiver
Heilpraktiken. In Griechenland hingen sie aufs engste
mit dem umf assenden Phanomen der Kathartik zusam-
men (Rohde 1894). Eine verbreitete Praxis war die mit
singender Stimme vorgenommene »Besprechung«
(JraxoiSr), incj>8i)), durch die u. a. Still ung desBlutes (Ho-
mer, Odyssee XIX, 457f.), Heilung vonEpilepsie (Hip-
pokrates, De morbo sacro 352ff., hier allerdings als Aber-
glaube hingestellt), auch Erleichterung bei der Entbin-
dung (Platon, Theatet 149d) erzielt werden sollte. Den
vom Korybantiasmus, einer Art des religiosen Wahn-
sinns, Besessenen wurde statt der bloB in ihrer Einbil-
dung existierenden Aulosweisen (Platon, Kriton 54d)
anscheinend eine bestimmte Weise (Platon, Symposion
215c-e) in der Absicht vorgespielt, ihre Tanzwut anzu-
stacheln und sie durch Entladung der Affekte zu heilen
(Platon, »Gesetze« 790f ., Aristoteles, Politeia 1342a) ; ei-
ne Parallele zum antiken Korybantiasmus scheint der seit
dem Mittelalter in Siiditalien auftretende Tarantismus
(-»■ Tarantella) zu sein. Bei den Pythagoreern verband
sich die kathartische Auffassung von der Musike mit
der therapeutischen (Iamblichos, Vita Pythagorica 64ff.,
llOff.). Aus dem Alten Testament ist die Heilung Sauls
durch Davids Saitenspiel zu nennen (1. Sam. 16, 14ff.).
In der Neuzeit ist die heilende Wirkung der Musik auf
Kranke nicht unbeachtet geblieben. A. Kircher schreibt
(1673, deutsch 1684) : Die Musik offnet die Luftlocher des
Korpers, aus denendie bosen Geister ausziehen konnen; Tis-
sot erklart (1766), daB Musik zwar nicht »die Ursache
des Ubels wegnehmen kann«, jedoch »die Empfindung
desselben suspendiert«. Seit dem 18. Jh. gibt es Versuche
zusammenf assender Darstellungen zur M. von A. Bren-
del, P. Lichtenthal, P.J. Schneider u. a.; innerhalb der im
19. Jh. entstehenden naturwissenschaftlichen Medizin
(Nervenheilkunde) wiesen u. a. C. Lange (1887) und
W.James (1890) auf den Zusammenhang zwischen M.
und Korperfunktionen hin.
Lit. : A. Kircher, Phonurgia nova, Kempten 1673, deutsch
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- Zahlreiche Abh. in : Music Therapy, hrsg. v. d. National
Ass. for Music Therapy, Chicago 1951ff.
Musikverlag ist ein Unternehmen zum gewerblichen
Herstellen und Vertreiben von Musikalien. Diese tra-
ditionelle Definition gilt sowohl fiir die durch den
Verlag von Komponisten zur Herausgabe erworbenen
Werke, wie fiir alle sonstigen aus eigener oder fremder
Initiative entstandenen Veroffentlichungen (Alte Mu-
sik, Unterrichtsmusik, Volksmusik; inEinzelausgaben,
Banden, Sammlungen usw.). Als Geschaftstatigkeit
und -bestandteil ist ferner die vor allem von den Ver-
lagen Ernster Musik in neuerer Zeit geschaffene Ein-
richtung der »Leihgebuhren« zu erwahnen. Sie bedeu-
tet das entgeltliche Verleihen (juristisch richtig: Ver-
mieten) von Auffiihrungsmaterialien (bis zu Biihnen-
werken) an Interessenten statt des in friiheren Zeiten
iiblichen Verkaufes. Dariiber hinaus erstreckt sich die
Tatigkeit des heutigen Musikverlegers auf die immer
wichtiger und verantwortungsvoller werdende Inter-
nationale Verwaltung von Rechten (->• Urheberrecht,
-*■ Verlagsrecht). Fiir den Erfolg sind, neben der be-
ruflichen Leistung, die Initiative, das Ansehen und die
Ausstrahlung des Unternehmens wichtige Faktoren.
- Der M. entwickelte sich aus handwerklichen Leistun-
gen. Schon im ausgehenden Mittelalter gab es unter
den Handel treibenden Besitzern von Schreibstuben
Musikverleger en miniature. Die friihen Drucker wa-
ren meist zugleich auch Verleger; sogenannte »Buch-
fiihrer« vertraten die Verlage auBerhalb der Geschafts-
orte. M. und -> Musikalienhandel waren hier noch
nicht getrennt. FUhrendes Land war bis ins 17. Jh. zu-
nachst Italien mit dem Zentrum Venedig (O.Petrucci,
der 1501 den Notentypendruck einfiihrte, u. a.) ; da-
neben errang im 16. Jh. Frankreich mit Lyon und Pa-
ris (P.Attaingnant, R. und A.Ballard) Weltgeltung.
GroBe Belebung erfuhr der franzosische Musikalien-
handel im 18. Jh. durch die nach englischem Vorbild
von den Verlegern eingefiihrten Abonnementsreihen
periodisch in Lieferungen erscheinender Musikalien
(-> periodique). Friihe deutsche Druckerverleger wa-
ren u. a. in Augsburg E.Oeglin (1505-18) und S.
Grimm (1517-27), in Mainz P. Schoffer der Jiingere
(1509-23); der Nurnberger H.Ott (ab 1533) war be-
reits reiner Verleger. Zentrale Bedeutung fiir den in-
ternationalen Musikalienhandel gewannen die seit dem
16. Jh. jahrlich je zweimal stattfindenden Messen in
Frankfurt am Main (1. MeBkatalog 1564) und Leipzig
(1 . MeBkatalog 1594). Das Tauschwesen (Bogen gegen
Bogen) war hier die vorherrschende Handelsform; es
wurde erst im 18. Jh. (im Zusammenhang mit der all-
mahlichen Trennung von Verlag und Sortiment und
der Einfiihrung des Kommissionswesens) durch das
Bar- oder Konditionsgeschaft abgelost. - Im 19. Jh.
begann die eigentliche wirtschaftliche Bedeutung des
Notengeschaftes auf Grund von zwei Faktoren. Zu-
nachst entstand aus der Salon- und Virtuosenmusik,
von Frankreich ausgehend, eine neue Art unterhalten-
der Musik fiir einen immer groBer werdenden Abneh-
merkreis. Sodann fielen in die gleiche Zeitspanne Er-
findung (um 1800) und Ausbreitung der Lithographie
mit ihrer bahnbrechenden Bedeutung fiir den -*■ No-
tendruck. Sie ermoglichte es, die stark ansteigende
Nachfrage preiswert zu bedienen (beliebige Auflagen-
hohe). Denn die bis dahin ubliche Stichplatte hatte nur
eine beschrankte Auflage von Handabziigen zugelas-
sen. Auch die »klassische« Musik begann jetzt ein Ob-
jekt fiir preiswerte Ausgaben zu werden, aus denen
spater die groBenEditionen in Banden entstanden (z. B.
Collection Litolff seit 1864; Edition Peters seit 1867).
Eine besondere Bedeutung in wirtschaftlicher Be-
ziehung kam, von Italien und Frankreich ausgehend,
der Opernmusik zu. Die Biihne war am meisten ge-
eignet, Musik zu popularisieren. Volkstiimlich gewor-
dene Melodien, vor allem beliebte Opernmelodien, er-
schienen in zahlloseh Bearbeitungen fiir alle Instrumen-
te und Besetzungen. Die damaligen Gesetze verboten
derartige »Bearbeitungen« noch nicht und schutzten
Urheber und Verleger nur gegen »wortgetreue« Nach-
drucke. Die Folge war eine Flut von Potpourris, Fanta-
sien und Paraphrasen jeder Art, die fiir die Nichtorigi-
nalverleger zu einem guten Geschaft wurden. - Viele
Griinder von M.en sind Musiker oder Komponisten
gewesen, die als Selbstverleger begannen; manche
Unternehmen entstanden im AnschluB an Buchverla-
ge oder Musikalienhandlungen. Daneben vergroBerten
sich nun fiir die musikverlegerische Betatigung die
wirtschaftlichen Lockungen und die Zahl der Interes-
senten. Erst jetzt gewann der M. den Charakter eines
Gewerbes. Die Entwicklung der Unterhaltungsmusik
bedeutete fiir den M. nicht nur eine Erweiterung, son-
dern eine zusatzliche Basis (Operette: Paris, Wien;
Revue: Berlin). - Ab etwa 1900 begann, hervorgerufen
durch die sich iibersturzende Entwicklung von Schall-
platte, Tonfilm, Rundfunk, Tonband und Fernsehen
eine neue Art der Popularisierung der Musik und ein
gesteigertes Bediirfnis nach Unterhaltung. Eine neue
Gattung von Verlegern ubemahm die Betreuung der
Unterhaltungsmusik (U-Musik), besonders der Tanz-
und Schlagermusik. Die Technisierung der Musikdar-
bietung brachte Autoren und Verlegern neue Rechte,
die den Verkaufsriickgang bzw. -fortfall der Musik-
noten mehr als ausglichen (-> GEMA). Mit der steigen-
den Konkurrenz sind fiir eine erfolgreiche Propagie-
rung kenntnisreiche und besonders aktive Verleger
auch fiir die U-Musik notwendig, deren Kurzlebigkeit
ununterbrochene Neuproduktion erfordert. Die U-
Musik steht nunmehr der Ernsten Musik (E-Musik)
614
Musikwissenschaft
quantitativ iiberlegen gegeniiber. Dies spiegelt sich
wider fur die deutschen Verlage in der folgenden Auf-
stellung (M.e in der Bundesrepublik Deutschland und in
West-Berlin, Bonn 1965): von den zur Zeit 179 Mit-
gliedern des Verlegerverbandes sind nur etwa 43 als
aktive Verlage von E-Musik zu bezeichnen. Von die-
sen stammen 5 noch aus der Zeit vor 1800, 10 vor 1850,
10 vor 1900, 6 vor 1945 und 3 nach 1945. In den ande-
ren Landern bestehen ahnliche Verhaltnisse. - Als »Sub-
verleger« werden, vor allem auf dem U-Sektor, die
Verleger mit Bezug auf solche Werke bezeichnet, die
sie aus dem Ausland fur ein begrenztes eigenes Ver-
wertungsgebiet erworben haben. - Die deutschen
Musikverleger sind organisiert im Deutschen Musik-
verleger-Verband (D. M. V. e. V.), dessen Sitz zur Zeit
in Bonn ist.
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1 8 th Cent., = Publikationer utgivna av Kungl. Mus. Akad.
Bibl. II, Stockholm 1955.
Musikwissenschaft (frz. musicologie; ital. musicolo-
gia; engl. musicology) konstituiert sich sub specie der
Frage: was ist das, indem sie diese Frage sowohl an
die Natur des Klingenden im Blick auf Musik (und um-
gekehrt), als auch an die Musik als Praxis im Blick auf
Theorie (und umgekehrt) stellt. Dabei strebt das Wis-
sen nach einem umfassenden System objektiv giiltiger,
nach Prinzipien geordneterErkenntnisse, die gleichwohl
doppelt determiniert sind : einmal durch die Individuali-
tat des befragten Gegenstandes Musik in seiner Eigenart
als Sinntrager, zum anderen durch die subjektive Be-
dingtheit des Wissenwollens. Demzuf olge ist die Mw.
wesentlich Wissenschaft von der Musik in ihrer Ge-
schichtlichkeit und hat dabei unausweichlich selbst Ge-
schichte. Ihre Erkenntnisse gewinnen Giiltigkeit als
intersubjektiv verbindliche Antwort auf gultig moti-
vierte Fragen und Bereicherung in Relation zur ge-
schichtlichen Erfahrung. Bis in die Neuzeit (genauer:
bis zum spateren 19. Jh., als der Begriff Mw. entstand)
ist die musikalische Wissenschaft noch keine eigenstan-
dige Disziplin, sondern als theoretische Behandlung
musikalischer Fragen ein Teilgebiet iibergeordneter
Wissenschaftsgebiete (das - unter diesem Vorbehalt -
im folgenden ebenfalls Mw. genannt ist). - Die Anfange
der Mw. liegen, wie die der abendlandischen Wissen-
schaft uberhaupt, in der griechischen Naturphilosophie
des 6. Jh. v. Chr. Die Leistung der Pythagoreer, die
altere Anregungen vor allem aus dem kleinasiatischen
Raum und aus Agypten verarbeiteten, bestand darin,
daB sie die Zahl als das Prinzip der zur Musik f ahigen Be-
schaffenheit des Klingenden erkannten, dessen Elemente
sie als ->■ Ton (t6vo<;) und -»• Intervall (StdoT7)(xa) der
wissenschaftlichen (mathematischen) Untersuchung zu-
ganglich machten. Die dadurch begriindete Harmonik
(-»■ Harmonia) bietet als Wissenschaft von den Zahlen-
verhaltnissen, die auch dem Makrokosmos (der Welten-
harmonie) und dem Mikrokosmos (der leib-seelischen
Natur des Menschen) zugrunde liegen und die im Klang
zur unmittelbaren Anschauung gelangen, zugleich die
Erkenntnis der Fahigkeit des Klingenden, Sinntrager zu
sein. Auf der pythagoreischen Lehre beruht somit der
fur die abendlandische Musik in ihrer Geschichte als
Musike (-> Griechische Musik), -*■ Musica und -*■ Mu-
sik grundlegende Zusammenhang zwischen Mw. und
praktischer Musikiibung sowie die Bedeutungsfiille,
Wirkungs- undErziehungskraft der Musik, deren para-
digmatischer Rang als Erkenntnisquelle die hohe Ein-
stufung der Mw. in den Verband der Wissenschaften
zur Folge hatte.
Als [iouawd) 47riCTT)fj(i.7] stand die altgriechische Musik-
lehre seit dem 4. Jh. v. Chr. im System der bpwyXwtz
rax iSe (a, die als Vorbereitung zum Studium der Philoso-
phic oder Rhetorik diente. Ihre bevorzugten Gegen-
stande waren: Harmonik (->■ Harmonia), Rhythmik
(-*■ Griechische Musik, -»■ Rhythmus) und die Lehre
vom -> Ethos. Dabei wurden f ast alle Zweige der abend-
landischen Mw. vorgebildet, auch z. B. die Instrumen-
tenkunde (6pyavtxT) •9'Etop ta), Notenschrif t (-*■ Buchsta-
ben-Tonschrift), »Akustik« (bei Aristeides Quintilianus:
y.£po<z 9uctix6v), ferner die fur die musikalische Kunst-
theorie zentrale Nachahmungs- und Affektenlehre und
die Musikgeschichtsschreibung (-> Plutarchos). Das
Verfahren der griechischen Mw. geriet in das Span-
nungsfeld zwischen der spekulativen (pythagoreischen)
und einer empirischen (aristotelischen) Betrachtungs-
weise (->■ Harmoniker) sowie zwischen der ethischen
615
Musikwissenschaft
(Damon, Platon ; Plotin) und einer neueren, »f ormalisti-
schen« Auffassung der Musik (Hibeh-Rede; Philode-
mos). - Als -> Ars musica (musica disciplina, musi-
ca scientia) gehorte die mittelalterliche Mw. zu den
Septem artes liberales, die das fur alle Wissenschafts-
zweige obligatorische Grundstudium bildeten. Ihre
wichtigsten Forschungs- und Lehrgebiete waren, ent-
sprechend den Klassifikationen der -> Musica, die Be-
trachtung der musikalischen Zahlengesetzlichkeit und
die Sachkunde der Musikpraxis. Ihre Zielsetzung wan-
delte sich in Westeuropa von der Zusammenfassung
antiken Wissens (Martianus Capella, Cassiodorus, Boe-
thius) und dessen Verbindung mit dem christlichen
Weltbild (Augustinus, Isidorus) zur Durchdringung,
Umbildung und Neuformung der Praxis des Kirchen-
gesanges in karolingischer Zeit (Aurelianus Reomensis,
Regino vonPriim, Hucbald). Seitdem riicktejene neue
Art theoretischer Arbeit in den Vordergrund, durch
welche die in Notenschrift, Komposition und Ausfiih-
rungsart schnell voranschreitende Praxis sich das Be-
wufitsein ihrer selbst erhalt (Musica Enchiriadis, Guido
von Arezzo, Franco von Koln). Dabei stand das Ver-
fahren der Mw. zunehmend in der fruchtbaren Span-
nung zwischen Tradition und Neuerung, »antiqui« und
»moderni«, mathematisch, philosophised und theolo-
gisch fundierter Zusammenfassung des Wissens (Jaco-
bus Leodiensis) und gegenwartsbezogener Fortschritt-
liehkeit (Johannes de Grocheo, Philippe de Vitry), die
einer in alien Teilen »praktischen Mw.« das Feld ebnete.
Die Pfiegestatten der Mw. waren bis ins 13. Jh. neben
den im 10. Jh. aufbliihenden Kathedral- und Domschu-
len vor allem die Kloster (Reichenau mit Berno und
Hermannus contractus; die Abtei Pomposa und die
Kathedralschule in Arezzo mit Guido von Arezzo;
Affligem in Flandern mit Johannes Affligemensis ; St-
Jacques in Paris mit Hieronymus de Moravia). Danach
traten die Universitaten in den Vordergrund, vor allem
Paris. Das Studium der Musica speculativa des an der
Sorbonne lehrenden J. de Muris gehorte bis ins 16. Jh.
an vielen Universitaten zu den Voraussetzungen f iir die
Erwerbung -*■ Akademischer Grade.
Im 1 5. und 1 6. Jh. stand die Mw. - ausgehend von Italien
(Tinctoris, Gaffori) - im Zeichen des -> Humanismus.
Zwar wurde sie bei der Neuordnung der Universitaten
als eigenes Lehrfach ausgeschlossen (und blieb es bis
Ende des 18. Jh.), da einerseits die mathematische Zah-
lenlehre nicht mehr im Blick auf Musik behandelt
wurde, andererseits der vielerorts iibliche Musikunter-
richt vorwiegend praktische Ziele verf olgte und nur in
Ausnahmefallen auch die Kompositionslehre einschloB
(z. B. in Wittenberg um 1550 mit H. Faber, A. P. Coclico
und Hermann Finck). Doch entwickelte die Mw. nun,
teils in Verbindung mit Universitaten (z. B. in Koln ab
etwa 1500) oder im Rahmen anderer Universitatsdiszi-
plinen (Rhetorik, Poetik; -> Celtis), besonders aber in
den Gelehrtenkreisen der Hofe und ->■ Akademien
Grundziige der neuzeitlichen mw. Fragestellung und
Methode: RUckgriff auf die antike Mw. als Grundlage
der Wesenserkenntnis der Musik und der Erneuerung
musikalischer Praxis (Glareanus; -> Camerata); philo-
logische Textkritik und -interpretation (Johannes Gal-
licus, Gaffori, Gogava, Mei) ; Experiment (-> Chroma-
tik; ->■ Archicembalo) ; Zielrichtung aller mw. Frage-
stellung auf Verwirklichung im Erklingen, sowohl in
den Grundlagen (Tonsystem, Tongeschlecht, Tempe-
ratur) als auch im Hinblick auf das Schaffen (-»■ Kom-
position; -¥■ Musica poetica) und Ausfuhren der Musik
und auf ihre Wirkungen; Textbehandlung nach den
Kategorien der Metrik (-> Odenkomposition ; -*■ Vers
mesures) und der Inhaltlichkeit (explicatio textus; imitar
delle parole) ; Orientierung an derDichtkunst als Muster
der Poiesis (des Herstellens von Werken). - In fortdau-
ernder Verbindung mit den Artes liberales und zugleich
in immer ausschlieBlicherer Blickrichtung auf die Pra-
xis, in Fortf iihrung humanistischer Ansa tze und zugleich
im Aufgreifen neuer Forschungsrichtungen wurde die
Mw. im 17. und beginnenden 18. Jh. enzyklopadisch
ausgebaut (M.Praetorius, M.Mersenne, A.Kircher, J.
Mattheson). Dabei ist sie gekennzeichnet einerseits
durch einen erneuten Auf schwung der mathematischen
Musiktheorie im Dienste des Erf orschens der -> Har-
monia des Kosmos (Kepler, Mersenne) und des Erken-
nens des abbildlichen Ranges der -*■ Musica (Werck-
meister), andererseits durch die zunehmende Orientie-
rung an der erstarkenden Naturwissenschaft (-» Aku-
stik; -*■ Naturklangtheorie; -*■ Harmonielehre) und
durch Ansatze zur Psychologie (-> Affektenlehre). Da-
neben wurde in Anlehnung an die Poetik die Lehre von
den -»■ Stilen und den musikalisch-rhetorischen -* Figu-
ren systematisch ausgebaut und die Organographia (In-
strumentenkunde), Musica modulatoria (Ausfiihrungs-
lehre), Terminologie (Praetorius Synt. Ill; ->■ Lexika)
und Musica historica (Lehre vom Ursprung und Fort-
gang der Musik) ins System mw. Forschung und Lehre
einbezogen.
Seit Mitte des 18. Jh. stand die Mw. zunehmend einer-
seits auf dem Boden der exakten Wissenschaften, der Mathe-
matik und Mechanik, andererseits aber auch auf dem der
reinen Geisteswissenschaften, der Philosophie, Logik und
Asthetik. Dabei wurde die Musikgeschichte. . . der Mw.
bester Teil (Riemann 1908). Dennje nachdriicklicher das
Fortschrittsstreben und die Fortschrittserwartung nach
Rechtfertigung und nach Erinnerung an das Wesen der
Musik verlangten, und je intensiver die Musik als Sinn-
trager des Geistes in seiner Geschichtlichkeit und in ihrer
je historisch bedingten Schonheit als Muster und Be-
reicherung Geltung gewann, desto mehr fiel der Mw.
die Auf gabe zu, die Grundlagen der gegenwartigen Mu-
sik in der ->■ Geschichte der Musik aufzuweisen. Die
Mw. im modernen Sinne hat hier ihren Ursprung und
fand hier ihre entscheidende Sinngebung und Recht-
fertigung. Dabei geriet sie zunehmend in das Spannungs-
feld zwischen Geschichte und Systematik, Geistes- und
Naturwissenschaft, normativer Asthetik und geschicht-
lichem Sinngehalt, europaischer Musik und auBereuro-
paischer Klanggestaltung und begann danach zu stre-
ben, im Sich-Wandelnden und weithin Divergierenden
durch eine Kategorien-, Prinzipien- oder Grundlagen-
forschung erneut das Immerwahrende zu erkennen. -
Einen Zugang an die deutschen Universitaten hatte die
Mw. seit dem 18. Jh. zunachst durch die Berufung von
Universitatsmusikdirektoren erlangt (1779 Forkel in
Gottingen, schon ab 1772 Privatvorlesungen iiber Mu-
sik; 1822 Breidenstein in Bonn, ab 1826 Professor fur
Musik; 1832 A.B.Marx in Berlin, schon ab 1830 Pro-
fessor fur Musik). Musikforscher wie der Jurist C.v.
Winterfeld und der Beamte am Hofkriegsrat R. G. Kie-
sewetter betrieben die Mw. in MuBestunden. Nach der
Mitte des 19. Jh. vergroBerte sich die Zahl der mw. Uni-
versitatsprofessuren (1861 Hanslick in Wien, sein Nach-
folger wurde 1898 G. Adler; 1866 Bellermann in Berlin
als Nachfolger von A.B.Marx; 1869 Ambros in Prag;
1875 Jacobsthal in StraBburg). Mw. als akademische
Disziplin im Rahmen der Philosophischen Fakultat wur-
de zunachst als Theorie der Musikpraxis und vor allem
als Wissenschaft der Musikgeschichte aufgefaBt. (H.v.
->- Helmholtz veroffentlichte sein grundlegendes Buch
iiber Die Lehre von den Tonempfindungen 1863 als Profes-
sor der Physiologie in Heidelberg.) Gleichzeitig mit der
Etablierung des Begriffsworts »Mw.« (auch Musikfor-
schung) vor allem durch die Griindung der Vierteljahrs-
schriftfiir Mw. 1885 (bzw. der Gesellschaft fur Musik-
616
Musikwissenschaft
forschung 1868) begannen sich die verschiedenen For-
schungsrichtungen (physikalische, physiologische und
psychologische Akustik, Instrumentenkunde, Asthetik,
Palaographie, Musikgeschichte, musikalische Volks-
und Volkerkunde oder Vergleichende Mw.) unter die-
sen Begriff zu subsumieren. Seitdem ist die akademische
Mw. als eine zum BewuBtsein ihrer Eigenstandigkeit
gelangte Disziplin und in Erfiillung der seitens der Wis-
senschaf ten und der Kultur an sie gestellten Auf gaben in
bestandigem Wachstum begriffen, ablesbar an ihrer
Ausbreitung als Universitatsdisziplin auch in den nicht
deutschsprachigen Landern (in Deutschland nach 1900
auch an Technischen Hochschulen), ihren (nach Lan-
dern verschiedenen) Ausbildungsgangen zur Errei-
chung -»■ Akademischer Grade und ihrer Institutionali-
sierung durch nationale und internationale ->■ Gesell-
schaften, Fachorgane (-»• Zeitschriften, -> Jahrbiicher),
Kongresse und Kolloquien, ->• Akademien und For-
schungsinstitute. Neue Aufgaben und Berufsmoglich-
keiten erwuchsen ihr in: Publikationswesen (Denkma-
ler, Gesamtausgaben, Bibliographien, Lexika usw.),
Verlagswesen, Musikalienhandel, Archiven, Bibliothe-
ken,Phonotheken,Instrumentensammlungenund-mu-
seen, Instrumentenbau, Musikhochschulen, Rundfunk,
Kritik, Kulturbehorden (Konzertwesen, Festspiele).
- Die vielfaltige Verzweigung der Mw. des 20. Jh.
zeigt die folgende Aufstellung nach Drager (1955):
1) Musikgeschichte
a) Notationskunde (— ► Notenschrift)
b) Geschichte der Musiktheorie (— > Theorie)
c) Philologie des Musikschrifttums (Bereitstellen und
Interpretieren der Literatur iiber Musik)
d) Instrumentenkunde (— > Instrument)
e) Musikalische Bildkunde (— > Ikonographie)
f) — » Auffiihrungspraxis
2) Systematische Musikwissenschaft
a) Musikalische — ► Akustik
a) — » Tonsysteme
P) Physik der Instrumental- und Vokalklange(— >For-
mant, — > Frequenz, — ► Klangfarbe -2,—* Schwe-
bungen usw.)
y) — » Raumakustik
8) Schallaufnahme und -wiedergabe (— > Mikrophon,
— » Lautsprecher)
e) — > Schallaufzeichnung und -messung
b) Physiologie der Musikerzeugung und -wahrnehmung
a) Stimmphysiologie (— ► Stimme - 2)
8) — » Physiologie des Instrumentenspiels
Y) Physiologie des menschlichen Gehors (— > Gehor-
physiologie)
c) Ton-(Gehor-)Psychologie (— > Hdrpsychologie)
d) — > Musikpsychologie
e) Musikasthetik (— ► Asthetik)
f) Musikphilosophie (— > Musik)
3) Musikalische Volks- und Volkerkunde (— > Musikethno- .
logie, — » Volkslied)
4) Musiksoziologie (— » Soziologie)
5) Angewandte Musikwissenschaft
a) Musikpadagogik (— » Musikerziehung)
b) — > Musikkritik
c) Musikalische Technologie (— > Instrumentenbau)
Gegeniiber einer solchen Aufgliederung, die der Ber-
liner Schule der Systematischen Mw. E.M.v.Horn-
bostels und C. Sachs' entstammt, ist geltend zu machen,
daB eine derartige Abgrenzung der Musikgeschichte
sich als problematisch erweisen muB. Denn z. B. auch
Tonsysteme sind weitgehend geschichtliche Phanome-
ne, und Akustik und Asthetik sind schon als Benennung
von Wissenschaftsfragen zeitlich bedingt; die Musik-
soziologie ist auf Sozialgeschichte angewiesen, die Mu-
sikphilosophie wird sich auch in der abstraktesten For-
mulierung heute geschichtlich verstehen, und in der
»Angewandten Mw.« stellen sich alle genannten Glieder
zunachst primar als historische Prozesse dar. Die Mw.
heute ist dadurch gekennzeichnet, daB einerseits in einer
Entflechtung musikalisch-europaischer und musiketh-
nologischer Fragestellungen die klanglichen AuBe-
rungen auBereuropaischer Volker nicht mehr unmittel-
bar mit europaischer Musik »verglichen«, sondern zu-
nachst im Zusammenhang der eigenen Voraussetzungen
betrachtet und gedeutet werden (vielfach freilich noch
immer mit den dafiir wenig geeigneten Mitteln abend-
landischer Musikterminologie und Notenschrift), und
daB andererseits die naturwissenschaftlich orientierten,
physiologischen und psychologischen Fragestellungen
und das BewuBtsein der Geschichtlichkeit aller Musik
nach einer Basis des »Vergleichens«, d. h. nach Klarheit
iiber das Verbindende und Trennende, zu suchen be-
ginnen. Hingegen weicht eine voreilig geistesgeschicht-
liche Ineinssetzung musikgeschichtlicher Sachverhalte
und allgemein kunst- und kulturgeschichtlicher Er-
scheinungen dem Suchen nach Konkretisierung und Be-
weisbarkeit. Fur eine noch immer verbreitete Reform-
bediirftigkeit heutiger Mw. ist es jedoch bezeichnend,
daB im oben mitgeteilten System ihrer Arbeitsgebiete
das Kunstwerk selbst ganzlich fehlt. In der Musik seit
dem 12. Jh. stellt jedoch das musikalische Kunstwerk
den Anspruch, vor dem Hintergrund der Wissenschaft
von der Geschichte der -*■ Komposition (und ->■ Impro-
visation) und im ArbeitsprozeB der -*■ Interpretation in
den Mittelpunkt der mw. Arbeit gestellt zu werden.
Insof era es sich hierbei um das beschreibende, erklarende
und deutende »Ansprechen« der Musik handelt, muB
die ->■ Terminologie zu einer Grundvoraussetzung mw.
Arbeit erhoben werden. Dabei ist die Skepsis zu iiber-
winden gegeniiber der Moglichkeit, die Musik der Ge-
genwart wissenschaftlich zu behandeln. Denn Neue
Musik ist einerseits geeignet, den Begriff der Musik zu
bereichern und zu vertief en und neue Fragen an die Ge-
schichte zu formulieren; andererseits sucht sie in der
Vergangenheit nach MaBstaben und Kritik, Rechtf erti-
gung und Bestatigung.
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Musique concrete (miiz'ik kokr'ett, frz.). Versuche
P. Schaeffers mit Gerauschen brachten ihn 1948 auf den
Gedanken, auf Schallplatte oder Tonband aufgenom-
mene Klange zu verandern. Dies war der Ausgangs-
punkt fur die ersten Versuche mit M. c. Wahrend die
traditionelle Musik die Klange der abendlandischen
Instrumente verwendet und die -*■ Elektronische Musik
mit ausschliefilich elektrisch erzeugten Klangen arbei-
tet, schopft die M. c ihr Material aus alien Bereichen
des Horbaren: Musikinstrumente Europas oder frem-
der Volker, auBermusikalische Schallquellen, Natur-
laute, elektrisch erzeugte Gerausche oder Klange. Nach
der Schallplatten- oder Tonbandaufnahme werden
Klangfragmente ausgewahlt und mit Hilfe von Appa-
raten (z. B. dem Phonogene von J.Poullin und F. Cou-
pigny) neu zusammengesetzt und gemischt. Die Me-
thode der M. c. geht von dem Gedanken aus, daB der
musikalische Wert der Elemente und der so gewonne-
nen, neu zusammengesetzten Klange von deren Her-
kunft ganz unabhangig und nur an die Kriterien der
horenden Wahrnehmung selbst gebunden ist. MaB-
gebend ist ferner, daB von diesen Kriterien die drei
Parameter Tonhohe, Intensitat und Dauer, die von der
Elektronischen Musik in den Vordergrund geriickt
wurden, nur eine beschrankte Anzahl von Klangen zu
charakterisieren vermogen, gegeniiber der tatsachli-
chen Vielfalt des sconcret sonore« im Hinblick auf Far-
be, Dichte, Dynamik und andere Eigenschaften. - Die
Werke, die die Anfange der M. c. (1948-53) reprasen-
tieren, sind gekennzeichnet durch das Verfahren, vo-
kale und instrumentale Klange, mehr oder weniger
transformiert, als Material fiir neue musikalische Struk-
turen zu benutzen. Die Entwicklung fiihrte von Stu-
dien wie Schaeffers Concert de bruits von 1948 (Etudes
aux tourniquets, Etudes aux chemins de fer, Etudes
pour piano, Etude pathetique) zu surrealistischen Wer-
ken wie der Symphonie pour un homme seul, die einige
Jahre spater M. Bejart zu einem Ballett inspirierte. Mit
der Bildung der Groupe de M. C. kam es zu einer Zu-
sammenarbeit Schaeffers mit P.Henry. Studien und
Versuche unternahmen zwischen 1951 und 1953 auch
O.Messiaen (Timbres-Dure'es), P.Boulez (Etude I und
II), A.Hodeir, Ph.Arthuys, M. Philippot, J. Barraque,
D.Milhaud in Zusammenarbeit mit J.E.Marie. 1953
stieB die Urauffiihrung von P. Schaeffers und P. Henrys
Spectacle lyrique Orphee 53 bei den Donaueschinger
Musiktagen auf heftigen Widerstand. - Die M. c. fand
schnell Anklang, aber auch Widerspruch in der ganzen
Welt.WahrenddieMHSic/orTa^evonW.Ussachewsky
und die Experimente von J. Cage (-»• Prepared piano)
von ahnlichen Voraussetzungen ausgingen und Honeg-
ger, Milhaud, Messiaen, Sauguet, Scherchen und Va-
rese eigene Versuche unternahmen, sich der M. c. zu
nahern, kam Boulez seit 1953 wieder von ihr ab. Doch
trotz der (nach Methode und geistiger Haltung) ver-
schiedenartigen Richtungen experimenteller Musik
begann die M. c. international auszustrahlen. Zahlrei-
che junge franzosische und auslandische Komponisten
618
Mutierung
wurden nach Paris eingeladen, urn dort zu arbeiten
(Malec, Mireille Chamass, Canton, Tamba, Miroglio,
Boucouretchliev, Mache, Ferrari, Vandelle, Bayle u. a.),
und immer haufiger wird M. c. in Rundfunk, Theater,
Ballett, Film und Fernsehen verweftdet. Ein reger in-
ternationaler Austausch von Informationen und Band-
aufnahmen fand statt. Die RTF sendete im Juni 1953
Werke verschiedener Richtungen im Laufe einer Pre-
miere decade de musique experimentale. 1958 defi-
nierte Schaeffer die Aufgaben seiner Arbeitsgruppe
neu, die seither als Groupe de recherches musicales der
ORTF weitergefiihrt wird. Wenngleich ein von dieser
Gruppe aufgestelltes Repertoire international des stu-
dios et des oeuvres gezeigt hat, daB die verschiedenen
Arten experimenteller Musik sich allmahlich einander
genahert haben, hat doch die Pariser Gruppe ihre Ei-
genart bewahrt. Die Prinzipien ihrer Arbeit konnen
wie folgt charakterisiert werden: Wenn Musik dazu
da ist, gehort zu werden, so muB auch experimentelle
Musik konkret bleiben in dem Sinne, daB die Erfor-
schung der musikalischen Klangeigenschaf ten sich nicht
mit dem begniigen kann, was in der Notenschrift
oder als akustischer Parameter dargestellt wird. Unter
unzahligen »klingenden Objekten«, die auf verschie-
dene Weise entstanden sind, wahlt der Komponist Ma-
terialien aus, die ihm als »musikalische Objekte«, als Be-
standteile einer musikalischen Sprache geeignet erschei-
nen. Der elektrisch erzeugte Klang der Elektronischen
Musik gehort zu diesen Materialien, kann aber die iib-
rigen wegen seines Mangels an Lebendigkeit nicht
ganzlich verdrangen und ersetzen. - Das Studium der
Objekte und ihrer Beziehungen gilt iiberdies als eine
Vorbedingung zu einer universalen Erforschung der
Strukturen der verschiedenen musikalischen Sprachen.
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in: Texte zur elektronischen u. instr. Musik I, Koln 1963.
PSch
Musique mesur£e (miiz'ik maziir'e, frz.) -»• Vers
mesures.
Musiquette (miizik'et, frz.), s. v. w. leichte, unterhal-
tende Musik. M. nannte A. Pougin die Musik zu klei-
nen (burlesken oder satirischen) Theaterstiicken von
-> Herve (z. B. Don Quichotte et Sancho Pansa, 1848).
M. bezeichnete dann auch kleine singspiel- oder ope-
rettenartige Werke im Stil Offenbachs (-»■ Operette).
muta (lat.) -> Mutation (- 4).
Mutanza (ital., von span, mudansa, Veranderung), im
ausgehenden 16. Jh. choreographisch die kleine Solo-
tour der Dame oder des Herrn im Gesellschaftstanz (so
bei Caroso 1581); daneben auch musikalisch eine mit
Parte und Modo gleichbedeutende Bezeichnung fur
die instrumentale Tanzvariation (z. B. bei A. Valente,
1576 : Tenore de Passo e mezo con sei mutanze).
Lit.: V. Junk, Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930; F. Torre-
franca, Documenti definitivi sulla partita, Kgr.-Ber. Bam-
berg 1953; H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkomposition
um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.
Mutation (lat. mutatio, Veranderung; frz. und engl.
mutation; span, mutacion bzw. mutanca; ital. muta-
zione, mutanza). - 1) M. bezeichnet innerhalb der
-> Solmisation den beim Hexachordwechsel vollzo-
genen Obergang (transitus) bzw. die Veranderung
(variatio) einer Solmisationssilbe (vox) in eine andere:
Mutatio est sub una clavi et eadem unisona transitio uocis
in vocem (Hieronymus de Moravia, ed. Cserba, S. 49).
Da dieser Vorgang regular auf gleicher Tonstufe (cla-
vis) stattfindet, umschreibt M. in engerem Sinn den Be-
nennungswechsel eines Tones : Denique mutatio cuiuslibet
vocis non est soni, sei nominis ipsius (Tinctoris, CS IV,
13a). Die Musiklehre unterscheidet hauptsachlich zwei
Arten von M. (hier in der Terminologie Conrads von
Zabern) : a) Mutatio ratione vocum. Sie ist notwendig,
wenn eine Melodie in ihrem Verlauf die Grenzen des
Hexachords iiberschreitet, z. B. :
ACDDFGacha
re fa sol sol re fa mi re (Hexachordum durum)
+ +
re fa sol la (Hexachordum naturale)
b) Mutatio ratione signi. Sie wird verursacht durch den
Gebrauch von bmolle (= b) nach vorausgegangenem
bdurum (= h) oder umgekehrt, da beide verschiedenen
Hexachorden zugehoren. Der Vollzug dieser M. ist
stets an die Silben ut-re, re-mi, fa-sol oder sol-la ge-
bunden, z. B. : • Hexachordum
Hexachordum molle
(a-la-)mi— re
durum
Demgegeniiber werden groBere Intervalle, die iiber
den Umfang eines Hexachords hinausgehen, sprung-
weise erreicht (z. B. die Oktave A-a = re-re, die Quin-
te E-h = mi-mi; vgl. hierzu vor allem die Traktate aus
dem 16. Jh.). - 2) In der Kompositionslehre des 17./18.
Jh. ersetzt Mutatio das griechische Wort -*■ Metabole
und bezeichnet die Veranderung einer anf angs gewahl-
ten musikalischen Ordnung: den Wechsel des Klang-
geschlechts (mutatio per genus), der Tonlage (mutatio
per systema), der Tonart (mutatio per modum vel to-
num) oder der Manier (mutatio per melopoeiam).
- 3) Wahrend des 16. Jh. findet sich die italienische
Wortform mutanza f iir Variation. - 4) Bei Instrumen-
ten heiBt muta: »verandere« die Stimmung, z. B. der
Pauken oder der Horner (durch Einsetzen eines Stimm-
bogens); bei Streichinstrumenten ist M. der Lagen-
wechsel, bei Posaunen der Positionswechsel des Zuges;
allgemein fordert die Bezeichnung M. einen Instru-
mentenwechsel, z. B. Flauto muta in piccolo. Das M.s-
Register der Orgel verandert (verstarkt) einen Partial-
ton des Grundregisters. - 5) M. in bezug auf die Sing-
stimme: -»• Mutierung.
Lit. : L. Balmer, Tonsystem u. KirchentSne bei J. Tincto-
ris, = Berner Veroff. zur Musikforschung II, Bern u. Lpz.
1935 ; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie,
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. so-
zialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; Die Musiktraktate Con-
rads v. Zabern, hrsg. v. K. W. Gumpel, ebenda 1 956, Nr 4 ;
Kl. W. Niemoller, N. Wollick . . . u. sein Musiktraktat,
= Beitr. zur rheinischen Mg. XIII, Kbln 1956.
Mutierung (Stimmwechsel, Mutation, von lat. mu-
tatio, Anderung). Mit Beginn der Pubertat tritt eine
Wandlung in der bis dahin unterschiedslosen Sprech-
stimmlage von Knaben und Madchen ein. Durch
schnelles Wachsen des mannlichen Kehlkopfes sinkt
die Knabenstimme um etwa eine Oktave, die weibliche
kann in ihrer Lage bleiben oder bis zur Terz absinken,
619
da der weibliche Kehlkopf nur gering wachst. Etwa
ein Drittel aller Rnabenstimmen entwickelt sich zum
Tenor, zwei Drittel zum Bariton oder Ba6. Erschei-
nungen wie Tremolieren, Umschlagen der Stimme,
Einengung des Stimmumfangs werden als Stimmbruch
bezeichnet. Gewohnlich ist die M. im 16. Lebensjahr
abgeschlossen. Der Kehlkopf wachst jedoch nach Ab-
scbluB der M.s-Periode noch weiter; zunachst ist nur
die Sprechstimme gefestigt, wahrend die Singstimme
erst sehr viel spater (etwa im 25.-30. Lebensjahr) voll
entwickelt ist. Selten wahrt die Unsicherheit der Stim-
me iiber die eigentliche M.s-Zeit hinaus (persistierende
M.s-Stimme). Bei diesem verlangerten Stimmwechsel
fehlt die Bruststimme manchmal ganz. Eine weitere
Abweichung ist die verfriihte M., hervorgerufen durch
Verfriihung der Pubertat. Die Beanspruchung der
-»■ Stimme (- 2), besonders beim Singen, hat sich den
Erscheinungen der M. im einzelnen anzupassen.
Lit.: L. Hess, Die Behandlung d. St. . . ., Marburg 1927;
O. Brill, Die Kinderst., Bin 1930; P. Nitsche, Die Pflege
d. Kinderst., = Bausteine f. Musikerziehung IV, Mainz
1952; M. Sparber, Stimmbildnerische Aufgaben wahrend
d. Mutationszeit, Musikerziehung XV, (Wien) 1961/62;
dies., Probleme d. Mutation, Musica Sacra LXXXII,
(Koln) 1962; Kl. Lang, Die mannliche St. vor u. nach d.
Mutation, Diss. Bin (F. U.) 1966.
m. v., Abk. fur ->• mezza voce.
Mysterienspiele ->• Liturgisches Drama und
Mysterienspiele.
Mystischer Akkord ist die theosophisch verklarte
Bezeichnung fiir A. Skrjabins Quartenakkord, wie er
besonders durch sein Orchesterwerk
Promethee (Le Poeme dufeu) op. 60 (1911)
beriihmt wurde, daherauch »Promethei-
scher Akkord« genannt. Der Komponist
sah in ihm eine - zufolge der gleich-
schwebend-temperierten Stimmung zwar unvollkom-
mene - Widerspiegelung der Obertone 8-14 (c d e
i
i
9fci
"fis [g] + as _ b; »Synthetischer Akkord«). Bei Skrjabin
kommt allerdings der M. A. schon im 1. Satz der 4.
Klaviersonate op. 30
(1903) vor (vgl. u. a.
die Takte 18 und 22) ;
dann auch in op. 46
(siehe nebenstehendes
Beispiel). Hier enthiillt
er sich als Dominant-
septnonenakkord mit doppeltem Vorhalt (fis 1 und ai)
zur Quinte (gi). Das Auf sehen, das er in Skrjabins Wer-
ken um und nach op. 60 hervorrief, beruht auf einer
Verwendung, die seine »funktionelle« Herkunft ne-
giert. In den 9 SchluBtakten der 7. Klaviersonate op. 64
(1911/12) setzt sich das Tonmaterial ausschlieBlich aus
den 6 TSnen des nach fis transponierten M.n A.s zu-
sammen (fis-his-e^-ais'-disi-gis 1 ), dessen sowohl hori-
zontale als auch vertikale Verwendung wie eine Vor-
wegnahme der Z wolf tontechnik wirkt. Doch bestimmt
bei Skrjabin die Intervallstruktur eines Akkordes die
horizontalen und vertikalen Tonkombinationen, wah-
rend bei Schonberg die Intervallstruktur einer -> Reihe
diese Auf gabe ubernimmt. In seiner spateren Zeit ver-
wendete Skrjabin iiberdies noch andere »synthetische
Akkorde«.
Lit.: B. de Schloezer, A. Scriabine, RM II, 1921; A. J.
Swan, Scriabin, London 1923; L. Ssabanejew, A. N.
Skrjabin, Melos IV, 1924/25; ders., Prometheus v. Skrja-
bin, in: Der blaue Reiter, hrsg. v. W. Kandinsky u. Fr.
Marc, Munchen 1912, NA v. K. Lankheit, ebenda 1965;
Z. Lissa, O harmonice A. N. Skrjabina, Kwartalnik mu-
zyczny II, 1930; dies., Geschichtliche Vorform d. Zwolf-
tontechnik, AMI VII, 1935; P. Dickenmann, Die Ent-
wicklung d. Harmonik bei A. Skrjabin, = Berner Veroff.
zur Musikforschung IV, Bern 1935 ; H. Boegner, Die Har-
monik d. spSten Klavierwerke A. Skrjabins, Diss. Mun-
chen 1955, maschr.; C. Dahlhaus, A. Skrjabin, Deutsche
Universitatszeitung XII, 1957; Cl.-Chr. v. Gleich, Die
sinfonischen Werke v. A. Skrjabin, = Utrechtse bijdrage
tot de muziekwetenschap III, Bilthoven 1963.
620
N
Nacaire (nak'err, altfrz., von arabisch naqqarat zu
altspan. nacara; latinisiert anacaria; altital. naccherone;
altengl. nakers), eine um 1300 belegte kleine Hand-
pauke, die orientalischer (sarazenischer) Herkunft ist
und meist paarig als Reiterinstrument benutzt wurde.
Im Italienischen wird 1303 bei Ciriffo Calvaneo ein
naccherone erwahnt; der Chronist Ludwigs des Heili-
gen, Joinville, bringt (Histoire de Saint Louis, 1309) die
franzosische Form N. (Lorsfist sonner les tabours que Von
appelle n.s). Es handelt sich hier um friihe sua- und
westeuropaische Belege der Pauke.
Lit.: SachsL; Sachs Hdb.; Fr. Dick, Bezeichnungen f.
Saiten- u. Schlaginstr. in d. altfrz. Lit., = GieBener Beitr.
zur Romanischen Philologie XXV, GieBen 1932.
Nachahmung, - 1) im satztechnischen Sinne -*■ Imi-
tation; - 2) im kunsttheoretischen Sinne -> Affekten-
lehre, -*■ Ausdruck, -> Figuren (besonders -*■ Hypo-
typosis) ; -»■ Tonmalerei.
Nachhall (engl. reverberation) kommt in einem Raum
mit reflektierenden Wanden dadurch zustande, daB
nach Aufhoren der Zufuhr von Schallenergie der allge-
meine Schallpegel absinkt.Entsprechend der Geschwin-
digkeit, mit der dies geschieht, bezeichnet man den
Raum als mehr oder weniger stark gedampft. Als
MaBeinheit fur das Abklingen des Schalles im Raum
gilt die Nachhallzeit (T). Hierbei handelt es sich nicht
um die Dauer, in der das Abklingen wahrzunehmen
ist ; vielmehr wird als T die Zeitspanne definiert, in der
die Schallenergie auf den millionsten Teil, der Schall-
druck entsprechend auf den tausendsten Teil seines
Ausgangswertes abgesunken ist. T hangt in starkem
MaB von der Frequenz ab, mit der der Raum angeregt
wird. Daher dienen zur naheren Charakterisierung ei-
nes Raumes die bei verschiedenen Frequenzen gemesse-
nen T-Werte. Aus den einzelnen MeBpunkten ergibt
sich die N.-Kurve; ihre Charakteristik - bei groBen
Raumen an verschiedenen Orten gemessen - laBt Rtick-
schliisse auf die GleichmaBigkeit der Verteilung von
Schallenergie im Raum (-> Difmsitat) zu. -*■ Raum-
akustik.
Lit. : P. V. Bruel, Sound Insulation and Room Acoustics,
London 1951 ; E. Skudrzyk, Die Grundlagen d. Akustik,
Wien 1954; W. Furrer, Raum- u. Bauakustik f. Architek-
ten, Basel u. Stuttgart 1956, 21961 als: Raum- u. Bauaku-
stik - Larmabwehr; Fr. Winckel, Raumakustisches Kri-
terium hervorragender Konzertsale, Frequenz XII, 1958;
G.VENZKE.DieRaumakustikd.KirchenverschiedenerBau-
stilepochen, Acustica IX, 1959; W. Lottermoser, tlber d.
Akustik d. Raumes u. d. Org. in d. Frauenkirche zu Dres-
den, AfMw XVII, 1960; L. Cremer, Statistische Raum-
akustik, = Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik II, Stutt-
gart 1961; H.-P. Reinecke, Stereo-Akustik, Koln 1966.
Nachsatz -> Metrum (- 3), -> Periode, -*■ Satz.
Nachschlag, - 1) eine oder mehrere Verzierungs-
noten, die an die vorangehende Hauptnote angebun-
den sind und deren Wert entsprechend verkurzen;
-*■ Vorschlag (durchgehender Vorschlag) ; -2) -> Triller.
Nachspiel (lat. postludium) nennt man gewohnlich
das Orgelstiick nach dem AbschluB des Gottesdien-
stes. - Auch ein lingerer vom Begleitinstrument ausge-
fiihrter SchluBteil von Liedern und Liederzyklen wird
als N. bezeichnet, z. B. das Adagio am Ende von R.
Schumanns Frauenliebe und -leben op. 42. Als noten-
getreues Spiegelbild des Praeludiums beschlieBt ein
Postludium den Fugenzyklus Ludus tonalis fur Kl.
(1942) von Hindemith.
Nachtanz ist der Gegenbegriff zu (Vor-)Tanz bei der
paarweisen Zusammenstellung von Tanzen, bei der in
der Regel einem ruhigen, geradtaktigen Schreittanz ein
lebhafter.ungeradtaktigerSpringtanzfolgt.DieseTanz-
folge ist fur die abendlandische Tanzgeschichte vom
Mictelalter bis ins 17. Jh. von grundlegender Bedeu-
tung und bildet im 16. Jh. den Keim zur -> Suite. Ober
die Gemeinsamkeit der Tonart hinaus sind Tanz und
N. oft melodisch und harmonisch miteinander ver-
wandt; haufig kann der N. nach Austausch des Men-
surzeichens aus dem Tanz abgelesen werden (z. B. bei
Attaingnant 1530). In deutschen Quellen finden sich ge-
legentlich nur die neutralen Benennungen Dantz und
Nach dantz (so bei B.Jobin 1573), fiir gewohnlich tra-
gen Tanz und N. jedoch die Namen bestimmter Tan-
ze. Neben den wichtigen Paaren Pavane und Galliarde
sowie Allemande und Courante sind noch zahlreiche
andere Zusammenstellungen belegt: als (Vor-)Tanz
werden u. a. Passamezzo und Basse danse verwendet, als
N. Saltarello (Italien), Pas de Breban, Tourdion (Frank-
reich), Aha danza (Spanien) , Hupf auf , Proportz, Sprung,
Tripla (Deutschland).
Lit. : H. Riemann, Tanze d. 16. Jh. a double emploi, Mk
VI, 1906/07.
Nachthorn ist in der Orgel eine sehr weite, offene,
zylindrische oder leicht konische Labialstimme, oft aus
Metall (auch eng holzgedackt, rohrgedackt und sogar
als Lingualstimme bezeugt). Es kommt meist als 2',
manchmal als 4' oder 1' vor, selten als 8' und 16'. Das
Wort N. ist moglicherweise eine Kontamination aus
-> Nasat und -> Gemshorn. Die 2'-Lage ist in Frank-
reich schon in der Mitte des 16. Jh. als Quarte du nazard
(Quarte zum Nasard 2 2 / 3 ') belegt und hieB bei A.
Schlick und A. Schnitger Gemshorn. Der Klang ist tra-
gend und weich. Cavaille-Colls Cor de nuit entspricht
etwa dem Gedacktpommer.
Nachtstiick -^-Nocturne.
Nagelgeige, auch Eisenvioline, Stiftspiel (ital. violino
di ferro; frz. harmonie a clous de fer, violon de fer;
engl. nail violin), ein von dem deutschen Violinisten J.
Wilde 1744 konstruiertes Instrument, bei dem 12-24
Drahtstif te verschiedener Lange auf einem halbmond-
formigen Resonanzkorper angebracht sind und mit
einem mit Harz eingeriebenen derben Bogen seitlich
angestrichen werden. Die Anzahl der Drahtstifte wur-
de spater wesentlich vermehrt. Verbesserungen des In-
621
Nasat
strumous erfanden Senal in Wien 1780 (15-16 mit-
schwingende Sympathiesaiten) und Trager in Bern-
burg 1791, der das Instrument mit einer KJaviatur ver-
sah (Nagelklavier) und den Bogen durch ein rotieren-
des, die Nagel anreibendes Band ersetzte; durch Nieder-
druck der "fasten wird das Band gegen die entsprechen-
den Eisenstifte gedriickt. Dieses Instrument wurde als
Nagelharmonika im spaten 18. Jh. im Konzert gespielt.
Nasat (von nld. nazaat, Nachsatz; frz. nasard oder
nazard), labiale Quintstimme der Orgel, 2 2 /3' oder
\ l jz'. Urspriinglich auch Oktavreihen zu 4' und 2' be-
zeichnend, ist N. schon vor 1600 zur Benennung einer
Quintstimme geworden. Der Klang ist zart und na-
selnd, weswegen der Friihbarock den Namen von »na-
seln« ableitete (z. B. Praetorius Synt. II, S. 134). N.-
Register werden zylindrisch, haufiger konisch offen,
mittelweit oder weit, auch gedeckt und teilgedeckt
gebaut. In Frankreich ist Nasard immer Quint 22/3',
Petit Nasard (oder Larigot) Quint l 1 / 3 ', Gros Nasard
Quint 51/3'. Manchmal findet sich GroB-N. IO2/3' im
Pedal, der zusammen mit dem 16' akustisch einen 32'
ergibt. Der spanische Orgelbau kennt Nasardos als
mehrchorige gemischte Stimmen, auch als Oktavre-
gister (Octavanazarda).
Nationalhymne (engl. national anthem) bezeichnet
seitEnde des 18. Jh. ein Musikstiick, das bei staatlichen,
sportlichen und anderen Anlassen zum Protokoll ge-
hort. Die Geschichte der Grundungen und Umgestal-
tungen von Staaten sowie das jeweilige nationale
Selbstverstandnis spiegeln sich in den N.n wider, zu
denen Konigshymnen, patriotische Volkslieder, Stiicke
aus Biihnenwerken mit nationalen Stoffen, Militar-
marsche, religiose Hymnen sowie Freiheits- und Re-
volutionshymnen erhoben wurden. N.n der jungen
Volker Asiens und Afrikas sind oft Bearbeitungen ein-
heimischer Lieder oder Neukompositionen im abend-
landischen Tonsystem, wahrend die N.n der Staaten
Europas der jeweiligen Musikkultur entstammen. Ein
GroBteil der N.n Europas und vor allem Amerikas ist
in Text und Melodie dem volkstiimlichen Lied, vor
allem dem Chorlied des 19. Jh., verpflichtet. Da N.n
in der Regel sangbare Musik mit obligatorischen Tex-
ten sind, ergeben sich in mehrsprachigen Staaten (Bel-
gien, Kanada u. a.) Probleme, die durch Einsetzen
mehrerer N.n oder durch zusatzliche Anerkennung in-
offizieller Hymnen der Minderheiten gelost werden.
Umgekehrt war aber der Mazurek Dabrowskiego
(Jeszcze Polska nie zginela, »Noch ist Polen nicht ver-
loren«, eine altpolnische Volksweise, die J.Wybicki
wahrscheinlich seinem 1797 geschriebenen Text ange-
paBt hat) im 19. Jh. Melodie mehrerer panslawistischer
Lieder und ist heute auch Melodie der jugoslawischen N.
-Einer deraltestenpatriotischenGesangeistdieHussiten-
hymne Kdoz iste Bozi bojonlci aus dem 15. Jh., die von
Smetana in Tabor und Blanik aus dem Zyklus Ma vlast
bearbeitet wurde.
Der Text der N. der Niederlande (seit 1932) wird
Ph.Marnix van St.Aldegonde zugeschrieben (Wilhel-
mus van Nassowe ben ick van Duytschen bloet, veroffent-
licht in Een Nieu Geusen Lieden Boecxken, 1581), die
Melodie ist anonym in Valerius' Lautentabulaturwerk
Nederlandtsche Gedenck-Clanck (1625) erschienen. - Die
Melodie der N. GroBbritanniens, zuerst veroffent-
licht im Thesaurus musicus (1744), scheint zu Beginn des
17. Jh. schon sehr bekannt gewesen zu sein, denn sie
tritt als Thema einer Fantasia auf, die in der Orgelta-
bulatur Lynar Al und durch Kitchiner (1823) iiberlie-
fert ist und Sweelinck bzw. J.Bull (1619) zugeschrieben
wird, ferner als Thema einer Fuga (Nr 23) der Tabula-
tur Liineburg KN 208 1 . Satze fur sie schrieben Th. A.
Arne und Ch.Burney (1745). Auf die gleiche Melodie
wurden zeitweilig N.n u. a. Deutschlands und der
Schweiz gesungen; sie ist heute noch die Melodie der
N. Liechtensteins. Sie wird zitiert u. a. von CM. v.
Weber in der Jubelouvertiire; Variationen tiber die Me-
lodie komponierte Beethoven (WoO 78). Daneben
wird seit 1740 inoffiziell Rule Britannia (Th. A. Arne -J.
Thomson und D. Mallet) gesungen, das ebenfalls von
Beethoven als Variationsthema (WoO 79) benutzt
wurde. - Als N.n Deutschlands galten in der 2.
Halfte des 19. Jh. das Deutschlandlied (Text von A.H.
Hoffmann v. Fallersleben, 1841, auf die Melodie von
J.Haydns Kaiserhymne; vgl. Osterreich), ab etwa 1855
Was ist des Deutschen Vaterland sowie besonders nach
1870 Die Wacht am Rhein (Melodie von C. ->- Wilhelm,
1854). Die Kaiserhymne des 2. Reiches war das preuBi-
sche Heil dir im Siegerkranz (auf die Melodie der engli-
schen Konigshymne). Das Deutschlandlied wurde 1922
offiziell N.; wahrend des 3. Reiches kam das Horst-
Wessel-Lied (Die Fahne hoch) hinzu. Fur die Bundes-
republik wurde 1950 das Lied der Deutschen (Land des
Glaubens, von H.Reutter und R.A.Schroder) vorge-
schlagen, seit 1952 aber wird die 3. Strophe des Deutsch-
landliedes gesungen. In der Deutschen Demokratischen
Republik wird seit 1949 Auferstanden aus Ruinen (von
H.Eisler und J. R. Becher) gesungen. - Als N. Oster-
reichs gait J.Haydns Gott erhalte Franz, den Kaiser, das
er wahrend der Komposition der Schopfung schrieb
(1. Auffiihrung am Geburtstag Franz I., 1797) ; die Me-
lodie verwandte Haydn als Thema zu Variationen im
Streichquartett op. 76 Nr 3 (Hob. Ill, 77; 1797). Seit
1946 wird die Bundeshymne Land der Berge mit dem
Text von P.Preradovic auf die Melodie des SchluBge-
sangs (Lafit uns mit geschlungenen Handen) aus Mozarts
Eine kleine Freymaurer-Kantate K.-V. 623 (1791) gesun-
gen. - Text und Melodie fur Frankreichs N. (seit
1795) stammen von CI. J. -> Rouget de lisle (La Mar-
seillaise, \T¥l, als »Chant de guerre de l'armee du Rhin«) .
tiber die Grenzen Frankreichs hinaus gait die Mar-
seillaise - allenfalls darin vergleichbar der 1871 eben-
falls in Frankreich entstandenen »Internationalen« - als
Revolutionshymne schlechthin und wurde so ver-
schiedentlich in Kompositionen zitiert (u. a. R.Wag-
ner, Les deux grenadiers; R. Schumann, Faschingsschwank
aus Wien op. 23, Zwei Grenadiere; Tschaikowsky, Ou-
verture 1812). - Die N. der US A (The Star-Spangled
Banner, seit 1916, bestatigt 1931) dichtete Fr. Scott Key
wahrend des englisch-amerikanischen Krieges 1814 auf
die Melodie des Liedes To Anacreon in Heaven von J. St.
Smith. Puccini verwendete die Melodie in seiner Oper
Madama Butterfly. - In RuBland wurde die 1833 kom-
ponierte Zarenhymne Bosche zarja chrani nach der Re-
volution durch die »Internationale« ersetzt. Seit 1944
ist die offizielle N. der UdSSR die von A. W. ->- Ale-
xandrow komponierte und von S. W.Michalkow und
Elj-Registan gedichtete Hymne Sojus neruschimyj respu-
blik swobodnych (»Ein ewiges Bundnis von Volksrepu-
bliken«). - Melodien aus Opern und Singspielen sind
die N.n in Danemark (aus J.E.Hartmann, »Die Fi-
schers, 1778) und in der Tschechoslowakei (Kde
domov muj aus Fr. -> Skroup, FidlovaHka, 1834). - Auf
einen schon im 18. Jh. gespielten Militarmarsch geht
die N. Spaniens (seit 1937), die Marcha real, zuriick.
Der heute gebrauchliche Text wurde 1928 von J. Maria
y Pemartin gedichtet. Eine (von G. Gabelli 1834 kom-
ponierte) Marcia reale vertrat auch in Italien die N.
Wahrend des Faschismus trat die Faschistenhymne Su,
compagni inforti schieri daneben. 1946 wurde sie durch
den 1847 von M.Novaro komponierten und von G.
Mameli gedichteten oCanto degli Italiani« (Fratelli
d'ltalia) ersetzt. - Seit 1890 ist Japans N. ein Text aus
622
Naturtone
der Sammlung Kokin-Waka-Shu (9. Jh.) mit der Me-
lodie von Hayashi Hironokami (1880), bearbeitet 1890
von Fr.Eckert. - Indiens N. ist seit 1950 die von
Gandhi so bezeichnete Andachtshymne von R. Tagore.
Ausg. : S. A. Rousseau, Les chants nationaux de tous les
pays, Paris 1901 ; A. Granville, The Most Popular Songs
of Patriotism, London 1906; L. Gautier, Patriotic Airs of
All Nations, London (1914); 57 Hymnen d. Volker, hrsg.
v. L. Weniger, Lpz. 1936; National Anthems of the United
Nations, hrsg. v. B. Treharne, Boston 1943; Himnos
nacionales de las repiiblicas americanas, Washington 1949 ;
N., hrsg. v. FDGB, Bin 1951 ; Die N. d. Erde, hrsg. v. Inst,
f. Auslandsbeziehungen, Munchen 1958, Suppl. 1965; M.
Shaw u. H. Coleman, National Anthems of the World,
London 1960.
Lit.: allgemein: R. Michels, Die Soziologie d. National-
liedes, Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpolitik LV, 1926; H.
Kohn, The Idea of Nationalism, NY 1 945, deutsch als : Die
Idee d. Nationalismus, Heidelberg 1950; E. Lemberg,
Gesch. d. Nationalismus in Europa, Stuttgart 1950; R.
Wittram, Das Nationale als europaisches Problem, G6t-
tingen 1954; H. L. Koppelmann, Nation, Sprache u. Na-
tionalismus, Leiden 1956. - H. Abert, Eine N.-Slg, ZIMG
II, 1900/01 ; E. Bohn, Die N. d. europaischen Volker, Bres-
lau 1 908 ; P. Nettl, National Anthems, NY 1 952. - zu Nie-
derlande: Loman, J. C. M. v. Riemsdijk, I. P. N. Land,
J.W.ENSCHEDEu.FL.VANDuYSEin:TVerV, 1901 u.VIII,
1904; Fl. Van Duyse, Het oude nederlandse lied II, Den
Haag u. Antwerpen, 1905.-zuGroBbritannien: R.Clark,
An Account of the National Anthem Entitled God Save
the King, London 1822; W. Kitchiner, The Loyal and
National Songs of England, London 1823; Fr. Chrysan-
der, H. Carey u. d. Ursprung d. engl. Konigsgesanges,
Jb. f. mus. Wiss. I, 1867; W. H. Cummings, God Save
the King, London 1902; P. A. Scholes, God Save the
Queen, London, NY u. Toronto 1954. - zu Deutschland:
O. Boehm, Die Volks-Hymnen aller Staaten d. deutschen
Reiches, Wismar 1901 ; Ch. Petzet, Die Bliitezeit d. deut-
schen politischen Lyrik v. 1 840 bis 1 8 50, Munchen 1 902 ; U.
Gunther, . . . iiber alles in d. Welt?, Studien zur Gesch.
d. deutschen N., Neuwied u. Bin (1966). - zu Osterreich:
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Schnerich, Zur Vorgesch. v. Haydns Kaiserhymne, eben-
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ne J. Haydns, StMw XXV, 1962. - zu Frankreich: C
Pierre, La Marseillaise, comparaison des differentes ver-
sions . . . , Paris 1 887 ; ders., Les hymnes et chansons de la
Revolution, Paris 1 904 ; J. Tiersot, Hist, de la Marseillaise,
Paris 1915; R. Brancour, La Marseillaise et le chant du
depart, Paris 1916; L. Fiaux, La Marseillaise. Son hist,
dans l'hist. des Francais depuis 1792, Paris 1918; Vl. Hel-
fert, Contributo alia storia della Marseillaise, RMI
XXIX, 1922; E. Istel, Is the Marseillaise a German Com-
position?, MQ VIII, 1922; D. Fryklund, La Marseillaise
dans les pays scandinaves, Halsingborg 1936; ders., La
Marseillaise en Allemagne, ebenda 1936; ders., Marselja-
sen, ebenda 1942; ders., Exposition de la Marseillaise,
ebenda; H. Wendel, Die Marseillaise, Zurich 1936; St.
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heit, Ff m. 1 95 1 ; J. Klingenbeck, I. Pleyel u. d. Marseillaise,
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»The Star-Spangled Banner«, »Hail Columbia«, »America
Yankee Doodle«, Washington 1909, 2 1914. - zu sonstigen
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Buenos Aires 1944. - P. Gradenwitz, The Music of Is-
rael, NY 1949; C. Curvin, »Ja, vi elsker dette landet«,
StMf XLIV, 1 96 1 . - D. Wawrzykowska-Wierciochowa,
Problem autorstwa »Mazurka D^browskiego« (»Das
Problem d. Autorschaft d. Dqbrowski-Mazurka«), Muzy-
ka IX, 1964.
Naturhorn, Naturtrompete sind Instrumente ohne
Klappen oder Ventile; auf ihnen konnen nur die -*■ Na-
turtone hervorgebracht werden.
Naturklangtheorie ist die Vorstellung, daB die Par-
tialtonreihe (oder, sofern der Grundton nicht mitge-
zahlt wird, Obertonreihe) das von Natur gegebene
Vorbild der musikalischen Tonbeziehungen sei. Aus
der von M.Mersenne (1636) entdeckten und von J.
Sauveur (1700) prazise formulierten Tatsache, daB eine
Saite nicht nur als Ganzes, sondern auch in ihren ali-
quoten Teilen (1/2, V3, J /4 usw.) schwingt, zog J.-Ph.
Rameau die musiktheoretische Konsequenz, daB we-
sentliche Merkmale der tonalen Harmonik auf das Na-
turvorbild der Partialtonreihe zuriickzufiihren seien:
der Durdreiklang, die fundierende Bedeutung des
Grundtons im Dreiklang und die Tendenz des Quint-
tons (Dominante), zum Grundton (Tonika) zuriickzu-
kehren. AuBer dem Durdreiklang sind von manchen
Theoretikern (L.Euler, J.Ph.Kirnberger, G.Capellen)
auch die Septime (7. Partialton) des Dominantsept-
akkords und die None (9. Partialton) des Dominant-
nonenakkords als Abbilder des Naturklangs erklart
worden. P.Hindemith leitete sogar die chromatische
Skala von der Partialtonreihe ab. Die geschichtliche
Tatsache, daB zunachst nur die Oktave und die Quinte
und erst sparer auch die Terzen als Konsonanzen gal-
ten, wurde als »Fortschreiten« in der Partialtonreihe
interpretiert; und nach A. Schbnberg ist sogar die
»Emanzipation der Dissonanz« in der Partialtonreihe
vorgezeichnet, also in der Natur begriindet. Dem Ein-
wand gegen die N., daB sie den Molldreiklang nicht
zu erklaren vermoge, begegnete Riemann mit der Hy-
pothese, daB der Obertonreihe eine Untertonreihe
(c3 c 2 f 1 el as f usw.) entspreche; doch hat sich die Un-
tertonreihe als Fiktion erwiesen (-> Moll). J.Handschin
verwarf die N. als »Physikalismus« : DaB ein Bukett von
Obertbnen zu einem Toneindruck verschmilzt, kann
nicht als Erklarung dafiir dienen, daB Tone uns als ver-
wandt erscheinen. Andererseits ist die N. dem Ein wand
ausgesetzt, daB die tonale Harmonik ein geschichtlich
begriindetes Phanomen sei und sich nicht auf ein akusti-
sches Faktum reduzieren lasse.
Lit. : J. Ph. Kirnberger, Construktion d. gleichschweben-
den Temperatur, Bin (1760); J.-Ph. Rameau, Code de mu-
sique pratique . . ., Paris 1760; G. Capellen, Fortschritt-
liche Harmonie- u. Melodielehre, Lpz. 1908; A. Schon-
berg, Harmonielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947;
J. Achtelik, Der Naturklang als Wurzel aller Harmonien,
2 Teile, Lpz. 1922-28; P. Hindemith, Unterweisung im
Tonsatz I, Mainz 1937, 2 1940, engl. als: Craft of Mus.
Composition I, London 1942; J. Handschin, Der Ton-
charakter, Zurich (1948); J. Rohwer, Tonale Instruktio-
nen u. Beitr. zur Kompositionslehre, Wolfenbuttel (1949-
51); E. Bindel, Die Zahlengrundlagen d. Musik im Wan-
del d. Zeiten, 3 Bde, Stuttgart 1950-53; M. Vogel, Die
Zahl Sieben in d. spekulativen Musiktheorie, Diss. Bonn
1955, maschr. CD
Naturtone heiBen die Tone, die auf einem Blasinstru-
ment ohne Verkiirzung oder Verlangerung der Schall-
rohre nur durch Veranderung der Art des Anblasens
hervorgebracht werden konnen. Der 1 . Naturton erit-
spricht dem Grundton der Rohre; seine Schwingungs-
zahl (-» Frequenz) ist grundsatzlich abhangig von der
Lange der schwingenden Luftsaule, auBerdem von der
lichten Weite (Innendurchmesser) der Rohre (-> Men-
sur - 1) und von der Dichte des schwingenden Me-
diums (d. h. von Luftdruck und -temperatur). Durch
-»■ Uberblasen entstehen Obertone des Grundtons; der
1. Oberton (die Oktave des Grundtons) ist der 2. Na-
turton, der 2. Oberton (die Duodezime des Grundtons)
der 3. Naturton usw. Die N. sind als real erklingende
Tone zu unterscheiden von den aus einem erklingen-
den Ton (-* Klang) herauszuhorenden -*■ Teiltonen.
Im allgemeinen wird vorausgesetzt, daB sich die N.
verschiedener Ordnung zueinander wie reine Intervalle
verhalten, d. h., daB ihre Schwingungszahlen ganzzah-
lige Verhaltnisse zueinander bilden (-> Interyall-Ta-
belle). In Wirklichkeit entsprechen die beim Oberbla-
sen entstehenden Uberblastone den N.n nur annahernd
(->■ Blasquinte), u. a. weil sich fiir jede Teilschwingung
623
Nauba
einer Luftsaule die Mensur im gleichen Verhaltnis wie
die Schwingungszahl andert. Bei den meisten Blech-
blasinstrumenten werden nur N. hoherer Ordnung
musikalisch verwendet, wahrend sich die Grundtone
wegen zu enger Mensur oft nicht hervorbringen lassen.
Nauba (arabisch, Plur. naubat), Kunstform der ara-
bisch-islamischen Musik ; urspriinglich bedeutete N. ei-
ne Truppe von Ausfiihrenden, spater eine Folge von
Stiicken oder ein Solostiick. Die N. der Kammermusik,
friiher eine zentrale Kunstform, heute fast ganz auBer
Gebrauch, kann instrumental wie vokal ausgefiihrt
werden; einem Vorspiel (taqsim) folgen eine Einlei-
tung (basrav) und verschiedene Vokal- und Instrumen-
talsatze. Die N. der islamischen Militarmusik wurde in
den Tabl gana oder N. gana an den Furstenhofen ge-
pflegt; zum Instrumentarium dieser Kapellen gehorten
bis zum 10. Jh. Kesselpauken, Trompeten, Horner und
Rohrfloten.
Nay (nej, persisch), eine Langsflote (bis iiber 100 cm
Lange), die schon im pharaonischen Agypten bekannt
war und im ganzen Vorderen Orient verbreitet ist. Sie
hat 5-8 Grifflocher und wird beim Spielen schrag seit-
lich gehalten.
Lit.: H. G. Farmer, Studies in Oriental Mus. Instr. I,
London 1931; A. Berner, Studien zur arabischen Musik
... in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f. deut-
sche Musikforschung II, Lpz. 1937.
Neapel.
Lit.: E. Taddei, Del R. Teatro di S. Carlo, N. 1817; Fr.
Florimo, Cenno stor. sulla scuola mus. di Napoli, 2 Bde,
N. 1869-71, 2. Ausg. als: La scuola mus. di Napoli e i
suoi conservatorii, 4 Bde, N. 1880-82; A. Alberti, Qua-
rant'anni d'istoria del Teatro dei Fiorentini in Napoli, 2
Bde, N. 1878; B. Croce, I teatri di Napoli . ... N. 1891,
Bari ''1947 ; S. Di Giacomo, Cronaca del Teatro S. Carlino
(1738-1884), N. 1891, 21895; ders., Teatri popolari na-
poletani. II S. Ferdinando, in : Ars et labor . . . LXIII, 1908 ;
ders., Maestri di cappella, musici e istromenti al tesoro di
S. Gennaro nei s. XVII e XVIII, in: Napoli nobilissima,
N. F. 1, 1920; ders., I quattro antichi conservatorii mus. di
Napoli, 2 Bde, Palermo 1924-28; G. Ceci, II piu antico
teatro di Napoli (Teatro dei Fiorentini), in : Napoli nobi-
lissima II, 1893 ; ders., Maestri organari a Napoli, N. 1931 ;
G. Pannain, Musica e musicisti in Napoli nei s. XIX e XX,
Rom 1923 ; ders., Saggio su la musica a Napoli nei s. XIX,
RMI XXXV, 1928 - XXXIX, 1932; ders., L'oratorio dei
Filippini e la scuola mus. di Napoli, = Istituzioni e monu-
menti dell'arte mus. ital. V, Mailand 1934; ders., La mu-
sica a Napoli nei settecento, in : Settecento, Turin 1 963 ; U.
Prota-Giurleo, La prima calcografia mus. a Napoli, N.
1923; ders., Breve storia del Teatro di Corte e della mu-
sica a Napoli nei s. XVII-XVHI, in: II Teatro di Corte del
Palazzo Reale di Napoli, N. 1952; ders., G. M. Trabaci e
gli organisti della Real Cappella di Palazzo di Napoli,
L'organo I, 1960; ders., Organari napoletani nei s. XVII
e XVIII, ebenda II, 1961 ; ders., I teatri a Napoli nei 1600,
N. 1962; C. Caravaolios, Voci e gridi di venditori in
Napoli, Catania 1931 ; E. Santagata, II Museo stor. mus.
di »S. Pietro a Majella«, N. 1931 ; W. Apel, Neapolitan
Links Between Cabezon and Frescobaldi, MQ XXIV,
1938 ; S. Di Massa, La canzone napoletana e i suoi rappor-
ti col canto popolare, N. 1939 ; ders., Storia della canzone
napoletana dal 1400 al 1900, N. 1961 ; Cento anni di vita
del Teatro di S. Carlo, N. 1948; P. Elia, La canzone na-
poletana, Rom 1952, 21954; Mostra stor. della canzone
napoletana, hrsg. v. dems., Rom 1955 ; N. Pirrotta, Scuole
polif oniche ital. durante il s. XIV : Di una pretesa scuola
napoletana, CHM I, 1953; Mostra stor. della canzone na-
poletana, Cat., hrsg. v. A. Mammalella u. E. De Mura,N.
1954; I. Pope, La musique espagnole a la cour de Naples
dans la seconde moitie du XV e s., in : Musique et poesie au
XVI e s., = Colloques internationaux du Centre National
de la recherche scientifique, Sciences humaines V, Paris
1954; A. Venci, La canzone napolitana, N. 1955; V. Pa-
liotti, Storia della canzone napoletana, Mailand 1958 ; G.
Tintori, L'opera napoletana, = Piccola bibl. Ricordi VII,
ebenda 1958; H. R. Edwall, Ferdinand IV and Haydn's
Concertos for the Lira organizzata, MQ XLVIII, 1962; N.
Bridoman, La vie mus. au Quattrocento . . . , (Paris 1964).
Neapolitanische Schule, eine Gruppe von Kompo-
nisten, die zwischen etwa 1650 und 1750 in Neapel ta-
tig waren oder ausgebildet wurden und deren Opern-
stil in der 1. Halfte des 18. Jh. in Europa vorbildlich
war. Seit 1651 fanden in Neapel regelmaBig Opern-
auffiihrungen statt. Als Begriinder der N.n Sch. gilt
Fr. Provenzale (1653 erste nachweisbare Auffuhrung),
bedeutend wegen seiner instrumental begleiteten Arien
und kurzen Ensemblesatze, die gegeniiber der romi-
schen und venezianischen Tradition Neuheiten dar-
stellen. A.Scarlatti begriindete die Weltgeltung der
N.n Sch. Die klare Trennung von Rezitativ und Arie,
die Kiirzung des Rezitativs, die fast ausschlieBliche Be-
schrankung auf die Da-Capo-Form in der Arie, die
sitalienische Ouverture« und die weitere Ausbildung
der von Streichern, seltener von Blasern begleiteten
Arie gehen auf Scarlatti zuriick, wenn diese Entwick-
lung sich auch nicht auf seine in Neapel entstandenen
Werke beschrankt. Im Vergleich zur oberitalienischen
Operntradition war der neue Stil homophon und ent-
wickelte den Sologesang in Anlehnung an instrumen-
tale Spielpraxis zu hochster Virtuositat. Beides gilt
auch fur die neapolitanische Kammerkantate. Zur
friihen N.n Sch. (bis etwa zum Tode Scarlattis 1725)
gehoren ferner N.Fago, D.Sarro, Fr.Mancini; stark
von ihr beeinfluBt ist G.Fr. Handel nach seiner Begeg-
nung mit Scarlatti 1708/09 in Neapel. Neben der neuen
Oper entwickelte sich die dialektsprachige komische
Oper (commedia musicale), deren Auffuhrung seit
1674 (Provenzale) fur Adelspalaste, seit 1709 fur die
offentliche Biihne belegt ist. Bald beteiligten sich ne-
ben A. Orefice auch andere, bedeutendere Komponi-
sten an dieser Gattung. Ab 1724 bestanden 3 Komo-
dienbiihnen. Als im Zuge der Opernreform Metasta-
ses in den 1720er Jahren ernste und heitere Opernstoffe
voneinander geschieden wurden, gab es bis um 1740
als eine zweite Art der heiteren Oper die meist mit nur
2 Personen besetzten, hohe virtuose Anspriiche stellen-
den Intermezzi der Opere serie (-> Intermedium). Mit
den Werken G.B.Pergolesis, des fuhrenden Meisters
dieser Gattung, beginnt die Geschichte der Opera buff a.
Deren Hauptmeister waren nach ihm P.Auletta, G.
Latilla, N.Logroscino, spater Rinaldo da Capua, D.
Fischietti, P.Anfossi, N.Piccinni, D.Cimarosa und G.
Paisiello (f 1816), der letzte Buffakomponist neapoli-
tanischer Tradition. Seit den 1720er Jahren breitete
sich der neapolitanische Opernstil durch das Wirken
zahlreicher Musiker in ganz Europa aus. Auch die Aus-
bildungsmethoden der Konservatorien Neapels wurden
beispielhaft. Das -> Libretto der Opera seria nach Me-
tastasios Reform unterliegt in Versgestalt und Reim-
schema der Arien sowie im Gesamtaufbau einer festen
Regelung. Die 3 Akte bestehen hauptsachlich in Folgen
von Rezitativ und Arie mit typischem Affektgehalt.
Den Gang der Handlung bestimmen in erster Linie die
Konventionen des Opernbetriebs, durch die Zahl und
Stellung, zum Teil auch Affektgehalt der Arien jedes
Mitwirkenden weitgehend festgelegt sind. Die Verto-
nung der Da-Capo- Arie wird freier, vor allem imWie-
derholungsteil ; virtuose Koloraturen und Kadenzen ma-
chen sie zur Bravourarie. Eine Steigerung der Aussage-
kraft bedeutet die Ausbildung des Accompagnatorezi-
tativs. Friihe Meister des metastasianischen Operntyps
sind L.Vinci, L.Leo, J.A.Hasse (ein Schiiler A. Scar-
lattis in dessen letzten Lebensjahren und Freund Meta-
stasios), N.Porpora und Fr.Feo. Die beiden einfluB-
reichsten Lehrer, L. Leo und Fr. Durante, haben fast al-
624
Negermusik
le folgenden Komponisten der N.n Sch. ausgebildet:
N.Jommelli, T.Traetta, D.Perez, D.Terradellas, J.
Myslivecek, Fr. di Majo, P.Guglielmi, E.R.Duni, A.
Sacchini u. a. Um 1760 unternahmen Jommelli und
Traetta eine Reform der Opera seria, bei der vor allem
die Bedeutung von Chor und Orchester gesteigert
wurde. Von der N.n Sch. beeinflufit sind auch die
Opern J. Chr. Bachs, Glucks und W. A. Mozarts, des-
sen La clemenza di Tito (1791) ein spates Beispiel der
Opera seria ist.
Lit. : Fr. Florimo, La scuola mus. di Napoli e i suoi con-
servatorii, 4 Bde, Neapel 1880-82; N. d'Arienzo, Origini
dell'operacomica, RMI II, 1895, IV, 1897, VI, 1899 u. VII,
1900, deutsch v. F. Lugscheider als: Die Entstehung d.
komischen Oper, = Mus. Studien X, Lpz. 1902; Ph. Spit-
ta, Rinaldo da Capua, VfMw III, 1887; R. Rolland, Les
origines du theatre lyrique moderne. Hist, de l'op6ra en
Europe avant Lully et Scarlatti, Paris 1895, 4 1936; E. J.
Dent, A. Scarlatti, London 1905, Neudruck 1960; H.
Abert, N. Jommelli als Opernkomponist, Halle 1908; G.
Pannain, Le origini della scuola mus. napoletana, Neapel
1914; M. Scherillo, L'opera buffa napoletana durante il
settecento, Palermo ( 2 1 9 1 8); Ch. Van den Borren, A. Scar-
latti et l'esthdtique de l'opera napolitain, Paris u. Briissel
1921 ; A. Della Corte, L'opera comica ital. del settecento,
2 Bde, Bari 1923, span. Buenos Aires 1928 ; R. Gerber, Der
Operntypus J. A. Hasses u. seine textlichen Grundlagen,
= Berliner Beitr. zur Mw. II, Lpz. 1925; A. O. Lorenz, A.
Scarlatti's Jugendoper, 2 Bde, Augsburg 1927; U. Prota-
Giurleo, La musica a Napoli nel Seicento, Benevent 1928;
G. Radiciotti, G. B. Pergolesi, Mailand 2 1935, deutsch
v. A. E. Cherbuliez, Zurich u. Stuttgart 1954; R.-A.
Mooser, Annales de la musique et des musiciens en Russie
au XVIII e s., 3 Bde, Genf 1948-51; N. Pirrotta, Corn-
media delParte and Opera, MQ XLI, 1955; G. Tintori,
L'opera napoletana, = Piccola bibl. Ricordi VII, Mailand
1958 ; H. Hucke, Die neapolitanische Tradition in d. Oper
d. 18. Jh„ Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; E. Downes, The
Neapolitan Tradition in Opera, ebenda.
Neapolitanische Sexte heifit die kleine Obersexte
der Subdominante in Moll. Tritt das Intervall im Moll-
subdominantdreiklang an die Stelle der Quinte, so ent-
steht ein Scheinsextakkord, genannt neapolitanischer
Sextakkord oder kurz »Neapolitaner«. Seine Funktions-
bezeichnung ist nach H. Rie-
mann, der ihn als Leitton-
wechselklang der Subdomi-
nante erklart, S (Beispiel in
A moll). Die Bezeichnung
nach Klangstufen versteht
ihn als 1. Umkehrung des
(Dur-)Dreiklangs der tiefalterierten 2. Stufe in Moll:
II 6 . Der neapolitanische Sextakkord war fur die Musik
der neapolitanischen Operntradition des 18. Jh. typisch.
Die kleine Sexte als Vorhalt vor der Quinte laBt sich
allerdings schon in der 1. Halfte des 16. Jh. nachweisen.
SeitEndedesl7.Jh. (Purcell, King Arthur, »Frostszene«)
wird die Auflosung haufig iibergangen. Beim Weiter-
gehen zur Dominante ergeben sich dann ein vermin-
derter Terzschritt (z. B. b-gis in A moll) und ein quer-
standiger Eintritt der Dominantquinte, was beides hier
durchaus selbstverstandlich wirkt. In der dur-moll-
tonalen Musik war der neapolitanische Sextakkord
auBerdem ein beliebtes, wenn auch zuletzt recht abge-
griffenes Modulationsmittel.
Nebendreiklange heiBen in der dur-moll-tonalen
Harmonielehre die Dreiklange auf der 2., 3., 6. und 7.
Stufe der Tonleiter. Sie sind auf der 2., 3. und 6. Stufe
in Dur sowie auf der 2. Stufe im (aufsteigenden) melo-
dischen Moll Molldreiklange, auf der 3. und 6. Stufe
im reinen Moll Durdreiklange. Die Dreiklange auf der
7. Stufe in Dur und im harmonischen Moll sowie auf
der 2. Stufe im reinen und auf der 6. Stufe im (aufstei-
genden) melodischen Moll sind vermindert, der Drei-
klang auf der 3. Stufe im harmonischen Moll ist iiber-
mafiig. Im Kadenzzusammenhang werden die Funk-
tionen der N. von denen der Hauptdreiklange auf der
1., 4. und 5. Stufe abgeleitet, als deren Vertreter die N.
gelten. Riemann defmiert jeden der Dur- und Moll-N.
je nach Zusammenhang entweder als ->• Leittonwech-
selklang oder als ->■ Parallelklang eines Hauptdrei-
klangs. Grabner u. a. bezeichnen Dur- und Moll-N. als
Ober- oder Unterterzklange (Ober- oder Unterme-
dianten) der Hauptdreiklange. Die verminderten Drei-
klange haben je nach Zusammenhang entweder Do-
minant- oder Subdominantfunktion. Der ubermaBige
Dreiklang hat Dominantfunktion. Dur- und Moll-N.
konnen durch ->• Zwischendominanten starker hervor-
gehoben werden, verbleiben aber dennoch im Kadenz-
zusammenhang, der sich als iibergeordnete harmoni-
sche Bestimmung geltend macht.
Nebennoten (auch Nebentone) heiBen bei Verzierun-
gen (Triller, Mordent usw.) die obere und untere (gro-
Be und kleine) Sekunde des zu verzierenden Tones, der
-> Hauptton (- 2) genannt wird. Auch diatonische und
chromatische Nachbartone, die den regularen Satz be-
reichern und von der Harmonielehre als harmonie-
oder akkordfremde Tone beschrieben werden, heiBen
N., so bei -> Vorhalt, -> Durchgang, -> Wechselnote
und -»■ Antizipation (- 3).
Nebentonarten heiBen die in einem Musikstiick ne-
ben der Haupttonart mehr oder minder deutlich aus-
gepragten Tonarten. Als N. eignen sich vor allem die
quint-, kleinterz- und grofiterzverwandten Tonarten,
auBerdem die kleinterz- und grofiterzverwandten Ton-
arten der quintverwandten Tonarten der Haupttonart.
Im 19. Jh. wurden als N. bisweilen alle Dur- und Moll-
tonarten bezeichnet aufier C dur und A moll, die als
die Normal- oder Stammtonarten galten.
Negermusik. Von den 3 Hauptrassen der Menschheit
ist die negroide die entwicklungsgeschichtlich jiingste.
Sie ist auf der siidlichen Halbkugel beheimatet. Beim
Eindringen in den afrikanischen Kontinent im Neo-
lithikum stieB sie auf altere Bewohner, die wohl der
europaiden Rasse angehort haben (-> Afrikanische
Musik). Die heutigen Negervolker Afrikas gingen aus
Vermischungen der negroiden niit anderen alteren und
jiingeren Rassen und Volkern hervor. Den kulturellen
Unterschieden der Negervolker entsprechen sehr ver-
schiedenartige musikalische Stile, die dennoch einige
gemeinsame Merkmale aufweisen. Das auffalligste ist
die starke Bevorzugung des rhythmischen Elements.
Bei konstanten Metren werden die Rhythmen in vo-
kaler wie instrumentaler Musik kunstvoll und vielfal-
tig variiert, wobei oft divergierende rhythmische Ge-
stalten gleichzeitig miteinander verwoben werden.
Wesentlich fiir die N. ist auch die Tatsache, daB sie ei-
ne Gemeinschaftskunst ist. Nur in seltenen Ausnahme-
fallen kommt es vor, daB ein Neger fiir sich allein singt
oder musiziert ; normalerweise tut er es fiir andere und
mit anderen. Das Singen vollzieht sich in der Form des
Wechsels von Rede und Gegenrede; auch das Spielen
mehrtoniger Instrumente wird ahnlich praktiziert. Wo
Zuhorer vorhanden sind, greifen sie in das musikali-
sche Geschehen ein, indem sie - zumeist in Form eines
Refrains - mitsingen oder einen Rhythmus zur vokalen
oder instrumentalen Musik der Solisten oder des En-
sembles klatschen, stampfen oder rasseln. Die gesellige
Komponente der N. ist die Ursache fiir die in ihr stets,
wenn auch in manchen Stilen und Arten nur latent
wirksame Mehrstimmigkeit, die besonders in West-
afrika entwickelt ist (Parallelsingen, Bordun- und Osti-
625
Negermusik
natotechnik). Einstimmiges Singen erhalt durch die
begleitenden Trommeln oder das Handeklatschen und
Stampfen der tanzenden FiiBe einen rhythmischen Ge-
genpart. Da viele Rhythmusinstrumente auch verschie-
dene Tonhohen zu erzeugen vermogen, bilden sie zu-
gleich auch melodische Gegenstimmen. Das Instru-
mentarium der Neger ist vielseitig und reichhaltig.
Neben den urspriinglich einheimischen gibt es viele
Musikinstrumente, die aus nahen und fernen Hochkul-
turen entlehnt sind. Nur einige wenige, schwach to-
nende Instrumente werden fur sich allein gebraucht,
z. B. der -> Musikbogen und die ->■ Sansa. Sonst treten
die Instrumente meist in Gruppen oder in Verbindung
mit Gesang und Tanz auf . Eine Reihe von Instrumen-
ten findet sich in paarigem Gebrauch, wie Floten und,
seltener, die Sansen, oder es betatigen sich zwei Musi-
kanten an einem Instrument (Xylophon, Harfe). Viele
Instrumente werden nur bei kultischen Zeremonien ge-
braucht. Sie verkorpem Damonen, ihr Klang hat Zau-
berkraft, da er die Stimme der Gottheit ist. Andere
werden lediglich als Klangwerkzeuge geachtet und
sind frei von magischen Vorstellungen und Tabus.
Rasseln verstarken den Rhythmus der stampfenden
FiiBe, Schlagholzer das Handeklatschen. GefaBrasseln,
Klappern, Schraper, Schwirrholzer, Glocken aus Holz
und Metall, Xylophone vom einfachen Schenkelxylo-
phon bis zur vieltonigen Marimba mit Resonatoren,
Schlitz- und Baumtrommeln aller Grofien, Felltrom-
meln und Kesselpauken sind die wichtigsten Typen der
Rhythmusinstrumente. An Saiteninstrumenten linden
sich neben dem Musikbogen Zithern, Leiern und Har-
fen sowie die Streichlaute, an Blasinstrumenten Mu-
schel- und Tierhorn, Panpfeifen, Kerb- und Spaltflo-
ten, Nasenfloten, Holz- und Rindentrompeten und
Rohrblattinstrumente mit einfachem und doppeltem
Blatt. Metalltrompeten und -tuben konnen orientali-
sche oder europaische Entlehnungen sein. Die gleich-
zeitige Verwendung klanglich und funktionell hetero-
gener Instrumententypen in den afrikanischen »Orche-
stern« gibt diesen ihren eigenen Reiz.
Negersklaven waren im alten Agypten, im Vorderen
Orient und im antiken Rom nicht nur als Arbeiter,
sondern auch als Sanger, Instrumentalisten und Tanzer
beschaftigt. Die Sklaventransporte, die im Mittelalter
in die Lander des Nahen Orients gingen, wurden nach
der Kolonisierung Amerikas auch dorthin geleitet.
Daher leben heute Neger auch in der Neuen Welt,
im Siiden der USA und in Mexiko, auf den westindi-
schen Inseln, in Mittelamerika und im Norden Siid-
amerikas. Obwohl es auch vereinzelt Gebiete mit iiber-
wiegender Negerbevolkerung gibt, haben die ameri-
kanischen Neger weitgehend Sprache, Religion und
Kultur der WeiBen angenommen. Die Musik dieser
Neger ist nicht die ihrer afrikanischen Vorfahren, ob-
wohl sie manche Elemente davon bewahrt. Fallt es
schon schwer, in der Vielfalt der Stile der Neger Afrikas
die gemeinsamen Ziige zu fmden, so wird dies fiir die
Stile der mehr oder weniger europaisierten Neger Ame-
rikas zu einer fast unlosbaren Aufgabe. Nur wo die Ne-
ger in geschlossenen Populationen auftreten, haben sie
eine Reihe afrikanischer Uberlieferungen bewahren
konnen wie in Dorf- und Stammesgemeinschaften in
Westindien und Guayana. Oft nur oberflachlich zivili-
siert und christianisiert, pflegen sie dort noch, zum Teil
in Geheimbunden nach af rikanischem Vorbild (Vodoo),
magische Kulte und Zeremonien mit dem zugehori-
gen Bestand an Liedern, Tanzen und Musikinstrumen-
ten. Wo Neger aber, wie in den USA, ohne Familien-
und Stammesverband inmitten der weiBcn Bevolke-
rung leben, haben sie kaum mehr als Anklange an die
afrikanischen Musikstile bewahrt. Ihre Musik ist aus
Stilelementen der musikalischen Folklore der weiBen
Amerikaner unter Beibehaltung einiger negroider Zii-
ge entstanden. Ihre Volkslieder, besonders die -*■ Ne-
gro spirituals, waren anfanglich Nachbildungen oder
Adaptierungen der methodistischen Erweckungshym-
nen, die seit Beginn des 19. Jh. von Wanderpredigern
verbreitet wurden. Um die Mitte des 19. Jh. begannen
sich die weiBen Amerikaner fiir diese Negerhymnen
zu interessieren. 1862 wurde das erste Spiritual Roll,
Jordan, roll von Lucy McKim in Philadelphia veroff ent-
licht, 1867 eine erste Sammlung Slave Songs of the
United States durch die United States Educational Mis-
sion. Ist diese Sammlung noch um Objektivitat in der
Wiedergabe jener Negergesange bemiiht, so handelt es
sich bei den folgenden meist um Versuche, die Primi-
tivitat und Regelwidrigkeit dieser Spirituals zu glatten
und in die Form und Technik des abendlandischen
Kunstliedes zu gieBen. Neue Spirituals wurden von
WeiBen komponiert, die dann wieder von Negerge-
meinden zersungen wurden. - Auch das weltliche
Volkslied der weiBen Amerikaner wurde von den Ne-
gern aufgegriffen und abgewandelt. Es tauchte um die
Mitte des 19. Jh. auch im Konzertsaal auf, wo es von
weiBen Sangern, die als Neger kostiimiert waren
(-*■ Minstrelsy), zum Banjo gesungen wurde. Manche
Minstrelsongs wurden zu Volksliedern der weiBen und
schwarzen Amerikaner, wie Old Folks at Home und
My Old Kentucky Home von Stephen Foster. - Dage-
gen ist der ->• Blues, eine der Wurzeln des -»• Jazz, zu-
nachst ohne weiBe Vorbilder entstanden.
Die amerikanische Negervolksmusik aus der afrikani-
schen herzuleiten, wurde erst in neuerer Zeit versucht.
Wahrend Fr. Bose das Gemeinsame und damit Rassen-
bedingte beider Stilarten im Stimmklang und Vor-
tragsstil nachwies, fanden R. A. Waterman, G.Herzog
und M. Kolinski dariiber hinaus auch in f ormalen Zii-
gen Ubereinstimmung. Die N. Afrikas zeigt Vorherr-
schen kurzer Strophen aus Ketten von Kurzmotiven;
3- und 2teiliger Aufbau sind haufig ineinander ver-
flochten. Das Metrum ist stets zweiteilig und gerad-
taktig. Dagegen ist die rhythmische Unterteilung viel-
gestaltig und kompliziert. Das Melos ist engstufig und
vorwiegend fallend, Sekunden- und Terzschritte herr-
schen gegeniiber groBeren Intervallen vor, von denen
Septime und Quarte relativ selten gebraucht werden.
Die kurzen Motive werden variiert wiederholt oder in
Sequenzen fortgefiihrt. Diatonik mit Durcharakter, bei
oft fehlender Septime und Quarte pentatonisch betont,
ist die herrschende Tonalitat. Das Tempo ist meist
rasch und stets konstant. Die Dynamik ist durch den
Wechsel von Solo und Chor kontrastreich; der einzel-
ne singt und spielt meist so laut er kann.
Ausg. : W. F. Allen, Ch. P. Ware u. L. McKim Garri-
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626
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Gun (Dahomey) et tons du tambour, Rev. de Musicol. L,
1964. FB
Negro minstrelsy (n'i:giou m'instralsi, engl.) -*■
Minstrelsy.
Negro spiritual (n'i:gjou sp'iiitjusl, engl.), eine Gat-
tung religioser Lieder amerikanischer Neger in den
Siidstaaten (-»■ Negermusik) ; sie wurde nach der Skla-
venbefreiung (1865) auch in den Nordstaaten und in
England bekannt, vor allem durch Studentenchore.
Die iiberwiegend religiose Grundhaltung der N. sp.s
entspricht in ihrer Art dem sentimental-religiosen Ver-
haltnis der Negersklaven zum Christentum und zu
dessen Kultformen. Der (oder das) N. sp. entstand
als aufierliturgischer religioser Gesang. Er wurde bei-
spielsweise nach dem Gemeindegottesdienst iiber Stun-
den hin gesungen und durch eine Art Reigentanz,
durch Handeklatschen und lebhaftes FuBstampfen be-
gleitet. Urspriinglich war er einstimmig und bestand
aus einer Grundmelodie, die die einzelnen Sanger im-
provisierend und auszierend vortrugen. Er steht durch-
weg in geradem Takt, moglicherweise wegen der wie-
genden Bewegung der Korper und des begleitenden
FuBstampfens. Wesentliches musikalisches Merkmal
ist der -*■ Off-beat-Rhythmus mit stark expressivem
Charakter wie beim spateren Ragtime und Jazz. Die
Chorarrangements der N. sp.s, die unter amerikanisch-
europaischem EinfluB des spaten 19. Jh. entstanden,
wie auch die kunstliedhaften Umformungen fur Solo-
gesang mit Klavierbegleitung, z. B. von H.T.Bur-
leigh, unterscheiden sich wesentlich von dem ursprling-
lichen, einstimmigen, responsorialen Spiritual. Aber
durch die Spiritualinterpretationen der groBen Neger-
sanger Burleigh, Marian Anderson, Roland Hayes, W.
Warfield, Mahalia Jackson, Leontyne Price u. a. ent-
stand zugleich ein neuer, ausdrucksvoll kultivierter,
religioser Liedtyp der amerikanischen Neger. Die mo-
derne konzertante Bearbeitung der N. sp.s fiir Chor
hingegen ist eine vollige Entfremdung vom ehemals
improvisierten Singen der Sudstaatenneger. Als Wech-
selgesang ohne Instrumentalbegleitung gibt es den N.
sp. heute noch in meist landlichen Baptisten- und Ne-
gergemeinden. Der Diakon beginnt melismatisch die
erste Textsilbe, die Gemeinde Mit mit der zweiten Sil-
be ein und singt improvisierend den Text weiter.
-> Gospelsong; -> Jubilee.
Ausg.: W. F. Allen, Ch. P. Ware u. L. McKim Garri-
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American Anthropologist XXXIII, 1931 ; G. P. Jackson,
The Genesis of the N. Sp., American Mercury XXVI, 1932;
M. Ley, Spirituals. Ein Beitr. zur Analyse d. religiosen
Liedschopfung bei d. nordamerikanischen Negern in d.
Zeit d. Sktaverei, Diss. Miinchen 1954, maschr. ; D. Yoder,
Pennsylvania Spirituals, Lancaster (Pa.) 1961. WHR
Nenia (lat., seltener naenia, Leichengesang), Trauer-,
Klage- oder Preislied aus der Zeit des friihen antiken
Roms, das von den weiblichen Angehorigen eines Ver-
storbenen oder von gemieteten Klageweibern bei den
Begrabnisfeierlichkeiten, teilweise mit Begleitung einer
Tibia (manchmal auch Leier), gesungen wurde. Eine
originale N. ist nicht erhalten; die indirekten Zeug-
nisse lassen darauf schlieBen, daB es sich um traditionell
feststehende Text- und Melodieformeln handelte.
Doch wurde die Bezeichnung seit dem 1. Jh. v. Chr.
auch auf solche Trauergesange und -dichtungen ange-
wendet, die nach dem Vorbild des griechischen -> Thre-
nos kunstvoll ausgearbeitet waren. - Schillers Nanie ist
als Chorwerk u. a. von H.Gotz (op. 10, 1874), J.
Brahms (op. 82, 1881) und C.Orff (1956) vertont
worden.
Lit.: J. Wehr, De Romanorum n. commentatio, Fs. E.
Curtius, Gottingen 1868; M. Schanz, Gesch. d. romi-
schen Lit. I, bearb. v. C. Hosius, = Hdb. d. Altertumswiss.
VIII, 1, Miinchen "1927, Neudruck 1959; W. Kroll, Ar-
tikel N., in: Pauly-Wissowa RE XVI, 2 (32. Halb-Bd),
Stuttgart 1935; J. L. Heller, Festus on N., in: Trans-
actions and Proceedings of the American Philological
Association LXX, 1939; ders., N. natyviov, ebenda
LXXIV, 1943 ; G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom, = Mg.
in Bildern II, 5, Lpz. (1964), Abb. 4 u. 24.
Neo-Bechstein-Fliigel ist die Bezeichnung fiir ein
->• Elektrophon, dessen Saitenschwingungen durch Mi-
krophonsysteme abgenommen und iiber Verstarker im
Lautsprecher horbar gemacht werden. DieseErfindung
des Physikers W. Nernst sollte dem BaB wie auch dem
hochsten Diskant des Klaviers mehr Volumen geben.
Je 5 Saiten bzw. Saitenchore werden unter einem elek-
tromagnetischen System strahlenformig zusammenge-
40*
627
Nete
fiihrt. Sogenannte Mikrohammer ergeben einen leich-
teren Anschlag als normale Klavierhammer. Damit
werden die Gefahr von Verzerrungen und das klopfen-
de Anschlaggerausch gemindert. Die geringere Schwin-
gungsenergie der Saiten wird durch den nachgeschal-
teten Verstarker ausgeglichen; ein Resonanzboden ist
iiberfliissig. Das Instrument wurde 1932 erstmals 6f-
fentlich vorgefiihrt, konnte sich aber nicht durchsetzen,
da der Originalklavierklang verandert wird. Eine Par-
allelentwicklung ist das -> Elektrochord.
Lit. : E. Meyer u. G. Buchmann, Die Klangspektren d.
Musikinstr., Sb. Bin 1931 ; Fr. Winckel, Das Radio-Kl. v.
Bechstein-Siemens-Nernst, Die Umschau XXXV, 1931 ; O.
Vierlino, Das elektroakustische Kl., Bin 1936.
Nete (griech.) -> Systema teleion.
Neuburg a. d. Donau.
Lit. : A. Einstein, Ital. Musiker am Hofe d. N.er Wittels-
bacher 1614-1716, SIMG IX, 1907/08; N.er Musikpflege,
Acta Mozartiana I, 1954ff.; P. Winter, Musikpflege am
Pfalz-N.er Hof, in: N., d. junge Pfalz u. ihre Fiirsten, N.
1955; S. Hermelink, Ein Musikalienverz in: Ott-
heinrich Gedenkschrift . . . , Heidelberg 1956; G. Pietzsch,
Musik u. Musikpflege zur Zeit Ottheinrichs, Pfalzische
Heimatblatter IV, 1956; ders., Quellen d. Forschungen
zur Gesch. d. Musik am kurpfalzischen Hof zu Heidelberg
bis 1622, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes-
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1963, Nr 6; A. Layer, Pfalzgraf
Ottheinrich u. d. Musik, AfMw XV, 1958; ders., O. di
Lasso in N., N.er Kollektaneenblatt CXI, 1958.
Neudeutsche Schule nannten sich seit 1859 die Ver-
treter einer musikalischen »Fortschrittspartei« unter Fiih-
rung Liszts in Opposition zu der durch Mendelssohn
Bartholdy, R.Schumann und Brahms reprasentierten
Gruppe, die sich dem Stil der Wiener Klassiker ver-
pflichtet f iihlte. Liszt sammelte wahrend seines Weima-
rer Aufenthaltes (1849-61) bedeutende Mitglieder der
Gruppe um sich (darunter H. v. Biilow, P. Cornelius, J.
Raff) und verhalf durch Auffiihrungen derWerke von
Berlioz, Wagner und seiner eigenen Kompositionen
den von den Neuerern publizistisch und komposito-
risch geforderten musikalischen Gattungen (Musik-
drama und Programmsymphonie) zu Erfolg und Ver-
breitung. Wahrend der 1. Tonkiinstlerversammlung,
die 1859 in Leipzig stattfand, nahmen die »Zukunfts-
musiker« (das Wort -> Zukunftsmusik war eine pole-
mische Pragung der Gegner) offiziell den Beinamen
N. Sch. an (kritische Stellungnahme der »konservativen«
Partei in der von L.Bischoff geleiteten Niederrheini-
schen Musikzeitung VII, 1859) und konstituierten den
1861 definitiv gegriindeten Allgemeinen Deutschen
Musikverein. Vereinsorgan war bis 1892 die ehemals
von Schumann geleitete Neue Zeitschrift fur Musik. In
ihr fiihrten vor allem R.Pohl, K.Fr.Weitzmann, der
Redakteur Fr.Brendel und die Komponisten J. Raff
und F.Draeseke einen schriftstellerischen Feldzug ge-
gen die »Konservativen«. Zu den aktivsten Vorkamp-
fern der N.n Sch. gehorten auch H.Porges in Wien
und K.Tausig in Miinchen. Die Gegenangriffe der
»Konservativen« blieben mangels zusammengefaBter
StoBkraft meist wirkungslos, so die 1860 in der Berliner
Zeitschrift Echo durch eine Indiskretion verfruht ver-
offentlichte Erklarung, in der die Unterzeichneten
(Brahms, J. Joachim, Scholz, J.O.Grimm) feststellten,
daB sie die Produkte der Fiihrer und Schiiler der sogenann-
ten »N.n« Sch. . . . als dem innersten Wesen der Musik zu-
wider, nur beklagen oder verdammen konnten. Die Schroff-
heit des Parteiengegensatzes nahm seit den 1860er
Jahren jedoch ab, und viele »Neudeutsche« - Ausnah-
men bildeten A. Ritter und J. Huber - wurden auch
den Interessen der Gegenpartei gerecht. Die Brahms-
Verehrung H. v.Bulows ist dafiir beispielhaft.
Lit. : A. W. Ambros, Die mus. Ref ormbewegvmgen d. Neu-
zeit II : Die neu-deutsche Schule, in : Culturhist. Bilder aus
d. Musikleben d. Gegenwart, Lpz. 1860; H. Riemann,
Gesch. d. Musik seit Beethoven 1800-1900, Bin 1901, Kap.
XI, § 4; M. Kalbeck, J. Brahms, Bd 1, 2, Bin 31912.
Neue Musik, im 20. Jh. eine Bezeichnung fiir die bald
nach 1900 aus Obersteigerung des romantischen Es-
pressivo, dann in bewuBtem Gegensatz dazu entstan-
denen Richtungen und Stile der zeitgenossischen Mu-
sik. 1920 traten die durch Schonberg und Strawinsky
reprasentierten Hauptrichtungen in das Stadium der
Antithese: dort -> Atonalitat in der Bindung durch
Zwolftonigkeit (-»■ Zwolftontechnik), hier neoarchai-
stischer Klassizismus mit wechselnden Stilmodellen.
Beiden gemeinsam sind polyphone Struktur und eine
Ideenwelt, die von grimassierender Ironie bis zu reli-
gioser Ergriffenheit reicht. Tonale Wendungen bei
Schonberg (ab 1934), Reihenkonstruktion bei Stra-
winsky (seit 1948, zwolftonig seit 1955) wandelten die
Antithese zur Synthese. Nun erscheinen Atonalitat und
Polytonalitat, Komplementarharmonik und Hinde-
miths »Harmonisches Gef alle«, Panchromatik und Pan-
diatonik, Gleichberechtigung der »Dissonanz« und des
»schwachen Taktteils« als koordinierte Erscheinungen.
- Unter der Fuhrung O.Messiaens entstand ab 1930 in
Frankreich eine Reaktion gegen die heitere Spielasthe-
tik Saties, Cocteaus und der »Six«, verbunden mit Ein-
fliissen exotischer Musik, religiosem Pathos und Zah-
lenmystik, die bis in die Konstruktion von Tonleitern
und Rhythmen hineinwirken. Nach 1950 treten neo-
archaische Tendenzen hinter den EinfluB Weberns zu-
riick (Boulez, Nono, Stockhausen). Indifferenz gegen
harmonische Probleme verbindet sich mit »total pra-
determinierter Komposition« (Kfenek). Nicht nur die
melodische Tonfolge, auch Rhythmus, Dynamik und
Klangfarbe werden in der -> Seriellen Musik dem Ge-
setz von ->■ Reihen unterworfen. Gegen den Zwang
serieller Ordnung wenden sich in zwei getrennten
Richtungen Tendenzen, die dem Zufall und dem In-
terpreten die Anordnungen von Formpartikeln iiber-
lassen, so Stockhausen in Klavierstuck XI, Boulez in
der 3. Klaviersonate, wahrend J. Cage Unbestimmt-
heit und Zufall der Komposition vorangehen lafit
(-> Aleatorik und Indeterminacy). Rhythmus und Me-
trum entwickeln sich iiber den schwebenden Zustand
bei Bartok und Strawinsky hinaus autonom (Messiaen;
Blachers ->■ Variable Metren) und schaffen ein neues
musikalisches ZeitbewuBtsein. Um 1950 wurden in
Paris ersteErgebnisse einer experimentellen, mit Schall-
platte und Tonband montierten -> Musique concrete
gezeigt. Kurz danach iiberwand die Kolner Schule
Eimerts mit -*■ Elektronischer Musik das Stadium des
Experiments. Komposition geschieht hier direkt auf
Tonband; die Abstufungen von Klang, Oktavteilung,
Polymetrik und Dynamik sind unbegrenzt. - Bei den
auf Massenkultur bedachten totalitaren Staaten ist N.
M. verfemt; im Deutschland Hitlers waren ihre Auto-
ren und Werke als »entartet«, im RuBland Stalins als
»westlich dekadent« diffamiert. Seit 1955 hat der Wi-
derstand auch im sowjetischen Bereich nachgelassen.
Lit.: P. Stefan, N. M. u. Wien, Wien 1 92 1 ; E. Bucken, Fiih-
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1957.
Neumen (griech. veufia, Wink), - 1) die Zeichen der
kirchlicheh Notenschrift vor Entstehung der auf Li-
niensystem aufbauenden abendlandischen und der neo-
(mittel-)byzantinischen Notenschrift (-> Byzantini-
scher Gesang). Sie sind hervorgegangen aus den aufs
engste zusammengehorigen cheironomischen Zeichen
der fruhchristlichen Musiker und den Akzent- oder
Prosodiezeichen der spatantiken Grammatiker (-> Ak-
zent - 1 ; -> Prosodie - 1). Verwandte Zeichen lassen
sich bis nach Agypten und Indien und den Ausstrah-
lungsgebieten dieser Lander nachweisen. Aufgabe der
N. ist es, als Gedachtnisstutze fur die Kantoren den
Vortrag der kultischen Gesange zu erleichtern. Nach
Art der Gesange gliedern sie sich in Lektionszeichen
oder -»■ ekphonetische N., welche die Rezitationsfor-
meln anzeigen, und in die N. im eigentlichen Sinne fiir
den Concentus (-> Akzent - 2). Entsprechend der rei-
cheren Melodik des Concentus bezeichnen letztere die
auf die einzelnen Silben entfallenden Einzeltone oder
Tongruppen.
Die N. sind einzuteilen nach Art der Akzente. Da-
bei ist unter Akzent nicht die*heutige Hervorhebung
einzelner Silben oder Tone durch die Starke zu ver-
stehen, sondern einerseits im antiken Sinn die Verande-
rung des Silbentons, d. h. die Aufwartsbewegung der
Stimme (Acutus, als Neume Virga), die Abwartsbewe-
gung oder das Verharren in der Tiefe (Gravis, als Neu-
me Punctum, Tractulus), das Auf- und Abwarts (Cir-
cumflexus, als Neume Flexa oder Clinis, Clivis) sowie
die anderen zusammengesetzten Tonhohenverande-
rungen (siehe N.-Tafel S. 631) ; andererseits, gemafi der
antiken Akzendehre, die lange oder kurze Aussprache
(die Zeichen der Metriker: Longa und Brevis, als N.
nur in sogenannten rhythmischen Schriften verwen-
det: — und •) sowie Spiritus, Apostropha, Hyphen,
Diastole (zufolge E. Jammers als N. in den Sonder-N.
oder, wie P. Wagner sie nennt, in den Haken-N. fort-
lebend). Die N. fiir die Tonhohe geben dabei nicht den
Tonort, sondern seine Anderung, d. h. die Richtung
der Tonbewegung an. Wann aus der -»■ Cheironomie
als Versinnbildlichung des Gesanges durch Handbe-
wegung eine Schrift auf dem Pergament als Vorschrift
oder Hilf e fiir die Ausf iihrung der Melodien geworden
ist, laBt sich nicht genau bestimmen. Das Bediirfnis er-
gab sich im Westen vielleicht bei der Entstehung di-
vergierender Vortragsarten fiir den Gregorianischen
Gesang bei gleichen Texten oder bei der Verdrangung
des -*■ Gallikanischen Gesanges durch diesen unter den
Karolingern. Altestes zur Zeit bekanntes Dokument
ist der Miinchner Codex 9543 aus Oberaltaich mit der
Prosula Psalle modulamina, notiert von dem Schreiber
Engyldeo (zwischen 817 und 834).
Die Arten der N.-Schriften ergeben sich aus ihrer Ver-
bindung mit der Liturgie. Man unterscheidet armeni-
sche, byzantinische, russische (von den friihbyzantini-
schen abhangig) und andere Schriften im Osten sowie
die lateinischen N. im Westen, bei diesen wiederum
im Bereich der romischen Liturgie die beneventani-
sche, mittelitalische, anglonormannische, nordfranzo-
sische (im Gebiet der ehemaligen Gallia Lugdunensis)
und die deutsche Schrift, die nach einem ihrer wich-
tigsten Orte auch St. Galler Schrift genannt wird. Die
ambrosianische Schrift in Oberitahen ist weitgehend
durch fremde Schriften verdrangt worden. Die moz-
arabische Schrift (Spanien) starb im 11. Th. aus. Alle
diese Schriften (zu den wichtigsten friihen Quellen
-> Ambrosianischer Gesang, ->- Mozarabischer Gesang,
-> Gregorianischer Gesang, Ausg. und Lit.) verwenden
die Virga als einen Hauptbestandteil.
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Confirm*, hoc -oeuT quod. open, tuf
pto -mo quodefc tnhteru. HXem
St. Galler Schrift
(St.Gallen, Stiftsbibl., Cod. 339; 10. Jh.).
l£mtttfne*< »iii» kft m«>f tnf nan at
cfwhicem mime Ctifn tC Jomitrf
Beneventanische Schrift
(Rom, Bibl. Vat., Ms. lat. 10673; 11. Jh.).
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&i ,. ,„„
Nordfranzosische Schrift
(Mont-Renaud, Privatbibl.; 10. Jh.).
629
Neumen
Abseits stehen einige Schriften Frankreichs, die aqui-
tanische im Siiden, fast ohne Virga, indem sie nahezu
ausschlieBlich Punkte oder waagerechte Tractuli be-
nutzt (sogenannte neumes-points), ferner die palaofran-
kische urn St-Amand, die bretonische im Nordwesten
und die Metzer oder Lothringer im Nordosten und in
Belgien, doch auch steljenweise in Deutschland. Die 3
zuletzt genannten sind Ubergange oder Mischschriften
der aquitanischen und nordfranzosischen Schrift, mit
starkerer Verwendung der zusammengesetzten Ton-
hohezeichen. Die Ansichten iiber die geschichtliche
Einordnung dieser Schriften gehen auseinander.
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Aquitanische Schrift
(Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 903; 11. Jh.).
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Palaofrankische Schrift
(Diisseldorf, Landes-und Stadtbibl., Ms. D 1 ; 10. Jh.).
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; ,,1*1,4 : -' *' 1 M'*/'
Metzer Schrift
(Laon, Ms. 239; 9./10.Jh.).
Beinahe gleichzeitig mit der Entstehung der N.-
Schrift als Vorschrift fiir die Auffiihrung der Gesange, '
d. h. schon im 9. Jh., beginnen die Klagen iiber die Un-
sicherheit hinsichtlich der Tonhohe und setzen die er-
sten Versuche ein, ihr abzuhelfen. So schrieb man - je-
doch fast ausschlieBlich in Theorie- oder Schulwerken -
zu den N. die Tonbuchstaben, oder man erganzte die
N. durch Intervallzeichen (Hermannus contractus). Als
Zusatzzeichen fiir einen melodisch und rhythmisch
differenzierten Gesangsvortrag der N. begegnen die
-»■ Romanus-Buchstaben und das sogenannte Episema
(letzteres in Form eines leicht geschwungenen waage-
rechten Strichs am oberen Ende vor allem von Flexa
und Virga). Zu erwahnen ist ferner als echte Tonort-
schrift die aquitanische N.-Schrift. Auch hier bestehen
Meinungsverschiedenheiten : als Tonortschrif t von An-
fang an wird sie von Jammers betrachtet, Handschin
leitet sie aus einer Mischung von Tonort- und Tonbe-
wegungszeichen (d. h. aus der palaofrankischen Schrift)
ab, Solesmer Autoren dagegen unmittelbar aus der iib-
lichen Schrift der Tonbewegungen. - Die eigentliche
Entwicklung der N.-Schrift zur abendlandischen Ton-
ortschrif t erf olgte durch die Heranbildung des -»■ Linien-
systems. Dem Guidonischen Liniensystem kamen die
einzelnen Schriftarten mit verschiedener Bereitwillig-
keit entgegen. Keine Schwierigkeiten bestanden bei
der aquitanischen Schrift mit ihrem fast ausschlieBli-
chen Gebrauch von Punkten oder waagerechten Strich-
lein; die beneventanische Schrift bevorzugte die Punk-
te vor den Virgen. Trotzdem wurde die nordfranzosi-
sche Schrift besonders wichtig fiir die Gestalt der
abendlandischen. Hier erhielt die Virga an der Spitze
eine Verdickung; diese wurde nun Zeichen des Ton-
ortes, wahrend der eigentliche Virgastrich unwesent-
liche Verzierung oder aber Zeichen der Tondauer wur-
de (-> Longa). Punkt oder Verdickung gewannen qua-
dratische Form; es entstand die quadratische oder ro-
mische -> Choralnotation.
teftaaAcs meter mile cudro
»; '-r
: promem- - mdefot
Romische Choralnotation
(Arezzo, Bibl. Communale, Graduale; 1476).
In Deutschland, wo die Mehrstimmigkeit weniger ge-
pflegt wurde und das Verlangen nach exakter Angabe
der Tonhohe daher geringer war, hielt sich die linien-
lose N.-Schrift langer. Aus einer ahnlichen Verdickung
der Virga und anderen Entartungen der N. entstand
hier die Hufnagelschrift (deutsche oder gotische Cho-
ralnotation).
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tl(6 fitlCS tt
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rz$:
Ot t wrttrt tubttatc it o
Deutsche Choralnotation
(Karlsruhe, BadischeLandesbibl., Ms. Pm 16; 15. Jh.).
- 2) In der mittelalterlichen Musiktheorie umfaBte der
Terminus neuma mehrere Bedeutungen. Nach Anony-
mus I (CS II, 470a) und den Quatuor principalia musicae
(CS IV, 233b) verstand man unter neuma: 1) den Ein-
zelton (simplex phtongus, id est sonus) ; 2) die aus ei-
nem oder mehreren Tonen zusammengesetzte Silbe
eines Gesanges (cantus syllaba) ; 3) einen ganzen Gesang
(totus cantus) ; 4) jenen Cantus, qui est post antiphonam,
ut in cathedralibus et quampluribus aliis ecclesiis. In letztge-
nanntem Sinn hieBen neumae die vom 9. bis ins spate
16. Jh. nachweisbaren Melodie- oder Memorierfor-
melii: Vokalisen, welche den Antiphonen und Respon-
sorien auf dem SchluBvokal angehangt werden konn-
630
Neumen
St.Gallen
Benevent
Nordfran-
zosisch
Aquita-
nisch
PalSo-
frankisch
Metz
Romische
Choral-
notation
Deutsche
Choral-
notation
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ten, wobei jeder der 8 Kirchentone iiber ein eigenes
Neuma verfugte.
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burg i. d. Schweiz XVIII, Regensburg 1934; E. Jammers,
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631
Neuseeland
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Newel, Nebel (hebraisch) ist die im Alten Testament
mehrfach genannte Bogenharfe, das wichtigste Saiten-
instrument neben dem Kinnor. Nach der Zeit Davids
wurde es im Tempel bei freudigen Anlassen gespielt.
-> Psalterium.
New Orleans (La., USA).
Lit.: J. G. Baroncelli, L'operafrc. de la Nouvelle Orleans,
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Modern Jazz, NY 1955.
New-Orleans-Jazz (nju: 'o:lianz d3aez), der in Tanz-
hallen und im Vergniigungsviertel (Storyville) von
New Orleans entstandene friiheste -> Jazz. Die ersten
Tanz- und Unterhaltungskapellen der nordamerika-
nischen Neger (->- Band), deren Musizieren u. a. von
dem damals schon weitverbreiteten ->■ Ragtime beein-
flufit war, sind als Verkleinerungen der -> Marching
bands anzusehen. Sie sind in New Orleans seit etwa
1890 nachweisbar; eine der ersten namentlich bekann-
ten ist die des Kornettisten und Trompeters Buddy
Bolden (seit 1893). Diese Bands bestanden - wie auch
jede spatere Jazzband - aus einer Melodie- und einer
Rhythmusgruppe, wobei sich sehr bald die N.-O.-J-
Standardbesetzung herausbildete mit der Melodiegrup-
pe Kornett oder Trompete, Klarinette und Posaune
(->• Tail gate) und der Rhythmusgruppe Schlagzeug,
KontrabaB (anfangs Tuba), Banjo oder Gitarre, spater
auch Piano. - Der N.-O.-j. war urspriinglich kollek-
tives Stegreifmusizieren iiber einem ->• Chorus ohne
hervorstechende solistische Beteiligung. Als Chorus
dienten vor allem Popular songs, Schlager, Blues und
Marsche. Die fiihrende Melodiestimme (lead) iiber-
nahmen das Kornett oder die Trompete, die sich beim
ersten Durchspielen des Chorus noch moglichst eng
der Originalmelodie anschlossen, ihn aber bei seinen
Wiederholungen durch Auszierungen und Kolorie-
rungen immer abwechslungsreicher darboten. Die
Posaune bildete die tiefe Gegenstimme, und die Klari-
nette umspielte die beiden anderen Melodieinstrumen-
te. Auf Grund dieser freien Umspielungen des Chorus
durch die Melodieinstrumente ergab sich ein scheinbar
polyphones Klangbild, das haufig falsch mit der Poly-
phonie der Barockmusik verglichen worden ist. Die
Rhythmusgruppe lieferte nicht nur die harmonische
Grundlage, indem sie das Harmonieschema des Chorus
beibehielt , sondernsorgteauch durch den ->- Beat (- 1 ) f iir
das metrische Fundament (two beat), das der Melodie-
gruppe Off-beat-Akzentuierungen ermoglichte und so
den -> swing herbeifiihrte. Die Neger iibertrugen ihre
Gesangsvorstellung auf das Spielen der Instrumente
(singing horns), woraus sich die fur den N.-O.-J. typi-
sche -*■ Hot-Intonation entwickelte, die ihrerseits eng
mit der Verwendung von -> Dirty tones, -»• Shouting
und Blue notes in Zusammenhang steht. - Die heutige
Kenntnis des alten N.-O.-J. vermitteln Schallplatten.
Diese Aufnahmen entstandenjedoch erst in den Jahren
1922-28 in Chicago und reprasentieren die kultivierte-
ste und virtuoseste Stufe des N.-O.-J., die von den be-
deutendsten Bands aus New Orleans erreicht worden
ist: King Oliver's Creole Jazz Band (mit Louis Arm-
strong, Aufnahmen seit 1923), Louis Armstrong and
His Hot Five (1925), ebenso seine Hot Seven (1927)
und Jelly Roll Morton's Red Hot Peppers (seit 1926).
In den Aufnahmen dieser Bands gewannen - auch auf
Grund der Begegnung mit dem ->• Chicago-Jazz - das
solistische Hervortreten einzelner Musiker (Armstrong)
das durch Head-Arrangements (->■ Arrangement) fest-
gelegte ausgewogene Zusammenspiel der ganzen Grup-
pe (Morton), so wie Perfektion und Prazision in der
Darbietung eines geschlossenen Jazzstiicks immer mehr
Bedeutung. Sie stellen den Hohepunkt des N.-O.-J.
dar. Seit dem Auftreten der Big bands in der -> Swing-
Ara wurde der N.-O.-J. immer starker in den Hinter-
grund gedrangt, bis er schlieBlich durch die sogenann-
te New Orleans Renaissance (seit 1939), teilweise unter
Heranziehung alter Musiker (Bunk Johnson), der Ver-
gessenheit entrissen wurde und seitdem wieder als un-
befangenste und vitalste Spielart des Jazz gilt. EWa
New York.
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graffa del himno nacional de N., Managua 1955.
Njcolo (ital.) ->■ Bomhart.
Niederlandische Musik. Fur die altere Zeit ist die
Bezeichnung miBverstandlich, weil nicht das heutige
Holland allein gemeint ist, sondern das Konigreich der
Vereinigten Niederlande 1815-30. Hier fiihlte man
sich im Sinne der Romantik als Erbe der historischen
»Niederlande« mit flamisch-wallonisch-franzosischer
Bevolkerung und stellte 1824 die Preisfrage nach ihren
musikalischen Verdiensten im 1 4.-1 6. Jh., die 1 829 durch
R. G. Kiesewetter und Fr.-J.Fetis beantwortet wurde.
Dabei erkannte Kiesewetter zunachst, dafi jene Gebiete
nicht zu Frankreich gehorten, das erst 1659 kleine Teile
davon erobert hat. Die Musiker waren nicht Franzosen
im Sinne der Ars nova-Tradition. Man kann sie als
»franko-flamisch« bezeichnen (->■ Franko-flamische
Schule), doch ist auch »niederlandisch« angebracht,
weil das inzwischen durch »Holland« + »Belgien« ver-
drangte Wort »Niederlande« heute am besten jene alte
politische Einheit umschreibt, deren Geschichte lange
vor Fr. v. Schiller erforscht wurde. Ihre Zusammenge-
horigkeit geht auf das Herzogtum Burgund im 15. Jh.
zuriick (->■ Burgundische Musik), denn Herzog Philipp
der Gute trieb nicht mehr die Politik eines franzosi-
schen Vasallen, sondern setzte nach langem Kampf
1435 im Friedensvertrag von Arras seine Unabhangig-
keit vom franzosischen Konig durch. Diese im Biind-
nis mit England errungene staatliche Souveranitat hat
ihr Gegenstiick in der musikalischen Verselbstandigung
durch Aufnahme englischer Grundlagen. Der Dichter
Martin le Franc sprach 1441/42 von contenance Angloyse
und der Nachfolge Dunstables. Nur die in jenen Jah-
ren geschaffene Nova ars gait als horenswert, alles Vor-
angehende als veraltet, wie Tinctoris 1477 darlegte.
Die heutige Forschung fiihrte zur Erkenntnis einer
Ubergangszeit, in der sich einzelne Stilmittel heraus-
bildeten. Besonderen EinfluB hatte der um 1400 fiir
Padua wirkende J. Ciconia, gewifi ein jiingeres Mit-
glied der gleichnamigen Musikerfamilie in Luttich. -
Die franko-flamischen (niederlandischen) Musiker des
15./16. Jh. schufen den damals furEuropa giiltigen Stil,
von dem der Stil der Zeit nach 1600 charakteristisch
abweicht. Es war ein auf dem Gesang und auf dem
Wort beruhender »Singstil«, der zuerst in der liturgi-
schen Musik hervortrat, nachtraglich auf andere Ge-
biete iibertragen wurde. Am unabhangigsten davon
blieb im 16. Jh. die Pariser Chansonkunst, wahrend in
Italien das Madrigal vom Singstil gepragt war. Es gab
keine rein musikalische Form, denn auch die Instru-
mentisten folgten dem Vorbild der Vokalpolyphonie.
Dort richtete sich die Komposition nach dem Text,
der meist Prosa ist oder wie Prosa behandelt wird. Die
daraus hervorgehende »Prosamelodik« bringt immer
neue Motive, vermeidet Wiederholung und Sym-
metric Die Einzelstimmen sind vom Singen erfiillt
und ergeben den Klangstrom einer primar gesanglichen
Mehrstimmigkeit; demgemaB hatten instrumental die
Blaser den Vorrang. Der ernste Ton des Singstils er-
klart sich aus seinem Dienst an der Liturgie und seiner
Verwandtschaft mit dem gregorianischen Choral. Der
Choral war es, den Dufay um 1430-40 nach englischem
Vorbild in die Mehrstimmigkeit aufnahm, als erste
Stufe der Stilpragung. Da es von Binchois keine Te-
normesse gibt, war er nur sekundar ein Mitschopfer
des Neuen, wahrend der universale Dufay den Sing-
stil auch auf die Motette und die Gesellschaftsmusik
wirken lieB, nach dem erhaltenen Werkbestand bis
iiber 1460 hinaus. Im Zeitalter der niederlandischen
Devotio moderna, der Reformation und Gegenrefor-
mation lag die Fuhrung auf musikalischem Gebiet beim
MeBzyklus und bei der Motette. Der hier gepragte
Singstil hat immer wieder andere Formen beeinfluBt,
die franzbsische Chanson und das deutsche Lied ebenso
wie zuletzt noch das Madrigal. Dagegen blieb die
Tanzmusik im 15.-16. Jh. ohne irgendwelchen EinfluB,
sie paBte sich vielmehr bei polyphoner Ausfiihrung
bald dem Singstil an (->• Tanz). - Die zweite Stufe der
Stilpragung vertrat seit 1460 Ockeghem, der nicht
Schuler Dufays war und langsam seine eigene Sprache
fand. Er gab dem polyphonen Klangstrom, meist mit
einem C. f., durch unregelmaBige Rhythmik und Zu-
riickdrangen der Kadenzgliederung eine neue Aus-
druckskraft. Zugleich bevorzugte er die Messe fast bis
zur AusschlieBlichkeit. Der stark auch der Chanson
zuneigende Busnois hatte geringeren EinfluB. Der Vor-
rang des MeBzyklus, im Diffinitorium musices von Tinc-
toris als cantus magnus bezeichnet, entsprach wohl
dem Wunsch der Zeitgenossen. Mit seinen 5 Satzen
war er die GroBform der niederlandischen Epoche, an
Bedeutung der Symphonie vergleichbar. Der litur-
gisch begriindete Vorrang der Messe blieb bestehen,
auch als die Schopferkraft sich auf andere Gebiete ver-
lagerte. Das geschah allmahlich zugunsten der Motette,
die fiir Tinctoris nur als cantus mediocris gait, im 16.
Jh. jedoch die Fuhrung hatte, zuletzt in Italien sogar
hinter dem Madrigal als Vertreter des cantus parvus
zuriickblieb.
Die um 1500 zur Herrschaft gelangte Generation er-
hielt durch die Renaissance in Italien Anregungen.
Wahrend fiir Dufay die Auseinandersetzung mit der
italienischen Fruhrenaissance fruchtbar war, riB die-
ser Zusammenhang bei Ockeghem ab. Die junge Ge-
neration suchte nun wieder Kontakte, wie Gaspar van
Weerbeke, Compere, Brume], und zuletzt, wenigstens
mittelbar, der vielseitige Mouton. Fast unbeeinfluBt
von Italien blieb Pierre de la Rue, als starkster Ver-
treter der Kanonkiinste zugleich Komponist eines
recht ungleichartigen Werkes. Der Nordniederlander
Obrecht weilte nur wenige Jahre im Suden, mit dessen
Kunst er sich jedoch fruchtbar auseinandersetzte. Der
Flame Isaac, seit 1497 Hofkomponist Kaiser Maximi-
lians I., hatte sich den Ton der italienischen Frottola
ebenso angeeignet wie den des deutschen Liedes. Am
intensivsten war die Auseinandersetzung bei Josquin
Desprez, der schon als Jiingling 1459 nach Italien kam,
jedoch in der Heimat starb. Er gab dem Singstil durch
Imitation und Wortausdeutung sowohl in der Gesell-
schaftsmusik als auch in der von ihm bevorzugten Mo-
tette eine Gestalt von starker kompositionsgeschicht-
licher Auswirkung. Dabei handelte es sich aber nie um
freie, sondern nach wie vor um dienende Kunst, wie
sie fiir die N. M. auch in der ->■ Renaissance charakte-
ristisch blieb. - Die franko-flamischen Musiker hatten
in fast alien Landern Europas die Fuhrung, weil sie
unter der Herrschaft des Singstils die beste Gesangs-
schulung betrieben; als"Leiter von Kapellen waren sie
konkurrenzlos und begehrt. - Den Singstil seit 1530
vertrat Gombert, der in der Motette als dem neuen
Schwerpunkt statt eines C. f. die Durchimitation stets
neuer Motive und den 5-6st. Satz bevorzugte. Bei der
Messe iiberwog nun die Parodietechnik, wobei nach
wie vor auch Chansons als Vorlage dienten. Fiir Wil-
laert gilt ahnliches, doch pflegte er die geselligen For-
633
Niederlandische Musik
men ebenso stark; bald wandte er sich nach Italien und
seit 1527 wirkte er schulbildend in Venedig. Ein Er-
gebnis des Einwirkens der N.n M. auf Italien war vor
allem das Madrigal, das nach dem Vorbild der Motette
den Singstil verkorperte und im Siiden allmahlich an
die Spitze trat. Clemens non Papa, bezeugt in Ypern
und Brugge, lieB als neue Gattung 1556/57 3st. Psalter-
lieder drucken. Hellinck bekundete seine Neigung zur
Reformation durch die Komposition von Kirchenlie-
dern fiir Wittenberg. M. Le Maistre, 1554 der Nach-
folger J.Walters in Dresden, brach als Lutheraner mit
der Heimat. In den Niederlanden wurde der Wille zur
Glaubensreform immer scharfer unterdriickt, seit 1567
durch Alba mit brutaler Gewalt. Das fiihrte zu Auf-
standen und zur Spaltung der Niederlande, da der re-
formierte Norden sich 1585 von Spanien trennte und
politisch wie kulturell bald die Fiihrung tibernahm. -
Von den Zeugen dieser Ereignisse blieben nur wenige
franko-flamische Musiker in der Heimat, wie Pever-
nage und spater Verdonck, wahrend die meisten ab-
wanderten, vor allem Lassus und Ph. de Monte, zwei
Hauptmeister der neuen Musica reservata. Lassus, seit
1556 am bayerischen Hof in Munchen, beherrschte
souveran alle Gebiete und erweiterte die Sprache des
Singstils bis zur Aff ektendarstellung. Sein Riickhalt war
dabei die Motette, an der er, mit schulbildender Kraft,
bis zuletzt festhielt. Der zweite Exponent der neuen
Art, Ph. de Monte, war ab 1568 Kapellmeister am Kai-
serhof in Wien und Prag. Er wandte sich vor allem
dem Madrigal zu und geriet zunehmend in den Bann
Italiens. Das gilt noch mehr fiir die in Italien seBhaften
Niederlander, wie den Willaert-Schuler Cyprian de
Rore und den etwas jungeren Giaches de Wert. Selb-
standiger blieben J. de Kerle, der neben Lassus tatige
Ivo de Vento und die Kapellmeister an den Habsbur-
gerhofen in Wien, Prag, Innsbruck und Graz: Hollan-
der, Vaet und sein schon genannter Amtsnachfolger
de Monte, ferner de Cleve, Utendal, dann die jtingere
Gruppe mit Jakob Regnart, dem bekanntesten von
4 Briidern, Lambert de Sayve und Luyton. Jean de
Macque befaBte sich als einer der jiingsten der Franko-
Flamen in Italien nicht nur mit dem Madrigal, sondern
als Organist auch mit instrumentalen Canzoni; von
Zeitgenossen wie Luyton gibt es ebenfalls Orgelmu-
sik. - Am entschiedensten vertrat das Neue, mit Druk-
ken seit 1584, der Nordniederlander und Berufsorga-
nist J. P. Sweelinck. Er hinterlieB als vokalmusikali-
sches Hauptwerk die Vertonung des Hugenottenpsal-
ters in franzosischer Sprache (ab 1604). Da es sich nicht
mehr um Prosa, sondern um franzosische Verse han-
delte, gab Sweelinck beim C. f.-Satz ebenso wie bei
freien Chorwerken den Singstil preis, arbeitete viel-
mehr mit Motivwiederholung und dem neuzeitlichen
Taktrhythmus. Dieser Obergang zum Barock vollzog
siah vor allem in der von England angeregten Orgel-
musik Sweelincks, die zwar in der ref ormierten Kirche
Hollands keinen Platz hatte, dafur aber um so starker
auf die deutschen Lutheraner gewirkt hat. So erhielt
die N. M. als Orgelmusik durch Sweelinck eine neu-
zeitliche, die Zukunft bestimmende Gestalt.
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No (japanisch, Fertigkeit, Kunst), lyrisches Chordrama
der Japaner, das Rede, Gesang, Tanz, Bewegung in fest
umrissener Form vereinigt. Es entwickelte sich aus den
Sarugaku, artistisch-musikalischen Darbietungen, die
etwa im 7. Jh. von China ubemommen wurden. Seine
feste Gestalt erhielt das No durch den Shintopriester
und Tanzer Kwanami Kiyotsugu (1333-84) una dessen
Sohn, den Schauspieler, Tanzer und Kunstphilosophen
Zeami Moto-Kiyo (1363 - um 1445), der iiber 100
N6-Spiele und eine Reihe theoretischer Schriften iiber
das No verfalke. - Keimzelle des No ist ein stilisierter,
symbolhafter Tanz. Die einfache Handlung der Spiele
beruht meist auf alten Legenden, auf Episoden aus klas-
sischen Literaturwerken oder auf Tempeltraditionen.
In einem No-Spiel wirken nur mannliche Schauspieler
mit, ein Chor von in der Regel 8 Sangern und eine In-
strumentalgruppe, bestehend aus einer Flote, zwei Ar-
ten von Tsuzumi (zweifellige, sanduhrformige Trom-
meln unbestimmter Tonhohe) vind einer Taiko (FaB-
trommel). Hauptdarsteller im No ist der Shite; er tragt
gewohnlich eine Maske, stellt oft ubernaturliche We-
sen dar, rezitiert, singt und tanzt. Der Waki, der den
Zuschauer auf der Biihne versinnbildlicht, tragt keine
Maske; er bringt das Spiel durch Fragen an den Shite
in Bewegung, stellt meist einen Wanderer dar oder ist
dramatischer Gegenspieler, wenn der Shite eine reale
Gestalt verkorpert. In untergeordneten Rollen konnen
mehrere Tsure-Spieler hinzutreten. Das Ordnungs-
prinzip des No ist das Jo-Ha-Kyu (Anf ang-Entwick-
lung-Ende). Es regelt den zeitlichen Ablaut durch im-
mer neue Unterteilungen in kleinere Jo-Ha-Kyu und
reicht bis in die kleinste Zeitstruktur, z. B. die Aus-
sprache eines Wortes. Die Musik ist integrierender
Bestandteil des No. Die Instrumentalisten werden so-
listisch oder als Ensemble (hayashi) eingesetzt. Die
Texte werden stets einstimmig gesungen oder in einer
feierlichen Sprechweise (kotoba) rezitiert. Die Gesangs-
teile wie auch die Flotenmusik werden durch melodi-
sche Muster bestimmt, die in jedem No-Spiel wieder-
kehren und sich nur in der Folge ihrer Aneinanderfii-
gung andern. Der Rhythmus der Vokalpartien ist
durch die Silbenzahl des Textes bestimmt: 12 Silben
in der Anordnung 7+5 oder 5+7 (bei moglichen Un-
terteilungen der 7 Silben in 5+2, 2+5, der 5 Silben
in 3+2, 2+3) gehen durch Silbendehnung oderein-
gefugte Pausen in einem Taktschema von 8 Schlagen
(yabyoshi) auf. Zwischenrufe der Trommler wahrend
ihres Spiels, wohl aus dem Auftakt zum Schlag ent-
standen, liegen, fiir die einzelnen Instrumente uriter-
schiedlich, fest. - Die Intensitat der Darstellung im No,
bedingt durch sparsame Gestik und strenge Symbolik
der Bewegungen, sowie die Vermeidung jeder An-
naherung an das Alltagliche machen das No zu ei-
ner der feinsinnigsten Formen der japanischen Kul-
tur. Seine asthetische Grundforderung richtet sich auf
das Gleichgewicht der akustischen und visuellen Ele-
mente und das voile Erfiillen undErlebenjedes Augen-
blicks im Spiel. Im Lauf der Jahrhunderte hat das No,
das bis ins 17. Jh. als bevorzugte Kunst der japanischen
Ritter (bushi) gait, fast keine Veranderungen erfahren
und wird noch heute in bestimmten japanischen Schu-
len gelehrt.
Lit.: R. Lachmann, Musik u. Tonschrift d. N6, Kgr.-
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sique de N6, ebenda.
Nocturne (nokt'urn, frz. ; ital. notturno ; deutsch Nok-
turne bzw. Nachtstiick), unter der italienischen Be-
zeichnung im 18., auch noch im 19. Jh. s. v. w. ->■ Sere-
nade oder -> Kassation, ein mehrsatziges -»• Diverti-
mento (- 1) beliebiger Besetzung, das auch fiir Auf-
635
Noel
fiihrungen im Freien bestimmt war. Kompositionen
dieser Art schrieben u. a. W.A.Mozart (z. B. Nottur-
no fiir 4 Orch. - Streicher und 2 Horner - D dur,
K.-V. 286), GJ. Vogler (Nbtturno fur Kl. und Streich-
trio, 1778) und J. Haydn (8 Notturni fiir 2 Lire or-
ganizzate, 2 V., B., 2 Klar. und 2 Horner, Hob. II,
25*-32*). Gleichzeitig gab es das Notturno oder N.
auch als einsatziges Stiick standchenhaften Charakters
fiir eine oder mehrere Singstimmen mit und ohne Be-
gleitung, z. B. von Mozart (K.-V. 436, 437, 438, 439,
346, 549) und von Verdi (1839). Eine groBe Anzahl sol-
dier (meist unbegleiteter oder doch unbegleitet ausf iihr-
barer) N.s schrieben B.Asioli und G.Blangini. In der
1. Halfte des 19. Jh. wurden auch Stiicke in Opernsze-
nen, die zur Nachtzeit spielen, N.s genannt. Das Not-
turno betitelte Orchesterstiick aus der Musik zu Shake-
speares »Sommernachtstraum« von F. Mendelssohn
Bartholdy (1842) kann hierzu gerechnet werden. N.
hieB ferner eine gewisse Art von Instrumentaldialogen
in Form eines Air varie (z. B. A. Stamitz, N.s ou Airs
vane's pour violon et violoncelle, 1782). Seit den 17 (oder
20) N.s fiir Kl. von J. Field ging die franzosische Be-
zeichnung mehr unci mehr auf kurzere, traumerische
oder elegische Klavierstiicke (-*- Charakterstiick) mit
expressiv gestalteter Melodie iiber, haufig in 3teiliger
Liedform (Chopin, 21 N.s: op. 9, 15, 27, 32, 37, 48, 55,
62, 72; 2 N.s ohne Opuszahl C moll und Cis moll). Die
drei 1899 beendeten Orchesterstiicke Nuages, Fetes,
Sirenes (letzteres mit Frauenchor ohne Text) von De-
bussy erhielten den Titel N.s wohl in Anlehnung an
gleichnamige Bilder von J. A. Whistler (1834-1903).
Die deutsche Bezeichnung Nachtstiick, die auf R.
Schumann zuriickgeht (Nachtstiicke op. 23, 1839), ist
von E. T.A.Hoffmann angeregt. Ohne Bezug auf den
Dichter begegnet sie im 20. Jh. bei Reger (in : 4 Klavier-
stiicke ohne Opuszahl, 1903), Hindemith (in: Suite
»1922« fiir Kl. op. 26 und in der Kammermusik op. 36
Nr 3, 1925) sowie bei Henze (Nachtstiicke und Arien fiir
S. und Orch., 1957). ESe
Nofil (na'sl, frz., Weihnachten, Weihnachtslied), ver-
breitete Form des Weihnachtsliedes in Frankreich, das
urspriinglich auf liturgische Melodien (vorwiegend
Benedicamustropen), seit Ende des 15. Jh. auch auf
Chansonmelodien gesungen wurde. Das N. ist stro-
phisch angelegt, gelegentlich mit Refrain, und behan-
delt meist die Hirtenerlebnisse aus der Weihnachtsge-
schichte. Es wird zur Adventszeit im hauslichen Kreise
gesungen und fand auch Eingang in die Christnacht-
gottesdienste. Nach fruhesten Belegen aus dem 13. Jh.
stammen die ersten Aufzeichnungen vomEnde des 15.
Jh. (z. B. Paris, Bibl. Nat., Ms. frc. 2368 und 2506, so-
wie Arsenal, Ms. 3653). Drucke kommen seit dem 16.
Jh. vor (Bible de n.s). Notenaufzeichnungen begegnen
erst in Sammlungen des 17. Jh., als auch instrumentale
Bearbeitungen gebrauchlich wurden. Seitdem werden
N.-Dichtungen haufig auf Volksliedmelodien gesun-
gen. Daneben gab es, vor allem im 16. Jh., auch eigens
komponierte N.s, vereinzelt ebenfalls schon seit dem
13. Jh., so A. de la Halles 3st. Rondeau Dieus soit en
cheste maison. Volkstiimliche N.s in schlichten Bearbei-
tungen (u. a. Variationen) verofEentlichten in ihren Or-
gelbiichern die franzosischen Klaviermeister des 17./18.
Jh. (Raison, Dandrieu, Daquin, Corrette, Charpentier,
Balbastre u. a.). Im 19. Jh. wurden N.s auch als Ro-
manzen oder Arien (A. Adam) komponiert.
Lit. : J. Tiersot, Hist, de la chanson populaire en France,
Paris 1889; N. Herve, Les n. frc., Niort 1905; P. de Beau-
repaire-Froment, Bibliogr. des chants populaires frc.,
Paris 1906, 31911; Fr. Hellouin, Le n. mus. frc., Paris
1906; A. Gastoue, Le cantique populaire en France . . .,
Lyon 1924; ders., Sur l'origine du genre »n.«, in: Le guide
du concert XXII, Nr 12-14, 1935/36; H. Bachelin, Les
n. frc., Paris 1927 ; J. R. A. de Smidt, Les n. et la tradition
populaire, Amsterdam 1932; P. Coirault, Notre chanson
folklorique, Paris 1942 ; H. Poulaille, Bible des n. anciens,
des origines au 16 e s., Paris (1958).
Noema (griech., Gedanke), in der Kompositionslehre
des 17. und 18. Jh. die aus der Rhetorik entnommene
Bezeichnung fiir eine musikalische Figur, die als Kom-
positionsmittel bis ins 14. Jh. zuriickgeht: Hervorhe-
bung eines Texthohepunktes durch einen homopho-
nen, nur aus Konsonanzen bestehenden Abschnitt in-
nerhalb einer polyphonen Komposition. Burmeister
(1606) charakterisiert das N. als: aures, imo et pectora
suaviter afficiens et mirifice demolcens, si tempestive intro-
ducitur, und leitet aus dem N. weitere Figuren ab:
-*■ Analepsis, -> Mimesis, -*■ Anadiplosis, -*■ Anaploke.
Von den rhetorischen Bedeutungen des N. steht die
einer Sentenz, deren Bedeutung aus dem Gesamtsinn
erschlossen werden muB (Lossius), der musikalischen
Bedeutung am nachsten.
Nordlingen.
Lit. : Fr. W. Trautner, Zur Gesch. d. ev. Liturgie u. Kir-
chenmusik in N., N. 1913 ; P. Nettl, Beitr. zur Gesch. d.
deutschen Singballetts, sowie zur Oettinger u. Nordlinger
Mg., ZfMw VI, 1923/24; W. Salmen, Quellen zur Gesch.
»fromder Spillute« in N., Mf XII, 1959 ; Fr. Krautwurst,
K. Paumann in N., Fs. H. Besseler, Lpz. 1 96 1 .
Noire (nii'a:r, frz., schwarze), Viertelnote.
Nokturn -> Matutin.
Nola (Kurzform von mittellat. campanola [Diminutiv
von -> campana], Glocke, Glockchen). Die Bezeich-
nung n., oft auch synonym mit ->■ cymbala gebraucht
(si vis scire mensuram nolarum, quas nos cimbala vocamus,
Wien, Ms. Cpv 2502, f. 25), umschreibt WaltherL als
ein Glockgen, eine Schelle. Die Ableitung des Wortes n.
von der gleichnamigen italienischen Stadt (in Kam-
panien), in der noch heute zu Ehren des hi. Paulinus das
»Fest der tanzenden Glockenturme« gefeiert wird, ist
umstritten. In der Form nolae, seltener musae (harum
igitur nolarum sive musarum . . . , Erfurt, Ampl. 94, f . 35' ;
vgl. auch Leiden, B.P.L. 194, f. 41'), wird das Wort
auch synonym fiir -*- tintinnabula (GS II, 282a, 392a)
verwendet.
Nomos (griech. v6u.oc;, von v^jxeiv, zuteilen; Grund-
bedeutung etwa »die einer Gruppe von Lebewesen zu-
geteilte Ordnung«, dann auch Gesetz, Sitte). Der von
den Griechen friihzeitig auf das Gebiet von Dichtung
und Musik iibertragene Begriff ist in seiner Bedeutung
noch nicht ganz geklart. Heute wird N. meist als mu-
sikalische Weise, Melodie oder als Melodietyp, Melo-
diemodell (ahnlich wie -> Maqam, -* Patet, ->• Riga)
gedeutet. Der N., anfangs nur in Verbindung mit dem
Apollonkult bezeugt, war fiir solistischen Vortrag be-
stimmt (im Unterschied etwa zum ->■ Paan). Auf
Grund einiger Quellen wird angenommen, daB es sich
um eine musikahsche Art des Rhapsodenvortrags han-
delt, die von der sonst iiblichen rezitierenden Art ab-
weicht. Begleitinstrument war die Kithara, seltener der
Aulos. Eine gewisse inhaltliche und formale Gliede-
rung scheint fiir den N. bezeichnend gewesen zu sein.
In der Antike wurden unterschieden : a) die zum Teil
auf Terpandros (7. Jh. v. Chr.) zuriickgehenden kitha-
rodischen Nomoi, fiir die siebenteiliger Aufbau be-
zeugt ist; b) die in der Zeit nach Terpandros von Klo-
nas und Polymnestos eingefiihrten aulodischen Nomoi,
die jedoch bald in den Hintergrund traten (von der le-
gendaren Gestalt des Olympos, dem ebenfalls die Er-
findung solcher Nomoi zugeschrieben wird, sei hier
abgesehen); c) der mit dem Namen des Sakadas, des
beruhmtesten Aulosspielers der Antike, verbundene
636
Noten
Pythische N. (586 v. Chr.) : ein Stiick fur Aulos allein
(daher auch auletischer N. genannt), das in fiinf Teilen
den Kampf Apollons mit dem Drachen Python dar-
stellte; die Deutung dieses Stiicks als Programmusik
findet in antiken Quellen keine feste Stiitze. - Im 5. Jh.
v. Chr. erfuhr der kitharodische N. durch Phrynis und
seinen Schiiler Timotheos (dessen N. »Die Perser« zum
Teil erhalten ist) eine griindliche Umgestaltung. Wohl
unter dem EinfluB des neuen -*■ Dithyrambos wurde die
Strophenresponsion aufgegeben. Einzelne Partien wur-
den wahrscheinlich chorisch vorgetragen. Die helleni-
stische Zeit kannte auch Nomoi auf Athene, Zeus und
Ares.
Lit. : H. Guhrauer, Der Pythische N., Jb. f . klass. Philolo-
gie, Suppl.-Bd VIII, 1875/76; H. Reimann, Studien zur
griech. Mg. I, Ratibor 1882 ; O. Crusius, Zur Nomosfrage,
Verhandlungen d. 39. Versammlung deutscher Philologen
u. Schulm3nner in Zurich, Lpz. 1888; J. Juthner, Terpan-
ders Nomengliederung, Wiener Studien XIV, 1892; Timo-
theos, Die Perser, hrsg. v. U. v. Wilamowitz-Mollen-
dorff, Lpz. 1903; H. Grieser, N., Ein Beitr. zur griech. Mg.,
= Quellen u. Studien zur Gesch. u. Kultur d. Altertums u.
d. MA V, Heidelberg 1937; W. Vetter, Mus. Sinndeutung
d. antiken N., in: Mythos - Melos - Musica I, Lpz. 1957;
Thr. G. Georgiades, Musik u. Rhythmus . . . , = rde LXI,
Hbg (1958); D. Kolk, Der pythische Apollonhymnus als
aitiologische Dichtung, Meisenheim a. Gl. 1963. FZa
Non (lat. hora nona) -> Terz, Sext, Non.
None (lat. nona, neunte), die -> Sekunde iiber der
Oktave.
Nonenakkord nennt die an den GeneralbaB anknup-
fende altere Akkordlehre jeden aus 4 Terzen bestehen-
den Akkord. Urspriinglich ist die None Durchgang
zwischen Dezime und Oktave bzw. Vorhalt vor der
Oktave; die so entstehenden N.e haben keine eigene
Akkordfunktion. Sie werden erst dann zu selbstandi-
gen Akkorddissonanzen, wenn mit der Auf losung auch
das Fundament wechselt. Von alien N.en dieser letzten
Art ist der Dominant-N. (D 9 ) mit groBer Terz und
kleiner Septime in der dur-moll-tonalen Harmonik
am wichtigsten. DaB er annahernd dem Verhaltnis der
Obertone 4:5:6:7:9 (in C dur z. B. g-h-di-fi-ai)
entspricht, erklart weder seine Entstehung noch seine
Wirkung. Im Dominant-N. vermischen sich Domi-
nant- und Subdominantdreiklang zu fast gleichen Tei-
len. Die None als zusatzliche Dissonanz zum Domi-
nantseptakkord erhoht dessen Dominantwirkung. Im
4st. Satz kann am ehesten die Quinte entbehrt werden,
weniger die Septime oder die Terz. Der Dominant-N.
mit ausgelassenem Grundton (in C dur z. B. h-dt-f i-a 1 )
heiBt verkiirzter Dominant-N. (EP). Seine Mollvarian-
te, der verkiirzte Dominant-N. mit kleiner None (nach
Riemann E>9>, aber auch SK<, nach W.Maler DV;
z. B. h-di-f '-as 1 ), ist als »verminderter Septakkord« be-
kannt. Mit seinen 5 verschiedenen Tonen laBt sich der
Dominant-N. viermal umkehren, doch wurde die 4.
Umkehrung (mit der None im Bafi) erst gegen Ende
der dur-moll-tonalen Epoche verwendet, z. B. in A.
Schonbergs Streichsextett Verklarte Nacht op. 4 (1899),
Takt 42 u. 6.
Nonett (ital. nonetto; engl. nonet), im weitesten Sinne
eine Komposition fur 9 solistisch konzertierende In-
strumente, seltener fiir 9 Singstimmen. Im engeren
Sinne bezeichnet N. - eine zu Anfang des 19. Jh. in
Analogie zu Quartett entstandene Wortbildung - eine
Instrumentalkomposition (in der Regel fiir gemischte
Streicher-Blaser-Besetzung), die das Repertoire der
Kammermusik durch Einbeziehung der Serenadenbe-
setzung erweiterte. Eines der friihesten N.e ist op. 31
(1813) von L.Spohr fur V., Va, Vc, Kb., Fl., Ob.,
Klar., Fag. und Horn. Aufierdem seien genannt die
N.e von Fr.Lachner (1875), J.Rheinberger (op. 139,
1885), Ch. Stanford (op. 95, urn 1906) und A.Haba
(op. 40/41, 1931, und op. 82, 1953).
Nordhausen (Th tiring en).
Lit. : J. Schafer, Nordhauser Orgelchronik, = Beitr. zur
Musikforschung V, Halle u. Bin 1939; W. Lidke, Der
Streit um d. Nordhauser Gesangbuch v. 1735, Jb. f. Litur-
gik u. Hymnologie III, 1957.
Normalton-* Stimmton.
Norwegen.
Ausg. : L. M. Lindeman, Aeldre og nyere Fjeldmelodier,
3 Bde, Oslo 1853-67, Erganzungsbd 1907; O. Sande,
Norske tonar, 4 Bde, Leikanger 1904-10; C. Elling, Reli-
gi0se folketoner, Oslo 1907-18; ders., Norske folkemelo-
dier, 4 Bde, Oslo 191 1 ; A. Bjorndal, Norske slattar, 5 Bde,
Oslo 1908-11; ders., Gamle slattar, 5 Bde, Oslo 1929;
Norsk folkemusikk, Serie I: Hardingfeleslattar, 3 Bde,
Oslo 1958-60; Norske religiose folketoner, hrsg. v. O. M.
Sandvik, I Oslo 1960, II 1964.
Lit. : (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Os-
lo): C. Elling, Vore folkemelodier, in: Videnskabssel-
skabet i Christiania, Skrifter II, 1909; ders., Vore kjaempe-
viser, 1913; ders., Norsk folkemusikk, 1922; ders., Vore
religiose folketoner, 1927; A. Lindhjem, Norges orgler og
organister, Skien 1916, Erganzungsbd. 1924; O.M. Sand-
vik, Norsk kirkemusikk, 1918; ders., Norsk folkemusikk,
1921 ; ders., Norsk koralhist., 1930; ders., Osterdalsmu-
sikken, 1 943; ders., Folkemusikki Gudbrandsdalen, 2 1 948 ;
ders., Setesdalsmelodier, 1952; ders. u. G. Schjelderup,
Norges musikhist., 2 Bde, 1921 ; I. Kindem, Den norske
operas hist., 1941; H. J. Hurum, Musikken under okku-
pasjonen, 1946; 0. Gaukstad, Norsk folkemusikk (Bib-
liogr.), 1951; A. Bjorndal, Norsk folkemusikk, Bergen
1952; A. Hermes, Impuls og tradisjon i norsk musikk
1500-1800, 1952; E. Dal, Nordisk folkeviseforskning
siden 1800, Kopenhagen 1956; L. Greni, fjber d. Vokal-
tradition in norwegischer Volksmusik, Les Colloques de
Wegimont III, 1956; Kr. Lange u. A. Ostvedt, Norwegian
Music, London 1958; G. M. Cartford, Music in the Nor-
wegian Lutheran Church, Diss. Univ. of Minnesota 1961,
maschr.; J. Horton, Scandinavian Music, London 1963;
O. Gurvin, Uber Beziehungen zwischen deutscher u. nor-
wegischer Musik, in: Norddeutsche u. nordeuropaische
Musik, = Kieler Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965.
Noten (von lat. nota, Zeichen) sind konventionelle
Zeichen fiir die schriftliche Wiedergabe musikalischer
Tone ; das Wort nota im Sinne von N. gebraucht schon
Quintilianus (I, 12, 14) im 2. Jh. n. Chr. Er bezeichnet
damit wie noch Boethius (III, 3f.) die griechische
->■ Buchstaben-Tonschrift. Spater ging der Name auf
die Neumenschrift (nota romana; -> Neumen - 1), um
1200 auf die -> Choralnotation (nota quadrata) so wie
->■ Modal- und ->• Mensuralnotation fiber. Die heuti-
gen N. sind rhythmische Wertzeichen (Tondauerzei-
chen), hervorgegangen aus den Zeichen der Mensural-
notation; ihnen entsprechen Zeichen fiir die -»■ Pause
gleicher Dauer:
Bezeichnung: Note: Pause:
Ganze Note o -m-
J
Halbe Note
Viertelnote
Achtelnote
Sechzehntelnote
J
I
ZweiunddreiBigstelnote
7
Vierundsechzigstelnote Jt 7
Gelegentlich, vor allem als SchluB-N. in Neuausgaben
alterer Musik, werden heute auch die Longa e=| und
Brevis ea (oder w), seltener die ihnen entsprechenden
Pausenzeichen der Mensuralnotation verwendet. Zu-
637
Notendruck und -stich
sammengehorige Gruppen kleinerer N.-Werte wer-
den mit Balken (statt der Fahnchen) versehen, z. B.:
J J J Jd. Eine Note wird durch einen rechts ne-
ben sie gesetzten Punkt um die Halfte, durch 2 Punkte
um drei Viertel, durch 3 Punkte um sieben Achtel ihres
Wertes verlangert (-> Punkt - 1). Pausen werden im
allgemeinen nicht punktiert, doch ist ihre Punktierung
vor allem in Taktarten mit 3teiliger Zahlzeit zulassig.
Soil eine Note iiber den Taktstrich hinweg verlangert
werden, so werden 2 N. durch Bindebdgen (->■ Liga-
tur - 2) verbunden, z. B. : aJj^J. Neuerdings wird fiir
Tone, die weiterklingen sollen, auch nur der Bindebo-
gen (in diesem Falle auch »Klangbogen« genannt) no-
tiert, z. B. : J^. Die N. bezeichnen rhythmische Ver-
haltnisse ; zur genauen Bestimmung der Tondauer miis-
sen auch Tempoangabe und Taktvorzeichnung be-
riicksichtigt werden. Die Tonhohe ist an Liniensy-
stem, -> Schliissel und Vorzeichnung abzulesen. - No-
ta cattiva (ital., sschlechte Note«) heifit eine auf den
»schlechten«, nicht akzentuierten Taktteil f allende Note,
nota ->■ cambiata die Wechselnote. -> Notenschrift,
-> Tabulatur (- 1).
Notendruck und -stich (engl. music printing and en-
graving ; f rz. impression et gravure musicale ; ital. stam-
pa e incisione musicale).
1) Notendruck. Anfange: Bald nach Erfindung des
Buchdrucks durch Gutenberg (um 1450) begann auch
der Musiknotendruck, zunachst mit liturgischen Bii-
chern. Zuerst wurde nur der Text gedruckt, Linien
(rot) und Noten (schwarz) wurden in den dafiir ausge-
sparten Raum geschrieben (altestes Beispiel : Psalterium,
Mainz 1457, J. Fust und P.Schoffer). In den Noten-
beispielen von G. De Podios Ars musicorum (Valencia
1495, P.Hagenbach und L.Hutz) sowie denen der die
Musica figurativa behandelnden Biicher III— IV von N.
Wollicks und M. Schanppechers Opus aureum (Koln
1501, H.Quentel) sind Text und Liniensystem ge-
druckt, jedoch die Noten von Hand eingetragen. J. Ch.
de Gersons Collectorium super Magnificat in der Ausgabe
EBlingen 1473 (K.Fyner) enthSlt das alteste datierte
Beispiel von Notendruck mit beweglichen Typen ohne
Linien; als Notenkopfe wurden unterlegte Gevierte
oder wahrscheinlicher blockierte, d. h. umgekehrte
Versalien verwendet. Um 1475-80 wird ein Graduate
Romanum (wahrscheinlich Augsburg, G.Zainer) da-
tiert, das einen Doppeltypendruck mit schwarzen Li-
nien und schwarzen Noten aufweist. Gegossene Men-
suralnoten ohne Linien erscheinen zuerst in der Brevis
Grammatica von Fr. Niger (Venedig 1480, J.L. Sandrit-
ter und Theodorus von Wiirzburg). - Patronendruck :
Bei diesem Verfahren wurden vermutlich die Noten in
das vorgedruckte Liniensystem durch die Hand mittels
Stempel eingetragen. - Blockdruck: Seit 1487 wurde
der Blockdruck entwickelt, der groBe Bedeutung er-
langte. Meist wurden die Noten und Linien aus Holz
en relief herausgeschnitten, z. B. :
lem fiir musiktheoretische Werke verwendet (N.Bur-
tius, Musices opusculum, Bologna 1487, U. de Rugerijs;
Fr.Gaffori, Theorica musicae, Mailand 1492, Ph.Man-
tegatius), ferner fiir literarische Werke, denen einzelne
Gesange beigegeben waren (C.Verardus, Drama Hi-
storia Baetica, Rom 1493, E.Silber; J.Locher, Drama
Historia de regefrancie, Freiburg i. Br. 1495, F.Riederer;
J. Reuchlin, Schuldrama Scenica progymnasmata, Basel
1498, J.Bergmann von Olpe). Sehr selten erschienen
in Blockdruck liturgische Gesangbucher; nachgewie-
sen sind nur ein Obsequiale Augustense (Augsburg 1487,
E.Ratdolt) und ein Missale Romanum (Venedig 1493,
J.Emmerich von Speyer). Der Blockdruck trat ab 1516
(Liber quindecim missarum) durch A: de Antiquis in Rom
- wahrscheinlich nicht mehr oder nicht ausschlieBlich
als Holzschnitt, sondern als Metallschnitt - mit Pe-
truccis Typendrucken ernstlich in Konkurrenz, und
zwar nicht nur fiir den Druck von Chorbiichern mit
Riesennoten, sondern (um 1536) auch fiir kleinere,
zierliche Notenformen. In Metallschnitt druckte z. B.
P. Sambonetti die Canzone sonetti strambotti etfrottole I
(Siena 1515). Der Blockdruck war noch im 17. Jh. iib-
lich. - Notendruck mit beweglichen Typen als Druck
in zwei Arbeitsgangen (2facher Typendruck, erst Li-
nien, dann Noten): A) Choralnotation. a) Romisch:
zuerst in einem Missale Romanum (Zweifarbendruck:
Linien rot, Noten schwarz) :
ILouaineiKdftto
c a y i "* ■ '
Missale Romanum, Rom 1476, U.Hahn.
Es folgte (mit kleinen, gediegenen Typen) O.Scotto
mit einem Missale Romanum (Venedig 1481 ; Linien
rot, Noten schwarz). b) Gotisch (in Deutschland) : zu-
erst in einem Missale Herbipolense (Zweifarbendruck:
Linien rot, Noten schwarz) :
D
f . rr f rff pETX
<£r omnia feoila fcailo2um
K
UfU..* 'AbJE B K _ v t r , f 7 fj " s'^t
tdleifito ewnettwWcnwm&ifoa&i
Hugo Spechtshart von Reutlingen, Flores
musicae, StraBburg 1488, J.PryB, Vers 605.
Seltener wurde das Notenbild in die Lindenholztafeln
eingegraben, wobei sich im Druck ein Negativ ergab.
Der Blockdruck war fiir die Wiedergabe kurzer No-
tenbeispiele geeigneter und rentabler als der Noten-
druck mit beweglichen Typen. Er wurde daher vor al-
Ooimnttt'sobifflim jSurfum co:&a
Missale Herbipolense, Wiirzburg 8. 11. 1481,
J.Reyser.
Als Typendruck in zwei Arbeitsgangen erschien eine
groBe Anzahl von MeBbiichern, woraus hervorgeht,
daB sich der Druck liturgischer Gesangbucher noch
vor 1500 zu einem eintraglichen Geschaftszweig ent-
wickelt hatte (u. a. St. Planck, Rom ab 1485 ; J. Sensen-
638
Notendruck und -stich
schmidt, Bamberg ab 1485; L.Pachel, Mailand ab
1486; J.Hammann, Venedig ab 1488; M.Wenssler,
Basel 1488; J.Higman, Paris ab 1489; W.Hopyl, Paris
ab 1489; E.Ratdolt, Augsburg ab 1489; J.Petri, Passau
ab 1490; G.Stuchs, Nurnberg ab 1491; J.Emmerich
von Speyer, Venedig ab 1493). -B) Mensuralnoten.
Der erste, der Mensuralnoten mit beweglichen Typen
druckte (doppelter oder gar 3facher Typendruck), war
O.Petrucci, privilegiert vom Rat zu Venedig 1498
(altestes Beispiel : Harmonice Musices Odhecaton A, 15. 5.
1501; es folgten 1502 Missae Josquin, mit 3fachem
schwarzem Typendruck: zuerst Text und Initialen,
dann Linien und zuletzt Noten) :
aann uruen una zuietzt rsoten;: i
yottuiu
I. de Pinarol, Fortuna desperata, 4st., in: Canti C
Centocinquanta, Venedig 1504, O.Petrucci.
Seine Drucke waren von hochster Vollkommenheit,
die Typen zierlich geformt und die Noten prazis auf
die Linien gedruckt, was spateren Nachahmern (z. B.
Junta in Rom) nicht immer gluckte. Nur die Drucke
P. Schoffers des Jiingeren (Sofin von Gutenbergs Schii-
ler) vom Jahre 1512 stehen auf gleicher Hohe. In
Deutschland f olgte dem Vorbild Petruccis als erster E.
Oglin (Augsburg) 1507 mit P.Tritonius' Melopoiae sive
Harmoniae tetracentkae. - C) Tabulaturen. Die alte-
sten Tabulaturen mit beweglichen Typen druckte
ebenfalls Petrucci (Intabolatura de lauto I— III, Venedig
1507, IV 1508):
Ifff
*»*H
Step
fffl
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ttt
•*«•*-
C
3 Ol
Fr. Spinaccino, Recercare, in: Intabolatura
de lauto I, Venedig 1507, O.Petrucci.
In Basel erschien 1511 (vermutlich bei Furter) S.Vir-
dungs Musica getutscht; P. Schoffer der Jiingere druckte
1512 in Mainz A. Schlicks Tabulaturen Etlicher lobge-
sang und lidlein, und P. Attaingnant veroffentlichte 1529
in Paris Dixhuit basses dances (Lautentabulatur). Ein-
typendruck: In Frankreich wurde durch P.Haultin
(Paris) der einfache Typendruck erfunden und durch
die Firmen Attaingnant und spater Ballard verwertet;
jede Type gibt eine Note und ein Stuck Liniensystem.
Dabei handelt es sich, wie die Tabulaturdrucke At-
taingnants von 1530 erweisen, zunachst nicht um ein
durchgehendes Stiick Liniensystem, sondern - schon
ganz ahnlich wie 200 Jahre spater bei den Typen J. G.I.
Breitkopfs - nur um Linienteilchen, so daB bereits
bis zu 3 Noten iibereinander auf dasselbe System ge-
bracht werden konnten (vgl. die Faksimileausgabe von
4 Drucken Attaingnants von 1530 als: Chansons und
Tanze. Pariser Tabulaturdrucke, hrsg. von E. Bernoulli, 5
Hef te, = Seltenheiten aus siiddeutschen Bibliotheken III,
Miinchen 1914). Alteste Beispiele in Mensuralnotation :
Chansons nouvelles en musique a quatre parties, 17 Biicher,
Paris 1528ff.,P. Attaingnant(siehefolgende Abbildung).
Ebenfalls bei Attaingnant erschienen ab 1534 19 Biicher
4-6st. Motetten und ab 1529 Lautentabulaturen mit
Tanzen; es folgten: 1532J.Moderne (Lyon), 1532 Chr.
Egenolf (Frankfurt am Main), 1532 H. Formschneyder
(Nurnberg), 1533 N.Faber (Leipzig), 1536 J.Petrejus
(Nurnberg), 1538 G.Rhaw (Wittenberg), 1538 A.
Prilude aus einer Orgeltabulatur von
Attaingnant, 1531.
Gardane und 1539 H.Scotus (Venedig), 1543 T. Susato
(Antwerpen) u. a. Doch war der Satz mit solchen Ty-
pen zu zeitraubend und kostspielig und verschwand
(jedoch nicht ganz; er hielt sich z. B. bis hin zu S. Ve-
rovio in den italienischen Tabulaturen fur Tastenin-
strumente) zugunsten des Satzes mit anderen Typen,
von denen jede einen Ausschnitt des Liniensystems mit
einer einzigen Note gibt:
JE&gjzgpijgEj;
tsf ter I'aurord cbe ft dolce faura
G.P.Palestrina, La ver V aurora, in: Madrigali a
quattro voci I, Venedig 6 1587, R. Amadino.
Carpentras' Versuch (1532), die in der Kursivnoten-
schrift allmahlich durchdringende runde Notenform
start der eckigen auch in den Notendruck einzuf tihren,
fand vorerst nur wenig Nachf olger (-> Briard, -*■ Gran-
jon; P.Ballard verwendete 1617 runde Notenformen
von Ph. d'Anfries; im 17. Jh. erschienen sie gelegentlich
auch in Deutschland). Allgemein bewahrten die Druk-
ker das ganze 16. und 17. Jh. die eckigen Formen, die Bal-
lards sogar bis nach 1750. Fur den Typendruck ergab
sich, nachdem er fast 250 Jahre hindurch keine wesent-
liche Veranderung erfahren hatte, die Aufgabe, ihn
auch fiir Orgel- und Klaviermusik, iiberhaupt fiir die
Einfiigung beliebig vieler Stimmen in ein Liniensy-
stem nach Art der Attaingnantschen Tabulaturdrucke
unbeschrankt verwendbar zu machen. Dieses Problem
wurde von J. G. I. Breitkopf 1755 gelost (-»■ Breitkopf
& Hartel). Seine beweglichen und zerlegbaren Typen
(etwa 400 Typenteile) unterscheiden sich von den f riihe-
ren, auch beweglich (caratteri mobili) genannten, da-
durch, da8 z. B. an einer Achtelnote der Kopf, die
Cauda und das Fahnchen besondere Typen sind •D
und die Linienteilchen noch extra angesetzt werden.
Der Satz mit diesen Typen ist freilich sehr muhselig
und kostspielig, vermag sich aber doch mit dem Stich
bei unkomplizierten Notenbildern im Aussehen zu
messen. Im groBen und ganzen ist der Typendruck
heute auf Notenbeispiele in Biichern beschrankt.
2) Notenstich. Im letzten Viertel des 16. Jh. wurde
der Kupferstich fiir die Vervielfaltigung von Orgel-
und Klaviermusik aufgenommen. Vorbild fiir dieses
Verf ahren waren die Kupf erstiche, auf denen, besonders
in der 2. Halfte des 16. Jh., des ofteren Notenfragmente
in das Bildganze eingefugt sind. S. Verovio lernte diese
Technik bei den niederlandischen Kupferstechern ken-
nen und wandte sie ab 1586 in Rom auf den Notenstich
an. Dem Blockdruck (Hochdruck) entgegengesetzt,
bei dem die erhabenen Stellen auf das Papier gedruckt
sind, werden beim Kupferstich die Vertiefungen des
eingravierten Notenbildes mit Druckerschwarze aus-
gefullt und auf das Papier ubertragen (Stichabziige
639
Notendruck und -stich
= Tiefdruckprinzip). In England gibt es den Kupfer-
stich ab etwa 1611 (Parthenia, London um 1611, W.
Hold), in Italien nach Verovio u. a. bei N.Borboni
(Rom ab 1615, Tabulaturen), in Deutschland ab 1615
(L.Kilian, Augsburg), in Frankreich vom spaten 17.
Jh. an (Paris, Ballard, ab 1713 auch Du Plessy) :
G. Frescobaldi, Toccata prima, in: II secondo libro di
toccate, canzone . . ., Rom 2 1 637, N.Borboni.
Der Notenstich wurde durch Anwendung vonWerk-
zeugen verbessert, die den Notenkopf en gleichmafiige-
re Gestalt gaben und die Gravierarbeit erleichterten,
bis nach Einfiihrung der Pewter-Platten (Zinn-Blei-
Legierung, England ab 1724) dazu ubergegangen wer-
den konnte, die Notenkopfe, Schliissel, Vorzeichen,
Pausen, Texte und alle unveranderlichen Zeichen mit
Stempeln einzuschlagen (zuerst bei J.Cluer und J.
Walsh in London um 1730). Seitdem teilt sich der Ar-
beitsvorgang in »Schlagen« und »Stechen«. Unter letz-
terem versteht man das Gravieren von allem, was nach
Form, Lange oder Verlauf eine spezielle Zeichnung
erfordert, wie Bogen, Balken, Notenhalse, Taktstriche
sowie Crescendo und ahnliche Zeichen. In jiingerer
Zeit hat es nicht an Bemiihungen gefehlt, das Noten-
stechen maschinell zu ersetzen. Hierfiir wurden ver-
schiedene Arten von Schreibmaschinen konstruiert und
andere Systeme entwickelt, wobei die Arbeit des No-
tenstechers weitgehend mechanisiert wurde, so durch
Verwendung vorgefertigter Zeichen (Metallfolien,
Klebefolien). Fiir einfache Notenbilder mogen diese
Verfahren ausreichen, bei komplizierten aber (z. B.
Partituren) wird das Ergebnis entweder ungenugend
oder der Arbeitsvorgang so umstandlich und damit so
teuer, dafi der Stich trotz seiner kostspieligen Handar-
beit konkurrieren kann und auf alle Falle im Ergebnis
besser ist. Heute ist als Plattenmaterial eine Blei-Zinn-
Antimon-Legierung iiblich. Von beruflichen Noten-
schreibern werden Musiknoten fiir Vervielfaltigungs-
zwecke auch gezeichnet »wie gestochen«, teilweise un-
ter Verwendung von Stempeln. Fiir Laien ist der Un-
terschied gegeniiber dem Stich nur bei aufmerksamer
Betrachtung erkenntlich, auch dann meist nur im
Buchstabentext. Die Vervollkommnung dieses Schreib-
verf ahrens ist noch nicht abgeschlossen ; die Weiterver-
vielfaltigung erfolgt photomechanisch.
Autographie (griech., Selbstschreibung) ist als Vor-
stufe des lithographischen Notendrucks analog dem
Stich oder dem Notensatz die erste Phase der Verviel-
faltigung. Die mit der Hand und einer speziellen Tin-
te oder Tusche geschriebenen Noten werden direkt
oder durch Umdruck auf den Drucktrager (Stein bzw.
Druckblech oder -folie) iibertragen. Die Autographie
ist ein Ersatz fiir Stich- oder Stempelverfahren aus
wirtschaftlichen Griinden. - Photomechanisches Ver-
fahren: Die Photomechanik (und Photochemie) dient
vor allem zur Vorbereitung des eigentlichen Druckes.
Durch sie wird im Notendruck das Notenbild (das ge-
stochene, gestempelte oder autographierte) auf licht-
empfindlich praparierte Druckbleche iibertragen, mit
denen die Vervielfaltigung (Druck) bis zu den grofiten
Auflagen erfolgen kann. Bei Kleinstauflagen wird das
nicht durch Stich, sondern durch Schrift auf Transpa-
rentpapier hergestellte Notenbild im Lichtpausverfah-
ren vervielfaltigt.
3) Lithographie (Steinschrift, von griech. XUta£,
Stein). IhreErfindung 1796 durch A. -> Senefelder be-
deutete fiir den Notendruck eine Umwalzung. Nach
vielen Versuchen gelang Senefelder die Autographie,
und er gewann damit zugleich die Grundlage der Litho-
graphic Mit der Verwendung des Solnhofener Kalk-
steins und derEntwicklung des »chemischen Steindruk-
kes« (Atzung der Steinplatte mit Scheidewasser) war die
Erfindung endgiiltig gelungen (1798/99). Der Druck
von dem polierten Stein, der wie Papier bezeichnet,
beschrieben und bedruckt werden kann, erfolgt nach
dem Prinzip des sich gegenseitigen AbstoCens von Fett
und Wasser. Beim Notendruck kann eigentlich erst
von diesem Zeitpunkt an von Druck gesprochen wer-
den (gegeniiber den bisherigen Handabzugen von der
gestochenen Platte, und zwar von jeweils nur einer
Seite, wie bei jeder Gravur). Die Stichabzuge (Ab-
drucke) waren daher relativ teuer und in der Zahl be-
schrankt infolge schneller Abnutzung der Stichplatten.
Jetzt aber konnten die Abziige von den Stichplatten auf
Stein iibertragen (Uberdruck) und von entsprechend
groBen Steinen, 4 bis 16 Seiten in einem Arbeitsgang, in
beliebig hoher Auflage gedruckt werden. Der »Flach-
druck« war erfunden, so benannt im Gegensatz zum
»Tiefdruck« (Plattenabziige mit ihren charakteristi-
schen Plattenrandern) und zum »Hochdruck« (Buch-
und Notendruck mit gesetzten Typen). Bald erfolgte
die Konstruktion einer Steindruck-(Flachdruck-)Presse
analog der Buchdruckpresse. - Der Weg zu einer ent-
scheidenden Weiterentwicklung war frei, als die An-
wendung des Verfahrens auf biegsame diinne Bleche
(Aluminium, Zink) erfunden wurde, die die schwer
handlichen, bis zu 10 cm dicken Solnhofener Steine er-
setzten. Erst diese Bleche ermoglichten den heute allge-
mein iiblichen Rotationsdruck. Eine weitere technische
Verbesserung ist nach 1900 durch den in den USA ent-
wickelten und heute allgemein verwendeten »Offset-
druck« (Gummiklatschdruck) erfolgt, der aber keineAn-
derung des lithographischen Druckprinzips bedeutet.
Lit.: P. S. Fournier Le Jeune, Traits hist, et critique sur
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berg u. Bin (1961).
Notenschrift. Es liegt im Wesen der abendlandischen
Musik, daB sie zur Schrift gebracht wird. Die N. er-
scheint zuerst in primar theoretischer Bestimmung und
hat in ihrer Geschichte stets zwischen Theorie und
Praxis vermittelt. N. fixiert zwar die als wesentlich
geltenden Eigenschaften einer Musik, gibt aber kein
vollstandiges Bild ihrer Klangwirklichkeit; zu deren
Kenntnis ist auch dieErforschung des originalen Klang-
bilds und der -> Auffiihrungspraxis notwendig. Hin-
weise hierauf geben in den meisten N.en zusatzliche
Zeichen und Anweisungen. Anderungen einer N. zei-
gen meist Anderungen der Musik an. Daher ist eine
Ubertragung alterer Musik in die moderne N. immer
zugleich Interpretation (-> Editionstechnik). Bei Tran-
skriptionen auBereuropaischer Musik nach Tonaufnah-
men ist zu beachten, daB die moderne abendlandische
N. die musikalischen Elemente in einer Systematik und
Rangordnung darstellt, die auBerhalb des europaischen
Kulturkreises nicht ohne weiteres gilt. - DieErfindung
der N. hat einen geschichtlichen Zusammenhang der
Musik als -> Komposition erst begriindet. Derm N.
trennt einen Bereich, der der freien Verfiigung des
Ausfiihrenden iiberlassen bleibt, von dem, was in jeder
Verwirklichung gegenwartig sein muB; sie grenzt die
Konstanz des Werkes ab gegen die Jeweiligkeit der
Auffiihrung. Die Improvisation entzieht sich diesem
Zusammenhang nur scheinbar; sie vermittelt die Illu-
sion eines spontan entstehenden Werkes, ist aber ein
Spiel mit gangigen (Kompositions-)Mitteln eines Stil-
bereichs, das die Kenntnis der Musiklehre und der in
N. festgehaltenen Werke voraussetzt. Die N. als zu-
gleich theoretische und anschauliche Darstellung von
Musik beruht auf der Vereinbarung, daB Niederschrift
und Auffiihrung nur als zwei Seiten eines Werkes gel-
ten, dessen kompositorische Konzeption auch beim
Horen oder Lesen erst im reflektierenden Verstehen zu
erfassen ist.
MutmaBungen iiber eine N. der alten Babylonier
(Sachs) oder Agypter (Hickmann) haben keine zuver-
lassigen Ergebnisse gezeitigt, so daB die friiheste sicher
bezeugte N. die -> Buchstaben-Tonschrift der antiken
Griechischen Musik bleibt. Aus dem Erbe der spatanti-
ken Kultur des Mittelmeerraums sind 3 N.en fiir litur-
gischen Gesang hervorgegangen, deren Zeichen alle aus
Akzenten entwickelt wurden: 1) Nach vereinzelten
Versuchen in Palastina und Babylonien entstanden um
900 in Tiberias die masoretischen Zeichen fiir die bibli-
sche ->• Kantillation der Jiidischen Musik. 2) Im -> By-
zantinischen Gesang wurden seit dem 10. Jh. die litur-
gischen Lektionen mit Zeichen fiir den ->• ekphoneti-
schen Vortrag versehen. Diese Schrift war eine Grund-
lage der byzantinischen N., deren anderer Grundzug
in der Verdeutlichung der beim chorischen Gesang not-
wendigen -> Cheironomie besteht. Eine selbstandige
Weiterentwicklung der palaobyzantinischen N. des
9.-12. Jh. bildet seit dem 11. Jh. die russische -*■ Krjuki-
N., die neben der im 17. Jh. aus Westeuropa iibernom-
menen Choralnotation bis ins 20. Jh. gepflegt wurde.
3) Auch die -> Neumen (- 1) des lateinischen Kirchen-
gesangs, seit dem 9. Jh. bezeugt, gehen auf Akzentsy-
stem und Cheironomie zuriick. Sie wurden im 13. Jh.
zur bis heute ublichen -> Choralnotation umgebildet,
die auch fiir die Aufzeichnung der Trobador- und
Trouveremelodien sowie der mehrstimmigen Musik
herangezogen wurde. Mit dieser ist die besondere Ent-
wicklung der N. Westeuropas verbunden: Zur Zeit
des friihen Organum begriindete Guido von Arezzo
das -> Liniensystem mit Terzabstand der Notenlinien
und vorgezeichneten Tonbuchstaben, die spater zu
-*■ Schliisseln wurden. Die Notre-Dame-Zeit schuf die
-*■ Modalnotation, die Ars antiqua die -*■ Mensuralno-
tation. Die Musik des Trecentos notierte zunachst nach
eigenen Regeln (-»■ Divisiones), iibernahm jedoch zu
Ende des 14. Jh. die franzosische N. der Ars nova. Nach
anfanglicher Schreibung mehrstimmiger Satze in einer
der ->■ Parti tur ahnlichen Anordnung tendierte die Men-
suralnotation seit den Motettenmanuskripten der Ars
antiqua dahin, die Verschiedenartigkeit der Stimmen
durch Trennung innerhalb eines Lesef elds von zunachst
einer, spater zwei Seiten, im 15.-16. Jh. auch durch
Trennung in einzelne Stimmbucher, hervorzukehren.
Doch ging dieser Aufzeichnung fiir die Ausfiihrenden,
wie wenigstens fiir das 16.-17. Jh. nachgewiesen wur-
de, eine partiturmaBige Niederschrift des Komponisten
voraus, meist in der -*■ Tabula compositoria. Zur Auf-
zeichnung der Musik fiir Tasten- und Zupfinstrumente
benutzte man im 14. Jh. vereinzelt, im 15.-18. Jh. iiber-
wiegend die -> Tabulatur (- 1). Die neuere N., eine ver-
einfachteWeiterbildung der Mensuralnotation, ist ganz
auf Partiturschreibung angelegt; auch einzeln aufge-
zeichnete Stimmen werden so notiert, daB sie ohne
Anderung in eine Partitur eingetragen werden konnen.
Diesem Zweck dienen Vereinheitlichung der Noten-
werte durch Zweiteilung aller Noten, Abschaffung der
Ligaturen und Einfiihrung des Taktstrichs. Seit Ende
des 19. Jh. gibt es Versuche zur Vereinfachung des Par-
titurbildes durch nichttransponierte Notierung der
Stimmen transponierender Instrumente (Reformparti-
tur) bzw. durch Beschrankung auf den G-Schliissel
(Einheitspartitur).
Die heute gebrauchliche N. veranschaulicht Ton- und
Zeitbeziehungen : die rhythmischen durch die Form
der ->• Noten, die intervallischen durch das Liniensy-
stem. Zur genaueren Bestimmung von Tondauer und
metrischem Gewicht dienen Takt- und Tempovor-
zeichnung, seit Anfang des 19. Jh. auch Metronom-
angabe und seit Bartok Anzeige der Auffuhrungsdauer
in Minuten und Sekunden. Schliissel und Vorzeichen
(beides aus Buchstaben entstanden) lassen Tonhohe
und Tonart erkennen. Fiir Verzierungen und die ste-
reotypen Wendungen wurden besondere Zeichen er-
41
641
Notenschrift
funden (-> Abbreviaturen, ->• Doppelschlag, -> Mor-
dent usw.), ferner als -»• Vortragsbezeichnungen eine
Fiille von Zeichen (->• Arpeggio, -» crescendo, -*■ Tre-
molo, usw.) und (meist italienischen) Wortern (-> af-
fettuoso, -*■ amabile usw.). Von diesen werden die hau-
figsten dynamischen Bezeichnungen nur durch die An-
fangsbuchstaben angezeigt (/, p usw.). Schonberg und
A. Berg brachten neue Zeichen hinzu f iir die f uhrenden
Stimmen (IT 1= Hauptstimme, N~ 1 = Nebenstimme;
RH" = Hauptrhythmus), fiir verschiedene Arten des
Sprechgesangs (-»• Melodrama) und zur Vorzeichnung
des Dirigierschlags (U, £ ,bei Boulez[j, A, usw.).
Standige Zunahme der Vortragsbezeichnungen cha-
rakterisiert das 19. Jh. Gait in der fruheren Musik, daB
einer Satzweise eine bestimmte Vortragsweise zu-
geordnet war, die der erfahrene Musiker ohne viele
zusatzliche Anweisungen aus der N. ablesen konnte, so
ging nun mehr und mehr die Verbindung von Satz-
und Vortragsweise in die freie Verfiigung des Kom-
ponisten Ciber und wurde ein Teil der kompositorischen
Erfindung. Um 1900 soil die Fiille der Vortragsbezeich-
nungen eine in Tempo, Rhythmus und Dynamik le-
bendig nuancierte Auffiihrung garantieren. Seit 1950
treten zwei neue Tendenzen hervor : 1 ) In der -*■ Seriel-
len Musik ftihrt die Auf stellung von Reihen oder Modi
fiir alle Klangeigenschaften zu einem so komplizierten
Notenbild, daB mit traditionellen Mitteln nur eine un-
gefahre, freie Wiedergabe moglich ist (vgl. die Reihe
von 12 dynamischen Werten in Messiaens Mode de
valeurs et d'intensites, Stockhausens Klavierstiick I usw.) .
Den Extremf all solcher Notierungsweise stellt die Auf-
zeichnung -»■ Elektronischer Musik dar, in der die mu-
sikalische Verwirklichung mit den Mitteln einer tech-
nischen Konstruktionszeichnung in alien Einzelheiten
festgehalten ist (vgl. Stockhausens Studie II). 2) Auf
der anderen Seite erscheinen viele neue Vortragszei-
chen ; zugleich werden das traditionelle System der N.
und die einzelnen Notenformen oft so weit reduziert,
daB auch sie die Verwirklichung nicht mehr regulieren,
sondern nur noch auslosen. Die meisten derartigen
neuen Zeichen erlangen keine allgemeine Geltung,
sondern wechseln von Komponist zu Komponist, zu-
weilen von Werk zu Werk (vgl. Karkoschka 1966).
Den Extremfall solcher N. bildet die freie Zeichnung
(»Musikalische Graphik«; vgl. Kagel, Transition I; Bu-
sotti, Klavierstiicke).
Lit.: H. Riemann, Studien zur Gesch. d. N., Lpz. 1878;
ders., N. u. Notendruck, Fs. C. G. Roder, Lpz. 1896;
DERS.,Kompendiumd.Notenschriftkunde, = SlgKirchen-
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in 1 Bd Hildesheim u. Wiesbaden 1965, dazu Fr. Ludwig
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Lpz. 1922-23, Buckeburg u. Lpz. 21927; WolfN ; O. Abra-
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ders., La trascrizione della notazione paleobizantina I— II,
ebenda V, 1951 ; J. Smits van Waesberohe SJ, The Mus.
Notation of Guido d'Arezzo, MD V, 1951; Mus. Auto-
graphs from Monteverdi to Hindemith, hrsg. v. E. Win-
ternitz, 2 Bde, Princeton (N. J.) 1955 ; Thr. G. Georgia-
des, Zur Lasso-GA, Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., Sprache,
Musik, schriftliche Musikdarstellung, AfMw XIV, 1957;
ders., Musik u. Schrift, Munchen (1962); E. Jammers, In-
terpretationsfragen ma. Musik, AfMw XIV, 1957 ; A. Ma-
chabey, Notations mus. non modales des XII e et XIIP s.,
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642
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Per la notazione originate nelle pubblicazioni di musiche
antiche e specialmente nella nuova ed. Monteverdi, AMI
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hrsg. v. E. Thomas, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Mu-
sik IX, Mainz (1965); E. Karkoschka, Das Schriftbild d.
Neuen Musik, Celle (1966); W. Kaufmann, Mus. Nota-
tions of the Orient, = Indiana Univ. Series LX, Blooming-
ton 1967.
Note sensible (not sas'i:bl, frz.) -*■ Leitton.
Notes in£gales (not ineg'al, frz., ungleiche Noten),
rhythmische Verzierung des franzosischen Barocks, die
infolge des groBen Einflusses f ranzosischer Musik auch
in Deutschland, den Niederlanden und England ver-
breitet war. Diese nicht durch Zeichen, kleinere Noten
oder Worte angedeutete Gesangs- und Spielmanier be-
steht in der paarweisen Gruppierung rascher und meist
stufenweise verlaufender, gleichmaBig notierter Ton-
folgen, so daB jeweils die erste, betonte Note verlan-
gert, die zweite, unbetonte verkiirzt wird, ohne aber
den Gesamtwert eines Notenpaares dadurch zu veran-
dern. Der umgekehrte Fall ergibt eine Art des -> Lom-
bardischen Rhythmus. DaB es sich bei den N. i. um ei-
ne alte, auch auBerhalb Frankreichs vorhandene Tra-
dition handelt, beweisen padagogische Traktate des 16.
und friihen 17. Jh., so die Abhandlungen von L.Bour-
geois (1550), Fr. T. de Santa Maria (1 565) und G. Cacci-
ni (1601). Ab Mitte des 17. bisEnde des 18. Jh. werden
die N. i. oft erwahnt, wobei sowohl der Grad der Ver-
langerung als auch die Haufigkeit der Anwendung vom
Charakter des Stiickes und vom Geschmack des Aus-
f uhrenden abhangig gemacht werden. Ein gleichmaBig
notierter Rhythmus J J J J kann wie folgt inegalisiert
werden: J 3J j (= Verhaltnis 2:1), J-3J-3 (3:1),
sogar J- 3 J- J (7 : 1), sowie in alien moglichen, darun-
ter oder dazwischen liegenden Verhaltnissen, die dem
Sanger oder Spieler iiberlassen werden (3:2, 5:3, 7:5,
9:7). Man muB sich im vorliegenden Fall vor starrer
Anwendung bestimmter Vorschriften ebenso huten
wie vor mathematisch genauer Wiedergabe punktier-
ter Notenbeispiele, die immer nur als Andeutung und
im Zusammenhang mit den zugehorigen Erlauterun-
gen verstanden werden durfen. Da die N. i. vor allem
ein Mittel des Ausdrucks sind, spielt bei ihrer Anwen-
dung auch die Gattung der jeweils benutzten Instru-
mente eine Rolle; so vertragen Cembalo oder Orgel oft
eine starkere Inegalisierung als Streich- oder Blasinstru-
mente. Als Faustregel fiir die Anwendung von N. i.
mag gelten : im allgemeinen konnen die nachst kleine-
ren Notenwerte, von der Zahleinheit des Taktes aus
gerechnet, inegalisiert werden. Ausnahmen sind die C-
und 2/4-Takte, in denen die Ungleichheit nicht auf die
Achtel, sondern auf die Sechzehntel fallt. Schema:
Takt: N. i.:
3/1 Halbe Noten
3/2 Viertelnoten
2, 3, 3/4, 6/4, 9/4, 12/4,
mit 2 Zahlzeiten
C, $ mit 4 Zahlzeiten, 2/4,
3/8, 4/8, 6/8, 9/8, 12/8
3/16, 4/16, 6/16, 9/16, 12/16 ZweiunddreiBigstel-N.
Wahrend im franzosischen Barock die Ungleichheit
im allgemeinen nicht notationsmaflig angedeutet oder
Achtelnoten
Sechzehntelnoten
Notre-Dame
bezeichnet wurde, schrieb man gleichmaBige Ausfiih-
rung in Zweifelsfallen entweder durch Punkte iiber
den einzelnen Noten vor (M. Marais 1701) oder durch
Bezeichnungen wie notes egales, croches egales. Die
Anwendung der N. i. in der franzosischen Musik jener
Zeit gait als derart selbstverstandlich, daB eine beson-
dere Bezeichnung fiir gleichmaBige Ausfiihrung not-
wendig war, wenn der Komponist eine solche abwei-
chend vom allgemeinen Brauch verlangte. Ein Beispiel
hierfiir findet sich im 1. Teil der 16. von J.S.Bachs
Goldberg-Variationen, Takt 8/9; ohne die von Bach
ausdriicklich notierten Punkte miiBten die Sechzehntel
als N. i. gespielt werden. Im Gegensatz zur Musik im
franzosischen Stil kannte die italienische Musik keine
N. i. - AuBerhalb Frankreichs machte vor allem der
Lully-Schiiler Georg Muffat durch die Vorreden zu sei-
nen Suiten fiir Streichorchester mit den N. i. und an-
deren Eigentumlichkeiten des franzosischen Musizier-
stils bekannt. J. G. Walther (1732) erwahnt die N. i. un-
ter demStichwortQuantitasNotarum extrinseca, & in-
trinseca und erklart diese Begriffe ausfiihrlich in seinen
Praecepta . . . (1708, 1. Teil, Kap. 3, §§ 23-26), vor al-
lem die Behandlungsweise der innerlkhen quantitaet derer
Noten. Vor ihm hatte bereits W. C. Printz (Phrynis My-
tilenaeus, NA 1696, 2. Teil, 11. Kap., § 36) dargestellt,
wie alle darzu geschickte Figuren konnen gescharffet und
gehemmet werden j durch hinzuthun ernes Puncts zu denen
Notis Quantitate Intrinseca longis, und Halbirung der drauff
folgenden. Nach J. S. Bachs Tode beziehen im deutschen
Sprachbereich vor allem J.J. Quantz (XI, 12 und XVII,
2, 12) und L.Mozart (XII, 9-10) die N. i. in ihre Lehr-
werke ein. Zu gleicher Zeit faBt J.-J. Rousseau die iiber-
lieferten N. i. im franzosischen Stil in knapper Form
zusammen. -J.Chailley zufolge ist die Moglichkeit ei-
nes Zusammenhangs zwischen dem Rhythmus der
franzosischen Sprachdeklamation und der Art und An-
wendung von N. i. nicht von der Hand zu weisen (siehe :
Fr. David, Methodes nouvelles ..., Paris 1737, S. 139).
Im deutschen Sprachbereich findet sich diese Hypothese
in der Clavier-Schule von G. S.Lohlein (1765, 9. Kap.)
bekraftigt, der den Geschmack beim Spielen in unmit-
telbaren Zusammenhang mit dem innerlkhen Werthe
der Noten bringt, den er wiederum von den Silbenlan-
gen der Worte herleitet. Ahnlich hatte in der Vokal-
musik bereits Fr.W.Marpurg zwischen dufJerlichem
und innerlichem Wehrt oder Verhalt von gleichmaBig no-
tierten Tonfolgen unterschieden, wobei ersterer von
der Figur einer Note, der zweite von deren Ausmessung
bestimmt wird (Kritische Briefe iiber die Tonkunst, Ber-
lin 1760, Bd I, S. 99). - Beispiele fiir ausgeschriebene
N. i. finden sich u. a. in Transkriptionen von Werken
Rameaus und Handels (GA, Bd XL VIII, mit zeitgenbs-
sischen Cembalotranskriptionen von Teilen der Oper
II pastor fido, 1712, die punktierte Rhythmen an sol-
chen Stellen enthalten, die im Original gleichmaBig
notiert sind). Rameau hat bei der Orchestrierung z. B.
seines Cembalostiickes Musette en rondeau (1724) im 3.
Akt (7. Szene) seiner Ballettoper Les fetes d'Hebe (1739)
gleichmaBig notierte Achtelfolgen des Cembalos als
punktierte Rhythmen fiir das Orchester notiert, dage-
gen die urspriingliche Notation fiir die Gesangspartien
beibehalten. In alien derartigen Fallen sollten die Ge-
sangspartien weder gleichmaBig noch sklavisch genau
im Verhaltnis 3 : 1 punktiert, sondern inegalisiert vorge-
tragen werden, in Anlehnung an den Sprachrhythmus
der betreffenden Textworte, dem sich dann auch die In-
strumente anzupassen haben. - Eine akustisch realisier-
bare Darstellung der Art und Anwendung von N. i. bei
verschiedenen Kompositionen findet sich in den Anga-
ben J. Engramelles zur Herstellung von Stif twalzen fiir
mechanische Musikwerke (1775, 1778).
Lit. u. Ausg. : L. Bourgeois, Le Droict Chetnin de Mu-
sique, Genf 1550, Faks. hrsg. v. P.-A. Gaillard, = DM1 1,
6, 1954; Fr. T. de Santa MarIa OP, Libro llamado arte de
tafler fantasia . . ., Valladolid 1565, auszugsweise tjbers.
v. E. Harich-Schneider u. R. Boadella, Lpz. 1937; G.
Caccini, Le nuove musiche, Florenz 1601 u. 6., Faks.
hrsg. v. F. Mantica, Rom 1930, u. hrsg. v. Fr. Vatielli, Rom
1934, engl. fibers, in: O. Strunk, Source Readings in Mu-
sic Hist., NY 1950; B. de Bacilly, Remarques curieuses
. . ., Paris 1668, (31679), engl. Obers. mit Kommentarv. A.
B. Caswell jr. als: The Development of H'X-Cent. French
Vocal Ornamentation and Its Influence upon Late Baroque
Ornamentation Practice, Diss. Univ. of Minnesota 1964,
maschr.; M. l'Affilard, Principes tres-faciles . . ., Paris
1694, 21717 ; Georg Muffat, Florilegium, I Augsburg
1695, II Passau 1698, = DTO I, 2 u. II, 2, Bd 2 u. 4, Wien
1 894-95 ; E. Loulie, Elements ou principes de musique
Paris 1696, Amsterdam 1698; M. Marais, Second livre de
pieces de viole, Paris 1701; M. de Saint-Lambert, Les
principes du clavecin, Paris 1 702 ; J. M. Hotteterre, Prin-
cipes de la flute traversiere . . . , Paris 1707, Faks. u. deut-
sche Ubers. hrsg. v. H. J. Hellwig, Kassel 1942, 21958; J.
Wilson, R. North on Music (um 1710), London 1959; Fr.
Couperin, L'art de toucher le clavecin, Paris 1716, 2 1 717,
hrsg. v. M. Cauchie, Paris 1933 (GA), dass., Faks. mit deut-
scher u. engl. Ubers. hrsg. v. A. Linde, Lpz. 1933; anon.
(= Borin), La musique th6orique et pratique dans son
ordrenaturel, Paris 1722; M. P. de Monteclair, Principes
de musique, Paris 1736; Quantz Versuch; Mozart Ver-
such; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf
1767(7), Paris 1768, Artikel lourer u. pointer (Umarbei-
tung seiner Artikel aus d. Encyclop6die, Paris 175 Iff.); J.
Lacassagne, Traite g6n6ral des eldments du chant, Paris
1766 ; M.-D.-J. Engramelle, La tonotechnie ou l'art de
noter les cylindres, Paris 1775, dazu H.-P. Schmitz, Die
Tontechnik d. Pere Engramelle, =Mw. Arbeiten VIII,
Kassel 1953; Fr. Bedos de Celles OSB, L'art du facteur
d'orgues, Paris 1778 (IV, 2: De la tonotechnie ou notage
des cylindres, redigiert v. J. Engramelle), Faks. hrsg. v.
Chr. Mahrenholz, Kassel 1936, dass., = DM1 1, 26, 1965. -
A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music of the
XVII"> and XVIII" Cent., London (1916, 21946); J. Ar-
ger, Les agrements et le rythme . . . , Paris 1 9 1 7; E. Borrel,
Contribution a Interpretation de la musique fr?. au
XVIII e s., Paris 1914; ders., Les n. i. dans l'ancienne mu-
sique fr?., Rev. de Musicol. XV, 1931 ; ders., L'interpre-
tation de la musique frc., Paris 1934; ders., A propos des
»N. i.«, Rev. de Musicol. XLI/XLII, 1958, dazu J. Chailley,
A propos des n. i., ebenda XLV/XLVI, 1960; S. Babitz, A
Problem of Rhythm in Baroque Music, MQ XXXVIII,
1952, deutsche Zusammenfassung in: Musica XVI, 1962;
N. W. Powell, Rhythmic Freedom in the Performance of
French Music from 1650 to 1735, Diss. Stanford Univ.
(Calif.) 1958, maschr. ; R. Donington, The Interpretation
of Early Music, London 1963, erweitert 21965; A. Geof-
froy-Dechaume, Les secrets de la musique ancienne, Pa-
ris 1964; Fr. Neumann, The French In6gales,Quantz,and
Bach, JAMS XVIII, 1965, dazu R. Donington, Fr. Neu-
mann u. G. Prout in: JAMS XIX, 1966; ders., External
Evidence and Uneven Notes, MQ LII, 1966. ERJ
Notre-Dame, die Kathedralkirche Beatae Mariae
Virginis in Paris, gab ihren Namen einer der bedeu-
tendsten Schulen der Musikgeschichte und einer Epo-
che, die wohl um 1160/80-1230/50 anzusetzen ist. Die
weit iiber dieErrungenschaften der Schule von ->■ Saint-
Martial hinausgehende, bis zur Drei- und Vierstimmig-
keit vordringende N.-D.-Schule war ein Zentrum fiir
die Pflege des ->■ Conductus und wurde entscheidend
fiir die Spatbliite der -*■ Organum genanhten Kurist
(mit -> Discantus und ->• Klausel) und fiir die Friihzeit
der -> Motette. UngewiB ist, ob bereits der im Codex
Calixtinus mit einem mehrstimmigen Versus vertrete-
ne Magister Albertus Parisiensis mit dem 1140-77 an
N.-D. tatigen Cantor Albertus identisch ist und als ein
friiher Vertreter dieser Schule angesehen werden kann.
Der nach 1272 verfaBte Traktat des Anonymus IV
(CS 1, 342a) nennt die Namen der beiden Hauptmeister,
von denen -»■ Leoninus als optimus organista, -»- Pero-
41*
643
Nottumo
tinus als optimus discantor bezeichnet wird. Der Be-
ginn der Tatigkeit von Leoninus diirfte nach dem
1163 begonnenen Bau der heutigen Kathedrale anzu-
setzen sein, wahrend man den Hohepunkt des Schaffens
von Perotinus um 1200 vermuten darf. Der Magnus
liber organi degradali et antiphonario, der die 2st. Organa
des N.-D .-Repertoires enthielt, soil von Perotinus um-
gestaltet und erweitert worden sein; doch ist die Frage
der am heute vorhandenen Bestand (-»• Quellen : W\, F,
W2, Ma) beteiligten Organistae und Discantores noch
weitgehend ungeklart. Und was lange als geschlos-
senes N.-D.-Repertoire angesehen wurde, erscheint
neuerdings eher als spatere Zusammenstellung, in der
neben Teilen des eigentlichen N.-D.-Repertoires auch
Kompositionen aus anderen Pariser Kirchen (vor allem
der zeitweiligen Hofkirche St-Germain-rAuxerrois
und der Augustiner-Abtei Ste-Genevieve-du-Mont)
und anderen Orten (z. B. Beauvais, Sens) Aufnahme
gefunden haben. Als Dichter von Conductus- und
Motettentexten ist der Theologe -*■ Philippe le Chan-
celier nachgewiesen. Die fiir die Notierung der N.-D.-
Musik eigens geschaffene -* Modalnotation bildet die
Grundlage der -> Mensuralnotation (-*■ Ars antiqua).
Lit. : F. L. Chartier, L'ancien chapitre de N.-D. de Paris
et sa maitrise, Paris 1897; J. Handschin, Zur Gesch. v.
N.-D., AMI IV, 1932; Fr. Zaminer, Der Vatikanische Or-
ganum-Traktat (Ottob. lat. 3025), = Munchner Veroff.
zur Mg. II, Tutzing 1959; G. Birkner, N.-D.-Cantoren u.
-Succentorenv. Ended. 10. bis zum Beginn d. 14. Jh.,in:In
memoriam J. Handschin, StraBburg 1962; H. Husmann,
St. Germain u. N.-D., in: Natalicia Musicologica, Fs. Kn.
Jeppesen, Kopenhagen 1962 ; ders., The Origin and Desti-
nation of the Magnus Liber Organi, MQ XLIX, 1963;
ders., The Enlargement of the Magnus Liber Organi and
the Paris Church St. Germain l'Auxerrois and Ste. Gene-
vieve-du-Mont, JAMS XVI, 1963; ders., N.-D. u. St-Vic-
tor, AMI XXXVI, 1964; ders., Ein Faszikel N.-D.-Kom-
positionen auf Texte d. Pariser Kanzlers Philipp in einer
Dominikanerhs. (Rom, Santa Sabina XIV L 3), AfMw
XXIV, 1967 ; H. Tischler, Perotinus Revisited, in : Aspects
of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY
(1966);DERS.,The Early CantorsofN.D., JAMS XIX, 1966.
Notturno (ital.) ->■ Nocturne.
Novara.
Lit.: G. Imazio, Teatri e circoli, N. 1877; G. Bustico, Gli
spettacoli mus. al »Teatro Novo« di N., 1779-1873, RMI
XXV, 1918; ders., Nuovo contributo sugli spettacoli mus.
al »Teatro Novo« di N, RMI XXVI, 1919; ders., S. Mer-
cadante a N., RMI XXVIII, 1921; V. Fedeli, Musicisti
novaresi del s. XVII, Bollettino stor. per la provincia di N.
XVIII, 1924; ders., Le cappelle mus. di N. dal s. XVI ai
primordi dell'ottocento, = Istituzioniemonumentidell'ar-
te mus. ital. Ill, Mailand 1933.
Novelette, eine zuerst von R.Schumann (8 N.n fiir
Kl. op. 21, 1838) gebrauchte Bezeichnung fiir ein
-*■ Charakterstiick f reier Gestaltung mit einer groBeren
Anzahl von Themen. Der Komponist charakterisiert
diese Klavierstiicke als grofiere, zusammenhangende aben-
teuerliche Geschichten und als Spafihaftes, Egmontgeschich-
ten, Familienscenen mit Vdtern, eine Hochzeit, kurz aufierst
Liebenswiirdiges, . . . innig zusammenhangend und mit
grojier Lust geschrieben, im Durchschnitt heiter und obenhin,
bis auf einzelnes, wo ich auf den Grund gekommen. Das
Wort N. will Schumann jedoch nicht von Novelle ab-
geleitet wissen; vielmehr pragte er es - als versteckte
Huldigung an Clara Wieck - nach dem Namen der
von ihm bewunderten englischen Sangerin Clara No-
vello, weil diese denselben Vornamen tragt wie seine
Braut und »Wiecketten« nicht gut genug klingt (Brief an
Clara vom 6. 2. 1838; abgedruckt bei B.Litzmann I,
S. 178). Die Bezeichnung findet sich spater bei einigen
Komponisten der skandinavischen una deutschen Men-
delssohn-Schumann-Nachfolge, u. a. bei N. Gade (N.r
fiirKl.-Trio op. 29), J.P.E.Hartmann (N. op. 55b »in
6 kleinen Stiicken« mit Texten von H.Chr. Ander-
sen; Studier og N.r op. 65), Th.Kirchner (N.n fiir KL-
Trio op. 59) und C.Reinecke (N. op. 226), ferner bei
einigen slawischen Komponisten, u. a. bei M.Bala-
kirew (N. fiir Kl.), A. Glasunow (5 N.n fiir Streichquar-
tett op. 15), A. Ljadow (N. Nowinka fiir Kl. op. 20) und
Zd.Fibich (N.n op. 44, 33 Stiicke), sowie im 20. Jh. bei
Fr.Bridge (N.n fiir Streichquartett, 1904), Fr.Poulenc
(Deux n.s fiir Kl.) und A. Tscherepnin (2 N.n fiir Kl.).
In alien diesen Fallen hat der Titel N. mit dem urspriing-
lichen AnlaB seiner Entstehung nichts mehr zu tun; er
betont bier lediglich die erzahlende (»novellistische«)
Art jener Stiicke und ist - wie die meisten Titel von
Charakterstiicken - formal unverbindlich.
Lit.: R. Schumann, Briefe, N. F., hrsg. v. F. G. Jansen,
Lpz. 1886, 21904; B. Litzmann, CI. Schumann. Ein Kunst-
lerleben nach Tagebuchem u. Brief en I, Lpz. 1902, 81925;
K. H. Worner, R. Schumann, Zurich 1949.
Niirnberg.
Lit. : Fr. Krautwurst, Das Schrifttum zur Mg. d. Stadt
N., = Veroff. d. Stadtbibl. N. VII, N. 1964; O. Wessely,
Erganzungen zur Bibliogr. d. Schrifttums zur N.er Mg., Mf
XIX, 1966. - J. Neudorfer, Nachrichten v. Kiinstlern u.
Werkleuten . . . aus d. Jahre 1547 nebst d. Fortsetzung d.
A. Gulden, hrsg. v. G. W. K. Lochner, = Quellenschriften
f. Kunstgesch. u. Kunsttechnik d. MA u. d. RenaissanceX,
Wien 1875; J. Chr. Wagenseil, De sacri Rom. Imp. libera
civitate Noribergensi commentatio. Accedit de Germaniae
phonascorum origine . . . , Altdorf 1697 ; Fr. E. Hysel, Das
Theater in N. v. 1612 bis 1863, N. 1863, N.er Meistersin-
ger-Protokolle v. 1575-1689, 2 Bde, hrsg. v. R. Drescher,
= Bibl. d. litterarischen Ver. Stuttgart CCXIII-CCXIV,
Tubingen 1897-98, Nachdruck Tubingen 1961 ; P. Cohen,
Die N.er Musikdrucker im 16. Jh., Diss. Erlangen 1927;
R. Wagner, Die Gesch. d. Org. in d. Spitalkirche zu N.,
Zs. f. ev. Kirchenmusik V, 1927 - VI, 1928 ; ders., Die Or-
ganisten d. Kirche zum HI. Geist in N., ZfMw XII, 1929/
30; ders., Nachtrage zur Gesch. d. N.er Musikdrucker im
16. Jh., Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt N. XXX, 1931 ; H.
Weninger, Das alte Stadttheater in N. 1833-1905, Wurz-
burg 1932; A. Fuchs, Die Musikdarstellungen am Sebal-
dusgrab P. Vischers . . . , = Erlanger Beitr. zur Mw. II,
Kassel 1935; S. Braungart, Die Verbreitung d. reforma-
torischen Liedes in N. in d. Zeit v. 1525-70, Diss. Erlangen
1939; E. v. Rumohr, Der N.ische Tasteninstrumentalstil
im 17. Jh., Diss. Munster i. W. 1939; H. Zirnbauer, Der
Notenbestand d. reichsstadtisch N.ischen Ratsmusik, u.
Th. Wohnhaas, Leistungen d. Reichsstadt zur Ratsmusik,
in: N.er Ratsmusik, = Veroff. d. Stadtbibl. N. I, N. 1959;
H. E. Samuel, The Cantata in Nuremberg During the 17 a
Cent., Diss. Cornell Univ. (N. Y.) 1963, maschr. ; J. H. van
der Meer, Sweelinck u. N., TVer XX, 1964/65.
Null (0), - 1) in der GeneralbaBschrift tasto solo, d. h.
Anweisung, keine Akkorde zu greifen, sondern nur
die BaBstimme unisono oder in Oktaven mitzuspielen;
- 2) in G.Webers Harmoniebezeichnung bei einem
kleinen Buchstaben die Signatur des verminderten
Dreiklangs, z. B. °c = c-es-ges; - 3) In der Oettingen-
Riemannschen Harmoniebezeichnung fordert den
Mollakkord mit groBer Terz und Quinte unter dem
Hauptton, z. B. °e = e-c-A (»Moll unter«). Mit Riick-
sicht auf die traditionelle Auffassung des Molldrei-
klangs mit dem tiefsten Ton als Hauptton wird jedoch
die N. beim Klangbuchstaben auch fiir den Molldrei-
klang uber dem genannten Ton verwendet, z. B.
°a = A-c-e. Beim Funktionszeichen (°T, "S, °D) zeigt
die N. einfach das Tongeschlecht als Moll an. - 4) In
der Fingersatzbezeichnung fiir Streichinstrumente be-
deutet 0, daB der Ton durch eine ->■ Leere Saite hervor-
zubringen ist. Durch iiber einem Fingersatz (^) oder
einer Note wird aber auch das (natiirliche) ->■ Flageo-
lett (- 3) verlangt.
Nyckelharpa (schwedisch) -> Schliisselfiedel.
644
o
O, - 1) lat. die Interjektion O, mit der einige gregoria-
nische Gesange, speziell die Magnificatantiphonen im
Offizium der letzten 7 Tage vor der Vigil von Weih-
nachten, beginnen (Antiphonae maiores, O-Antipho-
nen) ; - 2) in mittelalterlichen Tonaren der Buchstabe
zur Bezeichnung des 4. Kirchentons; - 3) ital. : oder,
z. B. Violino o flauto; - 4) in Form eines Kxeises (O)
das Zeichen des ->■ Tempus perfectum; - 5) ->■ Null.
Lit. : zu 1) : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen
Melodien III, Lpz. 1921, Nachdmck Hildesheim u. Wies-
baden 1962. - zu 2): E. Omlin OSB, Die St. Gallischen
Tonarbuchstaben, = Verdff. d. gregorianischen Akad. zu
Freiburg i. d. Schweiz XVIII, Regensburg 1934.
Oberek, Obertas (poln., von obrot, das Herumdre-
hen), feuriger polnischer Drehtanz im 3/8-Takt mit den
gleichen rhythmischen Akzentverschiebungen wie in
->- Mazur und -> Kujawiak. Nach M. Sobieski (MGG
DC, 1961, Artikel Oberek, Obertas) sind Obertas und
Oberek wiefolgtzuunterscheiden:DerObertas,bezeugt
im 17.-19. Jh., heute nicht mehr gebrauchlich, war ur-
spriinglich die Wiederholung eines Kujawiak in
schneflerem Tempo. Eigenstandige Obertasmelodien
(Tempo etwa J) = M.M. 160-180) des 19. Jh. weisen
kirchentonartliche Wendungen sowie starke Verwen-
dung von Triolen und punktierten Rhythmen auf . Der
Obertas ist textiert im Gegensatz zum neuen (seit dem
19. Jh. belegten) Oberek, den die Tanzer nur mit gele-
gentlichen Zuruf en begleiten. Die Melodik des Oberek
ist wegen des noch schnelleren Tempos (etwa J) = M.
M. 180-240) rhythmisch einfach; dies sowie die Hau-
figkeit von Akkordfigurierung und groBen Spriingen
(bis zur None) bezeugen ihren originar instrumentalen
Charakter. Oft werden mehrere Obereks zu einer Fol-
ge verbunden, meist ohne Modulation; doch kann ein
4taktiges Vorspiel mit Wiederholung des gleichen
Tons (Tonika oder Dominante der folgenden Melo-
die) in Tonart und Rhythmus einen neuen Oberek ein-
leiten. Kompositionen dieses Tanzes finden sich bei:
Chopin, Klavierkonzert F moll op. 21 (1829), 3. Satz,
Takt 141ff.; H. Wieniawski, Obertass fur V. und Kl.
op. 19 Nr 1 (1860) ; A.Boito, Mefistofele (1868), 1. Akt;
A.Tansman, Quatre danses polonaises fur Orch. (1931).
Oberbsterreich
Lit. : L. Kaff, Das Welser Passionsspiel, Wels 195 1 ; ders.,
Die Cornu-Fragmente v. Ovilaba, Jahresh. d. Osterreichi-
schen Archaologischen Inst. XXXIX, 1952; ders., Ma.
Oster- u. Passionsspiele aus O., = Schriftenreihe d. Inst. f.
Landeskunde O. IX, Linz 1956; O. Wessely, Musik in O.,
ebenda III, 1951 ; ders., Lauten- u. Geigenmacher in Linz
u. O., Senftenegger Monatsblatt f. Genealogie u. Heraldik
III, 1955/56; ders., Zur Musik im ev. O., Jb. f. Liturgik
u. Hymnologie II, 1956 ; F. Linninger, Org. u. Organisten
im Stift St. Florian, O.ische Heimatblatter IX, 1955; W.
Graf, Musikethnologische Notizen zum Orpheus v. Enns-
Lorch, Anthropos LI, 1956; A. Kellner OSB, Mg. d.
Stiftes Kremsmunster, Kassel 1956; W. Suppan, Geistli-
che Volkslieder aus d. Karpato-Ukraine. Eine Quelle f. d.
Liedgut u. d. Singstil im Salzkammergut d. 18. Jh., Jb. d.
O.ischen Musealver., 1963.
Oberstimme, seit dem 17. Jh. nachgewiesen als deut-
sche Bezeichnung des Discantus (suprema vox, -*■ Dis-
kant). In homophonen Satzen bilden die beiden Au-
Benstimmen (O., auch Melodiestimme, und -»• Unter-
stimme) das klangliche Geriist, bei dem die -> Mittel-
stimmen in der Regel nur zur Ausf iillung dienen
(-»■ Fiillstimmen).
Obertas -> Oberek.
Obertone -*■ Teiltone.
Obligates Akkompagnement, eine Form der -*■ Be-
gleitung, die vom Komponisten festgelegt und damit
der improvisatorischen Ausfiihrung ganz entzogen ist.
Seit G. Adler wird das O. A. als charakteristisch fur das
instrumentale Satzgefiige der Wiener klassischen Schu-
le bezeichnet. Es entwickelte sich am Ende des General-
baBzeitakers, als man (start zu beziffern) den Klaviersatz
auszuschreiben begann (Schobert 1767). Dies bedingte
eine reichhaltigere Anlage der Mittelstimmen, eine
kompositorische Durchformung und Belebung der
vorher wesentlich nur harmoniefiillenden Akkorde.
Ein analoger ProzeB fuhrte in der Kammer- und Or-
chestermusik zur Emanzipation der Bratsche und der
Blaser. Der homophone Satz des -> Galanten Stils
wurde dichter und kunstvoller, wesentlich bedingt
auch durch die Wiederaufnahme der kontrapunkti-
schen Tradition (seit etwa 1770), die gerade in Wien
ihre Wirksamkeit nie ganz verloren hatte. In dem
neuen, differenzierteren und reicherer Ausdrucksnuan-
cen fahigen Instrumentalstil, in dem die scharfe Tren-
nvmg zwischen Melodie und Begleitung aufgehoben
ist, kann die Hauptstimme iiberall im Satz liegen und
wird oft auf verschiedene Stimmen verteilt (-> Durch-
brochene Arbeit) ; jede Partikel des Satzes kann zu ei-
nem obligaten, d. h. unerlaBlichen, auch thematisch
bezogenen Bestandteil des Ganzen werden. Das O. A.
war um 1780 voll ausgebildet (J.Haydn, Streichquar-
tette op. 33, Hob. Ill, 37-42; W.A.Mozart, die 6
Haydn gewidmeten Streichquartette, K.-V. 387, 421 ,
428, 458, 464, 465). Als satztechnische Forderung blieb
es im 19. Jh. bestimmend, bis kompositorische Ten-
denzen der Neuen Musik Begriff und Sache der »Be-
gleitung« zugunsten einer gleichgewichtigen Durch-
organisation aller Stimmung iiberhaupt inFrage stellten.
Lit.: G. Adler, Der Stil in d. Musik I, Lpz. 1911, 21929;
ders., Die Wiener klass. Schule, Adler Hdb.; E. Stilz,
Uber harmonische Ausfiillung in d. Klaviermusik d. Ro-
koko, ZfMw XIII, 1930/31 ; E. BOcken, Die Musik d. Ro-
kokos u. d. Klassik, Biicken Hdb. ; J. Saam, Zur Gesch. d.
Klavierquartetts, = Slg mw. Abh. IX, StraBburg 1933 ; Fr.
Oberdorffer, Der Gb. in d. Instrumentalmusik d. aus-
gehenden 18. Jh., Kassel 1939.
Obligato (ital., von lat. obligatus, verbindlich; frz.
oblige), - 1) s. v. w. -*■ Ostinato; - 2) ein Instrumental-
part, der bey der execution nicht wegbleiben . . . kann,
sondern nothwendig ist (WaltherL), vorgeschrieben z. B.
als Violino o. (auch Violino concertato oder Violino
principale), im Unterschied zu -*■ ad libitum, -»■ Ri-
645
Oboe
pieno (-> Fiillstimmen) ; im 18. Jh. auch der (concertie-
rend) ausgearbeitete GeneralbaBpart (Cembalo o.).
-> Obligates Akkompagnement.
Oboe (von frz. hautbois, altere Aussprache obo'e, ab
Beginn des 19. Jh. obii'a; -> haut), - 1) ein Doppel-
rohrblattinstrument von enger, leicht konischer Boh-
rung; das Corpus, in der Regel aus Hartholz, ist 3tei-
lig mitkleiner Stiirze. Die Ob. hat sich ausdemDiskant-
bomhart entwickelt, doch ist der direkte Vorganger
wahrscheinlich die Melodiepfeife der -> Musette (- 2),
die, ,wie u. a. Mersenne (1636) berichtet, auch losge-
lost von der Sackpfeife direkt angeblasen wurde. Der
entscheidende Unterschied zwischen der Spieltechnik
von Bomhart und Ob. liegt im Ansatz. Das Blatt der
Ob. wird mit den Lippen gefaBt; die Pirouette als
Lippenstiitze entfallt deshalb. Damit wird der Ton be-
einfluBbar, und die Uberblastechnik kann entwickelt
werden. Wahrscheinlich schon gegen Ende des 17. Jh.
wurde in das 3. Register Uberblasen, obwohl ein Uber-
blas-(Oktav-)Loch regelmaBig erst an Ob.n vom Ende
des 18. Jh. vorhanden ist. Als Erfinder der Ob. gelten
Jean Hotteterre und Michel Philidor, die die Ob. nach
1 654 in Paris bauten und spielten. Spatestens ab 1664 (Les
plaisirs de Visle enchantee) verwendete J.-B. Lully die Ob.
im Orchester, entweder im 3st. Blasersatz (2 Ob.n und
Fagott) oder im 5st. Streichersatz colla parte mit den
Violinen. 1671 wurden Ob.n in Camberts Pomone ge-
spielt, 1678 gab es Ob.n in englischer Militarmusik.
Das neue Instrument wurde in England 1688 von R.
Holme beschrieben, um 1695 auch von J.Talbot. Pur-
cell verwendete die Ob. ab 1690. Das Ob.n-Spiel in den
Kapellen ubernahmen zunachst Flotisten; so enthalten
Hotteterres Principes de la flute (1707) auch eine Unter-
weisung im Spiel der Ob. Seit dem Beginn des 18. Jh.
und bis in die 1820er Jahre hatte die Ob. 7 Grifflocher
(das 3. und 4. als Doppelloch) und 2 Klappen (c 1 und
es*); der Umfang war ci-c3. Die Komponisten des 18.
Jh., u. a. Telemann, Handel und Vivaldi, setzten die
Ob. in Konzerten, Sonaten und Suiten solistisch ein,
auch konzertierend in Arien (J. S. Bach seit den Kanta-
ten der Weimarer Zeit). Im Mannheimer und im klas-
sischen Orchester gehorten 2 Ob.n zum Holzblaser-
satz. In der 1. Halfte des 19. Jh. begannen die Versuche,
die Zahl der Grifflocher zu vermehren, um alle chro-
matischen Tone ohne -> Gabelgriffe zu erreichen. Zu-
nachst waren Ob.n mit 4-13 Klappen nebeneinander
in Gebrauch. Die Ob. Sellners (Theoretisch-praktische
Ob.n-Schule, 1825) mit 13 Klappen blieb, verbessert,
bis in die neueste Zeit das Instrument der osterreichi-
schen und deutschen Blaser. Ab 1840 entwickelte Trie-
bert den franzosischen Typ der Ob. mit zylindrischer,
enger Bohrung, neuer Lage der Locher und schmale-
rem Blatt. Bis um 1880 wurden von ihm und seinen
Sohnen 6 Systeme erfunden. Ab 1841 iibertrug A. Buf-
fet das Bohmsche System der Bohrung und der Ring-
klappen auf die Ob., wo es sich jedoch nicht durch-
setzte. Bis heute blieb der Ton der franzosischen Ob.
kleiner, scharf er, delikater, der der deutschen ist groBer
und warmer. Der naselnde, sich im Orchester leicht
durchsetzende Ton der Ob. macht sie zu einem Instru-
ment mehr der Kantilene als der virtuosen Figuration;
wegen des geringen Luftverbrauchs konnen sehr lange
Phrasen geblasen werden. Die moderne Ob. hat 16-22
Locher (darunter 1-3 Oktavlocher), von denen 6 mit
den Fingern, die ubrigen mit Klappen gedeckt werden.
Der Umfang ist (b)h-f3(a3). Konzerte fur Ob. schrie-
ben u. a. Vivaldi, A.Marcello (das lange Zeit seinem
Bruder Benedetto zugeschriebene Konzert, erschienen
in J. Rogers Sammeldruck Concetti a cinque I, Amster-
dam um 1717, wurde von J. S.Bach als Cembalokon-
zert, BWV 974, bearbeitet), W.A.Mozart und R.
Strauss. Bekannte Virtuosen altererundneuererZeitsind
J.E.Galliard, die Besozzi, J. Chr. Fischer, die Barth,
L. A. Lebrun, J. Fr. Braun, J.-F. Gamier, A. Barratt, A.J.
Lavigne, L.Goossens, H. Winschermann, H.Holliger.
- Die Ob.n der tieferen Lagen sind durchweg mit
-> LiebesfuB versehen. In Alt- und Tenorlage stehen
die Ob. d'amore (hautbois d'amour, Liebes-Ob.), ein
ohngefehr an. 1720 bekannt gewordenes Instrument (Wal-
therL, Artikel Hautbois d' Amour) in A mit dem Um-
fang gis-cis3(d3), sowie die ebenfalls in der 1. Halfte
des 18. Jh. bekannt gewordene Ob. da caccia und das
moderne ->■ Englisch Horn; eine Bariton-Ob. ist das
-> Heckelphon. - 2) eine 8'-Zungenstimme der Orgel
mit engem, zumeist leicht trichterformigem Becher
und mit einem offenen, teilgedeckten oder gedeckten
Trichteraufsatz, letzterer mit seitlichen Lochern. Auch
•Doppelkegelaufsatze wurden gebaut (K.J.Riepp).
Lit.: zu 1): WaltherL; Quantz Versuch; L. Bechler u.
B. Rahm, Die Ob. u. d. ihrverwandtenInstr.,Lpz. 1914; J.
Wlach, Die Ob. bei Beethoven, StMw XIV, 1927 ; Ch. St.
Terry, Bach's Orch., London 1932, Nachdruck 1958; A.
Baines, J. Talbot's Ms. I, The Galpin Soc. Journal 1, 1948 ;
E. Halfpenny, The Engl. 2- and 3-Keyed Hautboy, ebenda
II, 1949; ders., A 17 th Cent. Tutor for the Hautboy, ML
XXX, 1949; ders., The Tenor Hoboy, The Galpin Soc.
Journal V, 1952; ders., The French Hautboy, ebenda VI,
1953 u. VIII, 1955 ; J. Marx, The Tone of the Baroque Ob.,
ebenda IV, 1951 u. V, 1952; Ph. Bate, The Ob., London
(1956, 21962); H. Kunitz, Die Instrumentation III, Ob.,
Lpz. 1956; J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B.
Lullys, =Munchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961.
Obstinat -> Ostinato.
Octobasse (frz.), ein 4 m hohes Streichinstrument mit
3 Saiten (iC iG C), die durch eine Pedalhebelvorrich-
tung verkiirzt wurden. Sein Erfinder war J.-B. Vuil-
laume (Paris 1849). Vorlaufer hatte dieser MonstrebaB
schon 1830 in Wien und 1834 in Paris (Dubois); der
Deutschamerikaner John Gey er iiberbot das Vuillaume-
sche Instrument 1889 durch ein 41/2 m groBes.
Ode (griech. (j)8^, altere Form aoi&f)), bei den Grie-
chen das Singen, der Gesang, dann auch das Gesungene
(das Lied), doch ist im Unterschied zum -> Melos
mehr das Erklingen, die Ausfuhrung, der Vortrag ge-
meint. Daher bezeichnete O. keine spezielle Gattung,
sondern die Gesamtheit dessen, was gesungen wurde
(vgl. die aus dem 5./4. Jh. v. Chr. stammenden Wort-
zusammensetzungen : Komodie, Tragodie; Aulodie,
Kitharodie, Melodie, Monodie, Parodie, Prosodie,
Rhapsodie, Threnodie u. a.). Perikles lieB fur die von
ihm in Athen neu geordneten musischen Wettkampfe
einen Bau errichten, der Odeion genannt wurde ( Ando-
kides 1, 38; Plutarch, »Perikles« 13, 11) und der spate-
ren gleichnamigen Bauten als Vorbild diente. Uber die
Beschaffenheit der in Paulus-Briefen (Eph. 5, 19; Kol.
3,16) neben Psalmen und Hymnen genannten cJ>Sai
7Wsu(j.aTtxat (lat. cantica spiritualia) ist nichts be-
kannt. Auf Grund anderer Bibelstellen bekam das
Wort im Griechischen eine spezielle Nebenbedeutung.
Die schon friih in die griechische Liturgie aufgenom-
menen neun O.n (2 Mos. 15, 1-19; 5 Mos. 32, 1-43;
1 Sam. 2, 1-10; Hab. 3, 2-19; Jes. 26, 9-20; Jona 2,
3-10; Dan. 3, 26-45 und 52-88; Luk. 1, 46-55 und
68-79 ; -* Canticum) bildeten die Grundlage fiir die im
7./8. Jh. geschaffene Gattung des -> Kanons (- 2), des-
sen neun oder acht Teile (ebenfalls O.n genannt) Para-
phrasen der biblischen O.n sind. Anders als in Byzanz,
wo O. als musikalischer Begriff lebendig blieb (auch
auf die urspriinglich gesungenen Werke altgriechi-
scher Lyrik angewendet wurde, etwa auf die Sapphos
und Pindars; -*■ Melos, ->- Chor), bahnte sich bei den
646
Odenkomp osition
Romern eine Verschiebung des Wortbegriffs an; seit
dem Horaz-Kommentar des Porphyrio (3. Jh. n. Chr.)
begegnet ode, oda als Name einer lyrischen Gattung,
die bis dahin gewohnlich carmen genannt wurde, so
auch im Mittelalter. In der Renaissance bezeichnete O.
allgemein die gesungene oder singbare strophische
Dichtung (als Vorbild gait meist Horaz, seltener Pin-
dar) und f and auch musikalisch haufig Verwendung,
ohne sich jedoch zu einem musikalischen Terminus zu
verfestigen. Um 1500 gab der deutsche Humanist C.
Celtis die Anregung, antike Verse metrisch zu verto-
nen (-»■ Odenkomposition) ; seit derselben Zeit kom-
men allenthalben Kompositionen unter dem Namen
O. vor, nicht nur zu antiken, sondern auch zu neula-
teinischen und volkssprachlichen, geistlichen und welt-
lichen Texten (z. B. in Petruccis Frottolensammlung,
4. und 6. Buch von 1505/06; katholische Kirchenlieder
wie die von G.Witzel 1541 herausgegebenen Odae
Christianae; die von Joachim a Burck, J.Eccard u. a.
vertonten O.n des protestantischen Dichters L. Helm-
bold). Im 17. und 18. Jh. wurden geistliche und weltli-
che O.n-Texte teils als Chorwerke (Purcell), teils in
der Art von Kantaten (Handel, J.S.Bach) und teils
- besonders in Deutschland - als generalbaBbegleitete
Lieder vertont (Sperontes, Mizler, Mattheson, Tele-
mann, Marpurg, C.Ph.E.Bach, Kirnberger, Neefe,
Reichardt, Gluck u. a.). Beethovens 9. Symphonie mit
dem SchluBchor iiber Schillers O. An die Freude laBt
sich in diesen Zusammenhang nur auBerlich einfiigen.
Im 19. und 20. Jh. veroffentlichten u. a. Cherubini,
Felicien David (zwei Ode-symphonies), Liszt, Bizet,
Schonberg, Strawinsky und Prokofjew Kompositio-
nen unter dem Titel O.
Lit. : K. Vietor, Gesch. d. deutschen O., = Gesch. d. deut-
schen Lit. nach Gattungen I, Munchen 1923, Darmstadt
21961. FZa
Odenkomposition, metrische. Versuche, die anti-
ken lyrischen Metra mit strenger Wiedergabe der Sil—
benquantitaten musikalisch neu zu beleben, kamen in
der Zeit des Humanismus auf , nachdem bereits im Mit-
telalter gelegentlich Horaz-Oden zu Fiedel, Harfe oder
Rotta gesungen wurden. Die Zweckbestimmung der
m.n O. fiir den Universitats- oder Schulunterricht
brachte es mit sich, daB in der Regel nicht ein bestimm-
ter Text vertont wurde, sondern alle Oden gleicher
Strophenform zu derselben Musik gesungen werden
sollten. Einstimmige Odenvertonungen sind nur in ge-
ringer Zahl iiberliefert; bei den mehrstimmigen Satzen
resultiert aus der Beachtung des Metrums in alien Stim-
men Homorhythmie (contrapunctus simplex). Zeigen
ein anonymer 4st. Satz iiber Horaz' Tu tie quaesieris in
der -> Quelle Tr 89 (2. Drittel des 15. Jh. ; NA in DTO
VII, Band 14/15, S. 89) sowie einige Odensatze in Pe-
truccis Frottoledrucken (Venedig ab 1504) Homo-
rhythmie ohne Befolgung des Metrums, so ist doch die
allgemeine Verbreitung der m.n O. zuEnde des 15. Jh.
mehrfach bezeugt: In Italien erschienen 2st. Satze in
Gafforis De Harmonia Muskorum Instrumentorum Opus
(geschrieben 1500; gedruckt Mailand 1518), aus Frank-
reich stammt eine von Glareanus (s. u.) veroffendichte
1st. Odenrrielodie des Humanisten R.Gaguin (f 1501),
in Deutschland bilden das fruheste gedruckte Beispiel
zwei 3st. Satze in J. Lochers Drama Historia de regefrancie
(Freiburg im Breisgau 1495). Locher war in Ingolstadt
Schuler von C. Celtis gewesen, der fiir seine Poetikvor-
lesungen an der dortigen Universitat (1492-95) durch
einen anderen seiner Schuler, P.Tritonius, 4st. Satze zu
alien Horazischen »genera carminum« komponieren
lieB. Sie erschienen (zusammen mit 3 Satzen anderer
Komponisten zu nichthorazischen Odenformen) als:
Melopoiae sive harmoniae tetracenticae super XXII. genera
carminum . . . secundum naturas & tempora syllabarum et
pedum compositae et regulatae, ductu Ch.Celtisfeliciter im-
pressae (1. und 2. Ausgabe Augsburg 1507, Neudruck
Frankfurt am Main 1532 und in dem von P.Nigidius
herausgegebenen Sammeldruck Ceminae Undeviginti
Odarum Horatii melodiae, Frankfurt am Main 1551/52).
Einer Obertragung des Prinzips der m.n O. auf christ-
liche Texte ebnete Celtis dadurch den Weg, daB er den
Melopoiae ein Verzeichnis soldier geistlichen Hymnen
beigab, die zu Tritonius' Satzen gesungen werden
konnten. Auch die spateren (in der Regel 4st.) Samm-
lungen beriicksichtigten sowohl antike als auch christ-
liche Oden. Genannt seien: W.Grefinger, Aurelii Pru-
dentii Cathemerinon (Wien 1515); Melodiae prudentianae
et in Virgilium (Leipzig 1533, mit Satzen von L.Hor-
disch, S. Forster, J. Cochlaeus und anon.) ; L. Senfl, Varia
carminum genera (Niirnberg 1534; Senfl iibernahm in 19
von 30 Satzen die Tenores des Tritonius und legte sie
als C. f. seinen Satzen besonders im Altus oder Cantus
II zugrunde); B.Ducis, Harmoniae in odas P. Horatii
Flacci (Ulm 1539; nicht erhalten, doch finden sich 6
Satze von Ducis in dem genannten Sammeldruck von
1551/52); P.Hofhaymer, Harmoniae poeticae (Niirn-
berg 1539, darin auch neue Satze von Senfl und Gr.
Peschin) ; M. Collinus, Harmoniae univocae in odas Ho-
ratianas (Wittenberg 1555); M.Agricola, Melodiae
scholasticae (Magdeburg 1557); L.Lossius, Melodiae sex
generum carminum usitatiorum (Niirnberg 1563, selbstan-
dig oder als Anhang zu Lossius' Erotemata musicae
practicae; samtliche Satze sind dem genannten Sammel-
druck von 1551/52 entnommen); Joachim a Burck,
Odae sacrae (2 Biicher, Muhlhausen 1572-78); Cre-
pundia sacra (Muhlhausen 1578, Dichtungen von L.
Helmbold, Satze von J.Eccard, Joachim a Burck, J.
Hermann) ; J. Crusius, Isagoge ad artem musicam . . ■ Item
Harmonia carminum usitatiorum (Niirnberg 1592); S.
Calvisius, Hymni Sacri Latini et Germanici . . . Accesse-
runt Harmoniae, generibus Carminum apud Horatium,
&Buchananum usurpatis, accommodatae (Erfurt 1594, be-
arbeitet von E. Bodenschatz als : Florilegium selectissim-
orum hymnorum, Leipzig 1606, letzte Ausgabe 1777);
W. Figulus, Hymni sacri et scholastici cum melodiis et nu-
meris musicis, aus dem NachlaB herausgegeben von Fr.
Birck (Leipzig 1594, erhalten nur in der Auflage 1604,
enthalt auch Satze von M. Agricola) ; B. Gesius, Hymni
scholastici (Frankfurt an der Oder 1597, erweitert als:
Melodiae scholasticae 21609, 41621); L. Stiphelius, Li-
bellus scholasticus (Jena 1607, 21612); G.Tranoscius
(-> Tranovsky), Odarum sacrarum sive Hymnorum . . .
libri tres (Brieg 1629; insgesamt 150 Oden mit 20 4st.
Satzen, von denen 10 bereits in alteren Sammlungen
nachgewiesen sind). Auch lateinische metrische Ober-
setzungen deutscher evangelischer Kirchenlieder be-
gegnen, z. B. : W. Ammon, Libri tres odarum ecclesiasti-
carum (Frankfurt am Main 1578); S.Steier, Hymnorum
oeconomicorum . . . libri duo (Niirnberg 1583, lateinisch
und deutsch). Besondere Verbreitung fand G.Bucha-
nans Psalmorum Davidis paraphrasis Poetica (zuerst Ant-
werpen, Paris und StraBburg 1566) in der Ausgabe von
N. Chytraeus (Herborn und Frankfurt am Main 1585,
171664) mit 39 von Statius Olthof teils komponierten,
teils gesammelten 4st. Satzen. Auch entstanden neu-
lateinische Oden fiir die evangelischen Lateinschulen,
wo das tagliche Singen ernes genus Carminis . . . Horatii
(oder defi glekhen) eintrechtig mit vier stymmen (Schul-
ordnung Zwickau 1523, nach Schiinemann, S. 68) iib-
lich war. Ferner bildeten O.en die Aktschliisse vieler
lateinischer oder deutscher Schuldramen; hier war die
Ausfuhrung zuweilen mit Tanz verbunden. - Nach-
dem bereits Gaffori und Cochlaeus (Tetrachordum mu-
sices, Niirnberg, in den Auflagen ab 1512) Muster der
647
Osterreich
m.nO. vorgelegtundbesprochenhatten, gab Glareanus
im zweiten Band seines Dodekachordon (Basel 1547) aus-
fiihrliche Anweisungen uber die Komposition und
Ausfiihrung der Horaz-Oden. Ihm zufolge sollten die
musikalischen Satze stets einstimmig und nur fur eine
Ode bestimmt sein. Femer verlangt er von den Sangern
eine Abwandlung des Vortrags durch die einzelnen
Strophen hindurch (vermutlich auch mit Einfiihrung
von Diminutionen) und unterbricht in seinen Melodien
stellenweise das Metrum zugunsten affektbetonter Me-
lismatik. Zeugnisse fur die Pflege der m.n O. auBer-
halb Deutschlands sind sparlich. Genannt sei CI. Goudi-
mels nicht erhaltene Sammlung Q.Horatii Flacci . . .
odae omnes quotquot carminum generibus differunt ad rhyth-
mos musicos redactae (Paris 1555), die vermutlich ebenso
wie Goudimels homorhythmische Bearbeitung der
Genfer Psalmen zu den Vorbildern gehorte, an die J.-A.
Baif mit seinen ->- Vers mesures a l'antique ankniipfte.
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0., 10 Bde, Wien 1904-13; Jb. d. o.ischen Volksliedwer-
kes, Wien seit 1952.
Off-beat ('Dibi:t, engl., weg vom Schlag, neben dem
Schlag) bezeichnet die fur den -> Jazz typischen, gegen
das gleichbleibende Grundschlagen (->- Beat - 1) der
Rhythmusgruppe gesetzten freieren Akzentuierungen
der Melodiegruppe, die mit Hilfe der Notenschrift
nicht fixierbar sind. Der O.-b. ist, wie der Beat, nicht
nur ein Merkmal des Jazz, sondern auch der gesamten
musikalischen Negerfolklore der USA und hat sich
dort als ein Uberrest afrikanischen Musizierens be-
hauptet.
Lit. : A. M. Dauer, Der Jazz, Kassel (1958) ; ders., Jazz -
die magische Musik, Bremen 1961 ; E. L. Waeltner, Me-
trik u. Rhythmik im Jazz, in : Terminologie d. Neuen Mu-
sik, hrsg. v. R. Stephan, = Veroff. d. Inst, f . Neue Musik u.
Musikerziehung Darmstadt V, Bin 1965.
Offertorium (lat.), genauer: Antiphona ad O., der
Gesang zur Gabendarbringung wahrend der Mefifeier
(4. Stuck des Proprium missae), ursprunglich auch
Offerenda genannt. Die Verbindung des Namens O.,
der zunachst nur die Niederlegung von Opfergaben
bezeichnet, mit dem entsprechenden Begleitgesang
findet sich bei Isidorus von Sevilla (De ecclesiasticis offi-
ciis I, 14, Migne Patr. lat. LXXXIII, 751). Erste Nach-
richten uber eine Einfiihrung von Psalmengesang im
Rahmen der Opferhandlung stammen aus Nordafrika
(Karthago und Hippo) zur Zeit des hl.Augustinus,
wahrend man in Rom wohl seit dem 6. Jh. uber ein
eigenes Repertoire an OfEertorien verfiigte, dessen
Kernbestand vor seiner Erweiterung durch Gregor den
GroBen auch nach Mailand gelangte. In seiner alteren
Form umfaBte das O. einen wechselchorig gesungenen
Psalm mit Antiphon. Doch wurde die antiphonische
Anlage schon wenig spater zugunsten der responsori-
schen aufgegeben und diese seit dem 7. Jh. aus einem
Rahmenstiick unterschiedlicher Lange (dem Hauptteil
mit -> Repetenda) und 1-4 melodisch reichgegliederten
648
Offizium
Soloversen (vermutlich ohne Gloria patri) gebildet. Die
weitere Entwicklung brachte im 11./12. Jh. als Folge
der riicklaufigen Beteiligung des Volkes am Opfergang
den Fortfall der Verse, womit zugleich jene Form er-
reicht war, wie sie audi in das Missale Pius' V. (1570)
und in das Vatikanische Graduale Eingang f and (einzi-
ge Ausnahme: O. Domine Jesu Christe mit Versus
Hostias et preces aus dem -»■ Requiem). Dagegen blieb
in der altspanischen Liturgie (wo dem O. das soge-
nannte Sacrificium entspricht), zum Teil auch in der
mailandischen Liturgie, die Verkniipfung mit dem
Versus erhalten. Nach dem Vorbild der alteren liturgi-
schen Praxis darf der Opferungsgesang beim romi-
schen MeBgottesdienst seit 1958 wieder mit Psalmver-
sen, auch in der alten Melodiefassung, gesungen wer-
den (Instructio der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958,
Artikel 27b). - Die melodische Struktur von Rahmen-
stiick und Versen verleiht den gregorianischen Offer-
torien den Rang eines primar eigenstandigen Typus,
dessen wesentliche Merkmale sich aus der reichen Viel-
falt seines neumatisch-melismatischen Stils herleiten.
Neben der meist sehr engen musikalischen Beziehung
zwischen Hauptteil und Versen (mit teils gemeinsamen
SchluBbildungen, Phrasen- und Motivrepetitionen
usw.) ist als besondere Eigenart die in einigen Melodien
durchgefuhrte (ein- oder mehrfache) Wiederholung
von Worten oder Wortgruppen zu nennen (Beispiel :
O. Precatus est Moyses vom 12. Sonntag nach Pfing-
sten). - Innerhalb der mehrstimmigen Musik fand das
O. erst seit dem 16. Jh. weitere Verbreitung, nachdem
der Schritt von der C. f.-gebundenen Bearbeitung
(fruhe Beispiele im 11. Faszikel der Notre-Dame-Hs.
W\, -> Quellen) zur C. f.-freien O.s-Motette vollzo-
gen war. Als bedeutendste Leistungen auf diesem Ge-
biet gelten Palestrinas Offertoria totius anni (1593) sowie
die 5-4st. Offertorien von Lassus (Sacrae Cantiones von
1582 und 1585 u. a.). Wahrend der beiden folgenden
Jahrhunderte zum glanzvollen Mittelpunkt des Pro-
prium missae erhoben, gelangte das O. beim Gottes-
dienst auch in Form eines Orgelstucks oder als kon-
zertante Einlage mit Begleitung von Instrumenten
zum Vortrag: eine Entwicklung, die erst im 19. Jh.
durch die kirchenmusikalische Restauration (->• Cae-
cilianismus) aufgefangen wurde.
Ausg. v. O.-Versen : Offertoriale sive versus offertoriorum
cantus gregoriani, hrsg. v. C. Ott, Tournai 1935, nach Hs.
Montpellier H 159, 11. Jh. (weitgehend unbrauchbar, vgl.
U. Bomm OSB in: Arch. f. Liturgiewiss. 1, 1950).
Lit. : P. Wagner, Einf Uhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I u. Ill, Lpz. 3191 1 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962; L. David OSB, Les versets d'offertoire,
Rev. du chant gregorien XXXIX, 1935; O. Heiming OSB,
Vorgregorianisch-romische O. in d. mailandischen Litur-
gie, Liturgisches Leben V, 1938; H. Sidler OMCap., Stu-
dien zu d. alten O. mh ihren Versen, Freiburg i. d. Schweiz
1939; W. Lipphardt, Die Gesch. d. mehrst. Proprium
Missae, Heidelberg 1950; W. Apel, Gregorian Chant,
Bloomington/Ind. (1958); J. A. Jongmann SJ, Missarum
Sollemnia II, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962; R.-J.
Hesbert OSB, Un antique offertoire de la Pentecote: »Fac-
tus est repente«, in: Organicae voces, Fs. J. Smits van
Waesberghe SJ, Amsterdam 1963 ; G. Baroffio, Die O. d.
Ambrosianischen Kirche, Diss. Koln 1964; R. Steiner,
Some Questions About the Gregorian Offertories and
Their Verses, JAMS XIX, 1966. KWG
Offizium (lat. officium divinum), das kirchliche Stun-
dengebet, haufig auch als Breviergebet bezeichnet (al-
tere Namen : opus Dei, opus divinum, horae canonicae
u. a.). Seiner liturgischen Aufgabe und seiner Anlage
nach der Heiligung des vollstandigen Ablaufs von Tag
und Nacht dienend, ist es offentliches Gebet der Kirche
und wird innerhalb des romischen Ritus - den jeweili-
gen Verhaltnissen gemaB - entweder in der feierliche-
ren Form des gemeinsamen Chorgebets oder als Pri-
vatrezitation vollzogen. Durch das kanonische Recht
ist die Verpflichtung zum Stundengebet den Klerikern
hoherer Weihegrade (vom Subdiakonat an) und alien
Ordensleuten mit feierlichen Geliibden auferlegt. Dar-
iiber hinaus sind nach der Liturgiekonstitution des 2.
-»■ Vatikanischen Konzils auch jene Glaubigen, die das O .
zusammen mit den Priestern, unter sich oder allein in
einer approbierten Form verrichten, rechtmafiige Tr'a-
ger dieses Gebetes (vgl. Artikel 84 und 100). Der Cur-
sus des romischen und des monastischen O.s umfaBt
folgende an die Einheit eines natiirlichen Tages gebun-
denen Stunden(gottesdienste; horae), wobei im ein-
zelnen zwischen den groBen Horen (horae maiores, im
folgenden mit * gekennzeichnet) und den kleinen Ho-
ren (horae minores), heute ferner zwischen einem
Nacht- und einem Tages-O. (officium nocturnum und
officium diurnum) unterschieden wird: -> Matutin*
(Nacht-O.), -> Laudes*, -*■ Prim, -> Terz, Sext, Non,
-> Vesper*, ->■ Komplet (- 1 ; Tages-O.). HShere Feste
(seit 1960 auch die Sonntage) haben bereits am Vor-
tag eine 1. Vesper. - Wahrend die Verrichtung ge-
meinsamer Gebetsgottesdienste in den ersten Jahr-
hunderten der christlichen Kirche eine Angelegenheit
der ortlichen Gemeinden unter Leitung ihrer Ober-
hirten und ohne festgesetzte Ordnung war, brachte
das 4. Jh. im AnschluB an den Konstantinischen Frie-
den (313) und die hierdurch ermoglichte Verbindung
der Einzelkirchen den Obergang zum liturgischen
Stundengebet als dem Gebet der Gesamtkirche. Im
einzelnen vollzog sich dieser ProzeB iiber die Gemein-
de- oder Bischofskirchen (O. der Kathedralen) und die
vornehmlich im Orient neu entstandenen Monchsge-
meinschaften (O. der Monche). Als Grundlage beider
Traditionsstrome erscheint das Morgengebet (solemni-
tas matutina oder agenda matutina, auch laudes matu-
tini oder matutini [psalmi] genannt) und das Abendge-
bet (lucernarium, bis zum 4. Jh. dem Dank fur den Se-
gen des Lichtes gewidmet), die beide vermutlich aus
jiidischer Uberlieferung stammen und sich schon in al-
tester Zeit nachweisen lassen (Plinius der Jungere, Ter-
tullian u. a.). In ihnen werden die Friihformen der spa-
ter als Laudes und Vesper bezeichneten Horae maiores
greifbar. Eine ebenfalls in den Kathedralkirchen zu
Ostern und offenbar auch an einigen anderen Festtagen
abgehaltene Vigilfeier wurde von Monchen besorgt.
Daneben pflegte man in den Klostern selbst das (ur-
spriinglich private) Gebet zur Mitternacht (die spatere
Matutin), ebenso - mit Ausnahme der agyptischen
Monche - die Terz, Sext und Non. Im Zuge der schon
bald darauf folgenden Vorverlegung von Laudes und
Vesper wurde der bisherige Zyklus durch Prim und
Komplet erganzt, so daB sich das monastische O. allge-
mein durch groBere Vielfalt auszeichnete (vgl. Salmon,
S. 342f.), die fiir die Fortentwicklung der orientali-
schen Liturgieformen maBgebend blieb. Demgegen-
iiber vollzog sich im Raum der abendlandischen Kirche
bis zur Mitte des 6. Jh. ein Zusammenwachsen beider
Traditionen, bei dem das Kathedral-O. weitgehend
von der Ordnung des monastischen Stundengebets
durchdrungen wurde. Auch die Basiliken Roms, an de-
nen Monche vielfach die liturgischen Horen feierten,
erhielten auf diesem Wege den gesamten Cursus. Als
dem altesten Zeugnis eines durchorganisierten vollstan-
digen und taglichen O.s kommt der um 530 verfaBten
Regula monasteriorum des Benedictus von Nursia zen-
trale Bedeutung zu. Der hier beschriebene Typus des
(noch heute bei den Benediktinern, Zisterziensern und
Kartausern lebendigen) Stundengebets stellt eine Ober-
nahme und Erweiterung des damals an den romischen
Basiliken gebrauchlichen O.s dar. Durch karolingi-
649
Offizium
sche Ref ormbestrebungen unterstiitzt, gelangte er auch
nach England und dem frankisch-germanischen Reich.
Dem Vorbild des romisch-benediktinischen O.s schloB
sich ebenfalls die einfluBreiche junge Kanonikerbewe-
gung an (Regel Ghrodegangs von Metz, 766). Ent-
scheidende Forderung fand das Bemiihen um litur-
gische Einheit durch Amalar von Metz (f um 850),
dessen Antiphonarneuf assung f iir weiteste Bereiche der
romischen Liturgie vorbildkch wurde. Leider fiihrte
die standige Aufnahme zusatzlicher Teile (z. B. der
Gradual- und BuBpsalmen, zahlreicher Heiligenf ormu-
lare und des Toten-O.s) allmahlich zu einer UbermaBi-
gen Belastung der einzelnen Horen. Dem stellte der
papstliche Stuhl nach mehrfachen Ansatzen unter In-
nozenz III. (1198-1215) mit dem Breviarium secundum
consuetudinem Curiae Romanae eine erheblich gekiirzte
Form des Kurien-O.s entgegen. Dank dem Wirken der
Franziskaner, die ihr Stundengebet nach der »Ordnung
der heiligen romischen Kirche« verrichteten (Regel aus
dem Jahre 1223), verbreitete sich dieses neue O. in der
1 243/44 uberarbeiteten Fassung Hay mos von Faversham
iiber den gesamten lateinischen Liturgiebereich mit
Ausnahme der alteren Monchsorden und einiger Son-
derriten. Die fernere Entwicklung (deren Fakten der
Geschichte des -> Breviers zugehoren) anderte trotz
mannigfacher Reformen nichts mehr an der Grund-
struktur des O.s, sondern betraf nur die verschiedenen
Elemente der Gebetsstunden (z. B. Anzahl und Vertei-
lung der Psalmen, Textfassung der Hymnen usw.).
Erst die gegenwartige Liturgiereform geht dariiber hin-
aus, indem sie die durch Jahrhunderte iiberlieferte Fol-
ge der Horen sowie deren Bestandteile einer tiefgrei-
fenden Neuordnung bzw. Neugestaltung unterzieht
(vgl. Artikel 87ff. der Constitutio de sacra liturgia vom
4. 12. 1963). - In der faszinierenden Vielgestaltigkeit
seines Aufbaus wird das O. hauptsachlich von folgen-
den Grundelementen getragen: den Psalmen (und
Cantica) mit ihren Antiphonen, den Responsorien,
Hymnen und Lesungen. Mit ihnen verbindet sich zu-
gleich der ganze Reichtum des einstimmigen liturgi-
schen Gesanges, angefangen vom Rezitativ der Lektio-
nen iiber die modellgebundenen (eigenen) Formen der
Psalmodie (-> Psalmtone) und den Typus der O.s-An-
tiphon bis zu den auBerst kunstvollen Responsoria pro-
lixa der Matutin u. a. (-* Responsorium, -> Hymnus - 1 ,
-> Versikel). Der Melodienbestand ist im -*■ Antipho-
nale enthalten, dessen moderne Ausgaben jedoch nur
das Tages-O. umfassen. Den vollstandigen Text bringt
das -> Brevier. - In mittelalterlichen Quellen spani-
scher, englischer und gallikanischer Herkunft bezeich-
net das Wort officium den -+ Introitus der Messe (so
noch heute im mozarabischen Ritus, bei den Kartau-
sern, Karmeliten und Dominikanern). AuBerdem wur-
dees-seitdeml4.Jh.nachweisbar-inpolyphonenMeB-
kompositionen alsName fiir das ganze Proprium missae
verwendet (Abtei Engelberg, Ms. 314, f. 18: Officium
id est Introitus, Graduate, Offertorium et Communio . . .),
aber auch als Bezeichnung des Ordinarium missae.
Ausg.: Corpus antiphonalium officii, hrsg. v. R.-J. Hes-
bert OSB, Bd I— II, Mss. »Cursus Romanus« u. Mss. »Cur-
sus Monasticus«, = Rerum Ecclesiasticarum Documenta,
Series Maior, Fontes VII-VIH, Rom 1963-65; Amalarii
Episcopi opera liturgica omnia, hrsg. v. J. M. Hanssens
S J, Bd III (darin : Liber de ordine antiphonarii), Rom 1 950.
Lit.: S. Baumer OSB, Gesch. d. Breviers, Freiburg i. Br.
1 895, erweitert frz. v. R. Biron als : Hist, du breviaire, 2
Bde, Paris 1905, Nachdruck Freiburg i. Br. 1967; P. Wag-
ner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill,
Lpz. 3 191 1 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; ders., Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach
GattungenXI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963;
J. Pascher, Das Stundengebet d. romischen Kirche, Miin-
chen (1954) ; J. A. Junomann SJ, Der Gottesdienst d. Kir-
che, Innsbruck, Wien u. Munchen 1955, 31962; ders., Li-
turgisches Erbe u. pastorale Gegenwart, ebenda 1960; P.
Salmon, Das Stundengebet, in: Hdb. d. Liturgiewiss. II,
hrsg. v. A.-G. Martimort, Freiburg i. Br., Basel u. Wien
(1965). KWG
Ohr. Das menschliche Hororgan besteht aus auBerem
O., Mittel- und Innen-O. Die O.-Muschel miindet in
den etwa 3 cm langen Gehorgang, dessen Ende durch
duOeresQ. MitM-0. fonen-0.
Hammer AmbaBiSteigbuoet I
Eustochische Rdhre
das Trommelfell verschlossen ist. Dieses besteht aus
einer annahernd ovalen Membran (groBer Durchmes-
ser etwa 10 mm), die straff iiber einen knochernen Rah-
men gespannt und nach innen konisch gewolbt ist. Am
Trommelfell greift die GehorknSchelkette des Mittel-
O.es an (Hammer, AmboB und Steigbiigel). Bei Schall-
einwirkung iibertragt sie die entstehenden Vibrationen
des Trommelfells auf das Innen-O. Die FuBplatte des
Steigbiigels sitzt auf dem »ovalen Fenster« und erregt
die Innenohrfliissigkeit (Lymphe). Da etwa 55 mm 2
des Trommelfells als wirksame Flache anzusehen sind
und die SteigbiigelfuBplatte nur eine Grundflache von
3,2 mm 2 hat, ist (da Kraft gleich Druck mal Flache)
der auf die Perilymphe einwirkende Druck rund
20mal so groB wie der auBere Uberdruck auf das Trom-
melfell. Experimentelle Beobachtungen (G. v.Bekesy)
lassen vermuten, daB die Knochelkette in eine andere
Schwingungsform iibergehen kann, wenn niedrige
Frequenzen groBer Amplitude einwirken (z. B. Don-
ner), wodurch sie vor Beschadigung geschutzt wird.
Das spiralenformige Innen-O. (Schnecke) ist mit 21/2
Windungen etwas mehr als 3 cm lang. Der Hohlraum
der Schnecke wird der Lange nach durch eine Trenn-
wand geteilt, die teils knochern, teils membranos (Ba-
silarmembran) ausgebildet ist. An ihrem auBeren Ende
Beissncrsche Membran
Cortisches Organ
'mit Sinneszetten
Basitormembran
ist die Trennwand unterbrochen (Helicotrema), so daB
eine Verbindung zwischen der Flussigkeit des oberen
und des unteren Hohlraums besteht. Das den unteren
Hohlraum mit einer Membran verschlieBende »runde
Fenster«, das dicht neben dem ovalen liegt, sorgt fiir
den Druckausgleich. Auf der Basilarmembran, die an
den Fenstern ca. 16 mm und am Helicotrema 0,5 mm
650
Oktave
breit ist, befindet sich das Cortische Organ; es besteht
aus mehreren Reihen von je ca. 3500 Sinneszellen. Sie
sind mit der entsprechenden Zahl von Nervenfasern
verbunden, welche zusammengefaBt als Hornerv zum
Horzentrum des Gehirns fiihren. - Bei Schalleinwir-
kung laufen Wellen durch die Lymphe der Schnecke
und fiihren zu lokalenErregungen derBasilarmembran.
Trifft eine Sinusschwingung auf das Trommelfell, so
kann man mit Hilfe einer hochentwickelten operativen
Mikroskoptechnik (Abbildung nach G.v.Bekesy) auf
der Basilarmembran Stellen maximaler Erregung fest-
stellen, die mit wachsender Frequenz vom Helicotrema
zu den Fenstern riicken.
3
2
i
o
3
2
1
3 -
2 -
I -
-
3
2
1 -
3
2 -
I
3 l
2
+—^
3 -
2 - h
1 -
o 4— ==
Die Breite dieser erregten Stellen und die Dampfung
der Basilarmembran sind allerdings so groB, daB sich
zwar die kurze Tonkennzeit, nicht aber die hohe Se-
lektivitat beziiglich des Tonhohen-Unterscheidungs-
vermogens erklaren laBt (->■ Hortheorie). Die Nerven-
zellen senden bei Erregung elektrische Impulse aus, die
im Hornerv nachweisbar sind. Je intensiver die Reizung
ist, um so mehr Nervenzellen werden erregt. Die
Uberlagerung aller Impulse zeigt eine Synchronisation
mit der Frequenz. - Die Empfindlichkeit des Gehors ist
stark frequenzabhangig. Bei etwa 1000 Hz erreicht sie
ihr Maximum und nimmt bei tiefen und hohen Fre-
quenzen stark ab (-> Horschwelle). Auf Druckschwan-
kungen unter ca. 10 Hz spricht das Gehor nicht an. Die
obere Frequenzgrenze liegt bei jungen Menschen etwa
um 20000 Hz. Mit zunehmendem Alter verschiebt sie
sich nach tieferen. Frequenzen (50 Jahre ca. 12000 Hz,
70 Jahre ca. 5000 Hz). Diese Veranderungen gehen auf
den Schwund von nervosen Elementen im Innen-O.
und im Gehirn zuriick; sie sind individuell verschie-
den. Bei diesen und ahnlichen Storungen kann heute
Besserung meist durch elektroakustische Horhilfen ge-
bracht werden. Bei Storung der Schallzuleitung durch
Verwachsung und Defekte des Schallzuleitungsappa-
rates ist operative Hilfe mSglich.
Lit. : G. v. Bekesy, Zur Physik d. Mittelo. u. iiber d. Horen
bei fehlerhaftem Trommelfell, Akustische Zs. I, 1936;
ders. u. W. A. Rosenbuth, Mechanical Properties of the
Ear, in: Hdb. of Experimental Psychology, hrsg. v. St. Sm.
Stevens, NY 1951 ; O. Fr. Ranke, Physiologie d. Gehors,
in: Lehrbuch d. Physiologic hrsg. v. W. Trendelenburg u.
3E
E. Schutz, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1953; F. J. Mei-
ster, Akustische MeBtechnik d. Gehorpriifung, = Wiss.
Bucherei . . . d. MeBtechnik, Abt. 7 D 3, Karlsruhe 1954;
R. Feldtkeller u. E. Zwicker, Das O. als Nachrichten-
empfanger, = Monographien d. elektrischen Nachrichten-
technik XIX, Stuttgart 1956; F. Trendelenburg, Einfuh-
rung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1961.
Okarjna (von ital. oca, Gans), eine zuerst um 1860/80
von dem Italiener G. Donati in Budrio gebaute Gef aB-
flote aus Ton. Die O. hat die Gestalt etwa einer ge-
schlossenen Muschel, eines Eis oder eines Vogels. Sie
hat eine Reihe (meist 8-10) Grifflocher, einen Schnabel
zum Anblasen und gelegentlich Klappen oder Stimm-
ziige. Ihr Ton ist sanft und stumpf, etwa dem einer ge-
dackten Orgelpfeife ahnlich. Die O. ist als Karnevals-
pfeife in Italien, als Kinderspielzeug in vielen Landern
bekannt.
Oktave (lat. octava, achte), die 8. Stufe in diatonischer
Folge, die mit demselben Tonbuchstaben bezeichnet
wird wie der Ausgangston. Die musi- i
kalische Praxis kennt die O. als rein, (fa
vermindert und ubermaBig. In der al- *^ ^ "
testen Theorie der Griechischen Musik (bei Philolaos)
heiBt die O. -> Harmonia, erst spater ->■ Diapason (- 1).
Die Saitenteilung demonstriert die O. als einfachste
Proportion (1:2); physikalisch ist die O. der 1. Ober-
ton. Im Tonsystem der abendlandischen Musik gilt,
daB Tone im Oktavabstand, wie schon durch deren
gleiche Benennung ausgedriickt wird, als Tonquali-
taten identisch sind und sich nur in der Tonhohe un-
terscheiden. Dem entspricht die Wertung der O. als
Konsonanz mit dem hochsten Verschmelzungsgrad.
Oktavverdopplung einer Stimme begriindet keine
Mehrstimmigkeit, sondern dient zur Verstarkung oder
Farbung des Klanges; im mehrstimmigen Satz gelten
Oktavparallelen als besonders schwerer Fehler. Der
Sonderstellung der O. (und Doppel-O.) trug Ptole-
maios (1, 7) dadurch Rechnung, daB er sie als homopho-
nes Intervall (-> Homophonie) von den symphonen
(Quinte und Quarte) unterschied. Im 18. jh. war die
Identitat der Tone des Oktavintervalls Gegenstand des
Streites zwischen L.Euler (der sie in seiner mathema-
tischen, auf der kontrapunktischen Intervallehre basie-
renden Theorie negierte) und J.-Ph. Rameau (der sie in
seiner auf der Entdeckung des Dreiklangs als principe
de l'harmonie beruhenden Theorie behauptete) . Wenn-
gleich seit der griechischen Antike die Darstellung des
Tonsystems im allgemeinen von der O. ausgeht und
die Intervalle durch Oktavteilung, die Tonarten durch
Systematisierung der Oktavgattungen gewonnen wer-
den, ist doch diese Vorrangstellung der O. nicht iiber-
all gegeben. Die HSrpsychologie hat nachgewiesen,
daB die Wahrnehmung der O. durch Veranderung der
Lautstarke beeinfluBt werden kann und an den Grenzen
des Horbereichs unscharf wird. Skalen und Tonsyste-
me, in denen die O. keine konstituierende Bedeutung
hat, gibt es nicht nur in der auBereuropaischen Musik,
sondern auch im Byzantinischen Gesang (Pentachord-
und Tetrachordsystem), im Russischen Kirchengesang
(Trichordsystem) sowie in der westeuropaischen Mu-
sik des Mittelalters (Tetrachordsystem der Musica En-
chiriadis, -> Dasia-Zeichen). - In der modernen Praxis
bedeutet O. auch die Gesamtheit der innerhalb eines
Oktavintervalls (mit C als Grenzpunkt) liegenden To-
ne. Zur Bezeichnung der absoluten Tonhohe sind der
Tonbuchstabe und die Angabe des betreffenden Ok-
tavbereichs notwendig, z. B. GroBes A. Nach der heute
gebrauchlichen Schreibweise der Tonbuchstaben
(->■ Buchstaben-Tonschrift) heiBen die Oktavbereiche :
Subkontra-(oderDoppelkontra-)0., Kontra-O., groBe
O., kleine O., eingestrichene O. usw. Sie werden durch
651
Oktavhorn
groBe oder kleine Buchstaben und dvirch beigefiigte
Striche oder Zahlen gekennzeichnet (z. B. Subkontra-A
als 2 A, A oder „A ; dreigestrichenes C als c3,"coder c'" ;
-*■ Tonsystem).
In der Orgel heiBen O. ->■ Prinzipal-Register mit hohe-
ren -»■ FuBtonzahlen in Oktavabstanden iiber dem ba-
sierenden Prinzipal des Werkes, auf Prinzipal 8' also
in 4'-, 2'- und l'-Lage, im Pedal als OktavbaB 8' ge-
baut. Der 4' heiBtfrz. prestant (praestant), span, octava
(clara und general), ital. octava. Der 2', die Super-O.,
heiBt span, quincena, ital. quinta decima (vom 8' aus
gerechnet), frz. doublette, was darauf hinweist, daB
Doublette friiher ein doppelchoriges Register war. Da-
her nennt Dom Bedos die einchorige O. 2' auch Dou-
blette simple. In der l'-Lage heiBt O. auch Oktavlein.
Oktavbetonte Mischregister sind Oktavmixtur, Ok-
tavzimbel, Oktavkornett.
Oktavhorn (ital. cor alto), Oktavwaldhorn, ein nach
Planen von H.Eichborn durch E. C. Heidrich (Breslau
1883) gebautes kleineres Horn (hoch F). Es unterschei-
det sich vom gewohnlichen Waldhorn auBer durch
hohere Stimmung durch groBere Stiirze und ein wenig
weitere Mensur; ferner ist ein 4. Ventil (Quartventil)
angebracht, damit die Tone zwischen dem 1. und 2.
Naturton hervorgebracht werden konnen.
Oktett (ital. ottetto; frz. octette, octuor; engl. octet),
eine Komposition fur 8 solistisch konzertierende In-
strumente; seltener sind O.e fur solistisch besetztes 8st.
Vokalensemble; auBerdem heiBt O. eine Vereinigung
von 8 Instrumentalsolisten. Vom Doppelquartett
(-»• Streichquartett) unterscheidet sich das O. dadurch,
daB nicht 2 Quartettgruppen sich gegeniiberstehen,
sondern die Instrumente frei kombiniert werden kon-
nen. Die Komponisten der 2. Halfte des 18. Jh., auch
J. Haydn, W.A.Mozart und der junge Beethoven (op.
103, erst 1830 posthum veroffcntlicht als Grand Octuor),
schrieben Werke fur 8st. Blaserensemble (-* Harmo-
niemusik), die noch in die Gattungen Divertimento
bzw. -> Serenade einzuordnen sind; der von der Zahl
der Mitwirkenden abgeleitete Werktitel O. wird erst
im 19. Jh. allgemein tiblich. Das bedeutendste dieser als
Kammermusik mit groBer Besetzung konzipierten
Werke ist Schuberts op. 166 (2 V., Va, Vc, Kb., Klar.,
Horn, Fag.) ; reine Streicherbesetzung weisen Mendels-
sohns op. 20 und Schostakowitschs op. 11 auf (je 4 V.,
2 Va, 2 Vc). Aus neuerer Zeit sind auBerdem zu nennen
Strawinskys Octuor (Fl., Klar., 2 Fag., 2 Trp., 2 Pos.),
Vareses Octandre (Fl., Klar., Ob., Fag., Horn, Trp., Pos.,
Kb.) und Hindemiths O. (Klar., Fag., Horn, V., 2 Va,
Vc, Kb.).
Oktoechos (System der »acht Tonarten«) heiBt das
Tonsystem des Byzantinischen Gesangs. In ubertrage-
ner Bedeutung bezeichnet O. auch ein liturgisches
Buch (GroBer O. oder Parakletike), das die Gesange fiir
die Sonn- und Werktage enthalt. Denn der byzan-
tinische Ritus kennt neben dem Jahreskalender mit
beweglichen und fixierten Festen auch einen Zyklus
von 8 Wochen, der zu Ostern beginnt und mit der
Zahl der Tonarten verbunden ist, so daB dieses Buch
aus 8 Teilen besteht (fiir je eine Woche) und nach der
8. Woche, deren Gesange in der IV. plagalen Tonart
stehen, wieder mit der 1. Woche und in der I. authenti-
schen Tonart begonnen wird. Jeder Tag derWoche hat
seine eigene Bestimmung : der Sonntag ist der Feier der
Auferstehung Jesu Christi geweiht, der Montag den
Engeln, der Dienstag Johannes dem Taufer, Mittwoch
und Freitag der Kreuzigung Jesu Christi, der Donners-
tag den Aposteln und dem hl.Nikolaus, der Samstag
dem Gedachtnis der Heiligen und der Toten. Die Ge-
sange dieses Buches (mit Ausnahme derjenigen zum
Sonntag und einiger anonymer zu den Wochentagen)
stammen von Joseph dem Hymnographen (um 816-86)
und von Theophanes (778-845), die Kanones triadikoi
des Mesonyktikon am Sonntag von Metrophanes (9.
Jh.). Die Zusammenstellung der Parakletike, die in die-
ser Anordnung noch heute gedruckt wird, geht also
auf das 9. Jh. zuriick; nur das Sonntagsoffizium ist al-
ter: seine Kanones anastasimoi verfaBte Johannes von
Damaskus (um 650 - um 750), die Stauroanastasimoi
teils derselbe, teils Kosmas von Maiuma (8. Jh.), teils
vielleicht ein anderer Hymnograph jener Zeit. Die Ka-
nones theotokioi sind - mit einer Ausnahme - anonym.
Unter den Stichera zur Vesper und zu Matutin und Lau-
des bilden die »alten« Stichera anastasima mit den Dog-
matika und dem ersten Apostichos den urspriinglichen
Kern, aus dem der Sonntagsteil des O. entstand. Hierzu
gehoren auch die Stichera anatolika, deren Zuschrei-
bung und Entstehung noch umstritten sind, und die
Aposticha mit einem alphabetischen Akrostichon sowie
die Theotokia, die mit Sicherheit Johannes von Damas-
kus zuzuschreiben sind. - Das Tonsystem des O. besitzt 8
charakteristische Tonarten, 4 authentische (»herrschen-
de«) und 4 plagale (»seitliche«, weil sie nach den Theo-
retikern von den authentischen abgeleitet sind). Be-
zeichnet werden sie mit den 4 ersten Buchstaben des
griechischen Alphabets; fiir die plagalen Tonarten
wird 7tX. (Abk. fiir 7rXayi.o?) vorangestellt. Die Reihen-
folge der Tonarten ist: ^)x°? a' (I. authentische), 9jxo? |3'
(II. authentische), ^x ? Y (HI- authentische), 3JX ? 8'
(IV. authentische), 9)x°S rcX. a' (I. plagale), 9jxo? ttX. (3'
(II. plagale), ^x°? P a P"? (tiefe), 9jx°C tX. 8 (IV.
plagale). Die III. plagale Tonart heiBt allgemein »tie-
fe«. In Analogie zu den Tonarten des griechischen Al-
tertums erhielten sie die Namen: Stopio? (dorisch), Xu-
Sio? (lydisch), <ppiiyto? (phrygisch), (it^oXuStoi; (mixo-
lydisch), u7toStopio<; (hypodorisch), iotoXuSioi; (hy-
polydisch), uraxppuyto? (hypophrygisch), utcojxi^oXu-
8io? (hypomixolydisch). Die Frage des Zusammen-
hangs von mittelalterlichem und antikem Tonsystem
ist im byzantinischen Kirchengesang ebenso schwierig
wie im Gregorianischen Gesang und bildet den Ge-
genstand zahlreicher Untersuchungen. In der Theo-
rie erschopft sich das System nicht in den 8 Hauptton-
arten. Es gibt weitere 8 Tonarten, die [jtlaoi (mittle-
ren), 4 authentische und 4 plagale, deren Grundtone
samtlich im Tetrachord fl-h 1 liegen, wogegen bei den
charakteristischen Tonarten des O. die plagalen Grund-
tone das Tetrachord d'-g 1 , die authentischen das Tetra-
chord ai-d 2 einnehmen. Zu jeder authentischen Haupt-
tonart gehort eine mittlere plagale Tonart, deren
Grundton die Terz zwischen den Grundtonen der au-
thentischen und der zugehorigen plagalen Haupttonart
ist. Demgegeniiber haben die plagalen Haupttonarten
eine mittlere authentische Tonart mit derselben Terz
als Grundton. Der Grundton ist also der mittleren au-
thentischen und der zugehorigen mittleren plagalen
Tonart gemeinsam. Dieses Zusammentreffen ist da-
durch zu erklaren, daB man im byzantinischen Gesang
von einem gegebenen Ton aus den Grundton einer ver-
wandten Tonart durch aufsteigende (von der plagalen
zur authentischen) oder absteigende Bewegung (von
der authentischen zur plagalen Tonart) erreicht. Zur I.
authentischen Tonart gehort als mittlere die »tiefe«
(Grundton f 1 ), zur I. plagalen die III. authentische (f 1 ),
zur II. authentischen die IV. plagale (gl), zur II. plagalen
die IV. authentische (gl), zur III. authentischen die I.
plagale (a 1 ), zur »tiefen« die I. authentische (a 1 ), zur IV.
authentischen die II. plagale (h 1 ) und zur IV. plagalen
die II. authentische (h 1 ). Somit ergeben sich 16 Tonar-
ten, denen spater noch 2 weitere hinzugefiigt wurden,
652
Ombra-Szene
der A^ye-roc; und der vevavti, so daB eine Gesamt-
zahl von 18 Tonarten erreicht wurde. Von den mittle-
ren Tonarten sind jedoch in den Handschriften bisher
nur die II. und die IV. nachgewiesen. Die IV. mittlere
Tonart hat vorzugsweise den Grundton c 2 .
Wenn in die heutige Notenschrift mit a ah Ausgangs-
punkt iibertragen und die Doppeloktave a-a 2 zugrunde
gelegt wird, so sind die Grundtone der Haupttonar-
ten (foot):
tiefes Tetrachord authentisch
I n m IV
hohes Tetrachord
Das Beispiel zeigt, daB die plagalen Grundtone eine
Quinte unter den authentischen liegen und die Oktave
dadurch in 2 unverbundene Tetrachorde di-gi und
ai-d 2 geteilt wird.
Das Studium der altesten Gesange, die aus charakteri-
stischen musikalischen Formeln zusammengesetzt sind,
fiihrt zu dem SchluB, daB verschiedene Tonsysteme im
Gebrauch waren: das Oktavsystem (tgSv SiaTcacrtov)
und das Pentachordsystem (tpoy6i;, »Rad«). Im Ok-
tavsystem besteht jede Tonart aus einem Pentachord
und einem Tetrachord, wobei in den authentischen
Tonarten das Tetrachord iiber, in den plagalen dage-
gen unter dem Pentachord steht:
plagale
Tonarten
Das zweite System besteht aus einer ununterbrochenen
Folge verbundener Pentachorde, deren Ausgangspunkt
und Muster das Pentachord d'-a 1 ist. Infolgedessen be-
ginnt (bei Obertragung in westliche Notation) das Sy-
stem mit g, und es ergibt sich in der unteren Oktave b
(statt h), in der oberen fis 2 (statt f 2 ) :
Musterpentachord
Nach dem gegenwartigen Stand der Forschung findet
sich in den altesten Handschriften ausschliefilich das
diatonische Tongeschlecht. Ob das chromatische und
das enharmonische Tongeschlecht in den Gesangen der
kukuzelischen Epoche verwendet wurden, ist noch
nicht erwiesen. - Auch im modernen Byzantinischen
Gesang sind 8 Haupttonarten gebrauchlich, dazu der
X£yetoc;, der zu einer Variante der IV. authentischen
Tonart geworden ist (wogegen er im letzten Stadium
der kukuzelischen Epoche eine andere Erscheinungsart
der II. authentischen Tonart war). Die vsvavw-Tonart
ist eine chromatische II. plagale Tonart mit dem
Grundton g 1 . Die Grundtone der verschiedenen Ton-
arten sind zum Teil anders als die in den alteren Ge-
sangen und Handschriften ublichen (wie sie oben dar-
gestellt sind). An Tonsystemen nennen die Theoretiker
das Oktavsystem mit der Oktave d'-d 2 als Ausgangs-
punkt, das Pentachordsystem (»Rad«) mit dem Penta-
chord d'-ai und das Tetrachordsystem mit dem Tetra-
chord c'-f 1 als Ausgangspunkt. Diese drei gelten fur
das diatonische Tongeschlecht; im chromatischen und
im - wenigstens theoretisch moglichen - enharmoni-
schen Tongeschlecht sind einige andere Tonsysteme
zugelassen. - Es ist nicht bekannt, wer das System des
O. aufgestellt hat. Die alten Handschriften iiberliefern
die rationale Ausarbeitung eines zuvor in mundlicher
Uberlieferung verbreiteten Systems. Der Zeitpunkt
dieser Ausarbeitung darf nicht lange vor der Lebenszeit
des Johannes von Damaskus angesetzt werden, den die
Tradition als Erfinder des Systems nennt; doch fehlt es
noch an geniigend sicheren Argumenten zur Losung
der Frage, wem das System zuzuschreiben ist.
Ausg.: (aus d. »GroBen 0.«): The Hymns of the O., hrsg.
v. H. J. W. Tillyard, = Monumenta Musicae Byzantinae,
Transcripta III u. V, {Copenhagen 1940-49.
Lit.: (zum Tonsystem): Chrysanthos v. Madytos, 6ew-
pnxiKdv ueya xf\<; uouctikt!?, Triest 1832; H. Gaisser
OSB, Le systeme mus. de l'eglise grecque . . . , Rev. b6ne-
dictineXVI, 1899 -XVIII, 1901, separat Rom 1901 ; ders.,
L'origine du »tonus peregrinus«, Kgr.-Ber. Hist, de la
musique, Paris 1900; ders., L'origine et la vraie nature
du mode dit »chromatique oriental«, ebenda; J.-B. Thi-
baut OSB, Assimilation des »Echoi« byzantins et des mo-
des lat. avec les anciens tropes grecques, ebenda; ders., Le
systeme tonal de l'eglise grecque, Rev. d'hist. et de critique
mus. II, 1902 ; H. J. W. Tillyard, The Modes in Byzantine
Music, in: Annual of the British School at Athens XXII,
1916-18 ; E. Wellesz, Die Struktur d. serbischen O..ZfMw
II, 1919/20; C. Hoeg, La theorie de la musique byzantine,
Rev. des etudes grecques XXXV, 1922; C. Maltezos, Sur
les gammes diatoniques . . . , Praktika de l'Acad. d' Athenes
VI, 1 929 ; A. Gastoue, fjber d. acht Tone ... , KmJb XXV,
1930; K. Papademetriou, Ot xp6itoi xfl? puCavxivfl?
uoumKfjc;, Athen 1933; M. Merlier, Etude de musique
byzantine, = Bibl. mus. du musee Guimet . . ., Serie II, 2,
Paris (1937); O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d.
fruhen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; L. Tardo, L'antica
melurgia bizantina, Grottaferrata 1938; ders., L'ottoeco
nei mss. melurgici, ebenda 1955 ; O. Tiby, La musica bizan-
tina, = Letteratura mus. XIII, Mailand 1938; O. Strunk,
The Tonal System of Byzantine Music, MQ XXVIII, 1942;
E. Werner, The Origin of the Eight Modes of Music (O.),
Hebrew Union College Annual XXI, 1948; ders., The
Sacred Bridge, London u. NY 1959; B. Di Salvo, Lo
sviluppo dei modi della musica bizantina . . . , Atti dell'
VIII Congresso internazionale di Studi bizantini, Bd VIII,
2, Rom 1953. BDS
Oldenburg i. O.
Lit. : J. Wolfram, Gesch. d. O.er Singver. v. 1821-96 nebst
einem einleitenden Beitr. zur Gesch. d. Musik in O. ...
(1603-1821), 0. 1896; C. Sachs, Archivalische Studien zur
norddeutschen Mg. , 1 . Die O.er Hof kapelle, Zf Mw 1, 1 9 1 8/
19; G. Linnemann, Mg. d. Stadt O., = O.er Forschungen
VIII, O. 1956; W. Kaufmann, Die Org. d. alten Herzog-
tums O., ebenda XV, 1962; W. Braun, Musik am Hof d.
Grafen Anton Gtinther v. O. (1603-67), O.er Balkenschild
Nr 18/20, 1963.
Old Hall-Codex -» Quellen: OH.
Olifant (eigentlichElefant), ein aus dem Orient stam-
mendes, im 10./1 1 . Jh. im Abendland gebrauchtes stark-
tonendes Signalhorn aus Elfenbein, das zu den Wert-
stiicken des Ritters zahlte. Der O. war meist von kan-
tiger Gestalt und reich mit Schnitzereien versehen.
Lit.: Fr. Brucker, Die Blasinstr. in d. altfrz. Lit., = Gie-
Dener Beitr. zur romanischen Philologie XIX, GieBen 1 926;
E. Closson, L'o., La Rev. beige III, 4, 1926.
Olmiitz (Olomouc, Tschechoslowakei).
Lit. : A. Neumann, Pfispevky k dejinam hudby a zpevu pfi
olomouck6 katedrale (»Beitr. zur Gesch. d. Musik u. d.
Gesangs d. O.er Kathedrale«), Briinn 1940; R. Quoika,
Die Org. zu St. Mauritius in O., = Org.-Monographien
XXIX, Mainz 1948; V. Gregor, Hudebni vlastiveda olo-
mouckeho kraje (»Die mus. Heimatkunde d. O.er Krei-
ses«), O. 1956.
Ombra-Szene (ital. ombra, Schatten), eine in sich
geschlossene, dramatische Gesangsszene, in der Schat-
ten- und Geisterbeschworungen, Unterwelt, Friedhof ,
Begrabnis dargestellt werden. Die O.-Sz. basiert auf
653
ondeggiando
dem -* Accompagnato, das um 1640 von den Vene-
zianern in die Oper eingefiihrt wurde und neue Aus-
drucksmoglichkeiten erschloB. Als erste O.-Sz. gilt die
Medea-Szene in Cavallis Giasone (1649). Dreiklangs-
melodik (meistens Es dur), Generalpausen und tiefe
Streicherklange (Tremolo) wurden zu typischen Mit-
teln zur Erregung des Schauers. Charakteristisch wird
die Fuhrung der Singstimme, die sich gem in abgerissenen
Exklamationen ergeht und die sich fast regelmafiig bei dem
Eintritt des Wortes wmbra« mit seinen stereotypen Pradika-
ten (pallida, sanguinosa, cara, diletta usw.) auf langgezo-
gene Noten festsetzt (H.Abert, S. 137). Besondere
Klangeffekte werden durch exponiert eingesetzte Blas-
instrumente erreicht (Oboe, Trompete, Flote, Fagott;
letzteres z. B. bei Hasse, Handel und in der O.-Sz. Si
aspetta, o cara ombra in Glucks Orfeo, 3. Akt). Besonders
Jommelli (Astianatte, 1740) und ebenso Traetta haben
die Ausdruckskunst der O.-Sz.n gesteigert. Mozart
schrieb O.-Sz.n in Mitridate xm&Lucio Silla. Mit der O.-
Sz. verwandt ist das -> Lamento ; bei Hasse (Artaserse,
2. Akt) kommt es zur Verschmelzung beider Typen.
Auch die Ombra-Arien (z. B. bei Handel Radamistos
Ombra cara, Rodelindas Ombre, piante, Alcinas Ombre
pallide) zeichnen sich oft durch neuartige melodische
und harmonische Wendungen aus. Vielfach werden
Klarinetten und Horner (z. B. in Mozarts Idomeneo,
Arie Nr 6) sowie Posaunen (auch sordiniert) verwendet.
Lit. : H. Abert, N. Jommelli als Opernkomponist, Halle
1908; H. Goerges, Das Klangsymbol d. Todes im drama-
tischen Werk Mozarts, = Kieler Beitr. zur Mw. V, Wol-
fenbiittel 1937.
ondeggiando (ondedd3'ando, ital., auch ondeggia-
mento, ondeggiare; frz. ondule, gewellt) bezeichnet
beim Streichinstrumentenspiel im allgemeinen das
durch periodische Druckverstarkungen und -vermin-
derungen mit dem Bogen (ohne Strichwechsel) er-
zeugte An- und Absc hwelle n des Tones, gefordert
durch eine Wellenlinie JWJJ (die Tonwiederholungen
bedeuten kein Absetzen, sondern markieren den Rhy th-
mus der Tonverstarkungen), doch auch, ahnlich wie
-> portato, durch Punkte und Bogen (vgl. Schenk). Be-
schrieben ist diese Vortragsart, teilweise unter anderen
Bezeichnungen, u. a. von C. Farina (Spielanweisung zu
seinem Capriccio stravagante, 1627), BrossardD (Artikel
Tremolo; danach Mattheson 1739 sowie Rousseau
1768, Artikel Tremblement), L.Mozart (ohne fixierte
Benennung). J.S.Petri (1767) und KochL (Ondeggia-
mento ist gleichgesetzt mit Tremolo und Bebung),
Dard (1769: Tremblement d'orgue) und von Bail-
lot (1834; unter dem auch das Vibrato und die Kom-
bination von O. und Vibrato umfassenden Begriff der
Ondolation). J. G.Kastner (Traite general d' instrumen-
tation, Paris 1837) beschreibt o. unter der Bezeich-
nung Les sons ondules als Druckverstarkungen mit dem
Bogen, auf jeder Zahlzeit ein- oder zweimal (vgl. Car-
se, mit Beispiel). In Kompositionen ist o. als Vortrags-
anweisung seit den Sonate concertate in stile moderno
(1621-44) von D.Castello haufig zu belegen, z. B. bei
B.Montalbano (Sinfonie ..., 1629), J.-B.Lully (Isis,
1677), Chr. Cannabich (Ballett Renaud et Armide, 1769),
J. Stamitz (op. 1 Nr 3). - Bei J.J. Walther steht die An-
weisung o. unmittelbar neben einer mit -» Bariolage
zu spielenden Stelle (Beispiel aus
Walthers Scherzi da violino solo, Nr 8,
1676) und deutet offenbar Saiten-
wechsel an durch wellenartige Be-
wegung des Bogens ohne Absetzen oder Strichwechsel.
Auch bei Torelli bezieht sich o. auf die wellenformige
Bewegung des Bogens (beim ->- Arpeggio; vgl. Boy-
den). Telemann uberschreibt zwei Satze in seinen Me-
thodischen Sonaten (1728, Nr 5; 1732, Nr 2) mit o. bzw.
0. ma non adagio. - BrossardD und nach ihm WaltherL
verstehen unter ondeggiare die Dirigierbewegung zwi-
schen Nieder- und Aufschlag, die bei mehr als 2zeitigen
Taktarten die zwischen erster und letzter Zahlzeit lie-
genden Zahlzeiten markiert.
Lit. : K. Gerhartz, Die Violinschule u. ihre mg. Entwick-
lung bis L. Mozart, ZfMw VII; 1924/25; A. Carse, The
Orch. in the XVIII" 1 Cent., Cambridge 1940, Nachdruck
1950; E. Schenk, Zur Auffuhrungspraxis d. Tremolo bei
Gluck, Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962); D. D. Boyden,
The Hist, of V. Playing, London 1965.
Ondes musicales oder Ondes Martenot (frz. onde,
Welle), ein von dem franzosischen Musikpadagogen
und Radiotechniker ->• Martenot konstruiertes elektro-
nisches Tasteninstrument, das nur fiir einstimmiges
Spiel geeignet ist, sich jedoch durch die Variabilitat der
KJangfarbe auszeichnet. Dem Instrument liegt das
Prinzip des Rohrengenerators zugrunde. Hinter einen
fest abgestimmten und einen variablen ->- Generator
hochfrequenter Wechselspannungen (/i bzw. f%) ist
eine nichtlinear verzerrende Rohrenstufe geschaltet;
dadurch entsteht eine tonfrequente Differenzfrequenz
(Ji-fi), die als Grundlage fiir den musikalischen Ton
dient. Die HF-Schwingung/2 wird iiber eine Klaviatur
variiert, indem mit Hilfe eines Seiles die Kapazitat des
Schwingkreiskondensators verandert werden kann.
Die variable Wechselspannung der Differenzfrequenz
wird verstarkt und durch Lautsprecher wiedergegeben.
Erstmals wurde dieses Instrument am 20. 4. 1928 im
Saal der Pariser Opera der Offentlichkeit vorgestellt;
inzwischen sind vielfache Verbesserungen vorgenom-
men worden. Die O. m. finden vor allem in der Biih-
nenmusik an franzosischen Theatern Verwendung.
Fiir O. m. komponierten u. a. A.Honegger (in: Jeanne
d'Arc au bucher, 1938) und A. Jolivet (Konzert fiir Ondes
Martenot und Orch., 1947).
Lit.: B. Disertori, Le Onde Martenot, RMI XLIII, 1939;
L. E. Gratia, La musique des ondes 6th6rees, Le Mene-
strel, 30. Nov. 1928 ; C. Hourst, Les instr. mus. electriques.
Le Martenot, in : L'Ingenieur constructeur VII, 1929; M.
Martenot, Methode pour l'enseignement des O. m., Paris
(1931); Fr. K. Prieberg, Musica ex machina, Bin, Ffm.u.
Wien (1960); F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Aku-
stik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961.
Onestep ('wAnstep, engl., Einschritt), ein sehr schnel-
ler, marschartiger Gesellschaftstanz ( J = M. M. 138) im
2/4-(seltener 6/8-)Takt mit sehr einfacher Schrittfolge,
der um 1910 aus den USA nach Europa kam. Vor dem
1. Weltkrieg gab es verschiedene kurzlebige Varianten
des O. : Turkey Trot, Grizzly Bear, Bunny Hug, Judy
Walk, die - wie auch die Spielformen Castle Walk
und Fish Walk - mehr dem Schautanz dienten. Der O.
gehort zu den Vorlaufern des Foxtrotts.
Oper. Die Verwendung des Wortes O. (von ital.
opera) ist jiinger als die Musikgattung, die es bezeich-
net. Es ist in Italien seit 1639 nachweisbar, in Frank-
reich und England seit dem spaten 17., in Deutschland
seit dem friihen 18. Jh., setzte sich auch dann noch nicht
einheitlich durch, sondern kursierte neben anderen Be-
zeichnungen, so in Italien anf angs —*■ Dramma per mu-
sica (commedia in musica und dramma giocoso fiir
das heitere Genre), in Frankreich ->■ Tragedie lyrique
und -> Comedie, in Deutschland -> Singspiel (im wei-
testen Sinne fiir O.n mit deutschem Text schlechthin).
Vorherrschend wurde die Bezeichnung O. (ital. u.
engl. opera; frz. opera) in England schon im 18., in
Frankreich und Deutschland seit dem 19. Jh. ; seltener
bleibt der Name »musikalisches Drama« (ital. dramma
musicale; engl. musical drama; frz. -> drame lyrique).
Um den Begriff O. zu bestimmen, geniigt es nicht zu
654
Oper
sagen, O. sei eine Verbindung von Biihnendichtung
mit Musik. Damit ist O. gegeniiber einem Drama mit
musikalischen Einlagen {-*■ Biihnenmusik) und man-
chen anderen Verbindungen von szenischen Darstel-
lungen mit Vokal- oder Instrumentalmusik, wie sie
auch in auBereuropaischen Landern und Kulturen vor-
kommen, noch nicht abgegrenzt. Eine O. kommt erst
zustande, wenn die Musik eigene Mittel zum Ausdruck
derRede und Gebarde im szenischen Dialog und Mono-
log einsetzt und die dramatische Aktion verdeutlicht.
In jeder echten und guten O. befinden sich Drama und
Musik in einer dialektischen Spannung, was bei jedem
Versuch einer Asthetik der O. zu beachten ist. Dieses
Verhaltnis ist viel zu kompliziert, und die musikalischen
Mittel als Wirkungsfaktoren des Dramatischen sind zu
mannigfaltig, als daB mit der Unterscheidung Musik-
drama (Primat des Dramas) und O. im engeren Sinne
(Primat der Musik) auszukommen ware. Die Antithese,
Gluck und Wagner seien Musikdramatiker, Mozart
und Verdi O.n-Komponisten, ist eine falsche Simplifi-
zierung. Man tut gut daran, den Terminus O. als allge-
meine Gattungsbezeichnung festzuhalten und Musik-
drama nicht als ein hoheres Gebilde anzusprechen. - Aus
der allgemeinenErwagung der Bedingungen, unter de-
nen eine O. zustande kommt, ergibt sich, daB die antike
Tragodie, die geistlichen und weltlichen Spiele des
Mittelalters, die Schuldramen mit Choren aus dem 16.
Jh., aber auch die italienischen Trionfi, Mascherate,
Balletti, Intermedien, die franzosischen Ballets und die
englischen Masques dieser Zeit nicht in Bausch und
Bogen als geschichtliche Vorlaufer der O. angesehen
werden konnen, obwohl Balletti und Intermedien An-
regungen gegeben haben zur buhnenmaBigen Aus-
stattung der O., zur Aufnahme von Choren, Tanz- und
Instrumentalmusik und die Beschaftigung mit dem an-
tiken Drama in italienischen Akademien des 16. Jh. die
O.n-Geschichte nachhaltig beeinfluBte. Auch das Mo-
nodrama Rousseauscher Pragung (Pygmalion) und das
Melodrama G.Bendas und seiner Nachfolger (18. Jh.)
mit tonmalerischer oder affektausdriickender Instru-
mentalmusik zum gesprochenen Text oder zu panto-
mimischen Szenen sind keine O.n, sondern eine Gat-
tung fur sich.
Die Geschichte der O. begann erst, als die -»■ Monodie
der Florentiner -*■ Camerata, der Stile recitativo, auf
langere Buhnenstiicke iibertragen wurde und hier die
Reden der handelnden Personen mit Hervorhebung
von Prosodie, Diktion und Emotion ermoglichte (Peris
und Caccinis Euridice, auf gefiihrt am Florentiner Hof
1600; Peris Dafne, 1598, ist nur fragmentarisch erhal-
ten). Der erste groBe Erfolg gelang CI. Monteverdi mit
Orfeo (Text von Alessandrino Striggio, Mantua 1607).
Die rezitativische Vortragsweise der Dialoge und Mo-
nologe verdichtet sich in diesem Werk mittels affekti-
scher Ausdrucksfiguren in Melodie und Harmonie zum
biihnenmafiigen Darstellungsstil (stile rappresentativo);
in seiner Pragung ist er mit der rednerischen Gestik (die
zugleich die theatralische ist) eng verbunden. Gegen-
iiber der friihen Florentiner O. sind die Formen der ge-
schlossenen Musikstiicke mannigfaltiger, die Chorsatze
kunstvoller angelegt, ist die Orchesterbesetzung groB-
ziigiger, die Instrumentation differenzierter, nimmt das
Klangkolorit charakterisierend Bezug auf die Szene,
bestimmen Refrainchore, iiberhaupt Refrainbildungen
und die Wiederkehr von Instrumentalsatzen (Sinf onia,
Ritornello) starker den Bau der Szenen und Akte. In
der Zusammenf uhrung heterogener Kiinste, poetischer
und musikalischer Gattungen, musikalischer Formen
und Stilarten bekundet Monteverdis Orfeo, daB die O.
eine originale Schopfung des Barocks ist, vielleicht sei-
ne charakteristischste.
In Mantua entstand auch Monteverdis L'Arianna (1 608;
von der Musik ist nur das Lamento d'Arianna erhalten).
Gleichwohl gehorte Mantua nicht zu den Hauptorten
der italienischen O.n-Pflege. Die starksten Impulse
gingen im 17. Jh. von Rom und Venedig, im 18. Jh.
von Neapel aus. - In Rom gab es nebeneinander welt-
liche una geistliche O.n. Von den weltlichen O.n seien
genannt: St.Landis La morte d'Orfeo (1619), F.Vitalis
L'Aretusa (1620), D.Mazzocchis La catena d'Adone
(1626), M.A.Rossis Erminia sul Giordano (1633); die
Spezies der Pastoral-O. (favola pastorale) ist noch 1639
mit La Galatea von Vittori vertreten. Das Hauptwerk
der romischen geistlichen O. war II Sant'Alessio, Musik
von St.Landi (1632). Es ist nicht immer leicht, geist-
liche O.n von szenisch aufgefiihrten Oratorien stili-
stisch zu unterscheiden. Oratorien wurden offentlich
aufgefiihrt, geistliche wie weltliche O.n aber in Adels-
und Kardinalspalasten. Erst seit 1652 gab es in Rom ein
offentliches Theater. Merkmale der romischen O. sind :
groBer Aufwand in der Ausstattung, Prachtstil con-
certierender Chore wie auch subtilere Chorlyrik,
schmiegsamer FluB des Rezitativs, Ausbildung des
gleichzeitigen Singens mehrerer Personen im Rezi-
tativ, Anwachsen der geschlossenen Formen im Solo-
gesang. Die spatere romische O. zeigt eine Tendenz
zur Komodie.
In Venedig eroffneten 1637 zwei Romer, der Dichter-
komponist B.Ferrari und der Musiker Manelli, ein
O.n-Haus. Die O., bisher ausschliefilich eine festliche
Veranstaltung an den Hofen residierender Fursten, in
Adelspalasten und Akademien, wurde nun Geschafts-
unternehmen, beruhend auf Pachtvertrag. Damit war
ein Wandel in der Auffassung der Texte verbunden;
Stofie aus der Mythologie und die Pastoral-O. traten
zuriick, Stofie aus der antiken Heldensage, der griechi-
schen und romischen Geschichte wurden bevorzugt.
Es fehlt nicht an aktuellen, politischen und gesellschaf t-
lichen Anspielungen. Intrigen, Verwechslungen und
Verkleidungen machen die Handlung verwickelt. Der
EinfluB des nach Italien vordringenden spanischen Dra-
mas ist zu spiiren, besonders an den komischen und
grotesken Dienerrollen (parti buffe). Librettisten waren
u. a. Busenello und Cicognini, hervorragende Kompo-
nisten Cavalli, M.A.Cesti, Sacrati, Grossi, C.Pallavici-
ni, P. A. und M. A.Ziani, Legrenzi, C.Fr.Pollarolo, G.
B. und A.M.Bononcini, Caldara, Albinoni, Stradella,
G. Porta, Vivaldi, Fr. Gasparini. Entscheidend fur die
melodische Intensivierung im Gesangsstil waren die
Spatwerke des in Venedig wirkenden CI. Monteverdi:
II ritorno d'Ulisse in patria (1641) und L'incoronazione di
Poppea (1642). Charakteristisch fur die Venezianer sind
die Fiille der geschlossenen Sologesangsformen (Stro-
phenlieder, Arien, Duette, seltener Terzette und Quar-
tette) und der -> Belcanto. Die Arien haben oft einen
Basso ostinato, wobei der stuf enweise f allende Quarten-
ostinato und der BaBostinato mit chromatischem Stu-
fenfall haufig sind (-»■ Lamento). Auch die Da-Capo-
Form bestimmt, von Cesti sehr gefordert, die Anlage
der venezianischen Arie, zuerst in knappen, dann in
groBeren AusmaBen. Die Venezianer schrieben sowohl
(nur vom B. c. begleitete) Continuoarien, als auch or-
chesterbegleitete Arien, daneben Arien mit einem oder
sogar mehreren concertierenden Soloinstrumenten
(darunter auch Trompete). Die Tendenz zur melodi-
schen Intensivierung der O. schwachte nicht die dra-
matische Ausdruckskraft zugunsten des musikalischen
Genusses ab, vielmehr erwuchsen durch sie der vene-
zianischen O. auch neue dramatische Ausdrucksmittel,
z. B. im orchesterbegleiteten Rezitativ (->• Accom-
pagnato). Schon bei Cavalli und Cesti weisen Accom-
pagnati auf dramatische Hohe- und Wendepunkte hin,
655
Oper
und bei den Spatvenezianern erscheint das Accom-
pagnato mit starkem Affektausdruck scharf abgesetzt
von dem nur vom GeneralbaB begleiteten, fliichtigen
(Secco-)Rezitativ. Der zunehmenden Komplizierung
der dramatischen Handlung wirkte der Librettist Ze-
no, der Vorlaufer Metastasios, mit Erfolg entgegen
durch Straffung nnd Vereinfachung der Gesamtanlage,
deren Geriist Rezitativ und Arie bilden.
In der neapolitanischen O. (-> Neapolitanische Schu-
le), deren Begriinder Provenzale und deren hervorra-
gender Meister A. Scarlatti waren, wurde der Instrumen-
talpart reicher und die Kantilene breiter, schwungvol-
ler, sinnf alliger. Wahrend die nun haufig angewandten
Vergleichs- und -y Devisen-Arien auch bei Ober-
italienern vorkommen, sogar die Aria detta la Siciliana
mit dem Sicilianorhythmus nicht ausschlieBlich Eigen-
tum der Neapolitaner ist, geht die Einfiihrung der so-
genannten italienischen O.n-Sinfonie mit der Satzfolge
schnell-langsam-schnell auf Scarlatti zuriick, ebenso
die Ausgestaltung der Affekttypen in der Arie und deren
Satzcharaktere (aria cantabile, parlante, di bravura, di
mezzo carattere). In seinen fur Neapel geschriebenen
O.n sind die Parti buffe nicht grundsatzlich ausgeschal-
tet, vielmehr zum Teil mit besonderer Finesse behan-
delt. Bei L.Vinci und L.Leo beginnt die Barock-O.
den Stil des Rokokos anzunehmen. Der musikalische
Satz, auf homophoner Grundlage, wird kleingliedrig
und symmetrisch in der Anordnung der Taktgruppen,
galant, grazios und empfindsam im Ausdruck. Die
virtuosen Partien, beriihmten Sangern zugedacht, er-
scheinen manchmal, besonders bei Porpora und seinen
Nachfolgern, uberbetont. Fiir Reprisen in Da-Capo-
Arien, die schon bei Venezianern im 17. Jh. von den
Sangern auskoloriert wurden, war bei den Neapolita-
nern dieser Vortrag bei der Arie die Regel; er wurde
als zum Gesamthabitus der O. gehorend empfunden.
Fuhrender italienischer Librettist war Metastasio bis
weit ins 18. Jh. hinein - noch Mozart hat Texte von
ihm vertont. Eine besondere Kraft des dramatischen
Ausdrucks zeigen Jommelli und T.Traetta, beide der
franzosischen O. verbunden. Der Neapolitaner G.Fr.
de Majo gehort zu den Exponenten des weichen Stils.
Bei den geschlossenen Gesangsformen kamen im spate-
ren 18. Jh. neben der Da-Capo-Arie u. a. rondoartige
oder 2teilige Gebilde mit langsamer Einleitung auf. In-
des war die bedeutendste Neuerung, die von den Nea-
politanern ausging, die komische O. (opera buffa, nun
im Gegensatz zu opera seria, der ernsten O.). Ihre ge-
schichtlichen Wurzeln sind: die Parti buffe der vene-
zianischen O. sowie die zwischen die Akte ernster O.n
eingeschobenen Intermezzi (-»- Intermedium) und die
volkstumliche neapolitanische musikalische Dialekt-
komodie (commedia musicale napoletana). Stoffe und
Handlung sind dem Leben des Alltags entnommen,
gehen auf die Stegreifkomodie (commedia dell'arte)
zuriick und parodieren gelegentlich die Seria. Charak-
teristisch fiir den Buffostil sind das plappernde Secco-
rezitativ, das schnelle Parlando auch in Arien und das
hartnackige Wiederholen kurzer Melodiephasen und
springender Intervalle. Aber schon die erste Bufla von
hohem Rang, Pergolesis La serva padrona (1733, Text
nach Gennaro Antonio Federico), selbst noch als Buffo-
intermezzo verwendet, zeigt mit ihrem Wirbel iiber-
raschender rhythmischer und melodischer Impulse, im
krassen Gegensatz zu den kleingliedrigen Syrhmetrien
der zeitgenossischen Seria, das eigentlich Neue: die in-
nere und direkte Teilhabe der Musik an der Aktion.
Die Aufmerksatnkeit wird musikalisch auf den Darsteller als
handelnde Person gelenkt. Man macht musikalisch seine
Aktion mit . . . (Georgiades 1950, S. 76ff.). Weiter ent-
wickelt wurde die Buffa im 18. Jh. hauptsachlich durch
Galuppi, N. Piccinni, Anfossi, P. A. Guglielmi, Paisiello
und Cimarosa. Hauptform fiir die Arie wurde die
2teilige Form mit Stretta. Solistische Ensembles berei-
cherten das Klangbild; am Ende der Akte wurden Fi-
nali durch Zusammenfiihrung der handelnden Perso-
nen im Ensemble gebildet. Das Genre blieb nicht rein
komisch. Die Dichter Goldoni, Giambattista Lorenzi
und Giovan Battista Casti gaben ihren Libretti mar-
chenhafte, empfindsame und sentimentale Ziige. Es
entstanden nun in der Buffa Parti serie, wie auch umge-
kehrt in die Seria Elemente des Buffostils eindrangen
(z. B. bei Majo, Piccinni, Guglielmi) und die Seria
durch die Einfiihrung komischer oder heiterer Szenen
zur Semiseria werden konnte. Die italienische O. drang
im 17. und 18. Jh. in fast alle europaischen Lander
vor, in einem Umkreis von Spanien, Portugal bis nach
RuBland, aber in dieser Zeit kamen nur wenige Lander
mit ins Spiel der groBen Krafte, wobei Frankreich
stark mit Italien konkurrierte, schwacher England und
Deutschland.
Am Pariser Hof wurde die italienische O. seit den 40er
Jahren des 17. Jh. eingefuhrt, auf Betreiben des Kardi-
nals Mazarin, mit Werken romischer und veneziani-
scher Meister (Marazzoli, L.Rossi, Sacrati, Cavalli).
Bald regten sich einheimische Krafte. Camberts Po-
mone (1671) kann als originale franzosische O. ange-
sehen werden. Aber nicht Cambert, sondern J.-B.
Lully, dessen Wirken im Dienste Ludwigs XIV. stand,
verschaffte der franzosischen O. und ihrer Pflegestatte,
der Academie Royale de Musique, hochstes Ansehen.
Uber seine Arbeiten am -*■ Ballet de cour und an der
-> Comedie-ballet (in Verbindung mit Moliere) kam
er zur -> Tragedie lyrique und pragte sie in einer Reihe
von Werken, deren Entstehung zwischen 1673 und
1686 fallt, und deren Texte fast durchweg Ph. Quinault
schrieb (u. a. Cadmus et Hermione; Alceste; Thisie; Atys;
Persie; Roland; Armide et Renaud). Das Vorbild des klas-
sischen franzosischen Theaters zeigt sich nicht nur im
Libretto (Stofiwahl, 5aktiger Aufbau der Handlung,
beherrschende Stellung des Alexandriners im Versbau),
sondern auch in der Musik, und hier besonders im rhe-
torisch-deklamierenden, mit haufigem Taktwechsel
aufgezeichneten Rezitativ, in das die solistischen Airs
(kleine Liedformen) eingebaut sind. Aufierst sparsam
wird von der Koloratur Gebrauch gemacht. Die Ver-
wendung der Chore dagegen geht selbst uber das in der
romischen O. iiblich gewesene MaB hinaus. Dieser
Chorreichtum erklart sich zum Teil aus der engen Ver-
kniipfung mit dem hofisch reprasentativen Ballet de
cour. Darauf sind auch die Tanzsatze, Marsche, die
Pracht der Aufziige, kurz all das, was unter den Sam-
melbegriff der -> Divertissements fallt, in der O.Lullys
zuruckzufiihren. Auch der von ihm begriindete Typus
der sogenannten franzosischen O.n-Ouvertiire (punk-
tiertes Grave - fugiertes Allegro - SchluB mit Riick-
griff auf den Rhythmus des Anfangs) kommt zuerst in
seinen Ballettkompositionen vor. Insgesamt ist die
Lullysche O. eine eigenartige Mischung von musikali-
scher Dramatik und hofischer Reprasentation. - Bei
den Nachfolgern Lullys (Desmarets, Campra, A.C.
Destouches u. a.) kam neben der Tragedie lyrique das
-*■ Opera-ballet, ausgehend von Lullys Les Jestes de
V Amour et de Bacchus (1672), zur Geltung. Hier vollzog
sich eine deutliche Annaherung an die italienische O.
(weicheres, kan tables Rezitativ, Aufnahme der Da-
Capo-Arie und der Bravourarie). Tonmalereien, fran-
zosischen Musikern besonders vertraut, in der Pastoral-
O. gern gepflegt, auch von Lully keineswegs gemie-
den, wurden auch von seinen Nachfolgern in der Tra-
gedie lyrique oft schablonenhaft verwendet (als Sturm-
und Gewittermusik: Tempete, Tonnere, Orage und
656
Oper
dergleichen) ; sie wirken bei zarterer Tonung spiele-
risch und galant. Die Tragedie lyrique erreichte musi-
kalisch ihren Hohepunkt bei J.-Ph.Rameau (Hippolyte
et Aricie, 1733; Castor et Pollux, 1737; Dardanus, 1739;
Zoroastre, 1749). Alle Musiker der Lully-Nachfolge,
auch Lully selbst, iibertriff t er in seiner Harmonik und
Instrumentationskunst, in der Bestimmtheit, Kraft und
Biegsamkeit des dramatischen und affektuosen Aus-
drucks und in der Situationscharakteristik.
Zwischen den Parteigangern der franzosischen und der
italienischen O. kam es nach der Aufnahme der Buffa
in Paris (zweite dortige Auffuhrung von Pergolesis La
serva padrona 1752) zum -> Buffonistenstreit, der sich
noch in den 1770er Jahren nach Glucks franzosischen
Reform-O.n in Paris in der Fehde zwischen den Gluck-
isten und den Piccinnisten (den Anhangern Piccinnis)
fortsetzte. Noch zu Lebzeiten Rameaus entstand eine
eigene franzosische komische O. (opera-comique). An-
geregt wurde sie einerseits durch die Pariser Vorstadt-
komodie mitEinlagen gassenhauerartiger Gesange (co-
medie en vaudevilles) oder gehobener Art (comedie
mSlee d'ariettes), andererseits durch die Buffa, von
der die Opera-comique einige aufierliche Ziige iiber-
nahm. Das ist bei J.-J. Rousseau in Le devin du village
(1752) erkennbar, noch deutlicher bei den Mitbegrun-
dem der Opera-comique Duni (Italiener), Fr.A.Phili-
dor und Monsigny. Die Vorherrschaft des gesproche-
nen Dialogs statt der Rezitative bekundet noch lange
den urspriinglichen Zusammenhang mit der Comedie-
vaudeville. Die Opera-comique ist im Gegensatz zur
hofischen Tragedie lyrique die burgerliche O. Frank-
reichs am Ende des Ancien regime. Ihr Stoffgebiet ist
weit: Komik, Scherz, Satire, Tragisches und Idyllisches
mischen sich. Chore, Couplets, Airs, Chansons, Ro-
manzen, Instrumentalsatze, Ensembles und Finali be-
stimmen ihre musikalische Faktur (z. B. Gretry, Richard
Coeur-de-Lion, 1784) und dfters auch den szenischen
Aufbau. Der Opera-comique entwuchs die franzosi-
sche Revolutions-O., deren Texte haufig von den
Schrecken der Revolution erfiillt sind (Schreckens-O.)
oder mit einer wunderbaren Rettung enden (Rettungs-
stiick) ; Zeit und Ort der Handlung sind variabel. So
sind le Sueurs La caverne (1793) eine Schreckens-O.,
Cherubinis Lodoiska (1791) undLes deuxjournees (1801,
deutsch »Der Wassertrager«) Rettungsstiicke. Jedoch
gehen Rettungsstuck una Schreckensstuck oft ineinan-
der. Mit der Gebrauchsmusik, die le Sueur und Che-
rubini zu den nationalen Festen schrieben (Hymnen,
Kantaten, Ouvertiiren u. a.), stimmen in ihren O.n
der Elan terrible der Rhythmen, eine explosive Dyna-
mik und der Eclat triomphale der Chorrufe, Signal-
und Fanfarenklange iiberein. Im Ausdruck des Schauer
erregenden Pathos folgten diese Musiker Gluck, doch
durfte es nicht korrekt sein, bei ihnen von einer fran-
zosischen Gluck-Schule zu sprechen. Bedeutsamer war
die Rezeption der neuen motivischen Arbeit und des
obligaten Akkompagnements J.Haydns, namentlich
bei Cherubini. Ansatze zur leitmotivischen Technik
finden sich in Mehuls Ariodant (1799) und auch bei
Cherubini.
In England naherte man sich der O. im 17. Jh. sehr be-
hutsam. Einerseits wurden in die hofischen Masken-
spiele (-> Masque) das neuitalienische Rezitativ und
der Stile rappresentativo eingefiihrt (Laniere, H. und
W.Lawes, H.Cooke, Chr. Gibbons, Locke, Blow).
Andererseits halten sich Bearbeitungen Shakespeare-
scher Dramen und anderer Biihnenstiicke (D'Avenant,
Thomas Shadwell, Dryden u. a.) auf der Grenze zwi-
schen Schauspiel mit Musikeinlagen und O. Diese Art
einer freien Verbindung zwischen gesprochenem Dra-
ma und Musik bezeichnete M. Locke, der die Musik zu
Shadwells Byde (nach Quinault) schrieb (1673), als The
English opera. In H.Purcells Dido and Aeneas (1689) ist
bei Wanning englischer Grundziige der AnschluB an
die O. des Festlandes vollgiiltig erreicht. Venezianische
Einfliisse, Anregungen von Lully, Bestandteile der Mas-
kenspiele, englischer Chorsatz vereinigten sich - in den
Rezitativen, Orchesterritornellen und Intermezzi -
zu einem an eigenen Ziigen reichen, kraftvoll durchge-
formten Ganzen. - Die Aufnahme der italienischen O.
mit italienischer Sprache 1710 in England ist verkniipft
mit den Namen italienischer Musiker wie G. B. Bonon-
cini (1720 nach London berufen), aufs engste aber mit
dem Namen Handels. Sein Rinaldo wurde 1711 im
Londoner Queen's Theatre (Haymarket) aufgefiihrt.
1719 wurde Handel von Konig Georg I. mit der Griin-
dung und Leitung des O.n-Unternehmens Royal Aca-
demy of Music beauftragt. Die in den Jahren 1720-28
in London komponierten eigenen O.n, besonders Giulio
Cesare, Tamerlano, Rodelinda (Texte von Haym), bilden
den Hohepunkt seines O.n-Schaffens, zugleich den
Hohepunkt der Barock-O. uberhaupt. Unvergleich-
lich, um nur einen charakteristischen Zug zu nennen,
ist die Darstellung des Affektausbruchs und der Affekt-
beruhigung in der Accompagnatoszene des Grimaldo
(Rodelinda, 3. Akt, 6. Szene). Das Ende der Handel-
schen O.n-Akademie 1728 wurde mitverursacht durch
den schlagenden Erfolg eines die italienische O. ver-
spottenden Stiicks : The Beggar's Opera, eine Politik und
Gesellschaft kritisierende satirische Komodie von J.
Gay, unter Mitarbeit von Pepusch mit volkstiimlichen
Gesangen gemischt und gewiirzt. The Beggar's Opera
war der Anfang der ->■ Ballad opera. Ansatze zu einer
englischen komischen O. (mit Kompositionen von Th.
A.Arne, S.Arnold, William Shield, St. Storace u. a.)
entwickelten sich nicht zu einem der Opera buffa oder
der Opera-comique gleichrangigen Gebilde.
In Deutschland steht im 17. und 18. Jh. die ernste italie-
nische O. im Vordergrund, mit italienischen Hofkom-
ponisten (zum Teil auch Hof dichtern) und Sangern vor
allem an den Hofbuhnen in Wien, Miinchen, Hanno-
ver, Dresden und Stuttgart, verbreitet im 18. Jh. viel-
fach auch durch -» Operntruppen. So wirkten, um nur
einige Namen zu nennen, M.A.Cesti (ab 1665), A.
Draghi und Caldara am Kaiserhof in Wien, Steffani in
Miinchen und ab 1688 in Hannover, Pallavicini seit
1687 in Dresden und Jommelli ab 1753 in Stuttgart.
Deutsche Musiker von Rang schrieben italienische O.n,
so Fux in Wien, C. H. Graun in Berlin, J. A. Hasse, einer
der iiberzeugtesten Mitarbeiter Metastasios, in Dres-
den, Holzbauer in Mannheim, und schliefilich stehen in
dieser Reihe auch Gluck, J.Haydn und W.A.Mozart.
Die Geschichte der deutschen O. (mit deutschem Text)
beganne mit der Dafne (1627) von H. Schiitz (Text von
Martin Opitz nach Rinuccini), wenn die Musik nicht
verloren gegangen ware. Als die alteste erhaltene deut-
sche O. wird S.Th. Stadens Vertonung des allegori-
schen Schaferspiels Seelewig (1644) von G.Ph.Hars-
dorffer bezeichnet, was nicht unbedenklich ist. Die Ver-
suche in der 2. Halfte des 17. Jh., zu einer durchkompo-
nierten deutschen O. zu gelangen, blieben in ordichen
Erfolgen stecken. Die Hamburger O., orientiert an
italienischen und franzosischen Vorbildern, hebt sich
um die Wende des 17./18. Jh. ab durch die Tatigkeit
Reisers, G.Ph.Telemanns, Matthesons und des jungen
Handel, der allerdings 1706 Hamburg verlieB und nach
Italien ging. Nicht viel Erfolg hatten die »teutschen«
O.n von Anton Schweitzer (Alceste, Weimar 1773, Ro-
samunde, Mannheim 1780, beidenachTexten Wielands)
und Holzbauer (Giinther von Schwarzburg, Mannheim
1 776). Auch die Bemiihungen J. Fr. Reichardts, P. Win-
ters und Danzis um eine durchkomponierte deutsche
42
657
Oper
O. blieben hinter dem inzwischen aufgekommenen
deutschen ->• Singspiel zuriick, das zur O.n-Geschichte
gehort. - Wie die Geschichte der O. in England im 17.
und 18. Jh. ohne Purcell und Handel gegeniiber Italien
und Frankreich blaB bliebe, so auch die deutsche O.n-
Geschichte bis 1800 ohne Gluck und Mozart. Gluck
ging aus von der Seria und der ->• Serenata teatrale
Metastasianisch-Hassescher Pragung. Seine sogenannte
O.n-Reform zeigt sich, um nur die Hauptwerke zu
nennen, in Orfeo edEuridice (1762), Akeste (1767), Pa-
ride ed Elena (1770) und in Iphigenie en Aulide (1774),
Armide (1777), Iphigenie en Tauride (1779) sowie den
franzosischen Bearbeitungen von Orfeo (als Orphee et
Euridice, 1774) und Akeste (1776). Heifer waren haupt-
sachlich die Librettisten Calzabigi (bei den italienisch
textierten) und Le Blanc Du Roullet (bei den franzo-
sisch textierten O.n dieser Reihe). Seine kiinstlerischen
Ziele hat Gluck selbst in den Vorreden zu Akeste und
Paride ed Elena (Drucke 1769 bzw. 1770) asthetisch an-
gedeutet. Die Reform richtete sich gegen den Schema-
tismus der Metastasianischen O. und gegen die Erstar-
rung der Tragedie lyrique bei den Lully-Nachfolgern
und in der Zeit nach dem Auftreten Rameaus, aber
nicht gegen die Seria und die Tragedie lyrique schlecht-
hin, die vielmehr von Gluck in glucklichster Weise
miteinander verbunden wurden. Durchweg wird das
Rezitativ vom Orchester begleitet. Das Stationare der
Barock-O. ist in Glucks Reform-O.n noch nicht ganz
abgestreif t, soviel inneres Leben die einzelnen Stationen
auch erfiillt, so bewunderungswiirdig der Affektaus-
druck und die Pragnanz der dramatischen Charakteri-
stik auch sind. Altes und Neues - das Neue z. B. in der
Arbeit mit scharfsten Kontrasten und in einer freien
Szenengestaltung - wirken ineinander. Das Pathos der
GroBe und Erhabenheit, eine durch hochste Kunst ge-
wonnene Einfachheit und Eindringlichkeit der Ton-
sprache bleiben unverkennbare Merkmale der O.n sei-
ner Meisterjahre. Einfliisse Glucks zeigen sich nicht nur
in der franzosischen Revolutions-O. (Cherubini), son-
dern auch bei Spontini und vorher schon bei J. Chr.
Vogel, Salieri und J. G. Naumann. - W.A.Mozart hat
die Mittel der Seria, Buffa, Semiseria, Comique und
des deutschen Singspiels verwendet, nicht um diese
auch fur ihn schon beinahe historisch gewordenen Gat-
tungen erneut zu bestatigen, sondern um ihre persona-
len Typen zu individualisieren und ihnen, frei von al-
lem Moralisieren, die Individualist und Wiirde der
menschlichen Person zu geben. Bei dieser inneren Ver-
wandlung kam es - vom ldomeneo ab fortschreitend -,
ohne daB die figiirliche Tonsprache (z. B. die Kolora-
tur) ganz aufgegeben wurde, zur Individualisierung der
Melodie, was sich zumal in den Liebesarien aller Gat-
tungen, aber auch in den beiden Sarastro-Arien der
Zauberfiote besonders deutlich bekundet. Zum anderen
bereicherte Mozart, weit iiber die traditionelle Buffa
hinausgreifend, die Ausdrucksmittel der Aktion in der
O. Dies ist vor allem in den groBen Finali zu erkennen,
wo zur Verdichtung und Steigerung der Aktion die
Gruppentechnik und die Durchf iihrungsarbeit der klas-
sischen Symphonie mit herangezogen werden (z. B.
Le Nozze di Figaro, Finale 2. Akt).
Einen Schliissel zum Verstandnis der O.n-Geschichte
des 19. Jh. bietet die GroBe O., deren Mittelpunkt Paris
war. Ihr Wegbereiter war Spontini, der representative
O.n-Komponist des Empires; La Vestale (1807), Fer-
nand Cortez (1809) und spaterhin noch Olympie (1819)
verleugnen nicht, trotz ihrer Steigerung ins GroBartige
und der Verwendung von Massenszenen, den Zusam-
menhang mit der italienischen Seria. Begriindet wurde
die GroBe O. von Auber mit La muette de Portia (1828),
stark gefordert durch Rossinis Guittaume Tell (1829)
und vollendet von Meyerbeer mit Robert le diable
(1831), Les Huguenots (1836), Le prophete (1849) und
L'Africaine (1865, posthum), nach Texten von Scribe;
daneben ist Fr.Halevys Lajuive (1835) ein charakte-
ristischer Beitrag. Die Komponisten der GroBen O.
verfugen iiber Ballett- und Chorszenen aller Art, En-
sembles und Soli, Airs declames, Kavatinen, Roman-
zen sowie Balladen; sie haben einen geschickten Griff
fur Buhneneffekte, lieben Massenszenen, verkniipfen
und ordnen Szenen mit Hilfe des instrumentalen Parts,
benutzen das Klangkolorit und die Instrumentierungs-
kunst zur Charakteristik des Ausdrucks und der Situa-
tion. An der fortschreitenden Bereicherung und Ver-
f einerung der Instrumentierungskunst zu diesem Zweck
haben Rossini, Meyerbeer und Berlioz groBen, vorher
schon S.Mayr und Spontini keinen geringen Anteil.
Berlioz nimmt in der Geschichte der O. zwar eine
eigene Stellung ein, steht aber doch besonders mit Les
Troyens (1856-59) der GroBen O. nahe. Neben dieser
wurde die Opera-comique weitergepflegt; zu nennen
sind besonders Fr.-A.Boi'eldieu (La dame blanche, 1825),
Auber (Fra Diavolo, 1830), Herold (Zampa, 1831) und
A. Adam (Le postilion de Longjumeau, 1836). - In der 2.
Halfte des 19. Jh. blieb u. a. L.Maillard mit Les dragons
de Villars (1856 ; deutsch »Das Glockchen desEremiten«)
bei der Comique, aber haufig verwischen sich nun ihre
Konturen, wie auch die der GroBen O. Zwischen bei-
den steht dielyrisch-dramatischeO. (-»- Drame lyrique).
Ihr Prototyp mit sentimentaler Tonung ist Gounods
Faust (1859). Dem Faust folgte 1866 Mignon von A.
Thomas. Bis heute ist international bekannt und wird
iiberall gespielt Bizets Carmen (1875), ein Werk mit
scharfstem national-franzosischem Profil und realisti-
scher Tonung ; es iiberschattete eine andere, nicht un-
bedeutende O. dieses Meisters, Les phheurs de perles
(1863). Massenet (Manon, 1884; Werther, 1892) ist der
spate Reprasentant des sentimentalen Drame lyrique.
Saint-Saens' Samson et Dalila (1877) tragt sowohl Zuge
des Drame lyrique wie der GroBen O. Herve begriin-
dete die -> Operette, Offenbach machte sie mit Orphee
aux enfers (1858) zum eigentlichen Gegenstiick der
GroBen O.
Geschichtlich nimmt die GroBe O. auch insofern eine
Schliisselstellung ein, als mit ihr die beiden groBten Mei-
ster der dramatischenKompositioniml9.Jh., Verdi und
Wagner, in enge Beriihrung kamen. Verdi hat fiir die
Grofie O. Les vepres siciliennes (1 855) und den Don Carlos
(1867) geschrieben ;Wagners Rienzi (1842) ist eine Gro-
Be O. der Richtung Meyerbeers, und ihre Spuren sind
nochinderPariserBearbeitung des Tannhauser (Baccha-
nale), im Feuerzauber der Walkiire und auch noch an an-
deren Stellen zu erkennen. Indes ist Verdi nicht von der
GroBen O. ausgegangen, sondern von der italienischen
O. der sogenannten »Rossinisten«: Rossini (L'ltaliana in
Algeri, 1813; II barbiere di Siviglia, 1816; Otello, 1816;
Scmiramide, 1823), Mercadante (Elisa e Claudia, 1821;
J Normanni a Parigi, 1832; II giuramento, 1837), Doni-
zetti (L'elisir d'amore, 1832; Lucrezia Borgia, 1833; Lucia
di Lammermoor, 1835; Don Pasquale, 1843) und Bellini
(La sonnambula, 1831; Norma, 1831; I Puritani, 1835).
Die O.n dieser Gruppe spiegeln in Melodik und Rhyth-
mik italienisches Musikgefiihl wie kaum je zuvor, mag
man nun mehr an die von Verdi bewunderten »langen«
Melodien Bellinis denken, an die volkstumlichen Do-
nizettis, an die koloraturgesattigten Rossinis oder an
dessen groteske Arien mit diisterem Hintergrund vom
Typus der Verleumdungsarie im »Barbier«. Aber auch
die Teilhabe des -» Bekantos an der dramatischen Ak-
tion, selbst dort, wo das Orchester nur wie eine »Rie-
senguitarre« (R.Wagner) begleitet, kennzeichnet diese
Gruppe. Die Scena ed aria mit ihrer Auflockerung der
658
Oper
Arienteile, ihren wechselnden Rhythmen, mit voran-
gestellten und eingeschobenen rezitativischen Partien,
ihrem bald nur akkordisch stiitzenden, bald kolori-
stisch reicher behandelten Orchester, ist bei den »Ros-
sinisten« die Grundform der Teilhabe der Musik an der
Aktion. Alle diese Ziige seiner unmittelbar italienischen
Vorganger hat Verdi aufgenommen und nach dem
schlichteren, kraftvolleren und gedrungeneren Stil sei-
ner Musik (K.Holl) reguliert. Die gegensatzlichen Po-
sitionen Verdis und Wagners konnen nicht scharf ge-
nug betont werden. Auch der spatere Verdi, der tiber
eine reiche Farbenpalette im illustrierenden und charak-
terisierenden Orchesterpart und einen sehr differen-
zierten »sprechenden« instrumentalen Ausdruck ver-
fiigt, schwenkt nicht zur symphonischen O. Wagners
uber, sondern bleibt bei der italienischen Sing-O. Auch
in den letzten kiinstlerischen Zielen sind die beiden
Meister Antagonisten. Verdi verlangte nie wie Wag-
ner die Darstellung des mythisch verstandenen »Rein-
Menschlichen«, sondern immer die Wahrhaftigkeit in
der Darstellung wirklicher Menschen.
Das erste groBe Werk der deutschen O.n-Geschichte
des 19. Jh. ist Beethovens Fidelio (3 Fassungen, 1805,
1806, 1814, in den beiden ersteren als Leonore). Stofflich
gehprt Fidelio als Schreckens- und Rettungsstiick zur
franzosischen Revolutions-O., die Beethoven aber mu-
sikalisch und religios-ethisch transzendiert hat; mehr
noch als die Verherrlichung der Humanitatsidee, der
politischen und personlichen Freiheit, und als der Lob-
preis der Gattentreue ist der Fidelio das Hohelied der
Hoffnung (vgl. die zentrale Stellung derHoffnungsarie).
- Der Begriff der »romantischen« O. und das Verhaltnis
der deutschen romantischen Musiker (Fr. Schubert,
E. T.A.Hoffmann, C.M.v.Weber, Mendelssohn Bar-
tholdy, R. Schumann) zur O. sind problematisch. Schu-
bert {Alfonso und Estrella, 1821-22; Fierabras, 1823),
Mendelssohn Bartholdy (Die Hochzeit des Camacho,
1827) und Schumann (Genoveva, 1850) haben sich als
O.n-Komponisten nicht durchsetzen konnen. E.T.A.
Hoffmanns Undine (1816), zwischen denEinfluBspharen
Mozarts und Cherubinis hin und her schweifend, hat
musikalisch zu wenig Profil, um bezeugen zu konnen,
was romantische O. ist. Es bleibt in dieser Reihe allein
Weber (Der Freischiitz, 1821 ; Euryanthe, 1823; Oberon,
1826). Diese Hauptwerke Webers bekunden musika-
lisch deutsche Romantik: Schwung, Jubel, Innigkeit,
unruhige Bewegung, kontinuierliche Veranderung,
Drangen und Streben (Becking), den ins Weite hin-
ausklingenden Ton wie in Oberon, das Durchforschen
der Wunderwelt des Klangs (Kurth und Becking) in
Harmonik und Instrumentation, iiber aller Kunst des
Illustrierens und Charakterisierens das poetische Flui-
dum. Das folkloristische Element und die nationale
Absicht und Wirkung (Freischiitz) kommen hinzu.
Man wird Webers Lehrer G.J. Vogler oder Danzi nicht
zu den Romantikern zahlen diirfen. Schon naher steht
ihnen Spohr mit Faust (1816) und Jessonda (1823). Am
nachsten an Weber heran kommt H.Marschner (Der
Vampyr, 1828; Der Tempter und die Jiidin, 1829, und
Hans Heiling, 1833). Bei Marschner spielen das -* Leit-
motiv und das Erinnerungsmotiv eine bemerkenswer-
te Rolle, freilich nicht zum ersten Mai in der O.n-Ge-
schichte. In Beriihrung mit Weber, aber auch mit der
franzosischen Comique seiner Zeit kam Lortzing (Zar
und Zitnmermann, 1837; Der Wildschiitz, 1842; Der
Waffenschmied, 1846), gewiB kein Romantiker, sondern
neben dem blasseren C.Kreutzer (Das Nachtlager von
Granada, 1834) als Librettist und Komponist ein hand-
fester Vertreter des deutschen Biedermeiers. Fr. v. Flo-
tow (Alessandro Stradella, 1844; Martha, 1847) orien-
tierte sich stark an der franzosischen O. seiner Zeit und
O.Nicolai (Die lustigen Weiber von Windsor, 1849) an
den Italienern und ihrer spaten Buffa. In der romanti-
schen O. und ihrer Umgebung gibt es vielfach Ansatze
zur Aufhebung der Nummern-O., nicht nur in den
Finali, sondern auch in Szenen, die nach Art der italie-
nischen Scena ed aria gestaltet sind (z. B. im Freischiitz,
Nr 8, Szene der Agathe). An groBen dramatischen Sze-
nen ist Marschner besonders reich. Im Werk Wagners
ist erst seit dem Lohengrin die Nummern-O. vollstan-
dig beseitigt.
Wagner hat sich, ahnlich wie mit der GroBen O., mit
der romantischen Webers und Marschners auseinan-
dergesetzt, was sich noch im Fliegenden Hollander, im
Tannhauser und im Lohengrin beobachten laBt. Aber ob
das gesamte Werk noch als romantisch (»spatroman-
tisch«) bezeichnet werden darf, bleibt hochst zweifel-
haft. Die untrennbare Verbindung und wechselseitige
Durchdringung von Wort und Ton, Drama und Mu-
sik, Gestik, Aktion und Klangbewegung - in diesem
Sinne Wagners »Gesamtkunstwerk« - ist bis heute eine
einmalige Erscheinung in der O.n-Geschichte, nicht zu
verwechseln mit der Verbindung der Kiinste zu einer
einheitlichen Gesamtwirkung in der Barock-O.; sie
ist auch mehr als dieErfullung unverbindlicher Speku-
lationen und poetischer Schwarmereien romantischer
Dichter, Schriftsteller und Musiker uber die Idee des
Gesamtkunstwerks. Es bleibt unfruchtbar, bei Wagner
nach dem Primat des Dramas oder der Musik zu fragen,
mag auch der Schriftsteller Wagner AnlaB zu dieser
Frage gegeben haben. Unter den musikalischen Fakto-
ren ist die Rolle des Orchesters dominierend. Die Ex-
position derThemen (Leitmotive) im Orchesterpart und
ihre Veranderung, Kombination und Ausweitung zu
Perioden mit fliefienden LJbergangen entsprechen kom-
positorisch der Abwandlung, die das Gruppenprinzip
der klassischen Symphonie im 19. Jh. besonders in der
Gattung der Symphonischen Dichtung erfuhr. Die
symphonische O. ist Wagners Schopfung, trotz man-
cher Ansatze schon bei Mozart, und zeigt sich in Tristan
und Isolde, in den Meistersingern von Niirnberg, im Ring
des Nibelungen und im Parsifal auf dem Hohepunkt.
Wagners Stil und Pathos ahmten manche Komponisten
nach, deren O.n schon lange nicht mehr auf einem
Spielplan zu finden sind (u. a. J.Huber, H. Sommer,
Max Zenger, Bungert, Klughardt, Kistler, H. Zollner,
selbstandiger waren K. Goldmark und Draeseke).
In den ersten Dezennien des 20. Jh. blieb die deutsche
O. der symphonischen O. Wagners auch bei starkster
Eigenpragung verpflichtet. Ihre hervorragendsten Mei-
ster in dieser Zeit waren R. Strauss und Pfitzner. Hohe-
punkte des Schaffens von Strauss sind Salome (1905),
Elektra (1909), Der Rosenkavalier (1911), Ariadne auf
Naxos (2. Fassung 1916) und Die Frau ohne Schatten
(1919). Zum Prinzip der »symphonischen Einheit« in
der O. hat sich Strauss selbst bekannt (Brief an H.v.
Hofmannsthal vom 4. 5. 1909). Die fur ihn bezeich-
nende Abwandlung der symphonischen Technik, Mo-
tiverfindung und Gruppengestaltung ist bereits in sei-
nen symphonischen Dichtungen der 1890er Jahre er-
kennbar. Ebenfalls einen hohen Rang nimmt in der
O.n-Geschichte sein Antipode Pfitzner mit Palcstrina
(1917) ein. »Symphonisten« waren auch P.Graener, M.
v. Schillings, E.N. v.Reznicek, Fr. Schmidt, E.W.
Korngold und Schreker (besonders mit den O.n Der
feme Klang, 1912; Die Gezeichneten, 1918; Der Schatz-
graber, 1920), wahrend sich Busoni mit seinen O.n Die
Brautwahl (1912), Arlecchino (1917) und Turandot (1917)
nicht so leicht einordnen und gewiB nicht von der
italienischen O. seiner Zeit her verstehen lSBt. - Eine
Sicherung gegen die iibermachtigenEinfliisse Wagners
boten schon vom StofI her die komische, die volkstiim-
42 »
659
Oper
liche und die Marchen-O. Die deutsche komische O.,
die zwar einzelne beriihmte Werke, doch nicht gerade
eine ruhmvolle Geschichte auf zuweisen hat, wurde be-
reichert durch den Barbier von Bagdad (1858) von Cor-
nelius, Der Widerspenstigen Zdhmung (1874) von H.
Gotz, den Corregidor (1896) von H. Wolf, Die Abreise
(1898) von d' Albert (stilistisch viel markanter als
d" Alberts Publikumserfolg Tiefland, 1903, im ernsten
Genre), »Die neugierigen Frauen« (1903) und »Susannes
Geheimnis« (1909) von Wolf-Ferrari. Die volkstiimli-
che O. ist vertreten durch Kienzl (Der Evangelimann,
1895), die Marchen-O. besonders durch Humperdinck
(Hansel und Cretel, 1893; Konigskinder, 1910).
Der EinfluB Wagners war in Frankreich auf die Litera-
tur groBer als auf die Musik und speziell die O. E. Lalos
(Le roi d'Ys, 1879) hielt sich unabhangig, und auch
Chabriers Gwendoline (1886) ist dem EinfluB Wagners
nicht eriegen. Starker zeigt er sich bei Magnard, d'Indy
und Chausson. Die Hauptstromungen der franzosi-
schen O. am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jh. be-
gegnen sich mit dem Naturalismus und Symbolismus
in der franzosischen Literatur. Bruneau vertonte Li-
bretti nach und von Zola, und auch G. Charpentier
schloB sich der naturalistischen Richtung an. Von den
Theorien des dichterischen Symbolismus lieBen sich
Debussy, Dukas, Faure und Ravel mitbestimmen. De-
bussy s PelUas et Milisande (1902, Text von Maeterlinck)
ist die hervorragendste O. dieser Zeit, das musikdra-
matische Hauptwerk des franzosischen Impressionis-
mus, der Gegenpol zur O.n-Kunst des Bayreuther Mei-
sters; doch sind impressionistische Ansatzebei Wagner
selbst, im Tristan, im Ring und im Parsifal, nicht abzu-
streiten. Debussy folgten Ravel (L'heure espagnole, 1907,
die Ballett-O. L 'enfant et les sortileges, 1925) und Dukas
(Ariane et Barbe-Bleu, 1907, Text von Maeterlinck),
mehr oder weniger auch G. Dupont, H. Rabaud, Bache-
let, wahrend Roussel, Ibert, Milhaud, A.Honegger,
Poulenc eigene Wege gingen. - Von einer Befreun-
dung mit dem Musikdrama Wagners in Italien kann
in erster Linie im Hinblick auf den Mefistofele (1868)
Boitos, des Librettisten von Verdis Spatwerken, ge-
sprochen werden, Als Gegenstromung gegen Wagner-
Epigonen und »Symphonismus« setzte sich der -*■ Veris-
mo durch, schon bei Mascagni (Cavalleria rusticana,
1890) und Leoncavallo (Pagliacci [»DerBajazzo«], 1892),
stellenweise auch bei Puccini (La Boheme, 1896; Tosca,
1900; MadamaButterfly, 1904;LafanciulladelWest, 1910);
in den spateren Werken, im Triptychon II tabarro, Suor
Angelica, Gianni Schicchi (1918) und in der unvollende-
ten Turandot (1926), tastet Puccini nach verschiedenen
Zielen, z.B. in Gianni Schicchi nachErrieuerung derBuf-
fa. Das italienische O.n-Schaffen der 1920er und -30er
Jahre bestimmen Pizzetti und O. Respighi mit.
Ein allgemeines geistiges Kennzeichen des 19. Jh., die
Erweckung der Vblker zum Eigenleben und SelbsibewuJSt-
sein (Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jh. I,
Freiburg im Breisgau 41948, S. 131), tritt in der O.n-
Geschichte nirgendwo deutlicher hervor als in RuB-
land. Hier war um die Mitte des 18. Jh. die italienische
O. eingedrungen, zunachst die Seria, bald auch die
Buffa. Gegen Ende des 18. Jh. machte ihr die franzosi-
sche Comique, zu der sich auch Bortnjanskij als Kom-
ponist eigener O.n bekannte, den Rang streitig. An-
satze zu einem russischen Singspiel mit Darstellungen
aus dem Volksleben (z. B. Fomin, Jamschtschiki na pod-
stawe [»Die Kutscher auf der Poststation«], 1787) zeig-
ten sich in der Provinz starker als am Hof. Dawydow
und Werstowskij (Pan Twardowski, 1828) konnen als
Vorbereiter der russischen National-O. angesehen wer-
den, ihr eigentlicher Begriinder aber ist Glinka (Schisn
sa Zarja [»Das Leben fur den Zaren«], 1836, urspriing-
licher Titel Iwan Sussanin; »Ruslan und Ljudmila«,
1842). Ihm folgten Dargomyschskij (Russalka, 1856;
Kamennyj Gost [»Der steinerne Gast«], 1872) und die
»Novatoren« Mussorgsky (Boris Godunow, 2. Fassung
1874; Chowanschtschina, 1886, unvollendet, begonnen
1872, beendet von N.Rimskij-Korsakow), Borodin
(Knjas Igor [»Furst Igor«], 1890, begonnen 1869, be-
endet von Rimskij-Korsakow und Glasunow) und
Rimskij-Korsakow (Sadko, 1898). Grundziige der rus-
sischen National-O. sind: bevorzugte Stoffwahl aus
der russischen Geschichte oder Sage mit zum Teil para-
digmatischer Bedeutung fur die Gegenwart, enge Ver-
bindung zur russischen Dichtung des 19. Jh. (besonders
zu Puschkin und Gogol), starke Anregungen durch das
russische Volkslied und den Volkstanz, zum Teil auch
durch die russische Kultmusik, ein eigenes Rezitativ,
nach dem Tonfall, der Rhythmik und Metrik der russi-
schen Sprache geformt (Dargomyschskij, Mussorgsky),
eine dem russischen Melos und seiner Tonalitat ange-
paBte Harmonik. Mussorgsky bewahrt die russische
Eigenart am starksten. Nicht zu den Novatoren gehort
Tschaikowsky; gleichwohl hat auch er mit Jewgenij
Onegin (1879) undPikowajaDama (»Pique Dame«, 1890)
die Weltgeltung der russischen O. bestatigt.
In den anderen osteuropaischen Landern entstanden
ebenfalls O.n mit nationalen bzw. folkloristischen
Ziigen. Die polnische O., vorbereitet durch vaude-
villeartige Stiicke (M.Kamieiiski, Nedza uszczesliwiona
[»Gliick im Ungluck«], 1778), gefordert im friihen
19. Jh. durch die musikalischen Biihnenwerke Eisners
und Kurpiiiskis, fand ihren ersten iiberragenden Mei-
ster in Moniuszko (Halka, 1. Fassung 1848; Hrabina,
1860; Straszny dw6r [»Das GespensterschloB«], 1865). -
In Bohmen und Mahren begann sich das tschechische
VolksbewuBtsein bei Fr. Skroup (teils tschechische, teils
deutsche O.n) im O.n-Schaffen auszuwirken. Smetana
mit Prodand nevfcta (»Die verkaufte Braut«, 1866), Da-
libor (1868), Hubicka (»Der KuB«, 1876), Libuh (»Li-
bussa«, 1881), Dvorak mit Krai a uhlif (»K6nig und
K6hler«, 2. Fassung 1874), Vanda (1876), Dimitrij (1882),
Rusatka (»Nixe«, 1901) und Janacek mit Jejl pastorkyna
(»Ihre Ziehtochter« [»Jenufa«], 1894-1903, aufgefuhrt
1904), Osud (»Schicksal«, beendet 1904), Kdtja Kabanovd
(1919-21, aufgefuhrt 1921), P'rihody Lilky BystrouSky
(»Das listige Fiichslein«, 1921-23, aufgefuhrt 1924),
Vic Makropulos (1923-25, aufgefuhrt 1926), Z mrtveho
domu (»Aus einem Totenhause«, nach Dostojewskij,
beendet 1928, aufgefuhrt 1930 posthum) haben die
tschechische O. gepragt und sind Hauptrager einer
Entwicklung, die bei alien Unterschieden eine gewisse
Ahnlichkeit mit der Entwicklung der russischen O.
hat. Dies erklart sich aus dem Verhaltnis zur Folklore,
die slawische Musiker im Griff haben, auch wenn sie
nicht Volkslieder und -tanze zitieren. National weniger
profiliert sind die O.n Fibichs. - In Ungarn reprasen-
tiert im 19. Jh. vor allem F.Erkel die nationale O.
(Hunyadi LdszlS, 1844; Bank ban, 1861). Unter den
Volksgruppen, die das heutige Jugoslawien bilden,
sind der Sfowene Risto Savin, die Kroaten Dobronic
und Gotovac und die Serben Krsti£, Konjovid und
Hristid zu nennen. Fiir die rumanische O. ist Enesco
(Oedipe, 1916-33, aufgefuhrt 1936) bemerkenswert. In
Bulgarien bestimmen Atanassoff, Wladigeroff und
Wesselin Stojanoff die nationale Richtung. Die grie-
chische O., im 19. Jh. mit der italienischen eng verbun-
den (Spyros Samaras, Flora mirabilis, 1886), nahm erst
seit etwa 1900 folkloristische Ziige an (bei Kalomiris)
und offnete sich vor allem dem EinfluB des franzosi-
schen Impressionismus (Riadis, Lavrangas).
Eine so ausgepragte Folklore wie in der russischen und
tschechischen O. gibt es in den skandinavischen Lan-
660
Oper
dern nicht. Immerhin sollte man die Schweden Hall-
strom und Hallen, die Danen J. P.E.Hartmann und
Lange-Miiller und den Norweger Sinding nicht auBer
acht lassen; Hallen und Lange-Miiller standen unter
Wagners EinfluB. - In England gab es bei J. Barnett ei-
nen Ansatz zur romantischen O. (The Mountain Sylph,
1834). Sullivan hatte 1891 seine groBe O. Ivanhoe ge-
schrieben, und in Zusammenarbeit mit W.S.Gilbert
setzte er die englische Tradition der aus der Ballad
opera stammenden komischen O. fort. Delius (Koanga,
1904; »Romeo und Julia auf dem Dorfe«, Text nach
Gottfried Keller, 1907; Fennimore and Gerda, 1919)
wurde als O.n-Komponist besonders in Deutschland
bekannt. - In Holland kann von einer eigenen O. nicht
gesprochen werden. Die belgische O. lehnte sich bis
nach 1870 an die franzosische Comique an, bei Lim-
mander de Nieuwenhove auch an die groBe O. Aubers
und Meyerbeers. Wagners EinfluB machte sich im
letzten Drittel des 19. und zu Beginn des 20. Jh. be-
merkbar, besonders bei Gilson (Prinses Zonneschijn,
1903) und Du Bois (Edinie, 1912). Dem italienischen
Verismo steht J.B. van denEeden (Rhena, 1912) nahe,
dem franzosischen Impressionismus die Kammer-O.
La jeune fille a lafenetre (1904) von Eugene Samuel-
Holeman. Benoit und J.Blockx sind die bedeutendsten
Meister der flamischen O. - Die hervorragendsten O.n-
Komponisten der Schweiz in dieser Zeit sind H.Huber
und Doret. - Spanien hat seit Calderon ein eigenes
Schaustiick mit Musik und gesprochenem Dialog, die
-*■ Zarzuela. Der O. nahert sich die sogenannte Zarzue-
la grande (Bezeichnung in der neueren Literatur fur
die 3aktige Zarzuela, deren Schopfer Fr.Barbieri ist).
Sonst trat Spanien mit eigenen O.n verhaltnismaBig
selten hervor. Aus dem 18. Jh. kann man etwa de
Nebra und den beriihmten Gitarristen Sor nennen,
obwohl die O. nicht das Hauptgebiet ihres Schaffens
war, aus dem 19. Jh. und der neueren Zeit den mit Fr.
Barbieri gleichaltrigen Arrieta y Corera, weiter Pedrell,
Breton, Chapi y Lorente und I.Albeniz, wenngleich
auch diese Musiker in der Zarzuela Bedeutenderes lei-
steten als in der O., vornehmlich Chapi. Der iiberra-
gende Meister der spanischen O. ist de Falla mit La
vida breve (1913), El retablo de Maese Pedro (nach Cer-
vantes, 1923); ein O.n-Oratorium Atldntida blieb un-
vollendet. - Portugiesische O.n-Komponisten verharr-
ten, von Fr. A. d'Almeidas Buffa La pacienza di Socrate
(1733) angefangen bis ins 19. Jh. hinein, noch unselb-
standiger als spanische im Gef olge der Italiener.
In der Neuen Welt wurde 1735 in Charleston zum er-
sten Mai eine O. aufgefiihrt. Im 18. Jh. war hauptsach-
lich die englische Ballad opera verbreitet. Im Laufe des
19. Jh. fand in den USA die O. aus fast alien europai-
schen Landern Aufnahme und Pflege. Dem Glanz der
1883 eroffneten Metropolitan Opera in New York
ging der Ruhm der sudamerikanischen O.n-Metropo-
le, des Teatro Colon in Buenos Aires, das schon 1857
erbaut worden war, voran. Zu den fruhesten US-
amerikanischen O.n-Komponisten gehoren Fry (Leo-
nora, Philadelphia 1845, Notre-Dame of Paris, Phila-
delphia 1864) und Bristow (Rip van Winkle, 1855). Um
die Wende des 19./20. Jh. trat die sogenannte Bostoner
oder Neuengland-Gruppe auch mit O.n starker her-
vor : Chadwick, Converse und H. Parker. Den Stilarten
des 19. Jh. verhaf tet blieben auch H. K. Hadley , D. Tay-
lor, Cadman und W.Damrosch. Vorsichtig nahmen
eine neue Satz- und Klangtechnik Hanson, D.Moore
und V.Thomson an.
Etwa seit 1920 erscheint die O. als musikalische Gat-
tung in Frage gestellt, was etwas anderes bedeutet als
die zu alien Zeiten anzutreff ende asthetische Ablehnung
der O. als sinnvolles Kunstgebilde iiberhaupt; jetzt
handelt es sich um den Zweifel an der stiltragenden
Kraft und gesellschaftlichen Gebundenheit dieser Gat-
tung. Dies bezeichnet die Situation bis zur Gegenwart.
Vieles, was unter dem Namen O. in Erscheinung tritt,
fiihrt nicht geradlinig und selbstverstandlich eine Tra-
dition weiter, sondern macht nach freier kiinstlerischer
Wahl, oft auch im planmaBigen Versuch, Anle'ihen bei
benachbarten Gattungen wie Ballett, Oratorium, Kan-
tate, beim Schaustiick mit Musik, beim Film usw. und
sucht zum Teil auch Verwendung als Horspiel, jiingst
auch als Fernsehspiel. Fiir diese Situation bietet sich ei-
ne neue Sammelbezeichnung an, die sich fast schon
eingeburgert hat: -> Musiktheater. Die Ablosung von
O. durch Musiktheater besagt freilich nicht, daB man
nach 1920 ganz aufgehort habe, O.n im traditionellen
Sinne zu schreiben und zu verstehen.
Lit. (Abk. O. gilt im folgenden auch f. d. engl., frz., ital. u.
span. Form d. Stichwortes O.):
Kat., Verz., Hdb. usw.: F. Clement u. P. Larousse, Dic-
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Opera (ital., Werk) ->• Oper, -> Opus.
Opera-ballet (aper'a bal'e), eine prunkvoll ausge-
stattete Ballettoper, die gegen Ende des 17. Jh. in Pa-
ris entstand unci in der 1. Halfte des 18. Jh. neben der
Tragedie lyrique von den Komponisten der Lully-
Nachfolge gepflegt wurde. Campra, Destouches u. a.
gewahrten in ihren Tragedies lyriques den -> Diver-
tissements (aus dem Ballet de cour hervorgegangene
Tanz- und Gesangseinlagen in Biihnenwerken) immer
breiteren Raum, so daB die groBen Ballettszenen mit
eingefiigten Arien, Rezitativen und Choren das Uber-
gewicht iiber das dramatische Moment der Oper ge-
wannen. Die Divertissements wurden schlieBlich zu
O.s-b.s verselbstandigt. Im Unterschied zur Tragedie
lyrique, deren (in der Regel) 5 Akte eine durchlaufende
Handlung aufweisen, stellt im O.-b. jeder der meist 3
oder 2 Akte (Akt hier gleichbedeutend mit Entree) mit
je einem Divertissement jeweils ein eigenes, unabhan-
giges Sujet vor, bald mehr tragischen, bald mehr ko-
mischen Inhalts. Die Akte sind nur lose durch eine
Rahmenidee verbunden. O.s-b.s und Pastoralen mit
ihrer »antiheroischen« und »antibarocken« Schaferwelt
bedeuteten den ersten Durchbruch des leichten Rokokoge-
schmackes durch dasfeierliche Pathos des'Lullyschen Barocks
(Biicken, S. 53). Die Zeitgenossen beurteilten das 1697
aufgefiihrte O.-b. L' Europe galante von A. Campra (3
Arien hierfur komponierte Destouches) als le premier
des nos ouvrages lyriques (Cahusac). Vorgebildet war das
O.-b. schon in Ballets wie Lullys Triomphe de Vamour
(1681) und Colasses Les saisons (1695). Zu den bedeu-
tenden O.-b.s zahlen Les Muses (1703), Les fetes vini-
tiennes (1710) und Les amours de Venus et de Mars (1712)
von Campra, Lesfestes ou le triomphe de Thalie (1714) von
Mouret, Lesfestes de I'M (1716) von Monteclair, Les
eUments (1721) von M.-R. Delalande und Destouches,
Les festes grecques et romaines (1723) von Cloin de Bla-
mont, Les stratagemes de Vamour (1726) von Destouches.
Einen Hohepunkt der Gattung stellen die O.s-b.s von
J.-Ph.Rameau dar; sie zeichnen sich aus durch phan-
tasievolle Situationscharakteristik, melodischen und
harmonischen Reichtum, kunstvolle Instrumentation,
kraftvoll-lebendigen Rhythmus und affektuosen Aus-
druck. Neben Les fetes a" Hebe ou les talents lyriques (1739)
und Le temple de la gloire (1745) ist vor allem Les Indes
galantes (1735) zu nennen, womit ausdriicklich la belle
nature pour modcle erhoben war. Schon fruh wurde die
Bedeutung dieses Werkes erkannt. Nach Noverre
(1760) verursachte es dans la danse la mime revolution que
dans notre musique.
Lit. : L. de Cahusac, La danse ancienne et moderne, Den
Haag 1754; J. G. Noverre, Lettres sur la danse, et sur les
ballets, Stuttgart u. Lyon 1760, Wien 1767, London u. Pa-
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Opera-comique (oper'a kam'ik, frz.) -*■ Oper,
-> Vaudeville, -> Libretto.
Operette (ital. operetta, Werkchen; frz. operette), ein
Biihnenstuck vorwiegend heiteren Charakters mit ge-
sprochenem Dialog, Gesang und Tanz. Die Szenenfol-
ge findet ihre Hohepunkte in den jeweils aktuellen
Tanzen der Zeit : bei J. Offenbach sind es Cancan und
Galopp, bei J. StrauB (Sohn) Walzer, Polka und Mazur-
ka, bei P. Lincke der Marsch, bei E. Kalman der Csardas
und bei J. Gilbert der Foxtrott, durch die die musikali-
sche Substanz der O.n wesentlich bestimmt wird. Die
Art von Buhnenstucken, die heute O. genannt werden,
nahm ihren Ausgang um die Mitte des 19. Jh. in Paris
und war in der 2. Halfte des 19. Jh. besonders dort und
in Wien beheimatet; vor dem 1. Weltkrieg erlebte sie
eine Bliite in Berlin, auBerdem in New York, von wo
aus sie - spatestens seit den 20er Jahren - eine Wand-
lung zum Musical erfuhr. - L. Allacci verwendete in sei-
ner Drammaturgia (1666, Neubearbeitung 1755) die Be-
zeichnung operetta fur Buhnenwerke kleineren Um-
f angs (operetta spintuale, - morale, - drammatica usw.) .
AuBerhalb Italiens findet sich der Begriff 1664 in Wien
fur ein musikaliscb.es Biihnenstuck (Pazzo amor von A.
Bertali) angewendet. Zwischen 1681 und 1745 sind
etwa 30 Auffiihrungen von »0.n« an kleineren deut-
schenFiirstenhofenfeststellbar(vgl. Brockpahlerl964).
Bei Rohr (1729) heiBt es allgemein: Wenn aufden Thea-
663
Operette
tris . . . nur kleine Piecen vorgestellt werden, so nennet man
dieses O.n; WaltherL definiert O. ah kurtzes musicali-
sches Schauspiel, wahrend Mattheson Capellm. schreibt:
O.n sind kleine Opem, weiter nichts. Fur deutsche Bear-
beitungen italienischer Opere buffe und Intermezzi ist
in Wien seit 1730 die Bezeichnung O. nachweisbar.
Urn die Mitte des 18. Jh. wurde der Name O. auch auf
Ubersetzungen franzosischer Biihnenstiicke der Gat-
tungen Vaudeville und Opera-comique und von daher
(vor allem im siid- und mitteldeutschen Sprachraum)
auch auf das deutsche -*■ Singspiel iibertragen (Chr. F.
WeiBe, Goethe). In diesen Bezeichnungen spiegelt sich
der Sprachgebrauch; die mit O. bezeichneten Werke
zeigen zwar schon einzelne Charakteristika der O., sind
aber bestenf alls als Vorlauf er der Gattung O. anzusehen.
Als O. »in Einem Aufzuge« ist Chr.G.Neefes Sing-
spiel Amors Guckkasten (1772) bezeichnet, ein Schafer-
spiel im Sinne der Anakreontik des 18. Jh., dessen Text
bereits eine Gotterparodie im Stile Ofienbachs vorweg-
nimmt. Diese Linie wird fortgesetzt von Dittersdorf
(Orpheus der Zweite, 1787, »Parodie-0.«), F.Kauer (Der
travestierte Telemach, 1805, 3aktige »Karikatur-0.«)
und Wenzel Miiller (Die Entfiihrung der Prinzessin Eu-
ropa, 1816, »mythologische Karikatur-0.« mit dem be-
zeichnenden Untertitel : Sogeht es im Olymp zu!). Auch
durch Parodien auf populare Opern wurde das Reper-
toire des zur O. hinfuhrenden Singspieltheaters er-
ganzt: auf Meyerbeers Robert le diable erschienen 1833
die Parodie-O.n Robert der Wau Wau von Scutta (Pseu-
donym?) und Robert der Teuxel von A. Miiller. - Eine
ahnliche Entwicklung vollzog sich in Frankreich, aus-
gehend vom Vaudeville und der Opera-comique. A.
Piron fiihrte die Gotterpersiflage auf dem. Pariser
Theater ein und A. R. Lesage die Opernparodie. Zum
eigentlichen Begriinder der franzosischen O.'wurde Fl.
Herve durch seine komisch-parodistischen Stiicke, fiir
die sich zunachst der Begriff Musiquette einbiirgerte.
In La Perle d' Alsace (1854) taucht neben dem Walzer
auch schon der -> Cancan auf; Herves Mam'zelle Ni-
touche (1883) wird heute noch gelegentlich aufgefiihrt.
Mit 3aktigen Werken (operas bouffes) und mit Ein-
aktern (bouffoneries) trat J. -> Offenbach 1855 als
O.n-Komponist hervor; die Gotterparodie Orphie aux
enfers (1858) und die Parodie auf die Pariser Gesell-
schaftLo belle He~lene (1864) wurden seine bekanntesten
und noch heute musikalisch iiberzeugendsten Werke.
Im Vordergrund stehen bei Offenbach das brillante
Couplet und die Tanzrhythmen von Galopp, Marsch,
Cancan, Bolero, Fandango, Tyrolienne, Quadrille und
Walzer. Seine Hauptlibrettisten waren H.Meilhac und
L. Halevy. Durch seine EinfluBnahme auf Thema und
Gestaltung der Textbiicher erzielte Offenbach die fiir
das Genre wichtige Obereinstimmung von Text und
Musik. Den Begriff O. verwendete Offenbach erstmals
1856 fiir seine Musiquette La Rose de St-Flour. Vom
Friihjahr des gleichen Jahres an wurden die Werke Of-
fenbachs auch in Wien aufgefiihrt; es liegt daher nahe,
dan ihm die Bezeichnung O. von Wien her bekannt
wurde. - Franzosische O.n-Komponisten neben und
nach Offenbach waren A. Ch. Lecocq (Girofli - Girofla,
1874), E.Audran (Lapoupie, 1890), R.Planquette (Us
cloches de Corneville, 1877) und A.Messager (Les p'tites
Michus, 1897).
Nach Offenbachs Vorbild schrieb Fr. v. Suppe das als
erste Wiener O. (im modernen Sinn) geltende Werk
Das Pensionat (1860), in das gleichwohl der germitlich-
heitere, leicht sentimentale Ton des Alt- Wiener Volks-
theaters eingegangen ist, wie er auch in der Folge fiir
die Wiener O. bezeichnend bleiben sollte. Suppes
Hauptwerke sind: Die schone Galathee (1865), Fatinitza
(1876) und Boccaccio (1879). Neben Suppe wurde C.
Millocker in seinen Friihwerken - ebenf alls mit typisch
wienerischen Melodien und Sujets - zum Wegbereiter
fiir J. StrauB (Sohn). Seine groBen Erfolge erzielte Mil-
locker allerdings erst 1882 mit Der Bettelstudent und
1884 mit Gasparone. Seine Madame Dubarry (1882) leb-
te in der Bearbeitung von Th.Mackeben 1931 noch
einmal auf. J. StrauB, der als »Walzerkonig« schon Be-
riihmtheit besaB, ehe er sich 1871 der O. zuwandte,
verhalf der Wiener O. vor allem mit seinen beiden
Hauptwerken Die Fledermaus (1874) und Der Zigeuner-
baron (1885) zum endgiiltigen Durchbruch und zum
Sieg iiber Offenbach. StrauB verbindet wienerische
Tanzmusik und wienerisches Theater (dessen Sujets
nun allerdings nicht mehr dem Volkstheater, sondern
»gehobeneren« Milieus entstammen) zu Werken von
unubertroffenem und zeitlosem Charme. Die Libretti
fiir Suppe und StrauB schrieben vor allem F. Zell und
R. Genee. Suppe, Millocker und StrauB sind die groBen
Drei der Wiener »klassischen« O. Ihre (unmittelbare)
Nachfolge traten K. Zeller (Der Vogelhandler, 1891 , und
Der Obersteiger, 1894), R.Meuberger (Der Opernball,
1899) und C.M.Ziehrer (DerLandstreicher, 1899) an. -
Eine neue Phase der Wiener O. ist durch das Wirken
von Fr.Lehar (mit den Textdichtern V.Leon, L. Stein
u. a.) gekennzeichnet. Bedeutsam wurde nun die Ein-
heit von Gesangsnummer und nachfolgendem Tanz
(Nachtanz). Die bezeichnendsten Werke Lehars sind
Die lustige Witwe (1905), Der Graf von Luxemburg (1909)
und Das Land desLachelns (1929). Zeitgenossen Lehars
waren u. a. E.Eysler (Bruder Straubinger, 1903, und Der
unsterbliche Lump, 1910), L.Fall (Derfidele Bauer, 1907,
und Die Dollarprinzessin, 1907) und O. Straus (Walzer-
traum, 1907, und Utzter Walzer, 1920), der noch 1952
- 82jahrig - seine letzte O. Bozena herausbrachte. E.
Kalman hat mit Der Zigeunerprimas (i912) den Typ der
»ungarischen 0.« geschaffen, deren Kolorit durch Csar-
dasmelodien gepragt wird. G.Jarno begriindete (u. a.
duichDieForsterchristel, 1907) das Genre der »biographi-
schen 0.«, in deren Handlung eine bekannte histori-
sche Personlichkeit eingebaut ist. Dazu gehoren Lehars
Paganini (1925), Der Zarewitsch (1927) und Friederike
(1928) ebenso wie Br. Granichstadtens Auf Befehl der
Kaiserin (1915) und L.Falls Madame Pompadour (1922).
- Eine epigonale Generation von O.n-Komponisten
versuchte, einerseits durch Ubernahme neuer amerika-
nischer Rhythmen (z. B. W.Bromme, Die Dame im
Frack und Maskottchen, beide 1919) oder Einbeziehung
von Jazzelementen (vor allem von Jazzrhythmen) die
O. der neuen Zeit anzupassen (Granichstadten brachte
in Orlow, 1928, eine Jazzband auf die Biihne und ver-
suchte sich 1930 mit Reklame an einerJazz-O.), anderer-
seits durch bewuBte Pflege der wienerischen Tradition
(R.Stolz, R.Kattnigg, N.Dostal, Fr.Kreisler) die O.
alten Stils am Leben zu erhalten. Der Zug zu einer
kaum mehr zu ubertreffenden Verflachung der Hand-
lung und die Neigung zur Bearbeitung fremder (H.
Berte 1916) oder eigener Melodien (Fr. Raymond 1927,
Fr.Kreisler 1932) sind nicht zu iibersehende Merkmale
des Epigonalen.
In Berlin, wo es - ahnlich wie in Wien das Singspiel -
im 19. Jh. ein bodenstandiges Volkstheater gab in Form
der Lokalposse mit Gesangseinlagen (Musik u. a. von
A.Conradi), fanden im letzten Drittel des 19. Jh. die
O.n vor allem Offenbachs, aber auch Wiener O.n ein
aufnahmebereites Publikum. Eine Riickbesinnung auf
das spezifisch Berlinerische und damit zugleich eine
neue Richtung innerhalb der Geschichte der O. bedeu-
tete aber erst die 1899 mit Frau Luna einsetzende Er-
folgsserie der Werke von P. Lincke (Texte von Bolten-
Baeckers). Linckes Musik, deren Starke im Marsch und
in den geradtaktigen Tarizen liegt (seine Walzer wirken
664
Opemchor
leicht sentimental), ist gekennzeichnet durch bewuBte
Hinwendung zum rhythmisch Pragnanten und zum
Schlager. Die Berliner O. vereinigt Elemente der Lo-
kalposse, des Schwanks, der Parodie mit denen der
-»■ Revue, die dem Geschmack (auch dem wirtschaft-
lichen Status) der Vorweltkriegszeit besonders entge-
genkam und die seit Ende der 1920er Jahre noch mehr-
mals auflebte (z. B. in Benatzkys Casanova, 1928, und
Raymonds Maske in Blau, 1937). Andererseits entstand
in Berlin auch das »Musikalische Lustspiel«, das sich
durch Hinwendung zum Komodiantischen und durch
intimer gehaltene musikalische Faktur von der Revue-
O. distanzierte (z. B. Benatzky, Meine Schwester und ich,
1930). Zur Berliner (bzw. zur deutschen) O.n-Schule
zahlen der schon 1888 mit Carmonisella hervorgetretene
V.Hollaender sowie J. Gilbert, W.Kollo, R.Nelson, L.
Jessel, W. W.Goetze und E.Kunnecke, auBerdem die
gebiirtigen Osterreicher R. Benatzky und Fr. Raymond
und der Ungar P.Abraham. Das Wirken von E.Nick,
L. Schmidseder und Fr. Schroder fallt bereits in das
letzte Jahrzehnt vor dem 2. Weltkrieg. Das O.n-Thea-
ter der Nachkriegszeit sucht den Erf olg im schon Be-
kannten, teils durch das Ankniipfen an klassische Er-
folgsstiicke (durch deren Wiederaufnahme, »zeitge-
maBe« Arrangements oder Nachahmung), teils durch
Versuche, in den USA erprobte Erfolgsrezepte auf
Europa zu iibertragen. Zwischen 1948 und 1965 wur-
den in Deutschland und Osterreich mehr als 130 neue
Werke (uberwiegend von schon vor dem Krieg be-
kannten Komponisten) herausgebracht, die - als O.,
Musikalisches Lustspiel oder auch als Musical bezeich-
net - musikalisch meist in irgendeiner Weise den
Rhythmen oder dem Sound des Jazz bzw. der moder-
nen Tanz- und Unterhaltungsmusik verpflichtet sind.
Zwar ist, nicht zuletzt durch die Konkurrenz von Film
und Fernsehen, die groBe Zeit der O. als musikalisches
Volkstheater vorbei, doch vermag die uberragende
Einzelleistung (als Komposition wie auch als Auffiih-
rung) auch heute noch einen uberdurchschnittlichen
Publikumserfolg zu erringen.
Durch Auffuhrungen von Offenbachs O.n in London
wurde auch in England im letzten Viertel des 19. Jh.
eine Abart der O., die satirische Comic opera angeregt,
deren Hauptmeister A. Sullivan wurde (Texte von W.
S.Gilbert, besondere Erfolge wurden Trial by Jury,
1875, und vor allem The Mikado, 1885). Urn die Mitte
der 90er Jahre wurde die Comic opera von der Musical
comedy abgelost (S.Jones, The Geisha, 1896; I.Caryll,
The Earl and the Girl, 1903 ; L. Monckton, Quacker Girl,
1910; N. Coward, Bitter Sweet, 1929; I.Novello, Gla-
mouros Night, 1935, und King's Rhapsody, 1951). -In den
US A hatte die O. verschiedene Vorlauf er, zunachst in der
Minstrel show (->■ Minstrelsy) seit 1843 (die erst urn
1900 ihre Anziehungskraft verlor) und in der Extra-
vaganza, die - bei prunkhafter Ausstattung - zunachst
aus einer Kompilation popularer Musikstiicke bestand.
1874 erhielt die Extravaganza Evangeline in der Neu-
komposition von E.E.Rice die (damit erstmals belegte)
Bezeichnung Musical comedy. Indessen feierten Sulli-
vans O.n auf den New Yorker Btihnen Triumphe und
hatten auch amerikanische Kompositionen von Comic
operas zur Folge, u. a. von R. de Koven (Robin Hood,
1890, und The Highwayman, 1897), J. Ph. Sousa (El Ca-
pitan, 1896) und G. M. Cohan (Littlejohnnyjones, 1904).
V.Herbert gab der amerikanischen O. neue Impulse,
indem er an die formale Anlage und inhaltliche Kon-
zeption der O.n von J. StrauB ankniipfte. Die Serie sei-
ner Erfolge reichte von Serenade (1897) bis zu Eileen
(1917). Neben Herbert wirkten einige deutsche und
osterreichische Komponisten fur die amerikanische O.,
u. a. R.Friml (Rose Marie, 1924) und S. Romberg (The
Desert Song, 1926). Auf dieser Grundlage bauten I. Ber-
lin, J. Kern und G. Gershwin weiter, deren Werke ei-
nen Ausgangspunkt f iir das moderne -*■ Musical bilden.
Lit. : L. Allacci, Drammaturgia . . . , divisi in sette in-
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deutsche Singspiel v. seinen ersten Anfangen bis auf d.
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comique et la comedie-vaudeville aux XVIP et XVIII e s.,
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Musical, = Fischer Biicherei CCXXV, Ffm. u. Hbg 1958 ;
H. Renner, Neuer Opern- u. O., Miinchen 1963.
Opernchor, ein an einem Operntheater fest angestell-
ter gemischter Chor; ihm stent- ein Chordirektor vor.
Bei groBen Chorszenen (z. B. Festwiese in Wagners
Oper Die Meister singer) wird der O. durch einen (meist
aus Laiensangern bestehenden) Extra- oder Aushilfs-
chor verstarkt. - Schon vor der Entstehung der Oper
gab es den Chor auf der Biihne, im 15. und 16. Jh. in
geistlichen Spielen und weltlichen Dramen, in der 2.
Halfte des 16. Jh. in Tragodien (Edipo tiranno, 1588, mit
der Musik von A.Gabrieli), Komodien, Pastoralen,
665
Opemchor
Balletten und Intermedien. Die -*■ Madrigalkomodie
wird vom Chor allein (ohne gesprochenen Dialog)
ausgefiihrt. In der Florentiner Oper, besonders bei Peri
(Dafne, 1598; Euridice, 1600), wirkt der Chor nach Art
des antiken griechischen Chors am Drama mit, reflek-
tierend, klagend, jubelnd oder am Geschick der Pro-
tagonisten Anteil nehmend. Er greift jedoch nicht in
die Handlung ein; durch Unterbrechung des Dialoges
belebt und gliedert er das Geschehen. Diese Art der
Verwendung des Chors wirkte fort in den friihen
Opern Monteverdis (Choro di Ninfe e Pastori und Choro
di Spiriti infernali im Orfeo, 1607) und in der romischen
Oper (Zyklopenchor in La catena d'Adone von D.Maz-
zocchi, 1626; Doppelchor zur Verherrlichung des Hei-
ligen in II Sant'Akssio von St.Landi, 1632; Jager- und
Soldatenchor in Erminia sul Giordano von M. A. Rossi,
1637). Die auf Biihneneffekte abzielende und vom Soli-
sten beherrschte venezianische Oper des 17. Jh. raumte
demChoroftnurkurzeZwischenrufeeinundverwende-
te ihn haufig als Reprasentanten der Menge (z. B. der
den Paride begleitende, aber nicht singende Choro di suoi
servi in II pomo d'oro, 2. Akt, 8. Szene, von M. A. Cesti,
1667). In Frankreich, ausgehend vom Ballet de cour,
und in England, beeinfluBt von der Masque und der
franzosischen Oper, bildete der Chor einen der Grund-
pfeiler der Oper (z. B. Unterwelt-, Beschworungs- und
Finalszenen bei Lully undJ.-Ph. Rameau, die Hexensze-
nen in Dido and Aeneas von Purcell, 1689). - Erste Au-
Berungen iiber dramaturgische Fragen der Chorver-
wendung in Deutschland finden sich bei Verf assern von
Singspieltexten: Ph.Harsdorffer verlangt den Chor /
oder die Music / dienend dergestalt j dafi zwischen jeder
Handlung (Actus) ein Lied gesungen werden sol (Poetischer
Trichter, Niirnberg 1648-53, S. 73f.). Nach Sigmund
v. Birk sind die Chore Zwischen Lieder, die gemeinlich
von den Tugenden oder Lastern J welche die vorhergehende
Spiel Personen an sichgehabt, reden (Teutsche Rede- und
Dkht-Kunst, Niirnberg 1679, S. 326f.). B.Feind sagt in
seinen Gedancken von der Opera (Deutsche Gedichte . . . , 1 .
Teil, Stade 1708, S. 102f.) zur Chorverwendung, man
miisse sich der Gelegenheit der Chore undEntrden bedienen,
insonderheit bey neuen Zeitungen von Siegen, Friede, bey
Opferungen, Schlachten, Zaubereien, Trauer-Bezeigungen,
und Freudenmahlen etc. In der 1. Halfte des 18. Jh. auBer-
ten sich iiber Probleme des O.s (Kompositionsweise,
Chorbesetzung, -erziehung und -verwendung) u. a. J.
Mattheson, J. A. Scheibe, Fr. W. Marpurg, J.J. Quantz.
- Bis 1750 waren in Deutschland Mitglieder der Hof-
kapellen und Kantoreien, Schiiler, Studenten, Schau-
spieler bzw. Sanger, manchmal auch Liebhaber die
Sanger des Chors bei Auffiihrungen theatralischer
Werke. Die Mindestbesetzung dieser Gelegenheits-
chore lag etwa bei 8 Personen. Der Ubergang zum
stehenden Berufschor vollzog sich zwischen 1750 und
1850, in erster Linie an den Biihnen der Residenzstadte
(Berlin, Dresden, Weimar, Stuttgart und Mannheim),
vor allem wegen der wachsenden musikalischen S ch wie-
rigkeiten der Chorpartien, der Forderung nach dar-
stellerischen Fahigkeiten und der Ausdehnung der
Spielzeit. Die soziale Lage der O.-Sanger festigte sich,
vornehmlich unter dem Einflufi der »Chorbewegung«
(Singakademien, Singkreise, Liedertafeln, Liederkran-
ze). Die Stellung des Berufschors wird erst heute durch
soziale und wirtschaftliche MaBnahmen (Tarifvertrage
fiir Mitglieder des O.s) gesichert. Der Nachwuchs fiir
den O. wird in eigenen Klassen (O.-Schule) der Kon-
servatorien und Musikhochschulen ausgebildet. - Gro-
Be Chorpartien im Opernrepertoire enthalten u. a.
Verdis Macbeth, La sforza del destino, Aida, Otello, Wag-
ners Tannhauser und Lohengrin, Bizets Carmen, Boro-
dins Knjas Igor (»Fiirst Igor«), Mussorgsky's Boris Go-
dunow, Puccinis Turandot, Honeggers Jeanne d'Arc au
bucher und Orffs Trionfi.
Lit. : E. Neumeister, Die Allerneueste Art zur reinen u. ga-
lanten Poesie zu gelangen, (Hbg 1707); Mattheson Ca-
pellm.; J. A. Scheibe, Der critische Musicus, Hbg 2 1745;
Fr. W. Marpuro, Der Critische Musicus a. d. Spree, Bin
1749-50; Quantz Versuch; W. Galluser, Der Chor u. d.
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1962; H. J. Winkler, Oper u. Ballett, Munchen (1964).
666
Opernton
Opernregisseur. Die Aufgabe des O.s ist es, das in
der Opernpartitur von den Autoren (Librettist und
Komponist) fixierte Werk im Einklang mit der musi-
kalischen Interpretation des Dirigenten durch die dem
Theater zur Verf iigung stehenden Kraf te und Mittel auf
der Biihne zu realisieren. Die Arbeit des O.s gliedert
sich in 2 Abschnitte: 1) die im umfassenderen Begriff
der Inszenierung einbeschlossene Festlegung und Aus-
arbeitung des Auffiihrungsstils. Dieser ist nicht iden-
tisch mit dem Werkstil, sondern ihm analog, da das
Theater als zeitbedingt und zeitverhaftet das die Zei-
ten uberdauernde Werk in den jeweils zeitgemaBen
Formen auf die Biihne stellt - jedoch ohne Eingriff in
dessen Geist und Substanz. Voraussetzung fur eine
werkgerechte Interpretation ist die Analyse des Werks,
die zurErkenntnis des Werkstils fiihren soil; auf dessen
Grundlage ist der Auff iihrungsstil zu bilden. Die wich-
tigsten Faktoren der Theatertechnik, die dem O. bei
der Inszenierung zur Verf iigung stehen, sind: Biihnen-
bild, Beleuchtung, Kostiim und Maske. 2) die Personal-
regie, die Ubertragung des Auffiihrungsstils auf So-
listen, Chor, Ballett und Statisterie, die den Ablauf der
dramatisch-musikalischen Handlung und die Beziehun-
gen der dramatischen Pers'onen in Bewegungen, Hal-
tung und Ausdruck zur Darstellung gelangen laBt.
Anders als der Regisseur des Sprechtheaters ist der O.
viel starker an una durch das Werk gebunden: vor al-
lem das Tempo, die Bewegungsablaufe und -rhythmen
sind durch die Musik vorbestimmt. - Der O. war im
17. und 18. Jh. lediglich Arrangeur und Choreograph
des dekorativ einzufiigenden Chores oder Balletts. Die
Biihnenarchitekten und -ingenieure des Barocks schu-
fen kiinstlerisch eigenstandige Dekorationen, vor und
in denen die Sanger nach eigenem Ermessen und nur
der Biihnentradition verpflichtet ihre Arien und Solo-
szenen sangen, schauspielerisch andeuteten und in En-
sembleszenen sich nach hofisch-barockem Zeremoniell
bewegten. In der 2. Halfte des 18. Jh. ergab sich die
Notwendigkeit der in einer Hand zusammengefaBten
Opernregie, je mehr der strenge Schematismus der
Opera seria verlassen wurde. Die Forderung nach sze-
nischer Gestaltung stellte sich von seiten der Autoren
und durch den Anspruch der Werke auf jeder Stufe
der Operngeschichte (Gluck, Mozart, Weber, Wagner
und Verdi) auf neue Weise. Seit Wagner, der den
Inszenator bezeichnend »Dirigent der Szene« nennt, ist
die Verantwortlichkeit des O.s fur die geistig-kiinstle-
rische Einheit der Szene allgemein anerkannt. Die wis-
senschaftliche Opernregie, begriindet von C.Hage-
mann, E. Lert una H. Graf, wird in Theorie und Praxis
heute von den meisten O.en vertreten. Inszenierung
und Regie sind Leistungen des O.s, die kunstlerische
Interpretationsfahigkeit voraussetzen, doch wird der
Anspruch, die Inszenierung als eigenschopferische
Kunstleistung gelten zu lassen, nur von einigen Befiir-
wortern einer subjektiv-individuellen Opernregie ge-
stellt. Die Reform der Opernregie, die den O. als
gleichberechtigten Interpreten neben den Dirigenten
stellte, blieb jedoch auf die Musiktheater des deutschen
Sprachraumes beschrankt.
Lit.: A. Ingegneri, Delia poesia rappresentativa et del
modo di rappresentare le favole sceniche, Ferrara 1598,
Neudruck Florenz 1734; A. Appia, La raise en scene du
drame wagnerien, Paris 1895, deutsch als: Die Musik u. d.
Inscenierung, Miinchen 1899; C. Haoemann, Moderne
Biihnenkunst, 1 Regie, Kunst d. szenischen Darstellung,
II Der Mime, Kunst d. Schauspielers u. Opernsangers, Bin
1902, 51918-19, II «1921 ; E. Lert, Mozart auf d. Theater,
Bin 1918, 41921; H.Graf, Opernregie als Wiss.,Mk XVIII,
1925/26; ders., Producing Opera for America, Zurich u.
NY 1961 ; P. Bekker, Die Opernszene, in: Klang u. Eros,
= Gesammelte Schriften II, Stuttgart u. Bin 1922; ders.,
Das Operntheater, = Musikpadagogische Bibl. IX, Lpz.
1931; H. Pfitzner, Gesammelte Schriften II, Augsburg
1926; O. Erhardt, Vom Wesen d. Opernregie, = Das
Nationaltheater I, 1 , Bin 1928 ; A. d'Arnals, Der Opern-
darsteller, Bin 1932; Fr. Tutenberg, Munteres Handbuch-
lein d. O., Regensburg 1933, 21950; ders., Werktreue bei d .
Opernregie, Fs. Fr. Stein, Braunschweig 1939; M.-A.
Allevy, La mise en scene en France dans la premiere
moitie du dix-neuvieme s., Paris 1938 ; G. Hellberg-Kup-
fer, R. Wagner als Regisseur, = Schriften d. Ges. f. Thea-
tergesch. LIV, Bin 1942; S. Skraup, Die Oper als lebendi-
ges Theater, = Das Nationaltheater X, Wurzburg 1942,
Emsdetten i. W. 21951 = Die Schaubuhne XXXIX, auch
Bin 1956; H. Arnold, Fragen d. Opernregie, Musica II,
1948; W. Felsenstein, Bekenntnisse zum Musiktheater,
NZfM CXIX, 1958; J. Gregor, Die Theaterregie in d.
Welt unseres Jh., = Schriftenreihe d. Osterreichischen
UNESCO-Kommission, Wien (1958) ; K. R. Pietschmann,
H. Gregor als O., Diss. Gottingen 1958, maschr.; Chr.
Bitter, Wandlungen in d. Inszenierungsformen d. »Don
Giovanni«, = Forschungsbeitr. zur Mw. X, Regensburg
1961 ; W. Felsenstein u. S. Melchinger, Musiktheater,
Bremen 1961 ; W. E. Schafer, G. Rennert als Regisseur in
dieser Zeit, Bremen 1 962; O. Fr. Schuh u. Fr. Willnauer,
Biihne als geistiger Raum, Bremen 1963 ; W. Panofsky, W.
Wagner, Bremen 1964; J. D. Steinbeck, Inszenierungsfor-
men d. »Tannhauser«, = Forschungsbeitr. zur Mw. XIV,
Regensburg 1964. HA
Opernton (frz. ton d'opera; engl. opera pitch) heiBt
der -> Stimmton, der durch die Begrenzung der Sing-
stimmen bestimmt ist. Tatsachlich haben sich die San-
ger immer wieder gegen das Hohertreiben der Orche-
ster wehren miissen. Georg Muff at berichtet 1698 iiber
die Stimmhohe zur Zeit Lullys : Der Thon nach welchem
die Lullisten ihre Instrumenta stimmen, ist ins gemein umb
einen gantzen, ja in Teatralischen Sachen umb anderthalb
Thon niedriger als unser Teutscher. J. Sauveur berechnete
1700, daB der franzosische O. (umgerechnet) 404 Hz
betrug. J.-J. Rousseau schreibt 1768 : II y a, pour la Mtt-
sique, Ton de Chapelle & Ton d'Opera. Ce dernier n'a rien
de fixe; mais en France il est ordinairement plus bas que
V autre. Auch Dom Bedos spricht 1778 vom tiefen fran-
zosischen O., und H.Berlioz stellt 1858 fest, daB in der
Zeit, in derJ.-Ph.Rameau, Monsigny, Gretry, Piccinni
und Sacchini ihre Opern f iir das Pariser Theater kom-
ponierten, das Orchester um etwa einen Ganzton defer
eingestimmt habe ; bei der in der Mitte des 19. Jh. iibli-
chen Stimmung entstehe der Eindruck, die von Gluck
furBassistengeschriebenenRollenseienfurBaritonstim-
men gedacht. Wahrend die Dresdener Oper zu Webers
Zeit auf 423 Hz einstimmte und auch die Pariser Oper
Anfang des 19. Jh. nach Ausweis der Tenorpartien in
Boieldieus Opern noch einen tiefen Stimmton beniitz-
te, setzte nach 1820 ein allmahliches J-Iohertreiben ein.
Fur Paris wurden f estgestellt : 1823 431,3 Hz, 1830
435,75 Hz, 1858 449 Hz ; fur London 1826 433 Hz, 1854
452 Hz, 1874 455 Hz; fur die Mailander Scala 1845
446,8 Hz, 1856 451 Hz; in Berlin 1858 452 Hz; in Wien
1859 456 Hz. 1859 setzte die Pariser Academie de mu-
sique 435 Hz als Stimmton fest. Verdi sprach sich bei
einer Umfrage vor der Wiener Stimmtonkonferenz,
bei der 435 Hz international angenommen wurde, 1884
fiir die tiefere Stimmung von 432 Hz aus. Wagner be-
klagte bei seinem Londoner Gastspiel 1877 die iiber-
hohte Stimmung und auBerte ebenso 1882 bei den
Proben zum Parsifal in Bayreuth Kritik an der hohen
Orchesterstimmung. 1908 verlangte E.Caruso beim
Auftreten in Wien unter G. Mahler die Herabsetzung
der erneut gestiegenen Stimmhohe. 1939 einigte man
sich auf der Stimmtonkonferenz in London auf den
KompromiB von 440 Hz. - In der Praxis des Opern-
betriebs sind zwei Verfahren iiblich, Sangern, die
Spitzentone einer Partie nicht erreichen, zu helfen: in
der Nummernoper wird das betreffende Stuck tiefer
667
Operntruppen
gespielt, in der durchkomponierten (gelegentlich auch
in der Nummemoper) wird die Singstimme punktiert,
d. h. die unbequemen Tone werden durch harmonisch
passende, tieferliegende ersetzt.
Lit. : G. Muffat, Vorrede zu Florilegium secundum, Pas-
sau 1698; J.- J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf
1767(7), Paris 1768; Fr. Bedos de Celles OSB, L'art du
facteur d'orgues IV, Paris 1778, Faks. hrsg. v. Chr. Mah-
renholz, Kassel 1936, dass., = DM1 1, 26, 1965; H. Ber-
lioz, Le diapason, in: A travers chants, Paris 1862 u. 6.,
deutsch v. E. Elles in: Literarische Werke VI, Lpz. 1912;
A. J. Ellis, The Hist, of Mus. Pitch, Journal of the Soc. of
Arts 1880, separat London 1881, dazu G. Adler in: VfMw
IV, 1888, beides in Nachdruck Amsterdam 1963; Fr. Ha-
mel, Die Schwankungen d. Stimmtons, DMK IX, 1944; O.
Tiby in: Ricordi-Nachrichten, Marz-H. 1954. RW
Operntruppen, Vereinigungen von Sangern und
(meist musikalisch versierten) Schauspielern, die nicht
einer stehenden Biihne angeschlossen sind (-»- Ensem-
ble). Seit dem 16. Jh. kamen die beispielgebenden »eng-
lischen Komodianten« aufs Festland, doch bildeten sich
hier erst im Laufe des 17. Jh. feste Wandertruppen, die
auf Marktplatzen oder in offentlichen Salen spielten;
das Repertoire bestand meist aus musikalisch umrahm-
ten Stiicken oder -»■ Singspielen. Bedeutende Prinzi-
pale waren im deutschen Sprachraum u. a.: J.Velten
(1640-92), J.Stranitzky (1676-1726), Fr.C.Neuber
(1697-1760), H. G.Koch (1703-75, -» StandfuB), J.Fr.
Schonemann (1704-82), K.E.Ackermann (1712-71),
A.Seyler (1730-1800), E. Schikaneder und die vor al-
lem durch Opernauffiihrungen (Neefe, Adelheid von
Veltheim; Holzbauer, Giinther von Schwarzburg; Mo-
zart, Entfuhrung) bekannt gewordenen J. Seconda und
J. Bohm aus Briinn. Um 1882 reiste der Operndirektor
A.Neumann mit einer Truppe, die Wagner-Opern
auffiihrte, durch Deutschland und Italien. In Italien,
wo die Oper noch heute meist an begrenzte Spielzeiten
(-> Stagione) gebunden ist, sind vor allem die Briider
7> Mingotti als O.-Prinzipale, die auch Deutschland,
Osterreich, Danemark bereisten, hervorgetreten. In
Frankreich wurden die O. schon im 17. Jh. seBhaft (Pa-
ris), ohne aber die Bespielung auswartiger Platze aufzu-
geben, z. B. die Comedie-Italienne, von D.Locatelli
(1613-71), und die Opera-Comique, spater von Ch. S.
Favart geleitet. In England wirkten bis ins 18. Jh. die
Duke's-O. und die King's Company (Griinder W.
D'Avenant bzw. Th.Killigrew). O. gab es auch in
RuBland, Polen, Spanien, Amerika und der Schweiz.
Unter den heute bestehenden O. sind zu nennen die
Deutsche Gastspieloper e. V. in Berlin (seit 1960, zuerst
Frankfurt am Main), in England die von C. Rosa (K.
->- Rose) 1875 gegriindete Gesellschaft und in den USA
die Everyman Opera Inc. (seit 1960), die mit ihrer
Porgy and Bess-Tournee Weltruhm erlangte.
Lit.: J. Bolte, Die Singspiele d. engl. Komodianten u.
ihrer Nachfolger in Deutschland, Holland u. Skandinavien,
= Theatergeschichtliche Forschungen VII, Hbg 1893;
Chr. H. Schmid, Chronologie d. deutschen Theaters, neu
hrsg. v. P. Legband, = Schriften d. Ges. f . Theatergesch. I,
Bin 1902; E. H. Muller, Die Mingottischen Opernunter-
nehmungen 1732-56, Diss. Lpz. 1915; O. G. Th. Sonneck,
Early Opera in America, NY u. Boston (1915), Nachdruck
NY (1963); H. Meissner, Wandertheater, Ffm. 1926; H.
G. Fellmann, Die Bohmsche Theatertruppe u. ihre Zeit,
= Theatergeschichtliche Forschungen XXXVIII, Lpz.
1928; H. Junkers, Niederlandische Schauspieler . . . im
17. u. 18. Jh. in Deutschland, Den Haag 1936; M. Fuchs,
Lexique des troupes de comediens au XVIII e s., = Bibl. de
la Soc. des historiens du theatre XIX, Paris 1944; R.-A.
Mooser, Annates de la musique et des musiciens en Russie
au XVIII 6 s., 3 Bde, Genf 1 948-5 1 ; M. Fehr, Die wandern-
den Theatertruppen in d. Schweiz, in: Schweizer Theater-
Almanach VI, Einsiedeln 1949; S. M. Rosenfeld, Foreign
Theatrical Companies in Great Britain in the 17 th and
668
18" Cent., London 1955; H. Eichhorn, K. E. Ackermann
u. d. Ackermannische Ges. deutscher Schauspieler, Diss.
Bin 1957, maschr. ; H. Kindermann, Theatergesch. Euro-
pas II-IV, Salzburg (1959-61).
Ophikleide (zusammengestuckt aus griech. 8qjt<;,
Schlange, und xXeTSsj;, Klappen), ein zur Familie
der Bugelhorner mit Klappen gehorendes chromati-
sches Blechblasinstrument mit fagottartig geknickter
Rohre, das 1817 von J.Halary in Paris (durch Umbau
von Frichots -»■ BaBhorn oder nach einem 1810 pa-
tentierten englischen Vorbild) in verschiedenen Gro-
Ben und Stimmungen gebaut wurde: als BaB-O. in C,
B und As, Umfang 3 Oktaven + 1 Halbton (z. B. die
O. in C: iH-ci), mit 8-9 Klappen; als Alt-O. (auch
Quinti-clave, Quinti-tube) in F (Umfang E-c 2 ) und Es
(Umfang D-b 2 ), in Frankreich auch in As (eigentlich
schon Diskant-O.), mit 9-10, ab 1822 mit 12 Klappen;
als KontrabaB- oder Riesen-O. (ophicleide monstre) in
F und Es, Umfang nur 2i/ 2 Oktaven, eine Oktave de-
fer als die Alt-O., 1821 patentiert. Die KontrabaB-O.
wurde durch Einsetzen von Ventilen zur BaBtuba um-
gebaut (J.Halary). - Die BaB-O. war in Militarkapel-
len und im Opernorchester (Spontini, Olympic, 1819)
in Gebrauch, bis sie durch die -> Tuba (- 2) ersetzt
wurde, in Frankreich, England und Italien allgemein
erst um 1880-90. Danacn wurde sie in Frankreich,
Italien und in Siidamerika noch gelegentlich in der
Kirchenmusik verwendet.
Opus (lat., Werk; ital. opera; frz. ceuvre; Abk. : op.;
op. posth. = opus posthumum, nachgelassenes Werk,
das vom Komponisten selbst nicht mehr mit einer Op.-
Zahl versehen wurde). Das Wort wurde auf musikali-
sche Kompositionen zuerst im Zeitalter des Humanis-
mus angewendet. So verweist Tinctoris im Prologus
seines Liber de arte contrapuncti (1477; CS IV, 77b) auf
die opera der groBen Komponisten seiner Zeit als Ge-
genstand der folgenden Abhandlung. Listenius (1537)
definiert die Kompositionslehre als -> Musica poetica,
qui post se . . . opus perfectum et absolutum relinquat; da-
mit ist gemeint (vgl. Quintilianus II, 18), daB das schrift-
lich fixierte Werk auBerhalb der Sphare der Theorie
und unabhangig von seiner praktischen Verwirkli-
chung besteht und seinen Wert in sich selbst hat. Um
1500 tragen auch einige Musiktraktate den Titel Op.
(->■ Gaffori 1480, 1508 und 1518; ->■ Wollickf-Schanp-
pecher] 1501). Im Bereich des Notendrucks erscheint
die Bezeichnung bei umfassenden Sammlungen kirch-
licher Musik in Deutschland, so z. B. bei dem Sammel-
druck Novum et insigne op. musicum (2 Bande Motetten,
Nurnberg 1537-38, Ott) und bei dem Magnum op. mu-
sicum, der posthumen Sammlung von 516 Motetten O.
de Lassus' (Miinchen 1604). Seit Beginn des 17. Jh. be-
gegnet das Wort in Verbindung mit einer Zahl zur
Bezeichnung der chronologischen Folge von Kompo-
sitionen eines Autors in der Reihenfolge ihres Drucks.
Friihe Op.-Zahlungen finden sich u. a. bei Viadana
(erstmalig bei den Motectafestorum ... op. 10, Venedig
1597), Banchieri {La Barca da Venezia ... op. 12, Vene-
dig 1605), C. -+ Antegnati (op. 16), Cifra (Motecta . . .
IV op. 8, Rom 1609), E. -s- Porta (op. 3). Unabhangig
von ihrem Erscheinungsort fortlaufend gezahlt sind
die Werke von B. -*■ Marini (wobei sich aus den feh-
lenden Op.-Zahlen die Menge der verlorengegangenen
Drucke erschlieBen laBt). Nachtraglich gezahlt nach
Op.-Zahlen hat Schiitz seine grofieren Sammlungen
und Werke in einer Specification, die auf der letzten
Seite des Bassus pro Violone seines Op. Decimum (Sym-
phoniae sacrae II, 1647) abgedruckt ist. Vom Ende des
17. bis zum Ende des 18. Jh. bleibt die Op.-Zahlung
haufig auf Instrumentalwerke beschrankt. Da die Op.-
Oratorium
Zahlen in der Regel von den Verlegern eingesetzt wur-
den, erscheinen oft die gleichen Werke in verschiede-
nen Verlagen unter verschiedenen Op.-Zahlen und
umgekehrt verschiedene Werke mit der gleichen Op.-
Zahl (so z. B. bei Corelli, Vivaldi, Clementi). Auch
gibt es Drucke, die Werke verschiedener Autoren un-
ter einer Op.-Zahl vereinigen, wie: Six symphonies a
quatre parties obligies . . . de diffirents auteurs op. 5 (Pa-
ris 1760, Nr 1-3 von J. Stamitz, dazu je eine Symphonie
von Beck, Wagenseil, Richter). Erst seit Beethoven
geben viele Komponisten der Mehrzahl ihrer Werke
bei der Veroffentlichung oder bereits bei der Nieder-
schrift eine Op.-Zahl ; doch bleiben einerseits Biihnen-
werke, andererseits kleinere Stiicke (wie Variationen,
Tanze, Gelegenheitskompositionen) oft ohne Op.-
Zahl. Komponisten, die ihr op. 1 sehr friih veroffent-
lichten (z. B. R. Strauss mit 12, F. Mendelssohn Barthol-
dy mit 13 Jahren), haben von ihren friihen Kompo-
sitionen oft nur einen kleinen Teil mit Op.-Zahl ver-
sehen. Bei Mendelssohn sind op. 1-72 zu Lebzeiten,
op. 73-121 posthum veroffentlicht; ferner existieren
etwa 200 Jugend- und Studienwerke im Manuskript
ohne Op.-Zahl. R. Strauss schloB die Reihe seiner Wer-
ke mit Op.-Zahl mit der Oper Capriccio op. 85 (1942),
obgleich ihr noch einige beachtenswerte Werke folg-
ten. Dagegen veroffentlichten z. B. Beethoven und
A. Webern ihr op. 1 mit 25 Jahren; von beiden liegen
zahlreiche Werke aus friiherer Zeit ohne Op.-Zahl vor
(Brahms' Werke vor op. 1, ebenfalls zahlreich, sind
zerstort). Spiegeln in den genannten Fallen die Op.-
Zahlen ziemlich genau die Folge, in der die Werke ent-
standen, so geben sie z. B. bei Schubert keinen Anhalts-
punkt hierfiir. Sein op. 1 ist Der Erlkonig (komponiert
1815, gedruckt 1821, D 328). Fur eine vollstandige
Ubersicht iiber das Schaffen eines Komponisten sind
in jedem Falle -> Thematische Kataloge erforderlich.
Oration (von lat. oratio, Gebet) heifk in der romi-
schen Liturgie jene Form des Gebets, durch die der
Priester als amtlicher Sprecher das Beten der Gemeinde
»zusammenfaBt« (daher auch Collecta genannt) und in
einem kurzen und pragnant formulierten Text vor-
tragt. Eingeleitet wird die O. mit Oremus, am Ende
stent das bestatigende Amen der Gemeinde. Die O. bil-
det jeweils den AbschluB eines liturgischen Aktes : in
der -»■ Messe den SchluB des Eroffnungsritus (O. im
engeren Sinn), des Wortgottesdienstes (Oratio fide-
lium), der Gabenbereitung (Oratio super oblata, bisher
auch Secreta genannt) und der Kommunion (Postcom-
munio, friiher ebenfalls als Oratio ad complendam be-
zeichnet), ebenso den AbschluB der Horen des -> Of-
fiziums und anderer liturgischer Anlasse. - Die unter
den Toni communes von Graduale und Antiphonale
auf gef iihrten Orationstbne bieten das Modell eines ein-
fachen Sprechgesangs (Accentus, -> Akzent - 2), dessen
musikalische Gliederung durch zwei Kadenzen (Flexa
und Metrum) analog den im Text vorgegebenen In-
terpunktionszeichen erfolgt. Mit Ausnahme der feier-
lichen Gebetsformen (-> Prafation, -*■ Pater noster)
bleiben die O.en in den liturgischen Biichern ohne
Noten.
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien II u. Ill, Lpz. 21912 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u.
Wiesbaden 1962.
Oratorium (lat.). Im Sprachgebrauch der romisch-
katholischen Kirche bedeutet O. (ital. oratorio; frz.
oratoire; engl. oratory) geweihter Raum, Kapelle,
Betzimmer oder Betsaal, auch ZusammenschluB von
Weltpriestern. Als musikalischer Gattungsbegriff kann
O. (ital., frz., engl. oratorio) nicht eindeutig und er-
schopfend definiert werden. Im allgemeinen versteht
man unter O. die zu auBerliturgischer und nichtszeni-
scher Auffiihrung bestimmte Vertonung eines meist
umfangreichen geistlichen Textes, der auf mehrere
Personen oder Personengruppen verteilt ist. Im einzel-
nen ist jedoch zu beriicksichtigen, daB es einerseits Ora-
torien gibt, die nicht alle genannten Merkmale aufwei-
sen (z. B. szenisches O., weltliches O.), und daB ande-
rerseits Werke zur Gattung gehoren, die nicht aus-
driicklich als O. bezeichnet sind. Gleichbedeutend mit
O. wurden Begriffe wie Historia, Melodramma sacro,
Componimento sacro u. a. verwendet. Der Terminus
O. erscheint zum erstenmal 1640/41 bei P. della Valle,
bleibt zunachst vereinzelt und wird Ende des 17. Jh.
gebrauchlich. - Die doppelte Verwendung des Wortes
O. (geweihter Raum und musikalische Gattung) spie-
gelt den Sachverhalt wider, daB in der Friihzeit der
Gattung die Oratorien ausschlieBlich in jenen Betsalen
aufgefiihrt wurden, in denen nach dem Vorbild des
romischen O.s von S.Girolamo della Carita - einer
Griindung des hi. Filippo -> Neri - Vereinigungen von
Priestern und Laien (Congregazioni, Bruderschaften)
geistliche Ubungen abhielten. Wie vorher seit dem 16.
Jh. die ->■ Lauden, so bildeten ab Mitte des 17. Jh. die
Oratorien den musikalischen Teil dieser Esercitii spiri-
tuali. Wie die Lauden entstanden die Oratorien aus
dem seelsorgerischen Bediirf nis derPhilippinischen Bru-
derschaften, die Kraft der Musik den Zielen der geist-
lichen Ubungen dienstbar zu machen. Die musikalische
Vorstellung tugendhafter Handlungen und abschrek-
kender Beispiele sollte dazu beitragen, die Glaubigen zu
bessern und sie f iir die Werke der BuBe und Nachsten-
liebe bereit zu machen. Insofern ist das O. eine charak-
teristische Schopfung der Gegenreformation. - Das O.
entstand in Italien in zwei Spielarten: mit italienischem
Text (oratorio volgare, im folgenden als ital. O. be-
zeichnet) und mit lateinischem Text (oratorio latino,
lat. O.). Beide Arten wurden zunachst gleichermaBen
von den Bruderschaften getragen, haben jedoch eine
unterschiedliche Vorgeschichte. Die Entstehung des
ital. O.s wird bestimmt durch -> Lauda und geistliches
-»■ Madrigal; mit beiden Gattungen hat das ital. O. den
poetisch geformten Text gemeinsam. Auch Cavalieris
Rappresentazione (1600 im O. S.Maria in Vallicella zu
Rom aufgefiihrt) spielt in die Vorgeschichte herein,
denn hier wurde zum erstenmal das neuitalienische
Rezitativ, das spater eines der Charakteristika des O.s
werden sollte, im Bereich der volkssprachlichen geist-
lichen Musik verwendet. Die Hauptwurzeln des lat.
O.s liegen im liturgischen -> Dialog des friihen 17. Jh. ;
in der sprachlichen Form und in der Gliederung des
Stories laBt sich auch ein spater EinfluB des liturgischen
Dramas des Mittelalters erkennen. Ital. und lat. O. be-
einfluBten sich wahrend des 17. Jh. gegenseitig, zeigen
aber jeweils fur sich eine eigene Entwicklung.
Die Geschichte des lat. O.s beginnt um 1640 mit dem
Schaffen Carissimis. Seine Oratorien waren in erster
Linie fur das romische O. San Marcello bestimmt und
wurden dort an den Sonntagen der Fastenzeit aufge-
fiihrt. Die Stoffe dieser Werke entstammen vorwie-
gend dem Alten Testament (z. B.Jephte; Balthazar), sel-
tener dem Neuen Testament (z. B. Dives malus; Judi-
cium extremum). Die Texte sind teils wortlich, teils in
freier Anlehnung der Vulgata entnommen, und sie
weisen oft neugedichtete Einschube (Poesie oder Pro-
sa) auf; meist ist ein Erzahler (Historicus) der Trager
der Handlung. Die musikalische Gestaltung bedient
sich der verschiedenen Stilarten der Monodie, die nicht
nur die solistischen Partien, sondern auch die durchweg
homorhythmisch gehaltenenChorsatze pragen. Carissi-
mis Oratorienkunst zielt stets auf die Verstandlichkeit
und Kraft des Wortes und dessen unmittelbare Wir-
669
Oratorium
kung auf den Horer. Seine Werke bilden einen ersten
HShepunkt in der Geschichte des O.s und wirkten hin
bis zu Handel. Unmittelbar beeinfluBte Carissimi die
romischen Komponisten lat. Oratorien wie Graziani,
Fr. und A.Foggia; insbesondere wurde er Vorbild fiir
M. A. Charpentier, der das lat. O. in Paris einfiihrte. In
Charpentiers Oratorien verbindet sich die Tonsprache
Carissimis mit Merkmalen der f ranzosischen Oper und
Motette. Charpentier war der letzte Meister des lat.
O.s, wie iiberhaupt auBer ihm und nach ihm bis zum
19. Jh. franzosische Komponisten keinen nennenswer-
ten Beitrag zur Geschichte dieser Gattung geleistet
haben.
Ungleich umf assender und verzweigter ist die Geschich-
te des ital. O.s. Es spiegelt von seinen Anfangen an bis
ins 18. Jh. die gleichzeitige Entwicklung der italieni-
schen Oper und nimmt an ihrer europaischen Geltung
teil. Die wichtigsten Zentren des Schaffens und der Pfle-
ge des O.s im 17. Jh. waren Rom, Bologna, Modena
und Florenz, auBerhalb Italiens vor allem Wien. In
Rom war schon 1619 mit G. Fr. Anerios Teatro armonico
spirituale, einer Sammlung von generalbaBbegleiteten
geistlichen Madrigalen, eine Vorstufe des ital. O.s ent-
standen. Die Hauptmeister der Gattung waren hier in
der 1. Halfte des 17. Jh. L.Rossi, Marazzoli und P. della
Valle, in der 2. Halfte ragt Pasquini hervor. Umfang-
reich ist in den Oratorien dieser Komponisten die Rolle
des Erzahlers (-»■ Testo) ; dem Chor kommt groBe Be-
deutung zu, der Sologesang wird ahnlich wie bei Ca-
rissimi durch den Wechsel von rezitati vischer und ario-
ser Melodik bestimmt. Die romischen Oratorien in der
Mitte des 17. Jh. sind zweiteilig und weisen damit ein
Merkmal auf, das die Gattung bis zum 18. Jh. hin kenn-
zeichnet. Von Rom aus empfing die Entwicklung des
O.s auch starke Impulse durch die Oratorientexte von
A. Spagna, der sich nachdrucklich fiir die Abschaffung
der Testopartie einsetzte, um so das O. der Oper anzu-
gleichen. In den Vorreden zu seinen Librettosammlun-
gen (Oratorii overo Melodrammi sacri con un discorso dog-
matico intorno I'istessa materia, 1706) erweist sich Spagna
als der friiheste Historiker des O.s. In Bologna und Mo-
dena - beide Stadte waren kiinstlerisch eng verbun-
den - bezeugen die reichen Bestande an erhaltenen
Quellen eine intensive Pflege des O.s im 17. Jh. Die
einfluBreichsten und fruchtbarsten Komponisten waren
Cazzati, G.P.Colonna und Perti, ferner neben vielen
anderen G. B. Bononcini, P. d'Albergati und Vitali. Die
Bedeutung von Florenz in der Geschichte des O.s laBt
sich nur unscharf erkennen : die erhaltenen Textbiicher
beweisen aber eine groBe Zahl von Oratorienauffiih-
rungen. Beliebt waren hier Oratorienpasticcios. Im
Vergleich zu anderen oberitalienischen Stadten wurde
in Venedig das O. auffallend wenig gepflegt. Bis zum
Ende des 17. Jh. schrieb von den fiihrenden Opernkom-
ponisten der Venezianischen Schule nur G.Legrenzi
Oratorien, diejedoch nicht in Venedig auf gefiihrt wur-
den. Gleichwohl war der in dieser Stadt geschaffene
Opernstil (->• Oper) von maBgeblichem Einflufi auf
das O. in der 2. Halfte des 17. Jh. Zur gleichen Zeit
und in gleichem MaBe wie in der Oper bildete sich
auch im O. die Trennung von Secco- und Accom-
pagnatorezitativ heraus, zeichnete sich die Gegeniiber-
stellung von Rezitativ und Arie ab, wurde die Beteili-
gung des Orchesters an der Begleitung der Gesangspar-
tien immer starker. Wegweisend war hierin von den
Meistern der Venezianischen Schule Stradella, der in
seinem O. S.Giovanni Battista (1676) zum erstenmal
die Concerto grosso-Besetzung verwendete. - In Wien
wurde das ital. O. in der 2. Halfte des 17. Jh. tatkraftig
gefordert durch Kaiser Leopold I., der selbst zahlreiche
Oratorien schrieb. Von den vielen in Wien tatigen ita-
670
lienischen Meistern darf A.Draghi als der fruchtbar-
ste und kiinstlerisch gewichtigste Oratorienkomponist
gel ten. In Wien wurden die Oratorien ausschlieBlich
am kaiserlichen Hof und nur in der Fastenzeit auf ge-
fiihrt. Fiir die Feier des »Santo Sepolcro« in der Kar-
woche entstand in Wien eine Sonderart des O.s, das so-
genannte Sepolcro-O., das sich mit der fiir den gleichen
Zweck bestimmten -> Azione sacra beriihrte.
Die Sujets der ital. Oratorien zeigen trotz aller Man-
nigfaltigkeit starke Ubereinstimmung. Bevorzugt wa-
ren zunachst Stoffe aus dem Alten Testament (z. B.
Samson, David, Judith, Esther, Jephtha) und allegori-
sche Themen; seit Mitte des Jahrhunderts griff en Text-
dichter und Komponisten auch immer mehr zu Stoffen
aus der Heiligenlegende. In der Regel wurden die Texte
in Versen abgefaBt. - Um die Wende des 17. zum 18.
Jh. vollzog sich wie in der Oper, so auch im O. der
Ubergang vom venezianischen zum neapolitanischen
Stil (->- Neapolitanische Schule). Dessen charakteristi-
sche Stilmittel (-> Oper) lassen sich in gleicher Weise
in beiden Gattungen beobachten. Der erste groBe Mei-
ster der neapolitanischen Oper, A. Scarlatti, war auch
der Schopfer des neapolitanischen O.s, das im 18. Jh.
zum beherrschenden Typus in den meisten europai-
schen Landern wurde.
Die wichtigsten Komponisten des ital. O.s im 18. Jh.
lassen sich in drei zeitlich aufeinanderfolgenden Grup-
pen zusammenfassen. Zu einer ersten Gruppe (ca. 1700-
50) gehoren hauptsachlich neapolitanische Meister: L.
Vinci, Leo, Pergolesi, Jommelli, Porpora; von ober-
italienischen Komponisten ist besonders Padre Martini
zu nennen. In diesem Zusammenhang steht auch Han-
del. Er begann sein Oratorienschaffen 1708 mit italie-
nischen Werken (z. B. La Resurrezione) und wurde spa-
ter in London der Schopfer des O.s in englischer Spra-
che. Das friiheste englische Werk Handels war Esther
(1732), das bedeutendste und zugleich ein HShepunkt
in der Geschichte des O.s Messiah (1742). Meisterhaft
verbindet Handel den hier ausschlieBlich verwendeten
Bibeltext mit den neapolitanischen Formen der Da-
Capo-Arie und des Accompagnatorezitativs. In den
Chorsatzen erhalten besonders die textlichen Akklama-
tionen (z. B. »Halleluja«) einen fiir Handel eigentiimli-
chen musikalischen Ausdruck, der die Grenzen des nea-
politanischen Stils sprengte. In Deutschland war in der
1 . Halfte des 18. Jh. J. A. Hasse ein iiberaus einfluBreicher
Komponist der neapolitanischen Richtung. Seine fiir
Dresden geschriebenen ital. Oratorien galten in ganz
Europa als Meisterwerke. In Wien stand die Gattung in
hohem Ansehen durch die Tatigkeit von Caldara, Fux
und Lotti, die zum Teil noch die venezianische Tradition
weiterfuhrten. Von Wien aus wurde die Entwicklung
des O.s auch entscheidend beeinfluBt durch die Dich-
tungen Zenos und Metastasios. Sie griffen in der Stoff-
wahl wieder mehr auf die Bibel als auf die Heiligen-
legenden zuriick und glichen in Gesamtaufbau und
sprachlicher Gestaltung den Oratorientext weitgehend
dem Opernlibretto an, so daB Zeitgenossen das O. zu-
weilen als eine geistliche Opera (WaltherL) erscheinen
konnte. Eine zweite Gruppe von Komponisten, die das
O. im neapolitanischen Stil pflegten, war in der Zeit
von ca. 1740-80 am Werk. Hier sind zu nennen : Piccin-
ni, Majo, Galuppi, Anfossi, Sacchini, Bertoni. In der
gleichen Zeit beteiligten sich nun auch deutsche Meister
in groBerer Zahl an der Pflege des O.s: GaBmann,
Holzbauer, J. G.Naumann sowie J.Haydn und W.A.
Mozart mit ihren ital. Oratorien. In das 19. Jh. schlieB-
lich reichte das Schaff en einer dritten Gruppe von Ora-
torienkomponisten: Cimarosa, Paisiello, Salieri, Dit-
tersdorf , Weigl, S. Mayr. In ihren Werken endete nach
200 Jahren die Geschichte des ital. O.s.
Oratorium
Die Beteiligung deutscher Komponisten an der Ent-
wicklung des O.s beschrankte sich nicht au£ Werke in
italienischer Sprache. Vielmehr entstand kurz nach
1700 im Bereich der protestantischen Kirchenmusik
als eigener Typus das O. in deutscher Sprache (deut-
sches O.). Sein Vorbild war das ital. O., seine Vorge-
schichte wird jedoch mitbestimmt von der (liturgi-
schen) deutschen -> Passion und der -> Historia des 17.
Jh. ; als unmittelbare Vorlaufer kommen ferner die
(auBerliturgischen) Dialoge in Betracht, wie sie etwa
in Hamburg Weckmann und Bernhard pflegten. Wah-
rend diesen Gattungen der Bibeltext in seinem genauen
Wortlaut zugrunde lag, war es fiir das deutschc O. zur
Zeit seiner Entstehung charakteristisch, daB hier der
Bibeltext in gebundener Rede neugefaBt wurde, wo-
bei freie Dichtungen und Chorale hinzugef iigt werden
konnten. Die maBgeblichen Textdichter des friihen
deutschen O.s waren Menantes, der sich ausdriicklich
auf das ital. O. beruft (im Vorwort zu Der blutige und
sterbende Jesus, 1704, komponiert von Keiser), und vor
allem Brockes. Dessen Oratorientext Der fiir die Siinden
dicser Welt gemarterte und sterbende Jesus (1712) wurde
haufig vertont, so von Keiser, Telemann und Handel.
Zur Terminologie ist zu bemerken, daB die Bezeich-
nung O. im weiteren Verlauf des 18. Jh. auch f iir solche
Werke gait, die auf dem wortlichen Bibeltext beruhen
und dazu Chorale und neugedichtete Einschiibe auf-
weisen (vgl.J. S.Bachseigens so genanntes Weihnachts-
O., BWV 248). In der Stoffwahl unterschied sich das
deutsche O. der ersten Jahrhunderthalfte nicht erheb-
lich vom ital. O. Die Pflege der Gattung konzentrierte
sich besonders auf Hamburg, wo sich Mattheson und
Telemann der Auffiihrung und Komposition deutscher
Oratorien widmeten. Telemann begriindete auch eine
lebendige Oratorientradition in Frankfurt am Main.
Von geringerer Bedeutung waren Liibeck, Magdeburg
und andere Orte. Im katholischen Raum nahm Salz-
burg eine gegeniiber dem protestantischen Norden ge-
sonderte Stellung ein. Die hier aufgefuhrten Oratorien
von J.E.Eberlin verraten die unmittelbare Beriihrung
mit dem Wiener ital. O.
Die Zeit der Empfindsamkeit und der Aufklarung fand
in der 2. Halfte des 18. Jh. auch im deutschen O. einen
bezeichnenden Niederschlag. Besonders die Kunst- und
Religionsauff assung Klopstocks und die weltweite Wir-
kung seines Messias hinterlieBen deudiche Spuren und
fiihrten in Deutschland zu einem neuen Typus des O.s.
Seine Stoffe waren nun nicht mehr in erster Linie die
biblischen Berichte ; jetzt stand allgemein das mensch-
liche Empfinden bei der Meditation iiber Bibel und
Religion im Vordergrund. Vorzugsweise behandelten
die Textdichter die Gestalt des Messias, die letzten Din-
ge, Zeit und Ewigkeit, Gott in der Natur. Im Zusam-
menhang damit entwickelte sich eine spezielle Vorliebe
fiir die Idylle. Den allmahlichen Ubergang von dem
mehr biblisch-historisch ausgerichteten zum »empfind-
samen« O. verkorperte das Schaffen Telemanns. Der
bcruhmteste Dichter der neuen Richtung war C.W.
Ramler. Sein Werk Der Todjesu (1756) entsprach in
der Vertonung von C.H.Graun so sehr dem kunstleri-
schen und religiosen Geschmack in Deutschland, daB
es bis in die 2. Halfte des 19. Jh. regelmaBig in der Kar-
woche in Berlin aufgefiihrt wurde. Ramlersche Texte
vertonte auch C.Ph.E.Bach (u. a. Die Auferstehung und
Himmelfahrt Jesu, 1787). - Im ausgehenden 18. Jh. be-
deuten die deutschen Oratorien J. Hay dns einen neuen
Hohepunkt in der Geschichte der Gattung. Die Schop-
fung (1798) beruht in den Seccorezitativen, anders als
die meisten Oratorien des 18. Jh., auf dem wortlichen
Bibeltext (Genesis), wahrend zumal in den Arien und
Accompagnatorezitativen die religiosen Empfindun-
gen der Zeit und die Vorliebe fiir Naturschilderungen
zum Ausdruck kommen. Haydn nahm Die Schopfung
zum Muster fiir Die Jahreszeiten (1801). Die musik-
geschichtliche GroBe beider Werke besteht vor allem
in der engen Verschmelzung lied- und opernmaBiger
Ausdrucksmittel mit den Elementen des klassischen
Instrumentalstils.
In der 1. Halfte des 19. Jh. war Deutschland im Orato-
rienschaffen fiihrend. Hier bestimmten hauptsachlich
zwei Stoffkreise die weitere Entwicklung des O.s: der
biblische Bereich mit den alt- und neutestamentlichen
Historien, in zunehmendem MaBe auch mit apokalyp-
tischen Themen, und der profan-historische Bereich
unter starker Betonung desHeroischen. Biblische Stoffe
benutzten u. a. Spohr (z. B. Dasjiingste Gericht, 1812),
Fr. Schneider (z. B. Das Weltgericht, 1819), vor allem
aber Mendelssohn Bartholdy (am bekanntesten wur-
den Paulus, 1836, und Elias, 1846). Mendelssohn orien-
tierte seinen Oratorienstil an dem Vorbild Handels,
besonders in den Chorsatzen, die manchmal geradezu
als Stilkopie erscheinen, und in den eindrucksvollen So-
logesangen, die das romantische Lied mit der Handel-
schen Accompagnatotechnik verbinden. Beispiele fiir
das O. mit historischem Sujet bieten die Werke von K.
Loewe (z. B. Gutenberg, 1835). Vereinzelt blieben welt-
liche Oratorien mit Marchenstoffen wie R. Schumanns
Das Paradies und die Peri (1843) und Der Rose Pilgerfahrt
(1851). - In der 2. Halfte des Jahrhunderts kommt auf
dem Gebiet des O.s vornehmlich Liszt ein besonderer
Rang zu. Seine Legende von der heiligen Elisabeth (1862)
steht noch in lebendiger Beziehung zu dem alteren Le-
genden-O. und zum O. Mendelssohns. Dagegen zeigt
sich in Christus (1872) eine eigene Konzeption des O.s.
Liszt benutzt hier ausschlieBlich lateinische Texte und
erprobte in den selbstandigen Orchestersatzen die Tech-
nik der Symphonischen Dichtung an religiosen The-
men. Erfolgreiche Oratorienkomponisten waren in
dieser Zeit auch Fr.Kiel (Christus, 1872), Bruch (Odys-
seus, 1872) und Raff (Weltende, Gericht, neue Welt, 1880).
- In Frankreich, wo seit dem ausgehenden 17. Jh.
keine nennenswerten Oratorien mehr entstanden wa-
ren, erlebte die Gattung erst Anfang des 19. Jh. einen
neuen Aufschwung. Den Beginn bildeten die Orato-
rien von le Sueur, die lateinischen Text haben und im
Rahmen der Liturgie aufgefiihrt wurden; so war z. B.
ein Oratorio pour le couronnement in die Messe zur Kro-
nung Napoleons I. (1804) eingebaut. Musikalisch stehen
die Oratorien le Sueurs der franzosischen Revolutions-
musik nahe, in der Gesamtkonzeption greifen sie auf
Merkmale der Mysterienspiele und liturgischen Dra-
men des Mittelalters zuriick. Beliebt wurden nun in
Frankreich Bezeichnungen wie mystere, drame sacre
fiir O. Als franzosische Oratorienkomponisten des 19.
Jh. sind vor allem zu nennen: Berlioz (L'enfance du
Christ, 1854), Saint-Saens (Oratorio de Noel, 1863), Mas-
senet (Eve, 1875), C. Franck (Les beatitudes, 1869-79) und
Gounod (La redemption, 1881). - In den anderen euro-
paischen Landern und in Amerika kam es wahrend des
19. Jh. kaum zu einer eigenstandigen Entwicklung des
O.s. Insgesamt sind in diesem Jahrhundert keine so evi-
denten Hohepunkte der Gattung zu verzeichnen wie in
den beiden vorangehenden Jahrhunderten.
Die Wege des O.s im 20. Jh. gehen, soweit heute schon
zu beurteilen, in verschiedene Richtungen. In der alte-
ren deutschen Tradition stehen einerseits die geistlichen
und weltlichen Oratorien von J.Haas (z. B. Die Heilige
Elisabeth, 1931; Das Jahr im Lied, 1952), andererseits
in Verbindung mit der Erneuerungsbewegung in der
protestantischen Kirchenmusik so profilierte Werke
wie das Weihnachts- und das Auferstehungs-O. von K.
Thomas (1930). Allgemein erweist sich seit den ersten
671
Oratorium
Dezennien des 20. Jh. die Komposition von Oratorien
als ein Problem, mit dem sich bislang fast jeder Kom-
ponist von Rang auseinandergesetzt hat, um individuel-
le Losungen zu erproben. Starke Impulse sind ausge-
gangen von Honegger, der noch mehr als franzosische
Komponisten des 19. Jh. mit Kunstmitteln des mittelal-
terlichen Mysterienspiels arbeitet (Le Roi David, 1921 ;
Jeanne a" Arc au bucher, 1938). Auch andere Schweizer
Komponisten verzeichnen ein reiches Oratorienschaf-
fen : C. Beck (O. nach A. Silesius 1936, Der Tod zu Ba-
sel, 1952), W.Burkhard (Das Geskhtjesajas, 1935) und
Fr. Martin (Le v in herbe, 1938-41 ; Le mystere de la Nati-
vity, 1959). Jeweils individuelle Losungen des Orato-
rienproblems finden sich ferner bei Strawinsky (Oedi-
pus Rex, 1927), Hindemith (Das Unaufhorliche, 1931),
Schonberg (»Ein Uberlebender aus Warschau«, 1947),
Orff (Comoedia de Christi Resurrectione, 1957), L.Nono
(II canto di sospeso, 1956) und Kf enek (Pfingst-O. Spiritus
intelligentiae, sanctus, 1956). Als spezielle Begabung auf
dem Gebiet des O.s erwies sich in letzter Zeit J.Driess-
ler (Dein Reich komme, 1950; Der Lebendige, 1954-56).
Lit. : Instituta Congregationis Oratorii S. Mariae in Valli-
cella de Urbe a B. Philippo Nerio fundatae, Rom 1612; A.
Maugars, Responce faite a un curieux sur le sentiment de
la musique d'ltalie, escrite a Rome le l er Octobre 1639,
Nachdruck in : E. Thoinan, Maugars, celebre joueur de
viole, Paris 1865; G. Marciano, Memorie hist, della Con-
gregazione dell'Oratorio I, Neapel 1693 ; A. Spagna, Vor-
reden (zu Oratorii overo Melodrammi sacri I u. II, Rom
1 706, u. zu I Fasti sacri, Rom 1 720), Neudruck in : A. Sche-
ring, Neue Beitr. zur Gesch. d. ital. O. im 17. Jh., SIMG
VIII, 1906/07; Indice ossia nota degli oratorij posti in mu-
sica da diversi auttori [1659-1743], Bologna, Museo civico
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RMI XXVII, 1920; K. G. Meyer(-Baer), Das Offizium u.
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Das O. . . . , Adler Hdb. ; H. Vogl, Zur Gesch. d. O. in
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ri sacri eseguiti aVenezia, Accad. e bibl. d'ltalia IV, 1930-
VII, 1933; H. J. Moser, Die mehrst. Vertonung d. Evan-
geliums I, = Veroff. d. Staatl. Akad. f. Kirchen- u. Schul-
musik Bin II, Lpz. (1931); E. Dagnino, Quanti sono gli
oratorii di B. Pasquini?, Note d'arch. IX, 1932; ders.,
Ancora degli oratorii di B. Pasquini, ebenda XI, 1934; G.
Pannain, L'oratorio dei Filippini e la scuola mus. di Na-
poli, = Istituzioni e monumenti dell'arte mus. ital. V,
Mailand 1934; R. C. Casimiri, Oratorio del Marini, Ber-
nabei, Melani, Di Pio, Pasquini e Stradella in Roma,
nelPAnno Santo 1675, Note d'arch. XIII, 1936 ; R. Lustig,
Saggio bibliogr. degli oratorii stampati a Firenze dal 1690
al 1725, ebenda XIV, 1937, dazu U. Rolandi, ebenda
XVI, 1939; G. Massenkeil, Die oratorische Kunst in d.
lat. Historien u. O. G. Carissimis, Diss. Mainz 1952,
maschr.; ders., Die Wiederholungsfiguren in d. O. G. Ca-
rissimis, AfMw XIII, 1956; A. Damerini, L'oratorio mus.
nel seicento dopo Carissimi, RMI LV, 1953; ders., Le due
»Maddalene« di G. Bononcini, in: CHM II, 1956; C. Gas-
barri, L'oratorio Filippino (1552-1952), Rom 1957; A.
Liess, Die Slg d. Oratorienlibretti (1679-1725) u. d. restli-
che Musikbestand d. Fondo San Marcello d. Bibl. Vatica-
na in Rom, AMI XXXI, 1959. GMa
Orchester (von griech. opx^orpa, der halbrunde
Tanzplatz des Chores vor der Szene des antiken Thea-
ters). Die Bezeichnung Orch. wurde im 17. und friihen
18. Jh. primar fur den Platz vor der Biihne (Moliere,
La Princesse d'Eiide, 1664; WaltherL), sekundar fur das
Instrumentistenensemble der Oper gebraucht (Rague-
net 1702). Mattheson (1713) verwendet den Ausdruck
Orch. auch f iir die Instrumentalgruppen der Kirchen-
und Kammermusik, und Quantz (1752) deutet, wenn
er einem zahlreichen Orch. eine kleine Kammermusik ge-
geniiberstellt, die Differenzierung der Instrumentalmu-
sik in Orch.- und Kammermusik an, die der moderne
Begriff des Orch.s voraussetzt. - Das Orch. ist ein Be-
setzungstypus; man spricht von einem Orch., wenn
mehrere Stimmen, vor allem die der Streicher, chorisch
besetzt sind oder wenn ein Ensemble eine groBe Anzahl
von Spielern umfaBt. Die Grenze zwischen Kammer-
und Orch.-Besetzung ist allerdings fliefiend; so ist
Milhauds Kammersymphonie V ein Dixtuor, doch
Schonbergs 1. Kammersinfonie fur 15 Soloinstr. op. 9
zahlt zur Orch.-Musik. Vom vollen, aus Streichern
und Blasern zusammengesetzten Orch. wurde die Be-
zeichnung auf das reine Streich- oder Blasorch. (-> Har-
moniemusik) iibertragen. Unter einem Kammerorch.
wird entweder ein Orch. mit solistischer statt chori-
scher Besetzung der Stimmen verstanden, oder, im
Unterschied zum groBen Symphonieorch., ein kleines
Orch., das sich den Besetzungsnormen des 18. Jh. an-
gleicht. - Instrumentistengruppen wurden im 17. Jh.
als Chorus instrumentalis (M. Praetorius 1619), Sym-
phonie ( J.-B . Lully) .Concerto oder Consort bezeichnet.
Bei starkerer Besetzung sprach man von einem Con-
certo grosso (H. Bottrigari 1594) oder einem Grand
choeur (Georg Muff at 1701); die musikalischen Werke
aber entziehen sich vor der Mitte des 18. Jh. einer
eindeutigen Klassifizierung in -*■ Kammermusik und
Orch.-Musik. Die Besetzung war weniger abhangig
von der Struktur der Musik als von den zufallig ver-
fugbaren Mitteln und von der GroBe des Raumes, in
dem ein Werk auf gef iihrt wurde. Noch J. Stamitz laBt
in op. 1 (1 755) die Wahl zwischen solistischer und chori-
scher Besetzung offen (ou a trois ou avec toutes [sic!] Vor-
chestre). Verliert demnach der Begriff des Orch.s bei
der Anwendung auf Instrumentistenensembles des 16./
17. Jh. seine festen Umrisse, so ist es noch fragwurdi-
ger, ihn auf Musikergruppen oder -genossenschaften
auBereuropaischer und archaischer Kulturen zu iiber-
tragen, auf eine Instrumentalpraxis, in der Varianten-
heterophonie in gemischter Besetzung als Norm er-
scheint, Unisonospiel in chorischer Besetzung hingegen
als seltene Ausnahme.
Einen festen Typus des »Renaissanceorch.s« gab es
nicht. Der Verbindung von Instrumenten der gleichen
Familie (engl. whole consort) stand im 16. und friihen
17. Jh. das Ensemble in gemischter Besetzung (broken
consort) gegeniiber. Die Instrumentisten traten bei
Hoffesten und in Intermedien zwar manchmal in gro-
Ber Anzahl auf, gruppierten sich aber zu kleinen, in der
Besetzung wechselnden Ensembles. (Der groBe Instru-
mentalapparat in Monteverdis Orfeo folgt einer Tra-
dition des 16. Jh.; die Verwendung der Posaunen zur
Charakteristik der Unterwelt ist in C. Malvezzis Inter-
medien von 1591 vorgebildet.) Zur Verdoppelung von
672
Orchester
Stimmen stellte man im allgemeinen Instrumente ver-
schiedener Typen zusammen (M. Praetorius 1619).
Chorische Besetzung war eine Ausnahme. 1594 erwahnt
H.Bottrigari ein Ensemble mit einer groBen Anzahl
von Violen (una gran quantity de viuole . . . d'uno medesi-
mo corpo) ; um 1610 ging aus den Pariser Musikergenos-
senschaften, den Menetriers de St-Julien, das Streich-
orch. des franzosischen Konigs (Vingt-quatre violons
du Roy) hervor. - Das »Barockorch.« war um den
reich und vielfarbig besetzten GeneralbaB (Cembalo
oder Orgel, StreichbaB, Theorbe, Chitarrone, Harfe)
gruppiert. »Zufallsbesetzungen« herrschten vor; das
Orch. mit chorisch besetzten Streichern bildete keine
Norm, sondern eine Moglichkeit neben anderen. Zwar
fiihrte A.Corelli (nach Georg Muffat 1682) seine Con-
certi grossi in sehr starker Besetzung auf , und Karl II.
von England ahmte mit der Griindung des Orch.s der
Four-and-twenty fiddlers das franzosische Vorbild der
Vingt-quatre violons du Roy nach. Doch ist anderer-
seits die Entstehungsgeschichte des modernen Orch.s
kaum zu trennen von der Entwicklung eines spezifi-
schen Orch.-Satzes : von der Bedingung, daB Kompo-
nisten in Durchbrochener Arbeit fiir Orch. schreiben,
statt einen abstrakt realstimmigen Satz mit Instrumen-
ten zu »besetzen«; einem abstrakten Satz entspricht eine
zufallige Besetzung. Noch J.-B.Lully aber schrieb fiir
die Vingt-quatre violons du Roy streng realstimmig;
die AuBenstimmen des Streichersatzes, der im Unter-
schied zur italienischen Praxis (A. Corelli) nicht vier-,
sondern funfstimmig ist (dessus, haute-contre, taille,
quinte, basse), verstarkte er durch Oboen und Fagotte,
die er andererseits als Blasertrio dem Tutti gegeniiber-
stellte. Ansatze zu Durchbrochener Arbeit zeigen sich
bei A.Vivaldi. - Im »klassischen Orch.« des spaten 18.
Jh. bildet ein chorisch besetztes Streicherensemble die
Grundlage, von der sich Blaserstimmen als charakteri-
stische Farben abheben. Die Besetzung der Blasergrup-
pe mit je 2 Floten, Oboen, Klarinetten und Hornern
ist entweder in Mannheim oder in Paris (Fr.-J. Gossec,
Symphonie chasse, 1776) entwickelt worden. Mozart
riihmte sie 1778 am Mannheimer Orch. und verwen-
dete sie im selben Jahr in der Pariser Symphonie, K.-V.
297. Die Erganzung durch 2 Trompeten und Pauken
war im Symphonieorch. zunachst eine Ausnahme ; zur
Norm wurde sie erst in Haydns Londoner Sympho-
nien und bei Beethoven. Die Besetzung der Orch. im
18. Jh. war nach heutigen Begriffen schwach. Ein gro-
Bes Orch. wie die Berliner Hofkapelle umfaBte 1787
ungefahr 60 Instrumentisten; Haydn verfiigte 1783
in Esterhaz iiber 23 Musiker. - Versucht man, die Ent-
wicklung des Orch.s in eine Formel zu fassen, so ist zu
sagen, daB im 18. Jh. primar die Holzblaserbesetzung,
im 19. die Blechblasergruppe und im 20. das Schlag-
zeug erweitert und differenziert worden ist. Beethoven
schreibt im Finale der 5. Symphonie 3 Posaunen, Kon-
traf agott und Piccoloflote vor, Berlioz erganzte den Po-
saunensatz durch Tuben, Wagner erhohte die Anzahl
der Trompeten auf drei (Lohengrin) oder vier (Der Ring
des Nibelungen). Andererseits darf nicht iibersehen wer-
den, daB die scheinbar feststehenden Teile des Orch.s
auf die veranderlichen bezogen, also gleichfalls einer
Entwicklung unterworf en waren ; die vielf ache Teilung
der Geigen oder Violoncelli ist mit der Erhohung der
Blaseranzahl vergleichbar. Neigungen zum Massen-
orch. als bloBer Summierung gab es im 18. wie im 19.
Jh. (Handel-Feste seit 1785). Die Erweiterung des
Orch.s bei R.Wagner, G.Mahler, R.Strauss (Elektra),
A. Schonberg (Gurre-Lieder) und O.Messiaen (Turan-
galila-Symphonie, 1948) aber ist nicht als bloBe Tendenz
zum Masseneffekt zu verstehen. Der VergroBerung
des Apparats entspricht eine Differenzierung der Tech-
nik, und daB sich in den letzten Jahrzehnten eine Nei-
gung zu kleineren, keiner Norm unterworfenen Be-
setzungen zeigt, bedeutet zwar auBerlich einen Um-
schlag ins entgegengesetzte Extrem, instrumentations-
technisch aber eine Konsequenz der vorangegangenen
Entwicklung.
Die Sitzordnung des Orch.s folgte im friihen 18. Jh.
dem Prinzip der Gruppentrennung ; spater zeichnete
sich immer deutlicher die Tendenz zur Klangver-
schmelzung ab. Solange die Orch.-Musik durch einen
GeneralbaB fundiert war, bildeten der Cembalist und
der neben ihm stehende Anf iihrer der Violinen (Kon-
zertmeister) das Zentrum, um das sich die ubrigen In-
strumente versammelten. Streicher und Blaser wurden
in getrennten Gruppen rechts und links vom Cembalo
angeordnet (Quantz 1752). Manche Opernorch. hiel-
ten noch im 19. Jh. an der Gruppentrennung fest, ge-
gen die R.Wagner in den Erinnerungen an Spontini
polemisiert. Doch fiihrte schon J. Fr. Reichardt in Ber-
lin 1775 das Prinzip ein, die 1. und 2. Violinen links
und rechts vom Dirigeriten zu plazieren und die Holz-
blaser im Hintergrund aufzureihen. Als Prazisierung
der Reichardtschen Anordnung erscheint die Norm,
die sich im 19. Jh., vor allem in Deutschland, durch-
setzte: links vom Dirigenten sind die 1., rechts die 2.
Violinen plaziert, hinter den 1. Violinen die Violon-
celli, hinter den 2. die Bratschen (diese Gruppen unge-
fahr in Kreissegmenten mit der Spitze auf den Dirigen-
ten weisend) im Hintergrund die Blaser, und zwar ent-
weder die Holzblaser links und die Blechblaser rechts
(Opernorch.) oder in zwei Reihen die Blechblaser hin-
ter den Holzblasern (Symphonieorch.). In der soge-
nannten amerikanischen Sitzordnung (L. Stokowski),
die nach 1945 auch von vielen deutschen Orch.n iiber-
nommen wurde, tauschen die 2. Violinen ihre Platze
mit den Violoncelli.
Lit.: F. S. Gassner, Dirigent u. Ripienist, Karlsruhe 1844;
H. Lavoix fils, Hist, de T'instrumentation ..., Paris 1878;
W. Kxeefeld, Das Orch. d. Hamburger Oper 1678-1738,
SIMG I, 1899/1900; H. Goldschmidt, Das Orch. d. ital.
Oper im 17. Jh., SIMG II, 1900/01 ; H. Leichtentritt,
Was lehren uns d. Bildwerke d. 14.-17. Jh. iiber d. Instru-
mentalmusik ihrer Zeit?, SIMG VII, 1905/06; R. Haas,
Zur Frage d. Orchesterbesetzung in d. 2. Halfte d. 18. Jh.,
Kgr.-Ber. Wien 1909; ders., Auffuhrungspraxis d. Musik,
Biicken Hdb.; H. Quittard, L'orch. des concerts de
chambre au XVIP s., ZIMG XI, 1909/10; Fr. Volbach,
Das moderne Orch., = Aus Natur u. Geisteswelt, Bd 308,
Lpz. 1910, 21921 als: Das moderne Orch. II, Das Zusam-
menspiel d. Instr. ..., ebenda 715; ders., Die Instr.
d. Orch., ebenda 384, 1913,21919 als: Das moderne Orch.
I, Die Instr. d. Orch., ebenda 714; H. Prunieres, La
musique de la chambre et de Pecurie sous le regne
de Francois I, L'Annee mus. I, 1911; W. Adam, Zur Be-
setzung d. Bach-Orch., Mk XII, 1912/13; G. Cucuel,
Etudes sur un orch. au XVIH e s., Paris 1913 ; G. Schune-
mann, Gesch. d. Dirigierens, = Kleine Hdb. d. Mg. nach
Gattungen X, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1965; A.
Jemnitz, Gegen d. versenkte Orch., Mk XIV, 1914/15; G.
Fr. Malipiero, Orch. eorchestrazione, RMI XXIII, 1916—
XXIV, 1917; P. Marsop, Das unsichtbare Orch. vor d.
Szene, Neue Musikzeitung XXXIX, 1918; A. Schering,
Auffuhrungspraxis alter Musik, = Musikpadagogische
Bibl. X, Lpz. 1931 ; Ch. St. Terry, Bach's Orch., London
1932, Nachdruck 1958 ; E. Preussner, Die biirgerliche Mu-
sikkultur, Hbg 1935, Kassel 21950; P. Bekker, The Story
of the Orch., NY 1936, Neuauflage als: The Orch., NY
1963; O. Schreiber, Orch. u. Orchesterpraxis in Deutsch-
land zwischen 1780 u. 1850, = Neue deutsche Forschun-
gen CLXXVII, Abt. Mw. VI, Bin 1938; A. Carse, The
Orch. in the XVIII" 1 Cent., Cambridge 1940, Nachdruck
1950; ders., The Orch. from Beethoven to Berlioz, ebenda
1948; J. A. Westrup, Monteverdi and the Orch., ML XXI,
1940; Fr. Howes, Full Orch., London 1942; P. Collaer,
L'orch. di CI. Monteverdi, Musica II, (Florenz) 1943; C.
43
673
Orchester (Belgien)
Sachs, The Rise of Music in the Ancient World, East and
West, NY (1943) ; M. Pincherle, L'orch. de chambre, Pa-
ris 1949; M. Kingdon-Ward, Orchestral Balance, MMR
LXXI, 1951; R. Hughes, The Haydn Orch., The Mus.
Times XCIII, 1952; Fr. Lesure, Die »Terpsichore« v. M.
Praetorius . . ., Mf V, 1952; ders., Les orch. populaires a
Paris vers la fin duXVPs., Rev. deMusicol. XXXVI, 1954;
H. Creuzburg, Die neue Sitzordnung d. Sinfonie-Orch.,
Das Musikleben VI, 1953; H. F. Redlich, Monteverdi e
l'orch., in: L'orch., Florenz 1954; C. Haensel, Das Orch.
im Urheberrecht, in: Musik u. Dichtung, Jg. 1955, Nr 6;
G. Barblan, Le orch. in Lombardia all'epoca di Mozart,
Kgr.-Ber. Wien 1956; D. Arnold, Brass Instr. in the
Ital. Church Music of the XVI th and Early XVII th Cent.,
Brass Quarterly 1, 1957/58; ders., »Con ogni sorte di stro-
menti«, ebenda II, 1958/59 ; W. Kolneder, Der Raum in d.
Musik d. 17. u. 18. Jh., Musica XIII, 1959; N. Broder,
The Beginnings of the Orch., JAMS XIII, 1960; H. Engel,
Musik u. Ges., Bin u. Wunsiedel (I960); J. Eppelsheim,
Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Miinchner Veroff.
zur Mg. VII, Tutzing 1961 ; A. Cohen, A Study of Instr.
Ensemble Practice in XVII th Cent. France, The Galpin Soc.
Journal XV, 1962; F. Ghisi, L'orch. in Monteverdi, Fs. K.
G. Fellerer, Regensburg 1962; H. Becker, Artikel Orch., in:
MGG X, 1962; ders., Gesch. d. Instrumentation, = Das
Musikwerk XXIV, Koln (1964); P. Fuhrmann, Untersu-
chungenzurKlangdifferenzierungimmodernenO., = K61-
ner Beitr. zur Musikforschung XL, Regensburg 1966; B.
Paumgartner, Das instr. Ensemble, Zurich 1966. CD
In der folgenden Aufstellung erscheint eine Auswahl euro-
paischer und nordarherikanischer Orch. mit Namen, Griin-
dungsjahr und Griinder; die ursprunglichen Namen und
die Daten der erfolgten Umwandlungen stehen in (); es
folgen die Namen von bekannten bzw. gegenwartigen mu-
sikalischen Leitern mit Wirkungsdaten. Orch. ohne den
Vermerk privat (priv.) sind staatlich bzw. stadtisch, was
teils auch aus dem Titel (Stadtisch bzw. Staatl.) hervor-
geht. Rundfunkorch. sind, wenn nicht anders vermerkt,
(Gemeinniitzige) Anstalten des offentlichen Rechts. Wer-
den fiir eine Stadt zwei oder mehr Orch. angefuhrt, so rich-
tet sich ihre Reihenfolge nach dem Grundungsdatum.
Fremdsprachliche Formen des Wortes Orch. sind im fol-
genden mit Orch., Ork. oder Orqu. abgekiirzt.
Belgien.
Antwerpen, De Philharmonia van A., 1955. St. Candael
(1955-59), E. Flipse (1959-).
Brussel, Orch. National de Belgique (priv.), 1936 v. D.
Defauw. Ohne standigen Dirigenten (1936-58), A. Cluy-
tens (1960-67).
Bulgarien.
Sofia, Sofioter Staatl. Philharmonie, 1928 v. S. Popov
(Akademisches Sinfonisches Orch. -1935, Konigliches Sin-
fonisches Militarorch. -1944, Staatl. Sinfonieorch. an d.
Rundfunkdirektion -1947). Ders. (1928-56), K. Iliew
(1956-).
Danemark.
Kopenhagen, Det Kongelige Kapel (Orch. d. danischen
Nationaltheaters seit 1770), 1448 unter Konig Christian I.
CI. Schall (1817-35), Fr. J. Glaser (1842-61), H. S. Paulli
(1863-83), J. Svendsen (1883-1908), C. Nielsen (1908-14),
J. Hye-Knudsen (1925-30), J. Frandsen (1956-). Lit.:
-» Kopenhagen. - Tivoli-Ork., 1843. H. C. Lumbye (1 843-
72), Th. Jensen (1936-48), Sv. Chr. Felumb (1948-). - Dan-
marks Radio-Symfoniork., 1926 v. E. Holm (Radio-ork.
-1931, Radio-Symfoniork. -1948, Statsradiofoniens Sym-
foniork. -1960). Ders. (1925-38), L. Grondahl (1926-55),
E. Reesen (1927-35), Fr. Mahler (1930-35), E. Tuxen
(1936-57), Fr. Busch (Gastdirigent 1932-51), P. Gram
(1938-51), Ph. Jensen (1952-).
Deutschland.
Aachen, Stadtisches Orch. A., 1852. Fr. Wullner (1858-
65), Fr. Busch (1912-19), P. Raabe (1920-33), H. v. Kara-
jan (1934-41), P. van Kempen (1942^14), F. Raabe (1946-
53), W. Sawallisch (1953-58), H. W. Kampfel (1958-62),
W. Trommer (1962-). - Augsburg, Stadtisches Orch. A.,
1863. W. Sawallisch (1947-53), H. Wallberg (1953-54), H.
W. Kampfel (1954-57), I. Kertesz (1958-63), H. Zanotelli
(1963-).
Baden-Baden, Symphonie- u. Kurorch. B.-B., 1872. C. A.
Vogt(1953-).-SWF-Orch., 1946. G. E. Lessing (1946-48),
H. Rosbaud (1948-62), E. Bour (1964-). - Bamberg, B.er
Symphoniker (priv.), 1946 (ehemalige Prager Deutsche
Philharmonie, 1939-45). J. Keilberth (1940-45, 1949-), H.
Albert (1947-48), G. L. Jochum (1948^19). Lit.: -* Bam-
berg. - Bayreuth, Das Festspielorch. d. B.er Festspiele
(priv.), 1876 v. R. Wagner. H. Richter, F. Mottl, H. Levi, S.
Wagner, K. Muck, Fr. v. Hoesslin, K. Elmendorff, A- Tosca-
nini, W. Furtwangler, R. Strauss, H. Tietjen, V. de Sabata, J.
Keilberth, H. Knappertsbusch, E. Jochum, Cl.Krauss, A.
Cluytens, W. Sawallisch, R. Kempe, K. Bohm, P. Boulez
u. a. Lit. : -> Bayreuth. - Berlin, Staatskapelle Bin (Unter
d. Linden), 1735 (Hofkapelle d. Kronprinzen Friedrich zu
Rheinsberg -1741, Kgl. PreuBische Hofkapelle -1918),
PreuBische Staatskapelle -1945; v. 1924-31 spielte d.
Staatskapelle auch in d. Krolloper). F. v. Weingartner
(1891-1907),K.Muck(1892-1912),R.Strauss(1898-1918),
L. Blech (1906-23, 1926-37), E. Paur (1912-13), M. v.
Schillings (1919-25), W. Furtwangler (1920-22, 1933-34),
H. Abendroth (1922-23), E. Kleiber (1923-34), O. Klem-
perer (1 927-33, Krolloper), R. Heger (1933-45), CI. Krauss
(1935-36), K. Elmendorff (1938-52), H. v. Karajan (1941-
45), P. v. Kempen (1940-42), J. Keilberth (194.8-51), Fr.
Konwitschny (1955-62), O. Suitner (1964-). - Berliner
Philharmonisches Orch., 1882. L. v. Brenner (1882), H. v.
Bulow (1887-93), A. Nikisch (1895-1922), W. Furtwang-
ler (1922-54, mit 2 Unterbrechungen 1934/35 u. 1945-47),
L. Borchard (1945), S. Celibidache (1945^17), H. v. Kara-
jan (1955-). Lit. : 75 Jahre Berliner Philharmonisches Orch.
1882-1957, Bin (1957). - Orch. d. Deutschen Oper Bin
(Charlottenburg), 1912 (wechselnd als Orch. d. Stadtischen
Oper Bin, d. Deutschen Opernhauses Bin [Reichsoper]
-1945, Orch. d. Stadtischen Oper Bin -1961). W. Furt-
wangler u. a. (1920-22, 1933-34), Br. Walter (1925-30), E.
Jochum (1932-34), A. Rother (1938-58), R. Heger (1945-
49), F. Fricsay (1949-52, 1961-63), L. Maazel (1965-). Lit. :
-► Berlin. - Berliner Rundfunk Sinfonie-Orch., 1925 (Gro-
Bes Funkorch. Bin -1946). S. Celibidache (1945-46), A.
Rother (1947-50), H. Abendroth (1954-56), R. Kleinert
(1959-). - Berliner Kammerorch. (priv.) 1939 v. H. v. Ben-
da (vorher Kammerorch. H. v. Benda 1932-36, Neugriin-
dung 1953). H. v. Benda (1939-). - Radio-Symphonie-
Orch. Bin (GmbH), 1946 (RIAS-Symphonie-Orch. -1953).
F. Fricsay (1949-52, 1960-63), L. Maazel (1965-). - Orch.
d. Komischen Oper Bin, 1947. O. Klemperer, A. Gruber
(1951-55), M. v. Zallinger (1953-56), V. Neumann (1956-
59), K. Masur (1960-64), G. Bahner (1964-67), Zd. Kosler
(1967-). - Stadtisches Berliner Sinfonie-Orch., 1952. H.
Hildebrandt (1952-59), P. Dorrie (1957-60), K. Sanderling
(I960-). - Bielefeld, Stadtisches Orch. B., 1901 (vorher
Stadtkapelle 1860-1901). B. Conz (1951-). - Bochum,
Orch. d. Stadt B., 1919. Fr. P. Decker (1956-64), Y. Baar-
spul (1965-). - Bonn, Orch. d. Beethovenhalle B., 1783
(Hofkapelle -1791; Stadtisches Orch. 1906-63). V. Wan-
genheim (1957-). Lit. : — > Bonn. - Braunschweig, Staats-
kapelle Br., 1571 v. Herzog v. Br.-Wolfenbuttel (Herzog-
liche Hofkapelle -1918, Br.ische Landestheaterkapelle
-1938). H. Schutz (1655-67), H. Esser (1962-). Lit.:
—* Braunschweig. - Bremen, Philharmonisches Staatsorch.
Br., 1792 (Opern- u. Theaterorch. -1820, Bremer Concert-
Orch. -1892, Stadtisches Orch. -1933). P. van Kempen
(1953-55), H. Wallberg (1955-61), H. W. Kampfel (1961-
64), H. Wallat (1966-). Lit. : -> Bremen.
Chemnitz, Stadtisches Orch. Karl-Marx-Stadt, 1832. R.
Kempe (1946-48), G. Bahner (1962-64), G. R. Bauer
(1964-). - Coburg, Orch. d. Landestheaters C, 1827 v.
Herzog Ernst I. v. Sachsen-C.-Gotha (herzogliche Hof-
theater-Kapelle -1918). O. Wirthensohn (1962-64), H.
Wessel-Therhorn (1965-67), H. Pape (1967-).
Darmstadt, Hessisches Landestheater-Orch., Ende 16.
Jh. unter Landgraf Ludwig V. v. Hessen (Hofkapellmusik
zu D., GroBherzogliche Hofkapelle -1919). E. Kleiber
(1912-19), F. v. Weingartner (1914-18), G. Szell (1921-22),
K. Bohm (1927-31), K. M. Zwissler (1929-31, 1937-38),
H.Schmidt-Isserstedt(1931-33),H.Zanotelli(1957-63),H.
Drewanz (1963-). Lit.: — > Darmstadt. - Dessau, Orch. d.
Landestheaters D., 1766 (Herzogliche Hofkapelle -1919,
Orch. d. Friedrich-Theaters D. -1949, Orch. d. Anhalti-
schen Landestheaters -1950). H. Knappertsbusch (1919—
22), Fr. v. Hoesslin (1923-27), A. Rother (1927-34), H.
674
Orchester (Deutschland)
Rottger (1954—). Lit.: — » Dessau. - Detmold, Landes-
theater-Orch. (e. V.), (Stadtisches Orch. D. -1949). P. Sixt
(1951-64), N. Aeschbacher (1965-). - Dortmund, Stadti-
sches Orch. D., 1887 v. G.Hiittner(Orch.-Ver.Hiittner'sche
Kapelle -1920). Ders. (1887-1919), W. Sieben (1920-51),
R. Agop (1952-62), W. Schiichter (1962-). - Dresden,
Staatskapelle Dr., 1548 v. Kurfiirst Moritz v. Sachsen
(Kantorei; Hofkapelle -1918). C. M. v. Weber (1816-26),
H. Marschner (1824-26), K. G. ReiBiger (1826-59), R.
Wagner (1843^9), Fr. Wiillner (1877-82), E. v. Schuch
(1879-1914), Fr. Reiner (1914-22), Fr. Busch (1922-33),
K. Bohm (1934-43), K. Elmendorff(1943^t5), J. Keilberth
(1945-49), R. Kempe (1949-52), Fr. Konwitschny (1953-
55), L. v. Matacic (1957-58), O. Suitner (1960-64), K, San-
derling (1964—). Lit.: — > Dresden. - Dresdner Philharmo-
nic, 1870 (Gewerbehausorch. -1915, Dresdner Philharmo-
nisches Orch. -1923). H. Mannfeldt (1871-85), E. Lindner
(1915-23), I. Dobrowen (1923), E. Moricke (1924-29), P.
Scheinpflug (1929-32), P. van Kempen (1934-44), G. Wie-
senhiitter (1945-46), H. Bongartz (1947-64), H. Forster
(1964-). Lit.: — » Dresden. - Dusseldorf, D.er Symphoni-
ker, 1864 (Stadtisches Orch. -1960). J. Buths (1890-1908),
K. Panzer (1909-23), H. Weisbach (1926-32), H. Balzer
(1933-45), H. Hollreiser (1945-52), E. Szenkar (1952-60),
J. Martinon (1960-64), R. Fruhbeck de Burgos (1966-). -
Duisburo, Stadtisches Symphonie-Orch. D., 1889. G. L.
Jochum (1946-), G. Wich (1965-).
Eisenach, Landeskapelle E., 19 1 9 (Stadtisches Orch. -1 946,
danach ZusammenschluB mit d. nach E. iibergewechselten
Breslauer Philharmonikern). W. Armbrust (1922-41), P.
Schmitz (1946-49), H. Forster (1950-55), H. Gahlenbeck
(1955-). - Erfurt, Stadtisches Orch. E. U. Nissen (1957-).
- Essen, Stadtisches Orch. E., 1899. G. H. Witte (1899-
1911), H. Abendroth (1911-16), M. Fiedler (1916-33), J.
Schuler (1933-36), A. Bittner (1936-43), G. K6nig(1943-).
Flensburg, Zweckverband Nordmark-Sinfonie-Orch.,
1950. H. Steiner (1950-). - Frankfurt am Main, Stadti-
sches Opernhaus- u. Museumsorch., Ende 18. Jh. (vorher
Stadtische Kapelle). L. Rottenberg (1 893-1 926), CI. Krauss
(1924-29), W.Steinberg(1929-33),B.Wetzelsberger(1933-
38), K. M. Zwissler (1933-36), Fr. Konwitschny (1938^15),
Br. Vondenhoff (1945-55), G. Solti (1952-61), L. v. Ma-
tacic (1961-66), Th. Bloomfield (1966-). Lit. : -* Frankfurt
am Main. - Sinfonie-Orch. d. Hessischen Rundfunks, 1927
(GroBes Orch. d. Siidwestdeutschen Rundfunks -1945,
Sinfonie-Orch. v. Radio Fr. -1948). R. Merten (1927-29),
H. Rosbaud (1928-38), C. Schuricht (1943^5), K. Schro-
der u. W. Zillig (1947-55), O. Matzerath (1955-61), D.
Dixon (1961—). - Freiburg i. Br., Philharmonisches Orch.
d. Stadt Fr./Br., 1887. Fr. Konwitschny (1933-38), Br.
Vondenhoff (1938^14), H. Dressel (1951-57), H. Gierster
(1957-65), L. Hager (1965-).
Gelsenkirchen, Stadtisches Orch. G., 1943. R. Heime
(1945-). - Giessen, Orch. d. Stadttheaters (GmbH), 1933
(Stadtisches Orch. G. -1954). W. Czernik (1948-54), W. D.
v. Winterfeld (1957-63), G. Heidger (1966-). - Gorlitz-
Zittau, Orch. d. Gerhart-Hauptmann-Theaters G.-Z.,
1 781 (G.er Stadtkapelle bzw. -orch. -1920). A. Schonfelder
(1955-). -Gottingen, Gottinger Symphonie-Orch. (e. V.),
1 889 (Stadtisches Orch. G. -1951). O. M. F. Maga (1963-).
- Gotha, Staatl. Sinfonieorch. Thiiringen, 1951 (Landes-
kapelle G. -1951, Landessinfonieorch. Thiiringen -1956).
Fr.Miiller(1951-).
Hagen, Stadtisches Orch. H„ 1907. B. Lehmann (1949-). -
Halle/Saale, Staatl. Sinfonieorch. H., 1946 (Hallisches
Sinfonieorch. -1949, Landes-Volksorch. Sachsen- Anhalt
-1950, Landes-Sinfonieorch.-1955). H. Forster (1956-64),
H.-T. Margraf (1964-). - Hamburg, Philharmonisches
Staatsorch. (auch Orch. d. Hamburgischen Staatsoper),
1828 (Philharmonische Ges. -1934). Fr. W. Grund, Mitbe-
grunder (1829-63), J. Stockhausen (1863-67), R. Barth u.
M. Fiedler (1894— 19ip), S. v. Hausegger u. G. v. Keussler
(1910-22), K. Muck u. E. Pabst (1922-34), E. Jochum
(1934-49), J. Keilberth (1949-59), L. Ludwig (1950-, GMD
d. Hamburger Staatsoper), W. Sawallisch (1959-). Lit.:
— ► Hamburg. - NDR Sinfonieorch., 1945 v. H. Schmidt-
Isserstedt. Ders. (1945-). - Hamburger Rundfunk-Orch.,
1946. R. Miiller-Lampertz (1951—). - Hannover, Opern-
hausorch. d. Landestheaters H., Orch. d. Landestheaters
GmbH, 1 636 v. Herzog Georg v. Calenberg (H.sche Hof-
kapelle -1921, Opernhausorch. d. Stadtischen Biihnen
-1950). H. Marschner (1831-61), H. v. Biilow (1877-79),
Fr. Konwitschny (1945^*9), J. Schuler (1949-60), G. Wich
(1961-65), G. A. Albrecht (1 966-). Lit.: -► Hannover. -
Niedersachsisch.es Symphonie-Orch. GmbH, 1938 (e. V. v.
1948-61). H. Thierfelder (1938^14, 1949-66). - Rundfunk-
orch. H., 1950 (Niedersachsisches Sinfonieorch. H. -1950,
Orch. d. Senders H. -1957). W. Steiner (1950-). - Heidel-
berg, Stadtisches Orch. H., 1889 v. Ph. Wolfrum (vorher
H.er Stadtorch. 1865-89). K. Brass (1961-). - Herford,
Nordwestdeutsche Philharmonie (e. V.), 1950. R. Agop
(1950-52), E. Pabst (1952-53), W. Schiichter (1953-54),
A. Grimes (1955-56), K. Brass (1956-61), H. Scherchen
(1959-60), H. Hildebrand (1961-63), R. Kraus (1963-).
- Hilchenbach, Siegerland-Orch. e. V., Deutsches Nach-
wuchs-Sinfonieorch., 1957. R. Agop (1962-). - Hof/Saa-
le, Hofer Symphoniker e. V., 1946. W. Richter-Reichhelm
(1955-).
Jena, Sinfonieorch. J., 1934 (Stadtisches Sinfonieorch. J.
-1951). H. H. Schmitz (1959-).
Kaiserslautern, Orch. d. Pfalztheaters, 1887 (Stadtorch.
-1922). R. Moralt (1923-28, 1932-34), C. Gorvin (1959-).
- Karlsruhe, Badische Staatskapelle, 17. Jh. v. Markgraf
v. Baden-Durlach (Hofkapelle -1919, Badisches Landes-
theater-Orch. -1933). Jos. Straufi (1824-63), H. Levi (1864-
72), O. Dessoff (1875-80), F. Mottl (1880-1904), L. Reich-
wein (1909-13), J. Krips (1926-33), J. Keilberth (1931-40),
O. Matzerath (1940-55), A. Krannhals (1955-61), A. Grii-
ber (1962-). Lit.: -> Karlsruhe. - KASSEL.Orch. d. Staats-
theaters K., 1502 v. Landgraf Wilhelm II. v. Hessen (Hof-
kapelle, mehrfach umgewandelt -1919, Staatskapelle
-1956). R. Heger (1935-45), K. Elmendorff (1948-51), P.
Schmitz (1951-62), Chr. v. Dohnanyi (1963-66), G. Al-
brecht (1966-). Lit.: — > Kassel. - Kiel, Stadtisches Orch.
K., 1907 (Orch. d. Ver. d. Musikfreunde-1920). E. Jochum
(1926-29), P. Ronnefeld (1963-65), G. Mandl (1966-). -
Koblenz, Rheinische Philharmonie e. V., 1945. O. Wink-
ler (1946-58), H. Charlier (1959-64), S. Albertini (1965-). -
Koln, Gurzenich-Orch. d. Stadt K. (auch Orch. d. K.er
Opernhauses), 1888. G. Wand (1939-44, 1946-), W. Sawal-
lisch (1960-63, GMD d. Oper), I. Kertesz(1965- GMD d.
Oper). Lit.: — ► Koln. - K.er Rundfunk-Sinfonie-Orch.,
1946 (K.er Rundfunk-Orch. -1949). Gastdirigenten (1946-
64), Chr. v. Dohnanyi (1964-67), C. Cremer (1967-). -
Cappella Coloniensis, 1954. M. Couraud, E. Kruttge, F.
Leitner, P. Sacher, A. Wenzinger. - Krefeld u. Monchen-
gladbach, Orch. d. Stadte Kr. u. M., 1950 (Stadtisches
Kr.er Orch. 1854-1950, Stadtisches Orch. M. 1905-50). R.
Hubertus (1950-).
Leipzig, Gewandhausorch., 1763 v. J. A. Hiller (»GroBes
Konzert«ab 1763 ; im Gewandhaus seit 1781). Ders. (1763-
85), F. Mendelssohn Bartholdy (1835^7), N. W. Gade
(1844-48), J. Rietz (1848-60), C. Reinecke (1860-95), A.
Nikisch (1895-1922), W. Furtwangler (1922-28), Br. Wal-
ter (1929-33), H. Abendroth (1934-35), H. Albert (1946-
48), Fr. Konwitschny (1949-62), H. Bongartz (1964-), V.
Neumann (1964-). Lit.: -> Leipzig. - Rundfunk-Sinfonie-
Orch. Lpz., 1923 (Leipziger Sinfonie-Orch. -1924, als Orch.
d. Mitteldeutschen Rundfunks, GmbH, -1941, Reichs-
rundfunkorch. -1945, Leipziger Sinfonieorch. -1946). Fr.
v. Hoesslin, H. Scherchen u. a. (1923-31), C. Schuricht
(1932-34), H. Weisbach (1934-39), G. Wiesenhiitter (1946-
48), H. Abendroth u. G. Pfluger (1949-56), H. Kegel
(1958-). - Ludwigshafen, Philharmonisches Orch. d.
Pfalz, 1919 v. pfalzischen Stadten (Pfalzorch. L. -1967).
Chr. Stepp (1966-). - Lubeck, Stadtisches Orch. L„ 1897
(Stadtkapelle vor 1897, Orch. d. Ver. d. Musikfreunde
-1922). H. Abendroth (1905-11), W. Furtwangler (1911-
15), Fr. v. Hoesslin (1919-20), E. Jochum (1928-30), G.
Albrecht (1963-66), B. Klee (1966-). Lit. : -* Lubeck.
Magdeburg, Stadtisches Orch. M., 1897 (vorher Stadtka-
pelle um 1752-1897). G. Schwiers (1952-). - Mainz, Stadti-
sches Orch. M., 1876 (vorher Kurfurstlich Maynzische
Hof- u. Kammermusik 1 7. Jh. - 1 803, M.er Theaterkapelle
1832-76). E. Steinbach (1877-1910), A. Gorter (1910-25),
P. Breisach (1925-30), H. Schwieger (1932-33), K. Fischer
(1933-36), K. M. Zwissler (1936-67), H. Wessel-Therhorn
(1967-). - M.er Kammerorch. (priv.), 1955 v. G. Kehr.
Ders. (1955-). - Mannheim, Nationaltheater-Orch. M.,
1720 (Kurpfalzische Hofkapelle -1778, Hof- u. National-
theater-Orch. -1919). J. Stamitz (1745-53), I. Holzbauer
(1753-78), I. Franzl (1778-1804), Fr. Lachner (1834-36),
43*
675
Orchester (Deutschland)
V. Lachner (1836-72), E. Paur (1880-89), F. v. Weingart-
ner (1889-91), E. N. v. Reznicek (1896-99), W. Furtwang-
ler (1915-20), Fr. v. Hoesslin (1920-22), E. Kleiber (1922-
23), Ph. Wiist (1933-36), K. Elmendorff (1936-42), Fr. Rie-
ger (1947-49), E. Szenkar (1950-52), H. Albert (1952-63),
H. Stein (1963-). Lit.: -» Mannheim. - Marl i. W., Phil-
harmonia Hungarica (e. V.), 1957 in Wien v. Z. Rosznyai.
M. Caridis (1957-67). - Meiningen, Orch. d. Meininger
Theaters, 1702 v. Herzog Bernhard I. (Herzogliche Hof-
kapelle M. -1918, Landeskapelle -1945). H. v. Biilow
(1880-85), R.Strauss(1885-86),Fr.Steinbach(1886-1903),
M. Reger (1911-14), H. Bongartz (1926-30), O. Koch
(1961—). Lit.: — > Meiningen. - Munchen, Bayerisches
Staatsorch. (auch Orch. d. Bayerischen Staatsoper), 1778
als Fortfuhrung d. nach M. verlegten Mannheimer Hof-
kapelle v. Kurf iirst Karl Theodof (M .er Hof kapelle - 1 806,
Konigliches Hoforch. M. -1918). Chr. Cannabich (1778-
98), P. Winter (1798-1825), F. Franzl (1806-24), Fr. Lach-
ner (1836-65), H. v. Biilow (1867-68), H. Richter (1869-
70), H. Levi (1872-96), F. Mottl (1907-11), Br. Walter
(1913-22), H.Knappertsbusch(1922-35), CI. Krauss(1936-
44), G. Solti (1945-51), R. Kempe (1952-54), F. Fricsay
(1956-59), J. Keilberth (1959-). Lit.: -► Munchen. -
Bayerische Staatstheater, Orch. d. Theaters am Gartner-
platz, 1865. K. Eichhorn (1946-67), W. Rennert (1968-). -
Miinchner Orch.-Ver. »Wilde Gung'l« (priv. Liebhaber-
orch.), 1864 v. E. v. Rutz. Ders. (1864-72), Fr. Strauss
(1875-96), H. Abendroth (1903-05), H. Knappe (1924-56),
C. Eberhardt (1965-). - Miinchner Philharmoniker, Orch.
d. Stadt M., 1893 v. Fr. Kaim (Philharmonisches Orch.
-1894, Kaim-Orch. -1908, Konzertver.-Orch. -1924). H.
Winderstein (1893-95), H. Zumpe (1895-97), F. Lowe
(1897-98, 1908-14), F. v. Weingartner (1898-1905), G.
Schneevoigt (1905-08), H. Pfitzner (1919-20), S. v. Haus-
egger (1920-38), O. Kabasta (1938-45), H. Rosbaud(1945-
48), Fr. Rieger (1949-66), R. Kempe (1967-). - Rund-
funk-Orch. d. Bayerischen Rundfunks M., 1924. W.
Schmidt-Boelcke (1950-67), K. Eichhorn (1967-). - Sym-
phonie-Orch. Graunke (priv.), 1945 v. K. Graunke. Ders.
(1945-). - Symphonie-Orch. d. Bayerischen Rundfunks,
1949 (GroBes Rundfunkorch. -1952). E. Jochum (1949-
60), R. Kubelik (1961—). — Miinchner Kammerorch.{e. V.),
1950. Chr. Stepp (1950-56), H. Stadlmair (1956-). - Mun-
ster I. W., Orch. d. Provinzialhauptstadt, 1919 v. Fr. Vol-
bach. Ders. (1919-24), G. L. Jochum (1930-33), E. Pabst
(1933-37), H. Rosbaud (1937-41), R. Peters (1961-).
Nurnberg, Stadtisches Orch. N., 1922 (Verschmelzung d.
Philharmonischen u. d. Stadttheater-Orch.). B. Wetzels-
berger (1925-32), A. Dressel (1932-45, 1947-55), E. Riede
(1956-66), H. Gierster (1966—). - N.er Symphoniker, Fran-
kisches Landesorch. e. V., 1946 Neugrundung (vorher
Nordbayerisches Landesorch.). E. Kloss (1949-67).
Oberhausen, Stadtisches Orch. O., 1947 Neugrundung
(vorher Rheinisch-Westfalisches Symphonie-Orch. 1926-
39, Stadtisches Orch.-1945). K. Kohler (1951-65), K. Rich-
ter (1966-). - Oldenburg, O.isches Staatsorch., 1832
(GroBherzogliche Hofkapelle -1918, O.er Symphonie-
Orch. -1919, O.er Landesorch. -1938). K. Randolf (1955-
67), Fr. Janota (1967-). Lit. : — » Oldenburg. - Osnabruck,
O.er Symphonieorch., 1919. Br. Hegmann (1947-65), H.
Finger (1966-).
Pforzheim, Stadtisches Orch. Pf., 1930 (Sinfonieorch. Pf.
-1940). H. Finger (1957-66), O. Siebert (1967-). - Siid-
westdeutsches Kammerorch. Pf. (e. V.), 1950 v. Fr. Tile-
gant. Ders. (1950-).
Recklinghausen, Westfalisches Sinfonieorch. (e. V.),
1955 (vorher Stadtisches Orch. R. u. Kreisorch. Unna). H.
Herwig (1955-58), H. Reichert (1958-). - Regensburg,
Stadttheater-Orch. R., 1859 (vorher Hofmusikkapelle
-1806). R. Kloiber (1935^15), A. Paulmiiller (1945-58),
O. Winkler (1958-65), Th. Ungar (1967-). Lit. :-> Regens-
burg. - Remscheid, Orch. d. Stadt R., 1925. O. Suitner
(1952-57), S.Goslich (1958-61), Th. Ungar (1961-66), A.
Rumpf (1967-). - Reutlingen, Schwabisches Symphonie-
Orch. R. (e. V.), 1945. H. Grischkat (1945-50), R. Kloiber
(1951-59), H.-J. Walther (1959-). - Rudolstadt, Orch. d.
Theaters R., urn 1666 (Fiirstliche Hofkapelle R. -1919,
Landeskapelle R.-1952). M. Eberwein (1817-31), H. Hes-
selbarth (1854-93), H. Koppen (1949-59), R. Stadler
(1961-). Lit. : -+ Rudolstadt.
Saarbrucken, Stadtisches Orch., 1912 (Ges. d. Musik-
freunde-1919,Schauspielhaus-Orch.-1922, Gemeinnutzi-
ge Theater- u. Musikges. GmbH -1936). V. Cormann
(1912-18), H. Tietjen (1921-22), F. Lederer (1922-35), H.
Bongartz(1937-44), Ph. Wiist (1 946-64), S. Kohler (1 965-).
-Sinfonie-Orch. d. Saarlandischen Rundfunks, 1936 (Gro-
Bes Orch. Reichssender S. -1946). R. Michl (1946-). -
Kammerorch. d. Saarlandischen Rundfunks, 1953 v. K.
Ristenpart (Saarlandisches Kammerorch. -1960). Ders.
(1953—). - Schwerin, Mecklenburgische Staatskapelle
Schw., 1563 v. Herzog Johann Albrecht I. (Mecklenburg-
Schw.er Hofkapelle -1918, Orch. d. Mecklenburgischen
Landestheaters-1926). H. Zumpe (1897-1901), W. Kaeh-
ler (1906-31), Fr. Mechlenburg (1933-38), H. Gahlenbeck
(1938-44, 1948-50), K. Masur (1958-60), H. Fricke (1960-
62), K. Tennstedt (1962-). Lit.: -*■ Mecklenburg. - So-
lingen, Stadtisches Orch. S., 1929 (Symphonie-Orch. S.,
Bergisches Landesorch. Remscheid-S. -1939). W. B. Tueb-
ben (1962-). - Stuttgart, Wiirttembergisches Staats-
orch.(auch Orch.d.Wurttembergischen Staatstheater), An-
f ang 1 6. Jh. unterd. Herzogen Eberhard II. u. Ulrich (Hof ka-
pelle -1 9 1 8 , Wiirttembergisches Landestheaterorch .-1933,
Orch.d. WurttembergischenStaatstheaters-1945). I. Holz-
bauer (1750-53), N. Jomelli (1753-68), J. R. Zumsteeg
(1793-1802), Fr. Danzi (1807-12), C. Kreutzer (1812-16),
J. N. Hummel (1816-18), P. v. Lindpaintner (1819-56), K.
Eckert (1860-67), H. Zumpe (1891-95), M. v. Schillings
(1908-18), Fr. Busch (1918-22), H. Albert (1937-44), F.
Leitner (1947-). Lit. : -> Stuttgart. - St.er Philharmoniker
e.V., 1924 (Philharmonisches Orch. St. -1933, Landesorch.
Gau Wurttemberg-Hohenzollern -1 945, Philharmonisches
Orch. St. -1948). L. Blech (1924), W. Steffen (1946), H.
Hildebrandt (1947-48), W. van Hoogstraten (1949-55), A.
Paulmuller (1964-). - Siidfunk-Sinfonie-Orch., 1945 Neu-
griindung v. G. Koslik. H. Muller-Kray (1948-). - St.er
Kammerorch. (e. V.), 1945 v. K. Munchinger. Ders.
(1945-). - Klassische Philharmonie St. (priv.), 1966 v. K.
Munchinger. Ders. (1966-).
Trier, Stadtisches Orch. Tr., 1919 durch H. Tietjen (vor-
her Orch. d. Philharmonischen Ges. Tr.). R. Reinhardt
(1959-).
Ulm, Orch. d. Stadt U., 1919 (Philharmonisches Orch. U.
-1921). G. Meyer (1919-20), H. v. Karajan (1930-34), K.
Hauff(1937^2),W.Seegelken(1942-44),Fr.Janota(1963-
66), P. Angerer (1966-).
Weimar, W.ische Staatskapelle, um 1565 (GroBherzogli-
che Hofkapelle -1919). J. N. Hummel (1819-37), Fr. Liszt
(1824-59), R. Strauss (1889-94), E. d'Albert (1895), P.
Raabe (1907-20), E. Praetorius (1924-33), P. Sixt (1933-
45), H. Abendroth (1945-56), R. Kempe (1948-49), G.
Pfluger (1957-). Lit.: -> Weimar. - Wiesbaden, Orch. d.
Hessischen Staatstheaters W. (Orch. d. Koniglichen Schau-
spiele W. -1920, Orch. d. PreuBischen Staatstheaters W.
-1945). O. Klemperer (1924-27), K. Elmendorff (1930-
35), W. Sawallisch (1958-61), H. Wallberg (1961-), - Sym-
phonie-Orch. d. Stadt W., 1873-1958; dann Ubernahmein
das Orch. d. Hessischen Staatstheaters W. K. Miiller-Berg-
haus (1873-74), L. Lustner (1874-1905), C. Schuricht
(1912-44), O. Schmidtgen (1942-51). - Wurzburg, Stadti-
sches Philharmonisches Orch., 1840 (vorher Hochfiirstli-
che Hofkapelle). O. Matzerath (1939-40), W. Schuchter
(1940-41), E. Riede (1966-). Lit.: -> Wurzburg. - Wup-
pertal, Stadtisches Orch. W., 1862 (Stadtisches Orch. Bar-
men u. Elberfeld -1919, Vereinigte Stadtische Orch. Bar-
men-Elberfeld -1929). H. Haym (1906-20), H. Knapperts-
busch (1913-14), E. Kleiber u. O. Klemperer (1920-24),
Fr. v. Hoesslin (1925-31), Fr. Lehmann (1938-43, 1945-
47), H. Weisbach (1947-55), H. G. Ratjen (1955-59), M.
Stephani (1959-63), J. Kulka (1964-).
Zwickau, Orch. d. Buhnen d. Stadt Zw. (Stadtkapelle
-19. Jh., Ver. Zw.er Musiker -1922, Stadtisches Orch.
-1958). W. Schoniger (1946-50), H. H. Schmitz (1950-54),
H. Storck (1954-).
Finnland.
Helsinki, Helsingin Kaupunginork. / Helsingfors Stads-
ork., 1882 v. R. Kajanus (Helsingin Orkesteriyhdistys
-1894, Helsingin Filharmooninen Ork. -1914, im selben
Jahr Fusion mit d. 1912 v. G. Schneevoigt gegr. Helsingin
Sinfoniaork.). Ders. (1882-1932), G. Schneevoigt (1914-
16, 1932-41), M. Simila (1947-50), T. Hannikainen (1951-
63). Lit.:-* Helsinki.
676
Orchester (Osterreich)
Frankreich.
Paris, Orch. du Theatre National de l'Opera, 1669 durch
konigliches Privileg v. P.Perrin u. R.Cambert. J.-B. Lully
(1672-87), R. Kreutzer (1817-27), Fr. A. Habeneck(1824-
46), E. M. E. Deldevez (1873-77), Ch. Lamoureux (1878-
81), CI. P. Taffanel (1892-1908), P. Dervaux (1956-). Lit.:
— » Paris. - Orch. du Theatre de l'Opera Comique, 1780. A.
Messager (1898-1903, 1919-20), G. Cloez (1922-46), J.
Fournet (1944-), G. Sebastian (1946-), A. Cluytens (1946-
67). - Orch. de la Soc. des Concerts du Conservatoire, 1 828
v. Fr. A. Habeneck. Ders. (1828-49), N. Girard (1847-
60), Fr. G. Hainl (1863-72), E. M. E. Deldevez (1872-85),
CI. P. Taffanel (1890-1903), A. Messager (1908-19), Ph.
Gaubert (1919-38), Ch. Munch (1938-46), A. Cluytens
(1949-60). - Association des Concerts Pasdeloup (priv.),
1861 v. J.-E. Pasdeloup (Concerts populaires de musique
classique -1887). Ders. (1861-87). Neugriindung 1918
durch Rhene-Baton. Ders. (1918-32), D.-E. Inghelbrecht
(1929-33), A. Wolff (1934-40), P. Dervaux (1948-52). -
Association Artistique des Concerts Colonne (priv.), 1873
v. E. Colonne (Concert national -1874, Association Ar-
tistique des Concerts du Chatelet -ca. 1882). Ders. (1873-
1910), G. Pierne (1910-32), P. Paray (1932-55), Ch. Munch
(1956-58), P. Dervaux (1958-). - Orch. Fernand Oubra-
dous (Association des Concerts de Chambre de P.), 1879
v. CI. P. Taffanell (Soc. des Instr. a Vent -1940). F. Oubra-
dous (1939-). - Association des Concerts Lamoureux
(priv.), 1881 v. Ch. Lamoureux. Ders. (1881-97), C. Che-
villard (1897-23), P. Paray (1923-28), A. Wolff (1928-35),
E. Bigot (1935-50), J. Martinon (1951-57), I. Markevitch
(1957-61), J.-B. Mari (1962-). - Orch. National de la RTF
(Radiodiffusion-Television Fr?.), 1934 v. D.-E. Inghel-
brecht. Ders, (1943-65).
Griechenland.
Athen, Kratiki orch. Athinon (Staatl. Orch. A.), 1893
(Studentenorch. d. Odeon Athinon d. Konservatoriums A.
-1911, Symphoniki orch. tou Odiou Athinon -1942, Sym-
phoniki orch. Athinon -1943). G. Nazos (1893-1908), A.
Marsick (1908-22), D. Mitropoulos (1925-39), Ph. Oiko-
nomidis (1939-57), Th. Vavayannis (1942-), G. Lykoudis
(1942-55), A. Paridis (1951—). - Symphoniki orch. tou
Ethnikou Idrymatos Radiophonias (Symphonie-Orch. d.
National-Rundfunks), 1938. A. Evangelatos (1938-), Ph.
Oikonomidis (1938^15), G. Lykoudis (1938-45), Th. Va-
vayannis (1945-), A. Paridis (1951-), B. Kolarsis (1956-).
GroBbritannien
Liverpool, Royal L. Philharmonic Orch., 1840. Z. Her-
mann (1843-65), J. Benedict (1867-80), M. Bruch (1880-
83), Fr. Cowen (1896-1913), M. Sargent (1942-47), H.
Rignold (1948-54), J. Pritchard (1956-63), Ch. Groves
(1963-). - London, L. Symphony Orch. (priv.), 1904. Th.
Beecham (1928-32), J. Krips (1950-54), P. Monteux (1961-
65). Lit.: -> London. - The BBC Symphony Orch., 1930.
A. Boult (1930-50), M. Sargent (1950-57), R. Schwarz
(1957-62), A. Dorati (1963-66), C. Davis (1967-). - L.
Philharmonic Orch. (priv.), 1932 v. Th. Beecham. Ders.
(1932-39), A. Fistoulari (1943-46), E. van Beinum (1949-
50), A. Boult (1951-57), W. Steinberg (1958-59), J. Prit-
chard (1962-67), B. Haitink (1967-). - New Philharmonia
Orch. (priv.), 1945 v. W. Legge (Philharmonia Orch. L.
-1964). O. Klemperer (1959-).- Royal Philharmonic Orch.
(priv.), 1946 v. Th. Beecham. Ders. (1946-61), R. Kempe
(1961-). Lit. : -> London. - Engl. Chamber Orch. and Mu-
sic Soc. (priv.), 1961. Gastdirigenten.
Manchester, Halle Orch. (priv.), 1858 v. Ch. Halle. Ders.
(1858-95), H. Richter (1899-1911), H. Harty (1920-33), J.
Barbirolli (1943-). Lit. : -> Manchester.
Italien.
Mailand, Orch. della Scala, 1875 (hervorgegangen aus d.
Orch. del Teatro d'opera). Fr. Faccio, L. Mancinelli, G.
Bolzoni u. G. Martucci (1875-95), V. M. Vanzo, A. Tosca-
nini, P. Mascagni, A. Guarnieri u. T. Serafin (1905-15), A.
Toscanini, E. Panizza u. V. Gui (1921-29), V. de Sabata,
G. Marinuzzi u. A. Votto (1930-42), T. Serafin (1946-48),
Fr. Capuana (1948-50), V. de Sabata (1950-54), C. M.
Giulini (1954-55), G. Cantelli (1955-56), G. Gavazzeni, A.
Votto u. N. Sanzogno (1956-62), N. Sanzogno (1962-).
Lit. : — » Mailand.
Palermo, Orch. Stabile del Teatro Massimo, 1960. Ohne
festen Chefdirigenten.
Rom, Orch. Stabile dell'Accad. Nazionale di Santa Cecilia,
1895 v. E. Di San Martino. B. Molinari (1912-44), F. Previ-
tali (1953-). -Orch. Sinfonica della RAI di Roma.
Venedig, Orch. del Teatro La Fenice, 1938. N. Sanzogno
(1938^10), E. Gracis (1959-).
Jugoslawien.
Belgrad, B.er Philharmonie, 1923. G. Zdravkovitch
(1961-). - Opernorch. d. Nationaltheaters B., 1919/20.
St. Binicki (1919-23), St. Hristic (1923-35), I. Brezovsek
(1936-38), L. v. Matacic(1938-41), O. Danon(1945-).
Laibach, Ork. Opere Slovenskega narodnega gledalisca
v Ljubljani, 1919/20. N. Stritof (1919-44), D. Svara (1927-
63), S. Hubad (1943-57), C. Cvetko (1957-63, 1963-). -
Slovenska filharmonija, 1948 (vorher Acad. Philharmoni-
corum Labacensis 1 701-94, »Philharmonische Ges.«-1 9 1 8,
Filharmonidna druzba -1946). J. Cipci (1948-56), L. v.
Matacic (1956-58), S. Hubad u. B. Leskovic (1948-). Lit. :
E. Bock, Die Philharmonische Ges. in L. 1702-1902, L.
1902; Dr. Cvetko, Acad, philharmonicorum Labacensis,
L. 1962.
Zagreb, Zagrebacka filharmonija (Z.er Philharmonie),
1919. Kr. Baranovic (1929-45), L. v. Matacid (1932-38),
M. Horvat (1946-), Gastdirigenten. - Zagrebacki Solisti,
1954 v. Radio-Television. A. Janigro(1954-). - Symphonie-
Orch. d. Radio-televizija Z., 1956. A. Janigro (1956-), P.
DeSpalj (1956-).
Kanada.
Montreal, Orch. Symphonique de M., 1935. Fr. P.
Decker (1968-).
Toronto, T. Symphony Orch., 1906. W. Susskind (1955-).
Luxemburg.
Luxembourg, Orch. Symphonique de Radio-Tele-L.
(priv.), 1932v. H. Pensis. Ders. (1932-58), C. Melles(1958-
60), L. de Froment (1958-).
Monte Carlo.
Monte Carlo, Orch. National de l'Opdra de M. C, 1863
v. E. Lucas (Orch. du Casino de M. C. -1953). Ders. (1 863-
76), P. Paray (1928^4), L. Fremaux (1956-).
Niederlande.
Amsterdam, Concertgebouwork. (priv.), 1888 v. Concertge-
bouwN.V.W.Kes (1888-95), W.Mengelberg(1895-1945),
G. Kogel (1908-10), K. Muck (1921-25), P. Monteux
(1925-34), Br. Walter (1934-39), E. van Beinum (1938-59),
G. Szell (1957-59), B. Haitink u. E. Jochum (1961-). Lit. :
— » Amsterdam. - Ork. van de »Stichting De Nederlandse
Opera«, 1946 (hervorgegangen aus d. Ork. van het Ge-
meentelijk Theaterbedrijf). P. Pella (1946-51), Ch. Bruck
(1951-53), A. Krannhals (1953-56), A. Eykman (1957-59),
P. Maag (1959-60), Fr. Bauer-Theussl (1962-).
Den Haag, Residentie-Ork., 1904 v. H. Viotta. Ders.
(1904-17), P. v. Anrooy (1917-35), Gastdirigenten (1935-
38), Fr. Schuurman (1938-49), W. van Otterloo (1949-).
Hilversum, Radio Filharmonisch Ork., 1945. A. v. Raalte
(1945-52), P. van Kempen (1945-55), J. Fournet (1961),
W. van Otterloo (1962-).
Rotterdam, R.s Philharmonisch Ork., 1918. E. Flipse
(1927-), Fr.P. Decker (1962-68), J. Fournet (1968-).
Utrecht, U.s Stedelijk Ork., 1894. W. Hutschenruyter
(1894-1917), J. van Gilse (1917-22), E. Cornells (1922-
31), H. van Goudoever (1932-37), C. Schuricht (1937-41
Gastdirigent), W. van Otterloo (1937-49), P. Hupperts
(1949-).
Norwegen.
Oslo, Filharmonisk Selskaps Ork. (priv.), 1871 v. E. Grieg
u. J. Svendsen (Musikforeningen -1919). E. Grieg (1872-
74), J. Svendsen (1873-77, 1880-83), O. Olsen (1877-80),
J. Selmer (1883-86), I. Holter (1886-1911), K. Nissen
(1913-18), G. Schneevoigt (1919-27), I. Dobrowen (1927-
30), O. Kielland (1931-44), O. Gruner-Hegge (1931-33,
1945-61), 0. Fjelstad u. H. Blomstedt (1962-).
Osterreich.
Graz, G.er Philharmonisches Orch., 1950 neu organisiert,
hervorgegangen aus d. um 1736 gegr. Orch. d. Steirischen
Landstande. Gastdirigenten, B. Klobuczar (1961-). Lit.:
— > Graz.
677
Orchester (Polen)
Linz, Orch. d. Landestheaters L. (priv. -1956). L. Mayer
(1956-), K. Woss (1961-), L. Hager (1962-65). Lit.:
— » Linz.
Salzburg, Mozarteum-Orch., 1880 aus d. Musikschule
Mozarteum hervorgegangen, seit 1958 staatl. J. Fr. Hum-
mel (1880-1908), J. Reiter (1908-11), P. Graener (1910-
13), R. Hirschfeld (1913/14), P. Paumgartner (1917-59),
Ml. Basic (1959-).
Wien, W.er Philharmoniker (priv. Ver.), 1842 v. O. Nicolai
zusammen mit d. damaligen Mitgliedern d. k. u. k. Hof-
opernorch.; staatl. engagiert als W.er Staatsopernorch.
0. Nicolai (1842-47), G. Hellmesberger (1847-54), K.
Eckert (1854-60), O. Desoff (1860-75), H. Richter(1875-
98), G. Mahler (1898-1901), J. Hellmesberger (1901-03),
Fr. Schalk, E. v. Schuch, K. Muck, F. Mottl, R. Strauss u.
Br. Walter (1903-08), F. v. Weingartner (1908-27), W.
Furtwangler (1927-30), CI. Krauss u. R. Strauss (1930-33),
seit 1933 Gastdirigenten: W. Furtwangler, Br. Walter, H.
Knappertsbusch, A. Toscanini, V. de Sabata, O. Klem-
perer, K. Bohm, C. Schuricht, H. v. Karajan, Fr. Reiner,
L. Bernstein u. a. Lit. : — > Wien. - W.er Symphoniker
(priv.), 1900 v. F. Lowe (urspriinglich W.er Konzertver.,
im 1 . Weltkrieg ZusammenschluB mit Ver. W.er Tonkiinst-
lerorch., 1907). Ders. (1900-23), O. Nedbal (1907-20), W.
Furtwangler (1918-23), H. Knappertsbusch (1922-36), Fr.
v. Hoesslin (1922-28), P. v. Klenau (1923-30), R. Heger
(1925-), H. Abendroth (1928-31), O. Kabasta (1934-39),
V. Andreae (1935-60), K. Bohm (1935-), H. v. Karajan
(1949-), W. Sawallisch (I960-). - W.er Kammerorch.
(priv.), 1945 (Kammerorch. d. W.er Konzerthausges.
-1962). Gastdirigenten. - Orch. d. Osterreichischen Rund-
funks, Radio W., 1945. Gastdirigenten. - Volksopern-
Orch., 1945. O. Ackermann (1947-52), P. Maag (1965-).
Polen.
Breslau (Wroclaw), Panstwowa Filharmonia we Wro-
clawiu, 1954 (Wroclawska Ork. Symfoniczna -1958). A.
Kopycinski (1954-61), K. Wilkomirski (1962-). - Brom-
bero (Bydgoszcz), Panstwowa Filharmonia Pomorska im.
1. Paderewskiego, 1946. A. Rezler (1946-55), Zb. Chwed-
czuk (1958-).
Danzig (Gdansk), Panstwowa Opera i Filharmonia Bat-
tycka w Gdarisku, 1945 (Filharmonia Battycka -1953).
Zb. Turski (1945-46), B. Wodiczko (1946-50), J. Katle-
wicz (1961-).
Kattowitz (Katowice), Wielka Ork. Symfoniczna Polskie-
go Radia, 1945 Neugrundung (vorher Ork. Symfoniczna
Polskiego Radia w Warszawie 1934-39). Grz. Fitelberg
(1936-39, 1947-53), W. Rowicki (1945-47), J. Krenz
(1953-). - Panstwowa Filharmonia Slaska Katowice, 1945
v. J. Niwinski. Ders. (1945-47), St. Skrowaczewski (1949-
53), K. Stryja (1953-). - Krakau (Krakow), Panstwowa
Filharmonia im. K. Szymanowskiego w Krakowie, 1945.
W. Bierdiajew (1945-49), A. Markowski (1959-65), H.
Czyz (1965-).
Lodz (Lodz), Panstwowa Filharmonia w Lodzi, 1915
(todzka Ork. Symfoniczna -1921, todzka Ork. Filhar-
moniczna -1939). T. Mazurkiewicz (1915-16), B. Szulc
(1916-22), Z. Gorzynski (1945^18), B. Wodiczko (1950-
51), St. Marczyk (I960-). -Lublin, Panstwowa Filharmo-
nia im. H. Wieniawskiego w Lublinie, 1946. R. Satanowski
(1951-53), M. Lewandowski (1964-).
Posen (Poznan), Panstwowa Filharmonia w Poznaniu,
1947. St. Wistocki (1947-58), J. Katlewicz (1958-61), R.
Satanowski (1961-63), W. Krzemienski (1963-66).
Stettin (Szczecin), Panstwowa Filharmonia im. M. Karlo-
wicza, 1948. J. Wilkomirski (1957-).
Warschau (Warszawa), Ork. Teatru Wielkiego w War-
szawie (Orch. d. GroBen Theaters in W.), 1833 (Staats-
opernorch. W. -1961). J. X. Eisner (1833-54), B. Wodiczko
GMD (1962-).-FilharmoniaNarodowa, 1 899 v. A. Rajch-
man (Filharmonia Warszawska -1955). E. Mrynarski
(1901-05, 1921-23), E. N. v. Reznicek (1905-08), Grz.
Fitelberg (1908-11, 1923-34), Zdz. Birnbaum (1911-14,
1916-21), W. Rowicki (1950-55, 1958-), B. Wodiczko
(1955-58). Lit. : -> Warschau.
Portugal.
Lissabon, Orqu. Sinfonica da Emissora Nacional, 1934.
P. de Freitas Branco (1934-63). - Orqu. Filharmonica de
Lisboa, 1936 v. I. Cruz. Ders. (1936-).
Rumanien.
Bukarest, Philharmonie d'Etat »Georges Enesco«, 1868
v. E. Wachmann (Soc. Philharmonique Roumaine -1906,
Orch. Symphonique du Ministere de l'Instruction Pu-
blique -1920). Ders. (1868-1906), D. Dinicu (1906-20),
G. Georgescu (1920-64), M. Basarab (1964-).
Schweden,
Stockholm, St.s Filharmoniska Ork. (priv.), 1914 (her-
vorgegangen aus d. Konsertforeningen, gegr. 1902 v. T.
Aulin, Konsertforeningens Ork. -1957). G. Schneevoigt
(1915-24), V. Talich (1926-36), Fr. Busch (1937^*0), C.
Garaguly (1942-53), H. Schmidt-Isserstedt (1955-64), H.
Blomstedt (1964-). Lit. : -» Stockholm.
Schweiz.
Basel, Orch. d. Basler Orch.-Ges. (priv., Symphonie- u.
Opernorch. v. B., seit 1921 selbstandig u. v. d. Allgemeinen
Musik-Ges., AMG, f. Symphoniekonzerte engagiert), 18.
Jh. (Orch. d. Collegiummusicum-1826, Konzertver.-1855,
Capellver. -1876, AMG -1921). A. Volkland (1876-1902),
H.Suter (1902-25), F. v. Weingartner (1927-35), A. Krann-
hals (1934-53), H. Munch (1935-), S. Varviso (1954-62),
H. Lowlein (1965-). Lit. : W. Morikofer, Die Konzerte d.
AMG in B. in d. Jahren 1876-1926, B. 1926; Fr. Morel,
Die Konzerte d. AMG in B. in d. Jahren 1 926-5 1 , B. 1 95 1 . -
Basler Kammerorch. (priv.), 1926 v. P. Sacher. Ders.
(1926-). Lit. :-> Basel.
Genf, L'Orch. de la Suisse Romande (priv.), 1918 v. E. An-
sermet. Ders. (1918-), P. Klecki (1966-). - Orch. de Cham-
bre de Geneve (priv.), 1 950 v. P. Colombo. Ders. (1 950-).
Zurich, Tonhalle- u. Theaterorch. (priv.), 1868 v. d. Ton-
halle-Ges. durch Fr. Hegar (hervorgegangen aus d. Orch.
d. Allgemeinen Musikges.). Ders. (1868-1906), V. An-
dreae (1906^*9), H. Rosbaud (1950-62), R. Kempe (1965-).
-Zurcher Kammerorch. (priv.), 1946 v. E. deStoutz (Haus-
orch.-Vereinigung-1951). Ders. (1946-).
Spanien.
Barcelona, Orqu. Municipal deB., 1943. E.Toldra(1943-
61), R. Ferrer (1961-).
Madrid, Orqu. Sinfonica de M. (priv.), 1904 v. E. F; Ar-
bos. Ders. (1904-39), Gastdirigenten. - Orqu. Nacional,
1940. B. P. Casas (1944-56), A. Argenta (1946-58), R.
Fruhbeck de Burgos (1962-66).
Tschechoslowakei.
Brunn, Statni filharmonie Brno, laureat statni ceny Kl.
Gottwalda, 1956. Bf. Bakala (1956-58), O. Trhlik (1956-
62), J. Vogel (1958-62), M. Turnocsky (1960-62), J. Wald-
hans (1962-).
Prag, Narodny Divadlo-Orch., 1 88 1 . K. Kovafovic (1900-
20), O. Ostrcil (1920-35), V. Talich (1935-45, 1947-48), O.
JeremiaS (1945-47, 1948-49), J. Krombholc (1963-). -
Ceska Filharmonie (Tschechische Philharmonie), 1896 v.
d. Mitgliedern d. Nationaltheaters (seit 1901 selbstandig).
A. Dvorak (1896), O. Nedbal (1896-1906), L. V. Celansky
(1901), V. Zemanek (1902-06), V. Talich (1919-35), R. Ku-
belik (1936-48), K. Ancerl (1951-). Lit.: -» Prag. - Sinfo-
nieorch. d. Tschechoslowakischen Rundfunks Pr., 1926. -
Symfonicky orch. klavniho mesta Prahy FOK, 1934 v. R.
Pekarek (Symfonicky orch. FOK -1952). V. Smetacek
(1942-), V. Neumann (1956-63). - Ceska Komorni Orch.
(Tschechisches Kammerorch.; priv.), 1957 v. J. Vlach.
Ders. (1957-). - Pressburg, Slovenska Filharmonia (Slo-
wakische Philharmonie), 1949 v. V. Talich. Ders. (1949-
52), L. Rajter (1952-61), L. Slovak (1961-).
UdSSR.
Kiew, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Ukrains-
koj SSR (»Staatl. Ukrainisches Symphonieorch.«), 1923.
H. Adler (1932-37), N. Rachlin (1937-63), St. Turtschak
(1963-).
Leningrad, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Le-
ningradskoj filarmonii (»Staatl. Symphonieorch. d. L.er
Philharmonie«), 1882 unter d. Bezeichnung Imperator-
skij pridwornyj ork. (»Zaristisches Hoforch.«) v. Baron
K. v. Stackelberg. M. Frank (1882-88), G. Fliege (1888-
1907), H. Warlich (1907-17), S. Kussewitzky (1917-20), E.
Cooper (1921-23), W. Berdjajew (1924-25), N. Malko
(1925-32), Fr. Stiedry (1933-37), J. Mrawinskij (1938-).
Lit.: Dessjat let simfonitscheskoj musyki (»10 Jahre sym-
678
Orchestration
phonische Musik«) 1917-27, hrsg. v. d. Staatl. akademi-
schen Philharmonie L., L. 1928.
Minsk, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Beloruss-
kpj SSR (»Staatl. WeiBruss. Symphonieorch.«), 1930 v.
I. Gitgarz u. A. Bessmertnyj beim WeiBruss. Rundfunk-
zentrum. I. Gitgarz (1930-34), L. Steinberg (1934-36), A.
Orlow (1934-36), I. Mussin (1937^1), M. Schneiderman
(1947-52), B. Afanassjew (1952-56), V. Dubrowskij
(1956-). Lit.: D. Schurawlew, Gossudarstwennyj sim-
fonitscheskij ork. Belorusskoj SSR (»Staatl. WeiBruss.
Symphonieorch.«), M. 1 96 I.-Moskau, Gossudarstwennyj
simfonitscheskij ork. Moskowskoj filarmonii (»Staatl. phil-
harmonisches Symphonieorch. M.«), 1928 v. L. Stein-
berg. E. Szenkar (1934-37), S. Samossud (1953-57), K.
Kondraschin (I960-). - Bolschoj simfonitscheskij ork.
Wsesojusnowo radio i telewidenija (»GroBes Allunions-
Rundfunk- u. Fernsehsymphonieorch. d. UdSSR«), 1930
v. A. Orlow. Ders. (1930-37), N. Golowanow (1937-53),
A. Gauk (1953-61), G. Roschdestwenskij (1961-). - Gos-
sudarstwennyj simfonitscheskij ork. SSSR (»Staatl. Sym-
phonieorch. d. UdSSR«), 1936, A; Gauk (1936-41), N.
Rachlin (1941^13), K. Iwanow (1946-65), J. Swetlanow
(1965-).
Wilna, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Litows-
koj SSR (»Staatl. Symphonieorch. d. Litauischen SSR«),
1 940 v. B. Dvarionas, 1944 neu gebildet, 1945 v. Rundfunk
iibernommen. Seit 1957 gehort d. Orch. zur Litauischen
Philharmonie. B. Dvarionas (1941—). Lit.: J. Gaudrimas,
Musykalnaja kultura sowjetskoj Litwy (»Musikkultur d.
sowjetischen Litauens«), 1940-60, Leningrad 1961.
Ungarn.
Budapest, B.i Filharmoniai Tarsasag, 1853 v. F. Erkel,
A. Fr. u. K. Doppler (gebildet aus Mitgliedern d. Ungari-
schen Staatsoper u. d. Orch. d. Staatl. Opernhauses im Er-
kel-Theater). F. Erkel (1853-71), H. Richter (1871-75), S.
Erkel (1875-1900), St: Kerner (1900-19), E. v. Dohnanyi
(1919-44), O. Klemperer (1947-50), J. Ferencsik (1961-).
Lit. : — > Budapest.
USA.
Boston, B. Symphony Orch. (priv.), 1881 v. H. L. Hig-
ginson. G. Henschel (1881-84), W. Gericke (1884-89 u.
1898-1906), A. Nikisch (1889-93), E. Paur (1893-98), K.
Muck (1906-08 u. 1912-18), M. Fiedler (1908-12), H.
Rabaud (1918-19), P. Monteux (1919-24), S. Kussewitz-
ky (1924^19), Ch. Munch (1949-62), E. Leinsdorf (1962-).
Lit. : — » Boston.
Chicago, Ch. Symphony Orch. (priv.), 1891 v. Th. Tho-
mas (Th. Thomas Orch. -1905, Ch. Orch. -1913). Ders.
(1891-1905), Fr. Stock (1905-42), D. Defauw (1943-47),
A. Rodzinski (1947-48), R. Kubelik (1950-53), Fr. Reiner
(1953-62), J. Martinon (1963-). Lit. : -> Chicago. - Cleve-
land, CI. Orch. (priv.), 1918 v. A. Pr. Hughes. N. Sokoloff
(1918-33), A. Rodzinski (1933-43), E. Leinsdorf (1943-
46), G. Szell (1946-).
Detroit, D. Symphony Orch. (priv.), 1914 v. W. Gales.
Ders. (1914-18), O. Gabrilowitsch (1918-36), K. Krueger
(1943-49), P. Paray (1951-63), S. Ehrling (1963-).
Los Angeles, L. A. Philharmonic Orch. (priv.), 1919 v. W.
A. Clark jr. W. H. Rothwell (1919-27), G. Schndevoigt
(1927-29), A. Rodzinski (1929-33), O. Klemperer (1933-
39), A. Wallerstein (1943-56), E. van Beinum (1956-59),
Z. Mehta (1962-).
Minneapolis, M. Symphony Orch. (priv.), 1903 v. E. L.
Carpenter. E. Oberhoffer (1903-22), H. Ven Bruggen
(1923-31), E. Ormandy (1931-36), D. Mitropoulos (1936-
49), A. Dorati (1949-60), St. Skrowaczewski (I960-).
New York, N. Y. Philharmonic (priv.), 1842 v. U. C. Hill
(1921 Obernahme d. National Symphony Orch., 1919
gegr., 1928 Ubernahme d. N. Y. Symphony Orch., 1878 v.
L. Damrosch gegr.). Ders. (1842-48), Th. Eisfeld (1852-
58), C. Bergmann (1855-59, 1865-76), Th. Thomas (1877-
91), A. Seidl (1 89 1-98), E. Paur (1 898-1902), W. Damrosch
(1902-03), W. I. Safonoff (1906-09), G. Mahler (1909-11),
J. Stransky (1911-23), W. Mengelberg (1922-30), W. van
Hoogstraten (1923-25), W. Furtwangler (1925-27), A.
Toscanini (1927-33, v. 1933-36 GMD), B. Molinari (1929-
31), E. Kleiber (1930-32), Br. Walter (1931-33, 1947-49),
Br. Walter, O. Klemperer, A. Rodzinski u. W. Janssen
(1933-36, neben A. Toscanini als GMD), J. Barbirolli
(1936-43), A. Rodzinski (1944-47), L. Stokowski (1949-
50), D. Mitropoulos (1949-58), L. Bernstein (1958-69).
Lit. :-> New York.
Philadelphia, Ph. Orch. (priv.), 1900 v. Fr. Scheel. Ders.
(1900-07), C. Pohlig (1907-12), L. Stokowski (1912-38), E.
Ormandy (1938-). Lit.: — > Philadelphia. - Pittsburgh, P.
Symphony Orch. (priv.), 1896 (1912 aufgelost, Neugrun-
dung 1926). Fr. Archer (1896-98), V. Herbert (1898-1904),
E. Paur (1904-10), O. Klemperer (1937), Fr. Reiner (1938-
48), V. de Sabata, L. Bernstein u. P. Paray (1948-52), W.
Steinberg (1952-).
San Francisco, S. Fr. Symphony Orch. (priv.), 1911 v.
H. Hadley. Ders. (1911-15), A. Hertz (1915-29), B. Ca-
meron u. I. Dobrowen (1929-34), 1934 aufgelost, P. Mon-
teux (1936-52), L. Stokowski, F. Fricsay, G. Solti, E. Jor-
da, W. Steinberg u. Br. Walter (1952-54), E. Jorda (1954-
61), J. Krips (1963-64). Lit. : -> San Francisco.
Orchestration, Ausarbeitung eines Kkvier-(Orgel-)
oder Kammermusikwerks, auch einer Liedkomposi-
tion, fur Orchester (-> Instrumentation). O.en eigener
Werke besorgten u. a. Beethoven, Trauermarsch der
Klaviersonate op. 26; R.Schumann, Klavierkonzert
A moll, zuerst fur 2 Kl. konzipiert; Liszt, 2 Legenden
und die Ungarischen Rhapsodien Nr (der Klavierfas-
sungen) 14, 12, 6, 2, 5, 9 (zusammen mit Fr. Doppler);
Brahms, Ungarische Tanze 1, 3, 10; Grieg v Norwegi-
sche Tanze op. 35, Holbergsuite op. 40, Lyrische Suite;
Pfitzner, Symphonie Cis moll op. 36a nach dem Streich-
quartett op. 36; Reger, Beethoven- Variationen op. 86
(1915; 1904 fur 2 Kl.); Ravel, Klavierwerke: Pavane
pour une infante defunte; Une barque sur V ocean und Al-
borada delgracioso aus Miroirs; Prelude, Forlane, Rigaudon
und Menuet aus Le tombeau de Couperin. - Aus der Viel-
zahl von O.en bekannter Originalwerke durch andere
Komponisten (Fremdbearbeitungen) seien angefiihrt:
J. S. Bach: 3 Choralvorspiele durch O.Respighi, Cho-
ralvorspiele BWV 654 und 667 und Praeludium und
FugeEs dur (BWV 552) durch Schonberg; Fantasieurid
Fuge G moll (BWV 542) und Toccata und Fuge D moll
(BWV 565) durch Stokowski; Fantasie und Fuge C moll
(BWV 562) durch Elgar; Passacaglia C moll (BWV
582) durch O.Respighi und durch Stokowski; Cha-
conne D moll (aus BWV 1004) durch J. Raff und durch
A.Casella; Ricercare a 6 aus dem Musicalischen Opfer
durch A.v.Webern; das Musicalische Opfer, die Kunst
der Fuge und die Canonischen Verdnderungen (BWV 769)
durch R.Vuataz; die Goldberg-Variationen (BWV
988) durch J.Koffler fur kleines Orch. Beethoven:
Sonate pathetique op. 13 (1. Satz) durch Bruckner;
Sonate op. 106 durch Weingartner; Streichquartett
C dur op. 59 Nr 3 durch J.Lehnert; Streichquartett
F moll op. 95 durch Alexander Friedrich v. Hessen;
Liederkreis An die feme Geliebte op. 98 und 3 weitere
Lieder durch Weingartner. C.M.v.Weber: Aufforde-
rung zum Tanz op. 65 durch Berlioz und durch Wein-
gartner; Perpetuum mobile durch G. Szell; Polacca bril-
lante op. 72 fiir Kl. und Orch. durch Liszt, mit dem
Largo aus der Grande polonaise op. 21 als Einleitung.
Fr. Schubert: Arpeggionesonate als Violoncellokon-
zert A moll durch G. Cassado ; Wanderer-Phantasie fiir
Kl. und Orch. durch Liszt ; Deutsche Tanze durch A. v.
Webern; Erlkonig und andere Gesange durch M. Re-
ger. R. Schumann: Camaval durch Ravel und K. Kon-
stantinoff ; 8 Frauenchore durch Pfitzner. C h o p i n : Kla-
vierstiicke als Ballettmusiken (z. B. Les Sylphides durch
R.Douglas). Liszt: Legende St. Francois d'Assise, La
predication mix oiseaux durch Mottl; Csdrdds macabre
durch FLSearle; Concerto pathhique durch E.ReuB. R.
Wagner: 5 Wesendonk-Lieder durch Mottl. Brahms :
Handel- Variationen durch R.Rubbra; 11 Choralvor-
spiele durch V.Thomson; Klavierquartett G moll op.
25 durch Schonberg. Mussorgsky :»Bilder einer Aus-
679
Orchestrion
stellung« durch L.Funtek und dutch Ravel. H.Wol f :
2 Lieder durch Joseph Marx. - Orchesterwerke, die
sich durch harmonische Neuerungen und sonstige tie-
fere Eingriff e in die Originalkomposition von der Vor-
lage unterscheiden, sind -»■ Bearbeitungen (- 2).
Orchestrion, - 1) Abbe Voglers tragbare Konzert-
orgel, bei der auf den 4 (oder 5) Manualen und dem
Pedal (je in 2 Halften geteilt) viele Registerziige als
Teilziige aus den voll ausgebauten Registerstimmen
disponiert waren; sie hatte einen Jalousieschweller fiir
die ganze Orgel. - Das 1791 von Th. A.Kunz konstru-
ierte O. war ein -> Orgelklavier. - 2) 1800 von Malzel
wohl in Kenntnis von Voglers O. gebautes -»■ Mecha-
nisches Musikwerk mit durchschlagenden Zungen und
Schlagwerk. Mit Hilf e verschieden gef ormter Auf satze
aus Blech wurde versucht, den Klang der Blasinstru-
mente des Orchesters nachzuahmen. 1803 erf and Malzel
ein groBeres Modell; fiir dieses Panharmonicon schrieb
Beethoven 1813 den 1. Teil der Symphonie Wellingtons
Sieg oder Die Schkcht bei Vittoria op. 91. In der 2. Halfte
des 19. jh. wurde das O. von Fr.Th.Kaufmann in
Dresden und vor allem von der O.-Industrie im badi-
schen Schwarzwald (Vohrenbach) hergestellt und bis
urn 1920 verkauft. Seit den 1950er Jahren wird es auf
den Jahrmarkten durch Lautsprecheranlagen verdrangt.
Lit.: zu 1): KochL; K. Fr. E. v. Schafhautl, Abt G. J.
Vogler, Augsburg 1888 ; H. Kelletat, Zur Gesch. d. deut-
schen Orgelmusik in d. Friihklassik, = Konigsberger Stu-
dien zur Mw. XVI, Kassel 1933. -zu 2) : H. Matzke, Unser
technisches Wissen v. d. Musik, Lindau (1949), Wien
(21950); E. Simon, Mechanische Musikinstr. friiherer Zei-
tenu. ihre Musik, Wiesbaden 1960.
Ordinarium missae (lat.) -* Messe, -*■ Gradua-
le(-2).
Ordo (lat., Ordnung), in der Musiklehre des 13. Jh. als
Klassifizierungsbegriff verwendet (J. de Garlandia, ed.
Cserba, S. 196, Anonymus IV, CS I, 328ff.). Er diente
zur exakten Bestimmung des Umfangs der an einen
bestimmten ->■ Modus (- 2) gebundenen und jeweils
durch Pause (-> Divisio modi — 1 , -> Suspirium) be-
grenzten Tonf olgen, z. B. im ersten Modus (L = Longa,
B = Brevis): |LBL| = 1. Ordo, |LBLBL| = 2. Ordo,
|LBL BL BL| = 3. Ordo usw. (die Gruppen sind im
Notenbild normalerweise durch entsprechende Liga-
turen dargestellt).
Ordre (ardr, frz., Ordnung, Reihe), bei Fr.Couperin
Bezeichnung fur -> Suite (27 O.s in 4 Biichern, 1713-
30).
Organistrum (lat.) ->Drehleier.
Organ o di legno ('argano di l'e:jio, ital., Orgel aus
Holz), Orgel mit Holzpfeifen, Flotenwerk.
Organologie, auch Organographie (von griech. 8p-
yavov, Werkzeug, Instrument), Musikinstrumenten-
kunde (-> Instrument).
Organ o pleno (lat., mit vollem Werk, auch Plenum;
ital. ripieno; frz. plein jeu; engl. full organ) umfaBt in
der Orgelmusik des Barocks, anders als das Tutti des
19. Jh., eine groBe, aber nicht wahllose Anzahl von
Stimmen, vor allem der Prinzipale mit Mixturen und
deren Stellvertreter in Aequallagen (Quintade, Bour-
don, Pommer u. a.). Langbechrige Rohrwerke (Trom-
peten, Posaunen u. a.) gehoren ebenfalls zu dieser
Gruppe, werden aber nicht zum Plein jeu, sondern nur
zum -> Grand jeu gezogen. Terzen, Septimen und
Nonen gehoren nicht zum klassischen O. pi. Das Ple-
num des Barocks ist bei aller silbernen Helligkeit be-
seelt, nicht grell und stechend.
Lit. : W. Lottermoser, Klangeinsatze d. Plenums auf Org.
mit Ton- u. Registerkanzelle, AfMw X, 1953.
Organum (lat., von griech. Spyavov) heifit allge-
mein Werkzeug, besonders Musikinstrument und
speziell -» Orgel. Wie dieses Wort zum Namen der
friihen Mehrstimmigkeit wurde, ist noch ungeklart.
Moglicherweise liegt in ihm beschlossen, daB der
»Klang«, auch in gesungener Darstellung, nach Her-
kunft und Wesen »instrumental« ist gegeniiber dem
wesenhaft »Vokalen« des 1st. Cantus. Erstmalig in
naherer Beschreibung erwahnt der an der Pariser
Schola palatina lehrende Ire Johannes Erigena (Sco-
tus) in seiner Schrift De divisione naturae (866) das or-
ganicum melos; er charakterisiert es als Zusammen-
passung verschiedener Tonqualitaten nach den Regeln
der Ars musica (secundum certas rationabilesque artis mu-
sicae regulas) gemaB den Tonarten und sieht in ihm das
Wesen der concordia universitatis abgebildet, das er
erklaren will. Ob mit organicum melos hier wirklich
Mehrstimmigkeit gemeint ist, wird neuestens (durch
E.L. Waeltner) bestritten. - Die Entstehung der mehr-
stimmigen Musik des Abendlandes, deren alteste Stufe
im 9. Jh. faBbar ist, kann gedeutet werden als Leistung
der Ars musica (superficies quaedam artis musicae . . . ,
Musica Enchiriadis, GS 1, 171b) beim Zusammentreffen
primar melischer Uberlieferung des Siidens und natur-
wiichsiger Klangpraktiken des Nordens unter den po-
litischen, liturgie- und choralgeschichtlicheri Bedin-
gungen der karolingischen Zeit. - In der altesten O.-
Lehre, der Musica Enchiriadis (vor 900), werden das
parallele Quinten-O. und ein nicht durchlaufend pa-
rallels Quarten-O. (beide auch -»■ Diaphonia genannt)
in Form von Descriptiones schriftmaBig erfaBt, und
zwar mit Hilfe der Tonordnung der -> Dasia-Zeichen
derart, daB beim Quarten-O. die stets unterhalb des
Cantus erklingende Vox organalis, urn die Inconso-
nantia des Tri tonus zu vermeiden, je nach Lage der
Vox principalis den (Hexachord-)Grenzton C bzw. G
(bzw. F) nicht unterschreiten darf und beide Voces am
SchluB, gegebenenfalls auch zu Beginn einer Melodie-
zeile zusammenkommen:
a
G
< F s
D
C
B
A
r
i
^tris sempiternus' T"
_y_ es N li.
10 ^trls sempiternus' \ us
vox principalis
(cantus)
z£
fi li
77-
nx organalis
(organum)
TU
O.-Descriptio eines Abschnitts des Te Deum in
der Musica Enchiriadis (Cap. XIII und XVIII) nach
der Hs. Paris, Bibl. Nat., lat. 7210, S. 10 und 17.
In diesem Stadium, der Zeit des »alten« O. (9.-11. Jh.),
wird die Mehrstimmigkeit zum Schmuck kirchlicher
Gesange (besonders Sequenzen) noch aus dem Stegreif
ausgefuhrt, wohl in der Regel mit Oktavierungen der
Voces und Hinzuziehung von Instrumenten, und noch
lange ist bei dieser »Mehrstimmigkeit« die Vorstellung
wirksam, daB der Cantus von der Vox organalis nur
noch einmal zugleich vorgetragen wird, wobei aber
die so sich ereignende Realisierung des Klanges an der
Zeilendarstellung beteiligt ist: Text-, Melodie- und
Klangzeile entsprechen sich. Guido von Arezzo lehnt
in seiner O.-Lehre (Micrologus, um 1025) die Tetra-
chord-Tonordnung der Musica Enchiriadis zugunsten
der (Quint-) Oktaven-Ordnung ab und erfaBt die hexa-
chordalen Grenztone (Klangraume) sowie das Zusam-
menkommen der Voces, d. h. den »Gegenlauf « der Or-
ganalis, durch Regeln fiir die SchluBbildung (occursus-
Lehre); er laBt als o. suspensvun die Moglichkeit zu,
daB die Voces sich kreuzen, genauer, daB die Organalis
auf ihrem Grenzton verharrt, wenn dieser vom Cantus
680
Organum
nur voriibergehend unterschritten wird. Die erste er-
haltene Aufzeichnung mehrstimmiger Musik fur den
praktischen Gebrauch iiberliefert der Winchester-Tro-
par (-> Quellen: WiTr; vor 1050?) mit seinen iiber 150
2st. Organa, hauptsachlich iiber MeB- und Offiziums-
responsorien, Kyrie-, Gloria- und Introitustropen und
Sequenzen, deren Lesung jedoch dadurch sehr er-
schwert ist, daB die Voces organales (melliflua organo-
rum modulamina) gesondert und in linienlosen Neumen
notiert sind. In manchen Chroniken, Stiftungsurkun-
den, kirchlichen Ordines damaliger Zeit wird, oft frei-
lich mehrdeutig, von O. gesprochen (cantare cum or-
gano; organa solita; ars organandi). AufschluBreich
sind seine zahlreichen Erwahnungen in den Sequenz-
texten (Prosen) ; sie bestatigen, daB sich vor allem im
Bereich textierter Melismen, den Tropen im weitesten
Sinne, die friihe Mehrstimmigkeit entfaltete, die selbst
der mittelalterlichen Idee des Tropierens insofern ent-
spricht, als sie zum melodisch Gegebenen eine zweite
Vox und die Dimension des Kknges hinzufiigt. Wie
ein groBer Bestand an Musikaufzeichnungen aus spa-
terer Zeit zeigt (und wie es u. a. die hohe Zahl und das
spate Datum der Musica Enchiriadis-Abschiiiten in
Handschriften des deutschen Sprachgebiets bestatigen),
bleiben jenes »alte« O. und von ihm abhangige Arten
triiher Mehrstimmigkeit (z. B. als -»■ Quintieren - 1)
am Rande der musikgeschichtlichen Entwicklung und
zumal in der deutschen kirchlichen Musikiibung bis ins
15./16.Jh.lebendig.
Das »neue« O. wird greifbar seit Ende des 11. Jh. in
vereinzelten, meist fragmentarisch erhaltenen Nieder-
schriften franzosischer Herkunft, so u. a. in den im 2.
Weltkrieg vernichteten Manuskripten 109 und 130 der
Bibliotheque Municipale in Chartres (Beispiel a). In
seinen Prinzipien erfaBt, begegnet es - wohl unabhan-
gig von der O.-Lehre des Johannes Affligemensis (De
musica, Cap. XXIII; nach 1100) - in dem aus Frank-
reich stammenden anonymen Traktat der Hs. Mailand,
Biblioteca Ambrosiana, M 17 sup. (Beispiel b).
vo - bis i
AD ORGANUM FACIENDUM
Ubertragungen: a) Teilstiick aus Chartres 109,
f . 75'; b) Mailander O.-Traktat, f . 56' (Uberleitung
von den vorangestellten Exempla zum Text des
Traktats). o = Cantus; • = Vox organalis.
Merkmale dieses neuen O. sind der Qualitatswechsel
der Klange (konjunkt : Einklang und Oktave, disjunkt :
Quinte und Quarte) in Verbindung mit Gegenbewe-
gung und Kreuzung der Stimmen, wobei das O. die
Lage oberhalb des Cantus zu bevorzugen beginnt.
Ubernimmt somit der Cantus die Rolle einer Kon-
struktionsbasis des musikalischen Satzes (womit grund-
satzlich das Hinzuerfmden von Voces zur musikali-
schen Hauptsache erhoben wird), so gewinnt nun die
Vox organalis mehr und mehr die Qualitat eines zwei-
ten Cantus, einer Gegenstimme, so daB das O. dann fol-
gerichtig auch als -*■ Discantus, buchstablich »Auseinan-
der«-Gesang zweier Cantus, bezeichnet wird (-> Dia-
phonia). Die Klangstruktur in ihren Abschnitten und
Unterteilungen richtet sich weiterhin nach der Text-
gliederung, sie dient der textlich-melodischen Sinn-
falligkeit der Silben, Worter und Wortgruppen; die
Ausfuhrung ist solistisch; Kolorierung (multiplicatio,
fractio vocis) ist Usus; an schriftliche Ausarbeitung
(Komposition) ist das Zustandekommen dieses O. of-
fenbar noch nicht gebunden, jedoch auf dem Wege
dorthin. - Das O. als komponierte Mehrstimmigkeit
tritt seit der 1. Halfte des 12. Jh. voll hervor in der
Gruppe der St-Martial-Handschriften (->• Quellen:
SM 1, 2, 3, LoSM), die ein Repertoire von iiber 90 2st.
Satzen, meist lateinische Strophenlieder (-»■ Versus - 6),
besonders Benedicamus Domino-Tropen iiberliefern,
als deren zentrale Pflegestatte das Kloster ->■ St-Mar-
tial zu Limoges in Siidfrankreich zu gelten hat. Doch
beweisen die 20 Organa im Anhang des Liber Sancti
Jacobi (-> Quellen : Calixtinus-Kodex) des spanischen
Wallfahrtsortes Santiago de Compostela, daB Mehr-
stimmigkeit dieser Art nicht auf St-Martial beschrankt
war. Die Notation in Neumen auf geschlusselten
Linien (Ausnahme: SM 1) bei Untereinanderschrei-
bung der Stimmen ist nach Tonhohen eindeutig, rhy th-
misch jedoch noch weitgehend indifferent. Da es
sich meist um rhy thmische Texte handelt, wird wohl
zumindest beim syllabischen Note-gegen-Note-Satz
das Textmetrum maBgebend sein. Zugrunde liegen
dem mehrstimmigen Satz weiterhin die Konkordan-
zen (Oktave, Einklang, Quinte, Quarte); doch nun
riickt der Usus des Kolorierens in die Komposition ein,
und es bilden sich - teils als Vorstufen zu den Notre-
Dame-Organa - unter dem Oberbegriff o. (generale)
verschiedene Arten des Satzes aus, die bereits in dem
zuerst von A. de Lafage (zuletzt 1957 von A. Seay) edier-
Paris, Bibl. Nat., lat. 3549, f. 152: SchluB eines
Tropus zum Weihnachtsgraduale Viderunt omnes
fines (Ubertragung).
ten Traktat klar als Species discantus und o. unterschie-
den werden: 1) Das o. (speciale) mit rhythmisch freiem
Melisma der Vox organalis iiber dementsprechend ge-
dehntem Cantuston (siehe den SchluB des Beispiels, der
hier als modulus organi [cauda] des Tropus gilt). 2) Der
discantus a) als Note gegen Note syllabisch, cum littera
nach spaterer Terminologie (wie zu Beginn des Bei-
spiels), wo die Textbetonung vermutlich den Rhyth-
mus bestimmt; b) als Note gegen Note melismatisch,
Melisma gegen Melisma, sine littera (wie im Beispiel
auf der Silbe »ci«), wo es auBer dem Problem des
Rhythmus auch das des klanglichen Zusammenpassens
der Tone gibt, wenn die in Cantus und O. miteinander
korrespondierenden Melismen verschieden viele Tone
haben (wie gegen SchluB des Beispiels). Diese verschie-
denen Satzarten konnen im Dienst der Formbildung,
Varietas und SchluBsteigerung in ein und derselben
Komposition abwechseln, doch nur so, daB dabei (vor
allem rhythmisch) der »Lied«-Charakter des Cantus
vernehmbar bleibt.
Im Mittelpunkt der organalen Kunst der -> Notre-
Dame-Epoche, in der Zeit nach dem Baubeginn der
f riihgotischen Pariser Kathedrale (1 1 63) bis gegen Mitte
681
Organum
des 13. Jh., stehen nicht mehr liedhafte Cantus, sondern
die solistischen Teile der responsorialen Gattungen des
Chorals. Mit dem gewaltigen Aufschwung der Mehr-
stimmigkeit untrennbar verbunden ist die grofie theo-
retisch-praktische Leistung dieser Epoche: die Erfin-
dung der -*■ Modalnotation, gleichbedeutend mit dem
Entstehen der zwar nach dem Muster der Liedrhyth-
mik gebildeten, nun aber von alien textrhythmischen
Riicksichten freien und in diesem Sinne »absolut« mu-
sikalischen Rhythmik. Wichtige Traktate auf dieser
Stufe der Mehrstimmigkeit sind der O.-Traktat der
Vatikanischen Bibliothek (Ottob. lat. 3025; geschrie-
ben Anfang des 13. Jh., friiher verfaBt?), Johannes de
Garlandias De musica mensurabili positio (vor 1250) und
die Abhandlung des englischen Anonymus IV (CS I;
urn 1275). Die erste Generation der Notre-Dame-Schu-
le vertritt (nach dem Bericht des Anonymus IV) der
optimus organista Magister Leoninus. Hier ist die Cho-
ralbearbeitungnochzweistimmig (o. duplum, o. purum,
o. per se; die organale Gegenstimme heiBt jetzt -> Du-
plum), und es richtet sich alle Kunst auf die Gestaltung
der im speziellen Sinne organalen Faktur:
war, erreicht in der schriftlichen Ausarbeitung der
Komposition eine neue, nach Grofie und Kunst der
gleichzeitigen Kathedralarchitektur ebenburtige Stufe.
Mit Hilfe der nun voll ausgebildeten Modalnotation
mit ihren 6 Modi gelangt das organale Schaffen bis
zur Drei- und Vierstimmigkeit (Organa tripla und
quadrupla; die Stimmbezeichnungen sind -> Duplum,
-> Triplum und -> Quadruplum), unter zunehmender
Bevorzugung des Discantus und der neuen Gattung
des Choralbearbeitungstropus (-»• Motette). Eine neue
Spezies des O. ist die -> Copula, die nach Notations-
und Kompositionsart zwischen Discantus und O. spe-
ciale steht (Garlandia, CS 1, 114) und durch schnelles
Tempo und gestrafften Rhythmus eine Schlufisteige-
rung einzelner O.-Abschnitte bildet:
S
a^r:
Naa^amr^n
S
J ^ 3 ' a 1hl l ll 1 !^
» b J rrf rr ] H rr r r r
Ubertragung aus dem O. duplum Alleluya. Posui
adiutorium des Magnus liber organi in der Fassung des
Kodex Wolfenbuttel 677, f. 47 (-► Quellen: Wi).
Uber meist syllabisch textierten Haltetonen (organici
punctus) werden kunstvolle, nach Typen klassifizier-
bare Melismen komponiert, die nach ihrer vormodalen
Notationsart und entsprechend dem Wesen solistischer
Zweistimmigkeit wohl noch freirhythmisch gemeint
sind; doch zeigen sich schon hier, wenn man die Kon-
kordanzen langt, Ansatze zum 1. Modus (J J). Im
Wechsel mit diesen organalen Partien des O. stehen die
Discantuspartien (beide als clausulae sive puncta bezeich-
net), bei denen dem Choralmelisma ein organales Me-
lisma respondiert, und zwar Note gegen Note in ter-
narer Messung, dabei mit Vorliebe - gemaB dem Lan-
genanspruch der Konkordanz - im 1. Modus (im Bei-
spiel die Silbe »to«). Der beriihmte Pariser Magnus liber
organi degradali et antiphonario pro servitio divino multipli-
cando, dessen Schopfer (nach Anonymus IV) Leoninus
ist, besteht aus einem Zyklus von Organa dupla iiber
responsoriale MeB- und Offiziumsgesange (Graduale,
Alleluia in der Messe; Responsorium in der Matutin
bzw. Vesper und bei der Prozession) und ist in einem je
verschiedenen Stadium als magnum volumen (d. h. mit
den spateren, systematisch angeordneten Zusatzen) in
3 Handschriften iiberliefert (->■ Quellen: W\, F und
W2). - Die folgende Generation, deren Haupt der ge-
niale optimus discantor Magister Perotinus Magnus
682
Aus dem O. triplum Virgo, SchluB einer organalen
Partie mit anschliefiender Copula non ligata (Ab-
schrift und Ubertragung der Hs. F, i. 33').
Im Mittelpunkt des Schaffens steht jetzt die Umarbei-
tung des Magnus liber. Sie erstreckt sich auf die Erwei-
terung des Repertoires und auf das Hinzukomponieren
3- und 4st. Organa, von denen mehrere Perotinus zuge-
schrieben werden, f erner auf die Anderung (meist Kiir-
zung) der melismatischen Organum duplum-Partien
und auf deren Ersatz durch Discantuspartien (clausulae).
AuBerdem wurde ein groBer Bestand an Ersatzklauseln
geschaffen, die wahlweise zur Verfiigung stehen. Diese
konnten auch, syllabisch mit rhythmischem lateini-
schem Text versehen, als Musica cum littera die Cho-
ralbearbeitung tropieren und sich zugleich auch ver-
selbstandigen ; in sehr vielen Fallen lassen sie sich als
musikalische Quellen franzosischer Motetten nachwei-
sen. Indessen wurde das O. duplum, zumal die sein
Wesen bestimmende O. speciale-Faktur, unmodern.
In den 3- und 4st. Organa sind auch die organalen Par-
tien in Wirklichkeit Discantussatze iiber Haltetonen.
Letztmalig iiberliefert der 1. Faszikel des groBen Mo-
tettenkodex Montpellier (-»• Quellen: Mo) einige der
beriihmtesten Organa tripla. Wahrscheinlich hat auch
Jacobus Leodiensis um diese Zeit in Paris noch Organa
gehort; doch beklagt er dann um 1330 (Speculum musi-
Orgel
cae, CS II, 394), daB die moderni cantores die cantus an-
tiquos organicos verschmahen.
Ausg. : — > Quellen : WiTr, Calixtinus-Kodex, MuA, LoA,
Wi, F, W2, Ma, Hu. - Perotinus : O. quadruplum»Sederunt
principes«, hrsg. v. R. v. Ficker, Wien u. Lpz. 1930; Die
3-u.4st.Notre-Dame-Organa,hrsg.v.H.HusMANN, = PaM
XI, Lpz. 1940; ders., Die ma. Mehrstimmigkeit, = Das
Musikwerk (IX), Koln (1955); Fr. Gennrich, Perotinus
Magnus. Das O. Alleluya Nativitas . . . u. seine Sippe,
= Mw. Studienbibl. XII, Darmstadt 1955.
Lit.: Riemann MTh; H. E. Wooldridge, The Polyphonic
Period I, in: The Oxford Hist, of Music I, Oxford 1901,
London 2 1929; Fr. Ludwiq, Die mehrst. Musik d. 11. u.
12. Jh., Kgr.-Ber. Wien 1909; ders., Die liturgischen Or-
gana Leonins u. Perotins, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909;
ders., Repertorium organorum recentioris et motetorum
vetustissimi stili I, 1, Halle 1910, Neudruck hrsg. v. L. A.
Dittmer, NY u. Hildesheim 1964, I, 2 u. II, hrsg. v. Fr.
Gennrich, = Summa Musicae Medii Aevi VII-VIII, Lan-
gen 1961-62; ders., Perotinus Magnus, AfMw III, 1921;
ders., Musik d. MA in d. Badischen Kunsthalle Karlsruhe,
Zf Mw V, 1922/23 ; ders., Uber d. Entstehungsort d. groBen
Notre-Dame Hss., in : Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien
u. Lpz. 1930; J. Handschin, Was brachte d. Notre-Dame-
Schule Neues?, ZfMw VI, 1923/24; ders., Zur Notre-
Dame-Rhythmik, ZfMw VII, 1924/25; ders., Zum Cruci-
fixum in carne, AfMw VII, 1925 ; ders., Zur Gesch. d. Leh-
re v. O., ZfMw VIII, 1925/26; ders., Die Musikanschau-
ung d. Johannes Scotus (Erigena), DVjs. V, 1927; ders.,
Angelomontana polyphonica, SJbMw III, 1 928; ders., Der
O.-Traktat v. Montpellier, in: Studien zur Mg., Fs. G. Ad-
ler, Wien u. Lpz. 1930; ders., Zur Leonin-Perotin-Frage,
ZfMw XIV, 1931/32;ders., A Monument of Engl. Medie-
val Polyphony : The Ms. Wolf enbuttel 677, The Mus. Times
LXXIII, 1932 - LXXIV, 1933 ; ders., Zur Gesch. v. Notre-
Dame, AMI IV, 1 932 ; ders., The Two Winchester Tropers,
The Journal for Theological Studies XXXVII, 1936; ders.,
L'o. a l'eglise . . . , Rev. du chant gregorien XXXIX/XL,
1936/37; ders., Aus d. alten Musiktheorie II, Org. u. O.,
AMI XIV, 1942; ders. in: AMI XV, 1943; ders., Mg. im
Uberblick, Luzern (1948), ^1964; P. Wagner, Zu d. litur-
gischen Organa, AfMw VI, 1924; H. Besseler, Die Musik
d. MAu. d. Renaissance, BuckenHdb.; R.v. Ficker, Pri-
mare Klangformen, JbP XXXVI, 1929; ders., Polyphonic
Music of the Gothic Period, MQ XV, 1929; ders., Der Or-
ganumtraktat d. Vatikanischen Bibl. (Ottob. 3025), KmJb
XXVII, 1932; H. Schmidt(-Garre), Zur Melodiebildung
Leonins u. Perotins, ZfMw XIV, 1931/32; ders., Die 3- u.
4st. Organa, Kassel 1933; Fr. Feldmann, Ein Quinteno.
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Orgel (von griech. Bpyavov, Werkzeug; lat. orga-
num, organa; engl. organ; frz. orgue), ein Aerophon,
das den Klang durch -> Labialpfeifen und ->■ Lingual-
pfeif en (Rohrwerke) erzeugt. Sie wird von einem Spiel-
tisch oder -schrank aus gespielt, der eine oder mehrere
-»■ Klaviaturen fiir die Hande (-> Manual) und eine, sehr
selten zwei Klaviaturen fiir die FiiBe (->• Pedal - 1) hat.
Durch ->■ Trakturen wird die Verbindung von den Ta-
sten und Registerziigen im Spieltisch zu den -> Wind-
laden hergestellt, auf welchen die Pfeifen uber Ton-
oder Registerkanzellen angeordnet sind, in denen zu-
stromender Wind zum Anblasen der Pfeifen bereit-
steht. Der Wind wird durch ->■ Balg oder Ventilator in
den -> Magazinbalg geschopft und dort auf bestimm-
tem Winddruck gespeichert. Der Dichtigkeitsgrad
(Winddruck in geschlossenem System) liegt heute je
Werk und RaumgroBe zwischen 40 und 90 mm Was-
serwaage, in gotischen Org.n weit hoher, bei -»■ Hoch-
druckregistern geht er uber 300 mm hinaus. Die An-
zahl der Pfeifen richtet sich nach Art und Zahl der Re-
gister der Org. Eine Org. mit 25 Registern hat etwa
1 900 Pfeifen ; die zu ihrer Zeit groBte europaische Kon-
zertorg. in der Jahrhunderthalle in Breslau (W. -»• Sauer)
hatte 1936 nach ihrem Umbau 222 Register mit 16706
Pfeifen. Die groBten Pfeifen (C 32' = 2 Q haben bei
uber 10 m Lange einen Durchmesser von ca. 550 mm,
683
Orgel
die kleinsten einen solchen von ca. 2,3 mm. In der
-+ Disposition sind, funktional aufeinander bezogen,
die verschiedenen -> Register (- 1) ausgewahlt und in
den Werken (-*■ Hauptwerk, ->• Riickpositiv, ->■ Brust-
werk, Oberwerk, Pedal u. a.) angeordnet. Die Register
werden als Aequalregister, Obertonregister (-> Ali-
quotstimmen) und als mehrchorige Obertonmischre-
gister (-»• Mixtur, -> Scharf, -»■ Zimbel - 2, u. a.) ge-
baut. In der Frontseite der Org. stehen die Prospektre-
gister, die zumeist der -*■ Prinzipal-Familie angehoren.
Aus architektonischen Griinden haben sie manchmal
Uberlangen, zeigen auch hie und da Felder mit kleine-
ren stummen Pfeifen, bestehen aber nach klassischem
Brauch zumeist aus klingenden Pfeifen. Der Prospekt
ist oft symmetrisch in die ganztonigen Pfeifenreihen
der C- und Cis-Seite gegliedert, aber auch der chro-
matischen Anordnung der Pfeifen folgend oder un-
symmetrisch frei gestaltet. Der optimalen Klangab-
strahlung wegen werden die einzelnen Werke gern in ei-
nem Gehause untergebracht und neben- und uberein-
ander, seltener hintereinander auf gestellt. Der spanische
Prospekt zeigt mit Vorliebe in den Raum hineinragen-
de liegende Lingualpfeifen (z. B. Trompeten).
Die alteste bisher bekannte Form eines orgelahnlichen
Blasinstruments ist die altchinesische -> Mundorg.
(sheng, japanisch sho), mit Abarten bis Hinterindien
und Indonesien verbreitet. Sie hat zumeist 1 7 Pfeifen mit
durchschlagenden Zungen und Windkessel; das Mund-
stiick wird nicht angeblasen, sondern angesaugt. Die
Zungenpfeifen erklingen, wenn sie nicht durch Aufle-
gen des Fingers auf das Luftloch ausgeschaltet sind. Die
Mundorg. ist auch mehrstimmig zu spielen und fand
in den Riten der chinesischen Religionen Anwendung.
Ihr EinfluB auf die abendlandische Org.-Entwicklung
diirfte friihestens durch einen Nachbau der durch-
schlagenden Zungen durch den Org.-Bauer Kirsnik
(18. Jh.) anzusetzen sein. - Haufig wurde versucht, die
morgen- und abendlandische Org. aus der Syrinx ab-
zuleiten. Wahrscheinlicher ist, daB sie sich aus der so-
genannten pneumatischen Org. entwickelt hat, die Le-
dersacke als Windladen, aber noch keine Trakturvor-
richtungen kannte. Andeutungen solcher Org.n sind
f iir das 4., 5. und 6. Jh. n. Chr. belegt. Cassiodorus (f um
580) riihmte ihren Klang als grandissima et suavissima.
Diesem Org.-Typ gegeniiber stellt die -> Hydraulis
eine friihere, dabei hoher entwickelte und weiter ver-
breitete Form der Org. dar. Die talmudischen Schriften
erwahnen eine magrefa, ein kleines tragbares Instru-
ment mit Blasebalg; in ihm wurde eine Kleinorg. ver-
mutet, die in der synagogalen Musik Verwendung fand
(H. G. Farmer). - Im Abendland entwickelte sich als
Kleinform der Org. das tragbare -»■ Portativ (im 14. Jh.:
organetto). Es hatte anfangs 6-12 Pfeifen, in seiner Blii-
tezeit 2 Reihen von je 14 Pfeifen, hochstens insgesamt
40. Im 16. Jh. wurde es von dem groBeren -*■ Positiv
verdrangt. Eine Kleinstform des Portativs ist das -*■ Re-
gal (-1), das nur aufschlagende Zungen mit sehr kurzen
Bechern, aber schon einen Kastendeckel fur p- und f-
Wirkung kannte.
In die abendlandische Kirche fand die Org. - abge-
sehen von Hinweisen Polydors auf das 7. Jh. - spate-
stens im 8. Jh. Eingang. Pippin lieB die ihm vom by-
zantinischen Kaiser Konstantin Kopronymos geschenk-
te Org. (um 757) auf seinem Landsitz in Compiegne
aufstellen. 824 berichtet W. Strabo von einer Org. im
MUnster zu Aachen mit konstanten Weitenmensuren.
Um 826 erhielt Ludwig der Fromme eine von Ge-
orgius Veneticus nachgebildete Hydraulis. Auch der
Utrechter Psalter (9. Jh.) zeigt eine Kleinorg. Weitere
Kirchenorg.n sind im 9. Jh. fur Freising, St. Savin und
Strafiburg belegt, im 10. Jh. fur Koln, Canterbury,
Rom und Winchester. Beschreibungen der Org.n des
10. Jh. beweisen das friihe organale Prinzip: auf einer
Taste werden der Grundton mit Oktaven, sparer auch
Quinten und deren Oktaven in mehrfach chorischer
Anordnung vereint. Im 11. und 12. Jh. finden sich wei-
tere Org.n in Halberstadt, Erfurt, Magdeburg, Kon-
stanz, Paris, Rouen, Utrecht, im 13. Jh. in Brugge,
Exeter, Florenz, Liibeck, Mainz, Prag, Salzburg, West-
minster. Erbauer waren oft Geistliche und Organisten.
Im 14. und 15. Jh. sind Org.n zahlreich in den abend-
landischen Kirchen zu finden, wahrend der griechisch-
orthodoxe Kult die Org. nicht aufnahm. Nachweis-
lich im 14. Jh. wurde dem Hauptwerk ein angehangtes
-»• Pedal (-1) hinzugefiigt (Sundre auf Gotland 1370;
Florenz, S.Maria Novella 1379), das spater einige Bor-
dunpfeifen erhielt und Mitte bisEnde des 15. Jh. (Niirn-
berg 1447, Erfurt 1483, Dresden 1489) durch mehrere
eigene Register selbstandig wurde. Die unter Nikolaus
Faber 1359-61 erbaute Org. im Dom zu Halberstadt,
das zu seiner Zeit meistgeriihmte Werk, hatte schon 3
Manuale mit handbreiten Tasten, ein oberes Diskant-
klavier mit 22 Tasten (H-a 1 ohne gis 1 ), 2 Prinzipalrei-
hen Praestant 16' und -»■ Hintersatz 32-43-56fach, ein
gleichgroBes unteres Diskantklavier mit 2 Prinzipalen
8', ein BaBklavier (12 Tasten iH-H; H = wahrschein-
lich B) mit Prinzipalbordunen 32' in den Seitentiirmen
und ein Pedal (mit ebenfalls 12 Tbnen) mit fester Kopp-
lung zum BaBklavier und einem Hintersatz 16-20-
24fach. Die Org. wurde mit den Handen, wahrschein-
lich auch mit den Ellenbogen und mit den FiiBen ge-
spielt. Ihr Klang war durch den hohen Winddruck
machtig, in den doppelchorigen Prinzipalen voll-sin-
gend, durch die diskantbetonten iibergroBen Hinter-
satzmixturen iiberraschend stark und durch die weit-
gespannten FuBtonhohen vom dunklen 32' bis zum
silberhellen 1' rauschend-fiillend. Die so im Hinter-
satzblock zusammengefaBten groBen Chore konnten
erst mit der Erfindung der Springlade um 1400 und
der Schleiflade im 15. Jh. (M. Agricola 1442 in Grii-
ningen, Martinskirche) in Einzelregister und kleinere
Mixturen zerlegt werden. Dadurch war es nun auch
moglich, andere Registerarten und Klangfarben als die
blockbildenden Prinzipale zu entwickeln, wie weit-
mensurierte offene, konische und gedeckte Register,
auch Zungenwerke. Tugi aus Basel kannte das Horn-
lein; Hans SuB (Niirnberg-Koln) propagierte Schal-
mei, Schwegel und Schallenpfeife (151 1) ; H. v. Koblenz
fiihrte in Alkmaar -> Gemshorn (- 2) und -» Hohl-
flote ein. In A. -> Schlick erstand ein Meister der Klang-
und Registrierungskunst, der Zahl und Farben der
neuen Register zu ordnen wufite. Die brabantische
Schule iibemahm und entwickelte den Registerzu-
wachs weiter, belieB aber die Prinzipalblockwerke lin-
ger als der italienische Org.-Bau im Hauptwerk. Im
15. Jh. kam das Riickpositiv, das schon 1386 in Rouen
erwahnt wird, mit kleinerem Blockwerk, Floten und
Zungen hinzu, bald danach das Brust- und Oberwerk,
die beide mit dem Hauptwerk und Pedal in einem Ge-
hause untergebracht wurden, wahrend das Riickposi-
tiv als Gegenwerk ein eigenes Gehause erhielt. Somit
war 1540 der Typ der niederlandischen Renaissance-
Org. mit seinem differenzierten Klangaufbau der ein-
zelnen Werke geschaffen. Meister dieser Zeit sind
Daniel van der Distelen (f 1510) und H. -> Niehoff.
Der siidniederlandische Org.-Bau hingegen beschrank-
te sich weiter auf 1-2 Manuale und angehangtes Pedal.
Seine Vorliebe gait den Plenumgruppen und dem la-
bialen -»■ Kornett (- 2). Von ihm wurden besonders der
spanische und franzosische Typ beeinflufit. Meister der
friihen franzosischen Org.-Kunst, die vor 1500 schon
3manualige Werke kannten, sind Jean Bondifer (um
684
Orgel
1550) und Francisque des Oliviers, der 1531 die Kathe-
dralorg. in Beauvais erbaute. Von 1650-1770 erlebte
die franzosische Org. ihre Bliitezeit (Fr.-H. -*■ Clicquot,
die Theoretiker M. -> Mersenne una Dom Fr. -*■ Bedos
de Celles). - Spanien ragte im 16. Jh. durch die Org.,
die Kaiser Karl V. von spanischen Meistern (G. Hernan-
dez und Juan Gaytan) in der Kathedrale zu Toledo er-
bauen lieB, hervor, wahrend zwei Brabanter Meister
(Brebos) im Escorial 1579-84 eine groBe Org. schufen.
Die Pracht der Zungenchore zeichnet die spanischen
Org.n aus (Trompeta 32' bis 2', Viejos, Viejas, Violetas,
Orlos, Bajoncillo, Serpeton, Chirimia u. a.). Die sen
chamade« waagerecht nerausragenden Rohrwerke er-
hielten die Org.n im 17. Jh. Wahrend das Plenum in
enger Mensur mit sehr niedrigen Aufschnitten silbern
strahlte, waren die weiten Nasard- und Kornettregister
kantabel und warm, nicht aggressiv. Bemerkenswert
sind femer das oft nur 12tonige Pedal, die BaB-Dis-
kant-Teilung in den Manualen (ci/cis 1 ) und von der
Mitte des 18. Jh. an ein Schwellwerk unter dem Haupt-
werk. Das barocke Klangideal, in den Kathedralorg.n
in Toledo (die Evangelienorg. von 1758 und die Epi-
stelorg. von 1791, erbaut von Jose Verdalonga) ver-
wirklicht, hielt sich in Spanien bis gegen Ende des 19.
Jh. - Italien verharrte vorwiegend bei der einmanuali-
gen Org. der Friihgotik, deren Prinzipalblockwerk
und Mixturen hier schon sehr friih in Einzelregister
zerlegt wurden. Wenige weite Floten traten Ende des
15. Jh. hinzu. -*■ Gedackte und Terzen konnten sich
nur langsam durchsetzen. Fiihrend waren im 15. Jh. die
toskanische und venezianische Schule (Lorenzo di Gia-
como da Prato, Erbauer der Org. in S. Petronio zu Bo-
logna 1417, und Fra Urbano, der 1490 in San Marco zu
Venedig eine weithin beriihmte 9registrige Org. bau-
te) ; ein Meisterwerk ist auch Graziado Antegnatis Org.
fur S.Giuseppe zu Brescia (1581) - Werke von homo-
gener Klangfarbe, aber silberner Klarheit, deren Prinzi-
palreihen verhaltnismaBig eng sind und einen »Anflug
von Scharfe« (R.Lunelli) haben. - GroBeren Register-
reichtum zeigt dagegen die friihe Org. in Osterreich:
1496 in Maria Saal, 1498 in St. Wolfgang (M.Khall),
1513 in Innsbruck. Einen Hohepunkt der vielgliedrigen
Renaissanceorg. mit 5 Werken stellt die groBe Org. in
der Dom- und SchloBkirche zu Prag dar (1553 von
Fr. -> Pfannmiiller begonnen, um 1565 von J. und A.
Rudner vollendet.) - In England bluhte die Org.-
Kunst, vom Puritanismus verachtet, erst mit der Re-
stauration 1660 wieder auf. R.Harris erbaute groBere
Werke in Bristol, Winchester, Salisbury (50 Register),
Father Bernard Smith, ein Deutscher, Org.n in der St.
Pauls Cathedral in London, Canterbury u. a. Schon
1670 gelang es Th.Mace, durch -> Jalousieschweller
den Org.-Ton crescendieren zu lassen, eine Erfindung,
die von 1 71 2 an immer mehr den englischen Geschmack
bestimmte.
Norddeutschland nahm im 16. Jh. vielfaltige Anre-
gung besonders vom brabantischen Org.-Bau auf (H.
Niehoff, St. Petri in Hamburg 1548-51). Seine eigen-
standigen Schopfer fand es in der Org.-Bauer-Familie
Scherer sowie in Dirck Hoyer und Nikolaus Maas, der
1599 von Stralsund nach Kopenhagen ging. Die nord-
deutsche Prospektgestaltung mit den beiden seitlichen
Pedaltiirmen machte weithin Schule. G. -*■ Fritzsche,
Scherers Enkelschiiler aus MeiBen, mit M.Praetorius
und H. Schiitz befreundet, kam 1629 iiber Wolfenbiit-
tel nach Hamburg, wo er mit seinem Sohn Scherers
Werk in einem 5klavierigen Org.-Typ vollendete.
Sein Schiiler und Schwiegersohn Fr. Stellwagen (Ham-
burg und Liibeck) baute in St.Marien zu Stralsund ei-
nes der besten Werke norddeutscher Org.-Bau-Kunst,
mit 51 Registern, klassisch ausgewogener Verteilung
aller Registertypen auf die einzelnen Werke und einem
klar gegliederten Prospektaufbau mit iiber 20 m Hohe.
Beider EinfluB auf A. -*■ Schnitger ist unverkennbar.
Die Registergruppen erfuhren bei ihm hochste Vollen-
dung, sowohl die engere, sich verjungende Prinzipal-
gruppe (pleno), der sogenannte Weitchor (electo), der
eine raumhaft-hintergriindige Farbigkeit entwickelt,
als auch die kurz- und langbechrigen Rohrwerke. Der
Werkcharakter der Manuale ist vollendet durchgebil-
det. Das Gehause ist nicht nur grandiose Fassade, son-
dern mitschwingender Schallabstrahler. t)ber 160
Org.n, die Schnitger weit iiber Norddeutschland hin-
aus, auch in Holland, RuBland, Spanien und den skan-
dinavischen Landern erbaute, zeugen von seiner Mei-
sterschaft. Seine Sbhne, Hans Jiirgen und Franz Cas-
par, lieBen sich in Holland nieder. Der skandinavische
Org.-Bau erhielt durch Schnitger und andere Org.-
Bauer aus Norddeutschland ebenfalls vielfaltige Anre-
gungen (J.Lorentz, G. Fritzsche, J. Richborn, Christian
Rudiger aus Stettin und H.H.Cahmann, der sich in
Schweden ansiedelte). - Nicht minder bedeutend sind
vom Friihbarock an die Org.n im ostdeutschen Raum,
so unter vielen J.A.Frieses 51registrige Org. in der
Danziger Marienkirche (1549) und J.J.Mosengels Ko-
nigsberger Domorg. (1721). Bemerkenswert fur die
Org. dieser Zeit sind Nebenziige, wie Hiimmelchen,
Fuchsschwanz, -> Vogelgesang (- 3), Zimbelstern,
zwei fliegende Adler, die sich bewegen, alles natur-
offene und symbolische Zutaten, die sich iiberall, wie
auch anf anglich in der Gotik, groBer Beliebtheit erfreu-
ten. Aus der reichen Org.-Landschaft Mitteldeutsch-
lands sind zu nennen: D. -*■ Beck (SchloBkirchenorg.
in Groningen), Chr. -*■ Forner, Matthias Schurig und
die Familie -> Compenius, die Org.n u. a. in Magde-
burg, Bitterfeld, Halle, Biickeburg erbauten. Esaias
Compenius, der geniale Schopfer der heute im Fre-
deriksborger SchloB stehenden, vollstandig erhaltenen
2manualigen Org., die nur Holzpfeifen hat, war ein
Freund und Berater des M.Praetorius. Italienischer
EinfluB kam durch E. -> Casparini, der 1700 die Son-
nenorg. in Gorlitz erbaute, nach Deutschland. Weitere
Meister des 18. Jh. sind: G. -*■ Silbermann, Z. ->■ Hil-
debrandt, die Familien Herbst und -> Stumm und J.J.
-»■ Wagner. Letztere reduzierten die extremen Farb-
register und FuBtonlagen, die uberblasenden Register
und kurzbechrigen Rohrwerke und suchten in ihrem
Klang eine Mitte, die die Farbextreme ausschaltete.
Klassisch ausgewogen entfalteten sie den homogenen
»argentinischen« Klang des Plenums. G. Silbermann
formulierte sein Ideal bei dem Kontraktentwurf der
Freiberger Domorg. : Das Hauptmanual soil einen gravi-
tatischen Klang bekommen, das Oberwerk scharfund etwas
spitzig, das Brustwerk recht delikat und lieblich sein. Be-
merkenswert ist bei seinen Org.n das Fehlen eines
Ruckpositivs. Andreas, G. Silbermanns Bruder und
Lehrmeister, nahm vielfaltig franzosische Anregungen
auf (Fr. -> Thierry). Seine bekannteste Org. ist die des
StraBburger Miinsters (1714-16). Starken EinfluB hatte
er auf K.J.Riepp, der sich in Dijon niederlieB, mach-
te aber auch Schule bis nach Amerika (I. G.Klemm,
1690-1762). - Der siiddeutsche Org.-Bau, der ein glan-
zendes Beispiel groBer Farbigkeit in der Konzilskirche
Santa Maria Maggiore in Trient (1536, umgebaut von
E. Casparini) aufweist, entfaltete seine vokale Klang-
vorstellung in den Org.n von Chr. ->■ Egedacher, J.
-*■ Gabler, K.J. -> Riepp und J.N. -*■ Holzhay. Riepps
1757-66 in der Abtei Ottobeuren erbauten Org.n - die
groBe Dreifaltigkeitsorg. auf der Epistelseite und die
kleinere Hl.-Geist-Org. auf derEvangelienseite - geho-
ren zu den groBartigsten Dokumenten siiddeutscher
Org.-Bau-Kunst. FranzosischeEinfliisse sind hier unver-
685
Orgel
kennbar;dieaffektbetonteKlanglichkeitdesorchestralen
Vorbildes zeigt sich besonders in den Streichern. Fiille-
betonte Register nehmen zu, wie iiberhaupt alles zum
satten Klang hin (Terzmixturen) ausgerichtet ist.
Den Weg, der von dem organalen Werkprinzip und
seinen Funktionsgruppen fortfiihrte, beschritt von der
Mannheimer Schule aus Abbe -*■ Vogler mit seinem
->• Orchestrion (- 1) und dem Simplifikationssystem,
das die Manuale in reine Farbelemente aufteilte, die Ali-
quote zur akustischenErzeugung von Aequaltonen ein-
setzte und die ganze Org. zurErhohung der Ausdrucks-
moglichkeiten in einen Schweller stellte. Die Tenden-
zen, die sich von hier aus ins 19. Jh. ausbreiteten, wa-
ren: eine Mensurveranderung, die die polyphone Klar-
heit aufgab, Auflosung des Werkcharakters der Ma-
nuale hin zu moglichst liickenlosen, orchestralen Laut-
starkeiibergangen und starke Harmoniebetonung. Die
Register wurden fortan nach der Einordnung in die
Lautstarkeskala befragt, statt sie nach ihrer Klangf unk-
tion einzuordnen. AuBere technische Erweiterungen
(Kombinationsziige, Crescendowalze, Hochdruckre-
gister) wurden jiiberschatzt. Ein neues Ladensystem
(Kegellade und Taschenlade) verdrangte die Schleif-
lade. DaB aber immer noch in diesem Rahmen bestes
Kunsthandwerk, verbunden mit gediegener Kenntnis
historischer Org.n geiibt wurde, beweisen Fr. ->• Lade-
gast, ein Gegner der Kegellade, fur dessen Merseburger
Domorg. Liszt 1855 seine Komposition iiber BACH
schrieb und auf dessen Wiener Org. A.Bruckner im-
provisierte, sowie die Org.-Bauer-Familien ->• Schulze
und -»■ Buchholz und der Org.-Bauer W. -*■ Sauer, ein
Schiiler Cavaille-Colls, der u. a., die Org.n im Berliner
Dom und in der Leipziger Thomaskirche erbaute. Bei
ihnen kommen die mensurtheoretischen Vorstellungen
J. G. -» Topfers und Dom -»■ Bedos' zur Auswirkung.
Auch E.Fr. -»- Walcker verband diese romantischen
Ihtentionen mit Tradition und groBem Konnen, aller-
dings auch teilweise auf Vogler eingehend. In Frank-
reich hielt -> Cavaille-Coll an der historischen Schleif-
lade fest, verwendete bei seinen groBen Org.n den Bar-
kerhebel, disponierte viele Zungen, auch noch Aliquot-
register und gestaltete so die franzosische Org. des 19.
Jh., der Tradition wie einigen romantischen Intentio-
nen aufgeschlossen. Ahnlich wirkten in Frankreich
-> Merklin und -*■ Gonzalez, in England A. -»- Harri-
son, wahrend sonst, insbesondere in Deutschland, die
Absichten Voglers das genuin OrgelmaBige, die in sich
geschlossenen Klangebenen der einzelnen Werke,
durch Vorstellungen eines Orchestrions ersetzen woll-
ten, ein Vorgang, der der sogenannten Fabrikorg., die
von einer Raumintonation absehen konnte, entgegen-
kam. Eine groBe Umwandlung des Org.-Klangs ging
hiervon aus: eine Mensurveranderung zugunsten einer
Melodiebetonung des Diskants sowie die Vorliebe fur
Charakter- und Streichregister (Bellgambe, Vox coe-
lestis) und fur Hochdruckregister ; der akkordischen
Vollgriffigkeit kamen die neuen Kegel- und Taschen-
laden entgegen. Kernstiche loschten die fremdartigen
Vorlaufertone aus, die beim Anlaut der Lippenpfeifen
als hohere Tone auBerhalb der Partialtonreihe kurz
horbar werden und die dem LinienfluB mehr als der
satten Akkordik dienen. Oberhaupt gait fur diese Zeit
eine Oberschatzung von Masse und Technik. Das eu-
ropaische Org.-Bau-Handwerk unterlag nicht uberall
diesen Intentionen, hatte aber, soweit traditionsver-
bunden, einen schweren Stand gegenuber der billigen
Fabrikorg. Erst mit dem zunehmenden Interesse an der
Org.-Literatur friiherer Jahrhunderte und mit derEnt-
deckung der musikalischenBedeutung alter Instrumen-
te erwachte die Frage nach den historischen Klangstilen.
Hier setzte die -»- Org.-Bewegung ein.
In der »Klangf unktionslehre« (E. K. RoBler) werden die
unterschiedlichen Klangtypen beschrieben. Sie wertet
die vom Ohr vernommenen Klangspektren der Instru-
mente musikalisch, indem sie derenjeweiligeEigenart
alsEignung f iir adaquate Satzstruktur (Polyphonie, Ho-
mophonie) beschreibt. Dadurch wird die »Klangfunk-
tionslehre« nicht zum Schrittmacher des Historismus,
sondern steht als Disziplin zwischen Instrumentenkun-
de und Kompositionslehre. Als »raumlinienstark« wird
der Klangtyp bezeichnet, der linienfuhrende Satzstruk-
tur in alien Lagen und Stimmen klar und unverdeckt
wiedergibt; Liniengewebe (auch punktuelle Struktu-
ren) erklingen raumtief, plastisch, deutlich profiliert
und durchhorbar (Schering nennt diese Klangart
»Spaltklang«). Die Klarheit dieses Klangtyps hangt we-
sentlich vom Obertonspektrum des Instruments ab;
auch Stereomontage kann sie nicht erzeugen. Der Ge-
genpol ist der »harmoniestarke« Klangtyp, der linearer
Struktur nur geringe plastische Deutlichkeit verleihen
kann, dafiir aber jeden Satz vertikal harmonisch betont
und damit das Fioren uberwiegend auf die harmoni-
schen Beziehungen lenkt; dabei wird die polygene
Gleichwertigkeit der Tonhohenschichten aufgehoben.
Epochen vorwiegend homophonen Schaffens wahlten
Org. und Instrumentarium mit groBer Harmoniestar-
ke, Zeiten genuiner Polyphonie solche mit hoher
Raumlinienstarke ; andere stehen in der Mitte (General-
baBzeit). - Weitere Kontakteigenschaften der Raum-
linienstarke sind groBeKonzentrizitat, Langenkraft und
Dissonanzstarke. Hohe Konzentrizitat des Klanges ver-
bindet sowohl hohenmaBig weit auseinanderhegende
Stimmlinien, groBe Intervallspriinge als auch starke
Farbkontraste (z. B. Sordun/Pommernach thorn), so daB
sie nicht abgespalten, getrennt, sondern in innerer Ko-
harenz verbunden empfunden werden. In dem Ma-
Be abnehmcnder Raumlinienstarke, d. h. zunehmen-
der Harmoniestarke, wandelt sich die Konzentrizitat in
Klangparallelitat. Diese erscheint als Hohenparallelitat
bei hohenmaBig weit auseinanderliegenden Stimmen,
wie groBen Intervallsprungen, die klanglich auseinan-
derfallen, und als Farbparallelitat, wenn sich ihre kon-
traststarken Klangfarben nicht mehr aufeinander be-
ziehen. Was fur die Beziehung weiter Intervallspriinge
gilt, trifft auch fiir die Verbindung weit entfernter FuB-
tonlagen zu. Korizentrische Register verbinden sich in
groBer Weite, verschmelzen also zu einer neuen Ein-
heit, z. B. Gedacktflote 8' + Gemsquinte IV3', Rohr-
krummhorn 16' + Septade 2'; klangparallele Register
hingegen verschmelzen nicht, z. B. Aeoline 8' + Fla-
geolet 1', Horn 8' + Quinte 11/3'. Sie brauchen deshalb
zur Verbindung Englagen und Fiillungen, z. B. Bor-
dun 8' + Gambe 8' + Salicional 4' + Flote 4'. Disso-
nante Ballungen lafit raumlinienstarker Klang gleich-
sam wie in einem weiten Raum auseinanderlagern. Das
Ohr folgt hier williger dem LinienfluB, als daB es bei
den Vertikalkonstellationen verharrt. Auch verbraucht
sich der Klang hoher Raumlinienstarke nicht so schnell
wie der der Harmoniestarke. Er hat mehr Langenkraft
durch Changieren und Differenzieren im Partialtonauf-
bau. Mit dem Zuwachs raumlinienstarker Klange in
neu hinzugekommenen Registern wird der Ausdrucks-
bereich des Org.-Klanges iiber die historischen Vorbil-
der hinaus erweitert.
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Obers. hrsg. v. W. Schmidt, Lpz. 1899; Hucbald, De
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Orgelbewegung
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Williams, The European Organ 1450-1850, London 1966.
Orgelbewegung. Die O. hat ihren Ausgang von der
nach 1900 einsetzenden Besinnung auf die Werte des
alten Orgelbaus genommen. A. Schweitzer, E. Rupp
und Fr. X.Matthias tadelten an den deutschen Orgeln
des spaten 19. Jh. die mangelnde Eignung f iir die Wie-
dergabe polyphoner Musik und sahen in dem Orgel-
typ der Familie Silbermann und im Orgelbau Cavaille-
Colls den Ansatz zu weiterfiihrender Erneuerung. Die
Verwerfung der »Orchesterorgel« und der »Fabrikor-
gel« durch die elsassische Orgelreform kennzeichnet die
Abkehr von der im Orgelbau des 19. Jh. herrschen-
den orchestralen Klangpragung, deren empfindsame
Dynamik sich mit dem von Natur aus stationaren
Klang der Orgel nicht oder nur unter Zuhilfenahme
einer technischen Apparatur (Hochdruck- und Sausel-
stimme, Rollschweller, Jalousieschweller, Spielhilfen
u. a. m.) in Einklang bringen lieB. Das Wirken Regers,
der der Orgelkomposition zu neuem Ansehen verhalf,
und Straubes, der die Orgelliteratur der Zeit vor Bach
in Konzert und Unterricht erschloB, gab den AnlaB zu
einer zunachst vorwiegend historisch orientierten Be-
schaftigung mit Bau und Klang der »alten Orgel«. 1921
wurde in Freiburg im Breisgau von O.Walcker nach
den Angaben von W. Gurlitt eine Orgel nach einer von
M. Praetorius 1619 veroffentlichten Disposition gebaut
(zerstort 1944, Neubau 1954/55). Die Orgeltagungen
in Hamburg 1925 (gelegentlich der durch H.H.Jahnn
und E. Kemper restaurierten Orgel A. Schnitgers in St.
Jakobi, an der Straubes neue Ausgabe Alte Meister des
Orgehpiels orientiert ist), Freiburg im Breisgau 1926
(W. Gurlitt) und Freiberg in Sachsen 1927 fiihrten
Wissenschaftler, Organisten und Orgelbauer zusam-
men und gaben der O. entscheidende Impulse. Inzwi-
schen hatte 1925 Chr. Mahrenholz die Marienorgel zu
Gottingen als erstes an historischen Vorbildern orien-
tiertes Werk der O. erbauen lassen. Es entwickelten
sich, nicht ohne gelegentliche Ruckfalle in historisie-
rendes Kopieren und gegen den Widerstand der der
spatromantischen Orgeltradition verhafteten Kreise,
die fiir die O. geltenden Grundziige des Orgelbaus:
a) die am architektonisch-polyphonen Wesen des sta-
tionaren Orgelklangs orientierte -»■ Disposition, die die
konzertierende Gegensatzlichkeit des Werkprinzips
herausstellt und damit eine giinstige Intensitatsvertei-
lung des Klanges schafft (Folgen auch fiir den Aufbau
der Werke, z. B. Riickpositiv) ; b) natiirliche und der
Funktion des Registers im Gesamtrahmen der Disposi-
tion entsprechende Klanggebung der verschieden men-
surierten Pfeifenreihen (Winddruck, Schleifladen, me-
chanische Traktur, Tonansatz, Intonation u. a.). Dieses
Teilgebiet der O. ist durch die neuere wissenschaftliche
Akustik (Thienhaus, Lottermoser, K. Th. Kiihn) ent-
scheidend gefordert worden. Die 1953 von W. Supper
u. a. gegriindete Gesellschaft der Orgelfreunde sieht
sich berufen, das Erbe der O. fortzufiihren. - AnlaBlich
der Orgeltagung 1967 in Freiburg im Breisgau lehnte
H. H.Eggebrecht die Giiltigkeit des Begriffs der O. mit
ihren fixierten Wertsetzungen fiir die heutige Zeit ab
im Gedanken an die Notwendigkeit einer allseitig offe-
nen Fragestellung, auch gegeniiber dem Orgelbau des
19. Jh. und besonders im Blick auf die Klangvorstellun-
gen heutiger Komponisten.
Lit. : Ber. fiber d. Freiburger Tagung f . deutsche Orgel-
kunst 1926, hrsg. v. W. Gurlitt, Augsburg 1926; Ber.
fiber d. dritte Tagung f. deutsche Orgelkunst in Freiberg
i. Sa. 1927, hrsg. v. Chr. Mahrenholz, Kassel 1928; Ber.
fiber d. zweite Freiburger Tagung f. deutsche Orgelkunst
1938, hrsg. v. J. Muller-Blattau, Kassel 1939. - A.
Schweitzer, Deutsche u. frz. Orgelbaukunst u. Orgel-
kunst, Lpz. 1906, 2 1927; W. Gurlitt, Zur gegenwartigen
Orgelerneuerungsbewegung in Deutschland, MuK 1, 1929,
Neudruck in : Mg. u. Gegenwart II, = BzAf Mw II, Wies-
baden 1966; ders., K. Straube als Vorlaufer d. neueren O.,
Fs. K. Straube, Lpz. 1943, Neudruck ebenda; H. Birtner,
Die Probleme d. O., Theologische Rundschau, N. F. IV,
1932; Chr. Mahrenholz, 15 Jahre O., MuK X, 1938,
auch in: Musicologica et Liturgica, Kassel (1960) ; E. K.
Rossler, Orgelfragen heute, MuK XVII, 1947 - XVIII,
1948 ; H. Schulze, Eine neue Aufgabe f . d. Orgelbau unse-
rer Zeit, Bin 1947; O. Walcker, Erinnerungen eines Or-
gelbauers, Kassel (1948); O. u. Historismus, hrsg. v. W.
Supper, = Veroff. d. Ges. d. Orgelfreunde XIV, Bin 1958 ;
Kl. M. Fruth, Die deutsche O. u. ihre Einflusse auf d. heu-
687
Orgelchoral
tige Orgelklangwelt, Ludwigsburg (1964); H. H. Egge-
brecht, Die 0., (Druck in Vorbereitung).
Orgelchoral -+ Choralbearbeitung (- 2).
Orgelklavier, Orgelklavizimbel (lat. claviorganum;
ital. und span, claviorgano; frz. clavecin organise; engl.
organo piano), eine Kombination aus einem Saiten-
und einem Pfeifenwerk, nachweisbar bereits im 15., be-
liebt im 16. Jh. In der 2. Halfte des 18. Jh. traten solche
Bastard instrumente wieder starker hervor. Bekannt
war die Melodica des Augsburger Klavier- und Orgel-
machers J. A. Stein (1728-92), die ein Hammerklavier
mit einem Flotenwerk verkoppelte. Nach Steins Be-
schreibung dieses als »Verbesserung« der Orgel gedach-
ten »Affecten-Instrumentes« wurde mit der rechten
Hand die »riihrende« Melodie auf dem Flotenwerk, mit
der linken die Begleitung auf dem Pianoforte gespielt.
Lit. : J. A. Stein, Beschreibung meiner Melodica, eines neu-
erfundenen Clavierinstr., Augsburg 1772; J. Schlosser,
Die SIg alter Musikinstr., = Kunsthist. Museum in Wien,
Publikationen aus d. Slgen f. Plastik u. Kunstgewerbe III,
Wien 1920, S. 73ff.; R.-A. Mooser, L'orch.-instr. d'A.
Mooser, in: Dissonances VII, 1934; E. Hertz, J. A. Stein
(1728-92). Ein Beitr. zur Gesch. d. Klavierbaues, Wolfen-
biittel u. Bin 1937; E. Winternitz, Alcune rappresenta-
zioni di antiche strumenti ital. a tastiera, CHM II, 1956.
Orgelmesse, Zusammenstellung von Orgelversetten
zur alternatim-Ausfiihrung der Ordinariumsstucke der
Messe (meist ohne Credo, in manchen Fallen mit Of-
fertorium). Die Praxis des alternierenden Orgelspiels in
der Messe ist seit dem spaten 14. Jh. bezeugt. Die Uber-
lieferung von Kompositionen setzt am Anfang des 15.
Jh. ein (-> Quellen: Fa) ; seitdem bildet die O . einen wich-
tigen Zweig in der Geschichte der -^- Choralbearbei-
tung (- 2). Neben den vorherrschenden choralgebun-
denen O.n finden sich auch solche (namentlich in den
franzosischen Orgelbiichern des 17. Jh.), die ganz oder
in einzelnen Satzen die C. f.-Bindung aufgeben. In der
Orgelmusik fiir den evangelisch-lutherischen Gottes-
dienst begegnen MeBsatze nur vereinzelt (z. B. im III.
Teil von Scheidts Tabulatura nova) ; doch kniipf en an
die Tradition der O. zahlreiche Satze iiber Ordina-
riumslieder an, zu denen auchJ.S.Bachs (freilich nicht
mehr fiir den alternatim-Gebrauch bestimmte) Bear-
beitungen von Kyrie-, Gloria- und Credolied in der
Clavier-Ubung, III. Teil, zahlen. - A. Schering verwen-
dete den Terminus 0. 1912 auch fiir die von ihm ange-
nommene Praxis der Josquin-Zeit, wonach in C. f.-
Messen im wesentlichen nur der Tenor vokal, die iibri-
gen Stimmen auf der Orgel auszufiihren waren. Doch
konnte sich diese Hypothese, die die Rolle des Tenors
als Nachfolger des ebenfalls instrumentalen Motettentenor
des 13. und 14. Jh. (P.Wagner, S. 85) nicht berucksich-
tigte und eine zu scharfe Grenze zwischen vokal und
instrumental zog, nicht durchsetzen.
Lit.: G. Rietschel, Die Aufgabe d. Org. im ev. Gottes-
dienste bis in d. 18. Jh., Lpz. 1893; A. Schering, Die nld.
O. im Zeitalter d. Josquin, Lpz. 1912; ders., Auffuhrungs-
praxis alter Musik, = Musikpadagogische Bibl. X, Lpz.
1931; ders., Zur Alternatim-O., ZfMw XVII, 1935; P.
Wagner, Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach
Gattungen XI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963;
L. Schrade, Die Messe in d. Orgelmusik d. 1 5. Jh., Af Mf I,
1936; ders.. The Organ in the Mass of the 15 ,b Cent., MQ
XXVIII, 1942.
Orgelmusik. Das Spielen auf den verschiedenen Ta-
steninstrumenten und die dafiir bestimmten Komposi-
tionen bildeten bis ins 18. Jh. als Clavierkunst (Adlung
1758) eine Einheit, deren Aufgliederung nach den ein-
zelnen Instrumententypen vielfach problematisch ist.
Deshalb kann das Gesamtrepertoire der fiir Saitenkla-
viere und Orgel bestimmten Musik bis zu dieser Zeit
als -> Klaviermusik im weiteren Sinne zusammenge-
faBt werden. - Bis zum spaten 16. Jh. la'Bt sich eine
Spezialisierung fur Pfeifen- oder Saitenklavier in der
Kompositionsart nirgends nachweisen. Hauptsachlich
fiir Orgel bestimmt ist in dieser Zeit wohl die Gattung
der ->■ Choralbearbeitung (- 2) auf Grund ihrer liturgi-
schen Bindung ; auch in Angaben iiber den Gebrauch
des -> Pedals (- 1), z. B. bei Ileborgh 1448, im Buxhei-
mer Orgelbuch und bei Schlick 1520, liegt ein Hinweis
auf vorwiegende Orgelausfiihrung, da -»• Pedalklaviere
weitaus seltener als Orgeln mit Pedal gebaut wurden.
Erst ab etwa 1600 begann - als ein Teil der in der Ba-
rockzeit allgemein sich herausbildenden Idiomatik der
Instrumente - die Entwicklung von Satztechniken, die
eng mit der klanglich-spieltechnischen Eigenart eines
bestimmten Tasteninstrumenttypus verbunden sind.
Um diese Zeit kommt auch in Werktiteln die Zuwei-
sung an ein bestimmtes Instrument allmahlich haufiger
zum Ausdruck, so z. B. in Intavolatura di cimbalo (Va-
lente 1576), Parthenia ...for the Virginalls (1611), Toc-
cate e partite d' intavolatura di cimbalo (Frescobaldi 1615),
Partitura per sonare nella spinetta (Cazzati 1662), Pieces de
clavessin (Chambonnieres 1670, Lebegue 1677, d'Angle-
bert 1689, J. K.F.Fischer 1696), Intonationi d' organo (A.
und G.Gabrieli 1593), . . . pour toucher sur I'orgue (Ti-
telouze 1623, 1626), Livre d'orgue (Nivers 1665-76, Le-
begue 1676-85 usw.), wenngleich daneben noch lange
Zeit Formulierungen wie Ricercari per ogni sorte di stro-
menti da tasti (A. Gabrieli 1595), Toccate e partite d'intavo-
latura di cimbalo et organo (Frescobaldi 1637) und Hexa-
chordum Apollinis . . . Organo pneumatico, vel clavato
cymbalo (J.Pachelbel 1699) begegnen. Eine eindeutige
Bindung der Kompositionstechnik an die Orgel zeigt
sich zunachst seit dem friihen 17. Jh. in Norddeutsch-
land, wo die Sweelinck-Schiiler J. Praetorius, M. Schildt
und H. Scheidemann die in mehrere Klangebenen auf-
gespaltene Ausfiihrung von C. f.-Satzen die (Scheidt
1624 als ad libitum-Praxis lehrt) zum notwendigen Be-
standteil der Satzart des monodisch-kolorierten Orgel-
chorals und der Form der Choralfantasie erhoben. Ne-
ben diese Choralbearbeitungstypen traten in Nord-
deutschland in der 2. Jahrhunderthalf te als orgeleigene
Formen die groBen, vielteiligen Praeludien und Tocca-
ten von Buxtehude, Bohm u. a. ; sie erhalten - formal
an Vorbildern der italienisch-siiddeutschen Klaviermu-
sik orientiert - ihr klangliches Geprage von der Virtuo-
sitat mit Gravitat vereinenden Fiihrung der Pedalstim-
me (entsprechend der reichen Pedaldisposition der
norddeutschen Orgel dieser Zeit). In Mitteldeutsch-
land blieben bis zum Ende des 17. Jh., in Siiddeutsch-
land noch linger, auch diejenigen Tastenmusiksamm-
lungen, die auf Grund ihrer liturgischen Bestimmung
primar als O. gelten konnen, ihrer Kompositionsart
nach weitgehend auch der Ausfiihrung auf dem Saiten-
klavier zuganglich, so z. B. J.E. Kindermanns Harmonia
organica (1645),J.K.Kerlls Modulatio organica (1686), Fr.
X. Murschhausers Octo-Tonium (1696) und Prototypon
(1703-07), J.Pachelbels Magnificatfugen (handschrift-
lich), J. K.F.Fischers Ariadne musica (1702) und Musica-
lischer Blumen-Strauft (nach 1732) und Gottlieb Muffats
12 Versetlsamt 12 Toccaten (1726). Obligates Pedalspiel
wurde nur selten gefordert, hauptsachlich in den Kom-
positionstypen der Orgelpunkttoccata (J.K.Kerll, A.
Scherer, J.Pachelbel, Fr.X.Murschhauser) und des Or-
gelchorals mit planem C. f. im BaB (J.Pachelbel). In
England wurde als orgeleigener Typus im 17. Jh. von
J.Lugge, Chr. Gibbons, J. Blow, H.Purcell u. a. das
Voluntary for double organ gepflegt, dessen Entwick-
lung parallel mit der Verbreitung der 2manualigen Or-
gel in England verlief . In Frankreich erschien zuerst in
den Sammlungen liturgischer O. von G. Nivers (1666-
75), N.Lebegue (1676-85), N.Gigault (1682-85), Fr.
688
Couperin (1690), N. de Grigny (1699) u. a. ein Reper-
toire, das durch detaillierte Werk- und Registeranga-
ben, denen jeweils bestimmte Satztypen entsprechen,
eindeutig auf die Orgel bezogen ist, speziell auf den
mehrmanualigen und an Solostimmen reichen franzo-
sischen Orgeltypus dieser Zeit. Die mit diesen Verof-
fentlichungen eingeleitete Bliitezeit von Orgelspiel und
-komposition in Frankreich dauerte das ganze 18. Jh.
hindurch fort und brachte eine Fulle von (groBenteils
liturgisch gebundener) O. hervor, in der verstarkt die
schon im 17. Jh. vorhandene Neigung zu lied- und
tanzmaBiger Schreibweise sowie die Obertragung des
Galanten Stils auf die Orgel zu beobachten sind; unter
denKomponisten sindL. Marchand, L. N. Clerambault,
P. du Mage, J. Fr. Dandrieu, M. Corrette, J. J. undJ.-M.
Beauvarlet-Charpentier hervorzuheben. Die Orgel-
werke der italienischen Komponisten des 17. und 18.
Jh. (unter den Meistem nach Frescobaldi seien genannt:
M.Rossi, G.B.Fasolo, B.Pasquini, A.Scarlatti, A.B.
Delia Ciaja, D. Zipoli, G. B. Martini und F. Feroci) blei-
ben fast durchweg auch der Ausf tihrung auf dem Cem-
balo zuganglich. Siekniipfen zunachst an die alteren ita-
lienischen Typen Ricercar, Canzona, Capriccio, Tocca-
ta und an die liturgische Versettenkomposition an, spa-
ter wird dazu die mehrsatzige Sonate gepflegt.
Unter den pedaliter auszuftihrenden Tasteninstrument-
werken J. S. Bachs sind die 6 Triosonaten und die Passa-
caglia in ihrer Bestimmung fur Orgel oder Pedalcem-
balo nicht festgelegt. Folgt man den Hinweisen, die
sich aus originalen Titeln (Orgel-Buchlein; Dritter Theil
der Clavier-Ubung . . . vor die Orgel; . . . pro Organo pie-
no; Praeludium pro organo cumpedale obligate usw.), gele-
gentlichen Registerangaben (BWV 596, 600, 720) so-
wie der Beriicksichtigung der Klaviaturumfange der
jeweils zur Verfiigung stehenden Orgel ergeben, so
sind als fur die Orgel bestimmt hauptsachlich die pe-
daliter-Choralbearbeitungen und die groBen Praeludien
(Fantasien, Toccaten) und Fugen mit obligatem Pedal
anzusehen. In der Behandlung des Instruments kniipf t
Bach vor allem an die norddeutsche O. an, in Form
und Satztechnik auBerdem an mittel- und siiddeutsche,
italienische und franzosische Vorbilder. Strenge Stim-
migkeit und Gravitat des Satzes lieBen Bachs O. spate-
ren Zeiten als der Natur des Instruments und seiner [kirch-
lichen] Bestimmung angemessen, als Ausdruck der Andacht,
Feyerlichkeit und Wiirde (Forkel, Kap. IV) erscheinen.
Jedoch verdankt sie andererseits Formenreichtum und
Ausdruckskraft in hohem MaBe der Offenheit gegen-
iiber dem »weltlichen« Bereich der Tastenmusik und
dariiber hinaus der vielf altigen Verbindung mit ande-
ren Formen der Instrumental- und Vokalmusik ; so zei-
gen sichEinfliisse aus der Liedvariation (Choralbearbei-
tungstypus des Orgel-Biichleins), aus Tanztypen (z. B. Al-
lemande: BWV 658, vgl. BWV 813; Sarabande: BWV
654, Praeludium BWV 548), der franzosischen Ouver-
ture (BWV 552), derKonzertform (mehrere der groBen
Praeludien und Fugen), der Triosonate (BWV 655, 664,
676) und der Da-Capo- Arie (BWV 537).
Der Stilwandel um die Mitte des 18. Jh. und die Ver-
drangung von Cembalo und Clavichord durch das
Hammerklavier hatten die fast ganzliche Trennung von
Klavier- und Orgelmusik zur Folge. Wahrend das
Hammerklavier, vor allem dank seiner Fahigkeit zu
dynamischer Schattierung, in der Musik der Klassik
und Romantik eine wichtige Rolle spielte, sank die O.
f iir lange Zeit zu qualitativer und musikgeschichtlicher
Bedeutungslosigkeit herab. Erst seit den 1830er Jahren,
zugleich mit dem neuerwachten Interesse an alterer O.,
die in Ausgaben von K.F.Becker, A.G.Ritter, G.W.
Korner und Fr. C. Griepenkerl (»Kritisch-korrekte Ge-
samtausgabe« von Bachs Orgelwerken ab 1844) zu-
Orgelmusik
ganglich gemacht wurde, wandten sich wieder bedeu-
tende Komponisten, wenn auch nur mit vereinzelten
Beitragen, der O. zu. In den Orgelwerken von Men-
delssohn Bartholdy, R. Schumann und Brahms ist vor
allem derEinfluB Bachs wirksam, wahrend in Liszts O.
das virtuose Element im Vordergrund steht. Frank-
reichs gewichtigster Beitrag zur O. im 19. Jh. sind die
ab 1858 entstandenen Orgelwerke von C.Franck (am
bedeutendsten die 1890 geschriebenen Trois chorales pour
grand orgue). In der Einwirkung, die das brgelmaBige
Denken auf den Stil der fur andere Besetzung geschrie-
benen Werke hat, ist Franck mit A.Bruckner zu ver-
gleichen, der ein glanzender Orgelspieler und -impro-
visator war, aber (abgesehen von einigen Jugendwer-
ken) keine Orgelkompositionen schrieb. In Deutsch-
land nimmt erst im Schaffen Regers die O. wieder ei-
nen zentralen Platz ein. Von der Polyphonie Bachs und
der Harmonik Wagners, aber auch von dem virtuosen
Klavierstil Liszts gingen Einfliisse auf seine Orgelwerke
aus, unter denen die 7 zyklischen Phantasien iiber pro-
testantische Kirchenlieder, 2 Sonaten, die Fantasien und
Fugenop.46(iiberBACH),op.57undop.l35bsowiedie
Variationen und Fuge op. 73 hervorragen. In der deut-
schen O. nach 1920 (J. N. David, E. Pepping, J. Ahrens,
H. Schroeder, S. Reda, H. Bornefeld u. a.) ist im Gefolge
der -»- Orgelbewegung und im Zusammenhang mit
dem Streben nach erneuter Bindung an die Liturgie die
Tendenz zur Ankniipfung an Formen und Satztech-
niken der O. vor Bach, verbunden mit zuriickhalten-
dem Gebrauch von Kompositionsmitteln der Moderne,
zu beobachten. Unter den einzelnen Beitragen zur O.
von deutschen Komponisten, die der Orgelbewegung
fernstehen, seien die drei Sonaten von P.Hindemith
(1937-40) und A. Schonbergs Variationen iiber ein Rezi-
tativ op. 40 (1941) hervorgehoben. Seit den 1950er Jah-
ren gewinnen Zwolftontechnik und serielle Kompo-
sitionsweise an EinfluB (David, Ahrens u. a.). AuBer-
halb Deutschlands entstand im 20. Jh. vor allem in
Frankreich in Fortsetzung der Tradition des spaten 19.
Jh. (A. Guilmant, Ch.-M. Widor) eine bedeutende Li-
teratur fur Orgel. Als Komponisten sind Ch.Tour-
nemire, L. Vierne, M. Dupre, J. Alain und vor allem O .
Messiaen zu nennen, in dessen mystisch-programmati-
schen Stiicken die virtuos-farbenprachtige Instrument-
behandlung der franzosischen Tradition mit einer ganz
personlich gepragten konstruktiven Kompositionstech-
nik verbunden ist. - Die Zukunft der O. wird sich heu-
te wohl weniger aus Ruckbesinnungen auf Orgelbau
und Orgelspiel des Barocks und des 19. Jh. entscheiden,
als vielmehr aus der Neubesinnung auf die MSglichkei-
ten, die die Orgel - ihren (in der Geschichte entfalteten)
Prinzipien nach - der neuen Musik fur Kirche und
Konzert anzubieten vermag, sowie aus dem Formulie-
ren und Erf ullen der Forderungen, die heutige Kompo-
nisten in Verantwortung gegeniiber Kirchenmusik und
Konzertwesen an den Orgelbau zu stellen haben.
Ausg.: — > Choralbearbeitung (- 2), — » Klaviermusik. -
Arch, des maitres de l'orgue des XVI e , XVII e et XVIII C s.,
10 Bde, hrsg. v. A. Guilmant (mit A. Pirro), Paris u. Mainz
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XVII e XVIII, =Torchi III; Alte Meister. Eine Slg deut-
scher Orgelkompositionen aus d. XVII. u. XVIII. Jh., f. d.
praktischen Gebrauch bearb. v. K. Straube, Lpz. 1904;
Alte Meister d. Orgelspiels, N. F. I— II, hrsg. v. dems., Lpz.
1929 ; Ant. di organistas ctesicos espafloles (s. XVI, XVII y
XVIII), hrsg. v. F. Pedrell, 2 Bde, Madrid 1905-08; Alte
Meister aus d. Friihzeit d. Orgelspiels, hrsg. v. A. Sche-
ring, Lpz. 1913; Organum IV, 1-22; Deux livres d 'orgue
parus chez P. Attaingnant, hrsg. v. Y. Rokseth, = Publi-
cations de la Soc. frc. de musicologie 1, 1, Paris 1925 ; Treize
motets et un prelude pour orgue parus chez P. Attaingnant
en 1531, hrsg. v. ders., ebenda I, 5, 1930; Ausgew. Orgel-
stucked. 17. Jh.,hrsg. v. K. Matthaei, = Notenbeilage zu :
44
689
Orgelmusik
Ber. iiber d. Freiburger Tagungf . deutsche Orgelkunst 1 926,
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Fruhmeister deutscher Orgelkunst, = Veroff. d. Staatl.
Akad. f. Kirchen- u. Schulmusik Bin I, hrsg. v. H. J. Moser
(mit Fr. Heitmann), Lpz. 1930; Liber Organi, 9 Bde, Mainz
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hrsg. v. Fl. Peeters, Paris u. Briissel 1938-48; Early Engl.
Organ Music (1 6 th Cent.) I, hrsg. v. M. Glyn, London 1 939 ;
The MullinerBook, hrsg. v.D.Stevens, = Mus. Brit. I, Lon-
don 1951, 21959; Altengl. O., hrsg. v. dems., Kassel 1953;
Choralbearb. u. f reie Orgelstiicke d. deutschen Sweelinck-
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Wallner, = DM1 II, 1, 1955, dass., hrsg. v. ders., = EDM
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le regne de Louis XIV, 25 pieces, hrsg. v. N. Dufourcq,
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2081, hrsg. v. M. Reimann, =EDM XXXVI, Ffm. 1957;
Die Org., Reihe I : Werke d. 20. Jh., Reihe II : Werke alter
Meister, Lippstadt 1957ff.; Cantantibus Organis. Slg v.
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(1958ff.).
Lit.: — » Choralbearbeitung (- 2), — > Klaviermusik. - A.
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iibertragen v. E. Flade, Mainz 1932 u. Kassel 1951, dass.
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Obers. v. P. Smets, hrsg. v. R. Lunelli, Mainz 1938; Joh.
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deutsche u. nordeuropaische Musik, = Kieler Schriften zur
Mw. XVI, Kassel 1965; W. Apel, Die Celler Orgeltabula-
tur v. 1601, Mf XIX, 1966. WBr
Orgelpunkt (frz. pedale inferieure; ital. pedale d'ar-
monia; engl. pedal point) ist ein lang ausgehaltener
Ton in der BaBstimme, zu dem die anderen Stimmen
zwischen den tonartlich festgelegten Anfangs- und
Endpunkten zeitweilig durch Ausweichen in entfernte-
re Tonarten ein Spannungsverhaltnis schaffen konnen.
Seine Aufgabe reicht vom harmonisch problemlosen
tonalen Fundieren (-> Bordun; auch z. B. in Pastoral-
satzen) bis zum geradezu gewaltsamen Aufrechterhal-
ten der Tonart einer Komposition gegeniiber harmo-
nisch weiterdrangenden Oberstimmen (J. S. Bach, Ein-
leitungschor der Matthauspassion), wobei der O. Bil-
dungen der -> Polytonalitat vorausnimmt. Als Mittel
des harmonischen Auffangens, Hinhaltens, aber auch
Steigerns begegnet der O. haufig vor einer entscheiden-
den Wende (z. B. als Zusammenfassung und tonale
Festigung auf der Dominante vor der Reprise) oder am
SchluB einer Komposition. An die Stelle des ausgehal-
tenen Einzeltones kann auch (besonders seit der spatro-
mantischen Musik) ein liegender Akkord treten. Mit-
unter ebenfalls als O. bezeichnet werden liegende Tone
in einer Mittelstimme (frz. pedale interieure bzw. me-
diaire; ital. pedale; engl. internal pedal) oder in der
Oberstimme (frz. pedale superieure; ital. pedale; engl.
inverted pedal). DieWirkung des liegenden Tones kann
in alien Stimmen auch durch eine Folge regelmaBig
wiederkehrender gleicher Tone oder Figuren erzielt
werden, z. B. durch Albertische Basse oder Ostinati. -
Den Terminus organicus punctus verwendet bereits
Franco von Koln (ed. Cserba, S. 255) : Notandum, quod
. . . inspicienda est aequipollentia . . . usque ad paenulti-
mam, ubi non attenditur talis mensura, sed magis est organi-
cus ibi punctus. Er bezeichnet damit einen melismati-
schen, rhythmisch freieren Abschnitt iiber dem unmen-
suriert gedehnten vorletzten Cantuston des Discantus-
satzes {punctus hier im Sinne von punctus sive clausula,
Abschnitt im ->• Organum, oder punctus sive notula in
der Bedeutung unmensurierte Tenomote; -> Punc-
tus - 1) . O. im neuzeitlichen Sprachgebrauch diirf te eine
Obertragung jenes alteren Terminus sein, die einen di-
rekten Flinweis auf die besondere Eignung der Orgel
690
Orgeltabulatur
(PedalbaB; »0.-Toccata«) zu seiner Ausfiihrung ein-
schlieBt. - Der franzosische Terminus point d'orgue ist
fast nur in deutschen Texten (J.Mattheson, C.Ph.E.
Bach) in der Bedeutung des O.s (als modische tJber-
tragung) anzutreffen; im Franzosischen bezeichnet er
einerseits die solistische, meist improvisierte Kadenz
(J.-J. Rousseau 1768), andererseits (und vorwiegend) die
-*■ Fermate. Die friihesten greifbaren Belege fur den
letzteren Sprachgebrauch finden sich bei Tinctoris:
punctus morae generalis (^) werde uulgariter functus or-
gani genannt (CS IV, 75b f. und 187a). Allerdings ist
gerade bei Tinctoris ein sachlicher Zusammenhang
zwischen Organumhalteton und Fermate nur schwer
zu erkennen. Wahrend namlich die spatere franzosische
Musiklehre sich bei point d'orgue ausdriicklich auch
auf das Aushalten einer einzelnen Note gegeniiber sich
weiterbewegenden Stimmen bezieht und somit zu-
gleich die Wirkung des O.s anspricht (z. B. BrossardD,
Artikel Punto : . . . ilfaut continuer le Son de la Notte, sur
laquelle, il [le point d'orgue] estjusqu'a ce que les autres
Parties soient venues a leur conclusion), hat punctus organi
bei Tinctoris ausschlieBlich die Bedeutung des gleich-
zeitigen Verweilens aller Stimmen. FrR
Orgeltabulatur, Klaviertabulatur, Bezeichnung
fiir verschiedene Formen der Notierung von Musik
fur Tasteninstrumente. Die Arten der O. werden be-
nannt nach dem Land ihrer Herkunf t oder ihrer haupt-
sachlichen Verbreitung. - In der deutschen O. werden
die Tonstufen durch Buchstaben bezeichnet, die Ok-
tavlage durch GroB- und Kleinschreibung sowie durch
Oberstreichung. Die rhythmischen Werte werden
durch Mensuralnoten oder von ihnen abgeleitete Zei-
chen iiber jeder der partiturartig untereinandergesetz-
ten Stimmen angegeben. Die »altere« deutsche O. gibt
die Oberstimme auf einem Liniensystem in Noten-
schrift wieder:
Fundamentbuch von H.Buchner (Basel, Univ.-Bibl.,
Ms. F I 8a, und Zurich, Zentralbibl., Ms. S 284, in den
vorliegenden Fassungen nach 1524); die Tabulatur-
biicher vonH.Kotter (Basel, Univ.-Bibl, Ms. F DC 22;
Buxheimer Orgelbuch, f. 22' (Cristus surrexit).
Dagegen werden in der »neueren« deutschen O. alle
Stimmen in Buchstaben notiert (siehe folgendes Bei-
spiel). Die wichtigsten in der alteren deutschen O. no-
tierten Quellen sind: der Robertsbridge Codex (London,
Brit. Mus., Add. 28550, f. 42-44', 1. Halfte des 14. Jh.;
Ausg. : Keyboard Music of the Fourteenth and Fifteenth
Centuries, hrsg. von W. Apel, = Corpus of Early Key-
board Music I, Rom 1963); die Tabulator von A.Ile-
borgh (Philadelphia, Curtis Institute of Music, 1448;
Ausg.: s. o. Robertsbridge Codex); das Fundamentum or-
ganisandi von C. Paumann (-*■ Fundamentbuch; Ausg.:
s. o. Robertsbridge Codex) ; das Buxheimer Orgelbuch
(->■ Quellen: Bux); A.Schlicks Tabulaturen etlicherLob-
gesang, Mainz 1512 (friihester Tabulaturdruck) ; das
Turin, Bibl. Naz., Ms. Giordano 5, f. 28 (H.L.
HaBler, Magnificat II. toni, Versus secundus).
begonnen 1513), L. Kleber (Berlin, Deutsche Staatsbibl.,
Mus. ms. 40026; 1524), Fr.Sicher (St.Gallen, Stifts-
bibl., Cod. 530; 1503-31) und Jan von Lublin (Krakau,
Akad. der Wiss., Ms. 1716; 1537-48). Unter den in der
neueren deutschen O. notierten Quellen sind hervorzu-
heben die Tabulaturdrucke von N.Ammerbach (seit
1571), B.Schmidt dem Alteren (1577), J.Paix (1583,
1589), B. Schmidt dem Jiingeren (1607) J. Woltz (1607),
die hs. Tabulaturbucher von Chr. Loeffelholtz (Berlin,
Deutsche Staatsbibl., Mus. ms. 40034; 1585) und A.
Normiger (Berlin, Deutsche Staatsbibl., Mus. ms.
40083; 1598); auBerdem folgende Sammelhss. : Liib-
benau, Spreewaldmuseum (jetzt Berlin, Deutsche
Staatsbibl.), Ly B 1-10, Ly C (ca. 1620-40); Pelplin,
Bibl. des Priesterseminars (jetzt Warschau, Bibl. Na-
rodowa), Sign. 304-308a (ca. 1620-30, Nachtrag aus der
2. Halfte des 17. Jh.); Turin, Bibl. Naz., Foa 1-8 und
Giordano 1-8 (ca. 1637-40); Liineburg, Ratsbiicherei,
KN 146, 148, 149, 207-210 (ca. 1640-65; Ausg.: Die
Liineburger O. KN2081, hrsg. von M. Reimann, = EDM
XXXVI, Ffm.1957); Clausthal-Zellerfeld, Calvorsche
Bibl. (jetztBibl. derBergakademie), Zel und Ze 2 (ca.
1635-68).
In der spanischen O. werden die Untertasten von f bis
e 1 durch die Ziffern 1-7 dargestellt; andere Oktavlagen
werden durch beigef iigte Striche, Punkte oder Hakchen
bezeichnet, Erhohung und Erniedrigung durch Ver-
setzungszeichen. Die Stimmen sind partiturmaBig ge-
trennt angeordnet; iiber der Oberstimme steht in
Mensuralnoten die fiir alle Stimmen geltende Rhyth-
musbezeichnung nach dem abgekiirzten Notierungs-
prinzip der -*■ Lautentabulatur :
A. de Cabezon, Obras de mtisica, Madrid 1578, S. 37
(Versillos del sexto tono, Nr 6).
Diese Notation ist angewendet in den Tasteninstru-
mentdrucken von L. Venegas de Henestrosa (1557), A.
de Cabezon (1578) und F.Correa de Arrauxo (1626).
Von zwei anderen Arten der Zifferntabulatur, die Ber-
mudo (1555) angibt, fand diejenige mit durchgehender
Zahlung samtlicher Tasten (einschlieBlich der Ober-
tasten) keine praktische Verwendung, wahrend die an-
44*
691
Orgue expressif
dere Art mit durchgehender Zahlung der Untertasten
von A. Valente (1576) benutzt wurde.
Die italienische, englisch-niederlandische und franzosi-
sche O. bedienen sich der Notenschrift und fassen die
Stimmen entsprechend dem Spielanteil der Hande auf
zwei Liniensystemen zusammen; sie unterscheiden sich
nur durch die Anzahl der Linien der Systeme. - Die
italienische O. hat meist im unteren System mehr Li-
nien (6-8) als im oberen (5-6), doch zeigen friihe Quel-
len wie z. B. Codex Faenza (-»■ Quellen: Fa; wegen
der Zweistimmigkeit des Repertoires allerdings auch
als Partitur zu betrachten) und Antiquis' Frottole intabu-
late (1517) zwei Sechsliniensysteme. - Die englisch-
niederlandische O. hat in der Regel 2 Sechsliniensyste-
me. Sie erscheint in England erstmals um 1520 (Lon-
don, Brit. Mus., Roy. App. 58), dann vor allem ca.
1530-60 in zahlreichen Handschriften mit liturgischer
Orgelmusik und in den Virginal Books um 1600, in
Holland bei H. Speuy (1610) und A. van Noordt (1659;
hier mit gesonderter Buchstabennotierung des Basses)
sowie vereinzelt in Deutschland (Lubbenau, Ly A 1 und
A 2; Liineburg, KN 147; New Haven, Library of the
Yale Music School, Ma. 21 H 59). - Die franzosische
O. mit 2 Fiinf liniensystemen wurde in Frankreich seit
Attaingnants Drucken (um 1530) ausschlieBlich ver-
wendet und setzte sich seit etwa 1700 auch auBerhalb
Frankreichs durch; auf sie geht die heute noch iibliche
Notierungsweise von Klaviermusik zuriick. - Auch die
Notation von Musik fiir Tasteninstrumente in -> Parti-
tur wurde gelegentlich als Tabulatur bezeichnet (Scheidt
1624, Klemm 1631); sie wurde seit der Partiturausgabe
von C. de Rores Madrigali . . . accomodati per sonar
d'ogni sorte d'istromento perfetto & per qualunque studiosi
di contrapunti (1577), besonders aber seit Frescobaldis
Fantasien (1608) und seinen Fiori muskali (1635) bis zu
J. S.Bachs Kunst der Fuge (1750) bevorzugt fiir streng
kontrapunktische und zugleich als Lehrbiicher be-
stimmte Tasteninstrumentwerke verwendet.
Lit.: WolfN; E. Frerichs, Die Accidentien in O., ZfMw
VII, 1924/25 ; W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabu-
laturbiichern, Lpz. 1927; L. Schrade, Die altesten Denk-
maler d. Orgelmusik . . ., Minister i. W. (1928); ders., Die
hs. Uberlieferung d. altesten Instrumentalmusik, Lahr
1931 ; O. A. Baumann, Das deutsche Lied u. seine Bearb.
in d. friihen O., Kassel 1934; W. Schrammek, Das deut-
sche Lied in d. deutschen O. d. 15. Jh. unter besonderer
Beriicksichtigung d. Buxheimer Orgelbuchs, Diss. Jena
1956, maschr. ; J. Pontius, Eine anon. Kurpfalzische O.,
Diss. Saarbrucken 1960, maschr., Auszug als: Zur Datie-
rung einer anon. Tabulatur aus d. Bipontina, Annales Univ.
Saraviensis, Phil. Fakultat, IX, 1, 1960; Fr. W. Riedel,
Quellenkundliche Beitr. zur Gesch. d. Musik f . Tasteninstr.
in d. 2. Halfte d. 17. Jh., = Schriften d. Landesinst. f. Mu-
sikforschung Kiel X, Kassel 1960; Th. Gollner, Formen
fruher Mehrstimmigkeit in deutschen Hss. d. spaten MA,
= Miinchner Veroff. zur Mg. VI, Tutzing 1961 ; ders., No-
tationsfragmente aus einer Organistenwerkstatt d. 15. Jh.
AfMw XXIV, 1967; L. Schierning, Die Uberlieferung d
deutschen Org.- u. Klaviermusik aus d. 1. Halfte d. 17. Jh.
ebenda XII, 1961; A. Sutkowski u. O. Mischiati, Una
preziosa fonte ms. di musica stromentale: l'intavolatura di
Pelplin, L'Organo II, 1961 ; ApelN; W. Young, Keyboard
Music up to 1600, MD XVI, 1962 - XVII, 1963; O. Mi-
schiati, L'intavolatura d'org. tedesca della Bibl. Naz. di To-
rino, Cat. ragionato, L'Organo IV, 1963 ; A. Sutkowski u:
A. Osotowicz-Sutkowska, The Pelplin Tablature, = An-
tiquitates musicae in Polonia I, Warschau u. Graz 1963;
H. R. Zobeley, Die Musik d. Buxheimer Orgelbuchs,
= Miinchner Veroff. zur Mg. X, Tutzing 1964.
Orgue expressif (arg ekspres'if, frz.)
nium.
Oriscus (lat.) -> Neumen (- 1).
Harmo-
Ornamente (frz. ornements; engl. ornaments) -> Ver-
zierungen.
Ornamentinstrumente -> Fundamentinstru-
mente.
Orpheon (orf e'a, frz. von Orphee, Orpheus) , musikali-
sche Laienbewegung in Frankreich, die im 19. Jh. vor
allem auf dem Gebiet des Chorgesangs zu groBer Be-
deutung gelangte. Das O. geht zuriick auf musikalische
Elementarkurse, die G.L. -> Wilhem seit 1819 an Pa-
riser Volksschulen einfuhrte. 1829, als seine Unterrichts-
methode (enseignement mutuel) offiziell vorgeschrie-
ben wurde (1830 war sie bereits an 9 Pariser Schulen
eingefuhrt), begann Wilhem, seine Schuler aus mehre-
ren Schulen zu gemeinsamem Chorsingen zusammen-
zufassen. Daraus gingen um 1833 die Ecoles populaires
de chant zur Pflege des a cappella-Gesangs hervor, de-
nen Wilhem den Namen O. gab. 1 836 schloB er Abend-
kurse fiir Erwachsene an. Nach dem Vorbild dieser,
vori musikpadagogischen Ideen getragenen Gesangs-
bewegung konstituierten sich in ganz Frankreich unter
dem Namen O. Gesangvereine (societes chorales).
Dem Pariser O. oblag die Verwaltung nicht nur der
Gesangvereine, sondern auch der musikerzieherischen
Arbeit an den Schulen; seine ersten Direktoren wa-
ren Wilhem, J.Hubert, Gounod und Bazin. Offent-
liche Konzerte der O.s fanden in Paris seit 1834 statt,
Wettbewerbe fiir O.s in verschiedenen Stadten seit
1849. An einem englisch-franzosischen Chorfestival
1860 in London nahmen 137 Vereine mit 3000 Sangern
teil; andere Sangertreffen der O.s vereinigten bis zu
8000 Mitwirkende. Das Repertoire der O.s umfaBte
neben weniger anspruchsvollen Werken und Opern-
choren auch eigens fiir die O.s komponierte Werke
von Adam, Gounod, Berlioz, Meyerbeer u. a. Unter
den Zeitschriften, die die Arbeit der O.s unterstiitzten,
sind hervorzuheben: La France orpheonique, L'Echo des
O.s und L'O. - Im AnschluB an die Gesangvereine
wurdenBlasorchester (harmonies und fanfares) gegriin-
det, auch einzelne Laiensymphonieorchester.
Lit. : H. Marechal u. G. Pares, Monographie universelle
del'O., Paris 1910.
Orpheoreon (engl. orpharion), ein cisterartiges Zupf-
instrument (-> Cister) des 16./17. Jh. mit birnenformi-
gem, leicht geschweiftem Corpus, - an der proportion,
wie ein Bandoer [-> Pandora] / doch etwas kleiner j von
Messings- vnd Sttilenen Saitten; wird wie eine haute im
Cammer-Thon / . . . gestimmet (Praetorius Synt. II, S. 54,
vgl. dazu die Abb. Tafel XVII, Figur 3, nicht, wie dort
versehentlich angegeben, Figur 2). Das O. ist kleiner
(Gesamtlange etwa 120 cm, Breite des Corpus etwa
45 cm) als das ganz ahnlich gebaute -*■ Penorcon; es hat
acht 2fache Saitenchore aus Darm mit der Stimmung
CC FF GG cc ff aa did* gig* oder DD GG AA dd gg
hh eiei aiai. Die Saiten sind an einem schrag auf der
Decke angebrachten Querriegel befestigt und laufen
in den geringfugig nach hinten gebogenen, dann
schwungvoll nach vorn gezogenen und mit einem ge-
schnitzten Zierkopf abschlieBenden Saitenhalter mit
Flankenwirbeln.
Qrphika, ein 1795 von C.L. -»■ Rollig konstruiertes
Hammerklavierchen mit einem harfenformigen Rah-
men und einer Klaviatur von 2-4 Oktaven Umfang.
Die O. wurde wie eine Gitarre an einem Tragband um
den Hals getragen und mit einer Hand gespielt.
Orthographic musikalische, ist die Summe der
Konventionen bei der Notierung von Musik. Rich-
tig ist eine Notation, die sinnvoll, verstandlich und re-
produzierbar bleibt, d. h. den Sonderfall auf jeweils
als giiltig anerkannte Regeln zuriickfiihrt. O. ist auch
692
Ostinato
in der Musik zeitgebunden; z. B. wurde die Tonfolge
E aus A.Pflegers Passions-
musik (Takt lOff.) in deutscher Buchstabentabulatur
(-> Orgeltabulatur) um 1700 folgendermaBen iiber-
liefert: $ gig&gf &li (zulesen als g gis g gis g f dis d).
Beide Schreibarten sind orthographisch korrekt, denn
die Tabulatur kennt fiir jede Taste nur einen Namen
(wie noch heute im Orgelbau: alle Obertasten werden
als Stammtonerhohungen benannt, ausgenommen b).
In der Notenschrif t hingegen findet mit der Plazierung
und Benennung der Note eine Bewertung des notierten
Tones statt. Verstofie gegen die O. sind meist die Folge
davon, daB der Ton f alsch oder gar nicht bewertet wird.
DaB Fragen der O. oft nicht eindeutig zu beantworten
sind, erklart sich aus dem Zwiespalt, der seit Einf uhrung
der -> Temperatur zwischen Klangerscheinung und
Tonvorstellung besteht. Die Logik der Stimmfiihrung
muB mit der der Akkordstruktur in Einklang gebracht
werden ; hinzu kommt die Forderung nach Lesbarkeit :
die O. soil nicht nur horizontal und vertikal folgerich-
tig sein, sondern auch ein faBbares Notenbild ergeben.
Die Problematik dieser entgegengesetzten Forderun-
gen sei an den f olgenden Beispielen (aus Klaviersonaten
von Mozart) demonstriert. 1) Die Regel, daB chroma-
tische Tone bei steigender Melodie als Stammtoner-
hohungen, bei fallender als Stammtonerniedrigungen
zunotieren sind:
Sonate D dur, K.-V. 311, 3. Satz, Takt 173.
Sonate F dur, K.-V. 533 und 494, 2. Satz, Takt 108.
kann durchbrochen werden, wenn der vertikale Zu-
sammenhang eine andere Lesart nahelegt :
Sonate G dur, K.-V. 283, 3. Satz, Takt 168f.
b - - tr Jr a, .
Sonate D dur, K.-V. 284, 3. Satz, Variation X,
Takt lOf.
Bei a) bewirkt der harmonische Kontext eine Bevor-
zugung der dem G moll entsprechenden Akzidentien,
bei b) erzwingt die Harmonisierung der f allenden chro-
matischen Skala eine der Regel widersprechende Be-
wertung der Tone, ais statt b, gis statt as.
2) Einige UnregelmaBigkeiten in der O. leiten sich von
Notations- und Benennungspraktiken des Mittelalters
her; sie betreffen die 7. Stufe (mixolydische Septime)
und die 4. Stufe (lydische Quarte) einer Durskala, die
wie in der Orgeltabulatur meist in nur einer Richtung
alteriert werden. Es heiBt also in C dur auch dann b und
fis, wenn ais und ges zu erwarten waren. Die 3. und 6.
Stufe werden gelegentlich analog behandelt ; so heiBt es:
jWW.f^ wfrfft
statt
Sonate C dur, K.-V. 330, 3. Satz, Takt 135f.
obwohl die Schreibung rechts melodisch naher lage und
die Harmonik nicht dagegen stiinde. - In der Musik des
20. Jh., vor allem der atonalen, die zwischen gis und as,
cis und des nicht unterscheidet, ist O. solcher Art viel-
fach gegenstandslos geworden. Analoges gilt fiir die
Rhythmusnotation. Der Zeichenvorrat unserer No-
tenschrift ist auf eine Rhythmik zugeschnitten, die der
regelmaBigen Wiederkehr der Taktschwerpunkte und
unter den denkbaren Relationen rhythmischer Werte
denjenigen den Vorzug gibt, die auf den Zahlen 2 und
3 beruhen. Die Regel, daB die graphische Aufteilung
der Werte das Taktschema zu verdeutlichen habe, dul-
det gleichwohl durch Praxis und Konvention legiti-
mierte Ausnahmen; ein Beispiel fiir die Unzulanglich-
keit der Rhythmuszeichen ist die graphische Uberein-
stimmung von Synkope und -»■ Hemiole. In den Ver-
suchen, bei Neuausgaben alter Musik den Bedeutungs-
unterschied sichtbar zu machen, tritt die Problematik
rhythmischer O. offen zutage, manchmal sogar drasti-
scher als in den Notationsschwierigkeiten neuer Mu-
sik. -> Punktierter Rhythmus.
Lit.: H. Riemann, Studien zur Gesch. d. Notenschrif t,
Lpz. 1878; WolfN; Mus. Schrifttafeln, 10. H., hrsg. v. J.
Wolf, =Veroff. d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung
Buckeburg II, 2, Lpz. 1922-23, Buckeburg u. Lpz. 21927;
Notation Neuer Musik, hrsg. v. E.Thomas, = Darmstadter
Beitr. zur Neuen Musik IX, Mainz (1965); M. Collins,
The Performance of Triplets in the 17" 1 and 18 th Cent.,
JAMS XIX, 1966. LA
Osnabruck.
Lit.: L. Bate, O.er Theater im 18. Jh., O. 1930; Fr. Bos-
ken, Mg. d. Stadt O., = Freiburger Studien zur Mw. V,
Regensburg 1937; E.Bosken, M. B.Veltmann (1763-1844)
u. d. Begrundung d. offentlichen Musikpflege in O., Mitt,
d. Ver. f. Gesch. u. Landeskunde LXII, 1947; K. Kuh-
ling, Theater in O., O. 1959.
ossia (ital., oder), Hinweis auf eine andere Lesart oder
Fassung im Notentext.
Ostinato (ital., von lat. obstinatus, hartnackig; frz.
obstine; engl. obstinate; deutsch auch obstinat; frz.
auch contraint, gezwungen; ital. auch pertinace, hart-
nackig, perfidiato, treulos; im heutigen Sprachgebrauch
auch substantiviert: O. s. v. w. das hartnackig Beibe-
haltene). Das Wort O. wurde um 1700 musiktermino-
logisch fixiert und war anfangs noch synonym mit
Obligato. WaltherL bietet im AnschluB an BrossardD
als Stichworter Basso continuo obligato (-> Basso con-
tinuo - 2), Fuga ligata oder obligata, bei der auch das
Kontrasubjekt beibehalten wird, Contrapunto obligato
(o.) oder perfidiato, der melodisch oder rhythmisch bei
der einmahl angefangenen Art bestdndig verbleibet (hierzu
A. Berardi, Documenti armonki 1, 1687, S. 22f., auch Ar-
tikel Perfidia in WaltherL und BrossardD ; f erner Zar-
lino, Istitutioni harmoniche, 1558, HI, 55: Far contrapunto
con obligo). - O. heiBt im weiteren Sinne: dasjenige, so
man einmahl angefangen hat, bestdndig fortsetzen, und nicht
davon ablassen (WaltherL), im eingeengten Sinne: die
fortgesetzte Wiederkehr eines Themas mit immer verdnder-
ter Kontrapunktierung (H. Riemann). Das O.-Verfahren
(im weiteren Sinne) bedeutet Formung durch bestan-
diges sinnfalliges Wiederholen einer klar umgrenzten
rhythmischen oder melodischen (auch melodisch-
rhythmischen) oder harmonischen (auch harmonisch-
metrischen) Substanz, die das Klanggeschehen gliedert
und als (variable) Konstante die Glieder verbindet und
die als konstruktives Element melodisch zumeist in der
strukturell wichtigsten Stimme des Satzes (Tenor, BaB)
erscheint; mit dem Wiederholen verbindet sich das
Verandern (Variieren) der Zusatze, auch des zu Wie-
derholenden selbst, oft und ursprtinglich als Stegreif-
ausfiihrung und verbunden mit geregeltenBewegungs-
693
Ostinato
arten, besonders mit Tanz. Kompositorisch bedeutet
der O. (seit Monteverdi) starkste Bindung an eine blei-
bende Instanz, die als solche (im Hintergrund) bestan-
dig den Sinn der Bildungen klarstellt und damit (im
Vordergrund) satztechnisch die groBte Freiheit, Neu-
heit und Ausdruckskraft ermoglicht. Darin beriihrt
sich der O. mit den liegenden Tonen (Bordun, Orgel-
punkt) oder Klangen, die als eine Art Steigerung der
Obstinatheit bis zur letzten Konsequenz (Riemann 1910,
S. 193) verstanden werden konnen. A. Weberns giiltig-
stes tonales Werk ist eine Passacaglia (op. 1), wahrend
er das Problem der atonalen Form zunachst durch den
bleibenden Klang gelost hat (z. B. op. 4 Nr 1).
In der europaischen und auBereuropaischen onatur-
wiichsigen«, wesenhaft schrifdosen Gestaltung des
Klingenden ist das verandernde Wiederholen variabler
Konstanten, z. B. einer rhythmischen oder melodischen
Formel als »Hintergrund« oder eines Modells (z. B.
-»■ Riga) als Grundlage der Gestaltung nicht als O.-
Technik, sondern als Prinzip der Klangformung zu
verstehen. Dies gilt auch f iir strukturbildende oder f or-
melhaf te Elemente im -> Jazz, die letztlich aus der Ne-
gerfolklore der USA herzuleiten sind (->- Boogie-
Woogie, -> Riff, -> Stomp). - Auch im Bereich kom-
ponierter Musik kann von O.-Technik im eigentlichen,
strengen Sinne nur. dort gesprochen werden, wo das
Moment des »hartnackigen« Sich-Bindens an das ein-
mal Begonnene einen Sonderfall darstellt gegeniiber
anderen (freien) Bildungen und wo das bestandige Wie-
derholen nicht das Grundprinzip der Musik betrifft.
Den Satz prinzipiell konstituierende Momente sind in
der mittelalterlichen Musik z. B. das Beibehalten von
Rhythmen in der modal notierten Musik (deren No-
tationsprinzip auf Wiederholung eines ->■ Modus - 2
beruht) oder die als -*■ Color (-2; repetitio vocis) be-
griffene und oft als Stimmtausch (->■ Rondellus) er-
scheinende Wiederholung von Stimmpartikeln in Or-
ganum und Discantus, speziell das Wiederholen von
oft gleichrhythmisierten Choralausschnitten in Mo-
tettentenores, das in bezug auf Ausdehnung und To-
nalitat den kompositorischen Kontext ermoglicht und
in der -»■ Isorhythmie Strophenformen ausbildet. Hier
ist zwar oft die Erscheinung, jedoch nicht die Denkart
des O.s gegeben - ebensowenig wie etwa in festen
rhythmischen Formeln derTanzmusik.indurchgehend
einheidicher Charakterfiguration romantischer Kla-
vierstiicke, in Steigerungspartien der Symphonik
Bruckners oder Mahlers oder in der (die Zwolf tontech-
nik konstituierenden) bestandigen Wiederholung einer
Reihe. Doch zeichnen sich seit dem 13. Jh. vor dem
Hintergrund vonGrundprinzipien spatmittelalterlicher
Kompositionsart auch echte O.-Bildungen ab, die be-
wuBt die fortdauernde Wiederkehr des Gleichen als
Tenor-O. zur konstruktiven Basis des Satzes erheben.
Genarmt seien ausEngland der 2st. -*■ Pes (- 2) des »Som-
mer-Kanons«, ferner das 4st. Stiick Campanis cum cym-
balis (Mf X, 1957, S. 36) und die Satze mit bestandig
wiederholtem kurzem Pes im Worcester-Repertoire
(-> Quellen: Wore; z. B. Nr 10 und 12 in: MSD II) und
in festlandischen Quellen die Motettentenores in Ba,
Nr 37 und 70, und zahlreich in den Faszikeln 7 und 8
der Hs. Mo, als ausgepragteste Belege Nr 267 und 328.
- In der polyphonen Vokalmusik des 15. und 16. Jh.
lassen sich mannigfache Arten des O.s unterscheiden,
der hinsichdich Tonstufe und Rhythmisierung unver-
andert bleiben oder wechseln sowie in nur einer oder in
mehreren Stimmen auftreten kann. Hier gibt es einer-
seits O.-Bildungen »nachahmenden« Charakters (z. B.
Dufay, Tenor und Contratenor des Gloria ad modum
tubae; Gaffori, Missa Trombetta; Senn, Das Glaut zu
Speyer; hierzu auch W.Byrd, The Bells, im Fitzwilliam
Virginal Book, Nr 69), andererseits in Fortentwicklung
mittelalterlicherKompositionsprinzipien ostinate C. f.-
Partikel in Motetten, besonders von Lassus (z. B. Ex-
sultet coelum, mit auf zwei Stufen abwechseinder O.-
Formel Quis audivit talia im Tenor, GA III, Nr 195), in
Messensatzen, besonders von Josquin (z. B. Missa Fai-
sant regretz, deren gesamter Tenor aus einem viertoni-
gen O. besteht, der nach Tonstufe und Rhythmisierung
wechselt, streckenweise auch von anderen Stimmen
ubernommen wird), iiber Solmisationssilben (z. B.
Josquin, Missa La sol fa re mi), daneben auch - nach Art
des bis ins 18. Jh. beschriebenen Contrapunto o. - die
ostinate Gegenstimme (z. B. Obrecht, Missa. Ave regina
coelorum, O. auf gleicher Stufe im Bassus des Et resur-
rexit) oder deren mehrere (z. B. Josquin, Christe der
Missa Hercules Dux Ferrariae).
Der Basso o. (engl. -*■ ground, ground bass; frz. basse
contrainte) ist nur eine, wenn auch die musikgeschicht-
lich wichtigste Form des O.s. Sein Aufkommen im 16.
Jh. hangt zusammen einerseits mit der neuen Role des
-> Basses (- 1) als Fundamentstimme des Satzes (wobei
auchTenor-[C. L-]Techniken des Spatmittelalters nach-
wirkten), andererseits mit dem Emdringen der uber
BaBmodellen improvisierten Tanz-, Spiel- und Ge-
sangsmusik in den Bereich der Komposition (wobei
die nicht als O. gedachten Prinzipien einer Praxis nun
zu einem Sonderfall der Komposition wurden). Greif-
bar sind diese Improvisationspraktiken in ihrer Bedeu-
rung fiir die Basso o.-Komposition zuerst in der spani-
schen Lauten- und Tastenmusik mit ihren Fantasias und
Dif erencias iiber Tanze und Lieder und Passos f orcados
(z. B. bei -*■ Valderrabano 1547), besonders in den 9
Muster-Recercados von D.Ortiz (Tratado, 1553) iiber
lied- und tanzartige Cantos llanos que en Italia comun-
mente llaman Tenores, unter ihnen die (teilweise mitein-
ander verwandten) Modelle des -> Passamezzo (antico
und moderno), der -> Folia, -*■ Romanesca und des
-*■ Ruggiero, auch etwa in A. de Cabezons Diferencias
sobre la Gallarde Milanesa und sobre las vacas (Obras de
mtisica, 1578) und in Fr. Salinas' haufiger Nennung des
Quartmotivs (De musica libri septem . . . , 1577, hierzu
W.Osthoff, S. 79), ferner im Aufkommen und O.-
Gebrauch anderer Lied- und Tanzmodelle in -> Pa-
vane, -*■ Pavaniglia, -*■ Villancico, -> Bergamasca,
->• Malaguefia, ->• Chaconne und ->• Passacaglia. Einige
dieser Modelle spielen eine Rolle auch in der Friihge-
schichte der Aria (-»■ Arie; -»■ Ruggiero), die zur Aria
und Cantata (-»■ Kantate) mit konstantem StrophenbaB
fiihrte und in enger Beziehung stand zur Entwicklung
der instrurnental-musikalischen Variation iiber Bassi
ostinati. Voile kompositorische Auspragung erfuhr das
Musizieren uber einem Basso o. zuerst durch Monte-
verdi (besonders Amor, = Lamento delta Ninfa, 8. Ma-
drigalbuch, 1638, und Zefiro torna, 9. Madrigalbuch,
1651), wobei der ostinate GeneralbaB als Fundament
eines repetierten Klanggeriistes in jedem Augenblick
den Klangverlauf klarstellt (vergleichbar den »liegen-
den Bassen« der -*■ Monodie) imd damit - im Dienst
des Ausdrucks - der Oberstimmenf iihrung und Disso-
nanzbehandlung ein HochstmaB an Freiheit gewahrt
(hierzu Haack 1964). Als Kompositionstechnik, die in
dieser Weise stimmliches (kontrapunktisches) und
klangliches (akkordisches) Denken aufeinander bezieht
imd unter den Bedingungen des GeneralbaBsatzes die
Freiheit der Stimmfiihrung durch die Gebundenheit
der Klangfolge vergroBert, erlebte der Basso o. seine
Bliitezeit im GeneralbaBzeitalter. Zur kompositori-
schen Eigenart des Basso o. gehort, daB Tonschritt-O.
und Klangfolge-(Satzmodell-)0. nicht immer eindeu-
tig gegeneinander abzugrenzen sind und daB der Ton-
schritt-O. selbst variiert, wechselnd harmonisiert und
694
Oszillogramm
(besonders beim Ground) auch transponiert und in an-
dere Stimmen verlegt werden kann. Zu unterscheiden
(aber bis gegen Mitte des 17. Jh. nicht immer klar zu
trennen) sind einerseits der Strophen- oder Variatio-
nenbaB als Konstante fur variierende Repetition einer
geschlossenen Form, oft gekoppelt mit zu variierender
Melodiekonstante (-»- Variation), andererseits derwirk-
liche O. innerhalb einer Form (O.-KurzbaB innerhalb
einer Arie, eines Concertosatzes usw.), der oft als
Quartgang (-> Quarte), auch chromatischer Quart-
gang (-»■ Passus duriusculus, -*• Lamento) gebildet ist.
Basso quasi o. nannte H. Riemann (im AnscMuB an Ph.
SpittaJ. S.Bach I, S. 204f.) jene Partikel, die den Form-
verlauf zwar beherrschen, jedoch substantiell veran-
dert werden und nicht immer durchgangig erscheinen
(Beispiel: G.Bohm, Orgelchoralbearbeitung Herrjesu
Christ, Dich zu uns wend, GA II, Nr 10, Versus 2). Im
Werk J. S. Bachs ist der Binnen-O. zuweilen auch in
abbildlicher Bedeutung gemeint, im Sinne von »unbe-
irrt« (IVirglauben all' an einen Gott, III. Teil derClavier-
Ubung, BWV 680), auch emphatisch, uberschwenglich
(In dir ist Freude, Orgel-Bikhlein, BWV 615). Aber auch
das »andauernde« Festhalten an einem bestimmten Be-
wegungsimpuls (Es ist der alte Bund, Kantate BWV 106)
oder einem ausgepragten Motiv (Meine Seek wartet auf
den Herrn, Kantate BWV 131) kann im Sinne der Ge-,
neraldefmition Walthers (1732) als O. angesprochen
werden und bildlich gemeint sein, - wenngleich in
Bachs Musik weithin das stetige Durchfuhren eines
motivischen Impulses zu einem den Satz prinzipiell
konstituierenden Moment erhoben ist.
Der Grund fur die Tatsache, daB bei Haydn und Mo-
zart die O.-Technik ganz zuriicktritt, mag darin zu
suchen sein, daB die klassische Harmonik und Melodik
aus sich heraus formbildend genug sind und der O. so-
mit als kiinstlich (»unnaturlich«) gelten muBte. (In
Mozarts Kirchenmusik erscheint z. B. im Qui tollis der
Missa K.-V. 427 der rhythmische O., tonlich ein
Quasi-O., als barockes Relikt; vgl. auch das Credo
der gleichen Messe.) Erst nach 1800 (Beethoven, Finale
der 3. Symphonie, 1804; 32 Variationen, WoO 80,
1806; Streichquartett F dur op. 135, 1826, 2. Satz) wur-
de der O. wieder zu einem Formungsmittel. Und je
weiter die Auf losung der funktionalen Harmonik f ort-
schritt, desto haufiger trat - auch in Riickerinnerung an
die Musik des Barocks - die O.-Komposition wieder
in Erscheinung, als Objektivierung des Ausdrucks, als
SchluBsteigerung in zyklischen Werken, als elementa-
res, »motorisches« Moment, vor allem jedoch als ein
Mittel, das neue Klange und Klangfolgen ermoglicht.
Als Beispiele seien genannt (->■ Passacaglia, -> Cha-
conne, -*■ Berceuse) : Brahms, Finale der 4. Symphonie
(1885), SchluBsatz der Haydn-Variationen op. 56a
(1873) ; Reger, B. o.-Satze in den Orgelkompositionen
op. 69 (1903), op. 92 (1906), op. 129 (1913) ; Strawinsky,
Le sacre du printemps (1913, Danses des adolescentes) und
Cinq pikes faciles (1916, Andante, Balalaika); Bartok,
Suite fur Kl. op. 14 (1916, 3. Satz) und im Mikrokosmos
(1926-37); Hindemith, Suite »1922« op. 26 (Nachtmu-
sik); Ravel, Bolero (1928), A.Berg, Lulu (1. Akt, 2.
Szene : Monoritmica ; Zwischenmusik nach dem 1 . Akt) ;
Blacher, Concertante Musik op. 10 (1937, Moderato),
Orff (fast in alien Werken) ; Former, Sieben Elegien f .
Kl. (1950, Nr VII).
Lit.: H. Riemann, GroBe Kompositionslehre II, Bin u.
Stuttgart 1903; ders., Basso o. u. Basso quasi o., Fs. R. v.
Liliencron, Lpz. 1910; ders., Der »Basso o.« u. d. Anfange
d. Kantate, SIMG XIII, 191 1/12; ders., Hdb. d. Mg. II, 2,
Lpz.1912; P. Nettl, Zwei span. Ostinatothemen, ZfMw I,
1918/19 ; L. Propper, Der Basso o. als technisches u. form-
bildendes Prinzip, Diss. Bin 1926; A. Lorenz, A. Scarlat-
ti's Jugendoper I, Augsburg 1927; R. Litterscheid, Zur
Gesch. d. Basso o.,Diss. Marburg 1928 ; L. Nowak, Grund-
ziige einer Gesch. d. Basso o. in d. abendlandischen Musik,
Wien 1932; O. Gombosi, Italia: patria del basso o., Rass.
mus. VII, 1934; W. Meinardus. Die Technik d. Basso o.
bei H. Purcell, Diss. Koln 1939, maschr. ; L. Walther, Die
O.-Technik ind. Chaconne- u. Arienformen d. 17. u. 18.
Jh., = Schriftenreihe d. mw. Seminars d. Univ. Munchen
VI, Wflrzburg 1940; W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs O.-
Technik, Ber. flber d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950, Neu-
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden
1966; A. Elston, Some Rhythmic Practices in Contempo-
rary Music, MQXLII, 1956;W.OsTHOFF,Dasdramatische
Spatwerk CI. Monteverdis, = Mflnchner Veroff. zur Mg.
Ill, Tutzing 1960; E. Apfel, O. u. Kompositionstechnik
bei d. engl. Virginalisten d. elisabethanischen Zeit, AfMw
XIX/XX, 1962/63; H. Haack, Anfange d. GeneralbaB-
satzes in d. Cento Concerti Ecclesiastici (1 602). v. L. Viada-
na, Diss. Munchen 1964, maschr. HHE
Ostpreufien.
Lit. : G. Doring, Zur Gesch. d. Musik in PreuBen, Elbing
1852; E. A. Hagen, Gesch. d. Theaters in PreuBen, K6-
nigsberg 1854; J. M. Muller-Blattau, Die Erforschung
d. Mg. O., AltpreuBische Forschungen III, 1926; ders.,
Gesch. d. Musik in Ost- u. WestpreuBen v. d. Ordenszeit
bis zur Gegenwart, Konigsberg 1931; ders., Zur Erfor-
schung d. ostpreuBischen Volksliedes, = Schriften d. K6-
nigsberger Gelehrten Ges., Geisteswiss. Klasse XI, 2, Hal-
le 1935; PreuBische Festlieder, hrsg. v. dems., =LD O.
u. Danzig 1, 1939 ; ders., Ost- u. westpreuBische Musik zur
Zeit d. Barock, Jb. d. Albertus-Univ. zu Konigsberg II,
1 952 ; ders., Ost- u. westpreuBische Musik im 1 8. Jh., eben-
da IV, 1954; ders., Ost- u. westpreuBische Musik u. Mu-
sikpfiege im 19. Jh., ebenda V, 1955 ; H.-P. Kosack, Gesch.
d. Laute u. Lautenmusik in PreuBen, = Konigsberger Stu-
dien zur Mw. XVII, Kassel 1935; P. Gennrich, Die ost-
preuBischen Kirchenliederdichter, = Welt d. Gesangbuchs
XIX, Lpz. u. Hbg 1938 ; H. Runge, Die Melodien ostpreu-
Bischer Volkslieder, Diss. Konigsberg 1939, maschr.; O.
Leitner, Lob an alien Orten. OstpreuBischer Beitr. zum
Kirchenlied, Munchen 1953; W. Salmen, Die Schichtung
d. ma. Musikkultur in d. ostdeutschen Grenzlage, = Die
Musik im alten u. neuen Europa II, Kassel 1954.
Oszillogramm ist die Aufzeichnung von Schwin-
gungsvorgangen. O.e geben z. B. den Schalldruckver-
lauf von einfachen und zusammengesetzten Schwin-
gungen wieder. Wahrend bei a) und b) deutlich eine
1
■WV^
a) Sinusschwingung, b) periodischer Schwingungs-
vorgang, c) unperiodischer Schwingungsvorgang.
Periodizitat zu erkennen ist, fehlt diese bei c). Je zacken-
reicher eine solche Kurve ist, um so mehr Oberschwin-
gungen enthalt der untersuchte Schwingungsvorgang.
Seine Frequenzzusammensetzung laBt sich durch die
-*■ Fourieranalyse ermittelh. O.e haben sich vor allem
ftir die Analyse von -»■ Ausgleichsvorgangen bewahrt.
Sie werden heute fast ausschlieBlich mit Hilfe von Ka-
thodenstrahlbszillographen hergestellt, wahrend den
alteren Schleifenoszillographen kaum noch eine Bedeu-
tung zukommt. Besonders £iir akustische Untersuchun-
gen geeignet ist der Blauschreiberoszillograph. Er be-
sitzt einen Spezialschirm, dessen Schicht das O. nach der
Aufnahme in blauer Schrift fixiert, so daB es beliebig
lange betrachtet und photographiert werden kann.
695
Ottava
Lit. : Fr. Eichler u. W. Gaarz, Der neue Siemens-Uni-
versaloszillograph, Siemens-Zs. X, 1930; P. E. Klein,
Kathodenstrahloszillographen, Bin u. Ffm. 1948 ; J.Czech,
OszillographenmeBtechnik, Bin 1959.
Ottava (ital.), Oktave; die Abk. 8va mit folgender
(punktierter) Linie bedeutet Oktavversetzung (all'o.),
iiber den Noten stehend die hohere Oktave (o. alta, o.
sopra), unter den Noten die tiefere (o. basso, o. sotto).
->■ Abbreviaturen (- 9).
Ottavino (ital.) -*■ Piccolo; auch eine Bezeichnung fiir
das Oktavspinett (Spinettino).
Ottobeuren (Schwaben), Benediktinerkloster, gegr.
764.
Lit.: H. Tilsen, Eine Musikhs. d. Benediktiner-Klosters
O. aus d. Jahre 1695, Diss. Miinchen 1922, maschr.; J.
Worsching, Die beriihmten Orgelwerke d. Abtei O., er-
baut 1754-66, Mainz 1941 ; R. Quoika, Die Marienorg. v.
O., Musica XI, 1957 ; H. Schwarzmaier, Ma. Hss. d. Klo-
sters O., in : 0. 764-1964. Beitr. zur Gesch. d. Abtei, = Son-
derbd d. Studien u. Mitt, zur Gesch. d. Benediktinerordens
u. seiner Zweige, LXXIII, Augsburg (1964); W. Pfander,
Das Musikleben d. Abtei O. v. 16. Jh. bis zur Sakularisa-
tion, ebenda; W. Irtenkauf, Zur ma. Liturgie- u. Mg. O.,
in: O., Fs. zur 1 200- Jahrfeier d. Abtei, hrsg. v. A. Kolb
OSB u. H. Tiichle, ebenda 1964.
Ottoni (ital., von ottone, Messing), die Blechblasin-
strumente (das »Blech«) des Orchesters.
ouvert (uv'e:r, frz., often) -> Klausel; accord a l'ou.
heiBt ein auf leeren Saiten der Streichinstrumente her-
vorgebrachter Akkord.
Ouverture (frz. ouverture, Eroffnung; ital. sinfonia;
-> Symphonie) ist eine Instrumentalkomposition, die
als Einleitungsstiick zu Biihnenwerken (Oper, Ballett,
Schauspiel) und groBeren Vokalwerken (Kantate, Ora-
torium) dient, im 19. Jh. aber auch als selbstandige
Komposition (Konzert-Ou.) konzipiert wurde. AuBer-
dem heiBt Ou. nicht nur der Eroffnungssatz der »fran-
zosischen« ->■ Suite, sondern nach ihm auch die ganze
Ou.n-Suite. - Eroffnung ist eine der zentralen Auf-
gaben der -»■ Instrumentalmusik. Seit Ende des 16. Jh.
wurden als Einleitung zu Biihnenwerken (auch Inter-
medien) verschiedenartige, auch urspriinglich separat
entstandene Satze fiir vollstimmiges Instrumentalen-
semble gespielt, deren Bezeichnungen (Toccata, Can-
zona, Sonata, Sinfonia) ebenso wechseln wieihreForm.
Das Balet comique de la Royne (1581) wurde (laut Erst-
druck) mit einer Blasermusik eroffnet. Blaserfanfaren
in der Art der -> Toccata zu Monteverdis Orfeo (1607)
begegnen spater nicht mehr. DieEinleitungssinfonia zu
dem Dialogo musicale Giudizio d'amore von B.Donato
(NA bei Botstiber 1913) ist ein friiher Beleg fiir eine Ou.
mit der Gegeniiberstellung von langsamem und schnel-
lem ZeitmaB. Die instrumentalen Einleitungen der ro-
mischen und venezianischen Opern im friihen 17. Jh.
stehen der -> Kanzone (- 2; z. B. St. Landi, II Sant'Akssio,
1634) und der Sonata (->- Sonate) nahe. Bei Cavalli
und Cesti beginnt die Sinfonia meist mit einem Ab-
schnitt in gemessen-feierlichem ZeitmaB, der in einen
bewegteren, oft imitatorischen Abschnitt (oder selb-
standigen Teil) iibergeht; gelegentlich folgt ein 3. Teil
mit Wiederauf nahme des Beginns oder der Imitationen
iiber neue Themen. - In Frankreich ist die Bezeichnung
Ou. zuerst belegt fiir das vor dem 1. Auftritt gespielte
-> Entree (- 1) im Ballet de Mademoiselle (1641). Wohl
in enger Wechselbeziehung mit der venezianischen
Opernsinf onia entstand - zunachst als Ballettvorspiel -
der Typus der franzosischen Ou. : langsamer Teil in
-»■ Punktiertem Rhythmus (SchluB auf der Dominan-
te), 2. Teil in lebhaftem Tempo (haufig in ungeradem
Takt), der seit J.-B.Lullys Alcidiane (1658) oft imitato-
risch gearbeitet ist (im 18. Jh. meist als regulare oder frei
konzertante Fuge angelegt). Danach kann als abschlie-
Bender 3. Teil das langsame Tempo - oft mit Anleh-
nung an die Themen des 1. Teils - wieder aufgenom-
men werden. Dieser Ou.n-Typus, den Lully entschei-
dend gepragt hat, zeigt sich voll ausgebildet in dessen
Ou. fiir die Pariser Auffiihrung des Serse von Cavalli
(1660). - Die Ou. und einzelne Instrumental- bzw.
Tanzsatze aus Opern und Balletten wurden (erstmals
von J. S.Kusser 1682) zu Suiten zusammengestellt und
als selbstandige Orchester- bzw. Kammermusik publi-
ziert, dann auch als solche neu komponiert; diese neue
Gattung wurde zuerst von d'Anglebert 1689 (in
Deutschland von G.Bohm) auf das Klavier iibertragen.
Vor allem in Deutschland wurde die Ou.n-Suite zur
beherrschenden Gattung der Orchestermusik in der 1.
Halfte des 18. Jh. (Georg Muffat, J. K. F. Fischer, Tele-
mann, J. S.Bach und Handel). - Zu einem der franzo-
sischen Ou. vergleichbaren, festen Typus verfestigte
sich die italienische Opernsinf onia erst in der neapolita-
nischen Oper Ende des 17. Jh., vor allem durch A. Scar-
latti. Von ihren 3 Satzen tragt der erste (Allegro-) Satz
haufig konzertante, der zweite (langsame) kantable Zii-
ge, der dritte Satz (Allegro oder Presto) zeigt oft Tanz-
charakter. Bis um 1760, als die franzbsische Ou. als ver-
altet verschwand, bestanden beide Typen als Opemein-
leitung nebeneinander. Nicht selten wurden franzbsi-
sche gegen italienische Ou.n (oder umgekehrt) und
noch bis ins 19. Jh. Ou.n verschiedener Opern ausge-
tauscht: Gluck verwendete (teilweise bearbeitet) die
Ou. zu Ezio fiir La demenza di Tito, die Ou. zu L'inno-
cenza giustificata fiir Antigono ; Rossini nahm die Ou.
der Opera semiseria Elisabetta fiir den »Barbier von
Sevilla«.
DaB die Ou. auf den Charakter der Oper vorbereiten,
zumindest auf den Affekt der 1 . Szene hinleiten sollte,
wurde u. a, von Mattheson 1713 und 1739, Scheibe
1738, Quantz 1752, Rousseau 1768 und Gluck 1769
und 1770 (Vorreden zu den Ausgaben von Alceste
und Paride e Elena) gefordert, aufierdem von Lessing
(Hamburgische Dramaturgic, 26.-27. Stiick, 1767). Uber-
leitung (Cavalli, Muzio Scevola, 1665) oder thematische
Beziige zur 1. Szene (Cesti, II porno d'oro, 1667) sind im
17. Jh. selten. Im 18. Jh. schuf zuerst J.-Ph.Rameau en-
gereWechselbeziehungen zwischen Ou. und Oper, in-
dent er in der Ou. Themen der Oper vorbereitete (Castor
et Pollux, 1737; Platee, 1745) bzw. die Ou., die den In-
halt der 1 . Szene musikalisch schildert, in diese iibergehen
lieB {Nats, 1749). Ihm folgte Gluck seit Alceste (1767); die
Ou. zu seiner Iphigenie en Aulide ist als ouverture descrip-
tive bezeichnet. In Anlehnung an den Terminus Pro-
grammusik wird diese Art der Ou. heute programma-
tische oder Programm-Ou. genannt. Ahnliche Bestre-
bungen gab es auch bei der italienischen Sinfonia (Traet-
ta, Jomelli). W. A. Mozart, der zunachst an die italieni-
sche Tradition ankniipfte und in der Ou. zu Idomeneo
(1 781 ) Gluckschen Ideen huldigte, komponierte fiir seine
groBen Opern einsatzige Ou.n in Sonatensatzform, die
in je individueller Gestaltung vielfaltigen Bezug auf
das dramatische Geschehen nehmen (in der Ou. zur
Entfiihrung z. B. ist die Sonatensatzform modifiziert
durch Einfugung eines langsamen Mittelsatzes statt der
Durchfiihrung, der mit der 1. Arie in Verbindung
steht). Beethoven, dessen programmatische Schauspiel-
Ou.n (Egmont, Coriolan) bald im Konzertsaal heimisch
wurden, fand (nach 3 Ansatzen in den Leonoren-Ou.n
1-3) erst in der Abkehr vom Programmatischen die
endgultige Konzeption der Ou. zu seiner Oper Fidelio.
- In der Romantik entwickelte sich die Ou., die nun oft
von vornherein im Hinblick auf den Konzertsaal konzi-
piert wurde, zur eigengesetzlichen Natur- (Weber,
696
Ozeanien
Mendelssohn Bartholdy) und Seelenschilderung (R.
Schumann, Manfred; Tschaikowsky, Hamlet) ; Berlioz
verbindet beides (Le Roi Lear), ebenso Wagner (Eine
Faustouverture). Liszt nannte folgerichtig seine Ou.n
-*■ Symphonische Dichtungen. Demgegeniiber sind
Kompositionen wie Brahms' Tragische Ou. und Aka-
demische Fest-Ou. sowie Regers und Busonis Lustspiel-
Ou.n durch ihre Titel von der romantischenProgramm-
musik distanziert (Reger verwendete fur op. 108 die
Oberschrift -*■ Prolog). -Einen anderen Typus der Ou.
im 19. Jh. bilden die Potpourri-Ou.n, die in der italie-
nischen und franzosischen Komischen Oper (Bellini,
Donizetti, Auber) sowie von Lortzing bevorzugt wur-
den. In ihnen sind nach dem Prinzip von Kontrast und
Steigerung die zugkraftigsten Nummern der Oper an-
einandergereiht. - Wahrend z. B. Halevy und teilweise
auch Meyerbeer in ihren Ou.n noch einmal auBerlich-
dramatische Wirkungen anstrebten, riickten R.Wag-
ner und Verdi (nachdem beide ihren friiheren Werken
noch Ou.n im romantisch-traditionellen Sinne voran-
gestellt hatten) in ihren Hauptwerken von der thema-
tisch abgeschlossenen Ou.n-Form ab und leiteten das
BUhnengeschehen stattdessen mit einem -»■ Vorspiel
ein. Die weitere Entwicklung f iihrte teilweise zu einer
volligen Verdrangung der Ou. bzw. des Vorspiels
(Verdi in Otello und Falstaff; Puccini), teilweise auch
zum Ankniipfen an altere Traditionen und Vorbilder
(R.Strauss, Hindemith). Als eine Ubertragung der
Programmusik in das leichte Genre lebt die Ou. in der
Unterhaltungsmusik fort.
Lit.: R. Wagner, t)ber d. Ou., in: Gesammelte Schriften
u. Dichtungen I , Lpz. 1 87 1 u. 6. ; H. Riemann, Die f rz. Ou.
in d. 1. Halfte d. 18. Jh., Mus. Wochenblatt XXX, 1899;
ders., Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912, 31921, darin 2 Ou.
v. Landi; H. Goldschmidt, Studien zur Gesch. d. ital.
Oper im 17. Jh., 2 Bde, Lpz. 1901-04; A. Heuss, Die ve-
netianischen Opern-Sinfonien, SIMG IV, 1902/03; H.
Prunieres, Notes sur l'origine de l'ouverture frc., SIMG
XII, 1910/1 1 ; H. Botstiber, Gesch. d. Ou. u. d. freien Or-
chesterfonnen, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen IX,
Lpz. 1913; R. Tenschert, Die Ou. Mozarts, Mozart- Jb.
II, 1924;W.ALTMANN,Orch.-Lit.-Kat.IV:Ou.,Lpz. 1926;
J. Braunstein, Beethovens Leonore-Ou., = Slg mw. Ein-
zeldarstellungen V, Lpz. 1927 ; H. Halbig, Die Ou.,= Mus.
Formen in hist. Reihen XVI, Bin (1930); P.-M. Masson,
L'opira de Rameau. Les ouvertures, Paris 1930, 2 1943; G.
Fr. Schmidt, Die friihdeutsche Oper ... II, Regensburg
1934; P. Listl, C. M. v. Weber als Ouverturenkomponist,
Wiirzburg 1936; C. Dahlhaus, Bachs konzertante Fugen,
Bach-Jb. XLII, 1955 ; N. Schiorring, Allemande ogfransk
overture, in: Fs. udgivet af Kjabenhavns Univ., Kopen-
hagen 1957; C. Floros, Das »Programm« in Mozarts
Meisterou., StMw XXVI, 1964; G. Th. Sandford, The
Ouvertures of H. Berlioz: A Study in Mus. Style, Toron-
to 1964.
Oxford.
Lit.: Chr. A. Williams, A Short Hist. Account of the
Degrees in Music at O. and Cambridge, 2 Bde, London u.
NY (1894); J. Stainer, Early Bodleian Music . . . (1185-
1505), 2 Bde, London 1898; R. Ponsonby u. R. Kent, The
O. Univ. Opera Club: A Short Hist., 1925-50, O. 1950; N.
C. Carpenter, The Study of Music at the Univ. of O. in the
Renaissance, 1450-1600, MQ XLI, 1955; ders., Music in
the Medieval and Renaissance Univ., Norman/Okla.
(1958); W. G. Hiscock, H. Aldrich of Christ Church,
1648-1710, 0. 1960; W. K. Ford, The O. Music School in
the Late \V Cent., JAMS XVII, 1964.
Ozeanien.
Lit. : E. M. v. Hornbostel, Uber d. Tonsystem u. d. Musik
d. Melanesier, Kgr.-Ber. Basel 1906; W. Heinitz, Lieder
aus Ost-Neumecklenburg, ZfMw VII, 1924/25; M. Ko-
linski, Die Musik d. Primitivstamme auf Malakka . . . ,
Anthropos XXV, 1 930 ; J. C. Andersen, Maori Music With
Its Polynesian Background, New Plymouth (N. Z.) 1 934; H.
Hubner, Die Musik im Bismarck-Archipel, = Schriften
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Zum Problem d. Nasenflote, Abh. Volkerkunde-Museum
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Danckert, Alteste Musikstile u. Kulturschichten in O.
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scher, Schallgerate in O., = Slg mw. Abh. XXXVI, Strafi-
burg u. Baden-Baden 1958; B. B. Smith, Folk Music in
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XI, 1959 ; D. Christensen u. G. Koch, Die Musik d. Ellice-
Inseln, = Verdff. d. Museums f. Volkerkunde, N. F. V,
Blnl964;P.CoLLAER,0., = Mg.inBildernI, l,Lpz.(1965).
697
P (p)> - 1) Abk. fur piano, piu oder poco; - 2) Abk.
(selten) f iir pars bzw. parte ; - 3) Abk. f iir Pedal ; - 4) pp :
Abk. fur pianissimo (oder piu piano).
Padoana (ital., auch Padovana, Paduana), seit Anfang
des 16. Jh. gleichbedeutend mit -> Pavane, bezeichnet
j edoch ab Mitte bis Ende des 1 6. Jh. auch einen im Un-
terschied zur Pavane schnellen Tanz im Dreiertakt. Er'
kommt in den Lautentabulaturen von D. Bianchini, A.
Rotta, G. Gorzanis in Zusammenstellungen wie Pass'e
mezzo - P. - Saltarello vor, wobei die beiden letzten
Tanze meist rhy thmische Varianten des Vortanzes sind.
In anderen Tabulaturen ist die P. auch alleinstehend zu
finden. Im Sprachgebrauch der genannten Zeit, beson-
ders in Deutschland, wurden jedoch die Bezeichnungen
P. und Pavane nicht eindeutig unterschieden: haufig
wurden auch 3zeitige Tanze Pavane und 2zeitige Tanze
P. genannt.
Lit.: L. Moe, Dance Music in Printed Ital. Lute Tabula-
tures, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1956, maschr.; ders.,
Le probleme des barres de mesure, in: Le luth et sa mu-
sique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958; ders., Artikel P.-
Padovana-Paduana, in : MGG X, 1962.
Padua.
Lit. : T. Zacco, Cenni biogr. di scrittori e compositori di
musica padovani, P. 1840; N. Pietrucci, Biogr. degli ar-
tisti padovani, P. 1858; A. Pallerotti, Spettacoli melo-
dramatici ... nei Teatri Obizzi, Nuovo e del Prato della
Valle dal 1751 al 1892, P. 1892; Br. Brunelli, I teatri di
Padova dalle origini alia fine del s. XIX., P. 1921 ; ders.,
II centenario di un teatro padovano, P. 1934; S. Travaglia,
Musicisti padovani, P. 1930; E. Riooni, Organari ital. e
tedeschi a Padova nel quattrocento, Note d'arch. XIII,
1936; R. Casimiri, Musica e musicisti nella cattedrale di
Padova nei s. XIV, XV, XVI, ebenda XVIII, 1941 - XIX,
1942; A. Garbelotto, Cod. mus. della bibl. capitolare di
Padova, RMI LIII, 1951 - LIV, 1952; ders., Un cap. di
storia mus. presso la cattedrale padovana nel '600, in: Atti
dell'Accad. Patavina di scienze, lettere ed arti, N. F. LXIV,
1952 ; ders., Organi e organari nel '500 al Santo di Padova,
Rom 1953; Uffici drammatici padovani, hrsg. v. G.
Vecchi, = Bibl. delFArch. romanicum 1, 41 , Florenz 1954.
Paan (griech. roxtdcv, roxic&v, im Epos toxiyjcov), bei
den Griechen der Beiname Apollons als Heilgott.auch
der chorische Kultgesang fiir Apollon, der oft mit der
Anrufungsformel iij Ilaidv angestimmt wurde. Der P.
ist bezeugt als Dankgesang nach iiberstandener Seuche
(Homer, Mas 1, 473), als Siegeslied nach dem Kampf
(Mas 22, 391), als Bittgesang um Beistand im Kampf
(z. B. der zweite P. von Pindaros), als Gesang beim ri-
tuellen Spendopfer vor Festmahlern (z. B. Aischylos,
Agamemnon 247; vgl. Platon, Symposion 176a). Spater
konnte der P. auch an Zeus, Poseidon, Dionysos, As-
klepios und in hellenischer Zeit (als eine Art Hymnus)
sogar an einzelne Menschen gerichtet sein. Ein P.-Frag-
ment mit Musiknoten ist auf einem Berliner Papyrus
iiberliefert (->■ Griechische Musik).
Lit.: A. Fairbanks, A Study of the Greek P., = Cornell
Studies in Classical Philology XII, (NY 1900); L. Deub-
ner, Der P., Neue Jb. f. d. klass. Altertum XXII, 1919.
P&dagogik -»■ Gehorbildung, -»■ Musikerzie-
hung, -»■ Privatmusikerziehung, -»- Schulmu-
sik.
Paenultima (erganze: vox, lat., vorletzter Ton), in
der mittelalterlichen Musiklehre Bezeichnung fiir den
Ton vor dem letzten Ton (ultima [vox]) einer Ligatur
oder einer -> Klausel. Die P. ist als »vorletzter Ort« der
-> SchluB-Bildung oft besonders ausgestaltet, z. B. als
Organicus punctus (->• Orgelpunkt) in der Mehrstim-
migkeit des 13. Jh.
Paleographie musicale (frz.) -> Denkmaler
(Frankreich 2).
Palermo.
Lit.: G. Sorge, I teatri di P. nei s. XVI, XVII, XVIII, P.
1926; I. Ciotti, La vita artistica del Teatro Massimo di P.
(1897-1937), P. 1938; ders. u. O. Tiby, I cinquanfanni
del Teatro Massimo di P., P. 1947 ; O. Tiby, La musica nella
Real Cappella Palatina di P., AM VII, 1952; ders., II Real
Teatro Carolino e 1'ottocento mus. palermitano, = Hist,
musicae cultores, Bibl. IX, Florenz 1957.
»Palestrina-Stil«-»-Kontrapunkt,->-R6mische
Schule.
Palillogja (griech., Wiederholung eines Wortes), in
derKompositionslehredesl7./18.Jh.eineinAnlehnung
an die Rhetorik erklarte musikalische Figur: Wieder-
holung eines Melodieabschnitts oder dessen Anfangs in
derselben Stimme und in der gleichen Tonhohe.
Palotas (p'atata: J, ungarisch), ein mafiig langsamer
mehrsatziger ungarischer Tanz, der wahrscheinlich bis
ins 15. Jh. zuriickreicht. Er stent im 2/4- oder im 4/8-
Takt und schlieBt mit einer »Figura«, einer verzierten
Coda iiber der Dominante und Tonika.
Panama.
Lit.: Fr. Densmore, Music of the Tule Indians of P.,
= Smithsonian Miscellaneous Collections LXXVII, Nr 1 1,
Washington 1926; N. Garay, Tradiciones y can tares de
P., P.u.Brussell930.
Pander o (span.), die ->• Schellentrommel der spani-
schen Volksmusik, die vor allem bei der Begleitung der
Tanze (z. B. der -»• Muiieira) Verwendung findet. Be-
sondere apotropaische Bedeutung kommt dem P. in
den spanischen Karnevalsbrauchen zu, wo es zusammen
mit der Zambomba (-+ Reibtrommel) und anderen
Larminstrumenten gebraucht wird. In Laurent Vitals
Chronik (Voyage des souverains des Pays-Bas III, S. 116)
iiber die Reise Karls V. nach Spanien (1517) wird das
Spiel von Instrumenten (unter der Bezeichnung tam-
boril ; -»■ Tamburin), die nur mit Fell bespannt und mit
vielen Metallplattchen versehen seien, zum Tanz der
Frauen beschrieben, ebenso im Recueil et discours . . .
(1571) iiber die Reise Karls IX. nach Spanien (1564).
Pandora, auch Bandoer, ein im 16. und friihen 17. Jh.
gebrauchliches Zupf instrument in BaBlage wie die Erz-
cister (-> Cister), doch mit birnenformigem, leicht ge-
schweif tem Corpus wie -> Orpheoreon und -> Penor-
698
Pantomime
con, mit einer Rosette in der Decke und einem Quer-
riegel zur Befestigung der Saiten. Die P. hat 5-7 Me-
tallchoreund 15 Bunde (Praetorius Synt. II, Tafel XVII);
die Sthnmung ist 1G1G CC DD GG cc ee aa oder CC
DD GG cc ff aa d J di. Nach Praetorius ist die P. in Eng-
land erfunden worden; in London wurde sie urn 1566
von John Rose eingefiihrt, in der Berliner Hofkapelle
war sie noch 1667 in Gebrauch.
Pandura -*■ T a n b u r.
Panflote, Panpf eife (Attribut Pans; griech. -»■ Sy-
rinx; weitere Namen u. a. altfrz. frestel, ital. fregamu-
soni, firlinfoeu, rumanisch naiu, chinesisch p'ai hsiao;
in Siidamerika u. a. rontador, antaras, huayra-puhura),
ein Blasinstrument, das aus mehreren gebundelten, in
der Regel unten geschlossenen Rohren besteht, die
meist direkt am glatten oder (wie im Fernen Osten)
gekerbten oberen Rand, seltener fiber einen Schnabel
angeblasen werden. Die P.n in den verschiedenen Lan-
dern der Erde weichen voneinander ab hinsichtlich des
Materials (Schilf, Bambus, Holz, Ton, Stein) und der
Bauweise (flofiartig oder rund gebundelt, verschniirt
oder mit Wachs verklebt, auch aus einem Stuck gear-
beitet). Bei den Cuna-Indianern in Panama werden 2
P.n (mannliches und weibliches Instrument) von einem
Spieler gespielt, anderwarts (Melanesien, Polynesien)
auch mehrere P.n im Ensemble. Im Abendland ist die
P. seit dem Mittelalter nachweisbar; als volkstiimliches
Instrument ist sie vor allem in Italien und Rumanien
heimisch. - Da P.n bei vielen Volkern vorkommen
und die Tone der einzelnen Rohren sich gut messen
lassen, kniipfen sich an das Instrument mehrere musik-
ethnologische Theorien iiber Tonsysteme (-»■ Blas-
quinte), Melodik und Mehrstimmigkeit.
Lit. : E. M. v. Hornbostel, Ober einige Panpfeifen aus
Nordwest-Brasilien, in: Th. Koch-Grunberg, Zwei Jahre
unter d. Indianern II, Bin 1910; A. H. Fox Strangways,
The Pipes of Pan, ML X, 1929; K. G. Izikowitz, Mus. and
Other Sound Instr. of the South American Indians, = G6-
teborgs Kungl. Vetenskabs- och Vitterhets-Samhalles
Handlingar V, Serie A, V/l, Goteborg 1935; H. Hick-
mann, Das Portativ, Kassel 1936 ; W. K. Steschenko-Kuf-
tina, Drewnejsche instr. osnowy grusinskoj narodnoj mu-
syki I. Flejta pana (»Die altesten Instr. d. georgischen
Volksmusik I. Die P.«), Tiflis 1936; M. Schneider, Be-
merkungen iiber sudamerikanische Panpfeifen, AfMf II,
1937; P. H. Buck, Panpipes in Polynesia, Journal of the
Polynesian Soc. L, 1941 ; Fr. Zagiba, Funde zur vorge-
schichtlichen Musik in Osterreich . . . , Anzeiger d. phil.-
hist. Klasse d. Osterreichischen Akad. d. Wiss. XCI, 1954; '
S. Mart!, Instr. mus. precortesianos, Mexiko 1955; H. Fi-
scher, Schallgerate in Ozeanien, = Slgmw. Abh. XXXVI,
StraBburg u. Baden-Baden 1958.
Pange lingua (tat-), um 569 von Venantius Fortunatus
gedichteter und vertonter Kreuzeshymnus (P. I. gloriosi
proelium certaminis), seit dem 9./10.Jh. zunehmend fester
Bestandteil im Offizium der Passionszeit (heute in der
Matutin vom 1. Passionssonntag bis zum Mittwoch
der Karwoche), der Feste Kreuzerhohung (14. Septem-
ber) und Kreuzauffindung (3. Mai; 1960 abgeschafft)
und zur feierlichen Kreuzverehrung am Karfreitag.
Sein Text umfaBt 10 Strophen mit jeweils 3 Versen,
deren Grundlage 2 trochaische Dimeter bilden. Die in
der romischen Liturgie allgemein gebrauchliche Fas-
sung P. 1. gloriosi lauream certaminis datiert aus der Zeit
der Brevierreform Papst Urbans VIII. (beendet 1631).
Wahrend das Vatikanische Graduale (1908) den Text
nur in seiner originalen Form bietet, bringen spatere
Ausgaben beide Fassungen. Von den etwa 100 nach
dem Vorbild dieses Hymnus entstandenen Neuschop-
fungen behauptet sich das P. I. gloriosi corporis mysterium
Thomas von Aquins(?) bis zur Gegenwart als Vesper-
und Prozessionshymnus vom Fronleichnamsf est, ferner
als Prozessionshymnus vom Griindonnerstag. Der
Brauch, die beiden SchluBstrophen Tantum ergo und
Genitori Genitoque vor dem eucharistischen Segen zu
singen, ist schon im 15. Jh. nachzuweisen. Aus dem An-
fang jenes Jahrhunderts stammt eine friihe deutsche
Obersetzung des Fronleichnamshymnus (Lobt all czun-
gen des ernreichen gotes leichnambs wirdikait), der dann
auch in die protestantischen Gesangbiicher der Refor-
mationszeit Eingang fand (Mein zung erklyng). - Die
iiberragende Bedeutung des P. 1. fiir das kirchlich-
religiose Leben spiegelt sich nicht zuletzt in zahlrei-
chen uberlief erten Melodien. So enthalten die mittelal-
terlichenQuellen mindestens 10 verschiedeneMelodien,
darunter vor allem die heute zum Text P. I. gloriosi
corporis mysterium gesungene urspriingliche Weise in 3
kirchentonalen Versionen (auf d, e und a), von denen
die phrygische als Originalmelodie gelten darf (Monu-
menta monodica medii aevi I, Nr 56/2). Im Unterschied
hierzu besitzt der Prozessionshymnus P. I. gloriosi lau-
ream [proelium] certaminis vom Karfreitag eine eigene
Melodie (dorisch, mit ubereinstimmender 2. und 3.
Zeile; Monumenta monodica . . . I, Nr 1007). Er wird zu-
sammen mit dem Kehrvers Crux fidelis vorgetragen,
der neben dem metrischen Textbau auch die Melodie
des P. 1. aufweist.
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi L, hrsg. v. Cl. Blume
SJ u. G. M. Dreves, Lpz. 1907 (Text) ; Monumenta mono-
dica medii aevi I, hrsg. v. Br. Stablein, Kassel 1956.
Lit. : Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied ... II,
Lpz. 1 867 ; W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in
seinen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck
Hildesheim 1962; J. Zahn, Die Melodien d. deutschen ev.
Kirchenlieder II, Gutersloh 1890, Munchen 21946, Nr
3682a; U. Chevalier, Repertorium hymnologicum II, L6-
wen 1897; Br. Stablein, Zur Gesch. d. choralen P.-l.-Me-
lodie, in : Der kultische Gesang d. abendlandischen Kirche,
Fs. D. Johner OSB, Koln 1950; C.-A. Moberg, Zur Melo-
diegesch. d. P.-l.-Hymnus, Jb. f . Liturgik u. Hymnologie V,
1960; J. SzoviRFFY, Die Annalen d. lat. Hymnendichtung
I, Bin (1964).
Pantaleon (frz. pantalon), ein grofies -*■ Hackbrett
mit einem Tonumfang von 5-51/2 Oktaven, Resonanz-
boden und vollstandigen Saitenbeziigen auf beiden
Seiten. Durch Umwenden des Instruments konnte
wechselweise entweder auf den sanf ter tonenden Darm-
saiten oder auf den scharfer klingenden Metallsaiten
gespielt werden, wobei die Saiten des nach unten ge-
kehrten Bezugs jeweils als ->■ Aliquotsaiten wirkten.
Der Anschlag erfolgte (wie beim Hackbrett und auch
beim -»• Cimbalom) mit Kloppeln. Es gab allerdings
auch Instrumente mit nur einem Resonanzboden, der
dann nur mit Darmsaiten bezogen war. Ludwig XTV.
benannte das Instrument nach Pantaleon -> Heben-
streit, der es seit den 1690er Jahren auf Konzertreisen in
ganz Europa vorfuhrte. In der 2. Half te des 18. Jh. kam
das P. wieder aus der Mode. - Urspriinglich wohl zur
Nachahmung des Nachklingens und Ineinandertonens
der P.-Saiten entstand der P.-Zug am Pianoforte, der
im Fortepedal (Dampferhebung) des modernen Kla-
viers weiterlebt. Andere Vorrichtungen, die an Kla-
vieren um 1800 vereinzelt begegnen und die durch
Einschieben eines Blechstreifens iiber die Saiten an der
Anschlagstelle der Hammer oder durch Einschalten ei-
ner zweiten, unbelederten Hammerreihe den Klang-
charakter des Pianofortes in Richtung des P.s verander-
ten, wurden ebenfalls P.-Zug genannt.
Lit.: J. Mattheson, Critica Musica II, Hbg 1725, Faks.
Amsterdam 1964.
Pantomime (griech., alles nachahmend), als Gattung
schwer bestimmbare, mit den Formen des Theaters,
mit Mimik, Tanz, Akrobatik, Marionettenspiel ver-
wandte Kunst des korperlichen Ausdrucks. - Bereits in
699
Papadike
hellenistischer Zeit in Griechenland, Kleinasien und
Agypten verbreitet, wurde die P. im Augusteischen
Rom (-> Romische Musik) durch Pylades (Tragodien-
P.) land Bathyllus (Komodien-P.) zur Mode: eine von
Chor- und Instrumentalmusik begleitete Theaterdar-
bietung, bei der sich ein stumm (mit Maske) agierender
Schauspieler oder Tanzer allein durch Gebardenspiel
und Tanz verstandlich machte. Nachdem die P.n-Auf-
fiihrung wegen AnstoBigkeit mehrfach verboten wor-
den war, wurde sie 526 n. Chr. endgiiltig abgeschafft.
In Byzanz lebte eine Sonderform der P. als Bestandteil
des Kaiserzeremoniells weiter. - P.n allegorischen In-
halts mit Musik, wie sie seit der Renaissance (von Italien
ausgehend) in den Intermedien hofischer Feste, in den
Trionfi, in den Intermedien des geistlichen und weltli-
chen Theaters zur Geltung kamen, gehoren zu den
Vorstufen von Oper und Ballett; im Barock wurden
Apparat und AusmaBe noch gesteigert (Waffenturnier,
RoBballett). Im 18. Jh. hatte J.G. -► Noverre durch
seine im pantomimischen ->■ Ballett verwirklichten
Reformideen bedeutende Erfolge. Eine andere, volks-
tiimliche Entwicklung der P. laBt sich von den mit-
telalterlichen Mysterien iiber Wanderbiilme, Corn-
media dell'arte, Jahrmarkttheater bis ins 19. Jh. verfol-
gen. Das zunehmend gesellschaftskritische, bei zeitwei-
ligem Redeverbot auf die stumme P. angewiesene Mi-
mustheater Harlekins erlebte im 19. Jh. einen letzten
Hohepunkt (J.G.Deburau) und zugleich Verfall. Ele-
mente der Harlekinade fanden Eingang in Zirkus, Va-
riete, Stumm- (Charlie Chaplin) und Musikfilm (Fred
Astaire, Gene Kelly). Eine neue, von dem Charles
Dullin-Schuler Etienne Decroux kanonisierte, von
Jean-Louis Barrault, Marcel Marceau, Jean Soubeyran
u. a. realisierte und erweiterte Form derP. stellt mensch-
liche Zustande und Handlungen (analytisch) dar, deren
jeweils Typisches im reinen Gebardenspiel derart stili-
siert und »sprechend« erscheint, daB Wort, Musik, Re-
quisiten nur als Akzent verwendet oder ganzlich ent-
behrlich werden. Bei Samy Molcho gewinnt neuer-
dings die (dramatische) Darstellung seelischer Konliik-
te Vorrang. Der Bewegungsstil der von Decroux in-
augurierten P.n hat auf das moderne Ballett (Maurice
Bejart) zuriickgewirkt. In der Vereinfachung und
Symbolisierung beriihrt sich dieser P.n-Typ mit dem
Bewegungsritus des fernostlichen Theaters (-»■ No;
-> Chinesische Musik). - P. findet sich in der neueren
Musik als Satziiberschrift u. a. bei Ravel (Daphnis et
Chhi, 1912) und A.Honegger (Suite archaique, 1951).
Schreker komponierte 1908 die P. Der Geburtstag der
Infantin. Bartoks Ballett »Der wunderbare Mandarin«
(1918/19) wird auch als P. bezeichnet. Die 6. Szene in
Hindemiths Cardillac (1952) ist eine P.
Lit.: R. J. Broadbent, A Hist, of P., NY 1901, 21964; L.
Friedlander, Darsteliungen aus d. Sittengesch. Roms, 4
Bde, Lpz. 101921-23; T. T. Krogh, Forudsaedninger for
den Casorti'ske P., = Studier fra Sprog- og Oldtidsforsk-
ning CLXXI, {Copenhagen 1936; Pauly-Wissowa RE,
Bd XVIII, 3, 1949, Artikel Pantomimus; H. Kindermann,
Theatergesch. Europas, Salzburg 1957ff.; J. Larson, Mi-
me, London 1957; V. Rotolo, II pantomimo, = Quaderni
delFInst. di filologia greca della Univ. di Palermo I, Paler-
mo 1957; M. Bonaria, Artikel Pantomimo, in: Enciclopedia
dello spettacolo VII, Rom (1960); K. G. Simon, P., Mun-
chen (1960); M. Marceau u. H. Ihering, Die Weltkunst d.
P., Zurich 1961; J. Dorcyu. M. jAC0T,P.,Lausanne(1963);
J. Soubeyran, Die wortlose Sprache, = Theater heute IV,
Velber (1963) ; D. Mehl, Die P. im Drama d. Shakespeare-
zeit, = Schriftenreihe d. Deutschen Shakespeare Ges.
West, N. F. X, Heidelberg 1964.
Papadike (griech., von nana.^, Vater, Weltgeistli-
cher), in der Byzantinischen Liturgie das Buch des Prie-
sters (roxrraSix-}) (3£|3Xo<;) oder die Lehre vom Kirchen-
gesang (wx7ta8ua) T^xvr))- In der ersten Bedeutung be-
zeichnet P. ein zuerst im 14. Jh. nachweisbares litur-
gisches Buch; sein Repertoire umfaBte Gesange, die in
der unmittelbar vorausgehenden Zeit dem Asmatikon
und dem Psaltikon angehort hatten (->• Byzantinischer
Gesang). Im Laufe der Zeit wurden die aus der neo-
byzantinischen Epoche iiberlieferten Melodien allmah-
lich verandert oder durch Neukompositionen der Mai-
stores (nouaTtope?) ersetzt. So entstand ein besonderer
Stil, der noch heute Genos papadikon heiBt. Oft ent-
hielt die P. - meist zu Anfang - auch eine Elementar-
lehre des Byzantinischen Gesangs. Daher bezeichnet
das Wort in der zweiten Bedeutung alle jene Elemen-
tarlehren, die das System der musikalischen Zeichen,
deren Deutung nach den Regeln der Cheironomie so-
wie die Grundlagen des Tonartensystems behandeln.
Ausg. u. Lit.: Techne psaltike, GS III, 397f.; W. Christ,
Beitr. zur kirchlichen Lit. d. Byzantiner, Sb. Munchen
1870; V. Gardthausen, Beitr. zur griech. Paleographie
VI: Zur Notenschrift d. griech. Kirche, Sb. Lpz. 1880;
M. Paranikas, T6 7i6Xaiov atia-cnua 'tflC feKKXnaiaaxi-
Kfj? uouaucfjc;, in: 'EXXnvuc&c; OiXoXoyucdc; SuXXoyoc;
XXI, 1891; J.-B. Thibaut OSB, Traites de musique
byzantine, Rev. de l'Orient chrttien VI, 1901 ; Monuments
de la notation ekphonetique . . . , hrsg. v. dems., St. Peters-
burg 1913; O. Fleischer, Die spatgriech. Tonschrift,
= Neumen-Studien III, Bin 1 904 ; J.-B. Rebours, Quelques
mss. de musique byzantine, Rev. de TOrient chr6tien IX,
1904 - X, 1905; L. Tardo, L'antica melurgia bizantina,
Grottaferrata 1938; B. Di Salvo, Qualche appunto sulla
chironomia . . . , Orientalia Christiana periodica XXIII,
1957; R. Schlotterer, Aufgaben u. Probleme bei d. Er-
f orschung d. byzantinischen Musiktheorie, Actes du X e con-
gres international des etudes byzantines, Istanbul (1957).
Paraguay.
Lit. : I. D. Strelnikov, La musica y la danza de las tribus
indias Kaa-Ihwua (Guarani) y Botocudo, Proceedings of
the 23 rt International Congress of Americanists at NY
1928, NY 1930; J. M. Boettner, Musica y musicos del P.,
Asuncion 1956.
Parakusis (von griech. rcapdcxouati;), Falschhoren, ne-
ben eingebildeten Horwahrnehmungen wie Ohren-
klingen besonders die -*■ Diplakusis.
Parallelbewegung, auch gerade Bewegung genannt
(lat. motus rectus), eine der Grundmoglichkeiten der
-> Stimmfiihrung: das Fortschreiten zweier oder meh-
rerer Stimmen in gleicher Richtung (steigend oder
fallend).
Parallelen, das auf- oder abwartsfiihrende Fortschrei-
ten von zwei oder mehr Stimmen in gleicher Richtung
bei gleichbleibender Distanz. Wahrend in naturwuch-
siger, in usueller (so moglicherweise bei der ->■ Pa-
raphonia) und in der artifiziellen Mehrstimmigkeit
(-> Organum) die Bewegung in P. eines der Prinzipien
bzw. einen Ausgangspunkt der Klanggestaltung bildet,
hat die Musiklehre seit dem 14. Jh. fur diese Art des
Fortschreitens Regeln aufgestellt, wonach grundsatz-
lich - unter Berufung auf die gefahrdete Selbstandig-
keit der Stimmen - offene Oktaven- und Quinten-
P. verboten sind. Im 14./15. Jh. begegnen Quinten-P.
zwischen Stimmen (Cantus und Contra tenor), die
nicht aufeinander, sondern auf eine dritte Stimme (Te-
nor) bezogen sind. Manche Theoretiker (Zarlino 1558)
untersagten, mit Hinweis auf den Tritonus (-v Quer-
stand), auch P. groBer Terzen. In den Vokalkompo-
sitionen des 16./ 17. Jh. ist -*■ Stimmkreuzung ein be-
liebtes Mittel, um offene P. virtuell zu umgehen. Ei-
nen besonderen Fall von erlaubten Quinten-P. stellen
die sogenannten Mozartquinten dar; sie entstehen bei
der Auflosung des UbermaBigen Quint-
sextakkordes (Doppeldominante mit:
kleiner None und tiefalterierter Quin-
700
Parameter
te) in den Dominantdreiklang. Das P.-Verbot wurde
im 17. und 18. Jh. um verschiedene Einzelverbote er-
weitert; deren wichtigste beziehen sich auf :
Akzent-P.:
verdeckte P. :
Anti-P.:
V "--»■
•«•
Diese Verbote sind jedoch stets mehr oder weniger um-
stritten gewesen; in der kompositorischen Praxis gal-
ten sie vor allem fur die AuBenstimmen im strengen
Satz. Im freien Satz sind Akzent-P. haufig zu finden,
zumeist bedingt durch bestimmte Figurationsmotive
(z. B. J.Brahms, 3. Symphonie F dur op. 90, 1. Satz,
Takt 77f., zwischen Va/Vc. und V. II). Das Verbot von
verdeckten P. wird damit
begriindet, daB sich der
Horer den Sprung der
einen Stimme durch Stufenschritte ausgefiillt vorstellt,
so daB in der Vorstellung offene P. entstehen. Verdeckte
P. sind durchweg gestattet in Mittel-
stimmen sowie als Hornquinten - so
genannt in Analogie zu der durch die
Naturtone bedingten Parallelbewegung im 2st. Horn-
satz. Anti-P., deren Ausgangs- und Zielpunkt unter
Ausklammerung der Bewegungsrichtung offenen P.
entsprechen, sind nur im strengen Satz verboten; in
SchluBwendungen treten sie sonst oft in Erscheinung.
Parallelgef iihrte Oktavierungen von Stimmen, vor al-
lem in der Instrumentalmusik, und die haufigen Quin-
ten- und Oktaven-P. in der neueren Musik (Puccini,
Debussy, Strawinsky u. a.) fallen nicht in den Bereich
des P.-Verbots, sondern sind als mixturartige Verdop-
pelungen einer einzigen Stimme zu verstehen (Prae-
torius Synt. Ill, S. 91fi.). Ahnliches gilt fur den Ge-
brauch von P. als eines volkstiimlichen bzw. altertum-
lichen Stilmittels (z. B. J.Regnart, Warm ichgedenck der
stund; G.Verdi, Requiem).
Lit. : G. Weber, Versuch einer geordneten Theorie d. Ton-
setzkunst IV, Mainz 21824, 31 832 ; Th. Uhlig, Die gesunde
Vernunft u. d. Verbot d. Fortschreitung in Quinten, 1853,
in : Mus. Schrif ten, hrsg. v. L. Frankenstein, = Deutsche
Musikbucherei XIV, Regensburg (1914); A. W. Ambros,
Zur Lehre v. Quintenverbote, Lpz. 1859; W. Tappert,
Das Verbot d. Quinten-P., Lpz. 1869; M. Hauptmann,
Zum Quintenverbot, in: Opuscula, hrsg. v. E. G. Haupt-
mann, Lpz. 1874, S. 62-64; W. A. Rischbieter, Die ver-
deckten Quinten, Hildburghausen 1882; H. Riemann,
Von verdeckten Quinten u. Oktaven, in: PrSludien u. Stu-
dien II, Lpz. 1900; H. Schenker, Neue mus. Theorien u.
Phantasien II, 1, Stuttgart 1910, u. II, 2, Wien 1922; A.
Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1960, engl. NY
1947; R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Stuttgart
4 1913; J. Brahms, Oktaven- u. Quintenstudien aus d. Nach-
laB, hrsg. u. erlautert v. H. Schenker, Wien 1934; H. Le-
macher, t)ber d. Verbot v. P., ZfM CIV, 1937 ; A. Ehren-
bero, Das Quinten- u. Oktavenparallelenverbot in syste-
matischer Darstellung, Breslau 1938 ; R. H. Robbins, Beitr.
zur Gesch. d. Kontrapunkts v. Zarlino bis Schiitz, Diss.
Bin 1938.
Parallelklang ist jeder Dreiklang, der mit einem an-
deren Dreiklang gegenteiligen Geschlechts das Intervall
der groBen Terz gemeinsam hat und dessen Grundton
zum Grundton des anderen im Kleinterzverhaltnis steht,
z.B.: g
e
kleine
Terz {
groBe Terz
Nach der dualistischen Theorie H. Riemanns stehen die
Haupttone beider Dreiklange (e von a-c-e und c von
c-e-g) im GroBterzverhaltnis zueinander. Da zwischen
beiden Dreiklangen ein Wechsel des Klanggeschlechts
stattfindet, nennt Riemann den P. auch Terzwechsel-
klang. Das P.-Verhaltnis ist umkehrbar: jeder Drei-
klang ist der P. seines P.s. In der dur-moll-tonalen Har-
monielehre entsprechen die Parallelklange der Haupt-
dreiklange auf der 1., 4. und 5. Stufe der Tonart in
Dur den Molldreiklangen auf der 6., 2. und 3. Stufe,
im reinen Moll den Durdreiklangen auf der 3., 6. und
7. Stufe. Es sind samtlich -> Nebendreiklange. Dure
funktionelle Abhangigkeit von den Hauptdreiklangen,
deren haufigste Steflvertreter sie sind, erfaBt Riemann
durch die Funktionsbezeichnungen Tp, _g
Sp und Dp bzw. °Tp, °Sp und °Dp. In Ge- A ..
stalt des Sextakkordes gilt der P. als Sub- ™ -8 S :
stitutklang (Grabner) einer Hauptfunk- T* ' 5
tion, in der anstelle der Quinte die Sexte gesetzt ist.
Lit. : H. Riemann, Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. »1921 ; H.
Grabner, Hdb. d. Harmonielehre, Bin u. Wunsiedel 1944.
Paralleltonarten heiBen diejenigen Paare von Dur-
und Molltonarten, die gleiche Vorzeichen haben; so
ist A moll die Paralleltonart von C dur bzw. C dur die
Paralleltonart von A moll. In der Funktionsharmonik
konnen sich die P. gegenseitig vertreten (->• Parallel-
klang; -»■ Mediante).
Param?se,Paranete, Parhypjte (griech.) -> Sy-
stema teleion.
Parameter (von griech. Ttapa(xeTp£to, s. v. w. an et-
was messen, vergleichen), allgemeine mathematische
Bezeichnung fiir Kennwerte, die eine Funktion be-
stunmen. In der mathematischen -> Statistik werden
Kennwerte, die aus einer Stichprobe gewonnen wur-
den (z. B. die Haufigkeiten bestimmter Notenwerte in
einem Musikstiick), als MaBzahlen bezeichnet, solche
dagegen, die einer Grundgesamtheit (Population) ent-
stammen, heiBen P., so etwa die Altersverteilung der
Weltbevolkerung. Grundgesamtheiten, deren Eigen-
schaften die mathematische Statistik zu erfassen sucht,
lassen sich in der Regel durch eine begrenzte Anzahl
von P.n in ihren wesentlichen Ziigen beschreiben. Eine
der wichtigsten Aufgaben besteht fiir die Statistik ne-
ben der Prufung von Hypothesen darin, von einer be-
stimmten Stichprobe auf die P. der Grundgesamtheit
zu schlieBen (Schatzen der P.). So werden Tests immer
an den MaBzahlen einer begrenzten Zahl von Ver-
suchspersonen vorgenommen, von denen man anneh-
men kann, daB sie eine fiir die jeweilige Fragestellung
representative Auswahl darstellen. Die -> Informa-
tionstheorie kennt den Begriff des Signal-P.s. Sofern
sich ubermittelte Signale durch eine (skalare oder vek-
torielle) Funktion darstellen lassen - wie es etwa bei
akustischen Schwingungen der Fall ist, die durch eine
Sinusfunktion darstellbar sind -, wird jeder durch
eine mathematische Vorschrift behebiger Art aus ei-
ner bestimmten Funktion ableitbare numerische Wert
als P. dieser Funktion bezeichnet. Kann die Signal-
funktion aus ihren P.n rekonstruiert werden, so ist
die P.-Darstellung reversibel; ist dies nicht oder nur
zum Teil moglich, so gilt sie als mehr oder minder
irreversibel. Die Anzahl der einer Signalfunktion von
endlicher raumzeitlicher Ausdehnung bei begrenzten
Amplituden zuzuordnenden P. ist ebenfalls endlich
und gleich der Anzahl der Freiheitsgrade der Signal-
funktion. - Die exakte Beschreibung der Struktur des
sogenannten Wahrnehmungsraumes, d. h. aller Di-
mensionen, die am Zustandekommen von Wahrneh-
mungen beteiligt sind, ist in analoger Weise daran ge-
kniipft, daB Beobachtungsdaten planmaBig in bezug
701
Paraphonia
auf mathematisch erfaBbare Eigenschaften (P.) variiert
werden konnen und nicht auf Eigenschaften, die erst aus
den Wahmehmungen und Empfindungen abzuleiten sind
(Meyer-Eppler). Auch bei der Horwahrnehmung muB
daher streng unterschieden werden zwischen den (ob-
jektiv erfaBbaren) P.n des physikalischen Schallvorgan-
ges wie Frequenz, Amplitude, spektrale Zusammen-
setzung, Dauer usw. und andererseits den aus Wahr-
nehmung und Vorstellung abgeleiteten Eigenschaften
wie Tonhohe (Tonqualitat), Klangfarbe, Lautstarke
usw. DaB auch subjektive Dimensionen - vor allem bei
der Darstellung theoretischer Probleme zeitgenossi-
scher Musik (-»■ Serielle Musik) - mit dem Begriff P.
belegt werden, hat seinen Grund vor allem in einem
Konzept, das sich bewufit an das der modernen Mathe-
matik anlehnt und deren Kategorien auf die Musik zu
ubertragen sucht.
Lit. : J. P. Guilford, Fundamental Statistics in Psycho-
logy and Education, NY, Toronto u. London 31956; W.
Meyer-Eppler, Grundlagen u. Anwendungen d. Inf orma-
tionstheorie, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1959 ; G. A. Lie-
nert, Verteilungsf reie Methoden in d. Biostatistik, Meisen-
heim a. Gl. 1 962 ; A. Linder, Statistische Methodenf . Natur-
wissenschaf tier, Mediziner u. Ingenieure, Basel u. Stuttgart
4 1964; H. Meschkowski, Mathematisches Begriffsworter-
buch I, = Hochschultaschenbucher XCIX/XCIXa, Mann-
heim 1965; P. R. Hofstatter u. D. Wendt, Quantitative
Methoden d. Psychologie, Munchen 2 1966. HPR
Paraphonia (lat., von griech. roxpocipcovta). In der
spatantiken und byzantinischen Intervallehre sind die
Symphonien (Konsonanzen) gegliedert in antiphone
(im Tonsystem korrespondierende Tone: Oktave und
Doppeloktave) und paraphone (»nebenstimmige«, ne-
bengeordnete: Quinte und Quarte), so im 1. und 2. Jh.
n. Chr. bei Thrasyllus, Pseudo-Longinus und Theo
Smyrnaeus, auch bei den Byzantinern M.Psellos und
M.Bryennios (11. und 14. Jh.). - Die Ordines Romani
I-HI (Migne Patr. lat. LXXVHI, 940ff.) aus dem 7./8.
Jh. nennen von den 7 Mitgliedern der -> Schola can-
torum die ersten drei Prior [Primicerius], Secundus [Se-
cundicerius], Tertius scholae, den 4. Sanger Archipara-
phonista und den 5. bis 7. Paraphonistae, dazu die Kna-
ben (Infantes). A.Gastoue bezog die Kennzeichnung
para- im Sinne von »danebenstehend« auf die in den
Ordines beschriebene Aufstellung der Sanger: je 2 Pa-
raphonisten flankieren die 2 Reihen der Knaben. J.
Handschin verstand hier para- als »untergeordnet«:
Paraphonista, »Chorsanger«, als graezisierende Para-
phrase zu lateinisch Succentor (= Subcantor, urspriing-
lich der untergeordnete Sanger, der im Chor fungiert),
was die auf responsoriale Gesangsart bezogenen Anwei-
sungen der Ordines nahelegen. Am wahrscheinlichsten
ist, wie P. Wagner und nach ihm C.-A. Moberg es deu-
ten, daB Paraphonisten diejenigen Sanger hieBen, die
in paraphonen Intervallen, Quinte oder Quarte, san-
gen, womit das Parallelsingen in diesen Intervallen fin-
den romischen Kirchengesang des 7./8. Jh. beurkundet
ware. P. galte somit analog der ebenfalls in der Spat-
antike bezeugten Bedeutung von Antiphonie (^Iao?
<4vrl<pcovov), dem beim Singen von Knaben oder
Frauen und Mannern sich ergebenden Oktavengesang.
Wie u. a. einige Sequenztexte des 10./11. Jh. bezeugen,
begegnen die Paraphonisten auch im karolingischen
Norden (Analecta Hymnica VII, Nr 98: ... Die, para-
phonista, cum mera symphonia . . .; auch in Nr 164 und
Nr 173: ... paraphonistarum turba . . .). Vermutlich
handelt es sich bei der P. stets um die selbstverstandli-
che, d. h. keiner Theorie bediirf tige Praxis des gleichzei-
tigenCantusvortragsaufverschiedenenTonstufen.nicht
aber um den Beginn der Mehrstimmigkeit (->■ Dia-
phonia), die erst in den »diaphonia vel organum «-Trak-
taten vor und um 900 mit dem Beschreiben und schrif t-
702
mafiigen Erfassen des nicht durchlaufend parallelen
Quartenorganum (-»■ Organum) musikalischfaBbarund
geschichtlich bedeutsam wurde.
Lit.: P. Wagner, Etnfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien I, Freiburg i. d. Schweiz 1895, 21901, Lpz. M911,
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders., Uber d.
Anfange d. mehrst. Gesanges, Zf Mw IX, 1926/27, dazu K.
Meyer, J. Handschin u. P. Wagner, ebenda, S. 123, 316 u.
384; ders., La paraphonie, Rev. de Musicol. XII, 1928 ; A.
Gastoue, Paraphonie et paraphonistes, ebenda, dazu P.
Wagner, ebenda XIII, 1929, S. 4; C.-A. Moberg, Eine ver-
gessene Pseudo-Longinus-Stelle iiber d. Musik, Zf Mw XII,
1929/30; J. Handschin, Mg. im Uberblick, Luzern (1948),
21 964 ; E. L. Waeltner, Das Organum bis zur Mitte d. 1 1 .
Jh.,Diss.Heidelbergl955,maschr. HHE
Paraphrase (von griech. 7tapdc<ppacuc;, Umschrei-
bung) ist in der Literatur eine Bearbeitung, vor allem
die Umsetzung eines bestehenden Werkes in einen an-
deren Stilbereich (z. B. von Vers in Prosa oder umge-
kehrt), wie sie Quintilianus (1, 9, 2) als Gegenstand der
rhetorischen Ausbildung beschreibt. Eine iiberragende
Rolle spielt die P. in der geistlichen Dichtung, da sie als
Mittel dient, die uberlieferten Texte im Lichte der ei-
genen Erf ahrung neu zu deuten (vgl. Luthers Kirchen-
Eeder). So bestehen die gottesdienstlichen Lieder der
reformierten Kirchen textlich (zunachst) ausschlieBlich
aus volkssprachUchen P.n der Psalmen und einiger an-
derer Bibelabschnitte. Auch die lutherischen Lieder des
16./17. Jh. sind vielfach P.n biblischer oder altkirchli-
cher Texte. Sie konnen auch ihrerseits paraphrasiert
werden; so sind die Texte der Rezitative und Arien in
J.S.Bachs Kantate Aus tiefer Not (BWV 38) P.n der
Strophen 2-4 von Luthers Lied (Evangelisches Kirchen-
gesangbuch 195), einer P. von Psalm 130. - In der vir-
tuosen Musik des 19. Jh. bezeichnet P. (neben Benen-
nungen wie Variation, Impromptu, Illustration, Re-
miniscence) die Konzertfantasie iiber beliebte Melo-
dien, meist Lieder oder Opernstiicke, die bei der Um-
setzung auf ein anderes Instrument (meist Klavier) oft
stark verandert und in einen neuen Formzusammen-
hang gestellt werden. Die P.n des 19. Jh. sind im allge-
meinen der -»■ Salonmusik zuzurechnen. Ktinstlerische
Bedeutung haben vor allem die P.n Liszts (3 P.n iiber
Schweizer Melodien im Album d'un voyageur, 1835/36;
P.n iiber eine Mazurka von Aljabjew, 1842; das Gau-
deamus igitur, 1843, und einen Marsch von Giuseppe
Donizetti, 1847; P.n iiber Verdis Ernani und Rigoletto,
1860, sowie Totentanz. P. iiber »Dies irae« fur KL und
Orch., 1849). Liszt fiihrte als zusammenfassende Be-
zeichnung fiir die ganze Gattung das (ebenfalls in der
Literatur gelaufige) Wort ->■ Transkription ein und be-
tonte damit seinen Willen, die virtuosen Zutaten der
Bearbeitung hinter die dargebotenen Melodien zuriick-
treten zu lassen. - Ankniipfend an H.Riemann (1907)
und Schering (1914) benutzt Handschin (1927/28) die
Bezeichnung P. beim ->■ Tropus sowie - anstelle von
-»■ Kolorierung - fiir die Verarbeitung (meist im Dis-
cantus) von Choralweisen in mehrstimmigen Werken
des 13.-16. Jh., bei der das Melodieoriginal nicht immer
nur auszierend ertveitert, sondern manchmal auch zusam-
mengezogen wird und der Kern auch auf ein blofi ideelles
Dasein beschrankt sein kann (S. 513f.). Im AnschluB hier-
an bezeichnet Reese Messen, in denen der Choral in
dieser Art verarbeitet wird, als »p. massess (R. v. Ficker:
Diskantmessen).
Lit. zur Text-P. : J. S. Bach, Samtliche Kantatentexte, hrsg.
v. W. Neumann, Lpz. 1956; L. F. Tagliavini, Studi sui
testi delle cantate sacre di J. S. Bach, = Univ. di Padova.
Pubblicazioni della Facolta di lettere e filosofia XXXI, Pa-
dua 1956, besonders S. 244ff.; R. K6hler, Die biblischen
Quellen d. Lieder, = Hdb. zum Ev. Kirchengesangbuch I,
2, Gottingen 1965. - zur virtuosen P. d. 19. Jh.: E. Fried-
lander, Wagner, Liszt u. d. Kunst d. Klavierbearb., Det-
Parlando
mold 1922; R. Koppel, Die P., Diss. Wien 1936, maschr.;
D. Presser, Studien zu d. Opern- u. Liedbearb. Fr. Liszts,
Diss. Koln 1953, maschr.; ders., Die Opernbearb. d. 19.
Jh., AfMw XII, 1955. - zur melodischen Paraphrasierung:
H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920, S. 109ff. ;
A. Schering, Studien zur Mg. d. Friihrenaissance, = Stu-
dien zur Mg. II, Lpz. 1914, S. 31ff.; J. Handschin, Zur
Frage d. melodischen Paraphrasierung im MA, ZfMw
X, 1927/28; ders., Mus. Miscellen, Philologus LXXXVI
(=N. F. XL), 1931; ders., Mg. im Uberblick, Luzern
(1948), 21964; G. Reese, Music in the Renaissance, NY
(1954), 21959; R. L. Marshall, The P. Technique of Pa-
lestrina . . ..JAMS XVI, 1963.
Parembole (griech., Einfiigung), eine musikalisch-
rhetorische Figur in der Kompositionslehre des 17. Jh.
In der Rhetorik ist P. ein Satz oder Satzteil, der ohne
Gefahrdung von Sinn und Zusammenhang der Rede
weggelassen werden kann. Burmeister (1599) definiert
die musikalische P. als Einfiigung, die im Verband an-
derer thematischer Stimmen nichts zur Fuga beitragt
(inter jectio nihil ad fugam conferens), sondern (so 1606
prazisiert) nur die zwischen den anderen Stimmen frei-
gebliebenenKonkordanzplatzeausfullt (sedtantum vacua
concordantiarum loca inter Mas voces . . . replens) ; er zeigt
die P. u. a. am Beispiel von Lassos 5st. Surrexit pastor
bonus (GA V, S. 57; Anfang der Quinta vox). Durch
eine solche »Fullstimme« werden Klange vermieden, in
denen Dreiklangstone fehlen.
Paris.
Lit.: G. Corrozet, La fleur des antiquitez ... de P., P.
1532; H. Sauval, Hist, et recherches des antiquites de la
ville de P., P. 1724; P.-Fr. G. de Beauchamps, Recherches
sur les theatres de France depuis l'annee 1161 jusques a
present, 3 Bde, P. 1735; ders., Bibl. des theatres, P. 1746;
Fr. u. Cl. Parfaict, Dictionnaire des theatres de P., 7 Bde,
P. 1756; dies., Hist, de l'Acad. royale de musique (bis 1750
reichend), Ms. d. Bibl. Nat. ; L. Travenol u. J.-B. Durey
deNoinville, Hist, du theatre de l'Acad. royale de musique
en France . . .,2Bde,P. 2 1757;A.DELERis,Dictionnairepor-
tatif hist, et litteraire des thiatres de P., P. 21763 ; Cl.-Ph.
Coqueau, Entretiens sur l'etat actuel de l'Opera de P.,
Amsterdam u. P. 1779 ; J. Fr. Reichardt, Vertraute Brief e
aus P. (1802/03), 3 Teile, Hbg 1804-05; Ch.-S. Favart,
Memoires et correspondance litteraires . . . , hrsg. v. A.-H.-
P.-C. Favart, 3 Bde, P. 1808; Fr.-H.-J. Castil-Blaze, De
l'opera en France, 2 Bde, P. 1820, 21826; ders., Memorial
du Grand-Opera de 1645 a 1847, P. 1847; ders., Theatres
lyriques de P., 3 Bde, P. 1855-56; ders., L'Acad. imperiale
de musique, 2 Bde, P. 1855 ; N. Desarbres, Deux s. a l'Ope-
ra (1669-1868), P. 1868; A.-G. Chouquet, Hist, de la mu-
sique dramatique en France . . ., P. 1873; A. Jullien, La
comedie a la cour de Louis XVI, P. 1873 ; ders., Les Gran-
des Nuits de Sceaux: le theatre de la duchesse du Maine, P.
1876; ders., La cour et l'opera sous Louis XVI, P. 1878;
ders., L'opera secret au XVIIP s. (1 770-90), P. 1 880; ders.,
P. dilettante au commencement du s., P. 1884; J. Bonnas-
sies, La musique a la Comedie Frc., P. 1874; Ch. L. E.
Nuitter, Le nouvel Op6ra, P. 1875; ders. u. E. Thoinan,
Les origines de l'opdra fr?., P. 1886; A. Royer, Hist, de
l'Opera, P. 1 875 ; Th. de Lajarte, Bibl. mus. du theatre de
l'Opera, Cat., 2 Bde, P. 1876, 21878; E. Campardon, Les
spectacles de la f oire . . . depuis 1 595-1 79 1 , 2 Bde, P. 1 877 ;
ders., L'Acad. royale de musique au XVIII C s., 2 Bde, P.
1 884; E. d' Auriac, Theatre de la f oire; Recueil de pieces re-
presentees aux Foires St-Germain et St-Laurent, P. 1878;
ders., La corporation des menestriers . . ., P. 1880; Ezvar
du Fayl, Theatres lyriques de P. (1671-77), P. 1878 ; E. G.
J. Gregoir, Des gloires de l'Opera et la musique a P., 3 Bde,
Briissel 1878-81 ; A. Vidal, La chapelle St-Julien-des-Me-
nestriers et les menestrels a P., P. 1878; O. Fouque, Hist,
du Theatre- Ventadour (1829-79), P. 1881 ; E. Despois, Le
theatre frc. sous Louis XIV, P. 1882 ; A. Ademollo, I primi
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Th. Malherbe (mit A. Soubies), Hist, de l'Opera-Comique,
2 Bde, P. 1892-93; G. Robert, La musique a P., P. 1895
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1830, P. 1896; C. Pierre, Notes inedites sur la musique de
la Chapelle royale 1532-1790, P. 1899 ; ders., Musique des
fetes et ceremonies de la Revolution frc., P. 1899; M. Al-
bert, Les theatres de la foire (1660-1789), P. 1900; ders.,
Les theatres des boulevards (1789-1848), P. 1902; M. Bre-
net, Les concerts en France sous l'Ancien Regime, P. 1900 ;
dies., Les musiciens de la Ste-Chapelle du Palais, P. 1910;
dies., Musique et musiciens de la vieille France, P. 1911 ;
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Gastoue, Hist du chant liturgique a P., P. 1904; L. H.
Lecomte, Hist, des theatres de P., P. 1905; ders., Hist,
des theatres de P.: le Theatre National, le Theatre de
l'Egalite, 1793-94, P. 1907; ders., Hist, des theatres de P.:
les Folies nouvelles, 1854-80, P. 1909; ders., Hist, des
theatres de P. : le Theatre de la Cite, 1792-1807, P. 1910;
ders., Les Fantaisies parisiennes, L'Athenee, Le Theatre
Scribe, L'Athenee comique, 1865-1911, P. 1912; G. Cain,
Anciens theatres de P. : Les theatres du boulevard, le Bou-
levard du Temple, P. 1906; A. Franklin, Dictionnaire
hist, des arts, metiers et professions exerces dans P. depuis
le XIII e s., P. 1906; J. Ecorcheville, Actes d'etat-civil de
musiciens insinues au Chatelet de P. 1539-1650.P. 1907; J.
Tiersot, Les tetes et les chants de la Revolution frc., P.
1908; A. Pougin, Madame Favart. Etude theatrale, P.
1912; G. Cucuel, La Poupeliniere et la musique de
chambre au XVIII e s., P. 1913; ders., Les createurs de
l'opera-comique frc., P. 1914; H. Prunieres, L'opera ital.
en France avant Lully, P. 1913 ; ders., Le ballet de cour en
France avant Benserade et Lully, P. 1914; E. Genest,
L'Opera connu et inconnu, P. 1920; ders., L'Opera-Co-
mique connu et inconnu, P. 1925; J.-G. Prod'homme,
L'Opera, 1669-1925, P. 1925 ; V. dTndy, La Schola Canto-
rum, P. 1927 ; F. Raugel, Les grandes orgues des eglises de
P. et du departement de la Seine, P. 1927 ; V. Leroquais, Le
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Briissel 1929; A. Pirro, La musique a P. sous le regne de
Charles VI (1380-1422), = Slgmw.Abh.I, StraBburg 1930,
21958, engl. in: MQ XXI, 1935; Y. Rokseth, La musique
d'orgue au XV e s P. 1 930 ; Th. Gautter, The Roman-
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Years 1837-48, London 1932; M. Pagnon, Les Strangers
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des documents contemporains d'information et de critique
concernant le theatre a P P. 1934; ders., Le thea-
tre et le public a P. sous Louis XIV, 1659-1715, P. 1934;
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Concert Spirituel et celui de l'Opera de P., de 1751 a 1800,
d'apres »Les spectacles de P.«, in: Melanges . . . offerts a
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= Publikationer utgivna av Kungl. Mus. Akad. Bibl. II,
Stockholm 1955; A. Lejeune u. St. Wolff, Les quinze
salles de l'Opera de P., 1669-1955, P. (1955); N. C. Car-
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Norman/Okla. (1958); S. W. Deierkauf-Holsboer, Le
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son de P., = Rembrandt-Reihe XXXIV, Bin 1961 ; St.
Wolff, L'opera au Palais Gamier (1875-1961), P. 1962;
L. de Laborde, Musiciens de P., 1535-1792, hrsg. v. Y. de
Brossard, = La vie mus. en France sous les rois bourbons
XI, P. 1965.
Parlando (sprachlich gleichbedeutend mit parlante,
von ital. parlare, sprechen), eine das schnelle Sprechen
nachahmende Vertonungs- und Vortragsweise (mit
Wort- und Tonwiederholungen) vor allem der italie-
703
Parma
nischen Opera buffa im 18. und 19. Jh., in Ansatzen
schon bei A. Scarlatti, vor allem aber bei Paisiello, Ci-
marosa und Rossini. Vom Seccorezitativ - im Gegen-
satz zum Accompagnato manchmal auch Recitativo
parlante genannt - unterscheidet sich das P. grundle-r
gend, da es nur in geschlossenen Musikstucken, in
Arien und Ensembles vorkommt. Aria parlante bzw.
agitata heifit im 18. Jh. ein italienischer Arientypus, der
durch schnelles Tempo (oft (f), abgehackten und atem-
los-hastigen Sprachvortragbestimmtist. Ineinemneuen
Sinn hat R. Strauss von einem in der Ausfiihrung dem
Secco anzunahernden »Lustspiel-P.« gesprochen, um
den musikalischen Dialogstil von Intermezzo (1924) und
Caprkcio (1942) zu kennzeichnen. Diese der natiirlichen
Rede abgelauschte Sprachvertonung tritt als Struktur-
prinzip jeweils verschieden ausgepragt bei Mussorgsky
(Boris Godunow, 1874; Lieder), Verdi (Falstaff, 1893)
und Puccini (Gianni Schicchi, 1924) auf. - In fast entge-
gengesetzterBedeutung, als Bezeichnungf iir sprechend-
ausdrucksvollen Vortrag, findet sich p. oder parlante
gelegentlich auch in Instrumentalwerken, z. B. in
Beethovens Bagatelle op. 33 Nr 6 (Allegretto quasi an-
dante. Con una certa espressione parlante) und in R. Schu-
manns Thema und Variationen iiber den Namen ABEGG
op. 1 (2. Variation) als basso p.
Lit.: N. d'Arienzo, Origini dell'opera comica, RMI II,
1 895, IV, 1 897, VI, 1 899 - VII, 1 900, deutsch v. F. Lugschei-
der als: Die Entstehung d. komischen Oper, = Mus. Stu-
dien X, Lpz. 1902, S. 63ff. ; Cl. Krauss- R. Strauss, Brief-
wechsel, Munchen 1963, S. 232, Vorrede zu »Intermezzo«.
Parma (Emilia).
Lit. : P. Donati, Descrizione del gran Teatro Farnesiano
di P. e notizie stor. sul medesimo, P. 1817; P. E. Ferrari,
Spettacoli drammatico-mus. e coreografici in P. (1628-
1883), P. 1884; H. Osthoff, S. Garsi da P., Ein Beitr. zur
Mg. P. . . ., Diss. Bin 1922, gedruckt als: Der Lautenist S.
Garsi da P., = Slg mw. Einzeldarstellungen VI, Lpz. 1926;
C. Alcari, P. nella musica, P. 1931 ; N. Pelicelli, Musi-
cisti a P. . . ., Note d'arch. VIII, 1931 - XIII, 1936; M.
Ferrarrini, P. teatrale ottocentesca, P. 1946; M. Corra-
di-Cervi, Cronologia del Teatro Regio di P. (1928-48), P.
1955; L. Parigi, Una »Schola Cantorum« quattro-cinque
centesca nelduomodiP.,Rass.mus.XXV,1955;F. Born,
PaganinieP., P. 1961.
Parodie (griech. 7rap6>8fca, Neben- oder Gegenge-
sang) bezeichnet in der Musik spatestens seit 1573 (J.
Paix, [Missa] Parodia Motettae Domine da nobis auxilium
Th.Crequilonis) die Umformung eines Tonsatzes zu ei-
nem neuen Werk. Wie -»■ Arrangement, -»- Kontra-
faktur und -»- Paraphrase bildet die P. eine spezielle
Form der Bearbeitung. Wahrend das Arrangieren eine
Komposition besonderen auffiihrungspraktischen Ge-
gebenheiten anpaBt, stellt die P. eine erneute schopfe-
rische Leistung dar. Ihre jedoch relativ enge Bindung
an eine Vorlage unterscheidet sie von der Paraphrase.
Der urspriinglichen Bedeutung des Wortes P. entspre-
chend ist der Begriff zunachst in der Vokalmusik be-
heimatet. Neuerdings wurden jedoch auch Instrumen-
talsatze des 16. und 17. Jh. P.n genannt, die alle oder
wesentliche Teile eines vokalen Werkes zitieren und in
veranderter Gestalt durchfuhren (J.Ward 1952). Auch
fur das Arbeiten mit vorgef ormtem Material in Prae-
ludien, Toccaten und Variationen wurde die Bezeich-
nung P. gewahlt (M.Reimann 1955). Im Unterschied
zum primar dichterischen, einen Text nachahmenden
Vorgang der Kontrafaktur bedeutet das Parodieren (oft
in Verbindung mit einer Umtextierung) einen Eingriff
in die Komposition, um sie einem neuen Zweck zuzu-
fiihren oder einer anderen Klangvorstellung anzupas-
sen. Mittel der P. sind u. a. Zufiigen oder Weglassen
von Stimmen, Ersetzen homophoner Teile durch poly-
phone oder umgekehrt, Andern der Rhythmik, Melo-
dik und Harmonik, Erweitern durch Einfiigung neu-
komponierter Abschnitte oder Kiirzen. Im Bereich der
protestantischen Kirchenmusik des 17. Jh. tritt dasWort
Parodia bei Kompositionen auf, die das ihnen zugrunde
liegende Modell an , Ausdehnung oder Stimmenzahl
iibertreffen und bei denen die Umtextierung keine
oder eine nur geringe Rolle spielte, so in G. Scheidts 8st.
Bearbeitung einer 5st. Motette von M. Vulpius (1620),
in Th. Schuchardts 8st. Verdeutschung einer 5st. lateini-
schen Komposition von M. Franck (hs. um 1 650) und in
S.Ranisius' um 3 Instrumentalstimmen vermehrter
deutscher Fassung eines 4st. lateinischen geistlichen Kon-
zerts von G.Rovetta(l 652). S.Calvisius bezeichnet alsP.
seine modernisierende Umgestaltung der Motette Proc-
ter rerum seriem von Josquin (Parode adjosquini, in: E. Bo-
dtnschitz,Florilegiumselectissimarum . . . cantionum, ^ Leip-
zig 1603). Bei M.Praetorius heiBen 1610 drei Kirchen-
liedbearbeitungen P.n (darunter die 3st. Parodia veteris
Harmoniae a 5: Joseph, lieber Joseph mein). Diesen P.n ent-
sprechen zahlreiche unbezeichnete Mehrfassungen aus
friiheren oder spateren Zeiten: auBer Motetten auch
Chanson- und Liedsatze, Vokalkonzerte und Kantaten.
Neutextierungen wurden notwendig bei der Uberf iih-
rung von Kompositionen aus der weltlichen in die
geistliche Sphare oder von einer Gattung in eine ande-
re, z. B. bei der Umwandlung von Madrigalen oder
Motetten zu Messen. Aber auch in den P.-Messen stand
die musikalisch-kompositorische Arbeit im Vorder-
grund. Erst allmahlich, vielleicht unter dem EinfluB von
Liedkontrafakturen, gewannen bei der Definition des
Wortes P. die textlichen Merkmale an Gewicht. - Die
in Kompositionslehren seit dem beginnenden 16. Jh.
immer wieder empfohlene und von G. Quitschreiber
(De IlaQaidia, Jena 1611) gesondert behandelte »Nach-
ahmung beriihmter Autoren« diente dem Studium von
Satztechniken und modernen Stilmitteln. Auch z. B.
H. Schiitz ist in seiner Symphonia sacra Es steh' Gott auf
(1647) zwei Scherzi musicali von Monteverdi (1632) in
etwas weniges nachgegangen und hat sich dabei mit Neue-
rungen der italienischen weltlichen Musik (Stile con-
citato und Ciaconaform) auseinandergesetzt. Der Be-
zug auf Bekanntes erleichterte zudem die Aufnahme
und Verbreitung neuer Werke. S. Scheidts P.-Konzerte
z. B. bezogen sich auf das alteingefiihrte hallische figu-
rale Repertoire. Selbst-P.n verweisen dagegen auf das
Prinzip der Arbeitsokonomie. Sie wurden vor allem
im 18. Jh. wichtig.
Zwischen etwa 1450 und 1630 ist das P.-Verfahren un-
ter Uberschrif ten wie ad imitationem . . . oder super ...
besonders in der liturgischen Musik haufig. Die mei-
sten MeBordinarien dieser Zeit gehen auf praexistente
geistliche oder weltliche Vokalmusik zuriick. Ahnlich
wie in der Kontrafaktur verweisen haufig Zitate am
Anfang der Satze auf die benutzte Vorlage. Im Friih-
stadium der P.-Messe, bei W.Frye, Barbireau und J.
Obrecht, bestand das Parodieren hauptsachlich im Zu-
fiigen neuer Stimmen zu ein-, seltener zwei- und drei-
stimmigen Ausschnitten aus anderen Kompositionen.
Spater, u. a. bei Lupus und Palestrina, wurde die Durch-
imitierung entliehener Motive angestrebt. J.Gallus
wiederholt 1580 Bestandteile aus dem Anfang, der
Mitte und dem SchluB seiner Modelle durchschnittlich
achtmal pro Messe notengetreu, in neuer kontrapunk-
tischer Anordnung oder in sonst variierter Form und
im Wechsel mit freien Einschiiben. Die Vorlagen fiir
die Messen deutscher Protestanten im 17. Jh. (u. a. H.
Grimm 1628, G. Vintzius 1630) stammen uberwiegend
aus dem geistlichen Bereich. Um 1575 wurde die P.-
Technik durch O. de Lassus auch auf das -*■ Magnificat
angewandt. Er bevorzugte dabei Madrigale und Chan-
sons als Modelle. Im protestantischen Deutschland nah-
704
Parodie
men besonders Chr.Demantius (1602) undM.Praeto-
rius (1611) seine Anregungen auf. Die durch O. de Las-
sus und seinen Sohn Rudolph belegte Anwendung des
P.-Verfahrens auch bei mehrstimmigen Vertonungen
des Cantus Simeonis Nunc dimittis seruum tuum erscheint
demgegeniiber von nur peripherer Bedeutung.
Seit etwa 1620 kommt der Ausdruck P. bei geistlichen
Veranderungen weltlicher Lieder vor (u. a. bei P. Lau-
ridsen 1617, G.Wegener 1668). In Analogie zu den Pa-
riser P.s bacchiques (ab 1695; Trinkgesange auf der
Grundlage von Instrumentalstiicken aus Opern von J.-
B.Lully, Collasse, Desmarets, M.-A.Charpentier u. a.)
und zu Les nouvelles p.s (ab 1730; textierte Klaviermu-
sik von J.-Ph.Rameau, Fr. Couperin, J. F. Rebel u. a.)
laBt er sich auch auf Textierungen von Tanzen in
Deutschland anwenden (Rist, Voigtlander, Sperontes).
J. Mattheson nennt P.n geistliche Verwandlungen von
Opernarien (Der musicalische Patriot, 1728). Aus einem
Brief T.GWalthers von 1729 (Mf III, 1954) geht her-
vor, daB auch Umdichtungen von Kantaten so heiBen
konnten. Dieses Verfahren ist durch die Erforschung
der Werke J.S.Bachs naher bekannt geworden, der
seine Gelegenheitskompositionen ganz oder in Teilen
neu textiert hat, um sie fiir andere Gelegenheiten wie-
der zu verwenden (die Musik der urspriinglich zum
Geburtstag des Herzogs von WeiBenfels bestimmten
Kantate BWV 208 benutzte er zu vier verschiedenen
weltlichen Anlassen) oder um ihr als Musik im Kirchen-
jahr andauernden Bestand zu sichern. Fiir mehrere im
Original verlorene Gelegenheitsarbeiten Bachs, zumal
aus seiner Kothener Zeit, bieten solche P.n heute die ein-
zigen musikalischen Quellen. Der P.-Weg weltlich-
geistlich, der nach alten Uberzeugungen nicht umkehr-
bar war, gewann fiir Bachs »Oratorien« groBe Bedeu-
tung. Das Osteroratorium (BWV 249) fuBt im wesent-
lichen auf der Schaferkantate (BWV 249a) ; dem Weih-
nachtsoratorium (BWV 248) liegt in seinen madrigali-
schen Partien vor allem das Dramma per musica BWV
213 zugrunde. Bei der Komposition von Messen griff
Bach dagegen oft auf seine Kirchenkantaten zuriick.
Abweichend von f riiheren Praktiken der Missa parodia
und von seinen weltlichen P.n begniigte sich Bach da-
bei haufig nicht mit der Verarbeitung einer einzigen
Vorlage; in seiner sogenannten H moll-Messe (BWV
232) stehen Modelle aus mindestens sieben verschiede-
nen Werken neben Neukomponiertem. Eine Parallele
zu den franzosischen P.n bildet Bachs (zum Teil tex-
tierte) Eingliederung von Einzelsatzen aus seinen In-
strumentalkonzerten und Sonaten in seine Kantaten.
Die Gratulationsmusik BWV 207 enthalt z. B. den 3.
Satz des 1 . Brandenburgischen Konzerts als Eingangs-
chor und das 2. Trio als Ritornello. Zu den Voraus-
setzungen der P.n Bachs gehorten die umfassende Stil-
einheit der damaligen Musik, ihr groBer, iiber einzel-
nes hinwegfuhrender Bewegungszug und die Variabi-
litat bestimmter Ausdruckstypen (Affekte) und musi-
kalischer Figuren. Die hohe Qualitat der Bachschen
Tonsprache erlaubte den Austausch heterogener Dich-
tungen (BWV 248, 4. Satz - BWV 213, 9. Satz). Rezi-
tative wurden in der Regel neu komponiert. Nicht sel-
ten erforderte ein anderer Zusammenhang Transpo-
sitionen, Anderungen der Besetzung und Modifikatio-
nen des musikalischen Verlaufs, z. B. Vereinfachungen
und zusatzliche Takte (BWV 207, 2. Satz). In besonde-
ren Fallen wandte Bach kompliziertere P.-Techniken
an, z. B. Stimmenvermehrung, Anderung des Stim-
mengewebes und VergroBerungen der Notenwerte
(BWV 232, Nr 20, Et expecto). - Dem P.- Verfahren
Bachs ahnelt dasjenige von Handel in mancher Hin-
sicht. Auch er stellte neutextierte Satze in einen anderen
Zusammenhang (z. B. Auswertung von zwei Stiicken
des Utrechter Te Deum im Anthem Have mercy upon
me), komponierte bei der Ubernahme groBer Werktei-
le die Rezitative neu (in der Umformung der Schau-
spielmusik fiir Alceste zu The Choice of Hercules) und
benutzte fiir vokale und instrumentale Satze die gleiche
Musik (Imeneo, Arie der Clomiri E si vaga del tuo bene -
Concerto grosso op. 6 Nr 4, SchluBsatz). Allerdings
hat er im Gegensatz zu Bach bestimmte musikalische
Satztypen bei der P. auff allig bevorzugt. Ein Standard-
model! Handels war z. B. jene fugierte Bildung mit
beibehaltenem Kontrapunkt, die im Concerto grosso
op. 3 Nr 3, 2. Satz, in der Geburtstagsode fiir Konigin
Anna ( The day that gave great Anna birth), in der Brockes-
Passion (Einjeder sei ihm untertanig), im Chandos Anthem
(My song shall be alway) und im Eroff nungschor von De-
borah (O grant a leader to our host) nachgewiesen ist.
Noch im ausgehenden 18. Jh. bedeutete der Begriff P.
soviel wie Neutextierung, u. a. bei J. A. Hiller und Fr.
A.RoBler. Im 19. Jh. bezog er sich dagegen iiberwie-
gend auf eine Darstellungsweise, welche eine seriose
Musik mit einem banalen, absichtlich verdorbenen
oder sonst unpassenden Text vereinigt, so daB eine ko-
misch-satirische Wirkung entstand (vgl. u. a. Koch-
Dommer 2 1865). Auch die Umkehrung des Verfah-
rens, die Travestie, ist hierzu gerechnet worden. Persi-
flierende Musik findet sich jedoch schon sehr friih, be-
sonders in Frottola, Chanson, Villanella und Canzo-
netta, Madrigalkomodie und Quodlibet. Spater offne-
ten sich Oper, Singspiel (-> Operette) und die Orche-
ster- und Kammermusik (z. B. W. A.Mozarts »Ein mu-
sikalischer SpaB«, K.-V. 522) der satirischen P. Mit den
Mitteln stilistischer Ubertreibung, des Zitierens in un-
passenden Zusammenhangen und der wohlberechne-
ten Diskrepanz zwischen Text und Musik wendet sie
bestimmte Gattungen, Stile und Techniken (z. B. den
liturgischen Gesang, das Madrigal, die Opera seria; die
Virtuositat der Kastraten, primitive oder einfallslose
Musik), ausschnitthaft auch einzelne Werke ins Komi-
sche. Diese Art der P. blieb bis zur Gegenwart lebendig.
Strawinskys Suite Nr 2 fiir kleines Orch. (1921 ; nach
4handigen Klavierstiicken von 1915/16) bringt gut-
biirgerliche Tanze in grotesker Verzerrung. Die komi-
sche P. charakterisiert aber nur eine Seite von Strawin-
skys Schaff en. Die erweiternden Aneignungen von al-
terer und alter Musik, z. B. in dem Tschaikowsky-Bal-
lett Le baiser de la fee (1 928) , in den Pergolesi-Imitationen
(u. a. das Ballett Pulcinella, 1920) und in den Gesualdo-
Bearbeitungen (Tres Sacrae Cantiones, 1957-59; Monu-
mentum pro Gesualdo di Venosa, 1960) erinnern wieder
mehr an das alte, umfassende P.- Verfahren.
Lit. : Ph. Spitta, Sperontes' Singende Muse an d. PleiBe,
VfMw 1, 1885; P. Pisk, Das Parodieverfahren in d. Messen
d. J. Gallus, StMw V, 1 9 1 8 ; A. Einstein, Die P. in d. Villa-
nella, ZfMw II, 1919/20; P. A. Merbach, P. u. Nachwir-
kungen v. Webers Freischiitz, ZfMw II, 1919/20; A. Sche-
ring, t)ber Bachs Parodieverfahren, Bach-Jb. XVIII, 1921;
G. Cucuel, Les operas de Gluck dans les p. du XVIH e s.,
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1730, ZfMw VIII, 1925/26; H. Grellmann, Artikel P., in:
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Vier Messen aus d. XVI. Jh. uber d. Motette »Panis quem
ego dabo« d. L. Hellinck, KmJb XXV, 1930; ders., Die
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in d. Musik, = Kieler Beitr. zur Mw. I, Wolfenbiittel 1934;
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45
705
Paronomasia
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matie-techniek in de 16e eeuw, TVer XX, 1966. WB
Paronomasia (griech., s. v. w. abweichende Benen-
nung ; lat. agnominatio) , eine in der Kompositionslehre
des 18. Jh. im AnschluB an die rhetorische P. erklarte
musikalische Figur. Die antike Rhetorik verstand unter
P. allgemein die Verwendung von zwei klangahnli-
chen, aber bedeutungsverschiedenen Wortern (z. B.
»mit Rat und Tat«); spater (z. B. bei Gottsched 1751)
bezeichnet P. auch die Wiederholung eines Wortes
oder Satzteils mit einem Zusatze, der noch einen besonde-
ren Nachdruck verursacht, etwa »Ein Baum war's, nur ein
Baum«. Forkel (1788; vor ihm schon Scheibe 1745) er-
klart die P. als eine Figur, die einen Satz nicht bios so, wie
er schon da gewesen, sondern mit neuen kraftigen Zusatzen
wiederholt. Diese Zusatze konnen theils einzelne Tone be-
treffen, theils aber auch durch einen starkeren oder verminder-
ten Vortrag bewerkstelligt werden. Diese Wiederholung ei-
nes Melodieteils mit nachdriicklichem (emphatischem)
Zusatz (») findet sich bei J. S. Bach (Matthauspassion : O
Mensch, bewein dein Sunde grqfi, 3. Choralzeile; ferner
zeigt das Beispiel eine Katabasis
-> Katabasis und einen
-> Passus duriusculus) :
Passus
duriusculus
au-Bert und kam auf
Paronomasia
- den, au-Bert und kam auf Er - - den,
Parrhesia (griech., Redefreiheit), eine musikalisch-
rhetorische Figur der Kompositionslehre des 17./18. Jh.
In der Rhetorik bedeutet P. nach Gottsched, daB man
eine verhafite Sache zwarfrey heraus saget, aber dock auf
eine ertragliche Art vortrdgt. Musikalisch definiert ist die
P. erstmals bei Burmeister (1599). Harmonisch und me-
lodiseh besteht sie im Gebrauch verminderter oder iiber-
maBiger Inter valle (relationes non harmonicae; ->■ Quer-
stand), die jedoch so zu geschehen hat, dafl es keinen
Ubellaut verursachet (WaltherL). Die P. wird meist zur
Darstellung des Verderbten, Schwankenden, Widrigen
und Siindhaften verwendet, z. B. im SchluBchoral von
J. S. Bachs Kantate BWV 60, wo die doppelte P. den
Grund fiir das Kommen Jesu zum Ausdruck bringt
(. . . mein grqfier Jammer bleibt darnieden . . .):
melodisdie P.
harmonische P.
Lit. : J. Chr. Gottsched, Ausfuhrliche Redekunst, Han-
nover 1728, zitiert nach: Lpz. 4 1750, S. 314.
Parte (ital.), Teil; Stimme (Part); -> colla p.; ->
Stimmbiicher.
Partialtone -*■ Teiltone.
Particella (partitf'ella, ital., Teilchen; deutsch Parti-
cell) heiBt der ausfuhrliche Kompositionsentwurf auf
2, 3 oder (je nach Kompliziertheit des betreffenden
Werkes) auch auf mehreren Fiinf liniensystemen in Par-
tituranordnung, der beim Komponieren als Vorstufe
der endgultigen Ausarbeitung vor allem zur Kontrolle
des harmonischen Verlaufs dienen kann. Dabei werden
mehrere Stimmen auf einem System zusammengezo-
gen, jedoch Blaser, Streicher und Basse meist getrennt
notiert. Ob auch auf der -*■ Tabula compositoria viel-
stimmige Kompositionen nach Art der P. skizziert und
seit warm vollstandige Werke in P. auf gewohnlichem
Notenpapier niedergeschrieben wurden, ist ungeklart.
Weder ist erforscht, welche Komponisten sofort in
Partitur komponierten (wie man es z. B. von W.A.
Mozart weifi), noch ist der Bestand uberlieferter P.-
Entwiirfe systematisch erfaBt. Solche Entwurfe sind
z. B. von Schubert (H moll-Symphonie und eine nicht
ausgearbeitete D dur-Symphonie) und von R.Wagner
erhalten. Debussy ubergab die P. des Prelude a Vaprh-
midi d'unfaune an G.Dupont als Abschiedsgeschenk.
706
Partitur
Erstmals hat Schonberg ein Werk (Vier Lieder op. 22
fur Gesang und Orch.) in Form der P. veroffentlicht
(J.Rufer 1959). Der 3. Akt der Oper Lulu von A. Berg
ist nur als autographe P. iiberliefert. - Der Klavieraus-
zug nahert sich bisweilen der P., wenn (vor allem bei
Werken des 20. Jh.) einzelne Stimmen, die aus Griin-
den der Spielbarkeit oder Obersichtlichkeit nicht in
den Klaviersatz aufgenommen werden konnten, die
aber fur den musikalischen Zusammenhang wichtig
sind, in einem oder zwei kleingestochenen Systemen
iiber den Klavierpart gesetzt sind.
Ausg.: Cl. Debussy, Prelude a l'apres-midi d'un faune,
Faks. d. autographen P., hrsg. v. Roland- Manuel, Wash-
ington (D. C.) 1963.
Lit. : J. Rufer, Das Werk A. Schonbergs, Kassel 1959.
Partimento (ital., Teilung), die Skizze eines polypho-
nen Satzes in einer fortlaufenden Stimme, die bei hau-
figem Schliisselwechsel teils aus bezifferten Gb.-Par-
tien, teils aus thematischen Linienziigen besteht und als
Vorlage fur eine weitgehend improvisatorische Aus-
fiihrung des skizzierten Satzes auf dem Tasteninstru-
ment diente. Das P.-Spiel, das vor allem im friihen 18.
Jh. und bei siiditalienischen Musikern verbreitet gewe-
sen sein soil, behauptet eine singulare Stellung zwi-
schen Gb.-Praxis und freier Improvisationskunst und
ist kompositionstechnisch und bezuglich seiner Stel-
lung in der Auffiihrungspraxis nur schwer einzuord-
nen. Im Vordergrund steht offenbar eine didaktische
Absicht (Fr. Durante: Partimenti diversi e studio per cem-
balo; Partimenti . . . per studio usw.), die den Spieler in
seiner Beherrschung der Gb.- und gleichzeitig auch
Improvisationspraxis fordern soil. Fiir Obungsstiicke
eines Bach-Schulers hielt Spitta (I, 715) die 62 Parti-
menti, die in einer Hs. der Deutschen Staatsbibl. Berlin,
Mus. Ms. Bach P 296 (Praeludia et Fugen j del signor j
Johann Sebastian / Bach. / Possessor j A. W.Langloz / An-
no 1763), erhalten sind. Zwei dieser Partimenti (BWV
709 und 908) sind in die alte Bach-Gesamtausgabe (XLII,
268 und 272) unter der Bezeichnung Fantasie und Fughet-
ta aufgenommen, wobei allerdings die originale No-
tierung falschlich auf 2 Systeme aufgeteilt wurde.
Lit. : K. G. Fellerer, Das Partimentospiel, Kgr.-Ber. Lut-
tich 1930; ders., Gebundene Improvisation, Mk XXXI,
1938/39; ders., Der Partimentospieler, Lpz. (1940), dazu
AfMf VII, 1942, S. 176ff.
Part}ta (ital., von partire, teilen), ab Ende des 16. bis
Anfang des 18. Jh. eine der Bezeichnungen fiir den ein-
zelnen Teil einer Variationsreihe; der Plur. partite er-
scheint oft als Werkiiberschrift (z. B. Partite sopra VAria
delta Romanesca). Die friihesten Belege finden sich ei-
nerseits in der Tanzbeschreibung (partite et passeggi di
Gagliarda, bei Pr.Lutij, 1589), andererseits in der In-
strumentalmusik (Partite strumentali von Gesualdo, um
1590). Ob P. und die wohl etwas alteren, im 16./17. Jh.
mit P. synonym verwendeten Bezeichnungen Parte
und -»■ Mutanza dem Sprachgebrauch der Choreogra-
phic (im Sinn von »Tour«) entstammen, ist noch nicht
erwiesen. Die Zahlung der einzelnen Partite beginnt
stets mit dem ersten Teil, der demnach nicht wie in den
Variationszyklen seit dem 18. Jh. als vorangestelltes
»Thema« von den »Variationen« gesondert wird. Seit
dem 17. Jh. wurde P. (oder Partia; Plur. Partie, Partien,
Partyen) auch allgemein fiir Instrumentalstiick (Fro-
berger, Diverse . . . Partite, di Toccate, Canzone, Ricer-
cate, Alemande, Correnti, Sarabande, e Gigue, 1693) oder
fiir Satzfolgen im Sinne der -*■ Suite verwendet (Kuh-
nau, Neuer Clavier Ubung Erster Theil, Bestehend in Sie-
ben Partien . . ., Lpz. 1689; J.S.Bachs Werkefiir Solo-
violine BWV 1002, 1004, 1006).
Lit.: V. Junk, Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930; F. Torre-
franca, Origine e significato di repicco, p., ricercare,
sprezzatura, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Documenti
deflnitivi sulla p., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; H. Spohr,
Studien zur ital. Tanzkomposition um 1 600, Diss. Freiburg
i. Br. 1956, maschr.
Partitino (ital., »kleine Partitur«) heiBt eine Partitur
von Instrumental-(meist Blechblaser- und Pauken-)
Stimmen, die aus (vorerst noch nicht greifbaren) no-
tations- oder auffiihrungstechnischen Griinden (so vor
allem im 17./18. Jh.) oder, weil die betreffenden Stim-
men oder Instrumente nachtraglich hinzugefiigt sind,
nicht in das Hauptexemplar der Partitur eines Instru-
mental- oder Biihnenwerks aufgenommen, sondern
auf losen Blattern oder im Anhang beigef iigt sind. Dies
betriff t z. B . Paukenstimmen aus Werken vonJ.-B . Lully ,
Trompeten- und Paukenstimmen noch in friihen Par-
titurausgaben von Symphonien J. Haydns und W. A.
Mozarts, die Janitscharenmusik in Mozarts Autograph
der Entfiihrung, die Posaunenstimmen im Autograph
des Don Giovanni (2. Finale, Auftritt des Commenda-
tore), das Schlagzeug in Beethovens 9. Symphonic In
der Originalpartitur von R. Wagners Rheingold sind die
Stimmen von 6 Harfen im Anhang als P. beigef iigt. Al-
le Biihnenmusiken Verdis sind in einem P. gesondert von
der Dirigierpartitur gedruckt, die ihrerseits nur einen
Klavierauszug des Biihnenorchesters (Banda) enthalt.
Partitur (ital. partitura; frz. partition [d'orchestre] ;
engl. score) ist eine notenschriftliche Aufzeichnung
mehrstimmiger Musik, in der die einzelnen Stimmen
so iibereinarider angeordnet und mit senkrecht durch-
laufenden oder unterbrochenen Ordnungsstrichen
(-> Taktstrich) verbunden sind, daB der Verlauf der
Einzelstimmen, ihre Koordination und die Zusammen-
klange abgelesen werden konnen. Die P. dient in erster
Linie der Niederschrift der Komposition durch den
Komponisten, in zweiter Linie dem Studium und der
Auffiihrung. Heute besitzt die P. zentrale Bedeutung
fiir das Komponieren, Uberliefern und Auffuhren
mehrstimmiger Musik, doch waren in der Zeit vor
1600 andere Arten der Aufzeichnung von Musik vor-
herrschend, und fiir musikalische Auffuhrungen gait
die P. noch bis um 1800 nicht als gemeinhin unent-
behrlich.
Das Prinzip, gleichzeitig Erklingendes untereinander
zu notieren, ist zuerst in den Descriptiones des friihen
-> Organum (Musica Enchiriadis) greifbar. Das der P.
ahnliche Notenbild der spSteren Organummanuskripte
wird zuweilen falschlich als »friihe P.« (oder als »P.-
Notation«) bezeichnet, obwohl es den graphischen
Darstellungen der Mehrstimmigkeit in der Musica En-
chiriadis prinzipiell nahersteht als der aus der Vereini-
gung von selbstandigen Stimmen hervorgegangenen
P. Von der Notation des Organum fiihrt kein direkter
Weg zur modernen P. Die -> Motette ist - im Unter-
schied auch zum mehrstimmigen ->■ Conductus (»Con-
ductusnotation«) und zum -»• Rondeau (- 1) des 13. Jh.
- fast nur in raumlich getrennter Niederschrift der Stim-
men iiberliefert; Kriterium fiir diese Aufzeichnungsart
ist (im 13./14. Jh.) die Mehrtextigkeit. Das Obereinan-
derschreiben der Stimmen blieb auch in den das Reper-
toire des spaten Mittelalters iiberliefernden Handschrif-
ten an bestimmte Erscheinungsf ormen von Mehrstim-
migkeit mit textgleichen Stimmen bzw. Oberstimmen
gebunden (vgl. Apfel 1961). Welcher Mittel man sich
bis zum 15. Jh. zur Klarung von Intervallaufbau und
Klangfolge beim Komponieren der nur in Stimmen-
notation iiberlieferten Werke bedient hat, ist noch un-
geklart. Wenig Wahrscheinlichkeit spricht dafiir, dafi
die teilweise sehr komplizierten Satzstrukturen dieser
Zeit sofort in Einzelstimmen niedergeschrieben wor-
den sind; doch erst seit etwa 1500 ist die -*■ Tabula
compositoria nachweisbar, die als Einteilung entweder
45 •
707
Partitur
ein Zehnliniensystem oder die P.-Anordnung aufweist
(Lampadius 1537). - Urspriinglich bezeichnet partire
nur das (nachtragliche) Einteilen der Einzelstimmen ei-
ner in -> Chorbuch-Aufzeichnung oder in -*■ Stimm-
biichern vorliegenden Komposition in Breviseinheiten
(Vicentino 1555, IV, 41), spater auch das Einteilen des
unbeschriebenen Notenpapiers fiir eine P. (Diruta 1609,
S. 1). Die iiberlieferten Zeugnisse der im 16. Jh. in
Italien aufkommenden P.-Notation sind zunachst aus-
schlieBlich Spielvorlagen fiir Tasteninstrumente (Or-
gel-P.en, ->■ Orgeltabulatur) und sind nachtraglich aus
den Stimmen hergestellt (-> spartire) ; auch der friiheste
P.-Druck (Musica de diversi autori . . . partite in caselle,
Venedig 21577) hat diese Bestimmung. Der Untertitel
eines zweiten P.-Drucks von 1577 (Tutti i Madrigali di
Cipriano di Rore a 4 voci, spartiti et accommodati per sonar
d'ogni sorte d'Istrumento perfetto, & per qualunque studioso
di Contrapunti) gibt einen Anhalt dafiir, daB die P.-
Notation in der 2. Halfte des 16. Jh. fiir die Darstellung
und Komposition des kontrapunktischen Satzes unent-
behrlich geworden war. Auch in Kontrapunktlehrwer-
ken setzt sich um 1600 die P.-Notation fiir die Beispiele
durch (erstmals bei Morley 1594). Da das Wort (s)par-
tito nur auf die Besonderheit der in Taktfacher (ital.
caselle) eingeteilten Notation und nicht auf eine An-
ordnung von Stimmen iibereinander hinwies, konnten
auch die friihen B. c.-Stimmbiicher als (s)partitura be-
zeichnet werden (G.Croce 1594). S.Scheidt fiihrte die
Orgel-P. als Tabulatura nova \ii2A in Deutschland ein,
in Frankreich hielt sie sich bis um 1700. J. S. Bach griff
die Orgel-P. fiir seine kontrapunktischen Spatwerke
(Canonische Veranderungen, Kunst der Fuge) wieder auf .-
Ein anderer Entwicklungszweig der modernen P. geht
aus von der Notation fiir Sologesang und Begleitung.
P.en aus Singstimme (mit Taktstrichen) und Lauten-
tabulatur kommen seit Anfang des 16. Jh. haufig vor.
Der aus dieser Notation abgeleitete P.-Typ mit Sing-
stimme und beziffertem GeneralbaB, von Peri (Dafne,
1598) fiir die Oper und von Caccini (Le nuove musiche,
1601) auch fiir den weltlichen Sologesang (Arie, Kan-
tate) eingefiihrt, war in erster Linie fiir den Begleiter
bestimmt, der wegen der freien Temponahme der San-
ger im Stile recitativo nicht (wie in der geistlichen Mu-
sik) den GeneralbaB ohne Kenntnis der Oberstimme
nur aus dem Stimmbuch spielen konnte. Dariiber hin-
aus stellt die Opern-P. in ihrer Vereinigung aller fiir
eine Auffiihrung notwendigen Angaben, vor allem
auchdurchdieP.-Notierungderlnstrumentalensembles,
ein friihes Stadium der Direktions-P. dar. Dirigieren
und P.-Gebrauch stehen in engem Wechselverhalt-
nis. In der Kirchenmusik wurde, auch bei stark besetz-
ten Werken, noch lange Zeit der Takt nach dem als
Direktionsstimme besonders geeigneten B. c.-Stimm-
buch gescblagen (Praetorius Synt. Ill, S. 125; Viadana,
Vorrede zu Salmi a 4 chori, 1612). In Deutschland, be-
sonders im Norden, blieb bis ins 18. Jh. die Buchstaben-
tabulatur anstelle der P. in Gebrauch. Im Orchester
spielte zwar der Kapellmeister bei der im 18. Jh. iibli-
chen Klavierdirektion den GeneralbaB aus der P., um
den Executoribus (so sie etwafehlen wollen) daraus zu recht
zu helffen (WaltherL), doch der Konzertmeister (z. B.
noch Fr.A.Habeneck) bediente sich beim Dirigieren
nur der 1. Violinstimme, die allerdings meist Hinweise
auf die Einsatze der iibrigen Stimmen enthielt und Di-
rektionsstimme hieB. Noch bis Anfang des 19. Jh. wur-
den die meisten Kompositionen in Stimmen veroffent-
licht (z. B. die Werke Beethovens bis op. 84) ; erst durch
das Berufsdirigententum wurde die P. zum unentbehr-
lichen Auff uhrungsmaterial. Heute wird die meiste Mu-
sik in P. veroffentlicht. Neue P.-Typen entstanden seit
dem 19. Jh. : die ->■ Denkmaler-Ausgaben verstarkten
das Ansehen der P. als vollgiiltiger Uberlieferungsform
von Musik; die Studien-P. (A. -> Payne und E. -> Eu-
lenburg) fiihrte weite Kreise der Konzertbesucher zur
P. Die moderne -> Editionstechnik steht vor dem Pro-
blem, P.en von Musik herzustellen, die in Mensural-
notation aufgezeichnet und vorher niemals in P. notiert
worden ist. Als Ausweg bietet sich die Ubertragung in
moderne Notenschrift und P. an oder die Herstellung
einer Schein-P. ohne Ordnungsstriche. Die Chor-P.
des 20. Jh., in der der »Mensurstrich« die senkrecht
durchlaufenden Ordnungsstriche ersetzen soil, ist streng
genommen eine Schein-P.
Bei der Anordnung der Stimmen innerhalb der P.
herrscht das Prinzip, die hoher klingenden Stimmen
iiber die tieferen zu setzen. Bei zwei- und mehrchori-
gen Werken wurden die Chore zusammengefaBt; bei
vokal-instrumental gemischten Besetzungen wurden
schon im 17. Jh. die Instrument* stets iiber den Sing-
stimmen angeordnet, die nicht vom GeneralbaB ge-
trennt wurden. In der Orchester-P. der 1. Halfte des
18. Jh. waren alle unisono spielenden Stimmen nur ein-
mal notiert; die P. gab nur den musikalischen Satz
wieder. Obligate Blaserstimmen wurden gewohnlich
oberhalb der 1. Violine notiert, doch begegnet noch
bei Mozart, Schubert u. a. die Anordnung der 1. Vio-
line als oberste Stimme (Fetis 1829, S. Iff.). In den P.en
der vorklassischen Symphonien wurden sehr oft auch
Pauken, Trompeten una Horner zuoberst gestellt (mit-
unter aber gar nicht in die P. auf genommen; -> Parti-
tino). Fiir den P.-Druck setzte sich schlieBlich (etwa
seit CM. v.Weber) das Prinzip durch, Instruments
gleicher Gattung in Gruppen zusammenzufassen, und
zwar in der Reihenf olge (von oben nach unten) : Holz-
blasinstrumente, Blechblas- und Schlaginstrumente,
Streichorchester. Innerhalb der Holzblaser gilt die Fol-
ge: Floten, Oboen, Klarinetten, Fagotte. Bei den Blech-
blasern werden die Horner, die haufig (zu 4) einen
Chor fiir sich bilden oder aber in Verbindung mit den
Fagotten gebraucht werden, zuoberst, d. h. den Fagot-
ten zunachst gestellt (nur bei R. Wagner zwischen Kla-
rinetten und Fagotte). Es folgen Trompeten, Posaunen
und Tuben. Die Schlaginstrumente werden den Blech-
blasern unten angefiigt: Pauken, Triangel, Becken,
Trommel usw. Treten Singstimmen zum Orchester hin-
zu, so werden sie mitunter oberhalb der 1. Violinen
notiert, meist jedoch (wie seit jeher) iiber den Bafi ge-
gesetzt, im Streichorchester also zwischen Bratschen
und Violoncelli, die Solisten wiederum oberhalb des
Chores. Die Orgel findet ihre Stelle unter dem Kontra-
baB, wo ehedem der bezifferte GeneralbaB stand. Die
Harfe wird gewohnlich zwischen Schlaginstrumente
und 1. Violinen eingeschoben, ebenso die Solostimme
von Konzerten fiir Soloinstrument und Orchester. Die
im spatromantischen und modernen Orchester hinzu-
gekommenen Instrumente wurden sinngemaB in diese
P.-Anordnung eingefiigt. In Kammermusik-P.en steht
der Klavierpart gewohnlich zuunterst, die iibrigen In-
strumente werden je nach der Beschaffenheit des Satzes
entweder in Gruppen (wie in der Orchester-P.) oder
ihrer Tonlage nach angeordnet. -Eckige und geschwun-
gene Klammern (-> Akkolade) und durchlaufende
Taktstriche verbinden zwecks besserer Ubersicht die
Instrumentengruppen der modernen Orchester-P. Als
Lesehilfe dienen dem Dirigenten indirekt auch die ab-
weichenden Vorzeichen der -»• Transponierenden In-
strumente und die verschiedenen Schliissel. DieseBeson-
derheiten, die auch die moderne P. als Vereinigung von
Einzelstimmen ausweisen, wollten die Verfechter der
Reform-P. (M. v. Schillings, F. Weingartner, U.Gior-
dano) und der Einheits-P. (F.Dubitzky, H. Stephani,
Fr.Muller-Rehrmann) eliminieren. Doch erlangte nur
708
Passacaglia
die Reform-P. (Notation aller Instrumente in C) be-
grenzte Bedeutung (vor allem in der Schonberg-Nach-
folge) ; die Einheits-P. (alle Stimmen im G-Schliissel
mit Oktavversetzung) blieb theoretische Forderung. -
P.-Spiel (Darstellung des Orchestersatzes auf dem Kla-
vier) wird als Pflichtfach fur Dirigenten und Schulmu-
siker an den Musikhochschulen gelehrt; methodische
Schulwerke verfaBten u. a. H. Riemann (Anleitung zum
Partiturspiel, Berlin 1902) und H. Creuzburg (Partitur-
spiel. Ein Ubungsbuch, 4 Bande, Mainz 1956-60).
Lit. : Fr.-J. Fetis, Traits de l'accompagnement de la par-
tition sur le piano ou l'orgue, Paris 1829; R. Eitner, Notiz
zur Partiturausg. Cyprians de Rore, MfM V, 1873, S. 30;
O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., Lpz. 1910,
S. 187ff.; R. Schwartz, Zur P. im 16. Jh., AfMwII, 1919/
20; L. Ellinwood, The Conductus, MQ XXVII, 1941 ; G.
Kinsky, Eine friihe P.-Ausg. v. Symphonien Haydns, Mo-
zarts u. Beethovens, AMI XIII, 1941 ; F. Wrobel, Partytu-
ra na tie wspolczesnej techniki orkiestracyjnej- (»P. auf
Grund d. modernen Orchestrationstechnik«), Krakau
(1954); S. Clercx-Lejeune, D'une ardoise aux partitions
du XVI e s., in: Melanges . . . offerts a P.-M. Masson I, Pa-
ris (1955); Th. Jakobi, Die KUnst d. Partiturspiels, Bin
1957; E. E. Lowinsky, Early Use of Scores in Ms., JAMS
XIII, 1960; E. Apfel, tlber einige Zusammenhange zwi-
schen Text u. Musik im MA, besonders in England, AMI
XXXIII, 1961 ; Kn. Jeppesen, Et par notationstekniske
problemer . . ., STMf XLIII, 1961 ; H. G. Hoke, Studien
zur Gesch. d. »Kunst d. Fuge« v. J. S. Bach. Zur allgemei-
nen Problematik d. Notationsprinzips P., Beitr. zur Mw.
IV, 1962. HHa
Pasamano (span.) -* Aurresku.
Paso doble (span., Doppelschritt; ital. passo doppio),
— 1) ein in seinen Schritten unkomplizierter spanischer
Paartanz im 2/4- oder 3/4-Takt von lebhaftem, jedoch
nicht iiberstiirztem Tempo. Zwei Hauptteilen ist eine
kurzeEinleitung vorangestellt, die entweder aus Varia-
tionen iiber das in der spanischen Volksmusik beliebte
absteigende Molltetrachord besteht (z. B. in A moll:
a g f e) und demnach stets auf der Dominante endet
oder sich allgemein im Dominantbereich bewegt. Steht
der erste Hauptteil in Dur, so der zweite, auch Trio ge-
nannte Hauptteil in der Subdominante; steht dagegen
der erste in Moll, so der zweite in der gleichnamigen
Durtonart. Von verschiedenen Komponisten wurde
der P. d. in die Zarzuela eingefiigt. - 2) ein lebhafter
Infanteriemarsch im 6/8-Takt (M. M. = 120), in Frank-
reich ab 1790 auch als Pas redouble bekannt, da das
Tempo von urspriinglich 60-70 Pas ordinaires auf 120-
140 Pas redoubles in der Minute verdoppelt wurde
(-*■ Armeemarsche).
Passacaglia (passak'a:Aa, ital., im 17. Jh. iiberwie-
gend passacaglio; frz. passacaille; span, pasacalle, von
pasar una calle, durch eine StraBe gehen, in Spanien
verstanden als Gang einer Kapelle durch die StraBen,
wobei Paso dobles oder marschartige Stiicke gespielt
werden; dies entspricht der urspriinglichen musikali-
schen Bedeutung des deutschen Wortes -*■ Gassen-
hauer). Die P. ist ein im 16. Jh. auf dem Wege der Chi-
tarramusik nach Italien gelangter spanischer Tanz. Der
alteste Beleg fiir die P. findet sich in Italien bei Monte-
sardo (Chitarratabulatur, 1606): eine iiber die Tone
F B C F gearbeitete Periode von 3-4 Takten, die iiber
20mal variiert wird. Diese Stufenfolge im ungeraden
Takt sowie die ostinate Struktur bleiben charakteri-
stisch fiir die friihe P. Dem Titel gemaB finden sich bei
Montesardo Passacaglie d ritornelli, die als Vor-, Zwi-
schen- und Nachspiele in Arien oder Tanzen, aber auch
in der instrumentalen Buhnenmusik als Begleitung von
Entrees verwendet wurden. So ist bei Peri (Le uarie
musiche, 1609) eine 4strophige Aria zweifhal mit der-
artigen P.-Einlagen versehen iiber dem BaB :
Stufen: I IV V-I
der auch in der Aria selbst mehrmals transponiert wie-
derkehrt. Die P. ist in diesem Zusammenhang oft nicht
vollstandig notiert, sondern zu improvisieren. Der ent-
sprechende Hinweis lautet »Passacaglie« oder »ritornel-
lo«. Bei Frescobaldi (Arie musicali, 1630) findet sich eine
P. als Ritornell, auch als ein die ganze Arienstrophe stiit-
zender OstinatobaB. Zudem kommt P. im Zusammen-
hang mit Tanzstiicken vor, z. B. bei Pensori (Balletto
mit // suo passacaglio, 1648) und Granata (Sarabanda con
passacagli, 1651). Die Chitarratabulaturen bringen bis
1660 (Pellegrini) Passacagli als Ketten gleichgebauter
Modelle in alien Tonarten, z. B. Passacagli per tutte le
lettere dell'alfabeto. Der Spieler hatte ein solches aus 3
oder 4 Takten bestehendes P.-Modell in alle Tonarten
abzuwandeln. Die in Frankreich schon in der 1. Halfte
des 17. Jh. in der Gitarrenmusik verbiirgte P. war am
Hof Lud wigs XIV. als langsamer Solotanz bekannt. Fiir
die gesungene und getanzte P. findet sich ein Beispiel
im 3. Akt von J.-B. Lullys Acis et Galatee (1686). Bis ins
spate 17. Jh. wurden der Passacaglio semplice und der
kunstvollere Passacaglio passagiato oder diminuto un-
terschieden. Neben der P. als Vor-, Zwischen- oder
Nachspiel zu Arien bzw. Tanzen bliihte die P. in Gestalt
selbstandiger Ostinatoreihen. Sie kann auftreten mit
geschlossenen Perioden I-IV-V-I I-IV-V-I usw. oder
i 1
in rundlaufiger Anlage I-IV-V-I -IV-V-I usw., die im
17. Jh. vorherrschend wurde. FriiheBeispielefiirdieP. als
selbstandiges Instrumentalstiick bieten G.A. Colonna
(Chitarratabulatur, 1620) und Valdambrini (1647). Zu
einer groBeren Ausweitung der Form kam es erst nach
1650, so etwa 1655 bei B.Marini, spater bei Pachelbel,
Buxtehude, J. S.Bach, Handel u. a. Als selbstandiger
SchluBsatz wurde die P. auch in die Suite eingefiigt,
z. B. von Frescobaldi (letzte Auflage der Toccate e par-
tite I, 1637), Bartolotti (1640), Bottazzari (1641), Lau-
renti (1691), Roncalli (1692), ebenso in die Triosonate
(Laurenzi 1641, Falconieri 1650, Cazzati 1660, Vitali
1682, u. a.). In der 2. Halfte des 17. Jh. kam das vom
Grundton aus absteigende Tetrachord als P.-BaB auf.
Beruhmt ist die P. C moll fur Org. vonj. S. Bach (BWV
582) mit einem BaBthema, dessen erste Halfte einem
Christe-Satz von A.Rai- *): , l> , g 1 Eg m I p F
son entnommen wurde:
Lockerer im Auf bau, mit f reien Zwischenspielen durch-
setzt, ist die P. fiir Cemb. von Fr.Couperin (8. Ordre,
H moll). Mattheson (1739) zufolge lassen sich -> Cha-
conne und P. u. a. darin unterscheiden, daB die P. die
Moll-, die Chaconne die Durtonarten bevorzugt. Zur
Tempounterscheidung der beiden Formen gilt entge-
gen Mattheson allgemein, daB die P. ordinairement lang-
samer als die Chaconne gehet (Walther 1732). Auf die
nicht immer eindeutige Abgrenzung deuten Bezeich-
nungen wie Chaconne ou Passacaille (L. Couperin) oder
Passacaille ou Chaconne (Fr.Couperin 1728). Mit dem
Ende des GeneralbaBzeitalters f and auch die Geschichte
der P. in der Kunstmusik einen AbschluB. In neuerer
Zeit wurde die -> Ostinato-Technik der P. vielfach
wieder aufgegriffen. Genannt seien: Reger (u. a. in op.
16, 33, 63, 96, 127); C.Franck, 2. Choral fur Org.
(1890) ; Webern, P. fur Orch. op. 1 (1908) ; Schonberg,
Pierrot Lundire (1912), Teil II, Nr 8; Ravel, Klaviertrio
A moll (1914); A.Berg, 5 Orchesterlieder op. 4 (1912),
Nr 5, Wozzeck, 1. Akt, 4. Szene (auch 3. Akt, 3. Szene) ,
Hindemith, Das Marienleben op. 27 (1922/23, Die Dar-
709
Passage
stellung Maria im Tempel), weiterhin in: Streichquartett
op. 32 (1923), Nobilissima Visione (1938), Symphonic in
Es (1940), Harmonie der Welt (1957); P. Holler, P. und
Fuge fur Orch. op. 25 (1939).
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912; L. Nowak,
Grundziige einer Gesch. d. Basso ostinato in d. abendlan-
dischen Musik, Wien 1932; L. Walther, Die Ostinato-
technik in d. Chaconne- u. Arien-Formen d. 17. u. 18. Jh.,
= Schriftenreihe d. mw. Seminars d. Univ. Miinchen VI,
Wiirzburg 1940; A. Machabey, Les origines de la' chacon-
ne et de la passacaille, Rev. de Musicol. XXVIII, 1 946; M. F.
Bukofzer, Music in the Baroque Era, NY (1947); H. L.
Schilling, Hindemiths Passacagliathemen in d. beiden
Marienleben, Af M w XI, 1 954 ; K. v. Fischer, Chaconne u.
P., RBM XII, 1958; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich-
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959, S.
98ff. ; W. Osthoff, Die fruhesten Erscheinungsformen d.
P. in d. ital. Musik d. 17. Jh., Kgr.-Ber. Musica Mediterra-
nea Palermo 1954, Palermo 1959; L. Stein, The P. in the
Twentieth Cent., ML XL, 1959; M. Schuler, Zur Friih-
gesch.d. P., MfXVI, 1963.
Passage (pas'a:3, frz. ; ital. passaggio, Gang). Passag-
gio bezeichnet in Lehrbiichern des Gesangs und Instru-
mentalspiels ab Mitte des 16. Jh. eine zur Verzierung
und Ubung bestimmte Art der ->- Diminution (- 2; z. B.
Passaggi per potersi essercitare nel Diminuire terminatamen-
te con ogni sorte d'instromento. Et anco diversi passaggi per la
semplice voce humana von Rognoni Taeggio, 1592). Prae-
torius Synt. Ill (S. 240) beschreibt Passaggi zhgeschwin-
deLauffe / welche beydes Gradatim vnd auch Saltuatim durch
alle Intervalla, so wol ascendendo alft descendendo, vber den
Noten so etwas gelten j gesetzet vnd gemacht werden. Bei
Chr.Bernhard (Tractatus . . .) ist Passaggio mit der Fi-
gur der Variatio identisch. - Die P. als Steckenpferd der
Concertspieler (KochL) ist Hauptbestandteil spezieller
Kompositionsarten wie -> Etude und Bravourstiick.
Sie kann definiert werden als eine rasche, meist an ei-
nem Motiv festhaltende Tonfolge unterschiedlicher
Ausdehnung, wobei u. a. zwischen Akkord-P.n (-> Ar-
peggio) und Tonleiter-P.n zu unterscheiden ist.
Passamezzo (wohl aus ital. pass'e mezzo, ein Schritt
und ein halber), geradtaktiger italienischer Tanz des
16./17. Jh., in der Fruhgeschichte verflochten mit der
-*■ Pavane (Gleichsetzung beider Namen u. a. bei Sa-
linas 1577, S. 356: Pauana Milanesa, siue Passoemezo
vulgd vocatur); noch 1588 ist er als Gebrauchstanz be-
zeugt, war zugleich aber auch in stilisierten Formen
verbreitet. Seit etwa 1540 liegen dem P. Satzmodelle
zugrunde, von denen zwei seit etwa 1600 die P. ge-
nannten Stiicke fast ausschlieBlich beherrschen: P. an-
tico (oder per B molle), der -*■ Folia verwandt, und
P. moderno (per B quadro oder duro), letzterer mit
dem Modell :
Dem P. ist eigentumlich, daB sich die Klange des Mo-
dells in gleichen metrischen Abstanden (8 oder 16
Zahlzeiten) iiber den meist ausfigurierten Satz ver-
teilen. Kompositionen iiber P.-Modelle sind schon
in H.Newsidlers Lautenbuchern zu finden (P. anti-
co 1536: ein welscher tantz Wascha mesa; P. moderno
1540: Passa mesa. Ein Welscher tantz). Die Mehrzahl der
iiberlieferten P.-Kompositionen aus der 2. Halfte des
16. Jh. ist fur Laute, eine Reihe von Werken fur Ta-
steninstrumente bestimmt; doch bestatigen Sammlun-
gen u. a. von Fr. Bendusi (1553) und G. Mainerio (1578,
a quatro voci . . . per cantar et sonar d'ogni sorte d'lstro-
menti) auch eine vokale und beliebig instrumentierte
Ausfiihrung. Durch die im 16. Jh. des ofteren ange-
fiigte Ripresa, vor allem aber durch ZusammenschluB
mehrerer P.-Verarbeitungen in suiten- oder variations-
artiger Folge, entstanden gelegentlich sehr umfang-
reiche Stiicke. G. Gorzanis schuf in einer handschrif t-
lich erhaltenen Sammlung (1567) auf jeder der 12 Ton-
stufen (von G aus chromatisch aufwarts) einen P. an-
tico mit anschlieBendem Saltarello (in Moll) sowie
einen P. moderno mit Saltarello (in Dur) und nutzte
damit schon in friiher Zeit die Gesamtheit der Ton-
arten fiir ein zyklisches Werk aus. In der 1. Halfte des
17. Jh. war der P. in Tanzsammlungen fiir Chitarra
verbreitet, als Komposition fiir Tasteninstrumente trat
er zuriick. Im Gegensatz zu anderen Tanzen mit Satz-
modellen wurde der P. offenbar nicht in die monodi-
sche Aria iibernommen. Der P. von Scheidt (Tabulatu-
ra nova 1, 1621) ist eines der bekanntesten Werke des Ty-
pus; den letzten Beleg bieten die Varie partite delpasseme-
zo fur 2 V., Violone oder Spinett von G. B. Vitali (1682).
Lit. : W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbu-
chern, Lpz. 1927 ; J. Dieckmann, Die in deutscher Lauten-
tabulatur uberlieferten Tanze d. 16. Jh., Kassel 1931 ; H.
Halbig, Eine hs. Lautentabulatur d. G. Gorzanis, Fs. Th.
Kroyer, Regensburg 1933 ; G. Reichert, Der P., Kgr.-Ber.
Luneburg 1950; H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkomposi-
tion um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.; W. Apel,
Tanze u. Arien f. Kl. aus d. Jahre 1588, AfMw XVII, 1960.
Passau.
Lit.: F. Lehrndorfer, Die Musik in d. furstlichen Residenz-
stadt P., in: Die Ostbairischen Grenzmarken XIX, 1930;
W. M. Schmid, Zur P.er Mg., ZfMw XIII, 1930/31; H.
Bauer, J. Friebert (1723-99) u. seine Stellung in d. Mg. d.
Stadt P., Diss. Miinchen 1952, maschr.; E. Federl, Die
P.er Caecilienbruderschaft im 18. Jh., KmJb XLIV, 1960;
E. Krems, P. Musikkultur v. d. Anfangen bis zur Auflo-
sung d. geistlichen Furstentums (1803), in: Ostbairische
Grenzmarken IV, 1960-V, 1961.
Passepied (paspi'e, frz.; engl. paspy), alter franzosi-
scher Rundtanz, der Tradition nach in der nordlichen
Bretagne beheimatet. Er wird 1548 zum erstenmal ge-
nannt von N. Du Fail; 1565 wurde er auf einem bei
Bayonne von der Konigin Katharina von Medici ver-
anstalteten Fest von Bretoninnen getanzt, und 1567
begab sich der franzosische Konig Karl IX. nach Blois,
in der Absicht, dort den P. de Bretagne zu erlernen.
Nach M.Praetorius {Terpsichore, 1612) soil der Name
dadurch entstanden sein, daB man in solchem Dantz einen
Fufi vber den andern schlagen vnd setzen mufi. Der Hof-
tanz P. steht in ungeradem Takt (3/4 oder 3/8 mit Ach-
telauftakt), wobei in den Doppeltakten oft ein Schwan-
ken zwischen 2x3/4 und 3x2/4 entsteht; BrossardD
charakterisiert ihn als Menuet dont le Mouvement est
fort-vite & fort gay. Um die Mitte des 18. Jh. verschwand
er aus den Bailsmen. In der Instrumentalsuite fand der
P. seine Stelle unter den Tanzen, die nicht zu den festen
Teilen der Suite gehorten und gewohnlich zwischen
J. C. F. Fischer, Les pieces de clavessin,
Schlackenwert 1696.
Sarabande und Gigue eingeschoben wurden, so bei
J. C.F.Fischer, Couperin, Telemann, J.S.Bach. In der
Oper gibt es den P. bei Campra, J.-Ph. Rameau, Gluck.
Lit. : Vingt suites d'orch. du XVII e s. f re. (1 640-70), 2 Bde,
hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906 ; C. Sachs, Eine
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London
1938, frz. Paris 1938.
710
Passion
Passion (lat. Passio Domini nostrijesu Christi . . .), die
Leidensgeschichte Christi nach dem Bericht der Evan-
gelisten. Sie wird in der romischen MeBliturgie an 4
Tagen der Karwoche gelesen oder gesungen (seit 1955
mit Textkiirzungen) : am Palmsonntag nach Matthaus,
am Dienstag nach Markus, am Mittwoch nach Lukas,
am Freitag nach Johannes. Fur den Choralvortrag gilt
heute der 1917 in einer Editio typica veroffentlichte
P.s-Ton als verbindlich (Cantus Passionis Domini nostri
Jesu Christi ..., offizielle NA 1957 unter dem Titel
Cantus historiae Passionis . . . iuxta Ordinem hebdomadae
sanctae instauratum). Gegenuber alien anderen -> Lesun-
gen ist die P. durch eine besondere Vortragsweise aus-
gezeichnet: der erzahlende Text (Evangelist), dieWor-
te Christi und der iibrigen Personen (Soliloquenten :
Petrus, Pilatus, Judas usw.) und der Personengruppen
(Turbae: Jiinger, Juden und weitere Gruppen) werden
jeweils in eigener Tonlage gesungen, wobei folgende
Rezitationstone verwendet werden: f (Christus), c 1
(Evangelist) und f 1 (Soliloquenten und Turbae). Den
Interpunktionsstellen des Textes entsprechen bestimm-
te Melodiewendungen (Kadenzen). Die Verteilung der
Textpartien auf 3 Sanger bzw. Lektoren ist seit dem
14. Jh. nachweisbar.
Die friiheste bisher bekannte Quelle fiir mehrstimmige
Vertonung der P. ist ein Traktat aus Fiissen (um 1450,
ehemals als Maihinger Fragment bezeichnet), der Bei-
spiele fiir einfachsten dreistimmig improvisierten Ge-
sang der Turbasatze bietet. Weitere Quellen aus der
Zeit um 1480 stammen aus England (anonyme Lukas-
und Matthaus-P. mit Turba- und Soliloquentensatzen
im dreistimmigen englischen Diskantstil) und Italien
(anonyme Matthaus- und Johannes-P. : Turbae sechs-
bis achtstimmig, Soliloquenten dreistimmig im Faux-
bourdonstil). Ein umfangreiches Quellenmaterial ist
erst ab 1500 iiberliefert, hauptsachlich aus Italien und
Deutschland. Komponisten aus anderen Landern schrie-
ben nur gelegendich P.en. - Die Entwicklung der P.
bis zum Ende des 17. Jh. ist durch ihren Charakter
einer liturgischen Lectio gepragt, wobei es sich hier um
den langsten zusammenhangenden liturgischen Text
handelt. Dies verlangte von den Komponisten eine Be-
schrankung in der Auswahl der musikalischen Mittel,
um den liturgischen Rahmen - auch im Hinblick auf
die Auffiihrungsdauer - nicht zu sprengen. So ist es er-
klarlich, daB eine bestimmte Art der P.s-Vertonung
wahrend des 16. und beginnenden 17. Jh. vorherr-
schend wurde, die fiir die Worte des Evangelisten den
einstimmigen choralen Vortrag wahlt und bei den an-
deren Partien entweder nur die Worte der Turbae oder
die der Soliloquenten und Turbae oder alle direkten Re-
den mehrstimmig setzt. Diese Art, die in differenzier-
ter Weise das Prinzip der Rollenverteilung der chora-
len P. wahrte und zudem den Komponisten die Mog-
lichkeit bot, ortlichen liturgischen Verhaltnissen ge-
recht zu werden, wird heute allgemein (nach v. Fischer)
als responsoriale P. bezeichnet (friiher auch als drama-
tische P.). Dieser Typus, herausgewachsen aus der Li-
turgie der romisch-katholischen Kirche, wurde das
Vorbild auch fiir einen grofien Teil protestantischer
P.en in deutscher Sprache, die heute meist als Choral-
P.en bezeichnet werden. - Lateinische responsoriale
P.en schrieben bis zum Beginn des 17. Jh. u. a. Ruffo:
Matthaus- und Lukas-P., um 1575; Lassus: Markus-
und Lukas-P., 1582; Victoria: Matthaus-P., 1585;
Byrd: Johannes-P., 1607 (samtlich nur Turbae mehr-
stimmig); CI. de Sermisy: Matthaus-P., 1534; Contino:
P.en, 1561; Lassus: Matthaus- und Johannes-P., 1575;
Asola: Matthaus-, Markus- und Lukas-P., um 1580;
Guerrero: Matthaus- und Johannes-P., 1585 (samtlich
Soliloquenten und Turbae mehrstimmig) ; Jachet von
Mantua: Matthaus-P., um 1540; G. de Albertis: Mat-
thaus-P. und Johannes-P.en, vor 1541; P. Aretino: Jo-
hannes-P., vor 1570; Asola: Johannes-P., 1583; Suria-
no: P.en nach den vier Evangelisten, 1619 (alle direk-
ten Reden mehrstimmig). Die lateinischen responsoria-
len P.en verlangen in den 1st. Partien den romischen
P.s-Ton, der als C. f. in strenger oder freierer Behand-
lung auch in den mehrstimmigen Satzen benutzt wird.
Diese zeigen fast durchweg eine homorhythmische, ge-
legendich falsobordonartige Gestaltung, die gleicher-
weise Verstandlichkeit des Textes und kurze Auffiih-
rungsdauer zur Folge hat. Die Bindung an den choralen
P.s-Ton fiihrt bei den meisten Werken der genannten
Art zur Wahl des F-Modus als Haupttonart. - Die
friiheste Ubernahme des responsorialen P.s-Typus in
den Bereich der protestantischen Kirchenmusik ge-
schah durch J. Walter (Matthaus- und Johannes-P., um
1530). Walter benutzte in seinem P.s-»Rezitativ«, das
alle Partien mit Ausnahme der Turbae umf aBt, die kon-
stituierenden Elemente des lateinischen P.s-Tons und
wahrte damit den Lektionscharakter der P. ; er paBte
jedoch die Interpunktionsformeln in ihrem Wechsel-
spiel mit den Rezitationstonen geschmeidig der deut-
schen Sprache an und schuf somit einen einstimmigen
deutschen P.s-Ton. Die Turbasatze in seirien P.en sind
falsobordonartig auskomponierte Lektionsformeln.
Walters P.en waren wahrend des 16./17. Jh. in ver-
schiedenen Fassungen und Bearbeitungen weit verbrei-
tet. Einzelne Komponisten verwendeten Walters 1st.
Partien oder veranderten sie leicht und schrieben neue
Turbasatze, die sich nun immer mehr von der Bindung
an einen C. f. losten und auf einen starkeren Ausdruck
des Textes abzielten (P.en von Meiland, 1567-70; Man-
cinus, 1602, sogenannte Celler P. ; besonders Vulpius,
1613). Damit entfernte sich in den mehrstimmigen
Satzen die P. von einer liturgischen Lectio. Der gleiche
Vorgang ist auch bei jener anderen Gruppe deutscher
P.en zu beobachten, in denen nach dem Vorbild latei-
nischer Werke oberitalienischer Provenienz nur die
Evangelistenpartie einstimmig blieb und alle iibrigen
Partien mehrstimmig gesetzt sind. Hierher gehoren die
Johannes-P.en von Scandello (1561) und Gesius (1588)
und die Markus-P. von Beber (1610).
Neben der responsorialen P. entstand im 16. Jh. im
Rahmen der katholischen Kirchenmusik ein anderer
Typus, der als durchkomponierte P. (v. Fischer) be-
zeichnet werden kann, da hier eine durchgehend mehr-
stimmige Satzweise gegeben ist. Dabei sind zu unter-
scheiden einmal jene P.en, die sich von den responsoria-
len P.en lediglich dadurch abheben, daB in ihnen auch
der Evangelistenbericht mehrstimmig gesetzt ist; Wer-
ke dieser Art komponierten G.Nasco (= Maistre Jhan):
Matthaus-P., um 1550; C. de Rore: Johannes-P., um
1550; Ruffo: Matthaus-und Johannes-P., um 1580.
Zum anderen gehort zum Typus der durchkompo-
nierten P. eine Gruppe von Werken, denen die ver-
kiirzte Fassung einer der vier P.en oder (haufiger) eine
Kompilation der Leidensgeschichte aus den vier Evan-
gelien (Summapassionis.P.s-Harmonie) zugrundeliegt.
Das friiheste Beispiel hierfiir ist eine P., die in den
Quellen unter dem Namen sowohl von Obrecht als
auch von Longaval erscheint (sogenannte Obrecht-
Longaval-P., um 1500). Innerhalb ihrer drei Teile sind
die Worte des Evangelisten und die der redenden Per-
sonen unter Verwendung des romischen P.s-Tons zu-
sammenhangend vertont, jedoch meist klanglich ge-
geneinander abgesetzt. Die Disposition des Textes ge-
schieht wie bei der Motette, so daB hier die Bezeichnung
motettische P. berechtigt ist (nach Kade). Wohl aus li-
turgischen Griinden findet sich die motettische gegen-
iiber der responsorialen P. bei katholischen Kompo-
711
Passion
nisten des 16. Jh. sehr selten. Zu erwahnen sind vor al-
lem J. Regnart (Johannes-P., vor 1583) und Jac. Gallus
(3 P.en, 1587). - Im protestantischen Raum spielte der
Typus der motettischen P. eine sehr viel bedeutendere
Rolle, und zwar meist in direkter Anlehnung an den
Text der Obrecht-Longaval-P., dessen lateinische Fas-
sung Galliculus (1538), Daser (1578), P. Bucenus (1578)
und noch Gesius (1613) vertonten. Wie J.Walter die
responsoriale Art der P.s-Komposition, so fiihrte Joa-
chim a Burck die motettische Art in den deutschspra-
chigen protestantischen Gottesdienst ein (1568). Das
wichtigste Werk dieser Richtung war die Johannes-P.
von Lechner (1593), die eine meisterhafte Verwendung
musikalischer Ausdrucksmittel zeigt. Die starke Bin-
dung an den choralen P.s-Ton, die bei Burck und Lech-
ner vorhanden ist, lockerte sich spater bei Demantius
(Johannes-P., 1631). - Die Entwicklung der responso-
rialen und der motettischen P. war in der 1 . Halfte des
17. Jh. im wesentlichen abgeschlossen. Im Rahmen der
katholischen Liturgie wurden seitdem hauptsachlich
P.en von Meistern des 16. Jh. weiterhin aufgefiihrt.
Daneben schrieben in Italien viele Komponisten, unter
denen sich keine nennenswerten Meister finden, Turba-
satze in knappsten Dimensionen (punti della passione).
Die mangelnde Ergiebigkeit auf diesem Gebiet erklart
sich vor allem aus der Tatsache, daB der monodische
Stil aus liturgischen Griinden (Verbot von Instrumen-
tenspiel in der Karwoche) keinen EinfluB auf die Kom-
position von P.en gewinnen konnte. Ein Werk wie die
dem lateinischen Oratorium des 17. Jh. nahestehende
Johannes-P. von A.Scarlatti (urn 1700) blieb in seiner
Art vereinzelt. Im protestantischen Bereich bestimmten
die Stilmittel des Oratoriums die P.s-Vertonungen, so-
weit hier nicht responsoriale P.en des 16. Jh. weiter auf-
gefuhrt oder Werke dieser Art neukomponiert wur-
den. Eine Sonderstellung nimmt Schiitz ein mit seinen
3 P.en (nach Matthaus, Markus undjohannes, 1665-66).
Auffiihrungspraktisch gehoren sie zum Typus der re-
sponsorialen P. von der Art J. Walters, da in ihnen nur
die Turbae mehrstimmig, die anderen Partien einstim-
mig sind. In diesen Partien verschmilzt Schiitz Ele-
mente lateinischer und deutsch-protestantischer Lek-
tionsweisen mit Gestaltungsprinzipien der Monodie
zu einer musikalischen Sprache sui generis, die von der
Formelhaftigkeit der Lektionstone genauso weit ent-
fernt ist wie von dem oratorischen Ausdruck des neu-
italienischen Rezitativs.
Die fur das 17. Jh. charakteristische Art der protestanti-
schen P.s-Vertonung stellen jene in reicher Zahl iiber-
lieferten Werke dar, die den biblischen Text der Lei-
densgeschichte mit den musikalischen Mitteln des Ora-
toriums vertonen und fur die sich heute der Begriff
»oratorische P.« eingebiirgert hat. Dieser P.s-Typus
entstand aus dem Streben, vor allem die 1st. P.s-Lectio
dem neuen Stil des 17. Jh. anzupassen und die respon-
soriale P. zu modernisieren. So versuchte man zunachst,
den choralen P.s-Ton beizubehalten, ihn aber mit Ge-
neralbaBbegleitung zu versehen (P.en von Selle, 1641-
43), um dann diese Bindung zugunsten neugestalteter
Rezitative aufzugeben. Insgesamt spiegelt sich in der
Satz- und Ausdruckskunst der oratorischen P. des 17.
und 18. Jh. die Entwicklung des lateinischen und italie-
nischen Oratoriums wider. Dies gilt auch fur die Ein-
beziehung von Arien, Accompagnatorezitativen und
selbstandigen Instrumentalsatzen. Verschieden gegen-
iiber dem Oratorium (besonders dem italienischen)
war in der oratorischen P. vor allem die wortliche Bei-
behaltung des Bibeltextes und die Einschaltung von
Choralen, bei denen gelegentlich auch die Gemeinde
beteiligt wurde. Als wichtigste Komponisten von ora-
torischen P.en bis 1700 verdienen hier genannt zu wer-
den (unter Beriicksichtigung der bisher vorliegenden
Neuausgaben) : Sebastiani (Matthaus-P., 1663), Flor
(Matthaus-P., 1667), Theile (Matthaus-P., 1673), F.
Funcke (Matthaus-P. , vor 1680), J. G. Kuhnhausen (Mat-
thaus-P., um 1700). - Diese Werke und alle anderen
oratorischen P.en im protestantischen Deutschland ent-
standen ausschlieBlich im engsten Zusammenhang mit
der Liturgie. Demgegenuber zeigte sich im 17. Jh. in
Italien (und davon ausgehend auch in Wien) eine ganz
andere Entwicklung. Im gleichen MaBe, wie hier die P.
als liturgische Gattung an Bedeutung verlor (s. o.), ge-
wann der P.s-Stoff an Interesse bei den Komponisten
des italienischen Oratoriums und wurde somit auf dem
Gebiet der auBerliturgischen Musik heimisch, jetzt aber
in freier Nachdichtung des Bibeltextes. Solche P.s-
Oratorien entstanden kurz nach 1700 auch in Deutsch-
land mit deutschem Text und verdrangten im Laufe
des 18. Jh. die oratorische P. immer mehr, die bis dahin
in der Tradition des 17. Jh. weitergepflegt worden war.
Oratorische P.en schrieben in der 1. Halfte des 18. Jh.
G.Bohm (von ihm stammt nach neueren Forschungen
wahrscheinlich die bisher Handel zugeschriebene Jo-
hannes-P. von 1704), Keiser (Markus-P., um 1712) und
Telemann (zahlreiche P.en 1723-65). Die reiche Pro-
duktion von Werken dieser Art iiberragen jedoch die
beiden P.en nach Johannes und Matthaus von J. S. Bach
(1723 und 1729). Wie kein anderer Meister seiner Zeit
hat Bach sein voiles Konnen, seine Beherrschung aller
Satz- und Ausdrucksmittel der wortgebundenen Mu-
sik in den Dienst der Aufgabe gestellt, die Leidensge-
schichte Christi dem glaubigen Horer nahezubringen.
- Wo in Deutschland und in anderen Landern ab Mitte
des 18. bis zum 19. Jh. Komponisten das P.s-Geschehen
vertonten, geschah es in erster Linie in der Form des
Oratoriums, ohne daB freilich Werke von Belang ent-
standen waren. Erst in der 1 . Halfte des 20. Jh. begannen
sich, vornehmlich im Rahmen der protestantischen
Kirchenmusik, einzelne Komponisten auf die P. als eine
ursprunglich liturgische Gattung zu besinnen und die
alten Formen und Gestaltungskrafte der responsorialen
und motettischen P. aufzugreifen. Bedeutende Werke
der ersten Art stammen von Distler (Choral-P., 1933),
der zweiten Art von K.Thomas (Markus-P., 1927) und
Pepping (Passionsbericht des Matthaus, 1951). Kiinstle-
rische Geltung erreichten innerhalb der katholischen
Kirchenmusik die (deutschen) responsorialen P.en nach
Johannes (1964) und Matthaus (1965) von H.Schroe-
der. Vorerst vereinzelt in ihrer Art blieb die Lukas-P.
von Penderecki (1966) ; hier wird unter Verwendung
modemster musikalischer Mittel der (teils gesungene,
teils gesprochene lateinische) P.s-Text verbunden mit
Psalmen und anderen liturgischen Texten.
Ausg. mehrst. P. (nur Sammelpublikationen) : O. Kade,
Die altere Passionskomposition bis zum Jahre 1631, Gii-
tersloh 1893 ; Hdb. d. deutschen ev. Kirchenmusik, hrsg. v.
K. Ameln, Chr. Mahrenholzu. W. Thomas, GottingenI,
3, 1937-38 u. I, 4, 1937-39; Oberital. Figuralp. d. 16. Jh.,
hrsg. v. A. Schmitz, = MMD I, Mainz (1955).
Lit.: O. Kade (siehe Ausg.); W. Lott, Zur Gesch. d. Pas-
sionskomposition v. 1650-1800, AfMw III, 1921 ; P. Wag-
ner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melodien III : Gre-
gorianische Formenlehre, Lpz. 1921, Nachdruck Hildes-
heim u. Wiesbaden 1962; P. Epstein, Zur Gesch. d. deut-
schen Choralp., JbP XXXVI, 1929; R. Gerber, Das Pas-
sionsrezitativ bei H. Schiitz u. seine stilgeschichtlichen
Grundlagen, Giitersloh 1929; ders., Die deutsche P. v.
Luther bis Bach, Luther-Jb. XIII, 1931 ; H. J. Moser, Die
mehrst. Vertonung d. Evangeliums I, = Veroff. d. Staatl.
Akad. f. Kirchen- u. Schulmusik Bin II, Lpz. (1931); K.
Nef, Schweizerische Passionsmusiken, SJbMw V, 1931;
ders., Beitr. zur Gesch. d. P. in Italien, ZfMw XVII, 1935;
A. Schmitz, Ital. Quellen zur Figuralp. d. 16. Jh., Fs. M.
Schneider, Halle 1935; ders., Zur motettischen P. d. 16.
712
Pastorale
Jh., AfMw XVI, 1959; A. Smijers, De Mattheus-Passie
van J. Obrecht, TVer XIV, 1935; W. Blankenburg, Die
deutsche Liedp., MuK IX, 1937; K. Ameln, Die altesten
Passionsmusiken, MuK XI, 1939; ders. u. C. Gerhardt,
J. Walter u. d. altesten deutschen Passionskompositionen,
MGkK XLIV, 1939; B. Schofield u. M. Bukofzer, A
Newly Discovered 15 tb -Cent. Ms. of the Engl. Chapel
Royal, MQ XXXII, 1946 - XXXIII, 1947 ; K. v. Fischer,
Zur Gesch. d. Passionskomposition d. 16. Jh. in Italien,
AfMw XI, 1954; ders., Neues zur Passionskomposition d.
16. Jh., Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Ein singularer Typus
port. P. d. 16. Jh., AfMw XIX/XX, 1962/63 ; J. Birke, Die
Passionsmusiken v. Th. Selle, Diss. Hbg 1957, maschr.; P.
Robertson, A Critical Survey of the Motet P., Diss. London
1957, maschr. ; W. Braun, Die mitteldeutsche Choralp. im
1 8. Jh., Bin (1960); G. Schmidt, Grundsatzliche Bemerkun-
gen zur Gesch. d. Passionshistorie, AfMw XVII, 1 960. GM a
Passus duriusculus (lat., ein etwas harter Gang), in
der Kompositionslehre von Chr.Bernhard eine musi-
kalische Figur: ein unnatiirlicher Gang, entweder in ei-
ner Stimmegegen sich selbst, odergegen eine andere betrachtet
(-* Querstand). Der erste Fall tritt ein, wenn eine Stitn-
me ein Semitonium minus steiget, oder fillet (Beispiel:
-*■ Paronomasia; folgendes Beispiel nach Bernhard):
- oder wenn in einer Stimme iibermaBige Sekunde,
verminderte Terz oder (sekundmaBig ausgefiillt) ver-
minderte und iibermaBige Quarte und Quinte vor-
kommen. Die haufigste Form des P. d. ist der chroma-
tische Quartgang; in ihm verbinden sich das eigentlich
Regelwidrige und zugleich Affektvolle (-»■ Pathopoiia)
der Halbtonschritte mit melodischer Pragnanz (Quart-
rahmen) und harmonischer Intensivierung zu einer der
ausdrucksstarksten Figuren der Musica poetica. Cha-
rakteristische Beispiele seiner Verwendung sind: Schiitz,
Wann unsre Augen schlqfen ein (Kleine Geistliche Concede
II) ; Schein, Die mit Tranen saen (Fontana d' Israel) ; Bach,
Eingangschor der Kantate Weinen, Klagen, Sorgen, Za-
jf»(BWV 12) und als Parodie davon das Crucifixus der
H moll-Messe. - Verwandt mit dem P. d. ist der Saltus
duriusculus (lat, ein etwas harter Sprung), ein Melo-
diesprung iiber eine Sexte, Septime oder ein vermin-
dertes oder iibermaBiges Intervall (*), fur den Bernhard
folgendes Beispiel gibt :
und dein Hertz falsch, falsch ge-we-sen ist.
Lit. : W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik, Ber.
iiber d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950, Neudruck in: Mg. u.
Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 1966; H. H. Eoge-
brecht, Zum Figur-Begriff d. Musica poetica, AfMw
XVI, 1959.
Pasticcio (past'ittjo, ital., Pastete) ist die Bezeichnung
fur die im Opernbetrieb des 18./19. Jh. sehr beliebten
»Flickopern«, PseudonOvitaten, zusammengestellt aus
bekannten Arien, Duetten oder groBeren Werkteilen
eines oder verschiedener Komponisten, die einem neuen
Libretto angepaBt wurden. So schrieb J. Chr. Pepusch
die Rezitative und bearbeitete Arien von A. Scarlatti,
G.Bononcini, Steffani, Gasparini und Albinoni fur
Thomyris, Queen ofScythia (London 1707, Libretto von
P.A.Motteux). Von diesem P. im engeren Sinne zu
unterscheiden sind: 1) Auffuhrungen, bei denen meh-
rere selbstandige Werke unter einem Gesamttitel zu-
sammengefaBt sind, z. B. Der Beschluss des Carnevals
(Hamburg 1724), bestehend aus der Entree La Turquie
aus Campras V Europe galante (1697), der Komodie
(ohne Musik) Lafille capitaine von Montfleury sowie
der neu komponierten deutschen komischen »operette«
II capitano von Telemann; 2) Werke, bei denen von
Anfang an mehrere Komponisten zusammenarbeiten.
Hierher gehort z. B. II Muzio Scevola (London 1721, je
ein Akt von F. Mattei, G.Bononcini und Handel), in
neuerer Zeit etwa J. Cocteaus Ballett Les maries de la
Tour Eiffel (Paris 1921) mit Musik von den -> Six. Die-
se Form der Zusammenarbeit findet sich gelegentlich
audi bei geistlichen Werken, z. B. in dem Oratorium
Die Schuldigkeit des ersten Gebots (Salzburg 1766/67,
Musik von Adlgasser, M.Haydn und W.A.Mozart,
K.-V. 35), haufiger in Instrumentalkompositionen wie
der FAE-Sonate fur V. und Kl., die R.Schumann (2
Satze), J.Brahms und A. Dietrich (je ein Satz) 1853 fur
J.Joachim schrieben. Wird schon in diesen Fallen die
Bezeichnung P. besser vermieden, so ist ihre Ubertra-
gung auf die Klaviermusik des 16.-18. Jh. vollends
fragwiirdig, zumal weitgehend ungeklart ist, wie dort
die Variationsreihen mit Satzen verschiedener Verfas-
ser entstanden sind.
Lit.: O. G. Th. Sonneck, Miscellaneous Studies in the
Hist, of Music, NY 1921 ; M. Reimann, P. u. Parodien in
norddeutschen Klaviertabulaturen, Mf VIII, 1955; dies.,
Ein ital. P. v. 1609, Mf XIX, 1966; J. W. Grubbs, Ein Pas-
sions-P. d. 18. Jh., Bach-Jb. LI, 1965.
Pastorale (ital.), Hirtenstiick, Schaferspiel. Idyllische
Szenen mit landlichem Kolorit schrieb in der antiken
Dichtung zuerst Theokrit (um 270 v. Chr.). Die zehn
Eklogen, in denen Vergil (j 19 v. Chr.) das Hirtenle-
ben idealisierte und zum Gegenbild der ihn umgeben-
den aristokratisch-grofistadtischen Gesellschaft erhebt,
wurden Vorbild fur die Eklogen und Bucolica Petrar-
cas, Boccaccios (Ninfale d'Ameto, 1348), J.Sannazaros
(Arcadia, 1481). Bei den Trobadors und Trouveres wei-
sen die Bezeichnungen Pastorita und -> Pastourelle auf
den Textinhalt der Lieder, nicht aber auf ihre musikali-
sche Form. Vielfaltig sind die bukolischen Motive in
festlichen Spielen und Aufziigen, in der ->■ Frottola,
der -> Villanella und im -> Madrigal, das im England
der Elisabethanischen Zeit von Byrd noch Pastoral
(Sonnets and Pastorals, 1588) und erst von Morley 1594
Madrigal genannt wurde. Mit Tassos Aminta (1573) be-
gann das schaferliche Sprechdrama, das groBenEinfluB
auf das -> Libretto der italienischen Pastoraloper ge-
wann. In den Anfangen der italienischen Oper traten
zu den Schafern und Nymphen des Pastoraldramas
mythologische Figuren der altgriechischen Sage. Diese
Stoffe, vor allem »Daphne« und »Euridike« wurden bis
ins 20. Jh. wiederholt vertont, so »Daphne« von Peri und
Caccini (1 598) , M. da Gagliano (1 608) , Schiitz (1 627) , Fr.
Cavalli (1640), P.Fr.Valentini (1654), Fux (1719), J.-
Ph. Rameau (1753), F. le Borne (1885), R. Strauss (1938)
u. a. Daneben entstand eine Fiille weiterer Pastoral-
opern, zu denen auch II Re pastore von Gluck (1756)
und die gleichnamige Oper von Mozart (1775) geho-
ren. - Auch in Frankreich, wo Themen aus dem Stoff-
kreis der Hirtendichtung bereits in Chansons und Bal-
letten (Ballet des quatre saisons, 1603) zu finden sind,
setzten friihe Opernversuche beim Pastoraldrama ein
(Dassoucy, Lieder f iir Les amours d'Apollon et de Daphne,
1650; R.Cambert, La p. d'Issy, 1659). Pastoralopern
schrieben u. a. J.-B.Lully und J.-Ph. Rameau. Rous-
seaus landliches Singspiel Le devin du village (1752)
wurde von Mozart 1768 als Bastien und Bastienne ver-
tont. - Im Deutschland des 17. Jh. regte die Schafer-
poesie zu zahlreichen weltlichen (J. H. Schein, Waldlie-
derhin, 1621 ; Th. Selle, Deliciae pastorum Arcadiae, 1624,
wit amoureusischen Textlein gezierte Pastorellen; A.Krie-
ger, P.Meier u. a.) und geistlichen (Laurentius von
Schniif fis) Madrigal- und Liedkompositionen an. Auch
eine Reihe von Opern pastoralen Charakters entstand
nach der Dafne (1627) von Schiitz, u. a. G. Ph. Hars-
713
Pastorale
dorffers Das geistliche Waldgedicht, oder Freudenspiel, ge-
nant Seelewig (1644) mit der Musik von S.Th.Staden,
J.Ph.Kriegers Der kgl. Schdfer oder Basilius in Arcadien
(1696), Handels II pastor fido (1712, nach Guarini). Im
deutschen Sololied finden sich Pastorellen z. B. bei J.
Haydn (An Thyrsis), W.A.Mozart (vDaphne, deine Ro-
senwangen«, K.-V. 52; Das Veilchen, K.-V. 476), auch
bei Schubert und Wolf. - Die P. der Instrumentalmu-
sik (ebenso die Pastoralmesse) hat ihren Ursprung im
weihnachtlichen Musizieren der Pifferari (-»• Piffero).
Ein friihes Beispiel fur die Verwendung einer solchen
Hirtenweise bietet Marenzio (1581). Merkmale dieser
P., die ahnlich auch in der Sonata p. von F.Fiamengo
und in vielen anderen P.n zu finden sind, sind Terzen-
melodik, BordunbaB und Sicilianorhythmus. Concerti
grossi um die Wende des 16./17. Jh. schheBen vielfach
mit Satzen, die auf das Weihnachtsfest abgestimmt und
oft als P. bezeichnet sind (Corelli, Locatelli, Manfredi-
ni, Schiassi, Torelli u. a.). Die vielen P.n in Weihnachts-
konzerten und die Verwendung von Weihnachts- und
Hirtenliedern als Grundlage von P.n (D.Bollius, P. nel
nascimento di Christo supra Joseph Heber Joseph mein, vor
1628) zeigen deutlich die Herkunft der instrumentalen
P. vom weihnachtlichen Musizieren. Daneben stehen
instrumentale P.n, die auf das galante Schaferwesen
Bezug nehmen, z. B. das Concerto p. von J. Chr. Petz so-
wie das Concerto La Pastorella und II pastor fido (6 Sona-
ten, gedruckt Paris 1737) von Vivaldi. P.n fur Tasten-
instrumente komponierten u. a. D. Scarlatti, Fr. Coupe-
rin (Pastourelle, 1713), Frescobaldi, Kerll (im Capric-
cio Der steyrische Hirt), Gottlieb Muff at, V.Rathgeber
und J.S.Bach (P. F dur fur Orgel, BWV 590). - Das
Vorkommen von P.n in Oratorium und Messe kon-
zentriert sich auf Kompositionen fur die Weihnachts-
zeit und veranschaulicht, zumeist in instrumentalen
Satzen, das Musizieren der Hirten zu Bethlehem, z. B.
in den Weihnachtsoratorien von Schiitz und Bach und
in den weihnachtlichen Pastoralmessen (Abbe Vogler,
Diabelli usw.). Geistliche Chore und Arien pastoralen
Charakters, in denen Christus als der gute Hirte darge-
stellt wird, gibt es auch in Kantaten (J. S. Bach, Du Hir-
te Israel, BWV 104) und Oratorien (Handel, Messiah).
- Symphonische Werke oder Einzelsatze p.n Charak-
ters finden sich u. a. bei Gossec (Suites de Noel), Chr.
Cannabich, I.v.Beecke, Toeschi, Berlioz (Seine aux
champs aus der Symphonie fantastique), Honegger (P.
d'hi, 1920), Vaughan Williams (Pastoral Symphony,
1922). Beethovens Sinfoniap. op. 68 (auf f. 2 des Lon-
doner Skizzenbuchs bezeichnet als: Sinfonia caracteri-
stica oder Erinnerung an das Landleben) steht in der Tra-
dition ahnlicher Pastoralsymphonien, die z. B. J.H.
Knechts Programmsymphonie Le portrait musical de la
nature ou grande simphonie (um 1784) belegt. -> Pro-
grammusik.
Lit. : J. Marsal, La p. dramatique en France a la fin du
XVI e et au commencement du XVIP s., Paris 1906; L. de
La Laurencie, Les p. en musique au XVII e s. en France
avant Lully et leur influence sur l'opera, Kgr.-Ber. London
1911; A. Sandberger, Zu d. geschichtlichen Vorausset-
zungen d. Pastoralsinfonie, in: Ausgew. Aufsatze zur Mg.
II, Munchen 1924; M. Delbouille, Les origines de la
pastourelle, = Memoires publics par l'Acad. royale de
Belgique, Classedes lettres ... II, 20, Brussel 1926; E. Pi-
guet, L'evolution de la pastourelle du XII e s. a nosjours,
= Schriften d. Schweizerischen Ges. f. Volkskunde XIX,
Basel 1927; W. Powell Jones, The Pastourelle, Cam-
bridge (Mass.) 1931 ; H. Engel, Das Instrumentalkonzert,
= Fuhrer durch d. Konzertsaal III, Die Orchestermusik I,
3, Lpz. 71932 ; E. G. Carnap, Das Schaferwesen in d. deut-
schen Lit. d. 17. Jh., Wurzburg 1939 ; G. Fr. Schmidt, Die
fruhdeutsche Oper u. d. mus. Kunst G. C. Schurmanns II:
Die Pastoral-Opern, Regensburg 1943; H. W. Hamann,
Zu Beethovens Pastoral-Sinfonie, Mf XIV, 1961 ; Beetho-
ven, Ein Skizzenbuch zur Pastoralsymphonie op. 68 . . . ,
hrsg. v. D. Weise, = Veroff. d. Beethovenhauses in Bonn,
N. F., 1. Reihe, 2 Bde, Bonn 1961.
Pastourelle (pastur'el, frz. ; prov. pastorela, pastorita),
eine der dialogischen Formen der Trouverelyrik, in
der der meist ritterliche Dichter um die Liebe einer
landlichen Schonen wirbt. Der Ursprung der P. geht
ins 11. Jh. zuriick; sie wurde auch von den Trobadors
gepflegt. ->■ Pastorale.
Lit.: M. Delbouille, Les origines de la p., = Memoires
publics par l'Acad. royale de Belgique, Classe des lettres . . .
II, 20, Brussel 1 926 ; E. Piguet, L'evolution de la p. du XIP
s. a nosjours, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f. Volks-
kunde XIX, Basel 1927.
Pater noster (lat., Vater unser), das Gebet des Herrn
(Oratio Dominica). Seine in alien christlichen Litur-
gien gebrauchliche Textgestalt beruht auf Matth. 6,
9-13 (kurzere Fassung bei Luk. 11, 2-4). Zunachst als
privates Gebet der Glaubigen bezeugt, laBt sich das P.
n. seit dem ausgehenden 4. Jh. auch im offentlichen
Gottesdienst der Kirche nachweisen. Innerhalb der ro-
mischen MeBfeier erhielt es durch Gregor den GroBen
seinen liturgischen Ort zwischen Kanon und Kommu-
nion. Im romischen und mailandischen MeBritus ist
ihm eine - mit dem P. n.-Gesang melodisch verkniipf-
te - kurze Einleitungsf ormel des Priesters vorangestellt.
Wahrend das P. n. in fast alien orientalischen Kirchen
und im altgallikanischen Ritus vom Volk gesungen
oder laut rezitiert wurde, oblag der'Vortrag in den
abendlandischen Liturgien dem zelebrierenden Prie-
ster, wobei die Gemeinde die SchluBbitte ausfiihrte
(romisch-frankischer Bereich) oder die einzelnen Bit-
ten durch (Amen-)Akklamation bestatigte (altspani-
sche Liturgie). Um seine Bedeutung als Gebet der gan-
zen Gemeinde sinnfallig zu machen, darf das P. n. neu-
erdings wahrend der romischen MeBfeier auBer in der
bisher ublichen Form gemeinsam von Priester und
Volk (auch in der Muttersprache) rezitiert oder gesun-
gen werden (Melodien fiir den lateinischen Text im
Kyriale simplex, Editio typica 1965). Ebenso wird der
nachf olgende Embolismus (Weiterf iihrung der letzten
Vaterunser-Bitte) in Anlehnung an die - im mailandi-
schen und altspanischen Ritus stets bewahrte - altere
Praxis wieder laut durch den Priester vorgetragen (To-
nus Embolismi siehe in: Cantus qui in Missali Romano
desiderantur iuxta Instructionem . . . ordinandam, Editio
typica 1965). - Im Unterschied zur altspanischen und
mailandischen P. n.-Singweise (abgedrucktbeiP. Wag-
ner III, 58ff.), deren sehr einfache psalmodische Struk-
tur sich auf eine 2teilige Melodieformel mit Tenor a,
eigener Mittel- und SchluBkadenz griindet (zu denen
im mailandischen P. n. als weiteres Merkmal das In-
itium f-g kommt), sind die romischen Melodien weit-
aus reicher entwickelt, weil offensichtlich fiir den Solo-
gesang des Priesters bestimmt. Ihre Gestalt wird durch
die Verwendung von 2 Tenores charakterisiert; da-
bei bleibt der hohere Tenorton prinzipiell an die erste
Melodieperiode gebunden. Die lesbare Aufzeichnung
romischer P. n.-Singweisen setzt im 11. Jh. ein (mit
Siiditalien als Schwerpunkt). - Dem traditionellen
Strom zahlreicher Quellen folgend bietet auch das Mis-
sale Romanum eine feierliche und eine f eriale Melodie.
Letztere stellt (nach Stablein) eine vereinfachte Fassung
der alteren feierlichen Singweise dar und findet sich
erstmals um die Mitte des 12. Jh. im Kartauserorden. -
Im romischen Stundengebet wurde das P. n., abge-
sehen von -*■ Matutin und -> Prim, durch die Brevier-
reform von 1955 auf die Fiirbitten (Preces) von Laudes
und Vesper bestimmter Wochentage in Advent, Qua-
dragesima und Quatember beschrankt, wogegen das
monastische Offizium es in alien Horen beibehalten hat.
714
Pauke
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; J. A. Jungmann SJ, Beitr. zur Struktur d. Stunden-
gebetes, in: Liturgisches Erbe u. pastorale Gegenwart,
Innsbruck, Wien u. Munchen 1960; ders., Missarum Sol-
lemnia II, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; Br. Stab-
lein, Artikel P. n., in : MGG X, 1962. KWG
Patet, in der javanischen Musik melodische Modi, die
bestimmt sind durch die Zugehorigkeit zu einer Ton-
leiter (-* Slendro oder -> Pelog) sowie durch melodi-
sche Grundformeln, die im -*• Gamelan von den Ba-
lungan-Instrumenten gespielt werden. In Pelog und
Slendro sind je 3 P. nachgewiesen; jeder von ihnen ist
bestimmten Stunden des Tages und der Nacht zuge-
ordnet sowie einer der 3 Abschnitte der Wayang-
Nacht mit ihren Puppenspielen, die am friihen Abend
beginnen und bis zum Morgengrauen dauern. Slendro
wird fiir die dem hindu-javanischen Sagenkreis ent-
stammenden Stoffe Mahabharata und Rdmdyana ver-
wendet, die mit flachen Lederpuppen gespielt werden
(wayang purwa). Pelog ist dem bodenstandigen java-
nischen Pandji-Zyklus zugehorig, der mit flachen hol-
zernen Puppen (wayang gedok) gespielt wird. Uber-
gange von einem P. zu einem anderen sind in Slendro
moglich, seltener in Pelog; moglich sind auch Uber-
gange von Slendro zu Pelog, kaum jedoch umgekehrt.
Die Definitionen einheimischer Musiker fiir P. sind
nicht einheitlich; so heiBt es, P. sei »das Bett der Melo-
dies oder in anderer Definition: alle Lei tern, die den-
selben Zentralton haben, bilden zusammen ein P.;
oder: P. sei das Praludieren auf einem Instrument nach
gewissen Regeln, wonach die Art des zu spielenden
Stuckes deutlich werde.
Lit. : M. Hood, The Nuclear Theme as a Determinant of P.
in Javanese Music, Groningen u. Djakarta 1954.
pathetique (patet'ik, frz.), patetico (ital.), leiden-
schaftlich, scharf rhythmisiert und mit starken Akzen-
ten vorzutragen (-> Grave). Beethovens Klaviersona-
te C moll op. 13 (komponiert 1798-99) heiBt in der
Originalausgabe (Herbst 1799, das Autograph ist ver-
schollen) Grande Sonate p. . . . ; Liszt schrieb 1856 ein
Concert p. fiir 2 Kl., Tschaikowsky nannte (auf Anre-
gung seines Bruders) seine 6. Symphonie op. 74 (1893)
Symphoniep. Sinnverwandt ist -»■ appassionato.
Pathopoija,Pathopoeia (griech.,Erregung derLei-
denschaften), in der Kompositionslehre des 17. Jh. die
aus der Rhetorik entnommene Bezeichnung fiir eine
musikalische Figur: die Einfuhrung von Halbtonen,
die nicht zur Tonart des Stuckes gehoren. In der Rhe-
torik ist die P. affectuum varietas, quae a circumstantiis,
sexu, tempore, locis, personis et aetatibus petitur (Lossius).
Die musikalische Figur der P. nennt Burmeister (1606)
apta ad affectus creandos und gibt als Beispiele fiir ihre
Verwendung Textstellen an, bei denen Worter wie
»miserere«, »dolor«, »flebant« hervorgehoben werden.
- Bernhard bezeichnet die gleiche musikalische Er-
scheinung als -»■ Passus duriusculus.
Pauke (mhd. puke; ital. timpano, von griech. tuu-tox-
vov; frz. timbale; span, timbal; engl. kettledrum), das
wicha'gste Schlaginstrument im Orchester, ein Mem-
branophon, das aus einem Kessel von annanernd halb-
kugeliger (heute meist parabolischer) Form, einer iiber
die Offnung des Kessels gespannten Membran und ei-
ner Spannvorrichtung besteht. Durch Veranderung der
Spannung kann die P. auf verschiedene Tone einge-
stimmt werden. Der als Resonator dienende Kessel be-
steht fast immer aus Kupferblech; der Grund fiir dessen
Bevorzugung war zunichst, daB es sich leicht hammern
laBt. Doch haben sich Kessel aus Messing, Stahl, Alu-
minium, Holz oder Plexiglas aus klanglichen Griinden
ebensowenig bewahrt wie die kessellosen P.n von A.
Sax (Patent 1862). In der Mitte des Kesselbodens befin-
det sich ein Schalloch von ca. 3 cm . Die Membran
besteht meist aus gegerbtem Kalbfell (nach der Bear-
beitungsmethode werden Glasfell und Kalkfell unter-
schieden) ; Membranen aus Plastik oder Nylon, die ge-
geniiber Witterungseinfliissen unempfindlicher sind,
haben die klanglichen Vorziige der Tierfelle nicht er-
reichen konnen. Die Membran ist auf dem Fellwickel-
reif en bef estigt. Die Spannvorrichtung besteht aus dem
iiber den Fellwickelreifen gelegten Felldruckreif en und
aus (je nach der GroBe der Membran) 6 oder 8 Spann-
schrauben. Die Schraubenmechanik, die altere Schniir-
Spannvorrichtungen ersetzte, laBt sich in deutschen
Quellen bis Anfang des 16. Jh. (Virdung 1511) zu-
riickverfolgen. Fruner wurden die Spannschrauben
mittels eines Stimmschliissels (Paukenspanner) gedreht;
heute ist entweder an den Spannschrauben ein Flii-
gelgriff (Knebel) angebracht, oder die Spannung wird
bei festsitzenden Spannschrauben durch Fliigelmuttern
reguliert. Im Orchester wird die Schrauben-P. meist
durch P.n mit zentraler Umstimmvorrichtung (Ma-
schinen-P.) ersetzt. Nach der Konstruktion der Stimm-
mechanik sind folgende Typen der Maschinen-P. zu
unterscheiden: 1) Kurbel- oder Hebel-P., bei der die
Spannung des Fells durch eine Hauptschraube iiber
einen Hebelmechanismus verandert wird (1812 von
dem Miinchner Hofpauker G.Kramer konstruiert) ;
2) Dreh-P., die zum Umstimmen im ganzen auf einer
Zentralschraube gedreht werden muB (J. C. N. Stumpff
1821 in Amsterdam); der Drehmechanismus kann sich
sowohl im Innern der P. als auch auBerhalb befinden;
3) Pedal-P., deren Umstimmung durch ein Pedal in
kiirzester Zeit erfolgen kann. Von dem Pedal, das in
festgelegte Stellungen einrastet, wird die Kraft auf den
Felldruckreifen durch ein System von Zugstangen
iibertragen, die auBen oder im Innern der P. verlau-
fen; auBerdem kann die Stimmung durch eine Fein-
einstellung (Handrad) korrigiert werden. Der von den
Instrumentenbauern Gautrot in Paris (1855) und C.
Pittrich in Dresden (um 1872) konstruierte Pedalme-
chanismus hat einen Vorlaufer in der Timbale chro-
matique (Henri Brod, Anfang des 19. Jh. in Paris), ei-
ner P., die auf einem rechteckigen Holzkasten mit 7
Harfenpedalen zum Umstimmen montiert war.
Der Tonumf ang der P. umfaBt etwa eine Sexte, doch
wird er nicht ausgenutzt, da sich die Umf ange der ein-
zelnen P.n iiberschneiden. Im Orchester werden heute
folgende P.n-Typen verwendet (der angegebene Ton-
umfang laBt die nur bedingt brauchbaren Randtone
unberucksichtigt) : BaB-P. (0 75-80 cm), D-H; GroBe
oder G-P. (0 65-70 cm), E-c ; Kleine oder C-P. (0 60-
65 cm), A-fis; Hohe oder F-P. (0 55-60 cm), c-gis;
H-P. (0 45-50 cm), g-ci; Sopran-P. (0 20-30 cm),
a!-d2. F-, G- und H-P. werden nach dem mittleren Ton
ihres Tonumf angs benannt..Die P.n in C und G wur-
den bis etwa 1800 wie -> Transponierende Instrumente
notiert (z. B. bei Bach, Haydn und Mozart; bei J.-B.
Lully und Handel dagegen sind die real erklingenden
Tone notiert). Die klangreale Notation, die vor 1800
auBerdem bei Verwendung von drei und mehr P.n iib-
lich war, hat sich seitdem durchgesetzt. - Die P. wird
durch Anschlagen der Membran mit einem oder zwei
Schlageln zum Klingen gebracht; die Anschlagstellen,
Schlagflecken genannt, wechseln je nach P.n-Typ und
Klangerfordernissen, jedoch liegt der beste Schlagfleck
etwa eine Handbreit vom Rand des Fells entfernt. Der
P.n-Ton setzt sich aus Anschlag- und Resonanzton
(Nachklang) zusammen. Durch den Anschlag wird die
eingeschlossene Luft des Kessels plotzlich in Schwin-
gung versetzt. Die genaue Fixierung des Schwingungs-
715
Pauke
beginns ermoglicht die Verwendving der P. als rhyth-
misches und akzentgebendes Instrument. Werden viele
Schlage schnell hintereinander ausgefiihrt (Wirbel), so
entsteht ein fortdauernder Ton durch konstante Reso-
nanzschwingung im Kessel. Die Intensitat der einzel-
nen Wirbelschlage kann dabei so reduziert werden,
dafi das Schlaggerausch bis auf ein Minimum be-
schrankt ist und der Resonanzton iiberwiegt.
Von den zahlreichen Spielmanieren und -techniken des
17.-19. Jh. (einfacher und doppelter Kreuzschlag, ge-
schleppte und halbe Zunge, Miihlschlag, einfacher bis
funffacher Schlag) sind heute im Orchester nur noch
die folgenden von Bedeutung, wobei der P.r im we-
sentlichen mit 5 verschiedenen -> Schlagel-Arten aus-
kommt: 1) EinzelschlSge; 2) einfache Kreuzschlage
rechts (r) und links (1), in moderner Spiel technik nur bei
Triolenbewegung angewendet; der Ausdruck bezieht
sich auf das Kreuzen der Arme, wenn die rechtsstehen-
de GroBe P. mit der linken Hand geschlagen wird und
umgekehrt; 3) Wirbel in alien dynamischen Abstufun-
gen (falschlich als tr~~ notiert, da eigentlich ein Tre-
molo gespielt wird) ; 4) Wirbel auf 2 P.n, Doppelwirbel
genannt (im 19. Jh. auch fiir die Schlagfolge rrllrrll . . .
gebrauchlich) ; 5) Paradiddle, onomatopoetische Be-
zeichnung fiir eine von der amerikanisch-englischen
Trommeltechnik iibernommene Schlagmanier, die ge-
gebenenfalls Kreuzschlage erspart; die Abfolge der
Schlage ist dann etwa lrll rlrr . . . ; 6) Ubergangswirbel:
Wirbelkette auf zwei und mehr P.n, bei der das Uber-
springen von einem Ton zum anderen moglichst ohne
Unterbrechung auszufiihren ist; 7) Abschlag: ein kur-
zer und betonter Schlag am Ende eines Wirbels, der
mit der Hand abgedampft wird; 8) verschiedene Arten
der Vor- und Doppelschlage; 9) DSmpfen der P. er-
folgt mit Hilfe eines Tuches, das etwa die Halfte des
P.n-Fells bedeckt (->■ coperto) ; der Schlagfleck bleibt
in jedem Fall frei. Der Klang wird dunkel und dumpf.
Die Aufhebung der Dampfung wird durch scoperto
gefordert. Im Unterschied zur Dampfung bedeutet Ab-
dampfen, daB nach einem kurzen Schlag die Schwin-
gungen des vibrierenden Fells mit den gespreizten Fin-
gern der Hand unterbrochen werden (-»- etouffe);
10) Glissando: eine besondere Spielmanier, die nur auf
der Pedal-P. ausfiihrbar ist, und zwar als Nachklang-
glissando (die P. wird unmittelbar nach dem Anschlag
umgestimmt) und als Wirbelglissando (die P. wird
wahrend eines Wirbels umgestimmt; dabei ist rhyth-
mische Gliederung moglich). Voraussetzung fiir das
Glissando ist vollige dynamische und rhythmische
Gleichheit der Schlage.
Die P. ist orientalisch-asiatischer Herkunft und kam
durch die Kreuzziige spatestens im 13. Jh. ins Abend-
land, zunachst unter verschiedenen, an arabische In-
strumentennamen angelehnte Bezeichnungen; z. B.
wurde arabisch atbal (oder tubul ; Plur. von -* tabl) zu
altspan. atabal und altfrz. atabale (davon beeinflufk frz.
timbale). Zu Anfang des 14. Jh. begegnet in Italien
naccherone (von arabisch naqqara) und in Frankreich
-> nacaire als Name fiir die P. 1384 ist die P. in der her-
zoglichen Kapelle Philipps des Kiihnen von Bergamo
nachgewiesen. Die mittelalterlichen Instrumente waren
bedeutend kleiner (0 der Membran um 30 cm) und
leichter als die moderne P., so daB sie am Giirtel getra-
gen werden konnten; aufierdem wurde die Fellspan-
nung durch Schniirung bewirkt. Die groBe Form der
Kessel-P. ist zum erstenmal 1457 gelegentlich einer un-
garischen Gesandtschaft Konig Ladislaus' an Karl VII.
in Nancy nachweisbar und erregte Bewunderung und
Erstaunen. In Deutschland wurde die groBe Kessel-P.
erst um 1500 bekannt, die - meist von einem Reiter ge-
spielt - vorwiegend im militarischen Bereich zur An-
wendung kam (meist als Tympanum oder Heer-P. be-
zeichnet ; vgl . Virdung 1511, nach ihm auch Praetorius
Synt. II, S. 77). Der groBere Durchmesser bedingte ei-
ne starkere Spannung der Membran und das Aufkom-
men der Schraubenmechanik. Die Kupferstichfolge
Kayser Maximilians I. Triumph (1518 von Jorg Kolderer,
Hans Burgkmaier u. a.) dokumentiert die Zuordnung
der Trompeter und P.r zum Ritterstand (im Unter-
schied zu den Trommlern und Pfeifern der Lands-
knechte; ->■ Spielleute - 2). Auch Bilddarstellungen
vom Anfang des 16. Jh. (L. Cranach, Holzschnitt eines
Turniers, 1509; A. Diirer, Ehrenpforte Maximilians, 1515)
bestatigen diese gehobene soziale Stellung der P.r
(vgl. auch J. Amman, Eygentliche Beschreibung alter Stan-
deaufErden, Frankfurt am Main 1568; H.Holbein d.J.,
Totentanz, um 1525). Die Mitglieder der -> Zunft der
Trompeter und P.r waren im Rang einem Offizier
gleichgestellt; u. a. war festgelegt, an wie vielen Feld-
ziigen die Zunf tmitglieder teilgenommen haben muB-
ten. Durch die Freiheitsbriefe und Konfirmationen der
deutschen Kaiser in ihren Privilegien immer wieder be-
statigt, verbreiteten sichim 16. Jh. die Ziinfte der Trom-
peter und P.r uber ganz Europa; 1810 wurde eine der
letzten noch bestehenden Ziinfte (Kameradschaften) in
PreuBen aufgelost (vgl. G. Avgerinos 1964). Eine nahe-
zu akrobatische Schlagtechnik war fiir die P.r des 17./
18. Jh. bezeichnend. In der Hauptsache wirkten sie bei
den -»■ Signalen und Feldstiicken mit, stets zusammen
mit den Trompeten. Eine zusammenfassende Darstel-
lung der gesamten P.r-Kunst und ihrer Ziinfte gab
1795 J.E.Altenburg, der Sohn eines Hoftrompeters.
Ihre Stellung als wichtiges Instrument der -> Militar-
musik, bevorzugt vor allem von der Kavallerie, be-
hielt die P. bis ins 20. Jh.
Noch zu Anfang des 17. Jh. waren die P.n (wie alle
Schlaginstrumente) von untergeordneter Bedeutung
fiir die Orchestermusik. Was sie zu spielen hatten, wur-
de nicht notiert, sondern in kurzen, allgemeinen An-
weisungen niedergelegt (vgl. Praetorius Synt. Ill, S.
171 ; eine Ausnahme ist die fixierte P.n-Stimme in der
53st. Salzburger Festmesse von Benevoli). Erst in den
Werken J.-B.Lullys, H.Purcells, J.S.Bachs und Han-
dels wurden sie mit wichtigen, durch die Notation fest-
gelegten Aufgaben betraut und damit in die Instru-
mentation einbezogen. Sie waren zunachst meist ein-
fach, in wenigen Fallen auch schon doppelt (d. h. mit
4 P.n) besetzt und verblieben noch in der traditionellen
Bindung an die Trompeten (Mannheim, Salzburg,
Wien; vgl. Carse 1940). - Bis zu Beethoven wurden
die P.n gewohnlich paarweise in der Stimmung Toni-
ka-Dominante gebraucht. Einige friihe Beispiele fiir
die Verwendung von mehr als 2 P.n bieten die Or-
chesterwerke Chr. Graupners (z. B. eine Sinfonia mit 6
obligaten P.n, 1747). Im 19. Jh. wurden haufiger 3
(Meyerbeer, Robert le diable, 1831 ; Tschaikowsky, »Ro-
meo und Julia«, 1869) und 4 P.n gefordert (Berlioz,
Symphonie fantastique, 1830; R.Wagner, Der Ring des
Nibelungen, 1853-74; Mahler, 7. Symphonie). Die 16
P.n des Tuba mirum aus der Grande messe des morts (1837)
von Berlioz bilden eine Ausnahme. - Veranderungen
der Grundstimmung forderte zuerst Beethoven: A-es
(Fidelio), A-f (8. Symphonie), F-f (8. und 9. Sympho-
nie). Ihm schlossen sich in der Folge fast alle Kompo-
nisten an, so Wagner im Vorspiel zum 2. Akt des Sieg-
fried (Fis-c), CM. v.Weber im Freischiitz (A-c). Die
Erfindung der Ventile an den Blechblasinstrumenten
und die damit verfiigbaren Moglichkeiten der Modu-
lation in entferntere Tonarten verlangte auch vom P.r
schnelleres Umstimmen, was erleichtert wurde durch
die Erfindung der Maschinen-P.n (Hebel-P., Dreh-
kessel-P.). Doch erst mit der Pedal-P. waren die tech-
716
Pause
nischen Voraussetzungen geschaffen, daB auch schwie-
rigste Partien gemeistert werden konnten (Mahler, 7.
Symphonie, 1905, Finale; Ravel, Rapsodie espagnole,
1907; Wellesz, Alkestis, 1924; Bartok, Musikfiir Sai-
teninstrumente, SchlagzeugundCelesta, 1936; Orff, Trion-
fo di Afrodite, 1953). Ebenso wurde dadurch die thema-
tische Verwendung der P.n (R. Strauss, Salome, 1903)
wie auch ihr Einsatz als Soloinstrument moglich (O.
Gerster, Capriccietto fur 4 P.n und Streichorch., 1936;
Franco Donatoni, Concertino fiir Streicher, Blechblaser
und P.n solo, 1952; Werner Tharichen, Paukenkonzert
op. 34, 1954; A. Tscherepnin, Sonatina fiir P. und Kl.).
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), hrsg. v:
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass., Faks.
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; M. Mersenne, Harmonie
universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Pa-
ris 1963 ; J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur
heroisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795,
NA Dresden 1911, Nachdruck Bilthoven 1966; C. A. Bo-
racchi, Manuale del timpanista, Mailand 1842; G. Kast-
ner, Methode complete et raisonnee de timbales, Paris
(1845);E. Pfundt, Die P., Eine Anleitung ...,Lpz. 1849,
2 1880 hrsg. v. F. Hentschel, erweitert v. H. Schmidt 31894;
C. Fr. Reinhardt, Der Paukenschlag. Eine Anleitung . . . ,
Erfurt 1849; G. Fechner, Die P. u. Trommeln in ihren
neueren u. vorzuglicherenKonstruktionen, = Neuer Schau-
platz d. Kunste u. Handwerke CXL, Weimar 1862; A.
Deutsch, Pauken-Schule . . . , Lpz. (1 895) ; G. Schad, Mu-
sik u. Musikausdriicke in d. mittelengl. Lit., Diss. GieBen
1910; ders., Zur Gesch. d. Schlaginstr. auf germanischen
Sprachgebiet bis zum Beginn d. Neuzeit, in: Worter u.
Sachen VIII, 1923; H. Knauer, Schlaginstr., in: E. Teu-
chert, Musik-Instrumentenkunde in Wort u. Bild III, Lpz.
1911 ; ders., Paukenschule, neubearb. v. G. Behsing, Lpz.
1955; C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indonesiens,
Bin 1915; ders., The Hist, of Mus.Instr.,NY(1940); Sachs
Hdb. ; J. Baggers, Les timbales, le tambour et les instr. a
percussion, in: A. Lavignac u. L. de La Laurencie, Encyclo-
pedic de la musique II, 3, Paris 1926; P. R. Kirby, The
Kettle-Drums: An Hist. Survey, ML IX 1928; ders., The
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schlagens, Augsburg u. Wien 1930 ; Fr. Dick, Bezeichnun-
gen f. Saiten- u. Schlaginstr. in d. altfrz. Lit., = GieBener
Beitr. zur romanischen Philologie XV, GieBen 1932; S.
Goodman, Modern Method for Tympani, NY 1948; A.
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Nachdruck 1950; H. G. Farmer, Handel's Kettledrums
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Galpin Soc. Journal IX, 1956 ; L. Torrebruno, II timpano
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Lexikon d. P., = Fachbuchreihe Das Musikinstr. XII,
Ffm. (1964); H. Tobischek, Die P., Ihre spiel- u. bautech-
nische Entwicklung in d. Neuzeit, 2 Bde, Diss. Wien 1965,
maschr. — ► Instrumentation.
Pause (von griech. ■Ka.&sa&a.i, aufhoren; lat. silentium
oder pausa; ital. pausa; frz. silence oder p.; engl. si-
lence oder rest), das zeitweilige Schweigen einzelner
oder aller Stimmen eines Satzes. - In der antiken Me-
trik konnten unregelmaBige Verse durch Annahme
von P.n als Sonderform eines langeren regelmaBigen
VersmaBes erklart werden. Einzelne Andeutungen die-
ser Lehre finden sich bei Aristeides Quintilianus (I, 18)
und dem Anonymus Bellermann (97ff.) ; beide kennen
als Zeichen fiir die P. (xevo£ XP^ V0< ?> leere Zeit) das
Limma A (mit Zusatzzeichen fiir P.n 2-4f acher Lange).
Eine ausf iihrliche Behandlung des Silentiums in der Me-
trik und seiner Beriicksichtigung beim Vortrag bringt
Augustinus (De musica III, 8, 16ff., und IV, 13, 16ff.),
der auch P.n zulaBt, die nicht durch das Metrum vorge-
zeichnet sind (silentia vohntaria; IV, 15, 29). Die Neu-
menschrift und die Choralnotation haben keine Zei-
chen fiir die P. ; doch kennt die spatere Choralnotation
Teilstriche zur Markierung von Hauptabschnitten der
Melodie. Die mehrstimmige Musik iibernahm zu-
nachst diescn Teilstrich (->- Suspirium) als Zeichen fiir
eine kurze P. unbestimmter Lange. In der Mensural-
notation ergab sich dann die Notwendigkeit, das Prin-
zip der Zeitmessung auch auf die P. zu iibertragen.
Dementsprechend erklart Franco von Koln die P. als
vox amissa (im Gegensatz zur vox prolata, dem gesun-
genen Ton) und bringt Zeichen fiir 6 P.n, namlich die
5 durch Noten darstellbaren Zeitwerte und das^iMU
punctorum (ed. Cserba, S. 231 und 244ff.) :
a b c d e f a ) pausa perfecta = longa perfecta
: (3 Spatia) ; b) pausa imperfecta =
; longa imperfecta oder brevis al-
tera (2 Spatia) ;c) pausa brevis= brevisrecta(l Spatium);
d) pausa maior semibrevis = semibrevis maior ( 2 / 3
Spatium); e) pausa minor semibrevis = semibrevis
minor (1/3 Spatium) ; f) finis punctorum = »immensu-
rabilis«, bewirkt Dehnung der vorletzten (und letzten)
Note (4 Spatia).
Im 14. Jh. wurden die P.n fiir Semibrevis und Minima
so unterschieden, daB die Semibrevis-P. an einer Linie
hangend, die Minima-P. auf einer Linie aufsitzend no-
tiert wurde. Die spater hinzukommenden Zeichen fiir
kleinere Notenwerte wurden der Tabulatur entnom-
men. Damit ergab sich im 1 6. Jh. :
g n i i g) pausa semibrevis; h) pausa minima;
' 1 r F i) pausa semiminima oder fusa = su-
spirium; j) pausa semifusa.
Beim Obergang zur weiBen Mensuralnotation mit der
Unterscheidung von Sernirninirna und Fusa wurde so
verfahren, daB die Pausa semiminima weiter mit nach
rechts gerichtetem, die Pausa fusa nunmehr mit einem
nach links gerichteten Fahnchen notiert wurde; damit
war fiir die Fusa und die kleineren Notenwerte er-
reicht, daB bei Note und P. jeweils die gleiche Zahl
von Fahnchen geschrieben wurde. Die seit dem 16. Jh.
im wesentlichen unverandert gebliebenen Zeichen fiir
die P.n sind die f olgenden :
altere heutige Noten .
P.n-Form: P.n-Form: 1Noten -
Bezeichnung :
Ganze P. ~*~ w
Halbe P. ZU «.
Viertel-P. r (?) £
Achtel-P. i 7
Sechzehntel-P. =1 7*
ZweiunddreiBigstel-P. ^ 7
Vierundsechzigstel-P. ^ 7
Die Ganze P. gilt auch im Dreivierteltakt einen Takt
(also nur drei Viertel). Fiir eine P. von 2 Takten wird
noch die Brevis-P. der Mensuralnotation gebraucht
(1 Spatium), fiir eine P. von 2 Takten die Longa-P.
(2 Spatia). P.n fiir eine grofiere Anzahl von Takten
J
J
717
Pavatie
6
6
oder
bder *?
werden durch eine Folge dieser Zeichen, meist aber
durch Zahlen iiber Quer- oder Schragbalken angezeigt,
jedoch geteilt, sobald Taktart oder Tempo wechseln
(etwa wie im nebenstehenden Allegro
Beispiel). Bei groBer besetz- 5 10
ten Werken wird die -> Gene- g j - I I 3 | ssp
ral-P. zusatzlich durch die " * '
Buchstaben G. P. bezeichnet. - Der Begriff der P. setzt
Zeitmessung voraus; daher ist die kompositorische
Verwendung der musikalischen (nicht im Text vorge-
gebenen) P. zuerst in der Mensuralmusik des 13. Jh. zu
beobachten, vor allem im ->■ Hoquetus. Dient die P. in
der Mehrstimmigkeit des 15./16. Jh. noch vorwiegend
der melodischen Gliederung einer Stimme, so wird sie
seit dem 17. Jh. in vielfaltiger Weise zur Aftektdarstel-
lung eingesetzt. Die Lehre von den musikalisch-rheto-
rischen Figuren im 17./18. Jh. erklart verschiedene Ar-
ten der P. als ->■ Abruptio, ->■ Apokope, -> Aposiope-
sis, -> Ellipsis, ->• Homoioteleuton, -»■ Suspiratio,
->■ Tmesis. - Fiir die Musik des spaten 18. und des 19.
Jh. gilt H.Riemanns Feststellung (1903, S. 130f.), daB
in der Metrik P.n nicht Nullwerte, sondern vielmehr Mi-
nuswerte sind, denen je nach der Bedeutung der positiven
Werte, welche sie negieren, eine gar sehr verschiedene Wir-
kung eignet . . . Das Auftreten einer P. innerhalb des Mo-
tivs bedeutetfiir die Auffassung von dessen immanenter dy-
namischer Potenz nichts geringeres als fiir die Dauer der P.
ein Eintreten des negativen Wertes statt des ausgefallenen
positiven ... In F. Mendelssoh n Barth oldys Ouvertiire
T (D) Sp (S) S
Die Hebriden op. 26 (Takt 47ff.) ist die erste P. noch der
vorausgehenden Endung zuzurechnen, also eine »Ver-
kiirzungs-P.«, bei der zweiten dagegen zwingt die auf-
fallige Einfiihrung der zweiten Subdominante (c + ), die Vier-
telpause der Melodie bereits in das neue Motiv zu nehmen
(Riemann 1903, S. 133) ; sie ist also eine »Zahl-P.«. Auch
am Ende eines Motivs kann die P. statt der Endnote
selbst stehen, z. B. in Beethovens Klaviersonate Fis dur
op. 78, 1. Satz, Takt 36ff., wo der immer aufdie P. gerade
wieder in den Grundton cis laufende Bafi allein den in den
Oberstimmen unterdriickten Cis-dur-Akkord vorstellen mufi
(ebenda S. 142). Folgerichtig erkennt Riemann auch
Innen-P.n im Motiv an.
Lit. : H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbg u. St.
Petersburg 1884; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me-
trik, Lpz. 1903 ; F. Rosenthal, Probleme d. mus. Metrik,
ZfMw VIII, 1925/26; Z. Lissa, Die asthetischen Funktio-
nen d. Stille u. P. in d. Musik, StMw XXV, 1962.
Pavane (ital. pavana, padovana, -*■ padoana, paduana ;
frz. p., pavenne; engl. pavan, paven, pavin), ein meist
geradtaktiger hofischer Schreittanz, der im 1. Viertel
des 16. Jh. die Basse danse abloste und dessen Bliitezeit
ins 16./17. Jh. fallt. Der Name wurde friiher (u. a. schon
von Walther 1732) von span, pavo, der Pfau, abge-
leitet und der Tanz als ursprunglich in Spanien behei-
matet angesehen. Demgegeniiber setzte sich in jiing-
ster Zeit die Annahme durch, P. sei von Pava als idio-
matischer Form von Padova abzuleiten (alia pavana,
in der Art von Padua). Die altesten Belege der P. finden
sich in dem Lautenbuch von Dalza (Petrucci 1508), in
dem 5 P. alia venetiana und 4 P. allaferrarese enthalten
sind, die auf dem Titelblatt als Padoane diverse angekiin-
digt werden. Als nachste bekannte Belege folgen meh-
rere Padoanen im Manuskript von Capirola (urn 1517),
P.n in den Drucken von Attaingnant (ab 1529), bei Ju-
denkiinig (1523), bei Milan (1535). Die P. hat meisten-
theils 3. repetitiones, derenjede 8. 12. oder 16. tact, weniger
aber nicht haben mufi J wegen der 4. Tritt oder Passuum so
darinnen observirt werden miissen (Praetorius Synt. Ill,
S. 24), also gewohnlich das Formschema aa bb cc.
yJ^L fa .. "T A.'j
v r pr r
d J j y-
r r «r "
Ml. ii O » 9r—
izuo — i r r r-
P. La Garde, in: P.Phalese, Liber primus
leviorum carminum . . ., 1571.
Allgemein wird die P. als feierlich-gravitatisch charak-
terisiert, auch in den choreographischen Darstellungen
(Caroso, Arbeau), denen zufolge sie mit zwei Einzel-
schritten und einem Doppelschritt vorwarts (nach Be-
lieben auch ruckwarts) ausgefiihrt werden konnte.
Zahlreiche P.n, in anderen Quellen teils auch als -*■ Pas-
samezzo bezeichnet, sind iiber einem Klanggeriist wie
dem des Passamezzos oder dem der Romanesca auf ge-
baut. Fiir die europaische Verzweigung der P. ist es be-
zeichnend, daB eine von A. de Cabezon (Madrid) als
pavana italiana bearbeitete -> Pavaniglia durch J. Bull
(London) als Spanish paven ubernommen und von
Sweelinck (Amsterdam) und Scheidt (Halle/Saale) als
paduana hispanica mit neuen Variationen versehen wor-
den ist. Die P. wurde gewohnlich mit einem oder meh-
reren anderen Tanzen zusammengestellt, meist mit
Saltarello. In der Tabulatur von Dalza steht die Folge
P.-Saltarello-Piva, wobei die beiden letzteren die ih-
rem Tanzcharakter entsprechenden Varianten des er-
sten sind. Um die Mitte des 16. Jh. wurde das Tanz-
paar P.-Saltarello abgelost von der Folge P.-Galliarde.
Zu besonderer Bedeutung gelangte die P. kurz nach
1600 als Einleitungssatz in der Tanzsuite der deutschen
Komponisten (und ist dann oft mit Paduana oder Pa-
douana iiberschrieben), so bei Schein, Peuerl, Rosen-
muller u. a.Wahrend in der franzosischen -*■ Suite die
P. von der Allemande verdrangt wurde, trat in der
italienischen Sonata da camera um 1650 eine Sinfonia
oder Sonata an die Stelle der P. - M. Ravel schrieb eine
P. pour une Infante defunte fiir Kl. (1899).
Lit. : M. F. Caroso, II ballerino, Venedig 1581, Nachdruck
Rom 1630; Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588),
NA v. L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948 ;
WaltherL; T. Norlind, Zur Gesch. d. Suite, SIMG VII,
1905/06; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933,
engl. NY 1937 u. London 1938, frz. Paris 1938; L. Messe-
daglia, La pavana, danza non spagnuola, ma padovana,
in: Atti e memorie delFAccad. d'agricoltura, scienze, lette-
re, arti e commercio di Verona V,41,1942/43;A. Michel,
Origin of the Gagliarda and the P., Dance Observer XIII,
1946; O. Gombosi, Compositione di Meser V. Capirola,
718
Pedal
= Publications de la Soc. de musique d'autref ois I, Neuilly-
sur-Seine 1955; L. H. Moe, Dance Music in Printed Ital.
Lute Tabulature from 1507 to 1611, Diss. Harvard Univ.
(Mass.) 1956, maschr.; H. Spohr, Studien zur ital. Tanz-
komposition um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr. ;
B. Deixi, P. u. Galliarde, Diss. Bin (F. U.) 1957, maschr.
Pavaniglia (pavan'i:Aa, ital.; wahrscheinlich Dimi-
nutiv von Pavana), spanisch-italienischer Tanz zwi-
schen 1580 und 1660, dem haufig ein der -*- Folia ahn-
liches Satzmodell zugrunde liegt; im Gegensatz zu die-
ser tritt die P. jedoch nur geradtaktig auf . Das Modell
besteht meist aus 8 Takten (gelegentlich 16 mit je 2
Takten auf jedem der 8 Geriistklange). Die P. begegnet
in Lautentabulaturen u. a. bei Caroso (1581), wo sie
choreographisch und musikalisch, bei C.Negri (Nuove
inventioni di balli, Mailand 1604), wo sie choreogra-
phisch beschrieben wird; in Chitarratabulaturen ist sie
von 1606 (Montesardo) bis 1661 (Millioni) nachweis-
bar. Als 4st. Instrumentalsatz findet sie sich schon bei
Gesualdo (Ms. Neapel, Bibl. del Conservatorio, um
1590); Bearbeitungen fiir Tasteninstrumente kommen
um 1600 vor. Verschiedene italienische Benennungen
konnten spanische Herkunft andeuten: P. di Spagna
(Ms. Berlin, Deutsche Staatsbibl., Mus. ms. 40032, 2.
Halfte 16. Jh.), P.: balletto spagnole (Ms. Anon. Florenz,
Bibl. Naz. Centrale, Magi. XLX, 115, um 1600). DaB
nicht alle Stiicke mit dem Satzmodell der P. als solche
bezeichnet sind, erweisen u. a. die Pavana hispanica von
J.-B. Besard (1603), SpanishpavenvonJ. Bull (Fitzwilliam
Virginal Book) und Pavana italiana von A. de Cabezon.
Lit.: H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkomposition um
1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.
Pedal (zu lat. pes, FuB; Abk.: P., Ped.; frz. pedale;
ital. pedale), Fufiklaviatur oder -hebel bei Tastenin-
strumenten, der Harfe sowie der Pauke. - 1) Das P. der
Orgel ist eine fiir das Spiel der FUBe bestimmte Klavia-
tur. Wahrscheinlich geht das Orgel-P. auf das Glocken-
spiel zuriick ; als sein »Erfinder« gilt der Brabanter Glok-
kenspieler Louis van Valbeke (f 1318). Urspriinglich
unselbstandig, war das P. durch Seilschlingen an die
tiefsten Tasten des Manuals angehangt; es uinfaBte nur
3-5 Tone. Nach der Ileborgh-Tabulatur mit Doppel-
pedalfiihrung (1448) verlangt A. Schlick 1511 ein selb-
standiges P. im Umfang F-c 1 (mit alien Halbtonen)
und die Tasten in einem Abstand, daB jeweils 2 Lagen-
stimmen mit einem FuB gespielt werden konnen; er
kennt auch das mehrstimmige solistische P.-Spiel (ohne
Manual). Die Kunst des obligaten P.-Spiels blieb bis
zum Abbau des Werkcharakters der Orgel am Aus-
gang der Barockzeit eine Sonderheit vor allem der
deutschen Organisten (-> Orgelmusik). AuBerhalb
Deutschlands sind die technische -> Disposition des
P.s und das P.-Spiel, zum Teil (wie in Frankreich) aus
einer anderen Einstellung zur Polyphonie heraus, erst
relativ spat entwickelt worden. Aus alterer Zeit stammt
die -» Kurze Oktave des P.s.
Das P. dient nicht nur zum Spiel des Basses, sondern
wird auch zur Darstellung des C. f . in alien Lagen (So-
pran, Alt, Tenor, BaB) eines mehrstimmigen Satzes ge-
braucht, meist in der Besetzung mit Zungenstimmen
16' bis 2 . Die Zusammensetzung der FuBtonlagen der
P.-Register gibt Auskunft, ob sie nur als BaBfunda-
ment oder auch zur Fuhrung von Alt- und Sopranlagen
disponiert sind. Unter der Leitung von S. Scheidt be-
setzte H. Compenius das P. der Moritzkirche zu Halle
mit 16' 16' 8' 4' 2' 1'. J.Fr.Wender baute unter J. S.
Bachs Anleitung im P. (Miilhausen): 32' 16' 16' 16' 8'
8' 4' 2' 1' und Mixtur. G. Silbermann besetzte das P.
der Hofkirche zu Dresden mit 32' 16' 16' 8' 8' 4' 4' und
Mixtur. U. a. haben einige altspanische Orgeln zwei
iibereinanderliegende P.e. Heute hat das P. meist einen
Umfang von C-f 1 , im Barock bis c 1 und d 1 . - »Ped.«
bedeutet in der Orgelmusik die Anweisung fiir den
Pedaleinsatz. - 2) Nur selten wird das -> P .-Klavier ge-
baut, dessen P. ahnlich wie bei der Orgel als Klaviatur
ausgebildet ist, Beim Klavier (Clavichord, Cembalo,
Pianoforte) heiBen P. in der Regel einzelne durch die
FiiBe zu bedienende Hebel, die der Registrierung, Far-
bung oder Dampfung des Klanges dienen. Im Clavi-
chord- und Cembalobau herrschten bis um 1750 Hand-
zugregister oder Kniehebel vor. Der spate Cembalo-
bau setzte P.e iiberwiegend zusatzlich zu den Handzug-
registern fiir neu erfundene Spielhilfen ein, z. B. Tschu-
di und Broadwood um 1770-80 als »Machine« zum
Ausschalten von Registern sowie fur den Jalousie-
schweller. Beim Hammerklavier war vor 1830 die An-
zahl der P.e nicht festgelegt; sie konnte 8 erreichen
(z. B. Pantalonzug, jeu de buffle, Oktavkoppel). Doch
waren zur Zeit Haydns und Mozarts auch Instrumente
ohne P. nicht selten. Sehr haufig waren um 1800-30
Hammerfliigel mit 4 P.en: Verschiebung, zweiter Pia-
nozug, aufgehobene Dampfung, Lautenzug. Solche
Instrumente besaBen u. a. Beethoven (1803-16), Che-
rubini, CM. v. Weber und noch Clara Schumann (ab
1840). Um die Mitte des 19. Jh. setzte sich allgemein
die Beschrankung auf 2 P.e durch, von denen das
rechte (GroB-P., Fortezug) die Dampfer von den Sai-
ten abhebt und nicht nur ein Nachklingen der ange-
schlagenen Tone bewirkt, sondern auch eine Verstar-
kung durch Mittonen, verlangt durch senza sordini
oder %&., 2 aufgehoben durch 5&, •$• (letzteres Zei-
chen nicht mehr gebrauchlich). Es wird vor allem an-
gewandt zur Klangbereicherung (Klang-P., Harmo-
nie-P.) und zum Binden von Tonen, wo ein Legato
sonst nicht moglich ist (Bindungs-P.). Dabei ist nur
im Tomantischen Klavierstil von der Vorstellung der
durchweg gehobenen Dampfung auszugehen (R. Schu-
mann, Sonate op. 11,1. Satz). Das linke P. ist im mo-
dernen Klavier die Verschidbung. Sie riickt die Kla-
viatur und Mechanik ein wenig nach rechts, wodurch
der Hammer jeweils eine Saite des Chores weniger
trifft (verlangt durch una corda, due corde, aufge-
hoben durch tutte le corde). Der Hauptreiz der Ver-
schiebung, die grundsatzlich in alien Starkegraden an-
gewandt werden kann, besteht in einer Veranderung
der Klangfarbe. Bei Pianinos dagegen vermindert das
linke P. den Neigungswinkel der Hammer und nahert
sie mehr den Saiten. Dadurch wird eine mechanische
Abschwachung der Hebelkraft bewirkt und das leise
Spiel ohne Klangfarbenveranderung erleichtert. Neue-
re Konstruktionen sind das -> Tonhaltungs-P., ferner
ein 3. P. mit verstarkter Dampfung (durch einen Filz-
streifen, der zwischen Saite und Hammer geschoben
wird, fiir Ubungszwecke) sowie E.Zacharias Kunst-P.
Bei letzterem kann durch 4 P.e die Dampfung nach
Belieben von 8 Teilen der Besaitung entfernt werden:
2 A-E, F-H, c-e, f-a, b-d», esi-gi, asi-<;2, dis2-e3.
- 3) Bei der Harfe fiihrte um 1720 der Augsburger
Hochbrucker in Donauworth zunachst 5, dann 7 P.e ein,
mit deren Betatigung jeweils alle gleichnamigen Saiten
des Instruments um einen Halb ton erhojit werden konn-
ten. Die von ->■ Erard 1810 in Paris geschaffene Dop-
pel-P.-Harfe ermoglichte mit der stufenweisen Er-
hohung der Saiten um jeweils 2 Halbtone die Verwen-
dung des Instruments in alien Tonarten. - 4) -»• Pauke.
Lit.: zu 1): W. Apel, Die Tabulator d. Adam Ileborgh,
ZfMw XVI, 1934; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels u.
d. Orgelkomposition I, Bin 1935, 21959, Nachdruck Bin
1966; E. Bruggaier, Studien zur Gesch. d. Orgelpedal-
spiels in Deutschland bis zur Zeit J. S. Bachs, Diss. Ffm.
1959. - zu 2): L. Kohler, Systematische Lehrmethode f.
Klavierspiel u. Musik, 3 Bde, Lpz. 1857-58, 31882 revi-
diert v. H. Riemann; ders., Der Klavierpedalzug, Bin
719
Pedale
1882; H. Schmitt, Das P. d. Kl., Wien 1875; H. Riemann,
Vergleichende theoretisch-praktische Klavierschule, Hbg
u. St. Petersburg 1883, 21890; A. J. A. Lavignac, Ecole de
la pedale, Paris 1889, Neudruck 1927; G. Falckenberg,
Les pedales du piano, Paris 1895; A. Rubinstein, Leitfaden
zum richtigen Gebrauch d. Pf te-P., Lpz. 1 896 ; L. Riemann,
Das Wesen d. Klavierklanges, Lpz. 1911 ; F. Boghen (mit
G. Sgambati), Appunti ed esempi per l'uso dei pedali del
pfte, Mailand 1915, Neudruck 1941; L. Kreutzer, Das
normale Klavierp., Lpz. 1915, 21928; R. E. M. Harding,
The Piano-forte, Cambridge 1933; Y. Bowen, Pedalling
the Modern Pfte, London 1936; K. Leimer (mit W. Giese-
king), Rhythmik, Dynamik, P., Mainz (1938) u. 6., Neu-
druck (1965), engl. Philadelphia 1938 ; H. Socnik, Lehre v.
Klavierp. I: Das P. bei Mozart, in: Schriften d. Gaumusik-
schule Danzig-WestpreuBen II, 1944; W. Gieseking, Mo-
zart auf d. Kl. - mit oder ohne P., Das Musikleben 1, 1948 ;
Fr. J. Hirt, Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955.
P£dale (frz.) ->■ Pedal; -> Orgelpunkt.
Pedalklavier, ein besaitetes Tasteninstrument mit
-v Manual und -> Pedal (- 1), als Pedalclavichord schon
im 15. Jh. nachweisbar, im 18. Jh. (auch alsPedalcemba-
lo) als Ubungsinstrument der Organisten verbreitet. Das
Pedal war zunachst nur an die tiefsten Tasten des Ma-
nuals angehangt oder hatte eine -> Kurze Oktave. Ob
J.S.Bachs Orgeltriosonaten (a 2 Clav. e Pedale, BWV
525-530) fur P. geschrieben sind, ist umstritten. Im 18.
und 19. Jh. wurden Hammerklaviere als P.e gebaut
(Pedal jD-d) ; der Saitenbezug war im Manual zwei-
chorig, im Pedal dreichorig. Stiicke fiir P. schrieben R.
Schumann (op. 56, 58, 60), Alkan (op. 64, 66, 69, 72)
und Gounod (Fantaisie sur Vhymne nationale msse; Suite
concertante mit Orch.). Separate Pedaluntersatze in Flii-
gelf orm fiir Cembali werden heute wieder angefertigt.
Lit. : Adlung Mus. mech. org. ; Fr. K. Griepenkerl, Vor-
rede zur 1 . Aufl. v. J. S. Bach's Kompositionen f . Org., Bd
I, Lpz. 1844; J.Handschin, DasP.,ZfMwXVII, 1935; W.
Schrammek, Die mg. Stellung d. Orgeltriosonaten v. J. S.
Bach, Bach-Jb. XLI, 1954; Fr. J. Hirt, Meisterwerke d.
Klavierbaus, Olten 1955.
Peitsche (engl. whip; frz. fouet; ital. frusta), ein Ge-
rauschinstrument, bestehend aus 2 durch Scharniere
verbundenen, an einem Griff befestigten langlichen
Hartholzbrettchen, die mit einer ruckartigen Bewe-
gung gegeneinandergeschlagen werden; dadurch wird
das Gerausch des Peitschenknalls nachgeahmt. Die P.
wird z. B. von Mascagni in Cavalleria rusticana (Auf-
tritt des Alfio) verwendet.
P£log, die javanische Bezeichnung fiir die neben
-y Slendro vorhandene Letter der javanischen und ba-
linesischen Musik (-> Patet). P. ist eine 7stufige Leiter
(Intervalle z. B. urn 120," 150, 270, 130, 115, 165, 250
Cent), von der aber nur jeweils 5 Tone gebraucht wer-
den; durch Austausch von Tonen entstehen neben den
Hauptleitern Hilfsmodi. Auf Java gilt P. als weibliche,
traurige Tonart.
Lit. : M. F. Bukofzer, The Evolution of Javanese Tone-
Systems, Kgr.-Ber. NY 1939; J. Kunst, Music in Java I,
Den Haag 1949; M. Hood, The Nuclear Theme as a De-
terminant of Patet in Javanese Music, Groningen u. Dja-
karta 1954; H. Husmann, Grundlagen d. antiken u. orien-
talischen Musikkultur, Bin 1961.
Penillion (pen'iljan, engl., von walisisch penn, Kopf)
ist Oberbegriff fiir alte, auf die Musizierpraxis der kelti-
schen ->• Barden zuriickgehende Gesange, die gewohn-
lich auf Stegreifverse improvisierend zur Harfe gesun-
gen wurden, wobei der Harfner eine bekannte Volks-
liedmelodie spielte. Der freie Vortrag der Sanger wur-
de oft in Wettbewerben (-> Eisteddfod) erprobt. Die
friiheste gedruckte Sammlung mit fiir das P. Singing
geeigneten Harfenliedern ist J. Parry s und E.Williams'
Antient British Music (London 1742).
Penorcon, ein Zupfinstrument des 16./17. Jh. nach Art
der -> Cister mit birnenformigem, leicht geschweif-
tem Corpus und schragem Querriegel. Es unterschei-
det sich von der -> Pandora durch eine um weniges ge-
ringere Gesamtlange und groBere Breite des Corpus
und des Griffbretts. Die 9 (2fachen) Saitenchore haben
die Stimmung idG jAiA CC DD GG cc ee aa didi.
Das bei Praetorius (Synt. II, Tafel XVII, Figur 2, nicht,
wie dort angegeben, 3) abgebildete P. zahlt 14 Biinde.
Pentatonik (fiinfstufige Tonreihe) gehort fraglos sehr
alten Kulturschichten an. Vielfach scheint sie den Be-
ginn klar ausgepragter Tonordnung (der spateren Lei-
terbildung) darzustellen, beruhend auf einer Quint-
Quart-Kette, z. B. c^-gW-a'-e 1 , die iiber den 5. Ton
nicht hinausgeht, Halbtonbildung also vermeidet (an-
hemitonische P.). Nach neueren Forschungen kann P.
jedoch auch durch Auffiillung naturwiichsiger Drei-
klangsmusik oder vom Dreiklang getragener Vierto-
nigkeit (Tetratonik, z. B. c 1 e 1 g 1 at c 2 ) entstehen. Als
Uberbleibsel alter Pflanzerkultur gibt es die P. vielfach
noch in alteren Hochkulturen (China, Japan, Hinter-
indien, Indonesien, Vorderindien, Peru, hellenische
Antike, wahrscheinlich auch Altagypten und Sumer-
Babylon). Eines ihrer alten Keimgebiete war anschei-
nend das vorgeschichtliche Mittel- und Ostasien (Tibet
und al testes China). Von dort strahlte sie aus nach Hin-
ter- und Vorderindien, Indo-, Mela- und Mikronesien
sowie nach Westpolynesien. Ein zweiter alter Aus-
strahlungskreis war das Mittelmeergebiet : Uberbleib-
sel findet man noch in der Berbermusik, in suditalieni-
scher und sardischer Volksmusik und im Lied der In-
selkelten. Nubische und abessinische Leiern zeigen
noch heute 5stufige Grundstimmungen, die ebenso bei
vorderasiatischen, agyptischen und antiken Leiern vor-
ausgesetzt werden diirfen. Pentatonische Musik ist
auch bei afrikanischen Pflanzern (u. a. Bantu) sowie bei
indianischen Bodenbauern (hier neben einfacheren
Vorformen von Konsonanzmelos) vielfach vertreten.
DaB sie auch zu Jager- und Hirtenvolkern recht unter-
schiedlicher Stufe drang (z. B. zu Lappen, Ugro-Fin-
nen, Turkstammen und Mongolen, auch zu den Kup-
fereskimos, zu zentralkalifornischen Sammlern und
niederen Jagern Mittelaustraliens) und dabei besondere
Abwandlungen erfuhr, ist sicherlich auf sekundare
Ausbreitung durch Kulturberiihrung zuruckzufiihren.
Primares, d. h. pflanzerisches pentatonisches Melos ver-
bindet sich auff allend haufig mit gerundeten Melodie-
bogen und Melismatik. Ein fast uniibersehbar reiches
Netz von Symbolvorstellungen begleitet die Fiinfzahl
(iibrigens auch die Vierzahl). Sie ist vor allem die Zahl
der dunklen, weiblichen Erdkraft, Ischtar-Venus-De-
meter-Zahl, auch (gynandrisch gedacht) Mond-, Pla-
neten-, Elementen- und Vegetationszahl. Diese uralte
Heiligkeit der Fiinfzahl forderte in verschiedenen Kul-
turen (z. B. in Japan, Indonesien, bei Berbern und wohl
auch in Hellas) die Entstehung von »kiinstlicher« oder
Halbton-Fiinfstufigkeit, z. B. e 2 c 2 hi at f 1 el (japanisch
zogugaku-sempo). In solchen Lei tern, die auch als
ditonische Fiinfstufigkeit bezeichnet wurden, weil sie
den Doppelganzton als GroBschritt enthalten, ist das
Schwebende, Naturhafte der alteren Fiinfstufenarten
preisgegeben zugunsten des scharf seinen Zielton an-
peilenden Halbtonschritts. - Fiinfstufig gestimmt sind
vielfach alte (teils primitive, teils Hochkulturen zuge-
horige) Melodieinstrumente wie Panpfeife, Mundor-
gel, Holz-, Stein-, Metallstab- und Gongspiel, Harfe,
Leier, ostasiatische Zither, lappische Schalmei. - DaB
selbst noch im heutigen musikuberschwemmten Eu-
ropa etwa f unfjahrige musikalisch begabte Kinder ohne
Vorbild halbtonfreie 5stufige Melodien improvisieren,
720
Periode
wirft ein Licht auf die naturhaften seelischen Quel-
lengriinde, denen diese Tonordnungen entsprangen.
Lit. : A. Launis, Die P. in d. Melodien d. Lappen, Kgr.-
Ber. Wien 1909; H. Riemann, Folkloristische Tonalitats-
studien I: P. u. tetrachordale Melodik, Lpz. 1916; Z. Ko-
dAly, Otfoku hangsor a magyar nepzeneben (»Die funf-
stufige Tonleiter in d. ungarischen Volksmusik«), Zenei
Szemle I, 1917; J. Kunst, De toonkunst van Java, 2 Bde,
Den Haag 1934, engl. als: Music in Java, 2 Bde, ebenda
1949; B. Szabolcsi, Egyetemes muvelddestortenet es 6t-
fokii hangsorok (»Die Verbreitung d. P. u. ihre Bedeutung
f. d. Kulturgesch.«), Budapest 1937; ders., Five-Tone
Scales and Civilization, AMI XV, 1943 ; ders., About Five-
Tone Scales in the Early Hebrew Melodies, Budapest 1 948 ;
W. Danckert, Das europaische Volkslied, Bin 1939;
ders., GrundriB d. Volksliedkunde, Bin 1939; ders., A
felhangn61kuli pentatonia eredete (»Der Ursprung d. halb-
tonlosen P.«), Melanges offerts a Z. Kodaly, Budapest
1 943 ; ders., Hirtenmusik, AfMw XIII, 1956; W. Wiora,
Alter als d. P., in : Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Buda-
pest 1956; R. P. Winnington-Ingram, The Pentatonic
Tuning of the Greek Lyre . . . , Classical Quarterly L (= N.
S. VI), 1956; H. Husmann, Einfiihrungin d. Mw., Heidel-
berg (1958) ; ders., Grundlagen d. antiken u. orientalischen
Musikkultur, Bin 1961 ; K. Reinhard, On the Problem of
Pre-Pentatonic Scales . . . , Journal of the International
Folk Music Council X, 1958; Yangyin-liu, Zur gleichzei-
tigen Existenz pentatonischer u. heptatonischer Leitern in
d. chinesischen Musik, Beitr. zur Mw. VI, 1 964. WD
perdendosi (ital.), sich verlierend (auBerstes pianissi-
mo) ; perdendo, (an Lautstarke) nachlassend, gefordert
z. B. in Beethovens Violinkonzert op. 61. ->■ morendo.
Perfectio (lat, Vollendung, Vollkommenheit), - 1) in
der -> Mensuralnotation die der »normal« geschriebe-
nen SchluBnote einer -> Ligatur (-1) zukommende
normale rhy thmische Bedeutung . Den bereits in derMo-
dalnotation ausgebildeten Verhaltnissen entsprechend,
gait als normaler Wert der SchluBnote die Longa, im
Unterschied zu den gewohnlich als Breven geltenden
vorhergehenden Noten derselben Ligatur (darunter
auch der Anfangsnote, -*■ Proprietas). MaBgebend fiir
die Normalschreibung der SchluBnote waren die in
der Modalnotation iiblichen Formen, z. B. bei tieferer
vorletzter Note 3, (J (nach Verschwinden der ->• Plica
jedoch ^, J) und hoherer vorletzter Note A. Die
ausdriickliche Festlegung der Norm (cum perfectione)
erlaubte nun auch die bewuBte Abweichung (sine per-
fectione), die darin bestand, daB die als Longa geltende
normale SchluBnote weggelassen und so ein neuer Typ
von »unvollstandigen« Ligaturen gewonnen wurde,
der mit der als Brevis geltenden vorletzten Note ende-
te, z. B. H und m. - 2) in der Lehre der Mensuralmu-
sik seit Franco von Koln die drei Tempora (-v Tempus)
umfassende Mensureinheit (tria tempora . . . unam per-
fectionem constituunt, ed. Cserba, S. 237). Die Bezeich-
nung P. erklart sich aus der Ableitung der Dreizeitig-
keit von der Zahl Drei als der vollkommensten Zahl
(ternarius numerus inter numeros perfectissimus est pro eo,
quod a summa trinitate, quae vera est et pura p., nomen
sumpsit, Franco, ed. Cserba, S. 234). Die diese Mensur-
einheit ausfiillende Longa hieB Longa perfecta; doch
gab es daneben auch eine nur zwei Zeiten umfassende
Longa imperfecta. Da beide Longen durch das gleiche
Notenzeichen dargestellt wurden, fuhrte man als dia-
kritisches Zeichen fiir bestimmte Falle ein Signum per-
f ectionis ein : zunachst dargestellt als senkrechtes Strich-
lein (tractulus) hinter der Longa (->■ Divisio modi - 1),
seit dem 14. Jh. als Punkt hinter der Longa (Punctus
divisionis; ->• Punctus - 2), die dadurch als dreizeitig
gekennzeichnet war. Etwa seit der Mitte des 14. Jh.
fanden die Begriffe perfectus und imperfectus auch auf
andere Notenwertverhaltnisse Anwendung (-> Mo-
dus - 3, -*■ Tempus, ->• Prolatio).
Perigourdine (perigurd'in, frz., auch perijourdine),
alterer, nach der Landschaft Perigord benannter fran-
zosischer Tanz im Tripeltakt (3/8, 6/8), von rascher Be-
wegung, ahnlich dem Passepied. Gelegentlich wurde
zu diesem Tanz auch gesungen. Ein bekanntes Beispiel
findet sich im 1. Akt (3. Szene) von Verdis Rigoletto.
Periode (griech. rop£o8o£, Herumgehen, Kreislauf,
regelmaBige Wiederkehr, grammatischer Satz). Unter
einer P. verstehen Stilistik und Rhetorik einen durch
Neben-, Uber- und Unterordnung der Teile kunstvoll
gegliederten, in unselbstandige (x6u.u.a, caesum) und
selbstandige Teile (x<oaov, membrum) zerlegbaren
Satz, einen »Gedanken, der an und fiir sich genommen
Anfang und Ende hat und einen gut iiberschaubaren
Umfang« (Aristoteles). Der Ausdruck wurde um 1100
von Johannes Affligemensis (CSM I, 79f.), im 17. Jh.
vonj.Burmeister (Muskapoetica, 1606, S. 35ff.) undim
18. Jh. von Mattheson (1739), Kirnberger (1771), For-
kel (1788) und H.Chr.Koch als Bezeichnung fiir eine
durch Zasuren gegliederte Melodie in die Musiklehre
ubernommen: ein HalbschluB markiert das Kolon, ein
GanzschluB die P. Die Moglichkeiten des Perioden-
baus, die Unterschiede in der Anzahl, Art und Lange
der Teile, werden von Koch ausfuhrlich erortert. -
Seit dem friihen 19. Jh. (A.B.Marx) gilt auBer der
Gliederung durch Halb- und Ganzschliisse auch die
-*■ Symmetrie der Melodieteile, die Korrespondenz
zwischen einem Vorder- und einem Nachsatz, die in der
Regel je 4 Takte umfassen, als definierendes Merkmal
der P.; 2 Takte bilden eine Phrase, 2 Phrasen einen
Halbsatz, 2 Halbsatze eine P. (->■ Satz). DaB die »natiir-
lichste« Melodiestruktur durch Multiplikation von
Takten (2x2x2x2) entstehe, wurde im 17. Jh. von
Descartes (1618) und im 18. Jh. vonJ.Riepel (1752) be-
tont, aber nicht mit dem Begriff der P., der sich auf die
Gliederung durch Kadenzen bezog, in Zusammenhang
gebracht. Derm 4,8,16 und wohl auch 32 Tacte sind die-
jenigen, welche unserer Natur dergestalt eingepflanzet, daft
es uns schwer scheinet, eine andere Ordnung (mit Vergnii-
gen) anzuhoren (Riepel). - Der Begriff der P. schlieBt
als drittes Moment neben der Differenzierung der Ka-
denzen und der Symmetrie der Teile die Vorstellung
einer Gewichtsabstufung der Takte ein. Die Unter-
scheidung zwischen schweren und leichten Zeiten
wurde im 19. Jh. (G. Weber, Hauptmann) von der Be-
ziehung zwischen Zahlzeiten auf das Verhaltnis zwi-
schen Takten und Taktgruppen iibertragen. Haupt-
mann und Wiehmayer gliedern metrisch primar nie-
dertaktig (| J J | J J |) und deuten den ersten Takt als
akzentuiert (Akzentabstufung einer P. : 1 2 3 4 5 6 7 8).
H. Riemann phrasiert prinzipiell auf taktig (| J J | J J |)
und deutet den ersten Takt als leicht, den zweiten als
schwer (Schema einer P. : 1 2 3 4 5 6 7 8). Hauptmann
und Wiehmayer betrachten die metrischen Bildungen
als »leeren Takt« (Thr. G. Georgiades), unabhangig von
der rhythmischen Ausfiillung; Riemanns Ausgangs-
punkt ist das aus »Aufstellung« und »Antwort« beste-
hende auftaktige Motiv, und der SchluBtakt einer
Phrase, eines Halbsatzes oder einer P. soil als schwer
gelten, weil er vom Horer als Ziel und Zusammen-
fassung des Vorausgegangenen verstanden wird. - Die
aus 8 »Normaltakten« (4 »groBen« oder 16 »kleinen«
Takten) bestehende P., deren Gliederung durch die um
Tonika und Dominante zentrierte Harmonik unter-
strichen wird, ist nach Riemann das »normative Grund-
schema« eines musikalischen Satzes; Abweichungen von
der Norm werden als Anhange, Einschaltungen, Eli-
sionen oder Verschrankungen erklart (-> Metrum - 3).
DaB die 8taktige P., die »Quadratur der Tonsatz-Kon-
46
721
Periodica
struktion« (R.Wagner), in Liedern und Tanzen und
seit der Mitte des 18. Jh. auch in der artifiziellen Musik
ein »Grundschema« bildet, ist unverkennbar. Doch
schlieBt einerseits die Symmetrie der Teile im 17. und
friihen 18. Jh. noch keine Gewichtsabstufung der Tak-
te und Taktgruppen ein; und andererseits ist es in Wer-
ken des 18. und 19. Jh. oft ungewiB, ob Gruppen von
3 oder 5 Takten als originare, nicht reduzierbare Bil-
dungen zu verstehen sind oder ob sie eine Zuriickf iih-
rung auf geradzahlige Phrasen oder Halbsatze zulassen
(W.A.Mozart, Menuett der G moll-Symphonie). Ge-
orgiades betont die Notwendigkeit einer Spezifizierung
und zugleich Einschrankung des P.n-Begriffs gegen-
iiber einem andersartigen, als Geriistbau bezeichneten
Satzprinzip, in dem genuin unsymmetrische Bildun-
gen auftreten konnen. -* Formenlehre.
Lit. : H. Chr. Koch, Versuch einer Anleitung zur Compo-
sition, I Rudolstadt 1782, II-III Lpz. 1787-93; G. Weber,
Versuch einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst, 3 Bde,
Mainz 1817-21, 4 Bde, Mainz 2 1824, 3 1830-32; A. B.Marx,
Die Lehre v. d. mus. Komposition, 4 Bde, Lpz. 1837-47 u.
6., neubearb. v. H. Rieraann, I '1887, II '1890, IV 51888;
M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik,
Lpz. 1853, 21873; H. Riemann, H. Chr. Koch als Erlauterer
unregelmaBigen Themenaufbaues, in: Praludien u. Stu-
dien II, Lpz. 1900; ders., GroBe Kompositionslehre I, Bin
u. Stuttgart 1902; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me-
trik, Lpz. 1903 ; ders., Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Ton-
vorstellungen, JbP XXIII, 1916; W. Fischer, Zur Ent-
wicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMw III, 1 9 1 5 ; Th.
Wiehmayer, Mus. Rhythmik u. Metrik, Magdeburg 1917;
L. G. Ratner, Harmonic Aspects of Classic Form, JAMS
II, 1949; ders., Eighteenth Cent. Theories of Mus. Period
Structure, MQ XLH, 1956, u. Kgr.-Ber. Wien 1956; Thr.
G. Georgiades, Aus d. Musiksprache d. Mozart-Theaters,
Mozart- Jb. 1950; ders., Zur Musiksprache d. Wiener Klas-
siker, Mozart-Jb. 1951 ; ders., Schubert. Musik u. Lyrik,
Gottingen 1967 ; H. Heckmann, Der Takt in d. Musiklehre
d. 17. Jh., AfMw X, 1953 ; A. Feil, Satztechnische Fragen
in d. Kompositionslehren v. F. E. Niedt, J. Riepel u. H.
Chr. Koch, Diss. Heidelberg 1955; P. Benary, Zum perio-
dischen Prinzip bei J. S. Bach, Bach-Jb. XLV, 1958; H.
Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. CIV, 6,
1959; G. Massenkeil, Untersuchungen zum Problem d.
Symmetrie in d. Instrumentalmusik W. A. Mozarts, Wies-
baden 1962, dazu C. Dahlhaus in: NZfM CXXIV, 1963;
C. Dahlhaus, Wagners Begriff d. »dichterisch-mus. P.«,
in: Beitr.\zur Gesch. d. Musikanschauung im 19. Jh., hrsg.
v. W. Salmen, = Studien zur Mg. d. 19. Jh. I, Regensburg
1965. CD
Periodica ->Jahrbucher,->p^riodique,->-Zeit-
schriften.
periodique (perjad'ik, frz., periodisch; engl. periodi-
cal) bezeichnet seit etwa Mitte des 18. Jh. in Frankreich
und England in Sammeltiteln musikalischer Werk-
reihen eine von Musikverlegern in Paris (Huberty,
Boyer, Bayard, de la Chevardiere) und London (Brem-
ner) praktizierte neue Art der Auslieferung musikali-
scher Werke. Statt der bis dahin ublichen Zusammen-
f assung von meist 6 Werken eines Komponisten in ei-
ner Ausgabe, erschienen nun auch Einzelausgaben in
Stimmen von Werken verschiedener Komponisten,
pour faciliter le choix de Mrss. les Amateurs de la Musique
(de la Chevardiere). Die Lieferung erfolgte wochent-
lich oder monatlich, auch unter Abonnementsbedin-
gungen. Als wichtigste Veroffentlichungen seien ge-
nannt: Simphonie p. (z. B. de la Chevardiere, Paris, ab
1760, mit Werken u. a. von Chr. Cannabich, Filtz,
Holzbauer, J.Stamitz, Fr.X.Richter, G.B.Toeschi)
und Periodical Overture in 8 parts (Bremner, London;
Opera seconda, 1764, mit Werken von J. Chr. Canna-
bich, Filtz, J.Stamitz). Das Gedeihen dieser Sammel-
reihen beruhte wesentlich auf denErfolgen der Mann-
heimer Schule, deren Kompositionen auf diese Weise
rasche Verbreitung fanden. Vorlaufer dieser Editions-
weise finden sich schon friiher in England, z. B. The
Monthly Mask of Vocal Music ... (I. Walsh und I. Hare,
London 1702-12 und 1717-24). Die literarischen Beiga-
ben, Nachrichten und Besprechungen, die spater diesen
periodischen Ausgaben beigegeben wurden, f iihrten in
England zur Herausbildung der musikalischen -»- Zeit-
schrif ten. - Beispiel f iir periodische Lief erungsweise von
Musikalien in der Gegenwart ist die Zeitschriftfiir Spiel-
musik, die seit 1932 monatlich Ausgaben alter und
neuer Musik f iir das »Musizieren in Spielkreisen« bietet.
Lit.: H. Riemann, Einleitung zu DTB III, 1, Lpz. 1902, S.
XXXIII; C. Johansson, French Music Publishers' Cat. of
the Second Half of the Eighteenth Cent., = Publications of
the Library of the Royal Swedish Acad, of Music II, Stock-
holm 1955 ; B. S. Brook, La symphonie frc. dans la seconde
moitid du XVIII e s. II, Paris 1962.
Perkussionsinstrumente -> Schlaginstrumente.
Permutation (lat. permutatio), - 1) nach Marchettus
de Padua (Lucidarium, GS III, 89 a f .) jener Sonderf all von
-*■ Mutation - 1), bei dem nicht nur die Solmisations-
silbe wechselt, sondern auch die Tonhohe verandert
wird. Dies geschieht beim Wechsel zwischen Fa und
Mi, d. h. bei der Bildung des Semitonium diatoni-
cum (b-h bzw. h-b, angezeigt durch die Akzidentien
fc| bzw. b) und des Semitonium chromaticum (c-cis,
f-fis usw., angezeigt durch das falsa musica genannte,
mitunter mit deml] verwechselte Akzidens ){(). In den
Bereich der -*■ Musica ficta fallt nur die Bildung des
Semitonium chromaticum, das vier der fiinf den Ganz-
tonschritt ausmachenden Diesen umfaBt; der Wechsel
zwischen b und h vollzieht sich innerhalb der diatoni-
schen Grundskala (Ubergang vom Hexachordum mol-
le zum Hexachordum durum und umgekehrt). Im An-
schluB an Marchettus erlautert auch Gaffori den Be-
griff der P. (Practica musice, lib. I, cap. IV). - 2) In der
Mehrstimmigkeit ist P. ein -> Stimmtausch, bei dem
die Stimmen eines Satzes dergestalt im mehrfachen
Kontrapunkt ausgetauscht werden, daB im Verlauf des
Stiickes alle Kombinationsmoglichkeiten Verwendung
finden. Erfolgt der Stimmtausch nach jener festen Ord-
nung, die Kennzeichen der -*■ Permutationsfuge ist, so
liegt regelmafiige P. vor. Bei unregelmaBiger P., die
in mehrthematischen Fugen seit dem 17. Jh. anzutreffen
ist, treten die Kombinationen in freier Reihenfolge
auf. - 3) Im Bereich der -> Seriellen Musik ist P. das
Vertauschen von musikalischen Elementen (z. B. von
Tonen) auf dem Hintergrund einer verbindlichen Ord-
nung (z. B. einer -> Reihe). Die kompositorisch ange-
wandten Verfahrensweisen erstrecken sich von einfa-
cher Rotation (Umstellung) einzelner Elemente oder
Elementgruppen innerhalb eines Reihenablaufs oder
einer Komposition bis zu komplizierten Operationen,
welche die Reihenelemente durch Zahlen substituieren
und diese nach seriellen oder auch mathematischen
Gesichtspunkten permutieren. Definiert man das ein-
zelne Element als fest umrissene, punktuelle GroBe im
Reihenablauf , dann lassen sich Ableitungen wie Trans-
position, Krebs usw. als P.en einer Grundreihe beschrei-
ben. Bereits Schonberg (z. B. op. 31) und in noch star-
kerem MaBe A. Berg (z. B. Lulu) verwenden zur Ab-
leitung und Umwandlung von Reihen spezifische Ver-
fahren, die als P. bezeichnet werden konnen; grund-
satzlich bleiben jedoch die derart abgeleiteten Reihen
immer direkt oder indirekt an die Intervallstruktur
der Grundreihe gebunden.
Lit.: zu 1): S. Clercx-Lejeune, J. Ciconia I, = Acad,
royale de Belgique, Classe des beaux-arts, M6moires II, 10,
Fasc. la, Briissel 1960. -zu 3): M. Babitt, The Function of
Set Structure in the Twelve-Tone System, Princeton Univ.
(N. J.), Department of Music, 1946, maschr.; ders., Twelve-
722
Pfalz
Tone Invariants as Compositional Determinants, MQ
XLVI, 1960, S. 246ff., audi in: Problems of Modern Mu-
sic, hrsg. v. P. H. Lang, NY 1962; H. Eimert, Grundlagen
d. mus. Reihentechnik, Wien (1964); E. Klemm, Studien
zur Theorie d. mus. P., Diss. Lpz. 1966, maschr.
Permutationsfuge, ein vorwiegend von J.S.Bach
gepragter, dem Wesen nach vokaler Typ der Fuge un-
ter Verwendung von Stimmtansch in regelmaBiger
->■ Permutation (- 2): die Kontrapunkte (im Beispiel:
b, c und d) werden beibehalten und schlieBen sich in
einer feststehenden Reihenfolge an das Thema (a) an
(Beispielskizze: J.S.Bach, Himmelskonig, sei willkom-
men, BWV 182, Chor, Takte 1-9) :
Sopran abcdabcd
Alt abcdabcd
Tenor a b c d a b c
BaB a b c d a b
Die P. besteht in der Regel aus mehreren Durchfuh-
rungen, die dem Prinzip zufolge einander sehr ahneln;
zuweilen folgen zwei Durchfuhrungen ohne Zwi-
schenspiel aui einander (so im Beispiel). Die Technik
der P. findet sich z. B. auch bei Haydn (Streichquartett
C dur, Hob. Ill, 32, Fuga a 4"> Soggetti, Takte 1-18) und
Mozart (Symphonie C dur, K.-V. 551, Finale, Takte
369-403).
Lit. ; W. Neumann, J. S. Bachs Chorfuge, = Schriftenreihe
d. Staatl. Inst. f. Deutsche Musikforschung IV, Lpz. 1938,
als: Bach-Studien III, 31953; C. Dahlhaus, Zur Gesch. d.
P., Bach-Jb. XLVI, 1959.
Perpetuum mobile (lat., dauernd beweglich; ital.
moto perpetuo), seit dem 19. Jh. ein (nicht als -*■ Cha-
rakterstiick anzusprechender) Typ von raschen Instru-
mentalsatzen mit ununterbrochener, gleichmafiiger
und schneller Bewegung in der Melodiestimme. Be-
kannte Stiicke dieses Namens sind Mendelssohn Bar-
tholdys op. 119 in C dur fur Kl., Paganinis op. 11 fur
V. und Orch. und Regers P. m. Cis moll fiir Kl.; hier-
her kann auch CM. v. Webers Rondo aus der Klavier-
sonate op. 24 C dur (1812) gezahlt werden, das, von
Weber L'infatigable genannt, in spateren Einzelausga-
ben unter dem Namen P. m. erschien.
Persien.
Lit. : al-Farabi, Kitab al-muslqi al-kabir, frz. als: Grand
traite de la musique, in : Baron R. d'Erlanger, La musique
arabe I, Paris 1930; Avicenna (Ibn SIna), »Ober Musik«,
in: Kitab as-Site, frz. ebenda II, 1935; H. G. Farmer, The
Old Persian Mus. Modes, Journal of the Royal Asiatic Soc,
1926 ; ders., Studies in Oriental Mus. Instr., I London 193 1,
II Glasgow 1939; ders., The Minstrelsy of the Arabian
Nights, Bearsden 1945; Ph. Ackerman, The Character of
Persian Music, in : A Survey of Persian Art III, hrsg. v. A.
U. Pope, London u. NY 1939; M. Barkechli, L'art sassa-
nide, base de la musique arabe, Teheran 1947; ders., La
gamme persane et ses rapports avec la gamine occidentale,
Olympia I, 1950; ders., Ancient and Modern Iranian Mu-
sic in Relation to Popular Tradition, ebenda; ders., Les
rythmes caracteristiques de la musique iranienne, Kgr.-
Ber. Koln 1958; ders., La musique traditionelle de FIran,
Teheran 1964; A. Patmagrian, The Music of Iran, Iran
Review II, London 1950; Z. Ter-Hacobian, Quelques
aspects hist, et esthetiques de la musique persane, Diss.
StraBburg 1954, maschr.; P. Mahmoud, A Theory of Per-
sian Music and Its Relation to Western Practice, Diss. In-
diana Univ. 1956, maschr.; Kh. Khatschi, Der Dastgah.
Studien zur neuen persischen Musik, = Kolner Beitr. zur
Musikforschung XIX, Regensburg 1962; E. Zonis, Con-
temporary Art Music in Persia, MQ LI, 1965 ; N. Caron,
Dariouche Safvate, Iran. Les traditions mus., Paris 1966.
Peru.
Lit. : St. Ryden, Notes on Some Archaeological Whistling
Arrowheads from P., = Comparative Ethnographical Stu-
dies IX, Goteborg 1930; W. Sargeant u. J. Lahiri, Types
of Quechua Melody, MQ XX, 1934; A. Sas Orchassal,
Apercu sur la musique inca, AMI VI, 1934 ; C. Vega, Ton-
leitern mit Halbtonen in d. Musik d. alten Peruaner, AMI
IX, 1937; J. Castro, Sistema pentafonico en la miisica pre-
colonial de P., Boletin latino-americano de miisica IV,
1938 ; G. Mazzini, Etnofonia sud-americana (del Cili e del
P.), RMI XLVII, 1943; C. Raygada, Esquema hist, de la
miisica en el P., Lima 1952; ders., Hist, critica del Himno
Nacional, 2 Bde, Lima 1954; M. U. del Solar, L'6ducation
mus. dans les etablissements scolaires du Perou, in : La Mu-
sique dans Feducation, Brussel 1953, hrsg. v. A. Colin, Pa-
ris 1955; R. u. M. d'Harcourt, Les formes du tambour a
membrane dans Fancien Perou, Journal de la Soc. des
Am6ricanistes, N. F. XLIII, 1954; S. L. Moreno, La miisi-
ca de los Incas, Quito 1957; C. A. Angeles Caballero,
Bibliogr. del folklore peruano I, Lima 1958 ; J. M. Argue-
das, The Singing Mountainers. Songs and Tales of the
Quechua People, hrsg. v. R. Stephan, Edinburgh u. Lon-
don 1 958 ; R. Stevenson, The Music of P., 2 Bde, Washing-
ton (1959-60).
Pes (lat., FuB), - 1) synonym mit Podatus (-> Neu-
men - 1) ; - 2) in der mittelalterlichen mehrstimmigen
Musik Englands, vor allem in den Worcester-Frag-
menten (-> Quellen: Wore), die gelaufigste Bezeich-
nung der textlosen (wohl instrumentalen) Fundament-
stimme, die ihre nahere Benennung vom Text der
Oberstimme(n) erhalt (z. B. P. de Pro beati Pauli . . . ,
MSD II, Nr 70; haufig auch in der Formulierung P.
super . . . ) und sehr oft - jedoch durchaus nicht immer -
aus vielfachen Wiederholungen eines einzigen oder
einiger Motive besteht, deren Umfang von wenigen
Longamensuren (z. B. im »Sommerkanon«) bis zur re-
gularen Ausdehnung kontinentaler Motettentenores
der gleichen Zeit reicht. Die Bezeichnung P. findet
sich gelegentlich auch bei einer Stimme, die tiber der
untersten Stimme liegt; in den Quellen sind sie dann
meist als Primus p. (Fundamentstimme) und Secundus
p. benannt. Im Unterschied zu den kontinentalen Mo-
tettentenores ist eine liturgische Herkunft der P.-Stim-
men nur selten nachzuweisen; in der Regel scheinen sie
frei erf unden zu sein. - 3) in den Mensuraltraktaten seit
dem 13. Jh. eine Bezeichnung fiir die von modalen
Rhythmusmodellen ausgefullte -»■ Perfectio (- 2; z. B.
im sechsten Modus: tres breves pro pede, Anonymus IV,
um 1275, CS 1, 334b), mit der die Analogie zu den Vers-
fiiBen betont werden soil. Bei W. Odington (nach 1300)
findet sich eine umf angreiche Zusammenstellung der-
artiger rhythmisch-metrischer Entsprechungen {qui
pedes quibus modis aptandi sunt, CS I, 238b ft.), die sich
vielleicht auf Moglichkeiten der Textadaptation be-
ziehen; Fr. Salinas widmet dem gleichen Thema das V.
bis VII. Buch seiner Musica (1577), und noch die spat-
barocke Musiklehre bedient sich der entsprechenden
Bezeichnung: Von der Ldnge und Kiirtze des Klanges,
oder von der Verfertigung der Klang-Fiisse (Mattheson
Capellm., S. 160). -> Metrum (- 3).
Lit. : zu 1) : W. Lipphardt, Punctum u. P. im Cod. Laon
239, KmJb XXXIX, 1955. - zu 2) : M. F. Bukofzer, »Su-
mer is icumen in«. A Revision, in: Univ. of California
Publications in Music II, 2, Berkeley u. Los Angeles 1944;
J. Handschin, The Summer Canon and Its Background,
MD III, 1949 u. V, 1951 ; L. A. Dittmer, The Worcester
Music Fragments, Diss. Basel 1952, maschr., Teildruck
Basel 1955; ders., Beitr. zum Studium d. Worcester-Frag-
mente, Mf X, 1957; E. Apfel, Studien zur Satztechnik d.
ma. engl. Musik, 2 Bde, = Abh. d. Heidelberger Akad. d.
Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1959, Nr 5. FrR
pesante (ital.), wuchtig, gewichtig.
pf, Abk. fiir poco forte oder piu forte; -> forte.
Pfalz.
Ausg.: Volkslieder aus d. Rheinpf., hrsg. v. G. Heeger u.
W. WtiST, 2 Bde, Kaiserslautern 1909, neubearb. u. in 1 Bd
hrsg. v. J. Muller-Blattau (mit Fr. Heeger) als: Pfalzi-
sche Volkslieder, = Veroff. d. Pfalzischen Ges. zur Forde-
rung d. Wiss. XLIV, Mainz 1963.
46*
723
Pfeifen
Lit. : Th. Levin, Beitr. zur Gesch. d. Kunstbestrebungen in
d. Hause Pf.-Neuburg, Beitr. zur Gesch. d. Niederrheins
XIX, 1905, XX, 1906 u. XXIII, 1911 ; J. Muller-Blattau,
Zur Mg. d. Stadt Kaiserslautern, in: Kaiserslautern 1276—
1951, hrsg. v. O. Munch, Kaiserslautern 1951 ; G.Pietzsch,
Gedanken zu einer pfalzischen Mg., Pfalzer Heimat VII,
1956; E. Schmitt, Die kurpfalzische Kirchenmusik im 18.
Jh., Diss. Heidelberg 1958, maschr.; H. Braun, Studien
zum pfalzischen Volkslied, = Forschungsbeitr. zur Mw.
XVI, Regensburg 1964.
Pfeifen -» Flote, -*■ Labial-P£., -*■ Lingual-Pf.
Pfeiferkonig -> Zunf t.
Phagotum (von ital. fagotto, Bundel), ein von Afra-
nio degli Albonesi (* urn 1480 zu Pavia) 1515 konstru-
iertes und mindestens zweimal verbessertes Instrument.
Es bestand aus zwei miteinander verbundenen, etwa
45 cm langen Pfeifen aus Buchsbaum (in der erwei-
terten Konstruktion kam eine Bordunpfeife hinzu)
mit aufschlagenden Zungen (meist aus Silber) und hat-
te 6 bzw. 9 Grimocher, die mit den Fingern sowie mit
mehreren offenen und geschlossenen Klappen gedeckt
wurden. Das Instrument wurde vom Spieler aufrecht
auf den SchoB genommen; unter den rechten Ober-
arm wurde ein Blasebalg, unter den linken ein Wind-
sack geschnallt. Der Tonumfang der um eine Quarte
gegeneinander versetzten Pfeifen war zusammen G-e 1 .
Ein sehr spater Bericht (1621) besagt, daB Afranio das
Ph. 1532 bei einem Bankett gespielt habe. -+ Fagott.
Lit. : Theseus Ambrosius, Introductio in Chaldaicam lin-
guam . . . Et descriptio ac simulacrum Phagoti Afranij,
Pavia 1539; M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris
1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; ders.,
Harmonicorum libri XII, 2 Bde, Paris 2 1648; Le traite des
instr. de musique de P. Trichet, hrsg. v. Fr. Lesure, Ann.
Mus. Ill, 1955 - IV, 1956; L.-Fr. Valdrighi, II Phagotus
d' Afranio, Musurgiana Nr 4, Modena 1881, dass. in: No-
mocheliurgografia antica e moderna, ebenda 1884; ders.,
Sincrono documento intorno al metodo per suonare il
»Phagotus« d'Afranio, Musurgiana, Serie II, Nr 2, ebenda
1 895; C. Forsyth, The Phagotus of Afranio, in : Orchestra-
tion, London 2 1936 ; Fr. W. Galpin, The Romance of the
Ph., Proc. Mus. Ass. LXVII, 1940/41 ; A. Reimann, Stu-
dien zur Gesch. d. Fag. I : Das »Ph.« d. Afranius Albonesi
. . . , Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.
Phantasie oder Einbildungskraft ist im weiteren Sin-
ne das gesamte Vorstellungsleben des Menschen, wobei
zwischen bloB reproduktiver oder Erinnerungsvorstel-
lung und eigentlicher, produktiver Ph.-Vorstellung
unterschieden wird. Wahrend die erstere einmal Wahr-
genommenes mehr oder minder getreu (niemals streng
abbildlich) wiederholt oder wieder hervorbringt, ge-
langt die letztere zu schopferischen Neubildungen, so
gewifi diese ebenfalls grundsatzlich ein einmal Wahr-
genommenes voraussetzen. Schon Christian Wolff
faBte beides - die reproduktive und die produktive
Vorstellung - unter dem Begriff »Phantasma« zusam-
men, und Goethe forderte gegen Tetens und Kant, ne-
ben den angenommenen drei Grundvermogen der See-
le (Denken, Fiihlen, Wollen) die Ph. als ein viertes an-
zuerkennen. Die Empiristen bestritten und bestreiten
bis heute, daB es im strengen Sinne Neuschopfungen
der Ph. geben konne, die iiber eine neuartige Kombi-
nation oder Umgruppierung des durch die Sinne Er-
fahrenen hinausgehen. Indes lehrt gerade die denkeri-
sche, logische und zumal mathematische Ph., erst recht
naturlich die kunstlerische, daB dieser Vorbehalt zum
mindesten in Extremf alien nicht stichhalt und auf einem
elementen- und assoziationspsychologischen Vorurteil
beruht. Z. B. die konstruktive Vorstellung des Mathe-
matikers von mehr als dreidimensionalen Raumen und
dergleichen ist aus anschaulichen Raumvorstellungen,
wie sie aus der sinnlichen Erfahrung gewonnen sind,
allein nicht abzuleiten. Ein Gleiches gilt in gesteigertem
MaBe in den Kiinsten, und hier ganz besonders in der
Musik. Derm diese lehnt sich iiberhaupt nur in Aus-
nahmefallen an Vorbilder aus der Wirklichkeit der
Natur- und Sinnenwelt an, namlich in der -> Tonma-
lerei und -> Programmusik; als -> Absolute Musik je-
doch verfolgt sie nicht das Ziel, sinnliche Erfahrung zu
verwerten und zu kombinieren. In Schopenhauers Mu-
sikphilosophie wird dies auf die Formel gebracht, daB
die Musik als einzige unter den Kiinsten das Reich der
Ideen, d. h. der Anschauung im weiteren Sinn, iiber-
springt und unmittelbar das Wesen der Welt, den »Wil-
len«, ausdriickt oder ausspricht.
Die kunstlerische Ph. ist hiernach die freie oder auch
mehr oder minder gelenkte erfinderische Vorstellung,
die auch die Ph. des Alltagslebens aus- und kennzeich-
net; dabei ist ein spielerischer Zug nicht selten. Die Ph.
induziert und steuert alle kiinstlerischen Leistungen, in
gewissem MaBe auch die Rezeption des Kunstwerks,
die von den Ph.-Erwartungen des Horers oder Betrach-
ters mit getragen wird, wodurch Ausdruck zum Ein-
druck wird. Schon hier bedarf es der »Einf iihlung« (nach
Fr. Th. Vischer, Th.Lipps u. a.) und der Leitgefuhle
sowie einer »Gefuhlsfuhrung« (nach A.Wellek 1939
und 1963), die nicht allein eine Leistung des Gefiihls,
sondern eben des phantasievollen Nachvollzugs ist.
Noch mehr und in pragnanterer Weise gilt ein Gleiches
fur die kunstlerische Nachgestaltung, zumal fiir das In-
strumentenspiel und Dirigieren, dessen aufs feinste ab-
gestimmte Bewegungsvollziige ohne eine spezifische
Bewegungs-Ph. und zugehorige Gefuhlssteuerung
nicht moglich waren. Die Krone der Ph.-Leistung ist
freilich die eigenschopferische Erfindung und Neuge-
staltung. Auf hoherem gestalterischem Niveau wird
die Ph. in diesem Sinne als schopferisch bezeichnet und
als die eigentliche Grundlage der Genialitat angesehen.
Hier stellt sich das Problem, daB die kunstlerische Ph.
zugleich unwillkurlich und »teleologisch« (ziel- und
zweckgerichtet) sein kann. Das gilt im besonderen auch
von Einfall und Eingebung, kiinstlerischer Inspiration
und Intuition. Um diese Begriffe entstand zumal zwi-
schen den Verfechtern einer romantischen und spatro-
mantischen Kunstauffassung und denjenigen einer
»neuen Sachlichkeit« ein viel beredeter Streit. In den
seinerzeit aufsehenerregenden Polemiken zwischen
Pfitzner und P.Bekker (und spater J. Bahle) zeigte sich
die Gefahr, daB durch eine gegeniiber der landlaufigen
Auffassung andere Auslegung des Begriffs der »Arbeit«
an denen vorbeigeredet wird, die die »Inspiration« ge-
gen die » Arbeit« hochhalten. Gemeint ist doch offenbar,
daB »Arbeit« in hohem MaBe erst das Konnen sicher-
stellt, d. h. den Boden schafft, aus dem der Ph.-Einfall
in kiinstlerisch gestalteter oder gestaltbarer Form er-
wachst. Diese vorstrukturierendeBedeutung der Arbeit
kann auch von jenen nicht geleugnet werden, die im
konkreten Schaffen von einer »Eingebung«, d. h. von
einem nicht bewuBt erarbeiteten »Einf all « ausgehen oder
auszugehen glauben. Zweifellos gibt es hier sehr be-
trachtliche personale Verschiedenheiten, auch z. B.
Verschiedenheiten der Werkgattung. Eine »Improvi-
sation«, eben eine musikalische »Ph.« (-> Fantasie), ein
Lied, ein Epigramm oder dergleichen kann groBenteils
auch »ganz« gleichsam »vom Himmel gefallen« kom-
men und wenig bewuBte Arbeit erfordem; nicht so
eine Symphonie oder Oper. Diesen verwickelten Ver-
haltnissen wird man nicht gerecht, wenn man mit Bahle
im Hinblick auf das musikalische Schaffen einfach ei-
nen »Inspirationstyp« mit einem »Arbeitstyp« konfron-
tiert. Zum mindesten die eigentlich romantischen Va-
rianten werden hier iibersehen, iiberhaupt diejenige
Form des Kunstlertums, fiir die der Schaffensakt gar
nichts irgendwie Beschauliches und Uberlegtes hat,
724
Phon
sondern als ein Leiden oder Befallensein erlebt wird
oder als eine Depersonalisation vor einem Transindivi-
duellen (A. Wellek 1963). Andererseits kann der Kiinst-
ler ebenso wie der Philosoph oder Mathematiker sehr
wohl audi bewuBt, ja methodisch auf den Einfall hin-
arbeiten, ihn suchen, ja beschworen, wenn er etwa an
einem »Problem«, sei es ein theoretisches oder ein kunst-
lerisch-gestalterisches, »arbeitet«, mit dem Problem
»ringt«, es knetet, aufbereitet und schlieBlich (im giin-
stigen Falle) im plotzlich aufleuchtenden »Gedanken-
blitz«oderPh.-Einfallbezwingt(A.Wellekl966).
Nicht mit der eigentlichen gestaltungskraftigen Ph., die
auch als »Bildkraft« bezeichnet wird, zu verwechseln
ist Phantastik. Auf sie ist das Xenion von Goethe-
Schiller gemiinzt, wenn es zwar »Ph.« betitelt ist, aber
sagt: Schaffen wohl kann sie den Stqff, dock die wilde[\]
kann nicht gestalten . . . Der Unterschied zwischen ei-
gentlicher Ph. (Bildkraft) und Phantastik wird zuwei-
len darin gesucht, daB in letzterer das BewuBtsein der
Irrealitat der vorgestellten Gebilde verlorengeht. Das
ist nicht notwendig der Fall: auch eine phantastische
Vorstellung kann der Phantasierende als »phantastisch«,
d. h. als wirklichkeitswidrig beurteilen, so etwa Berlioz
im Programm seiner ausdriicklich so betitelten Sym-
pkonie fantastique. AuBer in diesen programmusikali-
schen Zusammenhangen ist jedoch der Wirklichkeits-
bezug fiir die musikalische Ph. irrelevant. Phantastik
ist, im Gegensatz zu Bildkraft, vital aber untief, ange-
trieben, dranghaft, daher traumhaft, sprunghaft, ver-
worren, wild (wie im Xenion), zerblasen. Als phanta-
stisch kann die musikalische Ph. eines Berlioz von der
Sache her gelten, mehr noch die moderner Autoren
wie zuweilen Schonberg oder A. Berg. Typologisch
zahlt Wellek die musikalische, ebenso wie die lyrische
Ph. zur introvertierten Auspragungsform im Sinne der
»Ausdruckskraft«, auf dem Gegenpol zur Darstellungs-
Ph. in Tanz- und Schauspielkunst.
Die im AnschluB an Hanslick zuweilen vorgetragene
Meinung, daB nicht das Gefiihl, sondern die Ph. »die
asthetische Instanz« der Musik als Kunst sei, setzt eine
inzwischen uberholte Vorstellung vom Wesen der Ge-
fiihle und der Ph. voraus, die beide nicht nur nicht un-
vereinbar, sondern, wie oben angegeben, ineinander
verwoben sind, wobei das Gefiihl die Ph. f undiert, nicht
umgekehrt. Eine richtige (weite) Fassung des Gefiihls-
begriffs vorausgesetzt, die »Kopfgefuhle« (nach Klages)
mit einschlieBt, gilt das auch von der schon von Goethe
angenommenen »exakten« Ph., die auch als konstruk-
tive Ph. auftreten kann und sowohl in den Wissen-
schaften wie auch in den Kiinsten ihren Ort hat, in der
Musik iiberall dort, wo das ausdrucksasthetische Kon-
zept verlassen, der reine Artismus, Formalismus und
eben Konstruktivismus auf die Fahne geschrieben wird.
Als »H6hen-Ph.« bezeichnet J. Volkelt (1905) die sich
aufsckwingende, von der Wirklickkeit loslosende Ph. als Be-
gleiterin der nackbildenden Pk. und sieht in dieser Hohen-
Ph. die Bedingung der asthetischen Einfiihlung. In der
Musik, die mit den erwahnten Ausnahmen der Wirk-
lichkeit insgesamt entriickt ist, ist solche H6hen-Ph.
auch dann am Werk, wenn sie den Weg der konstruk-
tiven Ph. einschlagt.
Lit.: Th. Lipps, Asthetik, 2 Bde, Hbg u. Lpz. 1903-06, I
31923; J. Volkelt, System d. Asthetik, 3 Bde, Munchen
1905-14, 21925-27; H. Riemann, Spontane Phantasieta-
tigkeit u. verstandesmafiige Arbeit in d. tonkiinstlerischen
Produktion, JbP XVI, 1909; J. Bahle, Der mus. Schaffens-
prozeB, Lpz. 1936, Neudruck Konstanz 1947; L. Klages,
Grundlegung d. Wiss. v. Ausdruck, Lpz. 1936, 7 1950; A.
Wellek, Gefiihl u.. Kunst, Neue Psychologische Studien
XIV, 1939; ders., Musikpsychologie u. Musikasthetik,
Ffm. 1963; ders., Die Polaritat im Aufbau d. Charakters.
System d. Konkreten Charakterkunde, Bern u. Munchen
1950, '1966; R. Wellek, A Hist, of Modern Criticism, 4
Bde, New Haven (Conn.) 1955-65, Bd I als: Gesch. d. Li-
teraturkritik, Darmstadt (1959). AW
Phase (griech., Stufe oder Abschnitt einer Entwick-
lung), in der Schwingungs- und Wellenlehre jene Zeit
(Bruchteil der Periode), in der ein bestimmter Schwin-
gungszustand (Elongation bzw. Schnelle) erreicht
wird. Sie charakterisiert den Schwingungszustand einer
-*■ Welle an einem bestimmten Ort bzw. den einer
-> Schwingung zu einer bestimmten Zeit. Die Ph.n-
Differenz gibt den Unterschied an (in Winkelgraden),
um den 2 Schwingungszustande gegeneinander ver-
schoben sind. Sie bestimmt die Art der -» Interferenz,
d. h. die Form der resultierenden Schwingung. Die
Uberlagerung von Grund- und Oktavschwingung
mit einer Phasendifferenz von 0° bzw. 270°.
Ph.n-Lage von Teilschwingungen hat groBe Bedeu-
tung fiir das Zustandekommen der -> Residualton-
hohe; auch das Richtungshoren wird durch die an bei-
denOhrenauftretendenPh.n-Differenzenmitbestimmt.
Bei Schwingungen ungleicher, aber dicht benachbar-
ter Frequenz entstehen durch quasi standig sich veran-
dernde Ph.n-Differenzen periodische Interferenzen,
-> Schwebungen genannt.
Philadelphia (Pennsylvania, USA).
Lit. : R. R. Drummond, Early German Music in Ph., NY
1910 ; A. A. Parker, Church Music and Mus. Life in Penn-
sylvania in the 18 th Cent., 3 Bde, Ph. 1926-47; Th. C. Pol-
lock, The Ph. Theatre in 18 th Cent., London u. Ph. 1933 ;
A. H. Wilson, A Hist, of the Ph. Theatre 1835 to 1855, Ph.
1935 ; R. A. Gerson, Music in Ph., Ph. 1940.
Philippinen.
Lit.: A. Schadenbero, Musik-Instr. d. Ph.-Stamme, Zs. f.
Ethnologie XVIII, 1886; M. Walls y Merino, La musica
popular de Filipinas, Madrid 1892; R. Banas y Castillo,
The Music and Theatre of the Philipino People, Manila
1924; N. Romualdez, Filipino Mus. Instr. and Airs of
Long Ago, in: Encyclopedia of the Philippines, hrsg. v. Z.
M. Galang, Bd IV, Manila 1935; S. Wolf, Zum Problem
d. Nasenflote, Abh. Volkerkunde-Museum Dresden, N. F.
1, 1941 ; M. Schneider, Musica en las Philipinas, AM VI,
1951; J. Maceda, Philippine Music and Contemporary
Aesthetics, in: H. Passin, Cultural Freedom in Asia, Rut-
land (Vt.) 1956; ders., Chants from Sagada Mountain
Province Philippines, Ethnomusicology II, 1958; Fr. San-
tiago, The Development of Music in the Philippine Islands,
Quezon City 1957.
Phon -> Lautstarke.
725
Phonascus
Phonascus (lat., von griech. <p<ovaax6i;, Gesangleh-
rer), im Rom der Kaiserzeit ein Fachmann auf dem
Gebiet der Stimmbildung, in der friihchristlichen Kir-
che der auch -»- Praecentor genannte Vorsanger. Gla-
reanus (1547, II, cap. XXXVIII) nennt Ph. denErfinder
einer Melodie (tenor, thema, vox oder cantus simplex,
z. B. Pange lingua), im Unterschied zum ->• Sympho-
neta. Er achtet den Ph. keineswegs geringer als den
Symphoneta, zumal die Erfindung des Tenors dem
Hinzufiigen von Stimmen (z. B. in einer Messe) vor-
ausgeht. Der Titel Ph. wird auch von einem Music-
Directore und Capellmeister manchmahl gebraucht (Wal-
therL) ; z. B. werden Gaffori als Leiter der Kantorei am
Mailander Dom (Theorka musicae, 1492, Widmung),
Guerrero als Kapellmeister in Sevilla (im Messendruck
von Du Chemin, Paris 1566) und Baryphonus als Kan-
tor der Quedlinburger Stadtkirche (Praetorius Synt.
Ill, Vorrede) Ph. genannt. In dieser Bedeutung tritt die
Bezeichnung Ph. noch 1742 und 1750 in Antwerpen
auf (RBM VIII, 1954, S. 327).
Phonetik (Lautlehre; von griech. <p<ovY), Laut), ein
Wissensgebiet, das sich seit dem spaten 19. Jh. als eige-
ne Disziplin entwickelte, herausgewachsen und seither
in steter Wechselbeziehung stehend zu einzelnen Ge-
bieten der Physik, Medizin, Psychologie, Sprachwis-
senschaft (Linguistik) sowie zu Bereichen der Praxis
(Singen) und Theorie der Musik. Die Experimental-
Ph. gibt durch die Erforschung des Phonationsvor-
gangs die wissenschaf tlichen Grundlagen zur Regelung
und Transkription der -* Aussprache und zur Praxis
der -»- Stimmbildung und -hygiene. Vorlaufer der ex-
perimentellen Ph. waren W. v. Kempelen und Chr. Th.
Kratzenstein (um 1760-80) mit ihren Versuchen, mit
Hilfe einer Sprechmaschine das Sprechen kiinstlich
nachzuahmen, gestutzt auf Kenntnisse der Musikin-
strumente und der -> Mechanischen Musikwerke. Seit
der Erfindung des Laryngoskops (Kehlkopfspiegels)
durch den Gesanglehrer M. -»■ Garcia (nach 1855) trat
die Untersuchung der Anatomie und Physiologie der
->■ Stimme (- 2) in den Vordergrund, gegen Ende des
19. Jh. diejenige der Akustik des Sprechens (H. v. Helm-
holtz, Stumpf). Neue Methoden der Untersuchung
und Synthetisierung des Sprachklangs ergaben sich im
20. Jh. durch den Einsatz elektrischer Apparaturen
(->■ Visible Speech, -»- Voder). Mit ihnen lassen sich
auch groBere Zusammenhange des Sprechaktes wie
Tempo, Dynamik, Farbung sowie die Sprechmelodie
exakt erfassen. Beobachtungen iiber Sprechmelodie lie-
gen seit dem spaten 18. Jh. vor (Steele 1775); sie sind
durch die zeitgenossische Problematik der Deklama-
tion angeregt, ebenso wie die spateren Theorien von
Ausdruckshaltung und Typenauspragung beim Spre-
chen und Singen (Schallanalyse von E. -»■ Sievers und
O. ->■ Rutz, auf Bereiche der Musik iibertragen von
G. Becking und W.Danckert; -*■ Typenlehre) und die
Analyse von Musik und Sprache mit Hilfe der -*■ In-
formationstheorie.
Lit. : J. Steele, An Essay Towards Establishing the Melody
and Measure of Speech to be Expressed and Perpetuated
by Peculiar Symbols, London 1775, dazu P. Martens in:
Sprechmelodie als Ausdrucksgestaltung, = Hamburger
Phonetische Beitr. I, Hbg 1952; Chr. G. Kratzenstein in :
Acta Acad. Petropolitanae pro anno 1780; W. v. Kempe-
len, Mechanismus d. menschlichen Sprache nebst d. Be-
schreibung seiner sprechenden Maschine, Wien 1791 (auch
frz.); M. GARcfA, Memoire sur la voix humaine, Paris 1 840,
21904, deutsch Wien 1878; L. Kohler, Die Melodie d.
Sprache, Lpz. 1853; E. Sievers, Grundziige d. Ph., Lpz.
1876, 51901; ders., Rhythmisch-melodische Studien,
= Germanische Bibl. II, 5, Heidelberg 1912; F. Krue-
oer, Beziehungen d. experimentellen Ph. zur Psycholo-
gie, Lpz. 1907; R. Lach, Das Phonationsproblem in d.
vergleichenden Mw., Wiener Medizinische Wochenschrift
LXX, 1920; ders., Das Problem d. Sprachmelos, ebenda
LXXII, 1922; ders., Mg. im Lichted. Ph., ebenda LXXIII,
1923; ders., Sprach- u. Gesangsmelos im Engl., Fs. K.
Luick, Wien 1925; R. Scharnke, Die Entwicklung d.
Sprechmaschine, Magdeburg 1 923; C. Stumpf, Die Sprach-
laute, Bin 1926; G. Panconcelli-Calzia, Quellenatlas
zur Gesch. d. Ph., Hbg 1940; ders., Geschichtszahlen d.
Ph., Hbg 1941; Sprechmelodie als Ausdrucksgestaltung,
= Hamburger Phonetische Beitr. I, hrsg. v. O. v. Essen,
Hbg 1952; ders., Allgemeine u. angewandte Ph., Bin
1953, 41966; H.-H. Wangler, GrundriB einer Ph..d. Deut-
schen, Marburg 1960. - Zs.: Vox, Internationales Zentral-
blatt f. experimentelle Ph., Bin I, 1891 - XXXII, 1922 (ab
1912 als: Medizinisch-padagogische Monatsschrift f. d.
gesamte Sprachheilkunde) ; Vox (Mitt. d. phonetischen
Labors d. Univ. Hbg), Hbg I, 1925 - XXII, 1936, fortge-
setzt als : Arch. f. vergleichende Ph. ; Arch, f . d. gesamte Ph.
(I. Abt.: Arch. f. vergleichende Ph.; II. Abt. : Arch. f.
Sprach- u. Stimmphysiologie u. Sprach- u. Stimmheilkun-
de), Bin I, 1937ff.
Phonogrammarchiv, von C. Stumpf 1900 in Berlin
begonnene, von O.Abraham und E.M.v.Hornbostel
weitergefiihrte Sammlung phonographischer Aufnah-
men der Musik auBereuropaischer Kulturen. Dieses
Archiv wurde die Zentralstelle der Forschungen zur
Musikethnologie. 1934 dem Berliner Museum fur
Volkerkunde angegliedert und im 2. Weltkrieg zu
90% zerstort, wird es seit 1951 von K.Reinhard neu
aufgebaut und geleitet. Weitere derartige Archive be-
stehen in Wien (Ph. der Akademie der Wissenschaf-
ten), in Paris (Musee de l'Homme), Budapest, Lenin-
grad und in den USA (Library of Congress in Wash-
ington, Columbia University in New York). Ph.e wer-
den heute verstanden als eine Sonderform der -»• Pho-
nothek.
Lit. : E. M. v. Hornbostel, Das Berliner Ph., Zs. f . verglei-
chende Mw. 1, 1933 ; M. Schneider, Theoretisches u. Prak-
tisches zur »Katalogisierung d. Ph.«, AfMf I, 1936; G.
Schunemann, Die Ph. in Bukarest u. Zagreb, ebenda; K.
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Arch., Mf VI, 1953;
ders. in: Baessler-Arch., N. F. IX (= Bd XXXIV), 1961,
S. 83-94; W. Graf, Das Ph. d. Osterreichischen Akad. d.
Wiss., in : Musikerziehung XII, 1959 ; J. Kunst, Ethnomu-
sicology, Den Haag 3 1959.
Phonograph-*- Schallaufzeichnung.
Phonola -*■ Mechanische Musikwerke.
Phonothek (engl. record library), Bezeichnung fur
eine Sammlung von Tontragern, die nicht nur Schall-
platten (Diskothek), sondern auch Tonbander, Walzen
und Folien (-»■ Schallplatte) umfaBt. Rundfunk-Ph.en
(1929 Griindung des Schallarchivs der Reichs-Rund-
funk-Gesellschaft in Berlin, seit 1952 in Frankfurt am
Main als Lautarchiv des deutschen Rundfunks, 1963
umbenannt in Deutsches Rundfunkarchiv), Ph.en an
Universitaten und Forschungsinstituten (Deutsches
Volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau, Institut fiir
Lautforschung Berlin) sowie Ph.en als besondere Ab-
teilungen von musikwissenschaftlichen Bibliotheken
und offentlichen Musikbiichereien sind von groBer
dokumentarischer und wissenschaftlicher Bedeutung.
Ein Vorlaufer der heutigen Ph. ist das -»■ Phonogramm-
archiv. Zentrale Ph.en, die die gesamte nationale Schall-
plattenproduktion und andere wertvolle Schallaufnah-
men erfassen, sind in Paris die Phonotheque Nationale,
in Rom die Discoteca di Stato, in London das British
Institute of Recorded Sound, in Briissel die Disco-
theque Nationale de Belgique, in Stockholm die Natio-
nal-Fonothek, in Couvet (Kanton Neufchatel) die
Phonotheque Nationale Suisse und in Washington ei-
ne Abteilung der Library of Congress. Deutschland
besitzt seit 1961 als ahnliche Einrichtung die Deutsche
Musik-Ph. in Berlin. Innerhalb der Internationalen
726
Phrasierung
Vereinigung der Musikbibliotheken (AIBM) bemiiht
sich die 1953 gegriindete Arbeitsgruppe Internationale
Kommission der Tontragerarchive um die Organisa-
tion des Ph.-Wesens und die Aufstellung einer inter-
nationalen Bibliographic von Tonaufnahmen als einer
Teilaufgabe der -> Dokumentation (->■ Diskographie).
Lit.: A. Schaeffner, Les taches scientifiques et pedago-
giques des phonotheques mus., Fontes artis musicae III,
1956; P. Saul, The British .Inst, of Recorded Sound, eben-
da; Code for Cataloguing Music and Phonorecords, hrsg.
v. d. Music Library Association u. d. American Library
Association, Chicago 1958; Recensement international
provisoire des phonotheques et discotheques, hrsg. v. d.
Commission internationale des phonotheques, Fontes artis
musicae VI, 1959 (Weltverz. d. Ph.); A. G. Pickett u. M.
M. Lemcoe, Preservation and Storage of Sound Record-
ings, Washington 1959; K.-H. Kohler, Zur Problematik
d. Schallplatten-Katalogisierung, in : Music, Libraries and
Inst., = Hinrichsen's 1 1 "> Music Book 1961 ; K. Reinhard,
Probleme u. Erfahrungen in einem musik-ethnologischen
Schallarch., ebenda; R. Schaal, Aufbau, Einrichtung
u. Verwaltung einer Deutschen Ph., Instrumentenbau-Zs.
XV, 1961 ; G. Soffke, Anlage u. Verwaltung v. Schallplat-
tenslgen in wiss. Bibl., = Veroff. d. Bibliothekar-Lehrinst.
d. Landes Nordrhein-Westfalen XIX, Koln 1961 ; Report
on the Preservation of Authentic Folk Music . . . , Journal
of the International Folk Music Council XIII, 1961; J.
Chailley u. a., Le catalogage des documents ethnomusico-
logiques sonores . . . de l'Inst. de musicologic de Paris,
Fontes artis musicae IX, 1962; M. Prokopowicz, Le cat.
des documents sonores, ebenda X, 1963 ; Gramophone Re-
cord Libraries, Their Organization and Practice, hrsg. v.
H. J. C. Curall, London 1963 ; Mitt. d. Deutschen Musik-
Ph., Bin, H. 1, 1965; H. Schermaix, Die deutsche Musik-
Ph., Musica XXI, 1967.
Phorbeia (griech., Halfter), in der Antike die beim
Spielen des Doppelaulos (-> Aulos) haufig als Hilfe be-
nutzte lederne Mundbinde (wohl ausnahmsweise auch
beim Spielen der -> Salpinx); seit etwa 700 v. Chr.
nachgewiesen.
Lit.: M. Wegner, Artikel Ph., in: Pauly-Wissowa RE
XXXIX, 1941.
Phorminx (griech. 96pu.iyl;),zurFamilieder-»-Leier
gehoriges altgriechisches Zupfinstrument, das seit Ho-
mer namentlich genannt wird und auf Abbildungen
seit dem 9. Jh. v. Chr. vor-
kommt. Der Schallkorper wird
meist sichel- oder annahernd
halbkreisformig dargestellt. Die
zwei geraden oder gebogenen
Arme sind oben dutch ein Joch
gekoppelt, von dem aus die Sai-
ten (3-4, gelegentlich 5) zum
Schallkorper laufen. Seit dem
6. Jh. v. Chr. scheint die Ph.
durch -*■ Kithara und -*■ Ly-
ra (- 1), von denen sie dem Namen nach nicht immer
scharf unterschieden wurde, allmahlich verdrangt wor-
den zu sein; der Name Ph. verschwand im 5. Jh. v.
Chr. Das Instrument konnte mit oder ohne ->• Plektron
gespielt werden. Bruchstiicke von Elfenbeinoriginalen
wurden in Menidi und Mykenae gefunden.
Lit.: M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949;
Fr. Behn, Musikleben im Altertum u. friihen MA, Stutt-
gart 1954; B. Aign, Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen
Raumes bis um 700 v. Chr., Diss. Ffm. 1963.
Photogrammarchiv ->- Autograph.
Phrasierung umfaBt analysierendes Aufsuchen, mit-
teilendes Bezeichnen und interpretierendes Verdeutli-
chen musikalischer Sinnglieder. Als Ergebnis dieser un-
trennbaren Einzelvorgange kann die Phr. sowohl in.
analytischer Auseinandersetzung mit der Komposition
entstehen als auch bei dem die Sinnglieder iiberwie-
gend intuitiv erfassenden und gleichzeitig zusammen-
f assend darstellenden musikalischen Vortrag. Beide Ver-
fahrensweisen zielen auf musikalische Interpretation,
die eine Synthese rationaler und kiinstlerisch-astheti-
scher Entscheidungen erf ordert. Wahrend das Ergebnis
einer auf Phr. gerichteten Analyse schriftlich oder gra-
phisch (in Form von Phr.s-Bezeichnungen) niederge-
legt wird, kann eine allein im Erklingen realisierte Sinn-
gliederung nur als individuelle Auffassung eines Inter-
preten greifbar werden. - Die Phr. wurde als Lehre von
H. -> Riemann systematisch vor allem im Hinblick auf
padagogische Unterweisung im Klavierspiel und in der
Komposition entwickelt. Dabei lag der Schwerpunkt
iiberwiegend in der analytisch-rationalen Auseinander-
setzung, in der Feststellung der Phrasengrenzen und der
Isolierung einzelner Sinnglieder. Heute sind wissen-
schaftliche Erorterungen iiber Phr. selten. Das Aufsu-
chen der richtigen Phr. wird meist dem subjektiven
Einf uhlungsvermogen des ausubenden Kiinstlers iiber-
lassen, w5hrend sich die Musikwissenschaft weithin
darauf beschrankt, von alien Zusatzen freie Urtextaus-
gaben bereitzustellen. Indessen ist das Problem der Phr.
heute ebenso aktuell wie zu Riemanns Zeit. Wenn auch
berechtigte Einwande gegen viele Ergebnisse von Rie-
manns Phr.s-Methode bestehen, wird gleichwohl jede
wissenschaftliche und praktische Beschaftigung mit
Problemen der Phr. und des musikalischen Vortrags
sich mit den Leistungen Riemanns auf diesem Gebiet
kritisch auseinandersetzen miissen. - Wesentliche Vor-
aussetzung fur Riemanns Phr.s-Lehre war seine an J.J.
de ->• Momigny ankniipfende, die Auftaktigkeit zum
Prinzip erhebende Konzeption (->■ Auftakt, -»■ Me-
trum - 3), durch die er einen standig auf den nachsten
metrischen Schwerpunkt hinzielenden Vortrag errei-
chen wollte. Damit wandte er sich gegen einen einsei-
tig abtaktig akzentuierenden Vortragsstil, als dessen
bedeutendste Exponenten er M. Hauptmann und H. v.
Btilow ansah. Riemanns auftaktige Deutung aller mu-
sikalischen Bildungen stieB auf starksten Widerspruch.
Derm einerseits bedarf eine Vortragshaltung, die, auch
bei abtaktigen Bildungen den jeweils nachsten Schwer-
punkt ins Auge f assend, auf ihn hindrangt, keiner Recht-
fertigung durch auftaktige Deutung der Komposition,
andererseits ist die Auftakthypothese besonders dort
problematisch, wo Auftakt und Abtakt - wie oft in
der Musik der Wiener Klassik - bewufit einander kon-
frontiert sind.
Analysierendes Aufsuchen musikalischer Sinnglieder
war fur Riemann gleichbedeutend mit ihrer Zuriick-
f iihrung auf normative, rhy thmisch-metrische Modell-
einheiten: Die Glieder, aus welchen musikalische Gedan-
ken bestehen, sind: a) Taktmotive, d. h. Gebilde, die nur
eine schwere Zahlzeit enthalten (mit oder ohne vorausge-
hende und nachfolgende leichte) und die ihren Schwerpunkt
in dieser schweren Zahlzeit finden; b) Taktgruppen von
zwei solchen zur Einheit zusammengefafiten Taktmotiven,
deren Schwerpunkt der schwere Takt bildet;c)Halb sat ze
von vier Taktmotiven, deren Schwerpunkt der schwere Takt
der zweiten Gruppe ist; d) Perioden, aus Vordersatz und
Nachsatz bestehend. . . . Dazu kommen noch als kleinste
Bildungen die Unterteilungsmotive, deren Schwer-
punkt nur eine Zahlzeit bildet, so dafi ihrer im Takt so viele
moglich sind, als der Takt Zdhlzeiten enthalt. Phr as en
nennt man nun diejenigen Taktmotive, Taktgruppen und
Halbsatze, welche als selbstandige Glieder von Symmetrien
einander gegenubergestellt . . . werden. Beim Beginn des Auf-
baues musikalischer Themen sind meist die beiden ersten
Phrasen nur Taktmotive, wahrend die weiter folgenden die
doppelte,ja vierfache Ausdehnung (2 Takte, 4 Takte) an-
nehmen (Musik-Lexikon, 8 1916). Ob die Sinnglieder in
der Musik der Klassik (an der Riemanns System vor
727
Phrasierung
allem orientiert ist) in jedem Falle aus solchen Modell-
einheiten ableitbar sind, ist fraglich. So kann z. B.
-> Symmetrie auch durch kompositorische Bildungen
ungerader Taktzahl entstehen, die sich nicht auf ge-
radzahlige zuriiekfiihren lassen, und es kann der Kom-
position iiberhaupt ein anderes Bauprinzip als das der
-»- Periode zugrunde liegen.
Die genaue Abgrenzung der Phrasen gegeneinander sowie
ihre innere Gliederung, d. h. die Bestimmung der Grenzen
der Taktmotive und Unterteilungsmotive stofSt oftmals auf
erhebliche Schwierigkeiten, weil nur selten die Meister die
genaue Begrenzung auch der kleineren Gebilde angezeigt
haben. Die wesentlichen Anhaltspunkte fiir die Motivbe-
grenzungen sind folgende: 1) Langen auf dem schweren
Taktteil (jeder Ordnung) wirken als Ende, wenn nicht har-
monische Verhaltnisse die Auffassung in diesem Sinne un-
mbglich machen (Musik-Lexikon, 8 1916), d. h., wenn
nicht Weibliche Endung vorliegt (vgl. 5). Die Lange
erweist sich im Gegensatz zu vorausgegangenen Kiirzen
als . . . Stillstand, als ein Ende; . . . auch eine ein Thema
beginnende Lange macht in gleicher Weise einen Ein-
schnitt (Vademecum, 1900, S. 25) :
Beethoven, Sonate op. 49 Nr 2,
2. Satz, Tempo di Menuetto.
Beethoven, Symphonie Nr 1 op. 21,
1. Satz, Takt 13ff., Allegro con brio.
Zweifelhaft wird die Anwendung dieser These jedoch
u. a. bei dem im Vademecum (1900, S. 26) gegebenen
Beispiel :
n
W.A.Mozart, Sonate C dur, K.-V. 545,
1. Satz, Allegro.
2) Pausen nach der auf den schweren Taktteil fallenden
Note wirken ebenfalls, ja in hoherem Grade gliedernd . . .
(Musik-Lexikon, 8 1916). Pausen auf dem leichten Takt-
teil interpretiert Riemann zuweilen als zwischen Auf takt
und Phrasenschwerpunkt eingeschaltete »Innenpausen«
(z. B. 1918, S. 231ff. ; Original im 6/8-Takt) :
Beethoven, Sonate op. 7,
1. Satz, Allegro molto e con brio.
Ahnlich faBt Riemann auch das Thema des 2. Satzes
(Largo) derselben Sonate auftaktig auf:
Auch hier gilt es wieder den stbrrischen Phantasus iiber die
Hinderttisse der Innenpausen hiniiberzubringen. Andern-
falls zerbrockelt das Kopfthema in zusammenhangslose
Fetzen. Gerade so wie im Adagio von op. 2 111 kommt alles
darauf an, die volltaktige Leseweise zu vermeiden und die
beiden ersten Takte zu einer einheitlichen Phrase zu verbin-
den, hier also durch Hiniiberbeziehung der zweiten Notefi
als Auftakt zum zweiten Taktmotiv (1918, S. 249; vgl.
1884, S. 147fL, und Vademecum, 1900, S. 66ff.).
3) Alle Figuration hat zundchst und vor allem den Sinn,
von einem Schwerpunkt (jeder Ordnung) zum ndchsten
(derselben Ordnung) hinuberzufuhren, d. h. veranlafit neue
Anfange, Auftaktbildungen (Musik-Lexikon, 81916). Die-
se Regel, die von Riemann auch auf die -> Sequenz (- 2)
angewendet wird (1884, S. 190f.), fiihrt dort zu MiB-
deutungen, wo der Figuration Diminution zugrunde
liegt. Im folgenden Beispiel sind die Sechzehntel nicht
nur auftaktige Uberleitung, sondern zugleich Dimi-
nution einer Weiblichen Endung, die der Nachsatz in
nicht ornamentierter, abschlie- _rt ^-. '
Bender Fassung zeigt:
Mozart, Sonate G dur, K.-V. 283,
2. Satz, Andante.
Riemanns Phr. dieser Stelle (Vademecum, 1900, S. 56)
versucht die Sechzehntelkette in Weibliche Endung
und auftaktige Figuration zu zerlegen :
Ausnahmen hinsichtlich der Auftaktigkeit der Figura-
tion ergeben sich durch Unterbrechungen des melodi-
schen Anschlusses (vgl. 6).
4) Anfange mit der schweren Zeit (jeder Ordnung)
sind mbglich und wiederholen sich haufig bei Bildungen, die
zueinander in Symmetrie treten (Phrasen); fiir die Unter-
gliederungen erwachst daraus aber keinerlei Abweichung
von dem unter 3 aufgewiesenen Gesetz (Musik-Lexikon,
8 1916), daB alle Figuration zum nachsten Schwerpunkt
hinfiihrt. Die LosreiBung der ersten Note (vgl. vori-
ges Beispiel) ist Riemann oft zum Vorwurf gemacht
worden (u. a. von Fr.Kullak 1898, S. 56; vgl. Vademe-
cum, 1900, S. 25f.).
5) -*■ Weibliche Endung liegt da vor, wo a) die auf den
Schwerpunkt folgende Note eine zum Abschlufi unentbehr-
liche Dissonanzlosung bringt, b) der Komponist durch Pau-
sen, spezielle dynamische Vorschriften (Anfangsakzent)
oder andcre Hilfsmittel der Notierung (Balkenbrechung,
Legatobogen, Diminuendozeichen) die Auffassung nach
dieser Richtung bestimmt (Musik-Lexikon, 81916). Im
Unterschied zu den oben (unter 3) zitierten Beispielen,
wo er die auf den Schwerpunkt folgende Note auftak-
tig deutete, obwohl zwischen ihr und dem darauffol-
genden Schwerpunkt Pausen (»Innenpausen«) einge-
schaltet sind, deutet Riemann auch Satzanfange als
Weibliche Endungen (Vademecum, 1900, S. 29) :
Beethoven, Symphonie Nr 7 op. 92,
3. Satz (Scherzo), Presto, Anfang des Trios.
6) Unterbrechungen des melodischen Anschlusses durch
Spriinge, Anderung der Richtung oder durch Tonre-
petition geben in vielen Fallen Anhaltspunkte fiir die
Gliederung (vgL Vademecum, 1900, S. 30ff.).
Die von Riemann gegebenen Regeln der Phr. konnen
zwar oft wertvolle Hinweise fiir die Sinngliederung
vermitteln, sind jedoch weder durchwegs anwendbar,
noch erfassen sie vollstandig alle im Satz vorkommen-
den rhythmisch-metrischen Probleme. Riemann selbst
urteilte iiber seine Phr.s-Lehre: Unmoglich kann es das
Ziel meincr Darstellung sein, iiberall zweifellose Entschei-
dungen iiber die rechte Art der Phrasenbestimmung zu eru-
iren ... Ich bezweckte aber vielmehr nur, das metrisch-
rhythmische Auffassungsvermogen derart fortzuentwickeln,
dafi ihm eine bestimmte Phrasirung Bediirfnissache wird
. . . (1884, S. 263).
728
Phrasierung
Fur das Bezeichnen der Phr. entwickelte Riemann, teil-
weise in Zusammenarbeit mit C.Fuchs und aufbauend
auf Versuchen und Vorschlagen von Fr. Couperin, J.
A.P.Schulz, D.G.Turk, J. K.Eschmann, H.v.Bulow
u. a. ein System von Phr.s-Bezeichnungen, das um
1900 (im Vademecum der Phr.) voll ausgebildet erscheint.
Die Phr.s-Bezeichnungen konnen mehrere Noten und
Notengruppen zur Phrase zusammenfassen (Phr.s-Bo-
gen; Crescendo- bzw. Diminuendovorschrift und
-zeichen), die Trennungsstelle der Phrasen markieren
(Lesezeichen; Balkenbrechung bei Achtelnoten oder
kleineren Werten), die metrischen Verhaltnisse aufzei-
gen (Kennzeichnung des metrischen Gewichts der Tak-
te durch eingeklammerte Zahlen; Einsetzen neuer
Taktstriche vor metrischen Schwerpunkten, die vom
Taktschema abweichen) oder einzelne Noten durch
-> Akzent (- 3) hervorheben (Agogischer Akzent — ;
dynamischer Akzent > oder qf ). - Der Bogen als Mittel
der Phr.s-Bezeichnung war von Riemann zunachst
wegen der moglichen Verwechslung mit dem Halte-
(Binde-)Bogen und dem Legatobogen abgelehnt wor-
den (Musik-Lexikon, 1882). Doch bereits 1886 (Prak-
tische Anleitung zum Phrasieren, S. 8f.) auBerten sich
Riemann und C.Fuchs im entgegengesetzten Sinne:
Die Anwendung des Bogens zur Bezeichnung des Legato-
vortrags ist gdnzlich aufgegeben . . . Es ist aber angenom-
tnen, dafi die unter demselben Bogen zusammengefajlten
Noten legato gespielt werden sollen, sofern nicht staccato-
Zeichen das Gegenteil verlangen . . . Der neue Zweck des
Bogens ist nun, die Gliederung der musikalischen Gedanken
. . . anzuzeigen. Die Einwande Biilows gegen die An-
wendung des Bogens als Phr.s-Bezeichnung gaben den
Anstofi, zeitweilig . . . nur da die Bogen anzuwenden, wo
legato gemeint war . . . Der teilweise Verzicht auf die Bo-
gen bedingte iibrigens keinen Unter schied als eine reichliche-
re Heranziehung der iibrigen Mittel der Kenntlichmachung
der Motivgrenzen. Da sich die Beschrdnkung als nicht
zweckmafiig erwies, wurde sie bald wieder aufgegeben {Va-
demecum, 1900, S. 2f.). Da ein Bezeichnen der Phr.
ohne zusammenfassendes Zeichen nicht moglich ist,
wurde nach Riemann (u. a. von H.Keller 1925) fast
ausschliefilich die eckige Klammer i 1 angewendet
(Riemann gebraucht Bogen und Klammer in gleicher
Bedeutung nebeneinander im Vademecum, 1900; vgl.
S. 52, 57 u. 6. ; -> Bogen - 1). In eine Spitze zusammen-
lauf ende Bogen: ^^ (BogenanschluB) setzte Rie-
mann als Zeichen des fortgehenden Legatospiels iiber
die Phrasengrenze hinweg. Eine Kreuzung zweier Phr. s-
Bogen: x deutet an, daB Anfang und Ende
zweier Phrasen ineinanderlaufen (-*■ Verschrankung).
Als Abbrechen der Phrase vor dem Ende und nochma-
liges Ausholen zu neuem Schlusse interpretiert Rie-
mann zahlreiche Stellen, vor allem bei Mozart, und
zeigt sie an durch Wegschneiden des Bogenendes (Va-
demecum, 1900, S. 2) :
(8=5) (61
W.A.Mozart, Sonate C dur, K.-V. 309,
1. Satz, Allegro con spirito, Takt 17/18.
Ein -*■ AnschluB-Motiv wird durch zwei sich iiberla-
gernde Bogen bezeichnet (Praktische Anleitung zum
Phrasieren, Anhang in 21890, S. 100) :
Auch die Crescendo- und Diminuendovorschrift bzw.
die Zeichen -==c und ^=— erhielten in Riemanns Sy-
stem den Sinn einer zusammenfassenden Phr.s-Bezeich-
nung. Die auf den jeweiligen Schwerpunkt ausgerich-
tete Dynamik der Taktmotive J I J, J I J J, \\ J J
sowie der Taktgruppen, Halbsatze und Perioden ord-
net sich einer einheitlichen Dynamik der Phrase unter
(1884, S. 97). Soweit Crescendo und Diminuendo vom
Komponisten vorgeschrieben sind, hat sich die Phr.
danach einzurichten (Der Komponist deutet die Ausdeh-
nung der Phrasen ungefahr durch die dynamischen Vorschrif-
ten an; Musik-Lexikon, 81916). In alien anderen Fallen
ergibt sich die Dynamik aus dem nach anderen Ge-
sichtspunkten festgestellten Aufbau der Phrasen; z. B.
stellte Riemann fest (1884, S. 176f.), daB der dynamische
Schwerpunkt der Phrasen meistens da liegt, wo die Melo-
die wendet:
f
W. A. Mozart, Sonate fiir Klavier zu 4 Handen
D dur, K.-V. 381, 1. Satz, Allegro, Takt 6f.
Beethoven, Sonate op. 2 Nr 1,
1. Satz, Allegro, Takt If. und 21f.
Die Gliederung im Kleinen wurde im Anschlufi an einen
schon im vorigen [18.]Jahrhundert bestehenden Usus durch
kleine Striche, dieLesezeichen angezeigt ( ' und zur Un-
ter scheidung von Haupt- und Nebengliederungen il ).In Fal-
len, wo ein Lesezeichen auf einen Taktstrich traf, wurde es
schrdg gelegt (Vademecum, 1900, S. 3). - Bei Figuratio-
nen in Achtel- oder kleineren Noten konnen die
Trennungsstellen der Motive oder auftaktige Bildun-
gen innerhalb der Figuration durch Balkenbrechung
(Unterteilung der dur chlau f enden Balke n) angezeigt
werden , z. B . wird J553 J553 I J772 notiert als
JiJ53 J555 I «hJ53 Eingeklammerte Zahlen von 1-8
(->• Metrum - 3) zeigen in Riemanns Analysen und in
manchen Phr.s-Angaben verschiedenes metrisches Ge-
wicht der Takte an; fiir die Phr. konnen sie bedeutsam
sein, wenn in (oder nach) einem mit (2), (4) oder (8) ge-
kennzeichneten »schweren« Takt verschieden abgestuf te
Einschnitte bzw. Phrasengrenzen anzusetzen sind, ent-
sprechend Riemanns Theorie vom Aufbau der Kompo-
sitionenausTaktmotiven,Taktgruppen,Halbsatzenund
Perioden. In einigen friihen Phr.s-Ausgaben (ca. 1885-
90) undindei Praktischen Anleitung zum Phrasieren (1886)
sind die schweren Takte eines groBen, 2 oder 3 Takte
umfassenden Metrums noch mit einem v (Riemann:
»Gabel«) gekennzeichnet ; eingeschriebene Zahlen (z. B .
v) geben an, in welchen Abstanden die schweren Takte
einander folgen. Eine Gabel in eckigen Klammern [v]
zeigt auch in spateren Phr.s-Ausgaben die Umdeutung
eines schweren Taktes (2., 4., 6., 8.) zu einem leichten an
(Vademecum, 1900, S. 4). Riemann nennt die zuverlassi-
ge Feststellung des metrischen Gewichts . . ■ die allerwich-
tigste Aufgabe der gesamten Phrasierungstheorie . . . (Vade-
mecum, 1900, S. 53; vgl. S. 41). Jedoch iiberschreitet
Riemann da, wo er bei Kompositionen in zusammen-
gesetzten Taktarten (z. B. bei Beethoven, Sonate op. 27
Nr 1,1. Satz, Andante-Allegro, und bei Mozart, Sonate
A dur, K.-V. 331, 1. Satz Andante grazioso) unkorrekte
rhythmische Notiemng bzw : falsch gesetzte Taktstriche an-
nimmt und durch deren Zurechtriicken eine mit seiner
Auftakttheorie zu vereinende Phr. zu ermoglichen
sucht, die Grenze einer die Originalnotation und das
Werk erlauternden Phr.s-Bezeichnung.
Interpretierendes Verdeutlichen der musikalischen
Sinngliederung heifit die Einschnitte markieren und die
Phrasen als Sinneinheiten zur Wirkung bringen. In der
Praxis sind diese beiden theoretisch unterscheidbaren
729
Phrasierung
Aufgaben nicht zu trennen; sie umreiBen insgesamt die
aus der Aussage- und Bedeutungsfahigkeit der Kom-
position abzuleitende Fordenmg nach Ausdruck beim
musikalischen Vortrag. Die dabei anzuwendenden Aus-
drucksmittel sind (neben Veranderungen der Tonfar-
bung von Stimme und Instrument) in der Hauptsache
stahdige dynamische und agogische Veranderungen
(-»■ Agogik, -*- Ausdruck, ->■ Motiv). Hinsichtlich der
agogischen Mittel ist zu unterscheiden zwischen den
die Einschnitte oder bestimmte wichtige Noten mar-
kierenden Dehnungen einzelner Taktzeiten und der
geringen Modifikation des Tempos innerhalb der
Phrase. Riemann erkannte, da6 eine Trennung derEin-
zelglieder nur durch -> Artikulation (d. h. mittels Ver-
kiirzung der letzten Note eines Glieds durch Staccato
oder Portato) bei vollig gleichmafiig durchlaufendem
Takt nicht moglich ist, sonst wiirdeja eine durchaus stac-
cato durchgefuhrte Melodie iiberhaupt nur aus Einzeltonen
bestehen und fur sie von Motiven, Phrasen nicht gesprochen
werden konnen {Musik-Lexikon, 81916, Artikel Artiku-
lation). Er stellte die These auf (1884, S. 8), daB sich
zwischen die einzelnen Gruppen . . . ein sehr kleiner Zeit-
verlust schiebt, eine minimale Verzogerung, die den
Eindruck der TaktregelmaBigkeit nicht stort. Der er-
wahnte Zeitverlust findet aber nicht absichtlich, sondern
wider Wissen und Willen des Ausfiihrenden statt . . . (Uber
musikalische Phr., 1883). Ahnliche Beobachtungen
machte bereits A.L.Crelle (1823, S. 54): Zwischen den
einzelnen Figuren findet ein kleiner, zum Theilfast un-
merklicher Zwischen-Raum Statt. E.Tetzel (1926) ver-
suchte die unregelmaBige Zeitdauer unbetonter und
betonter TaktzShlzeiten mit Hilfe einer Morsetaste
nachzuweisen, doch blieb das Experiment wegen star-
ker Streuung der Werte ungenugend. H.Keller (1925
und 1955) betonte vor allem den Anteil der Artikula-
tion am Zustandekommen des Gliederungseindrucks
(Gruppenbildung durch Artikulation). Er beriicksichtigte
j edoch nicht die stets auf tretenden UnregelmaBigkeiten
bei der Ausfiihrung einer theoretisch gleichbleibenden
Schlagzeit. Der EinfluB sinnvoller Verzerrungen des
Zeitgefiiges auf die Phr., die Diskrepanzen zwischen
der bewuBten Intention zur TaktregelmaBigkeit und
der unbewuBt-gezielten Abweichung davon sind noch
nicht systematisch untersucht. Vor der Negierung ago-
gischer Ausdrucksmittel warnte Riemann nachdriick-
lich: Das wirklich genaue im Taktspielen (z. B. nach dent
Metronom) ist ohne lebendigen Ausdruck, maschinenmdfiig,
unmusikalisch (1884, S. 12). Die von Th.Wiehmayer
(1917) und von Keller (1925 und 1955) erhobene For-
derung nach klarer Trennung zwischen Phr. und Arti-
kulation besteht zu recht, doch kann sich eine solche
Trennung nicht erschopf en in der Unterscheidung zwi-
schen Phr.s- und Legatobogen bzw. in der Eliminie-
rung des ersteren. Es muB vor allem der prinzipielle
Unterschied der angewendeten Ausdrucksmittel ins
Auge gefaBt werden. Nur wenn sich die praktische
Ausfiihrung der Phr. mit der Artikulation nicht be-
riihrt, konnen beide nebeneinander bestehen und un-
abhangig voneinander durchgefuhrt werden. Das be-
deutet z. B. fur die von Keller (1925, S. 52) als »Phra-
senverschleifung« interpretierte Stelle aus dem Finale
von Beethovens Klaviersonate D moll op. 31 Nr 2,
daB trotz der die Phrasen verbindenden Artikulations-
vorschrift eine deutliche Trennung der Phrasen durch
eine kaum merkliche Verlangerung des PhrasenschluB-
tons (a 1 ) herbeigefiihrt werden kann:
Riemann ging davon aus, daB die Einzeltone einer
Phrase im Normalfall durch Legatovortrag zu verbin-
den seien (nur das Gegenteil sei durch besondere Arti-
kulationsvorschriften anzuzeigen) und daB die Phra-
sengrenzen auBer durch eine geringe agogische Verzo-
gerung meist auch durch Artikulation (non legato,
portato, staccato usw.) markiert wiirden. DaB durch
seine Phr.s-Bogen in vielen Fallen die originalen Arti-
kulationsanweisungen der Komponisten verlorengin-
gen bzw. verfalscht wurden, war fur Riemann kein
wichtiger Gesichtspunkt, da im 19. Jh. der Bogen nicht
als zu den vom Komponisten endgultig festgelegten
Einzelheiten des Notenbildes gehorig betrachtet wur-
de. Verfalschungen der Bogensetzung sind daher in
Ausgaben klassischer Musik seit dem friihen 19. Jh. die
Regel. In dieser Praxis ist die historische Wurzel von
Riemanns Phr.s-Bogen, in der herrschenden Willkiir
der Bogensetzung und in der daraus folgenden Vor-
tragswillkiir der eigentliche AnlaB zu seiner Phr.s-Leh-
re zu sehen. AuBerdem liefien die teilweise sehr sorg-
faltigen Vortragsbezeichnungen der Komponisten des
espresstvo
poco sf
H.Berlioz, Symphonie fantastique (1830), 1. Satz,
Allegro agitato e appassionato assai, Takt 9-16.
19. Jh. das Bediirfnis entstehen, auch die Musik der
Klassik (die ja trotz fehlender Vortragsbezeichnungen
nicht ohne Ausdruck zu spielen war) in Neuausgaben
mit den »fehlenden« Bezeichnungen zu versehen. Die-
sem Bediirfnis entsprachen die »Instruktiven Ausgaben«
von Fr. Liszt, H. v.Biilow, Lebert, FaiBt und vielen an-
deren, zu denen auch Riemanns Phr.s- Ausgaben (Ver-
zeichnis in: Riemann-Festschrift, 1909) zu zahlen sind.
Riemann schrieb am 3. November 1883 an C.Fuchs
(Fuchs 1884, S. 23) : Ohne Btilow waren wir alle nicht auf
die Idee gekommen, phrasieren zu wollen . . .
Fr.Couperin wendete in seiner Klaviermusik neben
sorgfaltigen Artikulationsvorschriften nach 1722 zur
Verdeudichung rhythmischer Bildungen (Weiblicher
Endungen, Wechsel von abtaktiger zu auftaktiger The-
matik) oder auf den ersten Blick nicht erkennbarer Ein-
schnitte auch ein Komma als Lese-(Phr.s-)Zeichen an.
- In der Vokalmusik ist der melodische FluB gewohn-
lich durch Pausen in Sinneinheiten zerlegt; wo Pausen
fehlen oder absichtlich vermieden werden, sind verein-
zelt kleine Striche als Atemzeichen und als Bezeichnung
des Zeilenschlusses angewendet worden (Cavalieri
1600; Schiitz 1628 und 1636); eine ahnliche Bedeutung
erhielten durch den jeweiligen Zusammenhang viel-
fach die -> Divisio modi (-1) und die Fermate (z. B.
im Kirchenlied). Von den Ab- undEinschnitten der Klang-
rede und ihren Entsprechungen zur Interpunktion der
Sprache handelt J. Mattheson (1739; ahnlich schon 1737)
ausfiihrlich, doch wandte er sich damit an den Kom-
ponisten (vor allem von Vokalmusik), nicht an den
Vortragenden. Auch fiir J.-J. Rousseau (1768) waren
ponctuer und phrase Termini der Kompositionslehre.
- GroBe Bedeutung maB Riemann den Bemerkungen
von J.Riepel (1752) und H.Chr.Koch (1793) uber
Symmetric und Periode bei und leitete daraus die Be-
rechtigung zur Zuriickf iihrung »unregelmaBiger« Phra-
sen (von 3, 5, 7 usw. Takten) auf ihnen zugrunde lie-
gende regelmaBige (2-, 4- und 8taktige) ab (H.Chr.
Koch als Erlauterer unregelmafiigen Themenaufbaues, in :
Praludien und Studien II, 1900). Entscheidend fiir Rie-
manns Grundauffassungen wurde die Begegnung mit
den Theorien von J. J. de Momigny (1806). Bemerkens-
wert ist z. B. Momignys DeUtung des 1 . Satzes aus dem
Streichquartett D moll, K.-V. 421, von W.A.Mozart
(vgl. A. Palm 1964); doch obwohl diesc Deutung durch
730
Phrasierung
Textunterlegung einer Phr. prinzipiell gleichkommt,
gibt Momigny keine allgemeinen Hinweise fur den
Vortrag. - In erster Linie iiber metrische Theorien und
den Rhythmus als ein Element der Komposition han-
deln M.Hauptmann (1853) und R.Westphal (1880),
doch gewann Riemann aus diesen Arbeiten, die er we-
gen ihrer den Anf angsakzent betonenden Tendenz ab-
lehnte, wichtige Gesichtspunkte fur den Vortrag und
seine Phr.s-Lehre.
Das Problem der Sinngliederung beim Vortrag, das
durch die Musik der Vorklassiker auf eine neue Weise
relevant geworden war, wurde erstmals von J. A. P.
Schulz (1774) angesprochen. Ihm folgte Tiirk (1789),
der die praktische Ausfiihrung der Phr. als ein abge-
stuf tes dynamisches Akzentuieren beschreibt (S. 336) :
Jeder Anfangston einer Periode muft einen noch merklkhem
Nachdruck erhalten, als ein gewohnlicher guter Takttheil.
Genau genommen sollten selbst diese Anfangstone mehr
oder weniger accentuirt werden, je nachdem sich mit ihnen
ein grofierer oder kleinerer Theil des Ganzen anfangt . . .
Doch kennt Tiirk auch den agogischen Akzent (S. 338).
- Eine durchgehende dynamische und agogische Ge-
staltung der Phrasen forderte erstmals A. L. Crelle
(1823). Er stellte die Regel auf, dass das Bedeutende und
Wichtige nicht eilt. Die Wirkung eines Tons ist alsdann am
starksten, wenn die Aufmerksamkeit zuvor darauf durch
Verweilen gespannt wird (S. 46). Daraus folgt: Die erste
Note einer Figur (d. h. einer Phrase) ertont nie zuft'uh, und
bekommt ein verhaltnismdssig stdrkeres Gewicht als die iibri-
gen. Die Mitte der Figur hat eine gemessene Bewegung und
das Ende derselben nimmt an Kraft ab, an Zeitmaass zu (S.
54). Damit manifestiert sich bei Crelle jene Vortrags-
haltung, die Riemann ablehnte, weil sie nach seiner
Meinurig die Musik zu einem bestandigen Absterben macht
(Vademecum, 1900, S. 47f.), die aber schon deshalb star-
kere Beachtung verdiente, weil sie in grofierer zeitli-
cher Nahe zu den Klassikern steht. - Neben der Phr.s-
Lehre Riemanns sind die Arbeiten von M. Lussy fast un-
beachtet geblieben. Lussy bemiihte sich, den jeweiligen
Einzelf all zu wiirdigen und versuchte nicht, die Vielfalt
der moglichen Vortragsnuancen einem Prinzip zu un-
terwerfen (das trug ihm den Vorwurf Riemanns ein,
unsystematisch zu sein). Die erste Note eines »Rhyth-
mus« (s. v. w. Phrase) wird nach Lussy (1873) stets mit
einem Akzent (rhythmischer Akzent) markiert, unab-
hangig vom metrischen Akzent, der die guten Takt-
zeiten markiert. Der »pathetische Akzent« hebt demge-
gemiber alle rhythmisch, melodisch oder harmonisch
ungewohnlichen Noten hervor. In he rhythme musical
(1883) wendet Lussy sich gegen eine einseitige und
strikt durchgefiihrte auf- oder abtaktige Interpretation
von Kompositionen, die in Wirklichkeit aus dem
Wechsel von Auf- und Abtakt leben. - Der Pianist C.
Fuchs verschrieb sich ganz der Riemannschen Phr.s-
Lehre und nahm auch Fr. Nietzsche dafiir ein (durch
den Brief vom 31. August 1888, veroffentlicht bei Gur-
litt 1950). Neben seinen eigenen, die Lehre Riemanns
propagierenden Veroffentlichungen (1884 und 1885)
wirkte Fuchs mit an der Ausarbeitung der Phr.s-Be-
zeichnungen und an der Praktischen Anleitung zum
Phrasieren (1886). - Fr.Kullakunterzog 1898 die AuBe-
rungen und Lehrmeinungen iiber den musikalischen
Vortrag von A. Schindler, H. v. Biilow, R. Wagner und
H. Riemann einer eingehenden und in zahlreichen
Punkten zutreffenden Kritik. Dabei offenbart sich eine
Animositat gegen Riemanns Auftakttheorie und ihre
Konsequenzen, die nicht nur Kullak, sondern einer
Generation von Musikern und Musikerziehern die Rie-
mann'schen Phrasierungsausgaben absolut ungeniefibar
machte (Riemann antwortete Kullak mit dem Traktat
De cantufractibiliyin: Praludien und Studien III, S. 185ff.).
- Th.Wiehmayer (1917) versuchte vor allem durch
Neuf ormulierung der metrischen Theorie die Auf takt-
hypothese Riemanns zu uberwinden; in seinen Phr.s-
Ausgaben reduzierte Wiehmayer die Phr.s-Bezeich-
nungen auf das nur in den notwendigsten Fallen ge-
setzte Lesezeichen. - H. -*■ Schenker (Weg mit dem
Phrasierungsbogen, 1925) betonte, daft die Schreibart der
Meister die vollendetste Einheit von innerer und aufierer
Gestalt, von Gehalt und Zeichen vorstellt. Er trat daher
fur die -»- Urtext-Ausgabe ein. - Einen von Riemann
und anderen Autoren weitgehend unbeachtet gelasse-
nen Gesichtspunkt stellte H.J.Moser fest (1933-35, Ar-
tikel Phr.) : daft in einer hochgeistigen Musik nicht immer
nur eine Phr. herrscht, sondern sich oft mehr ere organi-
sche Zusammenhange iibereinanderbauen, sich gegenseitig
iiberschneiden und in spannungsreichem Gleichgewicht hal-
ten. Daraus folgt, dafi jede Phr. die Vielfaltigkeit der
Sinnbeziehungen zwischen den Satzgliedern zu beriick-
sichtigen hat (dies gilt besonders auch £iir die Falle von
-> Verschrankung).
H. Riemann betrachtete die Phr. als die letzte und hochste
Aufgabe der Musikwissenschaft (Musik-Lexikon, 6 1905,
Artikel Musikwissenschaft) und glaubte voraussagen
zu konnen: je mehr die junge Wissenschaft der Syntaxis
. . . sich entwickeln wird, aesto breiteren Raum werden
Kontroversen und Spezialuntersuchungen iiber die Deutung
einzelner Stellen in den Werken der Meister einnehmen
(Vademecum, 1900, S. 53f.). Bisher hat jedoch die Dis-
kussion iiber Riemanns Phr.s-Lehre breiteren Raum
eingenommen als wissenschaftliche Untersuchungen
iiber Probleme der Phr.
Lit. : Fr. Couperin, Vorwort zum Troisieme livre de pieces
de clavecin, Paris 1722, GA IV, hrsg. v. M. Cauchie, Paris
(1932); J. Mattheson, Kern Melodischer Wiss. . . ., Hbg
1 737 ; Mattheson Capellm. ; J.-J. Rousseau, Dictionnaire
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Einiges iiber musicalischen Ausdruck u. Vortrag. Fur Pfte-
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4 1906, 7-81920; M. Lussy, Trait6 de l'expression, Paris
1 873, 8 1904, engl. v. E. v. Glehn als : Mus. Expression, Lon-
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fonction et son accentuation, Paris 1883, 41911; ders.,
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Revision d. Lehre v. d. mus. Metrik u. Rhythmik, Hbg,
Lpz. u. St. Petersburg 1884; ders. u. C. Fuchs, Praktische
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Katechismus d. Phr., = M. Hesse's illustrierte Katechis-
men XVI, Lpz. (1 890); ders., Katechismus d. Klavierspiels,
ebenda VI, Lpz. 1888, 31905, als: Hdb. d. Klavierspiels,
Bin 7 1922; ders., Katechismus d. Kompositionslehre, 2
Bde, ebenda VIII-IX, Lpz. 1 889, als : GrundriB d. Kompo-
sitionslehre, '1905, 7 -81922; ders., Praludien u. Studien.
Gesammelte AufsStze . . . , 3 Bde (darin besonders : I, S.
67ff„ 88ff., 112ff., 126ff., 150ff., 165ff.; II, S. 56ff., 88ff.,
109ff., 140ff., 180ff. ; III, S. 69ff., 83ff., 185ff.), I Ffm(1895),
II-III Lpz. (1900-01), I-III Lpz. (2o. J.), Nachdruck in 1
731
Phrygisch
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= M. Hesse's illustrierte Katechismen XVI, Lpz. 1900,
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Musikphilologie, in: M. Hesse's Deutscher Musiker-Ka-
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Bin 1903 ; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik, Lpz.
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Aufgabenbuch ..., ebenda 1919, Schliissel ..., ebenda
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Magdeburg 1925; ders., Mus. Formenlehre in Analysen,
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Thr. G. Georgiades, Musik u. Sprache . . ., = Verstand-
liche Wiss. L, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1954; ders.,
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van Beethovens Klaviersonaten, Wiesbaden 1956, = Insel-
Biicherei Nr 853, ebenda 1966; H. H. Eggebrecht, Musik
als Tonsprache, AfMw XVIII, 1961; A. Palm, Mozarts
Streichquartett d-moll, KV 421, in d. Interpretation Mo-
mignys, Mozart-Jb. 1962/63.
Phrygisch -> Systema teleion,->-Kirchent6ne.
Physharmonika->-Harmonium,->-Register(-l).
Physiologie des Instrumentenspiels, die Lehre von
der Tatigkeit des Muskel- und Nervensystems beim
Instrumentenspiel. Ihre Erkenntnisse konnen zur wis-
senschaftlichen Grundlage des Instrumentalunterrichts
beitragen. Ferner erbringt sie Kriterien fur die beruf-
liche Eignung zum Musiker sowie fur die Ursachen
typischer Musikerkrankheiten. Fur die Instrumenten-
kunde ist die Untersuchung der Korrespondenz zwi-
schen der Konstruktion eines Instruments und den An-
forderungen an die korperliche Leistung des Spielers
wichtig; von dieser hangt z. B. bei der Trompete der
Tonumfang ab. Die Erfassung dieser Zusammenhange
kann besonders auch fur die Musikethnologie frucht-
bar werden.
Lit. : F. A. Steinhausen, Die Physiologie d. Bogenfiihrung
. . ., Lpz. 1903, hrsg. v. A. Schering 41920, hrsg. v. Fl. v.
Reutern 5 1928; ders., Uber d. physiologischen Fehler u. d.
Umgestaltung d. Klaviertechnik, Lpz. 1905, bearb. v. L.
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la pedagogie instr Paris 1948; Z. Felinski u. H.
Gaertner, Fizjologia gry skrzypcowej (»Physiologie d.
Violinspiels«), 2 Bde, Krakau 1952, 2 1956 als: Zasady gry
skrzypcowej na podlozu fizjologii (»Grundlagen d. Violin-
spiels auf physiologischer Basis«); H.-P. Schmitz, Quer-
flote u. Querflotenspiel in Deutschland wahrend d. Barock-
zeitalters, Kassel (1952); J. C. Hall, A Radiographic,
Spectographic, and Photographic Study of the Nonlabial
Physical Changes Which Occur in the Transition from
Middle to Low and Middle to High Registers During
Trumpet Performance, Diss. Indiana Univ. 1955, maschr. ;
W. Rosenthal, Die Identifizierung d. Gebeine J. S. Bachs,
Mit Bemerkungen iiber d. »Organistenkrankheit«, in:
Leopoldina, Mitt. d. Deutschen Akad. d. Naturforscher
III, 1962/63; E. Stadler u. O. Szende, Geigenspiel u. At-
mung I, Internationale Zs. f . angewandte Physiologie XX,
1963 ; H. Schmale, Ober d. physikalische Belastung v. Or-
chestermusikern, Mainz (1965).
Piacenza.
Lit.: E. De Giovanni, La cappella mus. Giovannea, P.
1922 ; ders., Studi sull'ottocento mus. piacentino, P. 1928 ;
C. Anguissola, Musicisti piacentini, P. 1935; A. Rapetti,
II Teatro ducale della Cittadella e il Teatro ducale di Palaz-
zo gotico, Bolletino stor. piacentino XLVI, 1951; Fr. Bussi,
Panorama mus. piacentino, P. 1955; ders., Alcuni maestri
di cappella e organisti della cattedrale di P., P. 1956.
Pianino (ital., Diminutiv von Piano), von C.Pleyel
eingefiihrte Bezeichnung fur ein aufrechtes rechtecki-
ges Pianoforte mit vertikal oder schrag (auch kreuzsai-
tig) lauf enden Saiten. Im Unterschied zu friiheren auf-
rechten Fliigeln, wie der Pyramide von Chr.E.Frie-
derici (Gera 1745), dem Schrankfliigel von W.Stodart
(London 1795) und dem aufrechten Tafelklavier von
W. Southwell (London 1798), beginnt der Resonanz-
kasten beim P. nicht in der Hohe der Klaviatur, son-
dern wenige Zentimeter iiber dem Boden. Die ersten
eigentlichen P.s waren die Ditanaklasis von M.Muller
(Wien um 1800, Hohe 146 cm) und das Portable grand
pianoforte von J. I. Hawkins (Philadelphia 1800). Nied-
riger waren das Cottage piano (1811) und das Piccolo
pianoforte (um 1826-30, Hohe 114 cm) von R.Wor-
num in London, dessen auf rechte StoBzungenmechanik
vom spateren P.-Bau allgemein ubernommen wurde.
Wornums Erfindungen wurden zunachst von C. Pleyel
in Paris weiterentwickelt. Ein besonders niedriges Pia-
no console (100 cm) mit kreuzsaitigem Bezug konstru-
ierte 1828 H.Pape in Paris. In Deutschland wurden erst
seit Mitte des 19. Jh. P.s gebaut, bald aber in groBer
Zahl. Der Bau extrem niedriger P.s wurde seit Beginn
der 1930er Jahre betrieben.
Lit. : O. Hildebrand, Das P., Donauworth 1905.
piano (ital.), Abk.: p, sanft, still, leise, als Vortragsbe-
zeichnung der dynamische Gegenpol zu -> forte; pia-
nissimo, Abk. : pp, von piu piano oder pian(o) piano,
altere Abk.: p mo , sehr leise; mezzopiano, Abk.: mp,
»mittelleise«, zwischen p und pp ; f ortepiano, Abk. : fp,
732
Pianoforte
stark und sofort wieder leise; im Englischen auch soft,
Abk.: so, und loud, Abk.: lo (z. B. Th.Mace 1676).
Piano und forte treten zuerst bei G. Gabrieli (1597) und
Banchieri (1601 , 1 608) auf . Bald danach erscheinen auch
die Abbreviaturen. Zur weiteren Modifizierung wer-
den vor allem seit dem 18. Jh. Beiworter wie meno,
molto, poco, quasi und possibile gebraucht. In der
Musik seit der Mehrchorigkeit und dem concertieren-
den Stil bedeuten piano und -» Echo oft dasselbe
(Mazzocchi 1638; Praetorius Synt. Ill, S. 112; Wal-
therL, Artikel Echo : Das Wort Ecco wird auch manch-
mahl an statt piano gebraucht) ; pp und ppp konnen dem-
entsprechend 2. bzw. 3. Echo bedeuten. In der Klavier-
musik konnen durch p und f verschiedene Manuale
(»Terrassendynamik«) gefordert werden. Durch p und
f kann auch ein Crescendo oder Decrescendo bezeich-
net werden (f-p-pp bei Mazzocchi; loud-soft-softer
bei M.Locke). Die Romantik brachte eine Steigerung
des p bis zum pppppp (Tschaikowsky, op. 74) ; fur den
leisesten Grad finden sich auch Zusatze wie quasi niente.
Pianoforte, Fortepiano (ital., s. v. w. ein Tastenin-
strument, auf dem laut und leise gespielt werden kann;
im 18. Jh. auch gravicembalo col piano e forte, cemba-
lo a martelli; Hammerklavier; engl., frz. und deutsche
Kurzform: Piano), ein -> Klavier, bei dem der Ton er-
zeugt wird, indem Hammer gegen die Saiten geschleu-
dert werden. Eine ahnliche ->■ Mechanik kannte schon
H. Arnault von Zwolle (um 1460) ; in Italien scheint mit
ihr im 16. Jh. experimentiert worden zu sein. Das erste
entwicklungsfahige Modell eines Pftes konstruierte,
nach Versuchen ab etwa 1690, -*■ Cristofori um 1709 in
Florenz, der bis 1731 etwa 20 Instrumente baute. Un-
abhangig da von entwickelte in Frankreich J. -> Marius
ein Instrument mit Hammermechanik, ebenso in
Deutschland Chr. G. -»■ Schroter, der hierzu vielleicht
durch das -» Pantaleon angeregt war. G. Silbermann in
Freiberg, der wahrscheinlich Instrumente von Cristo-
fori, mindestens aber die Beschreibung ihrer Mechanik
(Critica Musica II, 1725) kannte, arbeitete an der Ent-
wicklung von Pftes seit etwa 1730. J. S. Bach hat Silber-
manns Instrumente spatestens 1747 in Potsdam kennen-
gelernt. Der Ton des Hammerflugels war zunachst
noch schwach und wenig modulationsf ahig ; noch lan-
ge Zeit wurde das Clavichord vorgezogen, das ein aus-
drucksvolleres Spiel erlaubte. Erst die verbesserte Prell-
mechanik der siiddeutschen und die verbesserte StoB-
mechanik der englischen -> Klavierbau-Schule schu-
fen in der 2. Halfte des 18. Jh. die Voraussetzungen ei-
ner auf die Qualitaten des Pftes aufbauenden -> Kla-
viermusik. Noch bis nach der Jahrhundertmitte wur-
den Hammerfliigel durch Umbau von Cembali (Kiel-
fliigeln) bzw. -> Tafelklaviere durch Umbau von Cla-
vichorden gewonnen. Wahrend Cristoforis Mechanik
neben einer Art von doppelter Auslbsung bereits Ein-
zeldampfung jeder Saite aufwies, wurden in Deutsch-
land noch nach 1750 teilweise recht einfache Instrumen-
te gebaut, die lediglich eine mit Handziigen (geteilt f iir
Diskant und BaB) zu bedienende Gesamtdampf ung be-
saBen. Die im spaten 18. Jh. durchwegs vorhandene
Einzeldampfung konnte durch Kniehebel aufgehoben
werden, am Tafelklavier ab etwa 1775, am Fliigel etwas
spater auch durch -> Pedale (- 2). Nach dem Vorbild
des spaten Cembalos wurde in das Pf te der Wende vom
18./19. Jh. eine Reihe von -> Registern (- 2) zur Veran-
derung des Klanges eingebaut. Die letzte epochema-
chende Erfindung an der -> Mechanik ist die doppelte
Auslbsung von Erard 1821. Als verbreitetste Form des
Pftes setzte sich, neben dem -> Fliigel, etwa ab 1820
das aufrechte -*■ Pianino gegeniiber dem Tafelklavier
durch, dasEnde des 19. Jh. verschwand; biedermeier-
liche Formen wie -> Giraflenklavier, Pyramidenklavier
und -> Orphika waren nur kurzlebig. Seit den letzten
Jahrzehnten des 18. Jh. und besonders im friihen 19.
Jh. wurden die Pftes zunehmend massiver, bedingt
durch das Streben nach groBerem, auch grundtonige-
rem Klang. Die leichten Lederhammer wurden durch
Filzhammer (allgemein iiblich seit den 1840er Jahren)
abgelost, und der Umfang des Instruments wurde in
der Hohe und der Tiefe bedeutend erweitert. Dickere
Saiten verlangten hohere Spannungen (die gesamte
Zugkraft stieg von 4000 kg auf 12-18000 kg im mo-
dernen Pfte). Diese Spannung kann nicht mehr allein
von einem hblzernen Rast (mit meist 3-4 Spreizen,
auch in Sternform) ausgehalten werden. Auf ihn wird
allerdings aus akustischen Griinden auch im modernen
Pfte nicht verzichtet. Nachdem Streicher bereits den
Aufhangestock mit einer Eisenblechauflage verstarkt
hatte, kam der GuBeisenrahmen um 1825 auf, zuerst in
den USA, einige Jahre spater auch in Verbindung mit
kreuzsaitigem Bezug. Die akustische Qualitat eines Pftes
wird vornehmlich durch das Verhaltnis zwischen Lan-
ge, Durchmesser und Spannung der Saiten (->• Men-
sur - 1), die Saitenteilung (Aufteilung des Saitenbezugs
in blanke und umsponnene Saiten), die Anschlagstellen
der Hammer und den Resonanzboden (meist Bergfich-
te) bestimmt und durch -> Intonation (- 2) reguliert.
Lit. : Les traites d'H.-A. de Zwolle . . . , hrsg. v. G. Le Cerf
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1932; Ch. Kutzing, Das Wissenschaftliche d. Fortepiano-
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Steglich, Mozarts Fliigel klingt wieder, Niirnberg u. Salz-
burg 1937; ders., Studien an Mozarts Hammerfliigel,
Neues Mozart-Jb. I, 1941 ; Th. P. Fielden, The Influence
of the Pfte on the Progress of Music, Proc. Mus. Ass. LXV,
1 938/39; Th. Norlind, Systematik d. Saiteninstr. II, Gesch.
d. KL, Stockholm 1939, Hannover 21941 ; O. Funke, Das
Kl. u. seine Pflege, Dresden 1940, Radebeul 21946, Ffm.
31962, = Schriftenreihe Das Musikinstr. II; F. Trende-
lenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Zur Klangwirkung
v. Clavichord, Cemb. u. Fliigel, Akustische Zs. V, 1940; E.
Closson, Hist, du piano, Briissel 1944; B. v. Essen, Bouw
en geschiedenis van het kl., Rotterdam 1948; P. Locard,
Le piano, Paris 1948; K. Hahn, t)ber d. Zusammenhange
v. Klavierbau u. Klavierstil, Diss. Bin 1952, maschr. ; A. G.
Hess, The Transition from Harpsichord to Piano, The Gal-
pin Soc. Journal VI, 1953 ; Fr. J. Hirt, Meisterwerke d.
733
Pianola
Klavierbaus, Olten 1955; R. Benton, The Early Piano in
the United States, NY 1961 ; Fr. Ernst, Bach u. d. Pfte,
Bach-Jb. XLVIII, 1961, auch = Schriftenreihe Das Musik-
instr. VI, Ffm. 1962.
Pianola -> Mechanische Musikwerke.
Piatti (ital, Platten) -»■ Becken; senza p. (in der Stim-
me der groBen Trommel) bedeutet: groBe Trommel
allein, ohne Becken. Die Bezeichnung p. loste die in
Italien bis zu Beginn des 18, Jh. iibliche Bezeichnung
cembalo (»Zimbel«) ab.
Pibgorn, Pibcorn (engl. von galisch piob, pib, Pfeife,
und gorn, corn, Horn; -»■ Hornpipe - 1), in Wales ein
Blasinstrument mit aufschlagender Zunge, 6 vorder-
standigen Grifflochern und einem Daumenloch. An
den Tubus aus Holz oder Knochen sind ein Anblas-
trichter und ein Schallstiick aus tierischem Horn oder
Huf angesetzt.
Pibroch (p'i:biax, engl., von galisch piobaireachd,
s. v. w. Pfeifenmelodie), in den Highlands Variationen
fur Sackpfeife (mit zu hoher Quarte und zu tiefer Sep-
time) iiber ein Thema (urlar). Die Melodie, durch Vor-
schlage, Doppelvorsdilage usw. reich verziert, wird
zur letzten Variation (creanluidh) hin immer beweg-
ter; sie ist oft von martialischem Charakter. P.s sind
seit dem 17. Jh. iiberliefert.
Lit. : J. Grant, Piobaireachd. Its Origin and Construction,
Edinburgh 1915.
Picardische Terz (frz. tierce de Picardie; engl. Picar-
dy third), eine von J.-J. Rousseau (1768) bezeugte iro-
nische Bezeichnung der Musiker seiner Zeit fur die als
veraltet empfundene groBe Terz in SchluBklangen von
Stiicken, die in einer Molltonart stehen. Rousseau gibt
die (wissenschaf tlich nicht erwiesene) Begriindung, die-
se SchluBterz werde tierce de Picardie genannt, weil
sich ihr Gebrauch in der Kirchenmusik linger als in der
weltlichen Musik gehalten habe »und folglich auch in
der Picardie, wo es in einer groBen Zahl von Kathedra-
len und anderen Kirchen Musik gibt«. - Seitdem im 16.
Jh. oder friiher die Terz in den SchluBklang eingefuhrt
wurde, hat man wegen ihres hoheren Konsonanzgra-
des stets die groBe Terz bevorzugt (-»■ Alteration - 2).
Auch in der GeneralbaBlehre des 17. Jh. scheint diese
Regel selbstverstandlich gewesen zu sein; W.Ebner in
seinen (lateinisch abgefaBten) GeneralbaBregeln, die
von J. A. Herbst (1653) ins Deutsche ubersetzt zitiert
werden, und Fr.E. Niedt (1700) nehmen darauf Bezug.
Niedt gibt zugleich einen Hinweis darauf, daB man in
Frankreich friiher als in Deutschland den Mollakkord
als SchluBklang einfiihrte (Musicalische Handleitung I,
Cap. VIII, Regel 6).
Lit. : Fr. Th. Arnold, The Art of Accompaniment from a
Thorough-Bass as Practised in the 1 7 "^ and 1 8 ^ Cent. , Lon-
don 1931,21961.
Piccolo (ital., klein) bezeichnet in Zusammensetzun-
gen die jeweils kleinste und hochstliegende Ausfiihrung
eines Instruments, wie -> Violino p., Violoncello p.
(-»■ Viola pomposa). Das P.-Kornett in hoch B wurde
zuerst von Cerveny 1862 in Prag gebaut. Auch das
Kornettino in Es wird P. genannt, das Instrument in
hoch B daher zur Unterscheidung auch Piccolino. - P.
ist heute meist die Kurzbezeichnung fiir Flauto p. (Klei-
ne Flote, Pickelflote, Oktavflote; ital. auch Ottavino),
eine -*■ Querflote mit Klappen in C (Umfang dZ-c 5 ),
Des oder Es, die zylindrisch oder konisch gebaut und
im Violinschliissel eine Oktave tiefer als klingend no-
tiert wird. Sie wird im Orchester seit Beethoven und
Rossini gefordert, vor allem in Tuttistellen im hohen
Register. Mit der Angabe Flauto p. in Partituren des
18. Jh. ist meist ein -> Flageolett (-1) gemeint.
Pien, bian, chinesische Bezeichnung der Halbton-
schritte in der 7stufigen Tonleiter. Die -»• Chinesische
Musik war und ist im Prinzip halbtonf rei pentatonisch.
Die altere Musiktheorie bis zur Dschou-Zeit (1050-
256 v. Chr.) kannte nur Fiinftonleitern:
gung schang djiio - dsche yii - gung
do re mi - sol la - do
Als aber spatestens mit Beginn der Sui-Dynastie (560-
618 n. Chr.) westliche Musik, die sich in heptatoni-
schen Leitern bewegte, aus Turkestan, Tibet und Indien
nach China eindrang, ergab sich die Notwendigkeit,
zwei Halbtonschritte einzubeziehen, die die Fiinf ton-
leiter zur Siebentonleiter erganzten. Eine Anderung des
Tonsystems war dazu nicht erforderlich, da es mogli-
cherweise schon vor der Dschou-Zeit als ein durch 12
Quintfortschreitungen gewonnener Tonvorrat von 12
Halbtonen in der Oktave, den 12 ->- Lii, konstruiert
worden war. DaB diese Halbtonschritte, die in der alt-
chinesischen Musikpraxis nicht verwendet worden
waren, niemals gleichrangig mit den pentatonischen
Intervallen behandelt wurden, zeigt sich darin, daB sie
keine eigenen Stufennamen erhielten. Sie wurden als
Durchgangstone in die Abstande vor dsche und gung
eingefiigt und nach diesen bian-dsche und bian-gung
benannt.
Pjffero (piffaro, ital.), eine -> Schalmei (- 1). Pifferari
und Zampognari (->• Zampogna) heiBen die zwischen
dem 1. Advent und Weihnachten meist aus den Abruz-
zen und aus Kalabrien nach Rom kommenden Hirten,
die zur Erinnerung an die Hirten von Bethlehem vor
den Madonnenbildern spielen und singen. Meist musi-
zieren ein Pifferaro (zugleich Sanger) und ein Zampo-
gnaro zusammen. Die Weisen dieser Gesange sind seit
Frescobaldi und Kerll mehrfach in Pastoralsatzen iiber-
nommen worden, so auch in der Pifa aus Handels
Messiah.
Lit.: H. Geller, »I Pifferari«. Musizierende Hirten in
Rom, Lpz. (1954).
Pince' (pes'e, frz.) -*■ Mordent; p. renverse -»■ Schnel-
ler; p. etouffe -> Acciaccatura.
P'i-p'a (chinesisch, p'i s. v. w. die Hand vorwarts
schieben, p'a s. v. w. die Hand zuruckziehen) ist eine
Kurzhalslaute, literarisch zuerst um 200, ikonogra-
phisch aus dem 5. Jh. belegt. Sie soil aus dem Norden
oder Westen nach China gekommen sein. Die P'i-p'a
hat ein rundes Corpus ohne Schallocher, 4 Saiten,
Querriegel und lange seitenstandige Wirbel sowie 12
Biinde auf dem Hals und dem Corpus. Die langlich-
ovale, leicht bauchige Form mit etwas abgewinkeltem
Wirbelkasten ist wahrscheinlichjunger (6. Jh.). Das In-
strument wurde mit einem holzernen Plektron ge-
spielt; Spiel mit den Fingern wird im 7. Jh. erwahnt.
Charakteristisch ist der Klang der gegen die Biinde
schlagenden Saiten. Die P'i-p'a kam im 8. Jh. nach Ja-
pan, wo sie biwa heiBt und in mehreren GroBen vertre-
ten ist. Zum Schutze des Corpus gegen die Schlage mit
dem Plektron ist oft ein Leder- oder Lackstreifen quer
iiber das Instrument gelegt. Die BaBlaute Bugaku biwa
gehort noch heute zum japanischen »Hoforchester«.
Lit.: R. H.v. Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokio
1940, Addenda u. Corrigenda Tokio 1951 ; L. Picken, The
Origin of the Short Lute, The Galpin Soc. Journal VIII,
1955.
Pisa.
Lit. : A. Segre, II Teatro Pubblico di P. nel seicento e nel
settecento, P. 1902; A. Gentili, Cinquant'anni dopo . . .
II Teatro Verdi ne' suoi ricordi, P. 1915; P. Pecchiai, Al-
cune notizie suU'arch. mus. del duomo di P., P. 1930; A.
Puccianti, Di un opusculo contenente la descrizione
dell'organo di A. Delia Ciaja nella chiesa dei Cavalieri in
P., RMI LII, 1950.
734
Plagiat
Pistoia.
Lit. : G. C. Rospigliosi, Notizie dei maestri ed artisti di
musica pistoiesi, P. 1878; A. Chiappelli, Storia del teatro
in P. dalle origini alia fine del s. XVIII, P. 1913 ; A. Chiti,
Organi ed organari in P., Bollettino stor. pistoiese XVIII,
1916; A. Damerini, P., in: La nuova musica, Florenz 1917;
ders., Un musicista pistoiese del Trecento, ebenda 1925;
Cat. delle opere mus. deU'arch. capitolare della cattedrale
di P., Parma 1937.
Piston (pist'5, frz., Pumpventil) ist die iibliche Kurz-
bezeichnung f iir das Cornet a p. (Ventilkornett, -* Kor-
nett - 1).
piu (ital., Abk. : p), mehr; piu forte, starker; piu al-
legro, schneller; piu tosto, ener, z. B. adagio piu tosto
andante, eher Andante als Adagio.
Piva (ital.), - 1) eine Schalmei oder -*■ Sackpfeife;
- 2) in italienischen Tanzbeschreibungen des 15. Jh.
eine Schrittfolge, doppelt so schnell wie die der Bassa
danza (-»• Basse danse) und damit die schnellste jener
Zeit. Im 16. Jh. ein Tanz im 12/8-Takt, hauptsachlich
iiberliefert in der Intabolatura de Lauto Libro quarto von
Petrucci (I. A.Dalza, Venedig 1508), die siebenmal die
Folge Pavana-Saltarello-P. in variationsmaBiger Ver-
bindung enthalt. Die Notation in der Proportio dupla
deutet darauf bin, daB auch die P. des 16. Jh. doppelt so
schnell wie der normale Grundschlag (vielleicht der
Pavane) verlief. - Mit einer Pifa im Rhythmus des
-*■ Siciliano (12/8) iiber einer Art DudelsackbaB schil-
dert Handel im Messiah in Anlehnung an die romischen
Pifferari (-»■ Piffero) die weihnachtliche Hirtenszene.
pizzicato (ital., gezwickt, Abk.: pizz.), Anweisung,
die Saiten von Streichinstrumenten (oder auch des Kla-
viers) mit den Fingern zu zupfen; wieder aufgehoben
durch (col) -> arco. Die alteste bekannte Vorschrift des
P.s findet sich 1638 in Monteverdis Combattimento di
Tancredi e Clorinda. Paganini verwendete als erster das
von der linken Hand ausgefiihrte P. bei gleichzeitigem
Bogenspiel, das den Effekt eines Duettierens ergibt
- ein Kunststiick, das schwieriger aussieht, als es tat-
sachlich ist (Duo Merveille von Paganini, Zigeunerwei-
sen von Sarasate). Bekannte P.-Satze sind: der 3. Satz
der 4. Symphonie von Tschaikowsky, die Pizzikato-
Polka von Joh. StrauB (Sohn) und Jos. StrauB und das P.
aus Sylvia von Delibes.
Lit. : Jk (= C. L. Junker), Etwas v. p., Mus. Real-Zeitung
1789; A. Schering, Die Symbolik d. P. bis Beethoven,
AfMf II, 1937.
plagal (von griech. TzK&yioe,, lat. plagalis, plagius,
plagis oder plaga, seitlich, hergeleitet, im Unterschied
zu -*■ authentisch), - 1) seit dem Mittelalter gebrauch-
liche Bezeichnung fur den 2., 4., 6. und 8. Kirchenton
(alteste Belege im 9. Jh. : GS I, 27a f . und 40a). Die pla-
galen Modi unterscheiden sich von den authentischen
innerhalb des Systems der -> Kirchentone durch ihre
jeweils um eine Quarte tieferliegenden Skalen; - 2) die
-> Kadenz (- 1) S-T, auch »KirchenschluB« genannt.
Plagiat (von lat. plagium, Menschenraub). Zuerst von
Martial (1 . Jh. n. Chr.) auf die Aneignung eines f rem-
den Kunstwerks iibertragen, wurde das Wort in Frank-
reich seit dem 8. Jh. in diesem Sirme allgemein ge-
brauchlich und in der Folge in andere Sprachen iiber-
nommen. Auch als Rechtsbegriff setzt sich PI. immer
mehr durch, obwohl es mit diesem Wort in Gesetzes-
texten nicht vorkommt. Es bedeutet: jede unerlaubte
Verwendung eines f remden, urheberrechtlich geschiitz-
ten Werkes oder Werkteils - gleich ob verandert oder
nicht - unter AnmaBung der eigenen Urheberschaft.
Fur das bewufit begangene PL ist nach den Gesetzen
nahezu aller Lander Entschadigungspflicht festgesetzt,
wenn nicht Strafe. Die unbewuBte Verwendung frem-
den Gedankenguts (unbewuBte Erinnerung) gilt nicht
als PI. ; sie ist schwer beweisbar. Bei MiBbrauch urhe-
berrechtlich freier Werke spricht man im allgemeinen
nicht von PI. Gesetzlich aber kann hier ein Tatbestand
des Betruges erfiillt sein. - In der Musik entstand im
Unterschied zur Literatur erst spat ein Urheberan-
spruch, dessen Nichtbeachtung den Vorwurf des Pl.s
zur Folge haben konnte. Erst mit dem Aufkommen
des Notendrucks (Anfang des 16. Jh.) wurde es all-
gemein iiblich, den Komponistennamen bei der Ver-
vielf altigung eines Werkes (und bei dessen Auff iihrung)
anzugeben. Diese Ubung erstarkte allmahlich zu ei-
nem schlieBlich auch gesetzlich anerkannten Recht des
Urhebers auf Anerkennung seiner Urheberschaft. Die
Verletzung dieses Urheberrechts ist das Wesensmerk-
mal des Pl.s. Ganz-Pl. liegt vor bei Verwendung eines
vollstandigen, mehr oder minder unveranderten frem-
den Werkes. Historische Falle von Ganz-Pl.en sind
u. a. diejenigen von G. B. Bononcini, der 1731 in Lon-
don der Academy of Ancient Music A.Lottis Madri-
gal In una siepe ombrosa als eigenes Werk einreichte,
von W.Fr.Bach, der J.S.Bachs Autograph der Or-
gelbearbeitung von A.Vivaldis Konzert D moll fiir
2 V. und Orch. (BWV 596) mit der Aufschrift ver-
sah di W.F.Bach, manu mei Patris descriptum, in der
neueren Zeit von einem Schiiler M. Regers an seinem
Lehrer und von Fritz Hahn in etwa einem Dutzend
Fallen an J.Rheinberger (1907). - Mit der starkeren
Bedeutung des melodischen Moments auch im mehr-
stimmigen MusikschafEen des 18. Jh. wurde u. a. von
Printz, Kuhnau, Mattheson, Marpurg und Scheibe
auch die Benutzung von Teilen fremder Kompositio-
nen als PI. angesehen, zumal wenn die Quelle nicht an-
gegeben war. 1757 ruhmte sich Fr.W.Zacharias als
erster des Vorschlags einer Quellenangabe bei fremden
Melodien. Wahrend man noch zu Bachs und Handels
Zeiten fremden Anleihen tolerant gegeniiberstand, hat-
te die hohere Bewertung der Melodie gegen Ende des
18. Jh. eine zum Teil ubertriebene »Reminiszenzen-
jagd« und »P1.-Schniiffelei« zur Folge; hierbei wurden
zu Unrecht auch Zufallsahnlichkeiten, z. B. Verwen-
dung einer in der Zeit ublichen Melodieformel, ange-
prangert. Im 20. Jh. spielt das PL fast nur noch auf dem
Gebiet der Unterhaltungsmusik eine Rolle, und zwar
eine zunehmend groBe, weil heute schon einige wenige
besonders erf olgreiche Takte einen hohen Vermogens-
wert darstellen und deshalb zum Diebstahl verlocken.
Gegen solche Teil-Pl.e ist der im Gesetz vorgesehene
Melodienschutz eine groBe Sicherheit. Demnach darf
eine geschiitzte Melodie nicht erkennbar entnommen und
einem neuen Werk zugrunde gelegt u/erden. Die Frage,
warm die Melodie nur noch als urheberrechtlich nicht
geschiitztes Motiv bezeichnet werden kann, ist fallwei-
se zu entscheiden. Hier kann der geschadigte Urheber
unter Umstanden wegen unlauteren Wettbewerbs vor-
gehen. - Bei Pl.s-Prozessen werden meistens Sachver-
standige gehort. Da exakte Merkmale selten vorliegen,
machen die notwendig subjektiven Ergebnisse solcher
Priifungen Pl.s-Prozesse unsicher und gefiirchtet.
Lit: W. Tappert, Wandernde Melodien, Lpz. 21890; L.
KarpaTh, Der Plagiator Fr. Hahn, Signale f . d. mus. Welt
LXVI, 1908; Fr. Kuhn, Der Gegenstand d. Melodie-
schutzes nach § 13 Abs. 2 d. Gesetzes v. 19. Juni 1901 be-
treffend d. Urheberrecht an Werken d. Lit. u. Tonkunst,
Diss. iur. Lpz. 1909; H. Nitze, Das Recht an d. Melodie,
Munchen u. Lpz. 1912; A. Moser, Mus. Criminalia, Mk
XV, 1922/23 ; K. Englander, Gedanken fiber Begriff u.
Erscheinungsformen d. mus. PL, Arch. f. Urheber-, Film-
u. Theaterrecht III, 1930; R. Englander, Das mus. PL als
asthetisches Problem, ebenda; J. Landeroin, Du pi. mus.,
Paris 1933; H. G. Hein, Das PL in d. Tonkunst, Diss,
iur. Koln 1935; K. Baumann, Das Urheberrecht an d.
735
Plainte
Melodie u. ihre freie Benutzung, =Ziircher Beitr. zur
Rechtswiss., N. F. LXXVI, Aarau 1940; W. Becker-
Bender, Das Urheberpersonlichkeitsrecht im mus. Ur-
heberrecht, = Heidelberger rechtswiss. Abh. XXV, Hei-
delberg 1940; F. R. Wolpert, Der Schutz d. Melodie im
deutschen Recht, Diss. iur. Miinchen 1953; A. H. King,
Mozart in Retrospect, London (1955, 21956); H. v. Rau-
scher auf Weeg, Das mus. Urheberrecht u. d. Schutz v.
Werkteilen, Diss. iur. Heidelberg 1955; D. Ewen, Panora-
ma of American Popular Music, Englewood Cliffs/N. J.
(1957); E. Schulze u. a., PL, = Schriftenreihe Internatio-
nale Ges. f. Urheberrecht e. V. XIV, Bin u. Ffm. 1959;
»Zum Melodieschutz«, Gutachten, GEMA-Nachrichten
Nr 48, 1960; H. Pohlmann, Die Friihgesch. d. mus. Urhe-
berrechts, = Mw. Arbeiten XX, Kassel 1962; G. v. Noe,
Das mus. PI., NZfM CXXIV, 1963.
Plainte (ple:t, frz. Klage), - 1) -> Planctus; - 2) im
17./18. Jh. eine Bezeichnung fiir Stiicke von klagen-
dem Charakter ahnlich wie -»■ Lamento und -> Tom-
beau. Pl.s schrieben u. a. Froberger (Allemande Pl.faite
a Londres pour passer la Milancholie, vermutlich 1662),
J. C. F. Fischer (Journal du Printetns, 1695, Les Pieces de
Clavessin, 1696) und Fr. Couperin (10. Konzert) ; -3) ei-
ne Bezeichnung fiir verschiedene Verzierungen, so fiir
-> Vibrato (de Machy, Pieces de viole, 1685; M.Marais,
Pieces de viole, 1686) oder ->■ Vorschlag (accent plaintif ;
Mersenne 1636, J.-J. Rousseau 1768).
Plaisanterie (plszatr'i, frz., SpaB, Spott), Satzbe-
zeichnung in Suiten vornehmlich fiir Soloinstrumente
(Klavier) der 1. Halfte des 18. Jh., die scherzoartigen
Charakter haben, mit damnter gemischten Tanzmelodien
(KochL).
Planctus (lat. von plangere, laut trauern; prov. plane,
planh; frz. complainte, plainte; ital. pianto, auch ->• la-
mento), im Mittelalter ein Klagelied auf den Tod eines
Gonners oder Fiirsten, von nicht festgelegter Form,
zum Teil Sequenz- oder Laiform (Abalard) oder Re-
frainformen. Beruhmt sind die PI. Fortz cauza des Gau-
celm Faidit auf den Tod Richard Lowenherz' (1199)
und Pies de tristor von Guiraut Riquier (2. Halfte 13. Jh.).
In die Gattung gehoren auch die Liebes- und Marien-
klagen des italienischen 13. Jh., so Jacopone da Todis
Lauda Pianto della Madonna.
Ausg. u. Lit. : A. Medin, Lamenti del s. XIV, Florenz 1883;
ders. u. L. Frati, Lamenti storici dei s. XIV, XV, XVI, 3
Bde, Bologna 1887, Bd 4 Padua u. Venedig 1894; W. Meyer
u. W. Brambach, P. Abaelardi pi. virginum Israel, Miin-
chen 1885; W. Meyer, P. Abaelardi pi. I-VI, Romanische
Forschungen V, 1890, separat Erlangen 1890; ders., Ge-
sammelte Abh. zur mittellat. Rhythmik I, Bin 1905; H.
Springer, Das altprov. Klagelied, = Berliner Beitr. zur
germanischen u. romanischenPhilologie, Romanische Abt.
II, Bin 1895 ; Br. Stablein, Die Schwanenklage. Zum Pro-
blem Lai-Pl.-Sequenz, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg
1962.
Plantation song (pla;nt e:Jan sarj, engl., Plantagen-
gesang), Sammelbezeichmmg fiir die Arbeitslieder
(work songs) und andere Gesange der schwarzen Land-
arbeiter in den USA, vor allem im 19. Jh. Manche die-
ser Lieder, die zusammen mit den Bluesgesangen als
Vorstufendesjazz gelten, sindwissenschaftlichbeschrie-
ben und in abendlandischer Notenschrift aufgezeichnet
worden.
Ausg.: M. W. Taylor, A Collection of Revival Hymns
and Plantation Melodies, Cincinnati 1883 ; W. E. Barton,
Old Plantation Hymns, Boston u. NY 1899; E. Hallow-
ell, Calhoun PI. S., Boston (1901), Suppl. (1905).
Platerspiel, Platerpfeife (mhd. blaterpfife, »Blasen-
pfeife«), Doppelrohrblattinstrumente, bei denen der
Wind durch ein Anblasrohr zunachst in einen kleinen
kugeligen Windbehalter (aus einer Tierblase herge-
stellt) geleitet wird und von dort in die gerade (Plater-
HS
pfeife) oder unten umgebogene
(Platerspiel) Spielrohre tritt. Zwei
K^J^J Spielrohren, wie sie bei manchen
Sackpfeifen auftreten, sind selten.
Virdungs Platerspiel (siehe Abbil-
dung) hat 6 Grifflocher (wie das Te-
norkrummhorn, Umfang c-d 1 ). Ei-
ne der Platerpfeife verwandte Form
wird in der indischen Kurbisschal-
mei gesehen. In Europa sind Plater-
spiel und Platerpfeife vom Hoch-
mittelalter bis Anfang des 17. Jh. so-
wohl literarisch (Helbling, um 1290
inNiederosterreich; Hugo von Trim-
berg 1310; The Complaynt of Scotlande, 1549) als auch
bildlich belegt (z. B. in Miniaturen der -»■ Cantigas-
Handschrift Codex Escorial T.j.l, vgl. Kinsky 1925;
auBerdem Ribera 1922, Abb. XXIII und XXV nach
S. 152).
Lit. : The Complaynt of Scotlande . . . , hrsg. v. J. A. H.
Murray, London 1 872 ; J. Ribera y Tarrag6, La miisica
delascantigas, = Cantigas de Santa Maria . . . Ill, Madrid
1922; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Windkapsel,
AfMw VII, 1925 (dort Einzelnachweise).
Plauen (Vogtland).
Lit.: R. Helmrich, PI. Theatergesch. bis zur Weihe d.
Stadttheaters im Jahre 1898, Jahresschrift d. Altertumver.
zu PI. i. V. 1908 ; M. Seiffert, Das Pl.er Orgelbuch v. 1708,
AfMw II, 1919/20; E. Flade, Der Chorus Musicus zu PI.
i. V., Zs. f. KirchenmusikerXIX, 1937.
Playback- Verfahren, ein in der Film- und Fernseh-
technik angewandtes Verfahren, das als eine Umkeh-
rung des Synchronisationsverfahrens (Hinzufiigung ei-
ner synchronisierten Ton- zu einer vorproduzierten
Bildaufnahme) angesprochen werden kann. Beim PL-
V. wird die Ton-(vor allem die Musik-)Aufnahme mit
optimaler Qualitat im Tonstudio vorproduziert und
wahrend der eigentlichen Filmauf nahme oder der Fern-
sehsendung (bzw. -aufzeichnung) iiber Lautsprecher
dem Schauspieler oder Sanger zugespielt, der synchron
Sprechen oder Singen markiert. Mit Hilfe des Pl.-V.s
lassen sich die bei Film- und Fernsehaufnahmen oft un-
vermeidbaren Storgerausche ausschalten. Ein weiterer
Vorteil ist die Unabhangigkeit von den unterschiedli-
chen akustischen Qualitaten der Aufnahmestudios. Au-
Berdem bietet das Pl.-V. z. B. dem Regisseur von Fern-
sehopern die - in ihrer Legitimitat allerdings umstrit-
tene - Moglichkeit, Schauspielern die Stimme von gu-
ten Sangern zu »leihen«, deren darstellerisches Vermo-
gen oder auBere Erscheinung den Anf orderungen einer
bestimmten Rolle nicht entspricht. - Playback (bzw.
Multiplayback) heiBt auch das vor allem in der Unter-
haltungsmusik angewandte Tonaufnahmeverfahren,
bei dem von einem einzelnen Sanger oder Instrumen-
talisten zwei (oder mehr) Tonbandaufnahmen nachein-
ander gemacht und gleichzeitig mit den vorhergehen-
den Aumahmen zusammengemischt werden. Bekannt
wurden durch dieses Verfahren u. a. der amerikanische
Gitarrist Les Paul und seine Frau Mary Ford (Gesang).
Plein jeu (pis 30, frz., voiles Spiel), allgemein s. v. w.
-> Organo pleno; auch gleichbedeutend mit -*■ Grand
chceur (- 2). Charakteristisch fiir das PI. j. in der fran-
zosischen Orgel, das auf den Prinzipalstimmen (Montre
8', auch 16', Prestant 4', Doublette 2') und Mixturen
(->■ Fourniture und Cymbale; -*■ Zimbel - 2) des
Hauptwerkes basiert, sind vollbecherige Zungenstim-
men (Trompette 8' und 4', auch 16') im Pedal, das Hin-
zutreten weiterer Grundstimmen (Bourdon) im Haupt-
werk und das Fehlen terzhaltiger Mixturen. Der Begriff
PL j. bezeichnet manchmal auch nur die ->■ Mixtur.
736
Polen
Plektron (griech.), auch Plektrum, ein Stabchen oder
Blattchen aus Holz, Horn, Elfenbein, Federkiel, heute
auch aus Kunststoffen, zum AnreiBen von Saiten. Die
Saiteninstrumente des klassischen Altertums (-»■ Kitha-
ra) wurden sowohl mit als auch ohne PI. gespielt. Auch
bei den meisten neuzeitlichen Saiteninstrumenten
wechselt der Gebrauch zeitlich und ortlich; immer mit
PI. gespielt werden Mandoline und Zither. - PI. hieBen
im Mittelalter auch Reibstabe, Tangenten (z. B. der
Drehleier), spater noch die Kloppel des Hackbretts.
-> Stimmschliissel.
Plenum (lat.) -*■ Organo pleno.
Pleonasmus (griech., UberfluC), in der Rhetorik die
Uberbestimmung einer Sache durch ein in deren Be-
griff schonEnthaltenes (z. B. nasser Regen, einen Traum
traumen). Als musikalisch-rhetorische Figur ist PI. bei
Burmeister (1606) die Ausweitung einer Klausel mittels
dissonierender Durchgangsnoten (-»■ Commissura)
und Synkopierungen (-> Syncopatio). Burmeister
nennt als Beispiel den SchluB (restat amort dolor) von
Lassus' 5st. Motette Heu quantus dolor (GA XI).
Plica (mittellat., Falte), als Bezeichnung in der Notre-
Dame-Epoche aufgekommen, belegt seit der Discantus
positio vulgaris (ed. Cserba, S. 189). Unter PI. versteht
man die in der Modal- und friihen Mensuralnotation
(etwa bis hin zum Roman de Fauvel, -*■ Quellen: Fauv) ge-
brauchlichen, aus den beiden liqueszierenden Neumen
(->• Liqueszens) Cephalicus /* und Epiphonus^/
hervorgegangenen Noten, deren Grundformen die PI.
descendens n und die PI. ascendens U sind. Die schon
auf der vormodalen Stufe der Mehrstimmigkeit f iir die
Niederschrift von Melismen herangezogenen beiden
Zeichen erhielten in der -> Modalnotation offenbar die
Bedeutung einer zweitonigen Folge aus einem festen
Haupt- und einem beweglichen Nebenton (meist im
Sekundabstand ; die Richtung der Tonf olge wird durch
Stellung des Zeichens angezeigt). Aus den Quellen der
Notre-Dame-Epoche ergibt sich aber, daB der Neben-
ton sowohl melodisch als auch rhythmisch vielfach
schon rational in den musikalischen Zusammenhang
eingeordnet war. Friihmensural sind: PI. longa des-
cendens ■, PI. brevis descendens «, PI. longa ascendens
U oder a, PI. brevis ascendens b (auch k) sowie die mit
PI. endenden -> Ligaturen (- 1), die sich von gewohnli-
chen Ligaturen durch einen nach unten oder nach oben
gerichteten vertikalen SchluBstrich (cauda, tractus) un-
terscheiden (cum perfectione z. B. fL, ju, sine perfec-
tione z. B. im, ml). Die Deutung dieser Pl.-Zeichen
(in modernen Ubertragungen meist als Hauptnote
mit angehangter Nebennote wiedergegeben, z. B. :
Jjl oder jjt) stiitzt sich einerseits auf Angaben der Theo-
retiker (ausfiihrlich etwa im anonymen Mensuraltrak-
tat von 1279), andererseits auf Beobachtungen iiber
mensurale Auflosungen der PI. in jiingeren Hand-
schriften.
Lit. : P. Bohn, Die PI. im gregorianischen Gesange u. im
Mensuralgesange, MfM XXVII, 1895 ; H. Sowa, Ein ano-
nymer glossierter Mensuraltraktat 1279, = Konigsberger
Studien zur Mw. IX, Kassel 1930; H. Angles, Die Bedeu-
tung d. PI. in d. ma. Musik, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg
1962.
Pochette (psj'et, frz., kleine Tasche; engl. kit, von
griech. kithara, zuerst belegt 1519; auch ital. sordino;
frz. sourdine), eine Geige mit sehr kleinem Corpus, die
leicht in der Rocktasche unterzubringen war und an
manchen Orten bis ins 19. Jh. gerne von den Tanz-
meistern beim Unterricht gebraucht wurde (»Tanz-
meistergeige«). Im 16./17. Jh. hatte sie die vom -> Re-
bec bekannte Bootsform (daher bei Kircher 1650 lin-
terculus genannt); so wird sie auch von Praetorius
(Synt. II) abgebildet (Klein Geig, Posche genant; Stim-
mung g 1 d 2 a 2 oder a 1 e 2 h 2 ). Im 18. Jh. wurde die P.
auch mit Violincorpus und sehr langem Hals, auch
4saitig gebaut.
Lit.: D. Fryklund, Studien uber d. P., Sundsvall 1917;
ders., En p. d'amour afTh. Edlinger, ebenda 1918.
poco (ital., Abk. [selten] : p), ein wenig (p. largo, p. for-
te), aber auch wenig, nicht sehr (z. B. p. forte) ; p. a p.,
nach und nach ; un pochettino, ein klein wenig.
Podatus (lat.) -> Pes (- 1), -» Neumen (- 1).
Point d'orgue (pue d'arg, frz.) -> Orgelpunkt,
-*■ Fermate.
Polacca -*■ Polonaise.
Polen.
Ausg. : Piesni ludu polskiego (»Lieder d. polnischen Vol-
kes«), hrsg. v. O. Kolberg, Warschau 1857, ab Serie II als:
Lud, jego zwyczaje, . . . piejni, muzyka i tahce (»Das Volk,
seine Sitten, . . . Lieder, seine Musik u. seine Tanze«), hrsg.
v. dems., Serie II-IV, Warschau 1865-67, Serie V-XXIII,
Krakau 1871-90, Nachdruck in: O. Kolberg, Dziela wszy-
stkie, hrsg. v. J. Krzyzanowski u. a., Krakau u. Warschau
seit 1961 ; Monumenta musices sacrae in Polonia, hrsg. v.
J. Surzynski, 4 Bde, Posen 1 885-96; Wydawnictwo dawnej
muzyki polskiej (»Ausg. alter polnischer Musik«), hrsg. v.
A. Chybinski (Bd 1-22), H. Feicht (Bd 23-50), ab Bd 51 v.
H. Feicht u. Z. M. Szweykowski, Warschau 1928-38,
Krakau seit 1947; Muzyka polskiego odrodzenia (»Die
Musik d. polnischen Renaissance«), hrsg. v. Z. Lissa u. J.
M. Chominski, Krakau 1953, 2 1954, 31956, engl. 1955;
Zrddta do historii muzyki polskiej (»Quellen zur polnischen
Mg.«), hrsg. v. Z. M. Szweykowski, Krakau seit 1960; An-
tiquitates musicae inPolonia, hrsg. v. H. Feicht, Warschau
u. Grazseit 1962; Monumenta musicae in Polonia, hrsg. v.
J. M. Chominski, Krakau seit 1964.
Lit.: E. Oloff, Polnische Liedergesch., Danzig 1744; A.
Sowinski, Les musiciens polonais et slaves, anciens et mo-
dernes, Paris 1857, erweitert polnisch als: Slownik muzy-
kow polskich, dawnych i nowoczesnych (»Lexikon d. alten
u. gegenwartigen polnischen Musiker«), Paris 1874; M.
Karasowski, Rys historyczny opery polskiej, . . . (»UmriB
d. Gesch. d. polnischen Oper, . . .«), Warschau 1859; J.
Surzynski, Muzyka figuralna w kosciofach polskich od
XV do XVill wieku (»Figuralmusik in d. polnischen Kir-
chen v. XV. bis XVIII. Jh.«), Posen 1889; A. Polinski,
Dzieje muzyki polskiej w zarysie (»Gesch. d. polnischen
Musik imUmriB«), = NaukaisztukaVII,Lemberg(1907);
A. Chybinski, Stosunek muzyki polskiej do zachodniej
w XV i XVI wieku (»Beziehungen d. polnischen Musik
zu d. d. Westens im XV. u. XVI. Jh.«), Krakau 1909;
ders., Teoria mensuralna w polskiej literaturze muzycznej
pierwszej polowy XVI w. (»Mensuraltheorie in d. pol-
nischen Musiklit. d. 1. Halite d. 16. Jh.«), Krakau 1911;
ders., Polnische Musik u. Musikkultur d. 16. Jh. in ih-
ren Beziehungen zu Deutschland, SIMG XIII, 1911/12;
ders., Slownik muzykow dawnej Polski do roku 1800
(»Lexikon d. Musiker im alten P. bis 1 800«), Krakau 1 949 ;
A. Simon, Polnische Elemente in d. deutschen Musik bis
zur Zeit d. Wiener Klassiker, Zurich 1916; H. Opienski,
Lamusique polonaise, Paris 1918, 2 1929; W. Gieburowski,
Choral gregorianski w Polsce od XV do XVII wieku (»Der
gregorianische Choral in P. v. 15. bis zum 17. Jh.«), Po-
sen 1922 ; L. Bernacki, Teatr, dramat i muzyka za Stanis-
lawa Augusta (»Theater, Drama u. Musik zur Zeit d. Sta-
nislaus Augustus«), 2 Bde, Lemberg 1925; H. Windakie-
wiczowa, Pentatonika w muzyce polskiej ludowej (»Pen-
tatonik in d. polnischen Volksmusik«), Warschau 1933 ; T.
Wieczorkowski, Wczesnosredniowieczne instrumenty
muzyczne kultury staropolskiej . . . (»Fruhma. Musikinstr.
d. altpolnischen Kultur . . .«), Wiadomofci archeologiczne
VII, 1939, separat 2 1948; J. Wt. Reiss, Polskie skrzypce
i polscy skrzypkowie (»Polnische Geigen u. polnische Violi-
nisten«), Warschau 1946; ders., Polska muzyka taneczna
XIX w. (»Polnische Tanzmusik d. 19. Jh.«), Muzyka IV,
1953; Zdz. Jachimecki, Muzykologia i piSmiennictwo
47
737
Polka
muzyczne w Polsce (»Mw. u. Musikschriftstellerei in P.«),
Krakau 1948; ders., Muzyka polska w rozwoju historycz-
nym . . . (»Die polnische Musik in hist. Entwicklung . . .«),
2 Bde, Krakau 1948-51 ; Zdz. Szulc, Slownik lutnikow
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1953; K. Michalowski, Opery polskie(»PolnischeOpern«,
1788-1953), = Materialy do bibliogr. muzyki polskiej I,
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ebenda III, Krakau 1955, Suppl. f. 1955-63, 1964; T.
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skiej krytyki muzycznej 19 i 20 w. (»Anth. d. polnischen
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czasopiSmiennictwo muzyczne w XIX i XX w. (do 1939 r.)
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Zdziejow polskiej piesni solowej (»Zur Gesch. d. polnischen
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zycznej wiekow srednich (»Grundprobleme d. polnischen
Musikkultur im MA«), in: Hist, kultury sredniowiecz-
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1963; ders., Dzieje polskiej muzyki religijnej w zarysie
(»Gesch. d. polnischen geistlichen Musik im UmriB«), in :
Roczniki teologiczno kanoniczne (»Theologisch-kanoni-
sche Jahrbiicher«) XII, 4, Lublin 1965; ders., Les proble-
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sche Musik«), Krakau 1966; L. Finscher, Deutsch-polni-
sche Beziehungen in d. Mg. d. 16. Jh., in: Musik d. Ostens
II, Kassel 1963; M. Perz, Die Vor- u. Friihgesch. d. Par-
titur in P., in : Fs. d. Akad. f. Musik ... in Graz, Graz 1963 ;
ders., Hs. Nr 1361 d. Offentlichen Stadtischen Raczynski-
Bibl. in Poznan als neue Quelle zur Gesch. d. polnischen
Musik in d. II. Halfte d. XV. Jh., in: The Book of the 1.
IMC, Warschau 1963 ; L. T. Blaszczyk, Dyrygenci polscy
i obey w Polsce dzialaj acy w XIX i XX w. (»Polnische u. aus-
landische Dirigenten, die im 19. u. 20. Jh. in P. wirkten«),
Krakau (1964); Slownik muzykow polskich (»Lexikon d.
polnischen Musiker), hrsg. v. J. Chomt&ski, Bd I, Krakau
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lektion in P., AMI XXXVII, 1965 ; Musica medii aevi, hrsg.
v. J. Morawski, I, Krakau 1965; Z. Rozanow, Muzyka
w miniaturze polskiej (»Musik in d. polnischen Miniature),
Krakau 1 965 ; P. Podejko, Nieznani muzycy polscy : kom-
pozytorzy, dyrygenci, instrumentalisci i wokalisci 1585-
1 820 (»Unbekannte polnische Musiker : Komponisten, Di-
rigenten, Instrumentalisten u. Vokalisten 1585-1820«),
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miniatures medievales en Pologne, in : Melanges offerts a
R. Crozet II, Poitiers 1966; Studia H. Feicht septuagenario
dedicata, Fs. Krakau 1967. - Bibliogr.: VR P. 1945-65,
= Beitr. zur Mw., Sonderreihe II, Bin 1966.
Polka (tschechisch, Etymologie umstritten, wohl von
p., kleine Polin), Paartanz in lebhaftem 2/4-Takt, trotz
seines auf Polen verweisenden Namens von tschechi-
scher Herkunft. Wenn auch zum polnischen -»■ Kra-
kowiak und zur -> Ecossaise Parallelen bestehen, sind
schnelle Volkstanze in geradem Takt in Bohmen schon
vor dem urn 1830 zu datierenden Aufkommen der P.
bekannt und verbreitet. Bei wesentlich langsamerem
Tempo ist die P. dem -> Galopp durch den beiden
Tanzen gemeinsamen Wechselschritt verbunden. In-
nerhalb weniger Jahre breitete sich die P. in Bohmen
(1837 in Prag) und bis nach Osterreich (1839 in Wien,
im gleichen Jahr in St. Petersburg) aus, kam 1837 erst-
mals zum Druck (M.Berra, Prager Lieblings-Galoppen),
wurde aber von Paris aus, wohin 1840 der Tanzlehrer
J.Raab sie gebracht hatte, schlagartig zum alles Uber-
treffenden Modetanz. Schon damals sah man die P. als
polnischen Tanz an, was ihr - wie z. B. auch der -*■ Po-
lonaise - bei der seit der polnischen Revolution herr-
schenden Polenbegeisterung nur forderlich gewesen
sein kann. In ihrer Stilisierung verlor sie die Verbin-
dung zum urspriinglichen Volkstanz und bildete eine
Reihe von zum Teil schnell wechselnden Sonderfor-
men aus (z. B. Kreuz-P.), die aber den fur die P. cha-
rakteristischen Rhythmus * Jj J-3 I id J I weitge-
hend beibehalten haben. Aus einer Unzahl von Stiik-
ken sind in Deutschland noch heute mehrere P.s von
J. StrauB Vater und Sohn (u. a. Annen-P., Pizzikato-
P.) allgemein bekannt. Mit dem Vordringen siid- und
nordamerikanischer Tanze nach 1945 kam die P. als
Tanz fast vollig auBer Gebrauch und ging in den Be-
reich der Unterhaltungsmusik iiber. Als stilisiertes Bei-
spiel tschechischer Nationalmusik kann die P. in Sme-
tanas »Verkaufter Braut« (1866) gelten:
Die P. fand Eingang in die Kammermusik durch Fi-
bichs Streichquartett A dur (1874) und Smetanas
Streichquartett »Aus meinem Leben« (1876). Fur ein
amerikanisches Elefantenballett schrieb Strawinsky
1942 eine Circus-P.
Lit. : A. Waldau, Bohmische Nationaltanze, 2 Bde, Prag
1859/60; Zd. Nejedly, B. Smetana, II, Prag 1925; A. Mi-
chel, P., the Czech, in: A. Chujoy, The Dance Encyclo-
pedia, NY 1949; R. C. Halski, The Polish Origin of the
P., Kgr.-Ber. Warschau 1960.
Polo (span.), - 1) ein sudspanischer (andalusischer)
Tanz, begleitet von Kastagnetten, Handeklatschen und
Schuhgeklapper; - 2) andalusischer Volksgesang, in
Moll und im 3/8-Takt, der durch die Zigeuner ver-
breitet wurde (p. gitano, Zigeuner-P.). Er besteht aus
2 Teilen: der 1. Teil ist ein Gitarrenvorspiel (solida),
der 2. Teil wird gesungen und ist mit einem oder eini-
gen langen ay- oder ole-Rufen durchsetzt. In der
Kunstmusik findet sich ein beriihrnter P. als letzter der
Siete canciones populates espaiiolas von de Falla.
Polonaise (pak>n'e:z, frz. ; polnisch polonez; ital. po-
lacca) bezeichnet sowohl einen noch heute gebrauch-
lichen ruhigen Schreittanz polnischer Herkunft als auch
ein von ihm abgeleitetes (nicht getanztes) Instrumental-
stuck, dessen Ausbildung sich allerdings zum grofiten
Teil auBerhalb Polens vollzogen hat. - Der paarweise
Schreittanz im (iiberwiegend) geraden Takt und von
maBiger Bewegung findet sich bis heute in Polen unter
den verschiedensten Namen (z. B. Chodzony, der Ge-
gangene, Pieszy, der Geschrittene) und ist, wie die
meisten Formen der Volksmusik, in seinen Urspriingen
kaum zu fassen. Nichts widerspricht der Annahme sei-
ner Existenz schon im 16. Jh., so daBdie (f riiher f alsch-
lich als Ausgangspunkt der P. angesehene) Defiliercour
des polnischen Adels vor Heinrich von Valois (1574)
durchaus seiner Geschichte zugerechnet werden konn-
738
Polynesien
te. Die weite Verbreitung der mit ihm verbundenen
Tanzlieder erweisen die nach Hunderten zahlenden P.n
in der von O. Kolberg edierten Volksmusiksammlung
(->• Polen). Neben der Verwendung dieses Schreittan-
zes im heute noch gepflegten polnischen Brauchtum
(vor allem bei Hochzeiten) lark sich mindestens bis ins
17. Jh. eine iiber Polen hinausgehende hofische Form
feststellen, die bis zur Gegenwart als Eroffnung von
Tanzveranstaltungen lebendig blieb. Wahrend sich das
Brauchtum weitgehend auf ein Umschreiten des Tanz-
platzes beschrankt, weitete sich z. B. in Deutschland die
P. (vor allem in privatem Rahmen) haufig zu einem
von Marschmusik oder Liedern begieiteten Zug durch
das ganze Haus aus, zur frohlichen Einstimmung der
versammelten Gesellschaft. - Die P. als nicht getanztes
Instrumentalstuck ist mit Sicherheit bis ins 17. Jh. zu-
riickzuverfolgen. Ihre deutliche Scheidung von nur
allgemein mit »polnisch Dantz« oder ahnlich bezeich-
neten Stiicken (-»■ Polska) ist im 17. Jh. und in noch
friiherer Zeit (z. B. bei Ammerbach) haufig schwierig.
Sie erscheint, ihrer Herkunft vom Schreittanz entspre-
chend, zunachst als geradtaktiges Stiick; zuerst verein-
zelt, dann haufiger wird ein Nachtanz (Proporz) ange-
fiigt, der sich am Anfang des 18. Jh. als P. im Dreier-
takt mit dem typischen stark akzen tuierten vollen
Taktbeginn und dem Rhythmus J)J2j J J J verselb-
standigt. Der SchluBtakt mit einer charakteristischen
Aufteilung des ersten Viertels weist allgemein Bildun-
gen auf wie J553J W 1 oder JJQJjy. Die Entwicklung
dieser instrumentalen P. vollzog sich auBerhalb Po-
lens, vorwiegend in Schweden und Deutschland sowie
Frankreich, von wo sie im 18. Jh. wieder nach Polen
zuriickkehrte. Ein be-
kanntes Beispiel ist die
P. aus J. S.Bachs Fran-
zosischer Suite E dur
(BWV817):
Die P. findet sich u. a. auch bei Couperin, Telemann,
Handel, Sperontes, Guillemain, W.Fr.Bach, Kirnber-
ger und Schobert. Zu besonderer Bliite gelangte sie am
Ende des 18. Jh., wozu die in ganz Europa beruhmten
iiber 20 Kompositionen fur Klavier (darunter einige
vierhandig) von M. Kl. Ogiriski mit programmatischen
Titeln und melancholischem, sentimentalem Charak-
ter (Les adieux; Toten-P. usw.) wesentlich beigetragen
haben. Von anderen Komponisten dieser Zeit ist vor
allem J. Kozlowski zu nennen, der neben P.n fur Kl.
etwa 70 fiir Orch. schrieb, daneben andere fiir Chor
und Orchester, unter ihnen Grom pobiedy rozdawajsia
(bis 1833 die russische Staatshymne). Beethoven ver-
wendet die P. mehrmals (Serenade op. 8, Finale des'Tri-
pelkonzerts op. 56, P. op. 89), ebenso C.M.v.Weber
(op. 21, 1808; Polacca brillante op. 72, 1819, spater von
Liszt fiir Kl. und Orch. bearbeitet) und Schubert (4 P.n
op. 75, D 599, urn 1818; 6 P.n op. 61, D 824, urn 1825,
alle fiir Kl. zu 4 Handen). Fiir Chopin waren die P.n
von Oginski mindestens ebenso bedeutsam wie diejeni-
gen seiner Lehrer Zywny und Eisner. Seine Werke
fuhrten das Instrumentalstuck P. zum Hohepunkt sei-
ner Geschichte ; zu ihrem Erf olg hat im westlichen Eu-
ropa auch die nach den Ereignissen von 1830/31 auf-
brechende romantische Polenbegeisterung beigetragen.
Schumann (8 P.n, 1828, vierhandig) und Liszt (2 P.n,
1 851 ; Fest-P. , 1 876 ; Bearbeitung der P. aus Tschaikow-
skys »Eugen Onegin« fiir Kl.), auch R.Wagner (Kl.-P.
op. 2) leisteten Beitrage zu dieser hochstehenden und
das Musizieren des 19. Jh. weithin beherrschenden
-*■ Salonmusik.
Lit. : W. Gostomski, Polonez i menuet, Warschau 1891 ; T.
Norlind, Zur Gesch. d. polnischen Tanze, SIMG XII,
1910/11; A. Chybinski, Die deutschen Musiktheoretiker
im 16.-18. Jh. u. d. polnische Musik, ZIMG XIII, 191 1/12;
L. Kamienski, Neue Beitr. zur Entwicklung d. P. bis Beet-
hoven, Kgr.-Ber. Wien 1927; ders., O polonezie staro-
polskim (»t)ber d. altpolnischen P.«), Muzyka V, 1928 ; H.
Opienski, Przyczynek do dziejow poloneza . . . (»Beitr. zur
Gesch. d. P. in Polen im 18. Jh.«), Kwartalnik muzyczny
VI, 1933 ; H. Martens, P. u. Mazurka, = Mus. Formen in
hist. Reihen XIX, Bin (1937); H. Dorabialska, Polonez
przed Chopinem (»Die P. vor Chopin«), Warschau 1938;
J. Miketta, Polonezy, = Analizy i objaSnienia dziel wszy-
stkich Fr. Chopina II, Warschau 1949 ; J. Wt. Reiss, Polo-
nez, jego pochodzenie i rozwoj (»Die P., ihre Herkunft u.
Entwicklung«), Poradnik muzyczny XL, 1950-XLI, 1951 ;
A. Slawinski, Rytm a harmonia w polonezach Chopina
(»Rhythmus u. Harmonik in d. P. Chopins«), Kgr.-Ber.
Warschau 1960; ders., Metrorytmika a forma polonez6w
Chopina (»Metro-Rhythmik u. Form d. P. Chopins«),
= Prace Inst. Muzykologii Universytetu Warszawskiego,
Warschau 1960; Z. Steszewska, Z zagadnien hist, polo-
neza (»Zum Problem d. Gesch. d. P.«), Muzyka V, 1960.
Polska, polske dans, ein mit der Geschichte der
-* Polonaise in Zusammenhang stehendes schwedisches
Tanzlied im 3/4-Takt, rhythmisch der Mazurka ahn-
lich. Der polnische Tanz kam im Zuge seiner Verbrei-
tung iiber ganz Europa im spaten 16. Jh. nach Schwe-
den und bildete dort eine eigene Tradition im Bereich
der Volksmusik aus. Als eine der bekanntesten Polsken
gilt die Nackens p. :
Lit. : T. Norlind, Zur Gesch. d. polnischen Tanze, SIMG
XII, 1910/11, S. 522ff.; ders., Den svenska polskans hist.,
in : Studier i svensk folklore V, 1 9 1 1 ; ders. , Svensk f olkmu-
sik och folksdans, Stockholm 1930; E. Klein, Om polske-
danser, Svensk kulturbilder, N. F. X, 1937; E. Ala-Koen-
ni, Die P.-Tanze in Finnland. Eine ethno-musikologische
Untersuchung, Helsinki 1956.
Polymetrik nannte H.Riemann 1884 (spater jedoch
nicht mehr) die erste der drei von ihm unterschiedenen
Arten der -*■ Polyrhy thmik. Eine klare Abgrenzung der
Begriffe Polyrhythmik und P. ist bisher nicht moglich.
Je nach der gemeinten Bedeutung von -*■ Metrum (- 3)
kann P. in verschiedenem Sinne aufgefaBt werden, wo-
bei besonders zwei Bedeutungen auseinanderzuhalten
sind: entweder handelt es sich um konkurrierende
selbstandige Bewegungen innerhalb einer gemeinsa-
men Taktordnung, oder um solche mit inkongruenten
Schwerpunkten, Akzenten, Taktstrichsetzungen. Die
erste Art darf als typisch fiir die Musik der Wiener
Klassiker gelten: dafi vor einem konstruktiven Hinter-
grund mehrere metrische Gebilde gleichzeitig bestehen kon-
nen, ist (nach Georgiades) ein Lebensquell des klassischen
Satzes. Die zweite Art findet sich haufig in der Neuen
Musik des 20. Jh., im Notenbild gewohnlich an der
unterschiedlichen Akzentsetzung in den Stimmen oder
an der Balkenschreibung iiber die Taktstriche oder, sel-
tener vorkommend, an der Vorzeichnung verschiede-
ner Taktarten zu erkennen (singular fiir die altere Zeit
ist die Kombination von drei gleichzeitig ausgefiihrten
Tanzen verschiedener Taktart in Mozarts Don Gio-
vanni, Ballszene im 1. Finale).
Lit. : H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbg u. St. Pe-
tersburg 1884; Thr. G. Georgiades, Aus d. Musiksprache
d. Mozart-Theaters, Mozart-Jb. 1950.
Polynesien -»-Ozeanien.
47*
739
Polyphonie
Polyphonie (polyphon) heiBt Mehrstimmigkeit
(mehrstimmig) schlechthin, im besonderen jedoch je-
ne Art der Mehr-»Stimmigkeit« im buchstablichen
Sinn, bei der die Stimmen (als Cantus, Melodien, Li-
nien) melodisch-rhythmischeEigenstandigkeit aufwei-
sen, im Unterschied zum Akkord- und Melodiesatz der
-*■ Homophonie. Dementsprechend kennzeichnet P.
einerseits speziell das Kompositionsprinzip der -> Imi-
tation (Kanon, Fuge), andererseits geschichtlich beson-
ders die Bliitezeit der kontrapunktischen Kunst im 16.
Jh., den »durchimitierenden Stil« (H.Riemann), die
»klassische Vokalpolyphonie« (Jeppesen), in deren Mit-
telpunkt Palestrina (->■ Kontrapunkt) und Lassus ste-
hen. - In der Antike benennt TOXuipovta (iroX^qxavoc;,
von rcoXui;, vie], und <p&>VY), Laut, Ton, Stimme), sel-
ten in musikalischem Sinn gebraucht, den groBen Ton-
vorrat, die »Vieltonigkeit« (des Vogelgezwitschers),
auch das geschwatzige, redselige oder ausdrucksreiche
Sprechen, bei Plutarch (Ilegl fiovaixrjs, 1141c) die
»Tonvielfalt« des Aulos. Zur Benennung mehrstimmi-
ger Musik ist das Wort polyphonia urn 1300 in der
Summa musicae (GS III, 239ff.) verwendet worden,
wahrscheinlich im Gedanken an dyaphonia (->■ Dia-
phonia ; die Bezeichnung Discantus f ehlt, und von men-
suraler Aufzeichnung ist in diesem Traktat nicht die
Rede) : der Einstimmigkeit (cantus simplex) steht ge-
geniiber die polyphonia (modus canendi a pluribus di-
ver sam observantibus melodiam) ; sie umf aBt die 3 Spezies
dyaphonia, triphonia und tetraphonia, deren jede (in
nicht eindeutiger Beschreibung) unterteilt ist in basilica
(Mehrstimmigkeit iiber Haltetonen) und organica (in
Gegenbewegung). Auch ein Abschnitt eines anonymen
Briisseler Traktats (geschrieben im 15. Jh.; RISM, The
Theory of Music I, S. 61) handelt De poliphonia (. . . est
unio plurium inter se vocum suaui mixtione . . .), und in
grazisierender Terminologie betitelte im 16. Jh. der
Humanist Luscinius in seiner Musurgia (1536, S. 61ff.)
die Notations- und Kompositionslehre der mehrstim-
migen Musik : De concentus polyphoni ratione. Bis in die
Bach-Zeit blieb das Wort P. jedoch selten und termi-
nologisch wenig fbciert. J. G. Walther (1732) verzeich-
nete lediglich Polyphonium . . . eine vielstimmige Com-
position. Erst seit dem Vordringen des funktionalhar-
monischen Melodie- und Akkordsatzes in der Vor-
klassik und der Spaltung der Satzlehre in Harmonie-
und Kontrapunktlehre datiert die Gegeniiberstellung
von Homophonie und P., letztere in dem Sinne ver-
standen, daB mehrere Stimmen den Charakter einer Haupt-
stimme behaupten (KochL). Die im 19. Jh. erfolgte
Gleichsetzung von P. und Kontrapunkt entspricht dem
Begriff des Kontrapunkts, der beim Gegeneinander-
setzen der Tone auf die Selbstandigkeit der Stimmen
abzielt. P. ist somit das Ergebnis des Kontrapunkts, das
in dessen Prinzip selbst schon enthalten und im Begriff
P. nun eigens angesprochen wird. Um die »echte Li-
nien-P.«, die melodisch-polyphone (kontrapunktische)
Schreibweise gegeniiber der akkordisch-vertikal gerichte-
ten Einstellung intensiv zu benennen, sprach E.Kurth
(1917) von »linearemKontrapunkt«(pflra/mearerSc/ireit-
art, S. 100), »melodischer P.«. - Der gemeinhin ganz
unreflektiert gebrauchte Begriff »Mehrstimmigkeit«
ist gleichwohl - auch wenn kein anderes Wort zur Ver-
fiigung zu stehen scheint - oft problematisch als Be-
zeichnung auBereuropaischer und archaischer Klang-
gestaltung, die weithin nicht von der Vorstellung einer
Gleichzeitigkeit mehrerer Stimmen ausgeht (-»■ Hete-
rophonie). Auch in der abendlandischen Musik vermag
das Begriffspaar homophon-polyphon den Reichtum
des Verhaltnisses von Stimme und Zusammenklang
nicht zu erfassen, z. B. nicht das -> Organum, nicht den
-> Discantus (z. B. als Conductus oder Rondellus, ob-
wohl beide als eine Zusammenfiigung mehrerer Cantus
beschrieben wurden), nicht den -*■ Kantilenensatz (ob-
wohl er ein Melodiesatz zu sein scheint), nicht den Ge-
neralbaBsatz, sofern hier die Stimmfuhrung nicht mehr
allein vom Prinzip des Kontrapunkts und die Klang-
folge noch nicht primar von Akkordfunktionen be-
stimmt werden, sondern ein in die Rechnung einge-
stellter klanglicher Hintergrund fiir die im Vordergrund
stehenden . . . Stimmen maBgebend ist (Handschin, Mu-
sikgeschichte, S. 274f.). Auch der Satz der Wiener Klas-
siker widersetzt sich oft der alternativen Benennung
P. /Homophonie, z. B. in den kompositorischen Er-
scheinungen des -> Obligaten Akkompagnements und
der -> Durchbrochenen Arbeit. - Im Hinblick auf die
Musik des 20. Jh. ist die Gleichsetzung von P. und
Kontrapunkt f ragwurdig geworden : denn wahrend im
Kontrapunkt aus Bedingungen des Zusammenklangs
ein Gefiige selbstandiger Stimmen entsteht, dient nun
die Eigenstandigkeit der Stimmen oft primar der Bil-
dung (Rechtfertigung) neuer Klange (Rechtfertigung
durchs Melodische allein!, Schonberg, Harmonielehre,
Neufassung 1922, S. 466). Vollends jenseits des eigent-
lichen Begriffes P. stehen atonale Kompositionen, de-
nen nicht mehr die Vorstellung der »Stimmigkeit«
(Stimmfuhrung) zugrunde liegt und bei denen auch
die (heute oft so genannte) »P. der Reihe« (z. B. We-
bern, Symphonie op. 21) jenseits realer »Stimmen« ver-
lauft. - In neuerer Zeit wurden analog zu P. die Be-
griffsworter -> Polyrhythmik, ->• Polymetrik und
->• Polytonalitat gebildet. HHE
Polyptoton (griech., mit vielen Fallen [Casus]), in
der Kompositionslehre des 18. Jh. eine im AnschluB
an die Rhetorik erklarte musikalische Figur. In der
Rhetorik ist das P. die Wiederholung eines Wortes in
verschiedenen Flexionsf ormen ; Vogt (1719) erklart die
Figur musikalisch als Wiederholung einer Melodie-
wendung auf anderer Tonhohe und mit veranderter
Fortfiihrung.
Polyrhythmik (Wortpragung des 19. Jh.; engl. auch
cross-rhythm) wird die gleichzeitige Realisierung ver-
schiedener Rhythmen genannt. H.Riemann unter-
schied als hauptsachliche Arten der P. die gleichzeitige
Bewegung in Werten verschiedener Ordnung mit ge-
meinsamen Hauptschwerpunkten, z. B. in Halben,
Vierteln und Achteln (von Riemann auch Polymetrik
genannt) ; komplementare Rhythmen, z. B. mit Ton-
gebungen auf jedes Achtel in Fallen wie jj » » oder
J- Jl.J. j\ " *
J m » IS ; Konfliktrhythmen, bei denen in
den einzelnen Stimmen Rhythmen einander gegen-
ubergestellt sind, die verschiedenen Teilungsweisen
derselben Ordnung entstammen, z. B. Triolen gegen
Quartolen oder gegen punktierten Rhythmus. Dieser
im Hinblick auf Musik des 18. und 19. Jh. gewonnene
Begriff der P. wird seither vielfach auch auf andere Mu-
sik angewendet. So spricht man von polyrhythmischen
Bildungen etwa in der Musik des 1 4. und 1 5 . Jh. (->• Pro-
portion - 2), vor allem aber in der Neuen Musik des
20. Jh., dariiber hinaus auch in auBereuropaischer Mu-
sik sowie im Jazz.
Lit. : H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbg u. St.
Petersburg 1884; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me-
trik, Lpz. 1903.
Polysyndeton (griech. ; lat. acervatio iuncta : Reihung
synonymer Glieder mittels Konjunktionen), eine in
der Musiklehre des 17.-18. Jh. im AnschluB an die Rhe-
torik erklarte musikalische Figur: emphatische Wie-
derholung von einander ahnlichen Gliedern eines Me-
lodieabschnitts. Das rhetorische P. (z. B. Und es wallet
740
Portamento
und siedet und brauset und zischt) erlautert Gottsched als
die Haufung der Bindeworter, die ohne Not zwischen alle
Haupt- oder Zeitworter eingeschaltet werden; weil der Re-
dende im Affekt ist, und nicht weifi, welches das letzte sein
wird. In der Musiklehre bedeutet P. das Wiederholen
einer Melodiefloskel auf j), |>
derselben Stufe zur Stei-
gerung einer Aussage oder v kon-nenTra- - nen
eines Affekts (Beispiel aus J.S.Bach, Matthauspassion,
Arie Konnen Trdnen meiner Wangeri).
Polytonalitat (s. v. w. Mehrtonartlichkeit), eine er-
weiterte Form der Tonalitat; sie entsteht, wenn meh-
rere Tonarten gleichzeitig gegeneinander gestellt wer-
den. In der reinen Form der P. muB jede der Tonarten
deutlich als solche erkennbar, d. h. kadenziell gefestigt
sein. Polytonale Gebilde entstehen primar durch Auf-
spalten einer Tonart in mehrere selbstandige Funk-
tionsablaufe, sekundar durch Zusammensetzen bzw.
Ubereinanderstellen verschiedener Tonarten. Insofern
die Klanglichkeit polytonaler Musik Ergebnis einer
linearen Fiihrung verschiedener Tonarten ist, kann die
P. als ein dem Kontrapunkt nahestehendes Kunstmittel
angesehen werden. Selten beherrscht sie eine ganze
Komposition; zumeist kommt sie nur in einem kiirze-
ren oder langeren Abschnitt zur Geltung. Die haufigste
Art der P. ist die Bitonalitat, das gleichzeitigeErklingen
zweier Tonarten. Zur P. im erweiterten Sinne sind
auch die Klange und Klangfolgen zu rechnen, die aus
einer Vermischung zweier oder mehrerer deutlich un-
terschiedener Klange bestehen, wobei die Struktur der
einzelnen Klange je auf eine bestimmte Tonart verweist
(z. B. c-e-g, fis-ais-cis). Klange dieser Art werden
kompositorisch haufig als Mixturen behandelt. - Die
Musikgeschichte bietet schon friih Beispiele polytona-
ler Bildungen, die indessen durchweg im Sinne kon-
kreter Bedeutung oder eines bestimmten musikalischen
Effekts gemeint sind (z. B. H.Newsidler, Der Juden-
tantz; W. A. Mozart, Ein musikalischer Spafi, K.-V. 522).
Die historisch wohl alteste Art, zwei funktionell ver-
schiedene Ablaufe gleichzeitig darzustellen (somit
schon auf die P. deutend), ist der Orgelpunkt, der hau-
fig aus einer Koordination von Tonikagrundton und
Dominant- bzw. Subdominantklangen besteht. Doch
erst mit der Erweiterung der Tonalitat seit dem begin-
nenden 19. Jh. erscheinen, zunachst vereinzelt, harmo-
nische Komplexe, die im eigentlichen Sinne als poly-
tonal anzusprechen sind. Durchweg bestehen sie aus
einer Verkoppelung zweier verschiedener Funktionen,
wie Tonika und Dominante ; das zeitliche Nacheinan-
der des Funktionsablaufs verschrankt sich in ein zu-
standliches Ineinander. Beispiele dieser Art finden sich
bei Beethoven iml. SatzderSonateLciyWiewxop. 81a
(ab Takt 230) und im 1. Satz der 3. Symphonie op. 55
(ab Takt 394) sowie bei R.Wagner zu Beginn des 2.
Aktes der Oper Tristan und Isolde (ab Takt 87). In der
1. Halfte des 20. Jh. wurde die P. mit ihren vielfaltigen
Erscheinungsformen von vielen Komponisten bewuBt
zum Prinzip kompositorischer Gestaltung erhoben, um
der als verbraucht empfundenen Tonalitat neue klang-
licheDimensionen zu erschlieBen (so u. a. R. Strauss, Sa-
lome, Elektra; Debussy, Preludes II, 3; Ravel, 1. Klavier-
konzert; Busoni, Sonatina Seconda; Strawinsky, Petrouch-
ka; Milhaud, Le bceuf sur le toit). Haufig werden weit
entfernt stehende Tonarten (z. B. im Kleinsekund- oder
Tritonusabstand) miteinander verbunden. Die klang-
lichen Resultate dieser Verkoppelungen erinnern in ih-
rer Vielschichtigkeit bereits stark an atonale Bildungen,
zumal wenn mehr als zwei Tonarten vermischt wer-
den. So ergibt z. B. das Ubereinanderschichten von
drei verminderten Vierklangen (c-es-ges-a ; cis-e-g-b ;
d-f-as-ces) einen Zwolf tonklang. Die Gruppe der »Six«
um Milhaud baute die P. im AnschluB an Strawinsky
zum System aus, zugleich wurde die polytonale Tech-
nik auf melodische und rhythmische Gebiete ubertra-
gen durch Obereinanderschichtung verschiedener me-
lodischer und rhythmischer Gestalten (z. B. Milhaud,
Kammersymphonien). Fiir diese Komponisten war die
P. weniger ein Ausdrucks- als ein Stilmittel, um eine
»reine, unbildliche« Musik im Sinne eines musikali-
schen Neoklassizismus zu erreichen.
Lit.: J. Deroux, La musique polytonale, RM II, 1921 ; D.
Milhaud, Polytonalit6 et atonalite, RM IV, 1923; H.
Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren
Musik, Lpz. 1927 ; H. Mersmann, Die moderne Musik seit
d. Romantik, Biicken Hdb. ; ders., Musiklehre, Bin 1929;
A. Machabey, Dissonance, polytonalite et atonalite, RM
XII, 1931 ; E. v. D. Null, Moderne Harmonik, Lpz. 1932;
P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, Mainz 1937,
2 1940, engl. als: Craft of Mus. Composition I, London
1942; R. Klein, Zur Definition d. Bitonalitat, Osterreichi-
sche Musikzs. VI, 1951. EB
Pommer^Bomhart.
Pommern.
Ausg. : Denkmaler d. Musik in P., Pommersche Meister d.
16.-18. Jh., 5 H., Kassel 1930-36.
Lit. : Musik in P., Mitteilungsblatt, hrsg. v. Ver. zur Pflege
Pommerscher Musik, I-IX, Greifswald 1932-42; P. Klein,
Volkslied u. Volkstanz in P., = Vorarbeiten zum Pommer-
schen Worterbuch VI, ebenda 1935; G. Kittler, Die Mu-
sikpflege in P. zur Herzogszeit, in : Baltische Studien, N. F.
XXXIX, 1937; P. Podejko, Dawna muzyka polska na
terenie dzisiejszego wojewodztwa bydgoskiego i Pomorza
Gdanskiego (»Die alte polnische Musik im Gebiet d.
heutigen Bromberger Woiwodschaft u. d. Danziger P.«),
= Z dziejowmuzyki polskiej I, Bromberg 1960; K. Ameln,
Ein Kantorenbuch aus P., Jb. f. Liturgik u. Hymnologie
VII, 1962.
Ponticello (pontitj'ello, ital.) -> Steg, -> sul p.
Pontificate (lat.), eines der ->- Liturgischen Biicher
der katholischen Kirche. Es enthalt die Formulare und
rituellen Anweisungen aller dem Bischof vorbehalte-
nen Sakramente, Sakramentalien und weiteren gottes-
dienstlichen Akte (Firmung, Priester- und Bischofs-
weihe, Kirchweihe usw.) . Alteste Versuche dieses Buch-
typs stammen aus dem 9. Jh. Das P. Romanum in sei-
ner heutigen Form erschien 1596, zuletzt 1962 (iiberar-
beitete Fassung). Im Gefolge der Liturgiereform des
2. -> Vatikanischen Konzils ist eine Neuausgabe vor-
gesehen. An musikalischen Stiicken enthalt das P. u. a.
Antiphonen, Hymnen, Responsorien, Prafationen und
die Allerheiligenlitanei.
Porrectus (lat.) -»■ Neumen (- 1).
Portamento (di voce, ital., auch portar la voce; frz.
seit ca. 1800: port de voix, Tragen der Stimme) be-
zeichnet urspriinglich bei den Italienem den guten Ge-
brauch der Stimme . . ., das Aneinanderhangen der Tone,
sowohl in der Fortschreitung, die stufenweise, als die durch
Spriingegeschieht . . . (J. A.Hillerl780,2.Kap.,sichstut-
zend auf G.Mancini 1777, Artikel 8). Das Wesentliche
des P.s bestand nach Hiller darin, dass man in der Fort-
schreitung von einem Tone zum andern keine Liicke oder
Absatz, auch kein unangenehmes SMeifen oder Ziehen
durch kleinere Intervalle gewahr wird. Der Ausdruck P.
scheint um die Mitte des 18. Jh. aufgekommen zu sein.
Wahrend G.Tartini ihn im Traite des agreements (Re-
gole per le Arcate) gebraucht, verwenden P.Fr.Tosi
(1723) undJ.Fr.Agricola (1757) ihn noch nicht. Agri-
cola spricht jedoch bei bestimmten auf steigenden Halb-
tonschritten von einer immer hbher werdenden Ziehung
der Stimme, wobei man die Stimme nach und nach, durch
so viele kleinere Untereintheilungen eines halben Tones, als
741
portar la voce
jedem anzugeben moglich sind, gleichsam unvermerckt, nach
der Hohe zu, durchgehen lasst (bei Tosi: passare con una
messa di voce crescente). Ahnlich definiert bereits D. Maz-
zocchi (1638) diese schon zur Zeit der Entstehung des
Sologesangs bekannte Gesangsart (L.Zacconi: strasci-
nare; G.B.Doni: straseino) und versieht sie sogar mit
einem besonderen Zeichen (v). Die heutige Bedeutung
von P. entspricht genau der von Agricola beschriebe-
nen Ziehung der Stimme, allerdings auch bei anderen In-
tervallen und in jeder Richtung. Auf Streichinstrumen-
ten wird der horbare Lagenwechsel mittels eines P.s
ausgefiihrt, das in der Violinschule von J. Joachim und
A.Moser (1905, Bd II) als eines der wichtigsten Aus-
drucksmittel der linken Hand bezeichnet wird. Im Un-
terschied zum -»■ Glissando, der vom Komponisten no-
tierten kontinuierlichen Ausfiillung eines (groBeren)
Intervalls durch diatonische oder chromatische Ton-
leiterpassagen oder durch »gleitende« Tonbewegung,
ist das P. ein im allgemeinen nicht durch den Kompo-
nisten festgelegtes und daher im Belieben des Vortra-
genden stehendes Ansingen (oder Anspielen) bestimm-
ter Tone bzw. die mehr oder weniger gleitende Aus-
fiihrung von Intervallschritten. Nicht zu verwechseln
ist das P. mit der ebenfalls ->■ Port de voix genannten
franzosischen Verzierung des 17./18. Jh. (->• Vorschlag
von unten), die in gewissen Fallen mit einem starken
oder schwachen P. verbunden sein konnte. - Das P.
spielt in mehreren auBereuropaischen Musikkulturen
eine bedeutende Rolle, z. B. im Sologesang des Vorde-
ren Orients. - Zu Beginn der neueren Zeit wird ein
dem P. entsprechendes Hinauf- und Herabziehen der
Tone von Conrad von Zabern (1474) geriigt (vgl.
Artikel Gesangspadagogik, in: MGG IV, 1955, Sp.
1913). - Ebenso spielt das P. bei den differenzierten
Arten des Textvortrags im modernen Melodram (A.
Schonberg, A. Berg) eine wichtige Rolle. - Im Jazz
(-» Tail gate), in der volkstiimlichen und der Unter-
haltungsmusik (vor allem beim solistischen Zitherspiel,
in der Schrammelmusik und im Wiener Walzer) ist das
P. wesentliches Stilelement des Musizierens. ERJ/BB
portar la voce (port'a:r la v'o:tfe, ital.) ->■ Porta-
mento.
Portativ (von lat. portare, tragen; ital. organo porta-
tivo, im 14. Jh. organetto), kleine tragbare Orgel mit
Lippenpfeifen (im Unterschied zum Bibelregal; -> Re-
gal - 1). Es ist im Abendland seit dem 12. Jh. nachge-
wiesen und fand seine groBte Verbreitung im 15. Jh.
Die (etwa 6-28) Pf eif en sind in zwei, seltener einer oder
drei Reihen meist der GroBe nach angeordnet und ha-
ben links manchmal Bordunpfeifen (Bordunturm).
Der tiefste Ton liegt zumeist zwischen ci und fi. Die
rechte Hand spielt auf den Tasten, die linke bedient
den Blasebalg. Die Weite der Mensuren war fiir alle
Pfeifen konstant, wodurch sich ein Changieren des
Klanges vom Obertonreichen bis zum Flotenhaft-
Weicheren ergab. Daher wurde sein Klang oft auch als
hauchig, still und suB beschrieben. Das P. war kein So-
loinstrument, sondern wurde mit anderen Instrumen-
ten zusammen gespielt, auch zum Tanz. Im 16./17. Jh.
trat an seine Stelle das -> Positiv.
Lit.: H. Hickmann, Das P., Kassel 1936.
portato (ital. ; f rz. auch loure), eine Artikulationsart, no-
tiert J J J J oder J J J J , im Unterschied zu -> le-
gato und -»■ staccato eine friiher mit »Tragen der T6ne«
bezeichnete Vortragsweise, insbesondere in Stiicken mit
langsamen Tempi, wobei die einzelnen Tone mit leich-
tem Nachdruck vorgetragen werden (bei Streichin-
strumenten ohne Absetzen des Bogens). Die Bezeich-
nung p. scheint bis zum Beginn des 19. Jh. (P. Lichten-
thal, 1826, frz. 1839 mit porte iibersetzt) noch unbe-
kannt gewesen zu sein, aber die entsprechende Artiku-
lationsart wird im 18. Jh. fiir die Violine von Quantz
(Versuch, S. 193 und S. 201f.), L. Mozart (Versuch) und
J. A.Hiller (1792) beschrieben, fiir das Clavichord von
C.Ph.E.Bach (Versuch), Fr.W.Marpurg (1755) und
D.G.Turk (1789, S. 354), der auch den Ausdruck ap-
poggiato anstelle der Artikulationszeichen anfiihrt, so-
wie von J. F. Agricola (1757) fiir den Gesang. In sehr
charakteristischer und schoner Weise hat Beethoven in
seinem Streichquartett op. 131 im Adagio, ma non trop-
po e semplice das P. fiir alle vier Instrumente verwendet.
Manchmal wird die Bezeichnung -»■ ondeggiando als
Synonym fiir p. verwendet, doch darf p. nicht mit
-* Portamento oder mit-* Tenuto verwechselt werden.
Port de voix (po : r da vfla, frz.), ->• Vorschlag von un-
ten, haufig mit einem -> Mordent (pince) verbunden;
p. de v. double ->- Schleifer (auch -> Anschlag - 1). Spa-
ter wurde P. de v. mifiverstandlich mit Coule gleich-
gesetzt. Seit etwa 1800 ist P. de v. die franzosische Be-
zeichnung fiir ->• Portamento.
Portugal.
Lit.: J. de Vasconcellos, Os miisicos port., 2 Bde, Porto
1870; F. Pedrell, Diccionario biogr. y bibliogr. de miisi-
cos y escritores de musica espafloles, port, e hispano-ameri-
canos antiguos y modernos I, Barcelona 1 894-97 ; A. Sou-
bies, Hist, de la musique en P., Paris 1 898 ; E. Vieira, Dicio-
nario biogr. de miisicos port., 2 Bde, Lissabon 1900; S.
Viterbo, Subsidios para a hist, da musica em P., ebenda
1911,Coimbra 1932; A. Pinto, La musica moderna port.,
Lissabon 1930; P. Batalha Reis, Da origem da musica
trovadoresca em P. , ebenda 1 93 1 ; R. Gallop, The Develop-
ment of Folksong in P. and the Basque Country, Proc. Mus.
Ass. LXI, 1934/35 ; F. Lopes Graca, A musica port, no s.
XIX, Rivista brasileira de musica II, 1 936 ; ders., A musica
port, e os seus problemas, I Porto 1944, II Lissabon 1959 ;
ders., A cancao popular port., Lissabon 1953, 2 1956; J. E.
dos Santos, A polifonia classica port., ebenda 1937; E.
Amorim, Dicionario biogr. de miisicos do Norte de P.,
Porto 1941; G. Chase, The Music of Spain, NY 1941,
21959, span. v. J. Pahissa, Buenos Aires 1943, darin 2 Ab-
schnitte v. A. T. Luper uber P.; M. S. Kastner, Contri-
bucion al estudio de la musica espafiola y port., Lissabon
1941 ; ders., Veinte afios de musicologia en P. (1940-60),
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of Spain and P., NY 1941 ; J. Mazza, Dicionario biogr. de
miisicos port., hrsg. v. P. J. A. Alegria, Lissabon 1944-45;
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du moyen Sge, 2 Bde, Rennes 1949-52; A. T. Luper, Port.
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1950; S. Corbin, Essai sur la musique religieuse port, au
moyen age, = Collection port. VIII, Paris 1952; J. Subira,
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na 1953, deutsche Bearb. v. A.-E. Cherbuliez, Zurich u.
Stuttgart(1957);M. A. deLima Cruz, Hist, damiisica port.,
Lissabon 1955; J. de Freitas Branco, Hist, da musica
port., ebenda 1959 ; ders., Alguns aspectos da musica port,
contemporanea, ebenda 1960; K. v. Fischer, Ein singu-
larer Typus port. Passionen d. 16. Jh., AfMw XIX/XX,
1962/63; Fr. J. Perkins, Music in P. Today, MQ LI, 1965.
Posaune (von lat. ->■ bucina; im 13. Jh. busune, nhd.
busaune, pusaune; ital. trombone von tromba, groBe
Trompete), - 1) Blechblasinstrument mit iiberwiegend
zyhndrischem Rohrverlauf, Kesselmundstiick und U-
formiger Zugvorrichtung, mit der die Schallrohre in
beliebig groBen Stufen verlangert werden kann. Auf
der Pos. hat daher der Spieler die Reinheit der Intona-
tion vollig in der Gewalt, auch ->■ glissando und -> Por-
tamento sind moglich (-> Tail gate). BesondereEffekte
werden mit -> Dampfer erzielt. Die Ventilpos. (seit
1839) hat sich nicht allgemein durchgesetzt. - Die Pos.
ist wohl aus der -»■ Zugtrompete hervorgegangen;
der U-formige Zug ist wahrscheinlich nach 1434 in
Burgund aufgekommen. Bei Tinctoris (um 1484) ist
742
Potpourri
die Pos. als tuba, trombone und -> sacqueboute be-
kannt. Dire Entstehung hangt zusammen mit der Aus-
dehnung des Tonbereichs zur Tiefe hin (Ockeghem
verlangt bisweilen D und C). Das 16. Jh. hat einen gan-
zen Chor (-»■ Akkord - 3) von Pos.n hervorgebracht:
Diskant- und Altpos., Gemeine rechte Pos. (Umfang
nach Praetorius 1619 mindestens E-f 1 ), Quart- und
Quintpos. sowie Oktavpos. (Doppelpos.). In der fol-
genden Zeit wurde die Zahl der Typen mehr und mehr
eingeschrankt; das Standardinstrument ist heute die
Tenorpos. in B. Das Orchester rechnet seit dem Ende
des 18. Jh. mit dem Pos.n-Trio (Altpos. in Es oder F,
Tenor-, BaBpos. in F; 2 Tenorpos.n und BaBpos.; 3
Tenorpos.n), doch ist z. B. in der Messe K.-V. 427 von
Mozart ein Pos.n-Quartett vorgeschrieben. Fiir die
Verwendung der Altpos. im Orchester setzten sich
nach R. Schumann (4. Symphonie) Mahler und Schon-
berg ein. Wagner schrieb auch eine KontrabaBpos. vor.
- Die Pos. wird nichttransponierend im Alt-, Tenor-
oder BaBschliissel notiert. Die moderne Tenorpos. er-
gibt bei geschlossenem Zug B (als 1. Oberton); durch
Ausziehen des Zuges (1.-6. Position) wird ein Um-
fang vonE-h 2 oder hoher erreicht (Altpos. A-es 2 , BaB-
pos. iH-fi). Die Grundtone (Pedaltone) sprechen sehr
schwer an. Der Klang der Pos. ist weich, fiillend und
verschmilzt gut mit anderen Instrumenten (Zink, Schal-
mei, Bomhart im 15./16. Jh. ; Blechblaser und Streicher
im modernen Orchester) sowie mit den Singstimmen,
weswegen Pos.n in feierlichen Chorsatzen gerne colla
parte gefiihrt werden. Eine reichhaltige Literatur fiir
Pos. allein oder mit anderen Blasinstrumenten (-> Po-
saunenchor) liegt in den -> Turmmusiken zum -> Ab-
blasen vor. Von nachbarocker Musik fiir Pos.n allein
seien die Equate fiir 4 Pos.n (2 Alt-, Tenor-, BaBpos.)
von Beethoven (WoO 30) genannt. Im -*■ Jazz war die
Pos. zunachst BaBinstrument, ist jedoch seit Kid -*■ Ory
und J. ->■ Teagarden meist Trager der Gegenmelodie
zu Klarinette und Trompete. - 2) In der Orgel ist Pos.
die grSBte und am starksten intonierte Zungenstimme
(zu 16' und 32' im Pedal, auch 8' im Manual).
Lit.: zu 1): Fr. Jahn, Die Niirnberger Trp.- u. Posaunen-
macher im 16. Jh., AfMw VII, 1925 ; W. F. H. Blandford,
Handel's Horn and Trombone Parts, The Mus. Times
LXXX, 1939; E. Elsenaar, De Trombone, Hilversum
1947; H. Besseler, Die Entstehung d. Pos., AMI XXII,
1950; W. Ehmann, Tibilustrium. Das geistliche Blasen,
Kassel 1950; W. Worthmuller, Die Niirnberger Trp.- u.
Posaunenmacher d. 17. u. 18. Jh., Mitt. d. Ver. f. Gesch. d.
Stadt Nurnberg XLV, 1954; ders., Die Instr. d. Nurnber-
ger Trp.- u. Posaunenmacher, ebenda XLVI, 1955; R.
Gray, The Trombone in Contemporary Chamber Music,
Brass Quarterly I, 1957/58.
Posaunenchor, im modernen Sprachgebrauch ein
Blechblaserensemble, wie es in der neubelebten
-*■ Turmmusik, auch in der Singbewegung und in der
Choralpflege der evangelischen Gemeinden gebraucht
wird. Moderne Posaunenchore sind nur zum Teil nach
dem Vorbild des 16./17. Jh. Stimmwerke von -»■ Po-
saunen (- 1). Der weiche Klang moderner weitmensu-
rierter Instrumente (es gibt sogar »Posaunenchore« nur
aus Trompeten und Fliigelhornern) erlaubt die Bildung
groBer Ensembles bei Massenveranstaltungen. - Schu-
len und Literatur fiir P. gaben heraus u. a. J. Kuhlo (Ju-
bilate! Posaunenbuchfurjiinglingsvereine, Seminare, hohe-
re Lehranstalten und Kirchenchore, 4 Bde, Bethel bei Bie-
lefeld 181914, Gutersloh«1946ff.) sowie E.Voigt (Schu-
lefiir Posaunenchore, bearbeitet von A. Mtiller, Dresden
51927).
Lit. : A. Muller, Unsere Posaunenchore u. d. Kirchenmu-
sik, Dresden (1 905) ; K. Utz, Grundsatzliches zur Lit.-Fra-
ge d. ev. P., MuK IX, 1 937 ; W. Ehmann, Tibilustrium. Das
geistliche Blasen, Kassel 1950; ders., Neue Blechblasinstr.
nach alten Modellen, Hausmusik XXII, 1958; K. Hone-
meyer, Die P. im Gottesdienst, Giitersloh 1951 ; B. Husted,
The Brass Ensemble, Diss. Univ. of Rochester (N. Y.)
1955, maschr.
Posen.
Lit.: H. Ehrenberg, Gesch. d. Theaters in P., P. 1889; T.
Panienska, O ruchu muzycznym w Poznaniu od roku
1800-30 (»Uber d. Musik in P. v. 1800-30«), in: Przeglad
muzyczny 1910-13; H. Sommer, Das mus. Leben in P. am
Anfang d. 19. Jh., Hist. Monatsblatter f. d. Provinz P.
XVIII, 1917; Wl.Kaminski, Muzykado r. 1793, in: Dzie-
sied wiekdw Poznania II, P. u. Warschau 1956 ; ders., Mu-
zyka w latach 1793-1870, ebenda; Gw. Chmarzynski u. T.
Szulc, Muzyka w latach 1870-1918, ebenda; Z. Sitowski,
Muzyka w Polsce Ludowej, ebenda; Cz. Sikorski, Z histo-
rii kultury muzycznej Poznania (»Aus d. Gesch. d. Musik-
kultur in P.«), in: Zycie spiewacze 1960-61 u. 1963.
Positiv (von lat. ponere, stellen; frz. positif ; ital. po-
sitivo, auch organo piccolo ; engl. positive organ) ist im
Unterschied zum tragbaren -> Portativ eine Standor-
gel. Das P. hat ein Manual, wenige Register und kein
Pedal. Es besitzt, im Unterschied zum -> Regal (- 1),
zumeist nur Labialstimmen, der Raumersparnis wegen
in der 8'- und 4'-Lage oft Gedackte. Auf dem P. kann
der GeneralbaB ausgefiihrt werden; doch auch als
Kammer- und Haus-P. war es im Gebrauch. Die Ge-
schichte des P.s reicht vom Anfang des 15. Jh. bis in die
Mitte des 1 8. Jh. In jiingerer Zeit werden wieder haufig
Kleinorgeln gebaut. -> Riick-P.
Lit.: H. Bornefeld, Das P., Kassel 1941, 21948; R. Quoi-
ka, Das P. in Gesch. u. Gegenwart, Kassel 1957, dazu Fr.
W. Riedel in: Mf XIII, 1960.
Posten -*■ Feldmusik.
Posthorn, eines der kleinsten Blechblasinstrumente,
im 2'- oder 4'-Ton; es war als Naturinstrument (ohne
Ventile) seit dem 16. Jh. das Signalhorn der Postillione.
J. S.Bach ahmt es in seinem Capriccio sopra la lontanan-
za delsuofratello dilettissimo (BWV 992) nach. Urn 1830
loste die Trompetenform die alte kreisformige Form
ab. Durch Anbringen von Ventilen wurde das P. zum
->- Kornett (- 1).
Lit. : K. Thieme, Zur Gesch. d. P., in: F. Gumbert, P.-Schu-
le, Lpz. (1903); Fr. Krekeler, Anleitung zum Blasen d.
Signal-P., hrsg. v. L. PlaB, Lpz. 1905.
Potpourri (frz.), eine bunte Folge von Melodien oder
Melodiefragmenten. Die Bezeichnung findet sich auch
im literarischen Bereich im 17. Jh. (Potpoury burlesque,
Paris 1649), scheint aber erst am Anfang des 18. Jh. in
die Musik iibernommen worden zu sein. Das in der 3.
Sammlung von Ballards Brunettes (1711) so bezeichnete
Stuck ist ein aus Incipits landlaufiger Chansons zusam-
mengesetztes -> Quodlibet. Wegen der zusammen-
hangslosen Textbruchstiicke scheint bier das Hauptge-
wicht noch auf der Verbindung der Melodiefragmente
zu liegen, doch wurde das P. bald als eine Art szeni-
scher Schilderung beliebt. Auf eine Folge von ganzen
Melodien bekannter Chansons wurde dabei ein thema-
tisch gebundener, strophischer und allgemein stark ge-
wiirzter Text vorgetragen. Eines der friihesten Bei-
spiele daf iir ist das P. auf die »Orgie« in der Pariser Oper
(1731). Auf einer ahnlichen Linie liegt das P. La Ten-
tation de Saint-Antoine von Sedaine (1765), dessen Me-
lodien von W.Egk in seinem gleichnamigen Werk fiir
A. und Streichquartett (1947) wieder aufgenommen
wurden. Mindestens seit Mitte des 18. Jh. wurden in
Frankreich auch instrumentale Melodienfolgen als P.
bezeichnet. Die weiteste Verbreitung erfuhr die als
Pot-Pourry francais in mehreren Folgen erschienene
Sammlung des Pariser Verlegers Bouin, die kurz vor
der Revolution von Frere (Paris) in neuen Zusammen-
stellungen nachgedruckt und wesentlich erweitert wur-
743
pousse
de. Bei Bouiin ist das P. eine suitenartige Folge ur-
spriinglich voneinander unabhangiger kleiner Tanz-
satze (contredanses, mit Angabe der Tanzfiguren), die
bei Ho£e gebraucht wurden, aber auch den Hauptteil
des Tanzmeisterrepertoires darstellten. In einem noch
allgemeinen Sinn erscheint die Bezeichnung P. wohl
noch im 18. Jh. in einem Druck von Breitkopf (Musi-
kalischer Pot-Pourri oder Sammlung neuer Klavier-Sona-
ten . . . , Sinfonien, kleinen Cantaten, Arien, Liedern und
andern kleinen Klavierstiicken . . . von verschiedenen be-
liebten Componisten). Seit Beginn des 19. Jh. kam in
Deutschland das P. mit Arrangements von beliebten
Opern- und Operettenmelodien in Mode und schopfte
fur Salon- und Unterhaltungsmusik bald auch aus an-
deren in der Gunst des Publikums stehenden Reper-
toires (Walzer-P., Marsch-P. usw.). Noch heute be-
hauptet das P. seinen festen Platz in der Unterhaltungs-
musik von Rundfunk, Kurkapellen und Kaffeehaus-
ensembles.
Lit.: Pot-pourry frc., Tanzmeister-Weisen d. 18. Jh., hrsg.
v. G. Birkner, Mainz (1967).
pouss£ (pus'e, frz., gestoBen), Vorschrift fiir Auf-
strich (-> Bogenfiihrung) bei Streichinstrumenten; der
-> Abstrich heiBt tire (gezogen).
Praeambulum (spatlat., s. v. w. vorangehend) oder
Praeambel, seit A.Ileborgh (1448), C.Paumann (1452)
und dem Buxheimer Orgelbuch (um 1470) bezeugt
als Uberschrift von einleitenden Stiicken fiir Tasten-
instrumente, spater auch fiir Laute, z. B. Newsidler
1536. Noch J. S. Bach nannte Pr. u. a. die spater Inventio
(-»■ Invention) betitelten Stiicke im Clavier-Buchlein
fiir W.Fr.Bach und das Eroffnungsstiick der 5. Partita
aus dem 1. Teil der Clavier-Ubung (1730). ->• Praelu-
dium, -> Priamel.
Praecentor (lat., Vorsanger), im Mittelalter gleich-
bedeutend mit -> Kantor, spater allgemein der Leiter
von Schulchoren. Im protestantischen Gottesdienst vor
der Einfiihrung der Orgelbegleitung zum Gemeinde-
gesang und spater noch bei Nebengottesdiensten ohne
Orgel war der Pr. der Stimmfuhrer des Chores, der die
Chorale anzustimmen und mitzusingen hatte; dem
entspricht die Amtsbezeichnung Pr. (cantor choralis)
an der Leipziger Universitatskirche im 18. Jh.
Prafation (lat. praefatio), in der romischen und mai-
landischen MeBliturgie das vom zelebrierenden Prie-
ster am Anf ang des Canon missae (-> Messe) vorgetra-
gene feierliche Dankgebet. Es wird eingeleitet mit ei-
nem Dialog (Priester und Gemeinde), dessen Inhalt in
der Aufforderung zum Danksagen seinen Hohepunkt
findet (Gratias agamus Domino, Deo nostro; Dialogtext
fast wortlich schon im 3. Jh. bei Hippolyt von Rom,
vgl. Jungmann I, S. 38). Der seit dem 4./5. Jh. sehr
reiche Bestand an Pr.en in der romischen Liturgie wur-
de bald auf eine - zunachst im Gregorianischen Sakra-
mentar (Aachener Urfassung, Ende 8. Jh.) greifbare -
kleinere Anzahl reduziert. Seit 1095 bildeten insgesamt
11 Pr.en den offiziellen Zyklus, ab 1919 fanden weitere
5 Pr.en Eingang in das Missale (als letzte 1955 eine Ei-
gen-Pr. fiir die Olmesse vom Griindonnerstag) . Die
einzelnen Texte sind bestimmten MeBf ormularen oder
Zeiten des Kirchenjahres vorbehalten; ihr Grundsche-
ma ist in der Praefatio communis (fiir Messen ohneEigen-
oder De tempore-Pr.) gegeben. - Das Modell der feier-
lichen sowie der (aus dem Umkreis des Zisterzienser-
und Kartauserordens stammenden) ferialen Pr.s-Weise
verbindet zwei einander zugeordnete Melodieperioden,
deren erste an den Tenor c (Initium a) gebunden ist
und meist mehrere Male erklingt, bevor die in ihrem
Tenor (h) um einen Halbton darunter liegende zweite
Periode (mit Akzentton c) folgt. Beide Abschnitte
schlieBen regelmaBig mit einer eigenen Kadenz. Der
einleitende Wechselgesang ist melodisch selbstandig.
Eine zusatzliche Singweise in tono sollemniore (ad libi-
tum) wird im Anhang zum Missale Romanum geboten.
Ausg. (Text) : A. Dold OSB, Sursum Corda. Hochgebete
aus alten lat. Liturgien, = Wort u. Antwort IX, Salzburg
(1954).
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo-
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; B. Opfermann, Die heutigen liturgischen Sonderpr.,
in: Theologie u. Glaube XLVI, 1956; J. A. Jungmann SJ,
Missarum Sollemnia, 2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel
51962.
Praefectus chori (lat., Vorgesetzter des Chores), der
dem Kantor, gegebenenfalls auch dem Succentor un-
terstellte Chorleiter. Fiir Schulchore wurden oft meh-
rere Prafekten unter den alteren Schiilern ausgewahlt
(unter J. S. Bach in Leipzig waren es 1730 drei, spater
vier). Sie hatten in den Nebenkirchen und in Vertre-
tung des Kantors auch in der Hauptkirche den Chor zu
dirigieren, auBerdem den Kurrendegesang einzuiiben
und zu leiten.
Praeludium (spatmittellat., von lat. praeludere, vor-
her, zur Probe spielen; frz. prelude; ital. preludio;
engl. auch prelude; deutsch auch iibersetzt als -> Vor-
spiel) ist seit den Anfangen im 15. und 16. Jh. in erster
Linie das Vorspiel auf einem einzelnen Instrument (na-
mentlich Tasteninstrument oder Laute). Der seit 1448
(A.Ileborgh) belegte lateinische Terminus hat sich im
Deutschen fest, imEnglischen vorubergehend (bei Vir-
ginaKsten) eingebiirgert. Die volkssprachlichen Wort-
f ormen prelude (in Notendrucken seit P. Attaingnant
1529) und preludio (seit G. A.Terzi 1599) dienten zeit-
weilig auch zur Bezeichnung von Vorspielen fiir meh-
rere Instrumente oder fiir Orchester, besonders in der
2. Halfte des 17. Jh. (im Rahmen der franzosischen Oper
und der Suite) ; prelude und preluder wurden seit dem
18. Jh., ausgehend von der Bedeutung Einstimmen und
-spielen (BrossardD), auch auf das Einsingen des Sin-
gers bezogen (vgl. Diderot, Encyclopedic XIII, 1765,
Artikel Preluder). Der uneinheitliche Wortgebrauch
und die flieBende Wortbedeutung machen eine allge-
meine Definition des Begriffs unmoglich. So wurde
z. B. der Terminus ->■ Praeambulum bis zum 17. Jh.,
spater auch Pr., ohne Unterschied auf Vor- und Zwi-
schenspiele im Gottesdienst angewendet (vgl. Prae-
torius Synt. Ill, S. 112; nach J.S.Bachs Notiz iiber die
Leipziger Ordnung des Gottesdienstes am 1. Advent
1714 wurde an 6 Stellen Prdludiret; Spitta, Bach II, S.
95f.)..- Das Pr. trat zuerst in der Friihzeit der schriftli-
chen Fixierung von Instrumentalmusik auf, gehbrt
aber nach Ursprung und Haltung vor allem auf die
Seite der -»• Improvisation. Sein Element war die f reie
Entfaltung, die sich mehr auf die Entdeckung neuer
Spielmoglichkeiten richtete als auf die Ausbildung
fester Formtypen. DaB in der Praxis das Pr. vorwie-
gend improvisiert wurde, spiegelt sich u. a. in der ver-
balen Ausdrucksweise : preambulizare (Gollner, S. 175),
praambulieren (Praetorius Synt. Ill, S. 152), nach 1660
preluder, wenig spater praludieren. Der in der gegen-
satzlichen Haltung von Improvisation und Komposi-
tion begriindete Unterschied zwischen Pr. und unmit-
telbar folgendem Stuck (lateinischer oder protestanti-
scher Choral, Motette, Madrigal u. a., auch Tanzsatze
u. a.) hat sich allerdings im Laufe der Zeit immer wie-
der verwischt. Im aufgeschriebenen Pr. ist das spontane
Element zugunsten des kunstgerecht gearbeiteten
Satzes bisweilen ganz zuriickgedrangt (z. B. Frescobal-
di, Toccata di durezze e ligatura, 1637). Letztlich war es
wohl erst J. S.Bach, der dem Schwanken zwischen den
744
Praeludium
beiden Haltungen innerhalb des Pr.s ein Ende machte,
indem er ab etwa 1721 das Prinzip der freien Entfal-
tung nunmehr dem Pr. vorbehielt und durch die be-
tonte Gegeniiberstellung von Pr. und Fuge fest veran-
kerte. - Zu den Aufgaben des Pr.s gehort seit jeher die
Kennzeichnung der Tonart des f olgenden Stiicks (-> In-
tonation - 1). So tragen bereits in Ileborghs Orgeltabu-
laturbuch (1448) die preludia diversarum notarum Ober-
schriften vom Typus Preambulum in . . . (folgt Tonus-
angabe) bzw. Preambulum super . . . (folgt Angabe ei-
ner Tonfolge). Oft ergab sich die zusatzliche Aufgabe
fiir Tasteninstrumentspieler, durch geeignete Ton-
oder Akkordfolgen das Einstimmen der mitwirkenden
Instrumente zu ermoglichen und zugleich zu verdek-
ken (Praetorius Synt. Ill, S. 151), die Aufmerksamkeit
der Anwesenden auf das folgende Stuck zu lenkcn
oder es musikalisch vorzubereiten (Praetorius, ebenda;
Mattheson Capellm., S. 472), zugleich aber audi das
Instrument auszuprobieren und sich einzuspielen (Bros-
sardD, Artikel Tastatura; Couperin, L'art it toucher le
clavecin, 1716 : ... a dinouer les doigts; et souvent a eprouver
des claviers ...). In den Wort- und Begriffserklarungen
wird das Pr. einerseits primar als improvisiertes, frei
gestaltetes solistisches Vorspiel aufgefaBt (Mattheson
Capellm., S. 478, als der hochste practische Gipffel der
Music charakterisiert) ; andererseits ist es die Wortbe-
deutung als solche, die den Begriff des Pr.s bestimmt
und daher alle Arten von Vorspielen umfaBt. So unter-
scheidet Praetorius (Synt. Ill, S. 21ff.) zwischen Prae-
ludiis vor sich selbst (Fantasia und Capriccio, Fuga und
Ricercar, Sinfonia, Sonata), Praeludiis zum Tantze (In-
traden) und Praeludiis zur Motetten oder Madrigalien
(Toccaten, Praeambula). In BrossardD werden, ent-
sprechend der Praxis (vgl. Partituren von J.-B.Lully),
nun auch Opernvorspiele Prelude genannt (Ouverture,
Intrada, Introduktion, Ritornell).
Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der kirch-
lichen -> alternatim-Praxis des spaten Mittelalters wur-
de die Ton- oder Tonartenangabe auf der Orgel zu-
nachst nach Art der in den Cantus- und Liedbear-
beitungen handwerksmaBig geiibten Kolorierungs-
praxis ausgefuhrt (die fruhesten Beispiele sind in deut-
schen Quellen iiberliefert: A.Ileborgh, C.Paumann,
Buxheimer Orgelbuch u. a.). Der durch Intavolie-
rungen mehrstimmiger Vokalmusik geforderte Auf-
schwung des Klavier-, Orgel- und Lautenspiels trug im
16. Jh. zur Verbreitung des Pr.s nun auch in Italien,
Frankreich, Spanien und England bei (die meisten ein-
schlagigen Quellen aus den genannten Landern enthal-
ten Beispiele ; -> Orgelmusik, ->• Klaviermusik, -*■ Lau-
tentabulatur). Zwei grundlegende Gestaltungsprin-
zipien beginnen sich erstmals abzuzeichnen : einerseits
freies, improvisierendes Akkordspiel, vielfach verbun-
den mit Kolorierungen, Diminutionen, Passagen, an-
dererseits Imitation und polyphone Stimmfiihrung
nach Art der Vokalmusik. Der uneinheitliche Gebrauch
der Uberschriften (->• Praeambulum, -+ Ricercar, Ta-
star de corde, -*■ Fantasie, -*■ Tiento, Taiier, -*■ Fuga,
-> Capriccio, -*• Toccata, Intonazione, -*• Intrada, In-
troitus, aber auch seltene wie -*■ Anabole, -> Prooe-
mium u. a.) legt die Vermutung nahe, daB im 16. Jh.
mit den Satzuberschriften bestimmte Formen der Instru-
mentalstiicke nicht gemeint sein konnten und dap siefiir ein
terminologisches Ordnungssystem nicht oder nur bedingt in
Frage kommen (Eggebrecht). Oberdies dienten einige
dieser Termini auch zur Bezeichnung von Nachspielen
(Ricercar, Fantasia, Toccata u. a.). An der Wende zum
17. Jh. erreichte das Pr. bei A. und G. Gabrieli, Merulo,
Sweelinck, Frescobaldi kompositorisch eine hohere
Stufe. Hier begann jene Konzentration auf einpragsa-
me Wendungen und charakteristische Spielfiguren, die
allmahlich zur Selbstandigkeit der instrumentalen The-
menbildung, zur Einheitlichkeit in der Gestaltung von
Abschnitten und dabei zugleich zur inneren Gliederung
des Ablaufs fiihrte. AuBer den meist kiirzeren einteili-
gen Praeludien gab es nun auch langere mehrteilige
Stiicke, vorzugsweise als -> Toccata (z. B. freier Ein-
leitungs-, fugierter Mittel- und freier SchluBteil). Auf
Frankreich beschrankt blieb ein ohne Notenwerte auf-
gezeichneter, rhythmisch frei vorzutragender Typ des
Prelude (L. Couperin, d' Anglebert u. a.). Dagegen fand
der franzosische Stile brise (Akkordbrechungen mit
liegenbleibenden Tonen und scheinpolyphoner Fort-
schreitung) iiber Froberger in Deutschland allgemeine
Verbreitung. Seit der Mitte des 17. Jh. wurden den
-> Suiten haufig freie Einleitungssatze vorangestellt,
die zuweilen als Pr. bezeichnet sind. Die in Fr.Cou-
perins Ordres nicht aufgenommenen Einleitungsstiicke
hatte der Spieler zu improvisieren (Ersatzstiicke in
Couperins L'art de toucher). Bei J.S.Bach treten Pr.
(Toccata, Fantasia) und Fuge einander selbstandig und
ebenbiirtig gegeniiber, erstmals zu einem festen Paar
verbunden. Gleichwohl bleibt die seit W. -* Werker
diskutierte Frage ihres inneren Zusammenhangs strittig.
Die von Spitta ausgehende Riickiibertragung des Be-
griffspaares auf Werke alterer Meister (Buxtehude,
Bohm u. a.) ist heute nicht mehr haltbar. Nur ein klei-
ner Teil der Bachschen Praeludien fiir Orgel, Klavier,
Violine, Violoncello u. a. laBt sich formal klassifizie-
ren: auBer verschiedenen Toccata ty pen gibt es z. B.
den Klangflachen- (vgl. Hermelink), Arpeggien- (auch
bei Handel zu finden), Inventionen-, Sonatensatz- (be-
sonders in spaten Klavierwerken), Concerto grosso-
und Ouvertiire-Typ. GroBe Orgelpraeludien konnten
in Leipzig nur am Anf ang und Ende des Gottesdienstes,
allenfalls auch bei der Sonnabendmotette der Thoma-
ner erklingen (in Liibeck gab es ->■ Abendmusiken,
in Holland schon friiher von Organisten bestrittene
Andachtsmusiken). Eine Sonderentwicklung nahm das
Choral vorspiel (-»• Choralbearbeitung - 2). - Nach
Bachs Tod trat das Pr. als fester Bestandteil der Musik
fiir Tasteninstrumente allmahlich in den Hintergrund.
Bachs Vorbild jedoch wirkte weiter u. a. bei Clementi,
Mozart, Beethoven, Mendelssohn Bartholdy, Schu-
mann, Brahms, C.Franck, Reger, Faure, Hindemith
und Schostakowitsch. Hervorgehoben seien Chopins
24 Preludes (op. 28), die zu seinen bedeutendsten Wer-
ken gehoren und musikalisch wohl als Zyklus von Cha-
rakterstiicken aufzufassen sind (ihm folgten u. a. De-
bussy, Skrjabin, Rachmaninow). Der Titel von Liszts
symphonischer Dichtung Les Preludes erklart sich aus
einem Gedicht von A.Lamartine. Schonbergs Prelude
op. 44 ist fiir gemischten Chor, Strawinskys Prelude
fiir eine Tanzband geschrieben.
Lit. : G. Rietschel, Die Aufgabe d. Org. im Gottesdienst
bis in d. 1 8. Jh., Lpz. 1 893 ; R. Steglich, Das c-moll-Pr. aus
d. I. Teil d. Wohltemperierten Kl., Bach-Jb. XX, 1923 ; L.
Schrade, Die hs. t)berlieferung d. altesten Instrumental-
musik, Lahr 1931; Fr. Dietrich, Analogieformen in Bachs
Tokkaten u. Praludien f. d. Org., Bach-Jb. XXVIII, 1931 ;
A. Einstein, Mozart's Four String Trio Prtludes to Fugues
of Bach, The Mus. Times LXXVII, 1936; S. Hermelink,
Das Pr. in Bachs Klaviermusik, Diss. Heidelberg 1945,
maschr.; ders., Bemerkungen zum ersten Pr. aus Bachs
Wohltemperiertem Kl., Fs. J. M. Miiller-Blattau, = Saar-
briicker Studien zur Mw. I, Kassel 1966; J. M. Chominski,
Preludia, = Analizy i objasnienia »Dziel Wszystkich« Fr.
Chopina IX, Krakau 1950; W. Gerstenberg, Zur Ver-
bindung v. Pr. u. Fuge bei J. S. Bach, Kgr.-Ber. Liine-
burg 1950; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Termi-
nologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes-
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; W. Apel, Der An-
fang d. Pr. in Deutschland u. Polen, Kgr.-Ber. Warschau
1960; Th. Gollner, Formen friiher Mehrstimmigkeit in
745
Prastant
deutschen Hss. d. spaten MA, = Miinchner Veroff. zur
Mg. VI, Tutzing 1961 ; H. Keller, Das Wohltemperierte
Kl. v. J. S. Bach, Kassel 1965. FZa
Prastant (ital. prestante; frz. prestant) -* Prinzipal.
Prag.
Lit. : O. Teuber, Gesch. d. Pr.er deutschen Theaters, 3 Bde,
Pr. 1883-87; R. v. Prochazka, Mozart in Pr., Pr. 1892,
21899, 31900, hrsg. v. P. Nettl als: Mozart in Bohmen,
••1938, 51955, tschechisch als: Mozart v Gechach, 1939;
ders., Das roraantische Musik-Pr., Saaz 1914; R. Batka,
Gesch. d. Musik in Bohmen I, Pr. 1 906 ; P. Nettl, Die erste
komische Oper in Pr., in: Der Auftakt II, 1922; ders., Zur
Gesch. d. Konzertwesens in Pr., ZfMw V, 1922/23; ders.,
Pr. im Studentenlied, = Schriftenreihe d. Sudetendeut-
schen VI, Miinchen 1964; E. Steinhard, Zur Gesch. d.
Pr.er Oper 1885-1923, Pr.er Theaterbuch 1924; R. Perlik,
Kdejinamhudby azpevunaStrahove(»Zur Gesch. d. Musik
u. d. Gesanges im Kloster Strahov«), Pr. 1925 ; O. Kamper,
Hudebni Praha v XVIII. veku (»Das mus. Pr. im 18. Jh.«),
Pr. 1935 ; Zd. Nejedly, Opera Narodniho divadla do roku
1900 (»Die Oper d. Nationaltheaters bis zum Jahre 1900«),
Pr. 1935 ; ders., Opera Narodniho divadla od roku 1900 do
pfevratu (»Die Oper ... bis zum Umsturz«), Pr. 1936; G.
Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis
zur Mitte d. 16. Jh. I: Die Univ. Pr. u. ihre Vorbilder,
= Mitt. d. Ver. f . Gesch. d. Deutschen in Bohmen LXXIII,
Pr. 1935 u. AfMf I, 1936; L. NovAk, Opera a balet stare
gardy Narodniho divadla (»Oper u. Ballett d. alten Garde
d. Nationaltheaters«), Pr. 1938 ; R. Rosenheim, Die Gesch.
d. deutschen Biihnen in Pr. 1883-1918. Mit einem Riick-
blick 1783-1883, Pr. 1938; Vl. Nemec, Prazsk6 varhany
(»Pr.erOrg.«), Pr. 1944; R. Quoika, Die Org. d. Pr.er Tein-
kirche, Mainz 1948; ders., Die Pr.er Kaiserorg., KmJb
XXXVI, 1952; ders., Das Pr.er Provinzialkonzil 1860 u. d.
Kirchenmusik, KmJb XXXVIII, 1954; ders., Zur Gesch.
d. Musikkapelle d. St. Veitsdomes in Pr. (1619-1860),
KmJb XLV, 1961 ; ders., Die Pr.er Orgelschule, KmJb
XLVI, 1962; L. Sfp, Mozart in Pr., Pr. 1956; T. Volek,
Hudebnici Stareho a Noveho mesta prazskeho v roce 1770
(»Die Musiker d. Pr.er Altstadt u. Neustadt im Jahre 1 770«),
Miscellanea musicologica I, 1956; A. Buchner, Mozart
a Praha, Pr. 1957, deutsch als: Mozart u. Pr., Pr. 1957;
Patnact Prafckych jar 1946-60 (»15mal Pr.er Fruhling«),
Pr. 1961 ; Stopadesat let Prazske konservatofe (»150. Jah-
restag d. Pr.er Konservatoriums«), hrsg. v. V. Holz-
knecht, Pr. 1961 ; Vl. Muller, Vypraveni o Narodnim di-
vadle (»Geschichten um d. Nationaltheater«), Pr. 1963.
Pralltriller -»■ Triller; in neuerer Zeit haufig ver-
wechselt mit dem -*■ Mordent oder mit dem Schneller.
Preces (lat., Bitten), im heutigen -s- Offizium der
katholischen Kirche eine aus Kyrie eleison, Pater noster
und mehreren Versikeln bestehende Art Litanei vor
der SchluBoration von -> Laudes und ->■ Vesper an Ta-
gen mit BuBcharakter. Der gesungene Vortrag erfolgt
im Versikelton (mit Tenor c und Terzfall am Schlufi).
Lit. : B. Fischer, Litania ad Laudes et Vesperas, Liturgi-
schesJb.1, 1951.
Preise und Wettbewerbe (frz. prix, concours; engl.
prices, competitions). Pr. werden als Stipendien (For-
derungs-Pr. fiir Studien oder Studienreisen), alsEhren-
gaben oder als Pramien fiir Leistungen in W.n verge-
ben und in der Regel aus den Zinsertragen von Stiftun-
gen finanziert. Die W. sind fiir Amateure oder fiir
(meist angehende) Berufsmusiker bestimmt; die Teil-
nahme ist an Zulassungsbedingungen (Alter, Staatsan-
gehorigkeit, Studienort, -richtung, -dauer) gebunden.
Ein AusschuB von Sachverstandigen (Kuratorium, Jury)
entscheidet iiber die Vergabe der ausgeschriebenen Pr. -
Im 19. Jh. entstanden viele bedeutende Stiftungen, aus
deren Fonds regelmaBig Studienstipendien verliehen
oder Unterstiitzungsbeitrage an minderbemittelte be-
gabte Studierende gezahlt wurden. Die Mozartstiftung
(Frankfurt am Main) wurde aus Uberschiissen des 1838
vom Frankfurter Liederkranz veranstalteten Musik-
festes gegriindet. Die Zinsen ihres Fonds wurden je-
weils fur 4 Jahre an minderbemittelte junge Kompo-
nisten vergeben (seit 1921 als Freistelle am Hoch'schen
Konservatorium mit jahrlichem GeldzuschuB) ; Sti-
pendiaten waren u. a. M. Bruch und E. Humperdinck.
Gleichen oder ahnlichen Zwecken dienten die Mendels-
sohn-Stiftung (Leipzig), die Zweite Michael Beersche-
Stiftung (Berlin), die aus Staatsgeldern finanzierten,
durch Mittel einer Stif tung der Familie Mendelssohns
erganzten Felix Mendelssohn-Bartholdy-Staats-Stipendien
der Berliner Hochschule fiir Musik, die Joseph Joachim-
Stiftung (Charlottenburg), der Beethoven-Preis (Preu-
Ben), die Beethoven-Stiftung (Rheinland), die Ludwig
Theodor Gouvy-Stiftung (Berlin), die Felix v. Rath-Stif-
tung (Miinchen), die Rheinbergerstiftung (Miinchen), die
Stiftung der Stadt Charlottenburg, die Carl-Haase-Stiftung
(Berlin), die Sangerbund-Stiftung (Niirnberg) , Stipendien-
fonds und Freiplatz-Stijiung (Miinchen), die Richard-
Wagner-Stipendien-Stifiung, die Hugo-Riemann-Stiftung
(Leipzig). Der (1912 gestiftete) Gustav-Mahler-Preis
wurde 1913 an Schonberg verliehen (Kuratorium: R.
Strauss, F.Busoni, Br. Walter). - Die 1887 durch die
Furstin Hohenlohe-Schillingsfurst gegriindete Franz
Liszt-Stiftung verlieh Pr. als reineEhrengaben an bereits
anerkannte junge Komponisten und Klaviervirtuosen;
auch die Beethoven-Stiftung, 1871 zur Erinnerung an die
Beethoven-Sakularf eier gegriindet und vom Allgemei-
nen Deutschen Musik- Verein Berlin verwaltet, verlieh
Ehrengaben an anerkannte Musiker. Der sPreis der
Stadt Paris« (seit 1877) ist als Ehrengabe fiir eine Sym-
phonic mit Chor oder fiir eine Oper bestimmt (ver-
liehen 1887 an V. d'Indy fiir sein Chorwerk Le chant de
la cloche). - Eine Stiftung, deren Pr. nach dem Vorbild
des Grand Prix de Rome fiir die beste Leistung inner-
halb von W.n verliehen wurden, war die Meyerbeer-
Stiftung (testamentarisches Legat von 30000 Reichs-
mark, Nebenfonds 38000 Reichsmark), deren Zinsen
alle 2 Jahre fiir einen Studienaufenthalt von 6 Monaten
in Italien, Paris oder Wien-Miinchen-Dresden verge-
ben wurden. Die Bewerbung erfolgte durch die Kom-
position einer achtstimmigen, doppelchorigen Vokal-
fuge, deren Text und Thema gestellt wurden, einer
Ouverture fiir groBes Orchester und einer dreistimmi-
gen dramatischen Kantate mit Orchester iiber gegebe-
nem Text. Weitere Pr., die innerhalb eines Wettbe-
werbs verliehen wurden, waren der Beethoven-Preis
(Wien), der Rubinstein-Preis (Petersburg), der Paderew-
ski-Preis (Boston), der Kompositionspreis der k. k. Gesell-
schaft der Musikfreunde Wien. - Eine bedeutende Insti-
tution ist der Grand Prix de Rome, der als groBer fran-
zosischer Staatspreis seit 1803 von der Academie des
Beaux Arts jahrlich (ebenso wie fiir Architektur, jun-
ge Bildhauer, Maler und Dichter) fiir Schiiler der
Kompositionsklassen des Pariser Conservatoire ausge-
schrieben wurde und heute im Auftrag des Institut de
France verliehen wird. Der 1. Preis (ursprunglich fiir
die Komposition einer Kantate, heute fiir eine einakti-
ge Oper- das Libretto wird ebenfalls pramiiert) besteht
in einem 4jahrigen Studienaufenthalt in der Villa Me-
dici in Rom, der 2. Preis ist eine Goldmedaille. Der
Aufenthalt in Rom ist fiir den Preistrager bbligatorisch.
Zum Nachweis der dortigen kiinstlerischen Betatigung
miissen mehrere »envois« (in Rom geschriebene Kom-
positionen) nach Paris gesandt und von der zustandigen
Institution gebilligt werden. Namhafte Preistrager wa-
ren: Herold (1812), Berlioz (1830), A.Thomas (1832),
Gounod (1839), Bizet (1857), Massenet (1863), De-
bussy (1884), G. Charpentier (1887), Florent Schmitt
(1900), P.Paray (1911), M.Dupre (1914), Ibert (1919),
Dutilleux (1938). Die Gesamtliste der Preistrager (vgl.
Grove, Artikel Prix de Rome) zeigt die Problematik
746
Preise und Wettbewerbe
der Kompositions-Pr. : viele Namen sind ganz unbe-
kannt geblieben ; bedeutende Komponisten fehlen (z. B.
Saint-Saens, d'Indy, Faure, C.Franck), die sich nicht
bewarben, weil sie nicht Studierehde des Pariser Kon-
servatoriums waren (das fast ausschlieBlich f iir die Pari-
ser Oper ausbildete), oder deren Kompositionen nicht
demjeweiligen Zeitgeschmack entsprachen; so kamen
z. B. Ravel und Dukas nie iiber den 2. Preis hinaus. -
Die deutschen Pr. wurden durch die Inflation (1919-23)
entwertet. Erst nach 1948 wurden wieder Stiftungen
gegriindet und W. veranstaltet. Von zahlreichen Pr.n u.
W.n (teilweise fiir sehr spezielle Bereiche der Musik,
z. B. fiir die Komposition einer Fernsehoper im Stil ei-
ner Kammeroper, Opernpreis Salzburg) , die in Deutsch-
land und im Ausland besonders in den letztenjahrzehn-
ten entstanden, werden hier nur die bedeutendsten
(nach Landern und in derReihenf olge ihrerEntstehung)
aufgezahlt. Die Hohe der Pr. bezieht sich auf den Stand
der Jahre 1965/66 (Angabe in der Landeswahrung). Die
mit * gekennzeichneten W. gehoren der Federation des
concours internationaux de musique an (Sitz: Konser-
vatorium der Stadt Genf, Prasident: H.Gagnebin).
Deutschland: Wettbewerb junger Solisten, Hessischer
Rundfunk, seit 1947 jahrlich, Kl., V., Vc, Gesang, seit
1949 auch Fl. u. Ob. ; d. Preis besteht im Vortrag innerhalb
einer honorierten Sendung. - Berliner Kunstpreis, seit 1948
jahrlich, »dient d. Anerkennung einer hervorragenden
kunstlerischen Einzelleistung oder eines bedeutenden
kiinstlerischen Lebenswerkes«; Einzelpreis Musik DM
10000 (daneben Pr. f. andere Kiinste); Preistrager f. Mu-
sik 1 965 E. Grummer. - Bach-Preis, 1 950 v. Senat u. d. Biir-
gerschaft d. Freien u. Hansestadt Hbg gestif tet ; »als Preis-
trager kommen deutsche Komponisten in Frage, deren
Werke als Schopf ungen echter Kunst einer Verbindung mit
d. Namen Johann Sebastian Bachs wiirdig sind«; DM
20000, davon DM 15000 f. d. Preistrager, DM 5000 f. Sti-
pendienanNachwuchskrafte; 1951 Hindemith, 1960 Fort-
ner, 1966 Kfenek. - Hansischer Goethe-Preis, Hbg, 1950
v. Freiherr v. Stein gestiftet, anfangs jahrlich, seit 1959 alle
2 Jahre f. Internationale humanitare Leistungen, DM
25000; 1961 Britten. - *Internationaler Musikwettbewerb
d. Rundfunkanstalten Deutschlands, jahrlich seit 1952 in
Munchen, Gesang, Kl., Org., Streich- u. Blasinstr., DM
5000, DM 3000, DM 2000 (f. Gesang u. Einzelinstr.) ; Ge-
winner erster Pr. erhalten d. Zusicherung, innerhalb eines
Jahres v. mindestens 3 Rundfunkanstalten zu Konzerten
oder Bandaufnahmen eingeladen zu werden. - Kranich-
steiner Musikpreis, Darmstadt, seit 1952, 1966 zum 2 1 . Mai,
Gesangs- u. Instrumentalinterpretation zeitgenossischer
Musik, DM 1000 u. Stipendium f . d. nachstjahrigen Ferien-
kurse d. Kranichsteiner Musiktage. - GroBer Kunstpreis
d. Landes Nordrhein-Westfalen, 1953 v. d. Landesregie-
rung gestiftet, jahrlich 5 Einzelpr. f. Malerei, Bildhauerei,
Baukunst, Musik, Lit., je DM 25000 f. ein kiinstlerisches
Werk, d. als wesentlicher Beitr. zur deutschen Kultur zu
bewerten ist. - Ludwig Spohr-Preis, Braunschweig, seit
1953 alle 3 Jahre, Komposition, DM 5000; 1964 Dallapic-
cola. - Lit.- u. Musikpreis d. Stadt Koln, 1954 v. d. Stadt
gestiftet, nur bei besonderen Anlassen f . iiberragende Lei-
stungen auf literarischem oder mus. Gebiet, je DM 10000.
- Musikpreis d. Philharmonischen Ges. Bremen, 1955 ge-
stiftet, alle 3 Jahre, DM 5000; erstmalig 1956 an Orff; statt
eines Preises kann auch ein Kompositionsauftrag verge-
ben werden. - Beethovenpreis d. Stadt Bonn, 1959 v. d.
Stadt gestiftet, alle 2 Jahre in d. Regel zu d. Beethovenfesten
»furein neu geschaffenes Musikwerk«, DM 5000.
Belgien: *Concours musical international Reine Elisabeth
de Belgique, Brussel, erstmalig 1951, jahrlich wechselnd f.
Kl., V., Komposition; Gesamtsumme d. 12 Pr. 925 000 bfrs,
1. Preis (200000 bfrs; Goldmedaille) : »Grand Prix inter-
national de Reine ...«; f. Komposition keine Alters-
grenze, sonst 17-30 Jahre. - 'Concours international de
quatuor, Liittich, 1966 zum 6. Mai, wechselnd f. Kom-
position, Interpretation, Instrumentenbau, Gesamtsumme
d. Pr. 100000 Mrs. - *Concours international de chant de
Belgique, Brussel, 1962 gegr., Veranstalter »Les amis de
Mozart«, Lied, Oratorium, Oper; Gesamtsumme d. Pr.
100000 bfrs, Mozartpreis f . d. besten Mozartgesang 50000
bfrs; Altersgrenzen 20-35 Jahre.
Frankreich: *Concours international de jeunes chefs
d'orch., Besancon, 1965 zum 15. Mai, f. Nichtprofessio-
nelle Prix Emile Vuillermoz 2000 NF, f. Professionelle
2000 NF, weitere Geldpr. ; Altersgrenze 30 Jahre. - •Con-
cours international de chant, Toulouse, 1965 zum 12. Mai,
5000 NF u. 2000 NF, Medaillen, Altersgrenzen 18-33 Jah-
re. - *Concours international de piano et violon Marguerite
Long - Jacques Thibaud, Paris, seit 1943, unter d. Protek-
torat d. Prasidenten d. frz. Republik; f. beide Facher Pr.
zwischen 1000 u. 10000NF; Altersgrenzen 15-32 Jahre.
Holland : *»InternationalerGesangswettbewerb«, 's-Her-
togenbosch, seit 1953 jahrlich, Lied, Oratorium, Oper,
Geldpr., Konzert- u. Rundfunkengagements, Stipendien;
Altersgrenze 33 Jahre.
Italien: *Concorso internazionale di piano »Ferruccio
Busoni«, Bozen, jahrlich seit 1949, seit 1954 auch f. Kom-
position, Premio Busoni 500000 L., weitere Geldpr. u.
Konzertengagements; Altersgrenzen 15-32 Jahre. - *Con-
corso internazionale di violino »Nicolo Paganini«, Genua,
1964 zum 11. Mai, 2000000 L., Spiel auf d. Geige Pagani-
nis beim SchluBkonzert, weitere Geldpr. u. Verdienstur-
kunden; Altersgrenze 35 Jahre. - *Concorso internazio-
nale di musica e di ballo »G. B. Viotti«, Vercelli, 1965 zum
16. Mai, wechselnd f. Gesang, Kl., Komposition; Gesamt-
summe d. Pr. 5000000 L.; Altersgrenze 32 Jahre auBer f.
Komposition. - Concorso internazionale di composizione,
Triest, 1965 zum 12. Mai; Premio Citta di Trieste 2000000
L. u. Auffuhrung d. Werkes, 2. Preis 750000 L. und Auf-
fuhrung d. Werkes, 3. Preis Auffuhrung d. Werkes. - 'Con-
corso internazionale di direzione d'orch. dell'accad. nazio-
nale di Santa Cecilia, Rom, 1965 zum 4. Mai ; 2000000 L.
u. ein Engagement, weitere Geldpr. ; Altersgrenze 40 Jahre.
Osterreich: 'Internationaler Musikwettbewerb Wien,
vor d. 2. Weltkrieg gegr., 1959 als internationaler Haydn-
Schubert- Wettbewerbwiederaufgenommen, 1960 Gesangs-
wettbewerb aus AnlaB d. 150. Geburtstages R. Schumanns
u. d. 100. Geburtstages H. Wolfs, 1961 Klavierwerk Beet-
hovens, 1963 Vokalwerk Mozarts, 1965 Klavierwerk Beet-
hovens; Gesamtsumme d. Pr. 65000 S.
Polen: *»Internationaler Wieniawski-Violinwettbewerb«,
erstmalig Warschau 1935, seit 1952 alle 5 Jahre in Posen;
Altersgrenze f . V. 30 Jahre ; Gesamtsumme d. 6 Pr. 140000
Zl.; seit 1957 auch f. Komposition (10000 Zl.) u. Geigen-
bau (70000 Zl.). - *»Internationaler Fr.-Chopin-Klavier-
wettbewerb«, Warschau, erstmalig 1927, seit 1955 alle 5
Jahre; Altersgrenze 30 Jahre; Gesamtsumme d. 6 Pr.
140000 Zl.
Rumanien: *»Internationaler Wettbewerb Georges Enes-
cu«, Bukarest, erstmalig 1958, 1967 zum 4. Mai; Kl., V.,
Gesang, je Fach 25000 1 u. Goldmedaille, weitere Geldpr.,
Medaillen, Diplome; Altersgrenze 33 Jahre.
Schweiz: 'Concours international d'execution mus.,
Genf, 1938 gegr., erstmalig 1939, wahrend d. Krieges auf
nationaler Basis, seit 1964 wieder international, wechselnd
f. Gesang, Kl., V., Vc, Streichquartett, Fl., Ob., Klar.,
Fag., Horn, Pos., Gitarre; Gesamtsumme d. Pr. 41500
sfrs; Altersgrenzen 15-30 Jahre. - 'Prix de composition
mus. Reine Marie Jose, Merlinge-Genf, seit 1960 alle 2
Jahre; 10000 sfrs; Altersgrenze 50 Jahre. - 'Concours in-
ternational de musique de ballet, Genf, seit 1962/63 alle 2
Jahre, organisiert v. d. Stadt Genf u. d. Direction des emis-
sions mus. de la Radio Suisse Romande ; 10000 sfrs (1 . Pr. ;
2. u. 3. Pr. moglich).
Spanien: 'Concorso internacional Maria Canals, Barce-
lona, 1967 zum 13. Mai; Kl. (15-32 Jahre), Gesang (18-32
Jahre), Violine (15-32 Jahre); je Fach 30000 Pta li. Kon-
zertengagements, weitere Geldpr., Medaillen, Diplome,
Spezialpr.
Tschechoslowakei: *»Internationaler Musikwettbewerb
d. Prager Fruhlings«, Prag, 1963 zum 16. Mai; wechselnd
f. Kl. u. V.; 3 Geldpr. zwischen 2000-10000 Kcs; Alters-
grenzen 18-30 Jahre.
UdSSR: Konkurs imeni P. I. Tschaikowskowo (»Tschai-
kowski-Wettbewerb«), Moskau, 1956 gegr., erstmalig
1958, alle4 Jahre; 1958 f. V. u. Kl., 1962f. V., Kl., Vc, 1966
f. V., Kl., Vc, Gesang; Altersgrenze f. Instr. 16-30 Jahre,
f. Gesang 20-33 Jahre ; 8 Pr. u. 4 Diplome f. V., Kl. u. Vc,
747
Prelude
6 Pr. u. 2 Diplome f. Gesang; 1. Preis 2500 Rbl u. Gold-
medaille, 2. Preis 2000 Rbl u. Silbermedaille, 3. Preis 1500
Rbl u. Bronzemedaille; weitere Pr. v. 1200-500 Rbl.
Ungarn: *»Internationaler Musikwettbewerb Budapest«,
1965 zum 8. Mai, 1963 Kammermusikwettbewerb »inme-
moriam Leo Weiner« u. Vc.-Wettbewerb »Hommage a
Pablo Casals«, 1965 Gesangswettbewerb u. Wettbewerb f.
Blasinstr., 1966 Kl.-Wettbewerb »Liszt-Bartok« ; 4 Geldpr.
zwischen 10000-30000 Ft., Konzertengagements.
USA: »Georges Gershwin-Preis«, gestiftet v. d. Georges
Gershwin-Gedenkstiftung, jahrlich seit 1945 f. d. beste
Komposition eines jungen amerikanischen Komponisten.-
»Preis d. Philadelphia-Orch.«, Philadelphia, jahrlich f. d.
erfolgreichste Werk eines zeitgenossischen Komponisten
u. f . d. am besten interpretierte Werk. - Johann Sebastian
Bach International Competition, Washington, 1966 zum
6. Mai, Interpretation d. Kl.-Werks Bachs; 1. Preis $ 1000,
2. Preis $500, 3. Preis $250.
Prelude (prel'iid, frz.), s. v. w. -> Praeludium; als
Terminus dariiber hinaus auch gebrauchlich als Be-
zeichnung fur Ouverture, Introduktion, Ritornell in
der alteren franzosischen Oper (z. B. J.-B.Lully) sowie
fiir den durch Chopin gepragten Typus des vorspiel-
artigen Charakterstiicks.
Prepared piano (piip'esd pi'aenou, engl.), ein Piano-
forte, bei dem Gegenstande aus verschiedenem Ma-
terial (Schrauben, Radiergummis, Eierloffel, Holz-
stiicke usw.) an bestimmten Stellen auf oder zwischen
den Saiten angebracht sind. Der Klang des Pianofortes
soil dadurch verfremdet und zugleich sollen neue
Klangfarben gewonnen werden. Kompositionen mit
Pr. p. fiihrte -> Cage seit der Mitte der 1930er Jahre in
den USA, seit den 1950erjahren auch inEuropa vor.
Er erweiterte die Klangmoglichkeiten des Klaviers zu-
gleich durch direktes Angreifen der Saiten sowie durch
Benutzung des Klaviergehauses als Hohlidiophon.
Wahrend diese (in der ->• Klaviermusik schon fruher
angewendeten) Praktiken seit den 1950er Jahren von
verschiedenen Komponisten auf gegriff en werden, blieb
das Pr. p. ohne weitreichende Auswirkung.
pres de la table (pre dla ta:bl, frz.; ital. presso la ta-
vola), Anzupfart auf der Harfe nahe am Corpus, wo-
durch der Klang harter, metallischer wirkt, der Gi-
tarre oder dem Banjo ahnlich.
Pressus, die ->■ Neume (-1) fiir einen wiederholten
Ton. Er bedeutet eine neue Intonation (Anhauchen)
dieses Tones. Der Pr. ist aus dem Spiritus oder Hauch-
zeichen der antiken -> Prosodie (-1) entstanden und
hat Bogen- oder Hakenform. Die neue Intonation be-
deutete eine kleine Triibung des Tones; so konnte das
Pneuma Daseion als Zeichen fiir den Viertelton der
Antike verwendet werden und lebte in der frtihmittel-
alterlichen Musiklehre (u. a. in den Dasia-Zeichen)
fort. Der Pr. wurde teils mit dem zu wiederholenden
Ton zusammengeschrieben (wobei sich verschiedene
Formen und Namen der Kombination ergaben), teils
als Einzelzeichen (Oriscus) notiert. Doch schon im 11.
Jh. verlor er in den meisten Choralhandschriften seine
besondere Bedeutung und wurde durch den Punkt er-
setzt. Der heutige Vortrag besteht in einer einfachen
Tonverlangerung.
Presto (ital., schnell; frz. vite) ist neben Allegro und
Adagio eine der friihesten Tempobezeichnungen (A.
Banchieri, La Battaglia, 1611; M. Praetorius, Polyhym-
nia caduceatrix, 1619). Ein Unterschied zwischen Pr.
und Allegro bestand im 17. Jh. noch nicht oder nur in
schwachen Ansatzen; A. Corelli schreibt bei manchen
Allemanden Pr., bei anderen Allegro vor, ohne daB im
rhythmischen Charakter der Satze eine Differenz er-
kennbar ware. Erst im 18. Jh. setzte sich die Regel
durch, daB Pr. ein schnelles und Allegro ein zwar heiter
bewegtes, aber nicht hastiges ZeitmaB sei (BrossardD;
J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 1767[?], Pa-
ris 1768). Wenn J. S. Bach, Vivaldi und Handel Allegro
ma non pr. vorschreiben, setzen sie voraus, daB ein Pr.
rascher als ein Allegro ist. Die Bezeichnung Pr. ist im
18. Jh. oft mit dem Allabrevetakt (0) verbunden; doch
ist nicht die Schlagzeit (J), sondern die Viertelnote ei-
nes Pr.s schneller als die Schlagzeit (J) eines Allegros.
Ein zweiter Typus des Pr.s ist die Contredanse im 2/4-
Takt, deren Charakter und Tempo sich auch in den
SchluBsatzen mancher Symphonien auspragen (Mo-
zart, K.-V. 425 und 504; Haydn, Hob. I, 85 und 92). -
Pr. assai und Molto pr. bedeuten sehr schnell, Pr. ma
non tanto und Pr. ma non troppo nicht zu schnell. Der
Superlativ Prestissimo ist seit dem 17. Jh. nachweisbar
(J.Vierdanck 1637; H. Schiitz, Johannespassion, 1665).
Im 19. Jh. wird er im allgemeinen bei SchluBsteigerun-
gen schneller Satze (Beethoven, 9. Symphonie), selte-
ner als Oberschrift eines Satzes verwendet (Beethoven,
op. 104).
Priamel (aus Praeambel) , gleichbedeutend mit -*■ Prae-
ambulum, in musikalischer Bedeutung erstmals 1482
belegt (macht ein harfer ein pr. oder vorlouf, daz er die luit
im uffzu merken beweg, zitiert nach Grimm, Deutsches
Worterbuch), spater vereinzelt als Uberschrift von ein-
leitenden Stucken in friihen deutschen Lautentabula-
turen (z. B. H.Judenkunig 1523).
Prim (lat. hora prima), nach dem traditionellen Auf-
bau des ->■ Offiziums der romischen Kirche die erste
der kleinen Horen, heute nicht mehr allgemein ver-
pflichtend vorgeschrieben (Liturgiekonstitution des
2. -»■ Vatikanischen Konzils, Artikel 89d, ferner Arti-
kel 78 und 84 der Instructio vom 26. 9. 1964). Sie be-
steht aus 2 Teilen, deren erster in seiner Gliederung den
iibrigen Horae minores (->■ Terz, Sext, Non ; mit Hym-
nus lam lucis orto sidere) entspricht, wahrend der zweite
(das »Officium capitulk) folgende Stiicke umfaBt:
a) Lesung aus dem Martyrologium mit Versikel Pretio-
sa in conspectu und Oration Sancta Maria et omnes Sancti;
b) Deus in adiutorium meum intende (dreimal), gefolgt
von Kyrie eleison, Pater noster, Versikel Respice in servos
(mit Gloria patri) und Oration Dirigere et sanctificare;
c) die Absolutio capituli : Jube domne benedicere, darauf
Benediktion Dies et actus, Lectio brevis, Versikel Adiu-
torium und Benedicite sowie Benediktion Dominus nos
benedicat.
Primadonna (ital., s. v. w. Erste Sangerin), seit dem
17. Jh. im italienischen Operntheater Bezeichnung fiir
die Sangerin, der die groBte Partie zukommt. Seit Be-
ginn des 18. Jh. liebte die italienische Oper die Gegen-
iiberstellung von zwei Prime donne; die bedeutendere
Sangerin wurde dann Pr. assoluta (e sola) genarint ge-
geniiber der Seconda donna oder Pr. altra. Mit der
Entwicklung und Verbreitung virtuoser Gesangskunst
wurde die Bezeichnung Pr. immer mehr fiir eine er-
folggewohnte Sangerin extravaganten Charakters an-
gewandt. Oft hat diese auch schopferischen EinfluB auf
die Oper und die Komponisten genommen, wie z. B.
Giuditta -> Pasta auf Bellini. Zu den beriihmtesten
Primadonnen zahlen u. a. : Francesca ->• Cuzzoni, Fau-
stina -*■ Hasse-Bordoni, Gertrud Elisabeth -> Mara,
Wilhelmine -*■ Schroder-Devrient, Jenny -»■ Lind,
Adelina -> Patti, heute z. B. Maria Callas (-> Meneghi-
ni Callas). Seit demEnde des 18. Jh. ist die Bezeichnung
Pr. synonym mit Diva (ital., s. v. w. »gottliche Sange-
rin*). Den Typus der Operettendiva vertrat zuerst
Hortense Schneider (ca. 1830-1920), die 1855 in Offen-
bachs Le Violoneux debutierte.
Lit. : H. S. Edwards, The Prima Donna . . . , 2 Bde, Lon-
don 1888; A. Ehrlich, Beruhmte Sangerinnen d. Vergan-
748
Privatmusikerziehung
genheit u. Gegenwart, Lpz. 1896; H. Ch. Lahee, Famous
Singers, Boston 1898, 2 1936; A. Kohut, Die Gesangsko-
niginnen in d. letzten 3 Jh., Bin 1906; A. Weissmann, Die
Pr., Bin 1920; G. Monaldi, Cantanti celebri: 1829-1929,
Rom 1929; M. Hogg, Die Gesangskunst d. F. Hasse u. d.
Sangerinnenwesen ihrer Zeit in Deutschland, Diss. Bin
1931 ; A. Lancelotti, Le voci d'oro, Rom '1953 ; H. Ul-
rich, Famous Woman Singers, NY 1953; H. Kuhner,
GroBe Sangerinnen d. Klassik u. Romantik, Stuttgart
(1954); K. Honolka, Die groBen Primadonnen, Stuttgart
1960; Fr. Herzfeld, Magie d. Stimme, Bin, Ffm. u. Wien
(1961) ; A. Natan, Pr., Basel u. Stuttgart (1962).
Prima pratica (ital., erste Kompositionsart), eine
Bezeichnung, die zuerst in der von G.C.Monteverdi
verfaBten Vorrede zu CI. Monte verdis Scherzi musicali
(1607) verwendet wird fiir den in den Istitutioni harmo-
niche G.Zarlinos (1558) kodifizierten strengen Kontra-
punkt, den »alten Stil« (im Gegensatz zur -> Seconda
pratica). Als Komponisten der Pr. pr. werden genannt :
Gckeghem, Josquin, de la Rue, Mouton, Crecquillon,
Gombert, Clemens non Papa und Willaert.
prima vista, a prima vista (ital., auf den ersten Blick;
engl. sight reading), eine Komposition ohne vorange-
gangenes Uben oder Proben »vom Blatt« spielen oder
singen.
Prime (lat. prima, erste), die 1. Stufe einer diatoni-
schen Folge. Die aus der Kontrapunktlehre des 14./15.
Jh. stammende Bezeichnung gait urspriinglich nur fiir
das Zusammentreffen zweier Stimmen im gleichen
Ton. Wahrend sonst ein -*■ Intervall auch eine diaste-
matische Differenz bedeutet, kennzeichnet gerade das
Fehlen einer solchen die Pr. (1 : 1). Das Melodieintervall
Pr. ist als Tonwiederholung, das Simultanintervall Pr.
als Einklang zu beschreiben. Ob der Einklang (-> Uni-
sono) zu den Intervallen gehort, ist daher in der alteren
Musiktheorie strittig. Gleichwohl sind Pr. und Uniso-
nus nicht identisch, da die neuere Intervallehre chro-
matische Tone als Veranderungen eines diatonischen
Stammtons benennt. So gibt es neben der
Pr. auch die Uberma-
Bige (chromatischer
-*■ Halbton) und die
doppelt UbermaBige Pr. Das Fortschreiten zweier oder
mehrerer Stimmen in reinen Pr.n oder Oktaven wird
Unisono genannt.
Primicerius (lat. primus in cera, der erste auf der
Wachstafel, dem Verzeichnis), urspriinglich der erste
Sanger und der Leiter der romischen -*■ Schola can-
torum, zur Unterscheidung von anderen als Pr. betitel-
ten Klerikern auch Prior scholae oder Magister capellae
genannt. Wohl spatestens im 14. Jh. wurden nur noch
der Titel und die daran gebundenen Benefizien eines
Pr. verliehen, wahrend die Chorleitung der Magister
capellae innehatte. Um 1400 kam die Bezeichnung Pr.
aufier Gebrauch.
primo (ital.), Abk.: 1*"°, der erste; tempo Im°, das
erste Tempo ; bei KlavierstUcken zu 4 Handen ist pr.
der Spieler des Diskantparts. - Prima volta (Ima, T_ ^)
ist bei Wiederholung eines Teils der Komposition die
Stelle, die zum Anfang des Teils zuriickleitet und nach
der Wiederholung ersetzt wird durch eine entsprechen-
de, mit seconda volta (H da , ^ *) bezeichnete Stelle,
die zum 2. Teil (seconda parte) Uberleitet. Wird ohne
Wiederholung zum nachsten Teil Ubergegangen, mufl
die mit I ma bezeichnete Stelle iibersprungen werden.
Primo uomo (ital.) ist im italienischen Opernwesen
des 17. und 18. Jh. die Bezeichnung fiir den ersten San-
ger einer Biihne (Tenor oder Kastrat). ->■ Primadonna.
principale (printjip'a:le, ital., Abk.: princ, pr., fiih-
rend, vorherrschend), Zusatz zur Kennzeichnung einer
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oder der solistisch hervortretenden (konzertierenden)
Instrumentalstimme (z. B. Violino pr.) als Hauptpartie
in Orchesterwerken, oft synonym verwendet mit
-»- Solo und -*■ Obligato (- 2). Pr. ist auch der ital. Aus-
druck fiir -> Prinzipal.
Prinzipal (engl. open diapason; frz. montre, von en
montre, im Prospekt; ital. principale; span, flautado),
die Hauptstimme der Orgel (vox principalis), eine
offene -> Labialpfeife von mittelweiter Mensur (im 8'
auf C etwa 148-155,7 mm), zylindrischer Form und
kraftiger Intonation. Das Pr. kommt in alien FuBlagen
vor, im Pedal auch zu 32', im Manual bis zum 1' (in den
Oktavlagen heiBt es Oktave und Superoktave). Men-
sur und Intonation des Pr.s schwanken ortlich und ge-
schichtlich: in alten Orgeln ist es oft flotenartig bei hel-
ler Klangfarbe, ohne UbermaBige Lautstarke, da das
Register bis in die Zeit G. Silbermanns ohne -*■ Barte
gebaut wurde, wahrend in Norddeutschland und den
Niederlanden ein herberer Klang bevorzugt wurde.
Die Pr .-Basis ist im -> Hauptwerk 8', im -> RUckposi-
tiv 4', im -> Brustwerk 2'. GroBe Orgeln mit Pr.-Basis
zu 16' im Hauptwerk haben auch in den anderen Wer-
ken, mit Ausnahme des Brustwerkes, das Pr. 8'. Das
Material des Pr.s ist zumeist hochprozentiges Zinn,
auch Kupfer, wodurch der Prospekt iiberdies ein scho-
nes Aussehen gewinnt. Die tiefsten Pfeifen des Pr.s (16'
und 32' im Pedal) werden oft aus Holz gefertigt. - Pr.
und Praestant (von lat. praestare, voranstehen) sind ur-
spriinglich Bezeichnungen im Hinblick auf die Stel-
lung der Pfeifenreihe (vorn, im Prospekt) ; spacer er-
hielten sie die Bedeutung von fiihrender Stimme,
Hauptstimme. Im franzosischen Orgelbau ist Prestant
stets 4' (nach Bedos de Celles weist dieser Name auf die
Mittellage, zwischen H6he und Tiefe disponiert). -
Das Pr. ist aus der Flote hervorgegangen. Noch Schlick
sagt 1511 etlich nennen das Pr. koppeln oderfleytten. Bei
Praetorius (Synt. II) ist die Flotengruppe weiter men-
suriert und dem enger gebauten Pr. gegeniibergestellt.
Er kennt GroB Subprincipal BaB 32', GroB Principal
16', Aequalprincipal 8', Klein Principal oder Octaven
Principal 4' bis zu Superoctavlein 1'. -> Disposition,
-> Organo pleno, ->■ Register (-1).
Prinzipalblasen, Prinzipaltrompete -»- Trom-
pete(-l).
Privatmusikerziehung, Einzelunterricht im Instru-
mentalspiel oder Gesang, der nicht an einer off entlichen
Musikunterrichtsstatte (Jugendmusikschule, Musik-
hochschule, Konservatorium), sondern in den Privat-
raumen des Lehrers oder Schiilers stattfindet und privat
honoriert wird. Fiir die ->■ Musikerziehung musikalisch
begabter Kinder ist der instrumentale Einzelunterricht
besonders wertvoll, wahrend das Singen leichter in
Gemeinschaft erlernt wird (-> Schulmusik). - Bis ins
18. Jh. behielt der Instrumentalunterricht weithin den
Charakter einer Handwerkslehre : die Schuler wohn-
ten wahrend der zunftmaBigen Lehrzeit beim Meister
(->■ Stadtpfeifer). Nur die Ausbildung der Organisten
stand in engerer Verbindung zur Vokalmusik, zur Mu-
siktheorie und Kompositionslehre. Einen vom Instru-
mentalunterricht unabhangigen Entwicklungsgang
weisen bis heute die Gesangsmethoden auf (-*■ Stimm-
bildung). Ein grundlegender Wandel der instrumenta-
len Unterweisung bahnte sich im 18. Jh. an: der seit
dem 16. Jh. standig gewachsenen Bedeutung der In-
strumentalmusik muBte auch die Ausbildung Rech-
nung tragen. Dieser Wandel fand seinen Niederschlag
in der Art, dem Ansehen und der Verbreitung der
Lehrbucher von C.Ph.E.Bach, Quantz, L.Mozart und
Turk. Auch gab der an vornehme Musikdilettanten er-
teilte Unterricht den AnstoB zu einer neuen Einschat-
749
Privilegium
zung der Pr. Das 19. Jh. war die Bliitezeit der Pr. sowie
der -*■ Hausmusik. Das Klavier riickte in den Mittel-
punkt hauslicher Musikausiibung; besonders fur Mad-
chen wurde Klavierunterricht Teil der biirgerlich-
standesgemaBen Ausbildung. Die Unterweisung in der
Spieltechnik verselbstandigte sich (-»■ Etiide), teilwei-
se zuungunsten der allgemein-musikalischen Ausbil-
dung. Der Stand des Privatmusikerziehers wuchs her-
an; schon 1834 wurde eine Kabinettsordre von K6nig
Friedrich Wilhelm III. von PreuBen notwendig, die die
Pr. unter staatliche Auf sicht stellte zum Schutz der Ju-
gend vor Ausbeutung durch unfahige oder sittlich f rag-
wiirdige Personen. 1844 erfolgte die Griindung des
Berliner Tonkiinstlervereins, der sich 1903 mit ande-
ren Verbanden zum Zentralverband Deutscher Ton-
kiinstler zusammenschloB; die noch abseits stehenden
Gruppen stieBen 1922 hinzu bei der Griindung des
Reichsverbandes Deutscher Tonkiinstler und Musik-
lehrer. 1947 schlossen sich die neuerstandenen Landes-
verbande zum Verband Deutscher Tonkiinstler und
Musiklehrer zusammen (VDTM, Umbenennung 1964
in Verband Deutscher Musikerzieher und Konzertie-
render Kiinstler, VDMK). Seit 1945 herrscht in der Pr.
wieder Gewerbefreiheit (nur in Siidbaden wurde 1950
die Erteilung von Pr. ohne Zulassung verboten). Das
Staatliche Privatmusiklehrerexamen, mit dem die Be-
rufsausbildung an den Privatmusiklehrerseminaren der
Konservatorien und Musikhochschulen abschlieBt, ist
nur fur eine Anstellung an offentlichen Ausbildungs-
statten unerlaBlich. Die Ausiibung des Beruf s eines Pri-
vatmusikerziehers als einzige Einnahmequelle ist heute
kaum noch moglich. Die offentlichen Musikunter-
richtsstatten, die eine umfassendere Ausbildung mit
geringeren Kosten als die Pr. bieten, drangten die Pr.
zuriick. Der von Leo -> Kestenberg erstrebte Auslese-
prozeB hat dazu gefiihrt, daB der Privatlehrer heute
den AnschluB an eine Musikschule als wirtschaftlichen
Hintergrund und f iir die Altersversorgung erstrebt und
daB Pr. meist von fest angestellten (oder beamteten)
Musikern und Musikpadagogen nebenher erteilt wird.
Lit. : P. Bekker, Das deutsche Musikleben, Stuttgart u.
Bin 1 9 1 6 ; J. Petschull, Die sociale Lage d. deutschen Mu-
siklehrkrafte, Diss. GieBen 1924, maschr. ; A. Ebel, Privat-
unterricht in d. Musik, Bin 1925; ders., Pr., in: Hdb. d.
Musikerziehung, hrsg. v. H. Fischer, Bin 1954; L. Kesten-
berg, Der Privatunterricht in d. Musik (Amtliche Bestim-
mungen), Bin 1925, 51932; Musikpadagogische Gegen-
wartsfragen, hrsg. v. dems., Lpz. 1928; M. Lovinson, Der
Privatmusikunterrichtin PreuBen (Denkschrift), Bin 1926;
H. Ullrich, Die rechtliche Regelung d. privaten Musik-
unterrichts in PreuBen . . ., Diss. iur. Heidelberg 1930; H.
BXuerle, Das Musikseminar, Stuttgart 1931; H. Mers-
mann, Das Musikseminar, = Musikpadagogische Bibl.
XI, Lpz. 1931 ; H. W. v. Waltershausen, in: Mk XXV,
1932/33, S. 15ff.; Musikstudium in Deutschland. Studien-
ftthrer, hrsg. v. K. Hahn, Mainz (1960, 21963). - Zss. : Mu-
sikpadagogische Blatter, hrsg. v. E. Breslaur, Bin 1878-
1922; Deutsche Tonkiinstlerzeitung, hrsg. v. A. Ebel, Bin
1903/04-1937/38; Schweizer Musikpadagogische Blatter,
Basel 1912-59 ; Der Musikerzieher, hrsg. v. H. Just, Mainz
1938^»2/43. HHa
Privilegium (lat.) -*■ Verlagsrecht.
Processionale, Processionarius oder Processionarium
(lat.), ein im romischen Liturgiebereich verwendetes
Buch mit Texten, Gesangen und rituellen Anweisun-
gen f iir die Prozessionen. Auf Grand der eif rigen Pflege
von Prozessionen und ihrer besonderen Bedeutung f iir
das lokale kirchliche Leben entstanden in alterer Zeit
zahlreiche Diozesan- und Ordensausgaben dieses Bu-
ches, das - praktischen Erfordernissen entsprechend -
viele urspriinglich im -> Graduale (- 2), -»• Missale und
anderswo aufgezeichnete Texte und Melodien verein-
te. Heute linden sich Teile des Pr.s unter Titel X (De
processionibus; friiher Titel IX) in der 1952 erschienenen
Neuausgabe des romischen -*■ Rituales.
Ausg.: Pr. Romanum, Regensburg 1873, 5191 1 ; Pr. Mona-
sticum ad usum Congregationis Gallicae Ordinis S. Bene-
dicti, Solesmes 1893. Weitere Ausg. siehe im General Cat.
of Printed Books d. Brit. Mus., Bd 1 39, London 1962, Spal-
te 488ff., sowie in: H. Bohatta, Liturgische Bibliogr. d.
XV. Jh., Wien 1911, Nachdruck Hildesheim (1960).
Programmusik (frz. musique a programme; ital.
musica a programma; engl. programme music) ist In-
strumentalmusik, die als geschlossenes Werk oder gan-
zes Stiick mit der Darstellung oder Andeutung eines
begrifflich faBbaren Sujets verbunden ist, auf das der
Komponist in der Regel selbst hinweist, sei es durch ei-
ne Inhaltsangabe oder nur durch eine Uberschrif t (oder
AuBerung). Das zur Musik geeignete Sujet vermag die
Phantasie des Komponisten anzuregen, die komposi-
torische Formung zu motivieren, die Auffiihrungsart
zu prazisieren und die Auffassung des Horers in be-
stimmte Bahnen zu lenken. - Vorlaufer der Pr. des 19.
Jh. bieten die -> Battaglia, das -»■ Capriccio und die
-> Pastorale, ferner Programmstiicke der Virginalisten
(J.Byrd, J.Munday, G.Farnaby u. a.) und Clavecini-
sten (z. B. J.-Ph. Rameau, La boiteuse, Lapoule; Fr. Cou-
perin, Les abeilles, Les lis naissants), in Deutschland die
Lamentos, Plaintes, Tombeaux von Froberger und die
Biblischen Historien (1700) von Kuhnau, in Italien Vival-
dis Concerti iiber die »Vier Jahreszeiten« (mit je einem
vorangestellten Sonetto dimostrativo), iiber La tempesta di
mare, La notte, La caccia u. a. Bis ins 18. Jh. blieb die Pr.
Gelegenheitsarbeit im Sinnc des Experiments, des un-
terhaltsamen lusus ingenii (Kuhnau), des »Witzes«, des
Wunderlichen und AuBerordentlichen im Stylus phan-
tasticus. Hierher gehoren z. B. auch noch der Instru-
mental-Calender (1748) von Gr. J. Werner und die ton-
malerischen Orgelimprovisationen des Abbe -»• Vog-
ler. Doch kiindigt sich in den Pastoral-, Tempesta- und
Cacciasymphonien (oder -symphoniesatzen) des spate-
ren 18. Jh. bereits jener »romantische« Ton erlebter
Natur an, der die -> Tonmalerei verinnerlichte und der
dann in Durchdringung der »absoluten« Tonsprache
der Wiener Klassiker die symphonische Pr. als hohe
Kunstgattung entstehen liefi, wie sie erstmals in Beet-
hovens Pastoralsymphonie (1807/08) vorliegt.
Um 1800 wurde in Paris das Begriffswort symphonie a
programme gebildet (hierzu Sandberger, S. 206; in
SchillingE als Malende Sinfonie verdeutscht), und zwar
im Hinblick auf Symphonien z. B. von Rosetti (= Fr.
A. RoBler), J.Haydn (z. B. die »Tageszeiten«-Sympho-
nien 1761, Hob. I, 6-8) und Dittersdorf (12 Sympho-
nien exprimant . . . mitamorphoses d'Ovide; -*■ Meta-
morphosen). Als Programmsymphonien konnen auch
bezeichnet werden Spohrs »malende« Symphonien
(besonders Nr IV: Die Weihe der Tone, 1832, nach
einem Gedicht von K.Pfeiffer) und vor allem Berlioz'
epochemachende Symphonie fantastique (1830; ->• Idee
fixe) und Harold en Italie (1834). Zur Hauptgattung der
Pr. im 19. Jh. wurde neben der mehrsatzigen Pro-
grammsymphonie die einsatzige -»■ Symphonische
Dichtung (aber auch z. B. Liszts mehrsatzige Faust-
Symphonie gilt als Symphonische Dichtung, und an-
dererseits nannte Hanslick alle derartigen Werke Liszts
Programm-Symphonien; Vom Musikalisch-Schonen, Vor-
wort zur 2. Auflage 1858). Das bevorzugte Mittel der
Pr. ist die -> Tonmalerei. Doch die besonders durch
Berlioz und die -> Neudeutsche Schule entwickelte
Kunst der Instrumentation, der Motivvariation, des
-*• Leitmotivs, der neuartigen Harmonik und phanta-
siehaf ten Formung steigerte allgemein die deskriptiven,
expressiven, assoziativen, symbolischen und synasthe-
750
Progressionsschweller
tischen Fahigkeiten der Musik, die andererseits wesent-
lich im Zusammenhang mit Pr. ausgebildet worden
sind. Indessen ist die Grenze zwischen ausgesprochener
Pr. und anderen Werkgruppen (Mottokompositionen;
-»■ Charakterstiick) im 19. Jh. so schwer zu ziehen wie
die zwischen Tonmalerei und »reiner« Musik. R. Schu-
mann hat sich im Sinne seines Verstandnisses des »Poe-
tischen« in der Musik gegenuber jeder Mitteilung eines
Programms stets ablehnend ausgesprochen, wahrend
Liszt, der das Poetische in einem mehr literarischen
Sinne verstand, Schumann als den Komponisten be-
zeichnet, der in seiner Klaviermusik die Bedeutung des
Programms am vollstandigsten erfafit habe (IV, S. 184).
Und innerhalb der inhaltlich motivierten Musik hat
Mahler zwei entgegengesetzte Positionen gekennzeich-
net, wenn er bestatigt, daB seine Musik schliefilich zum
Programm als letzter ideeller Verdeuttichung gelangt,
wahrenddem bei Straufi das Programm alsgegebenes Pensum
daliegt (Briefe, S. 228). In diesem Sinne gibt es fur Mah-
ler von Beethoven angefangen keine moderne Musik, die
nicht ihr inneres Programm hat (Briefe, S. 296).
Das Programm (also irgend ein der rein-instrumentalen
Musik in verstandlicher Sprache beigefiigtes Vorwort; Liszt,
IV, S. 21) hat nach Liszts AuBerungen die Aufgabe, an-
deutend oder ausfiihrend die unbestimmten Eindriicke der
Seek im Sinne von Gedanken und Bildern . . . zu be-
stimmten Eindriicken zu erheben. Mit dem Programm
bezweckt der Komponist, die Zuhorer vor der Willkur
poetischer Auslegung zu bewahren, und gibt den Gesichts-
punkt an, von dem aus er sein Sujet erfafit: die poetische
Idee, die geistige Skizze seines Werkes, den poetischen
oder philosophischen Faden (Liszt, II, S. 130; IV, S. 21,69;
V, S. 204). Erst wenn diese inhaltlich-»geistigen« Mo-
mente der Musik innewohnen, wenn ihr die Ideate des
wissenschaftlichen, des Denk- und Thatmenschen nicht
fremd bleiben, wird das grofie Wort der y>Zukunftsmusik«
erreicht sein (Liszt, V, S. 204). - Das Programm der Pr.
kann vom Komponisten selbst erdacht (erlebt) sein
(Berlioz, Symphonie fantastique, 1830; Smetana, II.
Streichquartett E moll »Aus meinem Leben«, 1876; R.
Strauss, Symphonia domestica, 1903) ; es kann entnom-
men sein aus der Literatur (Liszt, Die Ideale, 1857, nach
Schiller; Strauss, Macbeth, 1886/91, nach Shakespeare)
oder aus der bildenden Kunst (Mussorgsky, »Bilder ei-
ner Ausstellung«, 1874, nach Bildern von V. Hartmann ;
Reger, Vier Tondichtungen nach A.Bocklin, 1913); es
kann sich auf eine Landschaft (Smetana, »Die Moldau«,
in: »Mein Vaterland«, 1874-79; Strauss, Eine Alpen-
symphonie, 1915; Respighi, IPini di Roma, 1924) oder
z. B. auf Technik beziehen (Honegger, Pacific 231,
1923). A. Schering glaubte, in Werken Beethovens und
Schuberts ein inneres Programm, die tonende Verge-
genstandlichung eines poetischen Sinnes nachweisen
zu konnen. Das erst nachtragliche Hinzusetzen einer
Uberschrif t durch den Komponisten (von R. Schumann
6fter betont) ist ebenso zu belegen wie das erst nach-
tragliche Formulieren eines Programms (Liszt, Les
Preludes; Strauss, Tod und Verklarung). Auch das Zu-
riickziehen und das Austauschen des Programms bzw.
der Uberschriften kommen vor (Schumann, Fantasie
C dur fur Kl. op. 17, urspriinglich als Obulus auf Beet-
hovens Monument mit den Satztiteln Ruinen, Trophaen,
Palmen; Schonberg, Orchesterstuck op. 16 Nr 3: Far-
ben, in der Version von 1949 : Morning by a Lake) . Nicht
selten wurde ein Werk zum Zwecke leichterer Ver-
standlichkeit nur voriibergehend mit einem Programm
oder mit Titeln versehen (Bruckners VII. Symphonie
durch J. Schalk, von Bruckner abgelehnt; Mahler, 1.
Symphonie, Briefe S. 185; Schonberg, Fiinf Orche-
sterstiicke op. 16, Verlegerwunsch). Die Problematik
programmhafter Deutung eines Werkes erweist der
erste Klang in Mahlers 1. Symphonie, der Adorno
(Mahler . . ., 1960, S. 10) an einen pfeifenden Laut er-
innert, wie ihn altmodische Dampfmaschinen ausstiefien,
wahrend er (im Blick auf Mahlers Zusatz Wie ein Na-
turlaut) vielleicht eher als »flimmernde Luft« gedeutet
werden konnte.
Als »auBermusikalisch« motivierte Instrumentalmusik
stand die Pr. im 19. Jh. im Mittelpunkt des Parteien-
streits iiber die Wesensbestimmung der Tonkunst als
einer durch beabsichtigten -> Ausdruck gebundenen
oder einer eigengesetzlich geformten -> Absoluten
Musik. Indessen hat die Pr. nicht nur wesentlich zur
historisch geforderten Neuerung der symphonischen
Musik beigetragen (denn nach Beethoven schien Maafi
undZiel erschbpft; Schumann, S. 70), sondern auch auf
Grund der »inhaltlich« motivierten kompositorischen
Entdeckungen entscheidend die Ausbildung einer wie-
derum neuen Autonomic der -»- Komposition bewirkt.
Denn im Unterschied zur sogenannten klassischen Musik
waren in der Pr. Wiederkehr, Wechsel, Veranderung und
Modulation der Motive durch ihre Beziehung zu einem
poetischen Gedanken bedingt (Liszt IV, S. 69), und auch
fur R.Strauss war das Programm: nichts weiter als der
Formen bildende Anlafi zum Ausdruck und zur rein musi-
kalischen Entwicklung meiner Empfindungen (Brief an R.
Rolland vom 5. 7. 1905).
Lit. : R. Schumann, Sinfonie v. H. Berlioz, in : Gesammelte
Schriften ... II, Lpz. 5 1914; Fr. Liszt, Gesammelte Schrif-
ten, hrsg. v. L. Ramann, Lpz. 1880-83 ; G. Mahler, Briefe,
hrsg. v. A. M. Mahler, Bin, Wien u. Lpz. 1 925. - R. Hohen-
emser, Ober d. Pr., SIMG 1, 1899/1900; H. Leichtentritt,
Vorlauferu. Anfanged. Pr., AMZXXX, 1903; W. Klatte,
Zur Gesch. d. Programm-Musik, = Die Musik VII, Lpz.
(1905); Fr. Niecks, Programme Music in the Last Four
Cent., London 1907; M. D. Calvocoressi, Esquisse d'une
esth&iquede la musique a programme, SIMG IX, 1907/08;
O.KLAUWELL,Gesch.d.Pr. . . .,Lpz. 19 10; A. Heuss.L. Mo-
zart als Programmusiker, Neue Zs. f. Musik LXXIX, 1912;
W. Hirschberg, Ober d. Grenzen d. Pr., Mk XII, 1912/13 ;
A. Sandberger, »Mehr Ausdruck d. Empfindung als Ma-
lerei«, in: Ausgew. Aufsatzezur Mg. II, Miinchen 1924; A.
Wellek, Doppelempfinden u. Pr., Diss. Wien 1928,
maschr.; K. Schubert, Die Pr., = Mus. Formen in hist.
Reihen XIII, Bin (1934); A. Schering, Beethoven u. d.
Dichtung =Neue deutsche Forschungen LXXVII, Abt.
Mw. Ill, Bin 1936; ders., Bemerkungen zu J. Haydns Pro-
grammsinfonien, JbP XLVI, 1939; ders., Fr. Schuberts
Symphonie in H-moll u. ihr Geheimnis, Wurzburg (1939);
R. Raffalt, Ober d. Problematik d. Pr., Diss. Tubingen
1949; K.-W. Gumpel, Zum Problem d. Pr. bei R. Schu-
mann, Musikerziehung VI, 1952; H. Unverricht, Horba-
re Vorbilder in d. Instrumentalmusik bis 1 750, 2 Bde, Diss.
Bin 1954, maschr. ; A. Sychra, Die Einheit v. »absoluter«
Musik u. Pr., Beitr. zur Mw. 1, 1959; Fr. W. Riedel, Quel-
lenkundliche Beitr. zur Gesch. d. Musik f. Tasteninstr.,
= Schriften d. Landesinst. f . Musikforschung Kiel X, Kas-
sel 1960, S. 157ff. ; H. Berner, Untersuchungen zur Be-
griffsbestimmung u. zu einigen Fragen d. Rezeption v. Pr.,
Diss. Lpz. 1964, maschr. - HHE
Progressio harmonica (frz. progression harmo-
nique) ist in der Orgel eine nicht repetierende gemisch-
te Stimme, die von Chr. Fr. G. Wilke 1 839 erf unden und
vor allem im 19. Jh. gebaut wurde. Die Pr. h. beginnt
in der Tiefe 2ch6rig (auf C mit H/3' und 1', auch 22/3')
und nimmt in der Hohe, um den Diskant zu betonen,
progressiv an Choren zu (auf c mit 2', 13/j' und 1'; c 1
4ch6rig, c 2 5ch6rig usw.).
Lit. : Chr. Fr. G. Wilke, Ober Wichtigkeit u. Unentbehr-
lichkeit d. Orgelmixturen, Bin 1839.
Progressionsschweller ist eine Art Crescendoein-
richtung fur die Orgel, die Abbe Vogler ersann, eine
durch Hinzutreten oder Wegfall von -> Aliquotstim-
men bewirkte Verstarkung oder Abschwachung des
Tones.
751
Progressive Jazz
Progressive Jazz (pjagi'esiv c^aez, engl.), in den
1940er Jahren aus dem -»• Big band-Musizieren der
->• Swing- Ara unterEinfluB des -> Be-bop entstandene
Art des sogenannten symphonischen Jazz. Der Pr. J. ist
proklamiert und bekannt geworden durch den Band-
leader Stan Kenton, in dessen impressionistischen, havi-
ng der Programmusik verpflichteten Kompositionen
harmonische Mittel der modernen Kunstmusik (De-
bussy, Strawinsky, Hindemith) und rhythmische Ele-
mente der afrokubanischen Musik einbezogen sind.
Die effektvollen Arrangements fiir die Big band von
Stan Kenton schrieb Pete Rugolo, ein Kompositions-
schiiler von Darius Milhaud. Bezeichnend fiir den Pr.
J. ist die Verwendung scharf dissonierender, teilweise
polytonaler Klange, extremer Register von Trompe-
ten, Saxophonen und Posaunen, scharfer dynamischer
Kontraste und die Ubernahme afrokubanischer Rhyth-
musinstrumente (-> Afro-Cuban Jazz). Der Pr. J., den
Stan Kenton urn 1950 unter dem anspruchsvollen Mot-
to »Innovations in Modern Music« in noch starkerem
AusmaBe der modernen Kunstmusik anzugleichen ver-
suchte, hatte zusammen mit dem Be-bop entscheiden-
den EinfluB auf die Entwicklung des ->■ Modern Jazz.
Prolatio (lat., von proferre, hervorholen, im Mittel-
alter auch: erklingen lassen, vortragen). In der Lehre
der Mensuralmusik des 13. Jh. wird proferre (erklingen
lassen) haufig benutzt, so bei Franco von Koln: vox
prolata (= vox recta), das wirklich Erklingende, im
Gegensatz zur vox amissa, der Pause (ed. Cserba, S.
231), und proferre im Gegensatz zu notare (ebenda,
S. 255). Von daher leitet sich die allgemeinere Bedeu-
tung von Pr. ab, etwa »Art und Weise des Erklingens
in rhythmischer Hinsicht«, Mensur. So bedeutet partes
prolationis s. v. w. Notenwerte, d. h. Maxima, Longa
usw. (z. B.J. de Muris, CS III, 46a), signa prolationum
s. v. w. Mensurzeichen (Anon. XII, CS III, 492b). Die
speziellere Bedcutung des Wortes pr. geht anscheinend
auf Ph. de Vitry (Ars nova) zuruck, der mit dem bei ihm
haufig vorkommenden Ausdruck pr. temporis die
rhythmische Realisierung des -»■ Tempus, d. h. die Art
und Weise der Unterteilung der Brevis in kleine und
kleinste (minimae) Notenwerte umschreibt. In seiner
Nachfolge wurde dieser Pr.-Begriff dann als Analogon
zu tempus, d. h. als Verhaltnisbegriff aufgefaBt, und
zwar zur Bezeichnung des Verhaltnisses von Semi-
brevis zu Minima. Je nachdem, ob die Semibrevis in
3 oder 2 Minimen unterteilt wurde (♦ = ♦♦♦ oder
♦ = ♦ ♦), sprach man von pr. maior (perfecta) oder pr.
minor (imperfecta). Als Mensurzeichen fiir die pr.
maior verwendete man einen Punkt im Tempuszei-
chen: O = tempus perfectum, pr. maior; G = tempus
imperfectum, pr. maior; O = tempus perfectum, pr.
minor; C = tempus imperfectum, pr. minor.
Lit. : R. Bockholdt, Semibrevis minima u. Pr. temporis,
MfXVI, 1963.
Prolog (griech. 7rp6Xoyo<;, Vorrede), Einleitung, oft
in allegorischer Form, zu dramatischen Dichtungen,
Opern, Balletten, um Zweck und Inhalt des Stiickes
anzukiindigen, die Zuschauer zu begriiBen oder anwe-
sende Personen zu ehren. Pr.e haben z. B. Caccinis und
Peris Euridice (1600) und Monteverdis Orfeo (1607). Fiir
die franzosische Ballettoper und Tragedie lyrique wur-
de der von Italien ubernommene Pr. bis in die 2. Halfte
des 18. Jh. verbindlich; vor und nach ihm wurde die
Ouvertiire gespielt. Seine Musik soil sglanzvoll, voll-
tonend und eher imposant als zart und pathetisch sein«,
ohne aber »die groBen Bewegungen, die man im Stiick
erregen will«, vorwegzunehmen (J.-J. Rousseau 1768).
Da der Pr. inhaltlich oft in keinem Zusammenhang mit
dem folgenden Werk steht, konnte z. B. der Pr. zu
Rameaus Platie (1745) auch allein oder mit Stucken an-
derer Komponisten aufgefuhrt werden. In manchen
Fallen ist der Pr. zu einem kleinen Spiel erweitert und
besteht aus mehreren Nummern (Pr. zu Lullys Phaeton,
1683). Ab etwa Mitte des 18. Jh. wurde auf die einlei-
tenden Pr.e verzichtet und die Pr.e der alteren Werke
wurden nicht mehr aufgefuhrt, sofern sie nicht eng mit
dem Inhalt des folgenden Stiickes zusammenhingen
(so der Pr. zu Salieris Tar are, 1787). Seit dem spaten
19. Jh. wurde die Idee des in die Oper einfiihrenden
Pr.s vereinzelt wieder aufgegriffen (Leoncavallo, Pag-
liacci, 1892; A.Berg, Lulu). - Die Bezeichnung Pr.
wurde im 20. Jh. auch auf Instrumentalmusik iibertra-
gen und im Sinne von Konzertouvertiire oder Intro-
duktion als Uberschrift verwendet (z. B. Reger, Sym-
phonischer Pr. zu einer Tragodie op. 108, 1908; W.Lu-
toslawski fiir den 1. Satz seiner Musique funebre pour
orch. a cordes, 1958).
Prolongement (prolo3m'a, frz.) -*■ Tonhaltungs-
pedal, -> Harmonium.
Prooemium (lat., von griech. TCpoottuov), Einleitung,
instrumentales Vorspiel, Vorrede; in der griechischen
Kitharodie der Gotterhymnus, der einen epischen Ge-
sang einleitete; im 16. Jh. eine humanistische Bezeich-
nung fiir ein frei praludierendes Instrumentalstiick, so
die beiden Prohoemia in re von Kotter.
Lit. : H. Koller, Das kitharodische Prooimion, Philolo-
gus C, 1956.
Proportion (lat. proportio), das Verhaltnis zweier
Zahlen. - 1) Die Theorie der antiken ->• Griechischen
Musik erkannte das Wesen der -*■ Intervalle in den zu-
grunde liegenden Zahlen-Pr.en. Die Untersuchung der
Pr.en und Intervalle, die sich innerhalb der Oktave
konstruieren lassen, bildet seit den Pythagoreern den
Gegenstand der Lehre von der ->■ Harmonia. Als ei-
gentlich harmonische Pr. wurde die Proportio super-
particularis (lmLi6pto<; X6yo?, Uberteiligkeit) be-
stimmt; in ihr ubertrifrt die groBere Zahl immer die
kleinere um eins (,—■). Durch Harmonische Teilung
werden aus der Oktave die iibrigen Intervalle gewon-
nen : 2 : 1 (Oktave) = 3:2 (Quinte) x 4 : 3 (Quarte) usw.
Die einzelnen Arten der Proportio superparticularis
heiBen: proportio dupla (2:1), sesquialtera oder hemi-
olia (3:2, -» Sesquialtera - 1), sesquitertia oder epitrita
(4:3), sesquioctava oder epogdoa (9:8) usw.
- 2) In der -> Mensuralnotation des 15./16. Jh. zeigt die
Pr. eine Wertanderung der folgenden Noten an; da-
bei wird ein Normalwert (-> integer valor notarum)
vorausgesetzt. Sie erscheint in der Form von Briichen,
wobei die unechten Briiche eine Wertverkiirzung
(-> Diminution - 1), die selteneren echten Briiche eine
WertvergroBerung (-> Augmentation - 2) bezeichnen ;
z. B. besagt \, daB im folgenden 2 Semibreves ebenso
lang sind wie zuvor eine. Am haufigsten gebraucht wur-
den die Proportio dupla (j, auch <$ , O, C 2, 2), tripla ( t ,
auch 3) und sesquialtera (j, auch 3) . Folgt ein z weites Pr.s-
Zeichen, so wird die erste Pr. als Ausgangspunkt ge-
nommen. Aufhebung einer Pr. erfolgt durch das um-
gekehrte Zeichen (j wird durch \ aufgehoben) oder
durch ein Mensurzeichen wie im folgenden Beispiel:
Fr. Gaffori, Practica musice, Mailand 1496, Buch IV.
752
Proprium de tempore
Die friiheste Anwendung der Pr. ist in der Tenorbe-
handlung und -notierung der -» Isorhythmie des 14.
Jh. zu beobachten. Noch im 16. Jh. werden Tenores oft
so angelegt, daB die Melodie nur einmal notiert wer-
den muB ; ihre Wiederholung in einer anderen Mensur
wird durch zusatzliche Mensurzeichen vorgeschrieben.
Doch gibt Petrucci in seinen Drucken solchen Stim-
men oft eine »Resolutio« bei, in der die ganze Stimme
in einheitlicher Mensur ausgeschrieben ist (vgl. ApelN,
S. 200 und 202). Im Pr.s-Kanon (->■ Kanon - 3) wer-
den aus einer notierten Stimme mehrere gesungene
Stimmen so abgeleitet, daB die aufgezeichneten Noten
von jeder Stimme nach einem anderen Mensurzeichen
ausgefiihrt werden; z. B. wird im Agnus II aus Josquins
Missa L'homme armi super voces musicales die einzige no-
tierte Stimme vom Tenor im Integer valor, vom Su-
perius in Proportio tripla, vom Bassus in Proportio
dupla (diminutio) gesungen (Faks. nach Glareanus'
Dodekachordon, Basel 1547, S. 442, bei ApelN, S. 196;
vgl. Neue Josquin-GA I, 1, Amsterdam 1957, S. 30).
Komplizierte Pr.en erscheinen haufig in den -> Quel-
len des friihen 15. Jh.(7wB, Ca 6, Ca 11, O, OH), oft
(polyrhythmisch) mit Synkopationsbildungen verbun-
den. Solche komplizierten Pr.s-Bildungen wurden je-
doch bei den Komponisten und Theoretikern der Zeit
nicht einheitlich dargestellt und haben zu vielen Pole-
miken AnlaB gegeben. Pr.s-Vorzeichnung in alien
Stimmen eines Satzes diente wahrscheinlich dazu, die
Notierung in sehr kleinen oder sehr groBen Noten-
werten zu vermeiden. Vor allem erlaubte sie es, die in
der friiheren Mensuralnotation nur bei Longa, Brevis
und Semibrevis mogliche Dreiteilung auch auf kiirzere
Noten werte zu iibertragen. Dem entspricht, daB im 16.
Jh. proportio schlechthin die Proportio tripla und den
im Dreiertakt stehenden -> Nachtanz (Proportz) be-
zeichnete. Die Bedeutung der Pr.en nahm im spateren
16. Jh. im Zusammenhang mit dem Ubergang zum
modernen Taktsystem ab. Doch finden sich noch um
1700 in den Opern A.Steffanis Pr.s-Bestimmungen
I, f 2 und sogar 3 '/ 2 . Im 18./19. Jh. lebte die Pr. in der
-»■ Triole und in verwandten Bildungen fort; ihre im
Laufe des 19. und friihen 20. Jh. zunehmende Verwen-
dung erreichte einen Hohepunkt in der Neuen Musik
der 1950er Jahre. Z. B. wird im ersten Takt von K.
Stockhausens Klavierstuck I (1952) das GrundmaB 4
durch zweimalige Anwendung der Pr. (1 1 : 10 und 7 : 5)
so kompliziert, daB sich als kleinster gemeinsamer
Nenner aller Notenwerte dieses Taktes 770 ergibt :
r 11 : 10 i
( 7:5 r-,
Si
5 mf m f
Awmrvr — 7:5
m
2 "'* 2 *
K. Stockhausen, Klavierstuck I (1952), Takt 1.
Fur die Ausfiihrung ist vorgeschrieben, daB nach Er-
mittlung des Tempos (So schnell, wie moglich) . . . alle
komplizierten Zeitproportionen in Klammern . . . durch
Tempowechsel ersetzt werden konnen.
Lit. : zu 2) : CS III, 95ff. (Ars discantus secundum J. de Mu-
ris) u. 218b (Pr. de Beldemandis) ; Guilelmus Monachus,
De preceptis artis musicae . . . , nrsg. v. A. Seay, = CSM
XI, (Rom) 1965; J. Tinctoris, Proportionale musices, CS
IV, engl. v. A. Seay in: Journal of Music Theory I, 1957;
Fr. Gaffori, Practica musice, Mailand 1496, als: Musicae
utriusque cantus practica, Brescia 1497 u. 6. ; G. Spataro,
Tractato di musica . . ., Venedig 1531 ; S. Heyden, Mu-
sicae, id est, Artis canendi libri duo, Niirnberg 1 53 7, als: De
artecanendi, 2 1540; H. Glareanus, Dodekachordon, Ba-
sel 1547, deutsch v. P. Bohn, = PGfM, Jg. XVI-XVIII, Bd
XVI, Lpz. 1888-90. - E. Praetorius, Die Mensuraltheorie
d. Fr. Gafurius . . ., = BIMG II, 2, Lpz. 1905; WolfN I;
ApelN; C. Sachs, Rhythm and Tempo, NY 1953; H. Hew-
itt, A Study in Pr., in: Essays on Music, Fs. A. Th. Da-
vison, Cambridge (Mass.) 1957; C. Dahlhaus, Zur Theo-
rie d. Tactus im 16. Jh., AfMw XVII, 1960; H. Beck, Die
Pr. d. Beethovenschen Tempi, Fs. W. Gerstenberg, Wol-
fenbuttel u. Zurich (1964); A. Hughes OSB, Mensuration
and Pr. in Early Fifteenth Cent., AMI XXXVII, 1965.
Proportz (von proportio -> tripla), ein ->■ Nachtanz,
im allgemeinen die tripeltaktige Variante des Vortanzes.
Proposta (ital., Vordersatz), der thematische Vorwurf
zu Beginn eines kontrapunktischen Werkes, besonders
des Kanons und der Fuge (-> Dux); Gegenbegriff zu
-> Risposta (- 1).
Proprietas (lat., Eigentumlichkeit), in der Ligaturen-
lehre der -> Mensuralnotation die der »normal« ge-
schriebenen Anfangsnote einer ->■ Ligatur (- 1) zu-
kommende »normale« Bedeutung. Normal geschrie-
ben war diese Note, wenn sie die in der -> Modalno-
tation ubliche Form hatte, d. h. bei absteigender Li-
gatur mit dem charakteristischen Anfangsstrich von
unten her ^ und nS, bei aufsteigender Ligatur ohne
Anfangsstrich 3 und A. Unter normaler Bedeutung
der Anfangsnote ist, wie meist schon in der Modalno-
tation (dort freilich noch ohne teste Regelung), der
rhythmische Wert der Brevis zu verstehen, im Unter-
schied zu der fur die Schlufinote normalen Dauer der
Longa (-> Perfectio - 1). Indent somit der Begriff Pr.
(der aus der Universalienlehre der Scholastik iibemom-
men ist) ausdriicklich die Norm in Schrift und Bedeu-
tung festhielt, erlaubte er nunmehr auch die bewufite
Abweichung. Zur normalen (cum proprietate) kamen
zwei abweichende Arten der Schreibung mit jeweils
verschiedenen Bedeutungen hinzu: sine proprietate
■ , ^ (absteigend ohne Anfangsstrich), J, A (auf-
steigend mit Anfangsstrich) in der Bedeutung einer
Longa, oder aber cum opposita proprietate 1%, ^ und
^, ^ (mit Anfangsstrich von oben her), wobei be-
sonders zu beachten ist, daB an die Stelle der normalen
Anfangsnote (im Werte einer Brevis) hier 2 Noten im
Werte von je einer Semibrevis treten.
Lit.: Fr. Reckow, Pr. u. perfectio, AMI XXXIX, 1967.
Proprium de Sanctis oder Proprium Sanctorum
(lat.) heiBt in den heute gebrauchlichen liturgischen
Buchern der katholischen Kirche (Brevier, Antipho-
nale, Graduale, Missale) der Teil, in dem die wechseln-
den Texte und Gesange f iir alle auf ein bestimmtes Ka-
lenderdatum festgelegten (vor allem Heiligen-)Feste
mit Ausnahme der Zeit zwischen Weihnachten und
Epiphanie stehen. Die Reihe beginnt mit dem 29. No-
vember (entsprechend dem Anfang des Kirchenjahres
am 1 . Adventssonntag) und schlieBt am 26. November.
Eine Erganzung zum Pr. de S. bildet das Commune
Sanctorum. Es enthalt die Texte und Gesange fur Heili-
genf este ohne vollstandiges Eigenformular und £tir das
Kirchweihfest (in DedicationeEcclesiae).
Proprium de tempore (lat.) bezeichnet im Unter-
schied zum -»■ Proprium de Sanctis den Teil der litur-
gischen Bucher, der die jeweils eigenen Gesangs-, Ge-
bets- und Lesungsstiicke von Messe und Offizium aller
Sonntage und beweglichen Feste umfafit. Obwohl im
Offizium auch den Wochentagen jeweils eigene Le-
sungen zugeordnet werden, verf iigen hier jedoch nur
48
753
Proprium missae
bevorzugte Ferialtage - besonders die der Fastenzeit
sowie die Quatember- und Vigiltage - iiber eigene Ge-
bete und Gesange. In seiner Ordnung folgt das Pr. de t.
dem Ablauf des Kirchenjahres vom 1. Adventssonntag
bis zum letzten Sonntag nach Pfingsten. Die zwischen
Weihnachten und Epiphanie stehenden Heiligenfeste
stellen einen Rest der urspriinglichen Reihenfolge mit
ihrer Vermischung von De tempore- und Hefligen-
festen dar.
Proprium missae (lat.) ->• Messe.
Prosa (spatlat.), - 1) in Westfranken im Mittelalter
Bezeichnung der -*■ Sequenz (- 1), naherhin die tex-
tierte Form eines erweiterten Alleluiajubilus, d. h. der
Sequentia im urspriinglichen Sinn. - 2) Der Begriff
»musikalische Pr.« nahm in der Musikanschauung seit
dem friihen 19. Jh. und bis hin zu Reger und Schon-
berg eine wichtige Stellung ein. Nach der Definition
Schonbergs (S. 72) beruht musikalische Pr. auf der
Fahigkeit der musikalischen Sprache, einen »Gedan-
ken« ohne stiitzende Korrespondenzen als in sich sinn-
voll darzustellen; ihr primares Kennzeichen ist das Ab-
weichen von Normen klassischer musikalischer Metrik
durch asymmetrische Gliederung bzw. unregelmaBige
Gewichtsabstufungen. In diesem Sinn beschrieb schon
R. Schumann 1835 die Symphonie fantastique von Berlioz
(-> Komposition). R.Wagner orientierte seine auf eine
musikalische Pr. zielende Argumentation in Oper und
Drama (1851) an den wechselnden Akzentordnungen
der ungebundenen Rede (die durch den -> Stabreim
sinnfallig gemacht werden sollen): denn nichts andres
als eine musikalische Pr. blieb von der Melodie iibrig, die
nur den rhetorischen Akzent eines zur Pr. aufgelosten Verses
durch den Ausdruck des Tones verstarkte (IV, 114). - In H.
Besselers Konzeption der europaischen Musikgeschich-
te sind die gegensatzlichen Begriffe Pr.- und Korre-
spondenzmelodik zentrale Kategorien. Pr.-Melodik ist
hier zweimal einem »Singstil« zugeordnet: der Gre-
gorianik (zusammen mit dem Begriff Stimmstrom;
-> Mittelalter) und der -> Niederlandischen Musik (zu-
sammen mit den Kennzeichnungen Klangstrom und
Varietas).KorrespondenzmelodikbestimmtedieMehr-
stimmigkeit des 12./13. Jh. und dann besonders seit
dem 17. Jh. die Entwicklung bis hin zum reinen »In-
strumentalstil« der Wiener Klassik.
Lit. : zu 2) : Fr. Stein, M. Reger, = Die groBen Meister d.
Musik, Potsdam (1939); A. Schonberg, Brahms the Pro-
gressiv, in: Style and Idea, NY 1950; H. Besseler, Singstil u.
Instrumentalstil in d. europaischen Musik, Kgr.- Ber. Bam-
berg 1953; C. Dahlhaus, Mus. Pr., NZfM CXXV, 1964.
Proslambanomenos (griech.), im griechisch-antiken
->■ Sy sterna teleion der tiefste Ton (A), der dem unter-
sten Tetrachord unten angef iigt wurde.
Prosodie (griech. npoacoSta, von 7rp6?, dazu, und
4>Stj, Gesang), - 1) urspriinglich die im Altgriechischen
mit den sprachlichen Lauten verbundenen »gesangli-
chen« Momente. Als solche galten a) die als sprachliches
-»■ Melos in Erscheinung tretende melodische Stimm-
bewegung, durch die jeweils die akzenttragende Silbe
eines Wortes hervorgehoben wurde (musikalischer im
Unterschied zu dem in europaischen Sprachen sonst
herrschenden dynamischen Akzent), und b) die unter-
schiedliche Silbendauer (-»■ Quantitat). Da diese Mo-
mente in nachklassischer Zeit aus der griechischen Um-
gangssprache allmahlich zu schwinden begannen, wur-
de die Unterscheidung der Akzentarten und die der
Quantitaten zunehmend zu einer Angelegenheit der
Gelehrsamkeit und des Schulwissens. Die bei Aristote-
les (»Poetik« 1456b, 1461a) in Ansatzen faBbare Lehre
von der Pr. bildete seit der Zeit der alexandrinischen
Philologen (2. Jh. v. Chr.), nunmehr erganzt durch
prosodische Zeichen, einen f esten Bestandteil der Gram-
matik. Von den ausfuhrlichen Darstellungen dieser
Lehre, etwa der »Allgemeinen Pr.« des Aelius Herodia-
nos (2. Jh. n. Chr.), sind nur Ausziige erhalten. Laut
Dionysios von Halikarnass (1. Jh. n. Chr.) soil sich das
sprachliche Melos im Tonraum einer Quinte bewegt
haben (De compositione verborum, Kap. 11). Die wenigen
bisher bekannten hellenistisch-spatgriechischen Musik-
fragmente scheinen zu bezeugen, daB die alten musi-
kalischen Akzente in der gehobenen Sprache der Dich-
ter selbst zu jener Zeit ihre Wirksamkeit noch nicht
ganz eingebuBt hatten, obwohl sich in der Umgangs-
sprache der dynamische Akzent wahrscheinlich durch-
zusetzen begann. Nach der schulmaBigen Darstellung
wurden zehn prosodische Zeichen unterschieden, und
zwar primar drei fiir die Akzente (t6voi) und zwei fiir
die Quantitaten (xp6voi), daneben aber auch die nicht
mehr zur Pr. im eigentlichen Sinne gehorigen, als
bloBe Lesehilfen verwendeten Zeichen fiir die beiden
Hauchlaute (7tv£U|xaTa) und fiir drei an der Wort-
grenze vorkommende Besonderheiten (tox&t)), Diese
schematisierte Lehre iibernahmen die spatromischen
Grammatiker (-* Akzent - 1). Die erst ab dem 9. Jh. in
die griechischen Texte konsequent eingetragenen Ak-
zentzeichen waren Vorlaufer der byzantinischen No-
tenschrif t. - 2) Seit dem Humanismus versteht man un-
ter Pr. in erster Linie die Silbendauer. Soweit es sich da-
bei um die antiken Sprachen handelt, wird sie in den
Werken iiber antike Metrik erortert. Dagegen ist die
Anwendung des Pr.-Begriffes auf neuere Sprachen sehr
umstritten, weil die Silbendauer hier nicht als selbstan-
diger, vom dynamischen Akzent prinzipiell unabhan-
giger Faktor erscheint.
Lit. : zu 1) : Herodiani technici reliquae I, hrsg. v. A. Lentz,
Lpz. 1867; H. Steinthal, Gesch. d. Sprachwiss. bei d.
Griechen u. Romern, 2 Bde, Bin 2 1890, Nachdruck Hildes-
heim 1961 ; E. Schwyzer, Griech. Grammatik, = Hdb. d.
Altertumswiss. II, 1, I, Munchen 1939, 21953; E. Pohl-
mann, Griech. Musikfragmente, =Erlanger Beitr. zur
Sprach- u. Kulturwiss. VIII, Nurnberg 1960. FZa
Prospektpfeifen sind die in der Fassade stehenden
Pfeifen der Orgel, die fast immer den -> Prinzipal-
Registern angehoren. Das 19. Jh. baute auch stumme,
aus nichtklingenden Pfeifen bestehende Prospekte. Pr.
haben aus optischem Grunde manchmal Uberlangen
und besonders im Barock auch Verzierungen.
Protus (lat, von griech. rcpcoToc;) -*■ Kirchentone.
Provence.
Ausg. : M. Provence, Le folklore provencal, 4 Bde, Aix-en-
Pr. 1937-39 ; C. Dubrana-Laf argue, Le tresor des danses
provencales I, Avignon 1955; G. Delrieu, Anth. de la
chanson nicoise (Comt6 de Nice): Chansons, rondes,
danses . . . , Nizza (1960).
Lit. : A. Gastoue, La musique a Avignon et dans le Com-
tat du XIV e au XVIII e s., RMI XI, 1904; E. v. Jan, Zur
Gesch. d. prov. Volksliedes, Wiss. Zs. d. Fr.-Schiller-Univ.
Jena II, 1952/53 ; F. Raugel, La maitrise et les orgues de la
primatiale St-Trophime d'Arles, in : Recherches sur la mu-
sique frc. classiquell, Paris 1961/62.
PRS, The Performing Right Society Ltd. (GroBbri-
tannien), -> Verwertungsgesellschaft, Mitglied der
->■ CISAC.
Psalm (griech. <\iaX[i6<;, von (JuxXaw, eine Saite zup-
fen; hebraisch mizmor; lat. psalmus; ital. salmo; frz.
psaume). Unter Ps.en werden in erster Linie die im
->• Psalter (- 1) des Alten Testaments gesammelten 150
Gesange verstanden (seltener auch andere, z. B. Ps.en
Salomons). Der Ps. im engeren Sinne besteht aus einer
Folge von Versen, die sich, weitgehend dem Prinzip
des Parallelismus membrorum folgend, aus zwei, ver-
einzelt auch aus drei Gliedern zusammensetzen. Ps. und
754
Psalm
Psalmodie, urspriinglich wichtige Bestandteile des jii-
dischen Gottesdienstes (->-JudischeMusik), wurden von
den Christen iibernommen und gehorten bereits in apo-
stolischer Zeit neben Lesung und Gebet zu den Bestand-
teilen der Katechumenenmesse. Nach dem Edikt von
Mailand (313) konnteEusebiusvonCaesarea (f339) fest-
stellen, daB »das Gebot, dem Namen des Herrn Ps.en zu
singen, von alien iiberall bef olgt« wurde; um 350bezeugt
Basilius der GroBe die Psalmodie bei den Thebaern, Li-
byern, Syrern, Phoniziern und Arabem, desgleichen in
Palastina und am Euphrat. Zunachst wurden die Ps.en
von der ganzen Gemeinde gesungen, vor allem in den
Vigilien, doch kam es 375 zu einem Verbot der Beteili-
gung von Frauen am Ps.en-Gesang. Entgegen urspriing-
fichen Bestrebungen, alle Ps.en im Laufe eines oder
zweier Tage zu beten, setzte sich die von Benedikt von
Nursia fur das Offizium festgelegte Regelung des
»psalterium per hebdomadam, scriptura per annum« all-
gemein durch. Die vollstandige Kenntnis der Ps.en war
Voraussetzung f iir die Weihe zum Bischof , wurde aber
auch von den Klerikern geringeren Ranges gefordert.
Gesungen wurden die Ps.en im Offizium, bei Trauer-
feierlichkeiten und beim hauslichen Gebet. Im mittel-
alterlichen MeBgottesdienst erfolgte Ps.-Vortrag u. a.
beim Einzug des Klerus (->- Introitus), nach der ersten
Lesung (-»■ Graduale - 1, -*■ Alleluia, -»■ Tractus), bei
der Opferdarbringung (-»■ Offertorium) und bei der
Kommunion (-»• Communio). Charakteristisch fiir die
christliche Kirchenmusik war der reine Vokalvortrag
unter AusschluB von Instrumenten (im Unterschied
zum jiidischen Gottesdienst) ; in Privatandachten wa-
ren Instrumente zugelassen. Der Ps.en-Gesang wurde
vom jiidischen in den christlichen Kultus in mehreren
-»• Psalmodie-Typen iibernommen. Heute unterschei-
det man den eigentlichen Ps.-Gesang (ganze Ps.en im
Offizium) und die nur noch auf einzelne Verse redu-
zierten Antiphonen, Gradualien, Tractus und Alleluia-
gesange. Die urspriingliche Gesangsweise der Ps.en er-
scheint fiir den Vortrag ganzer Ps.en oder groBerer
Teile derselben im Offizium in Gestalt einer f ormelhaf-
ten Rezitation, dem im engeren Sinne so genannten
»Psalmodieren« (-» Psalmtone).
Die Mehrstimmigkeit, die sich in den ersten Jahrhun-
derten ihrer Geschichte als akzidenteller Schmuck kirch-
licher Hochfeste auf kiirzere Textpartien beschrankte,
iibernahm umf angreichere Texte erst mit dem vollstan-
digen Ordinariumszyklus der Messe und seit dem 15.
Jh. auch die Texte der Ps.en. Die in den friihen mehr-
stimmigen Messen ubliche Behandlung der textreichen
Satze (Gloria und Credo) syllabisch nota contra notam
wurde auch in die mehrstimmige Ps.-Vertonung iiber-
nommen; dies hatte auBerdem die Vorziige besserer
Textverstandlichkeit und einer Wirkung von gehobe-
ner Eindringlichkeit und Feierlichkeit. Die Sonderstel-
lung dieser Mehrstimmigkeit kommt mitunter (wie
z. B. bei Rhaw, Vesperarum precum officia, 1540) in der
choralen statt mensuralen Notation zum Ausdruck.
Wahrend italienische Kompositionen den fiir Italien
charakteristischen schlichten homophonen Satz boten,
scheint aus der burgundischen Schule (Binchois) die Ps.-
Komposition im -*■ Fauxbourdon-Satz hervorgegan-
gen zu sein, die in den romanischen Landern iiber 3
Jahrhunderte lang eine Rolle spielen sollte (-»• Falsobor-
done). Noch in der 2. Halfte des 18. Jh. (Lacombe im
AnschluB an Brossard) gait in Frankreich der Fauxbour-
don (allgemein nur noch als homophoner Satz verstan-
den) als typische Technik mehrstimmigen Ps.-Gesangs.
Die in der Anlage der Ps.-Texte mit Vers und Gegenvers
gebotenen Moglichkeiten wurden im alternierenden
Vortrag zweier Chorhalften oder im Wechsel von Solo
(choral) und Chor genutzt. Bei den akkordischen
Satzen wurden offenbar nicht selten Instrumente (z. B.
Orgel oder Lauten) zur Klangverstarkung herangezo-
gen, vor allem wohl dort, wo nur kleinere Vokalen-
sembles zur Verfugung standen (vgl. Rev. de Musicol.
XLDC, 1963, S. 39). Haufig wurde der streng homo-
phone Satz durch die Ubernahme von Elementen der
polyphonen Chortechnik leicht aufgelockert. Um 1500
setzte die rein polyphone Durchkomposition ganzer
Ps.-Texte ein, die in iiber 20 meist 4st. Kompositionen
vonjosquin, dem vielleicht friihesten Komponisten von
polyphonen Ps.-Motetten, sofort eine vollendete Aus-
pragung erfahren hat. Bis zum 17. Jh. war Josquins
Vorbild von groBem EinfluB, im deutschen Sprachge-
biet vor allem auf Stoltzer und Senfl, aber auch auf die
protestantischen Komponisten, die sich - nach Stoltzers
Beispiel (4 Ps.en in der Luther-Obersetzung, 1524-26)
- nun der deutschen Ps.-Motette zuwandten (->- Motet-
te). Fiir ihre Stellung in Deutschland waren dabei ne-
ben anderen Sammelwerken vor allem die Sammlun-
gen der Drucker Petrejus (1538-42) und Berg-Neuber
(1553/54) von Bedeutung. Im Zuge der sich seit dem
ausgehenden 15. Jh. vergrSBernden Stimmenzahl und
des Strebens nach Klangsteigerung liegt die reale
-*■ Mehrchorigkeit des aus paarigen Imitationen und
kontrastierenden Klanggruppen der polyphonen Mo-
tette hervorgegangenen -»■ Coro spezzato in der Ps.-
Komposition (Salmi spezzati). Die vielfaltige Einbe-
ziehung der Instrumente in zum Teil schon obligaten
Besetzungen (G. Gabrieli) wurde am Beginn des 17. Jh.
weiter ausgebildet und eroffnete der Ps.-Komposition
alle Techniken des neuen concertierenden Stils (Salmi
concertati). Der italienische EinfluB (Gabrieli, Monte-
verdi) war gleichermaBen bedeutsam fiir die katholi-
sche und protestantische Kirchenmusik in Deutschland,
wogegen Frankreich seit der 2. Halfte des 17. Jh. in den
von Versailles ausgehenden Motetten einen eigenen
reprasentativen Typus der Ps.-Vertonung schuf, der
durch Verzicht auf artistische Elemente italienischer
Herkunft zugunsten der Textdarstellung charakteri-
siert ist (Ps.-Vertonungen in England: -> Anthem).
Die in der Folgezeit angewandten Kompositionstech-
niken entsprechen iiberall den bei Messe, Motette und
Kantate dargestellten jeweiligen Tendenzen der Kir-
chenmusik. Zu den Hohepunkten der mehrstimmigen
Ps.-Vertonung zahlen Kompositionen u. a. von Pa-
lestrina, Lassus (Ps.i poenitentiales), Schiitz (Becker'scher
Psalter), J. S.Bach (Motetten), B.Marcello (Estro poetico
armonico), Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Liszt,
Brahms, Reger, Strawinsky, Schonberg.
Lit. : A. Buchler, Zur Gesch. d. Tempelmusik u. d. Tem-
pelps., Zs. f. d. alttestamentarische Wiss. XIX, 1899 - XX,
1900; S. Mowinckel, Psalmenstudien, I-VI, Kristiania
1921-24; ders., Offersang og sangoffer, Oslo 1951; A.
Gastoue, Chant juif et chant gr^gorien, Rev. du chant
grtgorien XXXV, 1931; G. d'Alessi, Precursors of A.
Willaert in the Practice of Coro Spezzato, JAMS V, 1952;
H. Avenary, Formal Structure of Ps. and Canticles in
Early Jewish and Christian Chant, MD VII, 1953 ; C. Gin-
dele OSB, Doppelchor u. Psalmvortrag im Friihmittelal-
ter, Mf VI, 1953; K. Ph. Bernet Kempers, Meerstemmig
psalmgezang in de Hervormde Kerk van Nederland, TVer
XVII, 1955; D. Stevens, Processional Ps. in Faburden,
MD IX, 1955; E. Gerson-Kiwi, Artikel Musique (dans la
Bible), in: Dictionnaire de la Bible, Suppl. V, Paris 1957;
Chr. Engelbrecht, Die Psalmsatze d. Jenaer Chorbuchs
34, Kgr.-Ber. Koln 1958; dies., Die Psalmvertonung im
20. Jh., in: Gestalt u. Glaube, Fs. O. Sohngen, Witten
u. Bin I960; H. J. Kraus, Ps., 2 Bde, Neukirchen 1960,
21962; L. Kunz OSB, Untersuchungen zur Textstruktur
solistischer Ps., KmJb XLV, 1961 ; L. Finscher, Zur C. f.-
Behandlung in d. Ps.-Motette d. Josquinzeit, in: H. AU
brecht in memoriam, Kassel 1962; G. Birkner, Psaume
h6braique et sequence lat., Journal of the International
Folk Music Council XVI, 1964.
48*
755
Psalmodie
Psalmodie (griech. (J'^M-vSia; lat. psalmodia) ist
sowohl der Psalmengesang in den modellartigen Sing-
weisen der -> Psalmtone als auch der Kirchengesang in
den aus den Psalmen und Psalmtonen hervorgegange-
nen Gesangsformen. »Psalmodieren« wird daneben in
weiterem Sinn zur Charakterisierung rezitativischen
Singens (z. B. im Volksgesang) verwendet. - Die christ-
liche Kirche folgte zunachst dem jiidischen Kultus mit
seinen verschiedenen Arten von Ps. als Sologesang des
Kantors (mit oder ohne Chorantwort des Volkes) und
als Gemeindegesang. Im 4. Jh. bildeten sich zugleich
mit der Ausgestaltung der gottesdienstlichen Formen
drei psalmodische Haupttypen heraus, die auch heute
noch im liturgischen Gesang iiblich sind: responsoriale
und antiphonale Ps. sowie der Psalmus in directum. -
Die responsoriale Ps. war bereits in den ersten christ-
lichen Jahrhunderten verbreitet und hatte ihren Platz
hauptsachlich im AnschluB an die Lesungen. Der Kan-
tor begann mit der Psalmiiberschrift und mit den
Psalmversen, dazwischen erfolgte Vers um Vers als
gleichbleibender Refrain die Antwort des Volkes (das
schon bald durch die Schola vertreten wurde). Belege
fiir die responsoriale Ps. finden sich fiir die Kirche in
Jerusalem in der 2. Halfte des 4. Jh. (Pilger in Aetheria,
gegen 400), fiir die romische Kirche bei Tertullian, fiir
die mailandische bei Augustinus; auch Isidor von Se-
villa ist sie nicht unbekannt. Als im f riihchristlichen Got-
tesdienst am haufigsten gebrauchte Form des Psalmen-
gesangs wandelte sich die responsoriale Ps. durch Ver-
lagerung des Schwergewichts vom Vortrag der Psalm-
verse (die schliefilich auf einen einzigen reduziert wur-
den) auf den musikalisch reich gestalteten Kehrvers, das
-> Responsorium oder Responsum. - Die antiphonale
Ps. ging ebenfalls aus der synagogalen Praxis hervor
und basiert auf dem Wechselgesang zweier Chore. Im
Orient (nach Basileios dem GroBen) um 375 allgemein
bekannt, war sic, von syrischen Klostern ausgehend,
durch die Monche Flavian und Diodor um 350 in An-
tiochien verbreitet worden und gelangte von hier weiter
ins Abendland, wo sie ihre erste Ausstrahlung von Mai-
land aus durch den hi. Ambrosius (um 386) fand. Die
antiphonale Ps. wurde wahrscheinlich durch einen kur-
zen (Solo-)Gesang eingeleitet (seit dem 4. Jh. schon
-> Antiphon - 2 genannt), der als Einschub zunachst
wohl zwischen alien Versen, sparer unregelmaBiger und
schliefilich nur am Beginn und Ende des Psalms er-
klang. In der MeB-Ps. wurde der Psalmvortrag allmah-
lich auf einen Vers reduziert (-* Introitus) oder (wie in
der -> Communio) vollig auf gegeben. - Der Psalmus
in directum (auch als Cantus in directum, Psalmus oder
Cantus directaneus bezeichnet) weist einen durchge-
henden Vortrag vom ersten bis zum letzten Psalmvers
ohne responsoriale oder antiphonale Bereicherungen
auf. Die Ausfiihrung dieser Ps. obliegt dem ganzen
Chor, scheint aber auf den urspriinglichen und durch-
laufenden Vortrag ganzer Psalmen durch einzelne
Monche zuriickzugehen, so daB der zunachst eben-
falls solistische -»■ Tractus der Messe als wohl Slteste
MeB-Ps. dieser Tradition angeschlossen werden kann.
In der abendlandischen Kirche findet sich der friiheste
sichere Beleg fiir diesen Ps.-Typus um 530 in der Regel
des hi. Benedikt von Nursia, derzuf olge in den Laudes
am Sonntag Psalm 66 »in directum«, ohne Antiphon
gesungen werden soil (Kap. 12) ; in der gleichen Weise
soil die Ps. der Terz, Sext und Non in kleineren Klo-
stern ausgefiihrt werden (Kap. 17) ; auch im ambrosia-
nischen Brevier ist dieser Typus gef ordert (beide Chore
simultan). Ein noch ungesicherter Beleg bei Basileios
dem GroBen (um 375) scheint eine friihe Kenntnis die-
ses Ps. -Typus im Osten zu bezeugen, wo er spater im-
mer wieder genannt wird. - Die Wahl eines schlichte-
ren oder melodisch reicheren Typus erfolgte nach
MaBgabe der liturgischen Stellung des vorzutragenden
Psalms. In der romischen Kirche wurden durch Gregor
den GroBen (f 604) die drei psalmodischen Typen zu-
sammen mit der liturgischen Ordnung endgiiltig fest-
gelegt. Neben ihnen ist das nur zu Beginn der Matutin
gesungene -> Invitatorium zu nennen, dessen Ps. mit
ihrem f ortlaufenden Wechsel von Psalmvers und An-
tiphon noch die urspriingliche Form des Psalmvortrags
beibehalten hat. - Das ganze Mittelalter hindurch wa-
ren die gregorianischen Melodien in ihrer psalmodisch-
typischen Eigenart und ihrem melodischen Bestand er-
halten und gepflegt worden. In der nachhumanistischen
Zeit wurden durch den Reformchoral die Melodien
systemlos beschnitten und damit grundlegende Stilun-
terschiede der psalmodischen Typen groBtenteils ver-
wischt. Die Restauration des traditionellen Chorals un-
ter Pius X. brachte nicht nur die alten Melodien, son-
dern auch den psalmodischen Aufbau des Chorals wie-
der zu voller Geltung.
Lit.: J. Garbaonati, Ricerche sull'antica salmodia am-
brosiana, Rassegna Gregoriana X, 191 1 ; P. Wagner, Ein-
f iihrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 3 1 9 1 1
u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders.,
Untersuchungen zu d. Gesangstexten u. zur responsorialen
Ps. d. altspan. Liturgie, in : Span. Forschungen d. Gorres-
Ges. I, 1, Munster i. W. 1930; E. Jammers, Der Rhythmus
d. Ps., KmJb XXXI, 1936 -XXXIII, 1938; A. Dohmes, La
ps. du peuple dans la liturgie eucharistique des premiers s.,
Rev. du chant gr6gorien XLII, 1938 - XLIII, 1939; E.
Cardine OSB, La ps. des Introits, Rev. grdgorienne XXVI,
1947 - XXVII, 1948; H. Hucke, Ps. als melodisches Ge-
staltungsprinzip, Musik u. Altar V, 1952/53; E. Werner,
Die Ursprunge d. Ps., Kgr.-Ber. v. 2. Internationalen Kon-
greB f. kath. Kirchenmusik, Wien 1954; ders., The Origin
of Psalmody, Hebrew Union College Annual XXV, 1954;
N. H. F. Muller, Die liturgische Vergegenwartigung d.
Psalmen, Diss. Lpz. 1957; W. Apel, Gregorian Chant,
Bloomington/Ind. (1958); H. Avenary, Studies in the
Hebrew, Syrian and Greek Liturgical Recitative, Tel Aviv
(1963); J. Claire OSB, La ps. responsoriale antique, Rev.
gregorienne XLI, 1963.
Psalmtone, die Singweisen der Psalmen. Sie entstan-
den aus der melodischen Formung eines gehobenen Le-
setons und haben im allgemeinen eine dem Parallelis-
mus membrorum ihrer Texte entsprechende 2teilige
Anlage. »Ton« ist hier nicht ausschlieBlich als Tonart,
sondern im alten Sinne auch als Melodie zu verstehen,
so daB mit einem Kirchenton mehrere Ps. verbunden
sein konnen. Die Ps. sind modellartige Singweisen mit
dem Grundgeriist Initium, Tenor (-»■ Tuba - 5, = Re-
zitationston), Mediatio (Mediante, Pausa, = Mittelka-
denz), Tenor und Terminatio (Punctum, = SchluBka-
denz). Ihre Ordnung ist dem System der 8 -> Kir-
chentone angeschlossen. Uberdies besitzt jeder der Ps.
einen bestimmten Rezitationston, der etwa seit dem 11.
Jh. in den authentischen Modi die Oberquinte (1 . , 5. und
7. Modus) oder die Obersexte (3. Modus), in den pla-
galen die Oberterz (2. und 6. Modus) oder die Ober-
quarte (4. und 8. Modus) der Finalis ist (urspriingliche
Ordnung: authentische Modi mit Oberquinte, plagale
Modi mit Oberterz als regelmafiigem Rezitationston).
Die deutliche Scheidung der Ps. setzt also das System
des ->■ Oktoechos voraus, ohne daB dabei schon ihre
Anlage in alien Einzelheiten festgelegt worden ware.
Noch fiir das 10. Jh. belegen die Commemoratio brevis
und der -*■ Tonar im Antiphonar von Hartker (St.
Gallen, Cod. 390/91) eine weitgehend freie Praxis, ge-
gen die sich der Verfasser der Instituta patrum de modo
psallendi sive cantandi (GS I, 5a-8b) wendet. Mit der
Vorherrschaft festgelegter musikalischer Formeln im
Bereich der Psalmodie gewannen die Ps. jene Ausge-
staltung, die seit dem 11. Jh. nicht mehr wesentlich um-
756
Psalterium
gebildet wurde. - In der antiphonischen Offiziums-
psalmodie wird jedem Kirchenton ein Psalmton zuge-
wiesen. Doch kannte das Mittelalter auch eine Reihe
von Nebentonen, die zum groBten Teil nur beschrank-
te Verbreitung f anden und vor allem in den Musiktrak-
taten des Karolingischen Kreises festzustellen sind. Die
modernen Choralbiicher verwenden von ihnen u. a.
noch den ->- Tonus peregrinus. Bei der antiphonischen
Offiziumspsalmodie leitet das Initium in Form einer
einfachen Tonfigur vom SchluBton der vorausgehen-
den Antiphon zum Tenor des Psalmtons iiber. Mit der
Mediatio findet die 1. Vershalfte ihren melodischen
AbschluB (Mittelkadenz). Die nach erneuter Tenorre-
zitation (ohne Binnenmelisma) am Versende stehende
Terminatio weist in den einzelnen Ps.n gewohnlich
mehrere Melodieformeln (-> Differenzen) auf, wobei
die Wahl der Differenz vom Beginn der Antiphon ab-
hangt, da mit ihrer Hilfe der Ubergang vom Psalmte-
nor zum Anfangston der Antiphon erleichtert werden
soil. Auch dem gesungenen Vortrag von -> Magnificat
und -> Benedictus Dominus Deus Israel liegen die For-
meln der antiphonischen Offiziumspsalmodie zugrun-
de, allerdings mit reicherer Ausgestaltung besonders
der Mediatio. - Die Ps. der antiphonischen Mefipsal-
modie kommen beim -> Introitus zur Anwendung,
neuerdings auch wieder bei der ->■ Communio und
beim -»• Offertorium, sofern diese mit Psalmengesang
verbunden werden. Ihre Melodieformeln sind hinsicht-
lich Initium, Mediatio und Terminatio gegeniiber der
antiphonischen Offiziumspsalmodie etwas erweitert.
Besonders hervorzuheben ist, daB auch die 2. Vershalf-
te ein Initium enthalt. - Die mit Psalm 94 (Venite, exsul-
temus Domino) verbundenen Ps. zum ->• Invitatorium
besitzen 3teilige Anlage, die durch Einschaltung einer
zweiten Mediatio hervorgerufen ist. Alle Abschnitte
beginnen mit einem Initium, die Terminatio bleibt
ohne DifEerenzen. In den mittelalterlichen Quellen
wechselt die Zahl dieser Ps. erheblich (z. B. 15 im St.
Galler Cod. 390/91) ; im allgemeinen umfaBt sie 10 (so
auch in der heutigen Praxis), doch verfugen 1. und
8. Kirchenton iiber keinen eigenen Psalmton. Eine For-
mel zum 1 . Modus wird nur von den Zisterziensern be-
nutzt. Die Singweisen der Invitatoriumspsalmodie sind
melodisch noch reicher als die der antiphonischen MeB-
psalmodie. Aus der sehr freien Verwendung des Te-
nors und dem Fehlen von Formeln zum 1 . und 8. Mo-
dus darf geschlossen werden, daB ihre Ausbildung noch
vor der Anerkennung des Oktoechos als Ordnungssy-
stem des Kirchengesangs erfolgte. - Die Ps. zu den Ver-
sen der Responsoria prolixa zeigen gegeniiber den an-
tiphonischen Ps.n eine im Gegensatz von Solo- und
Chorgesang begriindete andere und reichere Form. Ih-
re Eigenart besteht in der melismatischen Ausschmiik-
kung des Initium und (noch starker) der Terminatio,
im Wechsel des Tenors von einer Vershalfte zur ande-
ren (Ausnahme: 5. Kirchenton mit nur einem Tenor)
sowie bei langeren Texten in 2maligem Einschub einer
Mediatio. Die im Mittelalter haufigen Neukompositio-
nen von Responsorien (zum Teil mit metrischen Tex-
ten) lassen eine deutliche Abwendung von den Ps.n zu-
gunsten melodisch freierer Gestaltung erkennen. - Im
Unterschied zu den Responsoria prolixa sind die Re-
sponsoria brevia in ihrer Melodie und im Umfang
ihrer Texte weniger entwickelt, was zur Folge hat, daB
bei einer Reihe von ihnen die Formeln der Ps. nicht nur
den (hierfiir zu kurzen) Vers, sondern auch das Re-
sponsorium umfassen und auf solche Weise zur iibli-
chen Zweiteilung gelangen. Eine groBere Zahl von
Responsoria brevia gehorte urspriinglich zu den Re-
sponsoria prolixa und verwendete daher deren Ps. Die
zum Teil weitgehenden Freiheiten in der Ausbildung
der Ps. zu den Responsoria brevia deuten auf geschicht-
liche Stadien, die von der Forschung noch nicht ge-
klart sind.
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo-
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden
1962; A. Auda, Les modes et les tons de la musique, Briis-
sel 1 9 30 ; G. Murray, The Primitive Psalm-Tones, Liturgy
XVI, 1946; J. Smitsvan Waesberohe SJ, L'evolution des
tons psalmodiques au moyen age, in: Atti del Congresso
internazionale di Musica Sacra (Rom 1950), Tournai 1952 ;
Z. Falvy, Zur Frage v. Differenzen d. Psalmodie, StMw
XXV, 1962; H. Berger, Untersuchungen zu d. Psalm-
differenzen, = KolnerBeitr.zurMusikforschungXXXVII,
Regensburg 1966.
Psalter (von lat. -> psalterium), - 1) das Buch der
Psalmen, in dem 150 Gesange (Rundzahl) verschiede-
ner Herkunft und Gattungen gesammelt sind und
das zu den Schriften des Bibelkanons zahlt. Der Ab-
schluB dieser Sammlung erfolgte vermutlich im 3.
Jh. v. Chr. Die christliche Kirche machte den Ps.
von Anfang an zu ihrem Gebet- bzw. Gesangbuch.
Nach alteren lateinischen Ubersetzungen revidier-
te der hi. Hieronymus um 382 im Auftrag Dama-
sus' I. den Text. Diese Fassung soil nach vorherr-
schender Meinung (bestritten durch D. de Bruyne
in: Revue benedictine XLII, 1930) mit dem Psalterium
Romanum identisch sein, das noch heute in der Peters-
kirche zu Rom verwendet wird und in den Antiphonen
und Responsorien von Missale und Brevier erhalten
blieb. Die zweite, von Hieronymus wahrscheinlich 386
in Bethlehem erstellte Textrevision fand iiber Gallien
allgemeine Verbreitung (daher Psalterium Gallicanum)
und wurde durch Pius V. zur offiziellen Fassung der
romischen Liturgie erhoben. Seit 1945 trat eine neue,
von Pius XII. gutgeheiBene Bearbeitung in den Vor-
dergrund. - Im Unterschied zum hebraischen (maso-
retischen) Bibeltext, dem auch Luther prinzipiell f olgt,
weist die griechisch-lateinische Tradition (Septuaginta,
Vulgata) eine fast durchgehend abweichende Zahlung
der Psalmen auf, da hier die hebraischen Psalmen 9 und
10 sowie 114 und 115 als eine Nummer gezahlt, ande-
rerseits aber die Psalmen 116 und 1 47 in jeweils 2 Stiicke
unterteilt werden. Daraus ergibt sich folgende Gegen-
iiberstellung : Psalm 1-8 (hebraischer Text, Luther-Bi-
bel) = 1-8 (Septuaginta, Vulgata); 9-10 = 9; 11-113
= 10-112; 114-115 = 113; 116 = 114-115; 117-146
= 116-145; 147 = 146-147; 148-150 = 148-150.
- 2) Rhythmischer Ps., eine im 13.-16. Jh. lebhaft ge-
pflegte Form geistlicher Dichtung, die urspriinglich in
jeder ihrer 150 Reimstrophen zum entsprechenden Bi-
belpsalm in Beziehung stand und hauptsachlich der
Christus- und Marienverehrung diente. Bei festgehal-
tener Strophenzahl wurde in spaterer Zeit die Verbin-
dung zum Ps. der Bibel gelockert oder ganz auf gegeben
(vgl. Analecta hymnica XXXV und XXXVI).
Ausg. : zu 1) : Liber psalmorum cum canticis Breviarii Ro-
mani, Rom 1945 ; Biblia Sacra iuxta Lat. Vulgatam versio-
nem (X) : Liber psalmorum ex recensione Sancti Hierony-
mi, Rom 1953; Le Psautier Romain, hrsg. v. R. Weber
OSB, = Collectanea Biblica Lat. X, Rom 1953.
Psalterium (lat.; griech. ^exX-t - /) p tov. von <\ioM,bi,
eine Saite zupfen; ahd. psaltari, saltari, mhd. psalter;
ital. salterio; frz. auch canon; span, canon, -> Ka-
non - 1), eine Rahmen- oder Brettzither, deren Saiten
im Unterschied zum ->■ Hackbrett mit den bloBen Fin-
gern oder einem Plektron gezupft werden. Bevor sich
fur das Hackbrett (ital. salterio tedesco) die gekreuzte
Fuhrung der Saiten iiber 2 erhohte Stege durchsetzte,
ist oft nicht eindeutig zwischen Ps. unci Hackbrett zu
unterscheiden, zumal neben den Plektra zum Zupfen
mitunter auch Kloppel als Plektra bezeichnet werden
und die Spielweise auf Bilddarstellungen nicht immer
757
Psalterium
klar erkennbar ist. - Das Wort tyatlrripiov ist zuerst
mehrfach in Obersetzungen der Septuaginta als Uber-
setzungswort f iir die hebraische Harfe -»■ Newel belegt.
Vom Griechischen herzuleiten ist das aramaische
p(e)santerin, das im 2. Jh. v. Chr. in der Beschreibung
des Orchesters Nebukadnezars (Daniel 3, 5ff.) genannt
wird. Es kann sich hier um eine Zither handeln, denn 2
viereckige Zithern sind auf einem phonizischen Elfen-
beinkasten aus dem 8. Jh. v. Chr. (British Museum) dar-
gestellt. Im abendlandischen Mittelalter sind seit dem
9. Jh. dreieckige (deltaformige; -*■ Rotta - 1) und vier-
eckige (trapezformige) Psalterien belegt; sie werden
beschrieben und allegorisiert in dem unechten Brief des
Hieronymus an Dardanus. Erste Spuren des Inhalts die-
ses Briefes sind bei Hrabanus Maurus um 843 zu finden ;
die Tradition der Instrumenta Hieronymi reicht iiber
Virdung (1511) bis Praetorius (Synt. II). Im Mittelalter
wird oft David mit Ps. dargestellt, nicht selten aber
auch mit Instrumenten, die Merkmale sowohl von der
Leier und der Harfe als auch vom Ps. vereinigen. Auch
der -> Psalter (-1) ist nach dem Instrument Ps. benannt.
Seit dem 14. Jh. sind Psalterien in »Schweinskopf-
Form« nachweisbar, so um 1490 von Hans Memling
(»Christus mit musizierenden Engeln«), von Praetorius
(Synt. II) als Istromento di porco abgebildet. Daneben
ist seit dem 14. Jh. der Halbpsalter (span, medio canon;
frz. micanon) belegt, der durch Halbierung eines Ps.s
entsteht. Paulus Paulirinus nennt um 1460 das 3seitige
Ps. ala integra, den entsprechenden Halbpsalter ala
media. Durch die Halbierung des Schweinskopf-Ps.s
entstand der Typ des Ps.s in Fliigelform. In der 2. Half-
te des 16. Jh. wurde das Ps. voriibergehend als Mode-
instrument bei Frauen . . . sehr gemein, wie der Strafi-
burger Maler Tobias Stimmer berichtet. Im Instru-
mentenbestand der Stuttgarter Hofkapelle von 1589
wird es als Fastnachtsartikel eingestuft.
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), Faks.
hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass.,
Faks. hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius Synt. I
u. II ; J. Reis, Pauli Paulirini de Praga Tractatus de musica,
ZfMw VII, 1924/25; H. G. Farmer, Studies in Oriental
Mus. Instr. I, London 1931; V. Denis, De muziekinstr.
in de Nederlanden en in Italie naar hun afbeelding in
de 1 5 e -eeuwsche kunst I, = Publicaties op het gebied d.
geschiedenis en d. philologie III, 20, Lowen 1944; E. Ko-
lari, Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten Testament,
Helsinki 1 947 ; Le traits des instr. de musique de P. Trichet,
hrsg. v. Fr. Lesure, Ann. Mus. Ill, 1955 - IV, 1956; R.
Hammerstein, Instrumenta Hieronymi, Af Mw XVI, 1959 ;
H. Avenary, Hieronymus' Epistel iiber d. Musikinstr. u.
ihre altostlichen Quellen, AM XVI, 1961 ; H. Steger, Da-
vid rex et propheta, =Erlanger Beitr. zur Sprach- u.
Kunstwiss. VI, Nurnberg 1961.
Pseudonym (griech., s. v. w. falsch benannt; frz. pseu-
donyme, nom de plume), ein angenommener Name,
der die Identitat des Verfassers verbirgt (zu unterschie-
den von -> Anonym). Der deutsche Gesetzestext spricht
nur von Deckname. - Verschiedentlich haben Musiker
literarische (A.Banchieri) oder journalistische Arbeiten
(R. Schumann, R.Wagner) unter Ps.en herausgegeben,
besonders aber Streitschriften (Artusi). In neuerer Zeit
veroffentlichte Marie ->• Lipsius ihre Schrif ten unter dem
Ps. La Mara, M.Bobillier schrieb unter dem Ps. Michel
-> Brenet. Heute spielt das Ps. vor allem bei Kompo-
nisten und Textdichtern der Unterhaltungsmusik eine
Rolle. Besonders produktive und erfolgreiche unter
ihnen schreiben auch unter mehreren Ps.en (ein Name
ist z. B. durch eine bestimmte Gattung festgelegt oder
verliert seine Zugkraft). - Wenn der wahre Name eines
Ps.-Tragers bekannt ist, geniefit das ps.e Werk den nor-
malen Urheberrechtsscnutz; als »bekannt« im Sinne
des Gesetzes gilt ein Ps. schon, wenn es z. B. in der Mit-
gliederliste der GEMA angefuhrt ist. Andernfalls er-
lischt die Schutzfrist f iir ein ps.es Werk 70 Jahre nach
dessen Veroffentlichung, es sei denn, das Ps. war in die
beim Patentamt gefiihrte Urheberrolle eingetragen. -
Die Humanistennamen, die einen volkssprachlichen
Personen- oder Ortsnamen ins Lateinische oder Grie-
chische iibertragen und ihn damit auf die Ebene der
Literatursprache heben (z. B. -»■ Cochlaeus, -»■ Trito-
nius, ->■ Luscinius, -*■ Calvisius, M. -*■ Praetorius), zah-
len nicht zu den Ps.en, ebensowenig die sogenannten
»Kunstlernamen« (in neuerer Zeit z. B. Nelly -* Melba,
Bruno -> Walter). Von letzteren spricht man in der
Musik nur bei Interpreten, die einen solchen Namen
anstelle ihres »biirgerlichen« fiihren.
Lit. : M. Holzmann u. H. Bohatta, Deutsches Ps.-Lexi-
kon.Wienu. Lpz. 1906.
Psychologie der Musik -»■ Musikpsy chologie.
Puerto Rico.
Lit.: R. A. Waterman, Folk Music of P. R., Washington
1947; M. C. de Martinez, La hist, danza de P. R. en el
s. XVI y sus evoluciones, Revista mus. chilena VI, 1950;
M. Deliz, Renadio del cantar folklorico de P. R., Madrid
21952; R. A. Fouche, Transitional Qualities in P. Rican
Folk Music, JAMS IX, 1956.
Punctus, auch Punctum (lat., Strich, Punkt, kleiner
Abschnitt in der Rede), - 1) im Friihmittelalter das Le-
sezeichen fiir die Distinctiones (-*■ Distinctio) eines
Textes. Die verschiedenen Distinktionsgrade (media
distinctio, subdistinctio und plena distinctio) wurden
zunachst durch einen dem SchluBbuchstaben in wech-
selnden Stellungen beigefiigten Punkt angezeigt. Mit
zunehmend musikalischem Charakter der liturgischen
Lektionen in Messe und Offizium wurden die Inter-
punktionspunkte (wohl seit dem 9. Jh.) durch -*■ Neu-
men (- 1) erganzt, welche das Heben oder Senken der
Stimme bei der jeweiligen Distinktion andeuten. Es er-
gaben sich (nach dem von P.Bohn edierten Traktat)
folgende als P. bezeichnete Arten:
P. circumflexus (P. und Flexa) : 7
P. elevatus (P. und Podatus) : J
P. versus (P. und Apostropha) : j
P. interrogativus (P. und Quilisma) : /
Der P. circumflexus zeigte die Media distinctio (Kom-
ma) mit der melodischen Formel la-fa an, der P. eleva-
tus die Subdistinctio (Kolon) mit la-sol-fa-la, der P.
758
Punktierter Rhythmus
versus die Plena distinctio (Periodus) mit la-sol-sol-re;
die Sonderform des P. interrogativus ergab sich bei der
Frage mit la-sol-fa-sol-la. Unter Einwirkung dieser
Interpunktionspraxis, auch als punctatio oder mit punc-
tare bezeichnet, entwickelte sich die vollausgebildete
Neumennotation, in der P. zum Grundzeichen und
zum Namen der (gegeniiber der Virga tieferliegenden)
Einzelnote wurde. Im 13. Jh. nahm P. in der Quadrat-
notation das - noch in heutiger Choralschrif t gebrauch-
liche - Zeichen ■ an, auch p. quadratus vel nota quadrata
(z. B. CS 1, 303a) bzw. seit dem 13. Jh. in der Mensural-
notation Brevis genannt. Vielfach wurde die Bezeich-
nung P. fur Note (nota) schlechthin verwendet, z. B.
gait die Aequalitas punctorum (Gleichzahl der Noten
in verschiedenen Stimmen) als ein Kennzeichen des
friihen -> Discantus gegeniiber dem Organum. Aller-
dings trat P. auch im Sinn von »Abschnitt« auf. An-
onymus IV (CS I, 342) setzt P. mit clausula gleich
(->■ Klausel). Im Traktat des Johannes de Grocheo wer-
den die Teile von Ductia und Stantipes (-> Estampie)
puncta genannt. Ob der von Franco erwahnte organi-
cus p. (ed. Cserba, S. 255; -> Orgelpunkt) auf P. im
Sinn von Note oder von Abschnitt zuriickgeht, ist un-
geklart; moglicherweise wirkten beide Bedeutungen
zusammen. P. contra punctum und der daraus entstan-
dene Begriff -> Kontrapunkt sind von der Sache her
wie auf Grund zahlreicher Worterklarungen (z. B. id est
nota contra notam, CS III, 12 u. 6.; contranota im Traktat
London, Brit. Mus., Add. 21455, f. 11) auf P. im Sinn
von Note zu beziehen, selbst wenn Contrapunctus als
Name der Gegenstimme zum Cantus, also nicht als
Satzprinzip, wohl auch eine Deutung als »Gegen-Ab-
schnitt« zulassen konnte. — 2) In der — »■ Mensuralnotation
werden seit dem 14. Jh. mehrere Arten von P. als Hilf szei-
chen verwendet. In dreizeitiger Messung trennt der P.
divisionis, der seit Petrus de Cruce das Strichlein der
-»• Divisio modi (- 1) ersetzt, zwei perfekte Notengrup-
pen (-> Perfectio - 2). Speziellere Bedeutung haben die
folgenden P. : der P. perfectionis soil in Zweifelsfallen
sicherstellen, daB eine Note perfekt gelesen wird; der
P. imperfectionis wird zwischen 2 Noten gleicher Ge-
stalt gesetzt, um anzuzeigen, daB diese nicht zusammen
eine dreizeitige Gruppe bilden, sondern jede von ihnen
die jeweils benachbarte langere Note imperfiziert
(-*• Imperfektion) ; der P. alterationis bedeutet, daB von
2 folgenden Noten gleicher Gestalt die zweite mit
->■ Alteration (-1) gelesen werden muB. In zweizeiti-
ger Messung bedeutet der P. additionis (oder p. aug-
mentationis; ->• Augmentation - 1) Verlangerung ei-
ner Note um die Halfte ihres Wertes. Der Verdeut-
lichung zusammengehoriger Noten in den oft schwer
zu iiberschauenden Synkopationsbildungen des 14.-
15. Jh. dient der P. demonstrationis (oder p. reductio-
nis, p. syncopationis; -> Synkope). Die Notation des
italienischen Trecentos verwendet den P. nur zur Tren-
nung von Breviseinheiten im System der -> Divisio-
nes. - Der in das Tempuszeichen (Kreis oder Halbkreis)
gesetzte P. prolationis bedeutet ->- Prolatio maior, d. h.
Unterteilung der Semibrevis in 3 Minimen.
Lit. : zu 1) : Der Musiktraktat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E.
Rohloff, = Media Latinitas Musica II, Lpz. 1943. - P.
Bohn, Das liturgischc Rezitativ u. dessen Bezeichnung in d.
liturgischen Buchern d. MA, Mf M XIX, 1 887 ; P. Waoner,
Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien, II Neumen-
kunde, Lpz. 1905, 21912, Nachdruck Hildesheim u. Wies-
baden 1962, S. 88f., S. 117; E. Rohloff, Studienzum Mu-
siktraktat d. J. de Grocheo, = Media Latinitas Musica I,
Lpz. 1930. - zu 2): J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation,
3 Bde, Lpz. 1904, Nachdruck in 1 Bd Hildesheim u. Wies-
baden 1965. KJS
Punkt. - 1) In der modernen Notenschrift wird eine
Note durch einen rechts neben sie gesetzten P. um die
Halfte, durch 2 P.e um drei Viertel, durch 3 P.e um
sieben Achtel ihres Wertes veriangert. Pausen werden
im allgemeinen nicht punktiert; jedoch ist Punktierung
bei der Viertelpause und den kleineren Werten zulas-
sig. Der Verlangerungs-P. ist als Punctus additionis
(-> Punctus - 2) in der Mensuralnotation seit dem 14.
Jh. bekannt. -> Punktierter Rhythmus. - 2) Ein P. iiber
oder unter der Note ist Vortragsbezeichnung fiir
-»■ staccato, in Verbindung mit einem Bogen fiir
-* portato. - 3) Drucke des 16. Jh. fiir Tasteninstru-
mente bezeichnen chromatische -*■ Alteration (- 2) ei-
ner Note durch einen dariibergesetzten P.
Punktieren heiBt im Sprachgebrauch der Buhne die
Versetzung der hochsten oder tief sten Noten einer Ge-
sangspartie um eine Oktave (oder um ein kleineres ak-
kordeigenes Intervall) nach unten bzw. nach oben. Die-
ses unter Umstanden kiinstlerisch anfechtbare Verfah-
ren wird in der Theaterpraxis notwendig, wenn einzel-
ne Partien mit Sangern besetzt werden miissen, denen
der geforderte Stimmumfang nicht zur Verfugung
steht. Vor allem bei Charakterpartien, bei denen die
darstellerische Eignung von besonderer Wichtigkeit
ist, wild an Theatern mit nur einfacher Besetzung der
verschiedenen Facher ein P. der fraglichen Partien oft
unvermeidlich. So ist z. B. das P. der Partie der Carmen
(Bizet) haufig, auch tiefliegende Altpartien zwingen
oft zu solchen Zugestandnissen.
Punktierter Rhythmus. Der Punkt hinter einer No-
te (-> Punkt - 1) bedeutet seit Anfang des 19. Jh. stets
eine Verlangerung des Notenwertes um die Halfte; in
der Notation der Barockzeit konnte er den Notenwert
in bestimmten Fallen auch um mehr oder um weniger
als die Halfte verlangern. Die modernen Zeichen fiir
diese Falle rhythmischer Notation waren noch weit-
gehend unbekannt. In der Taktlehre des Barocks wa-
ren Gesichtspunkte des Affekts und Ausdrucks sowie
der Prosodie, Rhetorik und Poetik (u. a. Kirnberger II,
1, 1776, 4. Abschnitt) fiir die Taktwahl entscheidender
als eine im modernen Sinne bequemere Notationswei-
se. Zur Aufrechterhaltung der Tradition in der Aus-
fiihrung geniigte noch die miindliche Unterweisung.
3 s
Triolen im eigentlichen Sinne (z. B. eine Achteltriole
in einem 3/4-Takt) sind zu unterscheiden von Dreier-
gruppen in einem zusammengesetzten ungeraden Takt
(z. B. 3 Achtel in einem 9/8-Takt), obwohl in beiden
Fallen ein P. Rh. gegen die 3 Noten gesetzt werden
kann. Die Triole wird in Lehrbiichern aus der Mitte
des 18. Jh. noch als eine ziemlich neue Rhythmus-
form bezeichnet; die abgeleitete unregelmaBige Triole
T' 3 3
J J\) J 7 J , J JjJ (oder ahnlich) findet sich in ih-
rer erst spater entwickelten Notationsform bis um 1750
nur auBerst selten (z. B. bei J.S.Bach in BWV 608).
Man wahlte zu ihrer Darstellung die nachstliegenden
Notenwerte, z. B. das punktierte Achtel mit Sechzehn-
tel JTj anstelle unseres heutigen J J^, wenn der Takt
aus den obenerwahnten Griinden nicht geandert wer-
den durfte. Zwingend im Sinne angleichender Spiel-
art sind z. B. in Rameaus Dardanus (Erstausgabe), 5.
Akt, 3. Szene, die Takte 90/91 der Chaconne :
1) P. Rh. gegen Triolen:
Basses
759
Punktierter Rhythmus
(Weitere Beispiele: J.S.Bach, Kantate BWV 70 Nr 3
und Toccata BWV 915, Takte 9, 17, 26, 42, 97 der Fu-
ge.) Ebenso sind vor allem in polyphonen raschen
Satzen fast imrner Punktierungen den Triolen oder den
Dreiergruppen im zusammengesetzten ungeraden Takt
anzugleichen (J.S.Bach, Kantaten BWV 23 Nr 1 und
130 Nr 3; 110 Nr 1 und 147 Nr 6). In den padagogi-
schen Werken der 2. Halfte des 18. Jh. wird versucht,
sowohl die Tradition der Barockzeit zu erhalten als
auch dem neuen Stil gerecht zu werden. So empfiehlt
Quantz fiir die Flote (in mehr homophonen Satzen) ei-
ne Verlangerung der punktierten und eine Verkiirzung
der ihr folgenden Note, damit der Ausdruck brillant
undprdchtig werde. C.Ph.E.Bach und Marpurg treten
in ihren Klavierschulen generell fiir die Angleichung
des P.n Rh. an die Triole ein. Lohlein hatte noch 1765
ebenfalls bedingungslos die angeglichene Spielweise
verlangt, diese Vorschrift aber in der 2. Auflage seines
Lehrbuchs 1773 auf Grund einer Rezension J. Fr. Agri-
colas - der sich auf die Unterrichtspraxis von J. S. Bach
und Quantz bezog - insofern gelockert, als er nunmehr
die Angleichung des P.n Rh. an Triolen auf Stiicke in
raschem Tempo beschrankte (der ganze Absatz ist in
der 6. Auflage, 1804, gestrichen). Noch Turk lafit 1789
(unverandert 1802) beide Moglichkeiten gelten, und
noch 1806 stellte Callcott die Frage nach der korrekten
Wiedergabe einer in P.m Rh. notierten Gesangspartie,
die von gebrochenen Akkorden in Triolen begleitet
wird.
2) Oberpunktierung:/~3 = J- 3
Im Gegensatz zur Abschwachung des P.n Rh. durch
seine Anpassung an Dreiergruppen konnte in jener
Zeit auch eine Verscharfung im Sinne einer Dehnung
der punktierten und entsprechenden Verkiirzung der
kurzen Note (Uberpunktieren) stattfinden, mit und
ohne dazwischengeschobene Pause, etwa:
oder etwa 7"Jl| J - 1" j\\ J sowie auch dann, wenn
nach der punktierten Note oder Pause nicht nur eine,
sondern mehrere kurze Noten standen, wie es u. a. hau-
fig in den langsamen Teilen der Franzosischen Ouver-
tiire zu finden ist (J. S.Bachs Overture nach Franzosischer
Art in H moll, BWV 831 , mit der rhythmisch gleich ge-
meinten, aber ungenauer notierten friiheren Fassung in
C moll). Die damalige Zeit kannte den doppelten oder
gar den 3f achen Verlangerungspunkt nicht. Als Einzel-
f all ist bemerkenswert, daB M. Marais in seinem Second
liure de pieces de viole (1701) den doppelten Verlange-
rungspunkt verwendet hat, wobei er den zweitenPunkt
halb so groB wie den ersten machte. Erst Marpurg 1755
(I, 3, § 4), L.Mozart 1756 (I, 3, § 11) undJ.F. Agricola
1757 (Anleitung zur Singkunst, Faks. hrsg. v. E.R.Ja-
cobi, Celle 1966, II) benutzen den doppelten Verlan-
gerungspunkt im heutigen Sinne sowie C.Ph.E.Bach
in der veranderten 3. Auflage seines Versuchs. Turk gibt
die bis dahin difierenziertesten Vorschriften fiir doppelt
punktierte Noten und Pausen (I, 3, §§ 47 und 50) so-
wie fiir den Vortrag des P .n Rh. entsprechend dem Cha-
rakter eines Stuckes (VI, 3, § 48); der P.e Rh. J.jJ. j
kann wie folgt wiedergegeben werden:
Sin oder J^J"|3 oder 1^11^1
wobei er ausdriicklich bemerkt: Alle moglichen Fiille
sind nicht zu bestimmen. Beachtenswert ist Turks Vor-
schrift: Hin und wieder verlangert man bey mehrstimmigen
Stellen die punktirten Noten nur in Einer Stimme, und spielt
die kurzen Noten beyder Stimmen zu gleicher Zeit, damit
das Ganze mehr iiberein stimme:
$ifi ijfiy i ndmiuhs ° : iiprSP
trr
Beispiele dazu sind J. S.Bach, Partita BWV 827, Alle-
mande, Takt 2 (Beispiel a) sowie Partita BWV 829,
Sarabande, Takt 13 (Beispiel b), wo in der vom Kom-
ponisten selber veroffentlichten Ausgabe die Noten
deutlich wie folgt untereinandergesetzt sind:
Erst die spateren Gesamt- und Urtextausgaben schaff-
ten durch Plazierung der Noten an ihre »korrekte« Stel-
le ein Ausf uhrungsproblem, das friiher nicht bestanden
hatte.
Lit. : Quantz Versuch ; Bach Versuch ; Fr. W. Marpurg,
Anleitung zum Clavierspielen, Bin 1755, 2 1765; Mozart
Versuch; G. S. Lohlein, Clavierschule, Lpz. u. Ziillichau
1765, 21773; D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle
1789, 21802, Faks. hrsg. v. E. R. Jacobi, = DM1 1, 23, 1962.
- A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music of the
XVII tl 'andXVIII tl 'Cent.,London(1916,2l946); G.Horn,
La note pointde dans les ceuvres pour clavecin de J.-S. Bach,
Rev. de Musicol. XIX, 1935; Chr. Dobereiner, Zur Re-
naissance Alter Musik, = Hesses Hdb. d. Musik CI, Bin
1950, 21960; S. Babitz, A Problem of Rhythm in Baroque
Music, MQ XXXVIII, 1952, deutsche Zusammenfassung
in: Musica XVI, 1962; J. Ponte, Problems in the Per-
formance of J. S. Bach's Clavierubung, Diss. Harvard
Univ. (Mass.) 1952, maschr. ; F. Rothschild, The Lost
Tradition in Music . . ., London 1953, deutsch als: Ver-
gessene Traditionen d. Musik, Zurich 1964; Th. Dart,
The Interpretation of Music, London 1954, 3 1958, deutsch
als : Practica musica, = Slg Dalp XXIX, Bern u. Munchen
(1959); E. Harich-Schneider, Uber d. Angleichung nach-
schlagender Sechzehntel an Triolen, Mf XII, 1959, dazu
E. R. Jacobi in: Mf XIII, 1960; E. Bodky, The Interpre-
tation of Bach's Keyboard Works, Cambridge (Mass.)
1960 ; R. Donington, Tempo and Rhythm in Bach's Organ
Music, London 1960; ders., The Interpretation of Early
Music, London 1963, erweitert 2 1965; E. R. Jacobi, Neues
zur Frage »Punktierte Rhythmen gegen Triolen . . . «, Bach-
Jb. XLIX, 1 962 ; A. Geoffroy-Dechaume, Les »secrets« de
la musique ancienne, Paris 1964; Fr. Neumann, La note
pointee et la soi-disant »maniere frc.«, Rev. de Musicol. LI,
1965 ; M. Collins, The Performance of Triplets in the 17 th
and 18'" Cent., JAMS XIX, 1966. ERJ
punteado (span.) -*-Gitarre.
Puy (pfli, frz., altfrz. pui; Etymologie umstritten, viel-
leicht aus lat. podium) bezeichnet seit dem 11. Jh. eine
Biirgervereinigung in nordfranzosischen Stadten, die
vor allem Dichter- und Sangerwettstreite (->■ Jeu parti)
veranstaltete, aber auch den Marienkult und geistliche
und weltliche Spiele pflegte. P.s hat es nachweislich z. B.
in den Stadten Abbeville, Arras (hier war Adam de la
Halle Mitglied), Amiens, Caen, Cambrai, Douai, Le
Mans, Lille, Rouen, Tournai, Valenciennes gegeben.
Noch im 16. und 17. Jh. wurdenP.s gegriindet; zu den
Preistragern des bedeutenden P. von Evreux (1570-
760
1790) gehorte u. a. O. de Lassus mit seiner Motette
Cantantibus organis (1575). - Das Motiv des Sanger-
wettstreits vor einem P. hat R.Wagner im Tannhauser
gestaltet.
Lit. : Th. Bornin u. A. Chassant, P. de musique, 6rig6 a
Evreux, en l'honneur de Madame Sainte-Cecile, Evreux
1 837; A. Bottle de Toulmon, De p. de Palinodes au moyen
age en gen6ral, et de p. de musique en particulier, Rev. frc.,
N. S., Jg. 1838; A. de Lafage, Sainte-Cecile, patronne des
musiciens. Le p. de musique a Evreux, Rev. et gazette mus.
de Paris XIV, 1 847; J. A. Carlez, Le p. de musique de Caen
(1 671-85), in : Bull, de la Soc. des beaux-arts de Caen 1 886 ;
H. M. Schletterer, Mus. Wettstreite u. Musikfesteim 16.
Jh., MfM XXII, 1890; M. de Themines, Ste-Cecile et le p.
de musique, L' Art mus. XV, 1 896 ; H. Guy, Essai sur la vie
du trouvere Adame de la Halle, Paris 1898; M. Brenet,
Les concerts en France sous l'Ancien Regime, Paris 1900.
Pyknon (griech., dicht), in der Theorie der Griechi-
schen Musik Bezeichnung der Folge von zwei Halb-
oder Vierteltonen im chromatischen und enharmoni-
schen -> Tetrachord.
Pyramidenfliigel -> Giraffenklavier.
Pyramidon (pij'semidn, engl.), eine in der Orgel
Mitte des 19. Jh. in England nur vereinzelt gebaute
Labialstimme zu 16' (oder 32') im Pedal, erfunden von
Sir Fr. A.G. -> Ouseley und gebaut von B. Flight. Die
Pfeifen sind trichterformig offen, sehr weit und kurz;
der Klang ist dunkel.
Pyrophpn (griech., zusammengesetzt aus 7cup und
ipcovr), s. v. w. singendes Feuer, Flammenorgel), von G.
Fr.E. -*■ Kastner 1875 erfundenes Instrument, bei dem
Gasflammen in Rohren verschiedener Lange brannten
und Tone in verschiedener Hohe hervorbrachten. Das
Pythische Spiele
Instrument wurde mit einer Klaviatur gespielt; die
Flammen wurden mittels elektrischer Leitungen direkt
durch das Herabdriicken der Tasten angeziindet und
reguliert. Der Tonumfang reichte von C bis c 2 . - W.
-*■ WeiBheimer schrieb Fiinf Geistliche Sonnette fiir
Singst., FL, Ob., Klar., P. und Kl.
/
Pythagoreisches Komma -*■ Komma (- 1), -*■ In-
tervall (Tabelle).
Pythische Spiele, antike Wettkampfspiele primar
musikalischer Art in Delphi, in denen Apollon als Sie-
ger iiber den Drachen Python gefeiert wurde. Im Un-
terschied zu den lokal begrenzten musischen Agone in
Sparta (Karneenfest, bezeugt seit dem 7. Jh. v. Chr.)
und A then (Panathenaenfest, Dionysosfest), hatten die
P.n Sp. - ahnlich wie die sportlichen Wettkampfspiele
in Olympia, Isthmia und Nemea - panhellenischen
Charakter. Den urspriinglich allein iiblichen, mit
-»■ Kithara begleiteten Apollonhymnus (fifivog ig rdv
■fredv, Pausanias X, 7, 2) wurden 586 v. Chr. im Zuge
der Neuorientierung der P.n Sp. auch Aulodie (Gesang
mit Begleitung des -> Aulos) und Auletik (solistisches
Aulosspiel, ohne Gesang) hinzugef iigt. Doch wurde die
Aulodie bald wieder abgeschafft, weil sie nicht fiir
wohllautende Musik gehalten wurde (Pausanias X, 7,
5f.). Bald fand auch die Kitharistik (solistisches Kithara-
spiel, ohne Gesang) Aufnahme in den Wettspielkanon.
Als Sieger in der Auletik wurde Sakadas beriihmt
durch seinen Pythischen -»■ Nomos. Fiir Midas von
Akragas, den Sieger in der Auletik der P.n Sp. von
490 v. Chr., schuf Pindar seine 12. Pythische Ode.
Lit. : D. Kolk, Der pythische Apollonhymnus als aitiolo-
gische Dichtung, Meisenheim a. Gl. 1963.
761
Q
Qanun (arabisch seit dem 13. Jh., bei al-Farabi ma'azif
und sunug; von griech. -*■ Kanon - 1), eine im Vorde-
ren Orient gebrauchliche, dem abendlandischen-*- Psal-
terium vergleichbare Brettzither. Das Q. ist in der neue-
ren Zeit fur das virtuose Spiel beliebter als der -*■ 'Ud.
Es hat in der Regel 26 dreisaitige Chore und wird im
Unterschied zum mit Kloppeln geschlagenen -*■ Santiir
gezupft oder mit Plektron angerissen. Wird es mit bei-
den Handen gespielt, so wird die Melodie oktaviert;
daneben kommt die Spielart vor, bei der die linke Hand
einzelne Saiten verkiirzt. In der Regel jedoch wird auf
dem Q. nicht gegrifien, sondern es muB fiir jeden
->■ Maqam umgestimmt werden.
Lit. : al-FarabI, Kitab al-musiqi al-kablr, frz. als: Grand
trait6 de la miisique, in: Baron R. d'Erlanger, La musique
arabe I, Paris 1930; H. G. Farmer, The Canon and Escha-
quiel of the Arabs, The Journal of the Royal Asiatic Soc. of
Great Britain and Ireland 1926; ders., Studies in Oriental
Mus. Instr. I, London 1931 ; A. Berner, Studien zur arabi-
schen Musik auf Grund d. gegenwartigen Theorie u. Praxis
in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f. Deutsche
Musikforschung II, Lpz. 1937 ; E. Gerson-Kiwi, Zur Vor-
gesch. d. Klavierinstr., Die Harfen, Q.- u. Santurinstr. d.
Vorderen Orients, Tel Aviv 1958 (hebraisch).
Qopuz (turkisch und arabisch; russ. kobza; in weite-
ren Formen wie koboz auch in den Balkansprachen),
eine Kurzhalslaute mit seitenstandigen Wirbeln, die
iiber Byzanz um 800 bei den Slawen bekannt wurde.
In Deutschland nennt Heinrich von Neustadt (Gotes
zuokunft, Anfang des 14. Jh.) neben der Laute die
kobus, womit aber wahrscheinlich eine Mandora ge-
meint ist.
Lit.: M. R. Gazimihal, Kopuz, Ankara 1960.
Quadrille (kadr'i:j, frz.), eine gegenEnde des 18. Jh.
in Paris aufgekommene und am Hofe Napoleons I. be-
liebte Art der ->■ Contredanse, die von wenigstens 4
Paaren im Carre getanzt wurde. Die Qu. bestand zu-
erst aus 5, dann aus 6 Touren: Nr 1 Le Pantalon, Nr 2
L'Ete, Nr 3 La Poule, Nr 4 La Trenis (von dem Tanz-
meister Trenitz eingefiigt), Nr 5 La Pastourelle, Nr 6
La Finale. Die Musik der einzelnen Touren aus jeweils
32 Takten im 2/4- oder 6/8-Takt ist potpourriartig aus
beliebten Musikstiicken, Opern und Operetten zusam-
mengestellt. Die Qu. des 19. Jh. weist viele Abarten
auf, z. B. die Walzer-Qu., die mit einem Walzer endet;
die Qu.-Mignon, bestehend aus Les Rondes, Les Croi-
sees, Les Promenades und La Finale; die Lach-Qu., die
Kegel- und die Kul3-Qu. Eine besondere Abart ist die
Qu. a la Cour (Qu. des Lanciers), die 1856 durch den
Pariser Tanzmeister Laborde erf unden worden sein soil
und in Berlin durch das konigliche Hofballett eingef iihrt
wurde; doch scheint sie bereits um 1817 in Dublin ge-
tanzt worden zu sein. Jede ihrer 5 Touren (Les Tiroirs,
Les Lignes, Moulinet, Les Visites, Les Lanciers) hat 24
Takte, mit Ausnahme der dritten mit nur 16 Takten. -
Der Name Qu. wurde im 18. Jh. zunachst fiir die kreuz-
formige Turnieraufstellung kleinerer Reitergruppen
762
verwendet. - Qu.n komponierten im 19. Jh. u. a. J. B.J.
Tolbecque, Musard und Offenbach; Joh.StrauB (Sohn)
hat etwa 70 Qu.n geschrieben.
Quadrupelfuge (lat. fuga quadruplex, 4fache Fuge),
die selten vorkommende Art der Fuge, bei der 4 The-
men durchgefuhrt werden. Als Qu. bezeichnet ist S.
Scheidts Fantasia . . . super Io sonferito lasso Fuga qua-
druplici (Tabulatura nova 1, 1624). Fiir J. S. Bachs unvoll-
endete Fuge aus der Kunst der Fuge (BWV 1080 Nr 19)
gilt als erwiesen, daB sie als Qu. geplant war und daB in
ihr das Grundthema des gesamten Werkes als viertes
und letztes Thema auftreten sollte.
Quadrupelkonzert ist ein Werk fiir 4 Soloinstrumen-
te und Orchester (A.Vivaldi, op. 3 Nr 10, danach J.S.
Bach, BWV 1065; L.Spohr, op. 131 ; E.Elgar, op. 47;
J.Francaix, 1935, u. a.). Die Qu.e der 2. Halfte des 18.
Jh. (von C.Stamitz, Fr.Danzi, G.G.Cambini, I.Pleyel,
auch W. A. Mozart, K.-V. Anh. 9) sind als ->• Sympho-
nic concertante bezeichnet. Zu den Qu.en gehoren
auch das Concerto grosso (um 1777) von J.Schmitt und
die Concertante (Hob. 1, 105*) von J. Haydn.
Quadruplum (lat. ; engl. quatreble) heiBt im 4st. Or-
ganum (organum qu.) und im 4st. Discantus der Mo-
tette, des Conductus, Hoquetus usw. die vierte und
oberste Gegenstimme zum Cantus (Tenor). ->■ Duplum
(bzw. Motetus), ->■ Triplum.
Quantitat der Silben (in der Antike griech. xP^voi;
lat. tempora, spatia syllabarum), seit dem 17. Jh. neben
GroBe der Silben (Opitz), SilbenmaB (Klopstock) u. a.
gebrauchter Ausdruck, der die unterschiedliche Silben-
dauer bezeichnet. Auf der Unterscheidung langer und
kurzer Silben beruhte die altgriechische und klassische
lateinische Verskunst (quantitierendes, messendes Vers-
prinzip). Die Qu.s-Verhaltnisse in der antiken Dich-
tung werden seit hellenistischer Zeit unter drei Ge-
sichtspunkten behandelt: die Lehre von der -> Proso-
die (- 1) stellt fest, welche Silben als lang, kurz oder an-
ceps galten, die Metrik zeigt, welche Qu.en-Folgen den
einzelnen Versen zugrunde lagen (-»• Metrum - 1), und
die Rhythmuslehre befaBt sich mit der zeitlichen Re-
lation der beiden Qu.en beim (musikalischen) Vortrag
(Lange : Kiirze =2:1, doch gab es Abweichungen von
dieser Norm; -> Rhythmus). Das allmahliche Schwin-
den der Qu. und der Wandel vom musikalischen zum
dynamischen ->■ Akzent (-1) bildeten die Voraus-
setzung fiir die in der Spatantike (christlicher -*■ Hym-
nus - 1) beginnende Neuorientierung der Verstechnik
nach betonten und unbetonten Silben (akzentuieren-
des, wagendes Versprinzip). Auf diesemjiingeren Prin-
zip beruht im wesentlichen die mittelalterliche und
neuzeitliche Dichtung (-> VersmaBe). Der in einigen
neueren Sprachen wie etwa im Deutschen vorhandene
Unterschied zwischen langeren und kiirzeren Voka-
len ist im Verhaltnis zum Akzent von untergeordneter
Bedeutung.
Quartsextakkord
Quart- ... in Zusammensetzung mit Instrumenten-
namen bezeichnet Instrumente, die eine Quarte tiefer
(Qu.-Posaune, Qu.-Fagott) oder hoher (Qu.-Geige,
Qu.-F16te) als die gewohnlichen Instrumente stehen.
Quarte (lat. quarta, vierte; griech. 8ii Teacriipojv), die
4. Stufe in diatonischer Folge. Die musikalische Praxis
kennt die Qu. als rein, vermindert und .
iibermaBig (-»• Tritonus). Die musika-
lische Akustik kennt die reine Qu. als
natiirlich (3:4) und gleichschwebend temperiert ( 5 /i2
der Oktave). - In der Theorie der antiken Griechischen
Musik gilt die Qu. (Diatessaron, -*■ Syllabe) neben Dia-
pason und Diapente als Symphonia (->■ Concordantia,
-> Konsonanz - 1). Sie wird als nicht zusammenge-
setzte Einheit gehort und bildet zugleich (als kleinste
der Symphoniai) den fur die Melodik grundlegenden
feststehenden Rahmen, der im Durchgang durch 2 je
nach Tongeschlecht und -art in Lage und GroBe ver-
schiedene (»bewegliche«) Intervalle ausgefiillt wird
(->• Tetrachord). Auch in den Tonsystemen des Mittel-
alters, vor allem in der Lehre von den -> Kirchento-
nen und in der Theorie des friihen -*■ Organum und
des -*■ Discantus, kommt der als Concordantia (per-
fekte Konsonanz) aufgefaBten Qu. grundlegende Be-
deutung zu. Seit dem 12. Jh., als sich der musikalische
Satz harmonisch an der tiefsten Stimme zu orientieren
begann, wurden jedoch nurmehr Oktave und Quinte
als »vollkommene« Konsonanzen behandelt. Die Qu.
wurde nun als (wenigstens teilweise) dissonant aufge-
faBt und als Intervall zwischen der untersten Stimme
und einer Oberstimme vermieden bzw. »auflosungs«-
bedtirf tig. Jedoch erscheint sie weiterhin regelmaBig als
Intervall zwischen 2 Oberstimmen, z. B. im Terz-Sext-
und im Quint-Oktav-Klang, deren Aufeinanderfol-
ge vor allem anEinschnitten oder am SchluB gebrauch-
lich waren. Die im -> Fauxbourdon und -> Faburden
des 15. Jh. zum Prinzip erhobene Vorrangstellung die-
ser Klange sowie die neue Disposition des Satzes mit
dem Tenor als Mittelstimme fiihrten auch in der Mu-
siktheorie zu einer neuen Bewertung der Qu., die nun
wieder als konsonant gait, sofern sie durch eine dar-
unterliegende Quinte oder Terz gestiitzt wird. In der
Dreiklangsharmonik der spateren Zeit lebt die konso-
nante Auffassung der Qu. in ihrer Erklarung als Um-
kehrung der -*■ Quinte fort, die dissonante in den be-
sonderen Regeln f iir den -> Quartsextakkord. - In der
Melodik der europaischen Musik gilt die Qu. stets als
grundlegendes konsonantes Intervall. Seit dem 16. Jh.
findet sie sich besonders haufig in deutschen Liedern
am Anfang einer Melodie oder Zeile, in der Regel mit
Auftaktwirkung. Besondere Bedeutung erlangten im
16.-18. Jh. BaSmelodien, die stufenweise absteigend
eine Qu. ausfiillen, als Ostinato oder BaBthema, diato-
nisch z. B. in J.S.Bachs Goldberg- Variationen (BWV
988), chromatisch z. B. im Abschiedsgesang der Dido
in Purcells Dido and Aeneas (-> Lamento; -*■ Passus du-
riusculus), sehr haufig auch in der Instrumentalmusik,
so noch in Beethovens 32 Variationen C moll fiir Kl.
(WoO 80). - Qu.n-Akkorde gehoren zu den wichtig-
sten Elementen der Harmonik des 20. Jh. Sie sind ge-
legentlich bereits bei Chopin und Liszt nachzuweisen.
Systematisch wurden sie zuerst in A. Schonbergs I.
Kammersymphonie op. 9 (1906) verwendet, im Zu-
sartimenhang mit dem durch 5 aufeinanderfolgende
aufsteigende Qu.en fiihrenden Qu.n-Thema. Nach
Schonberg haben u. a. Skrjabin (-»■ Mystischer Ak-
kord), Busoni, Strawinsky, Bartok und Hindemith den
Qu.n-Akkord iibernommen. Schonberg (1911, S.
446ff.) stellt die Qu.n-Akkorde als Alterationen von
Terzklangen dar. Einen Schritt weiter geht Webern,
dem die Qu.-Akkorde Norm
fiir die Ableitung neuer Klange
sind (nebenstehendes Beispiel
aus op. 3 Nr 1, Takt 3) : Durch
Alteration werden die Quarten-
Qu.n-Akkord alteriert akkorde zunochniegehortenHar-
monien, diefrei von jeder tonalen Beziehung sind (1912,
S. 37).
Lit.: A. Schonberg, Harmonielehre, Lpz. u. Wien 1911,
5 1960, engl. NY 1947; A. v. Webern, Schonbergs Musik,
in: A. Schonberg, Munchen 1912; H. Erpf, Studien zur
Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 1927.
Quartenakkorde -> Quarte.
Quartett (ital. quartetto; frz. quatuor; engl. quartet)
ist eine Komposition fiir 4 Instrumente oder 4 Sing-
stimmen, auch ein Ensemble von 4 Instrumental- oder
Vokalsolisten. Bis ins 19. Jh. wurde in Deutschland
fiir das instrumentale Qu. die Bezeichnung Quatuor
bevorzugt; im 17./18. jh. begegnet auch ->■ Quatri-
cinium. 2 Violinen, Viola una Violoncello bilden das
->• Streichquartett. Andere Standardbesetzungen sind
das Klavier-Qu. (Kl., V., Va, Vc.) und das Blaser-
Qu. (Fl., Ob., Klar., Fag. oder Fl., Klar., Horn und
Fag.), auBerdem gibt es Qu.e fiir 4 gleiche Instrumente
(z. B. fiir 4 Horner) und gemischte Qu.e (meist fiir Fl.
oder Ob., V., Va und Vc). Konzerte fiir 4 Soloinstru-
mente und Qrchester heiBen ->- Quadrupelkonzerte.
Im Bereich der Vokalmusik besteht ein gemischtes Qu.
aus4SangernverschiedenerStimmlagen(S.,A.,T.,B.).
Zur Literatur fiir (unbegleitetes) Vokal-Qu. konnen
alle 4st. Madrigale, Kanzonetten usw. zahlen; Vokal-
Qu.e mit Klavierbegleitung schrieben u. a. J.Haydn
und Schubert. Manner-Qu.e (2 T. und 2 B.) werden
oft chorisch ausgefuhrt, ebenso Qu.e fiir Frauenstim-
men (2 S. und 2 A.). Im 1. Drittel des 20. Jh. waren (so-
listische) Manner-Qu.e in der Unterhaltungsmusik be-
liebt; sehr bekannt waren die Comedian Harmonists
(Griinder Robert Biberti). - In der Oper ist Qu. eine
Ensembleszene von 4 handelnden Personen beliebiger
Stimmlage mit Orchesterbegleitung. Ein Solo-Qu.
(S., A., T., B.) tritt in groBen Vokalwerken fiir Kon-
zert oder Kirche neben Chor und Orchester (z. B.
Beethoven, Finale der 9. Symphonie; Missa solemnis).
Lit. : J. Saam, Zur Gesch. d. Kl.-Qu. bis in d. Romantik,
= Slg mw. Abh. IX, Lpz. 1933 ; W. Altmann, Hdb. f . Kl.-
Quartettspieler, Wolfenbiittel 1937.
Quartgeige -»■ Violino piccolo.
Quartole (Vierer; ital. quartina; frz. quartolet; engl.
quadruplet), eine fiir 3 oder 6 Noten eintretende Figur
von 4 Noten gleicher Form. Vertritt eine Qu. 6 Noten,
so kann sie als doppelte -> Duole aufgefaBt und mit
Notenzeichen der nachstgroBeren Gattung geschrie-
ben werden.
Quartsextakkord, in der GeneralbaBlehre die mit 4
gef orderte Quarte und Sexte iiber dem BaBton nach den
Vorzeichen der Tonart (in C dur also auch f-h-dl), in
der dur-moll-tonalen Harmonielehre die 2. -> Umkeh-
rung des Dur- bzw. Mollakkords in folgender Verwen-
dung (*) : als Teil einer harmonisierten Dreiklangsbre-
chung (Umkehrungs-Qu. ; Beispiel a), als konsonanter
Durchgangsakkord (Durchgangs-Qu.) oder als Harmo-
nisierung einer Wechselnote (Wechsel-Qu.; Beispiel b)
fl a
i *
_.
b * i
*fe-a —
fJ-
763
Quatreble
Pf
hk
m
du
und als auffassungsdissonanter Vorhalts-
akkord (Vorhalts-Qu.) mit doppelter
Vorhaltsdissonanz (Quarte und Sexte vor
Terz und Quinte; Beispiel c). In neuerer
Zeit erscheint der Qu. gelegentlich auch
als SchluBakkord, z. B. in Strawinskys Histoire
soldat (GroBer Choral) und Cantata.
Quatreble (kw'otjebl, engl.; von lat. quadruplum)
-* Sight.
Quatricinium ist ein Satz zu 4 Stimmen. Die Be-
zeichnung Qu., eine nachtragliche und wenig verbrei-
tete Analogiebildung zu Bicinium und Tricinium, wur-
de in der Musiklehre des 17. und 18. Jh. (J.Theile; J.
Mattheson 1739, S. 357) fur Kontrapunktexempla, in
der gleichzeitigen Stadtpfeiferpraxis fur Blaserstiicke
(->■ Turmmusik) verwendet. .
Quaver (kw'e:va, engl.), Achtelnote; semiqu., Sech-
zehntelnote; demisemiqu., ZweiunddreiBigstelnote;
hemidemisemiqu. , Vierundsechzigstelnote.
Quellen. Die wichtigsten Qu. der Musikgeschichte des
europaischen Mittelalters sind seit dem 9. Jh. (-»■ Gre-
gorianischer Gesang) bzw. seit dem 12. Jh. (jiingeres
-*■ Organum) die Musikhandschriften. Ihr Vorrang ge-
geniiber den erganzenden Zeugnissen iiber altere Mu-
sizierweisen beruht darauf, daB in der europaischen
Musik (und nur in ihr) seither die einstimmige und
mehrstimmige Musik als ->• Komposition untrennbar
verbunden ist mit ihrer Darstellung in Notenschrift.
Aus der Zeit vor 1500 ist jedoch kein Autograph nach-
gewiesen. Die erhaltenen Musikhandschriften sind
wohl ausnahmslos Ergebnis einer Sammeltatigkeit ; die
Qu. und die in ihnen iiberlieferten Werke sind nach
Entstehungszeit und -ort oft weit voneinander entfernt.
In der Regel miissen mindestens 2 Niederschrif ten vor-
ausgegangen sein: diejenige des Komponisten sowie die
fur Ausfuhrung und Weitergabe bestimmte Aufzeich-
nung auf einem einzelnen Blatt oder in einem ->■ Rotu-
lus oder Heft. Da der Text eines Stiicks bei der Zusam-
menstellung einer Sammelhandschrift Veranderungen
erfahren konnte, ist es zuweilen schwierig, nachtragli-
che Eingriffe und die Arbeit des Komponisten gegen-
einander abzugrenzen (ein Beispiel bieten die beiden
Fassungen von Binchois' 3st. Chanson Jamais tant, die
vermutlich altere in PR im Tempus imperfectum cum
prolatione maiori, die vermutlich jiingere in O im
Tempus perfectum cum prolatione minori). Mit Riick-
sicht auf solche Falle ist die musikwissenschaf tliche Edi-
tionspraxis dazu iibergegangen, neben den Ausgaben
von Werken eines bestimmten Komponisten auch
Sammelhandschriften als selbstandige Qu. geschlossen
herauszugeben (z. B. Mo, Ba, Hu, Sq, TuB, Apt, Apel-
Kodex).
Nachfolgend ist eine Auswahl der handschriftlichen
Qu. der mehrstimmigen Musik des Mittelalters bis um
1500 verzeichnet. Weitere Qu. zur mehrstimmigen
Musik: -*■ Cancionero, -*■ Chansonnier, ->■ Chorbuch,
-*■ Liederbiicher, -*■ Rotulus; zur Instrumentalmusik:
->• Lautentabulatur, -> Orgeltabulatur; zur einstimmi-
gen nichtliturgischen Musik: -> Cantigas, -*■ Carmina
Burana, -»• Chansonnier, -> Lauda, -> Liederbiicher,
->• Meistersang, ->■ Minnesang; zur einstimmigen litur-
gischen Musik: ->■ Byzantinischer Gesang (Ausg.),
-*■ Gregorianischer Gesang (Ausg. u. Lit.), -> Tonar. -
Die Auswahl ist nach Sigeki alphabetisch geordnet. Die
Beschreibungen nennen Signatur, Material, Format,
Umfang und Foliierung, Entstehungszeit und -ort des
Manuskripts und seines Repertoires; die Autoren, de-
nen diese sowie ebenfalls zitierte abweichende Anga-
ben entnommen sind, werden genannt. Auf eine kurze
Charakterisierung der Handschrift folgt die Angabe
von Inhalt, Ausgaben und Literatur, letztere mit Be-
vorzugung von Inhaltsverzeichnissen und neuerer
Spezialliteratur.
Zusa' tzliche Abkurzungen in diesem Artikel : StB = Staats-
bibliothek, StUB = Staats- und Universitatsbibliothek,
UB = Universitatsbibliothek. In den Literaturangaben
werden folgende Kurzbezeichnungen benutzt:
BesselerBuF = H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon,
Lpz. 1950; BESSELERSt = ders., Studien zur Musik d. MA
I u. II, AfMw VII, 1925 - VIII, 1926 ; vFiscHERSt = K. v.
Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen
Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen Musik-
forschenden Ges. II, 5, Bern (1956); vFiscHERTr = ders.,
Trecentomusik - Trecentoprobleme, AMI XXX, 1958;
LudwigQu = Fr. Ludwig, Die Qu. d. Motetten altesten
Stils, AfMw V, 1 923 ; LudwigR = ders., Repertorium or-
ganorum recentioris et motetorum vetustissimi stili, I, 1,
Halle 1910, Nachdruck hrsg. v. L. A. Dittmer, NY u. Hil-
desheim 1964, 1, 2 hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa musicae
medii aevi VII, Langen 1961 ; ReaneyM = G. Reaney,
Mss. of Polyphonic Music, 1 l th -Early 14 th Cent., = RISM
B IV 1 , Munchen u. Duisburg 1966.
Ao, Aosta, Bibl. del Seminario maggiore (ohne Signa-
tur); Papier, 272:202; 281 f. (neu) = 25 Fasz., 3 Teile
spater zusammengebunden u. durch 4. Teil erganzt;
nicht vor 1440, Norditalien: kaiserliche Kapelle (Besse-
ler); Repertoire: 1400^10 mit Schwerpunkt 1420-30;
Hauptquelle d. mehrst. geistlichen Musik dieser Zeit;
ca. 200 Stiicke: 1. Teil (Fasz. 2-4), begonnene Slg v.
MeBsatzen, 2. Teil (Fasz. 5-13), vollstandige Slg v.
MeBsatzen, 3. Teil (Fasz. 14-21 u. 1), verschiedene
Gattungen planlos, 4. Teil (Fasz. 22-25), Motetten
(meist f. aktuellen politischen AnlaB); u. a. 129 Ordi-
nariumssatze (auch Satzpaare), 18 Motetten, Antipho-
nen, Introitus, Hymnen, Magnificat.
Lit. : G. de Van, A Recently Discovered Source of Early
15 th -Cent. Music, MD II, 1948 (mit Verz. u. Faks.) ; Besse-
lerBuF.
Apel-Kod. (Feldmann; Birtner: L), Mensuralcod. d.
Magisters N. Apel, Lpz., UB, Ms. 1494 (seit 1945 nur
als Fotokopie); Papier, 315(305): 210; 260 f. (arabisch
= neu) = 22 Fasz.; zwischen 1492-1504, Lpz.; erster
Besitzer: N. Apel; Repertoire: ca. 1475-1500; wichtige
Quelle d. deutschen, besonders geistlichen Musik; ca.
188 Nrn (korrekturbedurftig), meist 3-5st.; Fasz. 1-4;
47 Hymnen; im iibrigen ungeordnet: Messen, Magni-
ficat, Sequenzen, Introitus, Hymnen, geistliche u. welt-
liche Lieder (lat., selten deutsch, oft untextiert), u. a. v.
Adam v. Fulda, Aulen, H.Finck, H.Isaac.
Ausg. : Der Mensuralkod. d. N. Apel I— II, hrsg. v. R. Ger-
ber, = EDM XXXII-XXXIII, Abt. MA IV-V, Kassel
1956-60.
Lit.: H. Riemann, Der Mensural-Cod. d. Magister N.
Apel, KmJb XII, 1 897 (mit Verz.); ders., Hdb.d.Mg. II, 1,
Lpz. 1907, 21920; W. Niemann, Studien zur deutschen Mg.
d. XV. Jh., KmJb XVII, 1902 ; R. Gerber, Die Hymnen d.
Apelschen Kod., Fs. A. Schering, Bin 1937.
Apt, Apt (Provence), Basilique St. Anne, Cod. 16bis;
Pergament u. Papier, 270(-290) : 193(-210) ; 45 f . (neu)
= 6 Fasz.; 1. Viertel 15. Jh. (Besseler), um 1400-17
(Stablein-Harder), Avignon; Repertoire: Ende 14. Jh.
bis ca. 1420; Hauptquelle d. mehrst. geistlichen Musik
d. 14. Jh.; ca. 50 Stucke: u. a. 10 3st. Hymnen u. 34
meist 3st. Ordinariumssatze.
Ausg. : A. Gastoue, Le ms. de musique du tresor d'Apt,
= Publications de la Soc. fr?. de musicologie I, 10, Paris
1936, dazu G. de Van in : AMI XII, 1 940 ; Fourteenth-Cent.
Mass Music in France, hrsg. v. H. Stablein-Harder,
= CMM XXIX, (Rom) 1962, dazu dies., Critical Text,
= MSD VII, (Rom) 1962.
Lit.: BESSELERSt I (mit Verz.); A. Elling, Die Messen,
Hymnen u. Motetten d. Hs. Apt, Diss. Gottingen 1924,
maschr. ; Fr. Ludwig, Die mehrst. Messe d. 14. Jh., AfMw
VII, 1925.
764
Quellen: Calixtinus
As, Assisi, Bibl. Comunale, Ms. 695; Pergament,
212:151; 242 f. (arabisch= neu),r6misch (= alt) ab £. 56,
beginnend mit I, mit Liicken (unvollstandiger Bd) ; um
1280, Paris oder Reims; 6 mehrst. Stiicke: 2 2st. Tro-
pen (f. 2 u. 52'), 1 3st. Kyrietropus (f. 15), 3 2st. Ma-
riensequenzen (f. Ill = LVI, f. 236 = CLXXXIX,
f. 238' = IICC).
Lit. : A. Seay, Le ms. 695 de la Bibl. Comunale d' Assise,
Rev. de Musicol. XXXIX, 1957 (mit Verz.); ReaneyM
(mit Verz.).
B-*Ba.
B-+ Berlin 40021.
Ba (Aubry: B), Bamberg, StB, Ms. lit. 115 (olim Ed.
IV. 6) ; Pergament, 263 : 186 ; 80 f . ; um 1300 Nordfrank-
reich; Repertoire: 2. Drittel 13. Jh. ; bedeutendste Mo-
tetten-Hs. d. Ars antiqua neben Mo; I. Teil (f . 1-64'): 108
Stiicke: 100 Motetten, davon 99 3st. u. 1 4st. (44 lat.,
47 frz., 9 gemischt), in alphabetischer Ordnung nach
Incipits d. Motetustexte, Anhang: 1 Conductus u. 7
textlose Hoqueti; II. Teil (£. 65-80'): Traktat Practka
artis musice v. ->- Amerus u. 2 2st. lat. Motetten.
Ausg. : P. Aubry, Cent motets du XIII e s 3 Bde, Paris
1908 (Faks., Ubertragung u. Kommentar).
Lit. : LudwigQu; BesselerSI II ; J. Handschin, Erforden-
sia I, AMI VI, 1934; ReaneyM.
Berlin 40021 (Feldmann; Birtner: B), Bin, StB, Mus.
ms. 40021 (olim Z 21) ; Papier, ca. 300 : 200 ; 265 f . ; um
1500, Halberstadt; Repertoire: ca. 1475-1500; Haupt-
quelle d. deutschen, besonders geistlichen Musik; ca.
159 Nrn (korrekturbediirftig), meist 4st., haufig 3st.,
selten 5st.: u. a. ca. 13 Messen, 11 Magnificat, Motet-
ten, Hymnen, geistliche u. weltliche Lieder (lat., selten
deutsch), u. a. v. Adam v. Fulda, A.Agricola, Aulen,
H. Finck, Hofhaymer, Isaac.
Lit. : R. Eitner, Cod. Mus. Ms. Z 21 d. Kgl. Bibl. zu Bin,
Mf M XXI, 1 889 (mit Verz.) ; W. Ehmann, Adam v. Fulda,
= Neue deutsehe Forschungen XCIV, Abt. Mw. II, Bin
1936; R. Gerber, Die Sebaldus-Kompositionen d. Berli-
ner Hs. 40021, Mf II, 1949.
Bes, Besancon, Bibl. Municipale, Ms. 1.716; erhalten nur
d. Inhaltsverz. ; Repertoire: 13. Jh.; 57 Stiicke: (nach d.
iiberlieferten Anfangen vermutlich) 53 Doppel- u. 4
Tripelmotetten (ca. 23 lat. u. 34 frz. Texte).
Lit. : LudwigQu ; BesselerSI II ; Y. Rokseth, Polyphonies
du XIII* s., Bd IV, Paris 1939.
BL, Bologna, Civico Museo bibliogr. mus. (olim Li-
ceo mus.), ms. Q 15 (olim 37); Papier u. Pergament,
280:200; 312 f. (kombiniert rbmisch = alt, arabisch =
neu) + Einschiibe f. I-XX u. f. AI-AXIH = 29 Fasz.;
vor 1440, Oberitalien; Repertoire: ca. 1400-35; Haupt-
quelle d. Dufay-Zeit; ca. 325 Stiicke: 143 3-4st. Or-
dinariumssatze (Satzpaare u. vollstandige Zyklen),
2-5st. Motetten, 3st. Hymnen, Magnificat, Rondeaus,
Balladen.
Ausg. : S. Clercx-Lejeune, J. Ciconia, = Acad. Royale de
Belgique, Classe des beaux-arts, Memoires II, 10, la-b,
Brussel 1960 (Faks. u. Ubertragung) ; G. Dufay, GA, hrsg.
v. G. de Van u. H. Besseler, = CMM I, (Rom) 1947ff.
Lit.: G. de Van, Inventory of Ms. BL, MD II, 1948. -
BESSELERSt I ; BesselerBuF.
Br -y Brux 5557.
Breslau 2016, Breslau, Univ., Mus. Inst., Mf. 2016 (seit
1945 verschollen); Papier, 330:230; 157 f. (neu) = 13
Lagen; um 1500, sicher vor 1510, Grenzgebiet Boh-
men-Schlesien; Repertoire: ca. 1475-1500; wichtige
Quelle d. deutschen, besonders geistlichen Musik; ca.
95 Nrn, meist 3- u. 4st., selten 2- oder 5st. : 6 Messen,
u. a. v. Aulen, Weerbeke, Isaac, ca. 60 Motetten, Hym-
nen, Magnificat, 12 textlose Stiicke, 4 weltliche Stiicke.
Lit.: Fr. Feldmann, Zwei weltliche Stiicke d. Breslauer
Cod. Mf. 2016, ZfMw XIII, 1930/31 ; ders., Der Cod. Mf.
2016 . . . , 2 Bde, = Schriften d. Mus. Inst, bei d. Univ. Bres-
lau II, 1-2, Breslau 1932 (Verz. u. Kommentar, Ubertra-
gung v. 26 Stiicken); ders., Musik u. Musikpflege im ma.
Schlesien, = Darstellungen u. Qu. zur schlesischen Gesch.
XXXVII, Breslau 1938; ders., Alte u. neue Probleme um
Cod. 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ. Breslau, Fs. M. Schnei-
der, Lpz. (1955).
Brux 5557 (Kenney: BR 5557), Brussel, Bibl. Royale,
ms. 5557; Papierchorbuch, 370:276; 136 f. = 12 La-
gen; 2. Halfte 15. Jh., Hofkapelle v. Burgund; Reper-
toire : geistliche Musik zwischen 1450-75 ; Hauptquelle
f. Busnois u. Frye; 21 Nrn: 11 Messen, 7 Motetten, 2
Magnificat, 1 Hymne; meist 3- u. 4st., selten 2st., u. a.
v. Busnois (7 Motetten), Cockx, Dufay, Frye (3 Mes-
sen), Heyns, Ockeghem, Regis.
Ausg. : W. Frye, GA, hrsg. v. S. W. Kenney, = CMM XIX,
(Rom) 1960.
Lit. : Ch. Van den Borren in : AMI V, 1933 ; ders., Etudes
sur le XV e s. mus., Antwerpen 1941 ; S. W. Kenney, Ori-
gins and Chronology of the Brussels Ms. 5557 . . ., RBM
VI, 1952; E. H. Sparks, The Motets of A. Busnois, JAMS
VI, 1953.
BU, Bologna, Bibl. Universitaria, 2216; Chorbuch,
Papier, 400:290; 57 f. (alte Zahlung: S. 1-114); nach
1423, kirchliche Gebrauchs-Hs., vermutlich Brescia;
Repertoire: Anfang 15. Jh.; Hauptquelle d. Dufay-
Zeit neben BL; 92 Stiicke, davon 21 2st. u. 66 3-4st. in
IV Teilen nach urspriinglichem Plan : I (f . 1-16), Kyrie -
Gloria, II (f. 17-32), Credo - Sanctus - Agnus Dei, III
(f. 33-48), Motetten, IV (f. 49-57), weltliche Stucke,
durchweg zahlreiche Nachtrage.
Lit. : H. Besseler, The Ms. Bologna Bibl. Univ. 2216, MD
VI, 1952.
Bux, Buxheimer Orgelbuch, Munchen, StB, Cim 352b
(olim Ms. mus. 3725); Papier, 310:215; 167 f . = 9 Fasz.
(vermutlich spater zusammengebunden); 1460-70, siid-
deutscher Raum (Besseler), Munchen (Wallner); Re-
pertoire: 15. Jh. (alt u. jung gemischt); groBte Hs. mit
Musik d. 15. Jh. f. Tasteninstr. ; 256 Nrn = ca. 250
Stucke: 109 deutsehe Liedbearb., ca. 55 frz., 7 ital., 51
lat. Stucke, 27 freie Instrumentalstucke, alle zumeist
3st., ofter 2st., selten 4st. ; ferner 4 Fundamenta.
Ausg.: Das Buxheimer Orgelbuch, hrsg. v. B. A. Wall-
ner, = DM1 II, 1, 1955 (Faks.); Das Buxheimer Orgelbuch,
hrsg. v. ders. (u. R. Blume), = EDM XXXVII-XXXIX,
Abt. MA VII-IX, Kassel 1958-59, dazu M. Schulerin: Mf
XVI, 1963.
Lit. : H. Schnoor, Das Buxheimer Orgelbuch, Diss. Lpz.
1919, maschr., Auszugin: ZfMw IV, 1921/22; L. Schra-
de, Die hs. Uberlieferung d. altesten Instrumentalmusik,
Lahr 1931 ; W. Schrammek, Das deutsehe Lied in d. deut-
schen Orgeltabulaturen d. 15. Jh. ..., Diss. Jena 1956,
maschr.; ders., Zur Numerierung im Buxheimer Orgel-
buch, Mf IX, 1956; E. Southern, An Index to Das Bux-
heimer Orgelbuch, Notes II, 19, 1961/62; dies., The Bux-
heim Organ Book, = Musicological Studies VI, Brooklyn/
N. Y. (1963); dies., Basse-Dance Music in Some German
Mss. . . ., in: Aspects of Medieval and Renaissance Mu-
sic, Fs. G. Reese, NY (1966) ; H. R. Zobeley, Die Musik d.
Buxheimer Orgelbuches, = Miinchner Veroff. zur Mg. X,
Tutzing 1964.
Cadu.Call, Cambrai, Bibl. Municipale, Ms. 6 u. 11 ;
Chorbucher, Pergament, 510:335 u. 490:350; 38 f. u.
51 f.; um 1435, Cambrai; Repertoire: um 1430-35;
wichtige Quelle d. Dufay-Zeit; Ca 6: 22 Stucke, da-
von 6 1st., 13 3-4st. Ordinariumssatze (auch Gloria-
Credo-Paare), 3 3st. Hymnen; Ca 11: 26 Stucke, da-
von 7 1st., 19 3-4st. Ordinariumssatze (in Gruppen v. 5
Kyrie, 7 Gloria u. 7 Credo). Zahlreiche gemeinsame
Stucke.
Lit. : BESSELERSt I; BesselerBuF.
Calixtinus-Kod. (Reaney: Compostela), Santiago de
Compostela, Arch, de la Catedral, Liber Sancti Jacobi;
Sammel-Hs., Pergament, 295:210; 196 f. + 29 Blatter
765
Qudlen:Cf>473
(= Chronik Pseudo-Turpins) ohne Zahlung zwischen
f. 162 u. 162'; urn 1140 (Ludwig, Handschin, P.Wag-
ner, Angles), nach 1173 (Reaney), Frankreich (P.Wag-
ner, Stablein), Flandern (Angles); Repertoire: 12. Jh.;
mus. Teil : Liber I (£. 1-65) : l-2st. Stiicke zur Jacobus-
Li turgie; Anhang (f. 185-196'): 20 mehrst. u. einige
1st. Stucke.
Ausg. : Die GesSnge d. Jakobusliturgie . . . , hrsg. u. kom-
mentiert v. P. Wagner, Freiburg i. d. Schweiz 1931 ; Liber
Beati (Sancti) Jacobi, Cod. Calixtinus, 3 Bde, hrsg. v. W.
M. Whitehill, G. Prado OSB u. J. Carro GarcIa, San-
tiago de Compostela 1944 (Text, Faks., Ubertragung u.
Kommentar).
Lit. : Fr. Ludwig, Studien fiber d. Gesch. d. mehrst. Musik
im MA II : Ein mehrst. StJakobs-Offiziumd. 12.Jh.,KmJb
XIX, 1 905 ; A. Hamel, Uberlief erung u. Bedeutung d. Liber
Sancti Jacobi u. d. Pseudo-Turpin, in: Sb. Miinchen 1950,
H. 2; H. Angles, Die Mehrstimmigkeit d. Calixtinus . . .,
Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 (dort weitere Lit.) ; Br. Stablein,
Modale Rhythmen im St-Martial-Repertoire ?, Fs. Fr. Blu-
me, Kassel 1963 ; J. Schubert, Zum Organum d. Cod. Ca-
lixtinus, Mf XVIII, 1965, vgl. dazu: Mf XIX, 1966, S.
180ff.;REANEYM.
Cb 473 -»■ WiTr.
Ch, Chantilly, Musee Conde, Ms. 564 (olim 1047);
Pergament, 387:286; 77 f. (ursprunglich 72 f., wovon
12 f. verlorengingen, Zusatze im 15. Jh.); ital. Kopie,
Anfang d. 15. Jh., vermutlich Florenz, nach frz. Vor-
lage um 1390-1400, vermutlich Foix oder Aragon (Rea-
ney) ; Repertoire: fast nur weltliche Musik v. 2. Drittel
d. 14. Jh. - ca. 1420 (Nachtrag: Cordier); wichtige
Quelle d. frz. Musik d. 2. Halfte d. 14. Jh.; 113 Stucke
(1 doppelt), meist 3- u. 4st., frz. u. lat. : 70 Balladen, 14
Rondeaus, 3 Rondeaurefrains, 12 Virelais, 1 Chanson,
13 isorhythmische Motetten.
Ausg.: French Secular Music of the Late 14 th Cent., hrsg.
v. W. Apel, = The Mediaeval Acad, of America Publica-
tion LV, Cambridge (Mass.) 1950; Zehn datierbare Kom-
positionen d. Ars nova, hrsg. v. U. Gunther, = Schriften-
reihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg II, Hbg 1959; The Motets
of the Mss. Chantilly . . . and Modena . . ., hrsg. v. ders.,
= CMM XXXIX, (Rom) 1965.
Lit. : G. Reaney, The Ms. Chantilly, Musee Conde 1047,
MD VIII, 1954 (mit Verz.); S. Clercx-Lejeune in: RBM
X, 1956; dies, in: L'Ars nova, = Les Colloques de Wegi-
mont II, 1955, Paris 1959, S. 75-81; U. Gunther, Der mus.
Stilwandel d. frz. Liedkunst in d. 2. Halfte d. 14. Jh., Diss.
Hbg 1957, maschr.; dies., Die Anwendung d. Diminution
in d. Hs. Chantilly 1047, AfMw XVII, 1960; dies., Der Ge-
brauch d. tempus perfectum diminutum in d. Hs. Chantilly
1047, ebenda; dies., Das Ende d. ars nova, Mf XVI, 1963.
Chi, Chigi-Kod., Rom, Bibl. Vaticana, Chigiano C.
VIII.234; Chorbuch, Pergament, 370:278; 289 f. (ara-
bisch= neu);Endel5.Jh. (Besseler), 1498-1503, Nach-
trage nach 1514 in Spanien (Kellmann), Flandern;
erster Besitzer: Van der Hoyen (Besseler), Philipp der
Schone (Kellmann); Repertoire: geistliche Musik d.
Niederlander; Hauptquelle f. Ockeghem; 41 Nrn:
u. a. 13 Messen (3 unvollstandig) u. 2 Motetten v.
Ockeghem, weitere 7 Messen u. 18 Motetten v. seinen
Zeitgenossen.
Ausg. : J. Ockeghem, GA I-II, hrsg. v. Dr. Plamenac, Lpz.
1927 u. NY 1947.
Lit. : H. Kellmann, The Origin of the Chigi Cod. . . . ,
JAMS XI, 1 958 (mit Verz.). - Dr. Plamenac, J. Ockeghem
als Motetten- u. Chansonkomponist, Diss. Wien 1925,
maschr.; H. Besseler, Von Dufay bis Josquin, ZfMw XI,
1928/29; W. Stephan, Die burgundisch-nld. Motette zur
Zeit Ockeghems, = Heidelberger Studien zur Mw. VI,
Kassel 1937.
CI (Rosenthal: CL), Ms. de La Clayette, Paris, Bibl.
Nat., n. a. frc. 13521; Pergament, 262:184; mus. Teil:
£. 369-390' (neu) = f . 729-772' (alt) = 1 Fasz. ; 2. Halfte
13. Jh., He de France; Repertoire: ca. 1225-50; wichti-
ge Motetten-Hs. d. Ars antiqua; 55 Motetten, da von 7
lat. (6 3st., 1 4st.), 35 frz. (26 3st., 7 4st., 2 2st.) u. 13 ge-
mischt (8 3st., 5 4st.).
Ausg. : Ein altfrz. Motettenkod., Faks. d. Hs. La Clayette,
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa musicae medii aevi VI,
Darmstadt 1958; Paris 13521 . . ., hrsg. v. L. A. Dittmer,
= Publications of Mediaeval Mus. Mss. IV, Brooklyn/
N. Y. (1959; Faks. u. Ubertragung).
Lit. : A. Rosenthal, Le Ms. de la Clayette retrouve, Ann.
Mus. I, 1953 (mit Verz.); S. Solente, Le grand recueil La
Clayette a la BN, Scriptorium VII, 1953 ; L. Schrade, Un-
known Motets in a Recovered B^-Cent. Ms., Speculum
XXX, 1955; M. F. Bukofzer, The Unidentified Tenors in
the Ms. La Clayette, Ann. Mus. IV, 1956 ; ReaneyM.
Compostela ->• Calixtinus-Kodex.
CS 14 u. CS 15, Rom, Bibl. Vaticana, Cappella Sistina
14 u. 15; Chorbucher, Papier, beide 550:420; CS 14:
1 69f . ; nach 1481 , altestes Chorbuch d. Cappella Sist. ; Re-
pertoire: 2. u. 3. Viertel d. 15. Jh,; wichtige Messen-Hs.;
Messen (»L'homme arme«) u. MeBteile, u. a. v. Dufay,
Busnois, Regis, Caron, Ockeghem, Eloy ; CS 15: 265 f . ;
um 1500, wahrscheinlich unter Papst Julius II.; Reper-
toire: 2. u. 3. Drittel d. 15. Jh.; groBte u. reichhaltigste
Hymnen-Slg d. Zeit; 28 Hymnen (f. 1-70), 13 Magni-
ficat, 41 Motetten, u. a. v. Dufay, de Orto, Josquin,
Compere, Gaspar.
Lit. : Fr. X. Haberl, W. du Fay, = Bausteine f . Mg. I,
Lpz. 1885, S. 72ff.; R. Gerber, Romische Hymnenzyklen
d. spaten 15. Jh., AfMw XII, 1955.
Da, Darmstadt, Hessische Landes- u. Hochschulbibl.,
Hs. 3471 (Teile friiher auch unter d. Signatur 3317 u.
3472); Pergament, 205:150; insgesamt 13 f. = Frag-
mente einer Motetten-Hs. ; vermutlich Anfang d. 14.
Jh., Nordfrankreich, Nachtrage im Dominikanerklo-
ster Wimpfen/Neckar, um 1470 zerschnitten u. als
Einbindematerial verwendet; Repertoire: 13. Jh. ; Reste
einer bedeutenden Quelle geistlicher Musik d. Ars an-
tiqua; 23 Stucke: 5 3st. Doppelmotetten, Fragmente v.
10 3st. Doppelmotetten, 5 3st. Conductus, je ein 2st.
Organum, 2st. u. 1st. Conductus.
Ausg. : Die Wimpfener Fragmente . . . , hrsg. v. Fr. Genn-
rich, = Summa musicae medii aevi V, Darmstadt 1958
(Faks. u. Rekonstruktion).
Lit.: LudwigQu; Fr. Gennrich, Bibliogr. d. altesten frz.
u. lat. Motetten, = Summa musicae medii aevi II, Darm-
stadt 1957.
Di(Dij), Dijon, Bibl. de la Ville, ms. 517, -> Chanson-
nier.
Egerton 3307 (Bukofzer: LoM), London, Brit. Mus.,
Egerton 3307; Pergament, 292:222; 88 f. = 12 Lagen
(unvollstandiger Bd); vor 1450, St. George's Chapel,
Windsor (Schofield, Mc Peek), Abbey of Meaux, York-
shire (Bukofzer); Repertoire: ca. 1425-40; wichtige
Quelle d. engl. Musik in d. 1. Halfte d. 15. Jh.; 53
l-3st. Stucke: u. a. 1 Messe, 2 Passionen, Carols.
Ausg. : Gw. S. Me Peek, The Brit. Mus. Ms. Egerton 3307,
London 1963 (mit Verz. u. Kommentar), dazu Fr. LI. Har-
rison in: ML XLV, 1964; J. Stevens, Mediaeval Carols,
= Mus. Brit. IV, London 1952.
Lit.: B. Schofield, A Newly Discovered ^'"-Cent. Ms.
. . ., MQ XXXII, 1946; M. F. Bukofzer, A Newly Dis-
covered lSU'-Cent. Ms. ..., MQ XXXIII, 1947; ders.,
Studies in Medieval and Renaissance Music, NY (1950);
Gw. S. Mc Peek, Dating the Windsor Ms., JAMS III, 1 950;
R. L. Green, Two Medieval Mus. Mss. ..., JAMS VII,
1954.
Em (MtiEtn), Miinchen, StB, Cod. lat. 14274 (zeitweise
auch Mus. Ms. 3232a); Papier, ca. 290:210; 158 f. (f.
37-38 fehlen) = 13 Fasz.; Sammel-Hs. aus d. 2. Drittel d.
15. Jh.; Repertoire: letztes Viertel d. 14. Jh. bis 1430/40;
periphere Quelle d. franko-flamischen u. friihen deut-
schen Mehrstimmigkeit; 277 Nrn, meist 2-4st. geist-
lich u. weltlich, u. a. v. Dufay, Binchois, Dunstable.
Lit. : K. Dezes, Der Mensuralkod. d. Benediktinerklosters
766
Quellen: Hu
Sancti Emmerami ..., ZfMw X, 1927/28 (mit Verz.);
BESSELBRSt. I ; BesselerBuF.
EscA, El Escorial, Bibl., ms. V. III. 24, -*■ Chansonnier.
EscB, El Escorial, Bibl., ms. IV. a. 24, -> Chansonnier.
F-*-FP.
F, Florenz, Bibl. Mediceo-Laurenziana, plut. 29,1;
Pergament, 232: 157; 440 f. = f. 1-355 (romisch = alt)
mit Lucken 4- f. 356-476 (arabisch = neu; unvollstan-
diger Bd) = 11 Fasz. (27 Lagen); Ende 13. Jh., Frank-
reich; Repertoire: 2. Halite 12. Jh. - 1. Halfte 13. Jh. ;
reichhaltigsteHs. d. Notre-Dame-Schule, Sammel-Hs.;
1043 Stticke: u. a. Fasz. 1: 4st. Organa u. Conductus,
3st. Klauseln, Fasz. 2: 3st. Organa, Fasz. 3-4: Magnus
liber (zweitalteste u. umfangreichste Fassung), Fasz. 5 :
Ersatzklauseln, Fasz. 6: 3st. Conductus, 4- u. 3st. Mo-
tetten, Fasz. 7: 2st. Conductus, Fasz. 8: 3st. Motetten,
Fasz. 9: 2st. Motetten, 3st. Doppelmotetten, Fasz. 10-
11 : 1st. Conductus u. Rondelli.
Ausg.: Faks. I, hrsg. v. L. A. Dittmer, = Publications of
Mediaeval Mus. Mss. X, 1, Brooklyn/N. Y. (1966); Die 3-
u. 4st. Notre-Dame-Organa, hrsg. v. H. Husmann, = PaM
XI, Lpz. 1940.
Lit. : LudwigR I, 1 (mit Verz.) ; J. E. Knapp, The Poly-
phonic »conductus« in the Notre-Dame Epoch : A Study of
the 6 th and 7 th Fasc. of the Ms. F, 4 Bde (mit Ubertragun-
gen), Diss. Yale Univ. (Conn.) 1961; R. Steiner, Some
Monophonic Songs of the 10 1 " Fasc. of the Ms. F, Diss.
Catholic Univ. of America (Washington/D. C.) 1963,
maschr. ; ReaneyM.
Fa, Cod. Bonadies, Faenza, Bibl. Comunale, ms. 117
(olim F. 1. 39-n. 1024); Pergament; 1. Schicht (f. 2-5,
35-37, 47-92') urn 1420; 2. Schicht (insgesamt 39 f.) v.
Bonadies 1473-74; Repertoire: 1. Schicht Ende 14. Jh.
u. Anfang 15. Jh.; 2. Schicht um 1470, ausgenommen
Musiktraktate; 1. Schicht Hauptquelle d. frtihen Mu-
sik f . Tasteninstr. (Orgelmessen) ; Bearb. v. Vokalwer-
ken v. Bartolino, Jacopo, Landini, Machaut, Zacaro da
Teramo u. a.; 2. Schicht wichtige Quelle f. Ciconia u.
seine Zeitgenossen.
Ausg.: An Early ^'"-Cent. Ital. Source of Keyboard Mu-
sic, The Cod. Faenza . . ., hrsg. v. A. Carapetyan, MD
XIII, 1959 - XV, 1961, separat = MSD X, (Rom) 1961
(Faks.).
Lit.: Ch. Van den Borren, Le Cod. de J. Bonadies . . .,
Rev. beige d'archeologie et d'hist. de 1'art X, 1940; Dr.
Plamenac, Keyboard Music of the 14 th Cent, in Cod. Fa,
JAMS IV, 1951 ; ders., New Light on the Cod. Fa, Kgr.-
Ber. Utrecht 1952; ders., Artikel Faenza, Cod. 117, in:
MGG III, 1954; ders., A Note on the Rearrangement of
Fa, JAMS XVII, 1964; N. Pirrotta, Note su un cod. di
antiche musiche per tastiera, RMI LVI, 1954; W. Young,
Keyboard Music to 1600,1, MDXVI, 1962.
Fauv (Langfors: E), Roman de Fauvel-Hs. mit mus.
Einlagen, Paris, Bibl. Nat., ms. frc. 146 (olim 6812);
Pergament, 462:330; f. A +B (alter Index) + 45 £. (ro-
misch = alt; Roman), Einschub: f. 28bis-28ter + 43 f.
(mus. Einlagen); um 1316; Repertoire: 12. Jh. - um
1300; wichtige Quelle d. Ars nova; 96 1st. (davon 52
geistliche) u. 34 mehrst. Stiicke; insgesamt 106 lat., 21
frz., 3 gemischte Kompositionen, zusammengestellt
nach Erfordernissen d. Dichtung; u. a. friiheste iso-
rhythmische Motetten v. Ph. de Vitry.
Ausg. : Le Roman de Fauvel, Faks., hrsg. v. P. Aubry, Pa-
ris 1907 ; The Roman de Fauvel, in : Polyphonic Music of
the 14 th Cent. I, hrsg. v. L. Schrade, Monaco 1956 (mit
Kommentar).
Lit. : A. LAngfors, Le Roman de Fauvel par G. du Bus,
Paris 1914-19; BESSELERSt II; Ph. A. Becker, Fauvel u.
Fauvelliana, Sb. Lpz. LXXXVIII, 2, 1936; H. Spanke, Zu
d. mus. Einlagen im Fauvelroman, Neuphilologische Mitt.
XXXVII, 1939; L. Schrade, Ph. de Vitry: Some New Dis-
coveries, MQ XLII, 1 956; Gr. A. Harrison Jr., The Mono-
phonic Music in the Roman de Fauvel, Diss. Stanford
Univ. (Calif.) 1963, maschr.
FL -> Sq.
FM, Florenz, Bibl. Naz., ms. Magi. XIX. 112 bi »; Pa-
pier, 290:205; 80 f. (neu), davon 61'-80' ohne Nota-
tion; letztes Drittel 15. Jh.; Repertoire: 2. Halfte 15.
Jh.; periphere Quelle d. Dufay-Epoche; 51 Nrn (un-
geordnet) : 35 3st. u. 4 4st. geistliche Werke (Motetten,
Hymnen u. a.), 9 3st. Magnificat, 1 4st. Doppelkanon
(instr.), u. a. v. Dunstable, Power, Binchois, Dufay u.
Anonymi.
Lit. : BESSELERSt I (mit Verz.) ; B. Becherini, Cat. dei mss.
mus. della Bibl. Naz. di Firenze, Kassel 1959 (Verz.).
FN-+FP.
FP (Ellinwood : F, Marrocco: FN), Florenz.Bibl. Naz.,
ms. Panciatichi 26 ; Papier, 295 : 220 ; 5 f . (arabisch, alter
Index) + 110 f. (romisch = alt); Anfang 15. Jh.; Re-
pertoire: 2. Drittel 14. Jh. - 1. Drittel 15. Jh. (Nachtra-
ge) ; alteste Trecento-Hs. aus Florenz, u. a. mit systema-
tisch geordnetem Landini-Repertoire; ca. 185 Stiicke,
davon Landini: 1. Abt. (f. I-XX): 2st. Ballate (f. XV-
XX: nachgetragene Werke anderer Autoren), 2. Abt.
(f. XXI-XL) : 3st. Ballate (1 2st.), 3. Abt. (f. XLI-XC) :
4st. u. 3st. Madrigale, 1 Caccia, altere Werke nach
Komponisten geordnet, Nachtrage v. 2- u. 3st. Ballate
Landinis; 4. Abt. (f. XCI-C): 3st. Madrigale u. Caccie
v. Giovanni u. a. ; Nachtrage : u. a. Machaut (5) ; 5. Abt.
(f. C-CX) : frz. Balladen u. Virelais (ca. 1420-40).
Ausg. : The Works of Fr. Landini, hrsg. v. L. Ellinwood,
= The Mediaeval Acad, of America, Studies and Docu-
ments III, Cambridge (Mass.) 1939; The Music of Jacopo
da Bologna, hrsg. v. W. Th. Marrocco, = Univ. of Cali-
fornia Publications in Music V, Berkeley u. Los Angeles
1954; The Works of Fr. Landini, hrsg. v. L. Schrade,
= Polyphonic Music of the 14 th Cent. IV, Monaco 1958;
The Music of 14" 1 Cent. Italy Iff., hrsg. v. N. Pirrotta,
= CMM VIII, (Rom) 1954ff.
Lit. : B. Becherini, Cat. dei mss. mus. della Bibl. Naz. di
Firenze, Kassel 1959 (Verz.). - vFiscHERSt; vFiscHERTr.
Clog, Glogauer Liederbuch, Berlin, StB, Mus. ms.
40098 (olim Z 98); Papier, Queroktav; 3 Stimmbu-
cher, Discantus: 155f.,Tenores: 163 f., Contratenores:
173 f. ; um 1480, Domkirche zu Glogau (Schlesien);
Repertoire: um 1480; Hauptquelle d. deutschen Mu-
sik dieser Zeit; 294 Stiicke, meist 3st. : 158 lat. Gesange,
70 deutsche Lieder, 3 Quodlibets, je 1 ital. u. slawisches
Lied, 61 instr. Stiicke, u. a. v. Busnois, Dufay, H.v.
Gizeghem, Ockeghem, Tinctoris.
Ausg.: Das Glogauer Liederbuch, I Deutsche Lieder u.
Spielstiicke, II Ausgew. lat. Satze, hrsg. v. H. Ringmannu. J.
Klapper, = RDIVu. VIII, Abt. MAI-II,Kassell936-37.
Lit. : H. Ringmann, Das Glogauer Liederbuch, ZfMw XV,
1932/33 (mit Verz.). -A. Freitag, Die Herkunf t d. Berliner
Liederbuches, AfMwII, 1919/20; K. Gudewill, Vokaleu.
instr. Stilmomente in textlosen Kompositionen d. Glo-
gauer Liederbuches, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; Dr. Pla-
menac in: Ann. Mus. IV, 1956, S. 263; R. Stephan, Drei
Fragen zum Glogauer Liederbuch, Mf IX, 1956.
Hu, Burgos, Monasterio de Las Huelgas, Stiftsbibl.
(ohne Signatur) ; Pergament, 260 : 180 ; 170 f . (neu) =19
Lagen (unvollstandiger Bd); Anfang 14. Jh., Zisterzien-
serinnenkloster Las Huelgas; Repertoire: spates 13.
Jh. - Anfang 14. Jh.; spate Quelle d. Notre-Dame-
Schule u. d. Ars antiqua; 186 Stiicke: 40 2st. u. 12 3st.
Organa (1 Fragment), 11 2st. u. 20 1st. Prosen, 1 4st.,
36 3st., 19 2st. Motetten (3 unvollstandig) 2 3st, 15
2st. u. 15 1st. Conductus.
Ausg. : El cod. mus. de Las Huelgas, hrsg. v. H. Angles,
3 Bde, = Bibl. de Catalunya, Publicacions del Departa-
ment de musica VI, 1-3, Barcelona 1931 (Einleitung, Faks.
u. Ubertragung).
Lit.: J. Handschin, The Summer Canon and Its Back-
ground, MD V, 1951; ders., Conductus-Spicilegien, AfMw
IX, 1 952 ; H. Angles, La musica de las cantigas de S. Maria
del Rey Alfonso el Sabio, Bd III, 1, = Publicaciones de la
767
Quellen: Iv
Bibl. Central de Barcelona, Section de miisica XVIII, 1,
Barcelona 1958; ReaneyM.
Iv, Ivrea, Bibl. Capitolare (ohne Signatur) ; Pergament,
320:225; 64 f. (neu) = 6 Fasz.; nach 1356 abgeschlos-
sen, Avignon (Besseler), urn 1360 (Reaney); Reper-
toire: Jh.-Mitte; Hauptquelle f. Vitry; ca. 80 Stiicke:
u. a. 37 Doppelmotetten (21 lat., 14 frz., 2 gemischt),
25 Ordinariumssatze, 4 Chasses, 9 weltliche Stiicke.
Ausg. : M. J. Johnson, The 37 Motets of the Cod. Iv, 2 Bde,
Diss. Indiana Univ. 1955, maschr. (Bd II Ubertragungen);
L. Schrade, The Polyphonic Music of the 14'" Cent. I,
Monaco 1956.
Lit.: LudwigQu; BesselerSI I-II; L. Schrade, Ph. de
Vitry : Some New Discoveries, MQ XLII, 1956.
L -+ Apel-Kod.
Lab, Chansonnier Laborde, Washington, Library of
Congress, ms. M. 2. 1. L 25 Case, -> Chansonnier.
Lo (B, L), London, Brit. Mus., ms. Add. 29987; Perga-
ment, 260: 195; 88 f. ; ca. 1400, Florenz (Reaney), 1400-
10, Perugia (v. Fischer), um 1425 (Pirrotta); Reper-
toire: 2. Halite 14. Jh.; periphere Quelle d. -> Trecento-
Musik mit ca. 29 Unica; 116 Stiicke (3 doppelt notiert):
u. a. 35 Madrigale, 45 Ballate, 8 Caccie, 3 Virelais, 1
Motette, 1 Gloria, 1 Credo, 1 untextiertes Stuck (meist
2-, selten 3st.), u. a. v. Landini, Nicolo, Jacopo, Gio-
vanni, Bartolino; dazu 8 1st. Estampien, 7 weitere 1st.
Tanze u. ca. 12 1st. geistliche Stiicke.
Lit. : G. Reaney, The Ms. London, Brit. Mus., Add. 29 987,
MD XII, 1958 (mit Verz.). - N. Pirrotta in : MD V, 1 951 ;
vFiscHERSt ; vFiscHERTr.
LoA, London, Brit. Mus., ms. Egerton 2615; Perga-
ment, 218:140; 110 f. (neu, nicht mitgezahlt d. leere
f . 78bis) = 3 Teile ; 1 . Teil um 1227-34, 2. Teil etwas spa-
ter, 3. Teil etwas friiher, alle Beauvais (Ludwig) ; 1 . Teil
(f. l-78bis, urspriinglich 11 Fasz., von denen Fasz. 6
zwischen f . 40 und 41 fehlt): Neujahrsoffizium v. Beau-
vais, darin 1 3st. Conductus (f. 43'), im Anh. f. 69-78
3 3st. u. 1 2st. Organum, 2 3st. Motetten, 1 3st. Hym-
nus; 2. Teil (f. 79-94 = 2 Fasz.) : 1 4st. u. 3 3st. Organa,
5 3st. Conductus, 3 3st. Motetten, meist aus d. Notre-
Dame-Repertoire; 3. Teil (f . 95-1 10 = 2 Fasz.) : Daniel-
Spiel u. 2 Lektionen, alles 1st.
Ausg. : Die drei- u. vierst. Notre-Dame-Organa, hrsg. v. H.
Husmann, = PaM XI, Lpz. 1940 ; The Play of Daniel, hrsg.
v. N. Greenberg, R. Weakland OSB u. E. A. Bowles,
NY 1959, dass., hrsg. v. W. L. Smoldon, London 1960.
Lit. : LudwigR 1, 1 ; LudwigQu ; ReaneyM.
LoB (Lb, Le, F), London, Brit. Mus., ms. Egerton 274;
Pergament, 150:107; 160 f. (neu) = 6 Fasz., urspriing-
lich nicht zusammengehorend; Hauptcorpus Ende d.
13. Jh. mit Repertoire d. friihen 13. Jh., Uberarbeitun-
gen u. Nachtrage 14.-15. Jh., Frankreich, Belgien oder
England (Ludwig) ; Fasz. 1 (f . 3-57) : wichtige Quelle f .
vertonte Dichtungen v. -> Philippe le Chancelier, ent-
halt auch eine 3st. u. 4 2st. Motetten ; Fasz. 4 (f . 99-1 18) :
urspriinglich Lieder-Hs. eines Jongleurs, zum Teil mit
Noten; Fasz. 6 (f. 131-160) : lat. 1st. Gesange, zum Teil
Palimpsest; unter d. ausradierten Stiicken ist f. 131 ein
Trouverelied (Nachtrag zu Fasz. 4), f. 137' ein 2st.
Benedicamus Domino zu erkennen.
Lit. : P. Aubry, Cent motets du XIJI e s. Ill, Paris 1908 (mit
2 Faks.); ders., Refrains et rondeaux du XIII e s., Fs. H.
Riemann.Lpz. 1909; LudwigR 1, 1 (mit Verz.) ;Fr. Genn-
rich, Die altfrz. Liederhs. London, Brit. Mus., Egerton
274, Zs. f. romanische Philologie XLV, 1926.
Loch, Lochamer Liederbuch, Bin, StB, Mus. ms. 40613
(olim Wernigerode, Kod. Zb. 14); Papier, 215:160;
92 S. (neu) = 4 Lagen (S. 1-44 = Lage 1-2 = Loch;
S. 45-92 = Lage 3-4 = C. Paumann, Fundamentwn or-
ganisandi); 1452-53, Nachtrage bis 1460, Nurnberg;
Besitzer um 1500: W. v. Lochamer; Repertoire Loch:
iiberwiegend 1. Halite 15. Jh. ; Hauptquelle d. biirger-
lichen Liedkunst in Deutschland; 42 deutsche Lieder,
31 1st., 2 2st., 6 3st., 1 1- u. 3st., 2 ohne Noten, ferner
S. 44-45 3 1st. lat. geistliche Kontrafakturen.
Ausg.: Locheimer Liederbuch u. Fundamentum organi-
sandi d. C. Paumann, Faks. hrsg. v. K. Ameln, Bin 1925. -
Das Locheimer Liederbuch nebst d. Ars organisandi v. C.
Paumann, hrsg. v. Fr. W. Arnold (u. H. Bellermann), Jb.
f. mus. Wiss. II, 1867, dazu O. Kade in: MfM IV, 1872;
Locheimer Liederbuch, bearb. v. K. Escher u. W. Lott,
Lpz. 1926.
Lit. : O. Ursprung, Vier Studien zur Gesch. d. deutschen
Liedes III, Af Mw V, 1923 ; H. Rosenberg, Ubertragungen
einiger bisher nicht aufgeloster Melodienotierungen d.
Locheimer Liederbuchs, ZfMw XIV, 1931/32; H. Besse-
ler, Das Lochamer Liederbuch aus Nurnberg, Mf 1, 1948 ;
W. Salmen, Das Lochamer Liederbuch, = Slg mw. Einzel-
darstellungen XVIII, Lpz. 1951 ; E. Rohloff, Mit ganzem
Willen wiinsch ich dir, AfMw XIII, 1956; Chr. Petzsch,
Weiterdichten u. Umformen. Grundsatzliches zur NA d.
Lochamer-Liederbuches, Jb. f. Volksliedforschung X,
1965 ; ders., Zur hebraischen Widmung im Lochamer-Lie-
derbuch, Mf XVIII, 1965; ders., Die Niirnberger Familie
v. Lochaim, Zs. f. bayerische Landesgesch. XXIX, 1966;
ders., Zur Gesch. d. Hs. d. Lochamer-Liederbuchs, Jb. f.
Volksliedforschung XI, 1966.
LoM-> Egerton 3307.
LoSM, London, Brit. Mus., ms. Add. 36881, -> SM.
Luc -> Man.
Ma, Madrid, Bibl. Nac, ms. 20486 (olim Hh 167);
Pergament, 166:115; 142 f. (neu; unvollstandiger Bd) ;
Ende 13. Jh.; wahrscheinlich Spanien; Repertoire: 2.
Half te 12. Jh. - Mitte 13. Jh. ; Hs. mit unvollstandigem
Notre-Dame-Bestandin besondererAnordnung; wahr-
scheinlich jiinger als F, alter als Wi\ ca. 100 Stiicke:
1. Abt. (f. 1-4) : 3 Stiicke ohne Beziehung zum ubrigen
Inhalt; 2. Abt. (f. 5-24): 2 4st. Motetten (Unica) u. 3
4st. Organa; 3. Abt. (f. 25-65): 22 2st. Conductus; 4.
Abt. (f. 66-106): 20 2st. Conductus u. 8 Motetten; 5.
Abt. (f. 107-122): 10 2st. Conductus u. 1 Motette, 3st.
Hoquetus In seculum; 6. Abt. (f. 123-142): ca. 30 ge-
mischte 2- u. 1st. Conductus u. Motetten mit u. ohne
Tenores, zum Teil ohne Verbindung mit d. Bestand d.
3 anderen Notre-Dame-Hss.
Ausg. : Faks.-Ausg. d. Hs. Madrid 20486, hrsg. v. L. A.
Dittmer, = Publications of Mediaeval Mus. Mss. I, Brook-
lyn/N.Y.(1957).
Lit.: LudwigR I, 1 (mit Verz.); Fr. Ludwig in: Adler
Hdb. I, 21930, S. 220; H. Husmann, Die Motetten d. Ma-
drider Hs. . . . , Af Mf II, 1937 ; ReaneyM.
Mach, Sigel f. d. Gesamtbestand an Machaut-Hss. G. de
Machaut ist einer d. wenigen Komponisten d. MA,
dessen poetisch-mus. Werke in eigens f . sie vorbehal-
tenen Hss. iiberliefert sind; als wichtigste sind zu nen-
nen: Paris, Bibl. Nat., ms. frc. 22545 = F; 22546 = G,
1564 (olim 7609) = A; 1585 = B; 1586 = C; 9221 = E;
NY, Gallery Wildenstein (olim Marquis de Vogue,
Paris) = Vg.
Ausg.: G. de Machaut, Mus. Werke I— III, hrsg. v. Fr.
Ludwig (Bd II: Kommentar), =PaM I, 1, III, 1, IV, 2,
Lpz. 1926-29, IV, hrsg. v. H. Besseler, Lpz. 1943, I-IV
21954; Polyphonic Music of the 14 th Cent. II— III, hrsg. v.
L. Schrade, Monaco 1956-57 (mit Kommentaren).
Man (Luc, Mn u. MnP) Mancini-(Lucca-)Kod., Lucca,
Arch, di Stato, Cod. 29, u. Perugia, Bibl. Comunale
(ohne Signatur); Pergament, 220:145-55 u. 220-30:
ca. 160; 18 u. 3 f., Fragmente eines Kod. ; 1. Drittel 15.
Jh., vermutlich Lucca; Repertoire: spateres 14. Jh. - 1.
Drittel 15. Jh. ; Hauptquelle zwischen Trecento u.
Quattrocento; 76 Stiicke (davon 51 Unica) : 50 Ballate,
11 Madrigale, 10 Rondeaus, 3 Virelais, 1 Ballade (Bin-
chois), 1 Kanon, u. a. v. Ciconia, Bartolino, Antonio
Zacara da Teramo, Antonello Marot da Caserta.
768
Quellen: OH
Lit.: N. Pirrotta, II Cod. di Lucca, MD III, 1949 u. V,
1951 (mit Verz.). - F. Grasi, Bruchstiicke einer neuen Hs. d.
ital. Ars-Nova, AfMw VII, 1942;vFisCHERSt;vFiscHERTr.
Mo, Montpellier, Bibl. de la Faculte de Medecine, ms.
H 196; Pergament, 192:136; 397 f. (f. 303 u. 308 feh-
len - nicht gezahlt sind 5 Blatter mit d. originalen In-
dex) = 8 Fasz. ; 14. Jh. , Paris ; Repertoire : »altes Corpus«
(Fasz. 1-6) um 1280, »neues Corpus« (Fasz. 7-8) um
1300 u. friihes 14. Jh.; groBte Motetten-Hs. d. Ars an-
tiqua; ca. 330 Stiicke: 2-4st. lat., frz. u. gemischte Mo-
tetten (Fasz. 1 : u. a. 3-4st. Organa, Klauseln).
Ausg. : Y. Rokseth, Polyphonies du XIH e s., 4 Bde, Paris
1935-39.
Lit. : Fr. Ludwig, Die 50 Beisp. Coussemakers aus d. Hs.
Mo, SIMG V, 1903/04; LudwigR I, 2; LudwigQu; Bes-
SELERSt II ; H. Husmann, Die 3st. Organa d. Notre-Dame-
Schule . . ., Diss. Bin 1935; G. Kuhlmann, Die 2st. frz.
Motetten d. Kod. Mo, 2 Bde, = Literarhist.-mw. Abh. I— II,
Wurzburg 1938 ; L. A. Dittmer, The Ligatures of the Ms.
Mo, MD IX, 1955; F. Mathiassen, The Style of the Early
Motet (c. 1200-50). An Investigation of the Old Corpus of
the Montpellier Ms., {Copenhagen 1966; ReaneyM.
ModA, Modena, Bibl. Estense, ms. a.M.5,24 (olim
lat. 568); Pergament, 280:198; 1 + 51 f. = 5 Fasz.; um
1425-50 (Apel); wichtige Quelle d. Trecentos u. d. ital.
Musik d. friihen 15. Jh.; 104 Stiicke: 73 3st., 20 2st., 6
1st. u. 5 4st. geistliche u. weltliche Werke, u. a. v. An-
tonellus da Caserta, Matheus da Perusio, Magister Za-
charias, Bartolinus da Padua, Ciconia u. Machaut.
Ausg. : 44 Stiicke in : French Secular Music of the Late 14 th
Cent., hrsg. v. W. Apel, = The Mediaeval Acad, of Ameri-
ca, Publication LV, Cambridge (Mass.) 1950; 29 Stiicke u.
Verz. (S. 1 12ff.) in : G. Cesari u. F. Fano, La cappella mus.
del duomo di Milano I, = Istituzioni e monumenti dell'arte
mus. ital., N. S. I, Mailarid (1956); The Motets of the Mss.
Chantilly . . . and Modena . . . , hrsg. v. U. Gunther,
= CMM XXXIX, (Rom) 1965.
Lit.: J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation I, Lpz. 1904,
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1965 (Verz.); Fr.
Ludwig in: G. de Machaut, Mus. Werke II, = PaM III, 1,
Lpz. 1928, S. 30f.; vFiscHERSt; U. Gunther, Zur Datie-
rung d. Ms. Modena, Bibl. Estense, a. M. 5, 24 (olim lat.
568), Kgr.-Ber. Lpz. 1966.
ModB, Modena, Bibl. Estense, ms. a. X. 1,11 (olim lat.
471); Papier, 408:290; 136 f.; 16. Jh.; Repertoire: 15.
Jh.; Hauptquelle d. Dufay-Epoche u. d. engl. Mehr-
stimmigkeit; ca. 135 Stiicke: 1. Abt.: 37 (u. 5 + 18
Nachtrage) Hymnen u. Magnificat; 2. Abt. (alter In-
dex: hie incipiunt motetti): 74 Motetten, davon 2. Teil:
52 engl. Motetten, u. a. v. Benet, Dunstable, Forest,
Power, Binchois, Dufay.
Lit. : P. Lodi, Cat. delle opere mus. . . . Citta di Modena,
R. Bibl. Estense, = Boll. deU'Associazione dei musicologi
ital. VIII, Parma 1916; BESSELERSt I; BesselerBuF.
ModC u. ModD, Modena, Bibl. Estense, mss. M. 1,
11-12 (olim lat. 454-455); Pergament, 564:402; 2.
Halfte d. 15. Jh. ; Repertoire : 15. Jh. ; Doppelchorbuch,
friiheste Quelle d. fur d. zeilenweise alternierenden
Vortrag d. Stiicke durch 2 Chore eingerichtet ist; 3st.
Psalmen, Hymnen, Magnificat u. Antiphonen f. d.
Offiziumsgottesdienste, eine 3-8st. Passion; viele Satze
in strenger u. freierer Fauxbourdontechnik; alle Stiicke
anon.
Lit. : P. Lodi, Cat. delle opere mus. . . . Citta di Modena,
R. Bibl. Estense, = Boll. deU'Associazione dei musicologi
ital. VIII, Parma 1916; BesselerBuF; M. F. Bukofzer,
Studies in Medieval and Renaissance Music, NY (1950),
S. 18 Iff. (darin ein Psalm).
MiiA, Miinchen, StB, Cod. gall. 42 (olim Mus. Ms.
4775) ; Pergament, 155 : 100; 4 f., Fragment eines Kod.,
dem weitere 13 f. (meist in Streifen) aus d. Privatbibl.
v.J. Wolf zugehoren (verschollen, heute nur in Photo-
kopien in Paris, Bibl. Nat., Departement de la musique,
Vma 1446, zuganglich); 13. Jh., Frankreich; Reper-
toire: 2. Halfte 12. Jh. - 1. Drittel 13. Jh.; zentrale,
wahrscheinlich al teste Quelle d. Notre-Dame-Epoche;
erhalten sind ca. 45 Stiicke: 3 2st. Organa, 36 2- u. 3st.
lat. u. frz. Motetten, 2 1st. u. 1 mehrst. Conductus,
3 1st. weltliche Lieder.
Ausg. u. Lit. : L. A. Dittmer, A Central Source of Notre-
Dame Polyphony, Facs., Reconstruction . . ., = Publica-
tions of Mediaeval Mus. Mss. HI, Brooklyn/N. Y. (1959);
ders., The Lost Fragments of a Notre Dame Ms in:
Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese,
NY (1966); ReaneyM.
MiiEm ->■ Em.
MuM, Miinchen, StB, Cod. gall. 902 (olim Mus. Ms.
3192), -> Chansonnier.
Miinchen 3154, Miinchen, StB, Mus. Ms. 3154; Papier,
314:220; 1. Abt.: f. 20-200, 2. Abt.: f. 1-297 (mit
Liicken) = 473 f. (alt); nach 1500, erster Besitzer: Ni-
kolaus Leopold v. Innsbruck (dort nachgewiesen 151 1);
Repertoire: ca. 1475-1500; wichtige Quelle deutscher
u. oberital., besonders geistlicher Musik; ca. 190 Nrn
(korrekturbedurftig) u. 7 Fragmente, meist 3-5st., sel-
ten bis 8st. : Messen, Motetten, Magnificat, Hymnen,
Sequenzen, deutsche Lieder, zahlreiche untextierte
Stiicke, u. a. v. Aulen, Busnois, Compere, Dufay,
Fevin, H. Finck, Isaac, Josquin, Obrecht.
Lit. : J. J. Maier, Die mus. Hss. d. K. Hof- u. Staatsbibl. in
Miinchen I, = Cat. cod. mss. bibl. regiae Monacensis VIII,
1, Miinchen 1879; W. Stephan, Die burgundisch-nld. Mo-
tette zur Zeit Ockeghems, =■ Heidelberger Studien zur Mw.
VI, Kassel 1937; W. Senn, Musik u. Theater am Hof zu
Innsbruck, Innsbruck 1954.
O, Oxford, Bodleian Library, Ms. Can. Misc. 213;
Papier, 298:215; 4 f. (unvollstandiger Index) + 140 f.
= 10 Fasz.; um 1420-35, Oberitatien (Besseler); um
1420-40, vermutlich Venedig (Reaney); um 1450
(Apel); 3. Viertel d. 15. Jh. nach Vorlage um 1440,
Venedig nach Vorlage aus Mailand, d. vermutlich zum
Teil auf v. Dufay kollationierten Mss. beruhte (Ni-
cholson); Repertoire: Ende d. 14. u. 1. Halfte d. 15.
Jh. ; wichtige Quelle d. ital. u. franko-flamischen Mu-
sik d. friihen Dufay-Zeit; ca. 325 Stiicke, davon 263
mit Autorenvermerk, 277 Unica: u. a. 187 Rondeaus
u. Rondeaurefrains, 38 Ballades, 22 Ballate, 21 Mefi-
satze, 19 nicht isorhythmische u. 17 isorhythmische
Motetten, 10 Virelais.
Ausg.: Early 1 5 ""-Cent. Music, hrsg. v. G. Reaney, = CMM
XI, (Rom) 1955ff. ; Polyphonia sacra, hrsg. v. Ch. Van den
Borren, Burnham 1932; Dufay and His Contemporaries,
hrsg. v. J., J. F. R. u. C. Stainer u. E. W. B. Nicholson,
London u. NY 1898; Les musiciens de la cour de Bour-
gogne . . ., hrsg. v: J. Marix, Paris 1937; Pieces polypho-
niques profanes .... hrsg. v. Ch. Van den Borren, = Flo-
res mus. belgicae I, Brussel 1950 (A. u. H. de Lantins, 30
Satze aus O).
Lit. : G. Reaney, The Ms. Oxford, Bodleian Library, Ca-
nonici Misc. 213, MD IX, 1955 (mit Verz.); BesselerSI I;
BesselerBuF; ApelN; Ch. Van den Borren, The Cod.
Canonici 213..., Proc. R. Mus. Ass. LXXIII, 1946/47.
OH, Old Hall near Ware, St. Edmund's College; Per-
gament, 416:276; 112 f., altere u. jiingere Abt.; erste
Besitzer: Kanonikus Thomas Damett u. Sturgeon; ca.
1430-54, Windsor (Collins, Hughes); vor 1413 - um
1440, Royal Household Chapel (Harrison) ; Repertoire:
1360-1440; friiheste fast volfstandig erhaltene Quelle d.
engl. Mehrstimmigkeit; ca. 150 Stiicke, meist 3-5st.:
MeBsatze in Gruppen geordnet (38 Gloria, 34 Credo,
27 Sanctus, 15 Agnus Dei), Motetten, Antiphonen,
u. a. v. Dunstable, Forest, L. Power, Roy Henry (= Hein-
rich IV.).
Ausg.: The Old Hall Ms., hrsg. v. A. Ramsbotham, H. B.
Collins u. A. Hughes OSB, 3 Bde, Burnham u. London
1933-38.
49
769
Quellen: OS
Lit. : W. B. Squire, Notes on an Undescribed Collection of
Engl. 15"^Cent. Music, S1MG II, 1900/01 ; G. Reese, Mu-
sic in the Middle Ages, NY (1940), London 1941 ; A.
Hughes OSB, The Background to the Roy Henry Music,
MQ XXVII, 1941 ; ders., Mass Pairs in the Old Hall and
Other Engl. Mss., RBM XIX, 1965; M. F. Bukofzer, Mu-
sic of the OH Ms., MQ XXXIV, 1948 - XXXV, 1949 ; Br.
Trowell, A 14 th -Cent. Ceremonial Motet and Its Com-
poser, AMI XXIX, 1 957 ; Fr. Ll. Harrison, Music in Me-
dieval Britain, London (1958); Andrew Hughes, Conti-
nuity, Tradition and Change in Engl. Music up to 1600,
ML XLVII, 1965 ; ders., Mass Pairs in the OH and Other
Engl. Mss., RBM XIX, 1965 ; ders., Mensuration and Pro-
portion in Early Fifteenth Cent. Engl. Music, AMI
XXXVII, 1965; ders., Mensural Polyphony for Choir in
^"-Cent. England, JAMS XIX, 1966; ders. u. M. Bent,
The OH Ms., MD XXI, 1967 (mit Verz.).
OS, Oxford, Bodleian Library, Ms. Arch. Selden B 26;
Pergament u. Papier, 256: 180; 135 f., Musikteil: f. 3-
33'; 1450 (Reese), vermutlich Windsor (Schofield);
Repertoire: ca. 1425-40; wichtige Quelle d. engl. Mu-
sik neben Egerton 3307; 52 Stiicke, lat. u. engl., meist
2-3st., auch 4st. : u. a. Cantilenae, Hymnen, Carols,
u. a. v. Dunstable u. Power.
Ausg. : Early Bodleian Music, hrsg. v. J., J. F. R. u. C.
Stainer, I (Faks.) u. II (Obertragungen), London 1901 ; J.
Stevens, Mediaeval Carols, = Mus. Brit. IV, London 1952,
21958.
Lit.: A. Hughes OSB, Medieval Polyphony in the Bod-
leian Library, Oxford 1951 (Verz.). - B. Schofield, A New-
ly Discovered lS^-Cent. Ms. . . ., MQ XXXII, 1946, S.
524; M. F. Bukofzer in: JAMS V, 1952, S. 56; Fr. Ll.
Harrison, Music in Medieval Britain, London (1958).
P -> Pit.
Pav, Pavia, UB, ms. Aldini 362, ->■ Chansonnier.
PC (Par), Paris, Bibl. Nat., ms. n. a. fr. 4379, -» Chan-
sonnier.
Pic, Paris, Bibl. Nat., Collection de Picardie 67; Sam-
mel-Hs. ; f . 67 : Rotulusfragment, Pergament, 435 :213 ;
14. Jh.; Repertoire: 1300-50; Quelle mit Motetten
zwischen Fauv u. Iv; 6 2-3st. Stiicke: 2 lat. u. 2 frz.
Doppelmotetten, 2 Kanons; f. 68: Pergament, 270: 180;
13. Jh. ; 2 3st. Rondeaus.
Lit.: J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation I, Lpz. 1904,
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1965; P. Meyer in:
Bull, de la Soc. des anciens textes fr?. XXXIV, 1908, dazu
P. Aubry, ebenda, u. A. Guesnon, Le moyen age XXV
(= II, 16), 1912; BESSELERSt I; R. Hoppin, Some Remarks
a propos of Pic, RBM X, 1956.
Pit (Ellinwood, Marrocco; Pirrotta: P), Paris, Bibl.
Nat., ms. ital. 568 (olim Suppl. fr. 535); Pergament,
257 : 175 ; f . A-I (alter Index) u. f . 1-141 (romisch = alt) ;
Hauptteil um 1405, Fasz. 6 u. 8 um 1410 (v. Fischer),
um 1400 (Ludwig, Apel, Reaney), um 1430 (Pirrotta);
Toscana (Ludwig), Florenz (Reaney); Repertoire: 14.
Jh. ; Hauptquelle d. Musik d. -v Trecentos; 201 Stiicke
(2 doppelt notiert) : 45 Madrigale, 5 Caccie (Fasz. 1-6),
113 Ballate (Fasz. 7-12), 1 1 Rondeaus, 10 Balladen, 8 Vi-
relais, 1 isorhythmisches Rondeau, 1 Rondeaurefrain
(Fasz. 13 u. freigebliebener Raum), 1 Messe ohne Kyrie
(Fasz. 14); Hauptmeister Landini (Fasz. 2, 7, 9-12) u.
Paolo (Fasz. 4, 6, 8 u. 9).
Lit. : G. Reaney, The Ms. Paris, BN fonds ital. 568 (Pit),
MD XIV, 1960; U. Gunther, Die »anon.« Kompositio-
nen d. Ms. Paris, B. N., fonds it. 568, AfMw XXIII, 1966;
dies., Zur Entstehung d. Ms. Paris, B. N., fonds it. 568,
ebenda ; dies., Zur Datierung d. Madrigals »Godi, Firenze«
u. d. Hs. Paris, B.N., fonds it. 568 (Pit), AfMw XXIV, 1967;
vFiscHERSt ; vFiscHERTr.
Pix, Chansonnier Pixerecourt, Paris, Bibl. Nat., ms.
fr. 15123, -*■ Chansonnier.
Pot, Porto, Bibl. Publia Municipal, ms. 714; Papier;
79 L, davon 50 f. anon. Musiktraktat; Mitte 15. Jh.;
Repertoire: ca. 1430-50; periphere Quelle d. Dufay-
Zeit; 19 Stiicke: 17 3st. u. 2 2st., 13 frz. u. 6 ital. welt-
liche Lieder, u. a. v. Dufay u. Bedingham.
Lit. : BesselerBuF ; B. Meier, Die Hs. Porto 714 als Quelle
zurTonartenlehre . . ., MD VII, 1953;vFiscHERSt.
PR I-III (Apel: Rei, Ellinwood: R), Reina-Kod., Pa-
ris, Bibl. Nat., ms. n. a. fr. 6771; Papier, 271:213;
122 f. + 4 f. = 9 Fasz.; ca. 1390-1440, Nordostitalien,
moglicherweise Venedig (v. Fischer); Repertoire: 14.-
15. Jh.; wichtige Quelle d. -»• Trecentos u. Quattro-
centos; PR I (f. 1-52'): Stiicke mit ital. Notation u.
Text; PR II (f. 53-85'): Stiicke mit frz. Notation u.
Text; beide Teile spateres 14. Jh. ; PR III (f. 89-119) :
frz. Werke d. Dufay-Epoche; 220 Stiicke (davon 90
Unica) : u. a. 40 Madrigale, 64 Ballate, 30 Virelais, 43
Ballades, 32 Rondeaus, 8 Rondeaurefrains.
Lit. : K. v. Fischer, The Ms. Paris, Bibl. Nat. nouv. acq.
frc. 6771, MD XI, 1957 (Verz.);vFiscHERTr; N. Wilkins,
The Cod. Reina: A Revised Description . . ., MD XVII,
1963, dazu K. v. Fischer, ebenda; U. Gunther, Bemer-
kungen zum alteren frz. Repertoire d. Cod. Reina (PR),
AfMw XXIV, 1967.
R^-PR I-III.
Rei -> PR I-III.
Rs, Rom, Bibl. Vaticana, ms. Rossi 215 (olim VIII. 154),
dazu gehorig ein Fragment in Ostiglia (Provinz Man-
tua), Fondazione Greggiati (ohne Signatur); Perga-
ment, 226-232:158-172; Fragment: erhalten f. I-VIII
u. XVIII-XXIII (Rom), XXV-XXVI u. XXXI-
XXXII (Ostiglia) ; um 1350, Venetien, vielleicht Vero-
na oder Padua; Repertoire: 2 Schichten = 1328-37 u.
1340-45; friiheste Quelle d. ->■ Trecento-Musik; 37
Stiicke : 30 2st. Madrigale, 1 2st. Rondello, 1 3st. Caccia,
5 1st. Ballate, u. a. v. Giovanni da Cascia, Maestro Piero
(= P. di Firenze).
Ausg.: Faks., hrsg. v. G. Vecchi, Bologna 1966 (mit d.
Fragment Ostiglia). - The Music of W'-Cent. Italy I— II,
hrsg. v. N. Pirrotta, = CMM VIII, 1-2, (Rom) 1954-60.
Lit.: BESSELERSt I— II; F. Liuzzi, Musica e poesia del Tre-
cento nel Cod. Vaticano Rossiano 21 5, in : Atti della Ponti-
ficia Accad. Romana di archeologia HI, 1 3, 1937 ; J. Wolf,
Die Rossi-Hs. 21 5 . . . , JbP XLV, 1938 ; E. Li Gotti, Poesie
mus. ital. del s. XIV, in: Atti della R. Accad. di scienze,
lettere ed arti di Palermo IV, 4, 2, 1942-44 (mit Ausg. d.
Texte d. Fragments Rom) ; vFiscHERSt ; M. L. Martinez,
Die Musik d. friihen Trecento, = Munchner Veroff. zur
Mg. IX, Tutzing 1963 ; K. Toguchi, Studio sul Cod. Ros-
siano 215, in: Annuario dell'Istituto Giapponese di Cul-
tura I, Rom 1963; O. Mischiati, Uno sconosciuto fram-
mento . . . , Rivista ital. di musicologia 1, 1966 (mit Faks. v.
f. XXXI u. Ausg. d. Texte d. Fragments Ostiglia); W. Th.
Marrocco, The Newly-Discovered Ostiglia-Pages of the
Vatican Rossi Codex 215, AMI XXXIX, 1967.
S-> Sq.
Sche, Schedelsches Liederbuch, Miinchen, StB, Mus.
Ms. 3232 (olim Cgm 810); Papier, 150:105; 170 f.;
Hauptteil: 1460-62, Nachtrage: um 1466/67 u. spater,
Lpz., Niirnberg; Schreiber u. erster Besitzer: Hart-
mann Schedel (1440-1514); Repertoire: Mitte d. 15.
Jh. ; Hauptquelle d. deiitschen biirgerlichen Musik; 150
Nrn, meist 3st., davon 23 ohne Text : u. a. 15 lat. Stiicke
(Motetten u. 1 Magnificat), geistliche Kontrafakturen,
deutsche Lieder, frz. Chansons, Instrumentalcarmina,
u. a. v. Berbigant, Busnois, Ockeghem, Paumann.
Ausg.: Das Schedelsche Liederbuch, Ausw. hrsg. v. H.
Rosenberg, Kassel 1933.
Lit. : J. J. Maier, Die mus. Hss. d. K. Hof- u. Staatsbibl. in
Miinchen I = Cat. cod. mss. bibl. regiae Monacensis VIII,
1 , Miinchen 1 879 ; H. Rosenberg, Untersuchungen fiber d.
deutsche Liedweise im 15. Jh., Wolfenbuttel 1931; W.
Salmen, Das Lochamer Liederbuch, = Slg mw. Einzeldar-
stellungen XVIII, Lpz. 195 1 .
Segovia, Catedral, Arch. Mus. (ohne Signatur) ; Papier,
291(-270):215(-175); 228 f. (alt = romisch: CCXXIII
770
Quellen: Toul
f.), unvollstandiger Bd; urn 1500, Alcazar Real, Se-
govia; Repertoire: 15. Jh.; periphere Quelle d. nld.
Musik; 204 Stiicke: u. a. Messen, Magnificat, Motet-
ten, Hymnen u. Chansons, meist 3- u. 4st., selten 2-
oder 5st., u. a. v. A. Agricola, Brumel, Barbireau, Bus-
nois, Compare, A. de Fevin, Isaac, Josquin, Obrecht,
Pipelare u. Tinctoris; ab f. 207: Anhang mit 38 kastili-
schen Liedern, alle anon.
Lit. : H. Angles, Un ms. inconnu avec polyphonie du XV e
s. . . . , AMI VIII, 1936 (Verz.) ; ders., La miisica en la corte
de los reyes catdlicos I, = MMEsp I, Madrid 1941, M960;
BesselerBuF.
SM 1, 2, 3, LoSM, Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 1139, 3549,
3719 u. London, Brit. Mus., ms. Add. 36881 ; Sammel-
Hss., Pergament, SM 1-3 aus d. Bibl. d. Benediktiner-
abtei ->■ Saint-Martial in Limoges (ob originar f iir diese
Abtei geschrieben, ist ungeklart); SM 1: 183:140, er-
halten 235 f., im Hauptcorpus f. 32-118', entstanden
vor 1100 (Stablein), um 1100 (Handschin), zwischen
1096 u. 1099 (Chailley), bis etwa 1120 (Spanke) in Siid-
frankreich, 38 1st. u. 13 2st. Stucke; SM 2: 195:140,
erhalten 169 f., mus. Teil f. 149-169, entstanden zwi-
schen 1098 u. 1205 (Chailley), 12. Jh. (Handschin, Stab-
lein) in Siidfrankreich; 9 1st. u. 19 2st. Stucke; SM 3:
153:104, erhalten 115 f.; 12. Jh. (Handschin, Stablein);
38 1st. u. 33 2st. Stucke. -LoSM: 160:105, erhalten
27 f.; Ende 12. Jh. (Handschin), friihes 13. Jh. (Stab-
lein), vielleicht Apt oder Katalonien (Stablein); 7 1st.,
darunter ein Rondellus aus der Hs. -»■ F, u. 29 2st.
Stucke. Bei den 2st. Stiicken aller 4 Hss. handelt es sich
um Versus, iiberwiegend Benedicamustropen, dane-
ben Sequenzen, untropierte Benedicamus, Lektionen,
Tropen zu Ordinariumsgesangen u. a.
Lit. : J. Handschin, Uber d. mehrst. Musik d. St.-Martial-
Epoche . . ., Habil.-Schrift Basel 1924, maschr.; H. Span-
ke, Die Londoner St. Martial-Conductushs., u. H. Angles,
La miisica del Ms. de Londres, BM Add. 36 88 1 , in : Butlle-
ti de la Bibl. de Catalunya VIII, 1928-32, separat Barcelona
1935 ; H. Spanke, St. Martial-Studien, Zs. f . frz. Sprache u.
Lit. LIV, 1930/31 u. LVI, 1932 (mit unzuverlassigen Verz.
v. SM 1-3); W. Apel, Bemerkungen zu d. Organa v. St.
Martial, Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona
1958-61 ; J. Chailley, L'ecole mus. de St. Martial de Li-
moges, Paris (I960); J. M. Marshall, Hidden Polyphony
in a Ms. from St. Martial de Limoges, JAMS XV, 1962 (zu
SM 1); G. Schmidt, Strukturprobleme d. Mehrstimmig-
keit im Repertoire v. St.-Martial, Mf XV, 1962; Br. Stab-
lein, Modale Rhythmen im St.-Martial- Repertoire?, Fs.
Fr. Blume, Kassel 1963 (mit weiterer Lit.); L. Treitler,
The Polyphony of St. Martial, JAMS XVII, 1964; Rea-
neyM.
SPB 80, Rom, Bibl. Vaticana, Arch, di S.Pietro B 80;
Chorbuch, Pergament, 356 : 256 ; 249 f . = 25 Lagen ; um
1460-70 (Hamm), kirchliche Gebrauchs-Hs., Italien;
Repertoire: 1430-70; wichtige Quelle d. nld. Musik
(in d. Nahe v. Cambrai) ; ca. 85 Stucke, meist 3-4st. :
II. Abt. (= f. 38-181): 13 Messen, III. Abt. (= f. 181'-
191) : 21 Hymnen, IV. Abt. (= f. 191-228') : 14 Magni-
ficat, V. Abt. (= f. 229-239): 19 Antiphonen, I. Abt.
(= f. 1-38) : Nachtrage (auch in d. Hs. verstreut), u. a.
v. Barbigant, Binchois, Compere, Dufay, Dunstable,
Josquin.
Lit. : Ch. Hamm, The Ms. San Pietro B 80, RBM XIV, 1960
(mit Verz.).
Sq (Marrocco, Pirrotta: FL, Ellinwood: S), Squarcia-
lupi-Kod., Florenz, Bibl. Mediceo-Laurenziana, Palat.
87; Pergament (Sammel-Hs.), 405:285; 218 f.; 1415-
20 (v. Fischer), nicht vor 1440 (Pirrotta), erster Besitzer
(laut Vermerk): A. Squarcialupi; Repertoire: 14. Jh.; um-
fangreichste u. jiingste Quelle d. -*■ Trecento-Musik;
354 weltliche Stiicke (2 doppelt notiert) : 114 Madriga-
le, 12 Caccie, 226 Ballate; geordnet nach Komponisten
in chronologischer Reihenfolge.
Ausg. : Der Squarcialupi-Cod. . . . , hrsg. v. J. Wolf u. H.
Albrecht, Lippstadt 1955, dazu K. v. Fischer in: Mf IX,
1956, u.L.Schradein: Notes II, 13, 1955/56, S.683ff.; The
Works of Fr. Landini, hrsg. v. L. Ellinwood, = The Me-
dieval Acad, of America, Studies and Documents III, Cam-
bridge (Mass.) 1939; The Music of the 14">-Cent. Italy,
hrsg. v. N. Pirrotta, =CMM VIII, (Rom) 1954ff.; The
Music of Jacopo da Bologna, hrsg. v. W. Th. Marrocco,
= Univ. of California Publications in Music V, Berkeley
u. Los Angeles 1954; The Works of Fr. Landini, hrsg. v. L.
Schrade, = Polyphonic Music of the 14 th Cent. IV, Mo-
naco 1958.
Lit.:vFiscHERSt.;vFisCHERTr.; B.Becherini, A. Squarcia-
lupi e il Cod. Mediceo-Palatino 87, in: L'Ars Nova ital.
del Trecento, Kgr.-Ber. Certaldo 1959.
St-Martial -> SM.
StV, Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 15139 (olim fonds St-
Victor 813); Sammel-Hs., Pergament, 180 : 102; f . 176-
305, davon mus. Teil: f. 255-293, = »Liber cantualis«;
2. Halfte 13. Jh.; Repertoire: 1. u. 2. Drittel d. 13. Jh.;
72 meist 2st., zuweilen 3st. oder 1st. Stucke: u. a. 10
Organa, 10 Conductus u. 40 »Melismen« (mit Margi-
nalverweisen auf frz. Motetten) ; nach Ludwig: Vorla-
gen frz. Motetten, nach Rokseth: reduzierte Motetten
als Bauschemata f. Kontrafakturen; f. 269-275: 2 Mu-
siktraktate (Quiconques veut deschanter u. Quando due no-
te sunt in uno sono) als Marginalien zur Conductus-Slg.
Ausg.: The Music in the St. Victor Ms. Paris lat. 15 139.
Polyphony of the 13" 1 Cent., hrsg. v. E. Thurston, = Pon-
tifical Inst, of Medieval Studies, Studies and Texts V, To-
ronto 1959 (Einleitung u. Faks.); St. Viktor Clausulae u.
ihre Motetten, hrsg. v. Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl.
V-VI, Darmstadt 1953 ; d. beiden Traktate in: E. de Cous-
semaker, Hist, de l'harmonie au moyen age, Paris 1852,
Nachdruck Hildesheim 1 966, S. 244ff. u. 259ff.
Lit. : LudwigR 1, 1 (mit Verz.) ; J. Handschin, Eine wenig
beachtete Stilrichtung innerhalb d. ma. Mehrstimmigkeit,
SJbMw 1, 1924; ders., Die Rolle d. Nationen in d. ma. Mg.,
SJbMw V, 1931 ; Y. Rokseth, Polyphonies duXIII e s., Bd
IV, Paris 1939, S. 70f. ; H. Husmann, Das Organum vor u.
auCerhalb d. Notre-Dame-Schule, Kgr.-Ber. Salzburg
1964; ReaneyM; E. Thurston, A Comparison of the St.
Victor Clausulae with Their Motets, in : Aspects of Medie-
val and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966).
Tou (Gennrich: Tourn), Toumai, Bibl. de la Cathedra-
le, ms. Voisin IV; Pergament, 335:215; 40 f., davon
f. 1-27 u. 34-40 1st., f. 28-33: »Messe v. Tournai«; 14.
Jh.; Repertoire: 14. Jh., vermutlich Avignon; Quelle
eines d. friihestenMeBzyklen: 3st. Kyrie, Gloria, Credo,
Sanctus-Benedictus, Agnus, Motette He missa est, anon,
v. verschiedenen Autoren.
Ausg.: Messe du XIH e s., hrsg. v. E. de Coussemaker, Pa-
ris u. Lille 1861 ; Missa Tornacensis, hrsg. v. Ch. Van den
Borren, = CMM XIII, (Rom) 1957 ; French Cycles of the
Ordinarium Missae, in: Polyphonic Music of the Four-
teenth Cent. I, hrsg. v. L. Schrade, Monaco 1956 (mit
Kommentar).
Lit.: LudwigQu, S. 220f. u. 282; BESSELERSt I, S. 194; H.
Angles, Una nueva version de el credo de Tournai, RBM
VIII, 1954; A. Machabey, La Messe de Tournai, RM
CCXLIII, 1958; H. Stablein-Harder, Fourteenth Cent.
Mass Music in France. Critical Text, = MSD VII, (Rom)
1962.
Toul, Toulouse, Bibl. Municipale, ms. 94; Pergament,
286:200; 342 f. (neu), Missale Romanum, enthaltend
d. 3st. »Messe v. Toulouse«; f. 145' u. 147: Kyrie, f. 1 :
(1st.) Credo (nur Fragment d. Tenors), f. 225'-226:
Sanctus, Benedictus, f. 226: Agnus, f. 147': Motetus
super Ite missa est, um 1400; Repertoire: Mitte 14. Jh.
(Credo) - Ende 14. Jh. ; Quelle eines friihen polypho-
nen MeBzyklus, v. verschiedenen Autoren.
Ausg. : French Cycles of the Ordinarium Missae, in: Poly-
phonic Music of the Fourteenth Cent. I, hrsg. v. L. Schra-
de, Monaco 1956 (mit Kommentar); Fourteenth Cent.
Mass Music in France, hrsg. v. H. Stablein-Harder,
49*
771
Quellen:Tr87-A3
= CMM XXIX, (Rom) 1962, dazu dies., Critical Text,
= MSD VII, (Rom) 1962.
Lit. : H. Harder, Die Messe v. Toulouse, MD VII, 1953 ;
L. Schrade, The Mass of Toulouse, RBM VIII, 1954.
Tr 87-93, Trienter Kodizes, Trient, Domkapitel, Mss.
87-92, u. Archivio Capitolare (ohne Signatur, = Tr
93); Papier, Kleinfolio; 87: 265 f., 88: 422 f., 89: 425 f.,
90: 465 f., 91 : 259 f., 92: 239 f., 93: 382 f. ; 1. Gruppe:
81 u. 92, um 1440, Oberitalien; Repertoire: 1420-40;
2. Gruppe: 88-90,93u. altererTeilSi, 1444-65, Trient,
Repertoire: 2. Drittel d. 15. Jh.; 3. Gruppe: jiingerer
Teil 91, um 1480, Trient, Repertoire: 1460-80; peri-
phere Quelle d. Dufay-Zeit; insgesamt 1864 Stiicke:
alle Gattungen, meist 3-4st., u. a. v. Binchois, Dufay,
Dunstable, Power.
Ausg.: Sechs (Sieben) Trienter Cod. Geistliche u. weltli-
che Kompositionen d. 15. Jh., hrsg. v. G. Adler, O. Rol-
ler, A. Orel u. R. v. Ficker, = DTO VII (= Bd 14/15),
XI, 1 (22), XIX, 1 (38), XXVII, 1 (53), XXXI (61), XL (76),
Wien 1900-33.
Tu, Turin, Bibl. Reale, vari 42; Pergament, 230:162;
45 f. = A-E (ohne f.) + 40 f. (romisch) ; um 1350 (Au-
da), Luttich; Repertoire: letztes Viertel d. 13. Jh. (Bes-
seler) ; wichtige Quelle d. Ars antiqua neben Mo, Fasz.
7; 34 Stiicke: 3 3st. lat. Conductus, 31 3st. Motetten
(24 frz., 1 lat., 6 Doppelmotetten).
Ausg. : A. Auda, Les »Motets Wallons« du ms. de Turin,
2 Bde, Briissel (1953).
Lit. : LudwigQu ; BesselerSI II ; ReaneyM.
TuB, Turin, Bibl. Naz., J. II. 9 (olim D. VI. 14); Per-
gament, urspriinglich 390 : 283, Rander versengt ; 159 £.
(neu); nach 1413, Hof v. Zypern; Repertoire: Anfang
15. Jh. ; wichtige, aber periphere Quelle d. frz. Musik;
226 Nrn: I. Abt. (f. 1-27) : 1st. MeBordinarien u. -offi-
zien; II. Abt. (£. 29-57): 7 3- u. 4st. Gloria-Credo-
Paare, 3 Gloria; III. Abt. (f. 59-97): 33 meist 4st. lat.
Motetten, 8 frz. Motetten (40 isorhy thmisch) ; IV. Abt.
(f. 98-139') : 102 Balladen; Nachtrag (f. 139'-141') : 3st.
MeBzyklus; V. Abt. (f. 143-158') : 64 meist 3st. weltli-
che Stiicke (21 Virelais, 43 Rondeaus) ; alle Nrn anon.
Ausg. : The Cypriot-French Repertory of the Ms. Turin . . . ,
hrsg. v. R. H. Hoppin, 4 Bde, = CMM XXI, (Rom) 1960-63.
Lit. : BESSELERSt I (mit Verz.) ; R. H. Hoppin, The Cypriot-
French Repertory of the Ms. Turin .... MD XI, 1957.
W\, Wolf enbuttel, Herzog August Bibl., Cod. Helmst.
628 (etiam 677); Pergament, 215:150; 197 f. (neu;
Husmann) = 214 f. (alt; Ludwig, Handschin) mit Liik-
ken (unvollstandiger Bd) =11 Fasz. (26 Lagen); Mitte
13. Jh. (Apel, Hughes), spates 13. Jh. (Handschin), 14.
Jh. (Ludwig), Fasz. 1-10: Frankreich, Fasz. 11: wahr-
scheinlich England; Besitzervermerk (f. 64): St. An-
drews, Schottland; Repertoire: 2. Halfte 12. Jh., 11.
Fasz. alter (Ludwig), jiinger (Handschin); zentrale Hs.
d. Notre-Dame-Schule (erste erhaltene Fassung d. Ma-
gnus liber); 328 Stiicke: u. a. Fasz. 1 : 4st. Organa, Fasz.
2: 3st. Organa u. Conductus, Fasz. 3-4: Magnus liber,
Fasz. 5-6: Ersatzklauseln, Fasz. 7-8: 3st. Organa, Mo-
tetten, Conductus, Fasz. 9: 2st. Conductus, Tropen,
Organa, Motetten, Fasz, 10: 1st. Conductus, Fasz. 11 :
2st. Organa.
Ausg. : An Old St. Andrews Music Book, Faks. hrsg. v. J.
H. Baxter, = St. Andrews Univ. Publications XXX, Lon-
don 1931, dazu A. Hughes OSB, Index to the Facs. Ed. of
Ms. Wi, Edinburgh u. London 1939 ; Die 3- u. 4st. Notre-
Dame-Organa, krit. GA, hrsg. v. H. Husmann, = PaM XI,
Lpz. 1940, dazu R. v. Ficker, Probleme d. modalen No-
tation, AMI XVIII/XIX, 1946/47.
Lit. : LudwigR 1, 1 (mit Verz.) ; Fr. Ludwig, Uber d. Ent-
stehungsort d. groBen Notre-Dame-Hss., in: Studien zur
Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; J. Handschin, A
Monument of Engl. Mediaeval Polyphony, The Mus. Times
LXXIII, 1932 - LXXIV, 1933 ; ders., The Summer Canon
... II, MD V, 1951 ; H. Husmann, Die 3st. Organa d.
Notre-Dame-Schule . . ..Diss. Bin 1935; ders., Zur Frage
d. Herkunft d. Notre-Dame Hs. Wi, Fs. W. Vetter, Bin
1961 ; ders., The Enlargement of the Magnus liber organi
. . . , JAMS XVI, 1963 ; W. G. Waite, The Rhythm of 12 th
Cent. Polyphony, = Yale Studies in the Hist, of Music II,
New Haven (Conn;) u. London 1954; N. E. Smith, The
Clausulae of the Notre-Dame School: A Repertorial Study,
3 Bde (mit Ubertragungen d. Klauselslg in Wi), Diss. Yale
Univ. (Conn.) 1964; ReaneyM.
W 2 , Wolf enbuttel, Herzog August Bibl., Cod. Helmst.
1099 (etiam 1206); Pergament, 175:130; 253 f. (neu;
unvollstandiger Bd) = 10 Fasz.; Mitte 13. Jh., Frank-
reich; Repertoire: 2. Halfte 12. Jh. - Mitte 13. Jh.;
jiingste erhaltene Fassung d. Magnus liber, wichtigste
Quelle d. altesten frz. Motetten; ca. 300 Stiicke: u. a.
Fasz. 1: 4st. Organa, Fasz. 2: 3st. Organa, Fasz. 3: 3st.
Conductus, Fasz. 4-5 : Magnus liber, Fasz. 6 : 2st. Con-
ductus, Fasz. 7: 3st. lat. u. frz. Motetten u. Conductus,
Fasz. 8 : 2st. lat. Motetten (mit Marginalverweisen auf
entsprechende frz. Motetten), Fasz. 9: 3st. Doppel- u.
Tripelmotetten, Fasz. 10: 2st. frz. Motetten.
Ausg.: Faks.-Ausg. d. Hs. Wolfenbiittel 1099 (1206), hrsg.
v. L. A. Dittmer, = Publications of Mediaeval Mus. Mss.
II,Brooklyn/N.Y.(1960).
Lit. : LudwigR I, 1 (mit Verz.) ; E. Thurston, The Con-
ductus Compositions in Ms. W2, 2 Bde, Diss. NY Univ.
1954, maschr. (mit Ubertragungen); ReaneyM.
WiTr (Reaney: Cb 473), Winchester-Tropar, Cam-
bridge, Corpus Christi College, Ms. 473; Pergament,
146:90; 199 f. (neu); 1. Halfte 11. Jh. (Harrison), Ende
11. Jh. (Ludwig), England; Repertoire: Anfang 11. Jh.,
in linienlosen Neumen, daher bis heute uniibertragbar;
friiheste vollstandig erhaltene Quelle d. engl. mehrst.
Musik; 158 2st. Stiicke: 3 Invitatorien, 19 Tractus, 51
Responsorien, 53 Alleluja, 7 Sequelae, 3 tropierte In-
troitus, 12 Kyrie, 10 Gloria. Von einigen 2st. Stiicken
enthalt WiTr nur d. Vox organalis; d. Cantus liegt vor
in einem anderen Winchester Tropar, Oxford, Bod-
leian Library, Ms. Bodley 775.
Ausg.: The Winchester Troper, hrsg. v. W. H. Frere,
= Publications of the H. Bradshaw Soc. VII, London 1 894 ;
Early Engl. Harmony I, hrsg. v. H. E. Wooldridge, Lon-
don 1897.
Lit.: LudwigR I, 1, S. 268f.; J. Handschin, The Two
Winchester Tropers, The Journal of Theological Studies
XXXVII, 1963; A. Hughes OSB in: The New Oxford Hist,
of Music II, London 1954, S. 280f.; Fr. Ll. Harrison,
Music in Medieval Britain, London (1958); ApelN, S.
226ff. ; A. Machabey, Remarques sur le Winchester Tro-
per, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; ReaneyM.
Wol, Wolfenbiittel, Herzog August Bibl, ms. 287
extra vag., -*■ Chansonnier.
Wore, Worcester-Fragmente, Reste eines Ms.-Bestan-
des d. Kathedrale v. Worcester, heute (soweit aufge-
funden) an 3 Orten gesammelt: 1) Oxford, Bodleian
Library, ms. Lat. liturg. d 20; 39 f. (neu) ; 2) Worcester,
Chapter Library, ms. add. 68; Fragmente I-XXXV;
3) London, Brit. Mus., ms. add. 25031; f. 1, 2a-c, 3;
alle Pergament, verschiedene Formate; 13.-14. Jh. ;
Repertoire: Anfang 13. Jh. - um 1350; wichtige Quelle
d. ma. engl. Musik; neben zahlreichen 1st. Stiicken
mehrst. Motetten (54), Organa (23), Mefisatze (10),
Conductus (9) , Sequenzen (9) , Rondelli (7) , Hy mnen (4) .
Ausg. u. Lit. : The Worcester Fragments. A Cat. Raisonn6
and Transcriptions, hrsg. v. L. A. Dittmer, = MSD II,
(Rom) 1957; Worcester Add. 68 . . ., u. Oxford, Lat. Li-
turgical D 20, London, Add. Ms. 25031 . . .,hrsg. v. dems.,
= Publications of Mediaeval Mus. Mss. V u. VI, Brooklyn/
N. Y. (1959-60), Faks. u. Einleitung; ReaneyM.
Querelle des bouffons (kar'el de buf'5, frz.) -> Buf-
fonistenstreit.
QuerflSte (ital. flauto tra verso, flauto tedesco; frz.
flute traversifere, flute allemande; engl. German flute),
772
Querflote
seit dem Ende des 18. Jh. und in Nachf olge der Block-
flote auch »F16te« schlechthin genannt, das beweglich-
ste, gleichwohl im Hinblick auf die Tonerzeugung das
einfachste unter den Holzblasinstrumenten. Das durch
die Lippen des Blasers geformte Luftband bricht sich
an der Kante des im Kopfstiick der Qu. seitlich ge-
bohrten Mundlochs, so daB (im Unterschied zu Rohr-
blatt- und Blechblasinstrumenten) die Lippen frei be-
weglich den Ansatz bilden. Daher kommt kein ande-
res Blasinstrument der Virtuositat so entgegen wie die
Qu., auf der die groBten Spriinge in schnellem Tempo
ausfiihrbar sind.
Von ihrer Vorlauferin, der -> Querpfeife, ist die Qu.
seit der 1. Halfte des 17. Jh. unterscheidbar. Praetorius
(Synt. II) unterscheidet in Qu. (bei ihm noch synonym
mit Querpfeife) und Schweitzer- oder Feldpfeiff; er
gibt als unterscheidendes Merkmal nur die Verschie-
denheit der Griff e an. Nach Mersenne (1636) unter-
scheidet sich die fifre (Querpfeife) von der fluste d'Al-
lemand durch lauteren und scharferen Klang, hohe-
re Stimmung und engere Mensur. Bildzeugnisse fiir
eine Verwendung der Qu. (oder der Querpfeife) in
der Kunstmusik sind schon aus dem 16. Jh. iiberlie-
fert: Auf einem Bild eines unbekannten franzosischen
Malers werden 3 Edelfrauen dargestellt, die eine 1531
bei Attaingnant gedruckte Chanson von Sermisy mit
Singstimme, Laute und Qu. musizieren. Auf dem
Bild der bayrischen Hofkapelle in H. Mielichs Kodex
der BuBpsalmen von Lassus (um 1570) ist auch ein
Qu.n-Spieler zu sehen. Das Inventar der Stuttgarter
Hofkapelle von 1576 verzeichnet 35 Qu.n. - Ein neu-
artiger Typus der Qu. trat nach 1650 in Frankreich her-
vor. Das Kopfstiick war zylindrisch geblieben, das iib-
rige Corpus verkehrt konisch gebohrt. Diese Bohrung,
verbunden mit betrachtlicher Wandstarke (bis 5 mm),
ergab mit dem kleinen, scharf geschnittenenMundstiick
jenen hellen, nuancenreichen Klang, der den am Hofe
Ludwigs XIV. und XV. entstandenen Flotenkompo-
sitionen entspricht (la Barre, Hotteterre le Romain, M.
Blavet, G. Guillemain). Quantz (1752, S. 41) nennt den
Klang seiner Instrumente hell, schneidend und mann-
lich. Erst nach der Mitte des 18. Jh. wurde die Mensur
enger und die Wandstarke verringert, um die Hohe
uber das von Hotteterre und nach ihm von Quantz ge-
nannte e3-a3 zu erweitern. J. S. Bach verlangt in denFlo-
tenpartien der Kantate Durchlaucht'ster Leopold (BWV
173a) noch als obere Grenze des Umfangs d3, wahrend
seine Flotensonaten und vor allem die Suite A moll
(BWV 1013) fur Qu. solo bis zum a3 gefiihrt werden.
- Die Bliitezeit der Qu. war das 18. Jh., die empfind-
same und galante Zeit, in der franzosische Sprache
und Kultur in Mitteleuropa vorbildlich waren. Es kam
darauf an, das Instrument . . . in traurigen Arien auf eine
so riihrende Art wissen winsein und in . . . zartlichen Arien
auf das verliebteste wissen saufzen zu lassen . . . (Fr. Ra-
guenet in : Marpurg, Kritische Briefe uber die Tonkunst I,
S. 69). Neben einem umfangreichen Repertoire von
Kammermusikwerken mit Qu. entstanden im 18. Jh.
zahlreiche Solokonzerte, u. a. von Vivaldi, Telemann,
QuantzJ.A.HasseJ.G.Graun, Friedrich II., C.Ph.E.
Bach, J. Chr. Bach, Boccherini, C. Stamitz, Cimarosa
(fiir 2 Qu.n), W.A.Mozart und Danzi. - Das Material
der Qu. wird erstmals von Mersenne 1636 ausfiihrlich
beschrieben: man verwende Holz vom Pflaumenbaum
oder andere Holzarten, die leicht gebohrt werden kon-
nen, im allgemeinen Buchsbaum; auch Kristall oder
Glas fanden Verwendung. Im 18. Jh. verarbeitete man
auch Elf enbein. Nach Quantz (1752, S. 29) sei am dauer-
haf testen Buchsbaum ; schonster und hellster Ton kom-
me durch Ebenholz zustande, dagegen werde der Ton
durch eine Messingfiitterung kreischend, rauh und un-
angenehm. Seit Th.Bohm sind Silberfloten verbreitet.
- Bis um 1650 bestand die Qu. aus einer unteilbaren, zy-
lindrisch gebohrten Rohre (Ph.Jambe de Fer). Die Zer-
legung der Qu. in mehrere Telle mit auswechselbaren
FuBstiicken von verschiedener Lange (cis-h-FuB) kam
in Frankreich im Zusammenhang mit der konischen
Bohrung in der 2. Halfte des 17. Jh. auf; aus dem 17. Jh.
sind auch italienische Qu.n (klappenlos, 6 Grifflocher,
zylindrisch) bekannt, die in 3 Teile zerlegbar sind
(Kopf, Mittelteil und langes FuBstiick). Die Griinde
fiir die Zerlegung sind verschieden : eine genauere Boh-
rung wird ermoglicht, die Abstimmung kann praziser
erfolgen und das Instrument kann bequemer verwahrt
werden. Quantz (1752, S. 25f.) berichtet uber die Zer-
legung und die damit verbundene bessere Stimmungs-
moglichkeit: um 1720 habe es 2 Mittelstiicke gegeben;
fiir das obere hatten die Flotisten bis zu 6 auswechselba-
re Ersatzmittelstiicke, derenjedes, von dem andern, in der
Stimmung, nicht mehr als um ein Komma, oder ein Neun-
theil eines ganzen Tones, unterschieden ist. - Bis ins spate
17. Jh. war die Form der Qu. meist glatt und unverziert.
Zu Anfang des 18. Jh. kam das Prachtprofil auf, wie es
auch Hotteterre abbildet. Nach 1740 ist die Gestalt
der Qu. jedoch schon wieder ganz glatt; in Deutsch-
land haben sich Prachtprofile etwas langer gehalten. -
Bis in die 2. Halfte des 17. Jh. waren 6 Grifflocher ub-
lich. Die ersten -> Klappen begegnen (von einzelnen
' Ausnahmen abgesehen, z. B. 1589, Stuttgarter Hofka-
pelle: 1 Klappe) in Frankreich nach 1650. Zuerst wur-
de die Kleinnngerklappe (dis-Klappe, geschlossen) an-
gebracht. Daneben brachte Quantz (nach eigenem
Zeugnis) 1726 die enharmonische es-Klappe an. In der
2. Halfte des 18. Jh. kamen je eine Klappe fiir fi, gisi,
b 1 , c 2 und eine 2. fiir f 1 hinzu, letztere mit einem Lang-
hebel fiir den 5. Finger. Von 1785 an sind in der Regel
diese Klappen samtlich vorhanden, daneben hielt sich
die Qu. mit nur einer oder mit wenigen Klappen noch
lange. Um 1790 unterschied man die »StraBburger«
Bauweise mit 1-3 Klappen von der englischen mit 4.
Um 1820 wurde von dem Schweizer Gordon das f-
Loch mit Ringklappe versehen. An der Entwicklung
der modernen Qu. waren auBer Quantz auch J.G.
Tromlitz (8 Klappen) und besonders Th. -> Bohm be-
teiligt. Bohm baute 1832 eine konische Flote mit Ton-
lochern fiir jeden chromatischen Ton und ubernahm
das Ringklappensystem; 1847 konstruierte er die zy-
lindrische Qu. mit parabolischem Kopfstiick. Dieses
Instrument mit ganz neuem Klangcharakter wurde
von franzosischen und englischen Spielern sehr bald,
von den deutschen nur zogernd aufgegriffen. Eine
Riickkehr zur konischen Flote wurde von Kruspe und
Schwedler versucht (1885, Reformflote 1912). - Das
Kopfstiickende wurde schon friih durch einen Kork
verschlossen. Mersenne zufolge war dieser Pfropfen
17 mm vom Mundloch (wahrscheinlich Mundloch-
mitte gemeint) entfernt. War der Kork anfangs fest-
sitzend, so war eine Verschiebbarkeit geboten, als die
Zerlegung der Mittelstiicke aufkam (nach 1720). Bei
Gebrauch eines langeren Mitteleinsatzes wurde der
Pfropfen naher an das Mundloch herangeschoben, bei
kiirzeremMitteleinsatz wurde sein Abstand zum Mund-
loch vergroBert. In der Zeit Quantz' kam die bis heute
iibliche Pfropfenschraube auf. - Das Mundloch war in
der 1. Halfte des 18. Jh. rund und klein. Der Ton war
kleiner, aber scharfer (obertonreicher) im Vergleich zu
dem Flotenton, der mit dem rundovalen oder ovalen
Mundloch hervorgebracht wurde (ab Ende des 18. Jh.) ;
danach setzte sich die rechteckig-abgerundete Mund-
lochform Bohms durch.
Die Qu. mit di als unterster Tongrenze war bis um
1800 dominierend. Agricola (1529) kennt ein Stimm-
773
Querflote
werk von 4 Schweitzer Pfeiffen (Querpfeifen). Bei
Praetorius (1619) hat das Stimmwerk der zylindrischen
Traversa, Querpfeiff oder Querflott 3 Arten : BaB auf
g, Tenor- Alt auf d 1 (die wichtigste Lage, auch als Dis-
kant zu gebrauchen) sowie Diskant auf a 1 . Der Umfang
ist wie beim Zink vind der Dolzflote 15-19 Tone. Mer-
senne erklart 1636 nur einen Typus, verweist jedoch
auf 4 verschiedene Stimmlagen; Hotteterre kennt nur
die Alt-Tenor-Lage (70,5 cm). Um 1750 gab es neben
dieser NormalgroBe (d 1 oder ci) die groBe Quartflote
(g oder a), die Flute d'amour (h oder a), die kleine
Quartflote (fi oder gi) und die BaBflote (f). Letztere
wird z. B. bei Handel als Traversa bassa 1727 im Ric-
cardo verlangt. J.G.Tromlitz (1791) kennt Oktavflote
(c 2 ), Quartflote (fi), GroBe Flote (el), Flute d'amour (a)
und BaBflote (c). Um 1900 sind folgende Qu.n-GroBen
iiblich: Kleine Floten (c 2 , des 2 , es 2 , -> Piccolo), GroBe
Floten (a', b, h, el, desi, esi), Altfloten (es, f, g), BaBflote
(c, des, -> Albisiphon). Der Umfang der heutigen Qu.
reicht chromatisch von c 1 bzw. h bis normal c 4 oder d 4 ,
spielbar ist noch f 4 . Heute ist neben der »groBen« Flote
und der Piccoloflote in Frankreich und Belgien gele-
gendich das -*- Flageolett (- 1) in Gebrauch. Die Altnote
mit gekropftem Kopf stiick wird in neuerer Zeit nur ge-
legentlich verlangt (u. a. von Rimskij-Korsakow, »Die
Sage von der unsichtbaren Stadt Kitesch . . . «; Pfitzner,
Palestrina; Ravel, Daphnis et Chloi; Strawinsky, Le
Sacre du Printemps; Scnostakowitsch, VII. Symphonie;
B.Britten, Albert Herring; H. W.Henze, Der Prinz von
Homburg). - Die wichtigsten Schulen fur Qu. schrie-
ben: Hotteterre (1707), Quantz (1752), Tromlitz (2
Teile, 1791-1800), Devienne (1795), Hugot und Wun-
derlich (1804, eingefuhrt am Conservatoire), Berbi-
guier (1820), Furstenau (1828 und 1834), Tulou (1835),
P.Taffanel und Ph.Gaubert (1923), G.Scheck (1936),
H.Zanke (1949), H.P. Schmitz (1955). Etiiden fur Qu.
veroffendichten u. a. Furstenau, Th. Bohm, P. Camus,
L. de Lorenzo, S.Karg-Elert, M.Moyse und H.Genz-
mer. In neuerer Zeit komponierten Ibert (1934), Joli vet
(1949), Genzmer (1954, 1955) und Petrassi (I960) Solo-
konzerte fiir Qu.
Lit. : M. Agricola, Musica instrumentalis deudsch, Wit-
tenberg 1529 u. "1545, hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg.
XXIV, Bd XX, Lpz. 1896; Ph. Jambe de Fer, Epitome
mus Lyon 1556; Praetorius Synt. II ; M. Mersenne,
Harmonieuniverselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure,
3 Bde, Paris 1963 ; J. M. Hotteterre, Principes de la flute
traversifcre ou flute d'Allemagne . . ., Paris 1707, Faks. u.
deutsche ttbers. hrsg. v. H. J. Hellwig, Kassel 1942, 21958;
WaltherL; Quantz Versuch; J. G. Tromlitz, Kurze
Abh. v. Flotespielen, Lpz. 1786; ders., Ausfuhrucher u.
griindlicher Unterricht d. FI. zu spielen, Lpz. 1791, II.Teil:
Uber d. FI. mit mehreren Klappen, Lpz. 1800; Huoot u.
Wunderlich, Mithode de flute du Conservatoire, Paris
1804, deutsch v. Kiihnel, Lpz. o. J.; Th. Bohm, t)ber d.
Flotenbau u. d. neuesten Verbesserungen derselben, Mainz
1 847 ; ders., Die FI. u. d. Flotenspiel . . . , Munchen (1871),
NA Lpz. u. Bin o. J., Wien o. J., engl. v. D. C. Miller, NY
2 1960; R. S. Rockstro, A Treatise on the Construction,
the Hist., and the Practice of the Flute, London 1890,
2 1928; A. Schwedler, Katechismus d. FI. u. d. Floten-
spiels, = Weber's illustrierte Katechismen Nr 159, Lpz.
1897, als: FI. u. Flotenspiel '1923; P. Wetzoer, Die FI.,
Heilbronn (1905); A. Goldberg, Biogr. u. Portraitslg her-
vorragender Flotenvirtuosen, Lpz. 1906; H. M. Frrz-
gibbon, Story of the Flute, London 1 9 1 4, ( 2 1 929) ; L. Fleu-
ry, The Flute and Flutists in the French Art of the 1 7 th and
1 8 th Cent., MQ IX, 1923 ; H. Halbig, Die Gesch. d. Klappe
an FI. u. Rohrblattinstr., AfMw VI, 1924; K. Schlenger,
Uber Verwendung u. Notation d. Holzblasinstr. in d.
fruhen Kantaten J. S. Bachs, Bach-Jb. XXVIII, 1931 ; G.
Scheck, J. J. Quantz' Flotenschule (1752), Deutsche Ton-
kiinstlerzeitung XXIII, 1937; ders., Die Qu., in: Hohe
Schule d. Musik IV, hrsg. v. J. M. Muller-Blattau, Potsdam
(1938); H. Kolbel, Von d. FI., = Musica instrumentalis
III, (Koln u. Krefeld 1951), mit Bibliogr. ; L. de Lorenzo,
My Complete Story of the Flute, NY 1951 ; H. P. Schmitz,
Qu. u. Querflotenspiel in Deutschland wahrend d. Barock-
zeitalters, Kassel (1952) ; ders., Flotenlehre, 2 Teile, Kassel
1955; ders., t)ber d. Verwendung v. Qu. d. 18. Jh. in un-
serer Zeit, Fs. M. Schneider, Lpz. (1955); W. Haseke, Un-
tersuchungen zur Flotenspielpraxis d. 18./19. Jh., Diss.
Koln 1954, maschr.; G. Muller, Die Kunst d. Floten-
spiels, 2 Teile, Lpz. u. Bin 1954; F. Demmler, J. G. Trom-
litz, Diss. Bin 1961 ; H. Kunitz, Die FI. (= Die Instrumen-
tation II), Lpz. 1961 ; K. Ventzke, Die Boehmfl., = Fach-
buchreihe Das Musikinstr. XV, Ffm. 1966.
Querpfeife (Zwerchpfeife, Schweizerpfeife, Feldpfei-
fe, auch -> Schwegel - 1), eine kleine Querflote mit 6
Grifflochern und enger Bohrung. Vom 15. Jh. an war
sie (neben der -*■ Einhandflote) wegen ihres lauten,
scharfen Klanges, begleitet von der Trommel, das be-
vorzugte Instrument der -»- SpieUeute (- 1). Agricola
(1525) kennt ein Stimmwerk von 4 Schweizerpfeifen.
Praetorius (Synt. II) nennt neben dem Stimmwerk der
Traversfloten 2 Schweizerpfeifen (di-a 2 und g'-c 2 ).
Mersenne (1636) unterscheidet die grelltonende fifre
(Qu.) von der sanf teren fluste d' Allemand (->■ Querflote) .
Im 19. Jh. erhielt die Qu. konische Bohrung und ein
Kleinfingerloch fiir den Ton es. Die in der Militarmu-
sik verwendete deutsche Infanterie-Qu. stand in hoch
B. In der Volksmusik der Alpenlander blieb die Qu.
bis in die Neuzeit lebendig (eine erfolgreiche Wieder-
belebung ging von K.M.Klier aus); vor allem in der
Schweiz hat sich die traditionelle Zusammenstellung
von Pfeifem und Trommlern erhalten.
Lit.: WaltherL, Artikel Fiffaro, Flauto traverso, Schweit-
zer-Flote; K. M. Klier, Die volkstiimliche Qu., Das
deutsche Volkslied XXV, 1923, auch separat Wien 1923;
ders., Volkstiimliche Querfloten u. d. Maultrommel . . .,
Kgr.-Ber. Wien 1927; ders., Neue Anleitung zum Schwe-
geln, Wien 1931; ders., Volkstiimliche Musikinstr. in d.
Alpen, Kassel 1956.
Querstand (lat. relatio non harmonica) heiBt eine auf
2 Stimmen verteilte Halbton- bzw. Tritonusfolge, der
Widerspruch zwischen 2 To- .
nen in diagonaler Position (sie-
he Beispiel). Chr.Bernhard '
zahlt in seiner Kompositionslehre auch den -> Passus
duriusculus zu den falschen Relationen. Da dem Qu.
entweder ein nichtleitereigener Ton (z. B. chroma-
tischer Nebenton) oder ein Tritonusschritt zugrunde
liegt und diese den eindeutigen Ablauf einer Har-
moniefolge zu storen scheinen, wird er von der Mu-
siklehre im allgemeinen verboten. Dieses Verbot gilt
jedoch einzig im Bereich des strengen Kontrapunkts
als verbindlich. Die Musiklehre der Barockzeit, die
den Tritonus-Qu. in Anlehnung an die Hexachord-
lehre als ->■ Mi contra Fa bezeichnet, klassifiziert die ver-
schiedenen Arten der Relationes non harmonicae be-
reits in tolerabiles mid intolerabiles (WaltherL). Erstere
werden als spezifischer Ausdruck eines Aff ekts empf oh-
len, da sie gleichsam mit Gewalt zu einem annehmlichen /
verliebt oder andachtigen Trauren zwingen (Printz, Phry-
nis Mitilenaeus, 1696). Eine exakte Definition fiir er-
laubte und unerlaubte Relationes wird im Hinblick auf
die Kompositionen jedoch nicht gegeben, weil die Auc-
tores so wohl, als dergoAt der Zuhorer hierinnen nicht einig
sind (WaltherL). Wahrend im kompositorischen Be-
reich das Verbot des Qu.s zu keiner Zeit prinzipiell be-
achtet wurde, laBt sich die Unsicherheit in der theore-
tischen Beurteilung dieses Verbots bis in die Neuzeit
verfolgen: es lassen sich keine bestimmte Regeln geben, in
welchen Fallen solche Fortschreitungen verwerflich, und in
welchen sie zulafiig sind (KochL). In der Musik des 19.
Jh. wurde der Qu. endgiiltig zu einer Selbstverstand-
lichkeit; seine spezifisch klanglich-koloristische Eigen-
774
Quintenzirkel
art wurde zu einem Stilcharakteristikum (so bei Schu-
bert). In der nicht mehr tonal gebundenen Musik ver-
lor der Qu. als Name und Sache seinen Sinn.
Quickstep (engl.) -»• Foxtrott.
Quilisma (mittellat., von griech. xuXlvSetvoderxuXt-
etv, walzen, drehen), eine der Zierneumen (-»- Neu-
men - 1). Das Qu. tritt meist an der Stelle des Halbtons
(e-f oder h-c) auf und scheint eine besondere, bisher
jedoch noch nicht ganz geklarte Vortragsweise anzu-
zeigen (Kiirzung des Qu.-Tons, Verschleifung, Triller
oder ahnlich).
Lit. : C. Vivell OSB, Das Qu., Gregorianische Rundschau
IV, 1905; W. Wiesli, Das Qu. im Cod. 359 d. Stiftsbibl. St.
Gallen, Immensee (1966).
Qulntaden (von mittellat. quintadenare, quintieren),
auch Quintade, Quintaton, ein engmensuriertes, zy-
lindrisch gedecktes Orgelregister zu 16', 8' und 4'. Die
Metallpfeifen haben einen niedrigen Aufschnitt; da-
durch tritt der 3. Teilton (Duodezime) charakteristisch
hervor. Das Qu. wird auch als rohrgedecktes Register
gebaut (Rohr-Qu.). Die P£eifen werden oft mit Ka-
stenbSrten versehen, um die Ansprache zu erleichtern.
Quintdezime (lat. quinta decima, funfzehnte), die
Doppeloktave.
Quinte (lat. quinta, fiinfte; griech. Sianbm), die 5.
Stufe in diatonischer Folge, zusammen mit der gro-
Ben oder kleinen Terz das den -*■ Dreiklang konstituie-
rende Intervall. Die musikalische Praxis- "
kenntdieQu. als rein, vermindert (-»-Tri-3
tonus) und ubermaBig. Die musikali-
sche Akustik kennt die reine Qu. als natiirlich (2:3)
und gleichschwebend temperiert ( 7 /i2 der Oktave).
- In der Theorie der antiken Griechischen Musik gilt
die Qu. (Diapente) neben -*■ Diapason (- 1) und Dia-
tessaron als Symphonia, im Mittelalter als -*- Con-
cordantia (-*■ Konsonanz - 1). Seit den Pythagoreern
ist Quintverwandtschaft das Prinzip fur den Aufbau
des -> Tonsystems; im 16. Jh. wurde die Quintreihe
durch eine Quint-Terz-Reihe abgelost. Obgleich die
Dreiklangsharmonik der spateren Zeit die Terzver-
wandtschaft immer starker betonte, wurde doch in der
tonalen Musik die grundlegende Bedeutung der Quint-
verwandtschaft von Tonen, Tonarten und Dreiklangen
niemals in Frage gestellt. Sie kommt vor allem in der
Lehre von den 3 Grundfunktionen der tonalen Har-
monik zum Ausdruck, in der die besondere Bedeutung
der Dominante und Subdominante von deren Quint-
verwandtschaft mit der Tonika abgeleitet wird. Die
in reiner Stimmung unendliche Folge von Qu.n wird
seit Einfiihrung der gleichschwebenden Temperatur
im 17. Jh. als -+ Quintenzirkel dargestellt.
Quintenzirkel heifk der Rundgang durch die 12
Quinten des temperierten Systems: c(his) g(fisis,asas)
d(cisis.eses) a(gisis.heses) e(fes) h(ces) fis(ges) cis(des)
gis(as) dis(es) ais(b) eis(f) his(c). Da der Qu. stets zu sei-
nem Ausgangston zuriickkehrt, zwingt er irgendwo zu
einer enharmonischen Verwechslung, d. h. zur schreib-
technischen Auswechslung von jt, 1) und \>. Die enhar-
monische Umdeutung dagegen, die durch den tonalen
Zusammenhang erzwungene Anderung der Auf f assung
von temperiert identischen Tonen, erfolgt konsequen-
terweise erst dort, wo die Tonart erreicht ist, die mit
der Ausgangstonart enharmonisch identisch ist, d. h.
amEnde des Qu.s {-*■ Enharmonik). Auf ahnliche Wei-
se entsteht der Quartenzirkel. BereitsJ.J.Froberger soil
(nach A.Werckmeister, Hypomnemata musica, 1697)
Qu. und Quartenzirkel in einer (heute verschollenen)
Kanzone angewendet haben. Angeregt durch Werck-
meisters Arbeiten (Musicalische Temperatur, 1686/87)
und auf Grund von J. G. Neidhardts endgiiltiger Reali-
sierung der zwolf stufigen gleichschwebenden Tempe-
ratur (Sectio canonis harmonici, 1724), entstanden ab 1700
zahlreiche experimentelle Stiicke, die durch den ganzen
Qu. bzw. Quartenzirkel modulieren, z. B.J. Mattheson,
Exemplarische Organisten-Probe (1719, 10. Probstiick)
undJ.D.Heinichen, Der General-Baft in der Composition
(1728, darin die lange Zeit J.S.Bach zugeschriebene
Fantasia durch alle Tonarten gehend, vgl. BWV Anh.
179). Nach dem Qu. angeordnet ist die Clavieriibung
aus 24 Praeludia durch den ganzen Circulum Modorum
von G. A. Sorge (1730). Nach Heinichen soil der Zirkel
die naturliche Ordnung, Verwandtschaft und Ausschweifung
aller Modorum musicorum zeigen. Doch handelt es sich
dabei nicht immer um einen ausgesprochenen Qu. Der
Zirkel Heinichens wie auch der z. B. in J.Matthesons
Kleiner General-Baft-Schule (1735) ist ein Terzen-Qu.
(G. A. Sorge 1747)
Sein regelmaBiger Wechsel von Terz- und Quintstu-
fen entsteht durch das unmittelbare Nebeneinander-
riicken von je zwei Dur- und Molltonarten, wodurch
sich die Verwandtschaftsverhaltnisse der 24 Tonarten
von denjenigen des eigentlichen Qu.s als verschieden
erweisen. Sorge, der Heinichens Zirkel deswegen kri-
775
Quinteme
tisiert (Vorgemach der musicalischen Composition III, 1 747) ,
gibt in Tabelle XL ein Gegenbeispiel dutch den Circkel
aufeine neue Art (siehe Abbildung auf vorhergehender
Seite). Der Terzen-Qu. ist jedoch ein Schlussel zur Er-
kenntnis mancher Modulationsplane um 1700, beson-
ders im Werk J.S.Bachs. Das spatere 18. Jh. kannte
noch andere Zirkel. So bringt G.J. Vogler (Tonwissen-
schaft und Tonsezkunst, 1776) folgende Harmonisierung
der »vermischten Leiter« :
Es handelt sich um einen chromatisch ausgestuften
Kleinterzenzirkel. Das Gebilde ist insofern bemerkens-
wert, als es - wenn auch nicht immer vollstandig - in
manchen Werken des spateren 18. und friihen 19. Jh.
wiederkehrt; so z. B. in der Fantasia II in C dur aus der
5. Sammlung der Klaviersonaten . . . fur Kenner und
Liebhaber von C. Ph.E. Bach, im 1 . Satz der 2. Sympho-
nic von Beethoven (Takt 326ff.) und im Wegweiser aus
Schuberts Winterreise (Takt 57fL). Eine Modulation
durch den ganzen Qu. bzw. Quartenzirkel, von der H.
Chr. Koch meint, sie kame in den Tonstiicken niemals
vor (Handbuch bey dem Studium der Harmonie, 1811),
findet sich noch bei Beethoven im zweiten seiner Zwei
Praeludien durch alle Dur-Tonarten op. 39 (1789). Jedoch
benutzen die Komponisten des 18. Jh. bei enharmoni-
schen Modulationen im allgemeinen nur Ausschnitte
aus dem Qu. bzw. Quartenzirkel (vgl. J. S.Bach, Fan-
tasie G moll, BWV 542, Takt 32ff., und W. A. Mozart,
Finale des ersten der J. Haydn gewidmeten Streichquar-
tette, K.-V. 387, 4. Satz, Takt 124fL). Fur enharmoni-
sche Modulationen in der Musik des 19. und friihen 20.
Jh. haben die Terzenzirkel groBere Bedeutung.
Lit. : W. Dupont, Gesch. d. mus. Temperatur, Kassel 1935,
S. 72ff.; M. F. Bukofzer, Music in the Baroque Era, NY
(1947), S. 384f . ; M. Frisch, G. A. Sorge u. seine Lehre v. d.
mus. Harmonie, Diss. Lpz. 1954, maschr. ; E. Seidel, Ein
chromatisches Harmonisierungsmodell in Schuberts »Win-
terreise«, Kgr.-Ber. Lpz. 1966. ESe
Quinteme, im 16. Jh. in Deutschland eine Bezeich-
nung fiir die -> Mandora. Im 17. Jh. war Qu. eine
->■ Gitarre (bei Praetorius Synt. II mit geschweiftem
Wirbelkasten).
Quintett (ital. quintetto; frz. quintette, quintuor; engl.
quintet), eine Komposition fiir 5 Instrumente oder 5
Singstimmen, auch ein Ensemble von 5 Instrumental-
oder Vokalsolisten. Das instrumentale Qu. hieB bis ins
19. Jh. meist Quintuor. - Haufig ist das Streich-Qu.,
das die Streichquartettbesetzung (2 V., Va, Vc.) ent-
weder um ein zwei tes Violoncello (so vor allem bei
Boccherini, auf den das Streich-Qu. zuriickgehf, auch
in Schuberts op. 163) oder um eine zweite Viola erwei-
tert (so bei Mozart, K.-V. 515, 516, 593 und 614, au-
Berdem in Bruckners Qu. F dur). Wahrend der 5st.
Streichersatz gegeniiber dem -» Streichquartett nicht
nur groBere Klangf iille bedeutet, sondern auch im Um-
gehen mit 5 gleichrangigen Stimmen subtilere kom-
positorische Arbeit verlangt, bringt das Hinzutreten
eines anderen Instruments, vor allem des Klaviers, ein
konzertierendes Element in das Qu. Von der Norm ab-
weichend besetzt ist das Forellen-Qu. von Schubert (V. ,
Va, Vc, Kb. undKl.). In der Regel wird das Klavier mit
Streichquartett kombiniert (2 V., Va, Vc. und Kl.;
z. B. Schumann, op. 44), daneben mit Blasern (Mozart,
K.-V. 452; Beethoven, op. 16). Den besonderen klang-
lichen Reiz, der sich aus der Verbindung der Klarinette
mit Streichern ergibt, entdeckte Mozart in seinem be-
deutenden Klarinetten-Qu. K.-V. 581 ; spater huldig-
ten ihm Brahms (op. 115) und Reger (op. 146). Andere
gemischte Besetzungen blieben vereinzelt (Prokofjews
Qu. op. 39: V., Va, Kb., Ob., Klar.). Das Blaser-Qu.
erweitert die Besetzung des (Holz-)Blaserquartetts um
das Horn. - In der Oper ist Qu. eine Ensembleszene
von 5 handelnden Personen mit Orchesterbegleitung.
quintieren, - 1) eine die altere Art der Mehrstimmig-
keit (-> Organum, -> Dechant) fortf iihrende bzw. eine
originar volkstiimliche Stegreifpraxis, die vornehm-
lich auf der Quinte beruht. Bei Gaultier de Coinci
(1177/78-1236) ist belegt: deschanter ou quintoier (Mi-
racles de Nostre Dame, Ms. Soissons, f. 176'), ahnlich
bei J. de Conde (1. Halfte des 14. Jh.): quintier, doubter
[et] descanter (Li Dis dou levrier, 80). Praziser sind die
Angaben bei Jacobus Leodiensis (Speculum musicae VII,
CS II, 394b), der dyapentizare vel quinthiare (qui amplius
. . . et quasi a domino utitur quintis) und quartare sive dya-
tesseronizare (si amplius quartis utatur) als Arten der Dia-
phonia (sive discantus) erwahnt. Weitere Belege fin-
den sich u. a. bei O. v. Wolkenstein (21, II: Wie wol der
gauch von hals nit schon quientieret, und derfranzoisch hof-
lich discantieret), im Liederbuch der Clara HStzlerin von
1471, in S. Brants Narrenschiff von 1494 (73, 21f. : Wis-
sen als vil von kyrchregyeren / Alls mullers esel kan qwintye-
ren) undMittedeslo.Jh. bei J. Skelton (They finger ther
fidles and cry in quinibles, ed. Dyce, II, 434a). L.Zacconi
(1592) charakterisiert die haufigen Quintparallelen der
Villanelle als Nachahmung baurischen Singens. In
Randgebieten (Island, Alpenlander, Portugal, Adria-
Inseln) hat sich das Qu. teilweise bis in die Neuzeit er-
halten. - 2) bei Blasinstrumenten (Klarinette, -> Quin-
taden) das ->■ Uberblasen in den 3. Naturton (Duo-
dezime).
Lit. : zu 1) : W. Bachmann, Die Verbreitung d. Qu. im euro-
paischen Volksgesang d. spaten MA, Fs. M. Schneider,
Lpz. (1955).
Quintole (Fiinfer; ital. quintina; frz. quintolet; engl.
quintuplet), eine fiir 3, 4 oder 6 Noten eintretende Fi-
gur von 5 Noten gleicher Form. Entsprechend der
->- Triole wird die Qu. durch Zusammenfassung mit
eckiger Klammer oder mit Bogen und Beifiigung der
Zahl 5 kenntlich gemacht.
Quinton (kst'5, frz.), eine Diskantviola, die auch als
Mischf orm zwischen Viola und Violine gebaut wurde,
mit 5 Saiten in der Stimmung g d 1 al d 2 g 2 . Auf dem
Qu. wurde in Frankreich im 18. Jh. im 5st. Geigenen-
semble die hochste Stimme gespielt. Sonaten fiir Qu.
veroffentlichte u. a. J. -> Aubert.
Lit.: J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf
1767(7), Paris 1768, Artikel Quinte; SachsL; J. Eppels-
heim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Munchner
Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961.
776
Quodlibet
Quintsextakkord -> Septimenakkord.
Quintus (lat. der Fiinfte; auch quinta vox, fiinfte Stim-
me; ital. quinto) bezeichnet in fiinf- und mehrstimmi-
gen Vokal- oder Instrumentalwerken des 16. und 17.
Jh. die 5. Stimme, die in der Regel keine neue Stimm-
lage zu den herkommlichen 4 -*■ Lagenstimmen hinzu-
fiigt, sondern einen 2. Sopran (Diskant), Alt, Tenor
oder BaB darstellt (Ausnahmen sind Satze, in denen zu
einem normal geschliisselten Diskant ein zweiter im
Mezzosopranschliissel oder zu einem BaB eine zwei-
te, hohere BaBstimme im Baritonschliissel hinzutritt).
Qu. ist - ebenso wie Sextus (sexta vox), septima vox
usw. - primar eine Bezeichnung fiir ->• Stimmbiicher,
in denen jeweils die eine der im Satz zweifach vertrete-
nen Lagenstimmen der funf-(sechs-, sieben-)stimmigen
Kompositionen aufgezeichnet ist. Andere Bezeichnun-
gen fiir die 5. Stimme sind -> Vagans und -> Concor-
dant. Zweifach vorhandene Lagenstimmen werden oft
als Primus und Secundus unterschieden; die zwischen
Tenor und BaB liegende 5. Stimme wird auch als Ba-
rytonus (-> Bariton - 2) bezeichnet. Im 5st. Streicher-
satz im Frankreich des 17. Jh. (z. B. J.-B. Lully) verfestig-
te sich Qu. (frz. quinte) zu einer Bezeichnung fiir die
zwischen -*■ Taille und Basse eingeordnete Lagenstim-
me (quinte de violon; -> Viola tenore - 1) ; doch konn-
te nach Mersenne (1636, IV, S. 189) quinte auch die 2.
Stimme von oben (zwischen dessus und haut-contre)
bezeichnen. - Nicht von Qu. herzuleiten ist -> Quinton.
Quodlibet (lat., was beliebt), die Verbindung vorge-
gebener vollstandiger oder f ragmentarischer Melodien
und Texte in einer meist humoristisch gemeinten Kom-
position oder improvisatorischen Darbietung. Der Na-
me Qu., vielleicht auch die Anregung fiir das scherz-
hafte musikalische Qu., geht (nach Rogge 1965) zu-
riick auf die an deutschen Universitaten in der 1. Halfte
des 16. Jh. zu Scherzdisputationen abgesunkenen Dis-
putationes de quolibet, Stegreif disputationen urspriing-
lich ernsten Inhalts nach dem Vorbild der Pariser Sor-
bonne, wo sie vor allem Anfang des 14. Jh. an der theo-
logischen Fakultat iiblich waren. Die ersten mehrstim-
migen Vokalkompositionen, die dutch absichtlich un-
zusammenhangende Reihung von Text- und Melodie-
bruchstiicken spaBhaf te Wirkung hervorbringen woll-
ten, wie auch die Bezeichnung Qu. dafiir, erschienen
1544 in W. Schmeltzls Guter, seltzamer, und kiinstreicher
teutscher Gesang, sonderlich ettliche kiinstliche Qu. - Inso-
fern im Qu. vorgegebene Melodien und Texte neu
kombiniert werden, ist das satztechnische Verfahren
des Qu.s allerdings alter. Aus zahlreichen qu.-artigen
Stiicken des Codex Montpellier (-> Quellen: Mo) hebt
sich als besonders kunstvolles Beispiel solcher Kombi-
nationstechnik die 2st. Motette La bele m'ocit - In saecu-
lum heraus, in deren Motetus 13 Refrains aus Trouvere-
melodien zitiert werden. Ahnlich angelegt sind 3 Stiik-
ke des Glogauer Liederbuchs (Glo), bei denen der Su-
perius von Dunstables O rosa bella mit einem aus Lied-
zitaten bestehenden Tenor und einem frei kompo-
nierten Contratenor kombiniert ist (weitere Beispiele
nennt Maniates 1965). Zum Qu. im weiteren Sinne
konnen auch die Tenorliedsatze mit 2 C. f . (und Hin-
zufiigung freier Gegenstimmen) gezahlt werden, die
vor allem bei Senfl, auBerdem u. a. bei Arnold von
Bruck, Othmayr und Le Maistre vorkommen. Als eine
kunstvolle Variante dieser Satzart ist das polyphone
Qu. anzusehen, das durch kontrapunktische Verbin-
dung mehrerer vollstandiger Liedmelodien (ohne wei-
tere Gegenstimmen) entsteht. Es ist bei Schmeltzl (1 544)
mit nur einem Beispiel vertreten; Praetorius (Synt. Ill)
nennt ein aus 5 Choralmelodien kombiniertes Qu. von
J. Goldel, ein ahnliches Stuck ist von Kindermann iiber-
Iiefert (Drifache Fuga Uber 3 Chorale, 1645, in: DTB
XXI-XXIV); auch J. Christenius veroffentlichte 1624
ein Kirchen-Quotlibet. Von den alteren Beispielen der
Qu.-Technik wie auch vom Tenorlied-Qu. und dem
polyphonen Qu. geht im allgemeinen keine eigentlich
humoristische Wirkung aus, ihr Sinn und Reiz liegen
vielmehr im artifiziell-satztechnischen Moment. Das
scherzhafte Qu. - oft weitaus kunstloser - beschrankt
sich nicht auf die Kombination von Liedmelodien oder
-fragmenten, sondern reiht auch beliebige Texte: Zi-
tate (Sprichworter, Trinkspriiche, grammatische Re-
geln), frei erfundene (Wortspiele, Reimscherze) oder
onomatopoetische Texte (mehrsprachigen Misch-
masch, Buchstabierscherze), auch Solmisationssilben.
In der Wahl lautmalerischer Texte und Marktrufe riickt
bisweilen die Chanson (z. B. bei Janequin) in die Nahe
des Qu.s. -W. Schmeltzl beschreibt (1544, Vorrede) 4
Arten des Qu.s: die Aufzahlung von vielerlei Dingen
(dabei ist der Text in alien Stimmen gleich), die Anein-
anderreihung von kurzen Liedzitaten (-»• Cento) mit
gleichem Text oder mit verschiedenen Zitaten und Tex-
ten in den Stimmen, auBerdem das polyphoneQu.Schon
vor Schmeltzl erschienen einige scherzhafte, dem Qu.
ahnliche Stiicke in Forsters Sammlung Frische teutsche
Liedlein II (1540). Einzelne Qu.s sind uberliefert von
Lassus (»Nasenlied«), J.Reiner undEccard; vonJ.Vaet
stammt das singulare Beispiel einer Missa quodlibetica
(Ms. von 1573). - Im 16. Jh. zeigen sich auch auBerhalb
Deutschlands dem Qu. verwandteErscheinungen, so in
der franzosischen -*■ Fricassee, der spanischen -> En-
salada, in Italien im Centone (vgl. Jeppesen 1939), in
der Incatenatura da villota (bzw. villota d'incatenatura,
zur Unterscheidung vgl. Torrefranca) und Misticanza
(bzw. Messanza). - Im 17. Jh. gelangt das mehrstim-
mige Qu. vor allem im Schafien von M.Franck zu
neuer Bliite (Musicalischer Grillenvertreiber, 1622). Ne-
ben einzelnen Beitragen von Ghro (ein 4st. Qu. Bettler
Mantel, 1606), Zangius (Ich will zu Land ausreiten, in:
Musicalischer Zeitvertreiber, 11609), A.Rauch (1627), J.
Banwart (1652), Theile (1667), Capricornus (1670),
Briegel (1672), J.K.Horn, Gletle (1674 und 1685) und
J.M.Caesar (1688) sind die drei (unter Pseudonymen
erschienenen) Qu.-Sammlungen (1685-88) von D.
Speer zu nennen. Dabei werden eine Abkehr vom Lied-
bzw. Volkslied-Qu. spurbar (entsprechend der zuriick-
gehenden Bedeutung des Lieds im 17. Jh.) und eine
Tendenz zu einem vornehmlich auf lustigen Texten
und Textkombinationen beruhenden Qu., das dann
den Hauptteil der Qu.s von V.Rathgeber ausmacht
(Ohren-vergniigendes und Gemuth-ergotzendes Tafel-Con-
Ject, 3 Teile, 1733-37, 4. Teil von J. C. Seyfert). - Das in
einer 1707 datiertenReinschrift von der HandJ. S. Bachs
uberlieferte Hochzeits-Qu. (BWV 524) ist wahrschein-
hch singularer Zeuge einer improvisatorischen Qu.-
Praxis und steht damit ebenso auBerhalb der durch ge-
druckte Zeugnisse greifbaren Qu.-Tradition wie das
Qu., das Bach als 32. Variation der Goldberg- Variatio-
nen komponierte (immerhin ist eine der beiden darin
verarbeiteten Volksliedmelodien auch in Rathgebers
Tafel-Confect, 2. Tracht Nr 7, enthalten). AuBer diesem,
satztechnisch an das Tenorlied-Qu. des 16. Jh. an-
kniipfenden kontrapunktischen Kunststiick Bachs sind
instrumentale Qu.s selten (C. Farina, Capriccio strava-
gante fiir Solovioline und 3 begleitende Streicher, in:
Ander Theil Newer Paduanen . . ., 1627; J.Vierdanck,
Capriccio auf Quodlibetische Art, 1641). Qu.s nach Art
Rathgebers enthalt die wahrscheinlich Mitte des 18. Jh.
entstandene Ostracher Liederhandschrif t (Stuttgart, M.
Mus. 4°, vgl. Kretzschmar) ; G.J.Werner schrieb Zwey
neue und extra lustige musicalische Tafel-Stucke: Der
Wiennerische Tandlmarckt und die Bauren-Richters-Wahl
777
Quodlibet
(1750), die nach Art der Quotlibete eingerichtet sind. Mo-
zart schrieb neben dem ausdriicklich als Qu. bezeichne-
ten Galimathias musicum (K.-V. 32) in seinem »Bandel-
Terzett« {Das Bandel, K.-V. 441) ein echtes, spaBig-
willkiirliches Qu.; auch einige seiner Scherzkanons
konnen als Qu.s angesprochen werden. - Aufklarung
und Romantik brachten dem Qu. wenig Verstandnis
entgegen. Das Wort Qu. wurde im 19. Jh. oft gleich-
gesetzt mit -*■ Potpourri und bezeichnete daneben auch
humoristische (karikierende) Opernparodien. Die Ju-
gendbewegung entdeckte das Qu. wieder als eine Form
des geselligen Musizierens. Dabei wurde - neben der
einstimmigen Reihung von Liedfragmenten und Reim-
scherzen - auch eine neue Art des Qu.s entwickelt;
Liedmelodien mit gleichem harmonischem Verlauf
werden (mit oder ohne Begleitung) gleichzeitig ge-
sungen, z. B.:
ImFruh-tau zu Ber - ge wir ziehn,fa-le-ra, es
Es hat sidi einTromm-lein ge - ruh - ret mit
Jf |_ /j^-
** *- £
wa
- ren 1
>ei-de mein,
ja m
ein,
grii
- nen die Wal - der, die Hoh'n,
f«
i - le-ra,
Tsching-da - ras - sa - bum,
Ausg.: Das deutsche Lied d. XV. u. XVI. Jh., hrsg. v. R.
Eitner, = Beilage zu MfM VIII, 1876 u. XII, 1880; G.
Forster, Der ander theil, kurtzweiliger guter frischer teut-
scher Liedlein (1540), hrsg. v. R. Eitner, =PGfM, Jg.
XXXIII, Bd XXIX, Lpz. 1905; Ergotzliche Lieder u. Qu.
aus d. 16. u. 17. Jh., hrsg. v. E. Fr. Schmid, Kassel 1928,
21953; Die Singstunde, hrsg. v. Fr. Jode, Wolfenbuttel
(1928-38 u. o.); V. Rathgeberu. J. C. Seyfert, Ohrenver-
gniigendes u. Gemiithergotzendes Tafel-Confect, hrsg. v.
H. J. Moser u. M. Seiffert, = RD XIX, Abt. Oper u. Solo-
gesang II, Mainz 1942; M. Franck, 3 Qu., hrsg. v. K. Gu-
dewill, = Chw. LIII, 1956.
Lit. : J. Fischart, Geschichtsklitterung. Synoptischer Ab-
druck d. Bearb. v. 1575, 1582 u. 1590, hrsg. v. A. Alsleben,
Halle 1891; Praetorius Synt. Ill; M. Fuhrmann, Mus.
Trichter, Bin 1706; WaltherL, Artikel Quolibet, Messan-
za; O. Lindner, Gesch. d. deutschen Liedes im 18. Jh.,
hrsg. v. L. Erk, Lpz. 1871 ; W. Uhl, Die deutsche Priamel
. . ., Lpz. 1897; A. Raphael, Uber einige Qu. mit d. C. f.
»0 rosa bella« . . ., MfM XXXI, 1899; E. Bienenfeld, W.
Schmeltzls Liederbuch u. d. Qu. d. 16. Jh., SIMG VI, 1904/
05; H. Kretzschmar, Gesch. d. Neuen deutschen Liedes
I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen IV, 1, Lpz. 1911,
Nachdruck Hildesheim 1966; P. Glorieux, La lit. quod-
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Breslauer Cod. Mf 2016, ZfMw XIII, 1930/31 ; A. Quell-
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maschr.; H. J. Moser, Corydon, d. ist: Gesch. d. mehrst.
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Braunschweig 1933, Nachdruck Hildesheim 1966; Kn.
Jeppesen, Venetian Folk-Songs of the Renaissance, Kgr.-
Ber. NY 1939; F. Torrefranca, II segreto del Quattro-
cento, Mailand 1939; A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3
Bde, Princeton (N. J.) 1949; Dr. Plamenac, A Recon-
struction of the French Chansonnier in the Bibl. Colom-
bia, Seville, MQ XXXVII, 1951 - XXXVIII, 1'952; B.
Becherini, Tre incatenature del Cod. Fiorentino Magi.
XIX 164-65-66-67, CHM I, 1953; G. Kraft, Zur Ent-
stehungsgesch. d. »Hochzeitsqu.« (BWV 524), Bach-Jb.
XLIII, 1956; K. Petermann, Das Qu. - eine Volkslied-
quelle?, Diss. Lpz. 1960, maschr.; W. Rogge, Studien zu
d. Qu. v. M. Franck u. ihrer Vorgesch., Diss. Kiel 1960,
maschr., gedruckt als: Das Qu. in Deutschland bis M.
Franck, Wolfenbuttel u. Zurich 1965; H. Albrecht, Ein
quodlibetartiges Magnificat aus d. Zwickauer Ratsschul-
bibl., Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; K. Gudewill, Ursprunge
u. nationale Aspekte d. Qu., Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I (vgl.
dazu d. Diskussion in Bd II, S. 53ff.); M. R. Maniates,
Combinative Techniques in Franco-Flemish Polyphony,
Diss. Columbia Univ. (N- Y.) 1965, maschr.; dies., Qu.
Revisum, AMI XXXVIII, 1966.
778
R
R, Abk. fiir: -y Recit (- 2), Responsorium (meist S),
-*■ Ripieno.
Rabab (arabisch, auch rebab), Bezeichnung fur ver-
schiedene arabisch-islamische Streichlauten. al-Farabi
(1. Halfte des 10. Jh.) beschreibt die R. als Streichinstru-
ment, das dem Tunbur von Horasan (-»■ Tanbur) ahn-
lich ist. Diese R. ist bundlos und hat 1-2 einfache oder
doppelchorige Saiten; als Stimmung setzte sich diejeni-
ge in Quarten oder Quinten nach dem Vorbild des
-*■ 'Od durch. Durch die Araber kam die R. im Hoch-
mittelalter nach Sizilien und Spanien; ein europaischer
Abkommling ist wahrscheinlich das -*■ Rebec. Mit der
islamischen Kultur wurde die R. in Indien (wo sie mit
Plektron gezupft wird) und zu Beginn des 15. Jh. auf
Java (wo sie zum -*■ Gamelan gehort) bekannt. Fiir die
l-2saitige R. in Nordwestafrika ist charakteristisch ein
schmales, gebauchtes Corpus aus Holz, das sich verjiin-
gend ohne Absatz in den am Ende abgeknickten Wir-
belkasten f ortsetzt. Die agyptische, meist 2saitige R. hat
ein trapezformiges holzernes Corpus mit einer Perga-
mentdecke, einen FuB ausEisen und einen Hals aus Holz.
Lit. : al-FarabI, Kitab al-muslql al-kabir, frz. als: Grand
traite de la musique, in: Baron R. d'Erlanger, La musique
arabe I, Paris 1930; W. Bachmann, Die AnfSnge d. Streich-
instrumentenspiels, = Mw. in Einzeldarstellungen III, Lpz.
1964.
Rabel, rab£ (altspan.) -> Rebec.
Race records (ie:s i'eko:ds, engl.), Bezeichnung fiir
Jazzschallplatten (meist Bluesaufnahmen), die in den
USA von der Industrie seit den 1920er Jahren speziell
fiir die Negerbevolkerung (race market) hergestellt
wurden. Haufig sind dabei zur Begleitung des ->• Blues
auch primitive Instrumente verwendet worden (z. B.
von Ma Rainey die Tub-Jug-Washboard-Band). Die
R. r. sind wichtig fiir die Erforschung des friihen Jazz.
Rackett -> Rankett.
Radel (deutsche Bezeichnung fiir -> Rota bzw. rotu-
lum), ein Kanon, der in seinen Anfang zuriickleitet und
beliebig oft wiederholbar ist. Der alteste Beleg findet
sich in der Lambacher Liederhandschrift (2. Halfte 14.
Jh.; Wien, Nat.-Bibl., Cod. 4696, f. 170': Martein liber
Herre. Ain r. von drein stymmen). Die Bezeichnung R.
wurde in der deutschen Singbewegung wieder auf ge-
griffen.
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, S. 94f.;
H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik I, Stuttgart u.
Bin 1920, S. 341f.
Radleier -»■ Drehleier.
Raga (Sanskrit s. v. w. Farbe, Leidenschaft), tonal-
melodisches Skalenmodell fiir »improvisatorische« Ge-
staltungen in der -*■ Indischen Musik. Der Begriff R.,
den Matanga (9. Jh. n. Chr.) noch im Sinne der modalen
Leitern(jlti) gebraucht, nahm im 13. Jh. die noch heute
giiltige Bedeutung an. Bereits Shirngadeva raumte die
Moglichkeit ein, injedem der 1 8Jatis verschiedeneMelo-
diegestalten mit unterschiedlicher Bedeutung (Funk-
tion) der Leitertone und verschiedenem Stimmungsge-
halt zu bilden; er nennt sie R. und Ragini und charakteri-
siert erstere als mannlich, letztere als weiblich. Bei Dlo-
dara (17. Jh.) ist das System voll ausgebildet. Um die-
selbe Zeit erscheinen auch die ersten personifizierten
Darstellungen der R.s und Raginis in den indischen
Miniaturen. - R. ist eine Tonskala, die dem Material
eines der 18 Jatis oder, nach dem System des Venkata-
makhin (17. Jh.), einer der 72 als Melakartas bezeichne-
ten Grundtonreihen entnommen ist. Der einzelne Ton
dieser Skalenauswahl kann unterschiedliche melodi-
sche Geltung haben: bei gleichem Tonvorrat kann er
Anfangs- oder SchluBton, Zentralton, Binnenkadenz,
oberer oder unterer Grenzton sein. Hinzu kommen
melodisch-thematische Kennzeichen wie das Steigen
und Fallen der Melodie, die Anzahl der melodischen
Formeln und der insgesamt verwendeten Tone. We-
sentlich ist die Zuordnung des R. oder Ragini zu Ge-
fuhlsinhalten: Zorn und Trauer, Einsamkeit und Freu-
de, Mut undErwartung und alle Schattierungen mensch-
licher Empfindungen sollen durch sie dargestellt und
ausgelost werden. Dariiber hinaus sind die R.s bestimm-
ten Tages- und Jahreszeiten zugeordnet und stehen zu
den zahlreichen Gottergestalten des Hinduglaubens in
Beziehung. Um dem Horer die spezifischen Kennzei-
chen des R. bewuBt zu machen, stellt der Musiker zu-
nachst in einem unbegleiteten Vorspiel (alapa) den R.
vor, indem er in haufig wiederholten und variierten
Melodiefloskeln die wesentlichen Leitertone und ihre
melodische Geltung herausstellt. Dieser Teil einer R.-
Auffiihrung ist ein Priifstein fiir das Konnen des Mu-
sikers; seine Ausfiihrung ist nach Art einer Improvisa-
tion ganz in das Ermessen des Kiinstlers gestellt. Eine
solche Allpa-Fantasie kann bis zu einer Stunde ausge-
dehnt werden. Dann folgt, gesungen oder gespielt, in
festem Rhythmusschema (tlla) und mindestens von
Trommeln begleitet, das eigentliche Stiick, das stets
mehrere Satze wechselnder Lange hat. (In Siidindien
hat auch das Vorspiel eine rhythmisch feste Gestalt.)
Bei ausgedehnterer, vielsatziger Darbietung kann der
R. wechseln. Die RSginls dienen oft zu solcher Erwei-
terung und Belebung des gewahlten R., kommen aber
auch selbstandig vor. Zu den iiberlieferten R.s werden
von grofien Meistem auch immer wieder neue geschaf-
fen. Unter demselben Namen sind in den einzelnen
Landesteilen oft recht verschiedene R.s gemeint. Von
den mehr als 10000 im Laufe der indischen Musikge-
schichte bekannt gewordenen R.s sind noch einige
hundert im Gebrauch.
Lit. : B. Breloer, Die Grundelemente d. altindischen Mu-
sik ... , Diss. Bonn 1922; R. Lachmann, Musik d. Orients,
Breslau 1929; Fr. Bose, Musik d. auBereuropaischen V61-
ker, in: Atlantisbuch d. Musik, Bin 1934, Zurich u. Frei-
burg i. Br. '1959 ; ders., Mus. Volkerkunde, Freiburg i. Br.
1953 ; S. P. Bandopadhyaya, The Origin of R., Delhi 1946 ;
779
Ragtime
A. K. Gangopadhyaya, R. and Raginis, Bombay 1948 ; A.
Danielou, Northern Indian Music, 2 Bde, I Calcutta
(1950), II London (1954); C. S. Ayar, The Grammar of
South Indian (Karnatic) Music, Madras 1951. FB
Ragtime (j'sgtaim, engl., ragged time, zerrissene
Schlagzeit), um 1895 aufgekommene Bezeichnung fiir
eine seit etwa 1870 in den USA praktizierte Klavier-
spiel weise zur Unterhaltung in Kneipen, Tanzhallen und
Bordellen (->■ Barrel-house style). Der R. ist als wesent-
licher Ausgangspunkt fiir den Jazz anzusehen, hat die-
sen in entscheidender Weise mitgepragt und sich in ihm
bis in die 1920er Jahre gehalten. - Er ist die Ubertra-
gung einer unter WeiBen und Negern der USA volks-
tiimlichen Banjospielweise (Banjo-R.) auf das Piano.
An der Ausbildung des virtuosen Piano-R. (seit etwa
1880), der dann zwischen 1900 und 1910 seinen Hohe-
punkt erreichte, sind neben vorwiegend farbigen Mu-
sikern (Scott Joplin, James Scott, Jelly Roll Morton)
auch weiBe Pianisten (Joseph Lamb) beteiligt. Sie alle
haben Musikunterricht genossen und waren mit der
europaischen Salon- und Unterhaltungsmusik vertraut.
Ihre R.s sind daher - im Gegensatz zum friihen -> New-
Orleans-Jazz - meist komponierte Stucke, in denen rein
tonale Harmonik und Melodik vorherrschen. Die For-
men des Piano-R. gehen zuriick auf die der europai-
schen Tanz- und Unterhaltungsmusik: u. a. Marsch,
Polka, Quadrille. Seine charakteristischen Merkmale
jedoch, denen der R. auch die weltweite Verbreitung
verdankte, beruhen auf zwei rhythmischen Phanome-
nen, die auf die musikalische Negerf olklore der USA zu-
riickzufiihren sind: die Einbeziehung des durchlauf en-
den -> Beat (- 1) in den 2/4-Takt (linke Hand) und
die Umbildung und Stilisierung des -*■ Off-beat zu ei-
ner nachschlagenden melodischen Achtelsynkopierung
(syncopated music), die als wesentlichstes Moment
auch in der Bezeichnung R. fiir die ganze Musizierwei-
se hervorgehoben ist. - Die R.-Pianisten spielten haufig
ihre R.s auf Walzen fiir mechanische Klaviere ein (player
rolls), die teilweise erhalten blieben und auf Schallplat-
ten iiberspielt wurden. Um 1900 begannen weiBe und
schwarze Unterhaltungskapellen den R. auch als Band-
praxis auszuiiben (R.-Bands). Auf diesem Wege ergab
sich derEinfluB des R. auf das Musizieren der -*• March-
ing bands in New Orleans und auf den -»• Jazz, der
bis etwa 1915 groBtenteils ebenfalls als R. bezeichnet
worden ist.
Lit. : R. Blesh u. H. Janis, They All Played R., NY (1950,
21959).
rallentando (ital., nachlassend, schlaff werdend; Abk.:
rallent., rail.) fordert ein Nachlassen des Tempos, oft als
weicher Ubergang von einem schnelleren zu einem
langsameren Tempo. -> ritardando, -»■ ritenuto.
Rankett (mhd. ranc, Kriimmung; auch Rackett, Ra-
ket, auf ital. rocchetta, Spinnrocken, zuriickgehend;
auch »Wurstfagott« nachfrz. cervelat, cervellet; ital. cer-
vello von lat. cerebellum, kleines Gehirn), Doppelrohr-
blattinstrument, dessen Corpus aus einem relativ kur-
zen (12-36 cm) und dicken (5-11 cm) Holz- oder El-
fenbeinzylinder besteht, in den (in Langsrichtung) 6-9
parallel verlaufende, zylindrische Bohrungen getrieben
sind und der auf beiden Seiten durch Deckel abgeschlos-
sen ist. Miteinander verbunden, ergeben die Bohrungen
den 5-8fach geknickten Windkanal. Uber den ganzen
auBeren Umfang des Corpus verteilt sind 11 Grifflo-
cher und einige zusatzliche Tonlocher (meist 5). Ein
Uberblasen ist kaum moglich. Das Rohr wird uber ei-
ne trichterformige Pirouette (Lippenstiitze) oder (nach
Mersenne) auch direkt angeblasen. Zu einem Stimm-
werk gehoren nach Praetorius (Synt. II, S.13) 7 Instru-
mente: 1 GroBbaB (iD-A oder iC-G; damit trotz sei-
ner Kleinheit damals neben der Orgel das Instrument
mit den tiefsten verfiigbaren Tonen), 1 BaB (iF-c), 3
Tenor- Alt (C-g) und 2 Diskant (G-d). Das Stimm-
werk zusammen sei jedoch nicht gut zu gebrauchen,
besser klinge ein R., besonders als BaB, mit anderen In-
strumenten. Am Resonantz seynd sie gar stille I fast wie
man durch einen Kam bldset. Um die Mitte des 16. Jh. er-
funden, erreichte das R. um 1600 besonders im oster-
reichisch-siiddeutschen Raum gewisse Verbreitung;
doch schon um 1630/40 wurde es kaum noch gespielt
und wie die anderen zylindrisch gebohrten Doppel-
rohrblattinstrumente (-> Kortholt, -> Sordun - 1) vom
Fagott verdrangt. - Nach 1680 entwickelte Denner ein
R., das uber ein S-formiges Anblasrohr direkt angebla-
sen wurde (daher R.-Fagott, auch Stockfagott, Faust-
fagott; frz. basson a serpentine) und 10 leicht konische,
offene oder halbgedackte Kanale hatte. Sein Tonum-
f ang betrug mit Uberblastonen 21/2 Oktaven. In Frank-
reich wurde es auch mit Klappen gebaut.
Lit.: M. Mersenne, Harmonie universale, Paris 1636,
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; ders., Harmo-
nicorum libri XII, 2 Bde, Paris 21648; J. G. Doppelmayr,
Hist. Nachricht v. d. Nurnbergischen Mathematicis u.
Kunstlern, Niirnberg 1730; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-
Instr. mit Windkapsel, AfMw VII, 1925; H. Seidl, Das
Rackett, Diss. Lpz. 1959, maschr.
Ranzdes vaches (ra de vaj", frz.) -> Kuhreigen.
Rappresentazione sacra, auch Sacra rappresenta-
zione (ital., s. v. w. geistliche Darstellung), bezeichnete
im 15. und 16. Jh. das geistliche aufierliturgische Schau-
spiel in italienischer Sprache, das seine Hauptpflege-
statte in Florenz hatte. Die Stoff e entstammen der Bibel
oder der Heiligenlegende, wurden aber mit weltlichen
Episoden ausgestattet. Die Mitwirkenden, meist Kin-
der und Jugendliche, stellten in Kostiimen und vor Ku-
lissen die Personen der Handlung dar, ohne allerdings
wirklich zu agieren. Den musikalischen Anteil der R. s.
bildeten hauptsachlich Kanzonen und Lauden. Insge-
samt war die R. s. eine typische Schopfung der Renais-
sance und charakteristisch fiir das prunkvolle kiinstle-
rische Leben in Florenz. Dessen hervorragender Re-
prasentant, Lorenzo dei Medici, war auch der bedeu-
tendste Textdichter der Rappresentazioni (San Giovan-
ni e Paolo, 1491). Nachdem die Beliebtheit der Gattung
in der 2. Halfte des 16. Jh. nachgelassen hatte, erfuhr sie
eine einmalige Wiederbelebung in der Rappresentazione
di anima e di corpo von -*■ Cavalieri (1600), die die Vor-
geschichte des -> Oratoriums beeinfluBte. - Die Be-
nennung R. s. erscheint, ohne daB eine kontinuierliche
Verwendung dieser Bezeichnung nachweisbar ist, Ende
des 17. Jh. als Untertitel der Wiener Sepolcri, und zwar
neben- und gleichbedeutend mit der Bezeichnung
-+ Azione sacra.
Lit. : A. D'Ancona, Le s. r. dei s. XIV, XV e XVI, 3 Bde,
Florenz 1872; ders., Origini del teatro ital., 2 Bde, Turin
1891; G. Pasquetti, L'oratorio mus. in Italia, Florenz
1906 ; D. Alaleona, Studi sulla storia deH'oratorio mus. in
Italia, Turin 1908, 21945; A. Schering, Gesch. d. Oratori-
ums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III, Lpz. 1911,
Nachdruck Hildesheim 1966; A. Bonfantini, Le s. r. ital.,
Mailand 1939; B. Becherim, La musica nelle s. r. fioren-
tine, RMILIII, 1951.
rasgueado (span.) -*■ Gitarre.
Raspa, ein seit 1950 in Europa bekannter siidamerika-
nisch-kubanischer Gesellschaftstanz im bewegten 6/8-
Takt, wahrscheinlich mexikanischer, vielleicht auch
spanischer Herkunf t.
Rassel (frz. hochet; engl. rattle; ital. raganella), ein
durch Schuttelbewegung zum Klingen gebrachtes
Schlagidiophon in GefaB-, Reihen- oder Rahmenform,
780
Raumakustik
oft falschlich als Klapper oder ->■ Ratsche bezeichnet -
eine genaue Abgrenzung aller in diesem Zusammen-
hang gebrauchlichen Termini ist bislang nicht mog-
lich. Das Instrument 'besteht aus einem runden oder
ovalen (seltener spindelformigen), geschlossenen Kor-
per, in den im Unterschied zu den -*■ Schellen, die nur
einen Klangkorper haben, eine Anzahl R.-K6rper ein-
geschlossen ist. Als Material zur Herstellung des Cor-
pus werden Holz, Metall, Ton, jedoch auch Fruchte
(Kiirbis), Vogeleier oder geflochtene Behalter verwen-
det. Als R.-K6rper nimmt man Samenkorner, Schnek-
kengehause, kleine Steine, Fruchtschalen u. a. Die
R.n werden entweder von dem Spieler in die Hand ge-
nommen und geschiittelt oder als R.-Schmuck um den
Korper gehangt (z. B. Tanz-R. der Bantus); Hand-
Stab-R.n wie ->■ Maracas und -> Sistrum sind mit ei-
nem Stiel versehen. Die R. kommt in nahezu alien Kul-
turkreisen derErde vor. Friihe Belege stammen aus der
Induskultur, aus Agypten sowie aus der europaischen
Bronzezeit und der romisch-griechischen Antike. Sie
alle zeigen eine enge Verbindung zu Magie, kultischen
Handlungen und Tanzen. - Als Gerauschinstrument
findet die R. in der modernen Tanz- und Unterhal-
tungsmusik haufig Verwendung. Mit dem Instrument
kann kein exakter Rhythmus erzeugt werden, da die
R.-K6rper nicht zusammen an die Innenwand schla-
gen una auch das Zuriickfallen der Korper als Zwi-
schengerausch horbar wird. - Sonderformen der R.
sind das -> Angklung Indonesiens und die R.-Trom-
mel (->■ Trommel).
Lit. : C. Sachs, Die Musikinstr. d. alten Agyptens, = Staat-
liche Museen zu Bin, Mitt, aus d. agyptischen Slg III, Bin
1921 ; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native Races of
South Africa, London 1934, Johannesburg 21953; O. See-
wald, Beitr. zur Kenntnis steinzeitlicher Musikinstr. Eu-
ropas, = Biicher zur Ur- u. Friihgesch. II, Wien 1934; K.
G. Izikowitz, Mus. and Other Sound Instr. of the South
American Indians, = Goteborgs Kungl. Vetenskaps- och
Vitterhets-Samhalles Handlingar V, Serie A/V, 1, Gote-
borg 1935; H. Hickmann, Cat. general des antiquites
Sgyptiennes du Musee du Caire . . . , Instr. de musique,
Kairo 1949; ders., Die altagyptische R., Zs. f. agyptische
Sprache u. Altertumskunde LXXIX, 1954; ders., Agyp-
ten, = Musikgesch. in Bildern II, 1, Lpz. (1961); H. E.
Driver u. S. H. Riesenberg, Hoof Rattles and Girl's
Puberty Rites in North and South America, = Memoir of
the International Journal of American Linguistics IV, Bal-
timore 1950; O. Zerries, Kiirbisr. u. Kopfgeister in Siid-
amerika, Paideuma V, 1950/54; F. Ortiz, Los instr. de la
miisica afrocubana I, Havanna 1952; G. Tornberg, Afro-
Cuban Rattles, Fs. F. Ortiz II, Habana 1956 ; Fr. Bose, Die
Musik d. Chibcha u. ihrer heutigen Nachkommen, Inter-
nationales Arch. f. Ethnographie XLVIII, 1958; G. P.
Kurath, The Sena'asom Rattle of the Yaqui Indian Pas-
colas, Ethnomusicology IV, 1960.
Rastral(e) (von lat. rastrum, Harke, Rechen), Gerat
zum Ziehen der Notenliniensysteme.
Ratsche (engl. ratchet; frz. crecelle; ital. raganella),
Knarre, Gerauschinstrument, bestehend aus einem
Holzstiel mit Zahnrad, iiber das bei Schwenkbewegung
eine in einem Rahmen befestigte Holzzunge schrapt,
so daB ein hell-knarrendes Gerausch entsteht. Wie die
->• Klapper kommt sie im Brauchtum vor. R.Strauss
verwendet die R. in Till Eulenspiegel und Don Quixote.
Ratsmusiker -> Stadtpfeifer.
Raumakustik ist als Lehre von den Schallvorgangen
und deren Wahrnehmungsbedingungen in umgrenz-
ten Raumen ein wichtiges Teilgebiet der Akustik. Sie
entstand vor allem auf Grund der steigenden Ansprii-
che, die hinsichtlich musikalischerEignung und Sprach-
verstandlichkeit an -*■ Konzertsale, Vortragssale, Kir-
chen, Rundf unkstudios u. a. gestellt wurden. Das Kon-
zept der R. beruht im Kern auf dem Gedanken, die
physikalischen Gegebenheiten des Schalles im Raum zu
erkennen und nutzbar zu machen. Raumakustische
Uberlegungen basieren daher sowohl auf praktischen
Erkenntnissen und Erfahrungen als auch auf naturwis-
senschaftlich-technischen Erwagungen. Wichtige Gro-
Ben wurden allerdingsauch von allgemeinenhorpsycho-
logischen Erscheinungen hergeleitet. - Die Erkenntnis,
daB Schallwellen sich in homogenen Medien geradlinig
(als »Strahlen«) ausbreiten, daB sie an Wandflachen nach
bestimmten Gesetzen analog der Optik geschluckt, ge-
brochen bzw. reflektiert werden, hat zunachst zu einer
an die klassische Optik angelehnten geometrischen Be-
handlung des Wellenverhaltens im Raum gef iihrt (»geo-
metrische R.«). Die begrenzte Schallgeschwindigkeit in
der Luft (ca. 340 m/sec) fiihrt auBerdem zu hbrbaren
-*■ Laufzeitunterschieden des gleichen Schallsignals auf
zwei oder mehr Wegen (z. B. direkt und reflektiert),
woraus zum Teil storende Echos oder sogar Flatter-
echos resultieren konnen, die zu vermeiden zu den ele-
mentaren Aufgaben der R. gehort. Im Zusammenhang
mit dem ->■ Nachhall steht eine der meistverwendeten
raumakustischen BeschreibungsgroBen, die Nachhall-
zeit. Ihre Definition entspringt den Uberlegungen der
»statistischen R.« iiber die mittlere Schallenergieabnah-
me im Rauminf olge ihrer Umwandlung durch Reibung
in Warme. Sie geht auf den amerikanischen Physiker
W. CI. Sabine zuriick und legt die exponentielle Ver-
minderung (in gleichen Zeitintervallen sinkt der Pegel
immer auf den gleichen Bruchteil des jeweiligen Aus-
gangswertes) zugrunde. Die in der R. verwendete Sa-
binesche Nachhallzeit (T) driickt die Zeit aus, in der die
Schallenergie auf den 10- 6 ten Teil abgesunken ist. Die
Nachhallzeit eines Raumes hangt sowohl mit den geo-
metrischen Gegebenheiten zusammen als auch vor al-
lem mit seinem Volumen (V), der GroBe seiner Be-
grenzungsflachen (S) sowie deren Absorptionsgrad (a).
Letzterer wird durch das Verhaltnis des an einer Be-
grenzungsflache nicht reflektierten Schallenergieanteils
zur auftreffenden Gesamtschallenergie ausgedriickt.
Da Raumbegrenzungen zumeist aus Teilflachen (Sk)
mit unterschiedlichem Absorptionsgrad (at) bestehen,
wird die gesamte Absorptionsflache (Ages) zusammen-
gefaBt: Aga= ZakSk. Fiir die Nachhallzeit (T) ergibt
sich die auf Sabine zuriickgehende Beziehung (als Sa-
binesche Formel bezeichnet): T= 0,163 K/Sa^S^. Sie
erlaubt auf rechnerischem Wege eine verhaltnisma-
Big genaue Vorhersage der Nachhallzeiten von Rau-
men schon im Stadium der Planung; auBerdem kon-
nen mit ihrer Hilfe aus gemessenen Nachhallzeiten
Absorptionsflachen und -grade beliebiger Wand- und
FuBbodenmaterialien, auch von Einrichtungsgegen-
standen, bestimmt werden. - Die Abbildung (nach E.
Meyer und H.Kuttruf) demonstriert die Nachhallzei-
Musikvereins- Co Kertgebou*
saal Wien OAnslerdam
OGewandhaus
Leipzig
GlaSow ° *>. ton
781
Raumakustdk
ten einiger Konzertsale im besetzten Zustand; die kraf-
tige Linie stellt die optimale Nachhallzeit dar (nach
V.O.Knudsen und C.M.Harris). - Bei der Wahrneh-
mung von Schallereignissen im Raum kommt den zu-
erst am Ohr eintrefienden Schallsignalen ein besonde-
res Gewicht zu. Dieser Sachverhalt wird vor allem
durch die Beobachtung bestatigt, daB z. B. im Kon-
zertsaal die Musik in den hinteren Reihen im allgemei-
nen leiser empfunden wird als in mittleren oder vorde-
ren Reihen, obwohl der Schallpegel etwa gleich hoch
ist. Der Grand liegt darin, daB der Anteil des direkten
Schalles gegeniiber dem reflektierten stark reduzieit ist.
Vor allem fur die elektroakustische Aufnahmetechnik,
die im allgemeinen direkten und reflektierten Schall im
Aufnahmeraum gleichrangig behandelt, ist es wichtig,
die Grenzlinie (den »Hallradius«) zu kennen, an der die
Energiedichten von direktem und reflektiertem Schall-
pegel ausgeglichen sind. Dieser Bereich ist im allgemei-
nen erstaunlich klein. In einem Saal von 20000 m 3 und
einer Nachhallzeit von 2 sec z. B. betragt der Hallra-
dius nur 5,7 m. - Mit der Wirkung zeitlich verschobe-
ner Schallsignale hangen Storungen zusammen, die
durch eine ungleichm3Bige Gewichtung von Schallre-
flektionen aus verschiedenen Richtungen verursacht
sein konnen. Schallbiindelungen etwa durch hohlspie-
gelartige Reflektionsflachen (z. B. Gewblbe) konnen
zu Uberlagerung und teilweiser Verdeckung des direk-
ten Schalles und damit zur Beeintrachtigung von Sprach-
verstandlichkeit oder musikalischer Eignung fiihren.
Daher gilt als ein weiteres raumakustisches Charakteri-
stikum das AusmaB der Gleichverteilung reflektierter
Schallenergie verschiedener Richtung, das als Rich-
tungsdifEusitat (d) oder allgemein -»■ Diffusitat bezeich-
net wird. Es hat sich gezeigt, daB eine ausgeglichenere
Richtungsdiffusitat das geringste AusmaB an Stoning
durch indirekte Schallanteile verursacht. - Die Tatsa-
che, daB durch Schall angeregte Raume - vor allem von
kleinen Abmessungen - charakteristische Resonanzen
aufweisen, legt »wellentheoretische« Uberlegungen im
Rahmen der R. nahe. Sie gehen vor allem davon aus,
den Raum als schwingungsfahiges Gebilde anzusehen.
Entsprechend wird das phy sikalische Verhalten von Ab-
sorptionsmaterialien an Hand der innerhalb der »wel-
lentheoretischen R. « erkannten Beziehungen untersucht
und gedeutet. Raumakustische Oberlegungen haben
bis heute ihren Schwerpunkt im physikalischen Be-
reich. Trotzdem zeigt sich immer wieder, daB zwischen
den GroBen der Physik einerseits und psychologischen
oder gar asthetischen MaBstaben andererseits bei der
Einschatzung von Raumen kein ein-eindeutiger Zu-
sammenhang (one-to-one-Relation) nachzuweisen ist.
Wohl konnen offensichtliche Fehler (z. B. zu lange
Nachhallzeit, extrem unausgeghchene Nachhallkurve,
Drohnen usw.) vermieden werden, doch gelang es bis-
her nicht in groBerem Umfang, subjektive Wertkri-
terien der Raumeinschatzung iiberzeugend auf physi-
kalisch-raumakustischeMaBstabe zuruckzufuhren. Un-
tersuchungen, die auf Korrelationen zwischen objekti-
ven und subjektiven Dimensionen abzielen, stehen bis-
lang noch in den Anfangen.
Lit. : W. Cl. Sabine, Collected Papers on Acoustics, Cam-
bridge (Mass.) 1922; V. O. Knudsen, Architectural Acou-
stics, NYu. London 1932; ders. u. C. M. Harris, Acousti-
cal Designing in Architecture, NY 1950; L. Cremer, Die
wiss. Grundlagen d. R., I Geometrische R., Stuttgart 1948,
II Statistische R., ebenda 1961, III Wellentheoretische R.,
Lpz. 1950; ders., Akustische Charakterisierung eines Rau-
mes, Proceedings of the Third International Congress on
Acoustics, Stuttgart 1959; W. Furrer u. A. Lauber, Die
Diffusion in d. R., Acustica II, 1952; W. Kuhl, Versuche
zur Ermittlung d. gfinstigsten Nachhallzeit groBer Musik-
studios, ebenda IV, 1954; ders., Optimal Acoustical De-
sign of Rooms for Performing, Listening and Recording,
Proceedings of the Second International Congress on
Acoustics, Cambridge (Mass.) 1956; Fr. Winckel, Die
besten Konzertsale d. Welt, in: Baukunst u. Werkfonn
VIII, 1955; E. Meyer u. R. Thiele, Raumakustische Un-
tersuchungen in zahlreichen Konzertsalen u. Rundfunk-
studios unter Anwendung neuer Meflverfahren, Acustica
VI, 1956; E. Thienhaus, Prinoipal Considerations on the
Artistic Qualities of Mus. Sound, Proceedings of the Se-
cond International Congress on Acoustics, Cambridge
(Mass.) 1956;T.Somervilleu. C. L. Gilford, Acoustics of
Large Orchestral Studios and Concert Halls, Proceedings
of the Institution of Electrical Engineering CIV, 1957;
G. Venzke, Die R. d. Kirchen verschiedener Epochen,
Acustica IX, 1959; W. Lottermoser, Uber d. Akustik d.
Raumes u. d. Org. in d. Frauenkirche zu Dresden, Af Mw
XVII, 1960; L. L. Beranek, Music, Acoustics and Architec-
ture, NY 1962; E. G. Richardson u. E. Meyer, Technical
Aspectsof Sound, Amsterdamu. NY 1962 (Kap. 5: E. Meyer
u. H. Kuttruf , Progress in Architectural Acoustics) . HPR
Raumklang-v Stereophonic
Rauschen-v Gerausch.
Rauschpfeife, - 1) im Mittelalter allgemeine Bezeich-
nung fiir Rohrblattinstrumente. Das Wort hat nichts
mit »rauschen« zu tun, hangt vielmehr zusammen mit
gotisch raus, mhd. rusche, riusche, nld. ruyschijp, ruis-
piip, Binse, Schilfrohr, Rohrpfeife, auch Sackpfeife
(Dudelsack). - 2) ab etwa 1500 ein zumeist als zylindri-
sche Rohre mit Windkapsel gebautes Rohrblattinstru-
ment. Wahrend die alten R.n in Deutschland im 17. Jh.
bereits aufier Gebrauch gekommen und durch den
->■ Kortholt ersetzt worden waren, bheben sie in Frank-
reich unter dem Namen hautbois de Poitou noch lan-
ger geschatzt. Mersenne (1636) teilt eine fiir ein R.n-
Ensemble bestimmte 3st. Chanson mit (abgedruckt
in: AfMw VTI, 1925, S. 286). Ein Stimmwerk von 6
R.n in der Berliner Instrumentensammlung besteht aus
2 Diskant-, 2 Alt-Tenor-Instrumenten und 1 BaBin-
strument. Die R.n wurden durch Oboe und Fagott
verdrangt. - 3) in der Orgel eine nicht repetierende,
mittelweit mensurierte gemischte Stimme, 2-, 3-, 4f ach
(selten mehr als 4fach) in Quinten und Oktaven auf
51/3', 4', 22/3' oder 2' aufgebaut ; in Quartlage (22/3' +2')
auch Quartian genannt. Als RuBpipe, Rauschquinte
oder Rauschflote ist sie zumeist 2fach (Oktave 2' und
Quinte 11/3'). Hoher Uegende R.n-Zimbeln bediirfen
einer Repetition.
Lit.: zu 2): G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Wind-
kapsel, AfMw VII, 1925.
Rauschquinte -> Rauschpfeife (- 3).
Ravalement (ravalm'a, frz.) ->- Manual.
Ravenna.
Lit : L. Miserocchi, Musica e teatro in R. dal 1 800 al 1920,
R. 1921 ; R. Calamosca, Musicisti ravennati nei s. scorsi,
R. 1935; R. Casadio, La cappella mus. della cattedrale di
R. nel s. XVI, Note d'arch. XVI, 1939.
Re, in der mittelalterlichen -> Solmisation die 2. Silbe
des Hexachords (im Sinne von d, g oder a) ; in romani-
schen Sprachen Name fiir den Ton D.
Rebec (lat. rubeba, rubella; span, rabel, rabe), ein klei-
neres Streichinstrument mit birnen- oder bootsformi-
gem Corpus, das sich ohne Absatz zum Wirbelkasten
hin verjiingt. Es ist wahrscheinlich im Hochmittelalter
iiber Spanien oder Byzanz (-> Rabab) nach Mitteleu-
ropa gekommen. Hieronymus de Moravia erwahnt
(nach 1270) eine Rubeba mit zwei im Quintabstand ge-
stimmten Saiten. In den Miniaturen der nach 1279 ab-
geschlossenen Handschriften der -»■ Cantigas de Santa
Marfa sind R.s abgebildet (2 R.s sowie R. und Laute im
Zusammenspiel). Das R. des 16./17. Jh. in Mitteleuropa
782
Regal
ist bundlos mit 2-3 Saiten im Quintabstand (Virdung
1511 nennt es chin Geigen); es wird von Spielleuten
zum Tanz gespielt. Der Ton ist fein und eigentiimlich
schnurrend. Ein sehr kleiner R.-Typ lebte als -»■ Pochet-
te noch bis ins 18. Jh. fort.
Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de musica,
hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw. II,
2, Regensburg 1935; WaltherL; D. J. Rittmeyer-Iselin,
Das R., Fs. K. Nef, Zurich u. Lpz. 1933 ; V. Denis, De mu-
ziekinstr. in de Nederlanden en in Italie naar hun afbeel-
ding in de 15 c -eeuwsche kunst I, = Publicaties op het ge-
bied d. geschiedenis en d. philologie III, 20, Ldwen 1944.
Recit (res'i, frz.), - 1) seit dem 17. Jh. in Frankreich
Bezeichnung fiir den instrumental begleiteten Sologe-
sang, seit Ende des 17. Jh. auch fiir solistischen instru-
mentalen Vortrag. - Im -> Ballet de cour gibt es - ne-
ben den zum Tanz gesungenen Chansons - R.s, die die
Handlung tragen und kommentieren. Es sind strophi-
sche oder nichtstrophische Gesange, die anf angs »nichts
weiter als die losgeloste Stimme eines polyphonen Ma-
drigals* (Prunieres) darstelltenund sich spater zum Air
oder Rezitativ entwickelten. In den Motetten des spa-
ten 17. und friihen 18. Jh. hieBen die solistischen Ge-
sangspartien uberwiegend R. (gegeniiber choeur). Da-
neben nahm R. in Gegenuberstellung zu Symphonie
auch die Bedeutung von solistischer instrumentaler Be-
setzung an (z. B. r. de violon). R. oder recital (frz. und
engl.) ist seit dem 19. Jh. (Liszt urn 1840) eine Bezeich-
nung fiir Solovortrage oder -konzertveranstaltungen
(r. oder recital de piano, s. v. w. Klavierabend). - 2) R.,
clavier de r., ist in der franzosischen Orgel seit dem spa-
ten 16. Jh. das Soloklavier, das zunachst nur im Diskant
mit Kornett, spater iiber den ganzen Umfang des Ma-
nuals auch mit Zungenstimmen, besonders Cromorne
8', besetzt wurde. Das moderne R. (expressif) ist ein
reich mit Zungenstimmen, Streichern und Floten be-
setztes Soloklavier; das Werk steht meist in einem
Schwellkasten.
Lit. : zu 1) : H. Prunieres, Le ballet de cour en France avant
Benserade et Lully, Paris 1914; J. Eppelsheim, Das Orch.
in d. Werken J.-B. Lullys, = Munchner Veroff. zur Mg.
VII, Tutzing 1961.
Recorder (jik'a:da, engl.) -*- Blockflote.
Reco-reco -»- Guiro.
Redowa, ein um 1840 in Paris aufgekommener Ge-
sellschaftstanz (im 3/4- oder 3/8-Takt), der Mazurka
ahnlich. Er ist aus dem tschechischen Volkstanz -» Rej-
dovak hervorgegangen, von dem sich auch der Name
R. herleitet.
Reed section (xi:d s'ekfan, engl.) -»■ Big band.
Reel (ji : 1, altengl. , Kette) , alter englischer Tanz, wahr-
scheinlich keltischer Herkunft, der sich von England
aus auch in Schottland und Skandinavien verbreitete.
Er steht in geradem Takt (4/4, 6/4, 2/4) und ist von
schneller, lebhaf ter Bewegung. In England wird er von
3, in Schottland von 2 Paaren getanzt. -*■ Strathspey.
Refrain (altfrz. refrait von vulgarlat. ref ractum, s. v. w.
immer wiederkehrendes »Bruchstiick«, von lat. refrin-
gere, zerbrechen; ital. ripresa, ritornello; engl. auch
burden, chorus; span, estribillo; im Deutschen seit G.
A. Burger auch mit Kehrreim bezeichnet), ein im Ver-
laufe eines Gedichtes mehrfach, meist am Ende von
-> Strophen, in der Regel unverandert auftretendes
Glied, das aus einem oder mehreren Versen, auch aus
einem einzelnen Wort bestehen kann. Der R. stellt ein
konstitutives Element vor allem in Liedgattungen des
12.-16. Jh. dar, besonders in den franzosischen Formen
-»■ Rotrouenge, -»■ Ballade (- 1), -> Rondeau (-1),
-*■ Virelai, auch in der italienischen -*■ Ballata, -> Villa-
nella und Barzeletta (->• Frottola) und im spanischen
-*■ Villancico. Auch ->■ Laude und -*■ Cantigas verwen-
den R.s. Bekannte R.-Verse wurden im 13. Jh. als lite-
rarisches und (oder) musikalisches Zitat in Motetten
eingearbeitet, z. B. im Codex Montpellier (-> Quellen:
Mo), Nr 228-231. Verarbeitung von R.s gibt es auch im
-»■ Quodlibet. Im 17. Jh. ist der R. in der italienischen
Solokantate haufig. Im Lied ist der R. bis ins 19. Jh.
hinein weit verbreitet (Schubert, Viet R.-Lieder op. 95,
D 866), auch in liedmaBigen Nummern der Oper (be-
sonders der Opera-comique und des Singspiels). - Der
Volksmusik und auBereuropaischen Musik ist das Prin-
zip des R.s vertraut als regelmaBig wiederkehrendes
Einf alien des Chores in den solistischen Vortrag (auch
in Verbindung mit Tanz). Imjazz spielt der R. (-»■ Cho-
rus) eine wesentliche Rolle. In der Unterhaltungsmusik,
vor allem im Schlager, ist der zum allgemeinen Mitsin-
gen geeignete R. oft die Hauptsache der Komposition
und gibt ihr den Namen (z. B. Wer kann das bezahlen). -
Dem Prinzip des R.s folgt im kirchlichen Bereich der
(meist mit Prozession verbundene) Litaneivortrag; aus
ihm entstanden volkssprachliche Kirchenlieder, deren
Strophen refrainartig in kurze Rufe wie Kyrieleison
(z. B. im Freisinger Petrus-Lied) u. a. auslaufen. In der
Antike stellen refrainahnliche Wiederholungen kurzer
Ausrufe (£ipii|xviov) wie auch ganzer Verse (lat. versus
intercalares) des Chores bei Festgesangen (Hymnen)
etwasEntsprechendes dar. Lateinische Prozessionshym-
nen weisen haufig einen R. auf. Im weiteren Sinne re-
frainartig sind das -*■ Responsorium und der Einschub
der Antiphon zwischen die Psalmverse, der in der heu-
tigen Praxis noch beim -*■ Invitatorium begegnet. - Bei
den instrumentalen Formen entsprechen einem R. das
Thema des -> Rondos und das Tutti im italienischen
-* Concerto. In einem weiteren Sinne refrainartig
(mehrfach) wiederkehrende, Vokalmusik gliedernde
Instrumentalsatze werden dagegen mit dem nicht
scharf begrenzten Begrifi -> Ritornell (- 2) bezeichnet.
Lit.: F. Stark, Der Kehrreim in d. deutschen Lit., Diss.
Gottingen 1886; H. Mersmann, Mus. Werte d. Kehrreims,
Jb. f. Volksliedforschung I, 1928; Fr. Gennrich, Grund-
riB einer Formenlehre d. ma.Liedes, Halle 1932. WoD
Regal, - 1) ein kleines, bisher friihestens ab 11./12. Jh.
nachweisbares, im 15.-17. Jh. unter diesem Namen be-
kanntes Tasteninstrument. Im Unterschied zum -»■ Po-
sitiv, das anf anglich nur Labialstimnien aufwies, ist das
R. ausschlieBhch mit offenen oder gedeckten Zungen-
pfeifen aus Metall oder Holz besetzt (auBer der 8'-
Reihe mitunter auch mit 4' und 16'), mit mehr oder
weniger stark verkiirzten Schallbechern. Das R. be-
steht aus einem schmalen Kasten, der die Windlade mit
den Zungenpfeifen enthalt; davor sind eine Klaviatur
und dahiiter 2 Keilbalge angebracht, die nicht vom
Spieler, sondern von einer zweiten Person bedient wer-
den. Es wurde zum Spielen auf einen Tisch gesetzt und
war in der Kirchenmusik ebenso beliebt wie bei der
Theater-, Tafel-, Tanz- und Hausmusik, im 17. Jh.
auch als GeneralbaBinstrument. Als xCharakterinstru-
ment« forderte Monteverdi das R. im Orfeo (1607). Ein
zusammenklappbares R., das die Gestalt eines groBen
Buches hatte, hieB Bibel-R. Im 18. Jh., als der oberto-
nige, schnarrende Klang des R.s nicht mehr geschatzt
wurde, starb es aus. - 2) Seit dem 16. Jh. wurden auch
R.-Werke in die Orgel eingebaut, die allerdings zu-
nachst nur fiir sich gespielt wurden. Von daher wurde
R. zur allgemeinen Bezeichnung der kurzbecherigen
Zungenstimmen (-> Register - 1) in der Orgel, die je
nach den verschiedenen Formen ihres Schallbechers be-
nannt sind: das vollkugelformige Apfel-R., das Prae-
torius (Synt. II, S. 148) zufolge wie ein Apffel vffm Stiel
stehet und dessen Klang fein schneidend, daher aber (auf
783
Regensburg
Grund der Kugeldeckung) auch zart und rund ist; das
kugelf brmig abgeplattete oder in der Form zweier ein-
ander zugekehrter Trichter gebaute Knop£-(auch
Knopflin-) oder Kugel-R. Ein sehr kleines offenes R. zu
4' hieB Jungfrauen-R. (oder Jungfrauen-BaB), weil es \
wenns zu andern Stimmen vnd Floitwercken im Pedal ge-
braucht wirdlgleich einerjungfrawenstimme \ die einen Baft
singen wolte / gehoret wird (Praetorius Synt. II, S. 145). In
neuerer Zeit werden R.e wieder gem gebaut, meist un-
ter den Namen Harfen-, Holz-, Dulzian-, Kopf-
Trompeten-, Kornett- oder Geigen-, Krummhorn-,
Schalmeien- oder Trichter-R. und Singend R.
Regensburg.
Lit. : D . METTENLErraR, Mg. d. Stadt R., R. 1 866 ; H. Nest-
ler, Der R.er Domchor, R. 1928; K. Weinmann, R. als
Kirchenmusikstadt, R. 1928 ; G. Huber, Kunst am Hofe v.
Thurn u. Taxis, in: Musik u. Theater V, 1930; ders., Aus
alten Arch., Die Musik bei d. Fiirsten v. Thurn u. Taxis,
ZfM CXIII, 1952; B. Bischoff, Literarisches u. kunstleri-
sches Leben in St. Emmeram warirend d. friihen u. hohen
M A, in : Studien u. Mitt, zur Gesch. d. Benediktinerordens
... LI, 1933 ; S. Farber, Das R.er Fiirstlich Thurn u. Ta-
xissche Hoftheater u. seine Oper, 1760-86, Verhandlungen
d. Hist. Ver. v. Oberpfalz u. R. LXXXVI, 1936; Br. Stab-
le™, R., d. Bild einer bayrischen Musikstadt, Munchen
1948; F. A. Stein, Der Welt alteste KM.-Schule, Caeci-
lienver.-Organ LXXXI, 1961 ; A. Scharnagl, Zur Gesch.
d. R.er Domchors, in: Musicus-Magister, Fs. Th. Schrems,
R. (1963).
Regens chori (lat.), Bezeichnung fiir den Chorleiter
in katholischen Institutionen wie Seminaren, Interna-
ten usw. Sie wird haufig auch fiir den katholischen
Kirchenkapellmeister verwendet.
Regina caeli (lat.), Marianische Antiphon aus dem
Offizium der katholischen Kirche, textlich erstmals um
1200 als Magnificatantiphon der Ostervesper, 1249 je-
doch bereits im Stundengebet der Franziskaner zusam-
men mit dem -*■ Alma redemptoris mater, -> Ave re-
gina caelorum und -> Salve regina als SchluBantiphon
der Komplet bezeugt. Hieran ankniipfend gelangt sie
im heutigen Offizium vom Karsamstag bis zum Frei-
tag der Pfingstoktav als abschlieBender Gesang der
Komplet zum Vortrag. Die analog zu dem kurzen und
pragnant formulierten Text in 4 Zeilen gegliederte al-
tere Melodie des R. c. (6. Modus mit regelmaBigem
bmolle) zeichnet sich durch reiche Melismenbildungen
aus (darunter die Melismen vonportare und dem SchluB-
alleluia, deren Mehrteiligkeit auf dem Prinzip der Wie-
derholung beruht). Demgegeniiber liegt in der gleich-
falls verwendeten Melodie in cantu simplici (17. Jh.
oder spater) eine ihrer Melismatik entkleidete syllabi-
sche Fassung der urspriinglichen Weise vor. - Abge-
sehen vom Angeluslauten zur Osterzeit (hier seit 1742
als Gebet eingefiigt), findet sich das R. c. wahrend die-
ses Festkreises auch als Benedictus- und Magnificatanti-
phon im Officium B. Mariae Virginis in Sabbato, mit ei-
gener Melodie im 1. Modus, gekennzeichnet durch ei-
ne starke Vereinheitlichung der einzelnen Abschnitte.
Ausg.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in
seinen Singweisen II, Freiburg i. Br. 1883, Nachdruck Hil-
desheim 1962 (Kirchenlied-Fassungen d. R. c).
Lit. : A. Weissenbach, R. c. laetare, Musica divina XVI,
1928; H. Thurston, Familiar Prayers, London 1953.
Register. - 1) In der Orgel heiBt R. (ital. registro;
engl. organ stop; frz. jeu d'orgue) eine Reihe vonklang-
lich gleichartigen Pfeif en (-»• Labialpf eifen oder -*■ Lin-
gualpfeifen) verschiedener Tonhohe, die von einem
-»■ Manual oder vom -*■ Pedal (-1) aus gespielt werden
und mit einem mechanischen, pneumatischen oder
elektrischen R.-Zug (frz. registre) gemeinsam ein- und
ausgeschaltet werden konnen. R. heiBen ferner alle an-
deren Spieleinrichtungen der Orgel, die durch R.-Ziige
betatigt oder ein- und ausgeschaltet werden : a) -> Kop-
peln, -*■ Kombinationen, Windabsperrungen (Sperr-
ventile), Windauslasse (»noli me tangere«), Kalkanten-
glockchen (»sine me nihil«; -> Kalkant), -> Tremu-
lant; b) besondere, zeitweilig in Orgeln eingebaute
Tonerzeuger wie -> Kuckucksruf , -> Vogelgesang (- 3) ,
-»■ Zimbelstern, -> Glockenspiel (lat. -> campana; frz.
clochettes; span, campanilla), Holzstabspiele (Xylo-
phon), Stahlstabspiele (Celesta, »Harfe«) und mit FuB-
hebeln zu bedienende Pauken; c) mechanische R., die
Figuren bewegen (fliegende Adler; Engel).
Die klingenden R. der Orgel, mitunter auch als (Or-
gel-) Stimmen bezeichnet, stehen auf -»■ Windladen
und unterscheiden sich.hinsichtlich ihres Klanges, der
Tonhohe (-> FuBtonzahl) und ihrer Lautstarke. Sie ent-
halten eine oder mehrere Pfeif en fiir jede Taste einer
Klaviatur (voll ausgebaute R.), mitunter aber auch nur
dem BaB oder -*■ Diskant eines Manuals zugeordne-
te Pfeifen. Die R. werden in ihren unterschiedlichen
Klangeigenschaf ten durch die jeweils angesetzten Men-
suren (Verhaltnis von Lange und Durchmesser bzw.
Form der Pfeifen, Labiumbreite, Aufschnitthohe bzw.
Zungen- und BechermaBe), die Winddruckhohe und
die Intonation mit ihrer im Raum abgehorten Feinar-
beit am Klang der Pfeife (Modifizierung der Wind-
menge und des Verhaltnisses von Kernspaltquerschnitt
zum FuBofmungs- bzw. Stockbohrungsquerschnitt
u. a.) bestimmt. Auch das Material der Pfeifen beein-
fluBt den Klang der R. : hochprozentige Zinnlegierun-
gen fordern die strahlende Obertonhelligkeit der Prin-
zipale; fiir Floten und Gedackte hingegen bevorzugt
man starker bleihaltige'Mischungen, wodurch diese R.
weicher und render klingen. Auch Kupfer, Bronze,
Messing, Zink, Elektrolytzink, Silber (fiir hofische
Kammerpositive), verschiedene Holzer, Elfenbein,
Ton, Hartpapier, Porzellan und (fiir 32'-Lagen) Beton
werden verwendet. Mitunter ist der Name der R. durch
das Material bestimmt (Holzgedackt, Kupferflote, Blei-
gedackt), mitunter durch den mit Mensur und Into-
nation gegebenen Klangcharakter (still, sanft, lieblich,
zart, dolce, douce, eng, weit, streichend, hell, grob,
scharf). Echo heiBt ein R. im Schwellkasten. - Zahlrei-
che R. tragen den Namen von Instrumenten: ->■ Flote
(-* Fistula), Fagott, Pommer, Viola, -»■ Violon (- 3),
deren Klang sie (bei mitunter wechselnder Bauart)
nachahmen. Einzelheiten der Bauf ormen werden durch
Zusatze bezeichnet wie (Tibia) angusta = enge, bifa-
ris = doppeltlabierte, clausa = gedeckte Flote. Trom-
pettes en chamade heiBen liegend herausragende Trom-
peten. Auch die -> FuBtonzahl kann den R.-Namen
pragen, so : Quincena (span.) = Superoktave = Okta-
ve 2'. Flauto in quinta decima (ital.) bezeichnet die 4'-
Lage, in ottava die 8'-Lage - vom 16' aus gerechnet.
Nicht alle R.-Namen legen eindeutig Klang und Bau-
weise fest. Mitunter wurden nach Bauart und Klang
vollig verschiedene R. mit dem gleichen Namen be-
nannt, so : -»■ Nachthorn, das ein enges gedecktes, ein
zylindrisch weites offenes und ein weites leicht koni-
sches, schmallabiertes, sogar ein rohrgedacktes R. be-
zeichnen kann. Stilepoche, Landschaf t und Orgelbauer-
familien miissen beriicksichtigt werden, wenn aus ei-
nem R.-Namen Riickschliisse auf Bauart und Klang
gezogen werden sollen. Salizional ist in der Danziger
Pfarrkirchenorgel (1585) nur 2-3 Halbtone enger als
der Prinzipal, spater hingegen ein stilles, streichendes
R. Aeoline und -*■ Vox angelica konnen sowohl Labial-
wie Lingual-R. bezeichnen. Auch Contras im spani-
schen Orgelbau ist mehrdeutig. Altere Namen sincl mit-
unter nicht mehr eindeutig nach Klang und Bauweise
zu beschreiben (Dunecken, Hiilzern Glachter).
784
Register
6
I
d
a b c d e f
a) Prinzipal 8'; b) offene Hohlflote 8'; c) zylin-
drische Gambe 8' ; d) Holzgedackt 8' ; e) Quinta-
den 8' ; f) Rohrpommer 8'.
Der Chor der -> Prinzipale (engl. open -> diapason - 2)
mit ihren Oktaven und Superoktaven, vom 32' bis 1/2',
zahlt zum -> Organo pleno. Die Reihe der ->- Ge-
mischten Stimmen in Prinzipalmensur reicht vom mas-
siven -*■ Hintersatz der alten Orgeln iiber -» Mixtur,
-> Fourniture (grosse und grande), -» Scharf, -> Zim-
bel (- 2), -> Rauschpfeife (- 3), Rauschquinte, Quartian
(22/3' und 2'), Larigot, -* Schryari (- 2) und den oktav-
hellen Faberton bis hin zur -> Progressio harmonica
des 19. Jh. Terzhaltige gemischte Stimmen in Prinzipal-
mensur sind -> Tertian, die enge -> Sesquialtera (- 3 ;
in alteren Aufzeichnungen auch Zink genannt), Terz-
glockenton und das weiter mensurierte labiale -> Kor-
nett (- 2). Abwandlungen des Prinzipalcharakters zei-
gen R., die zumeist nicht ins Hauptwerk disponiert
werden, wie : -> Geigenprinzipal, die engeren und wei-
cher intonierten Floten- und Hornprinzipale (Keraulo-
phon, Suavial, Tibia maior; Praetorius Synt. II, S. 190:
Holtzern Principal, gar enger Mensur, lieblich), der noch
stillere Harfenprinzipal und die weiter mensurierte,
streichend-singende Bleioktave (8' und 4') sowie im
Pedal der zylindrisch offene ChoralbaB und der engere,
sonore ->■ Violon (- 3) in offener Bauweise.
Die andere Gruppe der Labial-R., die nicht wie die
Prinzipal-R. in gleich gebauten Choren zusammenge-
zogen, sondern nach Bauart und FuBtonzahl gegen-
satzlich, auswahlweise (organo electo) registriert wer-
den sollen, sind nach Bauart und Klang sehr verschie-
den. Diese R., manchmal (ungenau) als weibliche oder
Weitchor-R. bezeichnet, werden hinsichtlich ihrer
Bauart in f olgende Gruppen eingeteilt :
1) Zylindrisch offene R. Wat mensuriert sind -> Nacht-
horn, ->■ Hohlflote und Hohlquinte, mittelweit Kop-
pel, Offenflote, -> Nasat, breit labierte Starkflote und
OffenbaB (Basso aperto), im Pedal Choralflote (Bas-
settl 4', HornbaB) und -> Bauernflote. Nicht so weit
sind: Jula, Baarpijp (Baarpfeife), Piffaro, -> Schwe-
gel (- 2), Hellflote, Klarflote und -> Jubalflote (Tu-
balflote), Kiitzialflote, ->• Flageolett (- 2) und (enge)
Feldflote und ->■ Sifflote. Uberblasende R. (-» Ober-
blasen) sind Querflote (Flute traversiere), Querpfeife
und Basse de viole, noch enger ist Flute octaviante und
offene -> Schweizerpfeife (- 2). Recht eng ist die stille
uberblasende Dulzflote (-*■ Dulzian - 2). Je enger die
Pfeifen mensuriert sind, um so stiller und obertonrei-
cher wird ihr Klang in liickenlosem Aufbau der Partial-
tonreihe, um so mehr werden sie zu ->■ Streichenden
Stimmen. Hierher gehoren die -> Dolzflote (- 2; auch
leicht konisch gebaut), -> Fugara, -> Dolce (- 2), -> Sa-
lizional und Salizetina, die zylindrische -*■ Viola da
gamba (- 2), die Bellgambe mit Trichteraufsatz, Viola,
Violet, Violflote, Quintviolen (scharfer), im Pedal das
kraftiger klingende -> Violoncello (- 2). Noch enger
sind Violin 1- und 2chorig, Zartgeige, Cremona, Viola
d'amore. Am engsten sind Vox coelestis (frz. voix
celeste) und -> Aeoline, R., die in der »romantischen«
Orgel besonders beliebt waren, sich aber ungern mit
-> Aliquotstimmen verbinden. Bis ins 18. Jh. wurden
auch enge R. (Violen) noch so weit mensuriert, daB sie
Aliquotverbindungen (z. B. 8' + l 1 /3 / ) aufnehmen und
zu einer Synthese verschmelzen konnten. Da das 19.
Jh. bei den Streichenden Stimmen Intonation und Men-
suren so gestaltete, daB sie keine Aliquote auf der 8'-
Basis ertrugen, registrierte man sie in gleichen FuBton-
lagen mit anderen R.n verbunden (z. B. Gambe 8' + Sa-
lizional 8' + liebliche Flote 8'), eine der Linearzeich-
nung abtragliche Klanggestaltung.
2) Zylindrisch gedeckte R. tragen als Familiennamen
die Bezeichnung -> Gedackt. Sehr weit mensuriert und
eng labiert ist die gedeckte Schellenflote, weit mensu-
riert ist Weitgedackt, im Pedal -»■ SubbaB und der ge-
deckte ->■ Untersatz (-1). Weit bis mittelweit sind ge-
deckte Koppelflote, -> Hohlflote, -> Nasat und Barem
(friiher auch off en gebaut). Mittelweit sind: Musizier-
gedackt (das in barocken Orgeln oft ein Gedackt im
Kammerton war), Grobgedackt (mit breitem Labium,
starker intoniert), in Spanien Violon und Tapadillo. Et-
was enger ist -»■ Bordun, Gedacktflote und Lieblichge-
dackt. Je enger die Mensur wird, um so starker treten
die ungeradzahligen Teiltone hervor, so bei Gedackt-
pommer und -> Quintaden. Uberblasend sind Querflo-
te und Schweizerpfeifengedackt (etwas enger).
3) Teilgedeckte Pfeifen haben meist ein nach auBen
oder innen weisendes, in den Hut (Deckel) eingelasse-
nes Rohr. Ihr Klang ist dadurch heller und etwas un-
ruhiger als der der vollgedeckten R. Sehr weit men-
suriert ist die Rohrtraverse (»durchsatz-klar«), mittel-
weit sind -> Rohrflote, Rohrgedackt (frz. Bourdon)
und die Rohrpfeife (auch als Flute allemande bezeich-
net). Hohlfloten wurden friiher mitunter rohrgedackt
gebaut, ebenso das -> Nasat. Eng mensuriert und da-
durch obertonstarker sind Rohrquintade, Rohrpom-
mer und Rohrschelle. Uberblasende Formen sind rohr-
gedackte Schweizerpfeife und uberblasende Doppel-
rohrflote mit 2 Rohren. Teilgedeckte R. ohne Rohr
heiBen Lochflote (engl. clarionet-flute).
4
6
d
sc
a b c d e
a) Singend Nachthorn 4' ; b) Gemshorn 8' ; c) Kop-
pelflote 4' ; d) labialer Dulzian 8' ; e) Septade 8' ;
f) Seraphon doppelt labiert 8'.
f
50
785
Register
4) Konisch offene, sehr weit mensurierte Pfeifen hat
Singend Nachthorn, dessen Klang glockig-hell und
zugleich weich-singend ist. Weitmensuriert sind auch
-»■ Blockflote und ->• Nasat, mittelweit -> Spitzflote,
Pyramidflote, -*■ Gemshorn (-2; auch Bartpfeife; cor-
no acutum), labiales Alphorn, Jula und -*■ Waldflote.
Etwas enger mensuriert und dadurch heller im Klang
sind Flachflote und Spitzoktave. Stiller im Charakter
sind Flute douce, Dulzflote (-»■ Dulzian - 2) und Still—
note. Noch enger mit »Violenresonanz« ist die konische
->■ Viola da gamba (- 2). Uberblasende Formen heiBen
(konische) Quernote, Flute allemande oder Travers-
flote, uberblasende Gemspfeife und Gemsquinte. Ko-
nische R. haben je nach der Konusverjiingung einen
verhalten-nasalen, hornartigen Klang, zeichnen da-
durch charaktervoll die Linien und gehen gute Klang-
synthesen ein, auch in Weitlagen wie Gedackt 8' + uber-
blasende Gemsquinte li/ 3 '.
5) Konisch gedeckte R., seltener zu finden, heiBen
Spitzgedackt, auch Lieblich GroBgedackt, Spitzfloten-
gedackt und Spitzpfeifen (Scherer).
6) Trichterformig offene Pfeifen sind seit dem 12. Jh.
zu belegen, aber nicht haufig disponiert worden. Mit-
telweit heiBen sie labialer -*■ Dulzian (- 2) , offene Trich-
terflote, Portunalflote, starker intoniert Dolkan und
Tolkan, stark intoniert Tromba. Enger mensuriert und
scharfer intoniert heiBt das R. labiale Schalmei, wei-
cher und stiller intoniert Corno dolce oder Viola da
gamba. In hoheren FuBtonlagen tragt es auch den Na-
men Waldflote. Flute a pavilion ist nochmals mit Trich-
teraufsatz versehen. Noch enger neigt der Klang sich
zu den -> Streichenden Stimmen: Salizet, Dulziana,
Scharfgeige. Auch mehrchorig als Dolce Kornett
kommt diese Bauart vor. Einen sehr weiten, kurzen
Trichter hat das -> Pyramidon.
7) Trichterformig gedeckte Pfeifen in mittelweiter
Mensur bilden das R. Trichtergedackt. Weit bis sehr
weit mensuriert entwickelte RoBler die Formen der
Sextade und Septade, deren Klang fluktuierend leben-
dig, auBerst klar zeichnend und »dissonanzstark« ist.
8) Besondere Bauformen: Zylindrisch weit mit kur-
zem konischem Aufsatz ist die Koppelflote gebaut, et-
was enger mit langerem konischem Aufsatz die Spill-
pfeife, auch Spillflote genannt. Kugelflote, Flaschen-
flote, Tonnenflote und Sonarklarinette sind auBerst
selten. Auch Pfeifen mit 2 Labien werden gebaut, z. B.
Seraphon (in Prinzipalmensur), -> Doppelflote als Dop-
pelgedackt, ->- Jubalflote, offene Bifara. Bei der offenen
Bifara setzt das zweite Labium ein wenig hoher an und
erzeugt dadurch Schwebungen (-> Tremulant). R.
mit dreifachem Labium und aus Holz heiBen Dreiecks-
flote, Driflote.
9) R., deren Pfeifen bei verschiedener Lange gleich-
bleibenden Durchmesser aufweisen, wechseln vom
BaB zum Diskant hin ihren Klangcharakter: im BaB
besitzen sie Streicherklang, in der Mittellage den eines
Prinzipals und im Diskant Flotenart, alles in stetigem
Ubergang. Auch in der Mensur stark changierende R.
wurden gebaut. Unter der Bezeichnung Diaphone
wurden (in den USA) R. gebaut, bei denen durch ge-
federte Ventile ein changierender Klang erzeugt wird,
der durch verschiedene Becheraufsatze nuanciert wer-
den kann. ->• Hochdruck-R. zeichnen sich in der Haupt-
sache durch UbergroBe Lautstarke aus.
10) Gemischte Stimmen auBerhalb der Mixturform
versuchen, andere Instrumente nachzuahmen, eine be-
sondere Klangfarbe oder die Wirkung eines Tremulan-
ten zu erzeugen. Piffaro - insbesondere in Siiddeutsch-
land beliebt - verbindet zwei oder mehr meist gleich-
fiifiige R. verschiedener Bauweise (Viola 4' + Quinta-
den 4' oder Salizional 8' + Weitflote 8';J.Gablers Pif-
faro in Weingarten hat 5-7 Chore auf dem 8'-Funda-
ment). Harmonia aetherea ist eine gemischte Stimme
mit zarten Streicherstimmen besetzt. Namen wie Ca-
rillon, Campanelli oder Glockenton (Terzglockenton)
konnen auch Labial-R. von glockenartigem Klang be-
zeichnen; auch ein mit Unharmonischen (-> Teiltone)
besetztes Labial-R. unter der Bezeichnung Xylophon
wurde zuweilen gebaut. - Schwebend gestimmte R.
sind z. B. Unda maris, die italienische schwebende la-
biale Voce umana (-> Vox humana), -»■ Vox angelica,
die Geigenschwebung, Flotenschwebung u. a.
fl n
abcdefgh
a) Trompete 8'; b) Schalmei 8'; c) Dulzian 8';
d) Holzkrummhorn 8' ; e) Musette 8' ; f) Barpfei-
fe 16'; g) Oboe 8' (nach Gabler); h) Rankett 8'.
Zungen-R., Zungenstimmen, auch Rohrwerk und
Schnarrwerk genannt, sind mit Lingualpfeifen besetzt
und werden von 32' bis 2' gebaut (bei den 2'-Zungen-
R.n werden jedoch im hohen Diskant Labialpfeifen
verwendet). Im abendlandischen Orgelbau sind Zun-
gen-R. (Chalmoni, -*■ Chalumeau - 2) fur das 13. Jh.
in Frankreich zu belegen; im allgemeinen blieben je-
doch die Lingualpfeifen bis ins 16. Jh. auf das seit dem
11./12. Jh. nachweisbare -> Regal (- 1) beschrankt. Im
16./17. Jh. wurde der Klang der Orgel durch eine groBe
Anzahl kurzbechriger und zumeist zylindrischer Zun-
gen-R. bereichert. - Namen und Klang iibernahmen
die Zungen-R. zumeist von Blasinstrumenten. Durch
Weite, Lange und Form der Becher (-»■ Aufsatze) wird
im wesentlichen die Klangfarbe der Zungen-R. be-
stimmt. Zungenstimmen mit aufschlagender ->■ Zunge
sind im Orgelbau die dominierende Form; die durch-
schlagende Zunge mit ihrer weicheren Ansprache und
Tongebung war besonders im 19. Jh. beliebt. Die Be-
cherlange der vollbechrigen Zungen-R. erreicht nicht
ganz die Lange einer offenen Labialpfeife gleicher FuB-
tonlage; sie betragt z. B. fiir die 8'-Lage nur 6'-7'. Die
Form der Aufsatze ist noch weniger als bei den Labial-
R.n durch den R.-Namen festgelegt.
Vollbechrige konische Zungen-R. sind: -> Trompe-
te (- 2), die schmetternd helle Feldtrompete, ->■ Clai-
ron (- 2) und -»■ Kornett (- 2). In der 32'- und 16'-Lage
dominieren, etwas weiter mensuriert und lautstarker,
die Posaunen mit ihren Abarten, der Still- und Lieblich
Posaune (zum Teil mit kiirzeren Bechern). Etwas en-
ger mensuriert sind die -> Bombarden. Auch das Fa-
gott (16'-8') - span, bajon, bajoncillo 4' - ist zuriick-
haltender im Klang. Das Kontrafagott 32' hat oft kiir-
zere Becher. Lautstarker hinwieder sind -*• Tuba (- 4)
und das oft auch als Hochdruck-R. gebaute Helikon.
Weicher und fiilliger ist das Horn (Schweizerhorn,
Cornopean-auchhalbgedeckt).AndereBecherformen,
auch verschiedene Aufsatze, haben die Klarinette, die
auf die alte Chalumeau zuriickgeht, das Bassetthorn
mit zylindrischem oder Doppelkegelaufsatz, das Saxo-
phon und die -> Musette (- 3). Etwas stiller (zwischen
Trompete und Krummhorn) und naselnd im Klang
786
Register
sind Schalmei, Schalmeioboe und Bassonschalmei
(meist mit verkiirzten Bechern), -> Oboe (- 2), Eng-
lisch Horn und Oboe d'amore mit einer Erweiterung
in Doppelkegelform an der Mundung des Bechers oder
auch mit halbgedecktem Becher.
Bis ins 18. Jh. waren von den engeren, stilleren Zun-
gen-R.n besonders -> Krummhorn (- 2 ; f rz. cromorne ;
span, violetta) und -> Dulzian (- 2) beliebt, wie iiber-
haupt die Zungenstimmen mit verkiirzten Bechern und
dadurch obertonreicherem, farbig erregtem Klang aus
der groBen Familie der -> Regale (- 2; span, orlos,
gaitas, serpenton). Die ->- Vox humana ist mit zahlrei-
chen, sehr verschiedenen Becherformen gebaut wor-
den. Die Barpfeifen, nur in 8' und 16' gebaut - sonst
verlieren sie ihren rechten namen und klang; Den sie viel-
leicht von eines Beeren stillen Brummen haben (Praetorius
Synt. II, S. 147) -, waren im 17. Jh. sehr beliebt ; ihr Na-
me durfte jedoch eher von dem rohrflotenartigen Be-
cher (Baarpfeife) abzuleiten sein. Auch Dreikegelregale
werden als Barpfeifen bezeichnet. Gedeckte, sehr kurze
und weite Becher mit Seitenlochern hat das Rankett
(Rackett). Sein Klang ist gedeckt-verhalten und durch-
sichtig zugleich. Auch ein Rohrrankett, dessen Becher
ein Rohr tragt, wurde in alterer Zeit gebaut. Der Sor-
dun (32', 16') hat ebenfalls einen gedeckten kurzen und
weiten Becher aus Metall oder Holz ; er klingt ebenfalls
sehr lieblich undstille (Praetorius Synt. II, S. 146). Die in
Frederiksborg erhaltene Compenius-Orgel hat noch
original klingende friihbarocke Zungen-R. wie Ran-
kett 16', Krummhorn 8', Geigend-Regal 4', SordunbaB
16', DolzianbaB 8', JungfrauenregalbaB 4'. Seltener ge-
baut wurden Bassanello und Zungentheorbe. Als der
Grundsatz klarer Linearzeichnung (z. B. des C. f. in
alien Lagen) nicht mehr oberste Forderung an die
Zungenstimmen war, lief auch die Zeit der f arbreichen
Zungen-R. des Barocks vorerst ab (heute jedoch sind
sie wieder sehr beliebt). Im 19. Jh. sollten Zungen-R.
harmoniumhaft-akkordisch wirken. Dies wurde mit
durchschlagenden Zungen erreicht, denen das silberne
Rasseln der barocken Schnarrwerke f ehlt. R. mit durch-
schlagenden Zungen sind die linguale Aeoline, das
Aeolidikon, die Aeolika mit sehr engen Bechern, das
-*■ Euphonium (- 2), die klarinettenartige Ophikleide
und die Physharmonika mit kurzen Bechern und sanf-
ter Intonation, die das gleichnamige Tasteninstrument
(-»■ Harmonium) klanglich nachahmen sollte. Auch
Hochdruck-R. und langbechrige Zungen-R. wurden
mitunter mit durchschlagenden Zungen gebaut, um
das Schnarrwerkartige des Zungenklanges und die ex-
tremen Farben zu mildern.
- 2) Vorrichtungen an besaiteten Tasteninstrumenten
zur Veranderung der Klangfarbe und der Lautstarke
heiBen ebenfalls R. Sie sind vor allem am -> Cembalo
seit Ende des 16. Jh. ublich geworden. Zu unterschei-
den sind R., die eine Veranderung der Klangfarbe und
Lautstarke eines Saitenchores bewirken und R., bei de-
nen zwei oder mehr Saitenchore zur Modifizierung
des Gesamtklangs herangezogen werden. - Das ein-
fachste R. ist der Lautenzug : die Saiten werden durch
einen Filzstreifen oder (besser) durch einzelne, seitlich
an die Saite gedriickte Filzstiickchen nahe am Steg
leicht gedampft. Leder als Dampfungsmaterial ergibt
einen harfenahnlichen Klang. Der Pianozug bewirkt
eine geringfiigige Verschiebung der Springer-(Dok-
ken-)Reihe, so daB die Saiten nur mit den Spitzen der
Kiele angerissen werden. Ein Saitenchor kann auch
durch zwei wechselweise einschaltbare Springerreihen
(auch mit verschiedener Bekielung, z. B. mit Feder-
und Lederkielen) an verschiedenen Stellen angerissen
werden. Eine Springerreihe, die die Saiten sehr nahe
am Steg anreiBt, erzeugt einen obertonreichen, lau-
tenartigen Klang (Lauten-R. ; bei 2manualigen Cem-
bali im oberen Manual). - Mehrere Saitenchore wer-
den wie in der Orgel mit FuBtonzahlen bezeichnet: 8'
die normal gestimmten, 4' die eine Oktave hoher und
16' die eine Oktave tiefer gestimmten Saitenchore. 16'-
R. waren in alten Cembali auBerst selten und begegnen
nur in einigen deutschen Prachtinstrumenten des 18.
Jh. (in das angebliche Bach-Cembalo in Berlin wie
auch in andere Cembali des 18. Jh. wurde der ^'-Sai-
tenchor jedoch nachtraglich eingebaut). Ein 4'-R. trat
meist zu zwei vorhandenen, klanglich verschiedenen
8'-R.n hinzu und war bei 2manualigen Instrumenten in
der Regel nur vom unteren (Haupt-)Manual aus spiel-
bar. In modernen Cembali ist der 4' oft im oberen
Manual disponiert und wird durch Koppeln auch im
unteren spielbar gemacht. Der Hamburger Klavier-
bauer Hieronymus Hass baute vereinzelt Cembali mit
2'-R. - Die Bedienung der R. erf olgte meist durch seit-
lich oder vorn am Instrument angebrachte Zugknopfe
oder Hebel ; auch Kniehebel sind vereinzelt schon friih
verwendet worden. Dagegen kam die R.-Betatigung
durch -+ Pedal (- 2) erst in der 2. Halfte des 18. Jh. auf ;
sie hat sich bei den modernen Cembali durchgesetzt.
Manualkoppeln nach dem Vorbild der Orgel, friiher
meist durch geringes Einschieben eines Manuals, heute
ebenfalls durch Pedale zu betatigen, erweitern die Mog-
lichkeiten der Registrierung betrachtlich. Bis ins 19. Jh.
hinein wurden auch am -*■ Pianoforte R. zur Verande-
rung der Klangfarbe angebracht: Lautenzug (leichte
Dampfung), Fagott- und Trompetenzug (lose auf die
Saiten gelegte Papier- oder Blechstreifen, die ein
schnarrendes Gerausch abgeben) , Pantaleonzug (-»■ Pan-
taleon) und ahnliche Veranderungen. Heute werden
vereinzelt Pianinos mit Cembalozug (ein diinner Blech-
streifen wird zwischen Hammer und Saite eingescho-
ben) gebaut, der dem Pantaleonzug nahekommt.
- 3) R. sind bei der menschlichen Stimme eine Reihe
aufeinanderfolgender, auf Grand von gleichbleibenden
und zusammenwirkenden physiologischen Vorgangen
ahnlich gefarbter Tone. Die Differenzierung in Brust-
R. (Bruststimme) und Kopf-R. (Kopfstimme) sowie
Zwischen-R. (-»■ Voix mixte) resultiert aus der unter-
schiedlichen -*■ Resonanz von Brustwand und Schadel-
knochen. Wahrend tiefe Frequenzen groBe Amplitu-
den der Brustwandschwingungen ausbilden, entstehen
bei hohen Frequenzen am Schadel groBere Amplitu-
den. Beim Brust-R. schwingen die Stimmlippen in
ihrer gesamten Breite, beim Kopf-R. nur am mittleren
Rand. Wenn die mannliche hauchige Kopfstimme
(Fistelstimme) durch Brustresonanz verstarkt wird,
entsteht das besonders von Tenoren verwendete Fal-
sett mit seinen hohen, iiber die normale Reichweite
hinausgehenden Tonen. Als ein weiteres R. ist das
Pfeif-R. anzusehen, das vom Koloratursopran bei ex-
trem hohen Tonen benutzt und durch eine ringf ormige
Offnung in der Mitte der sonst geschlossenen Stimm-
lippen erzeugt wird. Im Kunstgesang wird ein weitest-
moglicher Ausgleich zwischen den R.n angestrebt in
der Art, daB nicht nur die Ubergange zwischen den
R.n ohne Bruch verlaufen, sondern auch noch im tie-
fen Grenzraum das Brust-R. durch einen Rest Kopf-
resonanz aufgehellt wird und im Bereich des Kopf-R.s
ein Rest Brustresonanz erhalten bleibt. Auf absichtli-
chem Umschlagen zwischen Brust- und Kopf-R.
(mit gleichzeitigem -> Glottis-Schlag) beruht das
-> Jodeln. - Entsprechend den Stimm-R.n nennt
man auch einzelne Lagen von Instrumenten R. oder
Stimme (-> Trompete - 1 und -*■ Clarino, -»■ Klari-
nette, -> Chalumeau - 1).
Lit. : zu 1) : Chr. Mahrenholz, Die Orgelr., ihre Gesch. u.
ihr Bau, Kassel 1930, 21944; H. Klotz, Das Buch v. d.
50*
787
Regok dell'ottava
Org., Kassel 1938, «1960; S. Irwin, Dictionary of Pipe Or-
gan Stops, NY 1962. - zu 2) : R. E. M. Harding, The Pfte
. . ., Cambridge 1933; W. Kahl, Friihe Lehrwerke f. d.
Hammerkl., AfMwIX, 1952; R. Russell, The Harpsichord
and Clavichord, London 1959. -zu 3): P. Bruns-Molar,
Die R.-Frage, I: Das Problem d. Kontraaltstimme, Bin
1906, 21930, II: Bariton oder Tenor, Bin 1910; M. Na-
doleczny, Untersuchungen iiber d. Kunstgesang, Bin
1923; W. Trendelenburg, Untersuchungen zur Kenntnis
d. Registerbruchstellen beim Gesang, Sb. Bin, Phys.-
mathem. Klasse, 1938; R. Luchsinger, Physiologie d.
Stimme, Folia Phoniatrica V, 1953 ; H. J. Moser, Technik
d. deutschen Gesangskunst, = Slg Goschen Bd 576/576a,
Bin 3 1954; Fr. Martienssen-Lohmann, Der wissende San-
ger, Zurich u. Freiburg i. Br. 1956.
Regola dell'ottava (ital., Regel der Oktave) hieB die
knappe Fassung der Lehre des a vista-Akkompagne-
ments auf Grund nichtbezifferter Basse, wie sie in der
italienischen GeneralbaBpraxis des 18., vielleicht schon
des spaten 17. Jh., entwickelt wurde. Sie stellt als die
»natiirlichen« Harmonien der Tonleiter auf:
Die R. dell'o. war urspriinglich eine bloBe Merkregel
fur Anfanger. Als solche erscheint sie, auf die 6 Stufen
von c bis a beschrankt und ohne namentlich genannt
zu werden, in den Beispielen zu Gasparinis L'armonico
prattico al cimbalo (1708). In Frankreich wurde sie durch
Fr. Campion 1716 formuliert; sie bildete eine der Vor-
aussetzungen fur die Lehre von den Akkordumkeh-
rungen und der -> Basse f ondamentale von Rameau.
Lit. : Fr. Campion, Traite d'accompagnement . . . , Paris
u. Amsterdam 1716; J.-Ph. Rameau, Traite de l'harmonie
. . ., Paris 1722; ders., Dissertation sur les differentes me-
thodes d'accompagnement pour le clavecin ou pour l'orgue
..., Paris 1732; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de mus.,
Genf 1767(?), Paris 1768, Artikel R.; M. Brenet, Regie
d'octave, Guide mus. v. 27. 9. 1888 ; Riemann MTh.
Reibtrommel (auch Rummelpott, Brummtopf ; engl.
friction-drum; frz. tambour a friction; nld. rommel-
pot), ein Friktionsinstrument mit einem topfformigen,
einseitig mit einer Membran bespannten Resonanzkor-
per, der meist aus Metall, Ton oder Schilf gefertigt ist.
Durch die Mitte der Membran ist ein Holzpflock ge-
bohrt, der mit nassen Fingern gerieben oder hin und
her bewegt wird, damit die Membran zum Schwingen
kommt. Durch Auf- und Abbewegung des Holzes und
durch Beruhren der Membran laBt sich die Tonhohe
so verandern, daB auch einfache Tonfolgen auszufiih-
ren sind. - Die R. ist in nahezu alien europaischen und
auBereuropaischen Landern heimisch. In Spanien wird
das Instrument zambomba genannt und ist zusammen
mit -> Pandero und Schellen im Karneval gebrauch-
lich. Bezeichnungen fur R.-Arten sind in der Provence
frignato, in Italien caccarello (Neapel) und cupacupa
(Apulien). Bildbelege (vgl. Kupferstiche von Jacob de
Dheyn, urn 1600; Mahillon, Catalogue . . . , S. 165-168;
J.M.Molenaer, Dreijunge Musiker, 1629) zeigen die R.
in den Hauptformen Stab-, Faden- und Schwung-R.
Die Stab-R. ist die verbreitetste Art des Instruments.
Anstelle eines Stockes konnen auch Strohhalme die
Membran zum Schwingen bringen. Die Faden-R.
(frz. cri de la belle-mere; span, chicharra) verwendet
statt des Stockes einen oder mehrere Faden, die im
Mittelloch der Membran verknotet sind. Die Schwung-
R. (volkstiimlich auch Waldteufel; engl. pasteboard
rattle; frz. bourdon) wird an einem Faden, der hinter
der Membran verknotet und am anderen Ende mit ei-
nem Holzgriff versehen ist, in der Luf t gedreht.
Lit. : H. Balfour, The Friction Drum, The Journal of the
Royal Anthropological Inst, of Great Britain and Ireland
XXXVII, 1907; V. Ch. Mahillon, Cat. descriptif et analy-
tique du Musee Instr. du Conservatoire Royale de Mu-
sique de Bruxelles IV, Gent 1912; M. Schneider, Zam-
bomba u. Pandero . . ., in: Span. Forschungen d. Gorres-
ges. I, 9, Munster i. W. 1934; P. Collaer, Le tambour a
friction (Rommelpott) en Flandre, in: Les Colloques de
Wegimont I, 1954; ders., Le tambour a friction (II) et
idiophones frottes, ebenda III, 1956.
Reichenau (Bo den see), Benediktinerkloster, gegr.
724.
Lit.: W. Brambach, Die Musiklit. d. MA bis zur Blute d.
R.er Sangerschule, Karlsruhe 1 883; ders. , Theorie u. Praxis
d. R.er Sangerschule, ebenda 1888; P. v. Winterfeld, Die
Dichterschule St. Gallens u. d. R. unter d. Karolingern u.
Ottonen, Neue Jb. f. d. klass. Altertum, Gesch. u. deutsche
Lit. Ill, 1900; A. Holder, Die R.er Hss. I-III, = Die Hss.
d. groBherzoglichen Badischen Landesbibl. I-VII, Lpz.
1906-18; R. Molitor OSB, Die Musik in d. R., in: Die
Kultur d. Abtei R. II, hrsg. v. K. Beyerle, Munchen 1925;
R. Stephan, Aus d. alten Abtei R., AfMw XIII, 1956; H.
Oesch, Berno u. Hermann v. R. als Musiktheoretiker,
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden
Ges., II, 9, Bern (1961).
Reihe (engl. series; frz. serie; ital. seria) bezeichnet als
Terminus der ->■ Zwolftontechnik eine fiir jede Kom-
position erneute Anordnung aller 12 Tone des gleich-
schwebend temperierten Systems. Sie stellt in ihrer spe-
zifischen Eigenart eine Vorformung des Tonmaterials
unter dem Gesichtspunkt der Intervallproportion im
Hinblick auf die jeweilige Komposition dar. Aufgabe
einer R. ist es, die Tonbeziehungen (Tonqualitaten) in-
nerhalb einer Komposition zu regulieren, nicht jedoch
die Tonhohen bzw. Tondauern f estzulegen. Sie ist dem-
nach mehr als bloBes Material, zugleich aber weniger
als Thema oder Motiv. Jede R. kann in 4 verschiedenen
Erscheinungsformen, auch Modi genannt, auftreten: in
ihrer Original- oder Grundgestalt (R bzw. G), im
Krebs (K), in ihrer Umkehrung (U) und im Krebs der
Umkehrung (KU). Die Umwandlungen der Original-
gestalt einer R., die auch als deren vertikale und hori-
zontale Spiegelung bezeichnet werden, verandern zwar
den Tonverlauf, jedoch nicht die einmal gewahlten In-
tervallproportionen. Schonbergs Oper Moses und Axon
liegt folgende R. zugrunde:
i«< G > . ■ i ,
1" 8° !,„ \* bo H» ^ <t " ^ bo H» I
,KU
Jede Erscheinungsform einer R. kann elfmal transpo-
niert werden; somit stehen fiir eine reihengebundene
Komposition 48 R.n-Formen zur Verf iigung, ohne daB
jedoch alle Verwendung finden miissen. Vier weitere
Erscheinungsformen hat H.Eimert (1952, S. 29) vor-
geschlagen, indem er die horizontale und vertikale
Spiegelung um die Spiegelung im Winkelder Quarte und
Quinte erweitert. Ableitungen dieser Art werden als
-> Permutation (- 3) bezeichnet. Mit den 12 verfiig-
baren Tonen lassen sich theoretisch 479001600 ver-
schiedene Grundgestalten bilden. Grundsatzlich unter-
scheiden sich alle R.n durch ihre Intervallstruktur. Da
eine R. als Einfall in Verbindung mit dem intuitiv vorge-
788
Reihe
stellten ganzen Werk (Webern, S. 58) gilt, bekundet sie
den Charakter der jeweiligen Komposition sowie die
Eigenart des Komponisten. - Schonberg und Berg be-
vorzugen R.n, die durch motivische Gruppenbildung
sowie durch Zerlegung tonaler Akkordbildungen aus-
gezeichnet sind. Dem Blaserquintett op. 26 von Schon-
berg liegt eine in 2 korrespondierende Teile sich glie-
dernde R. zugrunde, wobei die 2. R.n-Halfte eine
Quin transposition der ersten darstellt; beide R.n-Ab-
schnitte stehen gleichsam in einem dominantischen
Vorder- und Nachsatzverhaltnis. Die R. zu Bergs Vio-
linkonzert besteht aus einer alternierenden Kette von
Moll- und Durdreiklangen sowie einer abschlieBenden
Ganztonfolge; die R. ermoglicht tonale Akkordschich-
tungen, auch Fortschreitungen im Sinne harmonischer
Funktionalitat. Weberns R.n sind durch ihre spezifi-
sche Binnenstruktur gekennzeichnet. Aus zumeist klei-
nen Intervallschritten gebildete Tonfolgen schlieBen
sich zu Gruppen bzw. chromatischen Feldern zusam-
men, die ihrerseits innerhalb der R. unter dem Aspekt
horizontaler und vertikaler Spiegelung angeordnet
sind, z. B. in der R. von op. 24 :
G KU K U
Das Verfahren der Gliederung und Binnenspiegelung
reicht bei Webern von einfacher Addition der Glieder
bis zu komplizierten Uberschneidungen und findet sei-
ne konzentrierteste Form in symmetrisch um eine In-
tervallachse strukturierten R.n, die identisch sind mit
ihrer Krebsgestalt (z. B. op. 21) oder ihrer Krebsum-
kehrung (z. B. op. 30), wodurch sich die Anzahl der
Transpositionen jeweils um 24 verringert. Als Son-
derfall gelten die symmetrischen oder asymmetrischen
Allintervall-R.n, in denen neben den 12 Tonen alle 11
im temperierten System moglichen Intervalle vorkom-
men (z. B. Berg, zweites Storm-Lied, 1925, und Lyri-
sche Suite). - In den Kompositionen Schonbergs und
Bergs ist die R. durchweg noch Grundlage fur Motiv-
und Themenbildung im traditionellen Sinne, d. h. zwi-
schen R. und Thema wird eindeutig unterschieden.
Bergs genanntem Storm-Lied liegt ebenso wie der Ly-
rischen Suite folgende von Fr. H. Klein auf gestellte sym-
metrisch-krebsgleiche Allintervall-R. zugrunde:
12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Die beiden ersten Verszeilen des Gedichts sind als Vor-
der- und Nachsatz thematisch geschlossen komponiert,
wobei der Nachsatz die R.n-T6ne 1, 2 und 3 der sich
anschliefienden R.n-Wiederholung thematisch einbe-
greift; thematische Entwicklung und R. sind nicht
kongruent:
12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3
Webern dagegen fiihrt Thema und R. in geschlossener
Gestalt zusammen; er entthematisiert die R., indem er
die R.n-Struktur selbst zum kompositorisch-themati-
schen Regulativ erhebt. Seine Symphonie op. 21 ba-
siert auf einer symmetrisch-krebsgleichen R. :
Terz transponierten R. ; zugleich ist das Thema formal,
rhythmisch, dynamisch und in seiner Spielweise analog
der symmetrischen n PP P,
R.n-Struktur
zipiert:
Das Thema des 2. Satzes, der ein Variationensatz ist,
entspricht in seiner melodischen Gestalt der um eine
Das in der R. als Keim gegebene Prinzip symmetrisch-
riicklaufiger Formbildung iibertragt Webern auf jede
der Variationen und dariiber hinaus auf den ganzen 2.
Satz, der ab Mitte der IV. Variation in sich rucklaufig
ist. Die R. ist integrierendes Moment der gesamten
Komposition ; moglichst viele Zusammenhange sollen ge-
schaffen werden (Webern, S. 60). In ahnlichem Sinne,
jedoch auf dem Hintergrund unterschiedlicher kom-
positorischer Verwirklichung nennt Schonberg die R.
a unifying idea which produced not only all the other ideas
but regulated also their accompaniment and the chords »the
harmonies^ (zitiert bei Slonimsky, S. 680). Die Vorstel-
lung der horizontalen und vertikalen Identitat einer R.
begriindet Schonberg mit derEinheit des musikalischen
Raums; the two-or-more-dimensional space in which mu-
sical ideas are presented is a unit (Schonberg, Style and
Idea, S. 109), d. h. dieZeit wird als Raumgesehen (Schon-
berg, zitiert bei Rufer, S. 50). Schonberg interpretiert
die R. als ein raumliches, auBerhalb der Zeit stehendes
Gebilde, das in seiner musikalischen Verwirklichung
gleichsam aus verschiedenen Richtungen komposito-
risch betrachtet wird. - Die Wurzeln der R.n-Kompo-
sition liegen im 19. Jh. ; sie sind in der Thematischen
Arbeit der Sonatensatz-Durchf uhrung, in der Variation
und in der chromatisch durchsetzten Alterationshar-
monik zu suchen. Bereits bei Beethoven dringt das
Variationsprinzip in die Durchfuhrung ein, wahrend
in zunehmendem MaBe die Variation selbst sich dem
Durchfiihrungsprinzip nahert. Gemeinsam ist Variation
und Durchfuhrung die Deduktion des gesamten moti-
vischen Materials aus einem thematischen Hauptge-
danken, d. h. der ZusammenschluB aller motivischen
Elemente auf der Basis der Intervallbeziehung. Parallel
zur motivischen Durchartikulation der Komposition
verlauft die chromatische Erweiterung der tonalen
Harmonik, die, indem sie das einzelne harmonische Er-
eignis funktionell vieldeutig gestaltet, den f unktionalen
Bereich sprengt und sich als »Chromatik« schlieBlich
zugunsten der Gleichrangigkeit aller 12 Tone aufhebt.
Die Harmonik emanzipiert sich vom qualitativ ordnen-
den Tonalitatsprinzip ; die Begriffe Konsonanz/Disso-
nanz verlieren ihren Sinn (-»■ Atonalitat). Die Logik
der harmonischen Fortschreitung besteht, statt im
funktionalen Bezug, in der spezifischen Art der Ver-
kniipfung, des In-Beziehung-Setzens von Tonen bzw.
Intervallen. Motivische Integration und Harmonik be-
riihren sich im Prinzip der Intervallbeziehungen, ihre
Kongruenz finden sie in der R., die in der Einheit des
horizontalen und vertikalen musikalischen Raums Mo-
tivik und Harmonik als identisch aufeinander bezieht. -
Ausgehend von der qualitativen Gleichwertigkeit von
Ton, Motiv und Harmonie auf dem Hintergrund der
alles integrierenden R. wurden die R.n-Kompositionen
der —> Wiener Schule (- 2) zur Ausgangsbasis fur die
nach 1950 einsetzenden Bestrebungen, alle Parameter
des Tones reihenmaBig, d. h. seriell (-»• Serielle Musik)
zu erfassen.
Lit. : E. Stein, Neue Formprinzipien, in : Der Anbruch VI,
1924, auch in: Von neuer Musik, Koln 1925, u. in: H. H.
Stuckenschmidt, Neue Musik, = Zwischen d. beiden Krie-
gen II, Bin u. Ffm. 1951, frz. Paris 1956; ders., Einige Be-
789
Reim
merkungen zu Schonbergs Zwolftonr,, in: Der Anbmch
VIII, 1926; Z. Lissa, Geschichtliche Vorformen d. Zwolf-
tontechnik, AMI VII, 1935; N. Slonimsky, Music Since
1900, NY 31949 ; A. Sch6nberg, Style and Idea, NY 1950 ;
H. EiMert, Lehrbuchd. Zwolftontechnik, Wiesbaden 1952,
«1963; ders., Grundlagen d. mus. Reihentechnik, Wien
1964; J. Rufer, Die Komposition mit zwdlf Tonen, Bin u.
Wunsiedel 1952, Kassel 21966; M. Babbit, Some Aspects
of Twelve-Tone Composition, The Score XII, 1955 ;-ders.,
Twelve-Tone Invariants as Compositional Determinants,
MQ XLVI, 1960, auch in: Problems of Modern Music,
hrsg. v. P. H. Lang, NY 1962 ; L. Nono, Die Entwicklungd.
Reihentechnik, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik I,
Mainz (1958); Th. W. Adorno, Zur Vorgesch. d. Reihen-
komposition, in: Klangfiguren, = Mus. Schriften I, Ffm.
1959; A. Webern, Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. v. W.
Reich, Wien 1960; P. Boulez, Artikel serie, in: Encyclo-
pedic de la musique II, hrsg. v. Fr. Michel, Paris 1961 ; H.
Jelinek, Die krebsgleichen Allintervallr., AfMw XVIII,
1961 ; G. Perle, Serial Composition and Atonality : An In-
troduction to the Music of Schoenberg, Berg and Webern,
Berkeley (Calif.) 1962; E. Klemm, Zur Theorie eiriiger R.-
Kombinationen, AfMw XXIII, 1966 ; ders., Zur Theoried.
Reihenstruktur u. Reihendisposition in Schonbergs 4.
Streichquartett, Beitr. zur Mw. VIII, 1 966. EB
Reim, als mhd. rim belegt seit Ende des 12. Jh. ( bedeu-
tet zunachst s. v. w. Verszeile; noch heute so verwen-
det in den Wortern Kinder-R., Kehr-R. Erst sparer
(seit Opitz) versteht man (mit Ausnahme des Begriffs-
wortes -»■ Stabreim) unter R. den Gleichklang von
Wortern, im allgemeinen vom letzten betonten Vokal
an. R. tritt vor allem am Versende (End-R.) auf. - Die
Herkunft des abendlandischen R.s ist umstritten. Ara-
bische, persische, indische und chinesische Lyrik kennen
den R. als Kunstmittel. In der lateinischen Sprache ver-
wendeten ihn zuerst die christlichen Schriftsteller hau-
figer und konsequenter, vor allem in der Hymnendich-
tung. Das Auftreten des End-R.s steht in Zusammen-
hang mit der Umorientierung vom quantitierenden
zum akzentuierenden Versprinzip (->■ VersmaBe) ; der
R. wurde neue Form der Bindung einzelner Verse, un-
tereinander wie auch der Abgrenzung der Verse ge-
geneinander. Im Hochmittelalter war er allgemein ge-
brauchlich; aus der mittellateinischen Dichtung iiber-
nahmen ihft die Volkssprachen. Besonders in romani-
schen Versen, in denen das Versinnere rhythmisch frei
gegliedert wird, spielt der R. eine wichtige Rolle. In
deutschen Versen jedoch hat der End-R., der meist auf
der letzten betonten Silbe einsetzt, ein groBeres inhalt-
liches Gewicht, da im Deutschen die Betonung regel-
maBig auf die bedeutungstragende Silbe fallt. - R.-
Geschlechter (die Bezeichnungen rime masculine, rime
feminine kamen im 15. Jh. auf) wurden zuerst in der
franzosischen Verslehre unterschieden; sie sind in Ana-
logic zu Wortbildungen zu verstehen, bei denen die
weibliche Form eine zusatzliche, unbetonte Endsilbe
aufweist (wie mannlich^ik, weiblich/iHe). Der mannli-
che (stumpfe) R. umfaBt eine Silbe (deutsch Nacht -
Wacht; franzosisch cheval - egat); der weibliche (klin-
gende) zwei Silben: auf die tontragende Silbe folgt ei-
ne unbetonte (deutsch Feuer - teuer; franzosisch^brte -
porte). Alternierender Gebrauch von Versen mit mann-
lichem und weiblichemEnd-R. ist haufig. Bei 3silbigem
R. (gleitendem R.; im Franzosischen nicht moglich;
italienisch rima sdrucciola) folgen der letzten betonten
Silbe zwei unbetonte (deutsch schimmernde -fiimmernde;
italienisch benevok - piacevole). - Die Bezeichnungen
fur die Arten der »Reimfulle« werden besonders im
Franzosischen nicht eindeutig verwendet. Beim reinen
R. (rime suffisante), der Normalform des R.s, herrscht
Gleichklang vom letzten betonten Vokal an (deutsch
geben - leben; franzosisch your - cow). Beim Halb-R.
reimen wenigerElemente : beimkonsonantischenHalb-
R. (unreiner R.) stimmen die Tonvokale nur annahernd
iiberein (deutsch trubt - liebt); der vokalische Halb-R.
(Assonanz) hingegen besteht lediglich im Gleichklang
der betonten Vokale und beriicksichtigt nicht die nach-
folgenden Konsonanten (deutsch trank - schafft). Die
Assonanz ist die friiheste Form des End-R.s und spielt
in mittelalterlichen lateinischen Tropen, Sequenzen
(wegen ihrer Herkunft vom Allelui-a haufig Assonanz
auf -a) und Motetten eine Rolle, auch in der fruhen
volkssprachlichen Dichtung (z. B. in der Chanson de
geste). Im Franzosischen heiBt Gleichklang der Tonvo-
kale mit verschiedener konsonantischer Endung rime
f aible oder rime pauvre (don - nom) und gilt als echter R.
Andererseits konnen auch die vor der letzten tontra-
genden Silbe stehendenElemente in den R. einbezogen
werden. Im riihrenden R. (rime riche) ist auch der dem
Tonvokal der reimenden Silbe vorangehende Konso-
nant am Gleichklang beteiligt (deutsch Haute - heute;
franzosisch pere - prospere) ; er wird im Deutschen seit
Opitz vermieden. Erweiterter (mehrsilbiger) R. (rime
superflue, rime leonine) bezieht eine oder mehrere vor
der Hebung (dem Tonvokal) stehende Silben in den R.
ein. Von den orientalischen Literaturen abgesehen,
pflegte besonders das spatere franzosische Mittelalter bis
zu Marot die mehrsilbigen R.e (z. B. Machaut, Rondeau
Nr 7). - In bezug auf die Stellung des R.-Wortes im
Vers sind zu unterscheiden: 1) Stellung am Versanfang.
Anfangsreim heiBt der R. der jeweils ersten Worter
zweier aufeinanderf olgender Verse, Schlag-R. hingegen
derR. zweier im selben Vers auf einanderf olgender Wor-
ter. 2) Stellung am Versende (End-R.). Die gebrauch-
lichsten Gruppierungen endgereimter Verse sind: Ge-
haufter R. (rime continue) aaaa . . . bbbb . . . ; Paar-
R. (rimes plates) aabb; Kreuz-R. (rimes croisees) abab;
umarmender R. (rimes embrassees) abba; Schweif-
R. aab ccb. Die Anordnung derEnd-R.e ist ein wich-
tiges Kennzeichen der Strophen- und Gedichtformen
(-+ Strophe). 3) Zu den Sonderiormen gehort der Bin-
nen-R. : R. des Versendes mit einem Wort des Versin-
neren (Bei stiller Nacht zur ersten Wacht / Ein Stimm be-
gundzu klagen; Fr.v.Spee). Der Binnen-R. wird beim
Hexameter und Pentameter leoninischer R. (nicht zu
verwechseln mit der franzosischen Bezeichnung rime
leonine) genannt (Tangendo chordas dulces reddit nimis
odas; Ruodlieb); er ist im Mittellateinischen weit ver-
breitet. Beim Pausen-R. reimen die ersten und letzten
Worte eines Verses, eines Strophenabschnittes oder ei-
ner Strophe im Minne- und Meistersang (wo I vierzec
jar hob ich gesungen oder mi / von minnen und als ietnen
sol; Walther von der Vogelweide). tjbergehender R.
(rime enchainee) heiBt der R. des letzten Wortes eines
Verses mit dem ersten des folgenden (Douce dame, vo
manierejolie j Lie en amours mon cuer . . . ; G. de Machaut) .
Lit. : -► VersmaBe. WoD
Reimoffizium, das ->■ Offizium eines Tages als ge-
schlossene Gestalt mit metrischen (bzw. rhythmischen)
und gereimten Texten fur Hymnen, Antiphonen und
Responsorien. Grundlegende Voraussetzung fiir die
Entstehung des R.s war der Verzicht auf biblische Tex-
te bei den Antiphonen und Responsorien des Stunden-
gebets. So konnten fiir einzelne Gesange oder auch fiir
ein ganzes Offizium (mit Ausnahme der Psalmen, Lek-
tionen und Orationen) anlaBlich eines neuen Festes oder
als Ersatz fiir alte Texte neue und zusammenhangende
Texte geschaffen werden, deren Form der neuen Zeit
mehr zusagte. Die ubliche Bezeichnung war -*■ Hi-
storia, da es sich zumeist um die Leidens- und Wunder-
geschichten von Heiligen oder um das Wissen iiber
Festgeheimnisse handelte. Die Historien waren zu-
nachst in Prosa geschrieben. Seit dem 9./10. Jh. nahmen
790
Relatives Gehor
sie poetische Form an und wurden als Reimprosa oder
als metrische, spater rhythmische (auch gereimte) Verse
verfafit. Mit der Entfernung vom biblischen Text ge-
wannen diese Gesange auBerdem einen neuen musika-
lischen Stil. - Die Anf ange des R.s sind noch unbekannt,
da die Offizien in Prosa oder in Reimprosa bisher nur
ansatzweise erforscht wurden. Eines der altesten Reim-
offizien ist das Dreif altigkeitsof fizium (St. Gallen, Cod.
390-391 ; Paleographie muskale II, 1), das Stephan von
Luttich (•)■ 920) zugeschrieben wird und noch heute im
romischen und im monastischen Brevier enthalten ist.
Auch Hucbald von Saint-Amand verfaBte Offizien mit
teilweise metrischen Texten. Eine erste Epoche bis et-
wa 1200 erlaubte bei den Antiphonen, Responsorien
oder sogar bei einzelnen Abschnitten der Responsorien
Selbstandigkeit in der Wahl der Form. Wahrend der
nachfolgenden Epoche, vertreten vor allem durch die
Franziskus- und Antonius-Offizien Julians von Speyer
(f urn 1250), wurde dagegen ein einheitliches VersmaB
zur Regel. Das Tridentiner Konzil verbot die Reimof-
fizien fast ausnahmslos (einige Beispiele finden sich noch
im Brevier der Franziskaner und Dominikaner). - In
musikalischer Hinsicht fallt zunachst die geregelte Fol-
ge der ->■ Kirchentone als Zeichen einheitlicher Kom-
position auf : der Nummer der Antiphon oder des Re-
sponsoriums entspricht die Nummer des Kirchentons
(z. B. im Dreif altigkeitsof fizium: 1. Antiphon Gloria
tibi Trinitas = 1. Modus; 2. Antiphon Laus et perennis
gloria = 2. Modus ; 3. Antiphon Gloria laudis resonet = 3.
Modus; usw.). Das Vorbild hierfiir ist vermutlich in der
byzantinischen Kanonkomposition zu suchen. Als mu-
sikalisch weitaus wichtiger erweist sich indessen der Stil
des mittelalterlichen Chorals : die psalmodische Grund-
f orm des alten Chorals, insbesondere der Tonus currens,
wurde aufgegeben. Gleichwohl blieb die antiphonale
und responsoriale Kompositionstechnik mit ihren Un-
terschieden erhalten. Die Melodik der Reimoffizien
schmiegt sich, trotz aller Bindung an die Versform,
streng an die durch die syntaktische Ordnung gegebene
Sprachmelodie an, die sie allerdings in wechselndem
MaBe verziert. Erst in der Spatzeit, nach Julian von
Speyer, verschwindet diese Anpassung an den Text:
die Versordnung einiger Musterof fizien wird nunmehr
- zusammen mit den Melodien - fur Nachbildungen
ubernommen. Der Rhythmus der Reimoffizien wahrt
den VersfluB, geht aber im wesentlichen von der glei-
chen Dauer der Tone aus. Ebenso bewegt sich die Me-
lodie vorzugsweise in Stufenschritten; doch ist die To-
nalitat gekennzeichnet durch kriftige Auspragung der
Tonraume Prime-Quinte, Quinte-Oktave, Unter-
quarte-Prime. Die Uberlieferung erfolgt durch das An-
tiphonar oder seine Abarten, wo die Reimoffizien zwi-
schen den Offizien des alten Chorals stehen, vollstan-
dig oder stiickweise, wie es die Bediirfnisse der ortli-
chen und wenig iiberpruften Praxis mit sich brachten.
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi, Bd V, XIII, XVII,
XVIII, XXIV-XXVI, XXVIII, XLIa, XLVa, Lpz. 1889-
1904.
Lit. : E. Ranke, Chorgesange zum Preise d. hi. Elisabeth
aus ma. Antiphonarien, Lpz. 1884; W. Brambach, Die
verloren geglaubte »Historia de sancta Afra Martyre« u. d.
»Salve Regina« d. Hermannus Contractus, Karlsruhe 1 892;
Cl. Blume SJ, Zur Poesie d. kirehlichen Stundengebetes
im MA, in: Stimmen aus Maria-Laach LV, Freiburg i. Br.
1898 ; J. E. Weis, Julian v. Speier, = Veroff. aus d. Kirchen-
hist. Seminar Munchen HI, 1900; ders., Die Chorale Ju-
lians v. Speier, ebenda VI, 1901; H. Felder, Die liturgi-
schen Reimoffizien auf d. fill. Franziskus u. Antonius . . .
v. Fr. Julian v. Speier, Freiberg 1901 ; P. Wagner, Zur ma.
Offiziumskomposition, KmJb XXI, 1908; J. Gmelch, Die
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narski, Die Lieder d. hi. Hildegard, = Veroff. d. Gregoria-
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Auda, L'ecole liegoise au X e s. Etienne de Liege, = Acad.
Royale de Belgique, Classe des beaux arts II, 1, Brussel
1923 ; P. Bayart, Les offices de S. Winnoc et de S. Oswald
d'apres le Ms. 14 de la Bibl. de Bergues, Annates du Co-
mity Flamand de France XXXV, 1926; E. Jammers, Die
Antiphonen d. rheinischen R., Ephemerides Liturgicae
XLIII, 1929 - XLIV, 1930; ders., Das Karlsoffizium »Re-
gali natus«, = Slg mw. Abh. XIV, StraBburg 1934; ders.,
Wort u. Ton bei Julian v. Speier, in: Der kultische Gesang
d. abendlandischen Kirche, Fs. D. Johner OSB, Koln 1950;
H. Villetard, Office de S. Savinien et de S. Potentien,
= Bibl. musicologique V, Paris 1956.
Reims.
Lit. : Ch. Cerf, La musique dans l'eglise de R., R. 1890; B.-
E. Kalas, La musique a R., R. 1910; J. Leflon, H. Har-
douin et la musique du chapitre deR.au XVIII e s., R. 1 935 ;
J. Worsching, Die Orgelwerke d. Kathedrale zu R., Mainz
1946; A. Machabey, G. de Machault, 2 Bde, Paris 1955.
Reina-Codex -y Quellen: PR.
Reine Stimmung wird der Versuch genannt, auBer
den Oktaven auch samtliche Quinten und Terzen des
Tonsystems harmonisch-rein, also nach den Proportio-
nen 2:3 (Quinte), 4:5 (groBe Terz) und 5:6 (kleine
Terz) zu intonieren. Da die harmonisch-reine groBe
Terz und die durch 4 Quintschritte erreichte groBe
Terz (64 : 81) um das syntonische Komma (80 : 81) diffe-
rieren, zwingt die R. St. zur Vervielfachung der Ton-
hohenbestimmung der Stufen (also bei Tasteninstru-
menten zur Aufspaltung der Tasten). Bereits in der
C dur-Skala, in der die Terztone a, e und h das Quin-
tengeriist f-c-g-d ausf iillen, muB der Ton d verdoppelt
werden (8 : 9 und 9:10 bezogen auf c), um einerseits als
Quinte iiber g, andererseits als Quinte unter a fungie-
ren zu konnen; und mit dem Umfang des Tonsystems
wachsen die Schwierigkeiten. (Im 31tonigen System
ware der Ton d zu verfiinffachen.) Die durch ->■ Tem-
peratur geregelte musikalische Praxis weifl von dem zwei-
erlei d in C dur nichts (H.Riemann).
Lit.: M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Me-
trik, Lpz. 1853, 21873, engl. London 1888; G. Engel, Das
mathematische Harmonium, Bin 1881 ; Sh. Tanaka, Stu-
dien im Gebiet d. r. S., VfMw VI, 1890; K. Eitz, Das ma-
thematisch-reine Tonsystem, Lpz. 1891; M. Planck, Die
natiirliche Stimmung in d. modernen Vokalmusik, VfMw
IX, 1893; H. Riemann, Das chrom'atische Tonsystem, in:
Praludien u. Studien I, Heilbronn 1895; ders., Ideen zu ei-
ner Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP XXI, 1914 - XXII,
1915; ders., Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Tonvorstellun-
gen, JbP XXIII, 1916; A. v. Oettingen, Das duale Har-
moniesystem, Lpz. 2 1913 ; J. M. Barbour, Just Intonation
Confuted, ML XIX, 1938; H. Stephani, Zur Psychologie
d. mus. Horens, = Forschungsbeitr. zur Mw. IV, Regens-
burg 1956.
Rejdovak (von tschechisch rej, Reigen), ein tschechi-
scher Volkstanz im 3/4-Takt; ihm folgt als Nachtanz
im 2/4-Takt die Rejdovacka. Aus dem R. ging die
-*- Redowa hervor.
Rejouissance (rejuis'a:s, frz., Frohlichkeit) bezeich-
net in Suiten des 18. Jh. einen schnellen, scherzoartigen
Satz (z. B. J.S.Bach, 4. Orchestersuite, BWV 1069,
letzter Satz).
Relatio non harmonica (lat.)
-*■ Passus duriusculus.
Querstand;
Relatives Gehor ist die zusammenfassende Bezeich-
nung fur zwei verwandte, aber verschiedene Funktio-
nen der musikalischen Auffassung: den Intervallsinn
und den Harmoniesinn, d. h. die Erfassung der Tonbe-
ziehungen und Tonkomplexe (zusammengef aBt : der
Tongestalten) als solchen, einmal in der Aufeinander-
folge, ein andermal im Zusammenklang. Beides wurde
friiher zu eng als der Sinn fiir die »relative Tonhohe«
definiert im Unterschied zum -> Absoluten Gehor als
791
Relatives Gehor
dem Sinn fur absolute Tonhohe. Noch G. Revesz setzt
1946 das R. G. mit dem Intervallsinn gleich, als die
Fdhigkeit, eingegebenes Intervall richtig zu bezeichnen oder
gesanglich zu transponieren bzw. frei wiederzugeben.
Aber das Harmoniegehor ist nicht bloB eine Anwen-
dung des Intervallgehors auf den Zusammenklang. In
diesem, als einer Ganzheit, gehen vielmehr die beteilig-
ten Zweiklange meist mehr oder minder auf. Akkorde
werden ganzheitlich erfaBt und unmittelbar erkannt,
auch ohne (subjektive) Zerlegung, etwa Dur und Moli
ohne Analyse der Terzenzusammensetzung, auch als
Tongeschlecht im Ganzen eines Musikstiickes. Das
gleiche gilt von den Relationen der Zwei- und Mehr-
klange im harmonischen Satz: der PlagalschluB oder
auch der TrugschluB z. B.imponieren unmittelbar als
solche, noch ehe GroBe und Richtung der BaBfort-
schreitung analytisch herausgefaBt sind. Eine Leistung
des R.n G.s als Harmoniegehor ist demnach auch die
Erfassung der Harmonieschritte im einzelnen, der
Schliisse, Kadenzen, Riickungen, Modulationen usw.
Eigentlich gilt hier »R. G.« nur durch das Fehlen oder
Nichtbeteiligtsein des Absoluten Gehors; es muB nicht
jede einzelne Relation analytisch erfaBt sein. Ein ein-
f acher Sinn f iir die relative Tonhohe ist das R. G. schon
deshalb nicht, weil es nicht allein an der Hohe imWort-
sinne orientiert ist und weil die reinen Hohenunter-
schiede oder Distanzen von den musikalischen Inter-
vallen abweichende GroBenverhaltnisse ergeben, wie
schon C. Lorenz und C. Stumpf gezeigt haben. Zudem
haben die typologischen Befunde von A.Wellek erge-
ben, daB auch die musikalischen IntervallgroBen nicht
immer, sondern nur bei einem Typ des R.n G.s, dem
»linearen«, dem Urteil iiber Intervalle zugrunde liegen.
Ware das R. G. ein Sinn fur den Tonhohenunterschied,
wie lange angenommen wurde, dann miiBte es in erster
Linie dazu tendieren, im Zweifelsfall ein Intervall mit
dem nachstgroBeren und -kleineren zu verwechseln.
Das trifft aber nur auf den linearen Gehortyp zu. Der
mindestens ebenso haufige, an den -> Tonigkeiten ori-
entierte »polare« oder »zyklische« Typ verwechselt In-
tervalle wie auch Akkorde ohne Rucksicht auf ihre
GroBe oder Breite iiberwiegend bis ausschlieBlich dann,
wenn sie von ahnlichem Konsonanzgrad, d. h. von
ahnlicher Gesamtfarbung sind oder es waren, wofern
sie nicht in der Sukzession, sondern im Zusammen-
klang geboten wiirden. Hier werden demnach ver-
wechselt: Terzen mit Sexten, Tritonus mit Septimen,
Oktave mit Quinte und Quarte, Molldreiklang mit
Septakkorden. Verwechslungen in einem GroBenver-
haltnis von 1:3 (z. B. kleine Terz - groBe Sext) sind
hier keine Seltenheit. Entsprechend fallt diesem Typ
die Beurteilung der Besetzung (Breite) der Akkorde
schwer, wobei auch mindestens GroBenverhaltnisse
von 1:2 betroffen sind. - Unabhangig von typologi-
schen Verschiedenheiten sind absteigende Tonschritte
schwerer zu beurteilen als aufsteigende, wie schon C. v.
Maltzew fand. Die Beurteilung von Zweiklangen ist
wiederum schwieriger als die von Tonschritten beider-
lei Richtung. Von Unmusikalischen werden Zweiklan-
ge leicht mit demEinklang verwechselt; beim Oktav-
zweiklang unterlauft dies auch dem Musikalischen sehr
leicht. Dieser Tatbestand war f iir Stumpf der Ausgangs-
punkt fiir seine Theorie von der »Verschmelzung« als
der Grundlage der ->- Konsonanz (- 2).
Unter das R. G. als Intervallsinn fallt auch die Unter-
schiedsempfindlichkeit fiir Frequenzen, da diese sich im
Sinne des Fechnerschen Gesetzes alseine Intervallschwel-
le darstellt und die Annahme einer absoluten Schwel-
lenkonstanz (bei Wundt und Stumpf) sich als irrtiim-
lich erwiesen hat. Im Durchschnitt ist der »ebenmerk-
liche« Frequenzunterschied in giinstigen (mittleren) La-
gen von beachtlicher Feinheit (0,3-0,5%), zeigt jedoch
sehr groBe individuelle Schwankungen. In der Regel ist
der Sinn fiir die Helligkeiten-(Hohen-)UnterSchiede
feiner als fiir den Unterschied der Tonigkeiten. Es gibt
jedoch auch den umgekehrten Fall (»inverse Schwel-
lenlage«) bei dem auf die Tonigkeit ausgerichteten »po-
laren« Gehortyp (nach Wellek). Die Ubbarkeit der
Frequenzen-Unterschiedsempfindlichkeit ist sehr be-
grenzt. Sie nimmt nach einer mehrf ach bestatigten Ent-
wicklungsgesetzlichkeit bis zum 19. Lebensjahr stetig
zu, mit einem einstellungsbedingten Riickschlag in der
Vorpubertat. Zwischen Frequenzen-Unterschiedsemp-
findlichkeit und Musikalitat besteht eine maBig hohe,
aber vielfaltig belegte Korrelation. Jedoch spielt der
»ebenmerkliche« Unterschied im konkreten Musikho-
ren wenig oder gar keine Rolle, wiirde hier auch erheb-
lich hoher liegen, also grober sein. Hier geht es viel-
mehr um den »eben unverkennbaren Unterschied«
(nach Wellek). Revesz betont, daB die Unterscheidungs-
fdhigkeitfiir Tonhohen nicht zum musikalischen Gehor ge-
rech.net werden darf, sie sei nur die notwendige Voraus-
setzung dafiir. Nach Wellek sind Grob- und Feinschwel-
ligkeit auch typologisch gebunden; die letztere gehort
dem linearen Gehortyp zu, die erstere dem polaren, zu-
mal bei »inverser Schwellenlage«. - Allgemein gilt, daB
das R. G. in seinen beiden Zweigen des Intervall- und
des Harmoniegehors fiir den Musiker und die Musi-
kalitat entscheidend ist, wahrend auf das Absolute Ge-
hor verzichtet werden kann. Ein gewisses MindestmaB
an Musikalitat vorausgesetzt, ist R. G. Sache der Ubung
und daher auch jedem Absoluthorer auf dem Weg der
Ubung erreichbar. Der oft beobachtete Antagonismus
zwischen Absolutem und R.m G. beruht nicht auf ei-
ner strukturellen Notwendigkeit, sondern ist nur Aus-
druck der abweichenden Haltung, mit der der Absolut-
horer, dank seiner Sondergabe, an das »musikalische
Materiak heranzugehen pflegt (Wellek 1939). Vom-
Blatt-Singen und Musikdiktat bcruhcn (beim Nicht-
absoluthorer) auf dem R.n G., doch ist dieses auch bei
anerkannten Komponisten zuweilen weit entfernt von
Perfektion, so daB sie beim Komponieren auf das Kla-
vier angewiesen bleiben. So bekennt z. B. Fr.Klose,
daB er es im Musikdiktat nie zur Unterscheidung von
Terz- und Sextzweiklangen gebracht habe, ein Sym-
ptom eines einseitig »polaren« Gehortyps.
Lit.: C. Stumpf, Tonpsychologie, 2 Bde, Lpz. 1883-90,
Nachdruck Hilversum u. Amsterdam 1965; C. Lorenz,
Untersuchungen iiber d. Auffassung v. Tondistanzen,
Wundts Philosophische Studien VI, 1891 ; C. v. Maltzew,
Das Erkennen sukzessiv gegebener mus. Intervalle in d.
auBeren Tonregionen, Zs. f . Psychologie LXIV, 19 1 3 ; C. E.
Seashore, The Psychology of Mus. Talent, Boston u. NY
1919; O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Zur Psycholo-
gie d. Tondistanz, Zs. f. Psychologie XCVIII, 1926; A.
Wellek, Typologie d. Musikbegabung im deutschen Vol-
ke, = Arbeiten zur Entwicklungspsychologie XX, Mun-
chen 1939; ders., Musikpsychologie u. Musikasthetik,
Ffm. 1963 ; G. Revesz, Inleiding tot de muziekpsychologie,
Amsterdam 1944, 2 1946, deutsch Bern 1946, engl. London
u. NY 1953, ital. Florenz 1954; J. Zosel, Die Unterschieds-
empfindlichkeit f . »Tonhohen« (Frequenzen) als entwick-
lungspsychologisches Kriterium, Diss. Mainz 1963, auch
in : Arch, f . d. gesamte Psychologie CXIX, 1967. AW
Renaissance (ranes'a:s, frz., Wiedergeburt) bezeich-
net die Kulturepoche etwa zwischen 1350 und 1600.
DaB das franzbsische Wort, nicht das italienische Wort
Rinascimento, zum Epochenbegriff geworden ist, er-
klart sich aus der spat einsetzenden Erforschung dieses
Zeitalters, die von Frankreich ausging (P. L. Ginguene,
Histoire Htteraire d'ltalie, 1811ff.). Erst Jules Michelet
(Histoire de France au XVI' siecle, 1855) und besonders
Jacob Burckhardt (Die Kultur der R. in Italien, 1860)
haben den BegrifE R. eingebiirgert. Mit Burckhardts
792
Renaissance
Wort von der »Entdeckung der Welt und des Men-
schen« war als Hauptverdienst die Auspragung der
Personlichkeit gemeint; dies wurde in den Jahrzehnten
nach ihm als Individualismus iiberbetont. Andere er-
kannten, daB die R. allzuscharf vom Mittelalter getrennt
worden war. So wurde der Begriff immer inhaltsrei-
cher und zugleich widerspruchsvoll. Die »Wiederge-
burt« in Italien um 1350, reprasentiert durch Cola di
Rienzi und Fr.Petrarca, erhielt ihre Sonderart dadurch,
daB eine Umgestaltung des mittelalterlichen Lebens
nach antikem Vorbild begann und in immer neuen Stu-
fen voranschritt. Als das wirtschaftlich fiihrende Land,
mit einem leistungsfahigen GroBbiirgertum und he-
roisch-tatkraftigem Adel, wurde Italien, das erst seit
der Reformation ebenbiirtige Partner erhielt, zum Vor-
bild fiirEuropa. In der bildenden Kunst begann die Ab-
kehr von der Gotik erst im 1 5. Jh. in Florenz, wo um
1420 der Architekt Brunelleschi und der Maler Ma-
saccio die Friih-R. vertraten, gefolgt von dem Theore-
tiker L. B. Alberti. Das Gotische bewies jedoch eine sol-
che Starke der Tradition, daB die Auseinandersetzung
zwischen Alt und Neu das Jahrhundert erfiillte. Durch-
gesetzt hat sich damals die Individualitat des Kiinstlers,
die von G. Vasari in seiner Kiinstlergeschichte Le vite de
piit eccellenti, pittori et scultori italiani 1550 riickschauend
beschriebeh wurde. Das Ergebnis der geistigen Bewe-
gung seit 1350 war allerdings kein Sieg der Antike,
nicht einmal ihre voile Gleichberechtigung mit dem
Christentum, wie es z. B. aus dem Schaffen Leonardo
da Vincis (1452-1519) und Raffaelo Santis (1483-1520)
ersichtlich ist. Die ungebrochene Macht des religiosen
Denkens veranschaulichen das Werk Michelangelo
Buonarrottis (1475-1564) und der um 1520 auch bei an-
deren einsetzende GegenstoB des Manierismus gegen
das oft als »heidnisch« empfundene Neue. Von Diirers
Graphik angeregt, schuf der Manierismus in Italien den
fur das 16. Jh. charakteristischen Stil, der auch von an-
deren Landern aufgenommen wurde und bis zum
Durchbruch des Barocks um 1590/1600 bestimmend
blieb. So ist der anfangs zu einseitig aufgefaBte Begriff
R. als Epochenbezeichnung problematisch geworden.
Voiles Recht hat er nur fiir Italien von etwa 1350 bis
ins 16. Jh. hinein.
Auf die Musik ist der Begriff R. schon deshalb schwie-
rig anzuwenden, weil auf diesem Gebiet im 14.-16. Jh.
nicht Italiener die Fiihrung hatten, sondern Kiinstler
im oder aus dem Norden. Ph. de Vitry, der Freund Pe-
trarcas, entfaltete sich als ausgepragte Individualitat und
schuf mit der isorhythmischen Motette zum ersten Ma-
le das auf sich selbst gestellte, freie Kunstwerk (-* Mit-
telalter). Zu ihm gesellte sich G. de Machaut, der mit
Liedern im Kantilenensatz eine fast noch wirksamere
Kunstform erreichte. Beide Personlichkeiten und der
nun vorhandene Rang des freien, eigengesetzlichen
Kunstwerks waren wohl mit dem R.-Begriff in Zu-
sammenhang zu bringen. Der Unterschied zu Italien
liegt jedoch darin, daB die Moglichkeiten der franzosi-
schen Ars nova nicht in derselben Richtung f ortgef iihrt
wurden. Aus der freien wurde bald wieder eine dienen-
de Kunst, im Rahmen der Geselligkeit, dann vor allem
im Dienst des kirchlichen Kultes. Fiir den niederlandi-
schen Singstil seit 1430/40 war die Erneuerung der Kir-
chenmusik die Hauptaufgabe (-»■ Niederlandische Mu-
sik). Die Hohenlage der freien Kunst blieb freilich fiir
die Hauptmeister unantastbar. Wenn etwa J. Ciconia
oder G. Duf ay in Motetten ihren eigenen Namen ge-
nannt und vertont haben, wie einst Vitry, so war das
nicht italienischer R.-EinfluB, sondern vor allem ein
Weiterwirken des SelbstbewuBtseins, das die groBen
Individualitaten der franzosischen Ars nova erf iillt hat-
te. Von dort fiihrte ein Weg zu dem Ausspruch des J.
Tinctoris am Ausgang des 15. Jh. : Musica peritos in ea
glorificat (CSW, 199b).
In der Musik des 16. jh. blieb der Tanz fast bis zuletzt
ohne stilbildende Kraft; auch das Heiter-Profane be-
schrankte sich auf Nebenf ormen wie f ranzosische Chan-
sons oder Villanellen. Die Geltungszeit der Frottola
war nur kurz. Ihre Ablosung durch das vom Singstil
gepragte Madrigal nach 1530 zeigt, daB man einen
ernsten Ton wiinschte, wie er in Motetten und Messen
ausgebildet war. Als Ars perfecta sollte die Musik des
16. Jh. nicht bezeichnet werden; denn damit meinte H.
Glareanus die Kunst von Josquin Desprez, und er stellte
1547 ausdriicklich fest, daB der Stil sich seitdem gean-
dert habe. Mit dem Wort Singstil wird jene Epoche,
in der Messe, Motette und Madrigal den Vorrang hat-
ten, am besten gegen die Neuzeit seit 1600 abgegrenzt.
Alle diese Formen wurden keinem Konzertpublikum
vorgefuhrt (das es noch nicht gab), sondern waren
dienende Kunst fiir Kirche und Geselligkeit. Beim Ma-
drigal musizierten die professionellen Musiker im ge-
selligen Kreis gemeinsam mit den Zuhorern. DaB in
den italienischen Akademien das Madrigal den Vorzug
hatte, veranschaulicht am starksten den EinfluB des
Singstils, der in seinen Grundziigen vom Norden, von
den »01tramontani«, ubernommen worden war. Es
gab keine eigengesetzliche, primar musikalische Form
wie einst die isorhythmische Motette. Der aus Witten-
berg stammende Begriff eines Opus perfectum et ab-
solutum (-> Opus) darf nicht im Sinne der Neuzeit
verstanden werden. Italien kannte die Musik unter der
Herrschaft des niederlandischen Singstils nicht als au-
tonome, sondern nur als dienende Kunst. Auch hierge-
gen richtete sich im Ausgang des 16. Jh. der Kampf. -
Greifbarer als es unter dem Stichwort R. darzustellen
ist, hat die mit ihr entstandene Bildungsform, der
->■ Humanismus, durch Ruck- und Neubesinnung auf
die Grundlagen der Musik die Musiklehre und Kom-
positionskunst durchdrungen.
Lit.: J. Burckhardt, Die Kultur d. R. in Italien, Basel
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zeit, Sb. Lpz. CIV, 6, 1959; ders., Das Renaissancepro-
blem in d. Musik, AfMw XXIII, 1966. HB
Repercussa (lat., von vox r., wiederholt erklingender
Ton), in der Lehre von den ->■ Kirchentonen die Be-
zeichnung eines oberhalb der ->■ Finalis (- 1) gelegenen
und mit dieser durch die ->■ Repercussio (- 2) verbun-
denen Geriisttons, der als bevorzugter Ton neben der
Finalis in Erscheinung tritt; er ist besonders in den mo-
dellartigen Singweisen der Psalmodie als Rezitations-
ton (Tenor) greifbar (-> Psalmtone).
Repercussio (lat., Zuriickprallen, Wiederertonen),
- 1) der beim Vortrag bestimmter Neumen (z. B. Bi-
und Trivirga, Bi- und Tristropha) notwendige wie-
derholte Stimmansatz auf gleicher Tonhohe. Dieser be-
steht nach den Regeln der heutigen Choralpraxis in ei-
nem erneuten Ansingen des Vokals, wobei entspre-
chend der Form des Notenzeichens bzw. seiner Grup-
penzugehorigkeit verschiedene Differenzierungen vor-
genommen werden. Ein frtiher Beleg zur Ausfuhrung
der R. innerhalb der Tristropha findet sich bereits urn
850 bei Aurelianus Reomensis (GS I, 56a und 57a f .) ;
- 2) in der Lehre von den -*■ Kirchentonen die Verbin-
dung zwischen -> Finalis (- 1) und -> Repercussa, eines
der wichtigsten Merkmale fiir die kirchentonale Ein-
ordnung mittelalterlicher Gesange an Hand typischer
Melodiewendungen. Zu den einzelnen Modi gehoren
folgende Reperkussionsintervalle: 1. Modus d-a, 2.
d-f, 3. e-ci, 4. e-a, 5. f-ci, 6. f-a, 7. g-di, 8. g-ci. Aus-
fiihrliches Interesse fanden die Reperkussionen in der
Musiklehre des 16. Jh. - R. begegnet auch als Name fiir
den Tenor (im Sinne der Repercussa). - 3) In der Fu-
genlehre des 18. Jh. fiihrte die Bedeutung der R. (- 2)
fiir den Beginn, den Ambitus und die ->■ Beantwortung
eines Themas zur Obernahme der Bezeichnung R. (oft
auch Wiederschlag genannt). Sie ist dasjenige interval-
lum, welches in einer Fuge der Dux und Comes, dem Modo
gemdfi, gegen einander formiren (WaltherL), der Process,
die Folge der Stimmen zu ordnen (J. A. Scheibe, urn 1730,
ed. Benary, S. 45) und somit das Fundament der Fugen
(Walther 1708, ed. Benary, S. 163); R. ist schlieBlich
auch synonym mit Comes. - Marpurg (1753, ed. Dehn
I, S. 65) nennt R. auch die Aufwartsauf-
\ l ,j .. I I
losung der dissonanten Sexte im Quint
sextakkord: Dieses Verfahren heisst das
Zuriickprallen (r.), weil die Sexte, nachdem
sie mit der Quinte zusammengestossen ist,
. . . zuriickzuweichen verbunden ist; und
da diess nicht abwarts geschehen kann, so steigt sie eine
Stufe iiber sich.
Lit.: zu 1): L. Agustoni, Gregorianischer Choral ...,
Freiburg i. Br., Basel u. Wien (1963). - zu 2): P. Wagner,
Elemente d. gregorianischen Gesanges, = Slg Kirchenmu-
sik II, Regensburgu. Rom 21917; B. Meier, Die Hs. Porto
714 als Quelle zur Tonartenlehre d. 15. Jh., MD VII, 1953 ;
ders., H. Loriti Glareanus als Musiktheoretiker, in: Beitr.
zur Freiburger Wiss.- u. Universitatsgesch. XXII, 1960.
Repetenda (lat.) heiBt in den verschiedenen Formen
des -»• Responsoriums der zweite, bisweilen selbst noch-
mals in zwei oder mehrere Repetendae gegliederte Teil
des Rahmenstucks (Responsum, Responsorium) ; z. B.
Sana animam meam, (R.) Quiapeccavi tibi, oder: Aspici-
ens a longe, ecce video Dei potentiam venientem, et nebulam
totam terram tegentem. (R. 1) Ite obviam ei, et dicite: (R. 2)
Nuntia nobis si tu es ipse, (R. 3) Qui regnaturus es inpopulo
Israel. Entsprechend ihrer praktischen Bestimmung als
Teilwiederholung des Rahmenstucks wird die R. (im
Unterschied zur vollstandigen Wiederholung, der Re-
sponsio a capite) auch Responsio a latere genannt.
Repetition -»■ Mixtur.
Repetitionsmechanik -> M e c h a n i k , -»■ E r a r d.
Replica (ital.), Wiederholung (eines Themas); senza
r., ohne Wiederholung, haufige Vorschrift fiir das Da-
capo des Menuetts nach dem Trio.
Reprise (frz., Wiederaufnahme, Wiederholung; ital.
ripresa), die mehr oder minder getreue Wiederkehr ei-
nes Satzteils innerhalb einer Komposition, urspriinglich
Bezeichnung fiir die als Abbreviaturen gebrauchlichen
— i I - altere Schreib-
Wiederholungszeichen: I
a _■ is '
— ; I . Diese Zeichen verlangen (ebenso
wie -»■ da capo und -> dal segno) die -> Wiederholung
des zwischen ihnen stehenden Abschnitts und hieBen im
18. Jh. (wie auch der wiederholte Abschnitt selbst) R.
grande. Zeichen, die nur die Wiederholung einzelner
Takte verlangen, hieBen R. petite, ebenso die Wieder-
holung der letzten Takte aus der R. grande. In 2teiligen
Tanz-(Suiten-)Satzen des 17./18. Jh. heiBt R. auch der
Eintritt des 2. Teils mit dem (meist in die Dominant-
tonart transponierten) Themenkopf des 1. Teils nach
der (auch variierten oder verzierten) Wiederholung des
1 . Teils. In C. Ph.E. Bachs Sonaten . . . mit veranderten R.n
(1760) sind die zu wiederholenden Teile in variierter
Form ausgeschrieben. - In der -> Sonatensatzf orm ist die
R. derjenige Abschnitt der 2. Satzhalfte, der nach der
-> Durchfiihrung als (meist modifizierte) Wiederkehr
der ->• Exposition eine formale Beziehung zur 1. Satz-
halfte herstellt. Da das thematische Geschehen in der R.
einheitlich in der Grundtonart verlauf t (Duraufhellung
des Seitensatzes in Mollsatzen ist moglich), wird hier
der fiir die Exposition charakteristische Dualismus
zweier tonartlicher Ebenen auf gehoben und der dyna-
misch angelegten und formal wie tonartlich sich frei
entwickelnden Durchfiihrung ein die (3teilige) Form
abrundender und die Grundtonart bestatigender Teil
gegeniibergestellt. Schon die Beschrankung auf die
Grundtonart macht Anderungen in den Uberleitungs-
partien zwischen -> Hauptsatz und -*■ Seitensatz gegen-
iiber der Exposition notig. Vollstandige R.n enthalten
den Haupt- und Seitensatz der Exposition; die Uber-
leitungspartien, seltener der Epilog, konnen dabei ge-
kiirzt sein. Unvollstandige R.n setzen in der Mitte des
Hauptsatzes oder erst mit dem Seitensatz ein (R. Schu-
mann, 4. Symphonie, Finale). Auch die Umstellung
von Haupt- und Seitensatz kommt vereinzelt vor (J.
Haydn, Streichquartett Hob. Ill, 81, 1. Satz); seltener
wird der Seitensatz ausgelassen, was beiHaydn (Streich-
quartett Hob. Ill, 46, Finale) meist bedingt ist durch
die Ahnlichkeit von Haupt- und Seitenthema. In der R.
kann, besonders im Seitensatz, zusatzlich neues thema-
tisches Material auftreten, z. B. in Form von kontra-
punktischen Zusatzen, oder die Seitenthemen der Ex-
position konnen durch neue ersetzt werden (Mozart,
Serenade Es dur, K.-V. 375, 1. Satz). Reminiszenzen an
die Durchfiihrung oder erneute Durcbfuhrungsarbeit
konnen die R. unterbrechen (Mozart, Streichquartett
C dur, K.-V. 515, 1. Satz). Vielfaltig sind die Gestal-
tungsmoglichkeiten des R.n-Eintritts: er kann vorberei-
tet sein (nach einer knappen Ruckleitung zur Grundton-
art) oder uberraschend erf olgen, z. B . indem er an eine be-
nachbarte Tonart unmittelbar anschlieBt (so an die
Obermediante in Haydns Symphonie Hob. 1, 95, Fina-
le). Im 1. Satz von Mozarts Symphonie G moll, K.-V.
550, verschrankt ein Orgelpunkt auf der Dominante
der Grundtonart die beiden Satzteile; im Streichquar-
tett op. Ill von Brahms beginnt die R. auf dem Quart-
sextakkord der Tonika. Einen weiteren Schritt zur Ver-
794
schleierung des R.n-Eintritts bedeutet es, wenn die R.
in einer fremden Tonart einsetzt und erst im weiteren
Verlauf die Grundtonart erreicht wird (Beethoven,
Klaviersonate op. 10 Nr 2, 1 . Satz). Steht der Hauptsatz
der R. in der Subdominante der (Dur-) Grundtonart
(Mozart, Klaviersonate C dur, K.-V. 545, 1. Satz), so
kann der modulierende Ubergang zum Seitensatz ana-
log der Exposition gebildet werden. Im Instrumental-
konzert hat die -> Kadenz (- 2) des Solisten in der Re-
gel vor den letzten Takten der R. ihren Platz.
Lit.: E. H. Beurmann, Die Reprisensonaten C. Ph. E.
Bachs, AfMw XIII, 1956; H. Schwartino, Ungewohnliche
Repriseneintritte in Haydns spaterer Instrumentalmusik,
AfMw XVII, 1960; M. Just, Musik u. Dichtung in Bogen-
form u. Reprisenbar, Fs. W. Gerstenberg, Wolf enbuttel u.
Zurich (1964).
Requiem (lat.), von den Eingangsworten des Introitus
R. aeternam (»Ewige Ruhe . . . «) hergeleitete Bezeich-
nung fiir die Totenmesse der romischen Kirche (Missa
defunctorum, Missa pro defunctis), desgleichen fiir die
mehrstimmige zyklische Vertonung aller zugehorigen
Ordinariums- und Propriumsstucke, deren heutige
Form in dem 1570 von Pius V. dekretierten romischen
Missale verbindlich festgelegt wurde: Introitus R. aeter-
nam (ohne Gloria patri nach dem Psalmvers), Kyrie elei-
son, Graduale R. aeternam, Tractus Absolve Domine,
Sequenz -> Dies irae, Offertorium Domine Jesu Christe,
Sanctus, Agnus Dei (Bittruf : Dona eis r. sempitemam),
und Communio Lux aeterna (mit Versus R. aeternam;
->■ Communio). Der Entlassungsruf des Priesters lautet
Requiescant in pace (Amen). Mit der Einfiihrung dieses
Formulars wurden zahlreiche Eigentraditionen (Texte
und Melodien) aufgegeben, denen zum Teil noch die
vor dem Tridentiner Konzil entstandenen mehrstim-
migen R.-Vertonungen folgten. - Das mehrstimmige
R. entstand nicht nur als liturgische Musik oder als
prunkvolle Auftragsmusik (-> Festmusik), sondern
wuchs vielfach iiber den gegebenen AnlaB hinaus zu ei-
ner demiitigen Vorbereitung eines Komponisten auf
den Tod (Dufay und Fr.Cavalli), einer Huldigung fiir
eine verehrungswiirdige Personlichkeit (Verdi fiir
Manzoni) oder zu einem artistischen Auskosten der
prunkhaft-dusteren Weltgerichtsstimmung des Textes
(Berlioz). Daher wurde keine andere musikalische Gat-
tung mit einem grofieren Nimbus umgeben als das R.
(Legenden urn Mozarts R.). - Die altesten mehrstimmi-
gen R.- Satze sind in der Hs. Florenz, Bibl. Naz., Pancia-
tichi 27 (Ende des 15. Jh.) iiberliefert; der erste vollstan-
dig erhaltene Zyklus stammt von Ockeghem (R.-Kom-
positionen von Dufay undjosquin sind verschollen) . Da-
nach haben bis zum Ende des 16. Jh. fast alle Kompo-
nisten, die Messen schufen, auch den Text des R.s ver-
tont: von denbedeutenderen Brumel.Certon, Clemens
non Papa, J. de Kerle, Lassus, Ph. de Monte, Morales,
Palestrina, P. de la Rue und Vecchi, von den weniger
bekannten Anerio, der Anonymus von Valladolid, Aso-
la, Belli, de Bonef ont, Brudieu, E. du Caurroy, Clereau,
Fevin, Guerrero, Mauduit, Porta, Prions, Pujol, Richa-
fort, Ruffo, Sermisy, Vaet und Vittorio. Bemerkens-
wert ist die extrem tiefe Schliisselung im R. des P. de la
Rue. - In der Folgezeit steht das R. bis in die Generation
der "Wiener Klassik im Zeichen des concertierenden, oft
mehrchorigen Messenstils der Italiener. Monteverdis
R., 1621 zusammen mit G.B. Grillo und Usper zum
Tode des GroBherzogs der Toscana Cosimo II. kom-
poniert, ist verschollen. Einen besonderen Hohepunkt
in der Geschichte der R.-Vertonungen im 17. Jh. bildet
das 8st. R. von Fr.Cavalli; in Italien entstanden ferner-
hin die R.s von G.P.Colonna, G.B.Bassani (dessen
Messa per li defonti 1698 gedruckt wurde) und im 18.
Jh. von Pitoni, Lotti, A. Scarlatti und Fr. Durante. In
Requiem
Deutschland sind zu nennen Biber, Kerll (1669 und
1689), N.Jommelli, J.A.Hasse und Fr.A.RoBler (des-
sen R. 1791 in Prag zum Gedenken W. A. Mozarts auf-
gefiihrt wurde), in Frankreich die R.s von M.-A. Char-
pentier, J. Gilles und Fr.-J. Gossec. In der Wiener Mes-
sentradition des spateren 18. Jh. stehen die Gattungsbe-
lege von Fr. Tuma, G. von Pasterwiz, Fl. GaBmann uhd
M.Haydn (2 R., das zweite unvollendet), wahrend C.
Fr. Faschs 8st. R. bereits als Vorbote der beginnenden
Palestrina-Renaissance gelten kann. Hohepunkt der R.-
Vertonung des 18. Jh. ist Mozarts (unvollendetes) R. In
ihm vereinen sich freimaurerisch-humanitares Ethos
und katholische Frommigkeit zu einem Bach und Han-
del verpflichteten Reifestil, dessen Aussagekraft das 19.
Jh. mit seiner stetig wachsenden Orchestertheatralik
nicht zu uberbieten vermochte. Aus dem 19. Jh. ragen
3 R.-Vertonungen hervor: Cherubinis Messe de R. in
C moll von 1816 (eine weitere in D moll 1836), Berlioz'
Grande Messe des Morts von 1837 und Verdis Messa da R.
von 1874. Jeder dieser Meister gibt in seinem R. etwas
von seinem eigensten Wesen: Cherubini den noblen,
auf Theatralik verzichtenden, im Erlebnis der Liturgie
vergeistigten Belcanto; Berlioz die ekstatisch-theatrali-
sche, aufwendig orchestrierte (4 Blasorch. und 16 Pau-
ken'im Tuba mirum), unmittelbar packende Dramatik;
Verdi die durch wehmiitige Glaubigkeit verklarte Sinn-
lichkeit der italienischen Oper. Die weitere gattungsge-
schichtliche Entwicklung des R.s vollzog sich weithin
unberiihrt vom hohen kiinstlerischen Anspruch dieser
drei Werke. In der 1. Halfte des 19. Jh. spaltete sie sich
in eine katholische und eine protestantische Richtung,
die beide Kompromisse zwischen dem traditionellen
konzertanten MeBstil des 18. Jh. und dem neu aufkom-
menden a cappella-Ideal schlieBen. Dabei steht die oster-
reichisch-siiddeutsche kathohsche Schule (Salieri, Eyb-
ler, Stadler, Vogler, Sechter, Fr.Lachner, Morlacchi,
S.Mayr, Gansbacher, Tomasek, J.Drechsler, Moralt,
Hiittenbrenner, Neukomm, G. Weber) mehr in der al-
ten Tradition, die nordwestdeutsche protestantische
Schule (E. T.A.Hoffmann, Hellwig, Drobisch, Haser)
mehr im Zeichen der Palestrina-Renaissance und deren
a cappella-Ideals. Die protestantischen R.-Komposi-
tionen zeigen f erner vorwiegend einf achen Gebrauchs-
charakter; letzteres gilt auch fiir die R.-Vertonungen
fiir Mannerchor und Orgel von Bruckner und Liszt,
wahrend Schumanns R. op. 148 (1852) in die Reihe
seiner oft als problematisch angesehenen Spatwerke
gehort. In der 2. Halfte des 19. Jh. traten die protestan-
tischen Komponisten starker in den Vordergrund:
Grell, Kiel, Scholz und Draeseke (R. op. 22, mit Ver-
arbeitung des Chorals Jesus, meine Zuversicht). AuBer-
halb Deutschlands sind zu nennen: Dvorak, Saint-Saens,
Faure, Sgambati; im 20. Jh. in Deutschland Winds-
perger, in Frankreich Durufle und in Italien Pizzetti. -
DieprotestantischeTraditioneinesaufBibeltextengriin-
denden deutschen R.s fiihrte von den Musicalischen Exe-
quien von Schiitz zu dem Deutschen R. von Brahms und
weiter zu Wetz, Micheelsen und Reda. - Seit dem 19.
Jh. sind in zunehmendem MaBe auch Instrumentalwer-
ke als R. konzipiert und aufgefaBt worden; so ist der 2.
Satz in Bruckners 7. Symphonie dem Andenken Wag-
ners gewidmet, Ravels he tombeau de Couperin dem Ge-
dachtnis gef allener Freunde, Bergs Violinkonzert derEr-
innerung anManon Gropius, K. A. Hartmanns Musik der
Trauer seinem gefallenen Sohn. Brittens Sinfonia da R.
fuBt auf Teilen des liturgischen Chorals des Totenamts.
Ausg.: Drei R. f. Soli, Chor, Orch. aus d. 17. Jh., hrsg. v.
G. Adler, = DTO XXX, 1, Bd 59, Wien 1923.
Lit.: Ph. Spitta, Mus. Seelenmessen, in: Zur Musik, Bin
1 892 ; H. Kretzschmar, Fuhrer durch d. Konzertsaal II, 1 ,
Lpz. 3 1905 ; A. Schnerich, Messe u. R. seit Haydn u. Mo-
795
Reservata
zart, Wien u. Lpz. 1909 ; V. Goller, Der Gesang bei d. To-
tenmesse, = Volksliturgische Andachten u. Texte LHI,
Klosterneuburg 1930; L. Eisenhofer, Hdb. d. kath. Litur-
gik II, Freiburg i. Br. 1933; Ch. W. Fox, The Polyphonic
R. Before About 1615, Bull, of the American Musicolo-
gical Soc. VII, 1943 ; R. J. Schaffer, A Comparative Study
of Seven Polyphonic R. Masses, Diss. NY Univ. 1953,
maschr. ; Cl. Gay, Formulaires anciens pour la Messe des
defunts, Etudes gregoriennes II, 1957; H. T. Luce, The R.
Mass from its Plain Song Beginnings to 1 600, Diss. Florida
State Univ. 1958, maschr. MG
Reservata -> Musi ca reservata.
Res facta (lat.), eine Bezeichnung, deren friiheste Be-
lege von Tinctoris stammen: im Liber de arte contra-
puncti (1477; CS IV, 129 u. 6.) wird der schriftlich fi-
xierte Contrapunctus (qui scriptofit) »gemeinhin« R. f.,
die »(kunstvoll) gearbeitete Sache«, genannt, im Unter-
schied zur Stegreifausfiihrung des Contrapunctus (quern
mentaliter conficimus . . . ; et hunc quifaciunt super librum
cantare vulgariter dicuntur). Im Diffinitorium des Tincto-
ris (um 1473/74; CS IV, 179, 187) ist R. f. gleichgesetzt
mit cantus compositus, mehrstimmigem Gesang, »der
durch die Beziehung der Noten einer Stimme zu einer
anderen auf mannigfache Weise hervorgebracht ist«
(qui per relationem notarum unius partis ad alteram multi-
pliciter est editus) und volkssprachlich (vulgariter) R. f.
heifk, was P.Cannuzzi (Regule florum musices, Florenz
1510) iibernimmt. N.Wollick (Liber V des Enchiridion
musices, Paris 1509) identifiziert R. f. mit musicafigurati-
va (quae et return factarum nominatur). G.Guerson stellt
R. f . in Gegensatz zu contrapunctus simplex, wie schon
der Traktattitel Utilissime musicales regule necessarie pla-
ni cantus, simplicis contrapuncti, rerum factarum . . . (Paris,
um 1500) zeigt, unterscheidet aber nicht hinsichtlich
schriftlicher Vorlage und improvisierter Ausfiihrung;
wohl in Verwechslung mit cantus jractus heifit es im Ti-
tel der Ausgabe von 1550 rerumfractarum. - Moglicher-
weise geht R. f . zuriick auf den Ausdruck »chose f aite«,
der in der Umgangssprache der franko-flamischen Mu-
siker gebrauchlich gewesen sein konnte, sich jedoch erst
um 1500 nachweisen lafit: eine Randnotiz (Hs. Paris,
Bibl. Nat., ms. fr. 24332, f. 227') zu einem geistlichen
Spiel des Andre de la Vigne von 1496 erwahnte Engel,
die en chosesfaites singen. Nach einem Zeugnis von 1511
(Hs. Nancy, M. et Mos., B 1016, Blatt 102) spielten
Oboisten Ludwigs XII. de chose faicte. Die Registres des
deliberations du bureau de la ville de Paris verzeichnen am
20. 12. 1530 bei einem f eierlichen Einzug in Notre-Da-
me ein Te Deum en choses faictes, also mehrstimmig,
nicht choraliter gesungen. Die franzosischen Traktate
von M. Guilliaud (Rudiments de musique practique, Paris
1554) und Cl. Martin (Institution musicale, Paris 1556)
belegen chose faite als Vulgarbezeichnung fur Figural-
musik (musique . . . figuree, que le vulgaire appelle chose
faite). Spatere franzosische Ausgaben von Calvins In-
stitution de la religion Chrestienne (Genf 1554ff.) nennen
bei der Erwahnung der fur den Gottesdienst ungeeig-
neten Gesange in einem exemplifizierenden Zusatz mu-
sique roinpue (wohl Ubersetzung von cantus fractus) et
chose faite et chants a quatre parties.
Lit. : E. T. Ferand, »Sodaine and Unexpected« Music in
the Renaissance, MQ XXXVII, 1951 ; ders., What is ,r. f .' ?,
JAMS X, 1957. - Ferner Hinweise in: A. Jubinal, Mysteres
inedites ... I, Paris 1837, S. XLVIII; A. W. Ambros,
Gesch. d. Musik II, Breslau 1864 (S. 388ff.), Lpz. 31892,
Nachdruck Hildesheim 1967; Fr.-J. Fetis, Hist, generate
de la musique V, Paris 1 876, S. 302ff. ; M. Kuhn, Die Ver-
zierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d. 16. u. 17. Jh.,
= BIMG I, 7, Lpz. 1902, S. 24f. ; M. Brenet, Dictionnaire
... de la musique, Paris 1926, S. 76 u. 388; R. Schafke,
Gesch. d. Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934, Tutzing
2 1964, S. 267; A. Pirro, Hist, de la musique de la fin du
XIV e s. a la fin du XVI C , Paris 1940, S. 125; W. Gurlitt,
DerBegriffd. sortisatio . . .,TVerXVI, 1942,Neudruckin:
Mg. u. Gegenwart I, =BzAfMw I, Wiesbaden 1966; B.
Trowell, Faburden and Fauxbourdon, MD XIII, 1959.
Residualtonhohe. Die eine Tonhohenwahrnehmung
auslosende Grundschwingung im harmonischen Spek-
trum hat meist geringere Intensitat als die Teilschwin-
gungen hoherer Ordnung. Beim Telephon, das alle
Schwingungen unterhalb 300 Hz abschneidet, fehlt sie
zumeist ganz. Trotzdem wird keine Veranderung der
Tonhohe wahrgenommen. Eine hypothetische Erkla-
rung dieser Erscheinung gab zunachst das Phanomen
der nichtlinearen -> Verzerrung. Schouten (1940) - auf
den der Begriff R. zuriickgeht - gelang jedoch der
Nachweis, daB neben der Grundfrequenz eine zweite
Komponente den Tonhoheneindruck auslost (-> Hor-
theorie). An einer optischen Sirene konnte er beobach-
ten, wie nachEntzug der Grundfrequenz und einer An-
zahl niedriger Teilfrequenzen eines Spektrums aus-
schlieBlich ein Rest (Residuum) hoherer Harmonischer
den Tonhoheneindruck aufrecht erhalt, der dann lang-
sam schwindet, wenn die Teilfrequenzen des Residu-
ums nacheinander ausgefiltert werden. Die Erklarung
der R. sieht Schouten in der Periodizitat der Gesamt-
schwingungsform der hohen Teilfrequenzen, die in den
meisten Fallen gleich jener der Grundfrequenz ist.
Lit. : J. F. Schouten, Die Tonhohenempfindung, Philip's
Technische Rundschau V, 1940; W. Meyer-Eppler, Die
dreifache Tonhohenqualitat, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn
1957.
Resonanz (von lat. resonare, widerhallen) bezeichnet
das Mitschwingen eines schwingungsfahigen Systems
(Luftsaule, Saite, elektrischer Schwingkreis usw.) bei
der Einwirkung einer periodischen Kraft, deren Fre-
quenz (R.-Frequenz) gleich oder nahezu gleich der Ei-
genfrequenz des Systems ist. Die Starke der R. hangt
von der ->■ Dampfung und dem Grad der Kopplung
ab. Ist die Dampfung gering (z. B. bei der Stimmgabel),
dann schwingt das System mit groBer Amplitude, aber
nur, wenn R.-Frequenz und Eigenfrequenz (fo) genau
iibereinstimmen - wenn sie »in R.« sind. Ist die Damp-
fung jedoch groB, dann erf olgt ein Mitschwingen in ei-
nem grSBeren Frequenzbereich, aber mit kleinerer
Amplitude (Abbildung nach W. H. Westphal, Physik,
Berlin, Gottingen und Heidelberg [1928], 16-171953):
Frequenz
Fur die Klangwirkung der Musikinstrumente und der
menschlichen Stimme ist die R. von groBer Bedeu-
tung. So beruht die Bildung von ->■ Formanten bei
Instrumentenklangen und Vokalen auf R.-Wirkung
796
Responsorium
(-»■ Klangfarbe - 2). Ein schwingungsfahiges Gebilde
laBt sich aufier in der Grundfrequenz auch in seinen
Teilfrequenzen durch R. zum Schwingen anregen, was
am Klavier beobachtet werden kann: Wird eine Taste,
etwa c 2 , stumm niedergedriickt und dann c 1 kurz und
kraftig angeschlagen, so hort man c 2 lange nachklingen ;
ebenfalls klingt c 2 nach, wenn ci festgehalten und c 2
kurz angeschlagen wird. Die Kopplung erfolgt iiber
den Resonanzboden. DieserEffekt, Mittonen oder auch
»Mitnahme« genannt, findet gelegentlich in der Kla-
viermusik Verwendung, so im ersten der Drei Klavier-
stiicke (op. 11) von A. Schonberg.
Die Tasten tonlos niederdrucken !
langsamer
ohnePed.
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ohnePed. ....
Resonanzboden (frz. table d'harmonie; engl. sound
board) -> Resonator.
Resonanzsaiten -> Aliquo tsaiten.
Resonator, schwingungsfahiges Gebilde mit beson-
ders geringer Dampfung, das z. B. zur verstarkten
Schallabstrahlung Verwendung findet. Der einfachste
R. ist die luftgefiillte Hohlkugel, die jeweils nur in ei-
ner bestimmten Frequenz zum Schwingen gebracht
werden kann (-»■ Resonanz). Ihre Eigenfrequenz/o er-
rechnet sich nach der Gleichung/o = -£z I/tt. wobei
c die Schallgeschwindigkeit ist, fiir R der Radius der
Off nung und fiir V das Volumen des Hohlraumes ein-
gesetzt wird. H. v. Helmholtz benutzte eine Reihe sol-
dier abgestimmter R.en, um die Teilschwingungen zu-
sammengesetzter Schwingungsvorgange einzeln hor-
bar zu rnachen und in ihrer Intensitat vergleichen zu
konnen. Die Schallabstrahlung fast samtlicher Musik-
instrumente wie auch der menschlichen Stimme erfolgt
iiber R.en, die an die Schwingungserzeuger (Platten,
Zungen, Stimmlippen, Saiten usw.) gekoppelt sind. Die
verschiedenen Formen sind der Hohlraum-R. mit un-
veranderlicher (Vibraphon) und veranderlicher (Wind-
kanal der Blasinstrumente; Mundhohle) Resonanzfre-
quenz, ferner die im gesamten Frequenzbereich mehr
oder weniger gleichmafiig mitschwingenden und ab-
strahlenden Resonanzboden der Saiteninstrumente.
Responsoriale (lat.), im engeren Sinne das liturgische
Buch mit den Offiziumsresponsorien (als solches im
9. Jh. fiir den romischen Liturgiebereich bezeugt durch
Amalar von Metz, Prologus de ordine antiphonarii, ed.
Hanssens I, S. 363), im weiteren Sinne der Teil des
->■ Antiphonales, der die Gesange aus dem Nachtoffl-
zium (-> Matutin) enthalt. Wahrend samtliche Texte
des Officium nocturnum in den ~> Brevier-Ausgaben
vorliegen, ist bislang noch keine Gesamtedition mit den
dazugehorigen Melodien erschienen. Zur Verfiigung
steht fiir die Melodien - neben Teilausgaben fiir Weih-
nachten, Karwoche und Totenoffizium - der Liber re-
sponsorialis (Solesmes 1895, groBere Teilausgabe nach
monastischem Ritus). Aus diesem Band wurde die Ma-
tutin von Pfingsten und Fronleichnam zusammen mit
den genannten romischen Teilausgaben in den ->• Liber
usualis aufgenommen.
Ausg.: J. M. Tomasi, Responsorialia et antiphonaria Ro-
manae Ecclesiae a S. Gregorio Magno disposita, Rom
1 686, auch in: Opera omnia IV, hrsg. v. A. F. Vezzosi, Rom
1749 (Texte). - Moderne Teilausg. mit Melodien: — ► Anti-
phonarium, Antiphonale. - Quellen: Amalarii episcopi
Opera liturgica omnia I, hrsg. v. J. M. Hanssens SJ, = Stu-
di e testi CXXXVIII, Rom 1948.
Responsorium (mittellat.), ein auf dem Prinzip des
Kehrverses (Refrain) beruhender liturgischer Gesang,
bestehend aus dem R. (Chorteil) und einem (verein-
zelt mehreren) solistisch vorgetragenen Versus. Die Be-
zeichnung der Gesangsart als Cantus responsorius und
des in ihr vorgetragenen Psalms als Psalmus respon-
sorius ist von der ursprunglich dem Volk zugewiesenen
Antwort (responsio) auf den solistischen Gesang abgelei-
tet. Der responsoriale Gesang unterscheidet sich somit in
seiner Ausfiihrung vom antiphonalen Gesang, der im
"Wechselgesang von 2 Choren (oder Chorhalften) be-
steht. Nach dem Vorbild der jiidischen Liturgie gebil-
det, findet sich der Responsorialgesang schon im Got-
tesdienst der apostolischenZeit. In Jerusalem ist er durch
den Reisebericht der Pilgerin Aetheria um 400 belegt
(Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum XXXIX, 80).
Die Antwort des Volkes erfolgte Vers um Vers, haufi-
ger aber mit einem gleichbleibenden Refrain, wobei in
der Friihzeit Amen, Alleluia oder die kleine Doxologie
nicht selten verwendet wurden (vgl. als Vorbild Psalm
135, dessen Verse regelmaBig mit dem Refrain quoniam
in aeternutn misericordia eius schliefien). Die lateinische
Kirche kannte den responsorialen Gesang wahrschein-
lich schon seit ihren Anf angen; in Italien war er lange vor
dem antiphonalen Gesang bekannt, wie Tertullian (An-
fang 3. Jh. ; Corpus Christianorum I, 273) annehmen laBt
und Isidorus von Sevilla (Migne, Patr. lat. LXXXIII,
744) bestatigt. Weitere Zeugnisse responsorialer Ge-
sangspraxis finden sich u. a. bei Ambrosius und Augu-
stinus. - Der Cantus responsorius wird vor allem an Le-
sungen angeschlossen (vgl. die Apostolischen Konstitutio-
nen II, 57, 6). So wurden auch in die ursprunglich gro-
Bere Zahl von Lektionen der Messe zwei responsoriale
Gesange, das R. -*■ graduale (- 1) und das -> Alleluia
(bzw. der -*■ Tractus), eingefiigt, die sich im Gebrauch
so festsetzten, daB sie auch nach der zahlenmaBigen Re-
duzierung der Lesungen beibehalten wurden. Die beim
Gradual-R. nachweisbare Beschrankung des Psalms
auf einen einzigen Vers dttrfte mit der wahrscheinlich
zwischen 450 und Anfang des 7. Jh. vollzogenen Ein-
fiihrung eines melismatisch reicheren Melodiestils in
den Gradualgesang (das Alleluia war schon friiher mit
reicher Melismatik versehen) in Zusammenhang ste-
hen. Nimmt man jedoch melismatische Gestaltung
schon friih fiir den solistischen Teil an, so diirfte eine
groBere melodische Ausschmiickung und damit eine
Ausdehnung des Chorteils in der Ubernahme des
Kehrverses durch die aus geschulten Kirchensangern
gebildete Schola begriindet sein. Der Psalmus respon-
sorius wird auf diese Weise verkiirzt zum Gesang des
Responsum, R.s oder Responsorius. - Wie in der Messe
findet das R. auch im Offizium seinen Platz im An-
schluB an die Lesungen und nimmt eine hervorragende
Stellung in den Nokturnen, dem altesten Teil des Of-
fiziums, ein. Die anderen Stundengottesdienste bildeten
sich erst zu einer Zeit aus, da antiphonales Singen in
groBerer Gunst stand, so daB in ihnen dem R. nur eine
untergeordnete Rolle zugewiesen wurde. Die fiir die
797
Responsorium
Messe vermerkte Reduzierung des Psalmus responso-
rius zum R. mit nur einem Vers findet im R. des nacht-
lichen Stundengebets ihre Parallele und diirfte eben-
f alls im Vorgang melismatischer Anreicherung begriin-
det sein. Die formale Trennung in R. prolixum (oder
modulatum) und R. breve (oder Responsoriolum) be-
zeichnet mit dem ersteren die groBen Responsorien der
-»■ Matutin, mit dem anderen die im romischen Of-
fizium in der Prim, Terz, Sext, Non und Komplet, im
monastischen Offizium in Laudes und Vesper an die
kleinen Lesungen (Capitula) sich anschlieBenden klei-
nen Responsorien. Wahrend das R. prolixum mit zum
Teil langeren Melismen reich verziert ist, besteht das R.
breve im allgemeinen nur aus einem kurzen Text mit
schlichter, vorwiegendsyllabischer Melodic Seiner von
Solisten und Chor bestrittenen Ausfuhrung nach ist das
R. breve durchaus ein Cantus responsorius. - Nur selten
ist in den alteren Quellen zum Offizium einem R. mehr
als nur ein Vers beigegeben. Die im 12./13. Jh. aufkom-
mende Tendenz zur Hervorhebung gewisser Feste oder
zur Ausdehnung des Nachtoffiziums fiihrte dazu, dafi
eine Reihe von Responsorien mit mehreren Versen ver-
sehen wurde. Bald erfolgte aber wieder eine Reduzie-
rung auf nur einen Vers, was auch das Tridentiner Kon-
zil schlieBlich als verbindlich erklarte. - Amalarius von
Metz (ed. Hanssens III, = Studi e testi CXL, S. 55)
schildert fur das 9. Jh. in Rom den Responsorialgesang
des Offiziums mit der Wiederholung des ganzen R.s
durch den Chor vor dem Vers (heute nur im R. breve) :
R. (Solist), R. (Chor), Vers (Solist), R. (Chor), Gloria
patri (Solist), Repetenda (Chor), R. (Solist), R. (Chor).
Im f rankischen Bereich dagegen wurde nach dem Vers
nur die -»■ Repetenda gesungen, die selbst wieder in ei-
ne der Zahl der Verse entsprechende Zahl von Repe-
tendae unterteilt ist. Mindestens seit dem 6. Jh. laBt sich
der Brauch nachweisen, an das letzte R. jeder Nokturn
die kleine Doxologie anzuhangen. Das ausgehende
Mittelalter ubernahm diese Obung wie die Verbin-
dung des Gloriapatri mit alien Responsoria (auBer denen
der Passionszeit), doch blieben der Ausfuhrung weit-
gehende Freiheiten, die bei zeitlich und lokal auseinan-
derliegenden Traditionen zu zahlreichen Differenzie-
rungen in der Vortragsweise fiihrten. Grundform der
Vortragsweise im R. prolixum ist heute die Folge: R.
(Chor), Vers (Solist) und Repetenda (Chor), woran sich
noch eine Wiederholung des R.s anschlieBen kann. Bei
angehangtem Gloria patri, das vom Solisten vorgetra-
gen wird, kann der Chor mit dem R. oder der Repe-
tenda antworten (vgl. damit den Wechsel von Anti-
phon und Versus im -»■ Invitatorium). Das R. breve da-
gegen wird allgemein wie folgt vorgetragen: R. (So-
list), R. (Chor), Vers (Solist), Repetenda (Chor), Gloria
patri (Solist), R. (Chor). Zu beachten ist, daB in beiden
Formen des R.s immer nur der 1. Teil der kleinen
Doxologie (Gloria patri ohne Shut erat) erklingt. - Ne-
ben den Psalmen werden weitere biblische, aber auch
nichtbiblische (im Mittelalter zum Teil gereimte) Texte
zum R. herangezogen. Trotz der melismatischen Me-
lodik wird die gesamte Gliederung von der Textstruk-
tur bestimmt. Starker als bei den Antiphonen, die eine
haufige Wiederverwendung derselben Melodie bei
verschiedenen Texten zeigen, ist bei den Responsorien
des Offiziums das Prinzip der Variation ausgebildet.
So ist mit jedem der 8 Kirchentone, von denen der 1.
und 8. zahlenmaBig am starksten vertreten sind, eine
typische Singweise verbunden, die sich als Grundme-
lodie jeweils in mehreren Responsorien erkennen laBt
(-»■ Psalmtone).
Ausg. : — » Responsoriale.
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Me-
lodien I, Lpz. 31911 u. Ill, 1921, Nachdruck Hildesheim
u. Wiesbaden 1962; P. Alfonzo, I responsori biblici
dell'Ufficio Romano, in: Lateranum, N. S. II, 1, 1936; E.
Moneta Caglio, I responsori ,cum infantibus' nella li-
turgia Ambrosiana, Fs. C. Castiglioni, Mailand 1957; W.
Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind. (1958); W.
Kremp, Quellen u. Studien zum R. prolixum in d. t)berlie-
ferung d. Euskirchener Offiziumsantiphonare, =Beitr.
zur rheinischen Mg. XXX, Koln 1958 ; H.-J. Holman, The
responsoria prolixa of the Cod. Worcester F 160, Diss.
Indiana Univ. 1961, maschr. ; ders., Melismatic Tropes in
the Responsories for Matins, JAMS XVI, 1963.
Restrictio (lat.), Bezeichnung fur -> Engfiihrung.
Retardatio (lat., Verzogerung, Aufhaltung), in der
Kompositionslehre des 17. und 18. Jh. eine musikalische
Figur, die spater unter dem Begriff des ->■ Vorhalts ge-
fafit wird. Erstmals beschreibt sie Chr.Bernhard (im
Tractatus unter dem Namen Mora) als Auflosung einer
betonten Dissonanz in die obere Sekunde. Die Abwei-
chung von den Regeln des strengen Satzes kann entwe-
der in der Auflosungsrichtung gesehen werden (Bern-
hard, ebenda: Mora ist eine umgekehrte Syncopatio) oder,
dem Namen entsprechend, im verspateten Weiter-
schreiten zum konsonanten Intervall (Bemhard, Aus-
fiihrlicher Bericht: . . . wenn nehmlich eine Note eine Se-
cunda steigen solte und sich zu lange vor dem Steigen auff-
halt; SpieB 1745: . . . ist der Anticipation schnur-gerad zu-
wider in deme, dafi, wiejene zufriihe, diese zu spath in ihr
gebiihrendes Intervallum einfalkt). Walther (1732) kennt
die R. auBerdem in der Bedeutung der Resolutio me-
diata, bei der zwischen Dissonanz und Auflosung an-
dere Tone eingeschoben sind.
Retrogradus oder motus r. ->• Krebsgang.
Reveille (reve:j, von frz. reveil, Erwachen, Wecken),
das Signal »Wecken«, an besonderen Tagen »GroBes
Wecken«, verbunden mit einem langsamen Marsch im
Pas ordinaire, dem langsamen Schritt friderizianischer
Grenadiere. Die Fest-R. von J. Golde enthalt als C. f . den
Choral Nun danket alle Gott. Das GroBe Wecken ist nie-
mals zu solchem Ausbau gekommen wie der GroBe
-> Zapfenstreich; es wurde jedoch noch vor dem 2.
Weltkrieg am Neujahrsmorgen beim Wache-Auf-
ziehen durchgef iihrt, of tmals nach der Weise Freut euch
des Lebens.
Revue (rav'ii, frz., Uberschau, Ruckschau), im Thea-
terwesen der 1830er bis 1930er Jahre die Verbindung
von Sprech- und Gesangsszenen, Ballett- und Solo-
tanzen, Chansons, Couplets und Varieteartistik zu ei-
nem effektvoll ausgestatteten Unterhaltungsstiick, ein
typisches Weltstadtprodukt, das ohne eigentlichen dra-
matischen Zusammenhang, aber meist nach einer the-
matischen Leitidee in einer Folge von Bildern aktuelle
Zeitereignisse kritisch-satirisch »Revue passieren« lieB.
Mit groBem Aufwand an Dekorationen, Kostiimen und
mit alien Moglichkeiten der Buhnentechnik wandte
sich die in Serienauff iihrungen (en suite) gespielte R. in
erster Linie an das Auge. Die im Auftrag komponierte
Musik war eine den anderen Elementen der R. neben-
geordnete Helferin. Einzelne Nummern konnten sich
als Schlager, Tanz- oder Unterhaltungsmusik behaup-
ten, wenn die R. langst abgespielt war. Operetten wur-
den durch Einlagen von Schaunummern usw. zu R.-
Operetten umgestaltet, wobei der eigentliche Sinn der
R., namlich Glossator des Zeitgeschehens zu sein, ver-
lorenging und nur die Tendenz zu billiger Unterhal-
tung bei teurer Ausstattung blieb. - Die R. (r. de fin
d'annee) kam im Frankreich Louis-Philippes (1830-48)
in Mode. Im Theatre de la Porte-Saint-Martin in Paris
wurde damals mit der R. Van 1841 et Van 1941 der
Wandel der Zeiten durch die neuen Errungenschaften
parodiert. Eine Hochflut von R.n begann 1848/49 (La
798
Rezitativ
foire aux idles; La propriiti c'est le vol). Auch das 2. Kai-
serreich liebte die R., die sich in den 1880er Jahren zur
R. a grand spectacle wandelte; ihre bekanntesten Pari-
ser Pflegestatten hiefien Moulin Rouge, Chat Noir und
Folies-Bergere. Die erste groBe Ausstattungs-R. (Place
aux jeunes) wurde 1886 in den Folies-Bergere aufge-
fiihrt. Die R. fand auch in Belgien, Holland und Eng-
land Aufnahme. In Berlin brachte das Metropoltheater
seit 1898 (Parodies der Frauen) alljahrlich eine R. heraus
(GroBe humoristisch-satirische Ausstattungs-R. mit Ge-
sang und Ballett): Berlin lacht (1899), Neuestes Allerneue-
stes (1904), Aufins Metropol (1905), Donnerwetter-tadellos
(1908), Hallo! Die grofie R. (1909), Hurra! Wir leben noch!
(1910), DieNacht vonBerlin (191 \),Berlin ist Mode (1927).
Bekannte Komponisten waren V. Hollaender, P. Lincke
und H. Hirsch. Zu den R.-S tars zahlten Fritzi Massary, Jo-
sef Giampietro und Guido Tielscher. Auch im Berliner
GroBen Schauspielhaus, im Admiralspalast und in der
Komischen Oper wurden in den 1920er und 30er Jah-
ren R.n und R.-Operetten gegeben. Im Berliner We-
sten erschienen politisch-literarische Kabarett-R.n, als
deren Komponisten Rudolf Nelson (1878-1960) mit
Der rote Faden und Mischa Spoliansky (*28. 12. 1898
zu Bialystok) mit Es liegt in der Luft (1928) und Zwei
Krawatten (1929) genannt seien. Amerika kopierte den
Typus der Ausstattungs-R. in der Show (->■ Musical),
in der eine besondere Attraktion der Girltanz war,
ein von einer Gruppe von Tanzerinnen aufgefiihrtes
Ballett mit bewuBter Betonung der Prazision der Be-
wegungen, des Rhythmisch-Gymnastischen. Als be-
kannter Manager fungierte Fl.Ziegfeld (Ziegfeld Fol-
lies). Beliebte Komponisten amerikanischer Shows wa-
ren u. a. R.Friml, I.Berlin und J.Kern. Nach dem 2.
Weltkrieg erlebte der R.-Film eine kurze Bliitezeit.
Die Bezeichnungen R. und Show verwendet auch das
Fernsehen (ohne spezielle Abgrenzung der Begriffe)
fur entsprechende Sendungen.
Rezitativ (ital. recitativo, von ital. recitare, vortra-
gen, auffiihren) heiBt der nach 1600 in Italien entstan-
dene Typus des solistischen, instrumental begleiteten
Sprechgesangs, der die gesprochene Rede musikalisch-
deklamatorisch zu verwirklichen sucht. Seine Ent-
stehung hangt eng zusammen mit den Anfangen der
-*■ Oper; man glaubte im »recitare cantando« die zwi-
schen Gesang und Rede stehende Vortragsweise der
Schauspielerpartien des antiken Dramas wiederentdeckt
zu haben. Seinen geschichtlichen Ursprung hat das R. in
der am affektbetonten Sprechen orientierten -> Mon-
odie. In der Friihzeit der Oper sind R. und Monodie
noch nicht eindeutig geschieden; die artificiosa maniera
di recitare cantando (Gagliano, Vorwort zu Dafne, 1608)
gilt vielmehr als bestimmte Spielart der Monodie. Der
monodische Stil wird von G.B.Doni (Trattato della
musica scenica, 1635-39) unter kompositorischen und
asthetischen Gesichtspunkten gegliedert in den (eigent-
lichen) stile recitativo (z. B. der Prolog zu LEuridice
von Peri), der als canto con certa sprezzatura engen An-
schluB an die gesprochene Rede sucht, den mehr pathe-
tischen und abwechslungsreicheren stile rappresentati-
vo (z. B. Monteverdis Lamento d'Arianna) und den we-
niger selbstandigen, zumeist der Botenerzahlung vor-
behaltenen stile narrativo (z. B. der Bericht der Bo-
tin in Peris L'Euridice). Wahrend die friihen Opern
durch das Uberwiegen des dem Text prosodisch fol-
genden Sprechgesangs gekennzeichnet sind, der durch
Choreinschube dramatisch unterbrochen wird, weisen
vor allem die venezianischen Opern Monteverdis ab-
geschlossene kurze, melodisch und rhythmisch durch-
geformte Abschnitte auf , die sich deutlich vom eigent-
lichen Sprechgesang abheben (-> Arioso - 1). Im Ver-
laufe des friihen 17. Jh. vertiefte sich diese im Dramati-
schen griindende Trennung: der Sprechgesang ent-
wickelte sich kompositorisch und stilistisch zum eigen-
standigen Typus des R.s; die eingeschobenen ariosen
(oft auch durch Wechsel in den Tripeltakt hervorge-
hobenen) Abschnitte wurden Grundlage fiir die stro-
phisch gegliederte und nach primar musikalischen Ge-
sichtspunkten gestaltete -*■ Arie. An der Ausbildung
dieses Gegensatzes war entscheidend die auf dem Wech-
sel von Erzahlung und Betrachtung aufgebaute italie-
nische Cantata des friihen 17. Jh. (besonders B.Ferrari;
-> Kantate) beteiligt; im Bereich der Oper bevorzugte,
nach Ansatzen in der romischen Opernschule (Cava-
lieri, Landi, Mazzocchi), vor allem die Venezianische
Opernschule seit etwa 1640 (Cavalli, Cesti) im An-
schluB an die Spatwerke Monteverdis eine klare Schei-
dung von R. und Arie.
Bis zum ausgehenden 18. Jh. war das R. Gegenstand
haufiger und eingehender theoretischer und astheti-
scherErorterungen, die von grundsatzlicher Ablehnung
bis zu emphatischer Anerkennung reichen; nationale
Unterschiede verscharften die Diskussion. Die gegen-
satzlichen Anschauungen spiegeln sich in den Dennitio-
nen, die bald starkeres Gewicht auf die Sprachdarstel-
lung, bald auf den gesungenen Textvortrag oder auf
das Moment des Ausdrucks legen. Z. B. wird das R.
bestimmt: als singende Rede, die in der nachdriicklichsten
und genauesten Nachahmung der Rede des Menschen be-
stehtQ. A. Scheibe, Abhandlung vom Recitativ, in: Dercriti-
sche Musicus, Leipzig 21745), oder als eine Art zu singen,
die einer Declamation, offentlichen Rede oder Erzehlung
fast so ahnlich ist, alseinem Gesange (Mattheson Capellm.),
oder als eine Art des leidenschaftlichen Vortrags der Rede,
die zwischen dem eigentlichen Gesang, und der gemeinen
Declamation das Mittel halt (Sulzer, Allgemeine Theorie
der Schonen Kiinste, Leipzig 1771/74). Als Typus steht
das R. in eindeutigem Kontrast zur musikalisch fest
konturierten Arie ; dies erklart sich aus den unterschied-
lichen dramatischen Auf gaben.von R. und Arie. Das R.
ist Trager der Handlung (erzahlende und erklarende
Abschnitte, Berichte, Dialoge usw.) und bereitet damit
die in der Arie dargestellten Reflexionen und Affekte
vor: Die Arien exprimieren den starksten Affect, die R.e
erkldren denselben (G.E. Scheibel, Zufallige Gedanken
Von der Kirchen-Music, Frankfurt und Leipzig 1721).
Die wichtigsten, stilistisch nach Gattungen unterschie-
denen Arten des R.s sind das Kirchen-R., das theatrali-
sche R. und das Kammer-R. Das Kirchen-R. wird so
vorgetragen, wie es der Heiligkeit des Ortes gemdfi ist. Es
leidet nicht das Scherzhafte einer freyern Schreibart. Esfo-
dert [sic !] vielmehr . . . eine bestdndig unterhaltene edle
Ernsthaftigkeit. Bei affektbetonten Stellen laBt es den
Sangern mehr Freyheit als die andern beyden. Das thea-
tralische R. ist mit der Action des Sangers unzertrennlich
verbunden; es ist durch eine der Natur gemdfien Nachah-
mung ausgezeichnet und vermeidet jegliche Art von
Auszierungen, urn der natiirlichen Erzahlkunst nichts in den
Weg zu legen. Das Kammer-R. hat nicht alle die Ernst-
haftigkeit des erstern, und begnugt sich, mehr mit dem zwey-
ten gemein zu haben. Es fordert eine besondere Kunst in
Ansehung der Worte, denn es macht die natiirlichen Emp-
findungen des menschlichen Herzensfiihlbar. Da in ihm die
Leidenschaft redet, . . . mussen Triller und Passagien schwei-
gen (Agricola/Tosi, Anleitung zur Singkunst, 1757).
Im allgemeinen ist das R. in seiner f ormalen Anlage re-
lativ ungebunden; es wird gefordert, daB es ohne alle
Repetition sei, denn wer diese darin anstellet, der macht eo
ipso ein Arioso daraus (Mattheson, Critica Musica II, 1 725) .
Der formalen Ungebundenheit entspricht eine vollige
Freiheit der Modulation, die bey dem ordentlichen Ge-
sange nicht stattfindet (H.Chr.Koch, Versuch einer An-
799
Rezitativ
leitung III, 1793). Ahnlich verhalt es sich mit dem Takt;
das R. hat wol einen Tact; braucht ihn aber nicht: d. i. der
Sanger darffsich nicht daran binden (Mattheson Capellm.).
Formale, metrische und tonartliche Ungebundenheit
ermoglichen ein flexibles Anpassen an den Handlungs-
vorgang, zumal an das plotzliche Auftreten der Perso-
nen innerhalb einer Szene. - Die Geschichte des R.s ist
gekennzeichnet durch die Ausbildung feststehender
Formeln und Konventionen. Seit dem Ende des 17. Jh.
ist es tiblich, das R. vor dem Einsatz der Gesangsstim-
me mit einem |-Akkord instrumental zu eroffnen ; am
SchluB des R.s treten Gesangsstimme und Begleitung
meist auseinander, indem die Gesangsstimme bereits
vor der instrumentalen SchluBkadenz endet. Zur Kon-
vention gehort es, daB der Sanger an gewissen Stellen
(z. B. bei Einschnitten) einen Vorhalt singt (-> Vor-
schlag). In der Regel werden innerhalb des R.s impro-
visatorische Verzierungen vermieden, doch sind sie
nicht grundsatzlich ausgeschlossen (man mufi nicht alle-
zeitfordern, dafi der Sanger, zumal bey gleichgiiltigen Stel-
len, just die vorgeschriebenen Noten, und keine anderen sin-
gen soil; Bach Versuch). Fur die Begleitung wird ge-
fordert, daB vom Cembalisten die Akkorde in beiden
Handen vollgenommen werden, . . ■ Alles lauf-werk und alle
manierchens mussen beym recitatif-spielen nachbleiben (G.
Ph.Telemann, Singe- und Generalbafi-Ubungen, Ham-
burg 1733-34). Erlaubt sind schnelle oder langsame
Arpeggien, doch diirfen sie den Sanger nicht in Ver-
wirrung bringen; die Begleitung soil ihn vielmehr
stiitzen, wenn notig auch durch Vorgabe einzelner To-
ne. Zur Konvention des R.s gehoren ferner bestimmte
harmonische und melodische Formeln sowie das Re-
pertoire der musikalisch rhetorischen Figuren, z. B.
gilt die phrygische Kadenz (harmonisch und melo-
disch) als musikalische Darstellung der Frage. R. und
Arie werden ha'ufigdadurchverkniipft,
daB der Schlufiakkord des R.s im
Dominantverhaltnis zum Arienbe-
ginn steht.
Nachdem vor 1650 in Italien die Tren-
nung von R. und Arie bzw. ariosen
Partien vollzogen war, entwickelte sich
das R. in seinem Ursprungsland zu ei-
nem Typus, der durch einen der italie-
nischen Sprache gemaBen Parlando-
charakter ausgezeichnet ist. Die Beglei-
tung des R.s, die als GeneralbaB notiert
ist, bildet die harmonische Grundlage,
auf der sich der rezitativische Gesang
melodisch und rhythmisch deklamie-
rend bewegt. In den Anfangen wurde
das R. von einem oder mehreren -> Fundamentin-
strumenten begleitet; erst im Verlaufe des 17. Jh.
wurden das Cembalo (in der Kirchenmusik die Or-
gel) und die Viola da gamba oder das Violoncello
die eigentlichen Begleitinstrumente. Mit dem Auf-
kommen der Opera buffa (Vinci, Leo, Pergolesi) wan-
delte sich der Parlandocharakter des R.s in einen fliis-
sigen Konversationsstil, der von einer einfachen B. c-
Begleitung getragen wird und auf jegliche Art mu-
sikalischer Eigenstandigkeit verzichtet. Demgegen-
iiber erfuhr das R. in der Opera seria (A. Scarlatti, Stra-
della, Jommelli, Traetta) eine musikalische Differen-
zierung und Bereicherung durch starkere Darstellung
des dramatischen Ausdrucks in der Singstimme und
durch die Heranziehung des Orchesters nicht nur zur
Begleitung in ausgehaltenen Akkorden, sondern auch
zur Schilderung der Emotionen der handelnden Per-
sonen und von Naturstimmungen. Daraus entstand der
Typus des Recitativo accompagnato (-> Accompagna-
to). Das einfache R. bezeichnete man seitdem als Reci-
tativo secco (ital., trocken) oder semplice (ital., ein-
fach). Die Zusammenstellung von secco und accom-
pagnato ermoglichte ein relativ bruchloses Verknup-
fen von R. und Arie und damit eine kontinuierliche
Darstellung der Handlung.
Ausgehend von Italien verbreitete sich im Verlaufe des
17. Jh. das R. als typischer Bestandteil der Oper, des
Oratoriums und der Kantate zunachst in Frankreich
und gegenEnde des 17. Jh. in Deutschland; erst mit Be-
ginn des 18. Jh. setzte sich auch in England der italieni-
sche Typ der Volloper mit rezitativischem Dialog durch
(Neumann, S. 18). - In Frankreich loste sich das »Reci-
tatif« von Anfang an vom italienischen EinfluB und
trat, vor allem in der Oper, als national eigenstandiger
Typus auf. Er wurde von Cambert aus spezifisch fran-
zosischen Elementen geformt, die in den -»- Vers me-
sures und der Musique mesuree a l'antique sowie im
-> Reck (- 1) des Ballet de cour vorgegeben waren. J.-
B.Lully nahm sich die pathetische Rhetorik des National-
dramas zum Muster, er ubertrug die feierliche Deklamation
der Racineschen Tragodie voll in die Musik (Haas, Musik
des'Barock, S. 223) und bildete damit die fur die ->■ Tra-
gedie lyrique typische Vortragsweise aus. Das Recitatif
versucht als declamation en musique, dans laquelle le mu-
sicien doit imiter, autant qu'il est possible, les inflexions de
declamateur (Rousseau, Encyclopedie methodique, Paris
1818, Artikel Recitatif), den Tonfall der franzosischen
Sprache und die Prinzipien der franzosischen Prosodie
musikalisch nachzuzeichnen. Die Eigenart der franzo-
sischen Diktion (Silbenzahl, Tonfall, Sprachakzent)
und der Affektgehalt der dramatischen Situation haben
neben der rhythmischen und melodischen Differenzie-
rung auch zur Folge, daB Schwerpunkte unregelmaBig
und in verschiedenen Abstanden wiederkehren und ei-
nen Wechsel in der Taktvorzeichnung bedingen.
(I)
Ad-me-te a-voit mon coeur des ma plus ten-dre en - fan-ce,-
J.-B.Lully, Alceste, II. Akt, 2. Szene.
Die haufige Heranziehung des Orchesters zur Beglei-
tung sowie die Konzentration auf die Deklamation der
Sprache und den dramatischen Verlauf der Dichtung
fiihrten zugleich dazu, daB der Kontrast von R. und
Arie weniger stark als in der italienischen Musik ausge-
pragt war. Im AnschluB an das franzosische R. und an
die italienische Form des Accompagnatos riickte Gluck
das orchesterbegleitete R. in den Mittelpunkt seiner Re-
formbestrebungen. Er reduzierte einerseits die aus Ver-
zierungen und Koloraturen bestehende Virtuosenarie,
ohne jedoch die Arie selbst abzuschaffen, andererseits
mied er das einfache Secco-R. zugunsten eines diffe-
renzierten, orchesterbegleiteten R.s; gleichzeitig glich
er den Kontrast von R. und Arie aus durch die Einf tin-
ning rezitativischerElemente in die Arie.
In Deutschland kam es erst gegen Ende des 17. Jh. zur
Entwicklung einer deutschen Oper (Franck, Kusser,
Keiser u. a.) und damit zur Ausbildung des R.s; doch
800
Rhapsodie
kann die nach italienischem Vorbild im Stile recitativo
komponierte Evangelistenpartie der Weihnachts-Hi-
storie (1664) von Schiitz, die nur nach der Mensur einer
vemehmlichen Rede abgesungen werden moge (Vorwort),
als Vorlaufer des deutschen R.s angesehen werden. Das
italienische R. wurde in seinen typischen Grundziigen
vom deutschen R. nachgezeichnetjedoch auf demHin-
tergrund einer der deutschen Sprache eigenen Akzent-
setzung. Um 1700 fuhrteE.Neumeister (wahrschein-
lich einer Anregung J. Ph. Kriegers f olgend) durch sei-
ne geistlichen Dichtungen das R. in die Kirchenmusik
ein (-*■ Kantate) ; nach ihm siehet eine Cantata nicht an-
ders aus als ein Stuck aus einer Opera, von Stylo Recitativo
und Arien zusammen gesetzt (Neumeister, Geistliche
Cantaten statt einer Kirchen-Music, WeiBenfels 21704).
J. S. Bach entwickelte die im Secco- und Accompagna-
to-R. beschlossen liegenden Moglichkeiten in vorher
nicht gekannter Weise, indem er Text und Musik als
eine sich wechselseitig interpretierende Einheit zusam-
menfaBte. - Im Verlaufe des 18. und 19. Jh. blieb das
R. wesentlicher Bestandteil der Oper; im Accompag-
nato erfuhr der Anteil des Orchesters zunehmend Er-
weiterung. Diese Entwicklung gipfelte in den Opern
Wagners, der das Secco-R. grundsatzlich ausschloB
und das Accompagnato-R. als eine den gesamten Hand-
lungsverlauf integrierende unendliche Melodie zur mu-
sikalischen Norm der Oper erhob. Das Secco-R. lebte
einzig in der komischen Oper fort. Die R.-Modelle in
der Ariadne (1911/12) von R.Strauss und in The Rake's
Progress (1949-51) von Strawinsky stehen im Bereich
einer historisierenden Tendenz, die bewuBt an barocke
Opemtypen ankniipft.
Ausgehend von den zur Konvention erstarrten Formeln,
wurde das R. als absolut aufgefaBtes musikalisches Ge-
bilde in die Instrumentalmusik iibernommen. Wohl
erstmals erscheint diese Ubertragung um 1715 in den
Concerti a quattro op. 11 von Bonporti. Freie instrumen-
tale Nachahmungen des R.s finden sich in spaterer Zeit
u. a. in J. S. Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge, der
PreuBischen Sonate Nr 1 (1742) von C.Ph.E.Bach, in
der Symphonie Nr 7 Le midi (1761) von J.Haydn, in
der Klaviersonate op. 31 Nr 2 (1802) und im Finale der
9. Symphonie von L. v. Beethoven. Zur musikalischen
Darstellung eines Programms oder einer poetischen
Idee dienen in der Instrumentalmusik des 19. Jh. haufig
rezitativische Partien (z. B. R. Schumann, Kinderscenen
op. 15: Der Dichter spricht). Schonbergs fiinftes Stuck
aus den Orchesterstiicken op. 16 (1909), das er das obli-
gate R. nennt, sowie seine Variationen iiber ein R. op. 40
(1941) verwirklichen im musikalischen Bereich die
Vorstellung einer musikalischen -> Prosa (- 2).
Als liturgiscb.es R. werden in der Choralforschung heu-
te ferner die mit einer Melodieformel (-»• Toni com-
munes) verbundenen Gesange bezeichnet (alterer Na-
me: accentus, -»• Akzent - 2). Dabei handelt es sich um
den eigentlichen Kernbestand der kirchlichen Einstim-
migkeit, vorab um alle Formen der Lektion (-> Lesun-
gen, -»-Epistel, -> Evangelium) und -> Oration (-> Pa-
ter noster, -»■ Prafation) sowie die verschiedenen Sing-
weisen der Psalmen (-> Psalmtone). Die melodische
Struktur des in seiner Gesamtanlage meist zweiteiligen
liturgischen R.s wird vom Rezitationston (-> Reper-
cussa, Tuba) und den am Ende eines Satzes oder Satz-
gliedes gebildeten Melodiewendungen (Kadenzen) be-
stimmt. In den entwickelteren Formen kommt als drit-
tes Bauelement das -> Initium (- 1) hinzu. Eine Erwei-
terung des »traditionellen« Bildes vom liturgischen R.
bietet neuerdings E. Jammers (1965).
Lit. : P. Bohn, Das liturgische R. d. M A, Mf M XIX, 1887;
A. Heuss, Bachs R.-Behandlung, Bach-Jb. 1, 1904; B. Zel-
ler, Das Recitativo accompagnato in d. Opern J. H. Has-
ses, Diss. Halle 191 1 ; H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz.
1912; M. Schneider, Die Begleitung d. Secco-R. um 1750,
Gluck-Jb. Ill, 1917; R. Meyer, Die Behandlung d. R. in
Glucks ital. Reformopern, ebenda IV, 1918; Ch. Spitz,
Die Entwicklung d. stile recitativo, AfMw III, 1921; P.
Mies, tJber d. Behandlung d. Frage im 17. u. 1 8. Jh., Zf Mw
IV, 1921/22; R. Haas, Musik d. Barock, Biicken Hdb.;
ders., Auffuhrungspraxis d. Musik, ebenda; R. Gerber,
Das Passionsr. bei H. Schiitz u. seine stilgeschichtlichen
Grundlagen, Gutersloh 1929; K. Pahlen, Das R. bei Mo-
zart, Diss. Wien 1929, maschr.; E. Borrel, L'interpretation
de l'ancien recitatif f re. , RM XII, 1 93 1 ; L. Spinner, Das R.
in d. romantischen Oper bis Wagner, Diss. Wien 1931,
maschr. ; A. Einstein, Concerning Some R. in Don Gio-
vanni, ML XIX, 1938; F. Graupner, Die R. d. Evangeli-
sten in d. Matthauspassion v. J. S. Bach, Diss, theol.
Greifswald 1947, maschr.; J. A. Westrup, The Nature of
R., Proceedings of the British Acad.XLII, 1956 ; ders., The
Cadence in Baroque R., in: Natalicia Musicologica, Fs.
Kn. Jeppesen, Kopenhagen 1962; H. Melchert, Das R. d.
Kirchenkantaten J. S. Bachs, Diss. Ffm. 1958; J. Kramarz,
Das R. im Liedschaffen Fr. Schuberts, Diss. Bin 1959; E.
O. D. Downes, Secco R. in Early Classical Opera Seria
(1720-80), JAMS XIV, 1961 ; Fr. H.Neumann, Die Asthe-
tik d. R., = Slg mw. Abh. XIV, Strafiburg u. Baden-Baden
1962 (mit Bibliogr. d. alteren Lit.); J. Claire OSB, devo-
lution modale dans les recitatifs liturgiques, Rev. grego-
rienne XLI, 1963; H. Chr. Wolff, Die Sprachmelodie im
alten Opernr., Handel- Jb. IX, 1963 ; E. Jammers, Der Cho-
ral als R., AfMw XXII, 1965.
rf, rfz, rinf., Abk. fur ->■ rinforzando.
Rhapsodie (von griech. pomza, nahen, flicken, und
4>8t], Gesang), - 1) in nachhomerischer Zeit der rezitie-
rende Eposvortrag (besonders aus Homer) durch »fah-
rende Sanger« (Rhapsoden), namentlich bei Festver-
sammlungen; als Eirdeitung zu Feiern bis ins spate Al-
tertum nachweisbar; - 2) seit Ende des 18. Jh. Vokal-
oder Instrumentalkompositionen ohne feste Form,
denen (im Gedanken an den Vortrag der antiken
Rhapsoden) die Vorstellung von einem epischen, quasi
improvisatorischen Vortrag und der Bruchstuckhaf-
tigkeit des Vorgetragenen zugrunde liegt. Der als Im-
provisator (vor allem durch seine Rezitationen aus
Klopstock) bekannte Chr.F.D. Schubart veroffentlich-
te seine wahrend der Festungshaft entstandenen Lieder,
auch einzelne Klavierkompositionen, in 3 Heften als
Musikalische Rh.n (1786, mit ausfiihrlichen Vorreden).
Rh. nannte J. Fr. Reichardt ein Fragment aus Goethes
Harzreise im Winter (1777) in der Vertonung fur Singst.
und Kl. (1792 u. 6.), ebenso Brahms seine Komposition
desselben Textes (fur A., Mannerchor und Orch. op.
53, 1870). - Als zukunftstrachtig erwies sich die Cber-
tragung der Vorstellungen des Rhapsodischen und der
Rh. auf Instrumentalmusik. Das erste Klavierstuck un-
ter dem Titel Rh. schrieb 1802 in Wien W. R. Graf v.
Gallenberg (op. 3). V.J. Tomasek, dernebenderRh. (op.
40 und 41, 1813/14; op. 110, 1840) auch Ekloge und
Dithyrambus als poetische Dichtungsarten in das toni-
sche Gebiet verpflanzen und damit einer Verflachung
des Klavierstils durch Stiicke entgegenwirken wollte,
in denen Ernst mit Kraft und Energie gepaart ist, wurde da-
mit zum eigentlichen Begriinder des romantischen
-> Charakterstiicks. Unter seinen Schiilern und Nach-
ahmern sind als Komponisten von Rh.n zu nennen:
VoHsek (12 Rh.n op. 1, die er 1814 Beethoven vorleg-
te), LSeyfried (1822), Fr. und C. Grillparzer und N.
Burgmuller (1840). Naher an Tomasek als an Liszt
stehen auch die Rh.n op. 79 und op. 119 von Brahms
(op. 79 hieB ursprunglich Capriccio). Liszt wollte seine
Ungarischen Rh.n (ab 1840, ursprunglich fur Kl. zwei-
handig, potpourriartige Zusammenstellungen von
Csardasmelodien) als Fragmente eines zigeunerischen
Epos verstanden wissen. Vor allem in der Form der
51
801
Rheinlander
Orchesterbearbeitung wurden sie Vorbild fur eine
rasch wachsende Literatur national charakterisierender
Stiicke fiir Orchester, z. B. von Dvorak, Glasunow, E.
Lalo, Enescu, Ravel und Gershwin.
Lit. : zu 1) : H. Patzer, PATQIAOZ, Hermes LXXX, 1952;
G. F. Else, The Origin of TPAmiAIA, ebenda LXXXV,
1957. - zu 2): W. Kahl, Das lyrische Klavierstiick Schu-
berts u. seiner Vorganger seit 1810, AfMw III, 1921 ; Vl.
Jankelevitch, La rh., verve et improvisation mus., Paris
1955; W. Salmen, Gesch. d. Rh., Zurich u. Freiburg
i. Br. (1966).
Rheinlander, ein um 1840 aufgekommener Paartanz
in ruhigem 2/4-Takt, der sich aus der Polka und ver-
mutlich aus der sogenannten Hopsanglaise entwickelte.
Er wird auch Bayerische Polka und auBerhalb Deutsch-
lands in der Regel »Schottisch« genannt. Die Schritt-
folge des Rh.s kennt seitwarts gerichtete »Hopser« und
triolenmaBig ausgef iihrte Walzerdrehungen. Gelegent-
lich wird der Rh. (z. B. Im Grunewald ist Holzauktion)
noch heute getanzt.
Rheinland.
Ausg. : Denkmaler rheinischer Musik, hrsg. v. d. Arbeits-
gemeinschaft f. rheinische Mg., I u. Illff., Dusseldorf
1951ff., II Kolnu. Krefeld 1951.
Lit. : A. J. Becher, Das niederrheinische Musikf est, aesthe-
tisch u. hist, betrachtet, Koln 1836; O. R. Redlich, Mu-
sikpflege amNeuburg-DusseldorferHofe, Beitr. zur Gesch.
d. Niederrheins XXIV, Dusseldorf 1911; W. Hoixweg,
Gesch. d. ev. Gesangbucher v. Niederrhein im 16;-18. Jh.,
= Publikationen d. Ges. d. Rheinischen Geschichtskunde
XL, Gutersloh 1923; W. Kahl, Musik u. Musikleben im
Rh., in: II. Rheinische Lit.- u. Buchwoche, Koln 1923;
ders., Soziologisches zur neueren rheinischen Mg., ZfM
CVI, 1939; W. Kurthen, Zur Renaissancebewegung d. 19.
Jh. im Rh., Kgr.-Ber. Lpz. 1925; P. Mies, Musik, Musiker
u. Musikleben in d. Landern am Rhein, in: Rheinlandkun-
de II, Dusseldorf 1926; Kl. Weber, Die Heischelieder an
Fastnacht im Rh., Diss. Koln 1933 ; W. C. Hambach, Das
rheinische Wallfahrtslied, Diss. Bonn 1934; J. Schmidt-
Gorq, Das rheinische Volkslied, Dusseldorf 1934; L.
Schiedermair, Rheinische Musiku. Musikforschung, AMz
LXV, 1938; ders., Musik am Rheinstrom, Koln 1947; H.
Nelsbach, 2000jahriges Musikland am Rhein. DenkmSler
zur Musikpflege im Rh. zur Zeit d. Romerherrschaft, Mk
XXXI, 1938/39 ; J. Alf, Gesch. u. Bedeutung d. niederrhei-
nischen Musikf este in d. 1. Halfte d. 19. Jh., Dusseldorf er
Jb. XLII, 1940-XLIII, 1941 ;E.Klusen, Das Volkslied im
niederrheinischen Dorf, = Veroff. d. Niederrheinischen
Volksliedarch. Viersen, Wiss. Reihe I, Potsdam 1941 ; K.
G. Fellerer, Das Erbe rheinischer Musik, Jb. Niederrhei-
nisches Musikfest CIX, Wuppertal 1955; G. Pietzsch, Or-
ganisten, Orgelbauer u. Orgelmusik am Niederrhein vor d.
Reformation, Der Niederrhein XXIV, 1957. - Beitr. zur
rheinischen Mg., hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft f. rheini-
sche Mg. I-III, V-VI, VIII-IX, XI, Koln u. Krefeld 1952-
55, IV, Koln 1953, X, Xllff., Koln 1955ff., VII, Bad Godes-
berg 1953, XVII, Essen 1960; Mitt. d. Arbeitsgemeinschaft
f. rheinische Mg. e. V., (Koln) 1955ff. ; Mitt. d. Arbeitsge-
meinschaft f. mittelrheinische Mg. e. V., (Mainz) 1961ff.;
Beitr. zur Mittelrheinischen Mg., hrsg. v. d. Arbeitsgemein-
schaft f. mittelrheinische Mg., I, Amsterdam 1962, lift".,
Mainz 1962ff.
Rhythm and blues (ri3m send blu : s, engl.), Bezeich-
nung fiir das in den 1930er Jahren unter EinfluB des
-> Swing in Harlem (Negerviertel von New York)
entstandene und seither unter der Negerbevolkerung
der USA volkstiimlich gewordene Jazzmusizieren in
kleinen Gruppen (meist mit Gesang). Ausgangspunkt
fiir den Rh. and bl. ist der sogenannte Harlem-jump
mit seinem betont f edernden Rhy thmus. Dem Harlem-
jump, dessen Ubergange zum Rh. and bl. so flieBend
sind, daB beide Bezeichnungen teilweise gleichbedeu-
tend gebraucht werden, liegt als -> Chorus ein harmo-
nisch einfacher 12taktiger ->- Blues zugrunde. Er wird
haufig - wie ein Schlagerrefrain - mit einer Vorstro-
802
phe versehen und, in der Art des -»■ Boogie- Woogie
begleitet, in schnellem Tempo vorgetragen. Scharfe
Akzentuierungen auf einem durchlaufenden harten
->- Beat (- 1) und eine gleichzeitige, besonders hervor-
tretende -*■ Off-beat-Phrasierung im melodischen Be-
reich verleihen diesem Musizieren ein solch hohes MaB
an -*■ swing, daB sich beim Tanzen der Rhythmus in
wiegenden und sprungartigen Bewegungen realisiert
(daher Jump, Sprung, genannt). Eine von der Schlager-
industrie in den 1950er Jahren kommerzialisierte mo-
dische Form des Rh. and bl. war der Rock and Roll
(s. v. w. wiegen und schaukeln).
Rhythmlk (von griech. ^u&fjtWTQ [t^/vt)] ; lat. rhyth-
mica, bei Martianus Capella auch rhythmice; frz.
la rythmique), bis zum 19. Jh. s. v. w. Lehre vom
-> Rhythmus, zu der als Teilgebiet auch die Lehre von
der Rhythmusbildung (Rhythmopoie) gehorte, im 20.
Jh. vielfach auch eine bestimmte Art des Rhythmus
(z. B. Quantitats-, Takt-, Mensural-Rh., auch z. B.
»Bachs Rh.«).
Rhythmische Erziehung ist eine zuerst von E.
->- Jaques-Dalcroze entwickelte neuartige Methode der
-*■ Musikerziehung, die dem Schuler Musik, Sprache,
Tanz und gestische Darstellung vor allem iiber das
rhythmische Element vermitteln will. Korperliche und
geistige Formung gehen Hand in Hand mit der An-
leitung zu eigenschopferischer AuBerung in musika-
lischer und darstellender Improvisation. Jaques-Dal-
croze ging von der Einsicht aus, daB Musik als Melo-
die, Rhythmus, Dynamik und Ausdruck unmittelbare
Entsprechungen im Korperlichen (als raumliche Bewe-
gung) besitzt und daB diese Entsprechungen durch die
Verfeinerung des musikalischen Horens und durch be-
wuBte Lenkung der Bewegungsimpulse vertief t und er-
weitert werden konnen. Diese Methode, die er »Rhyth-
mische Gymnastik« nannte und erstmals 1905 in Solo-
thurn vorf iihrte, machte er vor dem 1. Weltkrieg auf
Reisen weitbekannt; seine erste feste Schule entstand
1910 als sBildungsanstalt fiir Musik und Rhythmus« in
Hellerau bei Dresden. Von hier gingen auch seine Schii-
ler R. -*■ Bode (der sich allerdings spater in Gegensatz
zu Jaques-Dalcroze stellte) und H. -v Medau aus. Mit
denErlassenzurNeuordnungderPrivatmusikerziehung
in PreuBen durch Kestenberg (1925) wurde auch die
rhythmisch-musikalische Erziehung als Priifungsfach
anerkannt. Fachseminare sind heute verschiedenen Mu-
sik(hoch)schulen angegliedert; die Absolventen arbei-
ten vornehmlich in Jugendmusikschulen, in der Leh-
rerbildung und in der Heilpadagogik. R. Steiner fiihrte
1912 fiir die Bewegungskunst (GleichmaB in Wort,
Musik und Korperbewegung) in der Anthroposophie
die Bezeichnung Eurhythmie ein. Von den grundlegen-
den Beziehungen zwischen Musik und Bewegung ging
auch C. -> Orft in seinem seit den 1920er Jahren ent-
wickelten System der musikalisch-rhythmischen Ele-
mentarerziehung aus (Orff-Schulwerk, 5 Bande, Mainz
1930-35, neu bearbeitet 1950-54, mit G.Keetman), das
von alien Methoden der Rh.n E. die groBte Verbrei-
tung gefunden hat. Eine Zentralstelle mit Seminar fiir
Orff-Schulwerk wurde 1961 am Mozarteum in Salz-
burg gegriindet.
Lit. : E. Jaques-Dalcroze, La rythmique, 2 Bde, frz. u.
deutsch, Lausanne 1907; ders., Le rythme, la musique et
l'education, auch engl. u. deutsch, Basel 1922; R. Bode,
Aufgaben u. Ziele d. rhythmischen Gymnastik, Munchen
(1913); ders., Der Rhythmus u. seine Bedeutung f. d. Er-
ziehung, Jena 1920; ders., Musik u. Bewegung, Kassel
1930, Bin 21942; K. Keil, Leitfaden f. d. rhythmischen
Unterricht (Methode Jaques-Dalcroze), Lpz. 1916;H. Me-
dau, Rhythmische Gymnastik als tagliche Kraftquelle,
Stuttgart (1928); E. Feudel, Rhythmisch-mus. Erziehung,
Wolfenbuttel 1939, 31956; dies., Durchbruch zum Rhyth-
mischen in d. Erziehung, = Erziehungswiss. Bucherei, Rei-
he IV, Stuttgart 1 949 ; T. Pfisterer, Moglichkeiten d. mus.-
rhythmischen Erziehung in d. Schule, Zurich 1948; H.
Tauscher, Praxis d. rhythmisch-mus. Erziehung, Bin u.
Darmstadt 1952, 21960; A. Epping, ABC d. Improvisation,
= Hesses Hdb. d. Musik CIV, Bin (1954); Fr. Reusch,
Grundlagen u. Ziele d. Orff-Schulwerks, Mainz (1954); R.
Steiner, Eurhythmie als sichtbarer Gesang, Dornach 1956;
E. Willems, Les bases psychologiques de l'^ducation mus.,
Paris 1956; E. Werdin, Rhythmisch mus. Erziehung,
= Beitr. zur Schulmusik IV, Wolfenbuttel 1959; I. Manns,
Die rhythmisch-mus. Erziehung in d. Schule, in: Hdb. d.
Schulmusik, hrsg. v. E. Valentin, Regensburg (1962); W.
Keller, Einfuhrung in Musik f. Kinder, Mainz (1963).
Rhythm section (ridm s'ekfan, engl.) -> Band.
Rhythmus (griech. £u&[x6<;;lat. numerus, daneben seit
Varro als Lehnwort auch r[h]ythmus; ital. und span,
ritmo; frz. rythme; engl. rhythm) ist in Tanz, Musik,
Versdichtung wirksam als eigenstandig zeidiches, im
jeweiligen Gesamtphanomen integriertes Ordnungs-
und Gestaltungsprinzip. Im Begriff der Ordnung ist
dabei das Moment der RegelmaBigkeit (Gleichfor-
migkeit, Bezug zu einem festen ZeitmaB), im Begriff
der Gestaltung das Moment der Spontaneitat enthalten
(Gruppierung, Gliederung, Abwechslung). Vom all-
gemeinen Begriff des Rh., iiber dessen Bestimmung
die Meinungen weit auseinandergehen, unterscheidet
sich dieser engere Rh.-Begriff durch das Moment der
Intentionalitat (Hoenigswald, S. 53: Ein Rh. mufi, um
iiberhaupt zu »sein«, »gemeint« sein). Entsprechend ist der
vom Menschen hervorgebrachte und ihn unmittelbar
affizierende Rh., fur den Tiere nachweislich nicht ei-
gentlich empfanglich sind, hier nicht bloB allgemein
als Pulsieren, als gleichformiges Auf und Ab einer Be-
wegung, als Wiederkehr von Ahnlichem in ahnlichen
Fristen (L.Klages) usw. zu charakterisieren, sondern
dariiber hinaus als Element des Vollbringens von sinn-
f allig Gestaltetem, somit auch als Element des Zusam-
menfassens, Begrenzens, Verdeutlichens. Die Art, wie
der Rh. wirksam wird oder in Erscheinung txitt, hangt
im iibrigen weitgehend von der besonderen Beschaf-
fenheit des jeweiligen Mediums ab. Als elementare,
gemeinschaftsstiftende Macht hat er u. a. fur kultische
Begehungen und Feste, fur Arbeit und Spiel, fur Er-
ziehung und Heilung (-*- Musiktherapie) fundamen-
tal Bedeutung.
Herkunf t und Grundbedeucung des griechischen Wor-
tes sind umstritten (hierzu: Hj. Frisk, Griechisches ety-
mologisches Worterbuch II, Heidelberg 1961ff., S. 664f.).
Neben der herkommlichen Ableitung von (te tv (flieBen)
findet die schon in antikenEcymologica angenommene
und vom Archaologen E.Petersen erstmals wieder zur
DiskussiongestellteVerwandtschaftmit epiieiv (ziehen)
zunehmend Beachtung; moglich erscheint ferner eine
Verwandtschaft mit gpua-&ai (abwehren, schutzen).
Eine Anzahl f rtiher Wortbelege ( Archilochos, it. 67a 7 ;
Herodot V, 58, 1; Aristoteles, »Metaphysik« 985b)
legt die Vermutung nahe, daB die Grundvorstellung
nicht FluB, FlieBen war, sondern der eine Gestalt be-
stimmende einheicliche »Zug« (Petersen) oder gerade-
zu das, was der Bewegung, dem Flufi die Schranke, das Feste
auferlegt (W.Jaeger, Paideia I, 1933, S. 174f.). Es han-
delt sich demnach nicht um eine bildliche Ubertra-
gung vom Musikalischen her, wenn die Griechen vom
Rh. eines Baus oder einer Statue reden (noch der Mu-
siktheoretiker Aristeides Quintihanus fuhrte 1, 13 diese
»raumliche« Bedeutung vor der »zeitlichen« an). Seit der
klassischen Zeit des Griechentums begann jedoch die
in der Anwendung des Wortes auf Tanz, Musik, Dich-
tung sich herausbildende Bedeutung in den Vorder-
grund zu treten. Platon kennzeichnete den Rh. von der
Rhythmus
anschaulichen Seite her als Ordnung der Bewegung
(»Gesetze« 665a), der Aristoteles-Schiiler Aristoxenos
hingegen bereits abstrakt als Ordnung von Zeitteilen
(xpovtov t6£,i$, Rhythmka I, fr. 1, ed. Westphal). Um
einer Verwechslung mit dem Metrumbegriff vorzu-
beugen, wurde Rh. dahingehend charakterisiert, daB er
keine normative Begrenzung im Sinne der mit festen
(Vers-)MaBen rechnenden Metrik haben muB und
auBerdem keine normative Folge von Kiirzen und
Langen zu enthalten braucht. Mit der Bestimmung
omne metrum rh., non omnis rh. etiatn metrum est resiimier-
te Augustinus (De musica III, 2) die seit hellenistischer
Zeit giiltige Auffassung. Der Wandel von der quanti-
tierenden zur akzentuierenden Dichtung (vgl. auch die
Begrenzung der Musica ry thmica auf Zupf- und Schlag-
instrumente bei Isidor von Sevilla, Etymologiae HI, 22)
und das Bedurfnis nach Unterscheidung von synony-
men Ausdriicken bereiteten eine Begriffsverschiebung
vor: wahrend numerus weiterhin die Bedeutung von
Rh. beibehielt, hieBen ry thmi (ritmi, ritimi) im Mittel-
alter die akzentuierenden lateinischen sowie die volks-
sprachlichen Verse (im Unterschied zu den metra ge-
nannten quantitierenden lateinischen Versen). In der
Renaissance biirgerte sich dann das griechische Lehn-
wort - unter humanistischem EinfluB nun wieder in der
antiken »zeitlichen« Bedeutung - in den Volkssprachen
ein. In der Epoche der friihen Romantik und des deut-
schen Idealismus erhielt der Wortbegriff eine univer-
sale Geltung, auf Grand deren er auf die verschieden-
sten Gebiete iibertragen wurde (z. B. fiihrte ihn K.
Schnaase 1834 in die Kunstgeschichte ein). Der daraus
resultierenden Zersplitterung tritt die neuere Forschung
entgegen, indem sie zwischen ubertragenem und ei-
gentlichem Wortgebrauch zu scheiden und die dem
letzteren zugrunde liegende Vorstellung begrifflich her-
auszuarbeiten versucht (z. B.J. Trier : Rh. ist die Ordnung
im Verlauf gegliederter Gestalten, die darauf angelegt ist,
durch regelmafiige Wiederkehr wesentlicher Ziige ein Ein-
schwingungsstreben zu erwecken und zu befriedigen) .
Der Vielschichtigkeit der rhythmischen Erscheinungen
entspricht die relative Vieldeutigkeit des Wortes. Auf
dem Gebiet der Musik kann Rh. bald mehr die vor-
dergriindige Abf olge rhythmischer Elemente (z. B. be-
stimmter Notenwerte) und bald mehr die konstante
Grundbewegung meinen (z. B. Grund-Rh. eines Tan-
zes wie im Falle des Sarabanden-Rh., aber auch 2zeiti-
ger Rh., Dreier-Rh., 6/8-Takt-Rh. usw.). Auf tiefere
Schichten beziehen sich die Auffassungen vom Rh. als
immanente Dynamik (H.Riemann), typologisch be-
dingte Motorik (G. Becking), musikalischer Kraftver-
lauf (R.Steglich), als urspriinglich korperliche Bewe-
gungsempfindung (E.Kurth, Grundlagen des linearen
Kontrapunkts, Bern 1917) usw. SchlieBlich wird Rh.
auch als Stil- und Epochenbegriff (Modal- Mensural-,
Schlagzeit-, Takt-Rh.) verwendet, ja als Grundbegriff,
der iiber das Musikalische hinaus Wesensziige einer
Kultur erfafit (Quantitats-, Akzent-Rh.). - In psycho-
logischer Sicht ist der musikalische Rh. zunachst ein
Gestaltphanomen, speziell eine Zeitgestalt. Seine Ei-
genstandigkeit grundet sich auf Gestalteigenschaften,
die ihn von der Bindung an bestimmte »fundierende
Elemente« frei machen. Die gleiche rhythmische Ge-
stalt kann daher in verschiedenem Tonmaterial oder
auch als bloBes Gerausch (Klopfen, Trommeln) reali-
siert werden. Ein Orientierungsphanomen wie das des
Taktes wird durch den psycholoeischen Begriff des
Bezugssystems beleuchtet. Der Takt ist die Struktur des
Bezugssystems, des Zeitgeriistes; der in Erscheinung tre-
tende Rh. hingegen ist die Struktur des konkreten In-
halts, der dieses Geriist erfullt, und zwar in ihrem Verhalt-
nis zu der Struktur des Geriistes. Eine musikalische Ge-
51*
803
Rhythmus
stalt, deren Rh. in ein Taktsystem eingespannt ist, ver-
f iigt daher iiber wichtige neue Eigenschaften (Funktions-
eigenschaften und vor allem dynamische Qualitaten), die
jedem auf einformigem Zeitgrund verlaufenden Rh. fehlen
(W.Metzger, Psychologie, Darmstadt 31963). Mit die-
ser Scheidung von Geriist und Ausf iillung hangt es zu-
sammen, daB der Bewegungscharakter eines Stiickes
durch die Dichte der Tongebungen noch nicht be-
stimmt ist, sondern sich erst aus der Dichte des Zeitge-
rttstes ergibt. Zwischen Bewegungsintensitat im abso-
luten Sinne und -*■ Tempo wird deshalb scharf unter-
schieden. Ein markanter Zug des musikalischen Rh.
laBt sich mit dem psychologischen Begriff der Pra-
gnanz erfassen. Eine Tonbewegung erscheint erst dann
rhythmisch, wenn sie in der zeitlichen Dimension die
Stufe eines ausgezeichneten, pragnanten Gefiiges er-
reicht, auf der sie ihre Bewegungsintention am rein-
sten, zwingendsten verwirklicht. Dies bedeutet ge-
wohnlich, daB die Zeitintervalle zwischen den einzel-
nen Tongebungen einfachen arithmetischen GroBen-
verhaltnissen entsprechen (1 : 1, 1 : 2, 1 : 3 als Grundpro-
portionen, auf die auch kompliziertere Bildungen zu-
ruckgefiihrt werden konnen). Der Pragnanzbegriff
umschlieBt aber noch andere Falle, in denen die Zeit-
intervalle von vornherein nicht im Sinne rational meB-
barer Verhaltnisse zu verstehen sind und dennoch einer
bestimmten Pragnanzvorstellung entsprechen (z. B. im
Falle der unten zu nennenden »irrationalen« Rhyth-
men; hierher gehoren auch die allmahliche Tempo-
veranderung, agogische Verschiebungen innerhalb des
Taktes u. a. ; -> Agogik). Die Schwierigkeit, exotische
Rhythmen zu erfassen, beruht wesentlich darauf, daB
ihnen andere Pragnanzvorstellungen als die dem Abend-
lander vertrauten zugrunde liegen. Deshalb ist die
Wiedergabe solcher Rhythmen in moderner Noten-
schrift oft unzureichend oder irrefiihrend. Dies gilt zu-
mal fur Falle, in denen Gesang, instrumentales Spiel
und Tanz eine noch ungeschiedene Einheit bilden oder
in denen die Identitat eines Stiicks mehr durch den
Text und eine bestimmte Vortragsweise als durch ge-
nau fixierte Tonfolgen gewahrt wird. So hat sich im
Orient eine Art des Singens herausgebildet, die sich
weder melodisch noch rhythmisch rational fassen laBt
(-> Maqam, -»■ Raga). Wie die Melodie, so wird hier auch
der Rh. von Mai zu Mai neu geschaffen; doch muB man
sich hiiten, in solchem freien Rh. nichts weiter zu sehen
als einen aufier Rand und Band geratenen festen Rh. (R.
Lachmann, Musik des Orients, Breslau 1929, S. 65f.).
Eine rhythmisch freie und dennoch mit gewissen (heu-
te schwer zu rekonstruierenden) Pragnanzvorstellun-
gen verbundene Art des Gesangs scheint auch in der
byzantinischen Musik und in der dem Vortrag von
Bibel- und anderen liturgischen Prosatexten dienenden
westlichenEinstimmigkeit des 1. Jahrtausends lebendig
gewesen zu sein (iiber den Gesangsvortrag rhythmi-
scher Texte s. u.). Auslaufer finden sich noch heute in
der Musik der Ostkirchen ; im Westen hingegen wurde
diese Art des freirhythmischen Gesangs seit dem Auf-
kommen der Mehrstimmigkeit, in der sie ein letztes
Mai in der melismatischen Kolorierungskunst der f riihen
Notre-Dame-Epoche hervortrat (-> Organum), all-
mahlich im Sinne des Cantus planus (-> Cantus - 2)
rhythmisch eingeebnet. - Im folgenden wird der schar-
fer faBbare Begriff des festen Rh. anhand zweier gegen-
satzlicher Auspragungen zu umreiBen versucht.
1) Das Prinzip des additiven Rh. beruht auf der Unter-
scheidung von zwei festen rhythmischen Elementen,
entweder einem kurzen und einem langen oder (bei
gleicher Lange) einem unbetonten und einem betonten.
Charakteristisch fur diese Art des Rh. ist weitgehende
Freiheit in der Abfolge der Elemente, wobei die Vor-
stellung des Alternierens (z. B. lang-kurz oder lang-
kurz-kurz) als Normvorstellung meist gegenwartig
bleibt. In der griecbischen Antike war dieses aus der
Einheit von Gesang und Tanz hervorgegangene Prin-
zip ausgepragt als Quantitats-Rh. (->■ Griechische Mu-
sik). Die in der griechischen Sprache vorgegebenen
Quantitaten der Silben (-> Quantitat) galten proso-
disch als kurz und lang (-> Prosodie - 1), metrisch als
Kiirze und Lange (-+ Metrum - 1), sie standen musi-
kalisch-rhythmisch im Verhaltnis 1 : 2 und verbanden
sich orchestisch mit der Hebung und Senkung des
FuBes (-»■ Arsis und Thesis). Die unterschiedlichen
Rhythmengeschlechter kamen mit den verschiedenen
poetischen Gattungen auf und wurden sparer, als sich
die Gattungsunterschiede teilweise verwischten, im
Sinne bestimmter Haltungen aufgefaBt (-»■ Ethos). Fiir
die Friihzeit (Epos, Elegie, Iambos) sind Reihenrhyth-
men, fiir das Zeitalter der Lyrik beschaulich-vielge-
staltige Strophenrhythmen charakteristisch. Auf der
letzten und hochsten Stufe, im attischen Drama, bilden
Sprache und musikalischer Rh. eine unauf hebbare inne-
re Einheit, in der sie einander wechselseitig durchdrin-
gen (hauptsachlich in den Chorpartien) und die schlieB-
lich zur Preisgabe der Vers- und Strophenresponsion
fiihrte (-> Monodie). Die Auflosung jener urspriingli-
chen Einheit von Gesang und Tanz ging gleichzeitig
mit der Verselbstandigung der Musik vor sich. Aristo-
xenossetzte, indem er Rh. und rhythmisierten Stoff be-
grifflich trennte, die der Kiirze entsprechende Zeit-
dauer als lzeitiges GrundmaB fest (-*■ Chronos pro-
tos), bestimmte danach die normale Lange als 2zeitig
und die u. a. im ^opeto^ SXoyoi;, einem Reigentanz, vor-
kommende Lange als »irrational« (etwa l^zeitig). Die
seit hellenistischer Zeit bezeugten 3-, 4- und 5zeitigen
Uberlangen (bezeichnet L, I !, LU) so wie die inzwi-
schen auf gekommene Pausenlehre {-*■ Pause) lassen auf
einen tief greif enden Wandel des Quantitats-Rh. schlie-
Ben, moglicherweise in Richtung eines musikalisch-zeit-
messenden Rh. (s. u.). - Dem antiken Quantitats-Rh.
ahnliche Bildungen, die zum Teil antiken Ursprungs
zu sein scheinen (z. B. im Falle des neugriechischen
Reigentanzes Syrtos Kalamatianos, dessen Grund-Rh.
J. J J dem antiken »irrationalen« Reigen-Rh. ent-
sprichf, hierzu Georgiades, Der griechische Rh., S. 98ff.),
finden sich im heutigen Griechenland und weit dariiber
hinaus auf dem Balkan und in Kleinasien. Doch spielt
bei dieser Art der additiven Rhythmik vielfach, beson-
ders in slawischen oder slawisch beeinfluBten Gebieten,
das der antiken Quantitatsrhythmik fremde Moment
der Betonung eine wichtige Rolle. So ist etwa die in
bulgarischen Rhythmen konstitutive sirrationale Lan-
ge« (J.) stets betont, die »Kurze« hingegen (J) je nach
der festen Betonungsbrdnung des betreffenden Rh.
bald unbetont und bald betont (z. B. lautet der Grund-
Rh. im Raceniza-Tanz: J J J. ). Im Unterschied zum
betonungsfreien, als statisch empfundenen Quantitats-
Rh. der Antike macht sich hier ein dynamischer Zug
geltend. - Betonungsfrei war urspriinglich auch der
quantitierende altindische Rh. Erst in einer jiingeren
Epoche kamen Rhythmen mit fester Betonungsord-
nung auf, worauf schon ihre Bezeichnung als Tala hin-
weist (im Sanskrit s. v. w. Handflache, rhythmisehes
Klatschen). Beschreibungen bieten Bharata, Sharn-
gadeva u. a. -Eine musikalisch-zeitmessende.vielleicht
ins Altertum zuriickreichende (vgl. die oben genannten
Uberlangen) Art der additiven Rhythmik ist im Orient
weit verbreitet (-> Arabisch-islamische Musik).
2) Das Prinzip des multiplikativen (und zugleich divi-
siven) Rh. beruht auf der Scheidung von zeitlichem
Geriist und musikalisch-rhythmischer Ausf iillung, wo-
804
Rhythmus
bei sich beide wechselseitig bedingen und beleuchten.
Im Gegensatz zum additiven Prinzip wird bier nicht an
den rhythmischen Elementen, sondern an einem rhyth-
misch relevanten Zeitgeriist festgehalten (vgl. hierzu
die Gegeniiberstellung der Begriffe »erfullte Zeit« und
»leere Zeit« bei Georgiades 1949). Dem Geriist liegt in
der Regel die einem rhythmischen Mittelwert entspre-
chende Zeiteinheit als festes MaB zugrunde (»Zahl-
zeit«, Schlagzeit). Bei musikalisch-rhythmisch kon-
stant durchgefuhrter Gliederung der Hauptzeiten er-
geben sich zunachst 2- und 3zeitige Formationen
(•••••••• und •••••••••), im Taktprinzip dann auch
hohere Einheiten (z. B. 4/4-Takt, »GroBtakt« aus ei-
nem Taktpaar). In der Mensuralmusik kommen je-
doch auch einander ablosende 2- und 3zeitige Forma-
tionen vor, z. B. ••••••••••..•; es konnen aber auch
verschiedene Formationen einander iiberlagern, z. B.
• •'•*•*. * °der I '.' I . - Im Abendland hat sich das auf
dem Boden geregelter Mehrstimmigkeit zunachst in
unterschiedlichen Spielarten herausbildende rhythmi-
sche Prinzip mit dem Aufkommen des »Akzentstufen-
takts« (H.Besseler) um 1600 immer mehr zu einem ein-
heitlich zentrierten Gewichts- und Betonungs-Rh. ent-
wickelt. In der einfachsten Form, als Reihen-Rh., kam
er in der friihen Mehrstimmigkeit musikalisch erstma-
lig dadurch zur Geltung, daB er einen Ausgleich zwi-
schen den gegensatzlichen Kraften des Vertikal-Klang-
lichen und des Horizontal-Melodischen begriindete:
die Ordnung von konsonanzgebundenen Haupt- und
von klanglich ungebundenen Nebenzeiten. Zu den
Voraussetzungen gehorte auf der Seite des Klanglichen
die vom Vorrang der Konsonanzen bestimmte streng
konsonante Satzbildung (nachguidonisches Organum),
die von nun an mit rhythmisch geregelten Zwischen-
klangen rechnete, und auf der Seite des Rhythmischen
die von der qualitativen Abstufung der Elemente aus-
gehende Bildung hypotaktischer Reihenrhythmen (so
offenbar schon in der akzentuierenden lateinischen Ge-
sangsdichtung, etwa in Hymnus, Tropus, Sequenz,
Conductus; -»■ VersmaBe), die nun mit der qualitativen
Unterscheidung der Klange kombiniert wurde. Spate-
stens in den Anfangen der Notre-Dame-Epoche war
die Synthese bereits vollzogen und damit zum ersten-
mal eine der strengen vertikalen Ordnung vergleich-
bare strenge horizontale Ordnung durchgefiihrt. Fiir
die abendlandische Musik grundlegend und richtung-
weisend war dieser Rh. in seiner Eigenschaft als von 2
oder mehr Stimmen getragener kommensurabler
Schichten-Rh. und zugleich als in ein konsonantes
Satzgeriist eingespannter Unterteilungs-Rh. Bezeich-
nenderweise wurden auf der Fruhstufe symmetrische
(halbierende) Unterteilungsarten gemieden und statt
dessen asymmetrische (drittelnde) gewahlt, da diese
die klanglich-rhythmischen Ordnungsverhaltnisse am
sinnfalligsten klarstellten (->- Modus - 2; -»■ Modalno-
tation - 1), anfangs wohl mit bloBer Nebenordnung
der Hauptzeiten, spater in Ansatzen auch mit Unter-
ordnung: anfangs spSter
Zusatzstimme: J J J J J J d- Jd d- Jd d-
Cantus: f f f f f f f f
Hauptzeiten: • • • • . • . •
Akzentuierung der Hauptzeiten (vgl. jedoch tria tem-
pora tarn uno accentu quam diversis prolata . . . , Franco,
Ars cantus mensurabilis, ed. Cserba, S. 237), von straffer
rhy thmischer Stimmenbewegung durchwirkte »stehen-
de« und »pendelnde« Klange (oft in Verbindung mit
Stimmtausch, seltener als Kanon), ->■ Sequenz (- 2),
Rhythmuswechsel (Moduswechsel) in groBeren Ab-
standen, rhythmische Verwendung der -> Pause (-> Ho-
quetus), schlieBlich zur Auflosung der Modi fiihrende
Unterteilungen und Zusammenziehungen regularer
modaler Werte kennzeichnen die Stufe der Modal-
rhythmik. Die allmahliche analytisch-rationale Durch-
dringung des musikalischen Satzes brachte es mit sich,
daB in der Notenschrift eine sukzessive Verlagerung
von den groBen zu immer kleineren Notenwerten
stattfand und so die im 13. Jh. aufgekommene ->• Men-
suralnotation durch fortgesetzte Teilung ausgebaut
wurde. Dabei wiederholte sich mehrmals der Vorgang,
daB die jeweiligen Unterteilungswerte (Spaltwerte)
mit ihrer Einbeziehung und Eingliederung in das feste
Satzgefiige eigenes Gewicht erhielten und nun nicht
mehr als Neben-, sondern als Hauptzeiten empfunden
wurden. Die zunehmende Beweglichkeit una rhyth-
misch-melodische Selbstandigkeit der Stimmen (zumal
der Oberstimmen) lieB das Moment der Akzentuierung
zuriicktreten. Neben der als Norm weiterhin anerkann-
ten Dreizeitigkeit (Dreiteiligkeit; -»• Perfectio - 2) kam
an der Wende zum 14. Jh. nach und nach die Zweizei-
tigkeit (Zweiteiligkeit) auf (Stellen wie Longa autem
apud priores organistas duo tantum habuit tempora bei
Odington, CS I, 235b, werden heute nicht mehr als
Beweis fiir die Prioritat der Zweizeitigkeit angesehen,
sondern mit dem hoheren Alter der beiden ersten
rhythmischen Modi in Verbindung gebracht). Perfekte
(3zeitige) und imperfekte (2zeitige) ->• Mensuren (- 2)
konnten nun einander ablosen oder iiberlagern (s. o.),
und zwar in den verschiedenen GroBenverhaltoissen
(->■ Modus - 3, -> Tempus, -> Prolatio; ->• Propor-
tion - 2), wodurch die Gleichformigkeit des rhythmi-
schen Ablaufs zugunsten einer wechselnden und viel-
gestaltigen Schichtenrhythmik in den Hintergrund ge-
drangt wurde. Bei der zugleich eine Aufspaltung des
rhythmischen Duktus bewirkenden Uberlagerung von
inkongruenten Mensuren ergaben sich haufig rhyth-
mische Verschiebungen (-»■ Synkope, -»■ Trayn, poly-
rhythmische Bildungen, die jedoch alle nicht im mo-
dernen Sinn als Akzentverschiebungen zu verstehen
sind, sondern als Divergenzen zwischen ungleichen Be-
wegungen) .Die Unterschiedlichkeit der Mensuren und
Proportionen implizierte unterschiedliche Bewegungs-
arten im Sinne des Tempobegriffs, vielfach aber auch
unterschiedliche Satzarten (z. B. gleichbleibende Dich-
te des Satzes im Tempus imperfectum [C ] gegeniiber
der veranderlichen Dichte im Tempus imperfectum di-
minutum [<(]; vgl. R.Bockholdt, Dieftuhen Messen-
kompositionen von G.Dufay, =Miinchner Veroffent-
lichungen zur Musikgeschichte V, Tutzing 1 960) . In der
franzosischen Ars nova und daruber hinaus wurde der
Rh. auch als streng konstruktives Satzgeriist (-> Talea)
im Sinne der bereits im 13. Jh. vorgebildeten ->• Iso-
rhythmie verwendet. Die mit rhythmischen Floskeln
durchsetzte Stimmengestaltung war in der Ars nova
noch weithin iiblich, machte aber allmahlich einer freie-
ren Art der Melodiebildung Platz (-> Melodie), wie
sie sich seit dem italienischen Trecento und in England
seit Dunstable durchzusetzen begann. Am langsten
hielten sich rhythmische Floskeln in der Schlufibildung
(-»■ Klausel).
Seit dem spaten Mittelalter wurden vor allem drei Fak-
toren fiir die Rhythmik mehr und mehr bestimmend :
Sprachtext, instrumentales Spiel und Tanz. Textdekla-
mation und »textgezeugte« Rhythmen (H.Riemann)
begannen seit Dunstable und den Niederlandern, mu-
sikalische Textausdeutung (u. a. als Darstellung von
Affekt und SprachgebSrde) im 16. Jh. an Bedeutung zu
gewinnen. Fiir die Deklamationsrhythmik der Vokal-
polyphonie ist die sich iiber die satztechnisch veranker-
te Schwerpunktordnung und iiber die Schlagzeit
(->■ Tactus) voriibergehend erhebende selbstandige
Gliederung charakteristisch, z. B. im folgenden Teil der
805
Rhythmus
Altstimme aus dem Offertorium Reges Tarsis von Pa-
lestrina (alte GA DC, S. 37; vgl. Fellerer 1928, S. 21):
om - nes gen-tes ser - vi-ent
Schwerpunktordnung: • « «
Schlagzeit: I t 'I t I t
Deklamations-Rh. : i_I '_j i ' • i ^ '_j , T
Metrische Odcnkomposition und protestantisches Kir-
chenlied folgten rhythmischen Gestaltungsarten, die
teils an quantitierenden antiken VersmaBen und teils an
der Mensurenrhythmik orientiert sind. Die unter-
schiedliche Struktur der Sprachen machte sich seit dem
Ende des 16. Jh. in Textvertonungen verstarkt bemerk-
bar (vgl. die sich in den Vertonungen eines Monte-
verdi, Schiitz und Lully auch rhy thmisch auspragenden
unterschiedlichen Sprachhaltungen). Instrumentales
Spiel und -»■ Tanz brachten starke neue Impulse. Zu-
sammen mit den »Instrumentalismen« (H.Riemann)
fanden rhythmisch eigenwillige Akkordzerlegungen,
Spielfiguren, Spiel- und Vortragsmanieren (u. a. Tre-
molo) Eingang in die Kunstmusik. Tanze, Tanzrhyth-
men und iiberhaupt feste Rhythmen (z. B. in Strophen-
baB und Basso ostinato) wurden allenthalben verwen-
det. Dadurch gewann auch das Prinzip der -> Sym-
metrie EinfluB auf die Satzbildung (Wiederholung
oder Korrespondenz, wobei Gruppen von 1+1, 2+2,
4+4 oder 8+8 Takten entstanden). Im 17. Jh. setzte
sich allmahlich eine Einheitlichkeit und Geschlossen-
heit des musikalischen Bewegungsablaufs durch, die
nicht nur die rhythmische, sondern auch die harmoni-
sche Seite des Satzgefiiges umfaBte. Taktrhythmik und
harmonische Tonalitat begannen sich zu konsolidieren
- wie es scheint, in wechselseitiger Abhangigkeit von-
einander. Das alte Proportionssystem blieb zwar noch
lange wirksam, verlor aber an unmittelbarer Bedeu-
tung in dem MaBe, als -> Takt (mesure, ZeitmaB) und
-> Tempo (mouvement, Bewegung) auseinandertra-
ten und als selbstandige GroBen erfaBt wurden. Die
Ausarbeitung der fur die GeneralbaBepoche typischen
Taktrhythmik ging wesentlich vom Detail aus (durch
Unterscheidung zwischen kleingliedrigen Wendun-
gen, die sich auf die Zahlzeit, und groBeren, die sich
auf den halben oder den ganzen Takt beziehen). Be-
zeichnend ist das Festhalten an einer durchlaufenden
Grundbewegung mit Tongebung auf jede Zahlzeit
(im Tripeltakt mit -> Hemiole zur Verdeutlichung des
Schlusses), haufig sogar mit durchlaufender Untertei-
lungsbewegung. Dies bedeutet, daB die 1. Zahlzeit ge-
geniiber den anderen noch nicht entschieden hervor-
trat - bis tief ins 18. Jh. hinein galten die 1. und die 3.
Zahlzeit in Vierertakten als gleichwertig hinsichtlich
ihres Gewichts - und daB die Unterteilungswerte er-
sten Grades den Charakter des Bewegungsstroms we-
sentlich mitbestimmten (vgl. den Unterteilungs-Rh.
z. B. im Eingangschor der Matthauspassion von J. S.
Bach). Entsprechend hatte die Synkope jeweils nur so-
viel Gewicht wie die durch sie vorweggenommene
Hauptnote und war wie diese nicht eigens akzentuiert.
(Neuerdings werden die Haupt- und sogar die Unter-
teilungswerte im AnschluB an ahnliche Tendenzen in
der Musik des 20. Jh. durch einseitige Hervorkehrung
des Motorischen oft eingeebnet, so daB der eigentiim-
lich federnde Grundzug dabei verlorengeht.) Besonde-
re Aufmerksamkeit erfordern die der Ausfiihrungsebe-
ne angehorige Rhythmisierung durch -> Artikulation
und der nicht einheitlich geregelte -> Punktierte Rhyth-
mus (vgl. auch -»■ Lombardischer Rhythmus).
Die scharfste Auspragung erfuhr die Taktrhythmik in
der Musik der Wiener Klassiker. Takt und Dur-Moll-
Tonalitat sind hier zu absoluten Ordnungen geworden.
Im Takt liegt das Hauptgewicht nun eindeutig auf der
1. Zahlzeit, die als solche stark zentralisierend wirkt,
zugleich aber auch eine scharfere Trennung oder Ge-
geniiberstellung der Taktinhalte zulaBt. (Zur Kompo-
sitionsweise vgl. auch das Verfahren, mit Wiirfeln zu
komponieren; -> Aleatorik.) Fiir den musikalischen
Aufbau hat demgemaB das Taktmotiv (->■ Motiv) zen-
trale Bedeutung, wobei zwischen auftaiktigen und ab-
taktigen Bildungen nicht nur ein Unterschied, son-
dern oft sogar ein Gegensatz bestand (vgl. die Gegen-
iiberstellung im letzten Satz von Beethovens Streich-
quartett F dur, op. 135). Das aus mehreren Takten be-
stehende -*■ Thema vereinigt in sich haufig disparat er-
scheinende harmoiiisch-rhythmische Taktglieder, die
indessen gerade in ihrer »Gegensatzlichkeit« (nach dem
Prinzip von Aufstellung und Antwort) eine hohere
Form der Einheit und Geschlossenheit verkorpern,
z. B. im Falle des Allegrothemas des 1. Satzes aus der
Serenade fiir 13 Blaser von Mozart, K.-V. 361 :
«-j Tutti
' ' f
Die strenge Taktordnung bedingte weitere Eigentiim-
lichkeiten, die zum Te2 eine strenge Regelung des
harmonischen Ablaufs implizierten (-»■ Metrum - 3,
-> Periode; im -> Marsch verbunden mit scharfer
Punktierung) und die die Einbeziehung der ->■ Dyna-
mik (- 1) in die Komposition begriindeten. Auf der
einen Seite wurden Abweichungen von der Norm
haufig (hervortretende Synkopen, synkopische Ak-
zente, die Taktstruktur verschleiernde Synkopenket-
ten ; »negativer« -> Akzent - 3 ; ->■ Imbroglio ; Zweier-
gruppierungen im Dreiertakt, etwa im ->• Scherzo - 2;
Dreiergruppierungen jeweils unter einer Zahlzeit zu-
sammengefaBter ganzer Takte, beim spaten Beetho-
ven mit Ritmo di tre battute bezeichnet; komplemen-
tare Rhythmen, -> Polyrhythmik), auf der anderen
Seite hingegen Bildungen, die die Ordnung wieder-
herstellen und bestatigen (Akzente auf guten Takt-
tcil, Bestatigungen besonders am -> SchluB). Die Ver-
deutlichung der musikalischen Sinngliederung ge-
schieht primar durch die -> Phrasierung. In der Ro-
mantik verlor der Takt als Gewichtsordnung und als
tektonisches Moment an Bedeutung (vgl. Schuberts
federnd-ausgleichenden Rh. I JdJ J^l aus Moment mu-
sical op. 94 Nr 4; im -»■ Walzer aber dominierte die
1. Zahlzeit so entschieden, daB sie ohne EinbuBe der
Wirkung auchpausieren konnte) . Bruckner und Brahms
machten von ->■ Triolen als Unterteilungsmodus hal-
ber Takte Gebrauch. Mit Chopin, Wagner, Tschai-
kowsky kamen kompliziertere Taktarten in die Kunst-
musik (-> Takt). Der musikalische Rh. naherte sich
in der Haltung vielfach der -> Prosa (- 2; vgl. Nietz-
sches Ausspruch: In der bisherigen dlteren Musik mufite
man . . . tanzen; kiinstlerische Absicht der Wagnerischen
Musik hingegen sei, man soil schwimmen; Menschli-
ches, Allzumenschliches II, S. 65). Die Notierung in
Takten wurde in der Musik des 20. Jh. weithin zu einer
bloBen Konvention, zumal seit der Preisgabe der To-
nalitat. Tatsachlich handelt es sich hier um keine Ge-
wichtsordnung mehr, sondern um regelmaBige oder
um wechselnde Betonungen, letztere nicht selten in
Annaherung an additive Rhythmen der Folklore (Bar-
tok, Strawinsky u. a.), auch als -> Variable Metren.
-> Beat (- 1) und -> Off-beat sowie -> swing sind typi-
806
Rhythmus
sche Rh.-Phanomene des Jazz. Durch die Modetanze
kam eine Fiille von fremdartigen Rhythmen nach
Europa.
Schon Berlioz hatte die Einfiihrung einer Klasse fur
Rh. am Konservatorium befiirwortet (»Memoiren«,
§ 66), doch setzte sich die -> Rhythmische Erziehung
erst im 20. Jh. langsam durch.
Im Gegensatz zu R. Westphal, der die poetische Metrik
der Antike mit der musikalischen Rhythmik der Neu-
zeit verquickte, betonte H.Riemann die Notwendig-
keit einer scharf en Sonderung der musikalischen Rhyth-
mik; in diesem Sinne entwickelte er ein umfassendes
System der Rhythmik und Metrik, das, auf seiner heute
, nicht mehr allgemein anerkannten Auf takttheorie ba-
sierend, auch die Lehre von der Phrasierung, von der
Dynamik und Agogik mitumfaBt. Eine von der Auf-
takttheorie freie Rh.-Lehre bot Th.Wiehmayer. Zu
einem Sonderzweig entwickelte sich die rhythmische
-»• Typologie.
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mik, Kgr.-Ber. Kassel 1962; N. W. Powell, Rhythmic
Freedom in the Performance of French Music from 1650
to 1735, Diss. Stanford (Calif.) 1959, maschr. ; G. W. Coo-
807
Ribattuta (di gola)
per u. L. B. Meyer, The Rhythmic Structure of Music,
Chicago 1960; S. Goldthwaite, Rhythmic Patterns and
Formal Symmetry in the 15 th -Cent. Chanson, 2 Bde, Diss.
Harvard Univ. (Mass.) 1960, maschr.; H. E. Smither,
Theories of Rhythm in the 19 th and 20'" Cent., With a
Contribution to the Theory of Rhythm for the Study
of 20 tll -Cent. Music, Diss. Cornell Univ. (N. Y.) 1960,
maschr. ; I. Benotsson, On Relationship Between Tonal
and Rhythmic Structure inWestern Multipart Music, STMf
XLIII, 1961 ; F. Klugmann, Die Kategorie d. Zeit in d.
Musik, Diss. Bonn 1961; M. L. Perkins, Changing Con-
cepts of Rhythm in the Romantic Era, Diss. Univ. of
Southern California 1961 ; J. Rayburn, Gregorian Chant
Rhythm. A Hist, of the Controversy Concerning Its Inter-
pretation, NY 1961 ; Werner Durr, Untersuchungen zur
poetischen u. mus. Metrik, Diss. Tubingen 1962; E. Kar-
koschka, Zur rhythmischen Struktur in d. Musik v. heute,
Kgr.-Ber. Kassel 1962; B. Kippenberg, Der Rh. im Min-
nesang. Eine Kritik d. literar- u. musikhist. Forschung,
= Munchener Texte u. Untersuchungen zur deutschen
Lit. d. MA III, Munchen 1962; M. Rotharmel, Der mus.
Zeitbegriff seit M. Hauptmann, = Kolner Beitr. zur Mu-
sikforschung XXV, Regensburg 1963 ; K. v. Fischer, Das
Zeitproblem in d. Musik, in: Das Zeitproblem im 20. Jh.,
hrsg. v. R. W. Meyer, Bern u. Munchen (1964); Sh. Davis,
Harmonic Rhythm in the Mozart's Sonata Form, MR
XXVII, 1966; A. Feil, Studien zu Schuberts Rhythmik,
Munchen 1966. FZa
Ribattuta (di gola) (ital.), Zuriickschlag (der Kehle),
eine urspriinglich italienische Gesangsmanier, die in ei-
nem trillerartigen Wechsel zwischen einer Note und
ihrer oberen Nebennote mit un- Q —
gleichemRhythmusbesteht(Bei- (ft » T' pT =p^
spiel aus G. Caccini, Le nuove mu- v
siche, 1601). J. A.Herbst beschreibt (Musica Practica,
1642) verschiedene Formen der R. di g., darunter eine
R. di g. doppia und eine Esclamatione con R. di g.,
wobei in alien Fallen das Tempo der Wechselschlage
zunehmend beschleunigt werden kann:
R. di gola
R. di gola doppia
«U. JJ.JJ II I V I J= =
Im 18. Jh. wird die R. di g. als Spielmanier mit der ein-
fachen Bezeichnung R. auch fiir Streich- und Tasten-
instrumente iibernommen. Mattheson (Capellm.) f iihrt
sie in Verbindung mit ei- * Tenuta
ner Tenuta zur Einleitung
eines langen Trillers an:
R.
In der gleichen Art wird sie in den Lehrbuchern von
G.Tartini, C.Ph.E.Bach, L.Mozart und D.G.Turk
aufgefiihrt, haufig zur Einleitung eines Trillers einer
SchluBkadenz, auf der unteren Nebennote beginnend.
jrPciE/fflf ^
Bach Versuch, Tabelle IV, Figur XXXVII.
Ricercar (ritjerk'a : r, ital., auch recerc[h]ar, ricercata,
von ricercare, suchen, ausfindigmachen; frz. recherche;
span, recercada, auch ->• tiento), eine der altesten selb-
standigen Arten von Instrumcntalstiicken, belegt zu-
nachst als Lauten-R. seit 1507 (Fr. Spinaccino, in: Inta-
bulatura de lauto I von Petrucci). In der Friihzeit meint
R. das Einstimmen des (Lauten-)Instruments, namlich
das praeambelartige »Aufsuchen« und Uberpriifen der
Saitenstimmung und damit - im Sinne von Intonation -
das Anstimmen (»Aufsuchen«) der Tonart eines folgen-
den Stuckes. Auf urspriingliches Stegreifspiel des R.s
weist Sp. Speroni (1500-88) hin: R. nenne man gewohn-
lich freie Tonfolgen (sworn licenziosi), die nach Belieben
der Spieler ohne irgendwelche Kunstregeln (senza arte al-
cuna) gemacht werden. B. Segni vergleicht 1549 dasR. in
der Musik mit dem Probmium einer Rede und dem Pro-
log in der Poesie. V. Galilei berichtet 1 581 : »Zuerst mach-
te er ein schemes R. mit den Fingern (unabellaR icercata con
le dita) und begann daraufhin zu singen.« Entsprechend
dem urspriinglichen Wortsinn sowie der Auf gabe des
Intonierens und der Technik des Lautenspiels bestand
das friihe R. aus Laufwerk und Akkordgriffen, gleich-
sam improvisatorisch gebildet, und erscheint als R. del
. . . tono, R. sopra li toni meist nach Tonarten geord-
net, so die Lauten-R.e von J.A.Dalza 1508, Fr.Bossi-
nensis 1509, Fr. da Milano 1536 und V. Galilei 1563 und
1568. Das Orgel-R. begegnet zuerst 1523 bei M. A. Ca-
vazzoni. Erst gegen Mitte des 16. Jh. und vorwiegend
in der Orgelmusik (G.Cavazzoni 1542) und fiir En-
semblespiel wurde die Kompositionsart der abschnitts-
weise durchimitierenden Motette vom R. aufgegriffen,
das nun als Imitations-R. erscheint, in der Regel in
Stimmbuchern (nach 1600 auch in Partitur) gedruckt,
so die R.e in Sammlungen von J.Buus 1547 und 1549,
A.Willaert 1551, A.Padovano 1556, Cl.Merulo seit
1567, A. und G.Gabrieli 1589 und 1595, Frescobaldi
1626 und 1645, H.L.HaBler, Chr.Erbach u. a. Dabei
wahrte das R. seine Bedeutung als Intonation (Vorspiel
in bestimmter Tonart) und entwickelte sich - indem es
oft nur ein Soggetto (auch in VergroBerung und Ver-
kleinerung) durchfuhrt - zu einer Vorform der Fuge
(die Bezeichnungen R. und Fuga waren eine Zeitlang
gleichbedeutend), ohne jedoch die fiir die Fuge charak-
teristischen Zwischenspiele auszubilden. Die am imi-
tierenden R. orientierte Definition deutet R. als »Suchen
der Motive«, so Praetorius (Synt. Ill, 1619), der R. und
Fuge gleichsetzt und als Praeludium klassifiziert. Ne-
ben dieser Umdeutung blieb der ursprungliche Sinn
von R. als frei gestaltete Intonation bis ins 18. Jh. erhal-
ten, so bei Brossard 1703, Walther 1732 (Ricercar' uno
stromento . . . ein Instrument . . . versuchen, obs gestimmt
sey), Rousseau 1768. Charakteristisch fiir das Fugen-R.,
namentlich von Froberger, Kerll, Pachelbel und Bux-
tehude, wurde die besonders kunstvolle und dichte
kontrapunktisch-thematische Arbeit. In diesem Sinne
uberschrieb Bach sein Musicalisches Opfer (1742), dessen
6st. R. in jeder Beziehung den Hohepunkt in der Ge-
schichte des R.s darstellt, insgesamt mit einem Akrosti-
chon auf RICERCAR: Regis Jussu Cantio Et Reliqua
Canonica Arte Resoluta (»Das vom Konig aufgetrage-
ne Thema und einiges mehr auf canonische Art ausge-
f iihrt «). Dementsprechend beschrieb dann auch H. Chr.
Koch 1802, als freilich das an die Zeit der kontrapunk-
tischen Polyphonie gebundene R. nicht mehr lebendig
war, dieses als Kunstfuge, d. h. als strenge Fuge, die mit
verschiedenen ungewohnlichern und kiinstlichen Nachah-
mungen vermischt wird. - Die Bedeutung von R. als
Stuck fiir ein Soloinstrument (G. Bassano 1585, Violon-
cell-R.e von G. degli Antoni um 1690 und D. Gabrielli
1689) sowie als Obungsstiick griindet im urspriingli-
chen Sinnbezirk des Terminus. Schon bei S . Ganassi (Re-
gola Rubertina, 1542/43) stellen die R.e Ubungsstucke
fiir das Viola da gamba-Spiel dar. Auch D. Ortiz hatte
in seinem Tratado deglosas 1553 die Bezeichnung auf die
solistische Stimme bezogen (la Recercada que tanera el
Violori) und bei den ersten 4 R.en fiir Violone solo deren
Ubungscharakter betont (para exercitar la mano). - Er-
wahnenswert in neuerer Zeit sind R.e u. a. von G. Fr.
Malipiero 1925/26, Tre Ricercari fiir Kammerorchester
Ripieno
von B.Martinu 1938, die R.e in Strawinskys Cantata
(1951/52, 2. und 4. Teil) sowie von A. Webern die ge-
niale Instrumenticrung von Bachs 6st. R., welche des-
sen Struktur durch Klangfarben zu verdeutlichen sucht.
Lit.: BrossardD; WaltherL; KochL, Artikel Fuge; H.
Opiensky, Quelques considerations sur Porigine des r. pour
luth, in : Publications de la Soc. f re. de musicologie II, 3/4,
Paris 1933 ; Kn. Jeppesen, Die ital. Orgelmusik am Anfang
d. Cinquecento, Kopenhagcn 1943, in 2 Bden 2 1960; G.
Sutherland, The Ricercari of J. Buus, MQ XXXI, 1945;
W. Apel, The Early Development of the Organ R., MD
III, 1949; H. H. Eogebrecht, Terminus »R.«, AfMw IX,
1952; ders., Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d.
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse,
Jg. 1955 , Nr 10, S. 97f. ; F. Torrefranca, Origine e signifi-
cato di Repicco, Partita, R., Sprezzatura, Kgr.-Ber. Ut-
recht 1952; I. Horsley, The Solo R. in Diminution Manu-
als : New Light on Early Wind and String Techniques, AMI
XXXIII, 1961 ; H. C. Sum, The Keyboard R. and Fantasia
in Italy, ca. 1500-1550, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1961,
maschr. ; R. S. Douglass, The Keyboard R. in the Baroque
Era, Diss. North Texas State Univ. 1963, maschr. HHE
Richtungshoren. Die biologisch wichtigste Aufgabe
des Hororgans besteht darin, Objekte und Vorgange
im Lebensraum anhand der von ihnen ausgesandten
Schallschwingungen nach Richtung und Entf ernung zu
identifizieren. Es dient urspriinglich der Orientierung
sowie der Identifikation von Gefahren und Feinden.
Derartige Funktionen ha ben beim Menschen zwar nur
noch untergeordnete Bedeutung, da er sich vornehm-
lich mit den Augen orientiert; trotzdem ist die Fahig-
keit der Richtungslokalisation iiber das Ohr auBeror-
dentlich fein ausgebildet. Es bedarf nur geringer Ab-
weichungen des Zeitpunktes (->■ Laufzeitunterschied)
oder der Intensitat der an beiden Ohren eintreffenden
Schallsignale, die mit der Schallrichtung korrespondie-
ren ; schon eine Verschiebung des Richtungswinkels um
3° von der Medianebene wird infolge des Laufzeitun-
terschieds von ca. ^30000 sec a ' s Richtungsanderung
festgestellt. Entsprechend fiihren auch kleine Intensi-
tatsabweichungen der Schallsignale an beiden Ohren
zu einer Veranderung des Richtungseindruckes. Hierzu
tragt vor allem die Tatsache bei, daB der Kopf fiir das
der Schallrichtung abgewandte Ohr - vor allem in
hohen Frequenzbereichen, deren Wellenlangen klein
gegeniiber dem Kopfdurchmesser sind - einen »Schall-
schatten« wirft. Im normalen Horvorgang wirken zu-
meist beide Bedingungen zusammen; in dem der Schall-
richtung zugewandten Ohr trifft der Schall sowohl
friiher als auch mit groBerer Intensitat ein. Der daraus
resultierende UberschuB an Richtungsinformation er-
hoht die Sicherheit gegeniiber Irrtumern. Im allgemei-
nen werden nicht alle diskreten Schallquellen zugleich
bewuBt identifiziert; vielmehr wird die Gesamtheit der
einzelnenRichtungs-undEntfernungsinformationenim
Zusammenhang mit denjenigen von anderen Sinnesge-
bieten zu einem allgemeinen raumlichen BewuBtsein
integriert. Dieser Eindruck kann mittels stereophoni-
scher Wiedergabetechnik (-> Stereophonie) unter Aus-
nutzung wenigstens einer der beiden Lokalisationsar-
ten der Schallrichtung reproduziert und fiir qualifizier-
te Musikwiedergabe ausgenutzt werden; man unter-
scheidet demgemaB normale Laufzeit- und Intensitats-
stereophonie (AB- bzw. XY-Stereophonie).
Lit.: Lord Rayleigh, On Our Perception of Sound Direc-
tion, Philosophical Magazine XIII, 1907; E. M. v. Horn-
bostel, Physiologische Akustik, in: Jahresber. iiber d. ge-
samte Physiologie ... I, 1920 u. Ill, 1922; ders. u. M.
Wertheimer, Uber d. Wahrnehmung d. Schallrichtung,
Sb. Bin 1920, S. 388ff.; G. v. Bekesy, Uber d. R. bei einer
Zeitdifferenz oder Lautstarkeungleichheit d. beiderseitigen
Schalleinwirkungen, Physikalische Zs. XXXI, 1930; L. J.
Sivian u. S. D. White, On Minimum Audible Sound Fields,
JASA IV, 1 933 ; St. Sm. Stevens u. H. Davies, Hearing, Its
Psychology and Physiology, NY 1938,51960;O.F. Ranke,
Physiologie d. Gehors, in: Lehrbuch d. Physiologie, hrsg. v.
W. Trendelenburg u. E. Schultz, Bin, Gottingen u. Heidel-
berg 1953; P. R. Hofstatter, Psychologie, = Das Fischer
Lexikon VI, Ffm. (1957) ; H. -P. Reinecke, Stereo-Akustik,
Koln 1966.
ricochet (rikaj'e, frz.) -» sautille.
Riff (aif , engl.), Art des -»•■ Background im Jazz: eine
rhythmisch und melodisch markante, 2- oder 4taktige
Wendung wird iiber den Harmonien des ->■ Chorus
auf verschiedene Stufen versetzt und von der Blaser-
und Rhythmusgruppe iiber ganze Abschnitte hin - oft
als Antwortspiel oder Gegenpart zum Solo - unablassig
wiederholt. Die R.s entstanden aus der ->■ Stop time-
Technik des f riihen Jazz (nicht zu verwechseln mit der
->■ Stomp-Technik) und spielten schon im New-Or-
leans-Jazz (Morton) eine Rolle. Sie wurden aber erst
seit dem ->■ Kansas-City-Jazz in der Swing-Ara immer
wichtiger als strukturbildendes Steigerungsmittel am
SchluB von Stiicken der Big bands (Henderson, Basie,
Ellington, Goodman), haufig sogar als Grundlage des
-*■ Arrangements.
Riga.
Lit. : M. Rudolph, R.er Theater- u. Tonkiinstler-Lexikon
. . , , R. 1 889ff. ; N. Busch, Zur Gesch. d. R.er Musiklebens
im 17. Jh., Sb. d. Ges. f. Gesch. u. Altertumskunde . . . aus
d. Jahre 1910; C. J. Perl, Drei Musiker d. 17. Jh. in R. (J.
Lotichius, D. Kahde u. C. Springer), ZfMw I, 1918/19; B.
Hollander, Die R.er Liedertafel 1833-1933, R. 1933; D.
Reimers, Gesch. d. R.er deutschen Theaters v. 1782 bis
1822, Posen 1942.
Rigaudon (rigod'5, frz.), auch Rigodon, ein seit dem
17. Jh. bekannter, noch im 19. Jh. getanzter Tanz, wohl
provenzalischen Ursprungs. Seine Kennzeichen sind:
Allabrevetakt mit Auftakt, rasche Bewegung, Folge
von meist drei 8taktigen Reprisen, von denen die dritte,
auch Trio genannt, im Charakter absticht und nach
Mattheson (Kern melodischer Wissenschaft . . . , 1737) in
tieferer Lage gehalten sein muB, damit die wiederhol-
ten ersten Reprisen sich desto frischer abheben. Der
friiheste musikalische Beleg fiir den R. findet sich bei
H.Purcell in dem von H.Playford herausgegebenen
Second Part of Mustek's Hand-maid (London 1689). Der
R. fand Eingang in das Ballett (Delalande, Campra,
J.-Ph.Rameau) und in die Suite (Georg und Gottlieb
Mufiat, J. C.F.Fischer).
J. C. F. Fischer, Musicalischer Parnassus,
Augsburg (1738).
In der Kunstmusik der neueren Zeit verwendete ihn
u. a. Ravel in Le tombeau de Couperin (1917).
rinforza (ital.), Verstarkung; Corni di r. sind in vor-
klassischen Symphonien Horner, die nur zur Verstar-
kung (ad libitum) eingesetzt sind.
rinforzando (ital., verstarkend; Abk. : rf, rfz, rinf.),
ein energisches Crescendo auf einem Ton oder einer
kurzen Tonfolge (schon 1742 bei L.Leo); rinforzato
(ital., verstarkt; vgl. Beethoven, op. 53, 2. Satz) fordert
plotzliches Hervortreten (Beethoven, op. 95, 2. Satz) ;
bei Einzeltonen gleichbedeutend mit -> sforzato.
Ripieno (ripi'e:no, ital., voll; Abk.: rip., im 17./18.
Jh. auch R.), Ripienstimme, bezeichnet im Gegensatz
zursolistischen (-»■ Solo), obligatenundkonzertierenden
809
Ripresa
Stimme die vielfach besetzten Stimmen eines Chores
oder die Hauptstimmen (Streicherchor) im Orchester;
ferner die Stimmen, die jene Hauptstimmen nur im
-»• Tutti verstarken (so auch der -»■ Basso r.), sowie die
bloB zur Verstarkung dienenden ->■ Fiillstimmen. Uber
die Anforderungen an einen Ripienisten (im 18. Jh. auch
Akkompagnist, heute Tuttigeiger, -violoncellist usw.
genannt) handeln u. a. : Quantz 1752, XVII. Haupt-
stiick; Reichardt, Ueber die Pflichten des Ripien-Violoni-
sten, Berlin und Leipzig 1776; KochL. - Als Orgelre-
gistrierung bezeichnet R. den gesamten Prinzipalchor,
das -> Organo pleno ; mezzo r. registriert ihn auswahl-
weise, unter Hinzunahme auch einer Flote 8' (Flauto).
Ripresa (ital., Wiederholung), - 1) das "Wiederho-
lungszeichen (->■ Reprise); - 2) Bezeichnung fiir den
->- Refrain in italienischen Gesangsformen; - 3) in der
Bassa danza (-> Basse danse) des 15. und 16. Jh. Be-
zeichnung fiir einen Doppelschritt zogernden Charak-
ters, der in der Regel seitwarts, mitunter auch vor-
warts, ruckwarts oder im Kreise getanzt wurde. Im
franzosisch-burgundischen Schrittrepertoire entspricht
der R. die Demarche. Wahrend diese jedoch nur unge-
radzahlig, also ein- oder dreimal hintereinander ausge-
f iihrt wurde, waren in der Bassa danza auch Folgen von
2 oder 4 Ripresen nicht selten. - 4) gleichbedeutend
mit frz. reprise bzw. recoupe, Bezeichnung fiir den
Mittelteil (choreographisch : retour) der Bassa danza
(Basse danse), auf den die Wiederholung des Haupttan-
zes und der Nachtanz folgen (Ablauf : Haupttanz-R.-
Haupttanz-Nachtanz). Bei Attaingnant noch durch
Ummensurierung des Haupttanzes gebildet, ist die R.
bei Susato bereits mit eigener, sich motivisch jedoch
meist noch an den Haupttanz anlehnender Musik ver-
sehen. Dieses nunmehr musikalisch selbstandige Tanz-
sttick neben Haupt- und Nachtanz wurde wie diese seit
dem spateren 16. Jh. ebenf alls variiert und konnte auch
aus dem urspriinglichen Satzzusammenhang gelost und
z. B. als SchluBsatz einer Tanzfolge verwendet werden
(so bei Waisselius 1573: Passamezzo-Padoana-Salta-
rello-Represe).
Lit. : zu 3) : I. Brainard, Die Choreographie d. Hoftanze
in Burgund, Frankreich u. Italien im 15. Jh., Diss. Gottin-
gen 1956, maschr. - zu 4) : T. Norlind, Zur Gesch. d. Suite,
SIMG VII, 1905/06; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d.
Orchestersuiteiml5.u. 16.Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I,
Lpz. 1925.
Risposta (ital., Antwort), - 1) die nachfolgende Stim-
me im Kanon sowie das Thema einer Fuge in der Ge-
stalt seiner ->■ Beantwortung; Gegensatz von -> Pro-
posta; - 2) die Antwort in den Rollendialogen italieni-
scher Madrigale des 16. Jh.
Lit. : zu 2) : Th. Kroyer, Dialog u. Echo in d. alten Chor-
musik, JbP XVI, 1909.
ritardando (ital., verzogemd; die Abk. rit. kann irr-
tiimlich als -> ritenuto gelesen werden), fordert eine
allmahliche Verlangsamung des Tempos (ahnlich wie
-»■ rallentando), im Gegensatz zu accelerando und
stringendo.
ritenuto (ital., zuriickgehalten; Abk.: rit.) fordert ein
Zurucknehmen des Tempos, meist nur fiir wenige
Takte, jedoch keine allmahliche Verlangsamung wie
-> ritardando. Wegen der Gleichheit der Abkiirzungen
werden r. und ritardando zuweilen verwechselt. Bei
Beethoven kommt vereinzelt ritenente (ital., s. v. w.
zuruckhaltend, zogernd) vor.
Ritornell (von ital. ritornello, Wiederkehr; engl. ri-
tornel; frz. ritournelle), - 1) Im italienischen -> Madri-
gal des Trecentos ist das R. ein von den Strophen (co-
pulae, Sonderform: terzetti) metrisch und musikalisch
810
unterschiedener Abschnitt aus 1-3 Versen. Es steht nach
jeder Strophe oder als SchluB-R. nur am Ende des Ma-
drigals, kann aber auch ganz fehlen. - Friihe italieni-
sche Volkspoesie und Volkslieder mit dreizeiliger (he-
terometrischer) Strophe, deren erster und dritter Vers
sich reimen, werden ebenfalls R. (auch stornelli) ge-
nannt. - 2) Im 17. und friihen 18. Jh. bezeichnet R. die
mehrfach wiederkehrenden kurzen Instrumentalsatze,
die als Einleitungen, Zwischen- und Nachspiele vokal-
gebundene Musik gliedern und umrahmen. Friihe Bei-
spiele bieten die Scherzi musicali (1607) von Montever-
di. Die Art der Verwendung von R.en ist vielfaltig. So
stellt Monteverdi seiner Canzonetta Amor the deggiofar
(VII. Madrigalbuch, 1619), ahnlich wie Schiitz seinem
Madrigal Liebster, sagt in siifiem Schmerzen, die 3 Einzel-
R.e geschlossen voran und f iigt sie dann den Vokalpar-
tien gliedernd ein. Ein Doppel-R. verwendet Schiitz in
seinem concertierenden Madrigal Tugend ist der beste
Freund. R.e sind im 17./18. Jh. wichtiger Bestandteil des
Madrigals, der weltlichen und geistlichen Kantate (so
bei Weckmann, Rosenmuller, Buxtehude, J.Ph.Krie-
ger, J.S.Bach), der Aria, des deutschen Strophenliedes
(H.Albert, A.Krieger, J.Pezel), wobei eine themati-
sche Beziehung zwischen R. und folgendem Vokalteil
angestrebt wird. Auch in der Oper dieser Zeit werden
R.e als instrumentale Zwischenspiele verwendet; in der
friihen Oper sind sie neben der Sinfonie die einzigen
Instrumentalstiicke. Eine begriffliche Scheidung zwi-
schen Sinfonia und R., wie sie z. B. in Monteverdis
Orfeo (1607) gegeben ist, verliert sich schon im Spat-
werk Monteverdis. Die synonyme Verwendung von
Passacaglio und R. ist durch G. Montesardo (Nuova in-
ventione d'intavolatura . . ., Florenz 1606) belegt: le pas-
sacaglie cosl chiamati a lingua Spagniola; overo r.i in lingua
nostra. Instrumentale Zwischenspiele im Sinne des R.s
wurden in der friihen Oper oft durch den bloBen Ver-
merk Passacaglie gefordert. - Im Instrumentalkonzert
(-» Concerto grosso, -*■ Konzert - 1) des 18. Jh. werden
die Tuttiabschnitte als R.e bezeichnet. - 3) Im heuti-
gen italienischen Sprachgebrauch bedeutet R. s. v. w.
->- Refrain.
Lit. : Praetorius Synt. Ill ; H. Schuchardj, R. u. Terzine,
Halle 1 875 ; E. Zeim, Sinfonia u. R.o als Intermedien in d.
Kirchenmusik d. 1. Halfte d. 17. Jh., Diss. Halle 1950,
maschr.; W. Apel, Anent a ritornello in Monteverdi's
Orfeo, MD V, 1 95 1 ; A. Durr, Studien uber d. friihen Kan-
taten J. S. Bachs, Lpz. 1951 ; W. Osthoff, Das dramatische
Spatwerk Monteverdis, = Munchner Veroff. zur Mg. Ill,
Tutzing 1960.
Rituale (lat.; altere Namen: Obsequiale, Manuale,
Sacerdotale, Agenda), liturgisches Buch der katholi-
schen Kirche, das neben wenigen Teilen aus dem Of-
fizium die nicht im -> Missale oder -> Brevier aufge-
zeichneten gottesdienstlichen Handlungen enthalt : Sa-
kramentenspendung,Prozessionen,Segnungen,->-Exe-
quien u. a. Es erschien erstmals 1614 auf der Grundlage
privater Vorarbeiten (letzteEditio typica 1952). Das R.
ist fiir den einfachen Priester bestimmt, wahrend der
Bischof das -> Pontificale verwendet. An einstimmi-
gen liturgischen Stiicken finden sich im R. aufier Anti-
phonen und Psalmen zu Segnungen vor allem die Ge-
sange fiir das Totenoffizium und den Beerdigungsritus
sowie Prozessionsgesange und Litaneien. Anstelle des
nie allgemein verbindlich vorgeschriebenen R. Ro-
manum gelten vielerorts Diozesanritualien oder Ri-
tualien fiir ein ganzes Sprachgebiet.
Ausg. : Collectio Rituum . . . pro omnibus Germaniae
Dioecesibus I, Regensburg 1950.
riverso (ital., gewendet), Anweisung zur Ausfiihrung
im -> Krebsgang, meist verbunden mit melodischer
Umkehrung.
Romische Musik
Rivolgimento (rivold3im'ento, ital. Umwendung),
die Vertauschung, gegebenenfalls auch Versetzung der
Stimmen im doppelten -> Kontrapunkt.
Rivolto (ital.), -»■ Umkehrung von Intervallen, Ak-
korden oder Themen.
Rock and Roll (iok send io:l, engl.), auch Rock 'n'
Roll, ->- Rhythm and blues.
Rohrenglocken (engl. tubular bells oder chimes; frz.
cloches tubulaires, cloches a tubes; ital. campane tubo-
lari) sind die im Orchester verwendeten Instrumente
zur Erzeugung des Glockenklangs. Neben den eigent-
lichen R. (Stahlrohren bis zu 3 m Lange, 1-2 cm)
sind auch frei an Schniiren hangende schmale Stahl-
platten oder bis zu 3 m lange Stahlstabe als Glocken-
surrogate in Gebrauch. Stahlstabe (tiefer Glockenklang)
und R. (hoch) sind in einem Rahmengestell hangend
befestigt; der Anschlag erfolgt mit einem Holz- oder
Gummikopfschlagel, die Abdampfung durch eine Pe-
dalvorrichtung. Der Tonraum der im Orchester ge-
brauchlichen R. liegt zwischen iC und f2 Die gefor-
derten Tone werden sowohl 1 Oktave tiefer als auch
nach ihrem realen Klang notiert. - Im Orchester ist die
Verwendung von echten Glocken erstmals in N.Da-
layracs Oper Camille ou le souterrain (1791) nachweis-
bar; danach wurden sie, ebenfalls fiir szenische Eff ekte,
auch gefordert z. B. von Cherubini in seiner Oper
Eliza (1794), von Meyerbeer in Les Huguenots (1836).
Der im Opernorchester des 19. Jh. haufig verlangte
Klangeffekt echter Glocken wird heute ausschlieBlich
durch (Glocken-) Stabe oder R. erzielt. In R.Wagners
Parsifal (1. und 3. Akt) findet sich die charakteristische
Verwendung des Glockenklangs in der Klangfolge
c G A E (klangreal notiert) ; weitere Beispiele : G. Mah-
ler, 2. Symphonie (1894); Mussorgskij-Ravel, »Bilder
einer Ausstellung« (1922); E.Varese, Ionisation (1933),
O.Messiaen, Oiseaux exotiques (1956).
Romische Musik. Trotz des volligen Fehlens von Me-
lodieaufzeichnungen erweisen Literaturzeugnisse und
Bilddokumente die (vor den Forschungen des 20. Jh.
zumeist unterschatzte) Bedeutung der Musik in den
verschiedensten Bereichen des romischen Lebens, sei es
als Umgangsmusik mit Bindung an Kult, Brauch, Mi-
litar, sei es als Darbietungsmusik im Theater, bei Tanz
und Unterhaltung. Das Instrumentarium laBt Weiter-
bildung etruskischer, griechischer und orientalischer
Vorbilder erkennen unter Vorliebe fiir farbige Klang-
wirkungen: Vermehrung der Saitenzahl bei Lyra und
Kithara, Stimmringe an der Tibia, Bevorzugung von
Trompeten und Schlaginstrumenten, Zusammenspiel
von Tibiablasern und Kitharisten. Im Musikschrifttum
werden Akustik und Tonartenlehre der Griechen re-
zipiert; bedeutsam erscheinen die Nutzbarmachung der
Theorie fiir andere Wissensgebiete und deren Einglie-
derung in das System der Allgemeinbildung. - In der
sagenhaften Konigszeit verwendete die Priesterschaft
rhythmisch gegliederte Gesange und geweihte Instru-
mente zu sakralen Handlungen. Mit den Brauchen
wurden archaische Carmina von Priesterkollegien jahr-
hundertelang iiberliefert, so die Wechselgesange der
Salier zum Waffenumzug und der Arvalbriider zum
Flurumgang. Auch manche Formen volkstiimlichen
Singens zu Arbeit, Fest und Brauchtum, Klage-, Scherz-
und Spottlieder sind friih belegt. Wohl nach Griindung
der romischen Republik (510 v. Chr.) wurden von den
Etruskern die aus Metall gearbeiteten Blasinstrumente
-»■ Tuba (- 1), -*• Lituus und -> Cornu fiir militarische
Signale iibernommen, dazu gesellten sich die zuvor als
Hirteninstrumente gebrauchliche -> Syrinx und -*- Bu-
cina. Zweimal in jedem Friihjahr wurde die Reinigung
der kultischen Trompeten f estlich begangen. Der Rang
eines Nationalinstrumentes kam der -*■ Tibia (- 1) zu.
Standen die Militarmusiker gleich den Fahnen- und
Standartentragern im Unteroffiziersrang, so schlossen
sich die Tibiablaser zu einem Collegium zusammen und
feierten ein karnevalsartiges Zunftfest. Die Darbietung
pantomimischer Spiele (mit Tibiabegleitung) durch
etruskische Tanzer 364 v. Chr. in Rom f iihrte zu Nach-
bildungen der Romer und zur Organisation eines Stan-
des professioneller Buhnenkiinstler (histriones). - Seit
der Ausbreitung der romischen Macht im Mittelmeer-
raum (3.-2. Jh. v. Chr.) begann die Hellenisierung des
romischen Musiklebens, zunachst die Aufnahme helle-
nistischer Theater- und Unterhaltungsmusik, und da-
mit die Losung der Darbietungsmusik von der traditio-
nellen Umgangsmusik. Der griechische Frcigelassene
Livius Andronicus fiihrte 240 v. Chr. griechische Dra-
men in lateinischer Bearbeitung auf ; er betatigte sich
auch als Dichterkomponist und Leiter kultischer Chor-
lieder. Nach griechischen Vorlagen schuf Plautus (254-
184 v. Chr.) derb-drastische romische Komodien, in
denen er die gesprochenen Dialoge zu Cantica umbil-
dete; mit der Komposition der Biihnenmusik waren Ti-
biablaser aus dem Sklavenstand beauftragt. Seit derEin-
f uhrungder Mysteriender Kybele und des Bacchus drang
orgiastische Musik ein: Blasinstrumente im Verband
mit den Schlaginstrumenten ->• Tympanum (- 1), Cym-
bala (-> Kymbala) und Crotala (-> Krotala) dienten zur
Begleitung der Reinigungszeremonien. Nach der Un-
terwerfung Makedoniens und der Zerstorung Korinths
(146 v. Chr.) begann eine Invasion griechischer und
orientalischer Musiker. Zum Luxus der besitzenden
Klasse gehorten nun Hauskonzerte und Tafelmusiken,
aufgefiihrt durch Sklaventruppen und Berufsmusiker.
Die ersten Belege der sangbaren lateinischen Lyrik nach
hellenistischem Vorbild gingen verloren, ausgenom-
men das Werk des Catull (87-54 v. Chr.). Von den
Dichtungen der augusteischen Epoche sind fiir den Ge-
sangsvortrag bestimmt die Bucolica und Partien aus der
Aeneis des Vergil, aber auch die Oden des Horaz, vor
allem sein zur Jahrhundertfeier 17 v. Chr. verfafkes und
einstudiertes Carmen saeculare in strophischem Wech-
selgesang fiir Knaben- und Madchenchor. - Allmahlich
verbreiteten sich neben Gesangs- und Instrumentalun-
terricht musiktheoretische Kenntnisse als Teil romi-
scher Allgemeinbildung. Der Polyhistor M.Terentius
Varro (116-27 v. Chr.) behandelte in einer verlorenen
und nur teilweise rekonstruierbaren Schrift iiber die
Disciplinae auch die Musik im Zusammenhang mit den
anderen Artes liberales, den Zahl- und Sprachwissen-
schaften. Empfahl sein Zeitgenosse Cicero Musikbil-
dung fiir den Redner, so beschaftigte sich die Folgezeit
mit der Anwendung der Musiktheorie auf die verschie-
densten Fachwissenschaften, Rhetorik (Quintilianus),
Architektur (Vitruvius), Kriegstechnik, Astrologie und
Medizin. - In der Kaiserzeit und Spatantike, dem Halb-
jahrtausend von der Errichtung des Prinzipats bis zum
Untergang des westromischen Reiches (30 v. Chr. - 476
n. Chr.), traten neben die traditionelle Volks-, Kult-
und Militarmusik heterogene Nationalmusiken ; der
Import auslandischer Tanz-, Unterhaltungs- und Buh-
nenkiinstler aus den Provinzen wuchs standig. An die
Stelle der Tragodie trat die -*■ Pantomime mit den 22
v. Chr. eingefiihrten Neuerungen: den Einzelsanger
verdrangte Chorgesang, den Tibiablaser unterstiitzte
ein Instrumentalapparat von Syringen, Becken, Kitha-
ren und Lyren, wozu die FuBklapper (-> Scabillum)
den Takt schlug. Auch im Mimus, der realistisch-bur-
lesken Darstellung des Alltagslebens, erganzten Tanz-
und Gesangseinlagen unter Begleitung von Schlagin-
strumenten die improvisierte Handlung. Zur Unterma-
811
Romische Schule
lung der Gladiatorenkampfe im Amphitheater wurde
neben Metallblasinstrumenten gern die -> Hydraulis
verwendet, die man auch fur andere off entliche Anlasse
schatzte. Mit den perfektionierten Leistungen der Be-
rufskiinstler wetteiferten Dilettanten aus verschieden-
sten Gesellschaf tsschichten ; auch Kaiser suchten als Vir-
tuosen zu brillieren, keiner so auffallig wie Nero. Die
aus den unterworfenen Landern in Rom zusammen-
stromenden Musiker erfreuten sich trotz rechtlicher
Ehrlosigkeit, Kritik einzelner Intellektueller und Ver-
urteilung durch die Kirchenlehrer einer fast uneinge-
schrankten Publikumsgunst. Romische Mimen und
Histrionen iiberdauerten den Untergang des Reiches. In
Volkstraditionen und im christlichen ->• Hymnus (- 1)
lebten Reste der heidnischen Musik nach. - Die spat-
antiken lateinischen Fachschriftsteller tradierten und
systematisierten die griechische Musiktheorie, unter
Vorrang mathematisch spekulativer Betrachtungswei-
se und zunehmender Entfremdung von der zeitgenos-
sischen Praxis. Die originellste Leistung stellt die Schrift
De musica (387-89) des Kirchenvaters Augustinus dar;
besonders einfluBreich wurde die Behandlung der Mu-
sik in der allegorischen Darstellung der Artes liberales
(De nuptiis Mercurii et Philologiae IX) von Martianus
Capella ; geradezu kanonische Geltung fiir das lateini-
sche Mittelalter gewannen die 5 Biicher De institutione
musica (um 500) des Staatsmannes und Philosophen
Boethius, eine zusammenfassende und abschlieBende
Kodifikation der antiken Harmonielehre.
Lit.: H. Abert, Die r. M., in: L. Friedlander, Darstellun-
gen aus d. Sittengesch. Roms II, Lpz. 10 1922; J. Quasten,
Musik u. Gesang in d. Kulten d. Antike u. christlichen
Friihzeit, = Liturgiegeschichtliche Quellen u. Forschun-
gen XXV, Minister i. W. 1930; G. Wille, Die Bedeutung
d. Musik im Leben d. Romer, Diss. Tubingen 1953,
maschr. (grundlegend) ; ders., Zur Musikalitat d. alten
Romer, AfMw XI, 1954; J. E. Scott, Roman Music, in:
The New Oxford Hist, of Music I, London 1957; G.
Fleischhauer, Die Musikergenossenschaften im helleni-
stisch-romischen Altertum, Diss. Halle 1959, maschr.;
ders., Etrurien u. Rom, = Mg. in Bildern II, 5, Lpz. (1965) ;
R. Benz, Unfreie Menschen als Musiker u. Schauspieler in
d. romischen Welt, Diss. Tubingen 1961, maschr. ; L. Rich-
ter, Griech. Traditionen im Musikschrifttum d. Romer,
AfMw XXII, 1965. LRl
Romische Schule, eine Gruppe ab etwa 1550 in Rom
wirkender oder dort ausgebildeter Komponisten, deren
Schaffen den Forderungen des Humanismus und der
Gegenreformation nach Ausgeglichenheit und Text-
verstandlichkeit der mehrstimmigen Musik entspricht
und bis heute ein Vorbild der katholischen Kirchenmu-
sik geblieben ist. Der Kompositionsstil ist eine auf geist-
liche Musik beschrankte, gereinigte Ausformung des
franco-flamischen Erbes. Aus der heimischen Tradi-
tion Italiens (Madrigal, Lauda, Falsobordonesatz) stam-
men Klangf iille und homophone Komponente. Nur in
der Sixtinischen Kapelle, wo der Stil der R.n Sch. am
langsten rein bewahrt blieb, war vokale Ausfiihrung
die Regel; sonst war vokal-instrumentale Mischbe-
setzung iiblich (->■ a cappella). Bezeichnend fiir die
kirchliche Gebundenheit der Musik ist die wieder zu-
nehmende Verwendung des Gregorianischen Gesangs
als Kompositionsgrundlage, der iiberdies von romi-
schen Meistern (Palestrina, F. Anerio, Suriano) revidiert
und teilweise neu herausgegeben wurde. Schulhaupt
war Palestrina, der zwar nicht allein den neuen Stil an-
bahnte (vor ihm C.Festa, Clemens non Papa, Ani-
muccia, Chr. Morales, B.Escobedo, gleichzeitig in
Norditalien V. Ruffo, C. Porta, Asola, Ingegneri, auBer-
halb Italiens namentlich de Kerle), doch iiberragt seine
zwischen Linearitat und Klangfiille vollkommen aus-
gewogene, bei aller Abgeklartheit und regelhaftenEin-
fachheit nie erstarrende, qualitativ stets gleich hoch
stehende Kunst diejenige von Zeitgenossen und Nach-
folgern so sehr, daB der schon 1613 beispielhaft genann-
te stile alia Palestrina (Cerone) oft mit dem der R.n Sch.
gleichbedeutend gebraucht wird. Der »Palestrina-Stil«
(->• Kontrapunkt) ist jedoch ein Personalstil und nicht
identisch mit dem von der R.n Sch. ausgehenden, von der
musikgeschichtlichen Entwicklung relativ wenig be-
riihrten und als katholisch-kirchenmusikalische Norm
sich durch die Jahrhunderte fortpflanzenden »strengen
Stil« (stylus gravis). Das Zentrum der R.n Sch. bilden
neben Palestrina dessen Zeitgenossen und Nachfolger
bis gegen 1620, u. a. G.M. und G.B.Nanino, F. und
G.Fr. Anerio, Suriano, T.L. de Victoria, Zoilo, G.A.
Dragoni, Stabile, Fr. Guerrero. In der nachfolgenden
Generation (Agazzari, Fr. Foggia, Gr. Allegri, A. Cifra)
wurde der Stil der R.n Sch. of t mit den neuen Elemen-
ten der textdeutenden Affektdarstellung, der Monodie
und des Konzertstils durchsetzt. Vor allem die Mehr-
chorigkeit (bei Palestrina hochstens 3 Chore zu je 4
Stimmen) wurde im romischen »Kolossalbarock« stark
ausgebildet (P.Agostini, Abbatini, V.Mazzocchi, Be-
nevoli). Diese Mischung herkommlicher und neuer
Stilarten ist ebensowenig zur R.n Sch. zu rechnen wie
die historisierende Bewegung, die in der 2. Halfte des
17. Jh. voll einsetzte (Foggia, Carissimi, besonders Si-
monelli, Pitoni, E. und G. A. Bernabei, Colonna, Mar-
cello, Fux, Lotti, Caldara) und bis in die Gegenwart an-
dauert (-> Caecilianismus).
Lit. : H. Leichtentritt, Gesch. d. Motette, = Kleine Hdb.
d. Mg. nach Gattungen II, Lpz. 1908, Nachdruck Hildes-
heim 1966 ; A. W. Ambros, Gesch. d. Musik IV, hrsg. v. H.
Leichtentritt, Lpz. '1909, Nachdruck Hildesheim 1967; P.
Wagner, Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach
Gattungen XI, 1 , Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963;
O. Ursprung, Palestrina u. Palestrina-Renaissance, Zf Mw
VII, 1924/25; ders., Die kath. Kirchenmusik, Biicken
Hdb. ; K. G. Fellerer, Der Palestrinastil u. seine Bedeu-
tung in d. vokalen Kirchenmusik d. 18. Jh., Augsburg 1929;
H. Osthoff, Einwirkungen d. Gegenreformation auf d.
Musik d. 16. Jh., JbP XLI, 1934; L. Feininger, Die kath.
Kirchenmusik in Rom zwischen 1600 u. 1800, Kgr.-Ber.
Kassel 1962.
Rohrblattinstrumente, eine Gruppe von Blasinstru-
menten, deren Mundstiick -»■ Zungen enthalt. R. mit
zylindrischem Corpus iiberblasen in die Duodezime,
solche mit konischem in die Oktave. Nach der Be-
schaffenheit des Mundstiicks werden einfache (z. B.
Klarinette, Saxophon) und Doppel-R. (z. B. Oboe, Fa-
gott) unterschieden.
Lit. : E. Stockmann, Klarinetten-Typen in Albanien, Jour-
nal of the International Folk Music Council XII, 1960; H.
Becker, Studien zur Entwicklungsgesch. d. R., Habil.-
Schrift Hbg 1961, maschr. ; J. Meyer, Akustik d. Holzblas-
instr. in Einzeldarstellungen, = Fachbuchreihe Das Mu-
sikinstr. XVII, Ffm. 1966.
Rohrflote (frz. flute a cheminee; engl. reed flute), eine
halbgedeckte Labialstimme in der Orgel, zu 16', 8', 4'
und 2', mit einem in den Deckel eingelassenen kurzen
Rohr (-> Register - 1), von dem die Stimme ihren Na-
men hat. Ihr Klang ist heller als bei ganz gedeckten
Stimmen und durch das Hervortreten u. a. der Terz
gekennzeichnet. Mit langem, weitem Rohr heiBt sie
Rohrpfeife. Rohrgedackt hat ein engeres und langeres
Rohr und daher einen nicht so hellen Klang. Rohr-
quinte heiBt eine R. zu 51/3', 22/3' oder II/3'; die eng
mensurierte Rohrquintade und der Rohrpommer klin-
gen zungenartig. Als Pedalstimme zu V und 2' wird
die R. meist Rohrschelle, auch Hohlschelle genannt.
Die Doppel-R. (mit doppeltem Labium) wurde wahr-
scheinlich 1590 von dem Orgelmacher E. Compenius
erfunden. Ahnlich der R. ist die englische Orgelstim-
812
Romanesca
me Clarionet-Flute gebaut (benannt nach dem Cla-
rion, der alten helltonenden Signaltrompete der engli-
schen Armee). R. mit 2-3 Rohren empfahl besonders
H.H.Jahnn. Uberblasende Doppel-R.n mit 2 Rohren
konstruierte E.K.RoBler. Ihr Klang ist fiihrend-hell
und geschmeidig zugleich.
Lit. : H. H. Jahnn, Monographie d. R., Ber. fiber d. 3. Ta-
gungf. deutsche Orgelkunst in Freiburg i. Sa. 1927.
Rohrwerk, Sammelname fur die Zungenstimmen
einer Orgel. ->• Register (- 1).
Rolltrommel -> Riihrtrommel.
Rom.
Lit. : G. Baini, Memorie stor.-critiche della vita e delle ope-
re di G. P. da Palestrina, 2 Bde, R. 1828; P. Alfieri, Brevi
notizie storiche sulla Congregazione ed Accad. de'maestri
e prof essori di musica di Roma, R. 1 845 ; E. Tosti, Appunti
storici sulla R. Accad. di S. Cecilia . . ., R. 1885; A. Ade-
mollo, I teatri di Roma nel s. decimosettimo, R. 1888; A.
Parisotti, 125 anni della Soc. Orchestrale Romana . . . , R.
1 899 ; J.-G. Prod'homme, Les musiciens frc. a Rome, SIMG
IV, 1902/03 ; G. Franchi-Verney della Valetta, L'Acad.
de France a Rome, Paris 1903; G. Radiciotti, Teatro e
musica in Roma nel secondo quarto del s. XIX, R. 1906;
M. Incagliati, II Teatro Costanzi, R. 1 907; E. Celani, Mu-
sica e musicisti in Roma, (1750-1850), RMI XVIII, 1911,
XX, 1913 u. XXII, 1915; A. Cametti, La scuola dei pueri
cantus di S. Luigi dei Francesi ... (1 591-1623), RMI XXII,
1915 ; ders., La musica teatrale a Roma cento anni fa, in:
Jb. S. Cecilia 1916-34; ders., L' Accad. Filarmonica Roma-
na dal 1821 al 1860, R. 1924; ders., I musici di Campidoglio
. . . , Arch, della Soc. romana di storia patria XLVIII, 1 925 ;
ders., Cristina di Svezia . . . , R. 193 1 ; ders., II Teatro diTor-
dinona . . . , 2 Bde, R. u. Tivoli 1938 ; V. Raeli, Nel s. di G.
P. da Palestrina: alia cappella della Basilica Liberiana, R.
1920; ders., Da V. Ugolini ad O. Benevoli: nella cappella
della Basilica Liberiana, R. 1 920 ; G. De Domenicis, I teatri
di Roma nell'eta di Pio VI, R. 1922; G. Pavan, Saggio di
cronistoria del teatro mus. romano: il Teatro Capranica,
Turin 1922; R. Casimiri, L'antica Congregazione di S. Ce-
cilia ... nel s. XVII, Note d'arch. 1, 1924; ders., »Discipli-
na musicae« e »Maestri di Cappella« dopo il Concilio di
Trento nei maggiori Istituti Ecclesiastici di Roma, ebenda
XII, 1935, XV, 1938 -XVI, 1939, XIX, 1942 -XX, 1943;
R. Giraldi, L' Accad. Filarmonica Romana dal 1868 al
1920; R. 1924, G. Stanghetti, La scuola di canto nel Pon-
tificio Collegio Urbano ..., Note d'arch. Ill, 1926; G.
Monaldi, I teatri di Roma . . . , Neapel 1928 ; H. Prunie-
res, Les musiciens du cardinal A. Barberini, in : Publica-
tions de la Soc. frc. de musicologie II, 3/4, Paris 1933; A.
De Angelis, La musica a Roma nel s. XIX, R. 1935 ; ders.,
Nella Roma papale: il Teatro Alibert . . ., Tivoli 1951 ; A.
Allegra, La cappella mus. di S. Spirito in Saxia . . . , Note
d'arch. XVII, 1940; A. Rava, 11 Teatro Argentina, R. 1942;
ders., I teatri di Roma, hrsg. v. G. Giovannoni, R. 1953;
M. Rinaldi, All'ombra dell'Augusteo, R. 1945; A. Lauri,
Poesia e musica nella Roma rinascimentale, RMI L, 1 948 -
LIII, 1951 ; H.-W. Frey, Michelagniolo u. d. Komponisten
seiner Madrigale, AMI XXIV, 1952; ders., Regesten zur
papstlichen Kapelle unter Leo X. . . . , Mf VIII, 1955 - IX,
1956; ders., Die Kapellmeister an d. frz. Nationalkirche
San Luigi dei Francesi in R. im 1 6. Jh., Af Mw XXII, 1965 -
XXIII, 1966; R. Gerber, Romische Hymnenzyklen d.
spaten 15. Jh., AfMw XII, 1955, auch in: Zur Gesch. d.
mehrst. Hymnus, = Mw. Arbeiten XXI, Kassel 1965; L.
Montalto, Un mecenate in Roma barocca, Florenz 1955 ;
L. Feininger, La scuola policorale romana . . ., CHM II,
1957 ; A. Liess, Materialien zur romischen Mg. d. Seicento,
AMI XXIX, 1957; R. Lunelli, L'arte organaria del Ri-
nascimento in Roma . . . , = Hist, musicae cultores, Bibl.
X, Florenz 1958; H. Wessely-Kropik, Mitt, aus d. Arch,
d. Arciconfraternita di S. Giovanni dei Fiorentini ...,
StMw XXIV, I960; P. Kast, Notizen zu romischen Mu-
sikern d. 17. Jh., in: Studien zur ital.-deutschen Mg. I,
= Analecta musicologica I, Koln u. Graz 1963. — > Romi-
sche Musik, — ► Romische Schule, — » Schola Cantorum,
— » Sixtinische Kapelle.
Roman de Fauvel-* Quellen: Fauv.
Romanesca, im 16./17. Jh. Name fur instrumentale
Tanzsatze, Arien und Themen von Variationszyklen,
denen in der Regel ein musikalisches Satzmodell zu-
grunde liegt, das der -> Folia und dem Passamezzo an-
tico verwandt ist. Noch ungeklart sind Etymologie
(bisher wichtigste Deutungen : im Sinn von alia manie-
ra Romana oder Ableitung von den spanischen Roman-
ces) und Herkunft der R. Beim Auftreten des R.-Mo-
dells in friihen Quellen finden sich einerseits Hinweise
auf Italien, z. B. die Notiz Ein gutter Venezianer tantz
(H. Newsidler, Ein newes Lautenbuchlein, 1540) oder die
Zugehorigkeit zu den cantos llanos que en Italia comun-
tnente llaman Tenores (D.Ortiz, Tratado deglosas, 1553);
andererseits zeigt der Titel R. o guardame las vacas zu
einem Stuck von Mudarra (1546) die hier bis zur
Gleichsetzung fuhrende Ahnlichkeit der R. mit Satzen
zum spanischen Villancico Guardame las vacas. Diese
Melodie ist bei Salinas (1577) aber nur eine unter meh-
reren volksttimlichen und mit spanischen oder italieni-
schen Texten versehenen Melodien, die sich als R.-
Oberstimme eignen, da ihr gemeinsamer melodischer
Kern, ein 4stufiger Abwartsgang vom Grundton oder
seiner Terz aus, sich ideal mit der Quartschrittsequenz
der R.-BaBformel verbindet.
-J
I
=6=P=
*± \" r r nrrr nr r r nr
-?
Guar-da-me las va-cas Ca-ril - le-jo y be-sar - te
a und b: Melodiebeispiele aus De musica (1577)
von Salinas, S. 348; c: die dazu passende 1. Halfte
der R.-BaBformel.
Vielfach ist die R. mit einem Ritornello (oder einer Ri-
presa) verbunden. Von etwa 1600 an wird oft die 2.
Halfte des Modells (-»■ Folia) wiederholt. Haufig wer-
den seit dem ausgehenden 16. Jh. die Spriinge in der
BaBformel melodisch ausgefullt. Bis gegen 1620 blei-
ben die Tone des Modells in gleichen metrischen Ab-
standen (meist 6 Zahlzeiten) iiber den Satz verteilt;
Monteverdis Ohimi dov'e il mio ben (Concerto, VII. Ma-
drigalbuch, 1619) zeigt bereits, wie die isometrische
Anlage durchbrochen ist. Die Tanze Ballo del fiore und
Favorita ubernehmen zuweilen das Modell der R., un-
terscheiden sich von ihr aber im Metrum (z. B. bei An-
tonij, Hs. Florenz, Bibl. del Cons., B 2556; 1. Halfte
des 17. Jh.). Wahrend Guardame las vacas nur als Lied
belegt ist, sind die friihesten R. genannten Stiicke in
italienischen Quellen Tanze fiir Laute (bei A. De Becchi
1568 und C.Bottegari 1574). In der 1. Halfte des 17.
Jh. uberwiegen die Romanesche fiir Gesang und B. c.
(in den Scherzi sacri von Cifra, 1616 und 1618, sogar mit
geistlichen Texten) sowie fiir Chitarra. Hervorzuhe-
ben sind die Romanesche von Frescobaldi (in den Samm-
lungen von 1615, 1630 und 1634) und die letzten Bele-
ge des Typus, Stiicke fiir Tasteninstrumente von B.
Storace (1664) und D.Gr.Strozzi (1687). Vereinzelt
treten unter dem Namen R. auch vom Modell unab-
hangige Kompositionen auf.
Lit. : H. Riemann, Der »Basso ostinato« u. d. Anfange d.
Kantate, SIMG XIII, 1911/12; O. Gombosi, Italia, patria
del basso ostinato, Rass. mus. VII, 1934; F. Ghisi, Alle
fonti della monodia, Mailand 1940; H. Spohr, Studien zur
ital. Tanzkomposition um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956,
maschr. (darin: Bibliogr. d. datierbaren R. -Quellen d. 16./
1 7. Jh.) ; W. Osthoff, Das dramatische Spatwerk CI. Mon-
teverdis, = Munchner Veroff. zur Mg. Ill, Tutzing 1 960.
813
Romantik
Romantik (engl. romantic, wie in einem Roman,
phantastisch, seit Mitte des 17. Jh. belegt, im 18. Jh.
dann auch deutsch romantisch, frz. romantique; seit
Novalis R. als Parallelbildung zu Klassik). Das Wort
ist seit dem Ende des 18. Jh. in der deutschen Literatur
zur Bezeichnung von Stoffkreisen gebraucht worden,
die - raumlich und zeitlich entlegen - die Phantasie be-
sonders erregen und ihr freies Schweifen im Ahnungs-
vollen, Marchen-, Zauber- und Spukhaften begiinsti-
gen. Dem romantischen Dichter (besonders seit No-
valis) bedeutet der xerhohte poetische Zustand«, die
subjektive, oft hochgespannt gefiihlshafte Aussprache
mehr als die Bindung an die Wirklichkeit. Auslbsend
war die Begeisterung fiir das Mittelalter, das dem Hang
zum Phantastischen, Abenteuerlichen und Schwarme-
rischen Nahrung bot. Die der R. zugrunde liegende
seelische Haltung vereinigt Lebensfliichtigkeit mit der
Sehnsucht nach Erfiillung in einer frei erschaffenen
Traumwelt (romantischer Dualismus). In der Aner-
kennung dieser Zwiespaltigkeit als des entscheidenden
Merkmals der R. liegt eine Begriffseinschrankung, oh-
ne die das Wort »romantisch« gleichbedeutend mit
»poetisch« wird, da romantisch im weitesten Sinne der
Kunsttrieb iiberhaupt ist, insofern er eine Welt im Un-
wirklichen baut. Doch auch unter jenerEinschrankung
zeigt sich, daB die romantische Kunsthaltung nicht an
eine bestimmte Epoche gebunden gewesen ist, wie sie
andererseits auch keine Epoche einheitlich auspragen
konnte. - In der Musikgescbichte ist das romantische
Lebensgef iihl zuerst als eine Musikdeutung vom Horer
her erkennbar geworden, voll ausgepragt bei W.H.
Wackenroder (t 1798) undE. T. A. Hoffmann (f 1822).
Die Musik erschien als Tor zum erlosenden Gefiihls-
und Phantasiereich. Noch Schopenhauer hat (1819) die
Musik als Allheilmittel (Panakeion) fiir alle menschli-
chen Leiden gepriesen. Dieser fruheste und zugleich
echteste romantische Musikbegriff gait der Instrumen-
talmusik, die E. T. A. Hoffmann fiir die »romantischste«
aller Kiinste hielt, und wurde insbesondere im Hinblick
auf das musikalische Sprachvermogen der Instrumen-
talmusik der Wiener Klassik gewonnen. Als ein von
jeder Bindung freier Totalbegriff (Schering) fehlte ihm im
BewuBtsein jener Zeit jedoch noch weithin die kon-
krete Verankerung in der (geschichdichen) Eigenart
des Kunstwerks selbst. - Einfliisse der romantischen
Haltung auf die Komponisten des 19. Jh. lassen sich als
allgemeine Richtkrafte beschreiben. An die Vorstel-
lung, die ganze Welt sei von Musik erfiillt und alle
Kiinste seien geheimnisvoll miteinander verbunden,
kniipfte sich die wachsende Neigung der Musiker, die
Dichtkunst - weit iiber die Moglichkeit der Vokalkunst
hinaus - sowie die darstellenden und bildenden Kiinste
in ihre Werke mit einzubeziehen, ja in einem »Gesamt-
kunstwerk« zu vereinigen. Doch blieb auch fiir R.
Wagner die Musik die »hochste Kunst«. Dem Ver-
trauen Wackenroders in die unbegrenzte Assoziations-
f ahigkeit klingender Vorgange mit auBertonlichen Be-
reichen entsprach die Ausbildung einer beziehungsrei-
chen Tonsprache, in der das Stimmungshafte und Per-
sonlich-Erlebnishafte hervortraten. Mit der Verklarung
der Feme und der Vergangenheit stand das erstarkende
Interesse an der -*■ Geschichte der Musik, die Wieder-
erweckung der altkirchlichen Vokalpolyphonie, die
Entdeckung der Kunst Palestrinas und J. S.Bachs in
innerer Verbindung, ebenso das Verhaltnis zum Volks-
lied, in dem sich die Volksseele mit »Wunderhornklan-
gen« zu offenbaren schien.
An der Bereicherung und Verfeinerung der Klangfar-
ben, am Wachstum der Symbol- und Schilderungs-
kraft der Instrumente seit Weber und Berlioz war die
romantische Reizempfindlichkeit mit ihrem poetisie-
renden LIberschwang wegweisend beteiligt, ebenso an
der Ausbildung einer spannungs- und farbenreichen
Ausdrucksharmonik, an der Auf losung der »Taktschwe-
re« zugunsten einer shoheren poetischen Interpunktion«
(Schumann), an der Hinwendung zu nationalem Ko-
lorit und volksliedhaftem Melos. Die gelockerte Hand-
habung der iiberlieferten Formen, die Neigung zum
entspannten Aufreihen, zur Episode, zum sinnlich Fes-
selnden, Originellen, Charakteristischen und Assoziati-
ven, zu Tonmalerei und symphonischem Dichten kon-
nen ebenfalls romantischen Einfliissen zugeschrieben
werden. An der geschichtlich unvermeidlichen Preis-
gabe der musikalischen Dichte und Ausgewogenheit
der Meisterwerke der Wiener Klassik waren jedoch ne-
ben den romantischen auch andere, entgegengesetzte
Krafte beteiligt, die sich in der idyllisch-biedermeierli-
chen, der tonmalend-realistischen, der virtuos-brillan-
ten Art der Komposition zu erkennen geben. - In der
Opernkomposition des 18. Jh. konnen die Libretti mit
ritterlich-abenteuerlichen, zauber- und marchenhaften
oder fremdlandischen Stoften einschlieBlich der friihen
nordisch-folkloristischen Versuche des Kopenhagener
KreisesQ. A. P. Schulz, Kunzen, Kuhlau) als Vorfeld der
romantischen Oper betrachtet werden, als deren eigent-
licher AuftaktE.T. A. Hoffmanns Undine (1813) anzu-
sprechen ist. Jedoch erst in Webers Freischiitz (1821)
sind das romantische Streben nach dem magischen
Reich des Damonisch-Triebhaften und die Ruckkehr
in die Lebenswirklichkeit unter dem EinfluB sittlich-
religioser Krafte musikalisch gestaltet. Bei Marschner
und Lortzing treten romantische Ziige hinter dem bloB
Schreckhaften, hinter biedermeierlicher Verengung
zuriick. R.Wagner hat - nach den Feen, dem Fliegen-
den Hollander und dem Lohengrin - die echt romanti-
sche Weltverachtung und Traumseligkeit mit Tristan
und Isolde in letzter Folgerichtigkeit verherrlicht. Nach
der antiromantischen Wendung zum Opernrealismus
beschwor Pfitzner am Jahrhundertende die Welt der
romantischen Verzweiflung und Verziickung in der
Rose vom Liebesgarten noch einmal herauf. - In der
nach Haydns letzten Oratorien kraftvoll aufbliihen-
den vokalen Konzertmusik ist R. Schumanns Musik
zu Manfred unter den zahlreichen ahnlichen Wer-
ken von Spohr, Fr. Schneider, Loewe, Mendelssohn
Bartholdy u. a. ein hervorragendes Zeugnis roman-
tischen Geistes.
Ob im Bereich der Instrumentalmusik AuBerungen der
Empfindsamkeit und des musikalischen Sturm und
Dranges, z. B. bei W.Fr. und C.Ph.E.Bach, bei den
Mannheimern und in der Klaviermusik J. Schoberts, als
»fruhromantisch« anzusprechen sind, ist fraglich. Her-
vortretende Gefiihlshaftigkeit, auch in der Steigerung
zu leidenschaftlichem Ausdruck, ebenso Naturbezo-
genheit, Tonmalerei, Volksliednahe, fremdlandische
Folklore und Klangpoesie lassen hier, als Einzelmerk-
male auftretend, die Frage nach der romantischen Ge-
fiihlslage offen. Erst spater kann in Zusammenhang mit
der kompositorischen Faktur das Vom Komponisten
beigefugte, erlauternde Wort - als Oberschrift, nahere
Ausdrucksanweisung, Vorspruch, uberlieierte Selbst-
deutung - Aufschliisse geben iiber die tondichterische
Absicht, am deutlichsten bei der Programmusik. Hier
wurde Berlioz' Symphonie fantastique (1830) mit ihrer
tjbertragung (franzosisch abgewandelter) romanti-
scher Hochspannung in neue, kiihne Klangvisionen
wegweisend. Orchesterwerke von gleich starker ro-
mantischer Einfarbung und stilistischer Anregungskraft
sind selten geblieben. Zur Kennzeichnung der schil-
dernden Orchestermusik seit Liszt ist das Sammelwort
»nachromantisch« unzulanglich. - Die ihrem Wesen
nach der rein musikalischen Haltung eng verhaftete
814
Romanze
Kammermusik gibt fur die Feststellung romantischer
Einfliisse noch weniger eindeutige Anhaltspunkte als
die Orchestermusik. Sind in der Klaviermusik die So-
nate und die Variation in den Meisterwerken Schuberts,
R. Schumanns, Liszts und des jungen Brahms noch vor-
wiegend durch die Auseinandersetzung mit dem klas-
sischen Erbe gekennzeichnet, so wurde die stimmungs-
hafte, bald auch schildernde Miniatur seit Tomasek,
den Meistern der Etude und des Charakterstiicks, vor
allem seit Schubert, Field, Chopin, R. Schumann, Hel-
ler, Liszt, Kirchner, Brahms zum bevorzugten Feld ro-
mantischer Aussprache. Romantische Ziige der Musik-
auff assung sind neben der virtuos-brillanten oder idylli-
schen Haltung und trotz der um sich greifenden salon-
haften Verflachung des Geschmacks auch nach der
Jahrhundertmitte immer wieder zu erkennen, bis hin
zu den unmittelbaren Wegbereitern der Neuen Musik,
etwa G. Mahler und Skrjabin.
Lit. : H. Riemann, Gesch. d. Musik seit Beethoven, Stutt-
gart u. Bin 1901 ; S. Elcxjss, Zur Beurteilung d. R. u. zur
Kritik ihrer Erforschung, = Hist. Bibl. XXXIX, Miinchen
u. Bin 1918; E. Kurth, Romantische Harmonik . . ..Bern
u. Lpz. 1920, Bin 21923 ; K. Roeseling, Die Grundhaltung
d. romantischen Melodik, Diss. Koln 1920; E. Istel, Die
Blutezeit d. mus. R. in Deutschland, Lpz. u. Bin 21921 ; G.
Becking, Zur mus. R., DVjs. II, 1924; ders., Klassik u. R.,
Kgr.-Ber. Lpz. 1925; W. Kahl, Lyrische Klavierstiicke d.
R., Stuttgart 1926 ; H. Pfitzner, E. T. A. Hoffmanns »Un-
dine« (1 906), in: Gesammelte Schrif ten I, Augsburg 1 926; R.
Benz, Die deutsche R., Lpz. 1927, Stuttgart 5 1956; A.
Schmitz, Das romantische Beethovenbild, Bin u. Bonn
1927; R. Ullmann u. H. Gotthardt, Gesch. d. Begriffs
R. in Deutschland, = Germanische Studien IV, 50, Bin
1927; H. Eckardt, Die Musikauff assung d. frz. R., = Hei-
delberger Studien zur Mw. HI, Kassel 1935; H. Funck,
Mus. Biedermeier, DVjs. XIV, 1 936 ; E. Bucken, R. u. Rea-
lismus, Fs. A. Schering, Bin 1937; S. Goslich, Beitr. zur
Gesch. d. deutschen romantischen Oper, = Schriftenreihe
d. Staatl. Inst. f. deutsche Musikforschung I, Lpz. 1937 ; A.
Schering, Kritik d. romantischen Musikbegriffs, JbP
XLIV, 1937; W. Ehmann, Der Thibaut-Behaghel-Kreis,
AfMf III, 1938 - IV, 1939; A. Damerini, Classicismo e ro-
manticismo nella musica, Florenz 1 942 ; R. Dumesnil, La
musique romantique frc., Paris 1945; W. Reich, Musik in
romantischer Schau, Basel 1 946 ; A. Einstein, Music in the
Romantic Era, NY (1947), deutsch als: Die R. in d. Musik,
Munchen (1950), ital. Florenz (1952); W. Gurlitt, R.
Schumann u. d. R. in d. Musik, Jb. 106. Niederrheinisches
Musikfest in Dusseldorf 1951, Neudruck in : Mg. u. Gegen-
wart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 1966; F. Siegmann, Die
Musik im Leben u. Schaffen d. russ. R.er, Wiesbaden 1954;
J. Chant avoine u. J. Gaudefroy Demombynes, Le roman-
tisme dans la musique europeenne, = L'ere romantique III,
Paris 1955; H. H. Eggebrecht, Das Ausdrucksprinzip im
mus. Sturm u. Drang, DVjs. XXIX, 1955; H. Besseler, Das
mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. CIV, 6, 1 959; H. Heussner,
Das Biedermeier in d. Musik, Mf XII, 1959 ; H. Husmann,
Die Stellungd. R. in d. Weltgesch. d. Musik, Kgr.-Ber. War-
schau 1960; G. Knepler, Die Bestimmung d. Begriffes
»R.«, ebenda; K. Stephenson, R. in d. Tonkunst, = Das
Musikwerk XXI, Koln (1961); H. Engel, Die Grenzen
d. romantischen Epoche u. d. Fall Mendelssohn, Fs. O. E.
Deutsch, Kassel 1963 ; E. Lichtenhahn, Uber einen Aus-
spruch Hoffmanns u. uber d. Romantische in d. Musik, in :
Musik u. Gesch., Fs. L. Schrade, Koln (1963); P. Rum-
menholler, R. u. Gesamtkunstwerk, in : Beitr. zur Gesch.
d. Musikanschauung im 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen, = Stu-
dien zur Mg. d. 19. Jh. I, Regensburg 1965. KS
Romanus-Buchstaben, in der Neumenschrift ver-
wendete Zusatzzeichen, die den Melodieverlauf und
die Vortragsweise verdeutlichten. Romanus war einer
der beiden Monche, die um 790 auf Bitten Karls des
GroBen von Rom ins Frankenreich geschickt wurden,
um dort die romische Tradition des Choralgesangs zu
verbreiten. Ekkehard IV. von St.Gallen schreibt in
seinen Casus Monasterii S. Galli, dafi Romanus primus
Utter as alphabeti signijicativas notulis aut susum autjusum
aut ante aut retro assignari excogitavit, quas postea cuidam
amico quaerenti Notker Balbulus dilucidavit (ed. J.v. Arx,
= Monumenta Germaniae Historica, Scriptores II, Hanno-
ver 1829, S. 102). Diese Nachricht des 11. Jh. ist dahin-
gehend zu korrigieren, daB die R.-B. im 9.-11. Jh. in
Neumenhandschriften der Bereiche von St.Gallen,
Metz und Chartres haufig auftreten, eine Herleitung
aus romischer Tradition jedoch nicht nachzuweisen ist.
Auch das Winchester-Tropar (-»■ Quellen: WiTr) ent-
halt R.-B., vor allem im Vox organalis-Teil. Im ein-
zelnen sind folgende R.-B. zu nennen : a = altius, c = ci-
to vel celeriter, d = deprimatur, e = equaliter, i = iusum
vel inferius, 1 = levare, m = mediocriter, s = sur-
sum, t = trahere vel tenere, x = expectare. Diese in den
Handschriften anzutreffende Gruppe von R.-B. wird
in dem Brief des Notker Balbulus zu einem vollstandi-
gen Alphabet erweitert.
Lit.: A. Mocquereau OSB, Einleitung zu Paleographie
mus. I, 4, Solesmes 1894; R. Van Doren OSB, Etude sur
l'influence mus. de l'abbaye de St-Gall, Lowen u. Brussel
1925; R.-J. Hesbert OSB, L'interpretation de l'equaliter
dans les mss. sangalliens, Rev. grdgorienne XVIII, 1933;
J. Smits van Waesberghe SJ, Muziekgeschiedenis der
middeleeuwen II, Tilburg 1939-42; E. Cardine OSB, Le
sens de iusum et inferius, Etudes gregoriennes I, 1954; W.
Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind. (1958); A.
Machabey, Remarques sur le Winchester Tropar, Fs. H.
Besseler, Lpz. 1961; J. Froger OSB, L'epitre de Notker
sur les »lettres significatives«. Ed. critique, Etudes gr6-
goriennes V, 1962.
Romanze (span, und frz. romance, von lat. romanice,
prov. romans, s. v. w. volkssprachlich), die fur Spaniens
Literatur- und Musikgeschichte gleichermaBen bedeut-
same Gattung gedrangt erzahlender Strophenlieder, in
denen die Taten (res gestae) und Liebesabenteuer natio-
naler Helden oder Glaubensstreiter besungen werden;
in Frankreich im 18./19. Jh. eine beliebte Art leichter
Airs (Lieder) ; in Deutschland seit Mitte des 18. Jh. in
Anlehnung an die spanische R. als Dichtungs- und Lied-
gattung eingefiihrt; in beiden Landern kommt R. in
der gleichen Zeit auch als Titel poetisierender oder kan-
tabler Instrumentalstucke vor. Seit dem 19. Jh. wird die
Bezeichnung R. auch auf Lieder erzahlenden Inhalts der
Trouveres angewendet. - Die altesten spanischen R.n,
deren literarische Uberlieferung in der 2. Halfte des
15. Jh. einsetzt, kmipfen an Ereignisse des friihen 14.
Jh. an (ob in alien Fallen durch das besungene Ereig-
nis eine Datierung der R. gegeben ist, muB dahinge-
stellt bleiben). Merkmal der friihen R. ist der aus zwei
meist 8silbigen Halbversen bestehende (l an g e ) R- n ~
Vers mit Assonanz zwischen den geradzahligen Halb-
versen (seltener auch zwischen den ungeradzahligen),
jedoch wurde schon im 16. Jh. der 8silbige Vers meist
als Einheit aufgefaBt. Vier solcher (kurzer) R.n- Verse
bilden seitdem die regelmaBige R.n-Strophe, die auch
die vorherrschende musikalische Einheit wurde. Ende
des 15. Jh. setzt - zusammen mit der nun als Kunstdich-
tung entstandenen R. (mit Reim und regelmaBigem
Strophenbau) - die musikalische Uberlieferung 3-4st.
R.n-Vertonungen im -*■ Cancionero musical de Palacio
ein. Hauptmeister dieser Zeit waren J. del Encina und
J. de Anchieta. Aus dem 16. Jh. sind nur 2 Sammlungen
mehrstimmigerR.n-Vertonungenbekannt; der -»• Can-
cionero de la Casa de Medinaceli und die 1551 gedruck-
ten Villanckos y condones a tres y a quatro von J. Vazquez.
Die Vihuelisten Milan (1535), Narvaez (1538), Mudar-
ra (1546), Valderrabano (1547), Pisador (1552), Fuen-
llana (1554) und Daza (1576) iiberliefern traditionelle
R.n-Melodien, teils in instrumentalen Diferencias vari-
iert, teils bearbeitet fiir Sologesang mit kunstvoller Be-
gleitung der -*■ Vihuela, mit Vorspielen und meist (nach
815
Romanze
dem Vorbild von Milan) mit kurzen Zwischenspielen
zwischen jedem (8silbigen) R.n-Vers.
Seit Ende des 16. Jh. trat eine Ruckbesinnung auf die
volkstiimliche R. ein, erkennbar am Riickgriff auf die
Assonanz (anstelle des Reims), am gelegentlichen Auf-
treten des prosodisch relevanten auslautenden e sowie
an der Bevorzugung historischer Stoffe. Zu dieser
Ruckbesinnung trug Fr. Salinas bei, indem er 1577 (De
musica, S. 411 ; vgl. auch S. 342 und 346) den R.n-Vers
als 16Silbler mit Mittelzasur beschrieb. Andererseits
wurde seit Ende des 16. Jh. die strophische R.n-Form
immer haufiger dutch lyrische Einlagen erweitett. Da-
durch entstanden dem ->■ Villancico nahestehende For-
men, in denen entwedet jeder R.n-Strophe ein kurzer
Estribillo (Kehrreim, -> Refrain) angehangt oder ein
4zeiliger Estribillo vorangestellt ist, der ganz oder teil-
weise nachjeder Strophe (oder weniger oft) wiederholt
wird. In letzterem Fall gleichen formale und musikali-
sche Behandlung dem Villancico; der Unterschied be-
steht nur im stets 8silbigen Vers der R.n-Strophe und
in der Art der literarischen Behandlung des StoSes. Im
Verlaufe des 17. Jh. kam dem Estribillo mehr Gewicht
zu; er wurde linger (bis zu 13 Zeilen) und durch gegen-
satzliche musikalische Behandlung (z. B. Tripeltakt,
Vollstimmigkeit gegeniiber solistischer Besetzung der
Cobla) von der R.n-Strophe abgehoben. Ein dritter
Typ, bei dem zwischen die R.n-Strophen ein vollstan-
diger Villancico mit Estribillo und eigenen Coblas
(Strophen) eingeschoben ist, wurde zum Ausgangs-
punkt f iir den groBen, kantatenahnlichen Villancico des
18. Jh. - Um die Mitte des 17. Jh. erreichte die R.n-
Dichtung in Spanien ihre hochste Bliitezeit; vor allem
auf dem Theater wurde die Gattung von fast alien spa-
nischen Dichtern gepflegt. Zahlreiche R.n-Melodien
des 17. Jh. sind schriftlich iiberliefert. Viele Villancicos
und Stiicke mit Titeln wie: Tonada humana, Tono
(oder Solo) humano, Pasacalle, Bailete sind, literarisch
gesehen, R.n. Neben epische und historische R.n traten
nun Romances amorosos, moriscos, pastoriles, satiricos
und religiosos. Die R. mit religiosen Texten drang in
das Of fizium ein und wurde in der Matutin anstelle der
Responsorien der Nokturn gesungen. Wahrend die R.
auf der einen Seite immer kunstvollere formale und
musikalische Behandlung erfuhr, lebte sie im Volk fort
als einfaches Strophenlied, dem meist historische Bege-
benheiten zugrunde liegen. Als Volkslied ist die R. nicht
nur in Spanien heute noch lebendig, sondern sie wurde
von den nach den Pogromen von 1492 aus Spanien
vertriebenen Juden auch in Marokko, Griechenland
(Saloniki) und im Vorderen Orient bis ins 20. Jh. miind-
lich iiberliefert. Der 8silbige R.n-Vers und die R.n-
Strophe wurden dabei allerdings seltener bewahrt.
Auch Texte von in Sudamerika bis in die Neuzeit ge-
sungenen R.n beziehen sich zuweilen auf spanische Er-
eignisse des 16. Jh.
In Frankreich wurde die R. seit der 2. Halfte des 18. Jh.
als volkstiimliches Strophenlied rasch popular. J.-J.
Rousseau definiert (1768) sie als Melodie, nach der man
strophische Liebesgedichte singt. Zur spanischen R. be-
stehen nur literarische Anklange; musikalisch sind die
franzosischen R.n leichte Airs von gefalliger Melodik.
Zur altfranzosischen R. des 12./13. Jh. (-* Trouveres),
die ihrerseits nichts mit der altspanischen R. zu tun
hat, bestehen keine Verbindungen. Die franzosische
R. wurde vor allem im 19. Jh. auf der Biihne (Oper
und Sprechtheater) zur beliebtesten liedartigen Gat-
tung, oft mit dem Lied gleichgesetzt (da jedoch nicht
jedes Lied als romance bezeichnet werden kann, ist
auch le lied als Lehnwort gebrauchlich). - In Deutsch-
land hat I.W.L.Gleim (1756 und 1758) den Namen
R. und die Gattung im Riickgriff auf die altspanische
(volkstiimliche) R. literarisch eingefiihrt. Er wollte
mit seinen Ubersetzungen ein qualifiziertes Volkslied
begriinden. Auch Herder nahm in seine Sammlung
von 1778/79 spanische R.n auf, die zu zahlreichen
volksliedartigen deutschen R.n-Dichtungen anregten
(u. a. von A. W. Schlegel, Claudius, Burger, Goethe).
Literarisch ist die deutsche R. als kleine Ballade mit he-
roischen und Liebesstoffen (z. B. Goethe, Der Kiinig in
Thule, Das Heidenroskin), musikalisch in der Verto-
nung fur Solostimme und Klavier, als -> Lied anzu-
sprechen. Die R. von W.A.Mozart Im Mohrenland ge-
fangen war (aus Die Entfiihrung aus dem Serail, 1781/82)
zeigt in ihrem Text noch die Nahe zum spanischen Vor-
bild. - In den instrumentalen Bereich wurde die R.
schon bald nach der Mitte des 18. Jh. iibertragen, z. B.
von Gossec (op. 5, 1761) als Mittelsatz einer Symphonie
(entsprechend bei Mozart, K.-V. 447, 466 und 525), von
J.Haydn (Hob. 1, 85) als Variationensatz iiber eine fran-
zosische R.n-Melodie und von Beethoven als R. fur V.
und Orch. (op. 40 und op. 50; ahnlich Bruch, op. 42;
Reger, op. 50 u. a.). Als -> Charakterstiick fiir Klavier
erscheintdieR.beiFr.A.R661er(1782),Reichardt(1783),
R. Schumann (op. 28, 1839) u. a. ; die Lieder ohne Worte
von Mendelssohn Bartholdy wurden in Frankreich un-
ter dem Titel Romances sans paroles bekannt.
Ausg. u. Lit.: — > Cancionero; Romances et pastourelles
fr?. des XII e et XIII e s. (Textausg.), hrsg. v. K. Bartsch,
Lpz. 1870; Chansons du XV e $., hrsg. v. Fr. A. Gevaert u.
G. Paris, Paris 1 875 ; Cancionero popular de Burgos, hrsg.
v. F. Olmeda, Sevilla 1903; Cancionero mus. de la lirica
popular asturiana, hrsg. v. E. MartInez Torner, Madrid
1920, 2 1940; Coleccion de vihuelistas espanoles del s. XVI,
hrsg. v. dems., 2 H., Madrid 1923 ; ders., Cancionero mus.,
Seleccion y armonizacidn, Madrid 1928 ; J. Br. Trend, The
Music of Span. Hist, to 1600, = Hispanic Notes and Mo-
nographs X, London 1926; Coplas sefardies, hrsg. v. A.
Hemsi, 2 Bde, Alexandria 1934-38; G. Kinsky, Eine neu
entdeckte R. Mozarts, ZfM CII, 1935; V. Ripolles Perez,
El villancico i la cantata del sege XVIII a Valencia, = Publi-
cacions del Departament de musica de la Bibl. de Cata-
lunya XII, Barcelona 1935; S. Goslich, Beitr. zur Gesch.
d. deutschen romantischen Oper, = Schriftenreihe d.
Staatl. Inst. f. Deutsche Musikforschung I, Lpz. 1937;
H. Gougelot, Cat. des romances fr?. parues sous la Re-
volution et l'Empire, 2 Bde, Melun 1937-43 ; ders., La ro-
mance frc. sous la Revolution et l'Empire, 2 Bde (I : Etude,
II: Choix de textes musicaux), Melun 1938-43; J. Bal y
Gay, Romances y villancicos espanoles del s. XVI, Bd I,
Mexiko 1939; K. Schindler, Folk Music and Poetry of
Spain and Portugal, NY 1941 ; Romances judeo-espafioles
de Marruecos, hrsg. v. P. Benichou, Revista de filologia
hispanicaVI, 1944 -VII, 1945, separat Buenos Aires 1946;
Cancionero de romances impreso en Amberes sin afio,
Faks. (mit Einleitung) hrsg. v. R. Menendez Pidal, Ma-
drid 1945; ders., Romancero hispanico-portugues, ameri-
cano y sefardi, teoria y hist., 2 Bde, Madrid 1953 (grund-
legend, in Bd I: G. Menendez Pidal, Ilustraciones mus.);
ders., El romance »Rio Verde, Rio Verde«. Sus versio-
nes varias, in: Miscetenea en homenaje a H. Angles II,
Barcelona 1958-61 ; S. Gr. Morley, Chronological List of
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celona 1948; ders., Importance hist, et nationale du ro-
mance, in: Musique et poesie au XVI e s., = Colloques in-
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fique, Sciences humaines V, Paris 1954; ders., El romance
polifonico en el s. XVII, AM X, 1955 ; Romances y letras a
tres vozes (s. XVII), Bd I, hrsg. v. dems., = MMEsp XVIII,
Barcelona 1956; Cancionero mus. de la provincia de Ma-
drid, hrsg. v. M. GarcIa Matos, J. Romeu Figueras, M.
Schneider u. J. Tomas, 3 Bde, Barcelona u. Madrid 1951-
60; Romances de Tetuan, hrsg. v. A. de Larrea Palacin,
2 Bde, Madrid 1952; Romancero sefardi. Romanzas y can-
tes populares en judeo-espanol, hrsg. v. M. Attias, Jerusa-
lem 1961 ; E. Gerson-Kiwi, On the Mus. Sources of the
Judaeo-Hispanic Romance, MQ L, 1964.
Ronde (ra: d, frz., runde) -»- Ganze Note.
816
Rondeau
Rondeau (rod'o, frz.; altere Wortform: rondel).
- 1) Das mittelalterliche, vorwiegend im 13.-15. Jh.
verbreitete R. ist textlich und musikalisch eine Refrain-
form. Die Vorstellung des »Runden« scheint sich beim
R. auf Rundtanz (Reigen) und ofteres Wiederkehren
eines -> Refrains zu beziehen, wahrend fiir -> Ron-
dellus, ->• Rota, -*■ Round (- 1), -*■ Radel ein Kreisen der
Stimmeinsatze bezeichnend ist. Zwischen die (meist
zwei) Refrainverse werden Zusatzverse (additamenta)
derselben Endreime gesetzt. Die 8zeilige Normalform
lautet (GroBbuchstaben = Refrainverse) :
Musik a P a a a p i (3
Verse ABaAabAB
Die altesten R.s sind sechszeilig ohne Refrain am An-
fang. Eine zwischen Chor (Refrain) und Vorsangern
(Zusatzverse) wechselnde Vortragsweise ist wahrschein-
lich. Da die Zusatzverse leicht improvisiert werden
konnten, wurde das R. schnell in der hofischen Gesell-
schaft heimisch. R.s mit franzosischen geistlichen Tex-
ten, 60 lateinische R.s in der ->• Quelle F sowie ein bi-
schofliches Verbot von 1249 weisen auf Verbreitung
auch im kirchlichen Bereich. Auch fiir Motetten wur-
den Melodien und Texte von R.s (oder auch nur deren
Refrains) gelegentlich verwendet (z. B. als Tenor in
Machauts Motette Nr 20). Die altesten Belege des R.s
weisen nach Nordfrankreich. Von den alteren Theore-
tikern bezeugen das R. Franco von Koln (ed. Cserba,
S. 252) und Johannes de Grocheo (ed. Rohloff, S. 50f.).
Im 13. Jh. weisen die einen Refrain verwendenden Gat-
tungen R., ->• Ballade (- 1), ->• Virelai eine bunte For-
menvielf alt auf, die nicht immer eine eindeutige Klassi-
fizierung erlaubt. Die von Gennrich aufgestellte Hypo-
these einer genetischen Entwicklungsreihe R.-Virelai-
Ballade blieb nicht unwidersprochen. Die altesten iiber-
lieferten mehrstimmigen vulgarsprachlichen Lieder
sind R.s (16 von Adam de la Halle, 1 von Jehannot de
L'Escurel, 2 in der -> Quelle Pic) ; sie sind dreistimmig,
in Partitur notiert und im Satz ahnlich dem mehrstim-
migen Conductus. Der Text ist der untersten Stimme
unterlegt; bei L'Escurel und in den meisten der R.s
Adams stellt jedoch die mittlere Stimme eine 1st. R.-
Melodie dar. Wesentlich von diesen einfachen Satzen
unterscheiden sich die im -*■ Kantilenensatz kompo-
nierten 21 R.s Machauts (-»■ Discantus). Machaut ver-
wendet stets gleichlange Verse (meist lOSilbler) und
bevorzugt die 8zeilige Form, die E. Deschamps (L'art
de dirtier) rondel sangle nennt, im Unterschied zum
16zeiligen rondel double. Im Vergleich mit seinen Bal-
laden zeigen Machauts R.s besonders reiche Reime
(Nr 7), auch Zahlen- (Nr 6, 17) und Kanonratsel (Nr
14). Machaut (41 mehrstimmige Balladen, 21 R.s; in-
nerhalb der nicht komponierten Gedichte 204 Balla-
den, 58 R.s) und gleicherweise die -> Quellen vor und
um 1400 (Ch, ModA, Pit, PR, TuB) zeigen die groBere
Beliebtheit der Ballade gegeniiber R. und Virelai. R.-
Komponisten um 1400 sind u. a. Cesaris, Cordier (von
ihm das in Herzf orm notierte R. in Ch) , Grenot, Matteo
da Perugia, Reyneau, Solage. In Italien setzte sich das
R. nicht durch. Im 15. Jh. war - im Unterschied zur
Ars nova und franzosischen Spatzeit - das R. verbreite-
ter als die Ballade (z. B. in der Hs. O: 187 R.s gegen-
iiber 38 Balladen). Es hatte nun 10, 12, meist 16 (jetzt
R. simple genannt) oder auch 21 Zeilen (R. double);
jedoch blieben unverandert das Prinzip der Aufteilung
des Refrains und die musikalische Anlage, z. B. :
Musik a (3 a a a (3 a (3
Verse ABBA ab AB abba ABBA
An Komponisten sind Dufay (62 R.s, davon 3 mit ita-
lienischem Text), Binchois (47 R.s), Busnois, Hayne
van Ghizeghem, Ockeghem, an bekannten Dichtern
Eustache Deschamps, Charles d'Orleans und Alain
Chartier zu nennen. - In der Folgezeit wurde das R.
immer haufiger nicht mehr in der hergebrachten Wei-
se, sondern als freie -> Chanson komponiert, wahrend
das Refrainprinzip in der Musik (vor allem in der In-
strumentalmusik) sich starker zu verselbstandigen be-
gann (->• Refrain, -> Ritornell - 2). Die dichterische
Form des R.s erfuhr Wiederbelebung in der franzosi-
schen Literatur des 17. und 19. Jh.
Ausg.: Chansons du XV e s., hrsg. v. G. Paris, Paris 1875;
R. et autres po6sies du X V e s., hrsg. v. G. Raynaud, Paris
1889; E. Deschamps, L'Art de dictier, in: (Euvres com-
pletes VII, hsrg. v. Queux de St. Hilaire u. G. Raynaud, Pa-
ris 1 89 1 ; Recueil d'arts de la seconde rhetorique, hrsg. v. E.
Langlois, Paris 1902; R., Virelais u. Balladen, hrsg. v. Fr.
Gennrich, 2 Bde, = Ges. f. romanische Lit. XLIII u.
XLVII, Dresden 1921 u. Gottingen 1927, III, Dasaltfrz. R.
u. Virelai, = Summa musicae medii aevi X (Fundamenta
I), Langen 1963; Les musiciens de la cour de Bourgogne,
hrsg. v. J. Marix, Paris 1 937 ; Harmonice Musices Odheca-
ton A, hrsg. v. H. Hewitt, Cambridge (Mass.) 1942, 21946 ;
French Secular Music of the Late Fourteenth Cent., hrsg.
v. W. Apel, = The Medieval Acad, of America, Publica-
tions LV, ebenda 1950; Early Fifteenth-Cent. Music, hrsg.
v. G. Reaney, = CMM XI, (Rom) seit 1955 ; Zehn datier-
bare Kompositionen d. Ars nova, hrsg. v. U. Gunther,
= Schriftenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg II, Hbg 1959;
The French-Cypriot Repertory . . . IV, hrsg. v. R. H.
Hoppin, = CMM XXI, 4, Rom 1963.
Lit. : H. Pfuhl, Untersuchungen iiber d. R. u. Virelais in d.
Lit. d. 14. u. 15. Jh., Diss. Konigsberg 1887; Fr. Ludwig,
Diemehrst. Musik d. 14. Jh.,SIMG IV, 1902/03 ; P. Aubry,
Refrains et R. du XIIP s., Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; E.
Heldt, Frz. Virelais aus d. 15. Jh., Halle 1916; E. Droz,
Les formes litteraires de la chanson frc. au XV e s., Fs. D. Fr.
Scheurleer, 's-Gravenhage 1925; H. Spanke, Das lat. R.,
Zs. f. frz. Sprache u. Lit. LIII, 1929; ders., Tanzmusik in
d. Kirche d. MA, Neuphilologische Mitt. XXXI, 1930 u.
XXXIII, 1932; Fr. Gennrich, GrundriB einer Formen-
lehred. ma. Liedes, Halle 1932; ders., Deutsche R., Beitr.
zur Gesch. d. deutschen Sprache LXXII, 1953 ; E. Danne-
mann, Die spatgotische Musiktradition in Frankreich u.
Burgund, = Slgmw. Abh. XVII, Strafiburg 1936; C. L. W.
Boer, Chansonvormen op het einde van de XV e eeuw, Ant-
werpen u. Paris 1938; G. Reaney, Concerning the Origins
of the R., Virelai, and Ballade Forms, MD VI, 1952; ders.,
G. de Machaut, Lyric Poet, ML XXXIX, 1958 ; ders., The
Poetical Form of Machaut's Mus. Works I, MD XIII,
1 959; ders., The Development of the R., Virelai, and Ballade
Forms from Adam de la Hale to G. de Machaut, Fs. K. G.
Fellerer, Regensburg 1962; W. Apel, R., Virelais, and
Ballades in French 13">-Cent. Song, JAMS VII, 1954; U.
Gunther, Der mus. Stilwandel d. frz. Liedkunst in d. 2.
Halfte d. 14. Jh., dargestellt an Virelais, Balladen u. R.
v. Machaut . . ., Diss. Hbg 1957, maschr.; dies., Chro-
nologie u. Stil d. Kompositionen G. de Machauts, AMI
XXXV, 1963; M. A. Baird, Changes in the Lit. Texts of
the Late 15'" and Early 16 th Cent., MD XV, 1961; N.
Pirrotta, On Text Forms from Ciconia to Dufay, in:
Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese,
NY (1966). WoD
- 2) Das R. im 17. und 18. Jh. ist die in der franzosi-
schen Clavecin-, Opern- und Ballettmusik spatestens
seit Lully und L. Couperin entwickelte, bald auch au-
Berhalb Frankreichs verbreitete Form vokaler und in-
strumentaler Refrainkompositionen mit dem Schema
abaca. . .a. Ein moglicher Zusammenhang mit dem
mittelalterlichen R. ist nicht vollig geklart. Um 1700
wurde das R. zu einer Modeerscheinung (groBte Ent-
faltung und Mannigfaltigkeit bei Fr. Couperin), deren
Schematismus und haufige Oberflachlichkeit in der 2.
Halfte des 18. Jh. u. a. Forkel, Reichardt und J. B.Cra-
mer kritisierten. Die gleichzeitig von C.Ph.E.Bach
ausgebildete R.-Form und die allmahliche Bevorzu-
gung des italienischen Wortes ->■ Rondo kennzeichnen
die Abkehr vom Schematismus des franzosischen R.s.
- R. bezeichnet lediglich eine auBere, verschiedenste
Elemente in sich aufnehmende Form, die bei Vokal-
52
817
Rondeau
R.s textbedingt, bei Instrumental-R.s haufig durch
Uberschriften charakterisiert oder mit bestimmten
Satztypen, vor allem Tanzen, verbunden ist (z. B. Sara-
bande, Bouree, Gigue en r. ; eine franzosische Eigenheit
ist auch die haufige Verbindung mit Chaconne oder
Passacaglia). Das Prinzip der R.-Formung ist das ab-
wechselnde Aneinanderreihen von Refrain (Grand cou-
plet oder selbstR.genannt)undZwischenteilen (Couplet
oder Reprise). Bezeichnend sind schwankendeCouplet-
zahl (in der Regel mindestens 2, selten nur 1 , in Fr. Cou-
perins Passecaille H moll 8) sowie J.-Ph. Rameaus An-
weisung: onpeut se passer . . . des reprises d'un R., qu'on
trouvera trop difficiles (De la mechanique des doigts sur le
davessin, 1724). Der in der Haupttonart stehende Re-
frain wird als Refrain un verandert ( Ausnahme z. B J.-Ph.
Rameau, La villageoise), untransponiert und ungekurzt
(Ausnahme z. B. Fr. Couperin, Les amusemens) wieder-
holt und ist daher oft nur einmal notiert. Er umfaBt oft
8 oder 16 Takte mit haufig zwei einander entsprechen-
den Halften mit Halb- und GanzschluB. Die Couplets,
urspriinglich meist ebensolang wie der Refrain, jedoch
weniger geschlossen, beriihren andere Tonarten; Cou-
plet 1 beginnt meist noch in der Haupttonart, spatere
Couplets konnen bereits in anderer Tonart einsetzen
(Couplets in der Varianttonart meist an letzter Stelle).
Mannigfaltig ist der Zusammenhang zwischen Refrain
und Couplet und zwischen den Couplets untereinan-
der: bisweilen besteht ein Couplet aus dem transpo-
nierten Refrain, oder es wird aus dem Material des Re-
frains gebildet (dies f ordern noch Forkel und Reichardt) ,
oder es ist unabhangig vom Refrain und kontrastiert
zu ihm (vor allem hierbei bereitet bisweilen ein an das
Couplet angehangter transponierter Teil des Refrains
den Wiedereintritt des Refrains vor); die Wiederho-
lung eines ganzen Couplets gibt es vor allem bei der so-
genannten Refraingruppe (hierbei wird die am Beginn
des R.s stehende Gruppe aba am SchluB wiederholt).
Erweiterung und Bereicherung ohne grundsatzliche
Anderung der R.-Form wurde erstrebt durch erhohte
Coupletzahl, durch ausgedehntere Couplets (dann meist
nur 2 Couplets, von denen bisweilen eines en r. separe
geschrieben wurde, also selbst die Form aba hat) und
dUrch das Doppel-R. : entweder wurde ein ganzes R.
anschlieBend variiert (z. B. Rameau, Les niais de So-
logne), oder es folgte eine Seconde partie in der Vari-
anttonart, oft dhne motivischen Zusammenhang mit
der Premiere partie. - C.Ph.E.Bachs grundsatzliche
Neuerung der Form, von ihm selbst bereits Rondo ge-
nannt, bestand vor allem darin, daB nun der Refrain als
Refrain in verschiedenen Tonarten auf tritt und variiert,
verkiirzt und durchfiihrungsartig verarbeitet wird und
daB die Couplets freier, fantasieartig gestaltet sind, oft
auch nur Uberleitungscharakter haben. - Seit etwa
1600 gibt es Instrumental- und Vokalwerke, die dem
franzosischen R. ahneln, aber nicht so heifien und we-
niger stereotyp sind; in der Oper z. B. werden groBere
Abschnitte durch Ritornelle zu Einheiten zusammen-
gefaBt (Monteverdi, Orfeo, Prolog; Gluck, Orpheus,
1 . Akt, 1 . und 2. Szene) ; Beispiele fur Formen, die dem
R. ahneln, sind in geistlicher Musik der 136. Psalm von
Schiitz und der SchluBchor aus J. S.Bachs Johannes-
passion; in der Instrumentalmusik finden sich Beispiele
bei G.B.Buonamente und J.Vierdanck; auch der
SchluBsatz des 1. Brandenburgischen Konzerts von
J. S.Bach hat die Form eines R.s.
Lit. : W. Chrzanowski, Das instr. R. u. d. Rondoformen
im 18. Jh., Diss. Lpz. 1911; Fr. Piersig, Das Rondo,
= Mus. Formen in hist. Reihen IV, Bin (193 1) ; S. Clercx,
La forme du rondo chez C.-Ph.-E. Bach, Rev. de Musicol.
XIX, 1935; W. Georgii, Klaviermusik, Zurich (1941), Zu-
rich u. Freiburg i. Br. 41965. GBa
Rondellus (mittellat.) nennt derEnglander W. Oding-
ton (De speculatione musices, um 1320; CS I, 245b und
246b f.) die ganz auf dem Verfahren des Stimmtauschs
beruhende Komposition, das Stimmtauschstuck, das
seinem Erscheinungsbild nach dem Kanon nahesteht.
Er beschreibt und exemplifiziert den R. (id est [cantus]
rotabilis vel circumductus) als eine Spezies des -> Discan-
tus (in Nachbarschaf t zum Conductus) : ein frei erf un-
dener Cantus (excogitetur cantus pulchrior qui possit) bil-
det zusammen mit zwei gleichzeitig einsetzenden Stim-
men einen Abschnitt (mit oder ohne Text), der unter
Vertauschung der Stimmen (quod unus cantat, omnesper
ordinemrecitent) zweima.1 wiederholt wird (siehe c ^
nebenstehendes Schema), worauf ein neuer ,
Stimmtauschabschnitt beginnt oder auch (nach ,
Ausweis anderer Quellen) der gleiche Stimm- a c
tauschabschnitt mit neuem Text wiederholt werden
kann. Beim R. cum littera (bei dem nicht alle Stimmen
textiert zu sein brauchen) wandern zusammen mit der
Melodie- auch die Textzeilen durch die Stimmen (Aus-
nahme z. B.: Wore, ed. Dittmer, Nr 31). Das 3-, auch
das 2st. Stimmtauschstuck, in englischen Quellen schon
seit dem 12.Jh. belegt (Harrison), und das Stimmtausch-
verfahren gehoren im 13. und 14. Jh. zu den Besonder-
heiten des Discantus in England, der auch sonst die
textlich-musikalische Gleichrangigkeit der Stimmen
bevorzugte und wohl auch im R. eine naturwiichsige
Art der Mehrstimmigkeit auf gegriff en hat. Auf Stimm-
tausch beruht der 2st. -*■ Pes (- 2) des »Sommerkanons«
(-> Rota). Das f ragmen tarisch erhaltene Worcester-
Repertoire (-> Quellen: Wore) weist unter rund 110
mehrstimmigen Kompositionen 7 C. f.-freie Stimm-
tauschstiicke auf: mit mehrfacher Wiederholung ein
und desselben Stimmtauschabschnitts (ed. Dittmer, Nr
21), meist jedoch mit Reihung immer neuer Stimm-
tauschabschnitte (auch als Hoquetus ausgebildet, Nr
25) wobei der Anfangs- oder(und) der SchluBabschnitt
auBerhalbderStimmtauschwiederholungenstehenkon-
nen (Nr 94). - Vom R. mit Stimmtausch durch alle
Stimmen (dem Stimmtauschstuck Odingtons) und der
entsprechenden R.-Partie, z. B. als Teil eines Conductus
(Wore Nr 69, SchluBcauda) oder im Wechsel mit Con-
ductuspartien (Nr 93), ist der Stimmtausch der Ober-
stimmeneiner Komposition (»Oberstim- c ^ £ e
men-R.«) zu unterscheiden (siehe neben- , t '"
stehendes Schema). Er tritt in den Wor- , ,
cester-Fragmenten sehr haufig auf, z. B. aa •''
als Stimmtauschmotette (»R.-Motette«) mit bestan-
dig wiederholtem (Nr 12) oder immer neuem, je ein-
mal wiederholtem Pes (Nr 16 und 17), auch etwa
in der Vorzeile eines zwischen Conductus- und R.-
Partien wechselnden Stiickes (Nr 93). - Auf dem Fest-
land bildet die Wiederholung eines Melodieabschnitts
in einer anderen Stimme, als -> Color (- 2) bezeichnet
und haufig als Stimmtausch ausgebildet, eines der Ge-
staltungsmittel der groBen Notre-Dame-Organa. Ein
reines Stimmtauschstuck ist das Benedicamus Domino,
das fragmentarisch in F (f. 47', ed. Husmann, S. 132),
vollstandig in Hu (f. 25', ed. Angles, S. 48) iiberliefert
ist. Nachweislich englischer Provenienz ist die R.-Mo-
tette mit dem Tenor Balaam in W2 (Besseler, Musik des
Mittelalters ..., S. 122). Eine Reihe von R.-Motetten
enthalt die Hs. Mo, z. B. Nr 339 (in urspriinglicher
Form in Wore, Motettenvorspann der Choralbearbei-
tung Nr 19, auch Nr 56), ferner Nr 340 und 341. - Zu
unterscheiden ist der englische, nur bei Odington be-
legte Terminus R. von den auf Kanontechnik bezoge-
nen Ausdriicken -> Rota, -> Radel, ->■ Round (- 1) und
von dem auf dem Festland belegten Begriff R., den
Franco von Koln (ed. Cserba, ,S. 252) im Sinne der Re-
frainform des franzosischen -»■ Rondeaus (- 1) erwahnt.
818
Rota
Lit. : L. A. Dittmer, An Engl. Discantuum Volumen, MD
VIII, 1954; ders., Beitr. zum Studium d. Worcester-Frag-
mente, Mf X, 1957; E. Apfel, Studien zur Satztechnik d.
ma. engl. Musik, 2 Bde, = Abh. d. Heidelberger Akad. d.
Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1959, Nr 5 ; Fr. Ll. Harrison,
Rota and R. in Engl. Medieval Music, Proc. R. Mus. Ass.
LXXXVI, 1959/60. HHE
Rondo, eine aus dem ->■ Rondeau (- 2) der franzosi-
schen Clavecinisten hervorgegangene Reihungsform
mit wiederkehrcndem Refrain und eingeschobenen
Zwischenspielen (Couplets, -> Episode). Das R. der
Klassik und friihen Romantik beschrankt sich meist auf
3 Couplets. Es steht im Sonaten-Satzzyklus und im
Konzert in der Regel als virtuoser und heiterer SchluB-
satz, tritt aber auch selbstandig, vor allem als Kompo-
sition fur Klavier auf (W.A.Mozart, K.-V. 382, 386,
485, 494, 511 ; Beethoven, op. 51 Nr 1 und 2; Schubert,
op. 107, 130, 145). - Im sogenannten Sonaten-R., das
bereits bei Haydn und Mozart ausgebildet ist, werden
Einfliisse der Sonatensatzform auf das R. wirksam. Sie
auBern sich in der durchfiihrungsartigen Anlage des
mittleren Couplets und dem reprisenartigen Zuriick-
greifen auf das thematische Material des ersten Cou-
plets im letzten Couplet, das oft auch in der Grundton-
art erscheint :
ABA C A B' A
Exposition Durchfiihrung Reprise (Coda)
Beispiele dafiir bieten die SchluBsatze in Werken von
J.Haydn (Symphonie B dur, Hob. I, 102), W.A.Mo-
zart (Klavierkonzerte C dur, K.-V. 415, und B dur, K.-
V. 450) , Beethoven (Klavierkonzert G dur op. 58) , Men-
delssohn Bartholdy (R. brillant fiir Kl. und Orch. op.
29). Nach Schubert, der die R.-Form fiir Einzelkom-
positionen und als Finale im Sonaten-Satzzyklus haufig
verwendet, erlosch das Interesse der Komponisten am
R. Nur bei den Modekomponisten der Salonmusik
blieb das R. als Einzelkomposition beliebt. Von Liszt
gibt es R.s innerhalb seines Friihwerkes, z. B. R. di bra-
vura (1825). Innerhalb des Sonaten-Satzzyklus trat die
Sonatensatzform mit der Moglichkeit groBerer Final-
steigerung an die Stelle der R.-Form. Erst urn die Jahr-
hundertwende erscheint das R. wieder als Satz von
Symphonien. Bei Mahler kommt es zu einer erneuten
Auseinandersetzung zwischen R. und Sonatensatzform
(5., 7. und 9. Symphonie). - Beispiele fiir R.s im 20. Jh.
bieten u. a. Bartok, 3 R.s uber Volksweisen (1916 und
1927) ; A. Berg, Wozzeck, 2. Akt, 5. Szene (R. marziale),
und Kammerkonzert (1925), 3. Satz (R. ritmica con Intro-
duzione); Th.Berger, R. ostinato (1955); Schonberg,
3. Streichquartett op. 30, SchluBsatz; Webern, Streich-
trioop. 20, 1. Satz.
Lit. : Fr.Tutenberg, Die Sinfonik J. Chr. Bachs, = Veroff.
d. Mw. Inst. d. Univ. Kiel I, Wolfenbuttel 1928; R. v. To-
bel, Die Formenwelt d. klass. Instrumentalmusik, = Ber-
ner Veroff. zur Musikforschung VI, Bern 1935; M. Bed-
bur, Die Entwicklung d. Finales in d. Symphonien v.
Haydn, Mozart u. Beethoven, Diss. Koln 1953, maschr.;
H. Enoel, Haydn, Mozart u. d. Klassik, Mozart-Jb. 1959;
ders., Die Quellen d. klass. Stils, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I ;
H. Tischler, Eine Form-Analyse v. Mozarts Klavierkon-
zerten, = Wiss. Abh. X, Brooklyn (N. Y.) 1966.
Rorantisten-Kapelle, eine Sangerkapelle in Krakau,
die 1543 von Konig Sigismund I. gegriindet wurde und
bis 1872 tatig war. Ihr Name geht zuriick auf die in
Krakau schon vorher taglich gesungene Votivmesse
Rorate (daher eigentlich: Roratisten). Die aus 11 San-
gem bestehende Kapelle hatte neben der Hof-(spater
Dom-)Kapelle besondere Aufgaben und erhielt einen
eigenen Kapellraum zugewiesen. Sie bewahrte die Tra-
dition des italienischen a cappella-Stils und war von ei-
nigem EinfluB auf die Entwicklung der Musik in Polen.
Lit. : — ► Krakau.
Rosalie, Schusterfleck oder Vetter Michel sind verun-
glimpfende Bezeichnungen fiir die einmal oder mehr-
mals unmittelbar aufeinanderfolgende Hohertranspo-
sition eines Motivs, auch seiner Begleitstimmen, umje-
weils einen Ton. Alle drei Bezeichnungen kamen um
1750 auf und geben da von Kunde, wie sehr bereits da-
mals die noch in der 1. Halfte des 18. Jh. so beliebten
stufenweise steigenden Sequenzen als abgenutzt emp-
funden wurden (vgl. dazu KochL, Artikel Transposi-
tion). Der Name R. wird auf ein italienisches Volkslied
Der Name Vetter Michel geht auf das um 1750 entstan-
dene Lied Gestern abend war Vetter Michel da zuriick, in
dessen Mittelteil eine R. vorkommt:
da
Die den ganzen Satz intervallgetreu transponierende
harmonische oder reale Sequenz heiBt dann Schuster-
fleck, wenn sich ihre Anwendung nicht notwendiger-
weise aus der Konzeption des Werkes ergibt. So nann-
te Beethoven (nach Schindler, L. van Beethoven II,
5 1927, S. 35) das Thema seiner Variationen op. 120, ei-
nen Walzer von Diabelli, wegen harmonischer Sequen-
zen, die dort ohne Grund angebracht sind, mit Recht
einen Schusterfleck. Er selbst hat jedoch verschiedent-
lich, z. B. im Fidelio (Arie des Pizarro, Takt 90ff.), von
harmonischen Sequenzen als Steigerungsmittel hervor-
ragenden Gebrauch gemacht. Gleiches gilt von Schu-
bert (Cruppe aus dem Tartarus, D 583, Takt 50ff.), Liszt
{Ligende Nr 1 fur Kl., Takt 116ff.) und Bruckner (9.
Symphonie, 1. Satz, Takt 51ft).
Rosette heiBt das durchbrochen gearbeitete runde
Schalloch in der Mitte des Resonanzbodens von lau-
tenartigen Zupfinstrumenten und besaiteten Tasten-
instrumenten.
Rostock.
Lit.: H. Ebert, Versuch einer Gesch. d. Theaters in R.,
Gustrow 1872; K. Koppmann, Die R.er Stadtmusikanten,
= Beitr. zur Gesch. d. Stadt R. II, H. 2 u. 3, R. 1897-98 ; A.
Schatz, Zur Vorgesch. d. Stadttheaters in R., ebenda II, 4,
1899 ; W. Schacht, Zur Gesch. d. R.er Theaters (1756-91),
Diss. R. 1908 ; G. Kohfeldt, Studentische Theaterauffuh-
rungen im alten R., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt R. XI, R.
1919 ; W. Th. Gaehtgens, Die Gestaltung d. R.er Gottes-
dienste bei d. Durchfiihrung d. Reformation im Jahre 1531,
R. 1934; ders.,, Die alten Musikalien d. Univ.-Bibl. u. d.
Kirchenmusik in Alt-R., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt R.
XXII, R. 1941 ; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d.
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh.(R.),AfMf VI, 1941.
Rota (lat., Rad), spatmittelalterliche Bezeichnung fiir
einen Satz in Kanontechnik. R. ist offenbar Grundwort
fiir eine Reihe von musikalischen Termini, die vom
Bild des Rades, des »Runden«, her gepragt sind, sei es,
weil sich die Ausfiihrenden im Kreis aufstellen, sei es
auf Grund einer Text-, Melodie- oder Satzstruktur, die
nach Art eines Kreises in den Anfang zuriickleitet : ro-
tulum (est, quod voluitur ad modum rote ; Breslauer Men-
suraltraktat, ed. Wolf, S. 336), rotunda vel rotundellus
( . . . dicitur, eo quod ad modum circuit in se ipsam reflectitur
et incipit et terminatur in eodem;]. de Grocheo, ed. Roh-
loff, S. 50), -> Rondeau (- 1; rondellus), -» Radel,
-> Round (-1). Beriihmt ist der Beleg fiir R. im »Som-
merkanon« (Kanonanweisung : Hanc rotam cantare pos-
sunt quatuor socii; dazu ein 2st. -*■ Pes - 2, nach Art des
-> Rondellus) ; ein schones Beispiel dafiir, wie zuwei-
52»
819
Rotrouenge
len auch die Notation den (Zirkel-)Kanon als Rad oder
Kreis veranschaulicht, bietet die Rode a 3 von B.Cor-
dier (-s- Quellen: Ch, f. 12).
Lit.: J. Wolf, Ein Breslauer Mensuraltraktat d. 15. Jh.,
AfMw 1, 1918/19 ; J. Handschin, The Summer Canon and
Its Background, MD III, 1949 u. V, 1951 ; M. F. Bukofzer,
»Sumer is icumen in«. A Revision, Univ. of California
Publications in Music II, 2, Berkeley u. Los Angeles 1944;
Fr. Ll. Harrison, R. and Rondellus in Engl. Medieval
Music, Proc. R. Mus. Ass. LXXXVI, 1959/60.
Rotrouenge (rotru'a:3, altfrz., auchretrowange; Her-
kunft und Grundbedeutung des Wortes unklar), ein
altf ranzosisches Minnelied. 3 bis zumeist 5 gleichartige
Verse (es tiberwiegen 10- und 1 1 Silbler), fortlaufend ge-
reimt (a a a . . .), bilden den Strophengrundstock. Der
angeschlossene Refrain weicht im VersmaB oft ah, re-
gelmaBig jedoch im Reimschema (B B). Fur die gleich-
artig aufeinanderfolgenden Verse bleibt die Zeilenme-
lodie gleich, so daB der musikalische Aufbau dem reim-
bestimmten Bau der Strophe entspricht: a a a ... (3 |3.
In mittelalterlichen Handschriften werden als R.-Lieder
bezeichnet: Raynaud 2082, 636, 768, 354, 602, 1914
(von Gontier de Soignies) und das anonyme 1411.
Ausg. u. Lit. : Fr. Gennrich, Die altfrz. R., Halle (1925) ;
ders., Zu d. altfrz. R., Zs. f . romanische Philologie XLIV,
1926; ders., Das Formproblem d. Minnesangs, DVjs. IX,
1931; H. Spanke, Eine altfrz. Liederslg, = Romanische
Bibl. XXII, Halle (1925).
Rotta,-l) (ahd.;mhd. rotte; altfrz. rote; altprov. und
latinisiert rota; gallo-romanisch chrotta, chrota) ein
ein- oder beidseitig bespanntes 3eckiges Zupfinstru-
ment vom Typ der -> Zither (- 1), das senkrecht nach
Art der Harfe gehalten wird (daher nach Drager 1948
als Harfenzither zu klassifizieren), mit bis zu 30 Saiten
und mit einem holzernen Boden oder Schallkasten. Die
Instrumentennamen R. und Psalterium wurden biswei-
len gleichbedeutend, bisweilen nebeneinander ge-
braucht (vgl. Riedel 1959, S. 105, 181, 237). Bei Ruod-
lieb (Epigramm XI; 11. Jh.) heirk es: ... inuenit . . .
Dauid psalterium triangulum id est rottam. Der friiheste be-
kannte Beleg fur die R. ist die Abbildung einer llsaiti-
gen R. auf dem Elfenbeindeckel des Dagulf-Psalters
(Ende 8. Jh.). An einem Kapitell im Kloster Moissac
(um 1085-1115) ist ein die R. spielender Begleiter des
Konigs David dargestellt mit der Beischrift NAME
(=Eman) CVM ROTA (weitere Denkmaler bei Steger
1961). Auf den mittelalterlichen Abbildungen der R.
ist - im Unterschied zu Darstellungen der 3eckigen
Rahmenzither oder der Harfe - der Saitenhintergrund
undurchsichtig bzw. in Reliefdarstellungen nicht tief
ausgearbeitet; die Saitentrager sind relativ diinne Lei-
sten. Die im Unterschied zum -»■ Psalterium mogliche
beiderseitige Bespannung mit Saiten (schon im spaten
ll.Jh. nachweisbar) bestatigt ein Dokument des 15. Jh.
(Bayerische Staatsbibl. Munchen, cgm 649, f . 562) : . . .
rott, chordas habens ex utraque parte ligni cauati (lignum
cavatum, ausgehohltes Holz, s. v. w. Schallkasten).
- 2) In der Instrumentenkunde wurden bislang mit R.
leierartige, gezupfte oder gestrichene Instrumente von
8-formigem UmrifS bezeichnet, die bis ins 19. Jh. im
walisischen ->■ Crwth und in skandinavischen Streich-
leiern (schwedisch strakharpa) fortlebten. Seitdem Ste-
ger 1961 nachgewiesen hat, daB der Name R. im Mit-
telalter eine 3eckige Harfenzither bezeichnet, ist unge-
klart, welche Benennung den Zupf- und Streichleiern
urspriinglich zukam. Eine anonyme Glosse des 13. Jh.
zu De planctu naturae von Alanus ab Insulis (vgl. Wolf
1841, S. 246) bringt R. und ->■ Leier in Verbindung:
Lira est quoddam genus citharae vel sitola, alioquin de Roet.
Hoc instrumentum est multum volgare. Die Moglichkeit,
daB der Name R. zwei verschiedene Instrumente be-
820
zeichnen konnte, ist also - auch im Hinblick auf den
Crwth - nicht mit Sicherheit auszuschlieBen. Charak-
teristisch fiir einen mittelalterlichen Typ der Zupfleier
ist ein kreisformiger Jochbogen (vgl. Steger, David rex
et propheta, Tafel 11), doch ist auch die Form des
Crwth friih belegt (9. Jh.). Die Streichleier kann mit
(Crwth) oder ohne (Strakharpa) Griffbrett auftreten.
- 3) Als ital. Wort bezeichnet R. vereinzelt im 14. und
16. Jh. einen -> Nachtanz. Zu den Estampien Lamento
di Tristano und La Manfredina in Lo (-> Quellen) geho-
ren mit R. iiberschriebene geradtaktige, frei variativ
abgeleitete Nachtanze. Bei F.Caroso (1581 und 1600)
erscheint R. als Bezeichnung fiir einen bestimmten
Nachtanz in der Satzfolge: Balletto - Gagliarda - La
R. - Canario (die R. steht hier im 6/8-Takt und hat
Ahnlichkeit mit dem Canario), und fur Nachtanz all-
gemein in der Satzfolge: Balletto - La r. grave - La r.
in saltarello - La r. in gagliarda.
Lit.: zu 1) u. 2): F. Wolf, Uber d. Lais . . ., Heidelberg
1841 ; H. Panum, Middelalderens strenge-instrumenter og
deres forl0bere i oldtiden, Kopenhagen 1915, engl. hrsg. v.
J. Pulver als : The Stringed Instr. of the Middle Ages, Lon-
don (1940); O. Andersson, Strakharpan, Stockholm 1923 ;
ders., The Bowed Harp, London 1930; ders., The Shetland
Gue, the Welsh Crwth, and the Northern Bowed Harp, in :
Budkavien I-IV, 1956; J. Werner, Leier u. Harfe im ger-
manischen M A, in : Aus Verf assungs- u. Landesgesch., Fs.
Th. Mayer, Bd I, Konstanz 1954 ; H. Riedel, Musik u. Mu-
sikerlebnis in d. erzahlenden deutschen Dichtung, = Abh.
zur Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XII, Bonn 1959; E.
Emsheimer, Die Streichleier v. Danczk, STMf XLHI, 1961,
auch in : Studia ethno-musicologica eurasiatica, = Musik-
hist. museets skrifter I, Stockholm 1964; H. Steger, David
rex et propheta, = Erlanger Beitr. zur Sprach- und Kunst-
wiss. VI, Niirnberg 1961 ; ders., Die Rotte, DVjs. XXXV,
1961; W. Bachmann, Die Anfange d. Streichinstrumen-
tenspiels, = Mw. Einzeldarstellungen III, Lpz. 1964.
Rotulus (lat., Rolle; frz. rouleau; engl. roll). Die Rol-
le aus aneinandergeklebten oder -gena'hten Blattern
war als friiheste Form des Buches bis ins 4. Jh. n. Chr.
vorherrschend. Die aneinandergeklebten Blatter wur-
den der Langsseite nach in Kolumnen beschrieben und
von links nach rechts abgerollt und gelesen. Im Mittel-
alter wurde der R. - neben der bevorzugten Buchform
des Codex - teilweise noch fiir Register, Urkunden
und liturgischeTexte beibehalten, nun aber der Schmal-
seite f olgend beschrieben und von oben nach unten ent-
rollt und gelesen. Musikgeschichtlich interessiert eine
Anzahl reich illustrierter Pergamentrollen des 10.-13.
Jh. aus Suditalien, die auch Aufzeichnungen von Cho-
ralmelodien enthalten. Sie wurden in der Liturgie der
Osternacht beim Praeconium paschale (Exultet) ver-
wendet, das der Diakon vom Ambo aus sang. Die zu-
gehorigen Miniaturen sind vielfach mit Riicksicht auf
die vor dem Ambo stehenden Glaubigen im Verhaltnis
zur Text- und Melodieschrift auf dem Kopf stehend
dargestellt. Rotuli mit mehrstimmiger Musik sind im
13.-15. Jh. mehrfach bezeugt (fiir England siehe Harri-
son). Bekannt geworden sind bis jetzt folgende Frag-
mente: 1) Brussel, Bibl. Royale, Ms. 19606 (Sigel: Br;
nach 1300, 3st. Conductus und Motetten; siehe Hoppin
1955); 2) Paris, Bibl. Nat., Coll. de Picardie 67, f. 67f.
(^ Quellen : Pic) ; 3) London, Public Record Office, E.
149/7/23 dorse (2. Halfte des 14. Jh., 3st. MeBsatze;
siehe D. Stevens 1955) ; 4) Cambridge, Trinity College,
Ms. 0.3.58 (1. Halfte des 15. Jh., 2-3st. Carols; siehe J.
Stevens 1952). Trouveretexte (ohne Noten) iiberliefert
ein R. in London (Lambeth Palace, Misc. Rolls 1435;
siehe Raynaud-Spanke, S. 2). Bildzeugnisse zum Ge-
brauchdesR. bringenHammerstein (Abb. 1) und Droz-
Thibault (vor S. 13, auch Besseler 1931, S. 126).
Lit. : H. Hunger, Antikes u. ma. Buch- u. Schrif twesen, in :
Gesch. d. Textuberlieferung I, Zurich (1961). - E. Droz u.
Ruggiero
G. Thibault, Pontes et musiciens du XV e s., = Documents
artistiques du XV e s. I, Paris 1924; H. Besseler, Studien
zur Musik d. MA I, AfMw VII, 1925, S. 195ff.; ders., Die
Musik d. MA . . ., Bucken Hdb.; M. Avery, The Exultet
Rolls . . . , 2 Bde, Princeton (N. J.) 1 936; J. Stevens in: Mus.
Brit. IV, London 1952, S. 125ff.; R. H. Hoppin, A Mus. R.
..., RBM IX, 1955; ders., Some Remarks apropos of
Pic, RBM X, 1956; R; D. Stevens, A Recently Discovered
Engl. Source ..., MQ XLI, 1955; Fr. Ll. Harrisson,
Music in Medieval Britain, London 1958; R. Hammer-
stein, Tuba intonet salutaris, AMI XXXI, 1959; J. Wett-
stein, Un rouleau campanien du XI e s. . . . , Scriptorium
XV, 1961 ; dies., Les Exultet de Mirabella Eclano, ebenda
XVII, 1963.
Rouen.
Lit. : A.-R. Collette u. A. Bourdon, Hist, de la mattrise
de R., R. 1892; dies., Notice hist, sur les orgues et les or-
ganistes de la cathedrale de R., R. 1894; H. Geispitz, Hist,
du Theatre des Arts de R., R. 191 3 ; ders., Hist, du Theatre
des Arts de R. (1913-40), R. 1951 ; R. Eude, Petite hist, du
Th6atre des Arts, R. 1963.
Roulade (rul'ad) frz.), »Roller«, Laufer, virtuose Pas-
sage f iir Gesang.
Round (jaund, engl., rund, Rundgesang), - 1) kurzer,
melodisch anspruchsloser vokaler Zirkelkanon in Ein-
klang oder Oktave, dessen Stimmeneinsatze in gleichen
Abstanden iiber das ganze Stuck verteilt sind. Die erste
namentliche Erwahnung stammt von etwa 1515 (. . .
let us sing this r ; Hs. London, Brit. Mus. , add. 31 922) .
R. und -> Catch, einander sehr ahnlich, waren seit dem
16. Jh. in England als Formen geselliger Unterhaltungs-
kunst beliebt und fanden besonders durch die Samm-
lungen von Th.Ravenscroft (1609 und 1611) und J.
Playford (ab 1651) starke Verbreitung. - 2) R. oder
Roundel (so Shakespeare, Midsummer Night's Dream,
2. Akt, 2. Szene) bezeichnet im 17. Jh. einen Tanz, bei
dem die Tanzer einen Kreis bilden; die 1. Auflage von
J.Playfords The English Dancing Master (1651) bietet 13
solcher R.s.
Lit.: zu 1): E. Fr. Rimbault u. J. P. Metcalfe, The R.,
Catches and Canons of England, London (1864); J. Ste-
vens, R. and Canons from an Early Tudor Song-Book, ML
XXXII, 1951 ; J. Vlasto, An Elizabethan Anth. of R., MQ
XL, 1954. - zu 2): M. Dean-Smith, Playford's »Engl.
Dancing Master«, London 1957 (Einfiihrung u. Bibliogr.).
Rovescio (rov'effo, ital.) ->■ Umkehrung.
rubato (ital.) -*■ Tempo rubato.
Rubeba, rubella (lat.) -> Rebec.
Rudolstadt (Thiiringcn).
Lit. : P. Gulke, Musik u. Musiker in R., = Sonderausg. d.
Rudolstadter Heimathefte, R. 1963; B. Baselt, Der Rudol-
stadter Hofkapellmeister Ph. H. Erlebach (1657-1714),
Diss. Halle 1964, maschr.
Riickpositiv heiCt bei der -»■ Orgel ein Werk (-> Po-
sitiv), das im Riicken des Organisten in das Kirchen-
schiff hinausragt; bei dreimanualigen Orgeln gehort
das R. in der Regel zum untersten Manual und wird
von da durch eine unter der Orgelbank verlaufende
Traktur.regiert.
Riickschlag ->-Vorschlag (Nachschlag).
Rueda (span., Rad, Kreis, Rolle), ein in der mittelspa-
nischen Provinz Altkastilien (um Burgos) vorkommen-
der Rundtanz im 5/8- bzw. 5/4-Takt:
der rhy thmisch dem baskischen -> Zortziko ahnelt und
heute gelegentlich im 3/8- bzw. 2/4-Takt notiert wird.
Lit. : Fr. Olmeda, Folk-lore de castilla o cancionero popu-
lar de Burgos, Sevilla 1903.
Ruhrtrommel (auch Rolltrommel, Wirbeltrommel,
Landsknechtstrommel ; engl. tenor-drum; frz. tam-
bour oder caisse roullant[e]; ital. cassa oder tamburo
rullante), Trommelinstrument ohne Schnarrsaite, oft
falschlich als kleine -» Trommel oder Militartrom-
mel bezeichnet, mit holzernem zyhndrischem, bis zu
1 m hohem Resonanzkorper ( ca. 26-30 cm) und Fell-
bezug auf beiden Seiten, der durch eine Trommelleine
gespannt wird. Anderungen der Membranspannung
konnen durch das Verschieben der ledernen Trommel-
schleifen bewirkt werden, durch die je zwei Teile der
Trommelleine fiihren. Die R. wird mit Holz- oder
Paukenschlageln (-»■ Schlagel) gespielt; wie bei den
iibrigen Trommeln ergibt die Wahl der Schlagelart und
der Anschlagstelle auf dem Fell verschiedene Klang-
farben (Mitte dunkel, zum Rand hin heller). Ihr Klang
liegt zwischen dem der groBen und dem der kleinen
Trommel. Die Notierung erfolgt heute auf einer Linie
ohne Schlussel (im 18. und friihen 19. Jh. im Fiinfli-
niensystem mit BaBschliissel). Ihr wirkungsvollster
Effekt ist der Wirbel, doch werden auch Einzelschlage
gefordert, wie das Beispiel einer friihen Verwendung
der R. im Orchester bei Gluck (Iphigenie en Tauride,
1779) zeigt. Im 19. und 20. Jh. wird die R. gefordert
u. a. von Berlioz (Grande messe des morts, 1837), R.
Wagner (Die Meistersinger von Niimberg, 1868; Die
Walkure, 1870; Gotterdammerung, 1876), R.Strauss (Ein
Heldenleben, 1899), Strawinsky (Histoire du soldat, 1918)
und Varese (Integrates, 1926; Ionisation, 1933).
Ruggiero (rudd3'e :ro, ital.) heiBt seit mindestens 1584
(Libra d'intauolatura di liuto von V. Galilei, hs.) ein mu-
sikalisches Satzmodell, das in der 1. Halfte des 17. Jh.
als Aria da cantare (-> Arie), als instrumentaler Tanz-
satz und als Thema von Variationszyklen beliebt und
verbreitet war. Vom ersten Auftreten unter den Te-
nores im Tratado deglosas (1553) von D.Ortiz (Beispiel
a; siehe folgende Seite) an bis gegen 1610 sind einzelne
Tone der BaBformel noch variabel, danach ist deren
Gestalt annahernd konstant (Beispiel b). Die Ober-
stimme ist harmonisch gebunden, aber tonlich nicht
festgelegt. Kennzeichen des R.-Modells sind Durcha-
rakter, gerader Takt mit Auftakt, 8taktige, durch Halb-
und GanzschluB gegliederte Periode mit harmonischer
Korrespondenz beider Halften (Beispiel d) sowie die
Eignung zur Unterlegung von Versen in HSilblern
(Akzente: 6. und 10. Silbe) wie der Ottava rima (Bei-
spiel c). Das R.-Modell ist ein pragnantes Beispiel f iir die
im 16./17. Jh. in Italien verbreitete Gepflogenheit.Wer-
ke der Dichtkunst auf anspruchslose, kurze und beliebig
wiederholbare Melodien zu singen. A.Einstein wies auf
die Moglichkeit hin, daB das Textincipit der bekannten
Stanze Ruggier, anal semprefui, tal'esser voglio j Fin'alla
morte, epiu, sepiu sipuote . . . aus dem Orlandofurioso von
L. Ariosto die Bezeichnung R. gepragt hat. Vertonungen
dieses Textes sind seit 1547 (Valderrabano, Silva de Si-
renas), verbunden mit dem R.-Modell aber erst seit
1617 (Cifra, Li diversi Scherzi . . . V) nachgewiesen. Der
R. ist auBerdem und vielleicht sogar urspriinglich ein
Tanz, der zuerst 1 588 (G. B. Del Tuf o) erwahnt und An-
fang des 17. Jh. als volkstumlich und grotesk gekenn-
zeichnet wird. Bis ins 19. Jh. ist er in den toskanischen
Bergen gebrauchlich und noch im 20. Jh. auf Sizilien.
Innerhalb der musikalischen Quellen des 17. Jh. zeigt
sich der Tanzcharakter des R. darin, daB gelegentlich
auch Nachtanze zum R. auftreten (z. B. R. Intripla bei
Sanseverino, 1622). Aus der Fulle der Verarbeitungen
des R.-Modells inLauten-, Chitarra-, Cembalo-, Arien-
und instrumentaler Ensemblekomposition sind hervor-
zuheben die Partite und das Capriccio Frajacopino sopra
VAria di Roggiero (1615, 1637) sowie die 4st. Canzon
821
Rumanien
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D
D (Kadenz)
r ,
a) 4st. Begleitsatz der Quinta pars aus dem Tratado de glosas (1553) von D. Ortiz, original
in F; b) R.-BaBformel seit etwa 1610 (nach H. Spohr); c) Textunterlegung des Anfangs
einer Ottava rima des B.Tasso, die z. B. S. D'India (1609) verwendet (nach H. Spohr);
d) Harmonieschema der metrischen Schwerpunkte.
prima sopra Rugier aus den Canzoni da sonare (1634) von
Frescobaldi, die Sonata sopra VAria di R. fur 2 Violini
da braccia und Chitarrone von S.Rossi (1613) und als
spateste Belege 2 Stiicke fur Violine bzw. Violone solo
aus einem Manuskript von G.B. Vitali (um 1680).
Lit. : G. Crime Lo Giudice, I Ruggieri (Ballo popolare si-
ciliano), Arch, per lo studio delle traduzioni popolari IV,
1885; A, Einstein, Die Aria di R., SIMG XIII, 1911/12;
ders., Ancora sull'aria di R., RMI XLI, 1937 ; R. Casimiri,
L'aria di R., Note d'arch. X, 1933; O. Gombosi, Italia,
patria del basso Qstinato, Rass. mus. VII, 1934; H. Spohr,
Studien zur ital. Tanzkomposition um 1600, Diss. Frei-
burg i. Br. 1956, maschr.
Rumanien.
Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben,
Bukarest) : D. Vtjlpian, Muzica populara. Balade, colinde,
doine, idile, (1885); B. Bart6k, Cantece popolare roma-
nesti din comitatul Bihor (»Rumanische Volkslieder aus d.
Komitat Bihor«), 1913; ders., Volksmusik d. Rumanen v.
Maramures, = Sammelbde f . vergleichende M w. IV, Miin-
chen 1923; ders., Melodien d. rumanischen Colinde (Weih-
nachtslieder), Wien 1935; C. Brailoiu, Colinde si cintece
de stea (»Colinden u. Sterngesange«), 1931 ; ders., Cintece
batrinesti din Oltenia, Muntenia, Moldova si Bucovina
(» Alte Lieder aus Oltenia ...«), = Publicatiile Archivei de
folclorVI, 1932; G. Breazul, Colinde (Weihnachtslieder,
Sterngesange, Herodesspiel), = Cartea satului XXI, 1938;
M. Friedwagner, Rumanische Volkslieder aus d. Buko-
wina, = Literarhist.-mw. Abh. V, 1 (Liebeslieder), Wurz-
burg 1 940 ; Gh. Ciobanu u. V. D. Nicolescu, 200 cintece ?i
doine (»200 Lieder u. Klagelieder«), 1955, 21962; A. Pann,
Cintece de lume (»Weltliche Lieder«), hrsg. v. Gh. Cioba-
nu, 1955; T. Brediceanu, 170 melodii populare rominesti
din Maramures, 1956; Gh. Ciobanu u. A. C. Amzulescu,
Vechi cintece de viteji (»Alte Heldenlieder«), 1956; J. Cc-
cisiu, Cintece populare rominesti (»Rumanische Volkslie-
der), 1960, 21963; D. Kiriac-Georgescu, Cintece popu-
lare rominesti, hrsg. v. V. Popovici, 1960; P. Carp u. A.
Amzulescu, Cintece si jocuri din Muscel (»Lieder u. Volks-
tanze aus Muscel«), (1964); E. Cernea, V. D. Nicolescu,
M. BrAtulescu u. N. RXdulescu, Cintece si strigaturi
populare noi (»Neue Volkslieder u. Strigaturi [Zwischen-
rufe]«), 1966.
Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Bu-
karest) : Fr. J. Sulzer, Gesch. d. transalpinischen Daciens,
Wien 1781/82; D. C. OllAnescu, Teatrul la Romini, 1899;
O. Wagner, Das rumanische Volkslied, SIMG IV, 1902/03;
T. T. Burada, Istoria teatrului in Moldova (»Die Gesch. d.
Theaters in d. Moldau«), 2 Bde, Jassy 1915-22; T. Bredi-
ceanu, Hist, et etat actuel des recherches sur la musique
populaire roumaine, in: Art populaire II, (Paris) 1923;
ders., Hist, de la musique roumaine en Transylvanie, 1938 ;
C. Brailoiu, Despre bocetul de la Dragu? (»Uber d. To-
tenklage aus Driigus«), 1932; ders., Bocete din Oas (»To-
tenklagen aus Oa$«), 1938 ; ders., Sur une ballade roumai- .
ne (La Mioritza), Genf 1946; ders., Le giusto syllabique.
Un systeme rythmique propre a la musique populaire rou-
maine, AM VII, 1952, auch in: Polyphonie, Paris 1948,
H. 2; ders., Le vers populaire roumain chante, Paris 1956;
ders., Vie mus. d'un village. Recherches sur le repertoire
de Dragus (Roumanie), Paris 1960; E. Ziehm, Rumanische
Volksmusik, Bin 1939; G. Breazul, Patrium Carmen. Con-
tribu|ii la studiul muzicii rominesti, Craiova 1941 ; T.
Alexandru, Muzica populara bana{ean&, 1942; ders., In-
strumentele muzicale ale poporului romin, 1956; ders.,
The Study of the Folk Mus. Instr. in the Rumanian People's
Republic, Journal of the International Folk Music Council
XII, 1960; E. Riegler-Dinu, Das rumanische Volkslied,
Bin 1943; L. Cassini, Music in Rumania, London 1954; E.
Comisel, La ballade populaire roumaine, in : Studia Me-
moriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956, 3 1958; dies., Le
folklore mus. roumain depuis 1945, AMI XXXII, 1960;
dies., Traditional Mus. Instr. of the Rumanian People,
Rumanian Review XV, 1961 ; A. Tudor, Der Aufschwung
d. Musik in d. Rumanischen Volksrepublik, 1956, auch
engl. u. frz.; O. L. Cosma, Opera rominea, 2 Bde, 1962;
R. Ghircoiasiu, Contribu(ii la istoria muzicii rominesti,
Bd 1, 1963 ; A. L. Lloyd, The Gypsies Rumanian, Proc. R.
Mus. Ass. XC, 1 963/64 ; Compozitori $i muzicologi romini.
Mic lexicon, hrsg. v. V. Cosma, 1965; ders., Archaologi-
sche mus. Funde in R., Beitr. zur Mw. VIII, 1966. - Bib-
liogr.: SR R. 1945-65, ebenda, Sonderreihe I, Bin 1966.
Rumba, auch Rhumba, ein Tanz afrikanischer Her-
kunft, dessen heutige Form sich auf Kuba gebildet hat.
Sein Merkmal ist maBig bewegtes bis schnelles Tempo
ingerademTakt(2/4;4/4,2/2)bei | j j_ J^J^
gleichzeitiger Verwendung ver- I"* •* * **
schiedener, energisch akzentuier- 4
ter und synkopenreicher Rhyth- ^
men. Gegeniiber Text und Melo-
die (standig wiederholten, meist
8taktigen Bildvuigen) ist der Rhythmus vorherrschend ;
charakteristisches Rhythmusinstrument sind die -> Ma-
racas (R.-Kugeln). Die R. ist ein in Distanz zum Part-
ner ausgefuhrter Paartanz; Hiift- und Beckenbewe-
gungen sind besonders ausgepragt. Um 1914 wurde
die R. in New York eingefiihrt. In den 1930er Jahren
iibernahm sie Elemente des Jazz und erlangte um diese
Zeit groBe Verbreitung; noch heute wird sie getanzt.
Zu den Abarten der R. gehoren der -> Mambo und
der -*■ Cha-Cha-Cha. In die Kunstmusik wurde die R.
u. a. von D. Milhaud (La creation du monde und Finale
des 2. Klavierkonzerts) auf genommen.
CT%V
r w r
822
Rundfunk
Rummelpott -*■ Reibtrommel.
Rundfunk. - 1) Nachdem 1880 eine telephonische
Ubermittlung des Wettsingens beim Eidgenossischen
Sangerfest Zurich-Basel, 1891 die Ubertragung eines
Konzertes aus der Metropolitan Opera in New York
durch lautsprechende Telephone, 1912 die stereoaku-
stische Ubertragung einer Opernauffiihrung in das
Berliner Kronprinzenpalais stattgefunden hatten, gab
in Deutschland 1920 ein Instrumentalkonzert iiber die
Hauptf unkstelle Konigswusterhausen den Auftakt zum
regelmaBigen kulturellen Sendebetrieb. 1921 wurde
die erste R.-Station der Welt in Pittsburgh (USA) ein-
geweiht, im gleichen Jahr fand die erste Operndirekt-
ubertragung aus der Berliner Staatsoper (»Madame
Butterfly«) statt. Seit 1922 besteht in GroBbritannien
die British Broadcasting Corporation (BBC), die groB-
te Sendeorganisation Europas. 1926 wurden in den
USA iiber 5 Millionen Empfangsgerate gezahlt, iiber
1 Million in Deutschland, Ende 1953 in der Welt 230, in
der Bundesrepublik 1 2 Millionen, 1966 in der Bundesre-
publik 18 Millionen R- und 12 Millionen ->■ Fernseh-
Teilnehmer. - Wahrend ab 1933 in der Zeit des Natio-
nalsozialismus die Reichssender dem Reichspropagan-
daministerium unterstanden (1935 Verbot der Sendung
von Jazzmusik), wurde nach 1945 in der Bundesrepu-
blik der R. dezentralisiert, zunachst von den Militar-
regierungen iiberwacht, dann in die Kulturhoheit der
Bundeslander iibergefiihrt (Landergesetze zur Errich-
tung von Anstalten des offentlichen Rechts mit Inten-
dant, R.- und Verwaltungsrat, ab 1948). Die Anstalten
der Bundesrepublik bilden seit 1950 eine Arbeitsge-
meinschaft (ARD). Sie veranstalten alljahrlich in Miin-
chen einen Musikwettbewerb und sind iiber eine Stif-
tung Trager des Lautarchivs in Frankfurt am Main
(seit 1952, mit einem Fachreferat Musik). Der For-
schung dient das H.-Bredow-Institut an der Universi-
tat Hamburg (seit 1950), der Heranbildung von techni-
schem Personal die Schule fiir R.-Technik, offentliche
Stiftung der deutschen R.-Anstalten, in Niirnberg.
Nach dem Vorbild von Schiinemanns R.-Versuchsstel-
le an der Berliner Musikhochschule (bis 1933) arbeiten
das Tonmeister-Institut der Nordwestdeutschen Musik-
akademie in Detmold und die Toningenieur-Abteilung
am R. Schumann-Konservatorium der Stadt Diissel-
dorf ; in Berlin bildet die Technische Universitat in Zu-
sammenarbeit mit der Musikhochschule -»■ Tonmeister
aus. Schon 1928 fand in Gottingen eine Tagung fiir R.-
Musik durch das Zentralinstitut fiirErziehung und Un-
terricht statt, 1954 in Paris ein internationaler KongreB
iiber die soziologischen Aspekte der Musik im R.
Die Musik im R. ist ambivalent : Breiten- und Tief en-
wirkung sollen von ihr ausgehen. Der Sendevorgang
ist allgegenwartig, die Horgemeinde unbegrenzt. Die
Musik hat auch auBerhalb der eigentlichen Musiksen-
dungen Funktionen, so als Umrahmung im Werbefunk
(schon 1924) und in den Pausenzeichen der Sender
(Themen aus klassischen Werken und Volksliedern,
elektronische Klange). Musik nimmt 50-65% des Ge-
samtprogramms eines Senders ein, davon entfallen die
Halfte bis vier Fiinftel auf die Tanz- und Unterhal-
tungsmusik. Das Programmreferat Musik hat in fast
alien Funkhausern den Rang einer Hauptabteilung mit
Unterabteilungen fiir Symphonie, Oper, Kammermu-
sik usw. ; die Abteilung Unterhaltungsmusik ist entwe-
der der Hauptabteilung Musik oder der Abteilung Un-
terhaltung zugeteilt. Neben »gezielten« Programmen,
die sich an bestimmte Horerkreise wenden (Schulf unk,
Jazz), stehen Sendungen, die den Alltag musikalisch be-
gleiten (Friih-, Mittags-, Werkpausen-, Feierabend-,
Wochenendkonzert, Bunte Abende, Tanz). Die »Wo-
chen leichter Musik« des SDR sind hier ebenso ver-
dienstvoll wie die Bemiihungen fast aller Funkhauser,
die sich auf qualifizierte eigene Unterhaltungs- und
Tanzorchester stiitzen. Eine stil- und gemeinschaftsbil-
dende Aufgabe kommt der Volksmusik und dem Mu-
siziergut der Jugend zu, wobei die funkische Instru-
mentation und die Aufstellung eigener Funkspielgrup-
pen entscheidend sind. Der Avantgarde gegenuber hat
der R. die Stellung eines Mazens, der auch Kompo-
sitionsauftrage erteilt und offentliche Konzertreihen
(»Musica Viva«unterK. A.Hartmannund W. Fortnerin
Miinchen, »Das neue Werk« in Hamburg) veranstaltet.
Fiir die Sendung stehen vor allem die Nachtprogramme
(zuerst 1947 im NWDR in Nachahmung des 3. Pro-
gramms der BBC) zur Verf iigung. Durch Wechselpro-
gramme (des Deutschlandsenders vor dem Kriege, heu-
te 2. und 3. Programm auf UKW; in England Home,
Light und Third Program, in Frankreich Inter, Natio-
nal, Culture und Musique) soil der Horer zum Auswah-
len der Darbietung angeregt werden; dazu konnen auch
die zahlreichen Programmzeitungen beitragen. Mit der
Konstituierung einer neuen, vom Konzert- und Opern-
publikum soziologisch verschiedenen Horerschaf t tra-
ten neben die Direktiibertragungen offentlicher Ver-
anstaltungen bzw. eigener Auffiihrungen typisch fun-
kische Ausdrucksformen, wie die ->■ Funkoper und die
-> Fernsehoper sowie die -> Elektronische Musik. Di-
rekt iibertragen werden heute vor allem Veranstaltun-
gen der bedeutenden -> Festspiele. Neben der Live-
Sendung spielte von Anfang an die Schallkonserve ei-
ne groBe Rolle. Auf der Grundlage des jeweils gelten-
den Senderechts und des -> Leistungsschutzes verwen-
den die R.-Anstalten neben eigenen Tonbandern (im
deutschen R. seit 1. 1. 1938) auch Industrieschallplat-
ten. - Ist auch die Gefahr gelegentlicher Fehlinvestie-
rungen geistiger Werte nicht zu bannen, so bietet der
R. doch die Moglichkeit, ohne Riicksicht auf den Be-
setzungsaufwand neben das Standardwerk die Raritat,
die Spezialitat, die Novitat zu stellen. Reihendarbie-
tungen werden Komponisten, Gattungen, Musikstat-
ten, Landern, Epochen gewidmet, wobei dieErgebnisse
musikwissenschaftlicher Forschung genutzt werden.
Verstandnisfordernd sind erweiterte Ansagen und Mu-
sikvortrage (Einfiihrungen, Musikfeuilletons usw.). Ei-
genstandige Programmformen sind Funkballaden und
-melodramen, Horspielmusiken, Wort-Musik-Features
und reportageahnliche Sendungen wie das Hafenkon-
zert (seit 1929).
Lit. : Internationales Hdb. f . R. u. Fernsehen, hrsg. v. H.
Bredow-Inst. f. R. u. Fernsehen an d. Univ. Hbg, seit 1957
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Funkprogramm u. Musica viva, Lippstadt 1961. SG
- 2) Die R.-Ubertragung kommt dadurch zustande,
daB die Schallwellen von Musik und Sprache durch das
->- Mikrophon in Wechselstrom der gleichen Frequenz
gewandelt und diese niederfrequenten Schwingungen
den hochfrequenten Schwingungen des Senders auf-
moduliert werden, wiihrend am Empfangsort durch
den Vorgang der Gleichrichtung der Schwingungen
im Radiogerat die Demodulation der niederfrequenten
Schwingungen stattfmdet. Im Mittelwellenbereich
strahlt der Sender die GroBenordnung von 1 000000 Hz
(->■ Frequenz) aus, die sich gleichmaBig rund um den
Sender ausbreiten. Im Ultrakurzwellenbereich (UKW)
handelt es sich um noch hoherf requente Schwingungen
in der GroBenordnung von 100 Millionen Hz entspre-
chend einer Wellenlange von 1 Meter. Mit steigender
Frequenz nimmt die Reichweite der Sender ab, anderer-
seits werden die Wellen zunehmend nach einer Rich-
tung gebiindelt. Der Rundstrahler wird zum Richt-
strahler. Der Frequenzabstand der einzelnen Sender ist
auf 9000 Hz festgelegt, wodurch die Frequenzband-
breite der wiederzugebenden Musik beschrankt ist. Im
UKW-Bereich kann der Abstand groBer gemacht wer-
den, so daB das gesamte Frequenzband, das das mensch-
liche Ohr noch aufnimmt, namlich 20 bis 15000 Hz,
iibertragen werden kann. Mittels dieser Technik, die
erst nach dem 2. Weltkrieg eingefuhrt wurde, erreicht
man Musikwiedergabe hochster Qualitat, die in Ameri-
ka mit -> High fidelity bezeichnet wird. Voraussetzung
dafiir ist ein sehr hochwertiges Empfangsgerat, das in
seinem Verstarkerteil den genannten Frequenzbereich
durchlaBt und keinerlei Verzerrungen aufweist. Fiir
einen guten raumlichenEindruck sind mehrere getrenn-
te Lautsprecher fiir BaB und Diskant eingebaut. Da wie
im Hochfrequenzgebiet auch im Niederfrequenzge-
biet die Richtwirkung mit steigender Frequenz, d. h.
Tonhohe, zunimmt, sind die Hochton-Lautsprecher
nach verschiedenen Richtungen ausgerichtet, damit
nach der Reflexion an den Wanden eine Schalldiffusi-
tat im Raum eintritt. - Die Musikqualitat hangt jedoch
in erster Linie von der Mikrophonaufnahme ab. Dazu
muB das Studio bzw. der Konzertsaal akustisch hoch-
wertig sein, besonders den fiir die jeweilige Musikgat-
tung giinstigen -> Nachhall besitzen. Wenn moghch,
soil die Aufnahme nur mit einem Mikrophon aufge-
nommen(»gefahren«) werden, damit dierichtigeRaum-
perspektive und das Gleichgewicht der Instrumenten-
gruppen zustande kommen. Der -»• Tonmeister im be-
nachbarten, durch ein Fenster abgetrennten Regieraum
verfolgt die Partitur und regelt - mit Blick auf den
Aussteuerungsmesser - die Dynamik, die gegeniiber
der Originalwiedergabe im elektrischen Obertragungs-
weg begrenzt ist. Die Regelung erfolgt am Mischpult,
wo auch Vorrichtungen vorgesehen sind, um die Auf-
nahme zu entzerren, d. h. Hohen und Tiefen zu bevor-
zugen oder abzusenken, sie ferner zu verhallen und
sonstige Veranderungen vorzunehmen. Das so gewon-
nene Produkt wird auf Magnettonband aufgenommen
und gesendet. Wenn bei hochqualitativen Obertra-
gungsanlagen das originale Klangbild immer noch
nicht ganz erreicht ist, so liegt dies an dem »einkanali-
gen« Weg vom Mikrophon zum -> Lautsprecher (als
ob wir nur mit einem Ohr horten). Die weitere Ent-
wicklung fuhrt zur zweikanaligen -> Stereophonic -
Die Einrichtung des R.s geht auf die entscheidende
Entdeckung (1887) der elektromagnetischen Wellen
und die Erkenntnis ihrer Wesensgleichheit mit den als
Licht wahrnehmbaren elektromagnetischen Schwin-
gungen durch H. Hertz zuriick. Indessen konnte die
Entwicklung erst eigentlich in Gang kommen, als die
-» Elektronenrohre durch R.v.Lieben 1906 ihre ge-
eignete Form bekam und im 1 . Weltkrieg f abrikations-
reif gemacht worden war. Die Elektronenrohre wird
nunmehr weitgehend durch den viel kleineren -> Tran-
sistor ersetzt, der einen weit geringeren Strombedarf
hat. Damit ist die Radio-Miniaturausfiihrung ermog-
licht. Fiir hohe Klangqualitat diirf en jedoch die Ab-
messungen des Lautsprechers ein gewisses MindestmaB
nicht unterschreiten.
Lit. : Fr. Winckel, Klangwelt unter d. Lupe. Asthetisch-
naturwiss. Betrachtungen, Hinweise zur Auffuhrungspra-
xis in Konzert u. R., = Stimmen d. XX. Jh. I, Bin u. Wun-
siedel (1952), neu bearb. als: Phanomene d. mus. Horens
. . ., ebenda IV, (1960); Klangstruktur d. Musik, hrsg. v.
dems., Bin (1955); F. Bergtold, Die groBe UKW-Fibel,
Bin 1953 ; ders., GroBe R.-Fibel, Bin 1954; H. Pitsch, Ein-
fiihrungind. Rundfunkempfangstechnik, Lpz. 1955, 3 1960;
H. Richter, Radiotechnik f. Alle, Stuttgart 6 1955; ders.,
Taschenbuchd. Fernseh- u. UKW- Empf angstechnik, eben-
da 1956; Fr. Enkel, Uber d. Darstellung d. raumlichen
Struktur ausgedehnter Klangkorper bei d. einkanaligen
Rundfunkubertragung, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957;
K. Leucht, Die elektrischen Grundlagen d. Radiotechnik,
= Radio-Praktiker-Bucherei LXXXI/LXXXIIIa, Mun-
chen 61960. FW
Rundfunkoper -»Funkoper.
Kussische Hornmusik (russ. : rogowaja musyka), ein
zuerst von -> Mares 1751 fiir den Fursten Naryschkin
in St. Petersburg zusammengestelltes Orchester von
Leibeigenen, bei dem jeder Spieler nur fiir 1-3 Tone
zustandig war. Ihr Instrument war ein weitmensurier-
tes gerades (oder an einem Ende gebogenes) konisches
Horn (russ.: rog) aus Kupfer oder Messing, dessen
Stimmung durch eine am Schallstiick befestigte ver-
schiebbare Hulse reguliert werden konnte. Fiir Auf-
fiihrungen in geschlossenen Raumen wurden ab 1774
auch Instrumente gebaut, die - wie der Zink - aus Holz
mit Lederiiberzug bestanden. Die Lange der Horner
betrug fiir ^ etwa 225 cm, fiir d3 etwa 9,5 cm. Zum
besseren Ausgleich des Gesamtklangs und zur Erzie-
lung dynamischer Effekte wurden in der mittleren und
hoheren Lage oft mehrere Horner gleicher Tonhohe
verwendet. Auch waren einem Spieler zuweilen 2-3
Horner verschiedener Tonhohe zugeteilt. Der Ton-
umfang eines Orchesters wuchs von anfanglich 2 Ok-
taven mit etwa 15 Spielern auf 41/2 Oktaven mit 30-50
Ausfiihrenden und bis zu 80 Instrumenten. Der voile,
leicht vibrierende Klang der R.n H. erinnerte an die
Orgel. In RuBland fand die R. H. schnell Anklang,
nicht nur bei den Festen von Hof und Adel, sondern
auch im Konzertsaal. Ihr Repertoire bestand iiberwie-
gend aus Marschen, Liedern, Tanzen und Charakter-
stiicken, schloB jedoch auch Arrangements von Ou-
vertiiren und Symphonien ein; eine Fuge fiir R. H.
komponierte 1787 Sarti. AuBerdem verwendeten u. a.
Kozlowski, Degtjarow und Kaschin die R. H. Im
Westen wurde die R. H. um 1830 durch Konzertreisen
russischer Ensembles popular. Auber verwendete sie in
seiner Oper Lestocq (Paris 1834), A. F. Anacker in Kom-
positionen fiir seinen Bergmusikchor in Freiberg in
824
Russische Musik
Sachsen. In RuBland wurde sie 1883 und 1896 bei den
Zarenkronungen noch einmal offiziell belebt.
Lit : J. Chr. Hinrichs, Entstehung . . . d. russ. Jagdmusik,
St. Petersburg 1796, auch russ.; K. Wertkow, Russkaja
rogowaja musyka (»Die R. H.«), Moskau 1948; R. A.
Mooser, Annales de la musique et des musiciens en Russie
au XVIII e s., Bd III, Genf 1951.
Russische Musik. 988 wurde das Kiewer Fiirstentum
durch Missionare, die Fiirst Wladimir aus Bulgarien
und Byzanz berufen hatte, christianisiert. Bald begann
eine rege Ubersetzungstatigkeit; religiose Texte, dar-
unter auch liturgische Gesange, wurden ins Kirchen-
slawische ukrainischer Redaktion iibertragen. Der Got-
tesdienst am Kiewer Hof war bis ins 13. Jh. zweispra-
chig: wahrend die Zelebranten die liturgischen Texte
griechisch vortrugen, sang der Chor in kirchenslawi-
scher Sprache. Dabei trugen die Sanger Elemente des
national-weltlichen Gesanges in die Kirchenmusik. Die
so entstandenen Varianten hiefien Preklad; sie beweg-
ten sich im allgemeinen im Rahmen des -»• Oktoechos.
- Die alteste datierbare neumierte Handschrif t, ein Sti-
cherarion (->• Sticheron), stammt aus dem Jahre 1157.
Die russischen Neumen, -*■ Krjuki genannt und teil-
weise bis heute im Gebrauch, wurden im Laufe der
Zeit zu verschiedenen, zum Teil nebeneinander beste-
henden Schriftarten ausgebildet. Im 17. Jh. fuhrte
die Staatskirche die unter westlichem EinfluB stehende
Kiewer Notation ein, eine Choralnotation mit Fiinf-
liniensystem. Die altere Notationsart blieb jedoch in
ihrer durch A.Mesenez umgebildeten Form bei den
Altglaubigen erhalten. - Durch polnische Vermittlung
(polnisch-litauische Union 1569) verbreitete sich der
mehrstimmige Gesang in der Ukraine; dies wurde durch
die Union der ukrainischen Kirche mit Rom (1596)
gef ordert, da besonders in die unierte Kirche die Mehr-
stimmigkeit Eingang fand. Kiew wurde zum Mittel-
punkt dieser westlichen Kulturstromung. Die 2-3st.
Kanty (von lat. cantus) erlebten auch in Moskau eine
Blutezeit und fanden im Partesgesang (Partes = Stimm-
biicher) bei Hof und im Volk Eingang. Im Tenor er-
klang die Melodie des Snamenny rospew (Zeichenge-
sang) als C. f . Auch die Psalmen und selbst die liturgi-
schen Texte wurden in dieser Weise bearbeitet. Dilez-
kij, Schajdurow und Mesenez waren die Theoretiker
dieses mehrstimmigen Kirchengesangs; als Kompo-
nisten sind Bawykin, W.P.Titow, Beljajew und Ko-
laschnikow bekannt. - In der Barockzeit wurde selbst
die Kirche - zur Unzuf riedenheit ihrer Wurdentrager -
zum Konzertsaal. Der Chor der Hofsangerdiakone
(gossudarewy pewtschije djaki), der im 16. Jh. zur Mit-
wirkung bei den Gottesdiensten gegriindet worden
war, wirkte nun auch bei weltlichen Veranstaltungen
mit. Elemente des concertierenden und doppelchorigen
Stils sind aufgenommen in den Choren von M. S.Be-
resowskij (1745-77) und Dm. St.Bortnjanskij (1751-
1825), dessen Kompositionen einen Hohepunkt der
russischen Kirchenmusik bedeuten. Daneben gab es bis
in die 1. Halfte des 19. Jh. den italienischen Musikstil
(italjanstwo), in dem zumeist nur die veranderlichen
Teile der MeBliturgie vertont wurden; hier waren Ga-
luppi und Sarti mafigebend. Zu den einheimischen Kir-
chenkomponisten dieser Zeit gehoren noch St. A. Deg-
tjarow (1766-1813) und St.I.Dawydow (1777-1825).
Als Glinka 1837 zum Lehrer an der Hofsangerkapelle
in St. Petersburg ernannt wurde, erhielt er den Auf trag,
diese »Hofsanger zu entitalianisieren«, da man der
italienischen Musik iiberdriissig war. P.I.Turtschani-
now, der mit A.Fj.Lwow russische Volkslieder sam-
melte, gehort zu den Grundern des nationalen Stils in
der Kirchenmusik. Er bearbeitete die Kirchengesange
fur 3-4st. Chor und fuhrte den symmetrischen Rhyth-
mus bei den asymmetrischen Melodien ein. N.I.Bach-
metjew veroffentlichte eine Sammlung von Kirchen-
gesangen fiir das ganze Jahr in 2 Banden (1869). N.M.
Potulow (1810-73) gab in 5 Banden alte liturgische Ge-
sange mehrstimmig heraus und schrieb ein Lehrbuch des
alten gottesdienstlichen Gesanges. Die nationale Rich-
tung in der Kirchenmusik rief eine rege Forschungstatig-
keit hervor (Wl.Fj.Odojewskij, Dm. W. Rasumow-
skij, J.J. Wosnessenskij, St. W. Smolensky). Archan-
gelskij fuhrte um 1880 die Frauen-(statt Knaben-)Stim-
men in den Chor ein. Die bedeutendsten Kirchenkom-
ponisten der neueren Zeit sind Kastalskij und Tsches-
nokow, auBerdem Ippolitow-Iwanow, Glasunow, N.
N. Tscherepnin, Rachmaninow (dessen Werke als zu
modern fiir die Kirche galten), Nikolskij, Kalinnikow
und Gretschaninow. Auch Strawinsky schrieb fiir den
ostlichen Ritus. In der Gegenwart pflegen besonders im
Exil lebende Russen die alte Gesangstradition (u. a.
J.K.Denisov in Paris).
Die Pflege weltlicher Musik in RuBland begann mit
den Anfangen des Kiewer Staates, zu dessen Aufbau
Kunstler, darunter auch Musiker, aus vielen Landern
herbeigeholt wurden. Als ihre Instrumente erscheinen
in den Fresken der Sophienkathedrale von Kiew sowie
in Handschriften des 11./12. Jh. Orgel, Geigen, Samra-
floten und Trommeln. Die Kirche bekampf te ihre Dar-
bietungen von Anfang an als »teuflisch«. An den Herr-
scherhofen trugen berufsmaBige Sanger (pewez-skasi-
tel, »Sanger-Erzahler«) epische Dichtung vor, wie sie
im Igor-Lied des 12. Jh. erhalten ist. In Nowgorod, das
wahrend der Tatareneinfalle Hauptstadt wurde, unter-
hielten SpaBmacher (skomorochi) die wohlhabenden
Kaufleute mit Liedern zur Begleitung der Gusla oder
des Godak; Rimskij-Korsakow zeigt diesen Typ des
Musikers in der Gestalt des Sadko. - Nach dem Sieg
iiber die Tataren 1380 wurde Moskau zum politischen
und kulturellen Zentrum des Landes. Unter Iwan III.
(1462-1505) wurde der 30-35 Mann starke Chor der
Hofsangerdiakone (Gossudarewy pewtschije djaki) ge-
griindet, aus dem sich im 18. Jh. die Hofsangerkapelle
entwickelte. Iwan IV. (1533-84) war ein Forderer der
kirchlichen und weltlichen Musik. Die Synode von
1551 reorganisierte die Kirchenmusik und erzwang das
Verbot der berufsmaBigen Skomorochi. Unter beiden
Herrschern wurden Musiker, darunter auch Organisten,
ins Land gerufen, die in den Dienst der wohlhabenden
Bojaren traten. Die westlich orientierte Politik der Za-
ren im 17. Jh. und vor allem zu Beginn des 18. Jh. hatte
zur Folge, daB auslandische Theatertruppen und Mu-
siker RuBland besuchten und einheimische Kunstler zu
kompositorischer Betatigung anregten. AnlaGlich der
Geburt Peters des GroBen wurde der in Moskau wir-
kende evangelische Pastor J. G.Gregori aus Merseburg
beauftragt, seine Oper »Die Handlung des Artaxerxes«
aufzufiinren. Die Kunstler hatte Gregori aus Deutsch-
land mitgebracht. Die Auffiihrung am 17. 10. 1672, die
erste Opernauff iihrung in RuBland, fand in dem zu die-
sem Zweck erbauten Moskauer Hof theater statt, in dem
1673 auch H. Schiitz' Ballet . . . von dem Orpheo und
Eurydice gegeben wurde. Weiterhin standen auf dem
Programm dieser Biihne moralisierende Komodien
und Stiicke biblischen und mythologischen Inhalts, die
zumeist mit Instrumental- und Soloeinlagen versehen
und mit Choren umrahmt waren. Ahnliche Auffiih-
rungen fanden auch in Kiew statt. Peter der GroBe
(1682 bzw. 1689-1725) ordnete an, daB jedes Regiment
des Heeres ein eigenes Musikkorps haben solle. Fami-
liare Beziehungen zu deutschen Herrscherhausern tru-
gen dazu bei, daB deutsche Musiker ins Land kamen. J.
und A.Hiibner leisteten im Auftrag der Zarin Anna
(1730-40) organisatorische Vorbereitungen zur Ent-
825
Russische Musik
wicklung des russischen Musiklebens; sie verpflichteten
Operntruppen aus Deutschland und Italien. J. v. Stahlin
aus Memmingen kam 1735 an die Akademie der Wis-
senschaften in St. Petersburg, wo er die »St.Petersbur-
ger Nachrichten« ins Leben rief, die bis in die Zeit des
»Machtigen Haufleins« die musikalischen Veranstaltun-
gen im Lande besprachen. - Die Reihe der Italiener in
RuBland eroffnete 1731-38 G.Veroccai, der in St. Pe-
tersburg die Kammerkonzerte im Winterpalais leitete
und seine 12 Violinsonaten op. 1 als ersten Notendruck
der Akademie der Wissenschaften erscheinen lieC. L.
Madonis yeroffentlichte ebenda 1738 12 Violinsonaten
mit ukrainischen Volksliedthemen. Den Grundstein zu
einer standigen Pflege der italienischen Oper in RuB-
land legte fur die Opera seria 1735 Fr.Araja, fur die
Opera buffa 1757 G. B. Locatelli. 1766 reorganisierte B.
Galuppi das gesamte Opernwesen am St.Petersburger
Hofe. Die Hofmusikkapelle umfaBte nun 35 Mitglie-
der, das Ballett 42; auBerdem wurde ein 44 Mann star-
kes Orchester fur die Hofballe geschaffen; dazu kamen
noch eine franzosische Truppe mit 24 und eine russi-
sche mit 21 Mitgliedern. Die Nachfolger Galuppis wa-
ren T.Traetta und G.Paisiello, der erstmals russische
Sanger heranzog. Nach G. Sarti (berufen 1784) und D.
Cimarosa iibernahm 1788 V. Martin y Soler die Lei-
tung der Oper; er verwendete russische Volkslieder als
Themen und war an der Heranbildung russischer San-
ger beteiligt. 1799 kam G.Cavos nach RuBland; er
komponierte vor Glinka einen Iwan Sussanin (1815).
Gegen Ende des 18. Jh. wurde die italienische Opera
buffa durch die franzosische Opera-comique verdrangt.
1773 engagierte Katharina II. zum erstenmal eine fran-
zosische Truppe; 1774 kam Fr.-J.Darcis aus Paris nach
RuBland. Die Opera-comique wurde wegen ihrer rea-
listischen Tendenzen, Satire und Aktualitat bald sehr
beliebt.
Die ersten einheimischen Komponisten schrieben in
den Formen, fiir die ihre autodidaktische Ausbildung
geniigte, zumeist Hausmusik. Die in den Salons iibli-
chen Tanzrhy thmen erklingen in den Liedern Teplows.
- Vorboten des nationalen Stils zeigten sich schon in der
2. Halfte des 18. Jh., als neben dem Adel das Biirger-
tum starker als Liebhaber der Kunst hervortrat. Bedeu-
tung kam hier - wie bei alien Slawen - dem Volkslied
zu. - Die alteste, seit dem 13. Jh. greifbare Form des
russischen Volksliedes ist die nordrussische Byline
(-> Epos), ein lang ausgesponnenes Heldenlied, das be-
sonders im Nowgoroder Gouvernement gepflegt wur-
de. Es bluhteim 16./17. Jh., als Spielleute (um 1600 die
Skomorochi) durchs Land zogen. Die alteste aufge-
zeichnete Sammlung ist diejenige Kirsa Danilows aus
dem Anfang des 18. Jh. Verwandt mit der Byline sind
das geistliche und das jiingere historische Lied, das vor
allem im Moskauer Gebiet beheimatet war. Oberall in
RuBland begleiteten Volkslieder das Leben; besonders
Frauen sangen sie. Aus der freien oder an Schemata ge-
bundenen Improvisation entstand eine Art der Bauern-
polyphonie, bei der eine Stimme beginnt, die anderen
sich mit ihr in Form von Variantenheterophonie ver-
einigen. Die bekannteste Stilisierung dieser Gesangsart
ist der Bauernchor in Borodins Oper »Furst Igor«. Die
Melodik des Volksliedes griindet auf Pentatonik und
hat Einfliisse der Kirchentonarten, in neuerer Zeit auch
der Dur-Moll-Tonalitat aufgenommen, wenig dage-
gen von orientalischer Melismatik. Charakteristisch
sind die fallende Melodielinie sowie die bei der Um-
schrift sich ergebenden unsymmetrischen Taktarten.
Die bedeutenden russischen Komponisten des 19. Jh.
sammelten Volkslieder und gaben sie meist mit Klavier-
begleitung heraus. Der Tanz wird meist vokal beglei-
tet, so durch die vierzeiligen Tschastuschki. Neben den
alten Formen des Chorowod (Reigen) stehen Solotanz-
f ormen. Von den Volksinstrumenten sind die Balalaika
und die Gusla auch im Ausland bekannt geworden.
- War im 18. Jh. das Opernschaffen vorherrschend, so
traten zu Beginn des 19. Jh. die Instrumentalmusik und
die Romanze in den Vordergrund. Der Landadel be-
gann eigene Kapellen und Theatertruppen (meist aus
Leibeigenen) zu unterhalten. Die offentlichen Konzerte
waren besonders der Wiener Klassik gewidmet; sie
wurden in Moskau vom »Musikalischen Klub«, in St.
Petersburg von der »Musikalischen Akademie« gefor-
dert. Musikwissenschaf tlicheWerke, vornehmlich phy-
sikalisch-akustischen und ethnographischen Inhalts, er-
schienen in der St.Petersburger Akademie. - Die russi-
sche Oper veranschaulicht zumeist das Leben des russi-
schen Volkes und ist von Volksmusik durchsetzt. Zu
den friihen Werken dieser Art gehort »Der St.Peters-
burger Kaufhof« (1779) von Matinskij, bekannt in der
Bearbeitung des Hofkapellmeisters Paschkewitsch von
1792. Einen ersten Hohepunkt im russischen Opern-
schaffen bilden die Werke von Fomin. Weiterhin sind
zu nennen Kaschin mit seiner komischen Oper »Na-
talie, die Bojarentochter«, A.N.Titow (1769-1827),
dessen Opern, Ballette und Melodramen unter dem
EinfluB Mozarts stehen, und St.I.Dawydow. Mit
stimmungsvollen Liedern trat M.F.Dubrjanskij (1760-
96) hervor, mit beliebten Polonaisen J.Kozlowski. Ei-
ne Eigenart des russischen Musiklebens dieser Zeit ist
die Pflege der -> Russischen Hornmusik. Zu den be-
liebtesten Komponisten von Hausmusik gehorten
Werstowskij, Gurilew und N.A.Titow (1800-75).
LJber die Grenzen RuBlands hinaus wurden in jener
Zeit vor allem Romanzen bekannt, darunter »Die
Nachtigall« von A. A. Aljabjew und »Der rote Sarafan«
von A.J. Warlamow (1801^48). RomantischeElemente
zeigen die Opern A.N.Werstowskijs (1799-1845), in
denen er Volksmusik verarbeitet.
Glinka, der »Vater der R.n M.«, und Dargomyschskij
stehen am Beginn der russischen nationalen Schule des
19. Jh. Das Schaffen Glinkas ftthrte zur Anerkennung
der R.n M. in der ganzen Welt. Bald nach seiner Riick-
kehr aus Italien, Berlin und Wien schrieb er seine Oper
»Das Leben fiir den Zaren« (1836), die auf dem Studium
italienischer Gesangskultur beruht und zugleich den
russischen Eigenton traf. War die erste Oper Glinkas
fiir Mussorgsky richtungweisend, so die zweite (»Rus-
lan und Ljudmila«, 1842) fiir Rimskij-Korsakow. An
Glinka und Dargomyschskij kniipften in den 1860er
Jahren die Mitglieder des »Machtigen Haufleins« (mo-
gutschaja kutschka) an: Balakirew, Borodin, Cui, Mus-
sorgsky und Rimskij-Korsakow. Sie reprasentieren die
neurussische Schule. An der Spitze des 1866 gegriinde-
ten Konservatoriums in Moskau stand A.Rubinstein,
der gegeniiber den nationalen Bestrebungen eine kos-
mopolitische, akademische Richtung vertrat. Zwischen
beiden Richrungen bildete das Schaffen P.I.Tschai-
kowskys die Briicke. Der Musikschrif tsteller A. N. Se-
row (1820-71), dessen Gesprache mit Wl.W.Stassow
(1824-1906) AnlaB zu mehreren Werken der Kutsch-
kisten, aber auch Tschaikowskys gaben, war der Vor-
kampfer Glinkas und der deutschen Neuromantik und
wies in RuBland als erster auf R.Wagner hin. Der be-
deutendsteMusikkritiker seiner Zeit warH. A. Laroche,
ein Freund Tschaikowskys. - Bis zum Beginn der so-
zialistischen Revolution 1917 beeinfluBte Tschaikowsky
das Musikschaffen in Moskau, Rimskij-Korsakow die
Komponisten St.Petersburgs. Tschaikowskys Nachfol-
ger am Moskauer Konservatorium war sein Schiiler
S. I. Tanejew; ferner gehorten zum Moskauer Kreis Re-
bikow, Skrjabin, Medtner und Rachmaninow, wahrend
Glasunow, Ljadow, Kalinnikow, Ljapvinow und der
826
Russische Musik
friihe Strawinsky die St.Petersburger Schule reprasen-
tierten. Beide Schulen vertraten verschiedene Schich-
ten der russischen Bevolkerung : Moskau die Bourgeoi-
sie und die liberale Intelligenz, St. Petersburg die Be-
amtenschaft. An die Stelle des Adels trat die reiche
Kaufmannschaft; ihr Mazenatentum war international
ausgerichtet. Von dieser Seite unterstiitzt, entstand der
Beljajew-Kreis in St. Petersburg. Dem Mazen M.P.
Beljaje w verdankten Glasunow und Skrjabin neben Aki-
menko, Sokolow, Malischewskij und Senilow die Auf-
f iihrung ihrer Werke im Rahmen der »Russischen Sym-
phoniekonzerte« und die Veroffentlichung in dem von
Beljajew in Leipzig gegrtindeten Verlag.
1917 brachte in RuBland die Oktoberrevolution audi
in musikalischer Hinsicht eine Umwalzung. Einige
Komponisten verlieBen RuBland oder kehrten, wenn
sie zufallig im Ausland weilten, nicht mehr zuriick; zu
ihnen gehoren Strawinsky, Rachmaninow, N.Medt-
ner, I.Dobrowen, N.N. und A.N.Tscherepnin. Jene
aber, die in der Heimat blieben, muBten ihre Kunst in
den Dienst der proletarischen Revolution stellen. Zu-
erst waren es Massenlieder, die den Geist der Revolution
fordern sollten. Bald jedoch fanden die Sowjetkompo-
nisten einen Ankniipf ungspunkt f iir ihr Schaffen in der
patriotischen Richtung Glinkas, Dargomyschskijs und
des sMachtigen Haufleins«, in deren Werken die musi-
kalische Folklore einbezogen war. Zur ersten Genera-
tion der Sowjetkomponisten gehoren Wassilenko, Glie-
re, Goedicke, Assafjew, Schaporin und A.W. Alexan-
drow. Bei ihnen ist keine grundlegende Anderung ge-
geniiber der vorrevolutionaren Kurist zu bemerken.
Ippolitow-Iwanow bearbeitete die Folklore der ostli-
chen Teile des Reiches; neben akademischen Werken
schrieb er auch Massenlieder. Die markanteste Person-
lichkeit dieser Generation war Mjaskowskij, der Lehrer
von Schebalin, Chatschaturjan und Kabalewskij. Aller-
dings blieben auch die westlichen Stromungen nicht
ganz ohne EinfluB auf das sowjetische Musikschaffen,
wie N. A.Rosslawets (* 1881) beweist. Bei ihm finden
sich Anklange des Futurismus, Impressionismus und
Expressionismus; er meinte, das Proletariat solle reifer
werden, urn seine Werke zu verstehen. Um einen jiidi-
schen Musikstil bemiihten sich M. F. Gnessin und A. A.
Krejn. Mystizismus und Irrationalismus kennzeichnen
das Schafien von M. O. Steinberg (1883-1946). Im Mu-
sikleben nach der Revolution waren Assafjew und Pro-
kofjew (der 1933 aus demExil zuriickkehrte) von iiber-
ragender Bedeutung. - Die 2. Generation der Sowjet-
komponisten, die zu Beginn der 1930er Jahre auf trat,
setzt sich vornehmlich aus Absolventen des Moskauer
Konservatoriums zusammen. Hierher gehoren A.M.
Weprik (* 1899), A. A. Dawidenko (1899-1934), V. A.
Bjelij (* 1904), W.J. Schebalin (* 1902) und Dm.B.Ka-
balewskij (* 1904). Armenier ist Chatschaturjan; seine
II. Symphonie schildert die Lage seines Volkes im 2.
Weltkrieg. Die groBte kiinstlerische Personlichkeit der
sowjetischenEpoche in der russischen Musikgeschichte
ist Schostakowitsch. Zu seiner Generation gehoren
noch: M. V.Kowal (* 1907), N.Rakow (* 1908) sowie
die Opernkomponistenl.I.Dserschinskij (* 1909; »Der
stille Don«, 1935) und W. W. Schelobinskij (* 1912). -
Die Sowjetunion ist ein Nationalitatenstaat; die Nahe
zur Volksmusik der verschiedenen Volker wird ideolc-
gisch gefordert. Es gibt heute eine groBe Anzahl meist
neugegrundetermusikalischerlnstitutionen. 1958 waren
es etwa 100 philharmonische Orchester, 32 staatliche
Opern und 24 Operettentheater; die Auffiihrungen
werden auf Russisch und in den Landessprachen gebo-
ten. Neben den 32 Konservatorien und Hochschulen
gibt es uber 1 00 Musikfachschulen und iiber 1 000 Volks-
schulen fiir den musikalischenElementarunterricht. Zu
den alten Institutionen, iiber deren Weiterbestehen viel
debattiert worden ist, gehoren die beruhmte Ballett-
schule, der einstige Hof-, jetzt Staatschor und die Or-
chester der Leningrader und Moskauer Philharmonie.
Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Moskau.
Kirchenmusik.
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gefangener, hrsg. v. dems., 9 H., =Sb. Wien CCIII, 4,
CCIV, 4-5, CCV, 1-2, CCXI, 3, CCXVIII, 1 u. 4, CCXXVII,
4, = Mitt. d. Phonogramm-Arch.-Kommission LIV, LV,
LVIII, LXV, LXVI, LXVIII, LXXIV, LXXVIII, 1926-52;
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schen Musik«), 1948; N. A. Garbusow, Drewnerusskoje
narodnojemnogogolossije (»Altruss. volkstiimliche Mehr-
stimmigkeit«), Moskau u. Leningrad 1 948 ; J. Wl. Gippius,
Rute
O russkoj narodnoj podgolossotschnoj polifonii . . . (»t)ber
d. Mehrstimmigkeit im russ. Volkslied zu Ende d. 1 8. u. Be-
ginn d. 19. Jh.«), in: Sowjetskaja etnografija II, Moskau u.
Leningrad 1948; R. Trautmann, Das altruss. hist. Lied,
Sb. Bin 1951, Nr 2; J. Handschin, La musique paysanne
russe, SMZ XCII, 1952; G. W. MEYER.Tonale Verhaltnis-
se u. Melodiestruktur im ostslawischen Volkslied, Lpz.
1956; G. Seman, Russ. Folksong in the Eighteenth Cent.,
ML XL, 1959; P. Berschadskaja, Osnownyje komposi-
zionnyje sakonomernosti . . . (»Grundlegende komposi-
torische GesetzmaBigkeiten d. mehrst. russ. volkstumli-
chen Bauernliedes«), Leningrad 1961 ; D. Gojowy, Mo-
derne Musik in d. Sowjetunion bis 1930, Diss. Gottingen
1965. -* UdSSR. FZ
Rute (frz. fouet; engl. switch, wand; arabisch qadib),
ein im 18. Jh. aus dem Vorderen Orient durch die Ja-
nitscharenmusik nach Europa gelangtes Schlagwerk-
zeug, ein Reisigbiindel, das heute weitgehend durch
den -»■ Besen ersetzt ist. Mozart verwandte die R. als
2. Schlagel der grofien Trommel in der Entfiihrung aus
dem Serail (Notierung : Achtel mit Schlagel, Viertel mit
R.), auch G.Mahler (2. und 3. Symphonie), R.Strauss
(Ekktra, Frau ohne Schatten) u. a. verlangen sie. Noch
heute ist in der Volksmusik einiger Balkanlander (Al-
banien, Griechenland), das abwechselnde Schlagen der
groBen Trommel (tupan, dauli) mit Schlagel (rechts)
und R. (links) verbreitet.
829
S, Abk. fiir - 1) Sopran; - 2) -v Segno (ital.), Zeichen
bei Wiederholungen (Dal S., D. S. = -> dal segno; al
S. = -> al segno) ; - 3) S = Subdominante (Funktions-
bezeichnung nach Riemann).
Saarbriicken.
Lit. : Fr. Kloevekorn, Chronik d. Saarbriicker Theaters u.
Theaterspiels, = Mitt. d. Hist. Ver. f. d. Saargegend XIX,
S. 1932; E. Stilz, Das gegenwSrtige Musikleben an d.
Saar, in: Das Saarland, S. 1958; J. Muller-Blattau, Die
Pflege d. Musik an d. Saar in Gesch. u. Gegenwart, ebenda.
SACD-s-SACEM.
SACEM (Societe des auteurs, compositeurs et editeurs
de musique), franzosische Gesellschaft fiir musikalische
Auffiihrungsrechte, gegriindet 1851 und als erste ihrer
Art Vorbild der deutschen -*■ GEMA und anderer
-> Verwertungsgesellschaften. - Den Einzug der Tan-
tiemen fiir die szenischen Auffiihrungsrechte (grands
droits de representation) nimmt die franzosische Ge-
sellschaft SACD (Societe des auteurs et compositeurs
dramatiques) vor, deren Griindung auf die Initiative
von Beaumarchais aus dem Jahre 1777 zuriickgeht.
1791 erhielt diese Gesellschaft durchEinsatz von Robes-
pierre und Mirabeau gesetzlichen Riickhalt und 1837
durch Scribe ihre noch heute giiltige gesellschaftliche
Form.
Sachsen.
Lit.: M. Furstenau, Zur Gesch. d. Orgelbaukunst in S.,
Mitt. d. Koniglich-SSchsischen Alterthumsver. XIII, 1863;
F. Oehme, Hdb. uber altere u. neuere beriihmte Orgelwer-
ke im Konigreich S., Dresden 1888-97; R. Vollhardt,
Gesch. d. Cantoren u. Organisten v. d. Stadten im Konig-
reich S., Bin 1899 ; A. Werner, Gesch. d. Kantorei-Ges. im
Gebiete d. ehemaligen Kurfiirstentums S., = BIMG I, 9,
Lpz. 1902; ders., S.-Thuringen in d. Mg., Af Mw IV, 1922;
J. Rautenstrauch, Luther u. d. Pflege d. kirchlichen Mu-
sik in S., Diss. Lpz. 1907; H. Kretzschmar, S. in d. Mg.,
in: Gesammelte Aufsatze uber Musik, Lpz. 1910; W.
Kurth, Die hausindustrielle Fabrikation kleinerer mus.
Instr. im Vogtland u. in Oberbayern, Diss. Lpz. 1910; H. J.
Moser, Der ZusammenschluB d. sachsischen Kunstpfeifer
1653, ZIMG XII, 1910/1 1 ; A. Koczirz, Das Kollegium d.
sachsischen Stadt- u. Kirchen-Musikanten v. 1653, AfMw
II, 1919/20; K. Pembaur, 3 Jahrhunderte Kirchenmusik
am sachsischen Hofe, Dresden 1920; R. Bruckner, Die
Musikinstrumentenindustrie v. Markneukirchen i. V., Diss.
Jena 1923, maschr. ; Fr. Ludwig, KurzgefaBte Mg. d. Erz-
gebirges, Kaaden 1924; O. Stutz, tJber d. Musiker u. In-
strumentenbauer d. Erzgebirges, Kaaden 1924; E. Simon,
Gesch. d. Kantorei-Ges. zu Lommatzsch 1560-1928, Lom-
matzsch 1929 ; H. Techritz, Sachsische Stadtpfeifer, Diss.
Lpz. 1932; G. Heilfurth, Das erzgebirgische Bergmanns-
lied, Schwarzenberg 1936; O. Voss, Die sachsische Orgel-
musik ind. 2. Half ted. 17. Jh., Diss. Bin 1936; Fr. Treiber,
Die thuringisch-sachsische Kirchenkantate zur Zeit d. jun-
gen J. S. Bach (etwa 1700-23), AfMf II, 1937 ; G. Pietzsch,
S. als Musikland, Dresden (1938); W. Schramm, Mg. d.
Stadt Glashiitte, AfMf III, 1938 ; E. Jammers, Lit. zur Mg.
S., Neues Arch, f . sachsische Gesch. LX, 1939 ; E.-Fr. Cal-
lenberg, Das obersachsische Barocklied, Diss. Freiburg
i. Br. 1952, maschr. ; P. Rubardt u. E. Jentsch, Kamenzer
Org.-Buch, Kamenz 1952; R. Jauernig, Die Erneuerung
d. Kirchengesangs im Herzogtum S.-Gotha, Jb. f . Liturgik
u. Hymnologie II, 1956; W. Merkel, Vogtlandische Mu-
siker vor 1900, = Museumsreihe XII, Plauen 1957; ders.,
Vogtlandische Musiker nach 1900, ebenda XX, 1960; H.
Pohlmann, Die kursachsischen Komponistenprivilegien,
AfMw XVIII, 1961.
Sachsen-Anhalt.
Lit. : P. Stobe, Zur Gesch. d. Kirchenorg. in Halberstadt,
Lpz. 1 896 ; K. E. Jacobs, Das Coll. mus. . . . zu Wernigero-
de, Zs. d. Harzver. f. Gesch. u. Altertumskunde XXV,
1902; H. Waschke, Die Zerbster Hofkapelle unter (J. Fr.)
Fasch, Zerbster Jb. II, 1906; Br. Kaiser, Singechoru. Kur-
rende an d. Naumburger Domschule, Naumburg 1922; A.
Werner, Die alte Musikbibl. u. d. Instr.-Slg an St. Wenzel
in Naumburg . . ., AfMw VIII, 1926; W. Reupke, Das
Zerbster Prozessionsspiel v. 1507, = Quellen zur deutschen
Volkskunde IV, Bin 1930; E. Kaestner, Zur Mg. d. Stadt
Gardelegen im Zeitalter d. Reformation, in: Heimatbuch.
Beitr. zur altmarkischen Heimatkunde I, Gardelegen 1937 ;
W. Braun, Zur Mg. d. Stadt Zorbig im 1 7. Jh., AfMw XIII,
1956; ders., Mg. d. Stadt Freyburg/Unstrut, Wiss. Zs. d.
M.-Luther-Univ. Halle, Gesellschafts- u. sprachwiss. Reihe
IX,4,1960;DERS.,A.Ungeru.d.biblischeHistorieinNaum-
burg . . ., Jb. f. Liturgik u. Hymnologie VII, 1962; I. We-
ber-Kellermann, L. Parisiusu. seine altmarkischen Volks-
lieder (. . . in Zusammenarbeit mit E. Stockmann), = Ver-
off. d. Inst. f. Deutsche Volkskunde d. Deutschen Akad. d.
Wiss. zu Bin X, Bin 1957; D. Stockmann, Der Volksge-
sang in d. Altmark, ebenda XXIX, 1962; W. Stuven, Org.
u. Orgelbauer im Saalkreis vor 1800, Diss. Tubingen 1962;
H. Voigt, 625 Jahre Schulmusik in Stendal, Stendal (1962).
Sackpfeife, auch Dudelsack (von tiirkisch diidiik oder
slawisch duda?), Bock- oder Schaferpfeife (lat. tibia
utricularis; span. ->■ gaita; ital. piva, -> cornamusa,
-> zampogna; altfrz. estive, frz. im 17./18. Jh. sourde-
line, auch cabrette, chevrette, von chevre, Ziege, auch
->• musette - 1; engl. bagpipe; schottisch lilt; estnisch
torupill), ein volkstiimliches Blasinstrument, dessen
Verbreitungsgebiet sich iiber Skandinavien, das Bal-
tikum und die britischen Inseln, Frankreich, Spanien,
Siiditalien, RuCland und den Balkan sowie Nordafrika
und den Vorderen Orient mit Auslaufern bis nach
Indien erstreckt. Wesentlicher Bestandteil der S. ist
ein Windsack (Fell eines Schafes oder einer Ziege, tieri-
scher Magen oder Blase [-> Platerspiel], heute auch
Gummi oder Kunststoff), der durch ein Anblasrohr
(Blaspfeife) oder einen Blasbalg mit Luf t versorgt wird.
Wird der Windsack mit dem Oberarm an den Korper
gedriickt, so spendet er Luf t an die ihm angeschlosseneri
(bis zu 8) Pfeifen, meist 1 Spielpfeife und mehrere Bor-
dunpfeifen (Stimmer; frz. bourdon; engl. drone) mit
einfachem oder doppeltem Rohrblatt, die oft Schall-
becher (-► Hornpipe - 1) haben. Doppelrohrblatter in
Melodiepfeifen und Bordunen haben allein die Musette
und die Zampogna. -Eine Terrakotta (Berlin 8798) aus
dem hellenistischen Agypten (nach Sachs aus dem 1.
Jh. v. Chr.) stellt einen Panpfeifenblaser dar, der zu-
gleich eine S. mit einer Pfeife (wahrscheinlich als Bor-
dun) spielt; ausschlieBlich als Bordun wird die S. noch
830
heute in Indien gespielt. Vom 10. Jh. ab sind S.n oft in
illuminierten Handschriften (Cantigas de Santa Maria)
und an (oft Engels-)Plastiken dargestellt; es kommen
dabei S.n mit einfacher oder gedoppelter Spielpfeife
sowie mit oder ohne Bordun vor. Praetorius (Synt. II)
kennt mehrere Arten von S.n: Bock mit langem Stim-
mer (Bordun) und einer Melodiepfeif e in C, beide Pfei-
fen mithornartigen Schallbechern; SchaperPfeiff (Scha-
ferpfeife) mit 2 Stimmern in b und fi und einer Melo-
diepfeif e; Hiimmelchen mit 2 Stimmern in f und c 1 ;
Dudey mit 3 Stimmern in es, bi und es 2 ; dazu die selte-
ne Magdeburgische S. mit 2 Stimmern und 2 Melodie-
pfeifen. - Charakteristisch fur die Spielweise der S. ist
der lange, nicht phrasierte und reich verzierte Melodie-
strom mit oder ohne Bordun. In der Spielweise mit
ausgehaltenen Borduntonen ist die S. mit der -*■ Dreh-
leier zu vergleichen; beide Instrumente treten zuweilen
in der gleichen kulturellen Umgebung auf und konnen
dabei auch die gleichen Namen (symphonia, zampogna)
haben. Nach einer Zeit der Hochschatzung im hohen
Mittelalter sanken beide zu Bettlerinstrumenten ab ; im
Frankreich des 17./18. Jh. wurden sie in kunstvoller
Ausfiihrung beliebt als modisch-schaferliche Instru-
mente (-> Musette - 1). In der Volksmusik ist die S. ein
Instrument der Hirten und Bauern. Auf den britischen
Inseln wird sie vor allem in Schottland als Nationalin-
strument gepflegt. Gruppenspiel schottischer Dudel-
sackblaser ist fur die Militarmusik der britischen Armee
charakteristisch. Eine Sonderform der S. in Irland und
Schottland ist die -> Union pipe. -*■ Phagotum.
Lit. : Praetorius Synt. II ; M. Mersenne, Harmonie uni-
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris
1963; H. Lapaire, Vielles et cornemuses, Moulins 1901;
W. H. Gr. Flood, The Story of the Bagpipe, London 1911;
Fr. Bruckner, Die Blasinstr. in d. altfrz. Lit., = GieBener
Beitr. zur Romanischen Philologie XIX, GieBen 1926; G.
V. B. Charlton, The Northumbrian Bag-Pipes, Archeo-
logia Aeliana IV, 7, 1930; G. H. Askew, A Bibliogr. of the
Bag-Pipe, Newcastle on Tyne 1932; W. A. Cocks, The
Northumbrian Bagpipes, ebenda 1933; P. Bromse, Fl.,
Schalmeien u. S. Siidslawiens, = Veroff. d. Mw. Inst. d.
Deutschen Univ. Prag IX, Briinn, Prag, Lpz. u. Wien 1937 ;
C. Sachs, The Hist, of Mus. Instr., NY (1940); G. A. Cl-
rot, Zamfona et zampona, Bull, hispanique XLIII, 1941 ;
ders., Gaita et rhaita, in: Melanges Lopes-Cenival, Lissa-
bon u. Paris 1945 ; M. Rehnbero, Om sackpipan i Sverige,
= Nordiska museets handlingar XVIII, Stockholm 1943;
E. Winternitz, Bagpipes and Hurdye-Gurdies in Their
Social Setting, Metropolitan Museum of Art Bull., N. F. II,
1943 ; ders., Bagpipes for the Lord, ebenda XVI, 1957/58 ;
L. Vargyas, Die Wirkung d. Dudelsacks auf d. ungarische
Volksmusik, Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest
1956, 31958; Ch. Chilibec, Folk Dance Instr.: Bagpipe in
Southern Bohemia, The Folklorist IV, 1957; M. Schnei-
der, Bemerkungen iiber d. span. S., in: Musikerkenntnis u.
Musikerziehung, Fs. H. Mersmann, Kassel 1 957; A. B aines,
Bagpipes, = Occasional Papers of Technology IX, Oxford
1960; O. Andersson, Brollopsmusik pa sackpipa, STMf
XLIII, 1961 ; J. Markl, Dudy a Dudaci, Tschechisch-Bud-
weis 1962; ders., Czech Bagpipe Music, Journal of the In-
ternational Folk Music Council XV, 1963.
Sangerbunde, regionale Zusammenschliisse von
Chorvereinigungen. Nationale Einigungsbestrebun-
gen, gleiche gesellschaftliche Interessen und das Messen
der sangerischen Krafte bestimmten die in Deutsch-
land seit Anfang des 19. Jh. allerorts aufbliihenden
Mannergesangvereine (->■ Liedertafeln, Liederkranze;
-*■ Mannerchor), sich auf Sangerfesten zu treffen und
auf regionaler Ebene zu verbinden. 1827 fand in Plo-
chingen das erste Deutsche Sangerfest mit einer Betei-
ligung von 200 Sangern statt, weitere folgten in Frank-
furt am Main 1838 und in Wiirzburg 1845. Der erste
organisatorische ZusammenschluB war die Provinzial-
liedertafel in Bernburg (1830, gegriindet von 28 San-
Sangerbiinde
gern der Liedertafeln von Magdeburg, Dessau und
Zerbst). Als ersten gebietsweisen ZusammenschluB
konstituierten Mitglieder der Liedertafeln von Ham-
burg und Bremen 1831 im OylerWald bei Nienburg
an der Weser die Vereinigten Norddeutschen Lieder-
tafeln. Spater entstanden S. in alien deutschsprachigen
Gebieten. Nach Herkunft und Ziel unterschieden sich
die S. von den musikpadagogischen Bestrebungen der
franzosischen ->• Orpheons. - Abgeordnete von 41 S.n
griindeten 1862 in Coburg (wo schon 1860 das erste
Deutsche Turnerf est und 1861 das erste Deutsche Schiit-
zenfest abgehalten worden waren) unter der Schirm-
herrschaft Herzog Ernsts II. von Sachsen-Coburg-
Gotha, den Deutschen Sangerbund (DSB). Dieser be-
zweckte die Ausbildung und Veredelung des deutschen
Mdnnergesanges und wollte dutch die dent deutschen Lie-
de inwohnende einigende Kraft . . . die nationale Zusam-
mengehorigkeit der deutschen Stamme starken und an der
Einheit und Macht des Vaterlandes mitarbeiten (Satzung
des DSB § 1). Zur Verwirklichung dieses Ziels wurden
Sangerbundesfeste durchgefiihrt (Dresden 1865, Miin-
chen 1874, Hamburg 1882, Wien 1890, Stuttgart 1896,
Graz 1902, Breslau 1907, Nurnberg 1912, Hannover
1924, Wien 1928, Frankfurt am Main 1932, Breslau
1937). 1927 wurden die Niirnberger Sangerwochen
eingerichtet, um den Stand deutschen Mannerchorschaf-
fens in Chorwerk und Chorleistung der Offentlichkeit zu
zeigen (Das deutsche Sangerbuch, 1930). Sie fanden 1927,
1929, 1931, 1934 und 1939 in Nurnberg statt. Nach
dem 2. Weltkrieg wurde der DSB verboten, aber 1949
neugegriindet. Heute ist er eine Vereinigung von Man-
ner-, Frauen-, gemischten und Jugendchoren und die
Dachorganisation von 18 Einzelbunden in der Bundes-
republik mit etwa 15000 Vereinen; seine Ziele und
Aufgaben sind in einemKulturprogramm niedergelegt.
Die Sangerbundesfeste mit ihrer f reien Programmwahl
wurden wieder aufgenommen (Mainz 1951, Stuttgart
1956, Essen 1962) ; die Sangerwochen wurden mit Auf-
fiihrungen neuer oder unbekannter alterer Chorwerke
1950 in Monchengladbach, 1953 in Gelsenkirchen, 1958
in Wiesbaden, 1963 in Essen abgehalten, wo sie alsEsse-
ner Chortage kiinf tig regelmaBig stattfinden sollen.
Delegierte der von den Arbeiterbildungsvereinen beein-
fluBten, vereinzelt bis in die 1860er Jahre zuriickgehen-
den und nach Aufhebung des Sozialistengesetzes (1890)
in vielen deutschen Stadten entstandenen Arbeiterge-
sangvereine griindeten 1 892 in Berlin die Liedergemein-
schaf t der Arbeiter-Sangervereinigungen Deutschlands,
deren Hauptzweck die Beschaffung von gemeinsamen
Liedern fur die Vereine war. 1908 wurde sie umbenannt
in Deutscher Arbeiter-Sangerbund (DAS) und in Gaue
und Bezirke eingeteilt. Als kulturpolitische Organisa-
tion beabsichtigte der DAS, den Bildungsstand der Ar-
beiter zu heben ; er sah von vornherein die Mitwirkung
von Frauen am Chorgesang vor. Gausangerfeste wur-
den in groBer Zahl veranstaltet, ein Sangerfest des ge-
samten Bundes kam nur 1928 in Hannover zustande.
Der DAS stand mit den deutschen Arbeitergesangver-
einen im Ausland in Verbindung; aus dem Bestreben,
auch mit nichtdeutschen Vereinen in nahere Beziehung
zu treten, wurde 1926 in Hamburg die Arbeitersanger-
Internationale gegriindet. 1933 wurde der DAS aufge-
lost; sein Erbe trat der 1947 in Hannover gegriindete,
in 13 Einzelgruppen (Bezirke und Kreise) gegliederte
Deutsche Allgemeine Sangerbund an (Abkiirzung
ebenfalls DAS). Eine Sangerbundeswoche des DAS
fand 1949 in Nurnberg statt. GroBe Chorfeste wurden
bisher 1951 in Frankfurt am Main, 1954 in Hannover,
1959 in Berlin und 1965 in Bremen abgehalten. - DSB
und DAS gehoren der 1950 in Detmold gegriindeten
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbande (ADC)
831
Saeta
an, der auBerdem folgende Verbande angeschlossen
sind : der als Rechtsnachf olger des seit 1925 bestehenden
Reichsverbandes der Gemischten Chore Deutschlands
1950 ins Leben gerufene Verband deutscher Oratorien-
und Kammerchore, dessen Aufgabe in der kiinstleri-
schen und organisatorischen Forderung der in ihm zu-
sammengeschlossenen musikpflegenden Gemeinschaf-
ten besteht, mit dem Ziel einer allgemeinenErneuerung
des Musiklebens durch chorisches Singen; der 1868
durch Fr. X.Witt gegriindete Allgemeine Cacilienver-
ein fiir die Lander deutscher Zunge (-> Caecilianismus) ,
heute Allgemeiner Cacilienverband fiir Deutschland,
Osterreich und die Schweiz genannt; der 1883 gegriin-
dete (bis 1933 Evangelischer Kirchengesangverein fiir
Deutschland genannte) Verband evangelischer Kir-
chenchore Deutschlands; der von der -> Jugendbewe-
gung beeinfluBte, alsZusammenschluB der Sing-, Spiel-
und Tanzkreise im Arbeitskreis fiir Haus- und Jugend-
musik und im Arbeitskreis Junge Musik 1952 gegriin-
dete Verband der Sing- und Spielkreise. - Lose in Form
einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen in
der Arbeitsgemeinschaft Europaischer Chorverbande
(AECV) sind neben dem DSB der Eidgenossische San-
gerverein, dieElsassische Chorgemeinschaft, der Finni-
sche Sangerbund SULASOL, der Koninklijk Neder-
lands Zangersverbond, der Osterreichische und der
Siidtiroler Sangerbund. Der Zweck der AECV besteht
in der Pflege gegenseitiger Beziehungen zwischen den
beteiligten Verbanden und der Veranstaltung inter-
nationaler Konzerte im Rahmen von Landessangerfe-
sten (1960 in Genf, 1962 in Essen, 1963 in Salzburg,
1964 in Turku, 1965 in Amsterdam, 1967 in Namur).
Lit.: O. Elben, Der volkstiimlichedeutsche Mannergesang,
Tubingen 1855, 21887; Der Deutsche Sangerbund 1862-
1912, hrsg. v. Gesamtausschusse d. Deutschen Sangerbun-
des, o. O. 1912; Grund-Buch d. Schwabischen Sangerbun-
des, bearb. v. G. Gabler, Stuttgart 1925; R. Kotzschke,
Gesch. d. deutschen Mannergesanges, Dresden 1927; Das
deutsche Sangerbuch, hrsg. v. Fr. J. Ewens, Bin u. Karls-
ruhe 1930; H. Dietel, Beitr. zur Friihgesch. d. Mannerge-
sanges, Diss. Wurzburg 1938; Hdb. d. Chormusik, hrsg. v.
E. Valentin, 2 Bde, Regensburg (1953-58) ; Fr. J. Ewens,
Lexikon d. deutschen Chorwesens, Monchengladbach
1954, 21960. - Jb. d. Deutschen Sangerbundes I, 1926 - X,
1936 u. XI, 1952ff.; Schriftenreihe d. DSB, Koln 1960ff.
Saeta, volkstiimlicher religioser Gesang Andalusiens,
besonders bei den Karfreitagsprozessionen, wobei der
Sanger vom Balkon aus auf die StraBe hinabsingt, wah-
rend die Prozession fiir die Zeit des Gesanges innehalt.
Lit. : A. de Larrea, La s., AM IV, 1949.
Sainete (span., Leckerbissen, Schwank), in Spanien
kurze, heitere Darbietung im Rahmen eines groBeren
Buhnenwerkes, oft mit Tanzen und Gesang. Urspriing-
lich wurde mit S. meist das Nachspiel bezeichnet, im
Unterschied zu dem alteren, jedocn ebenfalls einakti-
gen und burlesken Entremes (Zwischenspiel). Seit dem
18. Jh. ging die Bezeichnung S. auf die zwischen den
Akten (jornadas) des Dramas gespielten Einlagen iiber.
Ramon de la Cruz y Cano (1731-94) wurde als Schop-
fer eines neuen, dem Entremes an volkstiimlicher und
realistischer Wirkung iiberlegenen S.-Typus der Lieb-
lingsautor Spaniens und regte zu zahllosen Nachah-
mungen an. Zu den wenigen eigenstandigen Verfas-
sern von S.-Texten gehort J.I. Gonzales del Castillo.
Musik zu S.s schrieben im 18. Jh. u. a. P.Esteve, Bl. de
Laserna, Rosales, A. Soler. Bis Mitte des 19. Jh. sind
Kompositionen nur vereinzelt, danach zu Hunderten
iiberlief ert. In ihnen erscheint als weitaus haufigs te Num-
mer die -»■ Seguidilla, ferner der A cuatro (Vokalquar-
tett) und der ein- oder mehrstimmige Coro. Instrumen-
talbegleitung war die Regel. Die Besetzung reichte, je
nach den Moglichkeiten des Theaters und dem Charak-
ter der Szene, von einer einzelnen Gitarre bis zum vol-
len Orchester. Die Komponisten verlangten oft die
Einschaltung von volkstiimlichen Melodien und von
Nummern aus bereits vorhandenen Werken oder von
Kanzonen und Tanzen spanischer und europaischer Her-
kunft. Der spater in der Form verf allende, gelegentlich
auf 2 und 3 Akte erweiterte S. fand in der 2. Halfte des
19. Jh. eine Fortsetzung im -> Ge'nero chico. Gleichzei-
tig gingen Elemente aus dem S. in die -> Zarzuela iiber.
Lit. : E. Cotarelo y Mori, Coleccion de entremeses, loas,
bailes, jacaras y mojigangas desde fines del s. XVI a media-
dos del s. XVIII, Madrid 191 1 ; J. Subira, La partecipacion
mus. en los s. madrilenas del s. XVIII, Revista de la bibl.,
arch, y museo del Ayuntamiento de Madrid IV, 1927;
ders., Hist, de la miisica teatral en Espafta, in: Coleccion
Labor, Barcelona 1945, S. 139ff.; ders., La musica nel s.,
in: Enciclopedia dello spettacolo VIII, Rom 1961, S.
1389ff.; J. A. Montes, S., ebenda S. 1388L; H. Kinder-
mann, Theatergesch. Europas V, Salzburg 1 962, S. 43 1 .
Saint Louis (Missouri, USA).
Lit.: R. Spamer, The Hist, of Music in St. L., St. L. 1918;
E. Chr. Krohn, A Cent, of Missouri Music, St. L. 1924;
ders., Bach-Renaissance in St. L., Bull, of the Missouri
Hist. Soc. XII, 1955 ; L. B. Spiess, A New Music Library in
St. L., Notes II, 19, 1961/62.
Saint-Martial. Die 848 iiber der Grabstatte des hi.
Martialis erbaute Benediktinerabtei (1792 zerstort) war
die bedeutendste der zahlreichen Abteien in Limoges
(St-Martiii, St-Augustin, St-L^onard), die sich vom
Ende des 9. bis zu Beginn des 13. Jh. als Pflegestatten
der Musik auszeichneten. Bis Ende des 12. Jh. bliihte
hier die 1 st. Kunst des -*■ Tropus und der ->• Sequenz (- 1 ) .
Von den 23 »St-M.-Handschriften« mit 1st. Musik sind
(nach Stablein) 10 Handschriften Mitte des 11. Jh. ent-
standen. Nur 3 Handschriften (aus der Zeit vor und
um 1000; vielleicht noch 2 weitere Hss. aus dem 11.
Jh.) sind direkt fiir die Abtei St-M. geschrieben; die
meisten anderen kamen erst im 12. und 13. Jh. dorthin,
nachweislich z. B. aus Narbonne, vielleicht auch aus
den siidfranzosischen Abteien St-Yrieix, Aurillac sowie
Moissac, und hauptsachlich zufolge der Sammeltatig-
keit des Bernard Itier (ab 1204 Bibliothekar von St-
M.). Sie wurden, zusammen mit den Handschriften,
die auch mehrstimmige Musik enthalten (s. u.), 1730
an die Bibliotheque royale in Paris verkauft und somit
vor der Vernichtung durch die Revolution bewahrt.
Gemeinsam ist dieser ersten Gruppe der St-M.-Hand-
schriften (hierzu gehort auch die Hs. Apt, Sainte-Anne
17.5) die Aufzeichnung der Musik in siidfranzosischen
(aquitanischen) -> Neumen (- 1).
Im 12. Jh. (nach der Entstehungszeit der Hss.: vom
Ende des 11. bis ins 13. Jh.) bliihte in St-M. und wohl
auch in anderen Abteien in Limoges und Siidfrankreich
als eine neue Gattung der 1st. Musik der -*■ Versus (- 6),
spater Conductus genannt. Und besonders in Verbin-
dung mit diesen lateinischen Strophenliedern entstand
ein ausgedehntes Repertoire 2st. Musik, das die -*■ Quel-
len SM 1, 2, 3 und LoSM ebenfalls in aquitanischer
Neumenschrift iiberliefern (insgesamt 94 2st. und 92
1st. Stiicke) und das nach Ausweis dieser Quellen aus
dem Raum St-M.-Apt(?)-Katalonien(?) stammt. Zur
Gruppe der St-M.-Handschriften dieser zweitenEpoche
konnen im weitesten Sinne auch gezahlt werden : 2 ver-
lorene Sammlungen (versarii), die der Cantor Albertus
(nachgewiesen 1140-77) seiner Kirche -* Notre-Dame
in Paris testamentarisch vermachte; ferner die mehr-
stimmigen Stiicke des in der vorliegenden Form wohl
erst nach 1173 geschriebenen und mit nordfranzosi-
schen Neumen notierten Codex Calixtinus (-> Quel-
len: Calixtinus) ; schlieBlich auch die vielleicht in Eng-
832
Saiten
land in annahernd quadratischer Notation geschriebe-
ne, von O. Schumann so genannte jiingere Cambridger
Liedersammlung (Cambridge, Univ. Library, Ff 1 17;
wohl 1. Halfte des 13. Jh.; Sigel Cb 17) mit 13 2st.
Stiicken (Faks. bei Wooldridge), darunter je eine Kon-
kordanz mit SM 3 und LoSM. In diesem weiten Sinn
ist jedoch das »St-M.-Repertoire« nahezu identisch mit
der erhaltenen mehrstimmigen Musik des 12. Jh., mit
Ausnahme jener Gruppe von Fragmenten, in deren
Mittelpunkt die 2st. Alleluiaaufzeichnungen in Chartres
109 stehen (-> Organum), und auBer dem »Notre-
Dame-Repertoire«. Vielleicht stellt sich St-M. nur des-
halb in den Mittelpunkt heutiger Kenntnis der Musik
des 12. Jh., weil die dort gesammelten Handschriften
zufolge ihres Verkaufs an die Pariser Nationalbiblio-
thek vor dem Schicksal der Vernichtung bewahrt
blieben.
AuBer dem Versus (vor allem als -> Benedicamus Do-
mino-Tropus) bietet das mehrstimmige St-M.-Re-
pertoire u. a. auch Sequenzen, Tropen zu Ordinariums-
gesangen, Responsorien (5 im Calixtinus) und untro-
pierte Benedicamus Domino-Satze. Neben den »hori-
zontal interpolierenden« Tropen (Handschin) weisen
die Quellen SM 1,2, 3 und Cb 17 auch insgesamt 5
Simultantropen auf, je iiber einen Benedicamus Do-
mino-Cantus: gleichzeitig mit dem Cantus wird ein
Versus gesungen, der den Cantustext paraphrasiert.
Der Simultantropus kann als Vorform der Motette an-
gesprochen werden. Wahrend jedoch die -v Motette
des 13. Jh. auf die Textierung praexistenter Melismen-
satze zuriickgeht, entstanden die alteren Simultantro-
pen durch Hinzufiigen eines textlich-musikalischen
Versus zu einem vollstandigen Cantus. Ein Verbin-
dungsglied stellen die beiden Simultantropen in der
-*■ Quelle F des Notre-Dame-Repertoires dar (hierzu
Ludwig, S. 100 und 105). - Nach Ausweis der Texte
dienten die meisten Satze des St-M.-Repertoires der
Ausschmiickung des Of fiziums und (seltener und haupt-
sachlich an besonderen Festtagen) der Messe, daneben
wohl auch einem mehr inoffiziellen Gebrauch (z. B.
Neujahrslieder) und der Geselligkeit (wie besonders die
Anlage der Cambridger Liedersammlung zeigt).
Bezeichnend fiir die Aufzeichnungen mehrstimmiger
Musik in der Gruppe der St-M.-Handschriften sind:
Festhalten an der Zweistimmigkeit (ein 3st. Satz nur
in Cb 1 7; in einem Satz des Calixtinus ist eine 3. Stim-
me[?] nachtraglichhinzugef ugt) ; Lage der Organalstim-
me oberhalb des Cantus ; in der Regel wohl solistische
Ausfiihrung; die auch in den Traktaten des 12. Jh. ge-
lehrte Scheidung zwischen Geriistsatz und Kolorierung
der Gegenstimme; Ausbildung unterschiedlicher Satz-
arten (->■ Organum, -> Discantus), die verschiedene
Moglichkeiten zur Bildung und Gliederung musika-
lisch-textlicher Formen darstellen und die Satzarten
der Musik der Notre-Dame-Epoche im Ansatz enthal-
ten. Eine besondere Schwierigkeit des Verstandnisses
der Aufzeichnungen des St-M.-Repertoires bietet die
Frage des Rhythmus, der bei den Versus durch den Text
gegeben zu sein scheint. Doch unentschieden ist nicht
nur, welche Rolle die Konkordanzen und Diskordan-
zen fiir den Rhythmus spielen, sondern vor allem, ob
der syllabische Note-gegen-Note-Satz nach proportio-
nierten Langen und Kiirzen oder nur nach »innerer Ge-
wichtigkeit« der Betonungen erfolgen soil und inwie-
weit die Melismen sich einem solchen Vortrag einfii-
gen lassen. Bei (SchluB-)Melismen besonders in der
Handschrift LoSM wurde nachzuweisen versucht, dafi
sie infolge ihres mehdischen Charakters sowie ihrer Notation
kaum anders als rhythmisch modal zu deuten sind (Stab-
lein). - Insgesamt ist die Musik des St-M.-Repertoires
als Kloster- oder Abteikunst zu bezeichnen. Wahr-
scheinlich iiberschneidet sie sich seit Ende des 12. Jh.
zeitlich mit der Kathedralkunst von Notre-Dame. (Kon-
kordanzen zwischen dem mehrstimmigen Repertoire
von St-M. und dem der Notre-Dame-Quelfen sind
bisher nicht nachgewiesen.)
Lit. : E. H. Wooldridge, Early Engl. Harmony I, London
1897; Fr. Ludwig, Repertorium ... I, 1, S. 326ff„ Halle
1910, hrsg. v. L. A. Dittmer, NY u. Hildesheim 1964; J.
Handschin, Uber d. Ursprung d. Motette, Kgr.-Ber. Basel
1924; O. Schumann, Die jiingere Cambridger Liederslg,
in: Studimedievali, N. S. XVI, 1943-50; ApelN ; W. Apel,
From St. M. to Notre Dame, JAMS II, 1949; E. Jammers,
Anfanged. abendlandischen Musik, = Slgmw. Abh.XXXI,
StraBburg u. Kehl 1955 ; Br. Stablein, Modale Rhythmen
im S.-M.-Repertoire ?, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963.-4 Quel-
len: SM 1, 2, 3, LoSM; Calixtinus-Kod. HHE
Saint-Quentin (Aisne).
Lit. : Ch. Gomart, Notes hist, sur la maitrise de St-Qu ,
o. 0. 1 85 1 ; F. Raugel, Les grandes orgues et les organistes
de la basilique de St-Qu., Argentueil 1925; ders., B. Ju-
mentier (1749-1829), maitre de la chapelle de la collegiale
de St-Qu. et ses oeuvres in^dites, Kgr.-Ber. Bamberg 1953 ;
Ders., Notes pour servir a l'hist. mus. de la collegiale de St-
Qu. depuis les origines jusqu'en 1679, Fs. H. Besseler,
Lpz. 1961.
Saiten (Sake; griech. x°?^> l at - vnl ^ "al- corda; frz.
corde; engl. string) sind lange und diinne zylindrische
Korper, die in gespanntem Zustand durch Zupfen,
Schlagen (->■ Plektron), Streichen (-»■ Bogen - 2) oder
Mittonen (-> Aliquotsaiten) in Schwingungen versetzt
und damit zum Klingen gebracht werden. Neben tie-
rischen Sehnen und Darmen wird als Material fiir S.
seit dem 14. Jh. auch Metall (gezogener oder geschmie-
deter Draht aus Messing, Kupfer, Silber, Eisen, seit
1834 auch aus gezogenem GuBstahl), in neuester Zeit
auch synthetischer Kunststoff (z. B. Nylon, Perlon)
verwendet. In der auBereuropaischen Musik werden S.
auch aus Pflanzenf asern oder aus Seide hergestellt. Die
Grundfrequenz einer schwingenden Saite wird be-
stimmt von ihrer Lange, ihrer Spannung und ihrer
Masse, die von der Dichte des verwendeten Materials
und vom Querschnitt der Saite abhangig ist. Das Ver-
haltnis dieser Faktoren zueinander ist die fiir jedes Sai-
teninstrument durch Erfahrung, Versuche oder Be-
rechnung ermittelte Mensur der S. Wenn bei fest-
stehender Lange und Spannung zur Erzielung einer
bestimmten Grundfrequenz der Querschnitt einer Sai-
te iiber ein gewunschtes MaB erhoht werden muBte,
wird statt desseh die Masse erhoht durch Umspinnung
eines zugfesten Kerns mit einem schweren Material
(Kupfer, Silber). Gute Darmsaiten werden seit dem
Mittelalter in Italien (Neapel, Rom, Padua, Verona)
und in Deutschland (Niirnberg, Frankfurt am Main,
Offenbach, Markneukirchen) hergestellt aus Darmen,
die aus Bulgarien und den Wolgagebieten eingefiihrt
werden. Darm-S. sollen keine Wiilste oder Knoten
haben, mttssen durchscheinend sein und diirfen beim
Aufziehen Farbe und Durchsichtigkeit nicht verlieren.
Quintenrein sind S., die, in Quinten gestimmt, in alien
Grifflagen wieder reine Quinten ergeben. Zum Messen
der Starke dient das Chordometer, bei dem die S. in ei-
nen mit einer Skala versehenen spitzwinkligen Spalt
geschoben werden. Durch Verkurzung der schwin-
genden S.-Lange werden hohere Tone erzeugt; die
Proportion der verkiirzten schwingenden S.-Lange
uncf der ganzen Lange wird seit den Pythagoreern zur
zahlenmSBigen Darstellung der Intervalle verwendet.
Direr Veranschaulichung diente in Altertum und Mit-
telalter das mit einer Skala oder mit Tasten versehene
-»- Monochord. In welchem MaBe die Theorie der an-
tiken Griechischen Musik auf dem S.-Instrument auf-
gebaut ist, zeigt ihre Terminologie: z. B. bezeichnet
53
833
Saiteninstrumente
XopS^ zunachst die Saite, dann auch den -> Ton (t6vo<;
ist urspriinglich ein bestimmtes Spannungsverhaltnis
der Saite). Bei Zupf- und Streichinstrumenten werden
die S. und S.-Gruppen (Chore) von der hochsten zur
tiefsten hin numeriert; die S. der ->■ Laute (- 2) haben
eigene Namen. - Schnarr-S. sind ein Bestandteil der
-»- Trommel.
Lit. : G. E. Fischer, Versuche iiber d. Schwingungen ge-
spannter S., Bin 1924; H. Bouasse, Cordes et membranes,
Paris 1926; W. Albrecht, Vom Schafdarm zur Saite, Zflb
LX, 1940.
Saiteninstrumente -> Chordophone.
Sakuhati, japanische Kernspaltflote aus Bambus mit 5
Grifflochern. Sie soil im 13. Jh. von einem buddhisti-
schen Monch eingefiihrt worden sein.
Lit. : J. Obata, Acoustical Investigations of Some Japanese
Mus. Instr Tokio 1930.
Salicus (lat.) -> Neumen (- 1).
Salizional (Salicional, Salizet, von lat. salix, Weide,
s. v. w. Weidenpfeife, Schnabelpfeife aus Weidenholz)
ist in der Orgel eine oflene Labialstimme von enger
Mensur zu 8' und 4', auch 16' und 2', zumeist zylin-
drisch, seltener konisch, von mehr oder weniger strei-
chendem Klang. Unter der alten Bezeichnung Schilf-
pfeife ist vermutlich S. zu verstehen.
Salonmusik. Der Salon (in der Bedeutung des Gesell-
schafts-, Besuchs-, Empfangszimmers, auch der in ihm
arrangierten Soiree) wurde, von Frankreich ausgehend,
im 19. Jh. eine vornehmlich von der Damenwelt ge-
tragene Instanz auch des Musiklebens. Er stellte, wie
schon J. Fr. Reichardt in seinen Vertrauten Briefen (1802/
03) aus Paris und Wien berichtet, in den Hausern des
Adels und GroBbiirgertums eine gegeniiber Hofleben
und bffentlichem Konzertbetrieb neue Form der Ex-
klusivitat dar und lieB als eine eigene Art der Musik die
S. entstehen, die seit Mitte des 19. Jh. ins Breit-Burger-
liche verflachte und dann einerseits von der neueren
-> Unterhaltungsmusik abgelost, andererseits durch
die ->■ Hausmusik begrifflich und sachlich iiberhoht
wurde. - Das Bediirfnis nach einer Musik, die neben
dem Tee . . . von der schonen Welt so ganz gemiitlich wie
jener eingenommen wird (E.T. A. Hoffmann, AmZ vom
26. 9. 1810), befriedigten vor und nach 1800 Kompo-
sitionen u. a. von J.B. Vanhal, -*■ Sterkel, J. -»■ Gelinek
und I.J. -> Pleyel (der in Paris 1795 eine Musikahen-
handlung zum Vertrieb seiner Werke erofmete und
1807 eine Pianofortefabrik griindete). In seiner Pariser
Zeit (1823-35) erlebte Liszt die Atmosphere lourde et
miphistique des Salons diplomatiques . . . Baillements et
Bravos contractus des Soirees litte'raires et artistiques . . .
Triomphe de salon (SJbMw III, S. 11); 1837 klagte er
iiber ce metier de baladin et d'amuseur de salons (Briefe I,
S. 17). In Klavierstiicken (z. B. -> Polonaise) CM. v.
Webers, R. Schumanns, R. Wagners und vor allem in den
-> Paraphrasen Liszts beriihren sich Konzertmusik und
S., zumal Virtuositat und Faszination, Effekt und Me-
lodienseligkeit zu den Merkmalen auch der S. gehoren,
neben dem ihr eigenen elegant-intimen und lyrisch-
elegischen Ton, der sie in den kleinen Formen oft ans
-*■ Charakterstiick grenzen laBt. Verachtlich jedoch ka-
rikierte Heine (Musikalische Saison in Paris, Marz 1843)
jenes Pianoforte . . . , das man in alien Hausern erklingen
hbrt, injeder Gesellschaft, Tag und Nacht . . . (Ach! meine
Wandnachbarinnen . . . spielen in diesem Augenblick ein
brillantes Morceaufur zwei linke Hande).
Das Wort S. ist erst seit den 1830er Jahren zu belegen
und wurde offenbar von vornherein meist in kritisch ab-
wehrenderBedeutung verwendet. R. Schumann spricht
in seinen Rezensionen 1837 von Salonkiinsten, Salon-
834
componisten, Salonetuden, 1838 erstmals von S. (II, 327:
Indess verlangt auch eine gute Salon- und Gelegenheitsmu-
sik ihre Meister . . .), 1839 von Saloninspiration (... span-
nender Anfang, Virtuosenkraftstellen, anmutige Melodien,
. . . sanftere Ausruhplatze - und nun ein Schlufi . . . ; I,
410), Salonvirtuosen, Salonliebeserklarung (siifi und halt
wie das Eis, was dazu verschluckt wird, ebenda) und von
der Sehnsucht nach der echten Heimat der Kunst, die nun
einmal in den Salons der Grofien und Reichen nicht zu fin-
den ist (I, 409). Schumann laBt die bessere Art der S. gel-
ten (I, 410; Chopin gilt ihm als der vornehmste Salon-
komponist, sein Walzer As dur op. 42 als ein Saionstiick
der nobelsten Art, . . . aristokratisch durch und durch,ll,32).
Doch er verspottet die immer mehr iiberhand nehmen-
deganzliche Unfruchtbarkeit und Inhaltlosigkeit der S. (I,
410), den Eitelkeitsgeist und das vornehm Nichtssagende,
das Parfiimierte, Unwahre, kompositorisch Unmoti-
vierte (I, 220) und Epigonenhafte. - Salonkompositio-
nen erschienen in umibersehbaren Mengen, vor allem
fur Klavier (auch fiir Violine und Klavier, z. B. von
H. ->- Wieniawski, und fiir Gesang), mit Vorliebe Mor-
ceaux (Variations, Rondeaux, Polonaises usw.) in Es,
As oder Des dur, fast immer mit franzosischen Titeln
(z. B. Belle de nuit, Grande Valse, op. 208, von Fr.Hiin-
ten, 4handig), auch ausdriicklich z. B. als Etudes de salon
(A.Henselt, op. 5; hierzu Schumann I, 389fL), Petites
fleurs de salon (Hiinten, op. 112), Polka de salon (Tschai-
kowsky). Die Komponisten hieBen H. -> Herz (Piano-
fortefabrikbesitzer in Paris; . . . und von schonen Lippen
horte ich, nur Herz diirfe sie kiissen . . ., Schumann 1, 221),
-> Hiinten, Fr. ->■ Kalkbrenner, -*■ Thalberg, -> Ley-
bach, Th. ->■ Kullak und unter zahllosen anderen auch
A. de -> Kontski, J.N. -> Kafka und Thekla Bada-
rzewska, deren »Gebet einer Jungfrau« bereits 1871 in
50 Ausgaben vorlag. Das Repertoire wurde vergroBert
durch unzahlige vereinfachende Ausgaben (»sans oc-
taves«) und sonstige Arrangements beruhmter Stiicke
(-> Gounod, Meditation sur le U' prelude de Bach, 1859)
sowie durch massenhafte Bearbeitungen (Phantasien,
Potpourris) beliebter (Opern-)Melodien. - Seit Mitte
des 19. Jh. wurde die S. als Inbegriff schlechter Musik
angeprangert, als kunstunwurdiges Zeug (Lobe, S. 154),
triviales Tongeklingel (H.Riemann). Dem Salon der ex-
klusiven »Gesellschaft« mit seinen Geivdchsen blasirter und
ausgehohlter Zustande stellte A.B. Marx (S. 227) das reine
Menschenthum und die Lebensluft und Gesundheit des Vol-
kes als Ursprung und Sitz der Kunst gegeniiber. Ange-
sichts der Entweihung der Musik durch die S. sah W.
H.Riehl das Heil in der schlichten, ehrlichen deutschen
Hausmusik. In Begriff und Sache des ->■ Salonorchesters
sind im Bereich der Unterhaltungsmusik Kriterien der
S. bis heute aktuell. - Die S. ist das deutlichste Zeugnis
fiir das sozialgeschichtlich bedingte Aufkommen jener
ganz neuen Art von Musik im 19. Jh., die in Befriedi-
gung eines Massenbedurfnisses als Ware entsteht und
konsumiert wird und die in der erfolgrcichsten Erfiil-
lung ihrer Aufgabe sich durch Qualitatslosigkeit und
totales Vergessenwerden auszuzeichnen vermag.
Lit.: J. Fr. Reichardt, Vertraute Briefe aus Paris (1802/
03), 3 Teile, Hbg 1 804-05 ; ders., Vertraute Briefe, geschrie-
ben auf einer Reise nach Wien . . . , 2 Teile, Amsterdam
1810; A. Stifter, Wiener Salonscenen, in: Wien u. d. Wie-
ner in Bildern aus d. Leben, Pest 1844; R. Schumann, Ge-
sammelte Schriften iiber Musik u. Musiker, 4 Bde, Lpz.
1854, in2Bdenhrsg. v. M. Kreisig, Lpz. "1914; J. Chr. Lo-
be, Fliegende Blatter iiber Musik I, Lpz. 1855 ; A. B. Marx,
Die Musik d. 19. Jh. u. ihre Pflege, Lpz. 1855 ; W. H. Riehl,
Hausmusik, Stuttgart 1856, 21860; Fr. Liszts Briefe, ge-
sammeltu. hrsg. v. La Mara, 8 Bde, Lpz. 1893-1904; E.
Eggli, Probleme d. mus. Wertasthetik im 19. Jh., Ein Ver-
such zur schlechten Musik, Winterthur 1965 ; Studien zur
Trivialmusik d. 19. Jh., hrsg. v. C. Dahlhaus, = Studien
zur Mg. d. 19. Jh. VIII, Regensburg 1967. HHE
Ronde
Salonorchester, ein Ensemble fiir Unterhaltungsmu-
sik, das sich in drei jeweils auf dem Klaviertrio (Kla-
vier, Violine, Violoncello) aufbauenden Standardbeset-
zungen ausbildete: die »Wiener« Besetzung mit Klavier
(Harmonium), Violine, Violine obligat (Stehgeiger),
Violoncello, (KontrabaB, Flote) und Schlag-
zeug; die »Berliner« Besetzung mit Klavier
(Harmonium), Violine I und II, Viola, Violon-
cello, KontrabaB, (Flote), Klarinette, Kornett,
Posaune und Schlagzeug ; die »Pariser« Beset-
zung mit Klavier, Violine, Violoncello, (Kon-
trabaB), Flote, (Kornett) und Schlagzeug. Die
-> Arrangements fiir S. sind so eingerichtet,
daB neben dem unerlaBlichen Klaviertrio be-
liebig viele Instrumente ad libitum mitspielen
konnen. Daher erschien schon das Notenma-
terial der Tanzmusik der Jahrzehnte um 1800
ohne Partitur, aber mit Direktionsstimmen
fiir Violine (mit Stichnoten) oder Klavier (in
der Art eines Klavierauszugs). Die ad libitum-
Instrumente sind entweder Verstarkungen im Einklang
oder in der Oktave oder Fullstimmen, zum Teil mit
Figurationen. Der Vorteil dieses Arrangements lag in
der variablen Besetzung fiir verschiedene Anlasse, z. B.
der gleichen Tanzmusik fiir Balle im hauslichen Salon
oder im groBen Saal, und damit in der billigeren weil
auflagenstarkeren Herstellung. Die Schwachen sind be-
sonders im Repertoire auBerhalb der Tanzmusik f iihl-
bar, wo neben Salon- und Unterhaltungsmusik klassi-
sche und romantische Meisterwerke gespielt wurden,
denen ein derartiges Arrangement wesensfremd ist. S.
traten bis ins 20. Jh. vorwiegend in Kaffeehausern auf,
bis um 1930 audi als Kinoorchester, noch heute stellen-
weise als Kurorchester.
Salpinx (griech. aalmyZ,), Metallblasinstrument der
griechischen Antike, eine gerade, eng mensurierte,
leicht konische Rohre aus Eisen oder Bronze mit Kes-
selmundstiick aus Horn oder Knochen (yXcoxxa 6<jTtv7])
und glockenformigem Schalltrichter (daher x68ov bei
Sophokles). Sie wurde beim Blasen schrag nach unten
gehalten, mit der rechten Hand etwa in der Mitte, mit
der linken zuweilen in der Nahe des Mundstiicks ge-
stiitzt. Der Ton war hoch und spitz (Aischylos: Skxto-
po?). AlsErfinderin gait die Kriegsgottin Pallas Athene,
die als Athena S. in Argos kultisch gefeiert wurde. Ho-
mer (Mas) und die Tragiker erwahnen die S. als Signal-
instrument in Krieg und Wettkampf . Doch war sie bei
den Griechen nicht sonderlich geschatzt, weil sie als In-
strument der tyrrhenischen (etruskischen) Piraten an-
gesehen wurde.
Lit. : M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949;
B. Aign, Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen Raumes
bis um 700 v. Chr., Diss. Ffm. 1963.
Saltarello (ital., »kleiner Sprung«, von lat. und ital.
saltare, springen; frz. pas de brabant, auch breban;
span, alta danza), ein seit dem 14. Jh. bekannter italie-
nischer Tanz von schneller Bewegung im Dreiertakt,
der bis heute in seinen Grundschritten als Volkstanz er-
halten geblieben ist. Aus dem 19. Jh. ist seine Verwen-
dung im letzten Satz von Mendelssohns 4. (sitalieni-
scher«) Symphoniebekannt.-FruhesteBelege fiir den S.
bietet die -y Quelle Lo, in der 4 als S. bezeichnete Satze
aus dem 14. Jh. erhaken sind, darunter (f. 62'-63) :
Salve regina
tanzes (mit zum Teil abweichender Bezeichnung, z. B.
Proportz, Hupfauf), so bei der Basse danse, spater u. a.
auch beim Passamezzo (z. B. Pass'e mezzo con il suo S.)
und bei der Pavane, wobei er zumeist die rhythmische
Umformung seines Vortanzes ist :
n Mtitfailfam
rfC£JTP l rDTp l C£r J P l eJT J - <
Seit dem 15. Jh. hat der S. den Charakter eines Nach-
T. Susato, Het derde musyck boexken, Antwerpen 1551.
Daneben kommt der S. auch als selbstandiger Tanz vor.
Wohl nur durch die Hohe des auszufiihrenden Sprun-
ges unterscheidet er sich von der ->■ Galliarde, was dazu
fiihrte, daB diese in verschiedenen Quellen als S. be-
zeichnet wird. Ihre groBte Verbreitung und Bliite er-
reichten diese beiden Tanze in der Tanzmusik des 16.
Jh. - Mit S. tedesco bezeichnet in Italien A. Cornazano
(1455) einen in Deutschland beliebten Nachtanz im ge-
raden Takt, der (nach C.Sachs) mit der Quatemaria
identisch sein diirfte.
Salterio tedesco (ital.) -*■ Hackbrett.
Salt us duriusculus (lat.) ->■ Passus duriusculus.
Salve regina (lat.), MarianischeAntiphon.deren Text
(Reimprosa in 6 Zeilen mit abschlieBendem Vers) be-
reits im 1 1 . Jh. auf der Insel Reichenau als Benedicamus-
tropus erscheint (Karlsruhe, Landesbibl., Hs. Aug. LV)
und moglicherweise von Petrus de Compostela (f um
1002) verfaBt wurde; die Zuschreibung der Antiphon
an Hermannus contractus (1690 durch Trithemius) ist
nicht mehr haltbar. In Codex 390 der Stiftsbibl. St. Gal-
len auf einem Zusatzblatt (12. Jh.) als Magnificatanti-
phon vom Fest Maria Verkiindigung iiberliefert, er-
langte das - auch bei Prozessionen (Cluny 1 135) vorge-
tragene - S. r. unter demEinfluB der Zisterzienser und
Dominikaner allmahlich einen festen Platz innerhalb
des monastischen Offiziums. So gehorte es schon 1218
zum taglichen Repertoire der Zisterzienser. Von den
Dominikanern wurde es ab 1230 in Bologna, ab 1250
im gesamten Ordensbereich regelmaBig am Ende der
Komplet gesungen. Diesem Brauch schlossen sich bald
weitere Orden an (Zisterzienser 1251), wahrend die
Verbreitung der Antiphon in den SakuJarkirchen rela-
tiv langsam vor sich ging (Nachweis im romischen Bre-
vier um 1520, seit 1568 im Wechsel mit den iibrigen
Marianischen Antiphonen amEndejeder selbstandigen
Hore vorgeschrieben; heute SchluBantiphon der Kom-
plet vom Dreifaltigkeitsfest bis zum Freitag vor dem
1. Adventssonntag). Einen glanzvollen Hohepunkt
fand das S. r.-Singen seit dem 15. Jh. in den sogenann-
tcn Salveandachten. Zahlreiche Paraphrasen - darunter
das Salve ich grues dich scheme / regina in dem drone von
Hans Sachs (1515) - und vulgarsprachliche Ubersetzun-
gen zeugen von seiner aufierordentlichen Beliebtheit.
Luther wandte sich (erstmals 1522) gegen das S. r. -
Mit dem ausgehenden Mittelalter begann zugleich die
bis ins 18. Jh. reichende Blutezeit der mehrstimmigen
S. r.-Vertonungen mit ihrer »klassischen« Periode von
Dunstable bis Palestrina. Daneben gibt es Orgelbear-
53*
835
Salzburg
beitungen zum alternatim-Vortrag (der 1., 3., 5., 7. und
9. Vers fur Orgel) von Kotter, Schlick, Hofhaymer
und anderen Meistern des 16. Jh. - Die liturgische Pra-
xis kennt neben der melismatischen Melodie im 1. Kir-
chenton eine einfachere Fassung aus dem 17. Jh. von
H. -»■ Dumont (5. Kirchenton).
Lit. : J. Maier, Studien zur Gesch. d. Marienantiphon »S.
r.«, Regensburg 1939; H. Oesch, Berno u. Hermann v.
Reichenau als Musiktheoretiker, = Publikationen d.
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 9, Bern (1961),
mit ausf iihrlichem Quellen- u. Lit.-Verz.
Salzburg.
Lit.: Biogr. S.ischer Tonkiinstler, S. 1845; M. V. Suss,
S.ische Volkslieder mit ihren Singweisen, S. 1865; A. H.
Hammerle, Neue Beitr. f. S.ische Gesch., Lit. u. Musik, S.
1 877 ; F. Pirckmeyer, Uber Musik u. Theater am S.er Ho-
le 1772-75, S. 1887; Fr. Martin, Kleine Beitr. zur Mg. S.,
Mitt. d. Ges. f. S.er Landeskunde LIII, 1913, u. AfMw I,
1918/19; H. Spies, Die S.er groBen Domorg., Augsburg
1929; ders., Die Tonkunst in S. in d. Regierungszeit d.
Fursten u. Erzbischofs W. D. v. Raitenau 1587-1612, I.
Teil, Mitt. d.Ges.f.S.er Landeskunde LXXI,1930-LXXII,
1931 ; ders., Gesch. d. Domschule zu S., ebenda LXXVIII,
1938,dazuO. Ursprungin: AMI XI, 1939; K. Geiringer,
Alte Musik-Instr. im Museum Carolino Augusteum S.,
Lpz. 1932; C. Schneider, Gesch. d. Musik in S. v. d. alte-
sten Zeit bis zur Gegenwart, S. 1935; A. Kutscher, Vom
S.er Barocktheater zu d. S.er Festspielen, Dusseldorf 1939;
H. C. Fischer, Die Idee d. S.er Festspiele u. ihre Verwirk-
lichung, Diss. Munchen 1954, maschr.; K. Picker, Beitr.
zur Kenntnis d. Kirchenmusik in S. zwischen 1850 u. 1950,
Diss. Innsbruck 1957, maschr.; Die S.er Festspiele, 1842-
1960. Ausstellungskat. hrsg. v. Fr. Hadamowsky u. G.
Rech, S. 1960; H. Federhofer, Zur Musikpflege im Bene-
diktinerstift Michaelbeuern (S.), Fs. K. G. Fellerer, Re-
gensburg 1962; ders., Ein S.er Theoretikerkreis, AMI
XXXVI, 1964; J. Kaut, Festspiele in S., S. (1965).
Samba (port., von semba, der Bezeichnung fur Tanz
in der Sprache des Kongo- und Sambesigebietes) ist die
Benennung einer Gruppe brasilianischer Tanze aus Rio
de Janeiro, Sao Paolo und Bahia, die afrikanischen Ur-
sprungs sind. Die S. wird in raschem Tempo gespielt und
ist geradtaktig (2/4-, C- oder 0-Takt) im Rhythmus:
J J J tAAI ^J I
oder
n
UJJ
n
JJJJ
r i
n
Der Grundschritt ahnelt dem des Walzers, trotz des
geraden Takts. Charakteristisch ist ein Doppelsprung,
der durch eine Kniebeuge beim Auf sprung abgef angen
wird. Die S. war urspriinglich ein Tanz der Bantuneger
zur Kriegerweihe und wurde zwischen brennenden
Fackeln und Glasscherben getanzt; daher stammen die
im modernen Tanz noch rudimentar erhaltenen tasten-
den FuBbewegungen. Als Gesellschaftstanz wurde die
S. nach dem 1 . Weltkrieg in Europa bekannt ; um 1950
war sie ein Modetanz. - In der Kunstmusik wurde die
S. z. B. von D.Milhaud verwendet {mouvement de s. in
Scaramouche f iir 2 Kl.). - Die S.-Batucada ist eine Misch-
form von S. und -> Batuque. Von der brasilianischen
S. zu unterscheiden sind die chilenische -> Zambacueca
und die argentinische -*■ Zamba.
Samisen (japanisch, von chinesisch san hsien, 3 Sai-
ten), ein Zupfinstrument mit kleinem Corpus (Zargen
aus Holz, Boden und Decke aus Katzenleder), mit lan-
gem Hals ohne BUnde und mit 3 seitenstandigen Wir-
beln. Die Saiten werden mit einem groBen, spatelfor-
migen Plektron geschlagen. Das S. ist in Japan das In-
strument der Geishas und das f iihrende Melodieinstru-
ment im Kabuki-Theater.
Lit. : S. Matsunaga, The Evolution of S. Music, Contem-
porary Japan HI, 1934 ; M. Nomura, Treatise on the Three
Instr. of the Sankyoku, Tokio 1958; W. P. Malm, Nagau-
ta, The Heart of Kabuki Music, Rutland (Vt.) u. Tokio 1 963.
Sammelwerk (frz. recueil; engl. collection), die von
einem Herausgeber oder Verleger getroffene Auswahl
von Kompositionen iiberwiegend gleicher Gattung von
verschiedenen Komponisten, in der Regel mit einem
iibergeordneten Titel. Im Typus ahnelt das S. der Sam-
melhandschrift, in der sich auch eine Stilperiode mit
ihrem Repertoire spiegelt: die Ars antiqua z. B. in den
-> Quellen Ba und Mo, die Ars nova in Iv und Ch, das
15. Jh. in Tr (Trienter Codices), das Liedgut des 14.-16.
Jh. im -»■ Chansonnier de St. Germain, im -> Cancione-
ro musical de Palacio (Madrid) und in den -*■ Liederbii-
chern. Wahrend die Sammelhandschrift einer Institu-
tion oder einer Privatperson zum Gebrauch dient, strebt
das S. die durch den Notendruck ermoglichte weitgrei-
fende Verbreitung an. Fiir manche Autoren ist es die
einzige Quelle gedruckter Oberlieferung (Busnois, Ar-
nold von Bruck, Crecquillon u. a.), vor allem bis zur
Ausbreitung des Individualdrucks nach 1530.
Das erste S., zugleich der erste Druck mit mehrstim-
miger Musik, erschien 1501 in Venedig bei O. Petrucci :
Harmonice musices Odhecaton, 98 iiberwiegend weltliche
Satze von Ockeghem, seinem Schiilerkreis und vielen
Ungenannten. Wahrend Petrucci, der bis zu A. de An-
tiquis' Canzoni nove (Rom 1510) der einzige Drucker
war, u. a. 1504-14 seine llbandige Frottolensammlung
und 1514-19 die Motetti de la corona herausgab, verof-
fentlichte Schoffer in Mainz 1512 mit Schlick die erste
deutsche Orgeltabulatur und begann mit Oglins (1512),
Schoffers (1513) und Arnt von Aichs (1519) Sammlun-
gen der Aufstieg des deutschen Liedes. Nach 70 italie-
nischen S.en, darunter 38 von Petrucci, und 7 deut-
schen, f olgte 1 528 das erste f ranzosische S . ( Attaingnants
Chansons nouvelks mit Haultins einfachen Typen), 1530
das erste englische (XX Songes, London, At the sign of
the black Mores). Nach langsam, aber stetig ansteigen-
der Kurve sprang 1528-39 die heute nachweisbare Zahl
der jahrlichen S.-Drucke von 9 auf 27. Wahrend dieses
Aufschwungs in den europaischen Druckmetropolen
brachten die fiihrenden Notendrucker und -verleger
S.e von exemplarischer Bedeutung und hoher Druck-
qualitat heraus, in denen sich die musikalischen Gattun-
gen der Zeit in ihrer Gesamtheit spiegeln: Motette
(Senfls Liber selectarum cantionum, 1520; Modernes Mot-
teti delfiore, 1532ff.; Gardanos Motetti delfrutto, 1538;
Ott 1537/38); Messe (Attaingnant 1532ff., Petrejus und
Formschneyder 1539); Psalmenkomposition (Petrejus
1538); Chanson (Attaingnant/Jullet 1536-50, Moderne
1538-43); Madrigal (Madrigali de diuersi, vermutlich
Dorich 1530) ; weltliches undgeisthches Lied (Ott 1534,
Egenolff 1535, H.Finck und Schoffer/ Apiarius 1536,
Rhaw 1538, Forster 1539-56) ; Odenkomposition (Fa-
ber 1533); Orgel- und Lautentabulatur (Attaingnant
1530, Newsidler, Francesco da Milano, Luis de Nar-
vaez 1536); Instrumentalmusik (Attaingnant 1530,
Scotto 1535). 1549 war mit 43 Drucken der Jahres-
hochststand fiir das 16. und 17. Jh. erreicht, mitbedingt
durch Neuauflagen, durch die Zunahme der Raub-
drucke und durch die zwischen 1540-60 auffallend
starke Tendenz zu vielbandigen S.en (Attaingnant,
Moderne, Duchemin, Susato, Phal&e). Vielstimmig-
keit und Mehrchorigkeit bahnten sich jetzt im S. an.
Mit Rhaws Newen deudschen geistlichen Gesengen (1544)
begann das deutsche geistliche S. zum Sprachrohr der
Reformation zu werden. Beim 3. Hohepunkt, 1569
mit 37 S.en, hatte das weltliche S. das Obergewicht er-
langt. Nachdem sich das geistliche noch in den umf as-
senden Drucken des Thesaurus musicus I-V (Berg/Neu-
836
Sammelwerk
ber 1564) und den reprasentativ ausgestatteten 5 Bii-
chern Novi (atque catholici) thesauri musici von Joannel-
lus (Gardano 1568) dokumentiert hatte, entfielen 1569
von 35 vokalen S.en 13 auf das Madrigal, 5 auf Villa-
nelle, Canzone und Villotte und nur 17 auf Chanson
und geistliches S. gemeinsam. Gardano und Scotto wa-
rm f iihrend geworden. Der Schwerpunkt f iir Villanel-
le und Napolitane liegt im S. etwa zwischen 1560 und
1575, fur das Madrigal urn 1585. Im Zuge der Indivi-
dualisierung mehrten sich in Italien, wo das S. zuerst
versiegte, die »versteckten« S.e mit Autorentiteln, die
in erster Linie die Werke des im Titel allein Genannten
enthielten, also im Grunde weder S. noch Individual-
druck sind.
Nach 1585 hielt sich die Druckkapazitat von S.en bis
zum 30jahrigen Krieg auf annahernd gleicher Hohe.
Als erster Plattendruck erschien 1586 in Rom Verovios
Diletto spirituale. 1588 fiihrte Lindner mit seiner Gem-
ma musicalis (bei Gerlach) das Madrigal in Deutschland
ein, wo es zusammen mit Kanzonette und Villanelle
und im deutschen Lied »nach Art der welschen Canzo-
netten und Madrigale« bis zu Nauwach (1627) fort-
wirkte. Durch Yonges Musica transalpina (1588), Mor-
leys Canzonets (1597) und Borchgrevincks Giardino no-
vo bellissimo (1605) wurden Madrigal und Kanzonette
in England und Danemark bekannt. In den Niederlan-
den hielt sich das vielstimmige Madrigal-S. noch bis
zu Phaleses Tod (1629), u. a. in den vielen Neuauflagen
seines Gardano-Nachdrucks II trionfo di Dori. Das geist-
liche S. iiberwand nach 1585 seinen Tief stand durch
das Wiederaufleben des deutschen geistlichen Lieds und
durch das Aufkommen der Laudi, Madrigali und Can-
zonette spirituali und der concertierenden Kirchenmu-
sik. Wahrend in Italien A. und G.Gabrielis vielstim-
mige Concetti (Gardano 1587) und Viadanas Concetti
ecclesiastici (Vincenti 1602 und 1607) dem S. neue Mog-
lichkeiten erschlossen, f afiten in Deutschland Kantoren
und Schulmanner wie Lindner, Caspar Hasler, Boden-
schatz (Florilegium Portense, 1603-21), M. Praetorius,
Schadaeus (Ptomptuatium, 1611-17) und Gruber die
vielstimmige Motette ihrer Zeit in universal ausgerich-
teten S.en zusammen. Mit den S.en concertierender
Musik von Donfried (1622-27), Profe (1641-49) und
Havemann (1659) ging das mehrstimmige geistliche
S. des 17. Jh. in Deutschland zuEnde. Parallel zur Bliite
der Kantoreien entfaltete sich hier im 1. Viertel des 17.
Jh. eine auffallend rege Drucktatigkeit. An mehr als 20
Orten entstanden in mehr als 40 Offizinen S.e, u. a. die
»gesellige« Musik, so Widmanns Musicalisch Kurtzweil
(Nurnberg 1611, Wagenmann), sein Musicalischer Stu-
dentenmuht (Nurnberg 1622, Halbmayer) imd Simp-
sons TqffelConsort (Hamburg 1 621 , Hering/Lang) ; auch
die von der Tabulatur sich losenden Tanz-S.e von M.
Praetorius (1612), H.L.Hassler (Nurnberg 1615, Kauff-
mann), Hagius (1616), Brade (1617) und Roth (Cou-
ranten Lustgartlein, Dresden 1624, Seiffert). Unter der
Verselbstandigung der Instrumentalmusik kam die
nach 1536 zunehmende Fiille der Tabulatur-S.e aller
Nationen nach Besardus (1603, 1617) und Woltz (1617)
allmahlich zum Erliegen.
Aus dem Abklingen der a cappella-Musik, dem Tod
fiihrender Verleger, den Verheerungen des 30jahrigen
Krieges und der Entwicklung der iiber den Rahmen
des S.s hinausgehenden Gattungen (Oper, Oratorium,
groBe Kantate) erklart sich die erhebliche Verringerung
der S.e im 17. Jh. 1629 lag die Jahresleistung noch um
20, 1630 bereits unter 10; 1688 stieg zwar die Kurve
durch den wachsenden englischen Anteil wieder an,
ohne aber bis 1700 20 Drucke wieder zu erreichen. In
Frankreich behaupteten sich dank der Tradition der
privilegierten Ballards nach wie vor Chanson und Air:
Airs de cour (1615-28), Chansons pour dancer etpour boire
(1627-61), Chansonnettes (1675-94), Airs sirieux et a
boire (1679-1700). In Italien iiberwog vom 2. Drittel
des Jahrhunderts an das geistliche S., hauptsachlich in
Drucken von Vincenti und Magni (Venedig), Mascar-
di (Rom) und Monti (Bologna). In Deutschland stand
das GeneralbaBlied im Vordergrund, u. a. Voigtlan-
ders Zusammenfassung zeitgenossischen Melodienguts
in seinen Allerhand Oden und Lieder bei Kruse (Sohra
1642) und die Hamburger Liederschule mit Vertonun-
gen von Rists Galathea, Florabella und seinem Neuen
Teutschen Parnass in vielen Auflagen bei Rebenlein
(Hamburg) und den Briidern Stern (Liineburg) zwi-
schen 1642 und 1677. In Belgien und den Niederlanden
iibernahm das S. auch im 17. Jh. die im Kurs stehenden
auslandischen Vorbilder. Um die Mitte des Jahrhun-
derts kamen in den GeneralbaBliedern der Kusies (Jansz
1641) und in den Instrumental-S.en 'T Uitnemend Ka-
binet, XX. Konincklycke Fantasien (Matthysz 1648/49)
und Antoverpsche Vrede Vreught (Potter 1679) auch hei-
mische Meister zu Wort. Einmalig nach Zahl und Viel-
falt war im 17. Jh. die Entwicklung des englischen S.s.
Nach einem Dutzend Drucken im 16. Jh. erschienen
zwischen 1600 und 1650 25 S.e, 1650-1700, nach Wie-
dereinsetzung der Monarchic, 100, und zwar Instru-
mental-S.e wie Parthenia (ca. 1613) und Division-Violin
(1685), bei den Playfords eine Fiille von spezifisch eng-
lischen S.en, u. a. Catch that catch can (1652ff.), das Bal-
laden-S. Wit and mirth (1699ff.) und vor allem die bis
ins 18. Jh. fortdauernden zahllosen Songs and Ayres
sung at court and at the publick theatres (Deliciae musicae,
1695ff. u. a.). In ihnen wurde die Oper dem S. zugang-
lich und gab den AnstoB zum Eindringen der Bear-
beitung in das S., das vorher nur Werke in Original-
besetzung enthielt. Auch in Frankreich eroberte die
Theaterfreudigkeit das S. Beginnend mit den Paro-
dies bachiques (1695ff.), durchziehen das Theatre italien de
Gherardi (17Q0ff.), das Theatre de lafoire (1721ff.) und
unzahlige Recueils de chansons choisies das gesamte 18.
Jh. In Deutschland gewannen die Theatergesange un-
ter dem EinfluB von Hillers Arien und Duetten des deut-
schen Theaters (1776-81) erst gegenEnde desjh. in S.en
von Andre, Gotz, Breitkopf und Rellstab an Boden.
Vorher hatte sich von Sperontes' Singender Muse her
(1736-47) das »Singestuck«, vielfach in Verbindung mit
»Vermischten Clavierstiicken«, angebahnt, das bis zu
Reichudts Liedern geselliger Freude (1796-97) zahlreiche
Oden- und Liedersammlungen ausloste. Der reinen
Klaviermusik widmete Haffner sein 12bandiges Sona-
ten-S. CEuvres melies (1755-65). Die Gattung Sonate
war schon seit dem letzten Viertel des 17. Jh. im S. ver-
treten, zuerst in Italien bei Magni und Monti. Als ein-
zige GroBform, die sich in Originalbesetzung fiir das S.
eignet, erschien ab Mitte des 18. Jh. die Sinfonie (Ou-
verture) von den Mannheimern bis einschlieBlich
Haydn bei Pariser Verlegern (Venier, La Chevardiere,
Leduc u. a.), in London (Bremner, Thompson, Long-
man), Amsterdam (Schmitt, Hummel) und im Klavier-
auszug bei Breitkopf in Leipzig. AuBer in England, wo
Boyces Cathedral music (1760-73) dem geistlichen S. ein
Denkmal im Sinn der Wiederbelebung des 16. und 17.
Jh. setzte, hatte sich das Schwergewicht ganz auf die
weltliche Seite verlagert. Der ausiibende Musikliebha-
ber des 18. und beginnenden 19. Jh. bevorzugte S.e,
die, wie Bickhams Musical entertainer (1737-38) mit
dem reizenden Titelkupfer oder das Musikalische Man-
cherley (1762-63), Unterhaltung, Recreation, Plaisir
versprachen und die das jeweils Neue in bescheidener
Besetzung fiir den Hausgebrauch boten: Potpourri,
Rondo, Variation und den Tanz im Dienst der Gesel-
ligkeit. Den Hauptanteil am S. des 18. Jh. habenEng-
837
Sanctus
land mit seiner Fiille von Glees, Reels, Strathspeys,
Irish und Scotch Tunes und Frankreich, das als einzige
Nation eine ununterbrochene zeitliche Folge von S.en
aufweist. Deutschland hatte erst nach dem 7jahrigen
Krieg wieder aufholen konnen. Italien war so gut wie
ausgeschieden. Die im Zeichen des Liedes stehenden
1790er Jahre erhielten durch die S.e aus Skandinavien,
Polen, RuBland, Portugal und Amerika eine internatio-
nale Note. Wahrend das seit 1699 angelaufene perio-
disch erscheinende S. (Playfords Mercurius musicus) im-
mer mehr zur Verlegerserie in Einzelnummern ten-
dierte (->• periodique), in der sich der Typ des S.s auf-
lost, erschlossen sich Anfang des 19. Jh. mit der Hin-
wendung zur Geschichte neue Moglichkeiten in den
-> Denkmaler-Ausgaben.
Lit. : Bibliogr. d. Musik-S. d. XVI. u. XVII. Jh., hrsg. v. R.
Eitner u. a., Bin 1877, Nachdrucke Vermilion (S. Dak.)
1 954 u. Hildesheim 1963; Recueils imprimes XVI e -XVII e s. ,
Liste chronologique, hrsg. v. Fr. Lesure, = RISM B I,
Munchen u. Duisburg 1960; Recueils imprimes XVIII e s.,
hrsg. v. dems., ebenda B II, 1964. LW
Sanctus (lat.), der auf die -> Prafation folgende 4. Teil
des Ordinarium missae; eine feierliche Akklamation,
bei welcher nach katholischem Verstandnis die irdische
Kirche am Gesang der himmlischen Liturgie teilhat.
Der Text verbindet in alien abendlandischen Liturgien
den (abgewandelten und erweiterten) Zuruf der Sera-
phim aus Isaias 6, 3 (Sanctus, Sanctus, Sanctus . . . gloria
tua) mit dem -> Benedictus qui venit, das durch Hosanna
in excelsis eingeleitet und beschlossen wird. Erstmals
um 350 im Euchologion des Serapion von Thmuis (XIII,
10f., ed. Funk II, S. 174) und wenige Jahrzehnte spater
in den Constitutiones Apostolorum (VIII, 12, 27, ed. Funk
I, S. 506) erwahnt, laBt sich das S. im Rahmen der
abendlandischen MeBfeier friihestens um 400 bei Pseu-
do-Ambrosius nachweisen (Migne Patr. lat. XVII,
1100C) und fand bald allgemein Eingang in die Messe.
Hinsichtlich der Ausfiihrung bieten die Quellen ein
auBerst vielschichtiges Bild: Wahrend in alterer Zeit
die Gemeinde als Trager dieses Gesanges - zunachst
ohne Mitwirkung des Priesters - bezeugt ist, oblag sein
Vortrag beim romischen Pontifikalgottesdienst einer
Gruppe von Klerikern (Ordo Romanus I, 87, Ende
7. Jh.). Spatere Quellen - so etwa die karolingischen
Reformdekrete und Ordo XV, 38 - bestatigen das S.
wiederum als Gemeindegesang (an dem der Zelebrant
teilnehmen soil), andere iibertragen es weiterhin dem
assistierenden Klerus (Ordo V, 58). Auffallend ist, daB
in keiner Quelle die Schola cantorum genannt wird. In
jiingster Zeit ist man erneut um eine aktive Teilnahme
des Volkes bemiiht (Instructio vom 3. 9. 1958, Artikel
25b, und vom 26. 9. 1964, Artikel 48b). - Soweit das
erhaltene Quellenmaterial erkennen laBt, nahm die im
10. Jh. aufbrechende Uberlieferung von S.-Melodien
im Norden, vor allem von Frankreich ihren Ausgang.
Die Entwicklung fiihrte bereits im 11./12. Jh. zu einem
ersten Hohepunkt an Neukompositionen, dem im spa-
ten Mittelalter (15. Jh.) die eigentliche Hauptphase 1st.
S.-Vertonungen folgte. Nach neuesten Forschungen
umfaBt das Repertoire 231 Melodien, davon ein Drittel
mit Interpolationstropen oder Textierungen iiberlie-
fert (Tropenverzeichnis bei Thannabaur, S. 247ff.).
Aus dieser Zahl enthalt die Editio Vaticana des Gra-
duales bzw. das Kyriale Romanum nur 21 Stiicke. -
In seiner melodischen Faktur ist das S. iiberwiegend
auf die Vermischung syllabischer und melismatischer
Elemente gegriindet, wobei besonders der dreifache
S.-Ruf und die Worte Sabaoth, Hosanna und excelsis
durch Melismen ausgezeichnet werden. Ein weiteres
Charakteristikum ist die haufige Wiederholung von
Motiven. Im Hinblick auf den Gesamtaufbau ragen je-
ne Stiicke hervor, deren melodische Entsprechungen
mit der Gliederung des Textes kongruieren. In dieser
Gruppe dominieren die Melodien mit iibereinstim-
mender Gestaltung von Hosanna I und II (z. B. Nr XI
des Kyriales) sowie der Abschnitte Pleni sunt caeli . . .
Hosanna I und Benedictus qui venit . . . Hosanna II (Nr
II, XII u. a.). Fur eine weitere Gruppe sind auBer der
Wiederkehr von Motiven Entsprechungen geringeren
Umfangs typisch. Dagegen fmden sich nur wenige
durchkomponierte Melodien (im Kyriale u. a. Nr VI,
XIII und ad libitum I). Als einziges Stuck unter den S.-
Vertonungen der Editio Vaticana zeigt Nr XVIII
psalmodische Struktur, verkniipft mit einer syllabisch-
einfachen Melodie, welche der Prafationsweise nahe-
steht. Die bisherige Annahme, daB es sich hier um die
fruheste Vertonung des S.-Textes handele, wurde neu-
erdings durch den Nachweis einer (melismatischen)
alteren Fassung dieser Melodie in Frage gestellt.
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLVII, hrsg. v. Cl.
Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1905 (Texte von S.-
Tropen) ; Didascalia et Constitutiones Apostolorum, hrsg.
v. Fr. X. Funk, 2 Bde, Paderborn 1905; M. Andrieu, Les
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gorien XXV, 1921/22; W. Apel, Gregorian Chant, Bloo-
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Modal Tradition in East and West, Ann. Mus. VI, 1958-
63 ; R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u. Miin-
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Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; P. J. Thannabaur,
Das einst. S. d. romischen Messe in d. hs. Uberlieferung d.
11. bis 16. Jh., = Erlanger Arbeiten zur Mw. I, Munchen
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Freiburg i. Br., Basel u. Wien 1963. KWG
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Lit.: Hist, of Music in S. Fr., 7 Bde, S. Fr. 1939, vervielfal-
tigt; H. Swan, Music in the South- West, 1825 to 1950, San
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1923-61, NY 1961 ; The S. Fr. Opera, hrsg. v. H. Schol-
der, S. Fr. 1962.
Sankt Blasien (Schwarzwald), ehemalige Bene-
diktinerabtei, vermutlich im 10. Jh. gegr., 1805/07
sakularisiert; seit 1934Jesuitenkolleg.
Lit.: L. Schmieder, Das ehemalige Benediktinerkloster
St. BL, Karlsruhe 21936; H. E. Rahner, Der Neubau d.
Stiftsorg. St. Bl. unter Abt M. Gerbert durch J. A. Silber-
mann, AfMf II, 1937.
Sankt Florian (Oberosterreich), Augustiner-
Chorherrenstift; als Kloster seit dem 9. Jh. urkundlich
belegt.
Lit.: I. Hollnsteiner, Das Stift St. Fl. u. A. Bruckner,
Lpz. 1940; L. Hager, Die Brucknerorg. im Stifte St. Fl.,
St. Fl. 1951 ; F. Linninger, Org. u. Organisten im Stifte St.
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Schaal, Archivalische Nachrichten iiber d. Krismann-
Org. in d. Stif tskirche zu St. FL, Mf IX 1956.
Sankt Gallen.
Lit.: A. Schubiger OSB, Die Sangerschule St. G. v. 8. bis
zum 12. Jh., Einsiedeln u. NY 1858, Nachdruck Hildes-
heim 1966; E. Gotzinger, Gesch. d. ev. Kirchengesangs
in St. G., in: Literaturbeitr. aus St. G., 1870; ders., Das
alteste kath. deutsche Kirchengesang-Buch v. St. G., in:
Alemannia V, 1877; K. Nef, Die Stadtpfeiferei in St. G.,
SMZXL, 1900; ders., Die Musik im Kanton St. G. 1803-
1903, in: Festbuch zur Centenarfeier d. Kantons St. G., St.
G. 1903; P. Wagner, St. G. in d. Mg., in: S. Singer, Die
Dichterschule v. St. G., Frauenfeld 1922; R. Van Doren
OSB, Etude sur l'influence mus. de l'abbaye de St-Gall,
Lowen u. Briissel 1925; J. A. Bischof, Theatergesch. d.
Klosters St. G 1628-1798, Mitt, zur vaterlandischen
Gesch. XXXIX, 1934; E. Omlin OSB, Die St. Gallischen
838
Sarabande
Tonarbuchstaben, = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu
Freiburg i. d. Schweiz XVIII, Regensburg 1934; W. Nef,
Der St. Galler Organist Fr. Sicher u. seine Orgeltabulatur,
= SJbMw VII, 1938; J. Handschin, St. G. in d. ma. Mg.,
SMZ LXXXV, 1945; H. Husmann, Die St. G.er Sequenz-
tradition . . . , AMI XXVI, 1954; ders., Die alteste erreich-
bare Gestalt d. St. G.er Tropariums, AfMw XIII, 1956;
Fr. Labhardt, Das Sequentiar Cod. 546 d. Stiftsbibl. St.
G. u. seine Quellen I, = Publikationen d. Schweizerischen
Musikforschenden Ges. II, 8, Bern (1959).
Sankt Petersburg -> Leningrad.
Sansa (auch Sanza, Zanza), Klimper (Zupfidiophon)
der afrikanischen Neger, bestehend aus einer Anzahl
(3 bis iiber 20) abgestimmter Zungen aus Eisen oder
elastischem Holz (Rotang), die auf einer meist recht-
eckigen brett- oder kastenformigen Holzunterlage (et-
wa BuchdeckelgroBe) befestigt sind. Der Spieler zupft
die iiber einen Steg gefiihrten Zungen mit den Dau-
men und ersten Fingern an. Zur Verstarkung des klang-
armen Instrumentes werden oft Zusatzresonatoren
(groBe halbkugelige Kalebassen, topfartige Behalter)
verwendet. Die S., die mit den verschiedensten Na-
men (mbira, ambira, likembe, marimba) und Formen
in Afrika weit verbreitet ist, hat keine auBerafrikani-
schen Entsprechungen ; sie ist demnach das einzige Mu-
sikinstrument, als dessen Ursprungsland Afrika ange-
sehen werden kann. Durch Negersklaven wurde sie
auch auf den Antillen heimisch; trotz der dortigen Be-
zeichnungen marimba oder malimba (Haiti) und ma-
rimbula (Kuba) sowie ahnlicher Namensverwechslun-
gen in einigen zentralafrikanischen Gebieten ist die S.
mit dem Kalebassenxylophon -*■ Marimba nicht ver-
wandt.
Lit. : G. Montandon, La gendalogie des instr. de musique
. . ., Arch, suisses d'anthropologie gen6rale III, 1919; H.
Husmann, Marimba u. S. d. Sambesikultur, Zs. f . Ethno-
logie LXVIII, 1936; A. Schaeffner, Origine des instr. de
la musique, Paris 1936; K. Reinhard, Tonmessungen an
fiinf ostafrikanischen Klimpern, Mf IV, 1951, dazu H.
Husmann in: Mf V, 1952- VI, 1953, u. K. Reinhardtin: Mf
V, 1952; F. Ortiz, Los instr. de la musica afrocubana, 5
Bde, Havanna 1952-55; H. Pepper, Notes sur une sanza
d'Afrique equatoriale, in : Miscelanea de estudios F. Ortiz
II, ebenda 1956; J. S. Laurenty, Les sanza du Congo,
= Annates du Mus£e Royal de l'Afrique Centrale, N. S.
in -4°, Sciences Humaines III, Tervuren 1962.
Santur (persisch), ein zur Klasse der Zithern gehoren-
des Instrument mit meist trapezformigem Corpus und
72-100 Drahtsaiten. Es wird im Unterschied zum
-> Qanun wie das -> Hackbrett mit Kloppeln ange-
schlagen.
Saqueboute (sakb'ut, frz., s. v. w. zieh-stoB!; span,
sacabuche; engl. sackbut), urspriinglich ein SpieB mit
Widerhaken, der als Waffe des FuBvolks dazu diente,
feindliche Reiter vom Pferd zu Ziehen. Auf die Zugvor-
richtung an Musikinstrumenten iibertragen begegnet
das Wort erstmals in der 2. Halfte des 15. Jh. als trom-
pette saicqueboute fur die -> Zugtrompete. Tinctoris
setzt um 1484 (unter Wegfall des Hauptwortes trom-
pette) s. und trompone gleich und bezeichnet damit die
-> Posaune (-1).
Sarabande (span, zarabanda; die Etymologie des
Wortes ist nicht gesichert), ein im 17. und 18. Jh., vor
allem in der Instrumentalmusik, weit verbreiteter Tanz.
Wahrscheinlich hat er sich aus einem in Andalusien be-
heimateten Fruchtbarkeitstanz entwickelt. D.Devoto
hat festgestellt (1960), daB die literarische Form der un-
ter dem Namen S. uberlieferten Tanzliedtexte mit der
des Zejel ubereinstimmt, einer urspriinglich arabischen
Refrainform, die seit dem Mittelalter in Spanien be-
kannt war. Die spanische Herkunft der S. wird von
mehreren Forschern bestritten, zuletzt von R.Steven-
son, der sie auf Grund von Quellen, die vor den ersten
spanischen Belegen datieren, als einen von Mexiko
nach Spanien eingefuhrten Tanz ansieht. Der alteste
eindeutig datierte Nachweis fur das Wort S. findet sich
im Ramo de la Inquisition (CXIII, f. 334; Mexiko, D. F.,
Archivo General de la Nacion), demzufolge 1569 eine
von Pedro de Trejo verfafite S. wahrend der Feierlich-
keiten am Fronleichnamsfest in Patzcuaro gesungen
wurde, wofiir sich ihr Verfasser 1572 vor der Inquisi-
tion zu verantworten hatte. Eine weitere Quelle von
1539(?) stammt aus Panama. Die erste Nennung der S.
in Spanien ist zugleich ihr Verbot: 1583 wurde das Sin-
gen der S. unter Androhung hoher Geld- und Freiheits-
strafen untersagt. Nach diesem Zeitpunkt ist die S. als
Gesang und Tanz in Spanien belegt u. a. bei Cervantes,
Juan de Mariana, Lope de Vega, Francisco Ortiz, Esqui-
vel Navarro. Diesen Erwahnungen zufolge war sie ein
ausgelassener, lasziver Tanz, von Paaren in Gegeniiber-
stellung ausgefiihrt, begleitet durch Kastagnetten und
zuweilen Schellentrommel. Haufig wird sie zusammen
mit der Chaconne und der Seguidilla genannt. Von
Spanien aus, wo sie trotz des Verbots 1618 am Hofe
eingefiihrt wurde, kam sie schon bald in andere euro-
paische Lander; sie wurde z. B. 1625 am franzosischen
Hofe getanzt.
Als friiheste gedruckte musikalische Quelle gilt die
Nuova inventione d'intavohtura des G.Montesardo (Flo-
renz 1606). M.Praetorius veroffentlichte 1612 (Terpsi-
chore) mehrere S.n und 3 Courant-S.n in je zwei Fas-
sungen. Handschrif tliche Quellen aus Italien und Frank-
reich konnen vielleicht schon auf das Ende des 16. Jh.
datiert werden. Den vor etwa 1650 geschriebenen S.n
liegt haufig ein von Fall zu Fall leicht variables harmo-
nisches Schema zugrunde, wobei auch die Melodie-
linie, wie sie das erste Beispiel aufweist, wiederkehren
kann; die friihen S.n stehen meist im G-Modus, der
spa'ter von Dur abgelost wird; der anfanglichc Scsqui-
alterarhythmus wird zum einfachen ternaren Takt.
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M. Praetorius, 2. S. aus dem Ballet de Monsieur <
Navarre (Terpsichore, 1612), GA XV, S. 167.
A. Piccinini, Arie di Saravanda in varie partite aus Tn-
tavolatura di liuto ... I, Bologna 1623, S. 44f.
Schon in friihen spanischen und italienischen Quellen
wird zwischen Caravanda espafiola und Caravanda
francesa unterschieden, wobei die spanisch bezeichne-
ten Stiicke anscheinend dem melodisch-harmonischen
Schema verpflichtet sind, die franzosischen hingegen
nicht. Wahrend die S. in Frankreich vor 1650 allgemein
ein schneller Tanz war, der den Tanzern groBeGewandt-
839
Sarabande
heit abverlangte, verlangsamte sich ihr Tempo urn die
Mitte des 17. Jh. (Angaben z. B. Lentement und Grave),
wenngleich es daneben auch weiterhin noch die S. le-
gere gab. Die Notierung der S. erfolgte gewohnlich im
3/2- oder 3/4-Takt; charakteristisch ist die haufige Be-
tonung auch der 2. Zahlzeit.
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N.Lebegue, S. aus der Suitte en g re sol b (Second
livre ie clavessin, Paris 1687), hrsg. v. N.Dufourcq,
Monaco (1956), S. 56.
S.n gibt es bis etwa 1740 in der Klavier- und Ensemble-
musik (Dieupart) sowie in der Oper und im Ballett, wo
sie gelegentlich auch gesungen wurden (Delalande, Les
Folies de Cardenio, 1721). In England kam die S. eben-
f alls schon am Anf ang des 17. Jh. auf und hat hier iiber-
wiegend die schnelle Form beibehalten (Th. Mace, Mu-
stek's Monument, London 1676, S. 129: Sarabands, are
of the Shortest Triple-Time). Auch in Italien herrschte
zunachst die schnelle Form der S. ; Bassani schreibt in
seinem op. 1 (1677) Presto vor, ebenso G. B. Vitali in op.
11 (1684). Dagegen wechseln die Angaben bei Vivaldi
zwischen Allegro, Andante und Largo, bei Corelli zwi-
schen Vivace, Allegro, Adagio und Largo. Der allge-
meinen Entwicklung entsprechend war die S. in
Deutschland zunachst ein schneller Tanz (z. B. bei
Hammerschmidt 1636 und 1639). Nach dem Aufkom-
men der langsamen S. bestanden hier beide Typen ne-
beneinander; so fordert R.I.Mayr fur seine S.n von
1692 die Ausfuhrungen Grave, Allegro und Adagio.
WaltherL beschreibt die S. als eine gravitatische . . . et-
was kurtze Melodic, welche allezeit zum Tantzen den 3/4,
zum Spielen aber bisweilen den 3J2 Tact, langsam geschla-
gen, undzwey Reprisen hat. Seit der Mitte des 17. Jh. ge-
horte die S. zum festen Bestandteil der ->• Suite, in der
sie um 1700 den 3. Platz in der Reihenfolge der Stan-
dardsatze einnahm. - Bei Handel findet sich ein S.n-
Typus, der ganz von der Nebenbetonung der 2. Zahl-
zeit beherrscht wird:
G. Fr. Handel, Suites de pieces pour le clavecin, Lon-
don 1720, Suite Nr 7, in: GA II, S. 50.
Jede der etwa 40 S.n Bachs ist von individueller Pra-
gung; nur der Grundrhythmus der S. (Betonung der
2. Zahlzeit) ist stets noch deutlich zu erkennen. Neben
840
teilweise streng zwei- bzw. dreistimmig durchgearbei-
tete Stiicke treten solche, bei denen die Klangentfaltung
im Vordergrund steht. In Bachs Partita Nr 6 (BWV
830) erreicht die S. hochste Vollendung. - 1767 schrieb
Rousseau iiber die S. : Cette Danse n'est plus en usage,
si ce n'est dans quelques vieux Opera Francois. Im 19. und
20. Jh. wurde die S., wie andereTanze des Barocks, wie-
der auf gegriSen, z. B. von Fr. Auber in Les diamants de la
couronne und von E. Satie (drei S.n, 1887). Bei CI. De-
bussy ist sie anzutreff en in : Grandjoumal du lundy (1 896) ,
Pour le piano (1901) und Images (1905). In neuerer Zeit
gab Strawinsky dem 5. Satz seines Balletts Agon (1957)
die Uberschrift Saraband-Step.
Lit.: R. Stevenson, The First Dated Mention of the S.,
JAMS V, 1952; ders., in: JAMS XVI, 1963, S. 110-112;
ders., Artikel S., in: MGG XI, 1963 ; ders., The Mexican
Origines of the S., Inter-American Music Bull. XXXIII,
1963 (mit Bibliogr.); I. Herrmann-Bengen, Tempobe-
zeichnungen, = MunchnerVer6ff.zurMg.I,Tutzingl959;
D. Devoto, La f olle s., Rev. de Musicol. XLV/XLVI, 1 960 ;
ders., Encore sur »La« S., ebenda L, 1964; ders., De
la Zarabanda a la s., in: Recherches sur la Musique frc.
classique VI, 1966.
Sardana, ein katalanischer, von einer meist groBen
Gruppe auf StraBen und Platzen getanzter Reigentanz
mit einer schwierigen Schrittfolge in wechselweise
sehr langsamem und sehr schnellem Rhythmus. Die
Musik wird von der katalanischen -+ Cobla-Kapelle
ausgef iihrt. Der Ursprung der S. liegt im f riihen 1 6. Jh.
Lit. : J. Llongueras, Per la nostra S., Barcelona 1933 ; H.
Besseler, Katalanische Cobla u. Alta-Tanzkapelle, Kgr.-
Ber. Basel 1949; N. Bernard, De S., Volksdans van Kata-
luna, Mens en melodie VI, 1951 ; J. Miracle, Llibre de la
s., Barcelona 1953; H. Pepratx-Saisseret, La sardane . . . ,
Perpignan 1956.
Sardinien.
Lit. : G. Fr. Fara, De chorographia Sardiniae, Cagliari
1 586 ; E. Bellonci, Canti popolari amorosi raccolti a Nuo-
ro, Bergamo 1893 ; G. Ferraro, Feste sarde, Giornale lin-
guistico 1 , 1 893 ; G. Giacomelli, Delia musica in Sardegna,
Cagliari 1 897 ; G. Fara, Musica popolare sarda, RMI XVI,
1909; ders., Su uno strumento mus. sardo, Turin 1913;
ders., Giocattoli di musica . . . , Cagliari 1916; ders., L'ani-
ma della Sardegna, in : La musica tradizionale, Udine 1940 ;
A. Boullier, Garzia, I canti popolari della Sardegna, Bo-
logna 1916; V. Cian u. P. Nurra, Canti popolari sardi,
Palermo 1933; F. Karlinger, Volkstumliches in.d. Kir-
chenmusik S., Musica sacra LXXVI, (Koln) 1956.
Saron, Metallophonfamilie, die im -> Gamelan die
klanglich und zahlenmaBig fiihrende Instrumenten-
gruppe darstellt. Die S.s sind einoktavig; meist finden
sie in drei im Oktavabstand voneinander stehenden
GroBen Verwendung: S. panerus, S. barung und S.
demung (hoch - mittel - tief), wobei die beiden letzte-
ren vier- bis achtfach besetzt sein konnen. Die S.s be-
stehen in Pelogstimmung aus 7, in Slendro aus 6, 7 oder
9 verhaltnismSBig schweren Bronze- oder Eisenplatten ;
im Unterschied zu den frei hangenden Platten des
-> Gender liegen sie auf einem als Resonator dienenden
trogformigen Holzkasten auf.
Sarrusophon, ein von dem franzosischen Militarka-
pellmeister W. Sarrus erdachtes (1856 patentiertes) und
vom Pariser Instrumentenmacher Gautrot ab 1863 in
alien GroBen vom hohen Diskant bis zum KontrabaB-
instrument gebautes konisches Blasinstrument aus Mes-
singblech von weiter Mensur mit doppeltem Rohrblatt
und 18 Klappen. Als KontrabaBinstrument ist es so-
wohl dem Kontrafagott als auch dem KontrabaBsaxo-
phon durch seine Beweglichkeit und die Sicherheit sei-
ner Intonation iiberlegen.
Sarum use (s'eaiam ju : s, engl.), eine seit dem 13. Jh.
in der Kathedrale von Salisbury (Sarum) entwickelte
Satzlehre
Sonderform der romischen Liturgie. Sie bildete den
Rahmen einer bemerkenswerten Eigentradition des
Gregorianischen Gesanges, welche wahrscheinlich von
Bayeux (Normandie) herzuleiten ist und sich wahrend
des spaten Mittelalters nahezu iiber ganz England aus-
breitete. Ihre Besonderheiten sind Prozessionsgesange,
Sequenzen, Tropen und Marianische Antiphonen. Von
musikhistorischem Interesse ist vor allem ihr enges Ver-
haltnis zur englischen Mehrstimmigkeit.
Ausg. : Missale ad usum . . . ecclesiae Sarum, hrsg. v. F. H.
Dickinson, Burntisland 1861-83 ; Graduate Sarisburiense,
hrsg. v. W. H. Frere, London 1894, Nachdruck Farn-
borough 1966; The Use of Sarum, hrsg. v. dems., 2 Bde,
Cambridge 1898-1901; Antiphonale Sarisburiense, hrsg.
v. dems., London 1901-25, Nachdruck Farnborough 1966;
The Sarum Missal, hrsg. v. J. W. Legg, Oxford 1916. - Al-
tere Ausg. verzeichnet d. General Cat. of Printed Books of
Brit. Mus., Bd 138 u. 139, London 1962.
Lit. : Fr. Ll. Harrison, Music for the Sarum Rite, Ann.
Mus. VI, 1958-63.
Sattel heiBt der zur Fixierung der Saiten eingekerbte
Wulst am Ende des Griffbretts der Streichinstrumente
(und Zupfinstrumente mit Griffbrett) dicht vor dem
Wirbelkasten ; vom S. bis zum Steg schwingt die (leere)
Sake, wenn sie nicht an anderer Stelle durch einen Fin-
ger oder einen verschiebbaren S. (-> Capotasto) abge-
teilt wird. An Violininstrumenten heiBt S. aufierdem
eine Verstarkung am unteren Rand des Corpus (zur
Unterscheidung vom Griffbrett- oder Kleinen S. auch
GroBer oder Unterer S. genannt), iiber den die Befe-
stigung des Saitenhalters zum Knopf lauft. Bei Holz-
blasinstrumenten um 1800 ist S. eine aufgeschraubte
Vorrichtung aus Metall, in der ->■ Klappen beweglich
gelagert sind.
Satz bezeichnet allgemein als »das (mehrstimmig) Ge-
setzte« die kompositorische Res facta. Setzen tritt an die
Stelle von lat. ponere vel facere, componere (-> Kom-
position), S. in spaterer Zeit an die von positio u. a. Im
musikalischen Bereich des deutschen Grundworts er-
scheinen die Ausdriicke: Gesatz (Liedstrophe, schon im
14. Jh.), absetzen (in Tabulator bringen, seit dem 16.
Jh.), aufsetzen (einer Weise u. a., seit dem 17. Jh.), aus-
setzen (den GeneralbaB), Setzkunst, Ton-S. und S. (seit
dem 17./18. Jh.). S. bedeutet einerseits Prinzip undEr-
gebnis des Setzens (Faktur) - dies zuerst im 17. Jh.
(Schiitz, Chr. Bernhard) -, zum andern eineEinheit des
Gesetzten, einen Abschnitt - dies seit dem 18. Jh., wo-
bei Wort und Begriff des Sprach-S.es in die Termino-
logie hineinspielen. S. im Sinne der Fakturbezeichnung
gliedert sich in mannigfache Kompositionsarten (Setz-
oder S.-Arten), systematisch : z. B. S. Note gegen Note,
strenger und freier S. (-»■ Kontrapunkt), polyphoner
und homophoner S., vokaler und instrumentaler
S., und historisch: z. B. Geriist-S. (-> Kolorierung,
-*■ Tenor - 1), -* Discantus-S., -»■ Kantilenen-S. Als
Abschnittsbezeichnung benennt S. eine musikalische
Sinneinheit innerhalb des Werkverlaufs. Das Thema
heiBt im 18. Jh. auchS. (WaltherL).Zukunftsreichwird
dieses Bedeutungsfeld durchgebildet von H. Chr. Koch
(1802) unter betonter Analogie zur sprachlichen Syntax
und somit in Fortfiihrung der alten Nachbarschaft von
Musik und Grammatik: S. ist jedes einzelne Glied eines
Tonstiickes, welches an undfiir sich selbst einen vollstandi-
gen Sinn bezeichnet, wobei - je nach ihrer sinterpunk-
tischen«, »rhythmischen« und »logischen« (d. h. die
SchluBkraft, die Taktzahl und den Grad der inhaltli-
chen Vollstandigkeit betreffenden) Beschaff enheit - un-
terschieden werden: Vorder-S. (Koch: Absatz im en-
geren Sinn) und Nach-S. (Koch: SchluBsatz). Beide
werden auch Halb-S. genannt; sie bilden zusammen die
-> Periode. GroBere Einheiten innerhalb der -* Sona-
tensatzform sind Haupt-S. (Thema) und Seiten-S. - S.
bezeichnet auch den selbstandigen Teil (f rz. mou vement ,
engl. movement, ital. movimento) eines zyklischen
Werkes, z. B. einer Suite, Sonate oder Symphonic
Satzlehre (Tonsatzlehre; gebildet im AnschluB an
->■ Satz im Sinne des mehrstimmig Gesetzten) lehrt das
aus einer Kompositionsart gewonnene, ihr zugrunde
liegende System von Regeln. Sie ist eine der Grundla-
gen aller echten musikalischen und musikwissenschaft-
lichen Bildung und Tatigkeit. Von der Musiktheorie
(->■ Theorie), auf deren Ergebnissen sie weitgehend
fuBt, unterscheidet sich die S. darin, daB sie die musi-
kalischen Erscheinungen als Praxis des Tonsatzes zu er-
fassen, nicht jedoch auf letzte Begriindungen zuriickzu-
fiihren sucht (z. B. sind die Bestimmung eines Akkords
als Septakkord und eine Anweisung iiber seine Behand-
lung im Satz etwas anderes als eine Theorie des Sept-
akkords und seiner Stellung im System der Akkorde).
Die verbreitete Bezeichnung der S. als Theorie ist da-
her irrefuhrend, und ihre Benennung als Angewandte
oder Praktische Musiktheorie ist ein Widerspruch in
sich. Von der Kompositionslehre (->■ Komposition) un-
terscheidet sich die S. dadurch, daB sie nicht den Weg
bis zur Komposition weist, sondern durch Finden und
Ubermitteln von Regeln sowie durch Satziibungen die
fur eine Satzart typischen Erscheinungen zu verstehen
und zu beurteilen lehrt, wahrend die ->• Interpretation
(-> Analyse) den Organismus und den Sinn bestimm-
ter Kompositionen zu durchschauen sucht und die Stil-
lehre (->■ Stil) Kompositionen nach Merkmalen grup-
piert. Gleichwohl bestehen zwischen S. einerseits und
Musiktheorie, Kompositionslehre, Interpretation und
Stillehre andererseits enge wechselseitige Beziehungen.
- In ihrer vom Wort her nicht eingeengten Bedeutung
ist die Bezeichnung S. geeignet, als Oberbegriff der
seit dem 18. Jh. in -*■ Harmonielehre und -»■ Kontra-
punkt geteilten Unterweisung zu dienen und dazu bei-
zutragen, daB der Dualismus der Lehrsysteme abge-
schwacht, Grundsatze der Neuen Musik beriicksichtigt,
die Erscheinungen des Rhythmus und Metrums, der
Melodie und Formbildung von vornherein mit einbe-
zogen und somit bereits die Elemente und elementaren
Regeln des Satzes in ihrer komplexen musikalischen
Bedeutung erfaBt werden. Derm die ungliickselige Spal-
tung derLehre . . . ist so verfehlt wie etwa eine Methode des
Schlittschuhlaufens, die vor dem Erlernen der eigentlichen
Bewegung fortgesetztes Vben jedes einzelnen Beines vor-
schreibt (Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, 1940,
S. 19). - Wie die Kompositionsart als Quelle einer S.,
so ist auch die S. stets geschichtlich bedingt. Wo sie in
neuerer Zeit die Harmonie- und Kontrapunktlehre zur
Grundlage aller satztechnischen Unterweisung macht,
verleiht sie - entsprechend einem sich standig wiederho-
lenden historischen ProzeB - dem Uberkommenen die
Geltung einer Vorstufe oder die des Fundaments der
Neuerungen (wobei sie sich der zeitlichen Bedingtheit
ihres Regelsystems f reilich nur selten bewuBt ist) .
Gegeniiber dem Fundamentcharakter einer S. sucht die
Historische S. in voller geschichtlicher BewuBtheit die
einen historischen Satztypus konstituierenden Faktoren
zu erkennen und zu kodifizieren. Eine Historische S.
bot erstmals Kn.Jeppesen fur den Palestrina-Stil, um
an einer Stelle in der Musikgeschichte, die so zentral und
hoch wie irgend moglich gelegen ist, eine musikwissen-
schaftliche Arbeit einzuleiten, die den musikalischen
Sprachgebrauch der verschiedenen historischen Perioden
durch empirisch-deskriptive Methoden klarzulegen beginnt
(Der Palestrinastil und die Dissonanz, 1925, S. XI und S.
1 ; hierzu auch von dems. , Kontrapunkt. Lehrbuch der klas-
sischen Vokalpolyphonie, 1930; -> Kontrapunkt, Lit.). In
841
sautille
ahnlicher Zielsetzung untcrsuchte E. Apfel den musika-
lischen Satz der Zeit vom 13. bis 15. Jh. und botBeitrage
zu einer Geschkhte der Satztechnik von derfriihen Motette
bis Bach (2 Teile, Miinchen 1964-65). Umfassende Ko-
difizierungen des Regelsystems z. B. des Generalbafi-
satzes (hierzu H.Haack, Anfange des Ceneralbaflsatzes in
den Cento Concerti Ecclesiastic! 1602 von L. Viadana, Diss.
Miinchen 1964, maschr.), des Bach-Satzes, des Satzes
der Wiener Klassik (hierzu in neuerer Zeit Arbeiten
von Thr. G. Georgiades) stehen noch aus. Der nachste
Schritt ware dann, durch Vergleich zwischen Varianten von
gleichartigen Sprachformen . . . die gemeinschaftlichen Mo-
mente . . . nachzuweisen und festzuhalten. Das so gewon-
nene Material miifite dann wieder zum Aufbau von Sprach-
gesetzen dienen, den Entwicklungsqesetzen der Musik . . .
(Jeppesen 1925, S. 1). ' HHE
sautille' (sotij'e, frz.; ital. saltato, getanzt, gehiipft),
Springbogen, eine Strichart in schnellem Tempo, bei der
der Bogen auf Grund der ihm eigenen Elastizitat von
selbst springt. Strichfolge, Bogeneinteilung, Sprung-
hohe und Kontaktstelle (->■ Bogenfuhrung) miissenje-
doch vom Spieler bestimmt werden. Springbogen fiir
mehrere Tone auf einem Bogenstrich (frz. ricochet,
Abprall, auch jete, geworfen, »Rikoschettieren«) be-
ruht auf dem elastischen Riickprall, den der Bogen nach
kraftigem Werfen auf die Saite ausfiihrt; das Ricochet
ergibt den Effekt einer sehr schnellen Folge von kur-
zen Tonen.
Savart ist eine gegenuber dem -> Cent heute wenig
gebrauchliche Intervalleinheit (1 Savart = 3,99 Cent),
die nach dem franzosischen Akustiker F. Savart (1791—
1841) benannt ist. Die Umrechnung des Verhaltnisses
zweier Frequenzen/i und/2 erfolgt nach der Formel
1000 • lg^, so daB die Oktave z. B. in diesem MaB die
GroBe 1000 • lg 2 = 301 ,03 Savart erhalt.
Saxhorn -> Biigelhorn.
Saxophon nannte A. -> Sax das von ihm 1840/41 kon-
struierte, 1846 patentierte Blasinstrument aus Blech
mit einfachem Rohrblatt. Ansatz und Fingersatz sind
einfacher als bei der verwandten Klarinette, da das
stark konisch-weite S. in die Oktave iiberblast wie die
Oboe, deren Klappensystem daher dem des S.s ahnlich
ist. Das S. wird in 8 GroBen gebaut: Sopranino (frz.
s.e aigu) in Es oder F, Sopran in B oder C, Alt in Es
(Umfang notiert h-f 3, klingend d-as2) oder F, Tenor in
B oder C, Bariton in Es oder F, BaB in B oder C, Kon-
trabaB in Es und SubkontrabaB in B. Gebraucht wer-
den iiberwiegend die Es- und B-Stimmungen. Die tie-
feren Typen vom Alt abwarts haben ein aufwarts ge-
bogenes Schallstiick wie z. B. die BaBklarinette. Da die
tief eren Teiltone stark hervortreten, ist der Klang des S.s,
besonders der Instrumente der Mittellage, charakteri-
stischsonorundvibratoreich.Inder-^-Militarmusikwur-
de es schon bald nach seiner Erfindung verwendet (auch
in Bearbeitungen), ins Orchester fand es trotz derEmp-
fehlung durch J.G.Kastner und Berlioz nur langsam
Eingang. In der Kammermusik findet es fast nur in
Frankreich Verwendung. In Orchesterwerken und
Opern wurden S.e vorgeschrieben u. a. von Meyer-
beer, A.Thomas, Bizet, Debussy, Ravel, Strawinsky,
Hindemith (Cardillac), Bartok, Berg, Honegger; S.-
Quartett f ordern u. a. Massenet und R. Strauss (Sinfonia
domestica, als ad libitum- Verdoppelung der Holzblaser).
Konzertstiicke schrieben Debussy, Ibert und Glasunow;
eine Sonate fiir Alt-S. (eigentlich Althorn in Es) und
Kl. komponierte Hindemith. - Im Jazz wird das S. seit
etwa 1920 verwendet, zunachst von Klarinettisten als
Wechselinstrument. Bevorzugte Soloinstrumente sind
das Sopran-S. (Sidney Bechet), das Alt-S. (Charlie Par-
ker), seit demEnde der 1920er Jahre das Tenor-S. (Co-
leman Hawkins, Lester Young, Stan Getz) und das
Bariton-S. (Gerry Mulligan). Das BaB-S. vertratin den
1920er Jahren gelegentlich die Tuba; Solist auf dem
BaB-S. war Adrian Rollini. Den Satz von 3-4 S.en
(2 Alt-, 1-2 Tenor-S.e), seit den friihen 1930er Jahren
auch den 5st. Satz (mit Bariton-S.), entwickelten der
Altsaxophonist Benny Carter und die Bandleader Don
Redman und Fletcher Henderson, den »Four Brothers«-
Satz (3 Tenor-S.e, 1 Bariton-S.) der Tenorsaxophonist
Jimmy Giuffre fiir das Orchester Woody Herman 1948.
In den 1930er Jahren nahm Duke Ellington, vor allem
in seiner Mood music, eine Klarinette hinzu. Wie der
reine S.-Satz so wurde auch diese Instrumentation von
vielen Tanzkapellen iibernommen; bei Glenn Miller
ist die Klarinette im Unterschied zu Ellington standig
Oberstimme, das Alt-S. oktavierend. Auch das Arran-
gement Sy Olivers fiir Lunceford mit dem Unisono
mehrerer S.e (1935) wurde von der Commercial Mu-
sic nachgeahmt. - Schulen fiir S. schrieben u. a. Kastner
(Paris 1845), N. Fedorow (in 2 Teilen neubearbeitet
von A.Baresel und E.Fruth, Leipzig 1926), B.Davis
(London 1932), F.Hauck (Mainz 1959) und H.Koller
(Wien 1962).
Lit.: Th. de Lajarte, Instr.-Sax . . ., Paris 1867; J. Kool,
Das S., Lpz. (1931); F. G. Rendall, The S. Before Sax,
The Mus. Times LXXIU, 1932; M. Perrin, Le s., Paris
1955; J. E. Berendt, Der Saxophonsatz als Instr., in: Va-
riationen ilber Jazz, Miinchen (1956); R. Druet u. G.
Gourdet, L'6cole frc. du s., 3 Bde, o. O. 1963; L. Koch-
nitzky, A. Sax and his S., NY 21964.
Saxtromba nannte A. ->• Sax ein Blechblasinstrument
mit Ventilen, das etwas weiter als das Waldhorn und
enger als das Biigel- und das Saxhorn mensuriert ist.
Sein Ton steht dem der ahnlich mensurierten -> »Wag-
ner«-Tuba nahe. Die 1845 patentierte S., die entspre-
chend der Familie der Saxhorner in 7 GroBen gebaut
wurde, fand auf Grund der Bemiihungen ihres Erfin-
ders Eingang in die franzosische Militarmusik; in das
Orchester wurde sie nicht aufgenommen.
Scab!llum(lat.,Schemelchen;auchscabellum;griech.
xpou-rre^ai, hohe Holzschuhe), antike FuBklapper, die
zur Markierung des Rhythmus im Chor, bei Tanzen
und Arbeitsliedern diente. Das um 350 v. Chr. (De-
mosthenes, »Gegen Meidias« 17) zuerst erwahnte In-
strument soil aus den in Boiotien beim Olivenstampfen
iiblichen Holzschuhen entwickelt worden sein. Es be-
stand aus 2 an einer Seite verbundenen Brettem oder
Metallplatten in FuBgroBe, von denen das obere am
freien Ende mit dem FuB gegen das untere geschlagen
wurde. Seit dem 2. Jh. n. Chr. sind Scabilla bezeugt,
bei denen zur Verstarkung des Klanges ein Paar kleiner
Becken zwischen den beiden Platten eingebaut ist. Au-
los und Sc. wurden haufig von einem Spieler gleich-
zeitig gespielt.
Lit. : M. Wegner, Griechenland, = Mg. in Bildern II, 4,
Lpz. (1963), S. 54f. ; G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom,
ebendall, 5, (1964), S. 60f., 74f., 78f., 108f., 124f.
Scandicus (lat.) -*■ Neumen (- 1).
Scat (skaet, engl.), Jazzbezeichnung fiir eine Art des
Gesangs, in der einzelrie Silben oder Laute ohne jeden
konkreten Wortsinn aneinandergereiht und zugleich
rhythmisch variiert werden. Die Erfindung des Sc.
durch Louis Armstrong ist eine Legende ; denn das Sc-
Singen findet sich schon in verschiedenen Gattungen
der musikalischen Negerfolklore der USA (z. B. in
-*■ Negro spirituals, -> Jubilees), haufig als Zeichen ei-
nes ekstatischen Zustands der Sanger. Zum Ausdrucks-
mittel wurde das Sc.-Singen bereits im ->■ New-Or-
842
Schallaufzeichnung
leans-Jazz (Armstrong) umgeformt und als Nachah-
mung des Instrumentenspiels durch die Singstimme
verstanden. Im -> Be-bop (dessen Name selbst aus zwei
Sc.-Silben besteht) erlangte der Sc. unter der Bezeich-
nung Bop-Sc. oder Be-bop-vocals besondere Bedeu-
tung (Ella Fitzgerald).
Schachbrett (bezeugt in Wortformen wie mittellat.
scacarium; frz. echiquier; span, exaquier; engl. chekker).
1360 erwahnt Eduard III. von England in einem Brief
anjohann von Frankreich ein eschequier, und 1385 bat
Johann I. von Aragon brieflich um einen Musiker, der
Orgel und exaquier spielen konne. Machaut erwahnt
in seiner Prise d'Alexandrie (1377) und in Li tempo
pastour ein eschiquier (d'angleterre), Gerson in De can-
ticis (1420) ein scacarum (scachordum). Die Bezeich-
nung chekker ist in England 1392/93 belegt. Der friihe-
ste deutsche Beleg als »schachtbrett« (in E. Cersne, Der
Minne Regel, 1404) wird von SachsL als »Kielklavier«
gedeutet. Sachs stiitzt sich auf die Wortbedeutung von
mittel- und neu-nld. schacht (synonym mit schaft: Fe-
derkiel) und auf die Tatsache, daB das Spiel-Sch. mhd.
schach zabel heiBt. Diese Deutung uberzeugt jedoch
nicht, da fur die teilweise friiher liegenden franzosi-
schen, spanischen und englischen Belege Identitat mit
den Wortformen f iir das Spiel-Sch. besteht. Sehr wahr-
scheinlich ist der Name Sch. einem Tasteninstrument
liber die optische Assoziation mit dem Spiel-Sch. zu-
gekommen (wegen des Abwechselns von schwarzen
und weiBen Tasten, zumal die Tasten von mittelalter-
lichen Instrumenten nur kurz waren) ; weiterhin kann
aus der Briefstelle Johanns I. von Aragon und aus der
lateinischen Wortbildung scachordum geschlossen wer-
den, daB es sich um ein besaitetes Tasteninstrument
handelte.
Lit. : C. Krebs, Diebesaiteten Klavierinstr. bis zum Anf ang
d. 17. Jh.,VfMw VIII, 1892, erganzendeNotizin:VfMwIX,
1893 ; F. Pedrell, Jean I. d'Aragon, Compositeur de mu-
sique, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; C. Sachs, Die Musik-
instr.d.Minneregel,SIMGXIV,1912/13;DERS.,TheHist.of
Mus. Instr.,NY(1940), London 1952; W.H.Gr. Flood, The
Eschiquier Virginal: An Engl. Invention?, ML VI, 1925;
H. G. Farmer, The Canon and Eschaquiel of the Arabs,
Journal of the Royal Asiatic Soc., 1926; Instr. de musique
du XV e s., hrsg. v. G. Le Cerf u. E.-R. Labande, Paris
1932; C. Clutton, Arnault's Ms., The Galpin Soc. Jour-
nal V, 1952 ; A. Machabey, Remarques sur le lexique mus.
du De Canticis de Gerson, Romania LXXIX, 1958.
Schaftlarn bei Munchen, Benediktinerabtei, gegr.
um 762.
Lit. : L. Abstreiter OSB, Gesch. d. Abtei Sch., Sch. 1916;
D. v. Huebner, Kalendarium Praemonstratense in einer
Sch.er Choralhs. d. 12. Jh., in: 1200 Jahre Kloster Sch.
762-1962, Sch. 1962; P. Ruf, Die Hss. d. Klosters Sch.,
ebenda; R. Munster, Die Musik im Kloster Sch., in: Un-
ser Sch., Sch. 1963.
Schall ist die Bezeichnung fiir alle horbaren Schwin-
gungsvorgange. Voraussetzung fiir die Horbarkeit ist,
daB Frequenz und Intensitat der -» Schwingungen in-
nerhalb bestimmter Grenzwerte bleiben (-> Horfeld).
Schwingungen unter 16 Hz und iiber 20000 Hz wer-
den vom Ohr nicht registriert und als Infra- bzw. Ultra-
schall bezeichnet. Der Sch. breitet sich in Form von
-»- Wellen aus. Die Sch.-Geschwindigkeit c ist vom
Medium sowie von Temperatur- und Druckverhalt-
nissen abhangig. Sie betragt in Luft bei 20° Celsius und
760 mm Quecksilbersaule 343,8 m/sec und andert sich
in diesem Temperaturbereich um 0,60 m/sec pro Grad.
Sch.-Geschwindigkeits-Messungen wurden zuerst von
M.Mersenne (1636) durchgefiihrt. Im Sch.-Feld ist der
-» Schalldruck die einer physikalischen Messung be-
sonders zugangliche GroBe. Die Geschwindigkeit, mit
der die Luftmolekiile hin- und herschwingen - nicht
zu verwechseln mit der Sch.-Geschwindigkeit - wird
Sch.-Schnelle genannt und in cm/sec angegeben. Das
Produkt aus Sch.-Druck und Sch.-Schnelle ist die -*■ In-
tensitat.
Lit.: R. W. Pohl, Mechanik, Akustik u. Warmelehre,
= Einfiihrung in d. Physik I, Bin, Gottingen u. Heidelberg
14 1959; F. Trendelenburg, Einfiihrung in d. Akustik,
Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1961.
Schallanalyse -> Frequenzanalyse.
Schallaufzeichnung. Den beim Sprechen oder Mu-
sizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu
konservieren und beliebig reproduzieren zu kbnnen,
ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschaf tigte.
Waren zunachst eher magische Aspekte im Spiel, die
die Phantasie befliigelten, wie etwa bei Giovanni della
Porta, der 1589 den Schall in Bleirohren auffangen
wollte, so f iihrte mit f ortschreitender Entwicklung na-
turwissenschaftlichen Denkens ein verhaltnismaBig
gerader Weg zur Losung des Problems. 1688 stell-
te Giinther Christoph Schelhammer fest, daB sich der
Schall durch wellenformige Bewegungen der Luft aus-
breitet. 1830 baute Wilhelm Eduard Weber den ersten
brauchbaren Apparat zur Aufzeichnung der Luftbe-
wegungen des Schalles. Felix Savart und Jean Marie
Constant Duhamel gelang es etwa 10 Jahre spater, die
Schallschwingungen schraubenformig auf einer rotie-
renden beruBten Walze aufzuzeichnen. Das Problem
der Wiedergabe aufgezeichneter Schallschwingungen
losten 1877 zwei Erfinder unabhangig voneinander in
ahnlicher Weise: Charles Cros erf and in Paris eine
Sprechmaschine, Parleophone genannt, Thomas Alva
Edison in den USA den Phonographen. Edison gelang
es, seiner Erfindung zum Durchbruch zu verhelfen.
Er benutzte eine mit der Hand drehbare Stahlwal-
ze mit aufgelegter Stanniolschicht, in die mit Hilfe
eines mit einer ->■ Membran verbundenen Stiftes die
Schallbewegungen unterschiedlich tief eingeritzt wur-
den (Tiefenschrift). Die Rille konnte auf dem gleichen
Wege abgetastet werden, wobei der Abtaststift eine
Membran bewegte und den Schallvorgang an die Luft
weitergab. Spater wurden gegossene Wachswalzen
verwendet. Der Edison-Phonograph hat weltweite
Verbreitung als Spielzeug und zur Unterhaltung, be-
sonders aber als wissenschaftliches Gerat gefunden.
Wichtige Tondokumente vor allem aufiereuropaischer
Musik wurden auf Edison- Walzen festgehalten. Der
Hauptvorteil lag in derEinfachheit der Bedienung, die
Nachteile bestanden in der geringen Wiedergabequali-
tat, der kurzen Aufnahmedauer und der begrenzten
Moglichkeit der Vervielfaltigung. -Einen entscheiden-
den Fortschritt bedeutete die von Emile Berliner erst-
mals verwendete -*■ Schallplatte. Berliner arbeitete zu-
nachst mit wachsiiberzogenen Metallplatten, in die ei-
ne nunmehr seitlich auslenkende Rille spiralformig ein-
geschnitten wurde (Seitenschrift). Als es ihm spater ge-
lang, auf galvanoplastischem Wege PreBf ormen herzu-
stellen, und er in einer Mischung aus Schellack und
Schiefermehl ein geeignetes PreBmaterial fand, wurde
die Schallplatte bald zum Massenartikel. Sie blieb bis
heute der meistverbreitete Tontrager. Sch.en konnten
zunachst nur mechanisch aufgenommen und wiederge-
geben werden. Schneid- bzw. Abtaststifte waren direkt
mit Membranen verbunden; die Schallenergie wurde
durch Trichter und Schlauche gelenkt.
1925 wurden elektrische Aufnahmeverfahren einge-
fuhrt. Nun standen mit standig steigender Qualitat
-*■ Schallwandler, -> Mikrophone, Kopfhorer und
-j- Lautsprecher zur Verf iigung ; vor allem die ->■ Elek-
tronenrohre ermoglichte die elektrische Verstarkung
843
Schallbecher
der in Wechselspannungen umgesetzten Schallvorgan-
ge. Die Spieldauer von Schallplatten betrug zunachst
maximal etwa 4^2 min, der Frequenzumfang war be-
schrankt und nichtlineare -*■ Verzerrungen traten oft
merkbar inErscheinung. Mit der Einfiihrung der Lang-
spielplatte konnte die Wiedergabezeit auf ca. 30 min
pro Seite ausgedehnt werden, auch die Klangquali-
tat nahm betrachtlich zu (->- High Fidelity, -> Stereo-
phonic). - Neben dem Prinzip der Schallplatte (me-
chanische Sch.) gibt es heute zwei weitere Arten der
Sch. : die magnetische Sch. und das Lichttonverfahren.
Der Magnettontechnik liegt das Prinzip der Induktion
zugrunde : Bewegt man einen Leiter in einem magneti-
schen Feld, so entsteht eine elektrische Spannung. Die-
se Tatsache brachte den Amerikaner Oberlin Smith
1888 auf den Gedanken, dem Telephon entnommene
Wechselspannungen zur Magnetisierung eines Drahtes
als beweglichem Tontrager zu verwenden. 1935 ent-
wickelte die AEG das erste brauchbare Magnettonge-
rat (Magnetophon). 1940 gelang den deutschen Physi-
kern Hans Joachim von Braunmuhl und Wilhelm We-
ber eine entscheidende Qualitatsverbesserung durch das
Hochfrequenzverfahren. Ein hochfrequenter Wechsel-
strom dient nicht nur zum Loschen friiherer Aufzeich-
nungen, er sensibilisiert auch den Aufsprechvorgang
durch die sogenannte HF-Vormagnetisierung. Bei die-
sem Prinzip ist es bis heute geblieben: ein beweglicher
Tontrager (Tonband, Magnettonspur auf Film, Draht)
wird im Rhythmus der Schallschwingungen mit Hilfe
von Magnetkbpfen magnetisiert. Starke und Richtung
der Magnetisierung entsprechen dabei der Phasenlage
der Schallschwingungen. - Im Tonfilm ist neben dem
Magnettonverf ahren noch heute das Lichttonverfahren
in Gebrauch. Hier werden die in elektrische Spannungs-
schwankungen umgewandelten Schallschwingungen
auf photographischem Wege am Rande des Filmstrei-
fens in eine Spur entsprechend variabler Lichtdurchlas-
sigkeit umgesetzt. Diese »Tonspur« liegt bei der Wie-
dergabe im Strahlengang einer starken Lichtquelle, die
auf eine Photozelle wirkt und dort eine von der durch-
gelassenen Lichtintensitat abhangige Wechselspannung
erzeugt. Diese wiederum kann verstarkt und durch
Lautsprecher abgestrahlt werden.
Lit.: W. E. Feddersen, T. T. Saneal, D. C. Teas u. H. M.
Feldhaus, Zur Entstehungsgesch. d. Sprechmaschine u.
Schallplatte, Fs. C. Lindstrom A. G., hrsg. v. A. Guttmann,
Bin 1929; E. Meyer, Schallplatten- u. Magnettontechnik,
in: Hdb. d. Experimentalphysik, hrsg. v. W. Wien u. F.
Harms, Bd XVII, 2, Lpz. 1934; O. Read, The Recording
and Reproduction of Sound, Indianapolis (Minn.) 2 1952;
W. Reichardt, Grundlagen d. Elektroakustik, Lpz. 1952,
2 1954; W. Burck, Grundlagen d. praktischen Elektro-
akustik, Mindelheim (1953); Fr. Winckel, Sch., in: Hdb.
f. Hochfrequenz- u. Elektrotechniker II, hrsg. v. C. Rint,
Bin (1953); H. Sutaner, Schallplatte u. Tonband, Lpz.
1954; Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin
1955; G. Slot, Vom Mikrofon zum Ohr, = Philips' tech-
nische Bibl., Populare Reihe III, Eindhoven 1955; H. G.
M. Spratt, Magnetic Tape Recording, NY 1958; Fr.
Berotold, Moderne Schallplattentechnik, = Radio-Prak-
tiker-Bucherei 63/65a, Miinchen (21959); H. Schroder,
Tonbandgerate-MeBpraxis, Stuttgart 1961; F. Trende-
lenburg, Einfiihrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u.
Heidelberg 3 1961 ; D. A. Snel, Magnetische Tonaufzeich-
nung, Eindhoven 1962; H.-P. Reinecke, Stereo- Akustik,
Koln 1966. HPR
Schallbecher, auch Schalltrichter,
-»■ Stiirze.
Aufsatze,
Schalldruck ist der Wechseldruck, den die schwin-
genden Luftmolekiile bei der Schallausbreitung z. B.
auf das Trommelfell des Ohres oder die Membran eines
Mikrophdns ausiiben. Der Sch. wird in -> Mikrobar
(fib) gemessen.
Schallocher sind Durchbrechungen der Decke oder
des Resonanzbodens bei Saiteninstrumenten. Wichti-
ger als fur den Schallaustritt sind die Sch. in ihrer Wir-
kung auf die Schwingungsform der Decke. Bei Zupf-
instrumenten wird ein rundes Schalloch in der Mitte
bevorzugt (auch mit -> Rosette), fiir Violen sind C-
formige, fiir Violinen^-formige Sch. charakteristisch.
Schallplatte. Gegeniiber dem walzenformigen Ton-
trager des Edison-Phonographen, der das Problem der
mechanischen -> Schallauf zeichnung grundsatzlich ge-
lost hatte (1877), bot die Sch. Emile Berliners (1887)
alle Vorteile eines leicht und billig zu produzierenden
Massenartikels. Die von Berliner 1893 gegriindete
United States Gramophone Company konnte mit ih-
ren Tochtergesellschaften in London (Gramophone
Company) und Hannover (Deutsche Grammophon
Gesellschaft) schon um 1900 ein Sch.n-Repertoire von
etwa 5000 Titeln anbieten. Die ersten Sch.n hatten 17
cm Durchmesser, waren einseitig bespielt und kosteten
in Deutschland um 2,50 RM. Mit dem Ausbau des klas-
sischen Repertoires (25- und 30-cm-Platten von 5 bis
20 RM) wurde die Sch. - zunachst nur Kuriositat und
Jahrmarktsattraktion - gesellschaftsfahig. 1906 lag der
deutsche Sch.n-Umsatz bereits bei 1 ,5 Millionen Stuck ;
1930 erreichte er 30 Millionen. Nachdem die Sch.n-
Produktion in Deutschland durch Kriegsschaden fast
vollig zum Erliegen gekommen war, begann um 1950
eine erneute Aufwartsentwicklung, die mit entschei-
denden Verbesserungen der Sch.n-Technik parallel
lief: 1950 Verlangerung der Spieldauer durch variable
Rillenabstande; 1951 Einfiihrung der Kunststoff-Lang-
spielplatte mit 331/3 U/min; 1953-58 Ubergang von
Schellack- auf Kunststoffplatten mit 45 U/min auch
fiir das gangige Schlager- und Tanzmusikrepertoire
(Single-Sch.n) ; 1958 Beginn der ->■ Stereophonie. -
Voraussetzung fiir den heutigen hohen Qualitatsstan-
dard der Sch. waren u. a. die Einfiihrung der UKW-
Technik beim -*■ Rundfunk und die Expansion der Ab-
spielgerate-Industrie (-> High Fidelity). 1966 erreichte
der Sch.n-Umsatz in der Bundesrepublik iiber 50 Mil-
lionen Stuck mit einem Langspielplattenanteil von fast
40%. Neben der Popularisierung der Sch. durch Rund-
funk (Schlagerparaden, prasentiert von dem Disc-
Jockey genannten U-Musik-Experten) und -»■ Music
box waren neue Vertriebsmethoden (Sch.n-Klubs,
Versandhandel) und differenzierte Preispolitik (»Low-
price«-Serien) wesentlich an diesem Erfolg beteiligt. -
Um die Jahrhundertwende hatten die groBen Firmen
mit dem Aufbau eines seriosen Repertoires begonnen.
Bevorzugt wurden anfangs - aus aufnahmetechnischen
Griinden - Opernarien und Kammermusik; spater ka-
men Orchesterwerke hinzu (erste Gesamtaufnahme der
5. Symphonie von Beethoven unter A.Nikisch, Gram-
mophon, 1913). Das U-Musik-Programm bestand zu-
nachst aus Marschen und Volksliedern. Zusammen mit
der neueren Wiener Operette erschien der Schlager im
Sch.n-Repertoire; er ist mit seinen oft die Millionen-
grenze iiberschreitenden Auflagen bis heute der be-
stimmende okonomische Faktor des Sch.n-Marktes.
Neben der kurzlebigen Schlager- und Tanzmusik auf
Single-Sch.n umfaBt das Angebot einer groBen Sch.n-
Firma ein vielseitiges Langspielrepertoire von oft meh-
reren 1000 Werken mit den Standardkategorien: Sym-
phonische Musik, Oper und Oratorium (Gesamtauf-
nahmen, Querschnitte), Instrumentalkonzerte, Kam-
mermusik, Chormusik und Lied; Operette (meist
Querschnitte), Unterhaltungs- und Tanzmusik, Mar-
sche und Blasmusik, Jazz und Folklore; Literatur (dra-
matische Werke, Lyrik, Prosa), Kabarett und Chan-
son, Marchen und Abenteuergeschichten ; Spezialita-
844
Schalmei
ten (Dokumentaraufnahmen, Tierstimmen, Gerausche,
technische MeBplatten). Sorgfaltig redigierte Verof-
fentlichungsreihen (nach musikhistorischen oder geo-
graphischen Aspekten) und aufwendige Gesamtausga-
ben geniigen oft hohen kiinstlerischen, wissenschaftli-
chen und padagogischen Anspriichen; kleinere Sch.n-
Gesellschaften sind zum Teil auf derartige Publikatio-
nen spezialisiert (z. B. auf Kammermusik der Vorklassik,
auf Moderne u. a.). Sch.n fur bcsondere Wissensgebie-
te (Sprachen, Medizin, Religion, Padagogik) werden
weitgehend von Fachbuchverlagen ediert. - Die Amor-
tisation der durchweg sehr hohen Produktions-, Ver-
triebs- und Verwaltungskosten wird durch zusatzliche
Auswertung der Aufnahmen iiber Sch.n-Klubs, (an-
onyme) Zweitmarken sowie durch Neuzusammenstel-
lung in sogenannten Sammelprogrammen (Sangerpor-
trats, Wunschkonzerte, Schlagerparaden) angestrebt.
Wahrend noch vor wenigen Jahren das E-Musik-Re-
pertoire von den Schlager-Sch.n mitfinanziert werden
muBte, gibt es heute ausgesprochene Klassikbestseller
mit Gesamtumsatzen von iiber 100000 Stuck. In der
Spitzenpreisklasse (25-30 DM) rangieren kiinstlerisch
und technisch hochwertige moderne Einspielungen mit
(meist durch Exklusivvertrage gebundenen) Starsoli-
sten und -dirigenten, in den anderen Preiskategorien
(5-21 DM) technisch veraltete Aufnahmen oder Neu-
produktionen mit weniger bekannten Kiinstlern. Dem
Preisniveau entspricht die auBere Aufmachung mit alien
Varianten von der Lederkassette mit illustriertem Text-
heft bis zur einfarbig bedruckten Kartontasche.
Praktisch uniiberschaubar sind Anzahl und wirtschaf t-
liche Verkniipfung der Sch.n-Firmen. Die von den ein-
zelnen Organisationen vertriebenen Marken (Labels)
sind nur zum kleineren Teil firmeneigen; die meisten
Labels werden iiber Repertoireaustausch-Vertrage auf
Lizenzbasis zur Auswertung in bestimmten Gebieten
und auf begrenzte Zeit erworben. Zu den Weltmarken
zahlen RCA Victor (Decca, Telefunken, London, Re-
prise, Coral u. a.), CBS (Epic, Blue Note, Regina,
Westminster, Falcon u. a.), Deutsche Grammophon
Gesellschaft (Archiv-Produktion, Polydor, Heliodor,
MGM, Verve, Tip u. a.), Electrola (Columbia, Odeon,
Capitol u. a.) und Philips (Mercury, Fontana, Amadeo
u. a.). Wachsende Bedeutung kommt den Sch.n-Pro-
duktionen der Musikverleger zu, z. B. Barenreiter-
Musicaphon, Moseler (Camerata), Herder (Christo-
phorus), Schwann (Musica Sacra). Das Gesamtangebot
des westdeutschen Sch.n-Handels ist (aufier Single-
Repertoire) in dem jahrlich neu erscheinenden Grofien
Scn.n-Katalog (Liidenscheid 1964ff.) vorgelegt (-> Dis-
kographie). Dariiber hinaus ist der Sch.n- Weltmarkt
durch einen umfassenden Importdienst erschlossen. -
Neben den (nur kommerziell relevanten) Firmenaus-
zeichnungen fiir Interpreten und Autoren (Goldene
Sch. fiir 1 Million verkaufte Exemplare, erstmals 1920
an Paul Whiteman fiir den Schlager Whispering) wer-
den alljahrlich zahlreiche unabhangige Preise fiir kiinst-
lerisch bedeutsame Neuerscheinungen verliehen (Grand
Prix du Disque in Frankreich, Edison-Preis in Holland,
Deutscher Sch.n-Preis). Wenn auch die Rolle der Sch.
auf kulturellem, soziologischem und wirtschaftlichem
Gebiet noch unterschiedlich bewertet wird, so ist doch
ihre Bedeutung als Dokument der Musik- und Zeitge-
schichte unumstritten (so laBt sich z. B. dieEntwicklung
des Jazz nur anhand von Sch.n aufzeigen; ->■ Race re-
cords). In mehreren Landern bestehen bereits systema-
tische Sammlungen der lokalen Sch.n-Produktion
(USA, Italien, Frankreich, Grofibritannien; Deutsche
Musikphonothek, West-Berlin, seit 1961; -> Phono-
thek). - Entgegen vielen Prophezeiungen hat die seit
1950 standig wachsende Verbreitung des Amateur-
Tonbandgerates (Prinzip der magnetischen Schallauf-
zeichnung) die Expansion der Sch. nicht beeintrachtigt.
Ob die in jiingster Zeit auf dem amerikanischen und
europaischen Markt in den Handel gekommenen Kas-
setten mit bespielten Tonbandern die Sch. verdrangen
werden, ist noch nicht abzusehen.
Lit.: D. Schulz-Koehn, Die Sch. auf d. Weltmarkt, Bin
1 940; Fr. W. Gaisberg, The Music Goes Round, NY 1942;
R. Bauer, The New Cat. of Hist. Records 1898-1908/09,
London (1948); W. M. Berten, Musik u. Mikrophon, Dus-
seldorf (1951); 50 Jahre C. Lindstrom GmbH, Koln 1954;
Das Sch.-Buch, hrsg. v. W. Facius, Dusseldorf (1956); W.
Haas u. U. Klever, Schallplattenbrevier, = Ullstein-Bu-
cher 203, Ffm. 1958; dies., Die St. seines Herrn, ebenda
246, 1959; E. Sieber, D.-G. Worm u. H. Sutaner, Schall-
plattenfibel, Lpz. 1958; Chr. Ecke, Ewiger Vorrat klass.
Musik, 3 Bde, = rowohlts monographien XXXV, LXIX u.
LXX, Hbg (1959-62) ; H.-P. Reinecke, Mw. u. Sch., Kgr.-
Ber. NY 1961, Bd I ; R. Reichardt, Die Sch. als kulturelles
u. okonomisches Phanomen, = Staatswiss. Studien, N. F.
XLVII, Zurich 1962; 65 Jahre Deutsche Grammophon
Ges., Hbg 1963; A. Silbermann, Sch. u. Ges., = Bertels-
mann Brief e XXIV, Gutersloh 1963; C. Riess, Knaurs
Weltgesch. d. Sch., Zurich (1966) ; J. Viedebantt, Die Rol-
le d. Sch., = Schriftenreihe d. Deutschen Studienges. f. Pu-
blizistik VI, Miinchen u. Bin 1966.
Periodica u. Zss.: Billboard, Cincinnati (O.) I, 1894ff.;
Down Beat, Chicago I, 1934ff.; The American Record
Guide, NY I, 1935ff.; Cash Box, NY I, 1941ff.; Automa-
tenmarkt, Braunschweig I, 1949ff.; Diapason, Mailand I,
1950ff. ; La Rev. des Disques et la Haute Fidelite, Brussel I,
1950ff.; Die Sch., Hbg I, 1952ff.; Luister, Amersfoort I,
1952ff.; Music Revy, Stockholm I, 1952ff.; Bielefelder
Kat., Bielefeld I, 1953ff. (bis VII, 1959 unter d. Titel Die
Langspielplatte) ; The Gramophone, Kenton I, 1954ff.;
fono forum, Bielefeld I, 1956fL; Der Musikmarkt, Miin-
chen 1959ff.; Discoteca, Mailand 1959ff.; Jazzkat., Biele-
feld I, 1959/60ff.; Audio and Record Review, London I,
1961ff. HGL
Schallspektrum ->■ Frequenzspektrum.
Schallwandler sind Gerate zur Umwandlung akusti-
scher Schwingungsvorgange in elektrische (primare
Sch., ->■ Mikrophon) und umgekehrt (sekundare Sch.,
-+ Lautsprecher). In fast alien Sch.n ermoglicht eine
Membran als mechanisches Zwischenglied die Um-
wandlung einerEnergief orm in die andere. Ohne Mem-
bran dagegen funktioniert z. B. die »Palme« der Ondes
musicales. Grundsatzlich sind elektromagnetische, elek-
trodynamische, elektrostatische und piezoelektrische
Sch. zu unterscheiden.
Lit.: F. A. Fischer, Grundziige d. Elektroakustik, Bin
(1949), 21959; W. Reichardt, Grundlagen d. Elektro-
akustik, Lpz. 1952, 21954.
Schallwellen -> Wellen.
Schalmei (griech. xdcXa^oi;, lat. calamus, Halm, cala-
mellus, Rohrchen; in St.Gallen im 8. Jh. cannamala,
glossiert als carina de qua canitur; altfrz. chalemie, seit
dem 16. Jh. chalemeau, ->■ Chalumeau - 1 ; mhd. und
engl. shawm), - 1) im Mittelalter eine Familie von
Doppelrohrblattinstrumenten enger Mensur mit 6-7
Grifflochern, die, mit Windkapselansatz geblasen, ein
Uberblasen nicht gestatteten. Die Sch. ist im arabischen
Raum um 1000 bekannt; in Europa gelangte das zu-
nachst ritterliche Instrument im 15. Jh. zu den Spiel-
leuten und Tiirmera. Mit der Entwicklung der Musik-
instrumente zu vollerem Klang und groBerem Um-
fang besonders zur Tiefe hin entstand aus der mittelal-
terlichen Sch. die Familie der -> Bomharte mit wei-
terer Mensur und mit Klappen. Das Diskantinstrument
der Sch.-Familie glich sich wahrscheinlich erst spater
an; ihm verblieb der Name Sch. (Tinctoris 1484: tibia
que vulgo celimela nuncupatur; Praetorius Synt. II: Allein
der oberste Discant, wekher keinen Missings Schliissel hat /
wird Schalmeye genennet). Die Sch. kommt noch heute
845
Scharf(f)
in orientalischer Musik und europaischer Volksmusik
(Balkan; in Italien als -> Piffero) vor sowie in der
-> Cobla. In der Systematik der Musikinstrumente
wird Sch. zuweilen als Sammelname f iir alle Rohrblatt-
instrumente (einfache und doppelte Rohrblatter) ver-
wendet. - 2) als Orgelregister eine offcne Zungenstim-
me zu 8' oder 4' mit trichterformigen Aufsatzen.
Lit. : zu 1 ) : D. Bartha, Die avarische Doppelsch. v. Janos-
hida, Archaeologica Hungarico XIV, 1934; P. Bromse, Fl.,
Sch. u. Sackpfeifen Siidslawiens, = Veroff. d. Mw. Inst. d.
Deutschen Univ. Prag IX, Briinn, Prag, Lpz. u. Wien 1937 ;
W. Frei, Sch. u. Pommer, Mf XIV, 1961.
Scharf(f ) (latinisiert Acuta) ist eine Mixtur von enger
Mensur, meist 4£ach und auf 1' beginnend. In der nord-
deutschen Barockorgel ist das Sch. die Klangkrone im
Riickpositiv und Brustwerk, bei A. Schnitger auch
6-8fach auf li/ 3 '. Praetorius (Synt. II) beschreibt ein
Sch., das eine Oktavliicke zwischen ersteni und zwei-
tem Chor aufwcist.
Schauspielmusik ->• Biihnenmusik.
Scheinkonsonanz -»- Auffassungsdissonanz.
Scheitholz, Scheitholt, eine einfache Schmalzither.
Der rechteckige, kastenartige Resonanzkorper (ahnlich
dem des Monochords) tragt das Griffbrett mit den Me-
tallbiinden, dariiber laufen bis zu 5 Metallsaiten. Sie
werden mit einem Stockchen angezupft. Das Sch.,
ebenso einfach zu bauen wie zu spielen (Praetorius
Synt. II rechnet es unter die Lutnpenlnstrumenta), wird
heute in der Musikerziehung verwendet.
Schellen sind GefaBrasseln, kleine, meist geschlitzte
hohle Blechkugeln, die ein Steinchen oder kleines Me-
tallkiigelchen enthalten; beim Schiitteln entsteht ein
metallisches Scheppern ohne Nachklang. Sch., die es
auch in Glockchenform mit Kloppel gibt, werden (im
Unterschied zu den gegossenen Glocken) aus dunnem
Blech gehammert. GroBere Sch. kommen vor als Kuh-
Sch., kleine am -»• Schellenbaum. Im Orchester werden
Sch. gelegentlich vorgeschrieben (Mahler, 3. Sympho-
nie, 1. und 4. Satz); das dabei benutzte Instrument ist
meist ein mit einer Anzahl Sch. besetzter Lederreifen,
der geschiittelt wird. An Trommeln kommen sowohl
auBen an der Zarge befestigte Sch. als auch kleine, in
die Zarge eingelassene Metallplattchen in Beckenform
vor (-»• Sch.-Trommel).
Schellenbaum (auchHalbmond; seltener, hauptsach-
lich im 19. Jh. gebrauchlich: Mohammedsfahne; engl.
chinese bzw. turkish crescent oder einfach crescent,
Chinese pavilion, auch Jingling Johnny - volksetymo-
logisch von tiirkisch chaghana; frz. chapeau bzw. pa-
vilion chinois; ital. capello bzw. padiglione cinese, auch
mezzaluna; span, chinesco oder cimbalero; danischja-
nitscharspil), ein mit der -> Janitscharenmusik in die
europaische Militarmusik gelangtes Klingelinstrument.
Der Sch. besteht aus einem Stab und mannigfachem
Zierat, der mit Glockchen und Schellen behangt ist;
an der Spitze des Stabes ist zumeist ein Halbmond
oder ein hutartiges Gebilde, das an ein chinesisches
Dach erinnert, befestigt (daher die verschiedenen
Bezeichnungen). Charakteristisch sind die von der
Spitze an beiden Seiten herabhangenden bunten RoB-
schweife, die auf den Ursprung des Sch.s als Standarte
der tiirkischen Reitertruppen hindeuten (im Inventar
des PreBburger Schlosses wird schon 1527 Ain Turgki-
schen pusch von rofihar an ain spiefi, wie es die Turgken
fuern, erwahnt). SeitEnde des 18. Jh. war der Sch., der
den Militarkapellen vorangetragen wurde, allgemein
bekannt. In England und Frankreich begann er um die
Mitte des 19. Jh. (Krimkriege) zu verschwinden ; in
Deutschland hingegen blieb er bis 1945 das Prunkstiick
der Infanteriekapellen. Neben den durch Schiitteln zum
Erklingen gebrachten Sch. trat bald das tragbare, mit
einem Hammerchen angeschlagene Glockenspiel, die
-v Lyra (- 4), die als Erinnerung an den Sch. die beiden
RoBschweife iibernommen hat. RuBland kannte auBer
dem eigentlichen Sch. die dem Sch. verwandten Losch-
ky (Loffel). Nach Afrika kam das Instrument durch die
Kolonialtruppen. In Asien ist es weithin bekannt und
findet auch in der Kunstmusik Verwendung, z. B. als
Gentorak in einigen indonesischen -> Gamelans.
Schellentrommel (auch Tamburin; frz. tambour de
basque; ital. tamburino; engl. timbrel; heute tambou-
rine; span. -> pandero; arabisch -> tar), ein im Mittel-
alter und noch heute in Spanien vorwiegend von
Frauen gespieltes Volksinstrument, dessen oft gebrauch-
te Benennungen -> Tambourin (- 1 ; skleine Trom-
mel^ oder »baskische Trommek (den Basken war das
Instrument unbekannt) irrefiihrend sind. Die Sch. be-
steht aus einem einseitig mit einer Membran bespannten
Holzreifen (seltener Metall, z. B. Messing), in den in
kleinen Spalten 10-15 Schellen oder Metallplattchen
eingelassen sind. Der Rahmen ist 6-7 cm hoch, der
Durchmesser betragt etwa 25-30 cm. Der Klang der
Sch. ist kurz und trocken, er wird durch das Klirren der
Schellen oder der gegeneinanderschlagenden Plattchen
teilweise iiberdeckt. Das Instrument kann durch Schiit-
teln, Reiben oder Schlagen des Fells sowie durch Schla-
ge auf den Rahmen gespielt werden. Die Sch. (nicht
identisch mit dem -»■ Tympanum - 1) erscheint ab 1400
in ganz Europa auf Engeldarstellungen. Fur den be-
vorzugten Gebrauch der Sch. in Spanien spricht im 17.
Jh. sowohl die in Italien um 1600 belegte Charakterisie-
rung um baletto con sonagline alia spagnuola (Sachs Hdb.,
S. 113) als auch die Bezeichnung Morenpaucklin (Prae-
torius Synt. II, Tafel XXII). In England kennt Ch.
Burney noch 1776 drei Bezeichnungen der Sch.: A
Tambour de Basque, Tabret, or Timbrel, from the picture of
a Baccante, or female Bachanal, dug out of Herculaneum.
. . . To the rim were hung bells or pieces of metal {A General
History . . . I, S. 389, vgl. auch Tafel VI, 7). - Die Sch.
wird im Orchester vor allem zur Charakterisierung
exotischen, orientalischen und spanischen Kolorits ver-
wendet. Beispiele bieten die Zigeunermelodie in C. M.
v.Webers Preziosa (1821), die Ouvertiire Le Carnaval
Romain (1844) von Berlioz, Carmen (1875) von Bizet,
Le desert (1847) von Felicien David, Capriccio espagnol
(1887) von N. Rimskij-Korsakow, Iberia (191 1) von De-
bussy und Rapsodie espagnole (1907) von Ravel.
Scherzo (sk'ertso, ital., Scherz, SpaB), - 1) um 1600
(wie ->■ Capriccio) ein beliebtes Titelwort fur Samm-
lungen 3st. Kanzonetten, daneben eine Bezeichnung f iir
Sologesange iiber kanzonettenartige Texte und fiir In-
strumentalstiicke unterschiedlicher Art (z. B. Monte-
verdi 1607 und 1632, A.Brunelli 1614 und 1616, A.
Troilo 1608, B. Marini 1622 ; ahnlich noch bei J. S. Bach,
Partita A moll, BWV 827, 6. Satz) ; - 2) ein rascher,
launiger Satz im 3/4- oder 3/8-Takt mit Trio, der sich
meist durch ausgepragte rhythmische Eigenwilligkeit
auszeichnet und der seit Beethoven als Mittelsatz des
Sonaten-Satzzyklus an die Stelle des ->■ Menuetts trat,
aus dem er hervorgegangen war. 1781 bezeichnete J.
Haydn in den Streichquartetten op. 33 Nr 2-6 (Hob.
Ill, 38-42) erstmals menuettartige Satze als Scherzando
bzw. Sch. In Haydns friiheren Menuetten sind scher-
zohafte Elemente (z. B. starke Bewegungskontraste)
vorgebildet, doch findet sich die Uberschrif t Sch. bzw.
Scherzando vor op. 33 nur fiir einige Finalsatze im
2/4-Takt angewendet: Divertimento fiir Kl. F dur
(Hob. XVI, 9) und Streichquartette op. 3 Nr 5 und 6
846
Schlager
(Hob. Ill, 17 und 18). Wahrend sich Scherzando bei
den geradtaktigen Satzen mehr auf den Charakter
(scherzhaft, tandelnd) bezieht und auch als Interpre-
tationshinweis gelten kann (Allegretto scherzando), ist
mit der Uberschrift Sch. in op. 33 eher die eigenwillige
kompositorische Struktur angesprochen. Auch der jun-
ge Beethoven schrieb 1783 ein (geradtaktiges) Scher-
zando als Finale seiner Klaviersonate D dur (WoO 47,
Nr 3). Der geradtaktige »Scherzandotyp« (die Bezeich-
nungen Sch. und Scherzando werden allerdings nir-
gends streng geschieden), der in op. 8 als schneller Mit-
telteil eines Adagios wiederkehrt, muB neben dem von
Haydn aus dem Menuett abgeleiteten Typ als Wurzel
des Beethovenschen Sch.s gelten, das sich allerdings
durch Aufnahme burlesker und symphonischer Ziige
weitgehend vom Menuett entfernte. Wahrend Haydn
sich nach op. 33 wieder dem (schnellen) Menuett mit
Sch.-Elementen zuwandte, bevorzugte Beethoven das
Sch. und beschrankte in seinen spateren Werken das
(langsame) Menuett auf den »Graziosotyp«. Schubert
schrieb Sch. und Menuett nebeneinander. - Die Kom-
ponisten des 19. Jh. entwickelten das Sch. zu einem Ort
der freiesten Auspragung des jeweils individuellen Hu-
mors, erf iillten es auch mit anderen Ideen und Elemen-
ten verschiedenartigster Herkunft (z. B. schottische
Volksliedmotive bei Mendelssohn Bartholdy op. 56).
Hervorzuheben sind die Scherzi der neun Symphonien
Bruckners und das der 4. Symphonie von Brahms. Aus-
klang der Gattung bedeuten die Scherzi der 3. bis 5.
Symphonie von K.A.Hartmann. - 3) Gelegentlich
wurde Sch. im 19. Jh. auch als Bezeichnung fur vir-
tuose Klavierstiicke nach Art von Caprices oder Kon-
zertetiiden gebraucht; bedeutend sind die vier grofien
Scherzi von Chopin.
Lit. : zu 2) : G. Becking, Studien zu Beethovens Personal-
stil. Das Scherzothema, = Abh. d. Sachsischen Staatl. For-
schungsinst. f. Mw. II, Lpz. 1921 ; A. Adrio, Menuett u.
Sch., Der Musikerzieher XXXVI, 1940. HHa
Schisma (griech. externa) ist das Verhaltnis des pytha-
goreischen zum syntonischen -* Komma (-1 ) : : ^ ,
oder auch das Verhaltnis der reinen groBen Terz iiber
der 8. Quinte zur 5. Oberoktave:
/3\8 5 /2>5 32805 ,. az . ,, A
(t) 'T : (t) =32761 (1.954 Cent).
Es entspricht angenahert dem Verhaltnis zwischen der
reinen Quinte und der Quinte der 12stufig gleichschwe-
benden Temperatur. Das Diaschisma (jfgs) entspricht
dem Verhaltnis von syntonischem Komma und Sch.
(so " 12768 ) un< ^ ' st m ' t 19,55 Cent fast genau zehnmal
so groB wie das Sch. (-> Intervall-Tabelle).
Schlagel (auch Schlegel, beide Formen gleich iiblich;
engl. sticks, beaters; frz. baguettes; ital. bacchette,
battenti) heiBen die 30-40 cm langen, in einen Kopf
auslaufenden Schlagwerkzeuge, mit denen Pauken,
Trommeln, Becken und andere Schlaginstrumente ge-
spielt werden. Neben den noch heute gebrauchlichen
Schl.n aus Esche, Buche, Rohr oder anderen Materia-
lien wurden auch kunstvoll geschnitzte oder gedrech-
selte Schl. aus Elfenbein benutzt. Die wichtigsten heute
verwendeten Schl.-Arten sind: 1) Pauken-Schl. (zum
Teil auch fur andere Schlaginstrumente benutzt) : Bei
den heute ublichen Spieltechniken kommt der Pau-
ker im wesentlichen mit 5 verschiedenen Schl.n aus:
Schwamm-Schl., bestehend aus einem mit Schwamm
uberzogenen Korkkopf ; dieser zuerst von Berlioz ver-
langte Schl.-Typ wurde bis etwa 1900 gebraucht. Er
ist heute weitgehend durch den Filz-Schl. ersetzt, den
es in verschiedenen GroBen und Hartegraden gibt und
der heute am haufigsten benutzt wird. Sein Anschlag
erzeugt im Forte wie im Piano einen weichen und run-
den Klang. Der Stiel des Filz-Schl. s besteht meist aus
Rohr von ca. 8-10 mm Starke; umdieamEndeaufge-
setzte Holz- oder Korkkugel wird der Filz in mehreren
Lagen gezogen und am Stock vernaht. Hartiilz-Schl.
eignen sich besonders gut f Cir die Erzeugung von ober-
tonarmen Anschlagen und konnen sogar den Holz-
Schl. ersetzen. Kork-Schl. werden nur noch selten ge-
braucht. AuBer den Holz-Schl.n werden auch noch
Leder-Schl. benutzt (schon von Kastner, Methode de
timbates, 1845, beschrieben), deren Lederiiberzug ein-
fach oder doppelt auf den Holzkopf aufgezogen ist.
2)Trommelst6cke,dunneHartholz-Schl.,derenSchlag-
ende sich zunachst verengt und dann in einen koni-
schen Kopf auslauft. 3) Vibraphon-Schl., in der Aus-
f iihrung fur »hartes« Spiel mit Hartgummikopfen ver-
sehen, fiir »weiches« Spiel mit Wollgarn in mehreren
Lagen umwickelt. 4) Triangelstab, ein diinner Stahl-
stab, der an einem Ende konisch auslauft. 5) Schl. fiir
groBe Trommel, bestehend aus einem zylindrischen
Hartfilzkopf mit kurzem Stiel; fiir besonders weiches
Spiel werden Schl. mit Kugelkopfen verwendet. Die
Ausfiihrung des Wirbels geschieht mit 2 Schl.n oder
mit einem Schl., der 2 Kopfe hat. Als Schlagwerkzeug
der groBen Trommel ist auch die -> Rute bekannt. -
Schl., mit denen das -» Cimbalom und das ->• Xylo-
phon gespielt werden, heiBen Kloppel. Ein zum In-
strumentarium der Tanz- und Unterhaltungsmusik ge-
horendes Schlagwerkzeug ist der Jazzbesen (-»■ Besen).
Schlager ist um 1880 in Wien als Schlagwort fiir eine
ziindende (»einschlagende«) Melodie aufgekommen
und wurde dann auch im weiteren deutschen Sprach-
gebiet eingefiihrt als Bezeichnung vor allem fiir Ge-
sangstiicke (meist aus Opern oder Operetten, z. B.
Couplets, Chansons, Lieder, textierte Marsche), die
popular waren oder wurden und die dabei ihrer Her-
kunft und urspriinglichen Bestimmung entfremdet
werden konnten. In der Folgezeit entstanden zuneh-
mend auch eigenstandige Musikstiicke, die als Schl. be-
zeichnet wurden, weil sie eine populare Wirkung aus-
iibten oder ausiiben sollten. Aber erst durch Schall-
platte, Rundfunk, Film, Music box und Fernsehen
konnte der Schl. auf breiteste Publikumsschichten wir-
ken; dadurch erfuhren Schl.-Produktion und Schl.-
Konsum machtige Forderung. Im 20. Jh. ist der Schl.
neben dem Jazz das musikalische Phanomen mit der
groBten internationalen Breitenwirkung. Popularitat,
meist kurzlebige Aktualitat, Uniiberschaubarkeit der
Menge im Angebot und jene Art von Erfolg, fiir die
die gewohnten Kriterien der musikalischen Qualitat
nicht ausschlaggebend sind, gehoren zu den Eigenhei-
ten des Schl.s und erschweren seine kunstmaBige Be-
wertung. - Der Erfolg eines Schl.s wird heute auf kom-
merzieller Basis gemessen, namlich am Verkaufsergeb-
nis der Schallplatten (nicht mehr an dem der Noten),
an der Zahl der Auffiihrungen durch Kapellen oder
Sendungen durch den Rundfunk und an den Einspiel-
ergebnissen der -*■ Music boxes ; die Ergebnisse werden
offentlich bekanntgemacht (Schl.-Paraden im Rund-
funk und Fernsehen, Uberreichung von sGoldenen
Schallplatten«, Schl .-Festivals). Das englische Wort hit
(s. v. w. Treffer, Schl.) ist zur Bezeichnung fiir erfolg-
reiche Schl. auch in Deutschland eingefiihrt. Werke,
die den Tageserfolg iiberdauern, werden auf dem
Gebiet der Unterhaltungsmusik »Standardwerke«, auf
dem der Tanzmusik Evergreens genannt (in Fachkrei-
sen, z. B. der GEMA, ist mit diesen Bezeichnungen ei-
ne bestimmte Klassifizierung verbunden) . Zur Bezeich-
nung eines Schl.s, der sich gewisser sentimentaler Mit-
847
Schlager
tel iibersteigert bedient, ist das Wort »Schnulze« auf-
gekommen, ohne daB diese abwertende Benennung
den Publikumserfolg dieser Art Schl. zu schmalern
vermochte.
Der Schl. kann weder musikalisch noch literarisch als
eigene Gattung begriffen werden. Jedes Musikstiick,
das die dem Schl. eigene Wirkung hat oder intendiert,
kann als Schl. bezeichnet werden. Die Aktualitat for-
dert vom »Texter« wie vom Komponisten, sich den
modischen Geschmacksrichtungen, Gesinnungen und
Wunschvorstellungen anzupassen, damit der Schl. »an-
kommt«. Die relativ begrenzten, aber konstanten
Grundthemen der Texte (Liebe, Fernweh, Heimweh,
alltagliches Gliick usw.) teilt der Schl. weitgehend mit
der volksnahen Lyrik aller Lander und Zeiten, ist aber
von dieser dadurch unterschieden, daB diese Grund-
themen bewuBt auf den jeweils herrschenden Zeitgeist
hin spezifiziert werden. Das Grundmotiv Fernweh,
Wanderlust z. B. wird dem modernen Tourismus an-
gepaBt. In den Kriegszeiten hat der Schl. heroisierte
Themen gewahlt, indem er z. B. das Grundmotiv Lie-
be als Soldatenliebe variiert und dabei einen patrioti-
schen Charakter annimmt. Auch melodisch, harmo-
nisch und rhythmisch benutzt der Schl. gangige For-
meln, die zum Teil in Modetanzen und in der jeweils
herrschenden Spielweise des Jazz vorgebildet sind. Ih-
ren Schl.-Charakter, zumal das Schl.-Raffinement, er-
halten die Stiicke jedoch recht eigentlich erst durch das
Arrangement, den Vortragsstil des Sangers und durch
den »Sound« der Kapelle, meist unter Verwendung
modernster Aufnahmetechniken. Fiir besonders be-
liebte Vorwiirfe gibt es standardisierte Einkleidungen
(Siidsee: Hawaiigitarre; sudeuropaische Lander: Gi-
tarren und Mandolinen; Paris: Musettewalzer). - Die
weitaus iiberwiegende Zahl der Schl. ist textiert; rein
instrumental erscheinen sie meistens erst dann (auch in
Potpourris), wenn sie den Hohepunkt ihres Erfolges
iiberschritten haben und der Text dem Publikum so
vertraut ist, daB es ihn beim Hbren mitdenken kann.
Ein Schl. wird oft gepragt und iiberhaupt erst zum Er-
folgs-Schl. durch den Sanger, der ihn kreiert, denn er
wird weniger nur gesungen als vielmehr in iiberstei-
gerterErlebensmanier vorgetragen (schmachtend, ver-
f iihrerisch, schmissig, frech, verzweifelt, naiv) und vom
Horer mit der Person des Interpreten weitgehend iden-
tifiziert. - Beispiele fiir erfolgreiche Schl. in Deutsch-
land (nach E.Schulze in: Festprogratnm Deutsche Schl-
Festspiele 1962), entstanden vor der Jahrhundertwen-
de: Waldeslust; Fischerin, du Kleine. - Aus der Zeit
bis nach dem 1. Weltkrieg: Gluhwurmchen; Vilja-Lied;
Auf der Reeperbahn; Das war in Schoneberg; Im Prater
bliihn wieder die Baume. - Ausgerech.net Bananen (1923) ;
Ramona (1927); Charmaine; Ich kiisse Ihre Hand, Ma-
dame (1928); In einer kleinen Konditorei; Wenn der weifie
Flieder wieder bliiht; Schoner Gigolo, armer Gigolo (1929) ;
Sonny Boy (1929) ; O Donna Clara (1930) ; Das gibt' s nur
einmal (1931) ; Hein spielt abends so schon auf dem Schiffer-
klavier (1934) ; Du kannst nicht treu sein (1935) ; Bel ami
(1939); Esgeht alles voruber (1942) ; Caprifischer (1946);
Harry-Lime-Theme (Der Dritte Mann), nicht textiert
(1950) ; C'est si bon (1951) ; O mein Papa (1955) ; Dort wo
die Blumen bliihn (1957); Milord (1960). - Zu den be-
kanntesten, teilweise schon »historisch« gewordenen
Schl.-Sangern zahlen: Lale Andersen (Lili Marleen);
Charles Aznavour (II faut savoir; Les deux Guitares);
Gus Backus (Come Go With Me); Gilbert Becaud (Le
jour ou la pluie viendra) ; Harry Belaf onte (Banana-Boat) ;
Fred Bertelmann (Der lachende Vagabund); Maurice
Chevalier (Chapeau de Zozo); Bing Crosby (White
Christmas) ; Doris Day (I've Got My Love) ; Marlene
Dietrich (Ich bin von Kopfbis FufS . . .); Peter Igelhoff
(Der Onkel Doktor hatgesagi); Al Jolson (Sonny Boy);
Evelyn Kunneke (Sing, Nachtigall, sing) ; Zarah Leander
(Kann denn Liebe Siinde sein) ; Edith Piaf (Milord) ; Elvis
Presley (Wooden Heart); Freddy Quinn (Junge, komm
bald wieder) ; Paul Robeson (OV Man River) ; Tino Rossi
(Tarantella); Rudi Schuricke (Caprifischer); Frank Si-
natra (Young at Heart); Richard Tauber (Dein ist mein
games Herz); Catarina Valente (Ganz Paris traumt von
der Liebe).
Lit. : A. Penkert, Das Gassenlied, Lpz. 1911; »Die Schl.-
Seuche«, AMZ LIV, 1 927 ; A. Albers, Psychologie d. Schl.,
in: Buchhandler-Taschenbuch, Stuttgart 1928; Th. (Wie-
sengrund-)Adorno, Schlageranalysen, MusikblStter d.
Anbruchs XI, 1929; F. Gunther, Schl., Mk XXIII, 1930/
31 ; H. Connor, Schlagerindustrieim Rundfunk, Weltbiih-
ne XXVII, 1931 ; ders., Haben Schl. kiinstlerischen Wert?,
Mk XXIV, 1931/32; O. Sonnen, Was ist ein Schl. ?, AMZ
LVIII, 1931 ; W. Haas, Das Schlagerbuch, = List-Biicher
CI, Munchen (1957) ; E. Haupt, Stil- und sprachkundliche
Untersuchungen zum deutschen Schl., Diss. Munchen
1957, maschr.; A. M. Rabenalt, Die Schnulze, Icking
1959 ; S. Schmidt- Joos, geschafte mit schl., = Das Aktuel-
leThema II, Bremen (1960); B. Binkowski, Ist d. Schl. d.
Volkslied unserer Zeit ?, in : Musik u. Bildung unserer Zeit,
hrsg. v. E. Kraus, Mainz 1961 ; ders., Fur und wider d.
Schl., Musik im Unterricht (Ausg. B) IV, 1961 ; H. Chr.
Worbs, Der Schl., Bremen 1963; G. Weise, Zum Schl. v.
heute, Kulturarbeit XVIII, 1966. HOC
Schlaginstrumente, auch Perkussionsinstrumente
(engl. percussion instruments; frz. instruments a per-
cussion), sind Instrumente, bei denen der Ton durch
Schlagen oder eine verwandte Bewegung (Stampfen,
Schiitteln, Schrapen, ReiBen) erzeugt wird. Neben der
Mehrzahl der -> Idiophone und -*■ Membranophone
sind auch einige -»■ Chordophone (Hackbrett, Ham-
merklavier) zu den Schl.n zu zahlen. Unter den Schl.n
wird weiter unterschieden nach abgestimmten, wie
-> Glocke, ->• Pauke, -> Xylophon, und nicht abge-
stimmten (Gerauschinstrumenten), wie -> AmboB,
-> Becken, -»■ Claves, -»■ Gong, -> Holzblock, -> Klap-
pern, -> Triangel, -»■ Trommel. Schl. gehoren als Ge-
rausch- oder Rhythmusinstrumente zum altesten und
primitivsten Instrumentarium, finden sich aber auch in
Hochkulturen einiger Zonen der Erde (Alter Orient,
Negerafrika, Siidsee). -»■ Schlagzeug.
Schlagzeug (engl. percussion ; frz. batterie, percussion;
ital. batteria, percussione), die dritte Hauptgruppe
im Orchester neben den Streich- und den Blasinstru-
menten. Zum Schl. zahlen heute nicht nur die eigent-
lichen -»■ Schlaginstrumente (auBer der Pauke), son-
dern auch Schrap- (-> Guiro, ->• Ratsche), Schiittel-
(->■ Rassel, -»• Maracas, -> Schellen) und gewisse Ta-
steninstrumente (Klaviaturglockenspiel). Die -> Pau-
ken werden in der Orchesterpraxis im allgemeinen
nicht als zum Schl. im engeren Sinne gehorend ange-
sehen; sie gelten iiberwiegend als FundamentalbaBin-
strument. GroBe und kleine Trommel, Becken und
Triangel fandenEnde des 18. Jh. als ->Janitscharenmu-
sik Eingang in die Kunstmusik; sie wurden zunachst
gesondert notiert (-»■ Partitino). In der -»■ Parti tur wird
das Schl. unter den Pauken (die den Blechblasern zu-
geordnet sind) eingefiigt. Seit der Mitte des 19. Jh.
wurde das Schl. zunachst zogernd, nach 1900 zuneh-
mend starker erweitert, durch technische Verbesserung
und Vermehrung der vorhandenen sowie durch Auf-
nahme neuer Instrumente, wie -> AmboB, -*■ Flexaton,
Glocken (-> Rbhrenglocken), -> Gong (-> Tamtam),
->• Klappern, -> Schellen, -> Vibraphon, -> Xylo-
phon, auch folkloristischer Instrumente zu koloristi-
schen Zwecken wie -»■ Kastagnetten, -»■ Peitsche und
-> Schellentrommel. Bei R.Strauss, Puccini, Mahler,
Debussy, Strawinsky, Bartok u. a. durchkreuzt und
848
Schleswig-Holstein
erganzt sich die Verwendung des Schl.s als Rhythmus-
und als Gerauschinstrumentarium. Stark auf den Ge-
rauschanteil ausgerichtet war die Schl.-Musik in den
USA der 1930er Jahre (u. a. ->■ Varese, Cowell), die in
Europa allgemein erst urn 1960 voriibergehend nach-
geahmt wurde (Schl.-Kompositionen von Boulez,
Henze u. a.). Solistisch ist das Schl. z. B. bei Milhaud
(Concerto pour batterie, 1930), Bartok (Sonate fiir 2 Kl.
und Schl., 1937) und Stockhausen (Zyklus fur einen
Schlagzeuger, 1959) eingesetzt. Das massiert und in er-
ster Linie als Rhythmusinstrument verwendete Schl.
kann kompositorisch dem Ausdruck des Urtumlichen,
Archaischen dienen (Orff, Antigonae, 1949). Imjazz ge-
hbrt das Schl. (grofie Trommel, Becken, -> Hi-hat) als
Drum set zur Rhythm section, dem Trager des Grund-
rhythmus und des -> Beat (- 1).
Lit.: J. Dutton, Survey of Mallet Instr., in: The Instru-
mentalist V, 1950; O. Link, Etwas iiber d. Herstellung d.
Schl., Musikhandel IV, 1953; W. Wortmann, Schulen f.
Schlaginstr. , ebenda VI, 1 955 ; Br. Spinney, Encyclopaedia
of Percussion Instr. and Drumming I, Book A, Hollywood
(Calif.) 1955; E. Elsenaar, De geschiedenis d. slaginstr.,
Hilversum 1956; A. A. Shivas, The Art of Tympanist and
Drummer, London 1957 ; H. Kunitz, Die Instrumentation
X (Schlaginstr.), Lpz. 1960; J. Blades, Orchestral Per-
cussion Technique, London 1961 ; Chr. Castel, Notation
f . Schl., in : Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik IX, Mainz
(1956); Wl. Kotonski, Instr. perkusyjne we wspolczesnej
orkiestrze, Krakau (1963), deutsch als : Schlaginstr. im mo-
dernen OrCh., Mainz 1967.
Schlegel-> Schlagel.
Schleifen, binden (legatissimo), haufige Bezeichnung
in deutschen Lehrbiichern des 18. Jh.
Schleifer (frz. coule, tierce coulee, coulement, port de
voix double; engl. slide, friiher elevation, whole-fall,
slur, double back-fall), ein Vorschlag mit zwei oder
mehr stufenweise auf-(oder auch ab-)steigenden No-
ten, der eine ahnliche Entwicklung durchmachte wie
der einfache -> Vorschlag. Die Ausfiihrung vor dem
Schlag findet sich noch bei J. G. Walther (Praecepta der
MusicalischenComposition, 1708). Auf Tasteninstrumen-
ten kann die Terz des Schl.s ausgehalten werden, be-
sonders beim Cembalo zwecks starkerer Betonung der
Harmonie (Beispiel a nachj. Ch. Chambonnieres, b nach
J.H.d'Anglebert):
Coule Coule sur autre sur 2 notes autre
une tierce de suite
Im 18. Jh. kommt - ahnlich wie beim ->■ Anschlag (-1)
- neben dem kurzen (unpunktierten) auch der lange
(punktierte) Schl. auf (Beispiel nach C.Ph.E.Bach):
fEfEjES
^Pf
m
rrrrr
•
m
rrrtr
m
In deutschen Kompositionen des 18. Jh. (haufig bei J. S.
Bach) findet sich vielfach das Zeichen «*• fiir den Schl.
Die schl.-ahnliche Verzierung * -S"p ist eher ein -»■ An-
schlag (- 1) mit einer zusatzlichen 3. Vorschlagsnote
oder ein umgekehrter -»■ Doppelschlag.
Schleiflade -> Windlade.
Schlesien.
Ausg. : Schlesische Volkslieder mit Melodien, hrsg. v. A.
H. Hoffmann v. Fallersleben u. E. Richter, Lpz. 1842;
PieSni ludu polskiego w Gornym Szlqsku z muzyka. (»Lie-
der mit Musik d. polnischen Volkes aus Oberschl.«),
hrsg. v. J. Roger, Breslau 1 863 ; Volkslieder d. Grafschaft
Glatz, hrsg. v. G. Amft, Habelschwerdt 1911 ; PieSni ludo-
we z polskiego Slaska (»Volkslieder aus Polnisch-Schl.«),
hrsg. v. J. St. Bystron, Bd I, Krakau (1934), Bd II u. Ill, 1
hrsg. v. J. Ligeza u. St. M. Stoinski, Krakau (1938-39),
Bd III, 2 hrsg. v. J. Ligeza u. Fr. Ryling, Kattowitz
1961 ; Das Glogauer Liederbuch, hrsg. v. H. Ringmann u.
J. Klapper, 2 Bde, = RD IV u. VIII (Abt. MA I-II), Kas-
sel 1936-37; Piesni ludowe Sla_ska Opolskiego (»Volkslie-
der aus d. Oppelner Schl.«), hrsg. v. A. Dygacz u. J. Li-
geza, Krakau 1954; Dolnoslqskie piesni ludowe (»Nieder-
schlesische Volkslieder«), hrsg. v. J. Majchrzak, Breslau
1955; A. Dygacz, Spiewnik Opolski (»Oppelner Lieder-
buch«), Kattowitz 1956; ders., PieSni gornicze. Studium
i materiary (»Bergmannslieder . . .«), ebenda 1960; Piesni
ludowe Sla.ska Opolskiego (»Volkslieder aus d. Oppelner
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.... Diss. Breslau 1922; Fr. Muller-Prem, Das Musik-
leben am Hofe d. Herzoge v. Wurttemberg in Carlsruhe in
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Socjologiczne podloze §la.skiej piesni ludowej (»Soziologi-
sche Grundlagen d. schlesischen Volksgesanges«), Katto-
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Breslau 1937; Fr. Feldmann, Musik u. Musikpflege imma.
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neuen Europa II, Kassel 1954; M. J. Michalowski, Syl-
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Zakrzewski, Sl^ska piesh ludowa w zbiorach z okresu
romantyzmu (»Das schlesische Volkslied in d. Slgen d.
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Lettres de Wroclaw, Serie A, Nr 85, Breslau 1962 (Zusam-
menfassung in deutscher Sprache); J. Fojcik, Materiary do
dziejow ruchu Spiewaczego na Slasku (»Materialien zur
Gesch. d. Singbewegung in Schl.«), Kattowitz 1964.
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Lit. : H. Fey, Schl.-H.sche Musiker v. d. altesten Zeiten bis
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H., 1965; B. Engelke, Musik u. Musiker am Gottorfer
Hofe I: Die Zeit d. engl. Komodianten (1590-1627),
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Hanff. Ein Beitr. zur Gesch. d. ev. Friihkantate in Schl.-H.,
Diss. Kiel 1937; M. Kuckei, Vom Volkslied in Schl.-H.,
Hbg 1940; G. Hahne, Die Bachtradition in Schl.-H. u.
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Wittrock, Volkslieder in Schl.-H., in: Norddeutsche u.
nordcuropaischc Musik, ebenda XVI, 1965.
54
849
Schlitztrommel
Schlitztrommel (engl. slit-gong oder slit-drum; frz.
tambour de bois ; ital. tamburo di lanna), ein Aufschlag-
idiophon (oft auch als Holztrommel bezeichnet), das
seinem Klang und der Tonerzeugung nach dem Gong
oderXylophonnaherstehtalsdeneigentlichen->-Trom-
mel-Instrumenten. In unterschiedlicher GroBe (50 cm-
10 m) und Form (z. B. als Glocke, Handtrommel) laBt
sich die Schl. in fast alien Kulturen Ostasiens, Ozeaniens,
Afrikas und Siidamerikas nachweisen. Die primitivste
Form stellt ein iiber eine Grube gelegter ausgehohlter
Baumstamm dar, wie er z. B. bei den Uitoto-Indianern
noch in Gebrauch ist (Bose). Schaeffner (1936) leitet
die Urform der Schl. von der Form eines Schiffes (Pi-
rogge) her und beschreibt das Instrument als einen aus-
gehohlten Baumstamm mit oder ohne Haltegriff ; das
mexikanisch-aztekische Instrument (teponaztli) besitzt
zwei Zungen, die, jeweils von der Schmalseite des
Schlitzes ausgehend, sich in der Mitte beinahe treffen,
so daB ein H-formiger Schlitz entsteht. Die Aushoh-
lung erf olgt bei alien Formen durch den Schlitz, dessen
Rander von verschiedener Dicke sind und beim Schla-
gen verschiedene Tonhohen ermoglichen. Die Schl.
findet besonders als Kultinstrument Verwendung; sie
ist daher oft mit geschnitzten Gotter- oder Damo-
nenbildern versehen. Als Sprechtrommel (engl. talking
drum), auf der komplizierte Trommelsprachen ausge-
fiihrt werden konnen, dient sie der Nachrichtenuber-
mittlung. - In das moderne Orchester ist die Schl. von
Orff (Antigonae, 1949) eingefiihrt worden; neben ihm
verwenden Stockhausen (Gruppenfiir 3 Orch., 1957)
undNono (Diariopolacco, 1958) das Instrument. DieNo-
tation des meist doppelt (bei Nono 4fach) besetzten
Idiophons erfolgt auf einer Linie ohne Schliissel. Als
Schlagel werdenje nach denErfordernissen dicke Holz-
schlagel, Gummischlagel und solche mit Filz- und
Kautschukkopf verwendet. Als Klangersatz dienen
-*■ Holz-, -> Tempelblocke oder -» Tom-Tom.
Lit. : C. Sachs, Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929,
Nachdruck Hilversum 1965 ; St. Chauvet, Musique negre,
Paris 1929; D. Castaneda u. V. T. Mendoza, Los tepo-
nazlis en las civilizaciones precortesianas, Anales del Mu-
seo Nacional de arquelogia, hist, y etnografia VIII (Cuarta
epoca), 1933; Fr. Bose, Die Musik d. Uitoto, Zs. f. ver-
gleichende Mw. II, 1934; ders., Mus. Volkerkunde, Frei-
burg i. Br. 1953; A. Schaeffner, Origine des instr. de
musique, Paris 1936; A. Steinmann, t)ber anthropo-
morphe Schl. in Indonesien, Anthropos XXXIII, 1938 ; W.
Heinitz, Probleme d. afrikanischen Trommelsprache,
Beitr. zur Kolonialforschung IV, 1943; E. Hermann,
Schallsignalsprachen in Melanesien u. Afrika, = Nach-
richten v. d. Akad. d. Wiss. in Gottingen, Phil.-hist. Klas-
se, Jg. 1943, Nr 5; W. Graf, Einige Bemerkungen zur
Schl.-Verstandigung in Neuguinea, Anthropos XLV, 1950 ;
H. Fischer, Schallgerate in Ozeanien, = Slg mw. Abh.
XXXVI, StraBburg u. Baden-Baden 1958; R. Brandel,
The Music of Central Africa, Den Haag 1961 ; C. Laufer,
Gebrauche bei Herstellung einer melanesischen Schl., An-
thropos LVI, 1961.
Schliissel (lat. clavis, clavis signata; ital. chiave; frz.
und engl. clef) heiBen die Tonbuchstaben und die aus
ihnen entwickelten Zeichen, die innerhalb eines Linien-
systems durch Identifizierung bestimmter Tone mit
bestimmten Linien die Tonhohenordnung fixieren.
Die wichtigsten Schl.-Arten sind: g 1 -Schl., f-Schl., c 1 -
Schl. Andere Arten, die in der Geschichte der Notation
auftraten (r-Schl., dd-Schl.), erlangten keine prakti-
sche Bedeutung. Der gi-Schl. tritt auf als Franzosischer
Violin-Schl.
£= . Violin-Schl. jb^
Der f-Schl.
erscheint als Bariton-Schl. I *)'■* , BaB-Schl. "'* ,
-«)r*- ■*
SubbaB-Schl. j/ . Den c!-Schl. gibt es als Sopran-
(Diskant-)Schl. jgp= , Mezzosopran-Schl. -IIU-*- , Alt-
(Bratschen-)Schl. Hf^ , Tenor-Schl. W^ , Bariton-
JIP,
Schl. II d& =
Die bis heute giiltige exakte Zusammenordnung von
Notenzeichen und Tonbuchstaben (Schl.n) innerhalb
eines Liniensy stems schuf Guido von Arezzo (um 1025).
Tonbuchstaben und -> Liniensystem sind vorguido-
nisch. Aber erst Guidos Neuerungen : terzweiser Auf-
bau des Liniensystems mit vorangesetzten Tonbuchsta-
ben (Guido: litterae, spater: claves) C und F so wie mit
gelber (C-) und roter (F-)Linie ergaben die vollkom-
mene Fixierung der Tonhohen. Guidos Auswahl der
durch ahnliche Tonqualitat gekennzeichneten Litterae
C und F ist mehrfacb. zu begriinden: beide markieren
die diatonischen Halbtonstufen (h-c, e-f), beide spielen
als Grenztone der Vox organalis in Guidos ->• Orga-
num (occursus) eine wichtige Rolle (Micrologus, Cap.
XVIII) ; Guido selbst nennt als Grand ihre Haufigkeit
in der Melodik des Chorals (GS II, 30). Von den beiden
bei Guido kombinierten Mitteln der Tonhohenfixie-
rung bestimmte das der Litterae (claves) die Notations-
entwicklung. Die Farbung der Linien (color) trat all-
mahlich zuriick, wenn sie sich auch vor allem in deut-
schen Choralhandschriften bis ins 15. Jh. erhielt. Die
Entwicklung der Schliisselung lafit sich als Vorgang
der Rationalisierung beschreiben: aus der Kennzeich-
nung jedes Liniensystems durch mehrere Litterae
(Quint-, Quart-Quint-, Quint-Quint-Abstand) ent-
wickelte sich die Schliisselung durch eine einzige Cla-
vis; dabei entstanden durch Beschrankung auf wenige
Schl. gewisse Schl.-Typen, die in bestimmten Kombi-
nationen in Abhangigkeit von Stimm- und Instrumen-
tallagen bevorzugt auftreten. Aus diesen Schl.-Typen
erfolgte eine Auswahl mit dem Ziel der Festlegung je-
des Zeichens auf nur eine bestimmte Linie. - Die »gui-
donischen« Choralhandschriften des 11. und 12. Jh. zei-
gen groBe Freiheiten in Art und Zahl der Litterae, al-
lerdings unter deutlicher Prioritat von F und c. Eine
statistische Untersuchung dieser Handschriften ergibt
die Haufigkeitsfolge FcfCDagerBbb (Smits van
Waesberghe). Dabei erfolgten Wahl und Wechsel der
Litterae gemaB dem Prinzip der Vermeidung von
Hilfslinien nach MaBgabe des Melodieambitus, der
wiederum in Beziehung stand zum jeweiligen Kirchen-
ton. - Die Handschriften der Mehrstimmigkeit des 12.
und 13. Jh. zeigen eine Beschrankung in der Schl-
Wahl. Die mit Schl.n versehenen St-Martial-Hand-
schriften ergeben folgendes Bild: Paris, Bibl. Nat., lat.
3549: Einfach-, Doppel- (Quintabstand) und Dfeifach-
schliisselung, nur F c g in beiden Stimmen; Paris, Bibl.
Nat., lat. 3719: Einfach- und Doppelschliisselung
(Quintabstand), nur F c g in beiden Stimmen; London,
Brit. Mus., Add. 36881: Einfach-, Doppel- (Quintab-
stand) und Dreifachschliisselung (Quint-Quint-Ab-
stand), F c g in alien Stimmen, Unterstimme auch b.
Die vier groBen ->■ Quellen der Notre-Dame-Musik
des 13. Jh. (W\, F, Ma, W 2 ) dagegen schliisseln jedes
System nur noch einfach (Moderni autem non ponunt
litteras, nisi unam in principio Hncarum, Anonymus IV,
CS 1, 350b). Der c-Schl. ist deutlich bevorzugt (Ma hat
nur diesen, W\, F und Wi notieren die 4st. Komposi-
tionen in alien Stimmen im c-Schl.); der F-Schl. be-
gegnet nur im Tenor (Ausnahme W\, t. 101, Ober-
stimme eines 2st. Conductus). Andere Schl. kommen
kaum vor (W\,i. 59a, D im Tenor aus Platzgriinden;
im 11. Faszikel einige Male b). - Die im 13. Jh. erreich-
te Einf achschlusselung unter Vorherrschaf t von F und c
wurde in den f olgenden Jahrhunderten zum Typensy-
850
SchluB
stem ausgebildet. Neben F und c konnte sich nur der
g-Schl. behaupten. Der Zusammenhang von Wahl der
Schl. mit Stimmlage und Melodieambitus wird betont
(Pro gravibus autem vocibus F, pro acutis c, etpro superacutis
gponatur, in: Quatuor Principalia, um 1380, CS IV, 226b).
Jacobus Leodiensis nennt F, c und g in Verbindung
zu den 3 Hexachorden (CS II, 311b). Im 14.-16. Jh. ist
selten noch der r-Schl. anzutreffen (so bei Pierre de la
Rue, H. Heugel ; bei M. Praetorius tritt er mit dem F-
Schl. kombiniert auf). Sehr selten ist der dd-Schl. (in
Verbindung mit dem g-Schl.). Innerhalb des F-c(-g)-
Typensystems kam es in der Vokalpolyphonie bis um
1600 zur Ausbildung der Normal-Schl. (S. A. T. B.)
und der -+ Chiavette. Dies geschah gleichzeitig mit
der Bevorzugung bestimmter Kombinationen (Ehr-
mann) : Zwei-Schl.-Kombinationen in den 3st. Kom-
positionen der 1. Halfte des 15. Jh., Drei-Schl.-Kombi-
nationen der 4st. Kompositionen seit der 2. Halfte des
15. Jh. Um 1500 wurde die Verwendung von 4 ver-
schiedenen Schl.n haufiger (Petrucci-Drucke), bis sie
mit den festen Kombinationen der Normal-Schl. und
Chiavetten und deren Verschrankungen in der 2. Half-
te des 16. Jh. iiberwog. Hiermit und durch die Ent-
wicklung der Instrumentalmusik gewann der g-Schl.
an Bedeutung: als franzosischer Violin-Schl. steht er
bei Claude le Jeune und J.-B. Lully fur Violine und
Blockflote, aber auch in Deutschland, so noch im 18.
Jh. bei J. S.Bach fur Blockflote (z. B. Brandenburgi-
sche Konzerte Nr 2 und 4) und hohe Violinlagen (z. B.
Fuga der Sonate fur V. solo, BWV 1001, oder Bran-
denburgisches Konzert Nr 1). Sogar auf der 3. Linie
von unten tritt der g-Schl. vereinzelt auf (G.Rhaw,
Sacrorum hymnorum Liber primus, 1542). Der (normale)
Violin-Schl. setzte sich dann in der Instrumentalmusik
(hohe Instruments) und langsamer auch in der Vokal-
musik (Oberstimmen) gegenden c-Schl. durch. Im 18.
Jh. schrieb man im oberen System des Klaviers noch
den Diskant-Schl. (z. B.J. S.Bach, Klavierbiichlein fiir
Anna Magdalena, 1722/26, Wohltemperirtes Clavier).
Den Stand der Entwicklung um 1800 bezeichnet H.
Chr. Koch : F heut zu Tage nur noch als BaB-Schl. ; c als
Diskant-Schl., Alt-Schl., Tenor-Schl. ; g nur noch als
Violin-Schl. (Auch in Clavierstucken wird er bey der Ober-
stimme anjetzt beynahe durchgangig gebraucht.) Bei der
Notation von Vokalstimmen in Partituren bleiben die
c-Schl. noch lange gebrauchlich : Wagner notiert Te-
norpartien (Tristan, Siegfried, Stolzing) im Tenor-
Schl., noch Schonbergs Chorwerke op. 27, 28, 50b ha-
ben Sopran-, Alt-, Tenor-, BaB-Schl. ; dagegen werden
in Klavierausziigen schon bald nach 1800 Diskant-, Alt-
und Tenor-Schl. (gelegentlich sogar der BaB-Schl.)
durch den g-(Violin-)Schl. ersetzt. Welche Partien eine
Oktave tiefer gelesen werden miissen, ergibt sich aus
der Personenangabe. In Publikationen von Vokalmusik
wird der oktavierte Violin-Schl. seit 1900 immer hau-
figer anstelle des Tenor-Schl. s verwendet; er wird
kenntlich gemacht durch Doppelschreibung oder einen
seitlich angesetzten rudimentaren c-
Schl. (z. B. in italienischen Drucken),
heute meist durch eine beigestellte
kleine 8. Bestrebungen, in der ->■ Partitur alle ande-
ren Schl. auBer dem G-Schl. auszuschliefien (»Ein-
hcitspartitur«), haben sich dagegen nicht durchsetzen
konnen. Die heute gebrauchlichen Schl. sind: Violin-
Schl., BaB-Schl., Alt-Schl. (Bratsche, Altposaune), Te-
nor-Schl. (Posaune sowie in hohen Lagen Violoncello,
Fagott und auch - z. B. in Schonbergs op. 9 und op.
16 - KontrabaB).
Lit. : KochL, Artikel Noten ; P. Wagner, Einf iihrung in d.
Gregorianischen Melodien II: Neumenkunde, Lpz. 2 1912,
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1926; ders., Aus
d. Fruhzeit d. Liniensystems, AfMw VIII, 1926; WolfN;
R. Ehrmann, Die Schlusselkombinationen im 15. u. 16.
Jh., StMw XI, 1924; J. Handschtn, Der Toncharakter,
Zurich (1948); J. Smits van Waesberghe SJ, The Mus.
Notation of Guido of Arezzo, MD V, 1 95 1 ; S. Hermelink,
Dispositiones modorum, = Munchner Veroff. zur Mg.
IV, Tutzing 1960; J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Wer-
ken J.-B. Lullys, ebenda VII, 1961 ; ApelN; H. Federho-
fer, Hohe u. tiefe Schliisselung im 16. Jh., Fs. Fr. Blume,
Kassel 1963. RB
Schliisselfiedel (sihwedisch nyckelgiga, nyckelhar-
pa), eine Fiedel mit 3-4 Saiten und mit Tangentenme-
chanismus auf dem Hals zum Verkiirzen der Saiten. Das
Instrument ist bei Virdung 1511, Agricola 1528 und M.
Praetorius 1619 genannt und abgebildet. In Schweden
ist die Schl. seit dem 14. Jh. nachweisbar und hat sich
bis in die Gegenwart auf dem Lande, besonders in
Uppland, gehalten.
Lit.: K. P. Leffler, Om nyckelharpospelet pa Skansen,
Stockholm 1899; C. Claudius, Die schwedische »Nyckel-
harpa«, Kgr.-Ber. Basel 1906.
SchluB. Beginnen und SchlieBen sind Grundkatego-
rien musikalischer Formung. SchlieBen setzt voraus,
daB eine Idee erschopfend ausgefiihrt ist, so daB der
Schl. eine Erwartung erfiillt, die durch die Ausfiihrung
eines Ganzen erzeugt wird. Daher laBt sich vom Schlie-
Ben her das Ganze erkennen, und die Satz- und Kom-
positionslehre ist dementsprechend weitgehend eine
Lehre der SchluBbildung; doch ist die Geschichte des
SchlieBens noch nicht geschrieben. Die Erwartung des
Schlusses wird zumeist in einem Akt der SchluBgestal-
tung noch eigens gesteigert. Zu unterscheiden sind je-
doch - der Tendenz nach - finale (zielgerichtete) For-
mung der Komposition, die »schlieBt«, indem sie dem
Schl. zustrebt und ihn betont; zentrierte (axiale) For-
mung, die »endet«; bestandig in sich erfullte (kreisen-
de) Formung, die »aufhort«.
Unter systematischem Blickpunkt lassen sich Grund-
satze der SchluBbildung feststellen, die in der Geschich-
te freilich in unterschiedlichen Graden und verschie-
denartig ausgepragt sind : a) Anlehnung der SchluBge-
staltung und ihrer Terminologie an die Redekunst:
-> Distinctio, -* Punctus (- 1), Clausula (->- Klausel),
Cadentia (Florentius de Faxolis, Liber musices, ed. A.
Seay in: Fs. L. Schrade, 1963, S. 88f.), Conclusio, Epi-
log. Auch z. B. im Heben (-*■ Interrogatio) und Sen-
ken der Stimme, im Zuriickkehren zum Anfang und
in derErscheinung des »musikalischen Reims« (gleicher
-> Reim erklingt in gleicher melodischer Wendung)
entsprechen einander sprachliches und musikalisches
SchlieBen. - b) Unterscheidung von Binnen- und End-
Schl. bzw. von Graden des SchlieBens (-> Kadenz - 1,
-»- Klausel), melodisch: apertum (ouvert, z. B. der Ton
fiber der Finalis) und clausum (clos, Finalis), harmo-
nisch: plagaler (IV-I) und authentischer Schl. (V-I),
Halb-Schl. (T-D) und Ganz-Schl. (D-T). Erstmals
iibernahm G. DreBler in seinen Praecepta musicae poeticae
(1563) in Anlehnung an die Rhetorik die fiir die Musica
poetica bezeichnende Lehre des Bildens von exordium,
medium und finis ; dabei handelt das Kapitel De consti-
tuendofine (erweitert bei J. A. Herbst 1 643) iiber die un-
terschiedliche SchluBkraft tonal verschiedener Klauseln
(clausula regularis und irregularis). - c) Gestaltung des
SchlieBens betont als »Spannung« (Stauung, Erwar-
tung) und »L6sung«, wobei der Schl. selbst (-> Fina-
lis - 2, ->• Confinalis ; ultima vox) durch unzweideuti-
ges Hervortreten des sinnstiftenden Bezugspols der
Musik das Geschehen zur Ruhe kommen laBt bzw. zu-
gleich das Ziel einer Entwicklung darstellt (Beethoven,
1. Symphonie, C dur-Schl. des 1. Satzes), wahrend der
Ort vor dem Schl. (paenultima vox) ausgezeichnet
54*
851
SchluB
wird z. B. durch besonders intensive Dissonanzen (Et
quidam boni organistae libentius ponunt discordantias in
paenultimis . . ., Anonymus IV, CS 1, 364), durch Melis-
ma (-> Cauda - 2), -> Orgelpunkt, Engfiihrung, vir-
tuose -»■ Kadenz (- 2). - d) Unterstreichen der SchluB-
wirkung durch Beschleunigung (-► Copula als Schl.
einer Discantuspartie; -*■ Stretta - 2), Crescendo, Re-
tardieren, -*■ Fermate, Verklingen, Anhangen (-> An-
schluB-Motiv). - e) Gestaltung von Oberraschungsmo-
menten, indem die Erwartung des Schlusses getauscht
wird (->• Trug-Schl.; -»■ Abruptio, auch -» Ellipsis;
-* Apqkope). - f) Oberspielen von SchluBwendungen
durch Uberlappungstechniken und Uberschneidungen
(-»■ Verschrankung) ; Gestaltungen ohne Schl. : Zirkel-
kanon (-> Kanon - 3), -*■ Radel. - g) Ausbildung des
Schlusses als eigener Satzteil (-*■ Coda, -* Epilog, -*- Li-
cenza - 1) oder als abschlieBender Teil einer (zyklischen)
Folge von Satzen (-> Conclusion, -> Finale - 1).
Die Geschichte des SchlieBens spiegelt die Geschichte
der Komposition in einer wesentlichen und konstanten
Aufgabe der musikalischen Formung. Eine SchluBlehre
des 1st. Gesanges bietet Odos Dialogus de musica (GS I,
257f .) : die Tone, die die Abschnitte (distinctiones) be-
enden, sollen vornehmlich mit dem SchluBton des Ge-
sangs iibereinstimmen, bzw. der Gesang gehort der
Tonart an, den die Mehrheit der Abschnittsschliisse aus-
pragt; Guido von Arezzo (Micrologus, CSM IV, 139ff.)
raumte dem SchluBton die Herrschaft iiber den gesam-
ten Melodieverlauf ein (. . . vox tamen quae cantum ter-
minal, obtinet principatum . . . Et praetnissae voces . . . ita
ad earn aptantur, ut . . . quondam ab ea colorisfaciem ducere
videantur). Damit war die Finalislehre der -> Kirchen-
tone in feste Bahnen gelenkt. Einem entwicklungsge-
schichtlich eigenen Bereich gehoren die Kadenzfor-
meln der rezitativischen Gesange (z. B. ->• Epistel,
->• Evangelium) und der -*■ Psalmtone an. Sie sind als
feste Bestandteile von Melodiemodellen (-»■ Toni com-
munes) engstens mit dem Rezitationston (->• Repercus-
sa) verbunden und dienen der sinngemaBen Gliederung
des Textes.
Auch in der Geschichte der mehrstimmigen Musik spielt
das SchlieBen eine entscheidende Rolle. Beim artifiziel-
len -> Organum der Musica Enchiriadis bedingen sich
gegenseitig Tritonusverbot und Einklangs-Schl. Im
Mittelpunkt von Guidos Organumlehre steht die Schl.-
Bildung (Occursus-Lehre; Micrologus, Kap. XVIII).
Der Mailander Organumtraktat gibt Regeln fiir An-
fang, Mitte und Schl. (->■ Copula) einer Klangzeile und
bezeugt die Kolorierung der Paenultima vox. DaB die
Vox organalis im »Vorausschauen« auf den Schl. gebil-
det wird, betont die Organumlehre des 12. Jh. (z. B.
Johannes Affligemensis, CSM I, 160). Die Klassifika-
tionen der Intervalle und die Regeln ihrer Aufeinander-
folge beriicksichtigen auch im 13. und 14. Jh. die
SchluBfahigkeit der Klange. Ein bestandiger geschicht-
licher ProzeB ist das Eindringen der zunachst am »vor-
letzten Ort« entwickelten Intensivierungen (besonders
der Dissonanzen) ins Satzinnere. Terminologisch ist zu
beobachten, daB aus einer Begrenzungsbezeichnung
haufig eine Abschnittsbenennung wird (Distinctio,
Punctus, Clausula, Kadenz). Seit dem 15./16. Jh. be-
schreibt und klassifiziert die Kontrapunktlehre die For-
meln des SchlieBens als -*■ Klausel und -*■ Kadenz (- 1).
In den Kadenzen verwandelten sich die Kirchentone in un-
sere modernen Tonarten Dur und Moll (H.Riemann;
-»■ Leitton). Rameaus Kadenzlehre, die aus den SchluB-
bildungen die Grundformen aller Akkordfolgen ge-
wann, wurde zur Basis der Harmonielehre. In H.Rie-
manns vornehmlich an der Musik des 18. und 19. Jh.
orientiertem System ist der Schl. ausgezeichnet durch
rhythmische ->■ Symmetrie (-»■ Metrum - 3) und har-
monische Konsequenz: wirkliche Schhfiwirkung ent-
steht nur dann, wenn die abschliefiende Tonika aufeinen
Zeitwert eintritt, . . . in welchem eine Symmetrie ihren Ab-
schlufi findet. Beim Weiblichen Schl. erscheint auf der
schluBfahigen Zeit statt der Tonika die Dominante
mit nachfolgender Tonika (S-l-D-T; -*■ Weibliche
Endung).
Schon in der tonalen Musik gibt es dissonante Schliisse,
innerhalb eines Zyklus (z. B. R. Schumann, op. 15 Nr4;
Chopin, op. 28 Nr 23; Debussy, La Mer, 1. Satz, und
in den Preludes fiir Kl. ; G. Mahler, IX. Symphonie,
1. Satz), seltener auch ganz am Ende (z. B. Mahler,
Das Lied von der Erde; R.Strauss, Eine Alpensinfonie).
Wo der schluBkraftige tonale Bezugspol fehlt, wie in
der tonal verschleierten, besonders aber in der atonalen
Musik, ist das SchlieBen nicht selten ein bloBes AufhS-
ren (Schonberg, Erwartung; A. Berg, Wozzeck) und er-
f ordert stets in erhohtem MaBe kompositorische Erfin-
dung, wobei grundsatzliche SchluBmoghchkeiten wei-
terhin eine Rolle spielen, z. B. Dichte und Intensitats-
grade der Klange, Zuriickkehren zum Anfang (A. We-
bern, op. 3 Nr 1; Schonberg, op. 15), Verklingen (Berg,
Lyrische Suite). Mit einem Zwolftonklang beschlieBen
A. Berg das dritte seiner 5 Orchesterstiicke op. 4 und
A. Webern den 1 . Satz seiner II. Kantate op. 31 . - Kom-
positionen mit offener oder unendlicher Form, Moment-
form, nennt K. Stockhausen solche Werke (z. B. Gesang
derjiinglinge im Feuerqfen und Kontakte), die im Unter-
schied zur finalen Form und in der Absicht, den Begriff
der Dauer zu iiberwinden, sofort intensiv sind und . . .
das Niveau fortgesetzter ,Hauptsachen' bis zum Schl. durch-
zuhalten suchen; . . . die immer schon angefangen haben
und unbegrenzt so weitergehn kbnnten. Auch solch bloBes
Aufhoren der un-endlichen Form (bei der man »Schl.
macht«, ohne »zu Ende zu sein«) ist durch die Ausfiih-
rung des Ganzen motiviert, indem jeder ,Moment' ein
mit alien anderen verbundenes Zentrum ist, das fiir sich be-
stehen kann.
Lit.: A. Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1960,
engl. NY 1947, Abschnitt: Schliisse u. Kadenzen; W.
Klein, SchluBbildende Harmonieverbindungen in d. Mu-
sik d. Gegenwart, Neue Musikzeitung XLI, 1920; D. Joh-
ner OSB, Cber SchluBbildung im gregorianischen Choral,
Gregoriusblatt L1V, 1930; ders., Ausklang v. Chorstuck
u. Vers bei d. Gradual-Gesangen, Zs. f. Kirchenmusik
LXXI, 1951 ; H. Becker, Zur Problemgesch. u. Technik d.
mus. SchluBgestaltung, Wiss. Zs. d. Humboldt- Univ. Bin II,
1952/53, Ges.- u. sprachwiss. Reihe H. 1 ; K. Stockhausen,
Momentform, in: Texte zur elektronischen u. instr. Musik
I, Koln 1963 ; Fr. W. Homan, Final and Cadential Patterns
in Gregorian Chant, JAMS XVII, 1964. HHE
Schnabel wird das Mundstuck der Klarinette und
Blockflote (Schn.-Flote, flute a bee) genannt.
Schnaderhiipfl, Schnadahiipfl (im 18./19. Jh. als
Schnitterhiipfel, s. v. w. Bauernlied, Schnittertanz, ge-
deutet; neuerdings von schnattern, s. v. w. schwatzen,
hergeleitet), heiBen einstrophige Liedchen, die von den
ffiijtr j- jmj j r i J j. j^ij i
Ich weifi net, ich hab mit der Ar - beit kei' Freud;
grad mit der Ar-beit ver-saumt mer die Zeit
i - a - di -
Juch-he!
Bewohnern der Ostalpen ursprunglich als Einleitung
zum Landler gesungen wurden una heute in der Regel
von diesem losgelost vorkommen. Schn. sind scherz-
852
Schottland
hafte, oft ad hoc improvisierte Vierzeiler, die auf eine
bekannte Melodie gesungen werden und deren beson-
derer Reiz in der unerwarteten Abfolge verschiedener
Aussagenin einem gereimten Verspaar besteht. Die Me-
lodien sind meist 8taktig im 3/4-Takt und bewegen sich
fast ausschlieBlich zwischen Tonika und Dominante.
Dariiber hinaus bezeichnet Schn. 3-, 4-, 5- oder 6zeilige
einstrophige Tanzlieder, die auch aufierhalb des ge-
nannten Gebietes verbreitet sind und meist Gsangln,
Gstanzln, Rundas genannt werden. Dem Schn. stehen
der norwegische Stev und der schwedische Lltar nahe.
Lit.: G. Meyer, Essays u. Studien zur Sprachgesch. u.
Volkskunde I, StraBburg 1885 ; O. Brenner, Zum Versbau
d. Schn., Fs. K. Weinhold, StraBburg 1896; H. Grasber-
ger, Die Naturgesch. d. Schn., Lpz. 1896; C. Rotter, Der
Schn.-Rhythmus, = Palaestra XC, Bin 1912; H.Naumann,
Artikel Schn., in: Reallexikon d. deutschen Literatur-
gesch. Ill, Bin 1928/29; H. Derbel, Das Schn. nach d. ge-
genwartigen Stand d. Slg u. Forschung, Diss. Wien 1949,
maschr. ; L. Rohrich u. R. W. Brednich, Deutsche Volks-
lieder II, Diisseldorf 1967, Nr 82-83 (mit Bibliogr.).
Schnarrwerk ist eine Bezeichnung fiir die Zungen-
stimmen in der Orgel. -> Register (- 1).
Schneller (frz. pined renversd; engl. inverted [upper]
mordent), -»■ Tnller, haufig als umgekehrter -*- Mor-
dent aufgefaBt. C.Ph.E.Bach fiihrte ihn 1753 als selb-
standige Verzierung ein, aber ohne ihm ein eigenes
Zeichen zu geben:
Er wurde noch von J.N. Hummel in dessen Klavier-
schule (1828) verwendet, dort aber mit dem Zeichen
des Mordents (•■) angedeutet.
Schofar (hebraisch, s. v. w. Widderhorn), Tierhorn,
das als Blasinstrument im Alten Testament haufig ge-
nannt ist und als einziges Instrument des Altertums
noch heute in der Synagoge gespielt wird. Als Kult-
instrument mit magischer Kraft nennt die Bibel das
Sch. bei derErscheinung Gottes auf dem Berg Sinai (Ex.
19, 16 und 19), beim Fall der Mauern von Jericho (Jos.
6, 4-20) und bei der Oberfiihrung der Bundeslade (2.
Sam. 6, 15). Im Kult ging es spater von den Priestern
auf die Leviten iiber. Von Priestern als Signalinstru-
ment im heiligen Krieg geblasen, wurde das Sch. nach
Aufkommen der stehenden Heere militarisches Signal-
instrument.
Lit. : E. Kolari, Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten
Testament, Helsinki 1947; H. Seidel, Horn u. Trp. im al-
ten Israel unter Berucksichtigung d. »Kriegsrolle«v. Qum-
ran, Wiss. Zs. d. K.-Marx-Univ. Lpz. VI, 1956/57.
Schola cantorum (lat., Sangerschule; kurz: schola,
auch ordo), im engeren Sinne Bezeichnung des beruf-
lichen Sangerchors am Hofe der Papste in Rom. Sicher
bezeugt ist die Sch. c. zuerst im Liber pontificalis fiir
die Zeit des Papstes Deusdedit II. (672-76). In der spa-
teren Oberlieferung wurde ihre Griindung auf Gregor
den GroBen (590-604) oder gar Silvester I. (314-35)
zuriickgef iihrt. Jedenfalls stellt ihre Einrichtung in der
endgiiltigen Form den SchluBpunkt eines langwierigen
Prozesses dar; in dessen Verlauf sonderte sich allmah-
lich unter der Gesamtheit der am Gottesdienst mitwir-
kenden Geistlichen die Sch. c. als eine eigene Gruppe
aus, deren kunstvolle Gesange eine speziellere Ausbil-
dung erforderten als die liturgischen Lesungen. Die
Ordines Romani I— HI nennen 7 Mitglieder der Sch. c.
(-»■ Paraphonia). 1.-4. Sanger waren Subdiaconi; dem
Archiparaphonista fielen neben der Leitung des Cho-
res auch gewisse liturgische Aufgaben zu, wogegen
die ubrigen Subdiaconi wohl vornehmlich die Into-
nationen der liturgischen Gesange auszufuhren hat-
ten. Ober die Gesangstradition der Sch. c. liegen nur
wenige Zeugnisse vor; besonders umstritten sind die
Deutung der Paraphonia sowie die Frage ihres Verhalt-
nisses zum altromischen und -> Gregorianischen Ge-
sang. Im Hofstaat der Papste stiegen die Sanger der
Sch. c. mit der Zeit zu hoheren Wiirden auf und iiber-
nahmen wichtige auBermusikalische Aufgaben ;■ dies
gait zunachst fiir den Primicerius, der seit dem 10. Jh.
der niederen Geistlichkeit der Stadt Rom vorstand.
Seit dem 12. Jh. war seine Stelle mit der Bischofswiirde
verbunden. Mit dem Wegzug der Papste nach Avignon
1305 trat die Sch. c. in den Huitergrund. Ihre Aufgaben
ubernahm in Avignon die naph neuen Grundsatzen or-
ganisierte -* Kapelle; am 3. 6. 1370 loste eine Bulle
Urbans V. das alte Collegium cantorum auf. - In der
Neuzeit wurde die Bezeichnung Sch. c. fiir verschie-
dene Konservatorien gewahlt, so in Paris (1896, Sch. c,
gegriindet von V. d'Indy, A. Guilmant und Ch. Bordes)
und Basel (1934, Sch. c. Basiliensis, Lehrinstitut fiir al-
te Musik, gegriindet von P. Sacher).
Lit. : Fr. X. Haberl, Die romische »sch. c. « . . . , Vf Mw III,
1887, separat = Bausteine f. Mg. Ill, Lpz. 1888; P. Aubry
in: La Tribune de St-Gervais VI, 1900, S. 171ff.; C. Silva
Tarouca, Giovanni »Archicantor« . . . , Atti della Ponti-
ficia Accad. Romana di Archeologia III, 1, 1923 ; R. Casi-
miri, L'antica »Sch. c.« . . ., Note d'arch. I, 1924; ders.,
Cantantibus organis, Rom 1924; E. Josi, Lectores - sch. c.
- clerici, Ephemerides liturgicae XLIV, 1930; M. An-
drieu, Les Ordines Romani, 5 Bde, Lowen 1931-61; H.
Hucke, Die Tradition d. Gregorianischen Gesangs in
d. romischen Sch. c, 2. Internationaler Kgr. f. kath. Kir-
chenmusik, Kgr.-Ber. Wien 1954; J. Smits van Waesber-
ghe SJ, Neues fiber d. Sch. C ebenda; L. Duchesne,
Le Liber Pontificalis, 3 Bde, Paris 1955-57; S. Corbin,
L'eglise a la conquete de sa musique, Paris 1960.
Schottisch, auch schottischer Walzer oder Ecossaise-
walzer, ein rascher Hopswalzer auf den Rhythmus
| H I J J J J5 I J J J, der als Rundtanz 1830-40
in Deutschland seine Bliitezeit erlebte. Er entstand aus
dem Eindringen des walzermaBigen Drehens in die ge-
radtaktige Ecossaise. Eine thuringische Sonderform
war der Hacken-Sch., bei dem abwechselnd auf dem
Absatz und auf der FuBspitze gehiipft wurde auf den
Rhythmus | *h T «h 7 I JT3 1 I . - Seit etwa 1830
wird auch die Polka in Deutschland Sch. (bzw. Sch.er)
genannt, da ihr Schritt mit dem des Sch.en zusammen-
fiel. -> Rheinlander.
Schottland.
Ausg. : The Scots Mus. Museum, 6 Bde, hrsg. v. J. John-
son, Edinburgh 1787-1803, in 2 Bden hrsg. v. H. G. Far-
mer, Hatford (Pa.) 1962; F. J. Child, The Engl, and Scot-
tish Popular Ballads, 5 Bde, Boston 1882-98, neu hrsg. v.
B. H. Bronson, 3 Bde, NY 1956; J. Glen, The Glen Col-
lection of Scottish Dance Music, 2 Bde, Edinburgh 1891-
95; Music of Scotland: 1500-1700, hrsg. v. K. Elliott,
= Mus. Brit. XV, London 1957.
Lit. : Ch. Rogers, Hist, of the Chapel Royal of Scotland,
Edinburgh 1882; D. Baptie, Mus. Scotland , Being a
Dictionary of Scottish Musicians from About 1400 till the
Present Time, Paisley 1894; J. Dowden, The Medieval
Church in Scotland, Glasgow 1910; K. Mertens, Die Ent-
wicklung d. engl. u. schottischen Volksballaden . . . , Diss.
Halle 1920, maschr.; A. Carmichael, Carmina Gadelica,
5 Bde, Edinburgh u. London 21928 ; H. G. Farmer, Music
in Mediaeval Scotland, London 1930 ; ders., Hist, of Music
in Scotland, London 1948; H. S. P. Hutchinson, The
Chapel Royal of Scotland, ML XXVI, 1945; M. Patrick,
Four Cent, of Scottish Psalmody, London 2 1950; M. Frost,
Engl, and Scottish Psalm and Hymn Tunes, London u.
NY 1953; H. A. Thurston, Scotland's Dances, London
1954; M. F. Shaw, Gaelic Folksongs from South Uist, in:
853
Schrammelmusik
Studia Memoriae B. Bart6k Sacra, Budapest 1956; K.
Elliott, Scottish Song, 1500-1700, Proc. R. Mus. Ass.
LXXXIV, 1957/58; ders., The Carver Choir-book, ML
XL1, 1960; L. Chr. Wimberly, Folklore in the Engl, and
Scottish Ballads, NY (1959) ; E. Bouillon, Zum Verhaltnis
v. Text u. Melodie in d. schottisch-engl. Volksballaden,
Diss. Bonn 1960; Fr. M. Collins, The Traditional and
National Music of Scotland, Routledge 1966.
Schrammelmusik, osterreichische Heurigen-( Wein-
lokal-)Musik, benannt nach den Briidern ->■ Schram-
mel, die 1877 ein Trio mit 2 Violinen und Gitarre griin-
deten, das 1886 durch eine Klarinette erweitert wurde.
1891 wurde die Klarinette durch eine Ziehharmonika
ersetzt. Besetzung und Vortragsweise des Schrammel-
Quartetts wurden fiir diese spezifisch wienerische Art
der Unterhaltungsmusik typisch, doch ist die Quartett-
besetzung heute seltener als das Schr.-Duo (Gitarre
und Akkordeon) und -Trio (Violine, Gitarre und Ak-
kordeon). Das Repertoire der Schr. besteht aus volks-
tiimlichen Walzern, Marschen, Liedern (die gespielt
oder zur Schr. gesungen werden), Potpourris und Ar-
rangements.
Lit. : W. Kreidler, Die volkstumlichen Tanzmusikkapel-
len d. deutschen Sprachgebietes, Habil.-Schrift Ffm. 1941,
maschr. ; A. Witeschnik, Musik aus Wien, Wien 1949.
Schrapstab -> Guiro.
Schrxari (Schreierpfeifen), - 1) Windkapselinstru-
mente mit Doppelrohrblatt, 8 Grifflochem (BaB: 2
Klappen) und verkehrt konischer Rbhre, wodurch sie
defer klingen als zylindrische Instrumente gleicher
Rohrlange. 1540 bot der Niirnberger Instrumenten-
macher Jorg Neuschel dem Herzog Albrecht in Preu-
Ben schreyende pfeiffen an; Schr. werden genannt 1540
unter den Ratsinstrumentcn in Augsburg, 1577 in der
Grazer, 1582 in der Kurbrandenburgischen, 1613 in der
Kasseler Hofkapelle. Praetorius, der als einziger Schr.
abbildet (Synt. II, Tafel XII) und genauer beschreibt,
kennt Diskant auf g, Alt und Tenor auf c und BaB F-b
(S. 42) : Sie seynd starck vnndfrisch am Laut j konnen vor
sich atleine j und auch zu andern Instrumenten gebraucht
werden. - 2) in alten Orgeln eine hohe, gemischte Stim-
me, gewohnlich nur aus Oktaven, manchmal auch mit
einer Quinte, meist 3fach auf 1'.
Lit.: zu 1): G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Wind-
kapsel, AfMw VII, 1925.
Schuhplattler, derber, pantomimischer Werbetanz
aus Oberbayern und Tirol, bei dem sich die tanzenden
Burschen zur Musik eines Landlers auf Schenkel, Knie
und Schuhsohlen schlagen (»platteln«). Aus dem ur-
spriinglichen Paartanz wurde um 1900 ein Gruppen-
und Massenplattler, der bis heute von Volkstumsver-
einen gepflegt wird.
Lit. : Fr. M. B6hme, Gesch. d. Tanzes in Deutschland I,
Lpz. 1886, Nachdruck Hildesheim 1967; H. Flemming,
Tanzbeschreibungen oberbayrischer Sen., Bin 1925; R.
Wolfram, Die Volkstanze in Osterreich . . . , Salzburg
(1951); R. Zoder, Der Sch., in: Das Volkslied in Altbayern
u. seine Sanger, Milnchen 1952; K. Horak, Der Sch. in
Tirol, Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes X, 1961 .
Schuldrama -> Schuloper.
Schulmusik, Musikerziehung in der Schule, bezeich-
net heute im engeren Sinne den Musikunterricht an
hoheren Schulen sowie das Studienfach an Musikhoch-
schulen, das den Musiklehrer an Hoheren Schulen
(Schulmusiker) ausbildet. Im weiteren Sinne zahlen
auch der Musikunterricht an Volks- und Mittelschulen
zur Sch. sowie, in historischer Sicht, die gesamte schu-
lische Musikpraxis. - Padagogische Ziele der Sch. sind:
Weckung und Forderung des Gemeinschaftssinnes
durch Chorsingen und Musizieren im Ensemble; Akti-
vierung und Lenkung von Gemiits- und Phantasiekraf-
ten ; Erwerb von musikalischer Vorstellungskraf t durch
den praktischen Umgang mit Musik; Gehorbildung;
Ubung von Gedachtnis und Verstand (Begreifen und
Wiedererkennen formaler musikalischer Ordnungen
und stilistischer Eigentiimlichkeiten) ; Einfuhrung in
die Geschichte der Musik als Bildungsgut. - Grund-
lage des Klassenunterrichts ist - wie seit jeher - das
gemeinsame Singen, vom 1st. Volkslied bis zu 4st. Sat-
zen. Parallel damit gehen Stimmbildung und -pflege
(besondere Aufmerksamkeit gilt der mutierenden Kna-
benstimme) und instrumentales Ensemblespiel (z. B.
Begleitung der Liedsatze). Einstudierung von Kunst-
liedern oder von Chorstiicken aus Oratorien, Opern
usw. dient der Einfuhrung in Bau und Aussage des
Kunstwerks, zugleich der aktiven Auseinandersetzung
mit Problemen musikalischer Interpretation und der
exemplarischen Begegnung mit Komponisten und
Stilrichtungen. - Zunachst erfolgt die Einf iihrung in
die allgemeine Musiklehre (Notenschrift und Tonbe-
nennung, Intervalle, Tonarten usw.). Instrumenten-
kunde und Formenlehre vermitteln etwa ab der Mit-
telstufe das notwendige begriffliche Rustzeug zum
Verstandnis der Besprechung von Beispielen aus der
Musikgeschichte. Das eigene Musizieren von Lehrer
und Schiiler hat den Vorrang vor Schallplatte und Ton-
band. Neben der Besprechung einzelner Werke und
der wichtigsten Stilpcrioden wird der Musikgeschichts-
unterricht vor allem auf anschaulicher Darstellung der
Lebensbilder grofier Musiker aufgebaut. Schulfunk
und Schulfernsehen konnen Anregung und Bereiche-
rung bieten. Die Auffiihrungen bei feierlichen Anlassen
(JahresabschluB, Elternabende, Gedenktage) gehoren
zu den Hohepunkten der Schulzeit fiir die Mitwirken-
den wie fiir die Schulgemeinschaft. Neuerdings wird
dem Theaterspiel an den Schulen (»Schulspiel«) groBeres
Interesse geschenkt, das auch der -> Schuloper zugute
kommen kann und ein Zusammenarbeiten des Schul-
musikers mit anderen Fachlehrern ermoglicht.
Die Ausbildung des Schulmusikers erfolgt heute nicht
nur auf praktisch-musikalischem Gebiet auf minde-
stens zwei Instrumenten (darunter Klavier) und in den
Fachern Sologesang, Chor- und Orchesterleitung, son-
dern umfaBt auch die Musiklehre und Musikgeschichte
sowie musikalische Padagogik. Der Studiengang an den
Musikhochschulen bzw. Akademien Deutschlands ist
nach Bundeslandern verschieden aufgebaut (vgl. Hand-
buch der Sch.). Er dauert durchschnittlich 8 Semester
und schliefit mit dem Staatsexamen ab (Einzelpriifun-
gen in alien Fachern und eine schriftliche Arbeit). Der
Schulmusiker ist auBerdem zum Studium eines frei ge-
wahlten wissenschaftlichen Beifachs (Universitat oder
Technische Hochschule) verpflichtet, auBer in Bayern,
wo er zusatzlich zum Klassenunterricht Instrumental-
stunden (Einzel- oder Gruppenunterricht) zu iiberneh-
men hat. Die musikgeschichtliche Ausbildung sollte,
wo es die Nachbarschaft von Universitat und Musik-
hochschule ermoglicht, an der Universitat erfolgen:
denn vom Musiklehrer, der seinen Schulkollegen inBildung
und Stellung ebenbiirtig sein soil, wird ein Rustzeug an mu-
sikologischem Wissen, musikgeschichtlichem Verstandnis
und verantwortlicher musikalischer Urteilsbildung verlangt,
... das nur in einer wissenschaftlichen Fachausbildung aus
erster Hand zu gewinnen ist. Daher ist um der Sache und
der Menschen willen nachdriicklich eine Regelung zu
empfehlen, die mit der kiinstlerischen und padagogischen
Berufsausbildung ein vollwertiges Universitatsstudium ■ . .
planvoll verbindet (Gurlitt 1953). Die dem Studium fol-
gende 2jahrige Ref erendarausbildung f iihrt in die Schul-
praxis und schlieBt mit der zweiten Staatspriifung. Auf
Grund seines Studienganges, nicht zuletzt auch durch
854
Schulmusik
das Beif ach, ist der Schulmusiker heute dem Philologen
und Naturwissenschaftler im Lehrerkollegium gleich-
gestellt, sof ern nicht die Ministerien dahin tendieren, zu-
gunsten fragwiirdiger Studienverkiirzung die musikge-
schichtliche Seite der Ausbildung wieder verkiimmern
zu lassen (das wissenschaf tliche Beif ach wird in neuester
Zeit ohnehin mancherorts nicht mehr gef ordert) oder die
Schuldirektoren den geistigen Bildungswert der Musik-
erziehung zu gering veranschlagen. In den Lehrplanen ist
der Musik nur unvollkommen Rechnung getragen: die
Klassen 1-3 haben 2Wochenstunden, die Klassen 4-7
nureine, teilweise (z. B. inHessen) sogarkeine Wochen-
stunde Musik. Die zur Zeit unternommene Umstellung
der Oberstuf e (SaarbriickenerRahmenvereinbarung der
Kultusministerkonferenz vom September 1960) ver-
folgt die hochst problematische Regelung, dal3 die
Schiiler sich am Ende der 7. oder 8. Klasse fur ein mu-
sisches Fach, Musik oder Kunsterziehung (2 Wochen-
stunden), entscheiden miissen und das andere Fach »ab-
wahlen«, d. h. den Klassenunterricht im abgewahlten
Fach nicht mehr oder nur freiwillig besuchen. DaB die
angestrebte Forderung der verbleibenden Schiiler den
vorzeitigen Abbruch der Musikerziehung bei den an-
deren rechtfertige, ist eine anfechtbare Hypothese. Ei-
ne Sonderform der hoheren Schule mit angemessener
Musikerziehung ist das Musische Gymnasium (Deut-
sche Gymnasien), an dem Musik zu den Hauptfachern
zahlt. - An den Mittel- und Realschulen fallt dem Mu-
sikunterricht etwa die gleiche Aufgabe zu wie an der
Unter- und Mittelstufe der Hoheren Schule. Der Fach-
lehrer erhalt auch hierfiir eine Spezialausbildung. Der
Volksschullehrer studiert (nach dem Abitur) an einer
padagogischen Akademie oder Lehrerbildungsanstalt.
Die Lehrplane sehen fiir die Volksschulen 2 Wochen-
stunden Musikunterricht vor; zu dessen wichtigsten
Aufgaben zahlen die Pflege der Kinderstimme und das
Erarbeiten eines Grundstocks an Kinder-, Volks- und
Kirchenliedern, meist mit Hilfe von Tonwortsystemen
(-> Tonika-Do; -> Eitz). Auf der Unterstufe wird das
Kind in die Notenschrift eingefiihrt (heute meist im
Spiel: gezeichnete Gegenstande statt Notenkopfen,
Notenlegen auf selbstgebastelter Unterlage usw.). Auf
der Oberstufe werden auch Musikkunde und Musik-
geschichte gelehrt; stimmbegabte Kinder singen im
Schulchor. Die Arbeit nach dem Orff-Schulwerk er-
moglicht eine erste spielerische Begegnung mit dem
Instrument und f iihrt zu Improvisationsiibungen. Auch
in der Volksschule besteht heute die Forderung nach
dem musikalischen Fachlehrer, mindestens ab dem 5.
Schuljahr; empfehlenswert ist enge Zusammenarbeit
der Volksschule mit der Jugendmusikschule.
Die Anfange der Sch. in den Klosterschulen der karo-
lingischen Zeit erwuchsen aus der Mitwirkung der
Knaben am Kirchengesang. Noch manche spatere
Schulgriindung (seit der 2. Halfte des 13. Jh. auch als
Stadt- oder Ratsschule) erfolgte aim Zwecke der Aus-
bildung von Sangern fiir den Kirchendienst. In der
-» Solmisation (-»• Guidonische Hand) und in der Ein-
f iihrung der Notenlinien mit Terzabstand (durch Guido
von Arezzo) wurden die Voraussetzungen fiir einen
systematischen Musikunterricht geschaffen. Als Grund-
lage der mittelalterlichen Musiklehre diente Guidos
Micrologus. Auch fiir die friihneuzeitliche Lateinschule
blieb die Ausbildung der Kirchensanger die vornehm-
ste Aufgabe, doch wurde daneben auch die weltliche
und instrumentale Musik zunehmend gepflegt. In den
metrischen -> Odenkompositionen wurde die Musik
erstmals schulpadagogischen Zwecken unterstellt. Die
kursachsische Schulordnung von 1528 (Ph.Melanch-
thon) legte denTypus der reformatorischen Lateinschu-
le fest. Neben der -> Kantorei bestand die -> Kur-
rende. An den meisten Schultagen fand eine Singstunde
statt (in der Regel 12-13 Uhr), verbunden mit dem
Unterricht in der [Ars] Musica (musikalische Elemen-
tarlehre), in den hoheren Klassen oft austauschbar mit
dem Unterricht in der Arithmetica. Der -> Kantor
war neben Rektor und Konrektor die wichtigste Per-
sonlichkeit der Schule; er besafi oft den Universitats-
grad (magister artium), unterrichtete auch in Latein
und Mathematik, unterwies die musikalisch begabten
Schiiler im Instrumentalspiel und mancherorts auch in
der -> Musica poetica. Als Kompendium der Musik-
lehre fiir den Schiiler wurde das Enchiridion (1518/20)
von G. ->• Rhaw vorbildlich. Besondere Verbreitung
fand die Motettensammlung Florikgium Portense (hrsg.
von E. -»■ Bodenschatz, 1603-21), die noch J. S.Bach
in Leipzig verwendete. Mit dem Aufkommen der con-
certierenden Musik nach 1600 stiegen die Anforderun-
gen an die Schiiler erheblich, besonders hinsichtlich des
Singens vffjetzige Italianische Manier (Praetorius Synt.
Ill, Kap. IX). In den Gymnasien der Jesuiten wurden
besonders Schuldrama und ->■ Schuloper gepflegt. -
Allmahlich begannen jedoch andere Bildungsziele und
-stoffe die Sch. aus ihrer Vorrangstellung zu verdran-
gen. Methodisch hatte sie sich nicht der neuen Zeit an-
gepaBt: das unzeitgemaBe Festhalten an der Solmisa-
tion trug viel zum spateren Prestigeverlust der Sch. bei.
Die allgemeine Padagogik (J.-J. Rousseau) bemiihte
sich im 18. Jh. erstmals, dem Kind und seiner jeweili-
gen Altersstufe gerecht zu werden. Doch wo sich Re-
formen der Sch. ankiindigten, bedeuteten sie meist eine
Beschrankung der universalen Musikerziehung; so z. B.
wollte der Pietist A.H.Francke zwar alle Schiiler so-
weit gef ordert wissen, daB sie Kirchenlieder nach No-
ten singen konnten (Schulordnung fiir die »Teutschen
Schulen«, 1702), betrachtetejedoch die weitere Ausbil-
dung als Reservat fiir Begabte oder fiir reiche Liebha-
ber. In den Heimschulen der Philanthropen, begriin-
det von J.B.Basedow, sollte der gesamte Tagesablauf
von leicht f aBlichen Moral- und Tugendliedern beglei-
tet werden (Gedichte u. a. von Chr.F. ->• WeiBe).
J.H.Pestalozzi (1746-1827) lieB sein Unterrichtsprin-
zip durch M.T.Pfeiffer und H.G.Nageli auf die Mu-
sik iibertragen (Gesangbildungslehre nach Pestalozzischen
Grundsiitzen .... 1810; ohne Verbindung zur Kunst-
musik). - Die Sakularisation nahm dem Musikunter-
richt seine bisherige Hauptaufgabe, den Dienst an der
Kirchenmusik. Durchwegs ungeniigend ausgebildete
und meist nebenberuflich amtierende Musiklehrer tra-
ten an die Stelle des Kantors; Musikerzieher und -un-
terricht verloren ihr Ansehen innerhalb der Schule und
damit die wichtigste Voraussetzung fiir erzieherische
Erfolge. Stoff und Stundenzahl schrumpften auf ein
Minimum zusammen. Nach den preuBischen Verord-
nungen von 1837 erhielten nur Sexta bis Tertia je 2
Wochenstunden Gesangunterricht, nach 1 882 nur noch
die zwei unteren Klassen. Ein Schulchor auf f reiwilliger.
Basis bestand fort. An den Lehrerseminaren war die
Zahl derMusikstunden groBer, und in den Volksschulen
wurde verhaltnismaBig viel gesungen, doch meist ohne
Kenntnis der Noten. Die Thomasschule zu Leipzig, die
Kreuzschule in Dresden und das Gymnasium des Grauen
Klosters in Berlin hielten die Tradition der alten Sch.
aufrecht. - Bedeutsam fiir den spateren Wiederauf stieg
der Sch. wurde das 1822 aus privaten Kursen C.Fr.
Zelters hervorgegangene Konigliche Institut fiir Kir-
chenmusik, an dem auch Musiklehrer fiir Gymnasien
ausgebildet wurden (auf Zelters Anregung entstanden
ahnliche Institute auch in Breslau und Konigsberg).
Ihre eigentliche Pragung erhielt diese Anstalt durch
den spateren Leiter H.Kretzschmar (seit 1907), der
schon 1881 (in den Grenzboten) den alarmierenden Be-
855
Schulmusik
richt des Englanders J.Hullah iiber die Zustande der
Sch. im deutschsprachigen Bereich publizierte und
1900 der preuBischen Regierung ein Memorandum
uber die Neugestaltung der Musikerziehung einreichte.
Die musikpadagogischen Reformbestrebungen nach
1900 (»Schulgesangbewegung«) wurden auch durch
die Kvmsterziehungsbewegung angeregt, die sich ge-
gen den einseitig wissenschaftlichen Unterricht an den
Schulen richtete (Musikpadagogischer KongreB 1904;
3. Kunsterziehungstag in Hannover »Musik und Be-
wegung« 1905). Seit 1907 fanden in Berlin Fortbil-
dungskurse fur Musiklehrer statt, 1910 erschien eine
Priifungsordnung und 1913 die Didaktik und Methodik
des Schulgesangsunterrichts von G.Rolle, die allerdings
noch die Prinzipien der Lernschule vertritt. An den
Musiklehrer, dessen Studium 3-4 Semester dauerte,
wurden nun prazise Anforderungen in Gesang, Chor-
leitung, Theorie und Musikgeschichte gestellt; er wur-
de Beamter, wenn auch zunachst als »technischer« Leh-
rer in tieferem Rang. Die neuen Lehrplane brachten -
neben dem Chorgesang - 2 Wochenstunden Musik fiir
alle Klassen der Madchenschulen, fiir die Knaben blieb
es bei 2 Wochenstunden nur in den beiden untersten
Klassen. 1914 folgten die Lehrplane fiir die Volksschu-
len (Notenlesen ab dem 2. Schuljahr). Die Reformbe-
strebungen Kretzschmars fanden ihre Fortsetzung und
praktische Durchfiihrung im Werk von Leo --*■ Ke-
stenberg, der 1918 als erster Fachreferent fiir Musik in
das preuBische Ministerium fiir Kunst, Wissenschaft
und Volksbildung berufen wurde. Aus dem Gesang-
lehrer wurde nun der Musikstudienrat mit wissen-
schaf tlichem Nebenf ach ; die Berliner Akademie wurde
anlaBlich ihrer Hundertjahrfeier 1922 durch Kesten-
berg umgestaltet zur Staatlichen Akademie fiir Kir-
chen- und Schulmusik. Andere Musikhochschulen
schlossen sich dem Vorbild an. - Die musikpadagogi-
schen Bestrebungen des 20. Jh. suchen nach kindge-
maBer Aufgabenstellung, die von vornherein eigenes
Mittun ermoglicht, urn darauf einen kontinuierlichen
Musikunterricht fiir alle Schiiler und die ganze Schul-
zeit aufzubauen. Eine sinnvolle Anwendung der Ideen
der »Arbeitsschule« (Kerschensteiner) auf dem Gebiet
der Musikerziehung findet sich erstmals bei Fr.Jode
(Das schaffende Kind in der Musik, 1928). Am vollstan-
digsten der jeweiligen Altersstufe angepaBt sind das
umfangreiche Schulwerk von C. Orff und das dazuge-
horige Instrumentarium. Bei alien diesen Unterrichts-
methoden fiir Kinder und bei den Tonwortsystemen
bedarf es groBen padagogischen Geschicks, damit recht-
zeitig, behutsam und bestimmt der Ubergang zur
Kunstmusik vollzogen werden kann, ohne den auch
die beste »kindgemafie« -> Musikerziehung ihren Sinn
verliert. - In England hat der Staat durch den Education
Act (1944) die Erziehung einschlieBlich des Musikun-
terrichts ubemommen. Der Elementarunterricht f uBt
auf dem Singen (vielf ach noch Anwendung der ->- To-
nic-Solfa-Methode), in den Junior schools liegt das
Hauptgewicht des Instrumentalunterrichts auf der
Blockflote, an den weiterfiihrenden Schulen werden
vollstandige Orchester angestrebt. Fiir kleinere Schulen,
besonders auf dem Land, fungiert der staatlich bestell-
te Country Music Adviser als Organisator, reisende
Privatmusiklehrer erteilen Instrumentalunterricht. -
In Frankreich entspricht die Sch. seit dem Gesamtbil-
dungsplan (1946) weitgehend den deutschen Verhalt-
nissen; das -> Solfege spielt eine wichtige Rolle. Zwar
ist Musikunterricht auf der Oberstufe Wahlf ach, doch
im Baccalaureat Priifungsfach. Die Ausbildung der
Sch.er erfolgt im Lycee Jean de la Fontaine, Paris, in
dreijahrigen Lehrgangen mit jeweils 120 Teilnehmern.
Aus den Absolventen werden durch Wettbewerb die
Musikerzieher fiir die Lycees (staatliche Gymnasien)
ausgewahlt, die iibrigen gehen an andere Schulen.
WShrend der Ausbildung der Grundschullehrer ist
Musik Pflichtfach, bei der Aufnahme ins Lehrersemi-
nar ist eine Gesangspriifung abzulegen. - In Italien ist
Musikunterricht obligatorisch nur in den Oberklassen
der Volksschulen und an den Lehrerseminaren, jedoch
sind Bestrebungen im Gange, ihn auch auf die iibrigen
Klassen auszudehnen. Die Musikerziehung liegt in
Handen der stadtischen und staatlichen -»■ Konserva-
torien.
Lit.: Beitr. in d. Ber. d. Reichs-Sch.-Wochen Bin 1921,
Darmstadt 1926, Dresden 1927, Munchen 1928, Hannover
1929 u. d. Bundes-Sch.-Wochen Mainz 1955, Hbg 1957,
Munchen 1 959 sowiein d. Zss. Musik im Unterricht, Mainz
seit 1909, Die Sch., Bin 1924-33, Zs. f. Sch., Wolfenbuttel
1928-33, Musikerziehung, Wien seit 1946. - Die ev. Schul-
ordnungen d. 16. (17., 18.) Jh., 3 Bde, hrsg. v. R. Vorm-
baum, Giitersloh 1858-64; W. Langhans, Das mus. Ur-
theil u. seine Ausbildung durch d. Erziehung, Bin 1872,
21886; A. Prufer, Untersuchungen uber d. auBerkirchli-
chen Kunstgesang in d. ev. Schulen d. 16. Jh., Diss. Lpz.
1890; G. v. Detten, Uber d. Dom- u. Klosterschulen d.
MA, Paderborn 1893; I. Plew, Der Gesangunterricht,
in: Hdb. d. Erziehungs- u. Unterrichtslehre f. hohere
Schulen IV, 2, Munchen 1898; H. Kretzschmar, Mus.
Zeitfragen, Lpz. (1903); Fr. Sannemann, Die Musik als
Unterrichtsgegenstand in d. ev. Lateinschulen d. 16. Jh.,
= Mw. Studien IV, Bin u. Lpz. 1904; G. Rolle, Didak-
tik u. Methodik d. Schulgesangsunterrichts, Munchen
1913 ; M. Schipke, Der deutsche Schulgesang v. J. A. Hil-
ler bis zu d. Falkschen Allgemeinen Bestimmungen (1775-
1875), Bin 1913; W. Stahl, Gesch. d. Schulgesangs-Un-
terrichts, Bin 1913; Fr. Jode, Musik. Ein pSdagogischer
Versuch, Wolfenbuttel 1919, NA als: Musik u. Erziehung,
ebenda 1932; ders., Die Lebensfrage d. neuen Schule,
Lauenburg 1921 ; ders., Das schaffende Kind in d. Musik,
in: Hdb. d. Musikerziehung V, 1-2, Wolfenbuttel 1928;
ders., Kind u. Musik, Bin 1930; P. A. Scholes, Mus. Ap-
preciation in Schools, London 1920, 4 1925; L. Kesten-
berg, Musikerziehung u. Musikpflege, Lpz. 1921, 2 1927;
ders., Sch. in PreuBen, Bin 1927 ; ders., Wege zur Entwick-
lung'd. Musikerziehung, Mk XX, 1927/28; E. Preussner,
Die Methodik im Schulgesang d. ev. Lateinschulen d. 17.
Jh., Diss. Bin 1924, maschr., Teildrucke in: AfMw VI,
1924, u. in: Fs. Fr. Stein, Braunschweig 1939; ders., All-
gemeine Padagogik u. MusikpSdagogik, = Musikpadago-
gische Bibl. II, Lpz. 1 929, als : Allgemeine Musikpadagogik,
Heidelberg 21959; R. Wicke, Die Musik in d. kunftigen
Lehrerbildung, Lpz. 1926; P. Mies, Die Musik in d. hohe-
ren Schulen, 2 Bde, Koln 1927; G. Schunemann, Gesch. d.
deutschen Sch., 2 Bde, Lpz. I, 1928, 21931, II 1932; P. Ep-
stein, Der Schulchor . . . , = Musikpadagogische Bibl. V,
Lpz. 1929 ; Beitr. zur Sch., hrsg. v. H. Martens u. R. Mun-
nich, 8 Bde, Lahr 1930-32, neue Reihe hrsg. v. W. Drang-
meister u. H. Fischer, Wolfenbuttel seit 1957; Encyclopedic
de la musique et Dictionnaire du Conservatoire, hrsg. v. A.
Lavignac u. L. de La Laurencie, II. Teil, Bd VI (Pedagogie,
Ecolesetc), Paris (193 1); Grundfragen d. Sch., hrsg. v. H. J.
Moser, Lpz. 1931 ; G. Pietzsch, Die Musik im Erziehungs-
u. Bildungsideal d. ausgehenden Altertums u. fruhen MA,
= Studien zur Gesch. d. Musiktheorie im MA II, Halle
1932; ders., Der Unterricht in d. Dom- u. Klosterschulen
vor u. urn d. Jahrtausendwende, AM X, 1955; W. Tolle,
Grundformen d. reformatorischen Schulliederbuchs vor-
wiegend um 1600, Wolfenbuttel 1936; Kgr.-Ber. L' educa-
tion mus. ... dans les divers pays, Prag 1937; A.-E. Cher-
buliez, Gesch. d. MusikpSdagogik in d. Schweiz, Zurich
1 944 ; R. Schoch, Musikerziehung durch d. Schule, Luzera
1946, 21958 ; W. Gurlitt, Musik in d. Schule, in : Schola II,
1947; ders., Mw. Forschung u. Lehre in padagogischer
Sicht, Kgr.-Ber. Bamberg 1953 (beides auch in: Mg. u. Ge-
genwart II, =BzAfMw II, Wiesbaden 1966); Fr. W.
Sternfeld, Music in the Schools of the Reformation, MD
II, 1948; J. Shuts van Waesberghe SJ, School en muziek
in de middeleeuwen, Amsterdam 1949; ders., Guido v.
Arezzo als Musikerzieher u. Musiktheoretiker, Kgr.-Ber.
Bamberg 1953 ; E. Kraus u. F. Oberborbeck, Musik in d.
Schule, 7 Bde, Wolfenbuttel (1950-55); Fr. Blume, Denk-
856
Schuloper
schrift zur Schulmusikerziehung, Musica V, 1951 ; ders.,
Musikforschung u. Musikleben, Kgr.-Ber. Bamberg 1953;
Zur Notlage d. Musikerziehung u. Musikpflege, Denk-
schrift, hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft f. Musikerziehung
u. Musikpflege, (Kassel) 1953; Th. Warner, Musische Er-
ziehung zwischen Kult u. Kunst, = Beitr. zur Musikerzie-
hung HI, Bin u. Darmstadt 1954; Hdb. d. Musikerzie-
hung, hrsg. v. H. Fischer, 2 Bde (II : Musikerziehung in
d. Grundschule), Bin 1954-58; G. Braun, Die Schulmu-
sikerziehung in PreuBen . . . , = Mw. Arbeiten XI, Kassel
1957; W. Friedrich, Musikpadagogische Revolution, Fs.
Fr. Jode, Trossingen u. Wolfenbuttel 1957 ; G. Kube, Kind
u. Musik. Psychologische Voraussetzungen d. Musikun-
terrichts in d. Volksschule, Munchen 1958; Musikerzie-
hung in d. Lehrerbildung. EntschlieBung d. Deutschen
Musikrats, Kassel 1959; Padagogisches Lexikon, mit ei-
nem Anh. uber d. Gesch. d. Padagogik u. iiber d. Bildungs-
wesen d. Lander, hrsg. v. H.-H. Groothoff u. M. Stadl-
mann, Stuttgart 1961; H. R. Juno, Ein neugefundenes
Gutachten v. H. Schutz aus d. Jahr 1617, AfMw XVIII,
1961 ; Musik in Volksschule u. Lehrerbildung, hrsg. v. K.
Sydow, = Mus. Zeitfragen XI, Kassel 1961 ; E. Living-
stone, The Theory and Practise of Protestant School Mu-
sic in Germany as Seen Through the Collection of Abra-
ham Ursinus (ca. 1600), Diss. Rochester (N. Y.) 1962 ; Kl.-
W. Niemoller, Grundzvige einer Neubewertung d. Musik
an d. Lateinschulen d. 16. Jh., Kgr.-Ber. Kassel 1962 ; Hdb.
d. Sen., hrsg. v. E. Valentin, Regensburg (1962); H. Seg-
ler u. L. U. Abraham, Musik als Schulfach, = Schriften-
reihe d. Padagogischen Hochschule Braunschweig XIII,
Braunschweig 1966. HHa
Schuloper heiBt allgemein ein szenisches Werk mit
Musik, das nach Inhalt und technischen Anforderungen
geeignet ist, von Jugendlichen im Schulalter (6-18 Jah-
re) zu ihrer eigenen geistigen und musikalischen Forde-
rung aufgefiihrt zu werden. Meist bestehen Sch.n aus
gesprochenem Text mit musikalischen Einlagen (Lie-
der, Chore, Tanz- und pantomimische Szenen, auch
Instrumentalstiicke) und gehoren damit strenggenom-
men der Gattung des -* Singspiels an, doch gibt es auch
Stiicke mit Rezitativen und durchkomponierte Werke,
die der szenischen Kantate nahestehen. Die Grenze
zwischen der Sch. (auch Spiel fiir Kinder, musikalisches
Jugend- oder Schulspiel, Tanzspiel usw.) und dem
Schuldrama (auch Schulspiel) mit Musik ist flieBend,
da als Kriterium nur die wechselnde Anzahl der Mu-
sikeinlagen zur Verfiigung steht. - Die padagogischen
Ziele stehen im Mittelpunkt aller Bemiihungen um die
Sch. : die Probenarbeit vermittelt tiefere musikalische
Erfahrung als jeder Klassenunterricht; das Zusammen-
wirken in einer Gemeinschaft (auch aus Schiilern ver-
schiedener Altersgruppen), die Ubernahme von Ver-
antwortung und das durch gelungene Auffiihrungen
vermittelte Selbstgef iihl stellen erzieherische Werte dar ;
da Jugendliche dazu neigen, sich mit einer Rolle zu
identifizieren, kann die Sch. (bei gezielter Rollenver-
teilung) auch direkten EinfluB auf die Personlichkeits-
bildung ausiiben. - In der Praxis umfaBt die Sch. fol-
gende Arbeitsbereiche: 1) das Spiel mit Musik, oft ver-
bunden mit Tanz und Reigen, das Freude am musikali-
schen und darstellenden Tun vor allem bei den Junge-
ren erwecken soil; 2) Auffiihrungen von literarischen
und musikalischen Biihnenwerken sowie modernen
szenischen Kantaten und Sch.n, die im Hinblick auf die
schulischen Moglichkeiten ausgewahlt, eventuell auch
dramaturgisch und musikalisch bearbeitet werden;
3) Singspiele des 18. Jh. und leichte Opern, fiir die
exemplarisch eine werkgerechte, musikalisch und hi-
storischmoglichstgetreueAuffuhrungangestrebtwird;
4) Auseinandersetzung mit Problemstucken und mo-
dernen musikalischen Gestaltungsmbglichkeiten (z. B.
Elektronische Musik) ; 5) das »Schulmusikal« mit Ein-
beziehung parodistischer Elemente und der leichten
Musik; 6) die eigentliche Sch., worunter Werke mit
lebensnahen und den Lehr- und Erziehungsaufgaben
der Schule angemessenen Stoffen zu verstehen sind. -
Bei Auffiihrungen an Madchenschulen werden Man-
nerrollen zweckmaBig von Schiilerinnen iibernom-
men; da die Sch. kein Illusionstheater anstrebt, ergibt
sich daraus erfahrungsgemaB keine EinbuBe an musi-
kalischer oder theatralischer Wirkung.
Die sechs lateinischen »Dramen« der Hrothsvit (Ro-
switha) von Gandersheim (um 930-1000), die wegen
ihrer Lehrabsicht als die ersten Schuldramen gelten, soil-
ten ein christliches Gegenstiick zu den in mittelalterli-
chen Klosterschulen beliebten antiken Komodien (vor
allem von Terenz) bilden. Auch das humanistische
Schuldrama, das an den Lateinschulen der deutschspra-
chigen protestantischen Lander und in deren kulturel-
lem EinfluBbereich gepflegt wurde, verdankt seine ent-
scheidenden Anregungen den Auffiihrungen antiker
Komodien und Dramen durch Schiiler und Studenten.
Der Beitrag der Musik zu den meist lateinischen Schul-
dramen des 16. Jh., die eine bedeutende Rolle im huma-
nistischen Bildungswesen spielten, beschrankte sich im
allgemeinen auf Chore an den Aktschliissen (->■ Oden-
komposition) und vereinzelt auf Tanzeinlagen (z. B.
bei Celtis, Ludus Dianae, 1500) ; Lieder, Motetten und
Instrumentalstiicke dienten als Einlagen und Zwischen-
aktsmusik. Institutionalisierung und iiber den Rahmen
der Schule hinausgehender Auffiihrungsaufwand ei-
nerseits, der 30jahrige Krieg andererseits fiihrten zum
Niedergang des protestantischen Schuldramas. Erwah-
nenswert fiir die spatere Zeit sind nur die Schuldramen
iiber historische Stoffe von Chr. Weiss mit Musik von
J.Krieger. - Das aus der Gegenreformation hervorge-
gangene Jesuitentheater gehort wegen der moralisie-
renden Tendenz seiner Stiicke und deren Auffiihrung
weitgehend durch Schiiler (Internatszoglinge) und Stu-
denten zwar dem Bereich des Schuldramas an, spreng-
te ihn jedoch durch seinen Aufwand an theatralischen
Mitteln und durch die beabsichtigte Wirkung auf ein
groBeres Publikum. Die eigentliche dramatische Hand-
lung wurde gesprochen, die meist allegorische Zwi-
schenhandlung musikalisch in Annaherung an Oper
und Oratorium gestaltet. Erhalten ist z. B. die Musik
von Kerll zu Pia etfortis mulier (Wien 1677). Fiir die an
der Universitat Salzburg ab 1620 bis um 1796 jeweils
am Schuljahresende von Studenten aufgefuhrten Dra-
men komponierten im 18. Jh. u. a. Eberlin, Adlgasser
und M.Haydn musikalische Intermedien; 1767 schrieb
W. A. Mozart die Musik zum (lateinischen) Intermedi-
um Apollo et Hyazinthus (vgl. Anm. zu K.-V. 38) . - Phil-
anthropische Bestrebungen, die auch in der ->■ Schul-
musik und im ->• Kinderlied wirksam wurden, gaben
den AnstoB zu J. A. Hillers Die kleine Aehrenleserin(Oper
in 1 Aufzugfiir Kinder, 1778). Doch gehort dieses Werk
(obwohl es, wie auch die meisten Singspiele Hillers,. fiir
Schulauffiihrungen geeignet ist) ebensowenig zur Sch.
im eigentlichen Sinne wie die vorzugsweise Marchen-
stoffe und Kinderlieder verarbeitende, romantisierende
Kinderoper des 19. Jh. Humperdincks erste, dem-*- Lie-
derspiel nahestehende Fassung von Hansel und Gretel
war fiir die Hausmusik bestimmt (ahnlich Die sieben
Geislein, 1895, nur mit Klavierbegleitung), wahrend
die Kinderopern von Fr. Abt, C.Reinecke und Fr.Fri-
schenschlager Biihnenwerke fiir Kinderpublikum sind.
Dennoch bildete die Kinderoper des 19. Jh. die Aus-
gangsbasis fiir die urn 1900 aufbliihenden musikali-
schen Schulspiele und Sch.n, in denen bis 1929 Mar-
chenstoffe iiberwiegen; vor 1918 sind auch »vaterlan-
dische« Stoffe nicht selten (vgl. H. Brock 1955).
Eine Wende in der Geschichte der Sch. bedeuteten
die Jahre um 1929/30. Eine durch die musikalische
-*■ Jugendbewegung gepragte Generation von Musik-
857
Schuloper
erziehern brachte neue Impulse in das schulische Musik-
leben, und die Kestenbergschen Reformen der Schul-
musik trugen ihre ersten Friichte. Fur die Sch. bedeu-
tete dies eine Besinnung auf das spezifisch Schulische
(Lehrhafte, padagogisch Sinnvolle) des darstellenden
Tuns, auf zeitgemaBe musikalische Gestaltung, auf
aktuelle Stoffe und auf die gestaltende Kraft der Sprache.
Am wirksamsten kamen diese neuen Bestrebungen,
vor allem das didaktische Moment, im (marxistischen)
-> Lehrstiick zur Auspragung, das jedoch wegen seiner
prononciert weltanschaulichen Tendenz mehr Anre-
gung als Grundlage fiir die Sch. sein konnte, teilweise
auch bewuBt andersartige Werke hervorrief, z. B. H.J.
Moser, Der Reisekamerad (frei nach H. Chr. Andersen)
und WJacobi, Die Jobsiade (nach K.A.Kartum). Aus
der kurzen Bliitezeit der Sch., die nach 1933 keine Fort-
setzung fand, sind ferner hervorzuheben : P.Dessau,
Das Eisenbahnspiel; P.Hindemith, Wir bauen eine Stadt
(Spiel fiir Kinder); P.Hoffer, Das schwarze Schaf, Das
Matrosenspiel und Johann, der muntere Seifensieder; Fr.
Reuter, Der Struwwelpeter. - In der Mehrzahl der nach
1945 neuentstandenen Werke werden wiederum ein-
seitig Marchenstoffe bevorzugt, z. B. in den Sch.n und
szenischen Kantaten von H. Bergese, S. Borris, C. Bres-
gen, A.Fecker, M. und H.Garff, W.Gimatis, K.Hes-
senberg, O. Kaufmann, A. Knab, J. H.E. Koch, H. Lang-
hans, K.Roeseling, H.Teuscher und Th. Warner. Die
Musik ist meist einer gemaBigten Moderne verpflich-
tet bzw. von der Verwendung des Orff-Instrumenta-
riums oder anderer kindgemaBer Instrumente gepragt.
Fiir die Wahl von Marchenstoffen sprechen deren leich-
te Rezeption durch die Darsteller und das jugendliche
Publikum und das relativ haufige Auftreten lehrreicher
Modellsituationen, an die sich ein Unterrichtsgesprach
ankniipfen laBt. Beispielhaft sind hierfiir die Jugend-
opern von E.Werdin (Der Fischer und sine Fru; Des
Kaisers neue Kleider u. a.). Andererseits entbinden Mar-
chenstoffe den Textdichter von der Notwendigkeit,
eine sinnvolle Handlung und lebensvolle Figuren zu er-
finden. Die Sch. sollte der Beobachtung Rechnung tra-
gen, daB Kinder von sich aus beim Spiel den erwachse-
nen Menschen nachahmen wollen (moglichst grotesk
iibersteigert), sich in seine Situationen hineinzudenken
suchen und sich damit unbewuBt-zielstrebig auf das
Leben vorbereiten. Manche Marchenstoffe kommen
dem entgegen, andere jedoch fiihren in eine lebens-
fremde Welt und sind daher fiir die Sch. ungeeignet.
Aktuelle, lehrhafte oder den menschlichen Lebenskreis
einbeziehende Stoffe sind seltener verarbeitet: A. v.
Beckerath, Zirkus Pfundig; H.Coenen, Kinderzirkus
Bum ; E. Fischer, Dur und Moll : Ich heifie Dur (sehr kurz);
P. Seeger, Augen aufim Verkehr. Seit Anfang der 1960er
Jahre findet nicht nur die Sch., sondern auch das Schul-
spiel allgemein zunehmende Beachtung, vor allem bei
den Fachlehrern fiir Deutsch. Improvisation und Text-
gestaltung durch die Schuler, Umsetzung von Lern-
stoff in Spielszenen und exemplarisches »Anspielen«
von Szenen aus den im Unterricht zu behandelnden li-
terarischen Biihnenwerken sind nur einige Moglichkei-
ten, das darstellende Spiel in den Dienst schulischer
Aufgaben zu stellen. Diese Moglichkeiten konnen nicht
nur mit Musik kombiniert (vgl. W.Longart 1963),
sondern in ahnlicher Weise auch im Musikunterricht
eingesetzt und damit zur Keimzelle fiir die Arbeit an
der Sch. werden.
Lit. : R. v. Liliencron, Die Chorgesange d. lat. Schuldra-
mas im 16. Jh., VfMw VI, 1890; W. Nagel, Die Musik in
d. schweizerischen Dramen d. 16. Jh., MfM XXII, 1890;
A. Prufer, Der auBerkirchliche Kunstgesang in d. ev.
Schulen d. 16. Jh., Diss. Lpz. 1890; K. Trautmann, Archi-
valische Beitr. zur Gesch. d. Schulkomodie in Munchen,
in: Mitt. d. Ges. f. deutsche Erziehungs- u. Schulgesch. I,
Bin 1891 ; P. Bahlmann, Die lat. Dramen v. Wimphelings
Stylpho bis zur Mitte d. 16. Jh. (1480-1550), Miinster i. W.
1893; B. Soldati, II Collegio Mamertino e le origini del
teatro gesuitico, Turin 1908; H. Mersmann, Ein Weih-
nachtsspiel d. Gorlitzer Gymnasiums v. 1668, AfMw I,
1918/19; R. Haas, Eberlins Schuldramen u. Oratorien,
StMw VIII, 1921 ; E. Refardt, Die Musik d. Basler Volks-
schauspiels im 16. Jh., AfMw HI, 1921 ; A. Happ, Die Dra-
matheorie d. Jesuiten, Munchen 1922; W. Flemming,
Gesch. d. Jesuitentheaters in d. Landen d. Deutschen Zun-
ge, = Schriften d. Ges. f. Theatergesch. XXXII, Bin 1923;
J. Wolf, Lieder aus d. Reformationszeit, AfMw VII, 1925 ;
J. Maassen, Drama u. Theater d. Humanistenschulen in
Deutschland, Augsburg 1929; R. Muller, Das Jesuiten-
drama ind. Lkndern deutscherZunge v. d. Anf angen (1 555)
bis zum Hochbarock (1665), 2 Bde, Augsburg 1930; S.
Gunter, Lehrstiick u. Sch., Melos X, 1931,; C. Schneider,
Die Oratorien u. Schuldramen A. C. Adlgassers, StMw
XVIII, 1931 ; H. J. Moser, Sch. in alter Zeit, Das Volks-
spiel VIII, 1932-35; E. Trolda, Ein mus. Schuldrama aus
Bohmen aus d. Jahre 1692, Der Auftakt XVI, 1936; H.
Brock, Dramaturgie d. Sch. d. 20. Jh., Diss. Halle 1955,
maschr. (mitBibliogr. d. 1899-1953 im Druckerschienenen
Sch.), als: Musiktheater in d. Schule, Lpz. u. Wiesbaden
1960; H. Holleim, Sch. in ihrer Entwicklung bis zur Ge-
genwart, Hbg 1956; K. Langosch, Geistliche Spiele. Lat.
Dramen d. MA mit deutschen Versen, Darmstadt 1957 ; H.
Driesch, Das vergnugte Haus - d. erste Schulmusikal, in :
Das Spiel in d. Schule, 1962, H. 2; Chr.-H. Mahling, Stu-
dien zur Gesch. d. Opernchors, Trossingen u. Wolfenbiit-
tel 1962; H. W. Koneke, Das darstellende Spiel, 2 H., I
Mainz (1960, 21966), II (1963); H.BRAUN.Untersuchungen
zur Typologie d. zeitgenossischen Schul- u. Jugendoper,
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XXVII, Regensburg
1963; W. Longardt, Mus. Schulspielerziehung auf neuen
Wegen, Musik im Unterricht (Ausg. B) LIV, 1963, H. 9
(mit weiteren Beitr. zur Sch. v. H. Giffei, H. W. Koneke u.
E. Werdin; Verz. v. Sch.); B. Brecht, Der Jasager u. Der
Neinsager (Vorlagen, Fassungen, Materialien), hrsg. v. P.
Szondi, Ffm. 1966.
Schusterfleck -j- Rosalie.
Schwaben.
Lit.: F. Oberborbeck, Die Musikpflege in Memmingen,
ZfMw V, 1922/23; L. Wilss, Zur Gesch. d. Musik an d.
oberschwabischen Klostern im 18. Jh., = Veroff. d. Mu-
sik-Inst. d. Univ. Tubingen I, Kassel 1925 ; A. Kriessmann,
J. Reiner, Beitr. zur Gesch. d. Musik an d. oberschwabi-
schen Klostern im 16. Jh., ebenda V, 1927; O. Weiss, J. A.
Harz u. d. oberschwabische Singspiel, Diss. Tubingen
1928; A. Bopp, Das Musikleben in d. Freien Reichsstadt
Biberach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. Tubingen VII,
Kassel 1 930 ; A. Landau, Das einst. Kunstlied C. Kreutzers
. . ., =Slg mw. Einzeldarstellungen XIII, Lpz. 1930; R.
Weber, Die Org. v. J. Gabler u. J. N. Holzhey, = Veroff. d.
Musik-Inst. d. Univ. Tubingen XI, Kassel 1933 ; H. Meyer,
Org. u. Orgelbauer in Oberschw., Zs. d. Hist. Ver. f. Schw.
LIV, 1941 ; W. Supper u. H. Meyer, Barockorg. in Ober-
schw., = Veroff. d. Wurttembergischen Landesamts f.
Denkmalspflege VIII, Kassel (1941); A. Hogger, Gesch.
u. Musikpflege d. Frauenklosters im Groggental v. Ehin-
gen an d. Donau u. d. dortigen Franziskanerklosters mit
Einbeziehung d. Musik d. ehemaligen Tiroler Ordenspro-
vinz. Ein Beitr. zur Gesch. d. oberschwabischen Kirchen-
musik, Diss. Tubingen 1949, maschr.; E. Stiefel, Mg. d.
ehemaligen Reichsstadt Schwabisch Gmiind, Diss, eben-
da 1949, maschr.; Cl. H. Bell, The Meistersingerschule
at Memmingen . . . , = Univ. of California Publications
in Modern Philology XXXVI, 1, Berkeley 1952; Der Ba-
rock, seine Org. u. seine Musik in Oberschw., zugleich
Ber. iiber d. Tagung in Ochsenhausen 1951, hrsg. v. W.
Supper, Bin u. Darmstadt 1952; A. Layer, Anfange d.
Lautenbaukunst in Schw., Mf IX, 1956; K. Schaaf, Das
Volkslied d. Donauschw., Diss. Tubingen 1956, maschr.;
H. Reoner, Taktwechselnde Volkstanze im schwabischen
Ries, Diss. Munchen 1957, maschr.; E. Fr. Schmid, Mu-
sik an d. schwabischen Zollernhofen d. Renaissance. Beitr.
zur Kulturgesch. d. deutschen Siidwestens, Kassel 1962;
Fr. Baser, Musikheimat Baden-Wurttemberg, Freiburg
i. Br. 1963.
858
Schweiz
Schwarmer (ital. bombo; lat. bombus), eine aus meh-
reren raschen Tonwiederholungen bestehende Figur in
der Instrumentalmusik des Barocks, von W.C.Printz
1689 in seinem Compendium musicae signatoriae et tno-
dulatoriae vocalis dargestellt (in der Vokalmusik -> Tril-
lo - 2). Von Marpurg (1755) wird er als eine seiner
»Setzmanieren« angefiihrt und bei Oktavspriingen als
springender Schw. bezeichnet:
springender Schw.
Schw. springender Schw
A P ro \ -» -
r r f i il^^lp
Von Tiirk (1789) wird der Schw. auch Rauscher ge-
nannt.
Schwebungen entstehen durch Uberlagerung von
Schwingungen annahemd gleicher Frequenz: zwei
Schwingungen mit den Frequenzen j\ und fa bilden
eine Schwebung mit derDifferenzfrequenz/2^/1. Ma-
thematisch lassen sich Uberlagerungen als Summe der
Schwingungsgleichungen (-> Schwingungen)
a\= aosm2nfit und a%= «o sin 2 71/2 1
darstellen: , , , ,
ai + az = 2a a cos 2 n (^) t ■ sin 2 k (^±6) t.
Wenn/i und/2 voneinander wenig verschieden sind,
andert sich der Faktor cos 2 n (fi-f2)t/2 langsamer als der
Faktor sin 2n (fi +_/2)f/2. Dann laBt sich die Gleichung
so deuten, dafi sie eine Schwingung mit der Frequenz
(/1 +_/2)/2 ausdriickt, deren Schwingungsweite gleich
2aocos2v:(f 1-/2)1/2 ist und sich demnach periodisch
andert. Die Schwingungsweite schwankt zwischen den
Amplituden 2ao und 0. Die Anzahl der Schw. pro sec
(Schwebungsfrequenz f s ) ergibt sich aus dem rezipro-
ken Wert der Schwebungsdauer (Ts):l/Tj=_/i=/i-_/~2.
Je dichter benachbart die Frequenzen sind, desto ru'ed-
riger ist die Schwebungsfrequenz. Die Beobachtungen
von Schw. ermoglichen Ruckschltisse auf die Trenn-
scharfe des Ohres. Wiirden sich im Gehor selektiv ab-
gestimmte Empfangsorgane befinden, so wiirden auch
eng benachbarte Schwingungen zwei getrennte Ton-
hoheneindriicke mit konstanter Lautstarke auslosen.
Dies tritt erst ein, wenn die Differenz der Frequenzen
J\ und/2 einen bestimmten Wert iiberschreitet. Schw.
von etwa 1 bis 8 Hz werden gut gehort. Bei schnellen
Folgen trennt das Ohr die Einzelperioden nicht mehr
und die UnregelmaBigkeiten werden als rauh empfun-
den. Erreichen die Differenzfrequenzen einen Wert,
der oberhalb ca. 20 Hz liegt, so losen sie die Wahrneh-
mung von -> Kombinationstonen aus. Das Phanomen
der Schw. ist fur das Stimmen von Musikinstrumenten
von grofiem Nutzen. Die Wirkung der Orgelregister
Vox coelestis, Unda maris, Vox humana u. a. beruht
auf Schw. zweier leicht gegeneinander verstimmter
Pfeifen.
Lit. : O. Fr. Ranke, Physiologie d. Gehors, Bin, Gottingen
u. Heidelberg 1953; H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw.,
Heidelberg (1958); F. Trendelenburg, Einfiihrung in d.
Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 31962.
Schweden.
Ausg.: — ► Denkmaler. - E. G. Geijer, A. A. Afzelius u.
J. C. F. Haeffner, Svenska folkvisor fran forntiden, 4 Bde,
Stockholm 1814-16, Uppsala 11957-60; Svenska latar,
hrsg. v. N. Andersson, 24 Bde, Stockholm 1922-40 ; Svens-
ka visor, I Gotlandska visor, samlade av P. A. Save, hrsg.
v. E. Noreen u. H. Gustavson, 3 Bde, Uppsala u. Stock-
holm 1949-55; Svenska medeltids ballader, hrsg. v. B. R.
Jonsson, Stockholm 1962.
Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Stock-
holm): A. Davidsson, Bibliogr. over Svensk Musiklit. 1 800-
1945,Uppsalal948;STMf,seitl919,mitjahrhcherBibliogr.
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Uppsala seit 1952.-T. Norlind, Die Mg. Schw. in d. Jahren
1630-1730, SIMG 1, 1899/1900; ders., Schwedische Schul-
lieder im MA u. in d. Reformationszeit, SIMG II, 1900/01 ;
ders., Svensk musikhist., Helsingborg 1901, 21918 ; ders.,
Latinska skolsanger i Sverige och Finland, Diss. Lund
1909 ; ders., Hdb. i svenska musikens hist., 1932; ders., (I)
Bilder ur svenska musikens hist, fran aldsta tid till medel-
tidens slut, 1947, (II-IV) Fran tyska kyrkans glansdagar,
Bilder ur svenska musikens hist, fran vasaregenterna till
karolinska tidens slut . . . , 1944-45 ; W. Niemann, Die Mu-
sik Skandinaviens, Lpz. 1906; C.-A. Moberg, Uber d.
schwedischen Sequenzen, 2 Bde, = Veroff. d. Gregoriani-
schen Akad. zu Freiburg in d. Schweiz XIII, 1-2, Uppsala
1927; ders., Die liturgischen Hymnen in Schw., =Beitr.
zur Liturgie- u. Mg. d. MA u. d. Reformationszeit I, Ko-
penhagen u. Uppsala 1947 ; St. Walin, Beitr. zur Gesch. d.
schwedischen Sinfonik, 1941 ; R. Englander, J. M. Kraus
u. d. Gustavianische Oper, = Skrifter utgivna av K. Hu-
manistika Vetenskaps-Samfundet i Uppsala XXXVI, 1,
Uppsala 1943; ders., Gluck u. d. Norden, AMI XXIV,
1952; ders., Die Gustavianische Oper, AfMw XVI, 1959;
ders., Handel in d. Musik Schw., Handel-Jb. V (XI), 1959 ;
ders., Zur Psychologie d. Gustavianischen Opernreper-
toires, in: Natalicia Musicologica, Fs. Kn. Jeppesen, Ko-
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1949 ; G. Carlid u. B. Pleijel, Musik pa skiva, 195 1 ; B. A.
Wallner, La musique en Suede, 1951, span. 1953; A.
Rundberg, Svensk operakonst, 1952; Fr. Schandorf
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den, = Nordens serie XXVII, 1953, 21954; Musikliv in
Sverige, = Statens offentliga utredningar II, 1954; B.
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Wiberg, Den svenska musikhandelns hist., 1955; Sv. He-
lander, Ordinarius Lincopensis . . . , = Bibl. theologicae
practicae IV, Uppsala 1957; H. Rosenberg, Mw. Bestre-
bungen in Danemark, Norwegen u. Schw. in d. letzten ca.
15 Jahren, AMI XXX, 1958; M. Arnberg, Den medeltida
balladen, 1962; R. Cotte, Compositeurs fr?. emigres en
Suede, Paris 1962; E. Wikland, Elizabethan Players in
Sweden 1591-92, Uppsala 1962.
Schwegel(Schwiegel, Schwagel; ahd. swegala, Schien-
beinknochen, Rohre, Flote; mhd. swegelen, Flote bla-
sen), - 1) eine allgemeine Bezeichnung fur meist ein-
f ache Langs- oder Querfloten, teilweise f ur die ->• Ein-
handflote, in neuerer Zeit besonders fur die -> Quer-
pfeife; - 2) in der Orgel ist Schw. eine offene Labial-
stimme von mittelweiter bis engerer Mensur und oft
schmalerem Labium zu 4', 2', 1', seltener 8', zumeist
zylindrisch, mitunter auch konisch gebaut.
Schweiz.
Ausg.: — > Denkmaler. - Les chansons populaires de la
Suisse romande, 3 Bde, hrsg. v. A. Rossat u. E. Piguet,
Basel 1917-31 ; Mus. Werke schweizerischer Komponisten
d. XVI., XVII. u. XVIII. Jh., hrsg. v. K. Nef, 3 Bde, Genf
1927-34; Schw.er Sing- u. Spielmusik, hrsg. v. A. Stern u.
W. Schuh, 14 H., Zurich 1928-33 ; Ratoromanische Volks-
lieder 1, 2 Teile, hrsg. v. A. Maissen u. W. Wehrli, = Schrif-
ten d. Schweizerischen Ges. f. Volkskunde XXVI-XXVII,
Basel 1 945 ; Was unsere Vater sangen. Volkslieder u. Volks-
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buch, hrsg. v. A. L. Gassmann, Basel 1961 .
Lit. : A. Schubiger OSB, Die Pflege d. Kirchengesangs u.
d. Kirchenmusik in d. deutschen kath. Schw., Einsiedeln
1 873 ; G. Becker, La musique en Suisse, Genf u. Paris 1 874,
21923 ; H. Weber, Gesch. d. Kirchengesangs in d. deutschen
reformierten Schw., Zurich 1876; A. Niggli, Die Schwei-
zerische Musikges., Zurich u. Lpz. 1886; K. Nef, Die Coll.
mus. in d. deutschen reformierten Schw St. G alien
1896; A. Thurlings, Die schweizerischen Tonmeister im
Zeitalter d. Reformation, Bern 1903 ; A. Nef, Das Lied in
d. deutschen Schw. im letzten Drittel d. 18. u. am Anfang
d. 19. Jh., = Schriften d. Stiftung Schnyder v. Wartensee
XV, Zurich 1909; E. Refardt, Die Musik d. schweizeri-
schen Centenarfestspiele, SMZ LX, 1920; ders., Hist.-
Biogr. Musiklexikon d. Schw., Lpz. u. Zurich 1928, dazu
Nachtrage maschr. in d. Univ.-Bibl. Basel ; ders., Musik in
859
Schweizerpfeife
d. Schw., Bern 1952; J. Handschin, Die altesten Denkma-
ler mensural notierter Musik in d. Schw., AfMw V, 1923;
ders., Angelomontana polyphonica, SJbMw III, 1928;
ders., Die Schw., welche sang, Fs. K. Nef, Zurich u. Lpz.
1933 ; ders. in : Gedenkschrift J. Handschin, Bern u. Stutt-
gart (1957); O. v. Greyerz, Das Volkslied d. deutschen
Schw., Frauenfeld u. Lpz. 1927; A.-E. Cherbuliez, Die
Schw. in d. deutschen Mg., = Die Schw. im deutschen
Geistesleben XVIII, Frauenfeld u. Lpz. 1932; ders., Gesch.
d. Musikpadagogik in d. Schw., Bern 1945; A. Geering,
J. Wannenmacher, Diss. Basel 1933, Teildruck als: Die
Vokalmusik in d. Schw. zurZeit d. Reformation, = SJbMw
VI, 1933; G. Bucky, Die Rezeption d. Schweizerischen
Musikfeste 1808-67 in d. Offentlichkeit, Diss. Zurich
1935; M. F. Bukofzer, Magie u. Technik in d. Alpen-
musik, Schw.er Annalen I, 1935/36; A. L. Gassmann, Zur
Tonpsychologie d. Schw.er Volksliedes, Zurich (1936);
J. Gehring, Glarnerische Musikpfiege . . ., Glarus 1939;
Schw.er Musikbuch, 2 Bde, hrsg. v. W. Schuh, E. Re-
fardt u. H. Ehinger, Zurich 1939; E. Hoffmann-Krayer,
Feste u. Brauche d. Schweizervolkes, neubearb. v. P. Gei-
ger, Zurich 1940; W. Vogt, Die Messe in d. Schw. im
17. Jh., Diss. Basel 1940; R. Thomann, Der Eidgenossi-
sche Siingerver. 1842-1942, Zurich 1942; E. Nievergelt,
Die Tonsatze d. deutsch-schweizerischen ref ormierten Kir-
chengesangbucher im 17. Jh., Zurich 1944; Musica aeterna.
Eine Darstellung d. Musikschaffens aller Zeiten u. Volker
unter besonderer Berucksichtigung d. Musiklebens d.
Schw hrsg. v. G. Schmid, 2 Bde, Zurich (1948, 51950),
auch frz. ; W. Wiora, Zur Friihgesch. d. Musik in d. Al-
penlandern, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f. Volks-
kunde XXXII, Basel 1949; W. Jerger, Die Musikpfiege
in d. ehemaligen Zisterzienser Abtei St. Urban, Mf VII,
1954; ders., Zur Mg. d. deutschsprachigen Schw. im 18.
Jh., Mf XIV, 1961 ; H. P. Schanzlin, Vom aargauischen
Musikleben im 17. u. 18. Jh., Jb. d. Standes Aargau III,
1957 ; ders., Mw. in d. Schw., AMI XXX, 1958 ; M. Jenny,
Gesch. d. deutsch-schweizerischen ev. Gesangbuches im
16. Jh., Basel 1962; Schw.er Musiker-Lexikon, hrsg. v. W.
Schuh, H. Ehinger, P. Meylan u. H. P. Schanzlin,
Zurich 1964.
Schweizerpfeife, - 1) alter Name der -> Querpfeife;
- 2) in der Orgel eine zylindrisch offene, iiberblasende
Flotenstimme von enger Mensur, im Manual zu 4',
2', selten 8', im Pedal meist zu 2' und 1'. Auch ge-
dackte iiberblasende Schw.n (Schweizergedackte) wer-
den gebaut.
Schwellton ->■ Messa di voce.
Schwellwerk (engl. swell organ), in der Orgel die
Bezeichnung fur eine Gruppe von Registern, die in
einem Schwellkasten (-* Jafousieschweller) stehen.
Schwerin.
Lit. : H. Erdmann, Schw. als Stadt d. Musik, Lubeck 1967.
— » Mecklenburg.
Schwerttanz, ein urspriinglich kultischer Tanz (er-
wahnt bei Tacitus, Germania, Kap. 24), auch mit Dar-
stellung der Totung und Wiedererweckung eines Teil-
nehmers. Im Mittelalter (erwahnt in Stadtrechnungen
von Brugge, 1389) war er meist Schautanz der Zunfte;
bekannt waren die Schwerttanze der Nurnberger Mes-
serschmiede. Begleitet wurde der Schw. mit Gesang
oder Pfeifen und Trommeln, in England mit Geige
oder Sackpfeife. Das Motiv des Schw.es kommt auch
in der -> Moresca und im ->■ Morris dance vor.
Lit. : Fr. M. BShme, Gesch. d. Tanzes in Deutschland I,
Lpz. 1886, Nachdruck Hildesheim 1967; C. Sachs, Eine
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London
1938, frz. Paris 1938 ; R. Wolfram, Schw. u. Mannerbund,
Kassel (1936-38, 3 Lieferungen) ; W. Salmen, Hinweise
zur ostdeutschen Uberlieferung d. Schw., Jb. d. Osterrei-
chischen Volksliedwerkes IV, 1955; V. Alford, Sword
Dance and Drama, London 1962.
Schwingungen sind zeitabhangige periodische Zu-
standsanderungen. Sie kommen durch Storungen des
Gleichgewichts eines schwingungsfahigen Systems zu-
stande, wobei Gegenkrafte ausgelost werden, die dieses
Gleichgewicht wiederherzustellen trachten. Bei me-
chanischen Schw. handelt es sich um aus ihrer Ruhela-
ge gebrachte Massen (beim Luftschall entstehen da-
durch Dichte- bzw. Druckanderungen), bei elektroma-
gnetischen Schw. andem sich Feldstarke, Kondensator-
ladung u. a. Die BestimmungsgrbBen einer einfachen
(Sinus-) Schw. lassen sich mathematisch durch die For-
mel a = ao sin 2tz ft ausdriicken, wobei a die jeweilige
Auslenkung (Elongation) zu einem bestimmten Zeit-
punkt ( (in sec), ao die maximale Auslenkung (Ampli-
tude) und/die Anzahl der Schw. pro sec (-»■ Frequenz)
bedeuten. Jede beliebige periodische Schwingung lark
sich als eine harmonische Reihe von Sinus-Schw. auf-
fassen (-> Fourieranalyse). Unter bestimmten Bedin-
gungen konnen mechanische Schw. als -»■ Schall wahr-
genommen werden. Voraussetzung dafiir ist, daB ihre
Frequenz nicht unter 16 Hz und nicht iiber 20000 Hz
liegt. Schw. hoherer Frequenz (Ultxaschall) losen nur
noch bei einigen Tieren (Hunden, Fledermausen) eine
Horwahrnehmung aus. Fiir die Ausbreitung horbarer
Schw. in Form von Schallwellen (-»• Wellen) ist das
Vorhandensein eines geeigneten Mediums, meistens
Luft, Voraussetzung. Musikinstrumente erzeugen all-
gemein recht komplizierte zusammengesetzte Schw.
Lit.: A. Kalahne, Grundzuge d. mathematisch-physikali-
schen Akustik, 2 Bde, Lpz. u. Bin 1910-13; K. W. Wag-
ner, Einfuhrung in d. Lehre v. d. Schw. u. Wellen, Wiesba-
den 1947; J. Kranz, Schw. u. Wellen, in: Physik, = Das
Fischer Lexikon XIX, hrsg. v. W. Gerlach, Ffm. (1960,
21962).
Schwirrholz (engl. bull roarer; frz. rhombe; ital.
rombo), ein meist schmal-linsenformiges flaches Holz,
das an einer Schnur herumgewirbelt wird. Dabei ent-
steht ein Ton, dessen Frequenz von der GroBe des Hol-
zes und der Geschwindigkeit der Bewegung abhangig
ist. In der Systematik der Instrumente wird das Schw.
zu den f reien Aerophonen gezahlt. Als Schallgerat wird
es bei Naturvolkern (heute vor allem in der Siidsee und
in Siidamerika) oft bei Initiationsriten verwendet; der
Klang wird dabei meist als Stimme von Geistern oder
Ahnen verstanden.
Lit. : K. Budde, Das Schw., Werkzeug d. alttestamentli-
chen Totenbeschworung ?, Zs. f . d. Alttestamentliche Wiss.
XLVI, 1928; W. Hirschberg, Der Ahnencharakter d.
Schw., Ethnos V, 1940; O. Zerries, Das Schw., Stuttgart
1942; M. D. Jeffreys, The Bull- Roarer Among the Ibo,
African Studies VIII, 1949; G. Tucci, Contributo alio
studio del rombo, Rivista di etnografia VIII, 1954 - IX,
1955; H. Hickmann, Unbekannte agyptische Klangwerk-
zeugeI,Mf VIII, 1955.
sciolto (J'olto, ital., gelost, ungebunden) bedeutet:
- 1) frei im Vortrag; - 2) eine etwa dem non legato
entsprechende Artikulation; - 3) im 16./17. Jh. in Ver-
bindung mit ->• Fuga oder Imitation deren Satzweise
ohne kanonische Bindung der Stimmen.
Scordatura (ital., Verstimmung; auch Cordatura),
eine von der normalen Stimmung (Accordatura) ab-
weichende Einstimmungsweise der Saiteninstrumente,
die zu Anf ang eines Satzes als Accordo mit Noten oder
Buchstaben angegeben wird. Als Abweichung von
der geltenden Norm ist die Sc. Teil der kompositori-
schen Erfindung. Ihr Sinn liegt darin, daB sie unge-
wohnliche Akkordgriffe und eine Veranderung der
Klangfarbe (durch starkere oder geringere Spannung
der Saiten und die Verlagerung der leeren Saiten) er-
moglicht. Zur Sc. im weiteren Sinne gehort auch die
schon im 16. Jh. haufige Anweisung, den tiefsten Chor
der Laute einen Ton herabzustimmen (->• Abzug - 1).
Am meisten wurde im ausgehenden 17. und friihen 18.
860
Seeon
Jh. von der Sc. Gebrauch gemacht, u. a. von J. Fischer,
Baltzar, Schmelzer, J. Pachelbel, N.'A. Strungk, Zachau,
Westhoff, Pisendel und J. S.Bach (5. Cellosuite, BWV
1011), vor allem aber von H.I.Fr.Biber, der sich be-
sonders in seinen 16 Mysteriensonaten der Sc. bediente
und in der vierten seiner Triosonaten fur V. und Va
(Harmonia artificiosa-ariosa diversimode accordata, Niirn-
berg 1712) die Stimmung im Es dur-Akkord fordert:
v . ,. i> » iM \ J 1 - i iLk
Viohne
Viola
Am weitesten geht Biber in der 11. seiner Mysterien-
sonaten, wo er verlangt, daB die E-Saite in d2, die A-
Saite in d 1 , die D-Saite in g 1 gestimmt werde, also die
Verhaltnisse in den mittleren Saiten auf
den Kopf gestellt werden, was Biber durch
nebenstehenden Notationsschliissel an-
deutet. Im 19. Jh. haben noch Paganini,
Beriot und Baillot die Sc. angewandt. In der Gitarren-
musik ist sie bis heute ublich. - Von der eigentlichen
Sc, bei der die Intervalle zwischen den Saiten veran-
dert werden, ist eine Art der Umstimmung zu unter-
scheiden, bei der alle Saiten um das gleiche Intervall
hoher gestimmt werden. Sie erleichtert das Spiel in un-
bequem liegenden Tonarten und laBt ein Soloinstru-
ment kraftiger und glanzender hervortreten. W.A.
Mozart verlangt fiir die Solo-Va in seiner Konzertanten
Symphonie fur V., Va und Orch. Es dur (K.-V. 364),
Paganini fiir die Solostimme seines 1. Violinkonzertes
Es dur op. 6 Hoherstimmung um einen Halbton (No-
tierung in D dur), G.Mahler fiir die 1. Solo-V. im 2.
Satz seiner IV. Symphonie G dur um einen Ganzton
(Notierung in B moll). - Scheinbare Sc. begegnet im
18. Jh. in Kompositionen fiir Va d'amore und Englisch
Violet; diese Instrumente haben mit Riicksicht auf die
Resonanzsaiten das bis um 1600 bei den meisten Saiten-
instrumenten iibliche Verfahren beibehalten, die Stim-
mung nach der jeweils verlangten Tonart einzurichten
(z. B. im D dur-, Es dur- oder C dur-Akkord). Fiir die
vier obersten Saiten schrieben z. B. Ariosti (1728) und
C. Stamitz transponierend, so daB der Spieler - meist
ein Violinist - dieselben Griffe wie auf einer Violine
normaler Stimmung auszu- Notierung Klang
fiihren hat. Ist die Viola d'amo- tfJ t
re in A d a di fisi. a 1 & ge- ft) ft[,
stimmt, so klingt bei dieser ** _
Schreibweise die oberste Saite einen Ton tiefer als no-
tiert, die 3. eine Terz hoher und die 4. eine Quinte hoher.
Lit.: A. Moser, Die V.-Skordatur, AfMw I, 1918/19; L.
de La Laurencie, L'ecole frc. de violon . . . , 3 Bde, Paris
1 922-24; D. D. Boyden, Ariosti's Lessons for Va d' Amore,
MQ XXXII, 1946.
Secco (ital., trocken) -> Rezitativ.
Sechzehntelnote (ital. semicroma; frz. double-croche;
engl. semiquaver ; in den USA auch sixteenth note) : J\ ,
Pause (frz. quart de soupir) : tj.
Seckau (Steiermark).
Lit.: O. Drinkwelder, S.er Kirchengesang im 14. Jh.,
Musica Divina III, 1915; W. Irtenkaup, Das S.er Can-
tionarium v. Jahre 1345 (Hs. Graz 756), AfMw XIII, 1956 ;
ders., Die Weihnachtskomplet im Jahre 1 345 in S., Mf IX,
1956; H. Federhofer u. R. Federhofer-Konigs, Mehr-
stimmigkeit in d. Augustiner-Chorherrenstift S., KmJb
XLII, 1958 ; B. Roth, S., Erbe u. Auftrag. Ein Gang durch
seine Gesch., Kunst u. Kultur, Wien 1960.
Seconda pratica (ital., zweite Kompositionsart) ist
eine von CI. Monteverdi 1605 im Vorwort zum 5. Ma-
drigalbuch gepragte und von seinem Bruder Giulio
Cesare 1607 in einem Nachwort zu den Scherzi musicali
(Dichiaratione della lettera stampata nel quinto libro de suoi
madregali) genauer bestimmte Bezeichnung fiir die um
1550 entstandene smoderne Kompositionsart« (uso mo-
demo), die der Deklamation una der Darstellung des
Textinhalts den Vorrang gegeniiber den Regeln des
strengen Kontrapunkts einraumt. Den AnlaB zur Un-
terscheidung zwischen -»■ Prima pratica und S. pr. (als
Komponisten der letzteren nennt G.C.Monteverdi:
Rore, Ingegneri, Marenzio, Giaches de Wert, Luzzas-
chi, Peri und Caccini) bildete G.M.Artusis Polemik
gegen Monteverdis Kontrapunkt (L'Artusi, overo delle
imperfettioni della musica moderna, 1600). G.C.Monte-
verdi beruft sich, wie spater M. Scacchi (1643), auf
Platons »Staat« (398c-d), um den Vorrang zu rechtfer-
tigen, den in der S. pr. die sprachgebundene »Melodie«
gegeniiber der »Harmonie« erhalt. Der Ausdruck »Me-
lodie« - Melodia, overo s. pr. musicale war der Titel eines
(nicht geschriebenen oder nicht erhaltenen) Traktats
von CI. Monteverdi (Brief vom 22. 10. 1633)-bezeich-
net die Einheit von Sprache, Rhythmus und »Harmo-
nie«; unter »Harmonie« ist der Inbegriff der durch Ge-
setze geregelten sukzessiven (melodischen) und simul-
tanen (kontrapunktischen) Tonbeziehungen zu ver-
stehen. DaB in der S. pr. die Sprache oder Rede die
Herrin und nicht die Dienerin der Harmonie sei (Vora-
tione siapadrona del armonia e non servo), besagt also, daB
um der Deklamation und der Textdarstellung willen
der Gebrauch irregularer (chromatischer) Intervalle
(relationes non harmonicae) und eine von den Regeln
des strengen Satzes abweichende Dissonanzbehandlung
zulassig seien. Die S. pr. war, obwohl sie im Madrigal
und in der Monodie entstanden ist, im 17. Jh. nicht an
bestimmte Gattungen gebunden; M. Scacchi (Brief an
Chr. Werner, nach 1646) laBt die secunda praxis, den
stylus oder usus modernorum, auch in der Kirchenmu-
sik gelten.
Lit. : M. Scacchi, Cribrum musicum ad triticum Syferti-
num, Venedig 1643; ders., Ad Excellentissimum Domi-
num CS. Wernerum, (nach 1646), Abdruck in: E. Katz, Die
mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1926; A.
Berardi, Miscellanea mus., Bologna 1689; E. Vogel, CI.
Monteverdi, VfMw III, 1887; A. Tessier, Les deux styles
de Monteverdi, RM III, 1922; ders., Monteverdi e la filo-
sofia deU'arte, Rass. mus. II, 1929; G. Fr. Malipiero, CI.
Monteverdi, Mailand 1929; H. F. Redlich, CI. Monte-
verdi I, Das Madrigalwerk, Bin 1932; D. P. Walker, Mus.
Humanism in the 16 th - and Early H^Cent., MR II, 1941 -
III, 1942, deutsch als: Der mus. Humanismus im 16. u.
fruhen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; L. Schra-
de, Monteverdi, NY (1950), London 1951 ; Cl. V. Palisca,
V. Galilei's Counterpoint Treatise: A Code for the S. Pr.,
JAMS IX, 1956; D. Arnold, »S. Pr.«: A Background to
Monteverdis Madrigals, ML XXXVIII, 1957; E. Apfel,
Satztechnische Grundlagen d. Neuen Musik d. 17. Jh.,
AMI XXXIV, 1962. CD
secondo (ital.), der zweite (beim vierhandigen Kla-
vierspiel der Spieler des BaBparts); seconda volta (Abk.:
Ilda), das zweite Mai. -> primo.
Seele -*■ Stimmstock (- 1).
Seeon (Oberbayern), Benediktinerabtei, gegr. 994.
Lit. : J. Doll, S., ein bayrisches Inselkloster, Munchen u.
Freiburg i. Br. 1912; M.-Th. Schmucker, J. Werlins Lie-
derhs. v. 1648, Diss. Bin 1927; O. Ursprung, Des J. Wer-
lin aus S. groBes Liederwerk (1646/47) als praktisch durch-
gefflhrte Poetik, ZfMw XVI, 1934; M. Bohm, J. Werlin d.
S.er, Bayrisches Jb. f. Volkskunde 1952; W. Salmen, Das
altdeutsche Lied in J. Werlins Slg v. 1646, ebenda 1953;
R. MOnster, Kurfurst Max III. Joseph v. Bayern u. d. mu-
sizierenden Patres v. Kloster S., Mozart-Jb. 1960/61.
861
Segno
Segno (s'eyio, ital.; Abk.: S.), Zeichen, heute meist
SS oder <t>,§, von dem an (Dal S., D. S.) eine Wieder-
holung zu beginnen hat oder bis zu dem sie reicht
(al S.). Beim einstimmig notierten Kanon werden die
Stimmeinsatze audi durch * oder Zahlen gekennzeich-
net; altere Bedeutungen des Wortes: -*■ Signum.
segue (s'egfie, ital.; Abk.: seg.), seque (lat.), es folgt;
- 1) Hinweis am Ende einer Seite oder eines Satzes, daB
das Werk noch nicht zu Ende ist. Attacca il seguente
(sequente), beginne sofort das Folgende. - 2) Hinweis,
daB ein nur ein- oder zweimal ausgeschriebenes Ar-
peggio (oder eine ahnliche Figur) in gleicher Weise
of ter zu wiederholen ist, obwohl seine Tone dann nur
noch als einfache Akkorde notiert sind (-> Abbrevia-
turen - 6) ; gleichbedeutend ist simile.
Seguidilla (segiS'iAa, span., von seguir, folgen), eine
der verbreitetsten literarischen und musikalischen For-
men in Spanien. Die neuere S. hat eine 7zeilige Strophe
(Verse 1, 3 und 6: 7Silbler, Verse 2, 4, 5 und 7: 5Silb-
ler). Vers 1-4 bilden die Copla, Vers 5-7 den Estribillo
(Refrain), der auch fehlen kann. Fur die ersten 4 Verse
gilt das Assonanzschema : frei - a - frei - a, fur den
Estribillo: b - frei - b. Diese S. kommt gesungen und
getanzt in Btihnenwerken (-> Tonadilla, ->■ Sainete,
-> Zarzuela) des 17./18. Jh. vor. Die altere S. ist oft
formal freier, teilt jedoch mit der neueren deren hete-
rometrischen Aufbau. Altere S.s in einfachem, meist
homorhythmischem 3st. Satz finden sich vertont im
-» Cancionero musical de Palacio (Barbieri Nr 115,
132, 153, 162, 378, 389, 397, 404, 412, 449 = Angles
177, 197, 228, 240, 293, 364, 6, 63, 141, 387) und im
Cancionero Sablonara (Nr 8, 67). - Die volkstiimliche
S. ist ein Tanzlied im Tripeltakt. Neben der maBig
schnellen S. manchega, die Cervantes beschreibt, gibt
es die lebhaftere S. bolera und die langsame sentimen-
tale S. gitana (oder playera). Jeder Strophe werden zu-
me'ist vier Takte des charakteristischen Kastagnetten-
rhythmus j[
r&T?irft\rftnj%
gestellt. Mit diesem Rhythmus ging die S. in die Kla-
vier- und Gitarrenmusik ein (I. Albeniz, Glinka). - Be-
sonders bekannt wurde die S. aus Carmen (1. Akt, Nr
10) von Bizet.
Ausg. : M. Soriano Fuertes, Hist, de la musica espanola,
Madrid 1855-59, 1 Anhang; Cancionero mus. de los s. XV
y XVI, hrsg. v. Fr. A. Barbieri, Madrid (1 890), Neudruck
Buenos Aires 1945; Cancionero mus. de Palacio, hrsg. v.
H. Angles, = La musica en la corte de los Reyes Catolicos
II-III, = MMEsp Vu. X, Madrid 1947 u. 1951.
Lit. : F. Hanssen, La s., Anales de la Univ. de Chile CXXV,
1909, neu hrsg. in: Estudios I, ebenda 1958; J. Subira, La
tonadilla escenica II, Madrid 1929; D. Clotelle Clarke,
The Early S., Hispanic Review XII, 1944; J. Rodr(guez
Mateo, La copla y el cante popular en Andalucia, Sevilla
1946; P. HenrIquez Urena, Estudios de versification
espanola, Buenos Aires 1961.
Seises (s'eises, span., von seis, sechs) heiBen die (ur-
spriinglich 6, spater 10) Chorknaben, die an Hoch-
festen vor dem Hauptaltar der Kathedrale von Sevilla
(friiher auch an anderen Orten) von einem Instrumen-
talensemble begleitete liturgische Tanze ausfiihren,
wozu sie abwechselnd singen und mit Kastagnetten
klappern. Diese Tanze standen in Zusammenhang mit
liturgischen Spielen und wurden im 15. Jh. durch den
Papst ausdriicklich gebilligt. Musik dazu schrieben im
16. Jh. u. a. Fr. Guerrero und T.L. de Victoria. Die heu-
te verwendete Musik ist ausschlieBlich neueren Datums
und stark von der Folklore gepragt.
Lit. : S. de la Rosa y Lopez, Los s. de la Catedral de Se-
villa, Sevilla 1904; R. H. Stein, Die KirchentSnze in Se-
villa, Mk XV, 1922/23.
Seitenbewegung (lat. motus obliquus), im Unter-
schied zur Parallel- und Gegenbewegung das steigende
oder fallende Fortschreiten einer Stimme, wahrend
eine andere Stimme liegenbleibt.
Seitensatz, der dem -> Hauptsatz folgende 2. Teil der
-»■ Exposition in der Sonatensatzform, in Dursatzen
gewohnlich in der Dominanttonart, in Mollsatzen in
der Paralleltonart, seltener in der Molldominante. Bei
seiner Wiederkehr in der -> Reprise erscheint der S. zu-
meist in der Grundtonart des Werkes ; dabei ist in Moll-
satzen, in denen sich der S. der Exposition in die Dur-
parallele verwendet, eine Duraufhellung der Grundton-
artmoglich (J. Haydn, SymphonieHob. 1, 95, 1. Satz). S.
und Seitenthema sind nicht immer identisch, da im S.
mehr als ein Thema erscheinen kann. Der Charakter
des Seitenthemas bewegt sich von bloBer Wiederho-
lung des Hauptthemas in der neuen Tonart (J.Haydn,
Symphonie Hob. 1, 104, 1 . Satz) bis zu kontrastierender
Bildung, die sich zuweilen sogar durch eine neue Takt-
art vom Hauptsatz der Exposition abhebt (Brahms,
3. Symphonie op. 90, 1. Satz).
Sekundakkord -> Septimenakkord.
Sekunde (lat. secunda, zweite), die 2. Stufe in diatoni-
scher Folge. Die musikalische Praxis kennt die S. als
groB (-> Ganzton), klein (diato- —4
nischer -»• Halbton) und iiberma- [fij
miner *^
&
Big. Seltener ist die Bezeichnung ^ ' eM -» i " J -e-tt"
verminderte S. fiir enharmonische Tonbeziehungen
(z. B. fis-ges; ->■ Enharmonik).
Sela (hebraisch; in der Septuaginta iibersetzt mit Sidc-
(paXfia, Zwischenspiel), ein biblischer Wortzusatz, der
sich in 39 Psalmen, beim Propheten Habakuk sowie
in den apokryphen Psalmen Salomons findet und als
auffuhrungspraktischer Hinweis vermutlich die Stelle
fiir ein instrumentales Zwischenspiel bzw. fiir denEin-
schub eines (doxologischen) Refrains beim Psalmen-
vortrag wahrend des alttestamentlichen jiidischen Got-
tesdienstes bezeichnet.
Lit.: J. Mattheson, Das erlauterte Selah ..., Hbg 1745;
M. Hartiner, Sur l'interpretation du mot obscure »s.«,
in: World Congress of Jewish Studies Jerusalem 1947;
E. Gerson-Kiwi, Artikel Musique (dans la Bible), in:
Dictionnaire de laBible, Suppl. V, Paris 1957 ; H.-J. Kraus,
Psalmen I, Neukirchen 2 1962.
Semibrevis (zu erganzen: nota oder figura; lat.; die
halbe kurze), Notenwert der -»- Mensuralnotation, ge-
schrieben: ♦, Pausen: z: oder i'; seit dem 15. Jh. : 0,
Pause: ^. Aus der S. ist die heutige Ganze Note (o)
hervorgegangen, die noch jetzt ital. und engl. semi-
breve heSt. - Die rautenformigen Schriftzeichen der
S. kommen zuerst in der -> Coniunctura der Modal-
notation vor; dementsprechend erscheint die S. in den
Quellen des 13. Jh. nie allein, sondern immer in Grup-
pen von 2 oder 3 (bei Petrus de Cruce bis zu 7) fiir eine
Brevis. In der Musiklehre betrachtet sie noch J. de Gar-
landia als Abart der Brevis (ed. Cserba, S. 198), und
erst Franco von Koln nimmt sie als selbstandigen No-
tenwert in sein System auf und legt fest: De semibrevi-
bus autem et brevibus idem est judicium in regulisprius dictis
(d. h. wie bei Breves und Longae; ed. Cserba, S. 237).
1st bei ihm die S. der kleinste Notenwert, so beschreibt
Ph. de Vitry (CSM VIII, 23, 75, 85ff.) bereits die Un-
terteilung der S. in Minima und Semiminima. Im 16.
Jh. schlieBlich wird die S. im integer valor notarum
zum MaB aller Notenwerte, die nun als Vielf aches oder
Teil einer S. beschrieben werden.
Semidiapente (lat. semi, halb, und griech. 8ta 7t£vte,
Quinte), die verminderte ->■ Quinte.
862
Sequenz
Semiditas (lat., Halbierung), in der Mensuralnotation
des spaten 15. und des 16. Jh. Bezeichnung fur die
-*■ Diminution (- 1) im Verhaltnis 2: 1. Anonymus XII
(CS III, 483b), der die Bezeichnung wahrscheinlich als
erster verwendet, schrankt die Anwendung der S. auf
das Tempus imperfectum ein und erklart das Wort als
sWegnahme der Halfte eines Gesanges«.
Semiditonus (lat. semi, halb, und griech. Sitovo?,
Terz), die kleine -> Terz.
Semifusa (zu erganzen: nota oder figura; lat.; halbe
-> Fusa), heiBt in der -*■ Mensuralnotation eine Note
mit doppeltem Fahnchen: ♦ oder 5; Schreibung und
Wert der Pausa s. wechselten (->■ Pause).
Semiminima (zu erganzen: nota oder figura; lat., die
halbe kleinste), Notenwert der -> Mensuralnotation
seit dem 15. Jh., geschrieben: I, Pause: r.
Semitonium (lat. semi, halb, und tonus, Ganzton;
auch hemitonium), der -> Halbton. S. maius ist der
groBere, diatonische Halbton (Leitton, z. B. c-des), s.
minus der kleinere, chromatische Halbton (z. B. c-cis).
Sennet (s'enit, engl.), eine Art von Blaserfanfare oder
-stuck, als Regieanweisung inElisabethanischen Schau-
spielen bei zeremoniellen Auftritten und Abgangen
vorgeschrieben. S. kommt vermutlich von ital. sonata,
Klangstiick (belegt ist auch die Wortform sonnet) und
wird von den haufigeren Bezeichnungen tucket
(-* Tusch) und flourish unterschieden, wie eine An-
weisung bei Dekker (Satiromastix, 1602) zeigt: Trum-
pets sound aflorish, and then a sennate.
Sens (Yonne, Frankreich).
Lit. : H. Villetard, Odoranne de S. et son oeuvre mus.,
Paris 1912; ders., Office de Saint-Savinien de Saint-Po-
tentien, Paris 1956; S. Corbin, La notation mus. neuma-
tique, les 4 provinces lyonnaises, Lyon, Rouen, Tours, S.,
3 Bde, Diss. Paris 1957, maschr. ; A. Lequeux, Le grand
orgue de la cathddrale de S., L'Orgue XCIV, Paris 1960;
H. Husmann, Ein dreist. Organum aus S. unter d. Notre-
Dame-Kompositionen, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963.
Septett (ital. septetto, settimino; frz. septuor; engl.
septet), eine Komposition fur 7 Solisten, in der Oper
ein Ensemble, meist als wirkungsvolles Finale (z. B.
Mozart, Le Nozze di Figaro, 2. Akt). Die Bezeichnung
S. (bis ins 19. Jh. gewohnlich Septuor) wird fur Instru-
mentalwerke angewendet, die in Besetzung (meist aus
Blasern und Streichern gemischt) und Satzfolge nach
Art des -> Divertimentos (- 1) angelegt sind, sich aber
durch kompositorischen Anspruch dariiber erheben
(—> Serenade). Bedeutendstes Werk ist Beethovens S.
op. 20 (V., Va, Vc, Kb., Klar., Horn und Fag.) ; dane-
ben sind zu nennen die S.e von C. Kreutzer (op. 62, bei
dem Beethovens Vorbild spiirbar ist), J.N. Hummel
(op. 74, fur Fl., Ob., Horn, Va, Vc, Kb. und KL), Hin-
demith (1948, Fl., Ob., Klar., B-Klar., Fag., Horn und
Trp.) und Strawinsky (1953, Klar., Horn, Fag., V.,
Va, Vc. und KL).
Septime (lat. septima, siebte), die 7. Stufe in diatoni-
scher Folge, auch Umkehrung der -*• Sekunde. Die
musikalische Praxis kennt die S. als . . — ,
groB, klein, vermindert und iiber- g£ °<> » &
maBig. Die musikalische Akustik ^ "^ -»ft«»l]-«»-
kennt die groBe und kleine S. als natiirlich (8:15 und
5:9), pythagoreisch (128:243 und 9:16) und gleich-
schwebend temperiert ( n /l2 ur >d S U der Oktave). Na-
tur-S. heifit das Intervall zwischen dem 4. und 7. Na-
turton; die Natur-S. ist etwas kleiner als die kleine S.
Kirnberger (1771) bezeichnete die natiirliche S. mit
dem Buchstaben ->■ i.
Septimenakkord oder Septakkord heiBt in der an
den GeneralbaB ankniipfenden alteren Akkordlehre je-
des aus Terz, Quinte und Septime bestehende Akkord-
gebilde. Die S.e auf den verschiedenen Stufen der Ton-
leiter haben jedoch in der dur-moll-tonalen Harmonik
unterschiedliche Bedeutungen, wie die Funktionsbe-
zeichnungen (nach H.Riemann) in der folgenden
Ubersicht fiir C dur andeuten:
liu a i i a »t :
T 7< S 6 D 6 S 7< D' T 6 B*
Von diesen7 Akkorden sind T?< und S7< ganz zufallige
Nebenformen von T^und S 6 ; T6, S 6 und D6 sind Um-
kehrungen von Dreiklangen mit der Sixte ajoutee; Eft
ist der verkiirzte Dominantnonenakkord (->■ Nonen-
akkord). Selbstandige Bedeutung hat allein der D~l
(-*■ Dominantseptakkord). Mit seinen vier verschie-
denen Tonen laBt sich der S. dreimal umkehren. Die
Umkehrungen heiBen: (Terz-)Quintsextakkord, Terz-
quart(sext)akkord und Sekund(quartsext)akkord. Im
3st. Satz kann am ehesten die Quinte des S.es entbehrt
werden, weniger die Terz.
Septole (Septimole, Siebener; frz. und engl. septolet),
eine fiir 6 oder 8 Noten eintretende Figur von 7 Noten
entsprechender Form mit beigesetzter 7. Hire Notie-
rung erfolgt nach dem Schema der ->■ Triole.
Sequenz, - 1) (lat. sequentia), ein nach dem Alleluia-
versus (gegebenenfalls nach dem Tractus) vorgetrage-
ner Gesang der romischen MeBliturgie. Herkunft und
Friihgeschichte dieser musikalisch wie literarisch glei-
chermaBen bedeutenden Gattung liegen noch weitr
gehend im Dunkeln, da keine Quellen aus der Ent-
stehungszeit erhalten sind. Ihre schriftliche Uberliefe-
rung setzt in der 2. Halfte des 9. Jh. ein; schon zwischen
840 und 880 war die Ausbildung eines Stammreper-
toires von wenigstens 60 Melodien erfolgt. Den friihe-
sten Beleg fiir das Wort sequentia in Verbindung mit
Alleluiatexten der Messe bietet das MeBantiphonale
von Mont-Blandin (8./9. Jh.), das bei 6 von insgesamt
25 am SchluB zusammengestellten Alleluias den Hin-
weis cum sequentia enthalt (Antiphonale missarum sextu-
plex, S. 198). Um 823 erwahnt sodann der frankische
Liturgiker Amalar von Metz gelegentlich seiner Erlau-
terung des Alleluias die iubilatio, quam cantores sequen-
tiam vocant . . . {Liber officialis III, Cap. 16, ed. Hanssens
II, S. 304). An anderer Stelle berichtet er, daB in Rom
wahrend der papstlichen Osterwochenvesper das Alle-
luia cum omni supplemento et excellentia uersuum et se-
quentiarum gesungen worden sei {Liber de ordine Anti-
phonarii, Cap. 52, ed. Hanssens III, S. 84). Dabei wird
nach westfrankischem Sprachgebrauch unter sequentia
(spater auch sequentiae) die erweiterte Form eines im
AnschluB an den Versus (zusammen mit dem Alleluia)
wiederholten Alleluiajubilus verstanden, wofiir ost-
frankische und oberitalienische Quellen die Bezeich-
nung melodiae oder longissimae melodiae (Notker)
verwenden. Jiingere Forschungen betrachten den alt-
romischen Choral, dessen Alleluiagesange haufig nach
dem Versus eine entwickeltere Form zeigen, femer den
Ambrosianischen Gesang mit seinen erweiterten Alle-
luiarepetitionen als Prototypen der textlosen, melis-
matischen Sequentia. Das Vorbild fiir die typischen
Kadenzbildungen der S.en dtirfte im Altgallischen Ge-
sang zu suchen sein. - Wahrend in Rom und Mailand
die melismatische Sequentia erhalten blieb, fiihrte die
Entwicklung nordlich der Alpen zur Textierung dieser
Form. Gleichzeitig trafen zahlreiche westfrankische
Quellen terminologisch eine strenge Unterscheidung
zwischen Sequentia (im urspriinglichen musikalischen
863
Sequenz
Sinn) und -»■ Prosa (- 1), genauer Prosa ad sequentiam,
d. h. der textierten Fassung einer Sequentia. Dagegen
setzte sich im ostfrankischen Raum das Wort sequentia
als Bezeichnung fur das musikalisch-textliche Gesamt-
gebilde durch. Der Textierungsvorgang erfolgte in der
Weise, daB die praexistenten Melismengruppen in Ein-
zeltone aufgelost und diese mit je einer Textsilbe ver-
sehen wurden, entsprechend der Regel des Notker-
Lehrers Iso: Singulae motus cantilenae singulas syllabus
debent habere (vgl. Notkers Prooemium zum Liber ymno-
rum). Ein solches Verfahren schloB jedoch nicht aus,
daB die Melodien im Interesse der Dichtung gewissen
Modifizierungen unterworfen werden konnten. Fiir
die historisch-stilistische Einordnung der S.en bieten
die verschiedenen Praktiken der Textunterlegung wich-
tige Anhaltspunkte. So begirmt die Textierung in den
S.en ostfrankischer Herkunft bereits bei den Tonen der
Alleluiawiederholung, im Unterschied zu den west-
frankischen S.en, denen in der Regel nur eine Textie-
rung des erweiterten Alleluiajubilus eigen ist.
Als Hauptmerkmal der »klassischen« S. (Handschin),
die ab etwa 840 bis zur Mitte des 11. Jh. quellenmaBig
belegt ist, gilt das Prinzip der fortschreitenden Wie-
derholung, die Aneinanderreihung melodisch gleicher
Versikelpaare (sogenannter Doppelversikel), textlich
als Strophe und Gegenstrophe zu bezeichnen. (Der im
gleichen Zeitraum nachweisbaren »a-parallelen« S. fehlt
das Prinzip der progressiven Repetition.) Haufig wer-
den die Stiicke von einem einfachen, d. h. nicht wie-
derholten Versikel eingeleitet und abgeschlossen. Die
Versikelpaare haben wechselnde Lange. Strophe und
Gegenstrophe sind jeweils durch parallelen Aufbau
charakterisiert: beide haben gleiche Silbenzahl und
sind einander hinsichtlich Lange, Akzentstruktur, As-
sonanzbildung und Sinnverwandtschaft der Worte
mehr oder weniger stark zugeordnet. Musikalisch ist
vor allem in der friihen Zeit eine syllabische Anlage
verbindlich. Die einzelnen Versikelpaare lassen gleiche
oder ahnliche Melodieteile (Motivbildungen) erken-
nen. Als SchluB-, auch als Mittelkadenz bevorzugen sie
jene typische Melodieformel, die den wiederholten
SchluGton von der Untersekunde auf der Antepaenul-
tima erreicht (z. B. f g g, c d d). - Eine Eigentumlich-
keit der friihen S.en wird in den Melodietiteln sichtbar.
Diese dienten dem Zweck, die den einzelnen Textsche-
mata entsprechenden Melodieschemata eigens zu kenn-
zeichnen. Ein Teil der Titel ist mit dem Incipit des je-
weils zugehorigen Alleluiaversus (z. B. Adorabo; Do-
minus in Sina; Iustus ut palma) oder des S.-Textes (z. B.
Benedicta; Concordia; Stans a longe) identisch, andere
wahlen ein charakteristisches Wort aus dem Zusatn-
menhang aus (Amoena; Captiva; Filia matris). Einer
weiteren Gruppe fehlt jede unmittelbare Verbindung
zum Text. Hierbei handelt es sich um Instrumentenna-
men (Cithara; Lyra; Fistula), Adjektive, die eine Melo-
die charakterisieren (Aurea; Preciosa; Nobilissima), geo-
graphisch orientierte Namen (Occidentana; Graeca;
Metensis) usw. Sie liefern wertvolle Anhaltspunkte fiir
das friihe Entwicklungsstadium der S. - Von Interes-
se ist auch das Problem der Teiltextierung. Als »teil-
textierte« S.en werden jene 9 Melodieschemata siid-
franzosischer Herkunft bezeichnet, in denen jeweils nur
2 oder 3 Doppelversikel mit Text versehen sind. Da-
bei erstreckt sich die Wortunterlegung im einzelnen
nicht auf einen ganzen Versikel; untextierte Melodie
steht am Anfang, meist auch am Ende desselben. Wie
Handschin und Stablein gezeigt haben, blieben die tex-
tierten Teile als feste, in ihrem melodischen Bau selb-
standige Kernpartien in den volltextierten Fassungen
der Melodieschemata erhalten. - Schon in den altesten
Quellen erscheint als eigener Typus neben der »klassi-
schen« die sogenannte »archaische« S. Auch ihr liegt
- stellenweise weniger streng eingehalten - das Prinzip
der progressiven Repetition zugrunde, doch wird ihre
Gesamtstruktur wesentlich gepragt durch den »doppel-
ten Kursus« (-> Cursus). Dieser besteht in der vollstan-
digen oder teilweisen Wiederholung des melodischen
und metrischen Verlaufs mehrerer Versikel, woraus die
Bildung einer zweiten Versikelgruppe resultiert, die
mit der ersten hinsichtlich ihrer Melodiezeilen und des
metrischen Baus ihrer Texte ubereinstimmt. Handschins
Annahme, daB die (vom MeBalleluia vollig unabhan-
gige) S. mit »doppeltem Kursus« in der 1. Halfte des 9.
Jh. entstanden sei und gegeniiber der »klassischen« S.
den alteren (»archaischen«) Typus darstelle, erweist sich
als unhaltbar. (Zur Quellenlage der bisher nachgewie-
senen 8 »archaischen« S.en vgl. The Utrecht Prosarium
...,1965,S.LLXff.)
Nach dem Befund der alteren Quellen errang unter
den westfrankischen Klostern, die sich der Pflege und
Uberlieferung von S.en widmeten, die Abtei -»■ Saint-
Martial von Limoges eine bedeutende Vorrangstellung.
Angefangen von der altesten Aufzeichnung einer tex-
tierten Sequentia - der Martialis-S. Concelebremus (als
Nachtrag zu der aus dem 9. Jh. stammenden Hs. Paris,
lat. 1154) - und anderen wichtigen Zeugnissen (z. B.
den 9 teiltextierten S.en in Paris, lat. 909 und 887), fin-
den sich hier sehr friihe Beispiele geschlossener S.en-
Faszikel, deren Reihe mit den Hss. Paris, lat. 1118,
1120 und 1121 beginnt. Dabei gehorte es bis gegen
Mitte des 12. Jh. zur Eigenart westfrankischer (und
englischer) Quellen, daB in ihnen eine nach Faszikeln
getrennte Aufzeichnung der Sequentiae (in Neumen-
gruppen) und Prosae (mit dariiberstehenden Einzel-
zeicnen) vorgenommen wurde, wahrend die Manu-
skripte ostfrankischer Herkunft beide Formen der Nie-
derschrift auf einem Blatt vereinigten, indem die Me-
lismen jeweils neben dem (ebenfalls mit Einzelzeichen
versehenen) Text am Blattrand erscheinen. (Ob die
Unterscheidung zwischen rein melismatischer und tex-
tierter Fassung der Melodien eine abschnittsweise Wie-
derholung der Melismen nach den einzelnen Versikeln
[Husmann] oder eine instrumentale Ausfiihrung der
textlosen Melodien nahelegt [Jammers], ist eine noch
offene Frage.) - Innerhalb der ostfrankischen S.en-
Tradition entwickelte sich das Kloster St. Gallen zum
eigentlichen Mittelpunkt. Wie Notker Balbulus im
Prooemium seiner 884 oder 885 fertiggestellten S.en-
Sammlung Liber ymnorum schreibt, brachte um 851 ein
Monch des im gleichen Jahr von den Normannen zer-
storten nordfranzosischen Klosters Jumieges ein (MeB-)
Antiphonale mit sich nach St. Gallen, in quo aliqui versus
ad sequentias erant modulati. Nach dem Vorbild dieser
Versus und unter Vermeidung ihrer Unzulanglichkei-
ten schrieb Notker seine eigenen Texte (insgesamt 40
Dichtungen, dazu erhalten 33 Melodieschemata), die
dem Kloster einen bleibenden Namen in der Geschich-
te der S. sicherten und zum Teil bis ins 16. Jh. in Ge-
brauch standen. Schon friih wandten sich neben Not-
ker auch Monche in St. Gallen selbst und in den Klo-
stern Reichenau, Rheinau, St.Emmeram, Fulda, Metz
und Priim der neuen Gattung zu, darunter Waldram
(um 900) und ->■ Ekkehart I. von St. Gallen, -> Berno
von Reichenau, -*■ Hermannus contractus, Gottschalk
von Limburg (1010/20-1098) und -+ Hildegard von
Bingen. Bis zum Ende des 10. Jh. war die S. auBer nach
Italien auchnachEngland (mit Winchester als vermeint-
lichem Zentrum) und Spanien vorgedrungen.
Der etwa zweihundert Jahre sparer fertig ausgebildete
Typus der sogenannten S. jiingeren Stils unterscheidet
sich von seinem »klassischen« Vorlaufer. Die einzelnen
Versikelpaare (Strophe und Gegenstrophe) zeigen un-
864
Sequenz
tereinander ganzliche oder zumindest weitgehende An-
gleichung ihrer Silbenzahl. An die Stelle der metrisch
durchgehenddifferenziertenTextstrukturtritteinstreng
geregelter Akzentrhy thmus ; die Assonanz wird vom
Reim verdrangt. Dem entsprechen auf seiten der Me-
lodie eine starke Vereinheitlichung der Bauelemente
und das Fehlen jeder Beziehving zum Alleluia. Die meist
sehr eingangigen Melodien konnen zufolge ihrer ge-
meinsamen oder ahnlichen Grundstruktur verschiede-
nen Texten zugeordnet werden. GroBe Intervallspriin-
ge und die Vorliebe fur einen weitgespannten Ambitus
(haufig mit authentischem und plagalem Tonumfang
innerhalb ein und desselben Stiickes) charakterisieren
das melodische Gefiige der jiingeren S. Im Mittelpunkt
dieser neuen Richtung steht der Augustinerchorherr
Adam von St.Viktor zu Paris (1110-92), dessen S.en-
Texte jene Kriterien einer formalen Glattung in voll-
endetster Weise auspragen. Die stilistisch und zeitlich
zwischen den beiden grofienEpochen liegenden Stiicke
wurden von den Herausgebern der Analecta hymnica als
»Prosen des Ubergangsstiles« klassifiziert.
Gegeniiber der stark gebundenen Ordnung der tradi-
tionellen liturgischen Gesange eroffnete sich im Zu-
sammenhang mit den S.en ein groBes Betatigungsfeld,
das die Moglichkeit lokaler Selbstandigkeit in der feier-
lichen Gestaltung des Gottesdienstes bot. Sowohl im
westfrankischen als auch im ostfrankischen Bereich
zeigen die Sammlungen ein (gemeinsames) Grund-
repertoire, verbunden mit einer Reihe von Stiicken,
die den besonderen Erfordernissen der einzelnen Kir-
chen entsprachen. DaB mancherorts mehr als 100 S.en
im Laufe des Kirchenjahres gesungen wurden, macht
deutlich, in welchem MaBe die S. im Rahmen der Li-
turgie Verwendung fand - und schlieGlich iiberhand-
nahm. Ihr (Text-)Bestand diirfte iiber 5000 Stiicke um-
fassen. Neben der volligen Ausscheidung der Tropen
fiihrten die Reformbeschliisse des ->■ Tridentiner Kon-
zils zu einer Beschrankung auf nur 4 S.en im Kirchen-
jahr: -*■ Victimae paschali laudes zum Osterfest, -* Ve-
ni sancte spiritus zum Pfingstfest, -*■ Lauda Sion zum
Fronleichnamsfest und ->• Dies irae zur Totenmesse.
Erst seit 1727 findet sich das -> Stabat mater dolorosa
zum Fest der Sieben Schmerzen Maria allgemein im
romischen Missale und bildet heute zusammen mit den
4 anderen Stiicken den kodifizierten Bestand. Aller-
dings blieben in verschiedenen Orden und Diozesen
weitere S.en lebendig, deren Gesamtzahl sich auf etwa
100 belauft. Scheint damit die Geschichte der S. be-
schlossen, so ist es doch die Geschichte einer Gattung,
die neben dem Hymnus einen tiefgreifenden EinfluB
auf die lateinische und vulgarsprachliche (-> Lai, Leich)
Lyrik des Mittelalters ausgeiibt und auch in der Ge-
schichte der Mehrstimmigkeit eine bedeutende Stel-
lung eingenommen hat.
- 2) In der musikalischen Satzlehre versteht man unter
S. (von lat. sequentia, Folge, gebildet, jedoch unab-
hangig von S.-l; frz. progression, marche harmo-
nique oder marche d'harmonie; ital. progressione;
engl. sequence) eine Folge von gleichartigen, in der
Tonhohe einheitlich gegeneinander versetzten melodi-
schen und (oder) klanglich-harmonischen
Wendungen. Die S. laBt sich somit auch als
Wiederholung einer Wendung auf verschie-
denen, einander meist benachbarten Ton-
stuf en charakterisieren. G. Weber gebrauch-
te den Ausdruck S. zunachst im Sinne einer
fortgesetzten Reihe einander ahnlicher Harmo-
nieenschritte (Versuch einer geordneten Theorie
der Tonkunst II, 1818, § 233); durch A.B.
Marx erhielt er die in der Folgezeit giilti-
ge allgemeinere Pragung (1838 begann
Fl.
V.
Cemb.
Marx in SchillingE und in seiner Lehre von der mu-
sikalischen {Composition II die von ihm sonst gebrauch-
ten Ausdriicke Folge und Gang durch S. zu ersetzen).
In neuerer Zeit werden im allgemeinen folgende Fal-
le auseinandergehalten : a) je nach Art der Wendung
melodische und harmonische S., b) nach der Rich-
tung der Versetzung steigende und fallende S., c) nach
dem Intervall der Versetzung diatonische und chro-
matische, daneben auch Terz-, seiten Quart- und
Quint-S., d) nach dem Verhaltnis zur Tonart to-
nale (nicht modulierende) und reale (modulierende)
S., e) nach der Ausdehnung der Wendung S.en mit
kurzen und mit umfangreichen Gliedern; doch iiber-
schneiden sich in der Praxis diese Falle vielfach. Die
S.-Glieder haben haufig formelhaften Charakter, und
das Verfahren des Sequenzierens neigt zu etwas Sche-
matischem, Mechanischem, daher wird der Gebrauch
von S.en nicht zu alien Zeiten bejaht. - Sequenz-
artige Erscheinungen finden sich gelegentlich in au-
Bereuropaischer Musik (Vorderindien, China u. a.)
und im Gregorianischen Gesang (vgl. Melisma iiber
Judaeis im Responsorium prolixum Una hora der Ma-
tutin vom Griindonnerstag). Selbstandige Bedeutung
erlangte das Sequenzieren indessen erst in und durch
die abendlandische Mehrstimmigkeit. Bereits in der
Notre-Dame-Epoche spielte es in der Musik auf viel-
faltige Weise eine Rolle, z. B. im 3st. Organum Bene-
dicta (erklingend etwa als) :
VO' &
j ,. .•»• J ^lo-o- sW
rrrri7rrrTiu.'rP
Als Mittel der Kolorierung von (meist parallelen)
Klangfortschreitungen tritt die S. dann auch im italie-
nischen Trecento, weniger in der franzosischen Ars
nova auf und ist bei den spateren Niederlandern (be-
sonders in Obrechts Messen) in das differenzierte Satz-
gefiige eingeschmolzen. Lange S.-Ketten kommen hau-
figer vor; als steigende S.en dienen sie nunmehr auch
der Textausdeutung (->• Climax, -> Epizeuxis), z. B.
im Agnus II von Josquins Missa De Beata Virgine zum
Text miserere: * . . ,
Fur den Palestrina-Stil hingegen ist charakteristisch,
daB S.en gemieden werden (->■ Melodie). Durch die im
16. Jh. aufbliihende Instrumentalmusik und das Prinzip
der Textausdeutung gestiitzt, fand die S. in der Gene-
ralbaBzeit auf unterschiedlichste Weise Verwendung,
vielfach in Verbindung mit Antizipation, Synkope und
Vorhalt, bei entsprechend groBziigiger Anlage oft von
breiter, flachenhafter Wirkung, so besonders bei Vi-
valdi und Handel, weniger schematisch auch bei J. S.
Bach (5. Brandenburgisches Konzert, 1. Satz, Anf angs-
gliedderS., Takt81ff.):
55
865
Sequenz
SequenzartigeErscheinungen kommen bei den Wiener
Klassikern haufig vor. (Beispiele fur langere S.en: J.
Haydn, Streichquartett Hob. Ill, 81,4. Satz, Takt 208ff . ;
W.A.Mozart, Klaviersonate K.-V. 576, 3. Satz, Takt
42ff.; Beethoven, 5. Symphonie, 1. Satz, Takt 407ff.,
4. Satz, Takt 1228.; Schubert, Gretchen am Spinnrade,
Anfang der letzten Strophe). Dabei wird vielfach das
in der 1. Halfte des 18. Jh. durch ubermaBigen Ge-
brauch abgenutzte Verfahren der unmittelbaren Ver-
setzung um einen Ton hoher (-»■ Rosalie) zu neuer
Wirkung gebracht. Unmittelbare, mehr oder weniger
intervallgetreue Versetzungen kleinster bis grofiter f or-
maler Abschnitte finden sich in der Musik des 19. Jh.
vielfach, vor allem bei Schubert, Wagner, Liszt und
Bruckner. Sie sind aber nur selten mit dem Terminus
5. ausreichend charakterisiert.
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866
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Serenade (frz. serenade; ital. serenata, von sereno,
heiter, unbewolkter Himmel [al sereno, im Freien] ; als
musikalischer Ausdruck seit dem 16. Jh. meist mit sera,
Abend, in Verbindung gebracht). Die Bezeichnung S.
ist, da sie primar keine bestimmte Art von Musik,
sondern nur allgemein einen Bereich von Auffiih-
rungsgelegenheiten (Abend, im Freien) umschreibt
oder assoziativ die Situationen soldier Auffiihrungen
anklingen laBt, f ur verschiedenartige musikalische Gat-
tungen angewendet worden: fiir vokale oder gemischt
vokal-instrumentale Huldigungskompositionen (Sere-
nata, Standchen); fiir instrumentale, »unterhaltende«
Kompositionen (Divertimento, Kassation, Nocturne,
Tafelmusik) ; fiir Lieder oder Kammermusik (im 19.
Jh.), die die Idee und Situation des Standchens poeti-
sierend oder programmatisch nachzeichnen; fiir Or-
chester- und Kammermusikwerke (seit der 2. Halfte
des 19. Jh.), die sich durch ihre Faktur deutlich von
der symphonischen Musik abheben. Die Ausdriicke
Serenata und S., obwohl urspriinglich nur verschiedene
(italienische und franzosische) Sprachformen desselben
Wortes, werden heute gewohnlich in unterschiedener
Bedeutung gebraucht: -»■ Serenata fiir eine bestimmte,
der -* Kantate und der Oper nahestehende Gattung
von Kompositionen mit Gesang, S. fiir weniger an ei-
nen bestimmten AnlaB gebundene instrumentale oder
fiir standchenhafte Werke. Die S. wurde im 18. Jh.
audi oft als Nachtmusik (haufig bei W.A.Mozart;
ital. notturno; frz. nocturne) bezeichnet; synonym mit
S. und Divertimento wurde auch Cassatio (-> Kassa-
tion) gebraucht. -*■ Divertimento (- 1) und S. entstan-
den beide als Nachfolger der ->■ Suite; die Bezeich-
nungen sind zwar in vielen Fallen austauschbar, doch
wurde der Titel S. in der Regel fiir Kammermusik-
werke mit mehr als 3-4 Satzen verwendet (im Un-
terschied zu Divertimento). Andererseits sind die Be-
griSe Divertimento und -> Standchen nicht austausch-
bar. Gemeinsam ist S. und Divertimento die Vorliebe
fiir Tanzsatze (bis ins 19. Jh. enthalten S.n meist zwei
oder mehrere Menuette) ; der Marsch als Einleitungs-
und SchluBsatz scheint jedoch in der S. haufiger zu sein.
Die in Salzburg wirkenden Komponisten M. Haydn,
L. und W.A.Mozart unterschieden - nicht ohne Aus-
nahmen - bei Streicherbesetzung zwischen kammer-
musikalischem Divertimento (einfache Besetzung der
Stimmen) und orchestraler S., doch sind die Blaser-
S.n (-> Harmoniemusik) derselben Meister wohl fiir
einfache Besetzung bestimmt.
S. als Titel ist zuerst bei A. Striggio (1560) nachweisbar
fiir eine Gruppe 6st. Madrigale mit Volksliedzitaten,
dann bei O. Vecchi (1590) : Selva di varia ricreazione ...,
Madrigali, Capricci, Balli, Arte, Justiniane, Canzonette,
Fantasie, Serenate, Dialoghi . . . Ende des 17. Jh. erschei-
nen vereinzelt Suiten unter dem Titel S. (vgl. Sandber-
ger 1921), z. B. von H.I.Fr.Biber (1673, mit dem
Nachtwachterruf), J.J. -► Walther (1688), A.Kuhnel
(1698, Sonata da camera) und Fux (1701, achtstimmige
2chorige Blasersuite). Danach kommt die Bezeichnung
S. fiir suitenartige Werke erst wieder in der Vorklassik
auf , zuerst beiKomponisten wie A. Holler (um 1760) und
Aspelmayr (1765), dann bei Dittersdorf, C.G.Toe-
schi, V.Pichl, M.Haydn und L.Mozart; diese schufen
den Typus der S., der, zwischen Kammer- und Or-
chestermusik stehend, Elemente beider aufnahm und
an den W.A.Mozart ankniipfte. Doch die Synthese
von gleichzeitig unterhaltender und kompositorisch
hochst anspruchsvoller Musik, die in W.A.Mozarts
S.n vollzogen erscheint, war einmalig und unwieder-
holbar. W.A.Mozarts autographe Titel, seine in Brie-
fen fiir die gleichen Werke gebrauchten Bezeichnun-
gen, die von L. Mozart oder fremder Hand eingefiihr-
ten und die heute gebrauchlichenWerktitel weichen in
zahlreichen Fallen voneinander ab. Dennoch kann deut-
lich unterschieden werden zwischen dem Typ des Di-
vertimentos einerseits (schwachere Besetzung, gering-
fiigigere Entstehungsanlasse) und dem der S. anderer-
seits. Eher den S.n als den Divertimenti zuzurechnen
sind K.-V. 113, 166 und 186. Eine fest umreiBbare
Werkgruppe bilden die 1769-79 fast jahrlich im Au-
gust an der Universitat Salzburg als »Final-Musik« auf-
gefiihrten S.n. Fiir diesen AnlaB entstanden K.-V. 100,
63, 99, 185, 203 (vgl. die Anmerkung von Einstein im
K.-V.), 204, 251 und 320 (wahrscheinlich gehort auch
das Divertimento K.-V. 131 in diesen Zusammenhang;
vgl. HauBwald 1961, S. VHIf.). Einige dieser Werke
sind unter Weglassung der konzertanten Satze als Sym-
phonic aufgefuhrt worden und in Abschriften auch in
dieser Form (unter dem Titel Sinf onia) uberliefert. Zu-
sammenhange hinsichtlich der Bezeichnung, der mehr-
chorigen Besetzung und wahrscheinlich auch des An-
lasses ihrer Entstehung bestehen zwischen der Serenata
nottuma, K.-V. 239 (Jahreswende 1775/76), und dem
wahrscheinlich ein Jahr spater entstandenen Notturno
fur 4 Orch., K.-V. 286. Die S. K.-V. 101 tragi den au-
tographen Titel Contredance (der sich auf den 1. Satz
bezieht) ; von fremder Hand ist hinzugefiigt : Standchen.
Fiir Festlichkeiten im Hause Haffner in Salzburg be-
stimmt waren die S. K.-V. 250 (»Hafmer-S.«, auch in
gekiirzter Fassung als Sinfonia uberliefert) und die
Symphonie K.-V. 385 (»Haffner-Symphonie«), die ur-
spriinglich zusammen mit dem Marsch K.-V. 408 Nr 2
und einem (verlorenen?) Menuett eine S. bildete. Aus
ungeklarten Griinden ist die Mehrzahl der zu den S.n
als Einleitungs- und SchluBsatz gehorigen Marsche ein-
zeln uberliefert (8 Marsche zu S.n, 3 Marsche zu Di-
vertimenti; vgl. die von HauBwald 1951, S. 19f. gege-
bene Obersicht der Marsche; K.-V. 62 - noch im K.-V.
[6. Auflage] als verschollen bezeichnet, neuerdings auf-
gefunden - gehorte wahrscheinlich zur S. K.-V. 100),
nur in 4 Fallen ist der Marsch als Teil der S. uberliefert.
Seit 1780 schrieb Mozart keine Divertimenti mehr; die
nach diesem Zeitpunkt entstandenen 5 S.n tragen samt-
lich die Merkmale grofier Kunstmusik: K.-V. 361 (im
Autograph als Gran Partita, heute oft als S. fiir 13 Bla-
ser bezeichnet), 375, 388 [Nacht Musique], 385 (heute
als »Haffner-Symphonie« bekannt) und 525 (Eine kleine
Nacht-Musick lautet im autographen Werkverzeichnis
der Titel dieser bekanntesten S. Mozarts, die ebenfalls
durch Eliminierung eines heute verlorenen Menuetts
dem Sonaten-Satzzyklus angepaBt wurde und somit in
der Form der Sinfonia uberliefert ist). Das Genre der
vorwiegend unterhaltenden Musik ist in diesen 5 Wer-
ken aufgegeben zugunsten hochst differenzierter Satz-
technik und Tiefe der Gedanken, die in das Gewand
der S. eingekleidet sind. Als einzige der nach Mozart
entstandenen S.n kniipfen das -»■ Septett op. 20 (1799/
1800) von Beethoven und Schuberts Oktett (D 806,
1824) an diese Konzeption an, doch ist es charakteri-
stisch, daB schon Beethoven die Bezeichnung S. nur
55*
867
Serenata
fur op. 8 (Streichtrio) und op. 25 (Fl., V. und Va),
Werke von geringerem Anspruch, verwendet. Ein
Vorgang wie die von Beethoven 1795-96 vorgenom-
mene Umarbeitung des Oktetts (op. 103; autographer
Titel: Parthia dans tin Concert . . . ; 1792 fur die Ta-
felmusik in Bonn komponiert) zum Streichquintett
op. 4 und seine damit bewirkte Uberfiihrung in die
»Kunstmusik« ware fiir Mozart undenkbar gewesen
und zeigt die verwandelte Situation (Mozarts Streich-
quintett K.-V. 406 ist lediglich ein -> Arrangement des
Blaserdivertimentos K.-V. 388).
Nach 1800 wurde S. eine haufig synonym mit Stand-
chen gebrauchte Bezeichnung fiir Lieder oder mehr-
stimmige Gesange mit Standchencharakter. Diese Gat-
tung ist auch in den instrumentalen Bereich iibertragen
worden; S. heiBt z. B. die Nr 36 der Lieder ohne Worte
(op. 67Nr6) von Mendelssohn Bartholdy. Bekanntestes
Beispiel und Vorbild zahlreicher instrumentaler Stand-
chen-S.n, die als Einzelsatze in zyklischen Werken ste-
hen, ist u. a. das Andante cantabile ausJ.Haydns Streich-
quartett Hob. Ill Nr 17. Die Begleitung (pizzicato oder
gebrochene Akkorde) ahmt die Spielweise der tragb aren
Begleitinstrumente des Standchensangers (Mandoline,
Laute, Gitarre) nach. -Eine'n Versuch der Ankniipfung
anW. A. Mozarts groBe S.n und der Rekonstituierung
dieser zwischen Kammer- und Orchestermusik einen
eigenen Platz einnehmenden Gattung stellen die 2 S.n
op. 11 (1858) und op. 16 (1860) von Brahms dar. In
ihrem Gefolge entstand ein umfangreiches Repertoire
verschiedenartiger Kompositionen, das von den kam-
mermusikalisch dichten, an Beethovens op. 25 an-
kniipfenden S.n Regers (op. 77a und 141a, fiir Fl., V.
und Va) bis zu leichten, an die Salonmusik und das
moderne Genre der Unterhaltungsmusik angrenzen-
den Werken (Fr. Drdla) gespannt ist. Als gewichtigere
Beitrage sind zu nennen die S.n von R. Volkmann (op.
62, 63 und 69, 1869/70), Tschaikowsky (op. 48, 1880),
Dvorak (op. 22, 44 und 90), R. Strauss (op. 4, 1884),
Elgar (op. 20, 1892), H. Wolf (Italienische S., 1892),Suk
(op. 6, 1893), Reger (op. 95, 1905/06), Sibelius (op. 69,
1912/13), Schonberg (op. 24, 1923), das Octuor (1923)
und die S. in A fiir Kl. (1926) von Strawinsky.
Lit.: — > Divertimento; G. Hausswald, Einleitungen zu:
W. A. Mozart, Neue Ausg. samtlicher Werke, Serie IV,
Werkgruppe 12, Bd II (1961) u. Bd III (1962).
Serenata (ital.) wird heute im Unterschied zu -»■ Se-
renade - obwohl beide Worter urspriinglich dasselbe
bedeuten - in einem terminologisch eingeengten Sinn
gebraucht fiir Huldigungskompositionen mit Gesang
und Instrumental-(Or'chester-)Begleitung, die im 17.
und 18. Jh. an europaischen Fiirstenhofen zur Feier be-
stimmter Ereignisse (z. B. Hochzeiten, Geburts- und
Namenstage) als -*■ Festmusik beliebt und in der Regel
mit szenischen Darstellungen verbunden waren. Da in
friiherer Zeit zwischen den Benennungen S. und Sere-
nade nicht unterschieden wurde, trat der Titel S. meist
in Verbindung mit einem bestimmenden Beiwort
(teatrale, drammatica) auf ; zuweilen wurden auch an-
dere Bezeichnungen gewahlt, z. B. -> Azione teatrale,
Festa teatrale, Componimento oder Scena da camera.
Sinnverwandt ist das deutsche Wort -*■ Standchen.
Meist liegt der S. eine allegorische Handlung zugrunde,
die sich auf das gefeierte Ereignis bezieht. Auch die
Oper war seit dem 17. Jh. in vielen Fallen allegorisches
Huldigungsfestspiel (das glanzendste Beispiel ist II po-
rno d'oro, 1667, von M.A.Cesti; noch La clemenza di
Tito, 1791, von W.A.Mozart gehort hierher); die S.
wiederholt diese Konzeption in bescheidenerem Rah-
men und mit geringerem theatralischem Aufwand.
Aus den zahlreichen weniger bedeutenden Gelegen-
heitskompositionen heben sich heraus die 9 Serenate
von A. Stradella, u. a. II Barcheggio (1681) und Qual
prodigio (hrsg. von Fr. Chrysander, Handel-GA, Suppl.
Ill), die 3 Fassungen (1709, 1720 und 1732) des Acis und
Galathea-Stoffes durch G. Fr. Handel und Le nozze
d'Ercole e d'Ebe (1747) von Gluck. Fiir die Gestaltung
der spatbarocken S. wirkten Libretti von P.Metastasio
richtungweisend; viele von ihnen wurden mehrfach
vertont (z. B. La Contesa dei Numi, zuerst komponiert
von Vinci 1729, spater u. a. von Gluck 1749; L'asilo
d'Amore, zuerst komponiert von Caldara 1732, spater
u. a. von Hasse 1742). Feste an kleineren Hofen oder in
Adelshausern wurden (vor allem nach 1700) auch mit
einer fiir diese Gelegenheit komponierten Cantata (oh-
ne szenische Darstellung) gefeiert; doch ist zwischen
szenischer S. und ->■ Kantate nicht generell zu unter-
scheiden. Auch deutsche Huldigungskantaten entstan-
den im 18. Jh., u. a. von J. S. Bach (BWV 30a, 36a, 134a,
173a, 193a, 201, 205, 205a, 206, 207, 207a, 208, 210a,
212, 213, 214, 215, 249a und 249b; zehn dieser Werke
tragen den Titel ->• Dramma per musica).
Serielle Musik (von frz. musique serielle, s. v. w.
reihengebundene Musik), Bezeichnung fiir musikali-
sche Werke, deren Kompositionstechnik auf (Pra-)De-
termination moglichst aller musikalisch relevanten Ei-
genschaften bzw. der Parameter der einzelnen Tone
(»Klange«) wie auch der Tongruppen durch Zahlen-
bzw. Proportionsreihen zielt. Der Begriff S. M. be-
zeichnet nicht nur die nach bestimmten Verfahren
komponierten musikalischen Werke, sondern auch die
Idee einer »musique pure« von vollkommener Ratio-
nalitat. - Da es im Rahmen einer einzelnen Komposi-
tion nicht moglich ist, die -*■ Parameter sowohl der
einzelnen Tone als auch die des Tonsatzes durch Reihen
zu determinieren, unterscheidet man grundsatzlich 2
Arten von serieller Planung: eine, in der die Parameter
der Tone (Tonqualitat, Tonhohe, Oktavlage, Klang-
farbe, Tondauer, Lautstarke, Artikulation, Ausgleichs-
vorgang) durch Elementreihen fixiert werden, und ei-
ne zweite, in der die Parameter der zum Teil sehr um-
f angreichen Gruppen (Gruppendauer, Tonmenge, Ton-
dichte, Ambitus, Artikulation, Register- und Dichte-
verhaltnisse) teils durch Zahlen-, teils durch Propor-
tionsreihen geordnet werden. Basiert eine serielle Kom-
position auf dem gleichzeitigen Ablauf von Element-
reihen, so entsteht die »Struktur«, der (»punktuelle«)
Tonsatz, quasi automatisch. Bilden dagegen Reihen,
die die Gruppenmerkmale »statistisch« determinieren,
den Ausgangspunkt der Komposition, so werden die
Parameter der einzelnen Tone dem Reihenzwang ent-
zogen. Die beiden Arten der S.n M., die punktuelle
und die statistische, stellen Extreme dar, die sowohl in
reiner Form als auch in mannigfachen Zwischenfor-
men anzutreffen sind. - In der punktuellen Musik wird
jeder Parameter, wenn moglich, durch mathematische
Operationen quantifiziert und den (moglichst nach der
GroBe) geordneten Quanten eine Zahlenreihe substi-
tuiert. Um etwas der Stufengliederung des Tonhohen-
bereichs Vergleichbares im Bereich der Dauern zu
schaffen, wurde versucht, durch Multiplikation von
(kleinsten) Zeitwerten rhythmische Reihen zu ermit-
teln, etwa: J) = l, J) = 2, JS = 3... J. = 12 oder
J) = 1, J = 2 . . . a- = 12. Da die Reihen in diesem
Fall sowohl feste GroBen ermitteln, als auch ein Be-
ziehungssystem verschiedener Dauern darstellen, kann
durch den Wechsel der BezugsgroBe etwas der Trans-
position Ahnliches erreicht werden. Die GroBen der
Parameter Klangfarbe und Lautstarke sind im Bereich
der Vokal- und Instrumentalmusik nicht durch ma-
thematische Operationen zu ermitteln; es lassen sich
vielmehr lediglich die (mehr oder weniger willkiirlich)
868
Serielle Musik
gewahlten GroBen ordnen, ohne daB ein musikalisch
relevantes Beziehungssystem entstehen konnte. Die-
sen Reihen kommt nur sekundare Bedeutung zu, da
sie nur im Zusammenhang mit Tonhohen- und Ton-
dauerreihen inErscheinung treten konnen. Gleichwohl
bewirken sie eine Difierenzierung des Tonsatzes. L.
Nono hat im 2. Satz seines Canto sospeso (1956) die
Reihen so miteinander verkniipft, daB jeder Tonqua-
litat, wenn sie wiederkehrt, eine andere Lautstarke zu-
geordnet ist. Die Anzahl der Reihen sowie die Zahl
der durch Reihen geordneten GroBen werden vom
Komponisten bestimmt. P. Boulez arbeitet in der Struc-
ture la fur 2 Kl. (1952) mit 4 Reihen, je einer 12glied-
rigen Tonqualitats-, Tondauer- und Intensitatsreihe
sowie einer lOgliedrigen Reihe fur die Anschlagsarten,
wahrend K. Stockhausen in Kontra-Punkte (1953) nur
6 Intensitatsgrade verwendet. - In der statistischen Mu-
sik wird nicht die Beziehung der einzelnen Tone zu-
einander durch Reihen fixiert, sondern die ganzer
Komplexe (»Gruppen«). Das Intervall einer Tonhohen-
reihe z. B. fixiert nicht mehr ein direkt sukzessiv oder
simultan erscheinendes Intervall, sondern den Ambitus
einer Gruppe, die durch alle chromatischen Zwischen-
stufen aufgefiillt werden kann (H.Pousseur, Quintett,
1955; K. Stockhausen, Gruppenfiir 3 Orch., 1957). Das
Hauptproblem der S.n M. und der statistischen im be-
sonderen, ist die Herstellung einer sinnvollen Beziehung
zwischen den Tonhohen und den Tondauern. Stock-
hausen geht dabei so weit, Tonhohe und Tondauer
als zwei Aspekte der Zeit anzusehen (Tonhohe als
Vorgange in der Mikrozeit, Tondauer als Makrozeit).
Er hat eine »chromatisch temperierte Dauernreihe«
12
durch eine logarithmische Zwolferskala (]/12) inner-
halb einer Oktave von beispielsweise o = 1 sec bis
o = i/ 2 sec (2:1) errechnet: M.M. o = 60 / o = 63,6 /
o = 67,4 / o = 71,4 / o = 75,6 / o = 80,1 / o = 84,9 /
o = 89,9/o = 95,2/o= 100,9/o= 106,9/ o=113,3/
o = 120 (n = 60). Eine solche Gliederung ermoglicht,
legt man fur die einzelnen Oktaven stets die Dauern-
proportion 2:1 zugrunde, 7 musikalisch sinnvolle
Dauernoktaven : , , 1 k
t=p- M fe o J J J> J\
8sec 4sec 2sec lsec 1/2 sec i/4sec Vssec !/i6 sec
Trotz aller proportionalen Entsprechungen bildet diese
Dauernskala doch kein Aquivalent zur Tonhohenord-
nung, da die langen Dauern sich musikalisch zu kurzen
anders verhalten als tiefe Tone zu hohen. Um dieser
Tendenz entgegenzuwirken, entstand der Gedanke,
die langen Werte in alle moglichen Bruchteile zu un-
terteilen, in Halbe, Drittel, Viertel, . . . Zwolftel, und
die Summe der Bruchteile mit gleichem Nenner der
Grunddauer gleichzusetzen. Die Grunddauer und ihre
Bruchteile sollten sich analog verhalten wie der Grand-
ton zu den Obertonen. Auf diese Weise sollte sich zu-
gleich etwas der KlangfarbeEntsprechendes im Bereich
der Dauern konstruieren lassen. Das Verfahren wurde,
wie auch das durch die Dauernskala erzwungene der
variablen Tempi, zu einem der wichtigstcn der statisti-
schen Gruppenkomposition, etwa der Gruppenfiir drei
Orch. (1957) von Stockhausen (Ambitus: gis*-d2; siehe
folgendes Beispiel). Besondere Schwierigkeiten bereitet
das Problem der musikalischen Form. Da der Automatis-
mus der ausElementreihen gewonnenen Strukturen un-
ter bestimmten Umstanden zu einer Wiederkehr des
Gleichen f iihrt oder doch wenigstens keine ausreichende
Abwechslung zulafit, konnen die einzelnen Reihen
durch Permutation verandert werden. Die Art der Per-
mutation bestimmt die Modification der Struktur: es
entstehen sgesteuerte Strukturen«. Daauchdie Verkniip-
f ung der einzelnen Abschnitte einer umf angreicheren se-
Fl.
Alt-Fl.
Trommeln
Marimbaphon
Glockenspiel
Harfe
V. I u. II
V. Ill u. IV
Va
Vc.
riellen Komposition nicht stets zwingend aus den Struk-
turen abgeleitet werden kann, sind einige Komponisten
gelegentlich dazu iibergegangen, Auswahl und Anord-
nung der Abschnitte innerhalb eines Werkes dem Zu-
f all zu iiberlassen (Boulez, 3. Klaviersonate, 1 957 ; Stock-
hausen, Klavierstiick XI, 1957; Pousseur, Mobile fur 2
Kl., 1958). In anderen Fallen raumen die Komponisten
den Interpreten auch gewisse Freiheiten innerhalb eines
formal geschlossenen Werkes ein, dessen Tonsatz we-
gen der variablen Tempi labil gehalten ist (Boulez,
2. Mallarme-Improvisation, 1957; Stockhausen, Zeitmafie
fur Blaserquintett, 1956).
Historisch gesehen bedeuten die Techniken der S.n M.
zugleich Weiterentwicklung und Zerfall der Schon-
bergschen -> Zwolftontechnik: Weiterentwicklung
insofern, als die Idee einer reihenmaBigen Gliederung
der Intervallbeziehungen auch auf andere Parameter
iibertragen wurde, Zerfall, weil die einmal gewahlte
Reihenform durch Permutation verandert werden kann
und schlieBlich die reihenmaBige Tonhohenordnung
uberhaupt ganz auf gegeben wurde. -> Permutation (-3)
innerhalb der einmal gewahlten Z wolf tonreihe wandten
schon A. Berg (Lulu, 1935) und E.Kfenek (Lamentatio
Ieremiae Prophetae op. 93, 1942) an. - Die Ubertragung
der Reihenidee auf die anderen Parameter verwirklich-
te O.Messiaen in seinem Klavierstiick Mode de valeurs
et d'intensites (1949). An dieses Stuck sowie an die Wer-
ke A.Weberns kniipften Boulez, Pousseur, Nono,
Stockhausen unabhangig voneinander an und entwik-
kelten die Techniken der S.n M., deren Entfaltung eng
mit der der elektronischen Musik zusammenhangt. Da
»das total Determinierte dem total Indeterminierten
gleich wird« und »die totale Durchf iihrung des seriellen
Prinzips das Serielle schlieBlich aufhebt« (G.Ligeti
1960), hat man die Idee der totalen Pradetermination
seit etwa 1955 aufgegeben und dem Zufall einigen
Spielraum iiberlassen (-* Aleatorik). Seit etwa 1959
scheinen einige europaische Komponisten unter dem
EinfluB von J. Cage uberhaupt auf reihenmaBige Glie-
derung der einzelnen Parameter verzichten zu wollen.
Lit.: Elektronische Musik, Technische Hausmitt. d. NWDR
VI, 1954; Gravesaner Blatter, 1955-66; die Reihe, Infor-
mation uber S. M., 8 H., Wien 1955-62; Darmstadter Beitr.
869
Serinette
zur Neuen Musik, Mainz seit 1958. - Th. W. Adorno,
Dissonanzen, Gottingen 1956, 31963; ders., Klangfiguren,
Mus. Schriften I, Bin u. Ffm. 1959; ders., Quasi una fan-
tasia, ebenda II, 1963; C. Dahlhaus, Zur Problematik d.
S. M., Frankfurter H. XIV, 1959; N. Ruwet, Contradic-
tions du langage seriel, RBM XIII, 1959; E. Krenek, Ex-
tents and Limits of Serial Techniques, MQ XLVI, 1960;
Movens. Dokumente u. Analysen zur Dichtung, bildenden
Kunst, Musik, Architektur, hrsg. v. F. Mon, Wiesbaden
1960; Problems of Modern Music. The Princeton Seminar
in Advanced Mus. Studies, MQ XLVI, 1960; A. Ph. Ba-
sart, Serial Music. A Classified Bibliogr. of Writings on
Twelve-Tone and Electronic Music, Berkeley u. Los An-
geles 1961, 21963; R. Stephan, Horprobleme S. M., in:
Veroff. d. Inst. f. Neue Musik u. Musikerziehung Darm-
stadt III, Bin 1962; Y. Xenakis, La musique stochastique,
Rev. d'esthetique XV, 1962; K. Stockhausen, Texte . . .,
2 Bde, Koln (1963-64); J. Rohwer, Neueste Musik, Stutt-
gart (1964); R. Heinemann, Untersuchungen zur Rezep-
tion d. s. M., = Kolner Beitr. zur Musikforschung XLII1,
Regensburg 1966. RSt
Serinette (sarin'et, frz.) -» Vogelgesang (- 3).
Serpent (frz. serpent, Schlange, Schlangenhorn; ital.
serpentone, groBe Schlange) ist ein um 1590 in Frank-
reich aus dem -> Zink entwickeltes, schlangenformig
gewundenes BaBinstrument, das wie ein Blechblasin-
strument iiber ein meist halbkugeliges Mundstiick aus
Elfenbein oder Horn angeblasen wurde. Die Verbin-
dung zwischen Mundstiick und Corpus stellt eine ge-
bogene Messingrohre (Kriicke) her. Der S. wurde ur-
spriinglich (wie der krumme Zink) aus flachen, ausge-
hohlten Holzteilen zusammengeleimt und mit Leder
umwickelt; nach 1800 wurden in England S.e in der
Form des Fagotts teilweise oder ganz aus Metall gebaut.
Die Lange des weitmensurierten, konischen Windka-
nals schwankte zwischen 180 und 240 cm; gewohnlich
stand der S. in B (Umfang lA-b 1 ), kleinere Instrumen-
te standen in C oder in D. 6 Grifflocher, die in 2 Grup-
pen zu je 3 angeordnet waren, stellten kaum mehr als
eine Intonationshilfe dar. Auch mit den um 1800 hin-
zugefiigten 3-4 Klappen, die eine verbesserte Anord-
nung der Locher erlaubten, blieb es schwierig, den S.
rein zu blasen, und deshalb geriet er schlieBlich in Ver-
ruf (vgl. seine Verurteilung durch Berlioz 1844). In
Frankreich diente der S. vom 17. bis ins 19. Jh. zur Ver-
starkung der Mannerstimmen im Kirchengesang. Er
verbreitete sich ab der 2. Halfte des 18. Jh. in Deutsch-
land (Wagner schrieb inn 1842 im Rienzi vor) und in
England, wo er vor allem in den Militarkapellen als
BaBinstrument zur Verstarkung des Fagotts diente, bis
er diese Rolle an die ->■ Ophikle'ide abgab.
Lit.: M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636,
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; J. Frohlich,
Vollstandige theoretisch-praktische Musiklehre, Bonn
(1811); H. Berlioz, Traite d'instrumentation ..., Paris
1844, erweitert Paris 1856, deutsch Lpz. 1843, NAbearb. v.
R. Strauss, Lpz. 1905, 21955; G. Karstadt, Zur Gesch. d.
Zinken u. seiner Verwendung in d. Musik d. 16.-18. Jh.,
AfMf II, 1937; A. Baines, Woodwind Instr. and Their
Hist., London (1957).
Service (s'a:vis, engl.), Bezeichnung fur die unver-
anderlichen, mehrstimmig komponierten Teile der
nationalsprachlichen anglikanischen Liturgie, die von
der englischen Reformation aus der romischen Messe
bzw.dem Stundengebet iibernommen wurden und im
Book of Common Prayer enthalten sind. Ein Full s., die
zyklische, meist in einer Tonart stehende Vertonung
aller oder doch der meisten S.-Teile, besteht aus dem
Morning s. oder Morning prayer (Venite exsultemus;
Te Deum; Benedictus Dominus Deus Israel; Jubilate; Be-
nedicite), dem Evening s. oder Evening prayer {Magni-
ficat; Nunc dimittis; Cantate Domino; Deus misereatur)
und dem Communion s. (im 16. Jh. meist nur Kyrie
und Credo, seltener auch Sanctus; heute gewohnlich
alle Ordinariumsteile). Die Geschichte der S.-Verto-
nungen beginnt im 16. Jh. mit den kurzen, homophon
und vorwiegend syllabisch gesetzten Short S.s von
Chr.Tye und Th.Tallis, die zum Teil noch heute im
Gottesdienst verwendet werden. Fast gleichzeitig ent-
standen Byrds kontrapunktisch und rhythmisch reicher
gestaltete Great high s.s mit Orgelbegleitung, in denen
chorische Full-Partien mit solistischen Verse-Partien
abwechseln; erstere wurden haufig von 2 Chorhalften
(cantores und decani) antiphonisch vorgetragen. Nach
den Great s.s von Morley, Weelkes, Th. Tomkins und
O. Gibbons traten die S.s hinter das weitverbreitete
-*■ Anthem stark zuriick, Bedeutende S.s entstanden
erst wieder im 19. und 20. Jh. (Attwood, J.Stainer,
Stanford, Sullivan).
Ausg.: Tudor Church Music II (Byrd), IV (O. Gibbons),
VIII (Th. Tomkins), hrsg. v. P. C. Buck, E. H. Fellowes,
A. Ramsbotham, R. R. Terry, S. Townsend Warner,
London 1922-28 ; W. Byrd, GA X, hrsg. v. E. H. Fellowes,
London 1948.
Lit.: E. H. Fellowes, Engl. Cathedral Music, London
1925, 21943; G. Reese, Music in the Renaissance, NY
(1954), 21959; P. le Huray, Towards a Definitive Study
of Pre-Restoration Anglican S. Music, MD XIV, 1960; D.
Stevens, Tudor Church Music, London 1961.
Sesquialtera (lat. sesqui = semique und altera, »zwei
und dieHalfte«, griech. ■t]y.i6\io<;, -*■ Hemiole), Bezeich-
nungsfragment f Lir proportio s., die -> Proportion (- 2)
3:2. S. heiBt: - 1) die Quinte; - 2) in der -+ Men-
suralnotation die Verkiirzung in der Proportion \ ; sie
wird zuweilen miBverstandlich nur durch eine vorge-
zeichnete 3 gefordert. S. und Hemiole werden in der
Notierung unterschieden, indem die S. mit Proportions-
zeichen und normalen Noten, die Hemiole mit -* Co-
lor (- 1) geschrieben wird. - 3) als Orgelstimme (auch
Sesquialter) eine gemischte Stimme, zumeist zweifach,
bestehend aus Quinte 22/3' und Terz Vis', auch 51/3'
und 31/5' oder IV3' und 4 / 5 ' (dann auf c repetierend).
Lit. : zu 2) : M. Br. Collins, The Performance of Colora-
tion, S., and Hemiola (1450-1750), Diss. Stanford Univ.
(Calif.) 1963, maschr., Teildruck in: JAMS XVII, 1964.
Sevilla.
Lit. : J. Matute y GavIria, Hijos de S., 2 Bde, S. 1886-87 ;
S. de la Rosa y Lopez, Los seises de la catedral de S., S.
1904; R. M. Stevenson, La musica en la catedral de S.,
1478-1606, Los Angeles 1954.
Sext (lat. hora sexta) -> Terz, Sext, Non.
Sextakkord, in der GeneralbaBlehre jeder durch ei-
ne 6 iiber oder unter dem BaBton geforderte, aus Terz
und Sexte bestehende Akkord (nach der Vorzeichnung,
in C dur also auch d-f-h). In der dur-moll-tonalen
Harmonielehre ist der S. die 1. Umkehrung des Dur-
bzw. Mollakkords. Diese ist, isoliert betrachtet, konso-
nant. Im musikalischen Zusammenhang kann der S. je-
doch auch auffassungsdissonant werden (die Sexte als
Vorhalt vor der reinen Quinte, z. B. d-fis-h/d-iis-a).
Sexte (lat. sexta, sechste), die 6. Stufe in diatonischer
Folge, auch Umkehrung der -*■ Terz. Die musikalische
Praxis kennt die S. als groB, klein,
vermindert und iibermaBig. Die :
musikalische Akustik kennt die gro-
Be und kleine S. als natiirlich (3:5 und 5:8), pythago-
reisch (1 6 : 27 und 81:1 28) und gleichschwebend tempe-
riert ( 3 /4 und 2 / 3 der Oktave). - Die S., die in der ein-
stimmigen Musik der Antike und des Mittelalters als
-»• emmelisches Intervall gewertet wurde, erscheint in
der Klassifikation der Intervalle bei Johannes de Gar-
landia und Franco von Koln als -* Discordantia (bei
Garlandia ist die groBe S. discordantia media und im-
870
Shout
perfecta, die kleine S. discordantia media, bei Franco
die groBe S. discordantia imperfecta, die kleine S. dis-
cordantia perfecta; CS I, 105b und 129b). Die bis zur
Mitte des 16. Jh. giiltige Deutung der S. als unvollkom-
mener Konsonanz (-> Konsonanz und Dissonanz - 1)
besagt, daB die S. im mehrstimmigen Satz zwar not-
wendig und wohlklingend sei, aber, zumindest am
SchluB eines Abschnitts, in eine vollkommene Konso-
nanz aufgelost werden sollte. Als Norm gilt fiir die
groBe S. die in der -> Klausel unerlaflliche Weiterfiih-
rung zur Oktave, fiir die kleine S. die Auflosung in die
Quinte. Entscheidenden Anteil an der Anerkennung
der S. als vollgultiger Konsonanz hatte ihr Gebrauch
im -> Fauxbourdon und -*■ Faburden des 15. Jh., in
dem die AuBenstimmen oft iiber langere Strecken in
S.n-Parallelen gefiihrt sind. -> Dorische S., -» French
sixth, ->■ German sixth, -> Neapolitanische S., -> Sixte
ajoutee, -> Sextakkord.
Sextett (ital. sestetto; frz. sextuor; engl. sextet), eine
Komposition fiir 6 obligate Stimmen, die Vereinigung
von 6 Instrumental- oder Vokalsolisten oder (in der
Oper) ein Ensemble von 6 handelnden Personen mit
Orchesterbegleitung (z. B. in Mozarts Don Giovanni,
Finale des 2. Akts). Boccherini erprobte neben dem
Streichquintett als erster auch das Streich-S.; er fand
Nachfolger in Brahms (op. 18 und 36), Dvorak (op.
48), Reger (op. 118) und Schonberg (Verklarte Nacht
op. 4). Wechselnde Besetzungen zeigt das Blaser-S.,
z. B. 2 Ob., 2 Klar., 2 Fag., oder - wie in der Suite Mlddi
(»Jugend«) von Janacek - Fl. (auch Piccolo), Ob., Klar.,
BaBklar., Horn und Fag. Seltener ist das Klavier-S.
(Mendelssohn Bartholdy, op. 110; Pfitzner, op. 55).
S.e, deren Besetzung und Satz durch die Hinzufiigung
von 2 Hornern zum ->■ Streichquartett gekennzeichnet
sind, riicken in die Nahe des -> Divertimentos (- 1 ;
z. B. W.A.Mozart, »Dorfmusikanten-S.«£m musikali-
scher Spafi, K.-V. 522; ahnliche Werke von J.Haydn
u. a.) bzw. der -> Serenade und legen meist mehrfache
Besetzung der Streicherstimmen nahe.
Sextole (Sechser; ital. sestina; frz. und engl. sexto-
let), eine fiir 4 Noten eintretende Figur von 6 Noten
gleicher Form. Die Ausfiihrung als doppelte ->■ Triole
(2x3 Noten) oder Triole mit Unterteilung (3x2 No-
ten) ist aus der Notierung oft nicht eindeutig abzu-
lesen; haufig fordert die Schreibung in S.n, daB Bin-
nenakzente unterbleiben sollen, in der Violinmusik,
daB 6 Noten auf einem Strich gespielt werden sollen.
Beethoven notiert im Largo (4/4-Takt) des Klavier-
konzerts C dur op. 15 dreigeteilte Achtel als Triolen
(Takt 22), zweigeteilte Achteltriolen als S.n (Takt 99).
Sextus (lat. der Sechste; auch sexta vox, lat. sechste
Stimme; ital. sesto) -> Quintus.
sf, sfz, Abk. fur -> sf orzato (ital.) bzw. sf orzando ; sff z,
Abk. fiir sf orzatissimo ; sfp, Abk. fiir sforzato piano.
sforzato (ital.), verstarkt, seltener sforzando; Abk.:
sf, sfz, auch fz (f orzato) oder fiir starkere Akzente ff z,
sffz (sforzatissimo), forciert, d. h. stark betont, eine Be-
zeichnung, die stets nur fiir den Ton oder Akkord gilt,
bei dem sie steht. Das Sf . hat nur eine relative Starkebe-
deutung, d. h. im Piano soil es nicht starker als poco
forte oder mezzoforte sein. Seit dem 19. Jh. werden sf
und rinforzato (-*■ rinforzando) oft gleichgesetzt. sfp,
Abk. fiir sforzato piano, bedeutet sf mit darauffolgen-
dem Piano.
's-Gravenhage -> Den Haag.
Shake (Jeik, engl.) -»> Triller. - Im 17. Jh. unterschie-
den die Englander zwischen Sh.d graces (»getrillerte«
Verzierungen, mit wiederholten Trillerbewegungen,
wie Sh.d backfall, Close und Open sh., Sh.d elevation
u. a.) und Smooth graces (»flieBende« Verzierungen, mit
auf- und absteigenden melodischen Bewegungen wie
Backfall, Beat.Elevationu. a.);zudenletzterengehorten
die verschiedenen Arten der Vor- und Nachschlage.
Shanty (J'aenti, chanty, chantey, engl., wahrscheinlich
von frz. chanter, singen), ein Seemanns- bzw. Arbeits-
lied der Seeleute der Handelsschiffahrt zur Zeit der Se-
gelschiffe. Bevorzugte Themen sind Heim- und Fern-
weh, Abenteuer, Hafenliebe, Seenot und Seemanns-
garn. Die Strophen werden vom Vorsanger gesungen,
der Refrain von alien. Der musikalische Rhythmus ent-
spricht dem Rhythmus der seemannischen Arbeitsvor-
gange (Ankerhieven, SegelheiBen, Pumpen). Begleit-
instrument ist gelegentlich die Ziehharmonika. Zu den
bekanntesten Shanties gehort The Banks of Sacramento.
In neuerer Zeit ist der Sh. als Schlager wieder aufgelebt.
Ausg. u. Lit.: H. Schacht, Plattdutsche Schipperleeder,
Hbg 1903; R. R. Terry, Sailor Sh., ML I, 1920; C. Fox
Smith, A Book of Sh., London 1927; W. B. Whall, Sea-
songs and Sh., Glasgow 1927; H. Whates, The Back-
ground of Sea Sh., ML XVIII, 1937; K. Tegtmeier, Alte
Seemannslieder u. Sh., Hbg o. J. ; A. Stuebs, Whisky John-
ny. Songs u. Sh. v. London Town bis Mobile Bay, Bad Go-
desberg (1958); Sh. from the Seven Seas, hrsg. v. St. Hu-
gill, London u. NY 1961.
sharp (Ja:p, engl., scharf, hoch), unter den -*■ Akzi-
dentien das Zeichen fiir die Erhohung (#). ImEnglischen
werden durch den Zusatz sharp zu den Tonbuchstaben
Tonnamen und Tonartenbezeichnungen angegeben,
z. B. C sharp (major oder minor) = Cis (dur oder moll).
Sheng (Jen, chinesisch) '->Mundorgel.
Shimmy (J'imi, engl., Herhd), dem -> Foxtrott ver-
wandter Gesellschaftstanz amerikanischer Herkunft,
der nach dem 1 . Weltkrieg auf kam und 1 920/21 Mode-
tanz wurde. Man erklarte den Namen des Sh. mit sei-
ner charakteristischen Bewegung, die aussieht, ah seien
die Tanzer bemuht, die Hemden von den Schultern abzu-
schiitteln (Riemann, Musik-Lexikon, 11 1929). Die Musik
steht im <£- oder 2/4-Takt und gehort der Gattung des
-> Ragtime an; das Tempo ist etwa J = 96. Ein be-
kannter Sh. war Kitten on the Keys von Zes Confrey
(noch im 4/4-Takt notiert). Ein Beispiel fiir den Sh. in
der Kunstmusik bietet die Klaviersuite »1922« op. 26
von Hindemith.
Sho (Jo:,japanisch) -^Mundorgel.
Shout, Shouting (Jaut, engl., lautes Schreien, Ru-
fen), Bezeichnung fiir eine Gesangsart der amerikani-
schen Neger. Charakteristisch fiir den Sh. ist das an-
dauernde Umkreisen eines Haupttons mit schriller
Stimme, wobei sich als die hervorstechenden melodi-
schen Intervalle Blue notes und -> Dirty tones einstel-
len. Das ekstatische Sh.-Singen fand ursprunglich bei
religiosen Anlassen, dann u. a. in Verbindung mit
-*■ Negro spirituals statt, wobei der Gruppengesang
durch FuBstampfen und Handeklatschen begleitet und
haufig die Beteiligten zu gemeinsamen, dem Tanz an-
genaherten Bewegungen hingerissen wurden. Beim
Ring-sh. gehen die Sh.-Sanger, mit vorgehaltenen Han-
den den -> Beat (- 1) klatschend, in einem Kreis herum.
Die emphatische Singweise des Sh. gibt es aufierdem
im Sh.ed worksong, Sh.ed spiritual oder Sh.ed blues.
Der fiir den Sh. typische anhaltende Wechsel zwischen
Hauptton und Blue notes begegnet auch im instrumen-
talen Musizieren der amerikanischen Neger und ge-
langte von hier aus in den friihen Jazz, besonders in die
Praxis des Kornettspiels, weshalb der Sh. als einer der
Ausgangspunkte fiir die -»• Hot-Intonation des Jazz an-
gesehen wird.
871
Si
Si, im romanischen Sprachgebiet Name fur den Ton
H, der nach Zacconi (1622) durch Anselm von Flan-
dern, nach F.Swertius (1628) durch Waelrant einge-
fiihrt sein soil. Diese eindeutige, unveranderliche Be-
zeichnung wurde notwendig, als man zur Umgehung
der Mutation im 16./17. Jh. mehtund mehr die Hexa-
chordeinteilung der -> Solmisation zugunsten des Ok-
tavsystems aufgab. Andere Vorschlage jener Zeit fur
den Ton H waren: Bi, Ci, Di, Ni, Ba, Za.
Siciliano (sit|ilj'a:no, ital., auch siciliana; frz. sicilien-
ne), ein seit dem spaten 17. Jh. bekanntes, der ->• Pa-
storale nahestehendes Instrumental- oder Vokalstiick
im 6/8- oder 12/8-Takt i n wi egender Bewegung, hau-
fig mit dem Rhythmus JJ2 > meist in Moll. Ob der
S. aus Sizilien stammt, ist nicht eindeutig nachgewie-
sen. Schon im 14. Jh. werden in der Literatur vokale
Ciciliane erwahnt (z. B. bei Giovanni da Prato 1389),
von denen jedoch weder Text noch Melodie bekannt
sind. Seit dem friihen 16. Jh. sind vereinzelt Arie sici-
liane uberliefert (zuerst bei Petrucci 1505, spater z. B.
von G. Stefani 1622 und C. Milanuzzi 1625) mit Texten
in Ottave siciliane (->• Strambotto), ohne eigene musi-
kalische Form. Die f iir den S. charakteristischen Merk-
male werden erst um 1700 greifbar, z. B. in der Aria
alia siciliana aus Scarlattis Kantate Una belta ctieguale
(nach Dent, S. 148) :
^r iyj pr~rp i J prpr
Bel - la ,se vuoiperte far-mi lan-gui-rf
Arien dieses Typus finden sich haufig in italienischen
Opern und Kantaten des 17./18. Jh., gelegentlich mit
der Bezeichnung -> Allegro, der die Angabe entspricht,
daB (nach BrossardD) der S. zusammen mit Forlanes de
Venise und Gigues angloises zu den danses gayes gehorte,
dont Fair va en sautant. Nach WaltherL (Artikel Can-
zonetta) gehoren die Sicilianischen Canzonetten zu den
Giquen-Arten. In den Tanzlehrbuchern wird der S . nicht
beschrieben. Auffallend an den Arien alia siciliana ist
das haufige Auftreten des Neapolitanischen Sextak-
kords, der als ein Merkmal des sizilianischen Volksge-
sangs gilt (Dent, S. 147fL). Nach 1700 scheinen die S.-
Arien allgemein ein langsameres Tempo angenommen
zu haben. Unter Handels Arien ist der S., zwar nur sel-
tennamentlichbezeichnet (Amadigi, 1715; Semele, 1744;
Susanna, 1749), als Typus jedoch haufig, meist Larghet-
to, aber auch Largo und Largo assai iiberschrieben. Der
instrumentale S. ist seit dem friihen 18. Jh. in der Kla-
vier- und Ensemblemusik uberliefert, gelegentlich auch
ohne den punktierten Rhythmus. Wie die Tempobe-
zeichnungen in den S.-Arien Handels, so weist auch das
« F, jm rn
,h'-J. 3 J J ' J=
nwr vf t =
i
attfr^tor
^^
J. S. Bach, S. aus der Sonate Es dur fiir
Quer-Fl. und Cemb., BWV 1031.
Musikschrif ttum um 1750 auf das langsame Tempo des
S.s hin (iiber die Art seiner Ausfiihrung schreibt Quantz
Versuch XIV, 22). Langsame instrumentale Siciliani
finden sich auBer bei J. S.Bach auch z. B. bei Handel,
Padre Martini, W.Fr.Bach und noch am Ende des 19.
Jh. bei Faure. Die schnelle Sicilienne in Meyerbeers
Robert le diable hat auBer dem 6/8-Takt mit dem S. des
18. Jh. nichts gemein.
Lit.: E. Dent, A. Scarlatti, London 1905, 21960; A. Lo-
renz, A. Scarlatti's Jugendoper, 2 Bde, Augsburg 1927 ; O.
Tiby, II problema della »siciliana« dal Trecento al Sette-
cento, Bollettino del Centro di studi filologici e linguistic!
siciliani II, 1954; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich-
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959.
Sieb -> Filter.
Siena.
Lit.: R. Marocchi, La musica in S., S. 1886; L. Cellesi,
Storia della piu antica banda mus. senese, S. 1906; S. A.
Luciani, La musica in S., S. 1942; Accad. Mus. Chigiana,
hrsg. v. A. Damerini u. G. Roncaglia, S. 1959; K. v. Fi-
scher, Die Rolle d. Mehrstimmigkeit im Dome v. S. zu Be-
ginn d. 13. Jh., AfMw XVIII, 1961 ; ders., Das Kantoren-
amt am Dome v. S. zu Beginn d. 13. Jh., Fs. K. G. Fellerer,
Regensburg 1962.
Sifflote (von frz. sifflet, Pfeife) ist in der Orgel ein zy-
lindrisch offenes Labialregister zu 1', auch 11/3' oder 2 ,
von scharfzeichnendem Klang.
Sight (sait, engl., Anblick) bezeichnet im 15. Jh. die
charakteristische Ausfiihrungsweise des improvisierten
englischen -»• Discantus, wobei die Tone jeder zum
Plainsong gesungenen Stimme (mene, treble, quatreble ;
auch countir, countertenor und faburdon) nicht in
ihrer real erklingenden Hone gelesen, sondern trans-
poniert im Tonbereich des Plainsong vorgestellt wer-
den. Gelehrt wird diese Praxis in den englischen Dis-
kanttraktaten der 1. Halfte des 15. Jh. (Richard Cutell,
L.Power, Anonymus Pseudo-Chilston ; ferner die
Anonymi in Brit. Mus., Add. 21455, und Cambridge,
Corpus Christi College, Ms. 410; auch bei J.Hothby,
Guilelmus Monachus und N. Burtius) ; Power bestimm-
te seinen Traktat fiir syngers, or makers, or techers. - Es
handelt sich beim S. um die Lesung (»Sichtung«) der.
nur imaginierten (Power: to ymagine), in Relation zum
notierten Plainsong stehenden Noten der Gegenstim-
men. Zu jeder Stimme gehort - durch die ihr zugeord-
neten konkordanten Intervalle (acordis) zum Plain-
song - ein bestimmter Skalenausschnitt (degree) ; die
genau festgelegten, die Mitte jeder Stimmlage markie-
renden Anfangs- und SchluB-Acordis sind gleich dem
unveranderlichen Transpositionsintervall zwischen
wirklich erklingendem (in voice) und nur vorgestelltem
(in s.) Ton. Der Mene (die 2. Stimme, -> Meane) z. B.
hat als mogliche Acordis in voiceEinklang, Terz, Quin-
te, Sexte, Oktave (selten Dezime), die bei vorgeschrie-
bener Quinttransposition in s. als Unterquinte, Unter-
terz, Einklang, Sekunde, Quarte, (Sexte) zum Plain-
song gedacht werden. So beginnt der Mene-Sanger
real eine Quinte iiber dem Plainsong, denkt diesen Ton
aber als Unisonus. Ebenso erklingen alle f olgenden vor-
gestellten Tone eine Quinte hoher. Die Acordis des ok-
tavtransponierenden Treble (Power liest alle Stimmen
im treble s.) sind in voice Quinte, Sexte, Oktave, De-
zime, Duodezime ; fiir einen Sanger mit groBem Stimm-
umfang auch Unisonus, Terz, Tredezime und Doppel-
oktave. Der dezimentransponierende Quatreble kann
die Oktave, Dezime, Duodezime, Tredezime und Dop-
peloktave zum Plainsong singen; er ist nichts anderes
als der oktavversetzte Mene, hat die gleichen Acordis
in s. wie dieser und wird von Knaben ausgefiihrt. -
Das Verfahren des S. beruht also auf einer Trennung
von Klangraum und Vorstellungsraum jeder improvi-
872
Singakademie
sierten Stimme. Klanglich ist z. B. das Ergebnis eines
4st. Diskantierens mit Mene, Treble und Quatreble ein
Satz im Raume zweier Oktaven mit Wechsel von per-
fekter und imperfekter Klangqualitat, bei dem wegen
der Wahlfreiheit der Acordis in den sich iiberschnei-
denden Intervallbereichen Stimmkreuzung moglich
ist und keineswegs eine bloBe Parallelbewegung resul-
tiert. In der Vorstellung der Ausfiihrenden aber sind
hier alle 3 Diskantstimmen in einen normalerweise
durch Unterquinte und Oberquinte zum Plainsong be-
grenzten Tonraum projiziert.
Vorstellungsraum Klangraum
Die kleineren Intervalle in s. konnen jetzt auf dem Vier-
liniensystem des als Mitte gedachten Plainsong abgele-
sen werden. Dies erleichtert die Stegreifausfuhrung der
Diskantstimmen (so begriindet der lateinische Anony-
mus, Brit. Mus., Add. 21455, f. 9-10', die Einf iihrung
der S.-Lesung) und die einheitliche Wahl der Akzi-
dentien. Die relativ geschlossene Systematik der drei
von alien Traktaten im wesentlichen iibereinstimmend
beschriebenen hauptsachlichen S.s, die samtlich in voice
iiber dem C. f. liegen, wird durchbrochen von den bei
Pseudo-Chilston gelehrten S.s des Countertenor, Coun-
tir und Faburdun. Diese erklingen teilweise (counter-
tenor) .oder ganz (countir, faburdun) unter dem Plain-
song und transponieren daher - wenn iiberhaupt - in
umgekehrter Richtung. Dabei reicht der Countertenor
in s. (= in voice, also ohne Transposition und so ohne
eigentliche S.-Lesung) von der Unter- bis zur Ober-
oktave des Plainsong. Der Countir dagegen benotigt
2 S.s: Natural s. (Einklang bis Unteroktave in voice)
mit Quinttransposition, also eine Spiegelung des Mene;
Alterid s. fur sehr tiefe Lage (Dezime bis Doppelokta-
ve unter dem C. f.) mit Duodezime als Transpositions-
intervall, also eine Spiegelung des Quatreble. Der S.
des Faburdun endlich (-»■ Faburden) mit Quinttranspo-
sition und Unisonus sowie Oberterz in s., d. h. Unter-
quinte sowie Unterterz in voice bedingt einen stark
parallelgefuhrten Satz mit Mene-Plainsong und dazu
oberquartparallelem, aber ohne S.-Lesung ausgefiihr-
tem Treble. - Die Terminologie ist in den Traktaten
nicht durchweg eindeutig. So kann S. sowohl die eine
Transposition einschlieBende Leseweise (bei Power:
ymaginacion) der Einzelnoten, das Diskantieren mittels
des S.-Prinzips, den Raum einer durch einen bestimm-
ten S. gekennzeichneten Stimme, wie auch diese Stim-
me selbst meinen. Ebenso kann Degree den Tonraum
einer Stimme, diese Stimme selbst, aber auch den S.-
Raum einer Stimme bedeuten.
Lit. : J. Hawkins, A General Hist, of the Science and Prac-
tice of Music I, London 1 776; Ch. Burney, A General Hist,
of Music II, London 1782; Riemann Mth; S. B. Meech,
Three XV tt -Cent. Engl. Mus. Treatises . . ., Speculum X,
1935; M. F. Bukofzer, Gesch. d. engl. Diskantsu. d. Faux-
bourdons nach d. theoretischen Quellen, = Slg mw. Abh.
XXI, StraCburg 1936; ders., Studies in Medieval and Re-
naissance Music, NY 1950; ders. in: The New Oxford
Hist, of Music HI, London 1960; Thr. G. Georgiades,
Engl. Diskanttraktate aus d. 1 . Half te d. 1 5. Jh., = Schrif-
tenreihe d. Mw. Seminars d. Univ. Miinchen III, Munchen
1937; J. Wolf, Early Engl. Mus. Theorists, MQ XXV,
1939; S. W. Kenney, »Engl. Discant« and Discant in Eng-
land, MQ XLV, 1959; H. H. Carter, A Dictionary of
Middle Engl. Mus. Terms, = Indiana Univ. Humanities
Series XLV, Bloomington (1961). RB
Signale, Signalmusik. Schallgerate zum Signalge-
ben werden bei fast alien Naturvolkern benutzt, in
Hochkulturen nachweisbar schon im alten Orient, vor
allem bei derjagd (-> Jagdmusik), im Kriegswesen und
bei kultischen und hofischen Zeremonien. Benutzt
werden Instrumente, auf denen rhythmische Signale
gegeben werden konnen (Schlaginstrumente wie Am-
boB, Glocken und Trommeln), oder Instrumente mit
groCer Schallkraft wie Horner (Muschelhorner in der
Siidsee, Holztrompeten, Luren im germanischen Al-
tertum, Tuba, Cornu, Bucina und Lituus in der romi-
schen Antike). Bei der altjudischen Chazozra wurden 3
Grundsignale unterschieden - teqi'a (langer Ton) , teru'a
(geschmetterter Ton) und shebarim (2 abwechselnde
Tone) - und zu groBeren Signalen zusammengestellt.
Im Hochmittelalter wurden mit dem Aufkommen von
Metallblasinstrumenten (Busine, spater Trompete), die
mehr als einen Naturton geben konnten, die Signale
musikalisch reichhaltiger. Festgelegte Signale gab es
fiir Fiirsten und Stadte, spater fiir die Post sowie be-
sonders in der Militarmusik. Altenburg nennt 1795
fiinf Signale (Feldstiicke, -*■ Feldmusik) fiir die Ka-
vallerie: Boute-selle (Satteln), a Cheval (Aufsitzen),
Marche oder Cavalquet (Marsch), Retraite (Ruckkehr
oder Abzug, Ruhe), a l'Etendart (Zur Standarte). Im
Exerzierreglement von 1847 fiir die preuBische Infan-
terie sind 23 Signale fiir Signalhorn verzeichnet. Bei
Staatsbesuchen wird noch heute der »Generalmarsch«
geschlagen. - Signale und Fanfaren haben in Kompo-
sitionen verarbeitet u. a. Beethoven in der Schlacht bei
Vittoria (->■ Battaglia), Tschaikowsky im Capriccio
italien und Bizet in Carmen.
Lit. : J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur he-
roisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795, NA
Dresden 1911, Nachdruck Bilthoven 1966; E. Gerson-Ki-
wi, Artikel Musique (dans la Bible), in : Dictionnaire de la
Bible, Suppl. V.Paris 1957.
Signum (lat., Zeichen). Das Wort s. bzw. der Plur.
signa benennt musikalisch u. a. : altgriechische Noten-
zeichen (Boethius, De institutione musica IV, 5, ed.
Friedlein, S. 316) ; die Dasia-Zeichen (Musica Enchiria-
dis, GS I, 153a); die Buchstaben-Tonzeichen (signa
monochordi oder signa vocum bei Ph. de Vitry, CSM
VIII, 16ff.); die Noten- und Pausenzeichen der Men-
suralnotation (figurae) ; den Strich oder Punkt in ver-
schiedener Bedeutung (->■ Punctus - 2) ; die Mensur-
vorzeichnung (um 1400 signa mensurae, daneben auch
signa extrinseca vel non essentialia genannt, Pr. de Bel-
demandis, CS III, 214ff.), und zwar fiir die Prolatio (s.
prolationis), das Tempus (s. temporis) und den Modus
(s. modi), auch die aus der Notierung selbst ohne be-
sondere Zeichen ersichtlichen Andeutungen der Men-
sur, z. B. auch mittels -»■ Color (- 1 ; signa intrinseca vel
essentialia bei Pr. de Beldemandis, signa implicita bei
Glareanus, Dodekachordon, S. 203) ; die Versetzungszei-
chen (signa semitonia designantia bei Ph. de Vitry, CS
III, 26a, und noch 1756 bei Mozart Versuch, S. 41:
X = S. intensionis, \> = S. remissionis, i\ = S. restitutio-
nis); die GeneralbaBbezifferung (Praetorius Synt. IIL,
S. 146) ; nach WaltherL auBerdem den Bindebogen (S.
connexionis), die Fermate (S. quietis), den Custos (S.
continuationis), den SchluBstrich (S. conclusionis) ; das
Wiederholungszeichen (S. repetitionis, BrossardD).
sjmile (ital., ahnlich, in gleicherWeise) -»- Abbre via-
turen (- 6).
Sinfonia (ital.) ->■ Ouvertiire, -*■ Symphonic
Sinfonia concertante (sinfon'i : a kontjert'ante, ital.)
-> Symphonie concertante.
Singakademie, eine 1791 in Berlin gegriindete Ver-
einigung von Musikliebhabern, die ihre Chorproben
in der Akademie der Kiinste abhielten. 1827 zog die S.
in ein eigens fiir sie errichtetes Gebaude. Die ersten Di-
873
Singbewegung
rektoren der S. waren C.Fr.Fasch, C.Fr.Zelter, C.Fr.
Rungenhagen, E.Grell. Im friihen 19. Jh. entstanden
ahnliche Singvereine in Frankfurt an der Oder durch
E.Petersen und C.W.Spieker (1815), in Frankfurt am
Main durch J.N. Schelble (1818) und in Breslau durch
J.Th.Mosewius (1825). In den Konzerten der Berliner
S., die nach Art der -> Akademie des 18. Jh. offentlich
oder im engeren Kreis gegeben wurden, bestimmten
neben a cappella-Werken die Oratorien von Handel,
Haydn, Mendelssohn Bartholdy, das Requiem von
Mozart, Der Todjesu von C. H. Graun, aber auch Kan-
taten Bachs die Programme. 1829 dirigierte F.Men-
delssohn Bartholdy die erste Neuauffiihrung der Mat-
thauspassion von Bach. Die S. widmete sich fast aus-
schlieBlich geistlichen Chorwerken, nahm aber im Sin-
ne des liberalen Bildungschristentums nicht am kirch-
lichen Leben teil. In der 2. Halfte des 19. Jh. stand die
S. der musikalischen Romantik und vor allem der Neu-
deutschen Schule ablehnend gegeniiber. Erst unter G.
Schumann, nach 1900, wurden auch die Chorwerke
von Bruckner, Liszt, Reger, Verdi beachtet.
Lit. : J. Th. Mosewius, Die Breslauische S. in d. ersten 25
Jahren ihres Bestehens, Breslau 1 850 ; M. Blumner, Gesch.
d. S. zu Bin, Bin 1891 ; D. Kawerau, Sacularfeier d. S. zu
Bin, Bin 1891 ; R. Groeper, 120 Jahre Stadtische S. Frank-
furt/Oder, Die Musikpflege VI, 1935; G. Schunemann,
Die S. zu Bin, Regensburg 1941; Die Sing-Akad. zu Bin, Fs.
zum 175jahrigen Bestehen, hrsg. v. W. Bollert, Bin 1966;
M. Geck, Die Wiederentdeckung d. Matthauspassion im
19. Jh., = Studien zur Mg. d. 19. Jh. IX, Regensburg 1967.
Singbewegung -> Jugendbewegung.
Singende Sage (engl. musical saw), ein Reibidiophon
(->■ Friktionsinstrumente), das in den ersten Jahrzehn-
ten dieses Jahrhunderts vor allem im Zirkus und auf
Varietebiinnen Verwendung fand; von ihrem Erfinder
(Fredrich, Berlin) wurde sie erstmals 1928 in einem
Symphoniekonzert der Staatsoper unter E.Kleiber als
Soloinstr. vorgefiihrt. Die S. S. ist eine gewohnliche
Holzsage, deren Blatt zwischen den Knien gehalten
und mit einem Streichbogen angestrichen wird. Die
Tonhohe wird durch entsprechendes Biegen des Sage-
blatts reguliert. Der Klang ist langgezogen und ein-
dringlich weinerhch.
Lit. : K. Gentil, Das »Flex a tone« u. d. »S. S.«, Acustica
VII, 1957.
Single relish (s'irjgl I'elif, engl.), Name einer Ver-
zierung in der Lautenmusik des 17. Jh. ; -> Doppel-
schlag.
Singspiel, allgemein ein gesprochenes, meist heiteres
Theaterstuck mit musikalischen Einlagen (vor allem
Lieder, aber auch mehrstimmige Satze und Tanze) ; es
verwendet im Unterschied zur Oper, die auch eigene
musikalische Gattungenhervorbrachte (Rezitativ, Arie,
Ensemble), die vorhandene und meist mehr volkstiim-
liche Musik der Zeit. - Unter Bezeichnungen wie Farsa
oder Commedia con musica (seit dem 15. Jh.), Entre-
mes.Zarzuela (seit der 1 . Halfte des 17. Jh.), Tonadilla (seit
Mitte des 18. Jh.) u. a. verbergen sich in Spanien die
verschiedenartigsten ernsten und heiteren, dichterischen
und volkstiimlichen singspielartigen Stiicke. In Italien
pflegte man wahrend des 16. Jh. in die pastoralen
Favole boscareccie und in ahnliche dramatische Dar-
bietungen Villotten bzw. Madrigale einzulegen. Den
SchluB bildete haufig eine -> Moresca. In England
pflegten die Komodiantentruppen und die »englischen
Instrumentisten« (schon 1586 erwahnt) eine Art S. mit
Liedeinlagen; hieraus ging die englische -»• Ballad ope-
ra hervor, die in der Beggar's Opera (1728) von Gay
und Pepusch Beriihmtheit erlangte. In Frankreich leg-
ten die von Ludwig XIV. engagierten italienischen Steg-
reifkomodianten den Grund fur die spatere Opera-
comique, die dann fiir das deutsche S. vorbildlich wur-
de. Bald spielte man nicht mehr in italienischer, sondern
in f ranzosischer Sprache ; als Musikeinlagen verwendete
man StraBenlieder (-*■ Vaudeville). A.R. Le Sage, der
Dichter des Gil Bias, schuf seit 1712 viele solcher S.e
(Theatre de la Foire, Amsterdam 1723-64). Auch in
Deutschland gab es vielerlei Formen des Sprechtheaters
mit Musikeinlagen, von der Stegreifkomodie bis zum
Schuldrama derjesuiten. H.Sachs undJ.Ayrer (f 1665
zu Niirnberg) schrieben Fastnachtsspiele und »Singets-
spile«. NochbisEnde des 17. Jh. wurden bei alien Schau-
spielen Stegreifstiicke und Schwanke als Zwischenspie-
le eingeschoben. Die »Singecomodien« wurden im 17.
Jh. zu einem (allerdings sehr weiten) Begriff. Erst durch
die starke Ausbreitung der italienischen Oper brach ge-
gen Ende des 17. Jh. diese Entwicklung ab. Als S.e be-
zeichnete man nun auch Ubersetzungen italienischer
oder franzosischer Opern, die oft mit gesprochenem
Dialog aufgefiihrt wurden, und gelegentlich auch
deutsche Opern, die wahrend der kurzen Zeit einer
deutschsprachigen Oper in Hamburg (1693-1738) ent-
standen. In all den genannten Formen des singspiel-
artigen Theaters fiihrte die Verbindung von Theater
und Musik zu keiner selbstandigen und geschichtlich
wirksamen Gattung.
Als musikalisches Vorbild fiir das S. war vor allem die
italienische Opera buffa wirksam, die auch den ent-
scheidenden Impuls zurEntstehung der Opera-comique
gegeben hatte. Zu den Voraussetzungen des deutschen
S.s gehorten auch die englische -»■ Jig des 16./17. Jh.
(komische Dialoge, unterbrochen durch populare Me-
lodien und Tanze als AbschluB einer Theaterauffuh-
rung), die durch englische Komodianten in Deutsch-
land bekannt wurde, sowie Liedersammlungen (-> Spe-
rontes). Den eigentlichen AnstoB zur Entstehung des
deutschen S.s gab 1743 in Berlin die Auffiihrung der
ins Deutsche iibertragenen Ballad opera The Devil to
Pay (»Der Teufel ist los«) von -> Coffey; eine zweite
Bearbeitung von Chr.F. WeiBe mit Musikstiicken von
J. G. StandfuB fand 1752 in Leipzig groBen Anklang.
Durchschlagenden Erfolg errang erst die dritte Bear-
beitung, zu der J. A. -> Hiller 1766 teilweise neue Mu-
sik schrieb. Damit und durch seine weitere Wirksam-
keit ist Hiller zum Schopfer des deutschen S.s gewor-
den, dessen wesentliche Merkmale Prosadialog und
volkstumlich-einfache Melodik sind. Das S. konnte
namlich zunachst nicht wie die Oper mit ausgebildeten
Sangern rechnen. Die Musik, die bei Hiller mehr Raum
einnahm als f riiher, bestand vornehmlich aus liedhaf ten
Arietten, mitunter aus grofieren Arien, spater auch aus
Ensembles (Duette, Terzette, Quartette). Den SchluB
bildete regelmaBig ein dem Vaudeville nachgebildeter
Rundgesang mit Chor. Vorbild blieb musikalisch und
textlich die Opera-comique; mehrere Stiicke von Ch.
->■ Favart wurden fiir das S. iibersetzt. Das riihrende
Genre laid das romantische Element drangen auf die-
sem Weg in das S. ein. Die Stoffe waren meist dem
Landleben entnommen und hatten oft sentimental-
biirgerlichen Charakter bis zum Hausbackenen und
Philistrosen. An Komponisten sind vor allem Chr.G.
Neefe, der eine mehr romantische Richtung yertrat
und als einer der ersten das -»■ Melodram in das S. ein-
fiihrte (Adelheid von Veltheim, 1780), J. Fr. Reichardt
mit seinen -» Liederspielen, G.Benda (z. B. Der Dorf-
jahrmarkt, 1775; Romeo und Julia, 1776) und J. Andre zu
nennen, der im selben Jahr wie Mozart die Entfuhrung
komponierte. Hervorzuheben sind Goethes Versuche
(1773-85), dem S. textlich ein hoheres Niveau zu geben
(z. B. Erwin undElmire;Jery undBdtely mit Musik von
Reichardt). Vom S. mit angeregt wurde auch die Idee
874
Skene
einer deutschen Oper. Zentrum des S.s war zunachst
Leipzig, bis eine Neubelebung durch das auf GeheiB
Josephs II. ins Leben gerufene Wiener »National-S.«
erfolgte, das im Jahr 1778 mit I.Umlauffs Bergknappen
eroffnet wurde. Bodenstandige Traditionen (Mario-
nettenoper) und Elemente und Typen der Opera buff a,
auch der Ope'ra-comique, verbanden sich hier. An der
Vorgeschichte des Wiener S.s ist auch J.Haydn durch
seinen Neuen krummen Teufel (1758) auf den Text von
Kurz-Bernardon beteiligt. Fur die S.e von K.Ditters
v.Dittersdorf (z. B. Doktor und Apotheker, 1786), Fl.
GaBmann und J. Schenk (z. B. Dorfbarbier, 1796) war
vor allem die Opera buffa Vorbild. Lediglich in der
Melodik bewahrte die Musik einen volkstiimlichen
Zug spezifisch siiddeutscher Pragung. Dennoch hatten
wahrend des lOjahrigen Bestehens des »National-S.s«
die in deutscher Obersetzung als S.e gegebe-
nen Operas-comiques und Opere buffe das
Obergewicht gegeniiber den »Original-S.n«.
Das Wiener Zauber-S. wurde vor allem von
P. Wranitzky (t 1808) und W. Miiller (f 1 835)
gepflegt. An Kauers Donauweibchen (1795)
konnte die Operette unmittelbar anknupf en. -
W. A. Mozart griff mit seinem ersten S. Bastien
und Bastienne (1768) auf Rousseaus bekannten
Devin du village zuriick, der den AnstoB zur
Entstehung der Opera-comique gegeben hat-
te. Erst in der unvollendet gebliebenen Zaide (1779)
suchte Mozart, die musikalischen Gattungen der
Opera buffa der deutschen Sprache und den Moglich-
keiten des S.s anzupassen. Uber Mozarts Die Entfiihrung
aus dem Serail (erste Auffiihrung am 16. Juli 1782 in
Wien) schrieb Goethe (Italienische Reise, Bericht vom
November 1787): Alles unset Bemiihen . . .gingverloren, ah
Mozart auftrat. Die Entfiihrung aus dem Serail schlug alles
nieder . . . Ein S. oder eine -> Operette, wie man da-
mals auch sagte, aus der Gattung der Zauberposse bzw.
»Maschinenkomodie« ist auch Mozarts Zauberflote
(1791). Ein Anknupf en an diese musikalisch unerreich-
baren Werke war nicht moglich, wie deutlich Goethes
Plan und P. v. Winters Versuch zeigen, einen zweiten
Teil der Zauberflote zu schreiben. Diese Situation, die
weder innerhalb der Opera-comique noch in der Ope-
ra buffa eine Parallele hat - beide Gattungen fiihren
bruchlos ins 19. Jh. - wurde entscheidend fur das S.
Es fiihrte nach Mozart unmittelbar zur deutschen ro-
mantischen Oper C.M.v.Webers (Der Freischiitz,
1821), H.Marschners, L. Spohrs u. a. sowie zu den
»Spielopern« von A.Lortzing, andererseits zu den wie-
der mehr dem Schauspiel zuneigenden und im Wiener
Volkstheater wurzelnden Stiicken F. Raimunds und J.
Nestroys und endlich zur Wiener Operette von J.
StrauB Sohn und seinen Nachfolgern. In dieser Spal-
tung der Tradition (romantische Oper - Operette) ist
im Keim die Trennung von ernster und leichter Musik
enthalten, die auch nicht mehr durch E. v. Wolzogens
1910 propagierte Erneuerung des S.s iiberbruckt wer-
den konnte.
Lit. : J. Fr. Reichardt, Ober d. deutsche komische Oper,
Hbg 1 774; Chr. M. Wieland, S. u. Abh., in: Samtliche Wer-
ke XXVI, Lpz. 1794-1802; H. M. Schletterer, Das deut-
sche S. v. seinen ersten Anfangen bis auf d. neueste Zeit,
= Zur Gesch. dramatischer Musik u. Poesie in Deutsch-
land I, Augsburg 1863; J. Minor, C. F. Weisse, Innsbruck
1 889 ; J. Bolte, Die S. d. engl. Komodianten . . . , = Thea-
tergeschichtliche Forschungen VII, Hbg 1 893 ; Fr. Bruck-
ner, G. Benda u. d. deutsche S., SIMG V, 1903/04; G. Cal-
mus, DieS. v. Standf uB u. Hiller, = BIMG II, 6, Lpz. 1 908; R.
Haas, Einleitung zur Ausg. v. Umlauffs »Bergknappen«,
in: DTO XVIII, 1, 191 1 ; E. Bottcher, Goethes S. »Erwin
u. Elmire« u. »Claudine v. Villa Bella« u. d. »opera buffa«,
Marburg 1912; J. Maurer, A. Schweitzer als dramatischer
Komponist, = BIMG II, 11, Lpz. 1912; H. Abert, W. A.
Mozart I, Lpz. 1919, C1955) ; R. Krott, Die S. Schuberts,
Wien 1921 ; V. Helfert, Zur Gesch. d. Wiener S., Zf Mw V,
1922/23 ; T. Krogh, Zur Gesch. d. danischen S. im 18. Jh.,
Kopenhagen 1924; A. Luthge, Die deutsche Spieloper,
Brunswick 1924; A. Schertng, Zwei S. d. Sperontes, ZfMw
VII, 1924/25; Adler Hdb. II, S. 749ff.; L. Schiedermair,
Die deutsche Oper, Lpz. 1930, Bonn u. Bin 3 1943; O.
Beer, Mozart u. d. Wiener S., Diss. Wien 1932, maschr.;
H. Graf, Das Repertoire d. offentlichen Opern- u. Sing-
spielbiihnen in Bin seit d. Jahr 1 77 1 , Bin 1 934; W. Stauder,
J. Andre, Lpz. 1936, u. AfMf 1, 1936; K. Wesseler, Unter-
suchungen zur Darstellung d. S. auf d. deutschen Biihne d.
18. Jh., Diss. Koln 1955, maschr. StK
Sinusschwingung (von lat. sinus, Krummung), ei-
ne -»■ Schwingung mit sinusformigem Verlauf. Die
Form der Sinuskurve laBt sich anschaulich als Projek-
tion einer gleichformigen Kreisbewegung vorstellen.
Ein sich auf einer Kreisbahn gleichmaBig f ortbewegen-
der Punkt erreicht nach einer bestimmten Zeit (durch
den Phasenwinkel q> angegeben) eine bestimmte Hohe
h. Markiert man den Betrag dieser Hohe (Auslenkung)
iiber den entsprechenden, auf einer horizontalen Zeit-
achse aufgetragenen Zeiten, so erhalt man eine Sinus-
kurve. Fiir Horversuche und MeBzwecke werden S.en
auf elektronischem Wege (-> Generator) erzeugt. Mu-
sikinstrumente erzeugen fast nie reine S.en, sondern
komplexe, zusammengesetzte Schwingungsvorgange
(-*■ Frequenzspektrum). Oberhaupt sind reine S.en
musikalisch ziemlich bedeutungslos, da der von ihnen
ausgeloste Horeindruck farblos ist.
Lit.: H. Husmann, Einfuhrung in d. Mw., Heidelberg
(1958) ; F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Akustik, Bin,
Gottingenu. Heidelberg 1950,31961.
Sirene (von griech. Seiprjv [damonisches Wesen mit
verzauberndem Gesang] iiber lat. Siren und frz. sirene),
Bezeichnung fiir eine Vorrichtung zur Schallerzeu-
gung, bei der ein Luftstrom durch eine perforierte, ro-
tierende Scheibe periodisch unterbrochen wird. Die
Grundfrequenz des dabei entstehenden Schwingungs-
vorgangs laBt sich sehr genau als Prpdukt der Anzahl
der Locher auf der Scheibe und deren Umdrehungszahl
pro sec errechnen. Daher wurde die S. zunachst vor-
zugsweise zur Frequenzbestimmung verwendet. Erste
Versuche mit S.n wurden von Ch. C. de la Tour (1819),
A.Seebeck, G. S.Ohm und spater von H.W.Dove,
H.v.Helmholtz und K.R.Konig angestellt (Doppel-
S.). Eine besondere Form der S. ist die Photo-S., wie
sie z. B. J.F. Schouten fiir seine Versuche verwendete.
Bei ihr wird ein Lichtstrahl von einer gelochten oder
mit bestimmten SchwingungsformenversehenenPapp-
scheibe moduliert, bevor er eine Photozelle trifft, die
dann einen Verstarker mit Lautsprecher steuert. Die S.,
hauptsachlich als Signalinstrument im Warndienst be-
kannt, findet gelegentlich auch musikalisch Verwen-
dung, so bei Hindemith (Kammermusik Nr 1, 1921),
E.VareseundH.Badings (Photo-S.).
Lit. : G. S. Ohm, t)ber d. Definition d. Tones, nebst daran
geknupfterTheorie d. S. u. ahnlicher tonbildenderVorrich-
tungen, Poggendorff's Annalen d. Physik u. Chemie LIX,
1 843 ; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
.... Braunschweig 1863, '1913, Nachdruck Hildesheim
875
Sirventes
1967; J. F. Schouten, Die Tonhohenempfmdung, Philips
Technische Rundschau V, 1940; H. Badings u. J. W. de
Bruyn, Elektronische Musik, ebenda XIX, 1957/58.
Sirventes (altprov., auch sirventese, sirventesca; alt-
frz. serventois; von lat. servire, dienen), s. v. w. Dienst-
lied der Trobadors und Trouveres, ein Lied im Dienst
einer offentlichen oder personlichen Sache oder Mei-
nung (moralisch oder politisch; Riige und Sittenkritik,
Belehrung, Lob usw.). Die Kreuzzugslieder (u. a. Pax!
in nomine Domini von -*■ Marcabru) sind meist S. Die
S. haben keine bindende Vers- und Strophenform; et-
wa 200 sind erhalten. Sie wurden meist auf Melodien
bekannter Kanzonen gesungen.
Lit. : W. Nickel, S. u. Spruchdichtung, = Palaestra LXIII,
Bin 1907 ; J. Storost, Ursprung u. Entwicklung d. altprov.
S. bis auf B. de Born, = Romanistische Arbeiten XVII,
Halle 193 1 ; E. Winkler, Studien zur politischen Dichtung
d. Romanen I, Das altprov. S., Bin 1941 .
Sister ->■ Cister.
Sistrum (lat.; griech. aetaTpov, »etwas Geschiittel-
tes«), antikes Klingelinstrument, das in Agypten seit
Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. (Mittleres Reich) im
Kult der Himmelsgottin Hathor nachgewiesen ist und
spater, vom Isiskult iibernommen, im ganzen grie-
chich-romischen Kulturraum bekannt wurde (Isis-
rassel). Die altesten bekannteii Bilddarstellungen finden
sich jedoch nicht in Agypten, sondern in Mesopota-
mien (Ur und Akkad, 2600/2400 v. Chr.). Das Alte Te-
stament erwahnt das S. unter dem Namen mena'anim
(II. Sam. 6, 6). An Hauptformen lassen sich unterschei-
den: Naos-S. (der Rahmen ist einem Tempelchen
[griech. va6^, agyptisch seschescht] nachgebildet), Bii-
gel-S., Rahmen-S. und Hufeisen-S. In diese Rahmen,
die auf einem Handgriff sitzen, sind (meist 3) Metallsta-
be eingelassen, die sich beim Schiitteln hin und her be-
wegen oder, wenn sie festsitzen, mit diinnen, gegenein-
ander klappernden Metallscheibchen versehen sind. In
der koptischen Liturgie ist das S. (als tnasin, tsanatsel)
noch heute in Gebrauch und wird ahnlich verwendet
wie die MeBglockchen im katholischen Ritus. Einf ache-
re Formen des S.s aus Holz und Fruchtschalen sind im
schwarzen Afrika weit verbreitet (Kalebassen-S. wa-
samba) . In der mittelhochdeutschen Dichtung wird ein
S. einmal erwahnt (Ulrich v. Eschenbach, Alexander,
um 1287), jedoch ist damit wohl das Triangel gemeint.
- Das aus dem griechischen Unteritalien bekannt ge-
wordene sogenannte »Apulische S.«, im 16.-18. Jh.
auch einfach »S.« genannt, ist ein Xylophon.
Lit. : J. Quasten, Musik u. Gesang in d. Kulten d. heidni-
schen Antike u. christlichen Friihzeit, = Liturgiegeschicht-
liche Quellen u. Forschungen XXV, Munster i. W. 1930;
L. Klebs, Die verschiedenen Formen d. S., Zs. f. Sgypti-
sche Sprache u. Altertum LXVII, 1931; Fr. J. Dolger,
Klingeln, Tanz u. Handeklatschen im Gottesdienst d.
christlichen Melitianer in Agypten, in: Antike u. Christen-
tum IV, 4, Munster i. W. 1934; Fr. W. Galpin, The Music
of the Sumerians and Their Immediate Successors, the
Babylonians and Assyrians, London 1937,Neudruck = Slg
mw. Abh. XXXIII, StraBburg 1955; E. Kolari, Musik-
instr. u. ihre Verwendung im Alten Testament, Helsinki
1947; H. Hickmann, The Rattle-Drum and Marawe-
S., Journal of the Royal Asiatic Soc. 1950; ders., Musico-
logie pharaonique, = Slg mw. Abh. XXXIV, Kehl 1956;
ders., Agypten, = Mg. in Bildern II, 1, Lpz. o. J. (1961).
Sitar (persisch, Dreisaiter; indisch auch tritantri vina),
Langhalslaute persischen Ursprungs (zur Gruppe der
Tar-Instrumente gehorend; -> Tar), die heute in Nord-
indien zu den wichtigsten Instrumenten gezahlt wird.
An einem birnenformigen Corpus aus Holz oder Kiir-
bis mit kleinen Schallochern ist ein flacher Hals mit
16-20 beweglichen Biinden befestigt. Die Zahl der Me-
tall-, seltener Darmsaiten, kann heute unterschiedlich
von 3 auf 4 und 7 erhoht werden. Das S. wird mit Plek-
trum gezupft, gelegentlich auch mit Bogen gestrichen.
Lit.: C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indonesiens,
Bin 1915, 21923, Nachdruck d. 1. Auflage Hilversum 1967.
Sixte ajoutSe (sikst ajut'e, frz., hinzugefiigte Sexte),
Terminus von J.Ph.Rameau fiir die als charakteristi-
sche Dissonanz dem Dur- oder Molldreiklang hinzu-
gefiigte groBe Sexte. Die Interpretation dieses Akkor-
des (z. B. f-a-c-d) ist in der Musiklehre umstritten.
Nach Rameaus Lehre von der -> Basse fondamentale
hat er doppelte Bedeutung; Rameau spricht in Geni-
ration harmonique (Paris 1737) von double emploi. In be-
zug auf die Tonika ist er Grundakkord (-»■ Subdomi-
nante) : die Quinte bleibt liegen, wahrend die Sexte (als
Dissonanz) stufenweise zur Terz der Tonika hinauf-
geht. In bezug auf die Dominante dagegen ist er Um-
kehrung des Septakkordes der 2. Stuf e : die Sexte bleibt
liegen, wahrend sich die Quinte (als Dissonanz) in die
Terz der Dominante auflost. Die -> Stuf enbezeichnung
versteht ihn nur als Quintsextakkord der 2. Stufe. Die
Funktionstheorie sieht in ihm stets einen Akkord mit
Subdominantfunktion (Funktionssymbol nach Rie-
mann S6). Sie kann sich dabei auf M.Hauptmann be-
rufen, der 1853 darauf aufmerksam machte, daB das
Interval! a-d in C dur eine andere Rolle spielt als etwa
in D moll. Der Sextakkord f-a-d ist in C dur eine Auf-
fassungsdissonanz, da a (Terz der Subdominante) undd
(Doppeldominante) keine reine Quarte bilden. Ist da-
her der Akkord f-a-c-d tonartlich auf C bezogen, so
ist f stets Grundton und d dissonanter Zusatz zum Drei-
klang der Subdominante. Eine vermittelnde Stellung
nimmt die Harmonielehre von R. Louis und L. Thuille
(1907) ein, in der die doppelte Bedeutung des Akkordes
im Sinne Rameaus wieder auflebt. Auch die Erkennt-
nis, daB der zur Dominante g gef iihrte Akkord f-a-c-d
zwei Funktionen in sich schlieBt (Subdominante und
Wechseldominante), scheint auf dieses Buch zuruckzu-
gehen. Am Ende der dur-moll-tonalen Epoche findet
sich der Dreiklang mit S. a. auch als SchluBakkord mit
Tonikafunktion (z. B. in G.Mahlers Lied von der Erde,
letzter Satz). Diese Verwendungsmoglichkeit hat die
Unterhaltungsmusik aufgegriffen.
Sixtinische Kapelle (Cappella Sistina) ist der Name
einer Kapelle im Vatikanpalast in Rom, die durch Papst
Sixtus IV. 1483 geweiht wurde. Da die offentlichen
papstlichen Gottesdienste fortan vorzugsweise hier
stattfanden, ging die Bezeichnung auch auf das (seit
1378 nachgewiesene) papstliche Sangerkollegium iiber
(^- Kapelle). Es bestand im 15. Jh. aus 14-24 Sangern,
neben Italienern vor allem Franko-Flamen; im 16. Jh.,
als die Zahl der Sanger auf 30 stieg, kamen Spanier hin-
zu. Ober die Tatigkeit der S.n K. und ihre Verfassung
unterrichten die ab 1535 erhaltenen, von einemjahrlich
neu gewahlten Punctator gefiihrten Tagebiicher sowie
die 1545 fixierten Constitutiones (Ms. Rom, Bibl. vat.,
Capp. Sist. 611). Dem Kollegium stand das Recht zu,
iiber die Aufnahme neuer Sanger (die Geistliche sein
sollten) nach einer Pruning ihres Konnens selbst zu ent-
scheiden. Die im Alter - spatestens nach 25 Dienstjah-
ren - entpflichteten Sanger blieben als Giubilati Mit-
glieder der S.n K. Da die S. K. bis in neuere Zeit keine
Kapellknaben aufnahm, wurden ab 1588 fiir die So-
pranpartien Kastraten zugelassen. An Komponisten,
die der S.n K. angehorten, seien Dufay und Josquin ge-
nannt. Palestrina, der 1555 fiir ein halbes Jahr (obgleich
verheiratet) als Sanger aufgenommen worden war,
blieb ihr von da an bis zu seinem Tode als besoldeter
Compositore verbunden; dieses Amt ging dann auf F.
Anerio iiber, wurde jedoch nach dessen Tode in eine
neue Sangerstelle umgewandelt. Einige MitgUeder der
876
Slendro
S.n K. gehorten zugleich zu den Musici secreti, denen
die auBergottesdienstlichen (d. h. auch weltlichen) Mu-
sikauffuhrungen am papstlichen Hofe iibertragen wa-
ren. Auch nach dem 16. Jh. genossen die Auffiihrungen
der S.n K., vor allem in der Karwoche, hochstes An-
sehen. Ihre Palestrina-Pflege und die rein vokale Auf-
fiihrungsweise pragten das neuere a cappella-Ideal. Ein
groBer Teil der Chorbiicher der S.n K. ist in der vati-
kanischen Bibliothek erhalten, zusammen mit denen
der Cappella Giulia, die am Petersdom von Papst Six-
tus IV. am 1. 1. 1480 gestiftet und von Papst Julius II.
1512 neu geordnet wurde. Sie sollte aus 12 Sangern
und 21 Scholares (Kapellknaben) bestehen, hat aber
diese Zahlen oft nicht erreicht und blieb bis zum 19.
Jh. im Rang hinter der S.n K. zuriick.
Lit.: Fr. X. Haberl, Bausteine f. Mg., 3 Bde, Lpz. 1885-
88; E. Celani, I cantori della cappella pontificia, RMI XIV,
1907; R. Casimiri, I diari sistini, Note d'arch. I, 1924 -
XVII, 1940; A. De Angelis, D. Mustafa ..., Bologna
1926; H.-W. Frey, Michelagniolo u. d. Komponisten sei-
ner Madrigale, AMI XXIV, 1951; ders., Regesten zur
papstlichen Kapelle . . ., Mf VIII, 1955 - IX, 1956; ders.,
Die Gesange d. S. K. ... 1616, in: Melanges E. Tisserant
VI, Rom 1964; J. M. Llorens Cister6, La Capilla Ponti-
ficia en las fiestas . . . (1 534-49), in : Cuadernos de trabajos
de la Escuela Espanola de historia y arqueologia en Roma
VIII, 1956; ders., Miniaturasde V.Raymond . . .,in:Mis-
celinea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; H.
Hucke, Die Besetzung v. S. u. A. in d. S. K., ebenda.
Sizilien.
Lit.: L. Mastrigli, La Sicilia mus., Bologna 1891, Triest
1935; D. Di Pasquale, L'organo in Sicilia dal s. XIII al
XX, Palermo 1929; O. Tiby, Antichi musicisti siciliani,
Arch. stor. siciliano, N. S. LIV, 1934; ders., La scuola poli-
fonica siciliana dei s. XVI e XVII, Kgr.-Ber. Luneburg
1950, engl. in: MD V, 1951 ; F. Mompellio, P. Vinci madri-
galista siciliano con un'appendice su i madrigalisti siciliani,
Mailand 1937; F. Pastura, I grandi musicisti siciliani,
Catania 1938; M. Tedeschi, I canti sacri popolari della
Sicilia, ebenda 1939; C. Naselli, Strumenti da suono e
strumenti da musica del popolo siciliano, Arch. stor. per
la Sicilia orientale IV, 1952; G. Policastro, Musica e
teatro nel '600 nella provincia di Catania, RMI LV, 1953;
H. Angles, La musica sacra medievale in Sicilia, Bol-
lettino del Centro stor. filologico e linguistico siciliano
III, 1955 ; A. Favara, Corpus di musiche popolari siciliane,
hrsg. v. O. Tiby, 2 Bde, = Accad. di scienze, lettere e arti,
Palermo, Atti IV, Suppl., 1957; F. E. Raccuglia, La Si-
cilia e la musica, in : Conservatorio di Musica V. Bellini,
Palermo 1960/61.
Skala (lat. scala, Treppe) ->■ Tonleiter.
Skalden (altnordisch skald, Dichter) heiCen die nord-
germanischen Dichter und Vortragskiinstler, die als
Gef olgsleute - auch als »f ahrende Sanger« - an den mit-
telalterlichen norwegischen und islandischen Fursten-
hofen lebten. Die seit der Mitte des 9. Jh. iiberlieferte
Skaldik, die einen letzten Hohepunkt im 13. Jh. erreich-
te, ist neben Edda und Saga der dritte groBe Bereich
altnordischer Dichtkunst. In ihrem Mittelpunkt steht
das Preislied, mit der Drapa als groBerer (beliebtester)
Form, deren 3teilige Folge kunstvoller Drottkvaett-
Strophen (4 zwolfsilbige Langzeilenverse mit Wechsel
von Binnenreim und Assonanz, dazu mit -> Stabreim
und klingender Kadenz; starke Zasur in der Strophen-
mitte) ein durch mehrfachen Refrain (stef) gegliedertes
Mittelstiick (stefjubilkr) aufweist; das kleine Preislied
(flokkr) ist ohne Refrain. Auf eine Verbindung des
skaldischen Vortrags mit Musik konnte die mogliche
etymologische Ableitung des Wortes drapa von alt-
nordisch drepa, schlagen (Saiten schlagen), hinweisen.
Auf einer bis ins Mittelalter zuriickreichenden miind-
lichen Tradition beruhen wahrscheinlich die von J.B.
de Laborde 1780 in zeitgenossischem Gewand verof-
fentlichten 5 Melodien zuEdda- und Sk.-Strophen.
Lit. : J. B. de Laborde, Essai sur la musique ancienne et
moderne II, Paris 1780, S. 397ff. ; F. J6nsson, Den norsk-
islandske Skaldedigtning, 4 Bde, Kopenhagen u. Christi-
ania 1912-15 ; R. Meissner, Die Kenningar d. Sk., Bonn u.
Lpz. 1921; A. Heusler, Die altgermanische Dichtung,
= Hdb. d. Literaturwiss., Bin (1923), Potsdam P1941),
Nachdruck Darmstadt 1957; J. Muller-Blattau, Mus.
Studien zur altgermanischen Dichtung, DVjs. Ill, 1925;
Die jiingere Edda mitd. sogenannten ersten grammatischen
Traktat, tlbertragung v. G. Neckelu. F. Niedner, = Thule.
Altnordische Dichtung u. Prosa XX, Jena 1 942 ; J. de Vries,
AltnordischeLiteraturgesch., = GrundriBd.germanischen
Philologie XV/XVI, I Bin 21964, II Bin u. Lpz. 1942; D.
Hofmann, Die Frage d. mus. Vortrags d. altgermanischen
Stabreimdichtung in philologischer Sicht, Zs. f. deutsches
Altertum XCII, 1963; ders. u. E. Jammers, Zur Frage d.
Vortrags d. altgermanischen Stabreimdichtung, ebenda
XCIV, 1965; E. Jammers, DerVortragd. altgermanischen
Stabreimverses in mw. Sicht, ebenda XCIII, 1964. - K. v.
See, Skop u. Skald, Germanisch-romanische Monatsschrif t
XIV, 1964.
Sketch (sketj, engl., Skizze), ein sehr kurzer, stark mi-
misch pointierter Einakter, ein Dramolett mit einer
kleinen Anzahl handelnder Personen, vor allem als Ein-
lagenummer im Variete und Kabarett. Als Sk. bezeich-
nete Hindemith seine auf einen Text von M. Schiffer
komponierte Kurzoper Hin und zuriick (1927).
Skiffle (skifl, engl.), eine hausliche Geselligkeit der
Neger in den USA (house-rent party), bei der volks-
tiimlicher Jazz gespielt wurde, auch mit einfachen In-
strumenten wie Mundharmonika und -> Washboard.
An Besetzung und Spielweise lehnten sich um 1955 vor
allem in England, aber auch in Deutschland Sk. groups
an, die eine besonders einfache Art von -> Rhythm
and blues oder auch Schlager spielten.
slargando (ital.) -*■ allargando.
Slendro, diejavanische Bezeichnung fiir die 5stufige
(durch Halbierung der Stufen auch lOstufige) Tonlei-
ter, in der neben -> Pelog in Java und Bali musiziert
wird (->■ Patet). Da im -*■ Gamelan Instrumente mit
fester Stimmung verwendet werden, konnten durch
Tonmessungen an ihnen die Verhaltnisse dieser Leiter
bestimmt werden. So stellten u. a. Ellis (1884) und J.
Kunst nach Messungen und statistischer Auswertung
der Ergebnisse fest, daB es sich um eine 5stufig tempe-
rierte, aquidistante Leiter (Intervalle je um 240 Cent)
handelt bzw. um eine Leiter, bei der gleiche Intervalle
angestrebt werden. Die tonpsychologischen Folgerun-
gen zogen u. a. C.Stumpf und Husmann; eine volker-
kundlicheErklarung fiir dieEntstehung einer urspriing-
lichen Temperatur versuchte v.Hornbostel mit der
->■ Blasquinten-Theorie zu geben. Aus dem Gebrauch
des SI. in der Praxis scheint jedoch hervorzugehen, daB
es sich nicht um eine aquidistante Leiter handelt, son-
dern daB die verschiedenen Sl.-Leitern in der Regel 2
Stufen enthalten, die groBer als die anderen sind (Hood) .
Auf Java gilt SI. als die mannliche, kraftvolle, glanzen-
de Tonart; nach der Mythologie ist sie alter als Pelog,
was jedoch von der Forschung nicht bestatigt wurde. -
In der Musikwissenschaft wird die Bezeichnung SI.
auch fiir die 5stufig temperierte Leiter iiberhaupt ver-
wandt, wie sie fiir Gebiete Westaf rikas und, heute durch
das 22stufige Tonsystem uberdeckt, ursprunglich fiir
Indien angenommen wird (Husmann).
Lit.: A. J. Ellis, Tonometrical Observations on Some
Existing Non-Harmonic Scales, Proceedings of the Royal
Soc. 1 884, deutsch v. E. M. v. Hornbostel in : Sammelbde
f. vergleichende Mw. I, Munchen 1922; M. F. Bukofzer,
The Evolution of Javanese Tone-Systems, Kgr.-Ber. NY
1939 ; J. Kunst, Music in Java I, Den Haag 1949; M. Hood,
The Nuclear Theme as a Determinant of Patet in Javanese
Music, Groningen u. Djakarta 1954; H. Husmann, Ein-
877
Slide trumpet
ffihrung in d. Mw., Heidelberg (1958); ders., Grundlagen
d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961 ; J. M.
Barbour, MiBverstandnisse fiber d. Stimmung d. javani-,
schen Gamelans, Mf XVI, 1963.
Slide trumpet (slaid u'Ampit, engl.) -> Zugtrom-
pete.
Slowakei-*- Tschechoslowakei.
Slowenien.
Ausg. : E. Korytko, Slovenske pesmi kranjskega naroda
(»Slowenische Lieder d. krainischen Volkes«), 5 Bde, Lai-
bach 1839-44; K. Strekelj, Slovenske narodne pesmi
(»Slowenische Volkslieder«), 4 Bde, ebenda 1895-1923.
Lit.: P. v. Radics, Frau Musica in Krain, Laibach 1877;
Ph. Elze, Die slowenischen protestantischen Gesangbfi-
cher d. XVI. Jh., Venedig 1884; Fr. RakuSa, Slovensko
petje v preteklih dobah (»Das slowenische Lied in d. Ver-
gangenheit«), Laibach 1890; A. Trstenjak, Slovensko
gledalisce (»Das slowenische Theater«), ebenda 1892; J.
Grafenauer, Lepa Vida. Studija o izvoru, razvoju in raz-
kroju narodne balade o Lepi Vidi (». . . Studium v. Ur-
sprung, Entwicklung u. Entfaltung d. Volksballade v. d.
Lepa Vida«), ebenda 1943 ; Dr. Cvetko, Odmevi glasbene
klasike na Slovenskem (»Echo d. mus. Klassik in Sl.«),
ebenda 1955; ders., Mozarts EinfluB auf d. slowenische
Tonkunst . . . , Mozart- Jb. 1956/57; ders., The Renaissance
in Slovene Music, Slavonic Rev. XXXVI, 1957; ders.,
Zgodovina glasbene umetnosti na Slovenskem (»Gesch. d.
Musik in SI.«) I, Laibach 1958 ; ders., Les formes et les re-
sultats des efforts musicologiques yougoslaves, AMI XXXI,
1959; L. S. Jankovic, La situation actuelle de l'ethnomu-
sicologie en Yougoslavie, AMI XXXII, 1960.
Slowfox (sl'orfaks, engl.), auch Slow-Foxtrot,
— > Foxtrott.
Soest (Westfalen).
Lit. : H. Gocke, Der Orgelbau in d. Kreisen S. u. Arnsberg
v. MA bis zum ausgehenden 18. Jh., KmJb XXX, 1935;'
W. MOller, Geschichtliche Entwicklung d. Musikpflege
in S., Emsdetten i. W. 1938; M. Behler, S. Musikleben
seit 1933, Mk XXXI, 1938/39; L. Prautzsch, Das S.er
Gloria u. d. Turmmusik auf St. Petri, = S.er wiss. Beitr.
XIII, S. 1958.
Soggetto (soddj'etto, ital. , lat. auch subjectum, -> Sub-
jekt), der thematische Vorwurf eines kontrapunktischen
Werkes. In der Definition Zarlinos (1558) ist S. »dieje-
nige Stimme, auf Grund welcher der Komponist die
Erfindung f iir die Gestaltung der anderen Stimmen der
Komposition gewinnt« (quella parte, sopra la quale il
Compositore caua la inuentione difar le altre parti della can-
tilena; III, Kap. 26) ; der S. ist »Stoff« (materia) des Wer-
kes. Er kann vorgegeben, auch einer f remden Kompo-
sition entnommen, oder neu erf unden sein und kann als
C. f. oder als Cantus figuratus auftreten. Im 17./18. Jh.
wird vorzugsweise das -*■ Thema der Fuge und ver-
wandter Gattungen S. genannt (z. B. Frescobaldi, Ilpri-
mo libro di capricci, canzon franzese e recercari, fatti sopra
diversi soggetti . . ., 1626). - S. cavato (von ital. cavare,
herausnehmen, schopfen) ist ein Thema, das gewonnen
wird, indem Silben oder Buchstaben eines Namens
oder Mottos als Solmisationssilben oderTonbuchstaben
gelesen und in Noten gesetzt werden, so daB im The-
ma ein Wortsinn versteckt liegt. Musterbeispiel f iir den
S. cavato ist der von Zarlino (III, Kap. 66) erwahnte, in
Josquins Messe Hercules Dux Ferrariae (um 1505) ver-
wendete »aus den Vokalen dieser Worte geschopfte
Tenor « {Tenore . . . cauato dalle vocali di queste parole):
m
Her
cu
ut
les
Fer
ri - ae
Dux
ut re fa mi re
Das zugrunde liegende Prinzip wurde bereits im 11.
Jh. von Guido von Arezzo (Micrologus, Cap. XVII) be-
nutzt. Belege fur die Praxis des S. cavato aus spaterer
Zeit sind Themen wie BACH (vielfach verarbeitet),
ABEGG (R. Schumann, op. 1).
Lit.: A.Thurlings, Die soggetti cavati dalle vocali in Hul-
digungskompositionen ..., Kgr.-Ber. Basel 1906; H.
Zenck, Zarlinos »Istitutioni harmoniche« als Quelle zur
Musikanschauung d. ital. Renaissance, ZfMw XII, 1929/
30; W. Gurlitt, J. Walter u. d. Musik d. Reformations-
zeit, Luther- Jb. XV, Munchen 1933; L. Schrade, Von d.
»Maniera« d. Komposition in d. Musik d. 16. Jh., ZfMw
XVI, 1934; K. H. Holler, G. M. Bononcini's »Musico
prattico«, = Slg mw. Abh. XLIV, StraBburg u. Baden-
Baden 1963.
Sol, in der mittelalterlichen ->■ Solmisation die 5. Silbe
des Hexachords (im Sinne von g, c oder d) ; in romani-
schen Sprachen Name f iir den Ton G.
Soldatengesang spiegelt inhaltlich Kriegserlebnisse
wider und gibt der Sehnsucht nach Familie und Heimat,
auch dem Frohsinn und Humor Ausdruck. Musika-
lisch herrscht Marschrhythmus vor; beliebt sind dane-
ben innige Weisen. Durch Zersingen und Zusammen-
flicken von Text und Musik zeigt manches Lied merk-
wiirdige Varianten (vgl. Kehrreim zum »Guten Ka-
meraden«). - Im Landsknechtslied Gott gnad dem grofi-
mechtigen keiser frumme, Maximilian! (1518) verbindet
sich freie Psalmodie mit Marschrhythmus. Der Sieg bei
Pavia (1525) machte den »Pavierton« beriihmt; Wir
zogen in das Feld (1540) ist noch lebendig. Im Neder-
Landtschen Gedenck-Clanck (1626) erschienen Wilhelmus
von Nassawe und Bergen op Zoom. Vor der Schlacht bei
Liitzen (1632) wurde Verzage nicht, du Hauflein klein an-
gestimmt. Beriihmt sind Prinz Eugen (Eroberung Bel-
grads 1717) im 5/4-Takt und Marlbrouk s'en va-t-en
guerre. Humor zeigt Maria Theresia, zeuch nicht in den
Krieg. In den Befreiungskriegen vertonte C.M. v. We-
ber Th.KornersLtiteoiM wilde verwegenejagd. Aus dem
1. Weltkrieg erhielt sich Argonner Wald um Mitternacht;
aus spaterer Zeit: Blaue Dragoner, sie reiten; Heifi ist die
Liebe (Lied der roten Husaren, H.Lons und O.Koch) ;
Ob's stiirmt oder schneit; Schwarzbraun ist die Haselnufi;
Erika: Auf der Heide bliiht ein kleines Blumelein (H. Niel) ;
Markische Heide; Wir lagen vor Madagaskar (Just Scheu).
Ausg. u. Lit.: A. Valerius, Neder-Landtsche Gedenck-
Clanck, Haarlem 1626; R. v. Liliencron, Die hist. Volks-
lieder d. Deutschen v. 13.-16. Jh., 4 Bde, Lpz. 1865-69; E.
Freytag, Hist. Volkslieder d. sachsischen Heeres, Dresden
1893 ; Klabund, Das deutsche Soldatenlied . . . , Munchen
1 91 5 ; J. Meier, Das deutsche Soldatenlied im Felde, StraB-
burg 1 9 1 6 ; E. Schroeder, Das hist. Volkslied d. 30jahrigen
Krieges, Diss. Marburg 1916, maschr.; Weltkriegslieder-
slg, Dresden 1926; G. Heydemarck, Soldatenlieder, Bin
1 929 ; J. Voelker, Der deutsche Soldat in seinen Liedern u.
Reimen, Stettin 1929; R. Gottschtng, Das Soldatenlied,
= Mus. Formen in hist. Reihen XX, Bin (1937); W. Han-
sen, Das Soldatenlied, in: Die deutsche Soldatenkunde,
hrsg. v. B. Schwertfeger u. E. O. Volkmann, Lpz. 1937 ; Das
neue Soldatenliederbuch, hrsg. v. Fr. J. Breuer, 3 Bde,
Mainz (1938-41) u. 6. ; W. Danckert, GrundriB d. Volks-
liedkunde, Bin 1939; Liederbuch d. Bundeswehr, Wolfen-
bfittel, Rodenkirchen u. Bad Godesberg 1958; W. Elbers,
Das deutsche Soldatenlied im 1. Weltkrieg u. seine publi-
zistische Bedeutung, Diss. Miinsteri.W. 1963. GKa
Soled (andalusische Sprachf orm von kastilisch soledad,
Einsamkeit; Plur. soleares), ein zum Cante jondo
(->■ Flamenco) gehoriger andalusischer Tanz und Ge-
sang, derElemente von hebraisch-arabischer Zigeuner-
musik in sich auf genommen hat. Der Text handelt von
Einsamkeit und Verlassenheit ; er beginnt haufig mit
dem Klageruf »ay« und besteht aus mehreren Strophen
mit je 3 oder 4 achtsilbigen gereimten oder assonieren-
den Versen. Die S. steht im 3/8-Takt (Allegrettotempo)
in Moll mit SchluBmodulation zur Durparallele. Ver-
schiedene Komponisten von -*■ Zarzuelas haben So-
leares in ihre Stiicke eingestreut.
878
Solmisation
Solesmes (Sarthe), Benediktinerabtei, gegr. 1010,
eine der hervorragendsten Arbeitsstatten auf dem Ge-
biete der Geschichte und Theorie des Gregorianischen
Gesangs.
Lit.: N. Rousseau OSB, L'ecole gregorienne de S. 1833—
1910, Tournai 1910; H. Quentin, Notice hist, sur l'abbaye
de S., Tours 1925; M. Blanc, L'enseignement mus. de S.,
Paris 1953. -* Denkmaler, Frankreich 2.
Solfa-»-Tonic-Solfa.
Solfege (saK'e:3, frz.; ital. solfeggio, von mittellat.
solfizare, das nach den Tonsilben sol, fa gebildet ist),
seit dem 18. Jh. in Italien und Frankreich die Bezeich-
nung fiir eine umfassende musikalischeElementarlehre,
die von der -»■ Solmisation ausgeht. Auf der Grundlage
von Singiibungen verbindet die S.-Methode eine in-
tensive Schulung von Gehor, musikalischem Vorstel-
lungsvermogen und rhythmischem Empfinden und
vermittelt zugleich eine grundlegende Einfiihrung in
die Terminologie und Bedeutung aller musikalischen
Zeichen. - Daneben heiBen S.s (Solfeggien) auch die im
Zusammenhang mit der italienischen Verzierungspra-
xis entstandenen virtuosen Stimmubungen auf Vokale
(ital. vocalizzi; frz. vocalises), die noch in der heutigen
Gesangspadagogik zur technischen Grundausbildung
des Sangers gehoren. Schon P.Fr.Tosi empfahl in sei-
nen Opinioni de' canton (1723) ausdrucklich die Ver-
wendung von S.s und Vokalisen bei der Stimmbildung ;
1772 erschien in Paris die erste S.-Sammlung unter dem
Titel S..S d'ltalie mit Stimmubungen u. a. von J. A. Has-
se, A. Scarlatti und Porpora. Ihre groBte Beliebtheit er-
langten die S.s im 19. Jh. bei den meist italienischen
Gesanglehrern des Pariser Conservatoire de musique
(z. B. Bordogni, Vaccai und Concone). Im Repertoire
moderne de vocalises-etudes (hrsg. von A.L.Hettich, ab
1907) stammt eine groBe Anzahl von Ubungen aus
Werken zeitgenossischer Komponisten, darunter Faure,
Ravel, Honegger, Milhaud, Martinu, Bartok, Schon-
berg, Strawinsky und Hindemith. ->■ Gehorbildung.
Soliloquenten (von lat. solus und loqui, die einzeln
Redenden), in der -»■ Passion zusammenfassende Be-
nennung der neben Evangelist und Christus auftreten-
den einzelnen Personen (Petrus, Pilatus, Judas u. a.), im
Unterschied zur ->• Turba.
Solmisation (lat. solmisatio oder solmizatio) bezeich-
net die im AnschluB an Guido von Arezzo entwickelte
Methode, samtliche Tonstufen eines Gesangs mit Hilfe
von Silben (syllabae, voces, notae) zu singen, um ihren
Ort im Tonsystem (qualitas) zu erkennen. Den Aus-
gangspunkt dieser noch bis in die Gegenwart nachwir-
kenden Methode bildet die Verwendung des Johannes-
Hymnus Ut queant laxis im Guidonischen Elementar-
unterricht (Epistola de ignoto cantu, GS II, 45b; Melodie-
version siehe Monutnenta monodica medii aevi I, Nr 951).
— u 1 1
T^J
Ut que-ant la - xis
m m +. • • •"= — •—
re- so -na- re fi-bris / mi - ra
rum/
la-bi
re- a - tum/Sanc-te Jo-harMies.
po-lu-ti
Wie der Verlauf des Stiickes zeigt, stellen die Anfangs-
tone jeder Halbzeile (mit Ausnahme der letzten) einen
aufsteigenden Sechstonausschnitt (-+ Hexachord) aus
dem diatonischen System dar (c-a), wobei den einzel-
nen Tonen im Text der 1. Strophe die Anfangssilben
ut, re, mi, fa, sol, la entsprechen. (Ober Gebrauch und
Verbreitung dieser und anderer Silben vgl. CSM I,
49f., CS II, 281a, GS III, 203a.) Guido berichtet, daB
die genaue Kenntnis des Hymnus es dem Schiiler er-
mogliche, easdem sex voces [hier im Sinne von Tonstu-
fen] ubicumque viderit, secundum suas proprieties facile
pronuntiare. Ihre eigentliche Grundlegung erfuhr die
erst sparer einsetzende S.s-Lehre durch Guidos Affini-
tatenlehre (vgl. Micrologus, CSM IV, 117fi.), die Tone
mit ahnlicher »Tonumgebung« als verwandte Tone
erkennt. Sie impliziert den Aufbau einer Ahnlichkeits-
doppelreihe c-a und g-e, deren gemeinsames Charak-
teristikum die Folge von 6 verschiedenen Tonqualita-
ten ist. AuBer diesen beiden Hexachordtypen - dem
Hexachordum naturale auf c und dem Hexachordum
durum auf g - enthielt das gegen Mitte des 13. Jh. fertig
ausgebildete S.s-System eine weitere Sechstonreihe auf
f (Hexachordum molle, als Transposition des Hexa-
chordum naturale). Durch sie fand die im Gregoriani-
schen Gesang alternativ zum bquadratum (= h) ge-
brauchte Tonstufe brotundum (= b) einen festen Platz
im Tonsystem. Erste Darstellungen der in den f olgenden
Jahrhunderten maBgeblichen Ordnung des Hexachord-
und S.s-Systems bieten Hieronymus de Moravia (ed.
Cserba, S. 45ff.) und Engelbert von Admont (GS II,
320b ft.). Demnach ist der Tonraum T-ee (= G-e 2 ) in
7 iibereinandergreifende und an eine konstante In-
tervall- und Silbenfolge (2 Ganztone: ut-re, re-mi /
Halbton: mi-fa / 2 Ganztone: fa-sol, sol-la) gebundene
Sechstonreihen eingeteilt (1 = Hexachordum durum
primum; 2 = Hex. naturale primum; 3 = Hex. molle
primum; 4 = Hex. durum secundum; 5 = Hex. na-
turale secundum; 6 = Hex. molle secundum; 7 = Hex.
durum tertium) :
ee la
dd la sol
cc sol fa
bb
bfa
bmi
aa
la
mi
re
g
sol
re
ut
f
fa
ut
(7)
e
la
mi
(6)
d
la
sol
re
c
sol
fa
ut
b
bfa
bmi
(5)
a
la
mi
re
G
sol
re
ut
F
E
la
fa
mi
ut
(3)
W
D
sol
re
C
B
fa
mi
ut
(2)
A re
T ut
(1)
GemaB ihrer Lage im System werden die Tonbuch-
staben (claves, litterae) mit einer, zwei oder drei Silben
aus jeweils verschiedenen Hexachorden verbunden
(rut, Are . . . Cfaut, Dsolre . . . Gsolreut, alamire
usw.). Im Unterschied zu dem nach Oktaven aufgebau-
ten Benennungssystem der mittelalterlichen ->■ Buch-
staben-Tonschrift eignet den Silben nicht die Bedeu-
tung feststehender Tonnamen. Vielmehr erfassen und
charakterisieren sie den Ton in seiner Relation zu den
umliegenden Ganz- und Halbtonschritten, d. h. in sei-
ner Tonqualitat. So etwa ist das mi immer vom nach-
f olgenden fa um einen Halbton, vom vorausgehenden
re ningegen um einen Ganzton entfernt. Auf solche
Weise verhalf die S. dem Schiiler zu einer grundlichen
Kenntnis des diatonischen Systems, indem ihm zusam-
men mit den Syllabae stets die entsprechende Ton-
879
Solmisation
umgebung ins BewuBtsein gerufen wurde. Auch lernte
er an Hand der Silben die einzelnen Intervalle und deren
Erscheinungsformen (species) kennen, z. B. die 3 Quar-
tenspecies ut-fa (aus 2 Ganztonen und einem Halbton),
re-sol (Ganzton-Halbton-Ganzton) und mi-la (Halb-
ton-Ganzton-Ganzton). Neben dem richtigen Ge-
brauch der Silben beim An- und Absteigen und der
Ubung in den Intervallen muBte der Schiiler auch die
Regeln der ->- Mutation (- 1), d. h. des Hexachord-
wechsels, beherrschen, um eine Melodie vollstandig
solmisieren zu konnen. - Das Verfahren der S. wurde
- nach den bisher erschlossenen Quellen - vermutlich
seit dem 13. Jh. eigens benannt. Aegidius Zamorensis
(GS II, 378b) undElias Salomonis (GS III, 18b) gebrau-
chen den Ausdruck solfare, Engelbert von Admont
spricht von ars solfandi (GS II, 322a). Es darf angenom-
men werden, daB in dem Verb solfare und der Sub-
stantivbildung solfatio (z. B. bei Jacobus von Liittich,
CS II, 280a, 287b) die altesten Bezeichnungen vorlie-
gen (vgl. auch das altspanische solfar). Dagegen er-
scheint der Terminus solmisatio/solmizatio (solmisare/
solmizare) erst am Ende einer langeren Entwicklung
(u. a. bei Keinspeck 1496, Prasberge 1501, Wollick
1501, Cochlaeus 1 507), als derenZwischengliederhaupt-
sachlich die Formen solfatura/solvatura, solvizatura,
solfizatio und solfisatio (auch solf asatio) erkennbar sind.
Als weitere Wortform gibt es solmifatio (z. B. in Gla-
reans Dodekachordon 1547, lib. Ill, cap. XI).
Eine wesentliche Erweiterung erfuhr das S.s-System
etwa seit Ende des 13. Jh. im Zusammenhang mit dem
akzidentell-chromatischen Ausbau der Skala (-> Mu-
sica ficta). Durch Vermehrung der Zahl der Hexachor-
de, d. h. durch die Errichtung von Sechstonreihen auf
weiteren Stufen der diatonischen Skala, wurde es mog-
lich, jeden im Tonsystem der mitteltonigen Tempera-
tur moglichen Halbtonschritt in der S. als mi-fa darzu-
stellen (z. B. d-es als mi-fa eines Hexachords auf bro-
tundum). Jedoch verlor das System der S. dadurch sei-
ne Ubersichtlichkeit. Die im 15./16. Jh. zunehmende
Konzentration auf die 2 Tongeschlechter Dur und Moll
sowie das Eindringen der Chromatik in die Melodie-
f iihrung bewirkten, daB die Intervallbeziehungen nun-
mehr einfacher durch Zuordnung zur (in Tonbuchsta-
ben dargestellten) Tonleiter gedeutet werden konnten
(auf Kosten der Bezeichnung des qualitativen Moments
der Tone). In den zahlreichen Reform versuchen der S.
seit dem 15. Jh. herrscht das Prinzip, die Silbenzahl zu
erweitern und damit die Mutation unnotig zu machen.
(Vorschlage fiir eine Reduzierung der traditionellen
Silbenzahl bzw. fiir eine Vereinfachung des Guidoni-
schen Systems finden sich u. a. bei Johannes Verulus de
Anagnia, CS III, 129f. und Johannes Gallicus, CS IV,
372a ff.). Als erster unterbreitete 1482 B.Ramos de Pa-
reja eine neue Silbenreihe (psal-H-tur per vo-ces is-tas;
ed. J. Wolf, S. 18ff.) : die 8 Silben sind mit einer Ton-
leiter verbunden, die dem Oktochord (und damit dem
modernen Dur) entspricht; gleiche Konsonanten zei-
gen die Region eines Halbtonschritts an (bei c als Aus-
gangston ist -tur-per = e-f, -ces-is-tas = a-b-c oder
a-h-c). Aus der Praxis der franko-flamischen Sanger-
schulen im spaten 16. Jh. wird die Einfuhrung der Sil-
ben sy fiir den Halbton und ho fiir den Ganzton iiber
dem la eines Hexachords hergeleitet (vgl. Lange 1899/
1900, S. 576f.). Von hier aus setzte sich das si im Sinne
des Ganztons iiber dem la allgemein durch und ist bis
heute in den romanischen Sprachen iiblich geblieben,
die die Silbenreihe ut(do) re mi fa sol la si zur Bezeich-
nung der Grundskala c d e f g a h benutzen. Als Voces
belgicae war in der deutschen Musiklehre des 17. Jh.
die 7 Silben benutzende ->■ Bocedisation bekannt. Ohne
groBere Nachwirkung blieben D. Hitzlers -> Bebisation
und C.H.Grauns -»■ Damenisation, die alle chroma-
tisch alterierten Tonstufen darstellten. Eine konsequen-
te Losung dieser Aufgabe brachte erst 1892 das Eitzsche
-»• Tonwort. Wahrend die Eitzschen Tonsilben mit
absoluter Tonhohenbedeutung verbunden sind, er-
moglicht R.Miinnichs -> Jale-Methode, alle diatoni-
schen und chromatischen Intervalle auf einen frei ge-
wahlten Grundton zu beziehen; in ihr werden somit
starker die Moglichkeiten des Schulmusikunterrichts
beriicksichtigt. Allgemeine Verbreitung fand seit Be-
ginn des 20. Jh. in der deutschen Schulmusik jedoch
nur die auf dem englischen -> Tonic-Solfa beruhende
-> Tonika-Do-Methode; sie greift auf die alten diato-
nischen Tonsilben (mit si fiir die 7. Stufe) zuriick und
zieht Handzeichen zur Veranschaulichung der Inter-
valle heran.
Lit.: G. Lange, Zur Gesch. d. S., SIMG I, 1899/1900; H.
Muller, Solmisationssilben in d. Medicaischen Choral-
ausgabe, AfMw I, 1918/19; G. Schunemann, Gesch. d.
deutschen Schulmusik I, Lpz. 21931 ; E. Preussner, Solmi-
sationsmethoden im Schulunterricht d. 16. u. 17. Jh., Fs.
Fr. Stein, Braunschweig 1939; I. Lohr, S. u. Kirchenton-
arten, Zurich 1943 ; J. Handschin, Der Toncharakter, Zu-
rich (1948); H. Oesch, Guido v. Arezzo, = Publikationen
d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 4, Bern
(1954) ; ders., Berao u. Hermann v. Reichenau als Musik-
theoretiker, ebenda II, 9, (1961); M. Ruhnke, J. Burmei-
ster. Ein Beitr. zur Musiklehre um 1600, =Schriften d.
Landesinst. f. Musikforschung Kiel V, Kassel 1955; W.
Wiora, Zum Problem d. Ursprungs d. ma. S., Mf IX, 1956;
C.-A. Mobero, Die Musik in Guido v. Arezzos Solmisa-
tionshymne, AfMw XVI, 1959.
Solo (ital., allein, einzeln) bezeichnet die von einem
Solisten auszufiihrende, in der Regel besonders an-
spruchsvolle Stimme, und zwar auch dort, wo -»■ Be-
gleitung hinzutritt. Es ist die Stimme, die in Orchester-
werken in einzelnen Partien ausdrucksvoll hervortritt
(weshalb con espressione die Vorschrift S. ersetzen
kann) oder die im -> Concerto (-»• Mehrchorigkeit)
mit dem vollen Chor, so auch im neueren Instrumen-
talkonzert mit dem -> Tutti {-*■ Ripieno) abwechselt,
wobei auch mehrere Solisten eine Gruppe bilden kon-
nen (-> Concertato, -> Concerto grosso, Doppel- und
Tripelkonzert, -> Symphonie concertante). In iibertra-
genem Sinn heiBt S. auch ein Instrumentalstiick, das
allein oder mit nur stiitzender Begleitung vorgetragen
wird, im Unterschied z. B. zum -> Duett (-»• Duo). -
Tasto s. (Abk. : T. S. ; bezeichnet durch 0, -> Null - 1)
bedeutet im GeneralbaB, daB die BaBtone ohne Aus-
setzung zu spielen sind.
Sonata da camera (ital.)
->■ Triosonate.
Sonate, -> Suite,
Sonata da chiesa (ital.) -»■ Sonate, -vTriosonate.
Sonate (ital. sonata, s. v. w. Klingstuck, von sonare,
klingen, verwandt mit lat. -*■ sonus; frz. sonate, engl.
sonata) ist eine eigenstandige, seit Mitte des 17. Jh. in
der Regel mehrsatzige und zyklisch angelegte Instru-
mentalkomposition in kleiner oder solistischer Beset-
zung. Die Bezeichnung S. bezieht sich jedoch nicht auf
eine eng zu umgrenzende Gattung; Uberschneidungen
mit anderen Instrumentalformen (Toccata, Concerto,
Sinfonia, Suite) sind vor allem im 17. und 18. Jh. nach-
weisbar. - Die Entstehung des Begriffswortes S. hangt
eng mit der Heranbildung der eigenstandigen Instru-
mentalmusik zusammen. Seit Ende des 16. Jh. hieBen
zunachst mehrstimmige, auf Instrumente ubertragene
Vokalsatze Canzoni da (oder per) sonar(e), so bei Vi-
centino (1572), Maschera (1584), Grammatico Metallo
(1594) und Banchieri (1596). Aus der Partizipialform
Canzona sonata entstand das Bezeichnungsfragment
Sonata, welches als Titel zuerst durch Gorzanis' Sonata
880
Sonate
per liuto (1561) belegt ist und seit den 1580er Jahren ge-
brauchlich wurde (Caroso 1581, G.Gabrieli 1597 und
1615, Banchieri 1605, S.Rossi 1607, Gussago und Ar-
changelo Crotti 1608). In ihrer Faktur sind instrumen-
tale -* Kanzone (- 2) und S. nicht scharf zu trennen. Fur
Praetorius (Synt. Ill, S. 24 [= 22]) ist dieses der vnterscheyd;
Dafidie S.n gar gravitetisch vndprachtig vffMotetten Artge-
fetzt seynd; Die Canzonen abermitvielen schwartzen Notten
srisch jfiolich vnnd geschwinde hindurch passiren. Fortwir-
kendenEinfluBhattendieS.nG.Gabrielis.furderenSatz-
technik sowohl die -*■ Mehrchorigkeit (bis zu 5 Instru-
mentalchore, ausgefiihrt von 22 nicht naher bezeichne-
ten Instrumenten) und die imitatorische Behandlung
eines Soggettos nach Art eines Ricercars als auch instru-
mentale Improvisation kennzeichnend sind. Haufig
wird durch Tripeltaktteile eine Gliederung in Abschnit-
te erreicht. Die mehrchorige Setzweise war eine der
Voraussetzungen der fiir die Folgezeit grundlegenden
Trennung in Oberstimme(n) und GeneralbaB; die Un-
terteilung in Abschnitte fiihrte zur Mehrsatzigkeit.
Schon G. Gabrieli schrieb eine Sonatta con tre violini mit
einem Basso sepiace (das letzte Stuck der posthum ver-
offentlichten Canzoni et sonate . . ., 1615), in der die
drei imitierenden und in ihrer Stimmfuhrung sich
kreuzenden Violinen in Spannungsverhaltnis zu einem
ruhigen, kadenzierenden BaB gesetzt sind. Triokan-
zone (Viadana, Canzon francese in risposta, 1602) und
Trioritornell (Monteverdi und S.Rossi 1607) bilden
Vorstufen der -»■ Trio-S. (seit S.Rossi 1613), der neben
der Solo-S. (seit G.P.Cima 1610 und Marini 1617)
haufigsten Art kammermusikalischen Musizierens bis
zur Mitte des 18. Jh.
In der Musik des Barocks gab es zufolge ihrer Abhan-
gigkeit von Ort und Gelegenheit verschiedene Aus-
gangspositionen fiir die Komposition von S.n. Eine der
wenigen fiir das Theater geschriebenen S.n ist die So-
nata betitelte Einleitung zu M. A. Cestis // porno d'oro
(1667), neben Legrenzis Opernsinfonia zu II Totila
(1677), die aus Satzen oder Satzabschnitten verschiede-
ner S.n seiner Sammlung von 1663 gebildet ist. Dage-
gen wurden die Kirchen- und die Hofmusik wegwei-
send fiir die weitere Entwicklung der S. Fiir die Kirche,
wo S.n wahrend der Messe (gemaB Anweisungen wie
Alia Levatione oder Gtaduale in S.n Banchieris) oder
bei anderen gottesdienstlichen Anlassen (in der Marien-
vesper, z. B. Monteverdis Sonata sopra Sancta Maria) ge-
spielt wurden, entstand als festgelegter Typus die So-
nata da chiesa (Kirchen-S.) ; ihr Gegenstiick bildete die
bei Hofe gespielte Sonata da camera (Kammer-S.). Bei-
de Bezeichnungen sind bekannt seit der Veroffentli-
chung von Merulas Canzoni, oven sonate concertate per
chiesa, e camera (1637). Die Hauptzentren der Pflege so-
wohl der Sonata da chiesa als auch der Sonata da camera
waren bis weit ins 18. Jh. hinein neben Venedig (Ma-
rini, Castello, G.B.Fontana, M.Neri, Legrenzi) die
Stadte Mantua (S.Rossi, Buonamente), Brescia (Gus-
sago), Cremona (Merula), Modena (Uccellini, G.M.
Bononcini, Colombi, T.Vitali), Bologna (Cazzati, G.
B. Vitali, degli Antonii, Giuseppe Torelli) und Ferrara
(Mazzaferrata, G.B.Bassani). Ihre klassische Auspra-
gung erfuhren beide Typen zu Ende des 17. Jh. in Rom
durch Corelli. Bezeichnend fiir die Sonata da chiesa ist
die Viersatzigkeit (ausnahmsweise 3 oder 5 Satze), meist
in der Folge langsam-schnell-Iangsam-schnell (dane-
ben: schnell-langsam-schnell-schnell). Der langsame
Einleitungssatz ist geradtaktig und imitatorisch oder
homophon gestaltet, haufig auch in punktiertem Rhy th-
mus (grave & majestueux, proportionnt a la dignite & sain-
tete du lieu, BrossardD); der folgende schnelle Satz
ist fugiert (quelque Fugue gaye & animee, ebenda). Der
zweite langsame Satz ist in der Regel ungeradtaktig
und homophon gehalten, oft in der Art einer Sara-
bande; er steht zuweilen in der Paralleltonart. Der
SchluBsatz ist meist fugiert, oft in tanzartigem Rhyth-
mus nach Art einer Gigue, eines Menuetts oder einer
Gavotte. Alle Satze beruhen auf einem einheitlichen
motivischen und melodischen Material und auf einem
festen modulatorischen Grundgeriist (ohne eigentliche
Durchf iihrung) :
Grundtonart-Modulation 1 1 Ruckkehr zur Grundtonart
T Coder Tp T
Gegeniiber dem gewichtigeren Charakter und der ent-
wickelteren Form der Sonata da chiesa zeigt die Sonata
da camera eine freie Folge von verschiedenen Tanz-
satzen in gleicher Tonart (des suites de plusieurs petites
pieces propres afaire danser, & composies sur le mime Mode
ou Ton, BrossardD), meist Allemanda - Corrente oder
Sarabanda - Giga oder Gavotta (neben Brando, Branle,
Gagliarda und Canario), eingeleitet durch ein Praelu-
dium, das selbst Sonata heifien kann. AuBerhalb Italiens
bildete sich im AnschluB an Rosenmiiller (Sonate da
camera . . ., 1667) und D. Becker (Musicalische Friihlings-
Fruchte, 1668) eine Norm heraus (Einleitungssatz-Al-
lemande-Courante-Ballo-Sarabande), die auf die Ge-
schichte der -> Suite einwirkte. Durch Einfiigung ei-
nes nach Art der Kirchen-S. gebildeten Satzes in die
Sonata da camera (z. B. Corelli, op. 2 Nr 3: Adagio;
op. 4 Nr 2: Grave) bzw. durch Satze mit Tanzcharak-
ter in der Sonata da chiesa naherten sich zu Ende des
17. Jh. beide Typen einander an. Kompositorische
Grundlage sind die den GeneralbaB ausfuhrenden Fun-
damentinstrumente, von denen sich die oft improvi-
sierend verzierenden Melodieinstrumente abheben.
Die Besetzungsstarke (vorwiegend Streicher, seltener
Blasinstrumente) ist schwankend; es ist jedoch anzu-
nehmen, daB die Sonata da chiesa in der Regel mehr-
fach, die Sonata da camera einfach besetzt war.
Die S. fand, weitgehend durch den EinfluB Corellis,
reiche Pflege (Caldara, Albinoni, F.Dall'Abaco, Vival-
di, Fr. Geminiani, Marcello, G.B.Somis, Fr.M.Vera-
cini, Tartini, P. Locatelli) und verbreitete sich von Italien
aus seit Ende des 30jahrigen Krieges iiber Osterreich
und Deutschland (J.-H. Schmelzer, Pezel, H.I.Fr.Bi-
ber, Georg Muffat, Fux, Telemann, Handel, Quantz),
seit Beginn der Restauration (1660) iiber England (H.
Purcell, J. Ravenscroft, Fr. Geminiani) und seit Ende des
17. Jh. iiber Frankreich (Fr. Couperin, Dandrieu, J.-M.
Leclair). Die Uberschneidungen der Typen der Kir-
chen- und der Kammer-S. fiihrten seit etwa 1700 zu
einer ganzlichen Fusion, die im wesentlichen durch F.
Dall'Abaco und Vivaldi abgeschlossen wurde. Was
nun unter dem Titel S. erschien, entsprach in Stil und
Form primar der Kirchen-S. Allerdings wurde die An-
zahl der Satze haufig verringert; durch Auslassung ei-
nes langsamen Satzes entstand der 3satzige Typus lang-
sam-schnell-schnell bzw. schnell-langsam-schnell,
durch Auslassung eines weiteren Satzes der Typus lang-
sam-schnell oder schnell-schnell. Die seit Gabrieli zu
verfolgende Entwicklung vom vielstimmigen Satz zum
Trio- und Solosatz des 18. Jh. erreichte einen Hohe-
punkt bei J. S.Bach; er schrieb Trio-S.n fiir ein Solo-
instrument mit 2stimmigem Klaviersatz, wobei das
Tasteninstrument in der obligaten Oberstimme den
2. Part ubernimmt (6 S.n fiir V. und Kl., BWV 1014-
1019; 3 S.n fur Va da gamba und KL, BWV 1027-
1029; 3 S.n fur Querflote und Kl., BWV 1030-1032).
In den 6 S.n fiir Org. bzw. Pedalcemb. (BWV 525-
530) werden beide Oberstimmen auf 2 Manualen und
der BaB auf dem Pedal gespielt. Seine Soloviolin-
S.n (BWV 1001, 1003, 1005) sind in ihrer Anlage
Kirchen-S.n in der Satzfolge langsam-Fuge-langsam-
schnell.
56
881
Sonate
Im 18. Jh. diente die S. in erster Linie gesellschaftlicher
Unterhaltung (haufig, z. B. von J.Haydn, wurde cine
S. -> Divertimento - 1 genannt) oder Lehrzwecken
(z. B. die ->■ Lessons oder die f iir Schuler geschriebenen,
manchmal Sonata facile genannten S.n) ; haufig war sie
fiir ->• Kenner und Liebhaber bestimmt; daneben wur-
den auch noch S.n fiir kirchliche Zwecke geschrieben
(z. B. W.A.Mozartsl7Kirchen-S.n). Zentrales Instru-
ment wurde immer mehr das Klavier. Andere Instru-
mente (z. B. Violine, Flote) konnten hinzutreten (oft
ad libitum) ; auch Klaviertrios (-> Trio) wurden in ih-
rer Friihzeit noch als Sonates pour le clavecin ou piano-
forte accomp. d'un violon et violoncelle betitelt (Fr.A.
RoBler, op. 7, ahnlich J.Haydn).
Die Anfange der Klavier-S. gehen zuriick auf Kuhnau,
der in seiner S. aus dem B (in: Neue Clavier-Ubung II,
1692) die Form der Kirchen-S. auf das Klavier iiber-
trug und die neueGattung der Klavier-S. in seinen
Frischen Clavier-Friichten (1696) und den Biblischen Hi-
storien (1700) begriindete, sowie auf Pasquini (14 S.n
fiir 2 Cemb. aus den Sonate per gravicembalo, 1702). Die
Ausbildung der vorklassischen S. lafit sich in ganz Eu-
ropa verfolgen, vor allem in Italien (Fr. Durante, Ga-
luppi, Paradies, D. Alberti, G.M.Pl.Rutini, Cimarosa),
Spanien und Portugal (D. Scarlatti, Seixas, Padre Soler,
Boccherini, Blasco de Nebra), Wien (G. Chr. Wagen-
seil, Monn), Norddeutschland (W.Fr.Bach, C.Ph.E.
Bach, Johann Christoph Ritter, G.Benda, C.Fr.Fasch,
Fr. W.Rust, Fr.A. RoBler, Neefe), Paris (J.-J. de Mon-
donville, Schobert, Eckard, Edelmann, Hiillmandel, I.
Pleyel, Steibelt) und London (J. Chr. Bach, dementi).
Kennzeichnend fiir die vorklassische S. sind die Merk-
male des -> Galanten Stils und desEmpfindsamen Stils.
Von besonderer Bedeutung sind die lsatzigen S.n D.
Scarlattis, die aus zwei (jeweils fiir sich wiederholten)
Teilen bestehen; toccatenhafte Elemente, kurzatmige
Spielfiguren und Wendungen werden zu langeren me-
lodischen Linien weitergesponnen oder in kurzen
Durchfuhrungsteilen motivisch verarbeitet; aus tonal
kontrastierenden Figurationen in der 2. Halfte des 1.
Abschnitts entsteht in Ansatzen ein 2. Thema. In einem
Teil der handschriftlichen Quellen folgen in der Regel
zwei Werke aufeinander, die sich in ihrer Taktart wie Tanz
zu Nachtanz verhalten und die gleiche oder die variante
Tonart aufweisen (Gerstenberg 1933, S. 99). Fr. Durantes
S.n beruhen auf dem Gegensatz eines fugierten ersten
und eines an die Gigue gemahnenden zweiten Satzes.
Seinem Vorbild folgte D. Alberti, der in der Begleitung
erstmalig die nach ihm benannten ->• Albertischen Bas-
se gebraucht. Wahrend die Wiener S. (G. Chr. Wagen-
seil) als Mittel- oder Finalsatz ein Menuett verwendet
und damit Elemente der Suite aufgreift, enthalt die
norddeutsche S. (W.Fr. und C.Ph.E. Bach) grundsatz-
lich keine Tanzsatze. Charakteristisch fiir ihre von per-
sonlichem Ausdruck und von »Empfindsamkeit« erfiill-
ten S.n sind u. a. kurzatmige Motivik und deutlich ge-
geneinander abgesetzte Phrasengliederung innerhalb
des (unter EinfluB der neapolitanischen Opernsinfonia
ubernommenen) 3satzigen S.n-Satzzyklus in der Folge
schnell-langsam-schnell, wobei der Mittelsatz tonal
abweicht (meist Tp, Tv, in Dur auch S und Dp, in
Moll auch Sp). Im Anfangssatz beginnt nunmehr die
Polaritat zweier Themen und in Ansatzen Thematische
Arbeit im Mittelteil fiir die musikalische Gestaltung
bedeutsam zu werden (-> Sonatensatzform) ; der Mit-
telsatz zeigt 3teilige Liedform oder freie Form oder So^
natensatzform, gelegentlich auch intermezzoartig re-
zitativischen Charakter, wahrend das Finale haufig in
Rondof orm mit mehreren Episoden, selten in Sonaten-
satzform gebildet ist, eine Anlage, die fiir die Wiener
Klassiker vorbildlich wurde.
Die durch die Wiener Klassiker in den verschiedenen
Gattungen verwirklichte musikalische Haltung pragte
sich auch in der S. aus. Dabei konzentrierte sich seit dem
Ausdrucksstreben der Musik des Empfindsamen Stils
das Interesse immer mehr auf das ->• Pianoforte mit sei-
nen wachsenden Moglichkeiten zu differenziertem An-
schlag und stufenlosem dynamischen Ubergang. Bei J.
Haydn, dessen S.n bis in die 1760er Jahre noch Ziige
des Galanten Stils erkennen lassen und dem Diverti-
mento nahestehen (z. B. Hob. XVI, 4: ein 4satziges
Divertimento per il Clavicembalo mit einem einleitenden
Allegro und 3 Menuetten), ist der EinfluB C.Ph.E.
Bachs in Friihwerken spiirbar (z. B. Hob. XVI, 2, Lar-
go), auffallend gegenEnde der 1760er Jahre (Hob. XVI,
46, Adagio; Hob. XVI, 19), besonders in der leiden-
schaftlichen S. C moll, Hob. XVI, 20, die zugleich den
Typus der Wiener klassischen Klavier-S. erstmals ver-
wirklicht. Seit den 1770er Jahren gingen Haydns S.n
ganz eigene Wege. Die Merkmale der Wiener klassi-
schen Musik sind fortan fiir die S. bestimmend. Auf
der Grundlage eines einfachen harmonischen Ablaufs
und eines metrisch abgestuften Taktprinzips entfaltet
sich die -> Komposition als ein differenziertes Gefiige
von scharf ausgepragten Gestalten, deren Prototyp das
nach alien Seiten (vor allem in selbstandige Motive)
zergliederbare, den Bau des ganzen Satzes beherrschen-
de Thema ist (-» Thematische Arbeit). Haydn halt sich
im allgemeinen an den 3satzigen S.n-Satzzyklus (von
der Satzfolge schnell-langsam-schnell weicht er haufig
ab, indem er an die Stelle des 2. oder 3. Satzes ein Me-
nuett, meist mit Trio, setzt) ; doch sind von seinen 52
Klavier-S.n drei friihe (Hob. XVI, 4, 6 und 8) vier-
satzig und acht (auf die ganze Schaffenszeit zwischen
1765 und 1794 verteilt) dagegen zweisatzig. - W.A.
Mozarts S.n (24 Klavier-S.n, davon 5 vierhandig, 1 fiir
2 Kl. ; 43 Violin-S.n) schlieBen sich in Anlage und mo-
tivischer Behandlung Haydn an, lassen aber in der kan-
tablen Melodiefiihrung (»singendes Allegro«) deutlich
den EinfluB J. Chr. Bachs erkennen. Seine auf der Reise
nach Mannheim und Paris 1778-79 entstandenen S.n
zeigen wachsende Verselbstandigung der Begleitstim-
men, bei den Violin-S.n mit dem Klavier gleichberech-
tigte Behandlung des obligaten Soloinstruments. In
den letzten, in Wien zwischen 1781 und 1789 geschrie-
benen S.n beginnen die Merkmale der Gattung hinter
dem einmalig geformten Werk zuruckzustehen. Kenn-
zeichnend werden nun dynamische Gegensatze, Syn-
kopen und Chromatik (K.-V. 457, 533), polyphone
Elemente (K.-V. 454, 526, 570, 576) und eine Annahe-
rung an symphonischen Aufbau (4handige S.n, K.-V.
497, 501; S. fur 2 KL, K.-V. 448). Im S.n-Satzzyklus
uberwiegt die Dreisatzigkeit (Zwei- bzw. Viersatzig-
keit tritt nur in einigen Violin-S.n auf) in der Folge
schnell (Sonatensatzform) - langsam - schnell (Sonaten-
satzform oder Rondo); einen Sonderfall bildet K.-V.
331 mit einem Variationssatz am Anfang und nachfol-
gend Menuett und Alia Turca.
Bei Beethoven finden sich unter den S.n (32 Klavier-
S.n, 10 Violin-S.n, 5 Violoncello-S.n, 1 Horn-S.) Wer-
ke besonders hohen Ranges (Kreutzer-S., Appassiona-
ta, spate S.n). Die groBraumige, iiber das formal FaB-
bare im herkommlichen Sinne weit hinausgehende Ge-
staltung der S.n (viele S.n heiBen im Originaltitel
Grande S., unter ihnen die Hammerklavier-S. mit sym-
phonischen AusmaBen) auBert sich im festgefiigten, in
den Proportionen und Dimensionen abgesteckten Bau
und in der Geschlossenheit der einzelnen Satze (pra-
gnanter Anfang - durchgearbeiteter Mittelteil - ent-
schiedener SchluB) sowie in ihrer wechselseitigen Be-
zogenheit. Die in der damaligen Klaviermusik verfiig-
baren musikalisch-spieltechnischen Mittel (z. B. Ab-
882
Sonate
stufung von Dynamik und Tempo, Synkopen, Sforza-
ti auf schwachen Taktteilen, rhythmische Wirkung der
Pausen) sind hier in einzigartiger Weise in die Kompo-
sition eingeschmolzen. Den 4satzigen S.n-Satzzyklus
(analog Symphonie und Streichquartett) mit der Folge
schnell - langsam - Menuett oder Scherzo - Finale wei-
sen einige friihe (z. B. op. 2 Nr 1-3; op. 7, op. 28) und
- mit Vertauschung der Mittelsatze - spate S.n (op. 101 ,
106, 110) auf; doch nicht selten sind Dreisatzigkeit -
entweder fehlt der langsame Satz (op. 10 Nr 2, op. 14
Nr 1) oder das Menuett bzw. Scherzo (op. 13, 53, 57) -,
freie Satzanordnung (Variationssatz- Scherzo -Marcia
funebre - Finale: op. 26; Sonata quasi una fantasia: op.
27 Nr 1 und 2; Scherzo an zweiter und Menuett an
dritter Stelle: op. 31 Nr 3) und Zweisatzigkeit (op. 54,
78, 90, 111). Wahrend in den friihen S.n das Gewicht
auf dem (in Sonatensatzform stehenden) Anfangssatz
ruht, verlagert sich in den spaten S.n der Schwerpunkt
auf den SchluBsatz (in op. 101, op. 102 Nr 2, op. 106
und 1 10 jeweils eine groBangelegte Fuge ; in op. Ill die
beriihmte Arietta mit ihren Variationen). - Eine Zwi-
schenstellung zwischen klassischer und romantischer
Haltung nehmen die S.n C. M. v. Webers und Fr. Schu-
berts ein; innerhalb eines 4-(seltener 3-)satzigen S.n-
Satzzyklus werden neue Mittel angewendet, die nur
bedingt der Wiener Klassik verpflichtet sind. In We-
bers 4 S.n (1812-22) mit ihrer virtuosen, brillanten
Technik wird das thematische Material harmonisch,
rhythmisch und melodisch variiert; die langsamen
Satze beruhen auf volkstiimlichen Melodien. FUr Schu-
berts 21 S.n (1815-28) mit ihrem Melodienreichtum
(ein »Thema« ist primar Melodie; fur die Thematische
Arbeit werden oft nebensachliche Elemente wie z. B.
Begleitfiguren herangezogen), tief empfundenen Har-
monien (auffallende Modulationen in entfernte Ton-
arten) und zwingenden, haufig quasi ostinaten Rhyth-
men ist typisch der lyrische Grundcharakter.
Nach dem Tode Schuberts (1828) verlor die S. ihre
zentrale Stellung. Der Klavier-S. vorgezogen wurden
kleine Formen (z. B. Lied ohneWorte, Nocturne, Inter-
mezzo, Etude, Charakterstiick), so von den wichtigen
S.n-Komponisten des 19. Jh. Mendelssohn Barthol-
dy, Chopin, R.Schumann, Liszt, C.Franck, Brahms,
Tschaikowsky und Grieg. Bedeutende Werke sind in-
dessen die S.n £iir ein Soloinstrument und Klavier von
Brahms (3 Violin-S.n, 2 Violoncello-S.n, 2 Klarinet-
ten-[Viola-]S.n) und C.Franck (Violin-S. A dur). Die
iiberkommenen Satztypen werden als feststehende For-
men ubernommen una in einen 3- oder 4satzigen S.n-
Satzzyklus eingeordnet (meist: Sonatensatzform - Ro-
manze oder Variationen - [Scherzo +Trio] - Rondo
oder Sonatensatzform ; 2. und 3. Satz konnen auch ver-
tauscht sein) ; der Schwerpunkt liegt oft im Finale, das
bei Moll-S.n haufig nach Dur aufgehellt ist. Nicht sel-
ten wird eine S. durch ein Programm eingerahmt (so
schon in Beethovens S. Les Adieux op. 81a), oder ihre
Satze sind thematisch aufeinander bezogen (so schon
in Schuberts Wanderer-Fantasie). Typisch sind die An-
einanderreihung, Ausdehnung oder neue Kombination
der Gedanken oder reine Wiederholungen auf anderen
Stufen. Gegeniiber der kompositorischen Logik bei
Beethoven erscheint die harmonische Farbe als Selbst-
zweck (Modulation zur Mediante oder in entfernte
Tpnarten, Chromatik, alterierte Akkorde). Weitere
Merkmale sind Ableitung der gesamten Motivik aus
einem Grundgedanken (Schumann, Brahms) und freie
phantasieartige Gestaltung (Chopins S.n B moll op. 35
und H moll op. 58). Einen neuen Formtypus schuf Liszt
mit seiner H moll-S., in der die verschiedenen Satze
des S.n-Satzzyklus mit den Abschnitten des Allegros
in Sonatensatzform identifiziert werden. Die spatro-
mantische S. des ausgehenden 19. Jh. (u. a. bei N.Gade,.
Saint-Saens, Rheinberger, Sinding, Glasunow, Lekeu)
zeigt epigonale Ziige, Neigung zu Formalismus und
Eklektizismus in Verbindung mit grofiem technischem
Auf wand; nur wenige Komponisten, so d'Indy, Mac-
Dowell, Reger, Szymanowski, bewahrten eine gewisse
Selbstandigkeit. - Um die Jahrhundertwende erhob
sich eine Gegenstromung, ausgehend von Rufiland
(Skrjabin, Prokofjew, Schostakowitsch) und Frankreich
(Faure, Debussy, Dukas, Ravel, Milhaud), die sich auf
knappere Formen (z. B. ->• Sonatine) beschrankte, das
Tonmaterial neu sichtete (z. B. -> Mystischer Akkord,
gregorianische und exotische Elemente) und den tona-
len Rahmen sprengte (Intervallketten, Polytonalitat).
Der Titel S. wird seither einerseits in betonter Bindung
an seine geschichtliche Bedeutung verwendet (Stra win-
sky, Hindemith), hat aber andererseits durch neue
rhythmische, klangliche und spieltechnische Mittel
(Bartok), Atonalitat (A. Berg), Zwolftontechnik und
Serielle Musik (Boulez) vielfSltige Wandlungen erfah-
ren. Doeh erscheint heute der Begriff S., so haufig er
auch gebraucht werden mag, problematisch, da er an
die in der funktionalen Harmonik begriindete Art der
Thematik und Formbildung gebunden ist. Am ehesten
trifft in einigen Fallen jedenf alls die Bedeutung Spiel-
stiick noch zu (Blacher, Henze). Doch eine Uberschnei-
dung mit anderen Benennungen (wie z. B. bei Boulez:
Structures fur 2 Kl. neben 3 Klavier-S .n) laBt auch heute
wieder keine eindeutige Begriffsbestimmung zu.
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Asthetische u. foimal-technische Analyse mit hist. Noti-
zen, 3 Bde, = M. HessesillustrierteHdb. LI-LIII, Bin ( 1 9 1 8-
19), I (41920), II (31920), III (21920); A. Schmitz, Beetho-
vens »Zwei Prinzipe«, Bin u. Bonn 1923; M. W. Eberler,
Studien zur Entwicklung d. Setzart f . Kl. zu vier Handen v.
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maschr. ; H. Th. David, J. Schobert als Sonatenkomponist,
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Zeitung XLIX, 1928; Th. Schlesinger, J. B. Cramer u. sei-
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positionsplane dargestellt in seinen S. f. Kl. u. V., Augs-
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viers., Diss. Wien 1935, maschr. ; R. v. Tobel, Die Formen-
welt d. klass. Instrumentalmusik, = Berner Veroff. zur Mu-
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Dichtung, = Neue deutsche Forschungen LXXVII, Abt.
Mw. HI, Bin 1936; ders., C. Ph. E. Bach u. d. »redende
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maschr.; E. Blom, Beethoven's Pfte Sonatas Discussed,
London 1938; E. Reeser, De klaviers. met vioolbegelei-
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A Study of Mus. Thought in the Eighteenth Cent., MR XIII,
1952; R. Benton, Form in the Sonatas of D. Scarlatti,
ebenda, vollstandiger Text d. Thesis (M. A.) Rochester/
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Harpsichord and Pfte in the Eighteenth Cent. (1730-90), 3
Bde, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1952, maschr.; E. Rande-
brock, Studie zur Klaviers. C. Ph. E. Bachs, Diss. Mini-
ster i. W. 1953, maschr.; E. H. Beurmann, Die Reprisens.
C. Ph. E. Bachs, AfMw XIII, 1956; E. Fischer, L. van
Beethovens Klaviers., Wiesbaden (1956), auch = Insel-Bii-
cherei Nr 853, ebenda 1966; Fr. Liessem, Die Entwicklung
d. Klaviertechnik in d. S. d. Wiener Klassiker Haydn, Mo-
zart u. Beethoven, Diss. Innsbruck 1956, maschr.; C. E.
Forsberg, The Clavier-V. Sonatas of W. A. Mozart, Diss.
Indiana Univ. 1958, maschr. ; R. Allorto, Le s. per pfte di
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Diss. Wien 1914, maschr.; H. Koltzsch, Fr. Schubert in
seinen Klaviers., = Slg mw. Einzeldarstellungen VII, Lpz.
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Musik, in: Anbruch XI, 1929; ders., Die romantische S.
als Formproblem, SMZ LXXIV, 1934; P. Egert, Die
Klaviers. im Zeitalter d. Romantik I, Die Klaviers. d. Friih-
romantiker, Bin 1934; K. Eschmann, Changing Forms in
Modern Music, Boston 1945; D. A. Shanun im stimmphysiologischen Sinne die
hochste der vier menschlichen -> Stimmgattungen,
bleibtjedoch gebrauchlich auch im weniger besetzungs-
als satztechnischen Sinn fiir die Oberstimme eines Lehr-
zwecken dienenden mehrstimmigen Satzes, die je nach
Sprachraum auch -> Dessus, -> Treble, ->• Tiple heiBt.
S. als Zusatz zu einem Instrumentennamen bezeichnet
(heute meist anstelle des gleichbedeutenden Zusatzes
Diskant . . .) das S .-Instrument eines Stimmwerks (-> Ak-
kord - 3). - 2) die hochste der ->• Stimmgattungen.
Die Umfangsgrenzen des nicht ausgebildeten weibli-
chen S.s oder Knaben-S.s schwanken, sie liegen meist
bei (h)ci-f2 (g2, a2), diejenigen von Benrfssangerinnen
bei a-c3 (P; g3 wird selten verlangt, z. B. in Mozarts
Konzertarie Popoli di Tessaglia, K.-V. 316). Seit dem
17. Jh. wurde in der Oper die weibliche Hauptpartie
von der -> Primadonna iibernommen. Im 17. und 18.
Jh. sangen haufig ->■ Kastraten die S.-Partien. Seit dem
19. Jh. unterscheidet die Biihnenpraxis zwischen den
886
Soubrette
Stimmfachern Koloratur-S., lyrischer S., jugendlich-
dramatischer S., dramatisches Zwischenfach, hoch-
dramatischer S., -> Mezzo-S. und -» Soubrette. Ins-
gesamt ist fur diese Einteilung wie auch fur die Ab-
grenzung des S.s gegeniiber der weiblichen Altstimme
weniger der von der Sangerin beherrschte Umfang
als ihr Stimmtimbre entscheidend. Der -»■ Koloratur-S.
muB gute Gelaufigkeit und absolute Sicherheit in
den hohen Lagen zwischen c 3 und f 3 aufweisen und
Glanz des Brillierens mit dem Reiz des Timbres ver-
binden. Wichtige Partien sind: Konstanze (DieEntfiih-
rung aus dem Serail), Konigin der Nacht (Die Zauber-
flbte), Violetta (La Traviata), Gilda (Rigoletto), Olympia
(Les contes d' Hoffmann), Zerbinetta (Ariadne au/Naxos).
Der lyrische S. muB iiber schmelzende SiiBe und ein
hohes Piano verfiigen (junge Sopranistinnen tendieren
meist zunachst in dieses Fach). Wichtige Partien fur
lyrischen S. sind: Pamina (Die Zauberflote), Undine,
Micaela (Carmen), Antonia (Les contes d'Hoffmann), Liu
(Turandot), Lulu. Der jugendlich-dramatische S. muB
durch reicheren Stimmumfang (besonders zur Tiefe
hin) und groBere Klang- und Durchschlagskraf t ausge-
zeichnet sein; wichtige Partien sind: Donna Elvira
(Don Giovanni), Agathe (Der Freischiitz), Elisabeth
(Tannhauser), Elsa (Lohengrin), Desdemona (Otello), Je-
nufa. Das dramatische Zwischenfach steht zwischen
dem jugendlich-dramatischen und dem hochdramati-
schen S. und muB vor allem metallische Durchschlags-
kraft, auch in der sehr haufig geforderten Hochlage,
aufweisen. Es ist das an Partien reichhaltigste Fach der
Frauenstimme. Wichtige Partien sind: Leonore (Fi-
delio), Sieglinde (Die Walkiire), Elisabetta (Don Carlo),
Aida, Tosca, Feldmarschallin (Der Rosenkavalier), Ara-
bella, Marie (Wozzeck). Der hochdramatische S. muB
durch eine reife, tragfahige, relativ dunkle Stimme und
strahlende Klangentfaltung ausgezeichnet sein; wich-
tige Partien sind: Isolde (Tristan und Isolde), Brunnhilde
(Der Ring des Nibelungen), Elektra.
Sordino (ital.; Abk.: sord.), - 1) -*■ Dampfer; con s.,
mit Dampfer, con sordini, mit Dampfern; in der Kla-
viermusik verlangt die Vorschrift senza s. das Spiel mit
gehobener Dampfung, d. h. mit (rechtem) Pedal;
- 2) ->- Pochette.
Sordun, - 1) Doppelrohrblattinstrument mit Anblas-
rohr und mit zylindrischem (meist gedacktem) Wind-
kanal, der aus 2 Bohrungen in einem zylindrischen
Corpus besteht. Die Bauart entspricht bis auf das Feh-
len der Windkapsel dem -> Kortholt. Nach Praetorius
(Synt. II) hat der S. 11 offene Griff locher und 3 Hap-
pen ; zum Stimmwerk gehoren (Synt. II, S. 23) S.e in
den Lagen GroBbafi (iF-d), BaB (tB-g), Tenor-Alt
(Es-c 1 ) und Diskant (B-gi). - 2) Zungenstimme der
Orgel (-> Register - 1).
Sortiment -> Musikalienhandel.
Sortisatio, sortisare (lat., von sors, Los), vom 15. bis
17. Jh. im deutschen Raum verwendete Bezeichnung
f iir die Improvisation eines mehrstimmigen Satzes, dem
ein Cantus zugrunde liegt. Der friiheste Beleg fiir S.
mit der Erklarung : sortisare est aliquem cantum diuersis
melodys inprouise omare (Hs. Regensburg, Proskesche
Mus.-Bibl., 98 th. 4°, p. 355 ; Niederschrift 1476) sowie
der ahnliche, im Zusammenhang korrektere Passus aus
dem Opus aureum musicae, Pars IV (M. Schanppecher
1501, ed. Niemoller, S. 20) gehen offenbar auf eine bis-
her unbekannte gemeinsame Quelle zuriick. Vermut-
lich ist das Wort s. in Anlehnung an solmisatio oder or-
ganisare gebildet und steht im Zusammenhang mit
dem urn 1500 belegten Ausdruck ad sortem cantare
(vgl. Gurlitt) ; ein Text aus dem Liederbuch des Arnt
von Aich (um 1520) enthalt die Form sortisieren (ed.
Bernoulli und Moser, S. 25). In der ->• Musica poetica
wird S. der Compositio gegeniibergestellt (Dividitur
autem musica poetica in duas partes : Sortisationem et Com-
positionem; H.Faber 1548). Beide beruhen auf dem
-> Kontrapunkt, wenngleich dessen Regeln bei der S.
weniger streng befolgt werden als bei der Compositio.
Die S. tragt Kennzeichen des Zufalligen (sors) ; die aus
dem Stegreif entstehenden Satze verletzen nicht selten
auch Regeln (non raw a certa via aberrare; H.Faber, des-
sen die S. demonstrierende Notenbeispiele entsprechen-
de Fehler zeigen). Nach Nucius (1613) bedienen sich
sowohl Handwerker (mechanicorum vulgus in publicis ta-
bernis) als auch vorziigliche Musiker (excellentes musici,
et qui in sacellis sunt pontificiis, imperatoriis ac regiis) der
S., die als usus, nicht als ars angesehen wird (S. idem
quod usualis musica, cum sine artefortuita sit et improvisa
consonantiarum coaptatio) und zu der J.Thuringus (1625)
u. a. die Villanellen von J.Regnart zahlt. J. A.Herbst
(1643) erganzt: wegen der Satzfehler und well solche
Lieder keinen sonderlichen Gebrauch vnd Nutzen haben j
auch mehrenteils nur in usu vnd ubung bestehen / werden
solche billich nichts geachtet. - Der Sache nach ist die S.
vergleichbar der super librum cantatio, iiber die Tinc-
toris (1477) auBert: [contrapunctum] quern mentaliter con-
Jicimus, absolute contrapunctum nos vocamus (CS IV, 129).
Lit. : E. T. Ferand, Die Improvisation in d. Musik, Zurich
(1939) ; ders., »Sodaine and Unexpected« Music in the Re-
naissance, MQ XXXVII, 1951 ; ders., Improvised Vocal
Counterpoint, Ann. Mus. IV, 1956; W. Gurlitt, Der Be-
griff d. S. in d. deutschen Kompositionslehre d. 16. Jh.,
TVer XVI, 1 942, auch in : Mg. u. Gegenwart I, = BzAf Mw
I, Wiesbaden 1966; Die Musica figurativa d. M. Schanppe-
cher (Opus aureum, Koln 1501, Pars III/IV), hrsg. v. Kl.
W. Niemoller, = Beitr. zur rheinischen Mg. L, Koln 1961.
KJS
Sortita (von ital. sortire, hinausgehen), Aria di s., in
der italienischen Oper des 18. Jh. die erste (Auftritts-)
Arie der Primadonna bzw. des Helden, gewohnlich im
1. Akt. Die S. war meist dramaturgisch gut vorbereitet
und auf Publikumswirksamkeit angelegt, da sie oft fiir
den Erf olg der ganzen Oper entscheidend war.
Sospiro (ital.) -* Suspirium.
sostenuto (ital., gehalten, zuriickhaltend; Abk. : sost.)
verlangt urspriinglich wie tenuto das gleichmaBige
Fortklingenlassen eines Tons, als Zusatz bei Tempoan-
gaben ein etwas langsameres ZeitmaB. Bei Brahms und
Puccini fordert s. eine Verbreiterung des Tempos und
mem- Gewichtigkeit als bloBes ritenuto.
sotto (ital., unten) -*■ sopra.
sotto voce (s'otto v'o:tJe, ital., »unter der Stimme«,
leise, gedampft; Abk.: s. v.), Vortragsanweisung, die
ahnlich wie -»■ mezza voce eine Veranderung der Klang-
farbe in Richtung des gedampften Tons, auBerste Zu-
riickhaltung in Dynamik und Ausdruck fordert, ohne
gleichbedeutend mit piano zu sein. Verdi schreibt z. B. in
der Traumerzahlung des Iago (Otello, Ende des 2. Aktes)
s. v. als eine nochmalige Veranderung gegeniiber mezza
voce vor. Auf Streichinstrumenten wird s. v. durch
Spiel nahe dem Griffbrett erreicht (Gegenteil: -> sul
ponticello). In der Klaviermusik ist s. v. (auch sotto-
voce) nicht immer gleichbedeutend mit una corda, son-
dern fordert, z. B. bei Brahms, gedampften Ausdruck.
Soubrette (frz., Zofe, Kammerkatzchen), in Deutsch-
land ubliche Bezeichnung fiir ein Rollenfach des So-
prans in Oper und Operette, das etwa der »munteren
Naiven« im Schauspiel entspricht. Die Bezeichnung
geht zuriick auf die Zofe (S.) in den Biihnenstucken
von Pierre de Marivaux (1688-1763) und findet sich,
auf die Oper ubertragen, schon bei Monnet. In der
887
Sound
Opera buffa und im Singspiel ist die S. meist die Be-
dienstete, die mit Witz und Geschick die Handlung
lenkt. Ihre Stimme muB sich weniger durch groBen
Umfang und Kraft als durch erne sichere Mittellage,
Biegsamkeit und hellen Klang auszeichnen. Zu den be-
kanntesten Partien zahlen: Susanna (Le Nozze di Figa-
ro), Zerlina (Don Giov anni), Despina (Cost fan tutte),
Papagena (Die Zauberflote), Annchen (Der Freischiitz),
Marie (Der Waffenschmied). Das Fach der Opern-S. be-
ruhrt sich einerseits mit dem des lyrischen Soprans
(Grenzpartie z. B. Musette in La Boheme), andererseits
mit dem des Koloratursoprans. Das spezielle Fach der
Koloratur-S. (Rosina in Rossinis II barbiere di Siviglia,
Olympia in Offenbachs Les contes d'Hoffmann) stofit in
dessen Spitzenpartie, der Zerbinetta in R.Strauss'
Ariadne au/Naxos, ins Fach des Koloratursoprans vor.
In der klassischen Operette zahlt die Adele in der Fle-
dermaus zu den bedeutenden S.n-Partien. Die neuere
Operette verlangt die sogenannte Tanz-S., die neben
stimmlichen und darstellerischen auch tanzerische
Fahigkeiten haben muB.
Sound (saund, engl., Ton, Klang), Jazzbezeichnung
f iir den typischen Klang des Musizierens einer -> Band
oder auch eines Solisten. Der Begrift des S. hat im Jazz
erst in der Swing-Ara (Ellington, Basie, Herman) im-
mer grbfiere Bedeutung gewonnen, da seitdem ein
wirkungsvoller, moglichst origineller S. als wesentli-
ches Qualitatsmerkmal fiir das Musizieren einer Band
gilt. Im modernen Jazz, auch in der Unterhaltungsmu-
sik, hat die Suche nach neuen Klangwirkungen haufig
zu S.-Experimenten mit ausgefallenen Instrumenten-
kombinationen gefiihrt.
Soupir (sup'i:r, frz.; von lat. -»• suspirium), die Vier-
telpause (r oder £); entsprechend: i = demi-s., jy = quart
de s., ^ = huitieme de s., jj = seizieme de s.
Sousaphon ->• Tuba (-2).
Souterliedekens (sautarl'hdsksns; flamisch, Psalm-
liedchen), eine Sammlung von 158 uberwiegend hol-
landischen Volksliedern mit unterlegten Psalmtexten,
erschienen 1540 bei S.Cock in Antwerpen. Die Texte
stellen die erste vollstandige (gereimte) Psalmenuber-
setzung dar, wahrscheinlich von Willem van Zuylen
van Nijevelt. Da der Dichter und Sammler bei den
Melodien die Anfangszeilen der weltlichen Liedtexte
gewissenhaf t vermerkt hat, bildet das Werk eine Fund-
grube fiir das Studium des niederlandischen Volkslie-
des im 15./16. Jh. Von der iiberaus weiten Verbreitung
dieser Sammlung zeugt die grofie Zahl (33) feststell-
barer.Auflagen. Bereits 1556/57 erschien eine 3st. Be-
arbeitung der S. von Clemens non Papa bei T. Susato
in Antwerpen, ebenda 1561 eine vierstimmige von
Clemens' Schuler Gherardellus Mes. Cornelius Bos-
coop versah seine 50 Psalmen 1568 mit Melodien der
S. - Im Zusammenhang mit den S. sind zwei ebenfalls
geistliche Liedsammlungen bereits aus dem 15. Jh. zu
nennen : das sogenannte Utrechter Liederbuch (Berlin,
Deutsche Staatsbibl., ms. germ. 8° 190) und das Am-
sterdamer Liederbuch (Wien, Osterreichische Natio-
nal-Bibl., ms. 12875, olim Fid. Kom. 7970).
Ausg. : C. Boscoop, 50 Psalmen Davids, hrsg. v. M. Seif-
fert, = Uitgave van de Vereeniging voor Noord-Nld. Mu-
ziekgeschiedenis XXII, Amsterdam u. Lpz. 1899; Fr.
Commer, Collectio operum musicorum Batavorum s. XVI,
Bd XI (Ausg. d. 3st. Bearb. d. S. v. Clemens non Papa),
Bin o. J.; E. Mincoff-Marriage, De S., een nld. psalm-
boek van 1540 .. ., Den Haag 1922; K. Ph. Bernet Kem-
pers, S., 3 Bde, Delft o. J.; Het geestelijk lied van Noord-
Nederland in de vijftiende eeuw, hrsg. v. E. Brunino
OFM u. a., = Monumenta Musica Neerlandica VII, Am-
sterdam 1963.
Lit. : C. v. Winterfeld, Die 3st. Tonsatze d. J. Clemens non
Papa iiber d. Melodien d. S., in: Zur Gesch. heiliger Ton-
kunst I, Lpz. 1850; A. H. Hoffmann v. Fallersleben, Nld.
geistliche Lieder d. XV. Jh., = Horae Belgicae X, Hanno-
ver 1854; ders., Nld. Volkslieder, ebenda II, 21856; W.
Baumker, Nld. geistliche Lieder nebst ihren Singweisen
aus Hss. d. 15. Jh., VfMw IV, 1888; D. Fr. Scheurleer,
De S., Leiden 1894; ders., De S., Bijdrage tot de geschie-
denis der oudste nld. psalmberijming. Met 24 gefacsimi-
leerde titelbladen, Leiden 1898; ders., Nld. liedboeken,
Den Haag 1912; Fl. Van Duyse, Het oude nld. lied, 4
Bde, ebenda u. Antwerpen 1903-08; J. Knuttel, Het
geestelijk lied in de Nederlanden voor de Kerkhervor-
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tung d. cod. germ. 8" 190, Diss. Bin 1922, maschr.; K. Ph.
Bernet Kempers, Die S. d. J. Clemens non Papa, TVer XII,
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to Psalmody in the Netherlands, Diss. Univ. of Michigan
1948, maschr.; P. A. Gaillard, Essai sur le rapport des
sources mdlodiques des »Pseaulmes Cinquantes« de Jean
Louis (Anvers 1555) et des »S.« (Anvers 1540), Kgr.-Ber.
Utrecht 1952; H. Husmann, Diemittelnld. Lieder d. Berli-
ner Hs. germ. 8° 190, ebenda; W. Wiora, Die Melodien d.
»S.« u. ihre deutschen Parallelen, ebenda; W. Salmen, Die
altnld. Hss. Bin 8° 190 u. Wien 7970 im Lichte vergleichen-
der Melodienforschung, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; S. J.
Lenselink, De nld. psalmberijmingen van de S. tot Da-
theen met hun voorgangers in Duitsland en Frankrijk,
Neerlandica Traiectina VIII, 1959.
Soziologie der Musik hat in ihrem Gegenstand und
ihrer Methode Anteil sowohl an der S. (als Kultur- und
Wissens-S.) als auch an der Musikwissenschaft. Ihre
Auf gabe ist, je nachdem sie sub specie der einen oder
der anderen Disziplin betrieben wird, die Interpre-
tation der Gesellschaft aus dem konkreten musikali-
schen Kunstwerk bzw. aus der Gattungs- und Stilge-
schichte (Geschichte der Komposition) oder die Erwei-
terung der Analyse und Interpretation von Musik um
den gesellschaftlichen Aspekt. Da die soziale Konstel-
lation sich nicht ungebrochen ins Musikwerk fortsetzt
und zumal zur Qualitat der iiberragenden und uber-
dauernden Komposition die Transzendierung des so-
zialen Faktors ins Eigengesetzlich-Musikalische gehort,
ist die Interpretation soziologischer Bedingtheit aus der
Musik heraus schwierig und aus dem Meisterwerk
schwieriger als aus zeittypischen Durchschnittskompo-
sitionen (»Gebrauchsmusik«, Auftragsmusik), die in der
Regel bestimmte Auflagen zu erfullen haben und da-
her direkter mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten
verbunden sind. Der soziale Hintergrund der Musik,
das »Musikleben« mit den von der gesellschaftlichen
Struktur bedingten Wirkungs- und Rezeptionsweisen,
die soziale Lage der Musiker, ihr und ihrer Werke
Rechtsstatus (-> Urheberrecht), ihre wirtschaftlichen
Verhaltnisse und Standesorganisationen (z. B. als
->■ Zunft) sind seit dem Bestehen der modernen Mu-
sikgeschichtsschreibung in Biographik, musikalischer
Lokalgeschichte und der (im engeren Sinne) musikali-
schen Sozialgeschichte befragt und erforscht worden.
An der Sozialgeschichte entlang eine S. d. M. zu schrei-
ben, mit der Absicht, soziologische Kategorien und
Theorien an der Faktizitat der Geschichte zu uberpru-
fen bzw. erst aus ihr zu gewinnen und Musik und Mu-
sikgeschichte durch sie zu erklaren, ist eine dringliche
Aufgabe. Die -> Musikethnologie der jiingeren Zeit
zahlt es zu ihren wichtigsten Zielen, die auBereuro-
paische Musik in ihrer Bedingtheit durch die je eigen-
artigen Kulturen und Gesellschaftsordnungen zu er-
kennen.
Eine S. d. M., die als ihren Gegenstand in erster Linie
das Meisterwerk versteht, bedarfdes Kunstwerks als Do-
kument, d. h. der niedergeschriebenen Komposition.
Musikalisch-praktische Dokumente in ausreichender
Dichte liegen aus dem Altertum nicht vor. Doch war
888
Soziologie der Musik
offenbar die ->• Sumerische Musik, die -> Agyptische
Musik und die Musik der klassischen Antike in ho-
hem MaBe lebensgebunden. Der Begriff Musike be-
zeugt die Verbundenheit der -v Griechischen Musik
mit den verschiedensten Lebenskreisen. Die Theorie
der gesellschaftlichen, vor allem erzieherischen Wir-
kung der Musik (-> Ethos), wie sie von -> Damon und
-»• Platon entwickelt wurde, ist (modern gesprochen)
eine Verbindung von sozial-psychologischen und so-
zial-utopischen Ansatzen. - Deutungen streng liturgi-
scher Kirchenmusik nacK soziologischen Kategorien
erweisen sich gegeniiber theologischen als untergeord-
net, unbeschadet der Tatsache, dafi in manchen Formen
liturgischer Musik die Herkunft aus bestimmten sozia-
len Situationen sichtbar ist (->■ Antiphon -2,-*- Akkla-
mationen). DaB die Kirche z. B. als Auftraggeber auf-
tritt oder bestimmte Arten von Musik verbietet oder
gebietet (-> Ars nova, -*■ Tridentiner Konzil), ist inso-
fern ein sozialgeschichtlicher Tatbestand, als der Kom-
ponist somit an institutionelle Weisungen und be-
stimmte musikalische Zwecke (z. B. -> Calvinistische
Musik, ->■ alternatim-Praxis, -> Kantionalsatz, mehr-
stimmige -> Messe [Missae breves z. B. Mozarts],
-> Versett, -*■ Praeludium) gebunden ist. In der Frage
der »Wirkung« und »Verstandlichkeit« der kirchlichen
Polyphonie wurde vielfach (teilweise bis ins 18. Jh.) zu-
gunsten ubergeordneter Zielrichtungen der Kirchen-
musik nur am Rande mit einer publikumsahnlichen
Gemeinde gerechnet.
Gegeniiber der durch Liturgie und Gemeinde moti-
vierten Musik gab es seit dem spaten Mittelalter die
Musik fur den Kenner. Die mittelalterliche Motette
war durch ihre Mehrtextigkeit und rhythmische Sub-
tilitas (->• Isorhythmie) auf einen kleinen, durch gelehr-
te Bildung aus der Gesamtgesellschaf t herausgehobenen
klerikalen oder hofisch-geselligen Kreis gerichtet, ahn-
lich den der Motette ebenbiirtigen weltlichen Lied-
und Refrainformen im Kantilenensatz der Ars nova.
Johannes de Grocheo vermerkte kurz vor 1300 aus der
Kenntnis des Pariser Musiklebens, die Motette sei coram
literatis et Mis, qui subtilitates artium sunt quaerentes (ed.
Rohloff, S. 56) aufzufuhren. Zu diesem Personenkreis
rechnete Jacobus Leodiensis (Anf ang des 1 4. Jh.) auch die
cantores und layci sapientes (CS II, 432a). Der Schicht der
nicht Gebildeten waren weithin die einstimmigen oder
usuell begleiteten Lieder in Vulgarsprachen und die
Tanze angemessen. - Offenbar setzt auch der Begriff
der -»■ Musica reservata (einer der wenigen soziologisch
relevanten Begriffe der musikalischen Terminologie,
der allerdings nicht mit letzter Sicherheit deutbar ist)
die Machart der Komposition zum Auffiihrungsort
und zu den Beteiligten in Beziehung. Die Musica re-
servata war zufolge besonderer Bedeutungsgehalte der
Allgemeinheit verschlossen ; vor dem Zugang zu ihr
stand der zu gelehrter Bildung uberhaupt. Noch das
Madrigal des 16./17. Jh. hatte (wie schon die Liedkunst
des -v Trecentos) seinen Platz in hofischen Zirkeln und
->• Akademien, deren Exklusivitat Experimente mit
Chromatik und Enharmonik begiinstigte. Um den
Hochstil des Madrigals gruppierten sich verwandte
Formen weltlicher Mehrstimmigkeit, wobei Volks-
tumlichkeit zum Teil artifiziell, als »exotischer« Reiz in
die Hochform aufgenommen wurde (-> Frottola,
-> Kanzonette, -» Villanella). Vergleichbare Vorgange
sozialen (sozial hier im Sinne der Hierarchie von Standen
nach Herrschafts- und Besitzverhaltnissen) Auf- oder
Abstiegs von Gattungen sind in der Musikgeschichte
nicht selten. Einmalig aber ist die Konsequenz, mit der
sichiml5./16.Jh.,alsmehrstimmigekunstvolle Musik in
hoher Geltung stand, der biirgerliche -> Meistersang
riickwarts gewandt an das einstimmige Lied band.
Spatestens seit 1430 ist (nach Besseler 1959) Umgangs-
musik: ein Selbstmusizieren von Liebhabern, nachweisbar,
etwa ab 1460 auch in biirgerlichen Kreisen. Neben der
mehrstimmigen vokal-instrumentalen geselligen Mu-
sik stand als Repertoire zumal die aus vokalen Satzen
in Tabulatur abgesetzte und die im 16. Jh. neue eigen-
standige Instrumentalmusik dem hauslichen Musizieren
offen. Von Berufsmusikern (vor allem der -» Kapelle)
»darzubieten« war grundsatzlich die -> Festmusik, die
ihren reprasentativen Charakter durch den Aufwand
an Mitteln und den hohen Einsatz an Kompositions-
kunst erhielt. In den als »Gesamtkunstwerken« ange-
legten Renaissance- und Barockfesten steigerten sich
mit dem auBeren Glanz und der Sinnenhaftigkeit von
poetischem Vorwurf, Szene und Dekoration (-> Ma-
drigalkomodie, -*- Oper) die musikalischen Krafte des
Erfindens und Ausfuhrens. DaB sich die spateren Gat-
tungen des Concertos, das Concerto grosso und das
Solokonzert, von einem Brauch der Auffiihrung und
Besetzung zu einer kompositorischen Gattung mit aus-
gepragten Formtypen verfestigte, ist wahrscheinlich
nicht zuletzt auf die lebhafte Rezeption dieser »beein-
druckenden« Musik in breiteren Kreisen zuriickzuf iih-
ren. Das »Ansprechen« des HSrers durch eine der Spra-
che nahestehende, ihr im Tonfall (-> Monodie) und in
f ormalen Analogien (->■ Figuren) entsprechende Musik
war eine tiefgreifende Neuerung vor und nach 1600.
Als Niederschlag der Spannung zwischen dem Neuen
und seinen auBerordentlichen Wirkungen einerseits
und der Tradition andererseits ist die Diskussion um
den -*■ Stil (-> Prima pratica, -> Seconda pratica) im
17. und 18. Jh. zu interpretieren; hier handelt es sich
offenbar um einen Vorgang der Rationalisierung, um
angesichts der Vermischung der Gattungen diese er-
neut auf die ihnen gemaBen Anlasse und Orte zu be-
ziehen. Vor dem Hintergrund des seit 1600 datieren-
den Widerspiels zwischen - satztechnisch ausgedriickt -
Kontrapunkt und GeneralbaB und aus der besonderen
Tradition des protestantischen europaischen Nordens
(->• Musica poetica) sind noch die Biographie und das
Schaffen J. S.Bachs und die Wirkungsgeschichte seiner
Musik zu verstehen.
Die Oper mit den ihr zugebilligten, iiberaus reichen
Mitteln an Formen und Freiheiten des Satzes war seit
dem 17. Jh. nicht nur eine bevorzugte Gattung der Fest-
musik, sondern wurde auch intensiv vom Burgertum
rezipiert; seit den 1630er Jahren gab es stehende Thea-
ter (Venedig, Hamburg). In Anlehnung an die Offent-
lichkeit der Oper entwickelte sich das -> Konzert (- 2)
als eigenstandige Form biirgerlicher Musikveranstal-
tung. Dem Aufnahmevermogen der wachsenden Zahl
von Liebhabern als zahlenden Konzertbesuchern oder
als Kaufern von Noten (die durch -> Notendruck und
-stich vervielfaltigt wurden) trug der -> Galante Stil
Rechnung. In dessen melodisch-homophoner Anlage
war brillante Konzertmusik ebenso moglich wie das
leicht spielbare Stuck f iir das hausliche Musizieren. So-
weit sie sich dieser Mode unterwarf en, konnten Kompo-
nist und Virtuose sich wirtschaf tlich von den herkornm-
lichen kirchlichen und standischen-Institutionen un-
abhangig machen. Noch in hofischen Bindungen
standen die Mitglieder der -> Berliner Schule, denen
die Vermittlung zwischen dem Gelehrten und dem
Galanten erstrebenswert war. In dem Leitbild eines
»vermischten Geschmacks«, in den das Gute der herr-
schenden Nationalstile eingehen solle, damit mit der
Zeit ein allgemein guter Geschmack entstehe, sah Quantz
(Versuch XVIII, 87-89) die Vision einer Musik, die von
vielen Volkern als vernunftigerweise beste akzeptiert
werden konne. Sie wurde um die Wende des 18./19.
Jh. verwirklicht in der Musik der Wiener Klassik. Die
889
Soziologie der Musik
neue Simplizitat, Beweglichkeit, Fafilichkeit und Le-
bendigkeit der Tonsprache verband sich hier mit hoch-
ster Qualitat des musikalischen Satzes. Bei grundsatz-
lich gleicher formaler Anlage von Kammermusik und
Symphonik (-> Sonate, -> Sonatensatzform) liegt bei
der ersteren - gemafi dem kleinen Kreis der Spieler und
Horer - das Schwergewicht auf Intensitat und Fort-
schrittlichkeit der Satztechnik. Das -*■ Streichquartett,
in dem die Partner wie im Gesprach die Faktur des
Satzes (->■ Thematische Arbeit) bei jeder Ausfiihrung
gleichsam entstehen lassen, pragte die Sphare des so-
ziologisch neu orientierten Begriffs von Kammermu-
sik giiltig aus. Die Symphonik dagegenwendet sich an
die Off entlichkeit, die durch alle willigen Menschen
ohne Ansehen der Nationalitat und des Standes gebildet
wird. Sie vermittelt in einer allgemeinverstandlichen
musikalischen Sprache die groBen Ideen durch Aus-
dehnung der Form (Beethoven, 3. Symphonie), Ver-
groBerung des Apparates (9. Symphonie) oder Ver-
wendung poetischer (tonmalerischer, programmati-
scher) Idiome (6. Symphonie). Die Fortsetzung der
klassischen Symphonik, die -*■ Programmusik und die
-> Symphonische Dichtung, rie£ die Problematik von
Inhalt und Form (-> Ausdruck, ->• Formenlehre) her-
vor. Der Propagierung des Sujets dient in dieser Mu-
sik z. B. die psychologisierende Technik des Leitmo-
tivs (auch in der symphonischen Oper) oder auch der
durch Instrumentationseffekte hervorgekehrte Klang.
Parallel zur standigen Ausweitung des Auffiihrungs-
apparates und gleichzeitig mit dem Anwachsen der
stadtischen Bevolkerung im industriellen Zeitalter
zieht sich durch das 19. Jh. die Suche nach neuer Ex-
klusivitat und Intimitat. Am sublimsten hat sie sich in
der typisch romantischen Gattung, dem Lied, nieder-
geschlagen, als neuentdecktes und in einem 2. oder 3.
Dasein der Kunst zugangliches ->■ Volkslied, als Kunst-
lied, als instrumentale Form (-> Lied ohne Worte) und
als thematisches Gebilde in der Sonatensatzform. Das
.Streben nach Exklusivitat miBlang der -»- Salonmusik
und auf die Dauer auch der geselligen Chormusik
(-* Liedertafel, -> Singakademie) ; die Chorbewegung
tendierte zu groBen Besetzungen und allgemeiner Ver-
breitung (->■ Sangerbiinde). Der seit dem Sturm und
Drang verstarkte Anspruch an die Komposition, neu
und originell zu sein, lieB die Moglichkeit, fiir Kenner
und Liebhaber gleichermaBen zu komponieren, schwin-
den. Als schwerwiegende Folgerung stellte sich darum
nach 1830 die Abtrennung der Sphare der -» Unter-
haltungsmusik ein.
Der Ausgleich zwischen popularem Idiom und kompo-
sitorischer Qualitat wurde seit dem 19. Jh. nicht mehr
erreicht, auch (mit Ausnahme etwa G.Mahlers) nicht
mehr gesucht. Trotz der Organisation des Musiklebens
durch ->• Gesellschaf ten und Vereine, trotz der Veran-
staltung von -*■ Festspielen und der literarischen Propa-
gierung durch ->- Konzertfiihrer und -*■ Opernfuhrer,
der Moglichkeit dauernder Verfiigung iiber Musik
durch -> Schallplatten und -»■ Rundfunk (- 1) seit den
1920er Jahren lassen sich das spatestens seit dem letzten
Drittel des 19. Jh. zu beobachtende Schrumpfen des
Repertoires und der Verlust des Publikums fiir die neu-
entstehende Musik nicht auf halten. Der ungewohnliche
Erfolg der Wiederbelebung alter Musik, ermoglicht
durch die Auffuhrungspraxis und Editionstechnik der
Musikwissenschaft und mit eingeleitet durch die -»■ Ju-
gendbewegung, laBt die Befiirchtung nicht ruhen, daB
von einer Kulturindustrie dabei »falsches BewuBtsein«
induziert wird. In dem MaBe aber, in dem zur Qualitat
der Komposition immer radikaler deren Neuheit ge-
hort, wird der Kritiker (-> Musikkritik) anstelle des
Publikums zum Gegeniiber des Komponisten. Ein Ge-
890
schmackspluralismus beherrscht den kapitalistischen
Musikbetrieb in demokratischen Staaten; und die Len-
kung der Kultur im staatlich-gesellschaf tlichen Interesse
kennzeichnet die Musikpolitik marxistisch regierter
Lander, die im Interesse eines »Realismus« (->■ Intona-
tion - 3) auch den Eingriff in die Arbeit des Komponi-
sten (-> Prokofjew, -> Schostakowitsch) fiir gerecht-
f ertigt halt.
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Sp (Sp), Abk. fur Subdominantparallele (Funktionsbe-
zeichnung nach Riemann).
Spanische Musik. Aus vorgeschichtlicher Zeit gibt
es Felsmalereien mit Tanzszenen; in der griechisch-ibe-
rischen Keramik finden sich Tanzszenen und Instru-
mente aus dem 5.-3. Jh. v. Chr. Spuren antiker Musik-
kultur lassen sich in Tanzen und Volksliedern der ver-
schiedenen Landschaften Spaniens feststellen. - Wie die
profane Musik vom Rom der Kaiserzeit beeinfluBt war,
so stand auch die religiose Musik in der Spatantike und
bis ins 7. Jh. in stetiger Wechselwirkung mit der litur-
gischen Kunst der romischen, mailandischen, gallikani-
schen und afrikanischen Kirche. Spanien kannte die
Neumenschrift mindestens ab dem 7. Jh. ; die der Kir-
che von Toledo gilt als die alteste des Abendlandes. Als
frtihestes erhaltenes Zeugnis ist ein urn 700 in Tarrago-
na geschriebenes Orationale mit Neumen am Blattrand
anzusehen (Verona, Bibl. Capitolare, Cod. LXXXLX).
Aus dem 9.-1 1 . Jh. sind etwa 20 weitere Handschrif ten
mit Musik der westgotisch-mozarabischen Liturgie er-
halten. Unter ihnen ragt das Antiphonarium von Leon
hervor, das zu Anfang des 10. Jh. von einem gewissen
Aia abgeschrieben wurde. Die Texte der Liturgie so-
wie die wenigen Melodien, die sich in mundlicher Tra-
dition erhalten haben (sie wurden um 1500 aufgezeich-
net in den Cantorales Cisneros, Toledo) oder auch von
anderen alten Melodien beeinfluBt sind, zeigen ausge-
pragte Dramatik und volkstiimlichen Ton. Unter den
musikalischen Formen der spanischen Liturgie sind
namentlich die Alleluia prolixa zu nennen, die bis zu
300 Tone enthalten und in der Messe wie auch in der
Vesper gesungen wurden; sie erinnern an die Melodiae
longissimae, die von Notker erwahnt werden. Der
Hymnus Piis edite laudibus mit dem Refrain Alleluia
perenne (7. Jh.) ist in Spanien entstanden. Die west-
gotischen Preces, eine besondere Form archaischer
Poesie, konnen als Vorlaufer der Sequenzen angesehen
werden. Die Verwendung der volkstiimlichen Formen
des liturgischen Gesanges (Tropen, Sequenzen, Con-
ductus, rhythmische Offizien und das liturgische Dra-
ma) begann in der Provinz Tarragona, deren Kloster
in enger Beziehung zu der musikalisch-liturgischen
Kultur Frankreichs standen. - Die alteste nichtliturgi-
sche, mit Musik uberlieferte lateinische Lyrik ist das
Werk des Eusebius von Toledo und des Isidorus von
Sevilla (7. Jh.). Den einstimmigen lateinischen Planctus
auf den Tod eines Konigs pflegte Kastilien bereits seit
dem 7. Jh. Wenn auch keine authentische Melodie der
hebraisch-arabischen Kultur des mittelalterlichen Spa-
nien erhalten ist, so haben Juden und Araber doch mit
Sicherheit bedeutenden Anteil an der Entwicklung der
spanischen musikalischen Lyrik. Diejaryas, in der Mu-
waschaa-Lyrik der hebraisch-arabischen Dichtung er-
halten, sind profane Lieder volkstiimlichen Charakters
und schon fast 100 Jahre vor dem Erscheinen der
Trobadorlyrik entstanden. Spanien pflegte dank der
Familienbeziehungen der Herrscherhauser von Kasti-
lien, Aragonien und Navarra zu denjenigen von Frank-
reich, England und Deutschland einen regen musikali-
schen Austausch mit diesen Landern. Es assimilierte
friihzeitig die 1st. Lyrik der Provence und Nordfrank-
reichs. In den Cantigas de amigo (Frauenlieder) der ga-
licisch-portugiesischen Lyrik des 13. Jh. finden sich
friihe Beispiele profanerEinstimmigkeit (10 Melodien).
Die mit Musik iiberlieferten -»- Cantigas de S. Maria
Konig Alfons' des Weisen (1252-84), des Sohnes Fer-
dinands HI. und der Beatrix von Schwaben (f 1235),
bilden ein bedeutendes, von der Trobadorlyrik unter-
schiedenes Repertoire. - Virgilius Cordubensis berich-
tet in seiner Philosophia (11. Jh., arabisch, erhalten nur
in einer 1290 datierten lateinischen Ubersetzung), daB
es in der hohen Schule von Cordoba zwei Lehrer fur
mehrstimmige Musik gab : et duo legebant de musica (de
ista arte quae dicitur organum). Aus dem 12. Jh. sind die
Musik von Santiago de Compostela (->■ Quellen: Ca-
lixtinus-Kod.) und die Schule von Tarragona bekannt.
Im 13. Jh. gab es mehrere Zentren mehrstimmiger
Musikpflege: in Kastilien die Kathedrale von Toledo,
eine Art Tochterschule von Notre-Dame in Paris, deren
Codex in Madrid (Ma) aufbewahrt wird; ferner das
Kloster Las Huelgas (Hu) in Burgos und die Uni-
versitat in Salamanca; in Katalonien die Abteien Ri-
poll und Scala Dei und die Kathedrale von Tortosa;
fur Navarra sei auf das Zeugnis des englischen Anony-
mus IV (CS I, 345a, 349b) verwiesen. Die koniglichen
Kapellen von Kastilien, Aragonien und Navarra sowie
die bedeutenderen Zisterzienserkloster standen wah-
rend des 14. Jh. unter dem Einflufi der papstlichen Ka-
pelle von Avignon. Sanger und Musiker aus Deutsch-
land, Osterreich, Frankreich und den Niederlanden
muBten das Repertoire sakraler und profaner Musik
ihrer Heimatlander mitbringen. Die Handschriften zei-
gen, daB die sakrale Musik aus der Provence (Avignon)
kam, wahrend die profane Musik auf einen lebhaften
Austausch mit Frankreich deutet. Im Llibre Vermeil von
Montserrat sowie in einigen Fragmenten in Barcelona
und Gerona sind Beispiele der mehrstimmigen Musik
der Ars nova enthalten. In Montserrat wurden auch
sakrale Tanze von den Pilgern aufgefuhrt. Im 15. Jh.
entstand eine einheimische Schule mehrstimmiger welt-
licher und religioser Musik. Die Hofhaltung Alfons'
des GroBmiitigen von Neapel (1443-58) und seiner
Nachfolger, die Heirat Isabellas von Portugal mit Her-
zog Philipp dem Guten von Burgund (1430), die papst-
liche Kapelle in Rom, der Hof der Sforza in Mailand
usw. bewirkten einen lebhaften musikalischen Aus-
tausch Spaniens einerseits mit Frankreich und Burgund,
andererseits mit Italien. Am Hof Alfons' des GroBmii-
tigen in Neapel finden sich die Anf ange des mehrstim-
migen spanischen Liedes, zu dessen friihesten Quellen
das Ms. Montecassino 871 mit Satzen von Cornago
und Oriola gehort. Ferdinand V. in Katalonien und
891
Spanische Musik
Aragonien sowie Konigin Isabella von Kastilien bilde-
ten zum erstenmal in Spanien Kapellen, die ausschlieB-
lich aus einheimischen Musikern bestanden. Beim Tode
der Konigin (1504) wahlte der Konig die besten Musi-
ker aus, gliederte sie der Kapelle von Aragonien ein
und schuf so die konigliche Kapelle Spaniens, die ihren
Hohepunkt wahrend der Regierung Philipps II. hatte.
Die religiose und weltliche mehrstimmige Musik er-
scheint hier bereits mit der der spanischen Musik eige-
nenEinfachheit der Formen und ungekiinstelten Tech-
nik. Spanische Komponisten dieser Epoche waren Ur-
reda, J. de Anchieta, P. de Escobar, J. delEncina, A. de
Alba, Fr. de Peiialosa u. a. Unter der Herrschaf t des Hau-
ses Habsburg offneten sich ihnen jetzt die Grenzen. Karl
V. , Gonner der f ranko-flamischen Kunst, liebte zwar die
spanische Polyphonie und Instrumentalmusik, aber ihr
eigentlicher Mazen im 16. Jh. war sein Sohn Philipp II.
Unter den nationalen Schulen waren die von Anda-
lusien und Kastilien die bedeutendsten. Chr. Morales,
F. de las Infantas und Fr. Guerrero ragen in der andalu-
sischen Schule hervor; J.Escribano, B.Ribera, P. de
Pastrana, J. Garcia de Basurto, A. de Cabezon, T. L. de
Victoria und A. de Tejeda sind die beriihmtesten der
kastilianischen Schule; A.Marlet, M.Flecha sen. und
jun. und Brudieu zeichnen sich in der katalanischen
aus, M. Robledo, N. Zorita und Caceres in der aragoni-
schen sowie J. G. Perez in der valencianischen. Die her-
vorragendsten Meister der sakralen Polyphonie waren
Pefialosa, Escobar und Morales, dessen Ruf am weite-
sten iiber Spaniens Grenzen hinausdrang, ferner Vila,
Guerrero, Brudieu und Victoria, der von der mystisch-
dramatischen Kunst des Morales herkommt, nur noch
verfeinert in der Schule Palestrinas. - Die profane Mu-
sik ist enthalten in den -> Cancioneros unci den Samm-
lungen von Madrigalen, Villancicos und Sonetten. In
seinen Ensaladas wuBte der Katalane M.Flecha die
komische Note mit der dramatischen und die ironi-
sche mit einer Lektion praktischer Moral zu verquik-
ken. Vila mit seinen geistlichen Madrigalen, J. Vasquez
mit seinen Canciones, Villancicos und Sonetten, Fr.
M.Flecha und Brudieu mit ihren Madrigalen, Fr.
Guerrero mit seinen Canciones und Villanescas, Ce-
ballos, Navarro u. a. bilden einen Kreis von Kompo-
nisten prof aner Musik, die sich am Volkslied der Land-
schaf ten der iberischen Halbinsel inspiriert haben. Mei-
ster der Orgelmusik waren A. de Cabezon, fiihrend in
der kirchlichen Orgelmusik und in der Kunst der Va-
riation im Europa des 16. Jh., ferner Vila, F. de Soto
und B. Clavijo del Castillo. In der Musik fur Vihuela
von Milan, L. de Narvaez, E. de Valderrabano, M. de
Fuenllana, Daza und in den Glosas fur Viola da gamba
von Ortiz finden sich die ersten Beispiele der instru-
mentalen Variation, der Tientos und Fantasias. Als Mu-
siktheoretiker sind zu erwahnen der blinde Salinas,
Bermudo und Fray Tomas de Santa Maria. Das Fehlen
eines groBziigigen Druckwesens in Spanien erklart den
Verlust eines groBen Teiles der Musik des 16.-18. Jh.
Die Meister pflegten bis zur Mitte des 17. Jh. den Stil
der -> Romischen Schule in Messen, Psalmen und Hym-
nen und zur gleichen Zeit den neuen Stil in den Villan-
cicos, Kantaten, Tonos und Chansonnettes.
Madrid wurde nach Verlegung des spanischen Hofes
dorthin unter Philipp II. zum Umschlagplatz der Sp.n
M. In der Kirchenmusik ragte die konigliche Kapelle
hervor mit Meistern wie Romero (Maestro Capitan),
Patifio, J.P.Roldan und Cr.Galan. Kastilien brachte
Komponisten wie Esquivel de Barahona, J.Ruiz de
Robledo und S.Lopez de Velasco hervor. In Kata-
lonien wirkten Kapellmeister wie J.Pujol, J.Verdalet,
Albareda, A. Font, L.Molins, M. Selma, L.Torras, J.
Radua sowie Fr. Soler und J. Marques. In der Chorschule
von Montserrat erscheinen J. Marques, D. Roca, Fr. Lo-
pez und Cererols, in AragonienKomponisten wie Agui-
lera de Heredia, Pontac, Ruimonte und Baban, in Va-
lencia J. B. Comes, J.Navarro und Fr. de la Torre. Im
Jahrhundert der Oper, der Zarzuela, der Tonos hu-
manos, Villancicos, Madrigales, Canciones, Letras, So-
netos, Sonadas, Cantares de Sala, Cuatros de empezar
schufen am Hofe von Madrid wahrend der Regierung
Philipps III. (f 1621) und Philipps IV. Komponisten
wie Romero und seine Nachfolger J. Bias de Castro, G.
Diaz, J.Palomares profane Musik; sie alle vertonten
Werke Lope de Vegas. Die Musik fiir Tasteninstrumen-
te setzte die Tradition des vorhergehenden Jahrhun-
derts fort mit der Facultad orgdnica (Alcala 1626) des
Correa de Arauxo und mit den Werken von Jimenez,
Baseya, de la Torre, P.Bruna, Fr.Espelt. Unter ihnen
ragt Cabanilles von Valencia hervor, der eine Gruppe
von Schiilern heranbildete. Die spanische Orgel hatte
bis zum 18. Jh. ein Pedal von nur etwa 9 Tasten. Des-
halb wirkt die spanische Orgelmusik etwa 50 Jahre al-
ter als sie tatsachlich ist. Die Vihuela, bisher das hofi-
sche Instrument des Landes, verschwand im gleichen
Jahrhundert zugunsten der Gitarre. - Literes, J. de
Nebra, R. de Hita vertraten die spanische Tradition
im 18. Jh., wahrend Duron, J. de Torres y Martinez
Bravo und vor allem der Barcelonese Vails sich als mu-
tige Erneuerer zeigten. Die Katalanen J. Casellas, J. Ro-
sell und F. Junca in Toledo, zusammen mit P. Aranaz y
Vides und J.Perez Roldan, bemiihten sich, die spani-
sche Kirchenmusik zu retten; dazu kamen u. a. J.Du-
ran, Schiiler Durantes in Neapel, J.Pujol, F. Queralt, L.
Serra undJ.Teixidor. Das Villancico und das Oratorio,
beide mit kastilischem Text, fanden allenthalben Ein-
gang. Die Katalanen J.Elias, A.Martin y Coll, Lidon
von Salamanca und J.Moreno y Polo von Tortosa fiir
Orgel, F.Menalt und A. Soler fiir Kammermusik sind
die hervorragendsten Vertreter der Instrumentalmusik.
D. Scarlatti, der 1729-57 am Hofe von Madrid die Kla-
viersonate erneuerte, Fr. Corselli, der »kastilische Han-
del* italienischer Herkunft, mit seinen Messen, Kanta-
ten, Motetten, Boccherini mit seinen Quintetten und
anderer Kammermusik auf kastilische Liedthemen er-
Iangten Ruhm. - Im 17. Jh. schrieben Calderon und
Lope de Vega spanische Opernlibretti; als Komponist
ist nier Hidalgo zu nennen. Auch die Autos sacramen-
tales enthalten gesungene Einlagen. Mit der Herrschaft
der Bourbonen hielt die italienische Oper ihren trium-
phalen Einzug in Spanien wahrend der ersten Regie-
rungsjahre Philipps V. Der Kampf zwischen einheimi-
schen und italienischen Kiinstlern dauerte lange Jahre;
trotz des hartnackigen Widerstandes von Nebra, Li-
teres und R. de Hita obsiegte die italienische Oper. Um
den italienischen EinfluB auf das spanische Theater ein-
zudammen, schuf Mison die Tonadilla escenica. - Im
19. Jh. beherrschte Rossinis Musik Spanien. 1830 griin-
dete die Konigin Maria Cristina das Konservatorium
von Madrid, dessen Lehrer P. Albeniz, R. Carnicer und
Saldoni itahenisch orientiert waren. Mit Eslavas Samm-
lung Lira sacro hispana (Madrid 1859ft.) begann die mu-
sikgeschichtliche Forschung in Spanien; ihm folgen Fr.
A. Barbieri und Pedrell. Barbieri wirkte mit dem Or-
chester der Sociedad de Conciertos, dessen Leitung
dann J. de Monasterio iibernahm. Barbieri und Arrieta
y Corera bemiihten sich, die -*■ Zarzuela neu zu bele-
ben; Breton schuf die Oper im spanischen Stil, worin
ihm Chapi y Lorente und Pedrell folgten. In Katalonien
schrieben der Gitarrist Sor und K.Baguer Opern fiir
das Theater in Barcelona; nach 1830 waren M.Ferrer,
Carnicer und R. Vilanova fiihrend im Musikleben Spa-
niens. 1838 wurde das Konservatorium von Barcelona
gegriindet. Clave ist im soziologisch-kunstlerischen
892
Spanische Musik
Sinn der Griinder der katalonischen Chore. Pedrell be-
gann im grofien Stil die Kirchenmusik zu erneuern und
eine auf den Volksgesang gestiitzte nationale Oper zu
schreiben. Albeniz, E. Granados, A. Vives und Nicolau
sind die fiihrenden Komponisten des 19. Jh. und des
beginnenden 20. Jh. in Katalonien.
In der 2. Halfte des 19. Jh. wurde von der reichen spa-
nischen Volksmusik auch auBerhalb der iberischen
Halbinsel mehr bekannt, nicht zuletzt durch russische
und franzosische Komponisten, die wie Glinka, Cui,
Bizet, Chabrier, Debussy und Ravel den Reiz des
spanischen Kolorits entdeckten. In der musikalischen
Folklore Spaniens sind Lied und Tanz eng verbunden.
Im Ausland wird die Volksmusik Andalusiens als ty-
pisch fur das ganze Land angesehen, besonders der
Cante jondo (Flamenco), daneben, zu Gitarre und Pan-
dero, die Malaguefia, der Zapateado und Jaleo sowie
die Saeta. Von der andalusischen Musik ebenso wie
von dem Siglo d'oro der spanischen Musikgeschichte
zeigte sich Spaniens bedeutendster Musiker des 20. Jh.,
M. de Falla, angeregt. Seine Stellung als nationaler
Komponist ist mit der des Ungarn Bartok vergleich-
bar. Kastilien ist das Land der Romances, verbreitet ist
der Rundtanz Rueda. In Katalonien hat die eigenartige
Sardana ihre Heimat, die von der Coblakapelle gespielt
wird; aus Aragon stammt die Jota. Das wichtigste
Volksinstrument Galiciens ist der Dudelsack Gaita, der
bekannteste Tanz der Alala. Das charakteristische In-
strument der Basken zwischen Frankreich und Spanien
ist der Txistu, die bekanntesten Tanze sind der Aurres-
ku und der Zortziko.
Ausg. u. Lit. : — > Cancionero, — > Cantigas, — > Denkmaler,
— > Mozarabischer Gesang, — * Romanze.
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1964, maschr. HiA
893
spartire
spartire (ital.), in -» Partitur setzen. Spartieren nennt
man das Zusammensetzen einer Partitur aus gedruck-
ten oder geschriebenen Einzelstimmen. Die so erstellte
Umschrift heiBt (umgangssprachlich) Sparte.
Spektrum -> Frequenzspektrum.
Sperrventil ist in der mechanisch gesteuerten Orgel
(Schleifladenorgel) eine Vorrichtung, die den Zugang
des Windes zu den einzelnen Windladen absperrt
(-> Ventil - 1). Das Sp. wird vom Spieltisch aus durch
Registerziige oder Tritte betatigt, um bei Schaden an ei-
ner Pfeifenreihe oder Windlade »Durchstecher« (»heu-
lende Pfeifen«, die nicht ertonen sollen) auszuschalten.
Speyer.
Lit. : Chorregel u. Jiingeres Seelbuch d. alten Speierer Dom-
kapitels, hrsg. v. K. v. Busch u. Fr. X. Glasschroder, 2
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nische Kirchengesch. VIII, 1 956 ; G. Pietzsch, Orgelspiel u.
Orgelbauer in Sp. vor d. Reformation, AiMw XIV, 1957.
Spharenharmonie heiBt jener Bereich der Musica
mundana (-> Musica), der sich in den proportional ge-
ordneten Bewegungen und gegenseitigen Entfernun-
gen der Gestirne (besonders der Planeten) bzw. Stern-
kreise (Spharen) manifestiert. Auf der Vorstellung, daB
Welt- und Tonsystem einander abbildhaft entsprechen,
und auf der Erfahrung, daB durch Bewegung Tone
entstehen, beruht die Annahme der Pythagoreer, daB
auch die Gestirne bei ihrer Bewegung Tone hervor-
bringen. Je nach zugrunde gelegtem astronomischem
System sollten diese Tone (die sogenannte »Spharen-
musik«) dem chromatischen (Censorinus, De die natali
XIII) oder diatonischen (Boethius, De institutione mu-
sica I, 27) Klanggeschlecht angehoren. Die Tatsache,
daB jene Tone nicht horbar waren, wurde von Aristo-
teles (»De caelo« II, 9) darauf zuriickgefiihrt, daB sich
die Spharen zusammen mit den in ihnen liegenden Ge-
stirnen drehen, so daB eine Tone hervorbringende Rei-
bung nicht entstehen konne. Anders argumentierte
Macrobius (Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis
II, 4) : tnaior sonus [namlich der Spharenbewegung] est
quant ut humanarum aurium percipiatur angustiis. In der
christlichen Literatur tritt die Diskussion iiber die
Klangrealitat der Sph. zunachst zuriick. Die verbreitete
Vorstellung vom gemeinsamen Schopferlob der Him-
melskorper und Engel scheint sie vorauszusetzen. Die
Terminologie dieses Lobpreises entstammt ganz der li-
turgisch-musikalischen Praxis : die »Musik« beider heiBt
concentus (concentus coeli, Aurelianus, GS I, 40b, nach
Hiob 38, 37, bzw. concentus angelorum, so noch Mar-
chettus von Padua, GS III, 66a). Mit Musica coelestis
wird in der Regel nur das abstrakt-mathematische Ord-
nungsprinzip bezeichnet, wie es besonders ausgepragt
unter den Gestirnen waltet. Erstmals verstand Jacobus
Leodiensis (Speculum musicae I, lift.; CSM III, I, 37ff.)
unter Musica coelestis auch den dieses Ordnungsprin-
zip realisierenden Gesang der Engel, fiir den das spate
Mittelalter jedoch auch die Bezeichnung Musica ange-
lica gepragt hat. Die Frage nach der Klangrealitat der
Sph. wurde erst nach dem Bekanntwerden der Aristo-
teles-Schriften im 13. Jh. wieder kritisch aufgegriffen
und nun zugleich verbunden mit der grundsatzlichen
Frage nach der Relevanz der Sph. fiir die Musiklehre, die
sich in wachsendem MaBe spekulativen Gedanken ver-
schloB. Johannes de Grocheo (ed. Rohloff, S. 46) stellte
die skeptische Frage: Quis enim audivit complexionem
sonare?, die Adam von Fulda beantwortete, indem er
die gesamte Musica mundana aus dem Aufgabenbe-
reich des Musicus loste: hoc genus considerant mathematici
(GS HI, 333a). Bei den Mathematici (Astronomen)
blieb die Lehre von der Sph. (die spezielle Frage der
Spharenmusik hatte jegliche Bedeutung verloren) bis
in den Barock lebendig : noch J. Kepler (Harmonices
mundi V, 4) demonstrierte an den heliozentrischen
Winkelgeschwindigkeiten die Harmonia der Planeten-
bewegung.
Lit.: D. Blaesing, De sphaerarum coelestium symphonis-
mo, Diss. Konigsberg 1705 ; A. Bockh, Uber d. Bildung d.
Weltseele im Timaos d. Platon, in : C. Daub u. Fr. Creuzer,
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Pythagoreer, Halle 1923 ; W. Grossmann, Die einleitenden
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gen III, Lpz. 1924 ; O. Fleischer, Die Spharenmusik, Vos-
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lers kosmische Harmonie, Lpz. 1925; J. Handschin, Ein
ma. Beitr. zur Lehre v. d. Sph., ZfMw IX, 1926/27; ders.,
Die Musikanschauung d. Johannes Scotus (Erigena), DVjs.
V, 1927; ders., Der Toncharakter, Zurich (1948); ders.,
The Timaeus Scale, MD IV, 1950; ders., Die Lehre v. d.
Sph., u. Die Sph. in d. Geistesgesch., in: In memoriam J.
Handschin, Bern (1957); R. Bragard, L'harmonie des
spheres selon Boece, Speculum IV, 1929; R. Schafke,
Gesch. d. Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934, Tutzing
21965; C.-A. Moberg, Sfarernas harmoni, STMf XIX,
1937; L. van der Waerden, Die Harmonielehre d. Pytha-
goreer, Hermes LVIII, 1944; G. Junge, Die Sph. u. d. py-
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valia IX, 1947; P. R. Coleman-Norton, Cicero and the
Music of the Spheres, Classical Journal XLV, 1955; B.
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(1962); R. Haase, Keplers Weltharmonik . . ., in: Antaios
V, 1963 ; L. Spitzer, Classical and Christian Ideas of World
Harmony, Baltimore 1963. FrR
spiccato (ital., s. v. w. deutlich gesondert; Abk. :
spice), geworfene Strichart, bei der jeder einzelne Ton
mit einem neuen Bogenstrich hervorgebracht wird.
In schnellerem Tempo geht das Sp. in den Springbo-
gen (frz. -v sautille) iiber. Als Ausf uhrungsbestimmung
in der alten Musik (Corelli, Vivaldi u. a.) bedeutet sp.
lediglich, daB die Tone getrennt (-»■ detache), non le-
gato zu spielen sind.
Spielleute, - 1) im friihen und hohen Mittelalter die
sozial am niedrigsten stehenden Musikanten der weltli-
chen Musik (seit der 2. Halfte des 12. Jh. als Sp. be-
zeichnet). Der Stand der Sp. war jedoch uneinheitlich.
Er reichte vom rechtlich gesicherten, auch seBhaften
oder zeitweise seBhaften Spielmann, der sich einem
Pfeiferkonig (->■ Zunft) unterordnen und im Hof dienst
sogar zum Trompeter auf steigen konnte, bis zum recht-
losen Fahrenden; vom Gefahrten (-»• Jongleur, -> Me-
nestrel) des Dichtersangers (Barde, Trobador, Trou-
vere), der in einigen Fallen auch selber schopferisch ta-
tig wurde, bis zum SpaBmacher (lat. histrio; russ. sko-
moroche). Seit dem 14. Jh. ging ein Teil der Sp. in den
Beruf der -»■ Stadtpfeifer iiber. - 2) in der Militarmu-
sik eine Gruppe von Trommlern und Pfeifern. Das spil
eines Landsknechtsfahnleins bestand nach Fronsperger
(1555) aus je einem Trommler und Pfeifer. In der neue-
ren -» Militarmusik treten Sp. (auch Spielmannszug,
Spielmannstrupp genannt) bei der Marschmusik und
beim Zeremoniell auf, wo sie als Kleines Spiel mit dem
Musikkorps (GroBes Spiel) abwechseln und vor dessen
Einsatz jeweils den Lockmarsch spielen. Nach Wiep-
rechts Tableau (1860) erhielten die Sp. der preuBischen
894
Stabreim
Infanteriebataillone auch eine Blechmusik von 10 Bii-
gelhornern (»Signalhornmusik«). In Frankreich sind
die Sp. die Clairons, in Italien die Pifferari und Tam-
buri, in Schottland und Irland Dudelsackpfeifer; die
reine Trommelkunst wird besonders in der Schweiz
gepflegt. Die Sp. werden angefiihrt vom Tambourma-
jor mit dem Tambourstock; in einigen Landern hat
der Tambourmajor auch die Aufgabe, vor der Truppe
einherzutanzeln, um die Aufmerksamkeit des Publi-
kums zu fesseln.
Lit.: zu 1): J. Stosch, Der Hofdienst d. Sp. ira deutschen
MA, Diss. Bin 1881 ; A. Monckeberg, Die Stellung d. Sp.
im MA, Diss. Freiburg i. Br. 1910; W. Schatz, DieZiinfte
d. Sp. u. d. Organisation d. Orch.-Musiker in Deutschland,
Diss. iur. Greifswald 1921 ; J. Klapper, Die soziale Stel-
lung d. Spielmanns im 13. u. 14. Jh., Zs. f. Volkskunde II,
1930; Fr. Ernst, Die Sp. im Dienste d. Stadt Basel im aus-
gehenden MA, in: Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskunde
XLIV, 1945; W. Salmen, Bemerkungen zum mehrst. Mu-
sizieren d. Sp. im MA, RBM XI, 1957 ; ders., Der fahrende
Musiker im europaischen MA, = Die Musik im alten u.
neuen Europa IV,,Kassel 1960; H. Federhofer, Der Mu-
sikerstand in Osterreich v. ca. 1200 bis 1520, Deutsches Jb.
f . Mw. Ill (= JbP L), 1958 ; Z. Falvy, Sp. im ma. Ungarn,
Studia musicologica I, 1961. - zu 2): P. Merkelt, Das
Trommler- u. Pfeiferkorps, Lpz. 1924; H. Schmidt, Der
Spielmannszug, Bin (1934).
Spinett (von lat. spina, Dorn, Kiel der Cembalome-
chanik; ital. spinetta; frz. epinette), im 17./18. Jh. eine
Bezeichnung fur die kleineren (einchorigen) Kielkla-
viere in Tafelform. Im heutigen Klavierbau wird unter
Sp. im Unterschied zum -> Virginal ein 5eckiges Kiel-
klavier mit der Klaviatur an der Langsseite und schrag
zu den Tasten laufenden Saiten verstanden.
Spiritual (sp'iiitjusl, engl.) -»■ Negro spiritual.
Spitzflote (auch Spillflote) ist in der Orgel eine offene
Labialstimme zu 8', 4' oder 2', deren Pfeifenkorper sich
nach oben auf ^4 bis ^3 des unteren Durchmessers ver-
jungt.
Spitzharfe, auch Harfenett (ital. arpanetta), SchoB-
harfe, Fliigelharfe, Zwitscherharf e ; eine Harfenzither
wie die -> Rotta (- 1). Die Sp. wurde im 18. Jh. vor-
iibergehend Modeinstrument, entweder als grofieres,
auf dem Boden stehendes Instrument, oder (haufiger)
als Tisch- oder SchoBinstrument, oft mit der Harfe
entlehntem Zierat versehen. Eisel beschreibt 1738 eine
Sp., diebeiderseitig mit Messing- und Stahlsaiten (chro-
matisch, Umfange g-c 4 und c-e 2 ) bezogen ist.
Lit. : Ph. Eisel, Musicus Autodidactus, Erfurt 1738.
Sprechmaschine -»- Schallaufzeichnung.
Springbogen -> sautille.
Springer (engl.), - 1) -> Vorschlag (Nachschlag), Ur-
spriinglich eine Lautenverzierung, bei der am Ende ei-
nes Tones dessen obere Nebennote rasch auf der Saite
beriihrt wird; bei Th.Mace 1676 »Spinger«; - 2) ein
Teil der -> Mechanik des Cembalos.
Springlade -*■ Windlade.
Squarcialupi-Codex ->■ Quellen: Sq.
Square dance (skwea da:ns, engl., von square, Vier-
eck), eine der Hauptformen des amerikanischen Volks-
tanzes, die sich wahrscheinlich aus der franzosischen
Quadrille und dem von England nach Kentucky einge-
fiihrten sogenannten Running set entwickelte und spa-
ter einzelne Elemente aus verschiedenen europaischen
Volkstanzen ubernahm. Der Squ. d. wird von jeweils
4 Paaren nach den Weisungen eines Ansagers (caller)
im Viereck getanzt und hat gewohnlich 4 Figuren.
Meist werden mehrere Squ. d.s hintereinander getanzt,
deren Figuren entweder an eine bestimmte regionale
Uberlief erung ankniipf en oder auch Elemente verschie-
dener Herkunf t miteinander verbinden. Die traditionel-
len Begleitinstrumente sind Akkordeon, Banjo, Geige
(fiddle) und Gitarre.
Lit. : A. Schl. Duogan, J. Schlottmann u. A. Rutledge,
Folk Dances of the United States and Mexico, = The Folk
Dance Library V, NY (1948) ; L. Owens, American Squ. D.
of the West and Southwest, Palo Alto/Calif. (1949); J. A.
Harris, A. Pittman u. M. Swenson, Hdb. of Folk, Square
and Social Dance, Minneapolis/Minn. (1950, 21955); R.
Kraus, Squ. D. of Today, NY (1950); G. Gowing, The
Square Dancer's Guide, NY (1957).
Square piano (skwss pi'asnou, engl.) ->• Tafelkla-
vier.
Stabat mater dolorosa (lat.), die Sequenz vom Fest
der Sieben Schmerzen Maria (Septem Dolorum Beatae
Mariae Virginis) am 15. September. Bis 1960 wurde da-
neben ein zweites, 1727 offiziell eingefiihrtes Fest glei-
chen Namens am Freitag nach dem 1 . Passionssonntag
begangen (heute nur noch Commemoratio), wobei der
Sequenztext im romischen Offizium auch als Hymnus
zur 1 . Vesper (Strophe 1-10), zur Matutin (Strophe 1 1-
14) und zu den Laudes (Strophe 15-20) Verwendung
f and (mit eigener Melodie im 6. Kirchenton) . Urspriing-
lich ein Reimgebet fur Privatandachten, dessen reiche
Uberlief erung zunachst vor allem in Stunden- und Ge-
betbuchern erfolgte, stammte das St. m. d. vermutlich
aus der Feder eines in der Friihzeit seines Ordens wirken-
den Franziskanermonchs. Doch gilt die Frage nach dem
Verfasser (hl.Bonaventura?) noch immer als ungelost.
Die 20 Strophen der ausdrucksstarken und von tiefer
Frommigkeit getragenen Sequenz zeigen einen regel-
maBigen Aufbau aus 3 trochaischen Dimetern (mit un-
vollstandigem Metrum in der 3. Zeile). Jeweils 2 Stro-
phen werden iiberdies durch ein festes Reimschema
(a a b - c c b) verbunden. Schon in vorref ormatorischer
Zeit entstanden mehrere deutsche Ubersetzungen des
St. m. d., das nunmehr auch als Passions- und Kirchen-
lied zu groBter Beliebtheit gelangte. - Bei der im Gra-
duale Romanum abgedruckten Choralmelodie (Se-
quenz, 2. Kirchenton) handelt es sich um eine im Ver-
haltnis zum Text farblose Vertonung aus j lingerer
Zeit. Von besonderem Interesse sind die im 15. Jh. ein-
setzenden mehrstimmigen Vertonungen des St. m. d.
(Josquin Desprez, Palestrina, A. Steffani, Caldara, Astor-
ga, Pergolesi, A. Scarlatti, J. Haydn, Schubert, Rossini,
Liszt, Dvorak u. a.). 1929 schrieb K. Szymanowski ein
St. m. op. 53.
Ausg. : W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in
seinen Singweisen I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck Hil-
desheim 1962; Analecta hymnica medii aevi LIV, hrsg. v.
Cl. Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1915 (Text u. Quel-
len); Monumenta Monodica Medii Aevi I, hrsg. v. Br.
Stablein, Kassel 1956 (Melodien zum Hymnus St. m. d.).
Lit.: P. Mies, St. m. d., KmJb XXVII, 1932; F. Haberl,
St. M., Musica sacra LXXVI, (Koln) 1956 ; D. JohnerOSB
u. M. Pfaff OSB, Choralschule, Regensburg 81956.
Stabreim (auch Alliteration) heiBt der Reim durch
gleichklihgenden Anlaut zweier (oder mehrerer) He-
bungssilben eines Verses. Vor Einfuhrung des End-
reims und auch noch neben diesem bindet der St. in
der altgermanischen Dichtung (z. B. Edda; -> Skalden)
und teilweise auch in der althochdeutschen Verskunst
(z. B. Hildebrandslied, aufgeschrieben Anfang 9. Jh.)
die beiden dipodischen Halbzeilen eines Verses zur Ein-
heit der Langzeile: Hiltibrhnt enti Hddubrhnt / untax
heriitn ttiem (oHildebrand und Hadubrand / zwischen
Heeren zwein«). Staben konnen gleiche Konsonanten
(z. B. h mit h, st mit st) oder alle Vokale untereinander
(a mit a, a mit e, usw.). Das Verhaltnis von Stab, He-
895
Stabspiel
bung und Satzglied ist in der St.-Dichtung auf der
Grundlage einer Unterscheidung von starken stabfahi-
gen, schwachen stabfahigen und nicht stabfahigen
Wortklassen streng beachtet. - In betonter Ankniip-
fung an die alte St.-Dichtung, aber ohne deren feste
Regeln aufzugreifen, verwendete R.Wagner den St.
(erstmals in Siegfrieds Tod, 1848; z. B. 1. Akt, 1. Szene:
Ein Weib weijl ich - das hehrste der Welt). Nach Wagners
Anschauung (Oper und Drama, 1851) soil der St., der
die in den Wurzelwbrtern verkorperten Empfindungen
durch die utiwillkiirliche Macht des gkichen Klanges zu
einem einheitlichen (oder verwandten) Ausdrucke ver-
bindet (IV, 131£.), den Ubergang von der Sprache zur
Musik vermitteln. Das Ziel des St.s bei Wagner, die
rhythmisch ungleichmaBigen prosaischen Sprachak-
zente dem Gefiihle zu erschliefien (IV, 131f.) und so die
aus der Negation »falscher« Poesie hervorgegangene
Prosa zur »wahren« Poesie zu erheben, steht unter dem
Leitgedanken einer musikalischen ->■ Prosa (- 2). Wag-
ners Alliterationsmanie ist . . . ein Versuch, die musikali-
sche Prosa, die Unregelmaftigkeit der Akzentabstande, zu
rechtfertigen (Dahlhaus 1965).
Lit. : W. Jordan, Der epische Vers d. Germanen u. sein St.,
Ffm. 1868; R. Wagner, Oper u. Drama, in: Samtliche
Schriften u. Dichtungen III-IV, Lpz. (191 1) ; H. Wiessner,
Der Stabreimvers in R. Wagners »Ring d. Nibelungen«,
Diss. Bin 1923, maschr.; A. Heusler, Deutsche Versgesch.,
3 Bde, Bin u. Lpz. 1925-29, Bin M956; K. Loewe, Der
Vers in R. Wagners »Ring d. Nibelungen«, Diss. Marburg
1925, maschr.; S. Beyschlag, Die Metrik d. mittelhoch-
deutschen Bliitezeit . . ., Nurnberg 1950, 51963; C. Dahl-
haus, Mus. Prosa, NZfM CXXV, 1964; ders., Wagners
Begriffd. »dichterisch-mus. Periode«, in: Beitr. zur Gesch.
d. Musikanschauungim 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen, = Stu-
dien zur Mg. d. 19. Jh. I, Regensburg 1965.
Stabspiel ->Xylophon.
staccato (ital., abgestoBen; Abk. : stacc), angezeigt
durch • bzw. ' iiber der Note, eine Vortragsbezeich-
nung, die fordert, daB die Tone nicht gebunden, son-
dern deutlich getrennt werden. Verschiedene Arten des
St.s beim Klavierspiel werden durch den -> An-
schlag (- 2) hervorgebracht. Bei den Streichinstrumen-
ten wird das St. durch ruckweise Bogenfiihrung er-
zielt, entweder mit stets wechselndem Strich (vor al-
lem, wenn der Einzelton kraftiger betont werden soil,
-> martellato) oder (vor allem bei schnellerem Tempo)
indem viele Tone auf einen Strich genommen werden
(im Aufstrichleichterausfiihrbar; »Virtuosen-St.«). Bei
beiden St.-Arten verlaBt der Bogen im Unterschied
zum Wurf- (-> spiccato) oder Springbogen (-»- sautil-
le) die Saiten nicht. Das St. beim Gesang besteht in ei-
nem SchlieBen der Stimmritze nach jedem Ton, so daB
jeder neue Ton mit GlottisschluB hervorgebracht wird
(-»■ Ansatz-2).
Lit.: WaltherL; A. Kreutz, Die Staccatozeichen in d.
Klaviermusik, Deutsche Tonkiinstlerzeitung XXXIV,
1937/38; Die Bedeutung d. Zeichen Keil, Strich u. Punkt
bei Mozart, hrsg. v. H. Albrecht, = Mw. Arbeiten X,
Kassel 1957; U. Dannemann, Beobachtungen zum Stu-
dium d. St. auf Streichinstr., Das Orch. XI, 1963.
Stachel, auch Dorn, bei groBen Streichinstrumenten
ein in eine Spitze auslaufender Stab, der aus dem unte-
ren Teil der Zarge herausragt und auf den das Instru-
ment beim Spielen gestellt wird. St. wurden spatestens
seit dem 17. Jh. benutzt, doch wurde das Violoncello
noch bis um 1850 mit den Waden gehalten und ohne
St. gespielt. Durch Schwingungsiibertragung auf den
FuBboden vergroBert der St. die Resonanzflache.
Lit. : W. Trendelenburg, Die natiirlichen Grundlagen d.
Kunst d. Streichinstrumentenspiels, Bin 1925; W. Pape,
Die Entwicklung d. Violoncellspiels im 19. Jh., Diss. Saar-
briicken 1962.
Stadtpfeifer, von Stadten angestellte Instrumentisten;
an kleineren Orten ein Meister, der zusammen mit sei-
nen Gesellen eingesetzt wurde, an groBeren Orten die
Gruppe der 4-8 Rats- oder Stadtmusiker. In den mei-
sten Landern Mittel- und Westeuropas lassen sich be-
reits im 14. und 15. Jh. stadtische Musiker nachweisen,
doch wurden diese vielf ach nur fiir eine begrenzte Zeit
angestellt und nur fiir einzelne Leistungen honoriert.
Zu festen Institutionen wurden die St.eien in zahlrei-
chen, auch kleineren Stadten in der 2. Halfte des 16. Jh.,
als Schulchore und Kantoreien zur Auffiihrung mehr-
stimmiger Kirchenmusik die Unterstiitzung von In-
strumentisten benotigten. Daneben gehorte es zu den
Aufgaben der St., representative oder unterhaltende
Musik bei stadtischen Feiern, Auf marschen, Fiirstenbe-
suchen oder Ratszusammenkunften auszufiihren. In
Universitatsstadten wirkten St. bei akademischen Feiern
und Promotionen mit; in Residenzen verstarkten sie
bei besonderen Gelegenheiten die Hofmusik. In kleine-
ren Stadten behielt der St. aufierdem das Amt des Tiir-
mers oder Hausmanns und muBte mit seinen Gesellen
auf dem Turm des Rathauses oder der Kirche den
Wachdienst ausfiihren, bei Feuer oder Gefahr Warn-
signale geben und zu bestimmten Tageszeiten das
-> Abblasen verrichten. Neben einer relativ geringen
festen Besoldung bildete die Haupteinnahmequelle der
St. das Aufspielen bei Hochzeiten und Geselligkeiten
in Privathausern. Das Recht, hier auf zuwarten, war den
S t.n ausdriicklich verbrief t worden. In kleineren Stadten
muBte jeder, der andere Musiker beschaftigte, den St.n
eine Abgabe entrichteri; an groBeren Orten waren den
St.n die eintraglicheren Dienste vorbehalten. Neben
ihnen gab es hier weitere Gruppen von zunftmaBig or-
ganisierten Musikern (Kunstgeiger, Rollbriider u. a.),
die bei besonderen Gelegenheiten die St. verstarken
muBten. - Wahrend sich der Hof musiker seit dem 16.
Jh. in zunehmendem MaBe spezialisieren konnte, zeich-
nete sich der St. durch die Beherrschung aller Instru-
mente, vor allem der Blasinstrumente, aus. Nach 5- bis
ojahriger Ausbildung erfolgte nach Zunftbrauch in
feierlicher Form die Lossprechung des Lehrjungen. Der
Geselle konnte entweder weiter unter seinem Meister
dienen oder sich auf eine oft jahrelange Wanderschaft
begeben. Das Probespiel, durch das ein Geselle sich fiir
den freigewordenen Posten eines St.s bewerben konn-
te, zeigt ebenfalls Parallelen zu den Meisterpriifungen
der Handwerker. Mit Stolz konnte sich ein St. als »fun-
damentalischen Musicus« bezeichnen. Noch im 18. Jh.
wurde von ihm in erster Linie Vielseitigkeit verlangt.
(Der Trompetenvirtuose G. Reiche, der unter Bach in
Leipzig tatig war, gehort zu den Ausnahmeerschei-
nungen.) Das Auffiihrungsmaterial wurde dem St.
normalerweise vom Rat zur Verfiigung gestellt. Nur
wenige Komponisten sind St. gewesen oder aus der
St.-Lehre hervorgegangen (wie J.Chr.Pezel, der sich
1676 sogar um das Leipziger Thomaskantorat bewer-
ben konnte, G. Reiche, J.Hintze, Fr.W.Zachow, J.J.
Quantz; H.L.HaBler leitete nur voriibergehend die
Nurnberger Ratsmusik, und J. Schop war vor seiner
Hamburger Anstellung Hof musiker gewesen). Oft
gingen die Sonne von St.n bei ihren Vatern in die Leh-
re; an mehreren Orten haben Familien durch Gene-
rationen hindurch das St.-Amt innegehabt (wie die
»Bache« in Thiiringen). - Stets muBten sich die St. ge-
gen die Konkurrenz von nicht privilegierten oder nicht
als -y Zunft zusammengeschlossenen Musikern weh-
ren. Zur Wahrung ihrer Privilegien schlossen sich 1653
zahlreiche nord- und mitteldeutsche St.eien zu einer
uberregionalen zunftahnlichen Organisation, dem vom
deutschen Kaiser bestatigten Instrumental-Musicali-
schen Collegium in dem ober- und niedersachsischen
896
Statistik
Kreis, zusammen, vereinheitlichten die Lehrlingsaus-
bildung und verpflichteten sich zu sittlichem Lebens-
wandel sowie zum Verzicht auf die Benutzung aller
»unehrlichen« Instrumente. - Parallel zum Niedergang
des Zunftwesens setzte im 18. Jh. der Niedergang der
St.eien ein. Mit dem Aufkommen des Liebhabermusi-
zierens und des offentlichen Konzertwesens sank die
Nachfrage nach privilegierter Unterhaltungsmusik;
damit schwanden die Voraussetzungen fiir die wirt-
schaftliche Existenz der St. In den neuen stadtischen
Orchestern des 18. und 19. Jh. dominierten die Streich-
instrumente.
Lit.: A. Werner, Vier Jh. im Dienste d. Kirchenmusik, Lpz.
1933; C. Anthon, Some Aspects of the Social Status of
Ital. Musicians During the Sixteenth Cent., Journal of Re-
naissance and Baroque Music 1, 1946/47 ; H. Engel, Musik
u. Ges., Bin 1960. -J. Sittard, Gesch. d. Musik- u. d. Con-
certwesens in Hbg, Altona u. Lpz. 1890; R. Wustmann,
Mg. Lpz. I, Lpz. u. Bin 1909, 21926, II u. Ill v. A. Schering,
Lpz. 1926-41 ; H. Rauschning, Gesch. d. Musik u. Musik-
pflege in Danzig, = Quellen u. Darstellungen zur Gesch.
WestpreuBens XV, Danzig 1931 ; H. Engel, Spielleute u.
Hofmusiker im alten Stettin zu Anfang d. 17. Jh., in: Mu-
sik in Pommern I, hrsg. v. Ver. zur Pflege Pommerscher
Musik, Greifswald 1932; L. Kruger, Die Hamburgische
Musikorganisation im 17. Jh., = Slgmw. Abh. XII, StraB-
burg 1933; K. G. Fellerer, Ma. Musikleben d. Stadt
Freiburg im Uechtland, = Freiburger Studien zur Mw.
Ill, Regensburg 1935; W. Stahl (mit J. Hennings), Mg.
Liibecks I, Kassel 1 95 1 ; G. Hempel, Das Ende d. Leipziger
Ratsmusik im 19. Jh., AfMw XV, 1958; H. Zirnbauer u.
Th. Wohnhaas in : Niirnberger Ratsmusik, = Veroff. d.
Stadtbibl. Nurnberg I, Niirnberg 1959; H. P. Detlefsen,
Mg. d. Stadt Flensburg, = Schriften d. Landesinst. f. Mu-
sikforschung Kiel XI, Kassel 1961. MR
Standchen, eine kurze Musik, welche man vor einem
Hause oder Fenster stehend bringet (J. Chr. Adelung,
Grammatisch-kritisches Worterbuch, 2 1801), urspriinglich
als Huldigung fiir die Geliebte, seit dem 19. Jh. auch
allgemein zu Ehren einer Person. In Deutschland sind
Brauch und Bezeichnung in Studentenkreisen aufge-
kommen (in der 1. Halfte des 17. Jh. z. B. fiir Witten-
berg, Leipzig, Jena, Erfurt, Halle bezeugt; altester Be-
leg des Begriffswortes bei Praetorius Synt. Ill, 18, un-
ter dem Stichwort Serenata). Anders als im Italieni-
schen (Serenata, Notturno) und Franzosischen (->■ Se-
renade, auch -*■ Aubade) ist im Deutschen der Begriff
des St.s weder auf eine bestimmte Tageszeit noch mu-
sikalisch auf eine bestimmte Gattung festgelegt. Das
St. kann daher im Vortrag eines Liedes, eines mehr-
stimmigen Gesangstiicks, aber auch in rein instrumen-
taler Musikdarbietung bestehen. Im Unterschied zu
der fiir hofische Feste bestimmten Huldigungsmusik
(-> Festmusik) hat das St., auch nach der Obertragung
aus der studentischen in die biirgerliche Sphare, den
Charakter des Privaten beibehalten. Seit Anfang des
19. Jh. kommt St. haufig als Uberschrift von Liedern
unci mehrstimmigen Gesangen vor (Schubert, Schu-
mann, Brahms, Wolf, R.Strauss u. a.), sparer verein-
zelt auch von Instrumentalstiicken. Beriihmte St.-Sze-
nen in der Oper finden sich u. a. in Mozarts Die Ent-
fiihrung aus dem Serail und Don Giovanni, in Berlioz'
La damnation de Faust und Wagners Die Meistersinger
von Nurnberg.
Stagione (stad3'o:ne, ital.), Jahreszeit, Saison, insbe-
sondere die Spielzeit der italienischen Operntheater;
bedeutet auch s. v. w. Opernensemble, das fiir einen
zeitlich begrenzten Spielplan zusammengestellt wird.
Die St. in Italien war anfangs auf die Karnevalszeit
(Carnevale Santo Stefano, 26. 12. - 30. 3.) beschrankt.
Spater kamen noch 2 Spielzeiten hinzu, vom 2. Oster-
feiertag bis 15. 6. (St. di Ascensione) und vom 1. 9. -
30. 11. Ausnahmen machten die Hole bei Feierlichkei-
ten. - Der St.-Betrieb ist auch im 19./20. Jh. fiir das
italienische Operntheater kennzeichnend, ebenso fiir
das Opernwesen in Spanien, Portugal und den USA.
Stahlspiel^-Metallophon (-2).
Stammakkord, Terminus der Harmonielehre, Ge-
gensatz zu »abgeleitetem« Akkord. Gegeniiber den sehr
unterschiedlichen Angaben iiber die Zahl der ange-
nommenen St.e noch in den Lehrbuchern zu Anfang
des 19. Jh. gelten heute als St.e der Harmonielehre nur
der Dur- und der Mollakkord.
Stantipes (lat.) -»■ Estampie.
Statistik. Die urspriinglich vor allem auf eine Be-
standsaufnahme staatswichtiger Sachverhalte wie Be-
volkerungs- oder Wirtschaftszahlen gerichtete Diszi-
plin (St. im Sinne von Staatslehre) gewann im 17. Jh.
iiber einfaches Zahlen hinausgehende Ansatze und
Methoden vornehmlich im Zusammenhang mit der
Entwicklung der mathematischen Theorie der Wahr-
scheinlichkeit; diese nahm u. a. bei Huygens mit sei-
ner »Theorie des Zufalls« (1657) ihren Anfang. Etwa
zur gleichen Zeit wurde die Sozial-St. durch Conring
(Notitia rerumpublicarum, 1660) als Universitatsfach ein-
gefiihrt. Es geht vor allem darum, aus bekannten Er-
eignissen zuverlassige Vorhersagen auf unbekannte zu
ermoglichen. Ausgangspunkt statistischer Uberlegun-
gen bilden gezahlte oder gemessene Rohdaten. Da nicht
immer samtliche Zahlen der »Grundgesamtheit« er-
reichbar sind und man sie zumeist auch nicht braucht,
wahlt man Stichproben aus, die bei »Normalverteilun-
gen« etwa einer »GauBkurve« entsprechen und durch
bestimmte »MaBzahlen« gekennzeichnet sind, deren
Kurve der GauBschen Normalverteilung.
wichtigste das arithmetische Mittel (M) (oder Durch-
schnitt) und die Streuung a darstellen. Das arithmetische
Mittel ergibt sich aus den beobachteten Werten (X)
und deren Anzahl («) zu M x = •=-^, die Streuung urn
den Mittelwert aus der Formel <s x = / — ^— - — ^-•
Aus den Mefizahlen lassen sich Schliisse auf die -> Para-
meter der Grundgesamtheit Ziehen. - Die St. dient in-
nerhalb der Forschung vor allem dazu, das AusmaB
von Ordnung bzw. RegelmaBigkeit von Strukturen,
aber auch die VerlaBlichkeit von Unterschieden zwi-
schen Merkmalen festzustellen. Als Grenze der Zuver-
lassigkeit gilt im allgemeinen ein VerlaBlichkeits- oder
Signifikanzniveau (a) von 5% (a = 0,05), was etwa be-
deutet, daB bei lOOEntscheidungen mit 5 Fehlentschei-
dungen gerechnet werden muB. Genauere Grenzen
bieten das 1-Prozent- (a = 0,01) bzw. das 1-Promille-
Niveau (a = 0,001). Fiir die statistische Uberpriifung
von Unterschieden zwischen zwei Merkmalen steht
eine Reihe von Verf ahren (Tests) zur Verf iigung. Rech-
net man - wie besonders in der Psychologie - mit meh-
reren Unterscheidungsfaktoren, so fallt die Priif ung der
Differenzen in den Bereich der »Varianzanalyse«.
57
897
Statistik
Ganz allgemein wird man hinsichtlich der zu untersu-
chenden Daten eine »Hypothese« formulieren, fiir die
man eine Bestatigung (Verifikation) zu erbringen hofft.
Oder man bildet eine »Nullhypothese«, deren Wider-
legung (Falsification) man erwartet. Als Nullhypothese
wird die Annahme bezeichnet, daB zwischen zwei Ge-
gebenheiten kein korrelativer Zusammenhang besteht.
Das AusmaB eines solchen Zusammenhangs kann
mittels geeigneter mathematischer Operationen der
»Korrelations-St.« berechnet werden. Es werden »Kor-
relationskoe£fizienten« (r) ermittelt, die zwischen den
Grenzen r = +1,00 (Identitat), r = 0,00 (Zufalligkeit,
Bestatigung der Nullhypothese) und r = -1,00 (totale
Gegensatzlichkeit) liegen. - Manche Fragen gehen in
ihrer statistischen Problematik iiber die Korrelation
von Merkmalspaaren hinaus; sie umfassen dann oft In-
terkorrelationen groBerer Merkmalsgruppen. Auf der
Suche nach iibergreifenden dimensionalen Ordnungen
findet vor allem die im Bereich der Intelligenztests
entwickelte, auf C.E. Spearman und L.L.Thurstone
zuriickgehende »Faktoren-« oder »Dimensionsanalyse«
ein weites Anwendungsgebiet. Innerhalb der Musik-
wissenschaft wurde sie besonders bei der Bedeutungs-
analy se von Klangf arben, Rhy thmen und Musikstiicken
angewendet. Aktmtdt
*>^ Manntich
'Bizetx
Carmen-Vorspiet o.e ■
Intetligenz^^*^^
Klossische Musm^^
T Bamckmusik n.
TOn * .XV / \
•Musik X
0.6-
Harmonie • \
/ 0.i
I • Triebhaftigkeit Tod*
•Liebe ,Klan e \
i
I •Larm
•Gefahr
Atonale Musik
*»Belastiqung
02-
•Unterhaltungsmusik \
• GenuO „ A Handel \
•Weiblich Concerto grossoX \
op.6Nr7 \
•Romantische Musik \
s
* -o.e -o,6
Gerdusch
-O.i -02
1 1 1 1 1 —
0.2 Of, 0.6 o.e 1
1
Ruhet
" M tGemiit J
\ »Ekel
-0.4 1
•Angst
*E/nsamkeit /
-0.6 /
• Trauer /
•Ungewiflheit
-o,e yf
V^ iangeweilem
Faktorenanalytische Darstellung von Begriffsstereotypen und Musik-
beispielen in den Dimensionen »Aktivitat« (mannlich) und »Kosmos-
Chaos«. • = Beurteilungen von gtereotypen, x = Beurteilungen von
klingenden Musikbeispielen mit der Methode des Polaritatsprofils
(Osgood und Hofstatter).
Die durch Mittelwert (M) und Streuung (a) gekenn-
zeichnete Normalverteilung ist zwar der wichtigste
Verteilungstyp von Zahlen. Oftjedoch weiB mannicht,
ob diese Voraussetzung erfiillt ist. So wurden Prufver-
f a"hren entwickelt, mit denen sich Verteilungen ohne die
Voraussetzung der Kenntnis ihrer Form vergleichen
lassen. Da es sich hier urn Vergleiche von Verteilungen,
nicht aber von Parametern handelt, werden derartige
Verfahren als non-parametrisch bezeichnet. - Im Rah-
men der -*■ Informationstheorie werden auch musika-
lische ElementargroBen als »Signale« aufgefaBt, deren
statistisch ermittelte Haufigkeit des Auftretens Schliis-
se auf ihren Inf ormationsgehalt zulaBt.
Lit. : Ch. E. Osgood, G. J. Suci u. P. H. Tannenbaum, The
Measurement of Meaning, Urbana (111.) 1957; P. R. Hof-
statter u. H. Lubbert, Die Untersuchung v. Stereotypen
mit Hilfe d. Polaritatsprofils, Zs. f. Markt- u. Meinungs-
forschung I, 1957/58; ders. u. D. Wendt, Quantitative
Methoden d. Psychologie, Munchen 2 1966; M. J. Moro-
ney, Facts from Figures, = Pelican Books A 236, Har-
mondworth (Middlesex) 1958; R. A. Fisher, Statistical
Methods and Scientific Inference, Edinburgh 21959 ; H. H.
Harman, Modern Factor Analysis, Chicago 1960; G. A.
Lienert, Verteilungsfreie Methoden in d. Biost., Meisen-
heim a. Gl. 1962; Qu. McNemar, Psychological Statistics,
NY 3 1962; E. Mittenecker, Planung u. statistische Aus-
wertung v. Experimenten, Wien *1963 ; A. Linder, Statisti-
sche Methoden f. Naturwissenschaftler, Mediziner u. In-
genieure, Basel 4 1 964; J. Pfanzagl, Allgemeine Methoden-
lehre d. St., 2 Bde, = Slg Goschen Bd 746/746a u. 747/747a,
Bin 2 1964-66; E. Weber, GrundriB d. biologischen St., Je-
na 5 1964; J. P. Guilford, Fundamental Statistics in Psy-
chology and Education, NY 41 965 ; O. W. Haseloff u. H.J.
Hoffmann, KleinesLehrbuch d. St., Bln21965. HPR
Steg (ital., ponticello, Briickchen; frz. chevalet; engl.
bridge; am Steg -*■ sul ponticello), im 18. Jh. auch Sat-
tel (L.Mozart 1756), begrenzt bei Saiteninstrumente'n
die Lange des schwingenden Teils der Saiten und iiber-
tragt zugleich deren Schwingungen auf die Decke des
Corpus. Bei den Streichinstrumenten der
Violinf amilie (-> Viola da braccio) ist der
St. aus hartem Holz (Ahorn, auch Buche)
kunstvoll gesagt und geschnitzt; er steht
(nur vom Druck der dariiberlaufenden
Saiten gehalten) aufrecht auf der Decke
des Corpus, deren Wolbung seine FiiBe
genau angepaBt sind. Die ornamentalen
Aussparungen in der Mitte und an den
Seiten erleichtern den St. und reduzieren
ihn auf seine statisch wichtigen Teile. Er
reguliert die Hohe der Saiten sowohl
iiber dem Corpus (bei gleichbleibender
Saitenspannung wachst mit zunehmen-
der Hohe des St.es der auf das Corpus
ausgeiibte Druck) als auch iiber dem
Griffbrett und beeinfluBt durch seine Stel-
lung die -> Mensur (- 1) der Saiten;
durch Material, Gewicht und Form des
St.es ist der Klang des Instruments nach-
haltig zu beeinflussen (vgl. z. B. L.Mo-
zart 1756). Die fiir die Violininstrumente
typische Form des St.es wurde durch A.
Stradivari gef unden, doch wurden im 19.
Jh. seine Hohe und die obere Wolbung
verandert (-»• Violine). Fiedel, Lira da
braccio und die Violen (-> Viola da gam-
ba - 1) weisen St.e in einfacherer Form
auf; ganz flache St.e haben u. a. Sister,
Mandoline, Banjo und Balalaika. Beim
Trumscheit ruht ein FuB des St.es nur
lose auf der Decke und erzeugt ein
schwirrendes Gerausch. Bei einigen In-
strumenten (u. a. ->■ Crwth) ist ein FuB
des St.es verlangert und durch das Corpus bis zum Bo-
den gefuhrt; er iibernimmt damit gleichzeitig die Auf-
gabe des -»■ Stimmstocks (- 1). - Bei Laute und Gitarre
sind die Funktionen von Saitenhalter und St. in einem
auf die Decke geleimten Querriegel vereinigt. Bei be-
saiteten Tasteninstrumenten ist der St. eine auf den Re-
sonanzboden aufgeleimte Leiste, iiber die die Saiten in
einem flachen Winkel (oder doppelt gewinkelt) lauf en.
Lit.: K. Skeaping, The Karl Schreinzer Collection of Vio-
lin Fittings, in : Music, Libraries and Instr. , = Hinrichsen's
IV Music Book, 1961.
Stegreifausfiihrung ->- Improvisation.
898
Sticheron
Steiermark (Osterreich).
Lit. : F. Bischof, Beitr. zur Gesch. d. Musikpflege in St.,
Mitt. d. hist. Ver. f. St. XXXVII, 1889; H. Federhofer,
Zur Pflege ma. Mehrstimmigkeit im Benediktinerstift St.
Lambrecht, Anzeiger d. Osterreichischen Akad. d. Wiss.
LXXXIV, 1947; ders., Denkmaler d. ars nova in Vorau
Cod. 380, Leoben, Blatter f. Heimatkunde XXIV, 1950;
ders., Die Musikpflege an d. St. Jakobskirche in Leoben,
Mf IV, 1951 ; ders., Die alteste schriftliche Oberlieferung
deutscher geistlicher Lieder in St., Kgr.-Ber. Wien 1954;
O. Wessely, Zur Frage nach d. Herkunf t Arnolds v. Bruck,
Anzeiger d. Osterreichischen Akad. d. Wiss. XCII, 1955;
K. G. Fellerer, Der Kampf um d. kirchenmus. Reformen
in d. St., Musica sacra LXXVI, (Koln) 1956; W. Irten-
kauf, Das Seckauer Cantionarium v. Jahre 1345 (Hs. Graz
756), Af Mw XIII, 1956 ; ders., Die Weihnachtskomplet im
Jahre 1 345 in Seckau, MflX, 1 956; A. Kracher, Der Steier-
markische Minnesang, Zs. d. hist. Ver. f. St. XLVII, 1956;
R. Federhofer-Konigs, Zur Musikpflege in d. Wallf ahrts-
kirche v. Mariazell/St., KmJb XLI, 1957 ; dies, (mit H. Fe-
derhofer), Mehrstimmigkeit in d. Augustiner-Chorherren-
stift Seckau (St.), KmJb XLH, 1958; dies., W. Khainer u.
seine »musica choralis« KmJb XLIII, 1959; O. Wonisch,
Die Theaterkultur d. Stiftes St. Lambrecht, Graz 1957;
P. Fank, Das Chorherrenstift Vorau, Vorau 2 1959; Musik
aus d. St., hrsg. v. A. Michl u. W. Suppan, Wien 1959ff.;
W. Suppan, Frau Musica in d. St., in : Grenzland St., Graz
1959 ; ders., Das mus. Leben in Aussee v. 1 3. bis zum Aus-
gangd. 19. Jh.,Blatterf. Heimatkunde XXXV, 1961;ders.,
GrundriB einer Gesch. d. Tanzes in d. St., Zs. d. hist. Ver.
f. St. LIV, 1963; ders., 15 Jahre steierische Musikfor-
schung, Blatter f. Heimatkunde XXXVII, 1963 ; ders., Stei-
risches Musiklexikon, Graz 1966; K. Rappold, Die Ent-
wicklung d. MSnnerchorwesens in d. St., Diss. Graz 1962.
Steinspiel -> Lithophone.
Stereophonie bezeichnet eine elektroakustische Uber-
tragungstechnik, die mit Hilfe zweier oder mehrerer
Ubertragungskanale bei der Wiedergabe von Schall-
ereignissen ein hohes MaB an Plastizitat und Pragnanz
des Klangeindrucks hervorruf t. Die Technik der St. be-
ruht auf der sehr fein ausgebildeten Fahigkeit des Aus-
einanderhaltens von Schallereignissen verschiedener
Herkunftsrichtung (-»• Richtungshoren) infolge des
Zusammenwirkens beider Ohren und des Reizleitungs-
systems. Mit Hilfe zweier (oder mehrerer) Mikrophone
lassen sich geniigend Informationen iibertragen, um in
Kopfhorern oder Lautsprechern, die in bestimmtem
Abstand nebeneinanderstehen, im einfachsten Fall die
ursprunglichen Herkunftsrichtungen von Schallereig-
nissen als virtuelle Schallrichtung wieder erscheinen zu
lassen. Fur die Musikiibertragung hat die reine Rich-
tungslokalisation nur untergeordnete Bedeutung ge-
geniiber der mit zwei- oder mehrkanaliger Ubertra-
gung einhergehenden gesteigerten Plastizitat. Gute
Stereoiibertragungen von Musik nehmen in ungleich
starkerem MaBe gefangen als die Ubertragung her-
kommlicher Wiedergabe iiber nur einen Kanal (»mon-
aurale Obertragung«; -»■ High Fidelity). Bei stereo-
phonischen Aufnahmen kennt man vor allem die so-
genannte »Links-rechts«-Anordnung : hier stehen die
Mikrophone entweder in gewissem Abstand neben-
einander (»AB-St.«) oder in der Empfangsrichtung ein
wenig verdreht iibereinander (»YX-St.«) ; ein kompli-
zierteres technisches Verfahren, das die Informationen
eines nach vorn gerichteten Mikrophons mit Nieren-
charakteristik (-> Mikrophon) und die eines seitlich
gerichteten mit Achtercharakteristik verbindet, wird
als »MS-St.« bezeichnet. Stereophonische Wiedergabe
ist mit Kopfhorern oder mit Lautsprechern moglich.
Bei Lautsprecherwiedergabe rechnet man im allgemei-
nen mit einem optimalen Eindruck, wenn die Auf stel-
lungsorte beider Lautsprecher mit dem Platz des Horers
etwa ein gleichseitiges Dreieck ergeben. Stereophoni-
sche Kopfhoreriibertragung wurde erstmalig 1881 in
Paris durch Cl.Ader unternommen. Weitere Ver-
suche - vor allem mit Lautsprechern - folgten in den
1920er Jahren u. a. durch H. C. Steidle in Miinchen, in
den 30er Jahren vornehmlich in den USA (Fletcher,
Steinberg, Snow u. a.). In Berlin wurde die St. 1938
erstmals durch H. Warncke im Tonfilm und durch E.
Thienhaus im Konzertsaal (zur Verstarkung klang-
schwacher Instrumente) eingesetzt. Kurz nach Kriegs-
ende begannen Versuche zu stereophonischer Magnet-
bandaufzeichnung (Schuller und Brandt). Die Einfiih-
rung der St.-Schallplatte gegen Ende der 50er Jahre
und des St.-Rundfunks (1963) hat diesem Ubertra-
gungsmodus zum Durchbruch verholfen.
Lit.: Fr. Kuhne u. K. Tetzner, Kleines Stereo-Prakti-
kum, = Radio-Praktiker-Bucherei XCVH/XCVIH, Miin-
chen (1960); H. Brauns, Stereotechnik, Stuttgart (1961);
F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Akustik, Bin, Got-
tingen u. Heidelberg 31961; E. P. Pils, Rundfunk-St.,
Stuttgart (1964); H.-P. Reinecke, Stereo- Akustik, Koln
1966. HPR
Sterzing, Vipiteno (Siidtirol).
Lit. : I. v. Zingerle, Ber. iiber d. St.er Miscellaneen-Hs.,
Sb. Wien LIV, 1866; C. Fischnaler, Beitr. zur Gesch. d.
Pfarre St., Zs. d. Ferdinandeums f. Tirol u. Vorarlberg
XXVIII, Innsbruck 1884; ders., Die Volksspiele zu St. im
15. u. 16. Jh.,ebenda XXXVIII, 1894; O.v. Zingerle, Aus
d. St.er Miscellaneen-Hs., Mitt. d. Inst. f. Oesterreichische
Geschichtsforschung X, 1889; J. E. Wackernell, Alt-
deutsche Passionsspiele aus Tirol, = Quellen u. Forschun-
gen zur Gesch., Lit. u. Sprache Osterreichs I, Graz 1897;
E. A. Schuler, Die Musik d. Osterfeiern, Osterspiele u.
Passionen d. MA, Kassel 1951.
Stettin.
Lit.: R. Schwartz, Zur Gesch. d. Musikantenzunft im
alten St., Lpz. 1898; H. Engel, Spielleute u. Hofmusiker
im alten St. zu Anfang d. 17. Jh., in: Musik in Pommern I,
hrsg. v. Ver. zur Pflege Pommerscher Musik, Greifswald
1932; W. Freytag, Mg. d. Stadt St. im 18. Jh., = Pom-
mernforschung V, 2, Bamberg 1936; W. Kowalewski,
Z zycia muzycznego Szczecina (»Aus d. St.er Musikle-
ben«), Muzyka V, 1954.
Sticheron (von griech. <jtIx°?. Vers) heiBt im -»■ By-
zantinischen Gesang ein -> Troparion, dessen Vortrag
zwischen die Verse eines Psalms oder eines anderen bib-
lischen Textes eingeschoben wird. Oft erhalt es nach
dem zugehorigen Text einen besonderen Namen; so
heiBt ein St. zu den Seligpreisungen Makarismon, ein
St. zu dem EiAoytjtdg el xvgie (aus Psalm 118) Euloge-
tarion. Ein St. idiomelon (automelon) ist mit einer ei-
genen Melodie versehen; ein St. prosomoion (»glei-
ches« St.) ubernimmt dagegen eine bereits vorhandene .
Melodie. Nach seinem Text heiBt das St. Martyrikon
(auf Martyrer), Nekrosimon (auf die Toten), Anapau-
simon (Bitte um die ewige Ruhe fur die Toten), Ana-
stasimon (auf die Auferstehung Christi), Staurosimon'
(auf das Kreuz) usw. Ein St., das im Offizium einer
Doxologie f olgt, heiBt Doxastikon. Besondere Zusam-
menstellungen von Psalmversen und Stichera ergeben
das Antiphonon. Neben den Stichera von gewohnli-
cher oder besonders groBer Lange gibt es auch einige
sehr kurze Stichera; sie heiBen Syntoma (»kurze«). Die
charakteristische Melodik der Stichera bildet einen ei-
genen, mehr oder weniger syllabischen Stil, das Genos
sticherarikon. Jedoch finden sich nicht selten auch Sti-
chera, die mit Riicksicht auf dieErfordernisse des Offi-
ziums oder auf das Stilideal ihrer Zeit in einem f remden
Stil, meist im reich verzierten Genos kalophonikon,
ausgef tihrt sind. In den liturgischen Biichern ohne Neu-
men sind die Stichera in der Liturgie nach ihrer Stel-
lung eingeordnet. In der musikalischen Uberlieferung
bilden sie eine eigene Sammlung, das Sticherarion, das
nach folgendem Plan angelegt ist: Stichera der kalen-
dermaBig bestimmten Feste, Stichera der beweghchen
57*
899
Stil
Feste, Oktoechos. Wenn fiir das gleiche Fest mehrere
Stichera vorhanden sind, folgt ihre Anordnung dem
Tonartensystem.
Stil (ital. stile; von lat. stilus, Griffel) bedeutet inner-
halb der Literatur und Rhetorik bereits in romischer
Zeit (Attizismus) die Art des Schreibens (modus scriben-
di) bzw. des Redens (genus dicendi). In musikalischen
Zusammenhangen tritt das Wort zuerst um 1600 in
Italien auf im Sinne von Art und Weise (maniera, usan-
za, modo) und gewohnlich in Verbindungen, die all-
gemeine Kategorien oder Gattungen der Musik oder
enger bestimmte musikalische Techniken oder Satz-
arten bezeichnen. Im Gesichtskreis stand dabei nur die
jeweils gegenwartige Musik. Bereits P.Pontio (Ragio-
namento di musica, 1588, S. 1533.) spricht analog zu
Zarlinos maniera di comporre (Istitutioni harmoniche, 1558)
vom stile oder modo der Motette oder Messe, des
Madrigals oder Ricercars usw., wobei z. B. der Motet-
ten-St. als grave, et quieto und als stilo grave charak-
terisiert wird, im Unterschied zum stilo da madrigale,
der vor allem durch den moto veloce bestimmt ist.
Unter Berufung auf Zarlino nennt Zacconi (Prattica di
musica 11,1622) stile auch die personlichen Eigenarten
im Satz; dieser entstehe durch den jeweils verschiede-
nen Anteil von arte, modulatione, diletto, tessitura,
contraponto, inventione e buona dispositione. Doch
erst im AnschluB an die neue Sprachvertonung der
->■ Monodie um 1600, den stile oder genere rappresen-
tativo bzw. recitativo, setzte sich der Begriff des St.s im
fachsprachlichen Gebrauch von Italien aus auch in
Deutschland durch. Die gesteigerte, leidenschaftliche
Erregtheit vor allem der instrumentalen Abschnitte sei-
nes Combattimento di Tancredi e Clorinda (1624) in genere
rappresentativo nannte Monteverdi stile concitato und
stellte ihn dem stile molle e temperato der f ruheren Mu-
sik gegeniiber (Vorrede zum VIII. Madrigalbuch, 1638).
Ahnlich zueinander verhalten sich, auf die Sprachver-
tonung bezogen, die -*■ Prima pratica und die vom
gesteigerten Affekt getragene -*■ Seconda pratica Mon-
teverdis. In Verbindung mit der neuen Musik um 1600
iibernahm Praetorius (Synt. Ill) die St.-Bezeichnungen
und versteht allgemein unter Stylus den Satz (die Weise
vndArt) eines Stiickes, dessen Studium der GeneralbaB-
begleitung vorauszugehen habe (III, 138). Ebenfalls auf
die Satztechnik bezogen, spricht H. Schiitz vom iiber
den Bassum Continuum concertirenden Stylus Compositionis
aus Italia, als dessen Voraussetzung er den kontrapunk-
tischen St. ohne den Bassum Continuum ansieht (Vorre-
de zur Geistlichen Chor-Music, 1648); im choraliter re-
denden St. des Evangelisten in der Weihnachtshistorie
1664 (Vorrede) adaptierte er den 1st. Choral, im Stylo
oratorio der Kleinen geistlichen Concerte (1636) den ita-
lienischen Stile recitativo. Wohl angeregt von Schiitz
und ausgehend von der in Italien um 1600 entstehen-
den Unterscheidung zwischen strengem kontrapunkti-
schem Satz (Motette, Messe) und neuer Musik (Con-
certo, Monodie, GeneralbaB), Stilo antico und moder-
no (z. B. G.B.Doni, Discorso, 1635), baute Chr. Bern-
hard (Tractatus compositionis augmentatus, um 1660) eine
Satzlehre auf. Er unterteilt den Kontrapunkt in Contra-
punctus bzw. Stylus gravis oder antiquus (auch Stylus
a capella ecclesiasticus), den strengen Satz z. B. Palestri-
nas, fiir den die Harmonia orationis domina ist, und in
Contrapunctus bzw. Stylus luxurians oder modernus,
den freien Satz (auch der Instrumentalmusik, 21 . Kap.),
dem -*■ Figuren-Lehre und ->■ Affektenlehre zugeord-
net sind. Innerhalb der letztgenannten Satzart unter-
scheidet Bernhard den Stylus communis, in dem so-
wohl Oratio als auch Harmonia mafigeblich sind, und
den Stylus comicus bzw. theatralis, dessen Extrem der
Stylus recitativus oder oratorius ist, erfunden eine Rede
in Music fiirzustellen.
Die um 1650 aufkommende allgemein-spekulative
Einteilung der Musik in St.e nach Zweck, Gattung,
Personlichkeit, Landschaft und Gemiitsverfassung, vor
allem durch A.Kircher (Musurgia, 1650), dessen System
der St.e weiteste Verbreitung fand, wurzelt einerseits
in der Polaritat von Kontrapunkt und GeneralbaB
nach 1600, andererseits in der spatmittelalterlichen Mu-
sikeinteilung, wie diejenige bei Johannes de Grocheo
(um 1280) in Musica ecclesiastica (liturgische Einstim-
migkeit), Musica composita oder mensurata (mehr-
stimmige geisdiche Musik) und Musica vulgaris (1st.
Tanz- und Spielmannsmusik). Durch Gemiits- und
Geistesverfassung des Menschen bedingt ist nach Kir-
cher der Stylus impressus, durch Kompositionsart und
Affektgehalt der Stylus expressus. Kircher unterschei-
det ferner zwischen Stylus ecclesiasticus, canonicus,
motecticus, phantasticus, madrigalescus, melismaticus,
choraicus sive theatralis und symphoniacus und spricht
den Italienern den allervollkommensten und temperiertesten
stylum zu. Weitgehend von Kircher abhangig sind
Brossard (1703) und J.G.Walther (1732) in ihren St.-
Kategorien. Seit etwa 1700 jedoch setzte sich statt des
spekulativen Systems immer mehr die empirische Ein-
teilung in Kirchen-, Kammer- und Theater-St. durch
(Mattheson, Ehren-Pforte, 1740), ferner die Unterschei-
dung von National-St.en, vor allem des »welschen«
und »frantzosischen« St.s (Mattheson, ebenda), die
Konstituierung des als Charakteristikum der deutschen
Instrumentalmusik angesehenen »vermischten Ge-
schmacks« (Quantz Versuch, 1752) und die Erorterung
von Personlichkeits-St.n. Das Wort St. - um 1750 oft
durch Geschmack oder Gout ersetzt - bedeutet dabei
nichts anderes als Setz- oder Schreibart; sein Gebrauch
zur Benennung auf f allender Pragungen der Tonsprache
beruht mehr auf dem Consensus omnium als auf ge-
naueren Beschreibungen der St.-Eigentiimlichkeiten.
Doch gibt es im 17. und 18. Jh. auch aufs Technische
gerichtete St.-Bezeichnungen. So heiBt der aus der Na-
tur des Instruments resultierende spezifische Lautensatz
bei D. Gaultier (Pieces de luth, 1669) style brise (ge-
brochener St.), was besagt, daB die Verbindung von
Melodie und Harmonie durch arpeggierenden Satz
zustande kommt, der z. B. auch auf Orgel oder Cem-
balo ubertragbar ist. Als Style coupe bezeichnet Kirn-
berger (Kunst des reinen Satzes 1, 1774, S. 109) den neuen
Satz aus kurzen melodischen Gliedern und vomehm-
lich Zweitaktgruppierungen. In diese Kategorie von
St.-Begriffen, obwohl nicht so sehr auf die Satzstruk-
tur bezogen, gehort spater auch der Style enorme, den
Berlioz fiir sich in Atispruch nahm, und der sich vor
allem auf die gehauften Mittel in seiner Musik bezieht.
Im Sinne des noch heute gebrauchlichen Begrifis des
Auffiihrungs-St.s definiertej. A. Scheibe (Critischer Mu-
sicus, 1745, S. 139) den St. als gewisse Manier des mu-
sikalischen Vortrags. Im AnschluB an die allgemeinen
St.-Einteilungen unterscheidet J.N.Forkel (Uber die
Theorie der Musik, 1777, und Allgemeine Geschichte der
Music I, 1788, Einleitung) auBer dem Kirchen-, Kam-
mer- und Theater-St. (hinsichtlich ihrer Anwendung
und ihres Gebrauchs) auch einen hohen, mitderen und
niederen St. (hinsichtUch ihres inneren Wesens). Gegen
Ende des 18. Jh. verschwanden mit dem Wandel der
Musik allmahlich auch die St. -Kategorien der. General-
baBzeit, und neben dem urspriinglichen Wortsinn
(maniera) , der bis heute gilt, erhielt das Wort einen neuen
Sinn, der sich im wissenschaftlichen St.-Begrifi des 19.
Jh. manifestiert. Dieser entstand offenbar auf Grund der
Adaptierung des St.-Begriffs fiir die bildende Kunst der
Antike durch Winckelmann (1756) und fiihrte - zu-
900
Stil
nachst bezogen auf die mehr f ormale Art der Darstel-
lung - zur Konzeption der historischen Zeit-St.e.
Der neue St.-Begriff wurde in der Musik faBbar, als
um 1830 auch die Musik der Vergangenheit in den
Gesichtskreis trat. Er besagt allgemein, daB alle For-
mungen eines historischen St.s von einer inneren Ein-
heit durchdrungen, von iiberzeugender Geschlossen-
heit und Verbindlichkeit sind. Auch in der Musik be-
zieht sich der neue St.-Begrifl auf die unmittelbar
wahrnehmbare Formung, weshalb er oft synonym mit
»Charakter« gebraucht wird. Er erscheint zuerst in der
Asthetik (E.Hanslick, Vom Musikalisch-SMnen, 1854;
Fr.Th.Vischer, Asthetik, 1857). Den historischen Be-
griff vorbereitet hat der in der Musik schon im 17. und
18. Jh. gebrauchliche Begriff des Personlichkeits-St.s.
Unter dem Gesichtspunkt der iiberragenden Person-
lichkeit periodisierte daher die angehende Musik-
geschichtsschreibung (Hawkins, Burney, Forkel, C.v.
Winterfeld). In Wechselwirkung mit dem St.-Begriff
entstanden die Begriffe »Inhalt« und »Form« (-* Aus-
druck) und damit die Trennung von Asthetik und
streng technischer Lehre. Diese Grundlagen und Kri-
terien musikalischer Betrachtung standen bereits test,
ebenso die Hauptepochen der Musikgeschichte nach
kompositionstechnischen, regionalen und allgemein
geschichtlichen Gesichtspunkten, als G.Adler im An-
schluB an die Kunstgeschichte (A. Riegl, A. Schmarsow,
H.Wolfflin) die Musikgeschichte als St.-Geschichte
proklamierte. Musikalischer St. wird dabei gefaBt als
zeit-, gattungs- und personlichkeitsbedingtes einheit-
liches Geprage, wie es in der Art und Weise der Ver-
wendung der Kompositions- bzw. St.-Mittel (Form,
Harmonik, Melodik, Rhythmik) in Erscheinung tritt,
wobei als St.-Momentyeife konstant auftretende musikali-
sche Formung (Biicken/Mies, S. 220) gilt. Die Methode
der St.-Kritik ist infolge der geforderten (Adler) und
auch durchgefuhrten Trennung von Form- und In-
haltsanalyse stark formal ausgerichtet und arbeitet
hauptsachlich mit dem St.-Vergleich, der insbesondere
die Melodik (Motivik, Thematik) ins Auge faBt. Die
Hauptauf gabe der Wissenschaft sieht die St.-Geschich-
te in der Aufdeckung der Entwicklungsreihen mit Wife von
St.-Kriterien (Adler). Der ebenfalls aus der Kunstge-
schichte ubernommene Grundgedanke ist die Darstel-
lung der fiir die St.e charakteristischen Formungen als
kontinuierliche Entwicklung. Im Unterschied zur
Kunstgeschichte aber kam es innerhalb der Musikwis-
senschaft weniger zu eigenen, aus der historischen For-
schung selbst gewonnenen St.-Kriterien ; vielmehr ver-
band sich der moderne St.-Begriff einerseits mit den
seit etwa 1600 in der Musik gebrauchlichen St.-Eintei-
lungen und satztechnischen Bezeichnungen (monodi-
scher, polyphoner, homophoner St.), die man zum
Teil nun als Zeit-St.e deutete, andererseits mit der als
allgemein giiltig angenommenen musikalisch-techni-
schen Nomenklatur von Harmonie- und Formenlehre,
die die eigentlichen St.-Kriterien lieferten. Zudem
wurden musikalische Epochenbegriffe aus der Kunst-
geschichte (Renaissance, Barock, Rokoko, Klassik,
Klassizismus, Biedermeier, Impressionismus u. a.), aus
der Literaturgeschichte (Romantik, Sturm und Drang,
Klassik) und aus der allgemeinen Geschichte (z. B. Mit-
telalter, Altertum) entlehnt. Keine eigentlichen St.-
Bezeichnungen, sondern Epochenbegriffe nach pri-
mar satztechnischen Erscheinungen sind z. B. H.Rie-
manns »durchimitierender Vokal-St.« (15./16. Jh.) und
»GeneralbaBzeitalter« (17. Jh.) oder Handschins »Zeit
des konzertierenden St.s« (17./18. Jh.). Wahrend den
Haupteinschnitten der Musikgeschichte (um 900, um
1600, um 1750, um 1830 und um 1900) immer dann
Rechnung getragen wird, wenn Epochenbegriffe nach
satztechnischen Erscheinungen gebildet werden, ergibt
die St.-Periodisierung infolge der divergierenden Ge-
sichtspunkte (Satztechnik, Gattung, iiberragende Mu-
sikerpersonlichkeit) betrachtliche Differenzen und
Uberschneidungen. So ist der als Einheit empfundene
»Wiener klassische St.« - von Riemann (Handbuch der
Musikgeschichte) innerhalb der »Mannheimer St.-Re-
form« behandelt - unscharf abgegrenzt einerseits vom
Rokoko, vom -*■ Galanten St., -*■ Empfindsamen St.
und »klassizistischen« St. (Paisiello, Cimarosa), den 3
Haupt-St.en des 18. Jh. (nach Biicken), andererseits von
der Romantik. Die im 18. Jh. vor allem technisch (in
bezug auf den freieren Satz) gemeinte Bezeichnung
»galante Schreibart«, die J.A.Scheibe (Critischer Musi-
cus, 15. Stuck) aus dem italienischen Theater-St. ab-
leitet, wird dabei mehr kulturhistorisch verstanden:
auf Grund dieses »ideal esthetique« charakterisierten
z. B. Wyzewa-St. Foix das Schaffen W. A. Mozarts von
1774-76. Dagegen erhob G.Adler in konkret musika-
lisch-technischem Sinn Beethovens eigene Bezeichnung
-> Obligates Akkompagnement zum St.-Kriterium fiir
dessen Spat-St. - Gegeniiber der Annahme sich iiber-
lagernder Zeit- Gattungs-, Personal-St.e und ihrer
unbegrenzt moglichen Diflerenzierungen (z. B. Land-
schafts-, Werk-, Spat-St.), wodurch gerade der Kern
des St.-Begriffs, namlich die innere Einheit des St.s, der
Forschung zu entgleiten droht, ist bemerkenswert Ad-
lers Erwagung einer Periodisierung nach Notationen,
wie sie besonders von J. Wolf fiir -»■ Ars antiqua und
-*■ Ars nova durchgefuhrt wurde. Die musikalische St.-
Geschichte, die in ihrer letzten, mehr nach dem Vorbild
der Philologie orientierten Phase noch heute beherr-
schend ist, zeitigte seit Riemann und Adler eine Viel-
f alt oft erheblich voneinander abweichender Methoden
und erarbeitete u. a. auch grundlegende satztechnische
Kriterien. Erst in einer zweiten Phase der Musikfor-
schung (seit etwa 1925) verschob sich voriibergehend
das Gewicht auf kunst- und kulturhistorische St.-Be-
griffe. Im engeren Sinne auf das Klangbild der Musik
bezogen, sprechen W.Gurlitt (1926) und A. Schering
(1927) von historischen Klang-St.en, wobei Schering
grundsatzlich zwischen Spaltklang (Gotik, 17. Jh.) und
Klangverschmelzung (16. Jh.) unterscheidet. Kein Ab-
gehen von den Grundlagen und Zielen der St.-Geschich-
te brachten Kretzschmars auf W. Dilthey zuriickgehen-
de -»■ Hermeneutik (»Satzasthetik«, auf Affektenlehre
beruhend) und Musikgeschichte nach Gattungen, die
aber als feste »Formen« (z. B. Symphonie, Konzert,
Sonate, Kantate usw.) verstanden wurden. Angeregt
durch literarhistorisch-physiologische Arbeiten von
Sievers und Saran sowie durch die Rutzsche -*■ Typo-
logie und Riemanns System der Metrik und Rhythmik,
suchte G. Becking rhythmische Kriterien zur St.-Ana-
lyse vor allem des Personal-St.s zu gewinnen. Da fiir
die Wissenschaft als St.-Geschichte die Untersuchung
des St.s im Vordergrund steht, kommt der Werkana-
lyse eine mehr sekundare Bedeutung zu. In neuerer
Zeit zeichnet sich deutlich die Tendenz ab, von ent-
lehnten St.-Begriffen abzugehen (Handschin). Eine an-
dersgeartete Fragestellung, namlich nach den konstitu-
tiven Elementen des St.s, der Kompositionstechnik, er-
gibt die Notwendigkeit, die Musik aus ihren eigenen
Grundlagen zu begreifen, Methoden zur Untersuchung
des musikalischen Satzes zu entwickeln(Jeppesen), eine
historisch fundierte (d. h. nicht mehr allein auf den Kri-
terien von Harmonie- und Formenlehre basierende)
Werkanalyse zu betreiben und die historisch wirksa-
men Kompositionsgattungen aufzuspiiren und zu ver-
folgen. Wesentlich zu dieser Wendung trug bei, daB
der St.-Begriff, der die Annahme eines in der Erschei-
nungsform einheitlichen Zeit-St.s voraussetzt, offen-
901
Stimmbildung
sichtlich nicht mehr zum Verstandnis der Musik im
20. Jh. ausreicht.
Lit.: A. Riegl, Stilfragen, Bin 1893, 21923; H. H. Parry,
Style in Mus. Art, Oxford 1900, London 2191 1 ; A. Schmar-
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XX, 1934; M. Emmanuel, Hist, de la langue mus., 2 Bde,
Paris 1911, 21928; W. R. Worringer, Abstraktion u. Ein-
fuhlung. Ein Beitr. zur Stilpsychologie, Munchen 1911,
NA 1948, engl. London 1953; W. Fischer, Zur Entwick-
lungsgesch. d.Wienerklass.St., StMwIII, 1915; H. Wolff-
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C. Sachs, Barockmusik, JbP XXVI, 1919; ders., The
Commonwealth of Art, NY 1956; K. Meyer, Zum Stil-
problem in d. Musik, ZfMw V, 1922/23 ; E. Bucken u. P.
Mies, Grundlagen, Methoden u. Aufgaben d. mus. Stil-
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Lpz., 1925, engl. Kopenhagen u. London 1927, 21946; E.
Bucken, Zur Frage d. Begrenzung u. Benennung d.
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Werdegang u. Eigenschaften d. Definition in d. mus. Stil-
kunde, Kgr.-Ber. Lpz. 1925 ; W. Gurlitt, Die Wandlungen
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burger Tagung f. deutsche Orgelkunst, Augsburg 1926,
Neudruck in: Mg. u. Gegenwart II, = BzAfMw II, Wies-
baden 1966; E. Katz, Die mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss.
Freiburg i. Br. 1926; Th. Kroyer, Zwischen Renaissance
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nal Klangst., ebenda; G. Becking, Der mus. Rhythmus
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deutscher Dichtung u. Musik d. 18. Jh., = Neue deutsche
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Stilforschung, Fs. H. Engel, Kassel 1964; R. L. Crocker,
A Hist, of Mus. Style, NY (1966). StK
Stimmbildung bedeutet die Schulung der naturgege-
benen Stimmfunktionen. Ihr Zweck ist, die gesamte
fiir den Sanger erforderliche Muskeltatigkeit (Atmung,
Kehlkopf- und Stimmbandbewegung, Stellung der
Mund- und Rachenhohle, Artikulation) unter Aus-
nutzung samtlicher Resonanzmoglichkeiten im Scha-
delbereich optimal zu spannen und zu entspannen, d. h.
in der Sprache des Sangers, den richtigen Sitz der Stim-
me zuerlangen. Ein wichtiges Ziel der St. ist die reine
Intonation, die auch bei einer klangschonen und trag-
f ahigen Stimme im allgemeinen nur durch Ausbildung
erreicht werden kann. Erforderlich ist St. nicht nur
fiir Sanger, Chorleiter, Schul- und Kirchenmusiker,
sondern auch fiir Redner. Sie bildet einen wesentlichen
Teil des Gesangunterrichts auch in der Schule. - Im ein-
zelnen beginnt die St. mit der Erarbeitung einer be-
wuBten Atemtechnik und einer gelockerten sangeri-
schen Korperhaltung. Die wichtigste Lehrmethode ist
die unmittelbare Nachahmung. Da die entscheidenden
Muskelfunktionen von Kehlkopf und Stimmbandern
(-> Stimme - 2) nicht willkurlich beeinfluBt werden
konnen, halt die allgemeine Gesangspadagogik deren
BewuBtmachen sogar fiir schadlich. Sie arbeitet gro-
Benteils mit Bildern und Vorstellungen, die der Schiiler
in Klang umzusetzen hat. Gleichzeitig mit dem Sitz der
Stimme wird die Erarbeitung des Stimmumfangs ge-
schult. Dabei werden die Vokale in Tonleitern, gebro-
chenen Dreiklangen und kurzen Melodiefloskeln auf
stufenweise wechselnder Tonhohe geiibt. Konsonan-
ten und Konsonantengruppen treten als erhohter
Schwierigkeitsgrad hinzu. Zum Auslasten der Reso-
nanz werden vielfach Summtone angewandt. - Die St.
kann schon in friihem jugendlichem Alter beginnen.
Die gesunde Kinderstimme wird sich bei entsprechend
vorsichtiger Leistung und Bewahrung vor Oberschrei-
en organisch zu einer locker schwingenden und der in-
dividuellen Veranlagung entsprechenden klaren und
klangschonen Stimme entfalten; dabei ist die Knaben-
stimme wahrend der ->■ Mutierung strikt zu schonen,
bedarf jedoch der gelegentlichen Oberwachung durch
einen Stimmbildner (z. B. Schulmusiker). - In vielen
Fallen treten durch Oberforderung des Stimmappara-
tes, falsche Sprechgewohnheiten oder seelische Ver-
krampfungen mehr oder weniger deutliche Klangfeh-
ler oder auch Stimmschadigungen auf. Hier muB die
St. Heilung, zumindest Umerziehung anstreben. -
Als Gesangsetiiden stehen heute noch an erster Stelle
die Vocalisen- und -*■ Solf ege-Hef te von G. Concone
(25 lecons de chant de moyenne difficult^ op. 10; 30 exer-
cicespour la voix op. 11; 50 lecons de chant pour voix haute;
15 vocalises pour soprano ou mezzo-soprano; 40 lecons de
chant specialement composies pour voix de basse ou de bary-
ton) und H.Panofka (24 vocalises progressives op. 85; 12
vocalises d' artiste op. 86; Erholung und Studium op. 87;
86 nouveaux exercices op. 88; 12 Vokalisen fiir Bafi op.
90), daneben L.Riccis Variazioni - cadenze - tradizioni
(mit Obungen aus dem Opernrepertoire, Mailand
1937,21941).
Lit.: J. MOller, t)ber d. Compensation d. physischen
Crafte am menschlichen Stimmorgan, Bin 1839; J. Hey,
Deutscher Gesangsunterricht, 4 Teile, Mainz (1881), 4 H.,
Mainz (1885ff.); L. Lehmann, Meine Gesangskunst, Bin
1902, 31922, Nachdruck Wiesbaden 1961, engl. v. R. Al-
drich als : How to Sing, NY u. London 1902, 3 1 924 u. 1 949,
frz. v. E. Naegely als: Mon art du chant, Paris 1911 ; K.
Scheidemantel, St., Lpz. 1907, 71920; ders., Gesangsbil-
dung, Lpz. 1913, engl. v. Carlyle 21913 ; Fr. Martienssen-
Lohmann, Das bewuBte Singen, Lpz. 1923, 31951 ; dies.,
Der wissende Sanger, Zurich u. Freiburg i. Br. 1956; Kl.
Schlaffhorst u. H. Andersen, Atmung u. Stimme, Wol-
f enbuttel 1 928, neu hrsg. v. W. Menzel (1 950); P. Lohmann,
DiesangerischeEinstellung,Lpz.l929;DERS.,Stimmfehler-
Stimmberatung, Mainz (1938); P. Neumann, Die stimm-
liche Erziehung d. Chores, Regensburg 1936, 21950; J.
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1961 ; E. Rossi, Neue Grundlagen f. d. Sprech- u. Gesangs-
unterricht, Munchen u. Basel 1965.
Stimmbogen (engl. crooks, shanks; frz. corps de re-
change ; ital. ritorti ; span, tonillos) sind gebogene Rohr-
902
Stimme
stiicke, mit deren Hilfe die Stimmung von Naturhor-
nern und -trompeten verandert werden konnte. Es
handelt sich entweder um kreisformig in einer vollen
Windung gebogene St. (Krummbbgen; Praetorius
Synt. II: Krumbbugel), die von Fall zu Fall zwischen
Mundstiick und Corpus eingesetzt werden konnten
(-»■ Waldhorn), oder um U-formige St. (Aufsteckbo-
gen), die einen austauschbaren Teil des Corpus bilde-
ten (-»■ Inventionshorn). Setzstiicke heifien bei J.E. Al-
tenburg (1795) kurze gerade Rohrstiicke, die zwischen
Mundstiick und Corpus eingesetzt wurden.
Stimmbruch -> Mutierung.
Stimmbiicher (engl. part books), die separat geschrie-
benen oder gedruckten Parte (Stimmen) mehrstimmi-
ger Kompositionen. Die fruheste Handschrift in St.n ist
das Glogauer Liederbuch (um 1480; Stimmen: Dis-
cantus, Tenores, Contratenores; -* Quellen: Glog). Im
16. Jh. verdrangten die St. rasch den als Gruppencodex
angelegten -»■ Chansonnier, dessen Vorbild noch Pe-
trucci und Antiquis in ihren Drucken weltlicher Musik
folgten. In St.n druckte Petrucci (wohl mit Riicksicht
auf die groBe Besetzung) liturgische Musik, blieb je-
doch mit diesem Vorgehen allein. Im allgemeinen setz-
ten sich die St. zuerst in der weltlichen und nichtlitur-
gisch-geistlichen Musik durch; liturgische Musik wur-
de bis ins friihe 17. Jh. vielerorts in ein -> Chorbuch
eingetragen. Partiturdrucke waren bis um 1590 selten,
und noch im 18. Jh. wurden Kammer- und Orchester-
werke oft nur in Stimmen gedruckt. Beim Komponie-
ren wurde die ->• Tabula compositoria oder die -*■ Par-
titur benutzt; zum Spiel auf Akkordinstrumenten wur-
de die Komposition intavoliert, d. h. in ->■ Tabula-
tur (- 1) abgesetzt. Fur die einfache auBere Anlage wie
fur das Repertoire der St. war maBgebend, daB sie iiber-
wiegend fiir das gesellige Musizieren der Stadtbiirger
und Studenten sowie fiir Schiilerchore und Kantorei-
gesellschaften bestimmt waren. Wie Abbildungen zei-
gen, musizierten oft Sanger und Instrumentalisten ge-
meinsam aus einem Stimmbuch.
Stimme. - 1) Das deutsche Wort St. wird in friihen
Belegen wie lat. -»■ vox fiir den Einzelton verwendet.
Fiir den mehrstimmigen Satz manifestiert sich in der
Obernahme der Bezeichnung St. (und vox) fiir alles,
was von einem der Beteiligten ausgefiihrt wird, die
Tatsache, daB ein solcher Bestandteil des Satzes, dessen
Verlauf von Ton zu Ton durch Beriicksichtigung der
Intervalle zu den ubrigen St.n bedingt wird, ein sinn-
volles Ganzes von moglichst selbstandigem Charakter
ergeben soil (-»• Discantus, -> Stimmfiihrung). Von
Einstimmigkeit in strengem Sinne kann nur die Rede
sein, wo diese vor dem Hintergrund einer mehrstimmi-
gen Praxis steht, wie die 1st. Kompositionen seit dem
17. Jh., die zum Teil »Scheinpolyphonie« zeigen. Die
Liedkunst des Mittelalters dagegen steht weitgehend
selbstandig neben der gleichzeitigen Mehrstimmigkeit,
und bei der Ubernahme einer Melodie als -»■ Funda-
mentum oder -*■ Cantus firmus eines mehrstimmigen
Satzes liegt meist eine Bearbeitung vor, die die Rhyth-
mik und zum Teil auch den melodischen Verlauf oft
tiefgreifend verandert. Bei volkstiimlicher und auBer-
europaischer Praxis, die der Mehrstimmigkeit nahe-
kommt, muB in jedem Falle gepriift werden, ob ein
Ausfuhrender seinen Anteil, z. B. einen -> Bordun, als
St. versteht (-> Polyphonie). - In der friihesten Mehr-
stimmigkeit heiBt die Grund-St. -> Cantus (- 1 ; auch
vox principalis, vox praecedens), die Gegen-St. ->• Or-
ganum (vox organalis, vox subsequens). Als Bezeich-
nungsfragment von Organum duplum usw. biirgerten
sich fiir die Ober-St.n des Organum -»■ Duplum,
-> Triplum und -»■ Quadruplum ein. In der Motette
erhielt der mensural zubereitete Cantus den Namen
-»■ Tenor (- 1), das textierte Duplum die Bezeichnung
Motetus. Als Gegenstiick zum Motettensatz mit dem
Tenor als Fundamentum entstand in der franzosischen
Ars nova des 14. Jh. der -»• Kantilenensatz, dessen tex-
tierte Ober-St., in den Handschriften meist ohne Be-
nennung, die Bezeichnung Cantus iibernahm; als dritte
St. konnte ein -> Contratenor in der Lage des Tenors
hinzutreten. Das 2st. Geriist von Tenor und -*■ Diskant
wurde im 15. Jh. durch die Aufspaltung des Contra-
tenors in -»■ Alt (- 1) und -> BaB (- 1) zur Vierstim-
migkeit erweitert, die bis heute in der Satzlehre nor-
mative Gultigkeit behielt. Fiir die Ober-St. biirgerte
sich seit dem 15. Jh. auch die Bezeichnung -> So-
pran (- 1) ein. In der englischen Musik des Mittelal-
ters hieBen die 4 Normal-St.n Plainsong, -»■ Meane,
-»• Treble und Quatreble. Auch -*■ Faburden - wie auf
dem Kontinent -*■ Fauxbourdon - wird in einigen Quel-
len als St.n-Bezeichnung verstanden. Beim Uberschrei-
ten der normalen Vierstimmigkeit wurden die zusatzli-
chen St.n entweder als Bassus II usw. bezeichnet oder
als -> Quintus (auch Quinta vox), Sextus usw. gezahlt;
in der deutschen Uberlieferung des 16. Jh. kommt auch
die Stimmbezeichnung ->• Vagans vor. Neben dem
traditionellen mehrstimmigen Satz mit dem in der Mit-
te liegenden Tenor als Fundamentum entwickelte sich
im Laufe des 16. Jh., zuerst in volkstiimlichen Lied-
satzen, eine neue Satzweise, die von -»■ Ober- und Un-
ter-St. (Sopran als Melodie-St., BaB als Klangtrager)
ausgeht und die -> Mittel-St.n als zweitrangige -» Fiill-
Stn behandelt. Das Verhaltnis der St.n eines Satzes zu-
einander war bis um 1600 das von -> Lagen-St.n, seit-
her im Vokalsatz das von -> Stimmgattungen (Stimm-
lagen). Als mittlere Stimmlagen kamen in neuerer Zeit
zwischen BaB und Tenor der -* Bariton (- 2), zwi-
schen Alt und Sopran der ->■ Mezzosopran hinzu. In der
franzosischen Musik des 17. Jh. wurden vornehmlich
die Bezeichnungen Basse, -»■ Concordant, -> Taille,
-> Haute-contre und ->■ Dessus verwendet. Fiir den
Alt blieb in Italien, Frankreich und England bis heute
die italienische Form Contralto gebrauchlich; die von
falsettierenden Manner-St.n ausgefiihrte St. in Alt-
lage heiBt in England -*■ Countertenor. In der Oper
wurden die Charakteristiken der Stimmgattungen zur
Unterscheidung einer groBeren Zahl von -> Stimm-
fachern verfeinert. Der instrumentale Satz iibernahm
im 17. Jh. haufig noch Stimmumfange und -lagen des
Vokalsatzes mit Bezeichnungen wie Altus jnstrumen-
talis usw. Daneben entwickelte sich in zunehmendem
MaBe ein eigenstandiger Instrumentalsatz, fiir den nur
noch die in den Instrumenten selbst liegenden Mog-
lichkeiten und Grenzen maBgebend sind. Wurden bis
um 1600 nur die kompositorisch gtiltigen St.n notiert,
zu denen nach dem Belieben der Ausfiihrenden Klang-
verstarkungen mit zum Teil abweichender Stimmfiih-
rung hinzutreten konnten, so werden seit dem 17. Jh.
in der Regel Parte (-»■ Stimmbiicher) fiir alle Mitwir-
kenden ausgeschrieben, auch wenn einzelne unter ihnen
weitgehend iibereinstimmen, wie z. B. im -> General-
baB und ->• Basso seguente. Unterschieden werden nun-
mehr die solistischen von den mehrfach besetzten St.n
(auch vokal mit Instrumenten ->■ colla voce) der Ca-
pella (-> Kapelle) oder des Chorus (-> Mehrchorig-
keit), Concertat-, Principal- und Ripien-, Solo-, Melo-
die- und Begleit- obligate St.n und ad libitum-, Haupt-
und Neben-, reale und Fiill-St.n. Im Streichquartett-
und Orchestersatz der Wiener Klassik ist die Kontinui-
tat eines Instrumentalparts als (Satz-)St. oft auf gehoben,
da beim haufigen Wechsel der St.n-Kombinationen je-
des Instrument eine jeweils andere Rolle iibernehmen
903
Stimme
kann. Die -> Durchbrochene Arbeit des spaten Beetho-
ven, Brahms' und Mahlers bezieht den Wechsel des In-
struments in die Darstellung einer Melodie ein und
bereitete damit Schonbergs -> Klangfarbenmelodie
sowie die Auflosung der St.n-Zusammenhange in der
neuesten Musik vor. - St. heifien auch der -> Stimm-
stock (- 1) der Violine und die -*■ Register (- 1) der
Orgel.
- 2) Die Funktion der menschlichen St. beruht auf
nervenphysiologischen, organischen und akustischen
Vorgangen. Die systematischeErforschung der stimm-
physiologischen Ablauf e begann mit den Untersuchun-
gen des Anatomen A.Vesalius (1514-64), wahrend
der eigentliche Begriinder dieses experimentellen For-
schungszweiges A.Ferrein ist, der bereits 1741 seine
Beobachtungen an Hundekehlkopfen beschreibt. La-
ryngoskopie, Rontgenologic und elektroakustische
Untersuchungen haben zu neueren Ergebnissen ge-
f iihrt. - Unter alien am Stimmablauf beteiligten Orga-
nen - Lunge, Bronchien, Trachea (Windraum) ; Kehl-
kopf mit Stimmlippen; Mund-, Nasenraum (Ansatz-
zustand die Spannung der Stimmlippen letzten Endes
abhangt. Der Begriff Stimmlippen ist im anatomischen
Sinn vom Begriff Stimmbander (ligamenta vocalia) ab-
gegrenzt. Das Knorpelgeriist des Kehlkopfes wird an
seiner Unterseite durch einen zum Kehlkopf hin sich
verengenden elastischen Schlauch (conus elasticus) ge-
geniiber der Trachea beweglich gemacht. Die (elasti-
schen) Banderziige am oberen Rande der Innenseite des
Conus elasticus werden als Stimmbander bezeichnet, die
an den Banderziigen auf tretenden Wiilste mit ihren Mus-
keln als Stimmlippen. Die Innervation der Kehlkopf-
muskeln erfolgt iiber zwei Nerven, von denen der
doppelseitige Nervus recurrens die motorischen Fa-
sern versorgt. Durch periodische Unterbrechung des
Stimmlippenverschlusses wird die aus dem Wind-
raum stromende Luft zu Schwingungen erregt. Bei
diesem Vorgang lost nicht allein der subglottale Luft-
strom die locker geschlossenen Stimmlippen, sondern
vor allem die aktive, durch den Nervus recurrens be-
wirkte Spannung, derhierbei UbermittlerneutralerEin-
fliisse ist (neuromuskulare Theorie). Die Schwingun-
2)
Conus elasticus
Muscutus
crico - thyreoideus
Muscutus
crico - arytaenoideus
lateralis
Muscuti
crico - arytaenoidei
dorsales
Ringknorpel
rohr) - hat der Kehlkopf (Abbildung 1 ; nach Lullies)
zentrale Bedeutung. Er schlieBt das Ansatzrohr vom
Windraum ab und ist damit primar Schutzorgan fiir
die Lunge, sekundar der eigentliche Stimmerzeuger. Das
Skelett des Kehlkopfes sitzt dem obersten Tracheal-
halbring auf und besteht aus Knorpeln, durch Bander
miteinander verbunden, von denen Ring-, Schild- und
Stellknorpel gegeneinander beweglich sind und die
zwischen ihnen straff aufgehangten Stimmlippen span-
nen. Stell- und Ringknorpel besitzen dazu unter sich
gelenkige Verbindungen fiir eine dreifache Stellungs-
anderung, deren Kombination die fein abgestufte Ver-
anderung der Stimmritze (-*■ Glottis) ermoglicht. Die
Bewegungen des Kehlkopfes beim Schluckvorgang
und bei der Phonation bewirkt eine Vielzahl aufierst
schnell beweglicher Muskeln, unter denen als die zwei
wichtigsten zu nennen sind: der Ring-Schildknorpel-
muskel (musculus crico-thyreoideus), der eine Langen-
anderung und passive Spannung der Stimmlippen be-
wirkt, und der Musculus vocalis, der direkt in ihnen
liegt (siehe Abbildung 2) und von dessen Kontraktions-
gen des von den Stimmlippen unter-
brochenen trachealen Luftstroms fiih-
ren zu Schwingungen der in Mund-
und Nasenraum enthaltenen Luft. Die-
ser Raum - obere Grenze der Stimm-
lippen, Mundhohle mit den Organ-
teilen und der aufieren Zungenmusku-
latur bis zu Mundlippen unci NasenofE-
nungen - wird als Ansatzrohr bezeich-
net, dessen Beschaffenheit und Veran-
derung die St. modifiziert und be-
stimmte Schwingungen verstarkt. Im
Ansatzrohr liegt fiir den Sanger das
»Geheimnis« einer tragfahigen und schonen St. - Kehl-
kopf und Ansatzrohr sind mit dem auBeren Luftraum
gekoppelt, wobei die Ruckstrahlung der Schwingungs-
energien bis auf die Stimmlippen iibertragen wird, die
fiir jede Veranderung der Impedanz (Druck/SchallfluB)
empfindlich sind. Besonders die Abnahme der Impe-
danzbeieinem Stimmablauf, oderallgemein eineschwa-
che Impedanz, belastet die Stimmlippen und beeinfluBt
die Atmung. So ist die Ermiidung der Sprech-St., bei
der eine zu groBer Impedanz f iihrende Koppelung nicht
moglich ist, groBer als die der Sing-St. (obwohl der
subglottale Druck hier viel starker ist). Der Sanger
liebt Raume, die gut »ansprechen«, d. h. in denen sich
eine groBe Impedanz einstellt. Die direkte Beobach-
tung der Stimmlippenschwingungen wird seit M.
Garcia durch den Kehlkopfspiegel, ihre Frequenzmes-
sung seit 1878 durch die von M.J. Oertel angewandte
Stroboskopie ermoglicht. - Die Atmung ist primar ei-
ne natiirliche Funktion des StofEwechsels, die durch Be-
wegungen des Zwerchfells und der Rippen zustande
kommt. Zum Atmungsmechanismus gehoren : Brust-
904
Stimmfiihrung
korb mit Wirbelsaule, Rippen und Brustbein ; Zwerch-
f ell ; Brustraum, ausgefiillt durch Lungen, Herz und
die sogenannten groBen GefaBe. Ober den Atmungs-
traktus - Nase und Mund, Rachen, Kehlkopf, Luft-
rohre, Bronchien und Bronchiolen - stromt die AuBen-
luft in die Lungenblaschen ein, die den lebensnotwen-
digen Gasaustausch vornehmen. Beim Einatmen er-
weitert sich der Brustkorb. Das Zwerchfell, das quer
(zwerch) zwischen Brust- und Bauchhohle liegt, senkt
sich, wahrend das lockere Gewebe der Lunge passiv
ausgedehnt, und der durch den so entstandenen Un-
terdruck einstromenden Luft Raum gegeben wird.
Beim Ausatmen verengt sich der Brustraum durch
Rippensenkung, die Lungenblaschen Ziehen sich zu-
sammen, und der Uberdruck zwingt die Luft zum
Austreten. Das Zwerchfell kehrt passiv in seine Aus-
gangsstellung zuriick. Zwischen Aus- und Einatmen
ist eine Pause, in der Lunge und Zwerchfell locker sind.
Messungen iiber das Luftvolumen (Spirometrie u. a.)
werden von Physiologen und Phonetikern unternom-
men. Der Mediziner beriicksichtigt dabei nur das Ge-
samtfassungsvermogen der Lunge, wahrend der Pho-
netiker den durchschnittlichen Luftverbrauch beim
Sprechen und Singen mifit, ferner Atmungsbewegun-
gen, -frequenz (16—18 Atemziige pro Minute bei Ruhe)
und -druck untersucht. Anstelle der f riiheren Forderun-
gen nach getrennter Hoch- oder Flankenatmung wird
in neuerer Zeit eine Verbindung der einzelnen At-
mungsarten zu einem gemeinsamen Ablauf angestrebt,
bei dem aber der Tatigkeit des Zwerchfells stets zen-
trale Bedeutung zukommt.
Lit. : zu 2) : J. N. Czermak, Der Kehlkopfspiegel u. seine
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hrsg. v. A. Passow u. K. L. Schaefer, Bin 1910; G. Panco-
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wandtePhonetik,Bln 2 1957. fur Stimme (- 2) :WiD
Stimmer (engl. drone), dieBordunpfeif en der -*Sack-
pfeife.
Stimmfacher sind die Unterteilungen der Stimm-
gattungen (Sopran, Alt, Tenor, Bariton, BaB), die sich
in der Opernpraxis herausgebildet haben, z. B. lyri-
scher -* Tenor (- 2) und Heldentenor oder lyrischer
-> Sopran (- 2), -»- Soubrette usw. Die Grenzen zwi-
schen ihnen sind jedoch flieBend, so daB manche Par-
tien von den Vertretern verschiedener Facher gesungen
werden konnen. Auch werden neuerdings immer hau-
figer Partien entsprechend der darstellerischen Ver-
anlagung und der Ausstrahlungskraft eines Sangers
besetzt.
Stimmfiihrung (engl. part-writing, in den USA als
[umstrittene] Lehniibersetzung aus dem Deutschen
auch voice-leading; frz. conduite des voix), in der mu-
sikalischen Satzlehre die einzelnen Schritte der am Satz
beteiligten Stimmen in ihrem Verhaltnis sowohl zu den
vorangegangenen und nachfolgenden Schritten in der-
selben Stimme als auch zu den gleichzeitigen Fort-
schreitungen der anderen Stimmen. St. heiBt auBerdem
das diese Schritte bestimmende, kodifizierbare Prinzip.
Von St. kann nur bei einer Musik gesprochen werden,
fur die auch der Begriff -»- Stimme (- 1) anwendbar
ist. Je nach den unterschiedlichen Qualitaten der Stim-
men (reale Stimme, Fiillstimme) und nach ihren ver-
schiedenen Aufgaben im Satz (Ober-, Mittel-, Funda-
ment-, Begleitstimme) gelten fur die St. unterschied-
liche Leitvorstellungen bzw. Regeln. Grundsatzlich hat
sich die St. sowohl den Gesetzen der -»• Melodie als
auch denen des Zusammenklangs unterzuordnen. Eine
gute St. beriicksichtigt auBerdem die Spieltechnik auf
den Instrumenten (z. B. die-*-Lagen -3 beimStreich-
instrumentenspiel) und die ->- Register (- 3) der Sing-
stimmen. - Die Art der St. ist ein wichtiges Kriterium
fur die Unterscheidung verschiedener Satzarten. Einer-
seits kann die Einzelstimme als melodisch selbstandiges
Gebilde innerhalb des Satzganzen in den Vordergrund
treten und das Zusammenwirken mehrerer individuel-
lerEinzelstimmen sich am Konsonanz-Dissonanz- Ver-
haltnis orientieren (intervallischer bzw. kontrapunkti-
scher Satz); andererseits kann die Einzelstimme ihre
Eigenstandigkeit weitgehend verlieren im Stimmver-
band eines vom vertikal-akkordischen Prinzip be-
stimmten Satzes, der (sei es in seiner Eigenschaft als
Stiitze einer melodief iihrenden Oberstimme oder durch
seine funktional bedingte Akkordfolge) die St. iiber-
wiegend nach klanglich-harmonischen Gesetzen regelt.
Da ein kontrapunktisch-intervallischer Satz auch als
homorhythmischer Contrapunctus simplex auftreten
kann, ebenso wie ein klanglicher oder harmonisch-
akkordischer Satz auch aus kunstvoll figurierten Stim-
men aufgebaut sein kann, ist die verbreitete (oft unzu-
lassig verallgemeinenide) Unterscheidung in Homo-
phonie und -> Polyphonie zur Kennzeichnung des
Satzprinzips meist unzureichend.
Mit dem Auf kommen der Mehrstimmigkeit im f riihen
Mittelalter (-v Organum) traten erstmals Fragen der
St. auf (occursus-Lehre Guidos; erste Formulierung des
Grundsatzes der Gegenbewegung um 1100; -> Stimm-
kreuzung) , doch erwuchs erst in der Lehre vom -> Kon-
trapunkt ein umfassendes Regelsystem fur die St. Bis
ins 16. Jh. galten fur die einzelnen ->■ Lagenstimmen
des Satzes haufig ganz unterschiedliche Gesetze der St.
(-> Contratenor). Diese Unterschiede schwanden je-
doch im 16. Jh. im Zuge der Vokalisierung des Satzes,
der fast volligen gegenseitigen Angleichung der Stim-
men und der konsequenten Durchimitation (->■ Imi-
tation), wie sie voll ausgepragt in Palestrinas kontra-
punktischem Satz entgegentritt. Im GeneralbaBsatz des
17./18. Jh. sind die melodiefiihrenden Oberstimmen
unter bestimmten Umstanden (z. B. bei Kompositio-
905
Stimmgabel
nen mit -> Ostinato) von den strengen St.s-Regeln des
Kontrapunkts teilweise befreit, wahrend die Mittel-
(Full-)Stimmen den Sinnzusammenhang der Klangfol-
ge in moglichst korrekter St. darzustellen hatten. Be-
deutsam wird seit dem 17. Jh. die Unterscheidung von
St. im sogenannten freien und St. im strengen (reinen)
Satz; die St. ordnete sich von nun an den verschiedenen
Gestaltungsprinzipien der einzelnen Kompositionsgat-
tungen unter, vor allem seit der Loslosung vom Gene-
ralbaBsatz im 18. Jh. In der -> Durchbrochenen Arbeit,
in der -> Klaviermusik (vor allem seit D.Scarlatti), in
harmoniefiillenden Begleitfiguren (z. B. -*■ Albertische
Basse), im Orchestersatz vor allem in der okoloristi-
schen« -> Instrumentation der 2. Halfte des 19. Jh. tritt
die Bedeutung der (realen) Einzelstimme im Gesamt-
bild der Komposition zuriick, oft zugunsten einer be-
sonders hervorgehobenen melodiefiihrenden Stimme.
Gleichzeitig wurde jedoch in der -> Harmonielehre die
St., vor allem die Sekundfortschreitung, ein fiir die
Verstandlichkeit von Akkordverbindungen wichtiger
Gesichtspunkt. Selbst harmonisch sehr schwer verstand-
liche Akkordfolgen ergeben sich urn so
ungezwungener, je mehr Stimmen Se-
kundschritte (Ganzton-, Leitton- oder Yr t»J
chromatische Halbtonschritte) ausf iihren.
Zwei aufeinanderfolgende Akkorde werden ferner
dadurch enger verbunden, daB die Tone, die beiden
gemeinsam (oder enharmonisch identisch) sind, anein-
andergebunden oder in der gleichen Stimme wieder-
holt werden. Diese Regeln gelten vorwiegend fiir die
Mittelstimmen; der BaB bevorzugt oft die Grundtone
der Harmonie (wodurch das Verstehen der harmoni-
schen Beziehungen erleichtert wird), wahrend die me-
lodiefiihrende Stimme die Sekundbewegung haufig
durch groBere (sogenannte harmonische) Schritte un-
terbricht. Wichtige Leitsatze der St. sind der in der
Kontrapunktlehre formulierte Grundsatz der -*■ Ge-
genbewegung und das Verbot von ->■ Parallelen (paral-
lele Fortschreitung mehrerer Stimmen in vollkomme-
nen Konsonanzen erschwert durch die zu groBe Ver-
schmelzung die Unterscheidung in einzelne Stimmen;
parallele Fortschreitung in Dissonanzen laBt die Auf-
losung der zuerst erklungenen Dissonanz vermissen).
Dagegen sind die im strengen Satz geltenden Verbote
des -»• Querstands und der Verwendung »unsanglicher«
Ihtervalle (groBe Sexte, Septime) usw. im freien Satz
weitgehend aufgehoben. Der Vorzug verminderter
Intervallfortschreitungen gegeniiber den ubermaBigen
beruht darin, daB einem verminderten Intervall fast
regelmaBig ein Leittonschritt in umgekehrter Rich-
tung folgt und damit einem wichtigen Prinzip der St.
(dem Wenden nach Spriingen) geniigt wird, wahrend
Spriingen in iibermlBi-
gen Intervallen im allge- ■
meineneinHalbtonschritt
in gleicher Richtung folgen muB. In H.Riemanns
Funktionsbezeichnung fordern die Zeichen < und > im
allgemeinen einen Leittonschritt nach oben bzw. nach
unten (-> Leittonwechselklang).
Stimmgabel (engl. tuning fork; frz. diapason oder
diapason a branches) ist das einf achste mechanisch-aku-
stische Frequenznormal, meist fiir a 1 = 440 Hz mit ei-
ner geforderten Genauigkeit von ± 0,5 Hz. Die St. soil
1711 von dem englischen Trompeter und Lautenisten
John Shore (f 1752) erfunden worden sein. St.n wer-
den vorwiegend aus ungehartetem Stahl (auch Invar-
stahl) hergestellt und sind so konstruiert, daB sie eine
fast sinusf ormige Schwingung mit geringer Dampfung
ergeben. Die St. wird mit einem weichen Hammer
angeschlagen, um Oberschwingungen zu vermeiden.
906
Die Gabelzinken schwingen gegenphasig, d. h. jeweils
gleichzeitig nach auBen bzw. nach innen. Die Frequenz
hangt von der schwingenden Masse und der Lange der
Zinken ab. Je kiirzer die Zinken sind, um so hoher
liegt die Frequenz, je schwerer sie sind, um so tiefer.
Um die Abstrahlung an die Luft zu vergroBern, setzt
man die Gabel auf Resonanzkasten, deren Hohlraum
auf die Gabelfrequenz abgestimmt ist.
Lit. : H. Bouasse, Verges et plaques, cloches et carillons,
Paris 1927; J. H. v. Braunmuhl u. 0. Schubert, Stimm-
gabelsummer, Akustische Zs. VI, 1941 ; Norm-Stimmton,
St., DIN 1317, Blatt2, Blnu. Koln 1959.
Stimmgattungen ergeben sich aus dem unterschied-
lichen Tonhohenumfang der Singstimme. Man unter-
scheidet Sopran (c!-a 2 , bei Berufssangerinnen a-c 3 und
f3), Mezzosopran (g-g 2 , bei Berufssangerinnen bis h 2 ),
Alt (a-f 2 , bei Berufssangerinnen bis h 2 und c3), Tenor
(c-ai, bei Berufssangern bis c 2 ), Bariton (A-e 1 , bei Be-
ruf ssangern bis gi), BaB (E-d 1 , bei Berufssangern bis fi).
Zu beachten ist aber, daB es z. B. Soprane oder Tenore
ohne Hohe gibt, die deshalb doch nicht unter die St.
Mezzosopran oder Bariton fallen. Wichtig ist stets, in
welcher Lage eine Stimme zwanglos das Beste leistet.
In der Opernpraxis haben sich auBerdem verschiedene
->■ Stimmfacher herausgebildet.
Stimmhorn ist ein wie ein hohles Horn gestaltetes
Werkzeug, mit dem die Miindungen der kleinen La-
bialpfeifen, die keinen Stimmschlitz haben, vom Or-
gelstimmer erweitert oder verengt werden, um die ge-
wiinschte Tonhohe zu erreichen.
Stimmkreuzung, das Ubersteigen oder Unterschrei-
ten einer Stimme durch eine andere. In den Komposi-
tionen des Mittelalters gilt St. noch nicht als Sonderfall,
da die organalen und diskantierenden Stimmen noch
nicht an Klangraume gebunden sind. Mit der raumli-
chen Fixierung der Einzelstimme (->■ Lagenstimme)
und der planvollen Durchgestaltung des polyphonen
Satzes seit dem 15./16. Jh. wird St. zur Ausnahme
(-+ Heterolepsis) ; sie wird aber auf Grund einer beson-
deren Beschaffenheit des thematischen Materials (z. B.
Fugenthema) oder zur Umgehung fehlerhafter Stimm-
fiihrung oft gebraucht. So gelten z. B. klangliche -*■ Par-
allelen (selbst stufenweise) als gerechtfertigt, wenn die
Stimmen sich kreuzen:
Ad te, per - en-ne gau-di - um -sum per an-nos
m» - rr i r r r J | 'ft*??
Ad te, per- en-ne gau-di - um [cursum]per an-nos
Aus: O.de Lassus, Magnum opus musicum,
1604 (GA I, S. 60).
St. bzw. Lagentausch ist im Orchestersatz (Instrumen-
tation) der Spatromantik und der Gegenwart bei be-
stimmten Klangeffekten wirksam, z. B. wenn hohe In-
strumente in tiefe Lagen und BaBinstrumente in hohe
Lagen gefuhrt werden.
Stimmkriicke ist bei den -»■ Lingualpfeifen der Or-
gel ein den schwingenden Teil der Zunge abgrenzen-
der, verschiebbarer, gebogener Draht, durch dessen
Hinauf- oder Herunterschieben der Ton erhoht oder
erniedrigt wird.
Stimmschliissel, Stimm hammer, ein zum Stim-
men zahlreicher Saiteninstrumente (u. a. Pianoforte,
Stimmton
Harfe, Zither) und der Pauke notwendiges Werkzeug,
mit dem grifflose -v Wirbel (- 1) gedreht werden kon-
nen. Friiher war der St. meist hammerformig, um den
in eine konische Bohrung des Stimmstocks eingepreB-
tenWirbeln durch Schlagen festeren Sitz geben zu kon-
nen. Die Verwendung von St.n im Mittelalter ist durch
zahlreiche Abbildungen belegt; bei Gottfried von
StraBburg (Tristan, um 1210) wird das Stimmen einer
Harfe mittels St. (mhd. plectrun) erwahnt.
Lit. : H. Riedel, Musik u. Musikerlebnis in d. erzahlenden
deutschen Dichtung, = Abh. zur Kunst-, Musik- u. Lite-
raturwiss. XII, Bonn 1959; H. Steger, David rex et pro-
pheta, = Erlanger Beitr. zur Sprach- u. Kunstwiss. VI,
Nurnberg 1961.
Stimmstock, - 1) (engl. sound post), ein Stabchen aus
leichtem Fichtenholz, das im Inneren des Corpus der
Violine und anderer Streichinstrumente dicht hinter
dem rechten FuB des ->• Stegs aufrecht zwischen Boden
und Decke steht. Zusammen mit dem BaBbalken, der
unter dem linken FuB des Stegs (unter der tiefsten Sake)
an die Decke geleimt ist, entlastet der St. die Decke vom
Druck der Saiten; zugleich iibertragt er die Schwingun-
gen der Decke auf den Boden (und umgekehrt). Einem
Instrument ohne St. fehlt der voile strahlende Klang;
der Instrumentenbauer nennt deshalb den St. auch
Stimme oder Seele (frz. Sme; ital. anima). Das genaue
Einpassen des St.s ist ebenso wichtig wie die richtige
Bestimmung seines Durchmessers; auch gerihge Ver-
anderungen seines Standortes haben EinfluB auf den
Klang des Instruments. DasEinsetzen des St.s wird u. a.
von L. Spohr (1832) ausf iihrlich beschrieben. - 2) (engl.
wrestplank) bei Klavierinstrumenten derjenige Bauteil
(meist Bestandteil des Rahmens oder mit diesem fest
verbunden), in dem die "Wirbel befestigt sind.
Stimmtausch, der kreuzweise Austausch von Melo-
dieabschnitten zwischen zwei oder mehr lagengleichen
Stimmen, z. B. :
hm j ujj. i j. i uJJ
x
Milt j. i UJJ-f'JJJJ l J j j
Bereits in den Organa tripla und quadrupla der Notre-
Dame-Zeit ist der St. als Mittel zur Komposition von
Abschnitten voll ausgebildet. Theoretisch erfaBt wird
er bei J. de Garlandia als repetitio diversae vocis (-> Co-
lor - 2) und bei Odington als -> Rondellus. Uber seine
Definition im engeren Sinne hinaus ist der St. als Prin-
zip im -> Kanon (- 3), doppelten -»■ Kontrapunkt und
in gewissen Arten der -»■ Imitation erkennbar. -> Per-
mutation (- 2).
Stimmton, auch Normalton (frz. diapason normal;
engl. standard pitch ; ital. diapason ; span, diapason nor-
mal). Nach den ortlich, zeitlich und nach Gattungen
verschiedenen Stimmtonen des 15.-17. Jh. wurde durch
die Erfindung der -*■ Stimmgabel die Voraussetzung
fiir einen einheitlichen St. geschaffen, wie er seit dem
19. Jh. z. B. fiir das internationale Auf treten von Kiinst-
lern und den zwischenstaatlichen Musikinstrumenten-
handel unabdingbar geworden war. Doch erst die St.-
Konferenz in Wien 1885 vermochte die einheitliche
Festsetzung eines St.s von 435 Hz (definiert durch eine
Normalstimmgabel bei der Raumtemperatur von 15°
Celsius) zu erreichen, wie er auf Vorschlag der Pariser
Academie des Sciences bereits 1859 fur Frankreich ein-
gef iihrt worden war. Da in den f olgenden Jahrzehnten
der St. erneut stieg - 443 Hz als Durchschnitt, 450 Hz
in extremen Fallen -, einigte man sich 1939 auf der
Londoner Konf erenz der International Federation of the
National Standardizing Associations (ISA) auf 440 Hz
bei 20° Celsius. Auf Empfehlung einer 2. Londoner
Konferenz (1953) des Technischen Ausschusses TC 43
der International Organization for Standardization
(ISO) befaBt sich z. B. in der Bundesrepublik Deutsch-
land der FachnormenausschuB Akustik im Deutschen
NormenausschuB (DNA) mit den Durchfiihrungsbe-
stimmungen fiir die Einhaltung des St.s. Die Pariser
Academic des Sciences setzte 1950 fiir Frankreich den
St. auf 432 Hz herab.
Mit dem St. hangen Gesangskultur, Instrumentenbau,
Editions- und Auffiihrungsfragen, Musikpsychologie
und Tonartenasthetik zusammen. Auch MaBe alter In-
strumente (Orgeln, Cembali, Streich- und Blasinstru-
mente) sind erst verwendbar, wenn diejeweilige Stimm-
hohe mitgeteilt ist und nachgepriift wurde. Die Ur-
sache fiir das Hohertreiben des St.s ist bei den Streichern
das Bestreben, mehr Glanz zu erzielen; deshalb stim-
men Solisten gern etwas hoher ein als das begleitende
Orchester. Wahrend bei Saiteninstrumenten das Hoher-
stimmen an Festigkeit der Saiten und Belastbarkeit des
Corpus seine Grenze fmdet (M.Agricola schreibt fiir
die Laute 1529: zeug die Quintsait so hoch du magst - das
sie nit reist wenn du sie schlagst), ist bei Singstimmen das
Problem weitreichender, da bereits ein Halbton Un-
terschied die Stimme iiberfordern und schadigen kann.
Die daraus resultierende kurze Dauer der Sangerlauf-
bahn war der Grund fiir das Einschreiten der franzosi-
schen Regierung 1859. Nicht nur die Streicher, auch die
Blaser neigen zum Erhohen des St.s, um einen hellen,
durchdringenden Klang zu erzielen. So wurden 1879
bei der British Army 451 Hz und 1938 bei den Sster-
reichischen Militarkapellen eine im Vergleich zum
Normalton um einen Halbton hohere Stimmung ge-
messen. Ebenso stimmen die modernen, vom Blaser-
klang gepragten Tanzkapellen gern iiberhoht ein. -
In friiheren Jahrhunderten war der St. ortlich und dem
Auff iihrungszweck nach verschieden. Man kannte z. B.
einen romischen, venetianischen, lombardischen, einen
Pariser, Berliner, Petersburger, Wiener St. ; einen
-> Opernton, -> Kammerton, ->• Chorton und -*■ Cor-
netton, wovon der jeweils erstgenannte dertiefere war.
Doch auch diese unterlagen nach Ort und Zeit Schwan-
kungen: der norddeutsche Chorton war im 17. Jh. ei-
nen Ganzton bis eine kleine Terz hbher als der heutige
St. (Orgel in Rendsburg und Schnitger-Orgeln in
Hamburg und Liibeck), der siiddeutsche Chorton einen
Halbton iiber dem heutigen Standard (barocke Orgeln
in Siiddeutschland, der Schweiz, in Osterreich und der
Lombardei), der spanische Chorton einen Halbton tie-
fer (Orgeln in Barcelona, Burgos, Calatayud, Daroca
u. a.), der franzosische Chorton fast einen Ganzton de-
fer (Orgeln in der Kirche St-Gervais in Paris, in der
Kathedrale von Poitiers, Orgeln A. Silbermanns in
Ebersmiinster und Maursmiinster/ElsaB). Wie schon
A. Schlick auf das Schwanken des Chortonsje nach vor-
handenen Stimmen hinwies, so berichten J.-J. Rousseau
und Dom Bedos das gleiche fiir den Opernton. Georg
Muffat uberliefert, daB zu J.-B. Lullys Zeit in Paris der
Kammerton einen Ganzton, der Opernton eine kleine
Terz tiefer lag als der deutsche St.
Bei Auffiihrungen alterer Musik ist zu beachten, daB
englische und italienische geistliche Vokalmusik des
16./17. Jh. und franzosische Motetten und Kantaten
des 18. Jh. oft einen Ganzton (bis zu einer kleinen Terz)
tiefer, die Werke J. S. Bachs, Handels und der Wiener
Klassiker sowie Opern bis um 1820 einen Halbton tie-
fer, siiddeutsche Kirchenmusik (soweit der Chorton zu-
grunde liegt) einen Halbton hoher und Werke von H.
Schiitz und seiner mittel- und norddeutschen Zeitge-
nossen einen Ganzton (bis zu einer kleinen Terz) hoher
907
Stimmung
intoniert waren. Da die menschliche Stimme in diesem
ganzen Zeitraum ihren Tonumfang nicht verandert zu
haben scheint, braucht man in der Praxis nur die Grenz-
tone des Vokalsatzes festzustellen und von ihnen aus
die natiirliche Transpositionslage zu bestimmen. - Die
Einstimmung der Musikinstrumente soil nicht nur bei
20° Celsius Raumwarme, sondern bei iiblicher Spiel-
temperatur (also eingespielt) erfolgen. Die dann noch
auftretenden Schwankungcn, die bis 8 Hz betragen
konnen, empfindet der Musikhorer nicht als storend.
Sie sind durch Erwarmung bei langerem Spiel bedingt
und wirken sich auf Streichinstrumente vertiefend, auf
Blasinstrumente erhohend aus.
Lit.: A. J. Ellis, The Hist, of Mus. Pitch, Journal of the
Soc. of Arts 1 880, separat London 1 880, dazu G. Adler in :
VfMw IV, 1888, beides Nachdruck Amsterdam 1963; J.
W. Schottlander, Die Kithara, Diss. Bin 1933, maschr.;
E. Rupp, Zur Frage d. Normal-Stimmung, Zflb LVIII,
1937 (darin: A. Cavaille-Coll, De la determination du ton
normal ou du diapason pour l'accord des instr. de mu-
sique, Paris 1859); H. J. v. Braunmuhl u. O. Schubert,
Ein neuer elektrischer Stimmtongeber f. 440 Hz, Akusti-
sche Zs. VI, 1941; O. Tiby u. A. Barone, Note e relievi
sulla frequenza del la, Rom 1941 ; H. Matzke, Unser tech-
nisches Wissen v. d. Musik, Lindau (1949), Wien (21950);
Ll. S. Lloyd, British Standard Mus. Pitch, MR XI, 1950;
W. Lottermoser u. H. J. v. Braunmuhl, Beitr. zur St.-
Frage, Acustica III, 1953; Norm-Stimmton DIN 1317,
Blatt 1-3, Bin u. Koln 1957-62. RW
Stimmung (engl. und frz. intonation), die theoreti-
sche und praktische Festlegung von absoluten und re-
lativen Tonhohen, vor allem bei Musikinstrumenten.
DiewichtigstenSt.s-SystemesinddiepythagoreischeSt.
(->■ Komma - 1), die ->■ Reine St. und die -> Tempera-
tur. - Die St. von Blasinstrumenten ist durch ihre Kon-
struktion (Grifflocher, -»- Ventile - 2) relativ festgelegt.
Von der leichten Umstimmbarkeit bei Saiteninstru-
menten wird in der ->■ Scordatura Gebrauch gemacht;
die normalen St.en sind die in Quinten (Violinfamilic),
Quarten mit Terz (Gambenfamilie, Lauten, Gitarren)
sowie die seltenen in diatonischen und chromatischen
Leitern (Erzlauten, -> Angelica). Die in neuerer Zeit
geforderte absolute Tonhohe wird mit -+ Stimmga-
bel oder elektrischem -*■ Generator nach dem gelten-
den -» Stimmton (->• Kammerton) eingestimmt. Im
Orchester wird nach der Oboe oder Klarinette ge-
stimmt, wenn nicht ein Tasteninstrument in tempe-
rierter St. mitwirkt. Anweisungen fur das Klavier-
stimmen gaben u. a. Schlick, M.Praetorius, Werck-
meister, Sorge, Kirnberger, Marpurg, Chr. G. Schroter,
Wiese, Turk, Abbe Vogler, Scheibler. Das Stimmen
von Tasteninstrumenten nach einem Satz von Stimm-
gabeln oder -pfeifen hat sich nicht allgemein durchge-
setzt; die Temperatur wird nach derri Gehor mit Hilfe
der -> Schwebungen entwickelt. Absolute Reinheit
oder Schwebungsfreiheit wird nicht erreicht und auch
nicht angestrebt, da so gestimmte Instrumente Starr
klingen. Die Giite einer St. laBt sich messen (->• Fre-
quenzbestimmung) und durch Vergleich mit der theo-
retisch gef orderten bestimmen. Blockfloten hatten z. B.
(nach Husmann 1958) einen mittleren Fehler von 6-
12%; Verstimmungen mindestens dieser GroBe mus-
sen grundsatzlich auch fiir Instrumente auBereuropai-
scher Kulturen angesetzt werden, wenn von deren
fester St. (z. B. bei Lithophonen oder Xylophonen) auf
Tonsysteme oder -leitern geschlossen werden soil.
Lit.: G. Armellino, Die Kunst d. Klavierstimmens,
= Neuer Schauplatz d. Ktinste u. Handwerke XXI, Wei-
mar 1857, Lpz. «1902; M. Planck, Die natiirliche St. in d.
modernen Vokalmusik, VfMw IX, 1893; Th. Hollmann,
Lehrbuch d. Stimmkunst, Hbg 1902, 21912; W. Iring, Die
reine St. in d. Musik, Lpz. 1908; O. Funke, Theorie u.
Praxis d. Klavierstimmens, Dresden 1940, als: Das Kl. u.
seine Pflege, Radebeul 21946, Ffm. 31962, = Fachbuch-
reihe Das Musikinstr. II ; R. W. Young u. J. C. Webster,
Die St. v. Musikinstr. I-IV, Gravesaner Blatter II, 1957 -
IV, 1959 ; R. Eras, Uber d. Verhaltnis zwischen St. u. Spiel-
technik bei Streichinstr. in Da-gamba-Haltung, Diss. Lpz.
1958, maschr.; H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw., Hei-
delberg (1958); J. Nix, Lehrgang d. Stimmkunst, = Fach-
buchreihe Das Musikinstr. VII, Ffm. 1961; J. P. Fricke,
Die-Innenst. d. Naturtonreihe, Fs. K. G. Fellerer, Regens-
burg 1962; A. H. Howe, Scientific Piano Tuning and Ser-
vicing, NY 31963.
Stimmwerk -> Akkord (- 3).
Stimmzug (engl. slide; frz. coulisse), bei Blechblas-
instrumenten ein ausziehbarer Rohrenteil zur Regu-
lierung der Stimmung. Der St. wurde zuerst 1781 von
Haltenhof am Waldhorn verwendet; in verbesserter
Form gibt es Stimmziige auch an Ventilinstrumenten.
Lit. : M. Vogel, Die Intonation d. Blechblaser, = Orpheus-
SchriftenreihezuGrundfragend. Musikl.Dusseldorf 1961.
Stockfagott -^-Rankett.
Stockflote (ungarisch czakan), eine in einen Spazier-
stock eingebohrte Blockflote. Sie war in Osterreich-
Ungarn um 1810-30 beliebt; der Wiener Oboist J.E.
Krahmer (1795-1857) gab 1855 eine Neue theoretisch-
praktische Csakan-Schule heraus.
Stockholm.
Lit. : Fr. A. Dahlgren, Forteckning over svenska skade-
spel uppforda pa St. theatrar 1737-1863, St. 1866; N. Per-
sonne, Svenska teatern, 8 Bde, St. 1913-27; G. Norden-
svan, Svensk teater och svenska skadespelare fran Gustaf
III. till vara dagar, 2 Bde, St. 1917-18 ; J. Svanberg, Kungl.
teatrarne, 1860-1910, 2 Bde, St. 1917-18; O. Morales u.
T. Norlind, Kungl. Mus. Akademien 1771-1921, St. 1921 ;
T. Norlind u. E. Troback, Kungl. hovkapellets hist.
1526-1926, St. 1926; W. Ahlen, St. Jacobs kyrkoorg.
1644-1930, St. 1930; C.-A. Moberg, Fran kyrko- och hov-
musik till offentlig konsert, Uppsala 1942; T. Norlind,
Fran Tyska kyrkans glansdagar, 3 Bde, St. 1944-45; M.
Tagen, Musiklivet i St., 1890-1910, = Monografier utg.
av St. Kommunalforvaltning XVII, St. 1955; G. Hille-
strom, The Royal Opera St., St. 1960.
Stollen^Bar.
Stomp (amerikanisch, Stampfen), urspriinglich ein
Tanztyp der afroamerikanischen Neger, der auf der
andauernden Wiederholung einer rhythmischen For-
mel beruht. Dieses Prinzip des St., das allgemein als ein
Relikt aus der afrikanischen Musik gilt, begegnet auch
im Gruppenmusizieren der nordamerikanischen Ne-
ger und erlangte als melodisch-rhythmischeTechnik im
-> New-Orleans-Jazz besondere Bedeutung: Uber dem
->■ Beat (- 1) der Rhythmusgruppe herrscht im Spiel
der Melodieinstrumente eine gleichbleibende rhyth-
mische Formel (st. pattern) vor, die sich jedoch auf der
harmonischen Basis des -*■ Chorus melodisch standig
verandert. Diese dauernde melodische Veranderung
derselben rhythmischen Formel unterscheidet die Tech-
nik des St. (st.ing) von der des ->■ Riff. Haufig geht in
Aufnahmen des New-Orleans-Jazz die Anwendung
der St.-Technik schon aus den Plattentiteln hervor:
Sugar Foot St. (King Oliver) ; Steamboat St. ; Doctor Jazz
St. (Jelly Roll Morton).
Stop time (stop taim, engl., von stop, hemmen, in-
terpunktieren), im Jazz Bezeichnung fiir das plotzliche
Stoppen des durchlaufenden -> Beat (- 1) der Rhyth-
musgruppe bei gleichzeitigem Aussetzen der Melodie-
instrumente. Die metrischen Grundeinheiten werden
dabei nur noch durch scharf betonte gemeinsame Ak-
kordschlage beider Instrumentengruppen in gleich-
maBigen Abstanden (etwa auf jede 4. oder 8. Zihlzeit)
markiert. In die zwischen diesen Stops entstehenden
908
Streichmelodion
Pausen fallen haufig die -» Breaks der Solisten. Deh-
nen sich Stops iiber einen ganzen -> Chorus aus, so er-
gibt sich der Stop chorus, der vor allem im friihen Jazz
(New Orleans, Chicago) ein beliebtes Steigerungsmit-
tel am SchluB der Stiicke war (Armstrong, Morton).
Strambotto (ital.; altprov. estribot; altfrz. estrabot;
span, estrambote), einstrophiges Gedicht von 8 elfsil-
bigen Zeilen, zumeist nach dem Reimschema der Ot-
tava rima (abababcc). Im 15. Jh. begegnet der Str.
in ganz Italien. Nach den Schwerpunkten seiner Ver-
breitung wurde die Hypothese gebildet, der Ursprung
dieser Gedichtform sei in Sizilien (Ottava siciliana mit
der Reimfolge abababab) zu suchen bzw. in der
Toskana, wo sie auch Rispetto d'amore (Reimfolge
abababcc oder ababccdd) genannt wurde. Zu den
ersten, die den Str. erfolgreich fur pseudovolkstiim-
liche Dichtungen benutzten, gehort L. Giustiniani.
Der bekannteste Str.-Dichter war um 1500 Serafino
dall'Aquila in Rom. Die Verfasser von Strambotti tru-
gen ihre Gedichte als improvisierten Gesang zur Laute
oft selbst vor; so Chariteo am aragonischen Hof von
Neapel. Die handschriftlich iiberlieferten Str.-Verto-
nungen aus der Zeit um 1500, ebenso die Strambotti in
den ersten Petrucci-Drucken bringen Musik nur f iir die
beiden ersten Zeilen, die folglich viermal wiederholt
werden muBte; schon im 4. Buch der Frottole (Stram-
botti, ode,frottole, sonetti ..., 1505) sind teils 4 Zeilen ver-
tont, teils alle 8 durchkomponiert. Texte in der Form
des Str. liegen bisweilen noch friihen Cinquecento-
madrigalen zugrunde.
Ausg.: O. Petrucci, Frottole, Buch I (1505) u. IV (1507),
hrsg. v. R. Schwartz, = PaM VIII, Lpz. 1935, Buch I auch
hrsg. v. G. Cesari, R. Monterosso u. B. Disertori, = Inst,
et monumenta 1, 1 , Cremona 1954.
Lit. : R. Schwartz, Die Frottole im 1 5. Jh., Vf Mw II, 1 886;
H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920; H. R.
Lang, The Original Meaning of the Terms estrabot, str.
. . . , in : Scritti varii di erudizione e di critica, Fs. R. Renier,
Turin 1912; A. Einstein, The Ital. Madrigal I, Princeton
(N. J.) 1949; E. Li Gotti, Precisazioni sullo str., in: Con-
vivium, Raccolta nuova, 1949; N. Bridgman, Un ms. ital.
au debut du XVI e s. a la Bibl. Nat., Ann. Mus. I, 1953;
dies., La f rottola et la transition de la frottola au madrigal,
in: Musique et poesie au XVI e s., = Colloques internatio-
naux du Centre National de la recherche scientiflque, Sci-
ences humaines V, Paris 1954 ; F. Ghisi, Strambotti e laude
nel travestimento spirituale della poesia mus. del Quattro-
cento, CHM I, 1953; M. Laghezza Ricagni, Studi sul
canto monostrofico . . ., = Bibl. di »Lares« XI, Florenz
1963; B. Bauer, Die Strambotti d. Serafino dall'Aquila.
Studien u. Texte zur ital. Spiel- u. Scherzdichtung d. aus-
gehenden 15. Jh., Miinchen 1966.
strascinando (strafjin'ando, ital.), schleppend, langsa-
mer werdend.
Strafiburg.
Lit.: C. M. Berg, Apercu hist, sur l'etat de la musique a
Strasbourg pendant les 50 dernieres annees, Str. 1 840 ; J.
Fr. Lobstein, Beitr. zur Gesch. d. Musik im ElsaB u. be-
sonders in Str., Str. 1840; F. Streinz, Zur Gesch. d. Mei-
stergesanges v. Str., Jb. f. Gesch., Sprache u. Lit. ElsaB-
Lothringens IX, 1 893 ; Fr. Hubert, Die Str.er liturgischen
Ordnungen im Zeitalter d. Reformation nebst einer Bib-
liogr. d. Str.er Gesangbiicher, Gottingen 1900; A. Ober-
doerffer, Nouvel apercu hist, sur l'etat de la musique en
Alsace en general et a Strasbourg en particulier, de 1 840 a
1913, Str. 1914; J. Th. Gerold, Les plus ahciennes melo-
dies de l'Eglise protestante de Strasbourg et leurs auteurs,
Paris 1928; G. Skopnik, Das Str.er Schultheater, Geln-
hausen 1934, auch in: Schriften d. Wiss. Inst. d. ElsaB-
Lothringer im Reich an d. Univ. Ffm., N. F. XIII, Ffm.
1935; Fr. Gennrich, Die Str.er Schule f. Mw., = Kleine
deutsche Musikbucherei III, Wiirzburg 1940; F. Raugel,
Les orgues et les organistes de la cathedrale de Str., Colmar
1 948; R. Wennagel, Lescantates strasbourgeoises du 1 8 e s.,
Diss. Str. 1948, maschr. ; E. Flade, Die Org. d. Str.er Miin-
sters, in: Der Orgelbauer G. Silbermann, = Veroff. d. Fiirstl.
Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg V, 3, Lpz. 21953.
Strathspey (sUasGsp'ei, engl.), schottischer, dem Reel
verwandter, langsamer Tanz im 4/4-Takt; charakteri-
stisch sind groBe Intervallsprunge, punktierte Achtel-
bewegung und Scotch snap (JJ.)- Die Bezeichnung
Str. ist abgeleitet vom FluBtal (strath) des Spey.
Street band (stri: tbsend, engl.) -=► Marching band.
Street cry (stii:t kjai:, engl.), Bezeichnung fiir Rufe
von StraBenverkaufern, die ihre Waren anpreisen. Der
Str. cry ist eine Art von Rufen der musikalischen Ne-
gerfolklore der USA (->■ Holler), deren Merkmale
(grelle Intonation, Blue notes [->■ Blues], -*■ Beat - 1)
auch in den Jazz eingegangen sind.
Streichende Stimmen sind in der Orgel engmensu-
rierte Labialstimmen, deren Obertongehalt an den
Klang der Streichinstrumente erinnert (Gamben, Gei-
genprinzipale, Salizionale, Streichkornett, Aeoline).
Sie wurden in der Zeit der Romantik als Solostimmen
bevorzugt. ->■ Register (- 1).
Streichinstrumente (Bogeninstrumente; engl. bow-
ed instruments; frz. instruments a archet) sind Chordo-
phone oder Idiophone, bei denen der Ton durch Strei-
chen der Saiten oder anderer Kbrper mit einem -> Bo-
gen (- 2) oder mit einem Kurbelrad wie bei der -> Dreh-
leier erzeugt wird, bei den primitiven Formen mit ei-
nem Reibstab. Zu den Str.n gehoren Saiteninstrumen-
te vor allem vom Typ der -> Laute (- 1). Die Namen
-> Viola (- 1), -> Fiedel (- 1) und -»■ Geige hangen
wohl mit dem Vorgang des Streichens zusammen. Da-
neben gibt es Str. vom Typ der -»■ Leier; aus der
-> Zither (- 2) ist die ->• Streichzither abgeleitet. Der
Bogen und damit Str. lassen sich seit dem 10. Jh. nach-
weisen. Str. sind der Grundstock des -*- Orchesters.
Lit. : L.-A. Vidal, Les instr. a archet, 3 Bde, Paris 1876-78,
Nachdruck London 1961 ; J. Ruhlmann, Gesch. d. Bogen-
instr., 2 Bde, Braunschweig 1882; H.J. Moser, Das Streich-
instrumentenspiel im MA, in : A. Moser, Gesch. d. Violin-
spiels, Bin 1923 ; M. Greulich, Beitr. zur Gesch. d. Streich-
instrumentenspiels im 16. Jh., Diss. Bin 1934; E. Spren-
ger, Die Str. u. ihre Behandlung, Kassel 1951 ; W. Bach-
mann, Die Anfange d. Streichinstrumentenspiels, = Mw.
Einzeldarstellungen III, Lpz. 1964.
Streichklavier ->• Bogenfliigel.
Streichmelodion, auch SchoB- oder Tischgeige, ein
1856 in Brunn von L.Breit erfundenes (daher auch
Breitoline genanntes) Instrument, das Bauelemente der
->■ Streichzither und der Violine vereinigt. Das Corpus
mit /-Ldchern konnte verschiedene, der Violine ent-
fernt ahnliche Formen annehmen. Das breite Griff-
brett mit Metallbiinden lauf t in eine Wirbelplatte aus ;
4 Stahlsaiten in Violinstimmung sind an eisernen Wir-
beln mit Schraubenmechanismus aufgehangt und lau-
fen iiber einen (Violin-) Steg bis zum unteren Sattel;
ein Saitenhalter fehlt. Str.s wurden auch in Violinform
gebaut (oder durch Umbau aus Violinen gewonnen)
und unterscheiden sich dann nur durch die Metallbiin-
de von der Violine. - Der Spieler legt das Instrument
an der Stelle, wo Hals und Corpus zusammenlaufen,
gegen eine Tischkante und stemmt seine Brust gegen
das untere Ende des Corpus (bei violinformigen In-
strumenten gegen den Knopf). Die linke Hand driickt
die Saiten nieder, die rechte fiihrt den Bogen. Der
Klang des Str.s ist scharfer und heller als der der Violine.
Lit. : H. Kennedy, Die Zither in d. Vergangenheit, Gegen-
wart u. Zukunft, Tolz 1896; G. Kinsky, Musikhist. Mu-
seum v. W. Heyer in Coin, Bd II (Zupf- u. Streichinstr.),
Koln 1912; K. M. Kxier, Volkstumliche Musikinstr. in d.
Alpen, Kassel 1956.
909
Streichquartett
Streichquartett (frz. quatuor a cordes; ital. quartetto
d'archi; engl. string quartet), eine mehrsatzige Kompo-
sition fur 2 Violinen, Viola und Violoncello, sowie ein
aus den 4 Spielern dieser Instrumente gebildetes En-
semble. Die Bezeichnung Str. kam im 19. Jh. auf und
diente zuerst zur Unterscheidung des Str.-Ensembles
vom Vokalquartett und von Instrumentalquartetten
anderer Zusammensetzung (-> Quartett). Nach A. B.
Marx (S. 245ff.) bezeichnete Str. auch die Gesamtheit
der Streicher im Orchester einschlieBlich der Kontra-
basse. Als Gattungsbezeichnung waren im 18. und 19.
Jh. Quatuor und Quartett (Quartetto) iiblich. Quartett
ist auch heute noch gleichbedeutend mit Str., soweit
nicht bestimmende Zusatze den Begriff einengen (z. B.
Klavier-, Manner- oder gemischtes Vokalquartett).
Das Quartett mit einer obligaten Blaserstimme (Flote
oder Oboe anstelle der 1. Violine) wird heute unter
den Bezeichnungen Floten- bzw. Oboenquartett vom
Str. unterschieden.
raktere der einzelnen Instrumente vorgegeben: die
1. Violine spielt die Rolle der »Solistin-«, die 2. Violine
die »Partnerin«, die Viola die »Begleiterin« und das
Violoncello den »Trager der Handlunga. Die Spannung
des musikalischen Ablaufs im Str. beruht nicht zuletzt
darauf, daB in jedem Moment das ausdruckliche Her-
vortreten des einzelnen aus dem Ensemble bzw. aus der
»Rolle« oder das Sich-Einordneh als die Abweichung
von einem niemals erreichten Gleichgewicht empfun-
den wird.
Die besondere Art des Komponierens im Str. erweist
sich vor allem in der Auseinandersetzung mit den Pro-
blemen der -*■ Symmetric, in der haufig unschemati-
schen, meist hochst individuell gestalteten Abfolge der
Satzglieder (Phrasen), die in vielen Fallen das einfache
Grundschema des Aufstellens und Beantwortens er-
weitern oder durchbrechen. Einen auf der Dreiteilig-
keit basierenden, von vielfaltigen Sinnbeziehungen
durchzogenen Aufbau zeigt z. B. der Anfang des An-
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W. A. Mozart, Str. D moll,
Im Str. konzentrieren sich Kompositionskunst und mu-
sikalische Kultur einer musikgeschichtlichen Epoche.
Seit W.A.Mozart 1785 in der Widmungsvorrede zu
seinen 6 Str.en K.-V. 387, 421, 428, 458, 464 und 465
(» . . . sie sind Frucht einer langen und fleiBigen Bemii-
hung«), mehr aber noch mit der kompositorischen Fak-
tur dieser WerkeJ.Haydn als dem Meister des Str.s und
als seinem geistigen Lehrer huldigte, gait das Str. als
Priifstein kompositorischen Konnens. Voraussetzung
fiir diesen verbindlichen Gattungsanspruch des Str.s
war die von Haydn eingeleitete intensive Auseinander-
setzung mit den Problemen der Komposition. Eine
wichtige Rolle spielte hierbei die seit dem 16. Jh. als
Inbegriff satztechnischer Vollkommenheit angesehene
Vierstimmigkeit. Sie wird im Str. in einer neuen Weise
gehandhabt bzw. dadurch in einen neuen Geltungsbe-
reich gefiihrt, daB polare Gegensatzlichkeiten der
Stimmfuhrung und der Stimmbehandlung (konzer-
tierend, begleitend, klangfiillend; »polyphon« oder »ho-
mophon«; als reale Stimmen oder im ->■ Obligaten
Akkompagnement bzw. in -*■ Durchbrochener Arbeit)
in eine standige Wechselwirkung gebracht und damit
als Aspekte einer einheitlichen Satzauffassung verstan-
den werden konnen. - Die Instrumente treten in ihrer
Individualitat (mit ihren spezifischen klanglichen Qua-
litaten und den ihnen eigenen spieltechnischen Mog-
Uchkeiten) bald in besonderer Weise solistisch hervor,
bald ordnen sie sich, im Stimmverband zurucktretend,
der gemeinsamen Aussage unter (wenn die Instrumen-
te in Unisonostellen zusanunentreten, wenn die Stim-
men im fugierten, polyphonen Satz oder durch The-
matische Arbeit einander angeglichen werden, oder
wenn das Str. insgesamt als Klangkorper aufgefaBt und
damit zu quasi-orchestraler Wirkung gefiihrt wird).
Ein wesentliches Merkmal des Str.s liegt im Dialogi-
sieren der Stimmen und Instrumente: . . . man hort vier
verniinftige Leute sich unter einander unterhalten, glaubt
ihren Discursen etwas abzugewinnen und die Eigenthiim-
lichkeiten der Instrumente kennen zu lernen . . . (Goethe
an Zelter, Brief vom 9. 11. 1829). Dabei sind die Cha-
K.-V. 421, 2. Satz, Andante,
dantes aus Mozarts Str. D moll, K.-V. 421, bei dem
zwischen die Glieder eines Vordersatzes sowie zwischen
diesen und den (verkurzten) Nachsatz einer Periode
sich zwei zwischenspielartige Abschnitte einschieben
(im obenstehenden Beispiel durch punktierte Klam-
mern gekennzeichnet), die im thematischen und metri-
schen Aufbau dieser 8 Takte ein Element des Wider-
spruchs darstellen, das erst in der SchluBwendung eine
Synthese mit der thematischen Grundsubstanz eingeht.
Moglichkeiten individueller Gestaltung ergeben sich
auch beim -»■ SchluB. Eine Abweichung von konven-
tionellen Losungen wird z. B. deudich in den bei J.
Haydn haufigen SchluBbildungen mit dem 1. Thema
(Str. op. 33 Nr. 3, Hob. Ill, 39, 1 . Satz) ; bei dem SchluB
des Finales aus dem Str. op. 33 Nr 2 (Hob. Ill, 38) ist
die Unsicherheit, ob nun der Satz mit dem durch lange
Pausen unterbrochenen Zitat des Themas schlieBt oder
ins Unendliche weiterklingt, soweit gesteigert, daB
dieser nicht schlieBende AbschluB oft nur vordergriin-
dig, als Witz, verstanden wird. An den Freiheiten der
Stimmfuhrung in der Einleitung zum 1. Satz des Str.s
C dur, K.-V. 465 (»Dissonanzenquartett«) von W.A.
Mozart entziindete sich eine beriihmte, von G. Sarti
ausgeloste Kontroverse (vgl. Deutsch 1962/63). In der
Eigenwilligkeit des jeweiligen Werkes gegeniiber je-
dem Schema, jeder Norm manifestiert sich das Gestal-
tungsprinzip des Str.s, das in immer wieder neu abge-
wandelter Form bis zu den Str.en Hindemiths und Bar-
toks lebendig blieb.
Andererseits ist von J. Haydn fiir das Str. ein allgemein-
giiltiger Bestand an satztechnischem Riistzeug erarbei-
tet worden, das auch auf andere Gattungen iibertragen
und fiir die Musik der Wiener Klassiker grundlegend
wurde. Sandberger (1900) wies darauf bin, daB die ganz
neue Besondere art der 6 Str.e op. 33 (Hob. Ill, 37-42) in
der Anwendung des Prinzips der -> Thematischen Ar-
beit bestehe. In den friihen Str.en bis op. 20 (Hob. Ill,
1-36) stehen divergierende Elemente (durch Variation
abgeleitete Motive und scharf kontrastierende The-
men; kontrapunktische Arbeit und Reihung scheinbar
910
unzusammenhangender Einfalle) oft noch unvermit-
telt nebeneinander. Das Prinzip der Thematischen Ar-
beit, das Kind aus derEhe des Kontrapunkts mit der Freiheit
(Sandberger), das allein geeignet ist, diese Gegensatze
zu einer organischen Einheit zu verschmelzen, wird
von Haydn in den friihen Str.en schrittweise ausge-
bildet und in der lQjahrigen Pause (1771-81) zwischen
den Str.en op. 20 und op. 33 im groBeren Rahmen der
Symphonie erstmals auch auBerhalb der -> Durchfuh-
rung systematisch erprobt. In den Str.en op. 33 (Hob.
Ill, 37-42) hat die Thematische Arbeit vom ganzen
Satz Besitz ergriffen; Haydn hat von da an das Prinzip
auf eine neue besondere Art rational erf aBt und ihm die
Satztechnik insgesamt unterstellt. - In der Auseinander-
setzung mit uberlieferten Formmodellen (Fuge, Varia-
tionenfolge, Menuett), vor allem aber mit dem der
-»• Sonatensatzform erwies sich das Str. als wichtiges
kompositorisches Experimentierfeld, auf dem neuar-
tige Losungen erarbeitet wurden, die ihrerseits norma-
tive Geltung erhalten konnten. Der geistige Anspruch
hochst differenzierter Aussage beschrankt nicht nur
den ICreis der dafiir aufnahmebereiten Horer, son-
dern zwingt auch die Ausfuhrenden zu gedanklicher
Durchdringung des Werkes (deshalb werden Str.e im
allgemeinen nicht von ad hoc zusammengestellten En-
sembles ausgefiihrt). Soziologisch gesehen (->• Kenner
und Liebhaber) ist das Str. somit eine Gattung fur Ken-
ner (hierzu Adorno 1962, S. 96ff., und Finscher 1962),
doch hat es stets starke Anziehungskraft auch auf den
Liebhaber ausgeiibt, u. a. deshalb, weil sich der geistige
Anspruch, die Subtilitat der Aussage meist verbirgt
hinter einer unmittelbar den asthetischen Sinn an-
sprechenden, scheinbar unproblematischen Gestaltung
(hierfur ist das oben zitierte Andante aus Mozarts Str.
D moll, K.-V. 421, mit seinem liedhaften Thema, sei-
ner scheinbar regelmaBigen Achttaktigkeit und seinem
»innigen« Ausdruck ein Beispiel). Einerseits konnte das
Str. von daher gesehen als anspruchsvolle Hausmusik
verstanden werden (vgl. Aulich und Heimeran 1936),
andererseits ist es - neben Symphonie, Sonate, Lied
und Oper - eine der zentralen Gattungen der Musik
der letzten 200 Jahre.
Seine ersten 12 Str.e (op. 1 und 2, Hob. Ill, 1-12) kom-
ponierte J.Haydn nach eigenem Zeugnis (vgl. Grie-
singer) vor 1759 fiir Kammermusikabende des Frei-
herrn von Fiirnberg in Weinzierl. Ihre Fiinfsatzigkeit
(je ein Menuett an 2. und 4. Stelle) und ihr durchwegs
heiterer Tonfall rucken diese Werke in die Nahe des
-*■ Divertimentos (-1) Wagenseilscher Pragung (1765
wurden sie vom Verlag Breitkopf unter der Bezeich-
nung Quadri bzw. Cassationes angeboten). Doch wei-
sen Einzelheiten der Satztechnik, z. B. die auffallige
Gegeniiberstellung auftaktiger und abtaktiger Themen
(hierzu Georgiades 1954, S. 92ff.) auf die groBen Str.e
op. 33 (Hob. Ill, Nr 37-42) voraus. Sucht man nach
den Vorbildern fiir diese Erstlingswerke der neuen
Gattung, so wird daher teilweise auch die Frage nach
der Herkunf t des durch Haydn nicht zuletzt mit seinen
Str.en begriindeten Wiener klassischen Stils beruhrt
(vgl. die Arbeiten von H. Riemann, Sandberger, Torre-
franca, G.Adler und W.Fischer). Zu den Ahnen des
Str.s sind u.a. eine 3teilige Kanzone (fiir 2 V., Va und
Vc.) von Gr. Allegri (vgl. Hull 1929) sowie imitatorisch
gearbeitete 4st. Streichersatze osterreichischer Kompo-
nisten des 17. Jh. (vgl. Geiringer 1959) gezahlt worden.
Als wichtigste kammermusikalische Gattung des 17./
18. Jh. gehort die -*■ Triosonate zu den Vorlaufern des
Str.s. Doch ein direkter EinfluB der Triosonate auf das
Str. konnte erst wirksam werden, als ihre Hauptmerk-
male, generalbaBgebundene Harmonik und Stimm-
fuhrung, verschwanden und aus ihr das generalbaBlose
Streichquartett
Streic trio (2 Violinen und BaB) herauswuchs (viel-
leicht sind auchJ.Haydns Streichtrios Hob. V, 15-20
vor den ersten Str.en entstanden). Entscheidende An-
regungen vermittelten vor allem die Streichtrios op. 1
(»Orchestertrios«) vonJ.Stamitz (um 1755). Allerdings
ist der 4st. Str.-Satz nicht durch Einfugung der Viola
in einen Triosatz anstelle generalbaBmaBiger Klang-
ausfiillung zustandegekommen. Unter den Bezeich-
nungen Concertino a quattro, Concerto, Sinfonia,
Quadro usw. (vgl. die.Ubersicht bei Torrefranca 1966,
S. 175f.) entstanden seit Ende des 17. Jh. zahlreiche
4stimmige concertierende Streichersatze, die sowohl
fiir mehrfache (orchestrale) als auch fiir Kammerbe-
setzung geeignet waren und in denen der Viola eine
obligate, oft auch thematisch wichtige Stimme zu-
kommt. Inwieweit solche Kompositionen von Giu-
seppe Torelli (4st. Concetti, 1687-98), A. Scarlatti (So-
nate a quattro senza Cembalo), Albinoni (Sinfonie a 4),
Galuppi und Pergolesi, G. B. Sammartini (u. a. Concer-
ti grossi mit Solo-Str.), Giardini (4 Ouvertures and one
Quattro, London 1751), Tartini (Str.-Arrangements von
Violinkonzerten, London 1756), Zach und Holzbauer
(Quartettsymphonien), Monn, Filtz und Starzer zur
Vorgeschichte des Str.s allgemein bzw. speziell der
friihen Str.e von Haydn zu zahlen sind, ist ungewiB.
Torrefranca (1966) stellte die Friihgeschichte des Str.s
als eine kontinuierliche Entwicklung aus dem italie-
nischen Concerto dar. Dies trifft zu fiir die Verhalt-
nisse auBerhalb W>ens (besonders fiir Paris und Lon-
don), bevor der EinfluB von Haydns Str.en wirksam
wurde.
Unter den Komponisten, die etwa gleichzeitig oder
kurz nach Haydn an der Ausbildung des Str.s beteiligt
waren und besondere Traditionszweige der Gattung
begriindeten, ist an erster Stelle Boccherini (op. 1,
komponiert 1761) zu nennen. In den f olgenden Jahr-
zehnten entstand in Paris eine umfangreiche Literatur
fiir Str., u. a. von Cambini, P.Vachon, Gossec, A.E.
M. Gretry, Davaux, Saint-Georges, J. Fodor, Dalayrac,
A.Stamitz, Viotti und dem Haydn-Schuler I.Pleyel.
Bei den in Paris wirkenden Komponisten iiberwiegt
die Tendenz zu bevorzugter, oft virtuoser Behandlung
der 1. Violine. Daraus entstand die Sonderform des
Quatuor brillant, in der auch reisende Violinvirtuosen
hervortreten konnten (im Unterschied dazu hieBen
Str.e mit 4 gleichberechtigten oder abwechselnd so-
listisch-concertierend hervortretenden Stimmen Qua-
tuor concertant oder Quatuor dialogue). Beliebt wa-
ren bis ins 19. Jh. auch Str.e iiber Opern- und andere
bekannte Melodien (Quatuor d'airs connus). Wahrend
in Italien das Musikpublikum anderen Gattungen zu-
geneigt war und daher nur vereinzelte Ansatze zum
Str. enstanden (Pugnani, V. Manfredini, Bertoni, Nar-
dini, Capuzzi, Paisiello und Rolla), erwies sich London
als ein dankbares Wirkungsfeld fiir Str.-Verleger und
-Komponisten (Giardini, C. Fr. Abel, Sacchini, J. Chr.
Bach, G.B. Cirri, Kammel und V.Rauzzini). - Die
Komponisten der ->■ Mannheimer Schule widmeten
sich vor allem dem Quartett mit einer konzertierenden
Blaserstimme. Die Flotenquartette von C. G.Toeschi
(Paris 1765) beeinfluBten offenbar das franzbsische
Quatuor dialogue. An Haydns Vorbild orientiert sind
die Str.e op. 5 (1768) von Fr.X.Richter. J.M.Kraus
hinterlieB 9 Str.e von ausgepragtemEigenstil. Am Ber-
liner Hof wurde das Str.-Spiel durch den Cello spie-
lenden Kronprinzen (den spateren Konig Friedrich
Wilhelm II.) gepflegt; Haydn (op. 50), W.A.Mozart
(K.-V. 575, 589, 590), E. A. Forster (op. 7), Pleyel (op. 9)
u. a. widmeten ihm Str.e, in denen die Cellopartie mit
besonderer Aufmerksamkeit behandelt ist. 1773 wid-
mete C.Ph.E.Bach dem Wiener Musikmazen G.van
911
Streichquartett
Swieten 6 Werke fur Str.-Besetzung, spate Nachf ahren
der generalbaBgebundenen Quartettsymphonie.
Neben den drei GroBen - Haydn, Mozart, Beethoven -
und aus heutiger Sicht in deren Schatten wirkte in
Wien eine groBe Zahl begabter und fleifiiger Str.-
Komponisten, die Haydns Str.en nacheiferten. Am
nachsten kommt diesem Vorbild Dittersdorf . In direk-
ter Haydn-Nachfolge stehen die 9 Str.e von Aloys
(=Luigi) Tomasini. Meist im Ton des galanten Di-
vertimentos oder in allzu »strenger« Schreibart bewe-
gen sich die Werke von G.Chr.Wagenseil, Aspel-
mayr, Fl.GaBmann, C.d'Ordonez, Albrechtsberger,
Vanhal, Fiala.E. A.Forster, L. Kozeluch, J. Mederitsch,
Fr. A. Hoffmeister, P. und A.Wranitzky, Gyrowetz
und Eybler. J.Haydn verblieb sein ganzes Leben lang
in standiger Auseinandersetzung mit dem Str. (83 Wer-
ke); dabei vollzog sich schrittweise ein Wandel der
Satztechnik und der Ausdruckssphare vom kultiviert-
galanten Konversationston zum bedeutsamen, drama-
tischen oder tiefsinnig-philosophischen Dialog (hierzu
u. a. Geiringer 1959). Bei W.A.Mozart wird das Vor-
bild Haydns erstmals 1773 in den Str.en K.-V. 168-173
deutlich, doch erst die Begegnung mit dem 1781 ver-
oflentlichten op. 33 loste bei Mozart jene »lange und
fleiBige Bemiihung« urn das Str. aus, deren Ergebnisse
Haydn, den bis dahin unumstrittenen Meister des Str.s,
zu tiefer Bewunderung fur den Jiingeren veranlaBten.
So ergab sich eine fruchtbare Wechselwirkung und
kiinstlerische Freundschaft zwischen Haydn und Mo-
zart, deren Vermittler das Str. blieb. Damit war das Str.
auf eine Ebene gehoben, die den reifen Meister erfor-
derte - vorbei waren die Zeiten, da ein junger Kompo-
nist mit Str.en als op. 1 debiitieren konnte. - Beetho-
ven eroberte dem Str. sogleich (mit op. 18) und injeder
seiner spateren Str.-Publikationen (Op. 59, 74, 95) neue
Aussagemoglichkeiten, bis er in seinen spaten Str.en (op.
127, 130-133 und 135) in Bereiche vorstiefi, in denen
endgiiltig jeder Vergleich auf Grund musikalischer Er-
fahrungen, jedes Messen des Gestalteten an Modellen,
Normen ausgeschlossen war. Damit war das Prinzip
des Str.s, das im weitesten Sinne audi das Prinzip des
klassischen Satzes iiberhaupt ist und das als Entfaltung
individueller Aussage vor dem Hintergrund eines Nor-
mativen beschrieben werden kann (-> Komposition),
zu Ende gedacht und zugleich aufgehoben. Die spaten
Str.e Beethovens stieBen zunachst auf mangelndes Ver-
standnis, teilweise sogar auf Ablehnung. Erst seit der
Mitte des 19. Jh. wurden sie zunehmend als Inbegriff ver-
geistigter musikalischer Aussage »entdeckt« und als eine
auch iiber das S tr. hinausweisende Moglichkeit des Kom-
ponierens : Nie wurde bezweifelt, dafi Schonberg in der Poly-
phonie des Str.s wurzelt (Adorno 1962, S. 108).
Im 19. Jh. wirkten zunachst die Vorbilder Haydns und
Mozarts sowie des franzosischen Quatuor brillant fort,
so z. B. in Str.en von Fr.Kramaf, Danzi, B. und A.
Romberg, F.Franzl, P. Hansel, A.Reicha, Carl Canna-
bich, Onslow, Spohr, Fr.E.Fesca, Rossini, Donizetti,
P. Rode und R.Kreutzer. Ein ohne Fortsetzung geblie-
bener Neuansatz zu 2choriger Komposition sind die 4
Doppelquartette (1825-47) von Spohr, die auf eine An-
regung von A. Romberg zuriickgehen (vgl. Glenewin-
kel 1912, S. 88fi.). Den Versuch der direkten Ankniip-
fung an die Werke des mittleren Beethoven unter-
nahmen F. Ries und Fr. Lachner. Cherubini ragt durch
sorgf altige und phantasievolle Thematische Arbeit her-
vor; zuweilen gibt er den Solostellen der Instrumente
etwas von der Wirkung eines Opernauftritts (z. B. im
Str. C dur, 2. Satz, Allegro, Takt 44-50). Ein uneinheit-
liches Bild zeigt das Str.-Schaffen von Fr. Schubert;
seine Arbeit am Str. dokumentieren zahlreiche, zum
Teil auch Fragment gebliebene Kompositionen. Von
den 15 vollstandig erhaltenen Str.en Schuberts haben
vor allem drei, in den Jahren 1824-26 entstandene
Werke (A moll, op. 29, D 804; D moll, »Der Tod und
das Madchen«, D 810; G dur, op. 161, D 887) Auf-
nahme in das Konzertrepertoire der Str.-Ensembles
gefunden, zu dem als fester Bestand auch die Werke
von Mendelssohn Bartholdy, R.Schumann, Brahms
und Reger gehoren. Den deutschen Traditionszweig
des Str.s setzten auBerdemfort R. Volkmann, H. Wolf,
Busoni und Pfitzner. Der fiir die Musikgeschichte des
19. Jh. weithin bestimmende Aspekt, die Auspragung
nationaler Elemente und Stile, wurde auch im Str.
wirksam. Ansatze hierzu zeigen sich schon bei Eisner,
dem Lehrer Chopins. Am fruchtbarsten war die rus-
sische Schule mit Tschaikowsky, Borodin, N. Rimskij-
Korsakow, Anton Rubinstein, Cui, A.Tanejew, Gla-
sunow, Prokofjew und Schostakowitsch, wahrend die
franzosischen Komponisten C.Franck, E.Lalo, Saint-
Saens, G. Faure, d'Indy, Debussy und Ravel meist nur
je ein Str. von hochster Individualist schrieben. In
Italien setzte sich Boito lebhaft fiir die Einburgerung
des Str.s ein, doch gewann einzig der Beitrag von Verdi
europaische Geltung. Smetana und Dvorak, Grieg und
Sibelius sowie Z.Kodaly reprasentierten auch in ihren
Str.en ausgepragt national orientierte Musikidiome von
ungebrochenem Reiz. Demgegeniiber tritt das natio-
nale Element in den sechs hochbedeutenden Werken
von B.Bartok zuriick zugunsten einer profunden Aus-
einandersetzung mit den Problemen des Str.-Satzes, die
eine Entsprechung nur in den ahnlichen Bemiihungen
der Klassiker fmdet und die neue Situation des Kompo-
nierens ebenso zeigt, wie die Arbeiten der Schonberg-
Schule. Wurde in den Str.en Schonbergs, A. Weberns
und A. Bergs das artifizielle Moment, die Arbeit am
Satz auf eine neue Weise aktuell, so zeigen die Werke
Hindemiths (vor allem sein 3. Str. op. 22, 1922) das Be-
streben, die instrumentale Spieltechnik des Str.-Ensem-
bles bis an die Grenze des Moglichen auszuweiten. Seit-
dem hat das Str. seine zentrale Bedeutung fiir das Kom-
ponieren verloren. Milhaud (18 Str.e, 1912-51),Wellesz
(8 Str.e, 1912-58), Villa-Lobos (16 Str.e, 1915-55), E.
Bloch (5 Str.e, 1916-58) und Malipiero (7 Str.e, 1920-
50) fiihrten seine Tradition zwar bis in die neueste Zeit,
doch ist es ungewiB, ob die Werke fiir Str.-Besetzung
von Strawinsky, Szymanowski, Casella, Janacek,
Hauer, H.Kaminsky, Jarnach, Zillig, W. Former, Hes-
senberg, K. A. Hartmann, H. Schroeder, J.Francaix,
Petrassi, Lutoslawski, Boulez, Henze, Pousseur und
Krz. Penderecki von der Gattungsgeschichte her ge-
sehen als Auslaufer oder als Neuansatze zu werten sind,
denen der herkommliche Begriff des Str.s allerdings
nicht mehr gerecht werden kann.
Das Str. gewann im 19. Jh. zunehmende Bedeutung
fiir das offentliche Konzert; das Str.-Ensemble als stan-
dige Vereinigung von 4 Musikern ist bis heute ein
wichtiger Faktor des Musiklebens. Beruhmte Str.-En-
sembles griindeten und leiteten: -> Schuppanzigh
(1794-1816), K.Moser (ab 1813), -► Baillot (ab 1814),
J.Bohm (1821-68), Th.A.Tilmant (ab 1830), die Ge-
briider -> Muller (1831-55 und 1855-73), P.-A.-Fr.
Chevillard (ab 1835), Jansa (ab 1845), J. -> Hellmesber-
ger (ab 1849), J. Armingaud (mit E. -* Lalo; ab 1855),
A.Basevi (ab 1859), -> Heermarm (ab 1865), Jean
-> Becker (ab 1866), J. ->■ Joachim (1869-1907), A.
-»- Rose (1882-1938), -> Kneisel (1885-1917), J. -+ Suk
(ab 1892), -> Capet (mit H.-G. und M. -s- Casadesus;
ab 1893), C. -»- Thomson (ab 1898), -> Pochon (ab
1902), Rebner (mit->- Hindemith; ab 1904), -> Klingler
(1905/06-35), C. -> Wendling (1911-45), A.Onnou
(alteres Pro Arte-Str. ; 1913-40), ->• Schachtebeck (ab
1915), O.Zuccarini (Quartetto di Roma; ab 1918),
912
A. -► Busch (1919-52), -» Amar (mit -» Hindemith;
1921-29), -s- Kolisch (ab 1922; nach 1944 neueres Pro
Arte-Str.), -> Loewenguth (ab 1929), L.Ferro (ab
1937), W. -+ Schneiderhan (1938-51), -> Primrose (ab
1939). Die wichtigsten Str.-Ensembles der Gegenwart
sind: Amadeus-Quartett, (neueres) Barchet-Quartett
(R. ->- Barchet), Borodin-Quartett, Budapester Str.
(1921 gegriindet, seitdem neue Besetzung), Drolc-
Quartett, Endres-Quartett, Fine-Arts-Quartet, Holly-
wood-Quartett, Janacek-Quartett, Juillard String Quar-
tet, Keller-Quartett, ->• Koeckert-Quartett, Quartetto
Italiano, Smetana-Quartett, ->■ Vegh-Quartett, Vlach-
Quartett.
Lit.: F. Hand, Aesthetik d. Tonkunst II, Jena 1841, Lpz.
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58
913
Streichquintett
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Streichquintett, Streichsextett, Streichtrio ->
Quintett, -*■ Sextett, -> Trio.
Streichzither, eine von J. Petzmayer 1823 in Wien er-
fundene Abart der -> Zither (- 2). Ein herzformiges
Corpus mit 2 Schallochern tragt in der Mitte das Grifl-
brett mit Metallbiinden, iiber das 3 oder 4 Stahlsaiten
in Quintstimmung : g d 1 a 1 (e 2 ) laufen. Die Saiten wer-
den an dem spitz zulauf enden Ende des auf einem Tisch
liegenden Instruments angestrichen; der Ton ist nur
schwach und naselnd. ->■ Streichmelodion.
Stretta, auch Stretto (ital., Enge), - 1) in der Fuge die
-> Engfiihrung. Mitunter wird auch kontrapunktische
Nachahmung in verkiirzten Notenwerten Imitazione
alia str. genannt. - 2) der in beschleunigtem Tempo
ausgefiihrte SchluBabschnitt eines Opernfinales (Mo-
zart, Le Nozze di Figaro, Finale des 2. Aktes : Prestissi-
mo), besonders bei italienischen Komponisten von
Paisiello bis Verdi ein beliebtes Steigerungsmittel von
mitreiBendem Efiekt; der Str.-AbschluB von Arien
oder Duetten heiBt auch -»- Cabaletta. Seit Beethovens
5. Symphonie ist auch die -> Coda in Finalsatzen von
Instrumentalkompositionen mitunter als Str. angelegt.
stringendo (strindj'endo, ital.; Abk.: string.), zusam-
mendrangend, d. h. allmahlich schneller werdend, wie
-> accelerando.
strisciando (striJJ'ando, ital.), streifend, durch die
Halbtone geschleift (chromatisches -> Glissando).
Strohfidel (Strofiedel; engl. straw-fiddle; nld. strooi-
vedel), eine vom 16. bis zum 19. Jh. verbreitete volks-
tumliche Bezeichnung fiir das -> Xylophon, dem seit
seiner ersten schriftlichen Erwahnung als hiiltze glechter
(Schlick 1511) und der friihesten bildlichen Darstellung
(Holbein, Totentanz, um 1 525) als Instrument der Wan-
der- und Tanzmusikanten Ost- und Zentraleuropas die
verschiedensten Namen gegeben wurden: Holzernes
Gelachter (von oberdeutsch glachel, Kloppel), Holz-
fidel, Holzharmonika, Holz und Stroh, Holz- und
Strohinstrument (so noch bei R. Strauss, Salome, 1905),
Gigelyra u. a. ; lat. lignea craticula, psalterium ligneum;
frz. claquebois, echelette, patrouille, regale de bois;
ital. sticcato, sistro (»Apulisches Sistrum«), timpano.
Die deutschen Namen beziehen sich entweder auf die
hblzernen Stabe oder Kloppel oder auf die Strohunter-
lage, auf der bei den alteren Formen des Xylophons die
Stabe ruhten.
Lit. : A. Schlick, Spiegel d. Orgelmacher u. Organisten,
Speyer 1511, Faks. u. Ubertragung hrsg. v. P. Smets, Mainz
1959; G. Paradossi, Modo facile di suonare il sistro no-
mato il timpano, Bologna 1695, Faks. Mailand 1933; A.
Jacquot, Dictionnaire ... des instr. de musique . . . , Paris
1886; Sachs Hdb.; K. M. Klier, Volkstumliche Musik-
instr. in d. Alpen, Kassel 1956.
Strophe (griech. orpocpir), Wendung; ital. und engl.
stanza; altfrz. copla, ->• Couplet), Einheit aus mehreren
Versen, die oft unterschiedliche Lange und Bauart auf-
weisen (-*■ VersmaBe) ; die Vertonung beriicksichtigt in
der Regel die strophische Form des Textes (-*■ Lied). -
Das Wort Str. wurde im Franzbsischen Mitte des 16. Jh.
von P. de Ronsard im Zusammenhang mit der Nach-
ahmung griechischer Oden (->• Odenkomposition) im
antiken Sinn eingefcihrt; erst im 19. Jh. ersetzte die Be-
zeichnung Str. im heutigen Sinn die friiher ubliche Be-
nennung Stance. Im deutschen Bereich wurden (und
werden in der Umgangssprache teilweise heute noch)
die Str.n besonders des protestantischen Kirchenliedes
als Verse (analog zu Bibelvers) bezeichnet; die heute
ubliche Verwendung der Termini Vers (friiher mit
-*■ Reim bezeichnet), und Str. fiihrte Opitz ein. - Die
Str. ist urspriinglich ein eng mit Gesang und Bewe-
gung (Tanz) zusammenhangendes Formelement grie-
chischer Lyrik (vor allem der Chorlyrik). Die antiken
Str.n wurden spater nach der Zahl ihrer Verse benannt
oder (in der Lyrik) mit dem Namen eines Dichters be-
legt (Alkaische, Asklepiadeische, Sapphische Str.). Im
christlichen Abendland hat die Str. nur noch eine for-
mal-gliedernde Aufgabe. Im Zusammenhang mit der
Einf uhrung des Endreims (-> Reim) entstand ein gro-
Ber Reichtum an Str.n-Formen und deren Kombina-
tions- und Variierungsmoglichkeiten. Rezeptionen an-
tiker Str.n-Formen im Mittelalter (z. B. verwendet der
lateinische Hymnus gelegentlich die Sapphische Str.)
und seit der Renaissance (Odenkompositionen) blieben
auf gelehrte Kreise beschrankt. - Die Form der Str.
kann in verschiedenem Grad konstitutiv fiir das Ge-
dicht sein. Vollig festgelegten Str.n-Formen und stro-
phischen Gedichtformen (z. B. Terzine, Sestine) stehen
Gattungen gegeniiber, fiir die zwar strophische Gliede-
rung, jedoch nicht eine bestimmte Str.n-Form charak-
teristisch ist (wie bei der Canzona des 16. Jh.). Nicht in
Str.n unterteilte lyrische Formen (»Gedichtstrophen«)
sind selten; das hierbei in erster Linie zu nennende
-*■ Rondeau (- 2) erhalt durch mehrf aches Auf treten von
914
Studentenlied
Refrainversen eine formale Gliederung. - Beim lateini-
schen -> Hymnus (- 1) war die ambrosianische Str. (aus
4 jambischen Dimetern bes.tehend) am weitesten ver-
breitet; sie wurde auch in andere Gattungen iibernom-
men. Fiir die mittellateinische Dichtung sind f erner zu er-
wahnen die Vaganten-Str. (-> Vaganten), der auch eine
Auctoritas (ein klassischer Hexameter oder Pentameter
als Zitat) angefiigt werden kann, und die Stabat-Str.
(zweimal 8 + 8 + 7 Silben; nach dem Stabat mater be-
nannt). -Eine groBe Fiille von Str.n- und strophischen
Gedichtf ormen hat die romanische Literatur entwickelt,
besonders die italienische. Aus 3 Verszeilen besteht die
Terzine, jedoch verbindet ein weiterflihrender Reim
die Str.n miteinander: aba bcb cdc . . . (Dante, Corn-
media). Die Str.n-Form der Terzine erscheint im 16.
Jh. als Capitolo (->- Frottola). Eine Abart der Terzi-
ne, das -> Ritornell (- 1 ; italienisch stornello), reimt
ersten und dritten Vers jeder Str. und laBt den mitt-
leren ohne Reimbindung. Die Stanze ist eine 8zeilige
Str. (daher Ottave rime, deutsch Oktave; Reimsche-
ma ab ab ab cc) aus HSilblern (z. B. in den Epen von
Ariost und Tasso). Varianten da von sind None rime
(ab ab ab cc b) und Siziliane (4 Reimpaare ab). Das
Reimschema der Stanze ubernimmt der ->- Stram-
botto ; die ->■ Villanella erweitert es um einen Refrain.
Verschiedene Str.n-Formen weisen die unter ->• Frotto-
la zusammengefaBten Gattungen auf (Barzalletta, Oda
u. a.). Das ->■ Madrigal des Trecentos hat keine feste
Str.n-Zahl, das des 16. und 17. Jh. ist formal uberhaupt
nicht festgelegt. Die Gedichtform des Sonetts, aus vier
Str.n - je zwei Vierzeilern (Quartetten) und Dreizei-
lern (Terzetten) - mit der Reimfolge abba abba cdc
dcd bestehend, erfuhr in der Nachfolge Petrarcas wei-
teste Verbreitung in der europaischen Literatur. Das
englische Sonett, z. B. bei Shakespeare, reimt abwei-
chend davon abab cdcd efef gg< - Mehrere franzosi-
sche Str.n- und Gedichtf ormen verwenden einen -> Re-
frain, so das Rondeau und die regelmaBig dreistrophi-
gen Formen ->• Ballade (- 1) und -*■ Virelai. Dem Vire-
lai entspricht die italienische -*- Ballata ; entf ernt ahnlich
ist auch der spanische ->• Villancico. Rondeau, Ballade
und Virelai erfuhren im 14. Jh. (Machaut) und 15. Jh.
ihre weiteste Verbreitung. Der -> Lai hat erst seit dem
14. Jh. (Machaut) strophische Form (in der Regel 12
Str.n). Die regelmaBige Str.n-Form der -> Kanzo-
ne (- 1) der Trobadors und Trouveres war auch in Ita-
lien und Deutschland verbreitet; hier stellt sie in Lied
und Spruch des -» Minnesangs, dann im -> Meistersang
(-»■ Bar) den verbreitetsten Str.n-Typ dar. Die aus der
provenzalischen Lyrik hervorgegangene Sonderform
der Sestine f and vor allem in Italien Verbreitung (Petrar-
ca). Ihre sechs 6zeiligen Str.n vertauschen die 2silbigen
Endworte der Verse fortlaufend in der Folge 6 15 2
4 3. - Verschiedene Str.n-Formen wurden im mittel-
hochdeutschen Heldenepos gebraucht (z. B. Nibelun-
gen-, Gudrun-Str.). Die verbreitetste deutsche Lied-Str.
ist die 4zeilige Volkslied-Str., die meist aus Vierhebern
(-> Vierhebigkeit) mit Kreuzreim (abab) gebaut ist.
Die ihr entsprechende Chevy-Chase-Str. der engli-
schen Volksballade (seit dem 18. Jh. auch in Deutsch-
land) bindet jedoch nur die 2. und 4. Zeile durch Reim.
Lit. : — » Kontraf aktur ; — ► VersmaBe. WoD
Strophicus (lat.) -> Neumen (- 1).
Studentenlied. Studentengesang ist vorwiegend zum
umgangsmaBigen Laienmusizieren zu rechnen. Die
Lieder der akademischen Verbindungen bei Rezeption,
Festen, Kommers, Komitat, Totengedenken konnen
als Standeliedgruppe dem Volksgesang zugerechnet
werden. Das St. iiberschneidet sich mit dem Gebrauchs-
gut des Volkes (Soldaten-, Handwerker-, Jagerlied),
des Burgerhauses, der Kirche, der Biihne, des Frei-
maurertums. Das Melodiengut wird sowohl aus dem
Volkslied als auch aus dem Kunstlied iibernommen und
umgesungen. - Im 16. Jh. haben Meister des Chorsatzes
(L. Senfl, A. v. Bruck, I. de Vento, N. Rost, A. Utendal,
O. de Lassus, J.Eccard) Melodien aus der Studenten-
welt bearbeitet und damit auch zum Gebrauchsgut des
akademischen ->■ Collegium musicum beigetragen. Im
beginnenden Barock wurden dann Sammlungen mehr-
stimmiger Lieder eigens fiir den akademischen Bedarf
zusammengestellt (J. Jeep, P.Rivander, E.Widmann,
J. H. Schein, H. Dedekind, D. Friderici). Doch ist zu un-
terscheiden zwischen dem Gesang auf der kiinstleri-
schen Ebene der Collegia und dem sonstiger Gesellig-
keit. So steht um die Mitte des 17. Jh. den GeneralbaB-
liedern von H.Albert (fiir Konigsberg) und A.Krieger
(fiir Leipzig) das handschrif tliche Liederbuch des Leip-
ziger Studenten Clodius als Zeugnis des geselligen St.s
nach dem 30jahrigen Kriege gegeniiber. Im ausklin-
genden Barock ist weitgehende Liedgemeinschaft mit
dem geselligen Biirgertum (Rathgeber, Sperontes, J. V.
Gorner) zu vermuten und noch fiir das Ende des 18. Jh.
nachzuweisen. Nachdem die Zeit der Collegia musica
zu Ende war, wurde zumeist einstimmig gesungen,
hier und dort auch in kunstloser Stegreif-Mehrstim-
migkeit. Gegen minderwertige Texte wandten sich die
ersten Herausgeber von Studentenliederbiichern im
heutigen Sinne: der Hallische Magister Kindleben
(1781) und der KielerRechtsstudent A. Niemann (1782).
Doch erst die Erneuerungsbewegung nach den Napo-
leonischen Kriegen f iihrte das studentische Lied textlich
und musikalisch zu neuer Bedeutung, unter Einbe-
ziehung der Freiheitsdichtung, der Turnlieder und des
biedermeierlichen Tugendliedes. Im Zuge der Manner-
chorbewegung setzte sich auch der Chorgesang zeit-
und stellenweise wieder durch (CM. v. Weber, A.
Methfessel) und hielt sich bis weit in den Vormarz hin-
ein, so in Lyras Deutschen Liedern von 1843, aus denen
1858 das Lahrer Kommersbuch hervorging (herausgege-
ben von H. Schauenburg, Fr. Silcher, Fr.Erk, ab 1893
von E.Heyck, ab 1953 von W.Haas). Gegen Ver-
flachungserscheinungen trat die musikalische -> Ju-
gendbewegung (W.Hensel) in neuem AnschluB an das
Volkslied auf. Die Auflosung der alten studentischen
Verbande (1933-45) brachte einen starken Bruch mit
der Uberlief erung ; eine sinnvolle Neubelebung unter
weitgehend gewandelten Umweltsverhaltnissen bleibt
als Aufgabe gestellt. ->• Standchen.
Ausg. : A. Pernwerth v. Barnstein, Ubi sunt qui ante nos.
Ausgew. lat. St. d. 14.-18. Jh., Wvirzburg 1881; Das Ro-
stocker Liederbuch (1480), hrsg. v. Fr. Ranke u. J. M.
Muller-Blattau, = Schriften d. Konigsberger Gelehrten
Ges., Geisteswiss. Klasse IV, 5, Halle 1927; J. Jeep, Stu-
denten-Gartlein (1605-14), hrsg. v. R. Gerber, in: EDM
XXIX, Wolfenbuttel 1958; H. Raufseisen, Akad, Lust-
waldlein (1794), hrsg. v. A. Kopp, Lpz. 1918; M. Fried-
laender, Commersbuch, Lpz. 1892, 2 1897; K. Reisert,
Deutsches Kommersbuch, Freiburg i. Br. 7 1896; D. Hart-
wio, Deutsche Studentenmusik v. d. Anf angen bis zur Mit-
te d. 18. Jh. (mit Gesamtbibliogr. d. deutschen St.), Ms.
Dresden 1963.
Lit. : W. H. Riehl, Mus. Charakterkopfe III: A. Methfes-
sel, Stuttgart 1860, 91927; R. u. R. Keil, Deutsche St. d. 17.
u. 18. Jh., Lahr 1861 ; J. Bolte, Das Liederbuch d. P. Fa-
bricius, Jb. d. Ver. f. niederdeutsche Sprachforschung 1887
(vgl. auch d. Bibliogr. seiner Schriften v. F. Boehm, = Zs.
f. Volkskunde, N. F. IV, 1933); W. Niessen, Das Lieder-
buch d. Lpz.er Studenten Clodius (1 669), VfMw VII, 1891;
K. Burdach, Studentensprache u. St. in Halle vor 100
Jahren, Halle 1894 (mit Neudruck v. Kindlebens St. 1781);
Ph. Spitta, Der deutsche Mannergesang, in: Musikge-
schich tliche Auf satze, Bin 1 894; A. Kopp, Deutsches Volks-
u. St. in vorklass. Zeit, Bin 1899 (im AnschluB an d. v.
Crailsheimsche Liederhs. u. d. Liederhs. d. Kieler Stu-
58*
915
Stiirze
denten Reyer); A. H. Hoffmann v. Fallersleben, Unsere
volkstiimlichen Lieder, bearb. v. K. H. Prahl, Lpz. 4190O;
W. Ermann u. E. Horn, Bibliogr. d. deutschen Univ., Lpz.
1904-05; R. Wustmann, Mg. Lpz. I, Lpz. u. Bin 1909,
21926, II u. Ill v. A. Schering, Lpz. 1926-41 ; H. Kretzsch-
mar, Gesch. d. Neuen deutschen Liedes I, = Kleine Hdb.
d. Mg. nach Gattungen IV, Lpz. 1911, Nachdruck Hil-
desheim 1966; W. Krabbe, Das Liederbuch d. J. Heck
(1679), AfMw IV, 1922; Fr. Harzmann, In dulci jubilo.
Aus d. Naturgesch. d. deutschen Kommersbuches, Miin-
chen 1924 (Gesamtbibliogr. d. deutschen St.-Biicher seit
1781 mit kritischen Anm.); ders., Burschenschaftliche
Dichtung v. d. Friihzeit bis auf unsere Tage, Heidelberg
1930; G. Muller, Gesch. d. deutschen Liedes v. Zeitalter
d. Barock bis zur Gegenwart, = Gesch. d. deutschen Lit.
nach Gattungen III, Munchen 1925, Neudruck Darmstadt
1959; Fortunatus, Blatter f. d. Studententum, hrsg. v. E.
Heyck, Lahr 1926-34; K. Reisert, Aus d. Leben u. d.
Gesch. deutscher Lieder, Freiburg i. Br. 1929 ; K. Stephen-
son, Bonner Burschenlieder 1819, = Beethoven u. d. Ge-
genwart, Fs. L. Schiedermair, Koln 1956; ders., Zur Sozio-
logie d. St., Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., Die Deutschen
Lieder v. 1 843, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957 ; ders., Das
Lied d. studentischen Erneuerungsbewegung 1814-19,
= Darstellungen u. Quellen zur Gesch. d. deutschen Ein-
heitsbewegung im 19. u. 20. Jh. V, Heidelberg 1965; ders.,
Charakterkopfe d. Studentenmusik, ebenda VI, 1965; D.
Hartwig, Die deutsche Studentenmusik im 17. u. in d.
1. Halfte d. 18. Jh., Lpz. 1959, maschr.; P. Nettl, Prag
im St., = Schriftenreihe d. Sudetendeutschen VI, Munchen
1964. KS
Stiirze (engl. bell; frz. pavilion; ital. bussolotto) heiBt
der konisch stark erweiterte Schallbecher der Blech-
blasinstrumente.
Stufen heiBen die einzelnen Tonorte der 7stufigen
Tonleiter; so haben c und des auf verschiedenen St.,
c und cis dagegen auf derselben Stufe der Grundskala
ihren Sitz. Die aus dem Lateinischen ubernommenen
Bezeichnungen der Intervalle geben die Anzahl der St.
zwischen den Tonen an (Prime = die erste Stufe, Se-
kunde = die zweite). Schon G. A.Sorge (Vorgemach
der musikalischen Composition, 1745^7) spricht vom
Dreiklang, Septimenakkord usw. der 1., 2. usw. Stufe
der Tonart und seit G.J. Vogler (Choral-System, 1800)
bilden die St.-Zahlen die Grundlage einer analytischen
Akkordbezeichnung (->■ Stufenbezeichnung).
Stufenbezeichnung, ein System der Akkordbezeich-
nung (Klangstufen), bei der die Dreiklange auf den
Stufen der Tonleiter mit romischen Ziffern numeriert
werden. Die Durakkorde erhalten groBe, die Mollak-
korde kleine Ziffern; fur die verminderten gibt man
der kleinen Zahl eine kleine Null bei, fur die iibermaBi-
gen der groBen Zahl ein Kreuz oder einen Strich :
Dur
III' iv V VI
Die Bezeichnung V-I bedeutet dann die Folge zweier
Durakkorde, von denen der erste Dominantdreiklang
des zweiten ist, V-I dagegen einen Dur- und einen Moll-
akkord, von dencn der erstere der Dominantdreiklang
des letzteren ist. Die jeweilige Tonart wird durch den
Ziffern vorangestellte groBe (dur) bzw. kleine (moll)
Buchstaben angegeben, z. B. c.I = Durakkord auf der
1. Stufe von C dur bzw. a: IV = Mollakkord auf der 4.
Stufe von A moll. Zur Bezeichnung von Akkordum-
kehrungen, dissonanten Zusatztonen sowie Hoch- und
Tiefalteration werden die Zusatzziffern der General-
baBschrift verwendet, z. B. V> = Sextakkord des Drei-
klangs auf der 1. Stufe in Dur, V 7 = Septakkord auf
der 5. Stufe (Dominantseptakkord), IV 3 1> = Terzquart-
akkord der 4. Stufe in Dur mit hochalterierter Quarte
und kleiner Terz. Bei der Analyse ganzer Tonstucke
konnen die Stufenzahlen auch Versetzungszeichen er-
halten, z. B. HI 6 = Dursextakkord der tiefalterierten
2. Stufe in Moll, der »Neapolitanische Sextakkord«. -
Ansatze zur Bezeichnung der Tonleiterstuf en und ihrer
Dreiklange mit romischen Ziffern finden sich bereits
bei G.J. Vogler (1800). Die heutige Fassung der St.
geht auf G.Weber (1817) zuriick. Seine Klangstufen
wurden u. a. vonE.Fr.E.Richter (1853) entgegen der
uTspriinglichen Absicht Webers, nur wesentliche und
keine zufallige Akkordbildung zu bezeichnen, durch
Bestandteile der GeneralbaBschrift vervollstandigt. In
dieser Form ist die St. noch heme in Gebrauch. Ledig-
lich die Unterscheidung der Dur- von den Molldrei-
klangen durch groBe und kleine Zahlen wurde vielfach
wieder aufgegeben. Gegeniiber Riemanns -> Funk-
tionsbezeichnung ist die St. im Nachteil, da sie die Ak-
korde nur chiffriert, iiber ihre Beziehungen zueinander
jedoch wenig oder nichts aussagt. Auch ist sie nicht im-
stande, zwischen wesentlichen und zufalligen Akkor-
den (d. h. solchen, die durch Vorhalte, Wechselnoten,
Durchgange usw. zustande kommen), zu unterschei-
den. Ihre enge Bindung an die siebenstufige diatoni-
sche Tonleiter macht sie zur Bezeichnung von chro-
matischer Harmonik ungeeignet. Andererseits verhalt
sie sich zu den grundlegenden Theorien der Harmonie-
lehre neutral. Deswegen konnte sie sowohl von Rie-
mann - in den Anf angen seiner Funktionstheorie (Mu-
sikalische Logik, NZfM LXXI, 1872) - als auch von
Sechter (Die Grundsatze der musikalischen Komposition,
1853-54) angewendet werden. Die im Tonsatzunter-
richt gangige Bezeichnung »Stufentheorie« fiir das Nu-
merieren der Tonleiterstufen und ihrer Akkorde mit
romischen Ziffern ist daher irrefiihrend. Der Unter-
schied zwischen St.en und Funktionsbezeichnungen
besteht nur darin, daB jene die Tonleiterlage, diese die
tonale Bedeutung der Akkorde fiir die Kadenzlogik
angeben. Als im Verlauf des 20. Jh. die Harmonielehre
ihre Vorrangstellung im Kompositions- und Tonsatz-
unterricht einbuBte, wurde dieser Unterschied biswei-
len verwischt. So finden sich z. B. in der Neubearbei-
tung der Harmonielehre von R.Louis und L.Thuille
(1933) die Riemannschen Funktionsbezeichnungen. A.
Schonberg verwendet in seinem theoretischen Spat-
werk (1954, posthum) neben G. Webers Stufenzahlen
zur genaueren Bezeichnung tonaler Verwandtschaften
eine Reihe (teilweise neuer) Funktionsbezeichnungen.
Andere Autoren, wie H.Mersmann (1929) undE.Tit-
tel (1965), koppeln St.en mit Funktionsbezeichnungen
von vornherein.
Lit.: G. J. Vogler, Choral-System, Kopenhagen 1800;
KochL, Artikel Klangstufen; G. Weber, Versuch einer
geordneten Theorie d. Tonsetzkunst, 3 Bde, Mainz 1817-
21, in 4 Bden 21824, 31830-32; E. Fr. E. Richter, Lehr-
buch d. Harmonie, Lpz. 1853, ^n^g ; h. Riemann, Ver-
einfachte Harmonielehre, London u. NY 1893, 21903 ; Rie-
mann MTh ; R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Stutt-
gart 1907, neubearb; v. W. Courvoisier, R. G'schrey, G.
Geierhaas u. K. Blessinger 10 1933; A. Schonberg, Har-
monielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; ders.,
Structural Functions of Harmony, NY 1954, deutsch v. E.
Stein als: Die formbildenden Tendenzen d. Harmonie,
Mainz (1957); H. Mersmann, Musiklehre, Bin 1929; P.
Hindemith, A Concentrated Course in Traditional Har-
mony, 2 Bde, NY 1943, 2l944u. 1948, deutsch: I Aufgaben
f. Harmonie-Schuler, II Harmonieiibungen f. Fortge-
schrittene, Mainz (1949) ; E. Tittel, Harmonielehre, 2 Bde,
Wien u. Munchen 1965. ESe
Stufengang nennt H. Schenker die Folge der fiir den
harmonischen Gesamtverlauf eines Stiickes entschei-
denden Geriistakkorde. Diese erst bezeichnet er als Stu-
916
Subjekt
fen, nicht jedoch alle Akkorde, die im Stiick vorkom-
men. So spricht er dem Cis dur-Dreiklang (•) auf dem 2.
Achtel des 10. Taktes der Arie BufS' und Reu' in der Mat-
thauspassion von J. S. Bach das Gewicht einer Stufe ab :
III VI (IV) V I
Schenker sieht in ihm blofi eine voriibergehende Konfigu-
ration dreier Stimmen, von denen jede ihre eigene Ur-
sache habe, diese Stelle zu passieren : so das D des Basses
durchgehend iiber Cis zu H als eventuell einer IV. Stufe,
der Quartvorhalt G des Soprans iiber Eis zu Fis als seinem
Auflbsungston und endlich der VorhaltEder mittleren Stim-
me in paralleler Sextenbewegung mil dem Sopran iiber Gis
zu A. DerEinflufibereich einer Stufe kann sich audi iiber
mehrere Akkorde, ja Takte erstrecken, wie Schenker an
denersten5TaktendesPraeludjumsinCdurfurOrg.von
J. S. Bach (BWV 547) glaubhaf t zu machen versucht :
s^^rar-
»
£
1-
t
<*>
(*
v)
* **J
•i
Der Achtelkontrapunkt im Sopran des 4. Taktes inter-
pretiere die zunachst als selbstandige Akkorde auf der
5. Stufe erscheinenden Zusammenklange im letzten
Drittel des 2. bzw. 3. Taktes nachtraglich als Durch-
gangsakkorde. Die den St. bestimmenden Intervalle
sind nach Schenker Quinten, weshalb er auch seine Stu-
fen Quinten hoherer Ordnung nennt. Im Unterschied zur
FunktionstheorieH.Riemannswerden diese iibergeord-
neten Quintbeziehungen nicht als iibergeordnete Ka-
denzzusammenhange verstanden. - Hindemith iiber-
nahm Schenkers Termini Stufe und St. Unter Stufen
versteht er die Grundtone, welche die Akkordlasten gro-
fierer harmonischer Zusammenhange tragen, unter St. die
Reihenfolge dieser Grundtone. Besteht ein St. aus we-
niger als 4 Tonen, so sollen die Intervalle zwischen
zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Stufen nach
ihrem Intervallwert beurteilt werden, wie er sich aus
Hindemiths Reihe 2 (Reihe der Intervalle) ergibt. Bei
groBeren Stuf engangen verliert durch die itnmer weiter um
sich greifende Kraft der Tonverwandtschaften der reine In-
tervallwert an Wichtigkeit. Den Verwandtschaftsgrad ei-
ner Stufe zum jeweiligen Zentralton des St.s bestimmt
Hindemith nach seiner Reihe 1 (Reihe der Tonver-
wandtschaften). Jeder Zentralton eines St.s bildet mit
den Stufen, die mit ihm verwandt sind, einen »tonalen
Kreis«. Bei Modulationen kbnnen sich benachbarte to-
nale Kreise iiberschneiden. Im AnschluB an Schenker
schlieBt auch Hindemith die Grundtone von Akkorden,
die durch Vorhalte, Durchgange usw. entstanden sind,
vom St. aus. Doch verfahrt er bei der Feststellung der
Stufen zunachst weniger summarisch als Schenker, wie
aus dem Anfang seiner harmonischen Analyse der Sin-
fonia in F moll von J.S.Bach (BWV 795) zu entneh-
men ist :
w« j r ^^ \\ b r j j J m
r^i>»r y 'r n ^ J i e
St:
Danach aber fafk Hindemith die Zentraltone aller to-
nalen Kreise einer Komposition zu einem iibergeord-
neten St. zusammen. SchlieBlich zerlegt er die melodie-
fiihrenden Stimmen eines Stiickes in »Harmoniebezir-
ke«, aus deren Grundtonen er einen besonderen »Me-
lodie-St.«-gewinnt, der von dem St. der Akkordgrund-
tone unabhangig sei und ihm manchmal geradezu
widersprechen konne.
Lit.: H. Schenker, Harmonielehre, Stuttgart u. Bin 1906;
P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, Mainz 1937,
21940, engl. als: Craft of Mus. Composition I, London
1942; W. Keller, H. Schenkers Harmonielehre, in: Beitr.
zur Musiktheorie d. 19. Jh., = Studien zur Mg. d. 19. Jh.
IV, hrsg. v. M. Vogel, Regensburg 1966. ESe
Stuttgart.
Lit. : J. Sittard, Zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters am
Wurttembergischen Hofe, 2 Bde, St. 1890-91, Nachdruck
in 1 Bd Hildesheim 1967 ; G. Bossert, Gesch. d. St.er Hof-
kantorei . . . , Wurttembergische Vierteljahrsschriftf. Lan-
desgesch., N. F. VII, 1898, IX, 1900, XIX, 1910 - XXI,
1912 u. XXV, 1916; R. Krauss, Das St.er Hoftheater
St. 1908; H. Abert, Die dramatische Musik, in: Herzog
Karl Eugen v. Wurttemberg u. seine Zeit I, Esslingen 1909 ;
H. Marquardt, Die St.er Chorbiicher . . ., Studien zum
erhaltenen Teil d. Notenbestandes d. wurttembergischen
Hofkapelle d. 16. Jh., Diss. Tubingen 1936; J.-D. Waide-
lich, Vom St.er Hoftheater zum Wurttembergischen
Staatstheater, Diss. Miinchen 1957, maschr.; M. Wink-
ler-Betzendahl u. H. Koegler, Ballett in St., St. 1964.
sub, super (lat.), in Zusammensctzungen hypo,
-*■ hyper.
Subbafi ist in der Orgel eine weitmensurierte Ge-
dacktstimme zu 32' oder 16' im Pedal, in alten Orgeln
hin und wieder auch often, yon dunklem Klang. Der S.
heifk oft -»■ Untersatz (- 1), auch MajorbaB.
Subdominante (frz. sousdominante) oder Unterdo-
minante heiBt in der Harmonielehre die Quinte un-
ter bzw. die Quarte iiber der ->■ Tonika. Der auf der
Quarte (bzw. Unterquinte) errichtete Dreiklang wird
Subdominantdreiklang genannt. Nach J.-Ph. Rameau,
auf den der Terminus S. zuriickgeht (Nouveau sys-
teme, 1726), sind die Akkorde der Tonika, -»■ Domi-
nante und S. die Grundpfeiler tonaler Harmonik, wo-
bei jeder Dreiklang durch Hinzufiigung einer groBen
Sexte (z. B. f-d zu f-a-c) zum Subdominantakkord
werden kann (->■ Sixte ajoutee). Dieser ist in Dur ent-
weder ein Moll- oder Dur-, in Moll immer ein Moll-
akkord (Ausnahme: -> Dorische Sexte). Die -> Funk-
tionsbezeichnung S fiir S. geht auf H.Riemann zuriick
(Vereinfachte Harmonielehre, 1893). Sie meint stets den
Dreiklang der S.
Lit.: — » Dominante; P. Hamburger, S. u. Wechseldomi-
nante, Kopenhagenu. Wiesbaden 1955.
Subjekt (lat. subjectum), urspriinglich s. v. w. -> Sog-
getto, spaterhin speziell das Thema in der Fuge. In ei-
nigen Fallen ist der Sprachgebrauch von S. und ->■ Kon-
tra-S. fliefiend: es empfiehlt sich, in Fugen mit
beibehaltenem Kontrapunkt von S. und Kontra-S.
(auch mehreren), bei Doppel-, Tripel- und Qua-
drupelfugen aber von verschiedenen S.en zu sprechen,
obgleich dafiir Griinde der musikalischen Themen-
struktur nicht geltend zu machen sind.
917
Subsemitonium modi
Subsemitonium modi (lat., Unterhalbton der Ton-
art), in der Musiklehre des 15.-18. Jh. Bezeichnung des
Halbtons unter der Finalis. Unter den txaditionellen 8
Modi (-> KirchentSne) besitzen nur der 5. und 6. das
S. m. als leitereigenen -»■ Leitton. Da jedoch auch im
1., 2., 7. und 8. Modus (wie spater in den Dur- sowie
iiberwiegend in den Molltonarten) der Halbtonschritt
des Discantus ein wesentliches Element zur Bildung der
->■ Klausel oder -> Kadenz (- 1) darstellt, muB das S. m.
in diesen Fallen durch ->■ Alteration (- 2) hergestellt
werden, obgleich es nicht notiert ist. - Quantz bezeich-
net als die eigentlichen Subsemitone enharmonisch ver-
minderte Sekunden (z. B. as-gis; Quantz Versuch, S.
244, dazu S. 232f.).
Subulo (lat.) -> Tibia (- 1).
Succentor (lat., Nachsanger; WaltherL: Unter-Can-
tor) hieB im mittelalterlichen Kathedraldienst ein er-
fahrener, oft akademisch gebildeter Musiker in der
Stellung eines bepfrundeten Kaplans, dem die ein- und
mehrstimmige Musik unterstand. 1317 ist es am Kon-
stanzer Dom Aufgabe der 2 S.en, cantorem, canonicos et
sacerdotes et scolares in legendo et cantando zu inf ormieren.
DaB die Chorleitung selbst Pflicht des S.s war, ist fur
Konstanz erwiesen, wo 1 502 eine Succentoria choralium
fur Ausbildung und Leitung der Chorknaben einge-
richtet wurde, jedoch nicht allgemeingultig (z. B. wohl
nicht an Notre-Dame in Paris). Im mittelalterlichen,
zuweilen noch im protestantischen Schulchor war der
S. Vertreter und Gehilfe des Chorleiters.
Lit. : G. Schunemann, Gesch. d. deutschen Schulmusik I,
Lpz. 1928, 21931; G. Birkner, Notre-Dame-Cantoren u.
-S. v. Ende d-. 10: bis zum Beginn d. 14. Jh., in: In me-
moriam J. Handschin, StraBburg 1962; M. Schuler, Die
Konstanzer Domkantorei um 1 500, Af Mw XXI, 1 964.
Sudafrika.
Lit. : Fr. Z. van der Merwe, Zuid-Afrikaanse muziek-
bibliogr. 1787-1952, Pretoria 1958. - S. P. E. Boshoff u. L.
J. Plessis, Afrikaanse volksliedjes, 2 Bde, Pretoria u. Am-
sterdam 1918; J. Bouws, Muziek in Zuid-Afrika, Brugge
1946; ders., Das Musikleben in Kapstadt, Mf VII, 1954;
ders., Zuid-Afrikaanse komponiste van vandag en gister,
Kapstadt 1957; ders., Woord en wys van die Afrikaanse
lied, ebenda 1961; W. van Warmelo, Liederwysies van
Vanslewe, Amsterdam 1958.
SUISA, Schweizerische Gesellschaft der Urheber und
Verleger (Schweiz), -*■ Verwertungsgesellschaft, Mit-
glied der -> CISAC.
Suite (sui:t[a], frz., Folge), eine urspriinglich aus Tan-
zen oder tanzartigen Satzen, im Laufe ihrer Geschichte
auch aus tanzfreien Teilen (Sonata, Sinfonia, Toccata,
Praeludium, Ouvertiire, Chaconne, Aria, programma-
tisches Stiick u. a.) bestehende mehrsatzige Kompo-
sition. Wichtige Merkmale der S. sind: Variabilitat
in den Satzkombinationen, eine immer wieder her-
vortretende Tendenz zu loser Reihung der Satze so-
wie iiberwiegend Einheitlichkeit hinsichtlich der Ton-
art. - Das Wort S. erscheint als musikalischer Ter-
minus erstmals im 16. Jh. in Frankreich im Zusam-
menhang mit dem -»■ Branle. Der Index des Septieme
livre de danceries (Paris 1557, Veuve de Pierre Attain-
gnant) fiihrt unter verschiedenen Tanzen an : Premiere
suytte de bransles, Seconde suytte d'autres bransles usw.
Nach Arbeau (Orchhographie, 1588) begann ein Ball
mit La suyte de ces quatre sortes de branles, womit eine Fol-
ge von langsamen bis lebhaften Branles gemeint ist. Im
17./18. Jh. wurde das Wort S. in Frankreich, Deutsch-
land, auch in England gebraucht, jedoch nur spora-
disch und in wechselnder Bedeutung: fur Folgen meh-
rerer Tanze und tanzfreier Stiicke (Froberger, 10 Suittes
de davessin, um 1697/98; Dieupart, Six suittes de claves-
sin, Amsterdam o. J.; J.-Ph.Rameau; J.S.Bach; Han-
del), aber auch nur fur einzelne Suitensatze, speziell f in-
die »nachfolgenden« (WaltherL: die Allemande ist in ei-
ner musicalischen Partie gleichsam die Proposition, woraus
die ubrigen S.n, als die Courante, Sarabande und Gique, als
Partes fliessen). Auf eine bestimmte zyklische Form be-
zieht es Mattheson (Capellm.) : Die Allemanda ... vor
der Courante, so wie diese vor der Sarabanda und Gique her,
wekhe Folge der Melodien man mit einem Nahmen S. nen-
net. Ahnlich wurden -> Partita und Partia (Plur. Par-
tie, Partien, Partyen) vereinzelt fur S.n-Satze, haufiger
fur Satzfolgen im Sinne der S. verwendet. Dagegen
bezeichnet der vom Einleitungssatz auf die ganze Satz-
folge iibertragene Titel -> Ouvertiire den speziellen
Typus der Ouvertiiren-S.; der Titel Sonata da camera
benennt die italienische Spielart der S. Weiterhin ver-
birgt sich die S. auch hinter Titeln wie Ritornell und In-
termedium (M.Praetorius), Ordo (G.B.Brevi), Ordre
(Fr. Couperin), sogar Sonate, Konzert u. a. Haufiger
als unter solchen Benennungen erscheint die S. jedoch
iiberhaupt nicht unter einer Gattungsbezeichnung, son-
dem unter Titeln wie Intabblatura, Balli, Chorearum
Collectanea, Pieces de clavecin, -> Tafelmusik oder un-
ter Auf zahlung des Inhalts (Neuf basses dances, deux branles
. . ., Attaingnant 1530), im 17. Jh. vorzugsweise unter
poetisierenden Titeln wie: Banchetto musicale (Schein),
Musicalische Friihlings-Fruchte (D.Becker).
Aus Folgen von Tanzen entstanden die altesten An-
satze zu instrumentalen Satzfolgen; sie sind auch im
auBereuropaischen Bereich nachweisbar. Im Mittelal-
ter sind in den wenigen schriftlich erhaltenen Denk-
malern von Instrumentalmusik (z. B. Paris, Bibl. Nat.,
f. fr. 844) zwar nur Folgen von Tanzen des gleichen
Typus (Estampien) iiberliefert, doch ist fiir die Praxis
auch das Kombinieren von Tanzen verschiedener Art
anzunehmen. Quellennachweise hierfur bieten das 14.
und 15. Jh. einerseits in der Zusammenstellung von
Estampie und Rotta (Lamento di Tristano und La Man-
fredina der italienischen Handsehrift Lo, -> Quellen)
und in den zum Teil aus schnellen gesprungenen und
langsam geschrittenen Teilen bestehenden -> Basses
danses (Briisseler Ms. 9085), andererseits bei Domenico
da Piacenza (De la arte di ballare ed danzare, 1416), der
verschiedene Rhythmisierung einer Melodie als Bassa-
danza, Quadernaria, Saltarello und Piva lehrt. - Den
entscheidenden Aufschwung nahm die instrumentale
Tanzkomposition und mit ihr die S. im 16. Jh. Aller-
dings bieten die Quellen noch vorwiegend nach verr
schiedenen Prinzipien, oft nach Tanztypen angeord-
nete Einzeltanze und iiberlassen deren Zusammenstel-
lung zu S.n, wie haufig noch im 17. Jh., dem Spieler.
Soweit sie jedoch auch Folgen verschiedener Tanze
enthalten, dominiert (neben dem bereits genannten
Branle) zunachst ein nur durch Umrhy thmisierung ge-
wonnenes oder durch zunehmend freiere und kunst-
reichere Variation verbundenes Tanzpaar, meist be-
stehend aus Pavane-Galliarde, Pavane-Saltarello oder
Ballo-Saltarello, in franzosisch-niederlandischen Quel-
len auch aus Rondo-Saltarello, Allemande-Saltarello
und Basse danse - Tourdion, in deutschen Quellen aus
Tanz-Hupfauf. Doch gibt.es vor allem in der italieni-
schen Lauten-S. schon friih auch groBere Verbande,
bei denen das Tanzpaar um einen oder mehrere Spring-
tanze desselben Typs (Pavane - Saltarello I bis III) oder
neuer Typen erweitert ist. Hierbei bildeten sich 3satzige
Tanzfolgen: ein Springtanz in abermals gesteigerter
Lebhaftigkeit beschlieBt die Folge (Petrucci 1508: Pa-
vana-Saltarello-Piva; A. Rotta 1546: Pass'e mezzo -
Gagliarda - Padovana) oder wird zwischen die Satze
eines Tanzpaares eingeschoben (D.Bianchini 1546:
Pass'e mezo - La sua padoana - II suo saltarello) ; spater
918
Suite
wurden nach dem gleichen Prinzip auch 4satzige Fol-
gen gebildet (Caroso 1581 : Balletto-Gagliarda-Rotta-
Canario). Eine weitere Moglichkeit zu reichhaltigerer
Gestaltung bot im 16. Jh. der Einschub von Reprisen
(recoupes) und Variationen in das Gertist eines Tanz-
paares. So kam es in Frankreich zu der Folge Basse
danse - Recoupe - Tourdion (Attaingnant, Neuf basses
dances, 1530), in Italien zu den Lauten-S.n in G. A.Ca-
stigliones Intabolatura de leuto de diversi autori (1536) und
vor allem zu Mainerios (1578) umfanglichen Orche-
ster-S.n (Pass'e mezzo [primo bis quinto modo] - Re-
presa [primo bis terzo modo] - Saltarello [primo bis
quarto modo] - Represa). Aber auch die Verbindung
von tanzfreien Formen mit Tanzen kannte das 16. Jh. :
Die Lauten-S.n bei Castiglione (1536) werden mit
Toccaten beschlossen; Coperario, Peerson, Brade u. a.
kombinierten um 1600 in England Fantasie und Kan-
zone mit Tanzen.
Hire Bliite erlebte die S. vom 17. bis zur Mitte des 18.
Jh. Ein neuer Typus entwickelte sich in Italien zunachst
im Bereich des aufstrebenden Operntheaters und zeigt
als Ballett-S; einen ersten Hohepunkt in L. Allegris
Primo libro delle musiche (1618), das u. a. eine Sinfonia
und acht 2- bis 7satzige S.n enthalt, die aus Ballo,
Gagliarda, Corrente, Canario, Gavotta, Brando, Ritor-
nello und nicht naher bestimmten tanzfreien Satzen
in verschiedener Zusammenstellung bestehen. In der
Folgezeit bildete Italien seinen S.n-Typ vor allem in der
Sonata da camera aus (-»• Sonate), deren Erscheinungs-
formen von den Einzelsatzen und Tanzpaaren B. Mari-
nis bis zu Corellis Zyklen (z. B. Preludio-Corrente-
Adagio-Allemanda) reichen. Wie in Italien leitete auch
in England und Frankreich das Theater eine neue Epo-
che der S. ein, dort im Rahmen der -> Masque, hier im
-> Ballet de cour, dem die von den »Frantzosischen
Dantzmeistern« iibernommenen Ballette von M. Prae-
torius (Terpsichore, 1612) nahestehen. Spater erreichten
Ballett- und Orchester-S. in England bei H.Purcell, in
Frankreich beiJ.-B. Lully undJ.-Ph. Rameau ihre Hohe-
punkte. Lullys und Rameaus-* Entrees (-1) bilden klei-
nere und groBere S.n vornehmlich aus Gavotte, Saraban-
de, Bourree, Ritournelle und den verschiedenen Spielar-
ten des Air. Einen zweiten zentralen Platz nehmen in
Frankreich die kammermusikalisch besetzte S. (M. Ma-
rais, M. de la Barre, Fr. Couperin, J.-Ph. Rameau), die
Lauten- (D.Gaultier) und die Klavier-S. ein. Einen
Stammbestand bilden schon bei Chambonnieres die
Tanze Allemande, Courante, Sarabande, Gigue, die aber
oft in Bundeln desselben Typs oder um -> Doubles er-
weitert auftreten und seit L. Couperin, d'Anglebert
und Lebegue um Gavotte, Bourree, Menuet und tanz-
freie Formen (z. B. Prelude, Chaconne, Passacaille) er-
ganzt sind. Bunte Vielfalt in den Satzkombinatio-
nen zeigen die S.n von J.-Ph. Rameau und vor allem
von Fr. Couperin, dessen Ordres vorwiegend tanzfreie
Stiicke mit charakterisierenden Uberschriften in freier
Folge vereinigen.
In Deutschland entstand die S. nach 1600 aus Samm-
lungen von Einzeltanzen, Tanzpaaren und tanzfreien
Satzen fiir Ensemble, die in beliebiger Folge zusammen-
gestellt werden konnten (hierzu Praetorius Synt. Ill, S.
110). Innerhalb dieses Repertoires (u. a. von V.HauB-
mann, H. L. HaBler, Scheidt, M. Franck, M. Praetorius,
Hammerschmidt) bilden lediglich Peuerls Newe Padou-
an (1611) und Scheins Banchetto musicale (1617) eine Aus-
nahme, insofern beide Meister die jeweils gewahlte Satz-
folge innerhalb einer Sammlung beibehalten (Peuerl:
Padouan in (£ - Intrada in (£3 - Dantz in $ - Galliarda
in <f3; Schein: Padouana in (J - Gagliarda in 3 - Cou-
rente in 6/4 - Allemande in - Tripla in 3) und daruber
hinaus die Satze ihrer S.n durch frei gehandhabte Varia-
tionstechnikverbinden(»Variationen-S.«). Beide Merk-
male blieben in dieser Konsequenz der italienischen
und der franzosischen S. der Zeit fremd. Doch wandten
sich auch die deutschen Meister nach Peuerl und Schein
(J.J.Lowe, Kelz, Rosenmuller, D.Becker, Scheiffelhut)
von Variation und stereotypen Satzfolgen wieder ab
und konzipierten ihre S.n als verschiedenartige Anein-
anderreihungen von Pavane, Galliarde, Allemande,
Courante, Sarabande, Gigue, Arie, Ballo (Ballett), In-
trada. Neu ist bei ihnen vor allem die Einfuhrung tanz-
freier Einleitungssatze (z. B. bei Lowe, Kelz, Rosen-
muller), die sich in Rosenmiillers Sonate da camera (1667)
zu mehrteiligen, der italienischen Ouvertiire ange-
naherten Sinfonie weiten. Ein zweiter Typ der S., der
in die Ouvertiiren-S. einmiindete, entwickelte sich in
Deutschland nach dem Vorbild des franzosischen Bal-
letts ; er erscheint, anf angs meist als »nach Franzosischer
Manier« ausdriicklich deklariert, bei J. H. Schmelzer,
Poglietti, G.Bleyer, R.I.Mayer, Kusser, Ph. H.Erie-
bach, Georg Muffat, J. C. F. Fischer und Fux, G. Ph. Te-
lemann, Handel (»Wassermusik«, »Feuerwerksmusik«)
und J.S.Bach (Ouverturen BWV 1066-1070). - Star-
ker als die Orchester-S. konzentrierte sich die Klavier-
S. auf einen bestimmten Typ, bei Froberger auf die
Satzfolge Allemande-Gigue-Courante-Sarabande, bei
B. SchultheiB, Weckmann, Reinken, Buxtehude und G.
Bohm auf dieselben Tanze mit abschliefiender Gigue.
Allerdings bildet das schlichte 4satzige Modell eher
die Ausnahme; es wurde durch Vorspann freier Einlei-
tungssatze (Poglietti, F. T. Richter, Kuhnau) und durch
Einschub franzosischer Tanze vor allem zwischen Sara-
bande und Gigue (Menuett, Bourree, Gavotte, Air,
Passepied) vielfaltig erweitert (J.Krieger, J.Pachelbel,
Kuhnau). Aus einer Synthese von deutscher und fran-
zosischer Tradition sind J. S. Bachs S.n fiir Klavier, Vio-
line solo und Violoncello solo (Viola pomposa) erwach-
sen. Dabei verfahrt Bach innerhalb jeder Sammlung
nach einem bestimmten zyklischen Plan, der wiederum
in jeder einzelnen S. eine individuelle Auspragung er-
fahrt. Das Prinzip zyklischer Bildung wird vor allem
an der Handhabung der Einleitung deutlich (Franzosi-
sche S.n ohne freie Einleitungssatze ; Englische S.n und
S.n fiir Violoncello solo mit Prelude; Partiten mit ver-
schiedenen Einleitungstypen : Praeludium, Sinfonia,
Fantasia, Ouvertiire, Praeambulum, Toccata), aufier-
dem an der Art der Einschube weiterer Satze in das
meist aus der Folge Allemande-Courante-Sarabande-
Gigue gebildete Geriist: in den Franzosischen S.n (mit
Ausnahme der ersten S.) jeweils 2-4 verschiedene Tan-
ze, in den Englischen S.n und den S.n fiir Violon-
cello solo stets 2 gleiche Tanze zwischen Sarabande und
Gigue; in den Partiten aufier Einschiiben zwischen
Sarabande und Gigue auch solche zwischen Courante
und Sarabande. Demgegeniiber legt Handel in seinen
Klavier-S.n, vor allem in der ersten Sammlung von
1720, jeder S. einen vollig eigenen Aufbau zugrunde
und folgt neben deutschen, franzosischen und engli-
schen auch italienischen Vorbildern, speziell aus dem
Bereich der Sonata da camera.
"Wahrend sich um die Mitte des 18. Jh. die S., ausge-
nommen im Ballett, zunehmend in einer Reihe von
Mischf ormen (-»- Divertimento - 1 , -5- Kassation, ->• Se-
renade) aufloste, wozu auch die zahlreichen Partien fiir
Blaserbesetzung (-> Harmoniemusik) zu zahlen sind,
gewann die S. als Gattung vereinzelt bereits zu Ende
des 18. Jh., vor allem aber im spaten 19. und im 20. Jh.
aufs neue Interesse. Die S. erschien nunmehr 1) als
Nachahmung der barocken S. (W.A.Mozart, S. fiir
Kl., K.-V. 399; Fr.Lachner, Orch.-S.n; Saint-Saens, S.
archaique; Grieg, Fra Holbergs Tid; Reger, S. im alten
Stil; Schonberg, S. fiir Kl. op. 25; Egk, Franzosische S.
919
nach Rameau), 2) als S. neuer Tanze, auch aus den Ge-
bieten von Jazz und Volkstanz (B.Bartok, S.n op. 3,
op. 4, op. 14, Tanz-S., Kleine S. ; Hindemith, S. »1922«
op. 26; Kfenek, Kleine S. op. 13a, 2 S.n op. 26), 3) als
S. aus Balletten (Tschaikowsky, »Dornroschen«, »Der
NuBknacker«; Strawinsky, »Der Feuervogel«) oder als
Nachbildung der Ballett-S. (Reger, Eine romantische S.
op. 125, Eine Ballett-S. op. 130), 4) als S. aus Schau-
spielmusiken (Bizet, S. L'Arle'sienne; Grieg, »Peer-
Gynt-S.«), 5) als Folge programmatischer Tonbilder
(Bizet, Jew* d'enfants; Massenet, Scenes hongroises u. a.;
Mussorgsky, »Bilder einer Ausstellung«; Reger, Viet
Tondichtungen nach A.Bocklin op. 128), 6) in neuer und
neuester Zeit allgemein als Reihung verschiedenartiger
Satze (A. Berg, Lyrische S. fiir Streichquartett 1925/26).
Lit.: H. Riemann, Zur Gesch. d. deutschen S., SIMG VI,
1904/05; T. Norlind, Zur Gesch. d. S„ SIMG VII, 1905/
06; Vingt suites d'orch. du XVH C s. fr?., 1640-70, 2 Bde,
hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906; J. Wolf, Die
Tanze d. MA, AfMw I, 1918/19; K. Nef, Gesch. d. Sinfo-
nie u. S., = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen XIV, Lpz.
1 92 1 ; P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 2. Half-
te d. 17. Jh., StMw VIII, Wien 1921 ; H. Besseler, Beitr.
zur Stilgesch. d. deutschen S. im 17. Jh., Diss. Freiburg
i. Br. 1923, maschr.; E. Brandt, S., Sonate u. Symphonie.
Ein Beitr. zur mus. Formenlehre, Braunschweig (1923);
Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchesters im 15. u.
16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; G. Spar-
mann, E. Reusner u. d. Lautens., Diss. Bin 1926, maschr. ;
W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbiichern,
Lpz. 1927; K. Geiringer, P. Peuerl, StMw XVI, Wien 1929;
G. Oberst, Engl. Orchesters. um 1600, Wolfenbiittel 1929;
J. Dieckmann, Die in deutscher Lautentabulatur uberlie-
ferten Tanze d. 16. Jh., Kassel 1931 ; L. Schrade, Die hs.
Uberlief erung d. altesten Instrumentalmusik, Lahr 193 1 ; R.
Munnich, Die S., = Mus. Formen in hist. Reihen IX, Bin
(1932), neu bearb. v. H. W. Schmidt, Wolfenbiittel (21958) ;
E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17. Jh. in Nord- u.
Mitteleuropa, = Heidelberger Studien zur Mw. II, Kassel
1934 ; E. Epstein, Der frz. EinfluB auf d. deutsche Klaviers.
im 17. Jh., Diss. Bin 1940; M. Reimann, Untersuchungen
zur Formgesch. d. frz. Kl.-S., = Kolner Beitr. zur Musik-
forschung III, Regensburg 1940; B. Delli, Pavane u. Gal-
liarde, Diss. Bin 1957, maschr.; M. Pearl, The S. in Re-
lation to Baroque Style, Diss. NY Univ. 1957, maschr. ; G.
Reaney, The Ms. Brit. Mus., Add. 29987 (Lo), MD XII,
1958; Fr. W. Riedel, Quellenkundliche Beitr. zur Gesch.
d. Musik f. Tasteninstr. in d. 2. Halfte d. 17. Jh., = Schrif-
ten d. Landesinst. f. Musikforschung Kiel X, Kassel 1960;
H. Beck, Die S., = Das Musikwerk XXVI, Koln (1964);
ders., L. Allegris »Primo Libro Delle Musiche« 1618,
AfMw XXII, 1965; D. Starke, Frobergers Suitensatze,
Diss. Munchen 1964. HBe
suivez (suiy'e, frz., folget!) fordert wie colla parte eine
sich der frei vortragenden Solostimme anpassende Be-
gleitung.
sulla tastiera (ital.) ->- flautato.
sul ponticello (Jul pontitj'ello, ital.; frz. au chevalet,
am Steg), ein Bogenstrich, dessen Kontaktstelle (->- Bo-
genfuhrung) moglichst nahe am Steg liegen soil. Bei
relativ schneller Strichgeschwindigkeit wird damit ein
Klangeffekt erzielt, der durch sehr starke und hohe,
zum Teil unharmonische Obertone und durch einen
nur geringen Anteil an Grundton gepragt ist. -> flau-
tato.
Sumber (mhd.) -> Trommel.
Sumerische Musik. Heutige Vorstellungen von der
Musik der Sumerer griinden sich auf Ausgrabungsfun-
de: Uberreste von Instrumenten, Texten (ab 3500 v. Chr.
in Keilschrift) sowie Abbildungen von Instrumenten
und Musikszenen. Demnach war die Musik mit dem
Kult verbunden, sowohl die klagende als auch die freu-
dige, preisende; ihre Pflege oblag Priestermusikern mit
920
den entsprechend getrennten Tempelamtern Gala und
Nar. Bei beiden Amtern gab es Rangstufen; die Amter
wurden ererbt, spater auch gekauft und konnten auch
von Frauen verwaltet werden. Namen von Musikern
und Musikerfamilien sind seit der Mesilim-Zeit (um
2600-2500 v. Chr.) bekannt. Die wichtigsten Instru-
mente waren Leiern (deren Schallkasten eine Stiergott-
heit abbildete) und Harfen (3-15 Saiten). Das Schrift-
zeichen Balag hat die Form einer Schaufelharfe; damit
ist ein Name fiir diese Harfe gesichert. Von den zahl-
reichen weiteren Instrumentennamen kann nur Lilis
(Trommel) einem Instrument fest zugeordnet werden.
Trommeln sind moglicherweise mit dem Einbruch ei-
nes fremden Stammes nach Sumer gekommen. Es gab
kleine, von Frauen gespielte Handtrommeln, spater
auch groBe runde Tempeltrommeln, dazu noch sichel-
formige Klangstabe. Die Musik stand immer im Zu-
sammenhang mit dem Wort. Einige Liedgattungsna-
men enthalten die Bezeichnung eines Instrumentes und
damit einen Hinweis auf die Begleitung, andere weisen
auf poetische Formen hin.
Lit.: F. Stummer, Sumerisch-akkadische Parallelen zum
Aufbau alttestamentarischer Psalmen, = Studien zur
Gesch. u. Kultur d. Altertums XI, Paderborn 1922 ; Fr. W.
Galpin, The Music of the Sumerians . . ., London 1937,
Neudruck = Slg mw. Abh. XXXIII, StraBburg 1955; M.
Wegner, Die Musikinstr. d. alten Orients, = Orbis anti-
quus II, Minister i.W. 1950; A. Falkenstein u. W. v. So-
dan, Sumerische u. akkadische Hymnen u. Gebete, Zurich
u. Stuttgart (1953); W. Stauder, Die Harfen u. Leiern d.
Sumerer, Ffm. 1957; H. Hartmann, Die Musik d. sumeri-
schen Kultur, Diss. Ffm. 1960.
Summationston -s- Kombinationstone.
Superius (lat.) -*Sopran(-l).
Surinam -> Guayana.
sur la touche (stir la tuf, frz.) -> flautato.
Suspension (siispasj'5, frz.), - 1) -»• Vorhalt; - 2) bei
Fr. Couperin (1713; siehe Beispiel a) und bei J.-Ph.
Rameau (1724; Beispiel b) in den Verzierungstabellen
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zu ihren Pieces de clavecin Bezeichnung fiir ein verspate-
tes Einsetzen des mit einem besonderen Zeichen ver-
sehenen Tones.
Suspiratio (lat., Seufzer), in der Kompositionslehre
des 17./18. Jh. eine musikalisch-rhetorische Figur: Un-
terbrechung des Melodie- bzw. Sprachflusses oft bis
zur Trennung der Silben eines Wortes durch eine oder
mehrere Pausen, wodurch - mit den Worten A. Kir-
chers (Musurgia, 1650) - gementis et suspirantis animae
affectus ausgedruckt werden. Die-
se Art des Pausierens ist vornehm- |
lich durch das Madrigal der italie- <
nischen Spatrenaissance bekannt ,
geworden (Beispiel aus Caccinis
Fuggilotio musicale), wo sie insbesondere zur Nachah-
mung des Seufzens oft begegnet. Ein sprechendes Bei-
spiel findet sich in den MusicalischenExequien von Schiitz:
r -t r r
im
So - spi-ra - te
ist
es Miih und Ar - beit
Suspirium, auch Suspiratio (lat., Aufatmen, Seufzen;
frz. soupir; ital. sospiro) heifit in der Psalmodie und in
der modalen Mehrstimmigkeit ein Einschnitt von kur-
zer, unbestimmter Dauer (J. de Garlandia: apparens
pausatio, et non existens . . . minor recta brevi, ed. Cserba,
S. 207), durch den die letzte Note einer Tonfolge ver-
kiirzt wird (Anon. IV, CS 1, 350b). Das S. bedarf keines
Zeichens, kann aber in der Modalnotation durch -> Di-
visio modi (-1) oder Silbenstrich vorgeschrieben wer-
den. - In der Mensuralmusik kann jede kurze Pause S.
heiBen; bei Lambertus gilt S. breve eine Brevis recta
(Zeichen: ee), Semi-S. maius und minus eine Semi-
brevis maior und minor (i,x),bei Vicentino eine Mi-
nima (r), bei Buchner eine Fusa (f), spater, in Frank-
reich bis heute (-»■ Soupir), eine Semiminima (Viertel-
note). - Die Tabulaturen des 15./16. Jh. setzen am Takt-
anfang haufig S. statt der Verlangerung der voran-
gehenden Note.
Sustaining pedal (sast'e : nirj pedl, engl.) -+ Toti-
haltungspedal.
s. v., Abk. fur -*■ sotto voce.
Sv|rala (serbokroatisch), Sammelnamefiirjugoslawi-
scheFloten, besonders Kernspaltfloten (zumTeil Schna-
belfloten) mit 6 Grifflochern. Beim Spiel zum Tanz
gibt der Sv.-Blaser wahrend des Spiels einen Brumm-
ton von sich. - Bei den (in Serbien audi Diidiik ge-
nannten) Sv.-Blockfl6ten mit hinterstandigem Auf-
schnitt kann dieser teilweise mit der Unterlippe be-
deckt werden, wodurch ein starkeres Blasen ohne
Oberblasen ermoglicht wird.
Swing, Swing-Ara. Unter Sw. versteht man die
Spielweise des ->■ Jazz zwischen etwa 1930-45 (Sw.-
A.), deren Ausbildung eng mit der Entstehung der
— >- Big bands verbunden ist. Schon seit Mitte der
1920er Jahre hatten fiir Engagements in groBen Clubs
und Tanzhallen (New York) audi f arbige Jazzmusiker
in Anlehnung an die Schauorchester der WeiBen (P.
Whiteman) grofiere Ensembles zusammengestellt: in
New York Fl. Henderson (1924), D.Ellington (1926),
ebenso im -> Kansas-City-Jazz Benny Moten (1926),
dessen Orchester in den 1930er Jahren unter C.Basie zu
einer der erfolgreichsten Big bands der Sw.-A. wurde.
Weitere fiir die Entwicklung des Sw. wichtige Orche-
ster farbiger Musiker leiteten Jimmie Lunceford (ab
1927), Chick Webb (ab 1931) und der aus der Tradition
des -> New-Orleans-Jazz kommende Luis Russel (ab
1929). Aber auch weiBe Jazzmusiker bemiihten sich
schon in derselben Zeit um die Auspragung einer Jazz-
spielweise in Big bands, so etwa das Casa Loma Or-
chestra (1925, ab 1928 unter Jean Goldkette) und die
Band von Ben Pollack (ab 1925), in der auch Musiker
des -*■ Chicago-Jazz spielten. Unter diesen befand sich
B. Goodman, der 1935 mit seiner eigenen Big band den
Hohepunkt der Sw.-A. herbeifiihrte und unumstritten
zum »King of Sw.« erklart wurde. Eine der letzten Big
bands der Sw.-A. leitete W.Herman (First Herd, 1944-
46), fiir den Strawinsky 1945 das Ebony Concerto ge-
schrieben hat. - Seit Mitte der 1930er Jahre begannen
sich aus den Big bands kleine Gruppen beruhmter So-
listen herauszulosen (Combo : Small band), die die Mu-
sizierweise des Sw. gleichsam in den kammermusikali-
schen Bereich iibertrugen (B.Goodman: Trio 1935;
Quartett 1936; Sextett 1939). Das experimentelle Mu-
sizieren dieser Combos, aber auch die in der Sw.-A.
auf gekommenen -*■ Jam sessions, bildeten wesentliche
Ausgangspunkte fiir den -> Be-bop. So endigte zwar
die Sw.-A. mit der Entstehung des Be-bop, der Sw.
selbst aber wirkt im gesamten modernen Jazz weiter. -
Musikalisch ist der Sw. gekennzeichnet durch eine Ver-
schmelzung negerischen Jazzmusizierens mit der euro-
paischen Musik, die eine grundlegende Umwandlung
fast aller wichtigen Merkmale des Jazz nach sich zog.
Symbol
Die Forderung nach einwandfreiem, virtuosem Zu-
sammenspiel der Big bands machte nicht nur hoheres
technisches Konnen der einzelnen Instrumentalisten,
sondern auch die Planung des Gesamtablaufs eines Jazz-
stiicks notig. Geeignetes Mittel dazu war das ->- Arran-
gement, das schlieBlich zur Jazzkomposition gefiihrt
hat (Ellington) und eine groBere Annaherung an die eu-
ropaische Harmonik (Impressionismus) mit sich brach-
te. Solisten (Klarinette, Saxophon, Trompete, Posaune,
Gesang, ebenso auch Schlagzeug und spater elektrische
Gitarre) traten immer starker in den Vordergrund, wo-
bei sich ihre virtuosen, teilweise improvisierten Soli
vom -»- Background der Big band abhoben. Die aus
der negerischen Folklore stammenden Momente der
Intonation (-> Dirty tones) wurden weitgehend zu
KlangefEekten umgeformt. Zur Steigerung am SchluB
von Stiicken wurde die -> Riff-Technik bevorzugt. -
Innerhalb der Sw.-A. wurden haufig die Grenzen zwi-
schen Jazz und kommerzieller Tanzmusik (Gl. Miller)
oder auch sogenannter Sweet music flieBend, woraus
sich ein weitreichender EinfluB des Sw. auf die Tanz-
und Unterhaltungsmusik bis in die 1960er Jahre er-
geben hat. EWa
swing, swinging (engl., schwingen, schwingend; im
Deutschen als Substantiv mit kleinem »s« geschrieben),
Bezeichnung der fiir den -> Jazz typischen melodisch-
rhythmischen Spannung, die sich durch die Uberla-
gerung von -> Beat (- 1) und -»■ Off-beat einstellt
und dem Jazzmusizieren seine rhythmische Intensitat
(->■ Drive) und mitreiBende Dynamik verleiht. Im
Prinzip kann jede Melodie in geradem Takt durch die
Verlagerung ihrer Akzente vom Beat auf den Off-beat
»swingend« vorgetragen werden (to swing a melody).
Dieses Phanomen hat in den 1930er Jahren dazu ge-
fiihrt, daB eine »swingende« Melodierhythmik im 4/4-
Takt als das fiir den Jazz entscheidende Kriterium an-
gesehen wurde. Daraus ergab sich, daB in dieser Ara
der Jazzentwicklung neben die Bezeichnung Jazz das
Substantiv ->■ Swing (mit groBem »S«) als Name fiir
die gesamte Musizierweise getreten ist.
Syllabe (griech. auXXa(3v), Zusammenfassung), die Sil—
be, zugleich (bei Philolaos) der alteste Name des spater
als ->• Diatessaron bezeichneten Quartintervalls. Die
Analogie beider beruht darauf , daB das Gef iige der Silbe
in der Sprache sich aus der harmonischen Verbindung
von Vokalen ((pcovr)£vxa) und Konsonanten (&<pa>-jot.)
ergibt, wie innerhalb der Oktavstruktur der Harmonia
die Quarte das kleinste Intervall ist, das aus symphonen
(auu^covoi, die beiden Rahmentone) und diaphonen
Klangen (Sitiipcovoi <p-9-6YY 01 . die beiden Innentone) be-
steht und das somit auf engstem Raum das Grundprin-
zip der -*■ Harmonia : die Zusammenfassung auseinan-
derstrebender Kraf te, verwirklicht.
Lit. : Die Fragmente d. Vorsokratiker I, hrsg. v. H. Diels
u.W.Kranz, Bin 71954.
Symblema (griech., Zusammenwurf, Verbindung)
-> Commissura.
Symbol (von griech. oiju.|3oXov, Merkmal, Zeichen).
Der auch in der Musikwissenschaf t oft sehr weit gef aB-
te Gebrauch des Begriflsworts S. kann dahingehend
eingeschrankt werden, daB Musik in der theoretischen
Durchdringung oder in der Art der Aufzeichnung oder
als Erklingen nur dann die Bedeutung eines S.s hinzu-
gewinnt, wenn ihr Sinn sich nicht in dem Wirklich-
keitszusammenhang erfiillt, der ihr das Dasein gibt,
sondern wenn sie dariiber hinaus noch etwas anderes
bedeuten soil. Ein Merkmal des S.s ist demnach die
Unangemessenheit von Erscheinen und Meinen, das
nachtraghche »Setzen« von Bedeutungen, die gegen-
921
Symbol
iiber den existentiellen Bedingungen der Musik nur
uneigentlich, erfunden, willkurlich, verabredet und so-
mit nicht unmittelbar wirksam sind. - In der Musik-
theorie wurden die -> Perfectio (- 2) und der Kreis, das
Zeichen des Tempus perf ectum, auch der -> Dreiklang
als S. der gottlichen Dreieinigkeit verstanden. Der Sinn
der Tonschrift, das Aufschreiben von Musik, kann als
-*■ Augenmusik in Richtung abstrakter BegriSlichkeit
symbolisch uberformt werden, z. B. auch durch das
jt-Zeichen (J.S.Bach, Kantate Ich will den Kreuzstab
gerne tragen, BWV 56). In der erklingenden Musik liegt
eine symbolische Uberformung des primaren Sinnes
kompositorischer Bildungen vor, z. B. in der Zahlen-
symbolik (eine S.-Zahl bezeichnet einen Begriff, z. B.
12 <ss Kirche, und wird in dieser Bedeutung z. B. als
Tone-, Take-, Stimmen- oder Satzzahl ausgepragt; vgl.
z. B. die 12 Choralsatze in J. S. Bachs Matthauspassion) ;
ferner bei Anwendung des Zahlenalphabets (A = 1,
B = 2, C = 3 usw., also z. B. BACH = 14; 14 Tone hat
z. B. die erste Melodiezeile in J. S. Bachs Choralsatz
Vor deinen Thron tret' ich Hermit, BWV 668, 41 Tone
[=J. S.BACH] hat hier die ganze Melodie; 158 Tone
[=JOHANN SEBASTIAN BACH] zeigt die gleiche
Melodie in Bachs Orgelchoral Wenn wir in hochsten No-
ten sein, BWV 641, im Orgelbiichlein); weiterhin in der
Tonbuchstaben-Symbolik (z. B. in dem mit den Tonen
b-a-c!-h beginnenden 3. Thema der Fuga a 3 Soggetti
in Bachs Kunst der Fuge; -*■ Soggetto cavato).
Jedoch im primaren Wirklichkeitszusammenhang der
erklingenden Musik hat der Begriff des S.s zunachst
keinen Raum, da die -> Musik in ihren Elementen und
Gestaltungsprinzipien nicht ein »Zeichen« oder »Sinn-
bild« fur Geistiges und Seelisches ist, sondern das Sub-
strat des Denkens und Empfindens selbst im Reich des
Horens. Daher ist die Musik in alterer Zeit auch nicht
als S. der kosmischen Harmonia oder der gottlichen
Weltordnung oder der menschlichen Innerlichkeit ver-
standen worden, sondern als deren Inbegriff. Auch die
Vokalmusik, die Sprache erklingen laBt und ihrem Sinn
entspricht, und die Instrumentalmusik, die Affekte oder
Stimmungen wiedergibt und als Tonmalerei und Pro-
grammusik ein begrifflich fafibares Sujet ins Musikali-
sche zu transferieren sucht, sind nicht symbolisch zu
verstehen, sondern als je geschichtlich bedingte Ver-
wirklichung von Moglichkeiten des Nachahmens, Ab-
bildens und Ausdruckens, die der Musik prinzipiell
innewohnen und sie als tonendes Sinngefiige konstitu-
ieren. So sind auch die musikalisch-rhetorischen -*■ Fi-
guren in ihrer bildlichen und affekthaften Bedeutung
keine S.e, sondern ihre Bedeutungskraft beruht auf
»Urentsprechungen« (Wellek, S. 107; Schmitz, S. 16f.)
und partiellen Ubereinstimmungen, die durch den Text
begrifflich konkretisiert werden konnen. Die Figuren
z. B. der -*■ Anabasis, -*■ Climax, -»■ Aposiopesis und
-> Parrhesia sind nicht »als Zeichen gesetzt« fur das
Aufsteigen, die emphatische Steigerung, das Schwei-
gen und das Verderbte; sie sind nicht Worter einer
Sprache, die man iibersetzen kann; sondern sie »sind«
als Erklingendes selbst das, was sie bedeuten. Auch die
sogenannte »deskriptive Musik« (-»■ Tonmalerei, -*■ Pro-
grammusik, ->• Symphonische Dichtung) beruht pri-
mar nicht auf »Zeichen« oder »Sinnbildern«, sondern
auf den Wirklichkeiten der partiellen Ubereinstim-
mung, des Empfindens und des Assoziierens von Ton-
und Klangqualitaten, der Sy nasthesie (->■ Farbenhoren) ,
der geschichtlichen Erfahrung (z. B. beim bedeutungs-
vollen Verwenden des »alten Stils« und beim musikali-
schen Zitat). - Die Grenze zwischen einerseits dem be-
grifflich Gemeinten und FaBbaren als Agens des musi-
kalischen Sinngefiiges und andererseits dem S., das als
willkurliche Setzung eines Zeichens dem unmittelbaren
Bedeuten zusatzlich eingestaltet ist, kann jedoch nicht
scharf gezogen werden. Das musikalische Analogon
z. B. einer realen Zahl (2 Jiinger sa 2 Stimmen oder 10
Gebote «f 10 Tonstufen) ist auch als Figur zu verstehen
(nach dem Prinzip der partiellen Obereinstimmung).
Dagegen kann die bildliche Bedeutung z. B. des Ka-
nons (»Nachfolgen«, »Gehorsam« u. a.), der Umkeh-
rung (»Umkehr«), des -> Krebsganges oder des -> Osti-
natos auch als symbolisch angesprochen werden in dem
Sinne, dafi die gemeinten Bedeutungen mit der Ent-
stehung jener Satztechniken primar nichts zu tun ha-
ben. Im Gegensatz dazu hat der intendierte Ausdruck
z. B. der ->■ Monodie oder des Stile concitato (->• Stil)
nichts Symbolisches, da er mit dem EntstehungsanlaB
dieser Satzarten identisch ist. Als S. im definierten Sinne
kann jedoch das -> Leitmotiv gel ten, das zunachst nur
bedeutet, was es als Musik ist, und erst durch einen
Akt der Verkniipf ung mit bestimmten Momenten der
Dichtung die ahnungsvolle Erinnerung bewirkt und uns
zu steten Mitwissern des tiefsten Geheimnisses der dichte-
rischen Absicht werden laBt (R.Wagner, Oper und Dra-
ma, 1851).
Erst seit dem beginnenden 19. Jh. ist »Dichten« im
Sinne des alien Kiinsten zugrunde liegenden »Poeti-
schen« nichts andres als ein ewiges Symbolisieren: wir
suchen entweder fur etwas Geistiges eine aufiere Hiille, oder
wir beziehen ein Aufieres auf ein unsichtbares Inneres (A.
W.Schlegel, S. 91); ahrilich auch Goethe: Das ist die
wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere re-
prasentiert ... als lebendig-augenblickliche Offenbarung
des Unerforschlichen (Maximen und Refiexionen, 1002).
Damit erfolgte jene Ausweitung des S.-Begriffs, die
ihn identisch werden lieB mit dem Sinn der Kunst. Die
»musikalische Symbolkunde«, die A.Schering syste-
matisch zu erforschen versuchte, hat es mit den Sinnge-
halten der Musik zu tun, mit dem, was hinter den Tonen als
geistiger Kern und Schopfungsmotiv steht (1935, in : Das S.
in der Musik, S. 122). Dabei unterscheidet Schering
zwischen »Gefuhlssymbolik« (. . . wo Tone oder Ton-
gruppen sich als Widerspiel gefiihlsmafiiger Zustande oder
Ablaufe aufdrangen, S. 134) und »Vorstellungssymbolik«
{die durch Vermittlung des Klangbildes die Vorstellung be-
schaftigt, S. 136), und er sieht die Musik als ein »Sym-
bolgewebe«, das zu schier unfafilicher Grofie anwachsen
kann (S. 138). Diese UnfaBlichkeit (die figiirliche Uner-
schopflichkeit, Schlegel) des Bedeutens ist nun allerdings
das Wesensmerkmal des neueren S.-Begriffs und wohl
der Grand, weshalb Scherings Forderung, die Welt als
Symbolwelt zu erforschen, sich im Dammer einer unge-
wissen Zukunft (S. 140) verlieren muBte. Andererseits
hatte Hegel fur den S.-Begriff die nuiganz willkurliche
Verkniipfung von sinnlicherExistenz und Bedeutung als
maBgebend gesetzt, und er sah in der »symbolischen
Kunstform«, die durch die Unangemessenheit von Idee
und Gestalt charakterisiert ist, nur den Anfang der Kunst,
gleichsam eine Vorkunst . . ., welche hauptsachlich dem
Morgenlande angehbrt und durch die sklassische Kunst-
form« uberwunden wurde. Diesem S.-Begriff ent-
spricht es, wenn »Symbolik«, vor allem die S.-Zahl als
Trager magischen oder sakralen Gehalts, im Reich des
Klingenden heute gerade in der Primitivenwelt und in
auBereuropaischen Hochkulturen gesucht und gefun-
den wird. Damit jedoch hat der S.-Begriff jene Weite
zwischen der unaussprechlichen Sinnbildlichkeit hoch-
ster Kunst und den willkiirlichen Verkniipfungsreihen
primitiver Vorkunst gewonnen, die ihn als kunsttheo-
retischen Begriff fragwiirdig werden lieB, und die bei
seiner Verwendung die bestandig erneute Definition
erfordert.
Lit.: A. W. Schleoel, Vorlesungen iiber schone Lit. u.
Kunst (1801/02), in: Deutsche Literaturdenkmale d. 18.
922
Symmetric
u. 19. Jh. in Neudrucken XVII, hrsg. v. B. Seuffert, Stutt-
gart 1884; J. W. Goethe, Maximenu. Reflexionen, hrsg. v.
G. Miiller, ebenda 1943; G. W. Fr. Hegel, Asthetik, 2
Bde, hrsg. v. Fr. Bassenge, Ffm. (1965). - G. v. Keussler,
Zur Tonsymbolik in d. Messen Beethovens, JbP XXVII,
1920; K. Huber, Der Ausdruck mus. Elementarmotive,
Lpz. 1923; Fr.Heinrich, Die Tonkunst in ihremVerhaltnis
zum Ausdruck u. zum S., ZfMw VIII, 1925/26; M. Schle-
srNGER, Symbolik in d. Tonkunst, Bin u. Lpz. 1930; W.
Danckert, Urs. melodischer Gestaltung. Beitr. zur Typo-
logie d. Personalstile, Kassel 1932 ; ders., Tonreich u. Sym-
bolzahl in Hochkulturen u. in d. Primitivenwelt, = Abh.
zur Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XXXV, Bonn 1966
(mit weiterer Lit.); H. Prunieres, Mus. Symbolism, MQ
XIX, 1933 ; H. Goerges, Das Klangs. d. Todes im drama-
tischen Werk Mozarts, = Kieler Beitr. zur Mw. V, Wol-
fenbiittel 1937; M. Jansen, Bachs Zahlensymbolik, Bach-
Jb. XXXIV, 1937; Fr. Blume, Musik, Anschauung u. Sinn-
bild, in: Musik u. Bild, Fs. M. Seiffert, Kassel 1938; H. J.
Moser, Die Symbolbeigabe d. Musikerbildes, ebenda; M.
F. Bukofzer, Allegory in Baroque Music, Journal of the
Warburg Inst. Ill, 1939; Fr. Ll. Harrison, Symbolism in
Music, Queen's Quarterly XLVI, 1939; A. Schering, Das
S. in d. Musik, hrsg. mit einem Nachwort v. W. Gurlitt,
Lpz. 1941 (d. Nachwort audi in: Mg. u. Gegenwart II,
= BzAf Mw II, Wiesbaden 1 966) ; M. Schneider, El origen
mus. de los animales-simbolos en la mitologia . . . , Barce-
lona 1946; ders., Die hist. Grundlagen d. mus. Symbolik,
Mf IV, 1951 ; ders., L'esprit de la musique et l'origine du
symbole, Diogene, Nr 27, 1 959 ; Fr. Smend, J. S. Bach, Kir-
chenkantaten, Bin 1948, 3 1966; A. Schmitz, Die Bildlich-
keit d. wortgebundenen Musik J. S. Bachs, = Neue Studien
zur Mw. I, Mainz (1950); E. A. Lippmann, Symbolism in
Music, MQ XXXIX, 1953 ; M. Vogel, Die Zahl Sieben in
d. spekulativen Musiktheorie, Diss. Bonn 1955, maschr.;
K. Geiringer, Symbolism in the Music of Bach, Washing-
ton 1956; Fr. Feldmann, Numerorum mysteria, AfMw
XIV, 1957; A. Wellek, Musikpsychologie u. Musikasthe-
tik, Ffm. 1963 ; K. Veixekoop, Zusammenhange zwischen
Text u. Zahl in d. Kompositionsart J. Obrechts, TVer
XX, 1966. HHE
Symmetric (von griech. auu,u,eTpta, richtiges Verhalt-
nis, EbenmaB) bedeutet allgemein, daB die regelmaBige
Wiederholung oder Wiederkehr gleichartiger Glieder
oder Substanzen iiberformt ist durch gegenseitige Be-
ziehung und Korrespondenz, durch welche die Glieder
an Bedeutung gewinnen und das Ganze mehr ist als die
Abfolge oder Summe sich wiederholender Teile. -Wie
uberall in Natur und Kunst sind audi in der Musik ver-
schiedene Arten der S. zu unterscheiden:
1) S. im speziell zeitlichen (sprachlichen, metrischen)
Sinne als in der Regel aquidistante Aufeinanderfolge
von Gliedern, die nach dem Prinzip des »Aufstellens«
(Sich-Offnens) und »Antwortens« (Sich-SchlieBens)
einander korrespondieren und subordinieren und dabei
- meist in der Potenz von 2 - zu immer hoheren Ganz-
heiten sich zusammenschlieBen. Diese progressive Art
der musikalischen S., die auf Grund des Relationskon-
textes aller Glieder im hochsten MaBe Folgerichtigkeit,
Formkraft und FaBlichkeit besitzt, hat ihre natiirliche
Heimat in Lied (-> Melodie) und Tanz und ist von
hier aus mehrmals und in verschiedener Weise in die
Kunstmusik eingcdrungcn, z. B. in die Melismenkunst
des Organum- und Discantussatzes der Notre-Dame-
Epoche. So zeigt die ex semine-Klamel von Perotinus
(Beispiel: -*■ Discantus) in alien 3 Stimmen eine Folge
je zwei-»taktiger«, nach Melodiefiihrung und tonaler
Auspragung »auf stellender« und »antwortender« Glie-
der, - eine Korrespondenzmelodik (H.Besseler), die
pradestiniert ist fur die Rhythmus- und Reimbildung
der spater erfolgten motettischen Textierung (Mote-
tus: Ex semine / Abrahe divino / moderamine /...). Zuneh-
mende Bedeutung gewann die lied- und tanzartige S.
seit dem 17. Jh. in dem MaBe, in dem -»■ Takt und
-»• Periode fiir die Komposition bestimmend wurden.
Ihre hochste artifizielle Auspragung als Mittel einer
»rein musikalischen Sprache« fand sie in der Musik der
Wiener Klassik: das vielschichtige Sinngefiige der
-> Komposition entsteht hier metrisch, harmonisch,
melodisch, dynamisch usw. weithin vor dem Hinter-
grund oder in bestandiger Wiederkehr regelmaBiger
Aufstellungs- und Beantwortungsverhaltnisse, die auch
die »asymmetrischen« Bildungen als solche erst zur
Geltung bringen, d. h. als absichtliche Durchbrechung
der Norm. (Asymmetrie ist nur dort relevant, wo S.
prasent ist.) Von hier aus wurde die S. im primar me-
trischen Sinne (als Projektion des »inneren Gewichtes«
der Taktteile auf die Taktgruppen, -> Metrum - 3) zu-
nachst von G.Weber (1817), dann vor allem durch H.
Riemann (vor und nach 1900) zum Grundsatz aller mu-
sikalischen Formung erhoben. Fiir Riemann bildet das
aus zwei Zahlzeiten bestehende auftaktige Taktmotiv
die erste S. (das erste synthetische Gebilde metrischer Art),
demgegeniiber der folgende Takt als ihm antwortend,
zu ihm in S. tretend aufgefaftt wird; als das leitende Prinzip
seines Systems der musikalischen Rhythmik und Metrik
(1903) nennt Riemann die fortgesetzte Unterscheidung
von Aufstellung und Beantwortung (S. 305). Gleichwohl
sind die Musik und Musikauffassung des 19. Jh. weit-
hin gekennzeichnet durch die Abkehr von der dyna-
mischen Takt-, Taktgruppen- und Periodenkorrespon-
denz zugunsten einer neuen musikalischen -*■ Prosa (- 2) .
Schumann urteilte 1835 iiber Berlioz' Symphonie fan-
tastique im Blick auf die Struktur der einzelnen Phrase:
Fast nie entspricht der Nachsatz dem Vordersatz, die Ant-
wort der Frage. Liszt stellte der Instrumentalmusik, die
einem nach symmetrischen Plane angeordneten Viereck
gleicht, die Instrumental-Kompositionen der modernen
Schule gegeniiber (die es erfordern, daB der Kompo-
nist die Idee ausspricht, welche seiner Komposition zur
Grundlage gedient hat; an G. Sand, Januar 1837; ->Pro-
grammusik). Uberhaupt kamen die Tondichter, so ur-
teilte Busoni (Entwurf einer neuen Asthetik der Tonkunst,
1907), der wahren Natur der Musik am nachsten, wo sie
glaubten die symmetrischen Verhaltnisse aufier acht lassen
zu durfen.
2) S. im speziell raumlichen (geometrischen und archi-
tektonischen) Sinne als spiegelbildliche Anordnung der
Teile um eine ihnen unahnliche Mitte, die auch als
»stumme« Achse ausgebildet sein kann. Die spiegelbild-
liche oder axiale S. ist musikalisch ausgepragt als:
a) riicklaufige Wiederkehr der Formteile, wie z. B.
A B C B A. Sie wurde besonders von J. S. Bach als Bau-
plan fiir einzelne Satze verwendet (z. B. Duetto II im
III. Teil der Clavier-Vbung, BWV 803), vor allem aber
fiir zyklische Werke (z. B. Motette Jesu, meine Freude,
BWV 227; Credo der H moll-Messe, BWV 232; Mit-
telstiick der Johannespassion, BWV 245 ; Kantaten 1-3
des Weihnachtsoratoriums, BWV 248) ; die symmetri-
schen Entsprechungen der Satze werden durch Beset-
zung, Form, Texttypus, Tonart, Taktart und Thematik
hergestellt. S.-Bildungen hinsichtlich Tonart und Lan-
ge der Teile sind in Opernfinali W. A. Mozarts (Le Noz-
ze di Figaro, 2. und 4. Akt; Don Giovanni, 1. und 2.
Akt; Die Zauberflote, 1. und 2. Akt) festgestellt worden
(A. Lorenz 1927; H.Engel 1954). In den Biihnenwerken
R. Wagners fand A. Lorenz die S.-Form (»vollkomme-
ner Bogen«) auf Grund von Obereinstimmungen in
Lange, Tonarten, Motivik und Handlungsmomenten
als Bauprinzip groBerer Teile von Werken und im Ge-
samtablauf des Rheingolds. Symmetrische Formanlage
weisen in neuerer Zeit auf z. B. Bartoks Musik fiir
Saiteninstr., Schlagzeug und Celesta (auch der Mittel-
satz selbst zeigt Bogenform) und sein Streichquartett
Nr V (hier ist auch der 1. Satz in sich symmetrisch
geformt).
923
Symmetrie
b) ->- Krebsgang einer oder mehrerer sukzessiv oder
simultan vorzutragender Stimmen oder eines ganzen
Satzteils oder Satzes, oft in Verbindung mit -> Um-
kehrung oder auch ausschlieBlich als Umkehrung des
Satzgefiiges (so in sukzessivem Vortrag bei J. S.Bachs
Spiegelfugen seiner Kunst der Fuge). Derartige axiale
(spiegelbildliche) S.n, die schon in der Musik des spaten
Mittelalters und des Barocks nicht selten sind, gibt es
haufig in der Neuen Musik des 20. Jh., in der dann die
Technik der -> Reihe den Krebs und die Umkehrung
uberhaupt zu einem Prinzip erhob. Als Beispiele sei-
en genannt: Schonberg, Pierrot lunaire op. 21 Nr 18:
symmetrischer Doppelkanon der 4 Melodieinstrumen-
te (Achse: Takt.10) ; Berg, Kammerkonzert: Takt 356-
360/361-365; Lyrische Suite, 3. Satz: der 3. Teil ist die
riicklaufige (verkiirzte) Reprise des 1 . Teils;Lwiw, 2. Akt,
Filmmusik : Takt 656-718 (Achse : Takt 687) ; Webern,
Symphonie op. 21, 2. Satz. Gegen die Anwendung des
BegrifEsworts S. auf derartige Bildungen kann einge-
wandt werden, daB die im Vor- und Riicklauf oder in
der Umkehrung einander entsprechenden Punkte mu-
sikalisch verschiedene Bedeutung haben und daher nicht
als korrespondierend gehort werden, bzw. daB die fur
die Musik wesentliche Zeitdimension, die durch »Ein-
richtlichkeit« und »Nichtumkehrbarkeit« zu definie-
ren ist (Wellek), die Krebs- und Umkehrungs-S. nur
im Notenbild (graphisch-raumlich), nicht aber klang-
lich faBlich werden laBt. Gleichwohl hat die spiegel-
bildliche S. musikalische Berechtigung nicht nur als
Spiel oder Symbol, sondern vor allem als eine Quelle
kompositorischer Erfindung eines Ordnungsgefiiges,
das uberdies auch das musikalische Horen wohl weit-
gehend zugleich mit dem zeitlichen Voranschreiten des
Geschehens wahrzunehmen vermag. Besonders in der
atonalen Musik ermoglicht die (fiktive) Gleichberech-
tigung aller Tone die Ableitung der Komposition
aus sich selbst durch das Verfahren der Umkehrung
und des Riicklaufs.
c) axiale S. der Klangbildung. Symmetrisch (im Sin-
ne von gleichformig gebildet) nennt H.Erpf (1927,
S. 72ff.) Klange, die aus lauter gleichen Intervallen
und somit gleichwertigen Tonen bestehen und daher
funktionslos auftreten konnen, z. B. Klein- und GroB-
terz-, Ganzton- und Quartenklang (zur kompositori-
schen Verwendung vgl. Schonbergs Kammersympho-
nieop. 9, 1906). Axial symmetrische Klange (z. B. gleich
der erste Klang in Weberns op. 3, 1908: hi-es2-b2-d3)
sind in der atonalen Musik grundlegend. Die symmetri-
sche Teilbarkeit (bzw. Ordnungsf ahigkeit) des atonalen
Tonvorrats, die »oben« und »unten« sowie »friiher« und
»spater« in einer gravitats- und ziellosen (»kreisenden«)
Gleichgewichtigkeit entstehen laBt, ist im Sinne sym-
metrischer Strukturen bisher wohl am konsequentesten
von Webern durchdacht und kompositorisch verwirk-
licht worden (hierzu Ligeti 1960).
Lit. : G. Weber, Versuch einer geordneten Theorie d. Ton-
setzkunst, 3 Bde, Mainz 1817-21, 4 Bde, 21824, 31830-32;
W. Werker, Studien fiber d. S. im Bau d. Fugen u. d. mo-
tivische Zusammengehorigkeit d. Praludien u. Fugen d.
Wohltemperierten Klaviers v. J. S. Bach, Lpz. 1922; A.
Lorenz, Das Geheimnis d. Form bei R. Wagner, 4 Bde,
Bin 1924-33, Nachdruck Tutzing 1966; ders., Das Finale
in Mozarts Meisteropern, Mk XIX, 1926/27 ; H. Erpf, Stu-
dien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik,
Lpz. 1927; Studium Generate II, 1949 (Beitr. zum S.-Be-
griffv. W. J. v. Engelhardt, K. L. Wolf, W. Troll, D. Frey
u. a.) ; Thr. G. Georgiades, Der griech. Rhythmus. Musik,
Reigen, Vers u. Sprache, Hbg 1949; K. L. Wolf u. D.
Kuhn, Gestalt u. S., Tubingen 1952; H. Engel, Die Finali
d. Mozartschen Opern, Mozart-Jb. 1954; G. Ligeti, tjber
d. Harmonik in Weberns erster Kantate, in: Darmstadter
Beitr. zur Neuen Musik III, Mainz (1960); G. Massen-
keil, Untersuchungen zum Problem d. S. in d. Instrumen-
924
talmusik W. A. Mozarts, Wiesbaden 1962; A. Wellek,
Musikpsychologie u. Musikasthetik, Ffm. 1963. HHE
Sympathiesaiten -*■ Aliquotsaiten.
Symphoneta (lat.) bezeichnet bei Glareanus (II, Cap.
XXXVIII u. 6., 1547) den Komponisten, der im Un-
terschied zum -> Phonascus die Kunst des vielstimmi-
gen Satzes beherrscht (si quis ad ... Tenorem addat treis,
plureisve voces), wie L. Senfl, nostra aetate inter sympho-
netas eximium nomen. - Symphoniacus (lat., zur sym-
phonia gehorig) bezeichnet in der romischen Antike
einen Dudelsackblaser oder Orchestermusiker (vgl.
Wille, S. 328), seit den romischen Scholae cantorum
bis in die Neuzeit einen Sangerknaben.
Lit. : G. Wille, Die Bedeutung d. Musik im Leben d. R6-
mer, Diss. Tubingen 1951, maschr.
Symphonetta -*■ Concertina.
Symphonie (ital. sinfonia, von griech. (n)u,<p(ov[a,
Ubereinstimmung, Harmonie) gehort (wie die lat.
Lehniibersetzung consonantia) zu den wenigen originar
musikalischen "Wortern und bedeutet in der Antike
speziell: 1) die Intervalle Quarte, Quinte und Oktave;
2) das Zusammenklingen in der Spharenharmonie;
3) bestimmte Musikinstrumente. Mit beginnender
Mehrstimmigkeit im 9. Jh. (-»■ Diaphonia) bezeichnet
symphonia (neben -*■ concordantia) die Konsonanzen
Oktave, Quinte und Quarte (simplices symphoniae)
auch beim Zusammensingen (in unum canendo, GS I,
165b); daneben Musikinstrumente (Drehleier), und
allgemein Musik, Gesang (Guido von Arezzo, 11. Jh.).
Im Sprachgebrauch der griechischen Kirche scheint
(iouaixT) cro[x<p«vfac (im Gegensatz zur -9-eixr) ufivcpSta)
die Bedeutung von heidnischer, daher weltlicher In-
strumentalmusik erhalten zu haben. Auch im Westen
steht der Begriff S . seit christlicher Zeit dem instrumen-
talen Bereich (auf den er spater ganzlich iibergehen soll-
te) nahe. Im 15. und 16. Jh. bedeutet S. allgemein Mu-
sik; der Komponist wird als -> Symphoneta oder Sym-
phonista bezeichnet.
G. Gabrieli vereinigte in seinen Sacrae Symphoniae
(1597) erstmals unter der Sammelbezeichnung S., die
auch auf das Zusammenwirken von Instrumenten und
Stimmen im -> Concerto weist, instrumentale und
vokale geistliche Werke, die damit auf eine gemein-
same Ebene gehoben sind. H. L. HaBler und H. Schiitz
schlossen sich diesem Gebrauch des Begriffs S. an.
Nach 1600 bezeichnete S. immer haufiger instrumen-
tale Vorspiele bzw. Ritornelle, die oft akkordisch und
in gemessener Bewegung verlaufen. Hierher geho-
ren die S.n G. Gabrielis (Symphoniae sacrae, 1615), Gus-
sagos (Sonate, 1608), Malvezzis, L.Marenzios (Inter-
medii e concerti, 1591) und Monteverdis (im Orfeo, 1608).
Zu einem Typus wurde um 1650 die meist zweiteili-
ge, feierlich-getragene, dann fugierte venezianische
Opernsinfonia (Cavalli). Ihr Satz ist dem Vorbild Mon-
teverdis und der Kanzone und Sonate nach Gabrieli
verpflichtet. Schon seit 1650 naherte sich die veneziani-
sche Sinfonia durch Ausbau des fugierten Allegroteils
der franzosischen -> Ouvertiire. Ohne Riicksicht auf
Besetzung und Stimmenzahl nannte man S.n nach 1600
auch Stiicke, die weder Kanzonen noch Tanzsatze wa-
ren: z. B. die 4-5st. S.n von S.Rossi (1608) und die S.n
fur Cornetto (Zink), Violine und BaB von B.Marini
(1617). Noch Nicolaus a Kempis (1644) und nach ihm
in Deutschland D.Becker (1668), J.Petzold (1669), G.
L. Agricola (1670) u. a. nennen ihre Triosonaten S.n.
Als in Deutschland vor allem Rosenmiiller seinen
Tanzsuiten (Sonate da camera, 1667) eine freie Einlei-
tung voranstellte, bezeichnete er diese nach dem Vor-
bild der venezianischen Opernsinfonia als S. Teils in
der — v Mehrchorigkeit, teils im Satz der veneziani-
schen Kanzonen und Sonaten und im Triosonatensatz
wurzeln die Kirchen- und Konzert-S.n von G.Perti
(Messenvorspiele, handschriftlich Bologna), V. Albrici
(1654), M. Uccellini (1667), G. B. Bononcini (1685), Al-
binoni (1700) u. a. Die Bezeichnungen Concerto und
Sinfonia finden sich synonym nebeneinander. In die-
sen, alle Moglichkeiten der damaligen Instrumental-
komposition vereinenden Stvicken wird durch den 4st.
Streichersatz nach 1650 und durch die concertierende
Faktur der Boden fur das Concerto als instrumentale
Gattung bereitet (Torelli). Erst mit der Typisierung des
Satzes, die zur selben Zeit auch in Frankreich durch
Lully (5st. Streichorchester) erfolgte, war auch im ei-
gentlichen Sinne orchestrales Musizieren moglich. In-
nerhalb der neapolitanischen Opernsinfonia, die durch
A.Scarlatti (f 1725) und seine Nachfolger Fr.Feo, L.
Vinci, L.Leo, N.Porpora, G.B.Pergolesi und G.B.
Sammartini (f 1774) gepragt wurde, entstand auf der
Grundlage des Triosonatensatzes ein neuer beweglicher
Satz, an den die Vorklassiker ankniipf ten. Entscheidend
fur den Typus der Opernsinfonia ist nicht so sehr die
Dreisatzigkeit (Allegro-Andante-Allegro), die schon
friiher auftritt, sondern harmonische GroBflachigkeit,
besonders des ersten Allegros, Aneinanderreihung
gleichartiger Kadenzen, Kantabilitiit auch im schnellen
Tempo, kleinteilige periodische Gliederung, zyklische
Anlage und ein testes modulatorisches Grundgeriist im
Sinne von Exposition-Durchf iihrung-Reprise :
A B A
II- T-D. II. D-T-T. SI
Der Mittelsatz in der Paralleltonart hat gewohnlich
Siciliano- (6/8 oder 3/8), der letzte urspriinglich Tanz-
charakter (Menuett, Gigue 3/8). In der spateren Kon-
zertsinfonia hat der letzte Satz oft Rondoanlage oder
verbindet Rondo mit 3teiliger Form. Wesentlich zur
Entstehung des neuen Satzes hat die Arie mit ihrem
klaren Modulationsschema, ihren geschlossenen Ab-
schnitten (gegensatzliche Thematik) und ihrer cantab-
len Melodik beigetragen. GeneralbaBsatz und concer-
tierende Faktur wurden endgiiltig durch den Satz der
Opera buffa seit Pergolesi aufgegeben, der auch die
italienische Sinfonia nachhaltig beeinfluBte (S.n G.B.
Sammartinis, 1742). Dieser Orchestersatz fiir Streicher
mit harmoniefiillenden Blasern (Oboen, Hornern) ist
auch die Voraussetzung fiir die vorklassische Sympho-
nik der -> Mannheimer Schule, der -> Wiener Schu-
le (- 1) undJ.Chr.Bachs (ssingendes Allegro«). Vor al-
lem in Mannheim wurde die S. zu einer gewichtigen
Gattung, die auch im Konzert lebensfahig war (-> pe-
riodique). Wie in der italienischen Opernsinfonia do-
miniert der erste Satz. Um 1740, etwa gleichzeitig in
Mannheim und Wien, wurde das Menuett in die S. auf-
genommen. Ihrer Verbindung mit der italienischen
Oper, die als zentrale Gattung im 18. Jh. das Neue in
der Musik in sich vereinigte, verdankt es die S., daB sich
in ihr derWandel der Kompositionstechnik um 1720
mitvollzog. In der S., vor allem der deutschen und
osterreichischen Komponisten, trafen sich nun viele
Strome der Musik, wahrend die GeneralbaBgattungen
Suite, Concerto grosso und Triosonate bedeutungslos
wurden. Zu einer eigenartigen Synthese von Altem und
Neuem gelangte C. Ph.E. Bach in seinen S.n. Fiir S. und
Streichquartett der Wiener Klassik besonders wichtig
sind die oft als S.n bezeichneten Divertimenti, Serena-
den und Quadri in Siiddeutschland.
Als der eigentliche Schopfer der klassischen S. hat
J.Haydn zu gelten (1. S., Hob. I, 1, 1759). Seine 104
S.n bezeichnen den Weg, der unter Aufbietung al-
ler satztechnischen Moglichkeiten (u. a. auch Fuge,
Symphonie
Kanon) von suitenhafter Fiinf- und Sechssatzigkeit,
von Dreisatzigkeit (Opern-S.), vom Divertimento und
von Techniken des Concerto grosso bis zu den groBen
»Londoner« S.n fiihrt. Seit 1765 setzte sich bei Haydn
die Viersatzigkeit als Norm durch. Aber erst die Kom-
position aufeineganz neue besondere Art in seinen »Russi-
schen« Quartetten op. 33 (Hob. Ill, 37-42, 1781) er-
moglichte die einheitliche und nunmehr entschiedene
Konzeption der 12 »Londoner« S.n (Hob. I, 93-104,
1791-92 und 1793-95), die sein symphonisches Ver-
machtnis darstellen. Das Finale bildet nun ein machtiges
Gegengewicht zum ersten, oft durch eine langsame
Einleitung erofmeten Satz. DieEinheit des Werkes weiB
Haydn durch konzentrierte motivisch-thematische Ar-
beit vor allem innerhalb der ->- Durchfiihrung zu er-
reichen. Noch vor Haydns Londoner S.n sind die vier
groBen S.n W. A. Mozarts entstanden (D dur »Prager«,
K.-V. 504, Es dur, K.-V. 543, G moll, K.-V. 550, C dur
»Jupiter«, K.-V. 551). Wahrend Mozarts »Linzer« S.
(C dur, K.-V. 425) noch deutlich von Haydns S.n mit-
bestimmt wird, ist das Verhaltnis spater eher umge-
kehrt. Wie bei Haydn und spater bei Beethoven bilden
Anlage, Sinn des musikalischen Geschehens und satz-
technische Durchfiihrung bei Mozart eine untrennbare
Einheit (z. B. Finale der »Jupiter-S.«). Ahnlich wie
Haydn ging er vornehmlich vom Divertimento aus;
viele seiner friihen S.n stehen unentschieden zwischen
Divertimento und S. und erreichen bis 1782 meist nicht
die Bedeutung der groBen Blaserserenaden B dur, K.-
V. 361, Es dur, K.-V. 375, C moll, K.-V. 388. Beetho-
ven bringt, an Haydn ankniipfend (1. S. C dur op. 21,
1799, und 2. S. D dur op. 36, 1801/02), die Erfullung
der klassischen S. Seit der 3. S. (Es dur op. 55, Sinfonia
eroica, 1803) ist das Menuett durch das -> Scherzo (bzw.
scherzoartige Satze) ersetzt. Eine neue Schwere der
Aussage gelangt durch strenge satztechnische Arbeit zu
einer bis dahin unerhorten Unmittelbarkeit. In der 9. S.
(D moll op. 1 25 , 1 822-24) erf ahrt daslnstrumentale durch
die menschliche Stimme eine letzte Steigerung. Ganzlich
fiir sich stehen Schuberts »Unvollendete« (8. S. H moll, D
759, 1822) und seine »groBe« C dur-S. (D 944, 1828),
die ihre symphonische Einheit aus der Kraft der in-
strumentalen Liedmelodie beziehen.
Fiir R.Schumann (4 S.n, 1841-50) und Mendelssohn
Bartholdy (5 S.n, 1824-42, und 12 frtthe S.n ohne
op.) war die klassische S. die Norm; aber ihr Sinn
und damit ihr musikalischer Bau, der eine jeweils satz-
technisch bedingte Einheit hervorbrachte, wurde nicht
mehr verstanden; man iibernahm daher die »Form«
und die Attitude, wahrend einheitliche Stimmung und
Thematik oder ein Programm den musikalischen Zu-
sammenhang ergeben sollten (->■ Komposition). In
revolutionarer Weise sind diese Merkmale in der S.
fantastique (1830) von Berlioz, die von einer -»■ Idee
fixe durchzogen wird, zu finden. Hier erreicht die
Programm-S. (-> Programmusik) eine neuartige Aus-
pragung und nehmen die -> Symphonischen Dichtun-
gen von Liszt und R. Strauss ihren Anf ang. Die Sym-
phonik von Bruckner (9 S.n, 1865-96, und 2 friihe S.n)
bis zu C. Franck (S. D moll, 1889) steht stark unter dem
EinfluB des symphonischen, zum Teil leitmotivisch ge-
bundenen Orchestersatzes Wagners. Lediglich Brahms
(4 S.n, 1876-85) kniipfte bewuBt archaisierend (Passa-
caglia der 4. S.) mehr an Beethoven an. Mit dem Auf-
gebot groBter orchestraler und vokaler Mittel (Chor,
Soli) suchte G. Mahler in seinen 10 S.n (1888-1911) alles
bisher Gewesene zu symphonischer Einheit zu ver-
schmelzen. Aus dem Bestreben, der S. aus der Folklore
neues Leben zuzufiihren, erwuchsen die S.n von Dvorak
(9 S.n, 1865-93) und Tschaikowsky (6 S.n, 1868-93,
und Manfred-S., 1885). Diese Linie setzte sich fort in
925
Symphonie
den S.n Rachmaninows (3 S.n, 1895-1936), S.Prokof-
jews (7 S.n, 1908-52), Schostakowitschs (seit 1926 12
S.n) und Chatschaturjans (2 S.n, 1935 und 1943-44).
In den 7 S.n (1899-1924) von Sibelius fand Bruckners
Symphonik eine national gepragte Nachfolge. Die
Tradition von Berlioz und C.Franck, verbunden mit
der neuen Klanglichkeit des Impressionismus, f iihrte in
Frankreich zu den S.n von A.Roussel (4 S.n, 1906-34)
undP.Dutilleux (2 S.n, 1951-56). Weiterf uhrung spiit-
romantischer Traditionen bis zu Klassizismus und Ato-
nalitat verschiedenster Richtung kennzeichnen die S.n
von K.Szymanowski (4 S.n, 1907-32), Vaughan Wil-
liams (9 S.n, 1910-58), Kfenek (5 S.n, 1921-49), Cop-
land (3 S.n, 1928-46), A.Honegger (5 S.n, 1931-51),
G.Fr.Malipiero (9 S.n, 1933-50), Hindemith (6 S.n,
1934-59), Milhaud (8 S.n, 1939-58), Britten (Sinfonia
da Requiem op. 20, 1940), K. A. Hartmann (8 S.n,
1940-62), Henze (5 S.n, 1947-62), Toch (4 S.n, 1950-
57), Messiaen (Turangalila-S., 1948) u. a. Die Ab-
kehr vom Orchesterapparat des 19. Jh. und von der
romantischen Symphonik auBert sich in den mit Sin-
fonietta, kleine S. oder Kammer-S. benannten Stiik-
ken von Schonberg (2 Kammer-S.n op. 9, 1906, und op.
38, 1906-39), Britten (Simple Symphony- op. 4, 1925,
umgearbeitet 1934), Janacek (Sinfonietta, 1926), A.
Roussel (Sinfonietta op. 52, 1934) und Hindemith (Sin-
fonietta inE, 1950). In diesen Zusammenhang gehoren
auch die 6 kleinen S.n (1917-23) von Milhaud, wah-
rend Webern in seiner S. op. 21 (1928) die Idee sym-
phonischer Formung auf der Basis einer -»■ Reihe ver-
wirklichte. Strawinskys Symphonie de psaumes (1930),
S. en Ut (1940) und S. in drei Satzen (1945) sowie Pro-
kofjews »S. classique« (1917) sind kennzeichnend fiir
die klassizistische Periode der Neuen Musik. Konzeption
und musikalisches Verfahren in diesen Kompositionen
bedeuten jedoch als asthetisch-objektives Spiel mit mu-
sikalischen Moglichkeiten die endgultige Abkehr von
der klassischen Konzeption der S. Die fiir die radikale
Wendung der Neuen Musik reprasentativen Werke
fiihren daher meist nicht mehr die Bezeichnung S.
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Hdb.d.klass.u.romantischenS., Wiesbaden 1964. StK
Symphonie concertante (sefan'i kasert'a : t, f rz. , kon-
zertante Symphonie, auch substantiviert zu Concer-
tante, Konzertante; ital. sinfonia concertante), ein Ter-
minus der 2. Halfte des 18. Jh. fiir eine damals beliebte
und verbreitete Art von meist 3satzigen Kompositio-
nen fiir mehrere konzertierende Soloinstrumente und
Orchester. Vorbild fiir die S. c. war die Besetzung des
Concerto grosso mit einem Solistenensemble (-*■ Con-
certino - 2) ; sie steht in f ormaler und satztechnischer
Hinsicht dem Solokonzert (-»- Konzert - 1) naher als
der Symphonie. Aus dem 18. Jh. sind viele Werke, die
der Gattung der S. c. zuzurechnen sind (vor allem mit
solistischen Blaserpartien), unter dem Titel Concerto
(seltener Concertino), auch Duo en concert u. a. iiber-
liefert. Im 19. Jh. setzten sich dagegen fiir altere und
neuere Werke die korrekteren Bezeichnungen Dop-
pel-, Tripel- und Quadrupelkonzert durch, wahrend
sich die Benennung S. c. nur bei wenigen Werken des
Konzertrepertoires eingebiirgert hat (z. B. Mozart,
K.-V. 364). - Merkmale der S. c. sind: die Selbstandig-
keit der Gruppe der konzertierenden Solostimmen, die
oft mit Bravourkadenzen versehen sind; die Eroffnung
des 1 . Satzes durch ein Orchestertutti; die vorherrschen-
de (und nur von I.Pleyel iiberschrittene) Zwei- oder
Dreisatzigkeit und - gegeniiber der Symphonie - die
Haufigkeit von Rondofmales. - Die Konzertanten von
Holzbauer, moglicherweise vor 1753 in Wien entstan-
den, sind (nach Waldkirch) als die altesten Werke der
Gattung S. c. anzusehen, doch der Nachweis fiir die
Prioritat der Mannheimer Schule auf diesem Gebiet
scheitert an den nicht ausreichenden Datierungsmog-
lichkeiten. In Paris wurde die S. c. erstmals durch
Davaux 1770, nachhaltig durch C. Stamitz seit 1773 in
das Concert spirituel eingefiihrt; sie kam danach so
in Mode, daB in den letzten 2 Jahrzehnten des Ancien
regime Hunderte von S.s c.s entstanden (u. a. 38 Wer-
ke von C. Stamitz, 29 von Cambini). Von Paris strahlte
die Gattung in das iibrigeEuropa aus; neben den S.s c.s
vonjoh. Chr. Bach, Dittersdorf, J.Haydn (Hob. 1, 105)
und 5 Werken von I.Pleyel stammen die bedeutend-
sten Beitrage zu dieser Gattung von W.A.Mozart
(Concertone fur 2 V., K.-V. 190, 1773; Concerti fur 3
bzw. 2 Kl., K.-V. 242 und 365; 2 Werke fur das Con-
cert spirituel: K.-V. Anh. 9 und K.-V. 299, 1778; K.-V.
364 fiir V. und Va und die Fragmente K.-V. Anh. 56
und Anh. 104, 1778-79 in Salzburg) ; auch Beethovens
Tripelkonzert op. 56 (V., Vc. und Kl., auf einer ver-
schollenen Klavierstimme autograph als Konzertant
Konzert bezeichnet) ist noch zur Gattung der S. c. zu
zahlen. 1932 komponierte K. Szymanowski seine S. c.
op. 60 fiir Kl. und Orch., 1945 Fr. Martin seine Petite
S. c. (Cemb., Harfe, Kl. und 2 Streichorch.).
Lit. : L. de La Laurencie, L'ecole frc. de violon de Lully a
Viotti II, Paris 1924; Fr. Waldkirch, Die konzertanten
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H. Engel, Das Instrumentalkonzert, = Fiihrer durch d.
KonzertsaalIII,DieOrchestermusikI,3,Lpz. 7 1932;H.BoE-
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Mixed Woodwind Ensemble in the Classical Period, 2 Bde,
Diss. State Univ. of Iowa 1962, maschr.
Symphonie periodique (sefan'i perjod'ik, frz.)
-* periodique.
926
Symphonische Dichtung (frz. poeme symphonique;
ital. poema sinfonico; engl. symphonic poem) bezeich-
net die Gattung der meist einsatzigen (nicht aus abge-
trennten Einzelsatzen bestehenden) orchestralen Pro-
grammkompositionen des 19. und 20. Jh., die beson-
ders mit den Namen Liszt (17 S. D.en, 1847/48-60)
und R.Strauss (10 S. D.en, 1886-1915) verbunden ist.
Das Begriffswort S. D. wurde von Liszt gepragt, der
erstmals 1854 seine Ouvertiire Tasso (komponiert 1849)
so benannte und die Bezeichnung bald auf alle seine
derartigenWerke ausdehnte (Brief an H. v. Biilow vom
24. 4. 1854), auch auf Werke wie Orpheus, Festklange
und Hungaria, die der Programmusik ferner stehen. -
Vorlaufer der S.n D. waren die orchestralen Arten und
Gattungen der -> Programmusik, besonders die mehr-
satzige Programmsymphonie (Symphonie a program-
me) bzw. Sinfonia caracteristica (wie Beethoven seine
Pastoralsymphonie bezeichnete) und spezieli Berlioz'
Idee eines drame instrumental (Symphonie fantastique,
1830), bei dem le programme . . . doit etre considiri comme
le texteparlid'un opera. Ausgangspunkt fur die S. D. war
im engeren Sinne die -> Ouverture bzw. Konzert-
ouvertiire (Liszt bezeichnete seine S.n D.en vor 1854 als
Ouvertiiren), vor allem die dramatischen Ouvertiiren
Beethovens (hierzu "Wagner, S. 189ff.). - Der Name S.
D. kennzeichnet Liszts grande idie der Erneuerung der
Musik durch ihre alliance plus intime avec lapoesie (Brief
an Agnes Street-Klindworth vom 16. 11. 1860). Liszt
unterscheidet zwischen dem specifischen Symphoniker
(f iir dessen Offenbarungen . . . es keine Namen und keine
Bezeichnung giebt) und dem dichtenden Symphonist . . . ,
der sich die Aufgabe stellt, ein in seinem Geist deutlich vor-
handenes Bild, eine Folge von Seelenzustanden, die ihm un-
zweideutig und bestimmt im Bewufitsein liegen, ebenso klar
wiederzugeben, - warum sollte er nicht mit Hilfe eines Pro-
grammes nach vollem Verstandnis streben?! (Liszt, S. 50).
Dabei sublimiert der musikalische Dichter das poetische
Objekt ganz nach dessen konkretem Gefiihlsgehalte, der
sich einzig bestimmt eben nur in der Musik geben I'dfit (Wag-
ner, S. 194). Mittel zur S.n D. boten die auch in der de-
skriptiven Vokalmusik und im -> Melodrama gestei-
gerten Moglichkeiten der ->• Tonmalerei, auch etwa
die -> Leitmotiv-Technik, doch vor allemjene charak-
terisierende, assoziati ve Kunst des symphonischen Dich-
tens, an deren Ausbildung zu sprechender Bestimmtheit
(Wagner, S. 195) Liszt den entscheidenden Anteil hatte
und die R. Strauss zu einem Punkt f iihrte, von dem aus
eine Weiterentwicklung in gleicher Richtung sich von selbst
verbietet (Klauwell, S. 420). In ihrer Formbildung ent-
stand und entwickelte sich die S. D. - wiewohl sie sich
bestandig mit Sonatensatz und Sonaten-Satzzyklus aus-
einandersetzte - als Oberwindung der zur Formel er-
starrten Form der Wiener Klassik, kraft der Befruchtung
durch eine poetische Idee (R. Strauss an H. v. Biilow am
24. 8. 1888). Denn die neue [nachklassische] Form ist not-
wendig diejedesmal durch den Gegenstand und seine darzu-
stellende Entwicklung geforderte. Und welches ware dieser
Gegenstand? - Ein dichterisches Motiv. Also - erschrecken
Sie !- »Programmusik« (Wagner, S. 191). R. Strauss, der
seine S.n D.en meist »Tondichtungen« nannte (diese
Bezeichnung wahlte schon C.Loewe 1830 fur sein Or-
chesterwerk Mazeppa nach Byron), hat in Don Juan
(1887/89) den Sonatensatz, in Till Eulenspiegels lustige
Streiche (1894/95) die Rondoform und in Don Quixote
(1896/97) die Variation zumTrager der poetischen Idee
erhoben. — S. D.en schrieben auBer Liszt und Strauss
u. a. Smetana ab 1858, Draeseke ab 1860, N.Rimskij-
Korsakow ab 1867, Tschaikowsky ab 1868, Saint-Saens
ab 1869, C.Franck ab 1876, D'Indy ab 1880, Borodin
1880, H.Wolf 1883/85, Glasunow 1885, Sibelius ab
1892, Dvorak ab 1896, Skrjabin ab 1896, Debussy ab
Syncopatio
1903, Schonberg 1903 (und schon 1899, im Bereich der
Kammermusik, das Streichsextett Verkldrte Nacht nach
Dehmel), Bartok 1903, Strawinsky 1909, Reger 1913,
O.Respighiabl917).
Lit.: Fr. Liszt, Berlioz u. seine »Harold-Symphonie«, in :
Gesammelte Schriften IV, hrsg. v. L. Ramann, Lpz. 1882;
R. Wagner, t)ber Fr. Liszt's S. D. (1857), in: R. Wagner,
Samtliche Schriften u. Dichtungen V, Lpz. 31898; O. A.
Klauwell, Gesch. d. Programmusik . . ., Lpz. 1910; P.
Raabe, Die Entstehungsgesch. d. ersten Orchesterwerke Fr.
Liszts, Diss. Jena 1916; E. Zador-Zucker, Uber Wesen
u. Form d. sinfonischen Dichtungen, Diss. Miinster i. W.
1921, maschr. ; J. Heinrichs, Ober d. Sinn d. Lisztschen
Programmusik, Bonn 1929 ; J. Weber, Die S. D. Fr. Liszts,
Diss. Wien 1 929, maschr. ; J. Bergfeld, Die f ormale Struk-
tur d. »S. D.« Fr. Liszts, Eisenach 1931 ; R. Mendl, The
Art of the Symphonic Poem, MQ XVIII, 1932; E. Wach-
ten, Das Formproblem in d. sinfonischen Dichtungen v.
R. Strauss, Diss. Bin 1933; J. Chantavoine, Le poeme
symphonique, Paris 1950. HHE
Symploke (griech., Verflechtung; lat. complexio, com-
plexus, conexum, communio), in der Kompositions-
lehre des 17./18. Jh. eine in Analogie zur Rhetorik ge-
bildete musikalische Figur, ahnlich der -*■ Epanalep-
sis : Wiederholung des Anfangs einer Periode an deren
Ende. Nucius (1613) vermerkt ausdriicklich die An-
lehnung an die Rhetorik: Quid est Complexio? Cum
Harmoniae initium in fine repetitur, ad imitationem Poeta-
rum, qui saepe uno eodemque vocabulo versum incipiunt et
claudunt. Die gleicheErklarung findet sich haufig bis zu
Koch (1802). - Demgegeniiber erklart Burmeister die
S. als die gleichzeitige Verwendung eines (j und \> in-
nerhalb eines Zusammenklanges.
Synaphe (griech., das Zusammengreifen; lat. con-
iunctio) heiBt in der griechischen Musiklehre die Ver-
bindung zweier Tetrachorde der Art, daB der hochste
Ton des tieferen Tetrachords zugleich als tiefster Ton
des hoheren gilt. Das hohere Tetrachord wird dann
Tetrachordon synemmenon (lat. tetrachordum con-
iunctum) genannt. Tritt S. an die Stelle einer Diazeuxis,
d. h. wird ein Tetrachord um einen Ganzton tiefer
transponiert, so ergibt sich in der Diatonik durch Ver-
lagerung des Halbtonschritts ein der urspriinglichen
Leiter fremder Ton, z. B. im ->- Systema teleion dM: 1 -
b-a statt ei-di-ci-h. Hieran ankniipfend bezeichnen
mittelalterliche Musikschriften das brotundum als b
synemmenon (oder G synemmenon, wenn A f iir unser
c steht; vgl. GS I, 234a). Spater - zuerst bei Johannes de
Garlandia (ed. Cserba, S. 172f.) - kann jeder Ton, der
durch -> Musica ficta zum fa gemacht, d. h. um einen
Halbton erniedrigt wird, Synemmenon heiBen (vgl.
CS 1, 364f.).
Syncopated music (s'irjkape : tad mj'u:zik, engl.)
-»■ Ragtime.
Syncopatio (lat.), im weiteren Sinne gleichbedeutend
mit -> Synkope; daneben spezieli Bezeichnung fur die
dissonierende Behandlung der Synkope nach dem
(a) (b) (c) Schema: konsonante Einfiihrung
(a), Dissonanz auf betonter Zeit
(b), Auflosung auf unbetonter
Zeit durch Sekundschritt abwarts
(c). Diese Art der Dissonanzbehandlung wurde im
->■ Kontrapunkt seit dem friihen 15. Jh. fester Be-
standteil der Praxis, seit Tinctoris (Liber de arte con-
trapuncti, 1477, CS IV, 135a) und Guilelmus Mona-
chus (De praeceptis artis musicae, um 1480, CS III, 291a)
auch der Lehre. Seit Burmeister (1606) wurde die S.
(auch als ->- Synhaeresis und Ligatura) in die Lehre
von den musikalisch-rhetorischen Figuren einbezogen.
Ihre Kombination mit anderen Figuren sowie die von
der Normalform abweichenden S.nes wurden gleich-
927
synemmenon
falls als Figuren erfafit, so von Burmeister als -> Pleo-
nasmus, von Chr.Bernhard als -* Multiplicatio, Pro-
longatio (hier wahrt die Dissonanz langer als die vor-
bereitende Konsonanz), Quasi-S. (Auflosung mit vor-
ausnehmendem »Portament«), -> Retardatio und S. ca-
tachrestica (->■ Catachrese). In der Harmonielehre wird
die der S. entsprechende Dissonanzbehandlung als vor-
bereiteter ->■ Vorhalt bezeichnet.
Lit. : — > Kontrapunkt. - Kn. Jeppesen, Der Palestrinastil u.
d. Dissonanz, Lpz. 1925, engl. Kopenhagen u. London
1927, 21946; C. Dahlhaus, Zur Gesch. d. Synkope, Mf
XII, 1959; ders., Zur Theorie d. klass. Kontrapunkts,
KmJb XLV, 1961.
synemmenon (griech.) -^Synaphe.
Synhaeresis (griech., Zusammenziehung), eine von
M.J. Vogt (1719) im AnschluB an die Rhetorik erklarte
musikalische Figur. In der Rhetorik bedeutet S. die Zu-
sammenziehung zweier Silben (z. B. »Di« statt »Dii«);
Vogt beschreibt die musikalische S. als Zusammen-
ziehung zweier Silben auf einen Ton oder zweier Tone
auf eine Silbe. - Burmeister (1606) gebraucht das Wort
synonym mit Syncope.
Synkope (griech. au-pcomf), Zusammenschlagen, -Zie-
hen, Verkiirzung ; lat. als Lehnwort syncope und synco-
pa, als Neubildung auch syncopatio), in der Grammatik
seit der Antike die AusstoBung eines Buchstabens (z. B.
mile statt mille) oder die Unterdriickung einer Silbe
inmitten des Wortes (z. B. forsan statt forsitan) ; in der
Musik und Musiktheorie seit der Ars nova die Ver-
schiebung der Mensur bzw. (sparer) der Betonung ge-
geniiber dem jeweils herrschenden (als maBgebend
empfundenen) mensuralen bzw. metrischen Ordnungs-
gefiige. Die S. setzt somit ein klar ausgepragtes Bezugs-
system voraus (Mensur, Schlagzeit, Metrum, Takt),
gegen das sie sich als rhythmisches Phanomen abhebt
(-»■ Rhythmus). - Synkopisch wirkendeErscheinungen
gibt es in fast alien Musikkulturen ; sie waren auch der
Antike nicht fremd. Ihre spezifische, satztechnisch faB-
bare Auspragung erfuhr die S. aber erst in einem fort-
geschrittenen Stadium der abendlandischen Mehrstim-
migkeit. Erstmals beschrieben wurde sie von Theoreti-
kern der Ars nova, z. B. als divisio cuiuscumque figurae ad
partes separatas que ad invicem reducuntur perfectiones nu~
merando (Ars perfecta, CS III, 34a), d. h. als Zerlegung
einer zusammengehorigen Notengruppe (Ligatur) in
selbstandige Teile, die dadurch aufeinander bezogen
werden, daB man Perfektionen (-»• Perfectio - 2) zahlt,
sei es im Modus, im Tempus oder in der Prolatio. Ge-
meint sind Falle wie ♦•♦♦♦♦II (in heutiger Noten-
schrif t : I JjjJJj I JJJ ). In perfekter Mensur ist meist
das Setzen eines Punktes erforderlich (punctus synco-
pationis, demonstrationis oder reductionis; ->■ Punc-
tus - 2). Rote Notation (-> Color - 1) kann ebenfalls
zur Kennzeichnung einer S. dienen (vgl. MD X, 1956,
S. 48). Auch Ausdriicke wie transpositio (CS HI, 44b)
und cantare tardando (CS III, 42b) begegnen im Sin-
ne von S. - Vorbereitet durch die mit der Einfuhrung
der Mensuralnotation verbundenen rhythmischen Dif-
ferenzierungen, trat die S. anfangs als rhythmische
Belebung einzelner Stimmen auf, nachweisbar zuerst
in Kompositionen von Machaut, z. B. Anfang des Te-
nors in der Ballade 28: ■ ♦ ■*
tragun g : ^f^jj4_[Jj
T
, in Ludwigs Uber-
^
Seit dem 15. Jh. erscheint die S. immer mehr in das
klangliche Gefiige des Satzes einbezogen (Dufay) und
bildet zugleich einen wesentlichen Bestandteil der
rhythmischen Verselbstandigung der Stimmen. Dabei
erlaubte das Mensurenprinzip, daB sich jede Stimme in
einer anderen Mensur bewegen kann; die sich im Zu-
sammenspielergebendenVerschiebungenwurdeneben-
f alls S. genannt (-► Trayn ; CS IV, 277b : que difficultates,
tractus, gallice treyns, et sincope a multis nominantur). Sol-
che Erscheinungen finden sich in Kompositionen der
-> Quellen Ch und TuB sowie bei Ockeghem, Obrecht
u. a. Die zunehmend strengere Regelung des musikali-
schen Satzes (Dissonanzbehandlung, Melodiebildung
u. a.) vollzog sich schlieBlich in stetiger Orientierung
an der fiir alle Stimmen gleicherweise maBgebenden
Schlagzeit; auf sie war jetzt die als rhythmische »Stau-
ung« wirkende S. bezogen, die besonders in Verbin-
dung mit der Dissonanzbehandlung in der Praxis und
in der Theorie des 16. Jh. eine wichtige Rolle spielte
(-> Syncopatio).
Im 17. und 18. Jh. fiihrte die sich schon im 16. Jh. an-
bahnende Auskristallisierung einer Betonungsordnung
zur Ausbildung des fortan fiir die S. maBgebenden
Taktprinzips. Damit erhielt die S. den Character einer
»Storung« der normalen Betonungsordnung (Uberbin-
dung eines leichten an den unmittelbar folgenden
schweren Zeitwert, auch als Aussparung, Suspension der
regularen Betonung). Seit dem Auftreten des Takt-
strichs wird sie haufig durch einen hinter den Taktstrich
gesetzten Verlangerungspunkt oder als Uberbindung
iiber den Taktstrich hinweg im Notenbild erkennbar
(-> Ligatur - 2, -> Bogen - 1), doch ist nicht jede Uber-
bindung als S. zu verstehen (z. B. ->• Hemiole). Bei den
Wiener Klassikern gewann die S., der scharfen Auspra-
gung des Taktprinzips entsprechend, ein besonderes
Gewicht (Beispiel einer Gegemiberstellung von abtak-
tiger und synkopischer Bewegung : J. Haydn, Streich-
quartett D moll, Hob. Ill, 76, 1. Satz, Takt 25ff.). Bei
Beethoven nimmt, zusammen mit den Abweichungen
von der regularen Taktordnung iiberhaupt, auch die S.
eine bis dahin nicht gekannte zentrale Stellung im mu-
sikalischen Kunstwerk ein. In Romantik und Moderne
fand die S. vielfach in origineller Weise (z. B. R. Schu-
mann, Kreisleriana, Nr 8, Bewegung im BaB), aber
auch auf geschichtlich gegebene Erscheinungen zuriick-
greifend, Verwendung (Webern, 2. Kantate, SchluB-
satz, an die polyrhythmischen Bildungen der Nieder-
lander ankniipfend). Mit der Erweiterung des Taktbe-
griffs zu einer bloBen Konvention der Notierung, be-
sonders unter dem EinfluB folkloristischer und exoti-
scher Musik, wurde die S. in einigen Richtungen der
modernen Musik primar von der Wirkung her ver-
wendet (Strawinsky, Bartok u. a.). In ahnlichem Sinne,
von der Wirkung her, sind auch die meist als S.n aufge-
faBten ->■ Off-beat-Phanomene des -> Jazz zu verstehen.
Lit.: H. Waltz, Der Doppelbegriff d. S., in: Volkische
Musikerziehung II, 1936; C. Dahlhaus, Zur Gesch. d. S.,
Mf XII, 1959.
Syomyo (oder Shomyo, japanisch), buddhistische
Tempelgesange, die im 9. Jh. aus China nach Japan ge-
langten und dort bis in die Gegenwart iiberliefert und
gepflegt werden, hauptsachlich von der Shingon- und
der Tendai-Sekte.
Lit. : M. W. de Visser, Ancient Buddhism in Japan, 2 Bde,
Leiden 1935 ; Ausg. u. weitere Lit. : — » Japan.
Syrinx (griech. aupiyS, Rohre; als Wort belegt seit
Homer, Was X, 13), die »Panflote«, das typische Hirten-
instrument der Griechen, bestehend aus einem Ver-
band von meist 5, 7 oder 9 mundstiicklosen Pfeifen un-
terschiedlicher Lange und Hohlung. Bei gleicher Lange
erfolgten die Rohrverkiirzungen durch WachseinguB
(pseudo-aristotelische Problemata XIX, 23). Die einzel-
928
■ 4 ■ ' ■ ' T ■ ■ ■* ■
nen Pfeifen waren zusammenge-
bunden oder durch einen Querrie-
gel zusammengehalten. Als Mate-
rial diente Holz, Elfenbein oder Me-
tal). Einem antiken Mythos zufolge
erfand Hermes, der Gott der Her-
den, die S., nachdem er die -> Ly-
ra (- 1) dem Apollon als Versoh-
nungsgeschenk iiberlassen hatte (ho-
merischer Hermes-Hymnus 512).
Hermes vererbte die S. seinem Sohn
Pan, dem Hirtengott (daher auch
->■ Panflote). - Debussy kompo-
nierte 1912 nach der bekannten Sa-
ge ein Werk fiir Soloflote mit dem
Titel S.
Lit.: M. Wegner, Das Musikleben d.
Griechen, Bin 1949; Fr. Behn, Musik-
leben im Altertum u. f riihen MA, Stutt-
gart 1954; B. Aign, Die Gesch. d. Mu-
sikinstr. d. agaischen Raumes bis 1 um
700 v.Chr., Diss. Ffm. 1963.
Syrischer Kirchengesang. Im
Zwischenlande zwischen den Kul-
turgebieten der Agypter, Hethiter,
Assyrer, Babylonier, Perser und Griechen gelegen, hat
Syrien eine weit zuriickreichende Musikgeschichte.
Die groBte Bedeutung gewann die Musik Syriens durch
den Gesang der syrisch-palastinensischen Kirche. Er ge-
wann fast maBgeblichen EinfluB auf den armenischen,
byzantinischen und unmittelbar oder iiber Byzanz auch
auf den lateinischen Choral, und zwar nicht nur den
romischen, sondern in besonderem MaBe den auBer-
gregorianischen Gesang. Seine Erforschung steht im
Gefolge der syrischen Literaturwissenschaft, die sich
mit der syrischen Hymnodie beschaftigt. Deren wich-
tigste Gesangsformen sind seit dem 3. Jh. : die Memra
mit rezitativischem Charakter, zur Kantillation be-
stimmt; die Madrasa, strophischer Gesang eines So-
listen, dem kurze Refrainstrophen des Chores antwor-
ten (die Madrasa entspricht in ihrer Form dem byzan-
tinischen -> Kontakion), die Sogita, ein Hymnus dia-
logisch-dramatischer Haltung, wahrscheinlich von 2
Solisten und 2 Choren im Wechselgesang ausgefiihrt;
die Qala, ein Hymnus ohne Refrain, erst ab dem 4.
Jh. nachgewiesen; die 'Enyana, ein Gesang, der zwi-
schen den Psalmversen gesungen wurde, ahnlich dem
byzantinischen -*■ Kanon (- 2). Diese volkstiimliche
Kirchenpoesie wirkte befruchtend auf die byzantini-
sche -> Hymnographie. Ihr EinfluB auf Romanos, der
wie die meisten groBen byzantinischen »Meloden« des
5.-8. Jh. Syrer war, ist erwiesen. Syrischen Ursprungs
ist auch das alteste bekannte offizielle Kirchengesang-
buch nichtbiblischen Charakters, der Oktoechos des
Severos, der 512-518 Patriarch von Antiochia war
(London, Brit. Mus., Add. 17134, Redaktion des 7.
Jh.). Diese starke Pflege der Musik mit nichtbiblischen
Texten ist eine besondere Eigenart der syrischen und
byzantinischen Kirche. Im Westen hat sie sich nicht in
gleichem MaBe durchgesetzt, am wenigsten in Rom
selbst, wo sich der Choral fast ausschlieBlich auf die
Psalmodie oder doch auf Gesange mit biblischen Tex-
ten beschrankte. Naturlich sind auch in Syrien die Psal-
men mitsamt den Hymnen und geistlichen Gesangen
gesungen worden und haben sicher den Kern der Kir-
chenmusik gebildet, sowohl in der Form des Wechsel-
gesanges zwischen Chor und Solist als auch in der anti-
phonalen Form, die von Ambrosius 394 nach »orien-
talischem« Vorbild in Mailand eingefiihrt wurde. -
Uber die Musik an' sich unterrichten nur moderne Auf-
zeichnungen; doch ist anzunehmen, daB die liturgi-
Systema teleion
schen Melodien im wesentlichen unverandert durch
die Jahrhunderte uberliefert worden sind, da allgemein
inmitten einer andersglaubigen Umgebung die kulti-
schen Gewohnheiten der eigenen Religion streng be-
wahrt werden. Als Notenschrift sind nur Zeichen fiir
den rezitativischen Gesangsvortrag bekannt; sie be-
standen aus Punkten, die in verschiedener Weise an-
geordnet wurden. Die byzantinische ekphonetische
Notation ist unabhangig von ihr; dagegen hat sich das
syrische System nach Persien (Soghdien) ausgebreitet.
Die Tonalitat hat einen noch wesentlich linearen, nicht
tonraumlichen Charakter: der Oktoechos als Tonar-
tensystem geht zwar von Syrien aus, aber die Schlusse
der Melodien miissen nicht unbedingt auf den Grund-
tonen der 8 Kirchentonarten erfolgen. Entsprechend
sind chromatische Bereicherungen der an sich diatoni-
schen Melodielinien moglich. Der vielgestaltige Rhyth-
mus entfernt sich weit von der Gleichdauer der Tone
des (heutigen) abendlandischen Chorals : die Melismen
sind deutlich als lebendige Verzierungen einer rhyth-
misch und melodisch viel einfacheren Grundgestalt zu
erkennen. Der S. K. kennt auch die Technik des Or-
ganum, wesentlich in der Form von Quartenparallelen.
Er ko'nnte somit eine der Quellen der europaischen
Mehrstimmigkeit sein. Als Hymnendichter seien ge-
nannt : Bar Daisan (Bardesanes, f 222) , Ephram (f 373) ,
Narsai (Narses) von Nisibis (f 502), Jakobos von Serugh
(f 521), Sophronios von Jerusalem (f 638).
Ausg.: Melodies liturgiques syriennes et chaldeennes, 2
Bde, hrsg. v. J. Jeannin OSB (mit J. Puyade OSB u. A.
Chibas-Lassalle OSB), Paris u. Beirut 1925-28; Cantus
missae SS. Apostolorum iuxta ritura ecclesiae Chaldaeo-
rura, hrsg. v. P. Youssef, Rom 1961.
Lit. : J. Parisot, Les huit modes du chant syrien, La Tri-
bune de St-Gervais VII, 1901 ; A. Baumstark, Festbrevier
u. Kirchenjahr d. syrischen Jakobiten, = Studien zur
Gesch. u. Kultur d. Altertums III, 3/5, Paderborn 1910;
ders., Die christlichen Lit. d. Orients, 2 Bde, Lpz. 1911 ;
ders., Gesch. d. syrischen Lit., Bonn 1922; J. Jeannin
OSB, Le chant liturgique syrien, Journal asiatique X,
1912 - XI, 1913; ders. u. J. Puyade OSB, L'octoechos
syrien, Oriens Christianus, N. S. Ill, 1913; L. Bonvin,
On Syrian Liturgical Chant, MQ IV, 1918; E. Wellesz,
Aufgaben u. Probleme auf d. Gebiete d. byzantinischen
u. orientalischen Kirchenmusik, = Liturgiegeschichtliche
Quellen u. Forschungen VI, Miinster i. W. 1923; A. Raes
SJ, Introductio in liturgiam orientalem, Rom 2 1962; H.
Husmann, The Practice of Organum Singing in the Chri-
stian Syrian Churches, in: Aspects of Medieval and Re-
naissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966). EJ
Systema teleion (griech., vollstandiges System). Die
Theorie der Griechischen Musik stellt die Tonarten in
einem System von 2 Oktaven dar, das aus 4 gleichge-
bauten diatonischen Tetrachorden und dem Proslamba-
nomenos, einem »hinzugenommenen Ton« (jtpoaAau,-
pav6u,evo<;) , besteht. Jede der beiden Oktaven wird aus 2
durch die -> Synaphe verbundenen Tetrachorden und
einem Ganzton (Diazeuxis) konstruiert; in dieses Ge-
riist von »feststehenden« Tonen (uivovT££, eaxcoTC?
oder axivYjxot) werden die »beweglichen« (>avouu.svoi)
so eingef iigt, daB sich in jedem Tetrachord von oben
nach unten die Intervallfolge Ganzton-Ganzton-Halb-
ton ergibt. Jedes Tetrachord undjeder Ton erhalten ei-
nen Namen. (Die modernen Tonbuchstaben sind in der
umseitigen Ubersicht so gewahlt, daB die Intervallfol-
ge ohne Vorzeichen angegeben werden kann; Fixierung
der absoluten Tonhohe kennt die Griechische Musik
nicht.) Zu dem aus 4 Tetrachorden bestehenden »unver-
anderiichen System« (systema ametabolon) kann noch
das Tetrachordon synemmenon hinzutreten, wodurch
sich das »veranderliche System« (systema metabolon)
ergibt: verandert wird die Lage des Tetrachords iiber
der Mese (»Mitte«), so daB dessen tiefster Ton nicht
59
929
Systema teleion
durch Ganztonabstand (Diazeuxis) von der Mese ge-
trennt, sondern durch Synaphe mit ihr in eins gesetzt
ist, wobei iiber die Mese nun ein Halbtonschritt zu lie-
gen kommt. Bereits in der griechischen Musiklehre
linden wir also die fiir die abendlandische Musik be-
deutsame Ambivalenz einer Tonstufe.
"ai
Nete hyperbolaion
g 1 Paranete hyperbolaion
f 1 Trite hyperbolaion
(Synaphe ■*)
- el l
Nete diezeugmenon
Nete synemmenSn
" di di
Paranete diezeugmenor
Paranete synemmenon
ci ci
Trite diezeugmenon
h .
Paramese
Trite synemmen5n
b (Diazeuxis -+)
Mese
_ a (<- Synaphe ->)
a Mese
g Lichanos meson
f Parhypate meson
(Synaphe ->)
_ e
Hypate meson
d
Lichanos hypaton
c
Parhypate hypaton
HJ
Hypate hypaton
(Diazeuxis -*■)
A Proslambanomenos
Die sogenannten Tonarten (apjiovtai) unterscheiden
sich durch die Lage des Halbtons innerhalb des Tetra-
chords. Im Dorischen liegt der Halbton unten (Inter-
vallfolge von oben: Ganzton-Ganzton-Halbton), im
Phrygischen in der Mitte (Ganzton-Halbton-Ganzton),
im Lydischen oben (Halbton-Ganzton-Ganzton). Au-
Ber diesen 3 Grundtonarten gibt es eine Reihe von Ne-
bentonarten, die oft schon dem Namen nach als Ablei-
tungen zu erkennen sind: Mixolydisch, Hypodorisch
usw. - Fiir die Darstellung der Tonarten kennt die
griechische Musiklehre 2 Methoden: 1) Vorwiegend
den Bediirfnissen der Praxis entspricht es, wenn die In-
tervallfolgen aller Tonarten in den Raum derselben
Oktave (ei-e) eingefugt werden. Der Spieler einer
Kithara oder Lyra lernt hiernach, welche Verkiirzun-
gen oder Umstimmungen der Saiten (innerhalb des
gleichbleibenden Oktavrahmens) jede Tonart fordert.
Gegliedert sind die 3 Grundtonarten in 2 unverbunde-
ne Tetrachorde mit der Diazeuxis in der Mitte (ei-h-
a-e), die 3 Hypotonarten in 2 verbundene Tetrachorde
mit der Diazeuxis unten (ei-h-fis-e), das Mixolydische
in 2 verbundene Tetrachorde mit der Diazeuxis oben
(ei-di-a-e). 2) In welchem Verhaltnis die Tonarten zu-
einander stehen, erklart ihre Darstellung als Oktavaus-
schnitte aus dem S. t. Es enthalt zwischen ai-a und h-H
7 »Oktavgattungen« (Systeme) mit je verschiedener In-
tervallfolge. Die achte, a-A, ist eine Wiederholung der
1.; daher werden nur 7 verschiedene Tonarten allge-
mein anerkannt:
harmonia
nachantiken Sinn umgekehrt: das untere Tetrachord
nach oben). Alte Bezeichnungen wie Ionisch, Iastisch,
Boiotisch, Lokrisch sind bisher nicht zuverlassig iden-
tifiziert. - Die friiheste Darstellung des S. t. findet sich
bei Eukleides, die beste bei Ptolemaios; daS es (vor
Eukleides) bereits Aristoxenos bekannt war, kann u. a.
aus seiner Behandlung durch den
Aristoxeneer Kleoneides geschlossen
werden. Die mittelalterliche Musik-
lehre bringt im 10./11. Jh. (Musica
Enchiriadis, Kommentar zur Alia mu-
sica, Hermannus contractus) die 8
Kirchentone durch Umdeutung der
antiken Theorie mit den 7 Oktav-
gattungen in Verbindung. Dabei tritt
an die Stelle des S. t. das uns heute ge-
laufige ->■ Tonsystem als Grundskala
mit fixierter Tonhohe.
Lit. : Musici scriptores graeci, hrsg. v.
K. v. Jan, Lpz. 1895, Nachdruck Hil-
desheim 1962, S. 163ff. (Eukleides),
199ff. (Kleoneides), 332ff. (Gauden-
tios); Die Harmonielehre d. Klaudios
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = G6-
teborgs Hogskolas Arsskrift XXXVI,
1 , Goteborg 1930, S. 50ff., dazu ebenda
XXXVIII, 2, 1932, S. 162ff. (Porphy-
rios' Kommentar), u. XL, 1, 1934, S.
65ff. (deutsche tJbers.). - Fr. Bellermann, Die Tonleitern
u. Musiknoten d. Griechen, Bin 1847; C. Fortlage, Das
mus. System d. Griechen . . ., Lpz. 1847, Nachdruck Am-
sterdam 1 964 ; D. B. Monro, Modes of Ancient Greek Mu-
sic, Oxford 1894; H. Riemann, Hdb. d. Mg. 1, 1, Lpz. 1904,
erweitert 21919, 31923; R. P. Winnington-IngRam, Mode
in Ancient Greek Music, = Cambridge Classical Studies
II, Cambridge 1936; O. Gombosi, Tonarten u. Stimmun-
gen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck 1950;
ders., Key, Mode, Species, JAMS IV, 1951; I. Hender-
son, The Growth of the Greek »harmoniai«, Classical
Quarterly XXXVI, 1942; J. Chailley, Le mythe des mo-
des grecs, AMI XXVIII, 1956; ders., L'imbroglio des mo-
des, Paris (1960); O. Becker, Friihgriech. Mathematik u.
Musiklehre, AfMw XIV, 1957; J. Lohmann, Der Ur-
sprung d. Musik, AfMw XVI, 1959 ; H. Husmann, Grund-
lagen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961. -
Zur Umdeutung d. antiken Theorie im MA: Riemann
MTh ; O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d. friihen
MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; O. Ursprung, Die antiken
Transpositionsskalen u. d. Kirchentone, AfMf V, 1940; J.
Handschin in: AMI XV, 1943, S. 17ff.
System atische Musik wissenschaf t ->Musikwis-
senschaft (Ubersicht); ->■ Informationstheorie;
->• Statistik.
Hypodorisch: el di ci ha g fis
Hypophrygisch: el di cisi h a gis fis
a-A
Oktav-
gattung
a!-a,
g'-g
fi-f
ei-e
di-d
ci-c
h-H
Hypolydisch: el disi cisi h ais gis fis
Dorisch: el d 1 ci ha g f
Phrygisch: el di cisi ha g fis
Lydisch: el disi c i s l h a gis fis
Mixolydisch: el di ci b a g f
Den Abstand (im S. t.) der Hypotonarten zur Grund-
tonart hat offenbar Aristoxenos auf eine Quarte f estge-
setzt. Die Benennung wird im allgemeinen daraus er-
klart, daB in ihnen das »obere« Tetrachord der Grund-
tonart um eine Oktave nach »unten« (hypo) versetzt
ist (»oben« und »unten« hier im griechischen Sinn; im
930
Szene (von griech. cxTrjv^.Zelt, Hiitte), im griechischen
Theater der die Orchestra nach hinten abgrenzende
Aufbau, spater mit typischer dreitiiriger Fassade; da-
nach lat. scaena, allgemein die Theaterbiihne; ital. sce-
na, seitEnde des 15. Jh. auch der »Auftritt«, in Theater
und Oper ein meist durch Auftritt und Abgang von
Personen begrenzter Unterabschnitt eines Aktes (in
friiheren Opernpartituren, z. B. in Monteverdis Orfeo,
fehlt bisweuen die Sz.n-Angabe). Seit Ende des 18. Jh.
kommt Sz. auch als Uberschrift von musikalisch nicht
geschlossenen Partien vor, in denen rezitativische, lied-
hafte oder ariose Teile einander ablosen, und auf die
dann ein geschlossenes Gesangstiick folgt (z. B. Mo-
zart, Sz. und Arie fiir S., im Autograph Scena 7., K.-V.
369, 1781; Beethoven, Scena ed Aria Ah, perfido op.
65; Weber, Freischiitz, Nr 3 und Nr 8; oft bei Verdi
u. a.). Auf die Sz.n-Einteilung wurde von der 2. Halfte
des 19. Jh. an haufig verzichtet (z. B. Verdis Falstaff). -
Das Szenarium ist entweder eine Skizze des Handlungs-
ablaufes oder ein Inszenierungsplan.
T, Abk. fur - 1) Tenor; - 2) Taille (im Instrumental-
satz); - 3) Tempo, z. B. T. 1° oder T. l mo = tempo
primo ; a t. = -> a tempo ; - 4) T = Tonika (Funktions-
bezeichnung nach Riemann).
Tabl (arab., Plur. atabal, tubul; auch tabla oder tabil,
von tabala, trommeln) ist die Sammelbezeichnung fur
Pauken und Trommeln im arabischen Sprachraum.
Sie umschlieBt die vielfaltigsten Instrumente wie t. baz
(auch tabla al-musahir, kleine Pauke mit Bronzekessel,
mit einem Holzschlagel geschlagen), t. al-migri (kleine
Pauke, mit einem schmalen Riemen geschlagen), tabla
al-misaib (kleine Bettlerpauke aus Holz oder Kupfer),
tabla as-sawis (kleine Trommel). - Speziell bedeutet t.
oder tabil zweiseitig mit Fell bespannte zylindrische
Trommeln unterschiedlicher GroBe, die mit einem
holzernen Schlagel gespielt werden.
Lit. : H. G. Farmer, Artikel t., in: Enzyklopedie d. Islam,
Erganzungsbd, Leiden 1934; ders., Islam, = Mg. in Bil-
dern III, 2, Lpz. (1966) ; H. Hickmann, Terminologie arabe
des instr. de musique, Kairo 1946, maschr.
Tabula compositoria (lat., Komponiertafel; auch
Carta, Cartella, Palimpsestus, deutsch Losch-Tabell),
eine aus Holz oder Schief er bestehende oder mit Perga-
ment (auch Leder, Eselshaut) bezogene Tafel mit ein-
geritzten Notenlinien und senkrechten Ordnungsstri-
chen, auf der mehrstimmige Kompositionen eingetra-
gen und wieder geloscht werden konnten, nacndem
die einzelnen Stimmen in ein -»• Chorbuch oder in
-> Stimmbiicher geschrieben waren. Gewohnlich war
die T. c. mit einem System von 10 Linien (scala decem-
linealis) versehen, in das die Stimmen in dichtem Satz
eingetragen wurden, zur Unterscheidung bei Stimm-
kreuzungen in Noten von unterschiedlicher Form
oder Farbe. Beispiele dieser Art finden sich in Lehrbii-
chern von Schanppecher (1501), Ornitoparchus (1517),
M. Agricola (1528), Lampadius (1537), H.Faber (1548),
DreBler (1563) und Lippius (1612). Daneben kennt
Lampadius die Einteilung der T. c. in einzelne Fiinf-
liniensysteme nach Art der spateren -> Partitur, die
gleichfalls »von alters her« bei gelehrten Musikern iib-
lich gewesen sei. Herbst nennt 1643 neben diesen bei-
den Verfahren als drittes die Niederschrift einer Kom-
position in Orgeltabulatur. Noch im 18. Jh. war die
T. c. bekannt (WaltherL, Artikel Palimpsestus; Ad-
lung, Anleitung ..., 1758, S. 787; J.-J. Rousseau, Dic-
tionnaire de musique, Genf 1767[?], Paris 1768, Artikel
Cartelles; KochL, Artikel Cartell). Hinweise auf die
Verwendung der T. c. bei der Weitergabe von Kom-
positionen sind durch bestimmte typische Abweichun-
gen in der handschriftlichen Oberlieferung gegeben,
z. B. verschiedene Schliisselung, Auflosung von Syn-
kopen, Aufheben von Stimmkreuzungen. - Als Er-
ganzung der im 13. Jh. aufkommendenEinzelstimmen-
notierung muB seit jeher bei der Komposition und
beim Studium eines Satzes die T. c. oder ein ahnliches
Hilfsmittel zur Darstellung der Klange und Klangver-
bindungen im Gebrauch gewesen sein. Wenn die T. c.
erst im 16. Jh. und vornehmlich durch die Theoretiker
bezeugt ist, so ist dies durch das verstarkte Interesse der
humanistischen Musiklehre fiir den Kontrapunkt und
das Kompositionsverfahren zu erklaren. Besonders
niitzlich war die T. c. mit der Scala decemlinealis fiir
die Darstellung von Satzen, in denen die Stimmen den
gleichen Klangraum einnehmen. Derartige Satztypen
weichen um die Mitte des 16. Jh. einer Anordnung, die
den Klangraum moglichst gleichmaBig unter 4 Stim-
men aufteilt (normaler Ambitus: 1 Oktave, Abstand der
Stimmen : Quinte-Quarte-Quinte). Dieser Disposition
entspricht besser die Partitur mit festgelegten Schliis-
selkombinationen, die sich seit dem spaten 16. Jh.
allgemein durchsetzte. Entsprechend der -+ Chiavette
kannte auch die T. c. eine totius scalae transpositio (H.
Faber 1548) ; auch bei einer solchen veranderten Schliis-
selung (eine Terz tiefer oder hoher) bleibt jedoch die
Begrenzung des gesamten Klangraums durch das Zehn-
liniensystem auf etwa 21/2 Oktaven giiltig. - Fiir die
modeme -> Editionstechnik ist der durch die Kenntnis
der T. c. erbrachte Nachweis bedeutsam, daB die heu-
tige Partiturschreibung von in Einzelstimmennotie-
rung iiberlieferter Musik des 15./16. Jh. einer Notie-
rungsweise nahekommt, die zu jener Zeit durchaus iib-
lich war und im Prinzip der Einzelstimmenschreibung
voranging. -> Particella.
Lit. : E. E. Lowinsky, On the Use of Scores by XW-Cent.
Musicians, JAMS I, 1948, dazu Diskussion u. Nachtrage
in: JAMS II, 1949 - HI, 1950; ders., Early Scores in Ms.,
JAMS XIII, 1960; S. Clercx-Lejeune, D'une ardoise aux
partitions . . . , Melanges . . . offerts a P.-M. Masson I, Paris
(1955); S. Hermelink, Dispositiones modorum, = Miinch-
ner Veroff. zur Mg. IV, Tutzing 1960; ders., Die T. c, Fs.
H. Besseler, Lpz. 1961 ; W. Braun, Komponieren am Kl.,
Af Mw XXIII, 1966 ; Th. Gollner, Notationsfragment aus
einer Organistenwerkstatt d. 15. Jh., AIMw XXIV, 1967.
Tabulatur (von lat. tabula, tabulatura, Tafel; ital. in-
tavolatuira), - 1) Bezeichnung fiir verschiedene Arten
der Notation von (vorwiegend solistischer) Instrumen-
talmusik. Unter T. werden heute zuweilen nur solche
Notationsarten verstanden, bei denen statt der Noten-
schrift ganz oder teilweise Buchstaben, Ziffern und
Zeichen verwendet werden; doch im Bereich der Mu-
sik fiir Tasteninstrumente bis ins 18. Jh. bezeichnet T.
im weiteren Sinne auch die Zusammenziehung aller
Stimmen auf 2 Liniensysteme im Unterschied zur
-»■ Partitur (z. B. bei Frescobaldi), oder sogar jede Art
des Untereinanderschreibens gleichzeitig erklingender
Stimmen einschlieBhch der Partitur im Unterschied
zur Notierung in Chor- und Stimmbiichern (z. B.
bei Scheidt 1624 und Klemm 1631). Die wichtigsten
Formen der T. sind die -> Orgel-T. und die -> Lau-
ten-T. T.en im engeren Sinne sind daneben in Ge-
brauch gewesen fiir Harfe, Viola da gamba und Vio-
la da braccio. T.en fiir Holzblasinstrumente, vergleich-
bar den heute ublichen Grifitabellen, kommen in ver-
59»
931
tacet
schiedenen Systemen vor, T.en f iir Sackpfeife bei Mer-
senne 1648 und Borjon 1672. Die letztgenannten T.en
dienten vomehmlich padagogischen Zwecken; die
Aufzeichnung in Notenschrift (frz. en musique) iiber-
wiegt fiir diese Instrumente. Fiir volkstumliche Instru-
mente (Gitarre, Zither, Akkordeon, Ukulele) sindT.en
noch heute in Gebrauch, da sie fiir den musikalisch
nicht Gebildeten unter Umgehung der allgemeinen
Musiklehre im Selbstunterricht erlernbar sind. - 2) T.
heiBen auch die Tafeln oder das Buch, in denen die
Regeln fiir den -> Meistersang aufgezeichnet waren.
tacet (lat., [die Stimme] schweigt; Abk.: tac; ital.
tace, taci, Plur. tacciono) bedeutet in einer Orchester-
oder Chorstimme, daB dieselbe wahrend der betreffen-
den Nummer oder in dem Satz nicht mitwirkt. -»■ con-
tano.
Tactus (lat., Schlag; ital. battuta oder tatto; engl.
beat oder stroke) ist eine Abmessung der Zeit und Music-
Noten (WaltherL) durch eine Bewegung der Hand oder
(bei Instrumentalisten) des FuBes. Unter einem T. ver-
stand man im 15.-17. Jh. nicht einen Einzelschlag, son-
dern Nieder- und Aufschlag (Positio oder Thesis und
Elevatiooder->- Arsis) zusammen. BeimT. simplex oder
aequalis ist der Niederschlag ebenso lang wie der Auf-
schlag (C A A ), beim T. proportionatus oder inaequalis
doppelt so lang (C3 * o »), Bezugseinheit des T. ist im
nicht diminuierten Tempus (-» integer valor notarum)
die Semibrevis, im diminuierten die Brevis und in der
als Augmentation auf gefaBten Prolatio maior G A = O » .
die Minima (Adam von Fulda 1490). Der T. der Men-
suralmusik ist mit dem Schlag des Pulses (Gaffori 1496)
oder dem einer Uhr (H. Gerle 1532) verglichen wor-
den. Seine Dauer war aber nicht in alien Mensuren
gleich; die Diminution des Tempus perfectum wurde
um 1500 als Verminderung des Zeitwertes der Noten
um ein Drittel (nicht um die Halfte) verstanden, so daB
der T. alia Semibreve im zwei Drittel des gewohn-
lichen T. umfaBte (M. Schanppecher in N.Wollicks
Opus aureum, 1501). Aus der Moglichkeit, den T. zu
unterteilen, also doppelt so schnell zu schlagen, ohne
daB sich der Zeitwert der Noten anderte, ergab sich
die Unterscheidung zwischen groBerem und kleinerem
T. (M. Agricola 1532). Ein T. maior umfaBt im dimi-
nuierten Tempus eine Brevis ((Jo*) und im nichtdimi-
nuierten eine Semibrevis (C A A), ein T. minor im dimi-
nuierten Tempus eine Semibrevis ((£ A A ) und im nicht-
diminuierten eine Minima (C ♦ »)- Wird der T. sowohl
It
im diminuierten als auch im nichtdiminuierten Tem-
pus alia Semibreve geschlagen, so entspricht dem <£
ein T. celerior und dem C ein T. tardior (Praetorius
Sync. Ill, S. 48ff.).
Lit.: G. Schunemann, Zur Gesch. d. Taktschlagens, SIMG
X, 1908/09; A. Auda, Le »t.« dans la messe »L'homme
arme« de Palestrina, AMI XIV, 1942; ders., Le t. principe
g6nerateur de l'interpretetion de la musique polyphonique
class., Scriptorium IV, 1950; Ch. Van den Borren u. S.
Cape, Autour du »t.«, RBM VIII, 1954 ; W. Gurlitt, Form
in d. Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit.
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1954, Nr
13; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie,
ebenda, Jg. 1955, Nr 10; C. Dahlhaus, Zur Theorie d. T.
im 16. Jh., AfMw XVII, I960; H. O. Hiekel, »T.« u. Tem-
po, Kgr.-Ber. Kassel 1962. CD
Tafelklavier (engl. square piano; frz. piano carre),
ein Hammerklavier mit einem waagrechten rechtecki-
gen Corpus wie das Clavichord, aus dem es durch Ein-
bau einer Hammermechanik im 18. Jh. auch oft ge-
fertigt wurde. Das erste T. ist 1742 in Frankreich nach-
weisbar. T.e wurden in groBer Zahl bis um 1800 ge-
baut, in England ab etwa 1760 u. a. von dem Silber-
mann-Schuler Zumpe. In den USA waren T.e noch bis
1900 beliebt. Die urspriinglich zierlichen und im Klang
an das Clavichord erinnernden Instrumente wurden
nach etwa 1825 mit der Einfiihrung des GuBeisenrah-
mens in der Form und im Ton grober, ohne die Klang-
schonheit des Hammerfliigels zu erreichen.
Tafelmusik (frz. musique de table) ist nach Bild- und
Schriftzeugnissen schon in den agyptischen Dynastien
(Kinsky, S. 5), in biblischer Zeit (Sirach 32, 5-9) und
in der griechischen und romischen Antike (Kinsky, S.
13) iiblich gewesen. Auch das Mittelalter bietet fiir die
Musica convivalis zahlreiche Belege, z. B.: Du si du
gesaten j ende gedrunken endegeaten j . . . du was spil ende
sane (Heinrich von Veldeke, Eneit 13153ff.). Eine T.
mit 2 Trompeten und 2 Sackpfeifen zeigt eine Minia-
tur zu Machauts Remede de Fortune (Paris, Bibl. Nat.,
Ms. frc. 1586). J. de Grocheo leitet die Kompositions-
benennung Conductus ab von lat. conductus in der
mittellateinischen Bedeutung Gastmahl, da der Con-
ductus in conviviis etfestis gesungen werde (ed. Rohloff ,
S. 56). - In der Renaissance und im Barock ist das Mahl
als einer der wichtigsten Anlasse des Musizierens greif-
bar. Die T. diente der Frohlichkeit (Ammerbach 1571),
der ergbtzlichkeit (Schein 1617), und sie erklang nicht
nur bei besonderen Anlassen als Teil der -> Festmusik,
sondem zu Hofe vielerorts regelmaBig bei Anwesen-
heit des Souverans und im stadtischen Leben bei den
oft turnusmaBigen Banketten der Obrigkeit, wahrend
im Burgerhaus, wo das Singen geistlicher Lieder vor
und nach Tische verbreitet war, eine eigentliche T. nur
bei Hochzeiten obligatorisch war. Die Ausfiihrenden
waren die Hofmusik bzw. die Stadtkantorei (Holz-
schnitt in Ammerbachs Tabulaturbuch von 1571,
Kinsky, S. 77) oder die Stadtpfeifer, doch auch etwa
ein Organist oder Lautenist allein konnte in conviviis
sichhoren lassen (Praetorius Synt. HI, S. 110). Zur Auf-
gabe der Hof- und Feldtrompeter gehorte das Tisch-
oder Tafelblasen als Zeichen, daB man sich zum Mahle
begeben solle (vgl. KochL, Artikel Feldstiicke, Sp. 561).
In den Bestallungsurkunden wird der Kapellmeister oft
ausdrucklich verpflichtet, daB er auch zur ordinar Tafel
Music . . . die notigen Musicalia liefere (G.Ph.Telemann
1717), bzw. daB es ihm bei der Kirchen- und T. . . . frey
stent, entweder seine eigene compositiones oder auch andere
. . . zu gebrauchen (Ph.E.Erlebach 1621).
Die vokalmusikalischen Taffel-Sachen gehoren nach
Chr.Bernhard( Tractate . . .,ed. Miiller-Blattau, S.71)
zu den Arten von Musik, bei denen der Stylus commu-
nis (oder modernus) Anwendung findet. Stets ent-
sprach das Repertoire der T. den jeweils herrschenden
und vomehmlich zur Unterhaltung und Ergotzung
geeigneten Gattungen und Formen. Abwechslung in
der Art der vorgetragenen Stiicke war geboten; die
Besetzung, in der Regel kammermusikalisch, wurde
bei festlichen Tafeleien bis zur Mehrchorigkeit gestei-
gert. Der Catalogus musicalium des Zisterzienserstifts
Ossegg in Bohmen von 1706 verzeichnet als Taffel Mu-
sic (id est Cantus aliquot jucundi tempore tabulae et Recrea-
tionis producendi) lustige und scherzhafte Vokalstiicke
sowie Ballette bzw. Partien, Orchestersonaten und
Ouverturen (vgl. P.Nettl, S. 36f.). Praetorius (Synt.
Ill, S. 1 10) bezeugt fiir die T. das Concertieren von soli-
stischem Vokalensemble und Vokal- und Instrumental-
choren (vgl. hierzu den Bericht iiber die T. beim Frie-
densbankett 1649 zu Nurnberg, SIMG VII, 1905/06);
17. und 18. Jh. bevorzugten als T. die Suite und das
Quodlibet; bei besonderen Anlassen wurde als T. auch
932
Takt
erne szenische Kantate (»dramatische T.«) aufgefiihrt.
Bei der T. im Finale des 2. Akts von W. A.Mozarts
Don Giovanni spielt die -> Harmoniemusik Stiicke aus
Opern, darunter auch eines aus Mozarts Le Nozze di
Figaro. Beethoven schrieb das Blaseroktett 1792 fur die
T. des Kurfiirsten von Bonn. - Im Druck erschienen im
17. und 18. Jh. zahlreiche als T. bestimmte Sammlun-
gen; genannt seien: Schein, Banchetto musicale (1617,
4-5st. Suiten); Th. Simpson, Taffel Consort (1621, 4st.
Tanzsatze); Posch, Musicalische Tafelfreudt (1621, 4-
und 5st. Tanzsatzpaare) ; Reusner, Musicalische Taffel-
erlustigung . . . (1668, Orchestersuiten) ; Delalande, Les
Symphonies . . . Qui sejouent ordinairement au souper du
Roy (hs. 1703, Paris, Conservatoire, Ms. Res. 582, Ou-
verturen, Tanze, Trios, Airs u. a.); G.Ph.Telemann,
Musique de Table (1733, Solosonaten, Quartette, Kon-
zerte, Ouvertiiren); Rathgeber, Ohren-vergnugendes
und Gemuth-ergotzendes Tafel-Confect (3 Teile, 1733-37,
4. Teil von J. C. Seyfert 1746; Quodlibets, daneben an-
dere Scherz-, auch Tugendlieder) ; G.J. Werner, Zwey
neue und extra lustige musicalische Tafel-Stucke (1750;
Quodlibets). - Im 19. Jh. nannte E. Hanslick (Vom Mu-
sikalisch-Schonen, !1854, S. 73) die T. als Beispiel fur den
vevponten geistlosen Genufi von Musik.
Lit. : A. Schultz, Das hofische Leben zur Zeit d. Minne-
sanger, 2 Bde, Lpz. 2 1 889 ; P. Nettl, Beitr. zur bohmischen
u. mahrischen Mg., Brunn 1 927; G. Kinsky (mit R. Haas u.
H. Schnoor), Gesch. d. Musik in Bildern, Lpz. 1929, engl.
London u. NY 1930, Neudruck 1951, frz. Paris 1930, ital.
Mailand 1930. HHE
Tagelied, bereits im Mittelhochdeutschen belegte Be-
zeichnung fiir mehrstrophige Lieder der Minnesanger,
die den Abschied zweier Liebenden (meist als Rede und
Gegenrede gestaltet) nach heimlicher Liebesnacht bei
Anbruch des Tages zum Gegenstand haben. Aufgang
der Sonne, Ostwind, Vogelgesang, Horn des Wach-
ters (daher auch Wachterlied genannt) oder Warnung
eines Freundes mahnen zum Aufbruch. Das deutsche
T. geht auf romanische Vorbilder zuriick, die proven-
zalische Alba (nordfranzosisch Aube). Die Alba hat, im
Unterschied zum T., am Strophenende einen Refrain,
der meist das Wort alba (s. v. w. Morgenhelle) ver-*
wendet. Eine weit verbreitete Alba ist Reis glorias von
Giraut de Bornelh. Die zunachst im Sinne von Alba/
Aube verwendete Bezeichnung -»■ Aubade erhielt spa-
ter die Bedeutung von Morgenstandchen. - Bedeuten-
de T.er dichtete Wolfram von Eschenbach. Ein- und
mehrstimmige Kompositionen von T.ern sind erhal-
ten u. a. vom -> Monch von Salzburg und von Oswald
von -*■ Wolkenstein (Wach auff, mein hort, es leucht dort
her von orient der liechte tag). Der Typus des T.s wurde
auch in Volkslied und Kirchenlied (z. B. Choral Wachet
auf, ruft uns die Stimme von Ph.Nicolai, 1599) tiber-
nommen. An die Tradition des T.s kniipft R.Wagner
an mit dem Warnruf der Brangane in Tristan und Isolde
(2. Akt): Habet acht! Schon weicht dem Tag die Nacht!
Lit.: K. Bartsch, Die romanischen u. d. deutschen T.,
in: Gesammelte Vortrage, Freiburg i. Br. 1883; W. de
Gruyter, Das deutsche T., Diss. Lpz. 1887; G. Schlae-
ger, Studien iiber d. T., Jena 1895; Th. Kochs, Das deut-
sche geistliche T., = Forschungen u. Funde XXII, Miin-
ster i. W. 1928; F. Nicklas, Untersuchungen iiber Stil
u. Gesch. d. deutschen T., = Germanische Studien LXXII,
Bin 1929; N. Mayer-Rosa, Studien zum deutschen T.,
Diss. Tubingen 1938; H. Ohling, Das deutsche T. v. MA
bis zum Ausgang d. Renaissance, Diss. Koln 1938; E.
Scheunemann, Texte zur Gesch. d. deutschen T., er-
ganzt u. hrsg. v. Fr. Ranke, = Altdeutsche Ubungstexte
VI, Bern (1947); Br. Stablein, Eine Hymnusmelodie als
Vorlage einer provenzalischen Alba, in: Miscelanea en
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; A. T. Hatto,
Das T. in d. Weltlit., DVjs. XXXVI, 1962.
Tail gate (te:l ge:t, engl., herunterklappbare Riick-
wand eines Pferdewagens), Bezeichnung fiir eine Po-
saunenspielweise im -> New-Orleans-Jazz. Bei Fest-
umziigen und StraBenparaden in New Orleans f uhren
auf Pferdewagen meist auch Jazzkapellen mit. Dabei
saB der Posaunist gewohnlich an der Hinterwand des
Wagens, um fiir das Spielen seiner Zugposaune genii-
gend Platz zu haben. Hieraus ergab sich die Benennung
fiir die Spielweise. Charakteristisch fiir den T. g. ist das
haufige scharfe -> Portamento (slide), das meist (falsch-
lich) als ->• Glissando beschrieben wird und durch das
die Tone im Sinne der -> Hot-Intonation angespielt
werden. Bekanntester T. g.-Posaunist ist Kid Ory.
Taille (ta:j, frz.), ist vom 16. bis 18. Jh. die gelaufige
franzosische Bezeichnung fiir die Tenorstimme sowie
fiir den Sanger und die Instrumente (t. de violon,
-> Viola tenore - 1), die diese Stimme ausfiihren; sie
wird erst seit dem spateren 18. Jh. unter italienischem
EinfluB allmahlich wieder durch das Wort ->■ Tenor (- 1)
ersetzt. Die neuzeitliche sprachliche Erklarung von T.
als Mittelstimme entspricht zwar der kompositorischen
Stellung des Tenors seit dem 15. Jh. (z. B. im 5st. Instru-
mentalsatz J.-B.Lullys: Dessus - Haute contre - T. -
Quinte - Basse), doch geht T. mit hoher Wahrschein-
lichkeit auf den seit dem 14. Jh. greifbaren Terminus
technicus des isorhythmischen Motettenbaus ->■ Talea
zuriick, mit dem die Wiederholung rhythmischer Sche-
mata vornehmlich in der Tenorstimme benannt wurde.
Lit. : J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys,
= Miinchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961.
Takt (engl. measure oder bar; frz. mesure; ital. mi-
sura). Der T.-Begriff umfaBt zwei Bestimmungsmerk-
male: die Schlagart (-> Dirigieren) und die Gruppie-
rung von Notenwerten zu einer Einheit, die als gleich-
maBig wiederkehrendes Bezugsschema (J J) wechseln-
den rhythmischen Gestalten, z. B..J* J \ J J J J oder a,
zugrunde liegt. Die Teile eines T.es sind im »Akzent-
stufentakt« (H.Besseler; ->■ Akzent - 3), der sich in der
Kunstmusik um 1600 durchzusetzen begann (G.Ga-
stoldi, Balletti, 1591), nach ihrem Gewicht unterschie-
den: im 4/4-T. bildet das erste Viertel den Haupt-,
das dritte einen Nebenschwerpunkt: x —'■ T.-Arten
werden durch Briiche bezeichnet : der Zahler gibt die
Anzahl, der Nenner den Wert der zu einem T. zusam-
mengeschlossenen Noten an; C ist (seit dem 17. Jh.) als
4/4, $ als 2/2 zu verstehen (->■ Allabreve). - Bis zum
friihen 18. Jh. ( J. Mattheson 1713) wurde als T. nur der
Schlag (-> Tactus) bezeichnet; die Gruppierung der
Noten werte nannte man ->• Mensur (- 2). 4/4 und 6/4
waren als Mensuren verschieden, aber dem Tactus nach
gleich : ob dessen Teile, der Nieder- und der Aufschlag,
z. B. 2/4 oder 3/4 umfaBten, anderte ihn nicht. Erst um
die Mitte des 18. Jh. (Quantz Versuch) wurden Schlag
und Mensur zu der Kategorie T. zusammengefaBt.
Doch stimmt die Schlagart mit der Gruppierung der
Notenwerte, die durch eine T.-Vorzeichnung ausge-
driickt wird, nicht immer iiberein ; und seit dem 19. Jh.
versteht man unter einer T.-Art ausschlieBlich die
Gruppierung der Notenwerte, unabhangig von der
Schlagart: z. B. behalt der 3/4-T. seinen Namen auch
dann, wenn er ganztaktig geschlagen wird. - Von der
T.-Art als Quantitat ist die T.-Qualitat zu unterschei-
den, die von der Zahlzeit abhangt. (Die Zahlzeit braucht
weder mit dem im Nenner der T.-Vorzeichnung ge-
nannten Notenwert noch mit der vom Dirigenten ge-
wahlten Schlagart iibereinzustimmen.) Nach ihrer
Qualitat gliedern sich die T.-Arten in einfach binare
wie 2/2, 2/4, 6/4 (Zahlzeit J.) und 6/8 (Zahlzeit J.), zu-
sammengesetzt binare wie 4/2, 4/4, 12/8 (Zahlzeit J.)
933
Taktstock
und 12/16 (Zahlzeit J^), einfach ternare wie 3/l, 3/2,
3/4, 3/8, 9/8 (Zahlzeit J.) und 9/ 16 (Zahlzeit Ji) und
zusammengesetzt ternare wie 6/2 (Zahlzeit J), 6/4
(Zahlzeit J) und 6/8 (Zahlzeit J)). Ein 24/16-T. beruht
entweder auf Dreiteilung der Achtel eines 4/4-T.es (J.
S. Bach, Wohltemperirtes Clavier I, Praeludium G dur,
BWV 855) oder auf Zweiteilung der Achtel eines 12/8-
T.es (BWV 768). Man spricht von einem »kleinen T.«,
wenn der notierte T. aus einer einzigen Zahlzeit be-
steht (Beethoven, op. 27 Nr 1, Scherzo), und von ei-
nem »groBen T.«, wenn er als Zusammenfassung von
zwei T.en empfunden wird (Beethoven, op. 13, Gra-
ve). Die Zahlzeit einer T.-Art ist nicht immer eindeu-
tig. Einerseits ist es moglich, zweiZahlzeiten sich durch-
kreuzen zu lassen; fur die T.-Qualitat des »singenden
Allegros« bei Mozart ist die Gleichzeitigkeit von 4/4
und 2/2 charakteristisch. Andererseits karin, ohne daB
sich die T.-Vorzeichnung andert, die Zahlzeit im Ver-
laufe eines Satzes wechseln; der Zahlzeitwechsel muB
allerdings vom auffiihrungstechnisch bedingten Schlag-
zeitwechsel unterschieden werden. - In unregelmaBi-
gen T.-Arten ist entweder die Gruppierung der Zahl-
zeiten oder deren Dauer variabel: der 5/4- und der
7/4-T. sind Zusammensetzungen aus einem binaren
und einem ternaren T., z. B. Chopin, Kl.-Sonate C moll
op. 4, Larghetto; Wagner, Tristan und Isolde, 3. Akt;
Liszt, Dante-Symphonie; Tschaikowsky, 6. Sympho-
nic, 3. Satz. Bartoks »bulgarischer Rhythmus« J J J J.
ist als 4zeitiger T. mit gedehnter vierter Zahlzeit zu
verstehen.
Lit. : M. Benecke, Vom T. in Tanz, Gesang u. Dichtung,
Diss. Lpz. 1891; H. Riemann, Vorschlage zur Beschran-
kung d. Willkiir in d. Wahl d. Notenwerte f. d. Taktschlage,
in : Praludien u. Studien I, Heilbronn 1 895, Nachdruck Hil-
desheim 1967; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik,
Lpz. 1 903 ; G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, = Klei-
ne Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913, Nachdruck
Hildesheim 1965, Wiesbaden 1966; Th. Wiehmayer, Mus.
Rhythmik u. Metrik, Magdeburg 1917; R. Steglich, Ober
Dualismus d. Taktqualitat im Sonatensatz, Kgr.-Ber. Wien
1927; ders., Die elementare Dynamik d. mus. Rhythmus,
Lpz. 1930; G. Becking, Der mus. Rhythmus als Erkenntnis-
quelle, Augsburg 1928, Nachdruck Darmstadt 1958; Thr.
G. Georgiades, Der griech. Rhythmus, Hbg 1949; H.
Heckmann, Der T. in d. Musiklehre d. 17. Jh., AfMw X,
1953; H. Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz.
CIV, 6, 1959 ; E. Barthe, T. u. Tempo, Hbg 1960; C. Dahl-
haus, Zur Entstehung d. modernen Taktsystems im 1 7. Jh. ,
AfMw XVIII, 1961 ; ders., Zur Taktlehre d. M. Praetorius,
Mf XVIII, 1 965 ; W. Durr, Auf t. u. Taktschlag in d. Musik
um 1600, Fs. W. Gerstenberg, Wolfenbiittel u. Zurich
(1964); Fr.-J. Machatius, Dreiert. u. Zweiert. als Eu-
rhythmus u. Ekrhythmus, ebenda. CD
Taktstock ->• Dirigieren.
Taktstrich (engl. bar, haufiger bar-line; frz. barre;
ital. stanghetta) heiBt der senkrecht das Liniensystem
oder die Akkolade durchschneidende Strich, der ur-
spriinglich (->• Tabula compositoria; ->- Partitur) nur
der Obersicht diente, seit dem 17. Jh. aber im allge-
meinen die Note, vor der er steht, als Schwerpunkt
im ->- Takt kennzeichnet. - Die in regelmaBigen oder
unregelmaBigen Abstanden gesetzten T.e in Orgel-
und Lautenbiichern des 15. und 16. Jh. (C.Paumann,
Fundamentum organisandi, 1452) und in den sporadisch
iiberlieferten Partituren von Vokalmusik, die fur das
Kontrapunktstudium oder die Orgelbegleitung be-
stimmt waren (A.Valente, Versi spirituali, 1580), sind
als Orientierungsstriche zu verstehen; die erste Semi-
brevis einer durch T. abgeteilten Brevis ist nicht ge-
wichtiger als die zweite. Ob das Ziehen von T.en beim
Komponieren allgemein iiblich (A.Lampadius 1537)
oder eine bloBe Hilfe fiir Anf anger war (J.Bermudo
934
1555), ist ungewiB. Im
17. Jh. verdeckt der
notierte 4/4-Takt nicht
I tri-on-fi di mor - te se ] ten e i ne n realen 6/4-
Takt (Beispiel aus CI. Monteverdi, Altri canti di Marte,
GA VIII, S. 189). Noch im 18. und 19. Jh. gilt die
Regel, daB der T. den Schwerpunkt bezeichnet, nicht
uneingeschrankt (-> Hemiole). Die Ausnahmen sind
im allgemeinen in der Scheu, einen Taktwechsel zu
notieren, begriindet; z. B. wird ein zwischen 4/4-
Takte eingefugter 2/4-Takt nicht als solcher kenntlich
gemacht, so daB sich in den folgenden 4/4-Takten die
Schwerpunkte um 2 Viertel verschieben. Im 20. Jh. er-
fiillt der T. entgegengesetzte Funktionen: einerseits
wird er als Akzentzeichen in oft unregelmaBigen Ab-
standen gesetzt (Strawinsky, Bartok) ; andererseits dient
er bei der Aufzeichnung serieller Rhythmik, die nicht
auf eine Zahlzeit und eine Taktart bezogen ist, als
bloBer Orientierungsstrich.
Lit. : O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 1 6. Jh., Lpz.
1910; H. Riemann, Die Taktfreiheiten in Brahms' Liedern,
Mk XIL 1912/13; R. Cahn-Speyer, T. u. Vortrag, ZfMw
VII, 1924/25; Th. Wiehmayer, Zur »Taktfrage«, ebenda;
R. Steglich, Ober d. Formhoren d. Barock, Kgr.-Ber.
Lpz. 1925; E. Tetzel, Rhythmus u. Vortrag, Bin 1926;
E. E. Lowinsky, Early Scores in Ms. , JAMS XIII, 1 960 ; S.
Hermelink, Die Tabula compositoria, Fs. H. Besseler,
Lpz. 1961. CD
Talea (lat., auch talla; ital. taglia) ist in der Musik-
theorie des 14./15. Jh. ein Terminus technicus des iso-
rhythmischen Motettenbaus (-> Isorhythmie) und be-
zeichnet (im Unterschied zu -*■ Color - 2) entweder die
durch die mehrfache Wiederholung eines rhythmi-
schen Modells gepragte Gesamtstruktur einer Stimme
( . . . in colore repetuntur solum similes voces, in t. vero re-
petuntur solum similes figurae . . . , Pr. de Beldemandis
1408, CS III, 226b) oder den erst zu wiederholenden
rhythmisch festgelegten Abschnitt selbst (Tenor LUCE
CLARUS a tre taglie di valore . . ., in: Notitia del valore,
spateres 14. Jh., CSM V, 57). Die gelegentliche Gleich-
setzung von T. und Color (so bei J. de Muris und Pr. de
Beldemandis) erklart sich aus der Tatsache, daB jede
Wiederholung gleicher Abschnitte unter den Begriff
des Color fallt, so daB die Verwendung der Bezeich-
nung T. nur dort als notwendig empfunden wird, wo
es die kompositorische Verwirklichung rhythmischer
wie melodischer Wiederholung in einer einzigen Stim-
me zu unterscheiden gilt, namlich im Tenor: Quae
diver sitas [inter colorem et taleam], licet servetur in quam-
pluribus tenoribus motettorum, non tamen servatur in ipsis
motettis (motetti hier im Sinne von Oberstimmen ;
J. de Muris, Libellus cantus mensurabilis, 1340-50, CS
III, 58b). -> Taille.
Talon (tal'5, frz.) ->• Frosch.
Tambour (tab'u:r, frz.), Trommel; t. de basque
-*■ Schellentrommel, t. roullant -» Ruhrtrommel, t. a
friction ->• Reibtrommel, t. de bois -*■ Schlitztrommel.
T. bezeichnet auch den Trommler (t. maitre ist der T.
im Korporalsrang; t.-major der Regimentstrommler).
Tambourin (tabur'e, frz., Diminutiv von tambour),
- 1) kleine zweifellige Zylindertrommel (frz. auch t. de
Provence), die zusammen mit der -» Einhandflote noch
heute in der Provence gespielt wird (dort auch tamboril
genannt). T. de Gascogne oder du Beam ist ein Saiten-
instrument, das in Siidfrankreich ebenfalls zur Einhand-
flote gespielt wird (vgl. dagegen ->• Tamburin). - 2) leb-
hafter, aus der Provence stammender Tanz im 2/4-
Takt. Er erhielt seinen Namen von der charakteristi-
schen instrumentalen Begleitung mit Tamburin und
-> Einhandflote, von einem Musikanten gespielt. Der
Tanz
T. war im 18. Jh. weit verbreitet und fand auch in die
Kunstmusik Eingang (J.-Ph.Rameau, Pikes de clavecin
II, 1724; Les fetes d'Hibi, 1739), wobei sich die Beglei-
tung in Nachahmung der Trommelschlage hauptsach-
lich auf Repetitionen der Tonika und Dominante be-
schrankt.
Tamburin (von frz. tambourin), in Deutschland Be-
zeichnung fiir die -*■ Schellentrommel.
Tamburo (ital.), Trommel; t. militare, kleine Trom-
mel, t. rullante -*■ Ruhrtrommel, t. basco -> Schellen-
trommel, t. di provenza ->• Tambourin (- 1), t. di canna
-> Schlitztrpmmel.
Tamtam (seltener Tam-Tam; lautmalend von ma-
laiisch + tammittam; frz. und ital. tam-tam; engl. meist
gong), ein flaches -> Gong-Instrument von ca. 60-
125 cm (seltene Riesenexemplare 150 cm 0). Das T.
wurde zum ersten Mai in Gossecs Trauermarsch zum
Begrabnis Mirabeaus (1791) verwendet, spater dann im
Orchester der franzosischen Grand Opera (Steibelt,
Romio et Juliette, 1793; Spontini.La Vestale, 1807). Der
mit einem Filzkopf-, Pauken- oder Trommelschlagel
ausgefiihrte Schlag oder Wirbel erzeugt einen unbe-
stimmten Klang mit langanhaltendem Nachklang; die
Abdampfung (-> etouffe) geschieht mit der Hand,
neuerdings mit einem Filzscheibendampfer. Durch un-
terschiedliche Behandlung des Instruments, wie das von
Strawinsky geforderte Reiben des Randes mit einem
Triangelstab (Le sacre du printemps, 1913), werden ver-
schiedenartige Klangwirkungen erzielt. Die Ausdrucks-
breite des T.s reicht vom Dumpf-Dusteren (Tschai-
kowsky, VI. Symphonie; R.Strauss, Tod und Verkla-
rung) bis zu spriihender Leuchtkraft (Ravel, La Valse,
1920). Besonders oft erscheint das T. in den Orchester-
kompositionen des 20. Jh., so bei Varese, Boulez und
Stockhausen. - In ethnographisch-instrumentenkund-
licher Literatur wird die afrikanische Holztrommel
{-*■ Schlitztrommel) oft als T. bezeichnet.
Tanbur (arabisch, auch tambur oder tunbur, daraus
metathetisch pandflr; griech. roxvSoupa), eine Lang-
halslaute mit kleinem gebauchtem Corpus, wenigen
Saiten und zahlreichen Biinden. Langhalslauten sind im
alten Orient seit der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr.
bekannt, dann im antiken Griechenland und Rom,
wo sie als fremdlandische Instrumente galten. Im
arabischen Mittelalter wird der T. u. a. von al-Farabi
beschrieben, der 2 Typen mit bis zu 20 Biinden und
verschiedenen Stimmungen kennt: den Tunbur von
Bagdad, der im Unterschied zum pythagoreisch ge-
stimmten 'Ud harmonisch oder temperiert gestimmt
ist, und den (persischen) Tunbur von Horasan in 17stu-
figer pythagoreischer Stimmung. Durch die Araber
kam der T. nach Europa : in Spanien ist er im 13. Jh. in
den Miniaturen zu den -> Cantigas de Santa Maria ab-
gebildet; auch Mischformen mit der -> Fiedel (- 1)
sind im westlichen Europa nachweisbar. In Suditalien
beschreibt Tinctoris 1486 tambur als ein kleines, diirfti-
ges Instrument in der Form eines KochlSffels (coclearis)
von turkischem Ursprung, mit 3 Saiten, die mit den
Fingern oder mit Plektron gezupf t werden. In der euro-
paischen Musikgeschichte taucht die Langhalslaute erst
mit dem vom T. abgeleiteten ->• Colascione auf. - Im
Vorderen Orient und in den arabisch sprechenden Lan-
dern Nordaf rikas ist der T. noch heute bekannt, auch auf
dem Balkan (tamburica), im Kaukasus und in Indien,
wo der Tamburi 4 Saiten hat, die aber nicht gegriffen,
sondern nur bordunierend gespielt werden.
Lit. : Julius Pollux, Onomastikon IV, 60, hrsg. v. E. Bethe,
= Lexicographi Graeci IX, Lpz. 1900; al-FArAbI, Kitab
al-muslql al-kablr, frz. als: Grand trait6 de la musique, in:
Baron R. d'Erlanger, La musique arabe I, Paris 1930; Fr.
Behn, Die Laute im Altertum u. fruhen MA, ZfMw I,
1918/19; K. Geiringer, Der Instrumentenname »Quin-
terne« . . ., AfMw VI, 1924; H. Husmann, Grundlagen
d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961; W.
Stauder, Zur Friihgesch. d. Laute, Fs. H. Osthoff, Tutzing
1961; Ph. Anoyanakis, Ein byzantinisches Musikinstr.,
AMI XXXVII, 1965.
Tangente (von lat. tangens, beriihrend), ein (Metall-)
Stift, der in der -»• Mechanik von besaiteten Tasten-
instrumenten auf dem einen Ende der Taste sitzt, gegen
die Saite gedriickt wird und sie abteilt (Drehleier) oder
den Ton erzeugt (T.en-Klavier) oder beides zugleich
bewirkt (Clavichord, Cembal d'amour).
Tangentenklavier, eine Zwischenform von Cemba-
lo und Hammerklavier; ein dockenahnliches, oben mit
Leder bedecktes Holzstabchen (Tangente) wird iiber
Zwischenglieder (Treiber, StoBer) gegen die Saite ge-
schleudert. Ein zweites Holzstabchen, das auf dem Ende
des Tastenhebels steht, dient als Dampfer. Die Erfin-
dungen von T.en durch Cuisinies (1708) und Marius
(1716) in Paris wurden nicht praktisch ausgewertet, in
geringem Umfang die von Schroter (1739) in Dresden.
Fr. J. -*■ Spath und Schmahl in Regensburg bauten Tan-
gentenfliigel etwa von 1751-1812.
Lit. : H. Herrmann, Die Regensburger Klavierbauer Spath
u. Schmahl u. ihr Tangentenfliigel, Diss. Erlangen 1928;
R. E. M. Hardino, The Pfte, Cambridge 1933 ; Fr. J. Hirt,
Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955.
Tango, ein seit etwa 1900 in den Vororten von Buenos
Aires beheimateter Tanz, der aus Elementen der Ha-
banera und der Milonga bestand und seit 1911, von
Siidamerika nach Europa importiert, als Gesellschafts-
tanz im langsamen 2/4-Takt mit gemessenen Kreuz-
und Knickschritten und spannenden Stillstanden in-
mitten des Schreitens bekannt und auBerordentlich be-
liebt wurde. - Der neue T. milonga unterscheidet sich
von jenem T. argentino durch sein lebhaf teres Tempo
und durch Synkopierung der Melodie im 4 FT% JH |
ersten Viertel bei be vorzugter Notierung 8
im 4/8-Takt. Bevorzugt wird die Zusammenstellung
von Violine, Gitarre und Akkordeon bzw. Bandonion,
Klavier und KontrabaB. In Kompositionen erscheint
der T. u. a. bei I.Albeniz, Strawinsky, Hindemith,
Kfenek, C.Beck, E.Schulhoff.
Lit. : A. Friedenthal, Musik, Tanz u. Dichtung bei d.
Kreolen Amerikas, Bin 1911; I. Carella, El t., Buenos
Aires 1956.
Tantiemen (frz. droits d'auteur; engl. performing
fees, royalties), Gewinnanteile des Urhebers an den
Einnahmen aus seinen Werken, speziell aus Biihnen-
werken (»GroBe Rechte«, frz. grands droits; -*■ Auf-
fiihrungsrecht). Der heute ubliche T.-Satz betragt fiir
ein geschiitztes abendfiillendes Werk im Durchschnitt
10% der Theaterkasseneinnahme (zuzuglich der Abon-
nementsquote). In Deutschland wurde die Grundlage
fiir eine solche Abgabe durch die Bundesbeschliisse
vom 22. 4. 1841 und vom 12. 3. 1857 geschaffen (in
Frankreich schon wesentlich friiher, -*■ SACEM). R.
Wagner verfolgte diese Entwicklung sorgfaltig und
stellte fest (Mein Leben I, S. 410), daB nun in Berlin von
Herrn Kiistner zu Gunsten seines alten Freundes Lachner
und dessen Oper s>Katharina von Cornaro« die sehr eintrag-
liche Tantieme eingefuhtt worden war . . .
Tantum ergo (lat.) ->• Pange lingua.
Tanz. Seine Bedeutung fiir die Musik liegt darin, daB
er einen zahlenmaBig geordneten Periodenablauf er-
fordert. Die heutige Alleinherrschaft des Einzelpaar-
T.es stammt aus dem 19. Jh., das daneben - als letzte
Form des Reigens - noch die Gruppentanze Cotillon
935
Tanz
Lamento di Tristano
Geriistmelodie
-■ -" = ■ — . —
und Quadrille gekannt hat. Frtiher iiberwogen die
Gruppentanze, im europaischen Mittelalter wie in den
alteren Kulturen. Der am T. beobachtete Periodenbau
mit 4, 8, 16 und 32 Takten erschien 1752 J. ->■ Riepel
unserer Natur dergestalt eingepflanzet, dafi es uns schwer
scheinet, eine andere Ordnung (mit Vergnugen) anzuhoren
(Anfangsgriinde . . . De rhythmopoeia, S. 23). H.Riemann
erblickte im Achttakter die Einheit, die dem in der
»Metrik« erfaBten musikalischen GroBverlauf wesens-
maBig zugrunde liege. Nachdem die Vergleichende
Musikwissenschaft auBerhalb Europas ganz andere
zeitliche Ordnungen beobachtete, erschien Riemanns
Ansicht lange Zeit unhaltbar. In der Volkerkunde ge-
langte man jedoch neuerdings zu der Erkenntnis, daB
der T. als dlteste kiinstlerische Aufierung anzusehen ist,
weil er gerade in den friihesten Kulturen im Vordergrund
steht (K.Dittmer). Damit wird die regelmaBige Perio-
dik des Gruppen-T.es ein Merkmal des Urspriinglichen
in der Musik. Das bestatigt die Untersuchung des Kin-
derliedes, dessen Rhythmik in der ganzen Welt auf ei-
nem System von 8 Bewegungseinheiten mit der Ord-
nung2 + 2 und 2+2beruht (C.Brailoiu). Anscheinend
durchlauft der Mensch im 3. Lebensjahr, dem bioge-
netischen Grundgesetz entsprechend, gleichsam die
Stuf e einer altsteinzeitlichen Jagerkultur, fiir die Kult-
tanze einer Gruppe charakteristisch sind. Auf dieser
Stufe war die Musik nicht eine selbstandige Kunst, son-
dern mit dem Kultus und dem T. verbunden. - Der
Einzel-T. reicht ebensoweit zuriick, denn aus Bildern
der Altsteinzeit kennt man den »Zauberer« in der Maske
eines Tieres, das gejagt und gleichzeitig verehrt wird.
Sicher haben auch ganze T.-Gruppen z. B. den Baren
»gespielt«, so daB der bildhafte, dramatische T. als Kul-
tus friih vorhanden war, vielleicht iiberhaupt am An-
f ang der Entwicklung stand .
Welche Rolle der T. beim Ubergang zur Geschichte in
den Kulturen des Altertums gespielt hat, ergibt sich aus
Bildzeugnissen. Fiir Agypten und Mesopotamien ist er
vielfaltig zu belegen, im Dienst des Kultes wie der Ge-
selligkeit. In Griechenland wurden neben dem Reigen
der Jiinglinge und Madchen, den schon Homer be-
schrieb, auch Einzeltanze gepflegt. Die Griechen kann-
ten sowohl die bildlose Choreutik wie die bildhafte, im
Theater gipfelnde Orchestik. Die Unterscheidung lan-
ger und kurzer Silben im Griechischen f iihrte zur quan-
titierenden Dichtung; nach dem Text richteten sich
Musik und T., die eine Einheit bildeten (xopeta). Das
Wort x°p6(? (-»■ Chor) bedeutet Gesang mit Reigen-T.
Die Romer, wenig tanzfreudig, iibernahmen spater
manches vom griechischen Vorbild, kannten auch die
-> Pantomime, eine wortlose Darstellung nur mit Hil-
fe von T. und Musik.
Die groBe Zasur in der Geschichte des T.es brachte das
Christentum. Angesichts der Rolle von T. und Instru-
mentalmusik in heidnischen Kulten verzichtete man
auf beides, um einen nur auf das Wort gestellten Got-
tesdienst zu schaffen. Der altromische und der soge-
nannte gregorianische Choral sind reiner Gesang, ohne
Beziehung zum T. Der Protest gegen obscoeni motus,
saltationes seu choreae auf Kirchhofen dauerte bis ins 15.
Jh. - Um 1200 herrschte nicht nur im Organum eine
tanznahe Rhythmik, sondern auch Kleriker tanzten
gem in Prozessionen; auch gab es 1st. T.-Lieder in la-
teinischer und franzosischer Sprache, denen deutsche
folgten. Der Reigen iiberwog, doch trat zu ihm der
Einzelpaar-T. In der Stauferzeit verband man gern den
Gruppen-T. (mhd. reien; altfrz. carole) mit einem vor-
angehenden ruhigen Einzelpaar-T. (mhd. t. ; altfrz.
danse) ; dies wurde bald zum Prinzip. Das altfranzosi-
sche Rondeau mit Wechsel von T.-Gruppe und Einzel-
sanger wurde schon im 13. Jh. mehrstimmig behandelt
und blieb 2 Jahrhunderte lang eine musikalische Haupt-
form. Ahnliches gilt fiir das erzahlende strophische T.-
Lied mit Refrain, das sich polyphon zur franzosischen
Ballade, andererseits zur italienischen Ballata entwickel-
te, die formal wie das franzosische Virelai gebaut war.
- Seit dem spaten 13. Jh. ist die improvisierte T.-Musik
der Spielleute auch in Aufzeichnungen iiberliefert; zu
den friihesten gehort die 2st. Bearbeitung einiger
Estampien fiir Tasteninstrument im Robertsbridge Co-
dex (-> Orgeltabulatur; vielleicht aus Italien). Die Spiel-
leute f iihrten ihre Tanze anfangs meist einstimmig oder
einstimmig-heterophon aus und musizierten noch 1500
in der Regel auswendig. In Italien war neben Istampita
(altfrz. estampie, von frankisch + stampon) und Trotto
(von mhd. treten) der Saltarello beliebt. In der Hs. Lo
(-> Quellen) ist ein Lamento di Tristano (auszuf uhren in
ruhigem 3/4-Takt) iiberliefert, der mit seinem Nach-
T. La rotta (in schnellem 2/4-Takt) variationsmaBig
iibereinstimmt (wie das obenstehende Beispieljzeigt).
Der Spielmann benutzte demnach bei 1st. T.-Musik
eine »Gerustmelodie«, die taktweise auf gezeichnet wer-
den konnte und die mit Hilfe von Spielfiguren ausge-
staltet wurde. - Aus dem 15. Jh. ist T.-Musik des Nor-
dens fast nur als Notierung solcher Geriisttone in Ge-
stalt je einer Brevisnote bekannt, unter der die auszu-
fuhrenden Schritte vermerkt sind. Es handelt sich um
die Basse danse, einen langsamen Schreit-T. meist ge-
radtaktig mit dreifacher Unterteilung, der bis ins 16.
Jh. beliebt war. AuBerdem bedeutete franzosisch basse
danse iiberhaupt jeden ruhigen, geschrittenen T., wah-
rend haute danse ein lebhafter, oft gesprungener T.
war; der schnelle Nach-T. der Basse danse hieB Pas de
Breban (Saltarello). Im Charakter ein Hof-T., wurde
die Basse danse grundsatzlich mehrstimmig begleitet,
wobei der burgundische Hof das Vorbild gab. Die
Hs. Briissel, Bibl. royale, Ms. 9085 enthalt viele Ein-
zelstimmen aus mehrstimmigen Chansons als Gerust-
melodien. Der Spielmann verstand sich nach wie vor
auf ihre 1st. Ausgestaltung, aber das Neue war der
dreistimmige, improvisierte Satz, wobei die Geriistme-
lodie im Tenor lag. Nach Bildzeugnissen wirkten Schal-
mei-, Bomhart- und Trompetenblaser zusammen. Um
1484 benannte ein Druckwerk von Tinctoris diese T.-
Kapelle alta (musica) als Gegensatz zur ruhigen Basse
musique der Kammer; so rechtfertigt sich fiir die Bla-
serkapelle der Terminus »Alta«. Die Rolle Italiens in
der Friihrenaissance zeigt sich in wichtigen Lehrschrif-
ten seit 1450 (-> Gesellschafts-T., Lit.). Sie beschreiben
lebhafte Tanze wie Saltarello, Quadernaria, Piva neben
936
Tanz
dem Haupt-T. Bassa danza, aber leider nicht deren
mehrstimmige Ausfuhrung. Wie ein auskomponierter
Satz aus Spanien mit dem Titel Alta zeigt (das folgende
Beispiel aus: Cancionero musical de Palacio, f. 223, ed.
Angles, MMEsp X, S. 84), wurde die Geriistmelodie,
dort der T. Re di Spagna (= Castille la nouvelle = La
Spagna), vom Tenor als C. f . meist in Breviswerten vor-
getragen. So erklart sich die italienische Bezeichnung
der T.-Weisen als »Tenor«, denn zu dieser Mittelstim-
me kontrapunktierten Superius und Contratenor.
Tenor
Westen schon vor 1550 als Allemande bekannt. Dort
bevorzugte man als Einzel-T. die Galliarde immer
mehr, so daB sie um 1600 zahlenmafiig an der Spitze
stand. Nur die 2 geradtaktigen Tanze Passamezzo und
Pavane d'Espagne kamen hinzu, sonst jedoch beweg-
tere. Frankreich steuerte mit dem Tourdion und be-
sonders der Courante schnelle Tanze bei, Spanien die
anf angs erotisch-bildhafte Sarabande im Tripeltakt, um
1600 die noch wildere, wohl westindisch angeregte
Chacona, ebenfalls im ungeraden Takt. Diese Paartan-
Der Ubergang zur Polyphonie in der T.-Musik war ein
folgenschweres Ereignis ; die Blaser des 15. Jh. richteten
sich allmahlich nach dem Vorbild der Vokalpolypho-
nie, iibernahmen zum Teil deren Motivik und Haltung.
So drang der niederlandische »Singstil« sogar in die T.-
Musik ein, als ein Hindernis gegen Motivwiederholung
und paarige Symmetrie (-> Niederlandische Musik).
An die Stelle der Improvisation trat mehr und mehr
die Ausfuhrung nach notierten Vorlagen; T.-Drucke
sind seit 1529 erhalten. Infolge der Anpassung an den
Singstil ist die Technik des Sequenzierens einer Spiel-
figur aus den Drucken des 16. Jh. fast verschwunden.
Sehr beliebt als Gruppen- und Einzel-T. war die bild-
hafte, oft in Mohrenverkleidung getanzte Moresca,
vielleicht eineErinnerung an die Kampfe mit den Mau-
ren. Die wenigen musikalischen Zeugnisse ergeben
vom Rhythmus kein einheitliches Bild. Die Ablehnung
der Moresca in B. Castigliones Libra del cortegiano (1514)
zeigt, daB der sich herausbildende »Gesellschafts-T.« des
Adels neue MaBstabe setzte. Italien wurde im 16. Jh.
das fiihrende Land. Nun trennte sich der -»• Volks-T.
als wenig angesehen ab. Die Moresca lebte in Gestalt
des englischen Morris dance fort, wobei sogar alte Me-
lodien im Gebrauch blieben. Auch der traditionelle
Kettenreigen ohne Paare wurde vom Adel seit der Re-
naissance abgelehnt und nun zum Volks-T., wie z. B.
die katalanische Sardana. Gesellschafts-T. in Italien war
besonders der Ballo; beim Hofball tanzte man paar-
weise, in der vom Hof bestimmten Rangordnung. Hier
lebte der bildhafte T. nur teilweise fort, indem Hof-
mitglieder als Einlage etwa eine Moresca selber auf-
fiihrten. Erst sparer kam das »Ballett« als Trager des
Bildhaften hinzu. - Die Gesellschaftstanze des 16. Jh.
bis um 1650 zeigen groBere Freiheit als bisher, da kein
Haupttypus die Alleinherrschaft hatte. An der Spitze
stand der offene Paar-T. Pavane im geraden Takt mit
seiner spanischen Gravitat; zu ihr gehorte als Nach-T.
die Galliarde. Aber man verfuhr mit den Einzeltanzen
recht frei. Der Deutsche T., ein offener Paar-T. im ge-
raden Takt, war stets verkniipft mit einem Nach-T.
(auch Hupfauf, Proporz, Sprung, Tripla) ; er war im
ze teilten die Herrschaft allerdings mit dem Reigen,
dessen Hauptform der franzosische Branle war. Er
nahm im 16. Jh. Anregungen vom Volks-T. auf und
war noch nach 1600 ein beliebter Gesellschafts-T. Mit
dem Heraufkommen des Absolutismus in der 1. Halfte
des 17. Jh. ging die Fiihrung von Italien auf Frankreich
iiber. Die franzosischen Tanze wurden zum Vorbild,
nach denen man sich in hofischen und burgerlichen
Kreisen richtete.
Fur die musikgeschichtliche Neuzeit seit etwa 1600 ist
es charakteristisch, daB die T.-Musik EinfluB auf den
Stil gewann. An die Stelle des niederlandischen Sing-
stils trat eine viel regelmaBigere Polyphonie, und zwar
auf der Grundlage des Akzentstuf entaktes ; dieser stammt
aus der T.-Musik und zeigt zuerst dort die 3fache Ak-
zentstufung, die sparer allgemein iiblich wurde. Das
periodische Prinzip der T.-Musik setzte sich erst im 18.
Jh. Schritt fur Schritt durch, wahrend der Starke T.-
EinfluB der Zeit um 1600-30 von anderen Kraften wie-
der zuriickgedrangt wurde. Beim Stilwandel um 1600
gingen von Italien Anregungen aus durch Gastoldis Bal-
letti-T.-Lieder, wahrend England durch seine dem T.
gewidmete Instrumentalmusik fiir Consort und Vir-
ginal zur Verschiebung der Gewichte zugunsten des
Instrumentalen beitrug, die im 17. Jh. erfolgte. In
Deutschland wirkte H.L.HaBlers T.-Liedersammlung
Lustgarten . . . (1601), mit einem instrumentalen An-
hang, als Vorbild. Schon 1604 veroffentlichte V. HauB-
mann eine rein instrumentale Sammlung. Die Allge-
mein wirkung des T.es ist daran zu erkennen, daB 1618
Descartes im Compendium musicae fiir eine Komposition
das Zahlenverhaltnis der Takte mit 1:2:4:8:16: 32 um-
schrieb, obwohl diese an der T.-Musik gemachte Be-
obachtung noch keineswegs fiir die iibrige Polyphonie
gait. Seit 1600 begann der ZusammenschluB mehrerer
Tanze zu einer »Suite«. Derartige Versuche niederlan-
discher Instrumentalisten und italienischer Lautenspie-
ler im 16. Jh. hatten noch nicht zu einer Tradition ge-
fiihrt. An der neuen musikalischen Form hatten die
Englander anscheinend kein Interesse, obwohl sie nicht
nur den Instrumental-T. reich bedachten, sondern auch
937
Tanz
das seit 1600 daraus entwickelte instrumental Charak-
terstiick. Es wurde in Deutschland innerhalb der Suite
zum Gegenpol der eigentlichen Tanze. Das Wort Or-
chestersuite* ist miBverstandlich, da es eine Verviel-
fachung der Streicher erst in der venezianischen und
franzosischen Oper gab. Peuerls 4satziger Suitentypus
von 1611 bestand aus 2 Satzpaaren, bei denen der T-
Charakter beibehalten oder die Tanze verschiedenartig
stilisiert wurden. Viel einheitlicher und das eigentliche
Meisterstiick der Gattung waren die 1617 gedruckten
Suiten von Schein mit je 5 Satzen. Hier steht am SchluB
der alte deutsche T., zuriickimportiert als Allemande,
im 4st. Satz, gefolgt vom Nach-T. Tripla. Die ande-
ren, meist 5st. Satze sind dagegen stilisiert, wenngleich
die unmittelbar vorangehende Courante gern tanz-
mafiig beginnt. Die Pavane als festliches Eroffnungs-
stiick iibernahm sogar die Technik vokaler Polypho-
nie, ihr einstiger Nach-T. Galliarde bleibt mehr dem
T. verhaftet. Die Motivik der Allemande wird in den
stilisierten Satzen sehr frei zu einem Charakterstiick
umgeformt. Die Verwandtschaft der Satzanfange ver-
bindet die Einzelsatze zum Zyklus.
Padouana
auf Ludwig XIV. zuriick, der anfangs die Gotterrollen
der Hofballette selber tanzte und seinen ersten Musiker
J.-B. Lully bis 1655 hauptsachlich als Tanzer auftreten
lieB. In Lullys Schaffen lag der Schwerpunkt nach dem
Ballett bei der Comedie-ballet, ab 1 673 bei der Tragedie
lyrique, womit sich deren T.-Reichtum erklart. - Die
Tanze der franzosischen Oper, durch ihre Musik von
groBer Wirkung, stammen meist aus dem Volks-T.
und sind vom Ballett auch als Reigen darstellbar. Ent-
scheidend fiir den franzosischen Gesellschafts-T. nach
1650 war jedoch die Abschafiung des Reigens. DerEin-
zelpaar-T., kolonnenweise mit demKonig an der Spitze
in strenger Rangordnung durchgefiihrt, hatte nun die
Alleinherrschaf t, so daB auch der immer noch getanzte
Branle sich dem anpassen muBte. Der f iihrende neue T.
war das Menuett (frz. menu, klein, zierlich). Sein
Dreiertakt hatte nichts mehr vom Ausgreif enden f riihe-
rer Tanze, sondern war mit jener graziosen Bewegungs-
kunst verkniipf t, die man beim T.-Meister lernen muB-
te und die seitdem fiir den Gesellschafts-T. in Europa
charakteristisch war. Der Passepied im 3/8- oder schnel-
len 3/4-Takt, aus der Bretagne stammend, spielte nur
Gagliarda
>Hrr.i i r^ i .U.'ij. i rr.) i rrr i i'rT i r..
■ Courente
Mit der Orchestersuite gab es einen instrumentalen
Zyklus, dessen Satze vomjeweiligen T. gepragt waren.
Der Sinn eines solchen Charakterstiicks war jedem H6-
rer ohne Erklarung greifbar. Dies zeigt ein T., der,
durch englische Musiker vorgefuhrt, vom Kontinent
jedoch nur als Charakterstiick aufgenommen wurde:
die rhythmisch sehr mannigfaltige englische Jig. Sie
wandelte sich um 1635 in der delikaten Lautenkunst
von D.Gaultier zur franzosischen Gigue, dann zu ei-
nem Spielstiick im Stile brise der Cembalisten urn. J.
Ch. Chambonnieres. Zuletzt griff Froberger ein, der
Schopfer der deutschen Klaviersuite. T.-Musik gibt es
von Froberger nicht; was ihn und die Nachfolger fes-
selte, war das vom T. mit Sinn erfiillte Charakterstiick
fiir Cembalo. Die Satzfolge Allemande-Courante-
Sarabande-Gigue kommt bei Froberger nur selten vor
und wurde erst nach ihm zur Regel.
Der T. erreichte die groBte Allgemeinbedeutung zur
Zeit des Absolutismus im 17. Jh., als der Adel beim
bildhaften Hofballett selber tanzte, im Wettstreit der
H6fe von Versailles und Wien. Es war neben dem
gleichfalls vom Adel ausgefuhrten RoBballett ein Be-
standteil jener Hoff este, die durch ein universales Kunst-
aufgebot dem Ruhm des Herrschers dienten. Erst als
nachste Stufe erschien in Paris das Ballett von Berufs-
tanzern in Maske, denen der Hof zusah. Seit 1661 war
zu den Ballettauffiihrungen der Academie de Danse
auch zahlendes PubUkum zugelassen. Die bisherige
»Umgangskunst« wurde zur »Darbietungskunst«, eine
Entwicklung, die in Venedig 1637 zur stehenden Oper
gefiihrt hatte. Die Begunstigung des T.es in Paris geht
J. H. Schein, Suite Nr 10,
aus: Banchetto musicak,
Leipzig 1617.
eine Nebenrolle. Dasselbe gilt fiir die spanische Folia
(Folies d'Espagne) im Tripeltakt. Im geraden Takt stan-
den die Gavotte, als Volks-T. in der Dauphin^ behei-
matet, die Bourree, die als Volks-T. in der Auvergne
weiterlebt, und der schnelle Rigaudon aus der Pro-
vence. - Musikgeschichtlich wichtig war die Wirkung
der neuen Tanze auf die Kunst auch aufierhalb des
Theaters. Die Orchestersuite, jetzt in neuzeitlicher Be-
setzung, erhielt durch den Lully-Schiiler Kusser eine in
die Zukunft weisende Umformung. In seinem Druck
von 1682 erschien zum ersten Mai, nach dem Vorbild
der franzosischen Opernsuiten, eine solche Sammlung
fiir den Konzertgebrauch. Da auf die franzosische Ou-
vertiire T.-Nummern in beliebiger Zahl und Ordnung
folgten, kennt dieser Suitentypus nicht mehr die friihe-
re Polaritat von T. und Charakterstiick. Wenn er trotz-
dem bis um 1740 herrschte und bis zu J. S.Bach reiche
Pflege fand, so beruht das wohl vor allem auf der
Durchschlagskraft der Ouvertiire mit ihrem zeitgema-
Ben Pathos. Schon vor 1700 drangen die neuen Tanze
auch in die Klaviersuite ein. Dort bildeten sie zum Cha-
rakterstiick einen erfrischenden Kontrast.
Die Gesellschaftskultur, die die franzosischen T.-Mei-
ster iiber Europa verbreitet hat, war ihrem Wesen nach
hofisch. Dies spiegelt sich in der Tatsache, daB seit 1740
(zuerst in Mannheim unter J. Stamitz) die nun f iihrende
musikalische GroBform der Symphonie als einzigen T.
das Menuett aufnahm. Als hofischer T. fand das Me-
nuett mit dem Aufstieg des Biirgertums in der 2. Halfte
des 18. Jh. immer starkere Kritik und wurde von der
franzosischen Revolution ganz beseitigt, wahrend es
938
Tanz
sich in Deutschland, an den Hofen begiinstigt, noch
einige Zeit behauptete. - Im englischen Country dance
als Gesellschafts-T. gab es sowohl den Kreisreigen
Round wie den immer beliebter werdenden Frontrei-
gen Longways. Das Problem lag in der Verbindung
mit dem jetzt fiihrenden Einzelpaar-T. Bei einer festen
Paarzahl im Round waren mindestens 4 Paare erf order-
lich. In Frankreich gestaltete man diesen Typus zur
Contredanse francaise, bald Cotillon genannt; sie er-
hielt nach 1817, als der Terminus sich wandelte, die
Tourenordnung der Quadrille, die als letzter Vertreter
des Vierpaar-T.es ubrig blieb, wahrend die Francaise
nun zu einem Kolonnen-T. wurde. Hauptform der
viel beliebteren Tanze ohne feste Paarzahl war im 18.
Jh. der Frontreigen, wegen der beliebigen Tanzerzahl
Longway for as many as will genannt. Deutschland
ubernahm ihn nach 1760 als Contra-T. oder Anglaise
im geraden Takt. Da der Gehschritt eine groBe Rolle
spielte, sah die Zeit in den englischen Tanzen den Aus-
druck des »Naturlichen« und bevorzugte sie. In Frank-
reich wurde das Menuett seit 1760 durch die verschie-
denen Formen der Contredanse zuriickgedrangt, die
wahrend der Revolution die Alleinherrschaft hatten.
In Deutschland kannte man seit 1780 auch die be-
schwingte Ecossaise in geradem'Takt, mit einem Tritt-
wechsel-Doppelschritt nach Art der Polka, wahrend
die Ecossaise nach 1800 wieder ruhiger verlief . - In der
Symphonie hatte das Menuett seit Stamitz seinen festen
Platz. Der Contra-T. - womit der englische Reigen als
Typus bezeichnet sei - kam erst viel spa'ter hinzu, ver-
schiedenartig verarbeitet und ohne ausdriickliche Be-
zeichnung. Immerhin eroffnete J.Haydn 1785/86 das
Finale der Symphonie Nr 85 (Hob. I, 85) mit einem
Contra-T. im 2/4-Takt. Die SchluBsatze der 12 Lon-
doner Symphonien Nr 93-104 (Hob. I, 93-104), zum
Teil mit T.-Thematik und Wiederholungszeichen,
iibernehmen beim 6/8- wie beim 2/4- oder 2/2-Takt
die Gehbewegung der englischen Tanze, verlaufen also
nicht ganztaktig, sondern in 2 Zahlzeiten. Besonders
vielseitig hat W. A. Mozart den Contra-T. zum Sere-
naden- und Symphoniefmale ausgestaltet: das Finale
der Symphonie G moll, K.-V. 550, ist auf die 2 Zahl-
zeiten des Anglaisenschrittes gestellt. Zum Finale der
Symphonie Es dur, K.-V. 543, liefert der Contra-T.
K.-V. 565 Nr 1 im Ecossaisentyp eine Entsprechung, so
daB auch hier 2 Zahlzeiten gemeint sind. - Die Auswir-
kungen der T.-Musik sind deutlich auch auf dem Gebiet
der allgemeinen Musiktheorie zu erkennen. Dies zeigt
sich z. B. darin, daB H.Chr.Koch in seinem Versuch
einer Anleitung zur Composition von der instrumentalen
T.-Musik ausgeht und von ihr zur Komposition hin-
leitet. Grundlage der Musik ist nun die am T. beobach-
tete 8taktige Periode.
Die Herrschaft der englischen Reigentanze dauerte nur
kurz, denn schon 1801 wurden sie als »charakterloses
Getrippek verurteilt. Die Fuhrung lag nun beim Wal-
zer, der im 18. Jh. immer beliebter geworden war. Sei-
ne Herkunft vom Volks-T. bezeugt die Ballszene in
Mozarts Don Giovanni, wo nach dem hofischen Me-
nuett und dem burgerlichen Contra-T. der Deutsche
dem bauerlichen Stand zugewiesen ist. Als Gesellschaf ts-
T. muBte der Walzer alles ReigenmaBig-Bildhaf te ab-
legen und zum Einzelpaar-T. werden. Immerhin hat
Schubert noch den Landler im ruhigen 3/4-Takt ge-
kannt; dasselbe ZeitmaB benutzte Bruckner seit der 4.
Symphonie (1874) fur das Trio von Scherzosatzen. In
Wien erhielt der Walzer seine Sonderart durch die gei-
gerische Behandlung bei J.Lanner und J. StrauB(Va-
ter), wobei das Tempo nach 1825 schnell wurde. Die-
sen Walzer erhob J. StrauB(Sohn) zum ausdrucksvollen
Charakterstiick. Als Klavierstiick erscheint der Schnell-
walzer bereits 1819 bei C. M. v. Weber. Besonders viel-
seitig hat Brahms den Walzer fur die Kammermusik
ausgewertet. - Die Beliebtheit des Walzers im 19. Jh.
war starker als einst die des Menuetts, trotz des Wider-
stands etwa am Berliner Hof. Daneben gab es als Ein-
zelpaar-T. die Polka, die sich um 1830 aus einem tsche-
chischen Volks-T. unter Verzicht auf das Bildhafte
in einen Gesellschafts-T. im 2/4-Takt mit Trittwechsel
(wie bei der Ecossaise) verwandelte. Schon vorher
kannte man den Galopp (Rutscher) im schnellen 2/4-
Takt, spater den Rheinlander (Bayerische Polka) im
ruhigen 2/4-Takt, auch Mischf ormen mit dem Walzer.
Aber im 19. Jh. wurde auBer dem Einzelpaar-T. auch
der Reigen gepflegt. Bis 1830 war die Ecossaise im 2/4-
Takt allgemein bekannt, der polnische Mazur im 3/4-
Takt etwa bis 1900. Der alte Cotillon erhielt nach 1817
die 6 Touren der Quadrille mit franzosischer Bezeich-
nung, Zeugnis der einstigen Herrschaft des franzosi-
schen T.-Meisters in Europa. Andere Reigen waren
ortlich begrenzt: nur in Paris gab es den Cancan (Cha-
hut) mit Beinwurf und Sprung der Tanzerin, nur in
Munchen die Francaise als Kolonnen-T. In der 2. Half te
des 19. Jh. traten als Folge des Ubergangs zur Massen-
gesellschaft in der GroBstadt die Gemeinschaftstanze
immer mehr zuriick. Als einziger Gruppen-T. blieb
die Quadrille, die auch noch im 20. Jh. an eine groBe
Vergangenheit erinnert.
Fur den Gesellschafts-T. im 20. Jh. ist zunachst die vol-
lige Herrschaft des Einzelpaar-T.es charakteristisch,
ferner die Anregung durch amerikanische Tanze, der
rasche Wechsel von oft nur eine Saison lang herrschen-
den Modetanzen und in neuester Zeit eine Auflocke-
rung des Paartanzes bei starkerer Betonung der Bewe-
gungsmomente. Seit 1900 erschienen die brasilianische
Maxixe, ebenfalls aus Siidamerika der Tango und spa-
ter aus Kuba die Rumba, aus Nordamerika der One
step (Turkey trot), der Cake walk, dann der Foxtrott,
nach 1920 der Shimmy, der Charleston, der Blues und
der Black-bottom. Gegemiber diesen und vielen weite-
ren Tanzen im 2/4- oder 4/4-Takt ist der im 19. Jh.
fuhrende 3/4-Takt in der Minderheit, denn er taucht
nur im Boston auf oder im English waltz sowie wei-
terhin im Wiener Walzer. Auch die seit 1946 iibernom-
mene brasilianische Samba und der nordamerikanische
Boogie-Woogie stehen wieder in geradem Takt. Wirk-
sam war vor allem die nordamerikanische T.-Musik,
die 1918 als Jazz auf Europa iibergriff. Starke Anre-
gungen gab der Jazz den Komponisten Weill und spa-
ter in den USA Gershwin. Bei Strawinsky, Milhaud,
Hindemith und Kfenek beschrankte sich die Ausein-
andersetzung auf gewisse Schaffensperioden. Somit
gewann die T.-Musik nun wieder EinfluB auf das
Schaffen.
Das im 17. Jh. entstandene Ballett, das bis 1820 eine
selbstandige Rolle in der Oper gespielt, dann an Bedeu-
tung verloren hatte, wurde am Zarenhof in St. Peters-
burg erneuert. Das Gastspiel des Ballet russe in Paris
ab 1909 ermoglichte jene 3 Ballettkompositionen von
Strawinsky, durch welche diese Gattung wieder Ak-
tualitat gewann. Vorangegangen war die Erneuerung
des Solo-T.es durch Isadora Duncan, die seit 1900 star-
ken EinfluB ausiibte. Damals begann R. v. Laban seinen
Weg, der zum neuen Ausdrucks-T. fiihrte. Bei seiner
Schiilerin Mary Wigman ging im »absoluten T.« die
Verbindung mit der Musik wieder verloren. Um so
starker war sie bei Jaques-Dalcroze, dem Begriinder
der »rhythmischen Gymnastik«, der in Hellerau und
Genf tatig war. Sein Schiiler R.Bode hat am univer-
sellsten gearbeitet und die »Ausdrucksgymnastik« ge-
funden. Wichtig waren die Versuche, die Orff seit 1924
mit Dorothee Giinther in einer Munchner Schule fur
939
Tanzmeistergeige
Gymnastik, T. und Musik unternahm; sie fiihrten zu
OrfEs Schulwerk (1930-35). Damit war der T., von der
Erziehung her, sogar in einen schopferischen Zusam-
menhang mit der Musik gebracht. Fur das 20. Jh. ist er
wieder zu einer Lebensmacht geworden.
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danse grecque antique, Paris 1966. HB
Tanzmeistergeige ->■ Pochette.
Tape-check-action (te:p-tfek-'xkf3n, engl.) ->■ Me-
chanik.
Taqsim (arabisch) -» Arabisch-islamische Mu-
sik; ->Nauba.
Tar (persisch, Sake, Plur. tiran), in Persien und Zen-
tralasien eine Langhalslaute, dem arabischen -*■ Tanbur
vergleichbar. Das Corpus ist meist mit einer Schweins-
blase bezogen. Die Bezeichnungen der einzelnen Arten
lassen die Zahl der Saiten erkennen: Dutar mit 2, ->- Si-
tar mit 3, Cartar mit 4 und Panctar mit 5 Saiten, die
iiber einen Hals mit beweglichen Biinden laufen. Die
Wirbel sind seitenstandig. Die T.-Instrumente werden
gestrichen oder mit einem Plejstron gezupf t. - Tar (ara-
bisch, auch tarr) ist die Bezeichnung fur -> Schellen-
trommel.
Tarantella (ital., von tarantola, Tarantel), ein in Siid-
italien beheimateter und im 19. Jh. haufig in die Kunst-
musik ubernommener Volkstanz im 6/8-Rhythmus
(mitunter auch im 12/8- oder 3/8-Takt notiert), her-
vorgegangen aus den Tanzweisen, die in Apulien in
den Sommerrrionaten zu den Heiltanzen der vom Ta-
rentismus Befallenen gespielt wurden. Die von der T.
ausgehende, bis heute anhaltende Faszination ist nicht
zu trennen von dem geheimnisumwitterten Phanomen
des Tarentismus. - Aus der 1 . Halfte des 15. Jh. sind die
ersten Berichte (vgl. Katner 1956) iiber den Tarentis-
mus iiberliefert, eine ratselhafte, angeblich durch den
Stich der Tarantel hervorgerufene Krankheit, die nach
dem Volksglauben nur durch bis zur Erschopfung an-
dauerndes wildes Tanzen geheilt werden konnte. Diese
Tanze, an denen auch nicht von der Krankheit befalle-
ne »Simulanten« (vor allem Frauen) teilnehmen konn-
ten und die in Siiditalien und Spanien teilweise bis in
die Neuzeit als Volkstanz und im Volksbrauchtum le-
bendig blieben (vgl. Schneider 1948, Carpitella/Mar-
tino 1961), arteten zeitweise in orgiastische, dem Veits-
tanz ahnliche Tanzepidemien aus, die sich iiber Apulien
hinaus auf ganz Siiditalien erstreckten. Aus dem 17. Jh.
ist die nach Berichten von Augenzeugen hergestellte
Beschreibung des Tarentismus von A.Kircher (1641
u. 6.) hervorzuheben, der erstmals einige ausschlieBlich
bei den Heiltanzen verwendete Liedtexte und Tanz-
weisen mitteilt. Der fur die T. seit dem 18. Jh. als cha-
rakteristisch geltende 6/8-Rhythmus ist in dem Bericht
des in London wirkenden italienischen Kontrabassisten
St. Storace (der Altere) bezeugt (1753, deutsch 1754;
das Beispiel bei Katner 1956, S. 20). Nachdem sich im
19. Jh. die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daB der BiB
der nach der Stadt Tarent (ital. Taranto) benannten Ta-
rantel (Lycosa tarantula) niemals die in den Berichten
beschriebenen Krankheitssymptome hervorruf t, wurde
der Tarentismus als Aberglaube, Hysterie oder neuro-
tische Storung hingestellt. Es wurde auch vermutet,
daB in dem mit einem starken Anteil griechischer Be-
volkerung besiedelten Apulien Reste des Dionysoskul-
tes unter dem Deckmantel des Tarentismus weiterleb-
ten. R. Robert (1901) stellte die Hypothese auf, daB der
Tarentismus durch den BiB einer kleinen schwarzen
Kugelspinne hervorgerufen werde (ital. malmignatto),
deren verschiedene, nicht nur in Italien, Spanien und
Griechenland, sondern auch in anderen subtropischen
Regionen der Erde beheimateten Arten unter dem zoo-
log ischenGattungsnamen La trodectusbeschrieben wer-
den. Katner (1956) versuchte nachzuweisen, daB es sich
beim Tarentismus urspriinglich um eine durch starke
Warme-undSonneneinwirkunghervorgerufeneHitze-
Hyperpyrexiehandelte, deren Symptome (starke Kopf-,
Magen- und Gliederschmerzen, Erbrechen, Schwindel-
anf alle, Angstzustande usw.) mit denen einer Latrodec-
tus-Vergiftung fast vollig iibereinstimmen. Damit wa-
ren die teilweise merkwiirdigcn Begleiterscheinungen
des Tarentismus, von Schneider (1948; vgl. auch MGG
XIII, Artikel T.) als »rituelle Verhaltensweisen« gedeu-
tet, die iiberlieferte Krankheitsursache (SpinnenbiB)
und die, womoglich auf der antiken Tradition des Ko-
rybantiasmus (-»■ Musiktherapie) beruhende Therapie
940
Technik
durch Heiltanze in einen logischen Zusammenhang ge-
bracht. Eine 1959 durchgefiihrte wissenschaftliche Ex-
pedition konnte neue wertvolle Beobachtungen iiber
die heutigen Erscheinungsformen des Tarentismus in
Apulien sammeln (vgl. E. de Martino 1961).
Die als Volkstanz vor allem in der Gegend von Neapel
von jungen Burschen oder Madchen einzeln (aber auch
paarweise) in stilisierter Nachahmung der Tanze der
Tarentierten mit groBer Ausdauer getanzte T. faszi-
nierte seit demEnde des 18. Jh. zahlreiche Italienreisen-
de, von Goethe (Fragmente eines Reisejoumals aus Italien)
bis R.M.Rilke (Brief vom 11. 2. 1907 an seine Frau
Clara). In der Kunstmusik dienten T.-Rhythmus und
die charakteristische Mollmelodik seit CM. v. Weber
(La T., Finale der Klaviersonate E moll op. 70, 1822)
haufig zur Obermittlung siiditalienischen Lokalkolo-
rits, vor allem in der Programmusik, in der Oper und
im Ballett. Auch in der neueren Unterhaltungsmusik
erfreiit sich die T. groBer Beliebtheit.
Lit. : A. Kircher SJ, Magnes sive de arte magnetica, Rom
1641, 21654 (Notenbeisp. daraus in: H. Mendel, Mus.
Conversations-Lexikon, Bd X, hrsg. v. A. ReiBmann, Bin
1 878, Artikel T.) ; ders., Musurgia universalis, 2 Bde, Rom
1650, 2 1690; ders., Phonurgia nova, Rom 1673, deutsch v.
A. Cario als: Neue Hall- u. Thonkunst, Nordlingen 1684
(Auszuge daraus bei W. Nagel, Etwas v. d. T., NMZ
XXXVI, 1915); St. Storace, A Genuine Letter from an
Ital. Gentleman, Concerning the Bite of the Tarantula,
Gentleman's Magazine XXIII, London 1753, deutsch als:
Ein achter Brief. . .,HamburgischesMagazinXIII,1754;R.
Kobert, Beitr. zur Erkenntnis d. Giftspinnen, Hbg 1901 ;
A. Martino, Gesch. d. Tanzkrankheit in Deutschland,
Zs. d. Ver. f. Volkskunde Bin XXIV, 1914; H. E. Sigerist,
Civilisation and Disease, Ithaca (N. Y.) 1945, deutsch als:
Krankheit u. Zivilisation, Ffm. 1952; ders., The Story of
Tarantism, in: D. Schullian u. M. Schoen, Music and Me-
dicine, NY 1948 ; P. Nettl, The Story of Dance Music, NY
(1947),deutschals:Tanzu.Tanzmusik, = Herder-Bucherei
CXXVI, Freiburg i. Br. (1962); M. Schneider, La danza
de espadas y la tarantela, Barcelona 1948, vgl. ML XXX,
1949; W. Katner, Musik u. Medizin im Zeitalter d. Ba-
rock, Wiss. Zs. d. Karl Marx-Univ. Lpz., Mathematisch-
naturwiss. Reihe II, 1952/53 ; ders., Das Ratsel d. Taren-
tismus, = NovaActaLeopoldina,N.F.XVIII,Nrl24,Lpz.
1956 (dort weitere Lit.); V. Vitelli, La »T.« in Campania,
Lares XXIV, 1958; D. Carpitella, Documenti coreutici-
mus. sul tarantismo, in: VI e Congres international des
Sciences anthropologiques, Paris 1960; ders., L'esorcismo
coreutico-mus. del tarantismb, in : E. de Martino, La terra
del rimorso, Rom 1961, vgl. Antaios III, 1962; R. Penna,
La t. Napoletana - Storia e leggende, Neapel 1963.
T$rogat6, eine Schalmei der ungarischen Volksmu-
sik mit konischem Corpus. An dieses alte Instrument
kniipfte W.J. Schunda mit seinem kurz vor 1900 er-
fundenen Holzsaxophon T. an, das in Budapest an der
Oper und am Konservatorium eingefiihrt wurde. Auf
ihm wird oft die Hirtenweise im 3. Akt von Wagners
Tristan und Isolde gespielt. J. StrauB schrieb in der Ou-
verture zum Zigeunerbaron ein Solo fur T.
Tasteninstrumente -*■ Klavier.
Tastier a (ital.), das -> Griffbrett der Streichinstru-
mente.
Tasto solo (ital., Abk. : T. S. oder t. s.), im General-
baB die Anweisung, die BaBnoten allein zu spielen,
d. h., keinen Akkord zu greifen. -»■ Null (- 1).
Technik. - 1) Im griechischen Altertum bezeichnet
t&Xyr) im weiteren SinnejedehandwerklicheTatigkeit,
z. B. die Kunst des Schmiedes, Schiffsbauers, Arztes, im
engeren Sinne seit den Sophisten (Protagoras, 5. Jh. v.
Chr.) eine zwischen praktischer Erfahrung (4ujreip£a)
und Grundwissenschaft (Itcktt^u.t)) stehende Art der
Lehre, die ein bestimmtes, abgegrenztes Gebiet behan-
delt. Die t^/vyj vermittelt in der Regel ein fur Beruf
(oder Wettkampf) notwendiges Fachwissen und stent
daher dem Range nach unter den theoretischen Wis-
senschaften, deren Erkenntnis nicht zweckgebunden
ist. Spater wurden die auf einen praktischen Beruf vor-
bereitenden rt/ya.1 (artes mechanicae, wozu auch Bild-
hauerei und Architektur gehorten) von den Fachern der
lyxiixXtoi; toxiSsioc (artes liberales) unterschieden, die
der Allgemeinbildung des freien Burgers dienten und
besonders auf das Studium der Philosophie vorbereiten
sollten (->• Ars musica). Unter den Lehrbiichern der
antiken Griechischen Musik ist jedoch nur die Schrif t
des Bakcheios als Elaaywyfj xtyyr\q ftovoixfjg bezeich-
net. Der Zusammenhang von wissenschaf tlich begriin-
deter Lehre und Praxis lebt im Gebrauch des lateini-
schen Wortes ars wie auch im alteren Begriff von Kunst
fort, wofiir noch J.Theiles Musicalisches Kunstbuch und
J. S.Bachs Kunst der Fuge zeugen. Erst im 18. Jh. wan-
delte sich der Begriff der Kunst unter dem EinfluB der
neu entstandenen Asthetik und trat in einen gewissen
Gegensatz zum HandwerksmaBigen der Praxis; fur
letzteres wurde nunmehr das Wort T. (nach frz. tech-
nique) iibernommen. - 2) In der Musiklehre des 19./20.
Jh. ist T. (frz. mecanisme) wieder das HandwerksmaBi-
ge der Kunst: dasjenige, was gelernt werden kann und
muB. In diesem Sinne gibt es neben der »Kompositions-
T.« vor allem eine T. der Ausfiihrung, z. B. eine Dop-
pelgriff- und Oktaven-T. im Klavierspiel, eine Schlag-
T. im Dirigieren, eine T. der rechten und der linken
Hand bei den Streichinstrumenten. Das am Ende des
18. Jh. aufkommende Virtuosentum forderte eine jah-
relange planmaBige Ausbildung der T. Die Elemente,
aus denen sich Passagen, Phrasen usw. zusammensetzen,
werden in technischen (zum Teil rein mechanischen)
Studien geiibt (fiir das Hammerklavier seit L.Adam
1802; ein mitunter noch heute geschatztes progressives
Ubungswerk dieser Richtung ist Ch. L. Hanons Le pia-
niste-virtuose). Technische Ubungen mit - wenn auch
oft nur geringem - kompositorischem Anspruch ver-
bindet die -»■ Etiide. Die Isolierung des Technischen hat
ihren Hohepunkt heute zwar iiberschritten, sie klingt
jedoch nach u. a. in der getrennten Punktwertung bei
Musikwettbewerben fiir die technische Ausfiihrung
neben der fiir andere Kategorien (wie Vortrag) .
- 3) Im 19. Jh. befruchtete der Aufschwung der T. auch
den Instrumentenbau in ungeahntem MaBe. Von beson-
derer Bedeutung fiir die musikalische Praxis waren we-
niger die zahlreichen neu erfundenen Instrumente, als
vielmehr die an den vorhandenen Instrumenten ange-
brachten technischen Verbesserungen und Spielhilfen,
z. B. die Ventile der Blechblasinstrumente, das Klap-
pensystem der Holzblasinstrumente, die Pedale der Har-
fe und der Maschinenpauke, der Eisenrahmen des Pia-
nofortes. Einschneidend war der EinfluB der T. auch auf
den Klang der Streichinstrumente, vor allem der Violi-
ne durch die Einfuhrung der Stahlsaiten. Vielschich-
tig sind die Probleme, die durch die Anwendung der
modernen T. auf die -» Orgel entstanden. Die durch
die T. bewirkte Ausbreitung und Perfektionierung
der (schon im 14. Jh. bekannten) -»■ Mechanischen Mu-
sikwerke wurde im 20. Jh. abgelost durch die Entwick-
lung der -»- Schallplatte und der elektroakustischen Ton-
aufnahme und -wiedergabe (-> Rundf unk -2,-*- Ver-
starker, -»■ Schallwandler), die tief in das soziologische
Gefiige des Musiklebens eingegriffen haben. Der mo-
derne -> Schlager ist nur durch diese technischen Ver-
breitungsmoglichkeiten denkbar (-* Music box). Das
Bestreben, die elektroakustische T. direkt fiir die Ton-
erzeugung einzusetzen, fiihrte zur Erfindung der
-> Elektrophone (von denen heute die elektrisch ver-
starkte ->• Gitarre am weitesten verbreitet ist) und zu
941
Tech
den Versuchen, die Musik selbst als ->- Elektronische
Musik und als -> Musique concrete auf elektroakusti-
schem Wege herzustellen. - Seit dem 19. Jh. werden
Vorstellungen und Vorgange aus dem Bereich der T.
musikalisch relevant, wie schon in den -> Perpetuum
mobile genannten Stiicken, vor allem aber in den Ge-
rauschexperimenten des -»• Futurismus und den durch
-*- Mechanische Musik, Motorik und Konstruktivis-
mus beeinfluBten Kompositionen von Hindemith (Suite
i>1922k der Ragtime ist zu spielen »wie eine Maschine«),
Honegger {Pacific 231, 1923), Antheil {Ballet mkanique,
1925), Villa-Lobos {The New York Skyline, 1940, gra-
phisch nach Fotos komponiert) .
Lit.: zu 1): R. Schaerer, 'Eitiaxfiuti etx£xvr|. Etude surles
notions de connaissance et d'art d'Homere a Platon, Macon
1930 ; M. Timpanaro Cardini, Ouaic, e xexvi in Aristotele,
in: Studi di filosofia greca, Fs. R. Mondolfo, = Bibl. di
culture moderna Bd 472, Bari 1950; F. Heinimann, Eine
vorplatonische Theorie d. x£%vr|, Museum Helveticum
XVIII, 1961 ; Kl. Bartels, Der BegriffTechne bei Aristo-
teles, in: Synusia, Fs. W. Schadewaldt, (Pfullingen) 1965.
- zu 3): H. Matzke, Grundziige einer mus. Technologie,
Breslau 1931 ; ders., Unser technisches Wissen v. d. Mu-
sik, Lindau (1949), Wien P1950); ders., Uber Wesen u.
Aufgabe d. mus. Technologie, AfMw XI, 1954; Vortrags-
reihe »Die Kiinste im technischen Zeitalter«, hrsg. v. d.
Bayerischen Akad. d. Schonen Kiinste, Oldenburg u. Mun-
chen 1954; Fr. K. Prieberg, Musik d. technischen Zeital-
ters, Zurich u. Freiburg i. Br. 1956; ders., Musica ex ma-
china, Bin, Ffm. u. Wien (1960); W. Schadewaldt, Na-
tur-T. -Kunst, Gottingen, Blnu. Ffm. (1960); W. Wiora,
Die vier Weltalter d. Musik, = Urban-Bucher LVI, Stutt-
gart (1961).
Tecla (span., Taste)
Klaviermusik.
Klaviatur; musica para t. ist
Tedesco (ital.), Bezeichnungsfragment fiir ballo t.,
audi (danza) tedesca, ->• Deutscher Tanz.
Te Deum (lat.) , der feierliche Lob-, Dank- und Bittge-
sang der romischen Kirche, auch Ambrosianischer Lob-
gesang genannt. Sein aus verschiedenen Teilen zusam-
mengesetzter hymnenartiger Text, dessen Oberliefe-
rung um 690 im Antiphonar von Bangor greifbar wird,
beginnt mit einem Lobpreis Gott vaters durch die himm-
lische und irdische Kirche (Vers 1-10: Te D. laudamus
. . . confitetur Ecclesia). Inhalt und Aufbau dieses wohl
altesten Abschnitts haben ihren Mittelpunkt in den Ver-
sen 5-6 (symmetrische Anlage um das Sanctus . . . glo-
riae tuae). Der Doxologie von Vers 11-13 {Pattern . . .
Spiritum) schlieBt sich ein christologischer Teil an (Vers
14-19: Tu Rex gloriae . . . esse venturus), worauf das
Stuck mit einem Bittgebet (Vers 20-29: Te ergo . . . in
aeternum) ausklingt, das groBtenteils den Psalmen ent-
nommen ist (Vers 22-23= Psalm 27,9;24-25= 144,2;
27 = 122, 3; 28 = 32, 22; 29 = 30, 2). Die Frage, ob
Nicetas von Remesiana (f 441) als Autor des urspriing-
lichen Textes gelten darf , bleibt diskutiert. - Nach dem
Zeugnis einiger Klosterregeln (Caesarius und Aurelia-
nus von Aries, Benedictus von Nursia) war das Te D.
bereits wahrend der 1 . Halfte des 6. Jh. in Siidfrankreich
und Italien verbreitet, wo es - zum Teil einer schon be-
stehenden alteren Tradition f olgend - als AbschluB des
monastischen Nachtoffiziums gesungen wurde. Aus
diesen friihen Ansatzen entwickelte es sich allmahlich
zu einem festen Bestandteil der monastischen und ro-
mischen -*■ Matutin. Auch erklingt es seit altersher zur
feierlichen Danksagung nach der Messe, Bischofs- und
Abtweihe, bei der Fronleichnams-, Dank- und Reli-
quienprozession und anderen f estlichen Gelegenheiten.
- Die 1st. Singweise des Te D. ist weitgehend charak-
terisiert durch den Gebrauch einer zweiteiligen psal-
modischen Rezitationsformel altester Herkunft (vgl.
dazu u. a. den Einleitungsdialog der Prafation und das
Gloria in excelsis Deo der Messe XV). In der Fassung
des Tonus solemnis der Vatikanischen Choralausgaben
geht dem Nachsatz mit Tenor a und Finalis g bzw. e
ein hoher beginnender und kadenzierender Vordersatz
voraus, der bis Vers 14 {Tu Rex gloriae, Christe) ohne
Rezitationston verlauft und sodann den Tenor des
Nachsatzes aufgreift, wogegen der Tonus simplex bei
fast vollstandig fehlender Initienbildung regelmaBig
mit 2 verschiedenen Tenores arbeitet (c 1 und a). In bei-
den Fassungen heben sich deutlich die antiphonisch ge-
stalteten Melodiezeilen von Vers 21-23 {Aeternafac . . .
usque in aeternum) und 29 {In te Domine . . . ) ab. Zur
Friihgeschichte der Melodie und ihrer Oberlieferung
in den mittelalterlichen Quellen (hier auf d, e und a
notiert) werden in der Musica Enchiriadis und bei Guido
von Arezzo erste wertvolle Anhaltspunkte geboten
(Melodiezitat von Vers 15 : Tu Patris sempiternus es Fi-
lms; vgl. GS 1, 163ff. und II, 47b). - Bereits im 9. Jh. in
deutscher Obersetzung nachweisbar, drang das (vul-
garsprachliche) Te D. auch zunehmend in den liturgi-
schen Umkreis des Volkes ein. Seit dem 16. Jh. gehort
es zum Gemeingut der katholischen und evangelischen
Gesangbiicher. - Innerhalb der mehrstimmigen Musik
des 15. und 16. Jh. bildet das Te D. eine Sonderform
der Motette, die in ihren musikalischen Komponenten
wesentlich an der Choralvorlage orientiert ist (vgl. die
Stiicke von Binchois, C.Festa und Lassus, aus der friih-
protestantischen Kirchenmusik das Te D. von J. Wal-
ter). Die weitere Entwicklung fiihrte uber glanz voile
Vertonungen im Stil von Festmotetten, Messen, Kan-
taten und Oratorien zu den groBen symphonischen Te
D.-Kompositionen des 19. Jh. (Berlioz, Liszt, Verdi,
Bruckner, Dvorak).
Lit.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in sei-
nen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck
Hildesheim 1962; J. Pothier OSB, Les melodies grego-
riennes, Tournai 31890; P. Wagner, Das Te D., Grego-
rianische Rundschau VI, 1907; ders., Einfuhrung in d.
Gregorianischen Melodien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hil-
desheim u. Wiesbaden 1962; J. Pascher, Das Stundenge-
bet d. romischen Kirche, Miinchen (1954); E. Kahler,
Studien zum Te D. u. zur Gesch. d. 24. Psalms in d. Alten
Kirche, = Verdff. d. Ev. Ges. f . Liedforschung X, Gottin-
gen (1958), vgl. dazu J. A. Jungmann SJ in: Zs. f. kath.
Theologie LXXXI, 1959; P. Rad6 OSB, Enchiridion Li-
turgicum, 2 Bde, Rom, Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961,
2 1966; W. Kirsch, Grundziige d. Te D.-Vertonungen im
15. u. 16. Jh., Kgr.-Ber. Kassel 1962; ders., Varianten u.
Fragmente d. liturgischen Te D.-Textes in d. mehrst. Kom-
posiuonend.l5.u.l6.Jh.,KmJbXLVIII,1964;H.OsTHOFF,
Das TeD. d. Arnold v. Brack, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963.
Tegernsee (Oberbayern), Benediktinerabtei, gegr.
736.
Lit. : V. Redlich, T. u. d. deutsche Geistesgesch. im 1 5. Jh.,
Miinchen 1931; H. Schmid, Die musiktheoretischen Hss.
d. Benediktiner-Abtei T., Diss. Miinchen 1951, maschr.;
Br. Stablein, Die T.r mensurale Choralschrift aus d. 15.
Jh., Kgr.-Ber. Utrecht 1952.
Teiltone, Partialtone. Im allgemeinen besteht ein
als -> Ton wahrnehmbarer Schwingungsvorgang nicht
aus einfachen ->• Sinusschwingungen; z. B. schwingt
eine Saite nicht nur als Ganzes, sondem gleichzeitig
auch in ihren aliquoten Teilen (1/2, V3, V4 • • • <^ er Sai-
tenlange). Diese Teilschwingungen - auch die Schwin-
gung der Saite als Ganzes ist als Teil des Schwingungs-
vorgangs anzusehen - konnen als T. (Partialtone) ge-
hort werden. Der 1. Teilton ist der Grundton; der 2.
Teuton (auch Teilton 2. Ordnung) bildet die Oktave
zum Grundton und ist der 1. Oberton, usw. Die den
ganzzahligen Obertonen der Obertonreihe (auch Ali-
quottone, Aliquoten) entsprechenden Teilschwingun-
gen werden auch als Harmonische der Grundschwin-
942
Temperatur
gung bezeichnet; Teilschwingungen, deren Schwin-
gungszahlen nicht ganzzahlige Vielfache der Schwin-
gungszah] der Grundschwingung sind, heiBen Unhar-
monische (-> Gerausch;-*- Glocke). Partialtonreihe und
Naturtonreihe (-> Intervall-Tabelle) stimmen in ihren
zahlenmaBigen Relational zum Grundton iiberein, doch
sind die durch -*■ Uberblasen hervorgebrachten -»■ Na-
turtone ebenso wie die auf Saiteninstrumenten darstell-
baren Flageolettone (-> Flageolett - 3) von den T.n zu
unterscheiden, die stets nur als Teil eines Tones (Klan-
ges) wahrgenommen werden konnen.
Der Terminus T. wird, obwohl er allein Darstellungen
psychologischer Vorgange der Wahrnehmung vorbe-
halten bleiben sollte, oft fiir den Begriff Teilschwin-
gungen eingesetzt und fiir Darstellungen im physika-
lisch-akustischen Bereich verwendet; jedoch werden
mit dem Begriff -> Schwingungen die physikalischen
Ablaufe hinreichend umschrieben. - Die graphische
Darstellung der einen Schwingungsablauf konstituie-
renden Teilschwingungen heifk -» Frequenzspektrum ;
die Teilschwingungen werden durch -*■ Frequenzana-
lyse ermittelt. Fiir die ->' Klangfarbe (- 2) sind nicht
(wie H. v.Helmholtz vermutete) Teilschwingungen
einer bestimmten Ordnungszahl entscheidend, sondern
fiir jedes Instrument und fiir jede Stimme charakte-
ristische Frequenzbereiche, in denen die Teilschwin-
gungen durch -> Resonanz besonders intensiv ver-
starkt werden (-»■ Formant). Das Frequenzspektrum
der gedeckten Orgelpfeife (-»■ Gedackt) ist dadurch
gekennzeichnet, daB ihm die geradzahligen Teilschwin-
gungen fehlen (z. B. -> Quintaden) ; der Gesamtklang
der Orgel wird, um ihn obertonreicher zu gestalten,
durch die selbstandig im Obertonabstand zu den
Grundtonen erklingenden Pfeifen der ->■ Aliquotstim-
men und -*■ Gemischten Stimmen modifiziert. - Der
Tonhoheneindruck ist nicht immer vom Vorhanden-
sein der Grundschwingung abhangig, sondern kann
unter bestimmten Umstanden durch Teilschwingun-
gen hoherer Ordnung auf rechterhalten werden (-»■ Re-
sidual tonhohe) . Fallen Teilschwingungen zweier simul-
taner Schwingungsvorgange zusammen, so tritt -*■ Ver-
schmelzung ein. Die ->■ Naturklangtheorie betrachtete
die Partialtonreihe als das naturgegebene Vorbild der
musikalischen Tonbeziehungen (-> Harmonie). Auch
den Molldreiklang hat man unter dem Aspekt der
Partialtonreihe zu betrachten versucht (->• Moll).
Telemarms Bogen 5 bezeichnet im GeneralbaB die
Verdoppelung des BaBtons eines verminderten Drei-
klangs anstelle der Hinzufiigung der Sexte. Das Zei-
chen 5 ist da angebracht, wo die BaBfort- -ft
schreitung den verminderten Dreiklang zum ^^
verminderten Septimenakkord erganzt. Die
Erklarung findet sich im Avertissement von 5
G.Ph.Telemanns Nouveaux Quatuors en 6 suites . . .,
Paris (1738).
Tempelblocke (engl. Chinese oder korean temple
blocks) sind waagerecht an einer Stange bef estigte hoh-
le, abgeflachte Holzkugeln verschiedener GroBe, die
mit einem Schlitz versehen sind. Der Anschlag erfolgt
mit Holz- oder Filzschlageln, die Tonhohe ist annahernd
bestimmbar, der Klang voller und kraftiger als der des
->■ Holzblocks. Gewohnlich werden aus dem gesamten
mit diesen Instrumenten verfiigbaren Tonumfang
(etwa f-f 2 ) nur 4-7 T. in der jeweils gewiinschten, meist
pentatonischen Tonfolge zusammengestellt; die No-
tierung erfolgt im Liniensystem ohne Schliissel. T. sind
im Gegensatz zum Holzblock im Orchesterschlagzeug
nicht so sehr heimisch geworden, wahrend sie in der
Tanz- und Unterhaltungsmusik seit den 1920er Jahren
vielfaltige Verwendung finden.
Temperatur (lat. systema participatum; ital. siste-
ma participato; engl. temperament; frz. temperament)
wird die Regelung der fiir die musikalische Praxis un-
vermeidlichen Abweichungen von der akustischen
Reinheit der Intervalle genannt. MaBintervalle des
Tonsy stems sind die Oktave (1:2), die Quinte (2:3)
und die groBe und kleine Terz (4:5 und 5:6). Manche
der Differenzen aber, die zwischen Summen verschie-
dener MaBintervalle bestehen, sind als musikalische In-
tervalle unbrauchbar: die zwolfte Quinte ist um das
pythagoreischeKomma (531441:524288 = 23,5 Cent;
-*■ Komma - 1) hoher als die siebte Oktave, die vierte
Quinte um das syntonischeKomma (80:81 = 21 ,5 Cent)
hoher als die zweite Oktave der groBen Terz, die dritte
groBe Terz um die kleine Diesis (125 : 128 = 41,1 Cent)
niedriger als die Oktave, die vierte kleine Terz um die
groBe Diesis (625 : 648 = 62,6 Cent) hoher als die Ok-
tave. Die Differenzen sind musikalisch nicht von glei-
cher Relevanz. Zwischen z. B. gis und as - der Abstand
erscheint in pythagoreischer Stimmung als Komma, in
-*■ Reiner Stimmung als Diesis - besteht ein Unterschied
der Tonbedeutungen, wahrend das syntonische Kom-
ma, die Differenz zwischen dem groBen und dem klei-
nen Ganzton (8 : 9 und 9:10), musikalisch nichts besagt.
- Die zwolfstufige gleichschwebende T. teilt die Ok-
12
tave nach der Formel Y2 in zwolf gleiche Halbtone
und gewinnt damit Mittelwerte, welche kein Intervall wirk-
lich rein, aber alle leidlich brauchbar intonieren. Die Terzen
der gleichschwebenden T. sindfreilich alle um 2 J3 Komma
zu groji; doch vertragt die Terz eine groftere Verstimmung
als die Quinte (H.Riemann). Eine annahernd gleich-
schwebende T. beschrieb G.M.Lanfranco (1533). V.
Galilei (1581) legte dem Halbton die Proportion 17: 18
(= 99 Cent) zugrunde. Als Lautenstimmung scheint
die gleichschwebende T. seit dem 16. Jh. iiblich gewe-
sen zu sein (N. Vicentino 1555) ; fiir Tasteninstrumente
setzte sie sich erst im 18. Jh. allmahlich durch. - Die
Bedeutung A. Werckmeisters ist seit J. Mattheson (Cri-
tica musica II, 1725, 162) iiberschatzt worden; einerseits
war Werckmeister nicht der »Erfinder« der gleich-
schwebenden T., und andererseits schwankte er, ob die
gleichschwebende oder die mitteltonige T. den Vorzug
verdiene. DaB Bach mit dem Titel Das wohltemperirte
Clavier die gleichschwebende T. meinte, ist wahrschein-
lich, aber nicht sicher. - In der mitteltonigen T., deren
Name besagt, daB die Differenz zwischen groBem und
kleinem Ganzton ausgeglichen ist, werden die groBen
Terzen der Skala c cis d es e f f is g gis a b h harmonisch-
rein gestimmt. Das syntonische Komma, der OberschuB
von vier Quinten iiber die zweite Oktave der groBen
Terz, wird iiber die Quinten verteilt, so daB jede Quin-
te um 1/4 Komma zu klein ist (P.Aaron 1523). Das In-
tervall gis-es ist als (zu groBe) Quinte kaum brauchbar
(»Wolfsquinte«). Wird start der groBen die kleine Terz,
die drei Quintschritte einschlieBt, harmonisch-rein ge-
stimmt, so mussen die Quinten um 1/3 des syntonischen
Kommas vermindert werden (Fr. Salinas 1577). Um
die »Wolfsquinte« zu mildern, wahlte A. Schlick (1511)
fiir die gis/as-Taste der Orgel einen Mittelwert zwi-
schen gis und as. M.Mersenne (1648) verteilte den
OberschuB der »Wolf squinte« auf die Quinten gis/as-es,
es-b und b-f. J.Ph.Kirnberger (1779) mischte pytha-
goreische mit harmonisch-reinen Intervallbestimmun-
gen, Dennoch sind in der mitteltonigen T. die entfern-
teren j|- und !>-Tonarten stets durch auffallige Unrein-
heiten getriibt; manche Theoretiker verstanden aller-
dings die akustischen Mangel als Charaktermerkmale
der Tonarten (J. G. Neidhardt 1732). Soil die Trubung
vermieden, die Reine Stimmung der (groBen oder klei-
nen) Terzen aber nicht preisgegeben werden, so ist eine
943
Tempo
Erweiterung der Stufen-, also der Tastenanzahl unver-
meidlich. Aus der mitteltbnigen T. mit reinen groBen
Terzen geht das 31stufige System hervor (N. Vicentino
1555), aus der T. mit reinen kleinen Terzen das 19stufige
System (G.Costeley urn 1558; Fr.Salinas 1577). Die
Diesis, die Differenz zwischen gis und as, ist im 31stu-
figen System ein Fiinftelton, im 19stufigen System ein
Drittelton. (Die Stufenanzahl, 31 oder 19, ergibt sich
als Summe von sechs Ganztonen und einer Diesis.) Das
53stufige System (N.Mercator; nach W. Holder 1694)
setzt die pythagoreische Stimmung voraus, in der ein
Ganzton ungefahr neun und ein diatonischer Halbton
vier Kommata umfaBt, so dafi 53 Stufen (fiinfmal 9 +
zweimal 4) einen Zirkel bilden.
Lit. : Fr. W. Marpurg, Versuch fiber d. mus. T., Breslau
1776; M. W. Drobisch, Uber mus. Tonbestimmung u. T.,
Dresden 1 855 ; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonemp-
findungen . . . , Braunschweig 1863, 6 1913, Nachdruck Hil-
desheim 1967; Sh. Tanaka, Studien im Gebiete d. reinen
Stimmung, VfMw VI, 1890; P. v. Janko, Uber mehr als
zwolfstufige gleichschwebende T., Beitr. zur Akustik u.
Mw. Ill, 1901 ; O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d.
16. Jh., Lpz. 1910; Riemann MTh; J. Handschin, t)ber
reine Harmonie u. temperierte Tonleitern, S JbMw 11,1 927;
J. Schmidt-G6rg, Die Mitteltont., Habil.-Schrift Bonn
1930, maschr. ; W. Dupont, Gesch. d. mus. T., Kassel
1935; J. M. Barbour, Bach and the Art of Temperament,
MQ XXXIII, 1947; ders., Irregular Systems of Tempera-
ment, JAMS 1, 1948; ders., Tuning and Temperament, East
Lansing(Mich.) 1951, 21953; A. D.Fokker, Just Intonation,
Den Haag 1949 ; ders., Neue Musik mit 3 1 Tonen, Dfissel-
dorf 1966; H. H. Drager, Zur mitteltonigen u. gleich-
schwebenden T, Ber. fiber d. wiss. Bachtagung Lpz. . . .
1950; M. Vogel, Die Zahl Sieben in d. spekulativen Musik-
theorie, Diss. Bonn 1955, maschr. ; ders., Zur mus. T., Mu-
sica XV, 1961 ; M. Kolinski, A New Equidistant 12-Tone
Temperament, JAMS XII, 1959; H. Kelletat, Zur mus.
T., insbesondere bei J. S. Bach, Kassel 1960; St. Walin,
Zur Frage d. Stimmung v. d. Buxtehude-Org. , STMf XLIV,
1962. CD
Tempo (ital., Zeit), die absolute Dauer der Noten-
werte. Da die Noten der heutigen Notenschrift rhyth-
mische Wertverhaltnisse darstellen, bedarf es zur Be-
stimmung ihrer Dauer zusatzlich einer T.-Bezeich-
nung. Die hierfiir seit dem 17. Jh. verwendeten, vor-
wiegend italienischen Termini lassen dem Ausfiihren-
den weiten Spielraum; zur Prazisierung der T.-Vor-
schrift kann eine Metronombezeichnung oder die An-
gabe der Uhrzeit fiir die gesamte Dauer eines Stiickes
hinzutreten. MaBeinheit des T.s ist die Zahlzeit oder
(beimDirigieren) die Schlagzeit; die Grenzen, innerhalb
derer das T. der Zahlzeiten variieren kann, liegen er-
fahrungsgemaB zwischen etwa 40 und 130 pro Minute,
als Mittelwert gilt 72-80 pro Minute (T. giusto, T.
ordinario). - In der 1st. Musik vor 1600 und in der
fruhesten Mehrstimmigkeit sind T. und T.-Modifika-
tionen im allgemeinen nicht festgelegt; gelegentliche
Hinweise begriinden die Vorschrift eines bestimmten
T.s mit dem Text oder der Gattung eines Liedes, im li-
turgischen Gesang auch mit dem Festgrad. Fiir das Or-
ganum des 9.-11. Jh. wird langsame Ausfiihrung (mo-
desta morositate) vorgeschrieben (Kolner Organum-
traktat, vgl. Herrmann-Bengen, S. 16f.), fiir den Ho-
quetus urn 1300 stellt J. de Grocheo schnelles T. fest (ed.
Rohloff, S. 57). Die Mensuraltheorie bildete bis ins 16.
Jh. keine T.-Lehre aus. Vielmehr wurden die Noten
auch als Zeichen der Tondauer aufgefafit, so daB
schnellere oder langsamere Bewegung durch kleinere
oder groBere Notenwerte vorgeschrieben werden
konnte und die Theorie sich mit allgemeinen Defini-
tionen der Tondauer begniigte. So erklart z. B. Franco
von Koln, der die Brevis mit einem »tempus« gleich-
setzt: Unum tempus appelatur Mud, quod est minimum in
plenitudine vocis (ed. Cserba, S. 236). Die T.-Bestim-
mung wurde demnach nicht als notwendiger Bestand-
teil der kompositorischen Arbeit betrachtet, sondern
blieb dem Ausfiihrenden iiberlassen. DaB dabei in der
Praxis betrachtliche Unterschiede moglich waren, ist
gewiB, was vor allem der allmahliche Ubergang zu
immer kleineren Notenwerten als Zahlzeit beweist:
Longa in der Notre-Dame-Musik urn 1200, Brevis bei
Petrus de Cruce und Ph. de Vitry um 1300, Semibrevis
bei G. de Machaut im 14. Jh. sowie bis ins 15. Jh., Mi-
nima im 16. Jh. Diese Beobachtung legt den SchluB
nahe, daB es immer wieder eine Tendenz zur Verbrei-
terung des T.s gab und daB diese Tendenz besonders
die jeweils »alte« Musik betraf . In diesen Zusammen-
hang sind einige Notizen iiber das T. einzuordnen, die
um 1300 der Diskussion iiber Ars antiqua und Ars nova
angehoren; z. B. besagt eine Stelle des Petrus le Viser
(CS I, 388b-389a) vermutlich, daB altere Kompositio-
nen, obgleich iiberwiegend in groBeren Notenwerten
(mit hochstens 3 Semibreven statt einer Brevis) aufge-
zeichnet als die Motetten in der Art des Petrus de Cruce,
doch nicht langsamer auszufiihren seien, die Differenz
vielmehr durch die Wahl eines schnelleren T.s aufgeho-
ben werden sollte (dagegen vgl. Gullo, S. 22ff.).
Der moderne T.-Begriff entstand im 16. und 17. Jh.
Grundlegend war die Erkenntnis, daB die verschiede-
nen Tempi nicht in zahlenmaBiger Relation zueinan-
der stehen miissen (wie -»- integer valor notarum und
-> Proportionen - 2 der Mensuralmusik), vielmehr ei-
ne unendliche Zahl von T.-Nuancen zur Verfiigung
steht. Die Erfahrung nicht meBbar abgestufter T.-Gra-
de ist in der Musik des 16. Jh. allgemein zu beobachten :
Die Mensuraltheorie verarbeitete sie in der Tactuslehre
(vgl. Dahlhaus 1961 und 1964). Die zunehmend an
kunstlerischer Bedeutung gewinnende Instrumental-
musik brachte in den Tanzen Muster der verschiedenen
Tempi und rechnete in den Stiicken mit Intonations-
bzw. Praeludiumcharakter mit freien T.-Modifikatio-
nen. Andererseits nahm sich die italienische Vokalmu-
sik des 16. Jh. unter dem EinfluB des Humanismus die
Pronuntiatio der Rhetorik zum Vorbild (vgl. Gallo, S.
42f.) und legitimierte damit die T.-Modifikationen als
Ausdrucksmittel, das in der -y Monodie um 1600 zur
Grundlage der neuen Vortragskunst wurde: qual va
cantato a t. dell'qffetto del anima, e non a quelle* de la mano
(CI. Monteverdi, Vorrede zum VIII. Madrigalbuch,
1638).
In der Musik des 17.-20. Jh. ist das T. ein wichtiger Be-
standteil der kompositorischen Erfindung, vor allem
auch ein Mittel zur Gliederung zyklischer Formen wie
der Symphonie und Sonate. Im 17. Jh. wurden noch vor-
wiegend langsames und schnelles T. durch Notierung
in groBeren und kleineren Notenwerten unterschieden;
z. B. erschienen Frescobaldis Canzoni da sonar 1628
ohne, 1634 mit T.-Bezeichnungen; dennoch sind MiB-
griffe nach der ersten Ausgabe kaum moglich, da T.-
Wechsel durch Wechsel der Notenwerte angezeigt
wird. Dagegen werden seit dem 18. Jh. auch schnelle
Satze in groBen, langsame Satze in kleinen Noten-
werten aufgezeichnet (z. B. Beethoven, Klaviersonate
D dur op. 10 Nr 3, 1. Satz, Presto: J = Zahlzeit,
J) — schnellster Notenwert; 2. Satz, Largo e mesto:
J. = Zahlzeit, J^ = schnellster Notenwert) ; durch die-
se Notierungsweise wird der je verschiedene Grad der
Unterteilung der Zahlzeiten sichtbar (in obigem Bei-
spiel: 1. Satz J) = 1/4 der Zahlzeit; 2. Satz J) = V24
der Zahlzeit). Die wichtigsten T.-Bezeichnungen sind
im friihen 17. Jh. entstanden; genannt seien in der
Reihenfolge des fruhesten Nachweises (vgl. Herrmann-
Bengen, Tabelle I) : -> Allegro (1596), -> Largo (1601),
-> Adagio (1610), -> Presto (1611), -> Grave (1611),
944
Tempo rubato
-» Lento (1619); dazu kamen in spaterer Zeit u. a.
-» Andante (1687), -> Allegretto (18. Jh.) und ->■ An-
dantino (18. Jh.). Die Zuordnung dieser Bezeichnun-
gen zu bestimmten T.-Graden ist nicht immer gleich-
bleibend; z. B. ist Largo entweder schneller (so bei
Handel) oder langsamer (so allgemein seit dem spate-
ren 18. Jh.) als Adagio. Nach mehreren Versuchen, die
sich nicht allgemein durchsetzen konnten, entstand
1816 mit Malzels -> Metronom ein bis heute anerkann-
tes Hilfsmittel zur genaueren Festlegung des T.s. Sein
Wert darf jedoch nicht iiberschatzt werden. Denn das
Kriterium fiir richtiges T. liegt nicht in der zahlen-
maBig bestimmbaren Geschwindigkeit, sondern darin,
daB das gewahlte T. zu einer sinnvollen Interpretation
des Werkes beitragt. Hierbei sind erfahrungsgemaB
groBe Unterschiede moglich, die sich aus den raumli-
chen Gegebenheiten sowie vor allem aus der Person-
lichkeit des Ausfiihrenden, seinem Temperament und
Alter, seiner Zugehorigkeit zu einer bestimmten Schul-
tradition ergeben konnen. Zu beachten ist auch, daB
Komponisten bei der Auffiihrung eigener Werke oft
ihre Metronomangaben nicht eingehalten haben und
auch aus anderen Griinden die von einem Komponisten
gegebenen Metronomangaben nicht immer als ver-
bindlich gelten konnen. Ferner entspricht die Vorstel-
lung eines durchgehend starr festgehaltenen T.s nicht
der musikalischen Wirklichkeit. Vielmehr sind im Ver-
lauf jedes Stiickes gewisse T.-Modifikationen notwen-
dig (z. B. T.-Verbreiterung zur Vorbereitung eines
Satz- oder Abschnittschlusses), und es entscheidet mit
iiber den Rang einer Interpretation, ob der Ausfiihren-
de solche T.-Modifikationen dem Ganzen nahtlos ein-
zufiigen vermag. T.-Modifikationen waren im 17. und
18. Jh. vorwiegend Kennzeichen bestimmter Stile und
Formgattungen, wie des Stile rappresentativo, ver-
wandter Instrumentalformen (-»■ Plainte - 2), der In-
strumentalstiicke mit Praeludiumcharakter sowie im
18. Jh. der freien Fantasie. Von hier aus fanden sie seit
dem spaten 18. Jh. zunehmend Eingang auch in andere
Formen, z. B. in den Sonatensatz (vgl. Beethoven,
Klaviersonaten D moll op. 31 Nr 2, 1 . Satz, und C moll
op. Ill, 1. Satz, wo sich T.-Modifikationen sogar in-
nerhalb des 1. und 2. Themas finden). Andererseits
wird die T.-Einheit eines Satzes durch Episoden in ab-
weichendem T. aufgelost, ein Prinzip, das in Varia-
tionszyklen und Rondos des 18. Jh. vorgebildet ist (vgl.
Beethoven, Klaviersonate E dur op. 109, 1. Satz, Vivace,
ma non troppo; hier folgt dem 1. Thema und seiner
Wiederkehr in der Reprise eine Episode Adagio es-
pressivo). In der letzten Konsequenz fiihrt diese im 19.
Jh. vor allem von Liszt und Wagner geforderte Auf-
losung des einheitlichen T.s dazu, daB in der neuesten
Musik dieEinheit des T.s als formbildender Faktor auf-
gegeben wird zugunsten entweder einer ganz freien,
SieBend improvisatorischen Bewegung, oder - vor al-
lem, wo elektronische Musik mit traditionellen Instru-
menten kombiniert wird - zugunsten der prazisen Fest-
legung von Zeiteinheiten, die dann nicht mehr Teil der
musikalischen Interpretation sind, sondern den Rahmen
abstecken, innerhalb dessen der Ausfiihrende oft in der
Festlegung der rhythmischen Wertverhaltnisse frei ist
(z. B. E.Kfenek, Baster Majlarbeit fur 2 Kl., 1965; R.
Haubenstock-Ramati in der Oper Amerika, 1967).
Lit.: Der Musiktraktat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Roh-
loff, = Media latinitatis musica II, Lpz. 1943; Praeto-
rius Synt. Ill; KochL; H. Riemann, System d. mus. Rhyth-
mik u. Metrik, Lpz. 1903; G. Schunemann, Gesch. d. Diri-
gierens, = KleineHdb.d.Mg.nachGattungenX,Lpz. 1913,
Nachdrucke Hildesheim 1965 u. Wiesbaden 1966; H. Bes-
seler, Studienzur Musikd. MAII, AfMw VIII, 1926; ders.,
Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; R. Steglich, Dieele-
mentare Dynamik d. mus. Rhythmus, Lpz. 1930; ders., Das
T. als Problem d. Mozart-Interpretation, Kgr.-Ber. Salz-
burg 193 1 ; ders., Takt u. T., DMK IV, 1939/40; ApelN; W.
Gurlitt, Die Epochengliederung in.d. Mg., in: Universi-
tasIII, 1948,Neudruckin: Mg.u.GegenwartI, = BzAfMw
I, Wiesbaden 1966; ders., Form in d. Musik als Zeitgestal-
tung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u.
sozialwiss. Klasse, Jg. 1954, Nr 13; R. Elvers, Untersu-
chungen zu d. Tempi in Mozarts Instrumentalmusik, Diss.
Bin 1952, maschr. ; W. Gerstenberg, Die ZeitmaBe u. ihre
Ordnungen in Bachs Musik, Einbeck 1 952 ; ders., Die Kri-
se d. Barockmusik, AfMw X, 1953 ; ders., Grundfragen d.
Rhythmus-Forschung, Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Au-
thentische Tempi f. Mozarts »Don Giovanni«?, Mozart-
Jb. 1 960/61 ; C. Sachs, Rhythm and T., NY 1953 ; H. Beck,
Studien fiber d. Tempoproblem bei Beethoven, Diss. Er-
Iangen 1954, maschr.; ders., Bemerkungen zu Beethovens
Tempi, Beethoven-Jb. II, 1955/56; P. Horn, Studien zum
ZeitmaB in d. Musik J. S. Bachs, Diss. Tubingen 1954,
maschr. ; Fr.-J. Machatius, Die Tempi in d. Musik um
1 600. Fortwirken u. Auf losung einer Tradition, Diss. Bin
1954, maschr.; ders., Uber mensurale u. spielmannische
Reduktion, Mf VIII, 1955; ders., Die T.-Charaktere, Kgr.-
Ber. Koln 1958; W. Kolneder, Auffiihrungspraxis bei
Vivaldi, Lpz. 1955; I. HERRMANN-BENGEN.Tempobezeich-
nungen. Ursprung u. Wandel im 17. u. 18. Jh., = Miinch-
ner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959; C. Dahlhaus, Zur
Entstehung d. modernen Taktsystems im 17. Jh., AfMw
XVIII, 1961; ders., Zur Taktlehre d. M. Praetorius, Mf
XVII, 1964; H. O. Hiekel, Der Madrigal- u. Motettenty-
pus in d. Mensurallehre d. M. Praetorius, AfMw XIX/XX,
1962/63 ; F. A. Gallo, Pronuntiatio, AMI XXXV, 1963 ; P.
Brainard, Zur Deutung d. Diminution in d. Tactuslehre
d. M. Praetorius, Mf XVII, 1964; S. Gullo, Das T. in d.
Musikd. 13. u. 14. Jh., = Publikationen d. Scnweizerischen
Musikforschenden Ges. II, 10, Bern (1964).
Tempo rubato (ital., s. v. w. gestohlener Zeitwert,
auch verkurzt zu rubato; deutsch im 18. Jh. auch Ton-
verziehung), im 17./18. Jh. die Modifizierung einzel-
ner Notenwerte bei gleichbleibender Grundbewegung
der Begleitung (gebundenes T. r.), im 19./20. Jh.
meist ein Schwanken des Tempos im ganzen (freies
T. r.). - Das gebundene T. r. wird als Manier fiir
Sanger und Instrumentalisten seit Zacconi (1592), Peri
(1600), Caccini (1602) und Cerone (1613) gelehrt,
unter der Bezeichnung T. r. zuerst von Tosi (1723).
Er spricht von rubamento di tempo ... sul movimento
equate d'un Basso ;' J. Fr. Agricola iibersetzt 1757: Ver-
ziehung der Geltung der Noten, welche aber der Bewe-
gung des Basses genau angemessen sein miissen. Dieses T. r.
beschreiben u. a. auch Quantz (Selbstbiographie), C.
Ph.E.Bach (1787, Zusatz zu § 28), L.Mozart (1756,
XII, 21), W.A.Mozart (Brief vom 23. 10. 1777) und
Turk (1789). Noch Chopin hat das gebundene T. r. ge-
spielt. - Das freie T. r. beschreiben der Sache nach u. a.
Frescobaldi (1614) und Mace (1676); Frobergers be-
ruhmtes Spiel con discretione ist worn als freies T. r. zu
deuten. Czerny (Pianoforte-Schule III, 26f.) spricht nur
noch von freiem T. r., einem willkiirlichen Zuriickhalten
und Beschleunigen des Zeitmafies im Sinne eines Retardie-
rens in beiden Hdnden. Es wird seit 1830 zunehmend
durch Ritardandi und Rallentandi angezeigt, so bei
Schumann und Chopin; zu Wagners Kunst des Uber-
ganges, seiner Leitmotivtechnik und zum Prinzip der
unendlichen Melodie gehort wesensmaBig das freie
T. r., worin sich, wie Nietzsche 1877 und 1879 erklart,
jene andere Art Bewegung der Seele ausdriickt, welche dem
Schwimmen und Schweben uerwandt ist und worin neben
der Uberreife des rhythmischen Gefiihls die Verwilderung,
der Verfall der Rhythmik im Versteck lauert. Riemann be-
zog das freie T. r. in seinen Begriff der -> Agogik ein,
ja setzte es mit diesem gleich. In der Neuen Musik er-
folgte, vornehmlich mit dem Aufkommen der moto-
rischen Rhythmik, eine Abkehr vom T. r. Im Jazz ist
durch das strikte Festhalten des Grundrhythmus ein
60
945
Tempus
freies T. r. nicht moglich, dagegen kann die rhythmi-
sche Verschiebung der Melodiestimmen (-* Off-beat)
ihrer Erscheinung nach eher als eine Art des gebunde-
nen T. r. gedeutet werden denn als Synkope.
Lit.: Fr. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches,
ein Buch f. freie Geister, Anhang: Vermischte Meinun-
gen u. Spruche (Nr 134), Chemnitz 1879; I. J. Paderewski,
T. r., in: H. Finck, Success in Music and How it is Won,
London 1909; L. Kamiensky, Zum T. r., AfMw I, 1918/
19; H. Finck, Mus. Progress, Philadelphia 1923; B.
Bruck, Wandlungen d. Begriffes T. r., Diss. Erlangen
1928; J. Bl. McEwen, T. r., London 1928; A. A. John-
stone, Rubato, ebenda 1931; A. Kreutz, Das T. r. bei
Chopin, Das Musikleben II, 1949; W. Gurlitt, Form
in d. Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit.
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse Jg. 1954, Nr
13; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie,
ebenda 1955, Nr 10.
Tempus (lat., Zeit, als metrischer Terminus seit der
An tike auch ->• Quantitat), in der -*■ Mensuralnotation
urspriinglich der kleinste rational erfaBbare Zeitwert,
die Zeiteinheit (»Zahlzeit«) des musikalischen Satzes
(Franco von Koln : unum tempus appellatur Mud, quod est
minimum in plenitudine vocis, ed. Cserba, S. 236, ahnlich
schon J. de Garlandia, ebenda S. 195), d. h. die Dauer
der »normalen« Brevis (brevis recta), die nur unter be-
stimmten Umstanden die Dauer eines T. iiberschreiten
(brevis altera, zwei Tempora umfassend) oder unter-
schreiten (semibrevis, mehrere pro T.) konnte. Seit dem
Anfang des 14. Jh. wurde die Semibrevis nicht mehr als
Sonderform, sondern als selbstandiger Wert (Teilwert
der Brevis) verstanden, undje nachdem, ob die Brevis
in 3 oder in 2 Semibreven zerfiel, unterschied man jetzt
T. perfectum (■=♦♦♦, angezeigt durch den Kreis O
als Symbol der Vollkommenheit, ->• Perfectio - 2) und
T. imperfectum (■ = ♦♦, angezeigt durch den Halb-
kreis C, aus dem das moderne Zeichen fiir den 4/4-
Takt hervorgegangen ist). Zahlzeit wurde jetzt die Se-
mibrevis. Bedeutete T. bisher die Dauer der Brevis (so
noch in Ph. de Vitrys Ars nova), so erlangte der Begriff
im weiteren Verlauf des 14. Jh. unter dem EinfluB der
Gradus-Lehre des J. de Muris die Bedeutung des Ver-
haltnisses von Brevis zu Semibrevis (3:1 im T. perfec-
tum, 2:1 im T. imperfectum), die er in der Folgezeit
beibehielt (J.Tmctoris, Diffinitorium, um 1473/74). Die
analogen Begriffe seit dieser Zeit waren -> Modus (- 3)
maior und minor (Verhaltnis Maxima/Longa und Lon-
ga/Brevis) und -*■ Prolatio (Verhaltnis Semibrevis/
Minima).
Lit. : R. Bockholdt, Semibrevis minima u. Prolatio tem-
poris, MfXVI, 1963.
Tenebrae (lat., Finsternis; Kurzform von matutina
tenebrarum) heiBen seit dem 12. Jh. -» Matutin und
-»■ Laudes aus dem Offizium der drei letzten Kartage.
Der Name leitet sich von dem schon im 8. Jh. in Gallien
entstandenen und bis heute erhaltenen Brauch her, die-
se Gebetszeiten in Dunkelheit zu beschlieBen, nachdem
alle Kerzen in festgelegten Abstanden ausgeloscht wor-
den sind (vgl. Amalar von Metz, Liber de ordine Anti-
phonarii, Kap. 44,unddieBrevierneuausgabevonl961).
Beide Horen beginnen ohne die gewohnte Eroffnung
mit der 1. Antiphon. Im weiteren Verlauf entfallen
Gloria patri (am Ende der Psalmen) und Hymnus, in
der Matutin ferner Absolutionen und Te Deum. Den
Lesungen zur 1. Nokturn liegen die -»■ Lamentationen
des Propheten Jeremias zugrunde. Als (zusatzlicher)
SchluBgesang der Laudes und aller nachfolgenden
Horen findet sich heute die Antiphon Christus foetus
est pro nobis (am Karfreitag und Karsamstag in erwei-
terter Form), wahrend urspriinglich noch der BuB-
psalm -» Miserere mei Deus angeschlossen wurde (1955
abgeschafft).
Lit. : M. Righetti, Manuale di storia littirgica II, Mailand
21955 ; Th. Kaser, Die Lecon de Tenebres im 1 7. u. 18. Jh.,
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden
Ges. II, 12, Bern (1966).
Tenor, im mittellateinischen Schrifttum Betonung auf
der ersten Silbe (tenor, von lat. tenere, halten), im
Deutschen seit dem 15. Jh., entsprechend ital. tenore,
Betonung auf der zweiten Silbe (Tenor; frz. tenor;
engl. tenor). - 1) Im Mittelalter ist das Wort T. (im
klassischen Latein s. v. w. ununterbrochener Lauf, Zu-
sammenhang) mehrfach zum musikalischen Terminus
erhoben worden, wobei in wechselndem MaBe die
Aspekte des zeitlichen Aushaltens und des strukturellen
bzw. ideellen Haltens, Stiitzens die Begriffsbildung be-
stimmten. - In zeitlichem Sinne bedeutet T. die Lange
etwa des Atems (t. spiritus humani, Hucbald, GS I,
125a) oder die Tondauer (quantitas motionis), vor al-
lem jedoch die Dehnung eines Tones (mora unius-
cuiusque vocis, Guido, GS II, 38a), die in Neumenauf-
zeichnungen gelegentlich durch den -*■ Romanus-
Buchstaben t (= tenere bzw. trahere) eigens angezeigt
wurde. Zu dehnen war im besonderen der SchluBton
eines Gesanges wie dessen einzelner Abschnitte, so daB
T. schon von Guido auch speziell als mora ultimae vo-
cis (CSM IV, 163) definiert werden konnte. Seit Jo-
hannes Affligemensis wurde auch der Anfangston der
->• Differenzen in der Psalmodie als T. bezeichnet, der
mit der -> Repercussa bzw. -v Tuba (- 5) identisch und
neben der Finalis der bei der Auspragung der -> Kir-
chentone wichtigste Ton ist. Das spate Mittelalter ver-
stand unter T. mitunter auch die vollstandige Diffe-
renz oder den Ambitus einer Tonart.
In der Bedeutung des Cantus prius factus der mehr-
stimmigen Komposition kommt T. erstmals im 13. Jh.
vor, und zwar gleichermaBen in Lehrschriften (Johan-
nes de Garlandia, ed. Cserba, S. 211 : a parte tenoris, qui
dicitur primus cantus; der gelegentliche Gebrauch von T.
in der Discantus positio vulgaris, ebenda S. 193, geht
wahrscheinlich auf eine Interpolation des Hieronymus
de Moravia zuriick, liegt also wohl nach Garlandia) und
in praktischen Aufzeichnungen (tenura de mors morsu,
-*■ Quellen: Ma, f . 105). Die Benennung dieser Stimme
als T. wird im zeitgenossischen Musikschrifttum damit
begriindet, daB sie das -*■ Fundamentum des mehrstim-
migen Satzes bilde. Zwar war der Cantus seit den An-
fangen des -> Organum (als vox principalis, vox prae-
cedens) Ausgangspunkt der Stegreifausfiihrung, Ge-
riistsatzbildung und Komposition, doch ist er zur gene-
rell tiefsten (»tragenden«) Stimme (tenens heiBt er beim
Anonymus II, CS I, 312a) erst im 12. Jh. geworden.
Der eigentliche AnstoB zur Benennung der vorgege-
benen tiefsten Stimme als T. scheint vom Discantus-
satz der Notre-Dame-Schule ausgegangen zu sein.
Denn die dem Choral entnommene Grundstimme
hatte infolge der modalen Rhythmisierung und Ordi-
nierung, der Wiederholung einzelner Abschnitte, vor
allem aber im Hinblick auf das Herauslosen von Can-
tusteilen aus dem liturgischen Zusammenhang in Klau-
sel und -> Motette oder auf Spielereien wie der riick-
laufigen Verwendung eines Cantusausschnitts (Nus-
mi-do statt Do-mi-nus, Hs. F, f. 150') weithin ihre li-
turgische Integritat verloren. Sie gait in dieser For-
mung nicht mehr als liturgischer Cantus, sondern als
fiihrende, Zusammenhang stiftende Stimme, zu deren
Benennung auch Ausdriicke wie -»• Cantus firmus
oder Cantus prius factus gepragt wurden. Die Wahl
des Terminus T. erfolgte wohl in diesem kompositions-
geschichtlichen Zusammenhang und im AnschluB so-
wohl an die vokabulare Bedeutung von T. als auch an
die zentrale Stellung dieses Terminus in der Choral-
lehre. GemaB der natiirlichen Begriffsweite des Wortes
946
Terminologie
war der Sprachgebrauch von T. bis ins 16. Jh. nicht
einheitlich. Noch im 15. Jh. erklarte der Anonymus
XI: der Contra-T. werde T. genannt, sofern er tiefer
sei als der T. (CS III, 466a). Verbreitet war jedoch
jener Sprachgebrauch, der in der Praexistenz des T.s
in Form einer Choral-, spater auch einer weltlichen
Liedmelodie das wesentliche Merkmal sah. So er-
wahnt Jacobus Leodiensis ausdriicklich den Fall, daB
in einer Motette multi t.es vorhanden sein konnen
(CS II, 386b), und denkt dabei offenbar an Komposi-
tionen wie die Motette Nr 92 in der -»• Quelle Ba, in
der quodlibetartig zwei gregorianische Melodien (Op-
tatur und Omnes) iibereinandergesetzt sind. Glareanus
versteht unter T., den er auch ->■ Thema nennt, eine
einstimmige Melodie, die im mehrstimmigen Satz ver-
arbeitet werden soil (Dodekachordon II, 38; angefiihrt
sind hier Te deum laudamus und Pange lingua). Alberus
definiert T. als eingesang, lied (Novum Dictionarii genus,
c2a). Auch die Geriistmelodien in den Tanzen des 15.
und 16. Jh. wurden in Italien t.es genannt (Ortiz, Tra-
tado deglosas . . . , ed. Schneider, S. XXXVII und 106).
Die modernen Begriffsworter T.-Messe (-> Messe) und
T.-Lied (-> Lied) bringen zum Ausdruck, daB in der
T.-Stimme jeweils eine vorgegebene oder vorgefertig-
te Melodie verwendet ist. - Die seit dem 13. Jh. als T.
bezeichnete Stimme wurde schon im 14. Jh. gelegent-
lich vom -> Contra-T. unterschritten und ist seit der
Mitte des 15. Jh. praktisch nur noch als Mittelstimme
(media vox, medius [scil. cantus]; ->• Taille) anzutref-
fen: im 4st. Satz zwischen Contra-T. bassus und altus,
im 3st. Liedsatz zwischen Contra-T. (der allerdings,
besonders in den Klauseln, mitunter noch iiber den T.
steigt) und Superius. Im regularen 4st. Satz ist der T.
seither die -> Lagenstimme iiber dem BaB.
- 2) Von der Lagenstimme ging die Bezeichnung iiber
auf die Stimmlage T., die hohe Gattung der Manner-
stimmen mit dem Normalumfang c-a 1 , bei Berufs-
sangern bis c 2 . In der Biihnenpraxis wird unterschieden
zwischen den Stimmfachern lyrischer T., jugendlicher
Helden-T., schwerer Helden-T. und T.-Buffo. Der
lyrische T. erfordert Schonheit und Glanz der Stimme
bis zum c 2 : Don Ottavio (Don Giovanni), Tamino (Die
Zauberflote), Graf Almaviva (// barbiere di Siviglia), Al-
fred Germont (La Traviata), Lenski (Jewgenij Onegin),
Linkerton (Madama Butterfly), Sanger (Der Rosenkava-
lier). Er kann auch die Rolle des Spiel-T.s iibernehmen
(z. B. Wenzel in VerkaufteBraut), sofern diese nicht dem
T.-Buffo zugeteilt wird. Der jugendliche Helden-T.
verlangt geringere Hohe, dafiir um so starkere Durch-
schlagskraft: Florestan (Fidelio), Stolzing (Die Meister-
singer von Niirnberg), Don Jose (Carmen), Canio (Pag-
liacci), Bacchus (Ariadne aufNaxos), Kalaf (Turandot),
Tambourmajor (Wozzeck), Aiwa (Lulu). Der schwere
Helden-T. erfordert bei mannlicher Sonoritat ein
HochstmaB an Klangentf altung : Tristan (Tristan und
Isolde), Siegmund und Siegfried (Der Ring des Nibelun-
gen), Otello. Der T.-Buffo, Vertreter des heiteren
Fachs, setzt Helligkeit und Biegsamkeit der Stimme
sowie gute Deklamationsfahigkeit voraus: Pedrillo
(Die Entfuhrung aus dem Serail), Basilio (Le nozze di
Figaro), Monostatos (Die Zauberflote), Jaquino (Fidelio),
David (Die Meistersinger von Niirnberg), Mime (Der
Ring des Nibelungen), Spalanzani (Les contes d' Hoffmann) ,
Pong und Pang (Turandot), Hauptmann (Wozzeck). -
Instrumente, die einen der menschlichen T.-Stimme
entsprechenden Umfang haben oder ihn in ihrer Mit-
tellage umschlieBen, tragen seit dem 16. Jh. haufig den
Zusatz T. (T.-Fidel, T.-Gambe, T.-Posaune, T.-Saxo-
phon). Gelegentlich, wie bei der T.-Blockflote mit
dem Umfang etwa einer Sopranstimme, hat auch die
(relative) Lage iiber dem tiefsten (BaB-) Instrument in-
nerhalb einer Instrumentenfamilie zu dieser Benen-
nung gefiihrt.
Lit. : zu 1): P. Aubry, Recherches sur les t6nors frc. dans
les motets du XHI e s., Paris 1907; ders. u. A. Gastoue,
Recherches sur les tenors lat. dans les motets du XIII e s.,
La Tribune de St-Gervais XIII, 1907 ; W. Gurlitt, J. Wal-
ter u. d. Musik d. Reformationszeit, Luther- Jb. XV, (Miin-
chen) 1933 ; M. Appel, Terminologie in d. ma. Musiktrak-
taten. Ein Beitr. zur mus. Elementarlehre d. MA, Diss. Bin
1935; Dom L. David, La »Mora ultimae vocis« de Guy
d'Arezzo, Rev. du chant gregorien XL, 1936; K. Gude-
will, Zur Frage d. Formstrukturen deutscher Liedteno-
res, Mf I, 1948; ders., Beziehungen zwischen Modus u.
Melodiebildung in deutschen Liedtenores, AfMw XV,
1958; R. Stephan, Die Tenores d. Motetten altesten Stils,
Diss. Gottingen 1949, maschr.; H. Besseler, Bourdon u.
Fauxbourdon, Lpz. 1950; R. Dammann, SpStformen d.
isorhythmischen Motette im 16. Jh., AfMw X, 1953 ; H. H.
Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d.
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse,
Jg. 1955, Nr 10; N. E. Smith, T. Repetition in the Notre
Dame Organa, JAMS XIX, 1966; Sh. Davis, The Solus T.
in the 14 th and 15'" Cent., AMI XXXIX, 1967.
Tenora, in der -*■ Cobla gebrauchliche Tenorschalmei
mit starkem, nasal-schreiendem Ton.
Lit. : J. Coll, Metodo de tiple y t., Barcelona 1950.
Tenorgeige -»■ Viola tenore (- 2).
Tenorhorn, zur Familie der Biigelhorner gehorendes
Blechblasinstrument in B oder C, das in ovaler, Tuba-
oder Trompetenform gebaut wird.
Tenorino (ital., Diminutiv von tenore, eigentlich
s. v. w. kleiner Tenor, Tenorchen) nannte man den fal-
settierenden Tenor vor Zulassung der Kastraten in die
papstliche Kapelle. Im 16. Jh. waren in Rom vor allem
spanische Tenorini geschatzt. Spater wurden sie zur
Unterscheidung von den Kastratenstimmen Alti na-
turali (-»■ Falsettisten) genannt.
Tenso (prov.) -» Tenzone.
tenuto (ital., gehalten; Abk.: ten.) fordert, daB die
Tone ihrem vollen Werte nach ausgehalten werden;
forte ten. (f ten.), in gleicher Starke forte ausgehalten,
nicht abnehmend.
Tenzone (ital.; prov. tenso; prov. und frz. tenson;
von lat. contentio, Streit), menrstrophiges provenzali-
sches Streitlied ohne feste Form, das von 2 Partnern
meist auf bekannte Melodien vorgetragen wurde und
aktuelle Geschehnisse oder Liebesprobleme in teilweise
polemischem Dialog behandelte, im Unterschied zum
mehr spielerisch-geistreichen ->• Jeu parti. Vor allem
im 12./13. Jh. von den Trobadors gepflegt, erlangte die
T. fur die Trouveres Bedeutung bei den Sangerkrie-
gen (->• Puy).
Terminologie der Musik ist die Wissenschaft und
Lehre von den musikalischen Fachwortern sowie die
Gesamtheit der musikalischen Termini technici. Vor
anderen T.n zeichnet sich die musikalische T. dadurch
aus, daB einerseits Erklingen (genauer: Tone, Musik)
und Benennen (Worter, Sprache) zwei grundsatzlich
verschiedenen Sinnbereichen zugehoren und somit das
Benennen des (artifiziell) Erklingenden zur Fachsprache
pradestiniert ist (in der schlichten Angabe »Das Thema
des Allegros der Symphonie in C dur« ist jeder benen-
nende Bestandteil ein Terminus) und daB andererseits
die Musik seit altgriechischer Zeit ein Gegenstand theo-
retischer Erorterung war, so daB zusammen mit einem
ausgedehnten musikahschen Schrifttum eine weitver-
zweigte Musik-T. entstand. Deren Grundlage bilden
bis heute die griechischen Begriffsworter (Musik,
Rhythmus, Harmonie, Melodie usw.), weil in der grie-
chischen Antike erstmals »Musikalisches« benannt wur-
60*
947
Terminologie
de, und zwar offenbar sogleich im Sinne einer Grund-
satzlichkeit der Sachen und Sachverhalte, die zusam-
men mit den WSrtern trotz aller Geschichtlichkeit der
Musik bis heute fortbesteht. - Wahrend aber in der
griechischen Antike die Worter weithin noch als echte
Namen im Einklang mit den durch sie begriffenen Sa-
chen und Sachverhalten standen, traten seit dem Hel-
lenismus Begriffswort (terminus) und Sache (res) in ein
Spannungsverhaltnis, das im Laufe der Geschichte nur
immer noch groBer und komplizierter wurde und die
T. der Geisteswissenschaften heute in zunehmendem
MaBe beunruhigt und beschaftigt. Der Abstand zwi-
schen den Wortern und den Sachen hat seinen Grund
vor allem darin, daB die Worter oft f ortbestehen, wah-
rend die Sachen sich wandeln (z. B. ->■ Symphonie,
-> Modulatio[n], -> Kontrapunkt). Und er vergroBert
sich zudem, wenn die Worter als Lehnworter, Lehn-
iibersetzungen oder Fremdworter aus anderen Spra-
chen iibernommen (-> Dasia-Zeichen, -» Paraphonia,
->■ Ostinato; -> Vortragsbezeichnungen) oder aus einer
anderen Fachsprache in die musikalische T. uberfuhrt
wurden (-> Color - 2, ->• Klausel; -> Figuren) oder
wenn sie avis umgangssprachlichen Benennungen stam-
men (so oft bei Instrumenten und Tanzen, z. B. -> Gi-
gue, -> Passacaglia). Erschwerend fiir ein unmittelbares
Verstandnis wirkt sich auch aus, wenn ein Wort mehr-
mals in voneinander unabhangigen Prozessen und Be-
deutungen zum Terminus erhoben wurde (z. B.
-> Pes - 1 bis - 3 ; ->■ Modus - 1 bis - 4) oder wenn eine
Benennung zu einem Bezeichnungsfragment (Kurz-
form) zusammengeschrumpft ist (z. B. -> Musica,
->■ Kontrapunkt, rubato [->■ Tempo rubato], -> Mu-
sical). In vielen Fallen ist noch heute die Wortherkunft
(Etymologie) eines musikalischen Terminus ungeklart
(auf diese Problematik geht das vorliegende Lexikon
vorsatzlich nicht ein) oder umstritten (-> Madrigal,
->■ Fauxbourdon, -> Concerto).
Die Geschichte der Musik wird von der Notwendig-
keit begleitet, die Sachbezeichnungen immer wieder zu
erklaren oder zu definieren (-> Lexika), sie auf die ge-
schichtlich verwandelten Gegenstande neu zu beziehen,
fiir neu entstandene Sachen neue Bezeichnungen aus-
findig zu machen (z. B. -*■ Discantus, -> Musica poeti-
ca, ->■ Dominante, -> Leitmotiv, -> Schlager, -*■ Seriel-
le Musik, ->• Permutation - 3) vmd wissenschaftlich er-
kannte Sachverhalte erstmals zu benennen (-> Kanti-
lenensatz, -> Agogik, ->■ Amusie, -> Tonigkeit, ->• Hor-
schwelle). Andererseits erfordert das Verstandnis der
Quellentexte aller Zeiten die ErschlieBung der Wort-
bedeutungen aus dem Kontext, den gebotenen Defi-
nitionen und dem jeweiligen System der Begriffsspra-
che auf der Grundlage der Wortforschung und Sach-
kenntnis. Auch die -> Interpretation der Musik durch
die beschreibende und erklarende Sprache ist in hohem
MaBe abhangig yon der Wahl der Worter, d. h. von
dem Grad der Ubereinstimmung zwischen dem Er-
kennen der Sachen und dem Durchschauen der Wort-
bedeutungen. Denn ob z. B. eine Konstellation gleich-
zeitig erklingender Tone richtig als Klang, Intervall-
komplex, Akkord, Harmonie oder Struktur angespro-
chen wird, ist eine Frage der Kongruenz zwischen dem
Sein der Sachen und dem Meinen der Worter. Das
Verstehen der -»- Musik in der Vielfalt und Eigenart
ihrer geschichtlichen und ethnischen Erscheinungen er-
fordert eine geschichtlich und ethnisch verstandene und
erschlossene Begriffssprache. Jedem System des Gel-
tenden entspricht ein System der T., dessen Verabsolu-
tierung die Verkennung aller anderen Systeme des
Geltenden zur Folge hat. Auch ein Begriffs- und Zei-
chensystem, das sich die Aufgabe stellt, fiir alle musi-
kalischen Falle zu gelten oder im Sinne der Grundla-
genforschung das immerwahrend Prinzipielle der Ge-
staltung des Klingenden zu erfassen, kann der ge-
schichtlichen Bedingtheit des Verstehens und Be-
nennens nicht entrinnen.
Wahrend in den neuzeitlichen Naturwissenschaf ten die
Termini in ihren Bedeutungen weitgehend »verabre-
det« und als Worter gleichgiiltig sind und andererseits
in den geschichtlichen Disziplinen eine positivistisch
und evolutionistisch orientierte Wissenschaf t die Sach-
bezeichnungen fortschrittsglaubig im Sinne der gegen-
wartigen Tatsachenwelt definiert, setzt sich seit den
1920erjahren in den Geisteswissenschaften immer mehr
die Auffassung durch, daB die T. nicht nur der Prazi-
sierung bedarf, sondern auch eine Quelle geschichtli-
chen Erkennens ist. Denn der Terminus als »Begrifis-
wort« vermag eine bestimmte Weise des »Begreifens«
einer Sache zu bekunden: Jeder Terminus, jede Gruppe
von Termini, entspricht einer je bestimmten,fest umrissenen
Musikwirklichkeit (Gurlitt 1952, S. 216). Diese Aussage-
kraft des Begriffsworts hat - jenseits alien Definierens -
einen objektiven Grund in dem Wort, das zur Benen-
nung einer Sache, d. h. zur Kennzeichnung ihres als
wesentlich verstandenen Merkmals erhoben wurde:
das Wahlen der Begriffsworter erfolgt kraft der Be-
deutung, die die Worter als umgangssprachliche Voka-
beln oder als bereits bestehende Termini bei dieser
Wahl anbieten und die die T. als erstes zu erkunden hat,
wenn sie den Sinn der Bezeichnungen ausfindig ma-
chen und das Begreifen der Sachen aus den Wortern
erschlieBen will. So z. B. kennzeichnen in der nach-
guidonischen Organumlehre die Ausdriicke Voces con-
iunctae und Voces disiunctae die Oktave und den Ein-
klang sowie die Quinte und Quarte als »verbundene«
Tone (iunctae), entsprechend ihrer Geltung als Sym-
phoniae, und klassifizieren sie zugleich als »zusammen-
verbunden« (Oktave/Einklang) und »auseinander-ver-
bunden« (Quinte/Quarte). So auch z. B. bezeugt die
Benennung der unteren Stimme eines Satzes als Vox
principalis (->■ Organum), ->■ Cantus (- 1 ; ->■ Discan-
tus), ->■ Tenor (- 1), -> Pes (- 2), -*■ Contratenor (Solus
tenor; -> Bordun; Baritonans [-> Bariton- 1]), -> Fun-
damentum (-> Basis), -> BaB (- 1) eine je verschiedene
Auffassung der Sache, entsprechend den Stadien der
Sachgeschichte. Und hochst wichtig ware es, wenn er-
wiesen werden konnte, auf Grund welcher Nennkraft
z. B. das Wort ->■ Organum zur Bezeichnung der frii-
hen Mehrstimmigkeit und das Wort motetus (-> Mo-
tette) zur Benennung einer musikalischen Gatturig er-
hoben wurde. Auch bei den neueren terminologischen
Bildungen bekundet sich im Benennen das Auffassen,
z. B. in den Bezeichnungen -> Isorhythmie, -> Kolo-
rierung, musikalische -> Prosa (-2), -»■ Klangfarben-
melodie. Und hinter den Benennungsprozessen, -fra-
gen und -entscheidungen stehen oft schwerwiegende
Sachprobleme, z. B. bei den Wortern ->• Polyphonie
(Mehrstimmigkeit), -> Improvisation (Stegreifausfiih-
rung), ->• Atonalitat (Tonalitat).
Wie die Sachwelt Geschichte hat (sachgeschichtliche
Fragestellung), so auch das Bezeichnen (Begreifen) der
Sachen, sei es, daB die Bedeutung eines Wortes sich
wandelt (bedeutungsgeschichtliche Fragestellung ; Bei-
spiel : -> Klavier) - wobei die Beziehung von Wort und
Sache nicht selten durch »irrtiimliche Etymologien«
wiederhergestellt wurde (-> Ricercar) - sei es, daB die
Lautform eines Wortes sich andert (wortgeschichtli-
che Frage, z. B. : Musik / ->■ Musik; Tenor / -> Tenor;
-*■ Tactus / -*■ Takt; Aria / -> Arie; -> Fuga / -> Fuge)
oder eine Sache gleichzeitig oder im Laufe ihrer Ge-
schichte mehrfach benannt wird (bezeichnungsge-
schichtliche Frage ; z. B. -> Harmonia / -> Diapason /
-> Oktave; ->• Soggetto / ->■ Thema), womit zumeist
948
Terzett
entscheidende Wendepunkte der Sach- und Begriffs-
geschichte markiert sind. - Die T. als Wissenschaft der
Begriffsgeschichte im Zusammenwirken der sach-, be-
dcutungs-, wort- und bezeichnungsgeschichtlichen Fra-
gestellungen und unter dem Aspekt der Geschichte des
Begreifens der Sachen durch Worter wurde durch W.
Gurlitt und H. H.Eggebrecht zu einer Grundforderung
musikwissenschaftlicher Arbeit erhoben und systema-
tisch in Angriff genommen. Das im Rahmen der Kom-
mission fiir Musikwissenschaft der Mainzer Akademie
der Wissenschaften und der Literatur von Gurlitt in
Freiburg im Breisgau begonnene, seit 1965 von Egge-
brecht f ortgef iihrte Handworterbuch der musikalischen T.
soil in planmaBiger Arbeit ein moglichst writes und ur-
spriingliches Blickfeldfur die geistige Eigenart der musikali-
schen Begriffe und Begriffsworter erschliefien (Gurlitt 1952,
S. 214). Auf der Grundlage der manuellen Verzette-
lung der (mit ihrem Kontext aufgenommenen) auf die
Musik bezogenen Worter des europaischen Musik-
schrifttums wird die Bezeichnungsgeschichte der Sa-
chen und die Bedeutungsgeschichte der einzelnenWor-
ter und Wortgruppen erarbeitet, um dann in lexikali-
scher Darstellung in Einzellieferung veroffentlicht zu
werden. Im Unterschied und in Nachbarschaft zu die-
sem auf die gesamte europaische Musikgeschichte ge-
richteten Unternehmen beschaftigt sich das auf Anre-
gung von Thr. G. Georgiades und W.Bulst 1960 von
der Musikhistorischen Kommission der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften begonnene Lexicon Mu-
sicum Latinum speziell mit der lateinischen musikali-
schen Fachsprache des Mittelalters bis zum 12. Jh. Der
Archivaufbau erfolgt auf der Grundlage eines syste-
matischen Erfassens des gesamten Wortschatzes der
Musiktraktate und der auf Musik beziiglichen Stellen
sonstigen Schrifttums unter Verwendung auch elektro-
nischer Datenverarbeitung. Im Auf trage der Association
Internationale des bibliotheques musicales (AIBM)
wird in internationaler Zusammenarbeit ein polyglot-
tes Musikfachworterbuch (Glossarium musicae) zusam-
mengestellt, das die wichtigsten musikalischen Begriffe
in Deutsch, Englisch, Franzosisch, Italienisch, Spanisch,
Ungarisch und Russisch zu erfassen sucht.
Lit. : — » Lexika, Bibliogr., Gruppe A und C bis D. - M.
Appel, T. in d. ma. Musiktraktaten, Diss. Bin 1935; H. H.
Eggebrecht, Aus d. Werkstatt d. Terminologischen Hand-
worterbuchs, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Studien zur
mus. T., = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes-
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; W. Gurlitt, Ein be-
griffsgeschichtliches Worterbuch d. Musik, Kgr.-Ber. Ut-
recht 1952, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart II, = BzAfMw
II, Wiesbaden 1966; ders., Ber. iiber d. Arbeiten zur mus.
T., Jb. d. Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz 1956; H. Schmid
u. E. L. Waeltner, Plan u. Durchfiihrung d. »Lexicon Mu-
sicumLat.«, Kgr.-Ber. Kassel 1962; dies., Lexicon Musicum
Lat., in: Organicae voces, Fs. J. Smits van Waesberghe SJ,
Amsterdam 1963; T. d. Neuen Musik (mit Beitr. v. C.
Dahlhaus, E. L. Waeltner u. a.), = Veroff. d. Inst. f. Neue
Musiku. Musikerziehung Darmstadt V, Bin 1965. HHE
Terpodion, ein vonJ.D.Buschmann (1816) erfunde-
nes -*■ Friktionsinstrument, bei dem abgestimmte Holz-
stabe mittels einer Klaviatur gegen einen rotierenden
und mit Kolophonium bestrichenen Holzzylinder ge-
driickt werden. Das T. imitiert wie das -> Orchestri-
on (- 1) Instrumente des Orchesters, vorwiegend Flote,
Fagott und Horn. Vorlaufer des T.s sind der ->■ Clavi-
zylinder und das Uranion, das ebenf alls von Buschmann
konstruiert und im Unterschied zum T. mit einem Zy-
linder mit Tuchiiberzug versehen war. Der Tonumf ang
des T.s betragt iF-R - Ein Instrument gleichen Na-
mens, aber mit Metallzylinder und Metallstaben, wur-
de 1821 von den Englandern D.Loeschmann und J.
Allwright konstruiert (Umfang iF-f 4 ).
Tertian (Terzian) ist in der Orgel eine gemischte Stim-
me, meist zweichorig, aus dem 4. und 5. Oberton be-
stehend, zu P/s'+l 1 ^', auch 4 /s'+ 2 /3' mit Repetition
bei c oder c 1 , etwas scharfer als die Sesquialtera intoniert.
Terz (lat. tertia, dritte, in der-alteren Musiklehre auch
->• Ditonus), die 3. Stufe in diatonischer Folge, das zu-
sammen mit der reinen Quinte den -» Dreiklang kon-
stituierende Intervall. Die musika- Q
lische Praxis kennt die T. als groB, m U n „[,„,»„
klein, vermindert und iibermaBig. «J -8- p -8-jf"-81jfr&
Die musikalische Akustik kennt die groBe und kleine
T. als natiirlich (4:5 und 5:6), pythagoreisch (64:81
und 27:32) und gleichschwebend temperiert (*/3 und
!/4 der Oktave). Der akustische Unterschied zwischen
pythagoreischer und natiirlicher T., das syntonische
-»■ Komma (-1), wird in der musikalischen Praxis nicht
beriicksichtigt. - Die T., in der einstimmigen Musik
der Antike und des Mittelalters als ->- emmelisches In-
tervall gewertet, erscheint in der Klassifikation der In-
tervalle bei Johannes de Garlandia und Franco von
Koln als ->■ Concordantia imperfecta (CS I, 105a und
129a). Die bis zur Mitte des 16. Jh. giiltige Deutung
der T. als unvollkommener -> Konsonanz (- 1) besagt,
daB die T. im mehrstimmigen Satz zwar notwendig
und wohlklingend sei, daB sie aber, zumindest in der
->■ Klausel am SchluB eines Abschnitts, in die voll-
kommenen Konsonanzen Einklang oder Quinte auf-
gelbst werden solle. Bei dem seit dem 16. Jh. ublichen
SchluBklang mit T. wurde bis ins 18. Jh. regelmaBig
auch in Mollsatzen die groBe T. (wegen ihres hoheren
Konsonanzgrades) verwendet (-»■ Picardische T.).
Nachdem seit den Pythagorean allein die Quinte dem
Aufbau des Tonsystems zugrunde gelegt worden war,
gait seit dem 16. Jh. (Fogliano, Zarlino) auch die T. als
konstitutives Intervall. In weiterer Verfolgung dieses
Gedankens erkannte J.-Ph. Rameau die T.en-Schich-
tung als Prinzip des Aufbaus aller Akkorde. Dieses fiir
die Harmonielehre des 18./19. Jh. grundlegende Prinzip
wurde im 20. Jh. auf gegeben zugunsten von Klangf or-
men, die auch andere Intervalle als konstitutiveElemen-
te enthalten. - In der Musikethnologie wird das in der
Rufmelodik bevorzugt auftretende Distanzintervall als
Ru£-T. bezeichnet.
Terz, Sext, Non, (lat. hora tertia, hora sexta, hora
nona), die 2. bis 4. der kleinen Horen im -> Offizium
der romisch-katholischen Kirche. Wahrend ihre Vor-
geschichte auf das schon im 3. Jh. nachweisbare, an-
fanglich private Beten zur 3., 6. und 9. Stunde weist,
finden sich diese 3 Horen als offizieller Teil des Offi-
ziums erstmals im Stundengebet der orientalischen As-
keten. Ihnen liegt nach romischem Ritus folgender ge-
meinsamer Aufbau zugrunde : Einleitungsversikel Deus
in adiutorium meum intende mit kleiner Doxologie, an-
schlieBend ein 3strophiger Hymnus fiir das ganze Kir-
chenjahr (T. : Nunc Sancte nobis Spiritus, zu Pfingsten
und in der Pfingstoktav ersetzt durch Veni, Creator
Spiritus; Sext: Rector potens, verax Deus; Non: Rerum
Deus tenax vigor), ferner drei (von einer einzelnen An-
tiphon umrahmte) Psalmen, Capitulum, Responsorium
breve, Versikel, Qration und EntlassungsgruB Benedi-
camus Domino. Dieselbe Gliederung ohne Responso-
rium breve findet sich im monastischen Offizium. -
Nach den Bestimmungen zur Liturgiereform des 2.
Vatikanischen Konzils darf beim Breviergebet auBer-
halb des Chores eine der 3 Horen, »die der betreffenden
Tageszeit am besten entspricht«, ausgewahlt werden
(Constitutio de sacra liturgia, Artikel 89e).
Terzett (ital. terzetto; frz. trio; engl. terzet), eine
Komposition fiir drei konzertierende Singstimmen
949
Terzgeige
mit oder ohne Instrumentalbegleitung; die Bezeich-
nung fiir das 3st. Instrumentalstiick ist ->• Trio. Im 16./
17. Jh. hieBen 3st. Vokal- und Instrumentalsatze haufig
-» Tricinium. Das Vokal-T. ist meist Bestandteil groBe-
rer dramatischer oder oratorischer Werke. Die aus-
schlieBlich vokale Bedeutung des Terminus hat sich
erst im Verlauf des 19. Jh. endgiiltig durchgesetzt
(-*■ Duett) ; so heiBt z. B. Beethovens Trio op. 87 fiir
2 Oboen und Englischhorn (1794) im Autograph t.o,
und noch A. Dvorak (op. 74 und op. 75a, 1887) ge-
braucht die Bezeichnung T. fiir Streichtrios. Gelegent-
liche Versuche, Trio und T. gegeneinander abzugren-
zen, bezdgen sich mehr auf den Umfang der Stiicke
als auf deren Besetzung: BrossardD definiert T. (als
Diminutiv von Terzo) als un petit Trio. WaltherL hebt
den satztechnischen Unterschied zwischen vokalem
und instrumentalem T. hervor: tine kurtzgefafite Com-
position von drey Sing-Stimmen, mit ihrem besonderen
Spiel-Bafi und anderen accompagnirenden Instrumenten;
i![em] eine dergleichen Composition von drey Instrument-
Stimmen, die Bafi-Stimme mit gerechnet.
Terzgeige -»■ Violino piccolo.
Terzquart(sext)akkord -> Septimenakkord.
Testo (ital., Text) bezeichnet seit dem 17. Jh. den er-
zahlenden Text, im weiteren Sinne auch die Rolle des
Erzahlers im italienischen -> Oratorium. Gleichbedeu-
tend sind die Bezeichnungen Historia bzw. Historicus
im lateinischen Oratorium und Evangelist in der ->■ Pas-
sion. Der T., meist solistisch, gelegentlich auch cho-
risch gestaltet, ist charakteristisch fiir das friihe Orato-
rium der Zeit um 1650. Doch schon in der 2. Halfte des
17. Jh. zielten die Oratoriendichter - unter ihnen be-
sonders konsequent A. Spagna - auf die Abschaffung
derErzahlerrolle, um das Oratorium im textlichen und
dramatischen Aufbau der Oper anzugleichen. Die Ora-
torienlibretti Metastasios und die Texte der meisten
italienischen Oratorien des 18. Jh. sind durch das Feh-
len des T. gekennzeichnet. Soweit in dieser Zeit das
Oratorium in deutscher Sprache von den italienischen
Vorbildern beeinfluBt war (z. B. die Texte von Me-
nantes), fehlt auch in ihm die Partie des Erzahlers. Da-
gegen findet sich der Evangelist in den deutschen ora-
torischen Passionen, so vor allem bei J. S. Bach.
Testudo (lat., Schildkrote), im romischen Altertum
Bezeichnung der Lyra, im 15.-17. Jh. der Laute.
Tetrachord (griech., »Vierton«-Folge; bei Herman-
nus contractus latinisiert: quadrichordum), ist »eine
Ordnung von nacheinander gesungenen Tonen, deren
auBerste miteinander in der Quarte zusammenklingen«
(Bakcheios). Die Struktur des T.s erschlieBt einen
Grundzug der Griechischen Musik: die Rahmentone
stehen im Konsonanzverhaltnis, sind symphonoi und
daher »feststehend« ((jivovTec;, ka-z&Tztz, ixfvrjToi); ein-
gefiigt werden stets 2 Tone, die diaphone, d. h. nicht
konsonante Intervalle zu den Rahmentonen bilden und
»beweglich« (<pep6}xe\icu, xtvoujjisvoi) sind. Je nach An-
ordnung der beweglichen Tone gehort ein T. zur
Diatonik (Intervallfolge von oben je nach Tonart:
Ganzton-Ganzton-Halbton, Ganzton-Halbton-Ganz-
ton, Halbton-Ganzton-Ganzton), Chromatik (kleine
Terz - Halbton - Halbton) oder Enharmonik (groBe
Terz-Viertelton-Viertelton). Das T. gilt daher als Sy-
stema und als Baustein fiir Tonart und -> Sy sterna teleion
(auch -»■ Pyknon). Da 2 T.e »verbunden« (ein Rahmen-
ton gehort zu beiden T.en; -> Synaphe) oder »unver-
bunden« (Zwischenraum ein Ganzton, Diazeuxis) auf-
einander f olgen konnen, wiederholen sich Tone, deren
Lage innerhalb des T.s die gleiche ist, nach einer Quarte
950
oder Quinte. Vom griechischen System der T.e leitet
sich die Quartstimmung der arabisch-islamischen Sai-
teninstrumente (-> 'Od) her. - In der T.-Lehre des Mit-
telalters sind 3 Systeme zu nennen: 1) Neben das T. fi-
nalium D-G treten das T. gravium T-C sowie zur
Hohe hin das T. superiorum a-d und das T. excellentium
e-aa; da die T.e gleich gebaut und alle unverbunden sind,
ergibt sich Quintwiederholung der Tone mit B und F
in der unteren, h und fis in der hoheren Oktave, so im
Byzantinischen Gesang und in der Musica Enchiriadis
(-»■ Dasia-Zeichen). 2) Bei gleicher Benennung (wie un-
ter 1) ergeben die 4 T.e, in 2 Oktaven eingef iigt, das Sy-
stem A-D, D-G, a-d, d-g (haufig im 10./1 1. Jh., am be-
sten bei Hermannus contractus, mit Polemik gegen die
Musica Enchiriadis). 3) Die Erweiterung dieses Tonsy-
stems durch Guido, der das V und ein T. aa-dd anf iigte,
fiihrt zu einer neuen T.-Reihe: T. gravium T-C, T. fi-
nalium D-G, T. acutarum a-d, T. superacutarum d-g,
T. excellentium aa-dd (in dieser Form nicht bei Guido,
aber z. B. bei Johannes Affligemensis). - Musica Enchiria-
dis und Hermannus contractus sind im Mittelal ter die ein-
zigen, die dem T. eine fiir die Musik konstitutive Be-
deutung zuweisen; Guido iibergeht es, und nach ihm
lassen die Solmisation im Hexachord und die Entfal-
tung der Mehrstimmigkeit dem T. keinen eigenen
Raum mehr.
Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech u. ital., hrsg.
v. R. Da Rios, 2 Bde, Rom 1954; Die Harmonielehre d.
Klaudios Ptolemaios, hrsg. v. I. During, =G6teborgs
hogskolas arsskrift XXXVI, 1, Goteborg 1930, dazu Por-
phyrios' Kommentar, ebenda XXXVIII, 2, 1932, deutsche
t)bers. ebenda XL, 1, 1934; Musici scriptores graeci, hrsg.
v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Nachdruck Hildesheim 1962, S.
262f . (Nikomachos) u. 298ff. (Bakcheios); GS 1, 1 52ff. (Mu-
sica Enchiriadis); GS II, 127ff. (Hermannus contractus);
Guido v. Arezzo, Micrologus, hrsg. v. J. Smits van Waes-
berghe SJ, = CSM IV, (Rom) 1955, S. 94; Johannes Affli-
gemensis, De Musica, hrsg. v. dems., ebenda I, 1950, S.
61f. u. 97.
Tetrardus (tetartus, lat., von griech. liTapxoc;) ->■ Kir-
chentone.
Thailand -*■ Hinterindien.
Thema nennt man in der neueren Zeit - nach H. Rie-
manns Definition - einen musikalischen Gedanken,
der, wenn auch nicht vollig abgerundet und geschlos-
sen, doch bereits so weit ausgefiihrt ist, daB er eine cha-
rakteristische Physiognomie zeigt; das Th. unterschei-
det sich darin vom -» Motiv, welches nur ein Keim
thematischen Gestaltens ist. Dariiber hinaus ist das Th.
dadurch gekennzeichnet, daB es in einem groBeren mu-
sikalischenZusammenhang(Abschnitt, SatzoderWerk)
als pragende Substanz wirksam wird; dies geschieht
vor allem durch Wiederkehr, aber auch durch Verar-
beitung und Verwandlung des Th.s und setzt seine Er-
kennbarkeit voraus, die gewahrleistet wird durch seine
relativ fest gefiigte, melodisch, rhythmisch und har-
monisch klar definierte Gestalt. Die Aspekte der Be-
schaffenheit und der Durchfiihrbarkeit oder Entwick-
lungsfahigkeit eines Th.s stehen in Wechselbeziehung
(wie es J. S. Bachs Begriff und Prinzip der ->• Invention
musterhaft zeigen) : das Th. wird in der Regel im Hin-
blick auf ein bestimmtes Verarbeitungsverfahren er-
f unden, lenkt aber inspirierend auch den Kompositions-
prozeB im Detail und im Ganzen; doch laBt die Ab-
hangigkeit zwischen Erfindung des Th.s und Durchge-
staltung des Werkes dem schopferischen Willen einen
weiten Spielraum. Der in der Musik besonders seit et-
wa 1600 sich darbietende Reichtum an Moglichkeiten
der Beschaffenheit eines Th.s ist mit Hilfe einer Syste-
matik nicht zu erfassen. Selbst diejenigen Themen, de-
nen ein iiberschaubares Repertoire von konventionel-
Thematische Arbeit
len Motiven einer bestimmten Epoche zugrunde liegt,
weisen auf eine unermeBliche Variabilitat solcher Ele-
mente bin. Unterscheidungsmerkmale fiir Th.-Ge-
staltungen ergeben sich aus folgenden Gegeniiberstel-
lungen: das Th. kann primar melodisch-linear erfun-
den oder von vornherein harmonisch-ldanglich kon-
zipiert sein; es kann den Charakter der Einheit oder
den der Untergliederung betonen, aus verwandten
oder kontrastierenden Motiven bestehen, »geschlossen«
(klar begrenzt) oder »offen« sein, d. h. kaum merklich
in nicht zum Th. gehorende Partien ubergehen. Seiner
Herkunft nach kann es neugeschaffen oder iibernom-
men bzw. aus vorgegebenem Material (um-)gebildet
worden sein. Der Gesichtspunkt, welche Position ein
Th. innehat - ob es z. B. einen Satz eroffnet oder durch
eine Einleitung vorbereitet wird, ob es Haupt- oder
Seiten-Th. ist (-»■ Exposition) u. a. - richtet den Blick
iiber das Th. hinaus auf den groBeren Zusammenhang,
in dem es steht. Charakteristisch ausgepragt ist die Rolle
des Th.s besonders in der -> Fuge (mitbestimmt durch
das Prinzip der ->■ Beantwortung) und in der ->■ Sona-
tensatzform, aber auch als Refrain im -> Rondo, als
BaBfundament in -> Chaconne und -*■ Passacaglia so-
wie als Ausgangssatz fiir Variationen. Der Verarbei-
tung eines Th.s konnen nahezu alle grundlegenden satz-
technischen Mittel dienstbar gemacht werden: das Um-
formen (-> Variation, ->■ Durchbrochene Arbeit) und
kontrapunktische Verdichten (-*■ Imitation), das Auf-
spalten in Motive sowie deren Weiterentwicklung und
Neukombination (-> Thematische Arbeit), doch auch
der Kontrast mit nichtthematischen Elementen.
Im musikalischen Bereich erscheint das Wort Th. im
16. Jh. bei Glareanus (Dodekachordon, 1547), der darun-
ter das zum Zwecke der mehrstimmigen Verarbeitung
musikalisch Vorgegebene versteht: den Tenor (II, Cap.
38, S. 174-175), die mit Kanonanweisung versehene
Aufzeichnung einer einzelnen Stimme, aus der sich ein
mehrstimmiger Satz gewinnen la'Bt (III, Cap. 26, S.
442), vermutlich auch den entweder aus einem gegebe-
nen Tenor gebildeten oder aber neuerfundenen melo-
dischen Abschnitt, der imitierend die Stimmen durch-
wandert (nostrae etatis inuenta Themata, S. 460; Tenor
als Thematisfilum, S. 240). Zarlino dagegen bezeichnet
als Th. (oder passaggio) speziell ein Melodieglied, das
einen C. f. (soggetto) kontrapunktiert, indem es mehr-
mals wiederholt wird, doch dabei Lage und Rhyth-
mus andern kann (Istitutioni harmoniche, 1558, III, Cap.
55). Im 17./18. Jh. ist das Wort Th. im allgemeinen
gleichbedeutend mit ->• Soggetto bzw. Subjectum
(-»• Subjekt) und bezeichnet vor allem das Fugen-Th.
Dieses weist in der Friihzeit infolge seiner Bindung an
kirchentonale Modi und an einen vokal-linearen Duk-
tus weitgehend gruppentypische Ziige auf, erhalt aber
im Laufe des 17. Jh. durch die Festigung der Dur-Moll-
Tonalitat und durch scharfere rhythmische Konturen
ein individuelleres Geprage, obgleich die einzelnen
Motive formelhaft bleiben. Deutsche Autoren fiihren
im 18. Jh. als neues Synonym von Th. das Begriffswort
-»■ Hauptsatz ein, das gegen Ende des Jahrhunderts mehr
und mehr zur Bezeichnung fiir das metrisch-periodisch
gebaute Th. der Klassik wird. Der wichtigste Th.-Typ
besteht nunmehr aus pragnanten, haufig auch unter-
einander gegensatzlichen Motiven, die, symmetrisch
zueinander in Beziehung gesetzt, danach streben, sich
selbstandig zu entfalten. Daneben ist der liedmelodi-
sche Th.-Typ zu nennen, der mehr statische Eigen-
schaften aufweist, sich vornehmlich in langsamen Sat-
zen und im Rondo findet und allgemein in der Ro-
mantik starker in den Vordergrund tritt. Indessen wer-
den in groBen Formen, besonders der Spatromantik,
Themen bevorzugt, die sich aus knappen, wandlungs-
fahigen Motiven zusammensetzen; zunehmende Be-
deutung gewinnt dabei das bereits in alterer Zeit nach-
weisbare Verfahren, mehrere Themen innerhalb eines
Werkes voneinander abzuleiten (haufig beim ->• Leit-
motiv) oder aus einem einzigen »Ur-Motiv« zu bilden
(z. B. Liszt, Les preludes). - Die Neue Musik des 20. Jh.
weist zwar vielfach kompositorisch substantielle Bil-
dungen auf, die einem Th. ahneln und (oder) die Rolle
eines Th.s spielen, und halt am Prinzip der »themati-
schen Arbeit« fest (vielfach in besonderer Strenge), laBt
aber den Begriff des Th.s insofern problematisch wer-
den, als das musikalische Geschehen in der Regel nicht
mehr im herkommlichen Sinne von einem in sich ge-
schlossenen und festgefiigten Th. ausgeht und von ihm
her seine Motivation bezieht, sondern sich kraft derEr-
findung eines fiir die Komposition verbindlichen Fak-
tors (z. B. einer -»- Reihe, eines elementaren Motivs,
einzelner Intervalle oder Klange, einer rhythmischen
Formel) konstituiert.
Lit.: H. Riemann, GroBe Kompositionslehre I, Bin u.
Stuttgart 1902 ; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik,
Lpz. 1903; W. Fischer, Zur Entwicklungsgesch. d. Wie-
ner klass. Stils, StMw III, 1915; A. Halm, Zur Phano-
menologie d. Thematik, in: Von Grenzen u. Landern d.
Musik, Miinchen 1916; E. Kurth, Grundlagen d. linearen
Kontrapunkts, Bern 1917, 51956; ders., Romantische Har-
monik . . . , Bern 1920, Bin 31923 ; A. Schmitz, Beethovens
»Zwei Prinzipe«, Bin u. Bonn 1923; H. Mersmann, Mu-
sikhoren, Potsdam u. Bin 1938, Ffm. 21952; R. Stephan,
Neue Musik, = Kleine Vandenhoeck-Reihe IL, Gottingen
1958; A. Webern, Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. v. W.
Reich, Wien 1960.
Thematische Arbeit bezeichnet im allgemeinen ein
Kompositionsverfahren, das darin besteht, langere
Strecken eines Satzes mit wenigen, dem zugrunde lie-
genden -> Thema entnommenen Motiven zu bestreiten,
die ausgesponnen, abgewandelt, umgruppiert, kom-
biniert werden usw., so daB das kompositorische Ge-
schehen bestandig mit dem Thema in Zusammenhang
steht und aus ihm sich entwickelt. Th. A. im besonde-
ren liegt (nach H. Riemann) vor in den Ubergangs- und
Durchfiihrungsteilen zwischen den eigentlich thema-
tischen Partien, vor allem in der -> Sonatensatzform.
Der Sprachgebrauch laBt sich zuriickverfolgen bis zu
H.Chr.Kochs Erklarung (1802), ein Tonstiick sei the-
matisch gearbeitet, wenn die Ausfuhrung desselben haupt-
sdchlich in den mannigfaltigen Wendungen und Zergliede-
rungen des Hauptsatzes [d. h. des Themas], ohne Bey-
mischung vieler Nebengedanken, bestehet. Die Th. A. ist
in der Fugenkomposition des 17./18. Jh. vorgebildet,
indem hier zuweilen Motive des Themas in kontra-
punktierende Stimmen ubergehen (z. B. J. S. Bach, Das
Wohltemperirte Clavier II, Fuge Fis moll, BWV 883)
oder auch langere themafreie Abschnitte beherrschen
(ebenda, Fuge C dur, BWV 870). Zur eigentlichen Gel-
tung kommt die Th. A. in der Sonatensatzform und
wird, von ihr ausgehend, eines der zentralen Gestal-
tungsprinzipien in der Musik seit der Friihklassik
(-> Streichquartett). Die neue Musik (etwa seit 1910)
kniipft weitgehend an das Prinzip der Th.n A. an und
dringt vor bis zu Kompositionsarten, die aus einer ein-
zigen kompositorischen Substanz die vollige Einheit-
lichkeit (-» Zwolf tontechnik) oder auch Determination
(-»■ Serielle Musik) des Werkes zu verwirklichen su-
chen, aber nicht mehr im herkommlichen Sinn »the-
matisch« verfahren. - Thematisch gearbeitete Partien
sind mit dem Thema substanzverwandt, unterscheiden
sich jedoch in der Regel deutlich von ihm, indem sie
z. B. lockerer gefiigt sind oder starker vorwartsstreben.
Dariiber hinaus ist die Th. A. gekennzeichnet durch die
Tendenz, in der Thematik vorhandene gegensatzliche
Charaktere (zwischen mehreren Themen oder inner-
951
Thematische Kataloge
halb eines Themas) in verstarktem MaBe gegeneinan-
der auszuspielen, um Steigerungen, Konflikte vind
Hohepunkte zu schafEen. Die konkrete Anwendung
des Begriffs Th. A. stoBt jedoch auf Schwierigkeiten,
wenn (wie zuweilen in Beethovenschen Werken) nicht
deutlich ist, wo das Thema endet und die Th. A. be-
ginnt, oder wenn zweifelhaft bleibt, ob bestimmten
Motiven noch thematische Herkunft zugestanden wer-
den kann; auch themafremde Motive konnen eine der
Th.n A. analoge Verarbeitung erf ahren. Hinzu kommt,
daB verschiedene Autoren - untereinander divergie-
rend - Th. A. abgrenzen gegeniiber smotivischer Ar-
beit« (z. B. Leichtentritt, S. 240f.; Sondheimer, S. 97)
oder »entwicklungsmotivischerBewegung« (v. Fischer,
S. 110), wiihrend andere indifferent den Ausdruck
»thematisch-motivische-Arbeit« bevorzugen. Dies ist
ein Symptom fiir die Schwierigkeit, die Fiille der the-
matischen Verfahrensweisen angemessen zu beschrei-
ben und begrifflich zu erf assen.
Lit.: — > Thema; H. Leichtentritt, Mus. Formenlehre,
= Hdb. d. Musiklehre VIII, Lpz. 1911, 51952, Wiesbaden
61964, erweitert engl. Cambridge (Mass.) u. London 1951 ;
R. Sondheimer, Die formate Entwicklung d. vorklass. Sin-
lonie, AfMw IV, 1922; R. v. Tobel, Die Formenwelt d.
klass. Instrumentalmusik, = Berner Veroff. zur Musik-
forschung VI, Bern 1935; K. v. Fischer, Die Beziehungen
v. Form u. Motiv in Beethovens Instrumentalwerken,
= Slgmw. Abh. XXX, StraBburg 1948.
Thematische Kataloge sind Verzeichnisse, die mit
Hilfe eines musikalischen Zitats (->■ Incipit, ->■ Thema)
eine eindeutige Werkbestimmung ermoglichen. Die
Zahlung der Werke, geordnet nach Opuszahl oder dem
Entstehungsjahr, soil mit den Zahlen Symbole schaffen
(Schmieder, S. 314), durch die ein Werk eindeutig
zu identifizieren ist. Je nach dem Zweck des Katalogs,
dem Komponisten und der Art der Darstellung sind ge-
nannt: Entstehungszeit und -ort des Werkes, Besetzung,
Textdichter, Nachweis des Autographs, Abschriften,
Erstausgaben und Titelauflagen mit Originaltitel, Wid-
mungstrager, weitere Ausgaben, Urauffiihrungsdaten
und -interpreten, Bearbeitungen, Quellen, Literatur-
angaben und Bemerkungen, die einzelne Details zu-
satzlich erlautern. Der Komplex Th. K. erfaBt Verlags-
verzeichnisse einzelner oder mehrerer Komponisten,
von Komponisten selbstandig verfaBte sowie wissen-
schaftliche Werkverzeichnisse, Kataloge von Musik-
sammlungen in Bibliotheken, an Fiirstenhofen und
in Kapellen.
Die Erstellung der thematischen Verzeichnisse war zu-
nachst durch Verlagsinteressen bestimmt. Als friihester
gedruckter Th.r Kat. hat der Catalogo delle sinjonie, par-
tite, overture, ... che si trovano in manuscritti nella Of-
ficina musica de Giovanni Breitkopf in Lipsia (6 Bande,
Leipzig 1762-65, Suppl. I-XVI, 1766-87) zu gelten.
Burney berichtet 1773 in seinem Reisetagebuch, Breit-
kopf sei der erste gewesen, who gave to his catalogues an
index in notes, containing the subjects, or two or three first bars,
of the several pieces in each musical work. Der Begriff
»thematisch« im Titel eines Katalogs taucht dann zuerst
bei dem Amsterdamer Verleger J.J. Hummel auf : Ca-
talogue thimatique ou commencement de touttes les CEuvres
de musique qui sont en proprefond deJ.J. & B. Hummel . . .
(Amsterdam 1768) und bei dem Wiener Verlag Artaria:
Catalogue thimatique ou commencement (Wien 1789) so-
wie Catalogue thimatique de Haydn, Mozart, Clementi et
Pleyel (Wien 1798). In Deutschland erschienen the-
matische Verzeichnisse bei den Verlegern Andre in
Offenbach (Thematisches Verzeichnis sdmmtlicher Com-
positionen . . . von W.A.Mozart . . ., 1805) und Hof-
meister in Leipzig (Thematisches Verzeichnis der Com-
positionen fiir Instrumental- Musik ... I, L. van Beetho-
ven, Leipzig 1819, sowie Thematisches Verzeichnis von
CLXX1I vorziiglichen Sinfonien und Ouvertiiren fiir Or-
chester . . ., ebenda 1831). In London erschien in 3
Banden 1790 The Public's Guide; or, a Catalogue with
the subjects, or themes of all the several musical Works,
engraved and sold by J.Bland.
Die friihesten thematischen Individualkataloge, die
das Werk eines Meisters erfassen und Vollstandigkeit
anstrebten, sind handschriftliche Aufzeichnungen von
Komponisten. J.Haydn fiihrte um 1765-77 einen Th.n
Kat. seiner Werke, der nach Gattungen eingeteilt war
(Entwurfkatalog), und lieB 1805 von seinem Kopisten
Elssler ein Verzeichniji alia derjenigen Compositionen wel-
che ich mich beyldufig erinnere von meinem 18ten bis in das
73tejahr verfertiget zuhaben arAegen (Elsslersches Hay dn-
Verzeichnis; vgl. Drei Haydn-Kataloge in Faksimile,
hrsg. vonJ.P.Larsen, Kopenhagen 1941). Mozart fiihr-
te ab Februar 1784 (d. h. ab K.-V. 449) ein chronolo-
gisch geordnetes thematisches Verzeichnis seiner Wer-
ke (vgl. W.A.Mozart, Verzeichniifi aller meiner Werke
..., hrsg. vonE.H.Mullerv. Asow.Wien 1943). Probst
in Leipzig gab 1825 einen Th.n Kat. der bis dahin er-
schienenen Werke von I. Pleyel sowie einen Catalogue
thimatique des ceuvres de I. Moscheles revu par lui-meme
heraus, Diabelli in Wien ein ebensolches Czerny-
Verzeichnis um 1827. Bei Breitkopf & Hartel erschien
1846 der erste groBe Th. Kat. der Werke eines Mei-
sters: Thematisches Verzeichniji im Druck erschienener
Compositionen von F.Mendelssohn Bartholdy (vervoll-
standigte Neuausgabe 1873 und 1882). Der erste aus ei-
nem historischen Interesse entstandene Th. Kat. ist das
Thematische Verzeichnis samtlicher Compositionen des K.K.
Hofcomponisten Chr.Ritterv.Gluck von A.Fuchs (Neue
Berliner Musikzeitung V, 1851). Im gleichen Jahr er-
schien anonym das wahrscheinlich von C. GeiBler an-
gefertigte Thematische Verzeichniji der im Druck erschie-
nenen Werke von L. v. Beethoven (in 2. Auflage von G.
Nottebohm 1868, von Th.v.Frimmel 1925 iiberar-
beitet) bei Breitkopf & Hartel; ebenda 1852 die 1. (an-
onyme) Ausgabe des Chopin- Verzeichnisses (umgear-
beitet und vermehrt 1888); im selben Jahr in Wien
bei Diabelli ein ebenfalls anonymes Thematisches Ver-
zeichniss im Druck erschienener Compositionen von F. Schu-
bert, dessen von Nottebohm besorgte Uberarbeitung
1874 in Wien erschien. Eine Reihe von Katalogen ist
bislang noch unveroffentlicht. Zu ihnen zahlen der
1932 beendete Katalog der Werke Handels (10 Bande,
vonj. M. Coopersmith, Harvard University Library) , das
Verzeichnis der Werke Telemanns (Telemann-Werke-
Verzeichnis, TWV, von W. Menke u. a., Frankfurt am
Main, Stadt- und Universitatsbibl), A.Scarlattis (von
E.J.Dent, Library of the Cambridge University Music
School) und J. Stamitz' (von P. Gradenwitz, New York,
Public Library). Zahlreiche Werkverzeichnisse und
Th. K. sind in Biographien, Dissertationen und Werk-
ausgaben enthalten, so fur J.Chr.Bach, Reichardt,
Schiitz, Tartini, fiir die Meister der Mannheimer Schule
(Riemann), und in der Sammlung der Musik des 15. Jh.
in England (Squire). Auch von einigen Musiksammlun-
gen gibt es thematische Verzeichnisse, z. B. der Samm-
lung in Basel (Refardt), Berlin (Jacobs) , Berkeley (Duck-
ies), Jena (Roediger) und Paris (La Laurencie).
Die wichtigsten Th.n K. sind :
A. Slgen (geordnet nach d. Herausgeber) : G. Adler u. O.
Koller, Sechs Trienter Cod. Geistliche u. weltliche Kom-
positionen d. XV. Jh. I, in : DTO VII, Bd 14-1 5, Wien 1900.
- V. Duckles u. M. Elmer, Thematic Cat. of a MS Collec-
tion of Eighteenth-Cent. Ital. Instr. Music in the Univ. of
California, Berkeley Music Library, Berkeley 1963. - Fr.
X. Haberl, Bibliogr. u. thematischer Musikkat. d. papst-
lichen Kapellarch. im Vatikan zu Rom, Beilage zu MfM
XX, 1888. - O. Kade, Die Musikalien-Slg d. GroBherzog-
952
Theorbe
lich Mecklenburg-Schweriner Fiirstenhauses . . . , 2 Bde,
Schwerin 1893. - L. de La Laurencie, Inventaire critique
du fonds Blancheton de la Bibl. du Conservatoire de Paris,
= Publications de la Soc. frc. de musicologie II, 1-2, Paris
1930-31. - Fr. Luwdig, Repertorium organorum recen-
tioris et motetorum vetustissimi stili, I, 1, Halle 1910,
Nachdruck hrsg. v. L. A. Dittmer, NY u. Hildesheim 1964
(ohne Incipits), I, 2 u. II (Anfang), hrsg. v. Fr. Gennrich,
= Summa Musicae Medii Aevi VII-VIII, Langen 1961-
62 (mit Incipits). - E. Refardt, Th. K. d. Instrumental-
musik d. 18. Jh. in d. Hss. d. Universitatsbibl. Basel, = Pu-
blikationen d. Schweizerischen musikforschenden Ges. II,
6, Bern (1957). - H. Riemann, Verz. d. Druckausg. u. th.
K. d. Sinf onien d. Mannheimer Schule (Sinfonien d. pf alz-
bayerischen Schule), in : DTB III, 1 u. VII, 2, Lpz. 1902-07 ;
ders., Verz. d. Druckausg. u. th. K. d. Mannheimer Kam-
mermusik d. XVIII. Jh., ebenda XVI, 1915. - K. E. Roedi-
ger, Die geistlichen Musikhss. d. Universitatsbibl. Jena II,
Jena 1935.
B. Komponisten : T. Albinoni, Indice tematico, in : R. Gia-
zotto, T. Albinoni, Mailand 1945. - J. G. Albrechtsber-
ger, Thematisches Verz. d. Kirchenkompositionen, hrsg.
v. A. Weissenbach Wien u. Lpz. 1914. - C. Ph. E. Bach,
Thematisches Verz. d. Werke, hrsg. v. A. Wotquenne, Lpz.
1 905, Nachdruck Wiesbaden 1 964. - J. Chr. Bach, Bach's
Works, Vocal and Instr., Thematic Cat., in: Ch. S. Terry,
J. Chr. Bach, London 1929. - J. Chr. Fr. Bach, Themati-
sches Verz. d. Werke, hrsg. v. G. Schiinemann, in: DDT
LVI, 1917. - J. S. Bach, Thematisch-systematisches Verz.
d. mus. Werke v. J. S. Bach, Bach-Werke-Verz. (BWV),
hrsg. v. W. Schmieder, Lpz. 1950, 21958. - W. Fr. Bach,
Thematisches Verz. d. Werke, in: M. Falck, W. Fr. Bach,
Lpz. 1 9 1 3 . - L. van Beethoven, Das Werk Beetho vens. The-
matisch-bibliogr. Verz. seiner samtlichen vollendeten Kom-
positionen,hrsg.v.G.Kinskyu.H.Halm,Munchenu.Duis-
burg (1955). -J. Brahms, Thematisches Verz. seiner Werke,
hrsg. v. A. v. Ehrmann, Lpz. 1933; Thematic Cat. of the
Collected Works of Brahms, hrsg. v. J. Braunstein, NY
1956. - Fr. Chopin, Fr. Chopin: an Index of His Works in
Chronological Order, hrsg. v. M. J. G. Brown, London u.
NY 1960. - M. Clementi, Le sonate per pfte di M. Cle-
menti. Studio critico e cat. tematico, hrsg. v. R. Allorto,
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Fr. Couperin, Thematic Index of the Works of Fr. Cou-
perin, hrsg. v. M. Cauchie, Monaco 1949. - A. Dvorak,
Thematicky kat. bibliogr. pfekled zivota a dila, hrsg. v. J.
Burghauser, Prag 1 960, deutsch als : A. Dvorak. Themati-
sches Verz. mit Bibliogr. u. Ubersicht d. Lebens u. d. Wer-
kes, Kassel 1960. - J. Field, A Bibliogr . Thematic Cat. of
the Works of J. Field 1782-1837, hrsg. v. C. Hopkinson,
London 1961. -J. J. Fux, Thematisches Verz. d. Composi-
tionen, in : L. Kochel, J. J. Fux, Hofcompositor u. Hofka-
pellmeister, Wien 1872. -Chr. W. Gluck, Cat. thematique
des oeuvres de Chr. W. v. Gluck, hrsg. v. A. Wotquenne,
Lpz. 1904, deutsch v. J. Liebeskind, Lpz. 1904, Erganzun-
gen u. Nachtrage hrsg. v. dems., Lpz. 1911, Erganzungen
u. Berichtigungen, hrsg. v. M. A. Arend, in: Mk XIII,
1913. - J. Haydn, Thematisch-bibliogr. Werkverz., zu-
sammengestellt v. A. van Hoboken, Bd I, Mainz 1957ff. -
Fr. Liszt, Thematisches Verz. d. Werke, Lpz. 1855, NA
als: Thematisches Verz. d. Werke, Bearb. u. Transcriptio-
nen v. Fr. Liszt, Lpz. 1877, Neudruck als: Thematic Cat. of
the Works of Fr. Liszt Originally Published in 1877, Lon-
don 1965. - F. Mendelssohn Bartholdy, Thematisches
Verz. d. im Druck erschienenen Compositionen, Lpz.
1846-53, neue vollstandige Ausg., ebenda 1873, 31882. -
W. A. Mozart, Chronologisch-thematisches Verz. samt-
licher Tonwerke Wolfgang Amade Mozart's, hrsg. v. L.
Ritter v. Kochel, Lpz. 1862, 31937 hrsg. v. A. Einstein,
bearb. u. erganzte Auflage v. Fr. Giegling u. a., Wiesba-
den 6 1964; M. Reger, Thematisches Verz. d. im Druck
erschienenen Werke v. M. Reger, einschlieBlich seiner
Bearb. u. Ausg., hrsg. v. Fr. Stein, Lpz. u. Wiesbaden
1953. - J. Fr. Reichardt, Thematisches Verz. d. Instr.-
Werke, in: H. Dennerlein, J. Fr. Reichardt u. seine Kl.-
Werke, Munster i. W. 1930. - C. Saint-Saens, Cat.
gen6ral et thematique des oeuvres de C. Saint-Saens, Pa-
ris 1897, 21908. - D. Scarlatti, Indice tematico delle
sonate per clavicemb. contenute nella raccolta completa
riveduta da A. Longo, Mailand 1952. - O. Schoeck, The-
matisches Verz. d. Werke v. O. Schoeck, hrsg. v. W. Vogel,
Zurich 1956. - Fr. Schubert, Schubert, Thematic Cat. of
All His Works in Chronological Order, hrsg. v. O. E.
Deutsch u. D. R. Wakeling, London 1951. - H. Schutz,
Schutz- Werke- Verz. (SWV), hrsg. v. W. Bittinger, Kassel
1 960. - R. Schumann, Thematisches Verz. sarhmtlicher im
Druck erschienenen Werke R. Schumann's mit Inbegriff
aller Arrangements . . . , Lpz., Hbg u. NY o. J., verbesserte
Auflage "1868. - J. Strauss (Vater), J. StrauB Vater. Ein
Werkverz., hrsg. v. M. Schonherr u. K. Reinohl, London,
Wien u. Zurich 1954. - R. Strauss, R. Strauss. Themati-
sches Verz. I u. II, hrsg. v. E. H. Muller v. Asow, Wien
1959-62, HI hrsg. v. A. Ott u. Fr. Trenner, Wien 1965ff. -
G. Tartini, Thematisches Verz. d. V.-Konzerte Tartinis,
in: M. Dounias, Die V.-Konzerte G. Tartinis, Bin 1935,
Tutzing 21966; Cat. tematico delle musiche Tartiniane
esistenti nell'arch. della cappella Antoniana di Padova,
in: A. Capri, G. Tartini, Mailand 1945. - G. Torelli,
Thematisches Verz., in : Fr. Giegling, G. Torelli. Ein Beitr.
zur Entwicklungsgesch. d. ital. Konzerts, Kassel 1949. -
P. I. Tschaikowsky, Cat. thematique des oeuvres de P.
Tschaikowsky, hrsg. v. B. Jiirgenson, Moskau 1897, NA
als: Thematic Cat. of the Works of P. Tchaikovsky Ori-
ginally Published in 1897, London 1965. - J. Vaet, The-
matic Index of the Motets of J. Vaet, in: M. Steinhardt,
J. Vaet and His Motets, East Lansing (Mich.) 1951. - A.
Vivaldi, in: W. Altmann, Th. Kat. d. gedruckten Werke
A. Vivaldis, Af Mw IV, 1922 ; O. Rudge, Cat. tematico delle
opere strumentali di A. Vivaldi esistenti nella Bibl. Nazio-
nale di Torino, in: La scuola veneziana, Siena 1941 ; Cat.
numerico tematico delle composizioni di A. Vivaldi, hrsg.
v. M. Rinaldi, Rom 1945; A. Vivaldi et la musique instr. II,
Inventaire-thematique, hrsg. v. M. Pincherle, Paris (1948);
A. Vivaldi, indice tematico, hrsg. v. Istituto Ital. A. Vivaldi,
Mailand 1955. - C. M. v. Weber, Weber in seinen Werken,
Chronologisch-thematisches Verz. seiner sammtlichen
Compositionen, hrsg. v. Fr. W. Jahns, Bin 1871.
Lit.: W. Altmann, liber th. K., Kgr.-Ber. Wien 1927;
N. Bridgman, L'etablissement d'un Cat. par incipit mus.,
MD IV, 1950; dies., A propos d'un cat. central d'incipits
mus., Fontes artis musicae I, 1954; dies., Nouvelle visite
aux incipit mus., AMI XXXIII, 1961 ; O. E. Deutsch, The-
me and Variations, The Music Review XII, 1951; ders.,
Th. K., Fontes artis musicae V, 1958; A Check List of
Thematic Cat., hrsg. v. H. J. Sleeper u. a., Bull, of the NY
Public Library 1953, separatNY 1954, dazu in: Mus. Ameri-
caLXXIV, 1 954, u. Notes II, 11, 1953/54, vgl. auch: Queens
College Suppl., hrsg. v. B. S. Brook, Flushing 1966; A. H.
King, The Past, Present and Future of the Thematic Cat.,
MMR LXXXIV, 1954; J. LaRue, A Union Thematic Cat.
of 18 th -Cent. Symphonies, Fontes artis musicae VI, 1959;
ders., A Union Thematic Cat. for 18 th -Cent. Chamber Mu-
sic and Concertos, ebenda VII, 1960; ders. u. M. Rasmus-
sen, Numerical Incipits for Thematic Cat., ebenda IX,
1 962 ; W. Schmieder, »Menschliches - Allzumenschliches«
oder Einige unparteiische Gedanken iiber Thematische
Verz., Fs. O. E. Deutsch, Kassel 1963.
Theorbe (ital. und span. tior,ba; frz. theorbe; engl.
theorbo), eine vom 16. Jh. bis um 1780 als -»■ Funda-
mentinstrument gebrauchliche Erzlaute (BaBlaute) mit
doppeltem Wirbelkasten und mit 16-(im 18. Jh. meist
14-)saitigem Bezug. Davon sind 8(6) Grifisaiten, die
iiber das Grifibrett mit Biinden laufen, und 8 Frei-
(Bordun-)Saiten, die in den zweiten Wirbelkasten lau-
fen. Im Unterschied zum (nur 14saitigen) ->- Chitarrone,
der auch Romanische (Romische) Th. genannt wird, ist
der zweite Wirbelkasten durch einen kurzen geschweif-
ten Zwischenhals seitlich versetzt direkt an den ersten
angeschlossen. Im Unterschied zur theorbierten -»■ Lau-
te (- 2) waren die GriSsaiten der Th. nur einchorig (erst
im 18. Jh. kommt der 2chorige Bezug au£) und die bei-
den obersten Griffsaiten wurden (nach Praetorius Synt.
II, S. 52) eine Oktave tiefer gestimmt, dieweil in der
Theorba die lenge des Corporis und die Messings Sixiten j
solches nicht anders leiden j und die rechte hdhe nicht errei-
chen konnen. Die Stimmung war nach Praetorius (Synt.
II, S. 27): iD jE jF ^ iA iH C D (Bordunsaiten),
EFGcfadg (Griffsaiten). Als Stimmung fur eine
953
Theorie der Musik
14saitige Th. ist bei Mersenne (1636) angegeben : iG i A
,HCDEFG (Bordunsaiten), A d g h e a (Griffsaiten) ;
bei Baron (1727) fur eine 17saitige Th.: ,D t E jF fi iA
iB^CDEF (Bordunsaiten), G c f a di gi (Griffsai-
ten) oder, im AnschluB an die Lautenstimmung des 18.
Jh., A d f a di fi fiir die Griffsaiten. 1614-16 erschienen
3 Biicher mit Tabulaturen fur Th. von P.P. Melli, 1669
eine Intavolatura di tiorba (12 Solosonaten f iirTh. und B.C.)
von G.Pitoni. Ein Livre de theorbe mit Kompositionen
und einer Anweisung zum Gb.-Accompagnement ver-
offentlichte der Pariser Theorbist H. Grenerin.
Lit. : H. Neemann, Laute u. Th. als GeneralbaBinstr. im 17.
u. 18. Jh., ZfMw XVI, 1934; H. Radke, Wodurch unter-
scheiden sich Laute u. Th. ?, AMI XXXVII, 1 965.
Theorie der Musik (griech. ■9-ecopia, Betrachtung, Er-
klarung, Erkenntnis) ist, als Gegenbegriff zu Praxis
(griech. 7Tpa5t?, handelnde und herstellende Tatigkeit,
Ausfuhrung, Ausiibung), das geistige Durchdringen
und begriffliche Erfassen des Klingenden in seiner na-
tiirlichen Beschaftenheit, seiner musikalischen Geltung
und seiner als Praxis sich ereignenden Gestaltung, Wir-
kung und Bedeutung. Die Th. d. M. erscheint seit der
Antike in drei Formen: als kontemplative Betrachtung,
als Lehre und als produktive Reflexion. Als Betrach-
tung (detopte im engeren Sinne, lat. contemplatio) ist
sie einerseits eine Wissenschaft {kmaTiyxt), scientia) von
Zahlengesetzen, die den Bewegungen im Kosmos und
in der klingenden Musik zugrunde liegen; andererseits
pragt sie dem Leben des Betrachtenden ihre Form auf
(pto? •&EcopY)Tix6<;, vita contemplativa) ; die geordnete
Bewegung der Seele (->- musica humana) gleicht sich
der des Kosmos (musica mundana) an. Als Lehre ist die
Th. d. M. Sachkunde (t£x v t)> ars), gerichtet auf Praxis.
Von blofier Ubung und Gewohnung (TpiPfy usus)un-
terscheidet sie sich durch begriffliches Wissen von Ur-
sachen und Bedingungen musikalischer Erscheinungen
und Wirkungen. Die Meinung, dafi die Th. d. M.
stets der Praxis »nachhinke«, ist ein irriges Vorurteil.
Die -» Geschichte der abendlandischen Musik ist we-
sentlich bestimmt durch die bestandige Wechselwir-
kung zwischen Th. und Praxis. In der Th. kommt die
Praxis zum BewuBtsein ihrer selbst, zur Besinnung auf
die Voraussetzungen des Bestehenden und die Mog-
lichkeiten einer Weiterbildung. Bei Guido von Arezzo,
Franco und Ph. de Vitry, bei Zarlino, Rameau und
Fetis ist die Th. d. M. reflektierend und zugleich pro-
duktiv; von der kontemplativen Betrachtung unter-
scheidet sie sich durch Eingreifen in die Praxis, von der
kodifizierenden Lehre durch das Verandem des Vor-
gefundenen. - Erkenntnisziel und soziale Geltung der
Th. d. M. sind vom Bildungsideal, vom Wissenschaf ts-
begriff und von den Institutionen (Akademien, Uni-
versitaten, Konservatorien) einer Zeit abhangig. Die
Geringschatzung manueller Arbeit in der Antike be-
wirkte, daB die auf Praxis zielende Sachkunde gegen-
iiber der charakterbildenden kontemplativen Betrach-
tung abgewertet wurde. Umgekehrt gerat in einer
Epoche, die das Wissen am praktischen Resultat mifit,
die Spekulation in den Verdacht, miiBig zu sein. Mit
dem Bildungsideal ist der Wissenschaftsbegriff eng
verbunden. Als wahres Wissen, an das die Th. d. M.
sich anlehnen musse, galten in der Antike die spekula-
tive Mathematik und Kosmologie, in der Neuzeit eher
die empirische Physik und Psychologic Allerdings ist
auch der emphatische Anspruch der Philosophic, das
eigentliche Wissen zu reprasentieren, in der Th. d. M.
wirksam geworden; M.Hauptmann stutzte sich auf
Hegel, E. Kurth auf H. Bergson.
Die ersten griechischen Theoretiker der Musik, die Py-
thagoreer, verbanden das Wissen von den Zahlengrund-
lagen der Konsonanzen mit kosmologischen Betrach-
tungen und ethisch-religiosen Zielsetzungen. Die Zahl
gait als Ursprung der Ordnung in den Bewegungen der
Gestirne und der menschlichen Seele. Einen erganzen-
den Gegensatz zur kontemplativen Theorie der Pytha-
goreer bildete die praktische Lehre der »Harmoniker«
von den Elementen der Melodik; sie wurde von Ari-
stoxenos, einem Aristoteles-Schiiler, systematisiert und
auf Prinzipien zuriickgefuhrt, also in den Rang einer
Wissenschaft erhoben. Zwischen dem spekulativen
Verfahren der Pythagoreer (Kanoniker) und dem em-
pirischen der Aristoxeneer (-> Harmoniker) suchte
Ptolemaios einen Ausgleich; doch neigte er eher der
pythagoreisch-platonischen Richtung zu (-* Harmo-
nia). - Im Mittelalter, dem Boethius die spatantike Tra-
dition vermittelte, wurde die Th. d. M. primar als ma-
thematische Disziplih begriffen; sie erfiillte, als Vorstu-
fe philosophischer und theologischer Betrachtung, eine
propadeutische Aufgabe. Doch entwickelte sich neben
den spatantiken Traditionsbestanden, die das Mittelal-
ter neu durchdachte (->- Musica) und die seit Cassiodo-
rus zum Bildungsprogramm der Kloster- und Dom-
schulen gehorten (-»■ Ars musica), auch eine der musi-
kalischen Gegenwart zugewandte Theorie des Chorals
(Aurelianus) und der Mehrstimmigkeit (Musica Enchi-
riadis), die durch rationale Durchdringung und begriff-
liche Erf assung eine usuelle Gesangspraxis zur artifiziel-
len erhob. Die Geschichte der Mehrstimmigkeit vom
->■ Organum iiber den -»■ Discantus zum -> Kontra-
punkt ist ohne das Ineinandergreifen von Theorie und
Praxis, von Reflexion und Komposition, nicht vorstell-
bar. Die Satzregeln, das Parallelenverbot, die Kontra-
stierung imperfekter und perfekter Konsonanzen als
Spannungs- und Losungsklange und die Reduktion der
Dissonanzen auf feste Formeln (Synkopen- und Durch-
gangsdissonanzen), sind zu einem nicht geringen Teil
ein Werk der Th. d. M. Ebenso war in der Entwick-
lung der Notenschrift vom 1 1 . bis zum 15. Jh. das Ein-
greifen von Theoretikern wie Guido von Arezzo, Fran-
co, Ph. de Vitry und Gaffori von entscheidender Be-
deutung. - Humanistische Bemiihungen um eine Re-
naissance der antiken Musik (-*■ Humanismus; N. Vi-
centino) sowie die Anerkennung der Terz als unmittel-
barer Tonverwandtschaft fiihrten im 16. Jh. zu Diskus-
sionen iiber Probleme des -*■ Tonsystems und der
-*■ Temperatur. Die Kontrapunktlehre erhielt im 16.
Jh. durch G.Zarlino, im 18. durch JJ.Fux eine autori-
tative Fassung. Sie wurde erganzt durch Versuche deut-
scher Theoretiker, in Anlehnung an die Rhetorik und
PoetikEinzelheiten des musikalischen Satzes begrifflich
zu erfassen (->■ Musica poetica und ->■ Figuren). Kenn-
zeichen der Aufklarung des 1 8. Jh. sind in der Th. d. M.
die Bewunderung der Physik als Musterwissenschaf t so-
wie die Betonung des Geschmacks, die zur Entstehung
der modernen ->■ Asthetik fuhrte. J.-Ph. Rameau leitete
vom Naturvorbild der Obertonreihe die Struktur und
den Zusammenhang der Akkorde ab ; J. Mattheson ent-
wickelte aus asthetischen Voraussetzungen die Grund-
ziige einer Melodielehre. Im 19. Jh. war die Th. d. M.
primar -»■ Harmonielehre (G. Weber, M. Hauptmann,
S. Sechter, H. Riemann) . Die Th. des Rhythmus gelang-
te zu beachtenswerten Ansatzen (J.J. de Momigny, R.
Westphal, H. Riemann); diejenige des Kontrapunkts
erstarrte und war erst im 20. Jh. tief eingreifenden Ver-
anderungen unterworfen (E. Kurth, H. Schenker). Aus
Ansatzen, die bis zu Mattheson und Scheibe zuriick-
reichten, entwickelten J.Riepel und H. Chr.Koch, spa-
rer A. B. Marx (in Anlehnung an Goethes Morphologie)
eine musikalische -> Formenlehre. Fiir die Th. d. M.
im 20. Jh. scheint einerseits die Ubernahme von Kate-
gorien aus der Gestaltpsychologie und der Phanome-
954
Thiiringen
nologie, andererseits ein Zug zur Historisierung cha-
rakteristisch zu sein. Th.n, die - wie diejenige H. Rie-
manns - den Anspruch erhoben, die unveranderliche
Natur der Sache darzustellen, wurden als Dogmatiken
von Zeitstilen erkannt. Von geschichtlichem BewuBt-
sein sind auch die Versuche mancher Komponisten ge-
tragen, musikalisch Neues aus der Wechselwirkung
zwischen Th. und Praxis zu entwickeln. Eine Th. der
neuesten Periode der Musikentwicklung kann, mit den
Worten B.Bartoks (1920), wie seinerzeitjede der alteren
Th.n . . . hochstens eine Grundlage sein, aufder man erwei-
terndfortbauen kann, urn schliefilich wieder zu irgend etwas
ganzlich Neuem zu gelangen, das dann seinerseits wiederum
zur Aufstellung einer neuen Th. anregt. A. Schonberg
bemiihte sich stets um theoretische Begriindung und
Rechtfertigung ; doch war er gegeniiber Regeln, die
sich auf eine zeitlos giiltige Asthetik berufen, ebenso
skeptisch wie gegeniiber der Tendenz, der theoreti-
schen »Richtigkeit« des Komponierens allzu groBe Be-
deutung zuzuschreiben.
Ausg. u. Kat. : GS ; CS ; A. de Lafaoe, Essais de diphthero-
graphiemus., Paris 1 864, Nachdruck Amsterdam 1 964; Mu-
sici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Nach-
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Neue Beitr. zu einer »Lehre v. d. Tonvorstellungen«, JbP
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dien zur Gesch. d. Musiktheorie im MA I, Halle 1929;
ders., Die Musik im Erziehungs- u. Bildungsideal d. aus-
gehenden Altertums u. fruhen MA, ebenda II, 1932; J.
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Musiktheorie in England nach d. Zeit v. J.-Ph. Rameau,
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Zur Wissenschaftslehre v. d. Musik bei Platon u. Aristote-
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f. Altertumswiss. XXIII, Bin 1961 ; ders., Antike Uberlie-
ferungen in d. byzantinischen Musiktheorie, Deutsches Jb.
d. Mw. VI (=JbP L1II), 1961; H. Pousseur, Theorie u.
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neuen Musik II, Mainz (1 959); H. H. Eggebrecht, Der Be-
griffd.»Neuen«ind. Musik, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; ders.,
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spateren MA, Kgr.-Ber. Kassel 1 962; B. Meier, Musiktheo-
rie u. Musik im 16. Jh., ebenda; P. Boulez, Musikdenken
heute 1, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik V, Mainz
(1963); E. E. Lowinsky, Renaissance Writings on Music
Theory, Renaissance News XVIII, 1965. CD
Thesis (griech., Senkung) -> Arsis.
Thomaskantoren. Das Kantorat der Thomasschule in
Leipzig, ein in der Musikgeschichte hochangesehenes
Amt, ist von einer Anzahl bedeutender Kirchenmu-
siker bekleidet worden. Es folgten nacheinander: G.
Rhaw (-1520), J.Hermann (-1536), W.Junger (-1539),
Ulr.Lange (-1549), W.Figulus (-1551), M.Heger
(-1564), V.Otto (-1594), S.Calvisius (-1615), J.H.
Schein (-1630), T.Michael, daneben J. Rosenmuller
(-1657),S.Knupfer(-1676)J.Schelle(-1701),J.Kuhnau
(-1722), J.S.Bach (-1750), G.Harrer (-1755), J. Fr. Do-
les (-1789), J.A.Hiller (-1804), A.E.Miiller (-1810),
J.G.Schicht (-1823), Chr.Th.Weinlig (-1842), M.
Hauptmann (-1868), E.Fr. Richter (-1879), W.Rust
(-1892), G.Schreck (-1918), K.Straube (-1939), G.
Ramin (-1956), K.Thomas (-1960), seitdem Erhard
Mauersberger. -»■ Kreuzkantoren.
Lit.: R. Wustmann, Mg. Lpz. I, Lpz. u. Bin 1909, 21926, II
u. Ill v. A. Schering, Lpz. 1926-41 ; St. Thomas zu Lpz.,
Schuleu. Chor, hrsg. v. B. Knick, Wiesbaden 1963.
Thorough-bass (0'Aja-beis, engl., Obersetzung von
ital. basso continuo) -> GeneralbaB.
Threnos (griech.&pyjvoc;), bei den Griechen dieToten-
klage, das Trauer- und Klagelied. Das Wort ist zusam-
men mit der Darstellung einer Trauerszene bei Homer
(Bias XXIV, 721 ff.) belegt. In der spitarchaischen Chor-
lyrik bildeten die Threnoi eine eigene Gattung (Frag-
ments von Simonides und Pindaros). Eine bedeutende
Rolle spielte das threnodische Element in der attischen
Tragodie (z. B. Aischylos, Choephoroi, 306ff., als Wech-
selgesang von Chor und einzelnen Schauspielern;
->• Monodie). - Die in der Vulgata Threni, id est lamen-
tationes (Septuaginta : &Qrjvoi) uberschriebenen Klage-
lieder des Jeremias (-> Lamentation) hat unter diesem
Namen z. B. Strawinsky vertont.
Thiiringen.
Lit. : Ph. Spitta, J. S. Bach I, Lpz. 1873, Wiesbaden 21962;
A. Aber, Die Pflege d. Musik unter d. Wettinern ...,
= Veroff. d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biicke-
955
Tibet
burg IV, Quellenstudien zur Mg. ... I, Biickeburg u. Lpz.
1921 ; A. Werner, Sachsen-Th. in d. Mg., AfMw IV, 1922;
ders., Die praktische Durchfuhrung d. lokalen Musikfor-
schung in Sachsen-Th., Kgr.-Ber. Lpz. 1925 ; E. W. Bohme,
Die friihdeutsche Oper in Th., Stadtroda 1931, audi in:
Mitt. d. Gesch.- u. Altertumsver. zu Eisenberg XLIII/
XLIV, 1 93 1 ; M. Popp, Thuringer Musiker daheim u. drau-
Cen, Gotha 1931; Fr. Stander, Das eichsfeldische Kir-
chenlied bis zum Zeitalter d. Aufklarung, Diss. Miinster
i. W. 1932; K. Hartenstein, Thiiringische Volkslieder,
Weimar 1933; H. Eberhardt, Die ersten deutschen Mu-
sik-Feste in Frankenhausen am Kyffhauser u. Erfurt 1810,
1 8 1 1 , 1 8 12 u. 1 8 1 5. Ein Beitr. zur thuringischen Mg., Greiz
1934; Denkmaler Thuringischer Musik vornehmlich d.
16. u. 17. Jh., hrsg. v. E. W. Bohme, 2 Bde, Kassel 1934-
36; W. Greiner, Die Musik im Lande Bachs. Thuringer
Mg., Eisenacher Heimatbucher III, 1935; A. Sellmann,
Th. Anteil an d. kirchenmus. Leben Westfalens, Jb. d.
Ver. f. westfalische Gesch. XXXVI, 1936; Fr. Treiber,
Die thuringisch-sachsische Kirchenkantate zur Zeit d.
jungen J. S. Bach, AfMf II, 1937; H.-J. Wagner, Die Or-
gelmusik in Th. in d. Zeit zwischen 1830 u. 1860, Diss. Bin
1937 ; C. Rucker, Th. Musikkultur im Schrifttum, Weimar
1938; G. Kraft, Die thiiringische Musikkultur um 1600,
Wurzburg 1941 ; ders., Die bauerlich-handwerklichen
Grundlagen d. thuringischen Musikkultur, Deutsches Jb.
f. Volkskunde I, 1955; ders., Mg. Beziehungen zwischen
Th. u. RuBland im 18. u. 19. Jh., Weimar u. Erfurt 1955;
ders., Thuringisch-sachsische Quellen zur musikphysiolo-
gischen Forschung d. 17. u. 18. Jh., Kgr.-Ber. Koln 1958;
J. S. Bach in Th., Festgabe zum Gedenkjahr 1950, hrsg. v.
H. Besseler u. G. Kraft, Weimar 1950; Bach in Th., hrsg.
v. Landeskirchenrat d. Ev.-Luth. Kirche in Th., Bin 1950;
G. Grosch, Die Pflege d. Instrumentalmusik an d. hoheren
Schulen Sachsens u. Th. v. 1500 bis 1650, Diss. Jena 1955,
maschr. ; R. Jauering, Die Erneuerung d. Kirchengesangs
im Herzogtum Sachsen-Gotha, Jb. f. Liturgik u. Hymno-
logie II, 1956; G. Grober-Gluck, Heidelbeerlieder aus
Th., Deutsches Jb. f. Volkskunde III, 1957 ; P. Michel, Die
Ausbildung d. Orchestermusikers im 19. Jh., . . . unter be-
sonderer Beriicksichtigung d. Verhaltnisse in Th., 2 Bde,
Diss. Bin 1957, maschr.; Fr. Wiegand, Die Umwelt u. d.
Verhaltnisse d. Thuringer Stadtpfeifer, Organisten u. ande-
rer Musiker im 17. Jh., Arnstadter Bachbuch, 1957; H.
Engel, Musik in Th., = Mitteldeutsche Forschungen
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Tibet.
Ausg. u. Lit.: A. H. Francke, Mus. Studien in West-T., Zs.
d. Deutschen Morgenlandischen Ges. LIX, 1905; T. H.
Somervell, The Music of T., Mus. Times LXIV, 1923 ; W.
Graf, Zur Ausfiihrung d. Iamaistischen Gesangsnotation,
Studia musicologica III, 1962; Tibetan Folk Songs, from
Gyantse and Western T., hrsg. v. G. Tucci, =Artibus
Asiae Suppl. XXII, NY 21966; W. Kaufmann, Mus. No-
tations of the Orient, = Indiana Univ. Series LX, Bloo-
mington 1967.
Tibia (lat., Schienbein), - 1) ursprunglich eine Bein-
pfeife, spater der lateinische Name fur die von den
Etruskern (Subulo) und Griechen (-»- Aulos) her be-
kannten gedoppelten Rohrblattinstrumente. Auf ver-
schiedene Typen weisen die Bezeichnungen Tibiae
pares und impares, T. dextra und sinistra hin; auf Klang-
veranderungen am Instrument deuten die auf spaten
Darstellungen (Dionysos-Mosaik vom Kolner Dom
um 220 n. Chr., Monus-Mosaik aus Trier um 250) er-
kennbaren Aufsatze auf den unteren Schallochern.
- 2) Als Orgelregister bedeutet T. Flote, z. B. T. aperta
(Offenflote), T. silvestris (Waldflote), T. clausa (Labial-
register zu 8' und 4' mit gedeckten Pfeifen, auch dop-
pelt labiiert), T. angusta (Dolzflote).
Lit.: zu 1): K. G. Fellerer, Musikdarstellungen auf d. neu-
gef undenen romischen Mosaik in Koln, Mk XXXIV, 1 941 /
42; ders., Darstellungen v. Musikinstr. auf d. Kolner
Mosaik, in: H. Fremersdorf, Das romische Haus mit d.
Dionysos-Mosaik . . . , = Kolner Ausgrabungen I, Bin
1956 ; H. Becker, Studien zur Entwicklungsgesch. d. Rohr-
blattinstr., Habil.-Schrift Hbg 1961, maschr.
Tiento (span., von tentar, befiihlen, tasten, suchen;
port, tento), im 16. Jh. ein dem -* Ricercar entspre-
chendes Instrumentalstiick spanischer Komponisten. In
frei praeludierender und intonierender Art begegnet es
fiir Vihuela in den fantasias de tentos . . . por todos los
ocho tonos von L.Milan (Libro de musica de vihuela de
mano, 1535). Fiir die T.s von A. de Cabezon (1557,
1578) ist jedoch die imitierende Schreibweise charakte-
ristisch; ihr entspricht die Umdeutung des Namens in
»Suchen der Motive« etwa bei P. Cerone (El Melopeo,
1613, Kap. XVII), der T. mit Ricercar gleichsetzt.
Timpano (ital.; frz. timbale) ->■ Pauke.
Tintinnabula (von lat. tintinnare, klingen), im Mit-
telalter eine Reihe abgestimmter Glockchen oder Schel-
len (-> Zimbelstern). Die Benennungen t., -*■ cymbala,
nolae (-> Nola) werden oft ohne erkennbaren Unter-
schied gebraucht, so in der Herstellungsanweisung bei
Eberhard von Freising: Regula adfundendas Nolas, id
est, organica t. (GS II, 282). Tintinnabulum ist u. a. be-
zeugt als kleine Glocke (parva nola vel campanula, Jo-
hannes Aegidius von Zamora, GS II, 392a), mit Klop-
pel geschlagenes Glocklein (Praetorius Synt. II) und
allgemein als Kling-Werck (WaltherL). - In den Alpen
wird mit T. das Herdengelaut bezeichnet.
Lit.: H. Magius, De Tintinnabulis, neu hrsg. v. Fr. Swer-
tius, Amsterdam 1664; Ed. Buhle, Das Glockenspiel in d.
Miniaturen d. friihen MA, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910;
E. Morris, T. : Small Bells, London 1959.
Tiple (span., von lat. triplum), Sopran, auch die in der
-* Cobla gebrauchliche Diskantschalmei.
Lit. : J. Coll, Metodo de t. y tenora, Barcelona 1 950.
Tirana (span.), spanisches Tanzlied aus dem 18./19.
Jh. mit dem pragnanten Rhythmus 5 7 J- 3 I JJ 7 |.
Tirata (ital. ; frz. tirade, auch coulade ; Zug), eine Ver-
zierung, die als diatonischer Lauf, auf- oder abwarts,
entweder (nach Art der -> Diminution - 2) zwei iiber-
geordnete Melodietone verbindet oder (oft nach kur-
zer Pause einsetzend) auf einen akzentuierten, linger
ausgehaltenen Melodieton hinzielt. Wahrend Praeto-
rius (Synt. Ill, S. 236) Tiratce als lange geschwinde Lduff-
lin . . . gradatim . . . durchs Clavier hinauff oder hervnter
charakterisiert, unterscheidet Walther (1732), ahnlich
wie schon Printz (1696), je nach dem Umfang der T. 4
Arten: T. mezza (Quart- und Quintumfang), T. de-
fectiva (Sexte oder Septime), T. perfecta (Oktave), T.
aucta oder excedens (groBer als Oktave). Die T. wurde
seit dem Ende des 1 7. Jh. in besonders charakteristischer
Weise angewendet im langsamen Teil der f ranzosischen
Ouverture (z. B. J. S. Bach, Partita D dur, BWV 828).
Walthers Begriffsbestimmung (1708), T. sei ein Pfeil,
weist darauf hin, daB die T. auch als wortausdeutende
Figur Verwendung fand (bei Wortern wie schleudern,
blitzen). Mattheson (1739) nahm die Kennzeichnung
als Spiefi-Schufi oder Pfeil-Wurffzut und erwahnte auch
Tirate piccole mit Terzumfang.
tir6 (frz.) ->• Abstrich.
Tirol (Osterreich).
Lit. : L. Schonach, Die fahrenden Sanger u. Spielleute T.
1250-1360, Forschungen u. Mitt, zur Gesch. T. u. Vorarl-
bergs VIII, 1911; F. Waldner, Nachrichten fiber tiroli-
sche Lauten- u. Geigenbauer, Zs. d. Ferdinandeums f.
T. u. Vorarlberg LV, 191 1 ; K. M. Klier, Von d. Alt-T.er
Volksmusik, T.er Heimatblatter VII, 1929; A. Dawido-
wicz, Orgelbaumeister u. Org. in Ost-T., Diss. Wien 1949,
maschr.; A. Quellmalz, Von d. Siid-T.er Bauernmusik,
Die Volksmusik III, (Bozen) 1951; ders., Mus. Altgutind.
Volksuberlieferung Siid-T., Kgr.-Ber. Wien 1956; H. Eg-
ger, Die Entwicklung d. Blasmusik in T., Diss. Innsbruck
1952, maschr. ; W. Senn, Beitr. zum deutschen Kirchenlied
956
Toccata
T. im 16. Jh., Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss. II, 1954;
ders., Volkslieder in T. bis zum 17. Jh., ebenda III, 1955;
J. Ringler, Zur Gesch. d. T.er Nationalsangertums, T.er
Heimatblatter XXX, 1955; K. Horak, T.er Volksmusik,
Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes XI, 1962.
Tischgeige ->■ Streichmelodion.
Tmesis (griech., Trennung, Zerschneidung), in der
Kompositionslehre des 17. und 18. Jh. eine im An-
schluB an die Rhetorik erklarte musikalische Figur:
ZerreiBung eines musikalischen oder textlichen Zu-
sammenhangs durch eine Pause, wohl gleichbedeutend
mit ->• Suspiratio.
Toccata (ital., von toccare, schlagen, auch [be]riihren,
span, tocar, frz. toucher; span, taner, von lat. tangere,
beriihren, ital. aquivalent tastare, tastata). Toccare uno
stromento ist von seiner vokabularen Bedeutung her
(ein Instrument schlagen, riihren, spielen) wahrschein-
lich zweimal unabhangig voneinander zum Terminus
T. substantiviert worden : einmal in bezug auf Pauken
und Blaser, wie es vermutlich in dem Namen Blaser-
tusch (-*■ Tusch) fortlebt, zum anderen in bezug auf
Laute und Tasteninstrumente. Die festliche Blaserfanf a-
re (mittelf rz. batture) erhielt den Namen T. vom »Schla-
gen« der Pauken, die mit den Trompeten untrennbar
verbunden waren. Wahrend des Festzuges bei der Kro-
nung Alfons' II. von Neapel (1494) erklang una t. de
trombette, und beim Fasanenbankett zu Lille (1454) spiel-
ten 2 Trompeten une moult longue bateure (weitere Be-
lege, u. a. schon 1393 fur Barcelona, bei Gombosi). Die
fanfarenartige Eroffnungs-T. von Monteverdis Orfeo
(1607) steht in dieser Tradition, ist aber nicht der einzi-
ge bekannte Fall einer kompositorischen Niederschrift
dieser Toccatenart (vgl. Clercx-Lejeune). - Die Tasten-
(im 16. Jh. auch Lauten-)T., die M.Praetorius als ein
durchgriff oder begreiffung des Claviers, J. Mattheson als
uberhaupt ein Gespiele charakterisiert, ist das komposito-
risch nachgebildete Improvisieren in Erprobung, Aus-
nutzung und Darstellung der Spielmoglichkeiten des
Instruments und in Darbietung, auch Ubung der Kunst
des Spielers. - Die friihesten Belege bilden die vier
anspruchslosen Tochate von Francesco da Milano in
dessen Intavolatura di liuto I (1536): kurze, frei gef orna-
te AbschluBstiicke von Tanzfolgen. Gegen Ende des
16. Jh. tritt in Druckwerken die italienische Orgel-
T. hervor, die (wie schon die kurzen Intonationi d'organo
von A.Gabrieli, Venedig 1593) die Aufgabe des Into-
nierens im Gottesdienst hatte. Zu nennen sind die Or-
geltoccaten von S. Bertoldo ( Toccate, Ricercari et Canzoni
francese . . ., Venedig 1591), A. Padovano (Toccate e Ri-
cercari, gedruckt posthum 1604), ferner von A. und G.
Gabrieli in den Intonationi und in G. Dirutas Transilvano
(1 1593, II 1609), wo auch Toccaten von Diruta selbst,
ferner von G. Guami, L.Luzzaschi, A.Romanini und
P. Quagliati zu linden sind; diese Toccate di diver si ecce-
lenti organisti veroffentlichte Diruta als Muster orgel-
maBiger Improvisation und Diminutionskunst. CI.
Merulos Toccaten (2 Biicher 1598 und 1604) sind zu-
kunftsweisend, indem hier die Abschnitte der ausko-
lorierten Akkorde in Einbeziehung motettischer bzw.
ricercarartiger Kompositionsweise mit imitierenden
Abschnitten abwechseln. Eine 3teilige Form (Passagen-
teil, imitierende Partie, Passagenteil) zeigt die ebenfalls
im Transilvano gebotene T. des A. Gabrieli-Schiilers V.
Bell'Haver. Wesentliche Merkmale der alteren Tocca-
tenkomposition nennt M.Praetorius: Eingrenzung auf
Orgel oder Clavicymbalum, Aufgabe des improvisations-
artig zu intonierenden Praeludiums (T., ist als ein . . .
Praeludium, welches ein Organist . . . ehe et ein Mutet oder
Fugen anfehet / aus seinem Kopffvorherfantasirt), Akkord-
folge und -kolorierung als Grundprinzip der klavieri-
stischen Satzweise (mit schlechten [schlichten] entzelen
griffen / vnd Coloraturen). Einer aber hat diese / der ander
ein andere Art. Auch die Art der 13 iiberlieferten Toc-
caten J. P. Sweelincks besteht wesentlich im Kolorieren
von Griffen, wobei die Spielfiguren sinnvoll auseinan-
der hervorgehen und das schweifend ornamentale Spiel
jene Art des Ordnens und Bauens gewinnt, die dann
fur die deutsche Orgel- und Klaviermusik bis zu Bach
hin maBgebend war. Die groBeren seiner Toccaten
gliedert Sweelinck durch ein oder zwei imitierende
Abschnitte; dieser zunachst innerhalb der T. sich ab-
spielende Wechsel von »Praeludieren und Fugieren«
wurde fur das nord- und mitteldeutsche Toccaten-
schaffen wegweisend. Die stilistische Nahe der T. zum
Praeludium erweist sich schon aus der Tatsache, daB der
Kopist des Fitzwilliam Virginal Book (ca. 1625) eine T.
Sweelincks Praeludium T. betitelte. Auch J. S.Bachs
(Orgelpunkt-)T. in F dur (BWV 540) ist in den Hand-
schrif tenPraeludio genannt und seine dorische T. (BWV
538) als Praeludium verzeichnet.
Zusammenfassung und weithin ausstrahlenden Hohe-
punkt der italienischen T. stellen dieje 1 1 Toccaten von
G. Frescobaldi in dessen Sammlungen von 1615 und
1627 dar, daneben die kiirzeren Messen- und Vesper-
toccaten (T. avanti la Messa, T. cromaticha per l'Ele-
vatione) in den Fiori musicali von 1635. Frescobaldi
reiht mehrere aus motivischem Passagenwerk und ma-
drigalischer Harmonik gestaltete Teile, an deren jewei-
ligem Ende die T. aus liturgischen Riicksichten abge-
brochen werden kann. In seinen beiden Typen, der T.
di durezze e ligature und der T. per li pedali (Orgel-
punkt-T.), zeigt sich Frescobaldis neuer, affektuoser
Orgelstil ; ihm entsprechen die Anweisungen zur Tem-
pomodifikation, die das Spiel als quasi improvisatorisch
entstehen laBt und es zudem gliedernd verdeutlicht.
Bei den Organisten in Italien, Osterreich (Wien) und
Siiddeutschland (Miinchen) steht die weitere Geschich-
te der T. zunachst im Zeichen Frescobaldis, so nament-
lich bei dessen Schiilern M.A.Rossi (10 Toccate, 1637,
2 1657) und J. J. Froberger (ab etwa 1649), ferner bei
Georg Muff at (12 Toccaten im Apparatus musico-orga-
nisticus, 1690) und seinem Lehrer B.Pasquini, dessen
Toccates et suittespour le clavessin zusammen mit solchen
von A.Poglietti und J.K.Kerll 1704 in Amsterdam er-
schienen. Neben der iiberkommenen Versetten-T. fiir
Orgel (Fr. X. A. Murschhauser, Octi-Tonium ..., 1696;
Gottlieb Muffat, 12 Versetl Sammt 12 Toccaten, 1726;
F.T.Richter) trat ab etwa 1680 im Siiden jene cemba-
listische T. hervor, dieentweder als Teil einer Suite
oder Sonata dient oder selbst ein oft mehrteiliges,
sonaten- oder konzertartiges Gebilde darstellt, so in
Cembalotoccaten von A. Scarlatti, Fr. Durante, G. Gre-
co und D. Scarlatti. Die Toccaten der Augsburger Or-
ganisten H.L.HaBler, J.HaBler und Chr.Erbach sind
nach venezianischer Art gebildet. Dagegen steht die
norddeutsche Toccatenkunst zunachst im Zeichen
Sweelincks mit Kompositionen von S.Scheidt (T. su-
per: In te Domine speravi, in: Tabulatura nova II, 1624),
H. Scheidemann, D. Strungk, M. Weckmann, A. Rein-
cken, D.Buxtehude, N.Bruhns, G.Bohm. Merkmale
der norddeutschen T. des 17. Jh. sind der Wechsel von
verschieden mensurierten Fugati und freien Teilen,
ferner die motivische Verwandtschaft der Teile, der
geordnete Bau des Spielwerks und die Ausnutzung des
Farbenreichtums der Orgel unter zunehmender Ver-
wendung des Pedals. Die Grundtendenz war die Tren-
nung der Teile, wie sie im hochbarocken Typus der T.
et Fuga dann vorliegt. Doch noch Buxtehudes spater
so genannte »Toccaten (oder Praeludien) und Fugen«
sind 3- bis 7teilige Toccaten mit 1-3 Fugati. Zwischen
dem Siiden, namentlich Froberger, Kerll und Pasquini,
957
Toledo
und dem Norden vermittelt eine Numberger Gruppe :
J.Ph.Krieger (T. e Fuga), J.Krieger (T. mit dem Pedal
aus C [mit Fuge], 1699, und Durezza nach dem Vor-
bild Kerlls) und J.Pachelbel, dessen 12 Orgelpunkttoc-
caten sich auszeichnen durch in der Regel liickenlos an-
einandergereihte Orgelpunkte, harmonische Schlicht-
heit und durch die Klarheit und Milde (Terzen- und
Sextengange) der Figuration. In J. S.Bachs Toccaten
entspricht der siidlichen Uberlieferung die T. als Sui-
teneinleitung in der 6. Klavierpartita (mit Fugenmittel-
teil, BWV 830) ; ebenso mehr nach italienischer Art ge-
bildet sind die 7 Klaviertoccaten aus der Weimarer und
Kothener Zeit (BWV 913-16) mit ihren je 3-6 Teilen
in kontrastierendem, in eine lebhafte SchluBfuge miin-
dendem Wechsel zwischen spielfreudiger Virtuositat
und cantablemEspressivo. Hierher gehort von den Or-
geltoccaten auch die Weimarer 3teilige T. in C dur
(mit Adagio und Fuge, BWV 564), wahrend die 4tei-
lige in E dur (BWV 566) der Art Buxtehudes folgt
und in den Orgeltoccaten in D moll (BWV 565), in
F dur (BWV 540) und d dorisch (BWV 538), je mit
Fuge, die norddeutsche Toccatenkunst ihre giiltigste
Auspragung erreichte in enger Nachbarschaft zu J. S.
Bachs »Praeludien [bzw. Fantasien] und Fugen«. Trotz
ihrer im hbchsten Grade kompositorisch durchdach-
ten Struktur verlangen diese Toccaten einen Vortrag,
der sie - wie einst Frescobaldi es ihrem Wesen ent-
sprechend betonte - in Registrierung und Tempo-
modifikation (Innehalten, Neubeginn usw.) gleichsam
als Orgelprobe und Improvisation zur Geltung bringt.
- Im AnschluB an die italienische Entwicklung und ent-
sprechend der abermals neuen musikgeschichtlichen
Situation wandelte sich die T. in klassizistischer Zeit
in Richtung der Etude und des brillanten Vortrags-
stiicks; in dieser Art erscheint sie u. a. bei C. Czerny
(T. ou exercice op. 92), R.Schumann (op. 7, 1829/32),
J.Rheinberger (op. 19), Debussy (1901), S.Prokofjew
(op. 1 1) und A. Chatschaturjan (1932). Regers Toccaten
in seinen Orgel-»Stiicken« op. 69, 80 und 129 erneuer-
ten und verwandelten die barocke T. In der Folgezeit
ist die T. fur Klavier (Busoni, Kf enek, Jelinek) und fur
Orgel (Vierne, Dupre, Pepping, Ahrens, Fortner), auch
fiir Orchester (Holler in den Hymnen op. 18, Strawin-
sky in Pukinella) wieder beliebt.
Ausg. (in Sammelwerken) : Le tresor des pianistes II, hrsg.
v. A. u. L. Farrenc, Paris 1872; A. G. Ritter, Zur Gesch.
d. Orgelspiels ... II, Lpz. 1884(darin 10 T. d. 16.-18. Jh.);
Torchi HI; F. Boghen, T. per clavicemb., Mailand 1922;
A. Della Corte, Scelta di rausiche ..., ebenda 1928,
31949 ; E. Kaller, Liber organi V, Mainz (1933 u. 6. ; T. d.
17. u. 18. Jh.); Tagliapietra Ant. XVIII; E. Valentin,
DieTokkata, = DasMusikwerkXVH,K61n(1958).
Lit.: Praetorius Synt. Ill; Mattheson Capellm.; L.
Schrade, Ein Beitr. zur Gesch. d. T„ ZfMw VIII, 1925/26;
ders., Die altesten Denkmaler d. Orgelmusik als Beitr. zu
einer Gesch. d. T., Minister i. W. 1928; E. Valentin, Die
Entwicklung d. Tokkata im 17. u. 18. Jh. (bis J. S. Bach),
= Universitas-Arch., Mw. Abt. XLV, ebenda 1930; Fr.
Dietrich, Analogieformen in Bachs Tokkaten u. Pralu-
dien f. d. Org., Bach-Jb. XXVIII, 1931 ; O. Gombosi, Zur
Vorgesch. d. Tokkata, AMI VI, 1934; J. Marix, Hist, dela
musique et des musiciens de la cour de Bourgogne sous le
regne de Philippe le Bon (1420-67), = Slg mw. Abh.
XXVIII, StraBburg 1939; H. Hering, Das Tokkatische,
Mf VII, 1954; S. Clercx-Lejeune, La t., in: La musique
instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955;
H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie,
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. so-
zialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10. HHE
Toledo.
Lit. : L. Serrano, Hist, de la rmisica en T., T. 1907 ; J. Mi-
lego, El teatro en T. durante los s. XVI y XVII, Valencia
1909; F. Rubio Piqueras, Musica y musicos toledanos,
Boletin de la Real Acad, de Bellas Artes V, 1933 ; H. An-
gles, La musica medieval en T. hasta el s. XL, Span. For-
schungen d. Gorres-Ges. 1, 7, Minister i. W. 1938 ; J. Moll,
Musicos de la Corte del Card. J. Tavera, AM VI, 1951.
Tom-Tom, ein Trommelinstrument, das iiber die la-
teinamerikanische Tanzmusik in das Jazzinstrumenta-
rium aufgenommen wurde und seitdem in doppelter
Besetzung zum festen Bestand der Combos und Tanz-
kapellen (besonders fiir Mambo und Cha-Cha-Cha) ge-
hort. Das T.-T., das ein- oder zweiseitig bespannt
sein kann, kommt in verschiedenen GrbBen vor, wo-
bei sichjeweilsHohen und Durchmesser (14-50 cm) an-
nahernd entsprechen. Ahnlich wie die kleine -*■ Trom-
mel besteht das T.-T. aus einer zylindrischen Holz-
zarge, auf die mittels eines Metallreifens die Membra-
nen (jedoch ohne Schnarrsaiten) aufgezogen sind. Die
Spannung ist durch Schrauben fiir jedes Fell gesondert
regulierbar. Der Klang des zweifelligen Instruments
ist dunkler als der des einfelligen. Beide Arten des
T.-T.s kbnnen auf ungefahre TonhShe gestimmt wer-
den (die kleineren Instrumente genauer; etwa bei 7 In-
strumental diatonisch im Raum einer Oktave). Zum
Spielen werden Paukenschlagel, Trommelstocke und
(seltener) Jazzbesen verwendet. In der Unterhaltungs-
musik wird das T.-T. auf dem fiir Trommeln und
Becken gemeinsamen Fiinfliniensystem notiert, in der
Orchestermusik auf einer eigenen Linie fiir jedes ein-
zelne Instrument. Bisweilen wird durch Angaben wie
piccolo, medio oder soprano, alto u. a. das geforderte
Instrument naher gekennzeichnet. Das T.-T. wird in
Werken z. B. von Malipiero, Maderna, Fr.Donati, Bo
Nilsson und Stockhausen verwendet.
Tombeau (tab'o:, frz., Grabmal), im 16./17. Jh. bei
franzosischen Lauten- und Klaviermeistern eine Gat-
tung von Instrumentalstticken, geschrieben zum Ge-
dachtnis besonders an Fiirsten oder Kiinstler. T.s, oft in
Form von Pavane oder Allemande, schrieben E. Gaul-
tier, D.Gaultier, L. Couperin, d'Anglebert und Fro-
berger. In der gleichen Tradition und dem T. nahe
stehen die englischen Tears, die -> Plainte (- 2) und das
-> Lamento. Im 20. Jh. wurde in Frankreich die Kom-
position von T.s zum Gedachtnis an Komponisten wie-
der aufgenommen (unter Titeln wie Hommage a . . .
oder T. de . . .), wobei auf deren Stil angespielt wird.
Die bekanntesten sind Hommage a Rameau (in Images I,
1905) und Hommage a Haydn (1909) von Debussy,
Hommage a J. Haydn (1910) von Dukas, die Suite Le
t. de Couperin (1917) von Ravel (zum Gedachtnis gefal-
lener Freunde) und die von H.Prunieres herausgegebe-
ne Sondernummer der Revue musicale 1920 (T. de De-
bussy mit Kompositionen von Dukas, Roussel, Schmitt,
Ravel, Satie sowie Malipiero, Goossens, Bartok, Stra-
winsky und de Falla).
Lit. : M. Brenet, Les t. en musique, La Rev. Mus. Ill, 1 903 ;
Ch. Van den Borren, Esquisse d'une hist, des »t.« mus.,
StMw XXV, 1962.
Ton (von griech. t6voc;, urspriinglich s. v. w. Span-
nungsverhaltnis der Sake; lat. tonus; ital. suono; frz.
son; engl. note). Das Wort T. stammt aus der griechi-
schen musikalischen Terminologie, bedeutet aber dort
nicht »Ton« im heutigen Sinne, sondern entweder den
-»■ Ganz-T. oder die — > Tonart. Dies erklart sich dar-
aus, daB die griechische Tonart (dorisch, phrygisch,
lydisch usw.) nach der Lage des einzigen festen Ganz-
T.es in der »charakteristischen Oktave« (Gombosi) be-
stimmt ist. Streng genommen gibt es in der griechi-
schen Terminologie den modernen Begriff des »Tones«
iiberhaupt nicht, weil dieser die diatonische Tonleiter
zur Voraussetzung hat, die erst am Ende der Antike
aufkam (dies verbirgt sich hinter der bekannten Tat-
sache, daB in der Spatantike das Lydische zur Norm-
958
Ton
tonart wurde) . Den Begriff des T.es im modernen Sinne
(wenn man daninter das elementare Glied einer Ton-
leiter versteht) konnte es im urspriinglichen griechi-
schen System schon deswegen nicht geben, weil die
Zweiteilung (innerhalb der Oktave) in 4 »feste« Ton-
sttifen (die Rahmentone der beiden Tetrachorde) und
4 »bewegliche« Tonstufen (die Stufen innerhalb der
beiden Tetrachorde) ihn ausschlieBt. Das Wort (pWyyoc;
(lat. -»■ sonus), das diese beiden Tonqualitaten zusam-
menfaBt, bedeutet »Klang« (vgl. den Begriff des Diph-
thonges als des vokalischen Zweiklangs in der gram-
matischen Terminologie - musikalische und gramma-
tisch-phonetische Terminologie haben denselben Ur-
sprung). - Im Mittelalter baut sich die Musik faktisch
auf den Tonen als den elementaren Gliedern einer Ton-
leiter auf, aber der EinfluB der antiken Theorie verhin-
derte eine klare Begriffsbildung. Das Wort tonus wird
in der lateinischen Musiklehre des Mittelalters in zwei
Bedeutungsschichten verwendet: 1) direkt aus der an-
tiken Musiktheorie ubernommen ist die Verwendung
von tonus zur Bezeichnung des Ganz-T.es und der Ton-
art (so bereits bei Cassiodorus, ed. Mynors, S. 145);
2) im Zusammenhang mit der bei einigen lateinischen
Grammatikern nachzuweisenden Verwendung des
Wortes im Sinne von ->■ Akzent (- 1 ; hier als Entleh-
nung aus der griechischen Musikterminologie) dient
tonus seit dem 9. Jh. auch zur Bezeichnung der Lek-
tionstone (-*■ Epistel, -*■ Evangelium, -> Toni commu-
nes) und -*■ Psalmtone des liturgischen Gesangs. Die
Lehre von den ->■ Kirchentonen in ihrem friihesten
Stadium schliefit an diese Tradition an, indem sie ty-
pische Melodiemodelle sammelt und rubriziert. Dem
entspricht es auch, daB im deutschen ->■ Minnesang und
-y Meistersang die (oft zu verschiedenen Texten ge-
sungenen) Weisen als »T6ne« bezeichnet sind. Im Zuge
der Umbildung der Lehre von den Kirchentonen zu
einer systematischen Tonartenlehre wurde ein Wieder-
ankniipfen an die durch Boethius ungenau vermittelte
antike Tonartenlehre versucht; entsprechend dem Ge-
setz der mittelalterlichen Tonordnung wurde nun auch
der eine Tonart hauptsachlich charakterisierende Grund-
T. (Finalis) als tonus benannt. In der neueren Zeit ha-
ben die romanischen Sprachen die Bedeutungsvielfalt
des Wortes beibehalten (aufierdem kann im Franzosi- ■
schen das Wort t. wie im Deutschen T. auch den
-*■ Stimm-T., -*■ Kammer-T. und -> Chor-T. bezeich-
nen). Im Englischen gilt allein der Wortgebrauch im
Sinne von Ganz-T. als korrekt. Das Deutsche verwen-
det seit dem 19. Jh. fiir die oben genannten Bedeutun-
gen die angegebenen zusammengesetzten Worter ; das
Stammwort T. dagegen bezeichnet nunmehr ausschlieB-
lich den Einzel-T., den die lateinische Musiklehre des
Mittelalters unter verschiedenen Aspekten mit sonus,
vox, clavis benannt hatte: nach Tinctoris (Diffinitorium,
um 1473/74) ist sonus der T., der als Einzel-T. wahr-
genommen wird (Sonus est quicquid proprie et per se ah
auditu percipitur; ed. Machabey, S. 53), clavis der Ton-
buchstabe, der einen T. als Element des die diatonische
Skala darstellenden Liniensystems bezeichnet, und vox
der gesungene oder instrumentale sonus, dessen Inter-
vallbeziehungen zu den benachbarten voces durch die
Tonsilben der Solmisation ausgedriickt werden. Die
wissenschaftliche Begriindung der Lehre vom T. und
von den Tonbeziehungen war bis um 1600 einTeil der
Mathematik und eng verbunden mit der Demonstra-
tion am -»■ Monochord (so sehr, daB die griechische
Musiktheorie mit dem Wortxop&f) nicht nur die -> Sai-
te, sondern auch denEinzelton bezeichnete).
In der Neuzeit wurde seit dem 17. Jh. die Tonwissen-
schaft als Zweig der Naturwissenschaften verstanden;
als -*■ Akustik war sie zunachst ausschlieBlich ein Teil
der Physik, bis im 19. Jh. auch die Physiologie und
Psychologie der Tonwahrnehmung (->• Gehorphysio-
logie, -> Musikpsychologie) als selbstandige Wissen-
schaftszweige ausgebildet wurden. Grundlegend war
die zuerst von Descartes (1618) und Mersenne (1637)
erorterte Beobachtung, dafi der musikalische T. keine
Einheit, sondern aus mehreren -*■ Teiltonen zusammen-
gesetzt ist; in der Physik wird ein solcher Teil-T. auch
Sinus-T. (besser -v Sinusschwingung, weniger gut auch
einfach: Ton) genarmt und der aus mehreren Teiltonen
bestehende Komplex als ->■ Klang definiert. Die Teil-
tonreihe wurde von J.-Ph. Rameau zur Erklarung des
Dreiklangs als des natiirlichen Prinzips der Harmonie
herangezogen. Galten zuvor im Bereich der -*■ Harmo-
nia die Intervalle als primare Tonbeziehungen, von
denen die Akkorde als zusammengesetzte abgeleitet
waren, so sahen Rameau und seine zahlreichen Nach-
folger im 18. und 19. Jh. (darunter auch H.Riemann)
im Dreiklang das Primare und erklarten Tone und In-
tervalle durch ihre Zugehorigkeit zu einem Dreiklang.
- Die im Laufe des 18. Jh. entstandene Auffassung der
Musik als Tonsprache (Eggebrecht 1961, besonders S.
94f£.) geht davon aus, daB dem T. »von Natur aus« eine
Kraft innewohnt, die ihn zum Ausdruck der »Natur
des Menschen«, seiner Empfindungen und Gef iihle be-
fahigt. Diese musiktheoretische und asthetische Be-
griindung der Musik aus der Natur drangte die mathe-
matische Musiktheorie eine Zeitlang zuriick. E.Hans-
licks Abhandlung Vom musikalisch Schonen (1859) be-
zeichnet den Zeitpunkt, in dem eine Neubesinnung auf
die mathematischen Grundlagen der Musiktheorie ein-
setzte, die auch fiir die Musikasthetik fruchtbar wurde.
In der Folgezeit kam es zugleich mit der Auflosung der
traditionellen Harmonik zur Wiedereinsetzung des
nicht akkordisch und funktional pradeterminierten,
sondern »an sich« (d. h. in seiner unmittelbaren Be-
ziehung zu anderen Tonen) geltenden T.es (-> Atonali-
tat, -> Zwolftontechnik, -> Reihe). Eine abermals neue
Lage ergab sich um 1950 mit dem Aufkommen der
-* Elektronischen und ->■ Seriellen Musik: dem Kom-
ponisten steht nun zum ersten Mai der gesamte Klang-
bereich von der einfachen Sinusschwingung bis zum
komplexen »weiBen Rauschen« zur freien Verfiigung;
die neuen technischen Mittel ermoglichen ihm nicht
nur die Veranderung instrumentaler oder vokaler To-
ne, sondern auch ihre Vermischung mit anderen Klan-
gen oder Gerauschen sowie die Entwicklung ganz
neuer Klangelemente. Dies regte dazu an, vorzugswei-
se solche ->■ Parameter des T.es zur Formbildung her-
anzuziehen, die in der traditionellen Musik einer Fixie-
rung weitgehend entzogen waren. Fiir die Grundsatze,
nach denen diese neuartigen Klangelemente zu groBe-
ren Formen verarbeitet werden, ist jedoch der ge-
schichtlich gegebene unlosliche Zusammenhang von
real erklingendem T. und mathematisch geordneten
Tonbeziehungen maBgebend geblieben.
In der Systematischen Musikwissenschaft erfolgt die
Bestimmung des T.es unter einer doppelten Perspek-
tive, die als musikalische und physikalische zu unter-
scheiden ist. Die Tone als musikalische Qualitaten stel-
len ein System von Quintverhaltnissen dar; sie lassen
sich nicht an sich, sondern erst als Glied einer »Gesell-
schaft von Tonen« (J. Handschin) verstehen. Ein ver-
standener T. ist nicht rezeptiv eine bloBe Reaktion auf
einen Reiz aus der AuBenwelt, sondern produktiv ein
geistiges Tatigsein, eine Schopfung der »inneren Spon-
taneitat des Musikalischen«, der »logisch einfachste Re-
prasentant der Musik«. Fiir seine zentrale Eigenschaft
hat Handschin den etwa mit -> Tonigkeit gleichzuset-
zenden Terminus Toncharakter eingefiihrt. Ihm eignen
Grundeigenschaften wie -»■ Tonhohe, Dauer, -> Laut-
959
Tonadilla
starke und -> Klangfarbe (- 2) sowie sekundare Eigen-
schaften wie Helligkeit, Rauhigkeit, Spitzigkeit, Dich-
te, Volumen usw. - Dagegen beruht in der physikali-
schenPerspektivederT.aufperiodischenDruckschwan-
kungen der Luft. Seine Wahmehmung ist durch eine
Reihe akustischer und physiologischer Voraussetzun-
gen bedingt. Der Vorgang der Wahmehmung laBt je-
doch ihre einfache, unmittelbare Verkniipfung mit ele-
mentaren akustischen Vorgangen nicht zu. So darf die
in der Akustik iibliche Gleichsetzung von T. und Si-
nusschwingung (entsprechend von Klang und Schall-
vor'gang mit Obertonen) nicht mit der Bestimmung des
musikalischen T.es verwechselt werden. Auch eine Ge-
geniiberstellung der an physikalischen GroBen orien-
tierten Begriffe T. und Klang verliert im musikalischen
(und auch psychologischen) Zusammenhang ihre Be-
rechtigung. Diese beiden Perspektiven der Bestimmung
des T.es, deren Wahrheitsanspruche miteinander kon-
kurrieren und auf den ersten Blick nicht zu vereinen
sind, konnen sich.doch letztlich niemals widersprechen,
sondern nur erganzen.
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..., Braunschweig 1863, «1913, Nachdruck Hildesheim
1967; W. Th. Preyer, tJber d. Grenzen d. Tonwahrneh-
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Begriff d. Tonkorpers, AfMw IX, 1952; W. Meyer-Epp-
ler, Statistische u. psychologische Klangprobleme, in: die
Reihe I, Wien 1955; ders., Zur Systematik d. elektrischen
Klangtransf ormationen, in : Darmstadter Beitr. zur Neuen
Musik III, Mainz (1960); A. Wellek, Ganzheitspsycho-
logie u. Strukturtheorie, Bern 1955; J. Lohmann, Die
griech. Musik als mathematische Form, AfMw XIV, 1957;
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bestimmung d. T., Habil.-Schrift Bin 1958, maschr.; H. H.
Eggebrecht, Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 1961 ;
K. Stockhausen, Texte zur elektronischen u. instr. Mu-
sik I, Koln (1961); E. Maronn, Untersuchungen zur Wahr-
nehmung sekundarer Tonqualitaten bei ganzzahligen
Schwingungsverhaltnissen, = Kolner Beitr. zur Musikfor-
schung XXX, Regensburg 1 964.
Tonadilla (tonad'iAa, span., Diminutiv von tonada,
Lied) heiBt in der 1. Halfte des 18. Jh. das bei spanischen
Theaterauff iihrungen am Ende kleinerer Einlagen (Baf-
le, -s- Sainete, Entremes) vorgetragene kurze Gesang-
stiick mit Refrain. Daneben entstand um 1750 die T. als
spanische Form einer gesungenen Zwischenaktsunter-
haltung mit betont volksnahem Charakter (von Subira
als T. escenica bezeichnet). Mehr als 2000 szenische T.s
sind iiberliefert, meist handschriftlich ; ihre Biihnen-
f unktion entspricht etwa der des italienischen Intermez-
zos (-> Intermedium). Die Besetzung verlangt bis zu
12 Solostimmen, Orchester, teilweise auch Chor. Der
satirischen T. a solo liegen regelmafiig 3 Hauptteile zu-
grunde (Introduction, CoplasundFinal),wobei der vom
iibrigen Inhalt meist unabhangige Schlufiteil u. a. vor-
zugsweise die Form der ->■ Seguidilla oder der ->■ Tira-
na verwendet. Schon auf dem Hohepunkt ihrer Ent-
wicklung (zwischen 1771 und 1790), besonders seit
dem Wiederaufleben der italienischen Oper in Madrid
(1787), verfiel die szenische T. zunehmend dem Ein-
wirken italienischer Stilelemente ; auch Einfliisse der
franzosischen Opera-comique machten sich geltend.
Gegen 1850 erlebte sie ihren endgiiltigen Niedergang.
Zu den Hauptmeistern der T. gehoren Mison, A. Guer-
rero, J. Palomino, Bl. de Laserna, V. Galban, Esteve, A.
Rosales, Aranez y Vides, J. Castel, J.Valledor, P. de
Moral, M.Bustos und Ferrer. Als letzter Tonadillero
gilt M.Garcia, aus dessen Stiicken El criado fingido
und El poeta calculista Bizet in seiner Oper Carmen,
ferner Rossini und Liszt Teile entlehnten. Nach der
Jahrhundertwende schrieb Enrique Granados eine
wertvolle Sammlung von T.s en estilo antiguo fur
Singst. und Kl.
Lit.: J. Subira, La t. escenica, 3 Bde, Madrid 1928-30;
ders., T. teatrales ineditas, Madrid 1932; ders., Les in-
fluences frc. dans la t. madrilene du XVIIP s., in : Melanges
de musicologie a L. de La Laurencie, = Publications de la
Soc. frc. de musicologie II, 3/4, Paris 1933 ; ders., La t.
esc6nica, sus obras y sus autores, Barcelona 1933; ders.,
El »cuatro« escenico, in: Miscelanea en homenaje a H.
Angles II, ebenda 1958-61; I. M. Hambach, Formunter-
suchungen zur szenischen T., Diss. Bonn 1955, maschr.
Tonale -*■ Tonar.
Tonalitat im weiteren Sinne des Wortes ist eine zum
System verf estigte, iiber den Einzelfall hinausgreifende
funktionale Differenzierung und hierarchische Abstu-
fung von T6nen oder Akkorden. So ist z. B. die tonale
Struktur einer gregorianischen Choralmelodic durch
dieUnterscheidungvonGerustundAusfiillungo brvon
Haupt- und Nebentonen und durch die Au;pragung
von Funktionen wie SchluB-, Anfangs-, Grenz- und
Rezitationston bestimmt (-> Kirchentone) . Enger ge-
faBt, bezeichnet der Ausdruck T. die Gruppierung von
Tonen oder Akkorden um ein Bezugszentrum, eine
Tonika, die als »point d'attraction« (Fr.Brenn) wirkt;
das Phanomen der Zentrierung wurde von manchen
Theoretikern mit der Gravitation verglichen (Hinde-
mith). Die engere Bedeutung ist die urspriingliche; die
Ausweitung wurde durch die wachsende Einsicht in
geschichtliche und ethnische Differenzen erzwungen
oder mindestens nahegelegt, birgt aber die Gefahr in
sich, daB man unwillkurlich die engere Bedeutung mit-
denkt, wenn die weitere gemeint ist, und darum z. B.
das AusmaB uberschatzt, in dem die Finalis einer friih-
mittelalterlichen Choralmelodie ein Bezugszentrum
darstellt.
Der Terminus tonalite, 1821 von Fr.-H.-J. Castil-Blaze
gepragt, wurde 1844 von Fr.-J.Fetis im Traite als Inbe-
griff notwendiger Beziehungen zwischen den Tonen
einer Skala definiert: La tonalite se forme de la collection
des rapports necessaires, successifs ou simultanes, des sons de
lagamme (S. 22). Aus der Verschiedenheit der geschicht-
lichen und ethnischen Voraussetzungen entsteht nach
Fetis eine Vielfalt von Tonalitatstypen (types de tona-
lites). H.Riemann war, im Gegensatz zu Fetis, iiber-
zeugt, daB die »types de tonalites« auf ein einziges, in
der Natur des musikalischen Horens begriindetes Prin-
zip, die drei Akkordfunktionen Tonika, Dominante
und Subdominante, zuriickzufiihren seien (->■ Harmo-
nielehre). Nach der heute vorherrschenden Meinung
ist jedoch die Geltung von Riemanns Theorie auf die
Musik des 17. bis 19. Jh. eingeschrankt. - Von der har-
monischen, durch Akkorde ausgepragten T. , in der nach
der Theorie H. Riemanns der Dreiklang, nicht der Ein-
zelton oder das Intervall, als das primar Gegebene er-
scheint oder aufgefaBt wird (-> Klangvertretung), ist die
melodische T. zu unterscheiden. Letztere wird oft als
Modalitat bezeichnet, weil in diesem T.s-Typus Modi,
die sich durch ihren Grund- oder Zentralton und ihren
Ambitus voneinander abheben, die Formen bilden, in
denen ein Tonsystem, die halbtonlose (anhemitoni-
sche) Pentatonik oder die siebentonige (heptatonische)
Diatonik, sich darstellt oder realisiert : Jede der Stuf en
des Systems c-d-f-g-a kann Hauptton eines pentatoni-
schen Modus sein; und es ist die modale Gestalt, in der
das System, der Inbegriff der Modi, zu musikalischer
Wirklichkeit kommt. Melodische Modi sind allerdings
960
Tonalitat
oft, vor allem auf friihen Entwicklungsstufen, weniger
durch einen Grundton, der als Bezugszentrum wirkt,
als durch Tongeriiste, deren Ausfiillung variabel ist
(->• Harmonia), durch Melodiemodelle oder melodi-
sche Formeln charakterisiert. Die Betonung der Finalis
durch Odo von St.Maur im 10. Jh. bezeichnet eine
neue Stufe des TonartbewuBtseins, die das friihe vom
spateren Mittelalter trennt : Tonus vel modus est regula,
quae de omni cantu in fine diiudicat (GS I, 257b). Und
noch deutlicher wird der Sachverhalt von Guido von
Arezzo formuliert, bei dem es heiBt, daB der SchluBton
auf die Weise das Prinzipat habe, daB die iibrigen Tone
»auf wunderbare Weise von ihm das Aussehen ihrer
Farbung zu empfangen scheinen« (CSM IV, 139f. : Et
praemissae voces . . . it a ad earn aptantur, ut mirunt in mo-
dum quondam ab ea coloris faciem ducere videantur). Die
harmonische T., fiir die von manchen Theoretikern
ein Fundament in der Natur des Klanges gesucht wor-
den ist (-> Naturklangtheorie), muB primar als ge-
schichtliches Phanomen verstanden werden. Die cha-
rakteristischen Merkmale tonaler Harmonik - die Ver-
festigung der Zusammenklange von Intervallkom-
plexen zu Akkorden, die unmittelbar als Einheit emp-
funden werden, die Dominant-Tonika-Kadenz als Mo-
dell einer pragnanten Akkordfolge, die Auspragung
der scharakteristischen Dissonanzen«, des Quintsext-
akkords der Subdominante und des Dominantseptak-
kords, die hierarchische Abstufung der Akkorde, die
Verdrangung der Modi (Kirchentone) durch Dur und
Moll, die Verdeutlichung oder Fundierung musikali-
scher Formen durch Kadenzdispositionen, die auf
Quint- und Terzverwandtschaf ten beruhen - sind nicht
gleichzeitig, sondern nach und nach hervorgetreten, so
daB es willkurlich ware, einen Zeitpunkt fiir die Ent-
stehung der harmonischen T. festzusetzen. Der verwir-
rende Sachverhalt, daB deren Ursprung von manchen
Historikern im 14. oder 15., von anderen dagegen im
16.' oder 17. Jh. gesucht wird, ist darin begriindet, daB
die Frage, welches der Teilmomente des Phanomens
das wesentliche sei, verschieden beantwortet werden
kann. - Auch die Begriffe, Vorstellungen und Theore-
me, die der Lehre von der tonalen Harmonik zugrunde
liegen, sind allmahlich, im Laufe von Jahrhunderten,
entstanden, um sich schlieBlich, am Ende der Epoche
der harmonischen T., zu einem System zusammenzu-
fiigen. Entscheidende Stationen in der Entwicklung
der Theorie bilden die Auff assung des Dur- und Moll-
dreiklangs als unmittelbar gegebener Einheit (G. Zarli-
no 1558), dieDeutung des Sext- und Quartsextakkords
als Umkehrungen des Grunddreiklangs (J.Lippius und
Th.Campian 1613), die Erkenntnis und Benennung
der Akkordfunktionen Tonika, Dominante und Sub-
dominante als Geriist oder Substanz einer durch Ak-
korde dargestellten Tonart (J.Ph.Rameau 1726), die
Unterscheidung zwischen »wesentlichen« (I, IV, V) und
»zufalligen« (II, III, VI) Akkordstufen (H.Chr.Koch
1811) und die Reduktion der »zufalligen« Akkorde, die
als Scheinkonsonanzen bzw. -* Auffassungsdissonan-
zen erklart werden, auf die »wesentlichen« (H. Riemann
1893). - Den Ubergang zur -> Atonalitat bildet, um
mit Schonberg (1911) zu sprechen, die »schwebende«
oder »aufgehobene« T. : die T. von Werken der Zeit
um 1900, die zwar einen Grundton nicht oder nur
schwach auspragen, in denen aber noch iiberwiegend
oder partiell Akkorde und Akkordverbindungen, die
aus der tonalen Harmonik stammen, verwendet wer-
den. Tonordnungen in der -> Neuen Musik seit 1910,
die sich den uberlief erten Normen der tonalen Harmo-
nik entziehen, ohne jedoch atonal im Sinne der Schon-
berg-Schule zu sein (Strawinsky, Bartok, Hindemith),
werden manchmal als »erweiterte« T. charakterisiert.
Lit.: Fr.-H.-J. Castil-Blaze, Dictionnaire de musique
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Zum Begriff d. T., Kgr.-Ber. Lpz. 1966. CD
Tonar (lat. tonarius, auch tonarium, intonarium, to-
nale), em Verzeichnis Gregorianischer Gesange nach
der Ordnung der -> Kirchentone, bei den Antiphonen
uberdies nach der Reihenfolge der den einzelnen Kir-
chentonen zugehorenden psalmodischen ->- Differen-
zen. - Die alteste bisher bekannte Quelle - ein im spa-
ten 8. Jh. in St-Riquier geschriebener T. fur den Unter-
richtsgebrauch (Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 13159, Frag-
ment; ed. Huglo 1952) - enthalt nur einige Beispiele,
die alien Kategorien von MeBgesangen entnommen
sind. Der um 870 nach einer Vorlage aus der Zeit zwi-
schen 817 und 835 angefertigte T. von Metz (Bibl.
Municipale, ms. 351 ; ed. Lipphardt 1965) bringt die
Antiphonen des Antiphonars und des Graduales (die
Responsoria prolixa des 3. Teils gehoren mit Sicherheit
nicht zum Original). Hierbei handelt es sich um den
Typus des Gebrauchs-T.s, d. h. um ein Verzeichnis fiir
den Sanger, der im Chor die den Antiphonen beigege-
benen Psalmverse zu intonieren und die passende Dif-
ferenz zu wahlen hat. Die zeitlich nachfolgenden T.e
konnen allgemein in 2 Arten eingeteilt werden: 1 ) Kurz-
T.e fur den Unterricht; 2) Voll-T.e fiirden praktischen
Gebrauch, die im Unterschied zu den Kurz-T.en nahe-
zu das ganze liturgische Gesangsrepertoire umfassen.
Wie die Quellenforschung zeigt, sind Voll-T.e vor al-
lem fiir die Epoche der linienlosen Neumennotation
nachzuweisen. In dieser Zeit diente die methodische
Klassifizierung nach Kirchentonen und Differenzen als
962
Gedachtnisstiitze. - In Deutschland wurde der erste
Voll-T. um 900 in und fiir Trier durch Regino von
Priim verfaGt (CS II, 3-73). Als Ausgangspunkt diente
ein Antiphonar der Trierer Kirche. Der um 1000 ge-
schriebene 1. T. aus der Abtei Reichenau (Staatsbibl.
Bamberg, ms. lit. 5) entstand als Abschrift einer Vor-
lage, die mit ms. Metz 351 identisch ist. Doch folgen
hier die Antiphonen des Offiziums innerhalb der Kir-
chentone nicht mehr der Ordnung des liturgischen Ka-
lenders, sondern der alphabetischen Ordnung. Die glei-
che Disposition findet sich bei Berno von Reichenau
und in einigen siiddeutschen T.en. Auch dem 2. Rei-
chenauer T. (um 1075, ed. Sowa 1935) liegt die alpha-
betische Ordnung zugrunde. Sein Inhalt umschlieBt in-
dessen nur die Antiphonen aus dem Offizium. Eine
zentrale Stellung besitzt der in mehreren Handschriften
tradierte T. Bernos von Reichenau (um 1020; GS II,
79-91), dessen nachhaltiger EinfluB in zahlreichen spa-
teren Quellen sichtbar wird, besonders im T. aus dem
Pontificale des Bischofs Gundekar II. von Eichstatt
(um 1070; Eichstatt, Bischofliches Ordinariatsarchiv)
und im T. Frutolfs von Michelsberg (um 1100, ed.
Vivell 1919). Aus dem folgenden Zeitraum ist der T.
des Udalskalk von Maisach (um 1140, ed. Jaffe 1859;
auch in Miinchen, Bayerische Staatsbibl., Clm 9921)
zu erwahnen.
Der bedeutendste der St. Galler T.e ist am Anf ang des
Codex Hartker 390-391 uberliefert (10. Jh. ; Paleogra-
phie muskale II, 1). Alle spateren T.e St. Gallens (samt-
lich Kurz-T.e, ed. Omlin 1934) sind durch die nur ihnen
eigentiimliche Verwendung von Buchstaben zur Be-
zeichnung der 8 Kirchentone (a e i o u i) y a) und der
Differenzen (b c d g h k p q)charakterisiert(z.B.ag = 4.
Differenz des 1. Modus). Im AnschluB an die urspriing-
liche Tradition wurden diese sogenannten T.-Buchsta-
ben in das Antiphonarium Monasticum der Schweizeri-
schen Benediktiner-Kongregation wiederaufgenom-
men (Engelberg 1943). - Der bedeutendste, leider un-
vollstandige Voll-T. franzosischer Herkunft befindet
sich am SchluB des Graduales von St-Michel de Gaillac
bei Albi (um 1070; Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 776). Am
SchluB eines Graduales steht auch der T. von Toulouse
(11. Jh.; London, Brit. Mus., ms. Harl. 4951). In bei-
den Handschriften weicht das Repertoire der Introitus-
und Communioantiphonen vom vorangehenden Gra-
duale ab: wahrscheinlich sind die T.e anderen Ur-
sprungs. Eine weitere Gruppe von T.en ist seit dem 10.
Jh. um St-Martial von Limoges lokalisiert (Paris, Bibl.
Nat., ms. lat. 909, 1084, 1118, 1121 usw.). Odo von St-
Maur (von Cluny?) schrieb um 1020 ein Intonarium
(CS II, 117-149); etwa 10 Jahre darauf verfaBte Odo-
ranne von St-Pierre-le-Vif zu Sens einen kurzen Trak-
tat mit T. (Rom, Bibl. Vaticana, ms. Reg. 577). Die
meisten anderen T.e aus Frankreich sind Kurz-T.e.
Besonderes Interesse verdient ms. H159 der Faculte
de Medicine von Montpellier: um 1050 in St-Benigne
zu Dijon entstanden, werden in diesem Unterrichtswerk
die einzelnen Stiicke des Graduales, nach Kirchentonen
geordnet, in Neumenschrift nebst Buchstabennotation
aufgefiihrt (Paleographie musicale I, 7). Am Anf ang
des Manuskripts steht eine Kurzfassung des Regino-T.s
(Breviarium genannt). Moglicherweise wurde der Co-
dex im Rahmen der zisterziensischen Choralreform (12.
Jh.) benutzt, die u. a. eine Verkiirzung und Vereinfa-
chung der Differenzen anstrebte, wie man sie gegen
1140 im Tonale Sancti Bernardi (GS II, 265-278) findet.
Demgegeniiber stelken die Dominikaner, die zumin-
dest in ihrem Graduale den Zisterziensern folgten, den
Antiphonarien einen Auszug aus dem Tractates de mu-
ska des Hieronymus de Moravia (ed. Cserba, S. 160-
168) statt eines T.s voran. - Eine nur geringe Anzahl
Tonart
von T.en ist aus Italien und Spanien tiberliefert. Die al-
teste Quelle italienischer Herkunft (urn 1020; Monza,
Bibl. Capitolare, ms. C 12/75) steht in Verbindung mit
der St. Galler Gruppe; den vollstandigsten T. bringt
ms. Montecassino 318 (2. Halite des 11. Jh., aus Bene-
vent). Als wichtigste Quelle spanischer (naherhin kata-
lanischer) Provenienz gilt der im 10. Jh. verfaBte T. von
Ripoll (Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon,
ms. Ripoll 74). - Nachdem sich im 12. Jh. allerorts
(auBer in Siiddeutschland und in St. Gallen) die diaste-
matischen Neumen durchgesetzt hatten, erlosch das
Interesse am Typus des Voll-T.s. Dagegen blieb der
Kurz-T. sehr verbreitet als Grundlage der Lehre von
den Kirchentonen. Kurz-T.e finden sich in liturgischen
Biichern, wo sie in der Regel nur ein Beispiel aus der
Psalmodie, ferner einige Beispiele liturgischer Gesange
und manchmal Melodief ormeln zu den einzelnen Kir-
chentonen bringen. Auch sind sie, mit Kommentaren
versehen, in zahlreichen Musiktraktaten anzutreffen,
so u. a. bei Johannes Aflligemensis (zwischen 1100 und
1121, ed. Smits van Waesberghe 1950), Hugo von
Reutlingen (1332-42, ed. Giimpel 1958), Jacob Twin-
ger von Konigshofen (um 1413, ed. Mathias 1903) und
Conrad von Zabern (um 1460-70, ed. Giimpel 1956).
- Die byzantinischen Intonationsformeln (Noenoeane,
Noeagis; ->- Ananeanes) der altesten T.e wurden etwa
seit dem 10./11. Jh. durch Melodiemodelle in Form von
Antiphonen ersetzt (Primum quaerite regnum Dei usw.
bis Octo sunt beatitudines; spater auch andere Texte), die
jeweils mit einem Neuma schlieBen (->- Neumen -2).-
Bei einem Vergleich der Quellen lassen sich vielfach
regional bedingte Abweichungen hinsichtlich der kir-
chentonalen Zuordnung von Gesangen feststellen. Seit
dem 11. Jh. schlagen uberdies einige T.e im AnschluB
an die Musiktheoretiker Emendationen von Stucken
vor, die als fehlerhaft angesehen wurden. Damit war
der Weg bereitet fiir die systematische Uberarbeitung
des traditionellen Repertoires.
Ausg. u. Lit. : J. Smits van Waesberghe SJ, P. Fischer u.
Chr. Maas, The Theory of Music from the Carolingian
Era up to 1400 I, Descriptive Cat. of Ms., = RISM B IV,
Miinchen u. Duisburg (1961). - Antiphonale missarum
sextuplex, hrsg. v. R.-J. HesbertOSB, Briissel 1935, Nach-
druck Rom 1967; GS I— III ; CS I-IV; Paleographie mus.
I, 7-8, 1, 9, 1, 12, 1, 16, II, 1, Solesmes 1900-55; Der karo-
lingische T. v. Metz, hrsg. v. W. Lipphardt, = Liturgie-
wiss. Quellen u. Forschungen XLIII, Miinster i. W. 1965;
Frutolfi Breviarium de musica et Tonarius, hrsg. v. C.
Vivell OSB, Sb. Wien CLXXXVIII, 2, 1919; Johannes
Affligemensis, De Musica cum Tonario, hrsg. v. J. Smits
van Waesberghe SJ, = CSM I, (Rom) 1950; Des Abtes
Udalskalk v. St. Ulrich in Augsburg Registrum Tonorum,
hrsg. v. Ph. Jaffe, Arch. f. d. Gesch. d. Bisthums Augsburg
II, 1859; Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de mu-
sica, hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien
zur Mw. II, Regensburg 1935; Hugo Spechtshart v.
Reutlingen, Flores musicae (1332/42), hrsg. v. K. W.
Giimpel, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes-
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1958, Nr 3; Die Musiktraktate
Conrads v. Zabern, hrsg. v. dems., ebenda 1956, Nr 4. -
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Langer, Ein mus. Ms. d. 1 1 . Jh., KmJb XVII, 1902 ; Fr. X.
Mathias, Die Tonarien, Diss. Lpz. 1903 ; ders., Der StraB-
burger Chronist Konigshofen als Choralist, Graz 1903,
dazu separat (mit M. Vogeleis): Phototypie d. Konigsho-
fenschen Tonarius in Cod. XI E 9 d. Prager Univ.-Bibl.,
Graz 1903 ; H. Villetard, Odoranne de Sens et son oeuvre
mus., in : Congres parisien et regional de chant liturgique et
demusique d'6glise 1911, Paris 1912; J. Gmelch, Die Mg.
Eichstatts, Eichstatt 1914; U. Bomm OSB, Der Wechsel d.
Modalitatsbestimmung in d. Tradition d. MeBgesange im
IX. bis XIII. Jh., Einsiedeln 1929; P. Wagner, Ein kurzer
T., Gregorius-Blatt LIII, 1929; ders., Zur ma. Tonarten-
lehre, in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien 1930; E.
OMLiNOSB.DieSt.GallischenTonarbuchstaben, = Veroff.
d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz XVIII,
Regensburg 1934; H. Sowa, Quellen zur Transformation
d. Antiphonen. T.- u. Rhythmusstudien, Kassel 1935; H.
Sidler OMCap, Zum MeBtonale v. Montpellier, KmJb
XXXI, 1936 -XXXIII, 1938; F. Haberl, II tonario di Re-
ginone di Priim, Diss. Pontificio Istituto di Musica Sacra
Rom 1937, maschr.; Ch. Meter, The Antiphons of the
TonariumF. 3565, Diss, ebenda 1939, maschr. ; M.Huglo,
Un tonaire du Graduel de lafin du VIII e s., Rev. gregorienne
XXXI, 1952; ders., Le tonaire de St-Benigne de Dijon,
Ann. Mus. IV, 1956; ders., Les anciens tonaires lat., Diss.
Paris 1968; W. Lipphardt, Ein unbekannter karolingi-
scher T. . . ., Kgr.-Ber. Koln 1958; W. Irtenkauf, Zur
ma. Liturgie- u. Mg. Ottobeurens, in: Fs. zur 1200-Jahr-
Feier d. Abtei, hrsg. v. A. Kolb OSB u. H. Tiichle, Augs-
burg 1964. MH
Tonart (frz. ton; engl. key; ital. tono, modo). In der
griechischen Musiktheorie wird T. bestimmt 1) als Ge-
fiige von Intervallen innerhalb der Oktave (apuovta,
Tp6iro?), 2) durch Festsetzung dieses Gefiiges auf einen
bestimmten Tori (t6voc;). Zur Darstellung der T.en und
ihrer Differenzierungen dient das -> Systema teleion.
Im Mittelalter werden die 8 ->■ Kirchentone im Sinne
von T.en gleichermaBen mit tonus, modus und tropus
bezeichnet. Sie werden erklart als Oktavausschnitte aus
der diatonischen Grundskala oder als Zusammenset-
zung verschiedener Quart-- und Quintgattungen (spe-
cies diatesseron und species diapente), die sich jeweils
nach der Lage der Ganz- und Halbtone unterscheiden.
Die plagalen T.en werden aus den authentischen durch
umgekehrte Anordnung der Quart- und Quintgattun-
gen abgeleitet. Charakteristische Merkmale zur Unter-
scheidung der Gesange nach T.en sind die Art und
Weise, per quern principium, medium (Ambitus) et finis
cuiuslibet cantus ordinatur (Tinctoris, CS IV, 18a). Im
->■ Tonar wurden die gregorianischen Melodien nach
ihrer Zugehorigkeit zu den Kirchentonen gesammelt.
- Die Bezeichnung T. ist dem lateinischen "Wort modus
nachgebildet und wird seit dem 18. Jh. verwendet; seit
dem 19. Jh. bedeutet sie die Bestimmung eines -*■ Ton-
geschlechts (dur oder moll) auf einer bestimmten Trans-
positionsstufe. Die Zahl der T.en ist im gleichschwe-
bend temperierten Tonsystem auf 24 eingeschrankt.
Diese heute gebrauchlichen Transpositionen der beiden
Grundskalen (C dur und A moll) veranschaulicht fol-
gende Tabelle (->• Quintenzirkel) :
Durtonarten
Anzahl der \> Anzahl der jj
1 6 5 4 3 2 1' '12 3 4 5 6 7'
Ces Ges Des As Es B F C G D A E H Fis Cis Gis Dis Ais
,7 6 5 4 3 2 1, ,12 3 4 5 6 7,
Anzahl der \> Anzahl der jt
Molltonarten
Dabei ergeben sich analog der Akkordverwandtschaf t
innerhalb des tonalen Systems verschiedene Beziehun-
gen zwischen den einzelnen T.en. Parallele T.en sind
solche mit gleichen Vorzeichen (z. B. F dur und D moll) .
Im Musikschrifttum finden sich haufig Darstellungen
des -*■ Tonartencharakters.
Lit. : H. Riemann, Folkloristische Tonalitatsstudien I, Lpz.
1916; J. Wurschmidt, Tonleitern, T., Tonsysteme, Erlan-
gen 1932; L. Balmer, Tonsystem u. Kirchentone bei J.
Tinctoris, = Berner VerofF. zur Musikforschung II, Bern
u. Lpz. 1935; O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d.
fruhen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; ders., T. u. Stim-
mungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck
1950; ders., Key, Mode,. Species, JAMS IV, 1951; J.
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); J. Chail-
ley, L'imbroglio des modes, Paris 1960; S. Hermelink,
Dispositiones modorum, = Miinchner VerofF. zur Mg. IV,
Tutzing 1960; H. Potiron, Boece, theoricien de la mu-
sique grecque, Paris 1961; M. Vogel, Die Entstehung d.
Kirchent., Kgr.-Ber. Kassel 1962.
61 •
963
Tonartencharakter
Tonartencharakter. In der Charakteristik der Dur-
und Molltonarten durchkreuzen sich verschiedene Ge-
sichtspunkte. 1) Der T. ist von der modalen Tradition
abhangig; Matthesons Beschreibung von C dur, D
moll, E moll usw. stimmt mit Zarlinos Kennzeichnung
von C ionisch, D dorisch, E phrygisch usw. weitgehend
uberein. 2) Seit dem 16. Jh. wird die Durterz als hell
und heiter, die Mollterz als dunkel und matt empfun-
den (Zarlino). 3) Man schrieb, da der Ton fis im 17. Jh.
»f durum« (hartes f), der Ton es »e molle« (weiches e)
genannt wurde, den jt-Vorzeichen eine verhartende,
den |>- Vorzeichen eine mildernde Wirkung zu. 4) Ton-
arten mit wenigen Vorzeichen erscheinen als einfacher
und naherliegend, Tonarten mit vielen Vorzeichen als
komplizierter und entlegener. Einfachere Empfindungen
haben einfachere Tonarten; zusammengesetzte bewegen sich
lieber infremden, welche das Ohr sehener gehdrt (R. Schu-
mann). 5) Der Charakter mancher Tonarten wird mit-
bestimmt durch auBere Bedingungen wie die D dur-
Stimmung der »festlichen« oder »kriegerischen« Trom-
peten oder durch Konventionen wie die Gewohnheit
der venezianischen Opernkomponisten des 17. Jh.,
Ombra-Szenen in Es dur zu notieren. - Bei einzelnen
Komponisten laBt sich fur manche Tonarten ein be-
stimmter Charakter, also eine Affinitat zwischen Ton-
art, Tempo, Taktart, Thementypus und Affekt- oder
Ausdrucksgehalt, feststellen; Bachs H moll, Mozarts
D moll und G moll und Beethovens C moll sind aus-
gepragte Charaktere. Die Versuche aber, ein allgemein-
giiltiges System der T.e zu konstruieren, fordern zur
Skepsis heraus. Andererseits sind Einwande, die sich auf
den Wechsel der Stimmung, die Verschiebungen des
Kammertons, berufen, untriftig; der. T. ist von der
absoluten Tonhohe ahnlich unabhangig wie die »To-
nigkeit« von der »Helligkeit« (E. M. v. Hornbostel).
Lit.: J. Mattheson, Das Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713;
G. Chr. Kellner, t)ber d. Charakteristik d. Tonarten,
Mannheim 1790; D. Fr. Schubart, Asthetik d. Tonkunst,
Wien 1 806 ; R. Schumann, Charakteristik d. Tonarten, in :
Gesammelte Schriften iiber Musik u. Musiker, Lpz. 1854,
5 1914; R. Hennig, Die Charakteristik d. Tonarten, Bin
1896; R. Wustmann, Tonartensymbolik zu Bachs Zeit,
Bach-Jb. VIII, 191 1 ; H. Riemann, Ideen zu einer Lehre v.
d. Tonvorstellungen, JbP XXI, 1914 -XXII, 1915; ders.,
Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP
XXIII, 1916; H. Stephani, Der Charakter d. Tonarten,
= Deutsche Musikbiicherei XLI, Regensburg 1923; H.
Corrodi, Zur Charakteristik d. Tonart, SMZ LXV, 1925;
H. Abert, Tonart u. Thema in Bachs Instrumentalfugen,
Fs. P. Wagner, Lpz. 1926; E. M.v. Hornbostel, Tonart u.
Ethos, in : Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, Bin 1929 ; G. Anschutz,
AbriB d. Musikasthetik, Lpz. 1930; W. Luthy, Mozart u.
d. Tonartencharakteristik, = Slgmw. Abh. Ill, StraCburg
193 1 ; H. Beckh, Vom geistigen Wesen d. Tonarten, Bres-
lau 1932; ders., Die Sprache d. Tonart v. Bach bis Bruck-
ner, Stuttgart 1937; H. J. Moser, Die Tonartenverteilung
im Lohengrin, Mk XXVI, 1933/34; R. Schafke, Gesch. d.
Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934, Tutzing 21964; A.
Montani, Psicologia dei moderni modi mus., RMI XLIV,
1940; K. Schumann, Tonart u. Thema in d. Instrumental-
musik d. Wiener Klassik, Diss. Kiel 1940, maschr.; D. P.
Walker, Mus. Humanism in the 16 tb and Early 17" 1 Cent.,
MR II, 1941 -III, 1942, deutsch = Mw. Arbeiten V, Kassel
1949; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); P.
Mies, Der Charakter d. Tonarten, Koln u. Krefeld 1948;
J. Bogart, Les caracteres des differentes tonalitfc de la
musique classique, La Rev. Internationale de musique
XII, 1952; E. Bindel, Zur Sprache d. Tonarten u. Tonge-
schlechter, = Die Zahlengrundlagen d. Musik im Wandel
d. Zeiten III, Stuttgart 1953; M. Heimann, Realiteterne
bag tonearternes karakter, DMT XXVIII, 1953; H. Blu-
mer, Uber d. Tonarten-Charakter bei R. Wagner, Diss.
Miinchen 1958. CD
Tonband-* Schallaufzeichnung.
Tonbestimmung ->■ Frequenzbestimmung.
Tonbezeichnungen, Tonbuchstaben -»Buchsta-
ben-Tonschrift, -> Oktave, ->■ Tonsystem;
-> A, -> B, -> H, -> C, -> D, -> E, -> F, -» G.
Toncharakter -> Tonigkeit.
Tongeschlecht (ital. modo; frz. mode) kam im 18. Jh.
als Obersetzungswort fiir ->• Genos auf; dieser Begriff
umfafite in der griechischen Musiktheorie die ->■ Dia-
tonik, ->■ Chromatik und ->■ Enharmonik. Im System
der -»- Kirchentone galten bis ins 18. Jh. Modus maior
und minor (cantus durus und cantus mollis) als T.er
(genera), die 12 Modi hingegen (z. B. C ionisch und A
aolisch) als -> Tonarten (species). Seit dem 19. Jh. - ver-
einzelt schon seit dem 18. Jh. (vgl. J.-Ph. Rameau, Ge-
neration harmonique, Paris 1735) - betrachtet man die
Modi als Genera (den ionischen Modus als -» Dur, den
aolischen Modus als -> Moll) und die Tonarten als
Spezies (C dur und A moll als Tonarten).
Tonhaltungspedal (engl. sustaining pedal; frz. pro-
longement), an Pianofortes ein Pedalzug, mit dem die
Dampfer nur des gerade angeschlagenen Tones oder
Akkords gehoben werden, solange das Pedal niederge-
treten bleibt (Anwendung u. a. bei Orgelpunkten). Es
wird heute meist bei groBen Fliigeln als 3. -> Pedal (- 2)
zwischen den beiden iiblichen angebracht. Mehrere
Systeme des T.s wurden erfunden (u. a. von Boisselot
1844, Steinway 1874).
Tonhohe (engl. pitch) ist eine Elementarqualitat des
musikalischen Horens. Die Wahrnehmung der T. um-
faBt eine lineare und eine zyklische Seite. Die lineare
Veranderung der T. entspricht einem arithmetischen An-
steigen, dem eine geometrische Zunahme der Grund-
frequenz des auslosenden Schwingungsvorganges an-
nahernd parallel geht (Webersches bzw. Fechnersches
Gesetz). Das lineare Moment der T.n-Empfindung an-
dert sich also etwa proportional dem -> Logarithmus
der Frequenzzunahme. - Die zyklische Seite der T.
wird am sinnfalligsten durch Identitat oder zumindest
Ahnlichkeit bestimmter, im -> Tonsystem sich wieder-
holender Tonstufen. Erstmals postulierte Fr. Brentano
zwei T.n-Eigenschaf ten, indem er einer »Tonschwarz«-
»TonweiB«-Skala ein mit der Oktavidentitat zusam-
menhangendes Moment gegeniiberstellte. G.Revesz
fand heraus, daB die beiden »Komponenten« der T., die
(lineare) »H6he« (C. Stumpf und spaterE. M.v. Horn-
bostel sprechen von »Helligkeit«) und die (zyklische)
»Qualitat« (bei Hornbostel »Tonigkeit«), unabhangig
voneinander zu verandern sind. Als Mehr-Seiten-Mo-
dell wird diese psychologische Beschreibungsweise wei-
terhin von A. Wellek vertreten und ausgebaut, auch auf
Tonzwei- und Tonmehrheiten angewandt. Die »Auf-
spaltung« der T. in die beiden hervorstechenden Di-
mensionen Helligkeit bzw. (Raum-)H6he und »Tonig-
keit« erganzt sich weiter durch die schon von W. Koh-
ler an Sinustonen aufgewiesenen »Vokalitaten« und die
Masseeigenschaften (Volumen, Gewicht, Dichte). -
Die heute gebrauchlichen T.n-Bezeichnungen (»klei-
nes c«, seingestrichenes g« usw.) benennen die beiden
Hauptdimensionen der T., indem sie einmal die Ok-
tavlage (»klein«, »eingestrichen«), zum anderen die
-> Tonigkeit, auch »Chroma« genannt (»c«, »g«), an-
geben. Im allgemeinen wird in der Akustik die T. ent-
sprechend dem Postulat der klassischen Psychophysik
mit der Frequenz gleichgesetzt, doch hat diese Gleich-
setzung wenig mit dem musikalischen T.n-Begriff zu
tun. Der horbare Schall umfaBt im Normalfall den
Frequenzbereich von etwa 16 Hz bis maximal etwa
20000 Hz. Innerhalb dieser »H6rgrenzen« verdoppelt
sich die Frequenz mehr als zehnmal, was bei Zugrun-
delegung des Schwingungsverhaltnisses 2 : 1 fiir die Ok-
964
Tonhohe
tave mehr als 10 Oktaven ergibt. Tatsachlich aber ver-
mag selbst der geiibte Horer nur 7 iibereinanderliegen-
de Oktaven klar zu differenzieren. Die T.n-Wahrneh-
mung geht also der Frequenzanderung nur begrenzt
parallel. Es wurde versucht, diese Beziehungen durch
Aufstellen einer »Mel«-Kurve (nach Feldtkeller und
Zwicker) festzulegen:
liegt sie fast konstant fur 80 phon bei 1,5 Hz, fur
30 phon bei 3 Hz (Abbildung nach Feldtkeller und
Zwicker).
4000
2000
125
12
250 500Hz I
Die Brauchbarkeit solcher Versuche ist jedoch bei der
grundsatzlichen Verschiedenartigkeit zwischen akusti-
schen Grofien und Erlebnisinhalten fraglich. - Dariiber
hinaus andert sich (am starksten bei Sinusschwingun-
gen) die T. bei gleichbleibender Frequenz durch wech-
selnde Intensitat. Bei 150 Hz z. B. erscheint die T. bei
einer Intensitatssteigerung von 50 auf 80 dB um etwa
einen Halbton defer. Diese Erscheinung ist frequenz-
abhangig, sie verringert sich mit steigender Frequenz
und kehrt sich oberhalb von ca. 2000 Hz um, d. h. die
T. nimmt jetzt bei gleichbleibender Frequenz und stei-
gender Intensitat zu (Abbildung nach Stevens) :
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to 20 30 m SO CO 70
90 m> IIOdB
Eine noch eben wahrnehmbare T.n-Anderung wurde
in verschiedenen Lagen durch frequenzmodulierte
Schwingungen ermittelt. Es ergab sich, daC oberhalb
von 500 Hz eine Frequenzabweichung von Af/f= 3°/oo
eben bemerkt wird ; fur 1 000 Hz entsprache das einer
Frequenzanderung von 3 Hz. Dieser Wert von 3°/oo
gilt fur eine Intensitat von 80 phon. Bei 30 phon be-
tragt zJ_/7/etwa 6°/oo» ist also doppelt so groB. Auch die
Wahrnehmungsschwelle fur T.n-Anderungen ist in-
tensitatsabhangig. Fur Schwingungen unter 500 Hz
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At
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//,
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10
5
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s
A
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SOphoo
25
. 'V
-t
12
120 2S0 500Hz I
Diese Werte gelten indessen nur fiir Sinusschwingun-
gen; die Unterscheidungsfahigkeit des Gehors fiir die
von Musikinstrumenten erzeugten Schwingungen ist
in alien Frequenzbereichen nahezu gleich. - Die T.
wird durch das Gehor nach erstaunlich kurzer Zeit er-
kannt. Bei 100 Hz wurde eine »Tonkennzeit« von etwa
25 msec festgestellt. In diesem Fall waren nur 2 J /2 Pe-
rioden notwendig, um die T. zu erfassen. Bei 1000 Hz
betragt die Tonkennzeit etwa 5 msec (5 Perioden). Bis-
her wurde angenommen, daB bei komplexen Klangen
eine T.n-Empfindung ausschlieBlich durch die jewei-
lige (Grund-)Schwingung zustande komme (»Grund-
tonhohe«) ; es wirken daneben jedoch noch zwei wei-
tere auslosende Momente: Ein komplexer periodischer
Schallvorgang, dem die Grundschwingung objektiv,
also auch als im Ohr gebildete Differenzfrequenz fehlt,
wird trotzdem in seiner T. erkannt. Selbst wenn die
unteren Harmonischen in groBerer Anzahl ausgeschal-
tet werden, bleibt die urspriingliche T. erhalten ; es an-
dert sich lediglich der Eindruck der -> Klangf arbe (- 2) .
J.F. Schouten bezeichnet diese von ihm entdeckte und
schonHornbostel bekannte Erscheinung als »Residuum«.
- Wenig geklart ist noch das Zustandekommen der so-
genannten »Formant-T. «. Wird ein Schallvorgang
durch einen BandpaB mit dem DurchlaBbereich eines
bestimmten Intervalls (z. B. Terzsieb) geschickt, so ent-
steht bei Veranderung der Frequenzlage des DurchlaB-
bereichs ein wechselnder T.n-Eindruck, der sich deut-
lich von dem des ebenfalls horbaren Residualtons ab-
hebt. Fiir das musikalische Horen war bisher neben der
Grund-T. nur die -> Residual-T. von Bedeutung, de-
ren Existenz zwar schon eine Weile bekannt war (etwa
als Schlagton von Glocken wie auch bei Lautsprechern
mit mangelhafter Wiedergabe tiefer Frequenzen), die
aber nicht oder nur falsch gedeutet wurde, wahrend
die Formant-T. erst durch die elektronische Klang-
erzeugung dargestellt werden kpnnte.
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen
..., Braunschweig 1863, «1913, Nachdruck Hildesheim
1967; C. Stumpf, Tonpsychologie, 2 Bde, Lpz. 1883-90,
Nachdruck Hilversum u. Amsterdam 1965; ders., Die
Sprachlaute, Bin 1926; Fr. Brent ano, Untersuchungen
zur Sinnespsychologie, Lpz. 1907 ; W. Kohler, Akustische
Untersuchungen, Zs. f. Psychologie LIV, 1909, LVIII,
1910 u. LXIV, 1913; ders., Tonpsychologie, in: Hdb. d.
Neurologie d. Ohres, Wien 1923 ; G. Revesz, Zur Grund-
legung d. Tonpsychologie, Lpz. 1913; ders., Inleiding tot
de Muziekpsychologie, Amsterdam 1944, 2 1946, deutsch
als: Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern 1946, engl.
London u. NY 1953, ital. Florenz 1954; E. M. v. Horn-
bostel, Psychologie d. Gehorserscheinungen, in : Hdb. d.
normalen u. pathologischen Physiologie XI, Bin 1926; H.
965
Tonhohenschreiber
Schole, Tonpsychologie u. Musikasthetik, Gottingen
1930; A. Wellek, Die Aufspaltung d. »T.« . . ., ZfMw
XVI, 1934; ders., Musikpsychologie u. Musikasthetik,
Ffm. 1963; St. Sm. Stevens, J. Volkmann u. E. B. New-
man, A Scale for the Measurement of the Psychological
Magnitude Pitch, JASA VIII, 1936/37; G. Albersheim,
Zur Psychologie d. Ton- u. Klangeigenschaften, = Slg
mw. Abh. XXVI, Lpz., StraBburg u. Zurich 1939; J. F.
Schouten, Die Tonhohenempfindungen, Philips Techni-
sche Rundschau V, 1940; A. Bachem, Chroma Fixation at
the Ends of the Mus. Frequency Scale, JASA XX, 1948;
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Pitch Qualities, Acta psychologica VII, 1950; J. Handschin,
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Zwicker, Das Ohr als Nachrichtenempfanger, = Mono-
graphiend. elektrischenNachrichtentechnik XIX, Stuttgart
1956; W. Meyer-Eppler, Die dreifache Tonhohenquali-
tat, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957; ders. (mit H. Send-
hoff u. R. Rupprath), Residualton u. Formantton, Grave-
saner Blatter IV, 1959, H. 14; A. Liebe, T. u. Tonhelligkeit
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perimentelle Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens,
= Schriftenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964.
Tonhohenschreiber, auch Melodieschreiber. Ton-
hohenverlaufe, besonders von Sprache und Gesang,
konnten f riiher nur anhand von Oszillogrammen durch
miihsames Ausmessen der Perioden der Grundschwin-
gung gewonnen werden. Inzwischen wurden Appara-
turen entwickelt, um sie wahrend des Sprechens oder
Singens direkt sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck
werden die vom Mikrophon (Tonband u. a.) abgege-
benen Wechselspannungen verstarkt und so gefiltert,
daB im wesentlichen Sinusspannungen der jeweiligen
Grundfrequenz entstehen. Dies wird durch ein nicht-
linear arbeitendes Schaltglied (-»■ Verzerrung) erleich-
tert, das durch Differenzfrequenzbildung (-> Kombi-
nationstone) die oft nicht sehr starke Grundschwingung
hervorhebt. Durch weitere Umwandlung wird aus die-
sen Schwingungen eine Folge synchroner Impulse ge-
wonnen, die ihrerseits zur Synchronisierung einer Kipp-
schwingung dienen. Die Frequenz der Kippschwin-
gung muB dabei unterhalb der voraussichtlich zu regi-
strierenden Grundfrequenz liegen.
UMUiLLUJi.
Die Periode, d. h. der Abstand der einzelnen Impulse,
ist umgekehrt proportional der Frequenz. Daher wird
die Kippschwingung mit zunehmender Grundfrequenz
immer haufiger unterbrochen, so daB die Differenz
zwischen der von jeder Kippschwingung maximal er-
rcichbaren und der tatsachlich erreichten Spannung ein
Hz
250
200
KO
HO
120
r o m a n I i f a m u z h k
Tonhohenverlauf der gcsprochcncn Wortc
»Romahtische Musik«.
direktes MaB fiir die momentane Grundfrequenz er-
gibt. Im Oszillogramm der synchronisierten Kipp-
schwingung entspricht die untere Kontur der gesuch-
ten Melodiekurve.
Lit. : M. Grutzmacher u. W. Lottermoser , Uber ein Ver-
f ahren zur trSgheitsfreien Aufzeichnung v . Melodiekurven,
Akustische Zs. II, 1937; dies., Die Verwendung d. T
ebenda III, 1938 ; W. Meyer-Eppler, T., Zs. f . Phonetik II,
1948 ; W. Kallenbach, Eine Weiterentwicklung d. T
Acustical, 1951.
Toni communes (lat.), die den Choralausgaben bei-
gegebenen Melodieformeln fiir Messe und Offizium
nebst Bestimmungen uber Ausf iihrung und liturgische
Verwendung. Sie erschienen 1911 (21912) auch in einer
eigenen Ausgabe unter dem Titel Cantorinus Romanus
seu T. c. officii et tnissae. Als maBgeblicher Vorlaufer die-
ser im Dienst einer einheidichen Gesangspraxis ste-
henden Sammlung gilt das 1582 publizierte Directorium
chori von Guidetti. Die T. c. missae des Graduale Ro-
manum umfassen in 9 (11) Einzelrubriken Melodiefor-
meln fiir Orationen, Prophetie, Epistel undEvangelium,
auch den Einleitungsdialog der Prafationen, den Eroff-
nungsteil des Pater noster u. a. Jiingste Erganzungen im
AnschluB an die Reform der MeBfeier {-*■ Vatikani-
sches Konzil) bietet der Faszikel Cantus qui in Missali
Romano desiderantur iuxta Instructionem ad exsecutionem
Constitutions de sacra Liturgia recte ordinandam . . . (Vati-
kanische Ausgabe 1965). Hiervon unterschieden enthal-
ten die T. c. officii nach dem Antiphonale Romanum
insgesamt 12 Rubriken, in denen auBer denEinleitungs-
und SchluBstucken der Horen die Psalmen- und Can-
ticamodelle sowie alle notwendigen Melodieformeln
fiir Versikel, Absolutionen und Benediktionen, Lektio-
nen, Capitulum, Orationen und Benedicamus Domino
vorgestellt werden, ferner Melodieversionen zum Glo-
ria patri der Responsoria brevia und die zur osterlichen
Zeit gesungenen Alleluiaanhange der Antiphonen. Hin-
zu gehort auch ein Abschnitt De cantu hymnorum. Aus
den T. c. des Antiphonale Monasticum ist besonders die
Rubrik De cantu psalmorum zu erwahnen, deren 1 . Teil
(De partibus psalmodiae) detaillierte Erla'uterungen uber
Struktur und Vortrag der Psalmen aufweist.
Tonic-Solfa, zu Beginn des 19. Jh. in England ent-
wickelte Unterrichtsmethode zur Ausbildung einer
umfassenden tonalen Vorstellung mit Hilfe von Hand-
zeichen und gesungenen Intervalliibungen. Ihre Urhe-
ber, S. A. Glover und J. Curwen, bedienten sich einer auf
wechselnden Grundton (Tonic) beziehbaren Durskala
aus den leicht abgewandelten Silben des guidonischen
Hexachords: do re mi fa so la ti (engl. : doh ray me fah
soh lah te) und einer daraus abgeleiteten Buchstaben-
notation : d r m f s 1 1 (hohere Oktave : d 1 r 1 m 1 . . . , tie-
fere Oktave dj ri mi ...). Akzidentielle Erhohung
wird durch Umwandlung der Vokale nach i (engl.
z. B. de, fe . . . , Ausnahme my, ty),Erniedrigung durch
Umwandlung nach o (engl. z. B. ra, ma . . . , Ausnah-
me du, fu) angezeigt. Durch Umdeutung der Silben
kann auch in andere Tonarten moduliert werden (Mo-
dulation C-G: c e fis g = doh ™^ te doh). Die reine
Mollskala beginnt auf lah (ltdrmfs). Im melodischen
Moll wird fiir die erhohte 6. Stufe die Silbe ba zur Un-
terscheidung von dem leittonigen fe neu eingefuhrt.
Die im T.-S. urspriinglich vorgesehenen Silben zur
Bezeichnung der physikalisch reinen Tonverhaltnisse
linden, im Gegensatz zu dem komplizierten Zeichen-
system fiir Rhythmus und Metrum, das die Buchsta-
bennotation erganzt, in der heutigen Unterrichtspraxis
keine Verwendung mehr. Die in Deutschland von A.
Hundoegger verbreitete -> Tonika-Do-Methode ist
eine Weiterentwicklung von T.-S.
966
Tonika
Lit.: J. Cur wen, Memorials, London 1882; J. Taylor,
The Evolution of the Movable Doh, Proc. Mus. Ass.
XXIII, 1896/97; WolfN II, S. 380f.; W. G. Whittaker,
The Claims of T. S., ML V, 1924, auch in: Collected Es-
says, Oxford 1940; K. Mollowitz, tjber d. Musikerzie-
hung bei A. Glover u. J. Curwen, Diss. Konigsberg 1934;
R. Nettel, Music in the Five Towns, London 1944; H.
W. Shaw, The Teaching of J. Curwen, Proc. R. Mus.
Ass. LXXVII, 1950/51; ders., Artikel Tonic Sol-Fa, in:
Grove.
Tonigkeit, auch Tonqualitat oder Toneigenf arbe (engl.
chroma), heiBtjeneEigenschaft am Ton, die das Okta-
venphanomen begriindet. Wenn man die chromatische
Tonfolge in der Klaviatur vergleichend abwandelt,
laBt sich bei der 13., 25., 37. (usw.) Taste die Wieder-
kehr eines qualitativen (farbenartigen) Moments beob-
achten, unabhangig davon, daB andererseits der An-
oder Abstieg bzw. die Zu- oder Abnahme an Hellig-
keit weitergeht. Mit zu- und abnehmender Frequenz
variieren demnach mindestens zwei voneinander ab-
weichende Qualitatenreihen oder »Dimensionen« am
Ton: eine einigermaBen linear, stetig verlaufende, d. h.
die Helligkeit und die -+ Tonhohe im Wortsinne (raum-
lich vorgestellt) auf der einen Seite, und eine wieder-
kehfende, in sich riicklaufige, zyklische auf der anderen
Seite. Letztere wurde von Revesz als Tonqualitat oder
musikalische Qualitat (was jedoch vieldeutig ist), spa-
ter von E. M. v. Hornbostel mit dem Terminus T. be-
zeichnet im Sinne der »c-igkeit«, »cis-igkeit«usw., d. h.
der Eigenqualitat des Tones als Ton, unabhangig von
der Oktavlage. DaB gerade diese Eigenschaft musika-
lisch entscheidend wichtig ist, geht schon daraus hervor,
daB seit der Fixierung der Solmisation den Einzeltonen
tibereinstimmende Namen ohne Rucksicht auf die je-
weilige Oktavlage gegeben werden. Im Hinblick darauf
formulierte schon J.-Ph.Rameau die »Identitit der Ok-
tavtone«. W.Opelt (1834) und M.W.Drobisch (1846)
und nach ihnen Revesz stellen hiernach das erlebte Ton-
hohenkontinuum graphisch als Spirale oder Schrauben-
linie dar, deren in Stockwerken iibereinanderliegende
Punkte im kreisformigen GrundriB zusammenfallen
und dort den Kreis der T.en abbilden, wahrend der bei
Aufrollung der Spirale als schiefe Ebene erscheinende
stetige Anstieg das Fortschreiten der Tonhohe im Raum-
sinne (samt der Helligkeit) symbolisiert. Der T.en-
Kreis ist dem optischen Farbenkreis (den Spektral- und
Purpurfarben) zu vergleichen. Neuerdings haben die
gehor- und musikpsychologischen Untersuchungen
von Wellek ergeben, daB in der chromatischen Tonfol-
ge nicht (wie im Farbenkreis) mit zu- und abnehmen-
der Frequenz der Reize nachstahnliche Qualitaten auf-
einander folgen, sondern der Quinten- oder Quarten-
zirkel die Ahnlichkeitsfolge der T.en darstellt (c Shnelt
am meisten g und f, nur sehr entfernt cis oder des, usw.).
Der Quinten- oder Quartenkreis stellt demnach eine
psychologische Realitat, kein bloB theoretisches Ver-
wandtschaftssystem der Tonarten dar. Seine qualitative
Auspragung hangt gleichwohl mit den modulatori-
schen Verhaltnissen und den dadurch eingepragten
vielfaltigen Erfahrungen im abendlandischen diato-
nisch-chromatischen System zusammen. Immerhin
wird die Oktavenahnlichkeit, in zweiter Linie auch die
Quint- oder Quartahnlichkeit schon von Guido von
Arezzo theoretisch erwiesen, groBenteils von Natur-
volkern, von auBereuropaischen Hochkulturvolkern,
vielfach auch von kleinen Kindern beobachtet bzw. er-
lebt. Die Amerikaner Blackwell und Schlosberg haben
1943 in Dressurversuchen mit Ratten gezeigt, daB auch
diese auf die Ahnlichkeit von Oktavtonen reagieren.
Wahrend die Oktaven- und auch die Quint-Quart-
Ahnlichkeit von jedem Musikalischen erlebt wird, ver-
mittelt nur das -> Absolute Gehor die Fahigkeit der
Wiedererkennung bzw. des Dauergedachtnisses fiir die
Eigenfarben der einzelnen T.en je fiir sich, und wieder-
um gibt es sowohl unter Absoluthorern als auch beim
gewohnlichen -»■ Relativen Gehor einen Typ, der be-
vorzugt an der qualitativen Wirkung der T.en orien-
tiert ist. Hier verhalt sich der Gehorsinn anders als der
Gesichtssinn, fiir den Farbenschwache oder gar Farben-
blindheit relativ selten sind. Wie fiir das Auge die Spek-
tralfarben, aber in noch weit hoherem Grade, sind fiir
das Ohr die Toneigenfarben (Chromata) eine entwick-
lungsgeschichtlich, zum Teil auch musikgeschichtlich
spate Differenzierung der Empfindung und dement-
sprechend qualitativ wenig stabil. So verblassen die
Toneigenfarben in den Randgebieten des musikalischen
Tonbereichs und unter »aktualgenetischen« Bedingun-
gen, z. B. bei extrem kurzer Tondarbietung; sie fallen
bei zentralen Horstorungen (-> Amusie, ->■ Parakusis)
am ehesten aus. Soweit es moglich ist, die Unterschieds-
empfindlichkeit fiir T.en von der fiir Helligkeiten und
Hohen zu trennen, zeigt es sich, daB die erstere in der
Regel die grobere ist. Doch konnte Wellek bei dem
von ihm beschriebenen, auf T.en ausgerichteten zykli-
schen oder polaren Gehortyp »inverse Schwellenlage«,
d. h. eine feinere Unterschiedsempfindlichkeit fiir T.en
gegeniiber der fiir Helligkeiten, nachweisen. Von der
Informationstheorie aus hat Meyer-Eppler (1959) auf
Grund der Wellekschen Untersuchungen die T. als ein
Inf ormationselement unter anderen am Ton definiert.
Wiewohl J.Handschin zu den Leugnern der T. gehort,
definiert er seinen »Toncharakter« genau entsprechend,
laBt also einen anderen Terminus fiir die gleiche Sache
eintreten. Da der T. im physikalischen Reizkontinuum
nichts entspricht, werden physiologische Korrelate
beim Rezeptionsvorgang in der Schnecke oder im Rin-
denfeld vermutet (-> Hortheorie). Die Bedeutung der
Mehrseitigkeit oder Mehr-(Zwei-)Dimensionalitat der
bis dahin so genannten Tonhohe fiir die Gehor- und
Musikpsychologie ergibt sich daraus, daB auch an Ton-
zwei- und Tonmehrheiten, simultanen wie sukzessiven,
jeweils eine qualitative Seite, die von den T.en getragen
ist, von einer anderen unterschieden werden kann, die
auf die »linearen« Toneigenschaften zuriickgeht.
Lit. : G. Revesz, Nachweis, daB in d. sog. Tonhohe zwei
von einander unabhangige Eigenschaften zu unterscheiden
sind, Nachrichten d. Koniglichen Ges. d. Wiss. zu Got-
tingen, Mathematisch-physikalische Klasse, 1912; ders.,
Zur Grundlegung d. Tonpsychologie, Lpz. 1913; C.
Stumpf, tiber neuere Untersuchungen zur Tonlehre, 6.
KongreB f . experimented Psychologie Lpz. 1914, auch in:
Beitr. zur Akustik u. Mw. VIII, 1915; E. M. v. Hornbo-
stel, Psychologie d. Gehorserscheinungen, in: Hdb. d. nor-
malen u. pathologischen Physiologie XI, hrsg. v. A. Bethe
u. a., Bin 1926; A. Wellek, Die Aufspaltung d. »Tonho-
he« in d. Hornbostelschen Gehorpsychologie . . ., ZfMw
XVI, 1934; ders., Die Mehrseitigkeit d. »Tonhohe« als
Schlussel zur Systematik d. mus. Erscheinungen, Zs. f.
Psychologie CXXXIV, 1935; ders., Das Absolute Gehor
u. seine Typen, = Zs. f. angewandte Psychologie u. Cha-
rakterkunde, Beih. LXXXIII, Lpz. 1938, Ffm. 21967;
ders. u. a., Diskussion zum Sammelreferat: The Present
State of Music Psychology and Its Significance for Hist.
Musicology, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd II; ders., Musikpsy-
chologie u. Musikasthetik, Ffm. 1963 ; J. Handschin, Der
Toncharakter, Zurich (1948); A. Bachem, Tone Height and
Tone Chroma as Two Different Pitch Qualities, Acta psy-
chologica VII, 1950; W. Meyer-Eppler, Grundlagen u.
Anwendungen d. Informationstheorie, Bin u. Heidelberg
1959. AW
Tonika (frz. tonique) heifit in der dur-moll-tonalen
Musik der Grundton der Tonart, die nach ihm benannt
wird, z. B. : C dur nach c, A moll nach a. Die funktio-
nale Harmonielehre versteht unter T.den darauf er-
richteten Dreiklang, den Hauptklang der Tonart (in
967
Tonika-Do
C dur c-e-g, in A moll a-c-e). Der Terminus geht auf
J.-Ph.Rameau zuriick, der die Akkorde der T., Dofni-
nante und Subdominante als die drei Grundpfeiler to-
naler Harmonik erkannt hat (-»- Harmonielehre). Die
Funktionsbezeichnung T fiir T. stammt von H. Rie-
mann. Sie meint stets den Dreiklang der T.
Tonika-Do, in der deutschen Musikpadagogik ver-
breitete Abwandlung des englischen ->- Tonic-Solfa-
Systems. Die von A.Hundoegger um 1900 eingefiihrte
Methode erlangte groBe Beliebtheit infolge der syste-
matischen Verwendung von Handzeichen zur Ver-
deutlichung der verschiedenen Tonstufen. Sie bilden
auch nach der Umgestaltung durch J. Wenz noch die
Grundlage des T.-Do-Systems, das heute besonders im
Musikunterricht der deutschen Volksschule einen fe-
sten Platz einnimmt.
Lit.: A. Hundoegger, Lehrweise nach Tonika Do, Bin
(H943), neu bearb. v. E. Noack, Kiel u. Lippstadt (91951) ;
J. Wenz, Musikerziehung durch Handzeichen, Wolfen-
biittel (1950).
Tonleiter (frz. gamme; engl. scale; ital. scala), Folge
von Tonschritten, die der Tonhohe nach geordnet sind
und durch Rahmentone begrenzt werden, jenseits derer
die Tonfolge in der Regel wiederholbar ist. Wahrend.
in der Material-T. (im Sinne des -> Tonsystems) die
Summe des in einem Kulturkreis verwendeten Ton-
materials zusammengefaBt ist, heiBt Gebrauchs-T. die
einem Musikstiick zugrunde liegende Auswahl aus der
Material-T. , wobei nicht in alien Tonsy stemen die Ton-
hohen aller Stufen genau festliegen, z. B. nicht im ja-
vanischen -*■ Slendro. Eine Material-T. kann heute un-
ter 3fachem Aspekt gesehen werden: 1) als skalenma-
Bige Folge von Tonen (T.), 2) als abstrakte Tonreihe
mit charakteristischer Intervallfolge, besonderem Be-
deutungsgewicht einzelner Tone und daraus resultie-
render Beziehung der Tone zueinander (-> Tonge-
schlecht), 3) als Fixierung eines Tongeschlechts auf ei-
ner bestimmten Tonhohe (-» Tonart). - Die griechische
Musiktheorie konstruierte T.n durch Ausfullen der
Symphoniai und bezeichnete sie als Systemata (-»- Sy-
stema teleion). Dabei besteht die Oktave aus 2 Tetra-
chorden und einem Ganzton (Diazeuxis). Je nach der
Unterteilung des Tetrachords gehort die Leiter rum
-v Genos der Diatonik, Chromatik oder Enharmonik.
Uber die Zugehorigkeit zu den Harmoniai (dorisch,
phrygisch, lydisch usw.) entscheidet die Anordnung
der Intervalle im Quartrahmen. - Die mittelalterlichen
T.n sind die rein diatonischen Skalen der -> Kirchen-
tone. Sie werden gewonnen durch verschiedene An-
ordnung der Quart- und Quintspezies oder durch Fest-
legung der Finalis innerhalb einer diatonischen Grund-
skala von (T)A bis a 1 . Diese Material-T. ist bereits bei
Guido auf 7 Hexachorde (r)A-e 2 erweitert und wird
in der Folgezeit nach oben und unten ausgedehnt.
Durch Transposition der einzelnen Kirchentone wer-
den chromatische Nebenstufen gewonnen, so daB seit
dem 15. Jh. ein Tonsystem von 12 ungleichen chroma-
tischen Halbtonen zur Verfiigung steht. - Die beiden
diatonischen T.n, die den heutigen Tonarten zugrunde
liegen, sind aus den Skalen der mittelalterlichen Kir-
chentone herausgewachsen als Ergebnis einer Entwick-
lung des harmonischen Denkens, besonders seit J.-Ph.
Rameau. Die einzelnen Tone erhielten immer mehr
harmonisches Gewicht, so daB die T. von H. Riemann
unter rein harmonischen Ge- .
unter rein harmonischen Ge- Q | . , i i
sichtspunkten definiert wer-^ pj I J J J J » ^
den konnte als naturlichste tJ' -5 J * " " I '
Form der Skalenbewegung durch den Akkord der Tonika.
Die T. kann auch erklart werden als horizontale Ent-
faltung der in den 3 Hauptfunktionen Tonika, Sub-
dominante und Dominante enthaltenen Tone. Die
Summe der durch alle moglichen T.-Transpositionen
sich ergebenden Tone ist im gleichschwebend tempe-
rierten Tonsystem in der aus 12 Halbtonen bestehenden
Chromatischen Skala enthalten. Die -> Ganztonleiter,
die -> Zigeunertonleiter, die Skalen der -> Pentatomk
und andere, nicht zum Dur-Moll-System gehorende
T.n werden in der heutigen Praxis ebenfalls als Aus-
schnitte aus der Chromatischen Skala ausgefiihrt. Auch
der Zwolftontechnik liegt die Chromatische Skala zu-
grunde, ihre -4- Reihe ist jedoch keine T. Der Erweite-
rung des Tonsystems und den sich daraus ergebenden
neuen Moglichkeiten der T.-Bildung gelten die Ver-
suche der Aufspaltung des chromatischen Materials
z. B. in der -> Vierteltonmusik. Innerhalb der auBereu-
ropaischen Tonsysteme (so in der -» Arabisch-islami-
schen Musik, in -> Slendro und -> Pelog) gibt es eine
Vielfalt von T.n, die sich durch verschiedene Arten der
Tonbestimmung unterscheiden (-* Maqam, -v Patet,
-> Riga).
Lit.: H. Riemann, Neue Schule d. Melodik, Hbg 1883;
A. J. Ellis, On the Mus. Scales of Various Nations, Journal
of theSoc. of Arts XXXIII, 1885 (dazu C. Stumpf in : Vf Mw
II, 1886), deutsch v. E. M. v. Hornbostel in: Sammelbde
f. vergleichende Mw. 1, 1922; E, M. v. Hornbostel, Melo-
die u. Skala, JbP XIX, 1 9 1 2 ; C. S achs, Vergleichende M w. ,
= Musikpadagogische Bibl. II, Lpz. 1930, neu bearb. Hei-
delberg (1959); J. Wurschmidt, T., Tonarten, Tonsyste-
me, Erlangen 1932; J. Handschin, Der Toncharakter, Zu-
rich (1948); W. Wiora, Alter als d. Pentatonik, in: Studia
Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956; H. Husmann,
Grundlagen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin
1961.
Tonmalerei (frz. musique descriptive) ist die auf dem
Kunstprinzip der Nachahmung und dem psychologi-
schen Phanomen der Synasthesie beruhende vokal- und
instrumentalmusikalische Abschilderung optischer und
akustischer Erscheinungen und Vorgange, wie Gewit-
ter (Sturm, Blitz, Donner), Landschaftsidylle (Waldes-
rauschen, Bach, Jagdhorner, -> Echo), Tierstimmen
(-> Vogelgesang - 2), Schlacht und Jagd (Pferdege-
trappel, Schiisse, Signale), Tages- und Jahreszeiten,
Schlittenfahrt, Dampfmaschine, Flugzeug usw. Die
»objektive« (auf den Gegenstand gerichtete) T. ist fast
immer und in der Neuzeit in zunehmendem MaBe ver-
bunden mit »subjektiver« T., die zugleich die durch den
Gegenstand verursachten Affekte bzw. Gefiihle und
Stimmungen ausdruckt. Die T. erfaBt die komplexen
Erscheinungen und Vorgange selektiv, vor allem sei-
tens der sie charakterisierenden Lautlichkeit und (oder)
Bewegungsart, auch assoziativ (z. B. Homklang/Wald)
bzw. synasthetisch (indem z. B. ein Schallreiz zugleich
mit einem oder allenfalls auch mehr als einem Erlebnis aus
einem anderen Sinnesbezirk, z. B. mit einer Farbe, beant-
wortet wird, Wellek, S. 103 ; H. Riemann sprach bei die-
sen Erscheinungen vom Vikariieren des einen Sinnesfiir
den andern, 1895, S. 62). Stets hat die T. die Forderung
zu erfiillen, daB die Nachahmung verstanden wird und
daB der Musik doch auch an sich Logik und Schonheit
innewohnen. Einerseits droht der T. in ihrer simitati-
ven«, »illustrierenden«, »deskriptiven« Absicht die Ge-
fahr, die Grenzen der Musik zu iiberschreiten (Wozu
die Arbeit, wenn man es in Worten sagen kann?, A.We-
bern, Wege . . . , ed. W.Reich, S. 17), andererseits miin-
det sie »darstellend«, »ausdriickend« ins weite Feld der
schwer kontrollierbaren Schaffensvorgange, Assozia-
tionen und Symbolismen, die auch in der »reinen« Mu-
sik eine Rolle spielen (Wissen Sie vielleicht, was absolute
Musik ist? Ich nicht!, R.Strauss an O.Bie, vgl. Thema-
tisches Verzeichnis I, 1959, S. 338). Problematisch ist im
Hinblick auf T. der Begriff des »AuBermusikalischen«,
da die Musik im Lauf e ihrer Geschichte ein Inhaltliches
968
Tonmeister
in vielen Spielarten in ihre Wesensbestimmung mit-
einbezogen hat; und im Zusammenhang mit den »Ur-
synasthesien« (Ur-Entsprechungen zwischen Qualitaten
verschiedener Sinnesbereiche, Wellek, S. 107) gibt es un-
ter Komponisten und Horern den »Synasthetiker-Typ«,
dem Sinnesverbindungen sich aufdrangen (-»• Farben-
horen). In ihrem Verfahren unterscheidet sich die T.
von der -> Augenmusik; im Gebiet der Sprache ist ihr
die Onomatopoie vergleichbar, d. h. die Bildung und
Verwendung schallnachahmender Worter (z. B. als
Nachahmung des Quakens der Frosche schon in der
altattischen Komodie und bei Ovid) ; zur Programm-
musik im Sinne der instrumentalen Programmkompo-
sition, die sich der T. bevorzugt bedient, verhalt sie sich
wie eine Technik zu Gattungen.
Ob schon beim antiken Pythischen ->■ Nomos des Au-
leten Sakadas von T. gesprochen werden kann, ist un-
gewiB.Elemente derT. zeigen die ->■ Caccia, die -> Bat-
taglia, die deskriptiven Chansons von ->- Janequin (Le
chant des oiseaux, La chasse u. a.) und andere Vorlaufer
der ->• Programmusik des 19. jh. Die »Madrigalismen«
und -» Figuren des 16.-18. Jh. werden oft deskriptiv
angewandt, unterscheiden sich jedoch gegeniiber der
spateren T. durch ihre Formelhaftigkeit und durch die
rationale Durchschaubarkeit (Einschichtigkeit) ihrer
auf Abweichung von satztechnischen Normen und auf
partieller Ubereinstimmung beruhenden Bildlichkeit.
Erklarende Worter sind nach Kuhnau (Vorrede zu den
Biblischen Historien, 1700) in der Instrumentalmusik
notwendig, wenn der Komponist auf eine Analogiam
zielet und die Musicalischen Satze also einrichtet, daft sie in
aliquo tertio mit der vorgestellten Sache sich vergleichen las-
sen. - Der Begriff der »musikalischen Malerei« wurde
im 18. Jh. gepragt, seitdem bestandig diskutiert und als
objektive T. meist abgelehnt; denn nicht-Begriffe von
leblosen Dingen, sondern Empfmdungen . . . darzustellen,
sei der Musik einziger und letzter Zweck (KochL, Artikel
Malerey). Doch das durch Rousseau inaugurierte Er-
leben der Natur als Widerhall, den der Mensch wunscht
(Beethoven an Th.Malfatti, 1807; hierzu Sandberger,
S. 197fL), gab der T. neue Impulse als Schilderung des
Seelenzustandes (KochL, ebenda), den ein auBeres Ge-
schehen auslost. Dementsprechend unterscheidet En-
gel (1780) 3 Arten von T. : 1) die Nachahmung von zu-
gleich Horbarem und Sichtbarem; 2) die auf transzen-
denteller Ahnlichkeit (z. B. schnell, langsam; hoch, tief)
beruhende T., die auch das nur Sichtbare nachzuahmen
vermag; 3) die Malerei der Empfindungen, die den Ein-
druck nachahmt, den ein Gegenstand auf die Seele zu
machen pflegt; dabei handle es sich jedoch weniger um
Malerei als um ein Ausdriicken von Empfindungen., In
diesem Sinne kennzeichnete Beethoven seine Pastoral-
syrhphonie mit den Worten Mehr Ausdruck der Emp-
findung als Malerey (. . . mehr Empfindung als Tongemal-
de). Damit war das Stichwort gegeben fur die T. des 19.
Jh. ; sie soil und will auch als Nachahmung der Wirk-
lichkeit zu poetischer Nachahmung gelangen, bei der eine
doppelte Natur zugleich nachgeahmt wird, die innere und
aufiere, beide ihre Wechselspiegel (Jean Paul; hierzu Dahl-
haus, S. 123). Komposition wurde Tondichtung im
Sinne der genuin musikalischen Schopfung, die als Re-
flex erlebten Lebens Abbildliches, Sinnbildliches und
Namenloses in verschiedenen Graden ineinander iiber-
gehen laBt, sei es in der Art des ->- Charakterstiicks,
der musique pittoresque {musique imitative) Berlioz', der
-*■ Symphonischen Dichtung oder des Musikdramas,
bei dem die Ausdrucksmomente des Orchesters nur aus
der Absicht des Dichters zu bestimmen sind (R.Wagner,
Oper und Drama IV, S. 199f. ; ->■ Leitmotiv). Der 3. Teil
von R.Strauss' Symphonischer Fantasie Aus Italien
(1886) versucht nach Angabe des Komponisten, die
zarte Musik der Natur . . . tonmalerisch darzustellen und in
Gegensatz zu bringen zu der sie aufnehmenden menschlichen
Empfindung, wie sie sich in den melodischen Momenten des
Satzes aujiert. Gegeniiber der weitgehend objektiv-de-
skriptiven T. im Werk Strauss' ist das malerische Mo-
ment etwa bei Debussy und Ravel als Klang- und Far-
benmagie ganz ins subjektiv Assoziative zuriickgezo-
gen (-> Impressionismus). In atonalen Kompositionen
der Wiener Schule ist die T. in volliger Identitat von
Nachahmung und seelischem Reflex oft zu aphoristi-
scher Pragnanz verdichtet (z. B. das »Gewitter« in
Schonbergsop.l5Nrl4undinA. Webernsop. 14Nr2).
Lit.: J. J. Engel, Uber d. mus. Malerey, Bin 1780; J. G.
Sulzer, AUgemeine Theorie d. Schonen Kunste, II Ffm. u.
Lpz. 3 1798, Nachdruck Hildesheim 1966, Artikel Gemahl-
de, III Karlsruhe 31797, Artikel Mahlerei; G. Weber, Uber
T., Caecilia III, (Mainz) 1825; A. B. Marx, tjber Malerei
in d. Tonkunst, Bin 1828 ; H. Berlioz, De l'imitation mus.,
Rev. et Gazette mus. de Paris IV, 1837, deutsch als : T., Mk
XII, 1912/13; W. Wolf, Gesammelte musik-asthetische
Auf satze, Stuttgart 1 894, Nr 1 : tlber T. ; H. Riemann, Pro-
grammusik, T. u. mus. Kolorismus, in : Praludien u. Stu-
dien I, Ffm. 1895; E. v. Wolfflin, Zur Gesch. d. T., Sb.
d. bayerischen Akad. d. Wiss., Jg. 1897, Nr 2, S. 227;
R. Wagner, Oper u. Drama, in: Samtliche Schriften u.
Dichtungen III u. IV, Lpz. (191 1) ; P. Mies, tJber T., Zs. f.
Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. VII, 1912; F. Schwabe,
tlber T. in Schuberts Winterreise, Zurich 1920; A. Sand-
berger, Zu d. geschichtlichen Voraussetzungen d. Pasto-
ralsinfonie, in: Ausgew. Auf satze zur Mg. II, Munchen
1924; ders., Mehr Ausdruck d. Empfindung als Malerei,
ebenda ; Ch. Van den Borren, La musique pittoresque . . .
au XV e s., Kgr.-fier. Basel 1924; ders., Le madrigalisme
avant le madrigal, in : Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien
u. Lpz. 1930; W. Serauky, Die mus. Nachahmungsasthe-
tik im Zeitraum v. 1700-1850, = Universitas-Arch. XVII,
Miinsteri. W. 1929; A. Popovici, Die Beziehungen d. aku-
stischen Sinnes zu d. anderen Sinnen, Diss. Wien 1931,
maschr. ; H. Unverricht, Horbare Vorbilder in d. In-
strumentalmusik bis 1750, 2 Bde, Diss. Bin 1954, maschr.;
A. Wellek, Musikpsychologie u. Musikasthetik, Ffm.
1963 ; C. Dahlhaus, Musica poetica u. mus. Poesie, AfMw
XXIII, 1966. .HHE
Tonmeister. So alt wie die elektrische -*■ Schallauf-
zeichnung und -ubertragung (-»• Rundfunk, Tonfilm,
->■ Schallplatte) ist die Notwendigkeit, die aus der aku-
stischen Information gewonnene tonfrequente Span-
nung »auszusteuern«, d. h. dem beschrankten Dyna-
mikbereich der Ubertragungskette (Mikrophon-Ver-
starker-Sender oder Tonaufzeichnungsapparatur) an-
zugleichen. Da die Unempfindlichkeit der zunachst
verwendeten Kohlemikrophone den Einsatz mehrerer
Mikrophone - im Extremfall eines pro Instrument
oder Singstimme - erforderte, muflten die Teilklang-
bilder bzw. die ihnen entsprechenden Mikrophonspan-
nungen in geeigneter Weise zusammengefiihrt und zu
einem Gesamtklangbild gemischt werden. Mit fort-
schreitender Studiotechnik wurde durch die Verwen-
dung von Entzerrern und anderen das Schallsignal mo-
difizierenden Ubertragungsgliedern auch die Moglich-
keit einer gestalterischen Beeinflussung des Klangbildes
gegeben. 1929 erhielt bei der UFA der fur die Tonauf-
nahme zustandige »Elektroakustiker« die Bezeichnung
T. In den 1930er Jahren gingen die Rundfunksender
dazu iiber, dem Techniker (Toningenieur, Probenin-
genieur) einen T. zu attachieren. Ihm obliegt im Ein-
vernehmen mit dem musikalischen Leiter die »Klang-
regie«. Deren technische Mittel sind die Plazierung der
Mitwirkenden, die Aufstellung der Mikrophone, die
Verwendung von Entzerrern und Nachhallgeraten,
ferner der Schnitt der Tonbander. Ist es in derE-Musik
das Ziel, eine dem Originalklang adaquate Aufzeich-
nung oder Ubertragung zu erreichen, so ist bei U-Mu-r
sik die Arbeit oft bewuBt am technischen Effekt orien-
969
Tonpsychologie
tiert (Verhallung, Verfremdung derKlangfarben durch
Veranderung der Frequenzstruktur, Verzerrung der
akustischen Perspektive durch extreme Mikrophondi-
stanzen). - Der T. ist in der Regel ein ausgebildeter Mu-
siker oder (und) Musikwissenschaftler mit technischen
Kenntnissen; er kann gleichzeitig - speziell bei Schall-
platten - Redakteur oder Produzent der Aufnahme sein.
Der T. beim Film, Fernsehen und im Theater hat die
zusatzliche Aufgabe, den (vorproduzierten) Ton mit
den optischen Ablaufen zu koordinieren. - Eine spe-
zielle T.-Ausbildung gibt es seit 1946 an der Nord-
westdeutschen Musik-Akademie in Detmold (6 Se-
mester und Praktika), eine ahnliche Ausbildung bie-
ten seit 1951 in Ost-Berlin die Deutsche Hochschule
fiir Musik und seit 1952 in West-Berlin die Techni-
sche Universitat zusammen mit der Musikhochschule.
Der 1952 aus der Deutschen Filmtonmeistervereini-
gung hervorgegangene Verband deutscher T. und Ton-
ingenieure e. V. bemiiht sich um die Anerkennung des
-> Leistungsschutzes fiir die Tatigkeit der T.
Lit. : Ber. uber d. Tonmeistertagungen, hrsg. v. E. Thien-
haus, Detmold 1949, 1951, 1954, 1957; W. M. Berten, Mu-
sik u. Mikrophon, Diisseldorf 1951 ; Fr. Winckel, DerT.,
Humanismus u. Technik II, 1954; ders., T., = Blatter
zur Berufskunde 3/II/E2a, Bielefeld 1960; Film, Rund-
funk, Fernsehen, hrsg. v. L. H. Eisner u. H. Friedrich,
= Das Fischer Lexikon IX, Ffm. (1958). HGL
Tonpsychologie -> Horpsychologie.
Tonqualitat -> Tonigkeit.
Tonsignet ist eine dem Firmen- bzw. Warensignet
nachgebildete Bezeichnung fiir eine gleichbleibende
Tonfolge, die dem Kenntlichmachen z. B. von Wo-
chenschauen bestimmter Filmproduktionen oder von
Radiostationen (Pausezeichen) oder wiederkehrenden
Sendegattungen dient oder in Werbesendungen Ver-
wendung findet (Titel- und Erkennungsmusik) . Soweit
solche als T. verwendete Musik urheberrechtlich ge-
schiitzt ist, hat der Urheber Anspruch auf jedesmalige
Auffiihrungsvergutung. Die -> GEMA ist hierbei fiir
ihren Bereich um eine in Grenzen bleibende Abgeltung
bemiiht.
Tonsystem (griech. <jilaT7)[ia, Zusammenstellung)
nennt man einen Tonbestand, der ein System von Ton-
beziehungen reprasentiert. Ein T. ist einerseits durch die
Anzahl der Stufen in einer Oktave (Oktavwiederho-
lungen werden nicht mitgezahlt), andererseits durch
das Prinzip, das den Tonbeziehungen zugrunde liegt,
bestimmt. DaB T.e, z. B. das der Musica Enchiria-
dis (-» Dasia-Zeichen) und das des russischen Kir-
chengesangs, die Oktave zuriickdrangen, ist eine Aus-
nahme. Der gleiche Tonbestand kann auf verschie-
denen Prinzipien beruhen (die siebentonige, heptato-
nische Diatonik wurde im Mittelalter als Quintenreihe
f c g d a e h, seit dem 16. Jh. als Quint-Terz-System
f a c e g h d dargestellt), und das gleiche Prinzip kann
verschiedene Tonbestande begriinden (aus der Quin-
tengeneration geht auBer derHeptatonik diePentatonik
f c g d a hervor). Von den »Tonvorstellungen« (H.Rie-
mann), dem T. im musikalisch-intentionalen Sinne, ist
die ->- Stimmung als akustische AuBenseite zu unter-
scheiden; die Stufen gis und as sind im diatonisch-
chromatisch-enharmonischen T. musikalisch verschie-
den, aber in der gleichschwebenden Temperatur aku-
stisch gleich.
Der Begriff des T.s setzt das BewuBtsein eines rational
gegliederten Tonbestandes voraus, der nicht an be-
stimmte Melodiegestalten oder -typen gebunden ist,
sondern von der Melodik abstrahiert und als deren
Grundlage und Bezugssystem vorgestellt wird. Es ist
also zweifelhaft, ob man bei »primitiver« Melodik, bei
der Musik der »Naturvolker«, sinnvoll von T.en spre-
chen kann; angemessener als die Abstraktion eines T.s
ist hier die Beschreibung von Melodiestrukturen und
von Bewegungsformen im Tonraum. Tritonik z. B.
(d f g) ist eher eine Melodiestraktur als ein T. ; erst die
(halbtonlose, anhemitonische) -> Pentatonik hebt sich
als T. von den Melodietypen, denen sie zugrunde liegt,
deutlich ab. - Die T.e der Hochkulturen sind an Instru-
menten entwickelt worden, das antik griechische an
der Kithara und Lyra, das arabisch-persische an der
Laute, das indische an der Zither (Vina). In der altchi-
nesischen Musik besteht die »Materialleiter« aus 12 Stu-
fen (->■ Lii), die »pythagoreisch« durch Quintaufstieg
und Quartabstieg gestimmt werden. Die »Gebrauchs-
leiter«, die innerhalb des Tonvorrats transponiert wer-
den kann, ist halbtonlos pentatonisch; doch deuten e
und h als Durchgangstone (-> Pien) eine Erganzung
der Pentatonik c d f g a zur Heptatonik an. - Die Theo-
rie der -»■ Indischen Musik teilt die Oktave in 22 glei-
che, kleinste Intervalle (shruti), die aber keine musika-
lisch reale Skala, sondern ein bloBes MaBsystem bilden.
Die Skalen der indonesischen Musik, auf Java ->■ Slendro
und -* Pelog genannt, sind nicht eindeutig interpre-
tierbar. Die Stimmung des 5stufigen Slendro scheint
auf dem Aquidistanzprinzip (der »Temperierung«) zu
beruhen, nahert sich aber manchmal der halbtonlosen
Pentatonik. Die 7stufige Pelog-Skala ist aus zwei gro-
Beren (250-270 Cent) und fiinf kleineren Intervallen
(115-165 Cent) zusammengesetzt. Es ist nicht ausge-
schlossen, daB die Skalen auf das Prinzip zuriickgehen,
die Quarten des Geriistes c-f-g-ci zu halbieren (Slen-
dro), die unteren Intervalle der Trichorde c- + d-f und
g- + a-ci zu unterteilen (Pelog) und den mittleren Ganz-
ton (f-g) dem jeweils kleinsten Intervall anzugleichen.
Eine gleichstufig heptatonische Skala wird in der siame-
sischen Musik verwendet. - Das persisch-arabische T. ist
17stufig. Vier verbundene (konjunkte) Quarten, H-e-
a-di-gi, werden durch die drei Quartengattungen in
pythagoreischer Stimmung ausgefiillt (z. B. H c d e,
H cis d e und H cis dis e) ; eine erganzende Stufe bildet
die »neutrale« Terz (350 Cent) uber dem tiefsten Ton
der Quarten (z. B. H- + d).
Das T. der griechischen Antike war ein aus Tetrachor-
den zusammengesetztes Doppeloktavsystem (-»■ Syste-
ma teleion). Die AuBentone der Tetrachorde waren un-
veranderlich, die Innentone veranderlich (-> Diatonik,
-> Chromatik, ->- Enharmonik). - Das T. des Mittelal-
ters war 7tonig diatonisch und wurde seit Guido von
Arezzo als Skala dargestellt, die von G(r) bis d2 odere 2
reichte, ohne an eine feste Tonhohe gebunden zu sein.
Erganzt wurde es durch den Ton b, der statt, aber nicht
neben h gebraucht werden durfte. Mit der Heptatonik,
die sich in der -*■ Buchstaben-Tonschrift Odos von St-
Maur auspragte (GS 1, 253) , verschrankte sich eine Tetra-
chord-, spater eine Hexachordgliederung. Die Finales
der -> Kirchentone bilden ein -*■ Tetrachord d e f g
mit dem Halbton in der Mitte; und die Skala wurde ent-
weder aus lauter getrennten (->■ Dasia-Zeichen) oder
aus abwechselnd verbundenen und getrennten Tetra-
chorden zusammengesetzt (Berno von Reichenau, GS
II, 63) :
A H c d e f g a h ci di el f gi ai
Graves Finales Superiores Excellentes
Die Gliederung der Skala G-e 2 in 7 ->■ Hexachorde mit
den Ut-Stufen G, c, f, g, ci, f i und g 1 ist seit dem 13. Jh.
iiberliefert. Erweiterungen des T.s durch chromati-
sche Stufen beruhten in der Mehrstimmigkeit des 14.
und 15. Jh. auf der Praxis, den Ubergang von einer im-
perfekten zu einer perfekten Konsonanz durch einen
Halbtonschritt in einer der Stimmen zu vermitteln, also
970
die Progression 8 h ^ zu ^J oder ^if zu alterieren
(-»• Musica ficta). Aus dem Verfahren, zu jeder diato-
nischen Stufe einen oberen und einen unteren Leitton
zu bilden, resultierte ein 17t6niges System mit cis, des,
dis, es, fis, ges, gis, as, ais und b als alterierten Tonen
(Pr. de Beldemandis, CS III, 257).
Beruhte das T. des Mittelalters auf dem «pythagorei-
schen« Prinzip der Quintenreihung (f-c-g-d-a-e-h),
so bildet seit dem 16. Jh. auBer der Quinte audi die
Terz (mit der Proportion 4:5 statt 64:81) ein konstitu-
tives Intervall des T.s; die Diatonik erscheint als Quint-
Terz-Struktur (groBe Buchstaben bezeichnen nach M.
Hauptmann Grund- und Quinttone, kleine Buchsta-
ben Terztone) : in C dur F-a-C-e-G-h-D, in a moll
D-f-A-c-E-g-H. Der Erweiterung des T.s durch
Transpositionen der Dur- und Mollskala (-> Tonart)
oder durch Hoch- und Tiefalterationen (-> Chromatik)
sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Die Notation
aber ist auf 35 Stufen eingeschrankt (einf ache und dop-
pelte Hoch- und Tiefalterationen der sieben diatoni-
schen Stufen) ; und akustisch wird das diatonisch-chro-
matisch-enharmonische T. durch eine 12stufige tem-
perierte Skala dargestellt (-> Temperatur). Der Urn-
fang des T.s ist, abgesehen vom 32-FuB der Orgel, in
der musikalischen Praxis auf die 7^2 Oktaven vom 2A
bis zum c5 begrenzt:
S "*J^ a "i Kontraoktave jgroBe Oktave; kleine Oktave
^G^HjCDEFGAHjc d e f g a h
Tonus peregrinus
Zs. f. vergleichende Mw. I, 1933; E. Kessler, Uber d. lei-
terfremden Tonstufen im gregorianischen Gesang, = Ver-
off. d. gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz X,
Freiburg i. d. Schweiz 1922; M. Weber, Die rationalen
u. soziologischen Grundlagen d. Musik, hrsg. v. Th. Kroyer,
Miinchen 2 1924; A. H. Fox-Stranoways, Scales, ML
VII, 1926; A. Auda, Les modes et les tons de la musique,
Briissel 1930; ders., Les gammes mus., Woluwe-St-Pierre
1947; L. Balmer, T. u. Kirchentone bei Tinctoris, = Ber-
ner Veroff. zur Musikforschung II, Bern u. Lpz. 1935;
O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d. fruhen MA,
AMI X, 1938 - XII, 1940; ders., Tonarten u. Stimmun-
gen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck 1950;
ders., Key, Mode, Species, JAMS IV, 1951; M. F. Bu-
kofzer, The Evolution of Javanese Tone-Systems, Kgr.-
Ber. NY 1939 ; Ll. S. Lloyd, The Mus. Scale, MQ XXVIII,
1942; ders., The Myth of Equal-Stepped Scales in Pri-
mitive Music, ML XXVII, 1946; A. Danielou, Intro-
duction to the Study of Mus. Scales, London 1943; B.
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1943; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948);
ders., The »Timaeus«-Scale, MD IV, 1950; C. Sachs, A
Strange Medieval Scale, JAMS II, 1949; A. A. Bake, Die
beiden Tongeschlechter bei Bharata, Kgr.-Ber. Liineburg
1950; H. Tanabe, Equal Tempered Scales of Less than 12
Tones in the Far East, Journal of the Soc. for Research in
Asiatic Music IX, 1951 ; Sh. Tanaka, An Investigation of
the Tuning of the Siamese Seven Tone Equal Tempered
Scale, ebenda; G. Kroner, Das Harmonische Feld d.
gleichschwebend temperiertenT., Mf VI, 1953; E. Costere,
eingestrichene j zweigestrichene j dreigestrichene j viergestrichene ;'
Oktave Oktave i Oktave Oktave
jovar! ■■"■
8 va l>assa
Die ■-> Atonalitat verzichtet auf die Unterscheidung
zwischen konstitutiven und abgeleiteten Intervallen.
Einerseits gelten samtliche Intervalle zwischen Tonen
der Halbtonskala als »direkt verstandlich« (A. Schon-
berg) ; andererseits ist die Differenz zwischen gis und
as, die in der Verschiedenheit der Ableitungen (c-as
und c-e-gis) begrundet war, auf gehoben. Unterteilun-
gen der Halbtone beruhen in der Atonalitat auf dem
Distanzprinzip. — > Vierteltonmusik.
Lit. : Fr. Beixermann, Die Tonleitern u. Musiknoten d.
Griechen, Bin 1847; K. Fortlage, Das mus. System d.
Griechen in seiner Urgestalt, Lpz. 1847, Nachdruck Am-
sterdam 1 964 ; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonemp-
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desheim 1967; W. Brambach, Das T. u. d. Tonarten d.
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c^VfVa'h 2 : c 3 d 3 e 3 f 3 g 3 a 3 h 3 i c 4 d 4 e 4 f 4 g 4 a" h 4 i c 5
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W. Danckert, Tonreich u. Symbolzahl . . . , = Abh. zur
Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XXXV, Bonn 1966. CD
Tonus peregrinus (lat.) ist eine seit dem spaten Mit-
telalter gebrauchliche Bezeichnung eines Psalmtons,
der im fruhen Mittelalter neben den acht regularen
-»• Psalmtonen (zusammen mit einigen anderen To-
ni) entwickelt wurde (in der Commemoratio brevis, 2.
Halfte des 9. Jh., GS I, 218, heifit er Tonus novissi-
mus) und der sich in der liturgischen Praxis bis heute
erhalten hat. Seinen Namen verdankt er entweder dem
sogenannten »Pilgerpsalm« In exitu Israel de Aegypto
(Ps. 113, Vulgatazahlung), der auf seine Formel gesun-
gen wird, oder seiner »Fremdartigkeit« innerhalb des
Systems der Psalmtone. Seit dem hohen Mittelalter
971
Tonvariator
(bis zur beginnenden Neuzeit) wurde der T. p. in den
Tonaren meist nicht mehr als selbstandiger Tonus ge-
fiihrt, sondern als unregelmaBige Differenz einem der
acht regularen Psalmtone beigegeben. Diese Zuord-
nung geschah nicht einheitlich, da seine besonderen Ei-
genschaften: Finalis d oder e (CS II, 334b £.) und Wech-
sel des Tenors von a zu g nach der Mediatio, ihn mit
mehreren Toni verwandt erscheinen lieBen. So findet
sich die im monastischen Offizium zum 113. Psalm
gehorige Antiphon Nos qui vivimus als Beispiel in den
Tonaren zwar hauptsachlich unter den Differenzen des
achten Tones (CS II, 140a; Hieronymus de Moravia,
ed. Cserba, S. 167 u. a.), wird jedoch mitunter auch
dem siebenten (Aurelianus, GS I, 51b; Regino von
Priim, CS II, 34a), dem ersten (Tonale Sancti Bernardi,
GS II, 269b i.; Jacobus Leodiensis, CS II, 335a f.), dem
sechsten (nach Jacobus Leodiensis, CS II, 335b) und
gelegentlich noch weiteren Psalmtonen zugewiesen.
In manchen hoch- und spatmittelalterlichen Tonaren
wird diese Unbestimmtheit ausfuhrlich diskutiert, so
bei Elias Salomonis (GS III, 36a £.) und dem anonymen
Monachus Carthusiensis (CS H, 449a f.). - Nach romi-
scher Tradition werden neben Psalm 113 (hier mit An-
tiphon Deus autem noster aus der Sonntagsvesper) bis-
weilen auch das Canticum ->■ Benedicite omnia opera Do-
mini Domino und Psalm 112 Laudate pueri Dominum
samt ihren Antiphonen im T. p. gesungen. Ahnliches
gilt fiir das monastische Offizium. Die von Anonymus
XI (CS III, 458a f.) bezeugte Verwendung des T. p.
auch fiir die Psalmi maiores (genannt wird nur das
Magnificat) hat sich liber das Mittelalter hinaus nur
beim deutschen Magnificat der lutherischen Liturgie
erhalten.
Lit.: H. Gaisser, L'origine du T. p., La Tribune de St-
Gervais VII, 1901 ; P. Wagner, Einfuhrung in d. Grego-
rianischen Melodien III, Lpz. 1921 , Nachdruck Hildesheim
u. Wiesbaden 1962 ; P. Ferretti OSB, Estetica gregoriana,
Rom 1934, frz. erweiterte Ausg. v. A. Agaesse, Tournai
1938 ; J. Carsot, En marge du »t. p.«, Rev. du chant gre-
gorien XLIII, 1939. FrR
Tonvariator ist die Bezeichnung fiir einen von W.
Stern zu Anfang des 20. Jh. konstruierten und damals
viel benutzten mechanischen Schallerzeuger variabler
Frequenzen. Ein zylindrischer Hohlraum, dessen Ei-
genfrequenz mittels eines Kolbens verstellbar ist, wird
durch einen Luf tstrom angeblasen. Er ist mit der sich in
den 20er Jahren durchsetzenden elektrischen Schwin-
gungserzeugung (->■ Generator) auBer Gebrauch ge-
kommen.
Tonwort, das von -> Eitz 1892 veroffentlichte Silben-
system fiir den Gebrauch im musikalischen Elementar-
unterricht. Mit Hilfe einer bis ins letzte durchdachten
Lautsymbolik versuchte Eitz, die diatonischen und
chromatischen Beziehungen der Tone untereinander
auszudriicken. Die zwolf chromatischen Stufen der Ok-
tave werden mit je einem Konsonanten, abwechselnd
Augenblicks- und Dauerlaut, versehen. Dazu treten,
bei G beginnend, die 5 Vokale a e i o u zur Kennzeich-
nung der Ganztone (in der Abb. : II). Diatonische Halb-
(b)
(c)
his cisis disis eis fisis
gisis aisis
his
I
_ cis . dis - fis _
c , d e f g
des es ges
gis ais .
a , h
as b
C
deses eses fes geses ases
heses ceses
deses
II
b r t m g s p 1
i o u a
d f k n
e
_b
i
(a)
(b)
bo tu ga sa le
fi no
bo
III
. . ro » mu pa ,
bi to go >u r la
n mo pu
de , ki
da fe ke m
bi
(c) be ti go so
tone werden durch den gleichen Vokal angezeigt, en-
harmonische Tone durch den gleichen Konsonanten.
Die erhohten und erniedrigten Tone werden nach dem
Grundsatz der Vokalgleichheit bei Leittonen gebildet
(Illb) ; dadurch ergibt sich auch die Moglichkeit, die
Kommaunterschiede der reinen Stimmung durch ver-
schiedene Vokale darzustellen (Ilia, c).
Torculus (lat.) -*■ Neumen (- 1).
Torgau.
Lit. : O. Taubert, Gesch. d. Pflege d. Musik in T., in: Pro-
gramtn d. Gymnasiums zu T., 1868, mit Nachtragen 1870
u. 1 890 ; W. Gurlitt, J. Walther . . . , Luther- Jb. XV, Mun-
chen 1933; C. Gerhardt, Die T.er Walter-Hss., = Mw.
Arbeiten IV, Kassel 1949.
Torneo (ital. und span., Turnier, Wettkampf), ein
Tanz, der bei Caroso (1581) als T. amoroso beschrieben
ist. Ein T. findet sich in der Ouverture G moll, BWV
1070, vonJ.S.Bach(').
Torupill (estnisch, s. v. w. Trompetenpfeife) -> S a ck-
pfeife.
Toskana (Italien).
Lit. : A. Bonaventura, La vita mus. in Toscana nel s. XIX,
in: La Toscana alia fine del Granducato, Florenz 1909;
ders., Musicisti livornesi, Livorno 1930; R. Gandolfi, La
cappella mus. della corte di Toscana, 1539-1859, RMI
XVI, 1909 ; Musicisti toscani. Scritti di G. Barblan, A. Bo-
naccorsi, G. Confalonieri . . ., Per la XI Settimana mus.,
hrsg. v. Fr. Schlitzer, Siena 1954; A. Bonaccorsi, II folk-
lore mus. in Toscana, Florenz 1956.
tosto (ital.), eilig; piu t., schneller; aber auch: eher
(z. B. : allegro piu t. andante, eher Andante als Allegro).
Totentanz (frz. danse macabre). Das Motiv des T.es:
Dialog und Tanz der Toten oder des Todes und der Le-
benden (meist Vertreter verschiedener Stande und Le-
bensalter, die vom Tode abberufen werden), ist seit
dem spaten Mittelalter poetisch (im 13. und 14. Jh.
z. B. von Baudouin de Conde und Nicole de Marginal)
und bildnerisch (im 16. Jh. z. B. als Holzschnittfolge
von H.Holbein d. J.), seit dem 16. Jh. auch musikalisch
(als -» Matassins) gestaltet worden, wobei vornehmlich
in bildlichen Darstellungen das Moment des Todes (ur-
spriinglich wohl der Tanz der Toten zur nachtlichen
Geisterstunde) haufig verwandelt ist in einen Reigen
(Zyklus) einzelner Begebenheiten. Im 19. Jh. kompo-
nierte Fr. Liszt, sehr wahrscheinlich angeregt durch die
Freskodarstellung »Triumph des Todes« im Campo
Santo zu Pisa (14. Jh.), einen T., Paraphrase iiber »Dies
iraes fiir Kl. und Orch. in frei gehandhabter Variations-
technik nach Art eines Bilderzyklus, in dem der erste
Melodieabschnitt des -»■ Dies irae sich in den verschie-
densten Charakteren auspragt (1. Fassung vollendet
spatestens 1849, hrsg. 1919 von Busoni; Druckfassung
sowie Bearbeitung fiir ein und fiir zwei Kl. 1865; Va-
rianten vor allem zur 3. und 6. Variation 1881, hrsg.
1911 von A. Siloti). Zusammen mit einer Abhandlung
Les danses des morts (Paris 1852) veroffentlichte J. G.
-*■ Kastner im Rahmen seiner Livres partitions die Ton-
dichtung La danse macabre, grande ronde vocale et instru-
mental (nach einem zeitgenossischen T.-Gedicht von
E.Thierry), einen Dialog zwischen dem Tod und den
Vertretem verschiedener Stande und Lebensalter. Der
Symphonischen Dichtung La danse macabre (1875) von
Saint-Saens liegt des Komponisten gleichnamiges Lied
von 1873 zugrunde. -* Xylophon.
Lit.: St. Kozakv, Gesch. d. T., 3 Bde, = Bibl. Humanitas
Hist. I, V u. VII, Budapest 1936-44; ders. (St. Cosacchi),
Musikinstr. im ma. T., Mf VIII, 1955; ders., Makaber-
tanz, Meisenheim a. Gl. 1965; W. Salmen, Ma. Totentanz-
weisen, Mf IX, 1956.
972
Toulouse.
Lit. : Cl. Cluzan, Contrat pour la construction des orgues
de St-Sernin 1514, Arch. hist, du D6partement de la Gi-
ronde LII, 1918; M.-L. Desazars de Montgaillard, Les
artistes toulousains et l'art a T. au XIX e s., 2 Bde, T. 1924-
25; J. Anglade, Les troubadours de T., Paris 1928; N.
Dufourcq, Les orgues de T., Rev. de Musicol. XXXVIII,
1956; ders., Les chapelles de musique de St-Sernin et St-
Etienne de T. dans le dernier quart du XVII e s., ebenda
XXXIX/XL, 1957; ders., Documents sur les corporations
de maitres faiseurs de cordes a T. a la fin du XVII e s., eben-
da XLIII/XLIV, 1959.
Tourdion (turdj'5, frz., auch tordion, turdion; span,
tirdion), ein im 16. Jh. inFrankreich, Italien und Spanien
verbreiteter hofischer Tanz im 6/8-Takt, der als rascher
Nachtanz auf die ->■ Basse danse folgte. In Arbeaus
Orchisographie (1588) wird er choreographisch als ein
der -> Galliarde ahnlicher Tanz beschrieben, der je-
doch nicht wie diese gesprungen, sondern in Schritten
getanzt wurde, bei denen sich die FUBe kaum vom Bo-
den hoben. Die friihesten T.s sind in den Tanzsamm-
lungen Attaingnants (1 529/30) erhalten ; in literarischen
Quellen ist er seit Anfang des 15. Jh. bezeugt. Als Tanz
verschwand er mit dem Aussterben der Basse danse;
als Komposition gab es ihn noch bis Ende des 17. Jh.
Tournebout (tumsb'u, frz.) -> Krummhorn.
Tours.
Lit. : J. M. Rouoe, Le folklore de la Touraine, T. 1 93 1 ; E.
Haraszti, Une fete de Paon . . . , in : Melanges . . . offerts
a P.-M. Masson I, Paris (1955); E. Krieg, Das lat. Oster-
spiel v. T., = Literarhist.-mw. Abh. XIII, Wiirzburg 1956;
D. Launay, A propos de quelques motets polyphoniques
en l'honneur de St-Martin, Rev. de Musicol. XLVII, 1961 ;
G. Oury OSB, Les messes de St-Martin . . ., Etudes gre-
goriennes V, 1962; ders., Contribution a l'etude des litur-
gies ndogallicanes, ebenda VI, 1963.
Tp., - 1) Abk. fiir Timpani (ital., Pauken); - 2) Tp,
Abk. fiir Tonikaparallele (Funktionsbezeichnung nach
H. Riemann).
tr (tr~~), Zeichen fiir -»- Triller.
Tractulus (lat.) -> Neumen (- 1).
Tr actus (lat.), auch Traktus, einer der Propriumsge-
sange der romischen Messe, gesungen. an den Sonn-
und Festtagen der Vorfasten- und Fastenzeit, ferner in
alien wahrend dieser Zeit gefeierten Heiligen- und Vo-
tivmessen, im Requiem und an einigen Ferial-(beson-
ders Quatember-)Tagen mit BuBcharakter, gewbhn-
lich anstelle des -*■ Alleluias nach dem -> Graduale (- 1).
In Messen mit mehreren Lesungen (z. B. am Quatem-
bermittwoch der Quadragesima) folgt er als einziger
Gesang auf die letzte Lesung vor dem Evangelium
(Ausnahme: Mittwoch der 4. Fasten woche). Seiner
Anlage nach ist der Tr. ein cantus ex versibus aggregates
(Johannes de Grocheo, De arte musicae, ed. Rohloff, S.
65), dessen Verse im Unterschied zum Graduale ohne
Kehrvers (Chorresponsum) gesungen werden (Amalar
von Metz, Liber officialis III, 12: Hoc differtur inter re-
sponsoriutn, cui chorus respondet, et tractum, cut nemo . . .).
Hierauf fulk auch die allgemein verbreitete jiingere
Deutung des Namens Tr. im Sinne von tractim (fort-
laufend, in einem Zuge), wahrend ihn mittelalterliche
Autoren mit einer langsam-schleppenden (»gezogenen«)
Vortragsweise in Verbindung brachten. Eine weitere
Interpretation stellt ihn dem -> Heirmos der byzanti-
nischen Kirchenmusik gegenuber (P. Wagner I, S. 99f .).
Nach dem Zeugnis romischer Ordines wurde der Tr.
im papstlichen Stationsgottesdienst vom (zweiten) Kan-
tor auf dem Ambo als Sologesang ausgefiihrt (vgl. Or-
do I, 57 und VI, 28). Zu dieser ursprunglichen Vor-
tragsweise steht die altematim-Ausfuhrung zwischen
Tragedie lyrique
zwei Chorhalften oder Vorsangern und Chor, wie sie
das Vatikanische Graduale anordnet (De ritibus servandis
in cantu Missae IV), in merkwiirdigem Gegensatz. -
Das Repertoire der Tr.-Gesange umfafit in den altesten
iiberlieferten Quellen (8./9. Jh., abgedruckt im Anti-
phonale missarum sextuplex) insgesamt 21 Stiicke, de-
ren Texte hauptsachlich den Psalmen entnommen sind.
Doch weisen bereits die Quellen aus den folgenden
Jahrhunderten eine weitaus groBere Anzahl auf. Das
Graduale Romanum (1908) bringt 70 Stiicke teils be-
trachtlicher Lange (z. B. den Tr. Deus, Deus meus vom
2. Passionssonntag). Samtliche 1st. Tr.-Vertonungen
gehoren dem 2. oder 8. Kirchenton an und weisen im
Rahmen dieser beiden Modi fiir jeden der Verse eine
einheitliche psalmodische Grundstruktur auf. Die mit
reichen Melismen ausgestatteten Melodien stiitzen sich
auf eine Reihe typischer Formeln (Initial-, Medianten-,
Finalformeln u. a.), die bestimmten Abschnitten eines
Verses bzw. eines ganzen Stiickes zugeordnet und in
der Regel durch feste SchluBtone ausgezeichnet sind. -
In einigen Quellen des -> Ambrosianischen Gesangs
bezeichnet das Wort Tr. (anstelle von Melodiae) die er-
weiterte Alleluiawiederholung nach dem Versus.
Ausg. : Antiphonale missarum sextuplex, hrsg. v. R.-J.
Hesbert OSB, Brussel 1935, Nachdruck Rom 1967; Ama-
larii episcopi Opera liturgica omnia II, hrsg. v. J. M.
Hanssens SJ, =Studi e testi CXXXIX, Rom 1948; M.
Andrieu, Les Ordines Romani du haut moyen age II,
Lowen 1948.
Lit. : H. Riemann, Der strophische Bau d. Tr.-Melodien,
SIMG IX, 1907/08; P. Wagner, Einfuhrung in d. Grego-
rianischen Melodien I, Lpz. 3 191 1, u. Ill, 1921, Nachdruck
Hildesheim u. Wiesbaden 1962 ; H. Schmidt, Untersuchun-
gen zu d. Tr. d. zweiten Tones aus d. Cod. St. Gallen 359,
Diss. Bonn 1954, maschr. ; ders., Die Tr. d. zweiten Tones
in gregorianischer u. stadtromischer Oberlieferung, Fs. J.
Schmidt-Gorg, Bonn 1957; ders., Untersuchungen zu d.
Tr. d. zweiten Tones, KmJb XLII, 1958; H. Husmann,
Zum GroBaufbau d. Ambrosianischen Alleluia, AM XII,
1957; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind.
(1958); J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien,
Freiburg i. Br. u. Basel 51962. KWG
Tragedia (trad3'e:dia, ital., Tragodie), von Rinuccini
in Anlehnung an die griechische Tragodie fiir seine
Oper Arianna (1608) verwendete Bezeichnung. Wah-
rend der Titel Tr. in der italienischen Oper nur selten
erscheint (z. B. bei Gluck, Alceste, 1767), wurde in
Frankreich die entsprechende franzosische Benennung
-> Tragedie lyrique allgemein gebrauchlich.
Tragodie lyrique (trajed'i lir'ik, frz.), auch Tragedie
en musique, im letzten Drittel des 17. Jh. entstandene
Gattung des franzosischen musikalischen Barockthea-
ters. Friihe Anregungen gingen aus von der Auffiih-
rung italienischer Opern in Paris (Sacrati, Lafinta pazza,
1645; L.Rossi, Orfeo, 1647; Cavalli, Serse, 1660; Ercole
amante, 1662) ; Vorstufen der Tr. 1. waren das -*■ Ballet
de cour und die -> Comedie-ballet. Ihr eigentliches
Vorbild wurde die klassische franzosische Tragedie, de-
ren rhetorischem Vortrag sie im Recitatif (-> Rezita-
tiv) nacheiferte. Durch das Ineinandergreifen vOn De-
klamation und Aktion mit Gesang und Tanz in einer
prachtigen Ausstattung erzielt die Tr. J. groBe Biihnen-
wirkung, ohne dabei die von der Tragedie geforderte
Einheit von Ort, Zeit und Handlung zu berticksichti-
gen. Erste Ansatze zeigen Camberts Pomone (1670) und
Les peines et les plaisirs de V amour (1672); eine typische
Tr. 1. ist dann J.-B. Lullys Cadmus et Hermione (1673).
Charakteristisch ist der geschlossene Szenenaufbau, der
durch syllabische, nur gelegentlich kolorierte Airs, klei-
ne Duette, groBe Chore und Ballettsatze gegliedert
wird. Zwischen 1673 und 1686 schrieb Lully fast jahr-
lich eine Tr. 1., als letzte vollendete er Armide et Renaud
973
Traktur
(1686). Seine Konzeption der Tr. 1. blieb etwa ein Jahr-
hundert lang grundlegend; dann jedoch machten sich
italienische Einfliisse immer mehr geltend, z. B. in der
starkeren Differenzierung von deklamierendem Reci-
tatif und kantablem Air. An Komponisten nach Lullys
Tod sind zu nennen M.-A. Charpentier (Medk, 1693),
Marais (Alcione, 1706), Campra (Hesione, 1700; Tancrede,
1702; Idominee, 1712), Desmaret (Didon, 1693 ; Iphigenie
en Tauride, vollendet von Campra 1704), Monteclaire
(Jephte, 1732), A.C.Destouches (Amadisde Grke, 1699;
Omphale, 1701 ; Callirhoe, 1722) und Mouret {Pirithous,
1723). Einen neuen Hohepunkt erreichte die Tr. 1.
durch J.-Ph. Rameau (Hippolyte et Aricie, 1733; Castor
et Pollux, 1737; Dardanus, 1739; Zoroastre, 1749; Abaris
ou lesBoreades, 1764). Bezeichnend fur Rameau sind die
kantable Melodiefiihrung, die harmonische Bereiche-
rung des musikalischen Satzes und die erhbhte Bedeu-
tung des Orchesteranteils, besonders im Recitatif ac-
compagne und im Recitatif mesure sowie in den de-
skriptiven Instrumentalstiicken. In eine Endphase trat
die Tr. 1. in den franzosischen Werken Glucks (Iphi-
genie en Aulide, 1774; Armide, 1777; Iphigenie en Tauride,
1779). Gluck behielt zwar den Rahmen der Tr. 1. bei
(5aktiger Aufbau, Stoffwahl, Versform), doch bewirk-
te seine Forderung nach Einf achheit und Natiirlichkeit
des dramatisch-musikalischen Ausdrucks, daB die vom
franzosischen Vers gepragte Gestalt zugunsten einer
schlichteren, der Prosa verwandten Tonsprache umge-
wandelt wurde. Damit naherte sich die Tr. 1. der italie-
nischen Oper und verlor ihre Eigenstandigkeit.
Lit. : B. de Rozoi, Dissertation sur le drame lyrique, Den
Haag 1775 ; J.-D. Martine, De la musique dramatique en
France, Paris 1 8 1 3 ; A. Coquard, De la musique en France,
Paris 1820; G. Chouquet, Hist, de la musique dramatique
en France, Paris 1893; J. Ecorcheville, De Lully a Ra-
meau. L'esthetique mus., Paris 1906; R. Rolland, Musi-
ciens d'autrefois, Paris 1908, 1 81947, deutsch als: Musiker
v. ehedem, Munchen 1925, Olten 1951 = Meister d. Musik
I, engl. 1915, NY 1948; L. de La Laurencie, La musique
frc. de Lully a Gluck (1687-1789), in: Encyclopedic de la
musique I, 3, hrsg. v. A. Lavignac u. L. de La Laurencie,
Paris (1913, 21931); H. Abert, W. A. Mozart I, Lpz. 1919,
C1955); P.-M. Masson, L'opera de Rameau, Paris 1930,
2 1943; R. Dumesnil, L'opera et l'opera-comique, Paris
1947; ders., Hist, illustree du theatre lyrique, Paris (1953);
J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys,
= Munchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961.
Traktur heiBt bei der Orgel die Verbindung, die von
der Taste aus das Spielventil offnet. Bei der mechani-
schen Tr. ist im Inneren der Orgel ein Rahmen mit
Wellen aus Holz- oder Metallstaben angebracht. Zu
ihnen fiihren von den Tasten Abstrakten (Zugruten),
und von diesen werden ebenfalls Abstrakten zu den
Spielventilen (->- Ventile - 1) geleitet. Die Abstrakten
konnen auch gewinkelt durch Winkelmechanik zu den
Ventilen gefuhrt werden. Das Material der Abstrakten
ist zumeist Holz. Heute verwendet man auch mit Nylon
umsponnene Drahtseile. Diese haben sich nur dann be-
wahit, wenn auch sie iiber Winkel (Segmentschaltung)
gefuhrt werden und nicht stattdessen durch Osen lau-
fen. Die mechanische Tr. ist bei der Springlade und
Schleiflade die historisch uberkommene. Auf die Ton-
gebung hat sie insofern EinfluB, als der Spieler die
Schnelligkeit des Tastenniederschlages, somit diejenige
der Ventilb'frnung und bis zu einem gewissen Grade
die Intensitat der Vorlaufertone im Anlaut nuancieren
kann. Auchkommt die Uberwindung des Druckpunk-
tes dem natiirlichen Spielgefiihl entgegen. Je groBer
aber die Laden und ihre Registerzahl (und dadurch be-
dingt die GroBe der Ventile, auf denen entsprechend
mehr Winddruck lastet) und je weiter die Wege der
Abstrakten sind, desto schwerer ist die Spielweise (be-
sonders auch bei gekoppelten Manualen), und um so
weniger Nuancierungsmoglichkeiten des Anschlags
verbleiben dem Organisten. Eine Abhilfe f iir zu schwe-
re Spielweise mechanischer Schleifladen erfand Ch. S.
Barker (1832) mit seinem pneumatischen Hebel (Bar-
ker-Hebel). Hier wird die Mechanik des Spieltisches
zu einer zweiten -> Windlade gefuhrt, die kleine Balge
besitzt. Bei niedergedriickter Taste wird der Balg mit
Luft gefiillt; beim Abheben gibt er die Luft frei und
fallt dann wieder zusammen. Der steigende oder fallen-
de Balg offnet bzw. schlieBt iiber eine Abstrakte das
Pfeifenventil der eigentlichen Windlade. Im 19. Jh.
wurde eine rohrenpneumatische Tr. fur Kegel-, Mem-
bran- und Taschenladen entwickelt. Hier gibt ein Balg-
chen, in der Lade sich offnend (Zustromsystem) bzw.
zusammenfallend (Ausstromsystem), den Wind zur
Pfeife frei, die dann erklingt. Die Windversorgung des
Balgchens erfolgt vom Spieltisch aus durch Rohrenlei-
tungen. Bei groBeren Orgeln mit langen Leitungswe-
gen arbeitet die pneumatische Tr. nicht schnell genug.
Anfang des 20. Jh. wurden die ersten elektropneumati-
schen Tr.en f iir Kegelladen gebaut. Die niedergedriick-
te Taste schlieBt den Stromkreis. Der von einer Spule
umschlossene Eisenkern wird magnetisch und zieht an
den Windrelais einen Metallbiigel nieder, iiber den die
Ventile dadurch pneumatisch geofmet werden. Auch
rein elektrische Tr.en werden heute gebaut, bei denen
Magnete die Spielventile offnen. -Auch bei groBeren
Schleifladenorgeln fmdet man zunehmend eine ge-
mischte Tr.-Art. Das gespielte Manual offnet die Spiel-
ventile mechanisch, das jeweils angekoppelte Manual
offnet diese elektropneumatisch oder elektrisch. Altere
Kegelladen haben teilweise auch mechanische Spiel-
Tr.en. - Das Regierwerk (Register-Tr.) war bei den al-
ten Orgeln rein mechanisch. Heute baut man gerne
elektropneumatische Register-Tr.en und bevorzugt
bei Tonkanzellen auch rein elektrische Registerbetati-
gung, wo die Schleife durch einen kleinen Motor oder
Magnet aufgezogen wird. Voraussetzung fur einwand-
freies Funktionieren ist hierbei, daB die Schleifen nicht
(etwa durch Feuchtigkeit bedingt) klemmen.
Transformation -»■ Transponieren.
Transistor, 1948 unter Mitwirkung von J.Bardeen
und W.H.Brattain in den USA entwickelt, djent ne-
ben der -*■ Elektronenrohre zur Verstarkung elektri-
scher Schwingungen, wie sie in der MeBtechnik und
Elektroakustik erforderlich ist. Die Arbeitsweise des
Tr.s wird durch seinen Hauptbestandteil, den fiir elek-
trische Strome nur in einer Richtung durchlassigen
Halbleiter (kristalline Verbindungen : CU2O, Fe203j
Silizium, Arsen, Selen, Germanium u. a.), bestimmt.
Diese kristallinen und metallahnlichen Elemente be-
sitzen bei Einwirkung von Warmeenergie eine Ei-
genleitfahigkeit ihrer Elektronen, die durch Storungen
des regelmaBigen Gitteraufbaus (Einbau von Atomen
fremder Elemente) stark erhoht werden kann und die
dann als Trager eines injizierten Stromes wirkt. Auf
diesem Effekt der »Tragerinjektion« beruht das Wesen
des Tr.s und seiner Verstarkerwirkung. Hervorstechen-
de Eigenschaften des Tr.s gegenuber der Elektronen-
rohre sind lange Lebensdauer, schnelle Betriebsbereit-
schaft ( 1 /iooo sec), geringer Stromverbrauch (Batterie-
betrieb) und kleine Abmessung (Kofferradios, hand-
liche Tonbandgerate), wahrend extrem hohe Leistungs-
verstarkung, weite Frequenzgrenzen und geringe Tem-
peraturabhangigkeit bislang der Elektronenrohre vor-
behalten bleiben. Der Tr. stellt insofern eine Umwal-
zung dar, als er Schaltungen ermoglicht, die mit der
Elektronenrohre nicht realisierbar sind (elektronische
Datenverarbeitungsanlagen).
974
Transponieren
Lit.: G. Gaule, DerTr., Schrifttumiibersicht, Fernmelde-
technische Zs. Ill, 1950. - J. Bardeen u. W. H. Brat-
tain, The Tr., A Semiconductor Triode, Physical Review
LXXIV, 1948; J. Dosse, Der Tr., Miinchen "1962; C.
Moerder, Grundlagen d. Tr.-Technik, = Technisch-phy-
sikalische Slg II, Ffm. 21964.
Transitus (lat., Ubergang, Durchgang) -»• Com-
missura.
Transkription (von lat. transcriptio, s. v. w. Um-
schrift), - 1) die Einrichtung (->• Arrangement) eines
Musikstiicks fur eine andere Besetzung. Fr. Liszt fiihrte
diese Bezeichnung (als frz. transcrite, transcription) fur
Klavieriibertragungen (hauptsachlich von Liedern) ein,
die zwischen einer mehr oder minder strengen Bearbeitung
und einer freien »Fantasie« stehen (Raabe), nach eigenen
Angaben wahrscheinlich in den 1830er Jahren. Tr.en
bilden eine Werkgruppe im Schaffen Liszts (vgl.
Thematisches Verzekhnis der Werke von Fr. Liszt, Leipzig
1855; in der erweiterten Auflage 1877 unterscheidet
Liszt zwischen : Bearbeitungen, Fantasien, Reminiszen-
zen, Illustrationen, Paraphrasen, Klavierausziigen und
Tr.en). - 2) In der -*■ Editionstechnik heiBt Tr. die Um-
schrift von Musik aus einer historischen in die heutige
-> Notenschrift, in der -> Phonetik und -> Musik-
ethnologie die Aufzeichnung von Sprach- und Ton-
aufnahmen mit Hilfe des Alphabets und der Noten-
schrift, jeweils mit speziellen Zusatzzeichen.
Lit.: zu 1): F. Busoni, Entwurf einer neuen Asthetik d. Ton-
kunst, Triest 1907, Lpz. 1916; H. Antcliffe, The Use and
Abuse of Transcription and Modernisations, BUM IV,
1 924; P. Raabe, Fr. Liszt II, Stuttgart u. Bin 1 93 1 . - zu 2): O.
Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Vorschlage f . d. Tr. exo-
tischer Melodien, SIMG XI, 1909/10; Phonetische Tr. u.
Transliteration nach d. Verhandlungen d. Kopenhagener
Konferenz, Oxford 1926; Lautzeichen u. ihre Anwendung
in verschiedenen Sprachgebieten, hrsg. v. M. Heepe, Bin
1 928 ; E. Gerson-Kiwi, Towards an Exact Transcription
of Tone-Relations, AMI XXV, 1953; Z. Estreicher, Une
technique de transcription de la musique exotique, in : Bibl.
et Musees de la ville de Neuchatel 1956, Neuchatel 1957;
Ch. Seeger, Toward a Universal Music Sound- Writing for
Musicology, Journal of the International Folk Music
Council IX, 1957 ; D. Stockmann, Das Problem d. Tr. in d.
musikethnologischen Forschung, Deutsches Jb. f. Volks-
kunde XII, 1966.
Transmission bezeichnet im Orgelbau eine Kopp-
lungs- und Schaltanlage, die es ermoglicht, einzelne
Register eines Manuals im Pedal oder in einem anderen
Manual spielbar zu machen, ohne die -»■ Koppeln zu
benutzen; z. B. konnen einzelne in der Tr. ausgesuchte
Register des Hauptwerks ins Pedal »geborgt« werden.
Die Ansatze zur Tr. reichen in die Zeit einmanualiger
Orgeln und der Bauweise zuriick, die Manual- und
Pedalregister noch auf eine Lade stellte. Besonders gern
wurden hohere, C. f.-fiihrende FuBtonlagen ins Pedal
transmittiert. Durch transmittierende Oktavkopplung
eines 8'-Manualregisters, das dadurch im Pedal als 16'
angeschaltet war, ersparte man diese angekoppelten
Pfeifen, die - um im Pedal einen durchgehenden 16'
zu haben - nur um eine Oktave von 16'-Pfeifen (C-H)
erganzt werden muBten. Antegnati kennt solche Tr.en ;
auch M.Praetorius erwahnt sie. Bei Schleifladen wur-
den hierf iir doppelte Schleif en und Ventile notig. Uber-
wiegend praktizierte der alte Orgelbau Tr.en ins Pedal,
seltener von Manual zu Manual. Als Seltenheit erwahnt
Praetorius ein Positiv, das in dem einzigen Manual zwei
Tr.en hatte, wodurch aus dem Prinzipal 2' auch ein
I1/3'- und ein l'-Register eingestellt werden konnten.
Dieses Multiplexverfahren ist jedoch selten angewandt
worden, weil durch Mehrfachbenutzung eines Tones
»Tonlocher« entstehen, die das fehlende eigenstandige
Register verraten. Registerkanzellenladen mit pneuma-
tischer oder elektrischer Traktur erleichtern die Ada-
ge von Tr.en auch ausgewahlter Systeme, z. B. Melo-
diekoppel und »gregorianisches Manual«. Ein anderes
Tr.s-System hat W.Kraft entwickelt, das die Mehr-
fachbenutzung einer Registerreihe ausschlieBt, so dafi
keine Tonlocher entstehen konnen ; wohl aber kann ein
Register mehrfach registriert werden, z. B. die Oktave
4' als 4' oder 2' oder 1', wodurch kleinere Orgeln eine
grbBere Registermannigfaltigkeit bekommen.
Transponieren (von lat. transponere, versetzen), auf
eine andere Tonstufe versetzen mit genauer Bewah-
rung aller Intervallverhaltnisse. Von der Transposi-
tion zu unterscheiden ist die Versetzung musikalischer
Bildungen auf eine andere Stufe des diatonischen Sy-
stems mit Veranderung der Lage der Halbtone. Sie be-
gegnet in der mittelalterlichen Musiklehre als Trans-
formation (Versetzung von Gesangen in einen anderen
Modus) ; im Bereich der Dur-Moll-Tonalitat gebraucht
H. Chr.Koch den Terminus Versetzung (im Unter-
schied zu Transposition) fur eine Wiederholung in
ebenderselben Tonart, aber auf verschiedenen Stufen der
Tonieiter (KochL, Artikel Transponiren). - Das Prinzip
des Tr.s spielt eine Rolle bei derEntstehung von -* Ton-
systemen und deren theoretischen Erfassung, so bei der
Darstellung v-bn verschiedenen Tonleitern innerhalb
eines feststehenden Oktavrahmens (»Oktavgattungen«;
->■ Systema teleion) und in - der -»■ Hexachord-Lehre
(-*■ Solmisation). Die mittelalterliche Lehre von den
-»■ Kirchentonen kennt die Transposition als Verset-
zung eines Gesanges auf eine andere Tonstufe, meist
die Oberquinte (Confmalis) oder Oberquarte der re-
gularen Finalis; bei unveranderter Abfolge der einem
Modus zugehorigen Intervallschritte ermoglicht sie
die Notierung bestimmter chromatischer Halbtone
(z. B. wird der Ton es notiert als brotundum bei
Quarttransposition, fis als hquadratum bei Quinttrans-
position). In der mehrstimmigen modalen Musik er-
gibt die Oberquarttransposition einen veranderten Am-
bitus der Stimmen in bezug auf den Finalton und da-
mit andere Moglichkeiten der Melodiebildung inner-
halb eines Modus. Im neuzeitlichen System der ->■ Ton-
arten, das nur noch zwei Tongeschlechter kennt, stehen
alle Dur- und alle Mollskalen zueinander im Verhaltnis
der Transposition.
Im Bereich der Komposition ist die Wiederaufnahme
einer musikalischen Gestalt in transponierter Form ein
in verschiedensten Zusammenhangen verwendetes
Mittel der Formbildung. Als typische Falle konnen
z. B. die Sequenz mit intervallgetreuer Wiederholung
(-> Rosalie), die reale -*■ Beantwortung eines Fugen-
themas und die (meist allerdings variierte) Wiederauf-
nahme des -*■ Seitensatzes in der Reprise eines Sonaten-
satzes erfafk werden. In der ->■ Zwolftontechnik spielt
die Transposition bei der kompositorischen Verwen-
dung der -*■ Reihen, gelegentlich auch in deren inne-
rem Aufbau, eine Rolle. - In der Geschichte der Auf-
fiihrungspraxis begegnet das Tr. vor allem als Aufgabe
fiir die Spieler von Tasteninstrumenten. Die unein-
heitliche Hohe des -»■ Stimmtons forderte vom Orga-
nisten bei der -> Intonation (- 1) und der ->■ alternatim-
Ausfiihrung liturgischer Stiicke Anpassung an den
Stimmumfang von Liturg und Chor. Deshalb fand be-
reits im 16. Jh. in den Lehrbiichern des Tastenspiels (J.
Bermudo 1555, T. de Santa Maria 1565, G.Diruta
1593-1607) das Tr. eine ausfiihrliche Darstellung mit
Beriicksichtigung der je nach Tonart der Stiicke sowie
Stimmton und -> Temperatur der Instrumente unter-
schiedlichen Erfordernisse. Eine weitere Aufgabe fiir
das Tr. ergab sich mit dem Aufkommen der General-
baBpraxis. Fiir Stiicke in hoher Schliisselung (-> Chia-
975
Transponierende Instrumente
vette) gait im friihen 17. Jh. als Regel die Transposition
in die Unterquarte oder Unterquinte (Praetorius Synt.
Ill, S. 80f.). Differenzierte Anweisungen zum Tr. (auch
um eine Terz oder eine Sekunde) gibt H. Schiitz in der
GeneralbaBstimme des Beckerschen Psalters (Ausgabe
von 1661). - Eine wichtige Rolle spielt das Tr. in der
Gattung des klavierbegleiteten Sololiedes, um die
Stiicke der Ausfiihrung durch Sanger verschiedener
Stimmlage zuganglich zu machen. Seit der Mitte des
19. Jh. biirgerte sich die Herausgabe transponierter Lied-
fassungen (neben der meist originalen hohen Fassung
Ausgaben fiir mittlere und tiefe Stimmlagen) ein.
Auch in der Oper gibt es die Transposition einzelner
Stiicke; so transponierte R.Wagner die urspriinglich in
A moll konzipierte Ballade der Senta im Fliegenden
Hollander fiir W. Schroder-Devrient nach G moll. Die
kiinstlerische Vertretbarkeit des Tr.s schwindet in dem
MaBe, in dem der Charakter eines Werkes durch die
originale Stimmlage (z. B. J.Brahms, Vier Ernste Ge-
sange fiir eine Bafistimtne und Kl. op. 121; H.Wolf, 3
Gedichtevon Michelangelo fiir eine Bafistimtne und Kl.) und
Tonhohe (->- Tonartencharakter) mitbestimmt wird.
Bei der -> Bearbeitung (- 2) von Werken wurde mit-
unter (etwa mit Rucksicht auf eine andere Besetzung)
eine von der urspriinglichen abweichende Tonart ge-
wahlt. So hat u. a. J. S. Bach Vivaldis Concerto fiir 4 V.
in H moll op. 3 Nr 10 in seiner Bearbeitung fiir 4 Kl.
(BWV 1065) nach A moll transponiert, ebenso sein
Doppelkonzert fiir 2 V. in D moll (BWV 1043) in der
Bearbeitung fur 2 Kl. (BWV 1062) nach C moll ; W. A.
Mozarts Flotenkonzert D dur, K.-V. 314, gibt es auch
als Oboenkonzert in C dur; Beethoven schrieb zu sei-
ner Klaviersonate E dur op. 14 Nr 2 eine Streichquar-
tettfassung in F dur. Ein Sonderfall ist J. S. Bachs Trans-
position der urspriinglich in C moll komponierten Kla-
vierpartita nach H moll, BWV 831 (vielleicht um sie
in den Tonartenplan der beiden ersten Teile der Clavier-
Ubung einzuordnen). Die Transposition des von Schu-
bert in Ges dur komponierten Impromptu op. 90 Nr 3
nach G dur geht auf den Verleger Haslinger zuriick.
Transponierende Instrumente nennt man diejeni-
gen Blasinstrumente, fiir welche als C dur die Tonart
notiert wird, die ihrer Naturskala entspricht. Beim Le-
sen ist entsprechend um das Intervall zwischen c und
dem Ton, der die Stimmung des Instruments angibt,
zu transponieren. So entspricht z. B. in Brahms' Quin-
tett op. 115, 1. Satz, bei der Klarinette in A der Notie-
rung (a) der Klang (b) :
. - r i r i i r r r i r i r i
Die gebrauchlichsten Tr.n I. des Orchesters sind : Eng-
lisch Horn (in F), Klarinette in B und A, Bafiklarinette
in B und A, Horn in D, Es und F, Trompete in B, D,
Es und F, Kornett in B und A. In neuerer Zeit werden
vielfach auch diese Instrumente ihrem Klang entspre-
chend notiert (wobei dem Spieler die Wahl der spiel-
technisch giinstigsten Stimmung des Instruments ge-
lassen wird), so von Schonberg seit der Serenade op. 24
(1924) und im AnschluB daran von A. Berg und We-
bern. - Im weiteren Sinne wird die Bezeichnung Tr. I.
auch fiir solche Instrumente gebraucht, die eine Oktave
hoher (Piccoloflote, Celesta) oder defer (Kontrafagott,
Horn in C, KontrabaB) klingen als notiert.
Lit.: N. Herz, Theorie d. transponierenden Musikinstr.,
Wien 1911; H. Erpf, Lehrbuch d. Instrumentation u. In-
strumentenkunde, Mainz (1959).
Traquenard (trakn'a:r, frz., »Halbpa8«, eine Gang-
art desPferdes; ital. traccanario), einim 17. Jh. entstan-
dener Tanz, wahrscheinlich franzosischen Ursprungs,
in raschem 4/4-Takt, mit ein facher Harmonik. Sein
punktierter Rhythmus J.JJ.jJT^J ahmt den Pferde-
Tr. nach. Der Tr. erscheint auch in Suiten des 17. Jh.,
u. a. bei Erlebach, J. C. F. Fischer und Georg Muffat.
Trautonium, ein von Fr. -> Trautwein an der Ber-
liner Musikhochschule entwickeltes ->• Elektrophon,
das 1930 erstmals vorgefiihrt wurde. Das Tr. besteht
aus einem Niederfrequenz-(Kippschwingungs-)Gene-
rator, einem Verstarker, aus Lautsprecher(n) und einer
Spielvorrichtung, die es ermoglicht, die Grundfrequenz
der vom -*■ Generator erzeugten Schwingungen durch
einen variablen Widerstand zu verandern. Als Wider-
stand dient ein Draht, der iiber einer Metallschiene aus-
gespannt ist und vom Spieler ahnlich wie eine Violin-
saite abgegriffen wird. Durch die Beriihrung mit der
Metallschiene wird der Schwingkreis geschlossen; ab-
hangig vom Druck gegen die Schiene wird ein Fliissig-
keitswiderstand verandert und damit die Intensitat.
Auch ein Vibrato laBt sich auf diese Weise erzeugen.
Das Instrument war zunachst nur fiir 1st. Spiel einge-
richtet, wurde jedoch von Trautweins Mitarbeiter O.
-> Sala durch Verdoppelung des Generators und der
Spielsaite zu einem Instrument fiir 2st. Spiel ausgebaut.
Die Teilschwingungs-Zusammensetzung ist durch
elektrischeResonanzkreise(»Formantkreise«)beeinfluB-
bar. Durch eine Frequenzteilerschaltung konnen sub-
harmonische Teiltone (->■ Untertone) erzeugt werden,
die fiir die Musikpraxis ein neues Phanomen darstellen.
Sala hat das derart erweiterte Instrument, auf dem er
auch als Komponist und virtuoser Spieler hervortrat,
Mixtur-Tr. genannt. Fiir das Tr. komponierten u. a.
Hindemith (Concertino, 1931) und H. Genzmer (2 Kon-
zerte, 1939 und 1952), ferner P.Hoffer, J.Weismann
und H.Riethmuller. Das Tr. kann als Ersatz fiir die
->• Ondes musicales dienen. Auch fiir Filmmusiken und
zur Herstellung des »Rohmaterials« fiir elektronische
Musik wird es verwendet. Gegenwartig gibt es das Tr.
nur in einer einzigen Ausfiihrung in Berlin, wo es von
O. Sala gespielt wird.
Lit.: Fr. Trautwein, Elektrische Musik, Bin 1930; O.
Sala, Trautoniumschule, hrsg. v. Fr. Trautwein, Mainz
(1933); ders., Experimentelle u. theoretische Grundlagen
d. Tr., Frequenz II, 1948; ders., Subharmonische elektri-
sche Klangsynthesen, in: Klangstruktur d. Musik, hrsg. v.
Fr. Winckel, Bin (1955) ; ders., Elektronische Klanggestal-
tung mit d. Mixtur-Tr., Sonder-H. Gravesano, Mainz
(1955); ders., Mixtur-Tr. u. Studio-Technik, Gravesaner
Blatter VI, 1962, H. 23/24; E. Stockmann, Der mus. Sinn
d. elektro-akustischen Musikinstr., Diss. Bin 1953, maschr.
Trayn (tre, frz., Zug; auch traynour, treyn), wahrend
des 14./15. Jh. in Frankreich gebrauchliche Bezeich-
nung fiir durch ->■ Color (- 1) gekennzeichnete syn-
kopenartige Bildungen. Philippus de Caserta (bzw.
Egidius de Murino, CS III, 123f.) identifiziert Tr. je-
doch mit einer Gruppe von drei 2zeitigen anstelle von
zwei 3zeitigen Noten (in der Art einer Hemiole), der
Autor der Quatuor principalia (CS IV, 277b) mit der
Proportion 4:3.
Treble (tjebl, engl.; lat. -*■ triplum, span, tiple) heiBt
in der mehrstimmigen englischen Musik seit dem 14.
Jh. zunachst die iiber dem Tenor und -»■ Meane liegen-
de 3. Stimme eines Satzes. In den englischen Diskant-
traktaten des 15. Jh. hat der Tr. einen eigenen -> Sight.
Bei 4st. Satz mit BaBstimme wird Tr. als Oberstimme
976
Trecento
synonym mit Soprano gebraucht, ist aber nicht im So-
pran-, sondern im Violinschliissel notiert. Morley (A
Plaine and Easie Introduction, 1597, Neudruck London
1952, S. 226) z. B. iibersetzt Zarlinos Bezeichnung
soprano (Istitutioni harmoniche, S. 284f.) im 4st. Satz mit
tr. Heute noch bezeichnet Tr. in England die hochste
Stimme einer vokalen oder instrumentalen Kompo-
sition. Die Instrumentennamen tr. viol und tr. recorder
(s. v. w. Altblockftote) beziehen sich auf tiefere Instru-
mente als descant viol und descant recorder.
Trecento (tretfento, ital., vierzehntesjh.). Musik des
Tr.s ist eine schlagwortartige Bezeichnung fur die weit-
hin eigenstandig italienische, in der Hauptsache mehr-
stimmige, volkssprachliche, weltliche Musik von etwa
1330 bis zum Anfang des 15. Jh. Sie entstand und entfal-
tete sich zur Zeit Petrarcas, Boccaccios und Franco Sac-
chettis im wesentlichen als eine Kunst hofischer und
biirgerlich aristokratischer Geselligkeit, eine solistische
Liedkunst, die vor spatmittelalterlichen Hintergriinden
renaissancehafte Ziige auspragt. - Bis etwa zur Jahr-
hundertmitte sind als Pflegestatten vor allem nachweis-
bar die oberitalienischen Signorien Mailand unter der
Herrschaft der Briider Luchino und Giovanni Visconti
(f 1349 und 1354), Verona unter der Regierung der
Briider Alberto und Mastino II. della Scala (f 1352 und
1351) und die Universitatsstadt Padua zur Zeit der
Scaligeri und (ab 1337) der Carrareri; hier wirkten
(vielleicht) -> Marchettus de Padua, der bedeutendste
Musiktheoretiker des Tr.s, und (mit Sicherheit) der Li-
teraturtheoretiker Antonio da -» Tempo und der Uni-
versitatsprofessor Prosdocimus de -»• Beldemandis, der
im friihen 15. Jh. noch einmal die italienische Nota-
tion in ihrerEigenart behandelte und beurteilte (Tracta-
tus practice cantus mensurabilis ad modum Italicorum, 1412).
In ihrer ersten Phase ist die Musik des Tr.s gekenn-
zeichnet durch die Entstehung der Gattungen -*■ Ma-
drigal (auch kanonisches Madrigal) und -*■ Caccia.
Beide sind, neben der zunachst nur 1st. iiberlieferten
->■ Ballata, erstmals greifbar im oberitalienischen Frag-
ment Rs (-> Quellen), das neben anonymen Stiicken
auch Kompositionen von -> Giovanni da Cascia und
->• Piero da Firenze enthalt. Madrigale des -»■ Jacopo da
Bologna eroffnen die ebenfalls oberitalienische Hand-
schrift PR (I) und das Manuskript Pit. Zur alteren
Gruppe der Tr.-Komponisten gehoren u. a. auch
-*■ Gherardello de Florentia und -»• Donato de Flo-
rentia. Ober die Herkunft dieser relativ plotzlich in
Erscheinung tretenden Tr.-Musik ist mangels prakti-
scher Denkmaler aus der Zeit vor 1330 (-* Italienische
Musik) wenig bekannt. Diskutiert werden als Aus-
gangspunkte: die provenzalische Trobadorkunst (Bes-
seler), der franzosische Conductus (Ellinwood), der
Motettentypus des Petrus de Cruce (Apel) und neuer-
dings vor allem die eigenstandig italienische Tradition
der kirchenmusikalischen Mehrstimmigkeit (Pirrotta)
und der Improvisationspraktiken (K.V.Fischer). - Zu
den besonderen Merkmalen der Musik des friihen Tr.s
gehoren die italienische Notation (->• Divisiones; Sechs-
liniensystem) sowie der quasi improvisatorische und
doch in der Darstellung der Textformen hochst kunst-
volle 2- oder 3st. Satz mit melismenreichen (auch ka-
nonischen) Oberstimmen und einer ebenfalls vokal
konzipierten »begleitenden« Unterstimme. Das impro-
visatorische Moment scheint sich in den oft stark von-
einander abweichenden Uberlieferungen der Stiicke
zu spiegeln. Das Zusammenwirken von Gesang und
Instrument(en) ist vielfach bezeugt. Eine Reihe von
Stiicken ist in Bearbeitungen f iir ein Tasteninstrument
iiberliefert (Kodex Fa; 2 Stiicke auch im Kodex Reina:
PR II, i. 84, Nr 184f .). - Nicht nur in ihren Gattungen,
ihrer Notationsart und ihren Stileigentiimlichkeiten
unterscheidet sich diese Liedkunst von der gleichzeiti-
gen franzosischen Musik, sondern auch darin, daB es
sich hier offenbar nicht um eine Ars nova auf der Grund-
lage einer Ars antiqua handelt, sondern um einen Neu-
ansatz. (Der Begriff ->• Ars nova ist im 14. Jh. in Italien
nicht zu belegen und sollte als Bezeichnung fur die
Musik des Tr.s vermieden werden.)
In einer zweiten Generation, in deren Mittelpunkt
Francesco -> Landini, der bedeutendste Komponist des
Tr.s, steht, verlagerte sich das Schwergewicht des Schaf-
fens auf die Ballata ; der 3st. Satz gewann an Bedeutung
(unter Landinis 154 erhaltenen Kompositionen gibt es
141 Ballate, davon sind 49 dreistimmig). Geographisch
stand nun Mittelitalien mit Florenz und der Toscana
im Vordergrund. Die friiheste Florentiner Handschrift
(->■ Quellen : FP) ordnet das Repertoire nach Gattun-
gen und beginnt mit den Ballate; jede der Gruppen
wird mit Landinis Werken eroffnet. Begiinstigt einer-
seits durch den auch wahrend des Schismas f ortdauern-
den Kulturaustausch in Avignon und durch die Riick-
kehr des papstlichen Stuhls nach Rom (1377), anderer-
seits durch die Herrschaft franzosischer Fiirsten u'ber
italienische Territorien (Neapel, Genua), geriet die Mu-
sik des Tr.s in dieser Zeit unter den EinfluB der ihr in
mancher Hinsicht artifiziell iiberlegenen franzosischen
Musik (Quellen: PR II; Pit; Mod A). Ersichtlich wird
dies u. a. am Eindringen von Elementen der hochent-
wickelten franzosischen Notationskunst (»gemischte
Notation«), an Umschriften urspriinglich italienisch
notierter Stiicke in franzosische (Longa-)Notation so-
wie an der haufigeren Wahl franzosischer Texte, am
Aufgreifen des -*■ Kantilenensatzes und der Motetten-
technik sowie am starkeren Hervortreten der geistli-
chen Mehrstimmigkeit. - Zu einer dritten Generation,
der Spatzeit der Tr.-Musik (etwa 1390-1420), zahlen
Nicolo da Perugia (nachweisbar in Florenz und um
1400 in Padua), -> Gratiosus de Padua, ->■ Paulus de
Florentia, -*■ Bartolino da Padua, Magister ->■ Zacha-
rias sowie der Florentiner Organist Frater Andreas
(f um 1415). Das Schaffen dieser Komponisten zeigt
teils eine bewuBt erstrebte (retrospektive oder restaura-
tive) Einfachheit, teils die Subtilitat einer Spatzeit mit
verstarkter Anlehnung an franzosische Vorbilder. Der
Mailander Cantor -> Matheus de Perusio, der in Avi-
gnon wirkende Philippus de ->■ Caserta und Anthonello
da — >• Caserta gehoren in ihren erhaltenen Kompositio-
nen im wesentlichen zur franzosischen Tradition, wah-
rend der Liitticher Komponist J. -> Ciconia, der von
1403-11 in Padua nachweisbar ist, Elemente der Tr.-
Musik aufgenommen und weiterentwickelt hat.
Insgesamt sind rund 625 mehrstimmige weltliche Tr.-
Kompositionen iiberliefert, in etwa 30 verschiedenen
Handschriften, darunter zahlreichen Fragmenten, die
zum Teil erst in jiingster Zeit entdeckt wurden. Die
wichtigsten erhaltenen ->. Quellen der Tr.-Musik sind,
abgesehen vom Kodex Rossi (Rs), Sammelhandschrif-
ten, die erst in der Spatzeit des Tr.s aus Liebhaber-, Re-
prasentations- oder Restaurationsinteressen angefertigt
wurden und das Repertoire unter verschiedenen Ge-
sichtspunkten systematisch ordnen, entweder nach
Komponisten in chronologischer Folge (PR ; Sq) oder
nach Gattungen (Lo), teils auch inneihalb der Gattun-
gen nach Komponisten (FP; Pit). Zu den wichtigen
Tr.-Quellen gehoren auch der Mancini-Kodex (Man),
das Motettenfragment Padua 1106 (PadD; JAMS VIII,
1955) sowie das Fragment Lowinsky (NYL; MD X,
1956). Der stafke franzosische EinfluB auf die italieni-
sche Musik wird vor allem durch die Handschrift Mod A
bezeugt. - Die Kompositionsart des spateren Tr.s wirk-
te auf Musiker ein, die, dem Vorbild Ciconias folgend,
62
977
Trecento
voriibergehend nach Italien zogen, so u. a. auf Fon-
taine, Grenon, die Briider -> Lantins, Guillaume Le-
grant und auf Dufay (der zwischen 1420 und 1433 u. a.
am Hof der Malatesta von Rimini und Pesaro, in Bo-
logna und in Rom weilte). Sie wurde somit - besondefs
im Hinblick auf die (»dominantische«) Harmonik und
die Rolle der tiefsten Stimme des Satzes als Harmonie-
trager - zu einer wichtigen Komponente der Musik der
beginnenden -> Franko-flamischen Schule, wahrend
in Italien selbst sich die Musik des Tr.s in die »schwei-
gende« Epoche (Pirrotta) des Quattrocentos verlor.
Ausg. u. Lit. (soweit nicht genannt in d. -v Quellen Fa,
FP, Lo, Man, ModA, Pit, PR I-IH, Rs, Sq): The Music of
Fourteenth Cent. Italy, hrsg. v. N. Pirrotta, = CMM
VIII, (Rom) seit 1954; The Ms. London, Brit. Mus., Add.
29987, Faks. hrsg. v. G. Reaney, = MSD XIII, (Rom)
1965. - K. v. Fischer, Studien zur ital. Musik d. Tr. u.
fruhen Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen
Musikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956), mit Repertoire-
kat.; ders., Neue Quellen zur Musik d. 13., 14. u. 15. Jh.,
AMI XXXVI, 1964; V. L. Hagopian, Ital. Ars Nova Mu-
sic. A Bibliogr. Guide to Modern Ed. and Related Lit.,
= Univ. of California Publications in Music VII, Berkeley
(Calif.) 1964, dazu U. Gunther in: Mf XX, 1967. - F. Vil-
lani, Liber de origine civitatis Florentiae et eiusdem
famosis civibus (nach 1380), hrsg. v. G. C. Galletti, Flo-
renz 1847; J. Burckhardt, Die Kultur d. Renaissance in
Italien, Basel 1860 u. 6., NA in GA V, Stuttgart 1930; H.
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deleeuwen, Utrecht 1951, deutsch als: Duecento. Hohes
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Zurich u. Stuttgart 1960 (mit einem Beitr. v. K. v. Fischer) ;
L. Ellinwood, The Fourteenth Cent, in Italy, in : The New
Oxford Hist, of Music III, London 1960; N. Bridgman,
La vie mus. au Quattrocento . . ., Paris (1964). - Fr. Lud-
wig, Studien iiber d. Gesch. d. mehrst. Musik im MA I:
Die mehrst. Musik d. 14. Jh., SIMG IV, 1902/03; H. Rie-
mann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905, 21920; A. Schering,
Studien zur Mg. d. Fruhrenaissance, = Studien zur Mg. II,
Lpz. 1914; H. Besseler, Die Musik d. MAu. d. Renaissance,
Biicken Hdb. ; ders., Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950;
L'ArsNova, = LesColloquesdeW<5gimontII, 1955; L'Ars
nova ital. del Tr., Kgr.-Ber. Certaldo 1959; G. Reaney,
Ars Nova in Italy, in: The Pelican Hist, of Music I, Lon-
don 1960.
J. Wolf, La notazione ital. nel s. XIV, in: La Nuova Mu-
sica IV, 1899 ; ders., Florenz in d. Mg. d. 14. Jh., SIMG III,
1901/02; H. Gutmann, Der Decamerone d. Boccaccio als
mg. Quelle, ZfMw XI, 1928/29; W. Korte, Die Harmonik
d. fruhen 15. Jh Munsteri. W. 1929; ders., Contributi
alia storia della musica in Italia I, 1400-25, RMI XXXIX,
1 932 ; M. Steiner, Ein Beitr. zur Notationsgesch. d. fruhen
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215, Diss. Wien 1931, maschr.; H. Zenck, Die Musik im
Zeitalter Dantes, Deutsches Dante- Jb. XVII (=N. F.
VIII), 1935; L. Ellinwood, Origins of the Ital. Ars Nova,
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. . . , Florenz 1938; F. Torrefranca, II segreto del Quattro-
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XI V, in : Atti della R. Accad. di scienze, lettere ed arti di
Palermo IV, 4, 2, 1942^t4; ders., II Petrarchismo della
poesia mus. e il gusto del popolaresco in Italia agli inizi del
s. XV, in: Siculorum Gymnasium, N. S. VIII, 1955; F.
Ghisi, Ital. Ars Nova Music, Journal of Renaissance and
Baroque Music 1, 1946/47; J. R. White, Music of the Early
Ital. Ars Nova, Diss. Indiana Univ. 1952, maschr. ; W. Ost-
hoff, Petrarca in d. Musik d. Abendlandes, Castrum Pere-
grini XX, 1954; G. Vecchi, Uffici drammatici padovani,
Bibl. delPArch. Romanicum I, 41, 1954; ders., Su la
composizione del »Pomerium« di Marchetto da Padova e
la »Brevis compilation Quadrivium I, 1956; ders., Tra
monodia e polifonia, CHM II, 1956; N. Pirrotta, Mar-
chettus de Padua and the Ital. Ars Nova, MD IX, 1955;
ders., Due sonetti mus. del s. XIV, Miscelanea en ho-
menaje a H. Anglfes II, Barcelona 1958-61; ders., Paolo
Tenorista in a New Fragment of the Ital. Ars Nova, Palm
Springs (Calif.) 1961 ; ders., Ars nova e stil novo, Rivista
ital. di musicologia I, 1966; ders., Music and Cultural
978
Tendencies in 15 lll -Cent. Italy, JAMS XIX, 1966; Dr.
Plamenac, Another Paduan Fragment of Tr. Music,
JAMS VIII, 1955; ders., Faventina, in: Liber amicorum,
Fs. Ch. Van den Borren, Antwerpen 1964; K. v. Fischer,
Kontrafakturen u. Parodien ital. Werke d. Tr. u. fruhen
Quattrocento, Ann. Mus. V, 1957; ders., Trecentomusik -
Trecentoprobleme. Ein kritischer Forschungsber., AMI
XXX, 1958; ders., Zur Entwicklung d. ital. Tr.-Notation,
AfMw XVI, 1959; ders., On the Technique, Origin, and
Evolution of Ital. Tr. Music, MQ XLVII, 1961 ; ders., Ein
Versuch zur Chronologie v. Landinis Werken, MD XX,
1966; N. Goldine, Fra Bartolino da Padova, AMI XXXIV,
1962; M.L. Martinez, Die Musik d. fruhen Tr., = Miinch-
ner Veroff. zur Mg. IX, Tutzing 1963; R. Baehr, Dantes
Verhaltnis zur Musik, Deutsches Dante-Jb. XLI/XLII,
1964; B. Becherini, Le insegne viscontee e i testi poetici
dell'ars nova, in : Liber amicorum, Fs. Ch. Van den Borren,
Antwerpen 1964; Th. Gollner, Landinis »Questa fanciul-
la« bei O. v. Wolkenstein, Mf XVII, 1964; R. Hammer-
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Dante-Jb. XLI/XLII, 1964; M. Caanitz, Petrarca in d.
Gesch. d. Musik, Diss. Freiburg i. Br. 1966, maschr.; K.
Meyer-Baer, Music in Dante's Divina Commedia, in:
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NY (1966); R. Monterosso, Un »auctoritas« dantesca in
un madrigale dell'ars nova, CHM IV, 1966; R. Strohm,
Neue Quellen zur liturgischen Mehrstimmigkeit d. MA in
Italien, Rivista ital. di musicologia 1, 1966. HHE
Tredezime, Terzdezime (lat. tertia decima, drei-
zehnte), die Sexte iiber der Oktave.
Tremblement (trabtam'a, frz.) ->■ Trill er.
Tremolo (ital., Abk. : trem.), - 1) -»- Verzierung, be-
stehend aus einem wiederholten Wechsel zwischen ei-
ner Note und deren oberer oder unterer Nebennote;
-> Triller; - 2) bei Streichinstrumenten rascher gleich-
maBiger Bogenwechsel auf demselben Ton, moglich in
verschiedenen Schnelligkeitsgraden, z. B. g bzw. % ;
erstmals definiert von Monteverdi als Ausdrucksmittel
des genere concitato (Vorrede zu II combattimento di
Tancredi e Clorinda, 1624), aber bereits 1617 in B.Ma-
rinis Sonate a 3 La Foscarina belegt. Die Definition in
BrossardD beruht auf einer Verwechslung mit ->• on-
deggiando. - 3) rascher gleichmaBiger Wechsel zwi-
schen zwei in groBerem Abstand als dem einer Se-
kunde auseinanderliegenden Tonen, z. B.
fiihrbar auf Streichinstrumenten (nicht mit dem Bo-
gen, sondern mit den Fingern), auf Blasinstrumenten
und auf dem Klavier (auf letzterem auch in Oktaven
und Akkorden; -> Abbreviaturen - 5). - 4) Beim Ge-
sang wurde das sogenannte Tremulieren, ein Schwan-
ken der Stimme innerhalb eines sehr kleinen Intervalls,
bereits im italienischen Kunstgesang der Renaissance
haufig als Stimmfehler verurteilt, der sich inf olge man-
gelhafter Atemtechnik bemerkbar gemacht habe. Um
1600 wurde in Italien eine besondere Form des Tr.s, die
mehrmalige Tonwiederholung auf langeren oder auch
kiirzeren Noten, als eine Gesangsverzierung definiert
(-> Trillo - 2). Spater bezeichnete Tr. ein dem alten
italienischen Trillo verwandtes Fluktuieren der Stimm-
intensitat auf demselben Ton, ohne Veranderung der
Tonhohe, das in neuerer Zeit den Charakter einer Ver-
zierung verlor, ahnlich wie das -> Vibrato, mit dem es
haufig verwechselt wird. - 5) -*■ Tremulant der Orgel.
Lit. : zu 2) : E. Schenk, Zur Auffuhrungspraxis d. Tr. bei
Gluck, Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962).
Tremulant (von lat. tremere, zittern ; frz. tremblant)
ist eine mechanische Vorrichtung (Wippventil) im
Windkanal der Orgel nahe vor der Windlade, die den
sonst gleichmaBig flieBenden Orgelwind durch rhyth-
mische StoBe in Bebung versetzt. Eine ahnliche Wir-
kung wird durch schwebende Orgelstimmen (Bifara)
Tricinium
mit doppelt labiierten Pfeifen erzielt, bei denen das eine
Labium etwas hoher als das andere angebracht ist und
daher Schwebungen entstehen. Auch das aus 2 Pfei-
fenreihen zu 8' und 4' bestehende Labialregister Piffaro
bringt eine schwebende Wirkung hervor. Ahnlich er-
sonnen ist Unda maris (lat., Meereswelle), eine Floten-
stimme 8', l-2chorig, die gegeniiber den anderen Stim-
men der Orgel um ein geringes zu tief oder zu hoch
gestimmt ist; sie wurde 1703 von Casparini in der gro-
Ben Orgel von St. Peter und Paul in Gorlitz gebaut,
danach ofter von G. Silbermann. Eine schwebende
Stimme ist auch die aus 2 eng mensurierten Pfeifen-
reihen 8' von Streichermensur bestehende Vox coelestis
(lat., himmlische Stimme). Der Tr. in seiner altesten
Form ist der heftig »sto6ende« Bock, vor allem zum
Zungenwerk. E.Compenius zufolge sind die besten
Tr.en diejenigen, die 8 schlage vff einen rechtmafiigen
Tact schlagen vndfein sanffte beben, auch bestandig densel-
ben schlag und Mensur behalten (Kurtzer Bericht . . . , ed.
Blume, S. 23). S. Scheidt (1627) riihmt den Tr.en als ein
nach alter Organisten Bekenntnis vornehmes und Prinzipal-
stiick in der Orgel, und C.Trost (1677) verlangt ihn
ganz sanfft und leise undgerade recht auf 6/4 Tact gerichtet.
Wahrend der Tr. friiher auf nur je eine Windlade an-
gelegt war, wurde er nach 1700 in den Hauptkanal ver-
legt und wirkte sich damit auf die ganze Orgel aus. Da-
gegen disponierte der deutsche und franzosische friih-
romantische Orgelbau fur je eine Windlade einen star-
ken (tremblant fort oder a vent perdu) und einen schwa-
chen Tr.en (tremblant doux). In neuerer Zeit wiinschen
die Organisten, die Abfolge der WindstoBe des Tr.en
regulieren zu konnen.
Lit.: E. Compenius, Kurtzer Ber., WaB bey uberliefferung
einer Klein u. grosverfertigten Orgell zu observiren, hrsg.
v. Fr. Blume als: M. Praetorius u. E. Compenius Org.
Verdingnis, = Kieler Beitr. zur Mw. IV, Wolfenbiittel u.
Bin 1936; Th. Schneider, Die Orgelbauerfamilie Com-
penius, AfMf II, 1937.
Trenchmore (ti'entfma : j, engl.), ein im 16. und 17.
Jh., besonders am Hofe Karls II. beliebter englischer
Tanz in bewegtem Dreiertakt'(3/8) und punktiertem
Rhythmus. Eine Beschreibung des Tr. bietet Playf ord in
The Dancing Master ( 5 1675).
Tresca (prov. und ital., altfrz. tresche, von got. thris-
kan, ahd. drescan, dreschen; ital. trescare, auch tanzen,
springen), ein mittelalterlicher Tanz, wahrscheinlich
ein von mehreren Paaren ausgefiihrter Kettenreigen.
Beschreibungen zufolge wurde er gesprungen und mit
grofien Armbewegungen ausgef unit. Literarisch ist die
Tr. vom 11. bis zum 15. Jh. nachzuweisen, so in der
Chanson de Sainte Foy (11. Jh.), in Romanen des 12. und
13. Jh. (z. B. Roman de la Rose, Anfang 13. Jh.), in Dan-
tes Divina Commedia, bei Gilles li Muisis (14. Jh.) und J.
Gerson (15. Jh.). DaB die Tr. auch gesungen und von
Instrumenten begleitet wurde, geht z. B. aus dem Text
von A. de la Halle (Jeu de Robin et de Marion, um 1285)
hervor.
Lit. : M. Sahlin, Etude sur la carole m&iievale, Uppsala
1940.
Treviso.
Lit. : D. G. D'Alessi, Organo e organisti della cattedrale
di Tr., Tr. 1929; ders., Maestri e cantori fiamminghi nella
cappella mus. di Tr., TVer XV, 1938; ders., La cappella
mus. del duomo di Tr., Tr. 1954.
Trezza, eine in H. J. Fr. Bibers Harmonia artificiosa-ariosa
(1685, Suite 4 und 7), auch beijoh. H. und A. A. Schmel-
zer vorkommende Bezeichnung eines schnellen Tanz-
satzes im 6/4- bzw. 6/8-Takt.
Trjangel (von lat. triangulum, Dreieck), idiophones
Schlaginstrument ohne bestimmte Tonhohe. Das (sel-
tener auch »der«) Tr. besteht aus einem Stahlstab, der zu
einem zumeist gleichseitigen, an einer Ecke offenen
Dreieck (Seitenlange etwa 30 cm) gebogen ist. Das
Instrument hangt frei an einem Faden und wird mit ei-
nem Metallstab (friiher auch Holzstab) angeschlagen,
dessen Lange und Starke der jeweils verlangten Laut-
starke angepafit sind (bei pp verwendet man haufig diin-
ne Stricknadeln). Die Aufreihung einiger Klirringe auf
der Unterstange ist seit Anfang des 19. Jh. nicht mehr
iiblich. Das Tr. ist seit dem hohen Mittelalter im euro-
paischen Schlaginstrumentarium bekannt (Abbildun-
gen : Miniatur der Wenzelsbibel, Ende 14. Jh. ; Aache-
ner Engelskonzert, 1414; Praetorius Synt. II); ob mit
dem mittelhochdeutschen stegereyff das Tr. gemeint
war, ist nicht sicher. Aufnahme im Orchester, vor al-
lem im Opernorchester, fand das Tr. erst mit dem Auf-
kommen der ->• Janitscharenmusik in der 2. Half te des
18. Jh. Im 19. Jh. erhielt es seinen festen Platz als hellstes
und durchdringendstes Instrument in der Schlagzeug-
gruppe des Orchesters. Seine Verwendungsmoglich-
keiten reichen von der Markierung einfacher Rhyth-
men bis zum Wirbel in alien dynamischen Schattierun-
gen. Notiert wird das Spiel des Tr.s bei den Klassikern
und in der Friihromantik meist in einem Fiinfliniensy-
stem auf einem Ton (oft c 2 ), spaterhin gewohnlich auf
einzelner Linie.
Lit. : M. H. Greenfield, Drums and Triangles, London
1951; H. Kunitz, Die Instrumentation X (Schlaginstr.),
Lpz. 1960.
Trias (lat., Dreiheit) bezeichnet in der deutschen Mu-
siktheorie des 17. und friihen 18. Jh. den -*■ Dreiklang,
der als Zusammensetzung von dreiEinzeltonen (Mona-
des) bzw. drei Zweiklangen (Dyades) begriffen wurde.
Die konsonierenden Triades harmonicae, der Dur- und
der Molldreiklang, wurden nach dem unterscheiden-
den Intervall, der Terz, Tr. harmonica maior oder per-
fecta (Dreiklang mit groBer, vollkommener Terz) und
Tr. harmonica minor oder imperfecta (Dreiklang mit
kleiner, unvollkommener Terz) genannt. Die disso-
nierenden Triades anarmonicae galten als Abweichun-
gen, die durch Verminderung (d-f-as, Tr. deficiens)
oder ein UbermaB der Quinte (c-e-gis, Tr. superflua
oder abundans) entstehen. Die Tr. harmonica ist, ahn-
lich wie im Mittelalter die rhy thmische -»■ Perf ectio (- 2) ,
seit C.SchneegaB (1591) undJ.Lippius (1612) als Sinn-
bild der gottlichen Trinitat betrachtet worden.
Trichter heifien die trichterformigen -> Aufsatze der
Lingualpfeifen der Orgel, doch gibt es auch ->■ Regi-
ster (- 1) mit trichterformigen, offenen oder gedeckten
Labialpfeifen.
Tricinium (lat.), eine offenbar von G.Rhaw 1542 ge-
pragte, fast ausschlieBlich im protestantischen Deutsch-
land gebrauchliche Bezeichnung f ur eine meist kontra-
punktisch gearbeitete Komposition, an der die Drei-
stimmigkeit als reizvolle Abweichung von der Norm
der Vierstimmigkeit hervorgehoben werden soil. Tri-
cinien heiBen aber im 16. und beginnenden 17. Jh.
nicht einzelne 3st. Kompositionen (Motetten, Chan-
sons), sondern geschlossene Kompositionsreihen eines
Einzelmeisters (Othmayr) und vor allem Sammelwer-
ke, in denen Kompositionen verschiedener Gattung,
Art und Herkunft unter dem Gesichtspunkt der Drei-
stimmigkeit zusammengestellt sind. Dabei wird die
Dreistimmigkeit als Kunst fiir Kenner betrachtet; sie
wird bevorzugt fiir das gesellige Musizieren eines vo-
kal-instrumentalen Ensembles sowie fiir die musikali-
sche Jugenderziehung und als Exemplum in musik-
theoretischen Abhandlungen. Bei den Triciniensamm-
lungen ist zwischen textlosen, offenbar rein instrumen-
talen Spielstiicken und textierten, wahlweise vokal und
62«
979
Tricotet
instrumental auszufiihrenden Stiicken zu unterschei-
den. Zur ersten, fiir die Entstehung der Instrumental-
musik wichtigen Uberlieferungsgruppe zahlen u. a.
Formschneyders Trium vocum carmina (1538), M. Agri-
colas Instrumentische gesenge (um 1545) und Scottos Fan-
tasie et recerchari a tre voci (1549). Zur zweitgenannten
■ Gruppe gehoren u. a. Kugelmanns Concentus novi trium
vocum (1540), Petreius' Trium vocum cantiones centum
(1541), Rhaws Tricinia (1542), Othmayrs Tricinia (1549),
J.Montanus/Neubers Tricinia (1559ff.), R.Ballards Mo-
dulorum ternis vocibus . . . Volumen I — II (1565), C.J.Hol-
landers Tricinia (1573), Gr. Aichingers Tricinia Mariana
(1598ff.), S.Calvisius' Tricinia (1603) und K.Hagius'
Neue deutsche Tricinien (16043.). - Mit Begirm des 17.
Jh. trat die Bezeichnung Tr. in der Musikpraxis mehr
und mehr zuriick, wahrend die Musiklehre sie bis ins
18. Jh. tradierte.
Ausg.: M. Agricola, Instrumentische Gesenge, hrsg. v.
H. Funck, Wolfenbuttel 1933 ; S. Calvisius, Tricinia, hrsg.
v. P. Rubart, Bin 1949; C. Othmayr, Tricinia, hrsg. v. H.
Albrecht, in: Ausgew. Werke II, = EDM XXVI, Abt.
Ausgew. Werke IV, Ffm. 1956; G. Rhaw, Tricinia, aus d.
NachlaS H. Albrechts hrsg. v. M. Geek (in Vorbereitung
im Rahmen d. Rhaw-GA).
Lit.: Kl. Holzmann, H. Formschneyders Sammeldruck
Trium vocum carmina, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.;
F. Noske, C. J. Hollander en zijn Tricinia, TMw XVII,
1959. MG
Tricotet (trikot'e, frz., auch tricotee), eine Melodie,
die wahrscheinlich auf ein Spielmannslied oder einen
Tanz des 13. Jh. zuriickgeht und die, in verschiedenen
Metren, in Stimmen von Chansons, Quodlibets und
Tanzen bis ins 17./18. Jh. zitiert wird. Die mit Tr. be-
zeichneten Satze bei Corrette undJ.-Ph.Rameau (Nou-
velles suites, um 1728) haben keine erkennbare Be-
ziehung mehr zu dieser Melodie.
Tridentiner Konzil. Das Konzil von Trient (1545—
63) befaBte sich mit Fragen der mehrstimmigen Kir-
chenmusik offiziell erstmals im September 1562 unter
dem Sammelthema Abusus in sacrificio Missae (MiB-
brauche beim MeBopfer). AnlaB fiir die Diskussion
waren mangelnde Textverstandlichkeit und die Ver-
wendung weltlicher C. f. oder Chansons (bzw. Madri-
gale) in MeBkompositionen, auBerdem weltliche Ele-
mente im liturgischen Orgelspiel und allgemein die zu-
nehmende kiinstlerische Autonomic der musikalischen
Komposition. Es war daher konsequent gedacht, wenn
einige Konzilsvater die mehrstimmige Musik aus dem
Gottesdienst entfernen wollten. Demgegeniiber be-
miihte sich eine andere Richtung, dem Konzil Beispiele
polyphoner Kompositionen ohne jene Mangel aufzu-
weisen (z. B. von Lasso und J. de Kerle). DaB Palestrina
zu den inof fiziellen Beratungen und Probevorfiihrun-
gen zugezogen wurde, ist sehr wahrscheinlich; auch
scheint es (nach Jeppesen) sicher, daB er seine Missa
Papae Marcelli, die dem Andenken des reformfreudigen
Papstes Marcellus II. (j 1555) gewidmet ist, im Zusam-
menhang mit dem Konzil komponiert hat. Die Legen-
de hat die Rolle Palestrinas bei den Beratungen des
Konzils jedoch iibertrieben und ihn zum »Retter der
Kirchenmusik« erklaren wollen. Das Konzil schloB sei-
ne Verhandlungen iiber kirchenmusikalische Probleme
mit einem kurzen, allgemein gehaltenen Dekret. Doch
iibte allein schon die Diskussion eine indirekte refor-
merische Wirkung aus. So betonen Animuccia (1563),
Palestrina (1567) und V.Ruffo (1574) in ihren Vorwor-
ten, daB sie den Bestrebungen des Konzils gemaB kom-
ponierten. Andererseits begann bereits vor dem Tr. K.
(z. B. im Spatwerk von Josquin und Willaert) die
Wende von der strukturbetonten zur wortgestaltenden
Komposition. Die Forderungen des Konzils entspra-
chen somit auch den allgemeinen Tendenzen der Zeit.
Die Reform des Gregorianischen Gesangs erfolgte,
gleichfalls unter demGesichtspunkt der Verdeutlichung
des Textvortrags, erst im AnschluB an das Konzil
(->Editio Medicaea). Im Zuge der Liturgiereform wur-
de die Anzahl der -> Sequenzen (- 1) vom Tr. K. auf
vier reduziert.
Lit. : H. Beck, Das Konzil v. Trient u. d. Probleme d. Kir-
chenmusik, KmJb XLVIII, 1 964 (dort weitere Lit.).
Trient.
Lit. : A. Untersteiner, Appunti di storia mus. tridentina,
in: Tridentinum, Tr. 1911 ; B. Emmert, Rappresentazioni
sacre e profane in Trento e dintorni (1632-1804), Rovereto
u. Innsbruck 1912; A. Toni, Musicisti trentini, Mailand
1912; R. Lunelli, Contributi trentini alle relazioni mus.
fra l'ltalia e la Germania nel Rinascimento, Kopenhagen
1949; ders., Organi tridentini, Tr. 1964; ders., zahlreiche
Auf satze in: Zs. Trentino 1930ff.
Trienter Codices -* Quellen: Tr 87-93.
Trier.
Lit. : P. Bohn, Einige mg. Notizen aus d. ehemaligen Chur-
furstentum Tr., MfM XXIV, 1892; Y. Lacroix, La vie
mus. religieuse a Treves, Tr. 1922; ders., L'orch. des 61ec-
teurs de Treves au XVIII e s., RM VIII, 1927 ; G. Pietzsch,
Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis zur Mit-
te d. 16. Jh., Tr., AfMf VI, 1941 ; H. Klotz, Niederlan-
dische Orgelbaumeister am Tr.er Dom, Mf II, 1949; G.
Gross, Tr.er Geistesleben unter d. EinfluB v. Aufklarung
u. Romantik (1750-1850), Tr. 1956; P. Schuh, Der Tr.er
Choralstreit, in: Musicae sacrae ministerium, Fs. K. G.
Fellerer, Koln 1962; G. Bereths, Die Musikpflege am
kurtrierischen Hofe zu Koblenz-Ehrenbreitstein, = Beitr.
zur mittelrheinischen Mg. V, Mainz (1964).
Trihemitonion (griech., s. v. w. drei Halbtone), klei-
ne Terz.
Triller (ital. trillo; frz. trille; engl. shake, trill), im
engeren Sinne eine -*• Verzierung, die in einem mehr
oder weniger schnellen Wechsel zwischen einer Note
und ihrer oberen (um einen Halb- oder Ganzton ent-
fernten) Nebennote besteht. Verwandt mit der Familie
der Tr. ist eine Gruppe von Verzierungen, die entwe-
der aus wenigen oder mehreren langsameren oder
schnelleren Tonwiederholungen bestehen (in der italie-
nischen Vokalmusik [Florenz] um 1600 -»■ Trillo - 2,
auch -> Tremolo - 4, in der deutschen Instrumen-
talmusik des Barocks ->• Schwarmer oder Bombus
genannt) oder aus einem wellenartigen Wechsel der
Lautstarke des gleichen Tones (-> Tremulant der Or-
gel, -> Bebung beim Clavichord, -> ondeggiando bei
Streichinstrumenten). - Die Tr.-Familie im weiteren
Sinne, deren gemeinsames Merkmal eine wellenformi-
ge Auf- und Abwartsbewegung der Tonhohe ist, laBt
sich in 3 Gruppen einteilen: a) Verzierungen mit nur
leichterTonhohenveranderung (-> Vibrato), oftschwer
zu unterscheiden von denjenigen, deren wesentliches
Merkmal der Wechsel der Lautstarke ist. Im Falle der
Bebung z. B. ist eine Unterscheidung unmoglich. Im
ubrigen miissen aber bei alterer Musik beide Gruppen
auseinandergehalten werden, da es sich um Verzierun-
gen handelt, die nur an bestimmten Stellen und nur
zur Erzielung jeweils verschiedener Wirkungen ver-
wendet werden, im Gegensatz zur Musik der neueren
Zeit (seit Beginn des 19. Jh.), wo sie den Charakter von
Verzierungen mehr und mehr verlieren und zu standig
gebrauchten Hilfsmitteln einer normalen Tonerzeu-
gung beim Gesang, bei Streich- und bei Blasinstrumen-
ten werden. - b) Verzierungen, die durch einen Wech-
sel zwischen Haupt- und unterer Nebennote gekenn-
zeichnet sind (-> Mordent). - c) Tr. im engeren Sinn.
Dieser kann in verschiedenen Formen auftreten: 1) mit
980
Toiler
der Haupt- oder mit der Nebennote beginnend; 2) mit
oder ohne Verlangerung der ersten Note (bei Beginn
mit der Nebennote handelt es sich dann um einen Vor-
schlag); 3) mit oder ohne Anhalten auf dem letzten
Ton (frz. point d'arrfit) ; 4) mit mehreren oder mit nur
1-2 Schlagen ; 5) mit oder ohne Nachschlag, wobei mit
Nachschlag die beiden letzten Tr.-T6ne bezeichnet
werden, falls die untere Nebennote als vorletzter Ton
vor der Riickkehr zur Hauptnote eingefiigt wird. -
Der Tr. kann melodische, harmonische, rhythmische
oder eine aus diesen kombinierte Funktion haben. Im
ersten Fall konnen nicht nur einzelne Melodietone
Glanz, Belebung und Intensivierung durch einen Tr.
erhalten, sondern auch dieser selbst kann an seinem Be-
ginn und(oder) an seinem Ende mit besonderen melo-
dischen Floskeln versehen werden. Charakteristisch
fur einen Tr. mit harmonischer Funktion ist der im
Barock mit der oberen Nebennote auf den Schlag be-
ginnende (= fortgesetzte Wiederholung von -*■ Vor-
schlagen mit ihren Auflosungen). Rhythmische Funk-
tion haben vor allem kurze, akzentuierende Tr. Bei
Tasten- und Zupfinstrumenten mit verklingendem
Ton gibt es auch Tr. mit reiner Haltefunktion (Ton-
verlangerung). - Tr.-artige Gesangsfiguren wurden
friihzeitig mit besonderen Symbolen bezeichnet, die
den melodischen Verlauf der Verzierung graphisch an-
deuten, z. B. in Indien das Kampa durch eine verti-
kale, in Europa das mittelalterliche Quilisma durch ei-
ne horizontale kurze Schlangenlinie, wie sie erst wie-
der im 17. Jh. in Frankreich fur die Tasteninstrumente
eingefiihrt und von dort in ganz Europa bis in unsere
Zeit als verbindlich ubernommen wurden. Auch die
in der Neumennotation mit Vinnula und Tremula be-
zeichneten Shnlichen Verzierungen gehoren hierher.
In friihen deutschen Orgeltabulaturen (ab Mitte des 15.
Jh.) finden sich Zeichen fur eine -> Mordent genannte
Verzierung, deren Ausfiihrung als Zusammenschlag
von Haupt- und unterer Nebennote beschrieben wird
(-+ Acciaccatura). Es ist aber unsicher, ob die Bedeu-
tung des Zeichens durchweg und auch in spateren Ta-
bulaturen so aufzufassen ist. E.N.Ammerbach (Orgel-
oder Instrument Tabulator, 1571) z. B. gibt die Ausfiih-
rung seines »Mordant« wie folgt an :
$j j urn j ^™ i
Derartige Verzierungen kamen in jener Zeit haufig vor
(improvisiert und ausgeschrieben), aber ihre Andeu-
tung durch bestimmte Zeichen bei den deutschen Kolo-
risten (und ahnlich bei A. Valente, Intavolatura de cimbalo,
Neapel 1576) bildet eine Ausnahme. - Fur die spanische
Musik auf Tasteninstrumenten im 16. Jh. werden zwei
Tr.-Formen vor allem von Bermudo (1555) und Santa
Marfa (1565) beschrieben, wobei aber nur letzterer No-
tenbeispiele an- a oder
gibt (a: Redoble,
b: Quiebro):
Sofern diese Verzierungen mit der oberen Nebennote
beginnen, steht diese unbetont vor dem Schlag und hat
melodische Funktion. - Die englischen Virginalisten
verwendeten zur Andeutung der von ihnen nicht aus-
geschriebenen Verzierungen einfache und doppelte
Schragstriche, z. B. J i o o , uber deren genaue Be-
deutung bis heute keine vollige Klarheit herrscht. Mog-
licherweise bedeutet der Doppelstrich eine Verzierung
mit mehreren Tonen, jedoch ist seine Verwendung in
verschiedenen Manuskripten derselben Stiicke inkon-
sequent. - Unter den Diminutionsformeln (-> Dimi-
nution - 2) und »Passaggi« der italienischen Lehrbiicher
und Kompositionen des 16. Jh. sowie innerhalb ihrer
spateren Weiterentwicklung befinden sich zahlreiche
Tr., die als Gruppo (Groppo) bezeichnet werden. Un-
ter diesen erhalten besondere Bedeutung die trillerarti-
gen Kadenzklauseln, aus welchen sich der barocke Tr.
mit Nachschlag entwickelte:
G.Diruta Groppi di Accadentia
(1593) _d L
Diese Tr. beginnen mit der Hauptnote, aber die Tr.-
Schlage selber gehen von der oberen Nebennote zur
Hauptnote; die ausgeschriebene Form des Groppo gibt
nur das Prinzip seiner Ausfiihrung an, seine Schlage
sind nicht an eine strenge Takteinteilung gebunden. -
G.B.Bovicelli (1594) unterscheidet Groppetti mit re-
gelmaBigen Notenwerten (d'tm medesimo valore) und
solche mit einem langsameren AbschluB (Groppetto
raff renato) :
Groppetto raffrenato
G. Frescobaldi rat im Vorwort zum 1 . Buch seiner Toc-
caten (1615): »Hat eine Hand . . . einen Tr. auszufiih-
ren, die andere aber gleichzeitig eine Passage . . . , soil
man nicht Note gegen Note spielen, sondern einzig
darnach trachten, daB der Tr. rasch, die Passage dage-
gen langsamer und ausdrucksvoll sei« (im folgenden
Beispiel aus der Toccata Terza kann der Tr. langsam
beginnen und allmahlich beschleunigt werden) :
Die bei Ammerbach »Mordant« genannte Verzierung
wird in Italien bis weit ins 17. Jh. Tremolo genannt, im
Gegensatz zum Trillo (besonders bei G.Caccini 1601),
der aus Tonwiederholungen besteht. Diruta (1593) al-
981
Triller
lerdings lehnt im allgemeinen Tremoli mit der unteren
Nebennote ab :
Tremoli sopra le Semiminime
$ j j j j j i M i m
Tremoli sopra le Crome
wahrend Cl.Merulo sie verwendet:
. Tremoletti
zeichnung des vollen Notenwertes (d). Die Notation
bei d kann auch ohne Bindebogen vorkommen. Die
Vorbereitungsnote muB in alien Fallen so iiberge-
bunden werden, daB die erste Tr.-Note kurz nach
dem Schlag erklingt und keinen Akzent erhalt. Un-
vorbereitet (frz. sans appui, cadence subite, cadence
jetee) ist ein Tr., dessen erster Ton (obere Nebennote)
nicht linger ist als die f olgenden Tr.-Schlage. Alle kur-
zen Tr. sind unvorbereitet, sie werden vor allem bei
kurzen Noten, bei Spriingen, beim Staccato und bei
dissonierenden Noten verwendet, d. h. solchen, die
auch keine langen Vorschlage vertragen. Aber auch
langere Tr. konnen unvorbereitet sein. »Tr. von oben«
beginnen mit 4 Noten nach Art eines -> Doppelschlags,
»Tr. von unten«, entsprechend, nach Art eines umge-
kehrten Doppelschlags, notiert (nach Marpurg) :
In der romischen Oper (E. de Cavalieri) findet sich die
Bezeichnung Trillo fur den Wechsel zwischen zwei T6-
nen, wahrend bereits Bovicelli das »Zittern der Stim-
me iiber demselben Ton« mit -*■ Tremolo (- 4) bezeich-
net; diese Benennung setzt sich aber erst nach 1700 all-
gemein durch. Beide Verzierungen konnen mit t oder
f, Ftt^ m '' *" an g e deutet werden.
JlU q*JJ* Jf u I I I I Das nebenstehende Beispiel
»P '* £j LJf | von B.Pasquini (SchluBka-
7
denz einer Almanda) zeigt
diese Bezeichnung sogar fur einen Tr. mit der unteren
Nebennote. Alle diese Tr. beginnen also mit der Haupt-
note, in Fortfiihrung der aus der melodisch ausgerich-
teten Diminutionspraxis erwachsenen Tradition, und
zwar iiberall dort, wo sich italienischer EinfluB durch-
setzte, wie z. B. bei den beiden Deutschen Fr.X.A.
Murschhauser (Prototypon longobreue organicum I, 1703)
und M.H. Fuhrmann (Musikalischer Trichter, 1706).
In der 2. Halfte des 17. Jh. erhielt der Tr. in Frankreich
(vor allem durch die Clavecinisten) die bis ins 19. Jh.
vorbildlichePragung: der Beginnauf der dissonierenden
oberen Nebennote ist obligatorisch wegen der vorwie-
gend harmonischen Funktion des Tr.s (etwa dem -*■ Vor-
schlag von oben entsprechend). Die franzosische Be-
zeichnung Cadence weist auf die Herkunft dieser Ver-
zierung von den Kadenzschliissen hin, der Name
Tremblement setzt sich als Bezeichnung fiir den Tr.
erst spater durch (Mersenne nennt alle Verzierungen
beim Lautenspiel Tremblement; im engeren Sinne ist
sein Tremblement ein Vorschlag von oben, den Tr. be-
schreibt er nicht). - Nach Fr. Couperin {L'art de toucher
le clavecin, 1716) besteht jeder etwas langere Tr. aus 3
Teilen: dem appui (der »Abstutzung« auf der oberen
Nebennote), den battements (den eigentlichen Tr.-
Schlagen) und dem point d'arret (dem Haltepunkt auf
der Hauptnote am Ende des Tr.s). Die »Abstiitzung«
oder Vorbereitung wird wie der -> Vorschlag von
oben behandelt und hat eine ahnliche Entwicklung wie
dieser durchlaufen; sie ist betont; fiir ihre Lange gelten
dieselben Regeln wie fiir den Vorschlag. Ihre graphi-
sche Darstellung erfolgt - falls uberhaupt - durch ein
besonderes Zeichen (siehe im f olgenden Beispiel b),
durch eine kleine Vorschlagsnote (c) oder durch Auf-
jlr7i ,, irr ' "rt"ri ,, n r p
Ausfuhrung etwa:
I r [rrr[r_^ ^
Die Anzahl der Tr.-Schlage richtet sich nach der Lange
der Note (nicht nach dem Zeichen; -v»iv, *v, rV, + sind
im allgemeinen gleichbedeutend), ihre Geschwindig-
keit hangt ab von Tempo und Affekt des Stiickes, von
der Lage (in der Tiefe langsamer) und von der Raum-
akustik. Die Tr.-Schlage konnen, wenn die Lange des
Tr.s es zulafit, langsam beginnen und allmahlich rascher
werden. Alle Tr. auBer dem kurzen und dem Halte-Tr.
(frz. tremblement continu) miissen ein besonderes En-
de haben, entweder in Form einer Antizipation der f ol-
genden Note oder (meistens) in Form eines Nach-
schlags, dessen Noten im Rhythmus der Tr.-Schlage
eingeteilt werden (Tr. mit Nachschlag, Doppel-Tr.
des 18. Jh. ; frz. cadence tournee, double cadence ; engl.
turned shake). Nachschlage werden wie folgt notiert:
=J 3 u »-$ \
jr^ipif i^
Oft aber wird Nachschlag oder Antizipation als selbst-
verstandlich vorausgesetzt und nicht notiert, so beim
Nachschlag noch bis weit ins 19. Jh. (vgl. Beethoven,
Violinsonate op. 96, 1. Satz, und Brahms, Klaviersona-
te op. 5, 2. Satz). Ein Nachschlag kann auch zusatzlich
vor einer steigenden Antizipation angebracht werden.
Tr. mit reiner Haltef unktion (z. B. bei J. S. Bach, Wohl-
temperirtes Clavier I, Praeludium G moll, BWV 861)
sollten am besten erst nach Erklingen der Hauptnote
begonnen werden.
Beim kurzen Tr. unterschied das 18. Jh. 4 Formen, die
leicht miteinander verwechselt werden : 1) der gewohn-
liche kurze Tr. (bei Couperin tremblement detache) :
nw,
(Marpurg)
mit unvorbereitetem Beginn auf der Nebennote und
meistens vier, eventuell aber auch sechs Tonen; er kann
982
Trio
bei sehr kurzen Hauptnoten durch einen kurzen Vor-
schlag von oben ersetzt werden; 2) der Prall-Tr. (bei
Couperin tremblement lie sans Stre appuye) :
fa J J l^t
S
^rrri r
(Marpurg)
3) Den unvollkommenen Tr., dem Prall-Tr. sehr ahn-
lich, beschreibt Marpurg (Anleitung zum Klavierspielen,
1755) : Wenn in demgebundnen einfachen Tr. die gebundne
Note ubergangen, und, wider die Regel des Tr.s, sogleich mit
dem Haupttone angefangen, der WechselsMag aber abgekur-
zet und nur aufdrey Noten eingeschrdnket wird: so entsteht
zwar daraus ein unvollkommner Tr., der aber nichts desto
weniger in gewijien Fallen, besser ah der ordentliche voll-
kommne Tr. gebraucht wird (Beispiele a und b nach
Marpurg, c nach L'Abbe le Fils 1761: Cadences fein-
tes preparees) :
4) Der Schneller besteht aus 3 Tonen; er beginnt mit
der Hauptnote auf den Schlag und kommt fast nur bei
raschen, nicht gebundenen Tonfolgen (sowie auch bei
Einschnitten) vor. Um ihn von den anderen kurzen
Tr.n besser zu unterscheiden, notiert ihn C.Ph.E.Bach
(der ihn eingefiihrt hat) stets mit zwei kleinen Noten:
J3 Ji . - Der Tr.-Beginn mit der oberen Nebennote auf
den Schlag bleibt im Prinzip fur die Zeit der Wiener
Klassik obligatorisch. Den Tr.-Beginn mit der Haupt-
note schreibt als erster J. N. Hummel in seiner Klavier-
schule (1828) bedingungslos vor, nach ihm L. Spohr in
seiner Violinschule (1832) - das Ergebnis einer Stil-
wende, die sich auch in einer Bevorzugung neuer In-
strumententypen (Hammerklavier) sowie in einer Ver-
anderung der Funktion des Tr.s kundtut. Vorlaufer
dieses Funktionswandels lassen sich bis in das 18. Jh. zu-
ruckverfolgen, diirfen jedoch als Ausnahmen nicht
iiberbewertet werden.
Lit. : — » Verzierungen ; P. Aldrich, On the Interpretation
of Bach's Trills, MQ XLIX, 1963; Fr. Neumann, Mis-
conceptions About the French Trill in the 17'" and 18" 1
Cent., MQ L, 1964, dazu R. Donington in: ML XLVI,
1965. ERJ/BB
Trillerkette, Kettentriller (ital. catena di trilli; frz.
chaine de trilles; engl. continuous trill), bezeichnet eine
Reihe fortlaufend aneinandergehangter Triller auf stu-
fenweise auf- oder absteigenden Noten. Bei der auf-
steigenden Tr. kannjeder einzelne Triller einen Nach-
schlag bekommen. Darstellungen der Tr. finden sich
in den Lehrbuchern von J. F. Agricola fur Gesang, von
G.Tartini und L.Mozart fiir Violine, von D.G.Turk
fur Klavier. Als Beispiele seien genannt: Handel, The
Messiah, 5. Aria, But who may abide . . . (Prestissimo-
teil, Takt 30f.); W.A.Mozart, Ende der 5. Variation
iiber Salve Tu, Domine fiir Kl., K.-V. 398; Beethoven,
Klavierkonzert Es dur op. 73, 2. Satz, Takt 39ff .
TrUlo (ital.), - 1) -* Triller; - 2) um 1600 in Italien
eine Gesangsverzierung, die aus langsam beginnenden
undallmahlichim Tempo zunehmendenTonwiederho-
lungen besteht und so zuerst von G. Caccini (Le nuove
musiche, 1601) dargestellt und beschrieben worden ist:
Bereits 1593 hatte G.L.Conforti in seinen Anweisun-
gen zu »Passaggi« (die laut Vermerk des Autors auch
fiir Streich- und Blasinstrumente Giiltigkeit haben) ei-
nen Tr. wie folgt angegeben:
Der Tr. Caccinis, den Monteverdi in seinen spaten
Opern fiir besondere Effekte verwendete (II ritomo
d'Ulisse, Arie des Iro), wird u. a. von Praetorius (Synt.
Ill) und noch in BrossardD - dort als le veritable Tr.
a I'ltalienne - ausfiihrlich beschrieben. - Neben dem
langen gab es noch einen kurzen Tr., auch Trilletto
genannt, dem bei Conforti ein Mezzo Tr. entsprach.
- In der italienischen Musik des 17. Jh. kann das Zei-
chen t oder tr iiber einer Note sowohl den Tr. als
auch das ->• Tremolo (- 4) bedeuten, die beide neben-
einander vorkommen. Bei beiden Bezeichnungen setzte
sich die heutige Bedeutung erst im Laufe der
2. Halfte des 17. Jh. allmahlich durch.
Trio bezeichnet im 18. Jh. sowohl Stiicke mit
drei Singstimmen und GeneralbaB (-»■ Terzett)
als auch die -*■ Triosonate, heute jedes Instru-
mentalstiick mit 3 Mitwirkenden (Streich-, Bla-
ser-, Klavier-Tr.) und das entsprechende aus-
fuhrende Ensemble. Tr. ist urspriinglich jedoch der
solistische 3st. Satz (meist Blaser; oft 2 Oboen oder
2 Flbten mit Fagott) als episodische Unterbrechung
des vollen 5st. Streicherensembles innerhalb der fran-
zosischen Oper J.-B. Lullys. Tr.s finden sich hier in
Arien und Choren als Ritornelle und in den Passacaillen
(z. B. Armide, 5. Akt, 1686). Zwischenspielartige Tr.-
Abschnitte (Divertissements) im fugierten Teil der
franzosischen Ouvertiire bringt wohl erstmalig A.
Steffani {Orlando, 1691; La liberta contenta, 1693). Georg
Muffat, J. C. F. Fischer und dann vor allem J. S.Bach
iibernahmen diese Gepflogenheit. Deutlich ist hinge-
gen der Einflufi des franzosischen Tr.-Satzes auf das
Concertino (2 Violinen und Violoncello) des Concerto
grosso. - Die um 1680 in die franzosische Tanzsuite ein-
geschobenen Satze: Menuett, Passepied, Gavotte und
Bourree, treten gewohnlich paarweise mit einem Tr.
(2 Oboen und Fagott) oder Bordunstiick (Musette) auf,
das sich vom vollstimmigen, danach wiederholten Tanz
abhebt. Das Tr. des Menuetts bzw. Scherzos in den
Symphonien der Vorklassiker und Wiener Klassiker
kontrastiert jedoch, ebensowenig wie das spatere
Marsch-Tr., nicht mehr durch Dreistimmigkeit, son-
dern durch beschaulich-ruhigen Charakter, durch redu-
zierte Besetzung (oft Blaser) und haufig durch die Sub-
dominant- oder Dominanttonart. - Orgel-Tr. heiBt,
vor allem bei J.S.Bach, ein 3st. Stiick fiir 3 Klaviere,
d. h. 2 Manuale und Pedal (Tr. in D moll, BWV 583,
und G moll, BWV 584), als Ubertragung des Prinzips
der Tr.-Sonate auf die Orgel. Eine Eigentiimlichkeit
des Orgel-Tr.s ist, daB die eine Hand eine gebundene
Melodie in derselben Tonlage vortragen kann, in wel-
cher die andere (auf dem zweiten Klavier) Figurenwerk
ausfiihrt. - Aus der sSonata a tre« in Gestalt der Sonate
fiir obligates Klavier (BaB und Oberstimme) und Vio-
line, deren Part sich technisch immer mehr vereinfach-
te, in Verbindung mit der neuen Gattung unddemneuen
Bauprinzip der Klaviersonate erwuchs in der 2. Halfte
des 18. Jh. das Tr. fiir Klavier, Violine und Violoncello
(J.Chr.Bach, Fr.X.Richter, G.Toeschi, E.Eichner, J.
Schobert). Die Bezeichnung bezieht sich nicht wie bei
der Tr.-Sonate auf den 3st. Satz, sondern auf die Be-
983
Triodion
setzung. Es handelt sich zunachst wie bei der Klavier-
Violin-Sonate weniger um eine neue Gattung als urn
ein auch dem Dilettanten zugangliches Arrangement.
Noch die Tr.s von J. Haydn sind Clavier Sonaten mit be-
gleitung einer Violin und Violoncello. Das Tr. ist auch spa-
ter die bevorzugte Besetzung fur Arrangements (z. B.
bearbeitete Beethoven selbst sein Septett op. 20 fur Tr.).
Infolge der traditionellen Bindung an den Continuo-
baB blieb vor allem das Violoncello noch lange un-
selbstandig. Erst bei Mozart und Beethoven entstand,
obwohl das Klavier weiterhin dominiert, eine Ausge-
wogenheit zwischen den beteiligten Instrumenten, von
der auch die Romantiker nicht wesentlich abwichen.
Mit Mozarts Tr.s K.-V. 502, 542 und 498 (mit Klar.),
Beethovens op. 97 (181 1) und Schuberts Tr.s B dur op.
99 (1826/27, D 898) und Es dur op. 100 (1827, D 929)
ist der Hohepunkt der Gattung erreicht. Formal in
Anlehnung an das klassische Tr. und im besonderen
gepragt durch den romantischen Klaviersatz entstan-
den die Tr.s von R. Schumann, Mendelssohn Barthol-
dy, Brahms, Dvorak, Tschaikowsky, Reger (op. 102)
und Ravel (1915).
Das Streich-Tr. (in der Normalbesetzung Violine, Vio-
la, Violoncello) hat ebenfalls vor allem zwei Wurzeln:
1) den solistischen Quartettsatz der Divertimenti, Qua-
dri in Siiddeutschland, der dadurch entstand, daB
nachWegfall des Continuos eine fiillende Mittelstimme
(Viola) notig war, und der im Streich-Tr. reduziert
wird; 2) die Tr.-Sonate (Violinen und BaB) und den
neuen, vorwiegend 3st. Orchestersatz der italienischen
Oper seit etwa 1720. Noch die Orchester-Tr.s von J.
Stamitz op. 1 sind in der Besetzung ambivalent. Deut-
lich dem Divertimento entwachsen sind die Tr.s von
Haydn (Baryton-Tr.s, Divertimenti fur Fl., V., Vc.
und "Londoner Tr.s« fur 2 Fl. und Vc), von Beethoven
(5 Tr.s) und Schubert. Mozarts Divertimento K.-V.
563 ist wohl das bedeutendste Werk der Gattung. In ver-
schiedener Besetzung, auch mit Blasern, hielt sich das
Tr. bis in die neuere Zeit: Brahms (Tr.s fur V., Horn,
Vc), Reger (Serenaden fiir Fl., V., Va). Durch die vol-
lige Freiziigigkeit der Besetzung einerseits, durch die
ganzlich neuen Grundlagen der Kompositionstechnik
andererseits gehoren die Werke der Moderne (z. B.
Debussy, Tr. fiir Fl., Va, Harfe) fiir 3 Instrumente nicht
mehr in die Tradition des Tr.-Satzes, selbst wenn sie
wie Schonbergs Tr. op. 45 (1946) an der traditionellen
Besetzung festhalten.
Lit.: H. Riemann, Die Triosonaten d. Gb.-Epoche, in:
Praludien u. Studien III, Lpz. 1901, Nachdruck Hildes-
heim 1967; ders., GroBe Kompositionslehre I— III, Bin u.
Stuttgart 1902-13 (besonders II, S. 95ff.); W. Altmann,
Hdb. f. Klaviertriospieler, Wolfenbuttel 1936; A. Karsch,
Untersuchungen zur Friihgesch. d. Klaviertr. in Deutsch-
land, Diss. Koln.1943, maschr. ; W. Fischer, Mozarts Weg
v. d. begleiteten Klaviersonate zur Kammermusik mit Kl.,
Mozart- Jb. 1956; K. Marouerre, Mozarts Klaviertr., Mo-
zart- Jb. 1960/61; R. Blume, Studien zur Entwicklungs-
gesch. d. Kl.-Tr. im 18. Jh., Diss. Kiel 1962. StK
Tripdion -»- Kanon (- 2).
Triole (frz. triolet; engl. triplet), eine Figur von 3
gleichen Noten, die fiir 2 Noten derselben Schreib-
weise eintreten, was durch eine beigeschriebene 3 (oft
auch mit Klammer) angezeigt
wird. Zuweilen wird (weniger
gut) die Tr. auch zur Vertre-
tung von 4 Noten gleicher
Schreibweise gesetzt. Die Be-
zeichnung der Tr. durch 3 (und
Klammer) unterbleibt haufig,
wenn durch gemeinsame Querstriche (bei Achtel-,
Sechzehntelnoten usw.) die Taktordnung ohnehin klar
ist. Ein besonderes Problem der Auffiihrungspraxis
bieten die in der Musik der Barockzeit nicht selte-
nen Falle, in denen ->- Punktierter Rhythmus ver-
mutlich als J J) wiederzugeben ist. Voriibergehen-
der Wechsel von der Zwei- zur Dreiteiligkeit wurde
in der Mensuralnotation durch -> Color (- 1) oder
-> Dragma angezeigt und als -> Hemiole oder ->• Trayn
bezeichnet. Kompositorisch wird die Tr. vor allem
als ein Element des Verzierens und Variierens ausge-
wertet; im 18. und 19. Jh. diente sie vielfach dazu,
einen bestimmten Satz- oder Formbestandteil von der
Umgebung abzuheben (Gegenstimme oder Episode
im Tr.n-Rhythrnus). In vielen Menuetten des 18. Jh.
erscheint eine einzelne Achtel-Tr. (in der Subdominan-
te oder Tonika) im vorletzten Takt einer Periode als
Mittel der SchluBvorbereitung. In der Metrik bezeich-
net H. Riemann (GrundriJS der Kompositionslehre I, Ber-
lin »1922, S. 99f.) als Takt-Tr.n 3taktige Formglieder,
die nicht als irregulare Form einer 2- oder 4taktigen
Ordnung erklart werden konnen.
Lit.: M. Collins, The Performance of Triplets in the 17'"
and 18 th Cent., JAMS XIX, 1966.
Triosonate, die meistgepflegte instrumentale Ensem-
blegattung der Barockzeit, in der 2 gleichberechtigte
Sopranoberstimmen (Violinen, Zinken, Floten) mit
dem GeneralbaB (Melodieinstrument in BaBlage, dazu
Orgel, Cembalo oder Laute) zu einem 3st. Satz mit
Akkordausfiillung zusammentreten. AuBerhalb Italiens
begegnen auch Tr.n mit Oberstimmen verschiedener
Stimmlagen (z. B. Violine und Gambe). Entstanden ist
die Tr. im lombardo-venezianischen Italien; Viadanas
Canzon alia Francese (Nr 100 aus den Cento Concerti
Ecclesiastici, 1602) ist die alteste (in ihrer Anlage, vor
allem durch ihre 2 Basse, noch stark der Zweichorig-
keit verpflichtete) Triokanzone, doch sind Elemente
des Triosatzes schon bei G.Gabrieli (der 1597 eine 8st.
Kanzone mit Soloepisoden versah) vorgebildet. S.Rossi
entwickelte in seinen Sinfonie et Gagliarde 1607 gleich-
zeitig mit Monteverdi (Ritornelle in Scherzi musicali
von 1607 und L'Orfeo) den Typus des einsatzigen (oft
mehrteiligen) Instrumentaltrios, das Canzona, Sinfonia
oder (seit G.P.Cima 1610) auch Sonata a tre hieB und
das durch Verschmelzung von Elemental der polypho-
nen Kanzone, des AuBenstimmensatzes (Primat der
Oberstimmen und des Basses in der Mehrchorigkeit bei
G.Gabrieli), der Vokalmonodie und des von Viadana
1602 aus dem AuBenstimmensatz entwickelten vokalen
Triosatzes (vgl. Haack 1964) entstand. Diese Friihform
der Tr. wurde von B.Marini (op. 1, 1617) um Tremo-
loeffekte, Doppelgriffspiel und virtuoses Figurenwerk
bereichert. Die steigenden Anspriiche an die Spiel-
technik (auch in Verbindung mit Solo- und Tuttivor-
schriften) bei S.Rossi, St.Bernardi (op. 8, 1616; op. 12,
1621 ; op. 13, 1624), B. -* Marini, Castello (der 1621
und 1624 2 Biicher Sonate concertate veroffentlichte),
G.B.Fontana u. a. bezeugen die Bedeutung des Vir-
tuosentums fiir die junge Gattung. Triokanzonen und
-tanzsatze nach dem in die Zukunft weisenden Vorbild
Frescobaldis komponierten u. a. Buonamente (4.-7.
Buch: 1626-37) und Merula, der 1637 die sich verselb-
standigenden Abschnitte der Kanzone durch Reprisen-
zeichen kennzeichnete. - Die ersten Triokanzonen
auBerhalb Italiens veroffentlichten die Innsbrucker Hof-
musiker Stadlmayr und Wolk 1624; in Osterreich (G.
Arnold, op. 3, 1659) und in Deutschland (M.Weck-
mann 1651 u. 6. ; Kindermann 1653) hielt sich die vene-
zianische Canzona a tre beachtlich lange. Das Triori-
tornell, durch Aichinger Siiddeutschland vermittelt,
wurde namentlich von Scheidt (1644), Kindermann
(1643) und S.Th.Staden (1648) gepflegt. Von groBer
984
Triosonate
Bedeutung fiir die Geschichte der Tr. im deutschen
Sprachbereich war die englische Geigen- und Gamben-
kunst, die wahrscheinlich um 1620-30 durch Maugars
auch dem Pariser Hof ubermittelt wurde. In den Nie-
derlanden ist die Triokanzone zuerst bei N. a Kempis
(1644 vmd 1647) zu belegen. In England setzten sich
W. Lawes, J.Jenkins land Locke in ihren Triosuiten (ge-
wohnlich Fantasia-Allemande-Ayr) sowohl mit dem
italienischen Violinstil als auch mit dem polyphonen
Satz der -»■ Fancy auseinander. Die Tr. italienischer Pra-
gving begegnet erst bei Blow und bei dessen Schiiler H.
Purcell (1683). In Frankreich (wo das Violinspiel schon
seit dem 16. Jh. gepflegt wurde; ->• Violine) fand die
Triokanzone ihren ersten Niederschlag in den Meslanges
(2-5st. ; 3 Biicher, 1657-61) von H.Dumont.
In Italien wurde die venezianische Tradition durch
Neri und Legrenzi weitergefiihrt; mit Uccellini trat
(ab 1639) die »Emilianische Schule«, zu der auch Stra-
della geziihlt werden darf, in Modena hervor, mit Caz-
zati (ab 1657) in Bologna. Cazzati hatte bereits 1642
Canzoni a 3 als op. 2 veroffentlicht; sein Schiiler G.B.
-y Vitali ging 1674 nach Modena. Ferrara ist in der
»Emilianischen Schule« durch Mazzaferrata vertreten.
B.Marini (Diversi generi di sonate, da Mesa, e da camera,
1655) und Legrenzi (op. 2, 1655) gelten als die ersten
Komponisten, die zwischen Kirchen- und Kammer-Tr.
differenzierten, doch sind die Zusatze da chiesa und da
camera schon 1637 bei Merula nachweisbar. Der for-
male Aufbau der Kirchensonate aus 4 (oder 5) Satzen
entstand aus der Kanzone durch Anreicherung eines
2satzigen Kernes (fugiertes Allegro, geradtaktig-ho-
mophon-tanzartiges Vivace oder Presto im Tripeltakt)
durch vorangestellte und eingefiigte Adagiosatze. So
gelangte Cazzati schon 1669 zur Viersatzigkeit, die bei
Corelli fiir die Kirchensonate zur Regel wurde. Dem-
gegeniiber bereiteten die Modenesen, vor allem G. B.
Vitali, und der in Rom wirkende L. Colista (vgl. H.
Wessely-Kropik 1962) Thematik und Satzcharaktere
des romischen GroBmeisters Corelli vor. Uber Mo-
dena, vor allem durch G.B. Vitali (ab op. 7, 1682),
wurden franzosische Tanzformen in Italien eingef iihrt
und fiir die Kammersonate (die sich oft der -> Suite
nahert) bedeutsam. So z. B. kann S. Le Camus fiir den
franzosischen EinfluB auf Modena namhaft gemacht
werden. In Frankreich wurden nach den Airs (1678) von
Le Camus vor allem die Suiten von M.Marais wirk-
sam (5 Biicher Pieces a une et deux violes, 1686-1725;
Pieces en trio fiir 2 Fl., 2 V. oder 2 Violen und B. c,
1692), die bei Verwendung weitgehend konservativer
Ausdrucksmittel in Melodik und Harmonik den Stil
J.-B.Lullys bis ins 18. Jh. weiterfiihren. - In Deutsch-
land und Osterreich wurde durch Einbau groBerer so-
listischer Abschnitte fiir Gambe und Violine eine ori-
ginelle Abwandlung der Tr. entwickelt. Die erste selb-
standige Sammlung von Tr.n diesseits der Alpen ver-
offentlichte 1659 J.H. Schmelzer, wahrend die Suiten
von J.J.Loewe (Synfonien . . ., 1658) noch fiir wahl-
weise Triobesetzung oder 5st. Besetzung eingerichtet
sind. Aus Schmelzers Umkreis sind die Triosuiten von
H.J.Fr.Biber durch ihren frei reihenden Ballettypus
bemerkenswert; daneben sind W.Ebner, Capricornus
(Sonaten und Canzonen, 1660) und Kerll (1 Tr. in Ms.)
zu nennen. Der sogenannte Froberger-Plan (die Fol-
ge Allemande-Gigue-Courante-Sarabande), vermehrt
um eine Einleitungssonate nach italienischem Vorbild,
wurde von Pachelbel und Scheiffelhut gepflegt, in
Norddeutschland von D.Becker. Von hier bestehen
auch Beziehungen zur Wiener Instrumentalschule,
erkennbar an der Variationsuite von Theile iiber
Schmelzers 6. Solosonate, doch ist, wie auch bei dem
in WeiBenfels wirkenden J. Ph. Krieger (op. 1, 1688),
italienische Schulung ebensowenig zu iibersehen wie
Vertrautheit mit englischer und franzosischer Gamben-
kunst. Den gewichtigsten Beitrag auf dem Gebiete der
Sonata da chiesa a tre nach Schmelzer leistete Rosen-
miiller 1682; vergleichbar sind nur noch die 2 Samm-
lungen Buxtehudes (op. 1 und 2, 1696;je7Tr.nfiir V.,
Va da gamba und B. a). Bei Buxtehude gehen bestes
Venezianertum mit franzosischer Eleganz und deut-
scher Kontrapunktik eine gliickliche Synthese ein. Vor
ihmhatten schon J. Ph. Krieger (op. 2, 1693) und Ph. H.
Erlebach (1694) das Trioprinzip auch auf die Besetzung
Violine, Viola da gamba und GeneralbaB iibertragen,
wahrend die Tr.n von Schenck (1692) und Kiihnel
(1698) fiir 2 Gamben und GeneralbaB gesetzt sind.
Ihre hochste Ausformung erfuhr die italienische Kir-
chensonate durch Corelli, dessen op. 1 (1681) und 3
(1689; je 12 Tr.n) mit 4satzigem Plan, bestimmten
Satzcharakteren und pragnanter Thematik alle alteren
Violinmeister in den Schatten riickten. Ihm nachzu-
eifern wurde bald iiberall inEuropa modern. Die mehr-
satzige und brillantere Tr. des in Bologna und Wien
wirkenden Giuseppe Torelli (op. 1, 1686) wurde erst
nach 1700 als Vorbild wirksam, etwa bei Aldrovandini,
G. Gentili und Fr.Manfredini. Die Venezianer G.M.
Ruggeri, Caldara, Albinoni und Bonporti weiten die
Corellischen Satztypen aus, reichern sie harmonisch an
und erfiillen sie mit virtuoser Brillanz. In seinen prach-
tigen Tr.n (op. 3) fiihrte E. F.Dall'Abaco Corellis und
Gius. Torellis Stil zu neuen Hohen fort. In Albinonis
Kanontrios op. 8 klingt 1721/22 die italienische Kir-
chen-Tr. aus. - Auch fiir die Sonata da camera wurden
Corellis Tr.n (op. 2, 1685; op. 4, 1694) mit ihrer Rei-
hung von zunachst 3, spater auch 2 Tanzen mit voran-
gestelltem Chiesa-Adagio vorbildlich. In zunehmen-
dem MaBe drangen Chiesa-Elemente in die Kammer-
sonate ein. Auch die groBangelegte Ciaccona, die bei
Corelli als selbstandige SchluBsonate erscheint, wurde
vielfach nachgeahmt. Einen polyphonen Satz schrieb
Giuseppe Valentini ; manches bei E. F. Dall'Abaco ge-
mahnt an Fux, bei Albinoni an J. S.Bach. - Wahrend
in England zunachst D. Purcell und W.Corbett, spater
Boyce und W. Bates sich dem Corelli-Stil verschrieben,
dem auch der in den Niederlanden komponierende
Schweizer Albicastro verpflichtet ist, war es in Frank-
reich derjunge Fr. Couperin, der um 1690 (unter italie-
nischem Pseudonym!) als erster mit Tr.n nach dem
Vorbild Corellischer Kirchensonaten hervortrat. Einen
starken Auftrieb erhielt der Corelli-Stil in Frankreich
(nach weiteren Ansatzen bei Clerambault und S. de
Brossard) jedoch erst durch Mascitti, dessen op. 1 1704
in Paris erschien. In der durch ihn vermittelten Corelli-
Nachfolge stehen Dandrieu, Duval, J. F. Rebel und
Dornel. Italienischer und franzosischer Geschmack
wurden - entsprechend der von Muff at 1690 ausge-
sprochenen Forderung eines »vermischten Stils« -
schlieBlich von Fr. Couperin vereinigt iiv seinen vom
Biihnenballett beeinfluBten Sammlungen Les gouts
reunis . . . (mit der Tr. Le Parnasse oil Vapothiose de Co-
relli; 1724) und Les nations (1726). - In Deutschland
klingt das Motiv der Stilvermischung schon in einem
Titel des Kerll-Schiilers J. Chr. Petz an (Duplex genius,
sive Gallo-Italus instrumentorum concentus . . . , 1696). Fux
bekennt sich zu Corelli in seinen Kirchen-, zu Lully in
den Kammersonaten. Ein Zentrum der Pflege italie-
nischer Musik, dem Pisendel vor allem die Einfliisse
Vivaldis (op. 1, 1705) vermittelte, war Dresden (mit
Heinichen, Zelenka, Chr.Petzold u. a.). Handel, dessen
erste Begegnung mit italienischer Musik sich schon in
seinem Jugendwerk (Tr.n fiir 2 Ob. und B. c, um
1702) niederschlagt, lafit in dem um 1733 erschienenen
op. 2 bereits galante Elemente erkennen; op. 3 (1739)
985
Triosonate
bringt an Telemann und Fux erinnernde Divertimenti.
J.S.Bach dagegen ist in seinen Tr.n fur 2 Melodiein-
strumente und Gb. (BWV 1037-1039) und der Tr. aus
dem Musicalischen Opfer (BWV 1079) keinem Vorbild
direkt verpflichtet. Entsprechend seiner auch in anderen
Fallen (-> Klaviermusik) zu neuen Losungen f iihrenden
Praxis des Arrangierens legte Bach durch die Ubertra-
gung des Prinzips der Tr. auf die Besetzung 1 Melodie-
instrument (1. Oberstimme) und obligates Cembalo (2.
Oberstimme, BaB und harmonische Ausfullung) das
Fundament fiir weiterfiihrende Entwicklungen (z. B.
zum Klaviertrio). Mit iiber 12 Werken ist diese Abart
der Tr. ebenso wie die Obertragung der Tr. auf die Orgel
(6 Sonaten BWV 525-530; Einzelsatze) im Schaffen
Bachs reicher vertreten als die Tr. herkommlicher Be-
setzung. Durch Telemanns 6 gedruckte und etwa 80
handschriftliche Tr.n kam die galante Spielart zu An-
sehen; es war die »neutrale«, fiir Kirche und Kammer
gleicherweise geeignete Tr. mit 4satzigem Corellischen
Sonaten-, zunehmend auch mit 3satzigem Scarlatti-
schen Sinfonieplan. Telemann setzt bereits mit Raffi-
nesse den verspielt-sentimentalen Ton des Siciliano-
Adagios ein; er liebt keck synkopierte Allegros mit
harmonischer Auflichtung und hat eine Vorliebe fiir
Blaser, namentlich fiir die Flote. Die wichtigsten Re-
prasentanten der zum galanten Stil neigenden Tr. sind
in Deutschland Keiser, Fr. K.Graf zu Erbach, Graup-
ner, Schickhardt, J.Fr.Fasch (1688) und Stolzel; in
FrankreichJ.-M.Leclair (l'aine), L.Quentin (lejeune),
Mondonville (der auBer Tr.n op. 2 als op. 3 um 1734
auch Sonaten mit obligatem Cembalo veroffentlichte)
und L. Aubert.
Pergolesi ist der Hauptmeister der »neutralen« Tr. in Ita-
lien. Seine Tr.n, in denen H. Riemann eines der Vor-
bilder fiir die neuartige Kammermusik der Mannhei-
mer und Wiener Vorklassik erblickte, sind durchweg
dreisatzig, oft mit fugierten Einleitungs- oder Final-
satzen und mit galant-homophonen oder barock-poly-
phonen Mittelsatzen. Tessarini ist durch die beginnende
Auseinandersetzung mit der Sonatensatzform des 1.
Satzes bemerkenswert. Dem klassischen Stil hat auch
G. B. Sammartini in seinen 2satzigen Tr.n vorgearbei-
tet. Starker der barocken Haltung verpflichtet bleiben
die auBerhalb Italiens wirkenden Komponisten, wie G.
B.Somis (Paris), P.Locatelli (Amsterdam), G.A.Bre-
scianello (Miinchen) und der fiir J. Haydn bedeutsame
Porpora mit seinen 1735 in London als op. 1 erschie-
nenen Fugen-Tr.n. Bei Tartini ist die Degradation der
2. Oberstimme zur Begleitstimme vollzogen und das
Fugato weggefallen. Seine Schiiler Pugnani (op. 1,
1734) und Nardini lassen schon den sich ankiindigen-
den Ubergang der Tr. zum Streichtrio und -quartett
erkennen. In London wurde die Tr. noch bis ins letzte
Drittel des 18. Jh. gepflegt durch die dort wirkenden
Italiener V.L.Ciampi, Sacchini (op. 1, 1772), Gemi-
niani (Tr.n als Umarbeitungen der Soloviolinsonaten
op. 1) und M.Vento; Giardinis Tr.n stehen an der
Grenze zum Streichtrio. Nachklange der Tr. in Frank-
reich stammen von Exaudet (1751) und von Fr.-H.
Barthelemon (op. 1, in London erschienen). - Am
langsten hielt sich der traditionelle Triosatz im deut-
schen Sprachraum. Um 1740/50 stellen dieEinzelbeitra-
ge von Hasse, L. Mozart und Gluck, daneben von GaB-
mann und Tzarth in der Gefolgschaft der Pergolesi-
Tartinischen Richtung eine Nachblute der Tr. im galan-
ten, in vielen Einzelheiten schon auf die Klassik hinwei-
senden Stil dar. In Berlin zwang die Geschmacksdik-
tatur Friedrichs II. (f 1786) seine Hofmusiker Quantz,
J.G. und C.RGraun, J.B.G.Neruda, J. G. Janitsch,
Riedt, Franz Benda und C.Ph.E.Bach zur Pflege eines
konservativ-galanten Stils. Auch Schaffrath und Kirn-
berger standen noch weitgehend im Banne dieser Tra-
dition. In der Fux-Schule wurde durch Hoekh, G. Chr.
Wagenseil (1755), L.Hoffmann und Aspelmayr (op. 1,
1765) saubere Kontrapunktik mit Buffoton, Folklore
und galanter Sentimentalitat zu jener spezifisch oster-
reichischen Weise verschmolzen, die auch den friihen
Streichtrios von J.Haydn (Hob. V, 1-21) ihr Profil
gibt. Demgegeniiber sind in W. A. Mozarts Kirchen-
trios fiir den Salzburger Dom (ab 1767) bewuBt ba-
rocke Elemente eingeschmolzen. - Die Ablosung des
Generalbasses in der Komposition bedeutete das Ende
der Tr., daher wird sie am fruhesten von der Mann-
heimer Schule aufgegeben (wenn auch Fr.X.Richter
und Holzbauer sie noch pflegten). Mit dem sowohl fiir
solistische als auch fiir Orchesterbesetzung bestimmten
op. 1 (1751) vonJ.Stamitz ist der Schritt von der Tr.
zum Streichtrio (»Orchestertrio«) ohne GeneralbaB
vollzogen, doch barg dieses Werk zugleich zukunft-
weisende Ansatzpunkte fiir die Symphonie und das
Streichquartett.
Ausg. u. Lit. : Meisterschule d. alten Zeit (36 Violinsona-
ten, 22 Tr., 18 Cellosonaten), hrsg. v. A. E. Moffat, Bin
1899-1913; H. Riemann, DieTr. d. Gb.-Epoche, in: Praelu-
dien u. Studien III, Lpz. 1901 ; ders., Hdb. d. Mg., II, 2 u. 3,
Lpz. 1912-1 3 ; A. Schering, Zur Gesch. d. Solosonate in d.
1. Halfte d. 17. Jh., Fs. H. Riemann, Lpz. 1909, Nachdruck
Tutzing 1965; L. de La Laurencie, L'ecole frc. de v. de
Lully a Viotti, 3 Bde, Paris 1922-24; A. Schlossberg, Die
ital. Sonata f. mehrere Instr. im 17. Jh., Diss. Heidelberg
1932; E. Gerson-Kiwi, Die Tr. v. ihren Anfangen bis zu
Haydn u. Mozart, Zs. f. HausmusikJII, 1934; O. Tomek,
Das Strukturphanomen d. verkappten Satzes a tre in d.
Musik d. 16. u. 17. Jh., Diss. Wien 1953, maschr.; E.
Schenk, Die ital. Tr., = Das Musikwerk (VII), Koln
(1954), engl. 1962; H. J. Moser, Eine Pariser Quelle zur
Wiener Tr. d. ausgehenden 17. Jh.: Der Cod. Rost, Fs.
W. Fischer, = Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss., Son-
derh. 3, Innsbruck 1956; A. Damerini, »Sei concerti a tre«
sconosciuti di J. A. Brescianelli, StMw XXV, 1962; H.
Wessely-Kropik, L. Colista, Wien 1962; H. Haack, An-
fange d. GeneralbaBsatzes in d. Cento Concerti Ecclesia-
stici (1602) v. L. Viadana, Diss. Miinchen 1964, maschr.;
E. Apfel, Zur Vorgesch. d. Tr., Mf XVIII, 1965. -> Vio-
linmusik. ESc
Tripelfuge (lat. fuga triplex, 3fache Fuge), Fuge mit
3 Themen. Beispiel einer kleinen Tr. ist E. Kindermanns
»Drifache Fuga« (aus der Harmonia organka, 1645; DTB
XXI-XXIV, Nr 16) iiber 3 Kirchenliedthemen. Sonst
tritt die Tr. jedoch als eine besonders umfangreiche
Fuge auf, in der die Themen abschnittweise eingefiihrt
und in allmahlicher Steigerung miteinander verbun-
den werden (J.S.Bach, Orgelfuge Es dur, BWV 552;
Contrapunctus 8 und 11 aus der Kunst der Fuge, BWV
1080).
Tripelkonzert, Bezeichnung fiir Orchesterwerke mit
3 Soloinstrumenten, z. B. J.S. Bachs Konzert A moll
fur Quern., V. und Kl. mit Streichern und B. c. (BWV
1044) und das Tr. fur Kl., V. und Vc. op. 56 von Beet-
hoven. Die Tr.e des ausgehenden 18. Jh. zahlten zur
Gattung der -»■ Symphonie concertante.
Tripeltakt (engl. triple meter), jeder dreiteilige, d. h.
3 Hauptzahlzeiten enthaltende -*■ Takt, z. B. 3/l, 3/2,
3/4, 3/8 sowie 9/8, 9/16- Dagegen werden die nur zwei
I-Iauptzahlzeiten enthaltenden 6teiligen Takte (6/8,
12/8 u - a.) zu den geraden Taktarten gerechnet; die al-
teren Taktarten 6/l, 6/2 und 6/4 erklart Praetorius
(Synt. Ill, S. 73ff.) als Proportio sextupla (-»■ Propor-
tion - 2) im -> Tactus aequalis. Bei langsamem Tempo
besteht allerdings die Moglichkeit, daB die Dreierun-
terteilung eines Sechsertakts als Tr. gehort wird. Dar-
tiber hinaus gehort der Wechsel von Zwei- und Drei-
teilung zu den wichtigsten kompositorischen Moglich-
986
Tristan-Akkord
keiten des Sechsertakts; er spielt wahrend der Barock-
zeit z. B. in der -*■ Courante eine Rolle und findet sich
im 19. Jh. besonders haufig bei R.Schumann und
Brahms (-»• Hemiole).
Tripla oder Proportio tr. ist das Verhaltnis 3:1. In
der Lehre von den Intervallproportionen wird sie
durch die Duodezime reprasentiert. In der Mensural-
notation des 15./16. Jh. bedeutet die Ziffer 3 oder j hin-
ter den Mensurzeichen O (Tempus perfectum) oder C
(Tempus imperfectum), daB 3 Semibreven die gleiche
Zeit ausfiillen sollen wie eine einzelne Semibrevis im
integren Tempus (-> integer valor notarum). Nach ei-
ner anderen Auslegung, die aber das gleiche Resultat er-
gibt, bezeichnet in der Zusammensetzung C 3 der Halb-
kreis den imperfekten, 2zeitigen Modus und die Ziffer
das perfekte 3zeitige Tempus, wobeijedoch Modus und
Tempus im ZeitmaB von Tempus und Prolatio ausge-
fiihrt werden (Guilelmus Monachus, Ramos de Pareja).
(f3 impliziert dieselbe Proportion wie C3. ist also ei-
gentlich eine Proportio sesquialtera: (£3 ♦♦« = (£»♦;
und auch C3 ist im 16. Jh. manchmal als C2 gemeint:
C3 A A 4 - C i A - Die Tr. gait, da sie die haufigste Pro-
portion war, als die Proportion schlechthin; Proportz
ist in deutschen Tabulaturen eine Bezeichnung fiir
die Tr. (-> Nachtanz). Sie wurde im Tactus proportio-
natus » » geschlagen und seit dem spaten 16. Jh. auch
in ihrem Zeitwert auf einen Tactus anstatt auf einen
Notenwert bezogen. M.Praetorius (1619) bezieht die
langsamere Tr. maior j auf den Tactus alia Breve:
(t, «»♦-(£ 00, die raschere Tr. minor i, auf den Tactus
1 I t It
alia Semibreve: Coi**"CH. Im spaten 17. Th.
(Georg Muffat 1690, J.Theile 1691) entspricht die Tr.
sogar einem Tactus alia Minima : 3 e o-C **■
1 + t + 1
Triplum (lat.) heifit im 3- und 4st. Organum (orga-
num tr. bzw. quadruplum) und im 3st. Discantus der
Motette, des Conductus, Hoquetus usw. die dem Can-
tus (Tenor) und -*■ Duplum hinzugefiigte 3. Stimme,
gelegentlich auch der aus 3 Stimmen gebildete Satz
(J. de Garlandia, CS 1, 114b: Tr. est commixtio trium so-
norum . . .). Das Wort Tr. lebt fort in den Stimmbe-
zeichnungen -*■ Treble (engl.) und Tiple (span.).
Trishagion (griech. Tpia<£fiov, dreimal heilig, auch
Tptaayiot; u(jtvo<;), im Einleitungsteil der byzantini-
schen MeBliturgie der auf den Einzug des Zelebranten
und ein dem Introitus entsprechendes Psalmstiick fol-
gende Gesang vor der Epistellesung. Die Herkunft des
frei geformten (nicht mit dem an Jes. 6, 3 anknupfenden
->• Sanctus zu verwechselnden) Textes ist unbekannt.
Das Tr. soil urn 440 in die byzantinische Liturgie ein-
gefiihrt worden sein. In Westeuropa wurde es mit
griechischem und lateinischem Text von der spani-
schen und gallikanischen Liturgie ubernommen. Un-
geklart ist, ob die gallikanische Kirche das Tr. bereits
im 6. Jh. kannte oder erst urn 700 von Spanien iiber-
nahm. In beiden Liturgien steht das Tr. unmittelbar
vor dem Kyrie und vertritt das Gloria der romischen
Messe. Dagegen ftigte die rdmische Liturgie das Tr. im
9. Jh. den am Karfreitag gesungenen -*■ Improperien
ein. Die im Mittelalter allgemein iibliche Melodie (Li-
ber usualis, Rom 1964, S. 737) ist die Ausschmiickung
einer im Byzantinischen Gesang seit dem Mittelalter
bis heute nachweisbaren Fassung, die sich in ihrer ein-
fachsten Form im Rahmen eines Tetrachords halt (vgl.
Stablein, Beispiel 2, erganzend Dragoumis, Beispiel 18,
mit Tr.-Melodien von 1336 und 1834).
Ausg. u. Lit.: Expositio antiquae Liturgiae Gallicanae Ger-
mano Parisiensi ascripta, hrsg. v. J. Quasten, Miinster i. W.
1934; Antiphonale missarum sextuplex, hrsg. v. R.-J. Hes-
bert OSB, Briissel 1935, Nachdruck Rom 1967. - C. A.
Swainson, The Greek Liturgies ..., Cambridge 1884;
L. Duchesne, Origines du culte Chretien, Paris 1 889 ; F. E.
Brightman, Liturgies Eastern and Western I, Oxford
1896; L. Brou OSB, Etudes sur la liturgie mozarabe,
b) Le Tr. de la messe d'apres les sources mss., Ephemeri-
des liturgicae LXI, 1947; A. Raes SJ, Introductio in li-
turgiam orientalem, Rom 1947; E. Wellesz, Eastern
Elements in Western Chant, = Monumenta Musicae
Byzantinae, Subsidia II (American Series I), Boston 1 947 ;
E. Griffe, Aux origines de la liturgie gallicane, Bull, de
la lit. ecclesiastique XXV, 1951; Br. Stablein, Artikel
Gallikanische Liturgie, in: MGG V, 1955; R. Menard,
Artikel Koptische Musik, in: MGG VII, 1958; M. Ph.
Dragoumis, The Survival of Byzantine Chant . . . , Studies
in Eastern Chant I, 1966; H. Engberding OSB, Die Ge-
bete zum Tr., Ostkirchliche Studien XV, 1966.
Tristan-Akkord, der Klang f-h-disi-gisi im 2. Takt
der Einleitung des 1. Aufzuges von R.Wagners Tristan
und Isolde:
Langsam und schmachtend
Ob. II
Vc.
2 Klar.
OKI
Engl. H.
2 Fag.
Dem kadenziellen Zusammenhang der Stelle tragt die
Erklarung des Tr.-A.s als einer Vorhaltsbildung Rech-
nung : durch Auflosung des gis 1 nach a 1 entsteht ein al-
terierter Terzquartakkord, der in der Grundtonart des
Vorspiels (A moll) je nachdem, ob f als Tiefalterierung
von lis oder dis 1 als Hochalterierung von d 1 betrachtet
wird, als Umkehrungsf orm des Doppeldominant-Sept-
akkords oder der Subdominante mit Sixte ajoutee zu
gelten hat, der im folgenden Takt die durch den Vor-
halt aisi verzogerte Dominante folgt. Doch erhalt der
Zusammenklang des Taktanfanges bereits bei seinem
ersten Erscheinen eigenes Gewicht, da er in einer In-
strumentengruppe unaufgelbst bleibt; auBerdem tritt
das ihm zugrunde liegende Intervallgefiige (bei Ver-
nachlassigung der Orthographie : kleine Terz, vermin-
derte Quinte und kleine Septime zum BaBton) mit sei-
nen Umkehrungen im Verlaufe des Werkes haufig un-
abhangig von der Weiterfuhrung des Anfangs auf und
erlangt Bedeutung als erstes und umfassendstes Leitmotiv
desganzen Musikdramas (Kurth, 1. Auflage, S. 65). Dies
rechtfertigt die zahlreichen Versuche, den Tr.-A. als
eigenstandiges Gebilde (d. h. gis 1 als Akkordton, a 1 als
Durchgang) zu erklaren. Unter ihnen ermoglicht die
Deutung als Unterseptimenklang mit Einbeziehung
der Naturseptime (Hanzer, Vogel) eine einheitliche Auf-
fassung des Klanges in seinen wechselnden Schreibwei-
sen und Verbindungen, doch leistet sie nichts fiir das
Verstandnis der tonalen Zusammenhange. Es fordern
also »leitmotivische« Bedeutung und funktionaler Zu-
sammenhang zwei verschiedene Arten des Horens und
Analysierens : f iir jene hat der Tr.-A. als ursprunglicher,
unabgeleiteter Akkord von »absoluter Klangwirkung«
(vgl. Kurth, S. 204ff.), fiir diesen als durch Vorhalt und
Alteration modifizierte Darstellung einer einfachen
Funktion zu gelten. In dieser satztechnischen Antino-
987
Trite
mie, deren Prinzip in Wagners Stil besonders seit Tristan
und Isolde vordringt und die »Krise« der romantischen
Harmonik begriindet, liegt die Ursache daf iir, daB kei-
ne der seit C.Kistler (Harmonielehre, Miinchen 1879)
immer wieder versuchten Erklarungen des Tr.-A.s im
Sinne eindeutiger Festlegung allgemeine Anerkennung
finden konnte.
Lit. : E. Kurth, Romantische Harmonik u. ihre Krise in
Wagners »Tristan«, Bern u. Lpz. 1920, 3 1923; A. Lorenz,
Der mus. Aufbau v. R. Wagners »Tristan u. Isolde«, in:
Das Geheimnis d. Form bei R. Wagner, Bd II, Bin 1926,
Nachdruck Tutzing 1966; W. Hanzer, Die Naturseptime
im Kunstwerk, Bern 1926; M. Vooel, Der Tr.-A. u. d.
Krise d. modernen Harmonie-Lehre, = Orpheus-Schrif-
ten zu Grundfragen d. Musik II, Diisseldorf 1962 (mit
umfassendem Lit.-Verz.), dazu Fr. Neumann in: Mf XVII,
1964. WBr
Trite (griech.) -*■ Systema teleion.
Trjtonus (lat., Dreiton, von griech. xpixovov), das
Intervall von 3 Ganztonen. Der Tr. ist in der diatoni-
schen Skala mitenthalten (z. B. f-h in C dur), wird je-
doch als chromatische Alteration eines um einen Halb-
ton groBeren oder kleineren Intervalls gedeutet, d. h.
als iibermaBige -»- Quarte oder verminderte -»■ Quinte;
im engeren Sinne heiBt nur die iibermaBige Quarte Tr.
Die musikalische Akustik kennt die iibermaBige Quar-
te als pythagoreisch (512:729) und naturlich (32:45),
ebenso die verminderte Quinte als pythagoreisch
(729 : 1024) und naturlich (45 : 64) ; in der gleichschwe-
benden Temperatur ist der Tr. */2 Oktave. Etwas klei-
ner als die pythagoreische verminderte Quinte ist der
11. Naturton, das sogenannte -»- Alphorn-fa. In' der
gleichschwebenden Temperatur wird die theoretisch
unendliche Folge von Quinten dadurch zum ->• Quin-
tenzirkel geschlossen, daB die 6. Oberquinte (bei c als
Ausgangspunkt die iibermaBige Quarte fis) und die 6.
Unterquinte (die verminderte Quinte ges) durch en-
harmonische Umdeutung gleichgesetzt werden ; damit
erscheint im Quintenzirkel der Tr. als die Stelle wei-
tester Entfernung vom Ausgangston.
Die besondere, zwischen Diatonik und Chromatik ver-
mittelnde Stellung des Tr. findet darin ihren Nieder-
schlag, daB die Begriindungen seines Verbots oder die
Einschrankungen seiner Verwendung seit jeher mit
den Prinzipien der Musiklehre eng verkniipft sind. In
der antiken Griechischen Musik wird der Tr. durch
die Gliederung der Oktave in 2 Tetrachorde ausge-
schaltet. Der einzige Grenzton eines Tetrachordes, der
im -> Systema teleion keine reine Quarte unter sich
hat - die Paramese - kann in bestimmten Fallen mit
dem Tr. oder Ditonus verbunden werden; in diesem
Zusammenhang werden beide Intervalle als paraphon
(»danebenklingend«, d. h. die nicht vorhandene reine
Quarte vertretend) charakterisiert (Gaudentios, ed. K.
v.Jan, S. 338). Auch in der Organumlehre der Musica
Enchiriadis (-> Dasia-Zeichen) und bei Hermannus
contractus' (hier erscheint das Wort tr. zum ersten Mai
in der lateinischen Musiklehre, GS II, 130a) hat die
Einteilung der Skala in Tetrachorde den Sinn der Ver-
meidung des Tr. Fur lange Zeit verbindlich wurde die
Formulierung des Tr.-Verbots in der Guidonischen
Lehre von der -»■ Solmisation als Warming vor dem
Mi contra Fa, diabolus in musica; die Tonsilben lassen
scheinbare Quarten und Quinten als Tr., d. h. alsfalsae
concordantiae (vgl. Tinctoris, CS IV, 146a) erkennen,
z. B. emi-t|mi sowie ffa-cfa = reine Quinte oder
Quarte, l^mi-ffa = Tr. Die Musiklehre des 13. Jh.
rechnete den Tr. zu den -»■ Discordantiae perfectae.
Das Verbot des melodischen Tr. fiihrte im System der
Kirchentone zu einer Umbildung des 5. Modus (Ly-
disch) : durch die Notwendigkeit, den Tr. iiber F aus-
zuschalten, wird die Einfuhrung des bfa erklart (vgl.
Anonymus Lafage, ed. Seay, S. 33). Im spateren Mit-
telalter erscheint der 5. Modus regelmaBig mit bfa, nach
Tinctoris (CS IV, 21b-22a) auch dann, wenn kein b
vorgezeichnet ist. Diese Skala, die dem modernen Dur
nahekommt, wird von Glareanus 1547 als transpo-
niertes Ionisch erklart. In der musikalisch-praktischen
Uberlieferung des Mittclalters sind trotz des fast allge-
mein ausgesprochenen Verbots viele Belege fur den
Tr. erhalten : Er findet sich haufig im Ambrosianischen
Gesang, seltener im Gregorianischen Gesang, z. B. in
den Gradualien vom Typ Iustus ut palma (vgl. Apel
1958, S. 357ff.) und in einigen von Hucbald (GS I,
105a-b) und Bemo von Reichenau (GS II, 64a) erwahn-
ten Gesangen. Als Gesangsiibung ist eine 1st. Antefana
des Trecentokomponisten Laurentius Masii de Floren-
tia aufzufassen (in der -v Quelle Lo, f . 56, Faks. in CMM
VIII, 3, 1962, S. XV), die die verschiedenen Tritoni im
F-Modus mit bfa und mit t|mi illustriert. In der mehr-
stimmigen Musik des 14. Jh. wird zuweilen ein melo-
discherTr. eigens durch Akzidens vorgeschrieben, z. B.
G. de Machaut, Ballade 19, Beginn des Cantus: g-cisi.
Nicht einheitlich ist auch die Behandlung der soge-
nannten Parallelklausel (-> Klausel) ; z. B. verwendet
sie G.Binchois in seiner Chanson Mon seul et souverain
desk sowohl mit Quart- (Takt 4) als auch mit Tr.-Ab-
stand der beiden Oberstimmen (Takt 16, 18, 24) im
Paenultimaklang (ed. Rehm, MMD II, 1957, S. 27). Im
spaten 15. Jh. stellen J. Tinctoris (CS IV, 146a-b) und
Adam von Fulda (GS HI, 353a) die Verwendung von
Klangen mit dem Tr. zwischen den beiden oberen oder
(als verminderte Quinte) unteren Stimmen fest. Gele-
gentliche Versuche, durch ->■ Musica ficta den Tr. ganz
auszuschlieBen, zwingen zu einer tiefgreifenden Ver-
anderung des iiberlieferten Notentextes (vgl. Einstein
1906/07) oder gar zur Annahme einer »Secret Chroma-
tic Art« (Lowinsky 1946).
Das Verbot von Tr.-Klangen und ->- Querstand gilt seit
dem 16. Jh. im Bereich des strengen Kontrapunkts, des
alten Stils; moderne Stilarten dagegen lassen mit dem
Gebrauch der Dissonanzen auch den Tr. als Mittel affekt-
betonter Textausdeutung zu, meist im Zusammenhang
mit chromatischen Passagen (->■ Passus duriusculus).
Auch J.S.Bach verwendet den Tr. bevorzugt zur Dar-
stellung von Begriff en wie Tod, Siinde, Klage. Zugleich
kam es im 18. Jh. zu einer neuen Bewertung des Tr., der
nun als »angenehm« (Heinichen 1728, S. 107) gait. In der
funktionalen Harmonik des 18./19. Jh. spielt der Tr.
eine doppelte Rolle : einerseits ist er als Bestandteil des
Dominantseptakkords mit der vorgeschriebenen Auf-
losung in die Terz der Tonika eines der wichtigsten
Mittel zur Bestatigung der Grundtonart, andererseits
ist er als Keimzelle des verminderten Septimenakkords
(der als Kombination zweier Tritoni im Abstand einer
kleinen Terz, also eines halben Tr., erklart werden
kann; z. B. h-f und d-as) die Stelle, an der die Kraft der
tonalen Ordnung am meisten abgeschwacht ist. Nicht
zufallig fiihren daher Stellen mit gehaufter Verwen-
dung des verminderten Septimenakkords bisweilen in
die Nahe der Zwolftonigkeit, wie z. B. bei der Er-
scheinung des Komturs in W. A. Mozarts Don Ciovianni
Wie hier, wird auch im 19. Jh. der Tr. haufig zur Schil-
derung des Unheimlichen benutzt (Beethoven, Fidelio,
Anfang des 2. Aktes, Pauken in A-es gestimmt; We-
ber, Freischiitz, Wolfsschluchtszene; Meyerbeer, Le
prophete, Beschworungsszene ; Berlioz, Symphonie fan-
tastique, Anfang des Songe d'une nuit de sabbat). Ein Tr.-
Motiv charakterisiert in R.Wagners Rheingold den
Fafner, in Fr. Liszts Legende von der Heiligen Elisabeth
die Landgrafin Sophie, bei Berlioz, Liszt und Gounod
den Mephistopheles. Mit der Abkehr von der funktio-
988
Trobadors
nalen Harmonik und von den eindeutigen Vorschrif-
ten fiir die Auflosung dissonanter Klange nahm im spa-
teren 19. Jh. die Bedeutung des Tr. noch zu. Vereinzelt
bereits bei Chopin (Etude op. 10 Nr 3, Takt 38ff.), hau-
figer bei Debussy finden sich unaufgeloste Tr.-Ketten.
In der Atonalitat beruht die Bedeutung des Tr. darauf,
dafi er neben der Oktave das einzige Intervall ist, das
bei der Umkehrung seinen Klangcharakter nicht ver-
andert, jedoch als Gegenpol der Oktave die starkste
Sonanzintensitat unter alien Intervallen besitzt. Daher
dient der Tr. nun bevorzugt zur Bildung symmetri-
scher Klange sowie als Achse fiir die Umkehrung oder
Transposition einer Reihe.
Lit. : Musici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1 895,
Nachdruck Hildesheim 1962 ; GS I-III ; A. Seay, An Anon.
Treatise from St. Martial, Ann. Mus. V, 1957 (Anonymus
Lafage); CS IV; H. Glareanus, Dodekachordon, Basel
1547, deutsch v. P. Bohn, =PGfM, Jg. XVI-XVIII, Bd
XVI, Lpz. 1888-90; J. D. Heinichen, Der Gb. in d. Com-
position, Dresden 1728; RiemannMTIi; A. Einstein, CI.
Merulo's Ausg. d. Madrigale d. Verdelot, SIMG VIII,
1906/07 ; H. Erpf, Studien zur Harmonie- li. Klangtechnik
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XIII, 1966; E. E. Lowinsky, The Function of Conflicting
Signatures in Early Polyphonic Music, MQ XXXI, 1945;
ders., Secret Chromatic Art in the Netherlands Motet,
= Studies in Musicology VI, NY 1946; ders., Einleitung
zu : Musica nova, Venedig 1 540, hrsg. v. H. C. Slim, = Mo-
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Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); W. Rog-
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1956; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind.
(1958); L. Schrade, Diabolus in musica, Melos XXVI,
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Zeit u. Raum, Bin (1960); Th. Karp, Modal Variants in
Medieval Secular Monophony, in : The Commonwealth of
Music, In Honor of C. Sachs, Glencoe (la.) 1964.
Tritus (lat., von griech. TpiTo?) -> Kirchentone.
Trobadors (prov., Ableitung von trobar, finden, er-
finden, dichten, Etymologie umstritten; frz. trouba-
dours) sind die Schopfer der ersten volkssprachlichen
Kunstlyrik des Abendlandes im 12. und 13. Jh. in Sud-
frankreich. Die Sprache ihrer Lieder, das Provenzali-
sche, ist nicht auf die Provence beschrankt und wird da-
her auch Lengua d'oc (nach der provenzalischen Beja-
hungspartikel oc, im Unterschied zur franzosischen
Langue d'oil der -»■ Trouveres) oder occitanisch ge-
nannt. Es ist eine literarische Umgangssprache, die kei-
ne Riickschliisse auf ein bestimmtes Gebiet des proven-
zalischen Sprachbereichs als Ausgangspunkt zulaBt. Aus
einem Zeitraum von rund 2 Jahrhunderten (1 100-1300)
sind die Texte von etwa 2600 Liedern erhalten, von de-
nen ein erheblicher Teil aufierhalb Sudfrankreichs ent-
standen ist, da manche Tr. Reisen nach Nordf rankreich,
Italien, Spanien unternahmen, einzelne sogar nach Por-
tugal, Deutschland und Ungarn. Etwa 450 Tr., unter
ihnen 20 dichtende Frauen (trobairitz), sind mit Namen
bekannt, darunter 25 Italiener und 15 Katalanen. Die in
den Handschriften uberlieferten etwa 110 Lebensnach-
richten (vidas, meist anonym, vorwiegend um die Mit-
te des 13. Jh. entstanden) sind weitgehend Erfindungen
im AnschluB an die Lieder und gelegentlich zu kleinen
Novellen ausgebaut. - Der Trobador war Dichter und
Komponist. Er trug seine Lieder entweder selbst vor
oder lieB sie durch einen in seinem Dienst stehenden
Joglar (frz. -*■ Jongleur) vortragen. Als Begleitinstru-
mente dienten Fiedel (altprov. viola), Harfe, Cister oder
Drehleier. Wahrend den Joglars eine niedrige Her-
kunft gemeinsam war, gingen die Tr. aus alien Stan-
den hervor, aus dem Volk (Bernart de Ventadorn),
dem Biirgertum (Giraut de Bornelh), dem geistlichen
Stand (Peire Cardenal), dem Rittertum (Bertran de
Born) und dem Hochadel (Wilhelm VII. von Poitiers,
Konig Alfonso II. von Aragon). Wichtigste Pflege-
statten der Trobadordichtung waren im 12. Jh. vor
allem die Hofe des Limousin, voran der Hof der Her-
zoge von Aquitanien in Poitiers, dann derjenige der
Grafen von Toulouse und die Hofe von Aix, Orange,
Beziers, Narbonne und Montpellier. - Das nach wie
vor in der Forschung heftig umstrittene Problem des
Ursprungs der Trobadordichtung stellt sich fiir die
lyrischen Formen, fiir die Musik und fiir den hofischen
Kultur- und Minnebegriff. Die hohe Minne der Tr. ist
Inbegriff einer aristokratisch-hofischen Lebenslehre mit
asthetischer und ethischer Komponente. Die fina amor
erzeugt Jugend (joven), Freude (joi) und MaB (mesu-
ra), Grundbegriffe der hofischen Gesittung (cortesia).
Im Mittelpunkt der Dichtung steht die Verehrung der
»Herrin« (domna, aus lat. domina), der verheirateten
adligen Frau, die stets unter einem Decknamen (sermal)
besungen wird.
Die altesten uberlieferten Lieder stammen von Wil-
helm VII. von Poitiers (= Wilhelm IX. von Aquita-
nien, 1071-1126). Seine 11 erhaltenen Lieder sind im
Strophenbau noch recht einfach, doch enthalten einige
schon fast alle Grundelemente der hofischen Minne-
konzeption und deren Paradoxon, die gegenseitige Be-
dingtheit von Begehren und Nichterfullung. Daraus
erwuchs bereits in der 2. Generation der Tr. mit der
beriihmten »Fernliebe« (amor de lonh) des -> Jaufre
Rudel ein iiberaus fruchtbares poetisches Thema. Fast
gleichzeitig setzte mit dem Trobador -»■ Marcabru
eine satirische Reaktion ein, die die hofische Minne-
auffassung im Namen einer natiirlichen und legitimen
Liebe als unsittlich verwirft. Der Gegensatz zwischen
der »idealistischen Schule« der hofischen Minne und
der »realistischen Schule« im Gefolge Marcabrus blieb
bis in die eigentliche, von etwa 1150 bis 1250 reichende
Bliitezeit der Trobadordichtung wirksam, als deren
wichtigste Vertreter -> Bernart de Ventadorn, ->■ Giraut
de Bornelh, ->■ Peire d'Alvergne, -»• Bertran de Born,
->■ Peire Vidal, -»■ Gaucelm Faidit, -> Peire Raimon de
Toloza und -»■ Peire Cardenal zu nennen sind. Obwohl
Dichter wie ->• Guiraut Riquier bemiiht waren, die Tra-
dition der hofischen Dichtung in den durch die Albi-
genserkriege und den Verlust der Unabhangigkeit
schwer getroffenen Landern des Siidens weiterzufiih-
ren, miindete die Kunst der Tr. gegen 1300 in eine dem
deutschen Meistersang vergleichbare formalistische
Dichtung des stadtischen Burgertums ein (1323 Grun-
dung der Dichtergesellschaft des Consistori del Gai
Saber in Toulouse), wahrend die spiritualistische Ten-
denz der Lieder von Sordel (1225-70) und Guilhem de
Montanhagol (1230-60) auf die Dichtung des italieni-
schen Dolce stil nuovo weist.
Die hochste und kunstvollste der von den Tr. gepfleg-
ten Liedgattungen war die Kanzone (canso), bestehend
aus fiinf oder sechs Strophen (coblas) mit Aufgesang
und ein bis drei abschlieBenden Kurzstrophen (torna-
das). Die Kanzone war ausschlieBlich der Liebesdich-
tung . vorbehalten und verlangte den hohen Stil. Aus
ihr hat der Trobador -*■ Arnaut Daniel die von Dante
und Petrarca ubernommene Sestina entwickelt, die aus
sechs (ungeteilten) Strophen mit stets wiederkehrenden
Reimworten und einem dreizeiligen, alle 6 Reimworte
enthaltenden »Geleit« besteht. Wahrend jede Kanzone
ihre eigene Strophenform und ihre eigene Melodie
haben muBte, war in anderen Liedgattungen -»■ Kon-
trafaktur die Regel. Dies gilt z. B. fiir das -»■ Sirventes
und fiir die beiden Arten des provenzalischen Streitge-
989
Trobadors
dichts, die -»■ Tenzone und das Partimen oder Joe partit
(verteiltes Spiel, -»• Jeu parti), in dem zwei, manchmal
auch drei Dichter ein dilemmatisch gestelltes Problem
der Liebesakustik behandeln. Die 35 iiberlieferten
Kreuzzugslieder (oder Kreuzlieder), deren friihestes,
Pax! in nomine Domini von Marcabru, wahrscheinlich
1147 entstanden ist, rufen zum Kampf gegen die Hei-
den auf, oft unter scharfer Kritik an der saumigen Rit-
terschaft (als Riigelieder gehoren sie teilweise zur Gat-
tving der Sirventes). Das Klagelied (planch oder planh;
-*■ Planctus) dient dem riihmenden Nachruf auf hoch-
gestellte Gonner (Gaucelm Faidit 1199 fur Richard
Lbwenherz und Bertran de Born 1183 fur dessen Bru-
der Heinrich). Liedgattungen, in denen Thema und
Szenerie festliegen, sind das -> Tagelied (alba) und die
Pastorela (-»• Pastourelle), die Liebeswerbung eines
stets in Ich-Form eingefiihrten Ritters um eine Hirtin.
Neben diesen Liedarten gibt es geistliche Lieder (Ma-
rienlieder sind erst seit dem 2. Drittel des 13. Jh. nach-
zuweisen) und, in der Trobadordichtung nur sparlich
vertreten, Tanzlieder wie Balada (->• Ballade - 1), Dan-
sa, Retruencha undEstampida (-> Estampie). - Fiir die
Tr. war die strenge Silbenzahlung der Verse die Regel
und der Reim obligatorisch; sie entfalteten binnen kur-
zer Zeit eine hohe Kunst komplizierter, ja raffinierter
Formgebung. Woher auch immer sie Anregungen
empfangen haben mogen - aus der antiken, der geist-
lichen und weltlichen mittellateinischen oder der ara-
bischen Literatur - sie schufen eine neue Poesie mit
europaischer Wirkung. Die Trouveredichtung Nord-
frankreichs, der deutsche Minnesang, die sizilianische
Dichtung und die Lyrik des Dolce stil nuovo sind ohne
sie nicht denkbar. Der Grad ihres Stilbewufitseins ist
abzulesen an der Auseinandersetzung mit dem »dunk-
len Stil« (trobar clus, auch trobar escur, cobert, sotil),
der gegeniiber dem »leichten Stil« (trobar leu oder
plan) den Sinn der Aussage durch Doppeldeutigkeit der
Worter und schwierige Wortfiguren verratselt und
nur von einem erlesenen Publikum verstanden werden
kann. Von dieser esoterischen Stilart, deren wichtigste
Exponenten Marcabru, -*■ Peire d'Alvergne, -»■ Ar-
naut Daniel und Raimbaut d'Aurenga sind, ist der »rei-
che Stil« (trobar ric) zu unterscheiden, dessen Merk-
male die bis zum AuBersten getriebene Kompliziert-
heit des Strophenbaus, das ausgesuchte Vokabular und
schwere, seltene Reime und Reimworter sind.
Der Ausspruch des Trobadors ->■ Folquet de Marseille,
seine Kanzone ohne Melodie ist wie eine Miihle ohne
Wasser«, zeugt fiir die unlosbare Einheit von Text und
Melodie in der Trobadordichtung. Diese Einheit er-
streckt sich indessen, wie die Melodieentlehnungen
zeigen, nicht auf die klare Gattungsdifferenzierung,
denen die Texte folgen. Leider sind in den erhaltenen
Handschriften (-> Chansonnier) nur verhaltnismafiig
wenige Trobadormelodien iiberliefert, insgesamt 264,
die offensichtlich wegen ihrer Qualitat aufgezeichnet
wurden. Besonders sparlich ist die Uberlieferung bei
den altesten Tr. : eine Melodie von Wilhelm VII. von
Poitiers (fragmentarisch), 4 Melodien von Jaufre Rudel
und 4 von Marcabru. Strophenform und Melodie sind
zuweilen von mehreren Dichtern ubernommen wor-
den. So sind Kontrafakta des beriihmten »Lerchen-
liedes« von Bernart de Ventadorn (von dem etwa 45
Lieder, 19 da von mit Melodien, erhalten sind) im Be-
reich der franzosischen, lateinischen und deutschen Ly-
rik nachweisbar. Die Kontrafakta sind fiir die For-
schung von groBtem Wert, da die Noten der hand-
schriftlichen Uberlieferung nur die relative Tonhohe
angeben und iiber den Rhythmus nichts aussagen.
Die bisherige musikwissenschaftliche Forschung hat
vor allem die Konstanten betont, die die Trobador-
melodien mit der nichtprovenzalischen Liedkunst des
Mittelalters verbinden. Eingehendere Untersuchungen
(z. B. Stablein 1966) ergeben, daB in der Textkritik der
oft in mehreren stark voneinander abweichenden Fas-
sungen iiberlieferten Melodien sowie in der Frage ihrer
rhythmischen Deutung keine einheitliche Losung zu
gewinnen ist, vielmehr von Fall zu Fall neu entschie-
den werden muB. Zu beriicksichtigen ist dabei auch
die Tatsache, daB mundliche Uberlieferung bei den
Melodien (jedenfalls in starkerem MaBe als bei den
Texten) der Aufzeichnung vorausgegangen sein muB.
Auch die Lehre von den Kirchentbnen laBt sich nicht
ohne weiteres auf die tonartliche Deutung der Troba-
dormelodien ubertragen, deren stilistische Eigenart
durch Nahe oder durch Gegensatzlichkeit zu den For-
men des kirchlichen Gesangs gepragt ist. Als bevor-
zugte Form der friihen Trobadorlieder erscheint die
ohne Zeilenwiederholung »durchkomponierte« Stro-
phe, in Dantes Kennzeichnung : sub una oda continua
usque ad ultimum progressive, hoc est sine iteratione modu-
lations cuiusquam et sine diesi (De vulgari eloquentia 2, X,
2). Zu diesem Typus gehort z. B. Bernart de Venta-
dorns »Lerchenlied« Quan vei Valauzeta mover (P-C 70,
43), in dem Ansatze zu melodischen Entsprechungen
einzelner Zeilen (2, 4, 7) durch verschiedene Abwand-
lungen so iiberdeckt werden, daB der Horer jede
Strophenhalfte als Einheit auffaBt; der Einschnitt in
der Mitte wird durch SchluB auf die Finalis erzielt.
Der am Vorbild des gregorianischen Chorals geschulte
Duktus einer solchen Melodie, deren Form ausschlieB-
lich auf der intervallischen Ordnung (im klar ausge-
pragten 1. Kirchenton) beruht, lafit die Anwendung
modaler Rhythmik (-> Modus - 2) mindestens in die-
sem Fall als fragwiirdig erscheinen. Die Zweiteilung
der Strophe ergibt in anderen Liedern (z. B. Bernart de
Ventadorn, A I tantas bonas chansos, P-C 70, 8) einen
melodischen Parallelismus, fiir den als Vorbild die
Doppelversikelordnung der -> Sequenz (- 1) in Frage
kommt (->■ Lai). Haufig sind auch Melodien, die von
den Psalmtonen ausgehen (z. B. Bernart de Ventadorn,
Conortz, era sai eu be, P-C 70, 16 ; Jaufre Rudel, Lanquan
lijorn son lone en mai, P-C 262, 2), zum Teil in Verbin-
dung mit Doppelversikelanlage. Kompliziertere Me-
lodien arbeiten mit Entsprechungen von Zeilen un-
gleicher Lage (meist in Quint- oder Quarttransposi-
tion). Hier kommt es haufig zu irregularen Tonartver-
haltnissen, z. B. 1. Kirchenton mit SchluB auf a, 2. Kir-
chenton mit SchluB auf A. Melodien volkstiimlicher
Haltung gehoren uberwiegend der Zeit nach 1170 an.
Haufigere Zeilenwiederholung, starkeres Hervortre-
ten des Terzschritts sind hier ebenso charakteristisch,
wie die modale rhythmische Ordnung dem Tanzlied-
charakter solcher Weisen angemessen erscheint (z. B.
Giraut de Bornelh, Leu chansonet' e vil, P-C 242, 45
und No pose sofrir qu'a la dolor, P-C 242, 51 ; Peire Vi-
dal, Gespel temps fer e brau, P-C 364, 24). Neben volks-
tiimlichen kirchlichen Gesangsarten wie der Verbeta
(-»■ Tropus) sind als Vorbild auch nordf ranzosische Lied-
und Tanzformen vermutet worden, z. B. fiir -*■ Raim-
baut de Vaqueiras' Kalenda may a (P-C 392, 9; umstrit-
ten, vgl. Husmann 1953) und fiir das anonyme A Ven-
trada del temps clar (P-C 461, 12; vgl. Stablein 1966).
Au'sg. : Dermus. NachlaB d. Troubadours. Kritische Ausg.
d. Melodien, hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa musicae
medii aevi III, Darmstadt 1958; Lo gai saber, 50 ausgew.
Troubadourlieder, hrsg. v. dems., = Mw. Studienbibl.
XVIII/XIX, Darmstadt 1959. - Fr. Gennrich, Trouba-
dours, Trouveres, Minne- u. Meistergesang, = Das Mu-
sikwerk (II), Koln (1951, 21960); Trouveres et Minnesan-
ger, I (Texte) hrsg. v. I. Frank, II (Weisen) hrsg. v. W.
Muller-Blattau, = Schriften d. Univ. d. Saarlandes I— II,
Saarbriicken 1952-56.
990
Trommel
Lit.: P-C; I. Frank, Repertoire metrique de la poesie des
troubadours, 2 Bde, Paris 1953-58. - A. Jeanroy, La podsie
lyrique des troubadours, Toulouse u. Paris 1 934 ; E. Hoepf-
ner, Les troubadours dans leur vie et dans leurs oeuvres,
Paris 1955. - J. B. Beck, Die Melodien d. Troubadours,
StraBburg 1908 ; ders., La musique des troubadours, Paris
1910; P. Aubry, Trouveres et troubadours, Paris 1909,
21910; Fr. Gennrich, GrundriB einer Formenlehre d. ma.
Liedes, Halle 1932; Th. Gerold, La musique au moyen-
age, Paris 1932; J. Chailley, Hist. mus. du moyen age, Pa-
ris 1950; H. Husmann, Kalenda maya, Af Mw X, 1953 ; E.
Lommatzsch, Leben u. Lieder d. provenzalischen Trouba-
dours, mit einem mus. Anh. v. Fr. Gennrich, 2 Bde, Bin
1957-59; H. Zingerle, Tonalitat u. Melodiefuhrung in d.
Klauseln d. Troubadours- u. Trouvereslieder, Tutzing u.
Miinchen 1958 ; H. Angles, El canto popular en las melo-
dias de los trovadores prov., AM XIV, 1959 - XV, 1960;
D'Arco S. Avalle, La letteratura medievale in lingua d'oc
nella sua tradizione manoscritta, (Turin) 1961, Auszug
deutsch in: Gesch. d. Textuberlieferung II, Zurich (1964);
Der deutsche Minnesang, hrsg. v. H. Fromm, = Wege d.
Forschung XV, Darmstadt 1961 ; Br. Stablein, Zur Stili-
stik d. Troubadour-Melodien, AMI XXXVIII, 1966; Der
prov. Minnesang. Ein Querschnitt durch d. neuere For-
schungsdiskussion, hrsg. v. R. Baehr, =Wege d. For-
schung VI, Darmstadt 1967. EK
Tromba (ital.) -*■ Trompete; Tr. da tirarsi (ital.)
-> Zugtrompete; Tr. marina (lat. und ital.) -*■ Trum-
scheit.
Trombone (ital.) ->■ Posaune (- 1).
Trommel (engl. drum; frz. tambour; ital. tamburo;
span, tambor) ist der Sammelname fur Membrano-
phone, die im allgemeinen als Schlaginstrumente be-
handelt werden. Nach der Anzahl der Membranen
sind ein- und zweifellige Tr.n zu unterscheiden. Ein-
fellige Tr.n ohne Resonator, deren Membran iiber ei-
nen meist runden Holzreifen (Rahmen) gespannt ist,
heiBen Rahmen-Tr.n (-> Schellen-Tr. ; -» Pandero).
Einfellige Tr.n mit Resonator, bei denen eine Mem-
bran iiber die Offnung einer Rohre oder eines (meist
unten offenen) GefaBes aus Ton, Holz oder Metall ge-
spannt ist, gehoren zu den verbreitetsten auBereuro-
paischen Rhythmusinstrumenten; sie sind z. B. fur die
f ruhgeschichtliche Zeit in Agypten (-» Darabukka) und
durch Ausgrabungsfunde auch in Europa belegt (vgl.
Seewald 1934). In neuerer Zeit finden die einfellige
-*■ Bongo und die ->■ Conga-Tr. in der Tanzmusik
Verwendung. Auch die -»■ Pauke kann als einfellige
GefaB-Tr. klassifiziert werden. - Im engeren Sinn ist
Tr. ein zweifelliges Membranophon mit zylindrischem
Corpus (Zylinder-Tr.). Die im Orchester, in der Mili-
tar-, Tanz-, Volks- und Unterhaltungsmusik verwen-
deten Tr.n konnen unterschieden werden in Tr.n mit
hohem Corpus (Zargenhohe groBer als Membran-
durchmesser), Tr.n mit flachem Corpus (Zargenhohe
kleiner als Membrandurchmesser) und Tr.n mit (an-
nahernd) quadratischer Mensur. Tr.n mit hohem Cor-
pus sind -»- Riihr-Tr. und -» Tambourin (-1). Ein
flaches Corpus besitzen die verschiedenen Arten der
Kleinen Tr., die beim Spiel waagerecht oder schrag
gehalten werden. Das Corpus der GroBen Tr. ist meist
weniger flach; ihre Felle stehen senkrecht und werden
von der Seite angeschlagen. Annahernd quadratische
Mensur hat das -> Tom-Tom. Da die Kleine Tr. auch
in ihren flachsten Formen historisch aus der Zylinder-
Tr. mit hohem Corpus hervorgegangen ist, wird sie
nicht zur Gruppe der zweifelligen flachen Rahmen-
Tr.n gezahlt. Zweifellige Tr.n mit nichtzylindrischem
Corpus (Sanduhr- und FaB-Tr.n) sind vereinzelt in
mittelalterlichen Handschriften abgebildet und auch
u. a. in Asien und Afrika anzutreffen. Einen Resonator
in Doppelbecherform, iiber dessen Offnungen die mit
Schniiren gespannten Membranen seitlich hinausragen,
besitzt die in Japan vor allem als Begleitinstrument
beim -*■ No verwendete Tr. Tsuzumi. - In der Instru-
mentenkunde (vgl. Hornbostel-Sachs 1914) werden
auch Membranophone als Tr.n bezeichnet, die nicht zu
den Schlaginstrumenten zahlen: ->■ Reib-Tr., Zupf-
Tr. (deren Membran durch eine angezupfte Saite in
Schwingung versetzt wird), Rassel-Tr. (eine Tr., in
deren Innerem sich Rasselkorper befinden und die
durch Schiitteln zum Klingen gebracht wird; -*■ Ras-
sel), »Ansing-Tr.« (-»■ Mirliton) usw. Das membran-
lose Schlagidiophon -> Schlitz-Tr. kann als eine Vor-
form der Tr. angesehen werden.
Kleine und GroBe Tr. sind in ihrem Aufbau gleich.
Das Corpus (die Zarge), friiher aus Holz, wird heute
meist aus Metall (Messing verchromt oder lackiert,
seltener Aluminium) hergestellt. Die auf Fellwickel-
reifen (Fellreifen) befestigten Felle (gegerbte Kalbs-
oder Eselshaut; heute vielfach Kunststoff) werden
durch die Felldruckreifen (Spannreifen) gespannt. Ent-
weder ist jedes Fell einzeln stimmbar durch 6-10 (bei
der GroBen Tr. auch 12) Spannschrauben, die an
der Zarge befestigt sind, oder durchgehende Spann-
schrauben verbinden die Felldruckreifen (altere Bauart) .
Wahrend die beiden Felle der GroBen Tr. meist gleich
sind, wird die Kleine Tr. mit einem starkeren Schlag-
fell und einem dunneren Resonanzfell bezogen. - Cha-
rakteristisch fur die Kleine Tr. sind die Schnarrsaiten
(engl. snares; frz. timbres; ital. corde), iiber das Reso-
nanzfell gespannte Darm- oder umsponnene Metall-
saiten, deren Spannung regulierbar ist. Die Schnarr-
saiten erfiillen eine doppelte Aufgabe: einerseits teilen
sie das Resonanzfell und unterdriicken damit nicht nur
die Grundschwingung, sondern auch eine Reihe an-
derer Teilschwingungen, andererseits schlagen sie ge-
gen das schwingende Fell, wobei infolge der verschie-
denenEigenf requenzen der Membran und der Saiten ein
schnarrendes Gerausch entsteht. Die im Orchester ver-
wendete Konzert-Tr. hat 4-10 Schnarrsaiten, meist nur
aus Darm ; auf Militar- und Jazz-Tr.n werden bis zu
18 Saiten (meist Metall) aufgezogen. Der Schnarr-
saitenbezug kann als Ganzes vom Fell abgehoben wer-
den (senza corde; engl. snares off); der Klang wird
dadurch dumpfer.
Im Unterschied zur -*■ Pauke ist das von der Kleinen
wie von der GroBen Tr. erzeugte komplizierte (vor-
wiegend aus unharmonischen Teilschwingungen be-
stehende) Frequenzspektrum beim Horen bestimmten
Tonen nicht zuzuordnen; es werden lediglich tiefere
und hohere sowie in ihrer Klangfarbe differenzierte
Tr.-Klange (Tonlagen) unterschieden. Durch Veran-
derung der Membranspannung sind Tr.n innerhalb
enger Grenzen umstimmbar. Die Grundfrequenz der
Tr. resultiert aus den Eigenfrequenzen der im Resona-
tor eingeschlossenen Luftmenge und der Membranen.
Tr.n werden in verschiedenen GroBen und mit unter-
schiedlichen Mensuren (MaBverhaltnissen von Mem-
brandurchmesser zur Zargenhohe) gebaut: die Kleine
Tr. als Konzert-Tr. (0 ca. 35-38 cm, Hohe ca.
12-19 cm), als Militar-Tr. ( ca. 30-38 cm, Hohe ca.
10-17 cm) und als Jazz-Tr. (0 ca. 33-35,5 cm, Hohe
ca. 7,5-12,5 cm); die GroBe Tr. als Konzert-Tr. ( ca.
70-100 cm, Hohe ca. 36-56 cm), als Militar-Tr. (ver-
schiedene GroBen : ca. 36-76 cm, Hohe ca. 25-43 cm;
in England und in den USA auch sehr flach: ca.
70 cm, Hohe ca. 15 cm) und als Jazz-Tr. (0 ca. 46-
71 cm, Hohe ca. 30-36 cm).
Der zu schlagende Rhythmus wird heute auf einer
Linie ohne Schlussel notiert; friiher wurde die Kleine
Tr. im Liniensystem mit Violinschliissel auf dem Ton
c 2 notiert, die GroBe Tr. im BaBschlussel auf c. Die
Kleine Tr. wird gewohnlich mit 2 -> Schlageln aus
991
Trommel
Hartholz (Tr.-Schlageln) geschlagen; die rechte Hand
halt den Schlagel anders als die linke. Der Anschlag
erfolgt in der Mitte des Fells, nur bei leiserem Spiel
naher am Rand. In der heutigen Spielpraxis wird
zwischen der klassischen (auch symphonischen) Tech-
nik, die aus der Signal- und Marschmusik abgeleitet
ist, und der Jazztechnik unterschieden. Zur klassischen
Technik gehoren : Einzelschlage, abwechselnde Schlage
verschiedener Schnelligkeit, Schlage mit einfachem
und mehrfachem Vorschlag und der -»- Wirbel (- 2;
notiert als fo—~). Vorschlag und Wirbel werden
mit Hilfe des »Schlags mit Praller« ausgefiihrt, bei
dem der Stock nach erfolgtem Schlag nicht sofort
hochgehoben wird, sondern auf die Membran zuriick-
federt. Ein zweifacher Vorschlag (auch Doppelschlag)
entsteht aus einem Hauptschlag und einem nachfol-
genden »Schlag mit Praller«; ein Wirbel ist eine Kette
von Doppelschlagen (engl. two-stroke roll). Eine Ver-
dichtung des Wirbels erfolgt durch Druck mit den
Handgelenken bei der Ausf iihrung (Druckwirbel ; engl.
press roll). In der Jazztechnik wird die Kleine Tr. im-
mer in Verbindung mit anderen Schlaginstrumenten
gespielt (->• Becken, -> Tom-Tom, GroBe Tr., Cow-
bell u. a.). Im Unterschied zur klassischen Technik
wird der Wirbel nicht mit Doppel-, sondern mit wech-
selnden Einzelschlagen (engl. single-stroke roll) aus-
gefiihrt ; die verschiedenen Schlagtechniken der Pauke
(z. B. Paradiddle) werden mit einbezogen ; Spezialtech-
niken wie das Spiel auf dem Rand mit einem Stock
(wobei gleichzeitig die Membran beriihrt wird), ge-
dampfte Randschlage, gedampfte Fellschlage sowie
Schlagen, Kreisen, Reiben usw. mit dem Jazzbesen
(-> Besen) und die Kombination von Jazzbesen und
Tr.-Stock treten in der Jazztechnik neu hinzu. - Die
GroBe Tr. wird in der Militar- und Harmoniemusik
nur mit einem in der rechten Hand gefiihrten Filz-
schlagel gespielt; eine im 19. Jh. verbreitete Gepflogen-
heit, mit der linken Hand gleichzeitig die Becken zu
bedienen (dabei war ein Becken auf der Tr. montiert),
ist heute fast ausgestorben. Im Konzert werden schnel-
lere Rhythmen und Wirbel wie bei der Pauke mit 2
Schlageln ausgefiihrt. Daneben wird auch die aus der
Janitscharenmusik ubernommene Spieltechnik mit
Schlagel und -> Rute eingesetzt. Im Jazz und in der
Unterhaltungsmusik wird die GroBe Tr. mit einer Pe-
dalvorrichtung (»FuBmaschine«) geschlagen.
Bei den Naturvolkern steht die Tr. fast ausschlieBlich
im Dienste von Magie und Kult ; diese Bindung aufiert
sich u. a. in den bei der Herstellung der Instrumente
iiblichen rituellen Handlungen und in der omamenta-
len und figurlichen Verzierung des Tr.-Corpus. Bild-
liche Darstellungen verschiedener Tr.-Arten (oft von
Tanzerinnen gespielt) und -Instrumenten (darunter
auch zweifellige Zylinder-Tr.n mit holzernem Cor-
pus und Schnurspannung) sind unter den alteren Hoch-
kulturen vor allem aus Agypten erhalten. Als Instru-
ment des Dionysos- und des Kybele-Kultes wurde in
der Antike das -> Tympanum (- 1) aus dem Vorderen
Orient nach Griechenland eingefiihrt. Erst im Friih-
mittelalter erschienen Tr.n - vor allem verschiedene
ein- und zweifellige, runde wie auch eckige Formen
der Rahmen-Tr. - in Europa, sowohl als Engelsinstru-
mente als auch in der Hand von Gauklern und -> Spiel-
leuten (-1). Die seit dem 14. Jh. belegbaren kleinen
Zylinder-Tr.n, deren Felle durch eine zwischen den
Spannreifen hin- und herlaufende Schnur (Tr.-Leine)
gestimmt werden, sind offenbar ebenso wie die Pau-
ke im Zusammenhang mit den Kreuzziigen in das
Abendland gekommen. Ob die zur gleichen Zeit in
den romanischen Sprachen gebildeten Bezeichnungen
fiir Tr.-Instrumente auf das Wort ->• tanbur (im Ara-
bischen der Name einer Langhalslaute) zuriickgefiihrt
werden konnen (vgl. Lokotsch 1927) oder auf arabisch
-> tabl, ist umstritten. In mittelhochdeutschen Quellen
(13./14. Jh.) begegnet tambur als Bezeichnung fiir Tr.
neben rotumber (vielleicht von lat. rotundus) und sum-
ber (von ahd. sumper, ein KornmaB). Der Name Tr.
(mhd. trumme, trumbel, trumel; seit dem 12. Jh. be-
legbar) geht ebenso wie das neuhochdeutsche Wort
->■ Trompete auf ahd. trumba (lautmalend; s. v. w.
»drohnendes Instrument*) zuriick.
Die kleine zweifellige Zylinder-Tr. (->■ Tambourin - 1)
wird im westlichen Europa meist von einem Spieler
zusammen mit der -» Einhandflote gespielt. Im 15. und
16. Jh. wurde eine stark vergroBerte Zylinder-Tr. (frz.
tambourin de Suisse) in Verbindung mit der ->• Quer-
pfeife (Schweizerpfeife) zum charakteristischen Instru-
ment der Musik der Landsknechte und Soldnerheere
(-» Spielleute - 2). Virdung (1511) nennt die klei-
nen Zylinder-Tr.n clein paiicklin, die groBen trumeln
(vgl. Praetorius Synt. II, S. 77, dazu Tafeln IX und
XXIII). Im 17. Jh. wurden auch verschiedene Zwi-
schengroBen entwickelt (vgl. Kircher, Musurgia uni-
versalis, Rom 1650). Durch die ~> Janitscharenmusik
kam um 1700 eine gegeniiber der Landsknechts-Tr.
abermals stark vergroBerte Tr. nach Europa, die zuerst
von M.Marais (Alcione, 1706), dann von Gluck (La
rencontre imprivue, 1764) und von W.A.Mozart (Die
Entf iihrung aus dem Serail, 1782) zur Charakterisierung
des tiirkischen bzw. orientalischen Kolorits herange-
zogen wurde. Dieses auch »Turken-Tr.« genannte In-
strument wurde mit einer Holzkriicke (rechts) und
einer ->■ Rute (links) geschlagen (-> Tupan). Die Tiir-
ken-Tr., fortan als GroBe Tr. bezeichnet, fand im 19.
Jh. immer haufiger Verwendung im Orchester, z. B.
bei Spontini (La Vestale, 1805; Fernand Cortez, 1809),
Beethoven (Die Schlacht bei Vittoria, 1813; Symphonie
Nr 9 op. 125, 1824, 4. Satz), CM. v. Weber (Preziosa,
1821). Bald wurde uberreichlicher Gebrauch von der
GroBen Tr. gemacht, so daB Berlioz (Traitc d'instru-
mentation . . ., Paris 1844) dagegen Stellung bezog. In
der von Berlioz geforderten sparsamen aber wirkungs-
vollen Weise ist die GroBe Tr. z. B. bei Verdi (Aida,
1871 ; Oteilo, 1887, 2 GroBe Tr.n), R.Strauss (Ein Hel-
denleben, 1899; Salome, 1905) und Busoni (Turandot-
Suite, 1906) eingesetzt.
Die Landsknechts-Tr., die durch die Einf iihrung der
GroBen (»Tiirken-«)Tr. zur Kleinen Tr. geworden war,
erfuhr seit dem Ende des 18. Jh. durch die Herstellung
der Zarge aus Messing statt aus Holz, durch Verringe-
rung der Zargenhohe und durch Einfuhrung von
Spannschrauben statt der Tr.-Leine eine grundlegende
Veranderung zur Militar-Tr. des 19. Jh. Wahrend in
Frankreich der Name tambour weiterhin eine hohe Tr.
bezeichnet und die (neue) Militar-Tr. caisse claire (ital.
cassa chiara) genannt wird, ging in Deutschland die
Bezeichnung Kleine Tr. auf die flache Militar-Tr. iiber.
Die Landsknechts-Tr., u. a. noch heute in Spielmanns-
und Fanfarenziigen gepflegt, wird instrumentenkund-
lich als -*■ Riihr-Tr. bezeichnet. - Die Kleine Tr. diente
zunachst nur als Effektinstrument und zur Charakte-
risierung des Militarischen, z. B. bei Meyerbeer (Les
Huguenots, 1836), R.Wagner (Rienzi, 1840), Donizetti
(Lafille du regiment, 1840) und in den friihen Opern von
Verdi. Doch wurde seitdem die Kleine Tr. zum festen
Bestandteil des Schlagzeugs im Orchester; in der In-
strumentation wird sie zur Hervorhebung pragnanter
Rhythmen, zur Differenzierung des Orchesterklangs
und zur Markierung von Akzenten eingesetzt, z. B. von
Flotow (Martha, 1847), Bizet (Carmen, 1875),.Rimskij-
Korsakow (Capriccio espagnol, 1887; Sheherazade, 1888)
und Ravel (Bolero, 1928). - In dem MaBe, in dem fiir
992
Trompete
die Neue Musik rhythmisch-gerauschhafte Momente
bestimmend wurden, wuchs auch die Bedeutung der
verschiedenen Tr.-Arten fur die Instrumentation.
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), hrsg. v.
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass., Faks.
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; M. Mersenne, Harmonie
universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Pa-
ris 1963; G. Fechner, Die Pauken u. Tr. in ihren neueren
u. vorziiglicheren Konstruktionen, = Neuer Schauplatz d.
Kunste u. Handwerke CXL, Weimar 1 862 ; A. Deutsch,
GroCe Tr.- u. Becken-Schule, Lpz. (1 896) ; R. Andree, Al-
te Tr. indianischer Medizinmanner, Globus LXXV, 1899;
G. Schad, Musik u. Musikausdriicke in d. mittelengl. Lit.,
Diss. GieBen 1910; ders., Zur Gesch. d. Schlaginstr. auf
germanischem Sprachgebiet bis zum Beginn d. Neuzeit, in:
Worter u. Sachen VIII, 1923; Fr. Weinitz, Die lappische
Zaubertr. in Meiningen, Zs. f. Ethnologie XLII, 1910,
dazu K. B.Wiklund in: Lemonde oriental IV, 1910, S. 89-
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Instrumentenkunde in Wort u. Bild III (Messingblas- u.
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noire: fonctions et formes, Kgr.-Ber. Salzburg 1964. — > In-
strumentation.
Tr ommelbafi, spottische Bezeichnung f ur fortgesetz-
te Wiederholung desselben Tons in schneller Folge in
der BaBstimme.
Trompe (trap, frz.), im 11.-13. Jh. ein gerades ->■ Horn
mit konischer Rohre aus (Messing-)Blech, ohne Stiirze
und wahrscheinlich ohne Mundstiick. Die Tr. wurde
als ritterliches Signalinstrument im Krieg, bei der Jagd
und beim Turnier (spater auch von stadtischen Aus-
rufern) geblasen.
Lit. : E. A. Bowles, Unterscheidung d. Instr. Busine, Cor,
Tr. u. Trompette, Af Mw XVIII, 1961 .
Trompete (von ahd. trumba, s. v. w. drbhnendes,
schnarrendes Instrument; mhd. trumpet, trumet, trum-
be; mittellat. tuba; ital. tromba und Diminutiv trom-
betta, belegt bei Dante, Inferno VI, 95 und XXI, 139;
frz. -> trompe, Diminutiv trompette belegbar seit dem
13. Jh. ; engl. trumpet; arabisch al-nafir, danach span,
anafil, seit der 1. Halfte des 13. Jh.), - 1) ein im Un-
terschied zum -> Waldhorn uberwiegend zylindri-
sches, eng mensuriertes Blasinstrument mit halbkuge-
ligem Kesselmundstiick. Im Orchester gehoren die
Trp.n zur Gruppe der Blechblasinstrumente. Bevor-
zugte Metalle sind Messing, Goldmessing und Neu-
silber, fiir Prunkstiicke Silber (selten Gold). Die Trp.
besitzt einen strahlenden, scharfen, hellen Klang, der
durch verschiedene -*■ Dampf er verandert werden kann .
Natur-Trp.n sind Trp.n ohne Ventile, auf denen nur
63
993
Trompete
die -*■ Naturtone verfiigbar sind. 'Vor der Erfindung
der -+ Ventile (- 2; 1813) muBte daher die Grund-
stimmung der Trp.n mit der Tonart der Komposition
iibereinstimmen. Trp.n verschiedener Grundstimmung
werden in C als -*■ Transponierende Instrumente no-
tiert. Die heutige Orchesterpraxis kennt nur noch fur
die Sopranlage die kleine Trp. in B, die einen Ganzton,
fur die Alt- und Tenorlage die grofie Trp. in F, die eine
Quinte nach unten transponiert. Die tiefere A- bzw.
Es-Stimmung kann bei beiden Instrumenten durch
Stimmventile erreicht werden. Seltener werden die
hohen »Bach«-Trp.n in D oder die BaB-Trp.n in C und
B verwendet. Der Umf ang betragt bei alien Stimmlagen
etwa 2 l J2 Oktaven; die tieferen Instrumente besitzen
einen groBeren und fiilligeren Klang als die Sopran-
instrumente, der sich gut mit dem der Posaunen ver-
bindet. Die Schwingungen bei der Trp. werden in
gleicher Weise erzeugt wie beim ->■ Horn.
Die historische Entwicklung der Horn- und Trp.n-In-
strumente laBt sich bis in vorgeschichtliche Zeit zu-
riickverfolgen. Als Material dienten anfangs Natur-
produkte wie Muscheln, Knochen, StoBzahne, Tier-
horner, Kalebassen oder Bambus. Erst in einer spateren
Entwicklungsstufe gelang es dem Menschen, aus Holz,
Rinde, Elfenbein, Ton die Form zu schaffen, die in der
europaischen Kunstmusik bis in das 19. Jh. fortlebte.
Relikte aus friiher Zeit sind in den skandinavischen
-»- Luren und im -»■ Alphorn erhalten. In der Zeit vor
der Verwendung von Metall fehlt in der Regel ein be-
sonderes -> Mundstiick und oft auch ein Schalltrichter
(-> Stiirze). Je nach der Stellung des Anblaslochs kon-
nen Langs- und Quer-Trp.n unterschieden werden. -
Zu den auBereuropaischen Vorfahren der Trp. gehoren
unter der allgemeinen Bezeichnung Tuben zusammen-
gefaBte Blasinstrumente, die, fiir alle alten Hochkul-
turen belegbar, zu den altesten Musikinstrumenten
zahlen. Statt eines Mundstiicks nur einen wulstformi-
gen umgebogenen Rand am oberen Ende des Rohres
besaBen die auf Zypern gefundenen Ton-Trp.n (4. Jh.
v. Chr.) und die Metall-Trp.n Altagyptens. Es kann
angenommen werden, daB die Trp. schon friiher als
im Osiris-Kult in Agypten eine Rolle gespielt hat (vgl.
Hickmann 1950). Die athiopische Quer-Trp. Malakat
(aus Bambus) weist auf altagyptische Traditionen zu-
riick. Bei den Sumerern sind Holztuben nachweisbar.
Silberne Trp.n (chazozra) werden im Alten Testament er-
wahnt. Die Romer kannten neben dem (kurzen) Signal-
instrument -*■ Lituus auch eine langgestreckte Bronze-
Trp. mit Knochen- oder Hornmundstuck unter dem
Namen tuba (bei den Griechen -*■ Salpinx genannt),
die auBer bei militarischen oder kultischen Anlassen
auch bei Trinkgelagen, im Gymnasium, bei Leichen-
prozessionen, Aufmarschen und Umziigen oder zur
Einleitung von Schauspielen gespielt wurde. Verwandt
mit dem romischen Lituus sind in Irland gefundene
keltische Horner. - Relativ spat trat die Trp. im zen-
tral- und ostasiatischen Raum auf. Wie im afrikani-
schen Raum gab es hier sowohl Langs- als auch Quer-
Trp.n. Verwendung vorwiegend bei kultischen oder
sakralen Anlassen f anden bis in die neueste Zeit in Tibet
die 2-3 m langen, weitmensurierten kupfernen Tem-
pel-Trp.n (zabs dung) und in Indien langgestreckte,
paarweise geblasene Trp.n (tarai), die mit ihrem schau-
erlich-feierlichen Klang der Totenklage Ausdruck ver-
leihen. - Die chinesische La pa ist eine etwa 1,50 m
lange, gerade Trp., bestehend aus ineinanderschieb-
baren konischen Metallrohren mit flachem, breitran-
digem Mundstiick und weitausladendem Schallbecher,
ursprunglich ein Instrument fiir Militarmusik, das heute
noch bei Begrabnisfeierlichkeiten geblasen wird.
Die aus Blech hergestellte Trp. kam nach Europa aus
dem Orient als Kriegsbeute im Gefolge der Kreuzziige
und der Arabereinfalle. Als altester reiner Trp.n-Typus
in Europa gilt die langgestreckte -»■ Busine (um 1100).
Sie ist sarazenischen Ursprungs und wird zuerst im
Rolandslied erwahnt. Daneben waren Holz-Trp.n bis
ins 14. Jh. hinein zahlreich vorhanden. - Wie im Orient
blieb die Trp. auch in Europa primar dem fiirstlichen
Hofstaat vorbehalten; gewohnlich wurden zwei und
mehr Instrumente im Unisono eingesetzt. Bei fest-
lichen Aufziigen wurden die Businen zusammen mit
Schalmeien, Pauken und Trommeln gespielt. - Im 15.
und 16. Jh. bedingte das Streben nach groBerer Ton-
tiefe eine Verlangerung bzw. eine Biegung der Rohre.
Aus der Busine entstand die einwindige Natur-Trp.,
die bis zum Beginn des 19. Jh. im wesentlichen die
gleiche Form behielt. Bis ins 15. Jh. gab es eine Viel-
zahl von GroBen, von der kurzen Trp. mit etwa 80 cm
bis zur UbermannsgroBen ; danach setzte sich ein mitt-
lerer Typ von etwa 120 cm Rohrlange durch. Auch in
der Art der Rohrwindung trat seit der 2. Halfte des
15. Jh. eine Standardisierung ein; die manchmal bizar-
ren Formen (u. a. Zickzack-, Brezel- und S-Form) ver-
schwanden, iibrig blieb die schlaufenartige Windung.
Die Trp.n, oft mit Gravuren oder anderen Metallar-
beiten, als Herolds-, Hof- und Militarinstrumente auch
mit Emblemen, Standarten oder farbigen Kordeln ge-
schmiickt, wurden von Goldschmieden und Orgel-
machern angefertigt; schon 1297 sind in Paris Trp.n-
Macher nachweisbar.
Im Mittelalter wurde die Trp. von fahrenden Spiel-
leuten zusammen mit Schalmeien zum Tanz gespielt.
Seit der 2. Halfte des 15. Jh. wurden Trompeter an
Hof en seBhaft; ihre Aufgabenbereiche, unterhaltendes
Spiel und das Blasen von Signalen im Kriegswesen und
bei reprasentativen Anlassen, umschreiben die Be-
zeichnungen trompette de menestrel und de guerre (am
burgundischen Hof ab 1420). Die Sonderstellung unter
dem hofischen Personal - der Trompeter war oft auch
Kurier - wurde den Trompetern verbrieft (-v Zunft;
-*■ Pauke). Auf den zunftmaBigen ZusammenschluB ist
es zuriickzufiihren, daB iiber die Blastechnik und das
Repertoire der Hof- und Feldtrompeter fast nichts
uberliefert ist. - Bis um 1300 standen dem Trompeter
wahrscheinlich nur bis zu 4 Naturtone zur Verfiigung,
im 15. Jh. 6-8. Die Spielweise auf dem hell und durch-
dringend klingenden Instrument beschrankte sich dar-
um zunachst auf schmetterndes Blasen mehrerer Trp.n
im Sinne primar klanglichen Spiels als -> Tusch
(auch -»• Sennet) oder auf das Blasen einfacher Signale;
bei der Begleitung von Tanzen spielte der Trompeter
nur 2 oder 3 Tone (wie in den Stiicken der Hs. Lon-
don, Brit. Mus., Add. 29 987). Einen groBeren Ton-
vorrat besaB die -> Zugtrompete. Praetorius (Synt. II,
S. 20) gibt als Umfang fiir die Feld-Trp. in D (Kam-
merton) oder die Kapell-Trp. in C oder B den 2.-22.
Naturton an, Mersenne 1636 den 1.-16. (ohne den 7.
und 14.). Der Tonvorrat wurde eingeteilt in Lagen
(Register, Stimmen) : 1) Flattergrob, ital. sotto basso,
der Grundton, der nur mit Posaunenmundstiick an-
spricht; 2) Grobstimme, basso, (auf der Trp. in C), c;
3) Faulstimme, volgano, g; 4) Mittelstimme, alto e
basso, c 1 ; 5) Prinzipal, principale, e', g 1 , c 2 ; 6) 2. Clarin
gi_ g 2 und 7) 1. Clarin c2-c3 (nach Speer 1687). Bei
Praetorius (Polyhymnia caduceatrix, 1619) wechselt die
Mittelstimme (Alter BaB) zwischen c', e' und gi ; beide
Clarinstimmen sind bis a 2 gefiihrt. In der -> Toccata zu
Monteverdis Orfeo (1607) ist die Prinzipalstimme als
quinta bezeichnet. Signale wurden in den tiefen Re-
gistern geblasen, Feldstiicke (-> Feldmusik) in der
Prinzipallage, Toccaten in der Clarinlage. Als Ergeb-
nis dieser Umfangserweiterung muBte z. B. der -> Zink
994
Trompete
als Sopraninstrument des Trompetenchors weichen,
gleichwohl wurde er im 17. Jh. in Deutschland von
den Stadtpfeifern als Ersatz fur die privilegierten Trp.n
weiterhin gespielt. Beim mehrstimmigen oder mehr-
chorigen Spiel von Sonaten und Aufziigen kam zu den
Trp.n in verschiedenen Lagen (z. B. zwei Clarini und
Prinzipal) als BaB ein Paar Pauken hinzu. Das Clarin-
blasen (-> Clarino) ist die Technik des virtuosen Trp.n-
Spiels im concertierenden Stil mit obligaten und so-
listischen Partien in der -»• Arie, im Concertino des
Concerto grosso und im Solokonzert.
Seit der 2. Halfte des 18. Jh. wurde mit zahlreichen
Erfindungen, die zum Teil zunachst am Waldhorn er-
probt wurden, der Tonvorrat chromatisch erweitert,
so durch verlangernde Setzstiicke (-»■ Stimmbogen,
->• Inventionshorn), -> Klappen, Ziige (Slide trumpet
in England) und vor allem durch -*■ Ventile. Dies be-
deutete das Ende des Clarinblasens und der oheroisch-
musikalischen Trompeter- und Pauker-Kunst«, wie sie
J.E. Altenburg beschrieben hat. Das Privileg der ange-
sehenen Trompeterzunft erlosch. Die 1818 patentierte
Erfindung der Ventile bewirkte zwar einen etwas we-
niger strahlenden Klang der Trp.n, bedeutete aber ei-
nen entscheidenden Fortschritt in der Spieltechnik.
Chromatisches Spiel wurde jetzt voll moglich. Die
Ventil-Trp. in B und Es setzte sich bis um 1840 in Mili-
tarkapellen, die in F bald danach auch in den Sympho-
nieorchestern durch. Das Standardinstrument seit etwa
1890 ist die Trp. in B (umstellbar nach A) mit dem
Umfang f-d 3 ; daneben werden (abgesehen von Son-
derformen wie der -> »Aida«-Trp.) die Trp.n in C, D
und Es sowie die z. B. von R.Wagner im Ring des Ni-
belungen geforderte Bafi-Trp. (mit 4. Ventil) in C ver-
wendet. In der ->• Partitur werden die Trp.n-Stimmen
unter den Waldhornern und (wenn Posaunen nicht
beteiligt sind) direkt iiber den Pauken notiert. Im klas-
sischen Orchester ist die Verwendung der im allge-
meinen paarweise besetzten Trp.n auf fanfarenartige
Motive, Betonung oder Festhalten von Tonika und
Dominante sowie rhythmische Akzentuierung be-
schrankt. Die Erfindung der Ventile wurde beim Trp.n-
Bau erst von 1830 an voll genutzt. Daher konnte Beet-
hoven noch in der Originalpartitur der 9. Symphonie
Trp.n (wie auch Horner) nicht in dem MaBe einsetzen,
wie es spater in der Kompositionspraxis selbstver-
standlich wurde. Retuschen in den Trp.n- und Horn-
stimmen, wie sie (speziell fur Beethoven) F. v. Wein-
gartner begriindet hat, sind bei heutigen Auffuhrungen
zum Teil iiblich. Im romantischen Orchester werden
die Trp.n in der Regel dreifach besetzt, um vollstan-
dige Dreiklange derselben Klangfarbe spielen zu kon-
nen. - Originell sind die Verbindurigen von Ventil-
und Natur-Trp.n in R.Wagners Rienzi (im Orchester:
2 Ventil-, 2 Natur-Trp.n in D, C, F und B; auf der
Biihne : 6 Ventil-, 6 Natur-Trp.n, 4 in Es, 2 in B) und
Lohengrin (im Orchester: 3 Ventil-Trp.n, auf der Biih-
ne, 3. Akt: 12 Natur-Trp.n, 4 in C, je 2 in Es, F, D und
E). - Virtuose Trp.n-Musik komponierten u. a. : G. To-
relli, Concerto con 2 trombe e strumenti ; Sonata a 5 con trom-
ba;D. Gabrielli, Sonata per tromba e orchestra ; A. Vivaldi,
Concerto per due trombe, P.-V. 75; G.Jacchini, Tratteni-
menti per camera a 3-6 strumenti con alcune a 1 e 2 trombe
op. 5; 3 Sonate f iir Trp., Streicher und B. c. und 2 Sinfonie
fur 2 Trp., Streicher und B. c. (in Ms.). Konzerte fiir
Trp. schrieben u. a. L. Mozart, J. Haydn und B. A. Zim-
mermann. Daneben gibt es ein Konzert fiir Trp. u. Fag.
mitStreichorch. (1949)vonHindemith.InderKammer-
musik ist die Trp. selten vertreten (im -»■ Septett oder
->■ Oktett; eine Sonate fiir Trp. und Kl. [1939] kom-
ponierte Hindemith). - Im Jazz hat die Trp. - vor-
nehmlich mit Pumpventilen - um 1928 zunehmend
das -+ Kornett (- 2) abgelost. Beriihmte Jazztrompeter
sind Louis Armstrong, Bix Beiderbecke, Dizzy Gille-
spie und Miles Davies.
- 2) In der Orgel ist Trp. eine Zungenstimme mit
trichterformigem Aufsatz zu 16', 8' oder 4', letztere
auch Clarino oder Clairon genannt. Die iiberblasende
Trp. (trompette harmonique) ist im franzosischen Or-
gelbau beliebt. Die im Prospekt stehenden, mit ihren
Schallbechern waagerecht weit in den Kirchenraum
(»en chamade«) hinausragenden Trp.n sind fur den spa-
nischen Orgelbau charakteristisch.
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Annales du service des antiquites de 1'Egypte I, Kairo 1946 ;
ders., Cat. general des antiquites egyptiennes du Musee du
Caire, Instr. de musique, Kairo 1949; ders., Die kultische
Verwendung d. altagyptischen Trp., Die Welt d. Orients V,
1950; ders., Agypten, = Mg. in Bildern II, 1, Lpz. (1961);
A. Carse, The Orch. from Beethoven to Berlioz, Cam-
bridge 1948; J. Berger, Notes on Some n^Cent. Com-
positions for Trumpets and Strings in Bologna, MQ
XXXVII, 1951 ; M. Buttner, Studien zur Gesch. d. Trp.,
63*
995
Trompette marine
Diss. Minister i. W. 1953, maschr. ; W. Kolneder, II
concerto per due trombe di A. Vivaldi, RMI LV 1953;
W. Worthmuller, Die Niirnberger Trp.- u. Posaunen-
macher d. 17. u. 18. Jh., Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt
NiirnbergXLV, 1954-XLVI, 1955; A.Machabey, Apercu
hist, sur les instr. de cuivre, RM Nr 226, 1955; H. Hof-
mann, Ober d. Ansatz d. Blechblaser, Kassel 1956; W.
Osthoff, Trombe sordine, Af Mw XIII, 1956 ; C. Titcomb,
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The Galpin Soc. Journal IX, 1956; H. Seidel, Horn u. Trp.
im alten Israel unter Beriicksichtigung d. »Kriegsrolle« v.
Qumran, Wiss. Zs. d. K.-Marx-Univ. Lpz. VI, 1956/57; H.
Bahnert, T. Herzberg u. H. Schramm, Metallblasinstr.,
Lpz. 1958; H. Fischer, Schallgerate in Ozeanien, = Slg
mw. Abh. XXXVI, StraBburg u. Baden-Baden 1958; H.
Kunitz, Die Instrumentation VII (Trp.), Lpz. 1958; E.
Halfpenny, W. Shaw's »Harmonic Trumpet«, The Galpin
Soc. Journal XIII, 1960; ders., W. Bull and the Engl. Ba-
roque Trumpet, ebenda XV, 1962; ders., Two Oxford
Trumpets, ebenda XVI, 1963; E. A. Bowles, Unterschei-
dung d. Instr. Buisine, Cor, Trompe u. Trompette, Af Mw
XVIII, 1961 ; A. Janata, AuBereuropaische Musikinstr.,
Kat., Wien 1961 ; M. Rasmussen, A Concertino for Chro-
matic Trumpet by J. G. Albrechtsberger, Brass Quarterly
V, 1961/62; R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u.
Munchen (1962); B. Aign, Die Gesch. d. Musikinstr. d.
Sgaischen Raumes bis um 700 v. Chr., Diss. Ffm. 1963;
F. Korner, Studien zur Trp. d. 20. Jh., Diss. Graz 1963,
maschr. ; M. Wegner, Griechenland, = Mg. in Bildem II,
4, Lpz. (1963) ; G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom, = Mg.
in Bildem II, 5, Lpz. (1964); H. Heyde, Trp. u. Trompete-
blasen im europaischen MA, Diss. Lpz. 1965, maschr.
Trompette marine (trop'et mar'in, frz.) ->■ Trum-
scheit.
Troparion ist ein einstrophiger Hymnus, dessen Me-
trik und Reimfolge frei gewahlt werden konnen. Es ist
das einfachste Element der byzantinischen -*■ Hymno-
graphie, zugleich der Kern auch ihrer kompliziertesten
Formen. Die verschiedenen Namen des Tr.s verweisen
auf die Verwandtschaft mit anderen Troparia, den In-
halt, die Stellung im Offizium, den melodischen Typus
usw. Wenn ein Tr. sich seiner Form nach (Zahl, Lange
und Aufbau der Verse usw.) von alien anderen Troparia
der gleichen Liturgie unterscheidet, heifit es Tr. idio-
melon (»mit eigener Melodie«). Tr. automelon (»das
selbst eine Melodie hat«) wird ein Tr. genannt, das eine
Reihe gleichgebauter Troparia (prosomoia, »iiberein-
stimmende«) eroffnet. Ein Tr. automelon ist z. B. der
-> Heirmos, ebenso die 1 . Strophe eines -*■ Kontakions;
diese »typischen Troparia« stehen dem antiken Nomos
nahe. In der Ordnung der Leiturgia (Messe) und des
Offiziums spricht man von ->■ Stichera, wenn die Tro-
paria zwischen die Verse (stichoi) eines Psalms einge-
schoben werden. Besondere Zusammenstellungen von
Psalmversen und Stichera ergeben die Antiphona; in
diesem Falle heifit das Tr. Antiphonon. Ferner gibt es
das Makarismon, das zwischen die Verse der Seligprei-
sungen eingeschoben wird, das Apolytikion, das Heo-
thinon, die Hypakoe, das Kathisma, dasExapostelarion,
die Katabasia, das Anatolikon, das Doxastikon, das
Megalynarion usw. Nach seinem Inhalt heifit das Tr.
Dogmatikon, Photagogarion, Martyrikon, Triadikon,
Katanyktikon, Theotokion, Anastasimon, Staurotheo-
tokion, Stauroanastasimon, Staurosimon, Nekrosimon,
Anapausimon usw. Nach dem melodischen Typus
heifit das Tr. Kalophonikon usw. Besondere Zusam-
menstellungen von Troparia ergeben das Antiphonon,
das Kontakion und den -»■ Kanon (- 2).
Tropus (lat., von griech. Tp6ro<;, Wendung, Weise),
in den sprachlichen Artes der Antike und des Mittelal-
ters eine der rhetorischen Sinnfiguren, naherhin defi-
niert als verbi vel sermonis a propria significatione in aliam
. . . mutatio (Quintilianus, De institutione oratoria III, 6, 1;
vgl. hierzu Isidorus von Sevilla, Etymologiarum ... I,
37, 1 : Tropos Graeco nomine Grammatici vocant, qui La-
tine modi locutionum interpretantur). Als Terminus der
mittelalterlichen Musiklehre bezeichnet das aus dem
griechischen Musikschrif ttum ubernommene Wort Tr.
neben Modus und Tonus die -*■ Kirchentone. Daneben
findet es sich bei friihmittelalterlichen Dichtern und
Schriftstellern in der Bedeutung von Gesang oder Ge-
sangsweise (u. a. bei Venantius Fortunatus und Sedulius
Scotus). Unter Tr. im engeren Sinne wird heute die
seit dem 9. Jh. in der abendlandischen Liturgie bezeugte
nachtragliche syllabische Textierung gegebener melis-
matischer Gesange verstanden, dann auch deren nach-
tragliche musikalischeErweiterung sowie die Neukom-
position tropierender Texte. Dieses Verf ahren einer ent-
weder nur textlichen oder melodischen oder auch text-
lich-musikalischen Interpolation wurzelt offensichtlich
in dem Bemuhen, das gemeinsam mit der romischen Li-
turgie nach dem Frankenreich iibertragene Repertoire
»Gregorianischer« Gesange auf frankischem Boden
heimisch zu machen. Aufgabe des Tr. ist iiberdies die
nahere Bindung eines Gesanges an den jeweiligen Fest-
anlafi, wobei der Zusammenhang mit dem tropierten
Grundtext (vor allem bei den in den Textablauf einge-
schobenen Tropen) haufig so eng ist, dafi der abgeloste
Tr. allein unverstandlich bleibt. Das alteste Zeugnis fiir
untextierte melismatische Einschiibe bietet Amalar von
Metz, der in Kap. 18 seines Liber de ordine Antiphonarii
(1. Halfte 9. Jh.) die Interpolation eines sogenannten
Neuma triplex beim (Schlufi-)Responsorium In medio
ecclesiae der Matutin vom Fest des Evangelisten Johan-
nes erwahnt (Melodie in: The New Oxford History of
Music II, S. 143f.) und seine Ausfiihrungen durch den
Hinweis erganzt, dafi dieses Neuma (= Melisma) von
den moderni cantores ebenfalls beim Responsorium
Descendit de caelis der Weihnachtsmatutin gesungen
werde (Melodie in: P.Wagner, Einfiihrung III, S. 348).
Unter den Tropensammlungen enthalten besonders
die friihen St. Galler Handschrif ten reiches Material an
melismatischen Interpolationen. - Tropierende Texte
konnten entweder einem in seine Einzeltone aufge-
losten Melisma unterlegt werden (alteste bisher nach-
weisbare Quelle ist das zwischen 817 und 847 aufge-
zeichnete Psalle modulamina als Textierung des Alleluias
Christus resurgens) oder aber verbunden mit einer neu-
geschaffenen melodischen Erweiterung auftreten. Ihr
Vortrag oblag in der Regel einem Solisten. Wurden
diese Zusatze zunachst auch als Prosa, Prosella, Versus,
Laudes u. a. bezeichnet, so setzte sich allmahlich die ge-
meinsame Bezeichnung Tr. fiir die zum Teil sehr ver-
schiedenartigen Formen durch.
Tropen begegnen hauptsachlich bei den Gesangen des
Ordinarium missae und des Proprium missae (einschliefi-
lich Alleluia, so dafi Alleluia-Tr. und -> Sequenz - 1
voneinander zu trennen sind), ferner im Rahmen des
Offiziums bei Antiphonen und Responsorien (so in der
Matutin in Verbindung mit dem jeweils abschliefien-
den Responsorium prolixum der Nokturnen), vorzugs-
weise auch beim Benedicamus Domino. Die Gruppe
der Responsoriumstropen bildet unter der Bezeich-
nung Verbetae oder Verbettae einen eigenen Uberlie-
ferungszweig, der in seiner entwickelteren Form se-
quenzartig gestaltet ist (ein verbreitetes Beispiel hierfiir
ist das Inviolata, integra et casta es, Maria beim Respon-
sorium Gaude Maria virgo) und bis in das 16. Jh. beson-
ders in Frankreich lebendig blieb. Einen eigenen Zweig
bildet auch der als Epitre farcie (Epistola farcida) be-
zeichneteEpistel-Tr., der vom 11. bis 16. Jh. vor allem
in Sudfrankreich und Nordspanien beliebt war. - In
der Zeit der Niederschrift der friihesten heute noch er-
haltenen Choralhandschrif ten haben die Tropen bereits
996
Trouveres
eine hohe Bliite erreicht. Wenn Mittel- und Endtropen
sich erst nach dem Einleitungs-Tr. entwickelt haben
(wie Husmann annimmt), verliert die Frage nach dem
Ursprung insofern an Bedeutung, als dann der Tr. zu
verstehen ware als Aufforderung, einen bestimmten
liturgischen Gesang auszufiihren, und somit zu den
Grundelementen der christlichen Liturgie gehorte. In
alien seinen Erscheinungsformen diirfte er sich schon
im 9./10. Jh. ausgebildet haben. Einer nachhaltigen
Pflege der hauptsachlich in westfrankischen Abteien
(an fiihrender Stelle -> Saint-Martial) heimischen Tro-
penkunst folgte bald ihre Verbreitung nach England
(Winchester) und Italien, wogegen Ostfranken sich in
ihrer Pflege zuriickhaltender zeigte. Wie bei der Se-
quenz bildete hier St. Gallen auch fiir die Tropen ein
bedeutendes Zentrum, mit dem sich der Name Tuoti-
los (f 915), des altesten der wenigen namentlich be-
kannten Tropendichter, verbindet. Parallel zur Sequenz
besteht auch beim Tr. ein deutlicher Repertoireunter-
schied zwischen westfrankischem und ostfrankischem
Gebiet. Hervorzuheben ist, daB die Tropen keinenEin-
gang in die stadtromische MeBliturgie £anden. - Die
urspriinglich meist nur kurzen tropierenden Zusatze
nahmen schnell an Umfang zu und bestanden bald aus
metrisch oder rhythmisch geformten Texten und aus
einer oder mehreren Strophen, so daB der liturgische
Grundtext mehr und mehr iiberlagert und zuriickge-
drangt wurde. Ergab sich auf diese Weise ein MiB-
brauch, dem die Kirche schlieBlich entgegentrat, so liegt
doch hier der Ursprung wichtiger poetischer und mu-
sikalischer Formen (u. a. der -»- Motette) ; aus den Tro-
pen der Weihnachts- und Osterintroitus haben sich
dramatische Szenen, Mysterien und geistliche Schau-
spiele entwickelt (-*■ Liturgisches Drama). Schon im
Laufe des 12. und 13. Jh. verliert sich die Oberlieferung
der Tropen zum Proprium missae, wahrend die Or-
dinariums- und Offiziumstropen noch bis zum 16. Jh.
f ortlebten, bis sie durch das -* Tridentiner Konzil voll-
standig beseitigt wurden. Die Erinnerung an diese einst
so groBe Tradition wird im heutigen Graduale Roma-
num noch wachgehalten durch Uberschriften wie Ky-
rie Lux et origo (= Kyrie I), Fons bonitatis (= Kyrie II),
Deus sempiterne (= Kyrie III), Cundipotens Genitor Deus
(= Kyrie IV).
Ausg. u. Lit.: H. Husmann, Tropen- u. Sequenzenhss.,
= RISM B V 1 , Munchen u. Duisburg (1 964). - L. G autier,
Hist, de la poesie liturgique au moyen age. Les tropes, Pa-
ris 1886, Nachdruck Ridgewood (N. J.) 1966; W. H. Fre-
re, The Winchester Troper . . . , London 1 894 ; Variae pre-
ces, Solesmes 5 1901 ; Analecta hymnica medii aevi XLVII
u. XLIX, Lpz. 1905-06 (Tropentexte zum Ordinarium u.
Proprium missae) ; H. Villetard, Office de Pierre de Cor-
beil (Office de la Circoncision) improprement appele »Of-
fice des Fous«, = Bibl. musicologique IV, Paris 1907; O.
Marxer, Zur spatma. Choralgesch. St. Gallens. Der Cod.
546 d. St. Galler Stiftsbibl., St. Gallen 1908; P. Wagner,
Einfuhrungind. Gregorianischen Melodienlll, Lpz. 1921,
Nachdruck Hildesheimu. Wiesbaden 1962; H. Angles, El
cdd. mus. de Las Huelgas III, = Publications del Departa-
ment de musica de la Bibl. de Catalunya VI, Barcelona
1931 ; ders., La musica a Catalunya fins al s. XIII, ebenda
X, 1935; ders., Die Sequenz u. d. Verbetaimma. Spanien,
STMf XLIII, 1961; J. Handschin, Zur Frage d. melodi-
schen Paraphrasierung im MA, ZfMw X, 1927/28; ders.,
Gesch. d. Musik in d. Schweiz bis zur Wende d. MA, in:
Schweizer Musikbuch, Zurich 1939 ; ders., Trope, Sequen-
ce, and Conductus, in: The New Oxford Hist, of Music II,
London, NY U.Toronto 1954; W. Lipphardt, DieKyrietr.
in ihrer rhythmischen u. melodischen Struktur, Kgr.-Ber.
Liineburg 1950; L. Brou OSB, Sdquences et tropes dans la
lit. mozarabe, Hispania sacra IV, 1951/52; A. Geering,
Die Organa u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deutschen
Sprachgebietesv. 13. bis 16. Jh., = Publikationend.Schwei-
zerischen Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952); G.
Vecchi, Troparium sequentiarum nonantulanum cod. Ca-
sanat. 1741 ..., Pars prior, = Monumenta lyrica medii
aevi italica I, Latina 1, Modena 1955 (Faks.); H. Hus-
mann, Die Slteste erreichbare Gestalt d. St. Galler Tropa-
riums, AfMw XIII, 1956; ders., Sinn u. Wesen d. Tr., ver-
anschaulichtan d. Introitus-Tr. d. Weihnachtsfestes, AfMw
XVI, 1959; J. Chailley, Les anciens tropaires_et sequen-
tiaires de l'6cole de St-Martial de Limoges, Etudes gr6-
goriennes II, 1957; ders., L'6cole mus. de St-Martial de
Limoges jusqu'a la fin du XI e s., Paris 1960; J. Smits
van Waesberghe SJ, Over het ontstaan van Sequens en
Prosula en beider oorspronkelijke uitvoeringswijze, = Or-
gaan Koninklijke Nld. Toonkunstenaars-Vereeniging XII,
1957; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind.
(1958); R. Weakland OSB, The Beginnings of Troping,
MQ XLIV, 1958 ; J. Rau, Tr. u. Sequenz im »Mainzer Can-
tatorium« (Cod. Lond. Add. 19 768), Diss. Heidelberg 1959,
maschr. ; P. Evans, Some Reflections on the Origin of the
Trope, JAMS XIV, 1961 ; H.-J. Holman, The responsoria
prolixa of the Cod. Worcester F 160, Diss. Indiana Univ.
1961, maschr.; ders., Melismatic Tropes in the Respon-
sories for Matins, JAMS XVI, 1963; Br. Stablein, Die
Unterlegung v. Texten unter Melismen: Tr., Sequenz u.
andere Formen, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; ders., Der Tr.
»Dies sanctificatus« zum Alleluia »Dies sanctificatus«,
StMw XXV, 1962; ders., Zwei Textierungen d. Alleluia
Christus resurgens, in : Organicae voces, Fs. J. Smits van
Waesberghe SJ, Amsterdam 1963 ; ders., Zum Verstandnis
d. »klass.« Tr., AMI XXXV, 1963; ders., Artikel Tr., in:
MGG XIII, 1 966 ; E. Jammers, Musik in Byzanz, im papst-
lichen Rom u. im Frankenreich, = Abh. d. Heidelberger
Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1962, Nr 1 ; Kx. Ron-
nau, Die Tr. zum Gloria in excelsis Deo, Diss. Hbg 1964;
G. Weiss, »Tropierte Introitustr.« im Repertoire d. siidfrz.
Hss., Mf XVII, 1964; ders., Zum Problem d. Gruppierung
siidfrz. Tropare, AfMw XXI, 1964; R. L. Crocker, The
Troping Hypothesis, MQ LII, 1966; D. Stevens, Poly-
phonic Tropers in 14 th -Cent. England, in: Aspects of
Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966).
Trouvferes (truv'e:r, frz. ; altfrz. troveor, Ableitung
von trouver, finden, erfinden), Dichter und Kompo-
nisten volkssprachlicher Lieder des 12. und 13. Jh. in
Frankreich im Sprachbereich der Langue d'oil (so ge-
nannt nach der altfrz. Bejahungspartikel oil, neufrz. oui,
ja, im Unterschied zur provenzalischen Lengua d'oc der
-*■ Trobadors). Die Trouveredichtung setzte in der
2. Halfte des 12. Jh. ein unter dem beherrschenden Ein-
fluB der Trobadordichtung des Siidens. Bei der Ver-
mittlung spielte das Haus Aquitanien eine wichtige
Rolle. Eleonore von Poitiers (f 1202), Enkelin des
ersten Trobadors (Wilhelms IX. von Aquitanien), be-
rief zahlreiche provenzalische Dichter an ihren Hof,
so wohl wahrend ihrer Ehe mit Ludwig VII. von Frank-
reich als auch nach ihrer Heirat mit Heinrich II. von
England (1152). Ihre Tochter Alix von Blois und Ma-
rie de Champagne setzten diese Tradition fort. Am
Hof von Champagne in Troyes, wo Andreas Capel-
lanus fiir Marie sein beriihmtes Regelbuch iiber die
Liebe (Tractatus de Amore) verfaBte, lebte auch -*■ Chre-
tien de Troyes, der Begriinder des hofischen und arthu-
rischen Romans. Er ist zugleich der erste Dichter, von
dem franzosische Minnelieder erhalten sind und kann
daher als Begriinder der Trouverekunst angesehen
werden. - Die Tr. ubernahmen von den provenzali-
schen Trobadors mit der hofischen Minnekonzeption
auch die im Siiden ausgebildeten Liedarten: die allein
dem Minnekult und dem Preis der Dame gewidmete
->■ Kanzone (- 1 ; frz. chanson), das moralische, poli-
tische oder personliche Riigelied (serventois ; -»■ Sir-
ventes), das kasuistische Streitlied -*■ Jeu parti (spa'ter
auch parture genannt), wahrend die -»• Tenzone (ten-
son im engeren Sinn eines Wortstreits zweier Dichter
ohne dilemmatische Frage) nur wenig Anklang fand,
vielleicht weil die Tr. in ihrem nichtlyrischen Debat
eine eigene, am mittellateinischen Streitgedicht orien-
997
Trouveres
tierte Gattung fiir literarische Streitgesprache besaBen.
Aus dem Siiden stammt audi das -> Tagelied (aube)
und der ->■ Descort, wahrend die provenzalische Her-
kunft der von den Tr. noch mehr als von den Troba-
dors gepflegten -> Pastourelle zweifelhaft ist. Aus der
Zeit vom zweiten bis zum siebten Kreuzzug (1147-
1270) sind 29 franzosische Kreuzzugslieder (chansons
de croisade) erhalten. - Andere Liedarten der Trouvere-
dichtung, vor allem die mit Refrain ausgestatteten,
entstammen vermutlich einer einheimischen volks-
tiimlichen Tradition, die indessen nur in hofischer
Uberschichtung uberliefert ist. Zu den sogenannten
»objektiven« oder erzahlenden Gattungen (im Unter-
schied zur »Subjektivitat« vor allem der Kanzone), zu
denen man das Tagelied und die Pastourelle rechnet,
gehort auch die Gattung von Liedern, die heute als
Romanze bezeichnet werden: die Chanson d'histoire,
die eine Liebes-»Geschichte« besingt, und die Chanson
a toile, die ein mit Naharbeit beschaftigtes Madchen
vorfiihrt. Fiir die Romanze sind wegen ihres Inhalts
(Liebeserzahlung ; Liebesklage oder -erklarung eines
Madchens, nicht einer verheirateten Frau) und ihrer
metrischen und musikalischen Gestalt (epischer lOSilb-
ler, Assonanzreim, Wiederholung der gleichen Melo-
die von Vers zu Vers) vor-hofischer Ursprung und Nahe
zum ->■ Epos (->■ Chanson de geste) anzunehmen. Ahn-
liches gilt, jedenf alls hinsichtlich der Strophenform, fiir
die -*■ Rotrouenge, die inhaltlich jedoch bereits ganz
hofisch gepragt ist. Inhaltlich, aber nicht formal fixier-
bar sind die durch ein breites Naturbild charakterisierte
Reverdie und die Chanson de mal mariee, die monolo-
gisch oder dialogisch gestaltet sein kann und die Klage,
gelegentlich auch die Trostung einer ungliicklich ver-
heirateten Frau zum Gegenstand hat. Volkstiimliche
Herkunft scheiiit gewifi bei den verschiedenen mit ei-
nem ->• Refrain als Aufbauelement ausgestatten Arten
von Tanzliedern, die freilich nur in bereits stark von der
hofischen Kunstlyrik beeinfluBter Gestalt uberliefert
sind: das Rondel (oder Rondet; -»■ Rondeau - 1), die
3strophige Ballete (oder Balade ; ->• Ballade - 1) und das
-»■ Virelai. Das Prinzip des Strophenbaus ist bei diesen
Liedarten nur vom musikalischen Vortrag bzw. Ge-
sang her erklarbar. Nichtstichische, unstrophische For-
men der Trouverelyrik sind der -> Lai, der Descort und
die -> Estampie; das ihnen zugrunde liegende Form-
prinzip ist moglicherweise von der ->■ Sequenz (-1)
herzuleiten. Uber den volkssprachlichen Motet, des-
sen alteste erhaltene Belege wahrscheinlich um 1200
entstanden sind, bestehen Zusammenhange zwischen
der Kunst der Tr. und der ->■ Motette.
An der Trouveredichtung sind die einzelnen Gebiete
Frankreichs sehr ungleichmaBig und mit deutlich un-
terscheidbaren Besonderheiten beteiligt. Wahrend der
Westen nur wenig beitrug, waren zahlreiche Dichter
im Osten und im Norden beheimatet. Hauptzentren
waren die Hofe der Champagne, von Blois, Flandern
und die Stadt Arras. Der franzosische Konigshof be-
zeugte jedoch kaum Interesse fiir die Kunst der Tr. -
Unter den iiber 200 namentlich bekannten Tr. aus dem
Zeitraum von 1150 bis 1300 iiberwiegen die Dichter
aus dem Adelsstand. Der ersten Generation, der auch
Konig Richard Lowenherz mit zwei erhaltenen Lie-
dern zuzurechnen ist, gehoren an: Conon de Bethune
(der Ton seiner Lieder stellt ihn als Melancholiker und
»Martyrer« der Liebe vor), -> Gace Brule, -> Guy de
Coucy, der wegen des von ihm bevorzugten Herz-
Korper-Motivs 100 Jahre spater zum Helden eines die
»Herzmare« verarbeitenden (anonymen) Romans wur-
de. Erst in der 2. Periode trat ein Dichter niederer Her-
kunft auf, der Spielmann ->• Colin Muset, dessen Lie-
dersammlung Stiicke von sehr personlichem und ori-
ginellem Charakter enthalt. In der 1. Halfte des 13. Jh.
dichteten Richard de Fourmival, der Theoretiker unter
den Tr., und -> Audefroi le Bastard, der die Romanze
(chanson d'histoire) zu erneuern versuchte. Die rund
70 erhaltenen Lieder Thibauts IV. de Champagne, vor
allem seine eigenwilligen Pastourellen und die Jeux
partis, sind bemerkenswert durch ihre Virtuositat und
ihre unverkennbare Ironie. - In den letzten Jahren des
12. Jh. begann auch das Biirgertum der aufbliihenden
nordfranzosischen Stadte sich der Dichtung zuzuwen-
den und sich an der hofischen Lebensart zu orientieren.
Vor allem Arras wurde ein Jahrhundert lang zum Zen-
trum einer Dichtung, die persbnlicher und realistischer
ist als die hofische Lyrik. Das stadtische Patriziat griin-
dete Dichtergesellschaften und organisierte Dichter-
treff en, die ->■ Puys (so genannt nach der ersten Vereini-
gung dieser Art in Le Puy-Notre-Dame), bei denen
Burger, Geistliche und -> Jongleurs gleichberechtigt
Wettstreite in religiosen und profanen Liedern aus-
trugen und Preise vergeben wurden. Die namhaftesten
Dichter dieser Gruppe sind der vielseitige Jean Bodel
(f 1210), der, von der Lepra befallen, in seinem ergrei-
fenden, mehrfach nachgeahmten Congie dichterisch
Abschied von der Welt nahm; im 2. Drittel des 13. Jh.
der reiche Burger Jehan Bretel, dessen Vorliebe dem
Jeu parti gait, und Adam de la Halle, von dem auBer
36 Liedern und 18 Jeux partis auch mehrstimmige
Kompositionen und zwei szenische Stiicke uberliefert
sind (im Jeu de Robin et Marion verarbeitete er das
Pastourellenthema). Der erste grofie Dichter der Stadt
Paris ist der Menestrel Rutebeuf (1250-85) ; er ergreift
in seiner bereits von aller hofischen Konvention unab-
hangigen Dichtung leidenschaftlich Partei in den Strei-
tigkeiten seiner Zeit, besonders gegen die Bettelorden.
In Rutebeufs Werk, das fast alle Gattungen einbegreift,
liegt das ganze Gewicht auf dem Text, der auch das
musikalisch-rhythmische Element in sich aufnimmt.
Mit ihm kundigte sich die endgultige Trennung von
Wort und Musik an, die das 14. Jh. vollzog.
Die Musikhandschriften (-> Chansonnier), die in der
reichen handschriftlichen Uberlieferung der Trouvere-
kunst die reinen Texthandschriften an Zahl iibertref-
fen, enthalten iiber 2000 Melodien zu Trouverelie-
dern; damit ist die musikalische Uberlieferung fiir
die Tr. weitaus umfangreicher als fiir die Trobadors.
Zwischen beiden Repertoires besteht ein enger Zu-
sammenhang, wobei jedoch beide Teile Gebende und
Nehmende waren. Auch der deutsche -> Minnesang
und die englische Liedkunst des Mittelalters haben sich
an die Tr. angeschlossen und ihre Melodien iibernom-
men. Die Wirkung der Trouvirelieder reichte iiber
den Bereich der Minnedichtung auch insofern hinaus,
als vielen Melodien geistliche Texte unterlegt wurden
(-> Kontrafaktur; vgl. Ausg. Gautier de Coinci). La-
teinische Kontrafakturen finden sich auch im Reper-
toire der Conductus der Notre-Dame-Zeit als 1st. Con-
ductus und (als Cantus) in mehrstimmigen Satzen. Die
letzteren Falle wie auch die Verwendung von Trou-
vereliedern als textiertem Duplum in Motetten gestat-
teten eine rhythmische Lesung im Sinne der Modalno-
tation (Husmann 1952; ->- Modus - 2). Jedoch ist die
Frage der Prioritat von einstimmiger und mehrstim-
miger Fassung (und damit auch die Frage, ob die mo-
dale Rhythmik original oder nachtraglich mit der Me-
lodie verbunden ist) oft nicht eindeutig zu beantwor-
ten. So ist der auf 1179 zu datierende 2st. Conductus
Vex pads aperit (Text von Walter von Chatillon) nach
Gennrich (1965, S. 62f.) Bearbeitung, nach Schrade
(1953, S. 40f.) Quelle des Liedes Ma joie me semont
(R 1924) von Blonde! de Nesle. Vorherrschendes Form-
prinzip der Trouveremelodien ist die Ausarbeitung
998
Trumscheit
weniger melodischer Elemente ; auch langere Strophen
werden nicht nach dem Vorbild der Trobadors »durch-
komponiert« sondern in kunstvollem Wechsel von
Wiederholung, Variierung und Kontrast gefiigt; z. B.
sind in der 14zeiligen Strophe von Blondel de Nesles
Lied Quant je plus sui en paour de ma vie (R 1227) Zeile
1-2 und 3—4, ebenso 6 und 11 melodisch gleich; Zeile
5 wird variiert in Zeile 10 und 12, in Quinttransposition
auch in Zeile 14 aufgenommen; die Zeilen 7-9 ent-
halten b statt h, weichen also vom vorherrschenden 8.
in den transponierten 2. Kirchenton aus. Der planvolle
Wechsel von Zeilen mit engem und solchen mit wei-
tem Ambitus wird besonders sinnfallig am SchluB,
wo Zeile 13 durch den ungewohnlichen Aufstieg durch
eine Oktave mit Zeile 14 zu einem melodischen Bogen
zusammengefiigt ist. Ausgangspunkt fiir die Formung
vieler friiher Trouveremelodien ist die Doppelversi-
kelordnung (-»- Lai); die korrespondierenden Zeilen
konnen durch ouvert- und clos-SchluB unterschieden
sein oder umgekehrt bei gleichem SchluB durch ver-
schiedene Anfange. In der Art des jungeren Lai sind
die einzelnen Versikel haufig ihrerseits in 2 Half ten ge-
teilt, die zur gleichen Melodie gesungen werden (z.B.
Gautier de Coinci, Entendez tuit ensamble, R 83 ; Colin
Muset, En max, quant li rossignolet, R 967). In den Trou-
vereweisen des 13. Jh. tritt das volksturnliche Element
beherrschend hervor, verbunden mit einf achem Form-
grundriB und einer Melodik, die Terzschritte, Drei-
klange und Sequenzgange bevorzugt (z. B. Moniot
d' Arras, Cefut en mai, R 94; Moniot de Paris, Lone tens
ai mon tens use, R 475). Melismen konnen vollig fehlen
oder werden dazu verwendet, die charakteristischen
modalen Rhythmen in einen FluB gleichlanger Noten
aufzulosen, der seine Impulse von der Dreiergruppie-
rung empfangt. Die wichtigsten Formen des spateren
Trouveregesangs, der im 13. Jh. in zunehmendem
MaBe von Stadtbiirgern und Klerikcrn getragen wur-
de, sind neben Rondeau und Ballade auch freiere Re-
frainf ormen, zuweilen mit einem Minimum an musika-
lischen Mitteln gestaltet; so besteht das Rondeau Pren-
dis i garde von Guillaume d' Amiens aus dem 8maligen
Vortrag einer einzigen melodischen Zeile (mit ouvert-
und clos-SchluB), die den Ambitus einer Quinte nicht
iiberschreitet und in der die Dreiklangstone d-f-a
deutlich vorherrschen. Noch im 14. und 15. Jh. benutzt
die mehrstimmige Chanson die Refrainform der Trou-
verelieder; als (vorwiegend) einstimmige Kunstform
hat Machaut auch den Lai lebendig erhalten.
Ausg. : Exempla altfrz. Lyrik, hrsg. v. Fr. Gennrich,
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m
=8=
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Chansons d. Tr., Mf XX, 1967. EK
Trugschlufi (ital. inganno; frz. cadence rompue) ent-
steht dadurch, daB alle Stimmen regelrecht einen SchluB
ausfiihren und nur der BaB eine Stufe steigt, statt vom
Dominant- aim Tonikagrundton fortzuschreiten. In
Dur ergibt sich dabei stets ein Moll-, in Moll ein Dur-
J? 1 1 I akkord, deren Terzen ver-
(1) 8 p l l flg TS= A doppelt werden miissen, um
•^ ■"* Quint- bzw. Oktavparalle-
len zu vermeiden (Beispiel
in C dur und in A moll). H.
Riemann bezeichnet den Tr. als einen durch einen
fremden Ton gestorten wirklichen SchluB mit schein-
konsonanter (auffassungsdissonanter) Form des SchluB-
akkordes. Der fremde Ton gabe AnstoB zum Weiter-
bilden, ohne jedoch die Empfmdung eines Hauptab-
schnitts zu verwischen; er verlange gleichsam eine
Richtigstellung, eine nochmalige Kadenz ohne eine
solche Stoning. Sehr haufig
sind auch die entlehnten
Trugschliisse, der Dur-Tr.
in Moll und der Moll-Tr . in
Dur (Beispiel in A moll und
in C dur). Von den selteneren Sonderformen des Trug-
schlusses sei die Folge Dominantdreiklang-Subdomi-
nantsextakkord in Dur erwahnt (z. B. W.A.Mozart,
Ave verum, K.-V. 618, Takt 36f.). Sie ist jedoch als Ver-
bindung von Dominante und Tonikaparallele mit Sex-
te statt Quinte (D-Tp 6 ) zu bestimmen, da die Folge D-
S der klassischen Kadenzlogik widersprechen wiirde.
Trumscheit (ahd. trumme, Trompete oder Trommel,
und scheit, Holz; auch tympanischiza; im 17. Jh. auch
Marien-Trompete, Trompetengeige ; lat. und ital.
tromba marina), ein im 15.-18. Jh., vereinzelt noch im
19. Jh., vorkommendes Streichinstrument von etwa
2 m Lange. Das am FuBende offene Corpus besteht aus
3 Brettern; es hat die Form etwa eines 3seitigen Mo-
nochords. Eine Darmsaite ist unten befestigt und lauft
iiber einen Steg in.den Wirbelkasten. Der asymmetri-
sche 2fiiBige Steg wird durch die iiber den rechten FuB
des Steges laufende Saite auf die Decke gepreBt, wah-
rend der linke FuB frei schwebt und beim Spiel durch
schnelles Beriihren der Decke einen schnarrenden,
trompetenhaf t lauten Ton hervorbringt. Ein wesentlich
kleineres Instrument begegnet erstmals bei einer fran-
zosischen Skulptur des 12. Jh. ; auch in franzosischen
Texten der Zeit ist oft von Monochordes d'archet die
Rede. Beim Spiel wurde das Tr. von der Schulter oder
Brust aus schrag nach oben gehalten. Der Bogen streicht
die Saite im Unterschied zu den heutigen Streichinstru-
menten oberhalb des sie verkiirzenden Fingers. Auf
dem Tr. wurden nur Flageolettone gespielt (-»■ Flageo-
lett - 3). Das Tr. war vom 15. Jh. an besonders in
Deutschland verbreitet; es hielt sich hier als Trompe-
tenersatz in Nonnenklostern (»Nonnengeige«), wovon
noch 1782 J.S.Petri berichtet, und wird noch von
Mattheson 1713 und L.Mozart 1756 genannt. In sei-
ner Komodie Le Bourgeois gentilhomme (1670; 2. Akt,
1 . Szene) laBt Moliere den M. Jourdin zur allgemeinen
Belustigung sagen: i7 yfaudra mettre aussi une trompette
marine. La trompette marine est un instrument qui me plait,
et qui est harmonieux. Berlioz bezieht sich 1859 auf diese
Stelle und vergleicht den niederen Rang des Tr.s mit
dem der Gitarre in seiner Zeit.
Lit. : Praetorius Synt. II ; M. Mersenne, Harmonie univer-
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Tuba (lat.) , - 1 ) das der griechischen -*■ Salpinx entspre-
chende gerade Blechblasinstrument der Romer; - 2) ge-
meinsamer Name der BaBinstrumente, die zur Familie
des ->• Biigelhorns gehoren, im engeren Sinne und im
Unterschied zu Helikon und Sousaphon die langlich-
gewundene Form. Sie werden mit der Stiirze nach oben
vor dem Korper gehalten. In Tubenform werden auch
Bugelhomer der Alt-Bariton-Lage gebaut. 1835 crhicl-
ten -> Wieprecht und C. W. Moritz ein Patent auf eine
BaB-T. in F mit 5 Ventilen. Die bevorzugten Stim-
mungen sind heute F und Es fur die BaB-T. (Umfang
etwa i A-as 1 ) und C und B fur die KontrabaB-T. (Um-
fang etwa iEs-f i) ; seltener sind SubkontrabaBtuben mit
6 Ventilen (bis 2B). Die Tuben werden im Orchester
(in der Regel nicht transponierend notiert) als BaB der
Posaunengruppe, auch als Ersatz fiir die BaBposaune,
eingesetzt. In Blaskapellen werden verwendet: das Bom-
bardon (BaB-T. in Es), das -> Helikon (- 3), das Sousa-
phon (rund, mit nach vorne gerichteter Stiirze) und der
KaiserbaB (KontrabaB-T. mit sehr weiter Mensur). Ei-
ne Mischform zwischen T. und Waldhorn ist die
->• »Wagner«-T. Sololiteratur gibt es fiir T. kaum;
Hindemith schrieb eine Sonate fiir BaB-T. und Kl.
(1955). - 3) T. curva (krumme T.), ein einfaches Bias-
instrument, das nur wenige Naturtone gibt. Sein Spiel
wurde 1798 am Pariser Conservatoire gelehrt; Mehul
verlangt es in der Oper Joseph. - 4) In der Orgel ist T.
eine stark intonierte Zungenstimme zu 16', 8' und 4'
(T. clarin, iiberblasend), als 32' (Kontra-T.) auch im
Pedal. Sie war als Hochdruckregister (T. mirabilis) in
der spatromantischen Orgel beliebt, wird heute aber
kaum mehr gebaut. - 5) der Rezitationston (Reperkus-
sionston) in den verschiedenen Formen des liturgischen
Rezitativs und der Psalmodie (-*■ Psalmtone). Fiir den
romischen Kirchengesang ist der Ausdruck T. bereits
in friihen Quellen zur Lektions- und Psalmodiepraxis
iiberliefert. An seiner Stelle wird heute gewohnlich der
cbenfalls aus dem Mittelalter stammende Terminus
Tenor verwendet (so u. a. im Antiphonale Romjnum
und Antiphonale Monasticum : Toni communes II).
Tubalflote -» Jubalf lote.
1000
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ebenda 1964.
Tumba -> Congatrommel.
Tune (tju:n, engl., von altfrz. ton), Ton, Melodie,
Weise, Stuck; psalm-t., Psalmenmelodie, Psalmton;
act-t. (bci Purcell audi curtain-t.), Zwischcnaktsmu-
sik. - Lachrimae t. (engl., Tranenweise), eine Melo-
die von J.Dowland, die im Elisabethanischen Eng-
land zum Inbegriff von Trauer und Melancholie wur-
de. Ahnlich wie die -*- Folia und andere wandernde
Melodien wurde der Lachrimae t. haufig mehrstimmig
bearbeitet, vor allem von Dowland selbst (7 Lachrimae-
Pavanen), ferner u. a. von Byrd, Farnaby, Brade, L.
Lechner.
Tupan (auch goc), volkstiirnliche 2fellige groBe Trom-
mel mit Lederriemenverschniirung, die in Mazedonien
und Teilen von Serbien, Bulgarien und Albanien vor-
kommt. Der T. wird an einem Schulterriemen han-
gend seitlich vor dem Korper getragen und von der
rechten Hand mit einem Trommelstock, von der lin-
ken mit einer Gerte (->• Rute) geschlagen. Das Spiel
mit 2 Klangfarben ist charakteristisch fur das Trom-
melspiel auf dem Balkan. Der T. wird allein oder mit
-> Zurna gespielt.
Lit. : Y. Arbatsky, Beating the T. in the Central Balkans,
Chicago 1953.
Turba (lat., Getiimmel, Haufe, Volk; meist Plur.
Turbae), in -» Passion und geistlichem Spiel die den
einzelnen Personen (Evangelist, Christus, -* Solilo-
quenten) gegeniibertretende Gruppe der Jiinger, Juden,
Soldaten u. a.
turco (ital., auch alia turca) -*■ Janitscharenmusik.
Turin.
Lit. : B. Alfieri, II nuovo Teatro Regio di Torino apertosi
nell'anno 1740, T. 1761 ; P. Breggi, Serie degli spettacoli
rappresentati al Teatro Regio di Torino dal 1688 al pre-
sente, T. 1872; G. Roberti, La Cappella Regia di Torino,
1515-1870, T. 1880; G. Sacerdote, II Teatro Regio di
Torino . . ., 1662-1 890, T. 1892; A.SoLERTi.Festemus.alla
corte di Savoia nella prima meta del s. XVII, RMI XI, 1 904 ;
G. Depanis, I concerti popolari e il Teatro Regio di Torino :
Appunti e ricordi, 2 Bde, T. 191 5 ; L. Torri, II primo melo-
dramma a Torino, RMI XXVI, 1919; G. Borghezio, La
fondazione del Collegio nuovo »Puerorum Innocentium«
del duomo di Torino, Note d'Arch. I, 1924; A. Teglio,
Cronache mus. dei teatri torinesi, T. 1924; C. De Rossi, II
Teatro Regio (1891-1924), T. 1925; S. Cordero di Pam-
parato, II Teatro Regio (1678-1814), T. 1930; ders., I
musici alia corte di Carlo Emanuele I di Savoia, = Bibl.
della Soc. stor. subalpina CXXI, T. 1930; ders., Alcuni
appunti sul teatro melodrammatico francese in Torino nei
s. XVII, XVIII, XIX, RMI XXXVII, 1930 - XXXVIII,
1931 ; A. Della Corte, Musiche e musicisti, T. 1948.
Turku (Finnland; schwedisch Abo).
Lit.: O. Andersson, J. J. Pippingskold och musiklivet i
Abo 1808-27, Helsinki 1921; ders., Mus. Sallskapet i
Abo 1790-1808, ebenda 1940; ders., Orglar och orga-
nister i Abo domkyrka intill slutet av 1 600-talet, in : Kring
konst och kultur. Studier tillagnade Amos Anderson,
ebenda 1948; J. Rosas, Musiikkielama Turussa 1856-
1917 (»Das Musikleben in T. . . .«), in: Turun kaupugin
hist., T. 1957; H. Weber, Musik im finnischen T., NZfM
CXXIII, 1962.
Turmmusik, Bezeichnung fur Kompositionen, die
zum ->■ Abblasen bestimmt oder geeignet sind. Zu den
altesten iiberlieferten T.en gehoren die Choralbicinien
vonJ.Wannenmacher (1553) sowie die Hora decima . . .
(1670) und die Fiinffstimmigte blasende Music (1685) von
J.Chr.Pezel. VonJ. G.Reiche erschienen 1696 Vier und
zwantzig neue Quatricinia, an die J. G. Chr. Storl (1675-
1719) mit seinen 6 Sonaten fur Zink (Cornetto) und
3 Pos. anschlieBt. Fr. Schneider komponierte 1803 4 So-
naten (2 Trp. und 3 Pos.) ftir die Stadtmusik in Zittau.
Beethoven schrieb 1812 ftir den Linzer Domkapell-
und Turmermeister F.X.Gloggl 3 Equale fiir 4 Pos.
zum Abblasen am Tage Allerseelen. Neuere Bestre-
bungen, das Turmblasen wieder zu beleben, gingen
von L.PIafl aus, der 1914 die Berliner T. auf dem Bal-
kon des Rathausturmes einfiilirte und das Sammeln al-
ter ortseigentiimlicher T. einleitete. W.Hensel bot in
seinem Wach auf! (Eger 1922) Festlkhe Weisen vom
Turm zu blasen, und Hindemith eroffnete den Plotter
Musiktag (1932) mit einer 3satzigen Morgenmusik, von
Blechblasern auf einem Turm auszufiihren. T.en von
G.Donderer, E.Hastetter, H.K. Schmid und R.Wiirz,
bestimmt fiir das wochentliche Abblasen der Peters-
1001
Turn
turmmusik in Miinchen, erschienen in den Miinchner
T.en (Reihe I : Aus unserer Zeit, Lpz. 1941ft.)-
Lit. : L. Plass, Was d. Gesch. d. Pos. lehrt. Studien iiber d.
ehemaligeu. gegenwartigeT., AMZXL, 1912; ders., Blick
in d. Slg mus. Wahrzeichen deutscher Stadte, Zs. f. Schul-
musik VI, 1933; H. J. Moser, Tonende Volksaltertiimer,
Bin (1935); W. Ehmann, Tibilustrium. Das geistliche Bla-
sen, Kassel 1950; ders., Die blaserische Kunst, ebenda
1951 ; E. A. Bowles, Tower Musicians in the Middle Ages,
Brass Quarterly V, 1961/62.
Turn (ta:n, engl.)-
->■ Trillers.
■ Doppelschlag; Nachschlag eines
Tusch (engl. tucket, tuck, -> Toccata), ein Signal bei
festlichen Anlassen, bis ins 19. Jh. das weder an Takt noch
Harmonie sich bindende unter einander Blasen des Trom-
peten-Akkordes mit schmettemdem Tone und Zungenschla-
gen (KochL). Heute wird der Orchester-T. als stereo-
type Formel meist auf einem Akkord ein- oder mehr-
mals geblasen. - Die Etymologie des seit 1745 zunachst
im siiddeutschen Sprachgebiet belegten Wortes ist un-
sicher. Seit KochL wird meist Herkunf t von f rz, toucher
(beriihren) angenommen (so W. Apel, Harvard Dictio-
nary of Music, Cambridge/Mass. 15 1964; Grove u. a.);
weniger wahrscheinlich diirf te slawische Herkunf t sein
(wie sie Fr.Kluge, Etymologisches Worterbuch der deut-
schen Sprache, Berlin '91963, annimmt).
Tutti (ital., alle) bezeichnet im Gegensatz zu -> Solo
bzw. dem nicht vollstandigen Ensemble und zum Teil
gleichbedeutend mit ->• Ripieno das Einsetzen des vol-
len Orchesters oder ganzen Chores bzw. die in dieser
Besetzung auszufiihrende Partie, z. B. das Ritornell im
Konzert. - Tutte le corde ist in der Klaviermusik die
Aufhebung der Vorschrift una corda oder due corde
(Verschiebung, -> Pedal - 2).
Twostep (t'u: step, engl., Zweischritt) war neben dem
-> Cakewalk einer der ersten Gesellschaftstanze, der
urn 1900 aus den USA nach Europa gelangte. Der Tw.
hat rasches Tempo und ist geradtaktig; ihm liegen ver-
einfachte Polkaschritte zugrunde. Er wurde bis etwa
1912 getanzt und dann endgiiltig vom -*■ Onestep
abgelost.
Txistu (ts'istu, baskisch), eine Schnabelflote mit 3
Grifflochern, die in der baskischen Volksmusik als
-*■ Einhandflote mit Trommel zu Tanzliedern gespielt
wird. In neuerer Zeit ist auch ein BaB-Tx. (silbote) auf-
gekommen, das zusammen mit 2 Tx.s und Trommel
gespielt wird.
Lit. : P. H. Olazaran de Estella, Tx. Tratado de flauta
vasca, Bilbao 2 1951.
Tympanum (lat.; griech. -ru(j.7tavov, xuTravov, von
T&nfsiv, schlagen). - 1) Unter T. wurde in der Antike
eine einseitig bespannte Handtrommel verstanden,
meist mit gewolbtem Resonanzkorper (daher in neue-
rer Zeit auch als Handpauke bezeichnet). Ahnliche In-
strumente waren nachweislich bereits im alten Orient
in Gebrauch (z. B. bei den Sumerern; bei den Juden
unter dem Namen toph, in der Septuaginta alsTuu,mxvov
bezeichnet, in der Vulgata mit t. ubersetzt, z. B. Ps.
80, 3, und 149, 3). Nach Griechenland kam das T. zu-
sammen mit dem Vordringen der orgiastischen Kulte
des Dionysos (aus Thrakien) und der Kybele (aus Phry-
gien). Auf Bilddarstellungen sind es vor allem die zum
Gefolge des Dionysos gehorenden Manaden und Silene,
die das Instrument spielen, seltener Dionysos selbst.
Euripides erwahnt in den »Bakchen« das T. der Phry-
gier (Vers 58) als (3up<j6tovov xuxA<du.<x (fellbespanntes
Rad, Vers 124). Von dort fand das Instrument seit dem
5. Jh. v. Chr. durch den Kybele-Kult in ganz Griechen-
land Verbreitung. In der romischen Antike und im
Mittelalter bezeichnet T. ein- oder zweiseitig bespann-
te Trommelinstrumente. Isidorus von Sevilla (Etymo-
logiae III, 22) unterscheidet das einseitig bespannte T.
von der zweiseitig bespannten Symphonia: T. estpellis
vel corium ligno ex una parte extentum. Est enim pars media
symphoniae in similitudinem cribi. Diese Beschreibung
wurde spater vielfach ubemommen (z. B. von Hiero-
nymus de Moravia, Tractatus de musica, ed. Cserba, S.
21). Nach anderer Uberlieferung wurde das T. als zwei-
seitig bespanntes Trommelinstrument aufgefaBt (z. B.
J.Aegidius, GS II, 390b: T. est pellis sive corium ligno ex
utraque parte extensum . . .). So wie in der mittellateini-
schen Dichtung wird auch bei den Musikschriftstellern
t. oft mit tuba zusammen genannt: . . . puta infestis,
hastiludiis et torneamentis t. et tuba ... (J. de Grocheo, ed.
Rohloff, S. 52). - Spater wurde T. allgemein fur Heer-
pauke oder -^- Pauke verwendet, so bei Virdung (1511),
M.Praetorius (1619) und Altenburg (1795); - 2) frz.
und span. Bezeichnung f iir -»■ Hackbrett.
Lit. : Fr. Behn, Die Musik im romischen Heer, Mainzer
Zs. VII, 1912; K. Schneider, Artikel Tympanon, in: Pau-
ly-Wissowa RE II, 7, 1, 1948; M. Wegner, Das Musikle-
ben d. Griechen, Bin 1949 ; ders., Die Musikinstr. d. Alten
Orients, =Orbis antiquus II, Minister i. W. 1950; ders.,
Griechenland, = Mg. in Bildern II, 4, Lpz. (1963); B. Aign,
Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen Raumes bis um 700
v. Chr., Diss. Ffm. 1963; G. Wille, Musica romana, Am-
sterdam 1967.
Typologie. Als ein Zweig der psychologischen For-
schung versucht die T. Grundstrukturen herauszuar-
beiten, die den verschiedenen Gruppen von geistig
schopferischen Menschen gemeinsam sind. Als erster
unterschied Schiller (1795) zwei Arten des Schopfer-
tums, die »naive« und die »sentimentalische«; eine drit-
te Spielart stellte er bloB als Postulat auf. Damit be-
ruhrt sich W.Diltheys Trias der »Weltanschauungsty-
pen«: Naturalismus, objektiver Idealismus und Idealis-
mus der Freiheit. J. Rutz entdeckte drei Typen der Kor-
perhaltung, des Atmens und des Stimmklangs; sein
Sohn O.Rutz erklarte sie als (primare) Typen des »Ge-
miitsausdrucks«. Die Briicke zwischen denErgebnissen
von Dilthey und Rutz schlug H. Nohl. Durch die Mit-
bewegungsstudien von E. -»■ Sievers angeregt, fand G.
Becking drei Grundformen rhythmischer Bewegtheit,
die (Taktschlag-)Kurven spitz-rund (I), rund-rund (II)
und spitz-spitz (III) : enthusiastische, objektiv-darstel-
lende und aktive Gestaltungsart. Als Urbilder melodi-
scher Gestaltung fand W.Danckert die gleichen drei
personlichkeitsgebundenen (»personalkonstanten«) Ty-
pen wieder; zuerst als Schaffensimpulse innerhalb der
Kunstmusik, spater - mit veranderter Strukturfor-
schung - als »Formkreise« der Volksmusik, besonders
deutlich ablesbar an den Abwandlungen, die wandem-
de Liedweisen erfahren : I. wachstumliches oder »spha-
risches« Schwebemelos, II. emporgreifendes Uberbrei-
tungsmelos, HI. (ton-)raum- und zeitmessendes Deszen-
denzmelos. In der Musik des I. Typus (Landini, Monte-
verdi, Corelli, Handel, J. Haydn, W. A. Mozart, Schu-
bert, Bruckner, Debussy) ist der naturhaf te Puis von Ver-
dichtung und Losung , Systole-Diastole, zu spiiren. Typus
Illhingegen (Dufay j.-Ph. Rameau, Vivaldi, J. S. Bach,
Gluck, Ravel, Strawinsky) gestaltet eher gleichformig,
statisch, mit Schlag und Gegenschlag, antithetisch. Ty-
pus II (Ockeghem.Telemann, Beethoven, R. Schumann,
Brahms, Hindemith) formt zeitlich im fortwahrenden
Vorgriff, tonraumlich in steter Expansion. Die Typen
verkorpern elementare Grundlagen des Personlich-
keitsaufbaus und der damit verkniipften Welterfah-
rung. In der Musikwissenschaft konnen typologische
Forschungen u. a. dazu beitragen, Fragen umstrittener
Autorschaft von Tonwerken zu klaren. Eine erste Un-
1002
tersuchung iiber die Verteilung der drei Typen in
Deutschland und Osterreich bot W.Kruse. - C.A.
Martienssen versuchte, die T. fiir den individuellen
Klavieninterricht fruchtbar zu machen; doch sind die
von ihm herangezogenen Unterarten der pianistischen
Technik nicht so bedeutsam wie die typologischen
Verschiedenheiten der Rhythmik, Dynamik und Phra-
sierung. Seine Typen sind der statische, klassische Typ
(v.Biilow), der ekstatische, romantische (Rubinstein)
und der expansive, expressionistische (Busoni).
Lit. : Fr. Schiller, Uber naive u. sentimentalische Dich-
tung, Horen, 1 795 u. 1 796, in: Samtliche Werke V, hrsg. v. G.
Frickeu. H. G. Gopfert, Miinchen 1959; W. Dilthey, Die
Typen d. Weltanschauung, in: Weltanschauung, Philoso-
phies Religion, Bin 1911, auchin: Gesammelte Schriften
VIII, Lpz. u. Bin 1931, Stuttgart u. Gottingen 21960 (vgl.
dazu Bd II u. Ill) ; O. Rutz, Sprache, Gesang u. Korper-
haltung, Miinchen 1911, 2 1922; ders., Vom Ausdruck d.
Menschen, Celle 1925; H. Nohl, Typische Kunststile in
Dichtung u. Musik, Jena 1915, in: Vom Sinn d. Kunst,
(Vorw. v. E. Blochmann), = KISine; Vandenhoeck-Reihe
CIII/CIV, Gottingen 1961 ; ders., Stil u. Weltanschauung,
Jena 1920; H. Sievers, Ziele u. Wege d. Schallanalyse, Hei-
Tyrolienne
delberg 1924; G. Becking, Der mus. Rhythmus als Er-
kenntnisquelle, Augsburg 1928, Nachdruck Darmstadt
1958; W. Kruse, Die Deutschen u. ihre Nachbarvolker,
Lpz. 1929, S. 179ff.; W. Danckert, Ursymbole melodi-
scher Gestaltung, Kassel 1 932 ; ders., Beitr. zur Bachkritik,
Kassel 1934; ders., Wandernde Liedweisen, AfMf II, 1937;
C. A. Martienssen, Die individuelle Klaviertechnik auf d.
Grundlage d. schopferischen Klangwillens, Lpz. 1932;
ders., Die Methodik d. individuellen Klavierunterrichts,
Lpz. 1937; W. Werkmeister, Der Stilwandel in deutscher
Dichtung u. Musik d. 18. Jh., = Neue deutsche Forschun-
gen XCVII, Abt. Mw. IV, Bin 1936; W. Korte, Musik u.
Weltbild, Lpz. 1940. WD
Tyrolienne (tiralj'en, frz., auch Tirolienne, s. v. w.
Tiroler Landler), eine franzosische.Abart des -»■ Land-
lers, die im 19. Jh. als volkstiimlicher Rundtanz auf-
kam mit den Pas:
|j'jJllJJji^=ll
* 1 r 1 1 r 1 r r
Ein Beispiel fiir die Verwendung der T. in der franzosi-
schen Oper bietet Rossinis Choeur tyrolien aus Guillautne
Tell (1829), 3. Akt.
1003
u
'Ud (arabisch al-'ud, das Holz; daraus iiber span, laud
u. a. deutsch-* Laute), die Kurzhalslaute des arabischen
Mittelalters (7.-13. Jh.) und der Neuzeit mit Knickhals
und gespantem (aus schmalen Streifen zusammenge-
fiigtem) bauchigem Corpus. Der 'Ud ist in der ara-
bisch-islamischen Musik nicht nur als Musizierinstru-
ment wichtig, sondern auch als dasjenige Instrument,
an dem das Tonsystem dargestellt und erlautert wurde.
Der 'Ud entstand aus dem persischen -*■ Barbat, der
mit Biinden versehen wurde. So kam das Instrument
wahrscheinlich im 7. Jh. aus dem heutigen Irak nach
Mekka. Bei al-Farabl im 10. und Ibn SIna im 11. Jh. ist
der 'Ud 4saitig, bei Safi-ad Din im 13. Jh. 5saitig_in
Quarten gestimmt. Mit den Arabern kam der 'Ud
im Hochmittelalter nach Spanien, dem Ausgangs-
land fiir die Geschichte^ier abendlandischen Laute. In
der Neuzeit wird der 'Ud in den arabischen Landern
wieder ohne Biinde gespielt; er ist dort neben dem
-> Qanun das wichtigste Saiteninstrument. Die Spiel-
weise ist nicht akkordisch, sondern melodisch (wobei
Haltetone durch Tonrepetitionen dargestellt werden)
mit zahlreichen Verzierungen.
Lit.: Kanz at-tuljaf (Anon.), Kap. fiber Musikinstr., frz.
in: C. Huart, La musique persane, in: Encyclopedic
de la musique, hrsg. v. A. Lavignac u. L. de la Laurencie,
I, 5, Paris (1922); al-Farabi, Kitab al-musiqi al-kablr,
frz. als: Grand traite de la musique, in: Baron R. d'Erlan-
ger, La musique arabe I, Paris 1930; Ibn Sina, Kitab
.aS-Sifa', frz. v. M. al-Manubi al-Sanusi, ebenda II, 1935;
Safi-ad Din, Kitab al-adwar, frz. v. dems., ebenda III,
1938; Al-Mufaddal Ibn Salama, Kitab al-'ud wa'-l-
malahl, mit Ubers. hrsg. v. J. Robson in: Collection of
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ringer, Vorgesch. u. Gesch. d. europaischen Laute, ZfMw
X, 1927/28; H. G. Farmer, Hist. Facts for the Arabian
Mus. Influence, London 1930; ders., Studies in Oriental
Mus. Instr., I London 1931, II Glasgow 1939; ders., Islam,
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u. baschkirische Lieder mit Text, ubers. u. harmonisiert«),
hrsg. v. S. G. Rybakow, 1924; 1000 pesen kirgiskowo
naroda (»1000. Lieder d. kirgisischen Volkes«), hrsg. v. A.
W. Satajewitsch u. A. Dm. Kastalskij, = Trudy ob-
schtschestwa isutschenija kirgiskowo kraja IV, Orenburg
1925 (mit Bibliogr.); 500 kasachskich pesen i kjujew (»500
kasachische Lieder u. Instrumentalstficke«), hrsg. v. dens.,
1931 (mit Bibliogr.); 250 kirgiskich instrumentalnych pjes
i napewow (»250 kirgisische Instrumentalstficke u. -wei-
sen«), hrsg. v. dens., 1934; Gesange russ. Kriegsgefange-
ner, hrsg. v. R. Lach, 9 H., = Sb. Wien CCIII/4, CCIV/
4-5, CCV/1-2, CCXI/3, CCXVIII/1 u. 4, CCXXVII/4,
= Mitt. d. Phonogramm-Arch.-Kommission LIV, LV,
LVIII, LXV, LXVI, LXVIII, LXXIV, LXXVIII, 1926-52;
101 abchasskajanarodnajapesnja(»101 abchasischeVolks-
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naroda mari (»Lieder d. Tscheremissenvolks«), hrsg. v. J.
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dien d. Wald- u. Bergtscheremissen«), hrsg. v. dems., 1933;
Marij kalyk muro (»Tscheremissische Volkslieder«), hrsg.
v. dems. u. V. M. Beuajew, 1957; Pesni werchowych
Tschuwasch (»Lieder d. oberen Tschuwaschen«), hrsg. v.
A. Maksimow, Schupaschkar 1932; Georgische Gesange,
hrsg. v. S. Nadel, Bin 1933; Sbornik jakutskich pesen (»Slg
jakutischer Gesange«), hrsg. v. F. T. Kornilow, 1936;
Usbekskije narodnyje pesni (»Usbekische Volkslieder«),
hrsg. v. J. J. Romanowskaja u. I. Akbarow, 2 Bde, Tasch-
kent 1939 ; Burjatskije i mongolskije pesni (»Burjatische u.
mongolische Lieder«), hrsg. v. A. P. Globa, 1940; Us-
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der d. kasachischen Steppen«), hrsg. v. S. Kedrina, 1951 ;
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1004
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1960; V. A. Gvacharia, Zu Fragen d. grusinischen Musik,
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— » Estland, — > Lettland, — ► Litauen, — > Mongolei, — » Rus-
sische Musik, — > Ukraine.
tjberblasen (engl. overblowing) heiBt, auf einem
Blasinstrument durch starkeren Winddruck oder er-
hohte Lippenspannung einen der hoheren -> Naturto-
ne (anstelle des Grundtons) hervorbringen. Offene
Lippenpfeifen (Floten) sowie konische Zungenpfeifen
(z. B. Oboe, Saxophon) schlagen durch U. zunachst in
den 2. Naturton (die Oktave) iiber; sie heiBen daher
oktavierende Instrumente. Gedeckte Lippenpfeifen
(->• Gedackt) und die sich akustisch gleich verhaltenden
zylindrischen Zungenpfeifen (z. B. Klarinette, Fagott)
schlagen nur in die ungeradzahligen Naturtone iiber
(zunachst in den 3. Naturton, die Duodezime) ; sie hei-
Ben quintierende Instrumente. Die Uberblastone (de-
ren Schwingungszahl infolge der Gegebenheiten des
Instruments von der theoretischen Schwingungszahl
der Naturtone mehr oder weniger abweichen kann;
->■ Blasquinte) klingen heller, scharfer als die Grundto-
ne; sie bilden innerhalb des Gesamtumfangs der Instru-
mente jeweils ein eigenes -> Register (- 3). Auf man-
chen einfachen Instrumenten, z. B. der ->■ Einhandflote
und der ventillosen Trompete (-*• Clarino), ist eine
vollstandige Skala nur durch U. hervorzubringen. Das
U. kann (z. B. bei Blockflote, Oboe, Klarinette, Saxo-
phon u. a.) durch kleine, nahe dem Mundstiick gele-
gene Uberblaslocher erleichtert werden. Die grofien
Intervalle zwischen den ersten 6 Naturtonen werden
auf modernen Blechblasinstrumenten durch die -*■ Ven-
tile (- 2) uberbriickt. - In der Orgel kommt U. beab-
sichtigt (-»■ Register - 1), aber auch als technischer Feh-
ler vor (-»■ Uberschlagen - 1 bei eng mensurierten La-
bialstimmen).
Lit. : R. W. Young u. J. C. Webster, Die Stimmung v. Mu-
sikinstr. I-IV, Gravesaner Blatter II, 1957 - IV, 1959 ; F. J.
Young, The Natural Frequencies of Mus. Horns, Acustica
X, 1960; J. P. Fricke, Die Innenstimmung d. Naturton-
reihe u. d. Klange, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962.
Ubermafiig heiBen die -»■ Intervalle, die um einen
chromatischen Halbton groBer sind als die groBen (z. B.
c-eis statt c-e) oder als die reinen Intervalle (z. B. c-fis
statt c-f). Die -> Umkehrung iibermaBiger Intervalle
ergibt verminderte.
Uberschlagen, - 1) bei Blasinstrumenten (auch Or-
gelpfeifen) das Ansprechen eines hoheren Naturtons
anstelle des beabsichtigten (-*■ Uberblasen). Bei der
Singstimme ist U. s. v. w. Umschlagen in ein anderes
-> Register (- 3), z. B. beim ^> Jodeln. - 2) Beim Kla-
vierspiel gibt es neben dem O. der Finger (->■ Finger-
satz) zwei Arten des U.s einer Hand iiber die andere.
Die eine Art besteht im U. der einen (meist der linken)
Hand iiber die in gleicher Lage weiterspielende andere
Hand. Diese Art ist durch die Komposition festgelegt,
so etwa bei Cembalostiicken fur 2 Manuale, z. B. in
J.S.Bachs »Goldberg-Variationen«, BWV 988, oder
freibleibend fur ein oder zwei Manuale, z. B. in D.
Scarlattis Sonata Nr358 (ed. A.Longo), J.Ph.Rameaus
Les tourbillons aus den Pieces de clavecin (1724; hierzu die
beigegebene methode pour la mechanique des doigts), die
Gigue in Bachs Partita B dur, BWV 825; auf dem Pia-
noforte z. B. in W. A. Mozarts Sonate K.-V. 331 (4. Va-
riation, Trio des Menuetts), in Beethovens Sonate op.
31 Nr 2 (1. und 2. Satz). Die zweite Art, das abwech-
selnde U. der Hande beim Passagen- oder Arpeggio-
spiel, ist mehr eine Angelegenheit der geschichtlich
sich wandelnden Spielpraxis und gehort der Ebene der
Ausfiihrung an (wie Fingersatz, Spieltechnik).
Ubersetzen, beim Klavierspiel das Uberschlagen eines
Fingers iiber den Daumen, in der rechten Hand ab-
warts, in der linken aufwarts (-> Fingersatz) ; beim Pe-
dalspiel auf der Orgel das Kreuzen der FiiBe.
'Cgab (hebraisch, von + ugb, inbriinstig lieben), ein
Blasinstrument in der nomadischen Periode der Ju-
den; die entsprechenden Namen sind fur die Konigs-
und Prophetenzeit chalil und fur die talmudische Epo-
che (dasnichtbiblische) 'abbuba. Diese Instrumente stie-
gen nicht zu Kultinstrumenten auf, sondern wurden von
Volksmusikanten bei Prozessionen, Volksfesten, Hoch-
zeiten und Leichenbegangnissen gespielt. Die genauere
Zuordnung zu den Floten und Rohrblattinstrumenten
laBt sich aus den sparlichen Textstellen nicht erschlie-
Ben, eher noch aus heutigen vorderasiatischen Instru-
menten und deren Spielweise sowie aus archaologi-
schen Funden, die neben den beiden genannten Typen
noch Knochenfloten, anthropomorph gebaute Pfeifen,
Panfloten und Sackpfeifen bezeugen. - Chalil wird ur-
spriinglich als Freudeninstrument genannt, in nachexi-
lischer Zeit als Trauerinstrument. 'U. war ein weltli-
ches, aufreizendes Instrument, moglicherweise dem
Aulos verwandt. Jubal_wird (1. Mos. 4, 21) als Vorva-
ter der Kinnor- und 'U.-Spieler genannt (bei Luther:
der Geiger und Pfeifer).
Ukraine.
Ausg. : Halizko-russki narodni pisni (»Galizisch-russ.
Volkslieder«), hrsg. v. I. Kolessa, = Etnografitschnyj
sbirnyk XI, Lemberg 1902; Narodni pisni s halizkoj Lem-
kiwtschyny (»Volkslieder aus d. galizischen Lemken«),
hrsg. v. F. Kolessa, ebenda XXXIX/XL, 1929 ; Ukrainska
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Kubankosaken«), hrsg. v. S. A. Bugoslawskij u. I. P.
Schischow, Moskau 1 937; Pesni i dumy Sowjetskoj Ukrai-
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Litwak, Moskau 1940, mit einer Abh. v. M. Rylskij 21951.
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1005
Ukulele
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nisches Musikerbe«), hrsg. v. A. W. Olchowskvj, Char-
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migkeit in d. ukrainischen Volksliedern, Kgr.-Ber. Utrecht
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teristika musitschnich osobliwostej ukrainskich dum i pi-
sen . . . (»Die mus. Besonderheiten d. ukrainischen Volks-
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Musik«) I, Kiew 1957 ; A. I. Humenjuk, Ukrainski narodni
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Instrumentalensembles u. Orch.«), Kiew 1959; M. Sahaj-
kewytsch, Musytschne schyttja Sachidnoi Ukrainy . . .
(»Das Musikleben d. westlichen U. in d. 2. Halfte d. 19.
Jh.«), Kiew 1960.
Ukulele (hawaiisch, s. v. w. der hupfende Floh), eine
kleine, von der portugiesischen Machete abstammende
Gitarre mit 4 Stahlsaiten in der Stimmung a d 1 fis 1 a 1
oder g c 1 e 1 a 1 . In den amerikanischen und europaischen
Tanzmusikensembles kommt die (oder das) U. seit den
1920er Jahren vor. Sie wird mit einem Schlagring ge-
spielt, die Saiten werden nicht mit den Fingern, son-
dern mit einer Metallplatte verkiirzt; der Klang liegt
zwischen dem der Zither und dem der Gitarre. Die U.
wird mit viel Vibrato und Portamento gespielt.
Ulm.
Lit.: K. Blessinoer, Studien zur U.er Mg. im 17. Jh.,
= Mitt. d. Ver. f. Kunst u. Altertum in U. u. Oberschwa-
ben XIX, U. 1913; M. Scheffold, Die U.er Org.- u. Kla-
vierbauer-Familie Schmahl, ZfMw XIII, 1930/31 ; W. Tap-
pe, 150 Jahre U.er Stadttheater, U. 1931 ; H. Mayer, Der
U.er Fischermarsch, in : U. u. Oberschwaben XXXV, 1958 ;
ders., H. L. HaBler in U. (1604-08), ebenda.
Ultima (lat., u. vox) ->- Paenultima.
Umkehrung (ital. rivolto). Intervalle werden umge-
kehrt, indem der hohere Ton unter den tieferen oder
der tiefere iiber den hoheren oktavversetzt wird. Im-
mer entsteht dadurch das Komplementarintervall des
Ausgangsintervalls, d. h. dasjenige Interval], welches
das Ausgangsintervall zur Oktave erganzt; es stehen
im Verhaltnis der U. : Se-
kunde-Septime, Terz-Sex-
te, Quarte-Quinte und um
vallgetreu (real), wie im 3. Satz der 1. Symphonie von
J.Brahms:
a- *J
«-
gekehrt. Die U. eines reinen Intervalls ergibt wieder ein
reines, die eines groBen ein kleines, die eines verminder-
ten ein iibermaBiges und umgekehrt. - Akkorde werden
umgekehrt, indem anstelle ihres Grundtons ein anderer
ihrer Tone in den BaB gelegt wird. Die Anzahl der
moglichen U.en eines Akkordes ist immer um 1 klei-
ner als die Anzahl seiner Tone. So hat der Dreiklang 2
U.en, Sextakkord und Quartsextakkord ; der Domi-
nantseptakkord hat 3 U.en, Quintsextakkord, Terz-
quart(sext)akkord und Sekundakkord. - Motive und
Themen werden umgekehrt, indem ihre Intervall-
schritte in die entgegengesetzte Richtung versetzt wer-
den: steigend statt fallend, fallend statt steigend (ital.
inversione, all'inverso, per moto contrario, auch al ro-
vescio). Sie erscheinen gegeniiber ihrer urspriinglichen
Form in Gegenbewegung. Das Verfahren trat zuerst
im Kanon auf, blieb aber nicht auf Kanon und Fuge
beschrankt. Seine Anwendung erfolgt entweder inter-
pdolce
oder tonal, wie im Contrapunctus VI der Kunst der Fu-
ge von J. S.Bach:
oder nur richtungsgetreu, wie im 1. Satz des Klavier-
trios op. 100 (D 929) von Fr. Schubert:
Takt 283ff. (,>-;
Die U.en miissen nicht mit dem Anfangston ihrer Vor-
lage beginnen. Doch verlaufen intervallgetreue wie to-
nale U.en zu ihrer Vorlage gleichsam spiegelbildlich
(Symmetrie). Im Beispiel von Bach bildet der Ton f, in
dem Vorlage und U. einander treffen, die Spiegelungs-
achse. Im Beispiel von Brahms liegt die (imaginare)
Spiegelungsachse zwischen d* und des 2 . Je charakteri-
stischer das Thema ist, um so mehr verandert vor allem
die intervallgetreue U. dessen Charakter. Dabei wird
aus einem Durthema oft ein Mollthema und umgekehrt
(Hauptthemades4. Satzesder7. Symphonie von Bruck-
ner und seine U., Takt 163ff.). - Tonleitern und Ton-
reihen werden wie Motive und Themen, jedoch inter-
vallgetreu umgekehrt. Dabei ergeben sich wechselsei-
tige Beziehungen zwischen einigen Tonleitern. So ist
die intervallgetreue U. der Durtonleiter identisch mit
dem nach c transponierten 3. Kirchenton (phrygisch),
die der reinen A moll-Tonleiter identisch mit dem nach
a transponierten 7. Kirchenton (mixolydisch). Dage-
gen ergibt die intervallgetreue U. des 1. Kirchentons
(dorisch) wieder den 1. Kirchenton, die der Ganzton-
leiter wieder die Ganztonleiter. In der Zwolftontech-
nik ist die intervallgetreue U. der -*■ Reihe eine ihrer
vier Erscheinungsformen. Auch ganze Musikstiicke
werden wie Motive bzw. Themen umgekehrt. Solche
U.en sind in der dur-moll-tonalen Musik in der Regel
tonal. Die bekanntesten der wenig zahlreichen Beispie-
le stehen in Bachs Kunst der Fuge (Contrapunctus XVI-
XVIII). Die U. eines Rhythmus ist sein Krebs. O.Mes-
siaen unterscheidet zwischen umkehrbaren (retrogrades)
und nicht umkehrbaren (non retrogradables) Rhyth-
men, deren U.en mit ihrer Vorlage identisch sind (z. B.:
Vorlage J J J = U. J J J). ESe
Unca (lat., Bogen), das Fahnchen der Achtelnote: *n,
auch die Achtelnote selbst; entsprechend bis u.: ft,
Sechzehntel, usw.
Undezime (lat. undecima, elfte), die Quarte iiber der
Oktave.
Ungarn.
Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben,
Budapest) : Magyar N6pdalok (»Ungarische Volkslieder«),
7 Bde, hrsg. v. I. Bartalus, 1873-96; Magyar Gyermek-
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A. Kiss, 1891; Siebenburgisches Ungartum. Volkslieder,
hrsg. v. B. Bartok u. Z. KodAly, 1923; A Magyar Nepzene
1006
Unterhaltungsmusik
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Leitung v.DENS.,seit 1951;Nagyszalontaigyiijtes. . .(»Slgv.
Nagyszalonta . . . «, mit Melodien), hrsg. v. Z. KodAly,
in : Magyar Nepkoltesi Gyiijtemeny (» Ungarische Volks-
dichtungs-Slg«) XIV, 1 924; Nepzenei monografiak (»Volks-
musik-Monographien«), 5 Bde, hrsg. v. L. Lajtha, 1954-
62; Somogyi Tancok (»Tanze aus d. Komitat Somogy«),
hrsg. v. P. Morvai, E. PesovAru. L. Vargyas, 1954; Csan-
go nepzene (»Volksmusik d. Csango-Ungarn«), 2 Bde,
hrsg. v. P. P. Domokos u. B. Rajeczky, 1956-61 ; Monu-
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szazad magyar dallamai . . . (»Die ungarischen Melodien
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enekek (Liederslg d. A. P. Horvath v. 1813), hrsg. v. dems.,
1953; Arany Janos nepdalgyujtemenye (»Die Volkslieder-
Slg d. Dichters J. Arany«), hrsg. v. Z. KodAly, 1952; Me-
lodiarium Hungariae Medii Aevi I, hrsg. v. B. Rajeczky,
1956; A XVI. szazad magyar dallamai (»Ungarische Me-
lodien d. 1 6. Jh.«), hrsg. v. K. Csomasz T6th, 1958; N6piink
szabadsagmozgalmanak dalai (»Lieder d. ungarischen
Freiheitsbewegungen«), hrsg. v. J. PAlinkAs, 1959.
Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Bu-
dapest) : Magyar zenei dolgozatok (»Ungarische Mus. Stu-
dien«), hrsg. v. Z. Kodaly, 1 1 Bde, 1927-35 ; Studia musi-
cologica Acad. Scientiarum, hrsg. v. dems., seit 1961 ; Ze-
netudomanyi tanulmanyok (»Studien zur Mw.«), hrsg.
v. B. Szabolcsi u. D. Bartha, 10 Bde, 1953-62; Tanctu-
domanyi tanulmanyok (»Studien zur Tanzkunde«), hrsg.
v. P. Morvay u. G. Dienes, 3 Bde, 1958-62; Magyar ze-
netudomany (»Ungarische Mw.«), hrsg. v. F. B6nis, seit
1959. - B. Bart6k, A magyar nepdal (»Das ungarische
Volkslied«), 1924, deutsch Bin 1925, engl. London 1931;
ders., Nepzenenk es a szomszed nepek nepzeneje (»Die
Volksmusik d. Ungarn u. d. Nachbarvolker«), 1934, 2 1952,
deutsch in: Ungarisches Jb. XV, 1935; M. Rethei Prik-
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1924; P. P. Domokos, A moldvai magyarsag (»Das Un-
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Erd61y zenetortenete (»Mg. Siebenbiirgens«), 1936; A
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hrsg. v. I. MolnAr, 1936; Z. KodAly u. D. Bartha, Die
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garischen Musik, 1964, engl. als: A Concise Hist, of Hun-
garian Music, Budapest u. London 1964; ders., Nepzene
es tort6nelem (» Volksmusik u. Gesch.«), 1954, 21955; E.
Major, A szabadsagharc muzsikaja (»Die Musik d. Frei-
heitskampfes 1848«), 1949; D. T6th, A magyar nepszinmu
zenei kialakulasa (»Die mus. Entwicklung d. ungarischen
Volksschauspiels«), 1953; A magyar balett tortenet6bol
(»Aus d. Gesch. d. ungarischen Balletts«), hrsg. v. R6zsi
V Alyi, 1 956; I. Szelenyi, A magyar zene tortenete (»Gesch.
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gyarorszagon (»Musikerziehung in Ungarn«), hrsg. v. F.
SAndor, 1964, engl. als: Mus. Education in Hungary, Lon-
don 1966.
Union pipe (j'u:njan paip, engl.; irisch pfob uilleAnn,
s. v. w. Ellbogenpfeife), eine seit dem Ende des 17. Jh.
in Irland und Schottland bekannte -*■ Sackpfeife mit
einem kleinen Blasebalg, einer Melodiepf eife von enger
konischer Bohrung und mit doppeltem Rohrblatt und
einem Satz von 3, seit etwa 1850 auch gelegentlich 4
Bordunen in einem Sockel. Die Melodiepfeife stent
eine Quinte tiefer als die der schottischen Sackpfeife
(bagpipe) ; sie hat 4 Klappen und kann auch uberblasen
werden. Die Bordune (normale Stimmung in Okta-
ven, z. B. di d D) haben geschlossene Klappen, so daB
ihre Tonhohe einzeln verandert werden kann. Wegen
ihres geschmeidigen Tons kann die U. p. auch mit Vio-
line oder Flbte zusammen gespielt werden.
Lit.: N. Bessaraboff, Ancient European Mus. Instr., Bos-
ton 1941, Nachdruck 1964.
Unjsono (ital. ; Abk. : unis. ; frz. unisson; engl. unison).
Boethius (De institutione musica V, 5 und 11) iibersetzt
mit unisonae voces, s. v. w. gleichlautende Tone, den
Ausdruck i<j6TOVon|;<5ipoibzw. 9^-6yYOibei Ptolemaios
(»Harmonik« I, 4 und 7) und definiert in seiner Klassifi-
kation der Intervalle (V, 11) : Et unisonae [voces] quidem
sunt, quae unum atque eundem singillatim pulsae reddunt so-
num, im Unterschied zu den aequisonae Oktave und
Doppeloktave. In der Musica Enchiriadis wird auch die
im Oktavabstand erklingende vox als unisona charak-
terisiert (GS 1, 163a) . Im spateren Mittelalter wird uniso-
nus bestimmt als Tonhohenidentitat zweier Tone, die
aufeinanderfolgen (Johannes Affligemensis, CSM 1, 68),
oder als Zusammentreffen zweier Stimmen in einem
Ton (Liber musicalium, CS III, 36b), wobei seit je um-
stritten ist, ob der Unisonus zu den Intervallen gehore,
da er nicht zahlenmafiig (als Proportion), sondern nur
effektiv einen konsonanten Zusammenklang darstellt.
Wahrend u. a. noch Ramos de Pareja (1482) und M.
Praetorius (1619) vom Unisonus der (reinen) -> Prime
den Aequisonus der Oktave unterschieden, gilt in der
neuen Musik (seit dem 18. Jh.) als Unisonus sowohl die
Aequallage als auch jede Oktavversetzung. - Die italie-
nische Wortform u. bezeichnet heute speziell das Er-
klingen von Tonen oder Stimmen im Einklang oder
in Oktave(n). Unisoni kommen vor im GeneralbaB
(Tasto solo, mit bezeichnet), im Orchester- und viel-
stimmigen Vokalsatz (gef ordert durch die Bezeichnung
all'u., das auch im Sinne von all'ottava gilt). Der Be-
ginn eines Satzes im chorischen U. der Stimmen ist
etwa im instrumentalen Concertoritornell des Barocks
(J. S. Bach[?], Klavierkonzert D moll, BWV 1052) eben-
so bekannt wie zu Beginn der klassischen und romanti-
schen Symphonie oder Sonate und in neueren Chor-
werken. Im strengen Satz dagegen ist das Fortschreiten
im U. untersagt, da es die stimmliche Qualitat der
Stimmen aufhebt.
Universalklavizymbel -> Archicembalo.
Unterhaltungsmusik ist ein Phanomen, das sich seit
dem 2. Drittel des 19. Jh. beobachten laBt. Als Ter-
minus bezeichnet U. jenen Bereich musikalischer Pro-
duktion, der seit jener Zeit vor dem Hintergrund der
verwandelten sozialen und technischen VerhSltnisse als
eine Subkultur von der offiziellen Musik sich abhebt,
die zur U. als Kontrapost mit »Ernste Musik« bezeich-
net wird. - Unterhaltsame Musik hat es zu alien Zeiten
gegeben. Keine (oder nicht auch) unterhaltende Ab-
sicht haben grundsatzlich nur die kultische (auch im
Krieg) und liturgische Musik, die Lehrkomposition,
die representative ->■ Festmusik und das tragische Mu-
siktheater. Fur den musikalisch Gebildeten (im 18. Jh.
den -> Kenner) kann auch satztechnisch anspruchsvolle
Musik unterhaltend sein, wie von ihrer Zweckbestim-
mung her z. B.J. S.Bachs Goldberg- Variationen. Den-
noch sind fur die Musik etwa zum geselligen Singen
(-> Quodlibet, ->■ Catch, ->■ Glee) und fiir die Abend-
unterhaltung (-> Kassation, ->• Divertimento- 1 , -*■ Se-
renade) heiterer Ton, abwechslungsreiche Zusammen-
stellung und ein Haushalten mit kompositorischen Mit-
teln kennzeichnend. Der -> Galante Stil verband im 18.
1007
Unterhaltungsmusik
Jh. diese Merkmale in einer den Liebhaber ansprechen-
den Weise. DaB dabei nicht notwendig Zugestandnisse
an die Qualitat gemacht wurden, geht aus dem Rat L.
Mozarts anWolfgang Amadeus hervor, den er ermun-
terte, sich mit Quartetten weiten Kreisen bekannt zu
machen: Nur Kurz - leicht -popular . . . das Kleine ist
Grofi, wenn es naturlich-fiiissend und leicht geschrieben und
griindlich gesetzt ist (Brief vom 13. 8. 1778).
Im jedermann gegen Eintrittsgeld zuganglichen offent-
lichen Konzert seit den 1760er Jahren erfiillte der Vir-
tuose die Anspriiche des Publikums auf Amusement
und Sensation durch den Vortrag modischer Etii-
den, Fantasien, Paraphrasen, Potpourris, Rhapsodien,
Transkriptionen und Variationen. Mit der Verbiirgerli-
chung war im 2. Drittel des 19. Jh. auch aus dem Salon
das Moment der Diskussion unter Kennern geschwun-
den; die neue ->■ Salonmusik fur Dilettanten, wie die
Unterhaltungsliteratur (Roman) durchDruck in Massen
verbreitet, unterschied sich von der modischen Musik
der Virtuosenkonzerte nur durch die geringeren tech-
nischen Anspriiche. Zwischen den Musizierenden und
den Konzertbesuchern als »Konsumenten« einerseits
und den Komponisten andererseits sind in der kapita-
listischen Gesellschaft als »Produzenten« die Arrangeure
und die Verleger getreten. Die Tanzmusik, zuvor meist
zum Nebenverdienst von den Stadtpfeifern gespielt,
wurde zu Anfang des 19. Jh. besonders in den groBen
Stadten (Paris, London, Wien) zur Aufgabe eines spe-
zialisierten Musikerberufs. Tanzmusik als U. boten die
Vergniigungsgarten und -lokale (Biergarten, Weinlo-
kale, Kaffeehauser) an. In Wien ging aus diesem Stand
das Schaifen der Familie StrauB hervor, deren Walzer
(vor allem bei J. StrauB Sohn), durch Introduktion und
Finale sowie durch die Instrumentation symphonischen
Gattungen angenahert, bereits eine Art »gehobener« U.
darstellen.
Seitdem es moglich ist, Musik auf Tontragern (-> Schall-
platte) jederzeit wiederholbar anzubieten und sie im
Rundfunk dauernd prasent zu halten - der geringe
Preis macht »Berieselung« mit Musik moglich -, hat
sich das Verhalten vom Produzenten (in der Aufnahme-
organisation bei Schallplatte und Rundfunk nunmehr
offizielle Bezeichnung) zum durch Propaganda beein-
flufiten Konsumenten den Verhaltnissen auf anderen
»Markten« angeglichen. Vom Sprachgebrauch der
->■ Verwertungsgesellschaften her ist die Einteilung in
»U«- und »E«(rnste) Musik in die Umgangssprache ge-
langt. Er verwischt, daB das Heitere nur ein Moment der
modernen U. ist, die z. B. auch sentimental sein kann.
Als Terminus wird dennoch oft anstelle von U. Leichte
Musik (engl. light music ; ital. musica leggiera) verwen-
det, worunter sich auch die moderne Tanzmusik zwang-
los f assen laBt. Die typische Erscheinungsf orm der U. im
20. Jh. ist der -> Schlager. Ihm wird von ambitionier-
ten Komponisten, wenn auch in weit geringerem Um-
fang, eine gehobene U. entgegengesetzt, die den ent-
sprechenden Horgewohnheiten des Publikums entge-
genkommen soil. Zu einem solchen Repertoire gehoren
heute noch (in ihrem Gebrauch als U.) Stiicke von
Grieg, Dvorak, Tschaikowsky u. a. (auch in Arrange-
ments). Kennzeichnend fur die gehobene U. neueren
Stils sind die vorsichtige Verwendung neuerer (tona-
ler) Harmonik und Instrumentation sowie die Ein-
beziehung von Jazz und Folklore.
Lit. : Sonderh. Gebrauchsmusik, Mk XXI, 1928/29 ; K. Lin-
demann, Der Berufsstand d. Unterhaltungsmusiker in Hbg,
= Volk u. Gemeinschaft III, Hbg 1938; E. Hess, Vokale
U. d. 17. Jh., = Neujahrsblatt d. Allgemeinen Musikges.
in Zurich CXXXII, 1944; Kx. Ziegler, Vom Recht u. Un-
recht d. Unterhaltungs- u. Schundlit., Die Slg II, 1947; C.
Dumont, U., in: Musica aeterna I, Zurich 1948; S. G.
Spaeth, A Hist, of Popular Music in America, NY 1948;
G. Knepler, Zur Entstehungsgesch. d. »leichten« Musik,
Der Aufbau VI, 1950 ; A. Bofinger u. E. Nick, in : H. Bre-
dow, Aus meinem Arch., Heidelberg 1950; H. Wander-
scheck, U., Das Musikleben IV, 1951 ; E. Nick, Zwischen
Landler u. Jitterbug, Musica X, 1956; Th. W. Adorno,
Leichte Musik, in: Einleitung in d. Musiksoziologie, Ffm.
(1962); M. Greiner, Die Entstehung d. modernen Unter-
haltungslit., = rde CCVII, Hbg 1964; Studien zur Trivial-
musik d. 19. Jh., hrsg. v. C. Dahlhaus, = Studien zur Mg.
d. 19. Jh. VIII, Regensburg 1967.
Untersatz, - 1) in der Orgel eine gedackte, seltener
auch eine offene Stimme 32' oder 16', haufig im Pedal
(-v SubbaB) ; - 2) Beim Klavierspiel heiBt Untersetzen
der Gebrauch des Daumens nach einem der anderen
Finger, in der rechten Hand aufwarts, in der linken
Hand ab warts (->■ Fingersatz).
Unterstimme, seit dem 17. Jh. nachgewiesen als Be-
zeichnung der jeweils tiefsten Stimme eines Satzes, die
mit Riicksicht auf die Besetzung (z. B. Kinder- oder
Frauenchor) oder den Wechsel verschiedener Klang-
gruppen (-»• Bassett) auch in einer hoheren Stimmlage
als der des Basses liegen kann.
Untertone nannte H.Riemann diejenige Reihe von
Tonen, welche sich im umgekehrten Verhaltnis der Ober-
tonreihe nach der Tiefe erstreckt (Musik-Lexikon, 8 1916,
Artikel U.), d. h. diejenigen Teilschwingungen, die
sich als Umkehrung z. B. der Reihe 4:5:6 in die Reihe
1 U- 1 h' 1 U verstehen lassen. Fiir Tartini und v. Oettin-
gen (-> Dualismus) waren die U. eine Hypothese. Rie-
mann bemiihte sich um den Nachweis dieser Schwin-
gungen, da es nahelag, analog zur (physikalischen) Deu-
tung der Konsonanzwirkung des Durakkords auch
die Wirkung der Mollkonsonanz auf Teilschwingun-
gen zuruckzufuhren. Er vermutete zunachst, angeregt
durch die Helmholtzsche Hypothese der Tonempfm-
dungen, daft nach dem Gesetze des Mittonens die den U.n
entsprechenden Fasern der Membrana basilaris ebenso wie
frei aufgespannte Saiten partielle Schwingungen ausjiihrten,
welche dem angegebenen Tone entsprachen (Riemann 1 875) .
Spater glaubte Riemann, die U. in seinen Beobachtun-
gen an Zweiklangen experimentell belegt zu haben.
Seine Versuchsergebnisse lassen jedoch heute erkennen,
daB diese vermeintlichen U. nichts anderes als die auf
nichtlinearer -> Verzerrung beruhenden -> Kombina-
tionstone waren (Reinecke 1963). Stumpf wandte sich
gegen die physikalische Erklarung des Dur-Moll-Pha-
nomens, wahrend Kruegers Beobachtungen ein erster
experimenteller Beweis dafiir waren, daB U., wenn sie
iiberhaupt existieren, auBerhalb des menschlichen Hor-
bereichs liegen miissen. Inzwischen sind U. von B. van
der Pol in einem elektrischen Schwingkreis horbar
gemacht worden (1927). Ebenso wurde das Entstehen
von U.n an einem Instrument zur elektronischen Schall-
erzeugung (-> Trautonium) durch elektroakustische
Schalttechnik ermoglicht.
Lit.: A. v. Oettingen, Harmoniesystem in dualer Ent-
wickelung, Dorpat u. Lpz. 1 866, als : Das duale Harmonie-
system, Lpz. 2 1913; H. Riemann, Ueber d. mus. Horen,
Diss. Gottingen 1873, als: Mus. Logik, Lpz. 1873; ders.,
Die objective Existenz d. U. in d. Schallwelle, Allgemeine
Deutsche Musikzeitung V, 1875; ders., Mus. Syntaxis,
Lpz. 1877; ders., Katechismus d. Akustik, Lpz. 1891, als
Hdb. d. Akustik 31921; C. Stumpf, Tonpsychologie II,
Lpz. 1890, Nachdruck Hilversum u. Amsterdam 1965;
F. Krueger, Zur Theorie d. Combinationstone, Philo-
sophische Studien XVII, 1901 ; B. van der Pol, t)ber Re-
laxationsschwingungen, Zs. f . HochfrequenztechnikXXIX,
1927; ders. u. J. van der Mark, Frequency Demultipli-
cation, Nature CXX, 1927; J. van der Mark, Muziek en
elementaire getallentheorie, in : Arch, du Musee Teyler III,
9, 1947; C. M. Hotchins, A. S. Hopping u. F. A. Saunders,
1008
Urheberrecht
Subharmonics and Plate Top Tones in Violin Acoustics,
JASA XXXII, 1960; H.-P. Reinecke, H. Riemanns Be-
obachtungen v. »Divisionstonen« . . ., in: H. Albrecht in
memoriam, Kassel 1962; M. Abbado, Sull'esistenza dei
suoni armonici inf eriori, AMI XXXVI, 1 964. WiD
Urbino.
Lit. : G. Radiciotti, Contributi alia storia del teatro e della
musica in U., Pesaro 1899; ders., Notizie biogr. dei musi-
cisti urbinati, in: La cronaca mus. IV, 1899; B. Lioi, La
cappella mus. del duomo d'U., Note d arch. II, 1925, er-
weitert Rom 1 933 ; R. Gabrielli, I liutai marchigiani, eben-
daXII, 1935; L. Moranti, Bibliogr. urbinate, Florenz 1959.
Urheberrecht hat die Rechtsverhaltnisse an Geistes-
werken zum Inhalt; es sichert die ideellen und mate-
riellen Interessen des Urhebers. - Das Bedurfnis nach
einem Schutz der Geisteswerke ist entstanden, als nach
Erfindung des Buchdrucks literarische Werke in Auf-
lagen verbreitet wurden. Der erste Schutz gegen Nach-
druck wurde durch Privilegien gewahrt, die je fiir ein
einzelnes Werk landerweise verliehen wurden. Das
Privilegienwesen entwickelte sich in Deutschland und
Italien Ende des 15. Jh. Der Ubergang zu einem allge-
meinen gesetzlichen Schutz vollzog sich in Deutsch-
land, im Unterschied vor allem zu Frankreich, nur all-
mahlich. Erst im 19. Jh. horte in Deutschland das Privi-
legienwesen auf. Das preuBische Gesetz von 1837 zum
Schutz desEigentums an Werken der Wissenschaft und
der Kunst war das erste deutsche U.s-Gesetz. Es be-
stimmte eine Schutzfrist'von 30 Jahren ab Erscheinen.
1845 wurde die Schutzfrist bis 30 Jahre nach dem Tode
des Urhebers allgemeines deutsches Recht. Die um-
fassende gesetzliche Regelung, die der heutigen vor-
herging, erfolgte durch das Gesetz betreffend das U. an
Werken der Literatur und Tonkunst vom 19. 6. 1901
und das Gesetz betreffend das U. an Werken der Bil-
denden Kiinste und der Photographie vom 9. 1. 1907.
Ein Gesetz vom 13. 12. 1934 brachte die Verlangerung
der Schutzfrist auf 50 Jahre. Im Gesetz vom 9. 9. 1965
sindnun fiir die Bundesrepublik Deutschland die Rechts-
verhaltnisse an alien Geisteswerken zusammenfassend
geregelt. Es f iihrte eine erneute Schutzf ristverlangerung
ein (auf 70 Jahre) und behandelt erstmalig u. a. auch
den -» Leistungsschutz.
Inhaber des U.s ist der Urheber oder sein Erbe. - Ge-
genstand des U.s sind Sprachwerke, Werke der Musik,
pantomimische Werke einschlieBlich der Werke der
Tanzkunst, Werke der bildenden Kiinste einschlieBlich
der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst,
ferner Lichtbildwerke, Filmwerke, Darstellungen wis-
senschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen,
Plane, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Dar-
stellungen. Das U. entsteht nur an Werken, und zwar
an personlichen, geistigen Schopfungen, unabhangig
von derErfiillung formaler Voraussetzungen ; es endet
mit Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist. - Den Inhalt
des U.s bilden das Personlichkeitsrecht (f rz. droit-moral)
des Urhebers und zumeist damit verbunden eine groBe
Reihe von Werknutzungsrechten. Das Personlichkeits-
recht umfaBt besonders das Recht des Urhebers auf
Nennung seines Namens sowie das Recht, sich gegen
jede Entstellung oder andere Beeintrachtigung des
Werkes zu wehren. Die Werknutzungsrechte sind im
Gesetz von 1965 genau definiert. So u. a. das Verviel-
faltigungs- und Verbreitungsrecht, das -> Verlagsrecht,
das Ausstellungsrecht, das -*■ Auffiihrungsrecht, das
Vorfuhrungsrecht, das Senderecht, das Recht derWie-
dergabe durch Bild oder Tontrager oder mittels Funk-
sendungen sowie das Recht zur Verfilmung. Diese
Werknutzungsrechte kann der Urheber durch Vertrag
Dritten einraumen. Das in ihnen enthaltene Personlich-
keitsrecht ist uniibertragbar. Erlischt die Nutzungsbe-
fugnis, so steht das Recht wieder dem Urheber zu,
ohne daB es einer Riickiibertragung bedarf.
Schranken des U.s sind im Interesse der Allgemeinheit
gesetzlich gezogen, so vor allem durch die Begrenzung
der Schutzfrist (seit Ausgang des 17. Jh. datiert ein dog-
matischer Streit um die Gleichstellung des sgeistigen
Eigentums« mit dem zeitlich unbegrenzten materiellen
Eigentum). Dariiber hinaus ist die Grenze fiir das Gel-
tendmachen von Werknutzungsrechten grundsatzlich,
aber nicht ausnahmslos, die f remde private Sphare. Pri-
vat diirfen z. B. geschiitzte Werke ohne Zustimmung
des Urhebers aufgefuhrt werden. Auch konnen Ver-
vielfaltigungsstiicke eines geschiitzten Werkes zum
personlichen Gebrauch hergestellt werden; diese (z. B.
Noten) diirfen allerdings weder verbreitet noch zu
off entlichen Auff uhrungen oder zu deren Vorbereitung
benutzt werden (z. B. von einem Gesangverein). Die
offentliche Wiedergabe eines geschiitzten Werkes be-
darf grundsatzlich der Genehmigung. Eng begrenzte
Ausnahmefalle sind in § 52 des deutschen U.s-Gesetzes
von 1965 geregelt. - Die Schutzfrist fiir das U. endet
in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund des Ge-
setzes von 1965 70 Jahre nach dem Ablauf des Kalen-
derjahres, in dem der Urheber verstorben ist. Mit die-
ser Frist ist die Bundesrepublik Deutschland zur Zeit
fiihrend. Ein ewiges U. gibt es nur in einigen kleineren
Landern, z. B. in Portugal. In den USA dauert die
Schutzfrist nur 28 Jahre ab Erscheinen eines Werkes.
Sie kann durch bestimmte Formalitaten um weitere 28
Jahre verlangert werden. Eine Anderung dieses Schutz-
fristsystems in den USA ist zu erwarten mit dem Uber-
gang auf die Berechnung ab Tod des Urhebers, wie es
in fast alien anderen Staaten der Fall ist; 50 Jahre sind
vorgesehen . - Besondere Bestimmungen fiir die Schutz-
frist enthalt das Gesetz von 1965 fiir nachgelassene,
anonyme und pseudonyme Werke (-> Pseudonym),
Lichtbildwerke usw. - Verletzungen des U.s konnen
zivilrechtlich mit der Unterlassungsklage, die kein Ver-
schulden des Verletzers voraussetzt, verfolgt werden.
Liegt Verschulden vor, so kann der Verletzte Schadens-
ersatz oder Herausgabe des Gewinns verlangen, den der
Verletzer erzielt hat. Er hat auch einen Anspruch auf
Vernichtung rechtswidrig hergestellter Vervielfalti-
gungsstiicke. Dariiber hinaus gibt es bei vorsatzlichen
Rechtsverletzungen die Moglichkeit strafrechtlicher
Verfolgung auf Antrag. Das Gesetz sieht Geldstrafe
oder Gefangnis bis zu einem Jahr vor. Auch im Straf-
verfahren konnen der Anspruch auf Vernichtung von
Vervielfaltigungsstiicken und ahnliche MaBnahmen
geltend gemacht werden.
Das Internationale U. ist geregelt in der -»• Berner
Ubereinkunft vom 9. 9. 1886 in Form der Pariser Zu-
satzakte vom 4. 5. 1896 sowie der sogenannten Rom-
Fassung vom 2. 6. 1928 und der Briisseler Fassung vom
26. 6. 1948 sowie in dem Welturheberrechtsabkommen
vom 6. 9. 1952. Die Bundesrepublik Deutschland ist
durch das Gesetz vom 24. 2. 1955 dem Welturheber-
rechtsabkommen beigetreten. Auf Grund des Gesetzes
vom 15. 9. 1965 gehort sie aufierdem der Berner Uber-
einkunft in der Briisseler Fassung an. - Durch Beitritt
der USA zum Welturheberrechtsabkommen wurde fiir
die anderen Mitglieder dieses Abkommens eine Er-
leichterung fiir die Erlangung und Durchsetzung des
-> Copyrights geschaffen. Deutsche Staatsangehorige
genieBen in der Bundesrepublik Deutschland den
Schutz des U.s-Gesetzes vom 9. 9. 1965 ohne Riicksicht
darauf, ob ihre Werke im In- oder Ausland oder noch
gar nicht erschienen sind. Der U.s-Schutz deutscher
Staatsangehoriger im Ausland sowie von Auslandern
und Staatenlosen in der Bundesrepublik Deutschland
ergibt sich aus den internationalen Abkommen, die
64
1009
Urheberrecht
beide auf demPrinzip derlnlanderbehandlung beruhen.
- Das U. in Osterreich und in der Schweiz entspricht
im wesentlichen dem deutschen U. Die Schutzfrist ist
jedoch in beiden Landern noch auf 50 Jahre nach dem
Tode des Urhebers beschrankt.
Verwertungsgesellschaften, im Bereich der Musik z. B.
die GEMA, nehmen Werknutzungsrechte wahr, die
nicht individuell wahrnehmbar sind. Mit der zunehmen-
den technischenEntwicklung spielen dabei die sogenann-
ten Mechanischen Rechte (->• AMMRE) eine besondere
Rolle. - Fiir das musikalische U. wurden die Sonderbe-
stimmungen aus dem alten Gesetz in das neue iiber-
nommen. Damit ist aber nach Meinung der musikali-
schen Fachwelt der Eigenart der Musik noch immer
nicht ausreichend Geniige geschehen.
In der DDR ist mit dem Datum vom 13. 9. 1965 ein
neues U.s-Gesetz erlassen worden, das auf den alten,
vor 1945 erarbeiteten Entwiirfen beruht und infolge-
dessen dem Gesetz der Bundesrepublik im wesentlichen
a'hnlich ist, aber die 50jahrige Schutzfrist beibehalt.
Das U.s-Gesetz der DDR ermoglicht allerdings durch
eine Generalklausel, den in ihm statuierten Schutz im
Einzelfall aus politischen Griinden zu versagen. - Die
aufierhalb der DDR erschienenen Werke von Ange-
horigen anderer Staaten werden im Rahmen der Ge-
genseitigkeit geschiitzt, nach dem Vorbild der ->• Ber-
ner Ubereinkunft fiir deren Mitglieder. - Neben den
urheberrechtlichen Bestimmungen enthalt das Gesetz
Grundsatze zum Urhebervertragsrecht. Hierin wird
auf amtliche, in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften
und Urheberorganisationen entwickelte Vertragsmu-
ster verwiesen, die eine vollstandige Reglementierung
des Verlagsrechts bedeuten. - Nach einer Anordnung
vom 7. 2. 1966 durch das Biiro fiir U.e ist ferner der
Erwerb von Nutzungsrechten zwischen in und aufier-
halb derDDRansassigenPartnerngenehmigungspflich-
tig. Zustandig hierfur ist das Biiro fiir U.e, eine Abtei-
lung des Ministers fiir Kultur.
Lit. : R. Voigtlander, A. Elster u. H. Kleine, Kommen-
tar zum U., Bin "1952; W. Bappert u. E. Wagner, Inter-
nationales U., Miinchen u. Bin 1956; M. Rintelen, U. u.
Urhebervertragsrecht, Wien 1958; H. Hubmann, Urheber-
u. Verlagsrecht, Munchen u. Bin 1959 ; E. Ulmer, Urheber-
u. Verlagsrecht, Bin, Gottingen u. Heidelberg 2 1960; ders.,
Das neue deutsche Urheberrechtsgesetz, Arch, f . Urheber-,
Film-, Funk- u. Theaterrecht XLIV, 1 965; W. Bappert, Wi-
der u. fur d. Urheberrechtsgeist d. Privilegienzeitalters, in:
Gewerblicher Rechtsschutz u. U. LXIII, 1961 ; ders., We-
ge zum U., Ffm. 1962; ders., Der Urheberrechtsgedanke
im Privilegienwesen, Arch. f. Urheber-, Film-, Funk- u.
Theaterrecht XLIII, 1964; Howell's Copyright Law, revi-
diert v. A. Latman, Washington 1962; H. Pohlmann, Die
Friihgesch. d. mus. U., = Mw. Arbeiten XX, Kassel 1962;
E. Schulze, U. in d. Musik, Bin 31965; Fr. K. Fromm u.
W. Nordemann, »U.«, Kommentar zum Urheberrechts-
gesetz u. zum Wahrnehmungsgesetz mit d. internationalen
Abkommen u. d. sowjetzonalen Gesetz uber d. U., Stutt-
gart 1966; H. Kleine, U. in d. SBZ, in: Borsenblatt f. d.
deutschen Buchhandel (Frankfurter Ausg.) XII, 1966; H.
Unverricht, Der Schutz mw. Editionen nach d. neuen
Urheberrechtsgesetz, Mf XIX, 1966.
Ursatz ist der verborgene 2st. Geriistsatz, auf den sich
nach ->• Schenker jedes der Meisterwerke von J. S. Bach
bis Brahms reduzieren la'Bt. Die Oberstimme des U.es,
die Urlinie, besteht aus der sekundweise fallenden ho-
rizontalen Ausfiillung (Auskomponierung) der Terz,
Quinte oder Oktave des Tonikadreiklangs, die kontra-
punktierende Unterstimme aus der Brechung desselben
Dreiklangs durch die Oberquinte. In der Auseinander-
setzung der unteilbaren Urlinie mit der zweigeteilten
BaBbrechung (I-V-I, erweitert durch II oder IV) sah
Schenker den Inhalt aller Musik. Denn der U. als Hin-
tergrund wirke durch die ihn auskomponierenden
Stimmf iihrungs- oder Verwandlungsschichten des Mit-
telgrundes bis in den Vordergrund, dieEnderscheinung
des Werkes. Welche Gestalt dieser Vordergrund auch
immer haben mag, es ist der U. des Hintergmndes, der
Mittelgrund der Verwandlungsschichten, die ihm die Ge-
wahr naturorganischen Lebens bieten (Schenker 1935);
man vergleiche imWalzer op. 39 Nr 1 von Brahms den
U. und die ersten beiden Schichten des Mittelgrundes
mit dem Anfang des noch nicht diminuierten Vorder-
grundcs (untenstehendes Beispicl nach Schenker 1935).
In der Fiille bzw. im Mangel organischer Zusammen-
hange zwischen Vordergrund und Hintergrund sah
Schenker das Kriterium der Qualitat einer Komposi-
tion. Seine Analysen sind jedoch nicht so zu verstehen,
als habe der Komponist zunachst den U. aufgestellt und
Auskomponierungsschichten daraufgesetzt. Uber den
(= dis moll: IV
1010
US-amerikanische Musik
SchaffensprozeB sagen die Reduktionen nichts aus. Sie
wollen vielmehr dem angehenden Komponisten, dem
Interpreten und Horer helfen, sich groBer musikali-
scher Zusammenhange bewuBt zu werden und dadurch
zu einem besseren Verstandnis der Meisterwerke zu ge-
langen. Allerdings fehlt der von Schenker angewen-
deten Reduktionstechnik die wissenschaftlich exakte
Begriindung.
Lit.: H. Schenker, Der Tonwille, 10 H., Wien 1921-24;
ders., Das Meisterwerk in d. Musik, 3 Bde, Munchen
1925-30; ders., Fiinf Urlinien-Tafeln, Wien 1932; ders.,
Neue mus. Theorien u. Phantasien III : Der f reie Satz, Wien
1935, 2 1956 hrsg. v. O. Jonas; O. Jonas, Vom Wesen d.
mus. Kunstwerkes, Wien 1934; Der Dreiklang, hrsg. v.
dems. u. F. Salzer, 9 H., Wien 1937-38; A. Katz, Challenge
to Mus. Tradition, NY 1945; M. Mann, Schenker's Con-
tribution to Music Theory, MR X, 1949; H. Federho-
fer, Beitr. zur mus. Gestaltanalyse, Graz, Innsbruck u.
Wien 1950; ders., Die Funktionstheorie H. Riemannsu. d.
Schichtenlehre H. Schenkers, Kgr.-Ber. Wien 1956; ders.,
H. Schenker, Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962); F. Sal-
zer, Structural Hearing, 2 Bde, NY 1952, deutsch Wil-
helmshaven 1957. ESe
Urtext ist der Text eines Werkes, der aus einer oder
mehreren Quellen erschlossen wird; er entspricht da-
her nicht immer den im ->■ Autograph oder -*■ Erst-
druck iiberlieferten Lesarten. Die U.-Ausgabe ist mog-
licherweise das Ergebnis einer Synopsis von autogra-
phen Skizzen und vollstandigen Niederschriften, Ab-
schriften von Kopistenhand, Erstdrucken und spater
f olgenden Originalausgaben mit ihren Korrekturbogen
unter Beriicksichtigung weiterer Quellen (z. B. brief-
liche Mitteilungen des Autors, zeitgenossische AuBe-
rungen). Die Feststellung des auf Grund der Quellen-
lage oft nur zu vermutenden U.es ist eines der Ziele je-
der kritischen Denkmaler- oder Gesamtausgabe. Wah-
rend sich diese jedoch nur selten U.-Ausgaben nennen
(Neue Bach-Ausgabe, die gleichzeitig fur die Praxis
bestimmt ist), ist dieser Begriff auf dem Gebiet der
praktischen Ausgabe gelaufig. Die so bezeichneten
Ausgaben, meist Werke der klassischen und romanti-
schen Kammermusik, beanspruchen damit, die vom
Komponisten gewollte textliche Endgestalt wiederzu-
geben, von einer gewissen Modernisierung des Noten-
bildes und dem vom Herausgeber hinzugefiigten und
kenntlich gemachten Beiwerk technischer Spielhilfen
(Fingersatz, Bogenstrich) abgesehen. Sie wollen damit
deutlich von Bearbeitungsausgaben unterschieden sein,
bei denen der authentische Text interpretierend vom
Bearbeiter verandert ist (-*■ Phrasierung). Die Reihe
U. classischer Musikwerke, herausgegeben 1895-99 von
der Koniglichen Akademie der Kiinste zu Berlin, ver-
wendet die Bezeichnung U. erstmalig.
Lit.: G. Henle, t)ber d. Herausgabe v. U., Musica VIII,
1954; G. Feder u. H. Unverricht, U. u. Urtextausg., Mf
XII, 1959; G. v. Dadelsen, Die »Fassung letzter Hand«
in d. Musik, AMI XXXIII, 1961; E. Badura-Skoda,
Textual Problems in Masterpieces of the 18 th and 19" 1
Cent., MQ LI, 1965 ; W. Hess, Editionsprobleme bei Beet-
hoven, SMZ CV, 1965.
Uruguay.
Lit. : L. Ayesiaran, La musica en el U., 2 Bde, Montevideo
1 953 ; H. Balzo, Divulgation de la musica en el U., Boletin
Interamericano de musica Nr 3, 1958 ; P. Mane Garz6n, El
hombre y el medio miis. en el U. de hoy, Montevideo 1959.
US-amerikanische Musik. Wenn man von der Mu-
sik der Ureinwohner des nordamerikanischen Konti-
nents absieht (-> Indianermusik), gibt es eine spezifisch
»amerikanische« Musik erst in jiingster Zeit. Die natio-
nalamerikanische Kunst- und Unterhaltungsmusik be-
ruht auf der Volksmusik der weiBen Amerikaner, die
schon iriih gegeniiber ihren europaischen Urspriingen
Eigenstandigkeit gewann. Daher ist die Geschiqhte der
Musik in Amerika eng mit derEntwicklung der Volks-
musik verbunden. Die ersten Siedler in Neuengland
waren Puritaner, die auBer dem Gesang metrischer
Psalmen keine Musik in der Kirche duldeten und gegen
weltliche Musik Vorurteile hatten. In anderen reli-
giosen Gemeinschaften entwickelte sich dagegen im
18. Jh. ein reiches kirchliches Musikleben, so bei den
Quakern, Baptisten und Herrenhuter Briidern in Penn-
sylvania. Die deutschen Kolonisten Pennsylvanias hat-
ten bereits 1744 ein Collegium musicum und pflegten
Kirchen-, Kammer-, Orchester- und Chormusik. Auch
die Anhanger der anglikanischen Kirche bekundeten
eine tolerantere Haltung gegeniiber der geistlichen und
weltlichen Musikpflege. Noch aufgeschlossener waren
die nicht aus Glaubenseifer, sondern aus Geschafts-
interesse in den Siidstaaten angesiedelten Europaer, vor-
wiegend romanischer Herkunft. - Die ersten offent-
lichen Konzerte fanden in Boston 1731, Charleston
1732 und New York 1736 statt. Philadelphia wurde
seit 1755 das Zentrum einer lebhaften Musikpflege und
brachte den ersten in Amerika geborenen Komponisten,
Fr. Hopkinson, hervor, der seine Seven Songs for the
Harpsichord 1788 George Washington widmete. Ein-
heimische Dilettanten und europaische Berufsmusiker
entwickelten gemeinsam das Musikleben des 18. Jh. in
den Stadten langs der Atlantikkiiste, wobei die einhei-
mischen Ktinstler mehr die volkstumliche Unterhal-
tungsmusik und das geistliche Lied pflegten, wahrend
das Konzert- und Opernwesen bis weit ins 19. und
20. Jh. hinein iiberwiegend von gastierenden Kiinst-
lern aus der Alten Welt bestritten wurde. - Mit der
wirtschaftlichen Entwicklung und der territorialen
Ausbreitung der Besiedlung nach dem Westen hielt ei-
ne Ausweitung des offentlichen Musiklebens Schritt, an
der der Zirkuskbnig Barnum als Musikveranstalter nicht
weniger beteiligt war als der nicht minder geschafts-
tiichtige Komponist und Musikorganisator Lowell Ma-
son (1792-1872), Grunder der Boston Academy of Mu-
sic (1832) und Herausgeber der Handel und Haydn So-
ciety's Collection of Sacred Music, die 22 Auflagen er-
reichte. Neben die Kunst- und Kirchenmusik trat im 19.
Jh. eine volkstumliche Musikpflege, die in den Minstrel-
shows eine amerikanische Spezialitat hervorbrachte
(-»■ Minstrelsy). Der bekannteste Minstrel war St.
Foster, dessen Lieder zu Volksliedern der Amerikaner
wurden. Ihr negroider Gehalt beruht auf Nachahmung
mehr der Stimmung als der Formung. Bis in die Ge-
genwart hinein uberschneiden sich im ->• Negro spiri-
tual weiBe und schwarze Stilmomente. Der Biirger-
krieg (1861-65) brachte eine Vertiefung des National-
bewuBtseins, die sich in einer Fiille von volkstumlichen
Liedern und Marschen aufierte. Aus der Verschmel-
zung der Volksmusikarten der verschiedenen Einwan-
derergruppen, in denen neben dem britischen Mutter-
land alle Volker des europaischen Kontinents vertreten
waren, entstanden neue Volkslieder und -tanze. Die iip-
pige und f arbenreiche Volksmusik der Kreolen im Siiden
der Staaten wirkte auch auf die stadtische Musikkultur
und fand ihren Niederschlag in der Kunstmusik Loui-
sianas, so vor allem bei L. M. Gottschalk.
Zur Zeit der Entstehung nationaler Kunstmusikschu-
len in Europa bildeten sich auch in den USA Bestre-
bungen heraus, im AnschluB an die amerikanische Folk-
lore eine nationale amerikanische Musik zu schaffen.
E. McDowell gilt vielfach als das Haupt dieser ersten
amerikanischenKomponistengeneration, besonders mit
seiner 2. Orchestersuite iiber indianische Themen. Noch
aber gait Europa als Vorbild. Die um das Musikzen-
trum Boston gruppierten Komponisten vonJ.K. Paine
bis zu D.G.Mason und E.Nevin pflegten einen auf
deutschen Traditionen aufbauenden Klassizismus ohne
64»
1011
US-amerikanische Musik
nationales Kolorit. Bis zur Jahrhundertwende blieb
Deutschland fiir die amerikanischen Komponisten die
geistige Heimat. Spater gewann der franzosische Im-
pressionisms den groBeren EirifluB. Europaische Vir-
tuosen, Dirigenten und Padagogen wirkten in Amerika
auch dann noch, als der nationale Aufschwung der
amerikanischen Musikpflege schon zur Griindung eige-
ner Musikhochschulen (-> Konservatorium) und Sym-
phonieorchesterfiihrte (New York 1842, St. Louis 1880,
Boston 1881, Chicago 1891, Philadelphia 1900). -Eine
neue Welle nationalen Musikschaffens in Amerika wur-
de veranlaBt durch Dvoraks Aufenthalt in den USA.
Es fand seinen Ausdruck in einer ersten ernsthaften Be-
schaftigung mit der Volksmusik der Amerikaner aller
Rassen und in der Begriindung einer eigenen Kunst-
musik. Im AnschluB an die in der Alten Welt ent-
wickelten neuen Formen und Stile entstand im 20. Jh.
durch Auspragung nationaler, in der Folklore ver-
wurzelter Ziige eine spezifisch amerikanische Form der
Neuen Musik. Hand in Hand damit ging die Aufnah-
me von Musiziergut und Auffiihrungspraktiken der
Neger in die Unterhaltungsmusik und die Entwick-
lung des -*■ Jazz. Dieser wirkte sich in Amerika erst seit
der Rhapsody in Blue (1924) von G.Gershwin in der
gehobenen Unterhaltungs- und Kunstmusik aus. Von
der Schlagermusik herkommend, wurde Gershwin der
fiihrende Komponist einer neuen amerikanischen, auf
Jazzelementen aufbauenden volkstiimlichen Musik. In
seiner Negeroper Porgy and Bess (1935) sind Elemente
der amerikanischen Negerfolklore mit Jazzelementen
und den Stilmitteln der modernen Oper verwoben.
Der Jazz hatte inzwischen langst internationale Ver-
breitung gefunden; er ist der wichtigste Beitrag Ame-
rikas zur Musik des 20. Jh. und die originellste Stil-
schopfung der Neuen Welt. - Auch andere amerika-
nische Komponisten bezogen Jazzelemente in ihre
Kompositionen ein, so A.Copland, eine der vielsei-
tigsten Personlichkeiten der US-a.n M. Aus der Gruppe
der »Amerikanisten«, die haufig folkloristische Stoffe
und Themen verwenden, sind R. Harris, E. Nevin, J. A.
Carpenter und der SchweizerE.Bloch (seit 1916 in den
USA) auch in Europa bekannt. Der spatromantischen
Tradition enger verbunden sind H. Hanson, W. Piston
und S.Barber. Zwischen Tradition und Fortschritt be-
wegen sich Ch. Griffes, R. Sessions und V.Thomson.
Eine Sonderstellung nimmt Ch. Ives ein, der noch vor
Schonberg und Strawinsky atonale und polyrhyth-
mische Musik schrieb. Wie die »Amerikanisten« kom-
ponierte er Programmusik iiber nationale Stoffe (Con-
cord, Massachusetts, 1840-60; Three Places in New Eng-
land; Orchestral Set; Holidays, u. a.), teilweise unter
Verwendung von Bruchstucken aus vaterlandischen,
Volks- und Kirchenliedern. Seine Hauptwerke erlang-
ten erst Jahrzehnte spater offentliche Anerkennung,
nachdem der Expressionismus, der zur Zeit seines Her-
vortretens in Europa in der Neuen Welt ohne Echo
blieb, nach der Emigration zahlreicher f iihrender euro-
paischer Komponisten in Amerika allgemein bekannt
wurde. Die in den 1930er Jahren einsetzende Einwan-
derungeuropaischer Komponisten wieSchonberg, Stra-
winsky, Hindemith, Bartok, Kfenek, Milhaud, Toch,
Martinu, Castelnuovo-Tedesco, Korngold u. a. regte
auch diejungen Amerikaner zuExperimenten in atona-
ler Musik und Zwolftonmusik an (List, Kahn, Perle,
Kerr, Voss u. a.). G. Antheil, Schiiler von Bloch, emp-
fing die Anregung fiir seine Gerauschmusik (Ballet
mecanique, 1924 fiir 16 Kl. und Schlagzeug) im Europa
der 1920er Jahre. Auch H.D.Cowell ist fiir seine
Klang- und Rhythmusexperimente nicht erst durch die
europaischen Emigranten gewonnen worden. Sein
Schiiler J. Cage, der spater auch bei Schonberg in Los
Angeles studierte, ist als Erfinder des -> Prepared piano
und durch Kompositionen fiir Schlagzeugorchester be-
kannt geworden. Der Autodidakt Harry Partch (* 1910)
experimentierte mit instrumentalen Klangfarben und
Mikrotonen. Serielle und aleatorische Techniken ver-
wenden E. Brown und M. Feldman. G.-C. Menotti (seit
1928 in den USA) ist der bekannteste lebende Opem-
komponist Amerikas. Sein auf die Belange der Opern-
biihne ausgerichtetes, der italienischen Opemtradition
im Sinne Puccinis verhaftetes Schaffen stellt ihn in Ge-
gensatz zu der Gruppe der genannten Modernisten und
mehr in die Nahe der Schopfer des -> Musicals. Der
1908 geborene E. Carter verarbeitete in eigenstandiger
Weise Anregungen verschiedenster Richtungen. G.
Schuller (* 1925) versucht in seinen Experimenten,
Elemente des Jazz, namentlich die Improvisation im
Ensemble, und die von Europa gepragte Kunstmusik
derart zu integrieren, daB aus beiden gleichwertigen
Stromen ein »Third Stream« entsteht.
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gieters, Culemborg 1963.
1013
V
V, Abk. : - 1) v. = vox (lat., -> Stimme - 1), voce
(ital.), voix (frz.), voice (engl.); z. B. 3 v. = tribus
vocibus, trium vocum (lat., fiir 3 Stimmen, dreistim-
mig); - 2) V. = Violine; - 3) -> v. s.; - 4) W -* Ver-
sus (- 3), .-> Versikel.
Vagans (lat., der Wandernde) bezeichnet im spaten
15. und im 16. Jh. eine Stimme, die zur regelhaften
Vierstimmigkeit hinzukommt. Da die VierzabJ der den
Hauptstimmen (Diskant, Alt, Tenor, BaB) eigenen
Klauselformen und Stimmlagen nicht zu erweitern
war, trat der V. jeweils als 2. Stimme in der Stimmlage
einer der Hauptstimmen auf . Neben Alt II oder BaB II
findet sich selten auch Diskant II. Am haufigsten er-
scheint der V. jedoch als Tenor II in der tieferen Tenor-
lage, weshalb Praetorius (Synt. Ill, S. 259) schreibt, V.
sei von den Alien im Sinne von -*■ Bariton (- 2) ge-
braucht worden. Nach Stimmumfang und Stimmfiih-
rung unterscheidet sich der V. kaum von den iibrigen
Stimmen. Vollstimmige Kadenzen jedoch zeigen seine
Sonderstellung, da hier der V. die Hauptklauseln, die
gewohnlich durch die Hauptstimmen besetzt sind, ab-
andern muB (meist zur Terz des Zielklangs hin) und
somit oft als klangfiillende Stimme verwendet wird
(z. B. bei J.Walter). Die Bezeichnung V. bezieht sich
darauf, daB diese Stimme keinen festen Ort hat und
daher von Werk zu Werk in eine andere Stimmlage
»wandern« kann (wobei auch das Stimmbuch des V.
zu einem anderen Sanger »wandert«).
Vaganten (von lat. vagari, umherschweifen). Mit dem
Entstehen neuer Bildungsstatten (Universitaten) und
-f ormen im 12. Jh. kam ein neuer Typus des Studenten
und Gebildeten (clericus) auf, der in einer gewissen
Unabhangigkeit und Weltlichkeit zu leben versuchte
oder zu leben gezwungen war. Soziale Stellung und
moralische Bewertung dieser Clerici vagantes oder va-
gi (wie sie in mittelalterlichen Statuten, Synodalakten
und dergleichen bezeichnet werden) waren nach Per-
son, Land und Zeit unterschiedlich. So stellten die Go-
liarden, die ihnen zuzurechnen sind, eine niedere Stufe
des Vagantentums dar. Gestiitzt auf mittelalterliche
Zeugnisse werden unter den V. die Verfasser der iiber-
wiegend anonymen Lieder und Spruchdichtungen ge-
sucht, wie sie in einigen mittelalterlichen Sammelhand-
schriften (Cambridger Lieder, -> Carmina Burana)
uberliefert sind. Es sind mittellateinische (auch einige
mischsprachige) Spiel-, Trink- und Liebeslieder, sin-
nenfreudig und schlicht im Ton. Trotz mancher ge-
lehrter Beziehung zu den romischen Elegikern und zur
antiken Mythologie sind sie doch unmittelbar im Er-
lebnisausdruck und gegenwartsbezogen in den Streit-
gedichten, in Parodien auf kirchliche Institutionen und
in Satiren. Zu den wenigen namentlich bekannten V.-
Dichtern gehoren Hugo von Orleans (genannt Primas),
Gautier de Chatillon und der ->■ Archipoeta. Ein for-
males Kennzeichen dieser Lieder ist die sogenannte V.-
Zeile, eine rhythmisch gegliederte Langzeile, die aus
einem steigenden 7- und einem fallenden 6Silbler be-
steht, z. B. : Mium ist propdsitilm in tabirna mSri. Die V.-
Strophe besteht aus 4 meist gleichgereimten V.-Zeilen.
In der mittelhochdeutschen Lieddichtung erscheint die
V.-Zeile recht haufig, und zwar als 8hebige Langzeile
mit der Versgrenze vor der 5. Hebung. Sie lebt auch im
Studentenlied (z. B. Gaudeamus igitur) fort. Melodien
zu der mittelalterlichen V.-Lyrik sind in linienlosen
Neumen uberliefert.
Lit. : O. Schumann, Einleitungzu: Carmina Burana, hrsg.
v. A. Hilka u. O. Schumann, II, 1, Heidelberg 1930; M.
Bechthum, Beweggriinde u. Bedeutung d. Vagantentums
in d. lat. Kirche d. MA, = Beitr. zur ma., neueren u. allge-
meinen Gesch. XIV, Jena 1941; Vagantendichtung, hrsg.
u. iibers. v. K. Langosch, = Fischer Bucherei, Exempla
Classica LXXVIII, Ffm. u. Hbg (1963).
Valencia.
Lit.: Fr. J. Blasco, La musica en V., Alicante 1896; J.
Ruiz de Lihory, La musica en V., Diccionario biogr. y
critico, V. 1903; J. Sanchis Sivera, Organeros medievales
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Perez- Jorge, La musica en la provincia franciscana de V.,
V. 1951 ; J. Amades, Las danzas de espadas y de palos en
Catalufla, Baleares y V., AM X, 1955.
Variable Metren nennt B.Blacher (Ornamente fiir
Kl. op. 37, 1950) die Verwendung des Taktwechsels als
formbildendes Mittel. Die dabei entstehenden iiber-
geordneten metrischen Einheiten werden nach ma-
thematischen Gesetzen geformt; so beruht die Anord-
mmg der Takte in
Blachers Ornament
fur Kl. Nr 1 auf der
einfachen arithme-
tischen Reihe (u. a.
234...9undriick-
laufig) :
Vivace a) - 108-112
234...898...32«h
m
m
m
i» ^Y
Die rhythmische Struktur des Einzeltaktes sollte bei
Anwendung V.r M. jedoch so einfach sein, daB die be-
absichtigten metrischen GroBzusammenhange deutlich
horbar werden. Blacher rat daher, V. M. nicht mit Ka-
non- oder Fugentechnik zu verquicken. Andere Werke
Blachers mit V.n M. sind z. B. der Dialog fiir Fl., V.,
Kl. und Streichorch. (1951) und das Ornament fiir Orch.
op. 44 (1952). V. M. kommen auch bei K. A. Hartmann
(Konzert fiir Kl., Blaser und Schlagzeug, 1954, und
Konzert fur Va mit Kl., 1956) und bei H.W.Henze
(Streichquartett, 1952) vor.
Lit. : B. Blacher, Ober variable Metrik, Osterreichische
Musikzs. VI, 1951.
1014
Variation
Variante, s. v. w. vom Original abweichende Lesart
ein und derselben Stelle eines literarischen oder musi-
kalischen Textes; speziell - 1) die (im Unterschied zur
eigentlichen -*■ Variation) von der Originalgestalt nur
in Einzelheiten abweichende Version eines Themas,
eines Rhythmus, einer Akkordfolge usw. innerhalb
desselben Werkes; vgl. die Originalgestalt des Haupt-
themas im 1. Satz von Schuberts Klaviertrio in Es dur '
(D 929)
mit einer am Ende der Durchfiihrung auftretenden V.
(Takt369ff.): _^
- 2) nach H. Riemann (in seinen spateren Schriften) die
durch Veranderung der Terz (groB statt klein, klein
statt groB) substituierte Durform des Molltonika-Drei-
klangs oder Mollform des Durtonika-Dreiklangs. Der
Ausdrack V. ist hier deshalb gewahlt, weil bei solcher
Substitution gewbhnlich keine eigentliche Modulation
stattfindet, sondern die bleibende Tonart nur plotzlich
heller bzw. dunkler wird. Solche Wendungen zur V.
sind z. B. auch die entlehnten Trugschliisse D-Tp + in
Moll und D-3 5 in Dur. Die Uberschrift ->■ Maggiore
bzw. -> Minore zeigt an, daB der betreffende Satz oder
Satzteil zur V. iiberspringt.
Variation (lat. variatio, Veranderung) ist im Sinne
der Veranderung eines Gegebenen ein Grundprinzip
der Gestaltung des Klingenden, wohl bei alien Volkern
zu alien Zeiten (->■ Maqam, ->• Patet, -> Raga). Dabei
sind die Arten des Gegebenen so vielfaltig wie die Wei-
sen des Veranderns, das stets eine hohere Art des Wie-
derholens ist und auch in der abendlandischen Musik
die Erfindung bestandig durchdringt und die Quelle
unzahliger Formgebungen darstellt. Ein in sich Sinn-
voiles - eine Tonfolge (etwa als Soggetto, Thema oder
Lied) oder eine Klang- oder Akkordfolge - wird noch
einmal dargeboten und dabei verandert in der Weise
des Ausschmiickens oder Vereinfachens, des Verkiir-
zens oder Umstellens, der harmonischen oder rhyth-
misch-metrischen Umpragung oder des Versehens mit
Zusatzstimmen, doch immer so, daB das Gegebene
noch kenntlich bleibt. Das geistvolle Spiel des Umge-
staltens gibt zugleich als f ormbildende Kraft dem mu-
sikalischen Verlauf Zusammenhang, Gliederung und
FaBlichkeit und vermag die asthetische Forderung der
Varietas, der Mannigf altigkeit in der Einheit, besonders
sinnfallig zu erfiillen. Dabei braucht' das Gegebene als
Grundgestalt oder Modell kein wirklich Vorangestell-
tes zu sein, sondern kann als ein tradiertes Vorgestelltes
(z. B. ein harmonisches Modell) von vornherein vari-
iert auftreten; und das Gegebene braucht nur ein kon-
stantes oder selbst variables Element (z. B. eine Melo-
die), nicht aber mehrere Faktoren der wiederholend
fortschreitenden Darstellung (z. B. auch die Harmo-
niefolge) auszumachen. An der Geschichte der Musik
laBt sich beobachten, daB V. ihrem Wesen nach primar
der Improvisation und dem Instrumentalspiel zugehort
und oftmals erst von daher in den Bereich der Kompo-
sition aufriickt und von der Vokalmusik iibernommen
wird. In eben dem MaBe, wie die Musik in ihrer Ge-
schichte sich darstellt als Weg zur Komposition in ei-
nem sich steigernden Sinne und damit zugleich als Weg
zur Instrumentalisierung, gewinnt die V. als Prinzip
und Form an Gestaltung.
Zu unterscheiden sind das Variieren als Technik inner-
halb einer Form, ferner die verandernde Darbietung
(variierende Bearbeitung) eines vorgegebenen Ganzen
und die Form der V.en-Folge, die selbstandig oder als
Teil eines groBeren Ganzen auftreten kann. - Histori-
sche Arten des Variierens als Res facta innerhalb einer
Form sind im Mittelalter z. B. der variierende -»■ Co-
lor (- 2) im Sinne der veranderten Melodiewiederho-
lung sowohl in Choral und Lied als auch in den Ober-
stimmen von Conductus, Organa, Klauseln und Mo-
tetten; im Barock u. a. jene Arten von Figuren, bei
denen eine Tongruppe auf gleicher Stufe mit nach-
driicklichem Zusatz (-> Paronomasia) oder auf anderer
Stufe mit veranderter Fortfiihrung (-> Polyptoton)
wiederholt wird, besonders aber die Figur der Variatio
selbst (ital. passaggio oder coloratura), bei der anstatt
einer grofi en Note mehr kleinere durch allerhand Gange und
Sprunge zu der ndchstfolgenden Note eilen (Chr. Bernhard,
Tractatus . . . , ed. Miiller-Blattau, S. 73) ; hierher ge-
horen auch Transitus, Accentus (= Superiectio), Sub-
sumptio (ital. cercar della nota) und viele andere, auch
Gruppo, Circolo mezzo, Tirata, Trillo usw., die ihren
Ursprung im improvisierenden Gebrauch beim Vor-
trag der Instrumentalisten und Sanger haben, zumal
in der Manier des Cantar passaggiato, die durch -> Di-
minution (- 2) oder ->■ Koloratur geschieht. Auch die
Veranderungen etwa beim Dacapo der Arie, Solo des
Concertos, Refrain (Ritornell) des Rondeaus (Rondo)
und bei der Reprise der Sonatensatzform sind V.en in-
nerhalb einer Form; und mit der Kunst der V. beruhrt
sich die Technik der ->■ Fortspinnung, die ->■ Themati-
sche Arbeit, die Themenmetamorphose (J.S.Bachs
Musicalisches Opfer und Kunst der Fuge), auch die -»• Leit-
motiv-Abwandlung bei Wagner.
Beispiele fiir die variierende Bearbeitung eines vorbe-
stehenden Ganzen bieten Bearbeitungen von Liedsat-
zen mittels -* Kolorierung und Diminution (z. B. die
Transkriptionen von Trecentoliedsatzen fiir Tastenin-
strument im Codex Fa; ->■ Quellen), ferner die oft iiber
Chansonvorlagen gebildete Parodie-(Transkriptions-
oder Modell-)Messe des 15. und 16. Jh. und die auch in
Aufzeichnungen festgehaltene kolorierte Form von
Madrigalen und Arien zur Zeit der Nuove musiche um
1600. - Der V.en-Folge nahe steht im Spatmittelalter
die isorhythmische Motette, die an die mehrfache
»Durchfiihrung« eines Tenorcantus in Klauseln und
Motetten des 13. Jh. anknupft und - indem sie zum
Vortrag in Textstrophen bestimmt ist - in der Art ei-
ner Strophenform gleichrhythmische Perioden jeweils
andersartig gestaltet. Im 15. und 16. Jh. sind in der Te-
normesse die Ordinariumssatze iiber dem gleichen C. f .
gebildet. Doch die V. als eigentliche V.en-Folge, nam-
lich als Paar oder Reihe veranderter Satze (wofiir dann
kurz nach 1600 der Terminus V. in seinem bis heute
ublichen Sinne aufkam), ruckte zu Beginn des 16. Jh.
in den Bereich der fiir Instrumente bestimmten Nie-
derschrift und Komposition ein im AnschluB an die
improvisierende V. in der Tanzmusik, wie sie u. a. in
der Praxis der durch Umrhythmisierung gewonnenen
Tanzpaare (->• Suite) und im Stegreifspiel iiber den Te-
nores der Basses danses des 15. Jh. vorgebildet ist. Die
friihesten Belege der V.en-Folge bieten in Italien die
Lautentabulaturen von Fr. Spinaccino (1507), J. A. Dal-
za (1508) und Fr.Bossinensis (Tenori e contrabassi inta-
bulati, 1509) und in Spanien die Tabulaturen fiir Vihuela
von L.Milan (1535) und L. de Narvaez (1538) sowie
die Lehrbeispiele im Tratado deglosas . . . (1553) des ab
1555 in Neapel wirkenden D.Ortiz. Einen friihen
Hohepunkt bUdete die V.s-Kunst Frescobaldis, die be-
sonders durch dessen Schiiler Froberger auf Siid- und
Mitteldeutschland ausstrahlte, wahrend die spanische
Tradition der Diferencias wohl unmittelbar durch A.
de Cabezon (der 1554-56 im Gefolge Philipps II. in
1015
Variation
London weilte) entscheidend auf die englischen Vir-
ginalisten der Elisabethanischen Zeit einwirkte. In de-
ren hochentwickelter Art und Technik der V. sowie im
Werk des Niederlanders Sweelinck wurzelt die mittel-
und norddeutsche Kunst der kontrapunktischen Cho-
ral- V. (-> Choralbearbeitung - 2) im Werke Scheidts,
Scheidemanns, Weckmanns, Buxtehudes, Bohms.
Sowohl die italienisch-siiddeutsche StrophenbaB-, Osti-
nato- und Lied-V. (Partita) wie die auf Oberstimmen-
diminution beruhende Tanz-V. (Double) der franzosi-
schen Clavecinisten und die mittel- und norddeutsche
Choral-V. begegnen und vereinen sich in Bachs V.s-
Werken, -Prinzipien und -Benennungen: Aria variata
alia maniera italiana, BWV 989; Aria mit verschiedenen
Veraenderungen (Goldberg-V.en), BWV 988; Violin-
chaconne in BWV 1004; Doubles z. B. in der H moll-
Partita fur V. solo, BWV 582; Choralpartiten, BWV
766-770. Wesentlich fur die -*■ Partita, die eine Aria
variiert, ist die Folge von Teilen (parti) iiber ein und
dasselbe BaBmodell, das sich zumeist durch tanzlied-
hafte Periodik und tonalharmonische Kadenzschritte
auszeichnet, nicht selten diminuiert auftritt und als
-> Ground auch durch die Stimmen wandern kann.
Die bekanntesten derartigen Tanz- oder LiedbaBmo-
delle, offenbar italienischer Herkunft, sind der Passa-
mezzo antico und moderno, die Romanesca und Folia
und der Ruggiero (-> Arie). In deren Nachbarschaft
stehen die wechselnden Ostinatoformeln der Chaconne
und Passacaglia. Mit der Wiederholung der ostinaten
oder strophenartigen Basse verbindet sich oft eine mehr
oder weniger konstante Harmoniefolge (die, wie bei
Frescobaldi, ihrerseits auch wieder die BaBschritte ver-
andern kann) und haufig eine Oberstimmenmelodie,
die variiert wird. Der franzosische ->■ Double bleibt im
wesentlichen gebunden an den Tonsatz bzw. an das
liedartige, die Oberstimmenmelodik betonende Air
und an die Wiederholung des Simple im klar durch-
schaubaren V.s-ProzeB des Diminuierens. Eine Folge
von Choral-V.en heiBt oft auch Partita, da ihr konstan-
ter Faktor eine Liedmelodie ist; doch ihr Wesen wird
bestimmt durch die organistische Tradition des Kolo-
rierens und der kontrapunktischen C. f.-Bearbeitung
mit ihrem Mensurspiel der Augmentation und Dimi-
nution, ihrer Kunst des Imitierens und ihrer relativ ge-
bundenen Fuhrung der Stimmen, wobei die charakter-
voll kontrastierende Gestaltung der Verse dann bei
Bach im Sinne der Musica poetica dem Gehalt der
Textstrophen entsprechen kann. Als Arten barocker
V.s-Kunst seien auch erwahnt die Orchestersuite in
V.s-Form (Schein, Peuerl u. a.) und die GeneralbaB-V.,
wie sie Fr.E.Niedt in seiner Handleitung zur V. (1706)
lehrt. Kennzeichen der barocken V.en-Folge insgesamt
ist die Reihung, das Nebeneinanderstellen von Teilen,
bei denen je ein oder mehrere tradierte, in Spiel und
Konstruktion griindende Prinzipien der V. gehand-
habt, in einmaliger Verwirklichung dargeboten und
zugleich historisch weitergefiihrt werden. Dabei aber
verbinden sich die Teile zum Zyklus nicht nur zufolge
der konstanten Faktoren, sondern auch auf Grund eben
dieses handwerklichen Darbietens und Ausschopfens
von V.s-M6glichkeiten, nicht selten unter Einbeziehung
des Situationswechsels, auch etwa des Kontrasts, der
Steigerung oder des Zuriickkehrens zum Anfang.
An die Stelle der V.s-Reihe, die als Melodiethema mit
V.en seit dem spateren 18. Jh. und besonders bei C.
Ph.E.Bach, J.Haydn und W.A.Mozart durch The-
menumpragungen, freie Episoden, Kontrastbildungen
(Adagio-V.) und Codateil einen das Psychische akti-
vierenden Verlauf gewann und nun mit Vorliebe auch
als Satz in zyklischen Instrumentalwerken verwendet
wurde, drang vor allem seit Beethoven in zunehmen-
dem MaBe der Entwicklungsgedanke in die V. ein: das
Thema wird als Charakter aufgefaBt, der sich in den
V.en expressiv und dramatisch entfaltet; und in sol-
chem Entwicklungsgang wird das Thema selbst in
Richtung neuer Ausdruckswerte verwandelt und ge-
sprengt, zuweilen auch nur die Harmoniefolge zum
einzigen konstanten Faktor der Aussage erhoben. Stellt
sich die V. bei Schubert - der in der Vokalmusik ein
Meister des variierten Strophenliedes ist - und Men-
delssohn Bartholdy mehr als eine Folge von Stim-
mungsbildern dar, so erlangt die poetisch konzipierte
Charakter- V. ihren Hohepunkt bei R. Schumann, der
weniger das Thema als dessen Motive zu immer wie-
der neuer Gestalt und Beleuchtung fiihrt und mit die-
sem Verfahren eine ausgedehnte Literatur von Fantasie-
V.en eroffnete, wahrend sich Brahms und Reger we-
sentlich teils an der symphonischen V.s-Art Beetho-
vens, teils am Vorbild Bachs orientiert zeigen. - Die in
spater tonaler Musik (z. B. in Debussys Jeux) vorhan-
dene perpetuelle V. (oder »Durchfuhrung«) ist in der
Zwolftontechnik Prinzip. Die Erkennbarkeit des The-
mas aber ist in der athematischen Kompositionsart
nicht mehr vorhanden; hier fiihrt sich . . . dies Prinzip
der V. selbst zu Ende, . . . woes bei den Elementen, den Tb-
nen und Interv alien ansetzt (Stockhausen 1963, S. 73).
Den geschichtlichen Zusammenhang mit der V. des
18./19. Jh. kniipf t hier (z. B. bei Webern, op. 21 , 27, 30)
primar die zyklische Form des V.en-Satzes, wahrend
bei Schonberg (op. 31) und Berg (Violinkonzert, Woz-
zeck) das aus der Reihe gebildete, auch rhythmisch pro-
filierte Thema den Zusammenhang der V.en unmittel-
bar faBbar macht. - Die Anwendung des Terminus V.
auf den genuinen -» Jazz (bis zur Swing-Ara) ist irre-
fuhrend. Was dort gewohnlich als »Thema mit V.en«
bezeichnet wird, hat andere Voraussetzungen als in der
Kunstmusik (-> Chorus).
Lit.: Fr. E. Niedt, Handleitung zur V. . . ., Hbg 1706,
2 1721 hrsg. v. J. Mattheson; O. Klauwell, L. van Beet-
hoven u. d. Variationsform, = Mus. Magazin III, Langen-
salza 1901 , Neudruck in : Studien u. Erinnerungen, ebenda
1906; Ch. Van den Borren, Les origines de la musique de
clavier en Angleterre . . . , Briissel 1 9 1 2, engl. London 1913;
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19; H. Swoboda, Die nachbeethovensche Variationen-
form, Diss. Prag 1923, maschr. ; H. Viecenz, tjber d. all-
gemeinen Grundlagen d. Variationskunst, mit besonderer
Beriicksichtigung Mozarts, Mozart- Jb. II, 1924; Fr. Blu-
me, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite im 15. u. 16.
Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; E. Reichert,
Die Variationsarbeit bei J. Haydn, Diss. Wien 1926,
maschr. ; V. Luithlen, Studie zu J. Brahms' Werken in
Variationenform, StMwXIV, 1927; R. Litterscheid, Zur
Gesch. d. Basso ostinato, Diss. Marburg 1928; R. Gress,
Die Entwicklung d. Klavierv. v. A. Gabrieli bis zu J. S.
Bach, = Veroff. d. Musikinst. d. Univ. Tubingen VI, Kas-
sel 1929; P. Mies, Die Chaconne (Passacaille) bei Handel,
Handel- Jb. II, 1929; ders., Stilkundliche Bemerkungen zu
Beethovenschen Werken, Neues Beethoven- Jb. VII, 1937;
ders., W. A. Mozarts Variationswerke . . . , AfMf II, 1937 ;
G. R. Dejmek, Der Variationszyklus bei M. Reger, Diss.
Bonn 1930; M. Friedland, Zeitstil u. Personlichkeitsstil
in d. Variationswerken d. mus. Romantik, = Slg mw. Ein-
zeldarstellungen XIV, Lpz. 1930; W. Schwarz, R. Schu-
mann u. d. V., Kassel 1932 ; J. M. Muller-Blattau, Beet-
hoven u. d. V., Neues Beethoven-Jb. V, 1933; ders., Ge-
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Stuttgart 1950; P. Coenen, M. Regers Variationsschaffen,
Diss. Bin 1935; R. v. Tobel, Die Formenwelt d. klass. In-
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Tasteninstrumentalstil im 17. Jh., dargestellt an Arie, V. u.
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1016
Vaudeville
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Paris (1949) ; R. U. Nelson, The Technique of V., = Univ.
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XL VIII, 1962; ders., Schoenberg's V. Seminar, MQ L,
1964; K. v. Fischer, Eroica-V. op. 35 u. Eroica-Finale,
SMZ LXXXIX, 1949; ders., C. Ph. E. Bachs Variations-
werke, RBM VI, 1952; ders., Die V., = Das Musikwerk
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Mozarts Klavierv., in: H. Albrecht in memoriam, Kassel
1962; ders., Zur Entstehungsgesch. d. Orgelchoralv., Fs.
Fr. Blume, Kassel 1963 ; J. Ward, The »Dollfull Domps«,
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u. Varianten in d. mus. Werken Fr. Liszts, Diss. Hbg 1959,
maschr.; I. Horsley, The Sixteenth-Cent. V., JAMS XII,
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Untersuchungen zur Variationstechnik bei J. Brahms,
Diss. Hbg 1960; R. Rhein, Fr. Schuberts Variationsweise,
Diss. Saarbriicken 1960; A. Albrecht, Die Klavierv. im
20. Jh., Diss. Koln 1961 ; W. F. Goebel, A. Weberns Sin-
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1 525 to 1750, MR XXII, 1961 ; W. Mohr, Uber Mischform
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1962; E. Apfel, Ostinato u. Kompositionstechnik bei d.
engl. Virginalisten ..., AfMw XIX/XX, 1962/63; Fr.
Dohl, Weberns Opus 27, Melos XXX, 1963; K. Stock-
hausen, Texte zu eigenen Werken, zur Kunst anderer,
Aktuelles, Bd II: Aufsatze 1952 bis 1962 zur mus. Praxis,
hrsg. v. D. Schnebel, Koln 1963. HHE
Varsovienae (varsovj'en, frz. ; ital. Varsoviana), eine
nach der Stadt Warschau benannte Abart der Mazurka,
die wahrscheinlich franzosischen Ursprungs ist und um
1850-70 in Frankreich und Deutschland sehr beliebt
war. Die V. steht im langsamen 3/4-Takt; charakteri-
stisch ist die Betonung der ersten Note jedes zweiten
Taktes, bei der die tanzerische Bewegung innehalt:
•JllJJJU JllJJJ U
* > >
Vatikanisches Konzil II (1962-65 unter Johannes
XXIII. und Paul VI.). Der Verlauf dieser fur das kiinfti-
ge Gefiige der romischen Kirche entscheidenden Ver-
sammlung wurde hauptsachlich von dem Gedanken
einer innerkirchlichen Reform bestimmt. Als erstes of-
fizielles Dokument verabschiedete das Konzil am 4. 12.
1963 die Constitutio de sacra Hturgia, die Grundlinien
fur eine Reform (generalis instauratio) der Liturgie.
Hierbei ist von zentraler Bedeutung, daB die Kirche,
unter »Wahrung der Einheit des romischen Ritus im
wesentlichen«, eine weitgehende Differenzierung im
einzelnen gestattet und daB die Ordnung der Liturgie
fortan auBer dem Apostolischen Stuhl innerhalb fest-
gelegter Grenzen auch dem jeweiligen Bischof oder
den Bischofsversammlungen zugebilligt wird (Artikel
37ff. und 22). Gegeniiber den liturgischen Entschei-
dungen des ->■ Tridentiner Konzils bietet die Konsti-
tution einen wesentlichen Neuansatz, in dessen Mittel-
punkt die Neuordnung von -> Messe und ->- Offizium
steht (letzteres mit -> Laudes und -> Vesper als den
Angelpunkten des taglichen Stundengebets). Um ein
tieferes Verstandnis und einen sinnvolleren Mitvollzug
der Liturgie unter den Glaubigen zu fordern, sind nun-
mehr neben dem Latein (als der offiziellen Kirchen-
sprache) auch die Volkssprachen zugelassen. Kapitel VI
befaBt sich ausschlieBlich mit kirchenmusikalischenFra-
gen. Nach Artikel 116 nimmt der -> Gregorianische
Gesang auch weiterhin die erste Stelle im Rahmen der
Liturgie ein, wenngleich »die Kirche alle Formen wah-
rer Kunst, welche die erforderlichen Eigenschaften be-
sitzen«, erlaubt (Artikel 112). Auf eine Klassifizierung
der katholischen -> Kirchenmusik (- 1) im Sinne alterer
Erlasse wird verzichtet; dem religiosen Volksgesang
wird breiterer Raum gewahrt. - Praktische Ausfiih-
rungsbestimmungen zur Konstitution sind in der von
einer postkonziliaren Kommission ausgearbeiteten In-
structio ad exsecutionem Constitutionis de sacra liturgia recte
ordinandam vom 26. 9. 1964 sowie in der Instructio de
musica in sacra Hturgia vom 5. 3. 1967 enthalten. Fiir alle
deutschen Diozesen gelten als verbindliche Ordnung
dieBeschlussederVollversatnmlungderBischqfe . . .Deutsch-
lands vom 6. 11. 1964 und die Richtlinien der deutschen
Bischofefiir die Feier der heiligen Messe in Gemeinschaft
(1965). Im Gefolge der Liturgiereform erschienen bis-
her nachstehende Ausgaben liturgischer Biicher (Edi-
tiones typicae): Kyriale simplex (1965), Cantus qui in
Missali Romano desiderantur iuxta Instructionem ad exse-
cutionem Constitutionis de sacra liturgia recte ordinandam . . .
(1965, mit den Melodieformeln fiir die neuerdings ge-
sungenen Teile der Messe) und Ritus servandus in con-
celebratione missae . . . (1965, Texte und Melodien des
Konzelebrationsritus), ferner der neue Ordo missae
(1965). Fiir den deutschen Sprachbereich wurde ein
Lateinisch-deutsches Altarmefibuch herausgegeben (Ein-
siedeln und Freiburg im Breisgau 1965L). - Das erste
V. K. (1869/70) blieb ohne Bedeutung fur Liturgie
und Kirchenmusik.
Ausg. : Constitutio de sacra liturgia : Acta Apostolicae Se-
dis LVI, 1964, auch in: Ephemerides liturgicae LXXVIII,
1964 (lat. Text mit anschlieflendem Kommentar), lat.-
deutsche Ausg., kommentiert v. E. J. Lengeling, = Le-
bendiger Gottesdienst V/VI, Miinster i. W. 1964, u. v. J. A.
Jungmann SJ in: Lexikon f. Theologie u. Kirche, Ergan-
zungsbd I zur 2. Auflage, Freiburg i. Br., Basel u. Wien
1966. - Instructio ad exsecutionem . . . : Editio typica, Rom
1964, auch in: Ephemerides liturgicae LXXVIII, 1964 (lat.
Text mit nachf olgendem Kommentar), lat.-deutsche Ausg. ,
kommentiert v. H. Rennings, = Lebendiger Gottesdienst
VII, Munster i. W. 1965; Instructio de musica . . . : Acta
Apostolica Sedis LIX, 1967, auch in: Ephemerides litur-
gicae LXXXI, 1967 (lat. Text mit Kommentar), lat.-deut-
sche Ausg., hrsg. v. d. Liturgischen Inst, in Trier u. Frei-
burg i. d. Schweiz, = Nachkonziliare Dokumentation I,
Trier 1967. KWG
Vaudeville (vodv'il, frz.) wurden urspriinglich die
seit etwa 1640 in die Stegreifstiicke der italienischen
Komodianten in Paris eingelegten popularen Lieder,
dann auch die Stucke selbst genannt. Diese f iihrten spa-
ter uber die am Theatre de la Foire aufgefuhrten V.s
zur Opera-comique. Die Herkunft der Bezeichnung
ist unsicher. Moglicherweise wurzelt sie in den Vau(x)
de Vire benannten volkstiimlichen satirischen Gedich-
ten des normannischen Dichters O. Basselin aus Vire
(t 1450), die 1610, von J. le Houx gesammelt, erschie-
nen. Erwogen wird die Ableitung von Vaulx de ville
(diese Schreibweise schon um 1510) bzw. Voix de ville
(»Stimme der Stadt «) ; so hieB in der 2. Half te des 1 6. Jh.
der herrschende und etwas spater Air genannte Typus
der franzosischen -> Chanson, dessen Merkmale stro-
phischer Bau, syllabische Textdeklamation und akkor-
discher Satz mit der Hauptmelodie in der Oberstimme
sind (vgl. die Vorrede von A. Le Roy zu seiner Ausgabe
der Airs de cour, Paris 1571). J. Chardavoine lieB noch
1575 in Paris die Sammlung Le recueil de plus belles et ex-
cellentes chansons en forme de voix de villes erscheinen.
1017
Venedig
Populare Lieder verschiedenster Provenienz, vor allem
aber Oper und Comedie-ballet der Zeit J.-B. Lullys bil-
den musikalisch die Quelle der (jeweils mit neuem Text
versehenen) V.s. Dieser Gebrauch hielt sich innerhalb
der Opera-comique noch bis nach 1750 (z. B. bei
Favart), die deshalb auch Opera en v. oder Comedie-v.
genannt wurde. Eine Opera-comique en v.s (3 Akte) ist
z. B. der 1713 von Le Tellier fur das Theatre de la Foire
geschriebene Festin de pierre, eines der f riihesten in Mu-
sik gesetzten Don Juan-Stiicke. Die bekanntesten V.s
erschienen in zahlreichen Sammlungen: Nouvelles pa-
rodies bachiques, milks de v.s ou rondes de tables ..., 1700-
02, Chr. Ballard (3 Bande); La clef des chansonniers: ou
recueil des v.s . . ., \1\1, Chr. Ballard (2 Bande); Recueil
complet de v.s et airs choisis qui ont ete chantes a la Comidie
Francoise depuis Vannee 1659,jusqu'h Vannee presente 1753
. . . , Paris 1753. Erst allmahlich wurden die bekannten
Melodien (timbres) durch eigens komponierte Arietten
und Arien ersetzt. Mit solchen Comedies mfilees d'ariet-
tes neben V.-Stiicken mit Airs nouveaux griff auch
Gluck von 1755-62 in die Entwicklung der Opera-
comique ein. Um 1 765 war jedoch das V. aus der Opera-
comique weitgehend verdrangt. - Ebenf alls V.s hieBen,
da sie bekannte Melodien verwendeten, die als SchluB-
ensembles in den V.-Komodien und in der Opera-
comique ublichen Rundgesange: jede der beteiligten
Personen tragt eine Strophe auf dieselbe Melodie vor,
jeweils unterbrochen durch einen von alien gesungenen
Refrain, der meist die SchluBmoral enthalt. Dieses
SchluB-V. hielt sich in der Opera-comique ziemlich
lange. Bei Fr.-A. Philidor steht es regelmaBig am SchluB.
Erst Gretry begann ab 1773 seine Opern mit Ensembles
nach dem Vorbild des italienischen Buffafinales abzu-
schlieBen, in deren Verlauf jedoch das V. gelegentlich
wieder auftritt (z. B. Lafausse magie und L'amant ja-
loux). Der SchluBgesang Trionfi amore in Glucks Orfeo
(1762) zeigt, daB das V. nicht auf die Opera-comique
beschrankt blieb. Es drang sogar in das Schauspiel ein:
Le manage de Figaro (1784) von P. A. Beaumarchais
schlieBt mit einem V. Aus der Opera-comique wurde
das V. als V.-Rondo insbesondere durch J.A.Hiller
(z. B. Diejagd, 1770) in das zunachst vornehmlich fran-
zosisch orientierte deutsche ->- Singspiel iibernommen.
Beriihmt ist das SchluB- V. aus Die Entfiihrung aus dem
Serail (1782) von W.A.Mozart. - In Frankreich findet
sich das V. noch bis spat ins 19. Jh. E. Scribe z. B. hat
eine groBe Anzahl von V.-Komodien hinterlassen. Ins
Jahr 1791 fallt die Griindung des Theatre de V. in Paris,
an dem vornehmlich die leichte Komodie gepflegt
wurde und das sich bis 1925 hielt. An V.-Sammlungen
aus dem 19. Jh. sind zu nennen: La de du caveau (31807
und ■•1872), La musette de v. ou Nouvelle clef du caveau
(1822), und Le caveau moderne. Chansonnier periodique
(1807).
Lit. : A. Gaste, Etude critique et hist, sur J. le Houx et le
vau de vivre a la fin du XVI e s., Paris 1874; M. Muller,
J.-J. Vade (1719-57) u. d. V., Diss. Greifswald 1911; Fr.
Liebstoekl, Das deutsche V., Diss. Wien 1923, maschr.;
L. Holzer, Die komischen Opern Glucks, Diss. Wien
1925, Auszug in: StMw XIII, 1926; Ch. E. Koch jr., The
Dramatic Ensemble Finale in the Opera Comique of the
Eighteenth Cent., AMI XXXIX, 1 967. StK
Venedig.
Lit. : G. C. Bonlini, Le glorie della poesia e della musica
contenute nell'esatta notizia de' teatri della citta di Venezia
e nel cat. purgatissimo de' drammi mus. quivi sin'hora
rappresentati, V. 1730; A. Groppo, Cat. di tutti i drammi
per musica recitati nei teatri di Venezia, V. 1746, mit Er-
gSnzungen 1753 u. 1766; Fr. Caffi, Storia della musica
sacra nella gia cappella ducale di S. Marco in Venezia dal
1318 al 1797, 2 Bde, V. 1854-55, Faks. Rom 1936; L. Lia-
novosani (= G.Salvioli), La Fenice, Gran teatro di Ve-
nezia. Serie degli spettacoli, Dalla primavera 1792 a tutto
il carnovale 1876, Mailand (1876); L. N. Galvani (= G.
Salvioli), I teatri mus. di Venezia nel s. XVII, (1637-1700),
Mailand (1878) ; ders., Saggio di drammaturgia veneziana,
V. 1879; T. Wiel, I teatri mus. veneziani del settecento,
V. 1897; H. Kretzschmar, Die Venetianische Oper
VfMw VIII, 1892; P. Faustini, Memorie stor. et artistiche
sul Teatro La Fenice in Venezia, V. 1902; A. Solerti, Le
rappresentazioni mus. di Venezia dal 1571 al 1605 ...,
RMI IX, 1902; P. Molmenti, Le prime rappresentazioni
teatrali a Venezia, V. 1906; G. Tebaldini, L'anima mus.
di Venezia, RMI XV, 1908; G. Orlandini, Origini del
Teatro Malibran, V. 1913; Ch. Van den Borren, Les
debuts de la musique a Venise, Brussel 1914; G. Pavan,
Teatri mus. veneziani. II Teatro S. Benedetto (ora Rossi-
ni), Cat. cronologico degli spettacoli (1755-1900), in:
Ateneo veneto, Jg. 1916, separat V. 1917; M. Nani Mo-
cenigo, II Teatro La Fenice, V. 1926; Kn. Jeppesen, Ein
venezianisches Laudenms., Fs. Th. Kroyer, Regensburg
1933; ders., Venetian Folk-Songs of the Renaissance,
Kgr.-Ber. NY 1939; H. Chr. Wolff, Die venezianische ,
Oper in d. 2. Halfte d. 17. Jh., = Theater u. Drama VII,
Bin 1937; ders., Die Musik im alten V., Fs. H. Besseler,
Lpz. 1961 ; S. T. Worsthorne, Venetian Opera in the
Seventeenth Cent., London 1954; D. Arnold, Ceremonial
Music in Venice at the Time of the Gabrielis, Proc. R. Mus.
Ass. LXXXII, 1955/56; ders., Orphans and Ladies: the
Venetian Conservatories (1680-1790), ebenda LXXXIX,
1962/63; ders., Music at a Venetian Confraternity in the
Renaissance, AMI XXXVII, 1965; G. Barblan, Aspetti e
figure del Cinquecento mus. veneziano, in : La civilta del
Rinascimento, = Storia della civilta veneziana IV, Florenz
(1958); L. Ronga, La musica, in: La civilta veneziana
nelPeta barocca, ebenda V, (1959); A. Della Corte, La
musica, in : La civilta veneziana del Settecento, ebenda VI,
(1960); S. Dalla Libera, Cronologia mus. della Basilica
di S. Marco in Venezia, in : Musica sacra, (Mailand) 1961 ,
Nr 1-4/5; Scenografi veneziani dell'Ottocento, hrsg. v. G.
Damerini, V. 1962; G. Lefkoff, Five Sixteenth-Cent. Ve-
netian Lute-Books, Diss. Catholic Univ. of America
(Washington, D. C.) 1962, maschr.
Venezianische Schule, - 1) eine Kette von Lehrern
und Schulern, deren Tatigkeit in Venedig zwischen
etwa 1530 und 1620 zur musikalischen Vorherrschaft
Italiens und zur Ausbildung der wichtigsten vokalen
und instrumentalen Formen des Barocks beigetragen
hat. Im erwahnten Zeitraum waren an der Kathedrale
von Sari Marco, dem Zentrum der V.n Sch., folgende
Musiker tatig: als 1. Kapellmeister: P. De Fossis 1491—
1527, A. Willaert 1527-62(f), C. de Rore 1563, G.Zar-
lino 1565-90(f), B.Donato 1590-1603(t), G.Croce
1603-O9(f), C.Martinengo 1609-13(1"), CI. Monte-
verdi 1613— 43(j"); als 1. Organisten (die Zuweisung
der Organistenstellen ist nicht in alien Fallen eindeutig
geklart) : G. Armonico 1516-51, A. Padovano 1552-64,
Cl.Merulo 1564-84, A.Gabrieli 1585-86 (f), G.Gabri-
eli 1586-1612(?); als 2. Organisten: S.Segni 1530-33,
B. Da Imola 1533-41, J.Buus (= J. de Guant) 1541-
51, G.Parabosco 1551-57(f), Cl.Merulo 1557-64, A.
Gabrieli 1564-65, G.Gabrieli 1565-86, V.Bell'Haver
1586-87(f), Guami 1588. - Begriinder der V.n Sch.
war der Niederlander und Mouton-Schiiler A. Wil-
laert. Sein Werk zeigt das fur die friihe V. Sch. typi-
sche Schwanken zwischen dem traditionellen nieder-
landischen Motettenstil und der Aufnanme bodenstan-
diger italienischer Musizierfornren (volkstiimliches
Lied, homophoner Satz, alternierende Mehrchorigkeit)
und spiegelt die vermittelnde Stellung der V.n Sch. zwi-
schen niederlandischem Zeitalter und italienischem
Barock wider. Gegeniiber der Aneignung und Um-
formung des niederlandischen Erbes in der -*■ Romi-
schen Schule entwickelte die V. Sch. hauptsachlich die
heimischen Traditionen weiter. Im Zentrum von Wil-
laerts Kunst steht die Motette; wichtig fiir die folgen-
den venezianischen Meister wurden vor allem seine
1018
Ventile
Ensemblericercari, mehrchorigen Werke und volks-
tumlichen Liedkanzonen. Auch im Madrigal hat Wil-
laert die fur die Folgezeit typischen Akzente gesetzt:
eindringliche Affektdarstellung und mit dem bisheri-
gen Klauselwesen brechende Chromatik. Hier kniipf-
ten seine Schiiler Vicentino und C. de Rore an. Eine
hohe Kunst der musikalischen Symbolik und Textaus-
deutung ist bezeichnend fiir diese auf Kennerkreise be-
schrankte ->• Musica reservata. Als scherzhafte Nach-
bildungen volkstumlicher Lieder entstanden mehrstim-
mige Liedkanzonen, oft mit mundartlichem Text ( Wil-
laert, A.Gabrieli, B.Donato, Merulo), die zur Kanzo-
nette fiihrten (G. Croce, Monteverdi) und die Bildung
von Madrigalkomodie, Monodie und Opernarie be-
einflufiten. In der Orgelmusik trat zu praludierenden
Formen der Toccata (A. Gabrieli, Merulo) und des Ri-
cercars (M.A.Cavazzoni) das der Motettenkomposi-
tion nachgebildete imitatorische Ricercar (G. Cavazzo-
ni, A. und G. Gabrieli, Merulo, Padovano). Zum spate-
ren fuhrenden Meister der Orgelmusik, G. Frescobaldi,
fiihrt von C. de Rore tiber L.Luzzaschi eine direkte
Linie des Lehrer-Schiiler-Verhaltnisses. Das wichtigste
Orgellehrbuch der V.n Sch. ist II Transilvano von G.
Diruta. Mit den Ricercari (J.Buus, Willaert) und Kan-
zonen (A. und G. Gabrieli, Guami, Merulo) wurde der
vokale Satz, weniger koloriert, auch in die Musik fiir
Instrumentengruppen iibernommen. Besonders die
Ensemblekanzone gilt als ein Ausgangspunkt fiir die
von den Emporen in San Marco musizierten mehrstim-
migen und mehrchorigen Sonaten und Sinfonien, die
geistlichen GroBformen der V.n Sch. fiir vokal-instru-
mentale Mischbesetzung. Die -*■ Mehrchorigkeit ent-
wickelten mit hoher Kunst der Kontrastbildung, Klang-
farbenregie und Orchesterbehandlung vor allem A.
und G. Gabrieli, in deren Werken 1587 zum erstenmal
die Bezeichnung concerto im Druck erscheint. G. Ga-
brieli fiihrte in seinen mehrchorigen GroBbesetzungen
(bis zu 19 Stimmen) Instrumental- und Vokalsoli ein
und begriindete damit das groBe geistliche Konzert.
Auch auf Instrumentalensemble beschrankte Sakral-
musik geht auf ihn zuriick. Die alternierende Musizier-
praxis ist auch fiir das Spiel an den beiden Orgeln von
San Marco bezeugt (Padovano und Parabosco, Merulo
und A.Gabrieli). Mit der Kompositionstatigkeit nahm
der Notendruck Venedigs im 16. Jh. einen bedeutenden
Aufschwung (Petrucci, Scotto, Gardano). DerEinflufi
der V.n Sch. auf die nordlichen Lander zeigt sich vor
allem in den Werken der Deutschen Gallus, Hafiler,
Aichinger, Schiitz, H. und M. Praetorius, der auBer-
dem die Musizierpraxis der V.n Sch. beschrieben hat.
Der wichtigste Theoretiker der V.n Sch. ist der Wil-
laert-Schiiler Zarlino, desseri Hauptwerk (1558) vor
allem als Umformung des niederlandischen Erbes zu
einer neuen wissenschaftlichen Behandlung der Satz-
kunst Bedeutung hat. Dagegen sahen Vicentino und V.
Galilei, beide aus der V.n Sch. hervorgegangen, die
Mehrstimmigkeit ihrer Zeit als verderbt an und such-
ten in Chromatik und Monodie Erneuerung der musi-
kalischen Sprache. - 2) Venezianische Opernschule
->■ Oper.
Lit. : zu 1) : C. v. Winterfeld, J. Gabrieli u. sein Zeitalter,
3 Bde, Bin 1834, Nachdruck Hildesheim 1965; Fr. Caffi,
Storia della musica nella gia cappella ducale di S. Marco
in Venezia dal 1313 al 1797, 2 Bde, Venedig 1854-55, Faks.
Rom 1936; A. W. Ambros, Gesch. d. Musik III, Breslau
1868, Lpz. 31891, Nachdruck Hildesheim 1967; G. Ben-
venuti, Vorwort zu Istituzioni e monumenti dell'arte mus.
ital. I— II, Mailand 1921-32; La scuola veneziana. Sec.
XVI-XVIII, hrsg. v. d. Accad. mus. chigiana, Siena 1942;
W. B. Kimmel, Polychoral Music and the Venetian School,
2 Bde, Diss. Univ. of Rochester (N. Y.) 1954, maschr.;
ST.KuNZE.DielnstrumentalmusikG.Gabrielis, = Munch-
ner Veroff. zur Mg. VIII, Tutzing 1963.
Venezuela.
Ausg. u. Lit. : Monumentos del arch, de la musica colonial
venezolano, hrsg. v. Inst. Interamericano de Musicologia,
12 Bde, Montevideo 1943; J. B. Plaza, Music in Caracas
During the Colonial Period (1770-181 1), MQ XXIX, 1943 ;
ders., Musica colonial venezolana, = Letras venezolanas
XI, Caracas 1958; L. F. Ram6n y Rivera, El joropo, baile
nacional de V., ebenda 1953; ders., Musica folklorica y
popular de V., ebenda 1963; A. Stallbohm, La musica,
sus int^rpretes y el publico de V.,*ebenda 1959; C. Salas u.
E. F. Calcano, Sesquincentenario de la opera en Caracas
. . . 1808-1958, ebenda 1960; I. Aretz-Thiele, Cantos
navideftos en el folklore venezolano, ebenda 1962; dies.
(I. Aretz), La etnomusicologia en V., Boletin interameri-
cano de musica 1966, Nr 55-56.
Veni sancte spiritus (lat.), die Pfingstsequenz der
romischen Liturgie, seit 1570 fester Bestandteil des
MeBformulars vom Pfingstsonntag bis zum folgenden
Samstag. Als Verfasser gilt Stephan Langton, Erzbi-
schof von Canterbury (f 1228). Der einheitlich durch-
geformte Text umfaBt insgesamt 10 paarweise einan-
der zugehorige Strophen, denen jeweils 3 senarische
Verse mit regelmaBiger Akzentuierung zugrunde lie-
gen (Reimschema: aab-ccb/ddb-eeb usw.).
Die musikalische Geschlossenheit des V. s. sp. beruht
maBgeblich auf einem in der Modalitat des 1 . Kirchen-
tons wurzelnden Bauplan, dem die melodisch-motivi-
sche Gestaltung der 5 Doppelstrophen untergeordnet
ist. Deutsche Kirchenliedfassungen der Sequenz lassen
sich seit dem hohen Mittelalter nachweisen; ->• Leise.
Ausg.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in
seinen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck
Hildesheim 1962; Analecta hymnica medii aevi LIV, hrsg.
v. Cl. Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1915 (Text
d. V. s. sp.).
Ventile (von lat. ventus, Wind) sind mechanische
Vorrichtungen zum Steuern des Windes. - 1) In der
Orgel werden die durch den Orgelwind selbst geoffne-
ten und geschlossenen V. von denen unterschieden, die
durch Federdruck in Ruhelage gehalten und durch ei-
nen Hebelmechanismus bewegt werden. Die Fang-,
Saug- oder Schopf-V. der Balge sind bewegliche Klap-
pen, die sich nach dem Innern des -*■ Balges offnen, so-
bald er aufgezogen wird, und wieder schlieBen, sobald
der Balg ganz aufgezogen ist. Die Kropf-V. offnen dem
Wind den Zugang in die Windkanale und fiihren da-
bei einen Ausgleich des Winddrucks in den Balgen und
Kanalen herbei. Die Spiel-V., die durch die Tasten der
Klaviatur geoffnet werden, offnen dem Wind den Zu-
gang zu den Pfeifen.Bei der Tonkanzellenlade(-> Wind-
lade) gibt es nur ein Ventil fiir alle Pfeifen derselben
Taste, bei der Registerkanzellenlade fiihrt ein Ventil fiir
jede Pfeife zur »Pfeifenkammer«; es hat die Form eines
Kegels oder einer Tasche (daher Kegel- bzw. Taschen-
lade). Die mechanisch gesteuerte Orgel hatte friiher
durch Registerziige betatigte Sperr-V., die den Wind
zu den einzelnen Laden absperren konnten und auch zu
Kombinationszwecken benutzt wurden. - 2) Die V. der
modernen Blechblasinstrumente (Waldhorn, Trompe-
te, Kornett, Ventilposaune, Fliigelhorner, Tuben) ver-
langern durchEinschaltung von Zusatzbogen die Schall-
rohre und vertiefen damit den Ton (absteigende V.)
oder schalten umgekehrt Teile der Rohre aus und er-
hohen den Ton (aufsteigende V., John Shaw 1824).
Durch die V. wurden alle Tone der chromatischen
Skala spielbar; damit entfielen die alteren Versuche auf
Horninstrumenten mit Grifflochem, -> Klappen, losen
Zusatzbogen sowie durch Stopfen. Lediglich das (voll-
kommenere) Zugsystem bei der -*■ Posaune (-1) blieb
(die Ventilposaune hat sich nur teilweise durchgesetzt,
bei Laien, auch im Jazz). Die altere Form der V. sind
die Pump-V. (frz. pistons; s. folgende Abb.), erfunden
1019
Ventilc
zunachst fiir das Waldhorn 1814 (patentiert 1818) von
Bliihmel und Stolzel in Berlin, verbessert von Moritz
und Wieprecht 1835 (Berliner Pumpen) und Perinet
1839 in Paris (Perinet-V.)
sowie von L. Uhlmann
1830 (Wiener-V., Schub-
oder Stechbiichsen-V.).
Dreh-V. (Zylinder-V. ;
siehe nebenstehende Ab-
bildung : links offenes
und rechts geschlossenes -i
Drehventil) wurden zu-
erst von J. Riedl 1832 in Wien konstruiert (Radmaschi-
ne). Beide Systeme werden heute nebeneinander ge-
braucht, die Pump-V. besonders im Jazz bevorzugt. Im
allgemeinen haben die Blechblasinstrumente 3 V., von
denen das 1. die Stimmung um einen Ganzton, das 2.
um einen Halbton und das 3. um eine kleine Terz er-
niedrigt. Meist wird das Ventil durch Federdruck in
einer bestimmten Stellung gehalten, aus der es mit-
tels einer Drucktaste oder eines Zughcbcls in eine
andere Stellung bewegt werden kann. Das sogenann-
te Stellventil verbleibt ohne Federdruck in der jeweils
gewahlten Stellung. Instrumente von defer Stimm-
lage, z. B. BaBtrompeten und Tuben, sind vielfach
mit einem 4. Ventil versehen, das die Stimmung um
weitere 2^2 Tone erniedrigt. Die Kombination after 4
V. ergibt eineErniedrigung um etwa eine Oktave. Zum
Ausgleich der bei den verschiedenen Ventilkombina-
tionen auftretenden Intonationsdifferenzen werden ein
oder mehrere zusatzliche Kompensations-V. verwen-
det. Die von A. Sax 1850 konstruierten Instrumente
mit Verkiirzungs-V.n (pistons independents) konnten
sich nicht durchsetzen. Sogenannte Umschalt-V. wer-
den vielfach zur Veranderung der Gesamtstimmung
des Instrumentes angebracht (Doppelhorn, Doppeltu-
ba, TenorbaGposaune; auch bei der Trompete). Am
Waldhorn ist das »Stopfventil« zu finden, das die beim
Stopfen auftretende Tonerhohung (V2- 3 /4 Ton) kom-
pensiert. Die V. werden in der Regel mit der rechten
Hand, beim Horn dagegen sowie bei der Zugposaune
(Zusatzventil) mit der linken Hand bedient. Bei Instru-
menten mit mehr als 4 V.n ist meist beidhandige Be-
dienung notwendig. - Andere Versuche, durch mecha-
nische Vorrichtungen oder neue Mensurberechnungen
einwandfreie Intonation bei Ventilkombinationen zu
ermoglichen, wurden u. a. von DJ.Blaikley (1874), K.
Kottek (1907) und M. Vogel (1958) unternommen.
Lit.: D. J. Blaikley, An Essay on Mus. Pitch, London
1 890, 21 954 ; F. C. Draper, Notes on the Boosey & Hawkes
System of Automatic Compensation of Valved Brass Wind
Instr., London 1953; M. Vogel, Die Intonation d. Blech-
blaser, = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. Mu-
sik I, Dusseldorf 1961; ders., Anregendes Griechentum,
Mf XV, 1962.
Ventilhorn -> Waldhorn.
Veranderung -> Variation. - Gegen Ende des 18. Jh.
wurden auch die -»- Register (- 2) des Cembalos und
des Pianofortes als V.en bezeichnet.
Verbande sind Organisationen, die Standesinteressen
wahrnehmen. Im Gegensatz zu den -> Gesellschaften
und Vereinen widmen sie sich weniger kiinstlerischen
und wissenschaf tlichen als sozialen und wirtschaf tlichen
Belangen. In der Regel sind sie als eingetragene Verei-
ne (e. V.) rechtsfahig. - In Deutschland ergab sich die
Moglichkeit groBerer Zusammenschlusse von Interes-
sengruppen erst nach der Reichsgriindung von 1871.
Die schon vorher in diese Richtung gehenden Tenden-
zen werden z. B. in R.Wagners Entwurf zur Organisa-
tion eines deutschen Nationaltheaters fur das Kbnigreich
Sachsen (1848) deutlich, wobei die starke Betonung
gerade sozialer Belange als Nachklang der Revolution
von 1848 zu werten ist. Als einer der altesten deutschen
V. gilt der Allgemeine Deutsche Musikerverband, in
Berlin 1872 von H.Thadewaldt gegriindet, der alsbald
180 Lokalvereine zahlte (Verbandsorgan : Deutsche Mu-
sikerzeitung) und 1873 eine Pensions-, 1882 eine Sterbe-
kasse anlegte. Der Reichsverband Deutscher Tonkunst-
ler und Musiklehrer, der 1922 aus dem Zusammen-
schluB der seit 1903 bestehenden GroBorganisationen
der Tonkiinstler (Zentralverband Deutscher Tonkiinst-
ler und Tonkiinstler-Vereine) und der Musiklehrer
(Reichsverband Deutscher Musiklehrerinnen und Or-
ganisation Deutscher Musiklehrkrafte) hervorgegan-
gen war, umfaBte 200 Ortsgruppen mit dem Zentral-
biiro in Berlin, dem u. a. eine Rechtsstelle und eine
reichsamtliche Stellenvermittlung angegliedert waren.
Ferner wurden Aufgaben wie Unterrichtsvermittlung,
soziale Fiirsorge, Berufsberatung, Kranken-, Steuer-,
Verkehrs- und Wohnungswesen wahrgenommen. Die
weitere Entwicklung dieser Organisation wurde durch
die 1934 gcgriindete Reichsmusikkammer als Standes-
vertretung der Tonkiinstler unterbrochen. Als heutige
Fachorganisationen bestehen der Verband Deutscher
Musikerzieher und konzertierender Kunstler (VDMK)
mit dem Sitz in Miinchen (Organ : Musik im Unterricht,
Allgemeine Ausgabe) und der Verband Deutscher
Komponisten und Musikwissenschaftler (VDK) in
Berlin Ost (Organ: Musik und Gesellschaft). 1964 ging
der Verband Deutscher Tonkiinstler und Musiklehrer
(VDTM) in dem VDMK auf. - Der Reichsverband
Deutscher Orchester und Orchestermusiker wurde
1923 in Berlin gegriindet; Nachfolger ist die Deutsche
Orchestervereinigung mit dem Sitz in Hamburg (Or-
gan: Das Orchester). Weitere V. sind: Deutscher Kom-
ponisten- Verband in Berlin; Deutscher Musikerver-
band in Dusseldorf (Der Musiker); Deutscher Musik-
verleger- Verband in Bonn; Verband der Deutschen
Konzertdirektionen (juristischer Sitz: Frankfurt am
Main); Verband deutscher Musikschulen in Bremen;
Verband der Sing- und Spielkreise in Hamburg; Ver-
band deutscher Oratorien- und Kammerchore in NeuB
am Rhein; Verband Deutscher Schulmusikerzieher in
Koln (Musik im Unterricht, Ausgabe B).
Lit. : A. Bode, Die kulturpolitischen Aufgaben d. Verwal-
tung im deutschen Musikleben, Dusseldorf 1937; H. En-
gel, Musik u. Ges., Bin u. Wunsiedel (1960).
Verbunkos (ungarisch, aus deutsch Werbung), eine
volkstiimliche instrumentale Musizierweise in der un-
garischen Musik ; sie wird auf Werbetanze fiir die oster-
reichische Armee im 18. Jh. zuruckgefiihrt. Der V.
kam um 1780 auf, erreichte seinen Hohepunkt um
1840 bei Bihari, Csermak und Lavotta und ging dann
im Csardas auf. Um 1850 wirkten stilistische Eigenar-
ten des V., der vor allem von ungarischen Zigeuner-
1020
Vergleichende Musikwissenschaf t
kapellen ausgefiihrt wurde und auch auBerhalb Un-
garns verbreitet war, auf die Kunstmusik ein. Charak-
teristisch fiir den V. sind der lebhafte Rhythmus (2/4-
oder 4/8-Takt), haufige Synkopierungen und Punk-
tierungen, Triolenpassagen, eine typische SchluBfor-
mel (bokazo) und die improvisatorische Freiheit der
Ausfiihrung. Ab 1820 erschienen in Budapest und
Wien Sammlungen mit V.-Musik im Druck.
Lit.: E. Major, Adatok a v. tortenetehez (»Beitr. zur
Gesch. d. V.«), Muzsika I, 1929; ders., Bihari J. verbun-
kosainak visszhangja a XIX. szazadi magyar zeneben (»Der
Widerhall v. J. Biharis V. in d. ungarischen Musik d. 19.
Jh.«), Uj zenei szemle 111, 1952; B. Szabolcsi, A XVIII.
szazadi magyar kollegiumi zeneje (»Die ungarische Kol-
legienmusik d. 18. Jh.«), Budapest 1930.
Verdeckung (engl. masking) ist ein fiir den Horvor-
gang wichtiges, zuerst von A.M.Mayer (1876) beob-
achtetes Phanomen. Beim Horen zweier verschieden
hoher Tone zeigt sich, daB unter bestimmten Bedin-
gungen eine V. des leiseren durch den lauteren ein-
tritt, daB also der leisere Ton noch leiser wird, und
dies um so mehr, je lauter der verdeckende Ton ist.
Zur quantitativen Erfassung der V. wird dem Gehor
eine Storfrequenz dargeboten, deren Intensitat man in
Stuf en steigern kann, dazu eine veranderliche Frequenz,
deren Intensitat jeweils gerade so weit gesteigert wird,
bis man sie eben hort. Dadurch wird bei festgehaltener
Storfrequenz die Schwellenkurve fiir die anderen Fre-
quenzen ermittelt (Mithorschwellen). So z. B. bleibt
bei einer 1000 Hz-Storfrequenz von 90 dB die normale
->• Horschwelle bis etwa 500 Hz erhalten, so daB die
Empfindlichkeit des Ohres in diesem Bereich unge-
stort ist. Schwingungen um 1000 Hz herum miissen
jedoch bereits um etwa 60 dB iiber die normale Hor-
schwelle gesteigert werden, um gehort zu werden. Die
verdeckende Wirkung wird mit wachsender Storfre-
quenz schwacher, ist aber bei 4000 Hz noch so groB,
daB die Mithorschwelle etwa 45 dB hoher als die nor-
male Horschwelle liegt.
^J
\?0dB
A|
TOdB
\s0dB
30 SO 120 250 SOOHi I 2 < S 16kHz
Mithorschwellenkurven fiir verschiedene Inten-
sitaten der Storfrequenz 1 kHz (nach Feldtkeller
und Z wicker).
Eine Steigerung der Intensitat besonders von tieferen
Frequenzen ist daher von nachteiliger Wirkung auf das
Erfassen mittlerer und hoher Frequenzen. So beein-
trachtigen zu starke BaBregister bei Orgeln die Auf-
fassung von Tonfolgen in hoheren Lagen. Auch blei-
ben Mixturen u. a. Register bei zu groBer Intensitat der
Grundstimmen ohne Wirkung. Das g einer Violine
(= 196 Hz) mit 80 dB z. B. verdeckt im Bereich zwi-
schen 200 und 4000 Hz alles, was sich weniger als 45-55
dB von der Horschwelle abhebt. V.en konnen die Hor-
samkeit von Raumen beeintrachtigen, wenn die Nach-
hallzeit in tiefen Frequenzbereichen besonders lang ist;
das gleiche gilt fiir die Wiedergabequalitat von Laut-
sprechern bei zu starker BaBwiedergabe.
Lit. : R. Feldtkeller u. E. Zwicker, Das Ohr als Nach-
richtenempfanger, = Monographien d. elektrischen Nach-
richtentechnik XIX, Stuttgart 1956; W. Lottermoser u. J.
Meyer, Verdeckungseffekt bei Orgelspekt'ren, Acustica
VIII, 1958.
Verdoppelung ist das gleichzeitig mehrfache Erklin-
gen desselben Tones im Einklang oder in der Oktave.
Sie unterliegt im mehrstimmigen Satz gewissen Ein-
schrankungen. So diirfen in der Regel nur Grundton
und Quinte des Dreiklangs verdoppelt werden. Die
Terz ist nicht verdoppelungsfahig, wenn sie auf Grund
ihrer Position im Stimmgefiige einem bestimmten
Fortschreitungszwang unterliegt (z. B. als Leitton), ih-
re V. somit zu verbotenen Parallelen fiihren wiirde.
Auch dissonante Tone werden nicht verdoppelt. Bei
->■ Auffassungsdissonanzen (z. B. beim Neapolitani-
schen Sextakkord oder beim Vorhalts-Quartsextakkord
vor der Dominante) sind nur die Tone verdoppelungs-
fahig, die dem funktionellen Grundakkord angehoren,
den der auffassungsdissonante Akkord vertritt. In der
orthodoxen Zwolftontechnik werden Oktav-V.en
prinzipiell vermieden. Die Einklangs-V. eines Tones
ist jedoch gestattet, wenn sie durch das Zusammentref-
fen zweier verschiedener Formen derselben Reihe zu-
stande kommt. Die V. von Tonfolgen fallt in der Satz-
lehre unter das Verbot der -*■ Parallelen, soweit nicht
ein Unisono beabsichtigt ist. Nicht zu den verbotenen
Parallelen gehoren jedoch alle aus klanglichen Griin-
den im Klavier- und Ensemblesatz iiblichen V.en, auch
die in anderen Intervallen (z. B. Quinte), wie sie die
neuere Satztechnik bevorzugt. Besonders bei letzte-
ren handelt es sich vielmehr um die Nachahmung von
Klangwirkungen, die in den Orgelmixturen ein Vor-
bild haben.
Vereine-* GesellschaftenundVereine,->-Ver-
bande.
Vergleichende Musikwissenschaft (frz. musicolo-
gie comparee; engl. comparative musicology) nannten
C. Stumpf und E.M.v.Hornbostel die von ihnen um
1900 entwickelte Fachrichtung der Musikwissenschaft.
Vergleiche einzelner Stilelemente der Musikkulturen
sollten Ubereinstimmungen und Abweichungen er-
kennen lassen und dadurch Ruckschlusse auf Kulturzu-
sammenhange, Gestaltwandel und Kulturaustausch im
weltweiten Zusammenhang ermbglichen. Die etwas
ungliicklich gewahlte Bezeichnung V. Mw. - das Ver-
gleichen ist fiir alle Wissenschaf ten grundlegend - wird
heute nicht mehr angewandt (->■ Musikethnologie),
zumal die heutige Forschungsrichtung nicht nur auf
den Vergleich z. B. von Tonsystem, Tonalitat, Rhyth-
mik, Melos, Instrumenten, sondern zunehmend auf
das Ganze und Eigenstandige der Musikkultur gerich-
tet ist. - Wahrend in Nordamerika die Beschreibung
der musikalischen Stile der Naturvolker, speziell der
Indianer, die V. Mw. beschaftigte, geriet sie inEuropa,
vor allem in Deutschland, unter den EinfluB einer hi-
storisch orientierten Richtung der Volkerkunde, der
»Wiener Schule« und ihrer Kulturkreislehre (Anker-
mann, Schmidt, Koppers, Frobenius u. a.). Diese Lehre
versuchte, das Vorkommen einzelner Kulturelemente
in verschiedenen Teilen der Welt als das Ergebnis einer
fortlaufenden Kulturexpansion zu erklaren, die in kon-
zentrischen Wellen von einer fiktiven Wiege der
Menschheit und der Kultur ausgegangen ist; deren
Zentrum und Quelle wurde in Mittelasien im Bereich
der spateren Euphrat-Tigris-Kulturen angenommen.
Die V. Mw. versuchte analog, isolierte musikalische
1021
VergroBerung
Sachverhalte wie vokale und instrumentale Leiterfor-
men (E. M. v. Hornbostel 1911) oderlnstrumententypen
(Sachs 1929) in weltweitem Zusammenhang alsErgeb-
nis einer derartigen Kulturausbreitung zu deuten. Sie
sah in der Musik der heutigen Naturvolker weniger das
gegenwartige, aus Tradition und Entwicklung entstan-
dene Erscheinungsbild als vielmehr die getreue Uber-
lieferung altzeitlicher Zustande, die als Vorstufen der
Musikgeschichte der Menschheit angesehen wurden.
Doch stieB ein solches Vorgehen bald bei Ethnologen
und Musikwissenschaf tlern und selbst im eigenen Lager
(R. Lachmann) auf Widerstand. Die heutige ethnologi-
sche Musikforschung sieht in der Musik der Naturvol-
ker und in den Hochkulturen Asiens, Amerikas und
Europas das ProduktjahrtausendealterEntwicklungen.
Sie ist zwar nach wie vor bemiiht, den Spuren dieser
Entwicklung nachzugehen, vermeidet aber Spekula-
tionen auf Grund der Analyse isolierter Kulturelemen-
te. Statt dessen sucht sie die Musik als Teilgebiet der
Gesamtkultur zu begreifen und im Zusammenhang
mit Religion, Sprache, Dichtung, bildender Kunst,
Wirtschaft und Sozialstruktur zu sehen. Die Vielfalt
der musikalischen Erscheinungen einer Kultur kann
gleichwohl durch das Nebeneinander alter Uberliefe-
rungen und jiingerer Entwicklungen und Entlehnun-
gen aus Fremdkulturen erklart werden. So konnte Fr.
Bose an der Musik kolumbianischer Indianerstamme
das Fortleben alter Traditionen aus der andinen Hoch-
kultur der Chibcha nachweisen (-»- Indianermusik) und
A.M.Jones das Vorkommen der mehrtonigen Xylo-
phone in Afrika auf eine indonesisch-siidostasiatische
Invasion Afrikas in den ersten nachchristlichen Jahr-
hunderten zuriickfiihren.
Lit.: Sammelbde f. V. Mw. I, 1922 - III, Miinchen 1923;
Zs. f. V. Mw. I, 1933 - III, 1935. - A. J. Ellis, Tonometri-
cal Observations on Some Existing Non-Harmonic Scales,
Proceedings of the Royal Soc. XXXVII, 1884, deutsch v.
E. M. v. Hornbostel in: Sammelbde f. V. Mw. I, Miinchen
1922; ders., On the Mus. Scales of Various Nations, Jour-
nal of the Soc. of Arts XXXIII, 1885, deutsch ebenda; C.
Stumpf, Lieder d. Bellakula-Indianer, VfMw II, 1886,
Neudruck ebenda; ders., Die Anfange d. Musik, Lpz.
1911; R. Wallaschek, Primitive Music, London 1893,
neu bearb. als: Anfange d. Tonkunst, Lpz. 1903; E. M. v.
Hornbostel, fjber ein akustisches Kriterium f. Kultur-
zusam'menhange, Zs. f. Ethnologie XLIII, 1911; ders.,
Melodie u. Skala, JbP XIX, 1 9 1 2 ; ders. , Mus. Tonsysteme,
in: Hdb. d. Physik VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. Scheel,
Bin 1 927; ders., Die MaBnorm als kulturgesch. Forschungs-
mittel, Fs. P. W. Schmidt, Wien 1928; ders., Tonart u.
Ethos, in: Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, Bin 1929; R. Lach, Studi-
en zur Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz.
1913; ders., Die V. M w. , ihre Methoden u. Probleme, Sb. d.
Akad. d. Wiss. in Wien CC, 1924; G. Schunemann, tlber
d. Beziehungen d. V. Mw. zur Mg., AfMw II, 1919/20; C.
Sachs, Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nach-
druck Hilversum 1965; ders., V. Mw. in ihren Grundzii-
gen, = Musikpadagogische Bibl. II, Lpz. 1930, neubearb.
Heidelberg 21959 ; ders., The Rise of Music in the Ancient
World, NY (1943); ders., The Wellsprings of Music, NY
1961 ; S. Nadel, The Origins of Music, MQ XVI, 1930;
W. Heinitz, Strukturprobleme in primitiver Musik,Hbg
1931 ; E. Haraszti, Fetis fondateur de la musicologie com-
paree, AMI IV, 1932; H. Robert, Form in Primitive Mu-
sic, NY 1933; M. Schneider, Gesch. d. Mehrstimmigkeit
I, Bin 1934, Rom 21964; J. Kunst u. J. W. Schottlan-
der, Uber d. Anwendungd. Tonalitatskreislehre auf d. Mu-
sik d. orientalischen Hochkulturen u. d. Antike, Zs. f. V.
Mw.III,1935 ;H.HusMANN,Grundlagen d.antiken u. orien-
talischen Musikkultur, Bin 1961; J. Vansina, De la tra-
dition orale. Essai de methode hist., Tervuren 1961 ; A. M.
Jones, Africa and Indonesia. The Evidence of the Xylo-
phone and Other Mus. and Cultural Factors, Leiden 1964,
dazu Fr. Bose in: Mf XX, 1967, S. 214ff. FB
Vergrofierung -* Augmentation (- 3).
Verismo (ital., von vero, wahr), audi Verismus,
schlagwortartige Bezeichnung allgemein fur den Na-
turalismus in Drama, Literatur und bildender Kunst
seit den 1880er Jahren und zu Beginn des 20. Jh. in
Italien, speziell fur die von der Giovane scuola italiana
(Mascagni, Leoncavallo, Giordano, Cilea) im AnschluB
an das naturalistische Schauspiel ausgehende Stilrich-
tung der Oper ab 1890, die in ihren Werken ein wirk-
lichkeitsgetreues Abbild des menschlichen Lebens ge-
ben wollte. - Der V. in der Oper war eine Reaktion
auf die romantische historische und idealistische Oper
der Zeit nach 1850, in Deutschland und Frankreich vor
allem auf den symbolistischen Mystizismus der Wag-
nerschen und nachwagnerschen Gotter- und Helden-
oper. Gekennzeichnet ist der V. in erster Linie durch
das Aufgreifen fiir die Opernbiihne neuer, oft zeitge-
nossischer, soziale Probleme betreffender Stoffe, Schau-
platze, Milieus und Menschenschicksale aus dem Alltag
des Volkes, aber auch historischer, politischer Sujets
(Revolutionen). Die Anhanger des V.s, die Hanslick
(1896, S. 63) als Verfechter der Natiirlichkeit aufderBiihne
bezeichnet, komponierten Libretti mit scharf umrisse-
nen Charakteren, schlagkraftiger Wirkung und oft
krassem SchluB. Die Handlungsfuhrung ist dramatur-
gisch darauf gerichtet, in schneller Steigerung die auBer-
sten Affekte, nicht selten bis zur Brutalitat, folgen zu
lassen. In Elementarsituationen (Liebe, Eifersucht, HaB,
Rache) wird das Triebhafte, Leidenschaftliche, Schau-
rige in realistischer und unreflektierender Darstellung
hervorgehoben. - Die musikalischen Ausdruckskrafte
des V.s basieren (vergrobernd und verflachend) auf dem
Opemschaffen Verdis und der Verwendung der Stil-
mittel des Wagnerschen Musikdramas und der Sym-
phonik des 19. Jh. Hanslick (1892) betont: Von Verdi
hat . . . Mascagni die leidenschaftliche Spannung, die mach-
tigen Steigerungen, die Musik »welche Blut zieht«. An Stil-
eigentiimlichkeiten des V.s bildeten sich heraus: eine
typisch italienische, immer wieder glutvoll und leiden-
schaftlich ausbrechende Melodik, die auch plakathafte
Wirkungen nicht scheut; eine Orchesterbegleitung in
farbenreicher Harmonik und Instrumentation; erinne-
rungs- und leitmotivische Arbeit; koloristische Milieu-
schilderung ; Verwendung von Orchesterzwischenspie-
len (Intermezzi), auch bei offener Biihne. Der Vokalstil
entfernte sich durch die Hervorhebung des dramati-
schen Effekts immer mehr von der Lyrik des Belcantos.
- In vieler Hinsicht blieb der V. oberflachlich. Es lag
in der Natur eines solchen Operntypus, daB er iiber
einzelne groBe Erfolge auch in ungezahlten Versu-
chen nicht hinauskam. Verdi auGerte (Istel 21923) : »Das
Wahre genau abklatschen, mag ja etwas Zweckdien-
liches sein. Aber das ist Photographie, kein Gemalde,
keine Kunst. « Es fehlte dem V. an der Einfiihlung in
die feinere Dynamik der Seele und an der Vergeisti-
gung des Triebhaften.
Vorbereitet war der V. auf der Opernbiihne durch rea-
listische Ziige tragende Opern wie Verdis La Traviata
(1853 ; ein Gesellschaftsdrama aus der Gegenwart), dann
vor allem durch Bizets Oper Carmen (1875) mit ihrem
ausgesprochen realistischen Sujet. Zu den ersten Stil-
proben des V.s zahlt Flora mirabilis (1886) von Spyros
Samaras (1861-1917). Der Durchbruch des V.s erfolg-
te 1890 durch Mascagnis Oper Cavalleria rusticana, die
auf ein Libretto nach dem 1884 uraufgefuhrten einakti-
gen Schauspiel von Giovanni Verga (1840-1922), dem
bedeutendsten Vertreter des literarischen V.s, kompo-
niert ist. Ein Welterfolg wurde auch Leoncavallos Oper
Pagliacci (1892), in deren Prolog das Programm des V.s
lapidar formuliert ist: L'autore ha cercato invece pingervi
uno squarcio di vita. Egli ha per massima sol che Vartista e
un uomo e chepergli uotnini scrivere ei deve.
1022
Versailles
Zu den namhaften veristischen Komponisten in Italien
zahlen u. a.: Cilea (Tilda, 1892; Adriana Lecouvreur,
1902), U.Giordano {Mala vita, 1892; Fedora, 1898;
Siberia, 1903; Andrea Chenier, 1896), G.B.Coronaro
(Festa a marina, 1893), Fr.Alfano mit seinen friihen
Werken (Miranda, 1896; La fonte d'Enschir, 1898), Zari-
donai (II grillo delfocolare, 1908; Conchita, 1911). Puc-
cini den Veristen einzugliedern geht schwerlich an; er
beschreitet stofflich und musikalisch einen anderen
Weg. Seine Musik ist viel difierenzierter und sensibler,
sie ist poetisierend und voller Detailmalerei. Typisch
veristische Ziige tragen bei Puccini u. a. Szenen in
Tosca (Scarpia), Lafanciulla del West und // Tabarro. -
Durch den Erfolg der italienischen veristischen Opern
angeregt, huldigten auch deutsche Komponisten bis in
das 20. Jh. hinein dem V., so u. a. F. Hummel (Mara,
1893), L.Blech (Anglaja, 1893; Cherubina, 1894), J. For-
ster (Die Rose von Pontevedra, 1893), d' Albert (Tiefland,
1903; die ausgepragteste und erfolgreichste deutsche
veristische Oper), Wolf -Ferrari (Der Schmuck der Ma-
donna, 1911; Sly, 1928).
In Paris, wo die italienische veristische Oper mit star-
kem Beifall aufgenommen wurde (Erstauffuhrung der
Oper Cavalleria rusticana 1892), war eine eigene Stil-
richtung des V.s vertreten durch A. -> Bruneau und
G. Charpentier. Bruneau, der sich und Charpentier
»Realisten« nannte, erklarte (vgl. Eckart-Backer, S.
248f.), daB ihr »realisme« nichts zu tun habe mit dem
»verisme« der Italiener, der ihm »wenig poesievoll und
leer von der geringsten Symbolik« erschien. Bruneau
war bestrebt, »die Natur . . . zum Ausdruck zu brin-
gen, indem er sie gedanklich, . . . und mit einer ge-
wissen humanen Idee aufhellte«. Die von Bruneau (un-
ter dem starken EinfluB Wagners) vertonten Libretti
nach Emile Zola mit sozialen und politischen The-
men bildeten jedoch eine ungliickliche Mischung von
»plattem Realismus und verwirrendem Symbolismus«.
- GroBen und nachhaltigen Erfolg errang dagegen
Charpentiers »roman musical« Louise (1900), das erste
franzosische Musikdrama ohne unmittelbare Wagner-
Nachahmung. An weiteren Komponisten in Paris sind
C. -*■ Erlanger, X. -> Leroux, H. -*■ Fevrier zu nennen.
Lit.:E.HANSLicK,Ausd.TagebucheeinesMusikers, = Die
moderne Oper VI, Bin 2 1892; ders., Fiinf Jahre Musik,
ebenda VII, 31896; R. Heuberger, Im Foyer, Lpz. 1901;
S. Floch, Die Oper seit R. Wagner, Koln 1904; W. Nie-
mann, Die Musik seit R. Wagner, Bin u. Lpz. 1913, S. 91ff.;
K. Blessinger, Der V., = Dichter u. Biihne IV, Meister d.
Oper, Ffm. (1921); E. Istel, Die moderne Oper, = AusNa-
tur u. Geisteswelt Bd 495, Lpz. u. Bin 2 1923 ; M. Rinaldi,
Musica e v., Rom 1932; P. Bekker, Wandlungen d. Oper,
Zurich u. Lpz. (1934), S. 140f.; K. H. Worner, Musik d.
Gegenwart, Mainz (1949); Ch. Durand, Der Verismus in
d. frz. Opernmusik, AntaresVII, 1958; U. Eckart-Backer,
FrankreichsMusikzwischenRomantiku. Moderne, = Stu-
dien zur Mg. d. 19. Jh. II, Regensburg 1965.
Verkleinerung -» Diminution (- 1).
Verlagsrecht, das Rechtsverhaltnis zwischen Urheber
und Verleger, das im Verlagsgesetz geregelt wird. Das
V. ist heute als ein Nutzungsrecht Bestandteil des
-> Urheberrechts, obwohl dieses sich aus ihm ent-
wickelte. Mit der Erfindung des Buchdrucks um 1450
entstand der Nachdruck, der das ehrliche Druckerge-
werbe bald so belastete, daB staatliche Hilfe notig wur-
de. Der Drucker, der anfanglich meist auch Verleger
war, erhielt gegen geringf iigiges Entgelt einen gebiets-
maBigen Schutz gegen Nachdruck auf eine Reihe von
Jahren, das sogenannte Privilegium, d. h. ein Druck-
monopol fur ein bestimmtes Werk. Mit zunehmender
wirtschaftlicher Bedeutung solcher privilegierter Ver-
lagsobjekte entstanden seitens der Autoren Anspruche,
die in langen Etappen zu einem spezifischen Urheber-
recht und V. fiihrten. Der Verleger erwies sich bald als
der nattirliche Partner des Urhebers bei der Verwer-
tung von dessen Produktion. - Ausgangspunkt fiir die
Entwicklung der Rechtsbegriffe war das Buchwesen.
Auf dem verwandten Gebiet des Musikhandels vollzog
sich keine Sonderbewegung. Auch der Gesetzgeber
vermied weitgehend eine Differenzierung zwischen li-
terarischen und musikalischen Rechten. Das zur Zeit
noch giiltige Verlagsgesetz von 1901 soil durch ein
Urhebervertragsgesetz ersetzt werden. Die Ubertra-
gung von Werknutzungsrechten bedarf zur Giiltig-
keit keiner schriftlichen Form. - Wahrend im literari-
schen Verlagswesen heute nach wie vor das Hauptge-
wicht auf dem Vertrieb des Buchproduktes liegt, wur-
de mit der zunehmenden Mechanisierung durch Schall-
platten, Rundfunk, Fernsehen usw. die Verwertung der
Musik iiber den Vertrieb von Notenausgaben hinaus
sehr ausgeweitet. Die Auffiihrungs- und die mechani-
schen Rechte werden heute allgemein durch die -> Ver-
wertungsgesellschaf ten (in Deutschland -> GEMA) zu-
gunsten der Autoren und Verlage treuhanderisch wahr-
genommen. Nur bei den dramatisch-musikalischen
Werken (Biihnenwerken) werden die Auffiihrungs-
rechte (»Gro6e Rechte«) im allgemeinen durch die Ver-
leger vergeben, weil sich hier eine individuelle Verwal-
tung empfiehlt.
Lit. : M. Rintelen, Urheberrecht u. Urhebervertragsrecht,
Wien 1958 ; H. Hubmann, Urheber- u. V., Munchen u. Bin
1959 ; E. Ulmer, Urheber- u. V., Bin, Gottingen u. Heidel-
berg 21960; H. v. Hase, Der Musikverlagsvertrag, Mun-
chen 1961; W. Bappert, Wege zum Urheberrecht, Ffm.
1962; H. Pohlmann, Die Fruhgesch. d. mus. Urheber-
rechts, = Mw. ArbeitenXX, Kassel 1962.
Vermindert heiBen die -> Intervalle, die um einen
chromatischen Halbton kleiner sind als die reinen (z. B.
cis-f statt c-f) oder als die kleinen Intervalle (z. B. e-ges
statt e-g). Die Umkehrung v.er Intervalle ergibt iiber-
maBige.
Verminderter Dreiklang heiBt in der GeneralbaB-
und teilweise auch in der Harmonielehre der aus klei-
ner Terz und verminderter Quinte bzw. aus zwei iiber-
einandergestellten kleinen Terzen bestehende 3toni-
ge Akkord, z. B. h-d-f. Der Name ergab sich aus der
rein auBerlichen Ahnlichkeit des Gebildes mit einem
Dreiklang. Dieser ist jedoch konsonant, allenfalls auf-
f assungsdissonant, wahrend der V. Dr. stets dissonant ist.
Er kann daher nie Tonika-, sondern nur Dominant-
oder Subdominantfunktion haben. In letzterem Fall er-
klart ihn die dualistische Funktionstheorie H. Riemanns
als Unterseptimenakkord mit fehlendem Bezugston
(Funktionsbezeichnung 5 vn , in A moll: [a]-f-d-h),
die spatere monistische Funktionstheorie H. Grabners
und seiner Schiiler als Subdominantakkord in Moll mit
Sexte anstatt Quinte (Funktionsbezeichnung z. B. nach
W. Maler s6, in A moll : d-f-[a]-h). In ersterem Fall gilt
er als Dominantseptakkord mit fehlendem Grundton
(»verkiirzter« Dominantseptakkord; Funktionsbezeich-
nung EP, in C dur: [g]-h-d-f).
Verminderter Septakkord -»■ Nonenakkord.
Verona.
Lit.: A. Sala, I musicisti veronesi (1500-1879), V. 1879;
G. Turrini, L'accad. filarmonica di V. dalla fondazione
(Maggio 1543) al 1600 .... V. 1941 ; ders., La tradizione
mus. a V., V. 1953; A. Gajoni-Berti, Cronistoria del
filarmonico, V. 1963.
Verrillons (verij'5, frz.) -»• Glasspiele.
Versailles.
Lit. : L. Deshairs, Documents inedits sur la chapelle du
chateau de V., Rev. de l'hist. de V. et de Seine-et-Oise VIII,
1906; P. Fromageot, Les compositeurs de musique ver-
1023
Verschiebung
saillais, V. 1906; N. Dufourcq, L'orgue de la chapelle du
chateau de V., RM XV, 1934; ders. u. M. Benoit, La vie
mus. en He de France sous la regence . . . (1716—28), Rev.
de Musicol. XXXVII, 1955; dies., Les musiciens de V. . . .,
= Recherches sur la musique frc. classique III, 1963; A.
Japy, L'opera royal de V., V. 1958; R.-M. Langlois,
L'opera de V., Paris 1958.
Verschiebung ->■ Pedal (- 2).
Verschmelzung bedeutet nach C. Stumpf, daB ein si-
multan erklingendes Intervall haufig als ein einziger
Ton gehort wird. Als psychologisches Phanomen, das
mit dem Konsonanzproblem verkniipft ist, wurde V.
zu einem wichtigen Begriff in der Tonpsychologie.
Erklarungen fiir die V. gaben H. v. Helmholtz und F.
Krueger. Bei Schwingungsverhaltnissen wie z. B. der
Oktave 250 : 500 Hz fallen der durch 500 Hz bestimmte
Ton und seine Teiltone mit denen von 250 Hz zusam-
men und »verschmelzen« so zu einem Ton. In fruhen
Jahren sah Stumpf in der V. das definierende Merkmal
der Konsonanz. Spater schrankte er diese Annahme ein.
Sowohl A.Faist als auch Meinong-Witasek ermittel-
ten V.s-Grade der Intervalle. Unter denEinwanden ge-
gen die Erklarung der Konsonanz durch V. ist der von
Th. Lipps, daB V. nicht Ursache, sondern Merkmal der
Konsonanz sei, besonders gewichtig. In der 1952 von
H. Husmann auf gestellten Koinzidenztheorie der Kon-
sonanz, die besagt, daB das Zusammenfallen der Teil-
tone das physiologische Korrelat der Konsonanz ist, er-
scheint die V. als eine physiologisch gesicherte Grund-
eigenschaft der Konsonanz.
Lit. : C. Stumpf, Tonpsychologie II, Lpz. 1890, Nachdruck
Hilversum u. Amsterdam 1965 ; ders., Neueres iiber Tonv.,
Zs. f. Psychologie u. Physiologie d. Sinnesorgane XV, 1897;
ders., Die Sprachlaute, Bin 1926 ; Th. Lipps, Der Begriff d.
V. u. damit Zusammenhangendes in Stumpfs »Tonpsy-
chologie« Bd II, Philosophische Monatsh. XXVIII, 1892;
A. Faist, Versuche iiber Tonv., Zs. f . Psychologie u. Phy-
siologied. Sinnesorgane XV, 1897; A. Meinongu. St. Wi-
tasek, Zur experimentellen Bestimmung d. Tonverschmel-
zungsgrade, ebenda; F. Krueger, Die Theorie d. Konso-
nanz I u. II, Psychologische Studien I, 1906 - II, 1907; E.
Kurth, Musikpsychologie, Bin 1930, Bern 21947; J.
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); H. Hus-
mann, Eine neue Konsonanztheorie, AfMw IX, 1952;
ders., Vom Wesen d. Konsonanz, in: Mus. Gegenwarts-
fragen III, Heidelberg 1953 ; ders., V. u. Konsonanz, Deut-
sches Jb. d. Mw. I ( = JbP XLVIII), 1 956.
Verschrankung ist das vor allem in der Musik der
Klassik haufige Ineinandergreifen zweier Phrasen, wo-
bei der SchluB des ersten Sinngliedes zugleich Anfang
eines neuen ist. Besonders deutlich wird die V., wenn
ein schon bekanntes Thema wiederholt wird :
Kadenz: S B D*D' 7
3
W.A.Mozart, Sonate C dur, K.-V. 309,
1. Satz, Takt 6-9.
J.Ph.Kirnberger (Die Kunst des reinen Satzes II, 1776,
S. 137ff.) halt es fiir vorteilhaft, wenn im Instrumental-
konzert und in der Arie die Solo- bzw. Singstimme
zugleich mit dem SchluB des Ritornells anfangt und
gibt als Beispiel den Anfang von J. S.Bachs Cembalo-
konzert D moll (BWV 1052, Takt 6/7). H.Chr.Koch
beschreibt die V. als Takterstickung (Versuch einer An-
leitung zur Komposition II, Lpz. 1787, S. 453ff. ; KochL,
Artikel Takterstickung) und deutet durch untergesetzte
Zahlen (4. 1.) an, daB ein Takt bei der rhythmischen
Vergleichung der mehdischen Teile doppelt gezahlt wer-
den muB (Ausziige bei Riemann, Prdludien und Stu-
dien II, S. 67). A.B.Marx (Die Lehre von der musika-
lischen Komposition III, 1841, S. 263ff.) betrachtet Satz-
glieder, die nicht mit der Tonika schlieBen, grund-
satzlich als Vordersatze und beschreibt das Zusam-
mentreten mehrerer dominantisch endender (Vorder-)
Satze als Satzkette. Lussy (Traiti de {'expression musi-
cale, 1873, deutsche Ausgabe 1886, S. 63f.) nennt die
V. Ellipse (»Auslassung«), doch ist die V. von anderen
Moglichkeiten der Auslassung einzelner Takte, Ak-
korde oder Tone (-+ Ellipsis) zu unterscheiden. H. Rie-
mann erklarte (im AnschluB an H.Chr.Koch) die V.
als eine Umdeutung des nach seiner Meinung stets als
metrisch schwer geltenden SchluBtakts einer Phrase in
einen stets als leicht geltenden Anfangstakt (vgl. Vade-
mecum der Phrasierung, S. 88fi ., mit Beispielen) und zahlt
sie daher zu den Storungen des symmetrischen Auf-
baus (-*■ Mctrum - 3). Doch gibt es Kompositionen
(z. B. der genannte Satz aus W.A.Mozarts Sonate C
dur, K.-V. 309), deren Abschnitte grundsatzlich nicht
mit der Tonika schlieBen, sondern offen, dominantisch
enden. Die V. ist in diesen Fallen nicht eine Abwei-
chung von der Norm der ->- Symmetric, sondern sie
wird zur Regel, die ihrerseits wieder durchbrochen
werden kann (-> Periode, -> Phrasierung).
Versett (auch Versetl; von frz. verset, Diminutiv von
frz. vers; ital. versetto; engl. verset), Bezeichnung fiir
einen Orgelsatz, der bei der -* alternatim-Ausfuhrung
liturgischer Stiicke an die Stelle eines gesungenen Ver-
ses (->- Versus - 3) bzw. Abschnitts tritt. Die Werk-
iiberlieferung geht bis zum Anfang des 15. Jh. zuriick
(Kyrie- und Gloria-V.en des Codex Fa; -> Quellen).
Ihren Hohepunkt erreichte die Komposition von V.en
im 16.-18. Jh. Wahrend dieser Zeit wurden die V.en
oft in umfangreichen Sammlungen, besonders fiir das
Ordinarium missae (-> Orgelmesse) und das -> Mag-
nificat, publiziert. Bis ins 17. Jh. sind die V.en meist
iiber den musikalischen Vers oder Abschnitt kompo-
niert, dessen Stelle sie vertreten, gehoren also der Gat-
tung der -> Choralbearbeitung (- 2) zu. Im spaten 16.
Jh. bildete sich daneben die c. L-freie, nur noch tonart-
gebundene V.en-Komposition heraus, die sich meist der
fugierten Technik bedient; sie verdrangte im 18. Jh.
weitgehend den Typus des c. f.-gebundenen V.s.
Unter den Sammlungen ehoralgebundener V.en sind
hervorzuheben : J.Buchner, Fundamentbuch (hs. um
1530); P. Attaingnant, Tabulature pour le ieu Dorgues und
Magnificat en la tabulature des Orgues (beide 1531); G.
Cavazzoni, Intavolatura doe Recercari Canzoni Himni
Magnificat . . . und Intabolatura d'organo ciol Misse Him-
ni Magnificat. Libro secondo (beide 1543); Cl.Merulo,
Messe d' intavolatura d'organo (1568); A. de Cabezon,
Obras de musica (1 578) ; J. Titelouze, Hymnes pour toucher
sur l'orgue (1623) und Magnificat ou cantique de la Vierge
pour toucher sur l'orgue (1626); S.Scheidt, Tabulatura
nova III (1624); G. Frescobaldi, Fiori musicali 1635); H.
Scheidemann, Magnificatbearbeitungen (hs. um 1640).
- Beispiele fiir c. f.-freie V.en bieten die Sammlungen
von A. Valente (Versi spirituali, 1580), K.Kerll (Modu-
latio organica super Magnificat octo tonis, 1686), A.Raison
(Livred'orgue, 1687), Fr.X.Murschhauser (Octi-Tonium
novum organicum, 1696), J.Pachelbel (Magnificatfugen,
hs. um 1700), Gottlieb Muffat (72 Versetl Sammt 12
Toccaten, 1726) und J. K. F. Fischer (Blumen-Strauss, nach
1732). Daneben kommt die Zusammenstellung von
c. f.-gebundenen und c. f .-freien V.en vor (auch inner-
halb eines liturgischen Stiickes), so in E. Kindermanns
Harmonia organica (1 645; Magnificat VIII. toni) und vor al-
lem in den f ranzosischen Orgelbuchern des spaten 1 7. Jh.
(N. Lebegue 1676, um 1679 und um 1685; N. Gigault
1682 und 1685; Fr. Couperin 1690; N. de Grigny 1699).
Versetzungszeichen -*■ Akzidentien.
1024
VersmaBe
Versikel (lat. versiculus), heiBen in der katholischen
Liturgie kurze, iiberwiegend der Bibel entnommene
Satze in paarweiser Anordnung, wobei der erste Satz
jeweils mit W. (V. im engeren Sinn), der zweite mit i$.
(Responsum) bezeichnet wird, z. B. : W. Crastina die de-
lebitur iniquitas terrae. i$. Et regnabit super nos Sahator
mundi. Sie bilden einen festen Bestandteil aller liturgi-
schen Handlungen. So enthalt u. a. jede Hore des Of-
fiziums neben den (melodisch eigenstandigen) V.n zur
Eroffnung (Matutin: Domine, labia mea aperies und
-> Deus, in adiutorium meum intende, letzterer ebenfalls
in Laudes bis Vesper; Komplet: Convene nos Deus sa-
lutaris noster) und zur Entlassung (-»- Benedicamus Do-
mino) einen weiteren V. Dieser steht in der Matutin
zwischen Psalmen und Lektionen, in Laudes und Ves-
per (die auch in ihren Preces V. aufweisen) nach dem
Hymnus, in den kleinen Horen im AnschluB an das
Responsorium breve (monastisch: nach dem Capitu-
lum). Die entsprechende, fur beide Satze gleiche Me-
lodieformel verlauft ohne Initium auf dem Tenor (ur-
spriinglich a, heute meist c) und schlieBt mit einem
Melisma iiber der letzten Textsilbe (Tonus cum neu-
ma). Ein differenzierterer V.-Ton gelangt in den Ves-
pern der Hochfeste zum Vortrag; ebenso sind die V.
von Nokturnen, Laudes und Vesper des Totenoffiziums
und der letzten 3 Kartage durch eine eigene Formel
(Tenor a und zweiakzentige SchluBkadenz) ausgezeich-
net. Alle iibrigen V. werden im sogenannten Tonus
simplex gesungen (Tenorrezitation c mit Terzfall am
SchluB, bei langerem Text auch Mittelkadenzen Flexa
und Metrum). Die genannten V.-T6ne finden sich un-
ter den -> Toni communes der Antiphonaleausgaben.
- In -»• Sequenz (- 1) und ->■ Lai bezeichnet V. nach
musikwissenschaftlicher Terminologie im Unterschied
zu dem eingangs umrissenen Sprachgebrauch der li-
turgischen Biicher die Einzelstrophe, welche gewohn-
lich mit einer Parallelstrophe zum Doppel-V. oder
auch mit 2 Parallelstrophen zum Tripel-V. mit jeweils
gleicher Melodie zusammentritt. Im Musiktraktat des
J. de Grocheo ist V. der Name fiir die strophenartigen
Abschnitte der -* Chanson de geste.
Versmafie. Prinzipiell zu unterscheiden ist zwischen
quantitierendem und akzentuierendem Versbau (-> Me-
trum - 1). Beriicksichtigt werden im folgenden nur
die fiir die iiberlieferte Musik wichtigsten V., nach
Sprachen geordnet :
l)Lateinisch.-a)ZurquantitierendenDichtunggehoren
vor allem die friihen -*■ Hymnen (- 1). Haufigstes Vers-
maB ist der iambische Dimeter (bei Iambus undTrochaus
bilden 2 FiiBe ein Metrum) ~ - ^ -~- ^ - (z. B. Aeter-
ne rerum conditor, Ambrosius). Mit grofiem Abstand
folgt das sapphische VersmaB -^ w^/-w-w
{Ut queant laxis resonare fibris, wohl Paulus Diaconus,
-*■ Solmisation) ; noch seltener sind der iambische Tri-
meter ~zz—\j- w-^-^-^_ {Salve crux sancta salve
mundi gloria, Heribert) und der kleinere asklepiadeische
Vers *->*-; — w'^-^vy {Sanctorum meritis inclita
gaudia, Hrabanus Maurus). Prozessionshymnen haben
neben Hexameter und Distichon gern den trochaischen
Tetrameter -w-^-^-^_^_^/_^_ {Pange lingua
gloriosi proelium certaminis, Venantius Fortunatus). Vom
6. Jh. an wurden diese V. rhythmisch umgedeutet nach
dem Kriterium der Silbenzahl; so wurde der iambi-
sche Dimeter zum 8Silbler, der sapphische Vers zum
HSilbler. Der Wortakzent war zunachst frei, spater
meist alternierend. Die iibrige mittellateinische me-
trische Dichtung ist fiir die Musik nur am Rande be-
deutend, z. B. in Versoffizien und Tropen. Verwen-
det wurden hauptsachlich der iambische und tro-
chaische Dimeter und der (auch end- oder leoninisch
gereimte) Hexameter -^w-^^-^^-^w-^w —
{Cunctipotensgenitor Deus omnicreator eleison) . - b) Rhy th-
mische (akzentuierende) Dichtung. Die Sequenz (ur-
spriinglich Prosa ad sequentiam) ist zunachst feierliche
Prosa in verschieden langen Kola und jeweils parallelen
Strophen. Spater tritt Hervorhebung des Kolon-Endes
durch Reim auf (schon in Augustinus' Psalmus contra
partem Donati 393/94 angewendet), schlieBlich Anglei-
chung an die Hymne, d. h. regelmaBige Vers- (meist
8Silbler) und Strophenbildung (z. B. Lauda Sion salva-
torem, Thomas von Aquin). Die groBe Zahl mittellatei-
nischer Lieddichtungen (z. B. Cambridger Lieder,
.-> Carmina Burana, ->■ Vaganten), zu denen auch die
Conductus und (im weiteren Sinne) die Motetten zu
zahlen sind, weisen einen Reichtum rhythmischer For-
men auf: 8-, 7- und 6Silbler, daneben auch kiirzere
Verse. Der lOSilbler, der Vers des lateinischen Dramas,
kommt in der Lyrik selten vor.
2) Franzosische und italienische Verse sind von Anfang
an durch die Zahl ihrer Silben bestimmt. Der verschie-
denen Betonungsstruktur beider Sprachen gemaB, wird
der franzosische Vers bis zur letzten betonten Silbe ge-
zahlt (das Mittelalter zahlte im Franzosischen auch die
weiblicheEndsilbe), der italienische Vers iiber die letzte
betonte Silbe hinaus bis zur ersten unbetonten. Dem
franzosischen lOSilbler (mannlich 10, weiblich 11 Sil-
ben) entspricht daher der italienische Endecasillabo (1 1
Silben = verso piano, 10 = verso tronco, 12 = verso
sdrucciolo). Das Prinzip der Silbenzahlung und der
konstanten, meist reimbildenden Tonstelle am Vers-
ende entstammt dem mittellateinischen Vers. Stelle
und Anzahl der Betonungen im Versinnern sind varia-
bel (eine Ausnahme bildet z. B. die feste Mittelzasur
des Alexandriners) ; die rhythmische Gliederung ist
daher verschieden, wenngleich viele Verse regelma-
Big alternieren. Im Italienischen hat der lOSilbler oft
anapastischen (bzw. daktylischen) Rhythmus, der
8Silbler trochaischen. Langere als 8silbige Verse haben
bevorzugte Zasurstellen - der franzosische lOSilbler
nach der 4. Silbe (auch nach der 6., selten nach der 5.) :
Donnez, signeurs, donnez a toutes mains (Machaut) ; der
Endecasillabo nach der 5. (oder 6.): Vergine bella, che di
sol v estita : (Petrarca, vertont u. a. von Dufay). - a) Fran-
zosisch. Alteste Dichtungen sind altfranzosische Se-
quenzen des 9. Jh. (Eulalia-Sequenz) in verschieden lan-
gen, haufig lOsilbigen Versen. Meist lOSilbler hat auch
die Chanson de geste. Der 8Silbler trat seit dem 10. Jh.
auf und wurde spater bevorzugtes VersmaB von Reim-
chronik und hofischem Roman, aus dem er schlieBlich
durch Prosa verdrangt wurde. 8- und lOSilbler (seit
dem 16. Jh. auch der Alexandriner) wurden vom 12./
13. Jh. an bis in die neueste Zeit von der Lyrik bevor-
zugt, zuerst von den Trobadors und Trouveres: Can
uei la lauzeta mover (Bernard de Ventadorn: Lerchen-
lied) ; De bone amour vient seance et bonte (Thibaut IV de
Champagne). Sie verwenden aber auch kiirzere Verse
(oft den 7Silbler; bis zum 3Silbler), selten langere; die
Zeilenlange wechselt haufig: Si que je n'ai de coi autrui
amer / Ne servir / Ne deservir / Ne puis par mal soufrir, /
Que la painne vueille guerredouner (Blondel de Nesle).
Solche eingeschalteten Kurzverse sind auch in der Mo-
tette und in den Balladen und Rondeaus des 13. Jh. ge-
brauchlich, oft echoartig : Or est Baiars en la pasture j
Hure I Des deus pie's defferes (Adam de la Halle). Machaut
gab in seinen mehrstimmigen Balladen und Rondeaus
dem lOSilbler deutlichen Vorrang, auch wechselt nun
die Zeilenlange kaum noch; der 7Silbler findet vor-
zugsweise in 1st. Musik, z. B. in den Lais, Verwendung.
Neben dem 8Silbler ist der lOSilbler (im 16. Jh. Vers
commun genannt) der gebrauchlichste Vers der Chan-
son des 15. und 16. Jh., z. B. Bon jour, mon coeur, bon
65
1025
VersmaBe
jour, ma douce vie (Ronsard, vertont u. a. von Lasso).
Nachbildungen antiker Metren treten in der 2. Half te
des 16. Jh. auf (-»■ Vers mesures). Der Alexandriner
(12Silbler mit Mittelzasur), Mitte des 16. Jh. von Ron-
sard und seinem Kreis (Pleiade) wieder eingefiihrt, ver-
drangte den lOSilbler vor allem im Sprechtheater. In
den Operntexten des 17. und 18. Jh. dagegen wechselt
der Alexandriner, nach dem Vorbild Quinaults, vor
allem mit 10- und 8Silblern, z. B.Je suis de mille amants
maitresse souvereinne j Maisjefais mon plus grand bonheur /
D'itre maitresse de mon cuer (Quinault, Armide, kompo-
niert von J.-B.Lully und Gluck). Auch kiirzere Verse
(7, 6, 5 Silben) kommen vor; die ungeradzahligen sind
besonders in Liedern haufig. Diese freie Mischung von
Versen verschiedener Lange, ohne strophische Gliede-
rung und mit freier Reimanordnung, wird Vers mSles
oder Vers libres genannt (nicht zu verwechseln mit den
Vers libres des 19. Jh.). - b) Italienisch. Die siziliani-
schen Dichter, von den Trobadors ausgehend, wie auch
die umbrischen Lauden verwenden eine Vielzahl von
V.n. Vom Dolce stil novo und von Dante an sind 11-
und 7Silbler die klassischen italienischen V. Der 1 1 Silb-
ler wurde vor allem in Terzine (Dante, Divina Corn-
media), Kanzone, Stanze (oder Ottavarima) und Sonett
verwendet. 11- und 7Silbler, meist gemischt, sind auch
die V. von Madrigal und Ballata, z. B. Questa fan-
dull' amor fallami pia (komponiert von Landini). Die
Caccia kennt dagegen auch kiirzere Verse, oft 5Silbler.
Ein haufiger Vers der Frottola des 16. Jh. ist der (meist
in trochaischem Rhythmus verlaufende) 8Silbler (schon
um 1400 nachweisbar), z. B. Io non compro piu speranza
(Petrucci, 1. Frottolenbuch). Zu 11- und 7Silblern ka-
men in der Oper neue V. hinzu, vor allem Verse mit
10, 8, 6 Silben, auch kiirzere. In den Opernarien des 17.
Jh. wechseln die Verslangen; sparer (bei Metastasio)
war es jeweils ein VersmaB, das in der einzelnen Arie
vorherrschte. Wahrend das Rezitativ weiterhin aus 11-
und 7Silblern besteht, wird fur die Arie der HSilbler
im 18. Jh. nur selten verwendet, z. B. im Standchen des
Don Giovanni (Deh, vieni allafinestra, o mio tesoro; Da
Ponte/Mozart, Don Giovanni). Haufig sind lOSilbler
(z. B. Voi, che sapete die cosa e amor; Da Ponte/Mozart,
Figaro), 8Silbler (vorziiglich fiir Buffostiicke, z. B.
Aspettare e non venire ; G. A. Federico/Pergolesi, La serva
padrona) und 7Silbler (Arien der Opera seria).
3) Deutsch. - Mit Ausnahme des silbenzahlenden Mei-
stersanges werden im deutschen Vers die Hebungen
gezahlt. Im altdeutschen Stabreimvers wie auch im
Knittelvers ist die Anzahl der Senkungen frei. (Der
-> Stabreim wurde durch R.Wagner wiederbelebt.)
RegelmaBiger Wechsel von Hebung und (lsilbiger)
Senkung begann im mittelhochdeutschen Epos und
wurde von Opitz 1624 gefordert, wobei Hebung und
Wortbetonung zusammenfallen sollten (zur Vermei-
dung von Tonbeugungen). Der deutsche Vers beginnt
meist unbetont (»auftaktig«), daher iiberwiegt iambi-
scher Rhythmus. Verse mit 2silbigen Senkungen sind
seltener; sie treten unter demEinfluB romanischer Dich-
tung im Mittelhochdeutschen und nach 1600 auf. Un-
regelmaBiges Schwanken zwischen 1- und 2silbiger
Senkung ist bei Volksliedern haufig, z. B. Es het ein
Baur ein Tochterlein, das wolt nit lenger ein meidlein sein
(Liedsatz Isaacs). Der Vierheber ist der haufigste Vers,
an 2. Stelle steht der Dreiheber, wie z. B. Liedsatze des
15. und 16. Jh., protestantische Chorale, Kantaten- und
Opernarien zeigen. Im alteren Lied treten zwischen die
Vierheber haufig kiirzere (zwei-, dreihebige) und lan-
gere (sechs-, achthebige) Verse. Den beliebten Wechsel
von Vier- und Dreihebern zeigt z. B. Ein'feste Burg ist
unser Gott, Ein' gute Wehr und Waffen (Luther). Die Re-
zitative in Oper, Oratorium, Kantate bestehen aus ver-
schieden langen, frei gereimten Versen (»Madrigalver-
sen«). Anlehnungen an antike Metren finden sich z. B.
in den Oden der Humanisten und Klopstocks (-> Oden-
komposition).
Lit.: zu 1): W. Meyer, Gesammelte Abh. zur mittellat.
Rhythmik, 3 Bde, Bin 1905-36; D. Norberg, Introduction
a l'6tude de la versification lat. mddievale, Stockholm 1958.
- zu 2) : A. Tobler, Vom frz. Versbau alter u. neuer Zeit,
Lpz. 1880, 61921 ; Fr. Saran, Der Rhythmus d. frz. Verses,
Halle 1904; K. Vossler, Die Dichtungsformen d. Roma-
nen, Stuttgart 1951 ; W. Sucker, Frz. Verslehre auf hist.
Grundlage, Tubingen 1952; W. Th. Elwert, Frz. Metrik,
Munchen 1961. - zu 3): E. Sievers u. H. Paul, Deutsche
Metrik, in: Pauls GrundriB d. germanischen Philologie II,
2, StraBburg 1905; Fr. Saran, Deutsche Verslehre, Mun-
chen 1907; A. Heusler, Deutsche Versgesch., 3 Bde, in:
GrundriB d. germanischen Philologie VIII, 1-3, Bin u.
Lpz. 1925-29, Bin 21956; S. Beyschlag, Die Metrik d.
mhd. Bliitezeit in Grundzugen, Nurnberg 1950, 51963; W.
Kayser, Gesch. d. deutschen Verses, Bern 1960; ders.,
Kleine deutsche Versschule, Bern u. Munchen '1962; U.
Pretzel, Deutsche Verskunst, in: Deutsche Philologie im
AufriB III, hrsg. v. W. Stammler, Bin, Bielefeld u. Mun-
chen 21961 ; O. Paul u. I. Glier, Deutsche Metrik, Mun-
chen 51964; Chr. Petzsch, Text-Form-Korrespondenzen
im ma. Strophenlied, DVjs. XLI, 1967. - J. Raith, Engl.
Metrik, Munchen 1962. WoD
Vers mesures a l'antique(ve:r msziir'e alat'ik, frz.,
nach Art der Antike gemessene Verse), im letzten
Drittel des 16. Jh. versuchsweise durch -> Baif (der der
Dichtergruppe Pleiade angehorte) in die franzosische
Poesie eingefiihrte, auf Quantitatsmessung beruhende
reimlose Verse. In der Meinung, in der franzosischen
Sprache sei die Quantitat latent enthalten, dichtete Baif
nach dem Muster antiker Metren (z. B. Hexameter,
Sapphische Strophe), wobei er die Langen grundsatz-
lich den betonten (auch nebenbetonten), die Kiirzen
den unbetonten Silben unterlegte, z. B. :
— \J — w — w — w — *— ' —
Vne pucej'ai dedans Voreille, helas!
Die V. m. dienten als Vorlage fiir Vertonungen, die,
ahnlich der metrischen ->• Odenkomposition des f riihen
16. Jh., einen regelmaBigen Tactus auBer acht lieBen
und sich rhythmisch eng an die V. m. anlehnten: die
Langen wurden durch doppelt so lange Werte wie die
Kiirzen wiedergegeben. Komp.ositionen dieser Art
v A
i j ,i , j .j j j ., i
t? — r r r r r r ' r r f
V- ne pu - ce j'ai de-dans l'o-reil-le, he-las!
v <• [ ' [ r [ i r ' ' =£=
Quidenuit et de jour me f re -til - le et me mort
- - (U
O. de Lassus, GA XIV, S. 114.
schrieben u. a. F.M.Caietain, E. du Caurroy, J. du
Faur, CI. lejeune, O. de Lassus, J. Mauduit und J.Thi-
bault de Courville. - Wenn auch die Musique me-
suree nur sehr kurze Zeit gepflegt wurde, so hatte sie
doch einen groBen EinfluB auf die spatere franzosische
Sprachvertonung ; in einer Reihe von Airs de cour und
vielen Stiicken des Ballet de cour wurde der Text so
vertont, als ob er auf V. m. basiere (siehe folgendes
Beispiel). Noch im franzosischen Recitatif (->■ Rezi-
tativ) ist die Nachwirkung der Musique mesuree er-
kennbar.
1026
Verwertungsgesellschaft
Mais que me sertThe-tys ces-te es-cail-le nou-uel-le,
Ballet comique de la Royne, Gesang des Glauque, f. 19.
Ausg. : J. Mauduit, Chansonnettes mesurees de J.-A. de
Balf, 4st., Paris 1586, = Expert Maltres X, Paris 1899; Cl.
le Jeune, Le printemps (2-8st. Chansons), Paris 1 603, eben-
da XH-XIV, 1900-01 ; ders., Octonaires de la vanite et in-
constance du monde (3-4st.), Paris 1606, = Expert Monu-
ments I u. VIII, Paris 1924-28; ders., Pseaumes en vers
mezurez (2-8st.), Paris 1606, = Expert Maltres XX-XXII,
Paris 1905-06; ders., Airs (3-6st.), 2 Bucher, Paris 1608,
hrsg. v. D. P. Walker, 4 Bde, (Rom) 1951-59; E. du
Caurroy, Meslanges, Paris 1610, = Expert Maitres XVII,
Paris 1903 (Teilausg.).
Lit. : M. Mersenne, Quaestiones celeberrimae in Genesim,
Paris 1623; ders., Harmonie universelle, Paris 1636, Faks.
hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; M. Auge-Chi-
quet, La vie, les idees et l'oeuvre de J.-A. de Balf, Paris 1 909;
P.-M. Masson, Le mouvement humaniste, in: Encyclo-
p6die de la musique I, 3, hrsg. v. A. Lavignac, Paris (1914) ;
H. Prunieres, Le ballet de cour, Paris 1914; D. P. Wal-
ker, Mus. Humanism . . . , MR II, 1941 -III, 1942, deutsch
als : Der mus. Humanismus . . . , = Mw. Arbeiten V, Kas-
sel 1949; ders., The Airs of Baif's »Acad. de Poesie et de
Musique«, Journal of Renaissance and Baroque Music I,
1946/47; ders., The Influence of Musique mesuree . . .,
MD II, 1948 ; ders. (mit Fr. Lesure), Cl. le Jeune and Mu-
sique mesuree, MD III, 1949; ders., Some Aspects and
Problems of Musique mesuree, MD IV, 1950 ; Fr. A. Yates,
The French Acad, of the Sixteenth Cent., = Studies of
the Warburg Inst. XV, London 1947; K. J. Levy, Vau-
deville, v. m. et airs de cour, in: Musique et poesie au
XVI e s., = Colloquesinternationauxdu Centre National de
la recherche scientifique, Sciences humaines V, Paris 1954.
Verstarker sind Gerate, durch die Wechselspan-
nungen oder -strome verstarkt werden. Sie dienen
in der Elektroakustik vornehmlich zur Verstarkung
der Mikrophonspannungen, zum Betrieb von Laut-
sprechern, zur Schallaufzeichnung und zu meBtechni-
schen Zwecken. Sofern sie im Frequenzbereich von 20
bis 20000 Hz arbeiten, werden sie als Niederfrequenz-
V. bezeichnet, in hoherenBereichen als Hochfrequenz-
V. Bei den meisten Aufgaben ist vor allem die Fre-
quenz- und Amplitudentreue wichtig. Es wird ver-
langt, daB alle Frequenzen des Ubertragungsbereichs
gleichmaBig verstarkt werden und daB die Verstarkung
proportional zur Eingangsspannung erfolgt, so daB
keine nichtlineareh -»• Verzerrungen auftreten. We-'
sentliches Element eines V.s ist der ->- Transistor, der
die -*■ Elektronenrohre weitgehend verdrangt hat. Er
wird mit Kondensatoren, Widerstanden und Ubertra-
gern zu V.-Stufen zusammengeschaltet.
Lit.: H. Bartels, Grundlagen d. Verstarkertechnik,
= Monographien d. elektrischen Nachrichtentechnik X,
Stuttgart 4 1954.
Versus (lat.), - 1) im klassischen Sprachgebrauch ur-
spriinglich das Umwenden (des Pfluges), iibertragen
die Furche, Reihe, Linie, speziell die Zeile in der Prosa
oder der Vers in der metrisch gebundenen Dichtung
(->■ VersmaBe; Plural versus, unregelmaBig versi, s. v. w.
Poesie, Gedicht) ; - 2) der Psalmvers, als dessen Charak-
teristikum sich die Kongruenz von rhythmischer und
logischer Einheit des Textes darstellt. In den ubrigen
biblischen Biichern sind dem V. jeweils eine oder meh-
rere Sinneinheiten zugeordnet. Die heutige Verseintei-
lung der Bibel stammt von dem Pariser Drucker R.
Estienne (1551 und 1555). - 3) im Gregorianischen Ge-
sang der Psalm- oder Canticumvers, die Text- und Me-
lodiezeile des Gloria in excelsis Deo und Credo in unum
Deum, die Einzelstrophe der Hymnen usw. In den
Choralausgaben werden die Psalmverse des Graduales,
Alleluias, Tractus und der Offiziumsresponsorien re-
gelmaBig durch den Zusatz V. gekennzeichnet, wah-
rend sich beim Introitusvers die Abkiirzung Ps. (Psal-
mus) erhalten hat. Liturgische Quellen, Bucher und
Rubriken gebrauchen das Wort V. haufig auch im
Sinne von -> Versikel. - 4) innerhalb des Tropenre-
pertoires der Name fur die einzelnen Zeilen eines lan-
geren Tropus, etwa zum Gloria in excelsis Deo (vgl. be-
sonders auch die Tropen zum Regnum tuum solidum, in:
Analecta hymnica XL VII, S. 282ff.) ; - 5) eine am Ende
des 9. Jh. in St. Gallen gepflegte Form lyrischer Dich-
tung. Sie gilt als Vorlauferin der um 1 100 auf bluhenden
Gattung der Prozessionshymnen, die in den Quellen
ebenfalls unter dem Namen V. tradiert werden und
sich im allgemeinen von den Offiziumshymnen durch
ihre metrische Textstruktur (vor allem Hexameter,
Distichen und fallende 15Silbler) und die Hinzufugung
eines Kehrverses imterscheiden (Beispiele in Monumen-
ta monodica medii aevi I, S. 448ff., Einfiihrung S. Xf.).
Die romische Liturgie verwendet den Prozessionshym-
nus heute nur noch am Palmsdnntag (Gloria, laus et
honor des Theodulf von Orleans), Griindonnerstag (O
redemptor, sume carmen) und Karfreitag (-> Pange lin-
gua). - 6) das ein- und mehrstimmige lateinische Lied
(rhythmische und gereimte Verse, oft mehrere Stro-
phen, haufig als Benedicamus Domino-Tropen) des
Saint-Martial-Repertoires, spater als Conductus be-
zeichnet. Der Terminus V. erscheint nur im Ms. 1139
(-» Quellen: SM 1).- 7) im Mittelalter gebrauchlicher
Name f iir das liturgische Drama. Seiner vielschichtigen
Bedeutung entsprechend kann V. auch fiir einzelne
Strophen, Doppelzeilen usw. innerhalb eines Stiickes
stehen. - 8) nach Johannes de Grocheo integrierender
Bestandteil des Cantus gestualis (die Zeile der -> Chan-
son de geste), Cantus coronatus (mit insgesamt 7 V.,
Doppelzeilen) und Cantus versicularis (mit nicht fest-
gelegter Anzahl von V.) ; - 9) romanisch vers: eine aus
dem Hymnus entwickelte strophische Dichtungsform
der -> Trobadors. - Das deutsche Wort Vers bezeich-
net im jiingeren Sprachgebrauch u. a. die -> Strophe
des protestantischen Kirchenliedes.
Versus ad repetendum (lat.), auch Versus ad respon-
dendum oder Versus prophetales genannt, heiBen jene
zusatzlichen Psalmverse, welche in ilteren Quellen des
Gregorianischen Gesangs (darunter St. Gallen 380 und
381, Einsiedeln 121) in Verbindung mit dem -*■ Introi-
tus und der -»■ Communio iiberliefert werden und
nach Auskunft romischer Ordines auf den Vortrag des
Gloria patri folgten. Sie kommen gelegentlich auch bei
Antiphonen des Offiziums vor.
Verwandlungsmusik -> Biihnenmusik.
Verwertungsgesellschaft ist eine jeweils nationale
Organisation zur treuhanderischen Verwaltung von
Urheberrechten, die ihr von Autoren und Verlegern
iibertragen werden; hauptsachlich handelt es sich um
musikalische Auffiihrungs- und Sende- sowie um die
sogenannten mechanischen Rechte (Schallplatten, Ton-
bander u. a.), fiir welche die V.en das Inkasso der fest-
liegenden Gebiihren von den »Musikverbrauchern« be-
sorgen und die Eingange nach den jeweiligen Vertei-
lungsplanen auszahlen. Die V.en arbeiten auf genossen-
schaftlicher Basis, erzielen also keinen eigenen Gewinn.
Im Zuge der deutschen Urheberrechtsreform wurden
1965 die Aufgaben der V.en durch Gesetz geregelt
(V.en-Gesetz), das zugleich eine staatliche Aufsicht
iiber die V.en festlegt. Fiir das Gesetz waren die bei der
GEMA gewonnenen Erfahrungen maBgebend. V.en
bestehen in etwa 40 Landern und iibertragen sich
gegenseitig ihren Verwaltungsbestand zur Wahrung.
Sie sind organisatorisch vereinigt in der -> CISAC
(Sitz Paris). -+ AKM, Osterreich; -+ ASCAP, USA;
65*
1027
Verzerrung
-► AWA, DDR; -* BMI, USA; -> BUMA, Nieder-
lande;->GEMA,BundesrepublikDeutschland;KODA,
Danemark; OSA, Tschechoslowakei; -> PRS, Grofi-
britannien; SAB AM, Belgien; SACEM, Frankreich;
SGAE, Spanien; SIAE, Italien; STIM, Schweden;
SUISA, Schweiz; TONO, Norwegen; ZAIKS, Polen.
Verzerrung. Mit V. wird die Veranderung bezeich-
net, die ein Schwingungsvorgang bei DurchJaufen ei-
nes mechanischen oder elektrischen Ubertragungswe-
ges erfahrt. Sie beruht darauf , daB eine lineare Kompo-
nente, in ein nichtlineares System eingef iihrt, ihre linea-
re Eigenschaft verliert. (Fast alle mechanischen und
elektrischen Systeme, so auch das Ohr, verhalten sich
mehr oder minder nichtlinear.) Mathematisch kann
jedes beliebige nichtlineare System durch die Beziehung
y=f(x) dargestellt werden. Danach ist z. B. eine in das
Ohr eingedrungene periodische Schwankung des Luft-
druckes y eine Funktion/(j<:) der einwirkenden Druck-
schwankungen im freien Schallfeld. Der Druckverlauf
des Schalles wird demnach nicht durch die Beziehung
y—a-x formuliert, die geometrisch eine gerade Linie
ist, sondern folgt der gekrummten (verzerrten) Kurve
der deshalb nichtlinear bezeichneten Gleichung y =f(x) .
Die Bezeichnung »nichtlineare V.« (streng genommen
eine Tautologie) wird vor allem in der Elektroakustik
gebraucht; hier werden lineare und nichtlineare V.en
unterschieden. Ruckschliisse auf Umfang und Auswir-
kungen der Nichtlinearitat des Ohres erlaubt die aus
der Gleichung f(x) entwickelte Potenzreihe
y=flo + aix+<J2* 2 4-(J3X 3 + . . . +a n x n ,
die eigentliche Nichtlinearitatsgleichung des Ohres
(Husmann). Sie besagt allgemein, daB der Schall erst
nach V. seines Druckverlaufes in das Innenohr gelangt,
d. h. zur urspriinglichen Frequenzstruktur kommen
Ober- und Kombinationsschwingungen hinzu. Diese
Komponenten entstehen wahrscheinlich sowohl am
Trommelfell und im Mechanismus der Knochelkette
(Hammer, AmboB, Steigbiigel) als auch im Innenohr.
Die Ausbildung von Kombinationstonen auch bei ge-
ringen Schallintensitaten (unter 40 dB) berechtigt zu
der Annahme, daB ihr Entstehen nicht allein mit me-
chanischen Schwingungsgesetzen erklart werden kann
(Reinecke). Im -> Horversuch ist die Nichtlinearitat
bis zur achten Potenz (... + agx s ) der angefiihrten
Reihe nachzuweisen. Fur die Koinzidenztheorie der
-> Konsonanz (- 2) von Husmann ist sie Voraussetzung
der ausgezeichneten Stellung konsonanter Intervalle.
Verzerrungsfreie Wiedergabe von Musik durch elek-
trische Ubertragungssysteme ist ein wichtiges Anlie-
gen der Elektroakustik; hier sind besonders iiber Hor-
barkeit und Storfahigkeit von V.en eingehende Un-
tersuchungen unternommen worden. Bei elektrischer
Musikwiedergabe entstehen leicht unharmonische
Kombinationsschwingungen durch Nichtlinearitaten,
die schon bei geringem V.s-Grad sonst nicht storende
Intonationsschwankungen bemerkbar machen. Tech-
nisches MaB fur den Grad der V. ist der von Kiipf-
miiller eingef iihrte Klirrfaktor. Schon 1 ,5% Klirrfak-
tor eines Ubertragungsgliedes beeintrachtigen das un-
verfalschte Horen aller Intervalle (Weitbrecht).
Lit. : K. Kupfmuller, Ober nichtlineare V. in Fernverbin-
dungen, Fachber. d. 31 . Jahresversammlung d. VDE, Wies-
baden 1926; W. Janowsky, Ober d. Horbarkeit v. V., Diss.
Dresden 1928; G. v. Bekesy, (jber d. nichtlinearen V. d.
Ohres, Annalen d. Physik XX, 1934; H. J. v. Braunmuhl
u. W. Weber, Ober d. Storfahigkeit nichtlinearer V., Aku-
stische Zs. II, 1937; E. G. Wever, Ch. W. Bray u. M.
Lawrence, The Locus of Distortion in the Ear, J ASA XI,
1940; W. Weitbrecht, Ober d. EinfluB nichtlinearer V.
auf d. Horbarkeit v. Verstimmungen mus. Intervalle, Fern-
meldetechnische Zs. Ill, 1950; G. Haar, Ober d. Charak-
ter d. Nichtlinearitat d. Ohres, in: Funk u. Ton V, 1951 ;
W. Reichardt, Grundlagen d. Elektroakustik, Lpz. 1952,
2 1954; H. Husmann, Vom Wesen d. Konsonanz, = Mus.
Gegenwartsfragen III, Heidelberg 1953; R. Feldtkeller,
Horbarkeit nichtlinearer V. bei d. Obertragung v. Instru-
mentenklangen, Acustica IV, 1954; E. Skudrzyk, Die
Grundlagen d. Akustik, Wien 1954; E. Zwicker, Der un-
gewohnliche Amplitudengang d. nichtlinearen V. d. Ohres,
Acustica V, 1955; H.-P. Reinecke, Akustik u. Musik, Kgr.-
Ber. Hbg 1956; ders., Experimen telle Beitr. zur Psychologie
d. mus. Hdrens, = Schrif tenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg
III, Hbg 1964;ders., Stereo-Akustik, Koln 1966. WiD
Verzierungen (Auszierungen, -> Manieren - 2, Orna-
mente; frz. agrements, broderies, ornements; engl.
graces, ornaments, embellishments; ital. fioretti, fiori-
ture, abbellimenti) ist die gemeinsame Bezeichnung
fur die durch besondere Zeichen oder kleinere Noten
angedeuteten oder andeutbaren Ausschmiickungen so-
wie fur gewisse rhythmische Veranderungen (z. B.
-> Notes inegales) einer Melodie. Die V. haben ihren
Ursprung in der Improvisation, ahnlich wie die ausge-
schriebene oder vom Interpreten extemporierte ->■ Di-
minution (- 2; engl. -> division) und die -> Kolorie-
rung. Wahrend letztere vor allem Tonschritte verschie-
dener IntervallgroBe melodisch ausfiillen, umspielen
die V. in erster Linie einzelne Tone. Im Laufe der mu-
sikgeschichtlichen Entwicklung scheiden sich allmah-
lich - wie Kristalle aus einer Lbsung - bestimmte ein-
zelne V. aus der Vielfalt melodischer Figuren aus. Ihre
Funktion und Anwendungsart wechseln von einer
Epoche zur anderen und konnen entscheidende Bedeu-
tung fur den jeweiligen Stil erlangen. Eine Verzierung
kann innerhalb einer Epoche durch verschiedene Zei-
chen ausgedriickt werden, und umgekehrt kann dassel-
be Zeichen verschiedene V. bedeuten, je nach Land,
Instrument und Komponist. Es entspricht der Klarheit
und Exaktheit der franzosischen Geistigkeit, daB die
graphischen Symbole im musikalischen Verzierungs-
wesen zu ihrer hochsten Differenziertheit im 17./18. Jh.
durch die Lautenisten, Gambisten und Cembalisten am
franzosischen Kdnigshof entwickelt wurden, von wo
sie dann in Deutschland und in anderen Landern iiber-
nommen wurden. Die von den Komponisten in ihren
Verzierungstabellen den Zeichen gegeniibergestellten
Auflosungen sollen und konnen nur eine Andeutung
fur den Interpreten darstellen, an dessen nachschopfe-
rische Fahigkeit in bezug auf Tempo, Rhythmus und
Affektgehalt fiir die Ausfuhrung stets appelliert wird;
vgl. J. S.Bachs Uberschrift zur Verzierungstabelle in
seinem Clavier-Buchkin fiir W.Fr.Bach (1720): Ex-
plication unterschiedlkher Zeichen, so gewifie manieren ar-
tig zu spielen, andeuten (! - Sperrung nicht original)
sowie Gottl.Muffats Vorrede zu seinen Orgelkom-
positionen (1726). Auf die enge Verbindung zwischen
Verzierungswesen und Geschmack weisen franzosische
Ausdriicke des 18. Jh. wie gout-du-chant und notes de
gout hin : mit ersterem bezeichnete man die Kunst der
Verzierung schlechthin, sowohl beim Gesang als auch
beim Spiel ; der letztere war ein verbreiteter Name fiir
kleine Vorschlagsnoten (vgl. J.-J. Rousseau, Diction-
naire). - Die zeitgenossischen Quellen bestehen aus
Lehrwerken und Verzierungstabellen sowie aus einigen
Kompositionen mit ausgeschriebenen V. Das Studium
dieser Quellen ist durch griindliche Stilkenntnis zu er-
ganzen, um nicht nur die Ausfiihrungsart angedeuteter
V. zu bestimmen, sondern auch beurteilen zu konnen,
ob und welche zusatzlichen V. an solchen Stellen an-
gebracht werden konnen bzw. miissen, an denen der
Komponist keine Ornamente angedeutet hat.
Bereits aus dem Mittelalter sind bestimmte Zeichen fiir
gewisse V. (z. B. -*■ Plica und -> Quilisma), auch die
Praxis der Improvisation sowohl einzelner Figuren als
1028
Verzierungen
audi ganzer zusatzlicher Stimmen bekannt. Die Quellen
erstrecken sich auf geistliche (Gregorianischer Gesang,
Notre-Dame-Schule) und weltliche Musik (Trobadors,
Trouveres). So wie die europaische Verzierungskunst
des Mittelalters sich auf die Tradition der Antike stiitz-
te (die ihrerseits orientalische Einfliisse aufgenommen
hatte), so entwickelte sich das Verzierungswesen der
Renaissance aus dem des Mittelalters, wie etwa in der
Musik des 14. Jh. in Florenz (Landini). Die unter der
Herrschaft des Kontrapunkts stehende Diminutions-
technik entfaltete sich in der von der Vokalpolyphonie
bestimmten Musik im spanisch-italienischen Raum zu
hochster Bliite. Hatte fiir die Orgel C.Paumann be-
reits in der Mitte des 15. Jh. damit begonnen, so folg-
ten im 16. Jh. mit ihren V. und Spielfiguren die Zupf-,
Streich- und Blasinstrumente. Hier finden sich samt-
liche spateren V. vorgebildet. Sogar zahlreiche spatere
Kompositionsformen, wie Fantasie, Ricercar, Toccata,
Praeludium (besonders dasjenige ohne Takteinteilung)
und der Orgelchoral finden sich ornamental konzi-
piert und extemporiert. Auch die ->• Variation verdankt
dieser Art von Ornamehtik entscheidende Impulse,
wie die englische Virginalmusik und die Geschichte der
Chaconne oder Passacaglia beweisen. - Am Ende des
16. Jh. widmete der Sanger G.L. Conforti in seinem
kleinen Diminutionstraktat Breue et facile maniera d'es-
sercitarsi . . . afar passaggi (Rom 1593) unter insgesamt
30 Seiten mit Notenbeispielen 1 Seite verschiedenen,
namentlich bezeichneten und ausgeschriebenen, aber
noch nicht mit Zeichen versehenen Arten des Gruppo
und des -» Trillo (- 2) . Zusatzlich zu diesen beiden ersten
V. erscheinen kurz darauf in einem der mafigebenden
Werke des um 1600 mit dem begleiteten Sologesang
beginnenden neuen Stils, namlich in G.Caccinis Le
nuove musiche (Florenz 1601), Ausdriicke wieEsclama-
zione affettuosa, languida, piu viva und spiritosa fiir
bestimmte Tonfolgen. Die einzelnen V. - spater »we-
sentliche Manieren« genannt, im Gegensatz zu den auf
die Diminutionstechnik zuriickgehenden »willkiirli-
chen Veranderungen« - nahmen an Zahl, Verfeinerung
und Verastelung bis zum Ende des 18. Jh. standig zu,
ebenso die Vorschriften fiir ihre Anwendung. In jedem
Lehrwerk fiir Gesang und fiir Instrumentenspiel bean-
spruchen sie immer langere Kapitel (in C.Ph.E. Bachs
Versuch fast die Halfte des gesamten Buches), wobei
haufig der ->■ Vorschlag (Appoggiatura) als wichtigste
Verzierung gesondert von den iibrigen behandelt wird.
Die V. haben im Barock nicht mehr vorwiegend me-
lodische, sondern in wachsendem MaBe auch harmo-
nische und rhythmische Bedeutung. Mit dieser Verla-
gerung der Funktionen hangt es zusammen, daB auch
noch geraume Zeit spater die V. in ihrer iiberwiegen-
den Mehrzahl auf den Taktschlag und unter Hervor-
hebung ihrer harmoniefremden, dissonanzbildenden
Nebennoten ausgefiihrt werden. Die freie, passagenar-
tige Ausschmuckung bleibt mehr und mehr langsamen
Satzen fiir Melodieinstrumente vorbehalten oder geht
in ausgeschriebener Form direkt in die Komposition
ein, wie etwa in vielen WerkenJ. S. Bachs, der mit zu-
nehmendem Alter aus MiBtrauen gegen Fehlinterpre-
tationen zur Ausschreibung aller Arten von Ornamen-
ten iibergeht, wahrend im gleichen Zeitraum Fr. Cou-
perin aus demselben Grande seine Kompositionen mit
einem immer dichteren Netz von Verzierungszeichen
iiberzieht, auf deren gewissenhafte Beachtung er im
Vorwort zum 3. Buch seiner Pieces de clavecin {\722)
nachdriicklich hinweist. (Vgl. W.Landowskas »De-
kolorierung« des Andantes aus Bachs Italienischem
Konzert [in: Musique ancienne, Paris 1909, 61921, NY
1926], wodurch statt der nur 16 mit Zeichen und
kleinen Noten angedeuteten V. iiber 150 Ornamente
in den 49 Takten dieses Satzes sichtbar gemacht wer-
den.) - Beriihmt wurde J. A. Scheibes Angriff auf das
schwiilstige und verworrene Wesen Bachscher Stiicke und
insbesondere der Vorwurf : Alle Manieren, alle kleine
Auszierungen, und alles, was man unter der Methode zu
spielen versteht, drucket er mit eigentlichen Noten aus . . .
sowie J. A. Birnbaums Verteidigung gerade dieser fiir
die damalige Zeit eigentiimlichen Schreibweise Bachs.
- Wahrend die Komponisten im Zeitalter der Emp-
findsamkeit sich noch zahlreicher und hochgradig
differenzierter V. bedienten (vgl. Turk, Klavierschule
III-V), gingen die Meister der Wiener Klassik und
noch mehr der Romantik immer konsequenter zur
Ausschreibung iiber, und es bleiben im 19. Jh. aus der
Fiille der »wesentlichen Manieren« des Barocks schlieB-
lich nur noch einige wenige Formen von Vorschlag,
Triller und Doppelschlag iibrig, wahrend die Kunst
der freien Ausschmuckung durch »willkurliche Veran-
derungen« sich auf die Kadenz beschrankte. Aber auch
diese wenigen V. andern sich hinsichtlich Funktion
und Ausfiihrung, entsprechend der Entwicklung des
Kompositionsstils und der Musikinstrumente.
Die beste und umfassendste Erklarung fiir die Notwen-
digkeit und Bedeutung der V. hat C. Ph.E. Bach in sei-
nem Versuch gegeben (II. Hauptstiick, 1 . Abteilung, § 1) ;
sie ist zumindest fiir den Zeitraum zwischen 1600 und
1800 giiltig, in dem die V. ihre hochste Blutezeit hat-
ten. Ausgehend von C.Ph.E. Bachs Definitionen lassen
sich funktionsmaBig 3 Hauptgruppen von V. unter-
scheiden: melodische, rhythmische und harmonische,
wobei viele V. haufig mehr als nur eine Funktion ha-
ben. - AuGer den einfachen V. gibt es auch zusammen-
gesetzte V., bestehend aus 2 oder mehr Figuren, die
ebenfalls als voneinander unabhangige, einfache V.
existieren. Ihre Handhabung richtet sich nach einer der
in ihr enthaltenen einfachen V. Die aus dem musikali-
schen Zusammenhang gewonnene Erkenntnis der
Hauptfunktion eines Ornaments ist von grundlegender
Bedeutung fiir die richtige Art seiner Ausfiihrung. -
Historisch gesehen lassen sich die V. in natiirlich ge-
wachsene Gruppen mit verwandten auBeren Merkma-
len einteilen. Die wichtigsten Verzierungsgruppen sind
diejenigen der -> Vorschlage und der -s- Triller. Zu der
erstgenannten gehoren auBer alien Arten langer und
kurzer Vorschlage auch der ->• Schleifer, der Nach-
schlag {-*■ Vorschlag) und der -> Anschlag (- 1). Zur
Gruppe der Triller gehoren der ->• Mordent, die ->■ Be-
bung, das -*■ Vibrato (Schwebung) der Streichinstru-
mente und die -»• Ribattuta (Zuriickschlag). Zahlreiche
andere V., wie der -> Doppelschlag, das -*■ Arpeggio
sowie solche, die aus verschiedenen Arten von Durch-
gangs- und Wechselnoten bestehen, bilden eine Grup-
pe, deren hauptsachliches Merkmal in der Aufteilung
einzelner lingerer Notenwerte in mehrere kiirzere be-
steht. Die.Zugehorigkeit eines Ornaments zu einer be-
stimmten Gruppe besagt nichts iiber seine Funktion.
So haben z. B. die verschiedenen Formen von Vor-
schlagen verschiedene Funktionen, wahrend Triller
und Doppelschlag in einem bestimmten Zusammen-
hang ahnliche Funktionen ausiiben, obwohl sie ver-
schiedenen Gruppen angehoren. - Die Wichtigkeit der
V. fiir eine lebendige und gleichzeitig stilgemaBe sowie
iiberzeugende Interpretation von Musik des 17./18. Jh.
erfordert heute nicht nur zuverlassige Ausgaben von
Kompositionen jener Zeit, sondern vor allem eine
griindliche Spezialausbildung.
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ner Componisten, mit d. Art sie zu singen u. zu verandern
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nery. B. Paumgartner, Mainz (1952); G. Ph. Telemann, 12
1029
Verzierungen
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schlag, Die Ornamentik d. Musik, Lpz. 1908, Nachdruck
1953; R. Lach, Studien zur Entwicklungsgesch. d. or-
namentalen Melopoie, Lpz. 1913; A. Dolmetsch, The
Interpretation of the Music of the 1 7 th and 1 8 th Cent., Lon-
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Kolorierungspraxis d. 18. Jh., ZfMw XVI, 1934; R. Fa-
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teverdi's Shorter Dramatic Works, Kgr.-Ber. Koln 1958;
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Bd I u. II; R. Donington, Thelnterpretation of Early Music,
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such; H.-M. Peter, Die Blockfl. u. ihre Spielweise in Ver-
gangenheit u. Gegenwart, Bin 1953. ERJ
Vesper (lat. vesperae, Abend), die vorletzte Hore des
->- Of fiziums. Mit ihr verband sich im Laufe der Jahr-
hunderte und in den verschiedenen Liturgiebereichen
eine zumeist uneinheitliche Sinngebung, da sie teils als
AbschluB des Tages (Abendgebet), teils als Einleitung
1030
Vibrato
zur Vigil (dem nachtlichen Chorgebet) verstanden
wurde. Dieser Hintergrund spiegelt sich noch heute im
Stundengebet der Sonntage und der hoheren Festtage
wider, welches nach lateinischem Ritus eine doppelte
V. besitzt (Beginn des Offiziums am Vorabend mit der
1. V., wahrend am Abend des Tages selbst eine 2. V.
gefeiert wird). Historische Quellen und die bis zu den
jiingsten Liturgiereformen geltenden Rubriken beto-
nen den Vorrang der Primae vesperae, wogegen das
2. -> Vatikanische Konzil ihre schon 1955 verordnete
(weitgehende) Abschaff ung bestatigt und die (bisherige
2.) V. eindeutig als das liturgische Abendlob der Kirche
definiert (Constitutio de sacra liturgia, Artikel 89a). - Im
Aufbau gleicht die romische V. den ->• Laudes; nur
stehen 5 Psalmen anstelle der dort iiblichen Vierzahl
und eines alttestamentlichen Canticum, und dem Bene-
dicts Dominus Deus Israel entspricht das -> Magnificat
als Hohepunkt dieser Hore. Im Unterschied hierzu
kennt die monastische V. nur 4 Psalmen; doch enthalt
sie zusatzlich ein Responsorium breve (nach dem Ca-
pitulum) sowie Kyrie eleison und Pater noster vor der
Tagesoration. Textlich, vor allem in der Auswahl der
Psalmen, ist die V. nicht so deutlich wie die Laudes der
Tagesstunde zugeordnet, sondern beriicksichtigt mehr
den Charakter des jeweiligen Festes. - Als der am hau-
figsten offentlich gefeierte Teil des Offiziums wurde
das V.-Gebet zu einem bevorzugten Gegenstand mehr-
stimmiger Kompositionen (denen in der Regel nur die
Antiphonen, die Psalmen und das Magnificat zugrunde
liegen). Aus ihrer Reihe seien Monteverdis Marien-V.
(1610), ferner Mozarts Vesperae de Dominica, K.-V. 321 ,
und Vesperae solennes de confessore, K.-V. 339, von 1779
und 1781 genannt. - Im evangelischen Gottesdienst,
der von den kanonischen Horen die V. am langsten be-
wahrte, gibt es seit mehreren Jahren Versuche zu einer
Neubelebung dieser Gebetsstunde (Alpirsbach, Ber-
neuchener Kreis, Taize u. a.).
Vesperale (lat.), Auszug aus dem -> Antiphonale
bzw. -> Brevier mit den Vespern fiir das ganze Kir-
chenjahr oder fiir die Sonn- und Festtage, meist unter
EinschluB der Komplet, im deutschen Sprachgebiet
vor allem als Rbmisches Vesperbuch (lateinisch-deutsche
Fassung) verbreitet. Das V. gehort nicht zu den -» Li-
turgischen Biichern der romischen Kirche.
Ausg. (in Ausw.): V. Romanum, Regensburg 1875ff. (zu-
gleich Vorlage einer Reihe v. Diozesan-Ausg.); Vespera-
rum Liber juxta Ritum Sacri Ordines Praedicatorum,
letzte Auflage Rom 1900; verschiedene Ausg. d. V. Ro-
manum bzw. d. Romischen Vesperbuchs im AnschluB an
d. Vatikanische Antiphonale (1912), u. a. erschienen in
Regensburg, Diisseldorf u. Tournai; Das Vesperbuch d.
monastischen Breviers, hrsg. v. d. Erzabtei Beuron, Re-
gensburg 1936 (lat.-deutsch, ohne Melodien); Liber Ves-
peralis, hrsg. v. Gr. Sunyol OSB, Tournai 1939 (f. d. am-
brosianischen Liturgiebereich).
Vetter Michel -»- R o s a 1 i e.
Vibraphon (von lat. vibrare, zittern), in den 1920er
Jahren aufgekommenes Metallstabspiel, das zuerst im
Jazz (Swing-Stil) Verwendung fand. Die bekanntesten
Vibraphonisten sind Lionel Hampton und Milt Jackson
(im Modern Jazz Quartet). Die aus Leichtmetall be-
stehenden Stabe bzw. Platten sind, wie bei den ver-
wandten Instrumenten Marimba, Metallophon und
Glockenspiel (und teilweise beim Xylophon), klavia-
turmafiig (Umfang f-f3) angeordnet. Unter jeder der
mit weichen Schlageln angeschlagenen Platten befin-
det sich ein abgestimmter Resonator in Rohrenform.
Rotierende Klappen, die in den oberen Rohrenenden
auf einer gemeinsamen Achse angebracht sind und
durch eineri Elektromotor angetrieben werden, offnen
und schlieBen die Resonatoren abwechselnd und erzeu-
gen damit das charakteristische Vibrato (genauer: Tre-
molo). Der Spieler kann das Vibrato dadurch difie-
renzieren, daB er die Drehgeschwindigkeit der Klap-
pen beschleunigt oder verlangsamt. Die Tondauer wird
iiber eine Dampfungsvorrichtung (Pedal) reguliert.
Der eigenartig schwebende weiche Klang lieB auch
Komponisten wie A. Berg (Lulu, 1937), O.Messiaen
(Trois petites liturgies, 1945), P.Boulez (Le marteau sans
maitre, 1954) auf das V. aufmerksam werden. Milhaud
schrieb ein Konzert fiir V. und Marimba.
Vibrato (ital.), Bezeichnung fiir rasche Wiederho-
lungen von Tonhohenschwankungen auf Saitenin-
strumenten mit Griffbrett sowie, ausnahmsweise, auch
auf Blasinstrumenten, im Unterschied zu ->■ Tremo-
lo (- 4), der Bezeichnung fiir rasche Intensitatsschwan-
kungen ohne Tonhohenveranderung. In der Praxis
werden beide Begriff e haufig miteinander verwechselt.
Die -> Bebung auf dem Clavichord besteht aus einer
Vereinigung von V. und Tremolo. - Als Verzierung an
geeigneten Stellen und mit besonderen Zeichen wurde
das V. bereits im Barock verwendet; dagegen wird es
als Hilfsmittel fiir normale Tonerzeugung auf Streich-
instrumenten erst seit wenigen Jahrzehnten benutzt,
nachdem noch zu Beginn des 20. Jh. J.Joachim in sei-
ner Violinschule (1905) das V. als besondere Aus-
schmiickung unter ausdriicklicher Berufung auf L.
Spohr gelehrt hatte, der seinerseits in diesem Punkt
noch vollig die Anschauung des 18. Jh. vertrat. Erst C.
Flesch nimmt in seiner Kunst des Violinspiels (1923-28)
eine nachgiebigere Haltung gegeniiber der standigen
Verwendung des V.s ein, doch empfiehlt er eine dem
jeweiligen Ausdrucksgehalt entsprechende Differen-
zierung der Ausfiihrung. - Im 17. Jh. werden fiir die
Laute und die Viola da gamba 2 Arten des V.s beschrie-
ben : mit einem Finger, ahnlich der heutigen Ausfiih-
rung, und mit 2 Fingern, wobei der eine Finger die
Saite fest greift, wahrend der andere die Saite dicht da-
neben rasch und leicht beriihrt (Beispiel aus J. Play-
ford 1645) :
Altere Bezeichnungen fiir das Einfinger-V. : frz. verre
casse (Laute), langueur und plainte (Gambe); engl.:
sting (Laute); fiir das Zweifinger-V. : frz. battement,
pince, flattement; engl. close shake (spater, z. B. bei
Geminiani, fiir V. schlechthin) ; frz. ferner auch: flatte,
balancement, tremblement, tremblement serre ; ital. :
tremolo, ondeggiamento. - Tartini und nach ihm L.
Mozart (1756) unterscheiden zwischen einem regel-
maBig langsamen, einem regelmaBig schnellen und ei-
nem sich allmahlich beschleunigenden V., das von bei-
den Tremolo genannt und mit den gleichen Zeichen
angedeutet wird :
' Tremolio tardo,
ma eguale
veloce,
ma eguale
gradi, die passan
dal tardo al veloce
In derselben Weise und mit den gleichen Zeichen lehrt
noch L. Spohr in seiner Violinschule (1832) das von ihm
»Bebung« genannte V. als eine »Ausschmiickung«, wo-
bei er die drei von Tartini und L. Mozart dargestellten
Formen durch diejenige der »langsamerwerdenden« Be-
bung ««wwv erganzt. - Beim Gesang wird dem (leich-
ter ausf iihrbaren) V. mit seinen Tonhohenschwankun-
gen das -*■ Tremolo (- 4) mit seinen Intensitatsschwan-
kungen vorgezogen, um den Ton warmer und leben-
diger zu machen; so wurde es bereits von Monteclair
in der 1. Halfte des 18. Jh. unter dem Namen »Flate«
definiert und empfohlen. - Bei Blasinstrumenten wur-
1031
Vicenza
de das V. audi durch leichtes Auf- und Abdecken eines
Grifflochs (flattement, battement) ausgefiihrt. ERJ/BB
Vicenza.
Lit.: A. Alvera, I vicentini distinti nella musica, V. 1827;
F. Formenton, Storia del Teatro Eretemio di V., V. 1868;
G. Mocenigo, I teatri moderni di V. dal 1650 al 1800 .. .,
Bassano 1894; G. Mantese, La cappella mus. del duorao
di V., Note d'arch. XIX, 1942; ders., Storia mus. vicentina,
V. 1956; L. Schrade, La reprdsentation d'Edipo Tiranno
. . ., Paris 1960; A. Gallo u. G. Mantese, Ricerche sulle
origini della cappella mus. del duomo di V., = Civilta ve-
nezianaXV, Venedig(1964).
Victim ae paschali laudes (lat.), die Ostersequenz
der romisch-katholischen MeBfeier. Ihre heute iibliche
Verwendung an alien Tagen der Osterwoche entspricht
den Vorschriften im Missale Pius' V. Nach Ms. 366 der
Stiftsbibliothek Einsiedeln (Ende 11. Jh., Faks. bei
Schubiger, Ta£el VIII) stammt die Sequenz von Wipo,
dem Hofkaplan Konrads II. und Heinrichs III. Ob
Wipo auch als Schopfer der Melodie angesehen werden
darf, ist ungewiB. Urspriinglich aus einer Einleitungs-
strophe und 3 Doppelstrophen bestehend, wurde der
Text 1570 um den Passus Credendum est magis soli / Ma-
rine veraci, / quamjudaeorum / turbaefallaci (= Strophe 6)
gekiirzt, so daB der regelmaBige Aufbau des Stiickes
verlorenging. Das V. p. 1. umfaBt 2 inhaltlich und for-
mal eigenstandige Teile, wobei in den Strophen 1-3
(Erlauterung des Ostergeheimnisses) ausschlieBlich die
Assonanz, in den Strophen 4-7 (Dialog zwischen Ge-
meinde und Maria Magdalena mit nachf olgendem Lob-
preis) hingegen der Reim angewendet wird. Schon im
12./13.Jh. rand die Sequenz (vorallemTeilll: Die nobis,
Maria . . .) Eingang in das liturgische und auBerlitur-
gische Osterdrama, dessen weitere Entwicklung sie
entscheidend beeinfluBte. Von ihrer ungewohnlichen
Ausstrahlungskraft zeugen auch zahlreiche Nachdich-
tungen seit der Zeit um 1 100, darunter mehrere Marien-
sequenzen mit dem Textbeginn Virgini Mariae laudes
(Analecta hymnica LIV, siehe darin auch S. 24, 39f., 72,
77 und 112) und als Kuriosum aus dem 16. Jh. die ge-
gen Luther gerichtete Sequenz Pessimas Lutheri fraudes
(Univ.-Bibl. Basel, Ms. ANII46; Text bei Handschin).
Die im Bereich des 1 . und 2. Kirchentons verlaufende,
weitgespannte Melodie der Ostersequenz zeigt einen
sehr starken inneren Zusammenhang der Versikel und
Abschnitte, wodurch sie sich im Unterschied zum Text
als einheitlich konzipiertes Gebilde erweist. Einige ihrer
Versikel bilden melodisch die Grundlage der mittel-
alterlichen Leise Christ ist erstanden. Letztere wurde,
auch im lutherischen Gottesdienst, haufig als Zwischen-
gesang der Gemeinde strophenweise in die vom Chor
gesungene Sequenz eingeschoben (vgl. auch die Pro-
sa de Resurrectione der 1 . Ostermesse von Johannes Galli-
culus, 1539).
Ausg. : W. Baumker, Das kajji. deutsche Kirchenlied in
seinen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck
Hildesheim 1962; Analecta hymnica medii aevi LIV, hrsg.
v. Cl. Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1915 (vollstan-
digerTextd. V. p.l.).
Lit.: A. Schubiger OSB, Die Sangerschule St. Gallens v.
8. bis 12. Jh., Einsiedeln u. NY 1858, Nachdruck Hildes-
heim 1966; E. de Coussemaker, Drames liturgiques du
moyen-age, Rennes u. Paris 1860; J. Handschin, Gesun-
gene Apologetik, in: Miscellanea liturgica in honorem L.
C. Mohlberg II, = Bibl. »Ephemerides Liturgicae« XXIII,
Rom 1949, auch in: Gedenkschrift J. Handschin, Bern u.
Stuttgart 1957; K. Young, The Drama of the Medieval
Church I, Oxford 21951 ; Leiturgia. Hdb. d. ev. Gottes-
dienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. Blankenburg, Bd
IV: Die Musik d. ev. Gottesdienstes, Kassel 1961. KWG
Vide (lat.), siehe ; Verweisungszeichen bei Kiirzungen
oder Varianten, in Partitur und Stimmen, wo ein
Sprung (Strich) gemacht werden soil oder kann. Vi-
steht dann zu Anf ang und -de zu Ende der auszulassen-
den S telle.
Viella (mittellat.) ->■ Fiedel (- 1).
Vielle (vjel, frz.) -*■ Viola (- 1), -> Drehleier.
Vierhebigkeit. Die Folge von 4 Hebungen (bei wech-
selnder Zahl von Senkungen) wurde von K. Lachmann
und W.Mullenhoff als Grundform aller deutschen
Kurzzeilen bis um 1600 festgestellt. In der Erforschung
des alteren deutschen 1st. Liedes wurde um 1900 die V.
in Verbindung gebracht mit der modernen Lehre vom
Taktmetrum und von der 8taktigen -> Periode. Da ei-
ne mensurale Deutung der originalen Notation nicht
moglich ist, wurde die vierhebige Zeile als Gruppe von
4 Zweiertakten (Runge, Saran und Bernoulli) oder
2 e-Takten (H. Riemann) iibertragen. Bedenkliche Kon-
sequenzen dieser Methode sind die genaue rhythmi-
sche Messung, die gleiche Abstande zwischen den He-
bungen voraussetzt, die oft inkonsequente Behandlung
der Melismen und vor allem die Tatsache, daB die
Grundform der V. an Stellen, wo der Dichter von ihr
abgeht, durch die musikalische Ubertragung wieder-
hergestellt wird (z. B. durch Dehnung einer dreihebi-
gen Zeile auf 4 oder 2 Takte), ohne daB Verlauf oder
Notation der Melodie einen Anhaltspunkt hierfur bo-
ten. Durch A. Heusler fand dann die Gleichsetzung von
Versgliederung und musikalischer Metrik im Sinne des
modernen Taktsystems auch in die germanistische Vers-
lehre Eingang. H. Riemann sah V. und Viertaktigkeit
auch iiber den Bereich der altdeutschen Dichtung hin-
aus als normative Grundform verschiedener Versarten
(z. B. des Hexameters) an und legte diese Anschauung
seiner Deutung der rhythmischen Verhaltnisse in den
Liedern der Trobadors und Trouveres sowie im gre-
gorianischen Choral zugrunde.
Lit. : Die Sangesweisen d. Colmarer Hs. . . . , hrsg. v. P.
Runge, Lpz. 1896, S. XVIff.; Die Jenaer Liederhs., hrsg.
v. G. Holz, Fr. Saran u. E. Bernoulli, 2 Bde, Lpz. 1901 ;
H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905; A. Heusler,
Deutsche Versgesch., 3 Bde, in : GruhdriB d. germanischen
Philologie VIII, 1-3, hrsg. v. H. Paul, Bin u. Lpz. 1925-29,
Bin 21956; U. Pretzel u. H. Thomas, Deutsche Verskunst,
in: Deutsche Philologie im AufriB III, hrsg. v. W. Stamm-
ler, Bin (1957, 2 1962); B. Kippenberg, Der Rhythmus im
Minnesang, = Miinchener Texte u. Untersuchungen zur
deutschen Lit. d. MA III, Miinchen 1962; E. Jammers,
Ausgew. Melodien d. Minnesangs, = Altdeutsche Text-
bibl., Erganzungsreihe I, Tubingen 1963.
Viertelnote (ital. semiminima; frz. noire; engl. crot-
chet; in den USA auch quarter note): J; Pause (frz.
soupir) : \ (bis um 1900 auch: ?).
Vierteltonmusik wurde zuerst von J.H.Foulds 1898
in einem Streichquartett praktisch verwendet. R.H.
-> Stein, -> Moellendorff und -»• Mager folgten zwi-
schen 1906 und 1917 mit Kompositionen, theoretischen
Schriften und dem Bau von bichromatischen Tasten-
und Blasinstrumenten. Sie forderten die Einfuhrung
der Vierteltone zur klanglichen Bereicherung, woge-
gen Busoni und A. -*■ Haba durch die mehrfache Tei-
lung des Ganztones eine Vermehrung der Letter- und
Melodiemoglichkeiten in einer starker linear gedach-
ten Musik erzielen wollten. Haba beruft sich dabei auf
die slowakische Volksmusik und tritt seit 1919 durch
Kompositionen (Kammer- und Chormusik, Oper Die
Mutter, 1930), Schriften und Lehrtatigkeit sowie mit
dem Bau von Tasten-, Bias- und Zupfinstrumenten
fur gleichschwebend temperierte Drittel-, Viertel-,
Sechstel- und Zwolfteltonsysteme ein; Vierteltonkla-
viere und -fliigel baute er mit der Firma A. Forster. Mit
V. beschaftigten sich nach 1920 auch G.N.Rimskij-
1032
Villancico
Korsakow in Leningrad, I. Wyschnegradskij in Paris
und J. Carillo in New York. L. Nono verwendet in Sul
ponte di Hiroshima (fur Chor und Orch.* 1962) Viertel-
tone nur im Akkord (Blechblaser und Streicher), nicht
melodisch. - 1920 hat Bartok prophezeit (Melos I):
Die Zeit der Weiterteilung des halben Tons (vielleicht ins
Unendliche?) wird jedenjalls kommcn, wenn auch nicht in
unseren Tagen, sondern in Jahrzehnten und Jahrhunderten.
Lit. : F. Busoni, Entwurf einer neuen Asthetik d. Tonkunst,
Triest 1907, Lpz. 21916, Nachdruck Wiesbaden 1954; J.
Mager, V., Aschaffenburg 1916; W. v. Moellendorff,
Musik mit Vierteltonen, Lpz. 1917; A. Haba, Harmo-
nische Grundlagen d. Vierteltonsystems, Prag 1922;
ders., Neue Harmonielehre, Lpz. 1927; L. Kallenbach-
Greller, Die hist. Grundlagen d. Vierteltone, AfMw
VIII, 1926.
Vierundsechzigstelnote (ital. semibiscroma ; frz.
quadruple croche; engl. hemidemisemiquaver; in den
USA auch sixtyfourth note) : J^ ; Pause (frz. seizieme
de soupir) : $ .
Vietnam -*■ Hinterindien.
Vihuela (bifl'ela, span.; -> Viola - 1), in Spanien Be-
zeichnung fur verschiedene Saiteninstrumente : im 13.-
15. Jh. als V. de arco fur die Fiedel, im 16. Jh. fur die
Viola da gamba; bis ins 15. Jh. als V. de penola fur die
Chitarra battente; heute regional f iir die Gitarre. - Die V.
de mano ist das spanische Zupfinstrument der Kunst-
musik des 16./17. Jh. Sie hatte dort dieselbe Bedeutung
wie die Laute in Deutschland und Frankreich, die in
Spanien (als V. de flandes) nicht im gleichen MaBe ver-
breitet war. Die V. de mano ist ihrem Bau nach der
Gitarre gleich; sie unterscheidet sich von ihr durch die
groBere Anzahl der Saiten (5-7 gegeniiber 4 der Gi-
tarre jener Zeit), durch das Repertoire und die Spiel-
technik. Das Repertoire, fiir eine oder 2 V.s de mano,
auch fiir V. de mano und Gesang, enthalt 2-5st. Inta-
volierungen liturgischer Satze, von Motetten, Faux-
bourdons, Madrigalen, Villanesken, Chansons, Fan-
tasias und ->■ Tientos, auBerdem -> Glosas und -> Di-
ferencias (iiber Tanze und populare Romanzenmelo-
dien), notiert in Griffschrift (Tabulatur) mit Ziffern
(cifras) auf 6 Linien, die den Saiten der V. entsprechen
(z. B. G c f a di gi). Die bedeutendsten Meister der V.
de mano waren L.Milan, L. de Narvaez, A.Mudarra,
E. de Valderrabano, D.Pisador, M. de Fuenllana, Ve-
negas de Henestrosa, T. de Santa Maria, E.Daza und
A. de Cabezon. Einige der Vihuelisten sind bedeutsam
fiir die Uberlieferung der -*■ Romanze. Gegen Ende
des 16. Jh. gab die V. de mano ihre hervorragende Stel-
lung in der Instrumentalmusik Spaniens an die Tasten-
instrumente und die Viola da gamba ab; gleichzeitig
begann, zunachst in Spanien, die Bliite der Musik fiir
->■ Gitarre.
Ausg.: G. Morphy, Les luthistes espagnols du XVI e s.,
2 Bde, Lpz. 1902; L. Milan, Libro de musica de v. de ma-
no, hrsg. v. L. Schrade, = PaM II, Lpz. 1927; E. M. Tor-
ner, Coleccion de vihuelistas espafioles del s. XVI, 2 H.,
Madrid 1923; L. Venegas de Henestrosa, Libro de cifra
nueva . . ., = MMEsp II, Barcelona 1 944, 2 1965;L. deNar-
vaez, Los seys libros . . . , ebenda III, 1945; A. Mudarra,
Tres libros ..., ebenda VII, 1949; E. de ValderrAbano,
Libro de musica . . . , ebenda XXII-XXIII, 1965.
Lit.: J. Bermudo, Declaration deinstr. mus., (Osuna) 1555,
Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, =DM1 I, 11, 1957; J. Br.
Trend, L. Milan and the Vihuelistas, = Hispanic Notes
and Monographs XI, London 1925; L. Schrade, Das
Problem d. Lautentabulatur-Ubertragung, ZfMw XIV,
1931/32; W. Apel, Early Span. Music for Lute and Key-
board Instr., MQ XX, 1934; J. Bal, Fuenllana and the
Transcription of Span. Lute Music, AMI XI, 1939; E. Pu-
jol ViLLARUBf, Les ressources instr. et leur role dans la
musique pour v. et pour guitare au XVI e et au XVH e s., in :
La musique instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot,
Paris 1 955 ; D. Devoto, Poesie et musique dans l'ceuvre des
vihuelistes, Ann. Mus. IV, 1956; D. Poulton, Notes on
Some Differences Between the Lute and the V. and Their
Music, The Consort XVI, 1959.
Villancico (biXanG'iko, span., von villano, Bauer),
eine poetisch-musikalische Form in Spanien, die wahr-
scheirilich auf eine der mittelalterlichen Refrainformen
(Virelai, Ballade) zuriickgeht. Die ursprunglich welt-
lichen vulgarsprachlichen V.s gehorten wegen ihres
stilisierten volkstiimlichen Inhalts trotz einfachster,
meist drei- bis vierstimmig homophoner Satzweise zu
den beliebtesten musikalischen Formen der spanischen
Renaissancezeit. Das umfangreiche V.-Repertoire ist in
mehreren -> Cancioneros teilweise anonym iiberliefert.
Die Sammelhandschrift Cancionero musical de Palacio
(1500) enthalt 400 V.s, darunter etwa 70 Kompositio-
nen von Encina, dessen V.s als reprasentativ fiir die
Form angesehen werden. Obwohl gerade in jenem
Cancionero der Titel V. mehrdeutig und offenbar nur
zur Abgrenzung gegen die Romance (->• Romanze)
gebraucht wird, kann doch ein klassischer V.-Typus
festgestellt werden, dessen Wesensmerkmal in einer
formalen Inkongruenz von textlichem und musikali-
schem Aufbau begriindet liegt. Einer refrainartigen
Einleitung von 2-4 Zeilen (estribillo, gelegentlich auch
selbst v. genannt) folgt die Strophe (copla), bestehend
aus einer mehrzeiligen Mudanza mit eigener Melodie
und einer Vuelta. Letztere ubernimmt die Melodie des
Estribillo, stimmt aber erst in ihrem zweiten Teil in
dessen Text mit ein:
«p yy a(3 a(3 T Be Se 8£y
oder erweitert etwa:
aA bb bA aBB cd cd dBB
Nur in alteren V.s fallen Estribillo und Vuelta refrain-
artig zusammen. - AuBer dem mehrstimmig vokalen
V. gibt es in den Drucken von Musik fiir Vihuela des
16. Jh. auch V.s in der Form von Sololiedern mit In-
strumentalbegleitung. Bekannte V.-Melodien dienten
zudem haufig als Thema fiir Variationen auf der Vi-
huela. - Neben den weltlichen V.s, die gelegentlich
auch am SchluB von dramatischen Werken gesungen
und getanzt wurden, gab es schon friih eine bedeuten-
de Tradition von geistlichen V.s. Ihre Beliebtheit fiihr-
te trotz koniglichen Verbots (1596) zur Einfuhrung in
die lateinische Liturgie. Bis ins 18. Jh. wurden an hohen
Kirchenfesten, besonders zu Weihnachten, religiose
V.s mit vulgarsprachlichem Text zwischen den Re-
sponsorien der Matutin, manchmal auch anstelle des
Offertoriums vorgetragen. - Im 17. bis 18. Jh. war V.
die spanische Bezeichnung fiir die geistlichen Kantaten,
die alljahrlich an kirchlichen Hochfesten aufgefiihrt
wurden. Diese meist mehr musikalisch als textlich
hochstehenden Werke bestehen gewohnlich aus einer
kurzen Einleitung fiir Solostimme, einem groB ange-
legten 6- bis 12st. Chorsatz mit Instrumenten (estri-
billo) und mehreren solistischen Stiicken mit General-
baB (copla). Am SchluB folgt eine Wiederholung des
Estribillo. - Heute ist V. die spanische Bezeichnung fiir
volkstumliche Weihnachtslieder, die teilweise auch
mit Instrumenten begleitet werden.
Ausg.: MMEsp III (L. de Narvaez), IV (J. Vasquez), V, X
(Cancionero mus. de Palacio), VII (A. Mudarra), VIII, IX
(Cancionero mus. de la Casa Medinaceli), XVI, XIX (Fr.
Guerrero), Barcelona 1945-57; G. Morphy, Les luthistes
espagnols du XVI e s., 2 Bde, Lpz. 1902.
Lit. : A. Geiger, Bausteine zur Gesch. d. iberischen Vulgar-
V., ZfMw IV, 1921/22; H. Angles, Die span. Liedkunst
im 15.u. am Anfangd. 16. Jh.,Fs. Th.Kroyer, Regensburg
1933 ; St. Amour, A Study of the V. up to Lope de Vega,
Washington 1940; I. Pope, The Mus. Development and
Form of the Span. V., PAMS 1940, hrsg. v. G. Reese, Rich-
mond (Va.) 1946; dies., El v. polifonico, in: Cancionero de
1033
Villanella
Upsala, hrsg. v. J. Bal y Gay, Mexico O. F. 1944; dies., Mus.
and Metrical Form of the V., Ann. Mus. II, 1954; P. Le
Gentil, Le virelai e le v., Lissabon 1953; G. Reese, Music
in the Renaissance, NY (1954), 21959; D. Devoto, Poesie
et musique dans l'oeuvre des vihuelistes, Ann. Mus. IV,
1956; R. M. Stevenson, Span. Music in the Age of Co-
lumbus, Den Haag 1960. NJ
Villanella (ital. , von villano, Bauer, auch villanesca
canzone villanescha, canzone alia Napolitana), im 16.
Jh. eine der volkstiimlichen mehrstimmigen Liedfor-
men Italiens, die wahrscheinlich aus der Tanztradition
des 15. Jh. hervorgegangen sind. Die V. ist urspriing-
lich ein Strophenlied vorwiegend aus 11- oder 7Silb-
lern mit dem Reimschema des Strambotto, welches
durch einen beliebig langen Refrain erweitert wird
(abRabRabRccR). Der dreistimmige homophone
Satz zeichnet sich durch rhythmisch syllabische Text-
deklamation und klare, von Kadenzen bekraftigte Zei-
lengliederung aus. Innerhalb der 3teiligen Form kon-
nen einzelne Zeilen ganz oder teilweise wiederholt
werden (meist A A B C C). Textlich und musikalisch
macht sich eine Starke Tendenz zur Parodie auf die nie-
deren Stande bemerkbar, was die V. trotz ihrer volks-
tiimlichen Gestaltung als eine stilisierte Form der italie-
nischen Kunstmusik des 16. Jh. ausweist. Zu ihren mu-
sikalischen Merkmalen gehort auBer haufigem Neben-
einander von niedriger und hoher Stilebene, relativ ein-
f acher Harmonik und volksliedhaf ter Melodik vor allem
die Verwendung der schon von Praetorius (Synt. HI, S.
20f.) als typisch erkannten Quintenparallelen, die wohl
als Nachahmung eines in der Volksmusik gebrauchlichen
Singens anzusehen sind (->- quintieren - 1). - Nach dem
Erscheinen der ersten gedruckten Sammlungen in Vene-
dig (anon. 1537;Nolal541;T.Cimello 1545; G.T.Maio
1546) verbreitete sich die urspriinglich in Neapel behei-
matete V. rasch in ganz Italien und wurde bald eine der
beliebtesten Gattungen unter den italienischen Dialekt-
liedern. Schon in der aufgelockerten Stimmfuhrung
der 4st. Villanellen von Willaert (1545) und Perissone
Cambio (1545) zeigen sich jedoch Ansatze zu einer
fortschreitenden Angleichung an das Madrigal, die bei
A. Barges (1550), Donato (1551), Lassus (1555, 1581-
82), Scandello (1566) hervortritt und gegen Ende des
16. Jh. zur Herausbildung der Kanzonette fiihrte. Die
Villanellen Marenzios (1586-87), dem Kanzonetten-
typus zugehorig, weisen mit ihrem von der Harmonik
her bestimmten AuBenstimmengeriist schon auf die
kommende Monodie voraus. Der bei den deutschen
Komponisten der Zeit beliebte Titelzusatz nach der Art
der welschen Villanellen (J.Regnart 1576-79, ahnlich
Schein 1621), der im wesentlichen die Kunstlosigkeit
der Kompositionen hervorheben sollte, macht den weit-
verbreiteten EinfluB der V. deutlich. Noch in Tele-
manns Suite in D dur (Nr 5 der Ouvertures, 1736) heiBt
V. ein tanzartiger Satz im 6/8-Takt. - In der franzosi-
schen Literatur des 16. Jh. entstand unter italienischem
EinfluB eine Anzahl von Villanelle genannten Strophen-
gedichten mit ein- oder 2zeiligem Refrain (du Bellay,
Desportes). Zu einer festen lyrischen Form in Frank-
reich wurde die Villanelle dann im 19. Jh. durch die
Ubernahme des Reimschemas von Passerats Villanelle
J'ay perdu ma tourterelle (AibA 2 abAi abA 2 . . .
abAi A 2 ). Gelegentlich wurden diese Gedichte als So-
lolieder vertont (Berlioz, Reber, Masse, Saint-Saens).
Ausg. : J. Regnart, Deutsche 3st. Lieder, hrsg. v. R. Eit-
ner, = PGf M XIX, Lpz. 1894 (darin auch Lechners 5st.
Bearb. v. Regnarts V.) ; J. H. Schein, GA Bd II, hrsg. v. A.
Prufer, Lpz. 1904; O. de Lassus, GA Bd X, hrsg. v. A.
Sandberger, Lpz. (1910); L. Marenzio, 10 V., hrsg. v. H.
Engel, Kassel 1928; Volkstiimliche ital. Lieder, hrsg. v. E.
Hertzmann, = Chw. VIII, 1930; Pubblicazioni dell'Isti-
tuto ital. per la storia della musica I, 1, Rom 1941.
1034
Lit. : M. Menghini, Le v. alia napolitana, Zs. f. romanische
Philologie XVI, 1892 - XVII, 1893; A. Sandberger, R.
Lassus' Beziehungen zur ital. Lit., SIMG V, 1903/04, auch
in: Ausgew. Aufsatze zur Mg. I, Miinchen 1921, revidiert
NY 1948; A. Einstein, Die Parodie in d. V., ZfMw II,
191 9/20 ; ders., The Ital. Madrigal, 3 Bde, Princeton (N. J.)
1949; G. M. Monti, Le v. alia napolitana e l'antica lirica
dialettale a Napoli, Citta di Castello 1925; H. Engel, Ma-
drigal u. V., Neuphilologische Monatsschrift XVII, 1929;
E. Hertzmann, A. Willaert in d. weltlichen Vokalmusik
seiner Zeit, = Slg mw. Einzeldarstellungen XV, Lpz. 1931 ;
W. Scheer, Die Fruhgesch. d. V., Diss. Koln 1936; E.
(Gerson-)Kiwi, Studien zur Gesch. d. ital. Liedmadrigals
im 16. Jh., Wiirzburg 1938 ; dies., Sulla genesi delle canzoni
popolari nel '500, in : In memoriam J. Handschin, StraB-
burg 1962; F. Nicolini, Lav. napoletana, RMI LIV, 1952;
G. Reese, Music in the Renaissance, NY (1954), 21959;
W. Boetticher, O. di Lasso u. seine Zeit I, Kassel 1958.
NJ
Villotta (von ital. villa, ->• Villanella), im 16. Jh. vier-
stimmige, durchkomponierte Tanzlieder norditalieni-
schen Ursprungs (erster Beleg 1535). Die V. hat keine
feste literarische Form; doch eines ihrer haufigsten
Merkmale, besonders in den Sammlungen von Azzaiolo
und Primavera, ist die Gegenuberstellung von gerad-
und ungeradtaktigen Abschnitten. Bald nach 1540 ver-
lor der Begriff V. die ihm eigentiimliche Bedeutung
und wurde schlieBlich mit dem der Villanella aus-
tauschbar. Eine dem -> Quodlibet vergleichbare Er-
scheinung bildet die V. mit Aneinanderreihung von
Bruchstiicken verschiedener Texte, auch von Text-
und Melodiezitaten (Incatenatura da V.; vgl. Torre-
franca und Beccherini). - V. bezeichnet auBerdem in
eingeengter Bedeutung das tanzmaBige Volkslied Ve-
nedigs, das meist mit dem Nio, einem achttaktigen,
instrumental begleiteten Refrain gesungen wurde.
Lit.: C. Somborn, Das venezianische Volkslied: die V.,
Heidelberg 1901 ; H. Springer, V. u. Nio, Fs. R. v. Lilien-
cron, Lpz. 1910; E. Hertzmann, A. Wiliaert in d. weltli-
chen Vokalmusik seiner Zeit, Lpz. 1931 ; E. (Gerson-)Ki-
wi, Studien zur Gesch. d. ital. Liedmadrigais im 16. Jh.,
Wurzburg 1938; F. Torrefranca, II segreto del quattro-
cento, Mailandl939;A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 Bde,
Princeton (N. J.) 1949; B. Becherini, Tre Incatenature dei
Cod. Fiorentino Magi. XIX 164-65-66-67, CHM I, 1953;
G. Reese, Music in the Renaissance, NY (1954), 21959.
Vina (indisch), zunachst (in den vedischen Schriften)
Bezeichnung fiir Saiteninstrument iiberhaupt, neuin-
disch Name fiir die seit dem 7. Jh. ikonographisch be-
legte Rohrenzither. Den Bildbelegen nach hatte die
V. zuerst eine Kalebasse als Resonator und wahrschein-
lich nur eine Saite. Die V. wurde zunachst nur von
Mannern gespielt; seit dem 9. Jh. traten auch Frauen
als Spielerinnen auf. Das Instrument hatte seitdem in
der Regel je eine Kalebasse an jedemEnde der Rohre.
Es wurde iiber die Schulter oder vor der Brust gehal-
ten. Die V. der Neuzeit hat 3-5 Metallsaiten, die iiber
stegartige Biinde zu den seitenstandigen Wirbeln lau-
fen; hinzu konnen freie Saiten kommen. Die siidindi-
sche V. ist reicher ausgestattet und hat auch technisch
neue Elemente aufgenommen; so ist eine der beiden
Kalebassen durch ein gebauchtes Corpus aus Holz er-
setzt, die zweite schrumpft dabei zum Zierat zusam-
men, und es erscheint ein moderner Wirbelkasten. Die
V. wird von Virtuosen gespielt; die Saiten werden mit
den Fingernageln oder einem Plektron gezupft.
Lit.: C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indonesiens,
Bin 1915, 21923, Nachdruckd. 1. Auflage Hilversum 1967;
Cl. Marcel-Dubois, Les instr. de musique de l'lnde an-
cienne, Paris 1941.
Viola. - 1) Die romanischen Bezeichnungen fiir das
mittelalterliche Saiteninstrument mit Bogen: viola
(ital., katalanisch, port.), viula (altkatalanisch), viele
Viola alta
oder vielle, viole (altfrz.) mid -> vihuela (span.), gehen
alle auf das altprovenzalische viola zuriick, das von
Corominas (1957) als eine postverbale (von viular)
onomatopoetische Bildung erklart wird und sich in die
Reihe der mit vi anlautenden galloromanischen schall-
nachahmenden Worter einfiigt. Altere etymologische
Herleitungen wie aus vitulari (lat., frohlocken), fidula
(ahd.) oder von vivula (lat.) werden nur noch mit Zu-
riickhaltung erwahnt. Die mittellateinischen Bezeich-
nungen vitula (belegt Ende des 12. Jh. in England, bei
Joffroi de Vinsauf Ende des 12. Jh. in Frankreich, bei
Ugotio und J. de Janua um 1200 in Italien) sowie viella
sind demnach als Latinisierungen des romanischen Wor-
tes anzusehen. Die germanische Wortgruppe Fiedel
(ahd. fidula, neuhochdeutsch Fiedel, angelsachsisch fi-
dele, altnordisch fidla) ist entweder als eine unabhangig
vom Romanischen gleichfalls onomatopoetische Bil-
dung zu erklaren oder aber aus dem Romanischen ent-
lehnt. Eine Ableitung des Wortes Fiedel aus asiatischen
Sprachen versuchte C. Sachs. - Viola ist der Sammel-
name der im Abendland seit dem 16. Jh. in verschiede-
nen Formen und Stimmlagen verbreiteten Streich-
instrumente, deren einzelne Bezeichnungen durch Ab-
wandlungen oder durch bestimmende Zusatze aus dem
Sammelnamen gewonnen werden. Im friihen 16. Jh.
treten ungefahr gleichzeitig zwei durch je eigene Merk-
male unterschiedene Familien hervor, die (nach schwan-
kender Terminologie im 16. Jh.) nach der bevorzugten
Spielhaltung unterschieden werden in die mit Knie-(da
gamba-)Haltung gespielte Familie der -> Viola da
gamba (- 1 ; Violen im engeren Sinne) und die in Arm-
ada braccio-)Haltung gespielte Familie der -> Viola da
braccio (die Familie der Geigen). Die Instrumente der
Viola da braccio-Form werden in der neueren Literatur
auch unter dem Begriff der Violinfamilie zusammen-
gefaBt, die Instrumente der Viola da gamba-Form un-
ter dem der Gambenfamilie. - Nahe verwandt sind den
Violen die vor allem im 16. Jh. in Italien verbreiteten Li-
ren (-> Lira). Hajdecki (1892) stellte fest, daB zwischen
dem in Armhaltung gespielten Diskantinstrument
dieses Typs, der Lira da braccio, und der Viola da
braccio groBere Ahnlichkeit (Form des Corpus, Stim-
mung in Quinten) besteht als zwischen Viola da gamba
und Viola da braccio; er versuchte daher die Violine
als eine Ableitung aus der Lira da braccio darzustellen,
im Gegensatz zu der bis dahin herrschenden Meinung,
die - ausgehend von der im 18. Jh. vollzogenen Ver-
drangung der Viola da gamba-Familie durch die In-
strumente der Viola da braccio-Form - die Violinfa-
milieals eine Weiterentwicklung der Violen-(Gamben-)
Familie angesehen hatte. - Eine eigene Gruppe (jedoch
keine Familie) stellen die mit ->■ Aliquotsaiten versehe-
nen Instrumente ->■ Viola d'amore und -*■ Baryton (-1)
dar; Merkmale der Viola da gamba und der Lira ver-
einigt die -»- Viola bastarda, die zeitweilig ebenfalls mit
Aliquotsaiten versehen war.
- 2) Der Name Viola (Abk. : Va; frz. seit dem letzten
Viertel des 18. Jh. : alto, aus ital. alto viola) ohne wei-
tere Zusatze bezieht sich heute speziell auf das auch
-»■ Bratsche genannte Altinstrument der Familie mo-
derner Streichinstrumente in -»■ Viola da braccio-
Form. Mitunter bezeichnet Viola da braccio auch spe-
ziell das Altinstrument der Familie, z. B. wo der Name
Va ohne Zusatze AnlaB zu Verwechslungen mit einem
Instrument der Viola da gamba-Familie geben konnte.
In Frankreich bezieht sich im 17. Jh. viole ohne nahere
Zusatze auf die Basse de viole (-> Viola da gamba -1).
Die Va hat heute stets 4 Saiten in der Stimmung c g d 1 a 1 ,
sie steht demnach eine Quinte unter der Violine und
eine Oktave iiber dem Violoncello. Bemerkenswert ist
der geringe GroBenunterschied zur Violine einerseits
und der grofie Abstand zum Violoncello andererseits.
Im 17. Jh. wurde die Va in mehreren, hinsichtlich Cor-
pusgroBe und Mensur unterschiedlichen GroBen ge-
baut; die groBeren Instrumente hatten im vollstimmi-
gen Streichersatz den Tenor (im 5st. Satz Lullys die un-
teren Mittelstimmen) zu iibernehmen (->■ Viola teno-
re - 1). Zugleich mit der zunehmenden Bedeutung der
Violine trat um 1700 ein Wandel der Satztechnik ein,
der die Mittelstimmen zuriicktreten lieB und die Va
meist auf die Ausfiihrung klangfiillender oder mit dem
BaB in Oktaven colla parte gehender Stimmen ver-
wies. Die kleineren, mit der Grifftechnik der Violine
beherrschbaren Ausfiihrungen der Va (Corpuslan-
ge bis herunter auf 38 cm) setzten sich im 18. Jh.
durch ; daneben war ein 5saitiges, Va- und Violinstim-
mung vereinigendes Instrument in Gebrauch, fiir das
KochL den Namen Violino pomposo bezeugt. Ein
solches Instrument versuchten um 1800 Fr.Hillmer
(unter dem Namen Violalin) und M.Woldemar (als
Violon alto) zu neuem Leben zu erwecken; auch H.
Ritter fiigte 1898 seiner Viola alta die e^-Saite hinzu. -
Den Reiz des gepreBten, naselnden Klangs der kleinen
Va, der aus dem fiir die tiefen Lagen zu kleinen Reso-
nanzraum herriihrt, entdeckte erst das 19. Jh., doch
begannen zu gleicher Zeit auch die zahlreichen Ver-
suche, wieder ein groBeres Instrument zu entwickeln,
teils durch Einf iihrung des der Violinfamilie f ehlenden
Tenorinstruments (-> Viola tenore - 2) , teils durch Ver-
groBerung der Va (-*■ Viola alta, -> Contralto - 2).
Vor allem im -> Streichquartett der Wiener Klassiker
(speziell seit Haydns op. 20 und 33) wurden der Va
auch wieder anspruchsvollere Aufgaben gestellt (im
Orchestersatz besonders seit Beethovens 3. Symphonie,
1803). Im Streichquintett gibt es seit dem spaten 18. Jh.
sowohl die Besetzung mit 2 Bratschen (Boccherini,
Mozart, Brahms, Bruckner) als auch die mit 2 Violon-
celli (die bei Boccherini zahlenmaBig iiberwiegt). Kon-
zertierend wurde die Va u. a. von J. S.Bach (6. Bran-
denburgisches Konzert), Telemann, C. Stamitz, W. A.
Mozart (Konzertante Symphonie fiir V. und Va, K.-V.
364; -> Scordatura), Zelter, Berlioz (»Harold in Italien«;
fiir Paganini) und R. Strauss (Don Quixote op. 35, 1898)
eingesetzt; Konzerte fiir Va schrieben u. a. Bartok
(posthum, fiir W. Primrose), Milhaud, Blacher und
Hindemith, der selbst Bratschist war (op. 36 Nr 4; op.
48; Der Schwanendreher). Solistische Kammermusik fiir
Va komponierten u. a. J. G. Graun, Dittersdorf , W. A.
Mozart (»Kegelstadt-Trio«, K.-V. 498), J.N. Hummel,
Brahms (op. 120 fur Klar. oder Va mit Kl.), Reger,
Hindemith und H. Reutter. Schulen fiir Va verfaBten
u. a. A.B.Bruni (Neuausgabe von H.Dessauer, Mainz
1897) und R.Hofmann.
Lit. : zu 1) : A. Haidecki, Die ital. Lira da braccio-, Mostar
1892, Neudruck Amsterdam 1965 ; C. Sachs, The Hist, of
Mus. Instr., NY (1940), London 1942; J. Corominas,
Diccionario critico etimologico de la lengua castellana IV,
Bern 1957, Artikel vihuela; W. v. Wartburg, Frz. Ety-
mologisches Worterbuch XIV, Basel 1961, Artikel vi-; O.
Bloch u. W. v. Wartburg, Dictionnaire etymologique
de la langue f re., Paris * 1 964 ; - zu 2) : Quantz Versuch ; R.
Hofmann, Neuer Fuhrer durch d. V.- u. Va-Lit., Lpz. 1909;
H. Dessauer, Die Verbesserungsversuche beim Bau d. Va,
Bin 1912; E. Van der Straeten, The Va, The Strad XXIII,
1912; R. Clark, The Hist, of the Va in Quartet Writing,
ML IV, 1923 ; W. Altmann u. W. Borissowsky, Literatur-
verz. f. Bratsche u. Va d'amore, Wolfenbiittel 1937; B.
Tours u. B. Shore, The Va, London 1946; Fr. Zeyringer,
Lit. f. Va, Kassel 1963, Erganzungsbd 1965, Kassel 1966.
Viola alta, eine 1872-75 von H. Ritter konstruierte
Altvioline mit der Stimmung c g d 1 a 1 , die sich von der
iiblichen Bratsche (->• Viola - 2) durch ein groBeres
Corpus (Lange bis 48 cm) und einen entsprechend pa-
1035
Viola bassa
stosen Klang unterscheidet. Ritters Ziel war ein Instru-
ment, das zur Violine im GroBenverhaltnis 3:2 steht;
die Riicksicht auf die Spielbarkeit jedoch fiihrte ihn auf
das Verhaltnis 4:3, was dem Mafi von Stradivaris Viola
medicea (->■ Viola tenore - 1) entspricht. Die Va a.
wurde von K.A.Horlein (1829-1902) in Wurzburg
gebaut. Die Ritter-Bratschen erklangen im Ritter-
Quartett, im Orchester unter H. v. Billow; anerken-
nend auBerten sich R.Wagner und R.Strauss, doch
wurde die Va a. auch getadelt, da ihr der fiir die Brat-
sche charakteristische naselnde Klang fehlte. 1898 fiigte
Ritter eine 5. Saite hinzu (e 2 ) ; nach seinem Vorschlag
sollten auch die herkommlichen Streichinstrumente
mit einer 5. Saite ausgestattet werden. ->■ Viola teno-
re (- 2) ; -> Viola bassa.
Lit.: H. Ritter, Die Va a., Heidelberg 1876; ders., Die
fiinf saitige Altgeige Va a. . . . , Bamberg (1 898) ; G. Adema,
H. Ritter u. seine Va a., Wurzburg 1881, 21894; H. Besse-
ler, Zum Problem d. Tenorgeige, = Mus. Gegenwarts-
fragen I, Heidelberg 1949.
Viola bassa, das tiefste Instrument in der 1905 von H.
Ritter vorgeschlagenen neuen Anordnung des Streich-
quartetts, das zwar die gleiche Stimmung (C G d a)
wie das Violoncello hat, in der GroBe aber die dazu
notwendigen doppelten MaBe der -> Viola alta besitzt.
Viola bastarda (ital. ; engl. lyra viol), ein 6saitiges
Streichinstrument in Tenor-BaB-Lage, das ab Ende des
16. bis Anfang des 18. Jh. bekannt war. Das Corpus zeigt
die Hauptmerkmale der -> Viola da gamba (- 1) ; die
zahlreichen Stimmungen sind anfangs der Lira ahnlich
(mit Quinten und Quarten : i A E A e a dl ; i A D A d a dl
oder jA D G d g d 1 ), in spaterer Zeit der Gambe ange-
nahert (mit Quarten und Terzen iDGcead'jCGc
e a di ; i A D G c e a). Kremberg (1689) fordert zu Arien
in D moll, G dur und B dur die Stimmungen D A d
f a di, D G d g h di, F B d f b di. In England war die
Lyra viol um 1600-80 als Soloinstrument zum Spiel
von Divisions iiber Grounds verbreitet; nach J. Play-
ford (1661) besaB sie zeitweilig (zuerst bei O.Farrant
um 1600) auch Aliquotsaiten.
Lit.: C.Sachs, Die Vab.,ZIMG XV, 1913/14.
Viola da braccio (vi'o:la da br'attjo, ital., braccio,
Arm) , die auf dem Arm gehaltene und mit entsprechen-
der Bogenhaltung (Obergriff) gespielte Viola, Sam-
melname fiir die Streichinstrumente der Violinform
(Violinfamilie), daneben auch als Bezeichnung speziell
fiir das Altinstrument -> Viola (- 2), das umgangs-
sprachlich heute meist -> Bratsche genannt wird. Aus
der Tatsache, daB der Name fiir die Instrumentenfa-
milie mit dem fiir das Altinstrument identisch ist, kann
nicht geschlossen werden, die Viola sei das Stammin-
strument der Familie und die Violine sei als Kleinform
daraus hervorgegangen. Die Friihform der ->■ Violine
mit 3 Saiten ist zuerst 1529 auf einem Gemalde von
Gaudenzio Ferrari belegt; derselbe Maler stellte 1535—
36 im Dorri von Saranno das Stimmwerk aus Alt-,
Tenor- und BaBinstrument dar. Agricola (1528) be-
zeugt ein Stimmwerk von 3saitigen, in Quinten ge-
stimmten Streichinstrumenten ohne Biinde (kleinen
Geigen . . ., die gemenlich one bund erjunden). Die Bund-
losigkeit der Va da br.-Instrumente ist auch in Italien
im 16. Jh. ein ebenso wichtiges Unterscheidungsmerk-
mal gegeniiber den stets mit Biinden versehenen In-
strumental der ->• Viola da gamba-Familie wie die
Spielhaltung (z. B. bei Lanfranco 1533, Ganassi 1542
und V. Galilei 1568). Im iibrigen schwanken die italie-
nischen Benennungen sowohl fiir die 2 Familien als
auch fiir die einzelnen Streichinstrumente bis Anfang
des 17. Jh.; dies wird noch bei Praetorius (Synt. II, S. 48)
sichtbar: Viola de bracio: Item, Violino da brazzo; Wird
sonsten eine Geige / vom gemeinen Volck aber eine Fiddel /
vnnd daher de bracio genennet / daji sie vffdem Arm gehal-
ten wird. Deroselben Bafi- Tenor- vnd Discantgeig (welche
Violino, oder Violetta picciola, auch Rehecchino genennet
wird) seynd mit 4. Saiten . . . bezogen . . . vnd werden
alle durch Quinten gestimmet. Vnd demnach dieselbige je-
dermanniglichen bekandt / ist darvon . . . etwas mehr anzu-
deuten vnd zu schreiben vnnotig. Praetorius kennt auBer-
dem bereits eine Discant-Geig ein Quart hoher (Stim-
mung c 1 gi d 2 a 2 , ->- Violino piccolo). Das in Kniehal-
tung gespielte und in C G d a gestimmte BaBinstru-
ment der Va da br.-Familie ist das -> Violoncello (- 1 ;
in Frankreich die Basse de violon, Stimmung im 17.
Jh. : iB F c g). Schon im 16. Jh. wurden vereinzelt Kon-
trabasse in Va da br.-Form gebaut, doch behielt der
-*■ KontrabaB (- 1) meist eine Zwischenstellung zwi-
schen der Va da br.- und der Viola da gamba-Familie.
Da dem Stimmwerk der Va da br. ein eigentliches Te-
norinstrument (mit der theoretischen Stimmung G d
a e 1 ) fehlt, wurde das Altinstrument im 17. Jh. in ver-
schiedenen GroBen gebaut (-> Viola tenore - 1); erst
im 18./19. Jh. wurde versucht, die fehlende Stimmlage
zu entwickeln (-> Viola tenore - 2).
Viola da gamba (ital., s. v. w. Knieviola, von gamba,
Bein; deutsch auch einfach Gambe; ital. auch viola ad
arco; span, vihuela de arco), - 1) Sammelname fiir eine
im 16.-18. Jh. verbreitete Familie von Streichinstru-
menten (auch Violen- oder Gambenfamilie genannt),
deren Corpus auf die Beine des Spielers gestiitzt
wird, wahrend der Hals nach oben weist. Warm die
Form der Va da g. festgelegt wurde und welchen An-
teil an ihrer Entstehung die mittelalterlichen Instru-
mente Rebec und Fiedel haben, ist unbekannt. Einem
Bericht von B.Prospero zufolge kamen 1493 spanische
Musiker mit mannsgroBen Instrumenten (viole grandi
come me) von Rom nach Mantua, wobei es sich um
BaBgamben gehandelt haben kann. 1495 gab die Her-
zogin Isabella von Gonzaga einige Viole da gamba bei
dem Lautenmacher G.Kerlino in Brescia in Auftrag.
Die altesten erhaltenen Instrumente vom Anfang des
16. Jh. zeigen teilweise noch primitive, an Fiedel und
Rebec erinnernde Umrisse. - Die Normalform des
Corpus hat abf allende Schultern, wie sie teilweise heute
noch der -> KontrabaB (- 1) hat, hohe Zargen, Decke
und Boden ohne Randuberstand, flachen, zum Hals hin
abgeschragten Boden sowie meist C-formige Schall-
locher. Charakteristisch fiir die Va da g. sind der Bezug
mit 6 Saiten in Quart-Terz-Stimmung (die Terz liegt
in der Mitte) sowie die 7 chromatischen Biinde auf dem
Griffbrett (in der Spatzeit wird bisweilen ein Oktav-
bund empf ohlen) ; darin steht sie der Laute nahe. Das
Stamminstrument der Familie, fiir das die Bezeich-
nung Va da g. (bzw. Gambe) ohne weitere Zusatze
gilt, ist die Viola in Tenor-Bafi-Lage mit der Stim-
mung D G c e a di ; im 16. Jh. wurde das Stimmwerk
ausgebaut durch Diskant- (d g ci ei ai d 2 ), Alt- und
Tenor- Va da g. (A d g h e 1 a 1 ; die beiden Instrumente,
die zuweilen auch einen Ton defer eingestimmt wur-
den, unterscheiden sich nur durch ihre GroBe). Bei
Praetorius (Synt. II, S. 25) fehlt der eigentliche Diskant
mit 6saitigem Bezug, die Lagenbezeichnungen sind zur
Tiefe hin verschoben : Cant Viol de gamba (auch vio-
letta picciola; A d g h ei ai), Tenor-Alt- Viol (D G c e
a di), Klein Bafi-Viol (iG C F A d g; jG C E A d g;
lA D G He a; jFis jHEAd g), GroB BaB-Viol (auch
Contrabasso da gamba, Violone; iE jA D G c; iD iG
C E A d; !E iA D G c f) und gar GroB BaB-Viol
(lD ]E jA D G). In Frankreich sind im 17./18. Jh. eine
Diskantgambe (dessus de viole, Stimmung nach J. Rous-
seau: d g c 1 e 1 a 1 d 2 ) und ein noch hoheres Instrument
1036
Viola d'amore
bekannt (pardessus de viole; Stimmung bei 6saitigem
Bezug g c 1 e 1 a 1 d 2 g 2 ); mit 5saitigem Bezug (g d 1 a 1 d 2 g 2 )
wurde das in Quinten und Quarten gestimmte Instru-
ment im 18. Jh. auch -»■ Quinton genannt. Das Tenor-
BaB-Instrument der Va da g.-Familie hieB in Frankreich
Basse de viole (im 17./18. Jh. meist viole ohne Zusatz)
und war seit Sainte-Colombe (1675) haufig 7saitig in
der Stimmung jADGcead 1 . 7saitige Viole da gamba
sind um 1515 auf Grunewalds Isenheimer Altar und in
Burgkmairs Triumphzug Kaiser Maximilians abgebil-
det ; Tieffenbrucker baute eine solche um 1564. G. Neu-
marks Fortgepflantzter musikalisch-poetischer Lustwald
(1657) enthalt Auf eine siebensaitige Violdegamm gesetzete
Stiicke. 5-, seltener 4saitige Viole da gamba gab es so-
wohl fur die tief sten als auch f iir die hochsten Lagen.
Lehrwerke fur Va da g. schrieben Ganassi (1542-43),
besonders fiir das mehrstimmig-solistische Spiel be-
deutend, und Ortiz (1553), der Diminution und Im-
provisation lehrt. Eine Hochbliite fand das Gamben-
spiel im 16./17. Jh. in England, wo italienische Gam-
bisten wie A.Ferrabosco und T.Lupo wirkten. Konig
Heinrich VIII. war ein Liebhaber des Gambenspiels;
von ihm ist eine Reihe von Kompositionen fiir Va da g.
erhalten (Brit. Mus., Ms. Add. 31 922). Unter den eng-
lischen Gambisten sind auBer W. Brade, der in Deutsch-
land lebte, Th.Hume, J.Jenkins und Chr. Simpson,
letzterer vor allem mit seinem Lehrwerk von 1659,
bedeutend. Neben dem solistischen Spiel der Divisions
upon a ground steht das chorische Spiel (meist 2 BaB-,
2 Tenor-, 2 Diskant- Viole da gamba) im -> Consort.
Dabei wurde die BaB-Va da g. in einer etwas kleineren
Form als Division viol fiir das Solospiel, in grofierer
von f iillenderem Ton fiir das chorische Spiel gebraucht.
Der vollstandige Gambenchor hielt sich in England bis
um 1700, wahrend in Deutschland seit dem friihen 17.
Jh. die Viola da braccio und mit ihr die Violine fiir die
oberen Stimmen eindrangen und in Frankreich zur
Zeit Lullys nur noch die BaB-Va da g. als Soloinstru-
ment und im Orchester iibrigblieb. Der bedeutendste
unter den franzosischen Gambisten war M.Marais; ne-
ben ihm sind zu nennen Maugars, A. undJ.B.Forque-
ray, Caix d'Hervelois, Dolle, Naudot, Prudent, Hugart
und Blainville. - In Deutschland entstand mit der Mu-
sica Teusch . . . (1532) des Hans Gerle die alteste Gam-
benschule iiberhaupt. Zu den bedeutendsten Gamben-
virtuosen zahlten Funck, J. G. Ahle, A. und M.Kiihnel,
Schenck, E. Chr. Hesse, J.Riemann, Chr. F. und K.Fr.
Abel ; Kompositionen fiir Va da g. schrieben u. a. Bux-
tehude, Krieger, Telemann, Handel und J. S. Bach (3
Sonaten mit Cemb., BWV 1027-1029; auBerdem ist
Va da g. vorgeschrieben im 6. Brandenburgischen Kon-
zert und als konzertierendes Instrument in Arien, die
7saitige in der Matthaus-Passion). - Um die Mitte des
18. Jh. ging die Bliitezeit der Va da g. zu Ende. 1740
verteidigte H. Le Blanc noch die Gambe gegen das vor-
dringende Violoncello und die Violine. Im 18. Jh. wur-
den viele Gamben zu Violoncelli umgebaut oder durch
Einsetzen von gewolbtem Boden, Stachel und einem
schmaleren Hals ohne Biinde der Form des Violoncel-
los angenahert. Im 20. Jh. war es vor allem Chr. Dober-
einer, der das Spiel auf der Va da g. wieder anregte; seit
den 1920er Jahren werden auch neue Instrumente ge-
baut. Moderne Lehrwerke veroffentlichtenP.Grummer
(Va dag.-Schulefiir Violoncellisten, Leipzig 1928), Chr.
Dobereiner (Schulefiir die Va dag., Mainz 1936, 2 1954)
und A.Wenzinger (Gambeniibung, 2 Teile, Kassel 1935-
38; Cambenfibel, mit M.Majer, Kassel 1943).
- 2) Als Orgelregister ist Va da g. (zuerst 1615 von
-» Compenius gebaut) eine offene, konische Labial-
stimme, die bis zu G. Silbermann beliebt war. J. S. Bach
schlug sie anstelle des Gemshorns 8' fiir die Orgel Divi
Blasii in Miihlhausen vor. J. Scheibe baute 1716 die
erste zylindrische Va da g. mit streichendem Klang.
Lit.: zu 1): H. Gerle, Musica Teusch auf d. Instr. d. gro-
Ben u. kleinen Geygen auch Lautten . . ., Niirnberg 1532;
G. M. Lanfranco, Le scintille di musica, Brescia 1 533 ; S.
Ganassi, Regola Rubertina, 2 Teile, Venedig 1542-43,
Faks. hrsg. v. M. Schneider, 2 Bde, = Veroff. d. Fiirstlichen
Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg II, 3, Lpz. 1924; D.
Ortiz, Tratado de glosas . . ., Rom 1553, Faks. u. Ubers.
hrsg. v. M. Schneider, Bin 1913, Kassel 21936; Ph. Jambe
de Fer, Epitome mus . . ., Lyon 1556, Faks. hrsg. v. Fr.
Lesure, Ann. Mus. VI, 1958/63; Praetorius Synt. II; M.
Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v.
Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; Chr. Simpson, The Division
Violist, London 1659, als: The Division Viol 2 1667, 31712,
Faks. hrsg. v. M. Dolmetsch, NY 1955; J. Rousseau,
Traite de la viole, Paris 1687, Faks. Amsterdam 1965; H.
Le Blanc, Defense de la basse de viole . . . , Amsterdam
1740, NA in: RM VIII, 1927 - IX, 1928, deutsch v. A. Er-
hard, Kassel 1951 ; W. J. v. Wasielewski, Das Vc. u. seine
Gesch., Lpz. 1889, hrsg. v. W. v. Wasielewski 31925; A.
Einstein, Zur deutschen Lit. f. Va da G. im 16. u. 17. Jh.,
= BIMG II, 1, Lpz. 1905; Chr. Dobereiner, Uber d. Va
da g. u. ihre Verwendung bei J. S. Bach, Bach-Jb. VIII,
191 1 ; E. Van der Straeten, The Hist, of the Vc., the Va
daG. . . ., London 1915; E. Albini, La Va da G. in Italia,
RMI XXVIII, 1921 ; G. R. Hayes, Mus. Instr. and Their
Music 1500-1750 II, London 1930; J. Bacher, Die Va da
G., Kassel (1932) ; W. Senn, Eine»Vada G.« v. St. de Fan-
tis 1558, CHM II, 1957; R. Eras, Uber d. Verhaltnis zwi-
schen Stimmung u. Spieltechnik bei Streichinstr. in Da-
gamba-Haltuhg, Diss. Lpz. 1958, maschr. ; Fr. Lesure,
Une querelle sur le jeu de la viole . . . , MQ XLVI, 1960.
Viola d'amore (ital.; frz. viole d'amour; auch -> Eng-
lisch Violet), ein im Barock beliebtes Streichinstrument
in Altlage, etwa so groB wie die heutige Bratsche (Cor-
puslange um 40 cm) mit 5-7 Griffsaiten aus Messing
oder Darm und 7-14 unterhalb des Griffbretts gespann-
ten metallenen Resonanzsaiten, die unter dem Steg lau-
fen. Ihr Klang ist argentin oder silbern, dabey iiberaus an-
genehm und lieblich (Walther 1732). Die Stimmung der
Griffsaiten ist variabel und wird je nach Bedarf in ei-
nem anderen Akkord eingerichtet; WaltherL gibt die
Stimmung im Akkord C moll oder auch C dur an,
J.Ph.Eisel (1738) F B c g ci fi bi. Die Va d'a. stammt
wahrscheinlich aus England; den friihesten Beleg bie-
tet das Tagebuch von J.Evelyn (1679, ed. E. S. de Beer,
IV, S. 187) : . . . its swetenesse & novelty the Viol d'Amore
of 5 wyre-strings, plaied on with a bow, being but an ordin-
ary Violin, play'd on Lyra way by a German, ...; ahnlich
wird sie von J. Rousseau (1687) und von D. Speer (1687)
beschrieben. Majer (1741) unterscheidet zwei Arten
der Va d'a. mit 6 Griffsaiten und 6 Resonanzsaiten : eine
kleinere, einer Violine ahnlich, und eine groBere, wel-
che die Bratsche an GroBe ein wenig iibertrifft. L.Mo-
zart (1756) kennt neben den Stimmungen in Dur- oder
Mollakkorden eine Terz-Quart-Stimmung wie auf den
Violen sowie eine violinmaBige in Quinten, die auch
Walther erwahnt. Musik fiir Va d'a. schrieben u. a. C.
Stamitz, A.Ariosti (Lezioni per Va d'a., 1728), A.Vi-
valdi (7 Konzerte), J. Chr. Bode, J. S. Bach (Soli in Kan-
taten und in der Johannespassion), Telemann, Graup-
ner, Quantz, Biber, in der Gegenwart wieder P. Hin-
demith (Sonate op. 25 Nr 2 und Konzert op. 46 Nr 1)
und Frank Martin (Sonata da Chiesa i. Va d'a. und Org.,
1938). Die Va d'a. kam im spaten 18. Jh. auBer Ge-
brauch; sie findet seither vereinzelt Verwendung im
Orchester, etwa bei: Meyerbeer (Les Huguenots, 1836);
Ch.M.Loeffler (La mort de Tintagiles, 1897); G.Char-
pentier (Louise, 1900); Massenet (Le jongleur de Notre-
Dame, 1902); Puccini (Madama Butterfly, 1904); W.
Kienzl (Der Kuhreigen, 1911). Eine Wiederbelebung
der Va d'a. versuchten u. a. Urhan, L. van Waefelghem
(1840-1908) und H.-G. Casadesus.
1037
Viola da spalla
Lit. : J. Rousseau, Traits de la viole, Paris 1687, Faks. Am-
sterdam 1965; J. Fr. B. C. Majer, Neueroffheter Theore-
tisch- u. Practischer Music-Saal, Nurnberg 1732, 21741:
J. Ph. Eisel, Musicus autodidactus, Erfurt 1738; L.-T. Mi-
landre, Methode facile pour la viole d'amour, Paris 1771
KochL; J. Kral, Eine Anleitung zum Spiel d. Va d'a., op
10, Wien (1870); E. de Bricqueville, La viole d'amour,
Paris 1908; L. Passagni, La v. d'a. . . ., Sesto S. Giovanni
1908; F. Scherber, Die Viola d'amour im 18. Jh., Musik
buch aus Osterreich 1910; D. Fryklund, Bidrag till kan
nedomen om Va d'a., STMf III, 1921 ; W. Altmann u. W,
Borissowsky, Literaturverz. f. Bratscheu. Va d'a., Wolf en-
buttel 1937; W. E. Kohler, Beitr. zur Gesch. u. Lit. d
Va d'a., Diss. Bin 1938; D. D. Boyden, Ariosti's Lessons
for Va d'a., MQ XXXIII, 1946; K. Gofferje, Ariostis
Lezioni f. d. Va d'a., Deutsches Jb. d. Mw. VI (=JbP
LIII), 1961.
Viola da spalla (ital., s. v. w. Schultergeige), ein Te-
nor-Ba8-Instrament der Viola da braccio-Familie aus
der Zeit um 1700. Nach WaltherL (Artikel Violon-
cello), der wie Majer (1732) und Eisel (1738) der Be-
schreibung Matthesons von 1713 folgt, hat die Va da
sp. 4-6 Saiten (die 4saitige in der Violoncellostimmung
C G d a). Sie kann starck durchschneiden und die Tone rein
exprimiren und wird, ahnlich wie die ->- Viola pomposa,
mit einem Bande an der Brust befestiget, und gleichsam auf
die rechte Schulter geworffen. -> Viola tenore (- 2).
Viola di bordone (ital.) -> Bary ton (- 1).
Viola di fagotto (ital.) -»- Fagottgeige.
Violalin^Viola(-2).
Viola medicea (vi'D:la meditf'e:a, ital.) -»• Viola
tenore (- 1).
Viola pomposa (ital.), eine fiinfsaitige, in C G d a el
gestimmte -»■ Viola da braccio in Tenor-BaB-Lage, die
als Armgeige (an einem iiber die Schulter gelegten
Tragband befestigt) gespielt wurde. Instrumente mit
der Stimmung C G d a el konnen entweder als Tenor-
geige (-* Viola tenore - 2) mit zugefugter C-Saite oder
als -> Violoncello (- 1) mit zugefugter ei-Saite aufgefaBt
und disponiert sein. 5saitige Violoncelli waren seit An-
fang des 18. Jh. (BrossardD) bekannt, ebenso eine Te-
norgeige (-»- Viola da spalla). - Nach Forkel (1782) hat
J.S.Bach die Va p. umsjahr 1724 in Leipzig bauen las-
sen. Es fallt auf, daB in keinem Werk Bachs eine Va p.
verlangt wird, daf iir aber haufig ein Violoncello picco-
lo (BWV 6, 41, 68, 85, 115, 175, 180, 183). Bei einem
Umf ang von C-c* schreibt Bach die Stimmen dafiir im
Violinschliissel (Klang eine Oktave tiefer), der bei tie-
fergefiihrten Stellen mit dem Alt-, Tenor- oder BaB-
schliissel wechselt. Wahrscheinlich hat Bach schon in
der Kothener Zeit eine Viola da spalla verwendet. In
Leipzig liefi er durch den Instrumentenmacher J. Chr.
Hoffmann wohl zunachst eine Va p. mit geringer Zar-
genhohe bauen (Beschreibung eines erhaltenen Instru-
ments bei Kinsky 1931/32, S. 178f.), die jedoch wegen
ihrer GroBe (Gesamtlange 76 cm) in Bratschenhaltung
schwer zu spielen war. Dieses Instrument wurde um 1740
durch eine Tenorgeige mit hoheren Zargen (ca. 8 cm;
Violoncello piccolo) abgelost, die ebenfalls Va p. ge-
nannt werden kann (z. B. bei Kinsky 1912). Hochzar-
gige, 5saitige Violoncelli piccoli wurden vereinzelt bis
Ende des 18. Jh. gebaut. -Eine Va p. wird in Kompo-
sitionen u. a. von Litardi, Telemann (2 Duos fur Fl.
und Va p. oder V., in: Der getreue Music- Meister) und
J. G. Graun {Concerto doppio) verlangt.
Lit. : J. N. Forkel, Mus. Almanach f . Deutschland auf d.
Jahr 1782, Lpz. 1782; G. Kinsky, Musikhist. Museum v.
W. Heyer in Coin II, Koln 1912; ders., Ein SchluBwort
iiber d. Va p., ZfMw XIV, 1931/32; E. Buhle, Verz. d.
Slg alter Musikinstr. im Bachhause zu Eisenach, = Veroff.
d. Neuen Bachges. XXXVIII, 2, Lpz. (1913, 31939, "1964);
E. T. Arnold, Die Va p., ZfMw XIII, 1 930/3 1 - XI V, 193 1 /
32; H. Engel, Zur Lit. f. d. Va p., ZfMw XIV, 1931/32;
Fr. Galpin u. G. Kinsky, ebenda; H. Husmann, Die
Va p., Bach-Jb. XXXIII, 1936; H. Besseler, Zum Pro-
blem d. Tenorgeige, = Mus. Gegenwartsfragen I, Heidel-
berg 1949.
Viola tenore, - 1) eine groBe Bratsche (-> Viola - 2).
Die Tatsache, daB im Stimmwerk der ->- Viola da
braccio ein eigentliches Tenorinstrument fehlt, wurde
im 17. Jh. dadurch ausgeglichen, daB das Altinstrument
bei gleichbleibender Stimmung (c g d 1 a 1 ) in mehreren
GroBen gebaut wurde. Einzelne Exemplare dieser gro-
Ben Bratschen sind erhalten; am bekanntesten ist die
Viola medicea von A.Stradivari (1690, Corpuslange
47,8 cm gegemiber 40-42,5 cm der modernen Bratsche;
Zargenhohe 4,3 cm gegenuber 3,8 cm). Solche Instru-
mente konnten den im Tenorschliissel notierten unteren
Mittelstimmen des 4- und 5st. Streichersatzes (noch bei
J.S.Bach, BWV 12 und 18), die das c in der Regel
nicht unterschritten, die notige Klangfulle verleihen.
In Frankreich hieBen die 3 fur Bratschen bestimmten
Mittelstimmen (parties de milieu, auch kurz parties)
bzw. die zugehorigen Instrumente: haute-contre de vio-
lon (die oberste der parties), taille de violon (die mitt-
lere) und quinte de violon (bei J.-B.Lully stets die 4.
Stimme von oben; nach Mersenne 1636, IV, S. 189,
kann quinte auch die 2. Stimme von oben zwischen
dessus und haute-contre sein). Die Bezeichnung quinte
ging in Frankreich im 18. Jh. allgemein auf die Bratsche
iiber und wurde erst nach der Jahrhundertmitte durch
den aus dem italienischen alto viola abgeleiteten Na-
men alto ersetzt. - 2) das 3. Instrument in der seit 1905
von H.Ritter erprobten neuen Anordnung des Streich-
quartetts (Violine, -* Viola alta, Va t., -*■ Viola bassa),
das die seiner Stimmung als Tenorgeige akustisch ent-
sprechende doppelte Violinmensur (Corpuslange et-
wa 71 cm, Zargenhohe etwa 6,2 cm) aufweist. Schon
Mattheson (1713) war ein die Liicke im Stimmwerk
zwischen Viola und Violoncello schlieBendes Instru-
ment (-> Viola da spalla) bekannt, mit dem auch J. S.
Bach experimentierte (-> Viola pomposa). 4saitige
Tenorgeigen der Stimmung G d a e 1 sind der von B.
Dubois 1833 gebaute Violon-tenor (Versuchsinstru-
ment mit einer Corpuslange von nur 43,4 cm und einer
Zargenhohe von 8 cm, das wahrscheinlich als Knie-
bzw. SchoBgeige gespielt wurde), der von C.Henry
1847 konstruierte ->■ Bary ton (- 2), das von Diegel-
mann 1877 gebaute Cellino, die von Stelzner ab 1891
gebaute Violotta (Corpuslange 41 cm, neuerdings von
K.Leonhardt in Mittenwald wieder aufgegriffen), das
1930 patentierte Violoncello tenore, seit 1922 von E.
Sprenger gebaut, und die 1935 von J.Reiter (Mitten-
wald) angezeigte Oktavgeige mit 42 cm Corpuslange.
Lit.: zu 1): J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B.
Lullys, = Miinchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961.
- zu 2) : G. Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in
Coin II, Koln 1912; H. Besseler, Zum Problem d. Tenor-
geige, = Mus. Gegenwartsfragen I, Heidelberg 1949 ; D. D.
Boyden, The Tenor V., Fs. O. E. Deutsch, Kassel 1963.
Violet ->-Englisch Violet.
Violetta (ital., Diminutiv von Viola), eine Bezeich-
nung fur verschiedene Instrumente sowohl vom Viola
da gamba- als auch vom Viola da braccio-Typus. Lan-
franco (1533) nennt Viole da braccio ohne Biinde mit
3 in Quinten gestimmten Saiten Violette. Von Prae-
torius werden sowohl Diskant- Viole da gamba als auch
die Diskant- Viola da braccio (synonym mit Violino
und Rebecchino) V. picciola genannt (Synt. II, S. 25
und 48). Im 18. Jh. bezeichnet V. meist allgemein die
Bratsche, nach WaltherL ein Streichinstrument der
1038
Violine
Mittellage sowohl der da braccio- als auch der da gam-
ba-Spielweise. - Die V. marina des P. ->■ Castrucci war
eine Art Viola d'amore.
Violine (ital. violino, Diminutiv von ->■ Viola - 1 ; frz.
violon; engl. violin; umgangssprachlich deutsch meist
als -*■ Geige bezeichnet) ist als das hochstentwickelte
Streichinstrument seit etwa 300 Jahren eines der wich-
tigsten abendlandischen Musikinstrumente, dessen Be-
deutung und weltweite Verbreitung nur vom Piano-
forte iibertroffen werden. Sie bildet das Sopraninstru-
ment der Familie der Violininstrumente (-»■ Viola da
braccio). Die V. ist ein Klangkorper von hochster
akustischer ZweckmaBigkeit, scheinbar einfach und
doch aus vielen Teilen zusammengesetzt. Einziger Zie-
rat ist die Schnecke. Das Corpus besteht aus der Decke,
dem Boden und den Zargen (Seitenteile). Fichte oder
Tanne liefern das Holz fur die Decke, die mit Schall-
lochern in Form eines/ versehen ist. Boden und Zargen
sind aus Ahorn. Das Holz ist nach dem Spiegel ge-
schnitten, d. h. der Stamm wird in Segmente, nicht in
Bretter zerteilt. Die Wolbungen von Decke und Bo-
den - mit ausgepragter Hohlkehle - sind aus dem vollen
Holz herausgearbeitet. Die Decke besteht fast immer,
der Boden in der Regel aus 2 Teilen, die in Langsrich-
tung gefugt und verleimt sind. Im Unterschied zur
Bauweise der Violen (-> Viola da gamba - 1) ragen
Decke und Boden der V. iiber die Zargen hinaus, was
die Druckfestigkeit (vor allem der Decke) erhoht. Die
6 Zargenteile, die iiber erhitztem Metall gebogen wer-
den, sind durch 6 Klotze miteinander verleimt. An
Zorge -
Gegefizargen
jeder Seite verbinden jeweils 2 Klotze den Mittelbiigel
(mittlerer Zargenteil) mit oberer und unterer Zarge;
die Verbindung der unteren Zargen untereinander
wird durch den Unterklotz (auch kleiner Block oder
Stock genannt) verstarkt, an dem auch der Knopf f in-
die Befestigung des Saitenhalters angebracht ist. Der
Oberklotz (auch groBer Block oder Stock) verbindet
die oberen Zargen und zugleich Hals und Corpus.
Der Hals lauft in den Wirbelkasten und in die Schnecke
aus und ist mit dem stets biindelosen Griffbrett belegt
(eine in der Volksmusik der Alpenlander verwendete
V. mit metallenen Biinden heiBt ->- Streichmelodion).
Statische und akustische Aufgaben haben der zwischen
Boden und Decke stehende -» Stimmstock (- 1) und
der an das Innere der Decke geleimte BaBbalken.
Corpus, Hals, Wirbelkasten und Schnecke werden
mit Lack (frz. vernis) iiberzogen. Heute erfolgt die
Lackierung in der Regel in 4 Phasen: Grundierung,
Porenfullung, Farblack und Uberzugslack. Der Ein-
fluB der Lackierung auf die akustischen Eigenschaften
der V. ist umstritten; zu unterscheiden ist wohl zwi-
schen den in das Holz eindringenden Stoffen und der
auBerlich haftenden Lackschicht. Die Lackierkunst der
groBen italienischen Meister vor etwa 1760 beruhte
auf spater nicht mehr bekannten Rohstoffen und Ver-
f ahren und ist auch in ihren optischen Ergebnissen nicht
wieder erreicht worden. Griffbrett, Wirbel und Saiten-
halter bestehen gewohnlich aus Ebenholz. Die 4 Saiten
sind an dem Saitenhalter und den von zwei Seiten in
den Wirbelkasten gefiihrten Wirbeln befestigt; sie
schwingen zwischen dem -*- Sattel am Beginn des
Griffbretts und dem -»■ Steg. Die Saiten sind in Quin-
ten (g di ai e2) gestimmt; sie werden von oben nach
unten gezahlt und mit romischen Ziffern bezeichnet.
Die E-Saite wurde noch im 19. Jh. allgemein Chante-
relle (»Sangsaite«) genannt. Das Verhaltnis von Starke,
Material und Spannung der Saiten muB so abgestimmt
sein, daB bei gleicher Lange der Saiten in jeder Griff-
hohe der Quintabstand gewahrt ist. Das Material der
Saiten war zunachst ausschlieBlich Darm; metallum-
sponnener Darm wurde seit Beginn des 18. Jh. fiir die
G-Saite verwendet (meist Silber), seit etwa 1920 zu-
nehmend auch fiir die D- und A-Saite (Aluminium).
Fiir dieE-Saite sind heute fast ausschlieBlich Stahlsaiten
(mit und ohne Umspinnung) gebrauchlich ; auch gibt
es fiir alle Saiten Fabrikate aus reinem Stahl oder aus
meist umsponnenen Kunststoffen. Mit der Verwen-
dung von Stahlsaiten wurde der Feinstimmer am Sai-
tenhalter notwendig. Material und Starke verleihen den
Saiten verschiedenen Klang. Das Spiel auf einer einzel-
nen Saite bis in hohe Lagen hinein nutzt jeweils deren
Klangcharakter und wird bisweilen vom Komponisten
ausdriicklich verlangt (z. B. mit dem Zusatz sul G). Das
Spiel nahe am Steg (-> sul ponticello), schon im 17. Jh.
bekannt (Farina 1627), in neuerer Musik oft in Ver-
bindung mit Tremolo gefordert, ergibt einen oberton-
reicheren.metallisch-briichigen Klang. AuBerdemkann
der Klang der V. durch den -> Dampfer modifiziert
werden. Kinnhalter werden seit Spohrs Erfindung
(1820) benutzt, Kissen und verschiedene neue Formen
der Schulterstiitze individuell gewahlt.
Die Friihf orm der V. (Abb. nach Gaudenzio Ferrari, La
Madonna degli aranci, um 1529, S. Cristoforo, Vercelli bei
Mailand) mit 3 Saiten und der
Stimmung g di ai ist um 1520
oder wenig friiher in Oberitalien
im Umkreis von Mailand ent-
standen. Sie kann beschrieben
werden als eine Kombination
von Merkmalen des -»■ Rebec
(3 Saiten in Quintstimmung,
biindeloses Griffbrett, seitenstan-
dige Wirbel in einem Wirbel-
kasten) und der Lira da braccio
(Form und Bauweise des Corpus,
f-Locher, abgesetzter Hals). DaB
die V. als Kleinf orm aus dem Alt-
instrument der Viola da braccio-
Familie abgeleitet ist (diese Theo-
rie wurde durch die italienische
Diminutivf orm violino von viola
nahegelegt), ist nach der Quel-
lenlage unwahrscheinlich; ent-
weder trat die V. zuerst auf oder
sogleich die ganze Familie (Dis-
kant-, Alt- und BaBinstrument sind zusammen 1535/36
von G. Ferrari im Kuppelfresko des Doms in Saronno
bei Mailand dargestellt). - In den bisher bekanntge-
wordenen Dokumenten zur Fruhgeschichte der V. ist
die franzosische Bezeichnung vyollons friiher (1523)
belegt als die italienische Wortform violino (1538);
violons bezeichnet bis ins 18. Jh. meist ein Ensemble
aus Diskant-, Alt- und BaBinstrumenten (vgl. Eppels-
heim 1961), die V. hieB dessus de violon. Boyden
(1965) stellt hierzu die Hypothese auf, daB die Instru-
mente der V.-Familie von den Italienern Anfang des
16. Jh. haufig violone genannt wurden (dies bezeugt
z. B. Jambe de Fer 1556; noch T.Merula gebraucht
1615 die Bezeichnung violono fiir V.), doch ist violone
ebensooft als Sammelname fiir Viola da gamba-Instru-
mente zu belegen (Lanfranco 1533, Ganassi 1543 u. 6.).
W.v. Wartburg (1961) deutete die franzosische Wort-
form violon dagegen als Diminutiv von viole. Das f rii-
1039
Violine
he Auftreten der V. in franzosischen Dokumenten des
Hofs von Savoyen und Franz' I. von Frankreich erklart
sich aus dem politischen EinfluB Frankreichs auf Ober-
italien, dem ein italienischer kultureller EinfluB auf den
franzosischen Hof entsprach. Bis zum Aufkommen
einer eigenstandigen -»• Violinmusik im 17. Jh. ist die
V. (bzw. das Stimmwerk der V.-Instrumente) bevor-
zugt fiir hofische Tanz-, Tafel- und andere »Unterhal-
tungs«-Musik verwendet worden; sie scheint damit in
musikalischer und soziologischer Hinsicht die Nach-
folge des Rebec angetreten zu haben. - Die italieni-
schen Bezeichnungen fiir die V. schwanken noch bis
Anf ang des 1 7. Jh. , und es laBt sich meist nur aus dem je-
weiligen musikalischen oder textlichen Zusammenhang
erkennen, welches Instrument gemeint ist. Um 1550
wurde die Zahl der Saiten auf vier erhoht (erstmals be-
zeugt bei Jambe de Fer 1556; Vicentino 1555, f. 146',
spricht noch von viole con tre corde senza tasti, d. h. ohne
Bunde). Zwei urspriinglich 3saitige, auf 1542 und 1546
datierte V.n von Andrea Amati (* vor 1511; vgl. C.
Bonetti 1938), die im 19. Jh. beschrieben wurden (vgl.
Boyden 1965, S. 19), sind heute verschollen. Zu den
altesten erhaltenen V.n gehoren die Instrumente von
-> Gasparo da Salo ; sie sind noch wenig gewolbt und
haben eine starke Decke und parallel stehende F-L6-
cher. Die klassische Form der V. entstand in der Schule
von Andrea -> Amati in den Jahrzehnten vor 1600. Im
17. Jh. entwickelte sich der italienische, deutsche und
f ranzosische ->■ Geigenbau zu hochster Bliite. Ihre letzte
Vollendung erhielt die V. durch ->■ Stradivari, dessen
Modell von 1713 die noch heute iiblichen Abmessun-
gen hat (Corpuslange 35,5 cm).
Wahrend die Formen von Corpus, Wirbelkasten und
Schnecke bis heute unverandert blieben, wurden Men-
sur und Spannungsdruck seit etwa 1800 geandert, um
die V. aus einem Kammer- zu einem Konzertinstru-
ment umzuwandeln : die Saiten wurden starker ge-
spannt; die Stimmung stieg, obwohl die Saiten zu-
gleich verlangert wurden und mit ihnen Griffbrett und
Hals, wodurch auch das Spiel in den hoheren Lagen
erleichtert wurde; der Steg wurde starker gewolbt und
auch erhoht, der schlankere Hals dementsprechend et-
was nach riickwarts geneigt, um das Griffbrett wieder
in gleiche Richtung mit den Saiten zu bringen. Das
Griffbrett wurde gegen den Steg hin verbreitert und
erhielt ebenfalls eine starkere Wolbung. Der veran-
derte Winkel der Saiten iiber dem Steg erzeugte einen
hoheren Druck auf die Decke und forderte einen kraf-
tigeren Bafibalken. Fast alle alten V.n wurden auf diese
Weise umgebaut; das Stradivari-Modell kam den An-
derungen mehr entgegen als die starker gewolbte Stai-
ner-Geige, die vorher als gleichwertig gegolten hatte.
Seit ca. 1930 werden auch wieder vereinzelt V.n in
alter Mensur gebaut (fiir Interpretationen von Wer-
ken aus der Zeit vor 1800). Schon im 19. Jh. sind zahl-
reiche Versuche (u. a. von Savart) unternommen wor-
den, die wissenschaf tliche Erklarungen fiir den Klang
der V. liefern sollten. Seit den 1920er Jahren setzte eine
intensive Erforschung der akustischen Eigenschaften
der V. und ihrer einzelnen Bauteile ein (z. B. Fuhr),
spater unter zunehmender Heranziehung elektroaku-
stischer MeBmethoden.
Lit.: -* Geigenbau; M. Agricola, Musica instrumentalis
deudsch, Wittenberg 1529, erweitert 21545, hrsg. v. R. Eit-
ner, = PGfm Jg. XXIV, Bd XX, Lpz. 1 896, Nachdruck d.
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Mus. Ill, 1955 - IV, 1956, separat Neuilly-sur-Seine 1957,
Suppl. in : The Galpin Soc. Journal XV, 1962 - XVI, 1963 ;
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Paris 1958; H. Le Blanc, D6fense de la basse de viole
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1817, engl. als: A Treatise of the Structure and Preserva-
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geninstr., Jena 1828, 3 1886, engl. als: Treatise on the con-
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Famous Makers and Their Imitators, London 1875, 4 1909 ;
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Early Hist, of the V. Family, London 1883, Nachdruck
London 1965; E. H. Allen, V. Making, London 1884,
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XXXII, 1960. ED
Violinmusik. Der Aufstieg der Violine von etwa 1610
bis zum Ende des 18. Jh. war ein geschichtlicher Vor-
gang, bei dem die hohe Kunst des -> Geigenbaus, die
Entwicklung der Spieltechnik und das Ausreifen be-
deutender Kompositionsformen in enger Wechselwir-
kung standen. Die groBen Geigenbaumeister in Italien
und in den Alpenlandern schufen ihre noch heute
beriihmten Instrumente in derselben Zeit, in der die
Violinmusik eine fur die gesamte Instrumentalmusik
bedeutsame Entwicklung nahm: die begleitete Solo-
sonate und die Triosonate waren vornehmlich f iir die
Violine, das Concerto grosso und das Solokonzert von
den komponierenden Violinmeistern selbst (Corelli,
Torelli, Vivaldi u. a.) geschaffen worden. Diesem Auf-
stieg der Violine nach 1600 war eine Aufwertung der
Streichinstrumente seit etwa 1520 vorangegangen und
beim Ubergang von der Renaissance zum Barock auch
das solistische Heraustreten der Instrumentalisten in der
Cappella. Im Unterschied zur Viola da gamba wurde
die Violine meist von Berufsmusikern gespielt; der
erste namentlich bekannte Violinspieler war Balta-
zarini, der seit 1555 in Frankreich (unter dem Namen
B. de Beaujoyeulx) tatig war. Die Mitwirkung der Vio-
line in der Musik fur hofische Feste (Theater, Ballett
und hofische Tanze) ist durch Bilddokumente und
Auffiihrungsberichte bezeugt, wie vor allem durch die
Beschreibung des unter Baltazarinis Leitung 1581 auf-
gefiihrten Balet comique de la Royne (gedruckt 1582;
f . 22f .) : . . . dix violons . . . commencerent a ioiier la pre-
miere entree du Balet. Die 5st. Streichersatze dieses Bal-
letts, die zwar fiir ein Ensemble von 10 Violininstru-
menten (violons) komponiert sind, sich im iibrigen je-
doch nicht von den ad. libitum zu besetzenden Instru-
mentalsatzen der 2. Halfte des 16. Jh. unterscheiden,
bezeichnet D. D. Boyden (1965, S. 56) als »die erste ge-
druckte Violinmusik«. Auch der Bericht iiber eine in
Florenz 1589 aufgefuhrte kurze 5st. Sinfonia von L. Ma-
renzio, die eines der Intermedial zur Fiirstenhochzeit
einleitete, nennt unter den ausfiihrenden Instrumenten
eine Violine (veroffentlicht durch Cr. Malvezzi in : In-
termedii e concerti, Venedig 1591). Monteverdi, in Cre-
mona, der Stadt der Geigenbaucr Amati, groBgewor-
den, verwendet dann 1610 schon in seinem Magnificat
die Violine von der G-Saite bis zur 4. Lage auf der
E-Saite (e3), im Combattimento . . . (1624) schreibt er
pizzicato vor; in der groBen Arte im 2. Akt seines
Orfeo laBt er zwei Violini piccoli allafrancese neben an-
deren Instrumenten zur besonderen Charakterisierung
mitwirken. G. Gabrieli fiihrt in seiner Sonatta con tre
violini (1615 posthum gedruckt) die Instrumente bis
zum c 2 , vermeidet aber noch die G-Saite, was zunachst
allgemein iiblich war. Das Potential der Violine wird
jedoch schon von G.P.Cima ausgewertet; seine Sonata
per violino e violone (in: 6 Sonate per istrumenti a 2, 3 e
4 voci, 1610 in Mailand gedruckt) darf als erste Violin-
sonate gelten und macht die Entwicklung deutlich, die
mit dem Aufstieg der solistischen, begleiteten Gesangs-
kunst parallel lauft. Cimas Skalen und Figuren verraten
zugleich die Ubung an einer nicht gedruckten impro-
visierten Variationskunst und an Werken wie den Pas-
saggi . . . (Venedig 1592) von R.Rognoni, dessen Sohn.
Francesco Rognoni Taeggio diesem Werk eine Aggiun-
ta del scolaro di violino & altri strumenti col basso conti-
nuo . . . (Mailand 1614) folgen lieB.
In denjahrzehnten bis zur Mitte des 17. Jh. entwickelte
sich die Komposition fiir eine, zwei und mehrere Ober-
stimmen mit B. c, wobei die Rolle der Violine immer
mehr in den Vordergrund trat. Tanze wurden als Kam-
mermusik stilisiert, in sonatenartigen Werken steigerte
sich die spezielle Violintechnik. S.Rossi, D.Castello,
Fr. Turini, O.M.Grandi, G.B.Fontana und B.Marini
waren besonders als Komponisten von Solo- und
-> Triosonaten Trager dieser Entwicklung seit Cima.
M.Uccellini forderte in seinen Sonaten op. 3 (1645)
die 5. Lage, in op. 5 (1649) die 6. Lage. Farina notierte
bereits 1627 im Dienst programmatischer Musik (Ca-
priccio stravagante) spieltechnische Effekte wie con leg-
no, sul ponticello, glissando u. a. Bis etwa 1680 waren
die wichtigsten Komponisten von Violinmusik in Ita-
lien vorwiegend Kapellmeister und Organisten. In den
fugierten Satzcn der Sonaten lebte die alte Polyphonie
weiter; daneben begann der monodisch-kantable Stil
in den Largo- und Adagiosatzen zu bliihen. Nach 1680
wurde die bedeutende Violinmusik immer haufiger
von den groBen Geigern selbst geschrieben. Im Laufe
des 17. Jh. hatte sie sich aus der Abhangigkeit von der
schon um 1600 hochentwickelten Gelaufigkeit des
Spiels auf den Violen frei gemacht und eine eigene
Figuration entwickelt, die der Quintenstimmung und
der Spieltechnik auf dem bundlosen Griffbrett ent-
sprach. Die zugleich fortschreitende Ablosung von
den Vorbildern der vokalen Polyphonie und von der
alteren Diminutionstechnik ermoglichte die motivische
und thematische Erfindung aus der Spielweise des In-
struments. Diese Entwicklung des ersten Jahrhunderts
der Violinmusik faBte Corelli mit den 12 Sonate a vio-
lino e violone o cimbalo op. 5 (Rom 1700) zusammen,
die gemaBigte Virtuositat der Doppelgriffe und der
Figuration (ohne hoheres Lagenspiel) entf alten; die in
durchlaufender schneller Bewegung gefuhrten Satze,
die Corelli hier den 4 Satzen der Kirchensonaten (Nr
1-6) zufiigte, finden sich bis heute in Etudensamm-
lungen; die Variationen iiber La Follia (Nr 12) sind ein
representatives Vortragsstiick geblieben. Corellis Vio-
linsonaten wurden bis 1800 immer wieder neu ge-
druckt; nur im Schatten der klassischen Musik trat
66
1041
Violinmusik
voriibergehend das Interesse zuriick. Bis in die 2. Half te
des 19. Jh. wurden in Italien Solo- und Triosonaten
(z. B. von Corelli op. 1 und 3) mit der Satzfolge der
Kirchensonate (— *■ Sonate) wahrend der Liturgie bei
der Wandlung (Elevazione) gespielt. In der Markus-
kirche in Venedig war ab 1692 dafiir ein Geiger ange-
stellt. Die wichtigsten Komponisten von Sonaten aus
der Zeit und in der Nachfolge Corellis sind: G.B. u.
T.Vitali, A. u. Fr. M. Veracini, Albinoni, F.Dall'Aba-
co, Vivaldi, Geminiani, G.B.Somis; sie ubernahmen
Satzfolge und andere Charakteristika der Sonaten Co-
rellis wie auch noch G. Ph. Telemann, G.Fr. Handel
und J.S.Bach. Neben der Kammersonate und der
4satzigen Kirchensonate gewann nun auch die 3satzige
Sonate an Bedeutung.
Virtuoser als Corelli, aber in Form und kantablem Aus-
druck nicht gleicherart ausgewogen, war die Kunst der
deutschen Geiger. Sie traten im Laufe des 17. Jh. mit
einer Violintechnik hervor, die sich seit dem Beginn
des Jahrhunderts aus improvisierten und fixierten Va-
riationen iiber Lieder und Tanze entwickelt hatte und
Doppelgriffspiel einschloB. (An italienischen Geigern
wirkten in Deutschland B. Marini und C. Farina.) Spie-
geln etwa Werke von Vierdanck (1641) und das Lehr-
werk von D. Speer (1687) die Art des Ensemblespiels,
so zeigen Sonaten von Ph. Fr. Boeddeker (Sacra parti-
tura, StraBburg 1651) und J. H. Schmelzer (1664) die
Kunst der Solisten. Einige Werke des virtuosen deut-
schen Geigers Th. Baltzar wurden posthum von Play-
ford in The Division-Violin (1685) veroffentlicht, einem
Werk, das iiber den Stand des Violinspiels in England
und die Bevorzugung von Variationen (-*■ Division)
Auskunft gibt. Als der groBe Virtuose des 17. Jh. do-
kumentiert sich in seinen Scherzi (1676) J.J.Walther
mit durchdachter und genau bezeichneter Violintech-
nik, die sich auf Passagen, Staccato, Doppelgriffe, Ar-
peggien und hohe Lagen erstreckt. Auch er laBt, wie
schon Marini, eine Sonate fur 2 Violinen auf einem In-
strument spielen (Hortulus chelkus, 1688). Als Kompo-
nist vielseitiger ist H. I. Fr. Biber, der die Violine auch in
der Kirchenmusik einsetzte. Seine Technik entspricht
etwa der von Walther; doch die vielfaltige Verwen-
dung der -*■ Scordatura unterscheidet ihn von ihm.
Den Zyklus seiner Mysteriensonaten schlieBt er mit
einer groBen Passacaglia fur Violine ohne BaB ab. Das
virtuose Spiel auf der unbegleiteten Violine hatte in
Deutschland eine besondere Tradition. Von Baltzar
stammen die ersten bedeutenden Stiicke, J.P.v.West-
hoff veroffentlichte 1682 in Paris eine Suite, deren An-
forderungen an das Doppelgriff- und Akkordspiel auf
J. S. Bach weisen. Sonaten fur Violine ohne BaB schrie-
ben Geminiani (1705) und Pisendel (1716?). Die von
J.S.Bach im Jahre 1720 vollendeten Sei solo a violino
senza bafio sind drei mehrsatzige Sonaten und drei Par-
titen fur Violine allein und fassen diese Traditionen in
einem Gipf elwerk zusammen ; ingeniose Erfindungen
fur das mehrstimmige Spiel auf einer Violine, die ho-
hen Anforderungen an die Bogentechnik, die reife
Auspragung der 4satzigen Kirchensonate, die Stilisie-
rung der Tanzsatze in der Suite und die virtuose Va-
riationskunst in der Ciacona verbanden sich hier zur
groBten Aufgabe fur den Geiger. Weitere Werke fiir
Violine allein schrieben P.Locatelli (1733), G Ph. Tele-
mann (Fantasien 1735), J. FL Roman (Assaggi, 1730-40)
und G.Guillemain (op. 18, 1762). In Bachs 6 Sonaten
fiir Violine und Cembalo iibernimmt in kontrapunk-
tischen Satzen die rechte Hand des Cembalospielers
eine von drei Stimmen; in einigen langsamen Satzen
sind ihr ausgearbeitete Begleitfiguren anvertraut. Die
Violinsonate der Wiener Klassiker entwickelte sich je-
doch nicht aus dieser Form; ihre Vorlaufer waren Kla-
viersonaten »mit begleitender Violine« (J.Chr.Bach
u. a.). Mit seinen Violinkonzerten griff J.S.Bach die
neueste italienische Kompositionsweise auf. Schon bei
Albinoni (ab 1695) und Torelli (1709) war die Violine
im Concerto solistisch hervorgetreten; mit Vivaldi, der
mit seinem op. 3 die Form ausbaute, begann das Solo-
konzert eine wichtige Rolle zu spielen. Der Aufbau des
ersten Satzes mit Hauptmotiv und Nebenmotiven und
figurierten Solopartien wurde epochemachend fiir die
neue concertierende Violinmusik. Da auch Konzerte
fiir zwei und mehrere Violinen geschrieben wurden,
ist die Geschichte des Violinkonzerts zunachst mit der-
jenigen des Concerto grosso verbunden.
In Frankreich wurde im 17. Jh. das Orchesterspiel vom
Adel und besonders vom KSnigshofe sehr gefordert.
Den beriihmten Vingt-quatre violons du Roy, schon
1626 unter Ludwig XIII. zusammengestellt, fiigte 1656
Ludwig XIV. die Petits violons (16 Spieler) hinzu; mit
der Aufgabe, diese auszuwahlen und zu einem Elite-
orchester heranzubilden, war J.-B. Lully (der selbst Gei-
ger war) betraut. In seinen sorgfaltigen Einstudierun-
gen entwickelte er nicht nur einen weithin vorbildlichen
Vortrag der hofischen Tanze und der Ballettanze, son-
dern auch ab 1660 den Stil der franzosischen Ouver-
tiire mit den charakteristischen punktierten Rhythmen.
In seinem Neu-Eroffneten Orchestre (1713) lobte Mat-
theson die Art und Weise der Auffiihrung bei den
Franzosen iiber alles und erklarte: Sie lernen es aber
vorhero fast ganz auswendig und schamen sich nicht . . .
ein Ding wohl hundertmal zu probieren. Der Wiener
Georg Muffat beschrieb voller Bewunderung jene
Stricharten der Franzosen, bei welchen, um bei leb-
haftem Tempo immer auf den 1. Taktteil Abstriche
zu gewinnen, von 3 Noten die 2. und 3. mit einem
Aufstrich gleichsamb hupfend hinauff gestofien wurden
(Vorwort zum Florilegiutn II, 1698). Auf der Grund-
lage des durch Lully entwickelten Violinspiels erwuchs
um 1700 solistische Violinmusik mit GeneralbaB auch
in Frankreich. Sie ist der erste Anfang einer langen
Entwicklung, in der die franzosische Violinkunst in
stetiger Auseinandersetzung mit italienischen Anre-
gungen solche Bedeutung gewann, daB sie am Ende
des Jahrhunderts die Fiihrung iibernehmen konnte.
J. F. Rebel (ab 1695) stellte in seinen suitenartigen Satz-
folgen technische Anspriiche, die iiber diejenigen des
Orchesterspiels hinausgingen. Fr. Duval (ab 1704), der
erste Spieler von Sonaten Corellis in Paris, verwendete
dessen 4satzige Form neben dem franzosischen Suiten-
stil. Italienisch geschult waren auch die Mitglieder der
koniglichen Kapelle J.B.Anet, Schiiler Corellis, und
Senallie', Komponist von 50 Violinsonaten. In den Jah-
ren nach 1725 machte sich das Vorbild Vivaldis gel-
tend, mit dessen Konzerten J.P.Guignon ab 1728 in
den Concerts spirituels Triumphe feierte. Guignon
hatte, wie auch G. Guillemain und J.-M.Leclair, in Tu-
rin bei Corellis Schiiler G. B. Somis studiert, der seiner-
seits Paris besuchte. J. Aubert, Schiiler Senallies, gilt als
der erste Komponist und Spieler von franzosischen
Violinkonzerten fiir eine konzertierende Violine und
3 Prinzipalviolinen mit BaB (1735). Neben der Sonate
fiir Solovioline mit B. c. und der Triosonate gewannen
auch Sonaten fiir 2 Violinen ohne BaB an Bedeutung,
z. B. von J. Aubert und Leclair. Im Duosatz stellte M.
Corrette in seiner Violinschule (1738) einer franzosi-
schen Ouvertiire mit nachfolgenden Tanzsatzen eine
4satzige italienische Sonate gegeniiber. Er zeigt zwei
Spielweisen, die sich durch Bogenhaltung und Strichbe-
handlung unterscheiden ; die Beispiele im franzosischen
Stil sind im g-Schliissel auf der untersten Linie notiert
(»franzosischer Violinschlussek), die italienischen Bei-
spiele in der noch heute ublichen Art (sie fiihren bis
1042
Violinmusik
in die 7. Lage). J.-J. Mondonville verwendet in Sona-
ten Flageolettspiel (um 1738). Leclair (49 Sonaten, 12
Violinkonzerte) vermittelte die von Frankreich ad-
aptierte Kunst Corellis an J.-B.L'Abbe le fils (Violin-
schule 1761) und an P.Gavinies, den Komponisten
empfindsamer Kammermusik und schwierigster Ca-
pricen. Der italienisch geschulte Guillemain schrieb
spezifisch virtuose Capricen fur Violine solo (op. 18,
1762). Gavinies' Schiiler S.Leduc verband in seinen
schon klassisch geformten Sonaten (1767, 1771) als Aus-
klang der Epoche mit dem GeneralbaB eine kantable
Melodik, die derjenigen Mozarts nahesteht.
Mit den Anforderungen an das Lagenspiel und die
Bogentechnik hatte sich die Geigenhaltung geandert.
Ein Gemalde von Gerrit Dou (1665) zeigt noch einen
Violinspieler, der sein Instrument in der Herzgegend
an die Brust setzt und den Bogen leicht, mit abgeho-
benem kleinem Finger f iihrt. J. Chr. Weigel (Musica-
lisches Theatrum, um 1720) laBt die Geige an den Hals
setzen, wobei das Kinn sie nicht beriihrt. So ist auch
der Geiger noch auf Titelblattern von Corrette (1738)
und Fr. M. Veracini (1744) abgebildet. Das Festhalten
mit dem Kinn als Voraussetzung fiir eine bewegliche
linke Hand wurdejedoch schon 1677 von JJ.Prinner
(Musicalischer Schlissl) gefordert (vgl. Federhofer 1960).
Der markanteste Beweis fiir virtuose Grifftechnik sind
die 24 Capricci, die P. Locatelli als Kadenzen fiir seine
Concerti op. 3 (1733) veroffentlichte; sie fiihren bis in
die 14. Lage. An Locatellis Virtuositat kniipfte erst wie-
der Paganini an. Geminiani, Schiiler von Corelli, brach-
te in seiner seit 1751 mehrfach gedruckten und iiber-
setzten Violinschule, der ersten, die im 18. Jh. eindeutig
fiir den Berufsgeiger bestimmt war, neben traditio-
nellen Aufgaben und Verzierungsanweisungen die er-
sten methodischen Beispiele, die in verschiedenen
Stricharten getibt werden sollten. Differenziertes La-
genspiel wurde schon durch Tessarini gefordert, der in
seiner Violinschule (1741) wertvolle Beispiele fiir das
Spiel in der 2., 3. und 4. Lage gab. G.Tartini mit dem
Beinamen »Maestro delle nazioni« hatte ab 1727/28
etwa 40 Jahre lang in Padua groBen EinfluB auf die
Entwicklung des Violinspiels. Er schrieb 135 Violin-
konzerte, die ebenso wie viele seiner etwa 200 Sonaten
fiir kirchlichen Gebrauch entstanden. In L'arte del ar-
co . . ., ab 1745 mehrfach gedruckt, verbindet Tartini
die Obung vielseitiger und virtuoser Bogentechnik mit
anspruchsvollen Griffaufgaben anhand von 50 Varia-
tionen iiber eine Gavotte von Corelli. Sein Schiiler
Nardini steht ahnlich wie Tartini zwischen Barock und
Friihklassik. Nardini war beriihmt wegen seines Spiels
reich verzierter Adagios; zugleich weist sein Stil auf die
Kantabilitat J. Chr. Bachs und W. A. Mozarts. Aus Tar-
tinis Kompositionen verwendet L. Mozart Beispiele in
seiner umfassend und systematisch angelegten Violin-
schule (1756), die auch einige etudenartige Duoiibun-
gen enthalt. W. A. Mozarts Vorstellungen von Violin-
komposition und -spiel waren auch durch Eindriicke
in Paris, London und Mannheim bestimmt, die vor
allem fiir die Entwicklung seiner Sonaten bedeutsam
waren; diese sind zunachst noch Klaviersonaten mit
Violinbegleitung (s. u.). Mozarts 5 Violinkonzerte,
1775 in Salzburg wohl zum eigenen Gebrauch ge-
schrieben, verbinden innerhalb der Sonatensatzform
das Konzertieren mit der thematischen Differenzierung
symphonischer Musik.
1775 erlebten in Paris, der europaischen Hauptstadt der
Violinkunst, etwa 20 neue Violinkonzerte verschie-
dener Komponisten ihre erste Auffiihrung. Gavinies
und seine Schiiler wurden durch die Mannheimer Sym-
phonik und durch Schiiler Tartinis beeinfluBt. G.B.
Viotti fand in Paris das Publikum, das ihn bei seinem
ersten Auftreten (1782-83) stiirmisch feierte. Den gro-
Ben klingenden Strich hatte er von Pugnani, einem
Schiiler von Somis, gelernt. Ihre ganze Macht solle die
Violine im Konzert entfalten, schrieb spater Baillot,
Viottis leidenschaftlicher Vorkampfer: »geboren zu
herrschen, ist hier der Ort, an dem sie als Souveran
regiert«. In den Jahren nach der Griindung des Pariser
Conservatoire (1795) entstanden die bis heute giiltigen
lehrhaften Werke, mit denen sich der Ubergang von
der Caprice zur Etude vollzog (Themelis 1967). R.
Kreutzer veroffentlichte seine 40 Etudes ou caprices,
Baillot folgte mit 12 Caprices ou etudes pour le violon
avec accompagnement de basso, ferner Viottis Schiiler P.
Rode (der die Violinkonzerte seines Lehrers bekannt-
machte und selbst 13 Violinkonzerte schrieb) mit seinen
24 Caprices en forme d 'etudes in alien Tonarten. Mit
Kreutzers Sammlung wurde das spezielle technische
Problem als Aufgabe isoliert, wahrend in der Caprice
noch auf den musikalischen Sinngehalt geachtet wurde,
auch wenn die Schwierigkeiten auBerordentlich wur-
den, wie in den posthum veroffentlichten 24 Matinees
von P.Gavinies und den schon um 1810 entstandenen
24 Capricci per violino solo von N. Paganini. In dieser
Bliitezeit der Violine war man zugleich bestrebt, auch
am Konnen und an den Werken alterer Meister zu
lernen. Als Alterswerk hatte Corrette 1782 in L'art de
se perfectionner dans le violon Stiicke und schwere Stellen
von verschiedenen Meistern des friihen 18. Jh. zusam-
mengestellt; Gleiches unternahm J.B.Cartier in L'art
de violon (ab 1798), wo J. S. Bachs Fuge in A moll
(BWV 1003) und Tartinis Sonate mit dem »Teufels-
triller« zum erstenmal veroffentlicht wurden. Corellis
Werke wurden wieder neu gedruckt. Die Etiiden
von F.Fiorillo (um 1800) und die Violinschule von
B.Campagnoli (1797) bekunden zur gleichen Zeit die
Vielseitigkeit und den hohen Stand der italienischen
Violinkunst.
In Paris schuf Tourte den modernen Violinbogen, der
die federnde Technik des »Viotti-Strichs« und die Dif-
ferenzierungen der Bogenfuhrung bei Kreutzer, Rode
und Baillot ermoglichte. Der Englander John Dodd
ging gleichzeitig selbstandig ahnliche Wege. Die mei-
sten der alten Violinen wurden seit 1800 umgebaut;
durch Verlangerung von Hals, Griffbrett und Saiten,
durch Erhohung des Stegs und starkere Spannung der
Saiten konnten sie dem Spiel in hohen Lagen, dem Be-
diirfnis nach stark differenzierter Ausdrucksdynamik
und den klanglichen Forderungen der grSBeren Kon-
zertsale besser dienen. - Die Kronung gab dieser Vio-
linkunst Beethoven in seinem Violinkonzert (op. 61,
1806) mit Anforderungen an den Spieler, die erst nach
Jahrzehnten erfiillt wurden. Beethovens Violinsonaten
stehen in der Tradition der Klaviersonaten mit be-
gleitender Violine. Diese waren nicht aus der General-
bafisonate hervorgegangen. Werke jener zukunfts-
weisenden Art waren veroffentlicht worden von J.-J.
Mondonville (1734), Ch. Fr. Clement (1743), Guille-
main (1745), J.Schobert (1760), J.-J. Beauvarlet-Char-
pentier (1773), Boccherini (1768) und J. Chr. Bach (ab
1775). N.J.Hiillmandel, dessen friihe Sonaten Mozart
kannte, vereinigte in op. 6 (1782) und op. 9 (1787) So-
naten fiir Pfte mit Violine ad libitum und solche mit
»Violon oblige«. Mozarts Sonaten ab 1778 und die 10
Violinsonaten von Beethoven gewannen in steigenden
Graden die ausgewogene Partnerschaft der beiden so
ungleichen Instrumente.
Gilt Viotti als letzter Violinist der italienischen Tradi-
tion und zugleich als Initiator neuer Entwicklungen
in Frankreich, so war Paganinis europaisches Wirken
gleichsam ein damonisches Nachspiel. Er spielte nur
eigene Werke; ihre Bedeutung liegt weniger im For-
66*
1043
Violinmusik
malen oder Stilistischen, als vielmehr in der Entfaltung
einer spezifischen Virtuosenphantasie, die durch die
Verbindung von Bogen- und Pizzicatospiel, Doppel-
griffe, Benutzung hochster Lagen, Spezialtechnik fiir
schnelle chromatische Skalen, Doppeltriller und Dop-
pelgrifmageoletts faszinierte und auch auf die Klavier-
technik (vor allem bei Liszt, aber auch bei Chopin und
R. Schumann) nachhaltig einwirkte. - Im AnschluS an
Rode und R. Kreutzer schrieb Spohr seine ersten Vio-
linkbnzerte. In seinen reifen Violinwerken verbindet
er klassizistische und romantische Elemente mit melo-
dioser Virtuositat. Der Lehrgang seiner 1832 erschie-
nenen Violinschule f (ihrt schnell zu hohen technischen
Anspriichen und reprasentiert wie Spohrs Konzerte,
Kammermusiken und Duos letztmalig die Kunst eines
komponierenden Violin virtuosen, dessen Werke zu-
gleich einen allgemein verbindlichen Zeitstil vertreten
(vergleichbar mit Ch. A. de Beriot in Paris). Die grofien
Violinkonzerte seit Beethoven, die heute noch im Kon-
zertsaal zu horen sind, wurden nicht mehr von Gei-
gern geschrieben; zu nennen sind: Mendelssohn Bar-
tholdy (1844), R.Schumann (1853), Bruch (1866),
Brahms (1878), Tschaikowsky (1878), Dvorak (1879-
80); ferner E.Lalo, Goldmark, Saint-Saens, H. Gotz,
Busoni. - Eine Frucht des Historismus ist Die hohe
Schule des Violinspiels, eine Sammlung von Violin-
sonaten des 17. und 18. Jh., die F.David, ein Schiiler
Spohrs, 1867-72 herausgab. Violinmusik von kom-
ponierenden Violinvirtuosen entstand jedoch weiter-
hin bis gegen Ende des 19. Jh. Baillots Schule gehoren
Beriot (10 Konzerte), Mazas und Dancla an; sie schrie-
ben auchEtiiden und Lehrwerke, die lange in Gebrauch
blieben. Schiiler von Beriot war der Belgier Vieux-
temps, der ahnlich wie der Pole H. Wieniawski das
Erbe Paganinis mit der Tradition der franzosischen
Schule und ihres Violinkonzerts verband.
In Wien hatte sich aus der Pflege der klassischen Musik
und vor allem des Streichquartetts eine neue Geiger-
tradition gebildet. Schon in Haydns Quartetten wer-
den vielfach an die Violine Anspriiche gestellt wie vor-
dem im Violinkonzert. Neben Schuppanzigh, Fr. Cle-
ment und Mayseder aus dem Kreis um Beethoven war
J. Bohm die iiberragende Personlichkeit ; zu dessen
Schulern gehorten Hellmesberger, H.W.Ernst (der
wie Paganini gefeiert wurde), Dont und E. Singer. J.
Joachim, Schiiler Bohms und gereift durch seinen Um-
gang mit Mendelssohn Bartholdy und Liszt, mit R.
und Clara Schumann sowie mit Brahms, bildete sich
und spater eine groBe Zahl von Schulern zu einem
neuen Typus des verantwortungsvollen Interpreten
aus und wurde damit zu einem Exponenten der Violin-
kunst in der 2. Halite des 19. Jh. Die 3 Violinsonateh
von Brahms und die Sonate von C. Franck sind fiir diese
Zeit reprasentativ geblieben und losten eine vielfaltige
Fortfuhrung aus (Debussy, Bartok, Prokofjew, Hinde-
mith u. a.). - Mit den 1 1 Sonaten und 13 Praludien und
Fugen von Reger gewann die Komposition fiir Violine
allein wieder neue Bedeutung und Nachfolge (Hinde-
mith, Honegger, J.N.David, Bartok u. a.). Violin-
konzerte schrieben im 20. Jh. Sibelius (1903-05), Gla-
sunow (1903), Reger (1908), Elgar (1910), C.Nielsen
(1911), Delius (1916), Szymanowski (1917 u. 1933),
Pfitzner (1923), Prokofjew (1921 u. 1937), Strawinsky
(1931), A.Berg (1935), Schonberg (1936), Bartok
(1937-38), Hindemith (1939), ferner Respighi, Mil-
haud, J.N.David, Kfenek, C.Beck, Egk, K.A.Hart-
mann, Former, Genzmer, Nono u. a. - Mit neuer Be-
sinnung auf die Probleme des Anfangers schrieb A.
Moser den 1. Band der Violinschule von J.Joachim.
F.Kuchler (1911, H1930) ging weiter bis zur Beriick-
sichtigung des kindhchen Alters des Anfangers; mit
Einbeziehung alter und neuer Musik setzten diese Ten-
denz Erich und Elma Doflein (5 Bde, 1932-50), W.
Isselmann u. a. fort. In spezialisierten Lehrwerken und
Schriften wurden Praxis und Theorie der Technik des
Violinspiels mehrfach systematisch dargestellt. O.
-> Sevcik isolierte die einzelnen Aufgaben der Griff-
und Bogentechnik (1883 u. 6.) ; Werke, die sich speziell
der Entwicklung der Spieltechnik widmen, schrieben
u. a. L.Capet (1916), Havemann (1928) undJ.Fechner
(1954). In C. Fleschs Die Kunst des Violinspiels (1923-28)
sind die Probleme der Spieltechnik, der Psychologie
des Spielers und der kiinstlerischen Gestaltung erst-
malig grundlich durchdacht und verbunden, gestiitzt
auf Erkenntnisse von F. A. Steinhausen und W.Tren-
delenburg sowie des Padagogen S. -> Eberhardt.
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Violino piccolo (ital., kleine Violine), eine Diskant-
violine mit kleinem Corpus und hoher Stimrhung.
Wahrend die Stimmung des bei Monteverdi (Orfeo,
1607) genannten V. p. alia francese nicht bekannt ist,
stand der V. p. des 17./18. Jh. um eine Quarte oder Terz
hoher als die Violine (Quartgeige ; bei Praetorius Synt.
1045
Violino pomposo
II: Klein Discant Geig; Terzgeige bei J.S.Bach, 1.
Brandenburgisches Konzert, BWV 1046). Fur L.Mo-
zart (1756) war sie bereits veraltet. V. p. hieB audi die
-> Pochette in Violinform. - Auf einer kleinen Geige
in Violinstimmung (Halb- oder Dreiviertelgeige) laBt
man bisweilen wegen der kleineren Mensur im An-
fangsunterricht Kinder spielen.
Lit.: A. Moser, Der V. p., ZfMw I, 1918/19; D. D. Boy-
den, Monteverdi's Violini piccoli alia francese and Viole
daBrazza.Ann.Mus.VI, 1958/63.
Violino pomposo (ital.) -> Viola (- 2).
Violon, - 1) (vial's, frz.) -> Violine; - 2) im 18. Jh. in
Deutschland auch Bezeichnung fiir den KontrabaB (aus
ital. -*■ Violone, hierzu Mattheson Capellm., S. 469);
- 3) im Harmonium eine oft mit Saxophon verbunde-
ne Stimme zu 16', in der Orgel eine offene, enger als
die Prinzipalstimmen mensurierte sonore Labialstimme
zu 16', auch 8' und 32' im Pedal, mitunter auch ein ge-
deckt-pommerartiges Register.
Violon alto -»■ Viola (- 2).
Violoncello (violontf'ello, ital., Diminutiv von -*■ Vio-
lone), - 1) (Abk. Vc. ; frz. violoncelle; deutsche Kurz-
form: Cello), das Tenor-BaB-Instrument der Streich-
instrumente in Violinform (-»• Viola da braccio, -»■ Vio-
line). Die noch heute giiltige, wohl schon in der 2.
Halfte des 16. Jh. aufgekommene Stimmung C G d a
nennt in Deutschland zuerst Praetorius (Synt. II, S. 26).
Die Ricercari per Vc. solo (um 1680) von D.Gabrielli
begrundeten die Sololiteratur fiir das Instrument, das
bis dahin meist als BaBinstrument im Hintergrund ge-
blieben war. AuBer dem Vc. gab es im 16./17. Jh. noch
ein anderes BaBinstrument aus der Familie der Viola da
braccio, fiir dasjambe de Fer (1556), Zacconi (1592),
Cerone (1613) und Mersenne (1663) die Stimmung iB
F'c g angeben. Dieses Instrument mit etwas groBerem
Corpus wurde in Italien spatestens seit Mitte des 17. Jh.
vom Vc. verdrangt, blieb aber in Frankreich (unter der
Bezeichnung basse de violon) bis Anfang des 18.- Jh.
vorherrschend ; der Name basse de violon ging auch
zunachst auf das um 1710 aus Italien nach Frankreich
eingefiihrte Vc. iiber (erst Corrette gebraucht 1741 die
franzosische Wortform violoncelle). Neben dem 4saiti-
gen Vc. kennen Brossard (1703) und nach ihm Mat-
theson (1713) und Walther (1732) auch 5-6saitige In-
strumente. Unter den 6 Suiten fiir Vc. solo von J. S.
Bach (BWV 1007-1012, aus der Kothener Zeit) ver-
langt die 5. Suite -*■ Scordatura, die 6. Suite ein 5saitiges
Instrument. Die klassische Mensur des Vc.s fand A.
Stradivari um 1710 mit 75-76 cm Corpuslange und
11,5 cm Zargenhohe. Danach sind im 18. Jh. zahlreiche
altere Violoncelli, aber auch Gamben und die bis um
1 800 anzutreff enden Mischf ormen zwischen beiden Ty-
pen umgebaut worden, zugleich mit Anderung des ge-
raden Halses in einen schragen. Der Gebrauch des Sta-
chels wurde erst um 1860 iiblich. Im 18. Jh. waren auch
kleinere Sonderf ormen des Vc.s entwickelt worden:
-*■ Viola da spalla, Vc. piccolo (->• Viola pomposa).
In der 1. Halfte des 18. Jh. war Italien in der Kompo-
sition fiir Vc. f iihrend. Sonaten schrieben Jacchini (um
1700), Boni, Lanzetti und Canavasso, Konzerte Jac-
chini, Vivaldi, Tartini, Leo (6 Konzerte 1737/38) und
- mit virtuoser Technik - Boccherini. Den Ubergang
zur neuen Konzertform bezeichnen die Werke von
Holzbauer, Filtz, C. Stamitz, Boccherini, Monn und
J.Haydn (wahrscheinlich 5 Konzerte, Hob. Vllb). Den
schon vorher ublichen Daumenaufsatz, den u. a. Lan-
zetti und Corrette (1741) in ihren Lehrwerken nennen,
systematisierte J.-L. Duport zusammen mit dem ge-
samten Fingersatz (Essai sur le doigte . . . , verf aBt im
letzten Drittel des 18. Jh., erschienen im ersten Jahr-
zehnt des 19. Jh.). Die Notierung des Daumenaufsatzes
ist o oder P (= pouce) oder C. T. (= Capo Tasto).
J.-L. und sein alterer Bruder J.-P. Duport (Vc.-Lehrer
des spa teren Konigs Friedrich Wilhelm II. von PreuBen)
gelten als die bedeutendsten Anreger des neuen Vc-
Spiels in der Solo- (Beethoven op. 5) wie in der Kam-
mermusikliteratur fiir -*■ Streichquartett und -quintett
(im -> Quintett, z. B. bei Boccherini, wird oft das Vc.
doppelt besetzt) . Bef reit von seiner Rolle als BaB und so-
mit im Orchester von der colla parte-Fiihrung mit den
Kontrabassen, wurde das cantable Spiel, besonders auf
der d- und a-Saite, ein Charakteristikum der Schreib-
weise fiir Vc, vor allem in der Romantik. Werke^ in
denen das Vc. konzertierend hervortritt, komponier-
ten im 19. und 20. Jh. u. a. R.Schumann, Saint-Saens,
Tschaikowsky (»Variationen iiber ein Rokokothema«),
Volkmann, Rubinstein, Brahms (Doppelkonzert fiir V.
und Vc), Dvorak (1895), R. Strauss (DonQuixote, mit Va
und Vc.),d' Albert, Pfitzner,Toch,Chatschaturj an, Hin-
demith, Henze (Ode an denWestwind, 1954) und Pende-
recki (Sonate, 1964). Kammermusik fiir Vc. mit Kl.
schrieben u. a. Beethoven (op. 69, op. 102; Variationen),
Mendelssohn Bartholdy, Chopin, Brahms, Grieg, Fau-
re, R. Strauss, Debussy, Ravel, Reger, Rachmaninow,
Honegger, Kodaly, Prokofjew, Hindemith, Martinu
und Schostakowitsch. - Grundlegende Lehrwerke fiir
Vc. verbffentlichte -+ Baudiot (1805 und 1837); er
schrieb aufierdem iiber die Behandlung des Vc.s in der
Instrumentation (1849). Weitere Schulen fiir Vc. ver-
faBten u. a. Dotzauer, Dawydow, Romberg, Griitz-
macher, Forino, H. Becker und D. Rynar, J. Stutschew-
sky, Eisenberg und Hirzel.
- 2) In der Orgel ist Vc. eine streichende Stimme (Vio-
lon) zu 16' und 8' im Pedal, enger mensuriert als Cello
bezeichnet. 1770 kommt sie als Doppelstimme (Flauto
traverso con Vc. 8') in der Orgel von St. Florian vor.
Lit. : zu 1 ) : H. Le Blanc, Defense de la basse de viole contre
les entreprises du violon et les prdtentions du vc, Amster-
dam 1 740, NA in : RM VIII, 1 927 - IX, 1 928, deutsch v. A.
Erhard, Kassel 1951; M. Corrette, Methode ... pour
apprendre ... le vc Paris 1741 ; Ph. Roth, Fiihrer
durch d. Vc.-Lit., Lpz. 1888, 21898 ; W. J. v. Wasielewski,
Das Vc. u. seine Gesch., Lpz. 1889, hrsg. v. W. v. Wasie-
lewski 3 1 925; L. Forino, II vc.,il violoncellista ed i violon-
cellisti, Mailand 1905, 21930; Br. Weigl, Hdb. d. Vc.-Lit.,
Wien 1911, 31929; C. Liegeois u. E. Nogue, Le vc, Son
hist., ses virtuoses, Paris u. Bordeaux (1913); E. Van der
Straeten, Hist, of the Vc, the Viola da Gamba, Their
Precursors and Collated Instr., London 1915; C. Schro-
der, Hdb. d. Violoncellspiels, Bin 31920; M. V adding u.
M. Merseburger, Das Vc u. seine Lit., Lpz. 1920; T.
Broadley, The Vc London 1921 ; Fr. Kohlmorgen,
Die Bruder Duport u. d. Entwicklung d. Violoncelltechnik
v. ihren Anfangen bis zur Zeit B. Rombergs, Diss. Bin 1922,
maschr., Teildruck in: Jb. d. Diss. d. Philosophischen Fa-
kultat Bin 1921/22; E. Nogue, La lit. du vc, Paris 1925,
21931; ders., Le vc, Paris (1937); L. Folegatti, II vc,
Mailand 1930; H. Schafer, B. Romberg, Minister i. W.
1931 ; H. Weber, Das Violoncellkonzert d. 18. u. beginnen-
den 19. Jh., Diss. Tubingen 1933 ; E. Rapp, Beitr. zur Fruh-
gesch. d. Violoncellkonzerts, Diss. Wurzburg 1934; W.
Mirandolle, De vc, haar bouw, geschiedenis en ontwik-
kelingsgang, Den Haag (1940); G. Hulshov, De zees suites
voor vc solo v. J. S. Bach, Arnhem 1944; E. Valentin,
Cello. Das Instr. u. sein Meister L. Holscher, Pfullingen
1955; M. Eisenberg, Cello Playing of Today, London
1957; G. Waegner, Die sechs Suiten f. d. Vc allein v. J. S.
Bach, Diss. Bin (F. U.) 1957, maschr.; R. Eras, tlber d.
Verhaltnis zwischen Stimmung u. Spieltechnik bei Streich-
instr. in Da-gamba-Haltung, Diss. Lpz. 1958, maschr.;
J. Bachi, Von Boccherini bis Casals, Zurich 1961 ; J. Ep-
pelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Miinch-
ner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961 ; E. Cowling, The
Ital. Sonata-Lit. for the Vc. in the Baroque Era, Diss.
1046
Virtuose
Northwestern Univ. (111.) 1 962, maschr. ; G. J. Kinney, The
Mus. Lit. for Unaccompanied Vc, 3 Bde, Diss. Talla-
hassee (Fla.) 1962; W. Pape, Die Entwicklung d. Violon-
cellspiels im 19. Jh., Diss. Saarbriicken 1962; Kl. Marx,
Die Entwicklung d. Vc. u. seiner Spieltechnik bis J. L.
Duport (1520-1820), = Forschungsbeitr. zur Mw. XIII,
Regensburg 1963, Zusammenfassung in: NZfM CXXVII,
1966; G. J. Shaw, The Vc. Sonata Lit. in France During
the Eighteenth Cent., Diss. Catholic Univ. of America
(Washington/D. C.) 1963, maschr.
Violoncello piccolo (violontf ello p'ikkolo, ital.)
-VViola pomposa.
Violoncello tenore (violontf'ello ten'o:re, ital.)
-»• Viola tenore (- 2).
Violone(ital.,Augmentativ von Viola; auch viola gran-
de; GroBbaBgeige), im 16. Jh. Sammelname wechseln-
der Bedeutung sowohl fiir die Streichinstxumente der
Viola da braccio-Familie (-* Violine) als auch der Vio-
la da gamba-Familie, daneben in speziellerem Sinne im
16. und 17. Jh. Bezeichnung fiir groBe Violen, so fiir ein
BaBinstrument der Viola da braccio-Familie (Jambe de
Fer 1556 ; -> Violoncello - 1), fiir die normale BaBviola
da gamba (Ortiz) oder allgemein fiir ein Streichinstru-
ment in BaBlage (italienische Titel des 17. Jh., so noch
Corelli 1700: 12 Sonate a violino e violone o cembalo
op. 5). Bei Praetorius (Synt. II) und seit dem 18. Jh. all-
gemein gilt V. als Bezeichnung fiir die unter dem nor-
malen BaBinstrument liegenden groBeren Instrumente
(Contrabasso da viola, ->■ KontrabaB - 1).
Violon-tenor (vial'5-ten'or, frz.) -*■ Viola teno-
re (-2).
Violotta (ital.) -> Viola tenore (-2).
Virelai (virl'e, frz. ; herzuleiten von dem Ausruf »vireli«
oder vom Verbum virer, sich drehen, unter Beein-
flussung von ->■ lai), textlich und musikalisch eine Re-
frainform vor allem des 14. und 15. Jh. Vor dem 14. Jh.
ist das V. schwer faBbar; aus dieser Zeit sind nur weni-
ge Melodien (bei Adam de la Halle, Jehannot de L'Es-
curel und als Motettentenores) erhalten. Eine relativ
feste, von den anderen Refrainformen -> Ballade (- 1)
und -*■ Rondeau (-1) unterschiedene Form gab dem V.
erst Machaut. Auf den Refrain folgen anders gereimte
Verse mit neuer Melodie, darauf eine in Anzahl und
Endreimen der Verse und in der Melodie mit dem Re-
frain iibereinstimmende Versgruppe, dann wiederum
der Refrain, z. B. bei 4zeiligem Refrain (groBe Buch-
staben) :
Musik a (3 p a a
Verse ABBA cd cd abba ABBA
Bei drei gleichgereimten Strophen steht der Refrain
je einmal am Anfang, amEnde und zwischen den Stro-
phen. Die Anzahl der Verse in jeder Strophe und die
Lange der Verse sind nicht festgelegt; im Unterschied
zu Ballade und Rondeau sind die Zeilen verschieden
lang. Die V.s Machauts sind meist einstimmig, andern-
falls (mit Ausnahme eines 3st. V.s) nur in einfacher
Zweistimmigkeit gesetzt. - Wohl eher das Allgemeine
seiner Form (A B A : ein -> Refrain umrahmt Zusatz-
verse) als historische Abhangigkeiten sind fiir die Ahn-
lichkeiten des V.s mit Ballata, Cantigas, Villancico und
dem arabischen Zagal (von dem man das V. herzuleiten
versucht hat) verantwortlich. An literarischer Bedeu-
tung kann sich das V. nicht mit Ballade und Rondeau
messen; das zeigt auch der haufige Gebrauch des unbe-
stimmteren Ausdrucks Chanson, Chanson baladee
statt V. Auch in der Folgezeit, in den ->■ Quellen Ch,
ModA, O, Pit, PR, TuB des 14./15. Jh. steht das V. im
Schatten von Ballade und Rondeau, von denen es sich
satztechnisch (-> Kantilenensatz) nun nicht mehr un-
terscheidet. Nach Machaut wird die Strophenzahl re-
duziert; im 15. Jh. tritt eine einstrophige Form unter
der Bezeichnung -> Bergerette (- 1) auf.
Ausg. u. Lit. : — > Rondeau. - E. Hoepffner, V. et ballades
dans le Chansonnier d'Oxford, Arch. Romanicum IV,
1924; P. Le Gentil, Le v. et le villancico, Paris 1954; G.
Reaney, The Development of the Rondeau, V. and Ballade
Forms . . . , Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962. WoD
Virga (lat.) -»- Neumen (- 1).
Virginal (engl. virginal [v'a : d3inl] ; frz. virginale; von
lat. virga, Stab, Docke) ist das im Unterschied zu
-*■ Cembalo und -»■ Spinett rechteckige Kielklavier.
Das V. war im 16.-18. Jh. in England die verbreitetste
Form des Klaviers. Die ->■ Klaviermusik der »Virginali-
sten« ist jedoch nicht allein fiir das V., sondern fiir alle
3 Arten von Kielklavieren bestimmt. Das V. wurde
vor allem in den Niederlanden (u. a. von der Familie
Ruckers) und im 17. Jh. auch in England gebaut. Es
unterscheidet sich vom trapezformigen Spinett nicht
nur durch die rechteckige Form (auch derartige Spi-
nette wtirden vereinzelt in rechteckige Kasten einge-
setzt), sondern vor allem dadurch, daB beide Stege frei
auf dem Resonanzboden verlaufen; der rechte Steg ist
meist in charakteristischer Weise gewinkelt, seltener
geschweift. Ein oder mehrere Schallocher mit Roset-
ten durchbrechen den (haufig bemalten) Resonanz-
boden. Es gab 2 Typen des V.s; bei dem haufigeren
Typ (von dunklerem Klang) ist die Klaviatur rechts
von der Mitte angeordnet, und die Saiten werden in
groBerem Abstand vom Steg angerissen als bei dem
anderen, weniger oft gebauten Typ mit weiter links
angeordneter Klaviatur und mit nahe am Steg ange-
rissenen Saiten, wodurch ein silbriger Klang entsteht.
Gewohnlich hatte das V. einen Umfang von 4 Oktaven
(C-c 3 ) mit ->• Kurzer Oktave; bei vielen erhaltenen In-
strumental ist der Umfang nachtraglich erweitert wor- "
den. -Eine verbreitete Sonderform war das Doppel-V.
(engl. double v.), das entweder aus zwei gleichge-
stimmten Instrumenten der beiden genannten Typen
oder aus einem V. des ersten Typs und einem kleineren,
eine Oktave hoher gestimmten V. (Oktav-V.) kom-
biniert war. Beide Instrumente konnten durch eine
sinnreiche Vorrichtung (vgl. Russel, S. 47 und Abb. 30)
entweder gleichzeitig oder separat (vierhandig) ge-
spielt werden. Praetorius (Synt. II, S. 62) beschreibt das
Oktav-V. unter dem Namen Spinetta und f iigt hinzu :
Wiewol die grosse viereckete j so wol als die kleinen / ohn
vnterscheyd Spinetten in Italia genennet werden. In Engel-
land werden alle solche [zu erganzen : viereckete] Instru-
menta sie seyn klein oder grofi j Virginall genennet. Der
Name V. fiir ein rechteckiges Kielklavier ist zuerst von
Virdung (1511) bezeugt. Die englischen Belegstellen
des 16./17. Jh. sprechen oft von a pair of v.s oder von
v.s, auch wenn nur ein einfaches Instrument gemeint
sein kann; V. war jedoch die gangige Bezeichnung fiir
alle Arten von Kielklavieren. Die in der Elisabethani-
schen Zeit beliebte Herleitung des Namens v. aus lat.
virgo, Jungfrau, spiegelt sich u. a. in den Titeln der
beiden gedruckten Sammlungen: Parthenia, or The
Maidenhead of the first musicke that ever was printed for the
Virginalls . . . (um 1612/13; das TitelbUd zeigt ein
rechteckiges V.) und Parthenia In-Violata, or Mayden-
Musicke for the Virginalls and Bass-Viol (um 1624/25;
das Titelbild zeigt ein Cembalo).
Lit. : R. Russel, The Harpsichord and Clavichord, Lon-
don (1959).
Virtuose (ital. virtuoso) ist im 17. Jh. in Italien ein
Pradikat hervorragender Kiinstler und Gelehrter, be-
zeichnet aber in f ortschreitender Bedeutungseinengung
spatestens seitEnde des 17. Jh. den Fachmusiker in Ge-
1047
Virtuose
genuberstellung zum Musikliebhaber (-> Kenner und
Liebhaber), spater den ausiibenden Musiker im Unter-
schied zum Komponisten. Dabei erhielt das Wort V.
durch haufigen MiBbrauch auch einen abschatzigen
Sinn, so daB z. B. E. T. A. Hoffmann, Fr. Liszt, R. Schu-
mann und R.Wagner den »wahrhaften« oder »beru-
fenen« V.n als ernsthaften Interpreten musikalischer
Werke dem »sogenannten« V.n gegeniiberstellen, der
technische Fahigkeiten zur Schau stellt. Auch heute
noch wird der Titel V. in positivem und negativem
Sinne gebraucht. - Schon Kuhnau C1700) kritisierte
den MiBbrauch des Pradikates V.; fiir ihn ist der V.
noch Komponist und ausiibender Musiker (wenn auch
schon mehr das eine oder das andere) und zeichnet sich
durch theoretisches Wissen sowie durch seine Conduite
und tugendhaffte Lebens-Art aus. Ahnlich bot J. Beer
(1719) neben einem ironischen Bericht von etlichen be-
riihmten Virtuosis in der Music eine Untersuchung der
Frage, was eigentlich ein Virtuosus sey und wer sich solches
Tituls anzunehmen habe. Nach WaltherL (Artikel Virtu)
hat der V. entweder in der Theorie, oder in der Ausiibung et-
was ungemeines zum Voraus. Bereits Adlung (1758, S.
804) bezeichnet als V.n jedoch nur noch den ausiiben-
den Musiker: Wenn sie aber bey einer geschickten Ausiibung
sich aufdas Wissen gar nicht legen, so scheint solcher Name
vor sie allzuhoch.lndessen wurde die »geschickte Aus-
iibung« in der Folgezeit das Hauptkriterium des V.n,
der nun als vielbewunderter Solist von Ort zu Ort
reiste und im Musikleben des 19. Jh. eine groBe Rolle
zu spielen begann. Leere Virtuositat, Virtuosengeklimper
(Schumann), wurde nun kritisiert und verspottet. Schu-
mann forderte, dafi wahrhaft musikalischen Kiinstlern die
Ehren gesichert werden, mil denen man V.n, die nichts ah
ihre Finger haben, oft so unbedacht iiberhauft, und dafi man
beide von einander trennen lerne (ed. Kreisig, I, S. 285).
Fiir Liszt, selbst der kiihnste Klavier-V. (Schumann), ist
der berufene V. ebenso Schopfer ah der Alitor selbst. Er
bedauert, daB es viele sogenannte V.n giebt, die nicht ein-
mal im Stande sind, eine Idee des Originals . . . wiederzu-
geben und die von der Kunst nur das Handwerk . . . kennen.
- Zwischen Virtuositat und Komposition bestand eine
Wechselwirkung. Der Komponist schrieb Werke, die
er zufolge ihres Schwierigkeitsgrades nur in seltenen
Fallen selbst offentlich spielen konnte, wahrend der
ausubende Musiker sich nur mehr mit der Bewaltigung
der -3- Technik (- 2) beschaftigte und dabei einen Grad
technischer Fertigkeit erlangte, der ihn nach immer
neuen und groBeren Schwierigkeiten suchen lieB. So
entstand eine ausgesprochene V.n-Musik, deren tech-
nische Anforderungen oft in keinem Verhaltnis zur
musikalischen Aussage stehen, andererseits jedoch die
Spielkunst fordern und damit der Komposition neue
Moglichkeiten eroffnen konnten.
Lit.: J. Kuhnau, Der mus. Quacksalber, Dresden 1700,
hrsg. v. K. Benndorf, = Deutsche Literaturdenkmale d.
18. u. 19. Jh. LXXXIII-LXXXVIII, Bin 1900; J. Beer,
Mus. Discurse, Niirnberg 1719; J. Adlung, Anleitungzu
d. mus. Gelahrtheit, Erfurt 1758 ; J. H. G. Heusinger, Hdb.
d. Asthetik, Gotha 1797; E. T. A. Hoffmann, Zwei Trios
f. Pfte, V. u. Vc. op. 70 v. L. van Beethoven (Rezension
1812/13), in: E. T. A. Hoffmanns mus. Schriften, hrsg. v.
E. Istel, III. Teil, Beethoveniana, = Deutsche Musikbii-
cherei XXIII/XXIV, Regensburg (1921); R. Wagner, Der
V. u. d. Kunstler (1840/41), in: Gesammelte Schriften I,
hrsg. v. W. Golther, Bin, Wien u. Stuttgart (1914); R.
Schumann, Gesammelte Schriften iiber Musik u. Musiker,
4 Bde, Lpz. 1854, in 2 Bden hrsg. v. M. Kreisig =1914; Fr.
Liszt, Gesammelte Schriften, 6 Bde, hrsg. v. L. Ramann,
Lpz. 1880-83; A. Weissmann, Der V., Bin 1920; A. Sche-
ring, Kiinstler, Kenner u. Liebhaber d. Musik im Zeital-
ter Haydns u. Goethes, JbP XXXVIII, 1931, auch in:
Von groCen Meistern d. Musik, Lpz. 1940; M. Pincherle,
Le monde des v., Paris 1961. GBa
Visible speech (v'izibl spi : if, engl., sichtbare Sprache)
ist ein in den USA entwickeltes Verfahren zur ->■ Fre-
quenzanalyse, das die zeitliche spektrale Veranderung
von Schallen unmittelbar sichtbar macht. V. sp.-Appa-
raturen arbeiten mit einer Reihe von Bandfiltern, de-
ren Ausgangsspannungen entsprechend ihrer Frequenz-
lage angezeigt werden. In den V. sp.-Aufzeichnungen
ist auf der Ordinate die Frequenz, auf der Abszisse die
Zeit in linearem MaBstab aufgetragen, wobei der
Schwarzungsgrad (bzw. Helligkeitsgrad bei direkter
Betrachtung) proportional der Amplitude der Schwin-
gung ist. In der Abbildung ist das V. sp.-Diagramm der
gesprochenen Worte »Hugo Riemann Musiklexikon«
wiedergegeben :
Mit einiger Ubung ist es mciglich, V. sp.-Au£nahmen
von Vokalen, Konsonanten, Wortern oder ganzen
Satzen zu erkennen und lesen zu letnen. Neben dem
wissenschaftlichen Interesse, das dem Verfahren ent-
gegengebracht wird, hat V. sp. besondere Bedeutung
fiir Menschen mit Gehorschaden bekommen.
Lit. : W. Koenig, H. K. Dunn u. L. Y. Lacy, The Sound
Spectrograph, JASA XVIII, 1946; R. R. Riesz u. L.
Schott, V. Sp. Cathode-Ray Translator, ebenda; R. K.
Potter, G. A. Kopp u. H. C. Green, V. Sp., NY 1947 ; I. L.
Beranek, Acoustic Measurements, NY u. London 2 1950;
F. Trendelenburg, Einfiihrung in d. Akustik, Bin, Got-
tingen u. Heidelberg 3 1961.
Vivace (viv'a:tje), vivo (ital., lebhaft) wird seit der
2. Halfte des 17. Jh. als Tempo- und Charakterbezeich-
nung verwendet (C. Grossi, Concerti ecclesiastici, 1657).
Von einem Allegro unterscheidet sich ein V. nicht im
ZeitmaB, sondern in der Akzentuierung. DaB V. pri-
mar eine Charakterbezeichnung ist, erweisen Vor-
schriften wie Allegretto v. und Andante v. (Beethoven,
op. 59 Nr 1 und op. 82). Mozart und Beethoven ver-
wenden V. im allgemeinen als Zusatzbestimmung zu
Allegro oder als Charakterbezeichnung fiir Satztypen,
deren GrundzeitmaB feststeht (Marsch, Alia polacca).
Der Superlativ vivacissimo oder vivacissimamente
(Beethoven, op. 81a) wird selten gebraucht.
Vocalise (vakal'kz, frz.), Singubung ohne Text, nur
auf Vokale. -> Solfege.
1048
Vogelgesang
Voces aequales (lat, gleiche Stimmen; ital. voci pari),
Besetzungsangabe in der Vokalmusik des 16.-19. Jh. fur
Kompositionen ohne Sopran, fiir deren Auffiihrung
nur Mannerstimmen benotigt werden (Stimmlagen :
Tenor, Bariton, BaB ; Stimmbezeichnungen : Altus, Te-
nor, Bassus). Auch Kompositionen fiir Knaben-(Frau-
en-) Stimmen erhielten diese Besetzungsangabe; in je-
dem Fall ist der Gesamtumfang der Stimmen von nor-
mal 19-20 Tonen auf ca. 15 Tone beschrankt (G-gi
bzw. g-e 2 oder f 2 ). Am reduzierten Umfang sind auch
die in ->• Chiavette notierten Kompositionen fiir V. ae.
zu erkennen. Zarlino (Istitutioni 1558, S. 338) beschreibt
neben dem comporre a voci pari auch das comporre a voci
mutati; in diesem Falle werde der Sopran durch eine
Stimme ersetzt, die etwas hoher als der normale Altus
gefiihrt ist (z. B. Palestrina, Ave Maria, aus: Motecta
festorum . . . quatemis vocibus ... I, Rom 1563, GA V,
S. 20ff.). Auch Kompositionen a voci mutati, deren
Oberstimme von einem sehr hohen Tenor (-» Coun-
tertenor) auszufiihren ist, konnen in Chiavette notiert
auftreten (Beispiele und mogliche Schlusselkombina-
tionen bei Hermelink). Der Gesamtumfang vom tief-
sten BaBton bis zum hochsten Ton der Oberstimme
betragt nur 17-18 Tone (G-b 1 oder c 2 ).
Lit. : S. Hermelink, Dispositiones modorum, = Miinch-
ner Veroff. zur Mg. IV, Tutzing 1960.
Voder (Abk. fiir engl. voice demonstration operator),
eine 1939 in den USA entwickelte Apparatur, die auf
elektronischem Wege Sprachlaute und Sprache kiinst-
lich nachbildet und aus deren Wirkungsweise u. a.
Ruckschlusse auf die Funktionen der menschlichen
Sprachorgane gezogen werden konnen. DieErfindung
basiert auf Fr. -> Trautweins Sprachlautforschungen.
Wesentliche Bestandteile des V.s sind ein Rauschgene-
rator, aus dessen unperiodischen Schwingungsvorgan-
gen die Konsonanten erzeugt werden, ein Kippschwin-
gungsgenerator, der ein sehr oberschwingungsreiches
Spektrum fiir die Vokale liefert und ein Satz von 10 Fil-
tern, der eigentlich lautbildende Teil des Gerats.
Lit.: H. Dudley, R. R. Riesz u. S. S. A. Watkins, A Syn-
thetic Speaker, Journal of the Franklin Inst. CCXXVII,
1939; H. Dudley, Remaking Speech, JASA XI, 1939; W.
Meyer-Eppler, Elektrische Klangerzeugung, Bonn (1949).
Vogelgesang. - 1) In Marchen, Sagen und Mythen
aller Volker hat der singende, wenn nicht gar sprechen-
de Vogel seinen festen Platz, und nur wenige Menschen
riihrt V. nicht an. Jede Vogelart hat ihren unverwech-
selbaren Gesang, er ist ein Artmerkmal. Oft erkennen
sie einander auch individueli (»personlich«) allein an der
Stimme. Welche Teile des Lautschatzes angeboren,
und welche erlernt sind, lehrt der Kaspar-Hauser-Ver-
such. Mannliche Dorngrasmiickenjunge, die F. Sauer
als Eier dem Nest entnommen und je in einer eigenen
schalldichten Kammer hatte schliipfen und aufwachsen
lassen, so daB jeder fortan nur sich selbst horen konnte,
auBerten am 6. Tage nach dem Schliipfen iiberein-
stimmend ein tsieb, vom 11. Tage an dazu auch idat
und daim alle in gleicher Reihenfolge noch 21 weitere
Laute, ganz so wie die im Nest bei ihren Eltern ge-
meinsam aufwachsenden Geschwister. Diese 21 Lau-
te sind also durchweg angeboren, ebenso wie dem
Menschenkinde die Lall-Laute (Koehler 1955), die
wahrscheinlich alle Vokale, Diphthonge und Konso-
nanten samtlicher Weltsprachen enthalten. Vom idat
an »komponiert« dieser Jungvogel im Zustande bediirf-
nisloser Entspannung aus seinen jeweils schon vorhan-
denen Lauten in standigem Wechsel seinen »Jugend-
gesang«, so wie das Kind aus seinen Lall-Lauten den
»Lallmonolog«, beide in zweckfreiern Spiel, hierin un-
serer Kunstausiibung vergleichbar (Craig; Koehler
1952, 1954, 1966). Auch der alte Amselhahn »dichtet«
beim ersten Sonnenstrahl im Januar bei geschlossenem
Schnabel leise schier unerschopflich Wechselndes vor
sich hin. - All dieser Reichtum verengt sich zur Fort-
pflanzungszeit im »Fruhlingsgesang« zu oft erstaunlich
starren, iiberlauten Motiven mit den Hauptfunktionen,
kampfsparend fremde Mannchen vor dem Betreten
des Sangerreviers zu warnen und um ein Weibchen zu
werben. Der Eindruck, daB manche Vogelarten dabei
musikalische Intervalle bevorzugen (Marler 1966, Mess-
mer 1956, Tretzel 1965) und ihre dem menschlichen
Namensschilde funktionell vergleichbaren Motive
jahrelang in absolut gleichbleibender Tonlage und me-
lodischer Klangfolge sowie in exakt gleichem Tempo
und Rhythmus vortragen (Marler 1966, Thorpe 1962),
bestatigt sich bei objektiver Nachprufung mit den mo-
dernen technischen Hilfen der Bioakustik (Busnel) : sie
haben absolutes Gehor (Messmer), transponieren im
Sinne relativen Gehors (Thielcke 1960, Tretzel 1966)
und halten iiber Jahre hinaus auch das Tempo nach-
weislich genauestens fest. - Manche Vogel ahmen Ge-
hortes stimmlich nach, der knapp einjahrige Buchfink
(Thorpe) z. B. den ersten Friihjahrsschlag alter ortsan-
sassiger Buchfmken, wodurch echte Dialekte entstehen,
so auch beim Gartenbaumlaufer (Thielcke 1961) und bei
der kalifornischen Weifikopfammer (Zonotrichia ; vgl.
Marler, Konishi). Dieser Sing vogel pragt sich schon mit
3 bis 8 Wochen den Dialekt des Vaters ein; singen kanner
ihn aber erst nach dem »Stimmbruch«, auch wenn er seit-
her sein Vorbild nie wieder horen durf te: er hat es also im
Kopfe behalten. Wird er vor dem Stimmbruch taub,
hilft ihm sein Gedachtnis nichts, er wird lebenslang
kein Dialektsanger werden. Hat er aber, sich selbst
horend, das als Kind Gehorte erst einmal richtig nach-
gesungen, so kann er es weiterhin, auch wenn er gleich
danach ertaubt. Familiendialekte sind z. B. beim Gim-
pel (Nicolai 1956) undKolkraben (G winner 1963) nach-
gewiesen. - Nachahmer auch artfremder Laute nennt
man Spotter. Braunkehlchen und Sumpfrohrsanger
fiigen in ihren langanhaltenden, standig wechselnden
Vortrag die Stimmen vieler mit ihnen gemeinsam le-
bender Vogelarten ein. Die indische Schama (Kneut-
gen) und der Graupapagei ahmen ihre Vorbiider oft
fiir das menschliche Ohr ununterscheidbar nach. Wie
unser Kuckuck sind die afrikanischen sogenannten
Witwen vogel (Nicolai 1964) Brutparasiten, die ihre
Eier aber nur in die Nester einer einzigen Wirtsart le-
gen; bei ihnen ist die Genauigkeit der Nachahmung des
Wirtsgesanges zu einem Hauptfaktor artentrennender
Auslesevorgange geworden. - Ein Schafer lenkte sei-
nen Hiitehund durch dreierlei Pfiffe. Wenn eine Hau-
benlerche (Tretzel 1965) deren Nachahmungen in ih-
ren Gesang einflocht, gehorchte ihnen der Hund eben-
so wie den Pfiffen seines Herm. Wahrend dieser jedoch
in Tonart, Intervallen und Rhythmus achtlos schwank-
te, sang die Lerche den Sechstonpfiff glockenrein in
streng festliegendem 4/4-Takt rhythmisch in der 4ge-
strichenen Oktave wie c e g a (hier der Taktstrich) c 5 ,
abgleitend auf g 3 : sie hat aus unfreiwilligen Variationen
des unmusikalischen Vorbildes ein wohllautendes »The-
ma« gestaltet und festgehalten, das andere Haubenler-
chen ihrerseits mit klcinen wiederum festliegenden Ab-
weichungen demErfinder nachsangen (akustische Tra-
ditionsbildung). - Ein gefangen gehaltener Kolkrabe
(G winner und Kneutgen) ahmte Hundegebell nach;
zweimal ist er entflogen, und beidemal »beUte« nun sein
Weibchen, was sie seit Jahren nicht mehr getan hatte.
Sie selbst machte haufig das Kollern der Truthahne
nach, und als man sie in eine andere Voliere setzte, be-
vorzugte das Mannchen in seiner Voliere die Ecke, von
der aus er wenigstens ein Stiickchen ihrer Voliere sehen
1049
Vogelgesang
konnte, und kollerte unausgesetzt. Wenn hohere Tiere
immerhin unbenannt denken (Koehler 1952), so kom-
men diese Verwendungen der Spottstrophe des Part-
ners einem »Rufen beim Namen« einigermaBen nahe. -
So darf wohl gesagt werden, der V. ist ein echter Vor-
laufer unserer Musik und Sprache (Koehler 1951).
Lit. : W. Craig, The Song of the Wood Pewee. A Stu-
dy of Bird Music, NY State Museum Bull. Nr 334, 1943;
O. Koehler, Der V. als Vorstufe v. Musik u. Sprache,
Journal f. Ornithologie XCIII, 1951; ders., Vom unbe-
nannten Denken, in: Zoologischer Anzeiger, Suppl.-Bd
XVII, 1953; ders., Vorbedingungen u. Vorstufen unserer
Sprache bei Tieren, ebenda XIX, 1955 ; ders., Vom Erbgut
d. Sprache, Homo V, 1955; ders., Vom Spiel bei Tieren,
Freiburger Dies universitatis XIII, 1966; F. Sauer, Die
Entwicklung d. LautauBerungen v. Ei ab schalldicht ge-
haltener Dorngrasmiicken, Zs. f. Tierpsychologie XI, 1954;
E. u. I. Messmer, Die Entwicklung d. LautauBerungen u.
einiger Verhaltensweisen d. Amsel, ebenda XIII, 1956; J.
Nicolai, Zur Biologie u. Ethologie d. Gimpels, ebenda;
ders., Der Brutparasitismus d. Witwenvogel als etholo-
gisches Problem, ebenda XXI, 1964; W. H. Thorpe, The
Learning of Song Patterns by Birds, Ibis C, 1959; ders.,
Further Studies on the Process of Song Learning in the
Chaffinch, Nature CLXXXII, 1959; ders., Bird-Song,
= Cambridge Monographs in Experimental Biology XII,
Cambridge 1962; G. Thielcke u. H. Poltz, Akustisches
Lernen verschieden alter schallisolierter Amseln, Zs. f.
Tierpsychologie XVII, 1960; G. Thielcke, Stammesgesch.
u. geographische Variation d. Gesanges unserer Baumlau-
fer, ebenda XVIII, 1961 ; R. G. Busnel, Acoustic Behaviour
of Animals, Amsterdam 1963; E. G winner u. J. Kneutgen,
t)ber d. biologische Bedeutung d. »zweckdienlichen« An-
wendung erlernter Laute bei Vogeln, Zs. f . Tierpsychologie
XX, 1963; E. Gwinner, Untersuchungen iiber d. Aus-
drucks- u. Sozialverhalten d. Kolkraben, ebenda XXI,
1964; ders., Ober einige Bewegungsspiele d. Kolkraben,
ebenda XXIII, 1966; M. Konishi, Effect of Deafening on
Song Development in American Robins and Black Headed
Grosbeaks, ebenda XXII, 1965; E. Tretzel, Imitation u.
Variation v. Schaferpfiffen durch Haubenlerchen, ebenda;
P. R. Marler u. W. J. Hamilton III, Mechanisms of Ani-
mal Behavior, NY 1966. OK
- 2) In der Musik wird V. realistisch nachgeahmt
(Kuckucksruf) oder durch Verzierungen (Triller, Ton-
repetitionen), meist in Diskantlage, dargestellt. Nach
Walther (1732) ist Minuritio das Pipeln und Zwitzschern
der kleinen Vogel; undsodann das behende und hohe Singen
der Discantisten, welche jene gleichsam imitieren; . . . Es
hedeutet aber auch . . . die Coloraturen. Musik mit episo-
dischen Darstellungen des V.s oder Motiven aus Vogel-
rufen komponierten u. a. : Oswald von Wolkenstein
(Der max mit lieber zal), Janequin (Chanson Chant des
oiseaux), Kerll (Capriccio sopra il cucu), Poglietti (Aria II
rossignolo mit Variationen, Capriccio iiber das Henner- und
Hannergeschrey) J.J. Walther (Scherzi da Violino solo X:
Imitatione del Cucu), Daquin (Rondeau Le coucou), Fr.
Couperin (Le rossignol-en-amour mit Double im 14. Or-
dre), Duval (Rossignols in 2 Suiten von 1704), Vivaldi
(Kuckuck im Concerto grosso op. IV Nr 2, P.-V. 98;
Stieglitz in op . X Nr 3 Ilgardellino, P.- V. 1 55 ; beide Vogel
im 2. Konzert der Stagioni op. VIII, P.-V. 336), Thie-
mann (Kanarienvogelkonzerte), Handel (Concerto fur
Org. F dur) J.-Ph. Rameau (Le rappel des oiseaux), Beet-
hoven (Szene am Bach in der 6. Symphonie; Lied Der
Wachteischlag), Liszt (Legende Nr 1 St.Francois d' Assise:
Lapredicationauxoiseaux),W3ignei(Vogelruieim'WM-
weben, Siegfried, 2. Akt), Dvorak (9. Symphonie op. 95
»Aus der neuen Welt« mit dem Ruf des amerikanischen
Pirols), Mahler (1 . Symphonie, Kuckucksruf im Quart-
intervall), Ravel (Oiseaux tristes aus Miroirs), Strawinsky
(Sohvej[»Le Rossignol«]), Respighi (Pini di Roma, mit
Verwendung von Vogelstimmen auf Schallplatte),Bar-
tok (Mittelteil des langsamen Satzes des 2. Klavierkon-
zerts) . Im Werk Messiaens sind Vogelruf e, die zum Teil
1050
ornithologisch exakt nachgewiesen werden, ein wesent-
liches Stilelement (Prelude La colombe, 1929; Quatuor
pour la Jin des temps, 1941; Turangalila-Symphonie, 1948;
He defeu I, 1949; Livre d'orgue, 1951-53; Reveil des
oiseaux, 1953; Oiseaux exotiques, 1956; Chronochromie,
1960; Couleurs de la cite celeste, 1964). Messiaen ver-
wendet die Vogelrufe seit den 1950er Jahren tonma-
lerisch und symbolisch in Werken, die in Teilen oder
vollig nur aus V. komponiert sind (wie »ein grofier
Kontrapunkt von Vogelstimmen «). - 3) V., auch Nach-
tigallenzug, Rossignol, ist in Orgeln seit der Mitte des
16. Jh. ein Register, bei dem offene Pfeifen nach unten
in einen mit Wasser gefiillten Kessel ragen. Durch den
Winddruck (auch zusatzlich durch Rohren, die Luft in
das Wasser blasen) bewegt sich das Wasser, das wie ein
Deckel die Pfeifen abschliefk, so daf3 die Pfeifenlangen
und damit die TonhShen dauernd trillerartig wechseln.
- Vogelorgeln (frz. serinettes, merlines, pionnes und
turlutaines) waren in der 2. Halfte des 18. Jh. beliebte
kleine mechanische Flotenwerke, bei denen die Luft-
saule durch einen Kolben verkiirzt wurde. Sie wurden
auch zusammen mit kunstlichen Vogeln in Vogelbauer
eingebaut, besonders zierlich in Tabatieren, und dien-
ten auch zum Anlernen von Singvogeln.
Lit.: zu 2): G. Ernest, Beethoven-Studien III: Die Vo-
gelst. in d. »Szene am Bach«, Mk XI, 1911/12; A. Sand-
berger, Zu d. geschichtlichen Voraussetzungen d. Pasto-
ralsinfonie, in: Ausgew. Aufsatze zur Mg. II, Milnchen
1924 (S. 163ff.), Nachdruck Hildesheim 1967; H. W. Ha-
mann, Zu Beethovens Pastoral-Sinfonie. Vorausnahmen
eines Wiener Kleinmeisters aus d. Jahre 1 79 1 , Mf XIV, 1 96 1 .
Voix mixte (vfi'a mikst, frz., gemischte Stimme), die
exakte Mischung aus Brust- und Kopfregister (-> Re-
gister - 3), die vor allem fur zarte Tongebung in den
hoheren Lagen der Mannerstimme wichtig ist.
Vokale (von lat. vox, Stimme) sind stimmhaf te Sprach-
laute, die von den Stimmlippen gebildet und durch die
Resonanzwirkung der Hohlraume des geoffneten Mun-
des und der Nase ohne Beteiligung der Zungenspitze
modifiziert werden. Zu jedem Vokal gehort eine be-
stimmte Stellung des Mundes und der Zunge; zum
a z. B. ein weit geofmeter, zum u ein gespitzter, fast
geschlossener Mund und eine am hinteren Gaumen ge-
wolbte Zunge. Die so entstehenden unterschiedlichen
Resonanzraume bewirken eine f iir jeden Vokal spezi-
fische Ausbildung von -»• Formanten. Grundsatzlich
c'(262Hz)
0.1
c(13Wz)
10 kHz
l kk-
0,1 1 10 kHz
Frequenzspektren des Vokals a bei der Grundfre-
quenz 262 Hz (cl) und 131 Hz (c).
weisen die Spektren der V. ein oder zwei Formantbe-
reiche auf, die von der Grundfrequenz der gesproche-
nen oder gesungenen V. unabhangig sind. Die For-
mantbereiche fiir die 5 Haupt-V. sind : u = 200-400 Hz,
o = 400-600 Hz, a = 800-1200 Hz, e = 400-600 Hz
und 2200-2600 Hz, i = 200-400 Hz und 3000-3500 Hz.
Wird aus dem Frequenzspektrum des e bzw. i der obe-
re Formantbereich durch einen Tiefpafl (->■ Filter) aus-
Vokalmusik
gefiltert, so erklingt o bzw. u. Dem Sopran gelingt es
in sehr hohen Lagen nicht, die dunklen V. u und o zu
bilden, da die entsprechenden Formantbereiche (200-
600 Hz) bereits unterhalb der auftretenden Frequenzen
(z. B. c3 = 1047 Hz) liegen. -»■ Aussprache, -> Kon-
sonanten.
Lit.: C. Stumpf, Die Sprachlaute, Bin 1926; ders., Neue
Vokalanalysen, Zs. f . Phonetik u. allgemeine Sprachwiss.
IX, 1956; O. v. Essen, Allgemeine u. angewandte Phonetik,
Bin 2 1957; F. Trendelenburg, Einfuhrungin d. Akustik,
Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961.
Vokalmusik ist, im Unterschied zu -> Instrumental-
musik, allgemein eine fiir vokale Ausfiihrung bestimm-
te und besonders eine von der menschlichen Stimme
her und fiir sie konzipierte Musik. Das wesentliche
Merkmal der V. ist jedoch die Sprachgebundenheit;
daher wird vielfach der Ausdruck »sprachgebundene
Musik« bevorzugt. Anders als das Instrument neigt die
Stimme zur Gestaltung des Melodieganzen, nicht zur
Fixierung der einzelnen Tone. Das stromende, klein-
stufige Melisma, das trotz seiner Bewegung um feste
Grundintervalle die Isolierung desEinzeltons kaum zu-
laBt, ist in Verbindung mit Deszendenzmelodik (W.
Danckert) - d. h. ausgedehntem Abfallen der melodi-
schen Linie jeweils von einem Hochton - eine Urform
des rein vokalen Musizierens (z. B. arabische Musik).
Solche »primar melische« Musik (R.v.Ficker) ist auch
bei instrumentaler Mitwirkung im Wesen einstimmig
und infolge der untrennbaren Verbindung des Tons
mit dem Menschen, der ihn hervorbringt, ganz sub-
jektiver, gesteigerter Ausdruck, letztlich ableitbar vom
Schrei der Klage oder Freude. Die Aufgaben der V.
liegen indessen mehr in der Mitte zwischen dem reinen,
ungehemmten Ausdruck und dem Vortrag von Spra-
che. Es kommt daher meist zu einem Ausgleich dieser
beiden Prinzipe. Schon der Textvortrag (Silbe = Ton),
aber vor allem Instrument und instrumentales Denken
bringen die Vorstellung des Einzeltons und damit die
Moglichkeit der Regelung des Zusammenklangs von
Tonen mit sich. Man kann daher zwei Stufen unter-
scheiden: zuerst innerhalb reiner Vokalitat den Aus-
gleich zwischen ungebundener Melismatik und Text-
vortrag, und dann, nach dem Eindringen instrumen-
taler Elemente in die rein vokale Musik des Sprach-
vortrags, die Annaherung des Vokalen an das Instru-
mentale.
Ein solcher Ausgleich diirfte in der Antike stattgefun-
den haben auf Grand der Einheit von dichterischem
Wort, Rhythmus und Musik. Vom Erklingen dieser
Musik fehlt jede klare Vorstellung; doch sind Analo-
gien zur heutigen Musik des Vorderen Orients und
Griechenlands nicht ausgeschlossen. Unter dem Aspekt
des Textvortrags erscheint die Musik, die in besonde-
rer Weise dem Wort, als dem Wort Gottes, dient: der
synagogale Gesang des 1. Jh. n. Chr. sowie die liturgi-
sche Einstimmigkeit des Mittelalters im griechischen
(Byzanz) und lateinischen Bereich. Der Vortrag des
liturgischen Wortes war nunmehr die vornehmste Auf-
gabe der Musik. Aus ihr folgt die rein vokale Ausfiih-
rung, so daB sparer, selbst als seit der Mehrstimmigkeit
(9. Jh.) und vor allem seit dem Hervortreten der In-
strumentalmusik um 1600 auch die sprachgebundene
Musik nicht mehr eigentlich V. war, sich der Begriff
V. schlechthin mit geistlicher Musik verband. Bereits
der synagogale Gesang bildete die beiden Moglichkei-
ten der einstimmigen V. aus, die gleichermaBen mittel-
alterlichen Choral und byzantinische Kirchenmusik
kennzeichnen: die syllabisch deklamierende Psalmodie
(accentus) und den solistischen, reich melismatischen
Gesang (concentus). In Byzanz und im Abendland ent-
standen etwa gleichzeitig (9. Jh.) typische Vokalschrif-
ten; ihr vielleicht gemeinsamer Ursprung wird aus der
-*■ Cheironomie und dem Sprachakzent (-> Akzent - 1)
abgeleitet. Dies weist wieder auf die beiden Pole der
V. : reines Melos und musikalisches Sprechen.
Erst Mehrstimmigkeit war auf einen horizontal und
vertikal geregelten Ablauf von Tonen angewiesen und
bedurfte einer Notenschrift mit genau festgelegten
Tonhohen. Mit der Mehrstimmigkeit beginnt daher
auch die Geschichte der immer mehr instrumental
orientierten Notenschrift. Das Bestreben, die primar
melischen und die auf das Wort und den Sprachbau
gerichteten Krafte in Einklang zu bringen, fiihrte im
mittelalterlichen Choral einerseits zu den melismati-
schen Responsorien (->• Graduale - 1, ->■ Alleluia) als
musikalische, solistische Einlagen in die Liturgie, an-
dererseits zur mehr syllabischen Psalmodie (Antipho-
nen, Lektion). Der rezitativische, ans Sprechen ange-
lehnte Vortrag (mit Tonwiederholung) bleibt auch in
der Mehrstimmigkeit eine der wichtigsten Moglich-
keiten des vokalen Satzes. Die wohl vom germanisch-
keltischenNorden ausgehende Diatonisierung des Cho-
rals seit dem 9. Jh. ist wahrscheinlich auf instrumentale
Tendenzen zuruckzufuhren, die im 9. Jh. zur Ent-
stehung der ->■ Organum genannten Mehrstimmigkeit
fiihrten. Seinen vokalen Charakter verliert der ein-
stimmige Choral vollends dadurch, daB er Organa und
Motetten als C. f . zugrunde gelegt wurde. Doch auch
die Mehrstimmigkeit ubernahm als zentrale Aufgabe
die Vertonung des liturgischen Wortes. Die Musik
blieb bis um 1600 im wesentlichen sprachgebunden,
und in der Satztechnik spiegelte sich der kontinuier-
liche SprachfluB der Prosa, von der die liturgische Mu-
sik ausgegangen war; der vokalen Ausfiihrung (ob-
wohl bis 1600 in der Regel ebensowenig festgelegt wie
die instrumentale) kommt daher weiterhin entschei-
dende Bedeutung zu. Wahrend die Musik in Frank-
reich seit der Ars antiqua und vor allem im 14. Jh. (Ars
nova; Messe, Motette, Chanson) immer mehr instru-
mental-konstruktive Ziige annahm, erwuchs in Ober-
italien die in ihrer Melodik spezifisch vokale, weltliche
Musik des Trecentos (Madrigal, Caccia, Ballata). Sie
miindet im spaten 14. Jh. wiederum in den Hauptstrom
der franzosisch-niederlandischen Musik ein. Ebenfalls
mehr am Rande entstand in der weltlichen 1st. Musik
der Trobadors, Trouveres und spater der Minnesinger
eine vokale, im Liedhaften wurzelnde Kunst; -> Lied
und Versstruktur erweisen sich hier als Quellen des
Vokalen. Auch die -»■ Chanson des 15. Jh. (G.Dufay,
G.Binchois) ist mit ihrer liedmaBigen Oberstimme vo-
kal empfunden. Aus dem Volkslied schopfte das in-
strumental begleitete deutsche Tenorlied (H.Isaac, P.
Hofhaymer) im 15./16. Jh. Durch Dunstable (um 1385-
1453) erhielt die geistliche Musik eine Geschmeidigkeit,
die in hohem Grade gesanglich wirkt.
Seitdem ging es in der sprachgebundenen Musik bis
etwa 1600 um den Ausgleich zwischen den instrumen-
talen, konstruktiv-klanglichen Kraften und der For-
derung des vokalen Textvortrags. Noch bei Dufay und
seinen Zeitgenossen iiberwiegt die konstruktive Seite.
Doch Mitte des 15. Jh. (Ockeghem, Obrecht, spater
Josquin) setzte die Vokalisierung des Satzes ein; als
Grundlage der Komposition entstand der 4st. Satz der
normalen Stimmgattungen Sopran, Alt, Tenor, BaB in
den vokalen Schliisseln. Hand in Hand damit ging die
Ausbildung des vokalen Prinzips der Durchimitation.
Gleichzeitig setzte sich die rein vokale Ausfiihrung im-
mer mehr durch (Rom, papstliche Kapelle). Am Ende
dieser Entwicklung steht die »klassische« Vokalpoly-
phonie der Messen und Motetten Palestrinas und O. de
Lassus', die auf voller Homogenitat des Satzes und auf
dem Gleichgewicht des Melodisch-Sanglichen und
1051
Vokalmusik
Konstruktiv-Klanglichen beruht. Noch im 17./18. und
erneut im 19. Jh. (-> Caecilianismus) wurde diese reine
V. als »klassisch« empfunden. Sie hieB schon seit 1600
Stylus antiquus (bzw. gravis), Stylus a cappella oder Sty-
lus ecclesiasticus. DieEnde des 16. Jh. in Venedig auf-
tretende instrumentale Ensemblemusik G. Gabrielis
wurzelt vor allem in der venezianischen -» Mehrcho-
rigkeit, d. h. in einer V., in der das klangliche Moment
und - bedingt vor allem durch die Oberschreitung der
normalen Stimmumfange - die instrumentale Ausf Uh-
rung im Vordergrund stehen. Auf vorwiegender Vo-
kalitat beruht hingegen die weltliche V. des 16. Jh. in
Italien (Villanella, 3-5st. Madrigal) und Frankreich
(Chanson), die durch solistische Besetzung und freieren
Satz auch fur die Instrumentalmusik wichtig war. Der
um 1600 aufgekommene GeneralbaB als Kompositions-
prinzip ermoglichte im ->- Concerto erstmalig die Tren-
nung der instrumentalen und vokalen Stimmen. Die
vokalen Oberstimmen nehmen concertierend-instru-
mentalen Charakter an und fassen kompositorisch den
Text zu neuer Einheit (G. Gabrieli, H. Schiitz). Die
Struktur der Musik war seitdem bestimmt vom Gene-
ralbaB. Er ermoglichte die -> Monodie (G. Caccini, Peri,
CI. Monteverdi), einen von leidenschaftlichem Affekt
getragenen und den Sprachbau unterstreichenden Vo-
kalstil, der jedoch bald zum Seccorezitativ absank.
Die sprachgebundenen Gattungen im 17. Jh., Geistli-
ches Konzert, Kantate, Oratorium und Oper, sind vor-
nehmlich instrumental ausgerichtet. Innerhalb der
Opernarie entstand eine Vokalitat instrumentaler Pra-
gung, die in Melodiebau und Artikulation wieder auf
Instrumentalsatz und -vortrag zuriickwirkte. Ein vo-
kales Element und zugleich Symbol der liturgischen
Bindung, dem gregorianischen C. f. vergleichbar, er-
stand der deutschen Musik um die Mitte des 16. Jh. im
protestantischen Choral. Daraus bezogen Kantate,
Passion und die Instrumentalmusik der deutschen Or-
ganisten und Kantoren bis zu J. S.Bach ihre Legitima-
tion als geistliche Musik. Die Musik Bachs ist jedoch
primar instrumental: die vokalen Partien unterschei-
den sich nicht wesentlich von den instrumentalen ; Bach
verlangt, die Sanger und Instrumentalisten sollen durch
ihre Kehle eben das machen, was er auf dem Claviere spielen
kann (J. A. Scheibe, Critischer Musicus, Leipzig 2 1742,
S. 62). Die Kantabilitat der italienischen Musik - vor
allem der Opernarie - seit etwa 1720 (G.B.Pergolesi),
die mit der Uberwindung des GeneralbaBprinzips
zusammenhangt, war eine wesentliche Voraussetzung
fiir die neue Unmittelbarkeit und menschliche Besee-
lung im instrumental konzipierten Satz der Wiener
Klassiker. In den Opern Mozarts bedeuten die Sing-
stimmen die personliche Verkorperung dessen, was das
Orchester ausspricht; in Beethovens 9. Sinfonie und
Missa solemnis sind sie Uberhohung des Instrumenta-
len, nicht sein Gegensatz. Die lyrisch dichte, gleichwohl
instrumental bedingte Gesangsmelodie des Liedes von
Schubert ist auch seinen spaten Instrumentalwerken
eigentumlich. Im Musikdrama Wagners und in den
Opern von R.Strauss ist die Singstimme giinzlich in
den symphonischen Strom des Orchesters einbezogen.
Dagegen stand die italienische Oper von Monteverdi
bis Verdi und Puccini in der Kontinuitat der italieni-
schen Gesangstradition des -> Belcantos. Die Bezeich-
nung V. trifft ferner zu fiir die im Zuge der musikali-
schen Jugendbewegung entstandenen Chorwerke von
H.Distler, E. Pepping u. a. Diese archaisierenden Be-
strebungen innerhalb der instrumental orientierten Mu-
sik des 20. Jh. haben mehr sekundare Bedeutung. Auch
das Komponieren in der Nachfolge Weberns, soweit
es sich noch ublicher musikalischer Mittel und Instru-
mente bedient, steht durchaus auf dem Boden des in-
strumentalen Denkens. Erst mit der Ausschaltung des
Interpreten innerhalb der Elektronischen Musik ist der
Gegensatz instrumental-vokal ganzlich gegenstandslos
geworden. - Die historische Betrachtung zeigt, daB
es keine Geschichte der V. wie die der Instrumental-
musik gibt, sondern nur die Geschichte der Musik
unter dem Aspekt des Vokalen.
Lit. : H. Goldschmidt, Die Lehre d. vokalen Ornamentik
I, Charlottenburg 1907; R. Lach, Studien zur Entwick-
lungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913; Kn.
Jeppesen, Der Palestrinastil u. d. Dissonanz, Lpz. 1925,
engl. Kopenhagen u. London 1927, 21946; ders., Kontra-
punkt. Lehrbuch d. klass. Vokalpolyphonie, Lpz. 1935,
Nachdruck Lpz. 1956, engl. NY 1939 ; G. v. Keussler, Zur
Asthetik d. V., ZfMw XI, 1928/29; K. G. Fellerer, Der
Palestrinastil u. seine Bedeutung in d. vokalen Kirchen-
musik d. 18. Jh., Augsburg 1929; R. v. Ficker, Primare
Klangformen, JbP XXXVI, 1929 ; A. Einstein, Anfange d.
Vokalkonzerts, AMI III, 1931 ; W. Danckert, Das euro-
paische Volkslied, Bin 1939; ders., GrundriB d. Volkslied-
kunde, Bin 1939; J. Muller-Blattau, Das Verhaltnis v.
Wort u. Ton in d. Gesch. d. Musik, Stuttgart 1952; H.
Besseler, Singstil u. Instrumentalstil in d. europaischen
Musik, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; Thr. G. Georgiades,
Musik u. Sprache . . . , = Verstandliche Wiss. L, Bin, Got-
tingen u. Heidelberg 1954; H. H. Eggebrecht, Musik als
Tonsprache, Af Mw XVIII, 1 96 1 . StK
Volkslied. In Wortkniipfungen wie »Volkslied«,
»Volkskunst« bedeutet »Volk« nicht das Gesamtvolk
(lat. populus), sondern die Unterschicht, besser Mutter-
schicht oder Grundschicht (lat. vulgus in populo; engl.
common people) eines Hochkulturvolkes. Kernstiick
der Mutterschicht ist allerwarts das bauerliche Land-
volk, hinzuzurechnen sind jedoch auch Fischer, Scha-
fer, Hirten, Handwerker und andere elementare Be-
rufsstande - insgesamt der kern- und stammhafte Teil der
Nation (Goethe), dessen Grenzen ubrigens nicht iiber-
all gleichartig gelagert sind. V.er sind also Gesange, die
nach Wort und Weise in der Mutterschicht lebendig
sind, d. h. hier oft mit erstaunlicher Gedachtniskraft
miindlich iiberliefert, vielfach auch erzeugt, ebenso
haufig nach iibernommenen Vorbildern um- und f ort-
gebildet werden. DaB die V.-Kunst sich zu alien Zei-
ten willig befruchtenden Einfliissen offnet und zahlrei-
che Fremdimpulse sich anverwandelt, steht auBer Frage.
Einzelne V.-Gattungen wie Tagelied, Pastourelle und
zahlreiche Balladen sind ursprunglich der ritterlichen
Standeskunst entsprungen. Doch fiir die grofie Masse
der europaischen, besonders der alteren randeuropai-
schen V.er laBt sich Herkunft aus Kunstdichtung und
-musik nicht oder nur in (zum Teil recht umstrittenen)
Einzelziigen nachweisen. Ein verhangnisvoller Irrtum
war es, die Fiille der vielfach gestuften schopferischen
Anverwandlungen, Fortzeugungen usw. allgemein
und unterschiedslos nach dem Denkschema des »ge-
sunkenen Kulturguts« zu werten. Vertreter der einspu-
rigen »Rezeptionslehre« entwickelten, miBgeleitet vor
allem durch bloBe Beobachtungen spatzeitlicher ent-
wurzelter Liedtypen, das Zerrbild vom bloB aneignen-
den, reproduzierenden, ja das iibernommene Kultur-
gut verschleiBenden (»zersingenden«) Volk. Die posi-
tiven, produktiven Um- und Fortbildungen im V.
zeigen sich melodisch in einer Fiille von Varianten,
Abzweigungen, Sprossungen, die allesamt einen melo-
dischen Archetypus umspielen und so ganze Sippen
verwandter Melodien hervortreiben. Auf solche Art
konnen schlieBlich unter besonderen Bedingungen - so
etwa, wenn fremde Formkeime in eine lebendige
Uberlief erung eingehen, ohne diese schadigend zu iiber-
fremden - ganz neue, in sich geschlossene Stilkreise des
V.s entstehen. Musterbeispiele sind das neufinnische
und das neugriechische V., die im 1 7.-20. Jh. sich iiber-
raschend einheitlich-pragnant herausbilden. Die »stille
1052
Volkslied
Kraft des Ganzen«, von der Jakob Grimm sprach, die
Pragung von einheitlichen Kollektivstilen also, ist al-
lerdings nicht so zu deuten, als hatte ein Team von Ver-
fassern gleichzeitig zusammenarbeitend ein Lied ge-
schaffen. Auch im Nacheinander der miindlichen Uber-
lieferung bekunden sich aus dem UnbewuBten heraus
wirkend uberindividuelle Krafte. Sie lassen sich z. B.
an den stets typischen (volks- oder auch stammesttim-
lich bedingten) Umgestaltungen ablesen, die wandern-
de Liedweisen regelmaBig erfahrcn.
Textlich tritt der urspriinglichste, alteste Wurzelbe-
reich des V.s vor allem in einem weit ausgespann-
ten, erst zum kleinsten Teile erforschtcn Netz von Na-
tursymbolen zutage. Auch Kultursymbole (Artefakte)
empf angen von ihrer Naturgrundlage her Symbolwur-
de. All dies weist auf uraltes Bilddenken mit bezeich-
nenden Lakonismen, »Wurfen und Spriingen« (Her-
der) und auf ein dem Mythischen nahestehendes Welt-
bild hin. So ist es bezeichnend, daB auch noch heute in
einigen Landschaften Randeuropas, z. B. bei Balkan-
volkern, erweislich reale Ereignisse oder geschichtliche
Personlichkeiten, die ins V. eingehen, alsbald ins My-
thische umgedeutet werden. Viele Symbole entstam-
men urspriinglich wohl der pflanzerischen, dann bauer-
lichen Schicht. Die feudalen »Oberschichter« und ihr
friihes Kunstlied verdanken der Mutterschicht sicher-
lich viel mehr, als zu ahnen ist, wenn irrigerweise die
wenigen schriftlich iiberlieferten Friihzeugnisse zum
MaBstab des Wirklichen gemacht werden. Das altere
V. stirbt iiberall ab, wo der mythisch-symbolische
Grund unter dem Anhauch des Verstandeswesens und
Nutzgeistes verdorrt. Nicht nur die Texte verderben
so durch Uberwuchern des Stofflichen oder Sentimen-
talen, sondern auch die Melodien ; sie verlieren linien-
hafte Garizheit, verflachen durch motivische Aufspal-
tung und harmonische Erweichung. Das V. der Volker
Mitteleuropas ist seit Jahrhunderten von solcher Ent-
wurzelung am fiihlbarsten bedroht. Der Zustand, in
welchem die Unterschicht jede eigenstandige Produk-
tivitat verliert und neues Kulturgut nur noch als Herab-
sinkendes von oben erhalt, ist Endphase: Tummelplatz
des sogenannten »volkstumlichen Liedes«. Auf alteren
Stufen gehen die Kulturbewegungen in beiden Rich-
tungen, von unten nach oben und von oben nach unten
(schopferische Polspannung). Auf friiher Stufe sind
Kulturhohe und -fiille der Unterschicht in der Regel
der rational-aktivistischen, aber lebenskargen Kultur
der (nomadischen) Oberlagerer fraglos iiberlegen, wie
neuerdings der Soziologe A. Riistow betont.
Das V. des abendlandischen Volkerkreises ist nicht ge-
schichtslos. Es hat teil am Stilwandel der Kunstmusik,
allerdings mit Abstand und in sehr verschiedenartigem
AusmaBe. Deutsche, niederlandische, franzosische,
englische und italienische Lieder, wie sie die groBeren
Sammlungen darbieten, lassen sich groBenteils stilge-
schichtlich leidlich genau einordnen; sie tragen etwa
mittelalterliches, barockes, aufklarerisches Geprage
oder den ziigig-ausfahrenden Duktus des 19. Jh. Solche
Befunde sind nicht immer auch bindende Aussagen
chronologischer Art; einzelne Melodien mittelalter-
lich-kirchentonalen Geprages konnen (z. B. in der
Bretagne oder in Spanien) noch in jiingster Zeit ent-
stehen, iiberall dort, wo alte Uberlieferung noch un-
gebrochen fort- und nachwirkt. Besonders aufschluB-
reich ist der Ausblick in die altesten, vorgeschichtli-
chen Quellgriinde. Alter als die mittelalterlichen Mo- ■
di, die Kirchentbne, sind gewiB manche Lieblingston- t^
arten der mittelalterlichen Fahrenden, so vor allem
der Do-Modus, Vorlaufer des (barocken) Durge-
schlechts, der Tonus lascivus. Noch eindeutiger pagan :
erscheint der bauerlich-hirtenhafte Fa-Modus, der in
Hirtenmusik der Schweiz, Frankreichs, Belgiens, der
Slowakei, Rumaniens, der Abruzzen, Skandinaviens
und der Inselkelten so bedeutsam her vortritt. Noch Tro-
badors und Trouveres schopf ten aus diesem Quellberei-
che. Gelegentlich stellt sich in den Heimatgebieten der
Fa-Tonart - am haufigsten auf Island - auch der Gegen-
modus mit der verminderten Quinte ein : der Si-Modus.
Eine gewisse GroBraumigkeit, Weitbewegtheit gehort
zum Grundgeprage des europaisch-asiatischen sHirten-
melos«. - Bliihendes, reich melismatisches Melos, das im
Grenzfall sogar zur textlosen Vokalise werden kann,
scheint die Grundsignatur altbauerlichen Singens zu
sein. Den nordwestspanischen -»■ Alalas stellen sich die
franzosischen Grandes oder Chants a grand vent, die
russischen »gedehnten« Lieder (protjaschnyja) zur Seite.
Sehr urtumlich ist die halbtonlose Pentatonik der Insel-
kelten (Schottland, Irland, Hebriden). Nach musik-
ethnologischen Erkundungen (W.Danckert) handelt
es sich um ein Uberbleibsel aus der »Mutterrechtsspha-
re« mittellandischer Volker. Auch in einzelnen hoch-
altertiimlichen Liedern italienischer Gebiete (Abruz-
zen, Siiditalien, Sardinien) erhielten sich halbtonlose
Fiinf- und Viertongesange. Die pentatonische Alt-
schicht im ungarischen Bauernlied hingegen (von Bar-
tok und Kodaly entdeckt) kommt von Mittelasien her;
sie ist Vermachtnis eines sehr alten mittel- und ostasia-
tischen Kulturkreises ebenfalls mutterrechtlicher Pra-
gung. Hocharchaisch ist auch die »Engmelodik«, wohl
die alteste Schicht ost- und sudosteuropaischen Singens.
Sie umf afit altfinnische und estnische Runenweise, Joi-
ku und Klagelied, alteste bulgarische und slowenische
Rituallieder, primitive Altschichten im ukrainischen,
litauisch-lettischen Volksgesang und im Lied der Kau-
kasusvolker. Engmelodik geht in der Regel aus von
einer »Kernsekunde«, sie erweitert sich zum Tri- oder
Tetrachord, allenfalls zum Quintumfang. Nordrussi-
sche Bylinen (Heldenlieder) f iigen zum Viertongrund-
bestand gern einzelne (sprunghaf t erreichte) Tief tone hin-
zu. Im Gegensatz zur osteuropaischen Engmelodik steht
das scharfe Tonraumunterteilen und »Anpeilen« durch
(zum Teil chromatische)
Hilfsvorschlagstone in der
engmelodischen Altschicht
islandischer Gesange :
_ K
ur henn-i alt of - an i djup-a keld-u.
was es ent-halt, hin-rollt in tie-fen Mo-der.
Islandische Reimweise (aufgezeichnet von J. Leifs).
Melodien dieses Schlages bewegen sich nicht auf Stufen
einer festen, praexistenten Leiter; sie sind pramodal,
amodal. Nur einige Geriisttone stehen fest; die »Fiil-
lung« dazwischen ist variabel. Ganz Altskandinavien be-
wahrte solche modusf reien Weisen, oft auch groBeren
Umfangs. HaupterhaltungsgebietesindlslandundNor-
wegen. Es handelt sich um Auslaufer und Fortbildun-
gen altnordischen Kunstgesanges, um »Skaldenmelos«.
Skaldisch-skopische Oberlieferung klingt auch in man-
chen der altesten erhaltenen Erzahlweisen spielmanni-
scher Art nach, etwa im Ton desjiingeren Hildebrands-
liedes; man beachte die Variabilitat des Tones unter-
halb der Melodiespitze f 2 , den Wechsel vori e 2 und es 2 :
Ich wil zu Land aus-rei -ten, sprach sich mei-ster Hil-te-brand,
Presto
der mir die weg thet wei-sen
gen Bernwol jnn die Land;
1053
Volkslied
Pramodales Melos einfacherer Art, z. B. mit bestandi-
gem Austausch einzelner »Fullt6ne« durch »chromati-
sche« Varianten, findet sich in mancherlei Altschichten
europaischen Volksgesanges, so in Siidfrankreich, bei
den Basken und gehauft vor allem in Mahren. Bei
manchen bizarr anmutenden Gebilden mahrischen
Ursprungs mochte man vermuten, daB hier eine sehr
altertiimliche Pramodaltonraum-Auffassung sich mit
jiingeren Modaleinfliissen durchkreuzt und vermischt,
z. B. in einem mahrischen Lied (nach Fr. Bartos) :
ie-nu bych pro-dat, de-tibychroz-dal,sambychnavoj-nu vzat.
Struktur:
Eine gewisse Variabilitat oder »Unfestigkeit« zeigen
indessen auch viele Melodiegebilde, die in der siideu-
ropaischen Kontaktzone entstanden, wo orientalische
(arabisch-islamische) Vorbilder oder Einflusse langere
Zeit einwirkten. Orientalischen Ursprungs sind i. B.
manche Formeln und Leiterbildungen, die uns in un-
garischer Zigeunermusik entgegentreten. Vom Orient
stammen die haufigen Halbtonvarianten in spanischer
Musik (z. B. Mi-Modus mit Wechsel von Klein- und
GroBterz), die Endvokalisen, gewisse Melismen und
Ornamentformeln. Sehr stark orientalisch beeinfluBt
sind weite Bezirke balkanischer Volksmusik, am stark-
sten griechische und albanische, bulgarische und ru-
manische. Im Lied Siziliens, Sardiniens und Korsikas
hinterlieB die mittelalterliche Sarazenenherrschaft bis
heute merkliche Spuren. Seit alters stehen Lied und
-» Tanz in regen Wechselbeziehungen. Der hochmit-
telalterliche Singtanz, die ->■ Carole, erhielt sich bis
heute in Rand- und Ruckzugsgebieten, z. B. auf dem
Balkan und auf den Faroern. Fast alle Leitformen der
abendlandischen Tanzgeschichte, auch die urspriinglich
rein oder vorwiegend instrumentalen, spiegeln sich in
entsprechenden Liedgestalten. - Die zentrale Sammel-
stelle der Volksliedforschung in Deutschland ist das
Deutsche Volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau, ge-
griindet 1914 von John Meier, der es bis zu seinem Tod
(1953) leitete. 1953 iibernahm Erich Seemann (f 1965)
die Leitung des Deutschen Volksliedarchivs, 1963 Wil-
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Volkstanz
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Volkstanz ist die Bezeichnung fur Tanze, die in der
anonymen Grundschicht des Volkes dutch direkte Tradi-
tion, ohne Eingriff von Seiten eines Organisators und in
funktioneller Verbindung mit dem traditionellen Leben des
Volkes gewachsen sind (Hoerburger, Volkstanzkunde I, S.
26). Das Begriffswort V. ist im 18. Jh. gepragt worden,
um die Tanze des »Volkes« von denen der hoheren
Gesellschaft zu unterscheiden. Der Sache nach gibt es
den V. in dieser Gegeniiberstellung seit dem 15./16. Jh.,
als sich aus dem -*■ Tanz die spezielle Form des -> Ge-
sellschaftstanzes entwickelte mit seinen gegeniiber dem
Tanz des Volkes eigenen MaBstaben, was jedoch eine
wechselseitige Beeinflussung nicht ausschJoB. Heute
werden unter V. auch jene Tanze verstanden, die in
V.-Gruppenhistorisierend gepflegt (von Hoerburger als
»museale« Richtung bezeichnet), zur geselligen Unter-
haltung teilweise in Bearbeitungen oder auch als Neu-
schopfungen geiibt (»gesellige« Richtung, z. B. der
amerikanische -»- Square dance) oder zur Darbietung
folkloristischer Tanzstile mit Kostiimen (Trachten) auf
Buhnen vorgefiihrt werden (»theatralische« Richtung).
Volkstanze, die alien Angehorigen eines Volkes ver-
traut sind und in denen der Volkscharakter besonders
stark ausgepragt ist (z. B. ->■ Csardas), werden gele-
gentlich als Nationaltanze bezeichnet, landschaftsge-
bundene Tanze (z. B. -> Schuhplattler und -»- Faran-
dole) als Heimattanze.
Zu den verbreitetsten und altesten Formen des V.es ge-
horen die Reigentanze, die sich in Mitteleuropa fast
nur in den Kindertanzen erhalten haben, wahrend sie
in den europaischen Randgebieten auch heute noch
von den Erwachsenen getanzt werden. Als geschlos-
sener oder offener Kreis ausgefiihrt, sind sie meist mit
dem nach der Echternacher Springprozession benann-
ten Pilger- oder Prozessionsschritt verbunden, bei dem
es in zahlreichen Varianten darum geht, zu mehreren
Schritten vorwarts einen Schritt riickwarts zu machen.
- Die Volkstanze wurden wie anderes Brauchtum von
Generation zu Generation vorwiegend in schriftloser
Uberlieferung vererbt und dabei unmerklich veran-
dert. So ist es fur den urspriinglichen V. (sinngemaB
auch fiir seine Musik) charakteristisch, daB die Formen
in keiner Weise festliegen. Die Gruppierung . . . und die
Bewegungsart existieren nur als Idee und als Formeheper-
toire, nicht als unverdnderliche Gestalt (Hoerburger, in;
MGG XIII, 1966, Sp. 1948). Aus diesem Grunde erweist
sich eine Klassifizierung der Volkstanze als sehr schwie-
rig. Sie ware hinsichtlich Herkunft oder Verwendung
des V.es moglich, wobei jedoch die Zuordnung zu den
einzelnen Gruppen nicht immer eindeutig erfolgen
kann (Brauchtumstanze, z. B. der Bandeltanz um den
Maibaum; Geschicklichkeitstanze, z. B. die verschie-
denen Tanze mit einem Uberzahligen sowie bestimmte
Formen des -»- Schwerttanzes; Werbetanze, z. B.
-> Landler und -> Schuhplattler; Geselligkeitstanze,
z. B. die englischen ->• Country dances). 1886 stellte
Bohme (S. 186) iiber den V. in Deutschland fest, dafi es
hbchste Zeit war, aus Anschauung die alten Volkstanze zu
schildern und die Beschreibungen davon zu sammeln, da es,
wie der gesungenen alten Volkslieder, bald keine mehrgiebt.
Solche Volkstanze sind gegenwdrtig nur noch hier und dort
auf dem Lande und zwar moglichst weit von der Alles be-
leckenden Weltkultur in entlegenen Dorfern zufinden. Der
urspriingliche V. blieb vorwiegend in den Landern
Ost- und Siideuropas erhalten (z. B. in Jugoslawien
der-> Kolo, in Griechenland Syrtos, Kalamatianos und
Susta, in Katalonien die -> Sardana), wahrend er in
Mittel- und Westeuropa seltener geworden ist. In der
europaischen Tradition wurden haufig Volkstanze in
die Kunstmusik (z. B. ->■ Farandole, -*■ Furiant, -»■ Jo-
ta), zum Teil auBerdem in den Gesellschaftstanz (z. B.
-*■ Bourree, ->■ Passepied, ->• Gavotte, -> Country
dance) iibernommen; andererseits blieben Tanze, die
im Gesellschaftstanz als altmodisch verdrangt wurden,
oft in der V.-Uberlieferung noch lange Zeit lebendig
(z. B. -*■ Morris dance, Francaise, Mazurka, ->• Polka,
->■ Rheinlander, -*■ Schottisch).
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Voiles Werk ->■ Organopleno.
Volta (ital.; frz. volte, Mai, Umdrehung), - 1) prima
v. (l ma ), seconda v. (2da) bezeichnen in Verbindung
mit eckigen Klammem die Reihenfolge verschiedener
SchluGwendungen bei Wiederholungen (-> primo);
- 2) aus der Provence stammender, schneller hofischer
Paartanz im Tripeltakt, der in der 2. Halite des 16. und
Anfang des 17. Jh. sehr verbreitet war. In England ge-
horte die V. schon vor 1600 zum festen Bestand des
Tanzunterrichts. Charakteristisch sind auBerst heftige
Spriinge und Drehungen, die in engem Kontakt der
Partner ausgefiihrt wurden. Eine friihe choreographi-
sche Beschreibung der V. findet sich in Arbeaus Or-
chesographie (1588). Beispiele fur die V. gibt es bei A.
Le Roy (1568), M.Praetorius (Terpsichore, \612), Byrd
und Morley (The Fitzwilliam Virginal Book) und D.
Gaultier.
volti subito (ital. ; Abk. : v. s.), wende schnell um.
Voluntary (v'obntsii, engl., freiwillig) bezeichnet im
englischen Sprachraum in einer seit Mitte des 16. Jh.
belegbaren Bedeutung die zu einem C. f . komponier-
ten Stimmen, in weiterem Sinne die C. f.-freie Kom-
position (to make two parts upon a plaine-song is more hard
than to make three parts into v., Th. Morley, A Plaine and
Easie Introduction ..., 1597). Beispiele hierfiir bieten die
mit V. betitelten Kompositionen in imitierendem Kon-
trapunkt von Allwood und Farrant im Mulliner'sBook
(nach 1553). Im 17./18. Jh. nahm das V., ahnlich der
-*■ Fancy, Elemente verschiedener instrumentaler Gat-
tungen auf , wie Praeludium (Toccata), Suite, Sonate. -
Daneben wurde V. vom 16.-19. Jh. synonym fur Im-
provisation gebraucht (a piece played by a musician ex-
tempore, according to his fancy, Ch. Burney in Rees's
Cyclopaedia, um 1805), im engeren Sinne fiir improvi-
sierte oder komponierte Praeludien (Th.Roseingrave,
V.s and fugues made on purpose for the organ or harpsichord,
London 1728). AlsBezeichnung fiir Kompositionen mit
meist fantasieartigem, improvisatorischem Einschlag
erscheint V. z. B. im Titel der Sammlung Select Preludes
and V.s for the Violin, London 1805 (Verlag Walsh). -
Innerhalb des anglikanischen Gottesdienstes bezeichnet
V. Kompositionen und Improvisationen zu Beginn
und nach dem Service (In-v., Out-v.), friiher auch vor
der Predigt (Middle-v.) : The v. was originally so called,
because its performance, or non-performance, was at the
option of the organist (Busby, A Complete Dictionary of
Music, 1801). Dabei wurden im 18. Jh. verschiedene
Typen des V. ausgepragt, z. B. das Diapason v. und
das Trumpet v.
Vom Blatt spielen, singen -> prima vista.
Vorausnahme ->• Antizipation.
Vordersatz -* Metrum (- 3), ->■ Periode, ->■ Satz.
Vorhalt (ital. appoggiatura ; frz. und engl. suspension)
heiBt der um eine groBe oder kleine Ober- bzw. Un-
tersekunde verzogerte Eintritt eines Akkord- oder
Melodietones. Der vorgehaltene Ton ist dissonant
oder zumindest auffassungsdissonant und steht immer
auf betonterem Taktteil als seine Auflosung. Der V.
kann in mehreren Stimmen gleichzeitig auftreten und
den vollen Eintritt eines Akkords verzogern (doppel-
ter, drei- und mehrfacher V.); so wird z. B. der Quart-
sextakkord der 1 . Stufe vor dem Dominantdreiklang
auf betontem Taktteil zu den (als -> Auffassungsdisso-
nanz geltenden) V.en gerechnet. Die Satzlehre unter-
scheidet im allgemeinen 3 Arten des V.s: beim vorbe-
reiteten oder gebundenen V. (dem im 15.-18. Jh. die
J | Figuren -> Syncopatio und -> Re-
m
tardatio entsprechen) wird der vor-
gehaltene Ton aus dem vorausge-
gangenen Akkord in den neuen her-
o .'t. ^ iibergebunden (Beispiel a) ; beim
A. » - H halbfreien V. ist der vorgehaltene
iy .» Ton im vorausgegangenen Akkord
c in einer anderen Stimme enthalten
Q i J ,J i (b) ; beim freien V. gehort der vor-
( h 8q o gehaltene Ton dem vorausgegange-
v «• nen Akkord nicht an (c). Die Auf-
losung eines V.s kann verzogert werden, indem zwi-
schen V.s- und Auflosungston ein oder mehrere neue
Tone eingefugt werden. Diese sind entweder einer an-
deren realen Stimme entnommen oder lassen den Ein-
druck von Scheinstimmen entstehen. -> Vorschlag;
-> Weibliche Endung.
Vorhang, von H.Riemann in Analogie zu »Anhang«
gepragter Terminus fiir eine kurze Einleitungsbildung
(von Riemann der Kategorie des ->■ Generalauftakts
zugeordnet), die dem thematischen Beginn vorausgeht,
z. B. die beiden Doppeloktaven a-cis, die dem Adagio
derHammerklaviersonate op. 106 von Beethoven nach-
traglich vorangestellt sind, und der Anfang seiner 3.
Symphonic Der tuschartige Akkord- V. findet sich bei
zahlreichen Symphonien des 18. Jh. an Stelle einer
-> Introduktion.
Lit.: H. Riemann, System d. mus. Rhythmik u. Metrik,
Lpz. 1903.
Vorschlag (frz. appoggiature ; ital. und engl. appog-
giatura; altere Bezeichnungen s. u.) ist die Bezeich-
nung einer Gruppe von -*■ Verzierungen, deren ge-
meinsames Merkmal in der Einschiebung von einem,
zwei oder auch mehreren Tonen zwischen 2 Melodie-
tone besteht. Je nach seiner Stellung zu den melodi-
schen Haupttonen unterscheidet man den V. auf den
Schlag, d. h. auf den Zeitpunkt der folgenden Note
fallend und somit deren Wert entsprechend verkiir-
zend, und den V. vor dem Schlag, der die Dauer der
vorangehenden Note entsprechend verkiirzt. (Zu die-
ser Gruppe gehort auch der an die vorangehende Note
angebundene Nachschlag.) Als besondere Formen des
V.s sind der ->■ Anschlag (- 1; Doppel-V.) und der
— >• Schleifer anzusprechen. - Die Funktion eines V.s
kann entweder melodisch (engere Verbindung zweier
Melodietone) oder harmonisch (Vorhaltwirkung des
auf den Schlag fallenden dissonanten V.s) oder auch
rhythmisch sein (Akzentuierung durch kurze, betonte
Vorschlage oder Betonungsverschiebung durch den
kurzen, aber unbetonten V. auf den Schlag). Im Barock
kann die harmonische Funktion noch zusatzlich der
Verdeutlichung des jeweiligen Affekts dienen. Haufig
hat ein V. mehr als eine Funktion. - Die Bezeichnung
V. erscheint erstmals in J.D.Heinichens GeneralbafS in
der Composition (1728) und ersetzt die friihere »Accent«
(J.S.Bach, Clavier-Biichkin fur W.Fr.Bach, 1720). Be-
1056
Vorschlag
§^
reits im Mittelalter tritt der V. als besondere Verzie-
rung und mit einem besonderen Zeichen, unter dem
Namen -> Plica (eine Art Nachschlag), auf. Danach er-
scheint der V. erst in der 1. Halite des 17. Jh. als Ver-
zierung im heutigen Sinne (mit eigenem Namen und
graphischen Zeichen). In der Renaissance und im Friih-
barock sind die Vorschlage entweder im Notentext
enthalten oder der Improvisation iiberlassen. Um die
Jahrhundertwende ist Accentus im allgemeinen noch
gleichbedeutend mit Diminution. Im 17. Jh. erfiillt der
V., unbetont und meistens vor dem Schlag stehend,
vor allem noch melodische Funktionen. Er ist viel hau-
figer von unten als von oben, beide Formen unterschei-
den sich wesentlich voneinander. - Der V. von unten
(frz. port de voix, accent plaintif bei Mersenne fur die
Laute; engl. beat bei Playford und Simpson, half-fall
bei Mace, forefall bei Locke und Purcell) wird in Eng-
land durch Schragstriche (von den Virginalisten iiber-
nommen), bei den franzosischen Lautenisten durch
Komma mit oder ohne Punkt sowie durch kleine
Halbkreise dargestellt. Mersen- -A
ne gibt (1636) zu seinem (ne- to
benstehenden) Beispiel des port *J~
de voix fur die Stimme die Ausfiihrungsvorschrift eines
starken -> Portamentos (welchem diese Verzierung
ihren Namen verdankt) . Bacilly beschreibt (1 668) neben
dem port de voix plein mit starkem Portamento einen
demy port de voix mit schwachem Portamento, Jean
Rousseau kennt (Methode claire, certaine et facile pour
apprendre a chanter la musique ..., 1678) nur noch den
port de voix mit Legatobindung, wobei die V.s-Note in
die Zeit der Hauptnote hinubergehalten werden kann,
was Bacilly einen port de voix perdu nennt. So wie der
V. bei Streichern und Blasern durch einen Bogenstrich
bzw. einen ZungenstoB mit
der Hauptnote verbunden
wird, fallen V. und Haupt-
note im Gesang stets auf ei-
ne Silbe (Beispiel aus Landis
II Sant'Alessio, 1634). Bei der
Laute wird nur der V. angezupft, die Hauptnote da-
gegen mit dem greifenden linken Finger angeschla-
gen. Weil dadurch der V. scharfer als die Hauptno-
te artikuliert wird, nehmen die Lautenisten den V.
auf den Schlag, er bleibt aber kurz. Ahnliches gilt fiir
das Cembalo mit seiner unveranderlichen Tonstarke
fiir V. und Hauptnote. Trotzdem halt sich der V. vor
dem Schlag bei den franzosischen Clavecinisten neben
demjenigen auf den Schlag (Chambonnieres, d'Angle-
bert) bis zur Jahrhundertwende: Saint-Lambert er-
wahnt in seinem Cembalolehrbuch (1702) beide Mog-
lichkeiten. Am langsten halt sich der V. vor dem Schlag
bei den Sangern (Monteclair 1736). - Der V. von oben
(frz. coule, chute, cheute, coulement, port de voix de-
scendant, bei Mersenne tremblement; engl. backfall)
tritt haufig als Durchgangsnote bei terzenweiser Ab-
wartsbewegung einer Melodie auf, immer vor dem
Schlag und niemals mit Portamento. Diese Form des
V.s halt sich noch wahrend des ganzen 18. Jh. ; ->■ Anti-
zipation (- 3), ->■ Cercar della (la) nota.
Im Laufe des Spatbarocks (18. Jh.) gewinnt die harmo-
nische Funktion des V.s immer mehr an Bedeutung,
wobei der V. auf den Schlag genommen wird und
meist eine Dissonanz zum BaB bildet, einen -> Vorhalt,
der auch affekthaften Charakter annehmen kann. Hier-
bei gilt der V. von oben (Accent fallend) wegen der
Regeln iiber die Auflosung von Dissonanzen als der
natiirlichere (im Vergleich zum V. von unten). Tartini
z. B. verlangt in seinem Traite des agremens um die Mit-
te des Jahrhunderts, daB einf ache Vorschlage von un-
ten nur in Verbindung mit zusatzlichen Verzierungs-
j*p.?r i ri y
Di virtu fos - ti
m
1
noten verwendet werden diirfen, um nicht gegen die
Regeln der Dissonanzbehandlung zu verstoBen:
zrn^m
^
^m
^
^
m
m^
oder:
wm
m
wik
m
^
r-f [ cj tT
^^=F^
^
Der V. von unten (Accent steigend), gewohnlich ein
Leitton, kommt aber durchaus auch einf ach vor und ist
dann meist durch die vorangehende Note auf gleicher
Hohe vorbereitet, wahrend der V. von oben frei ein-
treten kann. Der in grbBerem als in Sekundabstand zur
Hauptnote stehende V. (von oben und von unten) ist
durchweg eine betonte Wiederholung der vorangehen-
den Note (Mattheson: springende Accente). Im friihen
18. Jh. schwanken die Angaben iiber die Lange des V.s
oder sind unbestimmt (Walther). Als Normalfall gilt
zunachst noch der eher kurze V. mit einem rationell
nicht erfaBbaren rhythmischen Verhaltnis zur Haupt-
note. Auch fiir J.S.Bachs Werke sind die Regeln der
nach 1750 erschienenen Lehrbucher nicht ohne weite-
res und in alien Fallen anwendbar. Ebenso ist in der
1. Halfte des 18. Jh. der Notenwert der kleinen V.s-
Noten (petites notes) nicht maBgebend fiir die Wieder-
gabe. Ob Bach z. B. den V. vor dem Schlag noch ge-
kannt hat, ist umstritten (Orgelchoral Allein Gott in der
HoV sei Ehr, BWV 662, Takt 2 u. a. mit rhythmisch
nicht eindeutigem Coule bei fallenden Terzen). Kiirzer
als der V. mit Vorhaltscharakter sind viele Vorschlage
mit iiberwiegend rhythmisch akzentuierender Funk-
tion aufzufassen, z. B. haufig in D. Scarlattis Cembalo-
sonaten.
Um die Mitte des 18. Jh., im Zuge des Zeitalters der
Aufklarung, setzt eine allseitige Bemiihung um Syste-
matisierung der Vorschlage durch Regeln fiir ihre
rhythmische Ausfiihrung in alien vorkommenden Fal-
len ein, wobei der V. auf den Schlag als anschlagen-
der, derjenige vor dem Schlag als durchgehender V.
bezeichnet wird. Beim ersteren unterscheidet man
jetzt streng zwischen veranderlichem oder langem und
unveranderlichem oder kurzem V. Der anschlagen-
de, veranderliche V. wird im Prinzip nach f olgenden
Hauptregeln behandelt (Beispiel nach Quantz): bei
2teiliger Hauptnote (Beispiel a) erhalt er die Halfte, bei
3teiliger (punktierter) Hauptnote (b) erhalt er zwei
b "A
Drittel ihres Wertes; auBerdem kann der V. die ge-
samte Dauer der Hauptnote einnehmen, wenn auf die-
se eine Pause (c; vgl. auch J. S.Bach, Wohltemperirtes
Clavier II, Praeludium Es dur, BWV 876, Takte 2, 4
67
1057
Vorschlag
und 62) oder eine an sie angebundene kiirzere Note
gleicher Hohe folgt (d). Ausnahmen von solchen Ver-
zierungsregeln treten immer dann ein, wenn ihre An-
wendving in Widerspruch steht zu Gesetzen des mu-
sikalischen Satzes oder des jeweils herrschenden »Ge-
schmacks«. - Quantz schreibt, in Anlehnung an italie-
nische Vorbilder, die Ausf iihrung des V.s wie folgt vor:
Man mufi die Vorschlage mit derZunge weich anstofien; und
wenn es die Zeit erhubt, an der Starke des Tones wachsen
lassen; diefolgende Note aber etwas schwdcher dran schlei-
fen (genannt »Abzug«).
Der anschlagende unveranderliche V. wird mit klei-
nen Sechzehntel- oder ZweiunddreiBigstelnoten ange-
deutet (/r ( £ = Schreibweise des 18. Jh. fiir Jl, J). Er
kann vor allem stehen, wenn die folgende Note disso-
nant zum BaB ist; bei mehrmaligen Tonwiederholun-
gen, wenn rhythmische Pragnanz beibehalten werden
soil (Synkopen, wiederholte Achtelpaare, Triolen) und
als Spezialfall hierzu bei der Figur J* J JJ (Ausfiihrung
etwa J2-J1 oder J"J J2 ). Die Ausfiihrung J J J J tritt
erst gegen 1800 auf, fiir Mozart gilt in vielen Fallen
noch die altere Ausfiihrung.
Bei den durchgehenden Vorschlagen unterscheidet man
im 18. Jh. solche, die mit der folgenden Note und sol-
che, die mit der vorangehenden Note verbunden wer-
den. Wahrend es sich bei der einen Gruppe um den aus
dem 17. Jh. ubernommenen V. handelt, namlich um
einen Zwischenton bei fallenden (oder auch steigenden)
Terzen (auch als Anticipatione della sillaba), ist die
zweite identisch mit dem sogenannten Nachschlag.
— jt— -
Dieser tritt haufig als Riickschlag p> f und als Uber-
— jl—
schlag (Uberwurf, Springer) F-> P auf. Die Ausfiih-
rung dieser beiden Nachschlagsf ormen ist etwa: :
bzw. F"! f ■ C.Ph.E.Bach bekampfte alle durch-
gehenden Vorschlage und wollte das folgende Beispiel
nicht wie a, sondern wie b ausgef iihrt wissen :
b 3
Im 19. Jh. verschwinden die langen Vorschlage, indem
sie von den Komponisten in groBen Noten ausgeschrie-
ben werden. - Die kurzen Vorschlage dienen nicht
mehr so sehr der melodischen Verbindung als vielmehr
der Akzentuierung der auf sie folgenden Hauptnoten.
Ihre Ausfiihrung wird in den Lehrbiichern nach Beet-
hovens Tod zwar immer noch auf den Schlag, aber un-
betont vorgeschrieben: J.N. Hummel, Klavierschule
(-1828), L.Spohr, Violinschule (1832) und G.Duprez,
Gesangschule (1845). Erst in der Folgezeit werden sie
in zunehmendem MaBe vor dem Schlag genommen.
Als Sonderfall kann der V. im Rezitativ angesehen
werden: eine besonders im Spatbarock allgemein ver-
breitete Konvention verlangte haufig an Phrasenenden
die Ausfiihrung von Vorschlagen, ohne daB solche im
Notentext angedeutet waren. G. Ph. Telemann gibt in
Der Harmonische Gottesdienst (1725) genaue Anweisun-
gen hierzu mit Beispielen (siehe folgendes Beispiel; a:
Vorbericht, b: Rezitativ aus der Neujahrskantate Halt
ein mit deinemWetterstrahle). Diese Konvention ist noch
bis in das 19. Jh. hinein giiltig. So haben W.A.Mo-
zart und noch haufiger Schubert nicht nur in Rezi-
tativen, sondern auch in Liedern bei Phrasenenden
vor zwei gleich hohe Noten eine kleine V.s-Note ge-
^Jgjj>h[tfj ^ i fc'^p p p |t} ^
Be-gliick-te Stun- den,
#*S p ply
f* yjp J yj ;^ p p p p i r ^
da Moses uns nicht mehr so scharf wie vor-mals draut!
$ M p> i V i' ^p p p p ic r
setzt, in Erinnerung an diese Konvention, z. B. Schu-
bert in Nr 12 der Winterreise:
m
-fob Mb
;,ach!dai5dieWeltso
m
Ach! daB dieLuft so ru-hig,ach!daI5dieWeltso licht!
Oft aber deutet die gleiche Notation auch lange (be-
tonte) oder kurze (unbetonte) Vorschlage an, was in
manchen Fallen schwierig zu entscheiden ist.
Lit. : — ► Verzierungen ; f emer : E. Walker, The Appoggia-
tura in Schubert, ML V, 1924; K. Wichmann, Der Zier-
gesang, Lpz. 1966, Anhang: Uber d. Ausfiihrung d. Ap-
poggiatura. ERJ/BB
VorspieL Die Erscheinung des instrumentalen V.s ist
alien Musikkulturen gelaufig. Im Orient (wahrschein-
lich auch in der Antike) handelt es sich hierbei um die
vorbereitende Charakterisierung des fiir das folgende
Stuck maBgebenden Melodiemodells (Maqam, Patet,
Raga; Nomos). Das antike Aulos-V. 7tpoaiiXiov ging
einem Nomos (Platon, Kratylos 417e) oder einem Au-
losstiickvoraus(Aristoteles, »Rhetorik«III, 14= 1414b);
iiber die -*■ Anabole ist wenig bekannt. Aus der Zeit
um 1300 bezeugt J. de Grocheo, daB ein guter Viella-
spieler jeden Gesang undjedes Musikstiick^e/tera/iter in-
troducit (ed. Rohloff, S. 52, 32f .) ; -*■ Praeludium. - In ei-
nem terminologisch fixierten Sinne bezeichnet V. die
Orchestereinleitung, wie sie R.Wagner seit Lohengrin
(1850) seinen Musikdramen vorangehen lieB. Merkmal
des V.s ist die organische Einbeziehung in das Drama
entweder alsEroffnung der 1. Szene (Der Ring des Nibe-
lungen) oder als ausgebreitete Darstellung des Hauptge-
haltes des Ganzen (Tristan und Isolde). Ansatze in dieser
Richtung gibt es schon in der franzosischen GroBen
Oper (Meyerbeer, Les Huguenots, L'Africaine). V.e kon-
nen auch die einzelnen Akte einer Oper einleiten (Wag-
ner, Die Meistersinger von Nurnberg ; Verdi, La Traviata ;
Pfitzner, Palestrina). Die Abkehr von der in sich abge-
schlossenen Anlage der ->• Ouvertiire resultiert einer-
seits aus Wagners Konzeption von der einheitlichen
kunstlerischen Form und der Ausdruckseinheit des Dra-
mas (Oper und Drama, S. 305ff.), andererseits aus dem
allgemeinen Prinzip des Durchkomponierens. Wag-
ners Meistersinger-V . indessen verbindet noch einmal
die musikalisch geschlossene Gestaltung mit der Auf-
reihung imd symphonischen Verarbeitung der musi-
kalischen Hauptgedanken der Oper. - Auch Verdi ver-
sah etwa seit 1850 seine Opern (Rigoletto, zuletzt Aida)
mit V.en, die er Preludio nannte, verzichtete aber im
Spatwerk (Otello, Falstaff) auf jede Einleitung. - Auf
Grund individueller Behandlung seitens der Kompo-
nisten und engstem Konnex mit der dramatischen Si-
tuation ist das V. nicht als Typus greifbar, erfiillt aber
selbst in der reduziertesten Form (Puccini, Tosca) die
Forderung nach charakteristischer Pragnanz.
Lit. : R. Wagner, Oper u. Drama, = Gesammelte Schrif-
ten XI, hrsg. v. J. Kapp, S. 297, 302, 310; S. Anheisser,
Das V. zu Tristan u. Isolde u. seine Motivik . . . , Zf Mw III,
1058
1920/21 ; Th. Till, Die Entwicklung d. mus. Form in R.
Wagners Opern u. Musikdramen, v. d. Ouvertiire (V.) u.
deren Funktionsvertretern aus betrachtet, Diss. Wien 1930,
maschr.
Vortrag ->■ Interpretation; -> Affektenlehre,
-*■ Auffiihrungspraxis, -> Ausdruck, -*■ Bel-
canto, -»■ Phrasierung, -»■ Verzierungen.
Vortragsbezeichnungen sind Zusatze des Kompo-
nisten oder eines Bearbeiters (-»■ Editionstechnik) zum
Notentext in Form von Worten, -> Abbreviaturen
oder -»■ Zeichen, die den Charakter der Komposition
und ihre Ausf iihrung durch Angaben iiber Tempo (und
Agogik), Lautstarke (Dynamik), Affekt, Artikulation,
Spieltechnik (Anschlag, Bogenfuhrung) oder Phrasie-
rung naher bestimmen. Seit dem friihen 17. Jh. wur-
den, ausgehend von Italien, V. zunachst innerhalb der
Satze beim Tempo-(meist Takt-)Wechsel oder beim
Wechsel forte-piano (-> Echo), dann auch bald am
Satzanfang angewendet (der Starkegrad am Satzanfang
wurde bis Ende des 18. Jh. nur ausnahmsweise angege-
ben). Daneben entstand in Frankreich in der 2. Halfte
des 17. Jh. ein umfangreiches Vokabular an V., das be-
sonders zur Kennzeichnung des Affektgehalts der Mu-
sik dient (z. B. gracieusement, tendrement). In Deutsch-
land wurden die italienischen und franzosischen V.
iibernommen. In immer groBerer Zahl traten V. seit
der 2. Halfte des 18. Jh. im Notentext auf, da seitdem
die Vortragsweise immer mehr in der Komposition
selbst verankert war und im Zusammenhang mit dem
Verzicht auf traditionelle Satz- und Thementypen auch
die Elemente des Vortrags freier verfiigbar wurden.
Die einfachen, zu Termini verfestigten italienischen
V. wurden durch differenzierende Zusatze in ihrer Be-
deutung erweitert; neue italienische Worte wurden als
V. eingefiihrt, die auch in andere Sprachen iibersetzt
werden konnten, sofern sie sich nicht zu Fachausdriik-
ken verfestigten. Besonders in Deutschland wurde, in
Ansatzen schon bei Heinichen (1728), Telemann und
C.Ph.E.Bach, deutlicher bei L.Mozart (1756), Adlung
(1758) und in den musikalischen -*■ Lexika seit 1765
eine Tendenz zur Abkehr von italienischen Termini
und zur Einf iihrung entsprechender deutscher »Kunst-
worter« spiirbar. Der Gebrauch deutscher V., die oft
nur Anweisungen fiir den Einzelfall sind, burgerte sich
seit Ende des 18. Jh. immer mehr ein.
Eigentliche Tempobezeichnungen sind nur -> Presto
(schnell) und -*■ Lento (langsam) ; die anderen V. fiir
das Tempo bezeichneten urspriinglich zugleich eine
Affekthaltung: -> Adagio (bequem, gemachlich), -* Al-
legro (heiter), -»■ Andante (gehend), -*■ Grave (schwer,
ernst), ->■ Largo (breit), ebenso auch die als selbstandige
Tempobezeichnungen gebrauchten Zusatzworter mo-
derato (gemafiigt) und -> Vivace (lebhaft). Affekt- bzw.
Ausdrucksbezeichnungen, die als Zusatze zu Tempo-
wortern oder selbstandig gebraucht werden, sind:
-*■ affettuoso, agitato, amabile, appassionato, brillante,
-»■ cantabile, commodo, con brio, con fuoco, dolce,
energico,->- espressivo, maestoso, scherzando (-*■ Scher-
zo - 2), ->■ sostenuto, spirituoso, stretto und tranquillo.
Zusatze zu Tempowortern sind ferner poco, meno,
->• giusto, non troppo, assai, molto ; freies Tempo wird
durch -»- adlibitum(-l),apiacere,senza tempo,— >- Tem-
po rubato, auch durch -*■ colla parte und suivez, die' Wie-
deraufnahme eines vorher gegebenen Tempos durch
-» a tempo bzw. a -»■ battuta oder tempo primo, misu-
rato vorgeschrieben. -> Forte und -»■ Piano mit ihren
verschiedenen Abstufungen, auch mit den Zusatzen
piu, poco, mezzo und meno bezeichnen die Tonstarke
(-»• Dynamik - 1), hierher gehoren auch -»■ mezza voce,
-»■ sotto voce und con sordino (-> Dampfer). Die Be-
coming einzelner Noten oder Akkorde fordern -*■ sf or-
zato und fortepiano. Veranderungen des Tempos zum
Schnelleren fordern accelerando, affrettando, incalzan-
do und stringendo, zum Langsameren ritardando, ral-
lentando, ->• ritenuto, ritenente, slentando, strasciando
und ->■ largando, zunehmende Tonstarke -»• crescendo
und -*■ rinforzando, abnehmende decrescendo, dimi-
nuendo, diluendo und perdendosi; das Abnehmen von
Tonstarke und Tempo zugleich bezeichnen calando,
deficiendo, mancando, morendo und smorzando.
-*■ Artikulation, -> Anschlag (- 2) und -*■ Bogenfiih-
rung werden u. a. durch folgende V. angezeigt (die
teilweise, soweit sie sich auf einzelne Noten beziehen,
auch durch -»■ Zeichen ausgedruckt werden) : -> legato,
-* leggiero, marcato, -*■ martellato, -*■ pizzicato (Ge-
gensatz: col arco), ->■ portato, ->■ staccato, ->■ sul ponti-
cello und tenuto. Besondere V. und Zeichen ergeben
sich aus der -*■ Phrasierung. Sonderfalle, die zwischen
— >- Verzierung und Ausdrucksmanier stehen, sind tre-
molando (-v Tremolo), -> ondeggiando, -*■ Vibrato,
-*■ Portamento und -> glissando.
Vorzeichen ->■ Akzidentien.
Vox (lat., von vocare, rufen; entsprechend griech.
ipcovy] oder <p&6yyoz) , die menschliche Stimme, in weite-
rem Sinne alles, was - als sinntragender Laut - von ei-
nem Lebewesen oder Gegenstand durch das ihm we-
senseigene Vermogen zur Tonerzeugung ausgeht, also
auch die Stimme eines Tieres, der Ton eines Instru-
ments usw. (-> Sonus) ; auch der Einzelton einer von
ein und derselben Person oder Sache ausgehenden Ton-
folge (z. B. prima vox organi) oder - bei mehrstimmi-
gem Musizieren - alles, was von einem der Beteiligten
ausgeht, also die (einzelne, hochste, tief ste usw.) -> Stim-
me (- 1); ferner die durch die Solmisationssilbe ausge-
driickte Qualitat des Einzeltons in bezug auf seine Stel-
lung im -> Hexachord (z. B. C habet tres voces : sol, fa,
ut). - Im Orgelbau ist V. Grundwort verschiedener in
der Konstruktion durchaus unterschiedlicher, zumeist
jedoch imitatorischer Register (V. humana, V. coelestis
und dergleichen).
Vox angelica (lat.), in der Orgel ein kurzbechriges,
regalartiges Rohrwerk zumeist in 4'-Lage. Seit Mitte
des 19. Jh. wird dieser Name auf eine Geigenschwe-
bung, die Labialpfeifen zu 8' + 4' disponiert, iibertra-
gen, sogar auf 2 Hochdruckgamben, die gem ins Fem-
werk gestellt wurden und durch die Entfernung lieb-
licher klangen (Kloster Guadalupe).
Vox humana (lat., menschliche Stimme), in der Or-
gel zumeist eine Zungenstimme zu 8' mit kurzem
Schallbecher von verschiedener Bauart, in Italien auch
als Labialstimme (voce umana) mit Prinzipalmensur
und doppelten Pfeifen. Die V. h. wurde zuweilen mit
einem eigenen Tremulanten gebaut.
v. s., Abk. fiir - 1) volti subito (ital.), wende schnell
um; - 2) vide sequens (lat.), siehe das Folgende.
vuota (ital., leer) fordert auf Streichinstrumenten die
Benutzung -*■ Leerer Saiten (z. B. beim Flageolettspiel).
67*
1059
w
»Wagner«-Tuba, eine Waldhorntuba, d. h. eine en-
ger mensurierte -*■ Tuba (- 2) mit 4 Ventilen, die mit
einem Waldhornmundstuck geblasen wird. Wagner
lieB sich diese Tuben fiir den Ring des Nibelungen bauen,
urn den Chor der Horner durch BaBinstrumente von
gleichem Klangcharakter zur Tiefe hin zu erganzen.
Sie werden vom 2. Hornistenquartett (5. und 7. Hor-
nist Tenor-»W.«-Tuben in B, 6. und 8. Hornist BaC-
»W.«-Tuben in F) gespielt. »W.«-Tuben verlangen u. a.
Bruckner (7.-9. Symphonie) und R. Strauss (Ein Hel-
denleben, Elektra, Eine Alpensinfonie, Die Frau ohne
Schatten). - Eine Tuba mit Waldhorrimundstiick unter
dem Namen Cornon (Cornophone) hatte schon 1844
Cerveny konstruiert.
Wagon (japanisch) -> Koto.
Waldflote (lat. tibia silvestris, auch silvestris) ist in der
Orgel eine weit oder mittelweit mensurierte offene F16-
tenstimme zu 4' oder 2', seltener 8' oder 1', haufig ko-
nisch, aber auch zylindrisch. Der Klang der W. ist
weich und voll, verwandt mit dem des Nachthorns.
Waldhorn (engl. french horn), der Horntyp, der sich
zum heute im Orchester gebrauchlichen, schlechthin
Horn genannten Instrument entwickelt hat. Das W. ist
ein Blechblasinstrument (Goldmessing oder Neusilber,
im 18. Jh. auch Kupfer oder Silber) mit langem, leicht
konischem Rohr von enger Mensur (Halbinstrument,
der Grundton spricht nicht an), das kreisformig ge-
wunden ist, mit ausladender Stiirze und trichterformi-
gem Mundstiick. - Im Schnitzwerk des Chorgestiihls
der Kathedrale zu Worcester (spates 14. Jh.) ist ein Jager
dargestellt, der ein mehrfach gewundenes Horn uber
der Schulter tragt. Ahnliche Jagdhorner soil es schon im
12. Jh. gegeben haben (Wappenschild der Wartenberg-
Kolb 1 169). Ein Horn mit 21/2 Windungen ist auf einem
Holzschnitt von S. Brandt (Virgil-Ausgaben von Grii-
ninger, StraBburg 1502, undJ.Sacon, Lyon 1517) zu
sehen. Um 1650-60 wurde das Blasen auf Trompes de
chasse (cors de chasse) in Frankreich verbreiteter. Die
erste Partitur, in der Horner vorkommen, ist Lullys La
princesse d'Elide (1664; 5st. Fanfarensatz, wobei jedoch
nicht sicher ist, ob alle Stimmen von Hornern gespielt
wurden). Um 1670 wurde in Frankreich das W. in der
Mensur der Trompete angenahert, auch noch von
Dampierre um 1700, dessen Horn eine kleinere Stiirze
hatte. Um 1681 kam das W. durch den Bohmen Graf
Sporck (Spbrken) nach Deutschland, wo es sich im
Symphonieorchester einbiirgerte (R.Keiser, Octavia,
1706). Durch die Mannheimer Schule wurde es auch in
Paris iiblich; hier wurde es zunachst noch vorwiegend
von Deutschen und Bohmen geblasen. Neben der D-
Stimmung wurden durch Einsetzen von Stimmbogen
tiefere Stimmungen gewonnen. Durch Einfiihren der
Hand in die Stiirze wird die Rohre verkiirzt und der
Ton (um etwa einen Halbton) erhoht. Diese Stopf-
technik wurde 1753 von Hampel erweitert und in ein
System gebracht. Die Zeit der Stopftechnik (etwa
1060
1750-1850) gilt als die goldene Zeit des W.s; der erste
rcisende Virtuose dieser Periode war J. J. -»■ Rudolph. -
Durch das Einsetzen mehrerer Krummbogen fiir tiefere
Tonarten zwischen Mundstiick und Corpus wurde das
Horn so weit vom Spieler abgeriickt, daB das Stopfen
erschwert wurde. Eine Abhilf e sollte das -> Inventions-
horn von Hampel sein. Die Versuche, durch mecha-
nische Vorrichtungen das W. zu einem chromatischen
Instrument zu entwickeln, fiihrten zu Konstruktionen
mit Klappen (-> Amorschall), Ziigen (Dickhuth 1812)
und zur Erfindung des -*■ Cor omnitonique. Durch-
setzen konnten sich jedoch erst die 1818 patentierten
-> Ventile (- 2), zunachst 1 oder 2, spater 3; doch fand
daneben noch die Stopftechnik Verwendung. In die
Militarkapellen fand das Ventilhorn bald nach 1830
Eingang. - Noch heute spezialisieren sich die Blaser je-
weils auf den Ansatz fiir hohe (1. und 3. Horn) oder
tiefe (2. und 4. Horn) Tone. Diese Trennung war be-
reits um 1800 vollzogen. In den gebrauchlichen Ton-
lagen (D-F) umfaBte zu jener Zeit die hohe Technik
den 4.-20. Naturton, die tiefe den 2.-16. Die Technik
des Cor mixte (4.-12. Naturton, besonders in F-Lage)
konzentrierte sich auf moglichste Ausgeglichenheit der
Tone. 1898 baute zuerst Kruspe in Erfurt das Doppel-
horn in B/F, das heute im Symphonieorchester ge-
brauchlich ist. Daneben ist das einfache W. in F (Um-
fang etwa iB-b2) das Standardinstrument. Die hochste
und die tiefste brauchbare Lage sind die in (hoch)C und
die in A (Rohrlange 600 cm). Der Klang des W.s ist
warm und obertonreich (»Pedal des Orchesters«, so ge-
nannt nach der Wirkung des rechten Pedals des mo-
dernen Klaviers). Es wird transponierend im Violin-
schliissel notiert. Konzerte fiir W. schrieben u. a. J.
Haydn, W.A.Mozart, CM. v. Weber, R.Schumann,
Saint-Saens, R.Strauss und Hindemith. Sonaten fiir
Horn und Kl. Beethoven und Hindemith, ein Trio (op.
40) fiir Kl., V. und W. Brahms. Beruhmte Hornisten
waren Mares, ->• Stich (Punto), J. Lebrun, Domnich, Fr.
Duvernoy, Meifred, G. und M.Schunke, Fr. Strauss
(der Vater von R.Strauss), A. und D. Brain; Schulen
schrieben Hampel-Punto (1794-98), Domnich (1808),
Duvernoy (1808), Dauprat (1824), Kastner (1840) und
Meifred (1840).
Lit. : Fr. J. Gossec, Notes concernant l'introduction des
cors dans les orch., Rev. mus. V, 1829; J. Meifred, De
l'etendue, de l'emploi et des ressources du cor en general
. . . avec quelques considerations sur le cor a pistons, Paris
(1829); ders., Notice sur la fabrication des instr. de mu-
sique en cuivre . . . , in : Annuaire de la Soc. des anciens
eleves des Ecoles Nationales des Arts-et-Metiers 1851 ; H.
Eichborn, Die Dampfung beim Horn, Lpz. 1897; V.-Ch.
Mahillon, Instr. a vent III: Le cor. Son hist., sa theorie,
sa construction, Briissel u. London (1908); H. Kling, Le
cor de chasse, RMI XVIII, 1911 ; W. F. H. Blandford,
Wagner and the Horn Parts of Lohengrin, The Mus. Times
LXIII, 1922; Fr. Piersig, Die Einfuhrung d. Horns in d.
Kunstmusik, Halle 1927 ; B. Coar, The French Horn, Ann
Arbor (Mich.) 1947; ders., Nineteenth-Cent. Horn Vir-
tuosi in France, De Kalb (111.) 1952; Ph. Farkas, The Art
Walzer
of French Horn Playing, Chicago 1956; K. Janetzky,
Zum Erscheinen d. Bach-Studien f. W., in: Tradition u.
Gegenwart, Fs. Musikverlag Fr. Hofmeister, Lpz. 1957; R.
Morley-Pegge, The French Horn, London u. NY (1960);
R. Gregory, The Horn, London 1961 ; G. Schuller,
Horn Technique, ebenda 1962.
Waldhorn-Tuba -> »Wagner«-Tuba.
Waldteufel -»■ Reibtrommel.
Wales.
Lit.: Fr. Griffith, Notable Welsh Musicians, London
21896; J. Graham, A Cent, of Welsh Music, ebenda 1923;
C. E. Roberts, Welsh Music in the Tudor Period, Trans-
actions of the Honourable Soc. of Cymmrodorion, Session
1925/26 ; J. Davies, The Contribution of Welshmen to Mu-
sic, ebenda 1929/30; W. S. Gw. Williams, Welsh National
Music and Dance, London (1933), 2 1952; A. Dolmetsch,
Ancient Welsh Music, Transactions of the Honourable Soc.
of Cymmrodorion, Session 1 933/35; P. Cr. Holland, Secu-
lar Homophonic Music in W. in the MA, ML XXIII, 1942;
ders., Music in W., London 1948; J. Peate, Welsh Mus.
Instr., Man XLVII, 1947; Music in W., An Exhibition of
Mus. Instr., Scores and Mss. . . ., Swansea 1951 (Ausstel-
lungskat.) ; D. Jones, Music in W., London 1 961 . - Journal
of the Welsh Folk-Song Soc. 1, 1909ff.
Walze, - 1) an der modernen Orgel eine Spielhilfe, die
iiber dem Pedal liegt und mit dem FuB bedient wird.
Die W. laBt die Register deren Lautstarke entsprechend
nacheinander hinzutreten. Dabei ist ein nahtloses Cre-
scendo bzw. Decrescendo selbst bei den grundtonig dis-
ponierten Orgeln nur annahernd moglich. - 2) -* Me-
chanische Musikwerke.
Walzer (von walzen, sich drehen, aber audi s. v. w.
schleifen, die FiiBe beim Tanzen am Boden drehen, im
Gegensatz zu hiipfen, hopsen; engl. waltz; frz. valse;
ital. valzero), ein seit dem letzten Viertel des 18. Jh. be-
kannter, im osterreichisch-bajuwarischen Raum ent-
standener Tanz im 3/4-Takt, dessen direkte Vorlaufer
der -> Deutsche Tanz, der -> Landler und der -> Lang-
aus sind. Der W. ist ein Einzelpaartanz, bei dem die
Paare in geschlossenerTanzhaltung eine doppelte Dreh-
bewegung ausfiihren, wobei sie, sich um die eigene
Achse drehend, die Tanzflache umrunden. Schon vor
dem Aufkommen des Wortes W. (um 1780) finden
sich, seit etwa 1750, Belege fur walzen, walzerisch tan-
zen (z. B. in J. Kurz' Komodie Der auf das neue begeister-
te und belebte Bemardon, 1754, in: DT5 XXXIII, S. 18),
sehr wahrscheinlich schon hier in der Bedeutung des
charakteristischen Schleifens der FiiBe am Boden; noch
1760 wurden walzende Tanze durch eine bayerische
Verordnung verboten.
Drehtanze, meist gehiipft oder gestampft, waren seit
dem Mitteialter bekannt; sie wurden immer wieder be-
kampft; noch bei W.A.Mozart (Don Giovanni) galten
sie als derb und dem niederen Volke zukommend. Die
allgemeine Durchschlagskraft des W.s hangt nicht zu-
letzt zusammen mit den soziologischen Auswirkungen
der Franzosischen Revolution und der im 19. Jh. sich
vollziehenden sozialgeschichtlichen Umstrukturierung.
Fur das Aufkommen des W.s in Wien scheint es von
Bedeutung gewesen zu sein, daB hier die Kluf t zwischen
Adel und Volk weniger kraB war als etwa in Frank-
reich, wo es undenkbar gewesen ware, 3000 Burger
und Burgerinnen zu einem Hofball einzuladen, wie es
Kaiser Joseph II. 1781 tat. Als 1786 in Wien der erste
W. von zwei Paaren auf der Biihne getanzt wurde (in:
Una cosa rata von Martin y Soler), fand er ein aufnah-
mefreudiges Publikum. Trotz harter Kritik von seiten
einzelner aus der hohen Gesellschaft und seines Verbots
z. B. am preuBischen Hof , wo er noch unterWilhelm II.
beim offlziellen Teil des Hofballs nicht gestattet war
(W. linksherum blieb wegen der noch engeren Tanz-
haltung fiir alle Gesellschaftsballe der damaligen Zeit
iiberhaupt untersagt), erlangte der W. seit dem Wiener
KongreB (1814/15) weltweite Verbreitung und erfaBte
wie kein Tanz zuvor alle Schichten der Gesellschaft.
Der Wiener W., wie er schon 1811 (J. H. Campe, Wbr-
terbuch derDeutschen Sprache V, Braunschweig 1811) ge-
nannt wurde, gehort bis heute zu den Standardtanzen
(->■ Gesellschaftstanz). Im Laufe des 19. und 20. Jh. ent-
wickelten sich verschiedene W.-Typen. Neben dem
Wiener W. gab es einen Franzosischen W., der meist
aus drei in Schnelligkeit sich steigernden Teilen bestand:
Valse (3/8 oder 3/4, Andante), Sauteuse (6/8, Allegretto),
Jete oder schnelle Sauteuse (6/8, Allegro bis Presto). Aus
Amerika kam der langsam gleitende -> Boston (- 1),
der besonders um 1920 in Europa beliebt war. Der
langsame W. oder -> English Waltz, auch Waltz, der
heute wie der Wiener W. zu den Standardtanzen ge-
hort, kam in den 1920er Jahren in Europa in Mode. Im
Unterschied zum Wiener W. werden beim langsamen
W. mehrere Variationen getanzt.
Die ersten W. hatten eine mafiige . . . Bewegung, . . . in
der letzten Zeit aber, seitdem der sog. Wiener W., der ein
unglekh schnelleres Tempo hat, herrschend wurde, hat sich
der Frohsinn und die Lustigkeit, die sich darin aussprechen,
bis zur bacchantischen Wuth gesteigert. ■ ■ . Die Musik des
Tanzes ... hat alle diese Perioden der steigenden Heftig-
keit und Leidenschaft mit durchgemacht (SchillingE). Der
W. bestand zunachst in der Regel aus zwei Reprisen
zu je 8 Takten (so in KochL beschrieben), doch stell-
te man bald mehrere W. zu einer Folge zusammen.
Friihe gedruckte W. liegen vor in den 12 W.n op. 34
(1800) von D.Steibelt. 1808 wurden anlaBlich derEin-
weihung des Apollo-Palastes die Tanze far den Apollo-
saal op. 31 fiir Kl. von J. N. Hummel aufgefuhrt, die
mit Trios, da Capo und Coda eine halbe Stunde dauer-
ten und als die ersten Konzert-W. angesehen werden
kbnnen. In ihrer Nachfolge stehen W. von CM. v.
Weber, Chopin, Liszt und Brahms. Viele W.-Kom-
positionen nehmen eine eigenartige Stellung zwischen
Konzert- und Gebrauchsmusik ein. Von Schubert ist
bekannt, daB er seinen Freunden zum Tanz aufspielte.
Seine W. sind gleichsam als niedergeschriebene Improvisa-
tionen zu betrachten (A.Einstein, Schubert, NY 1951,
deutsch Zurich 1952, S. 230). Sie sind vorwiegend noch
8taktig mit zwei Reprisen, meist folgen 12 oder mehr
Nummern aufeinander. Auch Beethoven schrieb noch
W. fiir den praktischen Gebrauch, z. B. die 4 W. in den
sogenannten Modlinger Tanzen (WoO 17, 1819). Mit
den 1819-23 entstandenen 33 Veranderungen iiber einen
W. von Diabelli op. 120 schrieb er ein reines Vortrags-
stiick, wahrend die W. Es dur und D dur von 1824 und
1825 wieder mehr der Gebrauchsmusik zugehoren.
Entscheidenden EinfluB auf die Entwicklung des W.s
hatte C.M.v.Webers Konzert-Rondo fiir Kl. Auffor-
derung zum Tanz op. 65 (1819, spater von Berlioz in-
strumentiert), ein W.-Zyklus mit langsamer Introduk-
tion und Coda. Richtungweisend an diesem Werk wa-
ren : die geschlossene Form mit Introduktion und einer
Coda, die den Anfang wieder aufgreift; die plan voile
Abfolge in Melodie, Tempo und Tonarten; die bei
Schubert schon gelegentlich vorhandene Begleitungs-
form mit dem Vorschlagen des Basses und dem Nach-
schlagen zweier Akkorde; das gegeniiber friiherenW.n
wesentlich schnellere Tempo; die Ausweitung der ein-
zelnen W. iiber die Achttaktigkeit hinaus. Damit war
im W. eine groBe Konzertform geschaffen.
Die genannten Charakteristika gelten jedoch nicht nur
fiir die Konzertform des W.s, sondern sind auch fiir die
des klassischen Wiener W.s Lannerscher und StrauB-
scher Pragung seit den 1820er Jahren. Hervorgegangen
aus der Tanzkapelle M. Pamers, wurden -> Lanner und
1061
Walzer
J. -> StrauB(Vater) zu den beherrschenden Personlich-
keiten der Wiener Tanz- und Unterhaltungsmusik,
in der Publikumsgunst wohl nur noch iibertroffen
von J. -»■ StrauB(Sohn), dem »Walzerkonig«. Die W.-
Kompositionen von Lanner und StrauB(Vater) began-
nen mit einer kiirzeren oder langeren Introduktion, ge-
folgt von fiinf W.n und der Coda, in der die vorange-
gangenen Walzermelodien anklangen. Der einzelne
W. bestand aus einem meist 16taktigen Teil A, einem
gleichlangen aber im Charakter unterschiedenen Teil B
und gelegentlich einer einfachen Wiederholung des
Teiles A (| : A : 1 1 : B : 1 1 A |). Von Lanner wurden beson-
ders bekannt: Pesther W. op. 93, Hqfballtanze op. 161,
Die Schonbrunner op. 200; von StrauB(Vater) : Cacilien-
W. op. 120, Donaulieder op. 127, Loreley-Rheinklange
op. 154. J. StrauB(Sohn) iibernahm diese Form, ging
jedoch in den kompositorischen Mitteln iiber seine Vor-
ganger hinaus: die Introduktion wurde gelegentlich zu
einer Art Orchestervorspiel ausgeweitet, der Rhyth-
mus wurde abwechslungsreicher, die Harmonik reicher
und die Instrumentierung kunstvoller gestaltet. Die
Ausfiihrung ist charakterisiert durch eine leichte Vor-
wegnahme der zweiten Zahlzeit in der Begleitung, so-
wie durch das »Einschleif en«, die allmahliche Tempobe-
schleunigung beim Ubergang von der Introduktion zum
eigentlichen W. Bekannteste W. von StrauB(Sohn) sind :
An der schonen blauen Donau op. 314, Geschichten aus dem
Wiener Wald op. 325, Friihlingsstimmen op. 410, Kaiser-
walzer op. 437. - Schon friih wurde der W. wesentlicher
Bestandteil der Wiener -> Operette, deren zu W.-Fol-
gen zusammengestellte Melodien die Operette an Popu-
laritat haufig iibertrafen (z. B. Rosen aus dem Siiden, aus :
Das Spitzentuch der Konigin von J. StrauB[Sohn]).
Der W. fand einen nachhaltigen Niederschlag auch in
der Kunstmusik. Von Chopins W. op. 42 (1840) sagte
R. Schumann, daB, wenn man ihn zum Tanze vorspie-
len wolle, unter den Tanzerinnen die gute Halfte wenig-
stens Komtessen sein muBten (Gesammelte Schriften II,
51914, S. 32). Die W. von Liszt und Brahms sind hoch-
stilisierte Tanze und nur noch als Vortragsstucke ge-
dacht. AuBer den W.n fiir Kl. sind von Brahms auch
die W. op. 52 und 65 (beide mit dem Titel Liebeslieder)
zu nennen (->• Liederspiel). Zuweilen fand der W. Ein-
gang in die symphonische Musik, z. B. in Berlioz'
Symphoniefantastique (1830), in Tschaikowskys 5. Sym-
phonic (1888), in Mahlers 9. Symphonie (1909). DerW.
kommt in zahlreichen Biihnenwerken vor, z. B. in
GounodsFdMrf (1869), in R. Strauss' Rosenkavalier{\9\\),
in Bergs Wozzeck (1914-21), in Strawinskys Petrouchka
(1911, Neufassung 1947) und Histoire du soldat (1918).
Ravel schrieb ein Ballett mit dem Titel La valse (1922).
Die Valses nobles et sentimentales (1 91 1 ) von Ravel sind eine
W.-Suite nach dem Vorbild Schuberts. - Fiir die im-
mer starkere Zuweisung des W.s zum Bereich histori-
scher Musikf ormen ist auch die Art seiner Verwendung
in der Filmmusik charakteristisch, wo W. oder W-
Musik bestimmte Vorstellungen (vor allem die Wiener
Gesellschaft und von ihr ausgehend auch das Biirgertum
des 19. Jh. und der Vorkriegszeit, damit also die Vorstel-
lung der vergangenen »guten alten Zeit«) assoziieren soil.
Lit. : A. W. Ambros, Tanzmusik seit hundert Jahren, in :
Culturhist. Bilder aus d. Musikleben d. Gegenwart, Lpz.
2 1865 ; Br. Weigl, Die Gesch. d. W. . . . , = Mus. Magazin
XXXIV, Langensalza 1910; H. Weisse, Der instr. Kunst-
W. . . ., Diss. Wien 1919, maschr.; P. Nettl, Zur Vor-
gesch. d. sud-deutschen Tanze, BUM III, 1923; I. Men-
delssohn, Zur Entwicklung d. W., StMw XIII, 1926; W.
Herrmann, Der W., = Mus. Formen in hist. Reihen VIII,
Bin (1931); M. Carner, The Hist, of the Waltz, London
1948; ders., Artikel Waitz, in: Grove; Fr. Klingenbeck,
Das Walzerbuch, Wien 1952; E. Nick, Vom Wiener W.
zur Wiener Operette, Hbg (1954); K. M. Klier, »Linzer
Geiger« u. »Linzer Tanz« im 19. Jh., Hist. Jb. d. Stadt Linz
1956 ; L. Nowak, Landler, W. u. Wiener Lieder im Klavier-
buche einer preuBischen Prinzessin, Jb. d. Osterreichischen
Volksliedwerkes VI, 1957. -> Tanz.
Wandernote, an einem Zeigestab befestigter Noten-
kopf , der seit seiner Anwendung durch Th. ->• Krause
bei chorischen Treffubungen zur Demonstration von
Intervallschritten benutzt wird.
Warschau.
Lit. : A. Jarze.bski, Gosciniec albo krotkie opisanie War-
szawy . . . (»Reiseandenken oder kurze Beschreibung v.
W. . . .«), W. 1643, Neudruck hrsg. v. W. Korotynski, W.
1909 ; H. Feicht, Przyczynki do dziejow kapeli krolewskiej
w Warszawie . . . (»Beitr. zur Gesch. d. Koniglichen Kapelle
in W. wahrend d. Kapellmeisterara M. Scacchis«), Kwar-
talnik muzyczny I, 1928/29; Warszawa, miasto Chopina
(»W., d. Stadt Chopins«), hrsg. v. Zdz. Jachimecki, W.
1950; J. Prosnak, Kultura muzyczna Warszawy XVIII
wieku (»W.er Musikkultur im 18. Jh.«), = Studia i ma-
ternary do dziejow muzyki polskiej II, Krakau 1955; W.
Dworzynska, Kapelmistrze prywatnej kapeli krolewskiej
w latach 1657-97 (»Die Kapellmeister d. privaten Konig-
lichen Kapelle in d. Jahren 1657-97«), Muzyka II, 1957;
Krz. Bieganski u. M. Holzman, Filharmonia Narodowa,
Krakau (1960), auch engl. v. M. Abrahamowicz ; T. Fra-
czyk, Warszawa miodosci Chopina (»W. zur Jugendzeit
Chopins«), Krakau 1961; A. Szweykowska, Do historii
polskiej kultury muzycznej w okresie saskim (»Zur Gesch.
d. polnischen Musikkultur zur Zeit d. Sachsen«), Muzyka
VI, 1 96 1 ; M. Prokopowicz, Szkic z dziejow kultury muzy-
cznej Warszawy w okresie przed Chopinem (»Eine Skizze
aus d. Gesch. d. W.er Musikkultur vor Chopin«), Rocznik
Warszawski III, 1962.
Washboard (w'afbo:d, engl.), ein Rhythmusinstru-
ment der -> Skiffle groups, das auch in off entlich auf tre-
tenden nordamerikanischen Jazzensembles der 1930er
Jahre gespielt wurde. Es ist ein gewohnliches Reib-
waschbrett aus Wellblech. Der Spieler halt es waage-
recht auf den Knien und reibt mit den Fingerspitzen
(mit Fingerhiiten) oder Stabchen quer iiber die Rillen.
Washington (D.C., USA).
Lit. : A. I. Mudd, Early Theaters in W. City, Columbia
Hist. Soc. Records V, 1902; ders., The Theatres of W.
from 1835 to 1850, ebenda VI, 1903 ; Chr. Struck, Gesch.
d. »W. Sangerbundes«, W. 1906; Fr. J. Metcalf, Hist, of
Sacred Music in the District of Columbia, Columbia Hist.
Soe. Records XXVIII, 1926; J. C. Haskins, Music in the
District of Columbia, 1800 to 1814, Diss. The Catholic
Univ. of America 1952, maschr.
Wasserorgel ->■ Hydraulis.
Wechseldominante ist die Dominante der Dominan-
te, die Doppeldominante; Funktionsbezeichnung : ®.
Ihr Akkord ist auch in Moll ein Durdreiklang, z. B. in
C dur d-fis-a, in A moll h-dis-fis. Funktionell gehort
die W. zu den ->■ Zwischendominanten.
Lit.: P. Hamburger, Subdominante u. W., Kopenhagen
u. Wiesbaden 1955.
Wechselgesang-> Antiphon (- 1), ->- alternating
Wechselklang nennt H.Erpf (1927) jeden Dur- oder
Molldreiklang in bezug auf den Dreiklang gleichen
Namens aber gegenteiligen Geschlechts, z. B. c-es-g in
bezug auf c-e-g oder a-cis-e in bezug auf a-c-e. Das
W.-Verhaltnis ist umkehrbar: jeder Dreiklang ist der
W. seines W.s. Der Begriff geht auf H. Riemanns Har-
monielehre zuriick. Dort heiBt jede Verbindung zwei-
er Klange gegenteiligen Geschlechts (Klang-)Wechsel,
die eines Durdreiklangs mit seinem gleichnamigen
Molldreiklang (und umgekehrt) Quintwechsel, da nach
dualistischer Lehre die Haupttone beider Akkorde im
Quintverhaltnis zueinander stehen. In seinen spateren
Schriften (seit 1906) nannte H.Riemann den von Erpf
als W. bezeichneten Akkord -> Variante (- 2).
1062
Welturheberrechtsabkommen
Lit.: H. Riemann, Mus. Syntaxis, Lpz. 1877; ders., Skizze
einer neuen Methode d. Harmonielehre, Lpz. 1880, umge-
arbeitet als: Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. 21887, 51912,
7 1920, 1 "1929; ders., Elementar-Schulbuch d. Harmonie-
lehre, Lpz. 1906 ; ders., Ideen zu einer Lehre v. d. Tonvor-
stellungen, JbP XXI, 1914 - XXII, 191 5 ; H. Erpf, Studien
zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz.
1927.
Wechselnote, Wechselton, Drehnote (ital. nota cam-
biata; frz. note d'appog[g]iature), die obere oder untere
(dissonante) Nebennote eines Akkord- bzw. Melodie-
tons. Sie tritt, wie der Durchgang, dem sie in der
Kompositionslehre bis ins 17. Jh. zugeordnet wurde
(-»■ Commissura), auf unbetonter Zahlzeit ein und
kehrt, im Unterschied zu diesem, zum Ausgangston
zuriick. »Fuxsche W.« -> Cambiata.
Weibliche Endung (frz. cadence feminine) nennt im
AnschluB an J. J. de Momigny H. Riemann das Hinuber-
ragen der Endungen iiber die Schwerpunkte, d. h. Motiv-
schliisse auf leichter Zahlzeit des Takts, die damit an die
vorausgegangene schwere angehangt erscheint, z. B. in
W. A. Mozarts Konzertanter Symphonie Es dur, K.-V.
364,2. Satz, Takt8ff.:
Alle Vorhaltsbildungen bedingen W.E. ; auch sind sie
als nachschlagende Akkordtone haufig. Der Name (der
dem des »weiblichen Reims« entspricht; vgl. Riemann,
S. 259) deutet den asthetischen Charakter der Bildung
an. W. E.en verlangen im Vortrag eine leichte Dehnung
der sie bildenden Tone. -> AnschluB-Motiv.
Lit.: H. Riemann, GroBe Kompositionslehre I, Bin u.
Stuttgart 1902.
Weimar.
Lit.: C. A. H. Burkhardt, Das Repertoire d. W.ischen
Theaters unter Goethes Leitung 1791-1817, = Theaterge-
schichtliche Forschungen I, Hbg 1891 ; A. Bartels, Chro-
nik d. W.ischen Hoftheaters 1817-1907, Hbg u. Lpz. 1908;
P. Raabe, Zum 50jahrigen Jubilaum d. W.er Hofkapelle,
W. 1909 ; A. Aber, Die Pflege d. Musik unter d. Wettinern
u. wettinischen Ernestinern . . . , = Veroff. d. Furstlichen
Inst. f. nra. Forschungen zu Buckeburg IV, 1, Buckeburg
u. Lpz. 1921 ; E. Herrmann, Das W.er Lied in d. 2. Halfte
d. 18. Jh., Diss. Lpz. 1925, maschr. ; W. Hitzig, Beitr. zum
W.er Konzert 1773-86, in: Der Bar, Jb. v. Breitkopf & Har-
tel 1 925, Lpz. 1925 ; L. Schrickel, Gesch. d. W.er Theaters
v. seinen Anfangen bis heute, W. 1928; C. Rucker, Daten
zur Mg. d. Stadt W., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt W.
XLVIII, W. 1935; ders., Die Stadtpfeiferei in W.,W. 1939;
R. Jauernig, J. S. Bach in W., in : J. S. Bach in Thiiringen,
hrsg. v. H. Besseler u. G. Kraft, W. 1950; W. Lidke, Das
Musikleben in W. v. 1683 bis 1735, = Schriften zur Stadt-
gesch. u. Heimatkunde III, W. 1954; Fs. aus AnlaB d. Na-
mensgebung »Hochschule f. Musik Fr. Liszt «, W. 1956;
G. Sichardt, Das W.er Liebhabertheater unter Goethes
Leitung, W. 1957; B. Grimm, Die sozial-okonomische La-
ge d. W.er Hofkapellisten in d. 1. Halfte d. 19. Jh., Diss.
Lpz. 1964, maschr.
Weingarten (Baden-Wiirttemberg), Benedikti-
nerabtei, gegr. 1056.
Lit.: K. Loffler, Die Hss. d. Klosters W., Lpz. 1912; P.
Smets, Die groBe Org. d. Abtei W., Mainz 1940; Fr. Barn-
wick, Die groBe Org. im Minister zu W. . . ., Kassel 4 1948;
W. Irtenkauf, Das neuerworbene Weingartner Tropar d.
Stuttgarter Landesbibl. (Cod. brev. 160), AfMw XI, 1954;
Gr. Klaus, Zur Org.- u. Mg. d. Abtei, in : Fs. zur 900-Jahr-
Feier d. Klosters 1056-1956, W. 1956; P. Th. Stumpf, Aus
d. Gesch. d. Weingartner Klosterbibl., ebenda.
Weifienfels.
Lit.: A. Werner, Stadtische u. furstliche Musikpflege in
W., Lpz. 191 1 ; G. Saupe, H. Steuccius, in: Jb. Sachsen u.
Anhalt XVI, 1940; A. Schmiedecke, Zur Gesch. d. W.er
Hofkapelle, Mf XIV, 1961; ders., H. Steucke, Mf XVII,
1964 ; ders., Die W.er Stadtpfeiferfamilie Becker, Mf XIX,
1966.
Wellen entstehen bei raumlicher Ausbreitung von
->■ Schwingungen, wobei nicht die Schwingung selbst,
sondern die Form ihrer Ausbreitung, das dabei ent-
stehende Nebeneinander der einzelnen Schwingungs-
zustande, als Welle bezeichnet wird. Wahrend die
Schwingung als eine zeitabhangige Zustandsanderung
an einem festen Ort anzusehen ist, stellt die Welle eine
ortsabhangige Zustandsanderung zu einer bestimmten
Zeit dar. Alle W., mit Ausnahme der elektromagneti-
schen, benotigen ein Medium (fest, fliissig oder gasfor-
mig), in dem sie sich ausbreiten konnen. Dabei werden
die kleinsten Teile (Molekiile) durch eine Schwingungs-
quelle (z. B. die Luftmolekiiie durch einen schwingen-
den Geigenkorper) in Schwingungen versetzt und
werden so selbst zu einer Schwingungsquelle : mit einer
kleinen zeitlichen Verzogerung regen sie die benach-
barten Teilchen zum Schwingen an und so fort. Je
nachdem, ob diese Schwingungen quer oder parallel
zur Ausbreitungsrichtung der W. verlaufen, unter-
scheidet man Transversal- W. und Longitudinal-W.
So z. B. stellen die W. an der Wasseroberflache Trans-
versal-W. dar; Schall-W. hingegen breiten sich in Ga-
sen wie in Flussigkeiten in Form von Longitudinal-W.
aus, und nur in festen Korpern entstehen bei der Schall-
ausbreitung zusatzlich Transversal-W.
Ausbreitungsrichtung
ABCDEFGHJKLMNOPQR
Zeit n
In der Abbildung sind (I) in den waagerechten Reihen
a-r die einzelnen Zustande einer f ortschreitenden Trans-
versalwelle und (II) in den senkrechten Reihen R-A
die einzelnen Zustande einer fortschreitenden Longi-
tudinalwelle in gleichen zeitlichen Abstanden nachein-
ander festgehalten. So stellt die Reihe r eine vollstan-
dige Transversalwelle, die Reihe A eine vollstandige
Longitudinal welle dar.
Lit. : K. W. Wagner, Einfuhrung in d. Lehre v. d. Schwin-
gungen u. W., Wiesbaden 1947; W. Reichardt, Grundla-
gen d. Elektroakustik, Lpz. 1952, ^1954; J. Kranz, Schwin-
gungen u. W., in: Physik, = Das Fischer-Lexikon XIX,
hrsg. v. W. Gerlach, Ffm. (1960, 21962).
Welturheberrechtsabkommen (WUA). Es wurde
am 6. 9. 1952 in Genf von 36 Staaten unterzeichnet und
ist am 16. 9. 1955 in Kraft getreten. Das von Anfang an
gesteckte Ziel, die Universalitat des Urheberrechts-
schutzes auf der ganzen Erde, wurde durch das WUA
nicht erreicht; es stellt lediglich einen Modus vivendi
fur alle beteiligten Staaten und Staatengruppen dar.
1063
West-Coast-Jazz
Der Fortschritt besteht darin, daB es gelnngen ist, die
USA als wichtigstes Land auBerhalb der ->■ Berner
Ubereinkunft in ein multilaterales Urheberrechtsab-
kommen einzubeziehen. Sachlich befafit sich das WUA
lediglich mit dem urheberrechtlichen Schutz frem-
der Staatsangehbriger. Anders als die Berner Uberein-
kunft bietet es aber keinen Verbandsschutz; die von
den vertragsschlieBenden Staaten ubernommenen Ver-
pflichtungen miissen vielmehr durch die nationale Ge-
setzgebung eines jeden Staates verwirklicht werden.
Das WUA enthalt gewisse Mindestrechte, denen auch
dann Geltung zu verschaffen ist, wenn ein Vertrags-
staat einen solchen Schutz in seiner nationalen Gesetz-
gebung nicht kennt und ihn deshalb nach dem Grund-
satz der Inlanderbehandlung auch nicht gewahren miiB-
te. Diese Mindestrechte bilden die Grundlage fiir eine
Weiterentwicklung des internationalen Urheberrechts.
West-Coast-Jazz (west-ko : st-d3asz, engl.) -> Mo-
dern Jazz.
Westfalen.
Lit. : W. Nelle, Die ev. Gesangbiicher d. Stadte Dortmund,
Essen, Soest, Lippstadt . . . , Jb. d. Ver. f. d. ev. Kirchen-
gesch. d. Grafschaft Mark, Jg. 1901 ; E. Kruttge, Gesch.
d. BurgsteinfurterHofkapelle 1756-1817, Diss. Bonn 1923,
maschr., Auszug in: ZfMw VI, 1923/24; G. Krause, Gesch.
d. mus. Lebens in d. ev. Kirche W = Veroff. d. Mu-
sikinst. d. Univ. Tubingen X, 1932; J. Domp, Studien zur
Gesch. d. Musik an westfalischen Adelshofen im 18. Jh.,
= Freiburger Studien zur Mw. I, Regensburg 1934; F. W.
Kranzhoff, Die Entwicklung d. Mannergesanges in W.
im 19. Jh., Dortmund 1934; H. Gocke, Der Orgelbau in d.
Kreisen Soest u. Arnsberg vor 1800, Diss. Munster i. W.
1936, auch in: KmJb XXX, 1935; A. Rump, Urkundenbele-
geiiber d. Orgelbau im Kreise Lippstadt, Diss. Munster i. W.
1 949, maschr.; H. Bohringer, Untersuchungen zum Orgel-
bau im Hochstift Paderborn, Diss. Koln 1951, maschr.,
Auszug in: KmJb XLI, 1957; W. Salmen, Weihnachtsge-
sanged. MAinwestfalischerAufzeichnung.KmJb XXXVI,
1952; ders., Gesch. d. Musik in W., Bd I (bis 1800), Kas-
sel 1963 ; A. Schonstedt, Alte westfalische Org., = Schrif-
tenreihe d. Westfalischen Landeskirchenmusikschule in
Herford V, Gutersloh 1953; R. Reutter, Org. in W.,
Kassel 1965.
Wiederholung in der Musik wird angezeigt durch
Zeichen der Notenschrift oder durch Worter bzw.
Wortabkiirzungen, teils in Verbindung mit Zeichen:
-> Abbreviaturen (- 1 bis - 6) ; -+ Reprise ; -*■ da capo ;
-> dal segno ; prima volta, seconda volta (-> primo) ;
-> Replica. - Wiederholen ist, wie in alien Kunsten,
auch in der Musik eines der wesentlichen formbilden-
den Elemente. Im AnschluB an die Rhetorik wurde die
W. im spateren Mittelalter als Schmuck des musika-
lischen Satzes verstanden (-* Color - 2) und im Barock
in mannigfaltigen Formen zu den musikalisch-rheto-
rischen -> Figuren gezahlt (z. B. als ->■ Anadiplosis,
-*■ Climax, -» Mimesis). In der musikalischen Formen-
lehre kann unterschieden werden zwischen der unmit-
telbaren W. (Repetition) eines Formteils (wie in der
zweiteiligen -v Liedform und bei der Exposition in der
Sonatensatzform), der progressiven W. (z. B. bei fort-
schreitendem Text, wie bei den Doppelversikeln der
-> Sequenz - 1 und beim Strophenlied) und der Wie-
derkehr eines Formabschnitts (wie in der dreiteiligen
und zusammengesetzten -> Liedform und bei der Da-
Capo-Arie) . Im f ortschreitenden Geschehen einer Kom-
position ist W. jedoch fast immer verbunden mit Trans-
position (-»- Sequenz-2;-> Rosalie), Modifikation (z.B.
dynamisch: -> Echo; tonal: -»■ Reprise der Sonaten-
satzform) und Variation oder -*■ Permutation (- 3).
Konstitutiv ist das (veranderte) Repetieren z. B. in der
Form des ->• Rondellus als Stimmtauschstiick (ver-
gleichbar die -> Permutationsfuge) und die (teils auch
veranderte) Wiederkehr eines Gliedes z. B. in alien mit
->■ Refrain (-> Ritornell-3) gebildeten Formen. Auf dem
Prinzip des Wiederholens beruhen die -> Symmetric
und die -» Variation, auch viele zyklusbildende Mo
mente (z. B. bei der mehrstimmigen ->• Messe Dufays:
Repetition des C. f . und Wiederkehr der Anfangsmo-
tive in alien Satzen), auch die auf Imitation (Kanon,
Fuge) oder auf Wiederkehr eines Soggettos oder The-
mas oder Leitmotivs gegriindeten Techniken und For-
men, in neuer Zeit vor allem die Zwolftontechnik
(-»■ Reihe). Dabei handelt es sich zumeist um partielle
W., namlich um die Repetition oder Wiederkehr nur
einzelner, satztechnisch konstitutiver GroBen des mu-
sikalischen Gef iiges. Dies ist auch der Fall bei alien Zeit-
maBordnungen (Mensur, Takt, Metrum ; -> Iso-), auch
bei der W. eines Rhythmus {-*■ Talea, -> Isorhythmie),
eines Satzmodells (z. B. ->■ Folia) und uberhaupt bei
alien Arten des -> Ostinatos. - W. ist, in Verbindung
mit Verandern, wohl das elementarste Grundprinzip
aller musikalischen Gestaltung.
Lit.: R. Lach, Das Konstruktionsprinzip d. W. in Musik,
Sprache u. Lit., Sb. Wien CCI, 2, 1925; C. A. Harris, The
Element of Repetition in Nature and the Arts, MQ XVII,
1931 ; W. Hess, Zur Frage d. Teilw. in Beethovens Sym-
phoniesatzen, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957; ders., Die
Teilw. in d. klass. Sinfonie u. Kammermusik, Mf XVI, 1963.
Wien.
Lit.: J. v. Sonnleithner, W.er Theater-Almanach 1794,
1795, 1796; J. Fr. Reichardt, Vertraute Briefe, geschrie-
ben auf einer Reise nach W. 1808-09, 2 Bde, Amsterdam
1810, NA v. G. Gugitz, Munchen 1915; E. Hanslick,
Gesch. d. Konzertwesens in W., 2 Bde, W. 1869-70, Lpz.
21897; ders., Die moderne Oper, 9 Bde, Bin 1875-1900,
Neuauflage 1911 ; ders., Vienna's Golden Years of Music,
1850-1900, iibers. u. hrsg. v. H. Pleasants, London 1951 ;
M. Kalbeck, W.er Opernabende, W. 1885 ; A. v. Weilen,
Gesch. d. W.er Theaterwesens v. d. altesten Zeiten bis zu d.
Anfangen d. Hoftheaters, W. 1 899 ; ders., Zur W.er Thea-
tergesch. Die... 1629 bis. .. 1710zur Auffuhrunggelangten
Werke theatralischen Charakters u. Oratorien, W. 1901 ; R
Lothar u. J. Stern, 50 Jahre Hoftheater, 2 Bde, Magde-
burg u. W. 1900; J. Mantuani, Gesch. d. Musik in W.
Teil I. Von d. Anfangen bis 1 5 1 9, W. 1 904; R. Wallaschek
Gesch. d. k. k. Hofoperntheaters, = Die Theater W. IV,W
1909; A. v. B6hm, Gesch. d. Singver. d. Ges. d. Musik-
freunde in W., W. 1908; R. v. Perger, Denkschrift zur
Feier d. 50jahrigen ununterbrochenen Bestandes d. Phil
harmonischen Konzertein W. 1860-1910, W. 1910; ders
u. R. Hirschfeld, Gesch. d. Ges. d. Musikfreunde in W
(mit Zusatzbd v. E. Mandyczewski), W. 1 9 1 2; A. Gutmann
Aus d. W.er Musikleben, 1873-1908, W. 1914; M. Enzin
ger, Die Entwicklung d. W.er Theaters v. 16. zum 19. Jh.
= Schriften d. Ges. f. Theatergesch. XXVIII-XXIX, Bin
1918-19; R. Specht, Das W.er Operntheater. Von Dingel-
stedt bis Schalk u. Strauss, W. 1919; E. Wellesz, Die
Opern u. Oratorien in W. (1660-1708), StMw VI, 1919;
ders., Der Beginn d. mus. Barock u. d. Anfange d. Oper
in W., = Theater u. Kultur VI, W. 1 922; K. Kobald, Altw.er
Musikstatten, = Amalthea-Bucherei VI, Zurich, Lpz. u.
W. (1921), erweitert als: Klass. Musikstatten, W. 1929; J.
Gregor, W.er Barocktheater, W. 1922; ders., W.er sze-
nische Kunst, 2 Bde, W. 1924-25; E. K. Blummel u. G.
Gugitz, Alt-W.er Thespiskarren, Die Fruhzeit d. W.er
Vorstadtbiihnen, W. 1925; R. Haas, Die W.er Oper, W.
1 926 ; ders., W.er Musiker, W. 1927 ; ders., Der W.er Biih-
nentanz v. 1740-67, JbP XLIV, 1937; R. Lach, Gesch. d.
Staatsakad. u. Hochschule f. Musik u. darstellende Kunst
in W., W. 1927; J. Kollner, Das W.er Volkssangertum in
alter u. neuer Zeit, W. 193 1 ; L. Nowak, Zur Gesch. d. Mu-
sik am Hofe Kaiser Maximilians I., Mitt. d. Ver. f . Gesch.
d. Stadt W. XII, 1932 ; P. Stefan, Die W.er Oper, W. 1932;
A. Claus, Gesch. d. Singver. d. Ges. d. Musikfreunde
1853-1933, W. 1933 ; Fr. Hadamowsky, Das Theater in d.
W.er Leopoldstadt 1781-1860, W. 1934; ders., Barock-
theater am W.er Kaiserhof (1625-1740), W. 1955; Fr.
Klein, Gesch. d. Orchesterver. d. Ges. d. Musikfreunde v.
1859-1934, W. 1934; O. E. Deutsch, Das W.er Freihaus-
1064
Wiener Schule
theater . . . 1787-1801, W. 1937; C. Lafite, Gesch. d. Ges.
d. Musikfreunde in W. 1912-37, W. 1937; H. Kralik, Die
W.er Philharmoniker. Monographie eines Orch., W. 1938 ;
ders., Das groBe Orch., W. 1952; ders., Die W.er Philhar-
moniker u. ihre Dirigenten, W. 1960; W. Jeroer, Die W.er
Philharmoniker, W. 1943 ; E. Schenk, Kleine W.er Mg., W.
1946, 2 1947: Fr. Farga, Die W.er Oper v. ihren Anfangen
bis 1938, W. 1947; Beitr. zur Gesch. d. Alt-W.er Musikver-
lages, hrsg. v. A. Weinmann, Wien I, 1 (1948ff.), 11, 1
(1950ff.); A. Witeschnik, Musik aus W., W. 1949; T.
Mayrhofer-Zwiauer, W.er Symphoniker 1900-50, W.
1950; E. Mittag, Aus d. Gesch. d. W.er Philharmo-
niker, W. 1950; W. Scheib, Die Entwicklung d. Musik-
berichterstattung im W.erischen Diarium v. 1703-80 mit
besonderer Beriicksichtigung d. W.er Oper, Diss. W. 1950,
maschr. ; A. Bauer, 1 50 Jahre Theater an d. W., Schicksal
u. Leistung d. Staatsoper, Zurich, Lpz. u. W. 1952; ders.,
Opern u. Operetten in W., = W.er mw. Beitr. II, Graz
u. Koln 1955; H. Haupt, W.er Instrumentenbau um
1800, Diss. W. 1952, maschr.; O. Rommel, Die Alt-W.er
Volkskomodie, W. (1952); E. Pirchan, A. Witeschnik
u. O. Fritz, 300 Jahre W.er Operntheater, W. 1953; R.
Holzer u. J. Schitt, Die W.er Sangerknaben, W. 1953;
Fr. J. Grobauer, Die Nachtigallen aus d. W.er Burgka-
pelle. Chronik d. k. u. k. Hofsangerknaben, Horn (Nieder-
osterreich) 1954; M. Graf, Die W.er Oper, W. u. Ffm.
(1955); E. Komorzynski, Die St.-Nikolausbruderschaft
in W. 1288-1782, Fs. W. Fischer, = Innsbrucker Beitr. zur
Kulturwiss., Sonderh. 3, Innsbruck 1956; H. Gericke, Der
W.er Musikhandel v. 1700 bis 1778, = W.er mw. Beitr. V,
Graz u. Koln 1960; E. Tittel, W.er Musiktheorie v.
Fux bis Schonberg, in: Beitr. zur Musiktheorie d. 19. Jh.,
hrsg. v. M. Vogel, = Studien zur Mg. d. 19. Jh. IV, Re-
gensburg 1966; H. Weigel, Das Buch d. W.er Philhar-
moniker, Salzburg 1967. - Siehe auch d. Spezialstudien v.
Th. v. Frimmel u. O. E. Deutsch, vor allem d. Einleitungen
d. DTO sowie StMw. — » Hofmusikkapelle, Wiener.
Wiener Schule- l).nannte schon Chr.Fr.D. Schubart
(Ideen . . . , S. 44ff.) eine Gruppe von Komponisten, die
um 1730-80 in Wien wirkten. In der Musikwissen-
schaft verfestigte sich der Begriff W. Sch. erst in neue-
rer Zeit im Zusammenhang mit der Kontroverse um
den Vorrang der W. Sch. und der -> Mannheimer
Schule in ihrer Bedeutung fur die Wiener Klassik (G.
Adler, W.Fischer; H.Riemann). - Wichtige Anre-
gungen erhielt die W. Sch. durch die alteren Wiener
Komponisten J.J. Fux, A. Caldara und Fr. Conti. Die
im traditionellen romisch-venezianischen Stil gehalte-
ne Kirchenmusik von Fux und die neuartige, von
Caldara in Wien eingefiihrte Gattung der Kantaten-
messe wirkten richtungweisend auf die geistlichen Vo-
kalwerke G. Reutters d. J. und Fr. Tumas, die spater
J. Haydn als Vorbilder dienten. Auf Form und Melodik
in Symphonie und Kammermusik der W. Sch. wirkte
sich die Musik der am Kaiserhof gepflegten neapolita-
nischen Oper aus. Aus ihrer Einleitungssinfonia und aus
Elementen der Kirchensonate und der Suite wurde die
viersatzige klassische Symphonie mit Menuett ent-
wickelt, wie sie schon 1740 - noch als Einzelfall und
mit gleicher Tonart aller Satze - bei M.G.Monn auf-
tritt. Auf die Oper geht auch die Vorliebe fur imitieren-
de Setzweise des Seitenthemas, f iir virtuose Violinpassa-
gen und haufige Durchfiihrung kurzer rhythmischer
Motive zuriick. Als charakteristische Ziige des vorklas-
sischen Stils begegnen vorgeschriebene Crescendi,
volkstumliche Thematik wie iiberhaupt das Zugrunde-
legen 8taktiger Lied- und Tanzperiodik fur die Kom-
position, plotzlicher Wechsel von Dynamik und Ton-
geschlecht (z. B. bei Motivwiederholungen) und - im
Zusammenhang mit demEindringen vonElementen der
Opera buff a und des Volkslieds in die Sonaten- und Sy m-
phoniekomposition - der Wechsel des Affekts innerhalb
eines Satzes. In der Sonatensatzform bei Fr. Aspelmayr,
L.Hoffmann, G.Reutter dem Jiingeren, M.Schloger
und J. Starzer sind 1 . und 2. Thema in der Exposition
noch nicht immer klar geschieden, und die Durch-
fiihrung geht iiber eine abgewandelte Wiederholung
der Exposition nicht hinaus. Bei Wagenseil jedoch, oft
auch bei M.G.Monn, sind Thementrennung und
Durchfiihrungsarbeit weit f ortgeschritten ; auch finden
sich kantable Themen und vollstandige Reprisen in
schnellen Satzen. Wagenseil, der Wegbereiter des Wie-
ner Klavierkonzerts, trat in der W. Sch. zusammen mit
Gottlieb Muffat als Komponist f iir Tasteninstrumente
hervor. Auch fur die Geschichte der Oper ist Wagen-
seil wichtig, neben Fl.Gassmann, der 1771 zusammen
mit J. Starzer die Wiener Tonkunstler-Sozietat griin-
dete. - Die Musik der W. Sch. hebt sich von den Kom-
positionen der mittel- und norddeutschen Zeitgenos-
sen (-»■ Berliner Schule) durch ihre unorthodoxe, lied-
haf te, leichte und gefallige Haltung ab. Grundlkhkeit oh-
ne Pedanterey, Anmuth im Ganzen, noch mehr in einzelnen
Theilen, immer lachendes Colorit, grofies Verstandnis der
blasenden Instruments vielleichtetwaszu vielkomisches Salz,
sind der Charakter der W. Sch. (Schubart, a.a.O.).
- 2) W. Sch. (auch 2. W. Sch. oder Wiener atonale
Schule genannt) ist auch eine Bezeichnung fur Schon-
berg und dessen Wiener Schiilerkreis vornehmlich in
den Jahren 1903-1 1 . Wahrend dieser Zeit studierten bei
Schonberg u. a. A. Berg, A.Webern, E.Wellesz, E.
Stein, K. Horwitz und H. Jalowetz. In der Bezeichnung
W. Sch. manifestieren sich programmatisch die Ten-
denzen des Schonberg-Kreises: Sie akzentuiert den
engen historischen Bezug zur Wiener Klassik, die ent-
gegen der musikhistorisch ublichen Terminologie als
die 1. W. Sch. betrachtet wird; Brahms und Mahler
gelten als die geschichtlichen Vermittler. Der Kompo-
nist fiihlt sich als ein natiirlicher Fortsetzer richtig ver-
standener, guter, alter Tradition (Schonberg, Brief an
W. Reinhart vom 9. 7. 1923); er findet das, was er tut,ge-
rade in der Musik Mozarts vorgebildetja bestatigt (A. Berg
in: Was ist atonal?, 1936); kompositorische Originali-
tat griindet auf geschichtlicher Erfahrung: »ganz neu
sagen« wollen wir dasselbe, was friiher gesagt wurde (A.
Webern, Wege zur Neuen Musik, hrsg. v. W. Reich,
Wien 1960, S. 60). W. Sch. wurde zugleich, wie
Schonbergs Schiiler betonten, im Sinne einer Gemein-
schaft verstanden, die unter Fuhrung Schonbergs in
standiger Reflexion und gegenseitiger Kritik die kom-
positorischen Probleme der Gegenwart zu losen ver-
sucht. Als Ergebnis dieses Lehrer-Schiiler-Verhaltnisses
betrachtete Schonberg seine Harmonielehre (1911): die-
ses Buch habe ich von meinen Schiilern geternt (Vorwort).
Indessen ist der ZusammenschluB Gleichgesinnter zur
Schule auch als Reaktion zu verstehen, sowohl auf die
starken Widerstande, denen die neue Musik zumal in
Wien begegnete, als auch auf anders ausgerichtete Ten-
denzen innerhalb der neuen Musik, von denen man
sich distanzieren wollte. Dem Unverstandnis in der
Offentlichkeit versuchte Schonberg durch den 1918
zusammen mit seinen Schiilern gegrundeten Vereinfiir
musikalische Privatauffiihrungen auszuweichen. - Die ge-
schichtliche Leistung der W. Sch. besteht vornehmlich
darin, daB sie die Tonalitat in ihrer spatromantischen
Erscheinungsform konsequent zu Ende gedacht und in
diesem Ende zugleich einen Anfang gefunden hat, der
sich kompositorisch ab etwa 1907 in der freien -» Ato-
nalitat auspragte und der um 1920 in der -> Zwolfton-
technik seine theoretische Formulierung fand.
Ausg. : zu 1): Wiener Instrumentalmusik vor u. um 1750,
Vorlaufer d. Wiener Klassik, hrsg. v. K. Horwitz u. K.
Riedel, Vorwort v. G. Adler, = DTO XV, 2, Bd 3 1 , Wien
1908 ; dass., 2. Auswahl, hrsg. v. W. Fischer, ebenda XIX,
2, Bd 39, 1912; G. Reutter d. J., Kirchenwerke, hrsg. v.
P. N. Hofer, ebenda LXXXVIII, 1952.
Lit. : zu 1) : Chr. Fr. D. Schubart, Ideen zu einer Asthetik
d. Tonkunst, Wien 1806 (entstanden 1784/85), NA Lpz.
1065
Winchester Troper
(1924); H. Daffner, Die Entwicklung d. Klavierkonzerts
bis Mozart, = BIMG II, 4, Lpz. (1906); W. Fischer, Zur
Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMw III, 1915;
ders., Instrumentalmusik v. 1750-1828, Adler Hdb.; H.
Riemann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 21922, S. 148ff.; G. Ad-
ler, Die Wiener klass. Schule, Adler Hdb.; ders., Musik
in Osterreich, StMw XVI, 1929; E. Fr. Schmid, C. Ph. E.
Bach u. seine Kammermusik, Kassel 1931, S. 22ff. ; K.
Geiringer, J. Haydn, Mainz (1959). - zu 2): Beitr. v. A.
Webern, A. Berg, E. Wellesz u. a., in: A. Schonberg,
Munchen 1 9 1 2; H. R. Fleischmann, Die Jungwiener Schu-
le, NZfM LXXIX, 1912; P. Stefan, Neue Musik in Wien,
Wien 1924; R. Leibowitz, Schoenberg et son ecole, Paris
1947; H. Schmidt-Garre, Berg als Lehrer, Melos XXII,
1955; Fr. Deutsch-Dorian, Webern als Lehrer, Melos
XXVII, 1960; E. Wellesz, Schonberg u. d. Anfange d. W.
Sen., Osterreichische Musikzs. XV, 1960; Die W. Sch. u.
ihre Bedeutung f. d. Musikentwicklung. Beitr. u. a. v. J.
Rufer, W. Reich, ebenda XVI, 1961 ; Th. W. Adorno,
Wien, in: Quasi una Fantasia, = Mus. Schriften II, Ffm.
1963; H. Strobel, Die W. Sch., Melos XXX, 1963; H.
Kaufmann, H. E. Apostel, = Osterreichische Kompo-
nisten d. 20. Jh. IV, Wien (1965).
Winchester Troper -» Quell en : WiTr.
Windkapsel, bei Rohrblattinstrumenten (-»■ Schal-
mei - 1 , -»- Kortholt, -»■ Krummhorn - 1) oder bei tie-
fen Lagen der -> Blockflote ein Gehause, in dem die
Rohrblatter oder die Kernspalte eingeschlossen sind.
Auch die Mundhohle des Spielers kann als W. dienen
(-»• Ansatz - 1). Der nach Farbung und Lautstarke nur
wenig modifizierbare Klang von Blasinstrumenten mit
W. ist fiir die Ensemblemusik der Renaissance charak-
teristisch.
Lit.: G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit W., AfMw
VII, 1925.
Windlade, Bauteil der Orgel, ein groGer luftdichter
Kasten, auf dem die Pfeifen stehen und in dem die
Druckluft (Wind) zu den Pfeifen geleitet wird. Eine
Orgel besitzt meist mehrere Laden. Gebrauchlich ist
die Aufteilung in eine rechte (fiir C, D, E, Fis . . .) und
eine linke (fiir Cis, Dis, F, G . . . ). In den Laden sind die
-»■ Ventile (- 1) untergebracht, mit deren Hilfe der
Luftstrom gesteuert wird. In der Praxis" werden zwei
Steuersysteme verwendet : bei der Schleif lade (Tonkan-
zellenlade) stehen alle Pfeifen, die zu einer Taste geho-
ren, auf einer gemeinsamen Kanzelle (Abbildung 1).
Bei der Kegellade (Registerkanzellenlade) befinden
sich alle Pfeifen, die zu einem Register gehoren, auf
einer eigenen Kanzelle (Abbildung 2). Beim Auf-
zug des Ventils der Tonkanzelle (siehe Abbildung 1)
stromt Luft aus dem Windkasten zunachst in die
Kanzelle ein. Die auf ihr befindlichen Pfeifen kon-
nen aber nur dann erklingen, wenn die Bohrungen der
Schleifen, die von den Registerziigen gesteuert werden,
die Windfiihrungskanale freigeben. Bei der Register-
kanzelle (siehe Abbildung 2.) fiillt sich diese nach Ein-
schaltung des Registers mit Druckluft. Vor den Zuf iih-
rungskanalen zu den Pfeifen sitzen Ventile (in der
2. Abbildung Kegel ventile), welche beim Niederdriik-
ken der Taste angehoben werden und dadurch den
Weg zu den PfeifenfiiBen offnen. Durch physikalische
Untersuchungen wurde nachgewiesen, daB bei der
Tonkanzelle das Ansprechen der Pfeifen einer Taste
synchronisiert wird, indem z. B. im Plenum die schnel-
ler ansprechenden Pfeifen hoherer FuBtonlagen die
Pfeifen tief erer FuBtonlagen »mitnehmen«. DieserEffekt
beruht in erster Linie auf der Riickkoppelung durch die
Luft in der Tonkanzelle und bewirkt eine Prazisierung
des Ansprechens. Bei der Registerkanzelle laBt sich der
Auf gang der von der Taste gesteuerten Ventile oft nicht
genau synchronisieren. Es kommt dann zu Modula-
tionen beim Einschwingen, die sich als Rauhigkeiten
bemerkbar machen. An der Schleiflade wurde gemes-
sen, daB es dem Spieler bei mechanischer Tastentraktur
moglich ist, das Einschwingen der Pfeifen durch die
Schnelligkeit des Niederdriickens der Tasten (wenn
nicht zu viele Manuale angekoppelt sind) zu beeinflus-
sen, mindestens aber am Druckpunkt der Taste zu f iih-
len, warm die wirksame Offnung des Ventils beginnt.
Bei elektrischer oder elektropneumatischer ->■ Traktur
mit iiblichem einfachem Tastenkontakt ist dies nicht
moglich. Eine historische W. ist auch die Springlade,
bei welcher die Schleifen durch Ventile unter den
PfeifenfiiBen ersetzt waren. Eine Weiterentwicklung
der mechanischen Traktur fiihrte zur Barkerlade (Ab-
bildung 3), bei der ein Hilfsb'alg die Arbeit des Ventil-
aufzugs ubernahm. Gelegentlich wird zur Erleichte-
Ventil
Windkammer
zur Taste
1) Schleiflade (Tonkanzellenlade) mit mechanischer
Traktur (nach W. Lottermoser).
1066
Wirbel
Registerkanzelle
Kegetventil
2) Kegellade (Registerkanzellenlade) mit mechanischer
Traktur (nach W.Lottermoser).
&
W 1
zur Taste
— — Spielwind
SOmmWS
j-« — Trakturwind
75 mm WS
3) Barkerlade (nach W.Linhardt).
rung des Druckpunkts das Ventil der Schleiflade mit
einem Hilfsbalg, dessen Inneres mit der Kanzelle ver-
bunden ist, versehen. Als Ventilelemente, besonders
bei Registerkanzellen, dienen kleine Hilfsbalgchen,
Taschenventile, Membranen u. a., durch die der Trak-
turwind gesteuert wird ; dadurch wird dem Spieler die
Arbeit der direkten Ventilbetatigung abgenommen.
Bei diesen Systemen tritt aber ein gewisser Zeitverlust
auf, besonders bei der rein pneumatischen -> Traktur,
die deshalb heute kaum noch verwendet wird.
Lit.: J. G. Topfer, Lehrbuch d. Orgelbaukunst, 2 Bde,
= Neuer Schauplatz d. Kiinste u. Handwerke CCVIII-
CCXI, Weimar 1855, neu bearb. v. P. Smets, Mainz 1955-
60; H. Klotz, Das Buch v. d. Org., Kassel 1938, 'I960;
W. H. Barnes,. The Contemporary American Org., NY
1948; N. A. Bonavia-Hunt, The Modern British Org.,
London 1950; W. Adelung, Einfuhrung in d. Orgelbau,
Lpz. 1955; W. Lottermoser, Akustische Untersuchungen
an alten u. neuen Org., in: Klangstruktur d. Musik, hrsg.
v. Fr. Winckel, Bin (1955); H. Grabner, Die Kunst d.
Orgelbaues, = M. Hesses Hdb. d. Musik CVI, Bin u. Wun-
siedel 1958; W. Linhardt, Uber
immvvumuuuiiuuuuuuuuuureT^ I Laden- u. Traktursysteme d. Org.
u. ihre Einflusse auf d. Ein- u.
Ausschwingvorgange d. Pfeifen,
Diss. Braunschweig 1960 (T. H.)
Auszug in: Hausmitt. Walcker
Nr 28, 1962.
Windmaschine, ein Gerausch-
instrument, im Prinzip ein mit-
tels einer Handkurbel drehbares
rundes Holzgeriist (0 etwa
1 m), das gegen einen dariiber
gespannten Bezug aus Seide
oder Taft (besser noch gegen
eine KontrabaBsaite) schleift, so
daB ein dem Wind ahnliches
Gerausch entsteht (schnelles
Drehen: hoch wie Pfeifen des
Windes; langsames Drehen: tief
wie Rauschen; Wechsel zwischen hoch und tief: wie
Heulen des Windes). Die W., die vor allem Biihnen-
effekten dient, wurde gelegentlich auch bei sympho-
nischen Werken vorgeschrieben (R.Strauss, Eine Al-
pensinfonie, Don Quixote; Ravel, Daphnis et Chloe).
Windwaage, ein im Orgelbau gebrauchtes Instru-
ment, das durch das Gegengewicht einer Wassersaule
den Winddruck, d. h. den Dichtegrad der in den Bal-
gen und Laden komprimierten Luft mifit. Sie wurde
von dem Orgelbauer Chr.Forner 1667 erfunden und
von J. G. Topfer verbessert.
Wirbel, - 1) drehbare Stifte an alien Saiteninstrumen-
ten, um die jeweils ein Ende der Saiten gewickelt ist,
so daB durch Drehen der W. die Saiten gestimmt wer-
den konnen. Bei Streich- und Zupfinstrumenten mit
Corpus und Griffbrett sind die W. leicht konische
Hartholz-(heute meist Ebenholz-)Stifte mit Griff, die
entweder seitlich in einen Wirbelkasten oder von un-
ten her in ein Wirbelblatt eingelassen sind. Seitenstan-
1067
Wirbeltrommel
dige W. besitzen alle Violen und Lauten, hinterstan-
dige Gitarre, Lira, Neapolitanische Mandoline u. a. Die
W. miissen derart in die konische Bohrung gepreBt
sein, daB sie der Spannung der Saiten Widerstand lei-
sten und sich doch weich drehen lassen. An manchen
Instrumenten (Gitarre, Mandoline, KontrabaB) werden
heute eiserne W. verwendet, die iiber ein Zahnrad und
eine selbsthemmende Stellschraube (Schneckenschrau-
be) zu drehen sind; beim seitenstandigen W. ist die
Stellschraube hinterstandig (und umgekehrt). Eine
ahnliche Vorrichtung kennt bereits Praetorius (Synt. II,
S. 45). - W. ausEisen oder Stahl, heute durchwegs nicht
mehr mit konischem PreBsitz, sondern von zylindri-
scher Form und in den -> Stimmstock (- 2) einge-
schraubt, besitzen u. a. die besaiteten Klavierinstrumen-
te, Psalterium, Hackbrett, Zither und Harfe. Diese W.
miissen mit einem -> Stimmschliissel gedreht werden.
- 2) eine Schlagart auf Pauken und Trommeln, be-
stehend in einem schnellen Wechsel der beiden Schla-
gel, notiert als Triller oder Tremolo: J , J* . In der-
selben Weise wird ein andauerndes Klirren von Becken
oder Triangel notiert.
Wirbeltrommel -> Riihrtrommel.
Wittenberg.
Lit.: A. Werner, Ein Dokument iiber d. Einfiihrung d.
»Concerten-Music«, SIMG IX, 1907/08; A. Aber, Die
Pflege d. Musik unter d. Wettinern, = Veroff. d. Fiirstli-
chen Inst, f . mw. Forschung zu Biickeburg IV, 1 , Biicke-
burg u. Lpz. 1921 ; W. Gurlitt, J. Walter . . . , Luther-Jb.
XV, Miinchen 1933; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an
d. deutschen Univ. . . ., W., AfMf III, 1938; O. Clemen,
Das Encomium musicae d. J. Holtheuser, AfMf VIII, 1 943;
A. Boes, Die reformatorischen Gottesdienste in d. W.er
Pfarrkirche, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie IV, 1958/59 u.
VI, 1961.
Wolfenbiittel (bei ->■ Braunschweig).
Lit. : H. Sievers, Die Org. d. ehemaligen SchloBkapelle zu
W., Beitr. zur Gesch. d. Kirchenmusik in W., Jb. d. Braun-
schweigischen Geschichtsver. 1934; W. Haacke, Gamben-
spiel am Hofe August d. J. zu W., ZfM CXI, 1950. -> Bi-
bliotheken.
»Wolfsquinte« ->Temperatur.
Worcester-Fragmente -> Quellen: Wore.
Worksongs (w's:ksonz, engl., Arbeitslieder), eine der
altesten und heute noch (allerdings oft in stilisierter
Form) lebendigen Gesangsgattungen der afroameri-
kanischen Negerfolklore aus der Sklavenzeit. Typisch
fur die W, sind ad hoc erfundene kurze Textwendun-
gen, die, auf der Basis von ->■ Beat (- 1) und -> Off-
beat vorgetragen, die Bewegungen von Arbeitergrup-
pen in Einklang bringen sollen, wobei der Beat meist
durch Werkzeuge (Axte, Hammer) realisiert wird. W.
wurden u. a. beim Baumwollpfliicken (->• Plantation
songs), Korndreschen, Holzf alien und beim Eisenbahn-
bau (railroad songs) gesungen. In der Regel basieren
die W. auf dem Prinzip des Wechsels zwischen Vor-
sanger und Chor (call and response ; ->■ Negermusik) ;
sie lassen deutlich westafrikanische Urspriinge erken-
nen. Wie die Gattung der Rufe (->• Holler; ->■ Street
cry), weisen auch die W. samtliche fiir die amerikani-
sche Negerfolklore wichtigen melodischen und into-
natorischen Bedingungen (blue notes; ->■ Hot-Into-
nation), zuweilen auch die emphatisch gesteigerte
Singweise des -> Shout auf. Sie spielen eine wichtige
Rolle bei der Entstehung nicht nur des -*■ Blues, der
Negerballaden und der ->• Negro spirituals, sondern
auch des friihen ->■ Jazz.
Lit.: A. M. Dauer, Der Jazz, Kassel (1958); M. Stearns,
Die Story v. Jazz, Miinchen 1959.
Worms.
Lit.: W. Wolffheim, Das Musik-Kranzlein in W. (1561),
AfMw I, 1918/19; A. Gottron, Die W.er Domorgeln.
Fs. zur Einweihung d. neuen Domorg. 1940, W. 1940; G.
Pietzsch, Zur Gesch. d. Musik in W. bis zur Mitte d. 16.
Jh., Der Wormsgau III, 1956.
Wiirttemberg.
Lit. : J. Vleugels, Zur Pflege d. kath. Kirchenmusik in W.
v. 1500-1650, Diss. Tubingen 1926; L. Wilss, Zur Gesch.
d. Musik an d. oberschwabischen Klostern im 18. Jh.,
Stuttgart 1926; O. zur Nedden, Zur Friihgesch. d. prote-
stantischen Kirchenmusik in W., ZfMw XIII, 1930/31 ; A.
Kriessmann, Gesch. d. kath. Kirchenmusik in W., Stutt-
gart 1939; Hugo Spechtshart v. Reutlingen, »Flores mu-
sicae«, hrsg. v. K. W. Gumpel, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit.
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1958, Nr
3; Fr. Baser, Musikheimat Baden-W., Freiburg i. Br. 1963.
Wiirzburg.
Lit. : J. G. W. Dennerlein, Gesch. d. W.er Theaters, 1853;
O. Kaul, Gesch. d. W.er Hofmusik im 18. Jh., = Franki-
sche Forschungen zur Gesch. u. Heimatkunde II/III, W.
1924; E. Federl, Spatma. Choralpflege in W. u. in main-
frankischen Klostern, Diss. W. 1937; E. Sack, Zur W.er
Mg. am Anfang d. 17. Jh., Mainfrankisches Jb. XI, 1959.
Wuppertal (W.-Barmen, W.-Elberfeld).
Lit.: Das Haus R. Ibach Sohn, Barmen-Koln 1794-1894,
Barmen 1894; Beitr. zur Mg. d. Stadt W., hrsg. v. K. G.
Fellerer, = Beitr. zur rheinischen Mg. V, Koln u. Kre-
feld 1954; H. G. Auch, Gesch. d. W.er u. Schwelmer
Theaters im 18. u. 19. Jh. (1700-1850), = Die Schaubiihne
LV, Emsdetten i. W. (1960).
Wurlitzer-Orgel ->■ Kinoorgel.
Wurstfagott ->-Rankett.
1068
X
Xanorphika -»■ Bogenfliigel.
Xocalho (Juk'aAu, port.) ->• Chocalho.
Xylophon (vpn griech. £uXov, Holz), seit dem 19. Jh.
eingefiihrte Bezeichnung fiir Schlagstabspiele (Auf-
schlagidiophone) aus abgestimmten Holzstaben oder
-brettchen. X.e mit verschiedenen Anordnungen der
Stabe finden in der auBereuropaischen und in der
Volksmusik der Alpenlander, als Orchesterinstrument
und in neuerer Zeit auch in der Schul- und Jugendmu-
sik Verwendung. - Bei einfachen, diatonisch gestimm-
ten X.en liegen die Stabe in einer Reihe. In der Volks-
musik der Alpenlander wurde bis ins 20. Jh. ein chro-
matisch gestimmtes X. von trapezformigem UmriS
gespielt, bei dem die Stabe in vier ineinander ver-
schrankten, auf den Spieler zulaufenden Reihen ange-
ordnet sind, mit der G dur-Skala in den beiden inneren
und chromatischen Zwischentonen in den auBeren Rei-
hen. Diese Anordnung wurde zunachst (in Deutsch-
land, Osterreich und in Osteuropa) fiir das in der
Kunstmusik verwendete X. tibernommen, doch be-
sitzt das Orchester-X. heute iiberwiegend klaviatur-
maBige Anordnung der Stabe in 2 Reihen quer vor
dem Spieler, entsprechend den entwickelteren Formen
der ->• Marimba. Der Anschlag erfolgt durch loffelar-
tige Kloppel aus Weidenholz, seltener durch kugelfor-
mige Schlagel. Die Stabe (meist aus Palisanderholz)
ruhen auf 2 Isolatoren (Stroh- oder Filzrollen, neuer-
dings auch Gummistreifen). - Im heutigen Orchester
werden X.e verschiedener Stimmlagen verwendet:
(Normal-)X. (c^-d*), Sopran-X. (mit gegeniiber dem
Normal-X. verkiirzter Skala: c^-d3), Tenor-X. (b-d*;
stets mit Resonanzrohren unter den Staben, daher lin-
ger und weicher klingend: »Altklang«), BaB-X. (wie
das Tenor-X., mit Hinzufugung von g und a). Notiert
wird sowohl transponierend (1 Oktave tiefer) als auch
klangreal.
Das X. ist (nach Schaefmer) aus dem Schlagstab bzw.
-balken hervorgegangen. Primitive Formen sind die in
Afrika und Ozeanien bekannten Schenkel-X.e (quer
iiber die Schenkel gelegte Klangholzer) und Erd-X.e
(iiber einer Erdgrube liegende Stabe) sowie die bei den
vorcortesianischen Indianern Mittel- und Sudamerikas
zu Signalzwecken verwendeten X.e (meist 2-3 H61-
zer, z. B. in Venezuela). In Afrika (»Kaffern-Klavier«,
-> Marimba) und besonders im hinterindisch-indone-
sischen Raum (-»■ Gambang kayu) entwickelten sich
hohere Formen. Bei den afrikanischen X.en sind als
Resonatoren unter jedem Klangstab Kalebassen ange-
bracht, bei den indonesischen zumeist trogartige Holz-
kasten (Trog-X.e). - In der Antike war ein xylophon-
ahnliches Instrument bekannt, das in Unteritalien auf
Vasenbildern als leiterf ormiges Gebilde belegt ist ( Weg-
ner: »Apulisches Sistrum«). Seit dem 15. Jh. ist das X.
in Europa unter den verschiedensten Bezeichnungen,
wie Holzernes Gelachter, ->■ Strohfidel, Holzharmoni-
ka u. a., nachgewiesen ; bei Paradossi (1695) heiBt das
X. sistro nomato il timpano. Vom f riinen 19. bis zum
beginnenden 20. Jh. war das X. (auch unter der Be-
zeichnung Xyloharmonika) ein beliebtes Mode- und
Varieteinstrument, auf dem reisende Virtuosen (z. B.
Joseph Gusikow, 1809-37) mit schnellen Lauren, Ter-
zenpassagen, Glissandi und Trillern brillierten. - Ein
einfaches diatonisches X. diente Saint-Saens (La danse
macabre, 1875) zur tonmalerischen Darstellung von
Knochengeklapper. Seit dem ausgehenden 19. Jh. fand
das X. in zunehmendem MaBe Aufnahme in die Kunst-
musik, u. a. bei Humperdinck (Hansel und Gretel, 1893),
Pfitzner (Die Rose vom Liebesgarten, 1901), G.Mahler
(6. Symphonie, 1904), R.Strauss {Salome, 1905; hier
noch als Holz- und Strohinstrument bezeichnet), De-
bussy (Ibiria aus Images pour orchestre, 1910), Hindemith
(Kammermusik Nr 1 op. 24 Nr 1, 1921), Puccini (Tu-
randot, 1926; hier neben anderen auch das BaB-X.),
Bartok (Sonate fiir 2 Kl. und Schlagzeug, 1937) und
Orff (z. B. in Antigonae, 1949: 3 X.e und 10 Trog-X.e).
Orff fiihrte das X. auBerdem in die musikalische Ele-
mentarlehre ein (Schulwerk, seit 1930).
Lit. : G. Paradossi, Modo facile di suonare il sistro noma-
to il timpano, Bologna 1695, Faks. Mailand 1933; O. Seele,
X.-Schule, Lpz. 1894; Sachs Hdb.; C. Sachs, Geist u.
Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hilversum
1965; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native Races of
South Africa, Oxford u. London 1934, Johannesburg21953;
O. Boone, Les x. du Congo Beige, = Annates du Musee du
Congo Beige III, III/2, Tervueren 1936; A. Schaeffner,
Origine des instr. de musique, Paris 1936 ; ders., L'orgue de
barbarie de Rameau, in: Melanges d'hist. et d'esthetique
mus. offerts a P.-M. Masson II, Paris (1955); M. Wegner,
Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949; M. Goldenberg,
Modern School for X., Marimba, Vibraphone, NY 1950;
A. M. Jones, Indonesia and Africa: The X. as a Culture-
Indicator, Journal of the Royal Anthropological Inst.
LXXXIX, 1959; ders., Africa and Indonesia. The Evidence
of the X. and Other Mus. and Cultural Factors, Leiden
1964, dazuFr. Bosein: Mf XX, 1967, S.214f.; H. Kunitz,
Die Instrumentation X (Schlaginstr.), Lpz. 1960.
Xylorjmba -> Marimba.
Xylosjstron, ein zu Beginn des 19. Jh. konstruiertes
Friktionsinstrument, dessen Holzstabe nicht, wie beim
Xylophon, angeschlagen, sondern angerieben wurden.
Ahnliche Instrumente von mehr experimentellem Cha-
rakter sind in der 1. Halfte des 19. Jh. unter den Namen
Xylharmonikon und Xylomelodichord bekannt ge-
worden.
1069
Yankee Doodle (j'a?rjki d'u:dl, engl.), humorvolles,
witziges amerikanisches Volkslied, das im 18. Jh. (vor-
nehmlich wahrend des amerikanischen Unabhangig-
keitskrieges) als nationales Lied gesungen wurde. Die
Melodie erschien erstmals im Druck im 1. Heft von J.
Airds Selection of Scotch, English, Irish and foreign Airs
(ca. 1778). Leicht abgewandelt, wurde die Melodie in
S. Arnolds Two to One (1784) und Ch.Dibdins Musi-
cal Tour, jeweils mit burlesken Texten versehen, auf-
genommen. Die friiheste amerikanische Version wur-
de erst 1798 bei G.Willig in Philadelphia (zusammen
mit dem Prasidentenmarsch Hail Columbia) gedruckt.
Variationen iiber die Y. D.-Melodie schrieben Anton
Rubinstein (Miscellanes op. 93, H. 8), H.Vieuxtemps
(Caprice burlesque op. 17) und D. Gr. Mason (op. 6, In
the Styles of Various Composers). Auch Dvorak verwen-
det die Melodie im SchluBsatz seiner 9. Symphonie
op. 95 »Aus der neuen Welt«.
Lit. : O. Sonneck, Report on »The Star-Spangled Banner«,
»Hail Columbian »America Y. D.«, Washington 1909,
21914; S. F. Damon, Y. D., Providence/R. J. (1959).
Yaravi (in der Quichua-Sprache harawec bzw. hara-
hui, s. v. w. Hofphilosoph oder -musiker), ein Inka-
(Tanz-)Lied, das heute noch in Peru, Bolivien, Ecuador
und Nordargentinien verbreitet ist. Kennzeichnend
sind tiefmelancholischer Charakter, Pentatonik, lang-
sames Tempo (meist im 3/4-Takt) und freie Form.
Seine heutige Bedeutung verdankt der Y. dem perua-
nischen Dichter Mariano Melgar (1791-1814), der iiber-
lieferten Y.-Melodien Strophentexte unterlegte. Teil-
weise nahert sich der Y. in seinem rhythmischen Schema
dem argentinischen -*■ Tango.
Yu, altes chinesisches Schrapinstrument, das einen auf
einem Resonanzkasten kauernden Tiger darstellt. An
den auf dem Riicken des Tigers angebrachten Schrap-
zahnen wird mit einem Bambusrohr, das mehrfach
aufgeschlitzt ist, kraftig entlanggestrichen. Im konfu-
zianischen Tempel verkiindet das Ertonen des Yii das
Ende einer rituellen Lesung oder einer Zeremonie.
Lit.: W. Danckert, Der Tiger als Symboltier d. Musik in
Altchina, Zs. f. Ethnologie LXXXIII, 1958.
Yiin-lo, chinesisches -> Gong-Spiel, dessen 1 verschie-
den gestimmte bronzene Klangscheiben vertikal in ei-
nem Holzrahmen hangen (ca. 70 cm hoch, 40 cm breit).
Das Yiin-lo wurde in Tempel und Palast verwendet.
Altere Formen hatten bis zu 24 Einzelgongs.
1070
Zasur (von lat. caesura, Schnitt), in der antiken Vers-
lehre (-»■ Metrum - 1) ein Verseinschnitt innerhalb ei-
nes Versf ufies ; in der deutschen Verslehre jeder deutlich
gliedernde Einschnitt in einem Vers. - In analoger Be-
deutung dienen Z.en in der Musik als Interpunktions-
mittel zur Abgrenzung bzw. Innengliederung musika-
lischer Sinneinheiten (Motiv, Thema, Periode, Ab-
schnitt) ; primar erscheinen sie als Pausen {-*■ Suspiri-
um), konnen aber auch durch Fermaten, Phrasierung,
Harmonik, Dynamik, Instrumentation usw. ausge-
driickt werden. Z.en konnen in alien Stimmen zugleich
oderin denEinzelstimmen ungleichzeitig auftreten; sie
konnen hervorgehoben oder (z. B. durch ->■ Verschran-
kung) verdeckt werden. Das Hauptthema von W. A.
Mozarts Klaviersonate C dur, K.-V. 309, zeigt eine
deutliche Gliederung der ersten 8 Takte in 2+6 durch
gegensatzliche Faktur (Unisoni - begleitete Oberstim-
me), Dynamik und kontrastierenden Melodieverlauf ;
die Z. (Viertelpause des 2. Taktes) wird dadurch inner-
lich iiberspielt, dan der erste Ton (g 2 ) nach der Z. eine lo-
gische Folge der Dreiklangsbrechung des Anfangs ist.
Allegro con spirito
Besonders starke Einschnitte entstehen aus einem jahen
Abbrechen (-»• Abruptio). Solche Z.en sind charakteri-
stisch fiir den Spatstil Beethovens (z. B. Grqfie Fuge op.
133, Takt 659 und 662) ; an Hohepunkten von Opern-
szenen dienen sie - haufig stark kontrastierend als Ge-
neralpausen - der Steigerung des dramatischen Aus-
drucks (z. B. Schonberg, Erwartung op. 17, Takt 158;
Strauss, Salome, vor Ziffer 314). - W. C.Printz nennt
Z. sowohl einen Musicalischen Durchschnitt oder kleincn
Unterschied . . ., vcrmittelst welches der Progressus Nota-
rum gleichsam ein wenig gehemmet wird, als auch den da-
durch abgesonderten Theil der Section (eine solche Dop-
pelbedeutung der Begriffe ist schon in der mittelalter-
lichen Abschnittsterminologie zu beobachten ; ->• Punc-
tus - 1). In dem bei Printz ge- Q A
gebenenBeispiel: (£ (? fr 7 I fj f m
c \
D k
E
B
£ ^' J* J Jn 1
xv r — »■ 4
hat die gantze Section AB 3 Z.en der ersten Bedeutung
(C, D, E) und 4 Z.en der zweiten Bedeutung (AC, CD,
DE, EB); von den letzteren sind AC, CD und DE
Caesurae relativae, da sie einander an der Zeit und Modo
progrediendi gleich sind. Bei H.Chr.Koch nimmt der
Begrift Z. in enger Anlehnung an Rhetorik und Poesie
einen wichtigen Platz ein, wobei KochL (Artikel Ca-
sur) - unter Ablehnung Kimbergers - unterscheidet
zwischen dem Einschnitt (kleinste Gattung der melodi-
schen Glieder der Periode) und der Z., welche insbeson-
dere das rhythmische Ende der Tonschliisse, Absatze und
Einschnitte bezeichnet.
Lit. : W. C. Printz, Phrynis oder Satyrischer Componist,
Quedlinburg 1676, Bd II als Phrynis Mitilenacus . . . , Sagan
1677, Bd III (zusammen mit NA v. Bd I— II), Dresden u.
Lpz. 2 1696; J. Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen Satzes
in d. Musik I, Bin 1771 ; J. A. Scheibe, Ober d. mus. Com-
position, Lpz. 1773; H. Chr. Koch, Versuch einer Anlei-
tung zur Composition, I Rudolstadt 1782, II— III Lpz.
1 787-93 ; Z. Lissa, Die asthetischen Funktionen d. Stille u.
Pause in d. Musik, StMw XXV, 1962; Th. W. Adorno,
Spatstil Beethovens, in: Moments musicaux, Ffm. (1964).
RB
Zagreb.
Lit.: B. Breyer, Das deutsche Theater in Z., 1780-1840,
Diss. Z. 1938; J. Andreis, Hrvatski glazbeni zavod (»Das
Kroatische Musikinst.«), Z. 1952; Kr. Kovacevic, Operno
i baletno stvaralastvo u Hrvatskoj (»Oper- u. Ballettschaf-
fen in Kroatien«), in: Hrvatsko narodno kazaliSte, Zbor-
nik o stogodiSnjici 1860-1960, Z. 1960; Z. Hudovsky,
Beitr. zur Mg. d. Stadt Z. v. 11. bis zum Ende d. 17. Jh.,
Diss. Graz 1964, maschr.
Zamba (s'amba, span.-sudamerikanisch), argentini-
sches Tanzlied im 6/8-Takt von langsamem Tempo;
Rhythmusschema: gvJJJ/llJJJl
o
Zambacueca (sambakii'eka, span.-siidamerikanisch),
Nationaltanz und -lied Chiles, in raschem Tempo und
mit Wechsel von 6/8- und 3/4-Takt. Der Z. entstam-
men die argentinischen Tanze -> Zamba und -* Cueca.
Zampogna (tsamp'o:jia, ital., zuruckgehend auf
griech. tru(X9tovia) in Siiditalien und Sizilien gebrauch-
liche Sackpfeife mit 2 Spielpfeifen im Abstand einer
Quarte und 2 Bordunen im Abstand einer Oktave; alle
Pfeifen haben Doppelrohrblatter. Die Melodie wird
meist in Terzen gespielt; zur Z. tritt oft eine Schalmei
(Ciaramello, Piffero). Die Z. ist ein Hirteninstrument ;
die traditionelle Weihnachtsmusik der Zampognari und
Pifferari haben u. a. Handel (Messiah, als Pifa bezeich-
net) und J. S. Bach (Sinf onia zur 2. Kantate des Weih-
nachtsoratoriums) nachgeahmt.
Lit. : V. Fedeli, Zampognecalabrese, SIMG XIII, 1911/12;
A. Baines, Woodwind Instr. and Their Hist., London 1957;
ders., Bagpipes, = Occasional Papers on Technology IX,
Oxford 1960.
Zamr (arabisch) -> Zurna.
Zanza -> Sansa.
Zapateado (9apate'a3o, span.), ein schneller spani-
scher Tanz im 6/8-Takt, bei dem der Rhythmus durch
Klatschen der Hande und Schlagen der Schuhsohlen
markiert wird. Der Z. wird solistisch von einer Frau
getanzt und gelegentlich von Gesang und Gitarre be-
gleitet.
Zapfenstreich (»Zapfenschlag«; frz. retraite; engl. tat-
too; ital. ritirata; nld. taptoe; russ. zarja). Der Schlag
1071
Zargen
auf den Zapfen, der das SchenkfaB schloB, wurde im
Soldatenlager (im spateren 17. Jh. auch in Stadten)
durch ein Signal befohlen, bei den FuBtruppen ein
Trommelsignal, spater Signalhornruf, bei der Reiterei
eine Fanfare (Retraite). Im 17. Jh. entwickelte sich als
Z. nebenher ein kleiner Marsch, mit dem die Spielleute
durch das Lager zogen. Von dieser Art sind Beetho-
vens 3 Z.e fur tiirkische Musik (1809). Der GroBe Z.,
als Vereinigung der Z.e einzelner Heeresgattungen,
entstand in PreuBen im friihen 19. Jh. und wurde von
Wieprecht herausgegeben. 1813 ordnete Friedrich Wil-
helm III. an, nach dem Vorbild des russischen Z.s ein
geistliches Lied (Gebet) anzufiigen. Der GroBe Z. um-
fafit heute : Locken zum groBen Z. (Spielleute) ; GroBer
Z. (Musikkorps) ; Z. der berittenen Truppen (3 Posten) ;
Zeichen zum Gebet, Gebet, Abschlagen nach dem Ge-
bet; Deutschlandlied. Statt des preuBischen Z.s kann
der bayerische oder sachsische (als Schopfer gilt C. M. v.
Weber) gewahlt werden. Als Gebet wird Ich bete an die
Macht derLiebe (von Tersteegen/Bortnjanskij) gespielt,
in Bayern das Militargebet von Aiblinger. - GroBer Z.
ist auch ein GroBkonzert als ManoverabschluB oder
»Militar-Monstre-Konzert«, in dem nach einer »Sere-
nade« mit Konzertblasmusik der GroBe Z. den Hohe-
punkt bildet. Wieprechts erstes GroBkonzert fand 1838
in Berlin statt, Andreas Leonhardts GroBer Z. 1853 in
Olmiitz. Vorlaufer hatten solche Veranstaltungen 1730
im Lager zu Zeithayn (Sachsen) und 1835 beim rus-
sisch-preuBischen Treffen in Kalisch.
Lit. : G. Kandler, Aus d. Gesch. d. GroBen Z., Deutsche
Militar-Musiker-Zeitung, LXII, 1940; ders., Z. d. Natio-
nen (Deutschland, USA, England, Frankreich), Giiters-
loh 1961.
Zargen (ahd., schmaler Schild, auch Schildrand; ger-
manische Grundbedeutung Rand, Einfassung; ital. fa-
scie; frz. eclisses; engl. ribs) sind bei Musikinstrumenten
die Seitenwande, z. B. bei Saiteninstrumenten und
Trommeln. Instrumente mit gebauchtem Corpus (Lau-
te, Pauke) haben in der Regel keine Z. ; eine Ausnahme
bildet die -> Chitarra battente.
Zarzuela (Sarou'ela, span.) eine spanische Gattung von
Biihnenstiicken, benannt nach dem Ort ihrer ersten
Auffiihrungen, dem koniglichen LustschloB Palacio de
la Z. Als ihr literarischer Schopfer wie auch Meister
muB Calderon de la Barca angesehen werden, von dem
die Libretti zu Eljardin de Falerina, Elgolfo de las Sirenas,
El laurel de Apolo und Celos, aun del aire, matan stammen
(Musik nur zum letzteren iiberlief ert) . In der Z. wechselt
Gesang (Solo und Chor) mit gesprochenem Dialog. Als
eine Sonderform des hofischen Festspiels (fiesta) bevor-
zugte sie my thologische undheroische Stoffe und prunk-
volle Auffiihrung. Vorformen der Z. sind u. a. dieEglo-
gas vonEncina. Als Komponisten im 17./18. Jh. konnen
genannt werden (wenngleich ihre Kompositionen meist
nicht erhalten sind): J.Hidalgo, S.Duron, A.Literes,
Rodrigez de Hita (La Briseida, 1768), Esteve, Gal van,
Rosales und die Italiener Brunetti und Boccherini; als
Librettisten neben Calderon: Diamante, Zamora, Ban-
ces Candamo, Ramon de la Cruz. - Im Laufe des 18. Jh.
wurde die Z. durch den EinfluB besonders der italieni-
schen Oper zuriickgedrangt und geriet in Vergessen-
heit. Wiederentdeckung und erneuter Auf schwung der
Z. um die Mitte des 19. Jh. erfolgten durch R.J. M. Her-
nando und E. Arrieta y Corera. Fur die Z. ist urspriing-
lich die Einteilung in 2 Akte (jornadas) typisch; im
19. Jh. wurde sie zur 3aktigen Z. grande erweitert. In
Stil und Inhalt naherte sie sich jetzt dem einaktigen
burlesken -> Genero chico. Seit Fr. A.BarbierisH bar-
berillo de LavapUs (1874) ist die spanische Folklore als
grundlegendes Element einbezogen. Dem 1856 in Ma-
drid eroffneten und noch heute bestehenden Teatro de
la Z. folgten eine groBe Reihe weiterer, nur fiir Auf-
fiihrungen von Z.s bestimmter Theater. Bekannte
Komponisten der neueren Z. sind u. a. M.Fernandez
Caballero, F.Pedrell, T.Breton, R.Chapi y Lorente,
I.Albeniz, A. Vives.
Lit. : R. Hernando, Prologo de la z. »Colegialas y solada-
dos«, Madrid 1849; M. Soriano Fuertes, Hist, de la mii-
sica espanola, 5 Bde, Madrid u. Barcelona 1855-59; A.
Pena y Goni, La opera espanola y la miisica dramatica en
Espaiia en el s. XIX, Madrid 1881-85; E. Cotarelo y
Mori, Hist, de la z., Madrid 2 1934; O. Urspruno, »Celos
aun del tire matan«, Fs. A. Schering, Bin 1937; G. Chase,
Origins of the Lyric Theater in Spain, MQ XXV, 1939;
J. Subir a, Hist, de la musica teatral en Espaiia, in : Colec-
cion Labor, Barcelona 1945; M. Mufioz, Hist, de la z. y
del genero chico, Madrid 1946; R. Mindlin, DieZ., Zurich
1965.
Zeichen (lat. -> signum, nota, figura; ital. segno, fi-
gura; frz. signe, figure; engl. symbol, sign, mark). Im
Unterschied zur -*■ Buchstaben-Tonschrift weist die
heutige -> Notenschrift als wichtigsten Bestandteil die
-> Noten auf, konventionelle graphische Ton-Z., die
aus den ->■ Neumen (- 1) entwickelt wurden. Zum
Grundbestand der Notenschrift gehbren ferner fol-
gende Z.: -*■ Pausen, -»■ Mensur-Z. und -> Takt-Z.,
-» Schliissel, -> Akzidcntien sowie -»■ Punkte und
->■ Bogen (- 1). Genauere Vorschriften fiir bestimmte
Spiel- oder Gesangsarten sowie fiir -> Artikulation,
-> Phrasierung, -> Dynamik (- 1) und ->• Agogik wer-
den durch zusatzliche Worter (-> Vortragsbezeich-
nungen), -*■ Abbreviaturen oder durch Z. gegeben;
die wichtigsten dieser Z. sind:
rs \i/ /r\ Vy -> Fermate
-> Segno
= Wiederholung (-> Reprise)
= prima volta, seconda volta
(->■ primo)
= Wiederholung eines Taktes
oder einer Figur (->• Abbre-
viaturen - 3)
* f f f # = Tonrepetition (-» Abbrevia-
° s " turen - 4)
Brillenbasse (-> Abbrevia-
turen - 5)
Tremolo (- 1 bis - 3)
Wirbel (- 2; auf Schlagin-
strumenten)
crescendo
decrescendo, -*■ diminuendo
Messa di voce
glissando auf- und abwarts
Abbreviatu-
strisciando (-
ren - 8)
Arpeggio (auf warts), Ar-
peggio auf- und abwarts
Pedal (- 2)
Abstrich
Aufstrich (->■ Abstrich)
Flageolett (- 3), Falsett
2.
P * ■$•[
]JJ]J
1072
Zeitschriften
J M i>
-> Melodram
i
= halb gesungen
1 h h
= rhythmisch gesprochen
J J J J J J J J
-> Bogen (- 1), ->• legato,
-> Phrasierung
-> portato
= non legato (-> legato)
->- staccato
-> Aspiration (- 2)
> V A
-> Akzent (- 3)
/ i
n u
= agogischer Akzent (-» Ago-
gik)
= betont (wie ein guter Takt-
teil)
= unbetont (wie ein schlechter
Taktteil)
= 2 Zahlzeiten
•i A
= 3 Zahlzeiten
FT 1 P
1
= Hauptstimme, Principal part
NT 1 S
RH~ 1
1
= Nebenstimme, Subordinate
part
= Hauptrhythmus
? /
-> Komma (- 2)
i ii
= Lesezeichen (-> Phrasierung)
-> Bogen (- 1), Ligatur,
-»■ Phrasierung
i i
An Ton-Z. sind ferner zu nennen der -> Custos (/,
»/) und die Z. fiir -> i (b, lo)- - Bezeichnungssysteme
mit zum Teil eigenen Z. gelten in der -> Tabulatur (-1),
im ->• Generalbafi (z. B. 5, -> Telemanns Bogen), in
der Harmonielehre (-> Funktionsbezeichnung, ->■ Stu-
f enbezeichnung) , in Neuausgaben alterer Musik (-> Edi-
tionstechnik) sowie in Transkriptionen von Schall-
aufnahmen europaischer Volksmusik und aufiereuro-
paischer Musizierpraxis. In der Neuen Musik werden
beim Schlagzeug Z. fiir die verschiedenen Instrumente
und Arten der Klangerzeugung benotigt (vgl. K.
Stockhausen, Zyklusfiir einen Schlagzeuger, 1959). Die
Zahl und Bedeutung der Z. ist in der neuesten Musik
seit 1950 stark gewachsen. Auch ihr Verhaltnis zu den
Ton-Z. hat sich gewandelt. In vielen Fallen notiert
nunmehr der Komponist Tonhohen, Klange und Ton-
folgen nicht mehr prazis oder iiberlafit ihre Wahl ganz
dem Ausf uhrenden ; dagegen bezeichnet er Vorgange,
die im traditionellen Notenbild als zusatzliche Bestim-
mungen der Klangfolge von untergeordneter Bedeu-
tung waren (z. B. Tempo veranderungen), durch ge-
naue Vorschrif t mit eigenen Z. als Formelemente, die fiir
den Sinnzusammenhang des Werkes grundlegend sind.
Dabei wird vielfach nicht die Ausbildung neuer kon-
ventioneller Spielweisen angestrebt, sondern der Kom-
ponist erfindet fiir jedes Werk neue Z., die so genau
auf diesen einen Fall abgestimmt sind, dafi ihre Obertra-
gung in andere Kompositiorien sinnlos ware.
Sine besonders ausgepragte Z.-Schrift hat sich seit dem
16. Jh. fiir die -*■ Verzierungen entwickelt. Die wich-
tigsten Z. hierfiir sind:
*
«r
HI'
Triller
• Triller
■ Triller
■ Mordent, -*■ Triller
Mordent, -> Schneller
Vorschlag
Doppelschlag
Double cadence (->■ Doppel-
schlag)
Pralltriller und -> Doppel-
schlag
Schleifer
ondeggiando
ondeggiando, -
Bebung
Arpeggio mit
tura
portato
Acciacca-
fr tl / +
Triller
Triller
Lit. : S. Palm, A. Kontarsky u. Chr. Caskel in : Notation
Neuer Musik, hrsg. v. E. Thomas, = Darmstadter Beitr.
zur Neuen Musik IX, Mainz ( 1 965) ; E. K arkoschka, Das
Schriftbild d. neuen Musik, Celle (1966).
Zeitschriften, musikalische, sind periodische Schrif-
ten, die Aufsatze aus dem Bereich der Musik veroffent-
lichen, Auffiihrungen und Neuerscheinungen bespre-
chen und iiber aktuelle musikalische Ereignisse infor-
mieren. Sie konzentrieren sich heute teilweise auf be-
stimmte Interessengebiete, z. B. Musikwissenschaft
(Die Musikforschung; Archivfiir Musikwissenschaft), neue-
ste Musikentwicklung (Melos), Musikerziehung (Mu-
sik im Unterricht). Nicht unter den Begriff der musika-
lischen Zss. fallen Subskriptionslieferungen, periodi-
sche Publikationen, die seltener als zweimal jahrlich er-
scheinen (-> Jahrbiicher, Almanache, Kalender), sowie
reine Werbetrager (z. B. Verlagsorgane). - Das Be-
griffswort Zs. wurde im 17. Jh. im Sinne von annalisti-
scher Geschichtsdarstellung, Chronik, Flugschrift ge-
braucht; ab Ende des 18. Jh. setzte es sich (als Uber-
setzung von frz. journal) in der bis heute gebrauchli-
chen Bedeutung durch. Innerhalb musikalischer Perio-
dika findet es sich zuerst im Titel Neue musicalische Zs.
fiir 1791 zur Beforderung einsamer und geselliger Unterhal-
tung (hrsg. von Chr. G. Thomasius, Halle 1790). Gleich-
bedeutende Titel in Deutschland sind z. B. Acta, Ana-
lecta oder Zeitung, Abhandlungen, Archiv, Beitrage,
Monatsschrift u. a.
Den Anfang des allgemeinen Zeitschriftenwesens in
Deutschland bilden die fiir einen gelehrten Fachkreis
bestimmten Journale enzyklopadischen Charakters : die
Miscellanea curiosa medico-physica (Lpz. 1670-79, 1682-
91, 1694-1706) und die gleichfalls in lateinischer Spra-
che erschienenen Acta Eruditorutn (Lpz. 16820.Mencke,
-1776; ab 1732 unter dem Titel Nova actaEruditorum),
eine Monatsschrift (auch mit Buchbesprechungen und
aktueller wissenschaftlicher Berichterstattung), die als
erste wirkliche Zs. Deutschlands anzusehen ist. Vorbild
waren das von der Pariser Academic francaise heraus-
gegebene Journal des Scavans (Paris 1665ff. J.-D. de Sal-
lo) und die ebenfalls 1665 erstmals erschienenen Philo-
sophical Transactions der Royal Society in London. - Im
Zeichen der Aufklarung und als Folge der regeren An-
teilnahme des Burgertums an den geistigen Bestre-
68
1073
Zeitschriften
bung en der Zeit trat als neue Zeitschriftengattung im
friihen 18. Jh. die moralische Wochenschrift in den
Vordergrund, deren Schopfer die Englander R. Steele,
D.Defoe und J.Addison waren (The Taller, 1709-11;
The Spectator, 1711-12 und 1714; The Guardian, 1713;
alle hrsg. von R.Steele und J.Addison in London).
Steele und Addison veroffentlichten in ihren Zss. auch
groBere Aufsatze iiber Musik. Die erste moralische
Wochenschrift in Deutschland war Der Vernunfftler
(Hbg 1713-14, 100 Stiicke), hrsg. v. J.Mattheson,
der dann mit seiner Critka Musica (Hbg 1722/23 und
1725, nach dem Vorbild der Acta Eruditorum, Nach-
druck Amsterdam 1964, Nachdruck in 1 Bd ebenda
1966) auch die erste musikalische Zs. herausgab. Sie ist
zugleich die erste Fach-Zs. auf kiinstlerischem Gebiet,
nachdem seit Beginn des 18. Jh. bereits historisch-poli-
tische, geschichtliche und theologische Fachblatter ent-
standen waren. Mattheson begriindete die Erschei-
nungsweise der Critka Musica per intervalla damit, daB
bey heutiger Mode j gar selten ein games Buch; lekht aber
ein paar monathlkhe Bogen / aus / und recht zu Ende gelesen
werden. Den EinfluB der moralischen Wochenschriften
auf die ersten Musik-Zss. zeigt besonders deutlich Mat-
thesons zweite musikalische Zeitschrif tengriindung :
Der musicalische Patriot (Hbg 1728), in dem er die sittli-
che Erziehung des Lesers zum Programm erhebt, da
keiner im Grunde einguter Musicus sein kann, der nkht zu-
gleich ein tugendhafter und wohlgesitteter Mann ist. Die
musikalischen Zss. in Deutschland bis 1766 gehen in
ihrer Anlage und Erscheinungsweise auf die Critka Mu-
sica zuriick: J. A.-* Scheibe, Critischer Musicus, Hbg
1737-40, 78 Stiicke, 2. vermehrte Auflage Lpz. 1745,
Nachdrucke Stuttgart 1966 u. Hildesheim 1967; L. Chr.
Mizler, Muskalischer Staarstecher, Lpz. 1739-40, 7 H.,
monatlich; ders., Neu erqffnete Musikalische Bibliothek,
oder grundliche Nachricht nebst unpartheyischem Urtheil von
musikalischen Schriften und Buchern, 4 Bde, Lpz. 1736-
54, Nachdruck Hilversum 1967; Fr. W.Marpurg, Der
critische Musicus an der Spree, Bin 1749-50, 50 Lieferun-
gen, wochentlich, Nachdruck Hildesheim 1967; ders.,
Historisch-kritische Beytrage zur Aufnahme der Musik, 5
Bde zu je 6 Lieferungen, Bin 1754-62 und 1778, Nach-
druck Hildesheim 1967; ders., Kritische Briefe iiber die
Tonkunst, 3 Bde, Bin 1759-64, Nachdruck in 2 Bden
Hildesheim 1967. Diese Zss. waren in weiten Partien
jeweils das Werk eines einzelnen, daher noch nicht auf
unbegrenzte Periodizitat ausgerichtet ; sie erschienen
meist unregelmaBig, jedoch mit betrachtlichem Um-
fang und hatten normales Buchformat. - Im iibrigen
Europa gab es musikalische Fach-Zss. erst nach der
Mitte des 18. Jh. (Frankreich: Sentiment d'un harmoni-
phile sur differents ouvrages de Musique, hrsg. von M. A.
Laugier, Paris 1756; GroBbritannien : The Review of
New Musical Publications, hrsg. von Th. Williams, Lon-
don 1784) ; vorher und daneben wurden musikalische
Aufsatze, Nachrichten und Notenbeilagen in allge-
meinen Zss. veroffentlicht (The Gentleman's Journal;
or, the Monthly Miscellany, hrsg. von P. A.Motteux,
London 1692-94;Le Mercure Galant, Paris 1672ff., fort-
gefiihrt als Mercure de France, Paris 1724-1820) oder
erschienen als Beilage zu periodisch erscheinenden
Musikalien (-> periodique).
Unter den zahlreichen Neugriindungen in Deutschland
im spateren 18. Jh. sind vor allem die von J. A. Hiller
anonym im Selbstverlag herausgegebenen Wbchentli-
chen Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend
(Lpz. 1766-69, 4. Jg. 1770 unter dem Titel Musikalische
Nachrichten und Anmerkungen; Nachdruck in 5 Bden
Hildesheim 1967) fur die weitere Entwicklung der
Musik-Zss. wichtig geworden. Sie unterscheiden sich
von ihren Vorgangern durch groBeres (Quart-)Format
und regelmaBiges (w6chentlicb.es) Erscheinen bei ge-
ringerer Seitenstarke. Neu und fortschrittlich ist auch
die systematische Teilung des Inhaltes in Korrespon-
denzen (Nachrichten, Rezensionen) und freie Aufsatze.
An weiteren Zss. dieser Jahre seien genannt: Musika-
lisch-kritische Bibliothek (hrsg. von J. N. Forkel, 3 Bde,
Gotha 1778-79, Nachdruck in 1 Bd Hildesheim 1964) ;
Magazin der Musik (hrsg. von C. Fr. Cramer, Hbg 1783-
86, fortgefuhrt unter dem Titel Musik, Kopenhagen
1788-89, Nachdruck in 4 Bden und 1 Bd Notenbei-
spiele Hildesheim 1967). - In Berlin wurde das mu-
sikalische Zeitschrif ten wesen gegen Ende des 18. Jh.
entscheidend gepragt durch die schriftstellerische Ta-
tigkeit und die Zeitschrif tengriindungen von J. Fr.Rei-
chardt. War Hiller noch in starkerem MaBe Chro-
nist des Musiklebens seiner Zeit, so begriindete Rei-
chardt mit seinen Auf f iihrungs- und Werkbesprechun-
gen im Musikalischen Kunstmagazin (Bin 1782 und 1791 ,
2 Bde mit je 4 Stiicken; die von Reichardt uberarbei-
teten Aufsatze erschienen als Geist des Musikalischen
Kunstmagazins, hrsg. von J. Alberti, Bin 1791) die Mu-
sikkritik im heutigen Sinne. Um den Kunstverstand
seiner Leser zu fordern, besprach und verglich er aus-
fiihrlich in einer regelmaBigen Rubrik (Merkwurdige
Stiicke grofier Meister verschiedener Zeiten und Volker)
Kompositionen von Palestrina bis J. S.Bach. Als Neue
merkwurdige musikalische Werke stellte Reichardt zeit-
genossische Kompositionen vor, u. a. von C.Ph.E.
Bach, Fr.Kuhlau und D.G.Tiirk; auch zahlreiche ei-
gene Kompositionen erschienen in dieser Zs. Rei-
chardts zweite Zeitschrif tengriindung (mit Fr.L. A.
Kunzen), das Musikalische Wochenblatt (Bin, Oktober
1791 bis Marz 1792, 24 Stiicke; umgewandelt in Musi-
kalische Monatsschrift, 6 H. bis Dezember 1792; zusam-
mengefaBt in 1 Bd als Studienfiir Tonkiinstler und Mu-
sikfreunde. Eine historisch-kritische Zs., Bin 1793), wid-
mete sich in kurzen Beitragen und in Veroffentlichung
von Kompositionen vor allem dem zeitgenossischen
Musikleben und wurde mit Unterstiitzung verschie-
dener Mitarbeiter (darunter Kunzen, C. Spazier) nun
innerhalb eines bereits bestehenden Verlages durchge-
fiihrt. Reichardts Berlinische Musikalische Zeitung. (Bin
1805-06, 156 Nrn) erschien im Umfang eines halben
Bogens zweimal wochentlich. Reichardt war auBerdem
Mitarbeiter an verschiedenen anderen Zss., u. a. an der
Berlinischen musikalischen Zeitung, historischen und kriti-
schen Inhaltes (hrsg. von J. G.K. Spazier, Bin 1793-94)
und an der Allgemeinen musikalischen Zeitung (AmZ).
Die musikalischen Zss. nahmen seit Ende des 18. Jh.,
um ihre Publizitat und Aktualitat zu steigern, immer
starker Zeitungscharakter an. Ihr Ziel wurde die Bil-
dung und Beeinflussung der offentlichen Meinung auf
musikalischem Gebiet. Die Allgemeine musikalische Zei-
tung (Lpz. 1798, Fr.Rochlitz, -1848, 1863-65: Deutsche
Musikzeitung, 1866-82: [Leipziger] Allgemeine musika-
lische Zeitung, 1883-1943: Allgemeine deutsche Musik-
Zeitung, Nachdruck der Jg. 1798-1848 in 51 Bden Hil-
versum 1966) errang als erste Musik-Zs. internationales
Ansehen und konnte, finanziell gesichert durch einen be-
deutenden Verlag (Breitkopf & Hartel bis 1865), zufol-
ge eines groBen Mitarbeiterstabes und eines standig
wachsenden Leserkreises mehrere Jahrzehnte bestehen.
In den ersten beiden Jahrzehnten ihres Erscheinens besaB
sie unter ihrem ersten Herausgeber Rochlitz in alien mu-
sikalischen Fragen hochste Autoritat und weitreichen-
den EinfluB. Korrespondenten in etwa 50 europaischen
Stadten sorgten fur einen umfassenden Nachrichten-
dienst. Der Zs. war ein musikalisches »Intelligenzblatt«
mit Verlagsanzeigen, Theater- und Konzertankiindi-
gungen, Verkaufsangeboten und Inseraten beigefiigt.
Mitarbeiter dieser Zs. waren u. a. Forkel, J. A. Hiller, H.
1074
Zeitschriften
Chr. Koch, Reichardt, Spohr, Turk und R. Schumann. .
Die AmZ ist eine wichtige Quelle fur die zeitgenossi-
sche Beurteilung der um 1800 lebenden Komponisten;
bedeutend sind vor allem die Beethoven-Rezensionen
von E. T. A. Hoffmann.
Die im Kreis um R. Schumann 1833 als Organ der Da-
vidsbiindler geplante und 1834 gegriindete Neue Leip-
ziger Zs.fiir Musik. Herausgegeben durch einen Verein von
Kiinstlem und Musikfreunden (Fr. Wieck, L. Schunke, J.
Knorr, E. Ortlepp; ab 1835 hrsg. von R. Schumann) ist
die alteste noch heute (unter dem Titel Neue Zs.fiir Musik
bei Schott in Mainz) erscheinende Musik-Zs. ihre Griin-
dung richtete sich gegen die kunstlerische Stagnation
der damals bestehenden Zss. (AmZ unter Finke; Iris im
Cebiete der Tonkunst, hrsg. von H. Fr. L. Rellstab, Bin
1830-41, wochentlich) und ihrer Kritiker und gegen
die Verflachung des Musiklebens. Ihr Leitgedanke war:
die dltere Zeit anerkennen, die nachstvergangene als un-
kiinstlerisch bekdmpfen, die kommende als eine neue poeti-
sche vorbereiten und beschleunigen helfen. R.Schumann
schrieb zahlreiche Artikel mit Rezensionen fur die
Neue Leipziger Zs., die sich auch unter dem Herausge-
ber Fr.Brendel (ab 1844) fiir das Neue in der Musik
(nun besonders fiir die -*■ Neudeutsche Schule) ein-
setzte. Weitere wichtige und verbreitete Zss. im 19.
und 20. Jh. waren: Cacilia (B.Schott's Sonne, Mainz
1824 G.Weber, -1839, 1842-48 [Nachdruck d. Jg.
1824-48 in 27 Bden Hildesheim 1968], fortgefuhrt als
Siiddeutsche Musik-Zeitung, 1852-69) und Allgemeine
deutsche Musikzeitung (Kassel 1874 O.Reinsdorf, -1882,
fortgefuhrt als Allgemeine Musik-Zeitung, AMZ, Ber-
lin 1883 O.Lefimann, -1943), Signale fiir die musika-
lische Welt (Lpz. 1834 B. Senff, -1907, Berlin 1908-41),
Musikalisches Wochenblatt. Organ/. Tonkiinstler u. Mu-
sikfreunde (Lpz. 1870 O.Paul, -1910, ab 1906 vereinigt
mit Neue Leipziger Zeitschrift fur Musik) und Die Musik
(Bin 1901 B.Schuster, -1915, 1921-43, aufgegangen in
Musik im Kricge, hrsg. von H. Gerigk, Bin 1 943-45) . Der
starke Zuwachs an neuen Zss. im Laufe des 19. Jh. resul-
tierte aus der Spezialisierung vieler Zss. auf bestimmte
musikalische Fachgebiete und aus der Griindung einer
Reihe von Zss. regionalen Charakters (z. B. NeueBerliner
Musikzeitung, Bin 1847 G. Bock, -1896; Rheinische Mu-
sikzeitung fiir Kunstfreunde und Kiinstler, Koln 1850 L.
Bischoff, -1859; Niederrheinische Musik-Zeitung fiir
Kunstfreunde und Kiinstler, Koln 1853 L. Bischoff, -1867).
- Die Bay reuther Blatter (Bayreuth 1878 H. v. Wolzogen,
-1938; nach dem Tode Wagners mit dem Untertitel
Deutsche Zs. im Geiste R. Wagners) waren die erste Zs.,
die ausschlieBlich dem Schaffen eines zeitgenossischen
Komponisten gewidmet war. Als Monatsschrift desBay-
reuther Patronatsvereins unter Mitwirkung R.Wagners
gegriindet, gewannen sie spater EinfluB auf die lokalen
Wagner- Vereine. - Unter den zahlreichen musikali-
schen Fach-Zss., die im 19. Jh. entstanden, uberwiegen
die im Zuge der musikalischen Reformbewegung der
katholischen Kirche (-> Caecilianismus) gegriindeten
kirchenmusikalischen Zss.; besonders zu nennen sind
die beiden von Fr. Willner herausgegebenen Zss. : Flie-
gende Blatter fiir Katholische Kirchenmusik, Regensburg
1866 Fr. X.Witt, -1898, fortgefuhrt als Cdcilienvereins-
organ, Regensburg 1899 Fr.X.Haberl, -1920, Mon-
chen^Gladbach 1921-24; Musica sacra. Beitrdge zur Re-
form und Forderung der katholischen Kirchenmusik, Re-
gensburg 1868ff. Eine weitere Gruppe bilden die ver-
schiedenen Organe und Blatter der 1862 im Deutschen
Sangerbund (-> Sangerbiinde) zusammengefafiten Ver-
eine (z. B. Die Sangerhalle, Lpz. 1861 Fr.K.Miiller v. d.
Werra, -1908, fortgefuhrt als Deutsche Sdngerbundes-
zeitung, Lpz. 1909 G.Wohlgemuth, -1944). Daneben
entstanden Zss. fiir alle Gebiete des Instrumentenspiels
und seit Beginn des 20. Jh. Blatter, die sich fast aus-
schliefilich mit der neuesten Musikentwicklung be-
schaftigten (Musikbldtter des Anbruch. Monatsschrift fiir
moderne Musik, Wien 1919 O. Schneider, -1928, fortge-
fiihrt als Anbruch, Wien 1929 P.Stefan, -1937; Melos,
Mainz 1920ff. ; 23., Eine Wiener Musikzeitung, Wien
1933-37 W.Reich; Stimmen. Monatsbldtter fur Musik.
Offizielles Organ der Internationalen Gesellschaftfiir Neue
Musik, Sektion Deutschland, Bin 1947/48-50 H.H.
Stuckenschmidt undJ.Rufer; Gravesaner Blatter, Mainz
1955/56ff.).
Zss., die ganz der musikgeschichtlichen Forschung ge-
widmet sind, setzten im 19. Jh. mit den von der Preu-
Bischen Regierung subventionierten Monatsheften fiir
Musikgeschichte (MfM, Organ der Gesellschaft fiir Mu-
sikforschung, redigiert von ->• Eitner, Bin 1869-1905,
Nachdruck in 37 Bden und 4 Register- Bden Kassel 1 962)
ein, die eine Fiille von Quellenmaterial erschlossen und
bibliographische Fakten, vor allem fiir das 16./17. Jh.,
zusammentrugen. Zu den von musikwissenschaf tlichen
-> Gesellschaf ten herausgegebenen Zss. gehoren auBer-
dem u. a. Die Musikforschung (Mf) ; Zs.fiir Musikwissen-
schaft (ZfMw, Lpz. 1919-35, fortgefuhrt als Archivfiir
Musikforschung (AfMf, Lpz. 1936-43); Zs.fiir verglei-
chende Musikwissenschaft (Bin 1933-35); Tijdschrift der
Vereeniging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis (TVer,
Amsterdam 1882-1946), fortgefuhrt als Tijdschrift voor
Muziekwetenschap, TMw, Amsterdam 1948ff.); Bulletin
de la Sociite francaise de musicologie (Paris 1917-21, fort-
gefuhrt als Revue de Musicologie, Rev. de Musicol., Paris
1922ff.); Svensk Tidskrift for Musikforskning (STMf,
Stockholm 1919-61, Uppsala 1962ff.) ; Journal of the
American Musicological Society (JAMS, Boston/Mass.
1948, Richmond/ Va. 1948ff.); Revue Beige de Musicolo-
gie. I Belgisch Tijdschrift voor Muziekwetenschap (RBM,
Briissel 1946/47ff.). Die Internationale Musikgesell-
schaft gab von 1899/1900-1913/14 (Lpz.) gleichzeitig
zwei verschiedene Zss. heraus, von denen die Zs. der
Internationalen Musikgesellschaft (ZIMG) in erster Linie
dem praktischen Musikleben gewidmet war und kleine
Aufsatze, Referate, Kritiken und Bibliographien vor-
legte, wahrend die Sammelbdnde der Internationalen Mu-
sikgesellschaft (SIMG, vj.) ausschliefilich wissenschaft-
liche Aufsatze veroffentlichten. - Da die musikwissen-
schaf tlichen Zss. einen begrenzten, aber internationalen
Fachkreis ansprechen, sind einige dieser Blatter mehr-
sprachig gehalten (Mitteilungen der Internationalen Ge-
sellschaftfiir Musikwissenschaft, Lpz. 1928/29-30, fort-
gefuhrt als Acta Musicologica, AMI, Lpz. 1931-35, Ko-
penhagen 1936-45, Basel 1954ff., 4x j.); The World
of Music. Quarterly Journal of the International Music
Council (Unesco) in Association with the International In-
stitute for Comparative Music Studies and Documentation
(WoM), Kassel 1967ff., 4x j.). Auch innerhalb dieser
Zeitschriftengruppe gibt es Spezialisierungen, auf be-
stimmte Epochen (z. B. Mittelalter und Renaissance:
Musica Disciplina, MD, Rom 1948ff. A. Carapetyan seit
Jg. XI, 1957 Jahrbuch; der 1. Jg., 1946/47, erschien
unter dem Titel Journal of Renaissance and Baroque Mu-
sic), auf Fachgebiete (z. B. Zs.fiir vergleichende Musik-
wissenschaft) usw. Die Fontes artis musicae (FAM, Kassel
1 954ff. , VI. Fedorov, 3 x j .) und die Notes (Music Library
Association. Notesfor the Members Serie I Rochester/N. Y. ,
1934-42 H.E.Samuel, fortgefuhrt als Notes, Serie II
1943/44ff.) sind in erster Linie fiir den Musikbibliothe-
kar bestimmt ; sie bringen neben kurzen Auf satzen vor
allem Aktuelles: Tagungsberichte und ausfiihrliche
Bibliographien von Neuerscheinungen. An wichtigen
musikwissenschaftlichen Zss. ohne Spezialisierung sind
hervorzuheben die Vierteljahrsschrift fur Musikwissen-
schaft ( Vf Mw, Fr. Chrysander, Ph. Spitta, G. Adler) , Lpz.
68»
1075
Zeitschriften
1885-94, Nachdruck in 11 Bden Hildesheim 1966-67)
und das Archiv fur Musikwissenschaft (AfMw).
Zu einem wesentlichen, auf vielen Forschungsgebieten
oft entscheidenden Teil spielt sich die neuere Musik-
wissenschaft in den musikwissenschaftlichen Zss. ab.
Denn die meist von Gesellschaften (auch von Stiftun-
gen) getragene, wissenschaftliche Zs. bietet die Mog-
lichkeit, auch sehr spezielle Themen, z. B. methodi-
scher, quellenkundlicher, archivalischer, biographi-
scher, kompositionsgeschichtlicher Art ohne Riick-
sicht auf die augenblickliche »Zugkraft« des Themas
und auf verlegerisch-kommerzielle Erwagungen in
kleineren oder groBeren Beitragen zu behandeln. Zu
den wichtigen Aufgaben der musikwissenschaftlichen
Zss. gehoren die Rezensionen (daneben auch die Biblio-
graphien) von Neuerscheinungen der Musikliteratur
und Musikalien, daneben die Forschungsberichte iiber
Art und Stand der -*■ Musikwissenschaft (Lit.) in ein-
zelnen Landern sowie iiber bestimmte Forschungsbe-
reiche und -probleme. Dariiber hinaus bietet die Zs.
die Moglichkeit der offentlichen Diskussion (wie einst
iiber den Sachbereich ->• Fauxbourdon) ; sie kann in
einzelnen Heften bestimmten Themenstellungen ge-
widmet sein oder als -*■ Fest- und Gedenkschrift er-
scheinen. - Das folgende Verzeichnis nennt zunachst
die wichtigsten auslandischen bzw. fremdsprachigen
Zss. (nach Landern alphabetisch und soweit nicht im
Artikel bereits genannt), sodann die wichtigsten jetzt
noch erscheinenden deutschsprachigen Zss. (alphabe-
tisch und ebenfalls in Erganzung des Artikeltextes). Bei
noch erscheinenden Zss. wird nur der jetzige Heraus-
geber genannt. Abkiirzungen: Verl. = Verlag, w.
= wochentlich, m. = monatlich, vj. = vierteljahrlich,
hj. = halbjahrlich, j. = jahrlich.
Belgien: Le Guide mus., hrsg. v. F.Delhasse, Briissel
1855-1914, Paris 1917-18, w.
Frankreich: La Rev. mus., hrsg. v. Fr.-J. Fetis, Paris 1827-
35, fortgef iihrt als La Rev. et Gazette mus. de Paris, Paris
1835-80; Rev. de la musique religieuse, populaire et clas-
sique, hrsg. v. F.Danjou, Paris 1845-48 u. 1854; La
Rev. wagnerienne, Paris 1885-88; La Rev. d'art drama-
tique et mus., Paris 1886-1914; Rev . gregorienne, hrsg. v.
d. Ecole de Solesmes, Abbaye Saint Pierre de Solesmes,
Paris 1911ff., 6x j.; La Rev. Mus., RM, hrsg. v. A.Ri-
chard-Masse, Paris 1920-40, 1946ft, unregelmafiig ;
Musique etLiturgie. Rev. internationale de musique religieu-
se, Saint-Leu-La-ForSt, 1948fE., 6x j.; Le Journal mus.
frc., hrsg. v. d. Soc. frc. de diffusion mus. et artistique,
Paris 1951ft, m.
GroBbritannien (Erscheinungsort London) : The Mus.
Times and Singing Class Circular, hrsg. v. A.Porter,
18443., m.; The Mus. Standard, hrsg. v. A.W.Ham-
mond, 1862-1933; Mus. Opinion and Mus. Trade Re-
view, hrsg. v. L.Swinyard, 1877ff., m.; The Strad,
1890ft., m. ; Music & Letters, ML, hrsg. v. J. A. Westrup,
1920ff., vj.; Opera, hrsg. v. H.Rosenthal, 1950ff., m.;
Music and Musicians, hrsg. v. Fr. Gr. Barker, 19523., m.
Italien: Gazzetta mus. di Milano, hrsg. v. S. Farina, Mai-
land 1845-48, 1850-62, 1866-1902, fortgefuhrt als Mu-
sica e musicisti, Mailand 1903-05, fortgefuhrt als Ars et
labor, Mailand 1906-12; Rivista Mus. Ital., RMI, Turin
1894-1932, 1936-43, 1946-55, vj., fortgefuhrt als Nuo-
va Rivista Mus. Ital., hrsg. v. F.D'Amico u. a., Turin
1967ff ., 6x j. ; Rassegna Gregoriana, hrsg. v. C. Respighi,
Rom 1902-14; Musica d'oggi. Rassegna di vita e di cultura
mus., hrsg. v. CI. Sartori, Mailand 1919-42, N.S.1958ff.,
6x j.; Rassegna mus., Rass. mus., hrsg. v. G.M. Gatti,
Turin 1928-62, m. (friiher: II Pianoforte, Turin 1920-
27), fortgefuhrt als Quaderni della Rassegna mus., 1964ft. ,
unregelmafiig ; Rivista ital. di musicologia. Organo della
Soc. ital. di musicologia, Florenz 1966ff.
USA: The American Mus. Magazine, NY 1786/87,
Nachdruck Scarsdale (N. Y.) 1961 ; Dwight's Journal of
Music, Boston 1852-81; Music, hrsg. v. W. S.B.Mat-
thews, Chicago 1891-1902, m.; Mus. America, hrsg.
v. E.H.Coleman, NY 1898ft, m.; The Etude, hrsg. v.
Th. Dresser, Philadelphia 1907-57; Music and Musi-
cians, Seattle, 1915-37; The Mus. Quarterly, MQ, hrsg.
v. P. H. Lang, NY 1915ft., vj.; Studies in Ethnomusico-
logy, hrsg. v. M.Kolinski, NY 1951ft, unregelmafiig;
Journal of Music Theory, hrsg. v. d. Yale School of
Music, New Haven (Conn.) 1957ft., hj.; Jazz Report,
hrsg. v. P.A.Affeldt, Ventura (Calif.) 1958ft, 6x j.;
Jazz, hrsg. v. P.Rivelli, NY 1962ff., m.; Perspectives of
New Music, hrsg. v. B. Boretz, Princeton (N. J.) 1962ft!,
hj.; Current Musicology, hrsg. v. d. Columbia Univ.,
Department of Music, NY 1965ft., hj.; Electronic Mu-
sic Review, EMR, hrsg. v. Independant Electronic Mu-
sic Center, Trumansburg (N. Y.) 1967ft, vj.
Deutschsprachige Zss. : Acta Mozartiana. Mitt. d. Deut-
schen Mozart-Ges. e. V., hrsg. v. d. Deutschen Mo-
zart-Ges. e. V., Sitz Augsburg, Verl. Breitkopf & Hartel
Wiesbaden, vj., Kassel 1954-55, Wiesbaden 1956ft -
Ars Organi. Zs. f. d. Orgelwesen, hrsg. v. d. Ges. d.
Orgelfreunde e. V., Verl. Merseburger Bin, unregel-
mafiig, Bin 1953ft. - Archiv fur Musikwissenschaft,
AfMw, hrsg. v. H.H.Eggebrecht in Verbindung mit
H.Besseler, K. v. Fischer, W. Gerstenberg, A.Schmitz,
Franz Steiner Verl. GmbH Wiesbaden, vj., Biicke-
burg u. Lpz. 1918/19 M. Seiff ert, J. Wolf , M.Schnei-
der -1926, Lpz. 1924-26, Trossingen 1952 W.Gurlitt
-1961, Wiesbaden 1962ft, Nachdruck der Jg. 1918/19-
1926 Hildesheim 1964. -Beitrage zur Musikwissenschaft,
hrsg. v. Verband Deutscher Komponisten u. Musik-
wissenschaftler, Verl. Neue Musik Bin, vj., Bin 1959ft.
- Wurttembergische Blatter fur Kirchenmusik. Mitteilungs-
blatt d. Verbande d. ev. Kirchenchore u. ev. Kirchen-
musiker in Wiirttemberg, hrsg. v. H. Stern, Verl. Gu-
stav Sturmer Waiblingen, vj., Waiblingen 1927-41,
Stuttgart 1949ft. - Der Chor. Organ d. Deutschen All-
gemeinen Sangerbundes (DAS), Verl. DAS Ffm., vj.,
Mainz 1949, Ffm. 1950ft - Der Chorleiter, hrsg. v.
Christlichen Sangerbund e.V., Verl. Christlicher San-
gerbund Neukirchen-Vluyn, 6x j., Neukirchen-Vluyn
1951ft., friiher: Der Chormeister, Stuttgart 1925-43. -
fono forum. Zs. f. Schallplatte, Musikleben, HiFi-Wie-
dergabe, hrsg. v. W. Facius, Bielefelder Verlagsanstalt
KG Bielefeld u. Hbg, m., Koln 1956-57, Bielefeld u.
Hbg 1956ft . - Gottesdienst und Kirchenmusik. Zs. f. Kir-
chenmusik u. Liturgik. Mitteilungsblatt d. ev. Kirchen-
chore, d. ev. Kirchenmusiker, d. ev. Posaunenchore u.
d. Lutherischen Liturgischen Konferenz in Bayern, so-
wie d. Verbandes f. ev. Kirchenmusik in Osterreich,
hrsg. v. J.G.Mehl, Verl. Ev. Presseverband f. Bayern
e. V. Miinchen, 6x j., Munchen 1950ft. - Gravesaner
Blatter. Vierteljahresschrift f. mus., elektroakustische u.
schallwiss. Grenzprobleme, hrsg. v. H. Scherchen, Verl.
Ars-Viva Mainz, vj., Mainz 1955/56ft - Die Harmonika.
Fachblatt f. Harmonikafreunde. Mitt. d. Harmonika-
verbandes Osterreichs u. d. osterreichischen Musikleh-
rer, hrsg. v. R. Kaplan u. W. Maurer, Verl. Harmoni-
kaverband Wien, 6x j., Wien 1963ft. - Der Harmo-
nikalehrer. Zs. f. kulturelle Forderung d. Harmonika-
u. Akkordeonspiels. Organ d. Deutschen Akkordeon-
lehrer- Verbandes e. V. (DALV), Sitz Ffm., u. d. Baye-
rischen Akkordeonlehrer- Verbandes e. V., Sitz Miin-
chen, Verl. Der Harmonikalehrer Trossingen, 6x j.,
Trossingen 1952ft. - Harmonica-Revue. Zs. f. Unter-
haltung, Musik u. Freunde d. Hausmusik. Organ d.
Deutschen Hand- u. Mundharmonika- Verbandes e. V.,
Verl. Harmonika-Revue Trossingen, 6x j., Trossingen
1951ft. - HiFi. Stereophonie. Zs. f. Schallplatte, Ton-
1076
Zeitschriften
band, HF-Stereophonie. Offizielles Organ d. Deut-
schen High Fidelity Inst. e. V., hrsg. v. E. Pfau, Verl. G.
Braun Karlsruhe, m., Karlsruhe 1961ff. -Jazz-Podium,
hrsg. v. D. Zimmerle, Verl. Jazz Podium Stuttgart, m.,
Stuttgart 1955ft.; friiher: Das Internationale Jazzpo-
dium, Wien 1952-54. -LiedundChor. Deutsche Sanger-
bundeszeitung. Zs. f. d. gesamte Chorwesen. Amt-
liches Organ d. Deutschen Sangerbundes (DSB), Verl.
Deutsche Sangerzeitung Monchengladbach, Monchen-
gladbach 1958ft. ; friiher : Bin 1909-44 : Deutsche Sdnger-
bundeszeitung, Monchengladbach 1948: Mitteilungsblatt,
1949: Der deutsche Sanger, 1950-57: Deutsche Sdnger-
bundeszeitung. - Musikalische Jugend. Jeunesses Mus.
Die allgemeine aktuelle Musikzeitung, Verl. Bosse Re-
gensburg, 6x j., Regensburg 1952ff. ; Ausg. f. Oster-
reich seit 1956, die deutschsprachige Schweiz seit 1959.
- Der Kirchenchor, hrsg. v. H.H. Albrecht u. Ph. Reich,
Verl. Barenreiter Kassel, 6x j., Kassel 1949fL, friiher:
Kirchenchordienst, Kassel 1935-42. - Kontakte. Zs. f. mu-
sisches Leben in d. Jugend. Mitteilungsorgan f. : Ar-
beitskreis Junge Musik, Verband d. Sing- u. Spiel-
kreise, Europaische Foderation Junger Chore, Verband
deutscher Musikschulen, Verl. Moseler Wolfenbiittel,
6x j., Wolfenbiittel 1958ff. ; friiher: Junge Musik,
Mainz 1950-57. - Melos. Zs. f. Neue Musik, hrsg. v.
H.Strobel, Melos- Verl. Mainz, m., Bin 1920-25/26,
Mainz 1927-34, 1946/47ff.; dazwischen: Neues Mu-
sikblatt, Melos Neue Folge, Mainz 1934-43; Beilage: Das
Musikleben zu Jg. XV, 1948. - Musica. Zweimonats-
schrift f . alle Gebiete d. Musiklebens, hrsg. v. R. Baum
u. G.HauBwald, Verl. Barenreiter Kassel, 6x j., Kassel
1947ff. ; vereinigt 1951 mit der Neuen Musikzeitschrift
(Miinchen 1946/47-50), 1962 mit Hausmusik (Kassel
1949-61; friiher: Collegium Musicum, 1932, Zeitschrift
fur Hausmusik, 1933-43, Mitteilungen d. Arbeitskreisesf.
Hausmusik 1946-48) und Phonoprisma (Kassel 1958ff.,
besteht auch als selbstandige Zs.). - Musica sacra Caci-
lien-Verbands-Organ f. d. deutschen Diozesen im
Dienste d. kirchenmus. Apostolats, hrsg. v. Presidium
d. Allg. Cacilien-Verbandes f. d. Lander d. deutschen
Sprache, Verl. ACV K61n, m. ; Regensburg 1868-1921,
1925-28; 1929 vereinigt mit den Fliegenden Blatternfur
katholische Kirchenmusik (Regensburg seit 1866); 1929-
37: Musica sacra, 1949-55: Zeitschrift fiir Kirchenmusik;
1956ff. : Musica sacra; Beilage: Singt dem Herrn 1950-55
(auch als selbstandige Zs.). - Pro musica. Zs. f. Mu-
sik v. Volk zu Volk. Organ d. Internationalen Inst. f.
Jugend- u. Volksmusik e. V., hrsg. v. Fr.Jode, Verl.
Moseler Wolfenbiittel, vj., Wolfenbiittel 1954fL, 1953
als Beilage zur Zs. Junge Musik (1950-57). - Musika-
lienhandel. Sonderdruck d. Beilage zum Borsenblatt
f. d. Deutschen Buchhandel, VEB Verl. f. Buch- u.
Bibliothekswesen Lpz., vj., Lpz. 1955ft. - Musikerzie-
hung. Zs. zur Erneuerung d. Musikpflege. Organ d.
Arbeitsgemeinschaft d. Musikerzieher Osterreichs. Mit
Mitteilungsblatt d. Mozartgemeinde Wien Wiener Fi-
garo, hrsg. v. E. Wiirzl, Osterreichischer Bundesverlag
Wien, 5x j., Wien 1947/48fL; Beilage;. Mitteilungsblatt
d. Arbeitsgemeinschaft d. Musikerzieher Osterreichs 1953-
54, aufgegangen. - Die Musikforschung, Mi, hrsg. v. d.
Ges. f . Musikforschung in Verbindung mit G. v. Dadel-
sen, H.Engel, Thr. G. Georgiades, G. Reichert u. d. Inst,
f. Musikforschung in Bin, Kiel u. Regensburg, Verl.
Barenreiter Kassel, vj., Kassel 1948ff. ; friiher: Mitteilun-
gen d. Ges.f. Musikforschung, Kassel 1947^48. - Musik-
handel. Offizielles Fachblatt f . d. Handel mit Musikalien,
Schallplatten, Musikinstr. u. Zubehor, hrsg. v. Deut-
schen Musikverleger- Verband e. V. (DMV) u. Deut-
schen Musikalienwirtschafts- Verband e. V. (DMWV),
Verl. Musikhandel Verlagsgesellschaft m. b. H. Bonn,
6x j., Bonn 1949/50ff.; Beilage: Der Jung- Musik-
handel, 1 950ff . ; friiher: Mitteilungen d. Deutschen Mu-
sikalienwirtschafts-Verbandes, Celle 1946/47-48, Bonn
1948/49. - Das Musikinstrument (und Phono), hrsg.
v. E.Bochinsky u. H.K.Herzog, Verl. Das Musik-
instr. Ffm., m., Ffm. 1952ff. - Schweizerische Musik-
zeitung. Schweizer Musikpadagogische Blatter. Offi-
zielles Organ d. Schweizerischen Tonkiinstlervereins
(STV), des Schweizerischen Musikpadagogischen Ver-
bandes (SMPV), der »SUISA«, Schweizerische Ges. d.
Urheber u. Verleger u. d. Mechanlizenz, Verl. Hug
& Co. Zurich, 6x j.; Zurich 1861: Sdngerblatt, 1862-
78: Schweizerisches Sdngerblatt, 1879-1936: Schweize-
rische Musikzeitung und Sdngerblatt, 1937ff. : Schweize-
rische Musikzeitung (daneben selbstandig Eidgenossisches
Sdngerblatt, 1937ff.). - Musik im Unterricht. Deutsche
Tonkiinstler-Zeitung / Der Musik-Erzieher. Mittei-
lungsblatt d. Verbandes Deutscher Musikerzieher u.
konzertierender Kiinstler (VDMK) (Ausgabe A: All-
gemeine Ausg. f. Privatmusikerzieher u. mus. Ausbil-
dungsstatten. Organ d. VDMK; Ausgabe B: Zs. f.
Musik in Schule u. Lehrerbildung. Organ d. Verban-
des Deutscher Schulmusikerzieher), Verl. B. Schott's
Sohne Mainz, m., Mainz 1956ff. ; friiher Bin 1903/04-
37/38: Deutsche Tonkiinstler-Zeitung, 1938-42/43: Der
Musikerzieher (aufgegangen in Zeitschrift fiir volkische
Musikerziehung, Lpz. 1944), Mainz 1949-55: Musik im
Unterricht, 1956ff. : Teilung in Ausg. A u. B. - Musik und
Altar. Zs. f. Musik in Kirche u. Schule, Jugend u. Haus,
hrsg. v. A. Kirchgassner, E. Quack, H.Hucke, R.Wal-
ter, J. Jenne, J. Aengenvoort, K. Berg, Christophorus-
Verl. Freiburg i. Br., vj., Freiburg i. Br. 1948/49ff. -
Musik und Gesellschaft, hrsg. v. Verband Deutscher
Komponisten u. Musikwissenschaftler, Verl. Henschel
Bin, m., Bin 1951ft. - Musik und Gottesdienst. Vereinigt
mit Der Organist (Zurich 1923-46). Organ d. refor-
mierten Organistenverbande d. Schweiz. Zs. f . ev. Kir-
chenmusik, hrsg. v. E. Nievergelt, Verl. Zwingli Zu-
rich, 6x j., Zurich 1947f£. - Musik und Kirche. Vereinigt
mit der Zeitschrift fiir evangelische Kirchenmusik, vor-
mals Siona (Giitersloh 1876-1910) erganzt durch d. Zs.
Schallplatte und Kirche, hrsg. v. W.Blankenburg, Chr.
Mahrenholz, H.Pflugbeil, W.Reimann, Verl. Baren-
reiter Kassel, 6x j.; Kassel 1929^4, 1947ft. ; Beilage:
Der Kirchenchor, 1949ff., friiher: Kirchenchordienst,
1935-42. - Osterreichische Musikzeitschrift, hrsg. v. W.
Szmolyan, Verl. E.Lafite Wien, m., Wien 1946ff. -
Opernwelt, hrsg. v. Verl. E.Friedrich Velber bei Han-
nover, 13x j., 1963ff. ; friiher: Stuttgart 1960-62. - Das
Orchester. Zs. f. Orchesterkultur u. Rundfunk-Chor-
wesen. Organ d. Deutschen Orchestervereinigung,
Verl. Das Orchester Mainz, m., Mainz 1953ff . - Phono-
prisma. Zs. f. Freunde d. Schallplatte u. d. Tonbandes,
hrsg. v. G.HauBwald u. H.Reinecke, Verl. Barenreiter
Kassel, 6x j., Kassel 1962fL; friiher: Musica-Schallplatte,
1958-61 ; auch als Beilage zur Zs. Musica. - Eidgenossi-
sches Sdngerblatt. Organ d. Eidgenossischen Sangerver-
eins u. d. Schweizerischen Chorgesanges, Verl. Hug
Zurich, m., Zurich 1937ft . ; friiher: siehe Schweizerische
Musikzeitung. - Sinfonia. Schweizerische Monatsschrift
f. Orchester- u. Hausmusik. Offizielles Organ d. Eid-
genossischen Orchesterverbandes, Verl. Kiindig Zug,
m., Zug 1940fL; friiher: Orchester. Schweizerische
Monatsschrift zur Forderung d. Orchester- u. Haus-
musik, Einsiedeln 1933-39. - Theater heute. Zeit-
schrift f. Schauspiel, Oper, Ballett, hrsg. v. E.Fried-
rich, S.Melchinger, H. Rischbieter, Verl. E.Friedrich
Velber bei Hannover, 13x j., Velber bei Hannover
1960ff. - Neue Zeitschrift fur Musik, NZfM, hrsg. v.
E.Thomas, Verl. B. Schott's Sohne, Mainz, m.; Lpz.
1834 C.F.Hartmann (Griinder R.Schumann): Neue
Leipziger Zeitschrift fiir Musik, 1835-1919: Neue Zeit-
1077
Zeitz
schrifi fur Musik, Lpz. 1920-28 (Nachdruck d. Jg.
1834-1924 Kassel 1966-67), Regensburg 1929-13, 1949/
50-55: Zeitschriftfiir Musik, Mainz 1955ff.: Neue Zeit-
schriftfiir Musik; vereinigt 1906 mit Musikalisches Wo-
chenblatt, 1953 mit Der Musikstudent, 1955 mit Das Mu-
sikleben; Beilagen: Nachrichtenblatt d. Verbandes Ce-
mischter Chore Deutschlands, 1951-56, aufgegangen; Die
Singschule. Mitt. d. Verbandes d. Singschulen, 1952-56,
aufgegangen.
Zeitschriftenverz. : Grove; Die deutsche Presse 1961. Zei-
tungen u. Zss., hrsg. v. Inst. f. Publizistik d. Freien Univ.
Bin, Bin 1961 ; W. Stamm, Leitfaden f. Presse u. Werbung
1963, Essen 1963 ;<La presse frc. 1965, hrsg. v. M. Crousle,
Paris 1964; Repertorio analitico della stampa ital. 1965,
Mailand 1964; Jahresverz. d. deutschen Musikalien 1963,
Lpz. 1965; Anschriften deutschsprachiger Zss. X, 1966,
Marbach/Neckar 1966; Ulrich's International Periodicals
Dictionary 1965-66 II, NY 1966; Zeitschriftendienst Mu-
sik (ZD Musik), hrsg. v. Deutschen Biicherverband e. V.,
Bin 1966ff.; I. Fellinger, Verz, d. Musikzss. d. 19. Jh.,
= Studien zur Mg. d. 19. Jh. X, Regensburg 1967. - J. B.
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Fontes artis musicae III, 1956 - X, 1963.
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Dillingen 1851 ; E. Gregoir, Recherches hist, concernant
les journaux de musique depuis les temps les plus recules
jusqu'a nos jours, Antwerpen 1 872 ; W. Freystatter, Die
mus. Zss. seit ihrer Entstehung bis zur Gegenwart, Mun-
chen 1884, Nachdruck Amsterdam 1963; F. Krome, Die
Anfange d. mus. Journalismus in Deutschland, Diss. Lpz.
1896; L. Salomon, Die Anfange d. deutschen Zeitungswe-
sens I, Lpz. 1900; J. Bobeth, Die Zss. d. Romantik, Lpz.
1911; H. Koch, Die deutschen mus. Fachzss. d. 18. Jh.,
Diss. Halle 1922, maschr,; A. Storch, J. A. Scheibes An-
schauungen v. d. publizistischen mus. Historie, Wiss. u.
Kunst, Diss. Lpz. 1923, maschr. ; J. Kirchner, Die Grund-
lagen d. deutschen Zeitschriftenwesens mit einer Gesamt-
bibliogr. d. deutschen Zss. bis zum Jahre 1790, 2 Bde, Lpz.
1928-31; ders., Das deutsche Zeitschriftenwesen, 2 Bde,
Wiesbaden 2 1958-62; E. Rosenkaimer, J. A. Scheibe als
Verfasser seines Critischen Musicus, Diss. Bonn 1929; R.
Pessenlehner, H. Hirschbach, d. Kritiker u. Kiinstler, Re-
gensburg 1932; M. (Bruckner-)Bigenwald, Die Anfange
d. Lpz.er Allgemeinen Mus. Zeitung, Diss. Freiburg i. Br.
1938, Nachdruck Hilversum 1965; K. Dolinski, Die An-
fange d. mus. Fachpresse in Deutschland, Diss. Bin 1940;
P. Kehm, Die »NeueZs. f . Musik« unter R. Schumanns Re-
daktion 1834-44, Diss. Munchen 1943, maschr.; A. Fleu-
ry, Die Musikzs. »Caecilia« (1824-48), Diss. Ffm. 1952,
maschr.; H. Becker, Die friihe Hamburgische Tages-
presse als mg. Quelle, in: Beitr. zur Hamburgischen Mg.,
= Schriftenreihe d. Mus. Inst. d. Univ. Hbg I, 1956; E.
Rohlfs, Die deutschsprachigen Musikperiodica 1945-57,
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Zeitz (Sachsen).
Lit.: A. Werner, Stadtische u. furstliche Musikpflege in
Z. bis zum Anf ang d. 19. Jh., = Veroff. d. Furstlichen Inst,
f . mw. Forschung zu Buckeburg IV, 2, Lpz. 1 922.
Ziehharmonika -> Handharmonika.
Ziffern, Zahleh finden in Notation, Theorie und
Analyse von Musik reiche Verwendung (wenn nicht
anders angegeben als arabische Z.) : - 1) in der Griff-
schrift der -> Tabulatur (- 1) ; - 2) bei den Versuchen,
die Liniennotation durch eine Z.-Schrift abzulosen,
dies vor allem in der Musikpadagogik (-*■ Meloplast),
wobei zumeist die Tonhohen innerhalb einer Oktave
durch die Z. 1-7, die Oktaven durch Zusatze wie Kom-
ma, Punkt, Semikolon (so J. J. Souhaitty 1665), durch
Punkte oder Kreise iiber bzw. unter den Z. (so A.L.
Richter 1815), durch Stellung der Z. auf, zwischen oder
iiber Linien (so J.-J. Rousseau und B.Chr.L.Natorp)
usw. bezeichnet wurden. J.-Ch. Teule (Exposition du sys-
teme de Vicriture musicale chiffree, Paris 1842) versuchte
eine reine Z.-Schrift : 2stellige Zahlen kennzeichnen mit
ihrer ersten Ziffer die Oktave, mit ihrer zweiten Ziffer
den Ton innerhalb dieser Oktave; - 3) als Intervallbe-
zeichnung in mittelalterlichen Traktaten; in den eng-
lischen Diskanttraktaten des 15. Jh. fiir die im Hinblick
auf den C. f . improvisierten Gegenstimmen (-* Sight) ;
- 4) im -> GeneralbaB zur Bestimmung eines Akkordes
durch den BaBtonabstand seiner charakteristischen In-
ter valle (z. B. 3 fiir den Terzquartakkord) und fiir be-
stimmte Intervallfortschreitungen iiber dem BaBton
(z. B. 6-5 fiir die Folge Sexte-Quinte) ; - 5) in romi-
scher und arabischer Form zur ->■ Stufenbezeichnung
(dies seit G. Weber) bzw. -> Funktionsbezeichnung der
Akkorde in der Harmonielehre und harmonischen Ana-
lyse (->■ Klangschlussel) ; - 6) in den Partituren elek-
tronischer Musik zur Angabe bzw. graphischen Dar-
stellung von Frequenz (MaBeinheit: Hz), Dynamik
(MaBeinheit: dB), Bandlangen fiir Tondauern (MaB-
einheit : cm) ; -7) zur Bezeichnung des ->■ Flageoletts (- 3) ;
- 8) zur Kennzeichnung von Tonen der oberen und
unteren -> Oktaven des -> Tonsystems; - 9) in der
Mensuralnotation bei den -*■ Mensurzeichen, spater
zur Vorzeichnung der Taktart, auch als Kennzeich-
nung einer vom Grundmetrum abweichenden Zeit-
proportion (z. B. fiir ->■ Triolen); - 10) in H. Rie-
manns Phrasierungsausgaben zur Auf deckung des Peri-
odenbaus (->• Phrasierung, -> Periode) ; - 1 1) zur Kenn-
zeichnung verschiedenartiger SchluBbildungen eines
Abschnitts bei nicht ausgeschriebener Wiederholung
(-> primo); - 12) als Oktavierungsanweisung (z. B.
8va, -»■ Abbreviaturen - 9) ; - 13) als Taktzahler (auch
Richtziffern genannt), bzw. zur Durchzahlung von Ab-
schnitten oder Gruppen; auch zur Angabe mehrerer
Pausentakte (->• Pause) ; - 14) als ->■ Fingersatz; - 15) als
romische Z. zur Benennung der Saiten (I, II, III, IV)
von Streichinstrumenten, wenn die Ausfuhrung auf
einer bestimmten Saite gefordert wird; - 16) in romi-
schen Z. zur Benennung des Zugs bei der Posaune.
Lit.: WolfN; ApelN.
Zigeunermusik (ital. musica gitana; frz. musique tzi-
gane; engl. gypsy music). Unter Z. versteht man den
Vortragsstil der Zigeuner, eines Wandervolks, das iiber
groBe Teile Europas, des westlichen Asien, auch Nord-
afrikas und Amerikas verbreitet ist. Inwieweit die Zi-
geuner auch ein originar eigenes Musiziergut besitzen,
ist nicht geklart. - Die Zigeuner stammen aus Indien,
wo sie als eine »unreine« Kaste lebten. Eines der friihe-
sten Zeugnisse fiir das Auftreten von Zigeunern als
Musiker in Persien stammt aus dem 11. Jh. (Firdausi,
Sah-name-Epos). Beim ersten Mongoleneinfall zogen
die Zigeuner weiter westwarts, iiber den Kaukasus nach
RuCland, iiber Anatolien weiter nach Griechenland,
iiber Syrien und Palastina nach Agypten und Nordafri-
ka, vorfdortnach Spanien. Im 15. Jh. traten sie in Mit-
tel- und Westeuropa in Stammesverbanden auf und
betatigten sich auf ihren unsteten Ziigen in den typi-
schen Zigeunergewerben als Kupferschmiede, Flechter,
Viehhandler, Wahrsager, (Seil-)Tanzer und Musikan-
ten zu Tanz und Unterhaltung. Seit dem 15. Jh. sind
Zigeunermusikanten in Ungarn belegt, die aus unga-
rischen Volksweisen und eigenen Kompositionen eine
Art volkstiimlich-urbaner Unterhaltungsmusik ent-
wickelten (->- Verbunkos, ->■ Csardas). Diese erschien
im 19. Jh. den Magyaren der gehobenen Klassen so
sehr als national-ungarische Musik, daB »ungarische«
und Z. zu identischen Begriffen wurden und Fr. Liszt
irrtumlich den Ungarn eine eigene Volksmusik iiber-
haupt absprach. Die meisten »ungarischen Tanze« und
Rhapsodien des 19. Jh. fuBen auf Zigeunerweisen, die
Paraphrasen ungarischer oder anderer Volksmusik sein
konnen. Das wichtigste Musikinstrument der Balkan-
zigeuner ist die Violine. Gewohnlich wirken mehrere
1078
Zimbeln
Musiker zusammen, die, angefiihrt vom Primas, Geige,
Klarinette, Violoncello oder BaB und -> Cimbalom
spielen. Gegeniiber den Lauf en, Trillern und Girlanden
des Primas wird von den begleitenden Instrumenten die
Melodie schlicht gespielt. Die besondere Wirkung der
Z. auf den Horer beruht auf dem intensiven person-
lichen Kontakt, den der Primas zu ihm herzustellen
versteht. Im 18. Jh. gelang es einigen begabten Zigeu-
nergeigern, in eine geachtete Kunstlerposition aufzu-
riicken. Der bedeutende ungarische Primas J.Bihari
stand am Wiener Hof in hohem Ansehen und spielte
1814 vor dem Wiener KongreB. Auch seine schriftlich
fixierten Kompositionen halten sich an das Schema un-
garischer Z. : sie variieren und parodieren ungarische
Volksmelodien ebenso wie Themen von Mozart, Beet-
hoven, Haydn und Schubert. Genauso verfuhren auch
die spateren Zigeunerkomponisten wie Csermak, La-
votta u. a. bis in die Gegenwart. Nach den Walzern
und Mazurken des 19. Jh. nahmen die ungarischen Zi-
geuner im 20. Jh. auch den Modeschlager im Foxtrott-
oder Tangorhythmus in ihr Repertoire auf.
Neben den ungarischen haben auch die spanischen Zi-
geuner eine eigene musikalische Tradition entwickelt,
die auf Stilelementen der spanischen und der orien-
talisch-maurischen Volksmusik aufbaut. Besonders in
den eigenartigen Zigeunermelodien Andalusiens hat
sich viel von den Traditionen der arabischen Erobe-
rer erhalten. Der Cante jondo Andalusiens und der
Cante -> flamenco sind die beiden Stilarten der spa-
nischen Z. Sie ist primar vokal. Die Gitarre ist die
rhythmische und melodische Stiitze des Gesanges; auch
dem Spiel auf der Gitarre allein liegen Vokalmelodien
zugrunde. Zum Tanz werden auch Kastagnetten und
Rahmentrommel mit und ohne Schellen gebraucht;
diese Instrumente waren wohl mit den Mauren nach
Spanien gelangt (oder schon zur Zeit der griechisch-
romischen Kolonisation), nicht jedoch durch die Zi-
geuner, die in Spanien wie auf dem Balkan ohne eigene
Instrumente und Lieder auftraten. Das Zentrum des
schwermiitigen Cante jondo ist Granada, wo in den
Hohlen des Sacro Monte die Zigeuner bald nach ihrer
Einwanderung nach Spanien (1447) eine Wohnstatt fan-
den; diese Hohlen sind noch heute die wichtigste Pfle-
gestatte des andalusischen Zigeunertanzes und -liedes.
Der Cante flamenco hatseinen Schwerpunkt in Sevilla;
doch ist die Unterscheidung zwischen beiden Stilarten
schwer. Wichtige Pflegestatten der spanischen Z. sind
die Stadte Cadiz, San Fernando und Jerez. Da jedoch
auch in Spanien neben den seBhaften die nomadisie-
renden Zigeuner iiberall anzutreffen sind, begegnet
man andalusischer Z. auch in anderen Gegenden. Die
Zambra, das Zigeunerfest, die Samira der Mauren, ist
eine nachtliche Orgie in primitiver Magie, mit Ele-
menten orientalischer Mystik aus Persien und Byzanz
und sephardisch-jiidischen Gesangen.
Melodien und Interpretationstechnik der ungarischen
Z. hat Liszt in seinen Ungarischen Rhapsodien (einem
»Zigeuner-Epos«) nachgebildet. Der Typ der »unga-
rischen« Phantasie oder Rhapsodie fand viele Nach-
ahmer, tiber Sarasate (»Zigeunerweisen«) bis zu Bartok
(Rhapsodie fiir Kl. und Orch. op. 1) und Ravel (Tzigane
fiir V. und Orch.). Der Boheme (frz., Zigeuner, eigent-
lich »B6hme«) fand seit den 1840er Jahren ebenso wie
die Z. in eine Reihe von Operetten Eingang (Der Zi-
geunerbaron von J. StrauB), die Z. und Zigeunertanz ent-
halten. Die Vorbilder sind hier stets Balkanzigeuner. In
Spanien (wo sich Einfliisse von Z. schon in Tanzsatzen
der Vihuelatabulaturen fmden) haben vor allem in den
Gitarrenkompositionen des 19./20. Jh., aber auch in
Klavier- und Orchesterwerken Stilelemente der Z. als
Anregung und Vorbild gedient. M. de Falla hat in
Granada in engem Kontakt mit Zigeunern gelebt und
ihre Musik studiert, die in mehreren seiner Werke
ihren Niederschlag gefunden hat. In Carmen hat Bizet
eine Zigeunerin als Titelheldin gewahlt. Russische Z.,
die der des Balkans ahnelt, findet sich in Werken rus-
sischer Komponisten wie Glinka, der einige Jahre in
Spanien lebte und spanische Z. in seiner Ouvertiire
Jota aragonesa verherrlichte. Einer der wenigen stilbil-
denden europaischen Jazzmusiker war der franzosische
Zigeunergitarrist Django Reinhardt.
Lit.: G. H. Borrow, The Zincali, London 1841; ders.,
The Romany Rye, London 1857; J. A. Vaillant, Les
Romes, Paris 1857; Fr. Liszt, Des Bohemiens et de leur
musique en Hongrie, Paris 1859, deutsch in: Gesammelte
Schriften VI, hrsg. v. La Mara, Lpz. 1883 ; A. T. Sinclair,
Gypsy and Oriental Music, Journal of American Folklore,
Boston 1907; F. Pedrell, Cancionero mus. popular es-
pafiol, 4 Bde, Vails 1 9 1 8-22 ; Z. G ardonyi, Die ungarischen
Stileigentiimlichkeiten in d. mus. Werken Fr. Liszts, = Un-
garische Bibl. I, 16, Bin u. Lpz. 1931 ; B. Bartok, Gypsy
Music or Hungarian Music, MQ XIX, 1933; ders., Die
Volksmusik d. Magyaren u. d. benachbarten Volker,
= Ungarische Bibl. I, 20, Bin 1935; W. Starkie, Don
Gypsy, London 1936; ders., Auf Zigeunerspuren, Mun-
chen 1957; M. de Falla, Escritos, Madrid 1947. FB
Zigeunertonleiter (frz. mode hongrois) wird die har-
monische Molltonleiter mit hochalterierter Quarte ge-
nannt (a h c dis e f gis a), auch zu erklaren als Molldur
mit tiefalterierter Sekunde (a b cis d e f gis a). Sie taucht
zuerst um 1800 im ->■ Verbunkos auf und wurde bis in
den Anfang des 20. Jh. vielfach zur Kennzeichnung des
Ungarischen benutzt, so von Liszt (Ungarische Natio-
nalmelodien, erschienen ab 1840), der sie noch in sei-
nem nicht mehr allein auf Terzharmonik basierenden
Spatstil anwandte.
Lit.: Fr. Liszt, Des Bohemiens et de leur musique en
Hongrie, Paris 1 859, deutsch in : Gesammelte Schriften VI,
hrsg. v. La Mara, Lpz. 1883; Z. G ardonyi, Die ungari-
schen Stileigentiimlichkeiten in d. mus. Werken Fr. Liszts,
= Ungarische Bibl. I, 16, Bin u. Lpz. 1931.
Zimbal, Zimbalon -» Cimbalom.
Zimbeln (von lat. -> cymbala). - 1) »Antike Z.«,
Cymbales antiques (frz.; engl. antique cymbals; ital.
cimballini), oft ungenau als -»- Crotales oder Kleine Z.
(Kunitz) bezeichnet, sind aus Silberbronze gegossene,
abgestimmte kleine Becken, die zuerst von Berlioz
(Romeo et Juliette, 1839; Les Troyens, 1856-59) als Or-
chesterinstrument eingesetzt und seitdem gelegentlich
zur Instrumentation herangezogen wurden, z. B. von
Debussy (Prelude a Vapres-midi d'unfaune, 1894), Ravel
(Daphnis et Chloe, 1912), Milhaud (L'homme et son desir,
1921) und Boulez (Le visage nuptial, 1951). Kleine »An-
tike Z.« (0 ca. 5 cm) verlangt Strawinsky in Svadebka
(»Les Noces«, 1923) ; die von Orff (z. B. in Antigonae,
1949) vorgeschriebenen Cymbeln sind dagegen kleine
Becken aus Blech ohne definierbare Tonhohe. Die No-
tation der »Antiken Z.« erfolgt heute auf einer Linie
ohne Schliissel. - Der Name Cymbales antiques geht
auf Berlioz zuriick, der zwei auf b 2 und f 3 abgestimmte
Zimbelpaare nach dem Vorbild erhaltener antiker Ori-
ginalinstrumente (-»• Kymbala) anfertigen lieB. Cha-
rakteristisch fiir die Cymbales antiques ist eine kleine,
halbkugelige Wolbung mit Off nungen fiir einen Halte-
riemen und ein breiter, vollig flacher Rand (auBerer
ca. 8-10 cm). Aus der Antike, dem Mittelalter und der
Renaissance, zuletzt bei Praetorius (Synt. II, Tafel XL
und XLI), sind daneben auch schwach gewolbte bis
glockenahnliche Formen von Z. belegt. Wahrend die
paarweise gespielten Z. wie Becken durch streifendes
Gegeneinander- oder durch Aneinanderschlagen der
Rander zum Klingen gebracht werden, sind in neuerer
Zeit auch Satze von zwolf einzeln aufgehangten und
1079
Zimbelstern
im Halbtonabstand gestimmten Z. hergestellt worden,
die mit kleinen Schlageln gespiclt werden.
- 2) In der Orgel ist Zimbel (auch Zymbel, Cimbel,
Cimbale, Cymbalum; frz. cymbale) eine bis in die Ba-
rockzeit sehr beliebte gemischte Stimme mit hochlie-
genden Choren in enger Prinzipalmensur. Sie steht in
der FuBtonlage iiber der -> Mixtur, im franzosischen
Orgelbau als Cymbale iiber ->• Fourniture, bzw. grosse
cymbale iiber grosse fourniture. Die Zimbel hat die
verschiedensten Ausbildungen erfahren, so als nur ok-
tavhaltige Oktavzimbel, mit Quinte als Quintzimbel,
auch als Terzzimbel, neuerdings sogar mit Septen
durchsetzt. Sie klingt glitzernd-hell, ohne stechend zu
wirken. Schon Schlick sagt von ihr, dafi sie zu alien
Registern wohllautet. Als Schar£zimbel - im Cha-
rakter zum -> Scharf hin ausgerichtet - hat sie zahl-
reichere Chore, ebenso als Zimbelmixtur (auch mit
hoher Terz). Im suddeutschen Orgelbau findet sie sich
als Cymbalum von 6 bis zu 12 Choren auf dem 1',
wahrend G. Silbermann sie geringchoriger als hohere
Mixtur baute (1', 2 / 3 ', 1/2' °der 1', 2 ji). Beriihmt ist
Scherers »klingende Zimbel « mit i/g', i/ 8 ', 1/10' auf C. Je
hoher die Chore liegen, um so haufiger ist eine Repeti-
tion notwendig.
Zimbelstern (Cymbelstern, auch Glockenzimbel,
Glockenrad), ein mechanisches Spielwerk in der Orgel,
einschaltbar durch einen Registerzug. Der Z. wird durch
ein Windrad in Bewegung gcsetzt; dessen Welle tragt
entweder eine Reihe kleiner Schellen in unharmoni-
scher Zusammensetzung, oder sic bewegt Metallham-
mer, die 3 bis 4 meist auf Durdreiklange iiber c 2 , f 2 oder
g 2 (zuweilen auch auf die Reihe c 2 d 2 e 2 g 2 o. a.) abge-
stimmte Glockchen betatigen. Zugleich setzt die Welle
einen am Prospekt sichtbar angebrachten Stem (daher
Z.) bzw. ein Sonnen- oder Fliigelrad in Bewegung. -
Der Z. ist hervorgegangen aus den Glocken- und Schel-
lenradern, die im Mittelalter in den Kirchen und bei
den Spielleuten verwendet wurden (->■ Tintinnabula) ;
er findet sich spatestens im 15. Jh. in der Orgel. Im
Barock wurde er von den Kirchenorganisten (auch von
J.S.Bach) geschatzt, wahrend er vorher (z. B. 1511 von
Schlick im Spiegel der Orgelmacher, Cap. I) und im
19. Jh. vielfach abgelehnt wurde. Seit der Orgelbe-
wegung fand der Z. wieder groBcres Interesse.
Zink (mhd. zinke, s. v. w. kleines Tierhorn; ital. cor-
netto; frz. cornet a bouquin) ist ein Griff lochhorn,
meist aus (lederiiberzogenem) Holz. Obwohl schwierig
zu blasen, war der Z. im 16./17. Jh. sehr verbreitet in
Kammer- und Kirchenmusik sowie beim ->• Abblasen
von den Tiirmen, wo er sich als Instrument der Stadt-
pfeifer (Zinkenisten) bis ins 19. Jh. hielt. Im concertie-
renden Stil kann oft wahlweise Z. oder Violine besetzt
werden. Im Blaserensemble war der Z. oft Diskant der
-Posaunenfamilie.
Der gerade Z. (Stiller Z., ital. cornetto muto) ist auBen
8- oder 6kantig, mit zuweilen ovalem Querschnitt des
FuBes; er hat ein angedrechseltes Mundstiick mit sehr
enger Bohrung. Dieser Z. stand in A (Chor- oder
Kammerton, daher Lange etwa 58-66 cm; vgl. die In-
ventare Ambras und Stuttgart, letzteres mit 112 Z.en).
Den Klang beschreibt Praetorius: diese seynd am Re-
sonantz gar sanfft j still J vnd Heblich zu horen: Darumb
sie dann auch stille Zincken genetmet werden (Synt. II,
S. 36). Zu den Worten Siehe, wiefein und Heblich (133.
Psalm) fordert Schiitz (GA XIV) Cornetto muto o
Violino. Neben der Diskantlage gibt es auch die Alt-
lage; G. Gabrieli fiihrt den Stiffen Z.en in seinen Kan-
zonen bis g, Schiitz gelegentlich bis e. Kleine Stille
Z.en, die eine Quarte iiber dem Diskantinstrument
stehen, nennt das Kasseler Inventar (1613). - Der An-
satz des Stillen Z.en ist schwierig, weswegen vereinzelt
Stadtpfeifer mit doppeltem Rohrblatt spielten. So ent-
stand der Rohr-Z. mit anderem Klang und leichterer
Ansprache in hoher Lage. - Der gerade Z. mit Mund-
stiick (ital. cornetto diretto) stand in A (Umfang a-c 3
in Kammer-, Chor- oder Cornetton, Lange etwa
55-59 cm; zur Gewinnung der Altlage wurden Schall-
stiicke aus Messing auf genietet, die das Instrument auf
72-74 cm verlangern). In Frankreich scheint dieser Z.
im 17. Jh. nicht mehr verwendet worden zu sein, jeden-
falls erwahnt ihn Mersenne (1636) nicht mehr.
Der krumme Z. (Schwarzer Z.; ital. cornetto curvo),
mit 6- oder 8kantigem Querschnitt, ist der am hau-
figsten vorkommende Typ, ein Instrument der Stadt-
pfeifer, das oft in der Kirche verwendet wurde. Der
Recht Chor Zinck bei Praetorius ist 6eckig mit 7 Griff-
lochern und steht im Chorton der Kirchenmusik. Der
franzosische Haute-contre ist ein Alt-Z. in G. Er hat
nach Mersenne 7 Vorderlocher, von denen das letzte
verklebt ist, sowie 1 Daumenloch, und ist gebrauchlich
als Diskant in Konzerten mit Singstimmen und mit
Orgel. Neben dem krummenZ.en in Diskant-oder Alt-
lage gab es auch einen kleinen krummen Z.en (ital.
cornettino curvo). Sein Umfang war bei Praetorius
e!-e 3 (eine Quinte hoher als der Diskant-Krumm-Z.) ;
das 18. Jh. bevorzugte di-d 3 , auch bis g 3 , zur Not bis a 3
(WaltherL; in Kompositionen von Vierdanck und
Schelle). - Der Tenor-Z. (ital. corno torto) ist fast wie
ein S formiret (Praetorius) und 8kantig. Eine Vorform
in S-Gestalt wie eine Tabakpfeife ist auf einer von Mai-
nardi (um 1460-1513) gemalten Engelsmusik erkenn-
bar. Der Tenor-Z. steht in D, hat aber eine C-Klappe;
geiibte Spieler bewaltigten 2 Oktaven. Er war im
16. und friihen 17. Jh. sehr beliebt, wenngleich Prae-
torius ihm die Posaune vorzieht. In der Motette Ist
nicht Ephraim mein teurer Sohn von Schiitz erscheint ein
Tenor-Z. (e-hi) als Grundstimme im 4st. Z.en-Chor.
Im Spatbarock wurde der Corno torto vom Waldhorn
abgelost. - Daneben, ebenfalls mit S-Form, aber auBen
rund, gab es einen franzosischen BaB-Z.en in G mit
F-Klappe (Lange etwa 130 cm). In Deutschland begeg-
neten im Baden-Badener Inventarverzeichnis von 1 582
vier schwartzs corneten, darunder ein grosser Bass (zur Ned-
den, S. 28), und im Ambraser Inventar 1596 werden
2 Basse verzeichnet (Umfang 8-9 Tone). Doch sind
das Seltenheiten; das eigentliche BaBinstrument der
Z.en-Familie kommt erst mit dem -> Serpent auf. Der
krumme Z. wurde entweder aus abgelagertem Holz
(Spierlings- oder Sandelbaum nach Mersenne; Buchs-,
Pflaumen-, NuBbaum oder Ebenholz) in 2 Halften
krumm ausgeschnitten, rinnenartig ausgehohlt und
dann gegeneinander geleimt, oder ein im geraden Zu-
stand bearbeitetes Holz wurde nachtraglich iiber dem
Feuer gebogen. Gelegentlich diente als Material auch
Metall und Elfenbein. Ein Lederiiberzug schiitzt das
Holz gegen StoB und Temperaturwechsel ; nach dem
Leder wurde die gebogene Form Schwarzer Z. ge-
nannt, im Gegensatz zum WeiBen (geraden) Z.en (Zac-
coni, Cerone, Praetorius). Der Z. verschwand mit dem
Aussterben der Stadtpfeiferkunst.
Lit.: Praetorius Synt. II; M. Mersenne, Harmonie uni-
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris
1963 ; WaltherL; M. Schneider, Die Besetzung d. vielst.
Musik d. 16./17. Jh., AfMw I, 1918/19; O. zur Nedden,
Quellen u. Studien zur oberrheinischen Mg. im 15. u. 16.
Jh., = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. Tubingen IX, Kassel
1 93 1 ; G. Karstadt, Zur Gesch. d. Z. u. seiner Verwendung
in d. Musik d. 16.-18. Jh., Af Mf II, 1937; A. Baines, Wood-
wind Instr. and Their Hist., London (1957).
Zither (von griech. -»■ Kithara iiber lat. cithara; bei
Notker zitherun, seit dem 17. Jh. Cither, Zitter), - 1) in
1080
Zugtrompete
der Systematik der Musikinstrumente von Sachs und
v. Hornbostel Sammelbezeichnung fiir die einfachen
Chordophone ohne Resonanzkorper oder mit Reso-
nanzkorper in nichtorganischem Zusammenhang. Die
wichtigsten Z.-Formen sind die Stab-Z. (-»■ Musik-
bogen), die W61bbrett-Z. (-> K'in, -> Koto) und die
Brett-Z., zu der neben der historischen Z. das -> Psal-
terium, das -> Hackbrett sowie die besaiteten Tasten-
instrumente gehoren. - 2) ein Saiteninstrument mit
iiber einem flachen Resonanzkasten (meist Fichte) ge-
spannten Saiten, von denen einige (Spielsaiten) iiber ein
Griffbrett mit Biinden laufen. Die Spielsaiten (Metall)
werden mit Plektron oder mit einem Schlagring ge-
spielt, die Begleitsaiten (Darm oder Kunststoff, teils
umsponnen) werden gezupft. Die Z. wird beim Spiel
auf die Knie oder einen Tisch gelegt. - Die altesten er-
haltenen Z.n stammen aus der 2. Halfte des 17. Jh. aus
den Ostalpen, wo sie aus dem Scheitholt hervorge-
gangen sind; es sind rechteckige, mit Tremoloanschlag
zu spielende »Kratz-Z.n«. Die Grundform der moder-
nen Z. bildete sich zu Ende des 18. Jh. durch Umwand-
lung der Rechteckform in eine beiderseitig (Mitten-
walder Z.) oder nur einseitig, an der dem Griffbrett
gegeniiberliegenden Seite gebauchte Form; die letztere
(Salzburger Z.) hat sich durchgesetzt. Nachdem die
Alpenlandschaften fiir die Literatur und als Reiseland
entdeckt waren, wurde zu Anfang des 19. Jh. die Z.
Modeinstrument (nicht zuletzt durch die Forderung,
die Maximilian von Bayern dem Wiener Z.-Spieler
J.Petzmayer angedeihen lieB). Z.-Spieler und Volks-
liedgruppen traten zuerst 1828 in Wien, im folgenden
Jahr u. a. in Berlin auf. Fiir das Konzertspiel muBte die
Zahl der Saiten vermehrt werden. Hatte die Z. um
1750-1830 2 doppelchorige oder 3 einfache Spiel- und
2-17 Freisaiten sowie 13-17 Biinde, so bekam sie 5
Spielsaiten, in ai ai d> g c in der »Miinchner Stimmung«
von Nikolaus Weigel (1811-78), in ai di gi g c in der
»Wiener Stimmung« von Carl -> Umlauf ; die Nor-
malstimmung von H.Albert 1886 schlieBt sich an die
»Miinchner Stimmung« an. Die 24-39 Freisaiten sind
im Quinten- oder Quartenzirkel gestimmt mit Unter-
schieden in den einzelnen Systemen (Konzert-Z., Per-
fekta- und Perfektaseptimen-Z., Ganz- und Halbideal-
reform-Z.). Fiir das chromatische Spiel gibt es die
Diskant-, Quint-, Alt- und BaB-(Elegie-)Z. 1823 er-
fand J.Petzmayer die ->• Streich-Z. mit gewolbtem
Griffbrett. Zur Verstarkung von Melodie und BaB
spielte er schon mit Violine und Gitarre zusammen. -
Das angestammte Spielgut der Z. sind siiddeutsch-
alplerische Volkslieder und -tanze (aus der Wiener
Heurigenatmosphare schopft noch der Schlagerwelt-
erfolg des auf der Z. gespielten Harry-Lime- Theme aus
dem Film »Der dritte Mann«, 1949). Mit dem Auf-
kommen von Z.-Vereinen mit eigenen Zeitschriften
seit der 2. Halfte des 19. Jh. wurden Neukompositionen
geschrieben im Stil der Salonmusik, aber auch der
klassischen Konzertmusik. Daneben wurde versucht,
Meisterwerke in Transkriptionen der Z. zuganglich
zu machen. In neuester Zeit hat die Z. in einfachsten,
zum Selbstbau geeigneten Formen (Schmal-Z.) Ein-
gang in die Schulmusik gefunden. - Schulwerke: N.
Weigel, Theoretisch-practische Zitherschule (Miinchen
1838); C. Umlauf, Neueste vollstandige theoretisch-prak-
tische Wiener Zitherschule (Wien 1859) ; R. Griinwald,
Meine Methode (Bad Honnef o. J.).
Lit.: zu 1): E. M. v. Hornbostel u. C. Sachs, Systematik
d. Musikinstr., Zs. f. Ethnologie XLVI, 1914, engl. v. A.
Baines u. Kl. P. Wachsmann, als: Classification of Mus.
Instr., The Galpin Soc. Journal XIV, 1961 ; C. Sachs, Geist
u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hilversum
1965; T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr., I: Gesch. d.
Z., Stockholm 1936. - zu 2) : H. Kennedy, Die Z. in d. Ver-
gangenheit, Gegenwart u. Zukunft, Tolz 1896; Ch. Mac-
lean, The Z., ZIMG X, 1908/09; A. V. Nikl, Die Z., Ihre
hist. Entwicklung bis zur Gegenwart, Wien 1927; K. M.
Klier, Volkstumliche Musikinstr. in d. Alpen, Kassel
1956; J. Brandlmeier, Hdb. d. Z., Miinchen 1963.
Zoppa (ital., hinkend) heiBt ein Tanz, in dem - wie in
vielen englischen Jigs - jambischer Rhythmus mit der
kurzen Note am Taktanfang regelmaBig wiederkehrt
(Beispiel aus G. B.Vi-
talisop. 14, 1692; in:
JH1J J^ l pffr
Torchi VII). Wal-
therL bezeichnet als Contrapunto alia z. (auch Con-
trepoint boiteux, oder a la boiteuse) eine Komposition
mit synkopierter Gegenstimme.
Zortziko (9or0'iko, span.), ein baskisches Tanzlied in
beschwingtem 5/8-(5/4-)Takt (3/8+2/8), oft punktiert
_ I I r-pa pa (meist auf dem 2. und
1 1|: J- 4 :|| bzw. \\:JJ-JJ-J:\\ 4 A chtel), zu dem ge-
wohnlich auf Txistu und Tamboril gespielt wird. Der
Z. wird auch im Verlaufe des ->■ Aurresku getanzt.
Ein Verbinden zweier 5/8-Takte zu einem 10/8-Takt
setzte sich nicht durch, hingegen wurde ab Ende des
6ii.JT~53J~353.il 18- bis Mitte des 19. Jh. eine 6/8-
8 1|: 4- 4444- 444 :|| jsf ot i erun g angewendet, die jedoch
dem eigentlichen Z.-Rhythmus nicht gerecht werden
konnte.
Lit.: Fr. Gascue, El compas quebrado del Z., Revista
mus. de Bilbao 1, 191 1 ; P. Donostia, Dos z. del s. XVIII en
5/8, Rev. Internationale des etudes basques, XIX, 1928;
ders., Mas sobre la escritura del z. en 5/8, ebenda XXVI,
1935.
Zurich.
Lit. : A. Steiner, Aus d. Ziircher Konzertleben d. 2. Halfte
d. vorigen Jh., 2 Bde, = Neujahrsstiicke d. Allgemeinen
Musikges. in Z. XCII/XCIII, 1903/04; M. Fehr, Z. als
Musikstadt im 18. Jh. (Bd I: Spielleute im alten Z.), Z.
1916; E. Isler, Das Ziircherische Konzertleben seit d. Er-
offnung d. neuen Tonhalle 1895, Teil I 1895-1914, Neu-
jahrsblatt d. Allgemeinen Musikges. Z. 1935, Teil II 1914-
31, ebenda 1936; G. Kummer, Beitr. zur Gesch. d. Z.er
Aktientheaters 1843-90, Z. u. Lpz. 1938; S. Muller, Aus
150 Jahren Hug & Co. Musikalien u. Instr., 1807-1957, Z.
1957; M. Hurlimann u. H. Ott, Theater in Z., Z. 1959 ; H.
Reimann, Die Einfiihrung d. Kirchengesanges in d. Ziir-
cher Kirche nach d. Reformation, Z. 1959; Fr. Jakob,
Der Orgelbau im Kanton Z. v. seinen Anfangen bis zur
Mitte d. 19. Jh., Diss. Z. 1962; A. Briner, Mg. aus d. Per-
spektive Z., Die Neujahrsblatter d. Allgemeinen Musikges.
Z. 1813-1965, = 150. Neujahrsblatt d. Allgemeinen Mu-
sikges. Z., 1966.
Zugtrompete, eineTrompete, bei der dieEinsteckhiilse
des Mundstiicks so verlangert ist, daB durch Ausziehen
wahrend des Spiels der Grundton des Instruments er-
niedrigt werden kann. Nach Abbildungen des 15. Jh.
wurde das Mundstiick mit der linken Hand an die Lip-
pen gedriickt, wahrend die rechte Hand den Hauptteil
des nach unten gerichteten Instruments hin und her
her bewegte. Damit war nicht nur der Stimmton va-
riabel, sondern es konnte auch durch Vertiefung jedes
Naturtons um bis zu 3 Halbtonschritte vom 4. Natur-
ton an eine voile chromatische Skala gebildet werden.
Da im Unterschied zur spater entstandenen -*■ Po-
saune (- 1) der ungebogene Teil der Rohre verlangert
wurde, war der Auszug durc'h die Armlange des Spie-
lers und die Lange der Einsteckhiilse auf 3 Halbtone
beschrankt. Eine Z. von H. Veit (Naumburg 1651) be-
wahrt das Staatliche Institut fiir Musikforschung (Mu-
sikinstrumentensammlung) in Berlin. In Bildzeugnis-
sen des 15. Jh. erscheinen die Z.n-Blaser zusammen
mit Schalmei- und Bomhartblasern als Gruppe, die
zum Tanz aufspielt (-> haut, -> Cobla).
In den mehrstimmigen ->■ Quellen BL und Ao hat
1081
Zukunftsmusik
Besseler (1950) sechs um 1430 entstandene Satze nach-
gewiesen, in denen eine Unterstimme ah trumpetta
oder tuba bezeichnet wird, deren Tonvorrat mit der
Naturtrompete nicht darzustellen ist. Als freier Instru-
mentalbaB stiitzt eine solche Stimme ein Duett von
2 Discantus, die nach Art der durch Ciconia in die
geistliche Musik iibertragenen Stimmenanordnung der
italienischen -> Caccia kanonisch gefiihrt sein konnen.
Nach Entstehungszeit und -ort von dieser Gruppe ge-
trennt ist ein zweistimmiges textiertes Taglied Hor
liebste frau in der Mondsee-Wiener Liederhandschrift
(um 1400; ->- Liederbiicher) mit dem Vermerk Daz
haizt dy trumpet und ist auch gut zu blasen. Der Ambitus
dieser Stimmen (bis zu einer Tredezime) ist fur eine
Trompete ungewohnlich groB (Dufays Gloria ad mo-
dum tubae beschrankt sich auf den 3.-6. Naturton einer
Naturtrompete, g-g 1 ). Da fiir die Ausfiihrung dieser
Satze auf der Z. auch die Oktave zwischen dem 2. und
4. Naturton und Herabstimmung bis zu 4 Halbtonen
erforderlich ware, mufi die Frage often bleiben, ob es
sich um wirkliche Besetzungsvermerke (Besseler 1950)
oder die Nachahmung der typischen Dreiklangsbre-
chungen der Trompete mit einem anderen Instrument
(Harrison 1966) handelt. Das Gleiche gilt fiir den Con-
tratenor trompette einer anonymen Bearbeitung von
P.Fontaines 3st. Chanson J 'aime bien (EscA, f. 49';
->■ Chansonnier), dessen tiefe Lage (Ambitus D-d 1 )
nicht auf der Z. ausgefuhrt werden kann, sondern eine
Posaune verlangt. Den Zusammenhang von Posaune
und Z. dokumentiert auch die Benennung der Posaune
als trombone (ital., groBe Trompete) oder trompette
saicqueboute (so in einer burgundischen Chronik fiir
das Jahr 1468; frz., Zieh-StoB-Trompete; -*■ Saque-
boute). Die Z. lebte bei den Stadtpfeifern des 16.-18.
Jh. als Tiirmerhorn (M.Agricola 1525, Virdung 1511)
fort. Noch J.S.Bach schrieb sie (z. B. in BWV als
C. f .-Instrument) unter der Bezeichnung tromba (oder
corno) da tirarsi vor. Eine Z. in verkleinerter Posaunen-
form (slide trumpet) wurde im 19. Jh. in England ge-
baut.
Lit.: Fr. W. Galpin, The Sackbut, Proc. Mus. Ass.
XXXIII, 1906/07; C. Sachs, Bachs Tromba da tirarsi,
Bach-Jb. V, 1908; ders., Chromatic Trumpets in the Re-
naissance, MQ XXXVI, 1950; H. Riemann, Hdb. d. Mg.
II, 3, Lpz. 2 1922; J. Mark, Hist, de la musique et des mu-
siciens de la cour de Bourgogne . . . , = Slg mw. Abh.
XXVIII, StraBburg 1939; H. Besseler, Die Entstehung d.
Pos., AMI XXII, 1950; R. M. Peoge, The Regent's Bugle,
The Galpin Soc. Journal IX, 1956; Fr. Ll. Harrison,
Tradition and Innovation in Instr. Usage 1100-1450, in:
Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese,
NY (1966).
Zukunftsmusik, ein gegen die Kunst R.Wagners ge-
richteter polemischer Begriff, den Wagners zeitgenos-
sische Gegner in bewuBt verkehrender Zuspitzung sei-
ner Idee vom Kunstwerk der Zukunft gebrauchten. Pra-
gung und Anwendung des Wortes Z. waren in dop-
pelter Weise polemische Vereinf achung : einmal wurde
aus Wagners Gedanken einer zukunftigen Vereinigung
der Kiinste die Musik als eine Z. herausgelost, zum
andern wurde dieser Gedanke bei kritischer Anwen-
dung auf die derzeitigen Werke Wagners (Tannhau-
ser, Lohengrin) in die Gegenwart projiziert. - Wagners
Titel Das Kunstwerk der Zukunft (1850) war als Aus-
druck einer allgemeinen zeitgenossischen Geisteshal-
tung (Konkretisierung und Verdinglichung der roman-
tischen Zukunftssehnsucht) beeinfluBt von verwandten
Formulierungen auf anderen Gebieten (A. Ruges Revo-
lution der Zukunft, in: Hallischejahrbiicher 1838; L. Feuer-
bachs Grundsatze einer Philosophic der Zukunft, 1843).
Schon R. Schumann schrieb um 1833 (Denk- und Dicht-
biichlein) vom Fehlen einer Zeitschriftfiir »zukiinftige Mu-
sik*; Karl Gaillard charakterisierte 1847 {Berliner musi-
kalische Zeitung Nr 24) Werke von Berlioz abwertend
als musikalischen Hokuspokus, genannt »die neue Musik*
oder die »Musik der Zukunftn. - Erfinder des Wortes Z.
scheint nicht, wie im AnschluB an Wagners eigene Be-
merkungen allgemein angenommen wird, Ludwig Bi-
schoff zu sein. Bevor dieser zumExponenten der »Anti-
Zukiinf tler« (vor allem in seiner Niederrheinischen Mu-
sikzeitung) wurde, ist der Begriff bei anderen Autoren
belegt (z. B. F. A. Riccius, 16. 2. 1853 in der Rheinischen
Musikzeitung, herausgegeben von L.Bischoff; ferner
in: Die Grenzboten II, 1853). Bischoff spricht in seiner
im gleichen Jahr veroff entlichten Rezension des Tann-
hauser gelegentlich von »Wahrheitsmusik«, nicht aber
von Z. Die Anhangerschaf t Wagners, reprasentiert vor
allem durch den Leipziger Kreis um Fr.Brendel, ver-
suchte zunachst, das Wort positiv aufzugreifen (auch
Wagner selbst tat das in seinem Brief an Fr. Villot von
1860), wollte aber sparer (Leipziger Tonkunstler-Ver-
sammlung 1859; dazu Bischoff 1859) lieber von »neu-
deutsch« sprechen. In der von J.Brahms, J. Joachim,
J. O. Grimm und B. Scholz unterzeichneten Erklarung
von 1860 wird Z. gleichbedeutend mit -*■ Neudeutsche
Schule gebraucht.
Lit. : R. Wagner, Das Kunstwerk d. Zukunft, in: Gesam-
melte Schriften III, Bin, Lpz., Wien u. Stuttgart 1914;
ders., Ein Brief an H. Berlioz, ebenda VII ; ders., »Z.«
ebenda VII, dazu L. Bischoff in: Niederrheinische Musik-
zeitung IX, 1861; L. Bischoff, R. Wagners Tannhauser,
Rheinische Musikzeitung III, 1852/53; ders., Mozarts
Don Juan in Bin seit 1790, Niederrheinische Musikzeitung
I, 1853; ders., »Z.«, ebenda VII, 1859; F. A. Riccius,
Leipziger Briefe, Rheinische Musikzeitung III, 1852/53;
Fr. Brendel, Die bisherige Sonderkunst u. d. Kunstwerk
d. Zukunft, NZfM XXXVIII, 1853; ders., Die Musik d.
Gegenwart u. d. Gesammtkunst d. Zukunft, Lpz. 1854;
ders., Fr. Liszt's neueste Werke u. d. gegenwartige Partei-
stellung, NZfM XLVII, 1857; Peltast (H. v. Billow), Die
Opposition in Suddeutschland, NZfM XXXIX, 1853,
Neudruck in: Ausgew. Schriften, = Briefe u. Schriften III,
hrsg. v. M. v. Biilow, Lpz. 1896; Unsere Tage. Blicke aus
d. Zeit in d. Zeit, Bd I, 1859/60, Artikel Z., Braunschweig
1860; Fr. Meyer, R. Wagner u. seine Stellung zur Vergan-
genheit u. »Zukunft«, Thorn 1859; H. Berlioz, Concerts
de R. Wagner. La musique de l'avenir, 1860, in: A travers
chants, Paris 1880; W. Tappert, Wagnerlexikon, Lpz.
1877; G. Buchmann, Geflugelte Worte, Bin "1892; A.
Gombert, t)ber d. Alter einiger Schlagworte, Festgabe f.
d. 13. Hauptversammlung d. Allgemeinen deutschen
Sprachver., Breslau 1903; O. Ladendorf, Hist. Schlag-
worterbuch, StraBburg u. Bin 1906. RB
Zunft (ahd. zumft), urspriinglich s. v. w. das, was sich
fiir eine Gesellschaftsschicht »ziemt«, spater Bezeich-
nung fiir eine Handwerkergenossenschaft mit be-
stimmten Konventionen, Ausbildungsvorschriften und
Privilegien. Indent die Handwerker eines Gewerbe-
zweiges sich zusammenschlossen, sich gemeinschaft-
lich in einer StraBe ansiedelten, zu sittlichem Lebens-
wandel sich verpflichteten und in das Z.-Leben mit
seinen Brauchen und Riten sich einfiigten, war eine
Gewahr fiir die Ordnung innerhalb des stadtischen
Gemeinwesens gegeben; die fiir die Lehrlingsausbil-
dung erlassenen Vorschriften garantierten der Biirger-
schaft auBerdem die Qualitat aller Arbeiten. Die Z.-
Mitglieder erhielten dafiir das Recht, ihren Beruf aus-
zuiiben, und sie waren vor unlauterer Konkurrenz
durch den Z.-Zwang geschiitzt. - Im Bereich des Mu-
sikwesens werden heute die verschiedenartigsten Ge-
nossenschaften, Gilden und Berufsstande aus der Zeit
vom 12. bis 18. Jh. mit mehr oder weniger Recht als
Ziinfte bezeichnet. Fiir die fahrenden -> Spielleute (- 1)
des Mittelalters gab es verschiedene Moglichkeiten, ihre
Ehr- und Rechtlosigkeit zu iiberwinden oder einzu-
schranken. So konnten sie sich innerhalb einer Provinz
1082
Zunft
oder einer Landschaft zusammenschlieBen, sich einem
Pfeiferkonig oder Spielgrafen unterordnen und sich
Gesetze geben, die sich auf Berufsausiibung und Le-
benswandel bezogen. Die Spielleute eines Pfeiferkbnig-
reiches oder Spielgrafenamtes pflegten jahrlich einmal
zu einem Pfeifertag zusammenzukommen, bei dem der
Pfeiferkonig mit gewahlten Altesten iiber alle internen
Streitigkeiten Recht sprach. Durch den Eintritt in den
Landschaftsverband erwarb sich der Spielmann das
Recht, seinen Beruf ohne Diskriminierung auszuiiben.
Andererseits waren auch Staat und Kirche daran inter-
essiert, daB das unruhige Volk der Fahrenden sich in
eine Ordnung einfiigte. So konnte die Initiative zur
Griindung von Pfeiferkonigreichen auch von den Ter-
ritorialherren ausgehen. Das elsassische Pfeiferkonig-
reich unterstand seit dem 13. Jh. den Grafen von Rap-
poltstein, die sich wiederholt fur die Belange der Mu-
siker eingesetzt haben. In Frankreich lassen sich Pfeifer-
konige seit dem 12., in England seit dem 13. Jh. nach-
weisen. Das Vermogen der landschaftlichen Pfeifer-
gilden entstand aus den Beitragen der Mitglieder und
aus den fur Vergehen festgesetzten Strafgeldern. - An-
dere Spielleute waren seBhaft geworden und griindeten
Bruderschaften, zunachst meist mit dem Ziel, eine An-
erkennung durch die Kirche zu erreichen. In mehreren
Fallen stif tete und unterhielt die Bruderschaft ein Spital
(im 12. Jh. in London und in Arras, 1330 in Paris), das
zum Mittelpunkt der Organisation wurde. Viele dieser
anfangs religiosen Bruderschaften entwickelten sich zu
zunftahnlichen Organisationen. Einige dehnten ihren
EinfluB auf grbBere Bezirke und ganze Lander aus und
wurden zu Pfeiferkonigreichen oder Spielgrafenam-
tern. Die 1321 gegriindete Pariser Bruderschaft St-Ju-
lien verfaBte ihre Statuten »zum Vorteil der Musiker
und zum Nutzen der Stadt«. Bei der Revision dieser Sta-
tuten im Jahre 1407 wurden auch die Dauer der Lehr-
zeit und Einzelheiten der Ausbildung festgelegt; auBer-
dem erhielt der Pariser Pfeiferkonig die Macht iiber die
Spielleute des ganzen Landes. In ahnlicher Weise hatte
sich im 14. Jh. die Wiener Nikolai-Bruderschaft zum
osterreichischen Spielgrafenamt entwickelt.
Die von den Stadten offiziell unterhaltenen -»■ Stadt-
pfeifer stellten sich ebenfalls unter zunftahnliche Sta-
tuten. In einigen Stadten bildeten sich neben den Stadt-
pfeifereien weitere Gilden von privilegierten Spiel-
leuten, die in Abstimmung mit den Rechten der Stadt-
pfeifer nur in bestimmten Bezirken oder nur fiir be-
stimmte Bevblkerungsschichten musizieren durften.
Die zunftmaBigen Satzungen dieser Gilden waren in
den sogenannten Rollen festgelegt und regelten die
Wahl der Vorstande und Altesten, die Verteilung der
Auftrage und Gewinne. Die Hamburger Griinrolle des
Jahres 1691 legte auch ein Protokoll fiir Beerdigungen
von Mitgliedern fest und sicherte den Witwen Unter-
stiitzung zu. Sowohl die Liibecker Kostenbriider als
auch die Hamburger Rollbriider mufiten im 17. Jh. als
Gegenleisturig fiir die von der Stadt gewahrten Rechte
bei der Kirchenmusik mitwirken ; die Liibecker Kosten-
briider waren auch bei der -*■ Abendmusik beteiligt. -
Einen eigenen Stand unter den Instrumentisten bildeten
die hbfischen Trompeter und Pauker. Offiziell durfte
ihre Kunst nur an Fiirstenhofen gepflegt werden. Schon
im 15. Jh. war aber einigen Stadten das Recht verliehen
worden, Trompeter zu unterhalten; andere Stadte und
auch Privatpersonen haben ohne Genehmigung Trom-
peter beschaftigt. Gegen solche Verletzungen des fiirst-
lichen Privilegs haben die Hoftrompeter immer wieder
protestiert, um ihre Vorrangstellung zu behaupten. Zu
Anfang des 16. Jh. stand der Hoftrompeter noch in
hoherem Ansehen und erhielt auch hoheren Lohn als
die anderen Hofinstrumentisten. Als sich aber im Lau-
fe des 16. Jh. fiirstliche Representation mehr in der
Pflege der Kunstmusik als in Trompeterfanfaren zu
dokumentieren begann, sank das Ansehen des Trom-
peterstandes. Die fahigsten Trompeter beherrschten
auch andere Instrumente und konnten an Hofen und
in Stadten weit mehr Ruhm ernten als im Trompeter-
korps. Gute Instrumentisten verstanden es, Trompete
zu blasen, auch ohne in die vielberufenen Z.-Geheim-
nisse eingeweiht worden zu sein. In mehreren Reichs-
tagsabschieden des 16. und 17. Jh. wurden die Rechte
und die Sonderstellung der Trompeter noch einmal
verbrieft. Nach dem 1623 von Ferdinand II. erneuerten
Reichsprivileg sollten die Trompeter eines jeden Hofes
Kameradschaften bilden, die der Dresdener Oberkame-
radschaft unterstanden. Alle Freibriefe fur Trompeter-
lehrjungen muBten vom Kurfiirsten von Sachsen aus-
gestellt werden, der auch alle Streitfalle zu schlichten
hatte. Was 1795 J.E. Altenburg in der Absicht, das An-
sehen seines Standes noch einmal zu heben, iiber die
Geschichte der heroisch-musikalischen Trompeter- und
Pauker-Kunst geschrieben hat, entsprach zu groBen Tei-
len nicht mehr den Tatsachen. - An vielen Orten wa-
ren die Instrumentenbauer gezwungen, sich Hand-
werkerziinften anzuschlieBen und ihnen Beitrage zu
zahlen, da sie mit ihrer Arbeit (auch wenn es sich nur
um Verzierungen an Instrumenten handelte) gegen
Privilegien der Drechsler, Kupferschmiede, Goldar-
beiter, Maler oder Tiscbler verstieBen. Nur in wenigen
Fallen gelang es ihnen, sich Musikergenossenschaften
anzuschlieBen oder gar die Anerkennung einer eigenen
Z. durchzusetzen (wie 1599 in Paris). - Als Ziinfte sind
vielfach auch die Schulen des -> Meistersangs bezeich-
net worden, die sich zunftmaBige Satzungen gaben,
obwohl sie ihre Kunst neben ihrem Beruf betrieben
und gegen niemanden geschiitzt werden muBten. -
Gewissen Z.-Brauchen unterwarf sich in einigen Fallen
auch das -> Collegium musicum, dessen Mitglieder zu
freiwilligem Musizieren zusammenkamen. Die 1600 in
Friedland gegriindete musikalische Gilde berief sich auf
alte, von Papst und Kaiser bestatigte Privilegien. Fiir
die Aufnahme ins Collegium wurden bestimmte Be-
dingungen gestellt. Man wahlte Alterleute, die die La-
de mit den Satzungen und Privilegien verwalteten. Die
Privilegien beschrankten sich jedoch auf die Erlaubnis,
in der Kirche bestimmte Chorstiihle zu besetzen und
regelmaBig zum Abendmahl gehen zu diirfen. Im iib-
rigen unterstiitzte die Gilde in Not geratene Mitglieder
und sicherte alien ein feierliches Begrabnis zu. - Viel-
fach ist das Wort Z. auch gleichbedeutend mit Berufs-
stand benutzt worden. So sprach man von der Orga-
nisten-Z., obwohl die Organisten weder eine Gilde
bildeten noch zur Ausiibung ihres Berufs Privilegien
gebraucht hatten; von Z.-Geist getragen war lediglich
die solide handwerksmaBige Ausbildung.
Im 17. und 18. Jh. kampften Pfeiferkbnige und Stadt-
pfeifergilden hartnackig um die weitere Anerkennung
ihrer Privilegien; doch konnten sie nicht mehr die
Qualitat garantieren, so daB ihren Forderungen die in-
nere Begriindung fehlte. In Paris versuchte der Pfeifer-
konig vergeblich, J.-B.Lullys Opernorchester und die
Mitglieder der kbniglichen Tanzakademie dem Z.-
Zwang zu unterwerfen. Den letzten Versuch, die Au-
toritat des Pariser Pfeiferkonigs wiederherzustellen,
unternahm seit 1741 ohne Erfolg der Geiger J. P. Gui-
gnon; 1773 wurde das Amt aufgehoben. Auch in
Deutschland waren die Konkurrenten der Z.-Musiker
nicht mehr die Bierfiedler und Stumper, sondern spe-
zialisierte Virtuosen, ausgebildete Militarmusiker so-
wie im besonderen biirgerliche Musikliebhaber und
Studenten. Mit dem Begriff des ziinftigen Musizierens
verband sich nicht mehr die Vorstellung einer hand-
1083
Zunge
werklichen Soliditat, sondern eines Mangels an Genia-
litat. Zufolge des Liebhabermusizierens und der auf-
kommenden offentlichen Konzerte schwand auch das
Bediirfnis nach bezahlter Festmusik, so daB die Z.-Mu-
siker ihre Auf trage verloren. Langer als die Privilegien
hielten sich die Z.-Brauche bei der Ausbildung der
stadtischen Musiker. Als ein spates Zeugnis fur das
Fortleben von Z.-Gedanken kann die 1863 auf eigenen
Wunsch erfolgte formliche »Lossprechung« Bruckners
nach AbschluB des Kompositionsstudiums gelten.
Lit.: H. M. Schletterer, Gesch. d. Spielmannsz. in
Frankreich u. d. Pariser Geigerkonige, Bin 1884; M.
Seiffert, Die mus. Gilde in Friedland, S1MG 1, 1 899/1 900 ;
H. J. Moser, Die Musikergenossenschaften im deutschen
MA, Diss. Rostock 1910; W. Gurlitt, Die Hamburger
Grunrolle v. Jahre 1691, S1MG XIV, 1912/13; R. Lach,
Zur Gesch. d. mus. Zunftwesens, Sb. Wien 199, 3, 1923;
E. Preussner, Die biirgerliche Musikkultur, Hbg 1935,
Kassel 21950; C. Anthon, Some Aspects of the Social
Status of Ital. Musicians During the Sixteenth Cent.,
Journal of Renaissance and Baroque Music I, 1946/47 ; W.
Ehmann, Tibilustrium. Das geistliche Blasen, Kassel 1950;
H. Federhofer, Der Musikerstand in Osterreich v. ca.
1 200 bis 1 520, Deutsches Jb. d. Mw. Ill (= JbP L), 1 958 ; G.
Fleischhauer, Die Musikergenossenschaften im helleni-
stisch-romischen Altertum, Diss. Halle 1959, maschr.; H.
Engel, Musiku. Ges.,Blnu. Wunsiedel 1960; W. Salmen,
Der fahrende Musiker im europaischen MA, = Die Mu-
sik im alten u. neuen Europa IV, Kassel 1960. MR
Zunge (engl. reed; frz. anche; ital. ancia), ein elastischer
Korper (Blatt), der einen Luftstrom periodisch unter-
bricht. Die Frequenz der dabei entstehenden Schwin-
gung hangt ab von der Masse und Elastizitat der Z. so-
wie von der Eigenfrequenz des angeschlossenen Reso-
nators. Gegenschlag-Z.n sind das Doppelrohrblatt wie
bei der Oboe oder dem Fagott sowie die Polster-Z.n,
zu denen die Stimmlippen des Kehlkopfs (-> Stim-
me - 2) und die Lippen des Blasers bei Horn- und
anderen Blechblasinstrumenten gehoren. Aufschlag-
Z.n haben die Instruments mit einfachem Blatt wie
die Klarinette und das Saxophon sowie die Zungen-
stimmen der Orgel; dabei schlagt die Z. gegen einen
Rahmen. 1st sie so kurz, daB sie durch den Rahmen
hindurchschlagt, so handelt es sich um eine f reie (durch-
schlagende) Z. wie bei den -v Harmonika-Instrumen-
ten. Pfeifen mit Z.n werden in der Systematik der In-
strumente als Rohrblattinstrumente zusammengefaBt.
Ihre einfachen Vorf ormen sind Grashalm oder Rinden-
stiick, auf denen geblasen wird.
Lit.: C. Sachs, Zur Fruhgesch. d. durchschlagenden Z.,
Zflb XXXIII, 1912/13; W. Schrammek, Birkenblattbla-
sen, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961.
Zungenpfeifen -> Lingualpf eif en.
Zungenstimmen -> Register (- 1).
Zungenstofi, Zungenschlag (frz. coup de langue), bei
Blasinstrumenten eine Technik der Artikulation. Nach
Hotteterre (1707) sollen die StoBe auf der Querflote
sanft, auf der Blockflote und besonders der Oboe schar-
fer gemacht werden; die Technik des Z.es ist auch auf
den Instrumenten mit Kesselmundstiick ausf iihrbar. Als
Artikulationssilbenbei der Querflote verwendet Quantz
(1752) das kurze harte ti und das weichere di (einfache
Zunge), bei schnelleren punktierten Noten tiri (diri),
fiir sehr schnelle did'll (Doppelzunge). Fiir die Doppel-
zunge auf der Blockflote wie auch auf der Trompete
und Posaune wird dik-ke (te-ke) verwendet. Fiir das
Tremolo auf einem Ton wird ein r artikuliert (Flatter-
zunge; tremolo dental), das bei schnellen chromati-
schen Gangen wirkungsvoll ist.
Lit.: M. Aoricola, Musica instrumentalis deudsch, Wit-
tenberg 1529, erweitert "1545, hrsg. v. R. Eitner, = PGfM,
Jg. XXIV, Bd XX, Lpz. 1 896 ; S. Ganassi, Opera Intitulata
Fontegara, Venedig 1535, Faks. d. Boll. Bibl. Mus., Mai-
land 1934, dass. als: S. Ganassi, La Fontegara. Schule d.
kunstvollen Flotenspiels . . . , hrsg. v. E. Dahnk-Baroffio
u. H. Peter, Bin 1956; J. Hotteterre, Principes de la flute
traversiere d' Allemagne, de la flute a bee ou flute douce . . . ,
Paris 1707, Faks. u. deutsche t)bers. hrsg. v. H. J. Hellwig,
Kassel (1942, 21958); Quantz Versuch; G. Scheck, G.
Ritter v. Freiberg u. Fr. Ramin in : Hohe Schule d. Mu-
sik IV, hrsg. v. J. M. Miiller-Blattau, Potsdam (1938).
Zupfinstrumente sind ->• Chordophone oder ->■ Idio-
phone, bei denen der Ton durch AnreiBen von Saiten
oder elastischen Korpern mit den Fingern oder einem
Plektron erzeugt wird. Zu ihnen gehoren Saiteninstru-
mente vom Typ der ->• Zither (darunter das Cembalo),
der -> Laute, der -> Leier und der ->• Harfe. In der
Volksmusik sind Z. verbreitet, besonders in Siideuropa.
In der Musik des Barocks waren sie wegen der Mog-
lichkeit des Akkordspiels als -> Fundamentinstrumente
verwendbar. Im Orchester werden im 20. Jh. neben
der -> Harfe auch Z. (Gitarre, Mandoline, Cembalo)
verwendet, u. a. von Schonberg (-> Kurztoninstru-
mente), Webern und Henze.
Lit.: H. J. Zingel, Z. zum Continue ZfMw XVII, 1935.
Zurna (arabisch; tiirkisch zurna, von persisch surnay,
Schalmei; arabisch auch ->• mizmar, zamr; chinesisch
so-na), ein im gesamtenEinfluBbereich des Islams (Vor-
derer Orient, Balkan, Nordafrika, Madagaskar, Indien)
und in China verbreiteter Typ der'-*- Schalmei (- 1).
Das bereits im 10. Jh. von al-Farabi beschriebene In-
strument ist aus einem Stuck gearbeitet, im oberen Teil
zylindrisch, im unteren stark konisch (Schalltrichter),
mit 6-8 diatonisch angeordneten vorderstandigen und
einem hinteren Griffloch sowie mehreren (meist 7)
Schallochern im unteren Teil der Rohre. Der Z. wird
mit Lippenscheibe und Windkapselansatz geblasen ; die
meist aus weichem Material (Binse, Maisstroh) herge-
stellten Rohrblatter schwingen nur, wenn sie nicht mit
den Lippen beriihrt werden. Der laut und durchdrin-
gend klingende Z. ist heute ein Instrument der Volks-
musik. Er wird meist zusammen mit einer groBen
Trommel (arabisch tabl, tiirkisch davul) gespielt. In
Jugoslawien wird der Z. in 2 GroBen (60 cm und
30 cm) gebaut; zum -> Tupan spielen stets 2 Instru-
mente gleicher GroBe.
Lit.: al-Farabi, Kitab al-muslql al-kablr, frz. als: Grand
traite de la musique, in: Baron R. d'Erlanger, La musique
arabe I, Paris 1930, S. 272ff. ; H. G. Farmer, Studies in
Oriental Mus. Instr., I London 1931, II Glasgow 1939;
B. Sirola, Sopila i zurla, = Etnoloska bibl. XVII, Zagreb
1932; H. Hickmann, Terminologie arabe des instr. de mu-
sique, Kairo 1947, maschr.
Zweiunddreifiigstelnote (ital. biscroma; frz. triple-
croche; engl. demisemiquaver; in den USA auch thir-
ty-second note) :^ ; Pause (frz. huitieme de soupir) : ^ .
Zwerchpfeife ->- Querpfeife.
Zwickau.
Lit. : W. Niemeyer, Die Zw.er Stadtpfeifer im 16. Jh., Mitt,
d. Altertumsver. f. Zw. u. Umgegend XIV, 1929 u. XV,
1931 ; Das alteste Zw.er Gesangbuch v. 1525, hrsg. v. O.
Clemen, Zw. 1935; G. Eismann, Das R.-Schumann-Haus
inZw., Weimar 1958.
Zwiebelflote -> Mirliton.
Zwiefacher, ein vor allem in Niederbayern und der
Oberpfalz verbreiteter Volkstanz mit haufigem, in sei-
ner Abfolge nicht schematisch faBbarem Wechsel von
geradem und ungeradem Takt. Der Taktwechsel beim
Zw.n laBt sich auffassen als ein Tempowechsel und
resultiert aus der Misohung von Tanzfiguren verschie-
dener Tanze (2 x 3/4-Takt-Walzer, 3/4-Takt-Landler,
1084
Zwolftontechnik
Oberpf alzer Zw. Seidener Zwirn
D W
* W D W D
Notierung gemaB Ausf iihrung :
2 x 2/4-Takt-Dreher) innerhalb eines Tanzes. Dies wird
audi in der Notierung des Zw.n durch die Bauernmu-
sikanten deutlich (vgl. Huber); der Viertelnote des
Walzers (W) entspricht eine Achtelnote des Drehers
(D) oder Landlers (siehe obenstehendes Beispiel). Die
verschiedenen, haufig auch durch den Text der Zw.n
bestimmten Kombinationen der Tanzfiguren, die zu-
satzlich durch die Verwendung von halben Walzer-
und Dreherfiguren (jeweils nur ein 3/4- bzw. 2/4-
Takt) bereichert werden konnen, setzen sich zu Peri-
oden von 8, 16 oder 6 solcher Tanzeinheiten (Land-
ler-, Halbdeutscher-, Sechstakt- bzw. Dreilandler-Zw.)
zusammen, wobei der 2 x 3/4-Walzertakt, der 2 x 2/4-
Drehertakt und der 3/4-Landlertakt Equivalent sind,
ohne Riicksicht auf ihre unterschiedliche Dauer. - Der
Zw. wurde als volkstiimlicher Tanz auch in der Kunst-
musik verwendet, so bei Orff (Ufdem anger, in: Car-
mina Bur ana, 1937).
Lit. : A. Bauer, 40 bayerische Tanze, Zf Mw VIII, 1925/26 ;
ders., 60 bayerische Tanze, ZfMw XII, 1929/30; V. Junk,
Die taktwechselnden Volkstanze, Lpz. 1938 ; F. Hoerbur-
ger, Die Zw., Gestaltung u. Umgestaltung d. Tanzmelo-
dien im nordlichen Altbayern, = VerofT. d. Inst, f . deutsche
Volkskunde X, Bin 1956; H. Regner, Taktwechselnde
Volkstanze im schwabischen Ries, Diss. Miinchen 1956,
maschr. ; Fr. Krautwurst, Ober d. Zw., in : Der Zwiebel-
turm XII, 1957; K. Huber, Was ist ein Zw. ?, in : Volkslied
u. Volkstanz, hrsg. v. CI. Huber u. O. A. v. Muller, Ettal
(1959).
Zwischenaktsmusik -» Biihnenmusik.
Zwischendominanten sind in die dur-moll-tonale Ka-
denz beliebig einzuschaltende Dominanten, auch Sub-
dominanten leitereigener Harmonien, durch welche oft
vollstandige Zwischenkadenzen in anderen Tonarten
(Ausweichungen) entstehen, ohne daB das tonale Zen-
trum des Stiickes wie bei einer -*■ Modulation (-1) ver-
lassen wird. Auf H.Riemann geht der Brauch zuriick,
die Funktionsbezeichnungen von Zw. bzw. Zwischen-
subdominanten in runde Klammern zu setzen ; in Klam-
mern stehende Funktionsbezeichnungen beziehen sich
grundsatzlich auf die den Klammern folgende Harmo-
nie, z. B. :
T (°S D) Tp
Folgt auf die Zw. bzw. Zwischensubdominanten nicht,
wie erwartet, ihre Bezugsfunktion, so wird diese in
eckigen Klammern nur angezeigt, die Funktionsbe-
zeichnung des an ihrer Stelle erklingenden Akkordes
jedoch darunter (bisweilen auch daneben) geschrieben,
z. B.:
^
g^^g
(D 7 )
s
w
Ja=
Die eckige Hammer kennzeichnet eine »har-
monische Ellipse«. Im Falle (D)-D, einer sehr
haufig vorkommenden Kombination, wird das
verdoppelte Zeichen Dominante @ angewendet
(-> Wechseldominante, auch Doppeldominan-
te). Sollen dieZw. auf die Funktion bezogen wer-
den, die vor der Klammer steht, so wird dies
durch einen riickwartsweisenden Pfeil deutlich
gemacht, z. B.:
Zwischenspiel -> Divertimento (-2), -*■ Inter-
ludium, -> Intermedium, ->• Intermezzo.
Zwolftontechnik (Dodekaphonie) heiBt allgemein
die von A. Schonberg entwickelte und seit 1923 ange-
wandte Technik der »Komposition mit zwolf nur auf-
einander bezogenen T6nen« so wie die von J. M. Hauer
seit 1919 entwickelte Kompositionstechnik, deren
Grundlage die Lehre von den Tropen (Wendungen)
ist. Beide Techniken setzen die zwolfstufig gleich-
schwebend temperierte Stimmung voraus.
1) Die Technik Schonbergs basiert auf Tonreihen,
deren jede einzelne alle Tonqualitaten aufzuweisen hat,
sogenannte Zwolftonreihen. Jeder Komposition liegt
eine einzige -*■ Reihe zugrunde. Ihre 48 verschiedenen
Gestalten, die kaum je alle innerhalb eines Werkes
benotigt werden, sind grundsatzlich gleichberechtigt;
der Name Grundgestalt f iir eine Erscheinungsf orm der
Reihe bezeichnet keine Vorzugsstellung, sondern meist
einfach die zuerst auftretende Gestalt. (So wie alle Tone
nur aufeinander und nicht etwa auf einen Grundton
bezogen sind, so sind alle Gestalten der Reihe nur auf-
einander und nicht auf eine Grundgestalt bezogen.)
Auswahl und Anordnung der Reihengestalten stehen
dem Komponisten frei und konnen als Mittel der
Formbildung dienen (besonders deutlich in E. Kfeneks
6. Quartett op. 78). Die Reihe selbst soil als zusam-
menhang-, ordnung- und einheitstiftendes Element
wirken und darf darum weder verandert noch unvoll-
standig gebracht werden (einzig Wiederholungen ein-
zelner Tone und Tongruppen sind in beschranktem
Umfang zulassig) ; sie soil sowohl die Melodik als auch
die Harmonik (die Zusammenklange) konstituieren.
Da die Reihe innerhalb einer Komposition nicht in
gleicher Weise Melodik und Harmonik bestimmen
kann - es sei denn, beide hatten den gleichen musika-
lischen Inhalt -, bleibt jeweils einer der beiden Bereiche
sekundar, das heiBt nur sehr indirekt auf die Reihe be-
ziehbar. Extremfalle sind einerseits unbegleitete Melo-
dien, bloBe Melodisierungen einer Reihengestalt, wie im
Thema der Gigue in Schonbergs Suite op. 29 (4. Satz) :
FT 1
(D -) Sp D
andererseits Zwolfklange. Alle Zwolfklange gehoren
indessen, wegen des Prinzips der beliebigen Oktavlage
eines jeden einzelnen Reihentons, grundsatzlich alien
Zwolftonreihen zu, es sei denn, der Komponist befolge
wenigstens eine zusatzliche Regel, etwa die, die Rei-
hentone von oben nach unten (oder umgekehrt) an-
zuordnen, wie dies etwa A. Berg in seinem 2. Storm-
Lied (Takt lOff.) getan hat. Einen mehrstimmigen Ton-
satz kann die Reihe auf ganz verschiedene Weise de-
terminieren. Jeder einzelnen Stimme eines polyphonen
1085
Zwolftontechnik
Satzes kbnnen verschiedene Reihengestalten zugrunde
liegen, wie im 1. Satz der Suite op. 29 von Schonberg,
Takt 5ff. (G = Grundgestalt, U = Umkehrung) :
Flag.
n » A
(G)
Geige
steht ein Quartenakkord, der nicht direkt aus der Rei-
he ableitbar ist, durch die Auswahl des jeweils ersten
und letzten Tons einer jeden Reihenhalfte, also des
Bratsche
Vc.
*)= » L. T =g^
*®
wobei die Zusammenklange ohne direkte Beziehung
au£ die Reihe bleiben; oder die Zusammenklange eines
Satzes werden durch die Reihe gepragt, also bleiben
die in den einzelnen Stimmen entstehenden Tonfol-
gen - oftmals sind es wirkliche Melodien - ohne direkte
Beziehung zur Reihe, wie etwa zu Beginn des 2. Satzes
der genannten Suite Schonbergs:
Geige
Bratsche
Vc.
Die Ableitung eines mehrstimmigen Satzes aus einer
einzigen Reihengestalt setzt in jedem Fall Reihen-
brechung voraus. Die einfachste Satzart laBt die Ton-
einsatze durch die Reihe bestimmen, wobei dann ein
Teil der Melodieschritte und der Zusammenklange der
Determination durch die Reihe entzogen wird; das
klassische Beispiel hierfur ist der Anfang des 3. Satzes
in Schonbergs Blaserquintett op. 26:
Horn
vmmer zart und gesangvoll
Eine andere Satzart mischt melodische und harmo-
nische Reihenaussetzung, wie zu Beginn des Violin-
konzerts op. 36 von Schonberg :
H"i 2 7 8
Vc. divisi
Vielfach werden aus der Reihe einige (kaum je will-
kiirlich gewahlte) Tone ausgesondert und als Orgel-
punkte (oder als Begleitfiguration mit Orgelpunkt-
funktion) der Melodie oder dem Tonsatz zugefugt. In
der Coda des Hauptsatzes von Schonbergs Blaserquin-
tett op. 26 (Takt 209fL; siehe folgendes Beispiel) ent-
1., 6., 7. und 12. Reihentons (die im vorigen, dem
gleichen Werk entnommenen Beispiel die Oberstimme
bilden) :
2 3 4 5 8 9 10 11
Fl.
Ob.
Klar.
Horn
Fag.
Alle diese Satzweisen konnen vervielfacht und inein-
ander verschrankt erscheinen. - Zw. setzt ->■ Atonali-
tat, diese wiederum vollstandige Chromatisierung und
Emanzipation der Dissonanz voraus, ist aber zugleich
auch ein Mittel, sie zu realisieren. Darum sind Oktaven
sowohl sukzessiv als auch simultan verboten, Konso-
nanzen (Terzen, Sexten, Quinten) oder Klange, die
durch ihre Verwendung in der dur-moll-tonalen Musik
einen besonderen Charakter sich erworben haben (alle
konsonanten Dreiklange, Septakkorde usw.) wenig-
stens an exponierten Stellen zu vermeiden. (Gleichwohl
beginnt der langsame Satz in Schonbergs 3. Quartett
op. 30 iiberwiegend mit Konsonanzen.) Die Zw. ist,
obwohl sie sich in Regeln fassen laBt, weniger ein
System von Regeln, das es erlaubt, wieder einen hand-
werklich guten Tonsatz zu schreiben, als eine Samm-
lung von Vorschriften, die es dem Komponisten
verwehrt, unversehens ins traditionelle musikalische
Idiom zuruckzufallen. Zw. garantiert keinen musika-
lischen Sinn, sie verhindert nur eine ganz besdmmte
Art von Traditionalismus: Banalitat. Sie garantiert
einzig eine Fiille von musikalischen Beziehungen.
Die Zw. Schonbergs entwickelte sich unter den Han-
den eines jeden Komponisten, der sich ihrer bediente,
weiter. A. Berg, der niemals ganz auf traditionelle
Klange und Klangfolgen verzichtet hat, leitet in seiner
Oper Lulu neue Reihen aus einer Grundreihe ab und
hat wohl auch schon friiher seine Reihen bisweilen im
Verlauf einer Komposition modifiziert. Krenek, der
die Technik um 1930 iibernahm, hat im AnschluB
an die Uberlegungen von R.S.Hill aus der Reihe
2 Sechstongruppen abgeleitet und aus jeder einzel-
nen (nach den Prinzipien der Ableitung der ver-
1086
Zwolftontechnik
schiedenen Kirchentonarten aus dem diatonischen Ton-
vorrat) 6 Modi gebildet und dann jeden dieser Modi
auf jede der 6 Stufen transponiert, so daC sich fiir jede
der Sechstonkonstellationen 36 Skalen ergeben; wenn
auch von Umkehrung, Krebs und Krebs der Umkeh-
rung Gebrauch gemacht wird, ergeben sich fiir jede
Sechstongruppe 144 Konstellationen. Kfenek hat auch
- und dieses Verfahren erwies sich vielleicht als noch
fruchtbarer - aus jeder Zwolftonreihe 12 Dreiton-
gruppen gebildet (123/234/345 usw. bis 10 11
12 / 11 12 1 / 12 1 2) und die Tone dann innerhalb
einer jeden Gruppe umgestellt, »rotiert« (123/231/
3 12, alle auch riickwarts zu lesen!). Die Zw., die zu-
nachst nur von den direkten Schiilern Schonbergs
iibernommen wurde (Webern, A. Berg, H.Eisler, W.
Zillig) hat zunachst nur sehr zogernd Aufnahme ge-
funden, urn 1927 bei Jozef Koffler, um 1930 bei Kfe-
nek, nach 1940 bei L. Dallapiccola. Nach 1945 hat sie
sich rasch international verbreitet, vor allem dank der
padagogischen Wirksamkeit von E. Kfenek und R. Lei-
bowitz, aber schon 1950 wurde sie durch die Ver-
fahren der -> Seriellen Musik weiterentwickelt oder
abgelost.
2) Grundlage der Technik Hauers sind nicht Reihen,
sondern »Tropen« (Wendungen). Jede Trope besteht
aus zwei Sechstonkonstellationen, die sich zur Zwolf-
tongruppe erganzen. Da innerhalb einer jeden Tropen-
halfte die absolute Tonhohe und die Folge der Tone
belanglos ist - man notiert sie deshalb als Akkorde in
mbglichst enger Lage -, gibt es insgesamt 144 Tropen,
deren jede sich in ihrer Struktur von alien anderen
unterscheidet. Jede Trope kann auf jede Tonstufe trans-
poniert werden. Die Tropen determinieren nicht pri-
mar die Melodik oder die Harmonik, sondern die Ge-
samtheit des Tonsatzes, der allerdings grundsatzlich auf
Profilierung der Einzelstimmen und uberraschende
Harmonik bewuBt verzichtet. - Hauer hat seine Zwolf-
tontechnik seit 1918 entwickelt (und seit seinem op. 19
konsequent angewandt). Ihre endgiiltige Gestalt er-
reichte sie aber erst 1942, als Hauer sein Erstes Zwolf-
tonespiel mit den endgultig festgelegten rnonodischen Spiel-
regeln (Szmolyan, S. 66) schrieb.
Lit.: — > Reihe; L. Deutsch, Das Problem d. Atonalitat u.
d. Zwolftonprinzip, Melos VI, 1927; Th. W. Adorno, Zur
Zw., Der Anbruch XI, 1929; ders., Philosophie d. Neuen
Musik, Tubingen 1949, Ffm. 21958; W.Schuh, Zur Zw. bei
E. Kfenek, SMZ LXXIV, 1934; R. S. Hill, Schoenberg's
Tone- Rows and the Tonal System of the Future, MQ XXII,
1936; E. Krenek, Uber Neue Musik, Wien 1937, engl. als:
Music Here and Now, NY 1939; ders., Studies in Coun-
terpoint, NY 1940, deutsch als: Zwolfton-Kontrapunkt-
studien, Mainz (1952); ders., New Developments in the
Twelve-Tone Technique, MR IV, 1943; ders., Is the
Twelve-Tone Technique on the Decline?, MQ XXXIX,
1953; ders., Extents and Limits of the Serial Techniques,
MQ XLVI, 1960; R. Erikson, Kfenek's Later Music, MR
IX, 1 948 ; R. Leibowitz, Qu'est-ce que la musique de douze
sons?, Liittich 1948; ders., Introduction a la musique de
douze sons, Paris (1949); Le systeme dodecaphonique
( = Polyphonie, H. 4), Paris 1949 ; W. Reich, E. Kfeneks Ar-
beit in d. Zw., SMZ LXXXIX, 1949; ders., Versuch einer
Gesch. d. Zw., in: Alte u. Neue Musik, Zurich 1952, er-
weitert in: Fs. A. Orel, Wien u. Wiesbaden (1960); H. Je-
linek, Anleitung zur Zwolftonkomposition, 2 Bde, Wien
1952-58; H. Pfrogner, Die Zwolfordnung d. Tone, Zu-
rich, Lpz. u. Wien 1953; L. Roononi, Espressionismo e
dodecafonia, Turin 1954; G. Perle, The Harmonic Pro-
blem in Twelve-Tone Music, MR XV, 1954; G. Roch-
berg, The Hexachord and Its Relation to the 12-Tone-
Row,BrynMawr(Pa.)1955;R.RETi,Tonality-Atonality-
Pantonality, London 1958, 21960; R. Stephan, Neue Mu-
sik, = Kleine Vandenhoeck-Reihe IL, Gottingen 1958;
ders., Ober J. M. Hauer, AfMw XVIII, 1961; R. Vlad,
Storia della dodecafonia, Mailand 1958 ; B. Schaffer, Kla-
sycy dodekafonii, 2 Bde, I Krakau 1961, 21964, II 1964; M.
Lichtenfeld, Untersuchungen zur Theorie d. Zw. bei J. M .
Hauer, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XIX, Regens-
burgl 964; W. Szmolyan, J. M. Hauer, Wien 1965;K.Boeh-
mer, Material - Struktur - Gestalt, Mf XX, 1967. RSt
1087