(navigation image)
Home American Libraries | Canadian Libraries | Universal Library | Community Texts | Project Gutenberg | Biodiversity Heritage Library | Children's Library | Additional Collections
Search: Advanced Search
Anonymous User (login or join us) Upload
See other formats

Full text of "Riemann Musiklexikon 12teA B3 1967"

RIEMANN 

MUSIK 

LEXIKON 



SACHTEIL 



1967 
B. SCHOTT'S SOHNE- MAINZ 

SCHOTT & CO. LTD., LONDON • SCHOTT MUSIC CORP., NEW YORK 
B. SCHOTT'S SOHNE (EDITIONS MAX ESCHIG), PARIS 



Die erste Auflage des Werkes ist im Jahre 1882 ersduenen unter dem Tltel 

HUGO RIEMANN MUSIK-LEXIKON 

Theorie und Geschidite der Musik, die Tonkiinstler alter und neuer Zeit 
mit Angabe ihrer Werke, nebst einer vollstandigen Instrumentenkunde 



© B. Sohott's Sonne ■ Mainz 1967 

Satz und Druck: Mainzer Verlagsanstalt und Druckerei Will und Rothe KG, Mainz 

Notenstich: B. Schott's Sohne, Mainz ■ Schutzumschlag und Einband: Giinter Hadeler 

Samtliche Rechte fiir alle Lander vorbehalten, im besonderen jede Verwertung des Werkes, 

einzelner Artikel oder Ausziige daraus in unveranderter, bearbeiteter oder umgestalteter Form 

sowie in Ubersetzungen. Jede photomechanische Vervielfaltigung und Mikrokopie ist ohne 

ausdruckliche Zustimmung des Verlages unzulassig. Printed in Germany 



RIEMANN MUSIKLEXIKON 



RIEMANN 

MUSIK 

LEXIKON 



Zwolfte vollig neubearbeitete Auflage 
in drei Banden 

PERSONENTEIL 
A-K 

PERSONENTEIL 
L-Z 

herausgegeben von 
WILIBALDGURLITT 



SACHTEIL 

begonnen von Wilibald Gurlitt 

fortgefuhrt und herausgegeben von 

HANS HEINRICH EGGEBRECHT 



B.SCHOTT'S SOHNE- MAINZ 

SCHOTT& CO. LTD., LONDON • SCHOTT MUSIC CORP., NEW YORK 
B. SCHOTT'S SOHNE (EDITIONS MAX ESCHIG), PARIS 



VORWORT DES HERAUSGEBERS 

Das Musiklexikon von Hugo Riemann (1849-1919) erschien in der ersten Auflage 1882, in der letzten (8.) Auf- 
lage aus Riemanns Hand 1916. Das Lexikon wurde mehrfach in fremde Sprachen iibersetzt und darf als ein 
Standardwerk des deutschen Musikschrifttums gelten. Die spateren Auflagen besorgte Alfred Einstein (1880 bis 
1952), die letzte (11.) Auflage in zwei Banden 1929. In der vorliegenden zwolften Auflage wurde der immer 
starker anwachsende Stoff aus Griinden der besseren Handlichkeit und Ubersichtlichkeit erstmals in zwei Bande 
Personenteil und einen Band Sachteil aufgeteilt. 

Bei der Neubearbeitung des Sachteils bestand die Aufgabe, die Zeitspanne ab 1916 im Zeichen des »Riemann- 
Lexikons« lexikalisch neu zu bewaltigen (Einstein hatte die Sachartikel nach Wahl und Inhalt der Stichworter im 
wesentlichen unangetastet gelassen). Dabei handelt es sich um ein halbes Jahrhundert tief eingreifender Verande- 
rungen des geistigen, sozialen und politischen Lebens, musikgeschichtlich im besonderen um die Entstehung und 
Entfaltung der Neuen Musik, um die Bereicherung und Veranderung des Wissens durch die Forschungsergeb- 
nisse der sich immer weiter ausbreitenden, verzweigenden und spezialisierenden Musikwissenschaft und um die 
Wandlungen des Musiklebens, der Musikerziehung und Musikauffassung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in 
eine abermals neue, bis heute anhaltende Zeit der UngewiBheit und des Suchens gerieten. DaB das Lexikon auch 
in der auBerlich und inhaltlich veranderten Form weiterhin durch den Namen Riemanns gekennzeichnet bleibt, 
bedeutete fur den Herausgeber die Verpflichtung, bei der Wahl der Stichworter und bei der Darstellung der 
Begriffswort- und Sachgeschichten soweit wie moglich an Riemanns Werk anzukniipfen und seine grandiosen 
Leistungen als Musikforscher und -lehrer besonders zu wiirdigen und kritisch zu verarbeiten. Zugleich erhebt 
Riemanns Schaffen den Anspruch, die von ihm fiir seine Zeit gultig und unersetzlich bewakigte Spannung 
zwischen System und Geschichte im Zeichen heutigen Wissens neu zu durchdenken und darzustellen. Doch auch 
fiir den Sachteil mit seiner besonderen Problematik galten sowohl das Gebot des Verlages, die Erstellung des 
Manuskripts in Einklang zu bringen mit Umfang und Erscheinungstermin des Bandes, als auch Riemanns Grund- 
satz der »Gemeinverstandlichkeit« und Gurlitts im Vorwort des Personenteils erhobene Forderung, den un- 
zweifelhaft gesicherten Bestand sachlicher und historischer Einzeldaten festzuhalten, von Oberflachenerscheinungen und 
Tagesmoden das Wesentlkhe und Bleibende zu unterscheiden und dazu beizutragen, der Musikkultur der Gegenwart 
zum rechten Verstandnis ihrer selbst zu verhelfen. 

Unter der Leitung von Wilibald Gurlitt (1889-1963), dem Schiiler Hugo Riemanns, dem Herausgeber des 
Personenteils, wurden auch die Arbeiten am Sachteil begonnen. Bis zum Erscheinen des zweiten Bandes des 
Personenteils hat den Sachteil Herr Professor Dr. Rolf Dammann in dankenswerter Weise bearbeitet. Ab 1961 
stand auch das Redaktionsbiiro im Verlag B. Schott's Sohne in Mainz fiir den Sachteil voll zur Verfiigung, 
zunachst unter Aufsicht von Herrn Dr. Karl Heinz Holler, ab 1962 unter der Leitung von Herrn Dr. Kurt Oehl; 
im gleichen Jahr (und bis 1965) ubernahm Herr Dr. Bernhard Hansen beim Herausgeber in Freiburg die Koordi- 
nation der Redaktionsarbeiten. Im Spatherbst 1963 lag knapp einViertel des Manuskripts mit Gurlitts Impri- 
matur vor; fast alle zentralen Artikel standen noch aus. Zufolge abnehmender Krafte war es Gurlitt in der Zeit 
nach dem Erscheinen des zweiten Personenbandes nicht mehr vergonnt, fiir den Sachteil eine nennenswerte 
Zahl von Stichwortern selbst zu bearbeiten ; in seinem NachlaB f anden sich keine Artikel oder Entwurf e. 
Als Wilibald Gurlitt auf seinem Krankenlager im November 1963 mich mit der Herausgabe des Sachteils be- 
auftragte, sah ich es als meine Aufgabe an, den Entwurf meines Lehrers mir zu eigen zu machen und doch - 
wo es sich aus der Arbeit und deren Durchfiihrung ergab - auch neue Oberlegungen zur Geltung zu bringen. 
Der Mitarbeiterstab wurde wesentlich vergroBert. Der bereits vorliegende Teil des Manuskripts wurde aufs 
neue in den Arbeitsgang einbezogen. Die geplante Zahl der Stichworter konnte verringert werden, um Raum 
zu gewinnen fiir eine iiber die lexikalische Information hinausgehende Durchdringung des Stoffes und fiir die 
Einbeziehung von Stichwortern, die fiir ein Musiklexikon bisher ungewohnlich, im Gesamtbild des vorliegenden 
Bandes jedoch wichtig erschienen (z. B. Terminologie, Symbol, Symmetrie). Beim Abwagen zwischen den 
Anspriichen des Laien einerseits und den Erwartungen des gebildeten Musikers, der studierenden Jugend und 
des Mannes der Wissenschaft andererseits habe ich das Wissensbediirfnis und die Verstehensfahigkeit des heu- 
tigen Musikliebhabers hoch eingeschatzt. Die Erstellung des Manuskripts wurde von den engeren Mitarbeitern 
als eine unter der Leitung des Herausgebers stehende Teamarbeit aufgefaBt und durchgefuhrt. Nur durch das 
Zusammenarbeiten aller Beteiligten, durch gegenseitige Kritik und Hilfe, konnte das Einzelne reifen und sich 
in ein Ganzes fiigen und konnte versucht werden, eine Konzeption durchzufuhren. Es versteht sich von selbst, 
daB diese in der Wahl der Stichworter und in vielen Artikeln und Partien des Lexikons aufscheinende Konzep- 
tion im AnschluB an das Lebenswerk meines Lehrers vor allem die geschichtliche (auch z. B. begriffs- und sozial- 
geschichtliche) Auffassung der Musik in all ihren Erscheinungen betrifft sowje das BewuBtsein des fruchtbaren 
Spannungsverhaltnisses zwischen historischer und systematischer Fragestellung, europaischer und auBereuro- 



paischer Musik, Vergangenheit und Gegenwart. In einer breiten Front von Stichwortern, von denen viele 
erstmalig in einem Lexikon behandelt werden, wurden Musik und Musikleben der Gegenwart in ihren neuen 
kompositorischen und experimentellen, physikalischen, psychologischen und soziologischen, liturgischen und 
juristischen Erscheinungen lexikalisch zu bewaltigen versucht. 

Auch in dem vorliegenden Sachteil wurde auf die sorgfaltige Auswahl und Obersicht der belangvollen ein- 
schlagigen deutschen und auslandischen Fachliteratur und der Ausgaben besonderer Wert gelegt. Bei den 
Landerartikeln war in Riicksicht auf den geplanten Umfang des Lexikons mancher Verzicht geboten. Die Wahl 
der Stadteartikel erfolgte nach dem Gesichtspunkt der vorliegenden wichtigeren Literatur. Ab Januar 1966 
(Redaktionsschlufi des Buchstabens A) konnten die neuerscheinenden Veroffentlichungen nur jeweils bis zum 
Redaktionsschlufi der einzelnen Buchstaben beriicksichtigt und nachgetragen werden. 

Von den jiingeren musikalischen Nachschlagewerken wurden, ohne da8 bei den einzelnen Artikeln eigens 
darauf hingewiesen ist, die auf S. IX genannten Veroffentlichungen haufiger zu Rate gezogen. Aus dem Nach- 
lafl von Alfred Einstein konnte der Verlag die Vorarbeiten fiir eine Neuauflage des Lexikons erwerben. Fiir 
freundliche Unterstiitzung sei besonders den Universitatsbibliotheken Freiburg im Breisgau und Mainz gedankt. 
Wertvolle Dienste leistete das Mikrofilmarchiv des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universitat Freiburg 
im Breisgau. Die Vorarbeiten fiir das von Wilibald Gurlitt begonnene, von mir fortgefiihrte Handworterbiich 
der musikalischen Terminohgie wurden mit Einverstandnis der Akademie der Wissenschaften und der Literatur 
in Mainz in vollem Umfang zur Verfugung gestellt. 

Fiir zahlreiche spezielle Artikel konnte eine Reihe bewahrter Musikologen des In- und Auslandes gewonnen 
werden, deren Beitrige mit ihren Initialen gekennzeichnet sind. Die Artikel der engeren Mitarbeiter wurden 
auf deren Wunsch als Teamarbeit betrachtet und nicht gezeichnet. Bei den groCeren Artikeln des Herausgebers 
glaubte dieser, seine Verantwortlichkeit durch Zeichnung bekunden zu sollen. Doch auch sehr viele der sig- 
nierten Artikel entstanden im Zeichen der Zusammenarbeit zwischen den Verf assern, dem Herausgeber und dem 
engeren Kreis der Mitarbeiter, und immer wieder gait es, Opfer zu bringen im Gedanken an den geplanten 
Umfang des Werkes und aus der Notwendigkeit des Ineinandergreifens der Artikel und Sachgruppen. Diese 
Rucksichten auf das Ganze erforderten ein strenges Regiment, und es gibt kaum einen der Mitarbeiter, den ich 
nicht wegen mancher temperamentvollen Ausbriiche um Entschuldigung zu bitten habe. 
Unter den Mitarbeitern danke ich, auch im Namen Gurlitts, an erster Stelle in Freiburg Herrn Dr. Bernhard 
Hansen, der auch nach seiner Ubersiedlung nach Hamburg (1965) die ubernommene Arbeit fortfiihrte, und 
Herrn Dr. Christoph Stroux fiir ihren selbstlosen Einsatz und ihre unermiidliche Hilfe bei der Erarbeitung des 
Manuskripts sowie fiir die zahlreichen Artikel aus ihrer Feder (neben vielen anderen z. B. Klaviermusik und So- 
ziologie von Herrn Hansen, Humanismus, Tempo und Notenschrift von Herrn Stroux) und in Mainz Herrn 
Dr. Kurt Oehl fiir die tagliche Zuverlassigkeit in alien organisatorischen Fragen und fiir die Betreuung der 
Fachgebiete Oper und Ballett sowie Herrn cand. phil. Horst Adams (Sachgebiete Musikbibliographie und 
Schlaginstrumente) fiir die redaktionelle Mitgestaltung des Bandes, besonders fiir die Sorge um die Herstellung 
von Satz und Notenstich. Die technische Abwicklung der Verlagsarbeiten lag in den Handen von Herrn Karl 
Heinz Kahl, dem Herstellungsleiter des Verlages. 

In Freiburg haben mir aufierdem zur Seite gestanden Fraulein cand. phil. Ines Groh (Redaktionsarbeiten, Be- 
treuung des Sachgebietes Tanze) und in den Jahren ab 1965 als Assistent des Lexikons Herr Dr. Helmut Haack 
(der wahrend dieser Zeit u. a. auch die Artikel Phrasierung, Schuloper und Streichquartett schrieb), dazu die 
Assistenten und Doktoranden des Musikwissenschaftlichen Seminars der Freiburger Universitat, voriibergehend 
auch die Herren Dr. Reinhard Gerlach (Mitarbeit am Artikel Quellen) und Dr. Giinter Birkner. - Als Mitarbeiter 
im Redaktionsbiiro in Mainz waren tatig auch Fraulein Use Lang und die Herren cand. phil. Dieter Thoma (ab 
1965; er schrieb u. a. die Artikel Libretto und Sonate), Heinz Merling (bibliographische Arbeiten), Magisterphil. 
Tadeusz Okuljar, Dr. Jorg Martin (ab 1966) und Wolfgang Weber; die Manuskriptabschriften betreuten Frau- 
lein Hela Ebrecht und Frau Eva von Marillac de St. Julien. Den Damen und Herren des Mainzer Arbeitskreises 
spreche ich fiir ihren rastlosen Einsatz ein besonderes Lob aus. 

Als Mitarbeiter und Berater half en mir bereitwillig die Herren Dr. Horst Ochse (Romanische Philologie), 
Professor Dr. Carl Dahlhaus und Dr. Frieder Zaminer. Fiir einzelne Fachgebiete standen mir zur Seite die Herren 
Professor Giinter Baum (Gesangskunst), Dieter Behne (Systematische Musikwissenschaft, Zeichnungen und Ab- 
bildungen), Professor Dr. Fritz Bose (Musikethnologie), Dr. Wilfried Daenicke (Systematische Musikwissen- 
schaft), Dr. Karl- Werner Giimpel (Katholische Kirchenmusik), Dr. Erwin R. Jacobi (vollstandige Bearbeitung 
des Sachgebiets Verzierungen), Dr. Max Kandler (Militarmusik), Oberregierungsrat Dr.-Ing. Werner Lotter- 
moser (Akustik), Dr. Hans-Peter Reinecke (Systematische Musikwissenschaft), Pfarrer Ernst Karl RoBler 
(Orgel), Dr. Elmar Seidel (Harmonielehre), Dr. Jan Slawe (Vorarbeiten zum Sachgebiet Jazz), Dr. Wilhelm 
Vimeisel (Hilfe bei bibliographischen Arbeiten), Dr. Ernst Ludwig Waeltner (Jazz) und Professor Dr.-Ing. 
Fritz Winckel (Elektroakustik). 

Allen Mitarbeitern und Helf ern, auch den ungenannten, danke ich von ganzem Herzen fiir ihren Beistand und 
fiir ihre geleistete Arbeit. Nur mit ihrer Hilfe, zumal nur durch den unermudlichen Einsatz des engeren Mit- 
arbeiterstabes, konnte diese Arbeit durchgefiihrt werden. Besonderen Dank schulde ich dem Seniorchef des 
Hauses B. Schott's Sonne, Herrn Dr. phil. h. c. Dr. jur. Ludwig Strecker. Er hat das Entstehen des Manuskripts 
mit lebhafter Anteilnahme, tatiger Hilfe und vielen Ratschlagen verfolgt und ihm ein HochstmaB an ideeller 
und materieller Forderung zugute kommen lassen. 

VI 



Ich betrachte den vorliegenden Sachband als einen Versuch, in relativ kurzer Frist eine Aufgabe zu erfiillen, deren 
Bewaltigung mir oft ans Unmogliche zu grenzen schien. Ich hoffe, daB es in Fortfiihrung der Arbeit Wilibald 
Gurlitts gelungen ist, ein Werk zu schaffen, das sich bewahrt und das in der Geschichte des Riemann Musikkxi- 
kons Giiltigkeit gewinnt als ein neues Fundament, auf dem die Zukunft weiterarbeiten kann. Und ich hoffe auch, 
dafi es mir vergonnt ist, eine Zeitlang diese Arbeit noch selbst durchzufiihren. Alle Benutzer des Sachteils bitte 
ich — mit den Worten Hugo Riemanns (Vorwort zur 3. Auflage dieses Lexikons) — mir Verbesserungen und 
Zusatze aller Art zukommen zu lassen, um recht viel von dem, was in dieser Auflage schlecht geblieben ist, in einer 
dereinstigen weiteren Auflage gut machen zu konnen. 

Freiburg im Breisgau, Herbst 1967 Hans Heinrich Eggebrecht 



VORWORT DES VERLAGES 

Dem in seinem Vorwort fur sich selbst in Zuriickhaltung gebliebenen Herausgeber, Dr. Hans Heinrich Egge- 
brecht, dem ordentlichen Professor £iir Musikwissenschaft an der Universitat Freiburg im Breisgau, mochte der 
Verlag auch an dieser Stelle seinen herzlichsten Dank aussprechen. Eggebrecht ist fur seinen Lehrer, den tief- 
betrauerten gemeinsamen Freund Wilibald Gurlitt, eingetreten und hat etwas unersetzlich Scheinendes durch 
ein neues Ereignis ersetzt. Dies war ohne die heutigen ihm zur Verfugung stehenden wissenschaftlichen Voraus- 
setzungen und ein volliges Versenken in die grofie Aufgabe als Vermachtnis und Schopfung nicht moglich. 
Er empfand dabei wie der Verlag die Fortfiihrung des Unternehmens im Geiste Riemanns und Gurlitts auch 
der Offentlichkeit gegeniiber als Verpflichtung. Kritik des Berufenen und Erfahrung des Lesers werden ent- 
scheiden, ob das durch die unglucklichen Umstande verzogerte Erscheinen nicht zeitwert gewesen ist. 

Mainz, Herbst 1967 B. Schott's Sonne 



vn 



Initialen der Mitarbeiter 



AS 


Arnold Schmitz 


HiA 


Higini Angles 


AW 


Albert Wellek 


HiH 


Hilmar Hockner 


AWF 


Armin Wilhelm Fett 


HK 


Hellmut Kiihn 


BB 


Bernhard Billeter 


HOc 


Horst Ochse 


BDS 


Bartolomeo Di Salvo 


HPR 


Hans-Peter Reinecke 


CD 


Carl Dahlhaus 


JAW 


Sir Jack Westrup 


ClS 


Claudio Sartori 


KJS 


Klaus-Jurgen Sachs 


EB 


Elmar Budde 


KS 


Kurt Stephenson 


ED 


Erich Doflein 


KWG 


Karl Werner Giimpel 


EGK 


Edith Gerspn-Kiwi 


LA 


Lars Ulrich Abraham 


EJ 


Ewald Jammers 


LRi 


Lukas Richter 


EK 


Erich Kohler 


LW 


Lisbeth Weinhold 


EKu 


Ernst KuBerow 


MG 


Martin Geek 


ERJ 


Erwin R. Jacobi 


MH 


Michel Huglo 


ESc 


Erich Schenk 


MR 


Martin Ruhnke 


ESe 


Elmar Seidel 


NJ 


Norbertjeanjour 


ET 


Ernst Thomas 


OK 


Otto Koehler 


EWa 


Ernst Ludwig Waeltner 


PA 


Peter Andraschke 


FB 


Fritz Bose 


PP 


Pierre Pidoux 


FeR 


Felix Raugel 


PS 


Peter Schnaus 


FrR 


Fritz Reckow 


PSch 


Pierre Schaeffer 


FW 


Fritz Winckel 


RB 


Reinhold Brinkmann 


FZ 


Franz Zagiba 


RG 


Reinhard Gerlach 


FZa 


Frieder Zaminer 


RSt 


Rudolf Stephan 


GB 


Giinther Baum 


RW 


Rudolf Walter 


GBa 


Gottfried Bach 


SC 


Suzanne Clercx-Lejeune 


GH 


Glen Haydon 


SG 


Siegfried Goslich 


GK 


Giinter Kehr 


StK 


Stefan Kunze 


GKa 


Georg Kandler 


ThG 


Thrasybulos G. Georgiades 


GMa 


Giinther Massenkeil 


UM 


Ulrich Michels 


GR 


Georg Reichert 


VR 


Volker Rahlfs 


GWi 


Giinther Wille 


WB 


Werner Braun 


HA 


Heinz Arnold 


WBl 


Walter Blankenburg 


HaH 


Hans Hickmann 


WBr 


Werner Breig 


HB 


Heinrich Besseler 


WD 


Werner Danckert 


HBe 


Hermann Beck 


WG 


Walter Gerstenberg 


HF 


Helmut Federhofer 


WHR 


Walter Howard Rubsamen 


HGL 


Hans-Gerhard Lichthorn 


WiD 


Wilfried Daenicke 


HHa 


Helmut Haack 


WL 


Werner Lottermoser 


HHE 


Hans Heinrich Eggebrecht 


WoD 


Wolfgang Domling 


HHS 


Hans Heinz Stuckenschmidt 


WoS 


Wolfgang Schmieder 



VIII 



Benutzte neuere Nachschlagewerke 

W. Apel, Harvard Dictionary of Music, Cambridge (Mass.) 15 1964. - Bibliographic des 
Musikschrifttums, herausgegeben von W Schmieder, Frankfurt am Main 1950ff . -M. Bre- 
net, Diccionario de la miisica, iibersetzt und bearbeitet von J. Barbera Humbert, J. Ricart 
Matas und A. Capmany, Barcelona (1946). - H. M. Brown, Instrumental Music Printed 
Before 1600, A Bibliography, Cambridge (Mass.) 1965. - Diccionario de la miisica Labor, 
herausgegeben von J.Pena und H. Angles, 2 Bande, Barcelona 1954. - Dictionnaire 
d'Archeologie Chretienne et de Liturgie, herausgegeben von F. Cabrol OSB und H. Le- 
clercq OSB, 15 Bande, Paris 1924-53. - R.Eitner, Biographisch-bibliographisches Quel- 
len-Lexikon, Nachdruckin 1 1 Banden, Wiesbaden und Graz 1959-60. -Enciclopedia della 
musica, herausgegeben von CI. Sartori und R.Allorto, 4 Bande, (Mailand 1963-64). - 
Enciclopedia dello spettacolo, herausgegeben von S. D'Amico, 9 Bande, Rom (1954-62), 
Aggiornamento 1955-65, Rom (1966). - Encyclopedie de la musique, herausgegeben 
von Fr. Michel, 3 Bande, Paris (1958-61). - Grove's Dictionary of Music and Musicians, 
herausgegeben von E. Blom, 9 Bande, London 51954, Supplement 1961 . - Handbuch der 
Liturgiewissenschaf t, herausgegeben von A.-G. Martimort, Deutsche Ubersetzung vom 
Liturgischen Institut Trier, 2 Bande, Freiburg im Breisgau (1963-65). - G.Kinsky, Mu- 
sikhistorisches Museum von W.Heyer in Coin, Katalog I— II, Koln 1910-12. - J.Kunst, 
Ethnomusicology, Den Haag 3 1959. - Larousse de la musique, herausgegeben von N. 
Dufourcq, 2 Bande, Paris (1957). - Leiturgia, Handbuch des evangelischen Gottesdien- 
stes, herausgegeben von K.F.Miiller und W. Blankenburg, Kassel 1954ff. - H.Leucht- 
mann und Ph. Schick, Langenscheidts Fachworterbuch Musik, Englisch-Deutsch, 
Deutsch-Englisch, Berlin und Miinchen 1964. - Lexikon fur Theologie und Kirche, 
herausgegeben von J.Hofer und K.Rahner SJ, 10 Bande, Freiburg im Breisgau 2 1957- 
65, dazu Erganzungsband: Das Zweite Vatikanische Konzil I, 1966, und Registerband 
1967. - A.Loewenberg, Annals of Opera. 1597-1940, 2 Bande, Genf (21955). - H.J. 
Moser, Musiklexikon, 2 Bande, Hamburg 4 1955, Erganzungsband A-Z 1963. - Die 
Musik in Geschichte und Gegenwart, herausgegeben von Fr.Blume, Kassel 1949ff. - 
Pauly's Realenzyclopaedie der classischen Altertumswissenschaft, Neue Bearbeitung 
herausgegeben von G. Wissowa, Stuttgart 1894ff. - Die Religion in Geschichte und Ge- 
genwart, herausgegeben von K. Galling, 6 Bande, Tubingen 3 1957-62, dazu Register- 
band 1965. - Repertoire International des Sources Musicales, Miinchen und Duisburg 
1960ff. - C.Sachs, Real-Lexikon der Musikinstrumente, neu herausgegeben von E. 
Winternitz, New York (1964). - P. A. Scholes, The Oxford Companion to Music, 
London »1955. - N.Slonimsky, Music Since 1900, New York 31949. - Sohlmanns 
Musiklexikon, herausgegeben von G. Morin, C.-A. Moberg und E. Sundstrom, 4 Bande, 
Stockholm (1948-51). - Tonkonsten, herausgegeben von N. Broman, J. Norrby und 
F.H.T6rnblom, 2 Bande, Stockholm (1955-57). 



Alphabetische Ordnung 



Umlaute sind wie wirkliche Diphthonge behandelt: a = ae, 6 = oe, u = ue. Alle 
ubrigen Zusatzzeichen verandern die alphabetische Anordnung nicht (I, 0, 4, 5, h, I 
usw. = a, o, a, c, h, 1, auch B = ss). 



DC 



Abkurzungen und Siglen 

Die Abkurzungen geltenjeweils fur samtliche Casus und Numeri sowiefremdsprachliche Formen des betreffenden Wortes 



A. 


Alt 


Abb. 


Abbildung 


Abh. 


Abhandlung 


Abk. 


Abkiirzung 


Abt. 


Abteilung 


Acad., Accad. 


Academia, Accademia 


ADB 


Allgemeine Deutsche Biographie 

Handbuch der Musikgeschichte, herausgegebeh von G. Adler, 2 Bande, Berlin 

(21930) 

J. Adlung, Musica mechanica organoedi, herausgegeben von J.L.Albrecht, 2 


AdlerHdb. 


Adlung Mus. mech. org. 




Bande, Berlin 1768 


AfMf 


Archiv f iir Musikf orschung 


AfMw 


Archiv fur Musikwissenschaft 


ahd. 


althochdeutsch 


Akad. 


Akademie 


AM 


Anuario Musical 


AMI 


Acta Musicologica 


AMz 


Allgemeine Musikzeitung 


AmZ 


Allgemeine musikalische Zeitung 


Anh. 


Anhang 


Anm. 


Anmerkung 


Ann. Mus. 


Annales Musicologiques 


anon. 


anonym 


Ant., Anth. 


Antologia, Anthologie 


ApelN 


W. Apel, Die Notation der Polyphonen Musik, 900-1600, Leipzig 1962 


Arch. 


Archiv 


Ass. 


Association 


Ausg. 


Ausgabe 


ausgew., Ausw. 


ausgewahlt, Auswahl 


B. 


BaB 


Bach Versuch 


C. Ph. E.Bach, Versuch ttber die wahre Art das Clavier zu spielen, 2 Teile, BerUn 




1753-62 


Bar. 


Bariton 


B.c. 


Basso continuo 


Bd, Bde 


Band, Bande 


bearb., Bearb. 


bearbeitet, Bearbeitung 


Beitr. 


Beitrag 


Ber. 


Bericht 


Bibl. 


Bibliothek 


Bibliogr., bibliogr. 


Bibliographie, bibliographisch 


BIMG 


Publikationen der Internationalen Musikgesellschaft, Beihefte 


Biogr., biogr. 


Biographie, biographisch 


Bin 


Berlin 


Boll. Bibl. Mus. 


Bollettino Bibliografico Musicale 


BrossardD 


S. de Brossard, Dictionaire de musique, Paris 1703 


Biicken Hdb. 


Handbuch der Musikwissenschaft, herausgegeben von E. Biicken, 10 Bande, 




Wildpark-Potsdam (1927-34) 


Bull. 


Bulletin 


BUM 


Bulletin de la Societe Union Musicologique 


BWV 


W. Schmieder, Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke 




von J. S.Bach, Leipzig 1950 


BzAfMw 


Beihefte zum Archiv fur Musikwissenschaft 


bzw. 


beziehungsweise 


C. 


Cantus 


Cap. 


Capitel 


Cat. 


Catalog 



X 



Cemb. 

Cent. 

C.f. 

CFMA 

CHM 

Chw. 

CMM 

Cod. 

Coll. mus. 

CS 

CSM 

D 

d. 

Davison-Apel Anth. 

DDT 

Delia Corte Scelta 

ders., dies., dass. 

d.h. 

Diss. 

DMK 
DM1 
DMT 
DTB 

DTG 
DVjs. 

ed., Ed. 

EDM 

Einstein Beisp. 

EMS 

engl. 

ev. 

Expert Maitres 

Expert Monuments 

f.,f£. 

f., fol. 

f. 

Fag. 

Faks. 

Ffm. 

Fl. 

frc., frz. 

Fs. 

GA 

Gb. 

gegr. 

gem. Chor 

Ges. 

Gesch. 

GMD 

griech. 

Grove 

GS 

Guilmant-Pirro 

H. 

Habil.-Schrift 

Hbg 

Hdb. 

Hist., hist. 

hi. 

HM 



Cembalo 

Century 

Cantus flrmus 

Classiques f rancais du moyen age 

Collectanea Historiae Musicae 

Das Chorwerk 

Corpus Mensurabilis Musicae 

Codex 

Collegium musicum 

Scriptorum de musica medii aevi novam seriem . . . edidit E. de Coussemaker, 

4 Bande, Paris 1864-76 

Corpus Scriptorum de Musica 

O.E.Deutsch, Schubert, Thematic Catalogue of All His Works, London (1951) 

der, die, das 

Historical Anthology of Music, herausgegeben von A. Th. Davison und W. Apel, 

2 Bande, Cambridge, Massachusetts, I 21950, II 1950 

Denkmaler Deutscher Tonkunst (Erste Folge) 

A. Delia Corte, Scelta di musiche, Mailand 31949 

derselbe, dieselbe, dasselbe 

das heiBt 

Dissertation; wo nicht anders vermerkt = von der Philosophischen Fakultat 

einer Universitat angenommene Inauguraldissertation 

Deutsche Musikkultur 

Documenta musicologica 

Dansk Musiktidsskrift 

Denkmaler Deutscher Tonkunst, Zweite Folge: Denkmaler der Tonkunst in 

Bayern 

Denkmaler der Tonkunst in Osterreich 

Deutsche Vierteljahrsschrift fur Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 

edidit, Edition 

Das Erbe Deutscher Musik 

A.Einstein, Beispielsammlung zur Musikgeschichte, Leipzig und Berlin 4 1930 

The English Madrigal School, herausgegeben von E. H. Fellowes 

englisch 

evangelisch 

Les Maitres musiciens de la renaissance francaise, herausgegeben von H. Expert 

Monuments de la musique francaise au temps de la renaissance, herausgegeben 

von H. Expert 

folgende 

folio 

fur 

Fagott 

Faksimile 

Frankfurt am Main 

Flote 

francais, franzosisch 

Festschrift 

Gesamtausgabe 

GeneralbaB 

gegriindet 

gemischter Chor 

Gesellschaft 

Geschichte 

Generalmusikdirektor 

griechisch 

Grove's Dictionary of Music and Musicians, herausgegeben von E. Blom, 

9 Bande, London 51954, Supplement 1961 

Scriptores ecclesiastici de musica . . ., herausgegeben .von M. Gerbert OSB, 

3 Bande, St. Blasien 1784 

Archives des Maitres de l'Orgue, herausgegeben von A.Guilmant und A.Pirro 

Heft 

Habilitations-Schrift 

Hamburg 

Handbuch 

Historia, historisch 

heilig 

Hortus Musicus 



XI 



Hob. 

hrsg. 

Hs., Hss., hs. 

IGNM 
Inst. 

Instr., instr. 
ISCM 
ital. 

JAMS 

JASA 

Jb. 

JbP 

Jg- 

Jh- 

Kap. 

Kat. 

kath. 

Kb. 

Kgr.-Ber. 

Kl. 

K1.-A. 

Klar. 

klass. 

Kmjb 

KochL 

Kod. 

K.-V. 



lat. 
LD 
Lit. 
Lpz. 

MA, ma. 

MAB 

Maldeghem Tresor 

maschr. 

Mattheson Capellm. 

MD 

Mf 

MfM 

Mg., mg. 

MGG 

MGkK 

mhd. 

Migne Patr. gr. 

Migne Patr. lat. 

Mitt. 

Mk 

ML 

MMBelg 

MMD 

MMEsp 

MMMLF 

MMR 

Mozart Versuch 

MQ 

MR 

Ms., Mss. 

MSD 

MuK 

mus. 

Mus. Brit. 

Mw., mw. 



A. van Hoboken, J.Haydn, Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis I, 

Instrumental werke, Mainz (1957) 

herausgegeben 

Handschrift, Handschriften, handschriftlich 

Internationale Gesellschaf t f iir Neue Musik 

Institut 

Instrument, instrumental 

International Society for Contemporary Music 

italienisch 

Journal of the American Musicological Society 

Journal of the Acoustical Society of America 

Jahrbuch 

Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 

Jahrgang 

Jahrhundert 

Kapitel 

Katalog 

katholisch 

KontrabaB 

Kongrefi-Bericht 

Klavier 

Klavier-Auszug 

Klarinette 

klassisch 

Kirchenmusikalisches Jahrbuch 

H.Chr.Koch, Musikalisches Lexikon, Frankfurt am Main 1802 

Kodex 

L. Ritter von Kochel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis samtlicher Ton- 

werkeW.A.Mozarts, bearbeitet von A.Einstein, Leipzig ^1937 

lateinisch 

Das Erbe Deutscher Musik, Zweite Reihe: Landschaftsdenkmale 

Literatur 

Leipzig 

Mittelalter, mittelalterlich 

Musica Antiqua Bohemica 

Tresor musical, herausgegeben von R.J. Van Maldeghem 

maschinenschriftlich 

J. Mattheson, Der Vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739 

Musica Disciplina 

Die Musikforschung 

Monatshefte fur Musikgeschichte 

Musikgeschichte, musikgeschichtlich 

Die Musik in Geschichte und Gegenwart, herausgegeben von Fr. Blume, Kassel 

und Basel seit 1949 

Monatsschrift fur Gottesdienst und kirchliche Kunst 

mittelhochdeutsch 

Patrologiae cursus completus, series graeca, herausgegeben von J. P. Migne 

Patrologiae cursus completus, series latina, herausgegeben von J. P. Migne 

Mitteilung 

Die Musik 

Music & Letters 

Monumenta Musicae Belgicae 

Musikalische Denkmaler, herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften 

und der Literatur in Mainz 

Monumentos de la Musica Espafiola 

Monuments of Music and Music Literature in Facsimile 

The Monthly Musical Record 

L.Mozart, Versuch einer grundlichen Violinschule, Augsburg 1756 

The Musical Quarterly 

Music Review 

Manuskript, Manuskripte 

Musicological Studies and Documents 

Musik und Kirche 

musikalisch 

Musica Britannica 

Musikwissenschaft, musikwissenschaftlich 



XII 



NA 

NDB 

N. F. 

nhd. 

nld. 

NMA 

Nr.Nrn 

N. S. 

NY 

NZfM 

Ob. 

OCist 

OESA 

OFM 

o.J. 

OMCap 

o. O. 

OP 

op. 

Orch. 

Org. 

Organum 

OSA 

OSB 

P3M 

PAMS 

Pauly-Wissowa RE 

P-C 

Pedrell Teatro 

Pfte 

PGfM 

Plur. 

port. 

Pos. 

Praetorius Synt. 

Proc. Mus. Ass. 

Proc. R. Mus. Ass. 

prov. 

P.-V. 



Quantz Versuch 
R 

Rass. mus. 

RBM 

RD 

rde 

Rev. 

Rev. de Musicol. 

Riemann Beisp. 

Riemann MTh 

RISM 

RM 

RMI 

russ. 

s. 
S. 
S. 
Sachs Hdb. 

SachsL 

Sb. 

Schering Beisp. 



Neuausgabe 

Neue Deutsche Biographie 

Neue Folge 

neuhochdeutsch 

niederlandisch 

Nagels Musik-Archiv 

Nummer, Nummern 

Neue Serie 

New York 

Neue Zeitschrift fur Musik 

Oboe 

Ordo Cisterciensium 

Ordo Eremitarum Sancti Augustini 

Ordo Fratrum Minorum 

ohne Jahr 

Ordo Fratrum Minorum Capuccinorum 

ohne Ort 

Ordo Praedicatorum 

opus 

Orchester 

Orgel 

Organum, Ausgewahlte altere vokale und instrumentale Meisterwerke 

Ordo Sancti Augustini 

Ordo Sancti Benedicti 

Publikationen alterer Musik 

Papers of the American Musicological Society 

Pauly's Realenzyclopaedie der classischen Altertumswissenschaft, Neue Bearbei- 

tung von G. Wissowa 

A.Pillet und H. Carstens, Bibliographic der Troubadours, = Schriften der K6- 

nigsberger Gelehrten Gesellschaft, Sonderreihe Band III, Halle 1933 

Teatro lirico espafiol anterior al siglo XIX, herausgegeben von F. Pedrell 

Pianoforte 

Publikation Aelterer Praktischer und Theoretischer Musikwerke 

Plural 

portugiesisch 

Posaune 

M. Praetorius, Syntagma musicum, 3 Bande, Wolfenbiittel 1614-19 

Proceedings of the Musical Association 

Proceedings of the Royal Musical Association 

provenzalisch 

M.Pincherle, A.Vivaldi et la musique instrumentale II, Inventaire thematique, 

Paris (1948) 

J.J. Quantz, Versuch einer Anweisung die Flote traversiere zu spielen, Berlin 1752 

G. Raynauds Bibliographic des altfranzosischen Liedes, neu bearbeitet . . . von 

H. Spanke, =Musicologica I, Leiden (1955) 

Rassegna musicale 

Revue Beige de Musicologie 

Das Erbe Deutscher Musik, Erste Reihe: Reichsdenkmale 

rowohlts deutsche enzyklopadie 

Revue 

Revue de Musicologie 

H. Riemann, Musikgeschichte in Beispielen, Leipzig 1912 

H. Riemann, Geschichte der Musiktheorie, Berlin ( 2 1921) 

Repertoire International des Sources Musicales 

La Revue Musicale 

Rivista Musicale Italiana 

russisch 

saeculum 

Seite 

Sopran 

C. Sachs, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, = Kleine Handbiicher der 

Musikgeschichte nach Gattungen XII, Leipzig 2 1930 

C. Sachs, Real-Lexikon der Musikinstrumente, neu herausgegeben von E.Win- 

ternitz, New York (1964) 

Sitzungsberichte; wo nicht anders vermeTkt = Sitzungsberichte der philoso- 

phisch-historischen Klasse einer Akademie 

A. Schering, Geschichte der Musik in Beispielen, Leipzig 1931 



XIII 



SchillingE 


Encyclopadie der gesammten musikalischen Wissenschaften, herausgegeben von 




G. Schilling, 6 Bande, Stuttgart 21840, Supplement 1842 


SCJ 


Congregatio Sacerdotum a Sacro Corde Jesu 


SIMG 


Sammelbande der Internationalen Musikgesellschaft 


Sing. 


Singular 


Singst. 


Singstimme 


SJ 


Societas Jesu 


SJbMw 


Schweizeriscb.es Jahrbuch fiir Musikwissenschaft 


Slg, Slgen 


Sammlung, Sammlungen 


SMZ 


Schweizerische Musikzeitung 


s. o. 


siehe oben 


Soc. 


Societa 


Sp. 


Spalte 


span. 


spanisch 


St., st. 


Stimme, stimmig 


staatl. 


staatlich 


STMf 


Svensk Tidskrift for Musikforskning 


StMw 


Studien zur Musikwissenschaft 


stor. 


storico 


s. u. 


siehe unten 


Suppl. 


Supplement 


s. v. w. 


so viel wie 


T. 


Tenor 


Tagliapietra Ant. 


G. Tagliapietra, Antologia di musica antica e moderna per il pianoforte, 




18 Bande, Mailand 1931-32 


TH 


Technische Hochschule 


TMw 


Tijdschrift voor Muziekwetenschap 


Torchi 


L'arte musicale in Italia, herausgegeben von L. Torchi 


Trp. 


Trompete 


TVer 


Tijdschrift der Vereeniging vor Nederlandse Muziekgeschiedenis 


u., u. a. 


und, und andere, unter anderem 


Ubers. 


Ubersetzung 


Univ. 


Universitat 


u. 6., usf. 


und ofter, und so fort 


usw. 


und so weiter 


V. 


Violine 


v. 


von 


V. 


vox 


Va 


Viola 


Vc. 


Violoncello 


Ver. 


Verein 


Veroff. 


Veroffentlichung 


Verz. 


Verzeichnis 


VfMw 


Vierteljahrsschrift fiir Musikwissenschaft 


vgl. 


vergleiche 


Vorw. 


Vorwort 


WaltherL 


J. G. Walther, Musicalisches Lexicon, Leipzig 1732 


Wiss., wiss. 


Wissenschaft, wissenschaftlich 


WolfN 


J. Wolf, Handbuch der Notationskunde, 2 Bande, = Kleine Handbiicher der 




Musikgeschichte nach Gattungen VIII, 1-2, Leipzig 1913-19 


WoO 


Werk ohne Opuszahl 


z. B. 


zum Beispiel 


Zflb 


Zeitschrift fiir Instrumentenbau 


ZfM 


Zeitschrift fiir Musik 


ZfMw 


Zeitschrift fiir Musikwissenschaft 


ZIMG 


Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 


Zs., Zss. 


Zeitschrift, Zeitschriften 



Hinweis auf ein Stichwort des Lexikons; weitere Einzelheiten unter dem be- 
zeichneten Stichwort (eine beigefiigte Zahl weist auf Unterteilung des Artikels 
hin). 



XIV 



Aussprachebezeichnungen 

aus dem System der Association phonitique Internationale 

se ganz offenes e bzw. a, wie englisch cat 

c stimmloses z, wie deutsch Zahl 

c vorderer Reibelaut, wie deutsch ich 

x Kehllaut, wie deutsch ach 

e geschlossenes e, wie deutsch Beet 

e offenes e, wie deutsch Bett, lang wie deutsch Bar 

3 unbetontes kurzes e (Murmelvokal), wie deutsch Gelage 

i wie kurzes u mit i-Farbung 

A verschleiftes lj, wie italienisch battaglia 

p. verschleiftes nj, wie franzosisch agneau 

rj nasaliertes ng, wie deutsch lang 

d offenes o, wie deutsch Spott 

o geschlossenes o, wie deutsch Hohn 

oe offenes 6, wie deutsch Spotter 

a offenes 6 mit a-Farbung, wie englisch cut 

geschlossenes 6, wie deutsch hohnen 

j stimmhaft, im Unterschied zum deutschen r kein Reibelaut, wie englisch bread 

s stimmloses s, wie deutsch essen 

z stimmhaftes s, wie deutsch Rasen 

J stimmloses sch, wie deutsch Schale 

3 stimmhaftes sch, wie franzosisch garage 

8 stimmloser Lispellaut, wie englisch thin 

5 stimmhafter Lispellaut, wie englisch then 

a u mit u-Farbung, wie schwedisch hus 

v schwach stimmhaftes w, wie deutsch warten 

w stark stimmhaftes w, wie englisch wait 

u ganz stimmhaftes w, ahnlich einem ganz offenen u, wie polnisch zloto 

Hilf szeichen : 

'a betonter Vokal 

a: langer Vokal 

a nasalierter Vokal 

l, ii, Halbvokale 

(Konsonanten werden nur doppelt geschrieben, wo zwei Laute gesprochen werden, 

wie deutsch Rebberg.) 



XV 



A, - 1) Ton-Name: In der lateinischen-*- Buchstaben- 
Tonschrift begann die Reihe meist mit A, das im Sy- 
stem der Kirchentbne Confinalis des Dorischen ist. 
Glarean (1547) fiigte auf A den Aeolius hinzu. Seit 
Zarlino (1571) ist der Ionius auf C primo modo; da- 
durch riickte der Anfangsbuchstabe des Alphabets an 
die 6. Stelle (C D E F G A H). Bei den romanischen 
Volkern hat die Solmisationssilbe La den Buchstaben 
verdrangt. Die Erniedrigung um einen Halbton heifit 
As (engl. A flat; frz. la bemol; ital. la bemolle), um 2 
Halbtone Asas (engl. A double flat; frz. la double be- 
mol; ital. la doppio bemolle), die Erhohung um einen 
Halbton Ais (engl. A sharp; frz. la diese; ital. la diesis), 
um 2 Halbtone Aisis (engl. A double sharp; frz. la 
double-diese; ital. la doppio diesis). -2) Stimmton: Im 
allgemeinen wird nach dem eingestrichenen A (a 1 ) ein- 
gestimmt; doch gibt es auch Stimmgabeln, die statt 
des Kammertons al das a 2 oder (wie f riiher in England) 
c 2 angeben. - 3) Seit Anfang des 19. Jh. werden in theo- 
retischen Werken Akkorde mit ->■ Buchstaben-Ton- 
schrift bezeichnet (A bedeutet den A dur-Dreiklang, a 
den A moll-Dreiklang) ; im -*■ Klangschliissel treten 
Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart nur 
durch ihren Grundton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh. 
entsprechend den Akkordbezeichnungen so ausgelegt, 
daB A fiir A dur, a fur A moll stand. Doch ware es 
heute irref uhrend, den Zusatz dur oder moll bei einer 
Tonartbezeichnung auszulassen, da ein Titel wie »Sere- 
nade in A« (Strawinsky) erweiterte Tonalitat mit Terz- 
freiheit meint. Bis um 1800 wurde auch Ajjf fiir A dur, 
A oder a fiir A moll gebraucht. - 4) Abk. fiir Altus 
oder Antiphon. 

Aachen. 

Lit. : A. v. Reumont, A.er Liederchronik, A. 1873 ; W. Lu- 
ders, Die Hofkapelle d. Karolinger, Arch. f. Urkunden- 
f orschung II, 1909 ; O. Gatzweiler OFM, Die liturgischen 
Hss. d. A.er Miinsterstifts, = Liturgiegeschichtliche Quel- 
len u. Forschungen X, Munster i. W. 1926 ; Beitr. zur Mg. d. 
Stadt A., hrsg. v. C. M. Brand u. K. G. Fellerer, = Beitr. 
zur rheinischen Mg. VI, Koln u. Krefeld 1954; H. Frei- 
stedt, Introituspsalmodie in A.er Hss. d. ausgehenden MA, 
in: Studien zur Mg. d. Rheinlandes, = Beitr. zur rheini- 
schen Mg. XX, Koln 1956; Le prosaire d'Aix-la-Chapelle, 
hrsg. v. R.-J. Hesbert OSB, = Monumenta Musicae 
Sacraelll, Rouen 1961. 

abattuta (ital.) -► Battuta. 

Abblasen bedeutet vom Turm abeblasen, herabblasen 
(e turri tibiis canere, WaltherL) zu bestimmten Stunden 
und Anlassen, spater auch Turmblasen genannt. Es ge- 
horte - wie auch das ->■ Anblasen - zu den Obliegen- 
heiten {dinst uffm Thorme) des Tiirmers oder Haus- 
manns (fiir Halle um 1550: soil er alwege wie vor alters, 
auff zwene orthe oder gegent blasen, Serauky, S. 312), 
spater zu den Pflichten der -»■ Stadtpfeifer undRatsmu- 
siker, so fiir Halle 1571 : Des Mittages umb il Ohr, des 
Abendts umb 7, undfrue Morgens umb drei schlege sollen 



sie wie von alters her alzeit Breuchlich gewest . . . , des- 
gleichen alle Sonnabendt nachmittage umb ein Ohre uffm 
Rathause sein und alle vier daselbst vom gange herab blasen 
(Serauky, S. 282). Das A. diente zur Probe der Wach- 
samkeit und Verkiindung der Stunden, ferner zu bea- 
rer Zierde der Stadt bey denen Frembden (Zeitz 1701, 
bei Werner S. 51) und zur Erweckung christlicher An- 
dacht. Derm wenn unsere Stadt-Pfeiffer etwa zur Fest- 
Zeit ein geistliches Lied mit lauter Trombonen vom Thurme 
blasen, so werden wir iiber alle massen dariiber beweget, und 
bilden uns ein, als horen wir die Engel singen (J. Kuhnau 
1700). Von den Tiirmen der Stadttore, der Plattform 
des Kirchen-, Rathaus- oder Schlofiturmes (»Blaser- 
turm« des Stiftes St. Florian, »Schmetterhaus« am 
Stadtturm in Troppau) bliesen die Musiker Fanfaren 
und Signale, Choralsatze und »Abblase-Stiickgen« 
(Tanzsatze, Sonaten, »Turmsonaten«) in ihre pfeifen, 
krumhbrner, zincken oder schalmeien (so laut Bestimmun- 
gen fiir Trier 1593/94), mit Posaunen und Zincken . . . 
Cornetten und Trombonen (so fiir Leipzig 1670 und 1694), 
wofiir seit Mitte des 16. Jh. eigenstandige -*■ Turm- 
musik iiberliefert ist. Ununterbrochene Tradition des 
A.s bestand teilweise bis ins 19. Jh. So verpflichteten 
sich die Musiker von Zeitz 1836, das bisher iibliche Ab- 
blasen vom Rathaus wochentlich und bei besonderen Festen 
unentgeltlich zu verrichten (Werner, S. 53). In neuerer 
Zeit erfuhr das Turmblasen eine Wiederbelebung und 
wird auch heute noch mancherorts von Posaunencho- 
ren namentlich als Weihnachts- und Neujahrsblasen 
gepflegt. 

Lit.: J. Kuhnau, Der Mus. Quack-Salber, Dresden 1700, 
hrsg. v. K. Benndorf, = Deutsche Literaturdenkmale, 
N. F. XXXIII-XXXVIII, Bin 1900, S. 210; R. Kade, Die 
Leipziger Stadtpfeifer, MfM XXI, 1889; H. J. Moser, Die 
Musikergenossenschaften im deutschen MA, Diss. Ro- 
stock 1910; ders., Zur ma. Mg. d. Stadt Coin, AfMw I, 
1918/19; ders., Tonende Volksaltertiimer, Bin (1935); A. 
Aber, Die Pflege d. Musik unter d. Wettinern u. wettini- 
schen Ernestinem, = Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. mw. 
Forschung zu Biickeburg IV, 1 , Buckeburg u. Lpz. 1921, S. 
57 u. 1 50 ; A. Werner, Stadtische u. f urstliche Musikpflege 
in Zeitz bis zum Anfang d. 19. Jh., ebenda IV, 2, 1922; A. 
Schering, Mg. Lpz. II, Lpz. 1926, S. 271ff. u. Ill, Lpz. 
1941, S. 153; W. Serauky, Mg. d. Stadt Halle I, = Beitr. 
zur Musikforschung I, Halle u. Bin 1935, S. 280ff., 310ff.; 
H. Federhofer, Die Stadtturmermeister v. Leoben, Blatter 
f. Heimatkunde XXIII, 1949. 

Abbreviaturen (Abkiirzungen) gibt es sowohl fiir die 
Notenschrift selbst als auch fiir die beigefiigten Vor- 
trags- und Instrumentenbezeichnungen. Die gebrauch- 
lichsten A. der Notenschrift sind: - 1) die Wiederho- 
lungszeichen (-> Reprise, -> da capo, -»■ dal segno, 
-*■ primo) anstelle des nochmaligen Ausschreibens 
einer Anzahl Takte oder eines ganzen Formteils ; auch 
wird statt dessen (besonders in Manuskripten) bei so- 
fortiger Wiederholung eines einzelnen Taktes oder 
weniger Takte die Bezeichnung bis oder due volte 
(zweimal) angewandt. - 2) die Wiederholung einer 



Abbreviaturen 



Gruppe von mehreren Takten oder eines friiheren 
Formabschnittes durch come sopra oder durch Takt- 
bezifferung, wobei die zu wiederholenden Takte mit 
Zahlzeichen oder Buchstaben versehen sind und an- 
stelle ihrer Wiederkehr nur die betreffenden Zeichen in 
oder iiber den leeren Takten stehen. - 3) das Zeichen 
fur die Wiederholung desselben Taktes: 



m 



m 



aber 2 



gelesen, audi wenn kein segue oder simile dabeisteht. 
Die aus repetierten Einzeltonen und tremolando kom- 
binierten Figuren werden abbreviiert: 




das auch fur die "Wiederholung eines halben Taktes 
oder auch nur fur eine einzelne Figur verwendet wird: 



n i i i i 1 — i i II ' ' ~i ; 

S JJJJJJ [I »• J 1 





das Zeichen fiir die Wiederholung eines Doppel taktes : 




- 7) Fiir das Glissando werden nur Anfangs- und Ziel- 
ton notiert und die Zwischentone durch einen Strich 
ersetzt: 



Anstelle dieser (alteren) Zeichen fiir ein- oder mehrtak- 
tige Wiederholungen wird heute im allgemeinen f ol- 
gendes Zeichen (scherzhaft »Faulenzer« genannt) ver- 
wandt: 




- 8) In ahnlicher Weise wird die Fortsetzung einer 
Passage oder Figuration durch A. bezeichnet: 




- 4) das Zeichen fiir die Tonrepetition (Aufteilung ei- 
nes grofieren Notenwertes in eine Trommelfigur), wo- 
bei die Abbreviatur anzeigt, in welche Notengattung 
die langeren Noten aufgelost werden: 




- 9) das Oktavzeichen zur Vermeidung vieler Hilfs- 
linien fiir sehr hohe oder sehr tiefe Noten: 




- 5) die Zeichen fiir den fortgesetzten Wechsel ver- 
schiedener Tone (tremolando). Die Anzahl der beide 
Noten miteinander verbindenden Querbalken bezeich- 
net die Notengattung, in der die Ausf iihrung erfolgen 
soil (-> Brillenbasse) : 




(Achtel) 



(Sechzehntell (ZweiunddreiBigstel) 



- 6) Besonders in alterer Musik wurde die Fortsetzung 
einer Form der Akkordbrechung durch die Beischrift 
segue (oder simile), auch ->- Arpeggio verlangt: 




simile 



Abbreviatur 2 



Iwird 2= 



r r I 



ausgefiihrt, 



8 va bassa 

Seltener ist 16ma ( a lta oder bassa; heute auch, richtiger, 
15 iiblich) fiir die Versetzung um zwei Oktaven. Die 
Bezeichnung c. 8™ . . . (iiber oder unter einzelnen No- 
ten auch blofi 8) bedeutet con (coll')ottava oder con 
ottava bassa, anstatt ausgeschriebener Oktaven. - 10) In 
Partituren (besonders handschriftlichen) erspart man 
das Ausschreiben gekoppelter Stimmen durch Anwei- 
sungen wie: flauto col violino in 8 va ; fagotto col basso 
(»mit dem BaB«, d. h. dieselben Noten wie dieser), 
Oboe lido col I«n° usw. Ahnlich wurde friiher in der 
Klaviermusik bei in Oktaven parallel gefiihrten Passa- 
gen nur der Part der einen Hand ausgeschrieben und 
der der anderen, nachdem durch wenige Noten die 
Entfernung der Hande voneinander festgestellt war, 
mit (all')unisono bezeichnet. 

In Orchester- oder Chorstimmen wird eine langere 
Folge von -*■ Pausen durch besondere Pausenzeichen 
mit Zahlenangabe der pausierenden Takte zusammen- 
gefaBt. Die -> Zeichen fiir Verzierungen sind nur zum 
Teil A. 

Die wichtigsten Wort-A. sind: 
abb. = abbassamento (ital.), Sinkenlassen 

(der Stimme) 
Ace, ace. = Accompagnamento, Accompagnato 
(ital.) ; Accompagnement, accom- 
pagne (frz.), -> Begleitung 
accel. -*■ accelerando 

Accomp. — Accompagnato, ->■ Begleitung 



Abendmusik 



Ad° 
ad lib., 
ad libit. 

All 
AU tto 

And. 

And ino 

arc. 

arp. 

a t. 

B.C. 

c 

Cad. 

C.t. 

cone. 

Cont. 

cont. 

cres. t cresc. 

Dal S. 

B.C. 

decresc. 

dim., dimin. 

div. 

dol. 

espr. 

// JJ, JJT 

ft'z 

fP 

fz 

gliss. 
G. O. 
G. P. 
l.H. 

m 

marc, 
m.d. 

m.g. 

nif 

M.M. 

mod. 

nip 

m.s. 

m.v. 

obi. 

op. (posth.) 

P 

P, VV, WPP 

pass. 

Ped. 
Pf 

princ. 

rail. 

rf, rfz 

r.H. 

rini. 

rip. 

rit. 



Adagio 
ad libitum 

Allegro 

Allegretto 

Andante 

Andantino 

coll'arco, ->• arco 

arpeggio 

a tempo 

Basso continuo 

con, col (ital.), mit 

Cadenza, ->■ Kadenz 

Cantus firmus 

concertato, concertant 

Continuo, -*■ Basso continuo 

contano 

crescendo 

dal segno 

da capo 

decrescendo 

diminuendo 

divisi 

dolce 

espressivo 

forte, fortissimo, forte fortissimo 

forzatissimo, -*■ sforzato 

fortepiano, ->■ forte 

forzato, -*■ sforzato 

glissando 

Grand Orgue 

Generalpause 

linke Hand 

1) meno (ital.), weniger; 

2) mezzo (ital.), halb 
- marcato 

mano destra (ital.), main droite (frz.), 

rechte Hand 

main gauche (frz.), linke Hand 

mezzoforte, -*■ forte 

Metronom Malzel 

moderato 

mezzopiano, -> piano 

mano sinistra (ital.), linke Hand 

mezza voce 

obligat, obligato (ital.), oblige (frz.) 

Opus (post(h)umum) 

1) piu (ital.), mehr; 2) poco (ital.), 

wenig 

piano, pianissimo, pianissimo piano 

passionato (ital.), passionne (frz.), 

appassionato 

Pedal 

1) poco forte, -> forte, -»■ piano; 

2) piu forte 
principale 
rallentando 
rinforzando 
rechte Hand 
rinforzando 
ripieno 
ritardando, ritenuto 



S. 

seg. 
sf 
sfp 

smorz. 

sord. 

sost. 

spice. 

stacc. 

string. 

ten. 

U- t h — 

trem. 

T.S. 

unis. 

v. s. 



Lit.: L. 
WolfN. 



-»■ Segno 
->- segue 
-»■ sforzato 

= sforzato piano, -»■ sforzato 
-> sforzato 

= smorzando (ital.), ersterbend 
= con -> sordino 
-+ sostenuto 
->■ spiccato 
-> staccato 
-> stringendo 
-»■ tenuto 
-> Triller 

-»■ tremolo, tremolaiido 
-»■ Tasto solo 
-> unisono 

= 1) -*■ volti subito; 2) vide sequens 
(lat.), siehe das Folgende 
Farrenc, Traite des abriviations, Paris 1897; 



Abendmusik hieB im 17. und 18. Jh. der Zyklus 
offentlicher Konzerte, den die Organisten der Lii- 
becker Marienkirche regelmaBig an den beiden letzten 
Trinitatis-Sonntagen und dem 2. bis 4. Adventssonntag 
im AnschluB an den Nachmittagsgottesdienst veran- 
stalteten sowie die an diesen 5 Sonntagen aufgefiihrte 
zusammenhangende, oratorienartige Komposition. So- 
wohl fiir die Geschichte des Konzertwesens als auch 
fiir die des Oratoriums kommt der A. besondere Be- 
deutung zu. Ihren Ursprung soil die A. in Orgelkon- 
zerten haben, die die Liibecker Organisten vor Eroff- 
nung der auf dem offenen Markt gehaltenen Borse 
veranstalteten. SchonTunder (Marienorganist 1641-67) 
hat fiir sein »Abendspielen« Hilfskrafte herangezogen. 
Buxtehude gab wahrend seiner Amtszeit (1668-1707) 
der A. ihre endgiiltige Form und begriindete ihren 
Ruhm. Eintrittsgeld wurde nicht erhoben. Der Orga- 
nist versandte die gedruckten Textbucher und erhielt 
dafiir freiwillige Spenden. Einen festen Betrag stellte 
die Kaufmannschaft zur Verfiigung. In Ausnahmefal- 
len kam auch die Kirche fiir besondere Unkosten auf. 
Fiir die A. standen dem Organisten der Schulchor, die 
Ratsmusiker und die Instrumentisten der sogenannten 
Kostenbriiderschaft zur Verfiigung; wenn notig, wur- 
den Gesangssolisten aus Hamburg und Kiel verpflich- 
tet. Damit war die A. weitaus reicher besetzt als die 
sonn- und festtagliche Figuralmusik des Kantors. Bux- 
tehude hat noch nicht immer eine zusammenhangende, 
sich iiber die 5 Sonntage erstreckende A. aufgefiihrt, 
wie es unter den Amtsnachfolgern Schieferdecker, 
J. P. und A. C.Kunzen und v.Konigslow zur Regei 
wurde, sondern gelegentlich auch gemischte Program- 
me mit Kantaten und Choren geboten. Ob es sich bei 
dem anonym und ohne Titel in Uppsala aufgefunde- 
nen, Buxtehude zugeschriebenen sogenannten »Jung- 
sten Gericht« um eine Liibecker A. handelt, ist neuer- 
dings umstritten. Von diesem Werk abgesehen, haben 
sich von den A.en Buxtehudes nur wenige Textbucher 
erhalten (1678 und 1700), ferner von zwei als »extraor- 
dinare A.« bezeichneten Gelegenheitskompositionen, 
die zwar an Wochentagen aufgefiihrt wurden, aber in 
Aufbau und Besetzung den A.en gleichzustellen sind; 
die Titel zweier f iinf teiliger oratorischer Werke Buxte- 
hudes finden sich 1684 in Mefikatalogen unter den 
Druckankiindigungen. Unter seinen Nachf olgern wur- 
den die StoSe meist dem Alten Testament entnommen 
und haufig, aber nicht immer, zum Leben oder zur 
Ankunft Christi in Beziehung gesetzt. Die A. wurde 



a bene placito 



stets vom Organisten selbst komponiert; erst seit 1789 
kamen gelegentlich auch Werke anderer Komponisten 
zur AuffUhrung. Seit 1752 wurde Interessenten auch 
der Besuch der Generalproben gegen Eintrittsgeld ge- 
stattet. 1789 wurde die A. zum letzten Mai in der Kir- 
che aufgefiihrt; 1810 endeten auch die Auffiihrungen 
im Konzertsaal. Partituren von A.en waren erst aus 
der 2. Halfte des 18. Jh. iiberliefert; sie sind seit 1945 
verschollen. 

Lit.: C. Stiehl, Die Organisten an d. St. Marienkirche 
u. d. A. in Liibeck, Lpz. 1886; A. Schering, Gesch. d. 
Oratoriums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III, 
Lpz. 1911 ; W. Stahl, Fr. Tunder u. D. Buxtehude, Lpz. 
1926; ders., Die Lubecker A. im 17. u. 18. Jh., Liibeck 
1937; O. Sohngen, Die Lubecker A. als kirchengeschicht- 
liches u. theologisches Problem, MuK XXVII, 1957; G. 
Karstadt, Die »Extraordin3ren« A. D. Buxtehudes, Lii- 
beck 1962. MR 

a bene placito (a b'e:ne pl'a:tfito, ital.), nach BeUeben, 
frei im Vortrag; -> ad hbitum. 

Abgesang -> Bar. 

Abo -> Turku. 

Abruptio (lat., das AbreiBen), in der Kompositions- 
lehre des 17. und 18. Jh. eine musikalische Figur ohne 
rhetorisches Vorbild dieses Namens. Ihr allgemeines 
Merkmal ist das unerwartete Abbrechen oder Zerrei- 
fien des musikalischen Kontextes, besonders statt des 
Eintretens einer Auflosung. Im Stilus recitativus ist die 
A. nach Bernhard (urn 1650) und J.G.Walther (1732) 
gegeben, wenn die Singstimme in der Quarte endet 
(ohne Auflosung in die Terz) und der BaB die Kadenz 
allein zu Ende fiihrt: 




oder (nach Bernhard) wenn statt eines Verlangerungs- 
punktes eine Pause gesetzt wird: 



jrrrrr ^ \ m 



? 



¥ 



Koch (1802) beschreibt sie als Abbrechen des Satzes an 
ungewohnlichem Ort, z. B. wenn nach Subdominante 
und Dominante eine Generalpause folgt, ehe die Toni- 
ka erscheint. Die A. ist verwandt mit der ->• Ellipsis. 

Absetzen, Terminus des 16.-18. Jh. fiir die Ubertra- 
gung eines Vokalstiickes in die -> Tabulatur eines 
Soloinstruments. 

Absolute Musik meint reine Musik, losgelost von 
Bedingungen, die auBerhalb ihrer selbst liegen, na- 
mentlich von Verbindungen zu anderen Kunsten, 
namlich frei von der Absicht, Sprachformen und -in- 
halte zum Erklingen zu bringen, Begriffliches und 
Gegenstandliches nachzuahmen, zu malen oder abzu- 
bilden, Affekte oder Gefiihle darzustellen oder auszu- 
driicken, dabei zugleich frei von Riicksichten auf Zeit, 
Ort und Gelegenheit, - Musik also, die sich selbst das 
Gesetz gibt, und deren Existenz und Aussage in solcher 
Autonomic des musikalischen Formens und Fiigens 
griindet. - Wohl erstmalig in bezug auf Musik be- 
gegnet der Ausdruck »absolut«, - der im Deutschen 
Idealismus neben dessen Begriff des Absolut-Schdnen 
so noch nicht hatte gedacht werden konnen -, bei 



Hanslick (1854; S. 20): nur die Instrumentalmusik sei 
reine, absolute Tonkunst im Sinne jenes spezifisch Musi- 
kalisch-Schonen, das einzig in den Tonen und ihrer kiinst- 
lerischen Verbindung liegt. Doch kiindigt sich diese Vor- 
stellung'seit Ende des 18. Jh. in zunehmendem Mafie 
an, zunachst namenthch bei Herder (1769; S. 122, und 
1800; S. 185f.), der die Musik eine eigenmdchtige Kunst 
nennt, die sich ohne Worte, bios durch und an sich . . . zur 
Kunst ihrer Artgebildet habe. Deutlich laBt Tieck (1799, 
I, S. 305) die zentrale Geltung der Instrumentalmusik 
aufscheinen: in ihr sei die Kunst unabhdngig und frei, sie 
schreibt sich nur selbst ihre Gesetze vor, sie phantasiert 
spielend und ohne Zweck. Und in ausgesprochenem 
Bezug auf Beethoven als Hohepunkt einer Entwick- 
lung identifiziert dann E. T. A . Hoffmann Musik als selb- 
stdndige Kunst mit der Instrumentalmusik (der roman- 
tischsten aller Kiinste), welche das eigentiimliche, nur in ihr 
zu erkennende Wesen dieser Kunst rein ausspricht und deren 
Zauber . . . jede Fessel einer andern Kunst zerreifien muB- 
te. Musik als reine Kunst, - denn der Musiker nimmt das 
Wesen seiner Kunst aus sich - auch nicht der leiseste Ver- 
dacht von Nachahmung kann ihn treffen (Novalis 1799, S. 
164) -, scheint das Paradigma gewesen zu sein fiir den 
Reinheitsanspruch anderer Kiinste, fiir Erzdhlungen 
ohne Zusammenhang, jedoch mit Association, wie Trdume, 
Gedichte, bloji wohlklingend und voll schoner Worte, aber 
auch ohne alien Sinn und Zusammenhang, wie es Novalis 
(1799, II/l, S. 279) voraussah. Im Streben nach Absolut- 
heit nicht nur in abstrakten »Kompositionen« der bilden- 
den Kiinste, sondern auch in der Dichtung, in Erorte- 
rungen etwa iiber das »poem per se« (E. A. Poe 1850), die 
spoesie pure« (Mallarme, um 1870; H.Bremond 1926) 
und das »absolute Gedicht« (G.Benn 1951) schwingt 
oft ein wesentlich musikalisches (und seiner Herkunft 
nach zugleich romantisches) Moment mit : Der Lyriker 
wird zum Klangmagier (Friedrich, S. 37). 
Das Entstehen von Vorstellung und Begriff der A.n M. 
bezeichnet offensichtlich einen bestimmten Punkt in 
der Geschichte der Musik. Denn im Blick auf die ihren 
Gang charakterisierende Entstehung und Heranbildung 
der Mehrstimmigkeit, der Harmonik als eigenstandi- 
gem Faktor und der Instrumentalmusik sowie unter 
Hinweis auf die Emanzipation der Musik zunachst aus 
dem Verband der Artes liberales und dann aus dem der 
Schonen Kiinste kann die Geschichte der Musik ver- 
standen werden als Entfaltung der in ihrer Seinsart an- 
gelegten Eigenstandigkeit und Instrumentalitat, bis hin 
zu dem - mit Hoffmanns Worten - tiefern, innigeren 
Erkennen des eigentiimlichen Wesens der Musik durch 
Haydn, Mozart und Beethoven, auf deren Instrumen- 
talmusik sich der Begriff A. M. zunachst bezog. In 
abermaliger Steigerung solcher Reinheit und Freiheit - 
denn frei ist die Tonkunst geboren und frei zu werden ihre 
Bestimmung (so beschrieb dies 1907 Busoni) - erscheint 
die tonalitatsfreie Musik der Wiener Schule nach 1900 
als »absolute Komposition«, insofern sich hier das mu- 
sikalisch autonome Zustandekommen der Tonsetzun- 
gen in hohem MaBe nun auch der begrifflichen Re- 
flexion entzieht, so daB sich das kompositorische Den- 
ken als ein Instinkt versteht, d. h. sich nicht mehr im 
friiheren Sinne theoretisch und regulativ, sondern als 
rein kompositorische BewuBtheit nur mehr durch den 
Akt der Tonsetzung selbst rechtfertigen kann: der 
Kiinstler folgt dem Willen einer Macht in ihm, deren 
Gesetze er nicht kennt und ist nur der Ausfiihrende eines 
ihm verborgenen Willens, des Instinkts, des XJnbewufiten in 
ihm (Schonberg, Harmonielehre, S. 500). 
Die kritischen Einwande gegen eine schlagwortartige 
Uberspitzung des Begriffs A. M. richten sich sowohl 
gegen den Glauben, daB er einen »Fortschritt« der Mu- 
sik bezeuge, und gegen die Tendenz abzuwerten, was 



a cappella 



ihm nicht entspricht, als auch gegen die Erweiterung 
seines historisch datierbaren Geltungsbereichs. Frag- 
wiirdig ist der Begriff A. M. iiberhaupt, soweit er auf 
der Annahme beruht, da8 alles liber »das freie Spiel mit 
der Form« Hinausgehende schon als auBermusikalisch 
zu betrachten sei und daB Musik »sich selbst zum In- 
halt setzen«, »sich selbst bedeuten« solle. Eine solche 
Auffassung, die Schonberg und Webern ebenso fremd 
war wie etwa Beethoven, unterschatzt die Vielschich- 
tigkeit des Sinngef iiges der Kunst im allgemeinen und 
der Musik im besonderen und verkennt, daB auch in 
der abstraktesten musikalischen Struktur, sofern es um 
Kunst sich handelt, etwas zur Sprache kommt, das an 
den Asthetiker den Anspruch des Erkennens und An- 
sprechens stellt. 

Lit. : J. G. Herder, Viertes Kritisches Waldchen (1769) u. 
Kalligone (1800), in d. GA seiner Werke, hrsg. v. B. 
Suphan, Bd. IV u. XXII, Bin 1878 u. 1880; L. Tieck, in: 
W. H. Wackenroder, Werke u. Briefe, hrsg. v. F. v. der 
Leyen, 2 Bde, Jena 1910; Novalis, Fragmente (1799), 
Kritische NA v. E. Heilborn, 2 Teile, Bin 1901 ; E. T. A. 
Hoffmann, Beethovens Instrumental-Musik (1814) u. 
Rezension v. Beethovens 5. Symphonie (1810), in: Dich- 
tungen u. Schriften sowie Briefe u. Tagebiicher, GA, 15 
Bde, hrsg. v. W. Harich, Weimar 1924, Bd XII; H. G. 
Nageli, Vorlesungen uber Musik, Stuttgart u. Tubingen 
1826; G. W. Fr. Hegel, Vorlesungen uber d. Aesthetik, 
Samtliche Werke, Jubilaumsausg., 20 Bde, hrsg. v. H. 
Glockner, Stuttgart 1953, Bd XIV, S. 133 u. 21 1 ; E. Hans- 
lick, Vom Mus.-Schonen. Ein Beitr. zur Revision d. 
Aesthetik d. Tonkunst, 1. Aufl. Lpz. 1854; H. Riemann, 
Die Elemente d. mus. Asthetik, Bin u. Stuttgart (1900), 
frz. Paris 1906, span. Madrid 1914; F. Busoni, Entwurf ei- 
ner neuen Asthetik d. Tonkunst, Triest 1907, Lpz. 2 1916, 
Wiesbaden 1954; A. Schonberg, Harmonielehre, Wieh 
191 1, 51960, engl. NY 1947 ; H. Friedrich, Die Struktur d. 
modernen Lyrik. Von Baudelaire bis zur Gegenwart, = rde 
XXV, Hbg 1956. HHE 

Absolutes Gehor heiBt der unmittelbare Sinn und 
das darauf beruhende Dauergedachtnis fur die Eigen- 
art der Tone und Tonarten als solchen (die meist so ge- 
nannte absolute Tonhohe), d. h. das mehr oder minder 
sichere Erkennen des Einzeltones oder -akkordes ohne 
Anhaltspunkte (Vergleichstone) und Hilfsmittel. Diese 
Fahigkeit ist am sichersten in der Mittellage des musi- 
kalischen Tonbereichs. Nicht immer damit verbunden 
ist die Fahigkeit der absoluten Intonation, auch werden 
nicht immer alle Instrumente gleich gut beurteilt. BloB 
rezeptive Absoluthorer (ohne absolute Intonation) sind 
regelmaBig an wenige Instrumentalklangfarben ge- 
bunden. Das A. G. ist erbbedingt; es ist schon bei Kin- 
dern im 3. Lebensjahr beobachtet worden und ent- 
wickelt sich zu um so groBerer Vollkommenheit, je 
friiher es einsetzt. Es ist relativ selten und keineswegs 
alien guten Musikern eigen; z. B. Weber, Schumann, 
Wagner besaBen das A. G. nicht oder nur in unvoll- 
kommener Form (als absolutes Tonartengehor). Ent- 
wicklung und Leistung des A.n G.s werden durch die 
Schwankungen und Uneinheitlichkeit der Stimmung 
der Instrumente beeintrachtigt. Orchestermusiker und 
Sanger sind durch Ubung haufig in der Lage, einen be- 
stimmten Ton, aber nicht alle, absolut zu erkennen. 
Dieses Standardtongehbr ist im Gegensatz zum A.n G. 
weitgehend lernbar. Es gibt drei Typen des A.n G.s mit 
mehreren Untertypen : linear, vorwiegend an der Hel- 
ligkeit und Hohe der Tone orientiert, daher zur Halb- 
tonverwechslung neigend; polar oder zyklisch, vor- 
wiegend an der -»■ Tonigkeit orientiert, zur Verwechs- 
lung im Quint- und Quartverhaltnis neigend; farbig, 
ganz oder teilweise an Photismen, d. h. am -»■ Farben- 
horen orientiert. Der 3. Typ findet sich besonders bei 
Erblindeten. Da das A. G. selten ist, kann es keine un- 
erlaBliche Voraussetzung f iir hohe musikahsche -*■ Be- 



gabung sein, ist aber in der Regel ein Symptom dafiir; 
ausgesprochen unmusikalische Absoluthorer gibt es 
nicht. Allerdings kann das A. G. der musikalischen 
Praxis gewisse Hindernisse bereiten, namlich dasTrans- 
ponieren erschweren oder auch den Trager dazu ver- 
leiten, sein -> Relatives Gehor nicht zu bilden, das fiir 
alle Musikiibung entscheidend ist. Andererseits gewahr- 
leistet das A. G. ein leichteres Erkennen der Modulatio- 
nen, der genauen Stimmung und Intonation, des Ab- 
sinkens der Stimmung usw. und wird deshalb z. B. von 
Dirigenten mit Recht geschatzt. 
Lit. : O. Abraham, Das absolute TonbewuBtsein, SIMG 
III, 1901/02 u. VIII, 1906/07; F. Auerbach, Das absolute 
TonbewuBtsein, SIMG VIII, 1906/07; H. Riemann, Ton- 
hohenbewuBtsein u. Intervallurteil, ZIMG XIII, 1911/12; 
G. Revesz, Ober d. beiden Arten d. a. G., ZIMG XIV, 
1912/13; ders., Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern 
1946; J. Kobelt, Das Dauer-Gedachtnis f. absolute Ton- 
hohen, AfMw II, 1919/20; L. Weinert, Untersuchungen 
uber d. a. G., Arch. f. d. gesamte Psychologie LXXIH, 
1929 ; H. Hein, Neues uber d. a. G., ZfMw XII, 1929/30; A. 
Wellek, Das A. G. u. seine Typen, = Zs. f. angewandte 
Psychologie u. Charakterkunde, Beih. LXXXIII, Lpz. 
1938, Ffm. 2 1966 ; ders., Musikpsychologie u. Musikasthe- 
tik, Ffm. 1963 ; D. M. Neu, A Critical Review of the Lit. on 
»absolute pitch«, Psychological Bull. XLIV, 1947. AW 

Absorption (von lat. absorbere, verschlucken) wird 
die Umwandlung von Strahlungsenergie in andere 
Energieformen genannt. Bei Schall-A. handelt es sich 
im wesentlichen um die Umwandlung von Schallener- 
gie in Warme durch Reibung. Die bei der Schallaus- 
breitung zu beobachtende Abnahme der Schallintensi- 
tat durch Energie-Umwandlung im Medium der Aus- 
breitung (Luft) ist verhaltnismaBig klein; die A. an den 
Begrenzungsflachen laBt sich aus dem Verhaltnis der 
reflektierten zur einfallenden Schallenergie errechnen. 
Lit. : L. Cremer, Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik I 
u. II, Stuttgart 1948-61, III, Lpz. 1950; E. Skudrzyk, Die 
Grundlagen d. Akustik, Wien 1954. 

Abstrich PI, Aufstrich V (frz. tirez, poussez; engl. 
downstroke, upstroke; ital. in giu, in su) bezeichnen 
beim Streichinstrumentenspiel die Richtung, in der die 
Bogenbewegung erfolgt. Sie verlauft beim A. vom 
Frosch zur Spitze, beim Aufstrich umgekehrt. Bei Bo- 
genfiihrung mit Untergriff (Viola da gamba) werden 
betonte Tone mit dem Aufstrich gespielt. Bei den mo- 
dernen Streichinstrumenten mit Obergriffhaltung ist 
der A. gewichtiger; mit ihm werden auch Akkorde ge- 
spielt. Der Aufstrich hingegen eignet sich besonders zur 
Ausf iihrung der Stricharten -> staccato, -*■ portato u. a. 

Abzug, - 1) im 16./17. Jh., besonders auf der Laute, die 
einfachste Art der ->■ Scordatura, namlich das Herab- 
stimmen (Herabziehen) des tiefsten Chores um einen 
Ganzton. Eine so umgestimmte Laute »steht im Abzug« 
(ital. liuto descordato; frz. luth a corde avalee), ein da- 
fiir bestimmtes Stiick »geht im Abzug« (z. B. bei New- 
sidler 1536, 1540). Bei den Lautenisten war der A. nicht 
beliebt; statt des A.s wurde schon von Agricola 1545 
die Zufiigung eines 7. Chores empfohlen. Praetorius 
(1619) nennt die theorbierte Laute: Laute mit Abzii- 
gen. - 2) eine Spielmanier, ivenn eine simple leise Note 
nach einem Vorschlagfolgt (C. Ph. E.Bach 1753). - 3) im 
Orgelbau eine Bezeichnung fiir ->■ Transmission, »ab- 
gezogener«, abgesonderter BaB, auch Auszug genannt. 

a cappella (ital., friiher auch a, alia capella) heiBt seit 
Anfang des 17. Jh. eine Musik nach Art der Sanger- 
Kapellen. Die Deutung des Begriffs hat auszugehen 
von dem geschichtlichen Sachverhalt, daB um 1560 ne- 
ben der Vokalpolyphonie der f ranko-flamischen Tradi- 
tion andere Kompositionsweisen zu gleichem Rang auf- 
stiegen, so die ->■ Mehrchorigkeit, die -> Seconda pra- 



a cappella 



tica der spaten Madrigalisten, der Stile recitativo und 
der concertierende Stil. Die a c.-Kunst wurde weiter- 
hin gepflegt und gait gegeniiber den neuen Musikarten 
als Grundlage des kompositorischen Wissens (Schiitz, 
Vorrede zur Geistlichen Chor-Music). Der Klang ist der 
des Vokalchors, d. h. mit mehrfacher Besetzung jeder 
Stimme; Instrumente konnen (colla parte) hinzutreten. 
Der Satz ist der des Contrapunctus gravis, der strengen, 
reinen oder gebundenen Schreibart; er ist imitierend 
und nimmt besonders auf Sangbarkeit und melodische 
Selbstandigkeit aller Stimmen Riicksicht; auch in neue- 
rer Zeit bleibt er durchaus diatonisch und an die Kir- 
chentone gebunden. Als angemessene Notation gelten 
grofie {sfotenwerte mit Vorzeichnung des a c.-Taktes 
(->- Allabreve). Der Stil wurde als altertiimlich (stilus 
antiquus), wiirdevoll (stilus gravis) und kirchlich (stilus 
ecclesiasticus) angesehen; fiir ihn gilt, dafi er aus nicht 
allzugeschwinden Noten, wenig Arten des Gebrauchs der 
Dissonantzen besteht, und nicht so sehr den Text als die 
Harmonic in Acht nimmt (Harmonia Orationis Domina; 
Bernhard, S. 42 und 83). Seit G.Gabrieli (1592) wur- 
de die Bezeichnung a c. (oder Capella) auch als blofie 
Besetzungsvorschrift verwendet; sie zeigt nach so- 
listischen Partien den Eintritt des vollen Chores an, 
bei dem die Instrumente mitgehen. Erst seit dem 19. 
Jh. schliefk die Angabe a c, die nun auch inweltlichen 
Werken begegnet, jede Begleitung durch Instrumente 
aus. 

In der Musikforschung wurde die Diskussion des a c- 
Ideals im Zusammenhang mit dem musikalischen 
Historismus des 19. Jh. zumeist auf die Frage vokaler 
oder instrumentaler Auffuhrung eingeengt; anderer- 
seits blieb die geschichtliche Abgrenzung unbestimmt. 
Es empfiehlt sich, die Bezeichnung nicht mit dem Be- 
griff der -»■ Prima pratica Monteverdis (der Meister von 
Ockeghem bis Clemens non Papa, jedoch nicht Pale- 
strina nennt) gleichzusetzen, sondern erst auf die spate- 
ren Stufen der franko-namischen Tradition zu bezie- 
hen, die von der humanistischen Forderung nach 
Wortverstandlichkeit und von den Diskussionen des 
-+ Tridentiner Konzils gepragt wurden. Als alteste Au- 
toren des Stilus a c. nennt Bernhard Josquin und Gom- 
bert. Palestrina hat dann eine neue, vor allem von der 
papstlichen Kapelle festgehaltene Tradition gestiftet, 
die sich von der Entwicklung anderer Zweige des kom- 
positorischen Schaffens trennte und fiir die seine Werke 
musterhaft blieben. Dagegen erscheint Lassus schon bei 
Bernhard nicht unter den Autoren des a c.-Stils, der zu- 
nehmend mit dem Palestrina-Stil gleichgesetzt wurde. 
Im 19. Jh. wurde die a c.-Musik zum Ideal kirchlicher 
Tonkunst erhoben. Wortfiihrer waren E. T.A.Hoff- 
mann und Winterfeld in Berlin, Thibaut in Heidel- 
berg, Baini in Rom, Ett und Aiblinger in Munchen, 
spater in Regensburg Proske, Witt (Griinder des Allge- 
meinen deutschen Cacilienvereins, 1867) und Haberl 
(Griinder der Regensburger Kirchenmusikschule, 
1874), die durch Nachahmung und Wiederbelebung 
des a c.-Ideals eine Erneuerung der Kirchenmusik ihrer 
Zeit erstrebten. 

Lit.: Praetorius Synt. Ill; Die Kompositionslehre H. 
Schutzens in d. Fassung seines Schiilers Chr. Bernhard, 
hrsg. v. J. Muller-Blattau, Lpz. 1926, Kassel 2 1963 ; Th. 
Kroyer, A c. oder Conserto, Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 
1918; ders., Zur a c.-Frage, AfMwII, 1919/20; ders., Das 
a c.-Ideal, AMI VI, 1934; O. Ursprung, Restauration u. 
Palestrina-Renaissance ..., Augsburg 1924; ders., Die 
kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb. ; E. Katz, Die mus. 
Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1926; K. G. 
Fellerer, Der Palestrinastil ..., Augsburg 1929; J. 
Handschin, Die Grundlagen d. A c.-Stils, in: H. Hauser- 
mann u. d. Hausermannsche Privatchor, Zurich 1929; H. 
Besseler, Die Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken 



Hdb. ; R. Haas, Auffiihrungspraxis d. Musik, ebenda; W. 
Ehmann, Der Thibaut-Behaghel-Kreis, AfMf III-IV, 
1938-39; H. Zenck, Artikel ac, in: MGG 1, 1949-51. 

accelerando (attjeler'ando, ital.; Abk. : accel.), be- 
schleunigend, allmahlich schneller werdend, wie 
-> stringendo. 

Accent (aks'a, frz.) ->• Vorschlag (Nachschlag) ; bei 
Mersenne (1636) als a. plaintif fiir Vorschlag von unten. 

Accentus (lat.) ->- Akzent. 

Acciaccatura (attjakkat'u:ra, ital.; von lat. acciaccare, 
zerdriicken; »Quetschung«, Zusammenschlag ; frz. pin- 
ce etouffe; engl. crushed oder simultaneous appoggia- 
tura) ist der zuerst bei Fr. Gasparini (L'armonico pratico 
..., 1708) vorkommende Name einer nur auf Tastenin- 
strumenten ausfiihrbaren Verzierung, die im deutsch- 
franzosischen Schrifttum vom -*■ Mordent, im engli- 
schen vom kurzen -> Vorschlag abgeleitet wird. Sie 
besteht aus dem gleichzeitigen Anschlag einer Note 
und ihrer unteren (meist chromatischen) Nebennote, 
wobei die Nebennote sof ort nach ihrem Anschlag wie- 
der losgelassen, die Hauptnote dagegen entsprechend 
ihrem notierten Wert ausgehalten wird. Eine solche 
Ausfuhrungsart fiir den Mordent beschreibt bereits H. 
Buchner (urn 1520) fur die Orgel. - C. Ph. E.Bach 
nennt 1753 diese Verzierung eine besondere 
Art, den Mordenten, wenn ergantz kurtz seyn 
soil, zu machen: 
Marpurg spricht (1755), bei gleichem Notenbeispiel, 
von einem abgeschnappten Mordent. Turk (Klavierschule, 
1789) nennt den »Zusammenschlag« eine nicht sehr be- 
kannte Manier, die man ehedem wohl wahrscheinlich unter 
der . . . Bezeichnung Beisser verstanden habe: 



^N 




Bei Akkorden hat vor allem D. Scarlatti die A. haufig 
benutzt; ein typisches Beispiel findet sich bei J. S.Bach 
in der Partita A moll fur Cemb. (BWV 827, Scherzo, 
Takt 28). - Eine andere Art der A. besteht in der Bre- 
chung von Akkorden mit chromatischen (oder auch 
mit diatonischen) Fremdnoten (-»- Arpeggio), frz. ar- 
pegement figure im Gegensatz zum arpegement simple 
(vgl. auch die bekannte, steigende und fallende tierce 
coulee). Solche gebrochenen Acciaccaturen haben vor 
allem auf dem Cembalo eindriickliche Wirkung und 
wurden im 18. Jh. haufig bei Begleitung von Rezitati- 
ven angewendet (Heinichen 1728). Ein Beispiel fiir 
solche Acciaccaturen im solistischen Spiel bietet J. S. 
Bachs Sarabande der Partita E moll (BWV 830). Auch 
in den franzosischen Preludes non mesure's von L. Cou- 
perin, d'Anglebert oder G. Le Roux finden sich zahl- 
reiche derartige Acciaccaturen. ERJ/BB 

Accompagnamento (akkompapam'ento, ital.), Ac- 
compagnement (akapajim'a, frz.), -*■ Begleitung. 

Accompagnato (akkompan'a:to, ital., begleitet; Abk.: 
Ace. oder Accomp.), das fnit ausgearbeiteter (in 
Stimmen notierter) Begleitung versehene -»■ Rezitativ 
der alteren Oper im Gegensatz zum Seccorezitativ, das 
nur einen bezifferten BaB hat. Die ersten Opern kennen 
iiberhaupt keine andere Art der Begleitung des Sologe- 
sangs als die mit GeneralbaB durch ein Akkordinstru- 
ment, und das erste Beispiel des A.s im 4. Akt von Mon- 
teverdis Orfeo (1607) stand zunachst vereinzelt da. Erst 
uber 30 Jahre spater fiihrten die Venezianer (Cavalli) 
das A. (ausgehaltene Streicherklange) fiir -»■ Ombra- 
Szenen ein; das Vorbild war auch hier vermuthch ein 
Werk Monteverdis, namlich dessen dramatische Kom- 
position II combattimento di Tancredi e Clorinda (1624). 



Agyptische Musik 



H. Schiitz lieB bereits 1623 (in der Auferstehungshisto- 
rie) den Evangelisten iiber ausgehaltenen Streicher- 
akkorden tezitieren. Noch im spaten 17. Jh. war aber 
das (ausgearbeitete) A. selten, wahrend das Seccorezi- 
tativ in weltlicher Musik durch Zuziehung von Instru- 
mental bereichert werden konnte. Das A. fand seinen 
Hohepunkt in der weltlichen Musik des 18. Jh. 

Accordatura (ital.) heifit die normale Einstimmungs- 

weise der Saiteninstrumente; die Abweichung von den 

Einstimmungsnormen (Umstimmung) heiBt ->■ Scor- 

datura. 

Lit. : WolfN ; ApelN. 

Accord parfait (ak'o : r parf 's, f rz. ; ital. accordo per- 
fetto; engl. common chord), konsonanter ->• Drei- 
klang. 

Achtelnote (ital. croma; frz. croche; engl. quaver; in 
den USA auch eighth note): J); Pause (frz. demi- 
soupir) : i , altere Form : -\ . 

Actus (lat.), im 17. Jh. s. v. w. feierliche Handlung 
(Taufe, Konigskronung u. a.), dann auch Bezeichnung 
fiir Festdarbietungen. Deren musikalische Ausgestal- 
tung (z. B. schrieb M. Franck fiir den A. oratorius zum 
Geburtstag des Herzogs J. Casimir von Sachsen, 1630, 
die musikalischen Zwischensatze) fiihrte zur Ubertra- 
gung der Bezeichnung A. auf kantatenhafte oder ora- 
torische Kompositionen: A.Fromm, A. musicus De 
Divite et Lazaro; J. Schelle, A. musicus auf Weyh-Nach- 
ten; G. Oesterreich, A. funebris Plotzlich miissen alle 
Menschen sterben; J.S.Bach, A. tragkus, BWV 106. 

Acuta (lat.) ->■ Scharf. 

Adagio (ad'a:d30, ital.; Abk. : Ad°), bequem, ge- 
machlich, auch behutsam, hat aber als Tempovorschrift 
den Sinn von langsam erhalten (Walther 1732, L. Mo- 
zart 1756). Im'17. Jh. bezeichnet A. einerseits eine (ge- 
ringe) Verlangsamung des gewohnlichen, durch die 
Taktart oder den Tanztypus bestimmten ZeitmaBes 
(Tempo ordinario), andererseits einen Wechsel der 
Zahlzeit, den Ubergang zu einem langeren Notenwert 
als Schlagzeit (A. J J statt Allegro J J ; Banchieri 1611, 
Frescobaldi 1628). Auch die Dehnung von kurzen Ab- 
schnitten, besonders von SchluBtakten, wurde durch 
die Vorschrift A. gefordert (Frescobaldi 1635). Die 
Tempodifferenz zwischen A. und Largo war im 17. 
und friihen 18. Jh. gering und keiner festen Norm un- 
terworfen; die Vorstellung, daB ein Largo langsamer 
als ein A. sei, wird zwar schon von Brossard (1703) als 
Regel formuliert, setzte sich aber erst im Laufe des 18. 
Jh. allgemein durch. Handel differenziert oft im entge- 
gengesetzten Sirme, und auch bei Bach sind die A.- 
Satze, die im allgemeinen reicher ausgeziert wurden, 
nicht selten langsamer als die Largosatze der gleichen 
Taktart. Wesentlicher als die Tempodifferenz ist der 
Unterschied zwischen dem gewichtigeren Vortrag des 
Largo und dem behutsameren des A.; Quantz (1752) 
charakterisiert das A. als »zartlich« und spricht von ei- 
nem angenehmen Ziehen und Tragen der Stimme. - In ge- 
raden Taktarten ist im 18. und noch im 19. Jh. die 
Zahlzeit im allgemeinen etwas langsamer als in Tripel- 
takten (Mozart, K.-V. 516, 3. und 4. Satz), und neben 
der Taktart ist der Satztypus fiir den Sinn der A.- Vor- 
schrift entscheidend. Das A. im Allabrevetakt er- 
scheint bei Mozart, sofern nicht das Allabreve des Kir- 
chenstils gemeint ist (Zauberflote, Nr 18), als Dehnung 
eines Allegro cantabile (Idomeneo, Nr 31; Entfuhrung 
aus dem Serail, Nr 15), das A. im 2/4-Takt bei Haydn 
und Mozart als Verlangsamung eines bedachtig schrei- 
tenden Andante (Mozart, Lespetits riens, Nr 7) ; aus dem 
A. im 2/4-Takt entwickelte Beethoven den Typus des 



beschwert kantablen A. (op. 10, op. 59 1, op. 101). - A. 
assai und A. molto bedeuten sehr langsam, un poco A. 
ein wenig langsam. Der Superlativ Adagissimo wird 
selten verwendet (Bach, Orgeltoccata D moll). Das Di- 
minutiv Adagietto bedeutet ziemlich langsam; als 
Uberschrift kennzeichnet es einen langsamen Satz von 
kiirzerer Dauer (G. Mahler, V. Symphonie, Adagietto 
mit der Tempovorschrift Molto a.). 
Lit. : R. E. M. Hardino, Origins of Mus. Time and Expres- 
sion, London 1938; R. Steglich, Ober Mozarts A.-Takt, 
Mozart- Jb. 1951; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich- 
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959; C. 
Dahlhaus, Zur Entstehung d. modemen Taktsystems im 
1 7. Jh., Af Mw XVIII, 1 96 1 . CD 

Adaptation (von lat. adaptare, anpassen) bedeutet 
Anpassung der Empfindlichkeit eines Sinnesorganes an 
das mittlere Reizniveau des Umfeldes. Sie ist auch fiir 
das Horen von groBem Einflufi. So konnen z. B. Schall- 
vorgange gleicher Intensitat je nach den Umstanden 
verschieden laut erscheinen. Ebenso laBt sich die Tat- 
sache, daB die Molekularbewegung der Luft (Brown- 
sche Bewegung) gerade nicht mehr gehort wird, als 
Anpassungsverhalten des Ohres auffassen. 
Lit. : G. v. Bekesy, Zur Theorie d. Horens. Uber d. Be- 
stimmung d. einem reinen Tonempfinden entsprechenden 
Erregungsgebietes d. Basilarmembran vermittelst Ermii- 
dungserscheinungen, Physikalische Zs. XXX, 1929 ; O. Fr. 
Ranke, Physiologie d. Gehors, in : Lehrbuch d. Physiolo- 
gie, hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. Schutz, Bin, Gottingen 
u. Heidelberg 1953. 

Adiaphon (von griech. <£8(.a<ji<ovov, das Unverstimm- 
bare), - 1) ein 1820 von dem Uhrmacher Schuster in 
Wien konstruiertes, im Klang der Glasharmonika ahn- 
liches Tasteninstrument. - 2) Gabelklavier, von Fischer 
und Fritzsch in Leipzig erbaut (1882 patentiert), mit ab- 
gestimmten Stimmgabeln statt derSaiten; Umfang F-f 3 . 

Adjuvantchore.VereinigungenmusikkundigerDorf- 
bewohner, die sich als Gehilfen des Dorfkantors oder 
-schulmeisters eine reichere musikalische Ausgestaltung 
der Gottesdienste zum Ziel setzten, zunachst ohne feste 
organisatorische Bindung, seit der Mitte des 17. Jh. 
vor allem in Sachsen und Thiiringen auch mit vereins- 
maBigen Satzungen nach dem Vorbild der stadtischen 
-> Kantorei. 

Lit. : A. Werner, Vier Jh. im Dienste d. Kirchenmusik, 
Lpz. 1932 ; ders., Freie Musikgemeinschaften alter Zeit im 
mitteldeutschen Raum, Halle 1940. 

ad ljbitum (lat.; Abk.: ad libit., ad lib.), nach Belie- 
ben, - 1) als Vortragsbezeichnung (gleichbedeutend 
mit rezitativisch, senza misura, senza tempo, a suo ar- 
bitrio, a piacere, a capriccio, a piacimento, a bene pla- 
cito), s. v. w. frei in Tempo und Vortrag (Gegensatz: 
a tempo). - 2) als Besetzungsvorschrift fiir Instrumen- 
te, die in einem Ensemble mitspielen konnen, oder de- 
ren Beteiligung nicht erforderlich ist, s. v. w. nicht un- 
bedingt notig, eventuell entbehrlich (Gegensatz: obli- 
ge). 

Adufe (span.; von arabisch duff), Schellentrommel 
(Tamburin). 

Agyptische Musik ist die Musik ernes der altesten ge- 
schichtlichen Lander der Erde. Vorgeschichtliche und 
pradynastische Grabfunde von Bumerangklappern, ei- 
oder fruchtf ormigen Rasseln, Schellen, Gef aBfloten aus 
Ton, Muschelpfeifen und Schwirrholzern zeugen da- 
fiir, daB die Musik vor der Griindung des vereinten 
Reiches noch starke magische Bindungen hatte. Einzi- 
ges melodiefahiges Instrument war die LangsflSte. Seit 
der IV. Dynastie (2723-2563) trifft man bereits auf ein 
intensives Musikleben und kann auf Grund der literari- 
schen und bildlichen Quellen deutlich zwischen Kult- 



Agyptische Musik 



und Profan- bzw. Hofmusik unterscheiden. Neue 
Klapperarten, primitive GefaBtrommeln und Sistren, 
die mundstiicklose Flote (mat) und die Doppelklari- 
nette (memet), beide aus Rohr, im Totenkult verwen- 
dete Trompeten und die schaufelformige Bogenharfe 
(bent) bereicherten das Instrumentarium. Cheirono- 
men leiteten die Vokal- und Instrumentalgruppen. Die 
Analyse der dargestellten Szenen sowie der gleichzeitig 
ausgefiihrten Handzeichen ergibt, daB die Kunstler 
nicht nur homophon oder heterophonisch verziert 
musizierten, sondern auch neben der melodischen Linie 
ein- oder mehrstimmige, bordunierende Haltetone, 
also eine Art primitiver Mehrstimmigkeit ausfiihrten. 
Die kultischen Gesange wurden solistisch mit Instru- 
mentalbegleitung oder unter Mitwirkung von Einzel- 
oder Doppelchoren sowie Vorsangern im Sinne re- 
sponsorischen oder antiphonischen Musizierens vorge- 
tragen, haufig auch von Tanzgruppen begleitet. Sehr 
alte, kultische Lieder zu Ehren Hathors, der Gottin der 
Liebe und der Musik, wurden nur gesungen. Wenn 
auch Dokumente jeder Art noch immer fehlen, das 
Melodiengut also vollig unbekannt ist, so gelang es 
doch, die sehr gut erhaltenen Klangwerkzeuge des Al- 
ten Reiches (3. vorchristliches Jahrtausend) und einige 
der wichtigsten Tanze zu rekonstruieren sowie eine 
Reihe entsprechender cheironomischer Zeichen zu ent- 
ziffern. Aus der gleichen Zeit stammen auch die ersten 
biographischen Nachrichten von beriihmten Musikern. 
Der alteste ist ein gewisser Khufu-'anch, »Hofmusikdi- 
rektor«, Flbtenvirtuose und Sanger, der erste historisch 
bekarmte Berufsmusiker. Andere Namen von Sangern 
und Sangerinnen (Hetep-chnemt, Iti), Flotisten (Ipi, 
Meschets, Sen-anch-wer), Harfenvirtuosen (Hekenu) 
usw. vervollstandigen das Bild, das man sich heute 
vom Musikleben einer der Altkulturen machen kann. 
Besonders sei die Familie der Snefrunofer (um 2400) 
hervorgehoben, die durch mehrere Generationen hin- 
durch Talent und Amt vererbten und den koniglichen 
Hof mit Musik versorgten. Im Mittleren Reich (2160- 
1580), einer Epoche, die etwa dem Ende des Neolithi- 
kums in Europa entspricht, vermehrte sich das Instru- 
mentarium um eine Anzahl neuer Klapperformen und 
ritueller, zum Teil kunstvoll als Schmuckstiicke verar- 
beiteter Klangwerkzeuge (Rasseln, Schellen), die gro- 
Ben FaBtrommeln (wahrscheinlich afrikanischen Ur- 
sprungs), Kastagnetten, hornartige Instrumente, die 
asymmetrische Leier. Auch unterscheidet man nun- 
mehr deutlich zwischen zwei Sistrenformen, dem bo- 
gen- (sekhem, iba) und naosformigen Sistrum (sesch- 
escht). Dazu treten im Neuen Reich (1580-1090) runde 
und 4kantige Trommeln, Becken (zunachst aus Mu- 
schelschalen, dann aus Bronze), Doppeloboen, sym- 
metrische Leiern (kenner), Lauten, Winkelharfen und 
Riesenleiern (um 1360) asiatischen Ursprungs sowie 
kellenf ormige Bogen- und naviforme Harf en verschie- 
dener GroBe (die kleineren als Schulterharf en bekannt) ; 
dazu kommen in der Spatzeit (1090-332) weitmen- 
surige Trommeln, Glockchen, Gabelbecken, GefaB- 
trommeln vom Darabukkatypus, unter der Herrschaft 
der Ptolemaer verbesserte Formen aller erwahnten In- 
strumente, Horner, Panfloten, verschiedene Aulosfor- 
men, Querflote, Hydraulis und Vorformen der Sack- 
pfeife. Auch fur diesen, mehr als 2000 Jahre umfassen- 
den Zeitabschnitt sind uns die Namen einer nahezu 
liickenlosen Reihe von Instrumental- und Vokalvirtuo- 
sen bekannt, die die Elemente fiir eine provisorische 
Geschichtsschreibung des pharaonischen Musiklebens 
bilden. Erwahnenswert sind besonders wegen ihrer 
historischen Bedeutung die ersten Kastagnettenspieler 
Ukh-hotep und Eje (unter Sesostris I.), die Harfner 
Amenmosis, Amosis und Amenemheb (XVIII. Dyna- 



stie), die ersten Lauten-, Trommel- und Trompeten- 
spieler der Musikgeschichte Harmosis (um 1500), Em- 
hab und Hosy (letzterer unter Ramses II.). - Fiir die 
gleiche Zeit ist eine allmahliche Verkleinerung der 
Tonschritte und die Herausbildung jenes Tonsystems 
zu verzeichnen, das unvermerkt in das des modernen 
Orients iibergehen sollte. Unsere Kenntnisse des Ton- 
systems der Agypter beruhen auf der theoretischen 
Vermessung der Abstande zwischen den Biinden be- 
stimmter Lauten und den Grifflochern besonders gut 
erhaltener Blasinstrumente. Floten aus dem Mittleren 
Reich haben anhemitonische Skalen, im Gegensatz zur 
Engstufigkeit der Oboen und Lauten des Neuen Rei- 
ches. Bevorzugte Formen waren offenbar ein im Sinne 
des alten Dor komponiertes Rondo sowie hymnische 
und bestimmten Regeln unterliegende Liedtypen. Ge- 
wisse Ansatze zur Notierung klanglicher Erscheinun- 
gen sind seit dem Mittleren Reich nachweisbar. Spuren 
volkstiimlichen Musizierens finden sich seit dem Neuen 
Reich, der Militarmusik seit den Erobererkonigen der 
XIX. Dynastie, besonders unter Ramses II. Musika- 
lische Dokumente im modernen Sinne erscheinen erst 
seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert. - Dem EinfluB 
des aufbluhenden Christentums (-»• Koptische Musik) 
verdankt Agypten neue liturgische Formen. Eine 
grundlegende Umformung der Musik erfolgte aber 
erst nach der Eroberung durch die Araber und die Is- 
lamisierung des Landes. Wahrend das alte Musiziergut 
nach Oberagypten zuriickgedrangt wurde und zur 
heutigen Volksmusik abgesunken ist, hat sich die unter 
arabisch-iranischen, spater unter tiirkischen und end- 
hch abendlandischen Einfliissen stehende Kunstmusik 
der Stadte in mehrere Richtungen aufgespalten. Die 
Vertreter der konservativen Schule richten sich nach 
dem Vorbild der altorientalischen Musik aus, die der 
jungagyptischen Schule nehmen dagegen immer mehr 
Elemente abendlandischen Musizierens auf. - Einige 
der alten Klangwerkzeuge haben sich bis heute erhal- 
ten. Die antike Langsflote lebt im Nay der Kunstmusik 
und in der bauerlichen 'Uffata weiter fort, die Doppel- 
klarinette in der volkstiimlichen Zummara. Neue In- 
strumente ostlichen Ursprungs sind die Kurzhalslaute 
( l Ud), die mit Streichbogen gespielte Rabab und die 
Kamanga, endlich ein zitherahnliches, Qaniin genann- 
tes Instrument. Die Erforschung altagyptischer Musik 
begann im 17. Jh. mit A. Kircher und B. Bacchini, im 19. 
mit G. A. Villoteau, Kiesewetter und Fetis. 

Lit. : C. Sachs, Die Musikinstr. d. alten Agyptens, = Staatl. 
Museen zu Bin, Mitt, aus d. agyptischen Slg III, Bin 1921 ; 
ders., Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 
u. London 1938, frz. Paris 1938; ders., The Hist, of Mus. 
Instr., NY (1940) ; ders., The Rise of Music in the Ancient 
World, East and West, = The Norton Hist, of Music I, NY 
1943; E. Brunner-Traut, Der Tanz im alten Agypten, 
Diss. Miinchen 1937, = Agyptologische Forschungen VI, 
Gliickstadt 1938 ; H. Hickmann, Cat. g6n6ral des antiqui- 
tes egyptiennes du Musee du Caire. Instr. de musique, Kai- 
ro 1 949 ; ders., Les problemes et l'etat actuel des recherches 
musicologiques en Egypte, AMI XXVIII, 1956 ; ders., 45 s. 
de musique dans FEgypte ancienne, Paris 1956 ; ders., Mu- 
sicologie pharaonique, = Slg mw. Abh. XXXIV, Kehl 
1956; ders., Mg. in Bildern II, 1: Agypten, Lpz. 1961; 
ders., Ein neuentdecktes Dokument zum Problem d. alt- 
agyptischen Notation, AMI XXXIII, 1961. - Recueil des 
travaux du Congres de musique arabe (1932), Kairo 1934 
(dazu Zs. f. vergleichende Mw. I, 1933); A. Berner, Stu- 
dien zur arabischen Musik auf Grund d. gegenwartigen 
Theorie u. Praxis in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl. 
Inst. f. deutsche Musikforschung II, Lpz. 1937 ; A. Mokh- 
tar, Modes in Modern Egyptian Music, Proceedings of the 
Mathematical and Physical Soc. of Egypt I, 3, Kairo 1939; 
H. Hickmann u. Ch. Gr. Due de Mecklembourg, Cat. 
d'enregistrement de musique folklorique egyptienne, = Slg 
mw. Abh. XXXVIII, StraBburg u. Baden-Baden 1958; C. 



Asthetik 



Gr. Herzog zu Mecklenburg, Agyptische Rhythmik, 
Rhy thmen u. Rhythmusinstr. im heutigen Agypten, ebenda 
XL, 1960. HaH 

Aeoline, Aeolodion, Aeolodikon, ein -> Har- 
monium, auch ein urspriingliches Harmoniumregister 
als Orgelstimme; im spaten 19. Jh. ein engmensurierter 
Streicher, das leiseste Register der Orgel. 

Aolisch ->- Systema teleion, ->• Kirchentone. 

Aolsharfe, Windharfe, Wetterharfe, Geisterharfe, ein 
langer schmaler Resonanzkasten mit oder ohne Schall- 
loch und mit 2 Stegen, iiber den eine (beliebig groBe) 
Anzahl im Einklang (meist in g) gestimmter Darmsai- 
ten von verschiedener Dicke gespannt ist. Strafit ein 
Luftzug die Saiten, so fangen sie an zu tonen und erge- 
ben infolge der unterschiedlichen Spannungsgrade 
verschiedene Obertone des gemeinschaftlichen Grund- 
tones. Der Klang ist von zauberischer Wirkung, da je 
nach Starke des Windes die Akkorde vom zartesten 
Pianissimo zum rauschenden Forte anschwellen und 
wieder verhallen. Das Prinzip der A. ist altbekannt; 
mit ihm befafiten sich im Abendland der Erzbischof 
Dunstan von Canterbury (10. Jh.), G. B. Porta aus Ne- 
apel (16. Jh.), A.Kircher (1650), Pope (1792), W.Jones 
(urn 1781), H.Chr.Koch (1802), W.Mehlkop (1841), 
I.Pleyel (1845). In Goethes spater Lyrik werden die 
A.n zu einem Gleichnis des Zwiegesanges. Sein Ge- 
dicht A.n ist ein Eintrag vom 6.8. 1822 in das Stamm- 
buch V.Tomaseks; E.Morikes An eine A. vertonten 
Brahms und H. Wolf. - Eine Verbindung der A. mit 
einer Klaviatur ist das -*Anemochord. 
Lit.: J. F. v. Dahlberg, Die A., Erfurt 1801 ; G. Fr. Lich- 
tenberg, Vermischte Schriften VI, Gottingen 1845; J. G. 
Kastner, La harpe d'Eole et la musique cosmique, Paris 
1856; M. Hecker, A., Jb. d. Goethe-Ges. XXI, 1935; C. 
Brink, Harps in the Wind, NY 1947. 

Aequal (von lat. aequalis, gleich), in der Tonhohe 
gleich der normal geschliisselten Singstimme, d. h. im 
8'-Ton. Ae. ist auch eine Bezeichnung fur Instrumente 
und Stimmen (voces aequales) in gleicher Lage. Als 
Equale fur 4 Pos. sind 3 Trauermusikstucke bezeichnet, 
die Beethoven 1812 f iir den Allerseelentag in Linz kom- 
ponierte; auch Bruckner schrieb 1847 ein Ae. fur 3 Pos. 

Aerophone heiBen nach der Systematik der Musikin- 
strumente von v. Hornbostel und Sachs (1914) die In- 
strumente, bei denen die Luft (griech. ayjp) das schwin- 
gende Medium ist. Ist die Luftsaule nicht begrenzt, so 
handelt es sich um f reie Ae. (z. B. f reie, durchschlagende 
->• Zunge; -*■ Schwirrholz) ; ist die Luftsaule einge- 
schlossen, so handelt es sich um -»• Blasinstrumente. v. 
Hornbostel und Sachs folgten der Systematik Mahillons 
(1880), der von instruments a vent sprach; A. Schaefmer 
(1932) nannte die Ae. instruments a air vibrant. 

Aerophor, Tonbinde-Apparat, ein von dem Schwe- 
riner Flotisten B.Samuels 1911 konstruierter (1912 pa- 
tentierter) Apparat, der durch einen mit dem FuB re- 
gierten kleinen Blasebalg Luft durch ein Rohrchen 
blast, das neben dem Mundstiick eines Blasinstruments 
in den Mund gefiihrt wird. Der Mund wird so zur 
Windkammer ; das Blasen kann vom Atmen unabhan- 
gig erfolgen. Der Apparat fand den Beifall von Bla- 
sern, Komponisten (R. Strauss, Eine Alpensinfonie) und 
Dirigenten. 

Asthetik. Die Wissenschaf t vom musikalisch Schonen 
ist ein Teilgebiet der allgemeinen A. (griech. ala&YjTi- 
x6?, das sinnliche Wahrnehmen betreffend). Ihr Ge- 
genstandsbereich umfafit einerseits das musikalische 
Kunstwerk in der Fiille und Totalitat seiner Wertge- 
halte (als Objektseite), andererseits dessen Zugang 



(Erfahrensweise) im musikalischen Horen (als Sub- 
jektseite). Ihre Geschichte reicht weit in die griechi- 
sche Antike zuriick. Ihren neuzeitlichen Namen emp- 
fing die A. durch A.G.Baumgarten, einen fiihren- 
den Systematiker der deutschen Schulphilosophie. 
Seine Aesthetica (1750/58) ist als theoria liberalium artium 
(-> Ars musica) bezeichnet. Im Unterschied zur fran- 
zosischen und englischen Geschmackskritik und Zer- 
gliederung des asthetischen Eindrucks entwirft Baum- 
garten die A. im Rahmen der durch G.W.Leibniz 
(t 1716) und Chr. Wolff (f 1754) erneuerten Ontologie 
als eine nachgeborene Schwester der Logik. Er betitelt sie 
mit ars pulchre cogitandi, d. h. Fahigkeit zur Erkenntnis 
des Schonen sowie scientia cognitionis sensitivae, d. h. 
Wissenschaft vom sinnlich Wahrnehmbaren, im Ge- 
gensatz zur geistigen Erkenntnis. Schonheit wird als 
Vollkommenheit der sensitiven Erkenntnis, als Zu- 
sammenstimmen von Vielheit in der Einheit begriffen, 
das Schone als Erscheinung des Logischen im Sinnli- 
chen, die Kunst als sinnliche Vergegenwartigung des 
harmonikalen Baues der Welt, der Harmonie des Uni- 
versums. Auf dieser Grundlage erwuchs das stolze Ge- 
baude der idealistischen A., das H. Lotze in seiner Ge- 
schichte der A. in Deutschland (1868) kritisch nachge- 
zeichnet hat. Dort heiBt es (S. 846) von der »Aufgabe 
der Tonkunst«: das tiefe Gliick auszudriicken, das in die- 
sem Baue der Welt liegt, und von welchem die Lust jedes 
einzelnen empirischen Gefiihls nur ein besonderer Wider- 
schein ist. - Die musikalische A. hat ihre Herkunft aus 
der mittelalterlichen Musiklehre niemals verleugnet. 
Im Fortgang zu einer mehr positivistischen Betrach- 
tungsweise (mit einem Anklang an Schopenhauer) 
weist H. Riemann ihr drei Untersuchungsbereiche zu : 
1) die elementaren Wirkungen der Tonhohe, Tonstar- 
ke, Bewegungsart (Musik als Wille) ; 2) die Ordnung 
und Einheitlichkeit in der Formgestaltung (Musik als 
Vorstellung) ; 3) die Fahigkeit der Musik, Assoziationen 
zu wecken, AuBermusikalisches zu charakterisieren 
und darzustellen (Musik als vorgestellter Wille). Was 
von Riemann in systematischer Sicht fur zeitlos giil- 
tig angesehen worden war, zeigte sich in historischer 
Betrachtung als eine bestimmte Stilstufe der Musik 
der Wiener Klassik. In dem MaBe wie das klassizi- 
stische Schonheitsideal mehr und mehr zuriickgedrangt 
wurde, konnte die dem klassizistischen Geschmack so 
fremde Schonheit der Musik des Barockzeitalters und 
des Mittelalters eigentlich erst entdeckt und gewiirdigt 
werderi. An der Freilegung des dazu erforderlichen 
historischen Stilbegriffs hat H. Riemann entscheiden- 
den Anteil. Musik wurde danach als eine stilgeschicht- 
liche Erscheinung neben anderen Erscheinungen der 
geistigen Welt erfaBt, wobei allerdings die Gefahr ei- 
ner Relativierung der asthetischen Werte drohte. - 
Seitdem dann gleichzeitig der Sturz der idealistischen 
Metaphysik die A. in ihren Zusammenbruch mit hin- 
eingezogen hatte, machte sich in der Wissenschaft vom 
musikalisch Schonen eine wachsende Unsicherheit so- 
wohl hinsichtlich ihres Ausgangspunktes als auch ihrer 
Verfahrensweise geltend. Als Ausgangspunkt wurde 
bald die Idee der Musik, bald das komponierte Kunst- 
werk, bald die Schaffensweise des Komponisten, bald 
das musikalische Horen in seinen beiden Arten des 
Mit- und Zuhorens (H. Besseler) angesetzt. Methodisch 
verfuhr man bald metaphysisch, bald empirisch, bald 
normativ, bald deskriptiv, wie es H. Nohl (1935) im An- 
schluB anW.Dilthey eindrucksvoll geschildert hat. Je 
nachdem das Wesen der Musik als Ideen-, Inhalts- oder 
Formkunst betrachtet wird, f altet sich die musikalische 
A. in eine A. der Form und des Inhalts auseinander. 
Dabei war das Form-Inhalt-Problem dann immer mehr 
festgefahren. - Es hangt mit der Verlegung des philo- 



Asthetik 



sophischen Interesses vom Subjekt zu den Sachen, vom 
BewuBtsein zum Sein und Seienden zusammen, wenn 
die neue Ontologie bei ihrem Riickgang von Kant zu 
Leibniz und Wolff auch die A. aus ihrer idealistischen 
Systematik und Deutung herausnimmt und nach dem 
Vorbild von E. Husserl, M. Scheler und M. Heidegger 
einer phanomenologischen Betrachtung unterwirft, 
um die ganze Breite und Tiefe des asthetischen For- 
schungsfeldes auszumessen. Hierbei geht es vor allem 
um die Erforschung der Seinsweise des Kunstwerks, 
wobei dem Form-Inhalt-Problem insofern eine neue 
Wendung gegeben wird, als Form und Inhalt nach dem 
Prinzip der Schichtung und der Schichtungsordnung 
zueinander in ein Verhaltnis der Fundierung gebracht 
werden, das nicht mehr erlaubt, eine der beiden Seiten 
dieses Verhaltnisses zu isolieren. N. Hartmann (fl950) 
unterscheidet das Realgebilde der Formgestalt des 
Kunstwerks als Vordergrund von einem mehrschich- 
tigen irrealen Hintergrund (als Inhalt oder Ausgedriick- 
tes), der in dem Vordergrund erscheint. Wahrend der 
Vordergrund unabhangig von einem BewuBtsein vor- 
handen ist (an sich), existiert der Hintergrund nur fur 
ein kunstlerisch empfangliches Subjekt (fiir jemanden). 
Wenn schon Hegel das Schone als sinnliches Scheinen 
der Idee definiert hatte, so kommt nun alles auf das 
Verstandnis des Scheinens an. Dieses betrifft nicht die 
erdichtete und ertraumte Welt des schonen Scheins, 
jenes Trugbild der Wirklichkeit, das bei Schopenhauer 
und Nietzsche der Erlosung vom Willen und Werden 
dient. Vielmehr bedeutet es ein aufleuchtendes Sich- 
zeigen, Sichdarbieten von kunstlerischen Gegebenhei- 
ten, sei es z. B. der barocken Darstellung von Affekten 
freudiger oder trauriger Art, sei es eine Stimmung, von 
der wir sagen, daB eine Komposition uns traurig 
stimmt, sei es ein subjektiver Ausdruck des Kompo- 
nisten, des Nachschaffenden oder des Zuhorers, wobei 
es wohl heiBt, es sei »ein ausdrucksvolles Stiick« oder 
»er spiele ausdrucksvoll«. Demnach halten sich die as- 
thetischen Werte in jenem Erscheinungs-Verhaltnis 
(eines ungeformten Irrealen in einem geformten Re- 
alen) auf, worin das eigentiimlich »Schwebende« im 
Dasein des musikalisch Schonen und Wohlgelungenen 
besteht. Zu seinem Gegenpol gehort mehr als das musi- 
kalisch HaBliche und MiBlungene, das musikalisch 
Langweilige, Sentimentale und Kitschige. - Wie zu al- 
ien Zeiten, so steht auch heute hinter jeder fruchtbaren 
musikasthetischen Arbeit das lebendige Musikleben der 
Zeit. Wertvolle asthetische Einsichten werden entwe- 
der unmittelbar in dem kunstlerischen Kampf um eine 
Neue Musik oder in der Besinnung und Vertiefung auf 
die Geschichte der Musik, ihre Gestaltenfulle und Stil- 
richtungen gewonnen. So sind in der heutigen Diskus- 
sion iiber Neoklassizismus, Dodekaphonie und Elektro- 
nische Musik wichtige Ansatze fiir eine musikalische A. 
sichtbar geworden. Auch in der jiingeren wissenschaft- 
lichen Musikgeschichtsschreibung, Tonpsychologie 
und Musikkritik treten musikasthetische Neuansatze 
hervor. 

Lit.: A. G. Baumgarten, Aesthetica, 2 Bde, Frankfurt 
a. O. 1750-58; E. Hanslick, Vom Mus.-Schonen. Ein 
Beitr. zur Revision d. A. d. Tonkunst, Lpz. 1854, 151922, 
frz. 1877, span. 1879, ital. 1884, engl. 1891, russ. 1895, 
japanisch 1924; A. W. Ambros, Die Grenzen d. Musik u. 
Poesie, eine Studie zur A. d. Tonkunst, 2 Bde, Prag 1856, 
Lpz. 21872, engl. NY 1893 ; R. Zimmermann, Gesch. d. A. 
als philosophische Wiss., Wien 1858 ; H. Lotze, Gesch. d. 
A. in Deutschland, Miinchen 1868, Neudruck Lpz. 1913; 
Fr. v. Hausegger, Die Musik als Ausdruck, Wien 1885, 
21887; H. v. Stein, Die Entstehung d. neueren A, Stutt- 
gart 1886; H. Riemann, Katechismus d. Musik-A., Lpz. 
1887; ders., Die Elemente d. mus. A., Bin u. Stuttgart 
(1900), frz. Paris 1906, ital. 1914; W. Dilthey, Die drei 



Epochen d. modernen A. u. ihre heutige Aufgabe, Die 
Deutsche Rundschau XVIII, 1892, u. Gesammelte Schrif- 
ten VI, Lpz. u. Bin 1924; A. Dove, Das Problem d. mus. 
A., in: Ausgew. Schriften, Lpz. 1898; P. Moos, Moderne 
Musik-A. in Deutschland, Bin 1902, neubearb. als: Die 
Philosophie d. Musik v. Kant bis.E. v. Hartmann, Bin 
1922; A. Schering, Die Musik-A. d. deutschen Auf- 
klarung, ZIMG VIII, 1906/07, dazu ZfMw I, 1918/19, S. 
298ff. ; F. Busoni, Entwurf einer neuen A. d. Tonkunst, 
Triest 1907, Lpz. 21916, Wiesbaden 1954; ders., Wesen u. 
Einheit d. Musik, = M. Hesses Hdb. d. Musik LXXVI, 
Bin 1922, 21956, hrsg. v. J. Herrmann; Ch. Lalo, Es- 
quisse d'une esthetique mus. scientifique, Paris 1908; H. 
Siebeck, Grundfragen zur Psychologie u. A. d. Tonkunst, 
Tubingen 1909; E. Bergmann, Die Begrundung d. deut- 
schen A. durch A. G. Baumgarten u. G. Fr. Meier, Lpz. 
1911; ders., Gesch. d. A. u. Kunstphilosophie, ein For- 
schungsber., Lpz. 1914; G. Bagier, Herbart u. d. Musik, 
Padagogisches Magazin, Nr 430, Langensalza 1911; H. 
Goldschmidt, Die Musik-A. d. 18. Jh., Zurich 1915; H. 
Pfitzner, Die neue A. d. mus. Impotenz, Munchen 1920; 
E. Closson, Esthetique mus., Brussel 1921 ; R. Schafke, 
E. Hanslick u. d. Musik-A., Lpz. 1922; ders., Quantz als 
Asthetiker, AfMw VI, 1924; ders., Gesch. d. Musik-A. 
in Umrissen, Bin 1934, mit Vorw. v. W. Korte, Tutzing 
21964;H.BESSELER,Grundfragend.Musik-A.,JbPXXXHI, 
1926; ders., Das mus. Horen, Sb. Lpz. CIV, 6, Bin 1959; 
H. Mersmann, Angewandte Musika., Bin 1926; M. Gei- 
ger, Zugange zur A., Lpz. 1928; W. Serauky, Die mus. 
Nachahmungsa. imZeitraumv. 1700-1850, = Universitas- 
Arch. XVII, Munsteri. W. 1929; F. M. Gatz, Musik-A. in 
ihren Hauptrichtungen, ein Quellenbuch, Stuttgart 1929; 
H. Schole, Tonpsychologie u. Musik-A., Gottingen 1930; 
G. Wierling, Das Tonkunstwerk als autonome Gestalt 
oder Ausdruck d. Personlichkeit, Diss. Bonn 1931; E. G. 
Wolff, Grundlagen einer autonomen Musik-A., = Slg 
mw. Abh. XV, StraBburg 1934; H. Nohl, Die asthetische 
Wirklichkeit, Ffm. 1935, 21954; ders., Vom Sinn d. Kunst, 
hrsg. v. E. Blochmann, = Kleine Vandenhoeck-ReiheCIII/ 
CIV, Gottingen 1961 ; W. Korte, Musik u. Weltbild, Lpz. 
1940; A. Schering, Das Symbol in d. Musik, hrsg. v. W. 
Gurlitt, Lpz. 1941 ; I. Strawinsky, Poetique mus., Paris u. 
NY 1942, revidiert u. erweitert Paris 1952, deutsch Mainz 
21960, engl. NY 1956; J. Handschin, Der Toncharakter, 
Zurich (1948); G. Brelet, Le temps mus., essai d'une 
esthetique nouvelle de la musique, 2 Bde, Paris 1949; C. 
Dahlhaus, Zu Kants Musik-A., AfMw X,. 1953; N. 
Hartmann, A., Bin 1953; K. Huber, Musik-A., hrsg. v. 
O. Ursprung, Ettal 1954; W. Gurlitt, Uber d. Phantasie 
in d. musischen u. bildenden Kiinsten, RBM VIII, 1954; 
ders., Form in d. Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. 
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. 
Klasse, Jg. 1954, Nr 13; Z. Lissa, Fragen d. Musik-A., 
Bin 1954; H. H. Eggebrecht, Das Ausdrucksprinzip im 
mus. Sturm u. Drang, DVjs XXIX, 1955; H. v. Zingerle, 
Zum Problem einer Stilgesch. d. »asthetischen Qualita- 
ten«, Fs. W. Fischer, Innsbruck 1956; K. H. Darenberg, 
Studien zur engl. Musika. d. 18. Jh., = Britannicaet Ameri- 
cana VI, Hbg 1960; W. Seifert, Chr. G. Korner, = For- 
schungsbeitr. zur Mw. IX, Regensburg 1960; A. Wellek, 
Musikpsychologie u. Musika., GrundriB d. systematischen 
Mw., Ffm. 1963. 

Aetherophon, auch Theremingerat, Thereminovox. 
Das erste elektrophonische Musikinstrument von prak- 
tischem Musizierwert war das Ae. (Atherwelleninstru- 
ment) des russischen Physikers L. -> Theremin. Nach 
langerer Erprobung in RuBland wurde das Gerat 1927 
erstmals in Frankfurt am Main und in einem Konzert 
des Berliner Philharmonischen Orchesters eingesetzt. 
Das Prinzip der Schwingungserzeugung besteht darin, 
das Pfeifen eines durch Riickkopplung zur Eigenerre- 
gung gebrachten Rundfunkempfangers in einer mu- 
sikalischen Skala abstimmbar zu machen. Das Gerat be- 
steht aus zwei Hochfrequenzgeneratoren, deren (Si- 
nus-) Schwingungen iiberlagert werden. Die Differenz- 
frequenz wird nach Filterung und Verstarkung im 
Lautsprecher horbar. Der eine Generator ist mit einer 
Stabantenne versehen. Nahert man die Hand dieser 



10 



Affektenlehre 



»Spielantenne«, so tritt durch Verbindung des Spielers 
mit der Erde eine kapazitiye Verstimmung des einen 
Generators ein, somit eine Anderung der Differenzfre- 
quenz und damit der Tonhohe. Der Umfang von 3 
Oktaven ist fiir musikalische Zwecke nicht wesentlich 
iiberschreitbar. Die Lautstarke kann durch einen mittels 
FuBpedals betatigten Widerstand oder iiber eine zweite 
Antenne verandert werden. Ein »Klangfarben«-Re- 
gister ist nicht vorhanden. 

Lit. : P. Lertes, Elektrische Musik, Dresden u. Lpz. 1933 ; 
W. Meyer-Eppler, Elektrische Klangerzeugung, Bonn 
(1949); Fr. Winckel, Hdb. f. Hochfrequenz- u. Elektro- 
techniker, Bin 1953; Fr. K. Prieberg, Musica ex machina, 
Bin, Ffm. u. Wien (1960). 

AEUIA (oder AEVIA, Aeuia, auch Aeua), eine vor 
allem in mittelalterlichen Choralhandschrif ten verwen- 
dete palaographische Kurzform des Wortes Alleluia, 
entstanden durch Auslassung der Konsonanten. Sie 
findet sich bereits in Codex 359 der Stiftsbibliothek 
St. Gallen(9.Jh.). 

Affektenlehre, Lehre von den die menschliche Seele 
bewegenden Leidenschaften und Gemiitsbewegungen, 
die im musikalischen Barock zum Mittelpunkt theore- 
tischer Erorterungen wird. - Affekt (griech. mx9-0(;, 
das Erleiden; lat. perturbatio, zuerst bei Cicero, Tusc. 
4, 10, affectus, von lat. afficere, antun, zuerst bei Seneca, 
oder passio; frz. passion) bezeichnet den leidenschaft- 
lichen Erregungszustand, in dem der Mensch von der 
AuBenwelt abhangig ist. - Die musikalische A. geht 
auf die griechische Antike zuriick, wo sie im Zusam- 
menhang mit der Ethik stand. Damon von Athen (5. 
Jh. v. Chr.) stellt einen Zusammenhang her zwischen 
den rhythmischen und melodischen Bewegungen und 
denen in der Seele des Horers, die von jenen hervorge- 
rufen werden (Athenaios XIV, 628 c). Auch bei Platon 
spielen, im AnschluB an Damon, die Af fekte eine wich- 
tige Rolle: Wertgeltung hat nur diejenige Musik, die 
sich als ethisch positiv auszeichnet und im Gefiige des 
platonischen Idealstaates der Erziehung dient (Politeia 
III, 3. Kap.). - In der romischen Spatantike und im 
Mittelalter waren die Affekte des ofteren Gegenstand 
theoretischer Erorterung (Cassiodor, Isidor von Sevil- 
la). Auch Johannes Affligemensis (J. Cotton) vermittelt 
in seiner Epistola ad Fulgentium (zwischen 1 100 und 1 121) 
eine affektbestimmte "Wirkungslehre. Bei Ramos de 
Pareja (Musica practica, 1482) entsprechen die 4 Tempe- 
ramente den 4 authentischen Kirchentonen. - Im Zeit- 
alter des Humanismus und der Renaissance erwuchs die 
Frage der Darstellung, der exphcatio textus, mithin 
der dem Textvorwurf eingelagerten Affekte, zu einer 
neuen Aufgabenstellung des Komponisten. Wieder- 
holt ist im Rahmen der Musica vocalis vom »Darstellen 
der Affekte« die Rede, z. B. affectus exprimere oder, was 
das gleiche bedeutet, sensus textuum exprimere. Das be- 
sagt: die im Text objektivierten Affekte sollen mit den 
kompositionstechnischen Mitteln »dargestellt« werden. 
Die -> Musica reservata und das italienische Madrigal 
der Spatrenaissance bieten hervorragende Zeugnisse 
der musikalischen Affektdarstellung. Zarlino (Istitutioni 
harmoniche, 1558) verbindet die A. mit der Intervall- 
lehre und mit dem von ihm theoretisch entwickelten 
Akkordbegrifl. Die Intervalle ohne Halbton (Sekun- 
de, groBe Terz, groBe Sexte, groBe Tredezime) verge- 
genwartigen den Affekt der Freude, die Intervalle mit 
Halbton (kleine Terz, kleine Sexte, kleine Tredezime) 
den der Traurigkeit. Die Affektwirkung des Dur-Drei- 
klangs ist allegro (freudig), die des Moll-Dreiklangs 
dagegen mesto (traurig). Im Barock-Zeitalter riickte 
die Fragc der Affektendarstellung in den Mittelpunkt 
der Musiklehre. Melodik (Intervallehre), Harmonik, 



Rhythmik, Tempostufung, Klanglagen, Dynamik und 
sogar StiUstik wurden in den Dienst der Nachahmung 
von Affekten gestellt. CI. Monteverdis Stillehre gipfelt 
in dem stile concitato, der bei G. B. Doni (Annotazioni, 
1640) stile espressivo heiBt und seiner pathetischen und 
dramatischen Wucht (esprimere gli affetti) wegen nur 
auf der Biihne zu horen sei. Auch die Vortragstechnik 
wird auf die affektuose Darstellung bezogen, z. B. soil 
der Sanger bei traurigen Affekten die Intervalle schlei- 
fen, wie es noch der Schiitz-Schiiler Chr. Bernhard 
verlangt. In seinen Nuove musiche (Florenz 1601), der 
fiir den Stilwillen des Barockprogrammatischen Samm- 
lung von generalbaBgestiitzten Solomadrigalen und 
-arien, fordert Caccini vom Sanger das cantare con af- 
fetto. Der Philosoph R. Descartes leitet in seiner be- 
riihmten Abhandlung Les passions de Vame (1649) aus 
den 6 Grundformen der Verwunderung (admiration), 
Liebe (amour) und HaB (haine), Verlangen (desir), Freude 
(joie) und Trauer (tristesse) die mannigfaltigen Arten 
und Unterarten von Affekten ab. Zu gleicher Zeit eror- 
tert A.Kirchers Musurgia universalis(1650) die Affekte 
als Typen seelischer Erregungszustande und ihre musi- 
kalische Darstellung, indem er sie mit beispielhaften 
Ausschnitten aus Werken bedeutender Komponisten 
belegt. Dabei bringt er die Temperamentenlehre mit 
der A. zusammen und nennt die affektdarstellende Mu- 
sik Musica pathetica, A. Werckmeister (f 1706) verbin- 
det die A. mit theologischen Wertbegriffen und mit 
seiner mathematisch f undierten und naturphilosophisch 
durchsetzten Vollkommenheitslehre. Grundsatzlich 
lassen sich folgende Regeln erkennen: der Affekt der 
Freude wird durch Durtonarten dargestellt, durch 
schnelles Tempo, vorwiegend konsonante und groBe 
Intervalle, durch welche die Lebensgeister (spiritus 
animales) inBewegung geraten, sowie durch einehohere 
und glanzvolle Klanglage ; der Affekt der Traurigkeit 
hingegen durch Molltonarten, haufige Verwendung 
von Dissonanzen, von Querstanden (relationes non har- 
monicae) und engen Intervallen (Ganz- und Halbtone), 
durch welche die Lebensgeister sich zusammenziehen, 
sowie durch langsameres Tempo und dunklere (mitt- 
lere oder tiefe) Lagen. Die musikalische Rhetorik kennt 
zahlreiche -»■ Figuren zur Darstellung von Affekten. 
So ist der vom Grundton zu dessen Unterquart in Halb- 
tonen (»chromatisch«) fallende LamentobaB (z. B. in 
Purcells Dido and Aeneas, in Bachs Kantate Weinen, 
Klagen, Sorgen, Zagen, BWV 12, bzw. im Crucifixus 
der H moll-Messe), auch -> Passus duriusculus genannt, 
eine der Figuren fiir die Darstellung eines schmerzlichen 
Affekts bzw. Sinngehalts des Textes, so auch die Ver- 
wendung tonleiterfremder Halbtone iiberhaupt (->Pa- 
thopoiia). M. Mersenne erklart in seiner Harmonie uni- 
verselle 1636 die unterschiedlichen Wirkungen von 
groBer und kleiner Terz ; jene hat vorwartsdrangende 
Kraft, diese dagegen ist schlaff und entbehrt der Dyna- 
mik; in der Dissonanzbehandlung erblickt Mersenne 
den Vorrang der Kunstmusik gegeniiber der Volks- 
musik. Zuriickhaltend ist er den Affektcharakteren der 
Musikinstrumente gegeniiber, wahrend etwa 50 Jahre 
vorher bei V.Galilei Ansatze zu einer affektuosen 
Wirkungslehre der Instrumente sichtbar waren : Vio- 
len und Lauten seien zur Darstellung der ernsten und 
traurigen Affekte geeignet, nicht dagegen die Tasten- 
instrumente. Auch die Elemente der musikalischen 
Zeitgestaltung dienen im Barockzeitalter der Dar- 
stellung bestimmter Affekte, etwa allegro fiir den 
Affekt der Freude, adagio fiir den der Traurigkeit; das 
schnelle Tempo wird jedoch auch als Darstellungs- 
mittel des Zorns verwendet (affectus cholericus). Hinzu 
kommt die affektgesteuerte Veranderung des Tempos, 
die des ofteren fiir hochpathetische Musik gefordert 



11 



affettuoso 



wird und die neben das weiterbestehende strenge Tem- 
pogleichmaB tritt. Monteverdi etwa unterscheidet in 
der Vorrede seines 8. Madrigalbuches (1638) die Stetig- 
keit des traditionellen tempo de la mano und das moderne 
tempo del affetto del ammo e non quello de la mano. Auch 
Frescobaldi fordert fur den Vortrag seiner Tokkaten 
die affektuose Temponahme. Des ofteren bezeichnen 
Angaben wie senza battuta oder sans mesure (z. B. bei 
Froberger) die affektbestimmte Differenzierung des 
Tempos. - Die dargestellten Affekte werden als typi- 
sche Verhaltensweisen des Menschen erfaBt. Sie verge- 
genwartigen nicht etwa eine subjektive Selbstkundgabe 
des Komponisten. Auch werden sie nicht naturalistisch 
geschildert, sondern ins Idealtypische erhoben. Im Aus- 
gang des Barockzeitalters wurde auch die A., mithin 
die musikalische Darstellung der Affekte aufgelost. 
J.J. Quantz (f 1773) spricht bereits vom Wechsel der 
Affekte innerhalb eines Satzes und lost sie von der Ein- 
heit des barocken Zentralaffekts. In dem Traditions- 
bruch der Geniezeit, des empfindsamen Stils und des 
musikalischen Sturm und Drang versank die barocke 
A. Aus der objektiven Darstellung von Affekten wurde 
ein subjektiver -»■ Ausdruck von Empfindungen und 
Gefiihlen, die den Komponisten bewegen. 
Lit.: H. Kretzschmar, Allgemeines u. Besonderes zur 
A. I— II, JbP XVIH-XIX, 1911-12; H. Goldschmidt, Die 
Musikasthetik d. 18. Jh., Zurich 1915; M. Kramer, Beitr. 
zu einer Gesch. d. Affektbegriffs in d. Musik v. 155<M70O, 
Diss. Halle 1924, maschr. ; R. Schafke, Quantz als Asthe- 
tiker, AfMw VI, 1924; W. Serauky, Die mus. Nachah- 
mungsasthetik im Zeitraum v. 1700-1850, = Universitas- 
Arch. XVII, Munster i. W. 1929; A. Schering, Das Sym- 
bol in d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz. 1941 ; H. H. Eg- 
gebrecht, Das Ausdrucksprinzip im mus. Sturm u. Drang, 
DVjs XXIX, 1955; R. Dammann, Zur Musiklehre d. A. 
Werckmeister, AfMw XI, 1954; ders., Die Struktur d. Mu- 
sikbegriffs im deutschen Barock, Habil.-Schrift, Freiburg 
i.Br. 1958, maschr.; Fr. T. Wessel, The Affektenlehre in 
the 18 th Cent., Diss. Bloomington 1955, maschr. 

affettuoso, affettuosamente, con affetto (ital.), af- 
fectueusement (frz.), s. v. w. gemiitsbewegend, mit 
Affekt; eine besonders im Barockzeitalter gebrauch- 
liche Vortragsbezeichnung, nach Walther (1732): 
sehnlich, nachdriicklich, hertzbeweglich, als Tempoangabe 
nach Koch (1802) eine mdfiig langsame Bewegung, die 
zwischen Adagio und Andante das Mittel halt (Mittelsatz 
des 5.Brandenburgischen Konzerts BWV 1050 von 
J.S.Bach). 

affrettando (ital.), beschleunigend, s. v. w. stringen- 
do ; af f rettato, beschleunigt, s. v. w. piu mosso. 

Afrikanische Musik. Die altesten Quellen zur Mu- 
sikgeschichte Afrikas liefern die Felsbilder in den 
Gebirgen Nord- und Siidafrikas, die denen aus 
Spanien und Siidfrankreich weitgehend gleichen. Sie 
zeigen ein Musikleben mit kultisch-magischen Tanzen, 
die von Gesang, FuBstampfen und Handeklatschen be- 
gleitet waren und ahnlich noch heute in Afrika vor- 
kommen. Die altesten dieser Zeichnungen stammen 
aus dem Neolithikum; in Sudafrika wurden sie von 
den Buschmannern noch zur Zeit der Entdeckung 
durch die Europaer angefertigt. - Der erste nachweis- 
bare EinfluB A.r M. auf Europa ging von Agypten aus, 
das seine hochentwickelte Musikkultur schon in bibli- 
scher Zeit nach Kleinasien und Griechenland, in der 
Spatantike auch nach Italien iibertrug (->■ Agyptische 
Musik). In der Vblkerwanderungszeit kam es durch die 
Goten in Nordafrika zu erneuten Kontakten zwischen 
europaischer und nordafrikanischer Musik, deren Spu- 
ren in der Musik der nordafrikanischen Berber vermu- 
tet werden. Umgekehrt beeinfluBten nordafrikanische 
Stile der friihchristlichen Gemeinden in Agypten, Ly- 



bien und Karthago die Entwicklung der abendlandi- 
schen Kirchenmusik. Der hi. -*■ Augustinus (f 430), 
dessen 6 Biicher De Musica sowie andere Schriften ent- 
scheidenden EinfluB auf die Musik der westromischen 
Kirche hatten, war Afrikaner. Von den afrikanischen 
Sangerschulen gingen wichtige Impulse aus, die f iir die 
Gestaltung von Liturgie und Hyrrmendichtung eben- 
so bedeutsam waren wie die syrischen und griechi- 
schen Schulen. Die christliche Kirchenmusik Nord- 
afrikas lebt noch heute in der koptischen Kirche Agyp- 
tens und Abessiniens (-»- Koptische Musik). - Mit der 
Eroberung Agyptens durch die Araber 640 n. Chr. be- 
gann eine neue Epoche. In wenigen Jahrzehnten stand 
der ganze Norden des Kontinents unter der Herrschaf t 
des Islams, der dann auch nach Spanien und Portugal 
heriibergriff. Uber Spanien gelangten Elementc der 
arabisch-afrikanischen Musik nach West- und Mittel- 
europa, vor allem die Laute und die Form des welt- 
lichen Sololiedes mit Instrumentalbegleitung und 
-zwischenspielen. Arabisch-islamische Musik verdrang- 
te oder iiberdeckte in Nordafrika die einheimischen 
Stile und drang mit der islamischen Missionstatigkeit 
auch nach Siiden zu den hamitischen und negroiden 
Volkern siidhch der Sahara vor. Vom Mittelalter bis 
zur Gegenwart scheidet sich die Musik Afrikas somit 
in zwei deutlich gegeneinander abgesetzte Stilkreise: 
den islamisch-arabischen im Norden, der bis in den 
Sudan hineinreicht, und den negroiden im Siiden 
(-> Arabisch-islamische Musik, -> Negermusik). Trotz 
aller Abhangigkeit von den Vorbildern der arabisch- 
orientalischen Musik kann man die Musik Nordafrikas 
nicht schlechtweg arabisch nennen. Sie hat in der langen 
Zeit ihrer Geschichte und in der zeitweise volligen Iso- 
lierung vom Ursprungsland, vor allem auch durch die 
Einbeziehung der Musik der einheimischen Volker, zu- 
mindest den Charakter eigener Dialekte angenom- 
men. - Die Musikkultur Nordafrikas ist stadtisch ; ihr 
hofisch-feudaler Ursprung ist jedoch nicht vergessen. 
Die Musik der landlichen Siedlungen unterscheidet 
sich nicht nennenswert von der stadtischen. Nomadi- 
sierende Beduinen, in Arabien die Hiiter der hofischen 
Musikiiberlieferungen, sind in Nordafrika an Zahl und 
Bedeutung gering. Einzig die nichtsemitischen Berber 
haben in ihrer Musik eine gewisse Eigenstandigkeit be- 
wahrt, die allerdings weniger im Stofflichen und For- 
malen als im Klang und Vortrag zum Ausdruck kommt. 
Im Gegensatz zur f rohlich-larmenden Musik der Neger 
Afrikas erscheint die der Araber in Nordafrika unauf- 
dringlich. Diese Zuruckhaltung in der Ausiibung der 
Musik mag auf den EinfluB des Islams zuruckgehen, 
der nicht musikfreundlich ist. AuBerhalb des Kults 
gibt es jedoch eine Kunstmusik, die auf der religiosen 
Dichtung beruht. Sie ist, wie auch die von ihr hergelei- 
tete weltliche Musik »Kammermusik«, ausgeftihrt von 
Gesangs- und Instrumentalsolisten, eine im Prinzip ein- 
stimmige Musik in kunstvoller Verschrankung von 
Melos und Rhythmus. Das instrumentale Ensemble 
besteht dabei in der Regel aus mehreren Spielern bei 
gleichstarker Beteiligung von Melodie- und Rhyth- 
musinstrumenten. Von letzteren sind die wichtigsten 
eine Schellen-Rahmentrommel (Tar), die ebenso wie 
die vasenformige GefaBtrommel Darabukka mit der 
Hand geschlagen wird, und die stets paarweise ge- 
brauchte Hand-Kesselpauke (Naqqarat), die mit leich- 
ten Schlageln geschlagen wird. Die wichtigsten Melo- 
dieinstrumente sind die Kurzhalslaute ('Ud), dieLang- 
halslaute (Tanbur) sowie die Stachelgeige (Rabab) und 
Zither (Qaniin). An Blasinstrumenten finden sich die 
agyptischen Langsfloten (Nay), wahrend die verschie- 
denen Schalmeitypen f iir die Kunstmusik von geringer 
Bedeutung sind. - Wie in der europaischen Musik 



12 



Afrikanische Musik 



werden auch in der nordafrikanischen altiiberlieferte 
Formen und Stile neben neuen gepflegt, die mehr oder 
weniger im Banne der alten Tradition stehen, aber 
starker mit Elementen der Folklore durchsetzt sind. 
Europaische Einfliisse zeigen sich nur im Bereich der 
volkstiimlicheren Abarten und der reinen Unterhal- 
tungsmusik. - Wahrend sich die Musikgeschichte 
Nordafrikas dank der agyptischen Quellen bis ins 2. 
vorchristliche Jahrtausend zuruckverfolgen laBt, ist die 
Musik siidlich der Sahara nur in ihren gegenwartigen 
AuBerungen bekannt. Zwar ist den Mythen und Sagen 
der Negervolker ein gewisser Grad historischer Wahr- 
heit zuzumessen, manche Ursprungs- und Wande- 
rungssagen sind auch nachpriifbar und bestatigt. Sie 
erklaren z. B. das Vorkommen bestimmter Instrumen- 
te, die auf oft noch ungeklarten Wegen aus den Hoch- 
kulturen des Nordens und Ostens, sogar aus Indonesien 
weit in den Kontinent hinein gelangten. Die gegenwar- 
tige Musik der schwarzen Afrikaner ist erst durch die 
europaische Kolonisation und Mission bekannt ge- 
worden, wird heute aber bereits wesentlich von einge- 
borenen weiBen und schwarzen Afrikanern erforscht. 
Sie zeigt eine bunte Vielfalt der Stile, die in etwa den 
rassischen, sprachlichen und kulturellen Gruppierun- 
gen der Bevolkerung entspricht. An das semitisch- 
arabische Nordafrika schlieBen sich die hamitischen 
Volker an, von denen einige in ihrer Musik stark von 
den Arabern Nordafrikas beeinfiuBt sind. Siidlich der 
Sahara zieht sich in breitem Giirtel der Stilkreis der 
Sudanneger hin, deren Musik trotz hofischer Her- 
kunf t den Gharakter der afrikanischen Gemeinschaf ts- 
kunst aufweist. Zwischen Kongo im Westen und Sam- 
besi im Osten erstreckt sich die Zone der Bantuneger- 
musik mit reich ausgebildeten mehrstimmigen For- 
men. Die Bantusprachen sind Tonsprachen, bei denen 
die relative Tonhohe einer Sprachsilbe deren Bedeu- 
tung ebenso bestimmt wie der Lautbestand. Neben 
diesen vier Hauptstilkreisen der A.n M. gibt es noch 
eine Reihe kleinerer. Unter ihnen sind die der anthro- 
pologisch selbstandigen Gruppen der Buschmanner 
und Hottentotten hervorzuheben, Volkerschaften im 
Siiden des Kontinents, die als offenbar altere Bevolke- 
rungsschicht eine weitaus primitivere Musik als die 
benachbarten Bantuneger haben, obwohl sie viele 
Elemente derselben iibernommen haben. Die zur Ur- 
bevolkerung Afrikas zahlenden Zwergvolker, die 
Pygmaen, wohnen iiber ganz Zentralafrika und im 
westlichen Kiistenbereich verstreut in Riickzugsgebie- 
ten langs des Aquators. Ihre Musik scheint jedoch viel 
Lehngut der benachbarten Bantu- und Sudanstamme 
zu enthalten. Eine besondere musikalische Kulturpro- 
vinz ist das Kaiserreich Athiopien, das alteste, ge- 
schlossene Staatsgebilde auf afrikanischem Boden. Die 
Insel Madagaskar hat eine eigene Musikkultur ent- 
wickelt, bei der negroide und malaiische Stilelemente 
eine Verbindung eingegangen sind. Durch die islami- 
schen und christlichen Missionen sind die Musikstile 
Negerafrikas verandert worden. Hierbei ist die Chri- 
stianisierung von kaum geringerem EinfluB gewesen 
als der Islam, der vollig wesensfremde Ziige in die Ne- 
germusik Afrikas brachte. Er hat heute bereits groBe 
Teile des Kontinents erf aBt und ist im Vordringen. 

Lit. : B. Ankermann, Die afrikanischen Musikinstr., Eth- 
nologisches Notizblatt III, 1901; E. M. v. Hornbostel, 
Phonographierte tunesische Melodien, SIMG VIII, 
1906/07; ders., Wanyamwesi-Gesange, Anthropos IV, 
1909 ; ders., African Negro Music, Africa 1, 1928 ; W. Hei- 
nitz, Ober d. Musik d. Somali, ZfMw II, 1919/20; A. Si- 
chel, Hist, de la musique des Malgaches, in : Hist, de la mu- 
sique V, hrsg. v. A. Lavignac, Paris 1922; R. Lachmann, 
Die Musik in d. tunesischen Stadten, AfMw V, 1923; St. 
Chauvet, La musique negre, Paris 1929; A. Chottin, 



Corpus de musique marocaine, 2 Bde, Paris 1931-33; 
ders., Instr., musique et danse chleuhs, Zs. f. vergleichen- 
de Mw. 1, 1933 ; A. N. Tucker, Tribal Music and Dancing 
in the Southern Sudan, London 1933; H. Wieschhoff, 
Die afrikanischen Trommeln u. ihre auBerafrikanischen 
Beziehungen, = Studien zur Kulturkunde II, Stuttgart 
1933; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native Races 
of South Africa, Oxford/London 1934, Johannesburg 
2 1953; ders., African Music, in: Hdb. on Race Relations 
in South Africa, London 1949; M. Schneider, Gesch. d. 
Mehrstimmigkeit I, Bin 1934, Rom 2 1964; ders., Gesange 
aus Uganda, AfMf II, 1937; ders., Die Verbreitung 
afrikanischer Chorformen, Zs. f. Ethnologie LXIX, 1937; 
C. M. Doke, Games, Plays and Dances of the Khomani 
Bushmen, Bantu Studies X, 1936; A. Berner, Studien zur 
arabischen Musik ... in Agypten, = Schriftenreihe d. 
Staatl. Inst. f. deutsche Musikforschung II, Lpz. 1937; 
Baron R. d'Erlanger, Melodies tunisiennes, Paris 1937; 
H. Husmann, 7 afrikanische Tonleitern, JbP XLVI, 1939 ; 
H. G. Farmer, Early References to Music in the Western 
Soudan, Journal of the Royal Asiatic Soc, 1939; Fr. 
Hornburg, Die Musik d. Tiv in Nigerien, Diss. Bin 1940; 
ders., Phonographierte afrikanische Mehrstimmigkeit, 
Mf III, 1950 ; F. Hoerburger, Musik aus Ungoni (Deutsch- 
Ostafrika), Diss. Munchen 1941, maschr. ; ders., Tu<- 
nesische Volksmusik, Musica IX, 1955; G. Herzog, 
Drum-Signalling in a West African Tribe, Word 1945; 
J. Bouws, Muziek in Zuid-Afrika, Brugge 1946; ders., 
Zuid- Afrikaans volksmuziek, Mens en Melodie V, 1950; 
ders., Zuid-afrikaanse komponisten, Kapstadt 1957; A. 
Schaeffner, La musique noire d'Afrique, in: La mu- 
sique des origines a nos jours, hrsg. v. N. Dufourcq, Paris 
1946; ders., LesKissi, = L'Homme II, Paris (1951); H.T. 
Tracey, Lalela Zulu, Johannesburg 1948; ders., Songs 
from the Kraals of Southern Rhodesia, Salisbury 1933; 
ders., Ngoma. An Introduction to Music for Southern 
Africans, London 1 948 ; ders. , Evolution et continuite de la 
musique africaine, Les Colloques de Wegimont I, 1954, S. 
187; G. Gorer, Afrikau. seine Tanze, Bern 1950; O. Boone, 
LestamboursduCongo-Belgeetdu Ruanda-Urundi, = An- 
nates du Musee du Congo Beige Tervuren (Belgique), N. S., 
Sciences de l'homme, Ethnographie I, Tervuren 1951 ; R. 
Brandel, Music of the Giants and Pygmies of the Belgian 
Congo, JAMS V, 1952; dies., The Music of African Cir- 
cumcision Rituals, JAMS VII, 1954; dies., The Music of 
Central Africa, Den Haag 1961 ; E. Phillips, Yoruba Mu- 
sic, Johannesburg 1953; A. Koole, Report on an Inquiry 
into the Music and Instr. of the Basutos in Basutoland, 
Kgf.-Ber. Utrecht 1952; A. M. Jones, African Rhythm, 
Africa XXIV, 1 954 ; ders., Studies in African Music, 2 Bde, 
London 1959; Ch. M. Camp u. Br. Nettl, The Mus. Bow 
in Southern Africa, Anthropos L, 1 955 ; M. Griaule, Sym- 
bolisme des tamboures soudanais, Melanges d'hist.et d'es- 
thetique mus. offerts a P.-M. Masson I, Paris (1955) ; J. N. 
Maquet, Note sur les instr. de musique congolais, = Acad. 
Royale des Sciences coloniales, N. S. VI, 4, Briissel 1 956 ; B. 
Soderberg, Les instr. de musique du Bas-Congo et dans 
les regions avoisinantes, = The Ethnographical Museum of 
Sweden, Monograph Series, Publication III, Stockholm 
1956; H. U. Beier, Yoruba Vocal Music, African Music I, 
Nr 3, 1956; J. Kyagambiddwa, African Music from the 
Sources of the Nile, London 1956; L. Marfurt, Musik in 
Afrika, Munchen 1957; F. Giorgetti, Musica africana, 
= Museum Combonianum X, Bologna 1 957 ; Y. Grimaud, 
Notes sur la musique vocale des Bochiman !Kung et des 
pygmees Babinga, Les Colloques de Wegimont III, 1960; 
R. Guenther, Eine Studie zur Musik in Ruanda, ebenda ; 
J. H. Nketia, Possession Dances in African Soc, Journal 
of the International Folk Music Council IX, 1957; ders., 
The Hocket-Technique in African Music, ebenda XIV, 
1962 ; ders., Folk Songs of Ghana, London 1963 ; A. King, 
Yoruba Sacred Music from Ekiti, Ibadan (Nigeria) 1961; 
H; Weman, African Music and the Church in Africa, Upp- 
sala 1960; R. Menard, Contribution a l'etude de quelques 
instr. de musique Baoule, Jb. f . mus. Volks- u. Volkerkunde 
I, 1963 ; H.-H. Wangler, Ober Beziehungen zwischen ge- 
sprochenen u. gesungenen Tonhohen in afrikanischen Ton- 
sprachen, ebenda; A. P. Merriam, Characteristics of Afri- 
can Music, Journal of the International Folk Music Coun- 
cil XV, 1963. - Zs. : African Music Soc. Newsletter, 1948- 
53, fortgesetzt als: African Music, seit 1954. FB 



13 



Afro-amerikanische Musik 



Afro-amerikanische Musik. Ab etwa 1530 wurdet. 
von den Kolonialmachten Spanien, Portugal, Nieder- 
lande, Frankreich und England Negersklaven, vorwie- 
gend aus Westafrika, auf den amerikanischen Kon- 
tinent gebracht. Zwischen der Musik der Neger, der 
WeiBen, der amerikanischen Ureinwohner (Indianer) 
f anden gegenseitige Beeinflussungen statt, die regional 
zu verschiedenen Stilen fiihrten. Der bedeutendste ist 
der -Vfazz, der zuweilen audi mit A.-a.r M. schlecht- 
hin bezeichnet wird. 

Lit. : H. E. Krehbiel, Afro-American Folksongs, NY u. 
London 1914, 21959; H. W. Odum u. B. Johnson Guy, 
The Negro and his Song, Chapel Hill 1925; M.C. Hare, 
Negro Musicians and their Music, Washington 1936; 
J. A. u. A. Lomax, Negro Folk Songs, NY 1936; M. J. 
Herskovits, El estudio de la musica negra en el hemis- 
ferio occidental, Boletin Latino Americano de Musica V, 
1941 ; ders., The Myth of the Negro Past, NY 1944; N. R. 
Ortiz Oderigo, Panorama de la musica Afro-americana, 
Buenos Aires 1944; A. Ramos, Las culturas negras de 
Novo Mundo, Sao Paulo u. Rio de Janeiro 1946, deutsch 
v. R. Katz, Zurich 1948; M. Vajro, La musica negra e 
gli studii di afro-americanistica, Rivista di Etnografia III, 
1949; E. R. Clark, Negro Folk Music in America, Jour- 
nal of American Folklore LXIV, 1951; R. Carambula, 
Negro y tambor, Buenos Aires 1952; M. M. Fisher, 
Negro Slave Songs in the United States, Ithaca 1953; 
A. M. Dauer, Der Jazz, Kassel (1958). 

Afro-Cuban Jazz, eine im Zusammenhang mit detn 
-»• Be-bop bekanntgewordene Stromung des Jazz, die 
Ende der 1940er Jahre als Cuban bop (Cu-bop) ihren 
Hohepunkt erreichte. Im A.-C. J. sind melodische und 
vor allem rhythmische Elemente der lateinamerika- 
nischen Musik beherrschend in den Jazz einbezogen 
(Rumba, Conga, Mambo, Calypso). Die Rhythmus- 
gruppe der Band wird dazu durch verschiedene ku- 
banische Schlaginstrumente, wie Bongo, Conga, Cla- 
ves (mit den speziell zu ihnen gehorigen Rhythmus- 
figuren) bereichert. - Auf Grund der Einwanderung 
von Negersklaven aus Kuba und den lateinamerika- 
nischen Gebieten bis zum Ende des 19. Jh. in die Siid- 
staaten der USA waren Elemente der afro-amerika- 
nischen Musik bereits in friihe kreolische Lieder einge- 
drungen. (Der Tango wurde schon 1914 in den USA 
Mode.) Sporadisch begegnen solche Elemente audi 
im New-Orleans-Jazz und im Ragtime. In den Vorder- 
grund traten sie jedoch erstmalig in der Swing-Ara 
(Ellington). Innerhalb der Be-bop-Bewegung gab 
(1947-48) die Band von Gillespie mit dem kubanischen 
Bongo-Trommler Chano Pozo den AnstoB zur welt- 
weiten Popularisierung des A.-C. J., der dann sowohl 
im -> Progressive Jazz (Stan Kenton) kompositorisch 
verarbeitet, als auch von kleineren Ensembles iiber- 
nommen wurde. - Umgekehrt iibernahmen in den 
1940er Jahren siidamerikanische Tanzkapellen Jazz- 
elemente (Frank Grillo Machito) und spielten teilweise 
mit beruhmten Be-bop-Musikern (Charlie Parker). 
Von dieser Seite fiihrte der Weg zur jiingsten kom- 
merziellen Verbreitung lateinamerikanischer Tanz- 
musik mit modischen Tanzen (Mambo, Cha-Cha-Cha) . 

Agende (lat. agenda, s. v. w. : was getan werden soil), 
seit der 2. Synode von Karthago (390) Name gottes- 
dienstlicher Handlungen (z. B. agendam celebrare, 
agenda diei), in spaterer Zeit Bezeichnung liturgischer 
Biicher, die die gottesdienstlichen Formulare enthal- 
ten, besonders in der evangelischen Kirche, wahrend 
in der katholischen Kirche, vor allem nach der Refor- 
mation, der Name Rituale gebrauchlicher ist. Auch 
die A.n der evangelischen Kirchen tragen haufig an- 
dere Bezeichnungen : im 16. und 17. Jh. erschienen sie 
oft unter dem Namen und als Teil der Kirchenord- 
nung. Agenda heiBt hier erstmals die 2. Auflage der 



Kirchenordnung Herzog Heinrichs zu Sachsen (1540, 
Agenda, das ist Kyrchenordnung, wie sich die Pfarrer und 
Seelsorger in iren Ampten und Diensten halten sollen . . .); 
ihr gingen A.n mit anderen Namen voraus, z. B. 
Luthers Formula Missae (1523), Deudsche Messe und 
Ordnung Gottesdiensts (1526), Th. Muntzers Deutzsch 
kirchen ampt (1523). In neuerer Zeit wird die A. auch 
Kirchenbuch genannt, vor allem in der reformierten 
Kirche ; in England heiBt sie book of common prayer. - 
In ihren musikalischen Teilen beschranken sich die A.n 
meist auf die vom Liturgen gesungenen Stiicke; die 
Gesange des Chores und der Gemeinde dagegen stehen 
in den Kantionalien und Gesangbuchern. A. und Ge- 
sangbuch vereinigt z. B. J. Keuchenthal in Kirchen Ge- 
senge Latinisch und Deudsch, sampt alien Evangelien, 
Episteln, undCollecten, auffdie Sontage undFeste . . . Aus 
den besten Gesangbuchern und A.n . . . zusamen gebracht 
(1573). - Als Quelle zur Geschichte der evangelischen 
Liturgie und Kirchenmusik spiegeln die A.n die durch 
Luther und seine Zeitgenossen begonnene Reform des 
Kirchengesanges und der Liturgie wider sowie deren 
Verfall wahrend der Zeit des Rationalismus und die 
verschiedenen Restaurations- und Erneuerungsbestre- 
bungen im 19. und 20. Jh., die teils bei der reformatori- 
schen Uberlieferung, teils bei vorreformatorischen 
Formen ankniipfen. J. F. Naues Versuch einer musikali- 
schen A. (1818, 2 1823) greift auf die sachsische A. von 
1539 zuriick; im wesentlichen hierauf stiitzt sich Fried- 
rich Wilhelms III. Kirchenagendefiir die Hof- und Dom- 
kirche zu Berlin (1822), dieAusgangspunktfiirdiejetzige 
A.fiir die Kirche der Altpreufiischen Union ist. In neuerer 
Zeit sind unter anderem wichtig die Bestrebungen der 
Alpirsbacher Bewegung (z. B. Alpirsbacher Antiphonale, 
1951), des Berneuchener Kreises (z. B. Die Ordnung 
der Messe . . . mit den musikalischen Formen des Ordina- 
riumsfiir Pfarrer, Chor und Gemeinde, 1950) , der Michaels- 
bruderschaft (z. B. Die Heilige Woche. Ordnungen fitr 
die Gottesdienste der Karwoche und die Feier der Osternacht, 
1951) und die beiden Bande der A.fiir ev.-luth. Kirchen 
und Gemeinden (1955-60). 

Lit.: R. v. Liliencron, Liturgisch-mus. Gesch. d. ev. 
Gottesdienstes v. 1523-1700, Schleswig 1893; Die ev. 
Kirchenordnungen d. 16. Jh., hrsg. v. E. Sehlino, Bd. 
I-V, Lpz. 1902-13, fortgefuhrt seit 1955; Fr. Blume, Die 
ev. Kirchenmusik, Biicken Hdb.; P. Graff, Gesch. d. 
Auflosung d. alten gottesdienstlichen Formen in d. ev. 
Kirche Deutschlands, 2 Bde, Gottingen 1937-39; G. 
Rietschel, Lehrbuch d. Liturgik, bearb. v. P. Graff, 
Gottingen 2 1951 ; H. J. Moser, Die ev. Kirchenmusik in 
Deutschland, Bin u. Darmstadt 1954; Leiturgia, Hdb. d. 
ev. Gottesdienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. Blanken- 
burg, 4 Bde, Kassel 1954-61 ; Chr. Mahrenholz, Die Kir- 
chenmusik in d. neuen Lutherischen A., MuK XXV, 1955 ; 
Jb. f. Liturgik u. Hymnologie, hrsg. v. K. Ameln, Chr. 
Mahrenholz u. K. F. Muller, Kassel seit 1955. 

Agnus Dei (lat., Lamm Gottes), der abschlieBende Ge- 
sang des Ordinarium missae in Form eines 3maligen 
An- und Bittrufes nach dem feierlichen FriedensgruB 
(Pax Domini). Sein Text setzt sich zusammen aus den 
Worten Agnus Dei qui tollis peccatamundi (= Anrufung; 
nach Joh. 1, 29, vgl. auch Joh. 1, 36) und darauf folgen- 
dem Miserere nobis, welches bei der 3. Anrufung durch 
das bereits in Troparien aus dem 10. Jh. (St. Martial, 
Winchester, Reichenau) vorkommende Dona nobis pa- 
cem ersetzt wird. In den Totenmessen lautet die Bitte 
seit dem 11. Jh. Dona eis requiem bzw. Dona eis requiem 
sempiternam. Der ursprungliche Brauch, alle Anrufun- 
gen mit dem Miserere nobis ausklingen zu lassen, blieb bis 
heute in der Lateranbasilika und im Abendmahlsamt 
vom Grundonnerstag erhalten. - Gleich dem Kyrie elei- 
son war das A. D. offenbar schon vor seiner gegen Ende 
des 7. Jh. erf olgten Einf iihrung in die romische MeBf eier 



14 



Air 



Bestandteil der Allerheiligenlitanei. (Vgl. ferner den 
Christusruf A. D. im -> Gloria in excelsis Deo.) Nach 
dem Liber Pontificalis bestimmte Papst Sergius I. (687- 
701), daB es von Klerus und Volk wahrend der liturgi- 
schen Brotbrechung vorgetragen werden solle (Con- 
fractorium). Von seiner Ausfiihrung im papstlichen 
Stationsgottesdienst durch die Schola berichtet der 
1. Romische Ordo (7. Jh.). Die zunachst praktizierte 
Form fortlauf ender Wiederholung des Textes bis zum 
Ende der Confractio wurde schon in einigen Quellen 
aus dem 9. Jh. zugunsten der Dreizahl von An- und 
Bittruf aufgegeben, nachdem die Brotbrechung all- 
mahlich auBer Gebrauch kam (9./10. Jh.). Damit erhielt 
das A. D. die Stellung eines Begleitgesanges zum Frie- 
denskufi oder auch eines Kommuniongesanges. - Un- 
ter den 20 A. D., die das Graduale Romanum und 
Kyriale (Editio Vaticana) enthalt, diirf te in Ordinarium 
XVIII (und im Requiem) die alteste Melodie vorlie- 
gen. Im Gegensatz zu den jiingeren Weisen beruht sie 
auf einfacher Rezitation bei geringstem Ambitus und 
melodischer Obereinstimmung der 3 Textabschnitte. 
Vermutlich blieb hier die Melodie der Agnus-Teile aus 
der altromischen Allerheiligenlitanei erhalten (vgl. 
diese im Formular der Osternachtsfeier u. a.). Als 
grundlegendes Bauprinzip laBt sich auch in den iibrigen 
Melodien eine Identitat zwischen alien drei oder we- 
nigstens zwei An- und Bittrufen feststellen. 
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLVII, hrsg. v. Cl. 
Blume u. H. M. Bannister, Lpz. 1905, Neudruck Ffm. 
1961 (A. D.-Tropen). 

Lit.: J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia II, Wien, 
Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; P. Wagner, Einfiihrung 
in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 3 1911 u. 
1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders., 
Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattun- 
gen XI, 1, Lpz. 1913; W. Apel, Gregorian Chant, 
Bloomington (1958). KWG 

Agogik (von griech. licyeiv, fiihren; dyuy^ bezeich- 
net in der griech. Rhythmik die »Temponuancierung«, 
in der Harmonik den melodischen »Stufengang«), 
von H. Riemann 1884 als Korrelat zu Dynamik einge- 
fiihrter Terminus f iir die durch einen lebendigen Aus- 
druck bedingten kleinen, im Notenbild nicht vermerk- 
ten Modifikationen des Tempo. Gemeint ist so etwas 
vom Treiben einer lebendigen Kraft, die sich nicht vollig ab- 
zirkeln und in Masse fassen lasst, jedoch seit Mitte des 
18. Jh. aus der Sphare des kiinstlerischen Instinkts iiber die 
Schwelle des Bewusstseins tritt, das den Ausdruck bis ins 
Allerkleinste verstehen, kontrolieren, kritisiren will (Uber 
A., S. 88f.). Der agogisch richtige Vortrag dient zu- 
gleich der Verdeutlichung von Taktart, motivischer 
Gliederung und harmonischem Aufbau und geht par- 
allel mit der Dynamik: geringes Treiben (mit cre- 
scendo) bei Auftakten, kleine Dehnung (»agogischer 
Akzent« ^~ iiber der Note) bei Schwerpunktstonen, 
Abnehmen der Dehnung (mit diminuendo) bei weib- 
lichen Endungen. Das Beispiel zeigt eine Stelle aus dem 
Adagio der 9. Sinfonie von Beethoven mit Riemanns 
dynamisch-agogischen Zeichen: 




Gegeniiber solcher A. im kleinen bedeutet A. im gro- 
Ben z. B. das Treiben bei Sequenzen, die »agogische 
Stauung«, namlich die Hemmung des Ansturms bei 
Steigerungen, das Zogern und Pausieren vor dem 
Themaeintritt. Das -> Tempo rubato, obwohl schon 
von Riemann mit A. gleichgesetzt, ist ein Spezialfall 
der A., insofern der Ausdruck rubato sich urspriinglich 
nicht auf Temposchwankungen bezieht, sondern auf 



den ausdrucksvollen Vortrag der Hauptstimme bei 

streng im ZeitmaB fortlaufender Grund- bzw. BaB- 

bewegung. 

Lit.: H. Riemann, Mus. Dynamik u. A., Hbg u. St. 

Petersburg 1884; ders., Uber A. (1889), in: Praludien u. 

Studien II, Lpz. 1900. 

Agrements (agrem'a, frz.) ->• Verzierungen. 

»Aida«-Trompete (frz. trompette thebaine), eine 
nach Verdis Oper Aida genannte Fanfarentrompete 
von schlanker Bauart (1,52 m) und scharfem, glanz- 
vollem Ton. Sie wird in C, B, H, As und mit 1-3 Ven- 
tilen gebaut. 

Air (e:r, frz.; ea, engl.), Bezeichnung fiir Lied oder 
Melodie. Im engeren Sinne ist A. vom spaten 16. bis 
ins 18. Jh., von Frankreich und England ausgehend, ein 
metrisch klares und periodisch einfaches Lied oder In- 
strumentalstiick. - In England ist A. (auch Ayr, Ayre), 
neben der Bedeutung von Modus, Melodiecharakter 
(->• Arie), seit J. Dowland (The first booke of Songes or 
Ayres, 1597) ein von italienischen Balletti und Kanzo- 
netten angeregtes populates Lied zu 4 Stimmen, auch 
reduziert auf Sologesang mit Lauten-, auch Streicher- 
begleitung. Meist hat das A. beschwingten Tanzsatz- 
charakter, seltener sind Schmerz und Klage sein Inhalt, 
wie zum Teil bei J. Dowland, Morley und Leighton. 
In der 1. Halfte des 17. Jh. ist das englische A. haufig 
rein instrumental, teils polyphon angelegt, teils (in 
Suiten) mit Tanzsatzcharakter (Holborne schon 1599, 
W. Lawes, J.Jenkins, Locke, Adson; Cr. Gibbons 
schrieb solche Ayres fiir die Masque Cupid and Death, 
1653). Doch wurde das Lautenlied vorherrschend, wie 
die Sammlungen von Playford (1652-84) zeigen. Be- 
deutende A.-Komponisten sind J. Dowland, Weelkes, 
Morley, Rosseter, Campian, Jones, Greaves, Pilking- 
ton, Hume, Cooper, A. Ferrabosco. Ayrs begegnen 
auch in der Cembalomusik Purcells. - In Frankreich 
wurden mehrstimmige A.s, homophone weltliche 
Chansonsatze mit Oberstimmenmelodik, seit Mitte 
des 16. Jh. bis ins friihe 17. Jh. veroffentlicht (Vingt- 
quatrieme \ivre d'a.s et chansons a 4 parties, Paris 1569, 
Ballard; A.s mis en musique a quatre parties par F. M. 
Caietain, 1578). Sie wurden dann aber von Lautenlie- 
dern verdrangt, wie sie seit Mitte des 16. Jh. bei At- 
taingnant und Phalese erschienen waren und denen 
1571 Le Roy und Ballard mit einem Buch A.s de Cour 
den fiir ein Jahrhundert gebrauchlichen Namen gaben. 
(Ab Mitte des 17. Jh. hieBen leichtere Stiicke auch 
brunettes.) Die zweiteiligen, auf Liebestexte kompo- 
nierten und anfangs noch recht volkstiimlich gehal- 
tenen Lautenlieder treten als a.s a boire (einfach und 
frisch) und a.s serieux (kunstvoller und rezitativisch) 
auf, zum Teil auch wie in England in Dialogform. Sie 
sind, vor allem in Sammeldrucken von Ballard bis 
weit ins 18. Jh. verbreitet. Ihre Beliebtheit auBerhalb 
Frankreichs bezeugen Kontrafakturen in Liedern 
(Arien) von Albert und Voigtlander. Wie in England 
ist die Lautenstimme in Tabulatur zu den mensural 
gedruckten Gesangsnoten gesetzt. Die wichtigsten 
Komponisten sind Guedron, A. Boesset, Tessier, Ba- 
taille, Mouline, Boyer, Cambefort, M. Lambert. Auch 
von Rameau sind A.s erhalten. Im Ballet de cour ist das 
A. nicht wesentlicher Bestandteil, sondern dient als 
episodenhaftes Couplet, dagegen werden in der fran- 
zosischen Ballettoper und -suite des 17. und 18. Jh. 
(Lully, Rameau) Orchester-A.s haufig ohne Bindung 
an bestimmte Tanztypen frei eingesetzt und in der 
Ballettoper oft mit charakteristischen Adjektiven (ten- 
dre, infernal, majestueux, gracieux) oder Angabe der 
Tanzer versehen. Das A. in franzosischen Opern ist wie 
das A. de cour ein zweiteiliges, kurzes Lied mit Beglei- 



15 



Air de cour 



rung, begegnet audi in 3teiliger Da-Capo-Form. - 
Das A. der deutschen Suite und Partita ab Mitte des 
17. Jh. bis Bach (Partita VI, BWV 830; Ouverture D 
dur, BWV 1068) und Handel (Cembalosuiten D moll, 
E dur, »Wassermusik«) stammt von der Ballettsuite 
Lullys ab, braucht wie dort keinen bestimmten Tanz- 
typ zu verkorpern und unterscheidet sich von den 
iibrigen Satzen weniger durch rhythmische als me- 
lodische Ausgepragtheit. 

Ausg. : Expert Maitres I, 1908; The Engl. School of Lu- 
tenist Song Writers, hrsg. v. E. H. Fellowes, 32 Bde, Lon- 
don 1920ff. ; Chansons au luth et a. de cour frc. du 16 me s., 
hrsg. v. A. Mairy u. L. de La Laurencie, = Publications 
de la Soc. frc. de musicologie, I, 3/4, Paris 1934; J. Dow- 
land, Ayres for four Voices, hrsg. v. E. H. Fellowes, Th. 
Dart u. N. Fortune, Mus. Brit. VI, London 1953 ; 90 A. de 
cour, hrsg. v. A. Verchaly, = Publications de la Soc. frc. 
de musicologie I, 16, Paris 1961. 

Lit. : A. Arnheim, Ein Beitr. zur Gesch. d. einstimmigen, 
weltlichen Kunstliedes in Frankreich im 17. Jh., SIMG 
X, 1908/09; P. Reyher, Les masques anglais, Paris 1909; 
H. Prunieres, Le ballet de cour en France avant Ben- 
serade et Lully, Paris 1914; E. H. Fellowes, The Engl. 
Madrigal Composers, Oxford 1921 ; L. de La Laurencie, 
L'ecole frc. de violon . . . , 3 Bde, Paris 1 922-24 ; P.-M. Mas- 
son, L'opera de Rameau, Paris 1930; P. Warlock, The 
Engl. Ayres, Oxford 1 932 ; G. Bontoux, Chanson en Angle- 
terre au temps d'Elisabeth, Paris 1936; P. Alderman, A. 
Boesset and the a. de cour, Diss. Los Angeles (Calif.) 
1946, maschr.; B. Pattison, Music and Poetry in the 
Engl. Renaissance, London 1948. 

Air de cour (e:rdaku:r, frz.)-» Air. 

Akademie (ital. accademia; frz. academie; engl. 
academy) , hieB ein nach dem Heros Akademos benann- 
ter Garten bei Athen, in dem Platon um 387 v. Chr. 
seine Schuler zu philosophischem Gesprach zu versam- 
meln begann, dann auch die hieraus erwachsene phi- 
losophisch-wissenschaftliche Lehrstatte, die bis 529 n. 
Chr. bestand. An ihre Tradition kniipf ten die von Psel- 
los in der Mitte des 1 1 . Jh. in Konstantinopel gegriinde- 
te Akad. und die um 1450 unter Mitwirkung griechi- 
scher Gelehrter in Florenz, Rom und Neapel entstehen- 
den platonischen Akad.n an. Die iiber 1000 italienischen 
Akad.n der Renaissance- und Barockzeit, durch Beitra- 
ge ihrer (zum grofien Teil adligen) Mitglieder oder von 
einem Hof unterhalten, waren Zentren des Humanis- 
mus. Sie verstanden sich als Gemeinschaften, die - in 
ihrer Arbeit von jeder Bindung an staatliche oder 
kirchliche Institutionen frei - die wissenschaftliche und 
kiinstlerische Bildung ihrer Mitglieder fordern und 
durch korrespondierende Mitglieder Verbindung mit 
anderen Stadten und Landern halten wollten. Neben 
Akad. begegnet als Bezeichnung auch Ridotto und 
Camerata. Eine der altesten Akad.n, die um 1500 ge- 
griindete Accad. degl'Incatenati in Verona (ab 1564 
mit der 1543 gegriindeten Accad. Filarmonica verei- 
nigt), beschaftigte einen Komponisten, der die Dich- 
tungen der Mitglieder zu vertonen hatte, sowie einen 
Maestro di musica f iir den Unterricht ihrer Mitglieder. 
In Baiifs Acad, de Poesie et de Musique in Paris (1567- 
87, 1570 von Karl IX. bestatigt) taten sich Dichter und 
Musiker zusammen, um mit der Musique mesuree die 
Tradition der antiken Musik zu erneuern. Viele Akad.n 
wandten sich auch der Veranstaltung von Theater- 
Auffiihrungen mit Berufskiinstlern zu, so die Accad. 
Olimpica in Vicenza (1555-1843), die 1585 ihr Theater 
mit Sophokles' »K6nig Odipus« in der Obersetzung 
von O.Giustiniani und mit den Choren A.Gabrielis 
eroffnete, die Accad. degl'Invaghiti in Mantua, vor 
der 1607 Monteverdis Orfeo uraufgefiihrt wurde, und 
die 1651 gegriindete Accad. degl'Immobili in Florenz, 
die 1657 das Teatro della Pergola baute. In London 



schuf 1719-29 die Royal Acad, of Music die finanzielle 
Grundlage der von Handel geleiteten italienischen 
Oper. Die GroBe Oper in Paris heiBt seit ihrer Griin- 
dung (1669) Acad, nationale (royale, imperiale) de 
musique. Zur Tatigkeit der Akad. gehoren oft auch 
Konzerte (abwechselnd privat und offentlich), bei de- 
nen - wie in den Collegia musica Deutschlands, der 
Schweiz und der Niederlande - bis um die Mitte des 
19. Jh. meist Dilettanten und Berufsmusiker zusam- 
menwirkten. Akad.n dieser Art sind die Acad, of An- 
cient Music in London (um 1710-92), die von C.Fr. 
Fasch 1791 gegriindete Sing-Akad. in Berlin und die 
Accad. Filarmonica in Rom (gegriindet 1821). Das 
Wort Akad. kann daher seit dem 18. Jh. jedes -> Kon- 
zert (- 2) bezeichnen; bekannt wurden unter diesem 
Namen vor allem die Abonnementskonzerte der Thea- 
terorchester von Mannheim (ab 1779) und Miinchen 
(ab 1811). In Bologna entwickelte sich die von Ban- 
chieri 1608 gegriindete Accad. dei Floridi (1622 mit 
Giacobbis Accad. dei Filomusi vereinigt und 1666 zur 
Accad. dei Filarmonici umgewandelt) zu einer berufs- 
standischen Vereinigung, die sich 1804 an der Griin- 
dung des Liceo filarmonico beteiligte. Ihr ahnelt die 
Accad. di S. Cecilia in Rom, 1839 durch Umbildung 
der 1566 gegriindeten Congregazione di S. Cecilia ent- 
standen, die 1876 das Liceo musicale eroffnete; auch 
nachdem dieses 1919 (als Conservatorio di S. Cecilia) 
von der Akad. abgelost wurde, hat sie sich die Veran- 
staltung eigener Meisterkurse vorbehalten. Meister- 
klassen fur Komposition bestehen seit 1832 auch an der 
Akad. der Ktinste in Berlin; hier unterrichteten u. a. 
Meyerbeer, Bruch, Gernsheim, Humperdinck, Pfitz- 
ner, Kaminski, R. Strauss, Busoni und Schonberg. In 
Stockholm steht die Musikhochschule unter der Auf- 
sicht der Kunglig Musikaliska Akad., die (1771 aus den 
Kavalierkonzerten hervorgegangen) auch Zentrum 
des schwedischen Musiklebens und Forschungsstatte ist. 
In neuerer Zeit heifien viele Lehranstalten Akad., im 
Ausland vor allem Hochschulen (Royal Acad, of Music 
in London, gegriindet 1822, und die entsprechenden 
Akad.n f iir Irland in Dublin seit 1848, fiir Schottland in 
Glasgow seit 1929, ferner in Basel seit 1954, in Zurich 
seit 1891, Akad. fiir Musik und darstellende Kunst in 
Wien seit 1908, Sibelius- Akad. in Helsinki seit 1939), in 
Deutschland neben der Nordwestdeutschen Musik- 
Akad. in Detmold (gegriindet 1946, mit Hochschul- 
rang) vor allem solche Anstalten, die zwischen Hoch- 
schule und Konservatorium eingestuft werden. Der ur- 
spriinglichen Zielsetzung der platonischen Renaissance- 
Akad. sind die wissenschaftlichen und kiinstlerischen 
Akad.n der Neuzeit nahe geblieben, die eine begrenzte 
Zahl hervorragender Fachleute zur Beschaftigung mit 
Fragen allgemeiner Bedeutung versammeln. Ihre Ar- 
beitsgebiete sind: Sprachkritik (Accad. della Crusca in 
Florenz, gegriindet 1582, Acad. Francaise in Paris, ge- 
griindet 1635), Wissenschaften und Kiinste (Acad. 
Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts in 
Briissel, seit 1772, Akad. der Wissenschaften und der 
Literatur in Mainz, gegriindet- 1 949) j Wissenschaften 
(in Deutschland die Akad. in Berlin von 1700, in Got- 
tingen von 1751, in Miinchen von 1759, in Leipzig von 
1846 und in Heidelberg von 1909), Kiinste (in Deutsch- 
land die Akad. der Kiinste in Berlin, gegriindet 1696, 
und die Bayerische Akad. der Schonen Kiinste in Miin- 
chen, gegriindet 1948). Zu den vornehmsten Aufgaben 
der Akad.n gehort neben der Veroffentlichung ihrer 
Sitzungsberichte und Abhandlungen die Forderung 
solcher Arbeitsvorhaben, die die Kraft eines einzelnen 
iibersteigen; z. B. unterstiitzt die Union Acad. Inter- 
nationale die Monumenta Musicae Byzantinae (seit 
1935) ; die Akad. der Wissenschaften und der Literatur 



16 



Akademische Grade 



in Mainz verbffentlicht Musikalische Denkmaler (seit 
1955) und tragt die Arbeiten am Handworterbuch der 
musikalischen Terminologie; die Bayerische Akad. der 
Wissenschaf ten in Miinchen bereitet das Lexicon mu- 
sicum latinum vor und tragt gemeinsam mit der Acad. 
Royale de Belgique die Neue Reihe der Lassus-Gesamt- 
ausgabe (seit 1956). 

Lit. : A. Canobbio, Breve trattato . . . sopra le Acad., Vene- 
dig 1 577 ; J. C. C. Oelrichs, Hist. Nachrichten v. d. akade- 
mischen Wurden in d. Musik u. offentlichen mus. Akad., 
Bin 1752; A. v. Harnack, Gesch. d. Koniglich-PreuBi- 
schen Akad. d. Wiss. zu Bin, 3 Bde, Bin 1900; A. Della 
Torre, Storia dell'Accad. Platonica di Firenze, Florenz 
1902; P. L. Landsberg, Wesen u. Bedeutung d. platoni- 
schen Akad., in: Schriften zur Philosophie u. Soziologie, 
hrsg. v. M. Scheler, Bonn 1923; M. Maylender, Storia 
delle Accad. d'ltalia, 5 Bde, Bologna 1926-30; Fr. Wal- 
ther, 1 50 Jahre Mus. Akad. d. Mannheimer Nationalthea- 
ter-Orch. 1779-1929, Mannheim, Bin u. Lpz. (1929); G. 
Schunemann, Die Singakad. zu Bin, Regensburg 1941 ; D. 
P. Walker, Mus. Humanism in the 16" 1 and Early 17 tb 
Cent., MR II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus. Hu- 
manismus . . ., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; Fr. A. 
Yates, The French Acad, in the XVI" 1 Cent., = Univ. of 
London, Warburg Inst., Studies XV, London 1947. 

Akademische Grade werden von Universitaten nach 
Bestehen einer mundlichen Priifung, nach Anerken- 
nung einer schriftlichen Arbeit, bei hoheren Graden 
nach langerer Zeit der Bewahrung im Universitats- 
dienst verliehen und weisen den Inhaber aus als fahig 
zu wissenschaftlicher Arbeit und Lehre. An der mittel- 
alterlichen Universitat war die Bestatigung musik- 
wissenschaftlicher Fahigkeit in der Facultas artium et 
philosophiae moglich (->- Ars musica). Der AbschluB 
dieses Studium generale war Voraussetzung fiir die 
Examina an anderen Fakultaten. Der Studiengang be- 
gann mit dem Horen aller Grundvorlesungen und der 
Teilnahme an Disputationen innerhalb zweier Studien- 
jahre ; anschliefiend konnte man nach einer mundlichen 
Priifung den Grad eines ->- Baccalarius erhalten, der 
etwa dem heutigen Abiturientenexamen entspricht. 
Den Nachweis fiir das Horen musikalischer Vor- 
lesungen (Lesen und Kommentieren von Musik- 
traktaten) muBte der Bakkalar nach weiteren 2-3 
Jahren bei der Meldung zur Magister artium-Prii- 
fung erbringen. Es wurden Kcnntnisse verlangt iiber 
»irgendein Such iiber Musik« (Wien 1389), »irgend 
etwas in Musik« (Prag 1390), »Musik« (Leipzig 1409, 
gemeint ist die Musica speculative! von J. de Muris), 
»Euclid oder ein anderes Buch iiber . . . Musik« (Hei- 
delberg 1452). Der Magister erhielt nach bestandener 
miindlicher Priifung die Licentia doctorandi, entspre- 
chend dem heutigen Dr. phil. ; Lehrtatigkeit und Tra- 
gen desDoktorhutes wurden ihm erst durch die Licentia 
docendi bzw. das Ius ubique legendi gestattet. Nach 
etwa 2jahriger Lehrtatigkeit wurde der Magister nach 
Leistung des Fakultatseides in das Professorenkollegium 
aufgenommen als Magister regens studium. Beruhm- 
te Universitatslehrer waren J. de Grocheo (regens 
Parisius) und J. de Muris (magister regens) Anfang 
des 14. Jh. an der Sorbonne, R. Grosseteste (magister) 
1210-35 in Oxford, Ramos de Pareja und Spataro um 
1500 in Bologna, Gaffori (musicae professor publicus) 
um 1500 in Mailand, J. de Garlandia (magister) 1 229-32 
in Toulouse, Cochlaeus (magister artium) um 1500 in 
Koln und Glarean in Basel und Freiburg in der 1 . Half te 
des 16. Jh. Sehr erwunscht waren graduierte Akade- 
miker in musikalischen Kirchenamtern. Fiir hohere 
Kleriker wie den Cantor war akademische Ausbildung 
Bedingung. Mit den Auswirkungen des Humanismus 
auf die Universitat schied die Musik als theoretisches 
Fach aus dem Lehrplan aus und erfuhr ihre wissenschaf t- 



liche Behandlung nur noch in Disziplinen wie Physik, 
Medizin und Theologie, aus denen zahlreiche Doktor- 
arbeiten mit musikalischen Themen hervorgingen. 
Lediglich in England haben sich seit dem Mittelalter 
durchgehend A. Gr. erhalten, wie der Bachelor of 
Music (zuerst belegt in Oxford 1499, in Cambridge 
1463) und der Doctor of Music (Oxford 1511, Cam- 
bridge 1463), die nicht fiir wissenschaftliche Leistun- 
gen, sondern fiir kompositorische Fahigkeiten ver- 
liehen wurden und keinen Weg zur Lehrtatigkeit er- 
offneten. Bis zum Ende des 18. Jh. blieb die kontinentale 
Universitat fiir die Verleihung A.r Gr. an Musiker und 
Musikwissenschaftler verschlossen. Erst die Professu- 
ren Breidensteins (1826 Bonn), A. B. Marx' (1830 Ber- 
lin) und die ordentlichen Professuren Hanslicks (1870 
Wien), Jacobsthals (1897 StraBburg), Kretzschmars 
(1904 Berlin) eroffneten der Musikwissenschaft in 
Deutschland wieder den Weg zur Universitat inner- 
halb der philosophischen Fakultat. Heute gibt es an 
jeder deutschen Universitat einen Lehrstuhl fiir Musik- 
wissenschaft. Der Studiengang sieht nach AbschluB 
einer hoheren Schulausbildung ein mindestens 4jahriges 
Studium vor, dem sich nach Ausarbeitung einer Dis- 
sertation und miindlicher Priifungen in Hauptfach und 
2 Nebenfachern die Promotion zum Doctor philoso- 
phiae anschlieBen kann. Die Habilitation (Einreichung 
und Annahme einer weiteren Facharbeit, Colloquium 
mit den Mitgliedern der Philosophischen Fakultat, 
offentliche Probevorlesung) bedeutet die Verleihung 
der Venia legendi im Fach Musikwissenschaft. Der 
Privatdozent kann weiterhin zum Wissenschaftlichen 
Rat und zum auBerplanmaBigen Professor ernannt 
und zum auBerordentlichen und ordentlichen Pro- 
fessor und Inhaber eines Lehrstuhls fiir Musikwissen- 
schaft berufen werden. Vielfach wurde der philo- 
sophische Doktortitel ehrenhalber (honoris causa) von 
Universitaten vergeben. Neuerdings wird in Deutsch- 
land nach englischem Vorbild der dem Range nach 
unter dem Dr. phil. stehende Grad eines Magister 
Artium (Abk. : M. A.) wieder eingefiihrt. - In Eng- 
land brach die 1893 von Stanford (Cambridge) durch- 
gefiihrte Reform mit dem alteren Brauch, lediglich 
durch Vorlage einiger Probekompositionen oder Be- 
stehen schriftlicher Kompositionsprufungen zur Pro- 
motion zu gelangen. An den britischen Universitaten 
Cambridge, Birmingham, Durham und Wales gibt 
es heute die 3 Grade Bachelor of Music (B. Mus.), 
Master of Music (M. Mus.) und Doctor of Music (D. 
Mus. oder Mus. D.). In den Universitaten wird der 
Master-Grad nicht verliehen. Das Erreichen der Grade 
erfordert ein mehrjahriges Studium und das Bestehen 
einer musikgeschichtlichen und musikalisch-prakti- 
schen Priifung. In Oxford und Cambridge ist seit 1950 
bzw. 1945 der Grad eines Bachelor of Arts (B. A.) als 
Vorbereitung fiir den B. Mus. eingefiihrt; an beiden 
Universitaten wird der D. Mus. nur fiir den Nachweis 
hervorragender Kompositionsf ahigkeit verliehen, wah- 
rend in Belfast und Birmingham eine musikgeschicht- 
liche Arbeit genugt und in Edinburgh und Glasgow 
beides erforderlich ist. Der D. Mus. wird auch ehren- 
halber verliehen. Das Recht zur Verleihung des Dok- 
tortitels der Musik hat auch der Bischof von Canter- 
bury mit dem sogenannten Lambeth degree. Fiir eine 
Forschungsarbeit, die nach Erlangung der vorgenann- 
ten Grade entstanden ist, wird oft der Grad eines Bache- 
lor of Letters (B. Litt., Oxford), Master of Letters (Litt. 
M., Cambridge) oder Master of Arts (M. A., iibrige 
Universitaten) vergeben, bei besonders hervorragen- 
den Leistungen der Doctor of Philosophy (Ph. D., in 
Oxford D. Phil.). - An den 37 Colleges und Universi- 
taten, die 1961 in den USA A. Gr. verliehen, kann nach 



17 



Akathistos hymnos 



etwa 4jahrigem Studium der Grad ernes Bachelor of 
Arts erlangt werden, nach weiteren 2 Jahren der eines 
Master of Arts, nach Ablegung einer miindlichen Prii- 
fung und Einreichen einer groBeren schriftlichen Ar- 
beit der des Doctor of Philosophy. Der M. A. ist Vor- 
aussetzung fur die Stelle eines Unterlehrers (instructor) 
am College, der Ph. D. fiir den Assistant- und Asso- 
ciate-Professor und fiir den Leiter (chairman) des De- 
partment of music eines College. Der Grad eines Mus. 
D. wird nur ehrenhalber verliehen. - Nicht so giinstig 
wie in Deutschland und GroBbritannien und in Lan- 
dern wie der Schweiz, Tschechoslowakei, Polen, Finn- 
land, Danemark, Holland (erster Lehrstuhl jeweils 
1859, 1900, 1911, 1918, 1926, 1930) sind die Bedingun- 
gen fiir das musikwissenschaftliche Studium in den 
Mittelmeerlandern, wo entweder - wie in Griechen- 
land und Spanien (nur 1933-36 Professorat H. Angles 
an der Universitat Barcelona) - kein Lehrstuhl besteht 
oder erst in letzter Zeit ein solcher eingerichtet wurde 
(1957 Ronga ord. Prof, in Rom, andere Lehrstiihle 
jetzt auch in Florenz, Palermo, Mailand und Turin). 
Das Fach Musikwissenschaf t gehort in Frankreich der 
Faculte des Lettres et Sciences humaines an und wird 
in Paris (1930 Pirro Professeur titulaire an der Sor- 
bonne), StraBburg und Poitiers gelesen. Nach mehr- 
jahrigem Studium kann die Licence es Lettres erlangt 
werden. Sie berechtigt zum Unterricht an Schulen und 
ist Voraussetzung fiir den hoheren Schuldienst oder 
die Stellung eines Assistenten bzw. Lehrbeauftragten 
einer Universitat. Weitere Stufen der Universitatslauf- 
bahn sind Charge de Cours, Maitre de Conference 
(beide etwa dem deutschen auBerordentlichen Pro- 
fessor entsprechend), Professeur titulaire (dem ordent- 
lichen Professor entsprechend) und Professeur honorai- 
re (emeritierter Professeur titulaire). Nach der Licence 
es Lettres konnen 2 Arten des Docteur es Lettres er- 
langt werden. Fiir den staatlichen Grad (Diplome 
d'Etat) sind zwei schriftliche Arbeiten (theses) abzu- 
liefern: eine Forschungsarbeit und eine quellenkund- 
liche Arbeit. Zur Erlangung des Doktorgrades der 
Universitat (Diplome de l'Universite), der dem staat- 
lichen Grad an Bedeutung nachsteht, sind eine miind- 
liche und praktische Priifung sowie ein wissenschaft- 
licher Vortrag erforderlich. 

Lit.: C. Williams, Degrees in Music, London 1893; S. 
Nystrom, Die deutsche Schulterminologie in d. Periode 
1300-1740, Helsinki 1915; P. Wagner, Univ. u. Mw„ 
Lpz. 1921 ; ders., Zur Mg. d. Univ., AfMw HI, 1921 ; A. 
Schering, Mg. Lpz. II, Lpz. 1926 u. Ill, Lpz. 1941; A. 
Goetze, Akad. Fachsprache, Heidelberg 1929; T. Haa- 
panen, Gegenwartiger Stand d. Mw. in Finnland seit 
1923, AMI I, 1929; D. Iselin, Die Mw. an d. schweize- 
rischen Univ., ebenda; C. A. Moberg, Musik u. Mw. an 
d. schwedischen Univ., ebenda u. AMI II, 1930; E. J. 
Dent, The Scientific Study of Music in England, AMI II, 
1930; A. Pirro, L'enseignement de la musique aux univ. 
frc., ebenda; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. 
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf I, III, 
V-VII, 1936-42; M. v. Crevel, A. P. Coclico, Den Haag 
1940; S. Clasen, Der Studiengang an d. Kolner Artisten- 
fakultat, in: Artes Liberates, hrsg. v. J. Koch, Leiden u. 
Koln 1959; J. LaRue, Some Details of Musicology in the 
United States, AMI XXXIII, 1961. 

Akathistos hymnos (griech. axafti(TTO<; uu-voi;), ein 
Kontakion von 24 Strophen, deren Anf angsbuchstaben 
als Akrostichon das Alphabet ergeben. Alle geradzahli- 
gen Strophen enden mit dem Alleluia, alle ungerad- 
zahligen mit: x a ^Q e vvfitpr) dvvfiqpevTe! (»Salve sposa 
inviolata!«). Die letzteren heiBen j(aip£Tia[ioi (Be- 
griiBungen), weil in ihnen der Dichter eine Reihe von 
Titeln der Jungfrau Maria nennt, an die er sich jeweils 
mit dem Wort x a 'Q £ ("GegruBest seist du«) wendet. 



Als Dichter des A. h. wurden genannt der hi. Romanos 
»der Melode« (5.-6. Jh.), Patriarch Sergios von Kon- 
stantinopel (610-638), sein Zeitgenosse Georgios von 
Pisidia, der hi. Germanos (f um 733) u. a. Die heutige 
Forschung schreibt den Hymnus allgemein dem hi. 
Romanos zu. Nach den Vorschriften des Typikon von 
Konstantinopel wird heute an den Freitagen der Fasten- 
zeit ein Viertel, in der Matutin vom Samstag der 5. 
Fastenwoche der ganze Hymnus gesungen. Die alteste 
bekannte Melodie steht in Handschriften des 13. Jh., 
ist jedoch wahrscheinlich alter. Stilistisch gehort sie 
zum Genos psaltikon. Andere Melodien, von Maistores 
wie Johannes Klada (14. Jh.) geschaffen und in spateren 
Handschriften iiberlief ert, nahern sich dem Genos kalo- 
phonikon. Heute wird das Kontakion in einer ein- 
fachen, den Evangelienlesungen ahnlichen Melodie ge- 
sungen; das Kukulion und das Troparion apolytikon 
besitzen eigene Melodien. 

Ausg. : The A. H., hrsg. v. E. Wellesz, = Monumenta Mu- 
sicae Byzantinae, Transcripta IX, Kopenhagen 1957, dazu 
B.Di Salvo in :Orientalia Christiana PeriodicaXXIII, 1957, 
Lit.: TuniK6v tfj? toO XpiaxoO Msy&AiK 'EKKX.naia<;. 
Athen o. J. ; A. Dmitrijevskij, TuiciKd, Kiew 1 895 ; N. Nil 
les, Calendarium manuale II, Innsbruck 1897; K. Krum- 
bacher, Gesch. d. byzantinischen Lit., = Hdb. d. klass 
Altertumswiss. IX, 1, Munchen 1890, erweitert 21897 
griech. v. G. Soteriades, Athen 1897; P. v. Winterfeld. 
Ein abendlandisches Zeugnis iiber d. Ouvoi dKd3icrroi, Zs 
f. deutsches Altertum XLVII, 1904; P. F. Krypiakiewicz 
De h. a. authore, in: Byzantinische Zs. XVIII, 1909 
Romano il Melode, (8) Inni, griech. u. ital., hrsg. v. G. 
Cammelli, = Testi cristiani II, Florenz 1930; C. Del 
Grande, L'inno acatisto, Florenz 1948; ders., L'inno 
acatisto, Neapel 1956; M. Huglo OSB, L'ancienne ver- 
sion lat. de l'hymne a., Museon LXIV, 1951 ; E. Wellesz, 
Das Prooemium d. A., Mf VI, 1953; ders., The A., in: 
Dumbarton Oaks Papers IX/X, 1956; G. G. Meersseman 
OP, Der H. A. im Abendland, 2 Bde, = Spicilegium Fri- 
burgense II— III, Freiburg i. d. Schweiz 1958-60; G. Marzi, 
Melodia e nomos nella musica bizantina, Bologna 1960; 
B. Di Salvo, A proposito della pubblicazione del »Con- 
tacarium Ashburnhamense«, Bolletino della Badia Greca 
di Grottaferrata, N. S. XIV, 1960. BDS 

Akklamationen (von lat. acclamare, zurufen; auch 
acclamatio, conclamatio, clamor, laudatio, vox; griech. 
eu<po)V7)[J.a, cu<pa>vY)cri?, 7TOAUXpovt,ov) sind urspriing- 
lich Zurufe in langerer oder kurzerer Form, die ge- 
wohnlich vom Volk oder Heer, in der Liturgie von 
der Gemeinde ausgefuhrt worden sind. Im Altertum 
begegnen sie - nach orientalischem und griechischem 
Vorbild auch in Rom - bei Spielen und Reden, im 
Theater und bei Totenfeiern zur BegriiBung f uhrender 
Staatsmanner und siegreicher Feldherrn, bei kirchlichen 
Festen und Synoden zur BegriiBung geistlicher Wiir- 
dentrager; ihr Inhalt waren Beifall und Gliickwunsch, 
aber auch Forderung und Verwiinschung. Die recht- 
liche Bedeutung der A. war auBerordentlich hoch; sie 
galten - im weltlichen wie im kirchlichen Bereich - 
als Volksbeschliisse (Abstimmungen in der griechischen 
Volksversammlung, im romischen Senat, bei Bischofs- 
wahlen) und wurden als gottliche Eingebung ange- 
sehen. Die musikalische Gestalt dieser A. ist bis auf ei- 
nige spate Zeugnisse aus dem byzantinischen Hofzere- 
moniell nicht mehr erreichbar. - Als rufartige Ant- 
worten der Gemeinde sind A. - zum Teil sicher schon 
auf Grund synagogaler Anregungen - auch in die christ- 
liche Liturgie aufgenommen worden: das Volk horte 
den Gebeten des Priesters nicht nur schweigend zu, 
sondern bestatigte und bekraftigte sie durch haufige 
spontane Amen-(AUeluia-)Rufe. Wichtige Teile der 
Liturgie wurden iiberhaupt aus Ruf und Gegenruf ge- 
bildet (Beginn des Eucharistiegebetes), und die Be- 
teiligung des Volkes verlieh sogar den Ordinariums- 



18 



Akkord 



gesangen, alien voran dem Kyrie, einen mehr oder 
weniger akklamatorischen Charakter. Wurden auch 
die spontanen Amen-Rufe schon um die Jahrtausend- 
wende stark vernachlassigt, so hat sich das A.-Prinzip 
selbst dennoch in einzelnen festgelegten Formen bis 
zur Gegenwart in der Liturgie erhalten. In der kon- 
zertanten Kirchenmusik der Neuzeit (etwa in den Ora- 
torien Handels, am ausdrucklichsten wohl im Hallelujah 
des Messiah, und in den Messen der Wiener Klassik, 
z. B. dem Gloria aus Beethovens Missa solemnis) hat es 
in Gestalt melodisch schmuckloser, syllabisch dekla- 
mierter, stark akzentuierter und haufig wiederholter 
Rufe des Chores als des Vertreters der kultischen Ge- 
meinde eine charakteristische Verwirklichung gefun- 
den. - Eine besonders feierliche und bedeutungsvolle 
Form der A. entstand in den mittelalterlichen Laudes 
regiae (auch Rogationes, Regale carmen, Triumphus 
genannt), welche sich dem Aufbau und der musikali- 
schen Gestaltung nach eng an das Vorbild der Litanei 
anlehnten (deshalb mitunter auch als Laetania bezeich- 
net), wenngleich ihr Inhalt nicht so sehr von demiiti- 
gem Flehen, als vielmehr von freudigem Lobpreis 
Christi gepragt war. Die Laudes beginnen mit einem 
Abschnitt gliickwiinschender Heilrufe f iir die einzelnen 
geistlichen und weltlichen Herrscher - gewohnlich 
wurden Papst und Kaiser (Konig) zusammen akkla- 
miert, doch bestehen Ausnahmen vor allem in den 
Laudes papales seit dem 12. Jh. und den Laudes im- 
periales seit 1209 - sowie fiir deren wichtigste Stellver- 
treter (z. B. Hludovvico a Deo coronato magno et pacifico 
regi vita et gloria), immer litaneimaBig erweitert durch 
Invokationen Christi (Exaudi Christe und Tu ilium 
adiuva) und zahlreicher Heiliger, eroffnet und beschlos- 
sen durch das Trikolon Christus vincit, Christus regnat, 
Christus imperat; es folgen ein weiterer Abschnitt mit 
Lobpreisungen Christi, die in eine dreifache Doxologie 
ausmiinden, und in der Regel ein SchluBabschnitt mit 
kurzen Einzelbitten oder dem Kyrie eleison. Die musi- 
kalische Gestalt der Laudes umfaCt syllabisch-rezitie- 
rende Partien in den eigentlichen A. und der Doxologie 
sowie oft leicht melismatische Partien im Trikolon und 
in den Anrufungen. Im Gegensatz zur Psalmodie (die 
Laudes haben keinen Psalmtext) werden die Laudes 
nicht nach einem kurzen, wiederholbaren Melodie- 
modell gesungen, sondern sind in den Quellen stets 
vollstandig notiert. Die Darbringung der Laudes war 
den Tagen der Kaiser- und Papstkronung, Bischofs- 
weihe und kirchlichen Hochfesten (Festkrbnungen) 
vorbehalten; ihre liturgische Stellung hatten sie im 
Pontifikalamt, meist nach der Messoration, vor der 
Epistellesung, wo sie den BeschluB des Eingangsteiles 
der Messe bildeten, gelegentlich auch vor dem Gloria 
in excelsis oder nach der SchluBoration. Ausgefiihrt 
wurden sie im litaneiahnlichen Wechselgesang zwi- 
schen zwei Sangergruppen bzw. Vorsangern und einer 
groBeren Gemeinschaft (Schola cantorum, Klerus). 
Die liturgischen Bemiihungen des 20. Jh. haben, be- 
sonders in Zusammenhang mit dem 1925 eingefiihrten 
Christkonigsfest, auch zu einer Neubearbeitung der 
Laudes regiae fiir den modernen kirchlichen Gebrauch 
gefiihrt. 

Ausg. : Ordines Coronationis Imperialis, hrsg. v. R. Elze, 
= MGH Fontes Iuris Germanici Antiqui IX, Hannover 
1960. 

Lit. : H. J. W. Tilly ard, The Acclamations of Emperors 
in Byzantine Ritual, Annual of the British School of 
Athens XVIII, 1911/12; J. M. Hanssens, De laudibus 
carolinis, Periodica de re morali canonica liturgica XXX, 
1941; E. H. Kantorowicz, Laudes Regiae. A Study in 
Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship, 
Univ. of California Press, Berkeley u. Los Angeles 1946, 
darin Appendix I: M. F. Bukofzer, The Music of the Lau- 



des; B. Opfermann, Die liturgischen Herrschera. im Sa- 
crum Imperium d. MA, Weimar 1953 ; R.-J. Hesbert OSB, 
L'6vangeliaire de Zara, Scriptorium VIII, 1954; M. Pfaff 
OSB, Die Laudes-A. d. MA, Kgr.-Ber. Wien 1956; H. 
Hucke, Eine unbekannte Melodie zu d. Laudes Regiae, 
KmJb XLII, 1 958 ; E. Wellesz, A Hist, of Byzantine Music 
and Hymnography, Oxford 21961 ; A. Schmitz, Zum Ver- 
standnis d. Gloria in Beethovens Missa solemnis, Fs. Fr. 
Blume, Kassel 1963. FrR 

Akkolade (frz. accolade, Klammer; engl. brace, Band) 
heiBt die Klammer, die in Partituren, Orgel- und Kla- 
viermusik 2 oder mehr Systeme zusammenfafit und 
damit die darin untergebrachten Stimmen als gleich- 
zeitig erklingend kennzeichnet, in iibertragenem Sinn 
auch die Gesamtheit der durch diese Klammer verbun- 
denen Systeme. 

Akkord (ital. accordo; frz. accord; engl. chord; von 
spatlat. accordare, iibereinstimmen, aus lat. ad, zu, und 
cor, cordis, Herz), - 1) der Zusammenklang mehrerer 
Tbne (wenigstens drei) verschiedener -> Tonigkeit. 
Lyonel Power und Pseudo-Chilston (um 1450, Ms. 
Brit. Mus. Lansdowne 763, Nr 15 und 16) sprechen 
von den acordis oder cordis im Sinne von Konsonan- 
zen, wahrend der franzosische Anonymus XIII (um 
1400, CS III, 496ff.) die acors als Intervalle in perfekte, 
imperfekte und dissonante unterteilt. In der spateren 
Musiklehre wurde der A.-Begriff von dem Willaert- 
Schiiler Zarlino etitwickelt (Istitutioni harmoniche, 1558). 
Er bestimmt den A. nach den Proportionalzahlen, die 
den einzelnen (simultanen) Konkordanzen zugrunde 
liegen. Das Wesentliche des A.s liegt in seinem verti- 
kalen Gefiige, das nicht mehr - wie in der Kontra- 
punktlehre des 15. und 16. Jh. - als Ergebnis des Zu- 
sammentreffens einzelner (horizontal gedachter) Stim- 
men, sondern von einem als -»• Basis oder -*■ Funda- 
mentum geltenden Klangtrager her verstanden wird, 
der das harmonische Geschehen stiitzt und fiihrt. Das 
A.-Phanomen in diesem Sinne ergab sich aus der zu- 
nehmenden klanglichen Verfestigung des Satzgefiiges, 
die im Laufe des 15. und beginnenden 16. Jh. zunachst 
vor allem in der italienischen und englischen Musik 
greifbar wird. Bei J. G. Walther (1732) zeigt sich die 
Festlegung des A.-Begriff s in der Erklarung : ein Accord 
oder Zusammenstimmung, bestehet aus drey unterschiedenen, 
und doch zusammen Mingenden Sonis, nemlich dem funda- 
mental-Tone, dessen Terz undQuint. z. E. c eg. dfa. . . ., 
wogegen es bei ihm friiher hieB: Accord, ist eine jede 
harmonische Zusammenstimmung (Praecepta der Musicali- 
schen Composition, 1708). Fiir die asthetische wie psy- 
chologische Beurteilung eines A.s sind seine harmoni- 
sche Funktion (-> Funktionsbezeichnung, -> Kadenz- 1) 
sowie seine Sonanz (->- Konsonanz/Dissonanz) aus- 
schlaggebend. - 2) Angabe einer Einstimmung bei Sai- 
teninstrumenten (-> Accordatura, -> Scordatura). Das 
frz. accorder und ital. accordare, »stimmen«, geht offen- 
bar auf die Einwirkung des lat. chorda (altfrz. corde), 
Saite, zuriick. - Accord a l'ouvert heiBt ein Mehrklang, 
der auf Saiteninstrumenten auf leeren Saiten hervorge- 
bracht wird. - 3) im 15.-17. Jh. s. v. w. ein Chor oder 
Stimmwerk von Instrumenten derselben Familie, aber 
verschiedener GroBe (Floten, Krummhorner, Posau- 
nen). 

Lit.: zu 1): Riemann MTh; M. Kolinski, Konsonanz als 
Grundlage einer neuen Akkordlehre, Briinn, Prag, Lpz. 
u. Wien 1936; H. Federhofer, Akkordik u. Harmonik in 
friihen Motetten d. Trienter Kodices, Diss. Wien 1936, 
maschr.; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, 
Mainz 1937, 21940, II Mainz 1939, engl. als: Craft of 
Mus. Composition, I London 1942, II 1941 ; H. H. Egge- 
brecht, Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d. Wiss. 
u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. KJasse, Jg. 
1955, Nr 10. - zu 3) : Praetorius Synt. II. 



19 



Akkordeon 



Akkordeon, Bezeichnung fiir den technisch und mu- 
sikalisch hochst entwickelten Typus aus der Familie der 
->• Harmonika-Instrumente, ein polyphon spielbares, 
im Diskant und BaB gleichtbniges, chromatisches Balg- 
instrument mit durchschlagenden Zungen. Seinen Na- 
men verdankt das A. den in ihrer Lage unverander- 
lichen, feststehenden, verkoppelten Akkorden, die 
durch Niederdriicken nur eines Knopfes des BaBteils 
zum Klingen gebracht werden. Nach der Tastenform 
der Diskantseite ist das - geschichtlich altere - Knopf- 
griff-A. vom Piano-A. zu unterscheiden. Auf der BaB- 
seite sind beide Instrumente gleich ausgebildet. Wah- 
rend das Piano-A. die iiberlieferte Klaviertastatur iiber- 
nahm, sind beim Knopfgriffinstrument die Tone in 
drei senkrecht nebeneinander stehenden, in ihrer Hohe 
aber geringfiigig gegeneinander verschobenen Tasten- 
reihen angeordnet und folgen in Schragreihen chro- 
matisch aufeinander. Die Tonfolge von auBen nach 
innen (c in der 1. Reihe) wird als C-Griff-Tastatur 
oder italienische (norwegische bzw.hollandische) Ton- 
anordnung bezeichnet; liegt der Ton c in der 3. Reihe, 
spricht man von B-Griff-Tastatur bzw. Wiener (schwe- 
discher) Tonanordnung. Eine zusatzlich vorhandene 
4. und 5. Tastenreihe ist mit der 1. bzw. 2. mechanisch 
verkoppelt und nur als Spielhilfe zu betrachten. Auf 
der Diskantseite ist das A. im Rahmen des gesamten 
Tonumfanges (beim Piano-A. in der Regel f-a 3 , beim 
Knopfgriff-A. E-cis 4 ) grundsatzlich mehrchbrig: ne- 
ben der Grundreihe (8') sind die tiefe Oktave (16'), die 
hohe Oktave (4') und eine oder zwei Schwebeton- 
Reihen (Ober- bzw. Untertremolo) zur Grundreihe 
vorhanden; bei Spezialinstrumenten wird haufig noch 
eine Mixturstimme (22/3') mitgefiihrt. Die einzelnen 
Stimmzungenreihen konnen durch Register beliebig 
miteinander kombiniert werden. Auf der BaBseite 
verzichtet das A. auf eine den Diskant nach unten wei- 
terf iihrende, durchlaufende Stimmzungenreihe ; es ver- 
fiigt hier nur iiber einen Ausschnitt im Rahmen einer 
groBen Septime (chromatisch durchlaufend), der aller- 
dings in meist 5facher Oktavierung ubereinander liegt 
und verkoppelt ist. Tonhohenrichtiges Melodiespiel ist 
streng genommen nur in diesem Raum (bei Serien- 
Instrumenten von G-Fis, bei groBen Modellen neuer- 
dings von E-Dis) moglich. Die mehrfache Oktavver- 
kopplung laBt das Ohr einen melodischen »Knick« 
aber kaum empfinden (»unendliche Oktave«). Die 
Akkorde (in der Regel Dur- und Molldreiklange, Sep- 
timenakkorde und verminderte Dreiklange) werden 
aus den drei oberen Oktavreihen gebildet und er- 
klingen normalerweise deshalb neunfach, Septimen- 
akkorde meist zwblffach, konnen aber durch Register 
klanglich reduziert werden. Die mehrfache Verkopp- 
lung der zumeist in 5 Oktaven ubereinander liegenden 
Tone der BaBseite und die damit gegebene Verkopp- 
lung der Akkorde gehbren zu den charakteristischen 
Merkmalen des A.s. Um aber auch tonhohenrichtiges 
Melodiespiel zu ermbglichen, wurden die beiden Ma- 
nuale der BaBseite (BaB- und Akkordwerk) durch 
ein 3. Manual, das EinzelbaBwerk, erganzt. Dieses 
bringt - in 3reihiger Knopfgriffanordnung - Einzel- 
tone (ein- und zweichorig schaltbar) im Tonumfang 
von jE-cis 4 , also von nahezu 6 Oktaven. DerVorteil 
dieses Einzeltonwerkes (wenig zutreffend »Bariton- 
Basse« genannt) gegeniiber den Versuchen einer Auf- 
losung der Akkordkopplungen in Einzeltbne liegt dar- 
in, alle 3 Manuale im BaB gleichzeitig oder nacheinan- 
der verwenden zu konnen. - Tonbildung und Tonge- 
staltung hangen beim A. weitgehend von der Balg- 
fiihrung ab, die als zentrales spielmethodisches Problem 
anzusehen ist. Mafigeblich beeinfluBt wurde die ktinst- 
lerische Entwicklung durch die (von H- Herrmann 



1927 begriindete) Originalliteratur fiir A. Sie erfaBte 
- vom Einzelspiel ausgehend - im Laufe der Zeit die 
gebrauchlichen Musikformen unserer Zeit (Kammer- 
musik, Orchesterspiel, Zusammenspiel mit anderen 
Instrumenten und mit Singstimmen und Chor). - Von 
den Sonderformen des A.s hat sich nur das BaB-A. 
(BaB-Orgel) im Gebrauch erhalten, das ausschlieBlich 
im Harmonikaorchester verwendet wird. 
Lit. : H. Herrmann, Einfuhrung in d. {Composition f. A., 
Trossingen 1955; A. Fett, Die Register u. ihre Anwen- 
dung, = Kieine Biicherei d. Harmonika-Freundes XII, 
Trossingen (1955, 21964); ders., Das A., ebenda XIV, 
(1956); ders., 30 Jahre Neue Musik f. Harmonika 1927- 
57, Trossingen (1957, 31964); ders., Harmonika-Tabellen, 
= Kieine Hdb. d. Harmonika-Freundes I, Trossingen 
(■•1964). AWF 

AKM, staatlich genehmigte Gesellschaft der Auto- 
ren, Komponisten und Musikverleger fiir Oster- 
reich (-> CISAC). Sie bildete 1916-38 zusammen 
mit den damaligen deutschen Verwertungsgesellschaf- 
ten (-»■ GEMA) einen Musikschutzverband mit dem 
Sitz in Berlin und war 1938-46 mit diesen vereinigt. 

Akoluthia (griech. dxoXou&fa, Folge) heifit in der grie- 
chischen Kirche die Ordnung des Offiziums und der 
anderen nichteucharistischen Gottesdienste sowie die 
Gesamtheit der liturgischen Funktionen eines bestimm- 
ten Tages. 

Lit.: L. Petit, Bibliogr. des a. grecques, Briissel 1926. - 
A. Raes SJ, Introductio in liturgiam orientalem, Rom 
1947; F. Halkin, A. greco-turques, in: Memorial L. 
Petit, Paris 1948. 

Akt (von lat. actus, Handlung), Benennung der Haupt- 
abschnitte dramatischer Werke. Seit dem 17. Jh. ist die 
Bezeichnung Aufzug (abgeleitet vom Aufziehen der 
Personen oder des Vorhangs) gleichbedeutend mit A., 
im 19. Jh. auch Abteilung. Schon das antike romische 
Theater kannte zum Teil die Gliederung des Dramas in 
A.e. Neben der Dreiteilung war eine Gliederung des 
Dramas in 5 A.e (Horaz, Ars poetica 189) bekannt, die 
fiir die franzosische Tragbdie, aber auch fiir die deut- 
sche, italienische und englische Buhnendichtung weit- 
gehend verbindlich wurde. Die Sturm-und-Drang- 
Dichtung und der Expressionismus setzten vielfach an 
die Stelle der A.-Einteilung die Bildfolge. Die A.-Ein- 
teilung der Oper ist sehr verschieden. Die friihe 
italienische Oper (auBer der Opera buffa) ist vielfach 
3aktig (aber schon Monteverdis Orfeo, 1607, ist auf 
5 A.e gesteigert), die deutsche Oper meist 3aktig, die 
franzosische seit Lully (nach dem Vorbild der ge- 
sprochenen Tragbdie) bei der Tragedie lyrique 5aktig, 
bei der Opera-comique 3aktig, oft auch einaktig. 

Akustik (von griech. <xxou(mx6(;, hbrbar) ist die 
Lehre vom Hbrbaren, genauer, die Lehre vom Schall 
und seinen Wirkungen. Die A. als eigenstandiges Ge- 
biet ist erst auf dem Boden der Aufklarung entstanden 
mit dem Anspruch, die Objekte des Hbrens auf mathe- 
matische Gesetze der Physik zuruckzufuhren und sie 
dadurch zu erklaren. Der Begriff A. taucht erstmalig 
gegen Ende des 17. Jh. auf (S. Reyher 1693). Seitdem 
gehen viele Fragen bislang vornehmlich musiktheore- 
tischer Erbrterung auf dieses mehr oder minder eigen- 
standige Gebiet iiber. Obwohl sie damit oft der Gefahr 
»physikalischer« Interpretation ausgesetzt sind, vor 
allem der direkten (»ein-eindeutigen«) Verkniipfung 
musikalischer Begriffe mit elementaren physikalischen 
GroBen (z. B. Tonhbhe mit Frequenz, Lautstarke mit 
Intensitat), geriet die systematische Erforschung aku- 
stischer Probleme rasch in FluB und fiihrte in der 2. 
Half te des 19. Jh. zu einem Hbhepunkt dieser Disziplin 
mit H. von Helmholtz. - Einzelne Fakten, die heute der 



20 



Akustik 



A. zugerechnet werden, wurden lange vor der Etablie- 
rung dieser Disziplin als eigenstandigem Zweig der 
Wissenschaft erkannt. Zu den Beobachtungen und 
Deutungen akustischer Erscheinungen in der Antike 
durch Pythagoras (Theorie der Zahlenverhaltnisse als 
Grundlage der Musik), Aristoteles (Verhaltnisse von 
Schwingungszahlen zu Saitenlangen und Saitenspan- 
nung), Euklid (Monochord) u. a. kamen mit der Wen- 
dung zur Naturwissenschaft in der Neuzeit, etwa mit 
G. Galilei, in rascher Folge neue Erkenntnisse und Be- 
obachtungen hinzu, nach wie vor in erster Linie im Zu- 
sammenhang mit musiktheoretischen Oberlegungen. 
Neue methodologische Aspekte (z. B. Galileis verein- 
fachende Annahme, daB die gesamte Masse einer 
schwingenden Saite als in ihrem Mittelpunkt vereinigt 
anzusehen sei) erlaubten die iibersichtliche mathemati- 
sche Behandlung bis dahin scheinbar unlosbarer phy- 
sikalischer Probleme. Stand die physikalische Beschrei- 
bung der schwingenden Saite audi weiter im Vorder- 
grund (-»• Euler, -»■ Mersenne u. a.), so wurde beson- 
dere Aufmerksamkeit in zunehmendem MaBe auch 
den Erscheinungen beim gleichzeitigen Erklingen 
mehrerer Tone gewidmet, so z. B. den -»■ Schwebun- 
gen (-»• Sauveur) und den -> Kombinationstonen 
(-> Sorge,-*- Tartini u. a.). Die Position der A. um die 
Wende des 19. Jh. spiegelt sich in der von -*■ Chladni 
gegebenen Darstellung, wonach sie folgende Gebiete 
zu untersuchen hat: 1) (im arithmetischen Teil) die 
Zeitverhaltnisse der schwingenden Bewegungen iiberhaupt 
. . . Tonlehre genannt, ferner (im mechanischen Teil) 2) 
die Schwingungsgesetze einesjeden elastischen Korpers so- 
wie 3) die Verbreitung des Schalles, dazu 4) (im physio- 
logischen Teil) die Empfindung desselben vermittelst der 
Gehorwerkzeuge. Diese Konzeption wurde 60 Jahre 
spater durch H. von Helmholtz zu einer im physikali- 
schen Denken verhafteten »objektiven« Empfindungs- 
lehre in umfassender Weise spekulativ ausgebaut. An- 
gelpunkt seines Systems ist die auf dem Theorem 
von Fourier aufgebaute Resonanztheorie des Horens 
(-> Hortheorie). v. Helmholtz gab die fiir die nachsten 
Jahrzehnte als giiltig anerkannten Definitionen und 
Axiome der A. Die seinem Gedankengebaude zugrun- 
de liegende Hypothese der klassischen Psychophysik, 
namlich der ein-eindeutigen Beziehungen zwischen 
Reiz und Reaktion, verfiihrte spater oft zu einem die 
tatsachlichen Sachverhalte unzulassig vereinfachenden 
Reduktionismus trotz der Einwande durch inzwischen 
immer weiter vorangetriebene tonpsychologische For- 
schungen. v. Helmholtz' Interesse gait nicht in erster Li- 
nie der A. schlechthin ; vielmehr ging es ihm um die Auf- 
findung von objektiven Gesetzen der Musikasthetik. 
DaB seinhypothetisches Gebaude, obwohles sich spater 
nicht in der Form aufrechterhalten lieB, damals so plau- 
sibel erschien, ist um so verstandlicher, als das Reduk- 
tiqns-Vorurteil auch heute hoch manche Ansatze in- 
nerhalb der akustischen Forschung bestimmt. 
In der 1. Halfte des 20. Jh. eritfernte sich die akustische 
Forschung in zunehmendem MaBe von dem Aufga- 
benbereich der Musiktheorie; sie behielt die musikali- 
schen Fragen nur mehr gelegentlich im Auge. Musika- 
lisch und zugleich physikalisch wichtige Erkenntnisse 
der A. formulierte in den 1920er Jahren E.Schumann, 
ein Schiiler Max Plancks und C. Stumpfs, auf Grund 
umfangreicher akustischer und tonpsychologischer 
Untersuchungen von Instrumentenklangen in den so- 
genannten Klangfarbengesetzen (-> Klangfarbe). Die 
moderne akustische Forschung ist pluralistisch, d. h. sie 
vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen mit stark ab- 
weichenden Fragestellungen. Heute lassen sich hinsicht- 
lich der methodischen Ebenen folgende Hauptrichtun- 
gen unterscheiden: 1. Physikalische A. als allgemeine 



Schwingungs- und Wellenlehre bzw. ihre Anwen- 
dung auf physikalische Probleme ; 2. Physiologische A. 
als Forschungszweig der Obertragung von Schallreizen 
in der Nervenbahn ; 3. Psychologische A. (auch Psycho- 
akustik genannt, das ist der das Gehor betreffende Teil 
der Psychophysik) ; hierzu gehoren die Variablen der 
akustischen Wahrnehmung hinsichtlich ihrer Inten- 
sitat (Lautstarke), des Belastigungsgrades (Klang - Ge- 
rausch- Larm), der Kategorien des musikalischen Ho- 
rens (in ihren einfachsten Formen etwa: ->-Tonh6he, 
->- Tonigkeit, ->■ Klangfarbe, -> Lautstarke, -*■ Konso- 
nanz/Dissonanz, ->• Akkord, -*■ Melodie u. a.). Dieser 
Bereich unterscheidet sich methodisch sehr weitge- 
hend von dem der physikalischen oder physiologi- 
schen A. (die Pramissen der alten Psychophysik haben 
sich fiir die Erforschung dieser komplexen Sachverhal- 
te als unzureichend erwiesen) ; handelt es sich doch um 
mehr-mehrdeutige Beziehungen zwischen den Varia- 
blen der Wahrnehmung und jenen des physiologischen 
bzw. physikalischen Bereichs. Dieses Gebiet ist am 
meisten in FluC ; es gelangen zur Anwendung die Me- 
thoden der quantitativen Psychologie (z. B. Faktoren- 
analyse oder manche Gesichtspunkte der -> Informa- 
tionstheorie). Ihren Anwendungen nach laBt sich die 
A. abermals unterteilen: Zur technischen A. gehort vor 
allem die Elektro-A., zu der auch Schalliibertragungs- 
und Aufzeichnungstechnik zu rechnen sind. Weitere 
Anwendungen ergeben sich aus den Begriffen Raum- 
und Bau-A. ; schlieBlich sei die musikalische A. vor 
allem in ihrer Blickrichtung auf das Musikinstrument 
erwahnt; mit ihren verfeinerten Methoden und Er- 
kenntnissen kann sie dem Instrumentenbau dienen. 
Doch haben alle Einteilungen mehr theoretischen bzw. 
hypothetischen Charakter insofern, als die Gebiete 
sich in mannigfaltiger Weise iiberschneiden. 
Lit.: E. Fl. Fr. Chladni, Die A., Lpz. 1802; ders., Neue 
BeytrSge zur A., Lpz. 1817; H. v. Helmholtz, Die Lehre 
v. d. Tonempfindungen ..., Braunschweig 1863, 6 1913; 
ders., Vorlesungen iiber d. mathematischen Principien d. 
A., in: Vorlesungen iiber theoretische Physik III, hrsg. v. 
A. Konig u. C. Runge, Lpz. 1898; J. C. Poggendorf, 
Gesch. d. Physik, Lpz. 1879; A. Heller, Gesch. d. Physik, 
2 Bde, Stuttgart 1882-84; C. Stumpf, Tonpsychologie, 
2 Bde, Lpz. 1883-90; ders., Die Sprachlaute, Bin 1926; 
L. A. Zellner, Vortrage iiber A., Wien u. Lpz. 1892; 
J. W. Strutt (Baron Rayleigh), Theory of Sound, 2 Bde, 
London 1894-96; J. Tyndall, Der Schall, deutsche 
Bearb. v. H. v. Helmholtz u. CI. Wiedemann, Braun- 
schweig 31897; K. L. Schaefer, Mus. A., = Slg Goschen 
XXI, Lpz. 1902; P. La Cour u. J. Appel, Die Physik auf 
Grund ihrer geschichtlichen Entwicklung, Braunschweig 
1905; H. Starke, Physikalische Musiklehre, Lpz. 1908; 
A. Kalahne, Grundzuge d. mathematisch-physikalischen 
A., 2 Bde, Lpz. u. Bin 1910-13; W. Kohler, Akustische 
Untersuchungen, Zs. f. Psychologie LIV, 1909, LVIII, 
1910, LXIV, 1913; H. Riemann, Katechismus d. A., Lpz. 
1918; E. Schumann, A., Breslau 1925; ders., Die Physik 
d. Klangfarben, Habil.-Schrift Bin 1929; F. Trendelen- 
burg, A., in: Hdb. d. Physik VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. 
Scheel, Bin 1927; ders., Einfuhrung in d. A., Bin, Gottin- 
gen u. Heidelberg 3 1961; H. Fletcher, Speech and 
Hearing, NY 1929; F. R. Watson, Acoustics of Buildings, 
London 1930; H. Winkhaus, Vergleichende akustische 
Untersuchungen, Bin 1930; P. E. Sabine, Acoustics and 
Architecture, NY 1932; E. Waetzmann, Technische A., 
in: Hdb. d. Experimentalphysik XVII, hrsg. v. W. Wien u. 
S. Harms, Lpz. 1934; H. J. v. Braunmuhl u. W. Weber, 
Einfuhrungind.angewandteA.,Lpz. 1936;J.ENGL,Raum- 
u. Baua., Lpz. 1939; K. W. Wagner, Einfuhrung in d. 
Lehre v. d. Schwingungen u. Wellen, Wiesbaden 1 947 ; L. 
Cremer, Die wiss. Grundlagen d. Rauma., I— II (I Geo- 
metrische, II Statistische Rauma.), Stuttgart 1948-61, III 
(Wellentheoretische Rauma.), ebenda u. Lpz. 1950; H. 
Dill, Die technische A., Sprache u. Gehor, Zurich 1949; 
H. Matzke, Unser technisches Wissen v. d. Musik, Lin- 
dau 1949; Ch. A. Culver, Mus. Acoustics, Philadelphia 



21 



Akzent 



1951; H. Petzoldt, Elektroa. (Anlagetechnik), 2 Bde, 
Lpz. 1951 ; W. T. Bartolomew, Acoustics of Music, 
NY 1952; H. F. Olson, Mus. Engineering, NY 1952; 
G. Buchmann, Elektroa., Hdb. f. HF- u. Elektrotechni- 
ker II, Bin 1953; W. Burck, Grundlagen d. praktischen 
Elektroa., Mindelheim 1953; O. Fr. Ranke u. H. Lul- 
lies, Gehor, Stimme, Sprache, = Lehrbuch d. Physio- 
logie, hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. SchOtz, Bin, 
Gottingen u. Heidelberg 1953; L. L. Beranek, Acoustics, 
NY 1954; W. Reichardt, Grundlagen d. Elektroa., Lpz. 
21954; E. Skudrzyk, Grundlagen d. A., Wien 1954; E. G. 
Wever u. M. Lawrence, Physiological Acoustics, Prince- 
ton (New Jersey) 1954; Fr. Winckel, Klangstruktur d. 
Musik, Bin 1955 ; ders., PhSnomene d. mus. Horens, Bin u. 
Wunsiedel (1960); Acoustique mus., hrsg. v. F. Canac, 
= Colloques internationaux du Centre National de la Re- 
cherche scientifique LXXXIV, Paris 1959 ; W. Meyer-Epp- 
ler, Grundlagen u. Anwendungen d. Informationstheorie, 
Bin, Gottingen u. Heidelberg 1 959 ; R. W. Pohl, Mechanik, 
A., Warmelehre, = Einfuhrung in d. Physik I, Bin, Gottin- 
gen u. Heidelberg HI 959; W. H. Westphal, Physik, Bin, 
Gottingen u; Heidelberg 20-211959 ; Chr. Gerthsen, Phy- 
sik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 2 1 960 ; Fr. Kohlrausch, 
Leitfaden d. praktischen Physik, Lpz. 1870, 81896, Stutt- 
gart 21 1960 als: Praktische Physik . . .,hrsg. v. H. Ebertu. 
E. Justi ; H.-P. Reinecke, Experimented Beitr. zur Psycho- 
logie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. Mw. Inst. d. 
Univ. Hbg III, Hbg 1964. • HPR 

Akzent (lat. accentus, von ad, dazu, und cantus, Ge- 
sang; Lehniibersetzung von griech. 7rpoacp8ta; seit 
Gottsched auch durch »Betonung« wiedergegeben), 
- 1) der aus der antiken griechischen Sprachwissenschaft 
stammende Begriff erfafke ursprunglich die mit den 
Lauten verbundenen »gesanglichen« Momente der 
griechischen Sprache (-> Prosodie). Im Lateinischen 
wurde die Hervorhebung der akzenttragenden Silbe 
eines Wortes jedoch nicht, wie im Griechischen der 
alteren Zeit, durch Hebung und Senkung der Stim- 
me bewirkt (musikalischer A.), sondern wohl ahnlich 
wie in den meisten jndogermanischen Sprachen und 
im Griechischen nach der Zeitenwende primar durch 
Atemdruck (Druck-, dynamischer, exspiratorischer 
A.). Der Sachverhalt ist im Lateinischen allerdings 
besonders kompliziert und umstritten, weil die klas- 
sische Dichtung der Romer nicht auf der Unter- 
scheidung betonter und unbetonter Silben beruhte, 
wie dies fiir die Dichtung in Sprachen mit Druck-A. 
meist gilt, sondern weil sie nach griechischem Vorbild 
quantitierend war. Denn so ergaben sich haufig Wider- 
spriiche zwischen Wort-A. und Vers-A. (->-Metrum, 
-> VersmaGe). Gegenuber den alteren lateinischen Aus- 
driicken (acuta vox, tres soni, Cicero, Orator 57f.) 
und gegenuber anderen Bezeichnungen (tenor, vo- 
culatio, fastigium, cacumen) haben sich die beiden auf 
griechische Termini zuriickgehenden Worter accentus 
(Quintilian, Inst. or. I, 5, 22) und tonus allmahlich 
durchgesetzt. Doch diirften es hqffnungslose Betnuhungen 
(M. Leumann) gewesen sein, die verschiedenen grie- 
chischen A.e im Lateinischen wiederzufinden. Die 
spatromischen Grammatiker gaben die prosodische 
Lehre der Griechen schlieBlich nur noch in schemati- 
sierter Form und mit den iibersetzten griechischen Ter- 
mini weiter, ohne zwischen eigentlichen (1-5) und un- 
eigentlichenprosodischenZeichen (6-10) zu unterschei- 
den (zusammengefaBt etwa bei Isidor von Sevilla, 
Etymol. I, 19): 

1 ' o^sta acutus (hoch) 

2 s Papsia gravis (tief) 

3 ~ 7ccpt<jTrto(i£vr) circumflexus (hoch-tief) 

4 - (jtaxp6? longa (lange Silbe) 

5 ^ Ppaxu? brevis (kurze Silbe) 

6 w u<p£v coniunctio (Verbindung 

zweier Worter) 



7 , SiaaToXr) distinctio (Trennung zweier 

Worter, heutiges 
Kommazeichen) 

8 ' [a7r6aTpotpoi;] apostrophus (Apostroph) 

9 \- SaasTa aspiratio (h im Anlaut) 

10 -H (|;tXr] siccitas sive (ohne h im Anlaut) 

purum 
Ein Teil dieser Zeichen wurde spater in die byzantini- 
sche Notenschrif t und in die Neumenschrift ubernom- 
men. Die nota dasia (Nr 9) liegt den im 9. Jh. geschaf- 
fenen -> Dasia-Zeichen zugrunde. - 2) Accentus (lat.) 
und Concentus (lat.) sind in der Chorallehre gebrauch- 
liche Termini, welche die Gattungen des einstimmigen 
liturgischen Repertoires unter dem Gesichtspunkt ihrer 
vorwiegend sprachlichen oder melodischen Konzeption 
klassifizieren. Ihre Gegeniiberstellung war den mittel- 
alterlichen Theoretikern unbekannt. Sie wird erstmals 
ausfuhrlich von Ornitoparchus (1517) erlautert. Da- 
nach umfaBt der Accentus alle »gelesenen«, d. h. in ih- 
rem musikalischen Verlauf primar nach dem Text aus- 
gerichteten Formen (Orationen, Lektionen, Epistel, 
Evangelium, Prophetien usw.). Der rezitierende, von 
einem Reperkussionston durchzogene Vortrag dieser 
Stiicke erfolgt anhand bestimmter Formeln (accentus 
ecclesiastici, toni communes), die neben den Einzelglie- 
dern und Interpunktionsstellen (distinctiones, pausatio- 
nes) im Sinne musikalisch geordneter Rezitative auch 
weitgehend die sprachlichen A.e des jeweiligen Texts 
beriicksichtigen. Demgegeniiber sind im Concentus 
alle »gesungenen« Gattungen enthalten, z. B. Antiphon, 
Responsorium, Introitus. In ihnen bildet die eigenstan- 
dige musikalisch-melodische Gestaltung das entschei- 
dende Element. Fiir die evangelische Kirchenmusik hat 
der Accentus durch Luthers Deutsche Messe (1526) und 
die von J.Walter bis ins 17. Jh. reichende Tradition 
der Choralpassion Bedeutung erlangt. - 3) Vom Aus- 
gang des 16. bis zum 19. Jh. bildet in der europaischen 
Musik der Takt eine Ordnung von abgestuften A.en. 
Den gemessenen Schritten und Spriingen der Tanzen- 
den entsprechend treten zuerst in der Tanzmusik be- 
tonte und unbetonte Stufen des Taktes, schwere und 
leichte Zahlzeiten auf, deren Hauptgewicht in der Re- 
gel unmittelbar nach dem Taktstrich wiederkehrt 
(Taktschwerpunkt). Dieser neuzeitliche A.-Stufentakt 
(Besseler) hebt sich deutlich gegen den alteren men- 
suralen Tactus ab, der die Akzentuierung nicht festlegt. 
Neben dem regularen A. , der in den metrischen Schwer- 
punkten der Taktf olge vorgegeben ist, gibt es eine An- 
zahl anderer Mittel, in Komposition und Vortrag mu- 
sikalisch zu akzentuieren, die zuerst Rousseau zusam- 
menfassend behandelt. Riemann nennt sie Extraver- 
starkungen, welche den selbstverstandlichen Verlauf 
der dynamischen Entwicklung (-> Ausdruck, ->■ Dyna- 
mik, ->• Motiv) storen, eventuell sogar vollstandig auf 
den Kopf stellen, und die der Komponist daher durch 
besondere Abbreviaturen und Zeichen fordert (qf, > , 
v, a ). Ein besonders haufiger und wichtiger A. ist der 
Anfangs-A., die Hervorhebung der ersten Note einer 
Phrase oder eines Motivs ; er dient in hervorstechender 
Weise der Klarlegung des thematischen Aufbaues, 
doch wirkt seine fortgesetzte Anwendung, wo die 
Zeichnung ohnehin klar ist, aufdringlich. Gewisse 
rhythmische Bildungen, besonders die synkopischen 
Antizipationen von Tonen, deren voile harmonische 
Wirkung erst auf dem nachfolgenden guten Taktteil 
zur Geltung kommt, verlangen Akzentuation (rhyth- 
mischer A.), desgleichen miissen kompliziertere Har- 
monien, auffallige Dissonanzen, Modulationsnoten 
usw. hervorgehoben werden (harmonischer A.), und 
endlich sind auch oft die Spitzen der Melodie, wo sie 
nicht ohnehin durch ihre Stellung im Takt mit den 



22 



Akzidentien 



Hohepunkten der dynamischen Entwickluhg zusam- 
menf alien, verstarkt zu geben (melodischer A.). Eine 
Art negativen A.s ist nach vorausgehendem crescendo 
die Ersetzung des Hohepunkts der Tonstarke durch ein 
plotzliches piano, ein Mittel, dessen bereits von J. Sta- 
mitz gefundene faszinierende Wirkungen besonders 
Beethoven zur Geltung gebracht hat (»Beethovensches 
piano«). - 4) Der Accentus als Gesangsmanier ent- 
stammt dem rezitativischen Stil urn 1600. Praetorius be- 
schreibt ihn als Ausf Ullung eines Intervalls (auch Uni- 
sonus) durch 1-5 Zwischennoten, deren letzte oft den 
Zielton vorwegnimmt. Er kann bei Praetorius durch 
Verkiirzung der ersten oder der zweiten Hauptnote ge- 
wonnen werden. Bei Bernhard wird er beyEndigung ei- 
ner Note mit einem gleichsam nur anhenckenden Nachklange 
geformiret (S. 33) und mit der Bezeichnung Superjectio 
unter die Figurae Superficiales aufgenommen (S.148). 
Im 18. Jh. beschreibt ihn noch Marpurg als -*Nach- 
schlag, dagegen C. Ph. E.Bach und L.Mozart als (lan- 
gen) -*■ Vorschlag. 

Lit.: zu 1): Grammatici Latini, hrsg. v. H. Keil, 8 Bde, 
Lpz. 1855-78, NeudruckHildesheiml961 ; H.Steinthai, 
Gesch. d. Sprachwiss. beid. Griechen u. Romern, 2 Bde, 
Bin 21890, Neudruck Hildesheim 1961 ; H. Hirt, Indoger- 
manische Grammatik V, Der A., = Indogermanische Bibl. 
1, 1 , 1 3, 5, Heidelberg 1929 ; M. Leumann, Lat. Laut- u. For- 
menlehre, = Hdb. d. Altertumswiss. I, 2, 1 , Miinchen 
1963. - zu 2): M. Luther, Deutsche Messe, Wittenberg 
1526, Faks. hrsg. v. J. Wolf, =Veroff. d. Musikbibl. P. 
Hirsch XI, Kassel 1934; L. Lossius, Erotemata musicae 
practicae, Niirnberg 1563; J. W. Lyra, A. Ornithopar- 
chus u. dessen Lehre v. d. Kirchena., Giitersloh 1877; R. 
Molitor OSB, Die Nach-Tridentinische Choral-Reform I, 
Lpz. 1901 ; P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen 
Melodien I u. Ill, Lpz. 3191 1 u. 1921, Neudruck Hildesheim 
u.Wiesbaden 1962; Fr. GEBHARDT.Diemus. Grundlagenzu 
Luthers Deutscher Messe, Luther-Jb. X, 1928 ; R. Gerber, 
Das Passionsrezitativ bei H. Schutz .... Giitersloh 1929 ; 3. 
Handschin, ArtikelA.,in: MGG 1, 1949-51. -zu 3) : J.-J. 
Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 1767(7), Paris 
1768 u. 6., Artikel Accent, Nachdruck mit Zusatzen v. M. 
Suard, in : Encyclopedic methodique, Musique I, hrsg. v. 
N. E. Framery u. P. L. Ginguene, Paris 1791 ; M. Haupt- 
mann, Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik, Lpz. 1 853 ; M. 
Lussy, Trait6 de l'expression mus., Paris 1874; ders., Le 
rythme mus., Paris 1883; H. Riemann, Mus. Dynamik u. 
Agogik, Hbg u. St. Petersburg 1 884 ; ders., System d. mus. 
Rhythmik u. Metrik, Lpz. 1903 ; G. Becking, Der mus. 
Rhythmus als Erkenntnisquelle, Augsburg 1928, Neu- 
druck Darmstadt 1958; W. Serauky, Die mus. Nachah- 
mungsasthetik ..., = Universitas-Arch. XVII, Minister 
i. W. 1929; G. Brelet, Le temps mus., essai d'une estheti- 
que nouvelle de la musique, 2 Bde, Paris 1949; H. Heck- 
mann, W. C. Printz . . . u. seine Rhythmuslehre, Diss. 
Freiburg i. Br. 1952, maschr. ; ders., Der Takt in d. Musik- 
lehre d. 17. Jh., AfMw X, 1953; W. Gurlitt, Form in d. 
Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. 
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1954, 
Nr 13; H. Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, = Sb. 
Lpz. CIV, 6, Bin 1959. - zu 4): Praetorius Synt. Ill; 
Die Kompositionslehre H. Schiitzens in d. Fassung seines 
Schiilers Chr. Bernhard, hrsg. v. J. Muixer-Blattau, Lpz. 
1926, Kassel 21963 ; Bach Versuch ; Mozart Versuch ; M. 
Kuhn, Die Verzierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d. 
16.-17.Jh., = BIMGI,7,Lpz. 1902 ;H.Goldschmidt, Die 
Lehre v. d. vokalen Ornamentik I, Charlottenburg 1907 ; 
A. Beyschlag, Die Ornamentik d. Musik, Lpz. 1908, Neu- 
druck Wiesbaden 1961 ; A. Dolmetsch, The Interpretation 
of the Music . . ., London (1916, 21946). 

Akzidentien heiBen jene Zeichen, welche, einer Note 
vorangesetzt, deren Erhohung oder Erniedrigung um 
einen bzw. 2 Halbtone oder die Aufhebung einer vor- 
angehenden Erhohung oder Erniedrigung bewirken, 
also Kreuz # (frz. diese; ital. diesis; engl. sharp): Er- 
hohung um einen Halbton; -*■ Doppelkreuz x: Er- 
hohung um 2 Halbtone; Be \> (frz. bemol; ital. be- 



molle; engl. flat): Erniedrigung um einen Halbton; 
Doppel-Be U, (frz. double bemol; ital. doppiobemolle; 
engl. double-flat): Erniedrigung um 2 Halbtone; 
-> Auflosungszeichen \ : Aufhebung der bisher gelten- 
den Erhohung oder Erniedrigung. - Alle drei Grund- 
zeichen (l> jj If) haben sich aus dem Tonbuchstaben b 
entwickelt, der seit Einfiihrung des Hexachord-Sy- 
stems zwei verschiedene Tonstuf en vertrat : im Hexa- 
chordum molle das (moderne) b (b fa, geschrieben als 
brotundum), im Hexachordum durum das (moderne) 
h (b mi, geschrieben als bquadratum ; die neuzeitliche 
deutsche Tonbezeichnung h geht auf den Brauch 
deutscher Drucker des 16. Jh. zuriick, fur das bqua- 
dratum den Buchstaben h zu verwenden). Aus dem 
bquadratum entstanden durch fliichtiges Schreiben be- 
reits im 13. Jh. die noch heute gebrauchlichen Formen 
von Kreuz und Auflosungszeichen, die ihrer Bedeutung 
nach jedoch selbst im 15. Jh. noch selten unterschieden 
wurden. Das bis ins 18. Jh. vorherrschende )&cancella- 
tum, dessen Erfindung in dieJosquin-Zeitfallt.hobsich 
dann zwar sehr deutlich von den traditionellen For- 
men des bquadratum, vor allem dem eigentlichen Auf- 
losungszeichen, ab, doch blieb es bis ins 18. Jh. Brauch, 
Erhohungen einfach durch ein \>, Erniedrigungen 
durch ein J riickgangig zu machen. A. im Sinne von 
Versetzungszeichen wurden die verschiedenen Gestal- 
ten des b aber erst, - als sie, von der Tonstuf e b gelost, 
auch anderen Tonstufen zur Angabe ihrer Erhohung, 
Erniedrigung oder der Wiederherstellung ihrer origi- 
nalen Tonhohe zugeordnet wurden. Aufgabe dieser 
(»zusatzlichen«) Zeichen war es zunachst, die Position 
der betreffenden Tonstufe im jeweiligen Hexachord 
und zugleich den fur die Solmisation obligatorischen 
Hexachordraum selbst festzulegen. So erklart sich die 
Tatsache, daB z. B. ein bquadratum vor f diese Ton- 
stufe zwar zum fis erhob (als mi innerhalb des Hexa- 
chordes auf d), daB aber ein tmolle vor f dieselbe 
Tonstufe nur als fa innerhalb des Hexachordum na- 
turale (auf c) bestatigte und keineswegs zum fes er- 
niedrigte. Nicht jede angezeigte Erhohung oder Er- 
niedrigung muBte zwangslaufig eine Hexachord- 
Transposition veranlassen; besonders die entlegeneren 
Halbtone wurden - entsprechend den theoretischen 
Ausf iihrungen iiber die -»■ Musica ficta - vielfach au- 
Berhalb des gerade verbindlichen Hexachord-Zusam- 
menhanges gebildet. - Bis ins 17. Jh. finden sich, vor 
allem in den Quellen der kirchentonalen Vokalmusik, 
relativ wenige A., da der Sanger selbst die Regeln be- 
herrschen sollte, die ihm (zusammen mit Hinweisen 
durch A.) eine einwandfreie Ausfiihrung seiner Stim- 
me ermoglichten; -> Solmisation, ->■ Klausel-Lehre, 
einige Standardregeln (z. B. Una nota supra la semper est 
canendafa), GesetzmaBigkeiten der Stimmfuhrung und 
ausgepragte kirchentonale Melodiebildung machten 
eine generelle Bezeichnung durch A. haufig unno- 
tig. Da sich die Bedeutung dieser Regeln in Hinblick 
auf die Entwicklung der Tonalitat und auf das zeitbe- 
dingte, wohl oft sehr individuelle Klangempfinden je- 
doch nur schwer festlegen laBt, gehSrt die Frage nach 
Art und Umfang des tatsachUchen A.-Gebrauchs 
vom 13. bis zum 16./17. Jh. noch immer zu den vor- 
dringlichen Themen der Forschung. Erst mit zuneh- 
mender harmonischer Verselbstandigung gegeniiber 
den Kirchentonen und der Bevorzugung instrumen- 
taler Notationsprinzipien seit dem 16. Jh. wurde 
auch die A.-Setzung regelmaBiger und exakter. Ge- 
geniiber der mittelalterllchen Praxis wurde die Gel- 
tungsdauer eines jeden Akzidens auf die unmittelbar 
nachfolgende Note (bzw. bei Tonwiederholungen auf 
alle weiteren Noten gleicher Tonhohe) eingeschrankt, 
so daB das Akzidens selbst nach nur einer f remden No- 



23 



Akzidentien 



te wiederholt werden muBte, andererseits erstreckte 
sich die Geltung eines Akzidens zwischen zwei gleich 
hohen Tonen auch auf den vorangehenden; bei chro- 
matischer Melodiebewegung wurden noch im 17. Jh. 
auch die nicht erhohten bzw. erniedrigten Tone durch 
Auflosungszeichen eigens gekennzeichnet. Die Ein- 
fiihrung und allmihliche Verbreitung von Taktstrich 
und gleichschwebender Temperatur bestimmten die 
Entwicklung um und nach 1700 und konnen als die 
eigentliche Ursache fur die Ausbildung des modernen 
A.-Systems und A.-Gebrauchs angesehen werden. 
Denn wie nun erst fiir jedes Akzidens die Geltungs- 
dauer auf einen Takt festgesetzt werden konnte, so gab 
auch erst die ErschlieBung des gesamten Quintenzir- 
kels AnlaB zur Erfindung der Zeichen fiir doppelte 
Halbtonerhohung und -erniedrigung. Nach verschie- 
denen Vorschlagen fiir die Gestaltung der neuen Zei- 
chen (Mattheson empfahl als Zeichen der doppelten 
Erniedrigung den griechischen Buchstaben (3, J. G. 
Walther verwandte fiir doppelte Erhohung das ge- 
doppelte Andreaskreuz M, L. Mozart neben dem An- 
dreaskreuz ein aufrechtstehendes Kreuz + ) setzten 
sich noch im 18. Jh. die bis heute gebrauchlichen For- 
men (x, tt) durch. Die heutige Anwendung derVer- 
setzungszeichen erfolgt nach dem Grundsatz, daB jedes 
Akzidens nur fiir den bestimmten Takt und Oktav- 
raum gilt, in dem es vorkommt; Ausnahmen bilden 
lediglich in den nachsten Takt iibergebundene Noten, 
von denen das Akzidens nicht wiederholt zu werden 
braucht. Folgen verschiedenartige A. aufeinander, so 
bewirkt das jeweils neue die Aufhebung der voran- 
gehenden Erhohung oder Erniedrigung, ohne daB - 
wie noch im 19. Jh. - ein eigenes Auflosungszeichen 
vorangesetzt werden muBte (z. B. \\> nach ((). Selbst- 
verstandlich konnen der besseren Durchschaubarkeit 
halber auch mehr A. verwendet werden, als nach den 
strengen Regeln erforderlich ware; vor allem in der 
Neuen Musik finden sich haufig zusatzliche Angaben, 
die von gelegentlichen Hinweiszeichen bis zur konse- 
quenten Kennzeichnung jeder Einzelnote reichen. 
Vielfach wird dann iiberhaupt eine Regelung vorge- 
zogen, die die Geltung des Akzidens auf die unmittel- 
bar nachfolgende Note einschrankt. 
Eine wesentliche Vereinfachung der A.-Setzung ergibt 
sich aus dem seit dem 18. Jh. (abgesehen von einigen kir- 
chentonalen Relikten) fast allgemein geiibten Brauch, 
die der jeweiligen Tonart eigenen Erhohungen bzw. 
Erniedrigungen gegeniiber der Grundskala (c d e f 
g a h) in der Tonartvorzeichnung (frz. armature; ital. 
armatura di chiave ; engl. key signature) generell anzu- 
geben: alle einschlagigen Versetzungszeichen werden 
zu Beginn eines jeden Liniensystems (unmittelbar nach 
dem Schlussel, vor dem Taktzeichen) zusammenge- 
fafit, so daB aus der Vorzeichnung bereits die Tonart 
abgelesen werden kann, wenn auch ohne Unterschei- 
dungsmoglichkeit zwischen Dur und parallelem Moll. 
Der Geltungsbereich der Vorzeichnung umfaBt den 
gesamten verfiigbaren Tonraum. - Die Anfange der 
Vorzeichnung reichen ebenfalls bis ins Mittelalter zu- 
riick. Schon in den handschriftlichen Aufzeichnungen 
des Notre-Dame'-Repertoires (13. Jh.) ist das !>molle 
nicht selten an den Anfang einer Zeile vorgezogen, 
dies jedoch nur fiir die Tonstufe b (als Hinweis auf die 
Solmisation nach dem Hexachordum molle, also im 
dorischen und lydischen Modus) und auch nicht immer 
in alien Stimmen, sondern meist nur dort, wo die zu 
fixierende Tonstufe b tatsachlich vorkommt. Erst im 
Laufe des 15. Jh. biirgerte sich die Vorzeichnung eines 
weiteren t (fiir die Tonstufe e) zur Kennzeichnung der 
immer haufiger transponierten Modi ein. Die bis dahin 
sehr unregeLmaBige Setzung von Vorzeichen erhielt 



nun eine gewisse Systematik, da sie zugleich das Trans- 
positionsverhaltnis zwischen den Stimmen (am deut- 
lichsten beim Quintkanon) zum Ausdruck brachte: in 
der Regel muBte aus Tonalitatsgriinden in den Unter- 
stimmen ein \> mehr vorgezeichnet werden als in den 
Oberstimmen. Diese auch noch fiir das 16. und 17. Jh. 
charakteristische Praxis, sich bei der Vorzeichnung nur 
nach dem Transpositionsgrad des jeweiligen Kirchen- 
tones zu richten, lebte vereinzelt bis ins 18. Jh. fort: 
noch J. S. Bachs Dorische Toccata und Fuge (BWV 
538) ist ohne Vorzeichnung notiert; C moll kommt 
mitunter noch mit nur zwei vorgezeichneten |> als 
transponiertes Dorisch vor. - Neben der eigentlichen, 
tonartlich bestimmten Vorzeichnung finden sich seit 
dem 16. Jh. am Zeilenbeginn haufig weitere Zeichen, 
die nur der Warming oder der besseren Orientierung 
dienen sollen und nicht als Versetzungszeichen aufzu- 
fassen sind. So erinnert die Vorzeichnung eines |> auf 
der f-Linie an das Verbot der Erhohung zum fis, ein 
\ oder % auf der h-Linie an das Verbot der Erniedri- 
gung zum \> ; verschiedenartige Versetzungszeichen am 
Zeilenbeginn der -* Tabula compositoria markieren 
lediglich die jeweilige Tonstufe, ohne eine tatsachliche 
Erhohung oder Erniedrigung nach sich zu Ziehen. - 
Die atonale Musik des 20. Jh. verzichtet auf jegliche 
Vorzeichnung und gebraucht A. ausschlieBlich im 
Laufe der Komposition. 

Lit.: G. Jacobsthal, Die chromatische Alteration im 
liturgischen Gesang d. abendlandischen Kirche, Bin 1 897 ; 
Th. Kroyer, Die Anfange d. Chromatik im ital. Madrigal 
d. XVI. Jh., = BIMG I, 4, Lpz. 1902; ders., Zum Akzi- 
dentienproblem im Ausgang d. 16. Jh., Kgr.-Ber. Wien 
1909; J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation v. 1250-1460 
I, Lpz. 1904; ders., Die A. im 15. u. 16. Jh., Kgr.-Ber. 
Wien 1909; R. Schwartz, Zur Akzidentienfrage im 
16. Jh., ebenda; E. Bernoulli, Hinweis auf gewisse Al- 
terationszeichen in Drucken d. 16. Jh., ebenda; O. Chile- 
sotti, Le alterazioni cromatiche nel s. XVI°, ebenda; 
R. v. Ficker, Beitr. zur Chromatik d. 14. bis 16. Jh., 
StMw II, 1914; ders., Die Kolorierungstechnik d. Trien- 
ter Messen, StMw VII, 1920; J. Borremans, Le sort du 
Sil] dans les melodies chromatiques gregoriennes, Tri- 
bune deSt.-Gervais XXI, 1920; E. Frerichs, Die Acciden- 
tien in Orgeltabulaturen, ZfMw VII, 1924/25; W. Apel, 
Accidentien u. Tonalitat in d. MusikdenkmSlern d. 
15. u. 16. Jh., Bin 1936; ders., The Partial Signatures in 
the Sources prior to 1450, AMI X, 1938; ApelN; E.E. 
Lowinsky, The Function of Conflicting Signatures in 
Early Polyphonic Music, MQ XXXI, 1945; ders., Con- 
flicting Views on Conflicting Signatures, JAMS VII, 1954; 
G. Reaney, Musica ficta in the Works of Guillaume de 
Machaut, Les Colloques de Wegimont II, 1955 ; S. Clercx- 
Lejeune, Les accidents sous-entendus et la transcription 
en notation moderne, ebenda ; R. H. Hoppin, Partial Signa- 
tures and Musica ficta in Some Early 1 5 th -Cent. Sources, 
JAMS VI, 1953; ders., Conflicting Signatures Reviewed, 
JAMS IX, 1956. FrR 

Alala ist ein Volksliedtyp der spanischen Provinz Ga- 
licien ; er hat seinen Namen von dem auf Vokalisen ge- 
sungenen La la la. Die Melodien werden vor allem 
wahrend der Landarbeit gesungen. 
Lit.: F. Pedrell, Cancionero mus. popular espanol II, 
Vails 1 9 1 8 ; H. Angles, Das span. Volkslied, Af Mf III, 1 938. 

Alba (lat. und prov.) ->- Tagelied. 

Albanien. 

Lit.: St. Djoudjeff, Melodies bulgares de l'Albanie du 
Sud, Belgrad 1936; Y. Arbatsky, Proben aus d. albani- 
schen Volksmusikkultur, Siidost-Forschungen VIII, 1943 ; 
E. Stockmann, Kaukasische u. albanische Mehrstimmig- 
keit, Kgr.-Ber. Hbg 1956; ders., Albanische Volksmusik- 
instr., Kgr.-Ber. Wien 1956 ;DERS.,VolkskundlicheBibliogr. 
A. v. 1945-56, Deutsches Jb. f. Volkskunde IV, 1958; 
ders., Zur Slg u. Untersuchung albanischer Volksmusik, 
AMI XXXII, 1960; R. Sokoli, Les danses populaires et les 



24 



Aleatorik 



instr. mus. du peuple albanais, Tirana 1958; D. Stock- 
mann, Zur Vokalmusik d. siidalbanischen Camen, Journal 
of the International Folk Music Council XV, 1963. 

Albertische Basse (bis um die Mitte des 19. Jh. auch 
Harfenbasse genannt) werden nach D. -> Alberti die 
fortgesetzten gleichartigen Akkordbrechungen im ho- 
mophonen Klaviersatz genannt. Sie werden meist fur 
die linke Hand als Begleitung einer von der rechten Hand 
gespielten Melodie geschrieben (Mozart, K.-V. 545) : 
Allegro 



P 

k Yi ' lL n i j i j i j ^ j i J i ^f 



aber auch die umgekehrte Anordnung kommt vor 
(Mozart, Rondo D dur, K.-V. 485). In Deutschland 
wandten A. B. zuerst an: Fr. A. Maichelbeck (op. 1, 
1736), Telemann (Fugues legeres 1739), J.Chr.Bach; 
W.A.Mozart ab K.-V. 5a (1763). 
Lit.: W. Wormann, Die Klaviersonate D. Albertis, AMI 
XXVII, 1955; G. A. Marco, The Alberti Bass before Al- 
berti, MR XX, 1959; W. Gerstenberg, Uber Mozarts 
Klaviersatz, AfMw XVI, 1959. 

Albisiphon, eine 1910 von A. Albisi konstruierte BaB- 
flote aus Metall in C (eine Oktave unter der sogenann- 
ten GroBen Flote) mit einsetzbarem FuBstiick fiir H 
(Umfang H-fis2). 
Alborada (span.) ->Tagelied, -»Aubade. 

Albumblatt wurde im 19. und beginnenden 20. Jh. 
als Bezeichnung fiir ein ->• Charakterstiick beliebiger 
Form gewahlt, das den Eindruck eines schnell hinge- 
worfenen Einfalls erweckt. Beispiele stammen von 
Schumann (Fiinf Albumblatter fiir Kl. in op. 99; Album- 
blatter op. 124 als Sammelbezcichnung fiir 20 anders 
betitelte Klavierstiicke), Reger (op. 36 Nr 2 und op. 44 
Nr 1, beide fur Kl. ; op. 87 Nr 1 fur V. und KL), Skrja- 
bin (Feuillet a" album op. 58, um 1910) und Busoni (3 Al- 
bumblatter fur Kl., 1917 und 1921; A. fur Fl. und Kl., 
1917). 

Aleatorik (von lat. alea, Wurfel), nach 1950 in der 
Kompositionspraxis der Neuen Musik aufgekomme- 
ner Begriff . Aleatorisch nennt W. Meyer-Eppler (1955) 
Vorgange, deren Verlauf im groben festliegt, im einzelnen 
aber vom Zufall abhangt. Rechnerisch konnen solche Vor- 
gange mit den Methoden der Statistik erfafit werden. Musi- 
kalisch umfafit das Gebiet des Aleatorischen alles, was nicht 
nn den Noten« steht. Historisch kann die A. in Bezie- 
hung gesetzt werden zu Praktiken der Ars inveniendi, 
so zu Guido von Arezzos Anweisung, jedem Vokal 
eines Gesangstextes einen Ton zuzuordnen und so zu- 
fallige melodische Folgen zu erzielen, auch zu dem 
Verfahren des Prager Zisterziensers Mauritius Vogt, 
verschieden gebogene Hufnagel, die melodische Wen- 
dungen kennzeichnen sollen, durcheinanderzuschut- 
teln und aus der so entstehenden Reihenfolge Musik- 
stiicke zusammenzusetzen, schlieBlich zu den musi- 
kalischen Wiirfelspielen Kirnbergers, Haydns und 
Mozarts (Erwiirfein der Taktfolgen und Perioden 
eines Menuetts, Walzers und dergleichen). In der 
Neuen Musik tritt die A. zunachst in Erscheinung 
als Reaktion auf die rechnerisch-mechanistische Ver- 
fahrensweise, in der die serielle Kompositionstechnik 
zu veroden drohte. Gewisse Anregungen gingen 
dabei von dem Amerikaner Cage aus, der auf den Do- 
naueschinger Musiktagen 1954 Music for prepared pianos 
vorfiihrte, deren Klanggestalt und f ormaler Ablauf im 
groBen wie im einzelnen vollig dem Zufall iiberlassen 



bleiben, wobei Cage sich auf chinesische Denkweisen 
beruf t. Gegen die Ubernahme einer orientalisch getunch- 
ten Philosophie wandte sich Boulez in seinem Vortrag 
Alea auf den Darmstadter Internationalen Ferienkur- 
sen fiir Neue Musik 1957, der bis heute die fundamen- 
tal Auseinandersetzung mit der A. seitens der Kom- 
ponisten geblieben ist. Was Boulez unter aleatorisch, 
d. h. zuf allig, in der Musik verstanden haben will, leitet 
er aus seinen kompositorischen Erfahrungen ab, nach 
denen es ausgeschlossen sei, alle Moglichkeiten uorauszu- 
sehen, die einem Ausgangsmaterial einbeschrieben sind . . . 
Komposition ist es sich schuldig, in jedem Augenblick eine 
Vberraschung in Bereitschaft zu halten trotz aller Rationali- 
ty, die man im ubrigen sich auferlegen mufi, um etwas Ge- 
diegenes zustandezubringen. Boulez' Auffassung, daB Zu- 
fall in der Komposition identisch mit Uberraschung sei, 
deckt sich mit der philosophischen Definition des Zu- 
falls als eines Eintretens unvorhergesehener Ereignisse. Mit 
der Bemerkung, daB der Zufall stets in die Ausarbeitung 
hineinfahre, daB er also integraler Bestandteil eines 
Kompositionsprozesses sei, unterwirft Boulez den Be- 
griff der A. zugleich einer Einschrankung : Wie in Mo- 
zarts Wurfelspiel kann auf die Ausarbeitung vonWerk- 
partikeln, die nicht dem Zufall unterworf en sind, nicht 
verzichtet werden. Bestatigt werden diese Gedanken- 
gange durch zwei ebenfalls im Jahr 1957 erschienene 
Kompositionen: die 3. Klaviersonate von Boulez und 
das Klavierstiick XI von K. Stockhausen. Beide Stiicke 
gehorchen insofern dem aleatorischen Prinzip, als ihr 
formaler Ablauf im groben festliegt, und zwar durch 
jeweilige Abfolgen auskomponierter Partikel, im ein- 
zelnen jedoch vom Zufall abhangt, namlich von der 
nicht vorherbestimmten Wahl der Partikel, die aufein- 
anderfolgen sollen. Boulez gebraucht den Vergleich 
von verschiedenen Fahrbahnen innerhalb eines Wer- 
kes, wobei der Zufall die Rolle der Weichenstellung 
spiele, die erst in dem Augenblick einer Realisation er- 
f olge, in dem sich der Interpret fiir eine der Fahrbahnen 
entscheiden miisse. Symptomatisch wird, daB dem In- 
terpreten die Rolle des Weichenstellers zufallt, daB 
Realisation also nicht mehr allein nachschopferischer, 
sondern nebenschdpferischer Akt wird, allerdings von 
Boulez folgendermaBen begrenzt: Darf der Interpret 
nach seinem Belieben den Text modifizieren, so mufi diese 
Modifikation im Notentext bereits impliziert sein. . . . Auf 
diese Weisefuhre ich durch den Notentext eine Notwendig- 
keit desZufalls in die Interpretation ein: den dirigierten Zu- 
fall. Zur formalen Entwicklung innerhalb der seriellen 
Kompositionstechnik hat die A. insofern beigetragen, 
als sie die sogenannte ojfene Form ermoglichte, d. h. 
eine formale Konzeption, die auf Austauschbarkeit von 
Werkpartikeln, wie auf standigen, vom Aleatorischen 
hervorgerufenen Variierungen beruht. Darin beriihrt 
sich die musikalische A. mit gewissen Tendenzen der 
neueren franzosischen Literatur (Mallarme), denen 
auch Boulez wesentliche asthetische Einsichten ver- 
dankt. Im Gegensatz zur primitiven Zufalligkeit bei 
Cage konnte die A. als Lehre vom »gelenkten Zufall« 
bezeichnet werden. 

Lit. : A. Schering, Geschichtliches zur ars inveniendi in d. 
Musik, JbP XXXII, 1925 u. in: Das Symbol in d. Musik, 
hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz. 1941; P. Lowenstein, Mozart- 
Kuriosa, Zf Mw XII, 1929/30 ; O. E. Deutsch, Mit Wurfeln 
komponieren, ebenda; H. Geriok, Wurfelmusik, ZfMw 
XVI, 1934; A. Feil, Satztechnische Fragen in d. Kompo- 
sitionslehren v. Fr. E. Niedt, J. Riepel u. H. Chr. Koch, 
Diss. Heidelberg 1955, S. 66ff. ; W. Meyer-Eppler, Statisti- 
sche u. psychologische Klangprobleme, in: die Reihe I, 
Wien 1955; P. Boulez, Alea, in: Darmstadter Beitr. zur 
Neuen Musik I, Mainz (1958); E. Thomas, Was ist A.?, 
Melos XXVIII, 1961; W. S. Newman, Kirnberger's Me- 
thod for Tossing ofFSonatas, MQXLVII, 1961. ET 



25 



Aliquotsaiten 

Aliquotsaiten, Resonanzsaiten, Sympathiesaiten, sind 
Saiten, die nur durch ->• Resonanz zum Klingen ge- 
bracht werden. Sie finden sich z. B. an der indischen 
Sarangi und der Hardanger Fiedel. Playford (1661) zu- 
folge wurden sie, aus dem islamischen Raum kom- 
mend, zuerst um 1600 durch das Mitglied der Chapel 
royal Daniel Farrant auf die -»■ Viola bastarda iibertra- 
gen. A. haben die -*■ Viola d'amore, das -*■ Bary ton - 1) 
und gelegentlich das Pianoforte (Aliquotfliigel). 

Aliquotstimmen heiBen die Register der Orgel, die 
zu den Grundstimmen als selbstandige Realisierung 
von Obertonen (Aliquoten) hinzutreten, also Quinten, 
Terzen, Septimen, Nonen und (selten) noch hohere 
Teiltbne, dazu auch zuweilen die Oktaven von 2' auf- 
warts. Sie stehen in reinen (nicht temperierten) Inter- 
vallen zu den Grundstimmen, um mit ihnen zu einem 
synthetischen Klang zu verschmelzen. Zu welchen 
Grundstimmen die A. als Obertone gehoren, ersieht 
man, wenn man die FuBtonbezeichnung in einen einfa- 
chenBruch verwandelt, z. B.: Quinte 2 2 / 3 ' = 8/3', d. h. 
3. Teilton zu einer 8'-Stimme; Terz 13/ 5 ' = 8/ 5 ' ( d. h. 
S.TeiltonzueinerS'-StimmeiQuinteSVs' = 16 /3',ih- 
3. Teilton zu einer 16'-Stimme. Die Taste C ergibt also 
in diesen Registern f olgende Tone : 



Quinte 

22/3' 



Terz 

1 ■%' 



Quinte 
5W 



Die Vereinigung mehrerer Aliquoten in einem Re- 
gister ergibt -*■ Gemischte Stimmen. 

Aliquottone ->• Teiltone. 

Allabreve (ital.) ist ein 2/2- oder 4/2-Takt mit der 
halben Note als Zahlzeit; der 2/2-Takt wird durch die 
Zeichen 0, C2 oder 2 gefordert, der 4/2-Takt, auch 
alia cappella oder groBer A.-Takt genannt, durch das 
Zeichen . - Der Schlag nach der Brevis (Tactus alia 
breve) umfaBte im 15. und 16. Jh., im Unterschied zur 
neueren Praxis, je eine Semibrevis (ganze Note) im 
Nieder- und Aufschlag : o o . Bezogen auf das unver- 

kiirzte Tempus (Tempus non diminutum), das unter 
dem Zeichen C notiert und in der Regel alia semibreve 

A A geschlagen wurde, bedeutete das durch die Zeichen 

<t und C2 geforderte und alia breve taktierte verkiirzte 
Tempus (Tempus diminutum) eine Halbierung des 
Zeitwertes, der realen Dauer der Noten; der ->• Tactus 
hatte - wenigstens in der Theorie - immer das gleiche 

ZeitmaBC A A = (t o » . Seit dem spaten 16. Jh. wurde 

MM 

allmahlich der Tactus alia semibreve A A des unver- 

i t 
kiirzten Tempus durch den 2/4- oder 4/4-Schlag 

J J oder J J J J verdrangt und entsprechend der Tac- 

M *->--t 

tus alia breve des verkiirzten Tempus <$ durch den 

2/2- oder 4/2-Schlae J J oder sJ J J J ; die Bezeich- 

M. + -- t 

nung A. aber wurde beibehalten, obwohl der 2/2- 
Schlag eigentlich ein Tactus alia semibreve ist. Um 
1700 wurden vor allem Tanze in raschem ZeitmaB 
(Gavotte, Bourree, Rigaudon) im 2/2-A. notiert; J. 
Pezel (1669 und 1686) undR.I.Mayr(1692) gebrauchen 
A. auch als Satzbezeichnung. Vom kleinen A., dem 
2/2-Takt, ist der groBe A., der 4/2-Takt, zu unterschei- 
den, der im 17. und 18. Jh. in Satzen im alten Stil (stile 
antico, stylus gravis) verwendet wurde (Gratias der 
H moll-Messe von Bach). 



Lit. : G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, = Kleine 
Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; Fr. Roth- 
schild, The Lost Tradition in Music, London 1953, dazu 
A. Mendel, MQ XXXIX, 1953; I. Herrmann-Bengen, 
Tempobezeichnungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, 
Tutzing 1959; C. Dahlhaus, Zur Entstehung d. modernen 
Taktsystems im 17. Jh., AfMw XVIII, 1961 ; ders., Zur 
Taktlehre d. M. Praetorius, Mf XVII, 1964 ; H. O. Hiekel, 
Der Madrigal- u. Motettentypus in d. Mensurallehre d. 
M. Praetorius, AfMwXIX/XX, 1962/63. 

alia polacca (ital.), nach Art der -> Polonaise, im 
Polonaisentakt (z. B. Beethoven, Rondo a. p. im Tri- 
pelkonzert op. 56). 

allargando, slargando (ital), s.v.w. breiter (lang- 
samer) werdend; oft statt ritardando (rallentando) ge- 
braucht, wenn die Tonstarke wachsen soil (agogische 
Stauung). 

alia siciliana ('alia sitfilj'a:na, ital.), nach sizilianischer 
Weise, in der Art des -> Siciliano (z. B. CM. v. We- 
ber, op. 60/5). 

alia turca (ital.), s. v. w. auf turkische Art; -> Jani- 
tscharenmusik. 

alia zingarese (ital.), in der Art der Zigeunerweisen 
(z.B. Brahms, Finale des Klavierquartetts G moll op. 
25, Rondo a. z.). 

Allegretto (ital.; Abk.: Alltto, Diminutiv von Al- 
legro), bedeutet ein wenig munter, oderfrolich, aber dock 
auf eine angenehme, artige und liebliche Art (J. G. Walther 
1732, nach Brossard 1703). Das Diminutiv erweckt die 
Vorstellung einer leichten und anmutigen Bewegung, 
d'un mouvement gracieux et leger (Castil-Blaze 1821). 
Das metronomische ZeitmaB eines A. kann sich einer- 
seits dem eines Allegro moderato (Beethoven, op. 14, 1), 
andererseits dem eines Andante con moto nahern 
(Beethoven, op. 92) ; die graziose Akzentuierung aber 
wirkt als MaBigung des Tempos, als Verlangsamung 
des Allegro und als Beschleunigung des Andante. Das 
Muster der A.-Bewegung ist das (stilisierte) Menuett 
des 18. Jh. (D. Scarlatti, J. Haydn). 
Lit.: I. Herrmann-Bengen, Tempobezeichnungen, = 
Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959. 

Allegro (ital. ; Abk. : Alio) bedeutet heiter, lustig, hat 
aber als Tempobezeichnung die Bedeutung von schnell 
erhalten und wird in Zusammensetzungen gebraucht, 
die gegenuber dem italienischen Wortsinn pleonastisch 
(A. giocoso, lustig-heiter) oder widersinnig (A. irato, 
lustig-zornig) erscheinen. - In Oberschriften wie Fan- 
tasia allegra (A.Gabrieli 1596) und Symphonia allegra 
(B.Marini 1611) bedeutet A. nichts anderes als heiter; 
noch L.Mozart (1756) halt am ursprunglichen Wort- 
sinn fest. Andererseits war A. bereits im friihen 17. Jh., 
als man anfing, Wortbezeichnungen fiir musikalische 
Bewegungsarten zu gebrauchen, eher eine Tempo- als 
eine Affektvorschrift (Banchieri, La Battaglia, 1611; 
Frescobaldi, 1628 und 1635). Ein Unterschied zwischen 
A. und Presto bestand im 17. Jh. noch nicht oder nur in 
schwachen Ansatzen. Erst im 18. Jh. setzte sich die Re- 
gel durch, daB Presto ein schnelles und A. ein zwar 
heiter bewegtes, aber nicht hastiges ZeitmaB sei (Bros- 
sard 1703; J.J.Rousseau 1767). Das A.-Temposchlie6t 
die Moglichkeit eines singenden A. (A. cantabile) ein. 
Das von Quantz angegebene ZeitmaB entspricht M. M. 
120. Doch ist der Versuch, eine Norm festzusetzen, 
nicht unbedenklich. Der Sinn der A.-Vorschrift ist so- 
wohl von der Taktart als auch vom Notenwert der 
Zahlzeit abhangig. Das ZeitmaB der Tripeltakte ist im 
allgemeinen rascher als das der geraden Takte (J. Gras- 
sineau 1740), und die Achtelnote eines A. im 3/8-Takt 
ist etwas schneOer als die Viertelnote eines A. im 3/4- 



26 



Alleluia 



Takt, nicht doppelt so schnell (Achtelnote = Achtel- 
note) und nicht ebenso schnell (Zahlzeit = Zahlzeit). - 
Piu a. und A. molto bedeuten eine Steigerung, meno 
a., A. moderato, A. ma non troppo und A. ma non 
tanto eine MaBigung des A.-Tempos. Die Vorschrift 
A. con brio (feurig) schlieBt oft, aber nicht immer eine 
Beschleunigung ein. Der Zusatz assai (ital. sehr, genug) 
ist doppeldeutig; nach L.Mozart (1756), dessen Erkla- 
rung dem vorherrschenden Wortgebrauch entspricht, 
bedeutet assai eine Beschleunigung des A., nach J.-J. 
Rousseau (1767) eine geringe Verlangsamung. Der 
Superlativ Allegrissimo ist seit dem 17. Jh. nachweis- 
bar (V.Jelich 1622; C.Pallavicino 1687), wird aber 
selten verwendet. 

Lit.: BrossardD, engl. v. J. Grassineau, London 1740; 
Mozart Versuch ; A. Scherino, Zur Entstehungsgesch. d. 
Orchestera., Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 
1930; R. E. M. Harding, Origins of Mus. Time and Ex- 
pression, London 1938; St. Deas, Beethovens »A. assai«, 
ML XXXI, 1950; H. Beck, Bemerkungen zu Beethovens 
Tempi, Beethoven-Jb. II, 1955/56; I. Herrmann-Bengen, 
Tempobezeichnungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, 
Tutzing 1959 ; C. Dahlhaus, Zur Entstehung d. modernen 
Taktsystems im 17. Jh., AfMw XVIII, 1961. CD 

Alleluia ist die in der Vulgata und damit auch im 
gregorianischen Choral gebrauchliche Form des he- 
braischen Gebetsrufes hallelu-jah - Preiset Jah(we), 
welcher sich erstmals um 700 v. Chr. im Alten Testa- 
ment bei Tobias 13, 22 (Vulgatazahlung) findet, vor 
allem jedoch als Zusatz (d.h. Unter- oder tjberschrift) 
zu mehreren Psalmen uberliefert wird. Nach dem 
Zeugnis Augustins wurde dieser Ruf von der christ- 
lichen Antike propter sanctiorem auctoritatem in seiner 
hebraischen Form belassen (De doctrina Christiana, 
lib. II, 11, Corpus Christianorum XXXII, 42). Inner- 
halb des jiidischen Gottesdienstes bildete das A. eine 
feierliche liturgische -» Akklamation (Responsum),mit 
der die Gemeinde auf den solistischen Psalmengesang 
antwortete. Von hier fand es Eingang in die Psalmodie 
der friihchristlichen Kirche (altester Hinweis um 200 
bei Tertullian, De oratione, cap. XXVII, Corpus Chri- 
stianorum I, 273). Seit dem 4. Jh. mehren sich die Be- 
richte iiber seine (auch auBerliturgische) Verwendung. 
Wie aus ihnen erhellt, wechselte diese nach den einzel- 
nen Kirchen-Gebieten, indem man den jiidischen 
Brauch, das A. nur in den A.-Psalmen zu singen, teils 
erweiterte, teils beibehielt. Uber den A.-Gesang im 
Stundengebet der agyptischen Monche liegen einige 
Angaben des Johannes Cassianus vor (De institutis 
coenobiorum, entstanden 419-26, lib. II, 5 u. II, 11, Cor- 
pus scriptorum ecclesiasticorum latinorum XVII, 22 u. 
27) ; Benedikt von Nursia widmete diesem Gegenstand 
Kapitel 15 seiner Ordensregel (Corpus scriptorum . . . 
LXXV, 63£.). Wann das A. in die romische MeBfeier 
aufgenommen wurde, ist nicht gesichert uberliefert. 
Die briefliche Erklarung Papst Gregors des GroBen, 
nach welcher es unter Damasus I. ("f" 384) auf Rat des hi. 
Hieronymus eingefiihrt worden sei (Epist. lib. IX, 12, 
Migne Patr. lat. LXXVII, 956, auch bei Wellesz), lafit 
sich ebensowenig uberzeugend stiitzen wie der Bericht 
des griechischen Kirchenhistorikers Sozomenus uber 
eine ausschlieBliche Verwendung in der Messe vom 
1. Ostertag (Kirchengeschichte, um 440-50, Buch VII, 
19, ed. J.Bidez, S.330). Doch diirfte der, zunachst wohl 
auf die Osterzeit beschrankte, Gebrauch des A. seit 
dem spaten 4.Jh. allmahlich weiter ausgedchnt worden 
sein und die noch heute verbindliche Regelung zur 
Zeit Gregors ihren AbschluB gefunden haben. - Unter 
den verschiedenen Formen, in denen das A. in Messe 
und Offizium begegnet, stellt das responsorische A. 
der Missa in cantu einen liturgisch wie musikalisch 



gleichermaBen bedeutsamen Hohepunkt dar (3. Ge- 
sang des Proprium missae). Im romischen und mailan- 
dischen Gottesdienst vor dem Evangelium erklingend, 
ist es gleich den ubrigen Zwischengesangen (Graduale, 
Tractus, Sequenz) als »selbstandiges Glied«(Jungmann) 
der liturgischen Handlung ausgezeichnet. Sein Vor- 
trag erstreckt sich uber das ganze Kirchenjahr ohne 
Fasten- und Vorfastenzeit (ab Septuagesima), in der es 
gewohnlich durch den Tractus ersetzt wird (ebenso im 
Requiem). Ohne A. bleiben ferner die Quatembertage 
im Advent und im September. Demgegeniiber enthalt 
das MeBformular vom Samstag der Osterwoche bis 
zum Quatemberfreitag nach Pfingsten unter Fortfall 
des Graduale zweifachen A.-Gesang. 
Das gregorianische MeB-A. wird durch eine meist 
kurzgliedrige melodische Phrase iiber den Silben des 
Wortes A. eroffnet, welcher sich der sogenannte Ju- 
bilus (neuma), d.h. ein auf dem SchluBvokal gesunge- 
nes langeres Melisma, anschlieBt (-* Sequenz). Hierauf 
folgt der Versus (V) mit seinen weitgespannten, 
auflerst kunstvollen Melismen. Schon in den altesten 
erreichbaren Quellen ist eine Koppelung von A. und 
einem oder 2 Versus durchgef iihrt (vgl. Codex Monza, 
8.Jh., in: Antiphonale Missarum Sextuplex, hrsg. von 
R.-J.Hesbert, Brussel 1935). Die Frage nach der Her- 
kunft des Versus - ob Uberrest der alten responsori- 
schen Psalmodie oder spaterer Zusatz - konnte noch 
nicht einheitlich gelost werden. Seine Texte sind vor- 
wiegend dem Psalter entnommen. Den AbschluB des 
A.-Gesanges bildet die Repetition von A. + Jubilus. Im 
einzelnen gesehen griindet sich die melodische Struk- 
tur der Jubili mit wenigen Ausnahmen auf das Prinzip 
der (exakten oder leicht veranderten) Wiederholung, 
wobei die Form a a b absoluten Vorrang hat. Hingegen 
greifen die Versus gewohnlich auf das melodische 
Material des A.-Abschnittes zuriick. Auch klingen sie 
fast immer in eine Wiederholung des Jubilus aus. Un- 
tersuchungen stilistischer Kriterien ermoglichen eine 
chronologische Abgrenzung. So gehoren jene weni- 
gen, vornehmlich im 2. und 8. Modus stehenden A., 
deren Versus ohne Repetition des Jubilus endet, einer 
archaischen Schicht an (A. der 3 Weihnachtsmessen), 
wahrend die in den meisten Melodien nachweisbare 
Identitat von Verscoda und Jubilus, d. h. deren »sym- 
metrische Melismatik« (P.Wagner), auf eine spatere 
Entstehung (vermutlich ab 8./9. Jh.) schlieBen laBt. 
Innerhalb der zweiten Gruppe bildet die zunehmende 
Ausweitung des Ambitus neben stufenformigen me- 
lodischen Wendungen weitere Ansatzpunkte fur eine 
zeitliche Differenzierung. - Zahlreiche A.-Gesange ent- 
standen auch durch das bereits im Mittelalter weitver- 
breitete Verfahren, bestimmten A.-Melodien neue 
Texte zu unterlegen. Ihre Zahl umfaBt im heutigen 
Graduale etwa ein Drittel aller Stiicke (P.Wagner, Ein- 
fiihrung III, S. 404f.). - Seiner responsorischen Form 
entsprechend verteilt sich der Vortrag des A. auf So- 
list(en) und Chor (Graduale Romanum: De ritibus 
servandis in cantu Missae IV, so auch schon im Ordi- 
narium von Baycux, 13. Jh.) : A. (Solist) - A. + Jubilus 
(Chor) - Versus (Solist mit Verscoda durch den Chor) 
-Wiederholung von A. (Solist) + Jubilus (Chor). Letz- 
tere unterbleibt an den Bittagen und an den Quatem- 
bertagen nach Pfingsten. Bringt das Formular zwei 
aufeinanderf olgende A., so entfallt am Ende des 1 . Stiik- 
kes die Wiederholung von A. + Jubilus und zu Beginn 
des 2. Gesanges die A.-Repetition durch den Chor. 
Im Unterschied zum gregorianischen A. besitzen die 
A.-Gesange der mailandischen (hier: Hallelujah) und 
altspanischen Liturgie, ebenso diejenigen des altromi- 
schen Chorals, eine weitaus reichere musikalische Ge- 
stalt. Ihre Bezeichnung im altspanischen Ritus ist Lau- 



27 



Allemande 



des (heute Lauda). AuBer in seiner responsorischen 
Form findet das A. Verwendung 1) als A.-Antiphon, 
so genannt nach dem Text, der sich aus der ein- oder 
mehrfachen Wiederholung des Wortes A. zusammen- 
setzt. Die Melodie dieser nur in der Psalmodie des Of- 
fiziums und in der Osternachtsfeier befindlichen Stiicke 
ist haufig von Modellen gepragt; 2) als Anhang zu ei- 
ner Reihe liturgischer Formen in Messe und Stunden- 
gebet. So schlieBen die Introitus-, Offertoriums- und 
Communio-Gesange der Messe, desgleichen die Anti- 
phonen und Responsorien des Offiziums wahrend der 
osterlichen Zeit durchgehend mit dem A., in der Oster- 
woche auch die Entlassungsrufe he missa est (Messe) 
und Benedicamus Domino (Offizium: Laudes und Ves- 
per, in letzterer ebenfalls am Samstag vor Septuagesi- 
ma). Als ein Element der Verfeierlichung stent das A. 
hingegen am Ende der Doxologie zu den Eingangs- 
worten des Stundengebetes (Deus in adiutorium meum 
intende; in der Vorfasten- und Fastenzeit hier an Stelle 
des A. : Laus tibi, Domine, Rex aeternae gloriae) sowie am 
SchluB der Versikel und Responsa in Laudes und Ves- 
per aller hoheren Feste (vgl. dazu die entsprechenden 
Abschnitte der Toni communes von Graduale und Anti- 
phonale, ferner die Neuregelungen im Novus Codex 
Rubricarum von 1960). 

Lit. : U. Chevalier, Ordinaire et coutumier de 1'eglise ca- 
thedrale de Bayeux, = Bibl. liturgique VIII, Paris 1902; P. 
Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I 
u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wies- 
baden 1962; D. Johner OSB, Die Sonn- u. Festtagslieder 
d. vatikanischen Graduale, Regensburg 1928; A. Atjda, 
Les modes et les tons, Liittich 1931 ; P. Ferretti OSB, Es- 
tetica Gregoriana I, Rom 1934, frz. v. A. Agaesse als Esth6- 
tique gregorienne I, Tournai 1938; J. Glibotic, De cantu 
»Alleluja« in Patribus s. VII antiquioribus, Ephemerides 
liturgicae L, 1936, frz. in: Rev. du chant gregorien XLI- 
XLII, 1937-38; C. Callewaert, L'ceuvre liturgique de S. 
Gregoire, Rev. d'hist. ecclesiastique XXXIII, 1937; D. J. 
Froger, L'A. dans l'usage romain et dans la reforme de 
SaintGregoire, Ephemerides liturgicae LXII, 1948 ; L. Brou 
OSB, L'A. dans la liturgie mozarabe, AM VI, 1951 ; M. B. 
Cochrane, The A. in Gregorian Chant, JAMS VII, 1954; 
E. Wellesz, Gregory the Great's Letter on the »A.«, Ann. 
mus. II, 1954; H. Husmann, A., Vers u. Sequenz, ebenda 
IV, 1956; ders., Die A. u. Sequenzen d. Mater-Gruppe, 
Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., Iustus ut palma . . ., RBM X, 
1956 ; ders., Zum GroBaufbau d. Ambrosianischen A., AM 
XII, 1957; ders., A., Sequenz u. Prosa im altspan. Choral, 
Fs. H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; ders., Das Graduale 
v. Ediger, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962; W. Irten- 
kauf, Die A.-Tropierungen d. Weingartner Hss., in: Fs. 
zur 900-Jahrfeier d. Klosters Weingarten, 1956; W. Apel, 
Gregorian Chant, Bloomington (1958); E. Jammers, Ein 
spatma. A., Mf XII, 1 959 ; E. Werner, The Sacred Bridge, 
London u. NY 1959; Die griech. christlichen Schriftsteller 
d. ersten Jh. L, hrsg. v. J. Bidez, Bin 1960; E. Gerson-Ki- 
wi, Halleluia and Jubilus in Hebrew-Oriental Chant, Fs. 
H. Besseler, Lpz. 1961 ; P. Rado, Enchiridion Liturgicum, 
2 Bde, Rom, Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961 ; Br. Stab- 
lein, Zur Fruhgesch. d. Sequenz, AfMw XVIII, 1961; 
ders., Der Tropus »Dies sanctificatus« zum A. »Dies 
sanctificatus«, StMw XXV, 1962; ders., Das sogenannte 
aquitanische »A. Dies sanctificatus« . . ., in: H. Albrecht 
in memoriam, Kassel 1 962 ; ders., Zwei Textierungen d. A. 
Christus resurgens in St. Emmeram-Regensburg, in: Or- 
ganicae voces, Fs. J. Smits van Waesberghe, Amsterdam 
1963; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, 
Freiburg i. Br. u. Basel 51962. - F. Cabrol, Artikel A. 
(Acclamation liturgique), in: Dictionnaire d'archeologie 
chretienne et de liturgie I, Paris 1924; H. Engberding, Ar- 
tikel A., in: Reallexikon f. Antike u. Christentum I, Stutt- 
gart 1950; R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u. 
Munchen (1962). KWG 

Allemande (alm'a:d, eigentlich danse a., frz.; ital. 
allemanda; engl. alman; s. v. w. »deutscher« Tanz), 
einer der bekanntesten geradtaktigen Tanze im 16. Jh. 



und vor allem im Barockzeitalter. Gegen 1550 begeg- 
net sie erstmals gleichzeitig in England, Frankreich und 
den Niederlanden : in einem Lautendruck von P. Pha- 
lese als Almanda (in: Carmina pro Testudine 1546/47), 
zwischen 1546 und 1550 fur Laute bei Attaingnant, 
und 1551 in einer niederlandischen Tanzsammlung bei 
Susato. Diese friihe Form der franzosisch-niederlandi- 
schen A. steht im geraden Takt von mittlerem Tempo 
und wird oft mit einem schnellen, gesprungenenNach- 
tanz im Dreiertakt (Recoupe, Saltarello) verbunden. 
Arbeau erklart die A. in seiner Orchhographie (1588) 
als hoffahigen Tanz und gibt eine ausf uhrliche choreo- 
graphische Beschreibung an Hand eines Notenbeispiels. 
Demnach wird die A. von mehreren Paaren getanzt, 
wobei keine bestimmte Taktzahl vorgeschrieben ist. 
Der Aufbau zweier A.n schematisch : 



||: A :||: B :||: C :|| 
(Takte) 4+4 4 4+4 



oder 



A 
6 



B : : C 
4 8 



f"r J t? k 1 }t 



^ 



« 



J J 



^ 



J «> J J 



f=^ 



M 



$mm 



m 



j j j 



j^m 



i 






m 



j j 



^ 



P. Phalese, Liber primus leviorum carminum (1571), 
Nr 9 Almande d' amours. 

Bei den englischen »Virginalisten« wird die A. zum 
stilisierten Spielstiick. Der Englander W. Brade mach- 
te mit seinen 1609-21 in Hamburg erschienenen fiinf 
groBen Tanzsammlungen die Deutschen mit der A. 
bekannt. Gleichzeitig veroffentlichte Th. Simpson in 
Deutschland drei umfangliche Tanzsammlungen, in 
Stimmbuchern gedruckt und fur instrumentales En- 
semble bestimmt. Diese A.n sind jenen in Deutschland 
bekannten Tanzen des 16. Jh. ahnlich, die schlicht 
»Dantz« hieBen. Wahrend diese jedoch vierstimmig 
gesetzt und vom (gesungenen) Tanzlied (Ballo) abhan- 
gig sind, zeigen die englischen A.n im 5st. Satz kontra- 
punktische Ziige sowie starker instrumentalen Charak- 
ter. Schein ist der erste deutsche Musiker, der den Na- 
men A. von den Englandern aufgreift, ohne jedoch 
damit auch deren Satztechnik zu ubernehmen. In sei- 
nem Banchetto Musicale (1617) bestehen die Suiten aus 
5st. Padouana und Gagliarda, meist 5st. Courente und 
dem 4st. Tanzpaar A.-Tripla. Die A.n unterscheiden 
sich in nichts von dem alteren deutschen »Dantz«. Sie 
sind zwei- bis dreiteilig mit folgendermaBen propor- 
tionierten Taktverhaltnissen : 8/6/8, 4/6/6, 8/8/12, 4/6, 
4/8, 8/6. In diesen Zusammenhang gehbren auch die 
3 A.n von S. Scheidt (Paduana, Galliarda, Couranta, Ale- 
mande, Intrada ..., 1621). Scheins und Scheidts A.n 
entsprechen dem, was Morley und dann M. Praetorius 
(Synt. Ill, 25) iiber die A. schreiben. Bei jiingeren 
deutschen Musikern zeigt die A. im Unterschied zu 
Schein die Stilisierungsabsicht, etwa bei Rosenmiiller 
(Studenten-Music 1654 und Sonate da camera 1667). 
Hier fehlen die gleichmaBig abgegrenzten Einzelglie- 
der zugunsten einer weitraumiger angelegten Melodik 
und rhythmischen Reichhaltigkeit. Es folgen J.Pezel 
(Musica vespertina Lipsiaca 1669), dessen 3-5st. A.n in 
ihrem feierlich-gravitatischen Charakter und den 
rhythmischen Punktierungen franzosische Einwirkung 
erkennen lassen. Diese wird mit den 1670er Jahren zu- 



28 



Alma redemptoris mater 



nehmend deutlicher. Schon Bleyer z. B. schreibt die A. 
(sowie die anderen Tanze) in seiner Lust-Music nach 
ietziger Frantzosischer Manier, ebenso dann ReuBner. 
Kennzeichnend sind der kurzatmige, franzosisch punk- 
tierte Stil, Leichtigkeit und Eleganz in der Stimmbe- 
wegung. Die letzten Ensemble-A.n finden sich bei R. I. 
Mayr (Pythagorische Schmids-Funcklein 1692), G.Muffat 
(Florilegium Primum 1695) und Schmierer (Zodiaci Mu- 
sici in XII Partitas Balleticas I, 1689). - Einen neuen A.n- 
Typus schaffen die franzosischen Lautenmeister des 
17. Jh. Im Unterschied zu der in 2- und 4-Taktgruppen 
bestehenden alteren franzosischen Lauten-A. ver- 
schwinden in diesem neuen Typus die liedartigen Zii- 
ge sowie die scharfe tanzmaBige Akzentuierung. Da- 
fiir wird die freie Fortspinnung der melodischen Linie 
gepflegt und eine vorgetauschte Polyphonie (style 
brise). Die A. ist hier ein Spielstuck von zartem Cha- 
rakter. Sie steht meist am Anfang einer Folge vonTan- 
zen und wird oft mit mythologischen Titeln verbun- 
den. Ihre 3teiligen Formen verschwinden zugunsten 
der 2teiligen. Die Stilisierung laBt immer haufiger un- 
gerade Taktzahlen entstehen, und ein praludienhafter 
Grundzug setzt sich durch. Um 1650 wurde diese Lau- 
ten-A. von den franzosischen »Clavecinisten« iiber- 
nommen (Chambonnieres, L.Couperin, Le Begue, 
d'Anglebert). Einen zusatzlichen EinfluB durch die 
franzosische Oper und die italienische Kammermusik 
zeigen die A.n von Fr. Couperin; auffallend ist die 
italienische Sequenztechnik, die auf Chambonnieres 
zuriickgreifenden Kopfmotive und die italienischen 
weiblichen Phrasenschliisse. Klangpracht und bestrik- 
kende Grazie kennzeichnen den Charakter der A. 

Majestueusement, sans lenteur 

" -J- 




Fr. Couperin, La Logiviere, 

A. aus Pieces de Clavecin, Primier Livre, 

Paris 1713, CinquiSme Ordre, Nr 1. 

Die wenigen A.n Rameaus zeigen den italienischen 
EinfluB noch deutlicher. - In Italien begegnen A.n seit 
dem beginnenden 17. Jh. B.Marini hat in seinen Affetti 
musicali (1617) einen Balletto Alemano (II monteverde) 
mit der italienischen Besetzung V., BaB und Continuo; 
seine Sammlung von 1626 mit 3 Baletto Alemano ge- 
nannten Stiicken, die ebenfalls eine italienische Be- 
setzung haben (2 V. und Chitarrone), zeigen unver- 
kennbar deutschen EinfluB, etwa in den typischen 
SchluBkadenzen, den codaartigen Anhangseln und den 
Wiederholungen 2taktiger Phrasen auf verschiedenen 
Stufen. C. Farina bringt in seinen 5 Buchern mit Tan- 
zen (Dresden 1626/28) Balletti Allemanni. In die italieni- 
sche Kammersonate ist die A. jedoch offensichtlich um 
1660 iiber die franzosische Lautenmusik gelangt (Co- 
relli, Vivaldi, Veracini). Eine aus der Kanzone gewon- 



nene neue Form der A. zeigt die variierte Wiederholung 
des l.Teils als SchluB des zweiten: ||: A :||: B+A' :||, 
so daB eine Dreiteiligkeit innerhalb der 2teiligenWie- 
derholungsform erscheint. In der italienischen Trio- 
sonate begegnet die A. mit noch verstarkter Stilisie- 
rung. Auf Frobergers A. paBt die Charakterisierung, 
mit der Mattheson die A. allgemein bedenkt: sie sei 
eine gebrochene, ernsthaffte und wol ausgearbeitete Har- 
monie, welche das Bild eines zufriedenen und vergniigten 
Gemiiths tragt, das sich an guter Ordnung und Ruhe er- 
getzet. Es f olgen mit A.n : Poglietti, F. T. Richter, J.J. 
Fux, Gottl. Muffat, Pachelbel, J.Krieger, J. C.F.Fi- 
scher, Kuhnau, V. Lubeck, Handel und J. S. Bach. Bachs 
A.n, die auf proportionierter Zweiteiligkeit beruhen 
(z.B. 16/16, 12/12, 12/16, 8/12, 24/32), fassen die viel- 
faltigen Moglichkeiten der franzosischen und italieni- 
schen A.n zusammen und bilden einen abschliefienden 
Hbhepunkt dieses Tanzes. - Die A. in der Gestalt des 
Pariser Hoftanzes scheint in Bohmen noch in der 2. 
Halfte des 19. Jh. getanzt worden zu sein. Die noch in 
Schwaben und der Schweiz iibliche lebhafte A. im 
3/4-Takt ist von den A.n des Barock wesensverschie- 
den. Sie steht vielmehr dem Schnellwalzer (-»■ Walzer) 
nahe (die »Deutschen«, A.n oder Alia Tedesca in Haydns 
Es dur-Trio, Hob. XV, 29, bei Beethoven u. a.). 
Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie (1 588), NA v. L. Fonta, 
Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948 ; Th. Morley, A 
Plaine and Easie Introduction to Practicall Musicke . . . , 
London 1597, NA v. R. A. Harman, London (1952); 
WaltherL; Mattheson Capellm.; E. v. Werra, Orche- 
stermusik d. 17. Jh., DDT X, 1902; P. Nettl, Die Wiener 
Tanzkomposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 
1921 ; ders., The Story of Dance Music, NY (1947); Fr. 
Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite itn 15. u. 
16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925 ; E. Mohr, 
Die A., 2 Teile, Zurich u. Lpz. 1932; A. Anders, Unter- 
suchungen iiber d. A. als Volksliedtyp d. 1 6. Jh., Diss. Ffm. 
1940; I. Herrmann-Benoen, Tempobezeichnungen, = 
Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959. 

allentando (ital.) -> rallentando. 



Alliteration -> Stabreim. 



Alma redemptoris mater (lat.), Marianische Anti- 
phon (Antiphona Beatae Mariae Virginis), seit dem 
12. Jh. nachweisbar. In dem aus sechs daktylischen 
Hexametern bestehenden Text lassen sich Riickgriffe 
auf den Hymnus -^-Ave maris Stella und die Antiphon 
Sancta Maria succurre miseris feststellen. Die Frage, ob 
Hermannus contractus der Verf asser sei, ist noch immer 
umstritten. Nach Ausweis der Quellen fand das A.r. m. 
urspriinglich in der Sext des Offiziums von Maria 
Himmelfahrt (Assumptio) Verwendung und wurde 
ab 1249 von den Franziskanern, seit dem 14. Jh. auch 
vom Weltklerus im Wechsel mit den iibrigen Marien- 
antiphonen zu einer bestimmten Zeit des Kirchenjahres 
nach der Komplet gesungen. Diesem Brauch entspricht 
auch die heutige Offiziumspraxis, in welcher die Anti- 
phon vom Vortag des 1 . Advent bis zum 1 . Februar den 
regelmaBigen AbschluB der Komplet bildet. Neben 
der »historischen«, melodisch weitgespannten und 
reichgegliederten Melodie im 5. tonus entstand im 17. 
Jh. (oder spater) eine weitere Vertonung des A. r. m., 
die als Cantus simplex in das Antiphonale aufgenom- 
men wurde. 

Lit. : Analecta hymnica medii aevi LI, Lpz. 1908, S. 142 ; P. 
Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melodien I u. 
Ill, Lpz. 3191 1 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesba- 
den 1 962 ; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1 958) ; 
H. Oesch, Berno u. Hermann v. Reichenau als Musiktheo- 
retiker, = Publikationen d. Schweizerischen Musikfor- 
schenden Ges. II, 9, Bern (1961) ; P. Rad6, Enchiridion Li- 
turgicum II, Rom, Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961. 



29 



Alphorn 

Alphorn, eine einfache Holztrompete (im Mittelalter 
als Engelstrompete auf Abbildungen), kommt in euro- 
paischen und auBereuropaischen Gebirgslandern vor 
und hat sich in der Schweiz, wo es als Nationalinstru- 
ment gilt, bis heute gehalten. In den Alpen wird es aus 
einem trockenen, in zwei Halften geschnittenen Tan- 
nenstamm herausgeschnitzt und mit Baumwurzeln 
oder Bast zusammengebunden. Neben der wohl alte- 
ren gerade-konischen Form gibt es die bis zu 4 m lange 
mit abgebogenem Schallbecher und eine kleinere 
trompetenartig gewundene. Die A.-Melodien sind in 
den Alpen der Jodlermelodik ahnlich. Charakteristisch 
ist das A. -fa, der zu hohe ll.Naturton, der auch in die 
Melodien der Alpler eingegangen ist (-> Kuhreigen) 
und in der Kunstmusik z. B. im 4. Satz der 1 . Symphonie 
von Brahms nachgeahmt wird: 

Also blus das Alphorn heut : 




Hoch auf'm Berg, tief im Tal, griifl' ich dich 



# 



^ 



viel tau-send-mal! 



J.Brahms an Clara Schu- 
mann (12. 9. 1868). 

Eine Holztrompete verlangt Wagner £iir die »frohliche 
Hirtenweise« im 3. Akt von Tristan und Isolde, doch 
wird hier meist ein Rohrblattinstrument (Englisch 
Horn, Sopransaxophon, Tarogato) als Ersatz geblasen. 
Lit. : Praetorius Synt. II ; H. Szadrowsky, Die Musik u. 
d. tonerzeugenden Instr. d. Alpenbewohner, Jb. d.Schwei- 
zer Alpenclub IV, 1 867/68 ; H. in der Gand, Volkstiimliche 
Musikinstr. in d. Schweiz, Schweizerisches Arch. f. Volks- 
kunde XXXVI, 1937; A. Pfleger, Das Schweizer A. in d. 
Hochvogesen, ebenda XLIX, 1953; K. M. Klier, Volks- 
tumliche Musikinstr. in d. Alpen, Kassel 1956. 

al segno (al s'e : jio, ital. ; Abk. : al S.), bis zum Zeichen, 
Anweisung zur Wiederholung bis zu der mit S. ( % ) 
bezeichneten Stelle. 

Alt (von lat. altus, hoch; ital. contr'alto, alto; frz. 
haute-contre; engl. contralto, -> Meane; lat. Bezeich- 
nung der Lagenstimme : Contratenor altus, Altus, Vox 
alta). - 1) Beim Ubergang von der Drei- zur Vierstim- 
migkeit um 1450 (Dufay) spaltete sich der -► Contra- 
tenor in Contratenor altus und bassus. Da noch bis zur 
Zeit Ockeghems die Polyphonie instrumentale Ziige 
aufweist, entspricht der Umfang dieser Lagenstimmen 
haufig nicht dem der Singstimme, die heute A. ge- 
nannt wird, doch stellt die Vokalisierung des polypho- 
nen Satzes gegen Ende des 15.Jh. diese Beziehung her. 
Der Altus wurde im 4st. Satz des 16. Jh. als letzte Stim- 
me komponiert, klausulierte in der Regel auf der Quin- 
te des AbschluBklanges und war bei Imitationen oft 
eine der zuletzt einsetzenden Stimmen. In der Folge- 
zeit ist er an diese Charakteristika nicht mehr gebun- 
den und iibernimmt haufig die Aufgabe akkordlicher 
Fiillung. - 2) Nach dem neueren (physiologischen) 
Sprachgebrauch bezeichnet A. die tiefere der beiden 
Arten der Frauen- und Knabenstimmen. Sein Normal- 
umfang reicht von a, beim tiefen A. von f (ausnahms- 
weise von e,'d) bis e 2 , f 2 (ausnahmsweise h 2 , c'), bei 
Manneraltisten von c-c 2 . Der A. wurde seit dem 15. Jh. 
und noch lange danach von falsettierenden Manner- 
stimmen gesungen, den Tenorini, die ab Mitte des 16. 
Jh. auch Alti naturali (-»■ Falsettisten) genannt wurden. 
In England ist fur das Singen von -*■ Glees das Falsettie- 
ren der hohen Stimme noch heute gebrauchlich. In den 
im 16. Jh, auftretenden Satzen ad voces aequales wurden 
mehrere (meist 2) A.e mit anderen Stimmlagen kom- 
biniert, meist mit einer oder 2 Sopranstimmen (letzte- 



res ist auch im Frauenchorsatz des 19. Jh. zu finden). 
Noch bis ins 19. Jh. verwendete man falsettierende 
Manner-A.e, in englischen Kirchenchoren sogar bis 
heute (-> Countertenor). - Eine bedeutende Rolle 
spielt der Frauen-A. in den solistischen Opernpartien. 
Am bekanntesten aus der altitalienischen Oper ist die 
aus Venedig gebiirtige Faustina Hasse, geb. Bordoni, 
deren kraftvoller Mezzosopran sich nach der Tiefe hin 
entfaltete. Im Unterschied etwa zu Handel schrieb 
Mozart kaum Partien fur Frauen-A., wahrend in der 
Oper des 19. Jh. Frauen-A.e haufiger Verwendung fin- 
den. Dennoch stand die Sopranstimme in der Oper 
gegeniiber der A.-Stimme stets im Vordergrund. Von 
einem dramatischen A. kann bei Wagner (Ortrud, 
Erda, Fricka), Verdi (Amneris) und R.Strauss (Kly- 
temnastra) gesprochen werden. Der Stimmurnfang 
wurde stark nach der Hohe zu erweitert (Ortrud hat 
das b 2 zu singen). - 3) In den Stimmwerken von In- 
strumenten des 16./17. Jh. sind entsprechend den 
menschlichen Stimmlagen jeweils auch A.e disponiert, 
ebenso in den im 19. Jh. entstandenen Familien von 
Blechblasinstrumenten wie den Fliigelhomern und 
Saxhornern. Im allgemeinen steht die Tonlage der A.- 
Instrumente eine Quart oder Quint unter den Nor- 
malinstrumenten. In der Instrumentation des Hoch- 
barock wurde der A. der Blockflote (in absoluter Hohe 
dem Sopran entsprechend) fur die Familie reprasenta- 
tiv. Der besondere Reiz von A.-Instrumenten, wie 
Bratsche (Viola), Bassetthorn und Englisch Horn, mit 
ihrem weichen, verschleierten Klang, wurde in der 
Romantik entdeckt. 

Lit. : zu 2) : Fr. Habock, Die Kastraten u. ihre Gesangs- 
kunst, Bin u. Lpz. 1927 ; M. Kunath, Die Charakterologie 
d. stimmlichen Einheiten in d. Oper, ZfMw VIII, 1925/26 ; 
M. Hogg, DieGesangskunstd.F.Hasseu.d. Sangerinnen- 
wesen ihrer Zeit, Diss. Bin 1931. 
alta (instrumenta oder musica, lat.) ->■ haut. 
Altchristliche Musik ist die Musik der altchristlichen 
Periode, der Zeit, in der das Christentum der antiken 
Welt noch eng verhaftet war. Aus abendlandischer 
Sicht ergibt sich die Spanne von der apostolischen Zeit 
bis zur endgultigen Zerstorung des Imperium Ro- 
manum durch den Langobardeneinfall in Italien (ab 
568), somit bis zur Zeit des Wirkens von Papst Gregor 
dem Grofien (590-604). Mit Ausnahme des in griechi- 
scher Notation auf einem agyptischen Papyrus frag- 
mentarisch erhaltenen Oxyrhynchos-Hymnus (3. Jh.) 
sind keine musikalischen Zeugnisse altchristlicher Mu- 
sikubung bekannt. Die noch sehr liickenhaf te Kenntnis 
von ihr basiert allein auf literarischen Zeugnissen (vor 
allem dem Neuen Testament, den apokryphen Schrif- 
ten des Neuen Testaments und den Schriften der Kir- 
chenvater), die zudem in ihrer keineswegs fixierten 
Terminologie der Interpretation einen weiten Raum 
lassen. DaB Elemente altchristlicher Gesange in spater 
aufgezeichneten Melodien enthalten sind, darf als sehr 
wahrscheinlich angenommen werden, wenn auch 
Identifizierung und Datierung unlosbare Probleme 
bieten. Es diirfte sich dabei eher um formelhafte Ge- 
staltungsprinzipien als um exakte, mehr oder weniger 
umfangreiche Melodierelikte handeln. - Von entschei- 
dender Bedeutung fiir die Ausbildung der A.n M. 
war die schon vor der Zeitwende liegende Beriihrung 
von Judentum und Hellenismus, wie sie besonders im 
hellenistischen Diaspora] udentum deutlich wird, aus 
dessen Kreis in Alexandria in den letzten drei vor- 
christlichen Jahrhunderten die Bibeliibersetzung der 
Septuaginta entstand. Von den Personlichkeiten, die 
hier eine Vermittlerrolle einnehmen, ist vor allem ein 
Zeitgenosse Christi, Philo von Alexandrien ( * um 25- 
10 v. Chr., f nach 40 n. Chr.) zu nennen. So erwachst 



30 



Altchristliche Musik 



die Musik der altchristlichen Kirche aus einer Ver- 
schmelzung von Elementen jiidischer Liturgie und 
geistlichen Singens mit solchen orientalischer und an- 
tiker Dicht- und Tonkunst, wobei auch Einwirkungen 
aus dem Bereich volksmaBiger Musikiibung als sehr 
wahrscheinlich anzunehmen sind. Eine genauere Be- 
grenzung der verschiedenen EinfluBschichten ist, von 
der sparlichen Quellenlage abgesehen, schon insofern 
kaum moglich, als in den ersten Jahrhunderten in 
Opferfeier und privater Andacht charismatisch impro- 
visierendes Singen einen breiten Raum einnahm. Auf 
dieses diirften die von Paulus (Eph. 5,19 und Kol. 3, 16) 
genannten Psalmen, Hymnen und geistlichen Lieder 
zu beziehen sein, die sicher nicht drei voneinander ge- 
sonderte Gattungen bezeichnen sollen. Seit der Apostel- 
zeit ist eine immer tiefer gehende hellenistische Durch- 
dringung des Christentums festzustellen, und mit der 
Gleichsetzung von Judenchristen und Heidenchristen 
auf dem Apostelkonzil von Jerusalem (um 49/50) wur- 
de der Weg fiir die Aufnahme griechischer Musikele- 
mente in die Liturgie noch weiter geoffnet. Fiir den 
griechischen wie fiir den lateinischen Kreis ist dabei zu 
unterscheiden zwischen liturgischem Lied, das sich in 
Inhalt und Form an die Dichtung des Alten Testaments 
anschlofi, und dem bei aller geistlichen Orientierung 
der Kunstdichtung zugehorigen Lied, das die Tradition 
der antiken Poesie im christlichen Bereich weiterfuhrte. 
Neben dem ausschlieBlich einstimmigen Gesang wur- 
de die Verwendung von Musikinstrumenten im Got- 
tesdienst nicht gestattet, aber in der hauslichen Privat- 
feier geduldet. In der sich aus dem Herrenmahl ent- 
wickelnden Eucharistiefeier (-> Messe) und dem aus 
den Vigilien hervorgegangenen -»■ Offizium bestand 
bis zum 4. Jh. noch eine relative Freiheit in der Wahl 
der Gebetstexte und Gesange, wenn auch die romischen 
Schemata des 2. und 3. Jh. im Osten eine weitgehende 
Entsprechung fanden. Der Hauptgottesdienst der Ge- 
meinde fand anfanglich vielfach mit den Juden zu- 
sammen am Sabbat in den Synagogen statt, wurde je- 
doch - vom jiidischen Gottesdienst abgesondert - bald 
auf den Sonntagmorgen verlegt. Viele Teile der alt- 
christlichen Liturgie habenimjiidischen Ritus ihreVor- 
bilder. Zu Lesung und Predigt trat der Psalmengesang 
(jiidischer Herkunft) ; bereits fiir das 4. Jh. ist das Kyrie 
eleison in Jerusalem bekannt. Mancherlei Parallelen 
zum jiidischen Ritus finden sich auch im Offizium. 
Von Anfang an vorhandene Besonderheiten regionaler 
Traditionen bildeten sich vor allem seit dem 4. Jh. 
deutlicher faGbar heraus und waren bald als besondere 
Liturgietypen an die jeweiligen kirchlichen Zentren 
gebunden. Im Osten entvvickelten sich so koptischer, 
syrischer und byzantinischer Ritus und Gesang. Die ur- 
spriinglich vorherrschende griechische Kultsprache 
wurde in Rom im 4. Jh. aufgegeben, was zu einer 
eigenen Tradition des lateinischen Westens fiihrte, der 
im (alt-)romischen (gultig auch fiir Nordafrika mit 
Karthago), ambrosianischen, gallikanischen und moz- 
arabischen Liturgietypus eigene Gesangsiiberlieferun- 
gen ausbildete. 

Eine Beschrankung der Melodien der A.n M. auf theo- 
retisch erfafite, diatonische und chromatische Tonstu- 
fen ist wenig wahrscheinlich, vielmehr diirfte eine 
weitergehende, rational nicht zu fixierende Differen- 
zierung auch im lateinischen Westen noch lange iiblich 
gewesen sein. Grundformen der melodischen Gestal- 
tung waren psalmodisches Rezitieren zu einfachem 
Textvortrag, syllabische Fuhrung mit schlichter, aber 
doch in sich reicherer Melodiebildung, die in ihrer An- 
lage noch weitgehend der Textstruktur verhaf tet blieb, 
schlieBlich eine in weiten Melodiebogen gefiihrte und 
reich verzierte Melismatik, die das musikalische Ele- 



ment ganz in den Vordergrund treten lieB. Inf olge feh- 
lender schriftlicher Fixierung wurden die miindlich 
tradierten Gesange auswendig vorgetragen oder an- 
hand iiberlieferter Melodieformeln und -modelle im- 
provisiert. Eine eigene Notation der christlichen Mu- 
sik entwickelt sich erst spater und tritt in Byzanz und 
Syrien ebenso wie bei den Kopten und Juden zunachst 
in der Ekphonesis (lectio solemnis; ->• Ekphonetische 
Notation) mit Akzent- und Interpunktionszeichen 
auf. - Schon in der Musik der altchristlichen Kirche ist 
die Stellung des Kirchensangers (psaltes, erst bei Nike- 
tas von Remesiana cantor) institutionell weitgehend 
festgelegt, wobei ihm die solistischen Gesange, die In- 
tonation und die Fuhrung des Gemeindegesangs iiber- 
tragen waren. Da ein Chor geschulter Sanger fiir die 
Friihzeit nicht anzunehmen ist, diirfte neben dem Psal- 
tes der Chor der Gemeinde gestanden haben, der mit 
der Ausfuhrung wohl einfacherer Gesange betraut 
war. Hieraus ergibt sich die vorherrschende Stellung 
des Wechselgesangs in der A.n M., der solistische Par- 
tien des Psalmes mit refrainartigen Einwurfen des Ge- 
meindechors verbindet und den antiphonischen Vor- 
trag der Psalmen mit melodischen »Hymnen« unter- 
bricht (Aufkommen der Doppelchorigkeit erst ab et- 
wa 350). Als bedeutende Autoren sind zu nennen: im 
griechischen Bereich Clemens von Alexandrien (um 
150 - um 215), Origines (um 185 - um 254), Methodius 
(t um 311), Basilius (330-379), Cyrillus von Jerusalem 
(315-386), Gregor von Nazianz (f um 390), Johannes 
Chrysostomus (um 354-407), Synesius von Cyrene 
( * zwischen 370 und 375) , Romanos (um 490 - um 560) 
und Sophronios von Jerusalem ("j" 638) ; im lateinischen 
Kreis Tertullian (um 160- um 240, aus Karthago), Hi- 
larius von Poitiers (um 315-367), Marius Victorinus 
Afer (f 370), Damasus (um 305-384), Ambrosius von 
Mailand (f 397), Prudentius (f nach 405), Niketas von 
Remesiana (f kurz nach 414; -*■ Ambrosianischer Ge- 
sang), Sedulius (um 430), Augustinus (f 430), Paulinus 
von Nola (f 431), Cassiodor (um 485-580) und Ve- 
nantius Fortunatus (um 530 - kurz nach 600) ; im syri- 
schen Bereich Bardesanes (f 222) und dessen Sohn 
Harmonios, Ephram der Syrer (f 373), Balai (4Jh.), 
Isaac von Antiochien (f 460/61), Narses von Nisibis 
(399-502) und Jakob von Saruch (* 451). 
Lit.: H. Abert, Die Musikanschauung d. MA u. ihre 
Grundlagen, Halle 1905; ders., Ein neu entdeckter friih- 
christlicher Hymnus mit antiken Musiknoten, ZfMw IV, 
1921/22; ders., Das alteste Denkmal d. christlichen Kir- 
chenmusik, in: Ges. Schriften u. Vortrage, Halle 1929; W. 
Caspari, Untersuchungen zum Kirchengesang im Alter- 
tum, Zs. f. Kirchengesch. XXVI, 1905, XXVII, 1906 u. 
XXIX, 1908 ; F. Leitner, Der gottesdienstliche Gesang im 
jiidischen u. christlichen Altertum, Freiburg i. Br. 1906; L. 
Duchesne, Origines du culte Chretien, Paris 5 1909; P. 
Wagner, Ursprung u. Entwicklung d. liturgischen Ge- 
sangsformen bis zum Ausgang d. M A, = Einfuhrung in d. 
Gregorianischen Melodien I, Lpz. 3 1911, Neudruck Hil- 
desheim u. Wiesbaden 1962; J. C. Jeannin OSB, Le chant 
syrien, Journal Asiatique XX, 1912; A. Baumstark, Psal- 
menvortrag u. Kirchendichtung d. Orients, Gottesminne 
VII, 1912/13; J. Kroll, Die christliche Hymnodik bis zu 
Clemens v. Alexandrien, Beilage zum Verz. d. Vorlesungen 
an d. Akad. zu Braunsberg, Konigsberg 1921 ff. ; A. Z. Idel- 
sohn, Parallelen zwischen gregorianischen u. hebraisch- 
orientalischen Gesangsweisen, ZfMw IV, 1921/22; ders., 
Der Kirchengesang d. Jakobiten, AfMw IV, 1922; E. 
Wellesz, Aufgaben u. Probleme auf d. Gebiete d. byzan- 
tinischen u. orientalischen Kirchenmusik, = Liturgiege- 
schichtliche Quellen u. Forschungen VI, Munster i. W. 
1923 ; ders., Eastern Elements in Western Chant, = Monu- 
menta Musicae Byzantinae, Subsidia II (= American Se- 
ries I), Boston 1947 ; ders., A Hist, of Byzantine Music and 
Hymnography, Oxford 1949, 2 1961 ; ders., Early Christian 
Music of the Eastern Churches, in: New Oxford Hist, of 



31 



Altenburg 

Music II, London 1 954 ; J. Quasten, Musik u. Gesang in d. 
Kulten d. heidnischen Antikeu. christlichen Friihzeit, = Li- 
turgiegeschichtliche Quellen u. Forschungen XXV, Miin- 
ster i. W. 1930; ders., The Liturgical Singing of Women 
in Christian Antiquity, The Catholic Hist. Review XXVII, 
1941 ; H. Besseler, Die Musik d. MA u. d. Renaissance, 
Bucken Hdb. ; O. Ursprung, Die kath. Kirchenmusik, 
ebenda; Th. Gerold, Les peres de l'eglise et la musique, 
Paris 1931 ; Kl. Wachsmann, Untersuchungen zum 
vorgregorianischen Gesang, = Veroff. d. Gregofianischen 
Akad. zu Freiburg in d. Schweiz XIX, Regensburg 1935; 
A. Dohmes, Der Psalmen-Gesang d. Volkes in d. eucha- 
ristischen Opferfeier d. christlichen Friihzeit, Liturgisches 
LebenV, 1938, erweitertin: Rev. du chant gregorien XLII, 
1938 u. XLIII, 1939; E. Jammers, Rhythmische u. tonale 
Studien zur Musik d. Antike u. d. MA, AfMf VI, 1941 u. 
VIII, 1943; J. Handschin, »Antiochien, jene herrliche 
Griechenstadt«, AfMf VII, 1 942 ; E. Werner, Notes on the 
Attitude of Early Churchfathers towards Hebrew Psalmo- 
dy, Review of Religion VII, 1943; ders., The Modes of 
Psalmody in the Eastern Churches and the Synagogue, 
Musica Hebraica II, 1943; ders., The Conflict between 
Hellenism and Judaism in the Music of the Early Christian 
Church, Hebrew Union College Annual XX, 1947; ders., 
Leading Motifs in Gregorian and Synagogue Chant, Year- 
book of American Musicological Soc. 1947 ; ders., Hebrew 
and Oriental Christian Metrical Hymns, a Comparison, 
Hebrew Union College Annual XXIII, 1950/51 ;ders., The 
Sacred Bridge, London u. NY 1959 ; C. Sachs, The Rise of 
Music in the Ancient World, East and West, = The Nor- 
ton Hist, of Music I, NY (1943); H. Hucke, Die Entwick- 
lung d. christlichen Kultgesanges zum gregorianischen Ge- 
sang, Romische Quartalschrift XLVIII, 1953; ders., Zu 
einigen Problemen d. Choralforschung, Mf XI, 1958; H. 
Avenary, Formal Structure of Psalms and Canticles in 
Early Jewish and Christian Chant, MD VII, 1953; ders., 
Studies in the Hebrew, Syrian and Greek Liturgical Re- 
citative, Tel Aviv ( 1 963) ; R. Schl6tterer, Die kirchenmus. 
Terminologied.griech.Kirchenvater.Diss. Milnchen 1953, 
maschr. ; H. Angles, Latin Chant before St. Gregory, in: 
New Oxford Hist, of Music II, London 1954; E. Gerson- 
Kiwi, Artikel Musique (dans la Bible), in: Dictionnaire de 
la Bible, Suppl. Bd V, Paris 1956; G. Kretschmar, Die 
friihe Gesch. d. Jerusalemer Liturgie, Jb. f. Liturgik u. 
Hymnologie II, 1956; W. Apel, Gregorian Chant, Bloom- 
ington (1958); W. Sh. Smith, Mus. Aspects of the New 
Testament, Amsterdam 1962. 

Altenburg (Thiiringen). 

Lit.: E. W. Bohme, Die friihdeutsche Oper in A., Jb. d. 
Theaterfreunde A., A. 1930; Fr. Merseberg, Die kiinstle- 
rische Entwicklung d. A.er Hofkapelle, Zs. d. Ver. f. Thu- 
ringische Gesch. u. Altertumskunde XXXII, 1936; Chro- 
nik d. Theaters in A., hrsg. v. B. Lurgen, Lpz. 1937. 

Alteration (lat. alteratio, Anderung). - 1) In der 
Mensuralnotation erhalt seit Franco von Koln die 
zweite von zwei gleich aussehenden Breves, die zu- 
sammen eine perfekte (3zeitige) Longa ausmachen, 2 
Drittel des gesamten Werts; sie ist also doppelt so lang 
wie die erste Brevis (recta) und heiBt Brevis altera. 
Dasselbe gilt bei perfekter Teilung der Brevis in Semi- 
brevis minor und maior, seit Ph. de Vitry auch bei per- 
fekter Teilung der Semibrevis in Minima und Altera 
minima. So muB im Tempus perfectum cum pro- 
latione maiori die Folge 

©B H H0-000 B 

verstanden werden als (auf ein Viertel verkiirzt; der 
Punkt ist Punctus divisionis) : 

| J- 1 J JlJ-lJ JljJl JlJ-l 

Es ist umstritten, ob schon in der Musik vor 1300 auch 
die kiirzeren Notenwerte mit A. zu ubertragen sind, 
weil zufolge des raschen Tempos die unterschiedliche 
Dauer der beiden Noten in der Ausf iihrung nicht her- 
vortreten wiirde. - 2) A. heiBt auch die Veranderung 
ernes Tones um 1-2 Halbtone nach oben oder unten. 



Die Art der Vorzeichnung (Akzidentien) und der Be- 
nennung (z. B. : c wird alteriert zu cis oder ces, doppelt 
alteriert zu cisis oder ceses) weisen darauf hin, daB der 
alterierte Ton nicht als selbstandig, sondern als Far- 
bung (vgl. Marchettus de Padua : propter aliquam con- 
sonantiam colorandam, GS III 73b) des leitereigenen Tons 
aufgefaBt wird, den er vertritt. In der Musik des 14- 
16. Jh. bedeutet die Einfiihrung leiterfremder Tone 
durch Vorzeichen (Akzidentien), daB der betreffende 
Ton als mi ( \ ) oder fa ( 1>) charakterisiert ist, d. h. daB 
die Stimme zeitweilig in ein anderes Hexachord oder 
auch eine andere Tonart ausweicht (-> Mutation, 
-> Musica ficta). Dagegen wird die eigentliche A. 
nicht notiert. Ihre Ausfuhrung gilt als selbstverstand- 
lich; sie bleibt den Sangern iiberlassen und wird haupt- 
sachlich durch folgende Regeln bestimmt: a) in der 
Paenultima der Diskant-Tenor-Klausel muB eine von 
beiden Stimmen Leitton sein; b) geht eine Stimme nur 
um einen Schritt iiber la hinaus, so ist dieser Schritt ein 
Halbton (una nota supra la semper est canendum fa) ; 
im strengen Sinn gilt diese Regel nur fiir den 1. und 
2. Kirchenton, z. B. in Isaacs Choralis Constantinus III 
(hrsg. v. L. Cuyler, = Univ. of Michigan Publications, 
Fine Arts, Vol. II, Ann Arbor 1950, S. 27 und 181): 




c) zuerst wohl bei Aaron erscheint die Vorschrift, die 
kleine Terz eines SchluBklangs zur groBen zu alterie- 
ren. Gaffori bestatigt, daB in Klauseln bei A. des vor- 
letzten Tons die Solmisationssilbe unverandert bleibt ; 
z. B.: 



Notierung : 



w 



3E Ausfuhrung 



: ffi fl J i. 



Solmisation : la-sol-la. 

R.v.Fickers Annahme, daB die mittelalterliche Theo- 
rie die A. als Musica falsa bezeichne und gegen die als 
Transposition und Mutation verstandene Musica ficta 
unterscheide, wird durch die Quellen nicht hinreichend 
gestiitzt. - Drucke des 16. Jh. fiir Tasteninstrumente 
bezeichnen A. durch einen Alterationspunkt, z.B.: 




Lit. : zu 1 ) : Franco v. Koln, in : Hieronymus de Moravia 
OP, Tractatus de Musica, hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Frei- 
burger Studien zur Mw. II, 2, Regensburg 1935, S. 236ff.; 
Ph. de Vitry, Ars nova, hrsg. v. G. Reaney, A. Gilles u. 
J. Maillard, CSM VIII, (Rom) 1964; E. Praetorius, Die 
Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius . . ., = BIMG II, 2, Lpz. 
1905. - zu 2) : Marchettus de Padua, Lucidarium, in : GS 
III; Fr. Gaffori, Practica Musice, Mailand 1496; P. 
Aaron, Thoscanello de la musica, Venedig 1 523 u. 6. ; G. 
Jacobsthal, Die chromatische A. im liturgischen Gesang 
. . ., Bin 1897; Riemann MTh; R. v. Ficker, Beitr. zur 
Chromatik d. 14. bis 16. Jh., StMw II, 1914; L. H. Skr- 
bensky, Leitton u. A. . . ., Diss. Prag 1928, maschr.; J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948). 

Alterierte Akkorde, seit H. Riemann die Bezeich- 
nung fiir solche Klange innerhalb des funktionalhar- 
monischen Systems, in denen einer oder mehrereTone 
eines urspriinglich leitereigenen Akkordes chroma- 
tisch verandert sind, wodurch eine aufwarts oder ab- 
warts gerichtete Strebewirkung erzeugt bzw. ver- 
starkt wird. Die Theorie des 18. und 19.Jh.bezeichnet 



32 



Altslawischer Kirchengesang 



sie als dissonierende, uneigentliche, anomalische, chro- 
matische, zufallige oder leiterfremde Akkorde. Die 
Zunahme immer komplizierterer A.r A. mit der damit 
verbundenen intensivierten Leittonspannung ist ein 
bestimmendes Merkmal spatromantischer Musik seit 
Wagners Tristan und Isolde (1859). R.Strauss setzt z.B. 
in Till Eulenspiegels lustige Streiche, op. 28 (1895), einen 



B 5 « - Akkord mit vierf acher chromattscher Auf losung : 

Ob. 
Kl. 

Engl. H. 



Kl. 




Dieser Prozefi der Haufung starkster Gleit- und Span- 
nungswirkungen fiihrte von sich aus an die Grenze der 
dominantisch-tonalen Musik, und so sind die A.n A. 
von den Schopfern der Neuen Musik im 20. Jh. als ein 
wichtiger Ausgangspunkt zur Auflosung und Uber- 
windung der Tonalitat angesprochen worden. 
Lit. : J. Volek, Die Bedeutung Chopins f. d. Entwicklung 
d. a. A. in d. Musik d. 20. Jh., Kgr.-Ber. Warschau 1960. 

alternatim (lat., wechselweise), bezeichnet seit dem 
spaten Mittelalter die Ausf iihrung liturgischer Stiicke, 
derart, daB der eine Teil der Ausfiihrenden die ein- 
stimmigen choralen Teile vortragt und der andereTeil 
(meist mehrstimmig) fortfahrt. Die a.-Praxis geht zu- 
riick auf den antiphonischen Gesang (-»• Antiphon) der 
Psalmen und Hymnen und dehnt sich auf die verschie- 
densten Teile der liturgischen Musik aus. Seit dem Auf- 
kommen der Mehrstimmigkeit erwuchsen dem a.- 
Musizieren im Wechsel von einstimmigem Choralge- 
sang und (mehrstimmigem) Figuralgesang oder Orgel 
neue Moglichkeiten (-* Messe, -*■ Magnificat). Die a.- 
Ausfiihrung zwischen Chor und Orgel (beide je ein- 
oder mehrstimmig) erf olgte iiberwiegend in dieser Art : 
1. Kyrie Orgel 2. Kyrie Chor 3. Kyrie Orgel 
1. Christe Chor 2. Christe Orgel 3. Christe Chor 
1. Kyrie Orgel 2. Kyrie Chor 3. Kyrie Orgel 
Die a.-Praxis wurde in die evangelische Kirche iiber- 
nommen; von M.Praetorius sind ihre verschiedensten 
Kombinationen beschrieben und ausgefiihrt worden. 
Bis ins 18. Jh. hinein war die a.-Praxis im Gebrauch, bis 
der Orgel die Begleitung aller Strophen des Gemeinde- 
gesangs iibertragen wurde. In jiingster Zeit sind man- 
nigfache Bemuhungen im Gange, die a.-Praxis wieder 
zu beleben. 

Lit. : G. Rietschel, Die Aufgabe d. Org. im Gottesdienst, 
Lpz. 1 893 ; P. Wagner, Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. 
d. Mg. nach Gattungen XI, 1, Lpz. 1913; Y. Rokseth, La 
musique d'orgue au XV e s. . . . , Paris 1 930 ; L. Sohner, Die 
Gesch. d. Begleitung d. gregorianischen Chorals in 
Deutschland, = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Frei- 
burg i. d. SchweizXVI, Augsburg 1931 ; O. Ursprung, Die 
kath. Kirchenmusik, Bucken Hdb. ; A. Schering, Zur a.- 
Orgelmesse, Zf Mw XVII, 1935 ; L. Schrade, Die Messe in 
d. Orgelmusikd. 15. Jh., AfMf I, 1936;Chr. Mahrenholz, 
Der 3. Bd v. S. Scheidts Tabulatura nova 1 624 u. d. Gottes- 
dienstordnung d. Stadt Halle, Mf I, 1948; D. Stevens, A 
Unique Tudor Organ Mass, MD VI, 1952; Kn. Jeppesen, 
Eine friihe Orgelmesse . . ., AfMw XII, 1955; ders., Die 
ital. Orgelmusik am Anfang d. Cinquecento, 2 Bde, Ko- 
penhagen 2 1960; J. D. Bergsagel, On the Performance of 
Ludford's A. Masses, MD XVI, 1962. 

alternative (ital.), auch alternativement (frz.), ab- 
wechselnd ; altere Bezeichnung fur 2teilige Tanzstiicke, 
deren beide Teile nach Belieben mehrmals wechselnd 
gespielt werden (Menuetto a.) ; auch erscheint in me- 
nuettartigen Satzen der 2. Teil (Trioteil) des ofteren 
mit a. iiberschrieben. 

Alti naturali (ital.) ->• Falsettisten. 



Alto (ital.), - 1) Altstimme (Contr'alto), ->■ Alt. -2) Alt- 
viola, Bratsche, ->• Viola. - 3) im Jazz gebrauchliche 
Kurzform fur Altsaxophon (von engl. a. saxophone; 
frz. saxophone a.). 

Alt orientalische Musik -»■ Sumerische Musik, 

-> Agyptische Musik, -»■ Jiidische Musik. 

Altslawischer Kirchengesang. Die aus Saloniki 
stammenden Briider Konstantinos (Kyrillos, 826-69) 
und Methodios (820-85), die ab 863 im Gebiet der Erz- 
diozese Salzburg unter den Slawen missionarisch tatig 
waren, begriindeten durch ihre mit ZustimmungRoms 
unternommene Ubersetzung des Ordinarium missae 
sowie des Proprium de tempore und de Sanctis ins 
Kirchenslawische den A.n K. Fur ihre Ubersetzung 
schuf en sie die glagolitische Schrif t ; nach ihr heifit der 
A. K. auch Glagolitischer Kirchengesang. Fur den A.n 
K. romischer Liturgie sind als einziges Zeugnis aus 
der Zeit der Slawenapostel die Kiewer Sacramentar- 
Fragmente erhalten. Sie bieten Texte des Ordinarium 
missae, iibersetzt nach einer Fassung des Missale (wie 
sie zu jener Zeit in der Erzdiozese Salzburg und im 
Patriarchat Aquileja verwendet wurde) und versehen 
mit Neumen vom St. Galler Typus. Es handelt sich 
demnach um Texte, die im Gesangston der romischen 
Kirche des 7./8. Jh. vorgetragen wurden (Secreta-Tex- 
te). Nach dem Tode Methods wurden seine Schuler 
aus der Erzdiozese Salzburg verwiesen. Sie gingen teils 
nach Bohmen, wo der A. K. bis ins 11. Jh. im Kloster 
Sazawa gepflegt wurde, teils nach Kroatien auf die In- 
sel Krk (Veglia) und ins Kustenland. Dort erhielt sich 
diese Tradition bis heute. Nachdem auf mehreren Kon- 
zilien iiber die Berechtigung des A.n K.s verhandelt 
worden war, erteilte Papst Innozenz IV. 1248 endgiiltig 
fur Kroatien die Bewilligung, die Messe in slawischer 
Sprache zu zelebrieren. Unter Kaiser Karl IV. wurden 
kroatische Monche in das Prager Kloster Emaus beru- 
f en, um so eine Wiederbelebung der im 1 1 . Jh. verbo- 
tenen slawischen Liturgie in Bohmen zu ermoglichen. 
Aus dieser Zeit des 14./15. Jh. stammen die einzigen 
Kompositionen slawischer Mefitexte, die mit Melo- 
dien erhalten sind. Die heute in Kroatien und Bohmen 
geltende Praxis ist im Missale Romanum Slavonico idio- 
mate (Rom 1905, Neuausgabe 1927) festgehalten. Auf 
ihr beruht auch Janaceks "Glagolitische Messe« (1926). 
- Ein Teil der Schuler Methods ging nach Bulgarien 
und fiihrte dort den A.n K. nach byzantinischem Ritus 
ein, der sich vom 10. Jh. an in RuGland, sparer auch in 
Rumanien und Ungarn verbreitete. Die Niederschrift 
erfolgte hier im kyrillischen Alphabet, das (wie schon 
das glagolitische) aus dem griechischen entwickelt 
wurde. Zentren des A.n K.s byzantinischer Liturgie 
waren vor allem die Kloster Ochrid (in Jugoslawien) 
und Preslav (in Bulgarien). 

Lit.: J. Stefanelli, Liturgica lisericei ortodoxecatolice, 
Bukarest 1 886 ; F. Pasternek, Dejiny slovanskych apoSto- 
lu Cyrila a Methoda, Prag 1902 ; A. Baumstark, Die Messe 
im Morgenland, Kempten 1906; V. Jagic, Entstehungs- 
gesch.d. kirchenslavischen Sprache, Bin 1913; J. Szabo, A 
gorog katolikus magyarsag utolso kalvaria utja 1896-1912, 
Budapest 1913 ; F. Dvornik, Les Slaves, Byzance et Rome 
au IX e s., Paris 1926; J. M. Hanssens, Institutiones Litur- 
gicae de ritibus orientalibus, Rom 1930-32; J. Stanislav, 
Risa Verkomoravska, Prag 1933, 2 1935; J. Vajs, Jakeho 
obfadu byla slovanska liturgie, in: Pax XI, 1936, lat. in: 
Acta Acad. Velehradensis VII, Olmiitz 1937; L. C. Mohl- 
berg OSB, II messale glagolitico di Kiew, = Atti della 
Pontificia Accad. Romana di archeologia III, 1937/38; R. 
Jakobson, »Divina officia« in lingua prohibita, in: Slovo a 
slovesnost VI, Prag 1940; E. Koschmieder, Die ekphone- 
tische Notation in kirchenslawischen Sprachdenkmalern, 
Sudost-Forschungen V, 1940; ders., Die vermeintlichen 
Akzentzeichen d. Kiewer Blatter, in: Slovo 4/5, Zagreb 

33 



amabile 



1955; J. VaSica, Slovanska liturgie nove osvetleni kijev- 
skymi listy (»Die slawische Liturgie in neuer Beleuchtung 
durch d. Kiewer Blatter«), in: Slovo a slovesnost VI, Prag 
1940; Fr. Zagiba, Dejiny slovenskej hudby (»Gesch. d. 
slovakischen Musik«), PreBburg 1943 ; ders., Die Salzbur- 
ger Missionare als Pfieger d. Choralgesanges bei d. Slaven 
im 9. Jh., = Mitt. d. Ges. f. Salzburger Landeskunde 
LXXXVI/LXXXVII, 1947; ders., Zur Frage d. Verbotes 
d. slavischen liturgischen Gesanges, in: Heiliger Dienst II, 
Salzburg 1948; ders., Die Entstehung d. slavischen litur- 
gischen Gesanges im 9. Jh., Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., 
Die deutsche u. slavische Choraltradition, KmJb XXXVII, 
1953; ders., Die »Conversio Bagoariorum et Carantanor- 
um« als mg. Quelle, Miscelanea en homenaje H. Angles II, 
Barcelona 1958-61 ; ders., Der Cantus Romanus in lat., 
griech. u. slavischer Kultsprache in d. Karolingischen Ost- 
mark, KmJb XLIX, 1960; E. Wellesz, Eastern Elements 
in Western Chant, = Monumenta Musicae Byzantinae, 
Subsidia II (= American Series I), Boston 1947; E. Ivan- 
ka, Ungarn zwischen Byzanz u. Rom, in : Blick nach Osten 
II, Wien 1949; E. Georgiev, Kiril i Metodij, Sofia 1956; 
Kl. Gamber, Das glagolitische Sakramentar d. Slaven- 
apostel Cyrill u. Method u. seine lat. Vorlage, in: Ostkirch- 
liche Studien VI, 1957; D. Stefanovic, Einige Probleme 
zur Erforschung d. slavischen Kirchenmusik, KmJb 
XLIII, 1959; St. Smrzik, The Glagolitic or Roman-Sla- 
vonic Liturgy, Rom 1959 ; Fr. Grivec, Konstantin (Cyrill) 
u. Method, Wiesbaden 1960. FZ 

amabile, amabilmente (ital.), liebenswiirdig, lieb- 
lich, freundlich, Charakterbezeichnung, die einen sanf- 
ten, gefalligen Vortrag fordert. 

Ambitus (lat.), der Umfang einer Melodie (Entfer- 
nung des hochsten vorkommenden Tons vom tiefsten), 
einer Stimme oder eines Instruments. Der A. der 
-*■ Kirchentone entscheidet weitgehend dariiber, ob es 
sich um einen Tonus authenticus oder plagalis, com- 
positus oder mixtus handelt. 

Ambo (griech. <5tu.(3a>v, von avaf3aiv<o, hinaufsteigen), 
Vorlaufer der Kanzel, namlich ein erhohtes, spater mit 
Lesepult und Brustung versehenes Podium in friih- 
christlichen und mittelalterlichen Kirchen, bestimmt 
zum feierlichen Vortrag von Lektionen, liturgischen 
Gesangen, vereinzelt auch der Predigt. Entweder frei- 
stehend oder in die Chorschranke eingebaut, besaB er 
einen, haufig auch zwei Aufgange, auf deren Stufen (in 
gradibus ambonis) das darum so genannte Graduale 
gesungen wurde. 

Ambofi (engl. anvil; frz. enclume; ital. incudine), ent- 
weder ein echter A. oder auch eine langliche Stahl- 
platte (auch -rohre), die liegend in einem Kasten ange- 
bracht ist. Der Anschlag erfolgt mit einem Hammer 
aus Metall. Die Stimmung differiert je nach GroBe, 
etwa von f '-a 3 ; die Notierung erfolgt eine oder 2 Ok- 
taven tiefer. R.Wagner schreibt in Rheingold 3 A.- 
Gruppen (F-f-f • notiert) vor. Orff verlangt in Antigonae 
einen kleinen A. (notiert a 2 ). Gelegentlich findet man 
auch einen A. mit unbestimmter Tonhohe verwendet. 

Ambrosianischer Gesang, eine der vier groBen li- 
turgischen Gesangstraditionen der lateinischen Kirche 
(neben dem Gregorianischen, Gallikanischen und Moz- 
arabischen Gesang), heute noch giiltig als liturgischer 
Gesang der mailandischen Kirchenprovinz, gepflegt 
auch in den sogenannten Ambrosianischen Talern (die 
Taler Leventina, Blenio und Riviera im Schweizer 
Kanton Tessin ; 57 Pf arreien mit ambrosianischem Ri- 
tus in Messe und Offizium). Er war in fruherer Zeit 
iiber den groBten Teil Oberitaliens verbreitet, hatte 
daneben im 14. Jh. eine Pflegestatte im Ambrosius- 
kloster in Prag, das auf Wunsch seines Griinders (Karl 
IV.) Offizium und Messe nach ambrosianischer Tra- 
dition feierte. Im Bistum Augsburg, das urspriinglich 



der Metropole Mailand unterstellt war, wurde bis 1584 
eine aus ambrosianischem und romischem Ritus ver- 
mischte Liturgie gefeiert. - Der Gesang der Mailander 
Kirche ist nach dem Bischof ->Ambrosius (333-397) 
benannt, wird aber erst seit dem 8. Jh. mit seinem 
Namen in Verbindung gebracht. Wenn Ambrosius 
auch entscheidenden EinfluB auf die Geschichte des 
liturgischen Gesangs nahm (-> Antiphon, -> Hymnus), 
ist doch die Regulierung und Fixierung der Mailander 
Liturgie und ihres Gesanges nicht sein Werk. Noch zu 
seiner und des Augustinus (354—430) Zeit begann die 
Opferfeier erst mit den Lesungen, so daB die davorlie- 
genden Gesange (wie die Ingressa) sich als spatere Ein- 
fiihrungen erweisen. Die alteste bekannte Quelle fur 
den A.n G. ist das aus dem 12. Jh. stammende (unvoll- 
standige) Antiphonarium Ambrosianum des British 
Museum in London (Cod. add. 34209). In den mittelal- 
terlichen Quellen des A.n G.s sind - im Gegensatz zum 
Gregorianischen Gesang - Antiphonarium missae und 
Antiphonarium officii nicht voneinander getrennt. 
Hauptgesangsstucke der Mailander Messe sind: die In- 
gressa, eine dem romischen Introitus entsprechende An- 
tiphon, aber ohne Psalm vers und ohne Doxologie ; der 
Psalmellus mit Versus (Gegenstiick des romischen Gra- 
dualresponsorium) ; das Alleluia mit einer nur be- 
schrankten Zahl von Melodien, in der Fastenzeit er- 
setzt durch den dem romischen Tractus entsprechenden 
Cantus ; die Antiphona post evangelium (ohne Versus) , 
die in der romischen Messe ohne Entsprechung bleibt ; 
das Offertorium (oder Offerenda), wie im Gregoriani- 
schen Gesang von mehr responsorialem als antiphona- 
lem Charakter; das Confractorium, eine vor dem Pa- 
ter noster gesungene Antiphon ohne Versus an der 
Stelle des Agnus Dei im Gregorianischen Gesang (die- 
ses letztere findet sich im ambrosianischen Ritus nur in 
der Totenmesse) ; das Transitorium als Gegenstiick der 
romischen Communio. Von den gregorianischen Re- 
zitativen mit ihrem QuintschluB unterscheiden sich die 
mailandischen, die in der mittelalterlichen Tradition 
weder Initium noch Mediante kennen, durch ihren 
QuartschluB. In der Psalmodie ist bei dem auf die An- 
tiphon folgenden Psalm die relativ grofie Freiheit in 
der Wahl des Rezitationstons auffallend. - Innerhalb 
der 4 Choralrepertoire scheinen sich einerseits das galli- 
kanische und das mozarabische, andererseits das mailan- 
dische und das altromische zu stilistisch verwandten 
Gruppen zusammenzuschlieBen. Die beiden letzteren, 
die eine ganze Reihe gemeinsamer Melodien besitzen, 
unterscheiden sich stark von der neuromischen Fassung 
des Gregorianischen Gesangs (2. Halfte des 7. Jh.). DaB 
der A. G. im Laufe des Mittelalters mit Elementen des 
romischen Gesangs durchsetzt und sein Gultigkeitsbe- 
reich mehr und mehr eingeschrankt wurde, ist auf po- 
litische Ereignisse und die wiederholten Versuche sei- 
ner Beseitigung zuruckzufiihren, denen sich die mai- 
landische Kirche energisch widersetzte. Nach dem Be- 
richt des Landulfus (2. Halfte des 11. Jh.) geht ein erster 
Angriff gegen den A.n G. auf die Einheitsbestrebungen 
Karls des Grofien zuriick, wobei alle erreichbaren litur- 
gischen Biicher verbrannt oder entfuhrt wurden. Die- 
ser Versuch war ebenso erfolglos wie der des im Auf- 
trag von Papst Nikolaus II. handelnden Petrus Damia- 
nus (1059) und ein weiterer von Papst Eugen IV. 
(1440). Noch im 16. Jh. hatte der Mailander Bischof 
Karl Borromaus die lokale Tradition gegen den spani- 
schen Statthalter Ayamonte (1573-80) zu verteidigen. 
Seither blieb die Pflege des A.n G.s unangef ochten. Sei- 
ne heute offiziell gultige Fassung enthalt das Antipho- 
nale Missarum juxta ritum s. eccl. Mediolanensis (Rom 
1935) und der Liber Vesperalis juxta ritum s. eccl. Medio- 
lanensis (Rom 1939). 



34 



Anabole 



Ausg. : Antiphonarium Ambrosianum du Musee Britanni- 
que, XII € s., Cod. add. 34209, in: Paleographiemus., Serie 
1, V u. VI, Solesmes 1896 u. 1900. 

Lit. : Beroldus, sive Ecclesiae ambrosianae mediolanensis 
Kalendarium et ordines s. XII, hrsg. v. M. Magistretti, 
Mailand 1894; A. Kienle, Uber ambrosianische Liturgie 
u. A. G., in: Studien u. Mitt, aus d. Benedictiner- u. d. 
Cistercienser-Orden V, 1884, separat: Raigern 1884; L. 
Duchesne, Origines du culte Chretien, Paris 1889, 51909 
(vgl. auch L. Duchesne in : Rev. d'hist. et de lit. religieuse, 
Paris 1900, April, S. 31); Fr. A. Gevaert, Les origines du 
chant liturgique de l'6glise lat., Gent 1890, deutsch v. H. 
Riemann, Lpz. 1891 (dazu: VfMw VII, 1891, S. 116); G. 
Morin, Les veritables origines du chant gregorien, Mared- 
sous 1890; A. M. Ceriani, Notitia liturgiae Ambrosianae, 
Mailand 1895; P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregoriani- 
schen Melodien I, Freiburg i. d. Schweiz 1895, 21901, Lpz. 
31911, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; A. 
Mocquereau OSB, Notes sur l'influence . . . dans le chant 
ambrosien, = Ambrosiana IX, Mailand 1897; W. C. Bi- 
shop, The Mozarabic and Ambrosian Rites : Four Essays 
in Comparative Liturgiology, hrsg. v. C. L. Feltoe, London 
1 924 ; E. Jammers, Rhythmische u. tonale Studien zur Mu- 
sik d. Antike u. d. MA II, AfMf VIII, 1943 ; Br. Stablein, 
Ambrosianisch-Gregorianisch, Kgr.-Ber. Basel 1949; H. 
Hucke, Die gregorianische Gradualeweise d. 2. Tons u. 
ihre ambrosianischen Parallelen, AfMw XIII, 1956; M. 
Huglo OSB, L. Agustoni, E. Cardine OSB, E. Moneta 
Caglio, Fontiepaleografia del canto ambrosiano, = Arch. 
Ambrosiano VII, Mailand 1956 ; H. Husmann, Zum GroB- 
aufbau d. Ambrosianischen Alleluia, AM XII, 1957; E. 
Moneta Caglio, I Responsori ,cum infantibus' . . ., in: 
Studi in onore di Mons. C. Castiglione, Mailand 1957; 
R. H. Jesson, Ambrosian Chant, in: W. Apel, Gregorian 
Chant, Bloomington (1958). 

Ambrosianischer Lobgesang -> Te Deum. 

Amener (amn'e; frz. amener, heranfiihren), aus 
Frankreich stammender Tanz des 17. Jh. ; Beispiele fin- 
den sich u. a. bei Pezel (1669), Gradenthaler (1675), 
J. C. F. Fischer, Biber. Vgl. den A. von A.Poglietti 
(DTO XXVIII, 2, S.63): 



!>: - \>. , , - ,*• 



Amerikanische Musik ->- L a t e i n a m e r i k a , ->• U S - 
amerikanische Musik. 

Amerikanische Orgel (Cottage Organ), ein -> Har- 
monium, das nicht durch komprimierte ausstromende, 
sondern durch verdiinnte eingesogene Luft die Zun- 
gen zum Ansprechen bringt und daher nicht so grell 
klingt. Die iiber den starker gebogenen Zungen ange- 
brachten Windkanale sind den Zungen langengleich. 
Die A.O. ist meist mit einer ->-Vox humana-Stimme 
und einem Knieschweller ausgestattet. Sie scheint 
(1835) von einem Arbeiter der Harmoniumfabrik J. 
Alexandre in Paris erfunden worden zu sein, der nach 
den USA auswanderte. Die A.O. wurde verbreitet in 
Amerika ab 1860 durch die Firma Mason & Hamlin in 
Boston, in Deutschland ab 1889 durch die Firma K. Th. 
Mannborg in Borna (Sachsen), spater Leipzig. 

Amiens (Somme). 

Lit.: G. Durand, La musique de la Cathddrale d'A., A. 

1922; P. Leroy, La Soc. des Concerts d'A., Bull, de la Soc. 

des Antiquaires de Picardie, 1 948 ; J. Nattiez, Melanges de 

critique et d'hist. La renaissance mus. a A. au XIX e s., A. 

1954. 

AMMRE (AMRE), Anstalt fur mechanisch-musikali- 
sche Rechte, ehemalige Anstalt, die sich mit der Ver- 
wertung der mechanischen Rechte durch Vergebung 
von Lizenzen an Hersteller befaBte und die damit ver- 
bundenen Kontroll- und Inkassoarbeiten besorgte. Die 
Gesellschaft wurde von den Musikverlegern 1909 als 



GmbH gegriindet. Ihre beiden Gesellschafter waren 
bis 1936 zu gleichen Teilen der Deutsche Musikalien- 
verlegerverein (DMVV) und die Societe Generale In- 
ternationale de l'Edition Phonographique et Cinema- 
tographique (EDIFO), Paris. 1935 wurde die Anstalt 
von den deutschen Berufsorganisationen der Kompo- 
nisten, Textdichter und Musikverleger ubemommen, 
nachdem seit 1933 in Deutschland Bestrebungen be- 
standen, die AMMRE in eine rein deutsche Gesell- 
schaft umzuwandeln. 1938 wurde die Anstalt sodann 
der STAGMA (-»■ GEMA) als Abteilung angegliedert. 
Seit der Umbenennung der STAGMA in GEMA war 
die AMMRE als AMRE eine Abteilung dieser Gesell- 
schaft, bis sie 1963 unter Aufgabe des Namens aus or- 
ganisatorischen Grunden ganz in die GEMA tiberge- 
gangen ist. 

Lit. : E. Schulze, Das deutsche Urheberrecht an Werken 
d. Tonkunst u. d. Entwicklung d. mechanischen Musik, 
Bin 1950; ders., Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche 
Urheberrechtsges., Bin 2 1956; ders., Die Zwangslizenz, 
Ffm. 1960; GEMA, Magnettongerate u. Urheberrecht, 
Slg v. Rechtsgutachten, Munchen u. Bin 1952. 

Amorschall (Klappenhorn), ein Waldhorn mit (ver- 
mutlich 2) Klappen; die Stiirze hat die Gestalt einer 
Halbkugel. Ein durchlocherter Deckel gleicher Ge- 
stalt kann iiber den Trichter gestiilpt werden, um die 
Stimmung zu verandem. Der Erfinder des A. ist K61- 
bel (Petersburg, um 1760). Seine Erfindung vermochte 
sich zunachst nicht durchzusetzen. Erst durch die mit 
Klappenmechanik ausgestatteten Signalhorner des 19. 
Jh. trat die Kolbelsche Erfindung in veranderter Form 
ans Licht. - Der Name A. wurde offensichtlich wegen 
der halbkugelformigen Deckung des Trichters analog 
dem -»• LiebesfuB bei Holzblasinstrumenten gewahlt. 

Amplitude -> Schwingung. 

Amsterdam. 

Lit. : D. Fr. Scheurleer, Het Muziekleven van A. in de 
17 e Eeuw, in: A. in de 17 e Eeuw III, Den Haag 1904; S. A. 
M. Bottenheim, Muziek te A. gedurende de achttiende 
eeuw, A., = Zeven eeuw A., hrsg. v. A. E. d'Ailly, Teil IV 
(um 1945); ders., Geschiedenis van het Concertgebouw, 
I— III, A. 1948-50; A. W. Ligtvoet, Muziekinstr. uit het 
Rijksmuseum te A., Den Haag 1952. 

Amusje, pathologischer Ausfall (Mangel oder Ver- 
lust) der musikalischen ->• Begabung, oft schon der 
Auffassungsfahigkeit (sensorische A.) oder aber der 
Gestaltungsfahigkeit (motorische A.), meist auf er- 
worbener, selten auf angeborener Grundlage (Hirn- 
schadigungen). Im weiteren Sinne werden zur A. auch 
umschriebene »periphere« Storungen oder Defek- 
te (->• Parakusis) des Gehororgans oder der Nervenlei- 
tung gerechnet. Pathologische Formen der A. ent- 
ziehen sich nicht selten der Beobachtung, weil die 
Storung vielfach fiir den Patienten nicht lebenswichtig 
ist und ihm kaum auffallt. 

Anabasis (griech., Aufstieg; lat. ascensio, ascensus), 
eine in der Musiklehre des 17.-18. Jh. (Kircher 1650, 
Janowka 1701, Vogt 1719, Walther 1732, Spiefi 1745) 
gelaufige Bild- und Affektfigur: die prononciert auf- 
warts fiihrende melodische Bewegung. Sie wird ange- 
wendet bei Textstellen wie Er ist auferstanden oder der 
soil erhohet werden. Die entgegengcsetzte Figur ist die 
->■ Katabasis. Ascensus wird in der Rhetorik auch fiir 
-> Climax bzw. Gradatio gebraucht. 

Anabole (griech., Anfang), seit Pindaros (5. Jh. v. 
Chr.) bezeugt fiir Einleitung eines Gesanges, ahnlich 
->Prooemium; im 16. Jh. humanistische Bezeichnung 
fiir ein frei praludierendes Instrumentalstiick, so die 
'AvafSohj in fa von Kotter. 



35 



Anacaria 



Anacaria (lat.) -»■ Nacaire. 

Anacrouse (anakr'u:z, frz. ; von griech. ixvaxpouoi^, 
Aufschlag) ->■ Auf takt. 

Anadjplosis (griech., Verdopplung), in der Kompo- 
sitionslehre des 17.-18. Jh. eine emphatische Wieder- 
holungsfigur. In der Rhetorik ist eine A. gegeben, wenn 
das Wort, das den Schlufi des einen Satzes macht, gleich im 
Anfang desfolgenden wiederholet wird (Gottsched). Ahle 
(1697 und nach ihm Walther 1732 und SpieB 1745) 
gibt als Beispiel Singet und riihmet / riihmet und lobet, 
und Vogt erklart: A., cum initiumfacimus ex praecedentis 
fine, ut: 



Finis periodi Principium alterius 

Er unterscheidet von der A. noch die Epanadiplosis, 
die er als Wiederholung der Anfangswendung eines 
Abschnittes am SchluB beschreibt (also gleichbedeu- 
tend mit -> Complexio). - Burmeister (1606) hingegen 
definiert die A. als eine doppelte ->- Mimesis; hierbei 
besteht die Anlehnung an die Rhetorik nur in der un- 
mittelbaren Wiederholung. 

Analepsis (griech., Aufnahme, Wiederholung), in 
der Kompositionslehre des 17.-18. Jh. eine im AnschluB 
an die rhetorische Figur der ->-Epanalepsis durch Bur- 
meister (1606) gebildete Bezeichnung £iir eine musika- 
lisch-rhetorische Figur: Aufeinanderfolge zweier Noe- 
men (-»■ Noema), die im Unterschied zur ->• Mimesis 
auf gleicher Tonhohe stehen. Das die musikalische Fi- 
gur der A. und die rhetorische Epanalepsis verbindende 
Moment ist die Wiederholung. 

Analyse (griech. liviiXuctt?) ist die Auflosung eines 
Gegebenen in seine Bestandteile oder Voraussetzun- 
gen. (Die Analytiken des Aristoteles behandeln, im 
Unterschied zur Topik, der »Findekunst«, die Reduk- 
tion von Schliissen auf ihre Pramissen.) Unter einer 
musikalischen A. wird generell die Zuruckiiihrung 
von Werken auf ihre rhythmischen, harmonischen 
oder formalen Elemente und Prinzipien, speziell die 
Formen-A. verstanden. Die technisch-asthetische A. von 
Musikwerken ist die Untersuchung ihres formalen Aufbaues 
nach ihrer Gliederung in Themen, Phrasen und Motive und 
deren Verkettung und Umbildung, Feststellung des Perio- 
denbaues, der Modulationsordnung usw., der Inbegriffwirk- 
licher musikalischer Formenlehre (Riemann). - Eine Vor- 
stufe der A. bildete die Kritik satztechnischer Details; 
sie war entweder von didaktischen (J. Tinctoris) oder 
von polemischen Absichten getragen (M. Scacchi, 
Cribrum musicum, 1643). Ein Einzelfall einer umfassen- 
den A. ist J. Burmeisters Beschreibung der modalen 
Struktur, der formalen Gliederung und der musikali- 
schen Rhetorik (-> Figuren) einer Motette von Lassus 
(Musica poetica, 1606). Zur literarischen Gattung wur- 
de die Werk-A. in der musikalischen Publizistik des 
18.Jh., die vom Interesse des aufgeklarten Publikums 
an rationaler und empirischer Begriindung des Gege- 
benen getragen wurde (J.Matthesons Kritik der Johan- 
nes-Passion von Handel, Critica musica II, 1725). Ein 
Modell der Formen-A. bildete die Gerichtsrede; ihr 
Schema wurde von Mattheson (1739) in einer Arie 
von B. Marcello, von J.N. Forkel (1788) in der Sona- 
tenform wiedererkannt. Die Vorbilder der musikali- 
schen A. im 19. Jh., E.T. A. Hoffmanns Aufsatz iiber 
Beethovens 5. Symphonie und Schumanns Kritik der 
Symphonie fantastique von Berlioz, verbinden eine Be- 
schreibung der Form und der Struktur mit einer Cha- 
rakteristik der besondern Idee und des Geistes, der uber 
Form, Staff und Idee waltet (Schumann). - H. Riemann 
trennte die A., fur die er eine differenzierte Termino- 



logie entwickelte, von der ->Hermeneutik. Die For- 
men-A. umfaBt, wenn unter Form der Zusammenschlufi 
der Teile des Kunstwerks zum einheitlichen Ganzen (Rie- 
mann) verstanden wird, auBer einer Beschreibung der 
Umrisse und Proportionen und der motivisch-thema- 
tischen Entwicklung auch die harmonische, satztech- 
nische und rhythmisch-metrische A. Im Gegensatz zu 
Riemanns Verfahren, die Struktur eines Werkes aus 
den Funktionen und Beziehungen der Teile und Ele- 
mente zu erklaren, betont die energetische Interpretation 
den ubergreifenden Bewegungszug (E.Kurth) und die 
Verlaufsspannung und Verlaufskurve (K.Westphal) mu- 
sikalischer Vorgange, die Gestalttheorie die unmittel- 
bar gegebene Einheit eines musikalischen Ganzen, die 
Wirkungsform statt der Daseinsform (A.Hildebrand). 
Man kann die Gestalttheorie als Gegensatz zur A., aber 
auch als deren Erganzung verstehen, denn um zeigen 
zu konnen, daB das Ganze einer Melodie mehr sei als 
die Summe der Tonbeziehungen, muB man die Sum- 
me zuvor gezogen haben. Der Methode Riemanns 
liegt das Modell einer Rede, einer dialektischen Entwick- 
lung (Riemann) zugrunde, der energetischen Erklarung 
die Vorstellung eines Kraftespiels, dem Aufdecken von 
»Substanzgemeinschaften« der Themen und Motive 
(A. Halm, H.Mersmann, W. Engelsmann) die Idee 
eines Organismus, der sich aus einem Keim entfal- 
tet. H. Schenker erklart den musikalischen Zusammen- 
hang eines Werkes durch Reduktion des Vordergrundes 
auf einen Hintergrund; eine Urlinie, z. B. ein Terzzug 
(e-d-c), bildet das verborgene Tongeriist, von dem die 
Ereignisse des musikalischen Vordergrundes getragen 
werden. - Aus der Erkenntnis der historischen und der 
ethnologischen Forschung, daB Begriffe wie Motiv 
und Thema in ihrer Geltung begrenzt werden miissen, 
wenn sie nicht ihren Inhalt verlieren sollen, konnen 
verschiedene Konsequenzen gezogen werden. Will 
man nicht an der gewohnten Nomenklatur festhalten 
und durch bloBe Anf uhrungsstriche den uneigentlichen 
Gebrauch der Termini anzeigen, so muB man entwe- 
der die Terminologie, die der A. zugrunde liegt, histo- 
risch verstehen, also Veranderungen des Begriffsin- 
halts auf Veranderungen der Sache beziehen, oder aber 
versuchen, ein Begriffs- und Zeichensystem zu ent- 
werfen, das geniigend differenziert ist, um ohne Um- 
deutungen der Vielfalt geschichtlicher und ethnischer 
Sachverhalte gerecht zu werden (-> Interpretation). 

Lit.: I. Krohn, Uber d. Methode d. mus. A., Kgr.-Ber. 
Wien 1909; H. Riemann, L. van Beethovens samtliche 
Klaviersonaten, Asthetische u. formaltechnische A. mit 
hist. Notizen, 3 Bde, = M. Hesses illustrierte Hdb. LI- 
LHI, Bin 1918-19, "1920; G. Becking, »H6ren« u. »Ana- 
lysieren«, ZfMw I, 1918/19; A. Schering, Mus. Bildung, 
Lpz. "1924; ders., Mus. A. u. Wertidee, JbP XXXVI, 1929 ; 
H. Mersmann, Versuch einer Phanomenologie d. Musik, 
ZfMw V, 1922/23; E. Kurth, A. Bruckner, 2 Bde, Bin 
(1925) ; A. Halm, Uber d. Wert mus. A., Mk XXI, 1928/29 ; 
W. Engelsmann, Beethovens Kompositionsplane, Augs- 
burg 1931 ; W. Danckert, Beitr. zur Bach-Kritik, Kassel 
1934; H. Schenker, Neue mus. Theorien u. Phantasienlll, 
Wien 1935, 21956; D. Fr. Tovey, Essays in Mus. Analysis, 
6 Bde, London 1935-39; H. Grabner, Lehrbuch d. mus. 
A., Lpz. o. J.; H. Federhofer, Beitr. zur mus. Gestalta., 
Graz 1950; ders., J. N. Davids A. v. Werken J. S. Bachs, 
AfMw XIX/XX, 1962/63; R. Reti, The Thematic Process 
in Music, NY 1951; G. GCldenstein, Synthetische A., 
SMZ XCVI, 1956; R. Traimer, Zum Problem d. mus. 
Werka., NZfM CXVII, 1956; H. Keller, Functional 
Analysis, MR XVIII, 1957; ders., Wordless Functional 
Analysis, MR XIX, 1958 ; J. LaRue, A System of Symbols 
for Formal Analysis, JAMS X, 1957; W. Fucks, Mathe- 
matische A. d. Formalstruktur v. Musik, Koln u. Opladen 
1958; Br. Nettl, Some Linguistic Approaches to Mus. 
Analysis, Journal of the International Folk Music Council 
X, 1 958 ; E. T. Cone, Analysis Today, MQ XLVI, 1 960 ; F. 



36 



Andante 



Salzer, Strukturelles Horen, Wilhelmshaven 1960; I. 
Bengtsson, On Relationships between Tonal and Rhyth- 
mic Structures in Western Multipart Music, STMf XLIII, 
1961; H. Goldschmidt, Zur Methodologie d. mus. A., 
Beitr. zur Mw. Ill, 4, Bin 1961 ; R. Smith, This Sorry 
Scheme of Things . . ., MR XXII, 1961 ; W. Kolneder, 
Visuelle u. auditive A., in: Der Wandel d. mus. Horens, 
Bin 1962. CD 

Ananeanes. Der byzantinische Kirchengesang stellt 
einem Gesang oder einer Strophe zuweilen melodische 
Formeln voran, die die wichtigsten Intervalle der Ton- 
art auf gedrangtem Raume zusammenf assen. Sie heiflen 
rjXT)U.a, auch EV7)x?)|ia oder a7nf)x?)(Aa. Die Worter oder 
Silbenfolgen, auf die diese Formeln gesungen werden, 
sind nicht erklart und nicht iiberall gleich iiberliefert; 
Wellesz nennt: ananeanes (I. authentischer Kirchen- 
ton), neanes (II. auth.), nana (III. auth.), hagia (IV. 
auth.), aneanes (I. plagialer Kirchenton), neeanes (II. 
pi.), aanes (III. pi.), neagie (IV. pi.). Auch die Herkunft 
dieser Worter ist unklar; Werner verweist auf he- 
braisch nin'ua', Triller, Melisma, Riemann auf die an- 
tike griechische Solmisation mit te xa -rrj tu, Wellesz 
auf Silben oder Worter ohne Bedeutung, wie sie in 
alterer und neuer Cantillation verschiedentlich einge- 
schaltet werden. Die Technik, langere Melismen auf 
anene, nenena und andere Silbenfolgen zu singen, war 
auch in Rufiland (wo sie Anenaika oder Chomonie 
hiefl) bekannt. 

Lit.: O. Fleischer, Die spatgriech. Notenschrift, = Neu- 
menstudien III, Bin 1904; H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, 
Lpz. 1905, S. 57ff.; ders., Te Ta Tn Tco u. No E A Ne, 
ZIMG XIV, 1912/13, S. 273ff.; O. v. Riesemann, Die No- 
tationen d. altruss. Kirchengesanges, Moskau 1908, auch 
= BIMG II, 8, Lpz. 1909; H. J. W.Tillyard, Hdb. of the 
Middle Byzantine Notation, = Monumenta Musicae By- 
zantinae, Subsidia I, 1, Kopenhagen 1935; L. Tardo, 
L'antica melurgia bizantina, Grottaferrata 1938; G. Ree- 
se, Music in the MA, NY 1 940 ; E. Werner, The Psalmodic 
Formula Neannoe . . ., MQ XXVIII, 1942; O. Strunk, 
Intonations and Signatures of the Byzantine Modes, MQ 
XXXI, 1945; E. J. Wellesz, A Hist, of Byzantine Music 
and Hymnography, Oxford 1949, 21961. 

Anaphora (griech., Wiederholung; lat. repetitio, 
auch relatio), in der Kompositionslehre des 17. und 18. 
Jh. eine im AnschluB an die Rhetorik erklarte musikali- 
sche Figur. In der Rhetorik ist A. die Wiederholung 
eines Wortes zu Beginn aufeinanderfolgender Satzab- 
schnitte oder Satze. Burmeister (1606) beschreibt die A. 
als Durchfiihrung (Wiederholung) eines Soggetto nur 
in einigen Stimmen, Thuringus (1625) im AnschluB an 
Burmeister (1599) als ostinate Fiihrung des Basses; in 
letzterer Bedeutung (dergleichen in Ciaconen geschiehet) 
wird sie von Walther (1732) unter Punkt 2) iibernom- 
men. Kircher (1650) definiert die A. : cum ad energiam 
exprimendam una periodus saepius cxprimatur, ahnlich 
Walther (1732) : wenn ein periodus, oder auch nur ein 
eintzelnes Wort, absonderlichen Nachdrucks halber, in einer 
Composition qffters wiederholet wird. 

Anaploke (griech., Verflechtung) nennt Burmeister 
1606 eine musikalisch-rhetorische Figur: in mehrcho- 
rigen Satzen wird ein — »■ Noema ein oder mehrereMale 
derart wiederholt, daB zugleich mit der Klausel von 
Chorus I der Beginn des Noemas in Chorus II erklingt 
usw. Burmeister schuf die Bezeichnung A. in Anleh- 
nung an die Ploke der Rhetorik ; diese ist die Wieder- 
holung eines gleichlautenden Wortes mit anderer Be- 
deutung oder die Wiederholung eines Satzes mit Um- 
stellung der Worter. 

Anblasen, s. v. w. entgegen- oder herabblasen, ge- 
schah vom Turme herab mit Trompeten zur Meldung 
und Ehrung herannahender Fremden, so belegt fur 
Niirnberg um 1620: die Raisigen . . . melden, vnd bifi in 



die Statt herein anblasen (Moser, S. 37) und am Ernestini- 
schen Hof 1653 : dehr Turmbldser, welcher unfi angeblasen 
(Aber, S.150). Das A. war aber nicht nur Sache der 
Hoftrompeter und der Trompeterzunfte an freien 
Reichsstadten, sondern gehorte - so wie das ->■ Abbla- 
sen - zu den Pflichten der Tiirmer und Stadtpf eifer : sie 
sollen wache uffm Thorme halten . . . und wan Reuter am 
tage aus oder einziehen, dieselben der Stadt zu ehren, mit 
der Trommete melden, unnd anblasen, so fur Halle 1571 
(Serauky, S. 281). 

Lit. : H. J. Moser, Die Musikergenossenschaften im deut- 
schen MA, Diss. Rostock 1910; A. Aber, Die Pflege d. 
Musik unter d. Wettinern u. wettinischen Ernestinern, 
.= Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biicke- 
burg IV, 1, Buckeburg u. Lpz. 1921 ; W. Serauky, Mg. d. 
Stadt Halle I, = Beitr. zur MusikforschungI, Halle u. Bin 
1935. 

Andalusien. 

Lit.: M. de Falla, El canto jondo: canto primitivo anda- 
luz, Granada 1922, frz. in: RM IV, 1923 ; J. Ribera y Tar- 
rago, La musica andaluza medieval ..., 3 Bde, Madrid 
1923-25; F. Cuenca, Galeria de miisicos andaluces con- 
temporaneos, La Habana 1927; C. u. P. Caba, Andalucia, 
su comunismo y su cante jondo, Madrid 1933; W. Starkie, 
The Gypsy in Andalusian Folk-lore and Folk-music, Proc. 
Mus. Ass. LXII, 1936; ders., Auf Zigeunerspuren, Miin- 
chen 1957; M. J. Kahn, Chant populaire andalou et mu- 
sique synagogale, in: Cahiers d'art, Nr 5-10, XIV, 1939; 
I. Rodriguez Mateo, La copla y el cante popular en An- 
dalucia, Sevilla 1946; R. Menendez Pidal, Cantos ro- 
manicos andalusies cintinuadores de una lirica lat. vulgar, 
Boletin de la Real Acad. Espafiola XXXI, 1951; A. Ba- 
lough, Cante jondo. Su origen y evolucion, Madrid 1955; 
B. Caballero u. J. Manuel, El cante andaluz, = Colec- 
ciones temas espanoles, H. 62, Madrid 2 1956; dies., An- 
dalusian Dances, Barcelona 1957. 

Andamento (ital., Gang), - 1) einer der Namen flir 
die Zwischenspiele in einer Fuge. - 2) Bezeichnung fur 
Fugenthemen von groBerer Ausdehnung (J.S.Bach, 
Fuge A moll, BWV -543), deutlicher Zweiteiligkeit 
(Handel, Fuge aus Belshazzar: Begin with pray'r, and 
end with praise) oder in sich geschlossener Melodik 
und Rhythmik (J. S. Bach, Chromatische Fuge D moll, 
BWV 903), speziell im Gegensatz zum -> Soggetto, 
worunter im 18. Jh. meist ein altertiimliches Thema 
von stilistischer Herkunft aus dem Ricercar des 16. Jh. 
verstanden wurde. 

Andante (ital., gehend) ist als Tempovorschrift seit 
dem spaten 17. Jh. nachweisbar (C.Pallavicino 1687) 
und bezeichnet eine mittlere, gelassen ruhige Bewe- 
gung, die weder als schnell noch als langsam empfun- 
den wird. (Ein A. in einer Haydn-Symphonie ist nicht 
an sich, sondern in Bezug auf ein vorausgcgangenes 
Allegro ein »langsamer« Satz.) Es ist ohne inneren Wi- 
derspruch moglich, von einem langsam gehenden (An- 
dante ma adagio, Mozart K.-V. 135) oder einem lebhaf t 
gehenden Zeitmafi (Andante vivace, Beethoven op. 82) 
zu sprechen. - Das mittlere A.-Tempo, das z.B. durch 
die (stilisierte) Allemande und die Polonaise (Mozart, 
K.-V. 284) reprasentiert wird, ist im 18. Jh. ungefahr 
M.M. 75 ; im 19. Jh. setzte sicK ein langsameres ZeitmaB 
als Norm des A. durch. Nicht weniger wesentlich als 
ein Tempo, das nicht laufend noch kriechend wirkt (Niedt 
1706), ist fur den A.-Eindruck ein Rhythmus, der es zu- 
laBt, auBer der schreitenden Bewegung der Zahlzeiten 
auch die Unterteilungswerte, z.B. die Achtelnoten ei- 
nes 4/4-Taktes, als »gehend« zu empfinden (Bach, Kan- 
tate BWV 71). Auf die Unterteilungswerte scheint 
sich J. G.Walthers Charakteristik des A. zu beziehen, 
in der von General-Bdssen, die in einer ziemlichen Bewe- 
gung sind, die Rede ist (1732; nach Brossard 1703). So- 
fern im 3/4-Takt die Zahlzeit, die Viertelnote, bestim- 



37 



Andantino 



mend hervortritt, ist A. ein mittleres ZeitmaB (Bach, 
2. Brandenburgisches Konzert); wird dagegen primar 
die Achtelnote als »gehend« empfunden, so nahert sich 
das Tempo der iibergeordneten Viertelnoten dem 
Adagio (Bach, Italienisches Konzert). Die Differenz 
zwischen iiber- und untergeordneter A.-Bewegung 
verscharft sich im 19. Jh. ; Weber bezieht in Euryanthe 
das A.-Tempo M.M. 75 einerseits auf die Viertelnote 
eines 3/4-Taktes (Nr 2, Andante con moto), anderer- 
seits auf die Achtelnote eines 2/4-Taktes (Nr 5, Andan- 
tino). - Zusatzbestimmungen zu A. sind nicht immer 
eindeutig. Die Bezeichnung con moto (bewegt) kann 
sich bei Beethoven auf die Zahlzeit (op. 138) oder den 
Unterteilungswert beziehen (op. 58), und mehr im 
Sinne einer Beschleunigung (op. 86) oder einer Intensi- 
vierung (op. 58) gemeint sein. Die Vorschriften piii a. 
und A. molto fordern ein gesteigertes A., meno a. und 
A. moderato ein gemaBigtes. Wird die A.-Bewegung 
als fester Gang empfunden, so bedeutet der Zusatz 
molto eine Intensivierung des Nachdrucks (Haydn, 
Symphonie Hob. 1, 18). Gilt dagegen ruhige Gelassen- 
heit als primares Bestimmungsmerkmal des A., so ist 
ein A. molto ein langsameres A. (Brahms, op. 5). 
Lit. : Fr. E. Niedt, Handleitung zur Variation, wie man d. 
Gb. u. dariiber gesetzte Zahlen variiren, artige Inventiones 
machen . . . konne, Hbg 1 706, 2 1 72 1 ; R. Steglich, Takt u. 
Tempo, DMK IV, 1939/40; ders., Uber d. Mozart-Klang, 
Mozart- Jb. 1950; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich- 
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959; W. 
Gerstenberg, A., Kgr.-Ber. Kassel 1962. CD 

Andantino (ital., Diminutiv von Andante) deutet 
einen musikalischen Bewegungscharakter an, der sich 
vom festeren Gang des Andante durch eine leichtere, 
schwebende Akzentuierung unterscheidet. Die Mei- 
nung, daB sich die Bezeichnung A. auf eine geringere 
Ausdehnung der Satze beziehe, beruht, wie Mozarts 
Don Giovanni erkennen laBt, auf einem MiBverstand- 
nis ; und auch die Temporelation zuin Andante, die oft 
als Bestimmungsmerkmal des A. angesehen wird, ist 
ein sekundares Moment. Nach J.-J. Rousseau (1767) 
bedeutet A. eine Verlangsamung, nach Castil-Blaze 
(1821) dagegen eine Beschleunigung des Andante- 
Tempos; Beethoven schrieb 1813 an G.Thomson, der 
Ausdruck A. sei »von so unbestimmter Bedeutung, 
daB einmal A. sich dem Allegro nahert und ein ander- 
mal fast wie Adagio ist«. Der Gegensatz zwischen 
Rousseau und Castil-Blaze diirfte in dem Sachverhalt 
begriindet sein, daB eine leichtere Akzentuierung (ohne 
Veranderung des absoluten Tempos) als MaBigung 
wirkt, also als Verlangsamung des Raschen und als Be- 
schleunigung des Langsamen; das Andante aber war 
im friihen 19. Jh. im allgemeinen ein ruhigeres Zeit- 
maB als im mittleren 18. Jh. Andererseits kennt Mozart 
sowohl ein langsameres A. sostenuto e cantabile (K.-V. 
316) als auch ein rascheres A. im Tempo di Menuetto 
(K.-V. 236). Das einzige gemeinsame Merkmal samt- 
licher A.-Satze ist ihr Bewegungscharakter. 

Anemochord, eine Konstruktion des Pianofortefabri- 
kanten J. J. Schnell zu Paris (1789), bei der eine Aols- 
harfe mit Balgen, einer Klaviatur und Registerziigen 
verbunden war. Die Idee wurde spater von F.W.M. 
Kalkbrenner und auch von H. Herz wieder auf genom- 
men (Piano eolien, 1851). 

Anenaika -*• Ananeanes. 

Angelica (and3'e:lika, ital.; frz. angelique), einegroBe 
theorbierte Laute mit 17 diatonisch gestimmten Darm- 
saiten: CDEFGAHc (Bordune) ; d e f g a h ci di d* 
(Spielsaiten). Die A. wird nach Walther (1732) wie ein 
Clavier, Ton-weise gestimmet, und soil leichter als die Lau- 
te zu spielen seyn. J. Kremberg gab fur Singstimme und 



A. heraus: Musicdlische Gemiiths-Ergoetzung oder Arien 
... (in Tabulatur), Dresden 1689. -> Vox angelica. 
Lit.: WaltherL, Artikel Angelique; J. Mattheson, Das 
Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713. 

Angklung, hauptsachlich in Java beheimatetes Schiit- 
telidiophon, das aus zumeist drei in Oktaven abge- 
stimmten Bambusrohren besteht. Die Rohren hangen 
in einem Bambusgitter frei nach unten; beim Schiitteln 
schlagen sie in unregelmaBiger Folge an die unterste 
Gitterstange und erzeugen dabei sanftklingende Tone. 
A.-Orchester, gewohnlich aus 9 oder 14 verschieden 
gestimmten Instrumented zusammengesetzt, lassen die 
pentatonische -»• Slendro-Skala iiber mehrere Oktaven 
hinweg erklingen. 

Lit. : C. McPhee, Angkloeng Gamelans in Bali, in: Djawa 
XVII, 1937; J. Kunst, Music in Java, 2 Bde, Den Haag 
1949. 

Anglaise (agl'e:z, frz.; span, inglesa; »englischer« 
Tanz), der alte, im 18. Jh. aufgekommene kontinental- 
europaische Name fur Tanze, die auf den britischen 
Inseln bekannt, urspriinglich Volkstanze waren und im 
2- oder 3teiligen Takt verliefen (2/4, 3/4, auch 3/8). 
Einige Tanze gelangten im spaten 17. Jh. von dort nach 
Frankreich und erhielten hier den Namen A. Die A., 
in Deutschland auch Francaise genannt, ist zumeist 
geradtaktig. Doch hat man auch andere englische Tan- 
ze A.n genannt (Ballads, Contredanses - beide im 2/2-, 
4/4- oder 2/4-Takt -, Hornpipes, im 3/4-, auch im 2/2- 
Takt, als Kettenform auch Chaine anglaise). In der 
deutschen Klaviersuite kommt die A. mitunter vor; 
J. S. Bach f iigte sie in die 3. seiner Franzosischen Suiten 
(BWV 814) ein. Haufig stimmt A. - bis auf den etwas 
anderen Schritt - auch mit Ecossaise uberein. Die A. 
kommt noch bis ins spate 19. Jh. vor. 
Lit.: Mattheson Capellm. ; A. Magriel, Bibliogr. of 
Dancing, NY 1936. 

Anhall nennt man das Einschwingcn eines Schallvor- 
ganges in einem Raum vom Beginn bis zu dem Zeit- 
punkt, in dem die Schallenergiedichte im Raum einen 
Grenzwert erreicht hat. Der A. kommt dadurch zu- 
stande, daB dem direkten Schall nach und nach Schall- 
ruckwiirfe von den Begrenzungsflachen des Raumes 
folgen, deren Uberlagerung schlieBlich zu einem sta- 
tionaren Zustand maximaler Energiedichte fiihrt. Je 
kleiner der Raum und je groBer seine Dampfung ist, 
um so kiirzer ist der A.-Vorgang. 
Lit. : W. Furrer, Raum- u. Bauakustik f. Architekten, Ba- 
sel u. Stuttgart 1956; L. Cremer, Statistische Raumaku- 
stik, = Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik II, Stutt- 
gart 1961. 

Anhemitonisch (griech.), halbtonlos, -> Pentatonik. 

Anonym (griech., namenlos) iiberliefert ist eine Schrif t 
oder ein Musikstiick dann, wenn aus der Handschrift 
oder dem Druck der Name des Verfassers nicht un- 
mittelbar hervorgeht. Entweder fehlt der Name ganz, 
oder er wird verborgen durch -> Pseudonym (Aristp- 
xen der Jungere fur Mattheson), Anagramm (Melante 
fur Telemann), Monogramm (MPC fur Michael Prae- 
torius Creuzbergensis) oder Akrostichon (Anfangs- 
buchstaben der 7 Bucher des Speculum musicae). Zu den 
a.en Schriften zahlen auch solche, deren Zuschreibung 
sich als falsch erwiesen hat (Hucbald), wobei dieSchrift 
den unrechtmafiigen Namen mit dem Zusatz Pseudo 
(unecht) weitertragt, oder die sich auf einen beriihmten 
Theoretiker meist mit dem Zusatz secundum beziehen 
(Ars discantus secundum], de Muris). A. sind Musikstiicke 
auch dann iiberliefert, wenn ihr Verfasser durch Se- 
kundarquellen erschlossen werden kann (die Motetten 
Vitrys durch Nennung der Texte in Traktaten). A.e 
Schriften werden durch Zahlen (die Anonymi I-XIII 



38 



bei CS III), durch Angabe der Herausgeber (Anonymus 
Bellermann), durch Fundorte (Mailander Traktat) 
oder durch Bibliothekssignatur (Vatikanischer Orga- 
numtraktat Ottob. lat. 3025) unterschieden. - Wah- 
rend in der hofischen Literatur des Mittelalters Anony- 
mitat eine Ausnahme ist, bleiben bis ins spate Mittelal- 
ter Musik und Musiktheorie zu einem grofien Teil a. 
iiberliefert. Allerdings sind gerade wichtige, die Wand- 
lung der Musik verursachende oder spiegelnde Schrif- 
ten mit Verfassernamen bekannt (Guido von Arezzo, 
Johannes Affligemensis, Johannes de Garlandia, Franco 
von Kdln, Marchettus von Padua, Muris, Vitry). Zu 
den Griinden fiir die Anonymitat gehoren neben »de- 
miitiger Gesinnung« (Schwietering 1921) das Abschrei- 
ben aus Vorlagen, die Berufung auf Autoritaten, das 
Nachschreiben von Vorlesungen (secundum J. de Mu- 
ris) und bruchstiickhafte Uberlieferung. - A.e Traktate 
haben gesammelt und veroffentlicht Gerbert (1784, 
GS), Coussemaker (1852, Histoire; 1864-76, CS), La- 
fage (1856) und Mettenleiter (1866). 
Gerbert: Anonymus I (GS I) gehort zur Reichenauer 
Schule; die Musica Enchiriadis und deren Scholien 
wie der Traktat De alia musica (GS I) sind a. oder miis- 
sen als Pseudo-Hucbaldsche Schriften bezeichnet wer- 
den; die Summa musicae (GS III) ist wahrscheinlich vor 
1300 in Deutschland entstanden. 
Coussemaker: Mailander Traktat (Coussemaker, Hi- 
stoire), Teile bei Zaminer (1959), Varianten bei Stein- 
hard (1921), Organumtraktat des 12. Jh. ; Anonymus I 
(CS I) : Tractatus de consonantiis musicalibus, in Wahrheit 
vom jungen Jacobus von Liittich (Bragard 1954); 
Anonymus II (CS I) : Tractatus de discantu, 13. Jh., Fran- 
co-Nachfolge (Wolf 1904); Anonymus III (CS I): De 
cantu mensurabili, 14. Jh., lateinische Ubersetzung von 
Quiconques veut deschanter (Coussemaker, Histoire; Bu- 
kofzer 1954) ; Anonymus IV (CS I) : De tnensuris et dis- 
cantu, iiberliefert Nachrichten liber die Notre-Dame- 
Schule, nennt Perotin und Leonin, englischer Verfasser, 
urn 1300 (Hiekel 1962); Anonymus V (CS I): De dis- 
cantu, Satzregeln wie bei Anonymus IV, 14. Jh. (Bu- 
kofzer 1954) ; Anonymus (CS II) : Tractatus de musica, 
auch Lowener Traktat genannt, um 1200 (Smits 
1939), fragmentarisch; zu ihm der Traktat Cuiusdam 
Carthusiensis (CS II), dem Inhalt nach ins 12. Jh. ge- 
horend, aber erst nach 1380 geschrieben. Anonymus 
I (CS III) : De musica antiqua et nova, weitgehend iden- 
tisch mit IV. Principale (CS IV) ; Anonymus II (CS 
III) : De musica antiqua et nova, Notationstraktat, nach 
Vitry, erwahnt die Taktpunkte des Marchettus von Pa- 
dua (v. Fischer 1956); Anonymus III (Gilles 1961) und 
IV (CS III) : wie Anonymus II ; Anonymus V (CS III) : 
Ars cantus mensurahilis, aus der Muris-Schule (Besseler 
1926), beschreibt die italienische Notation (Wolf 1904), 
kennt Machaut; Anonymus VI (CS III): De musica 
mensurabili (Muris-Schule, von einem englischen Ver- 
fasser) ; Anonymus VII (CS III) : De diversis manieribus 
in musica mensurabili, Notationstraktat, vermutlich von 
einem italienischen Verfasser (v. Fischer 1956), um 1400 
(v. Fischer 1959) ; Anonymi X, XI und XII (CS III) : De 
minimis notulis, Tractatus de musica plana et mensurabili, 
Compendium cantus figurati, drei Traktate des 15. Jh., XI 
und XII sind willkiirlich getrennt (Bartha 1936); 
Anonymus XIII (CS III): Tractatus de discantu, fran- 
zosisch geschrieben, 14. Jh. (Bukofzer 1954) ; Anony- 
mus (CS IV) : Tractatus de musica figurata et de contra- 
puncto, Satze von Busnois und Jaspart. 
Mehrere Traktate tragen Verfassernamen, die sich als 
Irrtum herausgestellt haben. Neben dem Pseudo-Ari- 
stoteles (CS I, -»-Lambertus) ist die Schrift Discantus 
Positio vulgaris (CS I; Coussemaker, Histoire; Cserba 
1935) zu erwahnen, die nicht von Garlandia stammt, 



Anonym 

sondern zum Teil vorher entstanden sein muG; eben- 
falls unter dem Namen Garlandia steht die Optima in- 
troductio in contrapunctum (CS III), die, weil aus dem 
14. Jh. stammend, zur Hypothese eines Johannes de 
Garlandia des Jiingeren verleitet hat. Auch die Princi- 
palia (CS IV) sind a. (Reaney 1962) ; die Rubricae breves 
des Marchettus (CS III) sind nicht von ihm (v. Fischer 
1959). Die Traktate secundum Johannem de Muris 
sind zum Teil Vorlesungsnachschriften, gehoren teil- 
weise erst ins 15. Jh. (Arsdiscantus, CS III). 
Lafage (1856) veroffentlicht einen nach ihm benannten 
Organumtraktat aus dem 12. Jh. (Teile bei Handschin 
1942, vollstandig hrsg. v. Seay 1957). Zu den verstreut 
edierten Choraltraktaten zahlt der Anonymus Wolf 
(1893), auch Anonymus Basiliensis genannt, der zur 
Reichenauer Schule gehort. Zur Liitticher Schule wer- 
den eine Reihe von a.en Traktaten gerechnet: Anony- 
mus in Micrologum Guidonis Aretini Commentarius (Vi- 
vell 1917), um 1070; Expositio de motu (Smits 1939) um 
1070; Quaestiones de Musica (Steglich 1911) um 1090; 
Tractatus de Musica (Smits 1939) um 1150; iiber die Zu- 
sammenhange berichtet Smits (1949). Von den ver- 
streut edierten Organumtraktaten seien genannt: Der 
BambergerDialog.derPariser Organumtraktat (Waelt- 
ner 1955) und der Kolner Traktat (Muller 1884 und 
Waeltner 1955), Scholien zur Musica Enchiriadis; der 
Londoner Traktat (Teile bei Schneider 1935), der Trak- 
tat von Montpellier (Handschin 1930), der Vatikani- 
sche Organumtraktat (Zaminer 1959). Von den ver- 
streut edierten Traktaten gehoren ins 14. Jh. ein von 
Wolf (1908) und ein von Angles (1958) edierter Men- 
suraltraktat sowie eine Musica (Federhofer-Konigs 
1962), ins 15. Jh. ein italienischer Mensuraltraktat (Ca- 
rapetyan 1957), bei Bukofzer (1936) edierte englische 
Diskanttraktate, ein Tractatus de musica mensurabili 
(Wolf 1918) aus Breslau und Ein tutsche Musica 1491 
(Geering 1962 und 1964). Aus dem friihen 16. Jh. 
stammt ein unbekanntes Druckwerk (Mantuani), das 
mit dem a. iiberlieferten Introductorium musices von 
Cochlaeus (Riemann 1897) weitgehend ubereinstimmt, 
sowie eine deutsche Kompositionslehre (Dahlhaus 
1956). Unter der grofien Zahl von GeneralbaBleh- 
ren linden sich einige A.e: eine Carissimi und eine 
dem Fraulein von Freudenberg zugeschriebene (Ober- 
dorfer 1955), zwei Anleitungen aus dem 18. Jh. (Eitner 
1898), doch die Zahl ist klein. Dagegen greift der 
Hang zum Verschweigen des Verfassernamens (Mer- 
ker/Stammler 1958) im 18. Jh. auch auf das Musik- 
schrif ttum uber. 

Die mehrstimmige Musik wird bis ins 14. Jh. hinein 
(Machaut) nicht mit Autorennamen notiert (Ausnah- 
me: Adam de la Halle), wahrend die vorwiegend hofi- 
sche einstimmige Musik wie die meiste mittelhoch- 
deutsche Dichtung mit Verfassernamen iiberliefert ist. 
Mehr als ein uberwiegend sakraler Zweck und Inhalt 
der kiinstlerischen Aussage (Pohlmann 1962) begriin- 
det die Anonymitat wohl der bis ins 13. Jh. seinem 
Wesen nach a.e Vorgang mittelalterlichen Komponie- 
rens (->• Discantus). DaB erst Machauts Kompositionen 
mit Verfassernamen iiberliefert sind, wahrend die Mo- 
tetten Vitrys zwar von Theoretikern genannt, aber in 
den Handschriften mit Ausnahme dreier Stiicke in spa- 
ten Codices a. bleiben, erklart sich dann wohl auch dar- 
aus, daB die Machaut-Codices das gesamte lyrische und 
epische Werk uberlief ern : die Musik ist ein Teil davon, 
und es ist moglich, daB durch den literarischen Brauch 
der Namensnennung diese in den musikalischen Be- 
reich ubernommen wurde. Der f riiheste Codex mit Tre- 
centomusik (->• Quellen: Rs, um 1350, v. Fischer 1956) 
iiberliefert die Musik noch a. ; erst die Codices um 1400 
bringen Komponistennamen, nun in groBer Zahl(fW, 



39 



Anonym 



FP, Pit, Sq). In Frankreich sind in dem Codex Apt aus 
dem spaten 14. Jh. eine Reihe Kompositionen mit Ver- 
fassemamen notiert (auch MeBfragmente). Die Hand- 
schrift PR I-III uberliefert 96%, Randquellen wie die 
Handschrif ten Lo 37% und TuB alles a. Im 15. Jh. wird 
die Nennung des Verfassers zur Regel. Zugleich setzt 
die Oberlieferung falscher Namen ein. Teilweise wur- 
den die Verf asser vergessen, namentlich in spaterer Zeit 
sind dann die Stiicke a. uberliefert (zu Dufay: Besseler 
1954), teilweise standen geschaftliche Griinde im Vor- 
dergrund (Josquin, fiir dessen Beriihmtheit auch die 
geringe Zahl a. uberlieferter Werke spricht), teilweise 
lagen Verwechslungen mit Meistern ahnlichen Na- 
mens vor (Lupus-Lupi-Hellinck). Die falschen Zu- 
schreibungen reichen bis in die Zeit der Wiener Klassik 
(Symphonien und Streichquartette Haydns) ; samtliche 
grbBeren BibUotheken sind im Besitz a.er Symphonien 
(Eitner 1898). - Im Zusammenhang mit der Uberwin- 
dung der Anonymitat wachst das BewuBtsein des 
Komponisten vom Eigentum an seinem Werk, dessen 
Sicherung durch urheberrechtliche MaBnahmen (Nach- 
druckprivilegien, Honoraranspriiche gegen Verleger) 
gewahrleistet wird. 

Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica, 
in: CS I u. hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien 
zur Mw. II, 2, Regensburg 1935; M. GerbertOSB, Scrip- 
tores ecclesiastici de musica sacra potissimum . . . , 3 Bde, 
St. Blasien 1784, Neudruck Graz 1905, Mailand 1931, Hil- 
desheim 1963; J. Fr. Bellermann, Anonymi scriptio de 
musica. Bachii senioris introductio artis musicae . . . , Bin 
1841 ; Ch.-E.-H. de Coussemaker, Hist, de l'harmonie au 
moyen age, Paris 1 852 ; ders., Scriptorum de musica medii 
aevi . . . , 4 Bde, Paris 1864-76, Neudruck Graz 1908, Mai- 
land 1931, Hildesheim 1963; A. de Lafage, Essais de 
diphtherographie mus., 2 Bde, Paris 1856; D. Mettenlei- 
ter, Aus d. mus. Vergangenheit bayrischer Stadte: Mg. d. 
Stadt Regensburg, Regensburg 1866; H. Muller, Hue- 
balds echte u. unechte Schrif ten iiber Musik, Lpz. 1 884 ; J. 
Wolf, Ein a.er Musiktraktat d. 1 1 .-1 2. Jh., Vf Mw IX, 1 893 ; 
ders., Gesch.d.Mensural-NotationI, Lpz. 1904;ders., Ein 
a.er Musiktraktat aus d. ersten Zeit d. »Ars nova«, KmJb 
XXI, 1908 ; ders., Ein Breslauer Mensuraltraktat d. 1 5. Jh., 
AfMw 1, 1918/19; H. Riemann, Anonymi Introductorium 
Musicae, Mf M XXIX, 1 897 u. XXX, 1 898 ; Riemann MTh ; 
R. Eitner, Biogr.-Bibliogr. Quellen-Lexikon d. Musiker u. 
Musikgelehrten, 10 Bde, Lpz. 1900-04; J. Mantuani, Ein 
unbekanntes Druckwerk (Das »Tetrachordum musicae« 
v. Cochlaeus), = Mitt. d. osterreichischen Ver. f. Biblio- 
thekswesen VI, 1902; R. Steglich, Die Quaestiones in 
Musica, = BIMG II, 10, Lpz. 191 1 ; C. Vivell, Commen- 
tarius Anonymus in Micrologum Guidonis Aretini, = Stu- 
dien u. Mitt, zur Gesch. d. Benediktinerordens XXXV, 
N. F. IV, 1914, u. Sb. Wien CLXXXV, 5, 1917; J. Schwie- 
tering, Die Demutsformel mhd. Dichtung, Bin 1921 ; E. 
Steinhard, Zur Friihgesch. d. Mehrstimmigkeit, AfMw 
III, 1921; H. Besseler, Studien zur Musik d. MA II, 
AfMw VIII, 1926; J. Handschin, Der Organum-Traktat 
v. Montpellier, in : Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. 
Lpz. 1930; ders., Aus d. alten Musiktheorie, AMI XVI, 
1944; H. Sowa, Ein a.er glossierter Mensuraltraktat 1279, 
Kassel 1930; ders., Textvariationen zur Musica Enchiri- 
adis, ZfMw XVII, 1935; R. v. Ficker, Der Organumtrak- 
tat d. Vatikanischen Bibl. (Ottob. 3025), KmJb XXVII, 
1932; M. Schneider, Gesch. d. Mehrstimmigkeit II, Bin 
1935, Rom 2 1964; D. Bartha, Studien zum mus. Schrift- 
tum d. 15. Jh., AfMf I, 1936; M. F. Bukofzer, Gesch. d. 
engl. Diskants, = Slgmw. Abh. XXI, StraBburg 1936; J. 
Smits van Waesberghe S J, Muziekgeschiedenis d. Middel- 
eeuwen I, Tilburg 1936; ders., Some Music Treatises and 
Their Interrelation, MD III, 1949; ders., Cymbala (Bells 
in the MA), = Studies and Documents I, Rom 1951 ; ders., 
(Hrsg.), The Theory of Music from the Carolingian Era up 
to 1400, I, Munchen u. Duisburg 1961 (RISM); R. Bra- 
gard, Le Speculum Musicae du Compilateur Jacques de 
Liege, MD VIII, 1 954 ; E. L. Waeltner, Das Organum bis 
zur Mitte d. 11. Jh., Diss. Heidelberg 1955, maschr.; K. v. 
Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen 



Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen Mu- 
sikforschenden Ges., II, 5, Bern (1956); ders., Zur Ent- 
wicklung d. ital. Trecento-Notation, AfMw XVI, 1959 ; C. 
Dahlhaus, Eine deutsche Kompositionslehre d. friihen 
16. Jh., KmJb XL, 1956; A. Carapetyan, Anonimi No- 
titia del valore delle note del canto misurato, CSM V, 1957 ; 
A. Seay, An Anon. Treatise from St. Martial, Ann. Mus. V, 
1957 ; H. Angles, De cantu organico Tratado de un autor 
Catalan del S. XIV, AM XIII, 1958; H. Federhofer, Zur 
hs. tlberlieferung d. Musiktheorie in Osterreich in d. 2. 
Halfte d. 17. Jh., Mf XI, 1958; Merker/Stammler, Real- 
lexikon d. deutschen Literaturgesch., Bin 2 1958 ; F. Blum, 
Another Look at the Montpellier Organum Treatise, MD 
XIII, 1959; Fr. Zaminer, Der Vatikanische Organum- 
Traktat (Ottob. lat. 3025), = Miinchner Veroff. zur Mg. II, 
Tutzing 1959; Anonymus IV, hrsg. u. fibers, v. L. A.Ditt- 
mer, Brooklyn 1959; R. Federhofer-Konigs, Ein a.er 
Musiktraktat aus d. 1. Halfte d. 16. Jh., KmJb XLV, 1961 ; 
dies., Ein a.er Musiktraktat aus d. 2. Halfte d. 14. Jh., 
KmJbXLVI, 1962; A. Gilles, L'Anonyme III de Cousse- 
maker, Scriptores III, MD XV, 1961 ; A. Geering, Ein 
tutsche Musica d. figurierten Gesangs 1491, Fs. K. G. Fel- 
lerer, Regensburg 1 962 ; Ein tutsche Musica, hrsg. v. dems., 
2 Teile, = Schriften d. literarischen Ges. Bern IX, Bern 
1964; H. O. Hiekel, Zur tlberlieferung d. Anonymus IV, 
AMI XXXIV, 1962; G. Reaney, Zur Frage d. Autoren- 
zuweisung in ma. Musiktraktaten, Kgr.-Ber. Kassel 1962; 
H. Pohlmann, Die Friihgesch. d. mus. Urheberrechts, = 
Mw. Arbeiten XX, Kassel 1962. HK 

Ansatz, - 1) bei Blasinstrumenten die Stellung der 
Lippen beim Anblasen (frz. embouchure, was auch 
->■ Mundstiick heiBt). Bei der ->■ Querflote formen die 
Lippen ohne Stiitze durch ein Mundstiick ein Luf tband, 
das gegen die Kante des Mundlochs geblasen wird. Bei 
Doppelrohrblattinstrumenten wird entweder das Rohr 
ganz in den Mund genommen (Windkapsel-A.) oder 
mit Lippen und Zahnen gefaBt. Der Windkapsel-A. ist 
heute nur noch im Orient iiblich; im Abendland fand 
der Ubergang zum modernen A., der die Beeinflus- 
sung des Tons und das tjberblasen ermbglicht, in der 
1. Halfte des 17. Jh. statt. Ein ahnlicher Ubergang lag 
der Beschreibung des Theophrast zufolge beim Spiel 
des Aulos um 350 v. Chr. vor. Bei Instrumenten mit 
Kesselmundstiick wirken die an das Mundstiick gesetz- 
ten Lippen annahernd wie Gegenschlagzungen. Beim 
Ansetzen werden Ober- und Unterlippe von jeweils 
der Halfte des Mundstiicks bedeckt, beim Einsetzen 
die Oberlippe von etwa 2/3. - 2) Beim Gesang werden 
unter A. verstanden : die Einstellung der an der Stimm- 
bildung beteiligten Organe, die beginnende oder en- 
dende Tatigkeit der Stimmlippen und auBerdem das 
Ergebnis der Tonbildung. Im engeren Sinne spricht 
man je nach der Art, wie die Stimmlippen zu schwin- 
gen beginnen oder enden, vom gehauchten, weichen, 
gepreBten oder festen (Glottisschlag) Ein- bzw. Ab- 
satz. Der Sanger zieht, um gute Intonation zu erzielen, 
einen fast harten, besser festen Einsatz vor, wahrend 
der Absatz weich ist, weil die Stimmlippen dabei ohne 
nachfolgendes Hauchgerausch und unter schneller 
Dampfung auseinandergehen. Der A. der Konsonan- 
ten erfolgt im Ansatzrohr. 
Lit.: zu 1): H. Hofmann, fJberd. A. d. Blechbl., Kassel 1956. 

Ansatzrohr -> Stimme. 
Ansbach (Mittelfranken). 

Lit.: H. Mersmann, Beitr. zur A.er Mg. bis 1703, Lpz. 
1916; Fr. W. Schwarzbeck, A.er Theatergesch. bis ... 
1686, = Die Schaubuhne XXIX, Emsdetten i. W. 1939 ; A. 
Bayer, St. Gumprechts Kloster u. Stift in A., = Veroff. d. 
Ges. f. Frankische Gesch. IX, 6, Wilrzburg 1948; G. 
Schmidt, Die Musik am Hofe d. Markgrafen v. Branden- 
burg- A. vom ausgehenden MA bis 1806, Kassel 1956. 

Anschlag, - 1) Doppelvorschlag (frz. port de voix 
double; engl. double appoggiatura), bellebte Verzie- 



40 



Anthem 



rung des mittleren und spaten 18. Jh., die zur -»■ Vor- 
schlag-Gruppe gehort. Er besteht aus einer unteren 
und aus einer oberen Vorschlagsnote, wird stets mit 
kleinen Noten dargestellt und auf den Schlag ausge- 
fiihrt. Die 2. Note mufl eine (obere oder - seltener - 
untere) Nebennote sein, die 1. Note kann, als untere, in 
beliebigem (haufig Terz-) Abstand zu dieser stehen. Man 
unterscheidet den kurzen A. (2 gleichwertige Noten) : 







und den langen (punktierten) A., 
der jedoch nur in langsamen 
Satzen vorkommt: 
Wahrend der kurze A. prinzipiell 
unbetont ausgefiihrt wird, so daB 
die Betonung der Hauptnote sich 
gegen den Takt verschiebt, wird 
der lange A. immer betont; bei- 
de werden an die Hauptnote an- 
gebunden. Der kurze A. kommt 
noch in der Romantik (Chopin) 
in gleicher Weise vor wie im 18. Jh. - 2) (engl. touch), 
beim Klavierspiel die Bewegung der Finger, die auf 
die Tasten wirkt und damit den Ton auslost; der A. 
ist der -> Bogenfuhrung der Streicher vergleichbar. 
Die Beobachtung, daB durch den A. die Tonquali- 
tat beeinfluBt wird, wurde auch fiir das Cembalo ge- 
macht (u. a. Quantz XVII, VI, 18). Die Klavierschulen 
des 16.-18. Jh. gehen bei der Behandlung der Artiku- 
lation auf Clavichord, Cembalo und Orgel nur am 
Rande auf die Bewegungsvorgange ein. Eine von der 
Bewegung her orientierte Lehre der verschiedenen 
A.s-Arten entwickelten erst die Lehrwerke fiir das 
Pianoforte des 19. Jh. (u. a. -> Chiroplast). Daneben 
trat, hervorgerufen durch die virtuose Klaviertechnik 
und die massiveren Instrumente mit groBerem Tasten- 
druck, die Diskussion um den physiologisch richtigen 
A. Da eine isolierte Finger- oder Handgelenktechnik 
nicht mehr ausreichte, wurde auf die Kraftquellen der 
grolkrcn Muskcln (Arm, Rumpf) und den »freien Fall« 
der Armmasse zuriickgegriffen (Gewichtstechnik). Fiir 
die moderne Klaviertechnik gilt eine bestimmte phy- 
siologische Methode nicht mehr; wichtig ist der Aus- 
gleich von Spannung und Entspannung sowie das Ver- 
meiden isolierter Bewegung, das Erzielen eines schonen 
Klaviertons, die Beherrschung einer moglichst ausgedehnten 
dynamischen Skala sowie die Sicherheit in der bewufiten 
Anwendung der verschiedenen Arten des Legato- und 
Staccato-Spiels (Gieseking). 

Lit.: zu 1): Bach Versuch II, 6; Fr. W. Marpurg, Anlei- 
tung zum Clavierspielen, I, IX, 3, Bin 1755; Mozart Ver- 
such ; D. G. Turk, Klavierschule IV, §§ 12-17, Lpz. u. Halle 
1789,Faks.hrsg.v.E.R.Jacobi, = DMlI,23,1962.-zu2): 
Quantz Versuch ; J. N. Forkel, Ueber J. S. Bachs Leben, 
Kunst u. Kunstwerke, Lpz. 1802, 21855, NA v. J. M. Mul- 
ler-Blattau, Augsburg 1925, Kassel 41950; A. Kullak, Die 
Kunst d. A., Lpz. 1855; ders., Asthetik d. Klavierspiels, 
Bin 1860, 7-81920; H. Riemann, Hdb. d. Klavierspiels, Bin 
u. Lpz. 1888, 5 1916; A. Ritschl, Die Anschlagsbewegun- 
gen beim Klavierspiel, Bin 1888, 21911; M. Jaell, Le tou- 
cher, 3 Bde, Paris 1895-99, deutsch Bd I Lpz. 1901; E. 
Sochting, Die Lehre v. freien Fall, Magdeburg 1898; E. 
Caland, Die Deppesche Lehre d. Klavierspiels, Stuttgart 
1897, 51921 ; R. M. Breithaupt, Die naturliche Klavier- 
technik, I Lpz. 1907, 71927, II 1906, "1925; T. Matthay, 
The Act of Touch, London 1905, deutsch Lpz. 1914; T. 
Bandmann, Die Gewichtstechnik d. Klavierspiels, Lpz. 
1907; F. A. Steinhausen, tjber d. physiologischen Fehler 



u. d. Umgestaltung d. Klaviertechnik, Lpz. 1907, M929; 
E. Tetzel, Das Problem d. modernen Klaviertechnik, Lpz. 
1909, 31929; M. Lamm-Natannsen, Die Entwicklung d. 
pianistischen Anschlagskunst, Bin 1916; W. Gieseking, 
Moderne Anschlagsprobleme, Fs. d. Deutschen Akad. f. 
Musik u. darstellende Kunst in Prag 1920-30, Prag 1931, 
auch in: W. Gieseking, So wurde ich Pianist, Wiesbaden 
1963; M. F. Schneider, Beitr. zu einer Anleitung, Clavi- 
chord u. Cemb. zu spielen, Lpz. u. StraBburg 1934; W. 
Krause, Der pianistische A., Graz u. Wien 1962. 

Anschlufi-Motiv nennt H. Riemann ein Motiv, das 
an eine SchluBwendung angehangt ist und (sie bestati- 
gend oder verandernd) deren Gewicht iiberbietet, ohne 
doch die Taktordnung und den Periodenbau zu storen. 
Ein A.-M. ist gewissermaBen eine fortentwickelte 
Weibliche Endung. Wenn Clementi (op. 4, 6) statt der 
Endung (*) 



f'^JHr pir J Mf i r * 



das A.-M. 265 



pc/ctf/ir 



schreibt, so 



A.-M. 



hebt er damit die SchluBwirkung nicht auf, verstarkt 
aber die weibliche HalbschluBbildung {T-D) durch 
die Entwicklung des zusatzlichen Motivs, das aus der 
SchluBwirkung herausstrebt und die Dominantbedeu- 
tung verstarkt. A.-M.e zeigen im Vortrag selbstandige 
dynamische Ausstattung (crescendo-stringendo nach 
ihrem Schwerpunkt hin), sind aber von weiterfiihren- 
den, neue Anfange bildenden Motiven dadurch unter- 
schieden, daB ihr Tempo gehemmt ist. 
Lit. : H. Riemann, System d. mus. Rhythmik u. Metrik, 
Lpz. 1903. 

Anthem ('senoam, engl., von lat. antiphona; altengl. 
antefn; mittelengl. antem, antym) bezeichnet nach 
einem Bedeutungswandel von Antiphon zu Motette 
seit der Mitte des 16. Jh. im allgemeinen die national- 
sprachliche geistliche, liturgisch nicht gebundene, meist 
iiber Bibeltexte komponierte Chormusik Englands, 
die haufig im Morgen- und Abendgottesdienst der 
anglikanischen Kirche gesungen wurde (z. B. nach der 
dritten Kollekte und nach der Predigt). Im neueren 
Sprachgebrauch bedeutet A. in ubertragenem Sinn 
auch Lobeshymne (National A.). - Die Entstehung des 
A. ist eng verknupft mit der Forderung der Reforma- 
toren nach besserer Verstandlichkeit des Bibelwortes 
und Abschaffung der lateinischen Sprache im Gottes- 
dienst. Die Herkunft des chorischen, sogenannten Full 
A. von der Motette bezeugen die bis ins spate 16. Jh. 
vorkommenden Umarbeitungen lateinischer Motetten 
sowie die Tatsache, daB die ersten Komponisten von 
A.s, Tye, Tallis und White, sowohl Motetten als auch 
Full A.s geschaffen haben. Indessen unterscheidet sich 
das Full A. des 16. Jh. vom Typus der durchimitieren- 
den Motette durch vorwiegend syllabische Textver- 
tonung, haufige Verwendung homophoner Satzweise 
und kurzgliedrige, dem Textrhythmus angepaBte Me- 
lodik. Schon in den A.s der elisabethanischen Zeit und 
zu Beginn des 17. Jh., bei Byrd, Morley und O. Gib- 
bons, begegnet neben dem meist a cappella auf gef iihrten 
Full A. auch das Verse A., bei dem die Chorpartien mit 
»Verse«-Partien fiir ein oder mehrere Solisten alternie- 
ren. Die stimmig ausgeschriebene Begleitung wurde 
dabei meist der Orgel, bei Gibbons und Morley haufig 
einem Violenensemble iibertragen. Von der 1. Halfte 
des 17. Jh". bis zur Restauration unter Karl II. (1660) 
machte sich in den fiir private Andachtszwecke ge- 
schriebenen Kompositionen von Child, Humfrey u. a. 



41 



Anthologie 



der EinfluB des italienischen Sologesanges mit General- 
baB bemerkbar, der schlieBlich in den Restauration 
A.s von Blow und Purcell seinen Hohepunkt erreichte. 
Hier naherte sich das A. der konzertanten Kantate fur 
Solostimmen, Chor und Orchester, besonders nach 
Einfiihrung instrumentaler Zwischenspiele durch Pur- 
cell, die in der liturgischen Praxis allerdings entweder 
fiir die Orgel gekiirzt oder ganz ausgelassen wurden. 
Weitere Kennzeichcn des Restauration A. sind die fast 
allgemein ubliche Hinzuf iigung des Alleluia, die Vor- 
liebe fiir Mannerstimmenterzette (Contralto, Tenor, 
BaB) in den Verses und die Virtuositat in den Solopar- 
tien. Im 18. Jh. griffen die Komponisten englischer 
Kirchenmusik (Croft, Greene und Boyce) je nach Be- 
darf auf die Formen des Full A. oder des Verse A. zu- 
riick, wahrend andererseits eine groBe Zahl von Samm- 
lungen alter A.s veroffentlicht wurde. Handels A.s, 
meist Auftragskompositionen (Chandos A.s 1716-18, 
Coronation A.s 1727, Dettingen A. 1743), sind prunkvol- 
le Reprasentationskantaten im Oratorienstil. Obwohl 
sich seit dem 19. Jh. in Stil und Repertoire der engli- 
schen Kirchenmusik weitgehend kontinentale Ein- 
fliisse geltend gemacht haben, wurde die traditionelle 
Pflege des A. durch Wesley, spater Stanford und Shaw 
weitergefiihrt. 

Ausg. : G. Fr. Handel, GA XXXIV-XXXVI, hrsg. v. Fr. 
Chrysander, Lpz. 1871-72; H. Purcell, GA XIII(a), 
XIV, XVII, XXVIII, XXIX, XXXII, hrsg. v. d. Purcell 
Soc., London 1921-(62); Tudor Church Music, II (Byrd), 
IV (O. Gibbons), V (R. White), hrsg. v. P. C. Buck, E. H. 
Fellowes, A. Ramsbotham, R. R. Terry, S. Townsend 
Warner, London 1922-26; W. Byrd, GA XI-XIV, hrsg. 
v. E. H. Fellowes, London 1948-49; J. Blow, Coronation 
A., A. with Strings, hrsg. v. A. Lewis u. H. W. Shaw, = Mus. 
Brit. VII, London 1953. 

Lit.: E. H. Fellowes, Engl. Cathedral Music, London 
1925, 2 1943 ; M. F. Bukofzer, Music in the Baroque Era, 
NY (1947) ; R. Th. Daniel, The A. in New England before 
1800, Diss. Cambridge (Mass.) 1955, maschr. ; ders., Engl. 
Models for the First American A., JAMS XII, 1959; P. Le 
Huray, The Engl. A. 1580-1640, Proc. R. Mus. Ass., 
LXXXVI, 1959/60; W. J. King, The Engl. A. from the 
Early Tudor Period through the Restoration Era, Diss. 
Boston (Mass.), 1962, maschr. 

Anthologie -> Beispielsammlung. 

Antike Musik -> Griechische Musik, -»• Etrus- 
kische Musik, ->• Romische Musik. 

Antiphon (lat. antiphona; ital. und span, antifona; 
frz. antienne; engl. antiphon, auch antiphony). - 1) A. 
als Gesangsvortrag. Im griechischen Sprachgebrauch 
bezeichnet dcvxiqxovoc; die allgemein verbreitete Praxis 
des sukzessiven Gegeneinandersingens von 2 Sangern 
oder Choren. Der erste Beleg hierfiir scheint bei Philo 
von Alexandrien, einem Zeitgenossen Christi, gegeben 
zu sein, der als Ubung der Therapeuten den Wechsel- 
gesang eines Manner- und Frauenchores schildert. Fin- 
det sich hier diese Praxis noch im Bereich des Synago- 
galgesangs, so wurde sie doch offensichtlichvom Chri- 
stentum des Ostens aufgenommen, wie es die seit dem 
Anf ang des 2. Jh. (Plinius) sich haufenden Belege be- 
statigen. Der groBe Aufschwung, den das antiphoni- 
sche Singen im 4. Jh. nahm, hangt mit den Glaubens- 
kampfen der Zeit zusammen, in deren Verlauf es mit 
Erfolg zunachst von den Arianern und in deren Ab- 
wehr schlieBlich von den Christen allgemein einge- 
setzt wurde. Der antiphonale Gesang ist hier mit der 
Psalmodie verbunden, in der ursprunglich solistischer 
Psalmvortrag von refrainartigen Rufen des Volkes un- 
terbrochen wurde. Statt dieses Wechselgesangs von 
Solisten und Volk konnte vor allem seit dem 4.Jh. 
dem letzteren eine Gruppe geschulter Sanger gegen- 



iiberstehen. Die endgiiltige Ausbildung der schlichten 
wechselchorigen (antiphonischen) Psalmodie ist um 
350 in Antiochien vollzogen worden, das dann zum 
Ausstrahlungszentrum fiir das ganze christliche Abend- 
land wurde. Die Datierung der Aufnahme antiphoni- 
schen Singens in Rom ist nicht gesichert (Ende 4. oder 
Anfang 5.Jh.). Verbiirgt ist es in der Zeit von Papst 
Coelestin (422^132), wo der ursprunglich mit den Le- 
sungen beginnenden Opferfeier ein Einleitungspsalm 
(-> Introitus) vorangestellt wurde. Fiir Mailand ver- 
band es sich mit dem Namen des Ambrosius, der im 
Jahr 386, bei der Auseinandersetzung mit den Arianern 
in seiner Basilika eingeschlossen, die Gemeinde durch 
antiphonisches Singen und den Gesang von Hymnen 
in ihrem Glauben und Widerstandswillen starkte. Mai- 
land war seit dieser Zeit der Ausgangspunkt antipho- 
nischer Singweise fiir den ganzen Westen. Waren am 
Anfang die klosterlichen Gemeinschaften ihre wesent- 
lichen Pflegestatten (vgl. um 420 Cassian, um 529 die 
Regel des hi. Benedikt), so ging sie doch bald auch auf 
die Weltkirchen liber, gebrauchlich in den Traditionen 
des romischen, ambrosianischen, gallikanischen und 
mozarabischen Gesangs und in der Gregorianik bis 
heute lebendig als zentrale Gesangsart neben dem re- 
sponsorialen Gesang, wie seit der Friihzeit vor allem 
im ->■ Offizium gepflegt. 

- 2) A. als Gesangsstiick. Die friihen Einwiirfe und 
Antwortrufe des Volkes (hypopsalma) bezeichnen die 
Einbruchsstelle eines ursprunglich kurzen, sich aber 
zunehmend ausweitenden und in seiner musikalischen 
Faktur verselbstandigenden Gesangs. Mindestens seit 
dem 4. Jh. wurde neben dem Wechselvortrag der Psal- 
men auch dieser Einschub mit dem Namen A. belegt, 
wie es der um 380/90 zu datierende Reisebericht der 
Aetheria aus Jerusalem erkennen laBt. Der am Anfang 
dem Volk zugewiesene Ruf wurde seit dem 4. Jh. eben- 
falls vom Chor der geschulten Sanger ubernommen, 
was eine reichere Gestaltung dieses Gesanges gestattete. 
Die Verwendung der A. aber war Jahrhunderte hin- 
durch schwankend; die Uberlieferung berichtet von 
verschiedenen Gepflogenheiten : refrainartige Wieder- 
holung nach jedem Psalmvers; Vortrag der A. am 
Anfang und SchluB des ganzen Psalms (wie es, durch 
das Trienter Konzil festgelegt, bis heute iiblich ist); 
schlieBlich auch lassiges, rasches Absingen der Psalm- 
verse, wobei die A. ganz wegfiel. Antiphonischer 
Psalmvortrag in der Messe war, wie es -> Offertorium 
und -> Communio zeigen, Begleitgesang liturgischer 
Handlungen, deren Zuriicktreten die Einschrankung 
des Gesanges zur Folge hatte. Als eine gegeniiber der 
schlichten Psalmodie reiche musikalische Form be- 
hauptete sich die A. in der Messe und verdrangte den 
Psalm im Introitus bis auf einen Vers, in Offertorium 
und Communio vollig. Gegeniiber der A. der Messe 
ist die des Of fiziums, in dem das Hauptgewicht auf dem 
Psalmvortrag liegt, von schlichter musikalischer Ge- 
staltung. Ohne Psalmverbindung bleiben die im Offi- 
zium mindestens schon im 10. und 11. Jh. auftretenden 
»Marianischen A.en«, von denen heute im Gebrauch 
stehen: -»■ Alma redemptoris mater (1. Adventssonn- 
tag bis LichtmeB einschlieBlich), ->■ Ave regina coelo- 
rum (LichtmeB bis Ostern), -»- Regina coeli (Oster- 
zeit) und -*■ Salve regina (restiiches Kirchenjahr). 

- 3) A. als Zugleichsingen im Oktavabstand. Neben 
der Bedeutung von A. als Wechselgesang versteht 
Philo von Alexandrien darunter auch ein gleichzeitiges 
Singen im Oktavabstand, wie es sich aus dem Zusam- 
menwirken eines Manner- und Frauenchores bei den 
Therapeuten ergab. Im gleichen Sinn findet sich der 
Begriff auch in den pseudo-aristotelischen Problemata, 
die alexandrinischen Ursprungs sind (1. oder 2. Jh.). 



42 



Die weitere griechische Musiklehre kennt diese Be- 
deutung von A. noch bis zu Manuel Bryennios um 1320. 
Lit. : Fr. A. Gevaert, La melopee antique dans le chant de 
l'eglise lat. , Gent 1 895 ; A. G astou£, Les origines du chant 
romain. L'antiphonaire gregorien, Paris 1907 ; P. Wagner, 
Einfuhrung in d. gregorianischen Melodien I u. HI, Lpz. 
31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; 
A. Mocquereau OSB, Le nombre mus. gregorien II, Rom 
u.Tournai 1927; E. Omlin OSB, Die St. Gallischen Tonar- 
buchstaben. Ein Beitr. zur Entwicklungsgesch. d. Offizi- 
umsa., Regensburg 1934; H. Lietzmann, Gesch. d. Alten 
Kirche, Bd 3, Kap. XI : Der Kultus, Bin 1938 ; E. Wellesz, 
Eastern Elements in Western Chant, = Monumenta Musi- 
cae Byzantinae, Subsidia II (= American Series I), Bos- 
ton 1947; H. Hucke, Untersuchungen zum Begriff »A.« 
u. zur Melodik d. Offiziumsa., Diss. Freiburg i. Br. 1952, 
maschr. ; G. Benoit-Castelli OSB, L'Antienne »Ecce 
nomen Domini Emmanuel«, in: Etudes gregoriennes II, 
1957; ders., L'antienne »Jam fulget Oriens«, ebenda IV, 
1961 ; J. Lemarie, Les antiennes .Veterem hominem' . . ., 
in: Ephemerides liturgicae LXXII, 1958. 

Antiphonarium, Antiphonale, Bezeichnung fur die 
Sammlung der antiphonalen und responsorialen Ge- 
sange des Offiziums, in der offiziellen Fassung (Editio 
typica) erstmals erschienen 1912 als Antiphonale sacro- 
sanctae Romanae Ecclesiae pro diurnis horis. Es enthalt 
dariiber hinaus die Psalmen und Psalmtone, Hymnen, 
die kleinen Lektionen und Versikel, alles allerdings 
nur fur die Tageshoren (Laudes, Prim, Terz, Sext, 
Non, Vesper und Komplet; -»■ Offizium). Die Ge- 
sange zum nachtlichen Stundengebet (Officium noc- 
turnum, heute: Matutin) sind bisher nur in Teilaus- 
gaben erschienen. - Im fruheren Mittelalter kann 
die Bezeichnung A. verwendet werden: 1) fiir die 
Sammlung der Antiphonen des Offiziums (erganzt 
durch das Responsoriale) ; 2) fiir die Zusammenstellung 
der Antiphonen der Messe (Introitus, Offertorium, 
Communio, - erganzt durch das Cantatorium oder 
den Liber gradualis, -*■ Graduale) ; 3) wie heute fiir die 
Vereinigung der Antiphonen und Responsorien des 
Offiziums, wobei aber der Inhalt des Buches in ver- 
schiedener Weise erweitert werden kann. Eine deut- 
lichere Unterscheidung gestatten die spater aufkom- 
menden Bezeichnungen Antiphonarium officii und 
Antiphonarium missae. Die Gesange des A. fanden 
sich seit dem 11. Jh. auch in den Voll-Brevieren, hier 
verbunden mit alien nicht gesungenen Texten (Ent- 
sprechung im Bereich der Messe: Missale plenarium). 
Ausg. : Antiphonale Monasticum pro diurnis horis ... a 
Solesmensibus monachis restitutum, Tournai 1 934 (weitere 
Auflagen). Teilausg. (Editio typica): Officium pro defunc- 
tis (1909) ; Officium et Missae in Nativitate Domini (1926) ; 
Cantus Gregoriani ad Ordinem Hebdomadae Sanctae in- 
stauratum, Graduali et Antiphonali Romano inserendi 
(1956). 

Lit.: S. Baumer, Gesch. d. Breviers, Freiburg i. Br. 1895 
(erweitert frz. v. R. Biron: Hist, du Breviaire, 2 Bde, Paris 
1905); A. Gastoue, Les origines du chant romain. L'anti- 
phonaire gregorien, Paris 1907 ; ders., Le graduel et l'anti- 
phonaire romains, Lyon 1913 ; V. Leroquais, Les breviai- 
res mss. des bibl. publiques de France I, Paris 1934; W. 
Lipphardt, Gregor d. GroBe u. sein Anteil am romischen 
A., Kgr.-Ber. Rom 1950. 

Antftheton (griech., das Entgegengesetzte; lat. con- 
trapositum, contentio, vgl. Quintilian IX, 3, 81), im 
AnschluB an das A. der Rhetorik gewonnene musikali- 
sche Figur des Gegensatzes. Die Rhetorik versteht un- 
ter A. (auch Antithesis, Oppositio, Traductio) die ver- 
gleichende Gegeniiberstellung von sachlich Gegen- 
satzlichem in einem Parallelismus (Isokolon), z. B.: 
Ich siegte gestern in der Schlacht./Er verlor heute im 
Spiel. - Kircher erklart (1650) : A., sive Contrapositum, 
est periodus harmonica, qua oppositos affectus exprimimus; 
Warmer definiert (1732) A. als musikalischen Satz, 



Antizipation 

wodurch sokhe Sachen, die einander contrair und entgegen 
sind, exprimirt werden sollen. Z. E. ich schlaffe, aber mein 
Hertz wachet (vgl. Schiitz' Kleine Geistliche Konzerte 
II, 5: Ich liege und schlafe, und erwache). Weitere Erkla- 
rungen gabenjanowka (1701), SpieB (1745), Scheibe 
(1745), Forkel (1788). Demnach kann der Gegensatz 
musikalisch ausgedriickt werden simultan z.B. durch 
Kontrast zwischen Thema und Gegenthema (subjec- 
tum-contrasubjectum) oder in oppositione dissonantia- 
rum (wann . . . denen erwartenden Consonantien die Dis- 
sonantien entgegen gesetzt werden, SpieB 1745), sukzessiv 
z. B. durch Abschnittskontrast im Wechsel der Bewe- 
gung, der Klanggruppen und -lagen, der homophonen 
und polyphonen Scfireibart oder in Gegeniiberstellung 
von Dur und Moll (mutatio per tonum) oder Chro- 
matik und Diatonik (mutatio per genus ; Schiitz' Kleine 
Geistliche Konzerte II, 1 1 : Wann unsre Augen schlafen ein) . 

Antizipation (lat. anticipatio, Vorausnahme), - 1) A. 
bedeutet in der Harmonielehre das Vorausandeuten 
einer Harmonie, den verfriihten Eintritt von T6nen, 
die dem auf den nachsten schweren Taktteil folgenden 
Akkord angehoren; zu der Harmonie, wahrend der sie 
eintreten, dissonieren sie meist, werden aber gar nicht 
auf sie bezogen, sondern als vorausgenommen, anti- 
zipiert verstanden, z. B. : 




- 2) Rhythmische A. (H.J.Mosers »pathetische A.«)ist 
die Bezeichnung fiir dieVorwegnahme, d.h. das durch 
den Ausdruck bedingte verfriihte Eintreten (») einer 
betonten Wortsilbe, z. B. Beethoven, 9. Symphonie : 

4* 



was die Mo -de streng ge-teilt: Al- 



- - le Men-sdien wer-den Brii - der 
- 3) Als Verzierung (engl. cadent) die Vorausnahme 
der folgenden Melodienote innerhalb des Wertes der 
vorangehenden Note (im 17. Jh.: Anticipatione della 
nota ): * Stall: so: 



haufig bei der vorletzten Note einer SchluBkadenz 
(mit Triller) : 



Wenn die A. an die vorangehende Note angebunden 
ist (Nachschlag), wird sie auch -»• Aspiration, -*■ Plain- 
te oder Chute genannt (Jean Rousseau, Monteclair). - 
Die Anticipatione della sillaba bedeutet in der Ge- 
sangspraxis des Barocks eine Art Vorschlag, der an die 
f olgende Hauptnote angebunden ist und ihre Textsilbe 
vorausnimmt - haufig zur Verbindung einer Sekunde, 
seltener als Durchgangsnote bei fallender oder bei stei- 
gender Terz (Beispiel nach Chr. Bernhard) : 




Ex-ul-ta-te Do-mi-no Ex-ul - ta 



Do-mi-no 



43 



Antwerpen 



Antwerpen. 

Lit. : E. G. J. Gregoir, Notice hist, sur les soc. et ecoles de 
musique a Anvers, A. 1869 ; F. Donnet, Les cloches d'An- 
vers, Les fondeurs anversois, A. 1899; A. de Gers (A. 
Gersdorff), L'hist. complet du theatre royal d'Anvers 
1834-1914, A. 1914; J. Koepp, Untersuchungen iiber d. 
A.er Liederbuch v. Jahre 1544, A. 1929; J. A. Stellfeld, 
Bronnen tot de geschiedenis der Antwerpsche Clavecim- 
bel- en Orgelbouwers in de XVI e en XVII C Eeuw, Vlaamsch 
Jaarboek voor Muziekgeschiedenis V, 1942; W. Dehen- 
nin, Bronnen voor de Geschiedenis van het Muziekleven 
teA.,RBMVIII,1954. 

Aoden (von griech. dcoi86i;, Sanger), zunftmaBig zu- 
sammengeschlossene, hochgeachtete Berufssanger der 
Griechen zu Homers Zeit, die bei Fest und Mahl zur 
Phorminx Episoden aus den Heldensagen vortrugen 
(in der Odyssee A. Phemios und Demodokos). Im 7. Jh. 
traten an ihre Stelle die rezitierenden Rhapsoden. 

a piacere (a pjatf'e:re, ital.), auch a piacimento, nach 
Gefallen, frei im Vortrag, gleichbedeutend mit -> ad 
libitum (- 1). 

Apokope (griech., Abschneidung), in der Komposi- 
tionslehre des 17./18. Jh. eine musikalische Figur, ein- 
gefiihrt und erklart im AnschluB an die grammatische 
A. (meist metrisch begriindete »Abschneidung« eines 
Buchstabens oder einer Silbe am Ende eines Wortes, 
z. B. Ich hab mein Sack Gott heimgestellt). Beabsichtigte 
Unvollstandigkeit eines Bauelements ist auch das Merk- 
mal der musikalischen A., die in zwei Arten auftreten 
kann: in der altesten Bestimmung durch Burmeister 
(1606) als unvollstandige Fuga, bei der das Imitations- 
motiv in einer Stimme eine Verkiirzung (amputatio) 
erfahrt, also nicht ganz durchgefiihrt wird; in der Er- 
klarung durch Thuringus (1625) ist A. die ungewohn- 
liche Kiirzung des Finaltones, die beispielsweise emp- 
fohlen wird zur Darstellung des et divites ditnisit inanes 
(und lasset die Reichen leer; vgl. Schiitz, Symphoniae Sa- 
crae II, Nr 4). Diese zweite Deutung der A. iibernahm 
Walther (1732) : wenn bey der letzten Note eines Periodi 
harmonicae nicht ausgehalten, sondern behende abgeschnappt 
wird, und zwar bey solchen Worten, die solches zu erfor- 
dern scheinen. Ein charakteristisches Beispiel der A. im 
letztgenannten Sinne findet sich in den Musicalischen 
Exequien von Schiitz: verbirge dich einen kleinen Augen- 
blick. 

Aposiopesis (griech., Beginn des Schweigens; lat. 
interruptio), in der Kompositionslehre des 17./18. Jh. 
eine musikalisch-rhetorische Figur. In der Rhetorik ist 
A. eine hochaffektive Wortfigur, die ein unvermittel- 
tes Verstummen der Rede, aber auch das Schweigen 
bezeichnet. In der Musik ist A. die Generalpause (so 
noch bei Koch 1802) ; sie wird z. B. bei H. Schiitz (Die 
Sieben Worte) zur Darstellung des Todes verwendet: 
und gab sei-nen Geist auf. 



Augenblick verlassen'; also auch ,Himmel und Erde ver- 
gehen'; oder ,Des Friedens kein Ende'. Nucius (1613), 
Thuringus (1625) und Walther (1732) unterteilen die 
A. in -»■ Homoioteleuton und Homoioptoton. Noch 
Beethoven notiert im Hinblick auf seine Egmont-Ou- 
vertiire: Der Tod kbnnte ausgedriickt werden durch eine 
Pause. 

Apotome (griech., Abschnitt) hiefi in der griechischen 
Antike der chromatische Halbton. Der diatonische 
Halbton wurde Limma (-»■ Diesis) genannt. Das Limma 
errechnet sich pythagoreisch aus 3 Oktaven weniger 5 

Quinten, also 

/2\ 3 , /3\5 _ 256 

, \l) : \2l ~243 

bzw. 

3 • 1200 - 5 ■ 701,96 = 90,2 Cent, 

und die A. als DiSerenz von 7 Quinten und 4 Oktaven, 

also 

, \2J : U/ "~2048 

bzw. 

7 • 701,96 - 4 • 1200 = 113,7 Cent. 
Somit ist bei den Griechen der chromatische Halbton 
um das pythagoreische Komma groBer als der dia- 
tonische. 




4 t f 



J.A.Herbst verweist 1643 auf HaBler: ,Ich scheid' und 
stirbe', da alle Stimmen stille schweigen. Speer gibt 1697 
einige Hinweise auf Textvorwiirfe, die eine musikali- 
sche A. nach sich ziehen konnen: Wenn eines Dinges 
Untergang oder eine Sache verloren gehet, oder wann die 
Textworte expresse ohne Ende sich ereignen, nemlich : ,Der 
Qottlosen Weg vergehet'; item ,Ich habe dich einen kleinen 



— 90,2 — 
Ummo 



—!].S- 
fiylhagoi 
Komma 



Apotom* 
HJ.7 — 



e des cis 

Anschaulicher ist die Darstellung des Limma als Rest 

der Quarte (y = 498 Cent) nach Abzug der pytha- 

81 
goreischen grofien Terz (gj = 407,8 Cent) und der A. 

als Rest des Ganztones (— = 203,9 Cent) nach Abzug 
des Limma; die Ergebnisse sind die gleichen. 

appassionato (ital.), leidenschaftlich, mit Hingabe. 
Der Name Sonata appassionata fur Beethovens Kla- 
viersonate op. 57 geht nicht auf den Komponisten zu- 
riick, doch verwendet Beethoven die Bezeichnung a. 
in den Sonaten op. 106 und 111 und im Streichquartett 
op. 132. - Aus einem Allegro a. mit Introduktion be- 
steht R. Schumanns Conzertstiick G dur op. 92 f iir Kl. 
und Orch. 

Applikatur -*■ Fingersatz. 

Appoggiatura (appodd3at'u:ra, ital. ; frz. appoggia- 
ture) -> Vorschlag. 

Appoggio (app'Ddd30, von ital. appoggiare, stiitzen), 
ein in der Stimmbildung haufig angewandter Begriff, 
der aus den altitalienischen Gesangsschulen stammt. 
Dort wurde das Wort gebraucht als appoggiarsi in testa 
und appoggiarsi in petto, sich in den Kopf und sich in 
dieBrustlehnen. Demnachistunter A. beim Singen ein 
gleichmaBiges Stutzgefiihl fiir die Resonanz im Scha- 
del und fiir den Atem in der Brust zu verstehen. 

Apsidenchore bezeichnet die in der ->• Mehrchorig- 
keit getrennt aufgestellten Chore (-> Coro spezzato) 
gemaB der baulichen Gegebenheit der Apsiden, die 
sich fiir solche Auf stellung anbieten. Ober den italieni- 
schen Terminus Choro palchetto referieren Praetorius 
(Synt. Ill, S. 115) und WaltherL. 

Arabeske (frz. arabesque) bezeichnet in seiner Grund- 
bedeutung ein nach arabischer Art gebildetes Ranken- 
ornament in Architektur und Malerei, daher in der 



44 



Arabisch-islamische Musik 



Musik s. v. w. reiche Figuration und Verzierung einer 
Melodic Als musikalischer Begriff erscheint das Wort 
erst im 19. Jh. (->■ Charakterstiick). A. nennt R. Schu- 
mann sein mehrgliedriges Klavierstiick op. 18 C dur 
(1839). Fur Debussy, unter dessen friihen Kompositio- 
nen sich 2 A.n fur Kl. (1888) befmden, hat das Wort 
die allgemeine Bedeutung von freier Entfaltung oder 
Zusammenspiel von Linien. Eine A. von M.Reger 
findet sich in dessen Klavierstucken Aus meinem Tage- 
fcuc/> (op. 82, IV, Nr 4, 1912). 

Lit.: R. Schumann, Briefe, N. F., hrsg. v. F. G. Jansen, 
Lpz. 1886, 21904; Cl. Debussy, Monsieur Croche, Anti- 
dilettante, Paris 1917 u. 6., deutsch Potsdam 1948, 31951. 

Arabisch-islamische Musik ist die stadtische Kunst- 
musik der arabisch sprechenden mohammedanischen 
Volker Vorderasiens und der Mittelmeerlander, im 
weiteren Sinn auch die Musik der z. B. neupersisch 
und tiirkisch sprechenden und der islamischen Ko- 
lonialvolker. Sie hat auch viel Gemeinsames mit der 
Musik der nichtmohammedanischen Religionen im 
Bereich des Islam, beziehungsweise mit der orienta- 
lisch-christlichen und der jiidischen Musik. Bis auf we- 
nige, von Theoretikern des Mittelalters in Buchstaben 
aufgezeichnete Beispiele kennt die A.-i. M. keine No- 
tenschrift. Ihre Geschichte ist ausschlieBlich aus mittel- 
baren Quellen zu erschlieBen, wahrend die Musik selbst 
nur in ihrem gegenwartigen Zustand aufgesucht wer- 
den kann. Die mittelbaren Quellen entstammen drei 
sehr verschiedenen Bereichen der Kultur. Eine erste 
Gruppe beurteilt die Musik vom Standpunkt der isla- 
mischen Theologie. Der Islam- erscheint hier als neue 
Kultur; die Zeit vor der Hidschra (622 n. Chr.) ver- 
schwimmt in den Tagen der Unwissenheit (gahiliyya) ; 
von der spateren Entwicklung soil nach Moglichkeit 
nur dasjenige gelten, was durch die wenigen Jahrzehnte 
um den Propheten Mohammed, die »ersten Genossen« 
und die drei »orthodoxcn« Kalifen 'Umar, 'Utman und 
'Ali (622-661) gerechtfertigt wird. Eine zweite Gruppe 
von Quellen verehrt gerade die »altarabische« Dich- 
tung und Musik vor der Ankunf t des Propheten als be- 
sonders reinen Spiegel arabischen Wesens, der nach der 
Griindung des Weltreiches durch zahlreiche Einfiiisse 
aus benachbarten Volkern, Religionen und Sprachen 
getriibt sei. Eine dritte Gruppe bilden die eigentlichen 
Lehrschrif ten. Eine in sich selbst gegriindete Geschichts- 
schreibung A.-i.r M. ist noch Aufgabe der Zukunft. 
Wichtige Anregung in dieser Richtung bot der Musik- 
KongreB in Kairo 1932. Er fiihrte zu einer Revision der 
Forschungsaufgaben und -mittel, zur systematischen 
Phonographie der musikalischen Landerstile, zur Neu- 
ordnung der Maqam-Lehre und zu einer Renaissance 
der arabischen Musikpflege. Forschungsinstitute in Ra- 
bat, Tetuan, Kairo, Jerusalem, Ankara und Istanbul be- 
schaftigen sich seitdem mit Sammlung und Sichtung 
des Materials. Die Geschichte der A.-i.n M. kniipft un- 
mittelbar dort an, wohin die Entwicklung vor dem Is- 
lam gefiihrt hatte. Am Rande dieser Epoche steht die 
»altarabische« Musik der Steppe, die durch den Eintritt 
des Islam in die Geschichte nicht wesentlich beriihrt 
wird; neue Entwicklungen sind die geistliche Musik, 
die weltliche Kunstmusik der Kalif enhof e und die Ton- 
systematik des arabischen Musikschrif ttums. - Die Kul- 
tur der Beduinen in der Steppe des arabischen Hoch- 
landes war und ist eine geschichtslose Hirten-Krieger- 
Kultur. Viehzucht, Raub, Kampf und die Verwaltung 
tributpflichtiger Volker betrachtet der Hirtenkrieger als 
einzige seiner wiirdigeBeschaftigungen.DieselbenMo- 
tive beherrschen die realistische Dichtung der altarabi- 
schen Stamme, von der durch Chronisten der Hochkul- 
tur einige Texte iiberlief ert sind. Wort und Weise schei- 



nen untrennbar verbunden gewesen zu sein, denn im 
Gefolge des »ritterlichen« Herrn befand sich in der Re- 
gel ein Spielmann, »Uberlieferer« (rawl) genannt. - 
Die gegenwartige Musik von Beduinen und Bauern 
(Fellachen) liegt heute aus verschiedenen Teilen der 
arabischen Welt in phonographischen Sammlungen 
sowie in analytischen Arbeiten vor. Als Beispiele echter 
Beduinenmusik mbgen die zur Geige Rabab kantillier- 
ten Volksepen gelten, ebenso die Instrumentalsoli auf 
der Rohrflote Qasaba mit illustrativer Darstellung le- 
gendarer Stoffe. Eine im Fruhjahr 1927 von einem Be- 
duinen in Tunesien auf der Rohrflote geblasene »Weise 
vom L6wen« schildert programmatisch das alte Thema 
des Steppenkriegers, einen Kampf mit dem Lowen und 
die Belohnung des siegreichen Helden durch die Braut. 
Wenn der Beduine singt, tragt er »Vers fiir Vers nach 
der gleichen einformigen Weise« vor, und diese be- 
wegt sich »auf wenigen Tonen von geringem Gesamt- 
umfang« (Lachmann). Zahlreiche andere Formen der 
landlich-arabischen Musik sind aus Siidarabien, dem 
Jemen und Hadramaut, bekannt (Serjeant). Hierzu ge- 
horen u. a. Gesange, die politische Fragen erortern, 
halblegendare Reiselieder, »Katalog«-Lieder mit Auf- 
zahlung von Gewerben, Dattel- oder Fischarten, der 
Namen von Moscheen, Sternen, Winden oder Volks- 
stammen. Unter den Hadrami-Gesangen sind vor al- 
lem die schon aus vorislamischer Zeit erwahnten Ka- 
meltreiberlieder (huda') zu verzeichnen, des weiteren 
die Beduinentanze (raqs) und Summlieder mit Be- 
gleitung des Mizmar und (oder) der Trommel Hadir; 
Jagerlieder mit pantomimischen Stocktanzen, bauerli- 
che Messertanze und hochzeitliche Prozessionslieder 
mit drei bis vier Volkspoeten, die im Wettstreit ihre 
Verse improvisieren. Unter den vielerlei Arbeitsliedern 
der Fellachen treten die Brunnenlieder als interessante 
Gattung hervor. Dazu kommen noch die volksreligio- 
sen Pilger-, Ramadan- und Sufi-Lieder sowie die Cho- 
re der singenden Frauen mit ihren magischen Weiber- 
trillern (zagarid, 'alwa) und den nur ihnen eigenen Ar- 
beits-, Hochzeits- und Wiegenliedern. - Aus den nord- 
lichen Bezirken (Libanon, Syrien, Palastina-Israel, Jor- 
danien, Irak) ist unter den volkstumlichen Gattungen 
die 'Ataba (Anklage) hervorzuheben, ein als Zwiege- 
sprach auf gebauter Gesang mit dem Wechsel von stark 
emotionalen Solorczitativen und kiirzeren Antwor- 
ten. Einzelne Zeilen im 'Ataba-Stil als Zitate in andere 
Lieder einzuflechten, gilt als Zeichen groBen Konner- 
tums. Gute Sanger-Poeten improvisieren dabei und ge- 
nieBen dieser Gabe wegen besondere Verehrung im 
Volk. Neben 'Ataba und Migana (Zwillingsform) sind 
die zahlreichen ortlichen Varianten der Dabka-Tanz- 
heder (Mannertanze), der Hadadi- und Rigali-Tanze 
zu vermerken, die bei Arabern wie Drusen gleicher- 
maBen beliebt sind. 

Die geistliche Musik des Islam baut auf den liturgi- 
schen und musikalischen Elementen weiter, die in der 
jiidischen und christlichen Liturgie vor dem Auftreten 
des Propheten ausgebildet waren. Auch der Islam kennt 
die taglichen Gebetszeiten und die einmal wochentlich 
stattfindende Hauptfeier. Die islamische Liturgie mei- 
det Instrumentalmusik und bestreitet die gottesdienst- 
liche Feier mit antiphonaler und responsorialer Psalmo- 
die zwischen Vorbeter, Vorsanger und Gemeinde und 
der Lesung des Koran. Jedoch die f iinf mohammedani- 
schen Gebetszeiten (subh, zuhr, 'asr, magrib, 'i5a') und 
die Salat am Freitag nachmittag, die der synagogalen 
Sabbatfeier und der christlichen Sonntagsmesse ent- 
spricht, sind liturgisch weit formelhafter als ihre Vor- 
ganger. Entsprechend ist die Organisation der litur- 
gisch-musikalischen Amter einfacher gehalten. Den die 
Gemeinde vertretenden Chor hatte schon das Juden- 



45 



Arabisch-islamische Musik 



turn friihzeitig abgelehnt. Ahnlich kennt auch die Frei- 
tags-Salat aufier den Niederwerfungen und gesproche- 
nen Bekraftigungen nur die wenigen Dialogreste zwi- 
schen Gebetsansage und Gemeinde im zweiten 'adan. 
Der islamische Vorbeter ('imam, hatib) ist Lektor und 
Prediger zugleich. Bei der auBerliturgischen »Lesung« 
wird er durch besondere Lektoren (fuqaha, Sing, faqih) 
unterstiitzt, deren Stellung vom Monch oder Lehrer 
bis zum beriihmten Gesangsvirtuosen reicht und mit 
den Aufgaben des Gebetsrufers (mu'addin) viel Ge- 
meinsames hat. Die geistliche Volksmusik sowie der 
Gesangsstil der Hymnen harren noch der Erforschung. 
Mehr weiB man von der Musik in den islamischen Or- 
densgemeinschaften der Derwische. Die in der Tiirkei 
ansassigen Orden, darunter der alteste der Mevlevi 
(Maulawiya) aus dem 13. Jh., wurde zwar 1925 durch 
Kemal Pascha aufgehoben, doch liegt eine Studie (H. 
Ritter) vor iiber ihre mystischen Tanze und ihre eigen- 
artige mystisch-religiose Liebeslyrik. In den ekstatisch 
kreisenden Tanzbewegungen der Derwische wurde der 
Kreislauf alien Werdens, nach Vorstellungen des neu- 
platonischen Stufenkosmos, auf wundersame Weise 
eingefangen. - Der Islam kennt keine allgemein ange- 
nommene musikalische Liturgie. Mittelpunkt bildet die 
Korankantillation, wie im Hebraischen Lesung (qira'a) 
genannt, und als solche vom rein musikalischen »Sin- 
gen« (gina') unterschieden. Der Ornamentierungsgrad 
bildet hier dieGrenzscheide. Obwohl um 1400 eine pro- 
sodische Punktation von Ibn al-Gazari ausgearbeitet 
wurde, blieb die Koranlesung ohne ein verbindliches 
System von Leseakzenten, im Gegensatz zu den jiidi- 
schen und christlichen Formen der Bibellesung. Der 
Koran wird heute auf zweierlei Art rezitiert: im »offi- 
ziellen« liturgischen Stil (sar'i), und im »konzertanten« 
(bil-'alhan). Der offizielle Stil ist die zwischen gehobe- 
ner Sprache und Gesang schwebende »lectio«, wie hei- 
hge Texte in fast alien Religionen der Hochkulturen 
vorgetragen werden. Gregorianische Bezeichnungen 
treffen auch auf diesen Stil zu; es gibt den tieferen Aus- 
gangston (initium), den Tenor und Finalton, und In- 
terpunktionsmelismen. Der vollmusikalische Stil nahert 
sich dem des weltlichen Kunstgesanges. Der Sanger 
singt in steigenden Stimmlagen, die Melodie bewegt 
sich in den instrumental bedingten weltlichen Weisen- 
typen (maqamat), ist reich an Melismen und zerdehnt 
die Worte iiberlang auf stimmhaften Konsonanten, an- 
dererseits sind auch Gebetsrezitationen im straffen 
Rhythmus iiblich. Da der Hadit schon im 9. Jh. zwi- 
schen Kantillieren und Singen des Koran unterscheidet, 
da ferner die singende Vortragsweise schon friih in der 
Theologie umstritten ist, darf angenommen werden, 
daB weltlicher Kunstgesang etwa seit dem 9. Jh. in die 
mohammedanische Liturgie eindrang, ein Vorgang, 
der sich in der byzantinischen Kirchenmusik (Konta- 
kion) bereits im 6. Jh. ankiindigte. - Eine der eigenar- 
tigsten Schopfungen islamischer Musik sind die Ge- 
betsrufe ('adan ; urspriinglich Strafienrufe) auf den Tiir- 
men der Moscheen. Ihre Form entspricht den rhapso- 
disch freien Einleitungen (mawwal) des weltlichen Ge- 
sanges. Die arabische Oberlieferung macht Mekka 
und Medina, die beiden Geburtsstatten des Islam, zum 
Paradies der »ersten Sanger«. Das trifft nur soweit zu, 
als nach Verlegung der Hauptstadt des Reiches nach 
Damaskus (660) die beiden rasch in den Hintergrund 
gedrangten Residenzen der Aristokratie eine Kunst- 
pflege fiir wenige Jahrzehnte begiinstigten. Die patrizi- 
sche Umgebung, die diese Musik brauchte, war an den 
Sitzen des persischen Adels vorgebildet. Auch im ara- 
bischen Reich zog es die Sanger an die Residenzen, da- 
her strebten sie sehr bald von Mekka und Medina nach 
Damaskus und spater nach Bagdad (Kalifat ab 750). 



Unter dem Abbasiden Harun ar-Ra5Id (Regierungs- 
zeit 786-809) erreichte die weltliche Kunstmusik ihre 
hochste Bliite. Obwohl die Musiker teils als Sklaven 
galten, teils als Freigelassene dem unfreien Stand eben 
entwachsen waren, errangen sie doch rasch hohes ge- 
sellschaftliches Ansehen und wurden fiirstlich ent- 
lohnt, so daB selbst Freigeborene den Eintritt in den 
biirgerlichen Berufsstand der Sanger nicht verschmah- 
ten. Als die beiden bedeutendsten Meister der Erfin- 
dung und des Vortrags galten die beiden Perser Ibra- 
him und Ishaq al-Mausili. Jedoch erlangten auBer Per- 
sern und Arabern auch Berber, Neger, Tiirken und 
Musiker aus alien in diesen Landern denkbaren Misch- 
rassen Beruhmtheit. Der einzige den beiden Mausili 
vielleicht ebenbiirtige Kiinstler, Ziryab (um 800), wur- 
de von den Rivalen nach Spanien abgedrangt. Unter 
seiner Fiihrung entstand jene weltliche andalusische 
Schule, die spater von Granada, dem Bollwerk der 
maurischen Kultur in Spanien, nach Nordafrika und 
Sizilien iibergriff und der ostlichen, in Persien, Syrien 
und Mesopotamien verankerten Gruppe selbstandig 
gegeniibersteht. Noch heute betrachten die Musiker 
des Western sich als Erben andalusischer Oberlieferung, 
wahrend die ostliche Gruppe heute in Kairo und Kon- 
stantinopel die wichtigsten Stiitzpunkte besitzt. 
Die geschichtliche Gemeinsamkeit arabisch-islamischer 
Musikkultur sammelt sich in ihrer Tonsystematik. Die 
Jahrhunderte zwischen der Spatantike und der Kultur 
der Araber waren angefiillt mit Arbeit am kultischen 
Gesang. Erst die arabische »Aufklarung« (mu'atazila), 
der Aufschwung des von Instrumenten begleiteten 
Kunstgesanges im arabischen Reich, machten eine em- 
pirische Tonsystematik wieder moglich. Das einschla- 
gige Schrifttum der Antike, das wahrend der christli- 
chen Jahrhunderte schwerem Verfall ausgesetzt war, 
geriet wieder auf fruchtbaren Boden. Musiklehrschrif- 
ten von Platon, Aristoteles, Galenus, Aristoxenos, Eu- 
klid, Ptolemaios und Nikomachos wurden in Ober- 
setzungen zuganglich gemacht. Die antike Musiklehre 
war selber an einer weitgehend orientalisch durchsetz- 
ten Musik entwickelt worden. Auch auf der arabischen 
Kurzhalslaute ('Od) umspannt der Tonvorrat die bei- 
den Oktaven des Systema teleion, in Tetrachorden sind 
die leeren Saiten gestimmt, und der letzte Bund, den 
der kleine Finger greift, teilt eine Quarte ab. Die feinen 
Zwischenwerte dieser Musik konnen sinnvoll gar nicht 
anders als nach antiker Art durch Oktavengattung 
('asba'), Transpositionsskala (tanin, von griech. tonos) 
und Tongeschlecht (gins, vielleicht von griech. genos) 
begrifflich dargestellt werden; die pythagoreischen In- 
tervals Apotome (infisal), Limma (baqiya, fadla) und 
der eigentiimlich unbestimmte »Tonschnitzel« Diesis 
('irha', Erweichung) erklingen _auch auf dem 'Od. 
Die Bestimmung der auf dem 'Ud und der Langhals- 
laute -> Tanbur gegriffenen Instrumentalleitern ist eine 
der selbstandigstenLeistungen arabisch-islamischer Mu- 
siklehre. Aus tausendjahriger Geschichte sind zahlreiche 
Teilungen von Lautengriffbrettern iiberliefert, welche 
die Entwicklung der Tonsystematik in dieser Kultur 
veranschaulichen. Drei feste Biinde sind fast alien Griff - 
brettern gemeinsam: Zeigefinger (sabbaba), Ringfin- 
ger (binsir), Kleinfinger (hinsir), aufierdem ein Mittel- 
finger (wusta). Das ergibt die »pythagoreischen« oder 
»ditonischen« Werte von grofiem Ganzton (204 Cent), 
kleiner Terz (294 Cent), groBer Terz (Ditonos, 408 
Cent) und reiner Quarte (498 Cent), in der Oktave eine 
diatonische Siebentonreihe in »pythagoreischer« oder 
»ditonischer« Stimmung. Die diatonische Siebenton- 
reihe ist bis heute die Grundlage jeder vorderorientali- 
schen Kunstmusik, wie sie es in der Antike seit der rei- 
fen stadtischen Zeit gewesen war. - AuBer den festen 



46 



Arabisch-islamische Musik 



Biinden gibt es zahlreiche bewegliche, sogenannte 
»Nachbarn des Zeigefingers« (mugannab) und verschie- 
dene Mittelfinger-Lagen. Die Zahl der beweglichen 
Biinde ist bei al-Farabi (f 950) am groBten, so daB seine 
Materialleiter am 'Ud iiber 25 Stuf en in der Oktave ver- 
fiigt. Zugleich sind die Werte al-Farabi's die unregel- 
maBigsten, die je in arabischen Traktaten aufgezeich- 
net wurden. Die Theorie beschrankt sich in diesem 
Stadium darauf, eine Reihe von Personalstilen der gro- 
Ben Meister und von landschaftlichen Dialekten ohne 
Zutaten wiederzugeben. Eines der beriihmtesten der 
durch geometrische Streckenteilung ausprobierten In- 
tervalle der Praktiker war die nach dem Virtuosen Zal- 
zal (t 791) benannte neutrale Terz (355 Cent). Schon 
bei einem ebenf alls von al-Farabi beschriebenen Tanbiir 
zeigt sich indessen das Bestreben, die aus der Praxis ent- 
standene unregelmaBige Materialleiter einem theoreti- 
schen Prinzip zu unterwerfen. Die Oktave besteht hier 
aus 6 Ganztonen zu je 2 Limma (=90 Cent) plus einem 
pythagoreischen Komma (=24 Cent); vom sechsten 
Ganzton ist das Komma, womit die Oktave iiberschrit- 
ten wiirde, abgeschnitten: 

5(90 + 90 + 24) + (90 + 90) = 1200 Cent. 
Einen Anlauf zu dem Schematismus dieser 17stufigen 
Materialleiter hatte am 'Ud schon al-Kindi (f urn 874) 
unternommen, wenngleich seine im ganzen nur 12 + 3 
Stufen zahlende Skala nur einen Ausschnitt aus der von 
al-Farabi 100 Jahre spater festgehaltenen Wirklichkeit 
erfaBt. Erst Avicenna (t 1037) versucht die zuerst an 
der Langhalslaute durch gefiihrte »Temperatur« der 
schmiegsamen Zwischenwerte auch au£ den 'Ud zu 
iibertragen. Am Tanbiir al-Farabi's lief die Folge 2 Lim- 
ma + Komma noch schematisch iiber die beiden Te- 
trachorde in der Oktave hinweg, und der iibrigblei- 
bende Rest wurde kurzerhand an den SchluB gesetzt. 
Safi-ad Din dagegen weist einen Teil des Uberschusses 
den beiden Tetrachorden zu, so daB zum SchluB genau 
ein »diazeuktischer« Ganzton steht: 
[2(90 + 90 + 24) + 90] + [2 (90 + 90 + 24) + 90] 

+ (90 + 90 + 24) = 1200 Cent. 
Durch die Beriicksichtigung der Tetrachordik ist diese 
»Temperatur« die vollendetste, die in der arabisch-isla- 
mischen Musikkultur iiberhaupt moglich war. Gleich- 
wohl erstrebt die Theorie nach dem Verfall des arabi- 
schen Rcichcs noch weitere Verfeinerungen. Die be- 
kanntesten derartigen Versuche aus neuerer Zeit zielen 
auf eine Materialleiter mit 24 Stufen. Vom tiirkischen 
Tanbur war die 17stufige ditonische Temperatur bei 
al-Farabi ausgegangen, ein Tiirke vervollstandigte 1000 
Jahre spater an dem gleichen Instrument die gleiche 
Skala durch f unf malige Addition und zweimalige Sub- 
traktion je eines pythagoreischen Kommas. Diese 1913 
von Rauf Yekta in Konstantinopel aufgestellte 24-Ton- 
Reihe bereichert die 17stufige des 13. Jh. nur in unwe- 
sentlichen Einzelheiten. Dagegen durchbricht ein zwei- 
ter Versuch, der von dem europaisch gebildeten M. 
MeSaqa (1800-88) in Damaskus unternommen wurde, 
das ditonische Prinzip. Obgleich eine Temperatur im 
Mittelmeerraum seit der Antike durchfiihrbar ist nur 
bei moglichst schematischer Verteilung moglichst re- 
gelmaBiger Folgen von ungleichen Intervallen, geht 
MeSaqa von dem europaischen Gedanken akustisch 
gleicher Einheiten aus. Sein Ergebnis ist in der A.-i.n M. 
unmoglich, da sogar einige von den »festen« Biinden, 
die alle Griffbretter seit dem 9. Jh. gemeinsam haben, 
angetastet werden, selbst die Quinte fallt empfindlich 
zu klein aus (698 statt 702 Cent). In Mesaqa's 24-Ton- 
Reihe widerlegt ein Araber selber die Moglichkeit ei- 
ner im europaischen Sinn gleichschwebenden Tempe- 
ratur von »Vierteltonen« im Orient. Dasselbe gilt von 
dem zuerst von dem Franzosen Villoteau um 1800 ge- 



faBten Gedanken akustisch gleicher »Dritteltone«, der 
1888 von Ibrahim Bey Mustafa, einem Mitglied des 
agyptischen Instituts in Kairo, aufgegriffen wurde. Die 
»gleichschwebenden« Viertel- und Dritteltontempera- 
turen sind Anzeichen fiir die seit 1800 beginnende Aus- 
einandersetzung der A.-i.n M. mit der europaischen, 
ein Vorgang, der sich bis heute in vollem FluB befin- 
det. - Die A.-i. M. hat eine eigene Theorie der melodi- 
schen (->■ Maqam) und metrisch-rhythmischen Gebil- 
de. Die A.-i. M. ist keine symmetrisch-betonende wie 
die abendlandische oder die chinesische, sondern eine 
reihende, Betonungen frei verteilende. Die Theorie 
miBt deshalb mit einer kleinen MaBzeit, dem chronos 
protos der Antike, dessen Dauer durch gesprochene 
Silben ungefahr bestimmt wird: turn = starke, tak 
= schwache, ka = mittlere Betonungen. Auch sonst 
werden in dieser vom Gesang beherrschten Musik Be- 
ziehungen zwischen musikalischer Rhythmik und 
sprachlicher Metrik gern aufgesucht. wazn heiBt Me- 
trum, sprachlich und musikalisch; erst Tqa' (das Fallen) 
bezeichnet den besonderen musikalischen Rhythmus. 
Der Musiker merkt sich die haufigsten Figuren, zu de- 
nen die MaBzeiten aneinandergereiht werden, nach 
Modellworten wie : 

mutafa'ilatun: ^ ^ - | ^ =3 + 3 

mustaf'ilatun: -- | u- - =2 + 3 
(Avicenna: Kitab aS-Sifa) 
Musikalisch sind die rhythmischen Figuren den melo- 
dischen Maqamat selbstandig gegeniibergestellte Be- 
wegungstypen. Sie durchlaufen ihre rhythmische Pe- 
riodizitat mit bemerkenswerter Unabhangigkeit vom 
Melodiebild, so daB sich zwischen Melodietrager und 
begleitendem Rhythmusinstrument haufig verschie- 
dene Kreuzungen von Bewegungsformen ergeben. 
Die gangbarsten Bewegungsformen sind: 

Sama'i = 10 Achtel: flj AJ «T3 J Afl 



Aksak = 9 Achtel :nJ J~~ 2 i J J Ah 



£2*= 8Viertel: »:J J J I J fr J J ; , 

S - 7 Achtel: ^O— 1 J L^ 

Dem Abendlinder erscheint die Rhythmik arabischer 
Musik mit ihren mitunter endlos langen »Takten« un- 
faBbar vielgliedrig, unregelmaBig und unbestimmt 
schwankend. Fiir den arabischen Musiker aber hat jede 
Bewegungsform wie die Melodiegestalt ein bestimm- 
tes Ethos, womit er die antike Ethoslehre des Rhyth- 
mus unmittelbar fortsetzt. - Mehrstimmigkeit kennt 
die arabische Musik nicht als harmonikale Erscheimmg, 
sondern nur als Variantenheterophonie. Die dabei ent- 
stehenden Formen sind sehr vielfaltig, weil systemlos, 
von Bordun- und »Organum«-Bildungen an bis zur 
freien Variantenpolyphonie. 

Wie in jeder Hochkultur, wird auch in der arabischen 
Musik in sehr verschiedenen Stilbereichen musiziert. 
Den hbchsten Rang nimmt jene »klassische« Kammer- 
musik ein, die sich im Westen auf andalusische oder 
granadische Uberlieferung beruft (nauba garnata). In 
den Cafes werden als leichtere Kost gewohnlich »Sui- 
ten« von Romanzen und Liebesliedern geboten (naqla- 
ba). Die gesamte geistliche Volksmusik, besonders die 
sogenannten Klagen (qasida), ferner die den Sangcrin- 
nen vorbehaltenen Liebesliedchen (qadriyat) gehoren 
in den gleichen, schon an das Volkstumliche grenzen- 
den Stilbereich. Gegeniiber den groBeren Stadten gilt 
die »arabische« Musik der Provinzorte als riickstandig. 



47 



Arabisch-islamische Musik 



DaB die Musik der »armen kleinen Leute« aus der Um- 
gebung der Stadte fauzi) und die kurzlebigen Schlager 
der Gasse (qadriyat zindani) verschiedene Dinge sind, 
weiB auch der arabische Musikkenner. In alien stilisti- 
schen Schichten der stadtischen Musik herrscht jedoch 
nur ein formales Prinzip: das der losen Reihung von 
Teilen. Es gibt improvisierte freie und reproduzierte 
f este Formen, meist auch identisch mit solistischer bzw. 
Ensemble-Ausfiihrung. Frei improvisiert wird in den 
instrumentalen oder vokalen Einleitungen zu Beginn 
der Nauba, in denen der Musiker Instrument und Stim- 
me vorbereitend erprobt und vor allem den Maqam 
der folgenden festen Stiicke in seinen typischen Wen- 
dungen auseinanderlegt. Ein solches Vorspiel heiBt 
Taqsim, »in Teile zerlegen«. Ob die Improvisation von 
einem Bordun ausgeht und in den Bordun immer wie- 
der einsinkt, ob der Bordun sich rhythmisch und 
schlieBlich melodisch zum Ostinato verfestigt ('ala-'l- 
wahda), stets wird der Maqam Teil fur Teil in suiten- 
hafter Reihung durchgegangen. Und wo das rhyth- 
misch und melodisch verf estigte Ostinato als Orchester- 
ritornell dem frei »konzertierenden« Solisten gegen- 
iibertritt (tahmila), wird bereits in jener rondoartigen 
Form musiziert, womit die freie Form in die feste un- 
merklich ubergleitet. - AuBerdem gibt es fertige kleine 
Modellieder volkstiimlichen Charakters, die als Im- 
provisations-Stiitzen an gewissen Stellen des Taqsim 
eingeflochten werden. Hier vereinen sich wieder die 
getrennten Bezirke von Kunst- und Volksmusik. Nach 
der freien Einleitung entfaltet der Sanger seine orna- 
mentalen Kiinste in einem Stuck maBigen ZeitmaBes 
(masdar). Es besteht aus mehreren Versen ('abyat), je- 
der Vers aus 3 Abschnitten, von denen der dritte von 
den vorangehenden durch ein instrumentales Ritornell 
abgetrennt ist. Alle weiteren zur Begleitung von In- 
strumenten gesungenen Teile und jedes rein instrumen- 
tale Stuck (basrav) der Nauba folgen verwandten Sche- 
mata, lediglich durch immer rascheres ZeitmaB ins 
Rauschhafte gesteigert. - Zwei Moglichkeiten des Zu- 
sammenspiels bestehen bei der fortgesetzten Reihung 
von Teilen: entweder halten Vorsanger und Begleiter 
sich streng an die kompositorische Vorlage (tausih). 
Oder aber das Zusammengehen ist ein lockeres, und 
der Vorsanger zersetzt die Form durch individuelle 
Vortragsmanieren, und der laute Beifall der H6rer am 
SchluB jedes solistischen Abschnitts tut ein iibriges, daB 
die Komposition nicht als Ganzes, sondern Teil fiir Teil 
in Erscheinung tritt (qasida). Die Formgebung in der 
arabischen Musik verlauft ohne dynamische Hohe- 
punkte und ohne eine zielstrebige Entwicklung, sie 
vertieft das einzelne bis zum Zerfall in einzelne Teile. 
Verschwendcrischer Reich turn an Ornamenten und das 
Sich-einspinnen in magischen Rausch, wenn Gleiches 
unermiidlich in anderen Wendungen wiederholt wird, 
ist der Sinn dieser Form. Darin stimmt die Musik mit 
der iippigen Ornamentik der Architektur, der wort- 
reichen Bildersprache der Dichtung, der mehr aus- 
schmiickenden und erlauternden als systematisch auf- 
bauenden Wissenschaft iiberein. 
Die wichtigsten Rhythmusinstrumente sind die einfel- 
lige Schellentrommel Tar, Riqq, die einfellige GefaB- 
trommel Darabukka, endlich kleine Pauken Naqqarat, 
paarweise mit leichten Staben geschlagen. Als KSnigin 
der Melodieinstrumente gilt die bundlose Kurzhals- 
laute 'Ud, neben der seit alters her die Langhalslaute 
mit wenigen Saiten und zahlreichen Bunden (Pandura, 
Tanbur) eine bedeutende Rolle spielt, besonders im 
persisch-bucharisch-kaukasischen Bezirk. Die mit ei- 
nem Plektron angerissene Trapezzither Qaniin, ebenso 
auch das mit Stbckchen geschlagene Hackbrett Santur 
gelangten durch die neupersische und turkische Musik 



zu Ansehen. Als Streichinstrumente verdrangt heute 
die europaische Violine ihre vorderorientalischen Ah- 
nen, Kamanga und Rabab. Von den Blasinstrumenten 
hat die schon in Altagypten gespielte Langsflote Nay 
in der Kammermusik Sitz und Stimme, wahrend die 
verschiedenen Zungenpfeifen ('Argul, Zummara) zum 
Bestand der Fellachen- und Beduinenmusik gehoren. 
Alle diese Instrumente wurden in mehreren tausend 
Jahren nur geringfugig verandert. In der Klangfarbe, 
den schmiegsamen Intervallen und in den melismen- 
reichen Figuren paBt sich das Spiel auf den melodie- 
fahigen Instrumenten getreu dem Vortrag der Sanger 
an, so auf Langsflote und der europaischen Violine, die 
in der Hand des arabischen Musikers einen vollig an- 
deren Klang bekommt. Das Klangideal in der A.-i.n M. 
ist durch den Gesang und die menschliche Stimme be- 
dingt. Die Klanggebung der Sanger ist kehlig und na- 
sal, der Vortrag erscheint gepreBt und vibrierend. Cha- 
rakteristisch sind lang ausgehaltene Tone, die schluch- 
zerartig abgerissen werden. - Das arabische Schrifttum 
des Mittelalters hatte sich auf neue Weise das musikali- 
sche Erbe der Antike zuruckerarbeitet. Das Einfiigen 
des fremden Stoffes in die eigene Denk- und Sprach- 
welt, die Anpassung des ungef iigen orientalischen Me- 
los an das enge Gewand der rationalen griechischen 
Musiklehre war bemerkenswert vor allem durch seine 
Auswirkungen auf das christliche Abendland. Das an- 
dalusische Spanien, AuBenposten der ostlichen Welt, 
wurde mit seinem toleranten und kunstfreudigen Ka- 
lifentum zum Sammelpunkt der neuen kosmopoliti- 
schen Wissensforschung, an der gleichermaBen mosle- 
mische, christliche und judische Gelehrte teilnahmen. 
Hier setzte im Sinne des islamischen Renaissancegeistes 
die Umschmelzung der scholastischen Musikauff assung 
ein, die Befreiung aus ihrer liturgischen Gebundenheit 
und ihre Wiedergeburt als freie Kunst. Gleichzeitig 
bliihen philosophische Spekulation und Klassifikations- 
versuche zur Musik im Rahmen des Gesamtwissens. 
Ubersetzer- und Kommentatorentatigkeit taten hier 
das entscheidende Werk, zahlreiche arabische und auch 
hebraische Werke nach griechischen Quellen finden 
nunmehr ihren Weg in die lateinische Welt. 
Lit.: H. G. Farmer, The Sources of Arabian Music, an 
Annotated Bibliogr., Bearsden 1940; ders., .Ghosts': an 
Excursus on Arabic Mus. Bibliogr., Isis XXXVI, 1945/46; 
Bibliogr. of Asiatic Musics, Notes, 2. Folge, VI, 1948/49, 
Abt. 6 : Moslems, Abt. 7 : Turkish-speaking Peoples, Irani- 
ans and Others; M. Steinschneider, Die hebraischen 
t)bers. d. M A, Graz 2 1 956 ; Baron R. d'Erlanger, La mu- 
sique arabe, Paris 1930-59, 1 : Al-Farabi, Grand traite de la 
musique, 1930, II: Avicenna, Mathematiques, chap. 12, 
1935, III: Safiyu-d-Din, As-Sarafiyyah u. Kitab al-Adwar, 
1938, IV: Traite anon. (15. Jh.), Al-Ladhiqi, Traite al-Far- 
hiyah (16. Jh.), 1939, V-VI : Essai de codification des regies 
usuelles de la musique arabe moderne, 1949-59. - H. G. 
Farmer, Collection of Oriental Writers on Music, I : An Old 
Moorish Lute Tutor, Glasgow 1933, II: Al-Farabi's Ara- 
bic-Latin Writings on Music, Glasgow 1934, III: Turkish 
Instr. of Music in the Collection of Oriental Writers on Mu- 
sic, Glasgow 1937, IV: Ancient Arabian Mus. Instr., fibers, 
v. J. Robson, Glasgow 1 938, V : Music : The Priceless Jewel 
. . . , Bearsden 1942 ; ders., Medieval Jewish Tracts on Mu- 
sic, I: Maimonides on Listening to Music, Bearden 1941 ; 
ders., Sa'adyah Gaon on the Influence of Music, London 
1 943 ; J. Robson, Tracts on Listening to Music . . . , Lon- 
don 1938. - H. G. Farmer, Artikel Musiki in : The Encyclo- 
pedia of Islam, Leiden 1908-38 ; ders., The Music of Islam, 
The New Oxford Hist, of Music I, London 1957 ; C. Sachs, 
The Rise of Music in the Ancient World, East and West, 
= The Norton Hist. I, NY (1943) ; ders., Rhythm and Tem- 
po, NY 1 953 ; A. Chottin, La musique musulmane, in : La 
musique des origines a nos jours, hrsg. v. N. Dufourcq, Pa- 
ris 1946; D.J. Enrioht, Arab Music, MLXXXIII, 1952; E. 
Gerson-Kiwi, Artikel Musique (dans la Bible), in : Diction- 
naire de la Bible, Suppl. Bd V, Paris 1 957. - E. Borrel, Sur 



48 



'Argul 



lamusique secrete destribus turquesAlevi, Rev. des etudes 
islamiques VIII, 1934; Ph. Thornton, The Voice of Atlas, 
in : Search of Music in Morocco, London 1 936 ; M. Schnei- 
der, Kaukasische Parallelen zur ma. Mehrstimmigkeit, 
AMI XII, 1940; ders., Lieder Sgyptischer Bauern, Fs. Z. 
Kodaly, Budapest 1943; A. Boucheman, Quatorze chan- 
sons de l'Arabie du Nord accompagnees a la rababa, Bull, 
d'etudes orientales XI, 1945/46; E. Gerson-Kiwi, Migra- 
tions and Mutations of Oriental Folk Instr., Journal of the 
International Folk Music Council IV, 1952; H. Helfritz, 
Im Lande d. Konigin v. Saba, Wiesbaden 1952; F. Hoer- 
burger, Tunesische Volksmusik, Musica IX, 1955. - H. G. 
Farmer, The Religious Music of Islam, Journal of the Royal 
Asiatic Soc, 1952. - A. Christensen, La vie mus. dans la 
civilisation des Sassanides, Rev. des arts asiatiques X, Paris 
1936; Baron R. d'Erlanger, Melodies tunisiennes, Paris 
1 937 ; A. Chottin, Tableau de la musique marocaine, Paris 
1939; ders., Le luth et les harmonies de la nature: l'esote- 
risme dans la musique arabe, RM XXI, 1940; A. R. Nykl, 
L'influence arabe-andalouse sur les Troubadours, Bull, 
hispanique XLI, Bordeaux 1939; H. G. Farmer, The Lute 
Scale of Avicenna, in : Studies in Oriental Mus. Instr. II, 
London 1939; ders., Early References to Music in the 
Western Soudan, Journal of the Royal Asiatic Soc, 1939; 
ders., The Jewish Debt to Arabic Writers on Music, Isla- 
mic Culture XV, 1941 ; ders., Mediaeval Jewish Writers on 
Music, MR III, 1942; ders., The Minstrelsy of »The Ara- 
bian Nights«, a Study of Music and Musicians in the Ara- 
bic Alf laila wa laila, Bearsden u. London 1945; ders., 
Oriental Studies: Mainly Mus., London 1953; ders., The 
Song Captions in the Kitab al-aghani, Glasgow Univ. 
Oriental Soc. XV, 1955; R. Lachmann, Jewish Cantillation 
and Song in the Isle of Djerba, Jerusalem 1940; ders., Die 
Musik d. auflereuropaischen Natur- u. Kulturvolker, Buk- 
ken Hdb. ; D. Stoll, Music in Medieval Baghdad, MR I, 
1940; B. P. GarcIa, La musica hispano-musulmana en 
Maruecos, Larache 1941 ; E. Werner u. I. Sonne, The Phi- 
losophy and Theory of Music in Judaeo- Arabic Lit., He- 
brew Union College Annual XVI/XVII, 1941-1942/43 ; M. 
Schneider, A proposito del influjo arabe, AM I, 1946; 
ders., Le verset 94 de la Sourate VI du Coran etudie en une 
version populaire et en trois nagamat, AM IX, 1954; H. 
Hickmann, Terminologie arabe des instr. de musique, Kai- 
ro 1947; H. Peres, La poesie arabe d'Andalusie et ses re- 
lations possibles avec la poesie des Troubadours, L'Islam 
et Occident, Cahier du Sud 1947; S. M. Stern, Die Nach- 
ahmungen d. arabischen Muwaschah in d. span.-hebrai- 
schen Dichtung »Tharbiz«, Jerusalem 1947 (hebraisch); 
ders., Les vers finaux en espagnol dans les muwassabas 
hispano-hebraiques, Al-Andaluz Z XIII, 1948; ders., Les 
chansons mozarabes, Palermo 1953; H. Avenary, Abu'l- 
Salt's Treatise on Music, MD VI, 1952; A. de Larrea Pa- 
lacIn, Cancionero judio del norte de Marruecos I-IV, 
Madrid 1952ff. ; Levi-Provencal, Les vers arabes de la 
chanson V de Guillaume IX d'Aquitaine, Arabica I, Ley- 
den 1954; K. Reinhard, Types of Turkmenian Songs in 
Turkey, Journal of the International Folk Music Council 
IX, 1957; H. Husmann, Grundlagen d. antiken u. orienta- 
lischen Musikkultur, Bin 1961; A. Shiloah, Caracteristi- 
ques de l'art vocal arabe au moyen-age, Tel-Aviv (1963). 

EGK 
Aragonien. 

Lit. : H. Angles, Cantors u. Ministrers in d. Diensten d. 
Konige v. Katalonien-A. im 14. Jh., Kgr.-Ber. Basel 1924; 
ders.. La musica en la corte del Rey Don Alfonso V de Ara- 
gon, in: Span. Forschungen d. Gorres-Ges. I, 8, Munster 
i. W. 1939; J. Ribera y Tarrag6, La musica de la jotaara- 
gonesa, Ensayo hist., Madrid 1928; A. Gimenez Soler, 
Notas sobre el folklore de Aragon, Barcelona 1929; L. 
Batlle y Prats, Juglares eh la corte de Aragon y en el mu- 
nicipio de Gerona en el s. XIV, Estudios dedicados a M. 
Pidal V, Madrid 1954; Fr. de P. Baldell6, La musica en 
la casa de los reyes de Aragon, AM XI, 1956. 

Archicembalo ^arkitj'embalo, ital., »Erzcembalo«), 
ein von N. -»■ Vicentino gebautes und 1555 beschriebe- 
nes Cembalo, auf dem die drei antiken Tongeschlech- 
ter spielbar sein sollten. Dazu besaB das A. 6 Tasten- 
reihen, die auf (wahrscheinlich) 2 Manualen angeord- 
net waren. Die Klaviaturen hatten gebrochene Ober- 



tasten und 2 zusatzliche, zwischen e-f und h-c einge- 
schobene Tasten. Vicentino baute in Rom und Mai- 
land je ein A., auBerdem ein Arc(h)iorgano; auch Pa- 
lestrina lieB sich wahrscheinlich ein A. anfertigen. Do- 
ni, iiber dessen Instrument audi Kircher 1650 berichtet, 
erfand ein ahnliches Instrument mit 3 Manualen. Wei- 
tere spekulative Versuche in der Art des A. unternah- 
men K.Luython (Universalklavizymbel, 1585, 18 To- 
ne in der Oktave, 77 Tasten), Transuntino (1606, 5 Ta- 
stenreihen, 31 Tone in der Oktave, 125 Tasten), F. Co- 
lonna (Sambuca Lincea oder Instrumentum perfectum, 
um 1618). Moderne Nachfahren sind die Instrumente 
(meist Harmoniums) zur Darstellung der reinen Stim- 
mung (->-Tanaka; ->Eitz). 

Lit. : N. Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna 
prattica, Rom 1555, Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, = DM1 
I, 17, 1959; ders., Descrizione dell'arciorgano, Venedig 
1561 ; H. Bottrigari, II Desiderio . . ., Venedig 1594, Bo- 
logna 2 1599, Faks. hrsg. v. K. Meyer, = Veroff. d. Musik- 
bibl. P. Hirsch V, Bin 1924; P. Cerone, El Melopeo, Ne- 
apel 1613 ; F. Colonna, La Sambuca Lincea, Neapel 1618; 
Praetorius Synt. II ; G. B. Doni, Lyra Barberina I, hrsg. v. 
A. F. Gori u. G. B. Passed, Florenz 1763 ; A. Kircher, Mu- 
surgia universalis, Rom 1650; H. v. Helmholtz, DieLehre 
v. d. Tonempfindungen ..., Braunschweig 1863, '1913; 
Sh. Tanaka, Studien im Gebiet d. reinen Stimmung, Vf Mw 
VI, 1890; Th. Kroyer, Die Anfange d. Chromatik im ital. 
Madrigal d. 16. Jh., = BIMG 1, 4, Lpz. 1902; A. Koczirz, 
Zur Gesch. d. Luython'schen Klavizimbels, SIMG IX, 
1907/08 ; O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., 
Lpz. 1910. 

Arciviolata lira (art r iviol'a:ta l'i:ra, ital.) -> Lira. 

arco, col(F) arco (ital.), mit dem Bogen; Vorschrift 
fur die Streichinstrumente, daB nach vorausgegange- 
nem pizzicato wieder gestrichen werden soil. 
Argentinien. 

Lit. : J. Canteloube, El canto popular - Documentos para 
el estudio del folk-lore argentino I, Musica precolombiana, 
Buenos Aires 1923 ; C. Vega, La musica de un codice co- 
lonial del s. XVI, ebenda 1931; ders. , Los instr. mus. abori- 
genes y criollos, ebenda 1946 ; ders., El origen de las danzas 
folkloricas, ebenda 1955; A. Fiorda Kelly, Cronologia 
de las operas, dramas liricos, oratorios, himnos . . . can- 
tandos en Buenos Aires, ebenda 1934; A. A. Chazaretta, 
Coreografia descriptiva de las danzas nativas, Buenos 
Aires 1941 ; A. T. Luper, The Music of Argentina, Wash- 
ington 1942; O. Schiuma, Miisicos argentinos contempo- 
raneos, Buenos Aires 1948; ders., Poemas mus. argen- 
tinas, ebenda 1954; ders., Cien afios de musica argentina, 
ebenda 1956; J. Viggiano Esain, Musica argentina de la 
zone cordobese, Cordoba 1948 ; ders., La escuela musico- 
logica argentina, ebenda 1948; ders., Musicologia nativa, 
ebenda 1953; ders., La musicalidad des los Tupi guarani, 
= Publicaciones de l'Univ. Nacional de Cordoba, Inst, 
de Arqueologia, Linguistica y Folklore »Dr. Pablo Cabre- 
ra«XXV, ebenda 1954; G. Furlong Cardiff, Miisicos ar- 
gentinos durante la dominicacion hispanica, Buenos Aires 
1945; I. Aretz-Thiele, Musica tradicional argentina, Tu- 
cuman 1946; dies., El folklore mus. argentino, Buenos Ai- 
res 1952; J. T.Wilkes, Genesis hispanica del cancionero 
mus. rioplatense, ebenda 1947; E. C. Galeano u. O. S. 
Bareilles, Primer solfeo folklorico argentino, 4 Bde, eben- 
da 2 1950; J. P. Franze, Argentinische Musik, Musica V, 
1951; Fr. C. Lange, Bibliogr. mus. argentina, Mendoza 
1954 ; ders., La musica ecclesiastica argentina en el periodo 
de la dominicacion hispanica, Revista de estudios mus. Ill, 
1954; ders., Documentos para la hist. mus. argentina, Je- 
suitica I u. II, 1957 (Buenos Aires); Musica de composi- 
tores argentinos (grabada en disco), ebenda 1955 ; M. Gar- 
cIa Acevedo, La musica argentina durante el periodo de la 
organization nacional, Buenos Aires 1961 ; V. Gesualdo, 
Hist, de la musica en la Argentina I (1536-1851), II (1852- 
1900), Buenos Aires 1961-62. 

'Argul (arg'u:l, arabisch), ein gedoppeltes Rohrblatt- 
instrument mit einfachem, aufschlagendem Blatt. Die 
beiden Rohren sind verschieden lang; die Spielpfeife 



49 



Arie 



hat meist 6 Grifflocher, die Bordunpfeife kann durch 
Einsatzstiicke verlangert werden. Der A. wird (u. a. in 
Agypten, wo der Typ dieses Instruments von hohem 
Alter ist) mit Windkapselansatz gespielt. 

Arie (engl. u. ital. aria; frz. air; entlehnt von altfrz. 
air, aire, Nest, Herkunf t, Art und Weise, spater sprach- 
lich angeglichen an ital. aria, Luft, Atmosphare, Er- 
scheinung), ein instrumental begleitetes Sologesangs- 
stiick, das vom 16. Jh. bis zur Mitte des 17. Jh. die Form 
eines Strophenliedes hatte. Erst danach erlangte das 
Wort A. den Sinn, der ihm heute in der Unterschei- 
dung zwischen A. und Lied gegeben wird, namlich den 
eines groBeren, nicht mehr streng an den Textbau ge- 
bundenen Gesangsstiicks, dessen Textstrophen nicht die 
gleiche Melodie haben. - Schon 1460 ist ital. aere und 
aria als Modus bzw. Charakter eines Musikstiickes ge- 
brauchlich und begegnet in dieser Bedeutung in Eng- 
land (als air) noch bei Morley (A Plaint and Easie In- 
troduction, 1597, 3. Teil, Fantasies) und in spateren theo- 
retischen Schriften. Im engeren Sinn aber ist Aria in 
Italien im 16. und friihen 17. Jh. ein rhythmisch-melo- 
disches Schema fur das Singen bestimmter VersmaBe, 
die »Art und Weise« ihres Vortrages (C. v. Brescia, Aer 
de cantar versi latini, in Petruccis Frottolen-Sammlungen 
1504-08; R. Radio, Aeri raccolti . . . dove cantano So- 
nette, Stanze e Terze rime, 1577; Fr. Negri, Aria per Ot- 
tave, in Arie musicali, 1635). Aus dem Stegreifvortrag 
gereimter Dichtung entstanden als Improvisationsge- 
riiste fur das Rezitieren italienischer Epen in Ottave- 
rime zahlreiche Arten der Aria di Ottava (G.B.Doni, 
Trattato delta musica scenica, etwa 1635-39). Diese ist 
eine BaBformel (StrophenbaB), iiber der fortgesetzt 
Distichen der Ottavarima nach einer bestimmten, zum 
Teil variierten Melodie gesungen wurden. Beispiele 
sind die Aria di -> Ruggiero, die Aria della ->• Roma- 
nesca, die Aria di Gazella, di Zeffiro, di Siciliane, di Fi- 
renze, di Fedele. Die Vorliebe fur solche Strophenbasse 
ist als Teil des Kampfes gegen Textverfalschungen in 
der durchimitierten Polyphonie zu verstehen. (Da im 
16. Jh. zuweilen auch Villanellen und homophone Ma- 
drigale als Aria bezeichnet wurden, war die Aria mog- 
licherweise auch allgemeine Benennung fiir Musik- 
stiicke, in denen sich der strophische Bau des Textes 
auf die Musik ubertragt). Schon fiir die Mitte des 16. 
Jh. sind Strophenbasse als Gruridlage fiir Instrumental- 
musik in der Art von Ostinatovariationen belegt (Or- 
tiz 1553) und begegnen, losgelost vom Epentext, in der 
1. Halfte des 17. Jh. in Italien und Deutschland haufig 
im instrumentalen und vokalen Bereich. Sie bieten, 
zur Wiederholung bestimmt, Variationsmoglichkeiten 
der iibrigen Stimmen (d'India 1609, S. Rossi 1613, Cifra 
1617, Caccini 1620, Frescobaldi 1637, Kittel 1638). Da- 
bei werden die Strophenbasse fast stets als Fundament 
verwendet, selten als verarbeitetes Motiv (so z. B. der 
Ruggiero-BaB im 1 . Buch der Capricci von Frescobaldi) . 
Diese Bedeutung von Aria als zur Variation bestimm- 
tes Modell erhielt sich neben der eines Sologesangs bis 
ins 18. Jh. fiir eine kurtze, in zween Theile unterschiedene, 
singbare . . . Melodie, darum so einfaltig . . . , dafi man sie 
aufunzehlige Art krauseln, verbrdmen und verandern moge 
(Mattheson 1739) ; Beispiele bieten Pachelbel im Hexa- 
chordum Apollinis, Handels Cembalosuite B dur, Bachs 
Goldberg- Variationen und die Airs varies der franzbsi- 
schen Violinliteratur um die Mitte des 18Jh. - In An- 
lehnung an die aus dem Stegreifvortrag gewonnenen 
Strophenbasse begann um 1600 die Komposition frei 
erfundener Vokalarien. Der BaB zu jeder Textstrophe 
bleibt gleich, die Oberstimme kann dem Textinhalt 
nach abgewandelt oder durchkomponiert werden 
(Beispiele bei Caccini, Le Nuove Musiche, 1601). Diese 



arie in Opern (schon bei Peri und Caccini 1600, dann 
bei Agazzari 1606) und als Einzelstiicke sind bei durch- 
komponierter Oberstimme wohl nicht als Ostinato- 
variationen anzusprechen, da die Gestaltung der Ober- 
stimme eher der Textausdeutung als der melodischen 
Abwandlung zur bleibenden BaBformel entspringt. 
Die gliedernde Aufgabe des Strophenbasses, seit Mon- 
teverdi (1607) auch vom Ritornefi iibernommen, ist im 
friihen 17. Jh. auch ein Merkmal der -»• Kantate, da die- 
se ebenf alls strophischen Text hat, der die gleiche Kom- 
positionstechnik nahelegt. Aria synonym mit Kantate 
(Cantata) im Sinne eines durchkomponierten, mehr- 
stimmigen Gesanges iiber gleichbleibendem Strophen- 
baB begegnet bei Grandi 1620, Kittel 1638, Cazzati 
1649. In der Kantate werden StrophenbaBabschnitte 
(z. B. bei Carissimi, Cesti, Cavalli) im Wechsel mit 
Rezitativen verwendet. Mit Ausbildung der zyklischen 
Kantatenform (Rezitativ - A. - Rezitativ - A.) und da- 
mit der klaren Scheidung von Rezitativ und A. bei 
Stradella, L.Rossi und Cazzati verliert der Strophen- 
baB an Bedeutung und tritt um die Jahrhundertmitte 
zuriick. Der zur gleichen Zeit auftretende Ostinato- 
KurzbaB in der A. (in Kantaten bei Manelli 1636, Fer- 
rari 1637, in Opern bei Monteverdi und Cavalli 1642) 
konnte durch Verkiirzung des Strophenbasses bei 
gleichbleibender Strophenlange entstanden sein und 
tragt zur Losung vom BaBgeriist bei. Aria verlor nun 
die Bedeutung eines rhythmisch-melodischen Stro- 
phenbasses. 

In der Oper zeigt sich die gleiche Entwicklung : fiir die 
StrophenbaB- Aria und andere A.n-Formen (Da-Capo- 
A. schon 1607, dann 1642 bei Monteverdi, 1647 bei L. 
Rossi; 3teilige Liedform 1607 bei Monteverdi, 1619 bei 
Landi) der romischen und venezianischen Oper ist die 
liedhafte Obereinstimmung von Musik- und Textbil- 
dung noch gemeinsames Merkmal. Gleichzeitig mit 
der klaren Scheidung von Rezitativ und A. um 1640 
(vor allem in der venezianischen Oper) nahmen Zahl 
und Gestaltungsmoglichkeiten der A. zu. Die einfache, 
jetzt auch vom Tanzlied beeinfluBte A. bleibt Neben- 
personen vorbehalten. In den A.n der Hauptpersonen 
(in Opern Landis 1634, Cavallis 1642 und L.Rossis 
1647) begann durch Mittel wie Textwiederholung, 
nach Lange und Tonart unterschiedliche Strophenver- 
tonung, Einschiebung von Rezitativen und durch Ko- 
loraturen die Loslosung der Arie vom Strophenlied 
und damit die Geschichte der A. im heutigen Sinn. 
Ihre Hauptform, die vor allem in der venezianischen 
Oper ausgebildet wurde, ist die Da-Capo-A. Sie ver- 
drangte um 1700 die 2teiligen Formen vom -> Arietta- 
Typ (diese vor allem bei Ziani und Draghi) und die 
dreiteiligen vom Formtyp abb' und beherrschte fiir 
lange Zeit die europaische Oper. Sie ist als 3teilige 
Refrainf orm angelegt (a b a, nach 1720 a a' b a a') ; der 
Mittelteil weist meistens selbstandige Thematik auf. 
Die Gestaltung der Da-Capo-A. in der venezianischen 
Oper ist noch recht vielseitig: in der Cembalo-A., die 
seit dem Spatwerk Monteverdis bis zum Anfang des 
18. Jh. lebendig war, wird der Gesang vom Continuo- 
Cembalo begleitet und von Orchesterritornellen ge- 
rahmt. In der Orchester-A. wird die Begleitung des 
Gesanges ausgefiihrt durch Orchestereinwurfe oder 
durch das Konzertieren obligater Instrumente, wobei 
zunachst die Trompete (Trompeten-A.), spater auch 
andere Bias- und Streichinstrumente verwendet wer- 
den. Die Devisen-A. des spaten 17. Jh. verbindet in 
einem -*■ Devise genannten A.n-Beginn Gesang und 
Orchesterritornell durch gleiche Thematik. - In Frank- 
reich ist die Trennung von Rezitativ und A. nicht so 
ausgepragt vollzogen wie in Italien, auch fehlen die 
gegen Ende des 17. Jh. in Italien aufkommenden vir- 



50 



Arie 



tuosen Koloraturen. Das -»■ Air der franzosischen Oper 
ist einfach und syllabisch komponiert und folgt lied- 
haft dem Textbau. Die italienische A. dringt um 1700 
in die franzosische Oper ein und wird durch den Na- 
men -> Ariette von der in eigener Tradition entwickel- 
ten Form unterschieden. - Ebenso erhalt sich in der in- 
strumentalen und vokalen deutschen Aria, die nach 
dem Muster des Air oder - wie bei Kittel 1638 - nach 
der italienischen Manier gebildet wurde, die Bedeutung 
von A. als eines klar und einfach periodisierten, stro- 
phisch-liedhaften Gebildes. In diesem Sinne begegnet 
A. im 17. Jh. als ein- und mehrstimmiges Strophenlied 
(mehrstimmige A.n schon bei Caccini 1600, und L. 
Rossi 1637), meist mit Ritornell (Kittel 1638, Albert 
1638-50, Voigtlander 1642, A.Krieger 1657, 67, 76, 
J. R. Able 1660-62). Wahrscheinlich von hier aus fin- 
det die liedhafte A. mit Ritornell Eingang in die deut- 
sche Kantaten- und Oratorienkunst (Buxtehudes Kanta- 
ten und Abendmusiken, Theiles Matthauspassion 1673, 
Funckes Lukaspassion 1683), doch hat sie dann rasch, 
wie uberhaupt alle uormals gebrduchlichen . . . sogenann- 
ten Lieder oder stances, denen jetzigen A.n . . . weichen 
mussen (J.G.Walther 1732). Der EinfluB der italieni- 
schen Opern-A. zeigt sich im Liedschaffen etwa bei 
Erlebach (1697) und J.W.Franck (1681), in der Oper 
vor allem bei Kusser und Reiser (bei ihm auch eine 
vollig unbegleitete A. im Inganno fedele) in koloratur- 
reichen Da-Capo-A.n, die neben einfachen, volkstiim- 
lichen Liedern auftreten. In den Kantaten-A.n Bachs 
und Telemanns ist der italienische Formtyp ubernom- 
men und die Beteiligung obligater Instrumente ver- 
starkt. Aria in deutschen Suiten seit Mitte des 17. Jh. 
(J.E.Kindermann 1643, Funck 1677, Scheiffelhutl685, 
Handels »Wassermusik«) ist wohl Umbenennung von 
franzosischer Air, wie die BezeichnungTraHcoiic/ie Arien 
bei Hammerschmidt 1636 nahelegt. Die Aria ist hier, 
wie das synonym gebrauchtc Air, ein 2teiliger Tanz- 
satz unbestimmten Charakters. Aria bedeutet aber auch 
Tanzstiick und Melodie uberhaupt: dies zeigen die 
synonyme Verwendung von anderter Tanz und Aria 
secunda in einer Ballettmusik von Schmelzer und De- 
finitionen von Praetorius (1619: Aria vel air ist eine 
hiibsche Weise oder Melodei) und Walther (1732: Aria 
heisset uberhaupt eine jede Melodie). In der Bedeutung 
eines melodisch reizvollen, auf keinen bestimmten 
Tanztyp festgelegten Satzes begegnet Aria in Klavier- 
musik (Bach, Partita IV, BWV 828) und Violin-Kam- 
mermusik (Mondonville um 1734, Senaillie 1710-27). 
- Zahl und Formenreichtum der italienischen A. nah- 
men seit etwa 1720 ab, so daB in den A.n-Ketten der 
Opera seria nur noch etwa 20 groBe, orchesterbegleite- 
te A.n vorkommen (gegeniiber oft mehr als 50 A.n in 
Opern des 17. Jh.), die vom Komponisten auf die San- 
ger entsprechend deren Rangordnung verteilt wurden. 
Die erweiterte 5teilige Da-Capo-A. war alleinherr- 
schend. Dadurch verlor der Aufbau der Oper an Be- 
weglichkeit. In der fiir die *-> Neapolitanische Schule 
typischen »A.n-Oper«, die aus einer Reihung von Re- 
zitativen und A.n besteht, ist die Fortfiihrung der dra- 
matischen Idee so von musikalischen Riicksichten be- 
stimmt, daB der Handlungsablauf nun immer aus- 
schlieBlicher in den kurzen Rezitativen wiedergegeben 
wird. Die A.n folgen einander, dem Fortgang der 
Handlung entsprechend, in stufenartiger Steigerung, 
sind in sich selbst aber statisch. Oft wird in ihnen der 
seelische Zustand der handelnden Person in einem Ver- 
gleich mit einem Naturbild verdeutlicht (Gleichnis-A.). 
Bei den Komponisten der neapolitanischen Schule, vor 
allem bei Hasse, ist die Ausformung der A. auf be- 
stimmte Affekttypen festgelegt: durch die Aria di bra- 
vura werden Wut, Rache, Triumph ausgedriickt; ihre 



koloraturreichen, schnellen Gesangspartien sind oft auf 
die Fahigkeiten einzelner Sangerstars zugeschnitten. 
Leidenschaftliche Ausbriiche gibt die rezitativische Aria 
parlante (sprechende A.) wieder, Anmut und Weich- 
heit die langsamere Aria di mezzo carattere. Fiir Affek- 
te der Trauer, des Schmerzes und der Sehnsucht stehen 
getragene Largo- und Adagiosatze. Freiere Behand- 
lung erfahrt diese oft recht Starr wirkende Typisierung 
in den Opern Handels. Von der jiingeren Generation 
der Neapolitaner (Jommelli, Majo) wird auch die Da- 
Capo-Form freiziigiger gehandhabt. Seit der Mitte des 

18. Jh., vor allem durch die Opernreform Glucks, ver- 
liert die A. ihre Bedeutung als stereotyp wiederkehren- 
de Aflekttragerin und wird in Form und Stellung im 
Werk den Riicksichten der dramatischen Handlung 
untergeordnet. Die Herrschaft des Da-Capo-Schemas 
wird gebrochen. Andere Formen wie die 2teilige 
-*■ Kavatine und die in der Opera buffa entwickelte 
Rondo-A. (z. B. Mozart, Konzert-A.n K.-V. 217, 1775 
und K.-V. 374, 1781) treten auf, und die A. ist in der 
Folgezeit freier dem Handlungs- und Gefiihlsablauf 
angepaBt; so ist die Da-Capo-Form in der Konzert-A. 
K.-V. 486a (1778) von Mozart durch Verschleierung 
des Uberganges zwischen Anfangs- und Mittelteil 
und durch Einschiebung eines freien Rezitatives vor 
den stark geanderten Da-Capo-Teil zu einer freien 
Gesangsszene umgestaltet. Ahnliches findet sich in 
den spaten Opern Mozarts. Diese szenenartige Stei- 
gerungsform der A. (»Szene und A.«) wurde von den 
italienischen Opera buffa-Komponisten des 18. Jh. 
(Piccinni, Paisiello, Anfossi) vorgebildet. Ihre fiir das 

19. Jh. bis hin zum mittleren Verdi typische Gestalt be- 
steht in einer Folge rezitativischer und liedartiger Teile 
(Ballade, Romanze, Kavatine). Beispiele sind: Flore- 
stan-A. am Anfang des 3. Aktes in Beethovens Fidelio, 
Szene und A. der Anna am Anfang des 2. Aktes in 
Marschners Hans Heiling, Rezitativ und A. der Isabella 
am Anfang des 2. Aktes in Meyerbeers Robert le Diable. 
In der Stretta-A. wird noch ein schnellerer, steigernder 
AbschluBteil angefiigt: Szene und A. des Lysiart am 
Anfang des 2. Aktes in Webers Euryanthe, A. der Teresa 
am Anfang des 1. Aktes in Berlioz' Benvenuto Cellini, 
Scena e Cavatina der Leonore im 1. Akt von Verdis II 
Trovatore. AuBer in einigen italienischen Opern (Belli- 
ni, Donizetti) wird im 19. Jh. das Koloraturwesen ein- 
geschrankt und die Gliederung der Gesangsmelodik der 
des Textes wieder angenahert. Der Text jedoch geht im 
Laufe des Jahrhunderts von nichtstrophischer Dichtung 
der Rezitative und strophischer der A.n zu durchgehend 
nichtstrophischer iiber. Strophenartige Versgruppen 
werden seit der Mitte des Jahrhunderts selten. Seit dem 
Musikdrama Wagners und dem Spatwerk Verdis ist die 
Scheidung von Rezitativ und A. weitgehend aufgeho- 
ben. Nur noch vereinzelt kommen liedhafte Stiicke vor 
(Trinklied im 1. Akt von Verdis Otello, Stolzings Lied 
in Wagners Die Meistersinger). Am Anfang des 20. Jh. 
bewirken sowohl die Reaktion auf das Musikdrama als 
auch die Riickbesinnung auf das musikalische Erbe des 
Barock und Rokoko, daB die alte, in klar begrenzte 
Abschnitte unterteilte »Nummernoper« wieder auf lebt, 
vor allem in Werken, die bewuBt an Opernformen des 
17. und 18. Jh. anschlieBen, wie Ariadne aufNaxos (1912) 
und Die schweigsame Frau (1935) von R. Strauss und The 
Rake's Progress (1951) von Strawinsky. Die Bezeich- 
nung A. fiir die von rezitativischen Teilen abgegrenz- 
ten Gesangsnummern findet sich u. a. bei Hindemith 
(Cardillac, 1926; Neues vom Tage, 1929; Das Nusch- 
Nuschi, 1920, hier eine A. mit Variationen), Schonberg 
{Von heute aufmorgen, 1939). 

Lit.: H. Goldschmidt, 2ur Entstehungsgesch. d. A.- u. 
Symphonie-Formen, MfM XXXIII, 1901 ; ders., Studien 



51 



Arietta 



zur Gesch. d. ital. Operim 17. Jh., 2 Bde, Lpz. 1901-04; H. 
Abert, N. Jomelli als Opernkomponist, Halle 1908; H. 
Springer, Zu L. Giustiniani u. d. Giustinianen, SIMG XI, 
1909/10; A. Einstein, Die Aria di Ruggiero, SIMG XIII, 
1911/12; H. Riemann, Der »basso ostinato« u. d. Anfange 
d. Kantate, ebenda; ders., Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912; 
K. Nef, Gesch. d. Sinfonie u. Suite, = Kleine Hdb. d. Mg. 
nach Gattungen XIV, Lpz. 1921; P. Nettl, Die Wiener 
Tanzkomposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 
1921 ; R. Gerber, Der Operntypus J. A. Hasses u. seine 
textlichen Grundlagen, Berliner Beitr. zur Mw. II, Lpz. 
1925; A. Lorenz, Die Jugendopern A. Scarlattis, 2 Bde, 
Augsburg 1 927 ; B. Flogel, Studien zur Arientechnik in d. 
Opern Handels, Handel-Jb. II, 1929 ; G. Fr. Schmidt, Die 
friihdeutsche Oper u. d. mus. Kunst G. Schiirmanns, 2 Bde, 
Regensburg 1933-34; I. Schreiber, Dichtung u. Musik d. 
deutschen Operna., 1680-1700, Diss. Bin 1934; S. Gos- 
lich, Beitr. zur Gesch. d. deutschen romantischen Oper, 
= Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f. deutsche Musikfor- 
schung I, Lpz. 1937; H. Chr. Wolff, Die venezianische 
Oper in d. 2. Halfte des 1 7. Jh., Bin 1937 ; L. Walther, Die 
Ostinato-Technik in d. Chaconne- u. A.-Formen d. 17. u. 
1 8. Jh., Wiirzburg 1940; H. H. Eggebrecht, Aus d. Werk- 
statt d. terminologischen Worterbuchs, Kgr.-Ber. Utrecht 
1952; ders., Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d. 
Wiss. u. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, 
Jg. 1955, Nr 10; M. F. Robinson, The Aria in Opera Seria, 
1725-80, Proc. R. Mus. Ass., LXXXVIII, 1961/62; B. 
Hjelmborg, Aspects of the Aria in the Early Operas of Fr. 
Cavalli, Natalicia Musicologica, Fs. Kn. Jeppesen, Ko- 
penhag^n 1962. 

Arietta (ital., kleine Arie), im 17. und 18. Jh. eine kur- 
ze, einfache, oft in Art der -> Kavatine 2teilige Arie 
der italienischen Oper, zuweilen auch Synonym fiir 
Arie, z. B. in Landis // San Alessio (1634). 

Ariette (arj'et, frz, Nachbildung von -> Arietta), 
- 1) in der 1. Halfte des 18. Jh. die in die franzosische 
Oper ubernommene virtuose italienische Arie in Da- 
Capo-Form. Deren Benennung als »kleine Arie« ist 
zwar nicht treffend, diente aber zu sprachlichen Unter- 
scheidung vom vorherrschenden schlichten -*■ Air. Im 
Unterschied zur Arie in Italien trat die A. fast nie im 
Opeminneren auf, sondern wurde nur in den Diver- 
tissements geduldet, da sie ausschlieBlich als Schaustel- 
lung stimmlicher Gewandtheit und »angenehme Ne- 
bensache« verstanden wurde und deshalb als dramatisch 
unergiebiges Element erschieh. - 2) In der Opera-co- 
mique, der Comedie melee d'ariettes, des 18. Jh. er- 
scheint im gesprochenen Dialog die A. als volkstiim- 
lich komponiertes Lied im Gegensatz zum -*■ Vaude- 
ville, in dem bekannten Melodien Texte unterlegt 
wurden. Von dem Kampf der beiden Gattungen, in 
dem gegen 1670 das Vaudeville verdrangt wurde, 
zeugt die Opera-comique Le Proces des Ariettes et des 
Vaudevilles (1760) von Favart. Eine schlichte A. er- 
scheint auch bei R.Strauss im Burger als Edelmann (1. 
Fassung). 

Arioso (ital., arienhaft), - 1) ein kurzer Gesangsab- 
schnitt, dessen Text den Gehalt eines Rezitativs zusam- 
menfaBt. Das A. ist durch einfache, liedhafte Melodik, 
klare Taktordnung und Textwiederholungen vom 
Rezitativ abgehoben, es fehlen ihm aber die Ausdeh- 
nung, die ausgepragte Thematik und der festgelegte 
Formplan der Arie. Das A. ist, oft als Bindeglied zwi- 
schen Rezitativ und Arie, wesentlicher Bestandteil der 
italienischen Kantate und Oper im 17. Jh. (Monteverdi, 
Cesti), verliert aber in diesen Gattungen mit der klaren 
Scheidung von Rezitativ und Arie (besonders in der 
Neapolitanischen Schule) an Bedeutung. Seit etwa 
1700 wird in der protestantischen Kirchenmusik das A. 
zur einpragsamen Vertonung einer Betrachtung oder 
moralischen Lehre wichtig (J.S.Bach, Kantate BWV 
80 und Johannespassion: Betrachte meine Seek). - 2) A. 



als Vortragsbezeichnung (arienhaft zu spielen oder zu 
singen, gesanglich; auch substantivisch) ist nicht an 
einen bestimmten Satztyp gebunden (J.S.Bach, Jo- 
hannespassion: Recitativo accompagnato Mein Herz, 
in dem dieganze Welt, und Weihnachtsoratorium : Cho- 
ralzitate Er ist aufErden kommen arm im Rezitativ Wer 
kann die Liebe recht erhoh'n ; Kuhlau, Sonatine fiir Kl. zu 
4 Handen, op. 44, Nr 1, 2. Satz; Beethoven, Klavier- 
sonate op. 110, 3. Satz). A. genannte Gesangsstucke be- 
gegnen auch in neueren, der Tradition des 18. Jh. ver- 
bundenen Opern wie Cardillac von Hindemith und 
The Rake's Progress von Strawinsky. 

ArithmetischeTeilung->HarmonischeTeilung. 

Armeemarsche (Truppenmarsche), eine Militarmu- 
sik, die mit der Einf iihrung des reglementierten Gleich- 
schritts der Truppen im 17./18. Jh. aufkam und die Auf- 
gabe ubernahm, die beim Feldmarsch der Landsknechte 
der Trommelschlag hatte. Bei den A.n sind zu unter- 
scheiden: Parademarsche im langsamen Schritt (frz. 
pas ordinaire), der als Stechschritt eingeubt wurde 
(Tempo bei der preuBischen Armee zunachst 60, spa- 
ter bis zu 80 Schritt pro Minute, bei der sachsischen95), 
Geschwindmarsche, auch Quickmarsche genannt (bei 
der preuBischen Armee 108, bei der sachsischen 115 
Schritt pro Minute) und Sturmmarsche, auch De- 
ployiermarsche genannt, die bei Bajonettattacken usw. 
gespielt und nur vom Trommelschlag begleitet wur- 
den (120 Schritt pro Minute). Die modernen Tempi 
der A. sind erheblich schneller, so ist das Tempo der 
deutschen A. 114, das der italienischen 120 und das der 
franzosischen 140 Schritt pro Minute. - Seit dem spa- 
ten 17. Jh. wurde es Brauch, daB jedes Regiment seinen 
eigenen Marsch bekam. Gute Marsche wurden zu A.n 
ernannt und als Prasentier- oder Parademarsche an 
Truppenteile verliehen. Auf Anordnung Ludwigs XIV. 
legte Lully eine Sammlung von A.n an. Bekannt ist 
auch die Sammlung Philidors l'aine von 1705 (Biblio- 
thek Versailles). 100000 A. soil Ernst Ludwig von Hes- 
sen gesammelt oder komponiert haben. In Sachsen gab 
Giinther 1782 A. heraus. Die Koniglich PreuBischen A., 
deren Sammlung Friedrich Wilhelm III. 1817 anord- 
nete, gab Wieprecht in Zentralpartitur fiir ->-Militar- 
musik heraus ; von Anf ang an enthielt sie auch auslan- 
dische (russische, osterreichische) A. In Osterreich 
gab es ein Verzeichnis der historischen Marsche fiir das 
k. u. k. Heer. Die Melodien sind oft Opern entnom- 
men (Olimpia, »Belisar«, »Die weiBe Dame«, »Der 
Brauer von Preston«, »Die Zigeunerin«, »DieHugenot- 
ten«, »Indra«, »Margarete«, Das goldene Kreuz). - Be- 
riihmte A. sind u. a. : Yorckscher Marsch, von Beethoven 
(WoO 18) komponiert als Zapfenstreich fiir tiirkische 
Musik 1809; Beethoven fiigte spater ein Trio hinzu, 
das aber kaum bekannt wurde. Der Marsch des Yorck- 
schen Korps wurde zu einem der bekanntesten A., der 
noch heute bei feierlichen Anlassen gespielt wird, so 
beim Anmarsch zum GroBen Zapfenstreich. Wegen 
seines anfeuernden Rhythmus wurde er beim Avan- 
cieren 1864 bei Diippel gespielt. - Prinz Eugen der edle 
Ritter, die Melodie mit Taktwechsel, zum Teil im 5/4- 
Takt, hafviele Komponisten zur Bearbeitung gereizt, 
so A.Leonhardt (Prinz Eugen- Marsch), A.Boettge 
(Prinz Eugen-Variationen) und Hindemith (Variationen 
in der Konzertmusikfiir Blasorchester op. 41). - RdkSczi- 
Marsch, ungarischer Nationalmarsch eines unbekann- 
ten Komponisten, gewidmet dem Fuhrer der Freiheits- 
bewegung gegen die Habsburger Monarchic, Franz II. 
Rakoczy (f 1735). Die heutige Fassung stammt von 
W.Ruziczka (f 1823). Die feurige Melodie ist oft be- 
arbeitet worden, so von Liszt (XIV. Ungarische Rhap- 
sodie) und Berlioz (»Fausts Verdammnis«). - Fridericus 



52 



Arpeggio 



Rex, Lied von W. Alexis aus dem historischen Roman 
Cabanis (1832), vertont von C.Loewe; die Melodie ist 
nach dem Hohenfriedberger Marsch gebildet. Das Lied 
verwendete F. Radeck als Trio in seinem Fridericus Rex- 
Grenadier- Marsch. Hohenfriedberger Marsch, oft ohne 
Beleg Friedrich dem GroBen zugeschrieben, gait als 
Ruhmesfanfare der preuBischen Reiterei. Die alteste 
iiberlieferte Fassung ist fur Klavier gesetzt. Der 2teilige 
Armeemarsch wurde im Koniggratzer Marsch von Pief- 
ke als Trio verwendet. - Radctzky-Marsch von Johann 
StrauB Vater; 1848 gait dieser Marsch als reaktionares 
Stiick, trat aber dann seinen Siegeszug an als ein aus 
dem Geiste des Wiener Walzers geborener echter 
Militarmarsch. 

Ausg. : Die Churpfalz-Bayerischen u. Koniglich-Bayeri- 
schen Ordonnanz-Marsche u. -Signale f. Pfte bearb. v. C. 
Hunn, Miinchen o. J. ; A. Kalkbrenner, Die Koniglich- 
PreuBischen A., Lpz. 1896; O. Schmid, Altsachsische A., 
in : Musik am Sachsischen Hofe 1X/X, Lpz. 1905 ; Deutsche 
A. Neue Ausg. in 3 Bden : I : Prasentiermarsche f . FuBtrup- 
pen - Langsame Marsche - Prasentiermarsche u. Parade- 
marsche im Schritt f. berittene Truppen - Zapfenstreiche, 
II : Parademarsche f . FuBtruppen, III : Parademarsche im 
Trabe u. im Galopp, Bin u. Wiesbaden 1 962. 
Lit. : G. Kandler, Deutsche A., Bad Godesberg 1962. 

GKa 
Armenien. 

Lit.: P. Bianchini, Les chants liturgiques de l'eglise ar- 
menienne (armenisch, ital., frz.), Venedig 1877; M. Ekma- 
lean, »Gesange d. hi. Messe d. armenischen Kirche in 
Etschmiadzin« (armenisch), Lpz. 1 896 ; P. Aubry, Le ryth- 
me tonique dans la poesie liturgique et dans le chant des 
eglises chretiennes au Moyen-Age, Paris 1903; A. Hissar- 
lean, »Gesch. d. armenischen Notation u. Biogr. d. arme- 
nischen Sanger 1768-1909« (armenisch), Konstantinopel 
1914; F. Macler, La musique en Armenie, Paris 1917; E. 
Wellesz, Die armenische Kirchenmusik, Musica Divina 
VI, 1918; ders., Das armenische Hymnar, ebenda; ders., 
Die armenische Messe u. ihre Musik, JbP XXVII, 1920 ; A. 
Gastou£, L' Armenie et son art traditionnel, Rev. de Mu- 
sicol. XIII, 1929; S. Poladian, Armenian Folk Songs, 
= Univ. of California Publications in Music II, 1, Berkeley 
1942; D. H. Hovhannissian, Armenian Music I/II, Diss. 
Ann Arbor 1956, maschr. ; L. Dayan, II pluricromatismo 
nella musica armena, Kgr.-Ber. Wien 1956; R. A. Atajan, 
Armjanskaja chasowaja notopis . . . (»Die armenische 
kiinstlerische Notenschrift. Fragen d. Studiums u. d. Ent- 
zifferung«), Erewan 1959. 

Arnstadt (Thiiringen). 

Lit. : W. Toelle, Arnstadter Theater im Wandel d. Zeiten, 
A. 1938 ; Arnstadter Bachbuch, hrsg. v. K. Muller u. Fr. 
Wiegand, A. 21957. 

Arpa (ital.) -»■ Harf e. 

Arpanetta (ital.) -> Spitzharfe. 

Arpeggio, arpeggiando (arp'eddjo, ital., von arpa, 
Harfe; frz. arpege, arpegement, harpegement; engl. 
auch broken chord; deutsch friiher auch Brechung, 
Zergliederung), eine Spielweise auf Zupf-, Streich- 
und Tasteninstrumenten, die darin besteht, die zu einem 
Akkord gehorenden Tone nicht gleichzeitig (wie no- 
tiert), sondern mehr oder weniger rasch hintereinander 
zum Erklingen zu bringen, wobei die Reihenfolge ver- 
schieden sein kann und einzelne Tone auch wiederholt 
werden konrien. Das A., dem besonders fur ein kunst- 
volles GeneralbaBspiel (Rezitativbegleitung) groBe Be- 
deutung zukam, wurde bei Tasteninstrumenten im 17./ 
18. Jh. zu den -> Verzierungen gerechnet. Hierbei un- 
terschied man zwischen dem Arpegement simple und 
dem Arpegement figure, das auch akkordf remde Noten 
enthalt (sogenannte gebrochene -»■ Acciaccaturen), die 
aber sofort nach ihrem Anschlag wieder losgelassen 
wurden, wogegen man die akkordeigenen Noten wah- 
rend der ganzen Dauer des notierten Akkords aushielt. 



- Als Verzierung bei einzelnen Akkorden konnte das A. 
mit verschiedenen Zeichen angedeutet oder auch mit 
kleinen Noten ausgeschrieben werden. Als Spielweise 
fur ganze Stiicke oder Teile daraus schrieb man das A. 
oft in den ersten Takten in groBen Noten aus und for- 
derte die Fortsetzung derselben Spielart durch Beifii- 
gung des Wortes A. (Abk. : arp. oder arpegg.) oder 
auch segue in den dazu nur in Form von Akkorden no- 
tierten Harmonien (Beispiele: J.S.Bach, Praeludium 
C dur aus dem Wohltetnperierten Klavier I, BWV 846, 
Urform im Klavierbuchlein fur W.Fr.Bach, sowie 
Chromatische Fantasie D moll, BWV 903). In anderen 
Fallen wurde die Art des A. dem Spieler freigestellt 
und bereits dem ersten der zu arpeggierenden Akkor- 
de eine entsprechende Bezeichnung beigefiigt. Hau- 
fig aber wurde iiberhaupt die Moglichkeit eines A. 
dem Spieler anheimgesteUt und keinerlei Bezeichnung 
angebracht. 

Bei den mehrsaitigen Zupfinstrumenten aller Zeiten 
und Volker (in der abendlandischen Kunstmusik vor 
allem bei Harfe, Laute und Gitarre) ist das A. die einzig 
mogliche Art der Ausfiihrung von Akkorden (Th. 
Mace spricht in seinem Mustek's Monument, 1676, von 
raking play bei der Laute). Ahnliches gilt fur das mehr- 
griffige Spiel auf Streichinstrumenten, wo sich aus der 
solistischen Gambenmusik des 16./17. Jh. (Anweisung 
fiir das A. auf der Gambe bei Th. Mace) das mehrstim- 
mige Spiel auf der Violine im 17./18. Jh. entwickelte. 
Fr. Geminiani, L' Abbe le Fils und L. Mozart behandeln 
in ihren Violinschulen die Technik des A. ausfuhrlich 
(Geminiani fiihrt 18 verschiedene Ausf iihrungsarten fiir 
das A. von 3- und 4st. Akkorden an). Beispiele fiir die 
Moglichkeiten mehrstimmigen Spiels auf der Violine 
unter Verwendung der A.-Technik finden sich in J. S. 
Bachs Sonaten und Partiten fiir Violine solo sowie in 
J.H.Romans Assaggi a Violino Solo. Unter den ver- 
schiedenen Tasteninstrumenten ist es vor allem das 
Cembalo (mit seinen gezupften Saiten), auf dem das A. 
von besonders guter Wirkung ist, wie J.D.Heinichen 
in seinen GeneralbaBlehrbiichern (1711, 1728) mit der 
Feststellung bezeugt, daB das Harpeggio auf dem Clave- 
cembal von sonderlicher Wiirckung, und gleichsam diesem 
Instrument eigen ist. Bereits 1672 empfiehlt L.Penna in 
Li Primi Albori Musicali (III, 20, § 19) das A. beim Ge- 
neralbaBspiel, um keine »Leere im InstrumenU auf- 
kommen zu lassen (Procuri d'arpeggiare per non lasciar 
vuoto I'Instrumento). Heinichen beschreibt (1728, Kap. 
VI, Vom manierlichen Generalbafi) die »Harpeggiaturen« 
ausfuhrlich: er unterscheidet zwischen dem einfachen 
A. (von der BaBnote in der linken Hand bis zur hoch- 
sten Note in der rechten Hand in'einem raschen Zug), 
dem doppelten A. (von der tiefsten bis zur hochsten 
Note herauf und sofort wieder herunter zur Bafinote) 
und dem vielfachen A. (Wiederholung des doppelten 
A. sowie vielerlei andere Arten von Brechungen). 
AuBerdem gibt er zahlreiche Beispiele fiir 2-, 3- und 
4st. A. der linken und der rechten Hand, wobei die an- 
dere Hand jeweils ohne A. zu spielen hat. Noch im 
Jahre 1801 gibt der Kirnberger-Schuler A.Fr.C.Koll- 
mann in seinem Practical Guide to Thorough Bass eine 
ausfiihrliche Tabelle mit moglichen »Harpeggios« fiir 
Dreiklange und Dominantseptakkorde sowie deren 
Umkehrungen, als Illustration zu seinen Anweisungen 
fiir die Rezitativbegleitung. Auch auf der Orgel be- 
gegnet das A. sowohl beim solistischen Spiel als auch 
beim GeneralbaB; fiir den ersten Fall sei auf G.Fresco- 
baldis Vorreden zu seinen Capricci (1626) und zu seinen 
Toccate (1637) verwiesen, fiir den zweiten auf D.G. 
Turks Angaben (1787). - Handelt es sich um A. einzel- 
ner Akkorde bei einer f ortlaufenden Melodie, so muB 
die Ausfiihrung des A. der deutlichen Horbarkeit der 



53 



Arpeggione 

melodischen Fortschreitung angepaBt werden (Bach, 
Praeludium B dur, Wohltemperiertes Klavier I, Takt 
17; vgl. A.Dolmetsch). Dasselbe meint Rameau im 
Avis pour la viole (Pieces de clavecin en concerts, 1741): 
»An Stellen, wo man zwei oder mehrere Noten nicht 
leicht zusammen spielen kann, arpeggiert man sie ent- 
weder, wobei man auf derjenigen Note anhalt, von 
welcher aus die Melodie weitergeht ...«.- D.G.Tiirk 
zeigt in seiner Klavierschule (1789) die verschiedenen 
Notationsarten fur das Aushalten aller oder nur be- 
stimmter Noten im A. Ferner erklart er die Ausfiih- 
rung von langen und kurzen Vorschlagen in Verbin- 
dung mit einem A. : 

oder 




(kurzer Vorschlag) 



Wahrend im 17./18. Jh. das A. im allgemeinen auf den 
Schlag beginnt, vertritt J.P.Milchmeyer (1797) erst- 
mals die auftaktige A.- Ausfuhrung (es handelt sich um 
das erste ausdriicklich f iir das Hammerklavier geschrie- 
beneLehrbuch). In W.A.MozartsKlavierkompositio- 
nen sollten jedoch A.s wie etwa im Menuett der Kla- 
viersonate A dur (K.-V. 331) auf den Schlag genom- 
men werden, im Gegensatz zu solchen der linken Hand 
wie im letzten Satz dieser Sonate, die besser auftaktig 
gespielt werden. - Im 19. Jh. wird das A. als Spielweise 
aufeinander folgender Akkorde mehr und mehr in 
groBen Noten ausgeschrieben und von den Kompo- 
nisten in den Takt eingeteilt. In den Begleitfiguren der 
linken Hand war dieses ausgeschriebene A. in Form 
der -> Albertischen Basse voriibergehend ein ausge- 
sprochenes Merkmal fiir einen bestimmten Stil. 
Lit.: G. Mantel, Zur Ausfuhrung d. Arpeggien in J. S. 
Bachs »Chromatischer Phantasie«, Bach-Jb. XXVI, 1929; 
Fr.-H. Neumann, Die Theorie d. Rezitativs im 17. u. 18. 
Jh., Diss. Gottingen 1955, maschr., S. 344if. — »Verzierun- 
gen, — > GeneralbaB. ERJ 

Arpeggione (arpedd3'o : ne, ital. ; frz. guitare d'amour), 
ein wie ein Violoncello gespieltes Streichinstrument, 
das von der Gitarre den 8formigen CorpusumriB, die 
Biinde sowie die Stimmung E a d g h el hat. Es wurde 
1823 von G.Staufer in Wien konstruiert. Schubert 
schrieb fiir A. und Kl. 1824 eine Sonate in A moll (D 
821; heute als Violoncell- oder Bratschensonate ge- 
spielt), die V. Schuster als erster spielte, der auch eine 
Schule fiir A. herausgab. 

Arpicordo (ital.), spinettartiges, jedoch an den 
Schmalseiten spitzes, 5-6eckiges Tasteninstrument, et- 
wa in Form einer liegenden Harfe, mit meist 4 Oktaven 
Tonumfang. Praetorius nennt unter A. nur ein Cem- 
baloregister mit Harf enklang, ebenso Walther, der da- 
neben Harpicordo als Bezeichnung fiir das Spinett an- 
fiihrt. 

Lit. : V. Galilei, Dialogo della musica antica et della mo- 
derna, Florenz 1581, Faks. hrsg. v. F. Fano, Rom 1934; 
Praetorius Synt. II; WaltherL; L. Cervelli, Ital. Mu- 
sikinstr. in d. Praxis d. Gb.-Spiels: Das A., Kgr.-Ber. 
Koln 1958. 

Arrangement (frz. und engl.), s. v. w. Einrichtung 
eines Musikstiicks fiir eine durch gegebene Verhalt- 
nisse bedingte oder fiir sie bestimmte andere Besetzung 
als die urspriingliche ; z.B. ist der -» Klavierauszug ein 



A., wie es die Instrumentierung einer Klavierkompo- 
sition sein kann. DaB der Ausdruck A. den Beige- 
schmack des Minderwertigen hat, hangt mit der heuti- 
gen Auff assung vom musikalischen Kunstwerk zusam- 
men, die eine stilgerechte Auffiihrung in Originalbe- 
setzung fordert und die ein A. als unserios ablehnt, so- 
fern es nicht als -> Bearbeitung eigenkiinstlerischen 
"Wert hat und von historischem Interesse ist, wie vor 
allem die Neueinrichtungen eigener Werke bei Bach, 
Beethoven und Brahms. Andererseits haben die im 
19. Jh. auf gekommenen A.s fiir Salon- und Kaffeehaus- 
musik, mit deren inadaquater Besetzung und haufig 
unzulanglichem Vortrag, zur Abwertung beigetxa- 
gen. - Im Jazz wird durch das A. der Ablauf eines 
Stiickes harmonisch und stimmenmaBig festgelegt. 
Das A. begegnet schon im New-Orleans-Jazz als Head- 
A. in Form von Absprachen (die Ausfiihrenden konn- 
ten meist keine Noten lesen) und ging hervor teils aus 
erstarrten Improvisationen, teils aus Konzeptionen, die 
der Band-Pianist den Musikern bei Proben vorspielte. 
Die 1920er Jahre brachten eine exaktere Festlegung 
des A.s : fiir Aufnahmen von Schallplatten waren An- 
fang, SchluB, Anzahl der Wiederholungen des Chorus 
sowie wirksame Stimmenablaufe festzulegen. Das A. 
wurde aufgezeichnet (Morton, Beiderbecke), wobei 
die Soli weiterhin improvisiert werden konnten. Ver- 
breitet war das Rahmen-A. (Skeleton-A.), in dem ne- 
ben der Einleitung nur der erste und letzte Chorus or- 
chestriert ist. Die Big bands verlangten eine noch ge- 
nauere Fixierung des Gesamtablaufs. Es entstand das 
als Partitur ausgeschriebene A. (Henderson), das den 
entscheidenden Ansatzpunkt fiir die moderne Jazz- 
komposition ergab. Jedoch konnen auch hier die So- 
li ausgespart sein (-> Background). Die rhythmische 
Ausfuhrung (-»• swing, -> Beat) und die -> Hot-Into- 
nation, die im A. nicht zu erfassen sind, bleiben den 
Musikern iiberlassen. Haufig sind die Leader der Big 
bands selbst Arrangeure und Jazzkomponisten (El- 
lington, Whiteman, Lunceford). Der -> Progressive 
Jazz versuchte, iiber das A. die Verbindung zu kompo- 
nierter symphonischer Musik zu schaffen. Im Be-bop 
und Modern Jazz soil das A. auch bei kleineren Grup- 
pen als Basis fiir die Improvisation dienen (John Lewis, 
Gerry Mulligan). 

Arras. 

Lit. : P. Fanien, Hist, du chapitre d'A., A. 1 868 ; A. de Car- 
devacque, La musiquea A., in: Memoires de l'Acad. d'A. 
XVI, A. 1885, separat 1886; A. Guesnon, La Confrerie des 
jongleurs d'A. et le tombeau de l'6veque Lambert, in : Me- 
moires de la Commission departementale des monuments 
hist, du Pas-de-Calais, A. 1913; L. Petitot, La musique a 
A. au XIX e s., A. 1942; G. Birkner, Entretiens d'A. 1954, 
MfVII, 1954. 

Ars antiqua (lat., alte Lehre) kam um 1320 in Frank- 
reich als Gegenbegriff zu -*■ Ars nova auf. Regnat nova 
[ars), exulat antiqua (»Es regiert die neue ars, verbannt 
ist die alte«; CS II, 429b), stellte gegen 1330 Jacobus von 
Liittich fest. Entsprechend der zentralen Bedeutung, die 
im Mittelalter der Status des Zur-Schrift-Bringens von 
Musik fiir die Kompositionsart hatte, bezieht sich der 
Name A. a. (oder Ars vetus) vor allem auf die Men- 
suralnotation, wie sie nach Ansatzen bei -*■ Garlandia 
und neben Bestrebungen des ->- Lambertus von ->■ Fran- 
co von Koln um 1250 in seiner Ars cantus mensurabilis 
in den Grundlinien festgelegt, von -> Petrus de Cruce 
vor 1300 in Motettenkompositionen und in seiner 
durch R. de Handlo (CS I, 387f.) und J. Hanboys (CS I, 
424) bezeugten Lehre erweitert worden war. Zugleich 
verstand man als A. a. die nach diesem Modus notandi 
aufgezeichneten Organa und Conductus und die seit 
der neuen Notationsart ebenfalls antiquierten Kom- 



54 



Ars musica 



positionsarten in Motetten, Hoqueti und Kantilenen- 
satzen (Rondeaux). Aus den Traktaten der Ars nova ist 
jedoch deutlich zu ersehen, daB es deren Verf assern voll- 
standig fern lag, gegen die alte Ars notandi zu pole- 
misieren. Das Fundament ihrer Darstellung bildet die 
alte Lehre, aus deren Prinzipien sie das Neue ableiten 
und entwickeln (51c videmus in veteri arte . . . sic est in 
nova arte), so namentlich in der Ars nova Ph. de Vitrys 
in der Fassung Paris, Bibl. Nat. lat. 7387A (CSM VIII), 
und im Compendiolum artis veteris ac novae (Anon. Ill, 
CS III) ; in der bekannten Fassung von Vitrys Traktat 
in der Bibl. Vat., Barb. lat. 307 (CSM VIII) ist vor 
der Darstellung der neuen Notierungsart did der Ars 
vetus hochstwahrscheinlich nur eliminiert. - Polemisch 
wurde die A. a. seitens der Kirche, apologetisch seitens 
der alteren Generation der Ars nova gegeniibergestellt. 
Im Bereich der Kirchenmusik verordnete Papst -»■ Jo- 
hannes XXII. in der Constitutio Docta sanctorum 1324/25 
in Avignon die Wahrung der modesta gravitas des Sin- 
gens gegeniiber der lascivia, den novae notae, den Ho- 
queti und vulgarsprachlichen Motetten der novellae 
scholae discipuli, die den Choral und die Tonarten ver- 
nachlassigen und deren Kompositionen unter Straf- 
androhung aus der Kirche verbannt werden; damit 
wurde die Trennung von weltlicher und kirchlicher 
mehrstimmiger Musik offiziell gemacht, indem letzte- 
re eine alte Art bewahren soflte. Als konservativer 
Vertreter der alteren Generation verteidigte der um 
1260 geborene Jacobus von Liittich in seinem Speculum 
musicae (lib. VII, gegen 1330) den modus antiquus notan- 
di und cantandi gegeniiber der nach seiner Meinung 
iibersteigerten subttlitas und speculatio, der lasciva curio- 
sitas und intricatio der neuen Ars, in der der Text ver- 
dorben (littera perditur), die Harmonie gemindert (ar- 
monia consonantiarum minuitur), die perfectio unter- 
driickt, die imperfectio erhoht und die Mensur in Un- 
ordnung gebracht werde (perfectio deprimitur; imper- 
fectio sublimatur mensur aque confunditur, CS II, 432a). - 
Als Epoche ist die A. a. raumlich und zeitlich einzu- 
grenzen auf diejenige Musik, die den franzosischen 
Musikern, welche den Begriff zu Beginn des 14. Jh. 
pragten und verwendeten, bekannt bzw. zufolge der 
mensurierten Notation verstandlich war. Auszuschlie- 
Ben sind demnach sowohl die Organa dupla als auch 
die modal notierte Organum- und Diskantkunst der 
-* Notre-Dame-Epoche, sofern deren Repertoire (can- 
tus antiqui organici, CS II 394b, 429a) nicht auch in men- 
surierten Umschriften tradiert ist, wie im Codex Mo, 
dessen 1. Faszikel (geschrieben um 1280) u. a. zwei 3st. 
Organa von Perotin enthalt. Somit umgrenzt der 
Epochenbegriff A. a. die auf Paris zentrierte Musik und 
Musiklehre der Zeit etwa von 1230/40 bis 1315/25. In 
deren Mittelpunkt stehen die Kodifizierung der Men- 
suralnotation durch Franco von Koln, die noch wesen- 
haft anonyme Kompositionsart des Discantus in der 
Motette als f uhrender Gattung neben Conductus, Ho- 
quetus und dem neu entstehenden Kantilenensatz der 
Rondeaux von Adam de la Halle und an ->■ Quellen 
die Motettencodices Ba, Mo und Tu. 
Lit.: Jacobus Leodiensis, Speculum musicae VII, CS II; 
Johannes XXII., Constitutio »Docta sanctorum«, n: 
Corpus Iuris Canonici II, hrsg. v. E. L. Richter u. E. Fried- 
berg, Lpz. 1881, S. 1255ff.; dies., hrsg. v. Fr. X. Haberl, 
VfMwIII, 1887, S. 210, = Bausteinef. Mg. Ill, Lpz. 1888, 
S. 22 ; K. G. Fellerer, Kirchenmus. Vorschriften im MA, 
KmJb XL, 1956; ders., La »Constitutio Docta sanctorum 
patrum« di Giovanni XXII e la musica nuova del suo tem- 
po, in: L'Ars nova ital. del Trecento, Kgr.-Ber. Certaldo 
1959; K. W. Gumpel, Der Toledaner Kapellmeister B. de 
Quevedo u. sein Kommentar zu d. Extravagante Docta 
sanctorum Johannes' XXII., Span. Forschungen d. Gor- 
res-Ges. I, 21, Miinster i. W. 1963. HHE 



Arsis — Thesis (griech.), urspriinglich das Heben und 
Senken des FuBes beim Tanz. Seit dem Aufkommen 
der Metrik (-> Metrum) werden beide Termini zur Be- 
schreibung von VersfiiBen verwendet; dabei gilt A. als 
Kiirze und Th. als Lange. Spatantike Grammatiker 
deuten jedoch A. als Hebung (elevatio, sublatio), Th. 
als Senkung (positio) der Stimme im akzentuierenden 
Vortrag. An diesen Sprachgebrauch kniipft die neu- 
zeitliche wissenschaftliche Metrik an, die das betonte 
Verselement als Hebung, das unbetonte als Senkung 
bezeichnet. - In der Musiklehre des 16.-18. Jh. wird 
unter A. das Aufheben der Hand beym Tactgeben; und 
demnach die zweyte Helffte so wohl des tactus aequalis, als 
inaequalis verstanden, unter Th. der erste Tact-Theil, 
wenn nemlich die Rede nur von 2 Theilen ist; weil aufsol- 
chem die Hand niedergelassen wird (WaltherL; -> Tac- 
tus). - Der Zusatzper arsin et thesin ist mehrdeutig und 
meint z. B. nach WaltherL beim Canon den Krebs- 
kanon, nach Marpurg (1753/54) bei imitatio die unter 
Austausch von leichter und schwerer Taktzeit eng fol- 
gende Nachahmung. 

Ars musica (lat.) bezeichnet die Stellung der Musik 
im Rahmen des Schulwissensystems der septem artes 
liberales. Diese 7 »Freien Kiinste« umfassen das Trivium 
mit den 3 sprachlichen artes (Grammatica, Rhetorica, 
Dialectica), die den Gegenstand des Unterrichts in den 
mittelalterlichen Lateinschulen (Trivialschulen) bilden, 
sowie das Quadrivium mit den 4 mathematischen artes 
(Arithmetica, Geometria, ->- Musica, Astronomia). Der 
quadriviale Unterrichtsstoff drang in einige bevorzug- 
te Klosterschulen, wie St. Gallen und Reichenau, und 
im Laufe der 2. Half te des 10. Jh. im Zuge der Boethius- 
Renaissance in die Kathedral-, Dom- und Stiftsschulen 
ein, die ihrerseits noch den Unterricht (auch in der 
A. m.) an der »Artisten«-Fakultat (facultas artium) der 
mittelalterlichen Universitat befruchteten. Sie verlieh 
den Grad eines Magister artium (-*■ Akademische Gra- 
de). Der Wortbegriff ars, der dem lateinischen Mittel- 
alter aus der Spatantike iiberkommen ist, nimmt eine 
vermittelnde Stellung zwischen der hochgeistigen sci- 
entia und dem geistarmen usus ein. So riihmt Guido 
von Arezzo sich, im Bereich des christlichen Kirchen- 
gesangs eine A. m. durchgefiihrt zu haben, indem er 
dem usus eines bloB gedachtnismaBigen Singens nach 
linienlosen Neumen eine diastematische, durch ein Sy- 
stem von Linien- und Schlusselbuchstaben ausgezeich- 
nete Intervallnotenschrift gegeniiberstellt : den neu- 
mae usuales die neumae regulares (regula = Linie). 
Die neue Notenschrift brachte die Melodie in ihrem 
rationalen Gefiige zur anschaulichen Darstellung und 
erhob das Singen damit zum Gegenstand eines dem 
Prinzip von scientia folgenden Lehrverfahrens (scientia 
canendi). Noch Hugo Spechtshart v.Reutlingen feiert 
(1332) den cantor artificialis, der das Singen iiber den 
usus zur ars und per artem zur Schriftkunst erhebt. 
Philippe de Vitry hat seine neue Lehre von der ge- 
messenen Notenschrift (und Rhythmik) in einer Ars 
nova (notandi) nach 1320 niedergelegt und an men- 
suralen Motettenbeispielen erlautert. Im 14. Jh. wurde 
ein Komponist (Nicolaus de Aversa) getadelt, weil er 
in seinen Kompositionen (in suis cantilenis) anders ver- 
f ahre, als er es in seiner Lehrschrif t f ordere : . . . quam- 
vis in arte teneat contrarium (CS III, 396). A. m. wurde 
dann - im Zusammenhang mit dem Vorriicken der 
Musica practica, die seit je den sprachlichen artes ver- 
schwistert war - in einzelne Sondergebiete auf geteilt : 
ars cantus plani, mensurabilis, contrapuncti, compo- 
nendi usw. - Am treffendsten ubersetzt wird ars mit 
Wissens- oder Lehrfach, auch Lehre, A. m. entspre- 
chend mit Musiklehrfach, auch Musiklehre. Dies in 

55 



Ars nova 



dem Sinne, wie noch J. S.Bach sein Musicalisches Opfer 
(1747) eine ars canonica nennt. Das deutsche Wort 
Kunst (von konnen, wie Brunst von brennen), das seine 
eigene Bedeutungsgeschichte mitbringt, ist in der Neu- 
zeit nicht ohne weiteres geeignet, den Sinn von ars zu 
ubernehmen, wenn es auch berufen war, den antik- 
mittelalterlichen Inhalt von ars nach Deutschland zu 
leiten. Vielmehr wird »Music-Kunst« im 18. Jh. durch 
das neuartige, bezeichnenderweise das sensitive Ele- 
ment der Musik hervorkehrende Wort »Tonkunst« 
ersetzt und in die Reihe der Schonen Kiinste (frz. 
beaux-arts) eingereiht. Erst dann ging der ursprung- 
liche Sinngehalt der A. m. an die ->Asthetik iiber. 
Lit.: E. R. Curtius, Europaische Lit. u. lat. MA, Bern 
(1948, 31961); G. Pietzsch, Der Unterricht in d. Dom- u. 
Klosterschulen vor u. um d. Jahrtausendwende, AM X, 
1955; dazu ders. in: Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins CIV, 
1956; W. Gurlitt, Ber. iiber d. Arbeiten zur mus. Termi- 
nologie, Jb. d. Akad. d. Wiss. u. d. Lit., Mainz 1956;ders., 
A. m., in: Konkrete Vernunft, Fs. E. Rothacker, Bonn 
1958; H. Huschen, Die Musik in d. artes liberates, Kgr.- 
Ber. Hbg 1956; H. H. Eggebrecht, A. m., Musikanschau- 
ung d. MA u. ihre Nachwirkungen, in : Die Sammlung XII, 
1957 ; K. G. Fellerer, Die Musica in d. artes liberates, in: 
Artes liberates, hrsg. v. J. Koch, Leiden u. Koln 1959; Fr. 
Schalk, Zur Entwicklung d. Artes in Frankreich u. Italien, 
in: Studien u. Texte zur Geistesgesch. d. MA V, Leiden u. 
Koln 1959; U. Ricken, »Gelehrter« u. »Wissenschaft« im 
Franzosischen, Beitr. zu ihrer Bezeichnungsgesch. v. 12.- 
17. Jh., = Deutsche Akad. d. Wiss. zu Bin, Veroff. d. Inst, 
f. Romanische Sprachwiss. XV, Bin 1961. 

Ars nova (lat., neue Lehre) ist der Titel einer nach 
1320 entstandenen Schrift von Philippe de -*■ Vitry. Sie 
lehrt in konsequenter Fortentwicklung von Prinzipien 
der bisherigen Mensuralnotation, die nun den Namen 
einer ->Ars antiqua erhielt, die Notationsneuerungen, 
die in Motetten Vitrys bereits 1316 erscheinen (-> Quel- 
len: Fauv), namlich die Signierung der kleinen Noten- 
werte bis zur Semiminima, den Aufbau des Mensuren- 
systems in 5 gradus (modus major und minor, tempus 
und prolatio) bei Gleichrangigkeit drei- und zweizeiti- 
ger (perfekter und imperfekter) Teilung der Werte, so 
daB fiir das Tempus 4 Prolationen bestehen; ferner die 
Mensurzeichen, die roten Noten in mensuraler Gel- 
tung und die Synkopation. Bereits 1319/21 hatte auch 
der mit Vitry bekannte Pariser Mathematiker Johannes 
de -»Muris in einer Ars nove musice die neue Notation 
erortert, die auf der Basis dieser beiden Theoretiker 
bald in zahlreichen Lehrschriften behandelt wurde. 
Zwar bezog man den Begriff A. n. in erster Linie auf 
die neue Ars notandi, zugleich jedoch auf die neuen 
Kompositionsarten, die sie ermoglichte und die durch 
das Streben nach gesteigerter rhythmischer Feinheit 
(subtilitas) gekennzeichnet sind, verbunden mit melo- 
discher und harmonischer SUfie (dulcedo). Im Mittel- 
punkt der neuen Kompositionskunst, bestimmt teils 
fur den offentlichen AnlaB, teils fiir das Consortium 
der Kenner oder fiir die aristokratische Gesellschaft, 
steht das Schaffen Vitrys, des Schopfers der isorhyth- 
mischcn Motettc, und das Werk Machauts, der diese 
Form aufgriff und verfeinerte, in Balladen, Rondeaux 
und Virelais den Kantilenensatz zu einer der C. f.- 
Motette gleichrangigen Kompositionsart erhob und 
eine der friihen Vertonungen des Ordinarium missae 
schuf. - Als Epochenbegriff der neueren Musikge- 
schichtsschreibung umfafit A. n. die Zeit von etwa 
1315/25, da das Neue bei Vitry und Muris sowie in der 
Polemik des Jacobus von Liittich und in der Abwehr 
seitens der Kirche .greifbar wird, bis etwa zum Tode 
Machauts (1377), der im Zeitraum der spateren A. n.- 
Traktate und nirgends im Widerspruch zu ihnen die 
Neuerungen kompositorisch zu vollendeter Auspra- 



gung fiihrte. Raumlich ist die A. n. - wie schon die 
Ars antiqua, deren Notationsweise, Kompositionsar- 
ten und -gattungen sie erneuerte - auf Frankreich 
zentriert und strahlt von hier auf die Nachbarlander 
aus, nach der Jahrhundertmitte namentlich auf Italien. 
Doch ist die Musik des Trecento selbst nicht eine A. n. 
zu nennen, da ihrem eigenstandigen Ansatz der Kon- 
trapost einer Ars antiqua fehlt und dementsprechend 
die Gegenuberstellung A. n./Ars antiqua hier nicht 
begegnet. Die Zeit, die in Frankreich der A. n. folgte 
(bis um 1400), wurde von Besseler »franzosische Spat- 
zeit«, von U.Giinther neuerdings Ars subtilior ge- 
nannt. Letzteres in dem Sinne, daB in Neuerungen der 
Mensuralnotation (Erfindung neuer Formen fiir kleine 
Notenwerte) und in Kompositionen (-> Quellen: Ch 
und Mod) die rhythmische Subtilitas crncut sich stei- 
gerte. Dabei handelt es sich um die Spatstufe einer Ent- 
wicklung. Schon der gelehrte, freilich konservative Ja- 
cobus hatte iiber die A. n. resiimiert, daB sie als subtiler 
erachtet werde als die Ars antiqua, doch sei sie deswe- 
gen keineswegs vollkommener (CS II, 428a: Cum ergo 
dicitur ars nova subtilior est quam antiqua, dicendum quod 
hoc concesso non sequitur quod sit perfectior). 
Lit.: H. Besseler, Artikel A. n„ MGG I, 1949-51; L. 
Schrade, The Chronology of the A. N. in France, Les 
Colloques de Wegimont II, 1955; N. Pirrotta, Crono- 
logia e denominazione dell'a. n. ital., ebenda; ders., »Dul- 
cedo« e »subtilitas« nella pratica polifonica franco-ital. al 
principio del '400, Rev. Beige de Musicologie II, 1948; S. 
Clercx, Propos sur l'a. n., ebenda IX, 1955 ; K. v. Fischer, 
Trecentomusik - Trecentoprobleme. Ein kritischer For- 
schungsber., AMI XXX, 1958; H. H. Eggebrecht, Der 
Begriff d. »Neuen« in d. Musik v. d. A. n. bis zur Gegen- 
wart, Kgr.-Ber. NY 1961 ; U. Gunther, Das Ende d. a. n., 
Mf XVI, 1963. HHE 

Artikulation bedeutet in der Sprache die Bildung der 
Laute und ihre deutliche Unterscheidung (-> Aus- 
sprache), in der Musik die Verbindung oder Trennung 
der einzelnen Tone. Jedem Ton kann unmittelbar ein 
weiterer Ton oder eine mehr oder weniger groBe Un- 
terbrechung folgen, wobei die A.s-Anweisungen, die 
der Komponist durch graphische Zeichen wie Punkt, 
Keil, -> Bogen - 1) (SuBerlich nicht zu unterscheiden 
vom Phrasierungsbogen) oder durchWorte geben kann, 
nicht nur diese zeitliche Abgrenzung der Tone unter- 
einander bestimmen, sondern als Vortragsbezeichnun- 
gen auch den Charakter der Tone beeinflussen. Im 
Unterschied zur Phrasierung als der strukturellen Sinn- 
gliederung der Komposition in Motive, Motivgruppen 
usw. dient die A. so wie Dynamik und Tempo der 




Chopin, op. 21, 3. Satz. 
Gestaltung der Komposition im Erklingen, was ihre 
Festlegung schon durch den Komponisten nicht aus- 



56 



Atonalitat 



schlieBt. A. deckt sich oft mit Phrasierung; so entspre- 
chen die Bindebogen als A.s-Anweisungen in Beispiell 
Phrasierungsbogen, die die Motive des 4taktigen The- 
mas anzeigen. In Beispiel 2 dagegen gestaltet die A. das 
tonlich fast gleiche Thema in den ersten 3 Takten an- 
ders als es seiner trotzdem noch erkennbaren Phra- 
sierung entspricht. 

Die Skala der A.s-M6glichkeiten reicht vom streng- 
sten Legato (legatissimo) bis zum scharfsten Staccato 
(martellato). Die wichtigsten Zwischenstufen sind das 
Tenuto, Non legato, Portato, Marcato, womit jeweils 
eine bestimmte Spieltechnik gef ordert wird, um einen 
eigenen musikalischen Ausdruck zu erreichen. So ist 
die Bezeichnung Alia breve et staccato in J. S.Bachs Or- 
gelfuge G dur (BWV 550) sicherlich mehr als Affekt- 
bezeichnung denn als reine A.s-Anwcisung zu ver- 
stehen. Dies entspricht der allgemein giiltigen Be- 
ziehung zwischen Satztypen und A. : z. B. soil die Leb- 
haftigkeit des Allegro . . . gemeiniglich in gestossenen No- 
ten und das Zartliche des Adagio in getragenen und ge- 
schleiften Noten vorgestellet werden (C.¥h.E.Bachl753). 
Mittel der A. auf den Instrumenten sind die zeitliche 
Tonbegrenzung und die Tonintensitat, bei Streichern 
also die -»Bogenfiihrung, bei Blasern die durch die 
Zunge bzw. Lippen geregelte Atemgebung (->■ Zun- 
genstoB), bei Tasteninstrumenten -»■ Fingersatz, -> An- 
schlag und Tondauer. Als Ausdruckskunst ist die A. 
fur Orgel und Cembalo von besonderer Bedeutung: 
hier vermag sie den Mangel an Dynamik im Anschlag 
auszugleichen (unbetonte Noten wirken durch Ver- 
kiirzung schwacher). - A.s-Anweisungen werden erst 
seit Anfang des 17. Jh. notiert und sind am Ende des 
18. Jh. voll ausgepragt. Zunachst zeigten kleine Bogen 
iiber 2 Noten dem Violinspieler an, welche Noten er 
ohne Bogenwechsel, d. h. legato spielen soil. Diese Bo- 
gen ubernahm Scheidt 1624 als imitatio violistica in seine 
Tabulatura nova. Wie stark die Bezeichnung der A. an 
die Bogentechnik der Streicher gekniipft war, zeigt 
noch die Legatodefinition bei Walther (1732) : ... 
daft vocaliter nur eine Sylbe unter solche (Noten) gelegt, 
instrumentaliter aber dergleichengezogen, und mit einetn Bo- 
gen-Strich absolvirt werden sollen. Zugleich wird hier die 
Beziehung zwischen der A. in der Vokalmusik und in 
der Sprache deutlich, denn die Silbe wird als Einheit 
gebunden vorgetragen. Die Vokalmusik artikuliert 
sinngemaB nach der natiirlichen Sprechweise (-»• De- 
klamation) und verzichtete zunachst auf zusatzliche 
A.s-Anweisungen. Mit dem Hervortreten der Instru- 
mentalmusik im Laufe des GeneralbaBzeitalters wur- 
de die A. auch in der Vokalmusik zunehmend vom In- 
strument her bestimmt, jedoch nur selten aufgezeich- 
net. Sie muB heute aus dem Wissen um die damahge 
Spielpraxis erschlossen werden. Mit dem Aufkommen 
des galanten und empfindsamen Stiles ab etwa 1740 
und der neuen Auffassung der Musik als einer Klang- 
rede (Mattheson 1739) nehmen im Dienste der neuen 
Ausdruckskunst die A.s-Anweisungen zu. Die Ent- 
wicklung fiihrte zu Beethoven, der seine A.s-Vorstel- 
lungen detailliert aufzuzeichnen pflegte. Der Bogen 
bleibt das Zeichen fur das Legato, Punkte, senkrechte 
Striche oder Keile fur die Spielarten des Staccato, die 
Beethoven bewuBt unterscheidet und z.T. durch zu- 
satzliche Bezeichnungen wie marcato bei Strichen oder 
leggiero bei Punkten verdeutlicht. Je starker die Musik 
im Laufe des 19. Jh. sich von einer vorgedachten bzw. 
abstrahierbaren Logik der Struktur in Richtung der 
poetischen Interpunktion (Schumann) und der abso- 
luten Komposition (->• Atonalitat) der Wiener Schule 
entfernte, desto mehr drang die A., das Bezeichnen 
des gemeinten Sinnes, integrierend in den Komposi- 
tionsprozeB selbst ein. 



Lit. : Bach Versuch ; Mozart Versuch ; Quantz Versuch ; 
D. G. Turk, Klavierschule (1789), Faks. hrsg. v. E. R. Ja- 
cobi, = DM1 1, 23, 1962; H. Riemann, Mus. Dynamik u. 
Agogik, Hbg u. St. Petersburg 1884; O. Kinkeldev, Org. 
u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., Lpz. 1910; J. Th. Wiehmayer, 
Mus. Rhythmik u. Metrik, Magdeburg 1917; A. Moser, 
Gesch. d. Violinspiels, Bin 1923 ; H. Keller, Die mus. A. 
insbesondere bei J. S. Bach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. 
Univ. Tubingen II, Stuttgart 1925; ders., Phrasierung u. 
A., Ein Beitr. zu einer Sprachlehre d . Musik, Kassel 1955; 
H.-P.ScHMiTz,DieTontechnikd.PereEngramelle, = Mw. 
Arbeiten VIII, Kassel 1953 ; Kl. Speer, Die A. in d. Orgel- 
werken J. S. Bachs, Bach-Jb. XLI, 1954, S. 66rT. ; Die Be- 
deutung v. Keil, Strich u. Punkt bei Mozart, 5 Losungen 
einer Preisfrage, hrsg. v. H. Albrecht, = Mw. Arbeiten X, 
Kassel 1957 ; H. Unverricht, Die Eigenschriften u. d. Ori- 
ginalausg. v. Werken Beethovens in ihrer Bedeutung f. d. 
moderne Textkritik, = Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960; 
W. Thoene, Zur Frage d. A. im Cembalo- u. Clavichord- 
spiel, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962, S. 535ff. UM 

ASCAP, American Society of Composers, Authors 
and Publishers (USA), Mitglied der -> CISAC; Ver- 
wertungsgesellschaft musikalischer Rechte; vor der 
spateren -> BMI. - Aufbau und Aufgaben dieser Ge- 
sellschaften entsprechen etwa denen der -> GEMA. 

Asperges me (Ps. 50, 9), Antiphon bei der seit dem 
9. Jh. nachweisbaren f eierlichen Austeilung des Weih- 
wassers (Aspersion) vor dem sonntaglichen Hochamt 
(mit Psalmvers Miserere, Ps. 50, 3, und kleiner Doxo- 
logie, die jedoch am Passions- und Palmsonntag fort- 
fallt). In der osterlichen Zeit wird statt des A. m. die 
Antiphon Vidi aquam (inhaltlich entnommen Ezech. 
47, 2) mit Confitemini (Ps. 117, 1) und kleiner Doxo- 
logie gesungen. Beide Antiphonen werden vom Zele- 
branten »utroque genu« intoniert; die Melodien stehen 
im ->■ Kyriale. 

Aspiration, - 1) -> Antizipation; - 2) bei Fr. Coupe- 
rin (Pieces de Clavecin, 1713) : 



3 



BeiJ.-Ph.Rameau (1724) als Son Coupe: 



Gleichbedeutend mit dem spateren, ebenfalls mit ei- 
nem kleinen Vertikalstrich bezeichneten -*■ staccato, 
eine von der Lautenmusik ubernommene Verzierung 
(D.Gaultier 1669: estouffement; Th.Mace 1676: Tut). 

Assonanz -> Reim. 

Assyrien. 

Lit. : Ch. G. Cummings, The Assyrian and Hebrew Hymnes 
of Praise, NY 1934; M. Wegner, Die Musikinstr. d. alten 
Orients, = Orbis antiquus II, Miinster i. W. 1950; H. G. 
Farmer, The Mus. Instr. of the Sumerians and Assyrians, 
in: Oriental Studies : Mainly Mus., London (1953); Fr. W. 
Galpin, The Music of the Sumerians and Their Immediate 
Successors the Babylonians and Assyrians, = Slg mw. Abh. 
XXXIII, StraBburg 1955. 

a tempo (ital.), im Tempo, bedeutet (wie tempo pri- 
mo) die Wiederaufnahme des vorangegangenen und 
nur zeitweilig durch accelerando, ritardando oder 
freien Vortrag (-> ad libitum, senza tempo, ->■ Tempo 
rubato usw.) unterbrochenen HauptzeitmaBes (-> gius- 
to, -»■ misurato) ; al rigore di tempo, Intensivum zu a 
-> battuta, ganz streng im Takt. 

Atonalitat. Der Nachteil dieses nach 1900 aufgekom- 
menen Begriffsworts, das allerdings bis heute nicht 
durch ein anderes ersetzt wurde, besteht in seinem bloB 
negativen Sinn: atonale Musik bedeutet nichttonale, 
d. h. melodisch und harmonisch nicht nach den bis da- 
hin bekannten modalen oder harmonisch-funktionalen 
Gesetzen der -*■ Tonalitat gebildete Musik. Das Wort 



57 



Atonalitat 



A., vielfach auf Schonberg und die Wiener Schule ge- 
miinzt, stieB dort auf Ablehnung. Nach Schonberg 
(Hartnonielehre, in der Auflage von 1922), da er tonal 
definiert als die v on Ton zu Ton bestehende Beziehung, 
ist A. nicht realisierbar (er laBt allenfalls die Begriffe 
polytonal oder pantonal gelten), - abgesehen davon, 
daB vielleicht bloB noch nicht erkannt sei, was an die 
Stelle der bisher nachweisbaren Grundtonbezogen- 
heit der Tone getreten ist (wahrscheinlich die Tonalitat 
einer Zwolftonreihe). Berg (1930) nennt das Wort atonal 
eine Erfindung des leibhaftigen Antichrist, da es bei 
Gegnern neuer Musik nicht in seinem speziell harmo- 
nischen Sinne (- keine Bezugnahme auf ein harmoni- 
sches Zentrum im Sinne der Dur- oder Mollskala und 
alien Tonika -) verstanden werde, sondern sich dazu 
angeboten habe, ein Sammelbegriff fur ,Unmusik' zu 
werden. Auch Webern (1932) nennt atonal ein schreck- 
liches Wort, es bedeute ohne Tone (gemeint ist im Sinne 
Schonbergs: ohne Tonbeziehungen). Doch beschrieb 
auch er das Hauptmerkmal der musikalischen Situation 
der Wiener Schule vor 1910 ganz im Sinne der tra- 
ditionellen Bedeutung von Tonalitat/A. : Die Beziehung 
aufeinen Grundton - die Tonalitat - ist verlorengegangen. 
Im Unterschied zu den genannten Komponisten be- 
dient sich Hauer (1920 und spater) des Wortes atonal 
zur Kennzeichnung dessen, was er musikalisch erstrebt. 
In eigenwilligen Definitionen unterscheidet er den 
rein tonalen Pol des Musikalischen, bei dem es keine Be- 
wegung in Tonstufen und nur Rhythmus gibt, und den 
rein atonalen Pol des im Idealfall zwolfstufigen, jedoch 
arhythmischen, auch dynamisch und farblich wenig 
differenzierten Melos. Die atonale Musik bewegt sich 
nach Hauer von dem rein atonalen (melischen, geisti- 
gen) Pol in Richtung des tonalen (rhythmischen, na- 
tiirlichen) Pols, ihn aber nur beriihrend. - Gegeniiber 
der Problematik des Wortes A. bedeutet die Sache, 
auf die es sich richtet, das Umwalzende der Neuen Mu- 
sik. Nach einer Periode der »schwebenden Tonalitat« 
(der Grundton selbst . . . war im Raume schwebend, un- 
sichtbar, Webern) trat A. erstmalig und nahezu ruck- 
artig, dabei sogleich in voller kiinstlerischer Giiltigkeit 
in Erscheinung in den 5 George-Liedern op. 3 (1907/ 
08) von Webern und in den 3 Klavierstiicken op. li 
(1909) von Schonberg. Grundprinzipien der A. sind: 
Vermeiden von tonalen Bezugspolen (doch nicht Be- 
zugspolen schlechthin) und Ignorieren oder Paralysie- 
ren (Lahmlegen) aller Fortschreitungs- und Auflo- 
sungstendenzen; Abwesenheit von Klang-»Funktio- 
nen«; Gleichrangigkeit der Tone (die Verbindung aller 
Tone mit alien, Hauer); Geltung der Intervalle als 
qualitativ abgestufte Sonanzen anstelle des Dualismus 
Konsonanz/Dissonanz, - insgesamt die Befreiung des 
Tones aus den Vorentscheidungen der Tonalitat, um 
ihn im Sinne gesteigerter -> Absoluter Musik desto 
ausschlieBlicher dem kompositorischen ProzeB verfiig- 
bar zu machen. Die wichtigsten gegen die A. erhobe- 
nen Einwande richten (oder richteten) sich gegen die 
Absicht, den natiirlichen Gegebenheiten des Tonma- 
terials ausweichen zu wollen (Hindemith) und gegen 
die Erhebung der gleichschwebenden Temperatur vom 
KompromiB zum Ideal. Indessen entscheidet iiber 
Geltung und Sprachfahigkeit der Tone nicht die Na- 
tur, sondern die Geschichte, und nicht ein Prinzip der 
Stimmung, sondern der kompositorische Kontext. 
Charakteristisch fiir Weberns atonale Klangtechnik 
ist sogleich sein op. 3, z. B. aus dem IV. Lied, eine pp- 
Struktur derart, daB vornehmlich groBe Septimen den 
Konsonanzcharakter und die Strebigkeit einzelner Be- 
standteile des Melos und Klanges aufheben, die so ein 
In-sich-Ruhendes darstellen, gesattigt von Farbe, 
schwebend wie »Duft«. 




Fiir die atonale Komposition stellte sich das Problem, 
die formbildenden, FaBlichkeit und Zusammenhang 
stiftenden Krafte der Tonalitat zu ersetzen. Charakte- 
ristisch fiir die Zeit der »freien« A. war die Gattung des 
Liedes, bei welcher der Text als formativer Faktor 
wirkt, in der Instrumentalmusik die Bagatelle (Webern, 
op. 9) und das kleine »Stuck« (Schonberg, Klavier- 
stiicke op. 11 und 19, 5 Orchesterstucke op. 16; We- 
bern, Stiicke fiir Orch. op. 6 und 10, Stiicke fiir V. bzw. 
Vc. und Kl. op. 7 und 11). Die an die -* Zwolftontech- 
nik »gebundene« A. hat kurz nach 1920 Forderungen 
atonalen Komponierens zur Methode erhoben und da- 
mit zugleich ein verstarktes Aufgreifen geschichtUcher 
musikalischer Techniken und Formen ermoglicht. 
Atonal aber sind in der Tat sowohl die auf der Zwolf- 
tonmethode basierende und die -»■ Serielle Musik als 
auch etwa die ->■ Elektronische Musik, sofern der Be- 
griff tonal im traditionellen Sinne als Finalis- oder 
Grundtonbezogenheit verstanden wird. Nimmt man 
aber an, daB - wie Webern im Einklang mit Schon- 
berg und Berg sagt - auch bei uns doch ein Grundton vor- 
handen ist - ich glaube bestimmt daran - aber dieser in- 
teressierte uns im Ablauf des Ganzen nicht mehr (was in 
dieser Formulierung allerdings fragwiirdig ist), oder 
daB - wie Analysen ergeben - an die Stelle von Grund- 
tonen andere Bezugspole (etwa eine bestimmte, fiir 
ein Stuck feststehende Melos- oder Klangstruktur) 
gesetzt sind, oder definiert man den Begriff Tonali- 
tat - entsprechend der durch die Neue Musik gewon- 
nenen Erfahrungen - als »Aufeinander-Bezogensein« 
der Tone schlechthin (zudem etwa in der bestandigen 
Wiederkehr einer -* Reihe), so wird der Begriff A. 
allerdings sinnlos. 

Lit.: A. Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1960, 
engl. NY 1947; A. Bauer, Atonale Satztechnik, Cham 
1923, 21925; D. Milhaud, Polytonalite et atonalite, RM 
IV, 1923 ; J. M. Hauer, Atonale Musik, Mk XVI, 1923/24; 
ders., Vom Wesen d. Mus., Lpz. u. Wien 1920, 2. Aufl. 
(mit d. Untertitel: Ein Lehrbuch d. atonalen Musik), Bin 
u. Wien 1923 (hierzu: R. Stephan, t)ber J. M. Hauer, 
AfMw XVIII, 1961); ders., Zur Einfuhrung in meine 
»Zwolftonmusik«, Sonder-H. zum IV. Donaueschinger 
Kammermusikfest 1924; ders., Vom Melos zur Pauke, 
Eine Einfuhrung in d. Zwolftonmusik, = Theoretische 
Schriften I, Wien u. NY (1925); H. Eimert, Atonale Mu- 
siklehre, Lpz. 1924; L. Deutsch, Das Problem d. A. u. d. 
Zwolftonprinzips, Melos VI, 1927; A.HABA.NeueHarmo- 
nielehre d. diatonischen, chromatischen Viertel-, Drittel-, 
Sechstel- u. Zwolfteltonsystems, Lpz. 1927; Ch. Koech- 
lin, Trait6 de l'harmonie, Paris 1928-30; ders., Tonal ou 
atonal, in: Le Menestrel XCVIII, 1936; A. Berg, Was ist 
atonal ?, Rundfunkdialog Radio Wien 1930, Erstdruck in: 
Wiener Musikzs. »23«, Nr 26/27, 1936, ferner in: J. Rufer, 
Musiker iiber Musik, Darmstadt 1955, u. in: Kontrapunk- 
te, Schriften zur deutschen Musik d. Gegenwart, hrsg. v. 
H. Lindlar, Bd II, Die Stimme d. Komponisten, Roden- 
kirchen/Rhein 1958 ; D. Paque, L'atonalite, ou mode chro- 
matique unique, RMXI, 1930; A. Machabey, Dissonance, 
polytonalite, atonalite, RM XII, 1931 ; A. Webern, Wege 



58 



Auffiihrungspraxis 



zur Neuen Musik (Vortrage Wien 1932/33), hrsg. v. W. 
Reich, Wien 1960; E. Krenek, Uber neue Musik, Wien 
1 937, engl. als : Music Here and Now, NY 1 939 ; P. Hinde- 
mith, Unterweisung im Tonsatz (Theoretischer Teil), 
Mainz 1937, 21940; N. Obuchow, Traite d'harmonie to- 
nale, atonale et totale, Paris 1946; H. Pfrogner, Die 
Zwolfordnung d. Tone, Zurich, Lpz. u. Wien 1953; Fr. 
Neumann, Tonalitat u. A., = Beitr. zu Gegenwartsfragen 
d. Musik I, Landsberg am Lech 1955; R. Reti, Tonality - 
Atonality - Pantonality, London 1958; G. Perle, Serial 
Composition and Atonality, Berkeley, Los Angeles u. Lon- 
don 1962 ; K. H. Ehrenforth, Ausdruck u. Form, Schon- 
bergs Durchbruch zur A. in d. George-Liedern op. 15, 
= Abh. zur Kunst-, Musik- u. Lit.-Wiss. XVIII, Bonn 
1963. HHE 

attacca (ital.), falle ein; Vorschrift bei Tempowechsel 
oder am Ende eines ganzen Satzes, das Folgende un- 
mittelbar anzuschlieBen; attacca subito: sofort weiter. 

Attacco (ital., »Angriff«), ein kurzes, aus wenigen T6- 
nen bestehendes Motiv, das imitierend verarbeitet 
wird. Im Gegensatz zu ->■ Andamento und -»■ Soggetto 
ist A. im 18. Jh. ein Thementyp, der auf Grund seiner 
gedrangten Knappheit zwar selten als Kopfthema (wie 
in J.S.Bachs Fugen A dur aus Teil I und Cis dur aus 
Teil II des Wohltemperierten Klaviers, BWV 864 und 
872), aber haufig als Imitationsimpuls im Satzinneren 
verwendet wird. 

Attack (at'sek, engl., »Angriff«), das fiir den Jazz typi- 
sche laute, vehemente Anspielen eines Tones, wobei 
die Tonhohe nicht direkt, sondern in kurzem, attackie- 
rendem Anlauf erreicht wird. Der A. hat seine Wurzeln 
im naturhaften, vitalen Musizieren der Neger (-> Hot- 
Intonation), spiel te dann aber als expressives Element 
im Jazz bis in die Swing- Ara eine entscheidende Rolle. 
. Im modernen Jazz kann der A. zugunsten der Jazz- 
phrasierung in den Hintergrund treten. 

Aubade (ob'ad, frz. ; span, alborada; prov. alba; von 
frz. aube, Tagesgrauen, Morgenrote), ->■ Tagelied. - 
Im 17./18. Jh. wurden A.s an den Hofen als Morgen- 
standchen musiziert wie die abendlichen Serenaden. 
Im 19. Jh. kam A. als Titel von Charakterstiicken auf, 
z. B. das Klavierlied A. von Bizet, A. et Allegretto fiir 
Streicher und Blaser von E.Lalo (1872), die A. fur Kl. 
und 18 Instrumente von Fr.Poulenc (1929) und Albo- 
rada delgracioso aus den Miroirs fiir Kl. von Ravel. 

Aube (o:b, altfrz.) -> Tagelied. 

au chevalet (o Jval'e, frz.) -*■ sul ponticello. 

Audition colore* (odisj'5 kalor'e, frz.) -*■ Farben- 
horen. 

Auffassungsdissonanz (auch Scheinkonsonanz). In- 
nerhalb der Funktionstheorie sind A.en 1) alle Klange, 
die isoliert betrachtet nur konsonante Verhaltnisse auf- 
weisen, auf Grund ihres musikalischen Zusammenhan- 
ges jedoch als Dissonanzen empfunden werden (z. B. 
die Quarte als Vorhalt vor der Terz; die Sexte als Vor- 
halt vor der Quinte; der Jj-Akkord als Vorhalt vor 
einem |-Akkord) ; 2) alle Klange, die enharmonisch 
verwechselt zwar mit konsonanten identisch, doch 
musikalisch als Dissonanzen gedacht sind. So ist z. B. 
das Intervall c-dis mathematisch eine Konsonanz (klei- 
ne Terz), doch auf Grund seines musikalischen Zusam- 
menhanges eine Dissonanz (ubermaBige Sekunde), die 
sich als Vorhalt in die groBe Terz c-e auf 16 sen muB. 
Die A.en gewahren dem musikalischen Satz sehr wich- 
tige Freiheiten, die fiir die absoluten Dissonanzen (Sep- 
time, Sekunde, verminderte Quinte bzw. ubermaBige 
Quarte) ausgeschlossen sind. In H.Riemanns Funk- 



tionstheorie und in seiner Fassung der Kontrapunkt- 
lehre spielen die A.en (dort Scheinkonsonanzen ge- 
nannt) eine wichtige Rolle. 

Auffiihrungspraxis ist generell der Inbegriff der 
Techniken, Regeln und Gewohnheiteff, die zwischen 
Notentext und erklingender Musik vermitteln, speziell 
als »A. alter Musik« die Rekonstruktion geschichthcher 
Ausfiihrungsweisen in der heutigen Praxis. - In der 
Geschichte der Mehrstimmigkeit ist die Differenz zwi- 
schen Schrift und Klangbild, also der Anteil der Im- 
provisation, um so groBer, je weiter man zuriickgeht. 
Seit dem letzten Drittel des 18. Jh. ist die musikalische 
Schrift annahernd vollstandig, ohne daB das nicht und 
das nur partiell Notierte, wie die Agogik, die Phra- 
sierung, die Art der Akzentuierung (Dynamik), be- 
deutungslos waren. Das entgegengesetzte Extrem bil- 
den Aufzeichnungen des friihen 12. Jh., die ein Or- 
ganum als bloBes Konsonanzengeriist notieren; nicht 
nur die Besetzung und das Tempo, sondern sogar die 
Rhythmik und die melodische AusfiiUung des Tonge- 
riistes sind hier eine Sache der Auffuhrung. - Die Diffe- 
renz zwischen der Schrift und dem Klangbild alter 
Musik ist in der Palestrina-Renaissance des 19. Jh. ver- 
kannt worden; das zerdehnte ZeitmaB, das aus der 
Gleichsetzung der Semibrevis des 16. Jh. mit der gan- 
zen Note des 19. Jh. resultierte, erschien als schwerer, ge- 
wichtiger Fortgang echter Kirchenmusik (Wackenroder). 
Die Solesmer Choralrestauration sah sich'dem Problem 
des Choralrhythmus, die Bach-Renaissance dem des 
Generalbasses gegeniiber. In welchem AusmaB mit 
verlorengegangenen Selbstverstandlichkeiten (H. Riemann) 
zu rechnen ist, zeigte sich allerdings erst bei dem Ver- 
such, Musik des Mittelalters zu reproduzieren (W. 
Gurlitts Vorfiihrungen mittelalterlicher Musik in 
Karlsruhe 1922 und in Hamburg 1924). Und seit den 
20er Jahren wurde der Sachverhalt, daB die Musikge- 
schichte auch eine Geschichte des Klanges und des Horens 
umfafit (H.Besseler), mit einem Nachdruck betont, der 
seine Wirkung auf das musikalische BewuBtsein der 
reproduzierenden Musiker und des Konzertpublikums 
nicht verfehlte. - Es mag in der Natur des Gegenstan- 
des begriindet sein, daB die Erforschung der A. zu ei- 
nem nicht geringen Teil eine Geschichte von Kontro- 
versen ist. In Polemiken, Repliken und Dupliken ist 
das Material iiber den Choralrhythmus und die Musica 
ficta, iiber die vokale oder instrumentale oder vokal- 
instrumentale Besetzung der Notre-Dame-Organa, 
des Trecentomadrigals oder der niederlandischen Po- 
lyphonie, iiber das Chiavettenproblem und die gleich- 
oder ungleichschwebende Stimmung, iiber das wenig- 
oder vielstimmige GeneralbaBspiel und das einfache 
oder manierliche (ausgezierte) Akkompagnement, 
iiber die Besetzung der Motetten und der Passions- 
chorale Bachs, iiber die rhythmischen Bedeutungen 
der punktierten Note und die »harmonische Ausfiil- 
lung« des 2st. Klaviersatzes im 18. Jh. zusammengetra- 
gen worden. Die Auseinandersetzungen lassen erken- 
nen, daB eine Erforschung der A., die zu sicheren Er- 
gebnissen kommen will, kaum ohne Verbindung ver- 
schiedener Methoden moglich ist; Abbildungen miis- 
sen mit Kapellverzeichnissen, literarische Zeugnisse 
iiber Gesangs- und Spielweisen mit rezenten Traditio- 
nen verglichen werden. Andererseits zwingt die Art 
der Quellen oft zu zuriickhaltender Interpretation. 
Auff iihrungsberichte schildem eher denkwiirdige Aus- 
nahmen als die Normen des Alltags; notierte Muster 
der Improvisations- oder Verzierungskunst sind keine 
Protokolle der musikalischen Wirklichkeit ; und wer 
in Theoretikerzeugnissen reale von spekulativen Mo- 
menten oder in Musikdarstellungen der bildenden 



59 



Auffiihrungspraxis 



Kunst und der Dichtung deskriptive von allegorischen 
Ziigen zu unterscheiden versucht, begegnet der Schwie- 
rigkeit, daB die Frage nach dem empirischen Gehalt 
quer zum urspriinglichen Sinn der Dokumente steht. - 
Die Quellen zur A. des 14. bis 17. Jh. vermitteln das 
Bild einer bunten Mannigfaltigkeit. Der Begriff der 
»authentischen« Wiedergabe muB, wenn nicht preis- 
gegeben, so doch modifiziert werden. Denn die A. 
war in einem heute ungewohnten MaBe von der Funk- 
tion und »Gelegenheit« der Auffiihrung, dem Raum 
und den verfiigbaren Mitteln oder den Fahigkeiten der 
Musiker abhangig. Der musikalische Text wurde, wie 
der eines Dramas, »in Szene gesetzt«. Die Besetzung 
war vokal, instrumental oder vokal-instrumental ge- 
mischt; man lieB Stimmen weg oder improvisierte Zu- 
satzkontrapunkte aus dem Stegreif (alia mente), und 
der Notentext wurde unverandert oder mit Verzierun- 
gen und Diminutionen vorgetragen. Aus der Vielfalt 
der MoglMikeiten heben sich feste Typen wie die al- 
ternatim-Praxis und die Gruppierung der Instrumente 
in »hauts« und »bas« (»starke« und »stille«) heraus. An- 
dererseits ist es nicht »unhistorisch«, essentielle von ak- 
zidentellen Auffiihrungspraktiken zu unterscheiden; 
daB die durchimitierten Motetten des 16. Jh. in vokal- 
instrumental gemischter Besetzung aufgefiihrt oder 
auf die Orgel iibertragen (abgesetzt) werden konnten, 
andert nichts an ihrer primar vokalen Struktur. - Die 
instrumentalen Besetzungen beruhten bis zum friihen 

17. Jh. auf dem Prinzip, die Stimmen zu differenzieren 
(»Spaltklang«). Bei doppelter Besetzung einer Stimme 
wurden verschiedene Instrumente gekoppelt; das erste 
Orchester, in dem die mehrfache Besetzung einer Stim- 
me durch das gleiche Instrument zum Prinzip erhoben 
ist, sind im 17. Jh. die 24 Streicher des franzosischen 
Konigs (vingt-quatre violons du Roy). - Der Rekon- 
struktion des auBeren Klangbildes muB, wenn sie als 
Interpretation gelten soil, eine Ergriindung des Musika- 
lisch-Organischen (R.v.Ficker), der Phrasierung und 
Artikulation, des Tempos und der Dynamik, entspre- 
chen. Die Vorstellung, daB die Vokalmusik und die in- 
strumentale Ensemblemusik des 17. und des friihen 

18. Jh. in einem undifferenzierten, einzig durch abrup- 
ten Forte-Piano-Wechsel (»Terrassendynamik«) ge- 
gliederten GleichmaB vorgetragen worden seien, hat 
sich als »neu-sachliche« Obertreibung erwiesen. Be- 
reits die Ablosung der Falsettisten durch Kastraten um 
1600 war mit einer Verfeinerung der Dynamik (Cres- 
cendo und Diminuendo auf lang ausgehaltenen T6- 
nen) und der Stimmfarbung verbunden; und in Eror- 
terungen iiber das Tempo, den Vortrag und das Ver- 
zierungswesen herrscht im 17. und 18. Jh. der Grund- 
satz der Affektdarstellung. Urteile iiber die Dynamik 
und Phrasierung vor 1600 sind hypothetisch ; doch ist 
»Einf uhlung « eine unverachtliche historische Methode. 
- Die Restauration der A. alter Musik in der musikali- 
schen Praxis der Gegenwart hat gegeniiber naiven 
Verzerrungen geschichtlicher Klang- und Vortrags- 
stile das Recht auf ihrer Seite, ist aber selbst nicht un- 
problematisch. Einerseits ist es unvermeidlich, daB 
Mangel im historischen Wissen als positive musikali- 
sche Merkmale erscheinen; aus dem Sachverhalt, daB 
wir iiber dynamische Abstufungen nicht unterrichtet 
sind, resultiert das Verfahrcn, Musik des 14. bis 16. Jh. 
in gleichmaBigem Mezzoforte vorzutragen. Anderer- 
seits ist eine Rekonstruktion des akustischen Faktums, 
ware sie auch liickenlos, nicht das gleiche wie eine 
Wiederherstellung des musikalischen Phanomens. Und 
aus der Einsicht, daB wir zwar den Klang, aber nicht 
die Musiker, die ihn vollzogen, restaurieren konnen, 
sind verschiedene Konsequenzen gezogen worden, 
die auf divergierende geschichtsphilosophische Voraus- 

60 



setzungen zuruckgefiihrt werden konnen. Wird Ge- 
schichte als bloBe Bedingung des Entstehens und Wir- 
kens eines in seinem Gehalt ihr enthobenen Werkes 
begriffen, so ist es moglich, alte Musik in die Gegen- 
wart zu »transponieren«; Bearbeitungen sind dann le- 
gitim, denn der Gehalt muB, um in der Wirkung der 
»gleiche« zu sein, in einem anderen Klang erscheinen. 
Unter der Voraussetzung aber, daB der Gehalt eines 
Werkes an das vergangene Klangbild gebunden sei, ist 
eine Veranderung eine Verfalschung. Der geschicht- 
liche Abstand braucht jedoch keine Entfremdung zu 
bedeuten, denn das BewuBtsein von Vergangenem (als 
Vergangenem) gehort zur Gegenwart (Thr.Georgia- 
des). SchlieBlich kann der Sachverhalt, daB ein Werk 
heute andere Ziige hervorkehrt als zu seiner Entste- 
hungszeit, als Veranderung des Werkes selbst, als seine 
Entfaltung in der Geschichte, interpretiert werden 
(Th. W. Adorno) ; eine Bearbeitung wie A. v. Weberns 
Instrumentation des 6st. Ricercars aus dem Musicali- 
schen Opfer ist dann weder die Transposition eines der 
Vergangenheit enthobenen noch die Verfalschung 
eines an sie gebundenen, sondern die Auspragung eines 
sich geschichtlich entwickelnden Gehalts. 
Lit. : Allgemeines : G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, 
= Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; J. 
Wolf, Uber d. Wert d. A. f iir d. hist. Erkenntnis, Kgr.-Ber. 
Lpz. 1 925 ; W. Gurlitt, Die Wandlungen d. Klangideals d. 

Org in : Ber. iiber d. Freiburger Tagung f . deutsche Or- 

gelkunst, Augsburg 1926; W. Landowska, Music of the 
Past, London u. NY 1926; A. Schering, Hist. u. nationale 
Klangstile, JbP XXXIV, 1927; ders., Vom mus. Vortrage, 
JbP XXXVII, 1930; ders., A. alter Musik, = Musikpad- 
agogische Bibl. X, Lpz. 1931; R. Haas, A. d. Musik, 
Bucken Hdb. ; E. Bodkv, Der Vortrag alter Klaviermu- 
sik, Bin 1932; G. Pietzsch, Der Wandel d. Klangideals 
in d. Musik, AMI IV, 1932; E. Borrel, L'interpretation 
de la musique frc., Paris 1934; H. Besseler, Musik u. 
Raum, in: Musik u. Bild, Fs. M. Seiffert, Kassel 1938; 
E. T. Ferand, Die Improvisation in d. Musik, Zurich 
(1939); B. Disertori, Antichita del sonar con espressio- 
ne, RMI XLIV, 1940; F. Dorian, The Hist, of Music in 
Performance, NY 1942; K. G. Fellerer, Die Auffiihrung 
alter Musik, Das Musikleben V, 1952; ders., Die Klang- 
wirklichkeit im mus. Erbe, ebenda VI, 1953; H. Nathan, 
The Sense of Hist, in Mus. Interpretation, MR XIII, 1952; 
H. F. Redlich, Original u. Bearbeitung, Das Musikleben 
V, 1952; Th. Dart, The Interpretation of Music, London 
1954; K. Blaukopf, »Hist. Klangtreue«, Gravesaner 
Blatter II, 1956, H. 6; H. Topel, Klangasthetik u. A., Mf 
IX, 1956; D. J. Grout, On Hist. Authenticity in the Per- 
formance of Old Music, in: Essays on Music, Fs. A. Th. 
Davison, Cambridge (Mass.) 1957; H. Heckmann, Zum 
Verhaltnis v. Musikforschung u. A. alter Musik, Mf X, 
1957 ; R. Matthes, Lebendige A., SMZ XCIX, 1959 ; Thr. 
Georgiades, Musik u. Schrift, Munchen 1962; G. Frot- 
scher, A. alter Musik, Locarno 1963. 
MA u. Renaissance: O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Mu- 
sik d. 16. Jh., Lpz. 1910; H. Prunieres, La musique de la 
chambre et de l'ecurie sous le regne de Francois I cr , L'An- 
nee mus. I, 1911; A. Schering, Das kolorierte Orgelma- 
drigal d. Trecento, SIMG XIII, 1911/12; ders.., Die nld. 
Orgelmesse im Zeitalter d. Josquin, Lpz. 1912; H. Sprin- 
ger, Der Anteil d. Instrumentalmusik an d. Lit. d. 14.-16. 
Jh., ZIMG XIII, 1911/12; H. Leichtentritt, Einige Be- 
merkungen iiber d. Verwendung d. Instr. im Zeitalter 
Josquin's, ZIMG XIV, 1912/13; Th. Kroyer, A cappella 
und conserto, Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; ders., Zur 
A-cappella-Frage, AfMw II, 1919/20; ders., Zur A., Fs. 
D. Fr. Scheurleer, 's Gravenhage 1925; Fr. Ludwig, Mu- 
sik d. MA in d. Badischen Kunsthalle Karlsruhe, ZfMwV, 
1922/23 ; H. Besseler, Musik d. MA in d. Hamburger Mu- 
sikhalle, ZfMw VII, 1924/25; ders., Die Besetzung d. 
Chansons im 15. Jh., Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Um- 
gangsmusik u. Darbietungsmusik im 16. Jh., AfMw XVI, 
1959; H. Albrecht, Die A. d. ital. Musik d. 14. Jh., Diss. 
Bin 1925, maschr.; J. Handschin, Die ma. Auffuhrungen 
in Zurich, Bern u. Basel, ZfMw X, 1927/28 ; C. Sachs, Die 
Besetzung 3st. Werke um 1500, ZfMw XI, 1928/29; R. v. 



Auffiihrungsrecht 



Ficker, Perotinus: Organum quadruplum »Sederunt 
principes«, Wien 1930; ders., Grundsatzliches zur ma. A., 
Kgr.-Ber. Utrecht 1952; E. Elsner, Untersuchung d. instr. 
Besetzungspraxis d. weltlichen Musik im 1 6. Jh. in ltalien, 
Diss. Bin 1935, maschr. ; A. Geering, Textierung u. Be- 
setzung in L. Senfls Liedern, AfMf IV, 1939; M.F. Bu- 
kofzer, On the Performance of Renaissance Music, Pro- 
ceedings of the Music Teachers National Ass. XXXVI, 
1941 ; Ch. Van den Borren, Sur l'interpretation des pieces 
vocales polyphoniques du XVP s., Bull, de l'Acad. Royale 
de Belgique XXIII, 1942; I. Horsley, Improvised Embel- 
lishment in the Performance of Renaissance Polyphonic 
Music, JAMS IV, 1951 ; H. Heckmann, Zur A. d. Musik d. 
15. u. 16. Jh., Musik u. Altar V, 1953; F. Mompellio, 
L'esecuzione »espressiva« nella pratica mus. del '500, Mu- 
sica Sacra 1, 1956 ; R. Reaney, Voices and Instr. in the Mu- 
sic of Guilleaume de Machaut, RBM X, 1956; E. A. Bow- 
les, Were Mus. Instr. used in the Liturgical Service during 
the MA?, The Galpin Soc. Journal X, 1957; ders., The 
Role of Mus. Instr. in Medieval Sacred Drama, MQ XLV, 
1959; W. Kruger, Die authentische Klangform d. primi- 
tiven Organum, = Mw. Arbeiten XIII, Kassel 1958 ; ders., 
Auffuhrungspraktische Fragen ma. Mehrstimmigkeit, Mf 
IX, 1956-XI, 1958;C. Dahlhaus, Zur A. d. 16. Jh., MuK 
XXIX, 1959; L. Finscher, Auffuhrungspraktische Versu- 
che zur geistlichen Musik d.l5.u.l6. Jh.im Westdeutschen 
RundfunkKoln, Mf XII, 1959; N.BRODER,The Beginnings 
of the Orch., JAMS XIII, I960. 

Barock : Fr. Volbach, Die Praxis d. Handel- Auffiihrung, 
Bonn 1899; H. Kretzschmar, Einige Bemerkungen uber 
d. Vortrag alter Musik, JbP VII, 1900; H. Leichtentritt, 
Zur Vortragspraxis d. 17. Jh., Kgr.-Ber. Wien 1909; H. 
Quittard, L'orch. des concerts de chambre au XVIl e s., 
ZIMG XI, 1909/10; R. Cahn-Speyer, Uber hist, korrekte 
Auffiihrungen alterer Musik, Mk XI, 1911/12; E. Neu- 
feldt, Zur Frage d. Auffiihrung alter Musik, ebenda; A. 
Dolmetsch, The Interpretation of the Music of the XVII th 
and XVIII" 1 Cent., London (1916, 21946); M. Schneider, 
Die Besetzung d. vielst. Musik d. 17. Jh., AfMw 1, 1918/19 ; 
H. Mersmann, Beitr. zur A. d. vorklass. Kammermusik, 
AfMw II, 1919/20; A. Schering, Die Besetzung Bachscher 
Chore, Bach-Jb. XVII, 1920; ders., Bachs Leipziger Kir- 
chenmusik, Lpz. 1936; E. Borrel, L'interpretation de 
Lully d'apres Rameau, Rev. de Musicol. XIII, 1929; P. 
Klebs, Die mus. A. zu Anfang d. 17. Jh., Die Musikerzie- 
hung VII, 1930; H. Hoffmann, Zur A. v. Motetten alter 
Meister, MuK V, 1933 ; J. Amann, Allegris Miserere u. d. 
A. in d. Sixtina, Regensburg 1935; H. Birtner, Fragen d. 
A., insbesondere d. Continuobesetzung bei H. Schiitz, 
DMK III, 1938/39; R. Unger, Die mehrchbrige A. bei M. 
Praetorius, Wolfenbiittel 1941 ; R. Donington, On Inter- 
preting Early Music, ML XXVIII, 1947; ders., The Inter- 
pretation of Early Music, London 1963 ; P. C. Aldrich, 
Bach's Technique of Transcription and Improvised Or- 
namentation, MQ XXXV, 1949; ders., The »Authentic« 
Performance of Baroque Music, in : Essays on Music, Fs. 
A. Th. Davison, Cambridge (Mass.) 1957; A. Durr, Zur 
A. d. Vor-Leipziger Kirchenkantaten J. S. Bachs, MuK 
XX, 1950; Gl. Haydon, On the Problem of Expression in 
Baroque Music, JAMS III, 1950; A. Mendel, On the Key- 
board Accompaniment to Bach's Lpz. Church Music, MQ 
XXXVI, 1950; W. Ehmann, A. d. Bachschen Motetten, 
MuK XXI, 1951 ; ders., H. Schiitz in unserer mus. Praxis, 
in : Bekenntnis zu H. Schiitz, Kassel 1954 ; ders., H. Schiitz: 
Die Psalmen Davids 1619 in d. A., MuK XXVI, 1956; 
H.-P. Schmitz, Prinzipien d. A. Alter Musik, Bin 1950; 
ders., Uber d. Wiedergabe d. Musik J. S. Bachs, Bin 1951 ; 
W. Gurlitt, Das hist. Klangbild im Werk J. S. Bachs, 
Bach-Jb. XXXIX, 1951/52; ders., Vom Klangbild d. Ba- 
rockmusik, in: Die Kunstformen d. Barockzeitalters, 
= Slg Dalp LXXXII, Bern u. Miinchen 1956; W. Glock, 
Some Notes on Performance, The Score VII, 1 952 ; H. Chr. 
Wolff, Moderne A. d. Barockoper, Das Musikleben V, 
1952; H. Kock, Zwei Probleme d. Bachpraxis, Mf VI, 
1953 ; Fr. Rothschild, The Lost Tradition - Rhythm and 
Tempo in J. S. Bach's Time, London 1953 ; R. Stephan, 
Die Vox alta bei Bach, MuK XXIII, 1953; L. Cervelli, 
»Del sonare sopra '1 basso con tutti li stromenti«, RMI 
LVII, 1955; W. Emery, The Interpretation of Bach, The 
Mus. Times XCVI, 1955; W. Kolneder, A. bei Vivaldi, 
Lpz. 1955; W. Blankenburg, Zur A. u. Wiedergabe v. 



Bach'schen Choralsatzen, MuK XXVI, 1956; A. Golds- 
borough, Zur Handelschen A., Handel- Jb. II (VIII), 1956; 
R. Matthes, Gb.-Probleme in d. modernen A., SMZ 
XCVII, 1957; M. Pincherle, On the Rights of the Inter- 
preter in the Performance of 17 th and 18 th Cent. Music, 
MQ XLIV, 1958; ders., Des manieres d'executer la mu- 
sique aux XVII 8 et XVIII 6 s., Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I ; E. 
Bodky, The Interpretation of Bach's Keyboard Works, 
Cambridge (Mass.) 1960; Th. Dart, Performance Practice 
in the 17"> and 18 t6 Cent., Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; A. Co- 
hen, A Study of Instr. Ensemble Practice in XVII 1 " Cent. 
France, The Galpin Soc. Journal XV, 1962. 
Neuere Zeit: F. v. Weingartner, Ratschlage f. Auffiih- 
rungen d. Symphonien Beethovens, Lpz. 1916; E. Stilz, 
Uber harmonische Ausfiillung in d. Klaviermusik d. Ro- 
koko, ZfMw XIII, 1930/31 ; W. Georgii, Darf man Kla- 
viermusik d. 18. Jh. harmonisch ausfullen?, Das Musik- 
leben I, 1948; Kl. Blum, Bemerkungen A. Reichas zur A. 
d. Oper, Mf VII, 1954; H. Engel, Probleme d. A., Mozart- 
Jb. 1955 ; W. Fischer, Selbstzeugnisse Mozarts fur d. Auf- 
f iihrungsweise seiner Werke, ebenda ; E. u. P. Badura-Sko- 
da, Mozart-Interpretation, Wien 1957; Fr. Rothschild, 
The Lost Tradition - Mus. Performance in the Times of 
Mozart and Beethoven, London 1961; Th. W. Adorno, 
Neue Tempi, in: Moments mus., Ffm 1964. CD 

Auffiihrungsrecht ist ein Bestandteil des ->-Urheber- 
rechts und bedeutet das Recht, ein Werk der Musik 
durch personliche Darbietung offentlich zu Gehor zu 
bringen oder ein Werk offentlich buhnenmaBig darzu- 
stellen. Hierzu zahlen die Wiedergabe inner- und au- 
Berhalb geschlossener Raume, im Rahmen der Vor- 
fiihrung von Filmen, durch Abspielen von Schallplat- 
ten und anderen Tontragern, sowie die Wiedergabe 
durch Lautsprecher in offentlichen Lokalen. Fur alle 
diese Auffiihrungen, soweit sie ah offentliche gelten, 
gesteht das (Urheber-)Gesetz dem Berechtigten eine 
Vergiitung zu. Diese Vergiitungsanspruche werden in 
der Berufssprache »Kleine Auffuhrungs-Rechte« ge- 
nannt. Die Wiedergabe eines Werkes ist offentlich, 
wenn sie fur eine Mehrzahl von Personen bestimmt 
ist, es sei denn, daC der Kreis dieser Personen bestimmt 
abgegrenzt ist und sie durch gegenseitige Beziehun- 
gen oder durch Beziehung zum Veranstalterpersonlich 
untereinander verbunden sind. Die Offentlichkeit 
beginnt also dort, wo der hausliche oder private Kreis 
aufhort. Als solcher ist nur anzusehen ein Familien- 
und enger Bekanntenkreis ; auch Tanzunterrichtsstun- 
den im kleineren Rahmen fallen hierunter, desglei- 
chen die Gemeinschaft von Lehrern und Schulern. 
Auffiihrungen innerhalb von Vereinen sind offentlich, 
wenn es an einem engeren personlichen Band zwischen 
den Vereinsmitgliedern fehlt. Es kommt hier auf die 
Anzahl der Vereinsmitglieder und die Beziehungen 
zwischen ihnen an. Die Auffiihrung in einem Musik- 
verein, dessen Mitglieder sich zu gemeinsamem Mu- 
sizieren zusammengeschlossen haben, kann privaten 
Charakter tragen. Wenn der Kreis der Zuhorer jedoch 
erheblich erweitert wird durch passive Mitglieder oder 
Gaste, wird die Auffiihrung offentlich. - Offentlichkeit 
ist auch gegeben bei Auffiihrung von Musik in Betrie- 
ben mit Ausnahme ausgesprochener Kleinbetriebe. 
Das gilt auch fur die sogenannte Betriebsmusik, wor- 
unter man Musikauffuhrungen bei der Arbeit selbst 
versteht. Offentliche Auffiihrungen sind nur ausnahms- 
weise genehmigungs- und vergutungsfrei, wenn kei- 
nerlei gewerbliches Interesse vorliegt, weder vom 
Veranstalter selbst, noch von Dritten. Wenn z. B. ein 
Verein die offentliche Auffiihrung in einem von ihm 
gemieteten Saal eines Gasthauses veranstaltet und der 
Gastwirt die Lief erung der Speisen und Getranke iiber- 
nommen hat, dient die Veranstaltung dem gewerb- 
lichen Zweck des Gastwirtes. Sie ist damit genehmi- 
gungspflichtig. Auch die Wiedergabe von Musik bei 



61 



Auflosung 



Betriebsfeiern dient dem gewerblichen Zweck eines 
Untemehmens, da sie die Betriebsgemeinschaft und 
die Verbundenheit fordern soil. Aber selbst bei Fehlen 
des gewerblichen Zweckes sind Auffuhrungen geneh- 
migungs- und vergiitungspflichtig, wenn ein Eintritts- 
geld erhoben wird. Gleichgiiltig ist hierbei, ob an 
Stelle von Eintrittskarten das Entgelt in Form von 
Garderobengebtihren, Programmverkauf en, Kurtaxen, 
Abonnements usw. gefordert wird. Da die einzelnen 
Urheber oder sonstigen Berechtigten die ihnen unter 
Umstanden aus Hunderttausenden von Auffuhrungen 
zustehenden Vergiitungen nicht selbst ubersehen und 
kassieren konnen, werden die A.e zur Wahrnehmung 
an Verwertungsgesellschaften iibertragen. In Deutsch- 
land verwaltet die -> GEMA die »Kleinen Rechte« der 
Komponisten, Textdichter und Verleger. Mit Auf- 
kommen des Rundfunks entstand eine neue wichtige 
Art der mechanischen Wiedergabe von Musikwerken : 
die Hor- und die Fernsehsendung (in DeutschlandHbr- 
funk seit 1923; Fernsehen seit 1952). Senderecht ist das 
Recht, das Werk durch Funk, wie Ton- und Fernseh- 
rundfunk, Drahtfunk oder ahnliche technische Ein- 
richtungen, der Offentlichkeit zuganglich zu machen. 
Es wird, soweit es als »Kleines Recht« gilt, ebenfalls der 
GEMA zur kollektiven Wahrnehmung iibertragen. 
Neben den »Kleinen Rechten« gibt es die »Gro6en (Auf- 
fiihrungs-)Rechte«; hiervon ist die Rede bei musikdra- 
matischen Werken (Opern, Balletten usw.), also bei 
Werken, die szenisch aufgefiihrt werden oder werden 
konnen. Diese Rechte werden meist von den Verlegern 
im Auftrag des Komponisten verwaltet, da hier eine 
sehr individuelle Behandlung erf orderlich ist, die bei der 
gegebenen Pauschalverwaltung durch die GEMA nicht 
moglich ware. Die Auffiihrungsgebiihren der Biihnen 
heiBen Tantiemen. In Deutschland war bis zum In- 
krafttreten des Urheberrechtsgesetzes von 1901 die 
Verwertung des A. an die Formalitat gebunden, daB 
es ausdrucklich durch einen Aufdruck auf den Musik- 
noten vorbehalten werden muBte. Im Ausland hat es 
eine solche Vorschrift nicht gegeben. Das A. und das 
Senderecht sind heute durch die Urheberrechtsgesetze 
und die Rechtsprechung aller Lander international 
anerkannt und gewahrleistet. 

Lit. : W. Bappert u. E. Wagner, Internationales Urheber- 
recht, Kommentar zur revidierten Berner Ubereinkunft u. 
zum Welturheberrechtsabkommen, Miinchenu. Bin 1956; 
E. Schulze, Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche Ur- 
heberrechtsges., Bln 2 1956; M. Rintelen, Urheberrecht u. 
Urhebervertragsrecht, Wien 1958; H. Hubmann, Urhe- 
ber- u. Verlagsrecht, Munchen u. Bin 1959; E. Ulmer, Ur- 
heber- u. Verlagsrecht, Bin, GSttingen u. Heidelberg 
2 1960; Deutscher Bundestag, Drucksache IV/270 v. 23. 
Marz 1962, S. 68ff. 

Auflosung (lat. resolutio) nennt man sowohl das 
Weiterfiihren einer Dissonanz in eine Konsonanz als 
auch das Fortschreiten eines Klanges in seine ihm zu- 
gehorige Tonika oder in den durch seine alterierten 
Tone geforderten Zielakkord (->■ Alterierte Akkorde). 
Da im allgemeinen die A. als Entspannung empfunden 
wird, kann sinnvoll nur bei der Art von Musik von A. 
gesprochen werden, deren Fortschreitungsprinzip auf 
der Polaritat von Spannung (Dissonanz bzw. Domi- 
nante) und Entspannung (Konsonanz bzw. Tonika) 
beruht, der also ein gewisser Zwang zur A. innewohnt. 
Fur die europaische Musik gilt dies vom Aufkommen 
des Dur-Moll-Prinzips im ausgehenden 15. Jh. bis zu 
dessen Auflosung im spaten 19. und beginnenden 20. 
Jh. Wahrend die mittelalterliche Mehrstimmigkeit die 
A. im obengenannten Sinne noch nicht kennt, da die 
Art ihrer Fortschreitung im wesentlichen auf der Fiih- 
rung von Stimmen zwischen perfekten Klangen be- 



ruht, die vom Cantus prius factus in ihrer Abfolge ge- 
regelt werden, kennt die Neue Musik die A. nicht 
mehr, sofern f iir sie zwischen Intervallen oder Klangen 
einzig graduelle, nicht prinzipielle Unterschiede gel- 
ten; d. h. indem fiir sie die Einteilung der Klange in 
dissonante und konsonante nicht mehr geboten ist, 
wird der Zwang zur A. hinfallig. Die Funktionshar- 
monik als Theorie des Dur-Moll-Prinzips unterscheidet 
auf der Basis der Kadenz zwei Arten von A.en, die mit 
schlieBender und die mit fortschreitender Wirkung. 
Mit der ersteren ist durchweg das Weiterfiihren eines 
Klanges in die ihm zugehSrige Tonika gemeint (z. B. 
D^-T), aber auch das Weiterfiihren eines klangfrem- 
den Tones in einen dem Klang eigenen Ton (z. B. 
-*■ Vorhalt und -> Wechselnote). Unter der zweiten 
versteht man im allgemeinen den TrugschluB mit sei- 
nen verschiedenen Variationsmoglichkeiten. Diese Art 
der A. ist also vieldeutig. Sie f iihrt entweder in einen 
die Tonika vertretenden Klang (z. B. D 7 -Tp) oder 
aber in einen solchen, der durch Einsetzen einer Disso- 
nanz (z.B. Septime) sogleich umgeformt wird und sei- 
nerseits der A. bedarf (z. B. Sequenzketten von Do- 
minantseptakkorden wie ^ 7 -® 7 -D 7 -T). Zur letztge- 
nannten Art der A. gehort im erweiterten Sinne das 
bereits im Barock theoretisch erfaBte {-*■ Abruptio), 
namentlich dann im 19. Jh. immer' haufigere Abbre- 
chen eines dissonanten Klanges, ohne daB eine A. er- 
folgt. Vielmehr ist in diesen Fallen die Absicht des 
Komponisten, die A. vom Horer auf Grund des schon 
Gehorten bewuBt oder unbewuBt nachvollziehen zu 
lassen; die A. ist gewissermaBen eine ideelle. Die pri- 
mare Wirkung der A.en mit fortschreitendem Cha- 
rakter besteht darin, daB sie im Horer Erwartungen 
hervorrufen, die sie erfullen oder nicht erfiillen. Auf 
der Erfiillung solcher Erwartungen beruht die Selbstuer- 
stdndlkhkeit musikalischer Entwicklung, auf ihrer Nicht- 
erfiillung das Uberraschende von Anderswendungen (Rie- 
mann). Satztechnisch werden die verschiedenen Arten 
der A.en nach den in der Harmonie- bzw. Kontra- 
punktlehre aufgestellten Gesetzen der -*■ Stimmfiih- 
rung geregelt. EB 

Auflosungszeichen (engl. natural; frz. becarre), \, 
hebt die Geltung von ->-Akzidentien ( # , \>, x, tb) auf 
und stellt den Stammton wieder her. Soil nach einem 
versetzten Ton ein anderer versetzter derselben Stufe 
eintreten, so geniigt durchaus das diesen deutlich for- 
dernde neue Zeichen, und es bedarf nicht auBerdem 
noch eines \ , das das alte aufhebt. \ jt » l| l> w ie auch \ \ 
sind zwar korrekte und oft verwendete, jedoch nicht 
notwendige Zeichenhaufungen. Zeichen, die nur als 
Lesehilfen im Takt hinzugef iigt oder wiederholt wer- 
den, sind oft durch Einklammerung oder kleineren 
Druck gekennzeichnet. 

Aufsatze heiBen in der Orgel die Schallbecher der 
-*■ Lingualpfeifen. Sie sind trichterformig (Trompete, 
Posaune, Oboe) oder zylindrisch (Dulzian, Krumm- 
horn, Regal). Auch kompliziertere Formen sind haufig 
(Barpfeife, Kopftrompete, Knopfregal). Die A. dienen 
nicht der Schallerzeugung, sondern wirken als -^Re- 
sonator. Bei der »natiirlichen« Lange des Bechers 
stimmt dessen Eigenfrequenz mit der Zungenfrequenz 
iiberein. Sie ist fiir zylindrische A. gleich der Halfte 
der Lange einer offenen Labialpfeife, also fiir 8'-Re- 
gister gleich 4'. Fiir trichterformige A. liegt die natiir- 
liche Becherlange etwa bei 2 Dritteln, also 51/3' fiir die 
8'-Lage. 1st der Becher verkiirzt, wie bei der Familie 
der Regale, so treten die hoheren Eigenschwingungen 
der Zunge scharfer hervor; der Klang wird obertonig. 
Geht der Becher iiber die natiirliche Lange hinaus, so 
dampft die im Verhaltnis zu tiefe Eigenfrequenz des 



62 



Bechers die hoheren Teilschwingungen der Zunge; 
der Klang wird rund, die Obertone treten zuriick. 
Becher dieser Art bevorzugte der Orgelbau des spaten 
19. Jh. 

Aufstrich ->■ Abstrich. 

Auftakt (frz. anacrouse; ital. anacrusi; engl. upbeat) 
heiCt der Anfang einer Melodie auf unbetontem Takt- 
teil. Er kann aus nur einer (haufig im deutschen Volks- 
lied) oder aus mehreren Noten bestehen (z. B. Mar- 
seillaise, Fugenthemen der Barockzeit). Beim Dirigie- 
ren bezeichnet man als A. den Taktschlag vor dem 
Einsatz von Orchester oder Chor, unabhangig davon, 
ob dieses Einsatzzeichen auf betonten oder unbetonten 
Taktteil fallt. - Bis um 1800 sind ein kurzer und ein 
langerer A. zu unterscheiden. Der kurze A., oft nur in 
der Melodiestimme, gilt als Zusatz zum 1. Takt. Daher 
schlieCen solche Satze - wie in neuerer Zeit auch bei 
Hindemith (z. B. op. 11, 2, 3. Teil) - mit einem vollen 
Takt. Der langere A. gilt dagegen als unvollstandiger 
Takt ; f iir seine Umbildung zu einem ganzen Takt gibt 
es vor allem 3 Mittel: Dehnung des Anfangsmotivs, 
das dann erst beim 2. Einsatz auftaktig erscheint, z.B.: 
J J J J wird am Anf ang zu J J J (besonders haufig im 
16. Jh.); nur die Melodiestimme setzt auftaktig ein, 
die Begleitstimmen beginnen vorher volltaktig (be- 
sonders haufig in Generalbafistucken) ; Notierung mit 
Pause zu Anfang (noch bei Beethoven, z. B. 5. Sym- 
phonic, 1. Satz). Seit dem 19. Jh. gilt die Regel, daB 
auch der langere A. ohne vorausgehende Pause notiert 
wird; A. und SchluB sollen sich zu einem Takt ergan- 
zen. - Auftaktigkeit als Grundprinzip der musikali- 
schen Motiv- und Formbildung hat zuerst Momigny 
1806 erkannt; H.Riemann hat darauf seine Lehre von 
der musikalischen Rhythmik, Metrik und Phrasierung 
aufgebaut: Unsere Notenschrift macht dutch den Takt- 
strich und dutch die Liicken ztvischen den dutch gemeinsame 
Balken vetbundencn Achteln usw. die relativ schweten 
Wette leicht etkennbat, weckt abet dadutch leichtet den 
Schein det engeten Zusammengehorigkeit det zwischen 
zwei Taktstrichen stehenden odet dutch einen Balken ver- 
bundenen Noten. Es kannjedoch nichts Vetkehttetes geben, 
als fottgesetzt von einet schweten Note bis vot die nachste 
schwete Motive zu technen und eine beginnende leichte so- 
zusagen Jut sich allein, ah votausgegeben zu bettachten 
odet wohl gat mit det Schlufinote zu vettechnen. Die Auf- 
taktigkeit det Motive ist nicht nut eine mogliche Fotm, son- 
detn det eigentliche Ausgang, die Utfotm alles musikalischen 
Lebens. Nach dieser Theorie gehort im allgemeinen 
der Taktschwerpunkt nicht mit der folgenden, son- 
dern mit der vorangehenden leichten Taktzeit zur en- 
geren Einheit des Taktmotivs zusammen, z. B. : 



Beethoven, op. 49, 2, Menuett. 
Vom zentralen Begriff des Taktmotivs ausgehend ha- 
ben Momigny und Riemann die Auftaktigkeit auch 
auf kiirzere und groBere Zusammenhange ubertragen. 
Alle Figuration bringt danach im Prinzip neue A.- 
Werte, z. B. : 



mut 



HI 




'^JJJJlA 



Augenmusik 

zweiten und d eines dtitten Gtades. Umgekehtt konnen 
abet auch mehtete Taktmotive zut hoheren Einheit der 
Phrase zusammentreten, werden dann aber (wenigstens in 
der rhythmischen Theorie) gewohnlich nicht mehr Motiv, 
sondern Zweitaktgruppe oder weiterhin Halbsatz (Vorder- 
satz, Nachsatz) und Periode und endlich Thema genannt. 
Diesen Sachverhalt hat Riemann in seinen Analysen 
und Studienausgaben mit Phrasierungsbezeichnung 
auch graphisch dargestellt, z. B. : 




Beethoven, op. 110, 1. Satz, Takt 12. 
Hier ist nach Riemann {Handbuch ..., 51916, S. 79) a 
ein Taktmotiv, b Unterteilungsmotiv ersten, c ein solches 



Beethoven, op. 13, 1. Satz, Hauptthema. 
Fur eine sinnvolle Interpretation der Musik des 17.-19. 
Jh. ist dieses auf der Auftaktigkeit basierende System 
grundlegend; es laBt sich jedoch nicht, wie Riemann 
annahm, ausnahmslos durchfiihren. Problematisch ist 
insbesondere, daB der Zusammenhang einer schweren 
Taktzeit mit der ihr folgenden leichten danach nur als 
-*■ Weibliche Endung begriffen werden kann. Die Kon- 
sequenz zwingt Riemann, die Taktstriche bei solchen 
Themen um je einen halben Takt zu versetzen, in de- 
nen die Taktmotive volltaktig sind (z. B. 1. Satz der 
Klaviersonaten K.-V. 331 von Mozart und op. 27, 1 
von Beethoven). Der Geltungsbereich der Auftaktig- 
keit wirdierner dadurch eingeschrankt, daB Sprachen 
wie das Ungarische und Tschechische, die ausschlieB- 
lich auf der 1. Silbe betonen, die Musik dieser Lander 
volltaktig pragen, und daB die Formgestaltung der 
Musik vor dem Aufkommen des akzentuierenden 
Takts zu Anfang des 17. Jh. sowie in der Neuen Musik 
des 20. Jh. nicht in erster Linie auf der Taktordnung 
beruht. Mocquereau hat sich bemiiht, die Geltung des 
Prinzips der Auftaktigkeit auch fur die rhythmische 
Gliederung des Chorals nachzuweisen. -> General- 
auftakt. 

Lit.: KochL, Artikel Aufschlag u. Casur; J. J. de Mo- 
migny, Cours complet d'harmonie et de composition . . . , 
3 Bde, Paris 1806; ders. mit N. E. Framery u. P.-L. Gin- 
guene, Encyclopedic methodique, Musique II, Paris 1818, 
Artikel Mesure u. Temps; M. Lussy, Le rythme mus., Pa- 
ris 1883, 4 1911 ; ders., Die Correlation zwischen Takt u. 
Rhythmus, deutsch v. H. Rietsch, VfMw I, 1885; H. Rie- 
mann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbg u. St. Petersburg 
1884; ders., Katechismus d. Klavierspiels, Lpz. 1888, als 
Hdb. d. Klavierspiels 5 1 9 1 6 ; ders. mit C. Fuchs, Katechis- 
mus d. Phrasierung, Lpz. (1890), als Hdb. d. Phrasierung 
( 8 1912); ders., Praludien u. Studien, 3 Bde, Heilbronn 
1895, Lpz. 1900-01 ; ders., System d. mus. Rhythmik u. 
Metrik, Lpz. 1903; A. Mocquereau OSB, in: Paleogra- 
phie mus., Serie 1, VII, Solesmes u. Touraai 1901-05, S. 
356ff. ; ders., Le nombre mus. gregorien, 2 Bde, Rom u. 
Touraai 1908-27; A. Palm, J.-J. de Momigny, Diss. Tu- 
bingen 1957, maschr. 

Aufzug, - 1) eine Art der -> Intrada; - 2) ->■ Akt. 

Augenmusik, in der Niederschrift von Musik be- 
stimmte Erscheinungen, deren Sinngehalt nicht fur das 
Ohr, sondern nur oder primar fiir das Auge erfaBbar 
ist. Sie dienten vor allem im Madrigal aber auch in 
Motetten und Messesatzen seit etwa Willaert und C. de 
Rore im Zusammenhang mit der asthetischen Theorie 
von der imitazione della natura (Vicentino 1555, Zar- 
lino 1558) zur realistischen Darstellung des Textes. Man 
benutzte die schwarzen und weiBen Noten der Men- 
suralnotation bei Wortern wie schwarz, Schatten, 
Beelzebub, blind bzw. weiB, Licht, Tag. Der durch 



63 



Augmentation 



den -»• Color - 1) bedingte Mensurwechsel wurde zum 
Teil durch Punktierungen wieder ausgeglichen (aus: 
A. Gabrieli, Psalmi Davidici, 1583, VII, l.Teil): 

I 6 ♦• ♦ I ♦• ♦• A 1 
(collo) ca-vit me in ob-scu-ris si-cut 

Wahrend Cerone (El Melopeo, 1613) diese Art der 
»imitacion« als Muster hinstellt, auBert sich Herbst 
(Musica poetica, 1643) kritisch: Weil aber dieses nichtfur 
die Ohren . . . sondem alleinfiir die Augen . . . angesehen 
ist, lafit man es in seinem Werth und Unwerth beruhen. 
Die Moglichkeit dieser Art von A. endete mit dem 
Aufkommen der modernen Notation. - Als A. anzu- 
sprechen sind auch jene Melodiefuhrungen in den 
Passionen J. S.Bachs, deren 
Noten das Zeichen des Kreu- 
zes bilden, z. B. in der Mat- 
thaus-Passion: kreu - - - (zigen) 

Das Kreuzmotiv begegnet ahnlich schon vor Bach, so 
bei H.I.Fr.Biber (Passionssonaten), aber auch in neue- 
rer Zeit, z. B. bei H.Wolf (Morikelied Schlafendesje- 
suskind) und Dallapiccola {Cinque canti per baritono e al- 
cuni stromenti, 1956). - Scheibe (Der critische Musicus, 9. 
Stuck) spricht von doppelten Kontrapunkten, Krebs- 
und Zirkelkanons als A.en, die den Erfinder . . . lacher- 
lich, den Zuhorer . . . verdriefilich machen. 
Lit.: A. Einstein, A. im Madrigal, ZIMG XIV, 1912/13; 
ders., The Ital. Madrigal I, Princeton 1949, S. 234-244; 
L. Schrade, Von d. »Maniera« d. Komposition in d. Mu- 
sikd. 16.Jh.,ZfMwXVI, 1934,S. 3ff.,98ff., 152ff. 

Augmentation (lat. augmentatio, VergroBerung). 
- 1) In der Mensuralnotation heiBt A. die Verlangerung 
einer Note um die Half te ihres Wertes, angezeigt durch 
einen nachgestellten Punkt (punctus augmentationis, 
z.B. B-). - 2) Seit Pr. de Beldemandis bezeichnet A. 
auch, als Gegenstiick zur Diminution, eine Notierungs- 
art, bei der die geschriebenen Noten in der Ausf iihrung 
auf doppelte oder dreifache (nu'r im Modus maior cum 
tempore perfecto) Dauer gedehnt werden. Zu ihrer 
Bezeichnung dient: \ (proportio subdupla), 3 (subtrip- 
la), in der Zeit Ockeghems, Obrechts und Isaacs auch 
das Zeichen der Prolatio perfecta ( O , C- ). Die A. spielt 
in der Kanontechnik bis zuj. S. Bach eine wichtige Rol- 
le: Musicalisches Opfer, Kanon a 2. per A.em, contrario 
Motu. - 3) Als Kompositionsverfahren begegnet A. 
haufig in Fugen, aber auch in Sonatensatzen. So bringt 
J.S.Bach in der Fuge C moll des Wohltemperierten 
Klaviers II A. des Themas in der Mittelstimme mit 
dessen gleichzeitiger Umkehrung im BaB (Takt 14ft.) : 




Zur Schlufisteigerung verwendet M. Reger die A. in 
den Hiller-Variationen op. 100, Fuge, wo das Varia- 
tionsthema in A. mit den beiden Themen der Doppel- 
fuge kombiniert ist. Ebenfalls der SchluBbildung kann 
A. in Symphoniesatzen des 19. Jh. dienen, wie in Schu- 
berts 7. Symphonie C dur (D 944), 1. Satz, Takt 641ff. 
(Vorbereitung auf den Wiedereintritt des Einleitungs- 
Themas, in dem uberdies Takt 7-8 A. von Takt 6 ist). 
In der Durchf iihrung bringt sie Bruckner (8. Sympho- 
nie C moll, 1. Satz, Takt 37fL, A. von Takt 51f.), zu 
Beginn der Reprise Brahms in seiner 4. Symphonie 
E moll (1 . Satz, Takt 246ff .) . 

Lit. : zu 2) : CS III, 246 (Pr. de Beldemandis) u. 1 18ff. (Ph. 
de Caserta oder E. de Murino); CS IV, 167ff. (Tinctoris); 



E. Praetorius, Die Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius, 
= BIMG II, 2, Lpz. 1905; Cl. Sartori, La notazione ital. 
del Trecento in una redazione inedita . . . di Pr. de Belde- 
mandis, Florenz 1938. 

Augsburg. 

Lit.: F. A. Witz, Versuch einer Gesch. d. theatralischen 
Vorstellungen in A., A. 1876; A. Greiner, Die A.er Sing- 
schule . . ., A. 1924; ders., Die Volkssingschule in A., A. 
u. Kassel 1934; H. J. Moser, Eine A.er Liederschule im 
Mittelbarock, Fs. Th. Kroyer, Regensburg 1933 ; ders., A. 
in d. deutschen Mg., in: Die Musikpflege VII, 4, Lpz. 1936; 
E. Fr. Schmid, A.er Mozartbuch, Zs. d. Hist. Ver. f. 
Schwaben LV/LVI, A. 1942/43; R. Schaal, Zur Musik- 
pflege im Kollegiatstift St. Moritz zu A., Mf VII, 1954; 
A. Layer, Musik u. Musiker d. Fuggerzeit, A. 1959; B. 
Paumgartner, Zur Musikkultur A. in d. Fuggerzeit, in: 

Jacob Fugger, Kaiser Maximilian u. A A. 1959; Fr. 

Schnell, Zur Gesch. d. A.er Meistersingerschule, = Abh. 
zur Gesch. d. Stadt A. XI, A. 1959; Neues A.er Mozart- 
buch, = Zs. d. Hist. Ver. f . Schwaben LXII/LXIII, A. 1962; 
Musik in d. Reichsstadt A., hrsg. v. L. Wegele, A. (1965). 

Aulos (griech. auX6?, R6hre),indergriechischenAn- 
tike Sammelname fur die gedoppelten Blasinstrumente 
(daher meist Mehrzahl auXot), in der neueren Litera- 
tur meist als Doppelrohrblattinstrument verstanden 
(-»Phorbeia). Nach der Beschreibung des Theophrast 
ist der A. dreiteilig: erbesteht ausMundstiick (£euyo£, 
Joch), Zwischenstuck (8Xu,o£ und u<p6Xf/.iov) und 
Spielrohre ((36(x(3ui;). Auf altgriechischen Darstellun- 
gen ist oft auch das groBe Futteral (au(3r]VY)) aus ge- 
gerbtem Tierfell zu sehen, ein Doppelsackchen fiir die 
beiden Rohren mit dem Mundstiickbehalter. Nach 
Theophrast hatte das abnehmbare Mundstiick eine aus 
dem Rohr herausgeschnittene Aufschlagzunge. Die 
Spielrohre war zyhndrisch oder auch konisch und be- 
stand nach Pindar (12. Pythische Ode) aus Erz und 
Schilfrohr, nach anderen Autoren aus Holz (Buchs- 
baum, libyscher Lotos), Knochen oder Elfenbein. A.- 
Funde zeigen bis zu 15 Bohrlocher (Tpu7r»j(xaTa). Das 
Daumenloch liegt auf der Ruckseite zwischen dem 
ersten und zweiten vorderen Griffloch; daraus ergibt 
sich die charakteristische Haltung mit abgespreiztem 
Zeigefinger. Der kleine Finger wurde oft als Stiitze 
unter die Spielrohre gesteckt. Die Locher wurden 
nicht mit der Fingerkuppe, sondern mit dem Mittel- 
glied gedeckt. Beide Rohren wurden zusammen in den 
Mund gesteckt und in V-Form auseinandergespreizt, 
wobei die Hande symmetrisch auf beiden Rohren 
griffen. Sind die Auloi verschieden lang, so ergibt sich 
ein Spielen in Parallelklangen. Beim Wechsel der Ton- 
art muBte das Instrumentenpaar gewechselt werden. 
Pronomos, der Lehrer des Alkibiades, schuf die Mog- 
lichkeit, auf demselben Instrument verschiedene Ton- 
lochreihen anzuordnen mit einem VerschluB fiir die 
nicht verwendeten Locher. So bestehen vier in Pom- 
peii gefundene Exemplare aus einem Rohrkern mit 
zahlreichen Drehringen, so daB die Grifflbcher ver- 
schlossen und geoffnet werden konnten. Die Ringe 
sind mit kleinen Haken versehen, um das Drehen zu 
erleichtern. Dieses Ringsystem setzte sich in der grie- 
chisch-romischen Spatantike durch. Ein A. (Votiv) 
aus Pergamon hat sogar Schieber zum Offnen und 
SchlieBen einiger Locher. Auf jiingeren griechisch- 
romischen Abbildungen kommt der phrygische A. 
vor, bei dem das langere Rohr gebogen ist (SXujxoi;, 
krummer Rohransatz). Das Altertum kannte nach 
Athenaios 4 GroBen des A. : Madchen-A., Knaben-A., 
das »vollkommene« Instrument des mannlichen A. 
(Tenor) und das »ubervollkommene« des ebenfalls 
mannlichen A. (BaB). Sopran und Tenor, Alt und BaB 
standen im Oktawerhaltnis. Der Abstand zwischen 
dem hochsten Ton des Soprans und dem tiefsten des 



64 



Ausdruck 



Basses betragt nach Aristoxenos iiber 3 Oktaven. Die 
Instrumente fur das Zusammenspiel mit der Kithara 
(auXol xt-9-apta-a)pioi) standen zwischen Alt und 
Tenor. Die Attribute fur das A.-Spiel sind verschieden: 
volltonend (7ia(i<ptovoi;, Pindar), schon tonend (xoca- 
At(36a?, Stesichoros, Sophokles), suB (yXuxu?, Pin- 
dar, Sophokles). - Der A. gehorte urspriinglich nicht 
zum Bereich der [ioucnxY], gait vielmehr als Instru- 
ment der Unfreien und Barbaren. Er erklang bei Op- 
ferumzugen und -feiern, besonders in ekstatischen 
Kulten, ferner bei Hochzeitsumziigen, Maskeraden, 
Reigen und Einzeltanz, zur Arbeit sowie zu gymnasti- 
schen Wettkampfen und Ubungen, auch als Marsch- 
musik. Beim Symposion trat eine A.-Spielerin auf. 
Als Heimat des A. gait Kleinasien; der Mythos nennt 
als A.-Spieler die Silene im Gefolge des Dionysos so- 
wie die Phrygier Marsyas und Olympos. Im 7. Jh. v. 
Chr. soil Klonas den aulodischen Nomos (Gesang zur 
A.-Begleitung) erfunden haben. Seit dieser Zeit gilt 
vor allem Bootien als Pflegestatte des A. 586 v. Chr. 
drang die Auletik (solistisches A.-Spiel, ohne Gesang) 
in das Wettkampfprogramm der delphischen Spiele 
ein; Sakadas von Argos stellt in diesem Jahr in seinem 
»pythischen Nomos« den Kampf Apollons mit dem 
Drachen dar. Von den siegreichen Auleten der spate- 
ren delphischen Spiele ist Midas von Akragas dadurch 
bekannt, daB Pindar auf ihn seine 12. Pythische Ode 
dichtete. In der alteren griechischen Dichtung sind vor 
allem die Vorformen der Elegie und der Komodie mit 
dem A. verbunden. Die rhythmische Kraft seines 
durchdringenden Klanges und die Eignung des A. zur 
abbildenden Darstellung machen es verstandlich, daB 
die A.-Kunst im 4. Jh. v. Chr., besonders im Dithy- 
rambos, zuerst die neue virtuose, zuweilen exzentri- 
sche Musik verkorpert, die sich aus dem iiberlieferten 
Zusammenhang von Rhythmos, Harmonia und Logos 
als eigengesetzliche Kunst heraiislost. 
Lit.: Theophrast, Ilepi cpuicbv iaxopia, 2 Bde, hrsg.v. A. 
Hort, London 1948 ; Plutarque de la musique, hrsg. v. Fr. 
Lasserre, = Bibl. helvetica romana I, Olten u. Lausanne 
1954; C. Bartholinus, De tibiis veterum, Rom 1679; F. 
Blanchinus, De tribus generibus instrumentorum musi- 
cae veterum, Rom 1742; Fr. A. Gevaert, Hist, et the'orie 
de la musique de l'antiquit6 II, Gent 1881 ; K. v. Jan, Ar- 
tikel Fl., in: Baumeister, Denkmaler d. klass. Altertums, 
Munchen u. Lpz. 1885-88; ders., Artikel A., Pauly-Wis- 
sowa RE; A. Howard, The A. or Tibia, Harvard Studies 
in Class. Philology IV, 1893 ; ders., The Mouthpiece of the 
A., ebenda X, 1 899 ; H. Huchzermeyer, A. u. Kithara in d. 
griech. Musik . . . , Diss. Miinster i. W. 193 1 ; O. Broneer, 
Excavations in Corinth . . . , in : American Journal of Ar- 
cheology XXXIX, 1935; K. Schlesinger, The Greek A., 
London 1 939, dazu J. Handschin, in : AMI XX, 1 948 ; N. B. 
Bodley, The A. of Meroe, American Journal of Archeo- 
logy L, 1946; M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen, 
Bin 1949; ders., Griechenland, = Mg. in Bildern, hrsg. v. 
H. Besseler u. M. Schneider, II, 4, Lpz. (1963) ; J. D. Beaz- 
ley, Hydria-Fragments in Corinth, in: Hesperia XXIV, 
1955; Thr. Georgiades, Musik u. Rhythmus bei d. Grie- 
chen, = rde LXI, Hbg 1958, darin Pindars 12. Pythische 
Ode; H. Becker, Studien zur Entwicklungsgesch. d. Rohr- 
blattinstr., Habil.-Schrift Hbg 1961, maschr.; ders., Zur 
Spielpraxis d. griech. A., Kgr.-Ber. Kassel 1962; H. Rol- 
ler, Musik u. Dichtung im alten Griechenland, Bern u. 
Munchen (1963). 

Aurresku (baskisch, Vorderhand), auch Baile real, 
Danza real oder Eskudanza genannt; ein Tanz von 
hohem Alter, der im spanischen Baskenland (in Gui- 
piizcoa, Vazcaya und im auBersten Norden Navarras) 
gepflegt wird. Sein alter baskischer Name Sokadantza 
(Seiltanz, Kettentanz) besagt, daB die Tanzer eine Kette 
(Seil) bildeten und sich dabei die Hande gaben. Der 
erste Tanzer heiBt A. (die Vorderhand), der letzte ist 
der Atzesku (auch atzeneskulari, Hinterhand). Der ur- 



spriinglich gravitatische Tanz ist im Laufe der Ge- 
schichte mit fremden Momenten durchsetzt wor- 
den (Fandango, Jota, Walzer). Der altere A. besteht 
aus einem im Vierertakt stehenden Einleitungsstiick, 
GruB der Autoritat durch den ersten Tanzer mit Spriin- 
gen und lebhaften Wendungen, tiefer Verbeugung 
und Ziehen der Baskenmiitze; dann Wahl eines Mad- 
chens* durch den A., das von 4 Tanzern zur Platzmitte 
gefiihrt und mit dem getanzt wird zur Melodie eines 
alten katalanischen Volkstanzes, des ->• Contrapas. Es 
folgt der -* Zortziko (5/8- Allegretto), ein Wechsel 
von Reihentanz und Solotanz durch den A. (einge- 
streute Tanzspriinge und Pirouetten) ; dann der Pasa- 
mano, wobei die Paare durch einen vom A. und seiner 
Partnerin gebildeten Bogen schreiten; daraufhin der 
Desafio (Herausforderung) oder Oilarrauzka (Hah- 
nenkampf), wobei A. und Atzesku konfrontiert ab- 
seits der Reihe um die Wette tanzen. Damit endet der 
klassische A. Heute werden angeschlossen die »Brucke«, 
wobei samtliche Tanzpaare unter den hoch erhobe- 
nen Armen des ersten und dann, in umgekehrter Rich- 
tung, unter denen des letzten Paares hindurchschreiten, 
woraufhin der ->■ Fandango (3/8-Allegro), eine Kund- 
gabe der Frohlichkeit iiber den Sieg einer der beiden, 
und der Arifi, arin (»schnell«), eine Art Finalgalopp fol- 
gen. Alle genannten Tanzmelodien haben zwei 8taktige 
Teile. Die wichtigsten Instrumente sind Flabiol, Txis- 
tu (-»■ Einhandflote) und Tamboril (kleine Trommel). 
Lit. : Fr. Gascue, L'aurrescu basque, Rev. mus. de la Soc. 
internationale de musique VIII, 1912; ders., El a. en Gui- 
piizcoa a fines del s. XVIII, San Sebastian 1 9 1 6 ; V. Alford, 
Ceremonial Dances of the Span. Basques, MQ XVIII, 1932. 

Ausdruck (frz. expression; ital. espressione) verbin- 
det - als ausgesprochen neuzeitlicher Begriff - Musik 
mit einem beabsichtigten, zur Wirkung gelangenden 
Moment des Bedeutens: Musik »driickt aus« (stellt dar) 
Wort- und Textgehalte, Affekte, Bilder, Geschehnisse, 
Empfindungen, Gefiihle. Gegeniiber der in sich selbst 
begriindeten musikalischen oder sprachlich-musikali- 
schen Struktur, wie sie die als ->■ Ars musica und Ars 
cantus begriffene quadriviale (mathematisch-kosmo- 
logische) und triviale (an Sprachformen gebundene 
und orientierte) Art der mittelalterlichen Musik ver- 
wirklicht, sind jene Zielsetzungen des A.s ein von 
auBen Kommendes, das die Musik bedingt und mo- 
tiviert, die ihrerseits auf Grund eines Systems musi- 
kalisch geltender Werte zu solcher Motivierung hi- 
storisch pradestiniert sein muB. Kompositorisch beab- 
sichtigter, in Lehre und Asthetik reflektierter musikali- 
scher A. setzte in der Tat zusammen mit dem Entstehen 
der (physikalisch begriindbaren) funktionalharmoni- 
schen Tonalitat im 15./16. Jh. ein und steigerte sich mit 
deren Entwicklung. Derm die auf den (Tonika-)Drei- 
klang bezogene Harmonik (Melodik, auch Dynamik) 
reprasentiert die "Welt auf der Ebene des Klingenden 
als einen zielstrebigen ProzeB von Bewegungskraften, 
in denen dingliche und seelische Bewegungsvorgange 
zum A. gelangen konnen und sollen. Die Begriffe 
-> Musica poetica und musikalisch-rhetorische -»■ Fi- 
guren, -»■ Aflektenlehre, -> Musica reservata und-* Se- 
conda pratica bezeichnen Marksteine dieser Steige- 
rung, zugleich die-iestimmte friihneuzeitliche und 
barocke, »gegenstandliche« (nachahmende) Art des 
musikalischen A.s: zwischen der zu komponierenden 
Musik und dem auszudriickenden Objekt (Textge- 
halt, Sprechductus, Seelenzustand, Naturlaute usw.) 
werden - in Bezug auf Bewegung, Dynamik (Kon- 
trast), Spannungsgrade - partielle Ubereinstimmungen 
(Analogien) ausfindig gemacht und verwirklicht, die 
der Musik das Ausdriicken (Nachahmen, Abbilden, 
Schildern, Malen) ermoglichen. Dieses rationalistisch 



65 



Ausdruck 



»auf etwas« gerichtete Verfahren des A.s, wobei das 
Objekt als typische Seins- und Verhaltensweise zur 
Darstellung gelangt, verwandelte sich - nach Vorstu- 
fen zumal in CI. Monteverdis Modernitat - in der »Ge- 
niezeit« des 18. Jh. zur subjektiven Weise des indivi- 
duellen »Sich selbst«-Ausdriickens : seine Ichheit in der 
Musik heraustreiben (-> Schubart) ; Empjindungen aus 
dem Innersten seiner Brust stofien (-*- Herder) ; Jeder Ton 
ist das Resultat unserer momentanen Existenz (-*Heinse). 
Musik gilt - in der Zeit C.Ph.E.Bachs, J.Stamitz', 
Glucks - als le langage du caur (Rousseau), »Empfin- 
dungssprache«, deren Ursprung als tonleidenschaftlicher 
A. (Forkel) und deren Wirkung als successiver Ausbruch 
der Gefuhle (KochL, Artikel A.) begriffen wird. DaB 
sich ein individuelles Ich in der Musik auszudriicken 
vermag, ist das neue musikalische Grunderlebnis des 
Jahrhunderts, begleitet von der Ausbildung der -*■ As- 
thetik und dem Vordringen der Begriffe Geschmack, 
Originalitat und Charakter sowie des »freien« Phan- 
tasiekunstwerkes. Dieser egopsychischen Bedeutsam- 
keit der Musik entspricht im System des musikalisch 
Geltenden die Intensiviervmg der funktionsharmo- 
nischen Beziehungen in Verbindung mit der Aus- 
bildung von Charakterthema und Expressivmelodik 
(Besseler) vorab in der Instrumentalmusik, Diskonti- 
nuitat des Satzes, Dynamisierung und Dramatisierung 
des Klanggeschehens, das von primarer Struktur- zu 
primarer A.s-Form sich zu wandeln begann. - Zeich- 
net die Wiener »Klassik« sich aus durch die Kongruenz 
von Tonsetzung und A. derart, daB der ausdrucksvolle 
vokale und vor allem instrumentale Tonsatz »reine« 
Musik zu sein, d. h. vollkommen sich selbst zu moti- 
vieren scheint, - mag auch schon bei Beethoven oft ein 
willensmaBiger, ethischer und programmatisch-poeti- 
scher Impuls wirksam sein -, so charakterisiert die Zeit 
nach 1830 den Verlust jener klassischen Einsheit, die in 
einem ProzeB des Reflektierens der Klassik (wie nun 
der Geschichte iiberhaupt) in »Form« und »Inhalt« aus- 
einanderbricht: ->■ Form wird als abstrahierbar ge- 
dacht (es entsteht die ->■ Formenlehre) und als solcher 
tritt ihr der A. antithetisch gegeniiber. Mit der Bewal- 
tigung dieser Antithese beschaftigt sich alsbald ein un- 
iibersehbares Schrifttum, das - die musikalische Welt 
in Schulen und Parteien zerreiBend - einerseits in einer 
Form- oder Autonomic- Asthetik den Begriff der -> Ab- 
soluten Musik nun pragt und sie fordert (Hanslick), 
andererseits in einer A.s- oder Inhalts-Asthetik die 
schon vorklassische Bestimmung des Tons als mensch- 
lichen A., des Kunstwerks als Ausdrucksaufierung (Fr. v. 
Hausegger), weiterhin kultiviert. Doch auch kompo- 
sitorisch ist das 19. Jh., und zwar generell, gekennzeich- 
net durch Steigerung des A.s, der mit der Chromati- 
sierung der tonalen Harmonik unausweichlich sich er- 
eignete, wobei der A. zugleich auch »von auBen kom- 
mend« die musikalische Formung motiviert. Das Mo- 
tivierende ist in Berlioz' Symphonie jantastique (1830) 
das - aus der Intimsphare des Erlebens gewonnene - 
Programm (welches in der Musik motive le caractere et 
V expression), in Schumanns -*■ Charakterstiick das 
»Poetische«, in Wagners (selbst wiederum stark ideo- 
logisch motiviertem) Gesamtkunstwerk die »dichte- 
rische Absicht«, in Bruckners Symphonik die uniiber- 
horbare »Ich will«-Gestik des Sagens, bei Brahms und 
Reger das reflektierende (teils historisierende) Sich- 
Verhalten gegeniiber der Form, bei Mahler noch ein- 
mal das »Erleben« (Meine Musik ist ,gelebt', Brief an 
O.Bie vom 3. 4. 1895). Doch erweist - iiber Berlioz, 
Wagner, Mahler - der A. als Motivierendes (sowie als 
Rest, der in Form als abstrahierter Form nicht mehr 
aufgeht) zugleich die Kraft zu (»freien«) Formungen, 
die nun iiberhaupt nicht mehr abstrahierbar sind, und 



somit die Tendenz, die Form-Inhalt-Antithese auf ei- 
ner neuen Ebene wieder auf zuheben. Die wachsende In- 
teresselosigkeit gegeniiber dem Begriff des A.s und da- 
mit der Abbau sowohl der asthetischen Fragestellung 
als auch der kompositorischen Polaritat gehen zusam- 
men mit der Steigerung dieser neuen Einsheit, die mit 
der Krise der Tonalitat zunahm und nach deren Ober- 
windung, zumal in der -> Atonalitat, als Zeugnis eines 
neuen »Vorrangs der Sach-Welt vor der Ich-Welt« 
(Gurlitt) vollkommen verwirklicht sein kann. 
H. Riemann entwickelte eine praktische A.s-Lehre, wo- 
bei er den seit dem 18. Jh. geltenden A.s-Begriff zum 
Dogma erhob: alle Tongebung sei in ersterLinie A., der 
von dem Standpunkt des Subjekts aus zu werten ist, das sei- 
nem Empfinden diesen A. gibt (1900, S. 67). Wie schon 
Koch 1802 den A. auf seiten der Ausfiihrer als den 
guten Vortrag beschrieb, so verstand Riemann lexika- 
lisch unter A. allein die feinere Nuancierung im Vor- 
trage musikalischer Kunstwerke, welche die Noten- 
schrift nicht im einzelnen auszudriicken vermag, d. h. 
alle die kleinen Verlangsamungen und Beschleunigun- 
gen sowie die dynamischen Schattierungen, Akzentu- 
ierungen und verschiedenartigen Tonfarbungen durch 
die Art des Anschlags (Klavier), Strichs (Violine), An- 
satzes (Blasinstrumente, Singstimme) usw., welche in 
ihrer Gesamtheit als ausdrucksvoller Vortrag bezeich- 
net werden. Wollte der Komponist alle die kleinen 
Akzente mit tf , >, v, a bezeichnen, die beim kunstge- 
rechten Vortrag eines Werkes unerlaBlich sind, so 
wiirde er die Notenschrift iiberladen, zugleich auch 
den Ausfuhrenden in der freien Entfaltung lebendigen 
Vortrages behindem. Beim Zusammenspiel im Or- 
chester pflegt sich das Espressivo auf solistische Stellen 
einzelner Instrumente zu beschranken, wahrend das 
Tutti sich an die vorgeschriebenen Zeichen bzw. an 
die des Dirigenten zu halten hat. Versuche, zu all- 
gemeinen Gesichtspunkten des A.s zu gelangen, sind 
erst in neuerer Zeit von verschiedenen Theoretikem 
gemacht worden. Das beste in friiherer Zeit Gelei- 
stete ist - neben den bekannten Lehrwerken von 
Quantz, C. Ph. E.Bach und L.Mozart - der von J. A. 
P. Schulz geschriebene Artikel Vortrag in Sulzers Theo- 
rie der schonen Kiinste (1772); auBerdem sind zu nennen: 
M.->Lussy, Traite de ['expression musicale (Paris 1874); 
H. Riemann, Musikalische Dynamik und Agogik (Ham- 
burg und St. Petersburg 1884) und System der musikali- 
schen Rhythmik undMetrik (Leipzig 1903) ; C. D. J. Fuchs, 
Die Zukunft des musikalischen Vortrags (2 Bande, Danzig 
1884) und Die Freiheit des musikalischen Vortrags (Danzig 
1885) ; Fr.Kullak, Der Vortrag in der Musik am Ende des 
19. Jh. (Berlin 1898); A.Moser, Vom Vortrag, 10 Auf- 
satze aus seiner Violinschule (1906); R. Cahn-Speyer, 
Handbuch des Dirigierens (Leipzig 1919); E.Tetzel, 
Rhythmus und Vortrag (Berlin 1926). - Der dynamisch- 
agogische A. eines Motivs (-»■ Agogik) ist nach H. Rie- 
mann allgemein zu charakterisieren durch : 

Auftakt : Endung : 

stringendo abnehmende Dehnung 

In der Regel geht die melodische Bewegung damit 
derart zusammen, daB die sich steigernde Phrase zu- 
gleich melodisch steigend, die abnehmende fallend 
ist. Abweichungen von diesen allgemeinsten Regeln 
wird der Komponist meist anzeigen, z. B. ein Dimi- 
nuendo bei steigender Melodie oder beim Stringendo. 
Ferner gilt als Regel, daB das Besondere, d. h. im ein- 
fachen melodischen, rhythmischen, harmonischen 
Verlauf Auf f allende hervorgehoben (akzentuiert) wird, 
zunachst in harmonischer Beziehung das Auftreten 
von Akkorden, die der Tonart sehr fremd sind, oder 



66 



Ausgleichsvorgange 



A :i 



PP 



A 




300 T(msec) 




300 Tbmecl 



A k 



ff 



A k 




/ : '/ V 



0/ i /W^. 



MO 



*00 




J00 riiraec) 




100 


1. Harmonische 


S. 


Harmonische 


2. 


7. 


» 


3. 


6. und 9. 




4. 


9. und W. 


.. 



30GT(msec) 



10. - 12. 



Verlauf derTeilschwingungenbeimEinschwingen einer Geige im pp und ff (nach Reinecke). 



die Einfiihrung von Vorhalten vor Akkordtonen. Die 
Modulation in eine andere Tonart wird in der Regel 
crescendo geschehen; au£ die Akkorde oder Tone, 
welche sie bewirken, muB die Aufmerksamkeit hin- 
gelenkt werden. Eine scharfe Dissonanz durch akzent- 
loses Spiel mildern wollen, hieBe sie vertuschen; die 
Wirkung ware ein nicht geniigendes Auffassen dieser 
Scharfe, ein Nichtverstehen, eine Unklarheit. Doch 
kann der Komponist die gegenteilige Vortragsweise 
verlangen, im Diminuendo die gewagtesten Modula- 
tionen machen und die scharfsten Dissonanzen im 
Pianissimo bringen; der erzielte Eindruck wird dann 
der des Fremdartigen, Sonderbaren, Marchenhaften, 
Unheimlichen sein, eben zufolge der absichtlich ver- 
miedenen vollen Klarheit. Aber auch hier muB das 
Abnorme, die Abweichung vom schlichten Vortrag, 
vom Komponisten besonders verlangt werden. 
Lit. : E. Hanslick, Vom Mus.-Schonen, Lpz. 1 854 ; Fr. v. 
Hauseoger, Die Musik als A., Wien 1885; H. Riemann, 
Die Elemente d. mus. Asthetik, Bin u. Stuttgart 1900; H. 
Kretzschmar, Anregungen zur Forderung mus. Herme- 
neutik, JbP IX, 1 902 ; ders., Neue Anregungen zur Forde- 
rung mus. Hermeneutik: Satzasthetik, JbP XII, 1905; L. 
Klages, Ausdrucksbewegung u. Gestaltungskraft, Lpz. 
1913; ders., Grundlegung d. Wiss. v. A., Lpz. 1936; K. 
Buhler, Ausdruckstheorie, Jena 1933; K. Huber, Der A. 
mus. Elementarmotive, Lpz. 1923; A. Wellek, Gefiihl u. 
Kunst, in: Neue Psychologische Studien XIV, 1, 1939; 
ders., Musik, ebenda XII, 1, 1934; H. Besseler, Bach als 
Wegbereiter, AfMw XII, 1955; ders., Der A. d. Indivi- 
dualitat in d. Musik, Beitr. zur Mw. V, 1963 ; H. H. Eoge- 
brecht, Das A.-Prinzip im mus. Sturm u. Drang, DVjs. 
XXIX, 1955 ; ders., Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 
1961. HHE 



Ausgaben -»- Denkmaler, ->■ Editionstechnik, 
-> Gesamtausgaben, -> Quellen. 

Ausgleichsvorgange (engl. transient motions). An 
einem Schallereignis unterscheidet man je nach der 
Art des Ablaufs den stationaren Zustand der Stetig- 
keit, des GleichmaBes sowie den nichtstationaren Teil 
der Veranderung akustischer GroBen. Ein stationarer 
Schallvorgang verlauft im allgemeinen periodisch. 
Zu den nichtstationaren Vorgangen gehoren die A., 
die dreierlei Art sein konnen: Ubergang Ruhe - sta- 
tionarer Teil (Einschwingen), Ubergang stationarer 
Teil - Ruhe (Ausklingen) oder Ubergang von einem 
stationaren Teil in einen anderen: 




schw/ngen 



stationar 



Ubergang 



Die zeitabhSngigen VerSnderungen der Amplituden 
einzelner Teilfrequenzen verlaufen wahrend der A. 
unregelmaBig, weil die ->• Dampfung eines schwin- 
genden Systems sehr stark frequenzabhangig ist (vgl. 
Abbildung oben). 

Andererseits sind die A. fur einzelne Instrumente je- 
weils typisch und von wesentlichem EinfluB auf die 
Klanggestalten. Sowohl die Art der Zusammensetzung 
aus Teilfrequenzen als auch deren zeitliche Veranderun- 
gen ermoglichen dem Horer das Erkennen eines be- 
stimmten Schalles (Stumpf 1926, Kreichgauer 1932, 



5» 



67 



Auslosung 



Backhaus 1932). Auch dermusikalische Lautstarkeein- 
druck wird hauptsachlich durch die A. beeinfluBt, wah- 
rend die Intensitat dabei nur eine untergeordnete Rolle 
spielt (Reinecke 1953). Fiir das Zustandekommen des 
Richtungs- und Entfernungshorens sind die A. eben- 
f alls von Bedeutung, besonders in ■geschlossenen Rau- 
men, wo durch Reflexionen die an den Ohren auftre- 
tenden Phasen- und Intensitatsunterschiede weit- 
gehend verdeckt werden. Der Vorgang des Einschwin- 
gens ist bei den einzelnen Instrumenten je nach der 
Frequenz verschieden lang (zwischen 0,02 und ,1 sec). 
Lit.: C. Stumpf, Die Sprachlaute, Bin 1926; A. Kreich- 
gauer, Ueber MaBbestimmungen freier Intonationen, 
Bin 1932; H. Backhaus, Ober d. Bedeutung d. A. in d. 
Akustik, Zs. f. technische Physik XIII, 1932; F. Trende- 
lenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Klangeinsatze an d. 
Org., Akustische Zs. 1, 1936, u. Ill, 1938 ; K. KupfmuCler, 
Systemtheorie d. elektrischen Nachrichteniibertragung, 
Stuttgart 1952 ; H.-P. Reinecke, Ober d. doppelten Sinn d. 
Lautheitsbegriffes beim mus. Horen, Diss. Hbg 1953, 
maschr. ; W. Lottermoser, Akustische Untersuchungen 
an alten u. neuen Org., in: Klangstruktur d. Musik, Bin 
(1955); E. Skudrzyk, Psychoakustische Erscheinungen 
bei d. Bildung v. natiirlichen u. synthetischen Klangen, 
Gravesaner Blatter III, 1957, H. 9; W. Linhardt, Uber 
Laden- u. Traktursysteme d. Org. u. ihre Einflusse auf d. 
Ein- u. Ausschwingvorgange d. Pfeifen, Diss. TH Braun- 
schweig I960, maschr.; Fr. Winckel, Phanomene d. mus. 
Horens, Bin u. Wunsiedel (1960). 

Auslosung (frz. echappement) -*■ Mechanik. 

Aussprache bringt das Wort zur klingenden Wie- 
dergabe. Diese besteht aus Vokalen (Selbstlauten), 
Konsonanten (Mitlauten) und dem, Tonfall. Sie voll- 
zieht sich auf den Ebenen der nachlassigen sogenannten 
Gossensprache, der gepflegteren Umgangssprache, der 
Mundart und der Hochsprache. Fiir die deutsche Hoch- 
lautung ist die Bildungsweise aller ->■ Vokale und 
-> Konsonanten durch ein Gremium von Biihnenf ach- 
leuten und Wissenschaftlern unter Leitung von Th. 
Siebs 1898 untersucht und erstmals festgelegt worden. 
Auch hat man sich auf gewisse A.-Regeln geeinigt wie : 
b, d, g werden im Ausfaut zu p, t, k (also »urit« statt 
»und«, »Kriek« statt »Krieg«) u. a. In den A.-W6rter- 
biichern von Siebs und Duden ist auBerdem die A. der 
deutschen und der gebrauchlichsten Fremdworte ver- 
bindlich festgelegt worden, woran sich, wie auch an 
den A.-Regeln, infolge der lebendigen Entwicklung 
der Sprache immer wieder Veranderungen ergeben. 
So ist die grundsatzliche Forderung nach Zungen-r 
statt Gaumen-r 1957 aufgegeben worden. - Die A. 
des gesungenen Wortes unterscheidet sich beim ariosen 
Gesang von der des gesprochenen vor allem dadurch, 
daB an die Stelle der unablassigen Bewegung der Ar- 
tikulationsorgane Lippen, Unterkiefer, Zunge und 
Gaumensegel die Forderung nach dem »statischen Vo- 
kal« tritt. Damit die Vokale als die Trager des Stimm- 
klangs nicht durch die Konsonanten beeintrachtigt 
werden, gilt die Regel, alle Konsonanten so kurz wie 
moglich und so deutlich wie notig vor den folgenden 
Vokal zu werf en und dabei den Dualismus von Voka- 
len und Konsonanten in einen einheitlich flieBenden 
Vorgang aufzulosen. Die Verstandlichkeit des gesun- 
genen Wortlautes wird durch detailliertes Studium 
und prazise Artikulation der Konsonanten erzielt, wen 
bei das Zungen-r dem Gaumen-r unbedingt vorzu- 
ziehen ist. Wichtig ist stets ein klares BewuBtsein fiir 
den" Textinhalt und der Wille, diesen ebenso eindring- 
lich vorzutragen wie die Musik. Auch die* Vokalbe- 
handlung unterliegt im Gesang besonderen Gesetzeti, 
da der ausgeglichene Wohllaut des Singens den Vor- 
rang vor der Vokaldeutlichkeit zu haben pflegt und 
besonders in den Hochlagen jeder Stimmgattung die 



Charakteristika der einzelnen Vokale sich abschleifen. 
Besondere Beachtung erfordert das beim gesprochenen 
Wort vernachlassigte e der Vor- und Endsilben (bg- 
ginnen). Fiir Diphthonge gilt beim Gesang die Regel, 
daB ihr Hauptlaut (a in ei und au, o in eu) fast den gan- 
zen Notenwert iiber rein zu erklingen und der Ne- 
benlaut (e in ei, S in au, in eu) nur kurz vor dem fol- 
genden Konsonanten oder dem Tonende zu erscheinen 
hat. Im Rezitativ dominiert der Wortvortrag, doch 
darf er nicht zum bloBen Sprechen auf Tonhohen her- 
absinken. Der dramatische Gesang (R. Wagner) erfor- 
dert im Vergleich zum ariosen Gesang gesteigerte De- 
klamation. 

Lit.: Th. Siebs, Deutsche Hochsprache. Biihnenausspra- 
che, Lpz. 1898, 17. Aufl. hrsg. v. H. de Boor u. P. Diels, 
Bin 1958; Chr. Winkler, Lautreines Deutsch, Braun- 
schweig 1 950 ; J. Hey, Die Kunst d. Sprechens (nach d. Ur- 
text neu hrsg. v. Fr. Reusch), Mainz 1955; R. Keldor- 
fer, Die A. im Gesang, = Sprecherziehung IX, Wien 1955 ; 
Fr. Martienssen-Lohmann, Der wissende Sanger, Zurich 
u. Freiburg i. Br. 1956; M. Weller, Das Sprechlexikon, 
Diisseldorf 1 957 ; C. u . P. Martens, Phonetik d. deutschen 
Sprache, Miinchen 1961 ; Duden-Ausspracheworterbuch, 
Mannheim 1962. GB 

Austr alien. 

Lit. : K. Hagen, Ober d. Musik einiger Naturvolker (Au- 
stralier, Melanesier, Polynesier), Diss. Jena 1892; Ch. H. 
Bertie, Australia's First Composer, Sidney 1922; E. I. 
Moresby, Australia makes Music, Melbourne 1948, Lon- 
don 1950; W. A. Orchard, Music in Australia, Melbour- 
ne 1952; E. A. Worms, Australian Ghost Drums, Trum- 
pets and Poles, in: Anthropos XLVIII, 1953 ; A. P. Elkin, 
Australian and New Guinea Mus. Records, Oceania 
XXVII, 1957; A. M. Moyle, Sir Baldwin Spencer's Re- 
cordings of Australian Aboriginal Singing, Memoirs of the 
National Museum Melbourne XXIV, 1959; A. Silber- 
mann, Zur Gesch. d. Musiklebens in A., Mf XII, 1959; C. 
J. Ellis, Aboriginal Music Making: A Study of Central 
Australian Music, Adelaide 1964. 

Ausweichung -> Modulation, ->■ Zwischendo- 
mifianten. _ 

Auszierungen, deutsche Bezeichnung im Barock (bei 
Quantz, L. Mozart u. a.) fiir -> Verzierungen. 

authentisch (von griech. au&evxix6t;; lat. authentus 
oder authenticus, echt, selbstandig), - 1) seit dem Mit- 
telalter gebrauchliche Bezeichnung fiir den 1 ., 3., 5. und 
7. Kirchenton (alteste musiktheoretische Belege im 9. 
Jh.: GS I, 26a f. und 39b; -+ Kirchentone) ; - 2) die 
-> Kadenz D-T. 

Autograph (griech., von aux6<; und ypa<p<i>, selbst 
schreiben) heiBt eine Niederschrift von der Hand des 
Verfassers (Eigenschrift). Fiir die Herausgabeeines Mu- 
sikwerkes (-> Erstdruck) ist das A. von einzigartiger 
Bedeutung, besonders wenn der Autor die Anf ertigung 
einer Kopie oder die Drucklegung (-> Urtext) nicht 
selbst iiberwachte. Auch bei Fragen nach der Echt- 
heit und der Entstehungszeit eines Werkes gibt das A. 
Auskunft. Als Zentralstelle der iiber die ganze Welt 
verstreuten offentlichen und privaten A.-Sammlungen 
ist das von A. van Hoboken 1927 gegriindete Archiv 
fiir Photogramme musikalischer Meisterhandschriften 
(»Meisterarchiv«) bei der Osterreichischen National- 
bibliothek in Wien anzusehen, das iiber 35000 Photo- 
kopien der wichtigsten A.en besitzt. 
Lit.: H. Schenker, Eine Rettung d. klass. Musiktexte . . ., 
in: Der Kunstwart XLII, 1929; G. Schunemann, Musi- 
kerhss. v. Bach bis Schumann, Bin 1936, 31943 ; W. Schmie- 
der, Musikerhss. in drei Jh., Lpz. 1939; W. Altmann, Ist 
d. Originalhs. oder d. Erstdruck maBgebend ?, AMzLXVII 
1940; O. E. Albrecht, A Census of A. Music Mss. of Eu- 
ropean Composers in American Libraries, Philadelphia 
1953 ; E. Winternitz, Mus. A. from Monteverdi to Hinde- 



68 



Ave regina caelorum 



mith, 2 Bde, Princeton 1955; P. Mies, Etwas iiber Musik- 
A., in: Musikhandel VIII, 1957; Das Arch. f. Photogram- 
me mus. Meisterhss. . . . Widmung A. van Hoboken, 
= Biblos-Schriften XVIII, Wien 1958; H. Unverricht, 
Die Eigenschriften u. Originalausg. v. Werken Beethovens 
in ihrer Bedeutung f. d. moderne Textkritik, = Mw. Ar- 
beiten XVII, Kassel 1960; Musikerhss., 3 Bde, hrsg. v. W. 
Gerstenberg u. M. Hurlimann, Zurich (1960-61) ; W. M. 
Luther, Der Komponist u. seine Eigenschrift, in : Aus d. 
Welt d. Bibliothekars, Fs. R. Juchhoff, Koln 1961; G. 
Mecklenburg, Vom Autographensammeln. Versuch ei- 
ner Darstellung seines Wesens u. seiner Gesch. im deut- 
schen Sprachgebiet, Marburg 1963. 

Automaten -> Mechanische Musikwerke, 
-> Music box. 

Auto (sacramental) (span.; port, auto; von lat. ac- 
tus, Handlung), bezeichnet zunachst feierliche religio- 
se und gerichtliche Veranstaltungen, dann kurze dra- 
matische Auffiihrungen an kirchlichen Festtagen, die 
sich aus dem spatmittelalterlichen geistlichen Schauspiel 
herausgebildet hatten und im 16. Jh. die genuin spani- 
sche Form eines A. s., des Fronleichnamsspiels, annah- 
men. Seit dem Tridentiner Konzil war die Verherr- 
lichung und Erklarung der Eucharistie (Altarsakra- 
ment) in zunehmendem Mafie der eigentliche dogma- 
tische und intellektuelle Inhalt der A.s s.es geworden 
und diese damit zu dramatischen Verkiindigungen von 
Glaubenswahrheiten am alljahrlichen Fronleichnams- 
fest. Diese Spiele erfreuten sich - nicht zuletzt ihrer 
handlungsreichen, teilweise auch pompos spektakula- 
ren Inhalte wegen - einer ungewohnlichen Popularitat 
und haben von den grofien spanischen Biihnendichtern 
des Siglo de oro (Lope de Vega, Tirso de Molina, Cal- 
deron de la Barca) ihre literarisch representative Ge- 
staltung erhalten. Regieanweisungen und die uberlie- 
ferten Auffiihrungsberichte lassen auf vokale (Solo- 
und Chorgesange) und instrumentale Vertonung ein- 
zelner Partien schlieBen. Das Orchester (Blech- und 
Holzblaser, dazu Zupfinstrumente) spielte auch ton- 
malerische Stiicke zu den Vorgangen auf der Biihne 
(Donnerschlage, Explosionen, Trommelwirbel). Als 
Komponisten von Musik zu den A.s s.es konnen u. a. 
genannt werden Cristobal Galan, Manuel de Leon 
Marchante, Fray Juan Romero, Gregorio de la Rosa, 
wenngleich fiir die einzelnen A.s s.es noch keine Kom- 
positionen nachgewiesen werden konnten. 
Lit. : M. Latorre y Badillo, Representaciondelos A.s. en 
el periodo de su mayor florecimiento (1620-81), Revista de 
Arch., Bibl. y Museos XXV/XXVI, 1911/12; M. Batail- 
lon, Essai de l'explication de FA., Bull, hispanique XLII, 
1940; A. A. Parker, The Allegorical Drama of Calderon, 
London u. Oxford 1 943 ; J. Sage, Calderon y la musica 
teatral, Bull, hispanique LVIII, 1956; N. D. Shergold u. 
J. E. Varey, Los A.s en Madrid en la epoca de Calderon 
1637-81, Estudios y documentos, Madrid 1961. HOc 

Auxesis (griech.) -> Climax. 

Ave Maria (lat.), der Englische GruB. Er enthalt die 
biblischen GruBworte des Engels Gabriel und der 
Elisabeth an die Jungfrau Maria, gefolgt von einer 
Anrufung des Namens Jesu und dem Bittgebet Sancta 
Maria, mater Dei . . . Wahrend sich die Verbindung 
der Lukas-Stellen 1, 28 (Vulgata: Ave gratia plena; 
Dominus tecum; benedicta tu in mulieribus) und 1, 42 (et 
benedictus fructus ventris tui) schon seit dem 6. Jh. nach- 
weisen laBt, wurden Anrufung und Furbitte erst im 
hohen bzw. spaten Mittelalter hinzugefiigt. Letztere 
erhielt ihre endgultige Form durch das Pianische 
-»■ Brevier von 1568. In frankischen Quellen aus dem 
9. Jh. als Offertoriumsgesang (4. Advent) uberliefert, 
fand das A. M. ein Jahrhundert darauf auch Eingang 
in das Officium parvum Beatae Mariae Virginis. Bis 



heute bildet es an bestimmten Tagen des Kirchenjahres 
einen festen Bestandteil in Messe und Offizium. Den 
gregorianischen Melodien zum A. M. liegt stets nur 
der Lukas-Text (ohne Anrufung und Bittgebet) zu- 
grunde. 

Ave maris Stella (lat.), Hymnus zu Ehren Marias 
aus dem Offizium der romisch-katholischen Kirche. 
Er gehort als Vespergesang zum liturgischen Repertoire 
der meisten Marienf este. Sein erstmals im 9. Jh. fiir das 
Fest der Annuntiatio Beatae Mariae Virginis greifbarer, 
offenbar jedoch alterer Text enthalt 7 Strophen mit je 
vier trochaischen 6Silblern wobei die Anfangsstrophe 
den Sinngehalt der folgenden 5 Strophen voraus- 
nimmt : Ave (entspricht dem Sinngehalt von Strophe 2), 
maris stella (Strophe 3), Dei mater alma (Strophe 4), at- 
que semper virgo (Strophe 5),felix caeli porta (Strophe 6). 
Den AbschluB bildet eine Doxologie (Strophe 7). Die 
Choralmelodien zum A. m. st. spiegeln in ihrer Viel- 
falt den Reichtum mittelalterlicher Hymnenkompo- 
sitionen wider. Unter ihnen gewann die noch heute 
gesungene Melodie im 1. tonus (Monumenta Mono- 
dica I, Nr 67) den Vorrang. Zuerst in friihen zister- 
ziensischen Quellen, desgleichen als Weise eines pro- 
venzalischen Marienliedes (O Maria den maire, Paris, 
Bibl. Nat., lat. 1139, Wende ll./12.Jh.) belegt, fand 
sie seit dem 13. Jh. weite Verbreitung. Altester Her- 
kunft ist ebenfalls die in zahlreichen Manuskripten 
uberlieferte Melodie im 4. tonus (Monumenta Mono- 
dica I, Nr 149), deren Niederschrift bereits fiir das 11. 
Jh. nachgewiesen werden kann. In der Vatikanischen 
Ausgabe des Antiphonale blieben insgesamt fiinf, im 
Antiphonale Monasticum dagegen nur drei 1st. Ver- 
tonungen des A. m. st. erhalten. Wie aus den Quel- 
len hervorgeht, wurden die Melodien zum Teil auch 
mit anderen, metrisch gleichgebauten Texten verse- 
hen (z. B. Lucis hujusfesta oder Ave Katherina, Monu- 
menta Monodica I, Nr 67, 2 und 67, 4 sowie 149, 6), 
der Originaltext selbst mehrfach umgedichtet, tro- 
piert, als Glossenlied gestaltet und vulgarsprachlich 
iibersetzt. 

Ausg.: Monumenta Monodica Medii Aevi I, hrsg. v. Br. 
Stablein, Kassel 1956, Melodien Nr 67, 149, 174, 191, 
208, 507, 737, 1031. 

Lit. : J. Gajard OSB, Notre Dame et Fart gregorien, in : 
H. Du Manoir, Maria. Etudes sur la Sainte Vierge II, Pa- 
ris 1952; A. Seay, An »A. m. st.« by Johannes Stochem, 
RBM XI, 1 957 ; P. Rado, Enchiridion Liturgicum II, Rom, 
Freiburgi. Br. u. Barcelona 1961. KWG 

Ave regina caelorum (lat.), Marianische Antiphon 
(Antiphona Beatae Mariae Virginis) am SchluB der 
Komplet von Maria LichtmeB (Purificatio, 2. Februar) 
bis zum Mittwoch der Karwoche. Ihre schriftliche 
Oberlieferung setzt im 12. Jh. ein. Anfanglich der Non 
des Festes Maria Himmefiahrt (Assumptio) zugeho- 
rend, wurde sie Mitte des 13. Jh. erstmals von den 
Franziskanern fiir einen bestimmten Abschnitt des 
Kirchenjahres als SchluBantiphon der Komplet vorge- 
schrieben. Der aus 2 Strophen mit je 4 paarweise ge- 
reimten Zeilen bestehende Text wendet sich an die 
Himmelskonigin und stellt einen engen Bezug zur 
Himmelfahrt Mariens her. Die altere Melodie des 
A. r. c. im 6. tonus transpositus (mit Finalis c) ist durch 
eine starke Vereinheitlichung der Abschnitte und Glie- 
der gekennzeichnet, die vor allem in der melodischen 
Ubereinstimmung einzelner Textzeilen bzw. Zeilen- 
schliisse greifbar ist. Antiphonale Romanum und Mo- 
nasticum enthalten eine leicht voneinander abweichen- 
de Fassung. In der Choralpraxis gibt es noch eine zwei- 
te Melodie (in cantu simplici), deren Entstehung in das 
17. Jh. (oder spater) fallt. 



69, 



Avignon 

Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I u. Ill, Lpz. M911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; A. Weissenbach A. R. c, in: Musica 
Divina XVI, 1928; W. Apel, Gregorian Chant, Blooming- 
ton (1938); P. Rado, Enchiridion Liturgicum II, Rom, 
Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961. 

Avignon. 

Lit.: P. Aubry, Les fetes mus. d'A., Paris 1899; J.-B. Ri- 
pert, Musique et musiciens d'A., A. 1916; L. Bonelli, 
Les joueurs de flute avignonnais . . . au XV e s., Actes du 
Congres d'hist. de l'art III, 1921; H. Angles, La musica 
sagrada de la capilla pontificia de A. en la capilla real ara- 
gonesa durante el s. XIV, AM XII, 1957; J. Robert, Con- 
trats d'apprentissage et d'association de musiciens en A. 
sous Louis XIV, Bull, du Comity des travaux hist, et scien- 
tifiques, Paris 1962. 

AW A, Anstalt zur Wanning der Auffuhrungsrechte 
auf dem Gebiete der Musik seit 1. 1. 1951 fur die DDR 
und Ost-Berlin; sie verwaltet auch die mechanischen 
Auffuhrungsrechte. Die -> GEMA hat mit der AWA 
denselben Gegenseitigkeitsvertrag wie mit den Gesell- 
schaften anderer Lander. 

Ayr(e) (ea, engl.) -> Air. 

Azione sacra (ital., geistliche Handlung), am Ende 
des 17. Jh. hauptsachlich in Wien Bezeichnung fur die 
in Musik gesetzten Passionsschauspiele in italienischer 
Sprache, die zur Feier des Santo Sepolcro in der Kar- 
woche aufgefiihrt wurden (hierfiir gleichbedeutend 
auch die Bezeichnung-* Rappresentazione sacra) Wich- 
tigster Textdichter dieser Gattung war N.Minato, 



dessen Werke A. Draghi (z. B. Epitafii sopra il Sepolcro 
di Christo, 1671), Kaiser Leopold I. (z. B. L'Ingratitudine 
rimproverata, 1675) u. a. vertonten. Im Stoff und in 
Einzelheiten der musikalischen Gestaltung beruhrt 
sich die A. s. mit dem Oratorio volgare, unterscheidet 
sich aber von diesem durch die szenische Auffiihrung. 
Spater ist dieser Unterschied nicht mehr gegeben, 
vielmehr wird in der 1. Halfte des 18. Jh. - ebenfalls in 
Wien - mit A. s. jene Sonderart des italienischen Ora- 
toriums bezeichnet, dem vor allem die einfluBstarken 
Dichtungen von A. Zeno und P. Metastasio zugrunde 
liegen. Es handelt sich hierbei um Stiicke, die zwar 
meist fiir die Karwoche bestimmt waren, die aber nicht 
nur das Passionsgeschehen behandeln (wie etwa Me- 
tastasios La Passione di Gesit Cristo, komponiert von 
A. Caldara 1730), sondern auch alttestamentliche Stoffe 
zum Vorwurf haben (z. B. Metastasios La Betulia 
liberata, komponiert von G.Reutter 1734). 

Lit. : A. Schering, Gesch. d. Oratoriums, = Kleine Hdb. 
d. Mg. nach Gattungen III, Lpz. 1911; G. Pasquetti, 
L'oratorio mus. in Italia, Florenz 1914. 

Azione teatrale (ital.) ist (wie die Festa teatrale oder 
-> Serenata teatrale) im 17. und 18. Jh. die Bezeich- 
nung fur ein Huldigungsfestspiel an f urstlichen Hofen 
eine prunkvolle, kurze Oper (mit Soli, Chor und 
Ballett), z. B. Mozarts Ascanio in Alba (K.-V. Ill, 1771, 
zur Vermahlung des Erzherzogs Ferdinand) oder II 
sogno di Scipione (K.-V. 126, 1772, als Huldigung fiir 
Erzbischof Hieronymus). 



70 



B 



B, - 1) Ton-Name : In der lateinischen ->■ Buchstaben- 
Tonschrift reichte die Oktavreihe im allgemeinen 
von A bis G mit B als 2. Stufe, einen Ganzton iiber A. 
Im 12. Jh. verfestigte die Einfiihrung des Hexachordum 
molle auf F eine Spaltung des B in 2 Tonstufen: der 
Ganzton iiber A hiefi nun B durum (tj) und war als 
tjmi grofie Terz iiber G, bildete also mit F einen Trito- 
nus; der Halbton iiber A hiefi B molle (b) und war als 
bfa Quarte iiber F. Da die mittelalterliche Lehre der 
Musica ficta chromatische Alteration einer Tonstufe als 
Transposition des mi oder fa erklarte, wurden die ver- 
schiedenen Schrif tzeichen des B auch zu anderen Tonen 
gesetzt. Das B rotundum (b) zeigt demnach Erniedri- 
gung, das B quadratum (h), seit dem 18. Jh. (J.G. 
Walther 1732) unterschieden in Auflosungszeichen I; 
und Kreuz j) , Erhohung um einen Halbton an. B be- 
zeichnet in England noch heute unser H, B flat unser B. 
In den anderen Landern gilt H (£rz. und ital. si) als 
Hauptton; B (frz. si bempl; ital. si bemolle) ergibt sich 
durch Erniedrigung des H um einen Halbton, weitere 
Erniedrigung um einen Halbton ergibt Heses (engl. 
double flat; frz. si double bemol; ital. si doppio bemol- 
le). Erhohung des B um einen Halbton fiihrt zum H. 
- 2) Seit Anfang des 19. Jh. werden in theoretischen 
Werken Akkorde mit -»■ Buchstaben-Tonschrift be- 
zeichnet (B bedeutet den B dur-Dreiklang, b den B 
moll-Dreiklang) ; im -> Klangschliissel treten Zusatz- 
zeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart nur durch ih- 
ren Grundton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh. ent- 
sprechend den Akkordbezeichnungen so ausgelegt, dafi 
B fiir B dur, b fur B moll stand. - 3) Abk. fur Bassus. 

Babylonien. 

Lit. : St. Langdon, Babylonian Mus. Terms, Journal of the 
Royal Asiatic Soc. of Britain and Ireland, 1921 ; C. Sachs, 
Die Entzifferung einer babylonischen Notenschrift, Sb. Bin 
XVIII, 1924; ders., Ein babylonischer Hymnus, AfMw 
VII, 1925 ; ders., The Mystery of the Babylonian Notation, 
MQ XXVII, 1941 ; ders., Das Geheimnis d. babylonischen 
Notenschrift, Stimmen I, 1947/48; Br. Landsberger, Die 
angebliche babylonische Notenschrift, Arch. f. Orientfor- 
schung I, 1933 ; Fr. W. Galpin, The Music of the Sumeri- 
ans . . . , London 1937, Neudruck = Slg mw. Abh. XXXIII, 
StraBburg 1955; M. Wegner, Die Musikinstr. d. alten 
Orients, = Orbis antiquus II, Miinster i. W. 1950; Sumeri- 
sche u. akkadische Hymnen u. Gebete, hrsg. v. A. Falken- 
stein u. W. v. Soden, Zurich 1953 ; M. Duchesne-Guille- 
min, Decouverte d'une gamme babylonienne, Rev. de Mu- 
sicol.XLIX,1963. 

Baccalarius (lat., auch Baccalaureus; frz. bachelier; 
engl. bachelor), der unterste der -> Akademischen Gra- 
de in der Facultas artium der mittelalterlichen Univer- 
sitat, zu dessen Erlangung auch das Horen von Musik- 
vorlesungen gefordert wurde. Seit dem 15. bis ins 18. 
Jh. bezeichnet B. den Hilfslehrer der Lateinschule. In 
England und den USA kann nach 4jahrigem Studium 
der Grad des Bachelor of arts (B. A.) oder bei besonde- 
rer Spezialisierung auf musikalische Fragen der des 
Bachelor of music (B. Mus.) erworben werden. 



»Bach«-Trompete -> Clarino. 

Background (b'aekgiaund, engl., Hintergrund), im 
Jazz die rhythmisch-harmonische Basis der Blaser- und 
Rhythmusgruppen fiir die Solisten. Der B. entstand, als 
nach dem kollektiven Chorusspielen (New Orleans) 
im Chicago-, mehr noch im Kansas-City-Jazz das Solo'" 
in den Vordergrund trat, und die jeweils iibrigen Mu- 
siker einer Band die Begleitung zu iibernehmen hatten. 
Die Festlegung des B. erfolgte zuerst durch Absprache 
(Head-Arrangement), spater fiir die Big bands der 
Swing-Ara im -»■ Arrangement, das den Solisten be- 
tont gegeniiber dem B. herausstellt (feature). Als ent- 
scheidender Bestandteil des Arrangements kann der B. 
verschieden angelegt sein: entweder erklingen die 
Grundharmonien einfach akkordisch, oder der B. ist 
rhythmisch-melodisch selbst pragnanter gestaltet. Eine 
besonders markante Art des B. ist das -> Riff. Nach der 
Swing-Ara wurde der arrangierte B. auch von kleine- 
ren Ensembles iibernommen. Seine extremste Verwen- 
dung f and er als Kompositionsmittel im -> Progressive 
Jazz. - In Unterhaltungs- und Schlagermusik ist der B. 
reine Stimmungskulisse, die als Schablone im Gegen- 
satz zum B. im Jazz kein konstruktives Element dar- 
stellt. 

Baden. 

Lit. : E. Stitzenberger, Grundlinien einer Gesch. d. Ton- 
kunst im Lande B., 1 883 ; L. Schiedermair, Die Oper an d. 
badischen Hofen d. 17. u. 18. Jh.,SIMG XIV, 1912/13 ;H. 
Rott, Kunst u. Kunstler am B.-Durlachischen Hof e, 1917; 
J. Kunzig, Das Volkslied in B. einst u. jetzt. I: Gesch. d. 
Volksliedinteresses in B., Diss. Heidelberg 1922, maschr. ; 
W. Weitzel, Die kirchenmus. Verhaitnisse in B. u. Hohen- 
zollern, Karlsruhe 1927; O. C. A. zur Nedden, Die Kan- 
torei am Hofe d. Markgrafen Philipp II. v. Baden-Baden, 
ZfMw XII, 1929/30; ders., Quellen u. Studien zur ober- 
rheinischen Mg. im 15. u. 16. Jh., =Veroff. d. Musik-Inst. 
d. Univ. Tubingen IX, Kassel 1931 ; K. F. Leucht, Die ba- 
dische Hofmusik u. ihr Reorganisator J. A. Schmittbaur, 
Diss. Wien 1933, maschr.; I. Rucker, Die deutsche Org. 
am Oberrhein um 1750, Freiburg i. Br. 1940; Fr. Baser, 
Musikheimat B.-Wurttemberg, Freiburg i. Br. u. Zurich 
1963. 

Badinage (badin'a:3, frz., Spafi.Tandelei), Badinerie, 
bezeichnet im 18. Jh. einen Suitensatz schnellen, scher- 
zoartigen Charakters im geraden Takf 2/4, (z. B. 
Bach, 2. Orchester-Suite BWV 1067, letzter Satz). 

Bankelsang. Aus dem 16. Jh. sind Flugblattdrucke er- 
halten, die von Zeitungssangern vorgetragen und feil- 
geboten wurden. Diese Sanger sind die Vorganger der 
Bankelsanger, die seit dem 17. Jh. auf Gassen und Mark- 
ten aktuelle Ereignisse des ofientlichen wie des privaten 
Lebens (Katastrophen, Verbrechen, Hinrichtungen) in 
belehrender Absicht vortrugen und gedruckt verkauf- 
ten. Noch um die Mitte der 1920er Jahre waren Ban- 
kelsanger auf den Jahrmarkten (vor allem ostdeutscher 
Stadte) anzutreffen. Der Ausdruck B. kommt von Ban- 
kel (Diminutiv von Bank), auf dem der Vortragende 
stand, und erscheint zum ersten Mai als »Banklein- 



71 



Barte 



Sanger« in B.Neukirchs Gedichtsammlung (1697- 
1709; VI, 343). Oft trat ein Paar Bankelsanger auf, wo- 
bei meist die Frau den Gesang vortrug. Es war iiblich, 
den Vortrag durch groBe Bildtafeln (Schilder) zu er- 
ganzen, auf denen wichtige Phasen der Begebenheit 
dargestellt waren. Nach einem improvisierten Vorspiel 
(Laute, Harfe oder Violine, spater Drehorgel) sang der 
Bankelsanger einige instrumental begleitete (4-, 8- oder 
16zeilige) Liedstrophen, oft auf eine bekannte Choral- 
oder Kirchenliedmelodie, dabei mit einem Stab auf die 
Bilder weisend. Nach einer erganzenden Prosadarstel- 
lung der Vorgange folgten wieder Liedstrophen, die 
eine moralische Nutzanwendung enthielten, dann ein 
Nachspiel. Die Drehorgel wurde auch vielf ach nur zur 
instrumentalen Umrahmung benutzt und der Liedvor- 
trag mit Laute (Harfe) oder Violine begleitet. Die ero- 
tische Sphare wurde vom B. kaum beriihrt, hochstens 
deren todlich-schicksalhafte Aspekte. (Lieder lustigen 
oder f rivolen Inhalts gehoren zum Repertoire des Leier- 
manns oder Orgeldrehers.) - In der 2. Halfte des 18. Jh. 
glaubte man im B. wertvolle Zeugnisse volkstumlichen 
Liedgutes zu entdecken, und man literarisierte den B. 
Der literarisch parodierte B. reicht von Gleim und 
Burger bis in die heutige Zeit, in der u. a. Ringelnatz, 
Brecht und Erich Kastner wiederholt nach Art des B.s 
dichteten (-*- Song). Im 19. Jh. kam fur Bilder und Ge- 
schichten der Bankelsanger die Bezeichnung Moritat 
auf (wohl von Moralitat, wenn auch »Mordtat« be- 
schrieben wird; erster Beleg im Lahrer Kommersbuch 
1862, S-. 502); unter der Benennung Moritat wurde 
dann der literarisierte B. auf Schaubuhnen, auf dem 
Brettl und im Kabarett in Deutschland beliebt. Die 
Moritaten, wie sie Wedekind u. a. um die Wende des 
19./20. Jh. dichteten, sind weniger satirische B.-Mori- 
taten, als vielmehr, dem Zeitgeist entsprechend, »so- 
ziale Balladen«. 

Ausg. u. Lit. : Th. Hampe, Die f ahrenden Leute . . . , = Mo- 
nographien zur deutschen Kulturgesch. X, Lpz. 1902; Fr. 
REBrczEK, Der Wiener Volks- u. Bankelgesang in d. Jahren 
1800-48, Wien u. Lpz. 1913 ; Arien u. Bankel aus Altwien, 
hrsg. v. O. Wiener, Lpz. 1914; H. Naumann, Studien iiber 
d. Bankelgesang, Zs. d. Ver.f. Volkskunde XXXI, 1920/21 , 
auch in: Primitive Gemeinschaftskultur, Jena 1921; G. 
BOhme, Bankelsangermoritaten, Diss. Munchen 1922, 
maschr.; O. Gorner, B., Mitteldeutsche Blatter f. Volks- 
kunde VII, 1932; E. Sternitzke, Der stilisierte B., Diss. 
Marburg 1933; A. Becker, B. in d. Pfalz, in: Volkskund- 
liche Gaben, Fs. J. Meier, Bin 1934; Fr. Bruggemann, 
Bankelgesang u. Singspiel vor Goethe, = Deutsche Lit., 
Reihe AufklarungX, Lpz. 1937; M. Kuckei, Moritat u. B. 
in Niederdeutschland, = Niederdiitsch Volk singt II, Hbg 
1941 ; ders., Edvardo, d. schrecklichste d. Rauber, Wedel 
1943; G. Gugitz, Die Bankelsanger im josephinischen 
Wien, = Osterreichische Heimat XVIII, Wien (1954); H. 
Goertz, Lieder aus d. Kiiche, Munchen (1957) ; Die Mori- 
tat v. B. . . . , hrsg. v. E. Janda u. Fr. Notzoldt, Munchen 
(1959); Fr. Kluge, Etymologisches Worterbuch d. deut- 
schen Sprache, bearb. v. W. Mitzka, Bin "1963 ; K.V. Rie- 
del, Der B., = Volkskundliche Studien I, Hbg 1963;Schau- 
derhafte Moritaten, hrsg. v. Th. F. Meysels, Salzburg 
(1964). 

Barte (auch Fliigel, lat. alae, auricolae) heiBen bei den 
Labialpfeifen der Orgel die zu beiden Seiten des La- 
biums angebrachten Metall- oder Holzbacken und 
Leisten, die zur Sicherung der Ansprache einiger Re- 
gister dienen und bestimmte Obertone hervortreten 
lassen. Sie treten auf als Seiten-, Vorder- und Kasten-B. 

Bagatelle (frz., unbedeutende Kleinigkeit, von ital. 
bagatella, kleiner Gegenstand), Musikstiick geringen 
Umfangs, oft in 2- oder 3teiliger Liedform, bisweilen 
von aphoristischer Kiirze, z. B. Beethoven op. 119, 10 
(12 Takte). Fr.Couperin nannte ein Stuck seiner Pieces 
de clavecin (Livre 2, Ordre 10, 1717) Les B.s. In der 2. 



Halfte des 18. Jh. diente das Wort zur Bezeichnung von 
Sammlungen kleiner Stiicke unterschiedlicher Gattung 
und Besetzung, so des Pariser Verlegers J. Boivin Milk 
et une B.s um 1753 (Menuets, Pastorales, Ariettes, Duos 
usw.) oder C.W.Maizier, Musikalische B.n I, 1797 
(Tanzstiicke und Lieder). Als Werktitel fiir nicht zyk- 
lisch gebundene, kleine Klavierstiicke von behebiger 
Form und beliebigem Charakter - auch verdeutscht, 
z. B. G.S.Lohlein, Musikalische Kleinigkeiten fiir Kl., 
vor 1780 - begegnet es seit Ende des 18. Jh. haufig. 
Hohen kunstlerischen Rang erlangte die Klavier-B. 
durch Beethovens 3 Sammlungen B.n op. 33 (erschie- 
nen 1803), op. 119 (erschienen 1823; Nr 1-6 als Kleinig- 
keiten fiir den Stich geplant, Nr 7-11 schon 1821 als 
Kleinigkeiten in Fr. Starkes Wiener Piano-Forte-Schule 
abgedruckt), op. 126 (erschienen 1825). Sie erhielten 
im 19. Jh. keine ebenbiirtige Nachfolge, obwohl eine 
Fulle von B.n entstand (auBerhalb der Klaviermusik, 
z. B. A. Dvorak, 4 B.n fiir Harmonium oder Kl., 2 V. 
u. Vc, op. 47, eischienen 1880), denn das lyrische Kla- 
vierstiick (-»■ Charakterstiick) der Romantik hatte an- 
dere Voraussetzungen. Erst im 20. Jh. gewann der Be- 
griff wieder an Bedeutung; zu den wichtigen Wer- 
ken zu Beginn des Jahrhunderts gehbren die 14 B.n fiir 
Kl. op. 6 (entstanden 1908) von Bartok und die Sechs 
B.n fiir Streichquartett op. 9 (entstanden 1913) von 
Webern. 

Lit. : W. Kahl, Aus d. Friihzeit d. lyrischen Klavierstiicks, 
ZfM LXXXIX, 1922; Th. v. Frimmel, Beethoven-Hdb., 
2 Bde, Lpz. 1926; W. Hess, Unbekannte Klavierb. Beetho- 
vens, Mk XXXI, 1938/39; H.Erfmann, Formuntersuchun- 
gen an d. B. Beethovens, Diss. Miinster i. W. 1 942, maschr. ; 
W. Georgii, Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Frei- 
burg i. Br. 4 1965; H. Pousseur, A. Weberns organische 
Chromatik (1. B., op. 9), in: die Reihe II, Wien 1955; A. 
Tyson, The First Ed. of Beethoven's Op. 1 1 9 B. , MQ XLIX, 
1963. ESe 

Baiao (baj'au, port.), ein aus Brasilien stammender, 
nach dem Staat und der Stadt Bahia benannter Tanz 
im maBig bewegten 2/4-Takt, in der Art einer langsa- 
men -»■ Samba. Der B. wurde nach 1950 in Europa 
bekannt. Sein Rhythmusschema: 

| J^l J~3 oder J~l «h 7 oder ft f «h«h 7 

oder JTfi f^^ oder J~J^ J~J I J J I 
> > > 

Balafo(n) -*■ Marimba. 

Balalaika (russ.), das russische Nationalinstrument, 
ein volkstiimliches Zupfinstrument, das zum ersten- 
mal wahrend der Regierungszeit Peters des GroBen 
(um 1700) erwahnt wird. Die B. wird von der alteren 
kirgisischen -> Domra hergeleitet, die um 1700 durch 
die ukrainische B. verdrangt wurde. Die B. hat ein 
meist 3eckiges Corpus aus Tannenholz mit gebauch- 
tem Boden, in der Decke ist ein Schalloch (auch mit 
Rosette). Der lange Hals tragt 4-21 Darmbiinde; ur- 
spriinghch (um 1 700) waren 2 Saiten (Darm oder Stahl), 
heute meist 3 (seltener 4) vorhanden, von denen 2 auf 
denselben Ton, die dritte (angeblich zuerst von einem 
aus der Ukraine stammenden blinden Panduristen um 
1750 zusatzlich verwendet) in der Oberquart gestimmt 
sind. Die Saiten laufen von einem am unteren Rand 
des Corpus befindlichen Saitenhalter iiber den Steg zur 
Wirbelplatte, wo sie mit hinterstandigen Wirbeln ge- 
stimmt werden. Der Ton wird durch Schlagen der Sai- 
ten mit einer Schlagfeder oder mit der bloBen Hand 
hervorgebracht. Die B. wird seit der Reform W.W. 
Andrejews (1861-1918) in 6 GroBen gebaut: Piccolo- 
B. (hi e2 a2 oder e* e^ a2), Prim-(Sopran-)B. (el el ai), 
Sekund-(Alt-)B. (a a di), Alt-(Tenor-)B. (e e a), BaB- 
B. (E A d) und KontrabaB-B. (,E ^ D). Das B.-En- 



72 



Ballade 



semble besteht aus 4-25 Instrumenten (z. B. 2 Piccolo- 
B.s, 6 Prim-B.s, 3 Sekund-B.s, 3 Alt-B.s, 3 BaB-B.s, 
2 KontrabaB-B.s, und Domra-Sextett). 
Lit. : A. S. Faminzyn, Domra i srodnyje jej mus. instr. (»Die 
Domra u. d. ihr verwandten Musikinstr. d. russ. Volkes«), 
St. Petersburg 1891; A. Rose, The B., Proc. Mus. Ass. 
XXVII, 1900/01 ; A. A. Nowoselskij, Otscherki po istorii 
russkich narodnych mus. instr. (»Skizzen zu einer Gesch. 
d. russ. Volksmusikinstr.«), Moskau 1931 ; A. S. Iljuchin, 
Schkola dlja b. (»B.-Schule«), Moskau u. Leningrad 1 947 ; 

A. TschaGadajew, W. W. Andrejew, Moskau u. Lenin- 
grad 1948. 

Baldwin-Orgel ->■ Elektrophone, -> Connso- 
nata-Orgel. 

Balg (Blasebalg) heiBt eine nicht am Bauch aufge- 
schlitzte, sondern moglichst intakt abgestreifte Tier- 
haut, die sich mit wenig Nachhilfe als Schlauch oder 
Windbehalter benutzen laBt. Die einfachste Gestalt des 
B.es findet sich beim Dudelsack, einem der Vorahnen 
der Orgel ; trotz veranderter Konstruktion werden de- 
ren Windbehalter noch heute Balge genannt. Der alte- 
ste B. der Orgel ist wie der noch heute gebrauchliche 
Schmiede-B. gebaut, ein ein- oder mehrfaltiger Falten- 

B. aus Leder, der allerdings die Orgelpfeifen nur un- 
gleichmafiig mit Wind versorgt, so daB die Orgel 
»windstoBig« klang. Der Falten-B. wurde Ende des 14. 
Jh. durch den Keil- oder Span-B. abgelost, dessen 
Wandungen aus scharnierartig mit Leder verbundenen 
Brettern (ahd. span, Holzbrettchen) besteht. Im 19. Jh. 
kamen der Kasten-B. (ohne Falten), der Schopf- und 
der -»■ Magazin-B. auf. Ahnlich dem Magazin-B. sind 
bei grofieren Orgeln in den Windkanal Ausgleichsbal- 
ge (Konkussionsbalge) eingebaut, die etwaige plotzli- 
che Windschwankungen (durch Unvorsichtigkeit des 
Kalkanten oder beim Spiel vollgriffiger Akkorde) ab- 
fangen und fur einen gleichmaBigen Orgelwind wah- 
rend des Spiels sorgen. Die Orgelbalge wurden von 
BSlgetretern (-> Kalkant) bedient. Die Stange, durch 
deren Niedertreten oder -ziehen ein B. aufgezogen 
wird, hieB B.-Clavis. Seitdem die Elektrizitat zum Er- 
zeugen des Orgelwindes benutzt wird, tritt anstelle des 
Schopf-B.es ein Elektromotor mit Windschleuderge- 
blase (Ventilator), der den Organisten vom Balgetreter 
unabhangig macht. Nach ihrer Form unterscheidet 
man Quer- und Parallelbalge, nach der Art ihrer Be- 
dienung Tritt- und Handbalge. Wie Portativ, Positiv 
und Regal werden auch Akkordeon, Bandonion und 
Ziehharmonika mit Hand-B. gebaut. Die Grofie der 
Balge richtet sich nach dem vorhandenen Raum, ihre 
Anzahl nach der GroBe und Anzahl der Register. 

Ballabile (ital., tanzmaBig), als Vortragsbezeichnung : 
tanzerisch, tanzartig ; auch Bezeichnung von Tanzepi- 
soden, vor allem in der Oper des 19. Jh. 

Ballade (frz. ; altfrz. balade aus altprov. balada, von 
balar, tanzen), - 1) im hohen Mittelalter ein einstim- 
miges volkstiimliches Tanzlied, dessen feste Form von 
den Trobadors und Trouveres ausgebildet wurde. Die 
B. ist strophisch mit Vorsanger- und Chorref rain ; 
damit gehort sie zur Gruppe der Refrainformen wie 
Rondeau, Virelai und Ballata. Seit dem Beginn des 14. 
Jh. wurden fur die B. als lyrische Gattung typisch: drei 
isometrischc (mcist 8- oder lOSilbler) durchgereimte 
Strophen (d. h. die Strophen haben die gleichen Reim- 
bestandteiie) mit einer kiirzeren Geleitstrophe (envoi). 
Der Refrain gehort zu jeder Strophe; der Vorsanger- 
refrain vor der Strophe kann auch fehlen. Die Strophe 
ist in Stollen und Gegenstollen ausgebildet, deren Me- 
lodie in ouvert- und clos-Schliissen (-> Klausel) endet. 
Auf den Gegenstollen kann ein StrophenabschluB (eine 
oder mehrere Zeilen) folgen, der in der 1st. B. melo- 



disch den Refrain vorausnehmen kann. So ist die B.n- 
Strophe Bone est la dolours von Guillaume le Vinier (vor 
1227) nach dem folgenden typischen Schema gebaut: 

a PySySsaa |3 

AAbcbccaAA 
1st. B.n von Jehannot de L'Escurel sind im Roman de 
Fauvel (-> Quellen: Fauu) uberliefert. Als eine der be- 
vorzugten lyrischen Gattungen des 14. Jh. wurde die 
B. auch mehrstimmig gesetzt. Der Hauptmeister der 
Ars nova-B. ist Machaut,'der neben einer grofien Zahl 
von B .n-Texten 42 Balades notees (ohne Envoi) schrieb, 
da von eine einstimmige, 19 zweistimmige (davon eine 
streng isorhythmisch geformt), 15 dreistimmige, 4 
vierstimmige sowie eine Doppel- und zwei Tripel-B.n. 
Die Strophenform ist jetzt auf das Stollenpaar, den 
StrophenabschluB und eine Refrainzeile reduziert. In 
seinen Riicklauf-B.n nimmt Machaut im Refrain die 
Melodie des Stollenschlusses wieder auf. Die zentrale 
Quelle fur die B. des spaten 14. Jh. ist (neben TuB) die 
Handschrift Ch (-»■ Quellen) mit 70 B.n, davon 1 1 vier- 
stimmige neben durchweg dreistimmigen und 4 Dop- 
pel-B.n. Die mehrstimmige B. des 14. Jh. ist im -*■ Kan- 
tilenensatz komponiert; dabei wird die Oberstimme 
(von einer hohen Mannerstimme) gesungen, Tenor 
und Contratenor (gegebenenfalls auch das Triplum) 
werden instrumental ausgefiihrt. Bei der nach dem 
Vorbild der zeitgenossischen Motette angelegten Dop- 
pel- und Tripel-B. tragen 2 oder 3 Singstimmen ver- 
schiedene, in der Regel franzosische Texte vor. Im 15. 
Jh. ging dieBeliebtheitderB. zuriick, musikalisch glich 
sie sich der Chanson an. Unter den spateren Kompo- 
nisten von B.n ragen heraus Dufay (7 B.n, darunter Se 
la face ay pale) und Binchois. - 2) B. als Gattungsbe- 
zeichnung im Deutschen fiir ein erzahlendes Gedicht 
sagenhaften Inhalts kam in den 1770er Jahren auf und 
ist mehr von der englischen Ballad als von der franzosi- 
schen Ballade beeinfluBt. Die in der 1765 in Schottland 
von Thomas Percy herausgegebenen Sammlung Re- 
liauies of ancient English Poetry enthaltenen alten Volks- 
B.n wirkten in Deutschland auf Herder u. a. in ihren 
Bemiihungen um das Volkslied. Balladeske Lieder fin- 
den sich seit dem Mittelalter im volkstiimlichen Lied- 
gut; ihre groBte Verbreitung liegt im 15./16. Jh. Da- 
bei unterscheidet sich die B. durch die volkstiimlichere 
Haltung von der mehr kunstmaBigen Romanze. Einer 
der ersten, der miindlich iiberlieferte B.n sammelte 
und ihre Melodien notieren lieB, war Goethe (1771). 
Das Ritterliche und Schauerliche dieser B.n kam dem 
Geschmack der Sturm-und-Drang-Epoche entgegen, 
und so entstanden zahlreiche B.n, teils als Umdichtun- 
gen, teils als Neuschopfungen, von denen die bekann- 
teste Burgers Lenore (1774) ist, die mehrfach vertont 
wurde (Kirnberger, Reichardt, Andre, Zumsteeg). Die 
musikalische Form dieser neueren B. ging vom Stro- 
phenlied aus und nahm Einfliisse der Opernszene und 
des Melodramas auf (eingeschobene Rezitative und 
Marsche) mit oft tonmalerischer Klavierbegleitung 
und Verwendung von Leitmotiven. Obwohl auch die 
durchkomponierte B. vielfach vorkommt, scheint 
auch in der B. (z. B. Loewes) die strophische Anlage 
meistens durch und erleichtert damit die Aufnahme 
der meist sehr langen B.n. Die bedeutendsten B.n- 
Komponistcn des spaten 18. und des 19. Jh. sind Zum- 
steeg, Neefe, C.Loewe, Schubert (nach Schiller: Ritter 
Toggenburg, Der Taucher, Die Biirgschaft; nach Goethe: 
Der Sanger, Der Schatzgraber, Der Gott und die Bajadere, 
Der Erlkonig), Schumann (BlondelsLied; nach Chamisso: 
Die rote Hanne), Brahms (nach Uhland: Das Lied vom 
Herrn von Falkenstein) und H. Wolf (nach MSrike: Der 
Feuerreiter). Die bekanntesten Opern-B.n sind die B. 
der Senta in Wagners Derfiiegende Hollander und die B. 



73 



Ballade 



des Warlaam in Mussorgskijs Boris Godunow. Chor- 
B.n schrieben Schumann (op. 67, op. 145 und 146), 
Mendelssohn (Die erste Walpurgisnacht nach Goethe), 
Gade, Bruch, Grieg, Humperdinck, Hegar, Janacek 
und Distler. Die instrumentale B. im 19. Jh. ging zu- 
nachst von literarischen B.n aus, so die ersten Belege 
der Gattung von Chopin (4 B.n fur Kl. op. 23, op. 38, 
op. 47 und op. 52, um 1831-42, wahrscheinlich nach 
Gedichten von Mickiewicz), Brahms (Edward op. 10 
nach Herder), doch sind daneben ganz freie Stiicke vor 
allem fur Kl. als B.n bezeichnet, so von Liszt, Brahms 
und Grieg; fiir V. und Kl. von Vieuxtemps; fur Kl. 
und Orch. von Faure. Die bekannteste B. fiir Orch. ist 
L'apprenti sorrier von Dukas (nach Goethes Der Zau- 
berlehrling). Im spaten 19. Jh. wurden Stiicke verschie- 
dener Besetzung und Form als B.n bezeichnet, die als 
Charakterstiicke in der Nahe der Phantasie, der Rhap- 
sodie oder des Capriccio stehen. 

Ausg.: zu 1): Rondeaux, Virelais u. B., hrsg. v. Fr. Genn- 
rich, I u. II, = Ges. f. romanische Lit. XLIII u. XLVII, 
Dresden 1921 u. Gottingen 1927, III, Das altfrz. Rondeau 
u. Virelai, = Summa musicae medii aevi X (Fundamenta I), 
Langen 1963; G. de Machaut, Mus. Werke I— II, hrsg. v. 
Fr. Ludwig, = PaM I, 1 u. Ill, 1, Lpz. 1926-27 ; DERS.,The 
Works II, hrsg. v. L. Schrade, = Polyphonic Music of the 
Fourteenth Cent. HI, Monaco (1956); Zehn datierbare 
Kompositionen d. Ars nova, hrsg. v. U. Gunther, = Schrif- 
tenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg II, Hbg 1959; French 
Secular Music of the Late Fourteenth Cent., hrsg. v. W. 
Apel, =The Mediaeval Acad, of America, Publications 
LV, Cambridge (Mass.) 1950; G. Dufay, 12 geistliche u. 
weltliche Werke, hrsg. v. H. Besseler, = Chw. XIX, Wol- 
fenbuttel 1932; G. Binchois, 16 weltliche Lieder, hrsg. v. 
W. Gurlitt, = Chw. XXII, Wolfenbiittel 1933; ders., Die 
Chansons, hrsg. v. W. Rehm, = MMD II, Mainz (1957); 
Les musiciens de la cour de Bourgogne, hrsg. v. J. Marix, 
Paris 1937. - zu 2): Engl, and Scottish Popular Ballads, 
hrsg. v. Fr. J. Child, 6 Bde, Boston 1883-98 (Texte); The 
Traditional Tunes of the Child Ballads, hrsg. v. B. H. Bron- 
son, Princeton u. London seit 1959; J. Goss, Ballads of 
Britain, London 1937 ; J. A. Lomax, American Ballads and 
Folksongs, NY 1934; Deutsche Volkslieder mit ihren Me- 
lodien, hrsg. v. J. Meier u. a., Bin seit 1934; Die B., hrsg. v. 
H. J. Moser, = Mus. Formen in hist. Reihen III, Bin 1930; 
Das deutsche Sololied u. d. B., hrsg. v. dems., = Das Mu- 
sikwerk (XIV), Koln (1957). 

Lit. : zu 1) : Recueil d'arts de la seconde rhetorique, hrsg. v. 
E. Langlois, Paris 1902; Fr. Ludwig, Diemehrst. Musik 
d. 14. Jh., SIMG IV, 1902/03; O. Ritter, Die Gesch. d. 
frz. Balladenform, Halle 1914; Fr. Gennrich, Mw. u. ro- 
manische Philologie, Halle 1918; ders., GrundriB einer 
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; ders., Der Ge- 
sangswettstreit im »Parfait du Paon«, Romanische For- 
schungen LVIII/LIX, 1947; E. Hoepffner, Virelais et B. 
dans le Chansonnier d'Oxford, Archivum Romanicum IV, 
1924; W. Gurlitt, Burgundische Chanson- u. deutsche 
Liedkunst d. 1 5. Jh., Kgr.-Ber. Basel 1924 ; E. Dannemann, 
Die spStgotische Musiktradition in Frankreich u. Bur- 
gund, =Slg mw. Abh. XVII, StraBburg 1936; B. Patti- 
son. Music and Poetry of the Engl. Renaissance, London 
1 948 ; W. Apel, Rondeaux, Virelais, and B. in French 1 3 th - 
Cent. Song, JAMS VII, 1954; G. Reaney, G. de Machaut: 
Lyric Poet, ML XXXIX, 1958; ders., The Poetic Form of 
Machaut's Mus. Works I, MD XIII, 1959; ders., The De- 
velopment of the Rondeau, Virelai and Ballad Forms from 
Adam de la Hale to G. de Machaut, Fs. K. G. Fellerer, Re- 
gensburg 1962; U. Gunther, Der mus. Stilwandel d. frz. 
Liedkunst in d. 2. Half te d. 1 4. Jh., Diss. Hbg 1957, maschr. ; 
dies., Datierbare B. d. spaten 14. Jh. I u. II, MD XV, 1961, 
u. XVI, 1962.-zu2): Ph. Spitta, B„ in: Mg. Aufsatze, Bin 
1894; K. Mertens, Die Entwicklung d. engl. u. schotti- 
schen Volksb. im Verhaltnis zu d. danischen Folkewiser, 
Diss. Halle 1920, maschr.; R. Graves, The Engl. Ballad, 
Oxford 1927; G. H. Gerould, The Ballad of Tradition, 
Oxford 1932; M. Axel, Die Klavierb., Diss. Wien 1934, 
maschr.; W. Kayser, Gesch. d.deutschenB., Bin 1936; W. 
J. Entwistle, European Balladry, Oxford 1939 ; ders., No- 
tation for Ballad Melodies, = Publications of the Modern 



Language Ass. LV, 1940; O.Druner, Die deutsche Volksb. 
in Lothringen, = Schriften d. Wiss. Inst. d. ElsaB-Lothrin- 
ger im Reich an d. Univ. Ffm., N. F. XXI, 1939 ; S. Baldi, 
SulPorigine del significato romantico di »ballata«, Annali 
della R. Scuola Normale Superiore di Pisa XIX, 1941 ; S. 
Northcote, The Ballad in Music, Oxford 1942; E. Bouil- 
lon, Zum Verhaltnis v. Text u. Melodie in d. schottisch- 
engl. Volksb., Diss. Bonn 1960, maschr.; Chr. Engel- 
brecht, Zur Vorgesch. d. Chopinschen Klavierb., Kgr.- 
Ber. Warschau 1960. 

Ballad opera (b'aebd 'opaw, engl., »Lieder-Oper«), 
eine Art Liederspiel, das aus gesprochenen Dialogen 
und Liedern bestand, die nach volkstiimlichen (engli- 
schen, schottischen, irischen) Weisen (ballad tunes) und 
bekannten Melodien zeitgenossischer Opernkompo- 
nisten bearbeitet waren. Die Wurzeln der B. o. liegen 
in der wahrend der 2. Halfte des 17. Jh. nach England 
gelangten Dialogoper, im Parodieverf ahren auf Werke 
ernsten Charakters (die dadurch im Lichte des Burles- 
ken und Komischen erschienen) sowie in der satirisch- 
polemischen englischen Komodie. Vor allem um 1730 
entstand eine grofie Anzahl solcher Werke. Der kiinst- 
lerische Hohepunkt der Entwicklung wurde bereits 
Ende der 30er Jahre uberschritten. In der 2. Halfte des 
18. Jh. war man mehr und mehr bestrebt, statt der Bal- 
lad tunes Musik bekannter englischer Komponisten (so 
von S. Arnold, Ch. Dibdin, Th. Linley, St. Storace) auf- 
zunehmen, ohne aber das Verfahren des -»■ Pasticcio 
fallen zu lassen. Im 19. Jh. hatten romantische Oper 
und Operette die B. o. verdrangt. - Das beriihmteste 
Beispiel der Gattung ist J. Gay's The Beggar's Opera 
(Bettleroper; Ouvertiire sowie GeneralbaG fiir die 
Songs von Pepusch, 1728), in der auf allbekannte Me- 
lodien die Liedtexte Gay's mit scharfer sozialkritischer 
Tendenz die Gesellschaft und deren »unnatiirlichen 
Geschmack fiir die italienische Musik« (Swift) persi- 
nierten. Gay-Pepuschs Beggar's Opera wurde mehrfach 
neubearbeitet (1920 von Fr. Austin, deutsch 1928 ; 1948 
von B.Britten, deutsch 1950). Eine vollig neue, mo- 
derne textliche und musikalische Gestaltung des Wer- 
kes durch B.Brecht und K.Weill unter dem Titel Die 
Dreigroschenoper (1928) errang einen Welterfolg. Cof- 
fey's B. O.s The Devil to Pay (1731) und The Merry 
Cobbler (1735) sind von besonderer Bedeutung fiir die 
Geschichte des deutschen Singspiels. 
Ausg.: The Beggar's Opera, hrsg. v. H. Bishop, London 
1 805; Engl. B. O., hrsg. v. J. Oxenford u. J. L. H atton, Lon- 
don 1874; G. Calmus, Zwei Opernburlesken aus d. Roko- 
kozeit, Bin 1912; Ch. E. Pearce, Polly Peachum: the Story 
of »Polly« and »The Beggar's Opera«, London 1 923 ; Faks. 
d. Original-Ausg. d. Beggar's Opera, London 1921, dass., 
Glasgow 1923; The Plays of J. Gay, 2 Bde, London 1923 
(mit Melodien zu »Beggar's Opera« u. »Polly«); Twelve 
Famous Plays of the Restoration and Eighteenth Cent., 
NY 1933; Davison- Apel Anth. II, 264 (2 Stiicke aus The 
Beggar's Opera); Ouvertiire zur Beggar's Opera, hrsg. v. 
J. Horton, London 1960. 

Lit. : G. Calmus, Die »Beggar's Opera« v. Gay u. Pepusch, 
SIMG VIII, 1906/07; W. Barclay Squire, An Index of 
Tunes in the B.-O., Mus. Antiquary II, 1910/1 1 ; G. Tufts, 
B. O. : a List and some Notes, ebenda IV, 1912/13; L. Mel- 
vill, Life and Letters of J. Gay, 1685-1732, London 1921 ; 
W. H. Gr. Flood, The Beggar's Opera, ML III, 1922; Fr. 
Kidson, The Beggar's Opera, Cambridge 1922 ; W. J. Law- 
rence, Early Irish B. O. and Comic Opera, MQ VIII, 1922; 
W. E. Schultz, Gay's »Beggar's Opera«, New Haven 
(Conn.) 1923; A. Nicoll, A Hist, of Early Eighteenth- 
Cent. Drama, 1700-50, Cambridge 1925; J. A. Westrup, 
French Tunes in the »Beggar's Opera« and »Polly«, The 
Mus. Times LXIX, 1928; C. Tolksdorf, J. Gay's »Beg- 
gar's Opera« u. B. Brechts »Dreigroschenoper«, Diss. Bonn 
1934; A. V. Berger, The Beggar's Opera, the Burlesque 
and Ital. Opera, ML XVII, 1936 ; E. M. Gagey, B. O., NY 
1937; W. H. Rubsamen, The Ballad Burlesques and Ex- 
travaganzas, MQ XXXVI, 1950; ders., Mr. Seedo, B. O., 
and the Singspiel, in: Misceldnea en homenaje a H. Ang- 



74 



Ballata 



les II, Barcelona 1958-61 ; G. Handley-Taylor u. Fr. 
Granville Barker, J. Gay and the B. O., in : Hinrichsen's 
9 th Music Book, 1957 (dort auch Bibliogr.). 

Ballata (ital.) ist die zentrale literarisch-musikalische 
Form Italiens in der 2. Halfte des 13. Jh. und im 14. Jh. 
Bereits die friihen Benennungen (seit 1260) - neben b. 
auch danza und canzone a ballo - weisen auf eine Tanz- 
liedform hin. Die fruhe Ausfiihrung der B. bestand im 
Wechsel einer vom Vorsanger gesungenen Strophe 
(stanza) und eines vom Chor regelmaBig wiederholten 
SchluBabschnittes (ripresa). Obwohl Dante in seinem 
Traktat De vulgari eloquentia (»t)ber das Dichten in der 
Volkssprache«) die B. als Gattung der Kanzone ein- und 
dem Sonett nachordnet, ist sie bereits im Dolce stil nuo- 
vo zur Kunstlyrik gerechnet worden. Die altesten B.- 
Texte enthalten die Memoriali Bolognesi (Akten des No- 
tariatsarchivs in Bologna) aus der 2. Halfte des 13. Jh. 
Die Metriker des 14. Jh. (Antonio da -> Tempo und 
1350 Gidino Sommacampagna) verstehen unter B. . 
uberwiegend Liebeslieder, die gesungen und getanzt 
wurden; dabei wurde die Ripresa nach jeder Stanze 
wiederholt. Uber die Auffiihrung der B. im 14. Jh. be- 
richtet Boccaccio in seinem Decamerone, wenn er die 
Tanzspiele beschreibt, mit denen der Tag beschlossen 
wird. Als Domenico da Piacenza sein Tanzlehrbuch 
schrieb (De la arte di ballare ed danzare, 1416), war die 
Bliitezeit der B. als Tanz schon vorbei, wenngleich sie 
als musikalisch stilisierte Form (ohne Tanz) weiter be- 
stand. Der alteste ausfuhrliche choreographische Beleg 
fur die B. stehtbei G. delVirgilio(J7Dia|jfom<s, III. Cap., 
urn 1314; mitgeteilt: AMI XXXI, 1959, S. 33f.). Das 
Beispiel einer friihen B. - vermutlich bald nach 1266 
entstanden - gibt der Florentiner Dichter Guido von 
Arezzo (Vegna, vegna chi vol giocurtdare). Die B. tritt, 
ebenfalls einstimmig, in enge Verbindung zu den Lau- 
den (lauda-b.). Die chorische Ausfiihrung der Ripresa 
(auch ritornello) verschwand allmahlich, und die B. 
wurde auf dem Wege dieser Oberformung durch die 
->• Lauda zu einer hochst verfeinerten musikalisch- 
literarischen Form. Die B. loste sich jedoch bald wieder 
aus ihrer geistlichen Bindung (friihes 14. Jh) und nahm 
uberwiegend Stoffe aus der Liebesdichtung zum Vor- 
wurf. - Die B. hatte von jeher hohes Ansehen unter 
den Dichtern des Dolce stil nuovo. Sie stieg im 14. Jh. 
zur zentraleri Form der verfeinerten weltlichen Musik 
auf und verdrangte im 14. Jh. die beiden, ebenfalls der 
hoheren Gesellschaftsschicht zugehorenden Formen 
des Madrigals und der Caccia. Von Instrumenten (be- 
sonders Viola und Laute) begleitet, wurde die B. zum 
Tanz wie auch als nur musikalisch dargebotenes Stuck 
verwendet. Ihr musikalischer Aufbau entspricht der 
metrischen Form des Textes. Die B. wird eingeleitet 
von einer Ripresa, die 1-5 Verszeilen umfaBt. Daran 
schlieBt sich die Stanza an, die sich in 2 Piedi (oder Mu- 
tationi) und eine Volta (metrisch gleich der Ripresa) 
gliedert. Der uberwiegende B.-Vers ist der 7- oder 
HSilbler. Schema: 

Chor 

Solist 
(Stanza) 

Chor 

Die Theoretiker unterscheiden als B.-Typen 6 Grund- 

formen nach der Verszahl der Ripresa: 

B. minima Ripresa besteht aus einem 7Silbler 

B. piccola Ripresa besteht aus einem HSilbler 

B. minore Ripresa besteht aus 2 Verszeilen 

B. mezzana Ripresa besteht aus 3 Verszeilen 

B. grande Ripresa besteht aus 4 Verszeilen 

B. stravagante Ripresa besteht aus 5 Verszeilen 



Text 


Musik 


A A = Ripresa 
b c = 1° piede 
b c = 11° piede 
x a = Volta 
A A = Ripresa 


a p 

Y S (verto = HalbschluB) 

a p 

a p (chiuso = Ganzschl.) 



(vokal) 



Mit der Wiederkehr der Ripresa wird dem H6rer der 
Leitgedanke, die Sentenz oder Moral, eingescharft, 
worauf der Solist in seinen Stanzen durch Begriindung, 
Spezifikation oder Abwandlung Bezug nimmt. Die 
Ripresa bildet inhaltlich und formal (Reim, VersmaB, 
Rhythmus, Melodie) den Kern der B. Aufbau und Ter- 
mini der Stanze kommen von der Kanzonenstrophe 
(piede und volta). Dieser Aufbau gilt fur die ein- und 
mehrstimmigen Formen der B. und entspricht dem 
franzosischen -»■ Virelai, von dem die franzosische Ba- 
lade (-> Ballade) unterschieden ist. - Die Stimmenan- 
ordnung der mehrstimmigen B. ergibt folgendes Bild 
(C = Cantus, CT = Contratenor, T = Tenor) : 

2st. : L, / VO i, a 1 v 3st. : CT (instrumental) 
li (vokal) [ T (yokal) 

Zuweilen ist sie auch von der italienischen -*■ Caccia 

bestimmt: ^ m ■ s 
rC (Primus) 

rlc (Secundus) 

I T (instrumental) 

Die B. als lyrische Form der Dichtung wird um 1365 
zur wichtigen Vorlage £iir die mehrstimmige Kompo- 
sition. Ob die Textwahl auf Dante, Petrarca oder auch 
auf Kiinstler geringeren Ranges fiel, war gleichgiiltig, 
wenn nur der mehrstimmige Satz den hohen Ansprii- 
chen geniigte. An Komponisten ragen hervor Andrea 
dei Servi (f 1415: 30 Werke, ausschliefilich Ballate), 
Paolo da Firenze, Niccolo da Perugia (41 Werke, da- 
von 21 Ballate, 20 mehrstimmig, eine einstimmig), 
Donato da Cascia und der Dichter-Musiker Fr. -*■ Lan- 
ding der allein 141 Ballate (92 zweistimmig und 49 
dreistimmig, von seinen insgesamt 154 Werken) 
schrieb. - Musikalische Wesenszuge der B. sind: ver- 
zierte Oberstimme - ruhige Unterstimme(n), rhyth- 
mische Unabhangigkeit der Stimmen, gelegentlicher 
Mensurwechsel innerhalb ein und derselben Kompo- 
sition, das Fehlen symmetrischer Periodenbildung so- 
wie tanzartiger Rhythmik. - Im 15. Jh. finden sich von 
der musikalischen B. nur noch wenige Spuren, dage- 
gen ist sie als rein literarische Form ofter anzutreffen 
(vereinzelt auch noch im 16. Jh.). Als eine literarisch 
wiederbelebte Spatform der B. erscheint um 1500 die 
-»• Frottola, deren homophone Satzanlage von der B. 
des 14. Jh. wesentlich unterschieden ist. 
Ausg. : J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation, II— III, Lpz. 
1904; ders., Die Rossi-Hs. 215 . . ., JbP XLV, 1938; Der 
Squarcialupi-Codex Pal. 87 d. Bibl. Medicea Laurenziana 
zu Florenz, hrsg. v. dems., Lippstadt 1955 ; N. Pirrotta, II 
Sacchetti e la tecnica mus., Firenze 1935 ; ders., The Music 
of Fourteenth-Cent. Italy I, = CMM VIII, 1954 (1st. B. d. 
Gherardellus de Florentia), II, 1960 (1st. B. d. Codex Ros- 
si), III, 1962 (B. v. Laurentius Masii de Florentia, Donatus 
de Florentia u. Anonymi) ; Fr. Landini, The Works, hrsg. 
v. L. Ellinwood, Cambridge (Mass.) 1939; F. Ghisi, Ital. 
Ars Nova Music, Journal of Renaissance and Baroque 
Music 1, 1 946/47 ; Davison-Apel Anth. 1, 51 u. 53 (Giov. da 
Florentia u. Fr. Landini); 3 B. in: Die ma. Mehrstimmig- 
keit, hrsg. v. H. Husmann, = Das Musikwerk IX, Koln 
(1955); The Works of Francesco Landini, hrsg. v. L. Schra- 
de, = Polyphonic Music of the Fourteenth Cent. IV, Mo- 
naco (1958) ; C. Corsi, Madrigale e b. inedite del Trecento, 
in : Belfagor XII, Florenz 1959. 

Lit. : Antonio da Tempo, Trattato delle rime volgari, hrsg. 
v. G. Grion, Bologna 1869; Gidino Sommacampagna, 
Trattato dei ritmi volgari, hrsg. v. G. B. Giuliari, Bologna 
1 870 ; E. Monaci, Per la storia della b., Rivista critica della 
letteratura ital. I, 1884; S. Benedetti, Un trattatello del s. 
XIV sopra la poesia mus., Studi medievali II, 1906/07; H. 
Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920; G. Car- 
ducci, Archeologia poetica, Bologna 1908 ; D. Alaleona, 
Le laudi spirituali ital. nei s. XVI e XVII e i loro rapporti 
coi canti profani, RMI XVI, 1909; E. Levi, Cantilene e b. 
dei s. XIII e XIV, Studi medievali IV, 1912/13 ; P.-M. Mas- 
son, Chants du carnaval florentin, Paris 1914; M. Schnei- 



75 



Ballet de cour 



der, Die Ars Nova d. XIV. Jh. in Frankreich u. Italien, 
Potsdam 1 930 ; N. Pirrotta, Lirica monodica trecentesca, 
Rass. mus. IX, 1936; K. Vossler, Die Dichtungsformen d. 
Romanen, hrsg. v. A. Bauer, Stuttgart 1951 ; K. v. Fischer, 
Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen Quattrocento, 
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden 
Ges. II, 5, Bern (1956); L. Meierhans, Die B., = Studio- 
rum Romanicorum Collectio Turicensis, Bern 1956; W. 
Th. Marrocco, The B. - A Metamorphic Form, AMI 
XXXI, 1959. 

Ballet de cour (bal's cbku :r, f rz., Hofballett) zwischen 
1580 und 1660 ein prachtvoll ausgestattetes Ballett 
mit Vokal- und Instrumentalmusik, vornehmlich am 
Hofe der franzosischen Konige, mit mythologischem 
Stoff, allegorischem Charakter und einer pantomi- 
mischen Leitidee, wobei die »Verzauberung« ein wich- 
tiger Gegenstand war. Dem B. de c. ist zunachst 
ein aristokratisch-dilettantischer Grundzug eigen, nur 
wenige Berufstanzer wurden herangezogen, wahrend 
die Hauptmitwirkenden der hofischen Gesellschaft an- 
gehorten; z. B. wirkte Ludwig XIV. in einer ganzen 
Reihe von Balletten personlich mit. Spater vollzog 
sich im B. de c. eine sozialgeschichtlich und kiinstle- 
risch eingreifende Veranderung ; es wurde zum Schau- 
tanz gegen Eintrittsgeld und damit halboffentlich zu- 
ganglich. Die Ausf-iihrenden waren jetzt durchweg Be- 
rufstanzer. Diese Wandlung fiihrte zu einem groBen 
kiinstlerischen Aufstieg der Tanzkunst iiberhaupt. - 
Wichtig fiir das B. de c. sollten die asthetischen Be- 
strebungen von Bai'fs Academie de Poesie et de Mu- 
sique werden. Das B. de c. bestand aus der Ouvertiire, 
der die einzelnen -s- Entrees (hochstens 5 Szenen) folg- 
ten, und dem Grand ballet. Chants und->- Recits waren 
im einf achen 4-5st. Satz oder einstimmig angelegt. Die 
Musik wurde zum Teil von den agierenden Personen 
(vokal) und zum Teil von einem Orchester auBerhalb 
der Biihne (Begleitung, Tanzmusik) ausgefiihrt. Das 
friiheste iiberlieferte B. de c. ist das Balet comique de la 
Royne (1581). Die Choreographie (ordonnances geo- 
metriques) entwarf der Italiener -v Baltazarini, die 
Musik schrieben Lambert de Beaulieu und Jacques 
Salmon. Eine deutsche Nachahmung des B. de c. war 
das Singballett. 

Ausg. : Balet comique de la Royne 1581, hrsg. v. G. A. 
Caula, Turin 1963. 

Lit.: H. Prunieres, Le b. de c. en France avant Benserade 
et Lully, Paris 1914 (darin auch S. 25 1 ff. N A v. La Delivran- 
ce de Renaud) ; ders., Ronsard et les fetes de cour, RM V, 
1924; W. Storz, Der Aufbau d. Tanze in d. Opern u. Bal- 
letts Lully's, Diss. Gottingen 1928 ; M. Paquot, Les etran- 
gers dans le b. de c, Rev. du 16 e s. XIX, 1932; N. Ivanoff, 
Les fetes a la cour des derniers Valois, ebenda ; P. Melese, Le 
theatre et le public a Paris sous Louis XIV (1659-1715), 
Paris 1934; J. Gregor, Kulturgesch. d. Balletts, Wien 
1946; J. Rousset, La lit. de l'age baroque en France, Paris 
1953 ; Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Pa- 
ris 1956; M. M. McGowan, L'art du b. de c. en France 
(1581-1643), Paris 1963. 

Ballett (von ital. -> balletto, Diminutiv von ballo, 
->■ Tanz ; engl. und frz. ballet) ist eine in der Regel mit 
Musik verbundene Tanzdarbietung. Diese erscheint 
unter vielfaltigen Aspekten, denen stets zwei Kompo- 
nenten gemeinsam sind, die kiinstlerisch stilisierte Kor- 
perbewegung und der Bezug auf ein Publikum; sie 
kann als Tanzeinlage in Biihnenwerken sowie als selb- 
standige Tanzgattung auftreten. Dariiber hinaus be- 
zeichnet B. die Komposition und die Gesamtheit der 
ausfiihrenden Tanzer. - Vorstadien solcher Tanzdar- 
bietungen in der Neuzeit finden sich in den festlichen 
Aufziigen der Renaissance, vom allegorischen Huldi- 
gungsspiel bis hin zum Trionfo oder zur Entree solen- 
nelle, im Maskenspiel (-> Masque) und ->■ Interme- 
dium. Wesentliche Ausgangspunkte liegen auch im 



mittelalterlichen Volkstheater, vor allem aber im italie- 
nischen und franzosischen -*■ Gesellschaftstanz des 14. 
und 15. Jh. In Italien erschienen im 14./15. Jh. die 
ersten Tanzbiicher, verfafit von Tanzmeistem wie 
-»■ Guglielmo Ebreo oder C. ->• Negri, mit deren Wir- 
ken die Entwicklung des akademischen Tanzes begann. 
Ausbau und Versuche zur Festlegung des Schrittma- 
terials im Sinne einer -> Choreographie (Arbeau, 
Feuillet) erfolgten in Frankreich. Tanzerische Auffiih- 
rungen, deren Sujets meist der griechischen Mythologie 
entnommen sind, waren schon im 15. Jh. in Komodien 
und Tragodien oder bei Hoffestlichkeiten in Italien 
und Frankreich nicht selten (Tanzspiel 1473 zu Castel 
Gandolfo; Mailander »Hochzeitstafelschauspiel« 1488). 

- Nach 1580 entstand am franzosischen Hof das ->■ Bal- 
let de cour, in dem alle Elemente des hofischen Fest- 
zugs und des Maskenspiels vereinigt sind. Mit Balta- 
zarinis Balet comique de la Royne (1581) kann vom Be- 
ginn einer franzosischen B.-Kunst im Sinne einer 
theatralischen Gattung gesprochen werden. Hohe- 
punkte des franzosischen Hof-B.s in der 2. Halfte des 
17. Jh. waren Les muses (1667) und Les TrioMphes de 
V Amour von Lully (1681 ; zum ersten Mai traten hier 
Berufstanzerinnen auf). - Seit Anfang des 17. Jh. wur- 
den in Frankreich auch volkstumliche Arten des B.s 
gepflegt, so das Ballet comique (oder Ballet a scenes 
declamees) und das Ballet mascarade, das im Laufe sei- 
ner Entwicklung dutch dramatische und lyrische Buh- 
nenszenen zum Ballet melodramatique erweitert wur- 
de, wie eines der vollendetsten dieser Art, La dilivrance 
de Renaud (1617) von Guedron, Boesset und Bataille. 
In den 20er Jahren des 17. Jh. entstand auch eine Art 
von Maskeraden, die burleske Stoffe bevorzugten und 
noch in der 2. Jahrhunderthalfte unter der Bezeich- 
nung Ballet a entree beliebt waren. Diese Ballets a 
entree setzten sich aus mehreren Teilen zusammen, 
deren jeder im Aufbau dem Ballet mascarade (namlich: 
Anfangs-Recit, Entrees, SchluBchor, auch -pantomi- 
me) entsprach, wie das Ballet des Fees des Forks de St. 
Gervais (1625). 1664 begann die Zusammenarbeit 
von Moliere und Lully auf dem Gebiet der -*■ Come- 
die-ballet. Nach 1673 gingen wesentliche Ziige des 
Ballet de cour in die ->■ Tragedie lyrique ein. Gegen 
Ende des 17. Jh. entstand auch das -*■ Opera-ballet. - 
In Italien war das B. zuerst Teil eines Intermediums 
und wurde dann selbst Intermedium innerhalb der 
Kunstgattung der Oper. Bereits Ende des 16. Jh. wur- 
de die -> Moresca zum B. -Intermezzo. In diesem Sinne 
sind die Moresken in Cavalieris Rappresentazione di 
anima e di corpo (1600) und in Monteverdis Orfeo (1607) 
zu verstehen. Im 17. jh. lieferten Cavalli, Sacrati, Rossi 
bedeutende Beispiele. Ein B. im Stil der hofischen 
Maskenspiele komponierte bereits Monteverdi mit den 
Scherzi musicali (1607). 1608 wurde sein Ballo dell'Ingrate 
aufgefiihrt, der sich an das Vorbild des franzosischen 
Ballet de cour anschlieBt und bereits den neuen Typ 
des Balletto melodrammatico darstellt. La liberazione di 
Ruggiero . . . von Fr.Caccini (1625), eine Verbindung 
von Choroper und reich ausgestattetem B., blieb fiir 
ein Jahrhundert Vorbild fiir die festliche Barockoper. 

- In Deutschland waren es vor allem die Hofhaltungen 
in Wien und Miinchen, dann Stuttgart (mit dem ersten 
nachweisbarcn deutschen B. zur Hochzeit Herzog Jo- 
hann Friedrichs 1609), Dresden, Heidelberg, Halle, 
Hannover, Kassel und Braunschweig, wo szenische 
B.e auf der Biihne oder im Freien mit Instrumentalmu- 
sik, Sologesang und Choren als ->- Festmusik aufge- 
fiihrt wurden. Diese B.e verbanden starke franzosische 
(Ballet de cour), italienische (Intermedium) und ein- 
heimische Elemente (Ringrennen, Jagden, Tumierauf- 
ziige). In Wien, wo sich schon in der 1. Halfte des 17. 



76 



Ballett 



Jh. die Opern- und B.-Kunst in besonders groBer 
Pracht entfaltete, komponierten Musiker wie W.Eb- 
ner oder J.H. ->■ Schmelzer zahlreiche B.e. Die B.- 
Einschiibe in den Zwischenakten und am SchluB von 
Opern bildeten auch hier in erster Linie franzosische 
und italienische Tanze (Allemande, Courante, Galliar- 
de, Gigue, Bourree, Bransle, Chaconne, Passacaglia). - 
Besondere Hohepunkte hofischer B.-Kunst stellten 
die Militar-, Tumier- oder RoB-B.e (balletto a cavallo) 
dar, so in Italien Laguerra d'amore (1616) mit der Musik 
von G. B. Signorini, G. Del Turco, P. Grazi und J. Peri ; 
in Wien 1667 Germania esultante von Cesti. Die Ein- 
fuhrung des B.s (als mythologisches, historisches oder 
Marchen-B.) in die Oper, mit deren Handlung es oft 
in keinem Zusammenhang stand, f iihrte zu einer sche- 
matischen Erstarrung der Gattung. Der Wunsch nach 
der Wiedergeburt des B.s aus dramatischem Geist rief 
im 18. Jh. Reformversuche hervor. Die entscheidenden 
Neuerungen, die parallel mit Glucks Reformen der 
Oper lief en, kamen durch den Franzosen J. G. ->■ No- 
verre, daneben durch den Italiener G. ->• Angiolini, 
Schiiler des osterreichischen Choreographen Franz Hil- 
verding von Weven (1710-68). Noverre setzte in sei- 
nem Ballet d'action (»Handlungs-B.«) das Libretto ei- 
nes (in Akte geteilten, oft bereits vorhandenen Wort-) 
Dramas ohne Hilfe des gesprochenen oder gesungenen 
Textes in Tanzbewegungen und Pantomime um. 1760 
heiBt es in Noverres fiir die B.-Kunst Europas grund- 
legenden Lettres sur la danse, et sur les ballets in Lessings 
Ubersetzung : »BefleiBet euch einer edlen Pantomime, 
vergesset nie, daB sie die Sache eurer Kunst ist ... « 
Der Musik weist Noverre eine dienende, untermalen- 
de Rolle zu. Er versuchte, in zahlreichen Choreogra- 
phien, von denen viele in Kompositionen bekannter 
Musiker (Fl.G. -» Deller; J.J.Rudolph; W.A.Mozart, 
Lespetits riens, 1778) aufgefiihrt wurden, seine Plane zu 
verwirklichen. In den von Fr. Aspelmayr und J. -»■ Star- 
zer komponierten Tanzdramen kam Noverre seinen 
Zielen am nachsten. G. Angiolini choreographierte 
1761 (ein Jahr nach den Lettres Noverres) Lefestin de 
Pierre (Don Juan, nach Moliere) mit der Musik von 
Gluck, die erste B.-Pantomime, in der Szenarium, Mu- 
sik und Choreographie vollkommen ubereinstimmen. 
Einen Hohepunkt ihrer Entwicklung findet die B.- 
Pantomime bei S. -> Vigano. Fiir ihn schrieb Beetho- 
ven die Musik zu Die Geschopfe des Prometheus (1801). 
An bedeutenden Choreographen der 2. Halfte des 18. 
Jh. seien noch genannt : der Angiolini-Schiiler Vincen- 
zo Galeotti (1733-1816), dessen B. »Die Launen Cupi- 
dos und des Ballettmeisters« noch heute mit der Musik 
von Jens Lolle in der uberkommenen Originalchoreo- 
graphie in Kopenhagen getanzt wird; der Noverre- 
Schtiler Jean Dauberval (1742-1806; von ihm stammt 
das 1786 uraufgef iihrte und heute noch zum internatio- 
nalen Repertoire zahlende B. Lafille mal gardie). Die 
beiden grofien franzosischen Ballerinen waren Maria 
Camargo (1710-70; sie schuf das Tutu, das kurze B.- 
Rockchen) und Maria Salle (1710-56), die erste bedeu- 
tende Tanzerin in der B.-Pantomime. Die Salle errang 
auch gfoBe Erfolge in London, wo Handel fiir sie und 
ihre Tanzgruppe u. a. den B.-Prolog Terpsichore zu sei- 
nem umgearbeiteten Pastor fido (1734) schrieb. 
Fiir die Entwicklung des B.s und der B.-Technik im 
19. Jh. waren C. de -»- Blasis und E. ->■ Cecchetti be- 
deutend. Maria -» Taglioni verhalf mit ihrer Interpre- 
tation der Titelrolle in La Sylphide (1832) mit der Mu- 
sik von Jean Schrieitzhoeffer, einem typischen Mar- 
chen-B., dem romantischen Stil zum Durchbruch. Mit 
ihr begann sich der Spitzentanz durchzusetzen. Den Ge- 
'gentyp zur Taglioni, die eine echte sdanseuse aerienne« 
war, stellt Fanny -»■ ElBler dar als eine ihre Tanze mit 



dramatischer Ausdruck$kraft gestaltende »danseuse 
terre a terre«. Als Typ zwischen diesen beiden stand 
Carlotta ->■ Grisi, die 1841 in Paris die Hauptrolle in 
dem B. Giselle von A. Adam kreierte, das sich bis heute 
im Repertoire gehalten hat. - Das B. wurde in der 1. 
Halfte des 19. Jh. vielfach von 3 auf 4 und 5 Akte er- 
weitert; es umfaBte bis zu 20 Musiknummern, die for- 
mal auf Tanze wie Walzer, Polka, Fandango, Mazurka 
und B.-Bewegungsablaufe wie Adagio, Pas de deux, 
Pas de trois usw. zuriickgreifen (Auber; Fr.Benoist; 
M.Costa; L.-J.-F.Herold; Th.Labarre). Von den zahl- 
reichen in der 2. Halfte des 19. Jh. entstandenen B.- 
Musiken (u. a. von Widor und Messager) sind heute 
noch im B.-Repertoire: Delibes' Coppilia (1870.; Cho- 
reographie von A. ->• Saint-Leon) und Sylvia (1876). 
Zu erwahnen ist auch J. Bayers Erfolgs-B. Die Puppen- 
fee (1888) und auf dem Gebiet des Opern-B.s das dra- 
maturgisch ganz mit der Opernhandlung verwobene 
B. in Saint-Saens Samson et Dalila (1877). - In RuBland 
wurde bereits 1738 in St. Petersburg eine kaiserliche 
B.-Schule gegriindet (erster Direktor J.-B.Lande, 
f 1746). 1810 kam Didelot nach St. Petersburg, wo er 
bis 1811 und dann 1816-28 tatig war und das russische 
B. im Sinne Noverres erneuerte. Die besten Grundzii- 
ge der sensibleren franzosischen und der im Stil robu- 
steren italienischen Schule wurden vereinigt. Nach 
dem Krieg von 1812 entstanden in RuBland zahlreiche 
B.e, so von A.Aljabjew, A.G.Warlamow und C. 
->• Pugni. Zu nennen sind auch L. -*■ Minkus und R. 
-»■ Drigo. Der franzosische Choreograph M. -> Petipa 
f orderte entscheidend die Entwicklung in streng kon- 
servativem Rahmen mit Betonung des Marchenhaf ten 
und einer »Poetisierung« der Tanztechnik. Seine be- 
deutendsten choreographischen Leistungen waren 
Tschaikowskys B.e »Dornroschen« (1890), »Der NuB- 
knacker« (1892) und »Schwanensee« (1894) sowie Gla- 
sunows Rajmonda (1897). 

Die Einleitung einer neuen Epoche der B.-Kunst iiber- 
haupt lag in der Zusammenarbeit des russischen Im- 
presarios S. -> Diaghilew mit einer Reihe bedeutender 
Choreographen und Tanzer (M. -> Fokin, W. -> Ni- 
schinskij und dessen Schwester Bronislawa, B. -*■ Koch- 
no, L. ->■ Massin, G. -> Balanchine, S. -> Lifar, Ta- 
mara -» Karsawina, Alexandra -> Danilowa, Alicia 
->■ Markova) und Schriftsteller (Jean Cocteau), Maler 
(Bakst, Braque, Chirico, Derain, Matisse, Picasso, 
Utrillo) und Musiker begriindet. Ihr Ziel war eine Art 
Gesamtkunstwerk aus Poesie, Musik, Tanz und Ma- 
lerei, das die kunstlerischen Stromungen der Zeit in 
der Formstrenge des B.s zusammenfassen sollte. Dia- 
ghilews B.-Truppe, Ballet russe genannt, der kurze 
Zeit auch die beruhmte Anna ->■ Pawlowa angehorte, 
trat 1909 zum ersten Mal auf und untemahm alsbald 
groBe Gastspielreisen. Nach dem 1. Weltkrieg stellte 
Diaghilew sein B. in Frankreich neu zusammen. Unter 
Beibehaltung der traditionellen Tanztechnik erweiter- 
te Fokin die choreographische Kunst, indem er Anre- 
gungen des von Isadora -> Duncan propagierten neuen 
»Ausdruckstanzes« aufnahm und dem Corps de ballet 
individuellere Aufgaben •zuteilte. Fokin forderte, fiir 
jeden einzelnen Fall eine neue Bewegungsform zu fin- 
den, anstatt Kombinationen von fertigen Schrittfor- 
men zu verwcnden. - In den 20 Jahrcil seines Bertehcns 
brachte das Diaghilew-B. rund 60 B.e heraus, unter 
denen die von Strawinsky an hervorragender Stelje 
stehen. Die erste Phase Strawinskys war getragen von 
den 3 B.en »L'oiseau de feu« (1910; Choreographie: 
Fokin), Petrouchka-(\9\\; Fokin) undLe Sacre du Prin- 
temps (1913; Nischinskij). In tiieser Folge lag eine fiir 
die Entwicklung der B.-Musik (und Strawinsky selbst) 
bedeutende Losung vom Impressionismus, in der Ver- 



77 



Ballett 



arbeitung folkloristischer Elemente und in der Steige- 
rung in eine vom Tanz gepragte vitale Rhythmik. 
Nach Strawinskys B. Le Sacre und Saties »kubistischem 
Manifest« Parade (1917; Massin) trat in der B.-Musik 
und Choreographic eine Wendung zum Klassizismus 
ein, die schon bei Strawinskys Pulcinella (1920; Massin) 
und Les Noces (1923) zu beobachten ist und in spateren 
Werken wie Apollon musagke (1928; Balanchine) und 
vor allem dem formstrengen Jeu des Cartes (1937), mit 
dem die Zusammenarbeit Strawinskys mit Balanchine 
in eine neue Phase trat, sich bestatigt. Von den fur 
Diaghilews Ballet russe komponierten B.en seien noch 
genannt: Ravel, Daphnis et Chloe (1912; Fokin); De- 
bussy, Jeux (1913; Nischinskij) ; R.Strauss, »Mimo- 
dram« Josephslegende (1914; Fokin) ; de Falla, Le tricome 
(»Der Dreispitz«, 1919; Massin); Respighi-Rossini, La 
boutique fantasque (1919; Massin); Prokofjew, »Le 
Chout« (1921; Larinow) und L' 'Enfant prodigue (1929; 
Balanchine); Milhaud, Le train bleu (1924; Br.Ni- 
schinska) ; Poulenc, Les Biches (1925 ; Br. Nischinska) ; 
Auric, Les Fdcheux (1924; Br. Nischinska) und Lei Ma- 
telots (1925; Massin). - Fur das B. von Ida -> Rubin- 
stein schrieb Debussy Le Martyre de Saint Sebastien 
(1911 ; Text von d'Annunzio), Strawinsky Le baiser de 
la fee (1928). - An der Pariser Oper erneuerte (ab 1929) 
Serge -> Lifar das franzosische Opern-B. und choreo- 
graphierte neben den Repertoire-B.en hervorragende 
avantgardistische Stiicke, so Prelude dominical (1931) 
von G.Ropartz, Bacchus et Ariane (1931) von Roussel, 
Sur le Borysthene (1932) von Prokofjew und L'Orchestre 
en Liberie von Sauveplane. Meisterchoreographien 
schuf Lifar mit Le Chevalier et la Demoiselle (1941) von 
Ph. Gaubert, Joan von Zarissa (1942) von W.Egk, Les 
Mirages (1947) von H.Sauguet und Phedre (1950) von 
Auric. Mit Icarus (1935) begann Lifar Versuche mit 
B.en ohne Musik. In England haben grofie Verdienste 
um die Entwicklung des modernen B.s Marie Rambert 
(* 1888), die 1931 in London den Ballet Club (spater 
Ballet Rambert genannt) griindete, und Ninette de Va- 
lois (* 1898), die (ebenfalls 1931) das Vic Wells Ballet 
(spater Sadler's Wells Ballet) mitbegrundete. Von 
Vaughan Williams brachte Ninette de Valois 1931 das 
B. Job heraus, 1935 The Rake's Progress von G. Gordon, 
1937 Checkmate von A. Bliss. An englischen Tanzern 
und Choreographen haben internationalen Ruf u. a. 
Margot -> Fonteyn, Moira -»■ Shearer, Fr. -*■ Ashton, 
R. -> Helpman, Anthony Tudor (* 1909), der Lilac 
Garden (1936) von Chausson und Undertow (1945) von 
W. Schuman herausbrachte, Andree Howard (* 1910), 
eine der bedeutendsten Personlichkeiten aus dem Ballet 
Rambert (Paris Soir, 1932, von Poulenc; Croquis de 
Mercure, 1938, von Satie; Lady into Fox, 1939, von 
Honegger), Walter Gore (* 1910), ebenfalls aus der 
Rambert-Schule (La damnee, 1951, von S.Barber; 
Carte blanche, 1953, von John Addison), Kenneth 
MacMillan (Diversions, 1961, von A. Bliss). - In den 
USA setzte um 1930 die Entwicklung des modernen 
B.s ein. GroBen EinfluG hatten Vertreter des Ausdrucks- 
tanzes, Isadora -> Duncan, Ruth St. Denis (mit Ted 
Shawn) sowie Martha -*■ Graham, fur die eine Reihe 
bekannter Komponisten B.e schrieben, so Milhaud 
(Jeux de Printemps, 1944), Hindemith (Herodiade), Cop- 
land, S.Barber, Chavez, Hunter Johnson, Menotti, 
McBride, W. Schuman. Fur die Choreographen Doris 
Humphrey und Charles Weidmann komponierten 
Riegger, Lloyd und A.L.Engel B.e. Hervorragende 
Choreographien schufen auch Agnes de -> Mille so- 
wie Jerome Robbins (* 1918), fur den L.Bernstein 
Fancy Free (1944) und The Age of Anxiety (1953) und 
M. Gould das von Jazzelementen belebte Interplay 
(1945) schrieben, ferner Ruth -> Page (Americans in 



Paris von Gershwin, 1936; The Bells von Milhaud, 
1946). Zu nennen sind u. a. auch die Choreographen 
Todd Bolender, William Dollar und B.Stone. - 1934 
griindeten Lincoln Kirstein und Edward M.Warburg 
in New York die School of American Ballet, die im 
gleichen Jahr als American Ballet unter Balanchine 
auch B.e zu produzieren begann. 1948 ging die Truppe 
im New York City Ballet auf . Balanchine entwickelte 
als Leiter des New York City Ballet einen eigenen, 
neoklassizistischen amerikanischen B.-Stil, in dem 
klassisch-akademischer Tanz Petersburger Herkunft 
mit Elementen des amerikanischen Modern dance ver- 
bunden sind. Kennzeichnend ist fur Balanchine die 
Hervorhebung des rein Tanzerischen, das Zuriick- 
drangen oder der Verzicht auf pantomimische Dar- 
stellung, literarische Vorwurfe oder Handlung. We- 
sentlich fur Balanchines choreographisches Schaffen 
wurde die Zusammenarbeit mit Strawinsky, als Hohe- 
punkte Orpheus (1948) und Agon (1957). - Um das 
schwedische B. erwarb sich in neuerer Zeit Rolf de 
->■ Mare Verdienste. Mit dem Choreographen Jean 
Borlin (1893-1930) griindete er 1920 in ParisdieBallets 
Suedois, die als avantgardistisches Ensemble bekannt 
waren. Honegger schrieb fur die Ballets Suedois Skating 
Rink (1922), Milhaud La creation du monde (1923). - 
Neue Moglichkeiten erschlossen dem B. in Europa 
Tanzer und Choreographen wie A. von -> Milloss, 
Janine -> Charrat (Milhaud, Adame Miroir, 1948), R. 
-+ Petit (Ibert, Les Amours de Jupiter, 1946; J.Francais, 
Les Demoiselles de la Nuit, 1948), Jean Babilee (* 1923) 
und Maurice Bejart (* 1928), der mit seinem seit 1960 
am Theatre Royal de la Monnaie in Briissel bestehen- 
den Ballet du XX' me Siecle experimentierfreudige 
Choreographien bietet, so das Tanzdrama Orphie mit 
der Musik von Pierre Henry (* 1927), das B. Gala mit 
Musik von G.Confalonieri oder die Symphonie pour un 
homme seul von P.Henry und P.Schaeffer. - In der 
UdSSR wird die grofie russische B.-Tradition intensiv 
weitergepflegt. Agrippina Jakowlewna Waganowa 
(1879-1951) machte sich um die Heranbildung einer 
neuen Tanzer-Generation verdient. Neben ihr ist Olga 
Lepeschinskaja (* 1916) als Padagogin zu nennen. Das 
Bolschoi-B. in Moskau (die eng mit ihm zusammen- 
arbeitende Staatliche Choreographenschule ist mit iiber 
200 Tanzern bzw. 300 Studierenden das groBte B.- 
Institut der Welt) bereist seit 1950 auch westliche Lan- 
der. Das Bolschoi-B. zeichnet sich aus durch groBe 
Ensembledisziplin und virtuose Technik, verbunden 
mit emotionaler Ausdruckskraft. Daneben gibt es in 
der UdSSR weitere B.-Truppen sowie zahlreiche 
Volkstanzensembles. Vielfach wurden auf lebensnahe 
(oft realistische) Libretti symphonisch breit ausgebaute 
B.e - in Fortsetzung der von Tschaikowsky begonne- 
nen Linie - geschrieben. Glieres »Roter Mohn« (1927; 
nach einem Stoff aus dem Befreiungskampf des chine- 
sischen Volkes) war die erste groBe B.-Schopfung des 
sozialistischen Realismus. Genannt seien auch: B. W. 
Assafjew, »Der Gefangene aus dem Kaukasus« (1938); 
Chatschaturjan, Gajaneh (1942), »Spartacus« (1956); 
A.A.Krejn, Laurencia (1937), Tatjana (1947); Prokof- 
jew, »Romeo und Julia« (1940), »Aschenbrodel« (1945), 
»Das Marchen von der steinernen Blume« (1954); 
Schostakowitsch, »Das goldene Zeitalter« (1930), »Der 
Bolzen« (1931). -InDeutschlandentwickelteR.v.-* La- 
ban den sogenannten »Ausdruckstanz« (spater als »Freier 
Tanz« bezeichnet), eine Bewegungslehre im Gegensatz 
zur Positionslehre des akademischen Tanzes. Nach La- 
bans Idee sollte der Tanz selbstandiger Ausdruck von 
Gefuhl und Stimmung sein, befreit von traditioneller 
Technik, pomphaf tem Kostum und der Fessel der Mu- 
sik. Von groBem EinfluB waren die Tanzschopfungen 



78 



Ballett 



der Laban-Schiilerin MaryWigman (* 1886 zu Hanno- 
ver). Der Laban-Schiiler K. -»■ Looss verwendete in sei- 
ner Tanzpantomime Dergriine Tisch (1932) mit der Mu- 
sik von Fritz Cohen einen expressionistischen freien 
Tanzstil in Verbindung mit klassischer Technik. - Das 
erste groCe Ereignis fiir das deutsche B.-Theater nach 
dem 2.Weltkrieg war 1948 in Miinchen die Urauffiih- 
rung des »Faust«-B.s Abraxas vcnW. Egkin der Choreo- 
graphic von Marcel Luipart. Egk fordert von einer B.- 
Musik : Die Musik ah ein Wesensbestandteil des B.s mufi 
formal klar und iiberschaubar gegliedert sein und mit den 
Formgesetzen der klassischen Bewegungsmethoden harmo- 
nieren. Sie soil dabei in ihrem Ablaufvor allem rhythmisch 
kontinuierlich sein, damit sie den Schwung der Bewegung 
nicht hemme, sondern trage . . . Nach 1945 ist in Deutsch- 
land ein Auftrieb der B.-Entwicklung zu beobachten. 
Von den in Deutschland wirkenden Choreographen 
und Tanzern seien genannt : Yvonne -> Georgie, Tat- 
jana -> Gsovsky, Todd Bolender, Alan Carter, John 
Cranko, Peter van Dyk, Herbert Freund, H. -> Kreutz- 
berg, Gerd Reinholm, Erich Walter. - An weiteren 
B.en des 20. Jh. seien angefiihrt: Bartok, »Der holzge- 
schnitzte Prinz« (1917), »Der wunderbare Mandarin« 
(1925); Blacher, Hamlet (1950), Der Mohr von Venedig 
(1955), Demeter (1964) ; Bliss, Adam Zero (1946) ; Blom- 
dahl, Play for Eight (1962) ; Britten, The Prince of the Pa- 
godes (1957) ; J. Chailly, La dame a la Licorne (»Die Dame 
und das Einhorn«, 1953); A.Copland, El Salon Mexico 
(1936), Billy the Kid (1938), Rodeo (1942); L.Dalla- 
piccola, Marsyas (1956) ; Egk, Die chinesische Nachtigall 
(1953); G.v.Einem, Prinzessin Turandot (1944), Rondo 
vom Goldmen Kalb (1952), Pas de Coeur (1952), Medusa 
(1957) ; de Falla, El Amor Bmjo (1925) ; W. Former, Die 
weijie Rose (1951), Ballet blanc; J.Francais, Le roi nu 
(1936), Le Roi Midas (1957), Madame dans la Lune 
(1958); H.HeiB, Die Tat (1961, elektronische B.-Pan- 
tomime); H.W.Henze, fack Pudding (1950), Anrufung 
Apolls (1949), Die schlafende Prinzessin (1951), Der Idiot 
(1952), Maratona di Danza (1956), Undine (1958; nach 
De la Motte-Fouque), Des Kaisers Nachtigall (1959); 
Hindemith, Der Damon (1923), die Tanzlegende Nobi- 
lissima Visione (1938), The Four Temperaments (1946); 
Fr.Lhotka, »Der Teufel im Dorf « (1935) ; Nono, Der 
rote Mantel (1954); H.Reutter, Die Kirmes von Delft 
(1937), Topsy (1950), Notturno Montmartre (1952); V. 
Tommasini, Le Donne di buon Umore (1917) ; R. Strauss, 
Schlagobers (1924); K.Weill, Die sieben Todsiinden der 
Kleinburger (Libretto B.Brecht, Paris 1933, deutsche 
Erstauffiihrung Frankfurt am Main 1960); B.A.Zim- 
mermann, Kontraste (1953), Alagoana (1955), Perspek- 
tiven (1955), Presence (1961). 

Die Anregung zur Komposition einer B.-Partitur 
kommt vielfach vom Choreographen. Vor allem in 
der Vergangenheit waren die Choreographen zumeist 
in einem sehr wbrtlichen Sinn die Urheber ihrer B.e, . . . 
Librettisten, Komponisten und Ausstatter hatten sich direkt 
an die von den Choreographen gegebenen Anweisungen zu 
halten (Koegler, S. 6). Das moderne B. bezieht die 
Stoffe und Anregungen zu den Libretti aus Mythen, 
Sagen und Marchen, aus verschiedenen Gattungen der 
Literatur (Drama, Roman), aus symphonischen Dich- 
tungen und bildlichen Darstellungen ; auch das Leben 
und die Probleme des modernen Menschen - be- 
ginnend schon mit Debussys feux (1913) - werden auf 
das B.-Theater gebracht. - Hochst problematisch - vor 
allem vom musikalischen Standpunkt her gesehen - ist 
die »bildliche Sichtbarmachung«, die Umsetzung in 
tanzerische Bewegung, von symphonischer, konzer- 
tanter oder Kammermusik. Unter den zahllosen Ver- 
suchen (mit denen zuerst Isadora Duncan begonnen 
hatte) seien genannt: Balanchine: J.S.Bach, Konzert 



fur 2 V. D moll (BWV 1043) als »Concerto barocco« 
(1945), Bizet, Symphonie C dur als »Le Palais de 
Cristal«, Brahms, 4. Symphonie als: »Choreartium« 
(1933); Massin: Schubert, Symphonie C dur als »La- 
byrinthe« (1941). Restlos gescheitert ist das Experiment 
von Bejart, die 9. Symphonie von Beethoven (Briissel 
1964) zu vertanzen. Weniger problematisch ist die 
Choreographie von Programmusiken, wie z. B. R. 
Strauss' Till Eulenspiegel, der of ter (zuletzt von J. Ba- 
bilee, 1949, und Balanchine, 1952) choreographiert 
wurde. Unter den nach arrangierter Musik choreo- 
graphierten B.en ist erwahnenswert das noch heute im 
internationalen Repertoire zu findende B. Les Sylphides 
von Fokin (1908 in St. Petersburg unter dem Titel 
»Chopiniana« uraufgefuhrt) nach Klavierstiicken von 
Chopin, die verschiedene Komponisten instrumentier- 
ten. Mit Les Sylphides ist eine Abkehr vom abendfiil- 
lenden B. und die Einfuhrung eines im wesentlichen 
undramatischen B.-Typus markiert, der in der Folge- 
zeit immer starker zum abstrakten B. hinfiihrte. - Die 
Entwicklung des internationalen Tanztheaters wird 

- vor allem nach 1945 - auch wesentlich mitbestimmt 
von Folkloretanzern undTanzensembles, so aus Spanien, 
der UdSSR, Siidamerika, Indien, China, Japan usw. 

- Wichtige Aufgaben fallen dem mit der Handlung 
verkniipften B. in der Oper zu, so bei Gluck (Orpheus), 
Verdi (Macbeth, Aida), Wagner (Tannhduser), Boro- 
din (»Fiirst Igor«), Smetana (»Verkaufte Braut«); in 
der modernen Oper in Henzes Konig Hirsch, Biom- 
dahls Aniara. - Im dramatischen Oratorium (Honeg- 
ger, feanne a" Arc au bucher; Egk, Columbus; Orff, 
Trionfi) kann das B. die Ausfiihrung der chorischen 
Handlung ubernehmen. In der in neuerer Zeit (vor 
allem von deutschen Komponisten) gepflegten B.- 
Oper verbinden sich Gesangs-, Tanz- und Sprech- 
szenen, so in Henzes Wundertheater (1948), Blachers 
Preufiischem Marchen (1950) oder Killmayers La Buffo- 
nata (1961). - Unter den B.-Filmen ragen heraus The 
Red Shoes (»Die roten Schuhe«, 1947) und Carroussel 
(1953) in der Choreographie von L. Massin. Zu den 
eigens fiir das Fernsehen konzipierten B.en gehort 
Mardi Gras mit der Musik von Heinz Pauels, in der 
Choreographie von Gerd Bruckner (ARD 1963). 

Lit. (abgekiirztauch ballet u. balletto): Cl. Fr. Menestrier, 
Des b. anciens et modernes . . . , Paris 1 682 ; L. de Cahusac, 
La danse ancienne et moderne, Den Haag 1754; J. G. No- 
verre, Lettres sur la danse, et sur les b., Stuttgart u. Lyon 
1760, Wien 1767, London u. Paris 1783, NA Paris 1952, 
deutsch v. G. E. Lessing 1 769 ; Fr.-H.-J. Bl. Castil-Blaze, 
La danse et les b., Paris 1832; A. Solerti, Musica, ballo e 
drammatica alia corte medicea dal 1600 al 1637, Florenz 
1905; O.Bie, Der Tanz, Bin 1906, M925; A. Levinson, Mei- 
ster d. B. , St. Petersburg 1915 (russ.), deutsch Potsdam 1 923 ; 
P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 2. Halfte d. 
1 7. Jh., StMw VIII,1921 ; ders., The Story of Dance Music, 
NY (1947); W. A. Propert, The Russian B. in Western 
Europe 1909-20, London 1921, 1921-29 NY 1932; R. 
Haas, Die Wiener B.-Pantomime, StMw X, 1923; ders., 
Der Wiener Buhnentanz, JbP XLIV, 1937 u. XLV, 1938; 
M. v. Boehn, Der Tanz, Bin 1925; C. W. Beaumont, A. 
Bibliogr. of Dancing, London 1929 ; ders., Complete Book 
of B., London 1938,41956, l.Suppl. London 1951, 2. Suppl. 
1954, 3. Suppl. 1955; ders., B. Past and Present, London 
1955 ; V. Junk, Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930; C. Sachs, 
Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. Lon- 
don 1938, frz. Paris 1938; P. D. Maoriel, A. Bibliogr. of 
Dancing, NY 1936, Suppl. 1936-40, NY 1941 ; A. Chujoy, 
The Symphonic B., NY 1937; ders., The New York City B., 
NY 1953; V. Arvey, Choreographic Music, NY 1941 ; W. 
J. Turner, The Engl. B., London 1944; P. Mich aut, Hist, 
du b., Paris 1945, ital. Mailand 1953; DERS.,Leb. contempo- 
rain, Paris 1950; R.-A. Mooser, Operas, intermezzos, b., 
cantates, oratorios joues en Russiedurant leXVIII e s.,Genf 
1 945, 3 1964 ; J. Gregor, Kulturgesch. d. B., Zurich u. Wien 
1946; D. Lynham, B. Then and Now, London 1947, ital. 



79 



Balletto 



Florenz 1951; E. Ruzicka, Das Wiener Opernb., Diss. 
Wien 1948, maschr. ; G. Amberg, B. in America, NY 1949 ; 
S. Lifar, Traite de danse academique, Paris 1949,erweitert 
Paris 1952; ders., Hist, du b. russe . . ., Paris 1950, engl. 
London u. NY 1954; ders., B., 9 Bde, Paris 1941-59 ; ders., 
Traite de choregraphie, Paris 1952; ders., La musique par 
la danse de Lully a Prokofiev, Paris 1955; ders., B. Panora- 
ma, NY 1 961 ; R. Lawrence, The Victor Book of B. and B. 
Music, NY 1950; O. Fr. Regner, Das Ballettbuch, = Fi- 
scher Bucherei LXVI, Ffm u. Hbg 1950, 21954; ders., 
Reclams Ballettfuhrer, Stuttgart 1956; A. Puig, B. y baile 
espafiol, Barcelona 1951; L. Kersley u. J. Sinclair, A 
Dictionary of B. Terms, London 1952, 21964; T. Krogh u. 
S. Kragh-Jacobsen, Den Kongelige Danske B., Kopen- 
hagen 1952; J. Martin, World Book of Modern B., NY 
1952; Musik d. Zeit II, hrsg. v. H. Lindlar, B.-H., Bonn 
(1952); C. Conyn, Three Cent, of B., Houston 1953; F. 
Hall, An Anatomy of B., London 1953 ; La musique et le 
b., Sonder-H. RM Nr 219, 1953; L. Kirstein, M. Stuart 
u. C. Dyer, The Classic B., London u. NY 1953; A. H. 
Franks, 20'" Cent. B., London u. NY 1954; J. F. Guest, 
The Romantic B. in England, London 1954; B. Kochno, 
Le b. en France du XV e s. a nos jours, Paris 1954; M. Nie- 
haus, B., Miinchen 1954; A. J. Waganowa, Die Grund- 
lagen d. klass. Tanzes, Bin 1954, Koln 1959 ; F. Reyna, Les 
origines du b., Paris 1955; Balet Gossudarstvennogo ordena 
Lenina Akademiceskogo Bol'sogo Teatra SSSR, hrsg. v. 
A. I. Anisimowa, Moskau 1955; M. Clarke, The Sadler's 
Wells B., London 1955; W.C Smith, The Ital. Opera and 
Contemporary B. in London, 1789-1820, =The Soc. for 
Theatre Research, Annual Vol. Ill, 1953/54, London 1955; 
A. Bonnat, B. de Moscou, Paris 1956; J. CiplInski, Szkic 
dziejow baletu polskiego (»AbriB d. Gesch. d. polnischen 
B.«), London 1956; Les fetes de la Renaissance, hrsg. v. 
J. Jacquot, 2 Bde, Paris 1956; H. Proebster, Das Ballett- 
libretto, Diss. Miinchen 1956; E. Rebling, B., Bin 1957 ; H. 
Thiemer, H. v. Hofmannsthals Ballettdichtungen, Diss. 
Greifswald 1957, maschr. ; G. B. L. Wilson, A Dictionary 
of B., Harmondsworth 1957, London 2 1961 ; A. J. Balcar, 
Das B.-Lexikon, Miinchen 1958; H. Searle, B. Music, 
London 1958; H. Koegler, B. international, Bin 1960; M. 
Fokine, Memoirs of a B. Master, NY u. London 1961 ; K. 
Peters, Lexikon d. klass. Tanztechnik, Hbg 1961 ; L. Rossi, 
Storia del b., Mailand 1961 ; Stravinsky and the Dance, A 
Survey of B. Productions, 1910-62, in: Honor of the Eight- 
ieth Birthday of I. Stravinsky, NY 1962 ; G. Zacharias, B., 
Gestalt u. Wesen, Koln (1962); H. Schmidt-Garre, Dia- 
ghilew-B., NZfM CXXVI, 1965, H. 2-5. - H. Kinder- 
mann, Theatergesch. Europas, Salzburg (1957ff.). 

Balletto (ital. Diminutiv von ballo, s. v. w. Tanz- 
chen), - 1) ->• Ballett; - 2) Tanzfolge (besonders Ende 
des 17. Jh.) im Sinne von -» Suite oder Sonata da 
camera ; - 3) allgemeine Bezeichnung f iir Tanz, syno- 
nym mit Ballo. Im 15. und noch im 16. Jh. galten als 
Balletti Hoftanze, die entsprechend dem Titel der 
Sammlung Intavolatura de Unto di varie sorte de balli 
(I, Venedig 1554) sehr unterschiedlichen Charakters 
waren und zu deren Ausfuhrung Tanzmeister oft je- 
weils besondere Vorschrif ten veroffentlichten ; - 4) Aus 
dem bei der hofischen Gesellschaft beliebten B. des 16. 
Jh. , das nach G. Mainerio sowohl vokal als auch instru- 
mental ausfiihrbar war, sonderte sich kurz vor 1600 ein 
bestimmter Tanz aus, ebenfalls B. oder Ballo genannt 
(Praetorius, Synt. III). Er ist zweiteilig und geradtaktig 
mit oder ohne Auftakt, in raschem Tempo, hat melo- 
diefuhrende Oberstimme, periodisch klar gegliederten 
homophonen Satz und Fa-la-la-Refrain. 




l yw f t} 



Piu d'ogri al-tro Clo-ri Tuseibel-iae va - ge 



Dieser Typ des Tanzliedes wurde durch G.Gastoldis 
Balletti a cinque voci con li suoi versi di cantare, sonare 



& ballare. (1591, daraus das Beispiel) und Balletti a 
tre voci con la intauolatura del liuto (1594) giiltig gepragt. 
Er fand schnell zahlreiche Nachahmer: Th.Morley, 
The first book of Ballets to 5 voyces (1595), O. Vecchi, H. 
L.Hassler, J. Staden u. a. Hofische Maskenspiele auf 
Grund mehrerer solcher Tanzlieder (zusammenhan- 
genden Textes), denen eine instrumentale Intrada vor- 
ausging, sind in CI. Monteverdis Scherzi musicali (1607) 
iiberliefert. Bald nach der Jahrhundertwende ver- 
schwand jedoch der B. mit gesungenem Text. Dage- 
gen erfreute sich der B. als Instrumentaltanz durch das 
ganze 17. Jh. hin als Einzeltanz wie als Suitenbestand- 
teil groBer Beliebtheit, deren Grund darin gesehen 
werden kann, daB der B. nicht in den Stilisierungspro- 
zeB der Tanze einbezogen wurde, sondern seine ur- 
spriinglich einfache Faktur und damit seine elementare 
Beschwingtheit stets bewahrte. Gegen Ende des Jahr- 
hunderts wurden Balletti (in Abarten) zu szenischen 
-»■ Ballets de cour vereint. In Deutschland kann der B. 
oder Ballo noch bis zum Anfang des 18. Jh. nachge- 
wiesen werden (zweifelhaft ist Bachs Autorschaft bei 
den in der alten Bach-GA wiedergegebenen Balletti). 

Ausg. : G. Mainerio, II primo libro de balli, (1 578), hrsg. v. 
M. Schuler, MMD V, 1961. 

Lit. : H. Riemann, Tanze d. 1 6. Jh., Mk VI, 1906/07 ; ders., 
Eine 7satzige Tanzsuite v. Monteverdi, SIMG XIV, 1912/ 
13; P. Aubry, Estampies et danses royales, Mercure mus. 
1906, Sonderdruck Paris 1907; K. Nef, Gesch. d. Sinfonie 
u. Suite, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen XIV, Lpz. 
1921 ; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite, 
= Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; C. Sachs, Eine 
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 
1938, frz. Paris 1938; I. Brainard, Die Choreographie d. 
Hoftanze in Burgund, Frankreich u. Italien im 15. Jh., 
Diss. Gottingen 1956, maschr. 

Ballo (ital.) ->- Balletto. 

Bamberg. 

Lit.: E. v. Marschalk, Die B.er Hofmusik . . ., B. 1885; 
Fr. Leist, Gesch. d. Theaters in B. bis zum Jahre 1 862, Ber. 
d. Hist. Ver. B. LV, 1893; O. Kaul, Zur Gesch. d. B.er 
Hofmusik im 18. Jh., B.er Blatter f. Frankische Kunst u. 
Gesch. II, 1 925 ; B. Wernsdorfer, Org.- u. Musikpflege im 
B.er Dom, ebenda VII, 1930; M. Kunzel, Die B.er Sym- 
phoniker, ZfM CXII, 1951 ; J. Nusslein, Das Gesangbuch 
d. J. Degen v. 1628, Frankisches Land IV, 1956/57. 

Band (basnd, engl.), Bezeichnung fiir das in der An- 
zahl der Musiker schwankende Jazzensemble unter 
der Leitung eines B.-Leaders. Schon seit dem New- 
Orleans-Jazz - der einzigen Jazzspielweise, in der sich 
iiberhaupt eine Standardbesetzung herausgebildet hat 
- ist jede B. in 2 Gruppen geteilt: Melodic section (Me- 
lodie-, Blasergruppe, im New-Orleans-Jazz: Kornett 
oder Trompete, Posaune, Klarinette) und Rhythm sec- 
tion (Rhythmusgruppe : Schlagzeug, Gitarre, Schlag- 
baB, Piano, im New-Orleans-Jazz: SchlagbaB oder 
Tuba, Schlagzeug, Banjo oder Gitarre, Klavier). Seit 
dem Chicago-Jazz spielt das Saxophon in der B. eine 
wesentliche Rolle. In der Swing-Ara entstanden die 
-> Big bands, in denen die Melodiegruppe noch in ein- 
zelne Instrumentengruppen (brass section, reed section) 
unterteilt wurde. Ein kleineres Ensemble (bis zu et- 
wa 8 Musikern) — haufig Mitglieder einer Big band - 
heiBt im modernen Jazz Combo (Abk.' fiir combi- 
nation) oder Small band. Bekannte Comboformatio- 
nen sind : Duo, Trio, Quintett, Swingtett, Septett, wo- 
bei im modernen Jazz gegeniiber dem fruheren die 
Verwendungsmoglichkeiten von Instrumenten erwei- 
tert sind (Vibraphon, Harfe, F16te).'Besteht eine B. aus 
lauter beruhmten Musikern, so bezeichnet man sie als 
All-star b. (All-stars). Eine Studio-B. ist jeweils spe- 
ziell zu Schallplattenaufnahmea zusammengestellt. 



80 



Bar 



Banda (ital.), Bande (frz.), Band (engl.), eine Grup- 
pe von Musizierenden, ein Instrumentalensemble. So 
hieBen die 24 violons Ludwigs XIV. La grande bande 
(zur Unterscheidung von den 16 petits violons), die 24 
Fiddlers Karls II. von England The King's private band. 
Im Jazz ist -> Band ein Ensemble nicht bestimmter 
Grofie. Im Orchester bezeichnet B. den Chor der Blech- 
blaser, auch das Biihnenorchester; B.istauch die -*Har- 
moniemusik, B. turca die->-Janitscharenmusik. 

Bandola (span., auch vandola), ein kleines lautenarti- 
ges Zupfinstrument mit birnenformigem Corpus, kur- 
zem Hals und 4-6 doppelchorigen Saiten. Die Stim- 
mung war nach Amat im 16./17. Jh. d g c e a d. 

Bandonion, eine um 1846 von dem Krefelder Musi- 
ker H. Band (1821-60) verbesserte -> Konzertina mit 
zunachst 64, dann 88 und 130 Tonen. Die Grundan- 
ordnung der Konzertina wurde beibehalten, die Knopf- 
anlage au£ 5 Reihen verteilt. Die aufiere Form blieb 
viereckig. Spater wurde der Tonumfang erweitert (bis 
zu 200 Tonen), aber ohne systematische Anordnung. 
1924 schuf die Bundestagung des damaligen Deut- 
schen Konzertina- und B.-Bundes in Essen eine 144to- 
nige Einheitstabelle. Die Notierung erfolgte anfang- 
lich, wie bei der Konzertina, im Waschleinensystem, 
spater auch in Grifftonschrift. Den Mangel an Uber- 
sichtlichkeit in der Tonanordnung des wechseltonigen 
B.s wollte der Berliner Instrumentenbauer J. Zademack 
(1874-1941) 1902 mit seinem chromatischen B. be- 
seitigen, das auf alien Knopfen gleiche Tone im Auf- 
und Zudruck hatte. Fur die noch unvollkommene 
Tonanordnung der linken Hand entwickelten 1926 
R.Micklitz (* 1898) und E.KuBerow (* 1897) eine 
neue Anlage, in der die 12 Halbtone in 4 Quer- und 3 
Langsreihen liegen. Ahnliche Anlagen, die aber meist 
nach kurz'er Zeit wieder verschwanden, waren u. a.: 
das Chromatiphon von H.Stark, die Chroma-Con- 
zertina von Mathai, das Tetrachord-B. von J. Franke, 
die chromatische Konzertina von H.Meyer, das Ban- 
do-Piano der Firma Topel. Das Spielgut der B.-Grup- 
pen beschrankte sich zunachst auf Unterhaltungsmusik. 
Seit 1930 wurde unter dem EinfluB von E. G. Naumann 
eine kiinstlerische Belebung der B.-Literatur bemerk- 
bar. Fur B. solo und Spielgruppen komponierten u. a. 
H.Ambrosius, F.Fr. Finke, G.Lampe, K.Schwaen. B.- 
Schulen schrieben u. a. A. und H.Band, J.Dupont, L. 
Gnaust, E.KuBerow, H.Pfundt, H.Schlegel. 
Lit. : Allgemeine Bandonionzeitung, spater als : Allgemeine 
Konzertina- u. Bandonionzeitung, Lpz. 1895-1906; A. 
Roth, Gesch. d. Harmonika-Volksmusikinstr., Essen 
1954. EKu 

Bandura (russ.), ein cister- oder lautenartiges Instru- 
ment mit ovalem bis rundem Corpus, das in einen kur- 
zen Hals iibergeht. Ahnlich der Zither hat die B. neben 
(meist 6-8) Melodiesaiten, die zum Wirbelkasten am 
Hals laufen, unverkiirzbare Saiten (bis zu etwa 40), die 
tiber das Corpus vom Saitenhalter bis an die Zarge ver- 
laufen. Die B. wird mit Plektron gespielt. Wahrschein- 
lich aus dem Orient oder Siideuropa kam sie im 15./16. 
Jh. nach RuBland, wo sie besonders in der Ukraine 
volkstiimlich wurde und die Kobza (-* Qopuz) ver- 
drangte. Die B. panskaja (»herrschaftliche« B., russ. 
auch Torban, von Theorbe) hatte 2 Wirbelkasten. 
Lit. : A. S. Faminzyn, Domra i srodnyje jej mus. instr. 
(»Die Domra u. d. ihr verwandten Musikinstr. d. russ. 
Volkes«), St. Petersburg 1891. 

Bandurria, eine spanische Diskantcister, nach Ber- 
mudo mit 3 Saiten, die im Abstand von Quinte und 
Quarte gestimmt sind, mit 6-7 oder 10 Biinden, dane- 
ben auch bundlos. Im 18. Jh. ist sie mit sechs doppel- 



chorigen Saiten (gis cisi fis 1 h 1 e 2 a 2 ) und 12 Biinden 

nachgewiesen. 

Lit.: J. Bermudo, Declaracion de instr. mus., (Osuna) 

1555, Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, = DM1 1, 11, 1957. 

Banjo, urspriinglich ein Instrument der afrikanischen, 
dann der nordamerikanischen Neger, eine Schlaggi- 
tarre mit langem Hals und einem dem Tamburin ahn- 
lichen Schallkorper. Der Bezug besteht meist aus 5-7 
(seltener bis 9) Darmsaiten. Die gebrauchlichen Stim- 
mungen (eine Oktave tiefer klingend als notiert) sind: 
g 2 1 c 1 g 1 h 1 d 2 oder g d 1 g 1 h 1 d 2 oder g 2 1 g c 1 d 1 g 1 hi d 2 . 
Die kiirzeste Saite, links bzw. oben, unmittelbar ne- 
ben der tief sten gelegen, ist die Melodiesaite, die f iir das 
Daumenspiel bestimmt ist. Vom Saitenhalter laufen 
die Saiten tiber einen auf der Fellbespannung ange- 
brachten Steg zur Wirbelplatte mit hinterstandigen 
Wirbeln, wahrend die Melodiesaite mit einem links 
des Halses angebrachten Wirbel gestimmt wird. Das 
B. wird in seiner primitivsten Form (Kiirbisschale, 
Pferdehaarsaiten) gegen Ende des 18. Jh. zum ersten 
Mai beschrieben. Es gelangte im 19. Jh. nach Portugal 
und England und nach Nordamerika und schlieBlich 
nach Europa, wo es auch mit (etwa 20) Metallbiinden 
versehen und mit Metallsaiten bespannt wird. Das B. 
findet sowohl zur Gesangsbegleitung als auch solistisch 
Verwendung. Es wird entweder mit den Fingern 
(Daumen, Zeige- und Mittelfinger) oder mit einem 
Plektron gespielt. Es gibt verschiedene Arten von B.s 
(Zither-B., Tenor-B., BaB-B., Kontrabafi-B., B.-Man- 
doline, Piccolo-B. u. a.). Im Jazz und in der lateiname- 
rikanischen Tanzmusik war das B. das wichtigste Be- 
gleitinstrument der Ballads und der Minstrels (-> Min- 
strelsy) in der 2. Halfte des 19. Jh. Es hielt sich bis etwa 
1930 als wichtiger, wenn auch nicht vielseitig verwen- 
deter Bestandteil der Rhythm section der Jazzband, 
wo es als 4saitiges Tenor-B. (Stimmung: c 1 g 1 d 2 a 2 ), 
seltener als 5saitiges Plektron-B. vorkam. Wegen der 
technischen und klanglichen Beschranktheit seiner Mit- 
tel wurde das B. im Jazz bald von der ->■ Gitarre ver- 
drangt und tauchte erst wieder in der bewufit archaisie- 
rendenKlangwelt derRevival-Bewegung in den 1940er 
Jahren auf. Seitdem kann das Tenor-B. seinen Platz 
als Begleit- und Soloinstrument in den Dixieland- 
Bands der Jazzamateure behaupten. - Bedeutende B.- 
Spieler waren u. a. im 19. Jh. Horace Weston, Edward 
C.Dobson; im Jazz der 1920er und 30er Jahre John 
StCyr, Bud Scott, Elmer Snowden, Buddy Christian, 
Charlie Dixon. Eine Tenor-B.-Schule verfaBte Kl. 
Buhe (Mainz 1962, mit Schallplatte). 
Lit. : G. A. Keeler, Notes on Trick Solo Playing on the B., 
London 1 940 ; A. P. Sharpe, The B. and You, London 1 952. 

Bar (Barform) bezeichnet im ->• Meistersang die fur 
das Meisterlied verbindliche Form des Strophenbaues. 
Die Strophe besteht aus einem ersten Teil, dem Stol- 
len, auch Gesatz genannt, dem ein metrisch gleichfor- 
miger Gegenstollen (oder Gebaude) folgt, die zusam- 
men den Aufgesang bilden. Der dritte, abschlieBende 
Strophenteil, der Abgesang, ist metrisch vom Aufge- 
sang verschieden und kiirzer als dieser, jedoch linger 
als ein einzelner Stollen. Der Umfang dieser Meister- 
singerstrophe kann bis zu 100 Versen betragen. Die 
Zahl der Strophen eines Liedes ist meist ungerade (3, 5, 
7 bis 13 Strophen). Das 3strophige Lied ist am haufig- 
sten. Eindeutig gelangt der B. als Formprinzip des Mei- 
sterliedes erst musikalisch zur Darstellung, indem die 
fur das Gesatz festgelegte Melodie im Gegenstollen 
wiederholt wird, und der Abgesang eine eigene Melo- 
die erhalt, so daB sich die einfachste musikalische Form 
des B. als A A/B darstellt. Bei dem Reprisen-B. wird 
das Gesatz im AnschluB an den Abgesang wiederholt 



81 



Barbat 



(A A/B A), audi variiert (A A/B A'). Diese musikali- 
schen Wiederholungen sind nicht immer an die sprach- 
lich-metrische Form des Textes gebunden. Die Form 
des Reprisen-B. wird im friihen Meistersang (Kolmarer 
Handschrift) bevorzugt. - Formungen nach Art des B., 
die ein Grundprinzip liedhaf ter Bildung auspragt, fin- 
den sich u. a. auch bei den spatantiken und friihmittel- 
alterlichen Hymnen, in der Trobadorlyrik (->• Kanzo- 
ne), im Minnesang, im evangelischen Kirchenlied, in 
geistlichen und weltlichen Liedern der Barockzeit und 
im romantischen Klavierlied (Schubert, Schumann, 
Brahms). Mit Hilfe eines erweiterten Verstandnisses 
des B. versuchte A.->-Lorenz, die musikalische Gliede- 
rung kleinerer und groBerer Abschnitte in R. Wagners 
Musikdramen zu erfassen. Wagners Erklarung von 
»Bar« (Die Meistersinger von Niimberg, 1. Akt, 3. Szene, 
und 3. Akt, 2. Szene) ist historisch nicht gerechtfertigt. 
Lit. : A. Lorenz, Das Geheimnis d. Form bei R. Wagner, 
4 Bde, Bin 1924-33; A. Heusler, Deutsche Versgesch., 3 
Bde, Bin u. Lpz. 1925-29; Fr. Gennrich, GrundriB einer 
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932 ; K. Gudewill, Die 
Barform u. ihre Modifikation, Kgr.-Ber. Liineburg 1950; 
W. Serauky, Die Todesverkiindigungsszene in R. Wag- 
ners »Walkure« als mus.-geistige Achse d. Werkes, Mf XII, 
1959. 

Barbat (persisch), ein Zupfinstrument, wahrschein- 
lich eine Kurzhalslaute, das vom 4. Jh. an bei den sas- 
sanidischen Persern nachgewiesen ist. Von den arabi- 
schen Theoretikern des Mittelalters nennt es Avicenna 
als ein dem 'Ud ahnliches Instrument. 
Lit.: Avicenna, Kitab as-Sifa, frz. in: R. d'Erlanger, La 
musique arabe II, Paris 1935; H. G. Farmer, Studies in 
Oriental Mus. Instr. II, Glasgow 1939. 

Barbershop harmony (b'a:baj3p h'a:m3ni, engl.- 
amerikanisch), Slangbezeichnung fur parallele Stimm- 
fiihrung in Vokalgruppen. Bevorzugt werden dabei 
zur Begleitung einer Liedmelodie vor allem Quint-, 
Quart- und Terzparallelen, wodurch der klangliche 
Eindruck besonders kompakt wirkt und sich haufig 
Zusammenklange ergeben, die nicht f unktional zu ver- 
stehen sind. Namen und Entstehung verdankt die B. h. 
dem Friseursalon in kleinen Stadten - oft mit Alkohol- 
ausschank verbunden -, in dem als allgemeinem Treff- 
punkt zum Zeitvertreib auch gesungen wurde. Die 
B. h. entstand zwar als volkstumliche Gesangsmanier 
der weiBen amerikanischen Bevolkerung, verband sich 
aber unter den Negern bald mit der Vokaltechnik im 
-*■ Negro spiritual. Seit der Swing-Ara fand die B. h. 
auch im Vokalgruppengesang des Jazz Verwendung, 
ist jedoch heute weitgehend in den Bereich der Unter- 
haltungsmusik abgegUtten. 

Barbitos (griech. pdtpPrax;, spathellenistisch auch 
(3<xp(3i.Tov), - 1) ein der altgriechischen -> Lyra ahnli- 
ches, von ihr aber bereits in der Antike nicht immer 
klar unterschiedenes Saiteninstrument asiatischer Her- 
kunft. Der Name B. scheint erstmals durch Sappho 
(fr. 176 Lobel-Page) bezeugt zu sein. Auf Grund von 
Pindar fr. 125 nimmt man an, daB das Instrument ver- 
haltnismaBig tief geklungen hat und daher moglicher- 
weise groBer als die gewohnliche Lyra war. Versuche, 
auf Vasendarstellungen zwischen B. und Lyra zu un- 
terscheiden, sind iiber das Stadium bloBer Hypothesen 
noch nicht hinausgekommen. - 2) im 17. Jh. seltener 
antikisierender Name verschiedener tiefklingender 
Saiteninstrumente (Violon, Viole, BaBlaute). 

Barcelona. 

Lit.: F. Virella Cassanes, La opera en B., B. 1888; A. 
EiJas de Molins, Diccionario biogr.-bibliogr. de escritores 
y artistas catalanes del s. XIX, 2 Bde, B. 1889; Fr. de P. 
Baldello, La miisica de l'antic concell barceloni, B. 1929 ; 
ders., La miisica en B., B. 1943; ders., Los organos de la 



basilica parroquial de Nuestra Seftora de los Reyes (Pino) 
de B., AM IV, 1949; H. Angles, La miisica a Catalunya 
fins al s. XIII, = Publicaciones del Departamento de miisi- 
ca de la Bibl. de Catalufla X, B. 1935; M. J. Bertran, El 
Gran Teatro de Liceo de B. 1837-1930, B. 1931 ; J. L. de 
Grignon, Musique et musiciens fr?. a B., musique et musi- 
ciens Catalans a Paris, B. 1935; J. Subira, La opera en los 
teatros de B., 2 Bde, B. 1946 ; J. M.a Madurell, Documen- 
tos para la hist, de maestros de capilla ... (u. ahnliches), 
AM III, 1948 - VI, 1951 ; M. Valls, La miisica catalana 
contemporanea, B. 1960. 

Barden (keltisch + bardo; galisch, irisch, kymrisch 
bard, Sanger; lat. bardus, von dort als barde im 16. Jh. 
ins Franzosische und seit der Mitte des 17. Jh. als Barde 
ins Deutsche), Sanger und Dichter der Kelten (in Gal- 
lien, England, Schottland, Irland), bildeten mit den 
Druiden die oberste Kaste und hatten zum Crwth Hel- 
denlieder und religiose Gesange vorzutragen. Von ihrer 
esoterisch gepflegten Kunst ist aus der friihen, vorro- 
mischen Zeit nichts uberliefert. Im hohen Mittelalter 
gab es B. als hofische Dichter eigenen Standes in Wales, 
Irland und Schottland; ihre letzten Nachfahren wirk- 
ten noch bis ins 18. Jh. Die Germanen kannten keine 
B. - Klopstocks Hermanns Schlacht. Ein Bardietfiir die 
Schaubiihne (1769) erneuerte das Wort im Gedanken an 
Barde. Doch beruht diese Emeuerung auf dem sachlich 
und sprachlich miBverstandenen barditus des Tacitus 
(Germania III), womit der Schildgesang der Germanen 
beim Beginn der Schlacht bezeichnet war. 
Lit. : J. C. Walker, Hist. Memoirs of the Irish Bards, Lon- 
don 1 786 ; E. Jones, Mus. and Poetical Relicks of the Welsh 
Bards, London 1784, 21794; Sketches of the Origin, Pro- 
gress, and Effects of Music, with an Account of the Ancient 
Bards and Minstrels, hrsg. v. R. Eastcott, Bath 1793; G. 
deLaRue, Essaishist. surlesbardes . . .,3 Bde, Caen 1834; 
H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905, 21920; V. Lede- 
rer, fiber Heimat u. Ursprung d. mehrst. Tonkunst, Lpz. 
1906 ; G. Borrow, Celtic Bards, Chiefs and Kings, London 
1928 ; W. Evans, The Bards of the Isle of Britain . . . , Lon- 
don 1930; I. Williams, Lectures on Early Welsh Poetry, 
Dublin 1944. 

Bariolage (bariol'a:;, frz. ; von lat. variolagium, Ab- 
wechslung), Bezeichnung fur die Vertauschung von 
Klangfarben auf der Violine, wenn bei raschem Saiten- 
wechsel der hohere Ton auf der tieferen Saite gespielt 
wird, besonders gebrauchlich beim Wechsel von leerer 
Saite und gegriffenem Ton, z. B. in J. S.Bachs Violin- 
konzert A moll, BWV 1041, 3. Satz: 




oder im Praludium der Partita f iir V. solo E dur, BWV 
1006. 

Bariton (ital. baritono, von griech. papuxovo?, tief- 
tonend), - 1) Baritonans (lat.) oder Baritonus bezeich- 
net im 16. Jh. gelegentlich anstelle von Bassus oder Ba- 
sis die tiefste Stimme eines Satzes, so bei Ornitoparch 
1517 und Galliculus 1520, wohl zuerst bei Gaffori 1496 
(Practica Musice III, 11), der den Baritonans als pars seu 
processus gravior in compositions cantilenae definiert und 
mit contratenor gravis gleichsetzt. - 2) Im 17. und 18. Jh. 
wurde im mehr als 4st. Satz die zwischen Tenor und 
BaB liegende Stimme Bar. genannt (frz. -»- Concor- 
dant), so schon bei Viadana 1612. Praetorius (1619) 
verwendet Barytonus synonym mit Tenor, Quintus 
und Vagans fiir Stimmen, die im f-Schliissel, der auf 
der Mittellinie steht, aufgezeichnet sind und c nicht un- 
terschreiten. - Bezeichnet das Wort Bar. demnach zu- 
nachst eine Lagenstimme, so wurde es spater zur Be- 
nennung einer Stimmlage im Umfang A-e^g 1 (frz. 
baryton; engl. baritone), der schonsten alter mannlichen 



82 



Barock 



Stimmgattungen, welche die Wtirde und Kraft der Bafi- 
stimme mit dem Glanz der Tenorstimme vereinigt (Rie- 
mann). Etwa seit Mozarts Don Giovanni (1787) wird 
der Bar. in Opern oft als Hauptpartie im Kontrast zu 
den meist dominierenden Tenorpartien verwendet. 
Man unterscheidet einen hohen Bar. (friiher Tenor- 
Bar, genannt) und einen tiefen Bar., den BaB-Bar. (frz. 
basse chantante, friiher basse-taille). Die Biihnenpraxis 
unterscheidet verschiedene Facher. Der lyrische Bar., 
der meist auch die Aufgaben des Spiel-Bar.s iiber- 
nimmt (Figaro im Barbiere di Siviglia, Papageno in der 
Zauberftote), ist das reichhaltigste Fach der Manner- 
stimme (Mozart: Don Giovanni, Graf in Le Nozze di 
Figaro; zahlreiche Partien bei Verdi; Wagner: Wolf- 
ram im Tannhauser; Puccini: Sharpless in Madama 
Butterfly)- Dem Charakter-Bar. fallen Partien zu wie 
z. B.: Amonasro (Aida), Scarpia (Tosca), Mandryka 
(Arabella), Amfortas (Parsifal). Der Helden-Bar. be- 
notigt dramatische Wucht und groBe Stimmkraft, 
z. B. Wotan, Wanderer (Ring des Nibelungen), Telra- 
mund (Lohengrin) und die Titelpartie in Der Fliegende 
Hollander. - 3) Das in der Harmoniemusik verwendete 
Blechblasinstrument Bar. (auch Euphonium, Tenortu- 
ba, TenorbaB, Baritonhorn; engl. euphonium, frz. bas- 
se a pistons; ital. eufonio; span, bombardino) ist ein 
Ventilhorn, das um die Mitte des 19. Jh. erfunden wur- 
de und wie das Tenorhorn in B und C steht, 3-4 Ven- 
tile hat und in aufrechter wie ovaler Form vorkommt. 
Es ist jedoch weiter mensuriert, hat deshalb einen mas- 
sigeren Klang und spricht besonders gut in der Tief e an 
(sogar der erste Naturton). Aus diesem Grund wird ihm 
im Blasersatz meist nicht die Tenorlage zugewiesen 
wie dem Tenorhorn, sondern es ubernimmt mit der 
BaBtuba BaBfunktion. 

Lit.: zu 2): M. Kunath, Die Charakterologie d. stimm- 
lichen Einheiten in d. Oper, Zf Mw VIII, 1925/26 ; P. Bruns, 
Der B.-Tenor, Bin (1932). 

Barkarole (ital. barcaruola von barca, Boot, Barke; 
frz. barcarolle), Arbeitslied der Gondelfiihrer in Vene- 
dig, die von der schaukelnden Bewegung ihrer Schiffe 
und dem Ruderschlag zur Erfindung ihrer auf Dialekt- 
Texte vorzugsweise im 6/8-Takt gesungenen B.n an- 
geregt worden sein mochten. Bezeichnend fiir die B. 
ist auBer ungeradem Takt auch weiche Mollmelodik; 
in der seit Beginn des 18. Jh. nachweisbaren Kunstform 
B. wurden beide Charakteristika bewahrt. Die pitto- 
reske Staffage des venezianischen Gondelliedes trug 
ebenso zu seiner Verbreitung in der Oper bei, wie sie 
ihm den Salon der Biedermeierzeit offnete: von A. 
Campras Ballettoper Les fetes uenitiennes (1710) iiber 
Paisiellos Re Teodoro, Webers Oberon, Opern von He- 
rold, Auber, Donizetti, Rossini, Verdis Otello, Offen- 
bachs »Hoffmanns Erzahlungen« bis zu J. StrauB' Eine 
Nacht in Venedig reicht die Reihe der Opern-B.n; durch 
Mendelssohn wurde die B. in der Klaviermusik hei- 
misch (Lieder ohne Worte op. 19, 6, op. 30, 6 und op. 62, 
5), wahrend Schubert als einer der ersten Kunstlieder 
als B.n zu stilisieren begann (Auf dem Wasser zu singen; 
Des Fischers Liebesgliick). B.n fiir Klavier komponierten 
u. a. auch Chopin (Barcarolle op. 60), Liszt (Gondoliera 
in Venezia e Napoli der Annies de Pelerinage), G.Faure 
(13 B.n) und B.Bartok (B. in: Im Freien, 1926). 

Barock. Der Terminus B. (heute meist der, friiher 
das B.; ital. barocco; frz. baroque), bezieht sich ent- 
stehungsgeschichtlich auf das Schiefrunde der Perlen- 
muschel und wurde, wie alle nichtklassizistischen Ter- 
mini, zunachst in einem geringschatzigen Sinn ge- 
braucht. In der Baukunst bezeichnete er das Bizarre, 
Unformige, Ausladende im Gegensatz zu der edlen 
Einfalt und dem EbenmaB der Kunst des Klassizismus, 



sei es der Renaissance, sei es der Aufklarung. J.-J. Rous- 
seau schreibt in seinem Dictionnaire de musique (1767) 
unter dem Stichwort Baroque: Une Musique Baroque 
est celle dont VHarmonie est confuse, chargee de Modulations 
et de Dissonnances, le Chant dur peu nature!, I'Intonation 
difficile, le Mouvement contraint. In dem Musikalischen 
Lexikon von H.Chr. Koch (1802) heiBt es unter dem 
Stichwort B. : Mit diesem Kunstausdrucke bezeichnet man 
ein Tonstiick, in welchem die Melodie oft in schwer zu in- 
tonirenden Intervallen fortschreitet, die Harmonie verwor- 
ren, und der Satz mit Dissonanzen und ungewohnlichen 
Ausweichungen uberladen ist; und unter dem Stichwort 
Singend : Insbesondere verstehet man aber darunter das Fafi- 
liche und Zusammenhdngende der Melodie, welches man 
dem Holperichten und dem, was man barock nennet, entge- 
gensetzt. Der Geschmack fiir den B. (gout baroque) 
war aus Italien und Frankreich nach Deutschland 
iibertragen worden und bevorzugt in der Architektur 
und Plastik das »Malerische«, in der Musik den con- 
certierenden Stil. Aus der Architekturgeschichte wurde 
die Bezeichnung auf die Musik- und die Literaturge- 
schichte, schlieBlich auf die Gesamthaltung der euro- 
paischen Kunst von etwa 1600 bis etwa 1740 iibertra- 
gen. Die anf angliche Auffassung des B.s als einer kiinst- 
lerischen Verfallserscheinung ist zuerst von C.Gurlitt 
(Geschichte des Barockstiles, 3 Bande, 1887-89) und H. 
Wolff lin (Renaissance undB., 1888) griindlich revidiert 
und ins Positive gewendet worden. Seither ist der Ter- 
minus B. weit verbreitet, auch in der Musikgeschichte, 
aber keineswegs allgemein gebrauchlich, weder in den 
deutschsprachigen noch in den romanischen Landern, 
wo er iibrigens meist abgelehnt wird. Eine gewisse Un- 
scharfe und Widerspriichlichkeit hat B. mit denjenigen 
Begriffswortern gemeinsam, die sehr viel spater liegen 
als der historische Sachverhalt, der mit ihnen bezeich- 
net wird. H. Riemann gebraucht den Terminus B. nicht 
und benennt die B.-Epoche Generalbafizeitalter. Der B. 
in der Musik greift mit seiner Friihstufe bis 1570 zu- 
riick, seine Hochstufe wird bis 1680 gerechnet, und 
seine Spatstufe lauft breit in das 18. Jh. aus, bis sie im 
Sturm und Drang der »Geniezeit« ihrer Formen un- 
sicher wird, zerfallt und untergeht. Demnach erstreckt 
sich der Musik-B. zwischen dem Jahrhundert der Kir- 
chenspaltung und dem Jahrhundert Goethes; musik- 
geschichtlich zwischen den groBen Meistern Senfl und 
Gluck. Im Allgemeinbewufitsein der Musiker und Mu- 
sikfreunde ist der spate B. bekannter als seine Friihzeit, 
wobei nur an Vivaldi und D.Scarlatti in Italien, Fr. 
Couperin und Rameau in Frankreich, Purcell in Eng- 
land sowiej. S. Bach, Handel und Telemann in Deutsch- 
land zu denken ist. Das epochal Neue der B.-Musik ist 
die GeneralbaBmonodie und die neue Musizierform 
des -> Concerto. Sie verbreiteten sich von Italien aus 
iiber die alteuropaische Musikwelt. Die Vorherrschaft 
Frankreichs und der Niederlande wurde von derjeni- 
gen Italiens abgelost. Kantate, Madrigal, Oper, Ora- 
torium, Arie und Rezitativ sind Gattungen der italieni- 
schen Musik, die sich die anderen Lander Europas zum 
Vorbild nahmen. Von iiberall her wanderten Musiker 
nach Italien; italienische Komponisten und Kapellmei- 
ster, Sanger und Sangerinnen, Instrumentalvirtuosen 
und Impresarios fanden Anstellung an den Hofen und 
Kirchen aufierhalb Italiens. In Paris z. B. schuf der Ita- 
liener Lully das barocke Musiktheater mit seiner Tra- 
gedie lyrique und seiner Comedie-ballet. Das Neue 
war in Itahen mit einer Kampfstellung gegen die alte 
Kunst des Kontrapunkts hervorgetreten. Kontrapunk- 
tische Chorpolyphonie, so hieB es, verstiimmele den 
Text bis zur Unkenntlichkeit infolge der sich iiberla- 
gernden Stimmen und der damit zusammenhangen- 
den Ungleichzeitigkeit des Textvortrags. Ihr Vorbild 



83 



Barock 



fur eine neue Monodie wollten die Musiker der Flo- 
rentiner Camerata in der Einstimmigkeit der antiken 
Musik sehen. Caccini, Sanger und Lautenist am Hof 
der Mediceer in Florenz, veroffentlichte 1602 seine 
Nuoue musiche, deren Entstehung zum Teil bis 1585 zu- 
riickreicht. Es sind strophische und durchkomponierte 
Arien und Madrigale fur 1 Singstimme mit General- 
bafi. In der Vorrede spricht Caccini von una certa nobile 
sprezzatura di canto. . . senza sottoporsi a misura ordinata 
(»einer gewissen vornehmen Leichtigkeit des Gesangs 
. . . ohne sich einem vorgeordneten ZeitmaB zu un- 
terwerfen«). Als Solosanger, der auf der Laute sich 
selbst zum Gesang begleitete, machte Caccini sich von 
der Bindung an eine objektive Zeitordnung (con misu- 
ra) leichter frei als es der Sanger im Verband einer 
Chorgemeinschaft vermochte. Im solistischen Gesang 
sollte die Dichtung inhaltsgemaBer dargestellt und der 
Gehalt der Textworte durch affettuose Deklamation 
besser ausgeschopft werden. Bei dem mit Caccini be- 
freundeten Monteverdi erlangt die neue Art von Mu- 
sik und Musizieren senza misura ihre geniale Verwirk- 
lichung. Im 8. Buch seines Madrigalwerkcs (1638) fin- 
det sich die szenische Kantate Lamento della Ninfa, wo 
die polyphonen Chore in Einzelstimmen gedruckt 
sind, perche si cantano al tempo de la mano (nach dem 
ZeitmaB des gleichmaBigen Auf- und Niederschlages 
der Hand des Kantors), wahrend das Lamento (mit 3 
Singstimmen und Gb.) in Partitur gedruckt ist, qual va 
cantato a tempo del'affetto del animo e non a quelle de la 
mano (nach dem freien ZeitmaB des Affekts der Seele, 
nicht nach dem Mensurschlag der Hand des Kantors). 
So heftig in der Friihzeit der B.-Musik der Kampf ge- 
gen den Kontrapunkt gefiihrt wurde, so stark sind 
andrerseits auch wiederum die Bindungen an die alte 
motettische Kunst. Sie wird beibehalten und mit den 
neuen concertierenden Errungenschaften ausgestattet. 
.Es entsteht aus dem durch die imitierende Motette be- 
stimmten Ricercar des 16. Jh. das monothematische 
Ricercar (Sweelinck, Bach im Musicalischen Opfer) und 
die auf ein einziges Thema (subjectum) konzentrierte 
Fuge, die bei Handel und Bach ihre Kronung findet, 
auch erweitert zur Doppel- und Tripelfuge. Die Ko- 
existenz der beiden Stile, des alteren mensuralen, alt- 
niederlandischer Herkunft, wie er in der Motetten- 
und Orgelkomposition fortlebte, und des neuen con- 
certierenden Stils italienischer Herkunft, der in der 
Monodie und im Rezitativ sich auswirkt, ist fur den B. 
in Deutschland kennzeichnend. So schreibt H. Schiitz 
in seiner Ceistlichen Chor-Music (1648) 5- bis 7st. Mo- 
tetten im Stilus gravis (antiquus) und fordert von den 
jungen Komponisten die Beherrschung des alten Stylus 
ohne den Bassum continuum als Grundlage fiir den neuen 
madrigalischen und concertierenden Stil. Das Fortbe- 
stehen des alten Stils bildet ein beharrendes Prinzip in der 
B.-Musik, hesonders in der Kirchenmusik. Neue Ten- 
denzen richten sich auf eine gesteigerte Wirkung der 
Musik, die den Horer erregen (stile concitato) , ihn iiber- 
reden und iiberzeugen will. Dabei ist u. a. an die mehr- 
chorige Klangfiille der deutschen Psalmenkompositio- 
nen fiir Soli, Chore und Orchester zu denken, mit de- 
nen M.Praetorius und H. Schiitz 1619 die Epoche der 
B.-Musik in Deutschland eingeleitet haben, oder an 
den vielstimmigen Kolossalstil der Festmesse fiir die 
Einweihung des Salzburger Doms von O.Benevoli 
(1628) mit 53 Stimmen, 16 vokalen in 4 Choren, 34 in- 
strumentalen, 2 Orgeln und Basso continue Die Stei- 
gerung des Ausdrucks und der Wirkung zeigt sich 
auch in der musikalischen Oratorie (-»■ Figuren); die 
musikalisch-rhetorische Figurenlehre erfahrt im B. ih- 
ren systematischen Ausbau. Monteverdi hatte die neue 
Stilbildung als seconda prattica bezeichnet und ihr den 



alten Stil als prima prattica gegeniibergestellt. Die For- 
derung der Seconda pratica lautet: L'orazione sia pa- 
drona dell'armonia e non serva. Auch in Frankreich rich- 
tet eine Gruppe von Dichtern und Musikern der 1570 
von A. de Baif und T. Courville in Paris gegriindeten 
Academie de Poesie et de Musique ihre Bemuhungen 
auf eine engere Verbindung von Sprache und Musik 
nach antiken metrischen Schemata. Sie unternahmen 
Versuche mit einer musique mesuree a I 'antique, die auch 
in Italien Eingang fand. Noch wichtiger fiir die B.- 
Musik sollte die Umbildung des musikalischen Gefii- 
ges im Sinne des Dreiklangs (-*• Trias harmonica) wer- 
den. Homophone Klange verwendete in gesteigertem 
MaBe bereits Josquin, und homophon waren zu seiner 
Zeit vor allem die italienischen Lauden und Frottolen 
angelegt. Fiir die B.-Musik ist der vertikal-klangliche 
Bezug der Harmonik verbindlich; die Ausbildung des 
GeneralbaBstils hangt mit einer auf die BaBstimme be- 
zogenen akkordlichen Klanglichkeit zusammen, wah- 
rend die Mittelstimmen, von einer der AuBenstimmen 
abhangig, nur mehr eine fullende Bedeutung haben 
und durch Bezifferung der BaBstimme angegeben 
werden. Im 16./17. Jh. sind die Dur-Moll-Akkorde 
noch vornehmlich im modalen Sinne, d. h. nach dem 
Prinzip der Kirchentone, miteinander verknupft; im 
spaten 17. Jh. dagegen setzt eine Beziehung der Akkor- 
de auf bestimmte tonale Schwerpunkte ein (Tonika, 
Dominante, Subdominante) und bestimmt ein neuar- 
tiges harmonisches Spannungsverhaltnis den Werkab- 
lauf der spatbarocken Komposition. Analog zu diesem 
harmonischen Vorgang wird der Tactus zum Takt 
umgeformt. War die motettische Kunst noch weithin 
vom Tactus bestimmt, der in gleichmaBiger Folge die 
mensuralen Einheiten anzeigte, so hatte sich in der 
gleichzeitigen Tanzmusik bereits eine Folge von 
»Schwer und Leicht« durchgesetzt, die als Taktschwer- 
punkte auch in die Kunstmusik eindrangen. Der Takt- 
strich, der Gruppen einer Schwereordnung markiert, 
ist eine Erfindung der B.-Musik. In der spatbarocken 
Instrumentalmusik kommt die mechanische Taktord- 
nung zu allgemeiner Geltung, wenn auch mit kunst- 
vollen Ausnahmen rhythmischer Gestaltung. Unter 
den verschiedenen Formbildungen der B.-Musik ragen 
hervor: Motette, Ricercar, Fuge; Kantate, Oper (seria 
und buff a), Oratorium; Suite, Partita, Variation, Kan- 
zone, Da-Capo-Arie, Gruppenformen des Concerto, 
Trio als Kernform kammermusikalischer Satzkunst; 
Rezitativ (secco und accompagnato), Arioso, Praelu- 
dium, Toccata, Fantasie; Neapolitanische Sinfonia, 
Franzosische Ouvertiire, Ensemble- und Solosonate 
(da chiesa und da camera), mehr- und einstimmiges 
Lied. Seit etwa 1650 setzte sich in der B.-Musik die so- 
ziologische Einteilung nach selbstandigen Musikberei- 
chen durch, denen je verschiedene musikalische For- 
men und Gattungen mehr oder weniger fest zugeord- 
net waren: Musica ecclesiastica (Kirchen-), musica cubicu- 
laris (Kammer-) und musica theattalis (szenische Musik). 
Lit.: C. Sachs, Barockmusik, JbP XXVI, 1919/20; Th. 
Kroyer, Zwischen Renaissance u. B., JbP XXXIV, 1927; 
R. Haas, Die Musik d. B., Biicken Hdb.; E. Wellesz, 
Renaissance u. B., Zf Mw XI, 1 928/29 ; A. Della Corte, II 
barocco e la musica, in: Melanges de Musicologie, Fs. L. 
de La Laurencie, Paris 1933; E. Schenk, tlber Begriff u. 
Wesen d. mus.,B., ZfMw XVII, 1935; E. H. Meyer, Die 
Vorherrschaft d. Instrumentalmusik im nld. B., TVer XV, 
1939; W. Gurlitt, Der Bedeutungsanspruch deutscher 
Barockmusik, Neues Musikblatt LXIX, Mainz 1941 ; 
ders., Vom Klangbild d. Barockmusik, in: Die Kunstfor- 
men d. Barockzeitalters, hrsg. v. R. Stamm, = Slg Dalp 
LXXXII, Bern u. Munchen 1956; A. Liess, Wiener B., 
= Wiener Musikbucher III, Wien 1946; M. F. Bukofzer, 
Music in the Baroque Era, NY (1947) (mit ausfuhrlichem 



84 



Bas-dessus 



Lit.-Verz.); S. Clercx, Le baroque et la musique, Briissel 
1948 ; W. Gerstenberg, Die Krise d. Barockmusik, AfMw 
X, 1953 ; H. Tintelnot, Zur Gewinnung unserer Barock- 
begrifTe, in : Die Kunstf ormen d. Barockzeitalters, hrsg. v. 
R. Stamm, = Slg Dalp LXXXII, Bern u. Munchen 1956; 
H. H. Eggebrecht, B. als mg. Epoche, in : Aus d. Welt d. B., 
Stuttgart 1957; R. Dammann, Die Struktur d. Musikbe- 
griffs im deutschen B., Habil.-Schrift, Freiburg i. Br. 1958, 
maschr. ; G. Barblan, II termine barocco e la musica, in: 
Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; 
L. Ronga, Un problema culturale di moda: il barocco e la 
musica, in : L'esperienza storica della musica, = Bibl. di 
cultura moderna 545, Bari 1960; Fr. Blume, Begriff u. 
Grenze d. B. in d. Musik, STMf XLIII, 1961 : Le baroque 
mus., = Les Congres et Colloques de l'Univ. de Liege, 
Luttich 1964. 

Barrd (frz., s. v. w. quergelegt, versperrt), in der 
Technik des Lauten- und Gitarrenspiels Bezeichnung 
fiir den Quergriff eines Fingers iiber mehrere Saiten; 
dabei wirkt der greifende Finger als kiinstlicher Sattel 
(-> Capotasto). Der B.-GrifE ist die Grundlage fiir das 
Akkordspiel in den hoheren Lagen und fiir die Bewal- 
tigung schwierigerer Tonarten. Der moderne Tanz- 
gitarrist verwendet um der rhythmischen Prazision 
willen vorzugsweise den B.-Griff. 

Barrel-house style, Barrel-house piano (b'asisl- 
haus stail, engl. barrel-house, Fafihaus; Lokal, in dem 
Schnaps aus Fassern ausgeschenkt wurde). In den 
Stadten der Sudstaaten der USA wurden die Barrel- 
houses vor allem von Negern besucht. Die dort auftre- 
tenden Musiker waren ebenfalls Neger, vor allem Pia- 
nisten, die den B.-h. st. pflegten. Der B.-h. st. entstand, 
als man begann, Blues auf dem Piano zu spielen (blues- 
piano, d. h. Improvisieren iiber Bluesschemata) und 
entwickelte sich seit der Mitte des 19. Jh. aus dem Jig- 
piano, einem Vorlaufer des -> Ragtime. Es herrschen 
ein harter, gestoBener Anschlag, in der linken Hand 
rhythmisches Herausstellen des Basses und der Grund- 
funktionen. Das Pedal wird nicht zur Tonverlange- 
rung, sondern nur zum Treten des -»■ Beat verwendet, 
in starkem MaBe treten Clusters auf. Zum Repertoire 
derB.-h.-Pianistengehortenauch->- Stomp und -*■ Rag- 
time, vor allem aber spater der -> Boogie-Woogie. 
Dieselbe Spielweise des Pianos findet sich auch im Ne- 
gerviertel Chicagos, in House-rent parties (auch -*■ Skiff- 
le), die die Farbigen veranstalteten, um durch den Erlos 
daraus die Miete abdecken zu konnen. Der B.-h. st. 
wird haufig - ebenfalls iiber Bluesschemata - in Grup- 
pen praktiziert, wobei zum Klavier noch Gitarre, Ban- 
jo, Schlagzeug, Kazoo (Rohr mit Membrane), Jug (ir- 
dener King, in den hineingesungen wird) und Wash- 
board treten konnen. Dieselben Instrumentalgruppen 
konnen aber auch Bluessanger oder -sangerinnen be- 
gleiten. Bekannte Beispiele fiir diese Art des B.-h. st. 
als Bluesvortrag sind die Race record-Aufnahmen von 
Ma Rainey mit ihrer Tub-Jug-Washboard-Band. 

Barrel-organ 

Baryton (ital. Viola di bordone oder Viola di bardo- 
ne, auch kurz Bardone), - 1) ein Streichinstrument, 
von dem ein Exemplar zuerst 1656 belegt ist und das 
bis ins friihe 19. Jh. bekannt war. Es ist aus der -»■ Viola 
bastarda entwickelt und hat die GroBe der Tenor- 
Gambe. Der UmriB des Corpus ist vielfaltig geschwun- 
gen ; kennzeichnend sind die langgezogenen und weit- 
ausladenden Mittelbiigel. Oft sind doppelte Schallocher 
in gewundener Schlangen- oder Flammenschwertf orm 
angebracht. Der Boden ist - ahnlich dem der Gambe - 
flach und zum Oberteil hin leicht abgeschragt. Das B. 
hat 6-7 Griffsaiten aus Darm (1. Saitenbezug), dazu 9- 
28 (iiberwiegend 10-15 ->• Aliquotsaiten) aus Metall 



(b'asjal 'o:g3n, engl.) ->■ Drehorgel. 



(2. Saitenbezug). Diese laufen, von einem eigenen Sai- 
tenhalter unter dem an seinem linken Unterteil ver- 
breiterten Steg hindurch, unterhalb des Griffbretts ent- 
lang und miinden im Wirbelkasten, wo sie durch Holz- 
wirbel oder Metallschrauben gestimmt werden kon- 
nen. Die Besonderheit des B. besteht darin, daB die 
Aliquotsaiten nicht nur der Resonanzverstarkung die- 
nen, sondern auch zum Anzupfen durch die Daumen- 
spitze der linken Hand bestimmt sind. Daher ist der 
Hals des B. ruckseitig offen. Ein seltener 3. Saiten- 
bezug besteht aus BaBsaiten (Bordunen, aus Darm). 
Diese befinden sich auf der Deckenseite und werden 
mit dem kleinen Finger der rechten, den Bogen fiih- 
renden Hand angeschnellt. Die Stimmung der Griff- 
saiten ist nach Speer (1687) und Majer (1741) die 
der Tenorgambe (iA) D G c e a d 1 , nach J. G.A1- 
brechtsberger (1719) ein Ganzton hoher; die Stim- 
mung der Resonanz- und Begleitsaiten ergibt eine 
diatonische Skala. Albrechtsberger zufolge sind die 11 
Saiten diatonisch (E-a) zu stimmen, bei groBerer An- 
zahl wahlte man eine entsprechende VergroBerung der 
diatonischen Skala oder untermischte sie mit Halbto- 
nen; die auBerste Grenze war eine vollstandige chro- 
matische Skala. Ober den Klang schreibt L.Mozart: 
. . . eines der anmuthigsten Instrumente, und Koch (1802) : 
ein Instrument von sehr lieblichem Tone. Das B. war vor 
allem in Siiddeutschland und Osterreich beliebt. Die 
altesten iiberlieferten Kompositionen fiir B. sind die 
IX. Partien / auf die Viola Paradon / aus unterschiedlichen 
Tonen . . . von Johann Georg Krause, die dieser dem 
1704 verstorbenen Herzog Christian Ullrich von Wiirt- 
temberg widmete. Ftirst Nikolaus Joseph Esterhazy, 
Haydns Gonner, war ein bekannter Liebhaber dieses 
Instruments ; Haydn hat daher 1766-75 Kompositionen 
fiir das B. mit 6 Griffbrettsaiten D G c e a d' und 9 Be- 
gleitsaiten G (A) d e fis g a h cisi d' geschrieben (et- 
wa 175, teilweise 1799 beim SchloBbrand zerstort; mit 
Sicherheit heute 165 nachweisbar, darunter 126 Diver- 
timenti a tre per il B., Viola e Basso, ferner Duette, So- 
naten, Kassationen, Konzerte). Auch A.Tomasini (24 
Divertissements fiir B., V. und Vc), J. Burgkstein, 
Neumann, A.Lidl, A.Kraft (Trios fiir 2 B.s und Vc), 
Niemecz, F.Paer, J.Weigl, J.L.Eybler, V.Pichl (148 
Stiicke fiir B.) schrieben fiir B. Mit dem 18. Jh. ging 
die Bliitezeit des B. zu Ende. Es begegnet danach nur 
noch vereinzelt, so wurde es noch von S.L. Friedel 
(f 1842; Konigliche Kapelle Berlin) gespielt. - 2) eine 
kleinere Abart des Violoncello (Stimmung eine Okta- 
ve unter der Violine G d a e 1 ), von C.Henry (Paris 
1847) erfunden, vermutlich auf Anregung des Pariser 
Violoncellisten F.Battanchon (1814-93). 
Ausg. : J. Haydn, 9 Divertimenti f. B., Va u. BaB, hrsg. v. 
W. Woehl, 3 H., Kassel 1939-52; B.-Trios, Haydn-GA, 
Reihe 14, Nr 25-96, hrsg. v. H. Unverricht, Munchen u. 
Duisburg 1958. 

Lit.: J. Fr. B. C. Majer, Museum musicum (1732), Faks. 
hrsg. v. H. Becker, = DM1 1, 8, 1954; Mozart Versuch; 
KochL; C. F. Pohl, J. Haydn,.Bln u. Lpz. 1875-82, 1, S. 
249ff., u. II, S. 304ff. ; G. Kinsky, Kat. d. Musikhist. Mu- 
seums v. W. Heyer in Coin II, Koln 1912 (S. 504 Auszug d. 
Vorber. zu d. IX. Partien v. J. G. Krause); D. Fryklund, 
Va di Bardone, STMf IV, 1922 ; C. Sachs, Slg alter Musik- 
instr. . . . zu Bin, Beschreibender Kat., Bin 1922; O. 
Strunk, Haydn's Divertimenti for B., Va and Bass, MQ 
XVIII, 1932; A. van Hoboken, J. Haydn, Thematisch- 
bibliogr. Werkverz. I, Mainz 1957; E. Fruchtmann, The 
B. Its Hist, and Its Music Re-examined, AMI XXXIV, 
1962. 

bas (ba, frz.) -> haut. 

Bas-dessus (bads'u, frz.), mittlere Frauenstimme 
(Mezzosopran oder Alt). -> Dessus. 



85 



Basel 



Basel. 

Lit. : K. Nef, Die Stadtpfeifereien u. d. Instrumentalmusi- 
ker in B. 1385-1814, SIMG X, 1908/09; ders., Die Musik 
an d. Univ. B., Fs. zur Feier d. 450jahrigen Bestehens d. 
Univ. B.,B. 1910; W.Merian.B. Musiklebenim 19. Jh.,B. 
1920; E. Refardt, Biogr. Beitr. zur B.er Mg., I— III, B.er 
Jb. 1920, 1921, 1922; Fr. Berger, Das B.er Trommeln, B. 
1928 ; M. F. Schneider, Alte Musik in d. Bildenden Kunst 
B., B. 1940; Fr. Ernst, Die Spielleute im Dienste d. Stadt 
B. im ausgehenden MA, B.er Zs. f. Gesch. u. Altertums- 
kunde XLIV, 1945; Alte u. neue Musik. Das B.er Kam- 
merorch. unter Leitung v. P. Sacher 1 926-5 1 , Zurich 1 9 52 ; 
Fr. Morel, Org. u. Organisten im B.er Miinster, in: Die 
Org. im B.er Miinster, B. 1956; ders., Schweizerische Mu- 
sik im B.er Konzertleben friiherer Zeit, B.er Stadtbuch 
1963 ; W. Nef, 25 Jahre Schola Cantorum Basiliensis, Jah- 
resber. d. Musik-Akad. d. Stadt B. 1958/59 ; H. P. Schanz- 
lin, B. private Musikpfiege im 19. Jh., B. 1961. 

Basilarmembran ->■ Ohr. 

Basis (griech., Sockel, Grundlage) begegnet in der 
Summa musicae bei Beschreibung der dyaphonia und 
triphonia basilica im Sinne des »Haltetons« im Orga- 
num (->■ Diaphonia). Im 16./17. Jh. bezeichnet B., 
gleichbedeutend mit -> Fundamentum, die BaBstim- 
me (Zarlino, Istitutioni harmoniche, 1558, III, 58: ... il 
Basso . . . e posto per Basa et fondamento delV Harmonia) , 
auch den Grundton eines Akkords. 

Basken. 

Lit. : Ch. Bordes, La musique populaire des Basques, Paris 
1 899 ; J. A. de Donostia, La musica popular vasca, Bilbao 
1918 ; ders., Notas acerca de las canciones de trabajo en el 
pais vasco, AM III, 1948; ders., Musica y miisicos en el 
pais vasco, = Monografias vascongadas V, San Sebastian 
1951 ; ders., Instr. mus. del pueblo vasco, AM VII, 1952; 
ders., Hist. delasdanzasdeGuipuzcoa . . ., AM IX, 1954; 
R. Gallop, The Development of Folksong in Portugal and 
the Basque Country, Proc. Mus. Ass. LXI, 1935; J. Perez 
Vidal, Endechas populares en tristrofos monorrimos s. 
XV-XVI, La Laguna 1952. 

Bafi (ital. basso, von mittellat. bassus, fest, dick, nied- 
rig; frz. basse, seit dem 17. Jh.; engl. bass; span, bajo), 
- 1) die tiefste Stimme einer Komposition, die als reale 
oder abstrakt-theoretische die Bedeutung einer Grund- 
stimme haben kann und die als Stiitze, Grundlage des 
harmonischen Geschehens eine besondere ->• Stimm- 
fiihrung aufweist. - Bereits frei erfundene Tenores na- 
mentlich in Caccien des Trecento und in Motetten von 
Ciconia um 1400 pragen in ihxer sprunghaften Fuh- 
rung den Charakter einer Stutzstimme aus (-> Bor- 
dun). Ab etwa 1430 (Dufay, Binchois) klausuliert der 
-*■ Contratenor statt in herkommlicher Parallel- und 
Oktavsprungkadenz zunehmend mit Quintfall (Dop- 
peloktavkadenz). Damit war der Contratenor als Tief- 
stimme legitimiert und - zunachst in Kadenzen - Tra- 
ger einer dominantischen Klangbeziehung. Um 1450 
spaltete er sich in Contratenor altus und bassus, letzterer 
bald einfach bassus, auch -> Basis, Baritonans oder 
-» Fundamentum genannt. Im Zusammenhang mit 
dieser Entwicklung steht die ErschlieBung des tiefen 
Klangraums, auch durch Instrumente wie die ->■ Zug- 
trompete. Friihe Vorschriften fiir die Bildung einer B.- 
Stimme gibt Guilelmus _ j 

Monachus (um 1480 ; CS '"" 

III, 296f.), wobei er den Cantus 
je vorletzten und letzten 
Ton der Stimmen in ih- 
rem Verhaltnis zum Te- 
nor (C. f.) und in der 
Reihenfolge Contrate- 
nor bassus, Cantus (Su- 
pranus), Contratenor al- 
tus beschreibt. Bassus 



Altus 



Tenor 



J J J J 



m 



j j j j 



m 



r r ' r 



In der alle Stimmen gesanglich und gleichwertig be- 
handelnden Chorpolyphonie seit Ockeghem pragte 
sich der harmonische Fundamentcharakter des Basses 
nur zogernd aus, um so mehr jedoch etwa in den volks- 
tiimlichen italienischen Tanzliedern (Frottola, Villanel- 
la), bald im einfachen Akkordsatz (Contrapunctus sim- 
plex) auch anderer Gattungen und speziell in den seit 
der Jahrhundertmitte gepflegten vielstimmig-mehr- 
chorigen Kompositionen, die als erste den Bassus pro 
organo fordern, eine Fruhform und als Basso seguente 
eine der Arten des Generalbasses. Dieser bezeichnet ge- 
wissermaften ein Ziel in der Entwicklung der B. -Stim- 
me seit dem 15. Jh. : das Diskant-Tenor-Geriist ist nun 
durch den Primat der AuBenstimmen verdrangt, wo- 
bei der B. die Harmoniefolge tragt und fiihrt und in 
Erfiillung dieser Aufgabe eine wesenhaft instrumentale 
Stimme ist, sowohl in seinem Duktus als auch in seiner 
Forderung nach kraftigerem Hervortreten. Der Gene- 
ralbaB, eine gleichzeitig reale und theoretische Stimme, 
wurde ausgefuhrt durch die -> Fundamentinstrumen- 
te und durch die mit dem spaten 16. Jh. vermehrt auf- 
kommenden Instrumente der B.- und KontrabaBlage, 
deren Entwicklung erst mit der Tuba im 19. Jh. abge- 
schlossen wurde. Viele Arten des Basses unterscheidet 
das 17. Jh.: nach Lage (Schliisselung) den Bassus rectus, 
major (hoher B.), minor (tiefer B.) und -*■ Bassett; im 
Concertostil den Basso concertante und -> Basso ri- 
pieno; undje nach Art und Bewegung der B.-Stimme 
kennzeichnet man diese als -»• Ostinato, »figurierten« 
B. (ital. basso figurato), »gehenden« oder »liegenden«B. 
Nach dem Ende der GeneralbaBzeit gab es den B. wei- 
terhin auch in der Art einer theoretischen Fundament- 
stimme, so in der -»- Basse fondamentale Rameaus und 
in Theorien Sechters, Schenkers, Riemanns und Hinde- 
miths. In der weitgehend von der Melodie her konzi- 
pierten funktionalharmonischen Musik des spateren 
18. und beginnenden 19. Jh. wurde der B. als reale 
Stimme oft zuriickgebildet und erscheint in der Kla- 
viermusik haufig in den Formeln der Alberti-Basse 
und Murkys. Namentlich seit Brahms jedoch wurde 
wieder von einem fundierenden, zugleich aber als voll- 
gultige Stimme ausgebildeten B. aus komponiert; 
gleichzeitig wurden die konstruktiven Moglichkeiten 
des Basso ostinato wiederentdeckt. Dagegen vermeidet 
die Atonale Musik nach der Jahrhundertwende so wie 
die Vorherrschaft eines Tones oder Klanges auch die 
einer Stimme. - 2) die tiefste der Stimmgattungen. Die 
Bezeichnung Bassist ist deutsch zuerst 1517 belegt. Man 
unterscheidet den tiefen (zweiten) B. und hohen (er- 
sten) B. (B.-Bariton, -> Bariton). DerUmfang des Bas- 
ses ist regular E-d 1 , bei Beruf ssangern bis f 1 ; der tiefe 
B. (ital. basso profondo; frz. basse profonde; engl. deep 
bass) reicht etwas weiter hinab (etwa bis D, C), in ein- 
zelnen Fallen bis (Kontra-)B. und tiefer, der hohe (ital. 
basso; frz. basse, auch basse noble, basse chantante; 
engl. basse, auch singing bass) nur bis A, wahrend in 
der Hohe bei beiden die Grenze dieselbe ist oder hoch- 
stens um I-IV2 Tone differiert (es^fis 1 ). Die Biihnen- 
praxis unterscheidet zwischen B.-Buffo und seriosem 
B. Der B.-Buffo, Vertreter des heiteren Fachs, benotigt 
Sonoritat, stimmliches Charakterisierungsvermogen, 
bravourose Deklamation und darstellerische Begabung. 
Hauptpartien sind: Bartolo (Barbiere di Siviglia), Ba- 
culus (Wildschiitz), van Bett (Zar und Zimmermann) , 
Ochs von Lerchenau (Rosenkavalier) . Der seriose B. er- 
fordert stromende Fiille des Tones bei ausgiebiger Tie- 
fe. Bekannte Partiensind: Sarastro(Zawfeer/io(e), Kaspar 
(Freischiitz), alle B.-Partien Verdis und Wagners. 

Bassanello (ital.), Holzblasinstrument des 16. und 17. 
Jh., dem ->• Kortholt verwandt, mit Doppelrohrblatt, 



86 



Bassett 



zylindrischer Bohrung, geradem Luftkanal und An- 
blasrohr. Zum Stimmwerk gehorten BaB (C-e oder £), 
Tenor-Alt (G-ci) und Diskant (d-gi). - Bassanelli 8' 
und 4' stehen in alteren Orgeln als Zungenwerk von 
»stillem« Klangcharakter, sind jedoch selten. 

Basse contrainte (ba:s c5tr'e:t, frz.) -*■ Ostinato, 
->• Basso continuo (- 2). 

Basse-contre (bask'5:tr, frz.), s. v. w. sehr tiefe BaB- 
stimme (Basse profonde). 

Basse danse (ba : s da: s, frz. ; ital. bassa danza), Hof tanz 
der Zeit um 1450-1525; nach Arbeau (1588) danse par 
has ou sans sauter. Die B. d. ist in Frankreich, den Nie- 
derlanden und Italien nachweisbar. Uber die eigentli- 
che Bedeutung einer spezifischen Tanzform hinaus be- 
zeichnet B. d. auch andere Schreittanze, wie sie an den 
Fiirstenhofen und in der Adelswelt iiblich waren. Die 
B. d. bestand aus einfachen und Doppelschritten, Seit- 
warts- und Riickwartsschritten in mannigfacher Folge. 
Sie ist vorwiegend geradtaktig mit 3facher Untertei- 
lung. Eine zentrale Quelle der B. d. ist ein kostbares 
Manuskript der Koniglichen Bibliothek in Briissel, 
das aus dem Besitz der Margarete von Osterreich 
(f 1530) stammt und neben einem einleitenden Trak- 
tat 59 in schwarzen Breven (quadratische Choralnote) 
aufgezeichnete Melodien nebst beigefugten Tanz- 
schritten enthalt. Diese Melodien wurden als C. f. ver- 
wendet, wozu die Spieler eine oder zwei andere Stim- 
men improvisierend erfanden. Einige B. d.-Melodien 
konnten als Chanson-Tenores nachgewiesen werden. 
B. d.-Melodien wurden auch als Tenor-C. f . von Mes- 
sen benutzt. Es war iiblich, auf eine gravitatische B. d. 
einen ungeradtaktigen Springtanz folgen zu lassen 
(Tourdion, Gaillarde, Saltarello). Die Attaingnant- 
schen Sammlungen von 1529-30 enthalten 4st. B.s d.s, 
die so angelegt sind, daB dieselbe Notierung im gera- 
den Takt als Schreittanz und im ungeraden Takt als 
Nachtanz dienen konnte. An Musikinstrumenten zur 
Begleitung der B. d. sind verschiedene Zusammenstel- 
lungen gebrauchlich gewesen, z. B. Schalmeien und 
Trompete; oder Laute, Harfe, Trommel; oder Zink, 
Posaune und Schnabelflote mit kleiner Trommel. 
Ausg.: LeMs. ditdesB. d.delaBibl.deBourgogne, = Soc. 
des Bibliophiles et Iconophiles de Belgique, Faks. hrsg. v. 
E. Closson, Brussel 1912. 

Lit. : H. Riemann, Die rhythmische Struktur d. B. d. d. Hs. 
9085 d. Briisseler Kgl. Bibl., SIMG XIV, 1912/13 ; E. Clos- 
son, La structure rythmique des B. d. du ms. 9085 de la 
Bibl. Royale de Bruxelles, ebenda ; W. Gurlitt, Burgundi- 
sche Chanson- u. deutsche Liedkunst d. 15. Jh., Kgr.-Ber. 
Basel 1924; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orche- 
stersuite im 1 5. u. 16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 
1925; E. Hertzmann, Studien zur B. d. im 15. Jh., ZfMw 
XI, 1928/29; C. Sachs, Der Rhythmus d. B. d., AMI III, 
1931; O. Gombosi, Der Hoftanz, AMI VII, 1935; ders., 
About Dance and Dance Music in the Late Middle Ages, 
MQ XXVII, 1941 ; Ch. Van den Borren, in: Melanges E. 
Closson, Brussel 1948; M. F. Bukofzer, A Polyphonic B. 
d. of the Renaissance, in : Studies in Medieval and Renais- 
sance Music, NY (1950); M. Reimann, Zur Entwicklungs- 
gesch. d. Double, Mf V, 1952, u. VI, 1953 ; K. Meyer-Baer, 
Some Remarks on the Problems of the B. d., TMw XVII, 
1948/55 ; O. Kinkeldey, Dance Tunes of the 1 5 th Cent., in : 
Instrumental Music, hrsg. v. D. G. Hughes, Cambridge 
(Mass.) 1 959 ; E. Southern, Some Keyboard Basse Dances 
of the 15'" Cent., AMI XXXV, 1963 ; D. HEARTZ.The Basse 
Dance. Its Evolution circa 1450-1550, Ann. Mus. VI, 
1958-63. 

Basse double (ba : s du : bl, frz. ; engl. double bass) »ge- 
doppelter BaB«, -> KontrabaB, nach J.G.Walther 
(1732) so benannt, weil erfast zweymahl so grofi, als ein 
ordinairer Frantzbsischer Bafi-Violon ist, und folglich eine 
Oktau tiefer klingt. 



Basse fondamentale (ba:s fddamat'al, frz., Funda- 
mentalbaB), in der Theorie J.-Ph. Rameaus die aus den 
Grundtonen der Harmonien gebildete Fundamental- 
stimme; sofern die reale BaBstimme (basse continue) 
von der Folge der Grundtone abweicht, ist die B. f. ei- 
ne gedachte Stimme. Rameau lieB ausschlieBlich Kon- 
sonanzen, steigende und fallende Terzen und Quinten, 
als Fundamentschritte gelten. Um den steigenden Se- 
kundschritt zwischen Akkordgrundtonen (z. B. in C: 
C-D) auf einen Quintschritt zuriickzufuhren, nahm er 
an, daB entweder unter dem 2. Akkord eine Terz hin- 
zugefiigt (also urspriinglich C-F) oder unter dem 1. 
Akkord eine Terz »verschwiegen« sei (also urspriing- 
lich A-D). 



^S- 



m 



Basse 



^ 



P 



continue 



f? o" 



z8b 



Basse fondamentale 

Im 3. Akkord des Beispiels aus dem Traite de I'harmonie 
ist dem eigentlichen Fundamentton d, der durch Quint- 
schritte mit A und G verbunden ist, die Terz B sub- 
struiert (TrugschluB). Der 6. Akkord ist doppeldeutig; 
der zum F dur-Akkord hinzugedachte Fundamentton 
d gilt in bezug auf den vorausgehenden Akkord (Fun- 
damentschritt C-F) als hinzugefiigte Sexte (sixte ajou- 
tee), in bezug auf den folgenden Akkord (Fundament- 
schritt D-G) als Fundamentton (verschwiegenes Fun- 
dament). - S. Sechter nahm ein verschwiegenes Funda- 
ment auBer beim aufsteigenden Sekundschritt auch 
beim absteigenden an; in der Akkordfolge II— I sei die 
(scheinbare) 2. Stufe als Fragment des Nonenakkords 
der 5. Stufe zu verstehen. Schonberg deutete die Ak- 
kordfolge II— I als Abkiirzung von II-V-I, als Auslas- 
sung von Selbstverstandlichem. 

Lit.: J.-Ph. Rameau, Traite de I'harmonie reduite a ses 
principes naturels, Paris 1722; ders., Demonstration du 
principe de I'harmonie, Paris 1750, deutsch v. E. Lesser, 
= Quellenschriften d. Musiktheorie I, Wolfenbuttel u. Bin 
1930; J. D'Alembert, Elements de musique theorique et 
pratique, suivant les principes de M. Rameau, Paris 1752, 
deutsch v. Fr. W. Marpurg, Lpz. 1757; S. Sechter, Die 
Grundsatze d. mus. Komposition, 3 Bde Wien 1853-54 ; A. 
Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1950, engl. NY 
1947; E. Kurth, Die Voraussetzungen d. theoretischen 
Harmonik u. d. tonalen Darstellungssysteme, Bern 1913; 
Riemann MTh. ; R. Wangermee, Le traite du chant sur le 
livre de P. L. Pollio, M61anges Ch. Van den Borren, Ant- 
werpen 1945; J. Ferris, The Evolution of Rameau's Har- 
monic Theories, Journal of Music Theory HI, 1959. CD 

Bassett (ital. bassetto, s. v. w. kleiner Bafi), findet sich 
bei Viadana (1612), Praetorius u. a. als Name des Basses 
eines Chors hoher Stimmen und sollte von einem Te- 
nor gesungen werden. - In Zusammensetzung mit Na- 
men von Instrumenten bedeutet B. Tenor- oder Alt- 
lage (Bassetthorn). Besonders ist B. (Bassettl, BaBl, 
Basso di camera, HalbbaB) ein zwischen Violoncello 
und KontrabaB stehendes 3-4-(als Deutscher BaB 5-6-) 
saitiges Streichinstrument, das um 1840 nicht mehr ge- 
brauchlich war. Im Unterschied zum spateren -> Cel- 
lone hatte es die Form der Viola da gamba. Bei L. Mo- 
zart (1756) ist B. das Violoncell. - Auch eine Orgel- 
stimme (Rohrwerk mit engem Schallbecher) mit die- 
sem Namen kommt in alteren Orgelwerken vor, auch 
als Labialregister (Hohlflote 4'). 

Lit. : A. Planyavsky, Der Kb. in d. Kammermusik, Oster- 
reichischeMusikzs.XIII, 1958. 



87 



Bassetthorn 



Bassetthorn (ital. corno di bassetto, auch clarone; 
frz. cor de basset), eine um 1770 von Mayrhofer in 
Passau erfundene Altklarinette in F. Der Umfang ist 
F-f 3 (notiert in neueren Partituren stets im Violin- 
schliissel c-c*). Das B. bestand in seiner alteren Form 
aus zwei halbmondf ormigen, zusammengeleimten und 
mit Leder iiberzogenen Holzteilen. Ab etwa 1800 wur- 
de es geknickt gebaut, mit einer meist dreifachen, von 
einem Kasten (»Buch«) umgebenen Knickung dicht 
vor der Stiirze. Bei der neueren Form (Versuche dazu 
ab 1808) ist die eng gebohrte, diinnwandige Schallroh- 
re gerade, das Mundstiick im flachen Winkel angesetzt 
und der messingne Schalltrichter wie beim Saxophon 
abgebogen. Die Mechanik wurde u. a. durch A. und J. 
Stadler ausgebildet, die im friihen 19. Jh. zu den bereits 
bestehenden Klappen fur klingend F und G weitere fur 
Fis und Gis zufiigten. Das moderne B. hat die gleiche 
Applikatur wie die Klarinette. Der Klang ist dunkel 
und nicht durchdringend. Er eignet sich daher gut zur 
Kombination mit tiefen Tonen der Holzblasinstru- 
mente, aber auch der Bratschen und der menschlichen 
Stimme. Mozart hat das B. mit Vorliebe eingesetzt 
(u. a. Serenade K.-V. 370a, 1781 ; Maurerische Trauer- 
musik K.-V. 479a, 1785 ; Requiem K.-V. 626, 1791). Im 
19. Jh. wurde es wenig verwendet. Mendelssohn Bar- 
tholdy schrieb 2 Konzertstiicke fur Klar. u. B.; R. 
Strauss setzte das B. seit Elektra (1909) wieder mit wich- 
tigen Aufgaben im Orchester ein. - Das Kontra-B. 
steht eine Oktave tiefer als das B. Es wurde zuerst ge- 
baut von G. Streitwolf in Gottingen (1. Halfte des 19. 
Jh.) und danach mehrfach verbessert. 

Bafihorn, um 1800 von A.Frichot in London kon- 
struiertes und daher auch Englisches B. genanntes Bias- 
instrument aus Holz oder Metall, mit Kesselmundstiick 
an einer S-R6hre und mit Blechsturze, 9 Grifflochern 
und 4 Klappen (Umfang: lB-g 1 ), von schwerer An- 
sprache und dumpfem Klang. Es ging aus dem um 1789 
durch fagottartige Knickung des Serpents entstandenen 
Ophibariton (»Russisches Fagott«) hervor. Das B. wur- 
de nur einige Jahrzehnte zu Anfang des 19. Jh. gebaut. 
Der Gbttinger Instrumentenmacher G. Streitwolf ent- 
wickelte um 1820 aus ihm das Chromatische B. (10 
Klappen, 2 offene Locher). 

Basso concertante (b'asso kontfert'ante, ital.) -> 
Basso ripieno. 

Basso continuo (ital.; neulat. bassus continuus; frz. 
basse continue ; engl. ubersetzt als thorough-bass) , Abk. : 
B. c, Kurzform: Continuo, kontinuierlicher, ununter- 
brochener BaB. - 1) s. v. w. ->• Generalbafi. - 2) J. G. 
Walther (1732) nennt im AnschluG an BrossardD (. . . 
Basse-Continue . . . obligee ou contrainte, Artikel Obligato) 
B. c. obligato jenen GeneralbaB, der an einegewisseZahl 
Tacte, die stets repetirt werden, gebunden ist oder der alle- 
mahl ein gewisses mouvement halten oder nur gewisse No- 
ten machen mufi u. d. g. (Car il y en a d'une infinite de ma- 
nieres, Brossard). 

Basson (bas'o, frz.), Bassoon (bss'u:n, engl.) — >- Fa- 
gott. 
Basso ostinato (ital.) ->• Ostinato. 

Basso ripieno (ital.), RipienbaB, in der GeneralbaB- 
praxis der stark registrierte oder besetzte BaB des vol- 
len Chores, der beim Concertieren per choros in den 
Tutti-(Ripieno-)Partien zur Verstarkung einfallt, im 
Gegensatz zum Basso concertante (ital. ; frz. auch basse 
recitante) der solistisch concertierenden Partien oder 
Satze. 

Basso seguente (ital.), die im letzten Viertel des 16. 
Jh. als Intavolierungsersatz motettischer Kompositio- 



nen entstandene Friihform und Art des Generalbasses, 
die in der Weise eines »Exzerp t-Basses « zustande kommt 
(daher auch Basso cavato genannt), indem die jeweils 
tiefste Stimme des meist vielstimmigen, oft mehrcho- 
rigen Satzes zu einer fortlaufenden Tiefstimme heraus- 
gezogen wird, welche nach Art des Basso continuo 
auszufuhren ist. Urspriinglich und bis um 1600 war der 
B. s. unbeziffert und fur den Organisten bestimmt, da- 
her auch Basso pro organo genannt. 
Lit. : H. H. Eggebrecht, Arten d. Gb. im friihen u. mittle- 
renl7.Jh.,AfMwXIV, 1957. 

Bathyphon (griech., »tieftonend«) hieB ein von E. 
Skorra (1839) und W.Wieprecht in Berlin konstruier- 
tes, zur Familie der Klarinette gehorendes, geknicktes 
Holz- oder Metallblasinstrument mit S-formigem An- 
blasrohr und Metallstiirze in KontrabaBlage (iD-c) mit 
stumpfer Klangfarbe zur Tiefe hin. Nach voriiber- 
gehender Einfiihrung in Militarmusiken wurde es 
durch die verbesserte BaBklarinette verdrangt. 

Battaglia (batt'a : Aa, ital., Schlacht), Bezeichnung fur 
die musikalische (klangmalerische) Schilderung einer 
Schlacht oder eines kriegerischen Aufzugs. Der Kampf 
mit dem Drachen ist Gegenstand eines Intermediums 
von 1491 (Florenz) und hat sich als Sujet bis ins 19. Jh. 
fortgesetzt (Lully, Cadmus, 1673; Mozart, Zauberftote; 
R.Wagner, Siegfried). Daneben ist der Venuskrieg, der 
Liebeskampf der Geschlechter, im 17.-19. Jh. vielfach 
musikalisch dargestellt worden : Guerra d'Amore, Text 
von Salvadori (Florenz 1615), Musik von Peri; Com- 
battimento di Tancredi e Clorinda von Monteverdi (1624), 
in dem der Komponist neuartige, den Kampf nachah- 
mende musikalische Mittel einsetzt, z. B. das Tempo 
pirrichio J J J im Stile concitato (pirrichio vom pyrrhi- 
schen Waffentanz der Antike) und das Violintremo- 
lo ; Tannhauser und Parsifal von R. Wagner. Zu erwah- 
nen sind auch die Moresca sowie die Battaglien, die in 
den Canti camascialeschi oder den Mascherate enthal- 
ten sind. - Battaglien im Chorstil fmden sich seit dem 
15. Jh.; von Isaac ist eine vierstimmige instrumentale 
B. uberliefert (etwa 1485, wahrscheinlich die Ubertra- 
gung einer vokalen Vorlage). Eine beruhmte vokale B. 
ist die 4st. Chanson La Guerre (genannt La Bataille de 
Marignan) von Janequin (auf die Schlacht von Marig- 
nano 1515), in deren Text Schlachtenlarm onomato- 
poetisch nachgeahmt wird. Charakteristisch fur Ja- 
nequinsLa Guerre - wie iiberhaupt fur die B.-Kompo- 
sitionen des 16. Jh. - ist die Konzeption vom Instru- 
mental her (gleichbleibende Harmonie, Bordun- 
technik, Dreiklangstruktur) mit bewegterem Rhyth- 
mus (etwa bei der Nachahmung von Trompetenklan- 
gen). Die B. Janequins hatvokal wie instrumental viel- 
faltige Nachahmung gefunden (8st. Bearbeitungen fiir 
Blaser von A.Gabrieli und von A.Padovano). A.Ga- 
brieli schrieb anlaBlich der Siegesfeier zur Seeschlacht 
bei Lepanto gegen die Tiirken (1571) eine mit Vittoria- 
Rufen schlieBende doppelchbrige B.; Monteverdi 
komponierte Canti guerrini (1630) , Mancinus die Schlacht 
fiir Sievershausen (1553), Demantius das Tympanum tni- 
litare (1615). Instrumentale Battaglien schrieben Byrd 
(fiir Virginal), Sweelinck, Frescobaldi, Fr.Couperin 
u. a. Besonders bekannt ist der Kampf zwischen David 
und Goliath in der 1. Sonate fiir Kl. aus Kuhnaus Mu- 
sicalischer Vorstellung Einiger Biblischer Historien . ■ . 
(1700). In der Oper des 18. Jh. fmden sich haufig Bei- 
spiele fiir Battaglien, auch im 19. und 20. Jh., (Verdi, 
Laforza del destino; R.Strauss, Ein Friedenstag), ebenso 
im Oratorium (Loewe, Zerstbrung Jerusalems) und im 
Lied (Mussorgsky, »Feldherr«). Fiir fast jede Schlacht 
der Kriege Friedrichs II. (z. B. C.H.Graun, La b. del 
Re di Prussia, 1757) und des Zeitalters der Franzosischen 



88 



Beantwortung 



Revolution wurde eine B. komponiert; das bedeutend- 
ste Beispiel ist Beethovens »Schlachtsymphonie« auf 
Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91. 
Spatere Zeugnisse fur die B. sind die Hunnenschlacht 
(1857) von Liszt, die Festouvertiire 18i2 (Kampf zwi- 
schen Russen und dem napoleonischen Heer) von 
Tschaikowsky (1880), die VII. Symphonie (C dur, 
1942, Belagerung Leningrads 1941) von Schostako- 
witsch, die Symphonische Ouvertiire China kampft 
(1942) von K. A. Hartmann, die IV. Symphonie (zum 
Gedachtnis der Revolution von 1848) von Milhaud 
(1948). 

Lit. : E. Bienenfeld, t)ber ein bestimmtes Problem d. Pro- 
grammusik (Darstellung v. Schlachten), ZIMG VIII, 1906/ 
07; E. Bucken, Der heroische Stil in d. Oper, = Veroff. d. 
Filrstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg V, 1, 
Lpz. 1924; R. Glasel, Zur Gesch. d. B., Diss. Lpz. 1931 ; 
B. Becherini, La canzona »alla b.« de H. Isaac, RBM VII, 
1953; D. Arnold, A. Gabrieli u. d. Entwicklung d. »cori- 
spezzati«-Technik, Mf XII, 1959; St. Kunze, Die Instru- 
mentalmusik G. Gabrielis, = Miinchner Veroff. zur Mg. 
VIII, Tutzing 1963. 

Battement (batm'a, frz. ; ital. battimento) -* Mor- 
dent, ->■ Vibrato. 

Batterie (batr'i, frz.), Bezeichnung fiir das Schlag- 
zeug, daneben auch fiir Trommelwirbel und fiir mili- 
tarische Trommelsignale. 

Battuta (ital.), Schlag, Takt; Taktschlag auf dem be- 
tonten Taktteil; ritmo di tre (di quattro) battute (z. B. 
im Scherzo von Beethovens 9. Symphonie) verlangt 
die metrische Zusammenfassung von je 3 oder 4 Tak- 
ten zu GroGtakten. - a battuta (im Takt) zeigt wie 
misurato und a tempo nach vorausgegangenem colla 
parte, a piacere, ad libitum den Wiedercintritt strenger 
Taktordnung an. 

Batuque Batucada (bat'uks, port.), ein negroider 
Tanz aus Brasilien; der B. ist eine Abart der -> Samba 
in langsamerem Tempo und im 2/4-Takt mit dem 

Rhythmusschema: * Jj J Jj J 

Bauernflote, Bauernpfeife (lat. tibia rurestris), ei- 
ne in alteren Orgeln im Pedal nicht seltene kleine Flo- 
ten- oder Gedacktstimme 2' oder 1'. Anfangs nannte 
man alle weiter mensurierten Orgelfloten B. 

Bauernleier -> Drehleier. 

Bautzen. 

Lit.: H. Biehle, Mg. v. B. bis zum Anfang d. 19. Jh., 
= Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biicke- 
burg IV, 3, Biickeburg u. Lpz. 1924. 

Bay em. 

Lit. : F. J. Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, Miinchen 
1811 ; D. Mettenleiter, Registratur f . d. Gesch. d. Musik 
in B. I, Brixen 1868 ; Fr. W. v. Ditfurth, Die hist. Volks- 
Iieder d. bairischen Heeres v. 1 620-1 870, Nordlingen 1 878 ; 
A. Sandberger, Beitr. zur Gesch. d. bayerischen Hofkapel- 
le unter Orlando di Lasso, Habil.-Schrift Miinchen 1894, 1 
u. Ill Lpz. 1 894-95 ; L. Schiedermair, Zur bayerischen Mg. 
d. 17. Jh., Mk I, 1901/02; ders., Kiinstlerische Bestrebun- 
gen am Hofe d. Kurfiirsten Ferdinand Maria v. B., Diss. Er- 
langen 1902, = Forschungen zur Gesch. B. X, 1 902 ; O. Ur- 
sprung, Kirche u. Musikkultur in B., in : Die Kulturarbeit 
d. kath. Kirche in B., hrsg. v. M. Buchberoer, Miinchen 
1920; K. Huber u. P. Kiem, Oberbayerische Volkslieder 
mit Bildern u. Weisen, Miinchen 1930, 21935, 31937; dies., 
Altbayerisches Liederbuch, Mainz 1936 ; K. Huber, Volks- 
lied u. Volksmusik, Bayernland XLIV, 1933 ; ders., Volks- 
lied u. Volkstanz im bajuwarischen Raum, DMK III, 1938/ 
39; ders., Volkslied u. Volkstanz. Aufsatze zur Volkslied- 
kunde d. bajuwarischen Raumes, hrsg. v. CI. Huber u. O. 
A. v. Miiller, Ettal (1959); ders. u. L. Simbeck, Niederbai- 
risches Liederbuch, Miinchen o. J. ; P. Kiem, Slg Oberbay- 



rischer Volkslieder, Miinchen 1934; H. O. Laber, Auslan- 
dische Kunstler in B. v. Anfang d. 16. bis Ende d. 18. Jh., 
Diss. Miinchen 1 936 ; W. Klemm, Benediktinisches Barock- 
theater in Siidbayern, insbesondere d. Reichsstifts Otto- 
beuren, Diss. Miinchen 1938, = Studienu. Mitt.zurGesch. 
d. Benediktiner Ordens LIV, N. F. XXVII, 1937; B. Ph. 
Baader, Der bayerische Renaissancehof Herzog Wilhelms 
V. (1568-79), Diss. Miinchen 1943; L. Kusche, Musik u. 
Musiker in Baiern, Miinchen 1963. 

Bayreuth. 

Lit. : M. Seiffert, Aus B. mus. Vergangenheit, AMz XXI, 
1894; L. Schiedermair, B.er Festspiele im Zeitalter d. Ab- 
solutismus, Lpz. 1908 ; A. v. Puttkamer, 50 Jahre B., Bin 
1927 ; E. Schenk, Zur Mg. B., Arch. f. Gesch. u. Altertums- 
kunde v. Oberfranken XXX, 1927; ders., G. A. Paganelli 
..., nebst Beitr. zur Mg. B., Diss. Miinchen 1928; P. Bij- 
low, B.-DieStadt u. ihre Festspiele, 1 876-1936, Lpz. 1936 ; 
G. Rudloff-Hille, Die B.er Hofbiihne im 17. u. 18. Jh., 
Arch. f. Gesch. u. Altertumskunde v. Oberfranken XXXIII, 
1936; Offizieller B.er Festspielfiihrer, Jubilaums-Ausg. 
1897-1937, hrsg. v. O. Strobel, B. 1937; Zd. v. Kraft, 
Das Festspielhaus in B., B. 1958 ; H. Barth, Internationale 
Wagner-Bibliogr. 1956-60 u. K. Neupert, Die Besetzung 
d. B.er Festspiele 1876-1960, B. 1961. 

B. c, Abk. fiir -> Basso continue 

Beantwortung nennt man in der Exposition einer 
Fuge das zweite Auftreten des Themas (Comes) sowie 
das Verfahren seiner Bildung und Zuordnung zum 
Thema in seiner Grundgestalt (Dux). Bei der B. wird 
das Thema dadurch verandert, daB es auf einer neuen 
Tonstufe und gegebenenfalls mit geringen melodi- 
schen Abwandlungen auftritt. Die zwei Gestalten des 
Themas, Dux und Comes, sind voneinander abhangig, 
weshalb sie vergleichsweise auch als »Frage« und «Ant- 
wort« verstanden werden. Ihr Wechsel, der sich bei 
entsprechender Stimmenzahl auch in weiteren Thema- 
Einsatzen der Exposition wiederholt, steht gewohnlich 
in Verbindung mit der harmonischen Entwicklung: 
je nachdem, ob das Thema (als Dux) moduliert oder 
nicht, leitet der Comes entweder in die Haupttonart 
zuriick oder moduliert seinerseits. Vorherrschend ist 
die Quint-B. (Comes in der Oberquinte oder Unter- 
quarte des Dux) ; in der Quarte ist die B. ebenfalls ge- 
brauchlich (Comes in Oberquarte oder Unterquinte), 
wahrend sie in den ubrigen Intervallen weitaus seltener 
vorgenommen wird. Grundsatzlich unterscheidet man 
zwei weitgehend von der Melodik des Themas abhan- 
gige Arten der B. : In der realen B. sind Dux und Co- 
mes entweder streng inter- fl _ 
vallgleich (Comes ist trans- (h <*' . -. i*._ r * 
ponierter Dux) : «T 7 f- ff |"' fcJUJ 




J. S.Bach, Wohltemperiertes Klavier I, 

Fuge C dur, BWV 846. 

oder, was in der Bach-Zeit jedoch Sonderfall ist, ein- 

geschrankt intervallgleich (Sekunde bleibt Sekunde, 

Terzbleibt Terzusw.,aber a , ^ 

kleines und groBes Inter- /Lb \ if, m I J I 

vail konnen sich gegensei- i/ ' ^ p- ^ 



tig ersetzen) : 




Trrr r 

J. S. Bach, Kyrie Gott Vater in Ewig 
BWV 669. 



text, 



In Quint-B. (auf die sich die Notenbeispiele beschran- 
ken) werden hauptsachlich nicht modulierende The- 



89 



Beantwortung 



men, die im Grundton beginnen und sich stufenweise 
aufwarts bewegen, real beantwortet. Die reale B. in 
anderen Intervallen als der Quinte und Quarte ist in 51- 
terer Musik wenig gebrauchlich (Beethoven, Klavier- 
sonate op. 101), findet sich aber in neueren Fugen (Hin- 
demith, Ludus Tonalis, Fuga tenia in F, Fuga quarta in 
A). Die tonale B., bei der Dux und Comes stets inter- 
vallverschieden sind, stellt eine Verbindung von Quint- 
und Quart-B. dar. Sie dient zwei voneinander unab- 
hangigen Zielen, denen zwei charakteristische Erschei- 
nungen entsprechen: der Quintton-Grundton-Aus- 
tausch, d. h. die B. des Quinttones (V) aus dem Dux 
durch den Grundton (I) meist beim Beginn des Comes, 
bewirkt die Erhaltung der Haupttonart im Comes- 
Einsatz und verzogert die Modulation. Es vollzieht 
sich ein Ubergang von der Quart-(4) in die Quint- 
(5)B., wobei der ausgetauschte Grundton die erstere, 
der weitere Verlauf des Comes die letztere reprasen- 
tiert. Mit Ausnahme solcher Themen, die sich gegen 
diesen melodischen Eingriff sperren (diese konnen in 
Quart-B. real erhalten bleiben : J. S. Bach, Fuge aus der 
Sonate fur Solovioline G moll, BWV 1001), erfahren 
die mit dem Quintton beginnenden Themen tonaleB. : 




J.S.Bach, Ouverture Nr 1 C dur, BWV 1066. 
Die zahlreichen aus dem Quintsprung I-V entwickel- 
ten Themen werden ebenfalls vorwiegend tonal, nam- 
lich durch den Quartsprung V-I, beantwortet (Aus- 
nahme mit realer B.: J.S.Bach, Brandenburgisches 
Konzert Nr 2 F dur, BWV 1047, 3. Satz) : 5 _ 

i-v ► =v— 

Quart 




ftfF 



J.S.Bach, Fuge C moll, BWV 537. 
Die zweite Erscheinung der tonalen B., der Abstand- 
wechsel, besteht aus dem Ubergang von der Quint-(5) 
in die Quart-(4)B. mit dem Ziel, die Haupttonart zu- 
riickzugewinnen; diese Weise der B. ist den modulie- 
renden Themen vorbehalten (Beispiel eines solchen in 
ausnahmsweise realer B. und daher mit Modulation 
in die Doppeldominante : J.S.Bach, WoMtemperiertes 
Klavier I, Fuge E moll, BWV 855). Der Abstandwech- 
sel wird im Comes an moglichst verdeckter Stelle vor- 
genommen, damit die charakteristischen Ziige des 
Themas erhalten bleiben: 5-4 





Beide Erscheinungen der tonalen B., der Quintton- 
Grundton-Austausch und der Abstandwechsel, konnen 
gemeinsam auftreten: 

5 4 tonal 

I V ►=V I 




J. S.Bach, Der Herr hat Guts an unsgetan, 
aus der Kantate BWV 119. 
Tonale und reale B. konnen in ein und defselben Ex- 
position miteinander wechseln: 

5 real 




J. S. Bach, Magnificat D dur, Sicut locutus est, BWV 243. 
90 



Ebenda (3. und 4. Themeneinsatz). 
Weitere kompositorische Moglichkeiten ergeben sich, 
wenn die B. in Engfiihrung, Umkehrung, Augmen- 
tation oder Diminution erfolgt (J. S.Bach, Wohltetnpe- 
riertes Klavier II, Fuge Cis dur, BWV 872, und Con- 
trapunctus 5, 6 und 7 aus der Kunst der Fuge, BWV 
1080). - Die Vorgeschichte der B. geht bis zur Ent- 
stehung des Intervallkanons zuriick (frtihe Belege bei 
Landini, Ciconia, Dufay und H. de Lantins). Ramos de 
Pareja (1482) bezeichnet die -> Fuga (Kanon, aber auch 
schon Imitation) in der Quarte, Quinte und Oktave als 
»beste Art der Komposition« (modus organizandi opti- 
mus). Vicentino (1555) bevorzugt ausdriicklich die 
Quarte und die Quinte als Abstandsintervalle, weil Ein- 
klang und Oktave zu wenig Verschiedenheit (varieta) 
bieten. Er zeigt zugleich als erster, allerdings nur bei 
der Umkehrung, das Verfahren, welches spater tonale 
B. heifit und das trotz seiner Verwendung seit dem 
16. Jh. (auch in Zarlinos Beispielen) theoretisch erst 
vonJ.G. Walther (1708) unter dem EinfluB der Secon- 
da pratica begriindet wird. Die reale B. bewahrt die 
Tonbedeutungen, die tonale dient der Einhaltung des 
tonartlichen Modus, der sich aus Quintraum und 
Quartraum zusammensetzt und je nach deren Lage 
authentisch oder plagal ist. Mit der Fuge entwickelte 
sich im 17./18. Jh. aus dem modalen ein harmonischer 
Sinn der B., der durch die Tonikabindung des Dux 
und durch den Tonika-Dominant-Wechsel zwischen 
den Themagestalten gekennzeichnet ist und zum Ruck- 
gang der zuvor sehr verbreiteten Quart-B. ftihrte. In 
der Fuge des 20. Jh. werden die tonalharmonischen 
Merkmale der B. oft bewuBt verschleiert oder haben 
unter dem EinfluB neuer Tonordnungen ihre Berech- 
tigung verloren. 

Lit.: B. Ramos de Pareja, Musica practica, hrsg. v. J. 
Wolf, = BIMG I, 2, Lpz. 1901 ; N. Vicentino, L'antica 
musica ridotta alia moderna prattica (1555), Faks. hrsg. v. 
E.E.Lowinsky, = DM1I, 17, 1959;G.Zarlino, Istitutioni 
harmoniche, Venedig 3 1573, 4 1593, Neudruck Rochester 
1954, Teil III libers, u. mit Kommentar hrsg. v. G. A. Mar- 
co, Chicago 1956; Die Kompositionslehre H. Schiitzens in 
d. Fassung seines Schiilers Chr. Bernhard, hrsg. v. J. Mul- 
ler-Blattau, Lpz. 1926, Kassel 21963; J. G. Walther, 
Praecepta d. Mus. Composition, hs. Weimar 1708, hrsg. v. 
P. Benary, =Jenaer Beitr. zur Musikforschung II, Lpz. 
1955; M. Zulauf, Zur Frage d. Quint-B. bei J. S. Bach, 
ZfMw VI, 1923/24; Fr. Reuter, Die B. d. Fugen-Themas 
(Wohltemperiertes Klavier), Lpz. 1929; E. P. Schwarz, 
Die Fugen-B. vor Bach, Diss. Wien 1932; H. Federhofer, 
Tonale u. reale B. bei J. S. Bach in : Beitr. zur mus. Gestal- 
analyse, Graz u. Wien 1950 ; A. Fornerod, Traite de la re- 
ponse, SMZ CII, 1962; K. H. Holler, G. M. Bononcinis 
»Musico prattico« in seiner Bedeutung f. d. mus. Satzlehre 
d. 17. Jh., = Slg mw. Abh. XLIV, StraBburg u. Baden-Ba- 
den 1963; C. Dahlhaus, Chr. Bernhard u. d. Theorie d. 
modalen Imitation, AfMw XXI, 1964. KJS 



Bearbeitung 



Bearbeitung ist im Sinne des modernen Urheber- 
rechts jede Veranderung eines Werkes, die darauf ab- 
zielt, das Originalwerk einem bestimmten Zweck an- 
zupassen. An der Bearb. entsteht ein eigenes Urheber- 
recht, wcnn sie eine individuelle Leistung ist (so meist 
beim -> Arrangement, dem Klavierauszug, der Instru- 
mentation), nicht jedoch, wenn sie rein handwerklich- 
mechanischer Art ist (z. B. eine Transposition). Ob ei- 
ne schutzfahige Bearb. vorliegt, ist nicht generell zu 
entscheiden, z. B. nicht hinsichtlich Neuausgaben al- 
terer Musik mit ausgesetztem GeneralbaB. Das Ver- 
wertungsrecht einer Bearb. ist vom Urheberrecht an 
dem Originalwerk abhangig. Nicht eine Bearb. im 
Sinne des Urheberrechts, sondern eine selbstschopferi- 
sche Leistung liegt vor bei einem Werk, das in freier 
Benutzung eines anderen entstanden ist wie die Haydn- 
Variationen von Brahms oder die Meditation sur lei" 
Prelude de J.S.Bach von Gounod. Die Grenzen zwi- 
schen freier Benutzung und Bearb. sind flieBend. - In 
der musikwissenschaftlichen Terminologie gilt als 
Bearb. die Komposition, die als Neugestaltung eines 
Vorgegebenen entstand, wobei audi hier die Neuge- 
staltung (im Gegensatz etwa zur Oberarbeitung und 
Neufassung) die Vorlage nicht als uberholt abwertet, 
jedoch die Motivierungen der Bearb. sehr unterschied- 
lich sind (Modernisieren, Lernen und Lehren, Huldi- 
gen, schopferisches Experimentieren und Adaptieren). 
Hier also bezieht sich der Begriff Bearb. gerade auf jene 
letztgenannten Beispiele, die bei einer urheberrecht- 
lichen Behandlung als Bearb. ausscheiden, da sie nicht 
bloB als zweckbestimmte Anderungen eines Original- 
werks zu definieren sind. Die historisch unterschiedli- 
che Rolle der Bearb. im wissenschaftlichen Sinn ergibt 
sich aus der verschiedenen Bewertung der Kompo- 
sition als individuelle Leistung. Trat diese bis ins 18. Jh. 
gegeniiber der mehr handwerklich-lehrbaren und un- 
reflektiert traditionsstarken Art des Schaffens zuriick, 
so daB Komponieren und Bearbeiten weitgehend 
gleichrangig nebeneinanderstanden, so lieB der friih- 
neuzeitliche Individualismus, vor allem dann die mit 
dem Geniekult des 18. Jh. verbundene Schatzung des 
»Originalen«, das Weiterarbeiten am fremden Werk 
mehr als Nebenform musikalischen Gestaltens er- 
scheinen. 

Unter den vielfaltigen Moglichkeiten von Bearb. im 
historisch-wissenschaf tlichen Sinn sind mehrere Haupt- 
arten zu unterscheiden, die zugleich geschichtliche 
Traditionszusammenhange bezeichnen: - 1) die kom- 
positorische Bearb. einer vorgegebenen melodischen 
Substanz (C. f., Soggetto, Thema, Choral, Lied). Sie 
setzt mit den Anfangen der von liturgischen Melodien 
ausgehenden Mehrstimmigkeit ein und bleibt als 
-*■ Choralbearbeitung zunachst der geistlichen Vokal- 
musik verbunden. Mit der Ubernahme der Polyphonie 
in den weltlichen Bereich (-* Motette) findet sie auch 
in die Instrumentalmusik Eingang (etwa die In saecu- 
/MW-Stiicke des Bamberger Codex). Auf dieser Art 
von Bearb. beruht der Hauptteil der mehrstimmigen 
Musik vor 1600, doch blieb sie bis heute als Technik 
sowohl in der Vokal- als auch in der Instrumentalmu- 
sik gebrauchlich. Besondere Arten der Bearb. stellen 
die Liedsatze und Volkslied-Bearb.en von Haydn, Beet- 
hoven, Brahms u. a. dar. - 2) die Bearb. einer mehr- 
stimmigen Komposition im Sinne ihrer adaquaten Er- 
schlieBung fur einen anderen als den ursprunglichen 
Bereich, wobei der Bearbeiter die vorgegebene Sub- 
stanz so weit wie moglich zu erhalten sucht. Ihre ge- 
schichtlichen Anfange diirften im Mittelalter in der 
Ubernahme von Vokalkompositionen in die rangma- 
Big tieferstehende Instrumentalmusik zu suchen sein. 
Diese Ubertragung wird in notierter Form am deut- 



lichsten greifbar in den Intavolierungen, auch mit fest- 
gelegter ->■ Kolorierung. Eine Ubernahme von ur- 
spriinglichen Instrumentalwerken in die Vokalmusik, 
die iiber bloBe Textierung (->• Kontrafaktur) hinaus- 
geht, ist erst fur eine Zeit anzunehmen, in der Vokal- 
und Instrumentalmusik in ihrem Rang einander ange- 
glichen sind. Dieser Gruppe sind auch neue Instrumen- 
tierungen zuzurechnen, die darauf ausgerichtet sind, 
eine Komposition und ihre Struktur durch verander- 
ten Klang neu zu interpretieren. Beispiele hierzu bieten 
als Selbst-Bearb.en etwa die Neueinrichtungen eigener 
Werke bei Bach (z. B. das IV. Brandenburgische Kon- 
zert als Klavierkonzert; das Doppelkonzert fiir 2 V. 
D moll als Konzert fiir 2 Kl.) und Beethoven (z. B. die 
2. Symphonie als Klaviertrio; das Septett op. 20 als 
Klaviertrio op. 38; das Klaviertrio C moll op. 1, 3 als 
Streichquintett op. 104; die Klaviersonate op. 14, 1 
E dur zu einem Streichquartett in F dur; das Blaserok- 
tett op. 103 zum Streichquintett op. 4), als Fremd-Be- 
arb.en die Streichtrio- und -quartett-Bearb.en von Fu- 
gen aus dem Wohltemperierten Klavier durch W. A.Mo- 
zart (K.-V. 404a, Echtheit fraglich, und 405) zum Teil 
mit neuen Praludien und Beethovens Bearb.en der 
Fuge H moll fiir Streichquartett und der Fuge B moll 
fiir Streichquintett aus dem I. Teil des Wohltemperierten 
Klaviers; -*■ Orchestrationen, die in der ursprunglichen 
Komposition enthaltene Moglichkeiten klanglich ent- 
falten (Hindemith, Das Marienleben op. 27, 1922/23, 
und die Bearb. von 4 Liedern daraus fiir S. und Orch., 
1939), werden eher dem Bereich der Bearb. zuzurech- 
nen sein als Reduzierungen in der Besetzung, die in der 
Regel mehr dem -*■ Arrangement zugehoren. Ein Ein- 
griff in die Substanz liegt grundsatzlich auch bei Ou- 
vertiiren nicht vor, die urspriinglich in den ersten Akt 
iiberleiten und zum Zwecke selbstandiger Auffiihrung 
mit einem »KonzertschluG« versehen wurden, wie 
Glucks Ouvertiire zu »Iphigenie in Aulis« durch R. 
Wagner (eine altere Gestaltung dieses Schlusses wurde 
W.A.Mozart, K.-V. Anh. 292a zugeschrieben).-3)die 
kompositorische Umgestaltung und Neufassung eines 
Werkes, wobei die Grade des Eingriffs von der bloBen 
Veranderung oder Zutat einzelner Noten bis zur ganz- 
lichen Neufassung reichen konnen, die mitunter einer 
Neukomposition nahekommt. Die friihesten Beispiele 
solcher Bearb. bieten die verschiedenen Stadien des 
-> Organum der Notre-Dame-Zeit sowie im 13. Jh. 
das Hinzufiigen von Stimmen im -»■ Discantus. In der 
Musik des 15.-16. Jh. zeigt zu dieser Gruppe von Be- 
arb.en die ->• Parodie eine gewisse Beziehung. Aus der 
spateren Zeit sind zu erwahnen: das Konzert Es steh 
Gott auf von Schiitz (Symphoniae sacrae II) als eine 
Bearb. zweier Madrigale von Monteverdi und die Be- 
arb.en von Werken Vivaldis, Marcellos, Telemanns 
und des Herzogs Johann Ernst von Sachsen- Weimar 
durch J.S.Bach (BWV 592-597, 972-987 und 1065). 
Werke Bachs wurden von verschiedenen Meistern be- 
arbeitet, so schrieb u. a. Mendelssohn Bartholdy eine 
Klavierbegleitung zur Chaconne D moll fiir V. solo, 
Schumann Klavierbegleitungen zu den Violin- und 
Violoncello-Solosonaten und -suiten Bachs, Reger ar- 
beitete die 2st. Inventionen zu Trios um, Strawinsky 
bearbeitete die kanonischen Veranderungen iiber das 
Weihnachtslied Vom Himmel hoch, da komm' ich her; 
Grieg versah 4KlavierwerkeMozarts(K.-V. 189h,475, 
533 und 545) mit frei hinzugefiigten Begleitungen 
eines zweiten Klaviers. Bearb.en von Buhnenwerken 
sind haufig, so W. A.Mozarts Handel-Bearb.en {Acts 
und Galathea, K.-V. 566; Alexander/est, K.-V. 591; 
Caecilienode, K.-V. 592). Beethovens Festspielmusik zu 
den Ruinen von Athen ist mehrfach fiir Konzertauffiih- 
rungen bearbeitet worden, so von Fr. C. Griepenkerl, 



91 



Bearbeitung 



von R.Strauss und H. v. Hofmannsthal, von H.J.Mo- 
ser und von J.Urzidil; die Kantate Der glorreiche Au- 
genblick (spater Preis der Tonkunst) als Europakantate von 
R.Pessenlehner und als Friedenskantate von H. Scher- 
chen. Die »Nachtwandlerin« von Bellini wurde durch 
H.W.Henze, der Boris Godunow von Mussorgsky 
durch N.Rimskij-Korsakow wie durch D.Schostako- 
witsch und Bizets Carmen durch E. Guiraud bearbeitet. 
- Zahlreiche Beispiele fur Umarbeitung mit der Ab- 
sicht der Verbesserung, die an die Stelle der Ausgangs- 
fassung treten soil, bietet das Werk Beethovens, etwa 
die Umarbeitung der Oper Leonore-Fidelio, vor allem 
mit den verschiedenen Fassungen der Ouverture und 
der Marzellinen-Arie, oder Schumanns Umarbeitung 
der urspriinglich 2. zur 4. Symphonie D moll, 1851, 
ebenso die teilweise tiefgreifenden Umarbeitungen 
Bruckners an seinen Symphonien. - Entgegen dem all- 
gemeinen Sprachgebrauch sind bloBe Umstellungen 
und Kiirzungen (Beethoven-Symphonien von L. Sto- 
kowski) nicht als Bearb.en anzusprechen. Rekonstruk- 
tionen oder Vollendungen von Bruchstiicken stehen 
als Versuche, die urspriingliche bzw. beabsichtigte 
Gestalt eines Werkes zu erstellen, im Dienst der Erfiil- 
lung des ideellen Kompositionsplans und beabsichtigen 
keine Neugestaltung (z. B. die Vollendung von Mo- 
zarts Requiem K.-V. 626 durch Fr.X. SuBmayr). 

Lit.: R. Franz, Offener Brief an E. Hanslick, iiber Bearb. 
alterer Tonwerke, Lpz. 1871 ;'W. Voigt, Uber d. Original- 
gestalt v. J. S. Bach's Konzert f. 2 Kl. in C moll (Nr 1), 
VfMw II, 1886; K. Grunsky, Bachs Bearb. u. Umarbei- 
tungen eigener u. fremder Werke, Bach-Jb. IX, 1912; A. 
Aber, Studien zu Bachs Kl.-Konzerten, Bach-Jb. X, 1913 ; 
W. Altmann, Beethovens Umarbeitung seines Streichtrios 
op. 3 zu einem Klaviertrio, ZfMw III, 1920/21 ; A. Orel, 
Beethovens Oktett op. 1 03 u. seine Bearb. als Quintett op. 4, 
ZfMw III, 1920/21 ; ders., Original u. Bearb. bei Bruckner, 
DMK I, 1936; J. Braunstein, Beethovens Leonore-Ou- 
verturen, = Slg mw. Einzeldarstellungen V, Lpz. 1927; J. 
Handschin, Zur Frage d. melodischen Paraphrasierungim 
MA, ZfMw X, 1927/28; J. Mathei, Bearb. u. freie Be- 
nutzung im Tonwerkrecht, Diss. Lpz. 1928; A. Landau, 
Spatromantische Schubert-Erganzung, ZfMw XI, 1928/29; 
F. Lederer, Beethovens Bearb. schottischer u. anderer 
Volkslieder, Diss. Bonn 1934; Fr. Munter, Beethovens 
Bearb. eigener Werke, Neues Beethoven- Jb. VI, 1935; F. 
Kxose, Zum Thema »Original u. Bearb. bei Bruckner«, 
DMK I, 1936; M. Auer, R. Pergler u. H. Weisbach, A. 
Bruckner, Wiss. u. kunstlerische Betrachtungen zu d. Ori- 
ginalfassungen, Wien (1937) ; Fr. Oeser, Die Klangstruk- 
tur d. Bruckner-Symphonie. Eine Studie zur Frage d. Ori- 
ginal-Fassungen, Lpz. 1939-; G. Troeger, Mussorgsky u. 
Rimskij-Korsakoff . . . , = Breslauer Studien zur Mw. II, 
Breslau 1941 ; H. Boettcher, Bachs Kunstd. Bearb., dar- 
gestellt am Tripelkonzert a moll, in: Von Deutscher Ton- 
kunst, Fs. P. Raabe, Lpz. 1942; E. Th. A. Armbruster, 
Erstdruckfassung oder »Originalfassung«7, (Lpz. 1946); 
H. Engel, Bearb. in alter u. neuer Zeit, Das Musikleben I, 
1948; P. Mies, Kritik an Bearb., Deutsche Sangerbundes- 
zeitung XLI, 1952; W. Kolneder, Vivaldi als Bearbeiter 
eigener Werke, AMI XXIV, 1952; W. Hess, Beethovens 
Oper Fidelio u. ihre 3 Fassungen, Zurich (1953) ; ders., Ei- 
ne Bach-Bearb. Beethovens, SMZ XCIII, 1953 ; ders., Eine 
Bach- u. Handelbearb. Beethovens, SMZ XCIV, 1954; G. 
Feder, Bachs Werke in d. Bearb. 1750-1950. 1. Die Vokal- 
werke, Diss. Kiel 1955, maschr. ; Br. Vondenhoff, Die 
beiden Fassungen d. d-moll-Symphonie R. Schumanns, 
NZfM CXVII, 1956; R. Craft, Strawinsky komponiert 
Bach, Melos XXIV, 1957 ; H. L. Schilling, I. Strawinskys 
Erweiterung u. Instrumentation d. Canonischen Orgelva- 
riationen »Vom Himmel hoch, da komm ich her« v. J. S. 
Bach, MuK XXVII, 1957 ; U. Siegele, Kompositionsweise 
u. Bearbeitungstechnik in d. Instrumentalmusik J. S. Bachs, 
Diss. Tubingen 1957, maschr. ; E. J. Simon, Sonata into Con- 
certo, AMI XXXI, 1 959 ; A. Holschneider, Handels »Mes- 
sias« in Mozarts Bearb., Diss. Tubingen 1960, maschr. ; Fr. 
Kaiser, Die authentischen Fassungen d. D-dur-Konzertes 
op. 61 v. L. van Beethoven, Kgr.-Ber. Kassel 1962. 



Beat (bi : t, engl., Schlag), - 1) Bezeichnung fur das me- 
trische Fundament des Jazz: ein gleichmaBig durchge- 
haltenes Schlagen, das nur die geradzahlige Gruppie- 
rung von Zahleinheiten erlaubt (two beat, four beat). 
Der B. beherrscht Metrik und Rhythmik der gesamten 
musikalischen Negerfolklore der USA, trat deshalb 
auch schon imfriihestenjazzmusizierenauf und erlangte 
auf diesem Wege seine zentrale Bedeutung in alien »Sti- 
len« des Jazz. Der vom Schlagzeuger und der Rhyth- 
musgruppe (->- Band) durchgehaltene B. ermoglicht 
das fiir den Jazz charakteristische Phanomen des ->■ Off- 
beat der Melodiegruppe. Durch das gleichzeitige Ge- 
geneinander und durch das Uberlagern von B. und 
Off-beat kommt die fiir den Jazz typische metrisch- 
rhythmische Spannung (-> Drive) zustande, deren Er- 
gebnis mit -»■ swing bezeichnet ist. Unterbrochen wird 
der durchgehaltene B. im Jazz lediglich an entscheiden- 
den Einschnitten, z. B. bei der -> Stop time-Technik 
und beim -> Break. Da der B. zu den wesentlichen 
Merkmalen des Jazz gehort, wird haufig die Qualitat 
einer Band nach dem B. ihres Schlagzeugers bzw. 
ihrer Rhythmusgruppe beurteilt. - 2) engfische Be- 
zeichnung fur verschiedene Verzierungen: -> Vor- 
schlag von unten, gleichbedeutend mit engl. forefall; 
-*■ Mordent; ebenso fiir die ubliche Verbindung eines 
Vorschlags von unten mit einem Mordent; ->• Anschlag 
(in J. Callcotts Musical Grammar, London 1806). 

Bebisation, die von D.Hitzler 1628 in seiner Newen 
Musica veroffentlichte Tonsilbenskala 1A Be Ce De 
mE Fe Ge 1A, bei der die chromatischen Tone durch 
Umwandlung des Vokals e in i (Be, Bi; Ce, Ci usw.) 
angezeigt werden. Die aus den Tonbuchstaben gebil- 
dete B.s-Reihe erlangte jedoch im Gegensatz zu ande- 
ren neueren Solmisationssystemen wegen ihrer schlech- 
ten stimmbildnerischen Eigenschaften keine nennens- 
werte Verbreitung. 

Be-bop (b'i:-bop; auch Re-bop, Bop), Bezeichnung 
fiir eine seit den 1940er Jahren herrschende Jazzspiel- 
weise, in der als im Vordergrund stehendes melodi- 
sches Intervall die verminderte Quinte (flatted fifth) 
angesehen wird. In der Bezeichnung soil durch die be- 
deutungslosen Silben »be-bop« - angebhch erfunden 
von Dizzy Gillespie - die Flatted fifth sprachlich nach- 
geahmt sein. Der Be-b. - vorbereitet in der Swing-Ara 
durch die Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins, 
Lester Young im Zusammenhang mit dem -*■ Kansas- 
City-Jazz (Count Basie) - entstand etwa 1941 durch 
Jam sessions in Harlem, an denen sich vor allem die 
Musiker Thelonius Monk, Charlie Parker, Dizzy Gil- 
lespie, Kenny Clarke beteiligten. Den harmonischen 
Mitteln nach ist der Be-b. die intellektuellradikalisierte 
Fortf iihrung des -*■ Swing in Anlehnung an die erwei- 
terte Harmonik der modernen Musik (EinfluB Schon- 
bergs, Strawinskys). Schlagzeuggrundlage des Be-b. 
ist das dauernd klingend gehaltene Becken mit frei 
dazwischenfallenden Trommelakzenten (Max Roach). 
Dazu tritt eine nahezu durchlaufende, haufig die ka- 
denzalen Einschnitte des Harmoniegeriists iiberspie- 
lende Phrasierung der Melodieinstrumente in Sechzehn- 
telbewegung, meist in kolorierungsartigen Formeln 
oder abgerissenen Wendungen, wodurch der Be-b. 
den Charakter einer brillanten, aber auch nervos-hasti- 
gen Musizierweise erhalt. Im Bereich des Gesangs ent- 
sprechen dieser melodischen Phrasierung die Be-b.- 
vocals (bop-scat, ->■ Scat). Die instrumentalen Soli 
konnen im Be-b. an jeder Stelle des -»■ Chorus begin- 
nen oder sich sogar iiberschneiden. Dadurch ist im Be- 
b.-Musizieren der zugrunde liegende Chorus, der im 
Gegensatz zum friiheren Jazz nicht mehr vor allem ein 
bekannter Schlager, sondern sehr haufig auch ein neu 



92 



Begabung 



komponiertes Thema in Lied- oder Bluesform sein 
kann, meist nur schwer herauszuhoren. Typisch fur 
das Klangbild des Be-b. sind die Ausnutzung der ex- 
tremstenlnstrumentenregister (hochste Lage derTrom- 
pete) und die Verwendung des Vibraphons. Die In- 
tonation ist im Gegensatz zur friiheren -> Hot-Into- 
nation undynamisch, weich, legatohaft, ohne Vibrato. 
Sie wurde um 1950 zum -> Cool-Ideal fortentwickelt. 
Seit seiner Entstehung fiihrte der Be-b. immer starker 
zum modernen experimentellen Jazz, weshalb kleinste 
Besetzungen bevorzugt sind (typisch : Dizzy Gillespies 
Quintett). Durch Gillespie wurde der Be-b. jedoch 
auch in das Big band-Musizieren iiberfuhrt. Im Zu- 
sammenhang mit dem experimentellen Charakter des 
Be-b. stehen auch die bewuBten Riickgriffe auf afro- 
kubanische Rhythmen (-> Afro-Cuban-Jazz) und die 
neuartige Verwendung des Arrangements auch fiir 
kleinere Gruppen (Gil Fuller), wodurch der Be-b. ent- 
scheidenden Einflufi auf den ->- Progressive Jazz ge- 
wann. Der Be-b. bildet Ausgangspunkt und Grundlage 
des gesamten modernen Jazz und erscheint darin selbst 
in immer neuen Varianten, etwa als Hard bop oder 
Cool bop. 

Lit.: L. Feather, Inside B.-b., NY 1949; C. Bohlander, 
Jazz-Gesch.u. Rhythmus, = Jazz studio I, Mainz (1960). 

EWa 

Bebung, im Barock haufig verwendete allgemeine Be- 
zeichnung fur Vibrato ; im besonderen eine nur auf dem 
Clavichord ausfiihrbare Verzierung, die in einer Ver- 
bindung von Schwankungen der Tonhohe (-s- Vibrato) 
mit solchen der Tonintensitat (-*- Tremolo) besteht. Die 
letztgenannte B. kommt durch eine wiegende Vertikal- 
bewegung des Fingers auf der Taste zustande, wobei die 
Tangente standig in Beriihrung mit der Saite bleibt. 
Sie wurde in alien maBgebenden deutschen Klavier- 
schulen des 18. Jh. beschrieben und vor allem bei einer 
langen und ajfecktuosen Note (C.Ph. E.Bach 1753) sowie 
besonders in Tonstiicken von traurigem etc. Charakter (D. 
G.Tiirk 1789) mit Erfolg angebracht. Nach Marpurg 
(1755) bringet man sie auf wenig Ciavichorden ertraglich 
heraus, hingegen kann man sie auf dem hohlfeldischen Bo- 
genfliigel auf das vollkommenste ausuben ; auch Turk be- 
statigt, dafi diese Manier . . . nur auf einem sehr guten 
Klaviere heraus zu bringen ist. Haufig wurde sie durch 



das Zeichen 



m 



(C.Ph. E.Bach) angedeutet, das 



aber - wie alle Verzierungszeichen im Barock - keines- 
wegs obligatorisch war (Beispiele fiir dieses Zeichen in 
C.Ph.E.Bachs Probestiicken zum Versuch, Sonate IV, 
Largo maestoso, sowie in der 1 . Sammlung fiir Kenner 
und Liebhaber, Sonate II, Andante). Nach Marpurg 
pflegt man allezeit so viele Puncte i'tber die Note zu setzen, 
als Bewegungen mit dem Finger gemacht werden sollen. - 
Die B. war eines der charakteristischen Merkmale des 
»seelenvollen« Spiels auf dem Clavichord im Zeitalter 
der Empfindsamkeit. 

becarre (frz.), unter den -* Akzidentien das -> Auf- 
losungszeichen l{ , der Bezeichnung und der Gestalt 
nach entstanden aus dem bquadratum (-> B). 

Becher (Schallbecher) heiBen die -> Auf satze der Zun- 
genpfeifen der Orgel, die meist eine becherformige 
Gestalt haben (oben weiter sind) ; auch das erweiterte 
Ende der Schallkorper der Holzblasinstrumente (be- 
sonders der Klarinetten) wird B. (Schalltrichter) ge- 
nannt, das der Blechblasinstrumente -»- Stiirze. 

Becken (ital. piatti oder cinelli; engl. cymbals; frz. 
cymbales), Schlaginstrument von unbestimmter Ton- 
hohe mit grellem, lang anhaltendem Klang, das zu- 



meist aus einem Paar tellerformiger Metallscheiben 
(Messinglegierungen, friiher auch Bronze) besteht. 
Die breiten, flachen Rander sind der klingende Teil, 
der durchbohrte, konkave Mittelteil, an dem die als 
Handgriffe dienenden Lederriemen befestigt sind, 
schwingt nicht mit. Ihren Ursprung haben die B. in 
einem Kultinstrument der Hochkulturen Asiens (ge- 
geneinandergeschlagene Leerglockchen, die mit der 
Zeit flacher wurden), in der Antike waren sie als 
-> Kymbala bekannt. Mittelalterliche Bilddarstellun- 
gen zeigen sowohl B., die der heutigen Form ahnlich 
sind, als auch besonders kleine B., die an Stielen be- 
festigt sind (Gabel-B.). Der erste Beleg fiir das Wort 
B. findet sich Anfang des 15. Jh. in Heinrich Witten- 
wilers Ring (Uber all das bekk erschal). In die abendlan- 
dische Kunstmusik gelangte das Instrument durch die 
-*■ Janitscharenmusik der Militarkapellen im friihen 
18. Jh. (N.A.Strungk.Esrter, 1680; R. Reiser, Claudius, 
1703 ; spater Gluck, Skythenchor in Iphigenie en Tauride, 
1779), wie iiberhaupt die Tiirken bis in die neueste 
Zeit Meister in der Herstellung von B. (tiirkisch zil) 
waren. Seitdem sind die B. Stamminstrument im Or- 
chesterschlagzeug. Man unterscheidet die etwas tiefe- 
ren chinesischen (etwa 35 cm ) und die flachen, im 
Klang besseren tiirkischen B. (40-50 cm 0). Die spiel- . 
technischen Moglichkeiten sind mannigf ach : Kraf tiges 
Gegeneinanderschlagen (forte), Aneinander-»Reiben« 
der Rander (piano) ; kurze markierte Schlage erfordern 
sofortiges Abdampfen (Anpressen an die Brust). Das 
hangende B. besteht aus nur einem B. -Teller; es wird 
entweder frei in der Hand gehalten oder ist auf einem 
Stander (auch in Verbindung mit groBer Trommel) be- 
festigt; angeschlagen wird es mit den verschiedensten 
Arten von Schlageln am Rand. In modernen Partituren 
wird das B.-Paar durch das Zeichen HF, das hangende 
B. durch _i_ gefordert. Die Neue Musik bedient sich 
der Klangmoglichkeiten der B. in reichem MaBe, eben- 
f alls der Jazz, hier besonders in der Form des -> Hi-hat 
und des hangenden B.s, das anstelle von Schlageln oft 
mit dem —>■ Besen geschlagen wird. 
Lit. : Sachs Hdb. ; C. Sachs, Geist u. Werden d. Musik- 
instr., Bin 1929; H. Kunitz, Die Instrumentation, X 
(Schlaginstr.), Lpz. 1960. 

Bedon (bad's, frz.), altfranzosische Bezeichnung fiir 
Trommel; b. de Biscaye, s. v. w. tambour de basque 
(Schellentrommel, Tamburin). 

Begabung. Die musikalische B. oder Musikbegabung 
(»Musikalitat«) ist eine Sonderbegabung, die in ihren 
elementaren Voraussetzungen gleichwohl zum »ge- 
sunden«, vollentwickelten Menschen gehort, nur frei- 
lich sehr oft nicht geweckt wird. Radikale Unmusikali- 
tat (-»- Amusie) gilt als pathologisch. Das bloBe Nicht- 
singenkonnen, oft fiir ein Anzeichen volliger Unmu- 
sikalitat gehalten, kann auf einem Defekt der Innerva- 
tion der Kehlkopfmuskulatur beruhen, der weit ver- 
breitet ist. Es gibt produktive Musiker von Rang, die 
»nicht singen konnen«, zuweilen sogar wenn sie -> Ab- 
solutes Gehor besitzen. Letzteres ist kein eindeutiger 
Gradmesser, auch keine Voraussetzung hoher musika- 
lischer B.; doch ist es eine Ubertreibung, daB es auch 
unmusikalische Absoluthorer geben konne. Ebenso- 
wenig steht eine besonders feine Untcrschiedsempfind- 
lichkeit fiir Tone oder ein hoch ausgebildetes Relatives 
Gehor in einem eindeutigen Zusammenhang mit mu- 
sikalischer B. Entscheidender ist das musikalische ^-Ge- 
dachtnis und Vorstellungsvermogen, dies besonders 
beim produktiven Musiker. Von der klanglichen ist die 
rhythmische Auffassungs- und Gestaltungsfahigkeit zu 
unterscheiden. Bei der rhythmischen B. hebt sich die 
metrische B. von der fiir rhythmische Erfiillung der 



93 



Beggar's Opera 



Zeitgestalten ab. Nicht nur die musikalische B. iiber- 
haupt, sondern auch ihre Faktoren sind weitgehend 
erbbedingt. Das beriihmteste Beispiel fur die Verer- 
bung der Musikbegabung ist die Familie Bach. - Bei 
den Begabungspriifungen in der padagogischen Praxis 
handelt es sich um Tests, in denen die einzelnen Bega- 
bungsfaktoren festgestellt werden (Nachklopfen von 
Rhythmen; Nachsingen oder -pfeifen von Tonfolgen, 
auch transponiert; Auffinden von Fehlern in bekann- 
ten Melodien und dergleichen). 

Lit. : Th. Billroth, Wer ist mus. ?, hrsg. v. E. Hanslick, 
Bin 1896, "1912; G. Revesz, E. Nyiregyhazy. Psychologi- 
sche Analyse eines mus. hervorragenden Kindes, Lpz. 
1916; ders., Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern 
1 946 ; ders., Die Vererbung d. mus. Anlage, Universitas V, 
1950; ders., Talent u. Genie, Grundziige einerBegabungs- 
psychologie, Bern 1952; C. E. Seashore, The Psychology 
of Mus. Talent, Boston 1919; J. v. Kries, Wer ist mus.?, 
Bin 1926;Th. Lamm, ZurexperimentellenUntersuchungd. 
rhythmischen Veranlagung, Zs. f. Psychologie CXVIII, 
1930; A. Wellek, Typologie d. Musikbegabung im deut- 
schen Volke, Munchen 1939; ders'., Musikpsychologie u. 
Musikasthetik, Ffm. 1963; H. Wing, Tests of Mus. Abi- 
lity and Appreciation, British Journal of Psychology, Mo- 
nograph Suppl. XXVIII, 1948 ; L. Kayser, Pruning d. Mu- 
sikbegabung, Musik im Unterricht (Allgemeine Ausg.) 
LIII, 1962. AW 

Beggar's Opera (b'egaz 'apaw, engl.) -> Ballad 
opera. 

Begleitung (frz. accompagnement; ital. accompagna- 
mento ; engl. accompaniment) ist in der neueren abend- 
landischen Musik alles, was auBer den melodiefiihren- 
den Hauptstimmen erklingt, ihnen untergeordnet ist 
und dabei ihren metrischen und harmonischen Bau 
verdeutlicht. Dies leistet bereits eine einfache Akkord- 
unterstiitzung. Meist aber ist die B. ein Komplex 
aus Klangen, Rhythmen und verschieden individuali- 
sierten Stimmen in wechselnder Anzahl. - Aufierhalb 
der funktionalharmonischen Musik ist es problema- 
tisch, einen Teil der Komposition als B. anzusprechen. 
Nur mit Vorsicht konnen etwa folgende Arten freier 
instrumentaler Zutaten der Ausfiihrenden so bezeich- 
net werden: Verwendung von Schlaginstrumenten zu 
einfacher Schwerpunktakzentuierung (bei Aufziigen 
und Tanzen) oder in komplizierten rhythmischen For- 
meln (wie in der afrikanischen und orientalischen Mu- 
sik) ; stereotype Haltetone oder -intervalle (Dudelsack- 
quinten); Umspielung und Auszierung der Melodie 
nach Art der ->■ Heterophonie. In der mittelalterlichen 
Mehrstimmigkeit fehlt eine Qualitatsabstufung der 
Stimmen im Sinne von Melodie und B. Das gilt sowohl 
fur das Mitgehen von Instrumenten mit den gesunge- 
nen Stimmen (wie in der Friihzeit des organalen Ge- 
sanges) als auch fur die Falle strenger Parallelfiihrung 
in -> Organum oder ->■ Fauxbourdon; auch im be- 
weglichen Quartenorganum ist die dem Cantus re- 
spondierende Stimme durch Gleichrangigkeit charak- 
terisiert; ->• Diaphonia, -> Discantus und Contrapunc- 
tus widersprechen schon als Begriffe der Vorstellung 
begleitender Stimmen. So sind auch die kunstvoll dis- 
kantierenden Liedformen des Spatmittelalters nicht so 
sehr begleiteter Sologesang als vielmehr ein vokal-in- 
strumentaler Verband selbstandiger Stimmen. - Ein- 
deutige, als Res facta gestaltete B. ist ein Charakteristi- 
kum neuzeitlicher Musik. Sie entstand, als die Harmo- 
nie sich auf dem Wege zur dominantischen Tonalit'at 
als eigene musikalische GroBe konstituierte und als zu- 
gleich spezifisch instrumentale und vokale Stimmfiih- 
rungen in der Komposition unterschieden wurden. 
Ansatze finden sich in den homophonen Liedgestaltun- 
gen des friihen 16. Jh., z. B. in der italienischen -»■ Frot- 
tola. Die erste vollgiiltige Ausbildung einer Begleit- 



struktur brachte jedoch erst der -> GeneralbaB in sei- 
nen verschiedenen Formen und Stadien. Erst seitdem 
gibt es auch ein Wort (accompagnato), das den musi- 
kalischen Tatbestand benennt. Im GeneralbaB tritt ein 
tiefes Melodie- und ein Akkordinstrument, das die har- 
monische Ausfiillung nach einer andeutenden Beziffe- 
rung iibernimmt, der fiihrenden Vokal- oder Instru- 
mentalstimme gegeniiber. Diese Art der B., Grundla- 
ge des solistischen Concerto und der Monodie, wurde 
zum bestimmenden Stilmerkmal einer musikalischen 
Epoche. Ihre Anwendung erstreckte sich auf fast alle 
musikalischen Bereiche.Wichtig wurde z. B. dieOrgel- 
B. des Gemeindegesangs in der Kirche, die B. des In- 
strumental- oder Gesangssolisten beim Konzertieren 
sowie die B. des Sangers in der Oper, wo sich die Ar- 
ten des Seccorezitativs und des ->■ Accompagnato her- 
ausbildeten. - Nach dem Ende des Generalbafizeit- 
alters begann sich in der Instrumentalmusik die Tren- 
nung und deutliche Gegeniiberstellung von Melodie 
und B. zunehmend zu verwischen. Starkere Durch- 
formung und motivische Beteiligung aller Stimmen 
fiihrte um 1780 in der Kammermusik und Sympho- 
nik zu einer Satztechnik, bei der eine in -> Durch- 
brochener Arbeit aufgegliederte Hauptmelodie und 
das ihr zugeordnete -> Obligate Akkompagnement 
oft nahtlos ineinander iibergehen. Im Instrumentalkon- 
zert und in der Oper konnte der neue Orchestersatz als 
Ganzes der fiihrenden Stimme als B. gegeniibertreten. 
Ein analoger ProzeB fiihrte zu einem neuen, differen- 
zierten Klaviersatz und ermdglichte die neuartige Be- 
deutung des Klaviers sowohl in der Kammermusik, 
wo es iiber die stiitzende Akkord-B. weit hinausgehend 
zum fiihrenden und Zusammenhang stiftenden Instru- 
ment aufstieg, als auch im Lied. Hier vor allem erhielt 
die B. einen neuen Sinn; sie wurde zur charakterisie- 
renden Untermalung und - seit Schubert - zu einem 
Mittel tiefsinniger Ausdeutung des Dichterworts. In 
der 2. Halfte des 19. Jh. ist in der Instrumentalmusik ein 
Stadium starkster satztechnischer Verflechtung von 
Solo und Tutti erreicht (Brahms, Klavierkonzerte), in 
der Oper (Wagner) und im Sololied (H. Wolf) zudem 
auBerste psychologische und symbolische Ausdrucks- 
fahigkeit des ehemals begleitenden Parts, so daB das 
Wort B. kaum noch sinnvoll darauf angewendet wer- 
den kann. Die Entwicklung setzte sich konsequent fort 
in einem Teil der neuen und neuesten Musik, dort nam- 
lich, wo das Verhaltnis Fiihrung-Unterordnung der 
Stimmen in die Gleichrangigkeit der musikalischen 
Elemente iibergeht, womit die iiber 300 Jahre wahren- 
de Trennung in Melodie und B. aufgehoben wird. 
Lit. : Bach Versuch ; Fr.-J. Fetis, Traite de l'accompagne- 
ment de la partition, Paris 1 829 ; V. Ch. P. Dourlen, Trait6 
d'accompagnement, Paris 1840; A. A. E. Elwart, Le 
chanteur-accompagnateur, Paris 1844; Fr. A. Gevaert, 
Methode pour l'enseignement du plain-chant et de la ma- 
niere de l'accompagner, Gent 1856; Fr. X. Mathias, Hist. 
Entwicklung d. Choralb., StraBburg 1905 ; L. Landshoff, 
Uber d. vielst. Accompagnement u. andere Fragen d. Gb.- 
Spiels, Fs. A. Sandberger, Munchen 1918; K. G. Fellerer, 
Instr.-B. d. Werke Palestrinas im 18. Jh., Musica Sacra LV, 
(Regensburg) 1925; Fr.Th.Arnold, The Art of Accompa- 
niment from a Thorough-Bass, London 1931 ; L. Sohner, 
Die Gesch. d. B. d. gregorianischen Chorals in Deutsch- 
land, = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. 
Schweiz XVI, Augsburg 1931 ; G. Moore, Singer and Ac- 
companist, London 1953; Fr. Oberdorffer, Uber d. Gb.- 
B. zu Kammermusikwerken Bachs u. d. Spatbarock, Mf 
X, 1957; ders., Uber d. Gb.-B. zu Kammermusikwerken 
Bachs, Mf XI, 1958; M. Blindow, Die Choralb. d. 18. Jh. 
in d. ev. Kirche Deutschlands, = Kolner Beitr. zur Musik- 
forschungXIII, Regensburg 1957; W. Fischer, Die»nach- 
schlagende Akkord-B.« bei W. A. Mozart, Mozart-Jb. 
1959; C. Eccher, Accompagnamento Gregoriano, Rom 
1960. PS 



94 



Belcanto 



B£guine(beg'in, frz.), negroider Tanz aus Martinique 
und Santa Lucia. Die B., die urn 1930 auch in Europa 
bekannt wurde, ist eine Abart der -> Rumba und ver- 
lauft in maBig bewegtem bis raschem Tempo im 2/4-, 
4/4- oder 2/2-Takt mit dem Rhythmusschema: 

id) pui rm oder n , *rm 

Beispielsammlung (engl. anthology ; frz. anthologie ; 
ital. antologia), eine Zusammenstellung ausgewahlter 
Noten- oder Schallplattenbeispiele, die den Verlauf 
der Musikgeschichte im allgemeinen, in einzelnen 
Landern, Stilepochen oder die Entwicklung bestimm- 
ter Gattungen und Formen aufzeigen. Von diesen B.en 
zur Musikgeschichte sind im deutschen Sprachbereich zu 
unterscheiden die musikalischen Anthologien (griech., 
Blumenlese; lat. florilegium), altere Sammlungen zu- 
meist zeitgenossischer Komponisten, z. B. E.Boden- 
schatz' Motettensammelwerk Florilegium portense (2 
Teile, Leipzig 1618-21), die Blumenlese und Neue Blu- 
menlese (1782-87) von H.Ph. -»■ Bossier und seine Mu- 
sikalische Anthologie (bis 1799). Der historisch ausge- 
richteten B. der neueren Zeit verwandt ist schon die 
1765 in Paris erschienene 4bandige Chansonsammlung 
Anthologie francaise von J. -> Monnet. An wichtigen 
allgemeinen B.en sind seit O. Kades Supplement (Leip- 
zig 1882) zu Band III von Ambros' Geschichte der Mu- 
sik und H.Riemanns Musikgeschichte in Beispielen (150 
Nummern, mit Erlauterungen von A. Schering, Leip- 
zig 1912, *1929) zu nennen: A.Einstein, B. zur alteren 
Musikgeschichte ( = Aus Natur und Geisteswelt 439, 
Leipzig 1917, 51934, englische Ausgabe London 1949 
und ofter); J. Wolf, Sing- und Spielmusik aus alterer 
Zeit, herausgegeben als Beispielband zur allgemeinen 
Musikgeschichte ( = Wissenschaft und Bildung 218, 
Leipzig 1926); A. Delia Corte - G.M.Gatti, Antologia 
delta storia della musica (2 Bande, Turin 1927-29, *1945) ; 
H. Martens, Musikalische Formen in historischen Reihen 
(Spiel- und Singmusik fur den Musikunterricht und 
fur das hausliche Musizieren, 20 Hefte, nach Formen 
getrennt, Berlin 1930-37, 2. Auflage, mit W.Drang- 
meister und H.Fischer, Wolfenbiittel 1958ff.); A. 
Schering, Geschichte der Musik in Beispielen (350 Ton- 
satze aus 9 Jahrhunderten, Leipzig 1931, 2 1954, engli- 
sche Ausgabe New York 1954); A. Th. Davison - W. 
Apel, Historical Anthology of Music (2 Bande, Cam- 
bridge/Mass. 1947-50, 1 21950); D.Bartha, A Zenetor- 
tinet AntolSgidja (»Anthologie der Musikgeschichte«, 
bis 1750, Budapest 1948) ; die von K. G. Fellerer heraus- 
gegebene B. Das Musikwerk (bisher 28 Hefte von 50 
geplanten, Koln 1951ff., englisch als The Anthology of 
Music, bisher 20 Hefte). Nationale B.en sind u. a.: die 
von A. Smijers im Auf trag der Vereeniging voor Ne- 
derlandse Muziekgeschiedenis herausgegebene Reihe 
Van Ockeghem tot Sweelinck (Nederlandse Muziekge- 
schiedenis in voorbeelden, Amsterdam 1939fL, bisher 
7 Lieferungen) sowie Stijlproeuen van nederlandse mu- 
ziek, 1890-1960, zusammengestelltvonE.Reeser, Band 
I, Amsterdam 1963; S.Lw. Ginsburg, Istorija russkoj 
musyki w notnych obraszach (»Geschichte der russischen 
Musik in Notenbeispielen«, 3 Bande, Moskau und Le- 
ningrad 1940-52); J.Pohanka, Dejiny ceske hudby v 
pfikladech (»B6hmische Musik in Beispielen«, Prag 
1958). (Weitere nationale B.en unter Ausgaben der 
betreffenden Landerartikel.) - GroBe Schallplatten- 
B.en sind: Anthologie sonore, begonnen 1934 in Paris 
imd veranstaltet unter Mitarbeit von C.Sachs, F. Ago- 
stini, B. Steele und F.Raugel (nach Serien zu je 20 Plat- 
ten angelegte Sammlung); Archiv-Produktion der 
Deutschen Grammophongesellschaft, begonnen 1949 
unter Fr.Hamel, fortgefiihrt unter H.Hickmann; The 



History of Music in Sound von His Master's Voice, be- 
gonnen 1954 unter G. Abraham, als Erganzung zur 
New Oxford History of Music (London seit 1954). 

Belcanto (ital., schoner Gesang), eine erst im 19. Jh. 
entstandene Bezeichnung f iir die aus italienischem Mu- 
sikempfinden erwachsene ->• Gesangskunst, die sich - 
ausgehend von dem als nobile maniera di cantare von 
Caccini und Peri um 1600 in Lehre und Praxis be- 
griindeten, reich verzierten Sologesang - in enger 
Wechselwirkung vor allem zwischen weltlicher Kam- 
mermusik (Madrigal, Kantate), Oper und Oratorium 
in Anlehnung an instrumentale Spielpraktiken entwik- 
kelte. Der B. war nicht auf Intensitat des Ausdrucks und 
der Deklamation gerichtet; typisch war vielmehr die 
Beweglichkeit und Ausgeglichenheit der Stimme, die 
in feinsten Gradationen zu singen vermochte, die Ver- 
edelung der Tonbildung und Schonheit des Klanges. 
- Bereits Zacconi (Prattica di musica, 1596) gab eine An- 
leitung zur Auszierung mehrstimmiger Motetten und 
Madrigale und wies, wie schon Maffeis Discorso della 
voce (1562), dem ausfuhrenden Sanger eine wichtige 
Rolle zu. Mit der »melodischen Intensivierung« der 
Oper, f iir die Monteverdis II ritorno d' Ulisse (1641) rich- 
tungsweisend wurde, entwickelte sich in der ->■ Vene- 
zianischen Schule der schlichte und der ausgeschmiick- 
te B., der in der ->• Neapolitanischen Schule zur abso- 
luten Herrschaft des Gesangs fiihrte. Das spate 17. Jh. 
und besonders das 18. Jh. bildeten den B. zu hochster 
Virtuositat aus: die Improvisationskunst, das eigentliche 
Wesen des alten B. (Wolff), und die Kehlfertigkeit des 
-> Kastraten und der ->• Primadonna feierten Trium- 
ph'e. Die Sanger brillierten mit dem.»Instrument« ihrer 
vollkommenen Stimme in den (bis zur Verkiinstelung 
in sinnentleerten Wort- und Silbenwiederholungen) 
ganz auf ihren Bravourgesang angelegten Aden. 
Die klassischen B.-Methoden, fiir die als Schulwerk 
P. Fr. Tosis Opinioni de' cantori antichi e moderni (Bo- 
logna 1723) grundlegend war, verlangten (in langer, 
oft 8- bis lOjahriger Ausbildung) die Beherrschung 
groBer Atemtechnik, die Ubung des Schwelltones 
(der -*■ Messa di voce), des Legatos (einem Haupt- 
merkmal des auch als »gebundener Gesang* bezeichne- 
ten B.), der verschiedenen Arten des Vorschlags, der 
Triller, des Staccatos, Martellatos, Portamentos usw., 
der Koloraturen und der Kunst der Improvisation, 
dann erst das Studium der Partituren. An B.-Lehrern 
des 17. und 18. Jh. ragen hervor: Fr. A. Pistocchi (der 
um 1700 eine Gesangsschule in Bologna griindete, an 
der zum ersten Male streng methodisch Gesangsunter- 
richt erteilt wurde und die fiihrend fiir die 1. Halfte 
des 18. Jh. war), A. Bernacchi (nach dessen nicht schrift- 
lich festgelegter Methode noch im 19. Jh. gelehrt wur- 
de), G.Mancini (bedeutend seine Pensieri e riflessioni 
pratiche sopra il canto figurato, 1774) und G. Crescentini 
(Raccolta di esercizj per il canto, 1811). Seit Gluck be- 
gann der Sanger seine eigenschopferische Stellung zu 
verlieren. Rossini setzte um 1815 der Epoche sangeri- 
scher Improvisationskunst ein Ende, indem er selbst 
die Gesange bis ins kleinste festlegte. In den Opern 
Donizettis und Bellinis ist der B. durch eine mit ex- 
pressiven Zugen bereicherte, zur dramatischen Aktion 
drangende Melodiebildung gekennzeichnet. Verdi 
setzte deklamatorische Forderungen durch und er- 
hohte die individuelle Ausdruckskraft der handeln- 
den Personen, ohne die Sanglichkeit zu vernachlas- 
sigen. Mit dem Verismo enrfernte sich der italieni- 
sche Vokalstil immer mehr vom Ideal des B. und gab 
groBer Expressivitat und dramatischer Gestaltung 
Raum. Schon in der franzosischen GroBen Oper hatte 
sich ein neues Gesangsideal angekiindigt, das den alten 



95 



Belgien 



»Schon-Gesang« mit einer dramatisch akzentuierten 
Singweise verband. Die Padagogik pafite sich den For- 
derungen nach groBerer Stimmstarke usw. an (in 
Frankreich zuerst M.Garcia, in Deutschland P. Win- 
ter) und loste sich allmahlich vom B. -Ideal, dem R. 
Wagner mit dem melodisch-deklamatorischen »Sprech- 
gesang« (wie er zuerst in Tannhausers Rom-Erzahlung 
vorgebildet ist) ein neues Gesangsideal entgegensetzte. 

Lit. : A. M. Pellegrini Celoni, Grammatica, o siano rego- 
le di ben cantare, Rom (1810), 2 1817; H. Goldschmidt, 
Die ital. Gesangsmethode im 17. Jh., Breslau 1890, 21892; 
M. Kuhn, Die Verzierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d. 
16.-17. Jh., = BIMG I, 7, Lpz. 1902; H. Klein, The B., 
London 1923; V. Ricci, II b., Mailand 21923; Fr. Habock, 
Die Kastraten u. ihre Gesangskunst, Bin u. Lpz. 1927; E. 
Ross, Die deutsche u. ital. Gesangsmethode d. 18. Jh., Diss. 
Konigsberg 1927; R. Haas, Die Musikd. Barocks, Biicken 
Hdb. ; H. Arlberg, A., Lpz. 1933 ; B. Ulrich, Die altital. 
Gesangsmethode. Die Schule d. B. auf Grund d. Original- 
Schriften zum ersten Male dargestellt, Lpz. 1933 ; L. Bocci- 
Brunacci, Del b., Rom 1934; H. Faller, Die Gesangsko- 
loratur in Rossini's Opern u. ihre Ausfiihrung, Diss. Bin 
1935; L. Siotto Pintor, Segreti del B., Mailand 1938; A. 
Machabey, Le B., Paris 1948; J. Laurens, B. et emission 
ital., Paris 1950; P. A. Duey, B. in Its Golden Age, NY 
1951 ; R. Maragliano Mori, I Maestri del B., Rom 1953 ; 
H. Chr. Wolff, Die Gesangsimprovisation d. Barockzeit, 
Kgr.-Ber. Bamberg 1953; ders., Vom Wesen d. alten B., 
Musik im Unterricht LII, 1961 ; H.-P. Schmitz, Die Kunst 
d. Verzierung im 18. Jh., Kassel 1955; E. T. Ferand, Die 
Improvisation in Beispielen aus 9 Jh. abendlandischer Mu- 
sik, Koln 1956; G. Lauri-Volpi, I misteri della voce uma- 
na, Mailand 1957; M. Amstad, Das goldene Zeitalter d. B., 
SMZ CI, 1961 ; O. Merlin, Le B., Paris 1961. 

Belgien. 

Ausg. : — » Denkmaler. 

Lit. : P. Fredericq, Onze hist, volksliederen, Gent u. Den 
Haag 1894; Fl. Van Duyse, Het eenstemmig frans en ne- 
derlands wereldlyk lied in de belgische gewesten, Gent 
1 896 ; E. Closson, Les chansons populaires des provinces 
beiges, Briissel 1905, 2 1913, 31920; ders., La facture des 
instr. de musique en Belgique, Briissel 1935; C. Brouwer, 
D*is Volkslied in Deutschland, Frankreich, B. u. Holland, 
Diss. Groningen 1930; Ch. Van den Borren, Du role in- 
ternational de la Belgique dans l'hist. mus., Kgr.-Ber. Liit- 
tich 1930; ders., Geschiedenis van de muziek in de Neder- 
landen, 2 Bde, Amsterdam u. Antwerpen 1949-51; Fl. 
Van der Mueren, Vlaamsche muziek en componisten in 
de 19. en 20. eeuw, Den Haag 1931 ; S. Clercx, Les clave- 
cinistes beiges et leurs emprunts a l'art de Fr. Couperin et 
de J.-Ph. Rameau, RM XX, 1939; dies., Terminologie 
et realites, introduction a l'hist. de la musique en Belgique, 
RBM V, 1951; dies., La musicologie en Belgique depuis 
1945, AMI XXX, 1958; dies., Complement a la bibliogr. 
sur la musicologie en Belgique depuis 1945, AMI XXXI, 
1959; A. Libiez, Chansons populaires de l'ancien Hainaut, 
4 Bde, Briissel 1939ff.; K. C. Peters, Het volksche kerst- 
lied in Vlaandern, Antwerpen 1942 ; R. Pinon, La nouvelle 
lyre malmedienne ou la vie en Wallonie malm6dienne re- 
flectee dans la chanson folklorique, »Folklore Stavelot- 
Malmedy« ab Bd. XIII, 1949ff.; J. Stehmann, Hist, de la 
musique en Belgique, Briissel 1950; Ch. Leirens, La mu- 
sique beige, = Art, vie et sciences en Belgique II, Briissel 
1952; R. B. Lenaerts, Contribution a l'hist. de la musique 
beige de la renaissance, RBM IX, 1955; La musique en 
Belgique du moyen age a nos jours, hrsg. v. E. Closson u. 
Ch. Van den Borren, Briissel 1956; K. De Schrijver, 
Levende componisten uit Vlaanderen, 2 Bde, Lowen 1954- 
55; ders., Bibliogr. d. belgische toonkunstenaars sedert 
1 800, Lowen 1958 ; R. Wangermee, La musique beige con- 
temporaine, Briissel 1959. 

Belgrad. 

Lit. : St. Djuric-Klajn, Muzicki grad Beograd (»Die Mu- 
sikstadt B.«), in : Muzika i muzicari (»Musik u. Musiker«), 
B. 1956. 

Bell (engl.) -> Glocke, -> Stiirze der Blasinstrumente. 



bemol (frz.), unter den -> Akzidentien das Erniedri- 
gungszeichen t, der Bezeichnung und der Gestalt 
nach entstanden aus dem bmolle oder brotundum 
(-> B). Im Franzosischen werden durch den Zusatz be- 
mol zu den Solmisationssilben Tonnamen und Tonar- 
tenbezeichnungen angegeben, z. B. si bemol (majeur 
oder mineur) = B (dur oder moll). 

Benedicamus Domino (lat.), eine vermutlich aus 
der gallikanischen Liturgie in die romische MeBfeier 
und den Stundengottesdienst ubernommene SchluB- 
bzw. Entlassungsformel, gefolgt von dem Responsum 
Deo gratias. Die seit dem 11. Jh. geltende Ordnung, 
nach welcher das B. D. im Ausgleich mit dem alteren 
und zunachst allein gebrauchlichen he missa est einzu- 
setzen ist, wurde durch den Novus Codex Rubricarum 
von 1960 aufgehoben. Dieser gestattet es nur noch im 
Abendmahlsamt vom Griindonnerstag und in Messen 
mit' anschlieBender Prozession (z. B. Fronleichnam). 
Demgegeniiber verwendet das Offizium den B. D.- 
Gesang in alien Horen. Sein Vortrag erfolgt durch den 
Zelebranten (Messe), den Diakon (feierliches Hoch- 
amt), einen oder mehrere Kantoren (Offizium). - In 
ihrer melodischen Gestalt sind die B. D.-Weisen - vor 
allem der Messe - mehrfach den Kyrie-Vertonungen 
des Ordinarium Missae entnommen, auch lassen sich 
SchluBmelismen von Responsoria prolixa als Vorlage 
erkennen. Die Uberlieferung der Melodien setzt im 11. 
Jh. ein. Sie steht in engem Zusammenhang mit den 
musikgeschichtlich bedeutsamen B. D.-Tropierungen. 
In der friihen Mehrstimmigkeit gehort das B. D. zu 
den zentralen Formen. - Die ambrosianische Liturgie 
verwendet den Entlassungsruf B. D. (mit Responsum 
Procedamus in pace) in alien Messen und in den Ge- 
betsstunden. 

Ausg. : El codex mus. de Las Huelgas III, hrsg. v. H. An- 
gles, = Bibl. de Catalunya, Publicacions del Departament 
de miisica VI, Barcelona 1931 ; Die 3- u. 4st. Notre-Dame- 
Organa, hrsg. v. H. Husmann, = PaM XI, Lpz. 1940; Da- 
vison-Apel Anth. I, 28. 

Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1 962 ; H. Schmidt, Die 3- u. 4st. Organa, Kassel 
1933; J. Handschin, Mg. im tlberblick, Luzern (1948), 
2 1964; A. Geering, Die Organa u. mehrst. Conductus in 
d. Hss. d. deutschen Sprachgebietes vom 13. bis 16. Jh., 
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden 
Ges. II, 1, Bern (1952), mit ausfiihrlichen Lit.- u. Quellen- 
angaben ; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958); 
K. v. Fischer, Die Rolle d. Mehrstimmigkeit am Dome v. 
Siena zu Beginn des 13. Jh., AfMw XVIII, 1961; J. A. 
Jungmann SJ, Missarum Sollemnia II, Wien, Freiburg 
i. Br. u. Basel 51962; Fr. Ll. Harrison, B., Conductus, 
Carol: A Newly-Discovered Source, AMI XXXVII, 1965. 

KWG 

Benedicite omnia opera Domini Domino (lat.), 
der Gesang der drei Junglinge im Feuerofen (Dan. 3, 
57-88, als AbschluB Vers 56), ein Canticum der ro- 
misch-katholischen Liturgie. Es wird in den Laudes 
des Sonn- und Feiertagsoffiziums verwendet. An den 
Sonntagen der Advents- und Fastenzeit steht statt des- 
sen Dan. 3, 52-57: Benedictus es Domine Deus patrum 
nostrorum. Dieser letztere Text findet sich auch in der 
Messe der Quatembersamstage als Antwortgesang 
nach der 5. Lesung (dort als Hymnus bezeichnet). Er 
wurde schon in der altspanischen und gallikanischen 
Liturgie im AnschluB an Schriftlesungen gesungen. 
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I, Lpz. 3 1911, Neudruck Hildesheim u; Wiesbaden 
1962; Dictionnaire d'archeologie chretienne et de liturgie 
II, Paris 1925. 

Benedictus Dominus Deus Israel (lat.), der Gesang 
des Zacharias (Luc. 1, 68-79), ein Canticum der ro- 



96 



Bergreihen 



misch-katholischen Liturgie. Es bildet den Hohepunkt 
der Laudes entsprechend dem Magnificat in der Ves- 
per. Wie dieses wird es bei feierlichen Gelegenheiten 
nach einer eigenen Psalmformel gesungen (-*■ Psalm- 
tone). 

Benedictus es Domine Deus patrum nostrorum 

(lat.) -> Benedicite omnia opera Domini Do- 
mino. 

Benedictus qui venit (lat.), der dem Sanctus der 
Messe angeschlossene Teil in Form eines Lobpreises 
nach Matth. 21, 9 und Ps. 117, 26. Seine alteste Erwah- 
nung (Caesarius von Aries, f 540) weist nach Gal- 
lien, wahrend es fur den romischen Gottesdienst im 7. 
Jh. belegt ist. Im Unterschied zum Missale Romanum, 
welches bis heute die unmittelbare Aufeinanderfolge 
von Sanctus und B. qui v. bei der Rezitation durch den 
Zelebranten vorsieht, wurde der B. qui v.-Gesang - 
offensichtlich unter dem EinfluB der polyphonen, hau- 
fig sehr umfangreichen Sanctusvertonungen (->■ Mes- 
se) - im Laufe der Zeit verselbstandigt und erhielt sei- 
nen Platz nach der Wandlung (vgl. die entsprechende 
Vorschrift im Caeremoniale episcoporum von 1600, fiir 
den Choral das Dekret Nr 4364 der Ritenkongregation 
aus dem Jahre 1921, desgl. den Rubrikenteil in der Va- 
tikanischen Ausgabe des Graduale). In der modernen 
Choralpraxis bleibt die urspriingliche Zusammenge- 
horigkeit von Sanctus und B. qui v. gewahrt (Instruc- 
tio der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958, Artikel27d). 
Hinsichtlich seiner melodischen Struktur ist das ein- 
stimmige B. qui v. engstens mit dem -> Sanctus ver- 
kniipft. 

Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia 
II, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962. 

Berceuse (bers'0:z, frz., Wiegenlied; engl. lullaby) 
ging in die Kunstmusik ein durch das Liedschaffen J. Fr. 
Reichardts : Wiegenlieder fiir gute deutsche Mutter (1798) 
und erlangte im 19. Jh. besonders durch Instrumental- 
kompositionen entsprechenden Charakters an Bedeu- 
tung. B. iiberschriebene Instrumentalstiicke (vor allem 
fiir Klavier) sind im 6/8-Takt komponiert und so von 
wiegender Bewegung; iiber einem haufig quasi-osti- 
naten BaB lauf t eine meist schlichte Melodie, die oft in 
raschere Spielfiguren aufgelost wird, wie z. B. in derB. 
op. 57 von Fr. Chopin. AuBerdem sind zu nennen B. 
Godards bekannte B. op. 100 (der Salonmusik ver- 
pflichtet), Liszts B. fiir Kl., Debussys B. heroique fiir Kl., 
Ravels B. sur le nom de Gabriel Faure fiir V. und KL; 
fiir Orch. B. ele'giaque op. 42 von Busoni und B. de 
VOiseau defeu von Strawinsky. 

Bergamasca (auch Bergamasco, Bergamaskertanz), 
im 16.-17. Jh. volkstiimliches Lied aus Bergamo 
(Norditalien), das schon im 16. Jh. in England bekannt 
war. Die B. ist geradtaktig und schnell. Mann und 
Frau bewegen sich im Kreis, jener vorwarts, diese riick- 
warts, nach Anderung der Melodie erfolgt Umarmung 
der Partner und ein Drehtanz. Bergamasken mit Text 
finden sich z. B. in Azzaiolos 3. Buch der Villotte del 
Fiore (1569); diese Sammlung bietet zugleich den al- 
testen Beleg fiir die B. : 



J.-B. Besard (Thesaurus harmonkus, 1603) und S. Scheidt 
verwandten die Melodie der B. als Vorlage fiir Varia- 
tionen; Frescobaldi benutzte sie als Subjekt fiir eine 
Canzona mit der Beischrif t Chi questa Bergamasca sonora, 
non pocho imparera (Fiori musicali, 1635). Die Melodie 



des B.-Tanzes kommt noch vor bei Buxtehude in der 
Klavierpartita La capricciosa und bei J. S.Bach in dem 
SchluBsatz (Quodlibet) der Goldbergvariationen (1742, 
BWV 988) mit dem Text Kraut und Ruben haben mich 
vertrieben. Im 19. Jh. hat die B. einen ganz anderen 
Charakter; sie ist ahnlich der -»■ Tarantella ein 6/8- 
Tanz (mitunter Prestissimo) mit Betonung des 2. Takt- 
teils. Fiir Violoncello solo komponierte der aus Berga- 
mo stammende Violoncellist A.Piatti eine B. - Die 
Suite bcrgamasque von Debussy ist nicht an die Melodie 
gebunden, sondern durch landliche Impressionen von 
Bergamo bestimmt. 

Lit. : G. Ungarelli, Le vecchie danze italiane, = Bibl. na- 
zionale delle tradizioni popolari italiane, Rom 1894; P. 
Nettl, Die B., ZfMw V, 1922/23 ; ders., The Story of Dan- 
ce Music, NY (1947); M. Reimann, Zur Entwicklungs^ 
gesch.d. Double, Mf VI, 1953. 

Bergamo. 

Lit. : G. Donati-Petteni, L'Istituto mus. G. Donizetti, la 
Capella mus. di S. Maria Maggiore, il Museo Donizettiano, 
B. (1928); ders., Teatro Donizetti, B. 1930; G. Angelo, B. 
e la musica, B. 1958; C. Traini, Organari bergamaschi, B. 
1958. 

Bergerette, (berpr'et, frz., von berger, Schafer), 
- 1) eine dem Virelai ahnliche Form der franzosischen 
Lyrik des 15. Jh. mit nur einer Stanze. - 2) ein der Bas- 
se danse verwandter Tanz des 16. Jh. in schnellem Tri- 
peltakt : 




JJ J- g j I S 




B. Dont vient cela 
(Susato, Het derde 
musikbcexken, 
1551). 

Im 18. Jh. ist die B. in Frankreich eine lyrische Dich- 
tung mit pastoralem oder erotischem Thema, die auch 
gesungen wird. 

Ausg. u. Lit.: Der Kopenhagener Chansonnier, hrsg. v. 
Kn. Jeppesen, Kopenhagen u. Lpz. 1927; Harmonice Mu- 
sices Odhecaton A, hrsg. v. H. Hewitt, Cambridge (Mass.) 
1942, 21946; R. W. Winkler u. G. S. McPeek, The B. 
Form in the Laborde Chansonnier, JAMS VII, 1954. 

Bergreihen (Bergkreyen, Bergrei[g]en; von Berg, 
erzreicher Boden, und Reigen), bergmannische Lieder 
des 16. bis 18. Jh., zumeist aus dem sachsischen Erzge- 
birge. Sie finden sich sowohl mit weltlichen als auch 
mit geistlichen Texten, wobei Kontrafakturen haufig 
sind. Der friiheste Druck ist von W. Meierpeck Etliche 
hiibsche B. (Zwickau 1531, ohne Melodien). J.Walter 
bringt in der letzten (5.) Auflage seines Geistlichen Ge- 
sangbuchleins (1551) 4 Satze mit dem Vermerk Auf 
B.weis (Vater unser im Himmelreich, 4st. ; Christ ist erstan- 
den, 3st. ; Jesus Christus unser Heiland, 3st. ; Vom Himmel 
hoch, 3st. ; zudem komponierte er Einen schonen geistli- 
chen und christlichen B. Herzlich tut mich erfreuen (1552, 
2st.). Auch die gedruckten B. von E. Rotenbuchcr 
(1551) sind zweistimmig. Die Satzarten der mehrstim- 
migen B. entsprechen denen der friihen deutschen Te- 
nor-Lieder, oft mit vorausgehender Intonation der Me- 
lodie (so noch bei M.Franck 1602). Die Zeilenschliisse 
tragen Fermaten und bringen improvisierte meister- 
sangliche »Blumen« im Diskant. Der Satz Christ ist er- 
standen f iihrt die Melodie in langen Werten als C. f . im 



97 



Berlin 



Tenor und die beiden Aufienstimmen vorwiegend in 
Duodezimenparallelen. Die Bezeichnung B. wurde im 
friihen 18. Jh. durch »Bergmannslied« ersetzt. 
Ausg.: O. Schade, B., ein Liederbuch d. 16. Jh., Weimar 
1854; J. Meier, B., ein Liederbuch d. 16. Jh. nach d. 4 alte- 
sten Drucken v. 1531, 1533, 1536 u. 1537 (ohne Melodien), 
hrsg. in Braunes Neudrucke deutscher Literaturwerke 
XCIX/C, Halle 1 892 ; M. Franck, Mus. B., in welchen all- 
weg d. T. zuvorderst intoniert, in contrapuncto colorato 
auf 4 St. gesetzt (Nurnberg 1 602\ = Chw. XXXVIII, 1936. 
Lit. : R. Baumer, Untersuchungen iiber d. B. v. 1 53 1 /33/36/ 
37, Diss. Lpz. 1895 ; K. Hennig, Die geistliche Kontrafak- 
tur im Jh. d. Reformation, Halle 1909; W. Heinz, Das 
Bergmannslied, Diss. Greifswald 1913; W. Gurlitt, J. 
Walter u. d. Musik d. Reformationszeit, Luther-Jb. XV, 
Miinchen 1933; G. Heilfurth, Das erzgebirgische Berg- 
mannslied, Schwarzenberg 1936; ders., Das Bergmanns- 
lied, Kassel 1954; E. Muller, Mg. v. Freiberg, = Mitt. d. 
Freiberger Altertumsver. LXVIII, Freiberg i. Sa. 1939; C. 
Gerhardt, Die Torgauer Walter-Hss., = Mw. Arbeiten 
IV, Kassel 1949; R. Kohler, Bergmannslieder, Weimar 
1958. 

Berlin. 

Lit.: L. Schneider, Gesch. d. Oper u. d. Kdniglichen 
Opernhauses in B., B. 1852; K. v. Ledebur, Tonkiinstler- 
Lexicon B. v. d. altesten Zeiten bis auf d. Gegenwart, B. 
1860/61; W. Langhans, Die Konigliche Hochschule f. 
Musik, Lpz. 1873; A. E. Brachvogel, Gesch. d. Konigli- 
chen Theaters zu B., 2 Bde, B. 1877-78; M. Blumner, 
Gesch. d. B.er Singakad., B. 1 891 ; P. Einbeck, Zur Gesch. 
d. Koniglichen Domchors zu B., B. 1 893 ; G. Thouret, Mu- 
sik am preuBischen Hof im 18. Jh., Hohenzollern-Jb. I, 
B. u. Lpz. 1897; W. Altmann, Chronik d. B.er Philhar- 
monischen Orch. 1882-1901, Mk I, 1901/02; ders., Zur 
Gesch. d. Koniglichen PreuBischen Hofkapelle, Mk III, 
1903/04; R. Sternfeld, Chronik d. Philharmonischen 
Chores, B. 1907; C. Sachs, Mg. d. Stadt B. bis zum Jahre 
1800, B. 1908; ders., Musik u. Oper am kurbrandenbur- 
gischen Hof, B. 1910; ders., Der B.er Instrumentenbau 
auf d. Ausstellungen d. Koniglichen PreuBischen Akad. 
d. Kunste, 1794-1844, Zflb XXXII, 1912; ders., Slg alter 
Musikinstr. bei d. Staatl. Hochschule f. Musik, B. 1922; H. 
Kuhlo, Gesch. d. Zelterschen Liedertafel v. 1809-1909, 
B. 1909; A. Weissmann, B. als Musikstadt, Gesch. d. 
Operu. d. Konzerts 1740-1911, B. u. Lpz. 1911; A. Arn- 
heim, Zur Gesch. d. Liebhaberkonzerte in B. im 18. Jh., 
Jahresber. d. Ges. zur Pflege altklass. Musik, B. 1912/13; 
dies., Zur Gesch. d. B.er Musikdrucks u. Musikverlags, 
ebenda, B. 1913/15; dies., Mitt, aus d. B.er Musikkritik 
im 18. Jh., ebenda, B. 1915/16; M. Schipke, Gesch. d. 
Akad. Inst. f. Kirchenmusik in B., B. 1922; W. Klatte 
u. L. Misch. Das Sternsche Konservatorium d. Musik zu 
B. 1850-1925, B. 1926; 185 Jahre Staatsoper, Fs. zur Wie- 
dereroffnung d. Opernhauses Unter'd. Linden 1928, hrsg. 
v. J. Kapp, B. 1928 ; J. Wolf, Zur Gesch. d. Musikabt. d. 
Staatsbibl., B. 1930; H. Leichtentritt, Das Konservato- 
rium d. Musik Klindworth-Scharwenka, B. 1 88 1-193 1 , Fs. 
B. 1931 ; H. U. Lenz, Der B.er Musikdruck v. seinen An- 
fangen bis zur Mitte d. 18. Jh., Kassel 1933; M. Seiffert, 
100 Jahre Musiksektion d. PreuBischen Akad. d. Kunste, 
B. 1933 ; G. Born, Die Grundung d. B.er Nationaltheaters 
. . ., Diss. Erlangen 1931, Borna bei Lpz. 1934; H. Graf, 
Das Repertoire d. oftentlichen Opern- u. Singspielbuhnen 
in B. seit d. Jahre 1 771 , B. 1934 ; 90 Jahre Erk'scher Manner- 
Gesangver., 1845-1935,B. 1935; W. Wohlberedt, Verz.d. 
Grabstatten bekannter u. beruhmter Personlichkeiten in 
GroB-B. u. Umgebung. Nachweis vieler Musikergraber, B. 
1 93 5 ; G. Droescher, Die vormals Koniglichen, jetzt Preu- 
Bischen Staatstheater zu B. 1 . Jan. 1 886 - 3 1 . Dez. 1 935, B. 
1936; S. Sohngen, Frz. Theater in B. im 19. Jh., Diss. Ffm. 
1937, = Schriften d. Ges. f. Theatergesch. XLIX, B. 1937; 
A. Beutner, Blatter zur Gesch. d. B.er Lehrergesangver. 
1887-1937, B. 1937; J. Kapp, Gesch. d. Staatsoper B., B. 
1937; ders., 200 Jahre Staatsoper B. im Bild, B. 1942; O. 
Schrenk, B. u. d. Musik . . . 1740-1940, B. 1940; G. 
SchCnemann, Die Singakad. zu B., Regensburg 1941 ; H. 
Rensmann, Die Entwicklung u. Bedeutung d. B.er Musik- 
instrumentenbaugewerbes im Handwerks- u. Industriebe- 
trieb, Diss. jur. B. 1942, maschr.; W. David, Die Org. v. 
St. Marien zu B. u. andere beriihmte B.er Org., = Org.- 



Monographien LX, Mainz 1949; Chr. Friedrich, Staats- 
oper B., Ein Streifzug durch d. Vergangenheit, B. 1953; 
F. v. Lepel, Die Stadtische Oper in B.-Charlottenburg . . . , 
B. 1954 u. 1957 ; W. Virneisel, Die Musikabt. d. Deutschen 
Staatsbibl., Fontes artis musicae II, 1955; ders., 50 Jahre 
Deutsche Musikslg, in: Musikhandel VII, 1956; Deutsche 
Staatsoper B. Zur Wiedereroffnung d. Hauses Unter d. 
Linden am 4. September 1955, hrsg. v. d. Intendanz d. 
Deutschen Staatsoper (W. Otto u. G. Rimkus), B. 1955; 
H. Fetting, Die Gesch. d. Deutschen Staatsoper, B. 1955 ; 
Musikstadt B. zwischen Krieg u. Frieden, 1 3 Essays fiber 
d. B.er Musikleben seit 1945, hrsg. v. H. Kunz, B. u. Wies- 
baden 1956; E. Konig, Das Uberbrettl E. v. Wolzogens 
u. d. B.er Uberbrettl-Bewegung, Diss. Kiel 1956, maschr.; 
L. Richter, Parodieverfahren im B.er Gassenlied, Deut- 
sches Jb. d. Mw. IV (= JbP LI), 1959; R. Elvers, A. M. 
Schlesinger, R. Lienau 1810-1960. 150 Jahre Musikverlag, 
B. 1960;DERS.,Altb.erMusikverleger,B. 1961 ;E.E. Helm, 
Music at the Court of Frederick the Great, Oklahoma 
(1960); Fr. Herzfeld, Die B.er Philharmoniker, = Rem- 
brandt-Reihe XXIII, B. (1960); Deutsche Staatsbibl., Die 
Musikabt., Sonderdrucke aus : Deutsche Staatsbibl. 1661— 
1961, = Gesch. u. Gegenwart I, Lpz. 1961; W. Bollert, 
50 Jahre Deutsche Oper B., B. 1962; A. Berner, Musik- 
instr.-Slg B., B. (1963); H. Kunz, 125 Jahre Bote u. Bock. 
1838-1963, B. u. Wiesbaden 1963 ; W. Siebarth, Fiinfvier- 
tel Jh. Musikalienhandlung A. Glas im alten u. neuen B., 
B. 1963 ; S. Borris, Hochschule f. Musik B., B. 1964. 

Berliner Schule oder Norddeutsche Schule ist ein 
Sammelname f iir die in der 2. Half te des 18. Jh. in Ber- 
lin wirkenden Komponisten, die zum grofien Teil mit 
dem Hof Friedrichs des GroBen (1740-86) verbunden 
waren, so an erster Stelle C. Ph. E.Bach* (ab 1767 in 
Hamburg) und J.J.Quantz, ferner J. G. Graun, C.H. 
Graun und Fr.Benda, Chr. Nichelmann*, Fr.W.Mar- 
purg, J. Ph. Kirnberger*, J. Fr. Agricola*, Chr. Fr. Fasch 
u. a. Die mit * versehenen Komponisten waren Schii- 
ler von J. S.Bach, dessen Andenken hier besonders im 
Kreis um Kirnberger und die Prinzessin Anna Amalia 
von PreuBen gepflegt wurde. Am bedeutendsten ist 
die B. Sch. auf dem Gebiet der Instrumentalmusik 
(Symphonien, Konzerte, Klavier- und Kammermusik) 
und dem des Liedes. Kennzeichen der norddeutschen 
Instrumentalmusik sind der kontrapunktisch »gearbei- 
tete«, gebundene, strenge Stil und die »galante«, freie, 
melodisch gefallige (zartliche, ruhrende, empfindsame) 
Schreibart. Ein Merkmal der Schule ist dabei ihre auf- 
geklart rationalistische und in alien Fragen der Musik 
stark theoretisierende Haltung, aus deren Fesseln sich 
nur C. Ph. E.Bach in vielen seiner Instrumentalwerke 
ganz befreien konnte. In dem Spannungs- und Lehr- 
verhaltnis zwischen der konservativen B. Sch. und der 
jugendfrischen siiddeutschen (-> Mannheimer) Schule 
setzt sich der schon das 17. Jh. mitbestimmende Gang- 
unterschied von Nord und Siid in der deutschen Mu- 
sikgeschichte fort. Beurteilte Chr. F. D. Schubart (Deut- 
sche Chronik, 1775) die Berliner Musik als Schulfuchse- 
reien, Entfernung von der Natur und dngstliches Ringen 
mit der Kunst, so verurteilte J. A. Hiller (Wochentliche 
Nachrichten III, 1769) an den Symphonien von Haydn, 
Dittersdorf u. a. das selfsame Gemisch des Ernsthaften und 
Comischen. - Die Berliner Liederschule wurde 1753 
eroffnet durch die von Chr. G. Krause herausgegebenen 
31 Oden mit Melodien von Agricola, C. Ph. E.Bach, Fr. 
Benda, den beiden Graun, Krause, Nichelmann und 
Telemann nach Texten u. a. von Gleim undHagedorn. 
1756-63 folgte die dreiteilige, von Marpurg redigierte 
Sammlung Berlinische Oden und Lieder, zu deren Kom- 
ponisten neben den vorgenannten (auBer Telemann) 
noch Marpurg, Kirnberger, Quantz, Sack, Rakemann, 
Janitsch u. a. gehoren. Das Programm, gegen den Stil 
der Opernarie gerichtet, hieB Volkstiimlichkeit, also 
Einfachheit und Gemeinverstandlichkeit, so dafi die 
Lieder, moglichst auch ohne Klavierbegleitung, von 



98 



Bibliographic 



jedem Munde ohne Miihe angestimmt werden konnen (Krau- 
se). Aus der Fiille der Liedsammlungen - genannt seien 
noch Gellerts Oden und Lieder (Leipzig 1759) und die 
240 Lieder der Teutschen (hrsg. von Krause in 4 Banden, 
Berlin 1767/68) - finden sich nur wenige Kompositio- 
nen, die das Schlagwort von der »Kunstlosigkeit« nicht 
miBverstanden und in »Verstand, Witz und Moral« 
der Texte nicht untergingen. Am bedeutendsten ist 
auch auf diesem Gebiet C. Ph. E. Bach, besonders durch 
seine 54 Geistlichen Oden und Lieder nach Texten von 
Gellert (1758, 51784). - Begiinstigt durch den echt 
volksmaBigen Ton von Hillers Leipziger Singspielen 
(ab 1766) und durch die Erneuerung der Dichtung 
seitens des Gottinger Hainbundes, Herders und des jun- 
gen Goethe fiihrte die Entwicklung zur Zeit von Chr. 
G.Neefes und Glucks Klopstock-Oden (1776 bzw. 
1785/86) und gleichzeitig mit der bedeutenden Schwa- 
bischen Liederschule (Schubart, Rheineck, Zumsteeg 
u. a.) zu einer »Zweiten Berliner Liederschule «, die den 
AnschluB an die neuere deutsche Dichtung und Kunst- 
musik fand. Den Ubergang bildeten neben J. Andre 
und J. A. P. Schulz, J. Fr. Reichardt, der erste bedeuten- 
de Goethekomponist, der mit seinen von 1773 bis 1809 
entstandenen fast 700 Liedern in etwa 30 Sammlungen 
das Lied aus den Fesseln der Schule befreit und der 
Tyrannei der Volkstumlichkeit ein Ende machte (Kretzsch- 
mar, S. 295). Doch auch C. Fr. Zelters talentvolles Lied- 
schaffen (von etwa 1790 an) wurzelt mit seiner Eigen- 
art der kleinen strophischen Form noch in den Ideen 
der B. Sch. 

Lit. : C. Mennicke, Hasse u. d. Briider Graun als Sympho- 
niker, Lpz. 1906; M. Flueler, Die norddeutsche Sinfonie 
. . . , Diss. Bin 1908 ; H. Hoffmann, Die norddeutsche Trio- 
sonate . . . , Diss. Kiel 1 924 ; E. Stilz, Die Berliner Klavier- 
sonate zur Zeit Friedrichs d. Grofien, Diss. Bin 1930; M. 
Friedlaender, Das deutsche Lied im 1 8. Jh., 2 Bde (3 Abt.), 
Stuttgart 1902, Neudruck Hildesheim 1962; H. Kretzsch- 
mar, Gesch. d. Neuen deutschen Liedes I, = Kleine Hdb. 
d. Mg. nach Gattungen IV, 1, Lpz. 1911. HHE 

Bern. 

Lit. : A. Streit, Zur Gesch. d. B.ischen Buhnenwesens v. 
15. Jh. bis auf unsere Zeit, I/II, B. 1873/74; A. Fluri, Verz. 
d. Kantoren am B.er Miinster, Arch. d. hist. Ver. d. Kan- 
tons B. XVII, 1903 ; ders., Org. u. Organisten in B. vor d. 
Reformation, B. 1905; ders., Versuch einer Bibliogr. d. 
bernischen Kirchengesangbiicher, Gutenbergmuseum VI, 
1920, VII, 1921, VIII, 1922, X, 1924; Fr. Bronnimann, 
Der Zinkenist u. Musikdirektor J. U. Sultzberger u. d. 
Pfleged. MusikinB.ind.2. Halfted. 17. Jh.,Diss.B. 1920; 
M. Zulauf, Der Musikunterricht in d. Gesch. d. B.ischen 
Schulwesens v. 1528-1798. = B.er Veroff. zur Musikfor- 
schunglll.B. 1934;B.ischeMusikges. 1815-1940, B. 1940; 
E. Refardt, Riickblick auf d. friihen B.er Tonkiinstler- 
feste, SMZ XXXVIII, 1948; M. Jenny, Die ev. Kirchen- 
musik in d. bernischen Landeskirche, Musik u. Gottes- 
dienst IX, 1955; C.-A. Beerli, Quelques aspects des jeux, 
fetes et danses a Berne pendant la premiere moitie du 
XVI e s., in : Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, 
Paris 1956. 

Berner Ubereinkunft ist die Bezeichnung fiir eine 
Vereinbarung, die 1886 in Bern zwischen einer Reihe 
von Staaten unter diesem selbst gewahlten Namen 
geschlossen wurde. Diese Staaten waren: Belgien, 
Deutschland, Frankreich, GroBbritannien, Haiti, Ita- 
lien, Schweiz, Spanien und Tunis. Die B. U. ist ein 
mehrseitiger volkerrechtlicher Vertrag »zum Schutze 
von Werken der Literatur und der Kunst« und ver- 
bindlich fiir alle Mitgliedsstaaten, die zu diesem Zweck 
einen Verband gegriindet haben und bilden. Sie wurde 
1908 in Berlin vollig neu gefaBt. Eine weitere Ande- 
rung brachte 1928 die romische Fassung. Die letzte 
Revision der B. U. wurde 1948 in Briissel durch 35 
Verbandslander vorgenommen. Deutschland hat daran 



nicht teilgenommen, ist jedoch der Briisseler Fassung 
der B. U. im Zusammenhang mit der deutschen Ur- 
heberrechtsreform vom Jahre 1965 beigetreten. Grund- 
gedanke der B. U. ist, daB der Urheber eines Ver- 
bandslandes in alien anderen Verbandslandern nach 
den jeweiligen nationalen Gesetzen wie ein Inlander 
gescniitzt wird. Auf die Staatsangehorigkeit des Ur- 
hebers kommt es bei bereits erschienenen Werken 
nicht an; auch dem Urheber eines Nicht- Verbands- 
landes wird in den Verbandslandern Schutz gewahrt, 
sofern sein Werk erstmalig in einem Verbandsland 
verbffentlicht wurde. Bei einem nicht erschienenen 
Werk entscheidet dagegen die Staatsangehorigkeit 
des Urhebers. Die B. U. hat keine Gegenseitigkeit 
geschaffen. Das bedeutet, daB Lander mit etwa holier 
entwickeltem Urheberrechtsschutz diesen Schutz 
auch solchen verbandseigenen Werken gewahren, 
deren Ursprungsland einen geringeren Schutz ein- 
raumt. Dieser Grundsatz der Inlanderbehandlung ist in 
bezug auf die Schutzdauer eingeschrankt : hier kann 
die im Ursprungsland des Werkes geltende Dauer 
nicht iiberschritten werden. Die B. U. schreibt jedoch 
de iure conventionis zwingend fiir alle Verbandslan- 
der eine Mindestschutzdauer von 50 Jahren nach dem 
Tode des Urhebers vor. Der besondere Vorteil der 
Konvention besteht darin, daB durch sie eine allmah- 
liche Annaherung der nationalen Regelungen des Ur- 
heberrechts in den Verbandsstaaten erreicht wird. Der 
B. U. gehoren zur Zeit noch nicht an die USA, die 
UdSSR sowie u. a. einige siidamerikanische Staaten. 
Um dem Rechtsschutzgedanken restlos internationale 
Geltung zu verschaffen, wurden nach dem 2. Welt- 
krieg, vor allem durch die UNESCO, neue Verhand- 
lungen in die Wege geleitet, die am 9. 6. 1952 zu 
einem ->• Welturheberrechtsabkommen fiihrten, das 
von den meisten Mitgliedsstaaten der B. U., dariiber 
hinaus z. B, auch von den USA, nicht aber von der 
UdSSR, ratifiziert wurde. Die B. U. besteht daneben 
fort und behalt ihre Giiltigkeit fiir die Verbandslander. 
Lit. : W. Bappert u. E. Wagner, Internationales Urheber- 
recht, Kommentar zur revidierten B. U. u. zum Welturhe- 
berrechtsabkommen, Munchenu. Bin 1956; M. Rintelen, 
Urheberrecht u. Urhebervertragsrecht, Wien 1958, S. 29ff. ; 
E. Ulmer, Urheber- u. Verlagsrecht, Bin, Gottingen u. 
Heidelberg21960,S.74ff. 

Besen (frz. balai; engl. brush), Schlagwerkzeug, das 
aus einer Anzahl diinner Stahldrahte besteht, die facher- 
artig an einem Stiel befestigt sind. Besonders im Jazz 
wird der B. verwendet. Der Schlag auf ein Trommel- 
fell oder auf das hangende Becken ergibt ein zischendes 
Gerausch. Der B. ist verwandt mit der ->■ Rute. 

Bettlerleier ->-Drehleier. 

Bettleroper -> Ballad opera. 

Beuron (Benediktinerkloster) bei Sigmaringen, eine 
der angesehensten musikwissenschaftlichen Arbeits- 
statten der Benediktiner, im 11. Jh. fiir regulierte 
Augustiner-Chorherren gegriindet, 1803 aufgehoben, 
1862 als Benediktinerkloster eroffnet, ist besonders 
beriihmt durch seinen liturgischen Chorgesang. 
Lit.: H. v. Lassaulx, B. u. d. Kirchenmusik (1863-1913), 
StraBburger Caecilia 1913; C. Gindele, Die B.er Org., 
Musik u. Altar III, 1950/51 ; Fs. zum lOOjahrigen Bestehen 
d. Erzabtei St. Martin, B. (1963). 

Bezifferung der instrumentalen BaBstimme (bezif- 
ferter BaB; frz. basse chiffre) -*■ GeneralbaB. 

Bibliographic, nach heutiger Auffassung in Deutsch- 
land die Lehre und Praxis der Schrifttumsverzeichnung 
(alphabetisch, chronologisch, topographisch, systema- 
tisch, nach Schlagworten), auch ein solches Verzeich- 



99 



Bibliographic 



nis selbst. Im Ausland, besonders im angelsachsischen 
Raum, umfaBt der Begriff Bibliogr. dariiber hinaus 
die gesamte Buch- und Bibliothekswissenschaft. Das 
Erfassen auch der handschriftlichen und nichtliterari- 
schen Quellen in Filmen, Schallplatten und Tonban- 
dern (-»■ Diskographie) sowie des Bildmaterials (-*■ Iko- 
nographie) weitete das herkommliche Aufgabengebiet 
der Bibliogr. Fiir die ErschlieBung all dieser Quellen 
durch Katalogisierung, maschinelle Datenverarbeitung 
und (entsprechend dem friiheren Catalogue raisonne) 
Veroffentlichung zusammenfassender Inhaltsangaben 
wurde in neuerer Zeit die Bezeichnung -» Dokumen- 
tation eingefiihrt. 

Friihformen der Bibliogr. sind die MeBkataloge der 
Buchhandlermessen in Frankfurt am Main und Leip- 
zig, zuerst 1564, in regelmaBiger Folge fiir Leipzig 
1594-1860, fur Frankfurt 1598-1750. AusschlieBlich 
die Musik beriicksichtigende Bibliogr.n gibt es, abge- 
sehen von Lagerverzeichnissen (z. B. G. Wilier, Augs- 
burg 1622), erst im 18. Jh. Neben dem gescheiterten 
Plan Brossards, seinem Dictionaire de musique (Paris 
1703) einen Catalogue historique et raisonne folgen zu 
lassen, ist vor allem Forkels AUgemeine Litteratur der 
Musik (Leipzig 1792, Nachdruck Hildesheim 1962) zu 
nennen, die durch Lichtenthal 1826 geringfiigig er- 
weitert und ins Italienische ubersetzt wurde. Forkel 
beansprucht, mit seinen 3000 Titeln alle raisonnirende, 
oder historisch-kritische Werke vollstandig erfafit zu ha- 
ben. Der von ihm gewiesene Weg wird auch beschrit- 
ten von K.F.Becker (Systematisch-chronologische Dar- 
stellung der Musikliteratur, Leipzig 1836, Nachtrag 1839; 
Nachdruck Amsterdam 1964, fiir 1839-46 fortgefiihrt 
von R.Eitner, Leipzig 1885) und noch von A.Aber 
(Handbuch der Musikliteratur, =Kleine Handbiicher 
der Musikgeschichte nach Gattungen XIII, Leipzig 
1922). Eine knappe Auswahl der wichtigsten ->■ Denk- 
maler, -*■ Gesamtausgaben und Musikbiicher verzeich- 
nen W.Kahl und W.M.Luther in ihrem Repertorium 
der Musikwissenschaft (Kassel 1953). - RegelmaBige in- 
ternationale Bibliogr.n des Musikschrifttums, oft auch 
Zeitschriftenaufsatze erfassend, finden sich u. a. in den 
-> Zeitschriften VfMw (1885-94), JbP (1894-1938, 
nur Biicher und Dissertationen; -*■ Jahrbiicher), ZIMG 
(1899-1914), MQ (seit 1915), ZfMw (1918-33), AMI 
(1931-52), Notes (seit 1943), MD (seit 1948), Fontes 
artis musicae (seit 1954; Noten und Musikbiicher), Jb. 
fiir Liturgik und Hymnologie (seit 1955). Die 1936-39 
erschienene Bibliogr. des Musikschrifttums (hrsg. v. K. 
Taut und G.Karstadt, Leipzig 1936-41) wird seit 
1950-51 fortgefiihrt von W. Schmieder (Frankfurt am 
Main seit 1953). Fiir Zeitschriftenaufsatze, vor allem in 
englischer Sprache, gibt es den monatlich erscheinen- 
den Music Index (Detroit seit 1949). Der von der Inter- 
nationalen Vereinigung der Musikbibliotheken (AIBM) 
1954 vorgelegte Plan eines Musicological Index, einer 
mit Inhaltsbericht versehenen regelmaBigen internatio- 
nalen Bibliogr. der Aufsatze iiber Musik, ist bisher 
nicht verwirklicht worden. An Bibliogr.n, die ein 
Sachgebiet oder einen bestimmten groBeren biblio- 
graphischen Komplex erschlieBen, sind zu nennen : R. 
Schaal, Das Schrifttum zur musikalischen Lokalgeschichts- 
forschung, Kassel (1947); A.H.Heyer, Historical Sets, 
Collected Editions and Monuments of Music, Chicago 1957; 
H.Hewitt, Doctoral Dissertations in Musicology (fiir 
USA), Denton (Tex.) 1952, Philadelphia31961,Supple- 
mente in: JAMS seit 1962; J.Kunst, Ethnomusicology, 
Den Haag 31959; M. Briquet, La musique dans les con- 
gres internationaux (1835-1939), = Publications de la 
Soc. francaise de Musicologie II, 10, Paris 1961 ; Carl 
Gregor Herzog zu Mecklenburg, Bibliogr. einiger 
Crenzgebiete der Musikwissenschaft, — Bibliotheca bi- 



bliographica aureliana VI, Baden-Baden 1962 (dazu R. 
Stephan in: NZfM CXXIV, 1963, S. 405f.); A.Da- 
vidsson, Bibliogr. der musiktheoretischen Drucke des 16. 
Jh., ebenda IX, 1962; R. Schaal, Verzeichnis deutsch- 
sprachiger musikwissenschaftlicher Dissertationen 1861- 
1960, = Musikwissenschaftliche Arbeiten XIX, Kassel 
1963 (dazu E. Schenk in : Mf XVII, 1964). 
Musikalienverzeichnisse (meist auch Musikbiicher ent- 
haltend) gibt es - abgesehen von Angaben in den MeB- 
katalogen - auswahlweise in vereinzelten Fachzeit- 
schriften des 18. Jh. Forkel plante eine Bibliogr. der 
praktischen Musikdrucke. R. ->• Eitners Bibliogr. der 
Musiksammelwerke des 16. und 11. Jh. (Berlin 1877, 
Nachdrucke Vermilion/S.Dak. 1954 und Hildesheim 
1963) und sein Biographisch-bibliographisches Quellen- 
Lexikon, das durch Anlage und Inhalt freilich die 
Grenzen einer Bibliogr. in Richtung der groBen 
-> Lexika der Musik uberschritt, sowie E. -> Vogels 
Bibliothek der gedruckten weltlichen Vocalmusik Italiens. . . 
1500-1700 (2 Bde, Berlin 1892, Nachdruck Hildes- 
heim 1962) waren lange Zeit die einzigen bibliographi- 
schen Nachschlagewerke fiir Musikdrucke des 16. und 
17. Jh. Seit 1960 erscheint das Repertoire international 
des sources musicales (RISM), das die gesamte hand- 
schriftlich und im Druck uberlieferte Musik vor 1800 
verzeichnen soil. Daneben besitzen gedruckte Kataloge 
des Musikbestandes groBer ->■ Bibliotheken besonderen 
bibliographischen Wert, zumal der Bibliotheken zen- 
tral-nationalen Charakters mit Ablieferungspflicht. 
Das 34bandige XJniversalhandbuch der Musikliteratur, 
hrsg. von Fr.Pazdirek und seinem B ruder J. P. Gott- 
hard [Pazdirek] (Wien 1904-10), war ein auf den Buch- 
undMusikalienhandel seiner Zeit abgestelltes Verzeich- 
nis. - Die fortlaufende Verzeichnung neuerschienener 
Musikalien (und Musikbiicher) in Deutschland nahm 
ihren Ausgang von K. Fr. Whistlings Handbuch der mu- 
sikalischen Literatur (Leipzig 1817-25, 21828-39), in 3. 
Auflage (bis 1844) als (Hofmeisters) Handbuch der musi- 
kalischen Literatur (sparer : Musikliteratur) als Mehrjah- 
resverzeichnis fortgefiihrt (bis 1940 19 Bde, letzter Bd 
unvollstandig, Leipzig 1852-1943). Daneben erscheint 
von 1829-1942 in 114 Jahrgangen Hofmeisters musika- 
lisch-literarischer Monatsbericht, seit 1943, Jg. CXV, als 
Deutsche Musikbibliogr., bearbeitet von der Deutschen 
Biicherei Leipzig, und als deren jahrliche Zusammen- 
fassung (bis 1944: Hofmeisters) Jahresverzeichnis der 
deutschen Musikalien und Musikschriften, Leipzig ab 
1852, seit Jg. XCII, 1943, ebenfalls bearbeitet von der 
Deutschen Biicherei. Fiir Osterreich informiert die 
Oesterreichische Musikbibliogr., Jg. I-V, 1949-53; fiir 
die Zeit 1945-48 und seit 1953 sind die Musikalien in 
der Osterreichischen Bibliogr., Cruppe 13, verzeichnet. 
Frankreich erfaBt seit 1945/46 seine musikalischen Neu- 
erscheinungen (keine Biicher) in der Bibliogr. de la 
France, 1" partie, Supplement C; vorausgegangen war 
hier als Bibliogr. musicale seit 1875 ein Handlerkatalog, 
hrsg. von der Commission du Commerce de Musique, 
ab 1927 unter dem Titel Table alphabetique et systema- 
tique des nouvelles publications musicales. England besitzt 
seit 1957 einen British Catalogue of Music auf der Grund- 
lage des Materials des Copyright Receipt Office of the 
British Museum. In der UdSSR erscheint vierteljahr- 
lich als Sonderbibliogr. der Unionsbiicherkammer Le- 
topis musykal'noj literatury (»Chronik d. mus. Lit.«), 
Moskau seit 1931. In den meisten weiteren, hier nicht 
auf gefuhrten Landern ist der Bibliogr. der Musikalien 
eine besondere Abteilung in den Nationalbibliogr.n 
zugeteilt. 

Lit.: A. Gohler, Die MeBkat. im Dienste d. mus. Ge- 
schichtsforschung, SIMG III, 1901/02 ; ders., Verz. d. in d. 
Frankfurter u. Lpz.er MeBkat. d. Jahre 1 564 bis 1759 ange- 



100 



Bibliotheken (Deutschland) 



zeigten Musikalien, Lpz. 1902, Nachdruck Amsterdam 
1964; H. Springer, Die jiingsten Fortschritte d. Musik- 
bibliogr., Kgr.-Ber. London 1911 ; ders., Wiss. u. produk- 
tive Musikbibliogr., Kgr.-Ber. Lpz. 1925; G. Schulz, Mu- 
sikbibliogr. u. Musikbibl., Fs. A. Sandberger, Miinchen 
1918; K. Meyer, Uber Musikbibliogr., in: Mw. Beitr., Fs. 
J. Wolf, Bin 1929; C. Schneider, Der Schlagwortkat. d. 
mw. Lit. auf systematischer Grundlage, ZfMw XIII, 1930/ 
31 ; G. Schneider, Einfuhrung in d. Bibliogr., Lpz. 1936; 
L.-N. Malcles, Les sourcesdu travail bibliogr. II, Bibliogr. 
spdcialisees (Sciences humaines), Genf u. Lille 1952; dies., 
Manuel de bibliogr., Paris 1963; W. Schmieder, Musik- 
bibliogr. Probleme, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; ders., Mu- 
sikbibliogr., Af Mw XII, 1955 ; C. Hopkinson, The Funda- 
mentals of Music Bibliogr., Fontes artis musicae II, 1955 ; 
ders., Towards a Definition of Certain Terms in Mus. 
Bibliogr., Hinrichsen's ll" 1 Music Book, 1961; K. Drei- 
muller, Gedanken u. Anregungen zur mus. Bibliogr. u. 
Quellenkunde, Kgr.-Ber. Wien 1956; A. van Hoboken, 
Probleme d. musikbibliogr. Terminologie, Fontes artis 
musicae IV, 1957; C. Fleischhack, E. Ruckert, G. 
Reichardt, GrundriB d. Bibliogr., = Lehrbiicher f. d. 
Nachwuchs an wiss. Bibl. II, Lpz. 1957; G. Draudius, 
Verz. deutscher mus. Biicher 161 1 u. 1625, Faks. hrsg. v. K. 
Ameln (Bonn 1957); D. W. Krummel u. J. B. Coover, 
Current National Bibliogr., Their Music Coverage, Notes 
II, 17, 1959/60; Detroit Studies in Music Bibliogr., Detroit 
1961ff.; H.-M. Plesske, Zur Systematik d. Musikbibliogr. 
d. Deutschen Biicherei, Fontes artis musicae VIII, 1961 ; A. 
Weinmann, Die Wiener Zeitung als Quelle f. d. Musik- 
bibliogr., Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962); R. Schaal, 
G. Willers Musikalien-Lagerkat. v. 1622, Mf XVI, 1963; 
Fr. Blum, Music Monographs in Series, NY 1964; V. 
Duckles, Music Reference and Research Materials, NY 
u. London (1964). 

Bibliotheken werden hier verstanden als Einrichtun- 
gen von primar wissenschaftlicher Bedeutung; ihre 
Aufgabe ist das Sammeln, Bewahren und katalogma- 
fiige Erfassen auch von Musikalien und Musikschrift- 
tum. Diese Musikbibl. bestehen als selbstandige In- 
stitutionen oder als Unterabteilungen in einem groBe- 
ren Rahmen und unterscheiden sich von den auf Leih- 
verkehr ausgerichteten Offentlichen Musikbibl., de- 
ren Ziel die Vermittlung von Notenmaterial und Li- 
teratur iiber Musik an ein breiteres musikinteressiertes 
Publikum ist. Die in den Bibl. aufbewahrten Bestande 
sind weitgehend durch die Geschichte der Bibl., so et- 
wa ihre Entstehung aus Kloster-, Kapitel- oder Hof- 
bibl. bedingt. Verlagerungen der Bestande erfolgten 
vor allem um 1800 mit der Auflosung vieler Kloster- 
und Kirchenbibl. und fuhrten haufig zu Konzentratio- 
nen der Bestande in Staats- und Nationalbibl. Ist allge- 
mein die Anschaff ung neuer Musikalien und Literatur 
dem Ermessen der jeweiligen Bibliotheksdirektoren 
anheimgestellt, so figurieren doch in den verschiedenen 
Landern einzelne Bibl. als zentrale Sammelstatten aller 
im jeweiligen Lande erschienenen Veroffentlichungen, 
wobei die Ablieferungspflicht (Copyright, depot legal) 
einer bestimmten AnzahlvonExemplarenjedesDruck- 
erzeugnisses gesetzlich geregelt ist. Diese zentralen 
Bibl. ubernehmen auch die Ausarbeitung von nationa- 
len -»- Bibliographien. Die in Deutschland gedruckten 
Musikalien werden seit 1906 an die Deutsche Musik- 
sammlung der Deutschen Staatsbibl. Berlin abgelie- 
fert. Zentrale Sammelstelle aller deutschsprachigen 
Biicher ist seit 1913 die Deutsche Biicherei in Leipzig, 
seit 1947 auch die Deutsche Bibl. in Frankfurt am 
Main. Im Ausland werden Pflichtexemplare meist in 
der Bibl. der Hauptstadte gesammelt (Osterreichische 
Nationalbibl. Wien; Schweizerische Landesbibl. Bern; 
British Museum London ; Bibliotheque Royale Brussel ; 
Bibliotheque Nationale Paris; Library of Congress 
Washington usw., jedoch in Italien Biblioteca Nazio- 
nale Centrale Florenz). Zur Vereinheitlichung der Ar- 
beitsmethoden und zur Realisierung uber den nationa- 



len Rahmen hinausgehender Projekte wurde 1951 die 
Internationale Vereinigung der Musik-Bibl. (Asso- 
ciation Internationale des Bibliotheques Musicales, 
AIBM) gegriindet, die seit 1954 in den Fontes artis 
musicae iiber ein eigenes Publikationsorgan verfiigt. - 
Die im folgenden aufgefiihrten Bibl. stellen eine Aus- 
wahl dar. Sie erscheinen in alphabetischer Ordnung 
innerhalb der auch ihrerseits alphabetisch geordneten 
Lander. Zusatzliche Abkiirzungen in diesem Artikel: 
StB = Staatsbibliothek, StUB = Staats- und Universi- 
tatsbibliothek, UB = Universitatsbibliothek. Zusatz- 
liche Auskiinfte: ->■ Bibliographic, -»■ Cancionero, 
->■ Chorbuch, -»■ Dokumentation, -» Quellen. 

Belgien. 

Allgemeines: Cat. general des mss. des bibl. de Belgique, 
5 Bde, Gembloux 1934-39. 

Antwerpen (Anvers), Bibl. d. Koninklijk Vlaams Muziek- 
conservatorium. 

Brussel (Bruxelles), Bibl. du Conservatoire Royal de Mu- 
sique. Lit. : A. Wotquenne, Cat. de la Bibl. du Conservatoire 
Royal de Musique de Br., 4 Bde nebst Annexe I, Br. 1898- 
1912; J.-G. Prod'homme, Les institutions mus. (Bibl. et 
arch.) en Belgique et en Hollande, S1MG XV, 1913/14; 
Ch. Van den Borren, Les fonds de musique ancienne de la 
Coll6giate SS. Michel et Gudule a Br., in: Annuaire du 
Conservatoire Royal, Br. 1 930. - Bibl. Royale de Belgique- 
Koninklijke Bibl. van Belgie; enthalt als Hauptbestand d. 
Bibl. Fr. J. Fetis. Lit. : Bibl. Royale de Belgique, Cat. de la 
bibl. de Fr. J. Fetis, Paris 1877 ; J. Van den Gheyn, Cat. des 
mss. de la Bibl. Royale de Belgique, 13 Bde, Br. 1901-48; 
Ch. Van den Borren, Inventaire des mss. de musique poly- 
phonique qui se trouvent en Belgique, AMI V, 1933 - VI, 
1934; La reserve precieuse, Fs. Fr. Scfyauwers, Br. 1961; 
B. Huys, Cat. des imprimes mus. des XV e , XVI e et XVII C s., 
Br. 1965. 

Gent (Gand), Centrale Bibl. d. Rijksuniv. Lit. : C. A. Voi- 
sin, Bibl. Gandavensis, G. 1839; J. De Saint-Genois, Cat. 
methodique et raisonne des mss. de la bibl. de la ville et de 
l'univ. de G., G. 1849-52 (Auszug in: MfM V, 1873, S. 
62f,); P. Bergmans, Unc collection de livrets d'operas . . ., 
SIMGXIL1910/11. 

Luttich (Liege), Bibl. du Conservatoire Royal de Musique. 
Lit. : E. Monseur, Cat. de la Bibl. du Conservatoire Royal 
de Musique de L., Fonds Terry, 3 Bde, L. 1958-63. - Bibl. 
de l'Univ. 

Mons, Bibl. publique de la ville. Lit. : Cat. des livres impri- 
mes de la bibl. publique de la ville de M., 4 Bde, Brussel 
1852 u. M. 1886-87; P. Faider u. Mme. Faider-Feytmans, 
Cat. des mss. de la bibl. publique de la ville de M., = Univ. 
de Gent, Werken uitgegeven door de Faculteit der Wijsbe- 
geerte en Letteren LXV, Gent u. Paris 1931. 

Danemark. 

Arhus, Statsbiblioteket. Lit. : K. Fr. Schmidt-Phiseldeck 
u. H. G. Topsoe Jensen, Musikalier, 2 Bde, [nebst] Tillaegs- 
lister I-XIV, = Statsbibl. i. A, Fagkataloger III, A. 1926- 
34; E. Sejr, Statsbibl., A. 1902-52, A. 1952. 
Kopenhagen (Kobenhavn), Det Kongelige Bibl. Lit.: P. 
Hamburger, Einhs. Klavierbuch aus d. 1. Halite d. 17. Jh., 
ZfMw XIII, 1930/31 ; H. Neemann, Lauten- u. Gitarrehss. 
in K., AMI IV, 1932; Sv. Lunn, Det Kgl. Bibl. danskemu- 
sikautografer, Sonderdruck aus »Bogens Verden« 1941, 
K. 1941. 

Deutschland. 

Allgemeines: Dr. Plamenac, Music Libraries in Eastern 

Europe, Notes II, 19, 1961/62. 

Aachen, Domarch. Lit.: O. Gatzweiler OFM, Die litur- 

gischen Hss. d. A.er Miinsterstiftes, = Liturgiegeschicht- 

liche Quellen u. Forschungen X, Milnster i. W. 1926. - 

Augsburg, Staats- u. Stadtbibl. Lit.: H. M. Schletterer, 

Kat. d. in d. Kreis- u. Stadtbibl., d. stadtischen Arch. u. d. 

Bibl. d. Hist. Ver. zu A. befindlichen Musikwerke, = Bei- 

lage zu MfM X, 1 878 - XI, 1 879. 

Bamberg, Staatl. Bibl. Lit.: Fr. Leitschuh u. H. Fischer, 

Kat. d. Hss. d. Koniglichen Bibl. zu B., 5 Bde, B. u. Lpz. 

1 887-1 9 1 2. - Bautzen, Stadt- u. Kreisbibl. Lit. : H. Decker, 

Schatzkammer f. Musikfreunde in d. Musikbibl. d. Stadt- 

u. Kreisbibl. B., B.er Kulturschau 1960, H. 9. - Berlin, 



101 



Bibliotheken (Deutschland) 



Musikabt. d. Deutschen StB (bis 1918 Konigliche Bibl., 
bis 1945 PreuBische StB); reiche Autographenslg (Bach, 
Haydn, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, 
Brahms), Teile d. ehemaligen Koniglichen Hausbibl. Lit. : 
G. Thouret, Kat. d. Musikslg auf d. Koniglichen Hausbibl. 
im Schlosse zu Bin, Lpz. 1 895 ; SIg Artaria-Prieger. Lit. : G. 
Adler, Verz. d. mus. Autographe v. L. van Beethoven . . . 
im Besitz v. A. Artaria in Wien, Wien 1890; A. Artaria, 
Verz. v. mus. Autographen . . . im Besitze v. A. Artaria, 
Wien 1893; Amalienbibl. Lit.: R. Eitner, Kat. d. Musi- 
kalienslg d. Joachimsthalschen Gymnasiums zu Bin, Bei- 
lagezu MfM XVI, 1884; E. R. Blechschmidt, Die Amalien- 
Bibl., Diss. Bin 1 963 ; Thulemeier-Slg. Lit. : R. Jacobs u. R. 
Eitner, Thematischer Kat. d. v. Thulemeier'schen Musi- 
kalien-Slg .... Beilage zu MfM XXX, 1 898 - XXXI, 1 899 ; 
Musikalien d. Erfurter Michaeliskirche. Lit.: E. Noack, 
DieBibl. d. Michaeliskirche, AfMw VII, 1925; Lubbenauer 
Tabulaturen (als Leihgabe). Lit. : L. Schierning, Die Uber- 
lieferung d. deutschen Org.-u. Klaviermusik . . . , = Schrif- 
ten d. Landesinst. f. Musikforschung Kiel XII, Kassel 
1961 ; Deutsche Musikslg (seit 1906 als Arch. d. deutschen 
Musikalienproduktion). Lit. : W. Virneisel, 50 Jahre Deut- 
sche Musikslg, in: Der Musikalienhandel VII, 1956. - Die 
nach Westdeutschland ausgelagerten Bestande werden v. 
d. Stiftung PreuBischer Kulturbesitz verwaltet u. in Mar- 
burg u. Tubingen aufbewahrt; d. nach Schlesien ausgela- 
gerten Teile (darunter d. Meyerbeer-NachlaB) befinden 
sich in Breslau. Lit. : W. Altmann, Wichtigere Erwerbun- 
gen d. Musikabt. d. PreuBischen StB, ZfMw II, 1919/20 u. 
IX, 1926/27; ders., Die Musikabt. d. PreuBischen StB in 
Bin, ZfMw III, 1920/21; W. Virneisel, Die Musikabt. d. 
Deutschen StB, Fontes artis musicae II, 1955 ; P. Kast, Die 
Bach-Hss. d. Berliner StB, = Tubinger Bach-Studien 11/ 
III, Trossingen 1958; K.-H. Kohler, Die Musikabt., in: 
Deutsche StB 1661-1961 I, Lpz. 1961; ders., Die Erwer- 
bungen d. Mozart- Autographe . . ., Mozart-Jb. 1962/63. - 
Bibl. d. Berlinischen Gymnasiums zum Grauen JClostei ; 
starke Kriegsverluste. Lit.: H. Bellermann, Gymriasial- 
Programm, Bin 1856. - Bibl. d. Staatl. Hochschule f. Mu- 
sik; enthalt d. Bestande d. ehemaligen Staatl. Akad. f. 
Schul- u. Kirchenmusik. - Charlottenburger Gymnasium. 
Lit. : F. Schultz, Der altere Notenschatz d. Kaiserin- Au- 
gusta-Gymnasiums, Charlottenburg 1900. - Sing- Akad. ; 
starke Kriegsverluste. - Beuron, Bibl. d. Erzabtei. Lit. : Fr. 
W. Riedel, Kat. d. Mss. mit alterer Orgelmusik . . . , B. 
1960, maschr. - Bochum, UB; NachlaB W. Kahl. -Bonn, 
Beethoven-Arch. ; darin d. Slg Bodmer. Lit. : J. Schmidt- 
Gorg, Kat. d. Hss. d. Beethoven-Hauses u. Beethoven- 
Arch. B., B. 1935; M. Unger, Eine Zurcher Beethovenslg, 
Neues Beethoven-Jb. V, 1933; ders., Eine Schweizer Beet- 
hovenslg, = Schriften d. Corona XXIV, Zurich (1939). - 
UB. Lit. : Th. Clasen, Die mus. Autographen d. UB B., Fs. 
J. Schmidt-Gorg, B. 1957. -Brandenburg, Bibl. d. Katha- 
rinenkirche. Lit. : J. Fr. Taeglichsbeck, Die mus. Schatze d. 
St. Katharinen-Kirche zu Br., Gymnasial-Programm Br. 
1857. - Braunschweig, Stadtarch. u. Stadtbibl. Lit.: Fr. 
Hamel u. A. Rodemann, Unbekannte Musikalien im Br.er 
Landestheater, Gedenkschrift H. Abert, Halle 1 928. - Bre- 
men, StB. Lit. : J. Peters, Theater, Rundfunk u. Musik in 
Br., = Bremische Bibliogr. II, Br. 1963. - Breslau (Wroc- 
law), UB enthalt d. Bestande d. friiheren Stadtbibl. Br. u. 
d. Gymnasialbibl. Brieg sowie d. Reste d. Bibl. Rudolphina 
(Ritterakad.) Liegnitz. Lit.: E. Bohn, Bibliogr. d. Musik- 
Druckwerke bis 1700, welche in d. Stadtbibl., d. Bibl. d. 
Akad. Inst. f. Kirchenmusik u. d. Koniglichen UB zu Br. 
aufbewahrt werden, Bin 1883 ; ders., Die mus. Hss. d. XVI. 
u. XVII. Jh. in d. Stadtbibl. zu Br., Br. 1890 (unter d. Hss. 
starke Kriegsverluste) ; Fr. Kuhn, Beschreibendes Verz. d. 
alten Musikalien . . . zu Brieg, Beilage MfM XXVIII, 1896- 
XXIX, 1897; S. W. Dehn u. R. Eitner, Kat: d. in d. K6- 
nigl. Ritterakad. zu Liegnitz befmdlichen gedruckten u. hs. 
Musikalien . . ., MfM I, 1869; E. Pfudel, Die Musik-Hss. 
d. Koniglichen Ritter-Akad. zu Liegnitz, Beilage MfM 
XVIII, 1886 u. XXI, 1889. - Polska Akad. Nauk, Zaklad 
Narodowy imienia Ossoliriskich (Bibl. d. Polnischen Akad. 
d. Wiss.), verwahrt d. Bestande d. ehemaligen graflich Os- 
solinskischen Nationalinst. zu Lemberg. 
Danzig siehe unter Polen (Gdansk). - Darmstadt, Hessi- 
sche Landes- u. Hochschulbibl. ; schwere Kriegsverluste ; 
d. Restbestand v. Musikerautographen d. Verlagsarch. 



Breitkopf & Hartel wurde 1953 ubernommen. Lit.: Fr. W. 
Hitzig, Kat. d. Arch. v. Breitkopf & Hartel, 2 Bde, Lpz. 
1925-26; W. Schmieder, Beschreibendes Verz. d. Musik- 
autographen d. Slg Dr. v. H[ase], Auktionskat. 498 d. Fir- 
ma J. A. Stargardt, Eutin 195 1 ; Ph. A. F. Walther, Die Mu- 
sikalien d. GroBherzoglichen Hofbibl. in D., D. 1874, 
Nachtrage v. Fr. W. E. Roth in: MfM XX, 1888. - Inter- 
nationales Musikinst., Internationale Musikbibl. Lit. : Kat. 
(maschr.), D. (1956). - Dessau, Landesbibl. (Offentliche 
wiss. Bibl.). Lit.: A. Seidl, Von d. Musikbibl. d. Hofthea- 
ters, in: Ascania, Ges. Aufsatze, Regensburg 1913. - Det- 
mold, Lippische Landesbibl., Musikabt. mit Lortzing- 
Arch. G. R. Kruse. - Donaueschingen, Fiirstlich Fiirsten- 
bergische Hofbibl. Lit. : K. A. Barack, Die Hss. d. Fiirst- 
lich Fiirstenbergischen Hofbibl. zu D., Tubingen 1865. - 
Dresden, Sachsische Landesbibl.; enthalt d. ehemalige 
Konigliche Musikalienslg, d. Musik-Slg v. SchloB Oels 
(Schlesien) sowie d. Musikalien d. ehemaligen Landes- u. 
Furstenschule.Grimma, d. Ratsbibl. Kamenz, d. Ratsbibl. 
Lobau, d. Stadtkirche in Pirna u. d. Kirchenbibl. zu Schwar- 
zenberg/Sachsen. Lit. : Kat. d. Hss. d. Sachsischen Landes- 
bibl., Lpz. 1923, Bd IV (S. 195-250: A. Reichert, Die Ori- 
ginalhss. d. Musikabt.); R. Eitner u. O. Kade, Kat. d. Mu- 
sik-Slg d. Koniglichen offentlichen Bibl. zu Dr., Beilage zu 
MfM XXI, 1 889-XXII, 1 890 ; H. R. Jung, Die Dr.er Vival- 
di-Mss., AfMw XII, 1955; O. Kade, Die mus. Schatze d. 
Landesschule zu Grimma, Serapeum XVI, 1855; N. M. 
Petersen, Verz. d. in d. Bibl. d. Koniglichen Landesschule 
zu Grimma vorhandenen Musikalien, Gymnasialpro- 
gramm Grimma 1861 ; Fr. Krummacher, Zur Slg Jacobi d. 
ehemaligen Fiirstenschule Grimma, Mf XVI, 1963; O. 
Kade, Kat. einer Slg alter Choralbucher . . . zu Kamenz, 
Serapeum XIV, 1 853 ; ders., Die Musikalien d. Stadtkirche 
zu Pirna, ebenda XVIII, 1857; L. Hoffmann-Erbrecht, Die 
Chorbucher d. Stadtkirche zu Pirna, AMI XXVII, 1955. - 
Dusseldorf, Landes- u. Stadtbibl. ; Mss. v. R. Schumann 
u. F. Mendelssohn Bartholdy. Lit. : E. Jammers, Die Esse- 
ner Neumenhss. d. Landes- u. Stadtbibl. D., Ratingen 
1952. 

Elbing, Bibl. d. Marienkirche (heute in Warschau). - Er- 
furt, Stadt- u. Hochschulbibl. Lit. : W. Schum, Beschrei- 
bendes Verz. d. Amplonianischen Hss.-Slg zu E., Bin 1887; 
R. Hernried, E.er Notenschatze, Neue Musikzeitung XLVI, 
1 925 ; J. Handschin, Erfordensia I, AMI VI, 1934. - Erlan- 
gEN, UB. Lit. : H. Fischer, Dielat. Pergament-(Papier-)Hss., 
= Kat. d. Hss. d. UB E., Neubearb. I-II, E. 1928-36, dazu 
E. Lutze, ebenda VI, 1936. 

Flensburg, Staatl. Gymnasium. Lit.: E. Praetorius, Kat. 
d. Musikalien-Slg d. Koniglichen Gymnasial-Bibl. in Fl., 
Beilage zum Jahresber. Ostern 1906. - Frankfurt am 
Main, Stadt- u. UB, Musikabt. ; aus d. ehemaligen Rats- 
bibl. u. d. v. Rothschild'schen Bibl. entstanden, vermehrt 
durch Bestande ehemaliger Kloster- u. Kirchenbibl., d. 
Manskopf'schen Museums f. Musik- u. Theatergesch. ; hs. 
thematischer Kat. d. gesamten Vokalmusik Telemanns. 
Lit. : C. Israel, Die mus. Schatze d. Gymnasialbibl. u. d. 
Peterskirche zu Ffm., Gymnasialprogramm Ffm. 1872; C. 
Valentin, Musikbibliographisches ausFfm., Mf M XXXIII, 
1901 -XXXIV, 1902; C. SuB, Die Mss. d. protestantischen 
Kirchenmusik zu Ffm., in: Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910; 
ders., Stadtbibl. Ffm. Kirchliche Musikhss. d. 17. u. 18. Jh. 
Kat., bearb. u. hrsg. v. P. Epstein, Bin u. Ffm. 1926; A. 
Gottron, »Capella Fuldensis«, in: Musicae Sacrae Mini- 
sterium, Fs. K. G. Fellerer, = Schriftenreihe d. Allgemei- 
nen Cacilien-Verbandes V, Koln 1962. - Deutsche Bibl.; 
sammelt d. gesamte seit 1945 erschienene deutsche Schrift- 
tum einschlieBlich Liederbilcher, aber keine Musikdrucke. 
- Freies Deutsches Hochstift, Bibl. d. Goethe-Museums. - 
Musikbibl. P. Hirsch, jetzt London, Brit. Museum. - Auto- 
graphenslg L. Koch, jetzt Koch-Floersheim in Muzzano- 
Lugano (Schweiz). - Freiberg/Sachsen, Bibl. d. Ober- 
schule Geschwister Scholl. Lit. : O. Kade, Die alteren Mu- 
sikalien d. Stadt Fr., hrsg. v. R. Kade, = Beilage II zu MfM 
XX, 1888. - Freiburg i. Br., UB. Lit.: G. Seifert, Die 
Choralhss. d. Predigerklosters . . ., Diss. Fr. i. Br. 1957, 
maschr. - Deutsches Volksliedarch. - Fulda, Landesbibl. 
Lit. : H. Hettenhausen, Die Choralhss. d. F.er Landesbibl., 
Diss. Marburg 1961. 

Gorlitz, Stadtische Kunstslgen, Abt. Oberlausitzische 
Bibl. d. Wiss. - Gottingen, Niedersachsische StUB; be- 



102 



Bibliotheken (Deutschland) 



sitzt d. NachlaB v. Fr. Ludwig. Lit. : A. Quantz, Die Mu- 
sikwerke d. Koniglichen UB in G., Beilage zu MfM XV, 
1883; Die Hss. in G., 3 Bde, hrsg. v. W. Meyer, = Verz. d. 
Hss. im preuflischen Staate I, 1-3, Bin 1893-94; W. M. 
Luther, Die nichtliturgischen Musikinkunabeln d. G.er 
Bibl., in: Libris et Litteris, Fs. H. Tiemann, Hbg 1959. - 
Gotha, Landesbibl. Lit.: L. Spohr, Ein Kat. d. Landes- 
bibl. G., G. 1959; (I. Preuss), J. L. Bohner, Kat. d. Landes- 
bibl. G., = Veroff. d. Landesbibl. G. VIII, G. 1960. - 
Greifswald, UB. - GriMma/Sachsen siehe unter Dres- 
den. - Gustrow siehe unter Schwerin. 
Halle/Saale, Univ.- u. Landesbibl. mit Abt. Hauptbibl. 
d. Francke'schen Stiftungen. - Bibl. d. Kirchenmusikschu- 
le. Lit. : Kirchenmus. Bucherei d. Provinz Sachsen, Werk- 
verz., H. 1936. - Bibl. d. Handel-Hauses ; Restbestand aus 
d. Bibl. Fr. Chrysanders (vgl. Hamburg) ; Hss. v. S. Scheidt, 
J. Fr. Reichardt, R. Franz, K. Loewe. - Hamburg, StUB; 
besitzt d. Chrysandersche Handel-Bibl. - Hannover, Nie- 
dersachsische Landesbibl. - Stadtbibl., Musikabt.; besitzt 
im Kestnerschen NachlaB eine Musikhss.-Slg. Lit. : Th. 
W. Werner, Die Musikhss. d. Kestnerschen Nachlasses . . . , 
"ZfMw I, 1918/19, auch in: Hannoversche Gesch. -Blatter 
XXII, 1919. - Schloss Harburo/Schwaben, Furstlich 
Oettingen-Wallerstein'sche Bibl. (bis 1948 in Maihingen). - 
Heidelberg, UB. Lit.: J. Th. Krug, Quellen u. Forschun- 
gen zur oberrheinischen Choralgesch. I, Die Choralhss. d. 
UB H.,H. 1936, Teildruck in: Freiburger Diozesan-Arch., 
N. F. XXXVIII, 1937. - Heilbronn, Stadtarch.; verwahrt 
d. Musikalienslg d. friiheren Gymnasialbibl. Lit.: U. Sie- 
gele, Die Musikslg d. Stadt H., Kat. mit Beitr. zur Gesch. 
d. Slg u. zur Quellenkunde d. XVI. Jh., = Veroff. d. Arch, 
d. Stadt H. XIII, H. 1965. -Helmstedt siehe unter Wolfen- 
biittel. 

Jena, UB. Lit.: K.-H. Kohler, Ein Musikalienfund ..., 
Wiss. Zs. d. Fr.-Schiller-Univ. J., Gesellschafts- u. Sprach- 
wiss. Reihe IV, 1954/55. 

Karlsruhe, Badische Landesbibl. Lit. : H. Ehrensberger, 
Bibl. liturgica ms., K. 1889; A. Holder u. K. Preisendanz, 
Die Reichenauer Hss., 3 Bde, = Die Hss. d. GroBherzog- 
lich Badischen Hof- u. Landesbibl. V-VII, Lpz. 1906-18. - 
Kassel, Murhard'sche Bibl. d. Stadt K. u. Landesbibl. ; be- 
sitzt d. Bestande d. Hofkapelle, Kirchenbibl.en v. K. u. 
Fulda. Lit. : C. Israel, Uebersichtlicher Kat. d. Musikalien 

d. standischen Landesbibl = Zs. d. Ver. f. hessische 

Gesch. u. Landeskunde, N. F. Suppl. 7, K. 1881 ; Die Lan- 
desbibl. K. 1580-1930 1, hrsg. v. W. Hopf, Marburg 1930; 
Die LBK. in ihrer gesch. Entwicklung II, hrsg. v. dems., 
ebenda; G. Struck, Hss.-Schatze d. LBK., Marburg 1930; 
J. Knierim, Die Heugel-Hss. d. K.er Landesbibl., Diss. Bin 
1943, maschr. mit thematischem Kat.; Chr. Engelbrecht, 
Die K.er Hofkapelle . . . , = Mw. Arbeiten XIV, K. 1958. - 
Deutsches Mg. Arch.; mg. Quellen in Mikrofilmen. Lit.: 
DMA Kassel, Mitt. u. Kat. d. Filmslg, hrsg. v. H. Heck- 
mann, K. seit 1955. - Kiel. Lit. : Kl. Hortschansky, Kat. d. 
K.er Musikslgen, = K.er Schriften zur Mw. XIV, Kassel 
1963. - Koln, Univ.- u. Stadtbibl. Lit. : W. Kahl, Werke d. 
Niederlander . . ., Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Diealten 
Musikalien d. K.er Univ.- u. Stadtbibl., Jb. d. K.ischen 
Gesch.-Ver. XXVIII, 1953; ders., Kat. d. in d. Univ.- u. 
Stadtbibl. K. vorhandenen Musikdrucke d. 16., 17. u. 18. 
Jh., = Beitr. zur rheinischen Mg. XXVII, K. 1958; ders., 
Musikhss. aus d. NachlaB E. Biickens . . . , in : Aus d. Welt 
d. Bibliothekars, Fs. R. Juchhoff, K. 1961. - Erzbischof- 
liche Diozesan- u. Dom-Bibl. Lit. : G. Gdller, Die Leiblsche 
Slg, Kat. . . ., = Beitr. zur rheinischen Mg. LVII, K. 1964. 
- Musikhist. Museum W. Heyer (1926 aufgelost). Lit. : G. 
Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in Coin IV, Mu- 
sik-Autographen, K. 1916; Auktionskat. (v. G. Kinsky): 
Versteigerung v. Musikbuchern . . . aus d. NachlaB A. W. 
Heyer, 2 Bde, Bin 1926-27. - Konigsberg, StUB (Schick- 
sal seit 1945 unbekannt). Lit. : J. Miiller, Die mus. Schatze 
d. kgl. u. UB zu K. in PreuBen, Bonn 1870; J. M. Miiller- 
Blattau, Die mus. Schatze . . . , ZfMw VI, 1923/24. 
Leipzig, Musikbibl. d. Stadt Lpz. ; entstanden durch Zu- 
sammenlegung d. Stadtischen Musik-Slgen u. d. Musik- 
bibl. Peters, enthalt d. Slg C. F. Becker. Lit. : E. Vogel, Kat. 
d. Musikbibl. Peters, Lpz. 1894; R. Schwartz, Kat. d. Mu- 
sikbibl. Peters. Neu bearb., I, Bucher u. Schriften, Lpz. 
1910; C. F. Becker, Alphabetisch u. chronologisch geord- 
netes Verz. einer Slg v. mus. Schriften, Lpz. 2 1843. - Deut- 



sche Bucherei, Musikalienslg (seit 1942) ; sammelt alle Mu- 
sikalien-Neuerscheinungen u. -Neudrucke Deutschlands ; 
mus. Schrifttum wird im Gesamtrahmen seit 1913 gesam- 
melt. - UB ; verwahrt d. Bibl. d. Nikolai- u. d. Thomaskir- 
che. - Verlags-Arch. Breitkopf & Hartel, im Krieg bis auf 
d. Autographen zerstort, d. sich heute in Darmstadt befin- 
den. - Liegnitz siehe unter Breslau. - Lobau/Sachsen, 
Ratsbibl.; heute in d. Sachsischen Landesbibl. Dresden. 
Lit.: MfM IV, 1872, S. 28. - Lubeck, Bibl. d. Hansestadt 
L. ; enthalt d. Dombibl., d. Bibl. d. St.-Petri-Kirche, d. Ma- 
rienkirche, Agidienkirche, d. Jakobskirche u. d. Kathari- 
neums. Ein groBerTeil d. alten Kirchenmusikalien befindet 
sich seit 1 8 1 4 in Wien (Bibl. d. Ges. d. Musikfreunde). Lit. : 
C. Stiehl, Kat. d. Musikslg auf d. Stadt-Bibl. zu L., L. 1893 ; 
W. Stahl, Die Musikslg, in : W. Pieth, Bucherei u . Gemein- 
sinn, L. 1926; ders., Musik-Bucher in d. L.er Stadtbibl., L. 
1927; ders., Die Musik-Abt. d. L.er Stadtbibl., = Veroff. 
d. Stadtbibl. d. Freien u. Hansestadt L. IV, 2, L. 1931; 
ders., Verz. d. in L. (Stadtbibl.) noch vorhandenen Kir- 
chenmusik aus d. 16., 17., 18. Jh., in: J. Hennings u. W. 
Stahl, Mg. L. II, Kassel 1952; G.Karstadt, Die Musikabt. 
(d. Stadtbibl.) nach d. Krieg, L.ische Blatter 1957. - Lune- 
burg, Ratsbiicherei. Lit.: Fr. Welter, Kat. d. Musikalien 
d. Ratsbiicherei L., Lippstadt (1950). 
Maihingen siehe unter Harburg. - Mainz, UB. - Stadt- 
bibl. u. Stadtarch. verwahrt Bestande d. alten UB, d. Nach- 
laB P. Cornelius sowie d. meisten d. an d. Musikverlag B. 
Schott's Sonne gerichteten Briefe Beethovens. Lit.: G. 
Stephenson, Zeugnisse . . ., Der P.-Cornelius-NachlaB d. 
Stadtbibl. M., M.er Zs. LIX, 1964. - Bibl. d. Bischoflichen 
Priesterseminars. - Mannheim, Wiss. Stadtbibl. ; hat vor 
d. 2. Weltkrieg d. alte Bibl. d. Nationaltheaters ubernom- 
men auBer d. Musikalien, d. im Kriege verbrannten. Lit. : 
Fr. Walther, Arch. u. Bibl. d. GroBherzoglichen Hof- u. 
Nationaltheaters in M. 1779-1839, 2 Bde, Lpz. 1899. - 
Marbach/Neckar, Bibl. d. Schiller-Nationalmuseums; 
Cotta-Arch. - Marburg/Lahn, Stiftung PreuBischer Kul- 
turbesitz, StB; Bestande d. ehemaligen PreuBischen StB 
Bin u. Reste d. Bibl. d. ehemaligen PreuBischen Staatsthea- 
ter-Generalintendantur. Lit.: Westdeutsche Bibl. (Slgen d. 
ehemaligen PreuBischen StB), Musik aus 8 Jh., Hss. u. 
Drucke, Kat., M. 1951. - Slg Wagener-Strahl (1913 aufge- 
lost) ; Teile in Brussel (Bibl. du Conservatoire), Niirnberg 
(Germanisches Nationalmuseum), London (Britisches Mu- 
seum, Slg Hirsch), Bin bzw. Tubingen (ehemalige PreuBi- 
sche StB) u. Ann Arbor/USA (Univ. of Michigan Library). 
Lit. : Kat. einer wertvollen Bibl. v. Musikbuchern d. XV. 
bis XVIII. Jh., Versteigerung . . . durch C. G. Boerner, 
Lpz. 1913; Musikbiicher aus d. Slg Wagener, Lagerkat. 
XXVII d. Firma Boerner, Lpz. (1914). - Munchen, Baye- 
rische StB, Musik-Slg ; besitzt d. Musikalien d. Bayerischen 
Hofkapelle, Restbestande d. Mannheimer Hofkapelle, d. 
Musikbucherei d. Rates v. Niirnberg. Lit. : J. J. Maier, Die 
mus. Hss. d. K. Hof- u. StB in M. I., Die Hss. bis zum Ende 
d. XVII. Jh., = Cat. codicum manu scriptorum Bibl. re- 
giae monacensis VIII, 1 , M. 1 879. - Stadtische Musikbibl. - 
UB. - Bibl. d. Theatermuseums, Clara-Ziegler-Stiftung. 
Lit. : R. Schaal, Die vor 1 801 gedruckten Libretti d. Thea- 
termuseums M., Mf X, 1957- XIV, 1961.- Munster, San- 
tini-Bibl. d. Bischoflichen Stuhles. Lit.: K. G. Fellerer, 
Verz. d. kirchenmus. Werke d. Santini'schen Slg, KmJb 
XXXVI, 1931 - XXXIII, 1939; J. Killing, Kirchenmus. 
Schatze d. Bibl. d. Abbate F. Santini, Dusseldorf (1911); 
R. Ewerhart, Die Bischofliche Santini-Bibl., M. 1962. 

Nurnberg, Bibl. d. Germanischen National-Museums. - 
Stadtbibl.; Kompositionen d. N.er Stadtmusici; xero- 
graphische Reproduktion d. 1894 nach Munchen (StB) 
verbrachten Noten d. N.er Ratsmusik. Lit. : H. Zirnbauer, 
Der Notenbestand d. Reichsstadtisch N.ischen Ratsmu- 
sik, = Veroff. d. Stadtbibl. N. I, N. 1959. - Bibl. beim Lan- 
deskirchlichen Arch. Lit. : H. Botstiber, Eine unbekannte 
mus. Slg, SIMG I, 1899/1900. 
Pirna siehe unter Dresden. 

Regensburg, Furstlich Thurn u. Taxis'sche Hofbibl. - 
Proske'sche Musikbibl., Bischofliche Privatbibl. Lit.: K. 
Weinmann, Die Proske'sche Musikbibl. in R., Fs. R. v. 
Liliencron, Lpz. 1910, auch in: KmJb XXIV, 1911; Br. 
Stablein, Choralhss. d. R.er Bibl., in: Caecilienver.-Organ 
LXIII, 1932; W.Brennecke, Die Hs. A. R. 940/41 d. Proske- 
Bibl. zu R., = Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung 



103 



Bibliotheken (Deutschknd) 



Kiel I, Kassel 1953 ; P. Mohr, Die Hs. B 21 1-215 d. Proske- 
Bibl. zu R., ebenda VII, Kassel 1955. - Staatl. Bibl. (Kreis- 
bibl.). Lit.: T. Trenkle, Die Kreisbibl. in R., in: Beitr. zur 
bayerischen Kirchengesch. XXXII, 1 925. - Rheda/Westf., 
SchloBbibl. Lit. : J. Domp, Studien zur Gesch. d. Musik an 
Westfalischen Adelshofen im XVIII. Jh., = Freiburger 
Studien ziir Mw. I, Regensburg 1934. - Rostock, UB. Lit. : 
W. Th. Gaethgens, Die alten Musikalien d. UB u. d. Kir- 
chenmusik in Alt-R., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt R. XXII, 
R. 1 941 ; L. Hoffmann-Erbrecht, Das Opus mus. d. J. Prae- 
torius, AMI XXVIII, 1956. 

Saalfeld, Thuringisches Heimatmuseum; Kammermusik 
d. Prinzen Louis Ferdinand v. PreuBen. - Schwabach b. 
NOrnberg, Kirchenbibl. Lit.: H. ClauB, Die Schw.er Kir- 
chenbibl., Munchen 1921. - Schwarzenberg/Sachsen 
siehe unter Dresden. - Schwerin, Mecklenburgische Lan- 
desbibl. ; enthalt d. Musikalienslg d. Hofkapellen in Lud- 
wigslust u. Schw., Teile d. Musikalienslg d. Landesbibl. 
Neustrelitz sowie alte Noten aus d. friiheren Domschule in 
Giistrow. Lit. : O. Kade, Die Musikalien-Slg d. GroBher- 
zoglich Mecklenburg-Schw.er Fiirstenhauses r 2 Bde, Schw. 
1893; ders., Der mus. NachlaB d. Frau ErbgroBherzogin 
Auguste . . ., Schw. 1899; CI. Meyer, Nachtragskat. (hs.), 
3 Bde (Drucklegung geplant, Fotokopien in Bin, Deutsche 
StB, u. Lpz., UB); ders., Die Musikalien-Slg d. Mecklen- 
burgischen Landesbibl. im Blickfeld d. Mw., Zentralblatt 
f. Bibliothekswesen LXVI, 1952. - Sondershausen, Kreis- 
bibl. ; Musikhss. d. ehemaligen SchloBkirche mit Werken 
v. Stolzel u. Telemann. - Speyer, Musikabt. d. Pfalzischen 
Landesbibl. ;Drucked.Sp.erVerlags Bossier. -Stuttgart, 
Wurttembergische Landesbibl.; Noten d. wurttembergi- 
schen Hofkapelle d. 16.-17. Jh., d. Ludwigsburger Hof- 
theaters, Restbestande d. groBtenteils verbrannten u. nicht 
mehr bestehenden Hofbibl. Lit.: A. Halm, Kat. iiber d. 
Musik-Codices d. 16. u. 17. Jh. auf d. Kgl. Landes-Bibl. in 
St., Beilage zu MfM XXXIV, 1902-XXXV, 1903;W.Ir- 
tenkauf, DieChoralhss. d. Wurttembergischen Landesbibl. 
St., 4 Bde, Diss. Tubingen 1953, maschr.; CI. Gottwald, 
Die Hss. d. Wurttembergischen Landesbibl. St. 1, 1, = Co- 
dices musici I, Wiesbaden 1964. 

Trier, Stadtbibl. Lit.: Beschreibendes Verz. d. Hss. d. 
Stadtbibl. Tr. IV, Die liturgischen Hss., Tr. 1 897 ; R. Ewer- 
hart, Die Hs. 322/1994 . . ., = Kolner Beitr. zur Musik- 
forschung VII, Regensburg 1955. - Bistumsarch.; Musi- 
kalien d. ehemaligen Dommusikschule u. 173 liturgische 
Hss., teilweise westfalischer Herkunft. - Tubingen, UB 
mit Depot Berliner Hss. d. Stiftung PreuBischer Kulturbe- 
sitz. Lit. : A. Bopp, Das Musikleben in d. freien Reichs- 
stadt Biberach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. T. VII, 
Kassel 1930; W. Virneisel, Musikhss. u. Musikdrucke aus 
5 Jh., Beschreibendes Verz., T. 1957. - Musikbibl. d. Kon- 
viktes. - Schwabisches Landesmusikarch. (am mw. Inst. d. 
Univ. T.) ; verwahrt rund 3000 Werke vorwiegend d. 1 8. Jh. 
aus Klostern u. Kirchen d. wurttembergischen Raumes, 
meist als Dauerleihgaben. 

Weimar, Thuringische Landesbibl. - Zentralbibl. d. deut- 
schen Klassik. - Stadtbibl. - Bibl. d. Fr. -Liszt- Hochschule 
f. Musik. - Superintendantur-Bibl. (Ephoralbibl.). - Wer- 
nigerode, Die ehemalige graflich (spater furstlich) Stol- 
bergsche Bibl. wurde 1928 aufgeldst; einen Teil d. Bestan- 
de ubernahm d. Preuflische StB in Bin. Lit. : E. W. Forste- 
mann, Die graflich Stolbergische Bibl. zu W., Nordhausen 
1 866 ; R. Eitner, Die graf liche (jetzt furstliche) Stolberg- 
Wernigeroder Bibl. im Harz, AmZ 1868. - Wiesbaden, 
Hessische (bis 1963 Nassauische) Landesbibl. Lit.: Fr. W. 
E. Roth, Musikalisches aus Hss. d. k. Landesbibl. zu W., 
MfM XX, 1 888 ; G. Zedler, Die Hss. d. Nassauischen Lan- 
desbibl. zu W., = Zentralblatt f. Bibliothekswesen, Beiheft 
LXIII, Lpz. 1931. - Schloss Wiesentheid/Ufr., Musik- 
bibl. d. Graf en v. Schonborn; d. Musikslg v. SchloB Pom- 
mersfelden wird in W. mitverwaltet; d. Verz. dariiber wird 
den IV. Bd d. Schonborn-Kat. bilden. - Wolfenbuttel, 
Herzog August Bibl. ; verwahrt d. Bestande d. alten Helm- 
stedter UB. Lit. : E. Vogel, Die Hss. nebst d. alteren Druck- 
werken d. Musik-Abt. d. Herzoglichen Bibl. zu W., = Die 
Hss. d. Herzoglichen Bibl. zu W. X, W. 1890. 
Zittau, Christian- Weise-Bibl. - Zwickau, Ratsschulbibl. 
Lit.: R. Vollhardt, Bibliogr. d. Musikwerke in d. Rats- 
schulbibl. zuZw., = Beilage zu MfM XXV, 1893-XXVIII, 
1896, auch separat Lpz. 1896. - Robert-Schumann-Haus. 



Finnland. 

Abo (Turku), Sibeliusmuseum. Lit.: O. Andersson, Mu- 
sikaliska Sallskapet i A. 1790-1808, = Skrifter utgivna av 
Svenska Litteratursallskapeti Finnland CCLXXXIII, Hel- 
sinki 1940, mit Kat. d. Musik-Slg. 

Helsinki, UB. Lit.: T. Haapanen, Verz. d. ma. Hss.-Frag- 
mente in d. UB zu Helsingfors, 3 Bde, H. 1922-32; ders., 
Die Neumenfragmente d. UB Helsingfors, Diss. H. 1924. 

Frankreich. 

Abbeville, Bibl. A. Meyer. Lit. : Fr. Lesure u. N. Bridg- 

man, Collection mus. A. Meyer, A. 1961. - Avignon, Bibl. 

Municipale (Musee Calvet). 

Bordeaux, Bibl. Municipale. Lit.: Cat. des livres compo- 

sant la bibl. de la ville de B„ B. 1830-56, darin: J. Delas, 

Musique, 1856. 

Cambrai, Bibl. Municipale. Lit. : Ch. E. H. de Coussema- 

ker, Notice sur les collections mus. des bibl. de C in : 

M6moires de la Soc. d'emulation de C. XVIII, 1843, se- 
parat Paris 1843. - Carpentras, Bibl. de la Ville. Lit.: 
R. Caillet, Cat. de la collection mus. de J.-B. Laurens, C. 
1901. 

Dieppe, Bibl. Municipale; SIg Saint-Saens. Lit.: A. Milet, 
Cat. du Musee de D., D. 1904. - Dijon, Bibl. Municipale. 
Lit. : Th. Nisard, Rapport sur les ouvrages des bibl. de Sens 
et de D. relatifs a la musique, in : Arch, des missions scienti- 
fiqueset litteraires II, 1851. 
Lille, Bibl. Municipale. Lit. : Ch. E. H. de Coussemaker, 

Notice sur les collections mus. des bibl. de . . . L in: 

Memoires de la Soc. d'emulation de Cambrai XVIII, 1843, 
separat Paris 1843; anon., Cat. des ouvrages sur la mu- 
sique et les compositions mus. de la bibl. de L., 1875; 
anon., Cat. de la bibl. de la ville de L., Sciences et Arts, 
Suppl. II, L. 1879. - Lyon, Bibl. Municipale. - Bibl. du 
Conservatoire. - Eine reiche Musikalienslg im Palais St. 
Pierre erwahnt G.Becker in: MfM III, 1871, S. 48. 
Paris, Bibl. Nationale, 1 . Departement de la Musique, 2. 
Bibl. du Conservatoire National de musique, 3. Bibl. et 
Musee de l'Opera. Das Departement de la Musique ist mit 
rund 500000 Musikdrucken, 15000 Musikhss. (darunter 
Autographe v. Mozart, Beethoven, Berlioz, Bizet, Debussy, 
Ravel) u. 75000 Bden Fachlit. eine d. groBten Musik- 
slgen. Die Bestande d. Conservatoire mit d. Koniglichen 
Kammer- u. Hofkapellmusik, d. Musikalien d. Concert 
spirituel, d. Slgen Malherbe, Schoelcher u. Blancheton sind 
seit 1964 mit d. Bestanden d. Musikabt. d. Bibl. Nationale 
vereinigt, unter denen d. Slgen Weckerlin u. Brossard be- 
sonders hervorragen. Lit. : J. Ecorcheville, Cat. du fonds de 
musique anciennede la Bibl. Nationale, 8 Bde, P. 1910-14; 
J.-B. Weckerlin, Bibl. du Conservatoire National de mu- 
sique et de declamation, Cat. bibliogr. de la reserve, P. 
1 885 ; A. Gastoue, Cat. des mss. de musique byzantine de la 
Bibl. Nationale de P. et des bibl. publiques de France, P. 
1907; M. Unger, Die Beethovenhss. d. P.er Konservato- 
riumsbibl., Neues Beethoven-Jb. VI, 1935; L. de La Lau- 
rencie, Inventaire critique du fonds Blancheton de la Bibl. 
du Conservatoire de musique de P., 2 Bde, = Publications 
de la Soc. frc. de musicologiell, 2, P. 1930-31; E. Lebeau, 
Hist, des collections du departement de la musique de la 
Bibl. Nationale, P. 1946; dies., L'entree de la collection 
mus. de S. de Brossard a la Bibl. du roi, Rev. de Musicol. 
XXXII, 1950- XXXIII, 1951 ; Bibl. Nationale, Cat. gene- 
ral des mss. lat., P. seit 1939 ; S. Wallon, Le fonds Coirault 
. . . , Rev. de Musicol. XLIX, 1 963 ; s. auch d. Ausstellungs- 
Kat. v. A. Gastoue, A. Pirro, H. Expert u. H. Prunieres, La 
musique frc. du moyen age a la revolution, P. 1934. - Die 
Bibl. de l'Opera enthalt rund 10000 gedruckte Musikwerke 
u. 2000 Hss., darunter Werke v. Boccherini, Faure, Gluck, 
Massenet, Rameau, Saint-Saens, Spontini. Lit. : Th. de La- 
jarte, Bibl. mus. du Theatre de l'Opera, Cat. hist., chrono- 
logique, anecdotique, 2 Bde, P. 1 876-78 ; Ch. Th. Malherbe, 
Arch, et bibl. de l'Opera, RM III, 1 903. - Bibl. de r Arsenal. 
Lit. : L. de La Laurencie u. A. Gastoue, Cat. des livres de 
musique (ms. et imprimes) de la Bibl. de 1' Arsenal, = Publi- 
cations de la Soc. frc. de musicologie II, 7, P. 1936. 
Rouen, Bibl. Municipale ; enthalt Teile d. Bibl. d. Klosters 
Jumieges u. d. groBe Boieldieu-Slg Mme Sanson geb. 
Boieldieu. 

Schlettstadt, Bibl. Humaniste. Lit. : J. Walter, Cat. ge- 
neral de la Bibl. municipale I, 1-3, Colmar 1920-29; P. 



104 



Bibliotheken (Italien) 



Adam, L'humanisme a Selestat, Schl. 1962. - Solesmes, 
Abbaye Saint Pierre. - Strassburg, Bibl. Nationale et 
Universitaire. Lit. : E. Marckwald, F. Mentz u. L. Wilhelm, 
Kat. d. Kaiserlichen Univ.- u. Landesbibl. zu Str., Kat. d. 
ElsaB-Lothringischen Abt., Bibl. Nationale et Univ. de Str., 
Cat. de la section alsacienne et lorraine, 3 Bde, Str. 1908- 
29; M. Vogeleis, Die Musikschatze d. friiheren Str.er 
Univ.- u. Stadt-Bibl., Jb. d. ElsaB-Lothringischen wiss. 
Ges. II, 1929. - Bibl. de la cathedrale. Lit. : Fr. X. Mathias, 
Thematischer Kat. d. im Str.er Miinsterarch. aufbewahrten 
kirchenmus. Werke Fr. X. Richters, Fs. H. Riemann, Lpz. 
1909. - Inst, de musicologie; bewahrt d. Slg Jacobsthal. 
Lit. : Fr. Ludwig, Die alteren Musikwerke d. v. G. Jacobs- 
thai (f 1912) begriindeten Bibl. d. »Akademischen Gesang- 
ver.«, Str. 1913. - Seminaire Catholique. Lit.: J. Victori, 
Tonwerke d. Bibl., in: J. Gass, Die Bibl. d. Priestersemi- 
nars in Str., Str. 1092 ; ders., in Beilage I zu MfM XXXIV, 
1902. 

Versailles, Bibl. municipale. Lit.: Delerot u. Taphanel, 
Cat. des mss. de la Bibl. Municipale de V., Paris 1888. 

GroCbritannien. 

Uber die Bibl. GroBbritanniens u. ihre Musikbestande in- 
formiert d. Artikel Libraries and Collections von Ch. L. 
Cudworth in Grove. Die Musikdrucke vor 1800 in 104 
Bibl. d. United Kingdom verzeichnet der v. O. E. Deutsch 
angeregte British Union-Cat. of Early Music, hrsg. v. E. B. 
Schnapper, 2 Bde, London 1957. 

Cambridge, Fitzwilliam Museum. Lit. : J. A. Fuller Mait- 
land u. A. H. Mann, Cat. of the Music in the Fitzwilliam 
Museum, C, London 1893. - King's College, The Rowe 
Music Library. Lit. : J. Vlasto, The Rowe Music Library, 
MR XII, 1951 . - Univ. Library ; enthalt d. NachlaB Fr. Th. 
Arnold u. d. Haydn-Slg M. Scott. - Library of Peterhouse 
(St. Peter's College). Lit. : A. Hughes OSB, Cat. of the Mus. 
Mss. at Peterhouse, C. 1953. 

Dublin, National Library of Ireland. - Library of Trinity 
College. Lit. : T. K. Abbott, Cat. of the Mss. in the Library 
of Trinity College, D. 1900. 

Edinburgh, National Library of Scotland. Lit. : C. R. Bor- 
land, A Descriptive Cat. of the Western Ma. Mss. in E. 
Univ. Library, E. 1916. -The Reid Music Library. Lit.: H. 
Gal, Cat. of Mss., Printed Music and Books on Music up 
to 1 850 in the Library of the Music Department of the Univ. 
of E. (Reid Library), E. 1941; J. M. Allen, Reid Music 
Library, Univ. of E., Library World LI, 1948. - Central 
Public Library, Music Room. 

Glasgow, Mitchell Library; Slgen Fr. Kidson u. Moody- 
Manners. - Univ. Library; enthalt d. Slgen Euing. Lit.: 
Cat. of the Mus. Library of the Late W. Euing, Gl. 1 878. 
Leeds, Music Library-Central Public Library ; besitzt einen 
Teil der Slg Kidson. - London, British Museum. The Mu- 
sic Room ist eine Abt. d. Department of Printed Books u. 
verwahrt als Sonderslgen The Queen's Music Library, die 
Slg P. Hirsch, Autographen v. Purcell, Bach, Handel, Mo- 
zart, Beethoven. Lit. : A. Hughes-Hughes, A Cat. of Ms. 
Music in the British Museum, 3 Bde, L. 1906-09, 1 21964; 
W. B. Squire, Cat. of Printed Music in the British Museum, 
2 Bde u. Suppl. I, L. 1912, Suppl. II v. W. Chr. Smith, L. 
1940 ; W. B. Squire u. H. Andrews, Cat. of the King's Music 
Library, 3 Bde, L. 1 927-29 ; K. Meyer u. P. Hirsch, Kat. d. 
Bibl. P. Hirsch, 4 Bde, Bin u. Ffm. 1928-36, Cambridge 
1947; A. H. King u. C. Humphries, Cat. of Printed Music 
in the British Museum, Music in the Hirsch Library, L. 
1951; Cat. of Printed Books in the British Museum, Ac- 
cessions III, 291B, Books in the Hirsch Library, L. 1959; 
Short-title Cat. of Books Printed in the German-speaking 
Countries . . . from 1455 to 1600 now in the British Mu- 
seum, L. 1962; A. H.King, The Music Room of the British 
Museum 1753-1953, Proc. R. Mus. Ass. LXXIX, 1952/53; 
ders., The Hist, and Growth of the Cat. in the Music Room 
of the British Museum, Fs. O. E. Deutsch, Wien 1963. - 
British Broadcasting Corporation, Music Library. Lit.: 
BBC Music Library Cat., 9 Bde, L. ab 1965. - Royal Col- 
lege of Music. Lit. : W. B. Squire, Cat. of Printed Music in 
the Library of the Royal College of Music, L. 1909; ders., 
Cat. of the Mss. in the Library of the Royal College of Mu- 
sic 1 93 1 , hs. - Royal Acad, of Music Library ; Autographen 
v. Purcell, Mendelssohn, Sullivan. 

Oxford, Bodleian Library; besitzt ma. Mss. d. Bibl. d. 
Music School, d. Musik v. Stationers' Hall (1759) u. Auto- 



graphen. Lit. : A. Hughes OSB, Medieval Polyphony in the 
Bodleian Library, O. 1951 ; Summary Cat. of Western Mss. 
in the Bodleian Library IV-VI, O. 1897-1924; Cat. Codi- 
cum Mss. Bibl. Bodleianae, 0. 1853-1900; E. Gaster, Hist, 
of the Bodleian Library, 1 845-1952, 0. 1 952 ; A. Rosenthal, 
Bodleian Library, O., Engl. Music, 0. 1955. - Christ Church 
Library. Lit. : G. E. P. Arkwright, Cat. of Music in the Li- 
brary of Christ Church, 2 Bde, 0. 191 5-23 ; A. Hiff, Cat. of 
Printed Music Prior to 1801, now in the Library of Christ 
Church, O. 1919. 

Tenbury, St. Michael's College; enthalt d. Slgen Ouseley 
u. Toulouse-Philidor. Lit.: E. H. Fellowes, The Cat. of 
Mss. in the Library of St. Michael's College, T., Paris 1934. 

Israel. 

Jerusalem, The Jewish National and Univ. Library, De- 
partment of Music ; besitzt d. Nachlasse Idelsohn u. Lach- 
mannu. steht in Verbindungmitd. Jewish Music Research 
Center, d. als umfassende Slg aller schrif tlichen Dokumen- 
tation u. miindlichen Uberlieferung jiidischer Musik ge- 
plant ist. 

Italien. 

Einem Uberblick ilber d. Musikbestande d. ital. Bibl. dient 
d. Reihe Cat. generate delle opere mus., teoriche o pratiche, 
mss. o stampate, di autori vissuti sino ai primi decenni del 
XIX s., esistenti nelle bibl. e negli arch, d'ltalia, hrsg. v. d. 
Associazione dei Musicologi Ital. (Parma 191 1-41, im fol- 
genden als Cat. AMI zitiert), neuerdings d. v. CI. Sartori 
geleitete Bibl. musicae (Mailand seit 1962). Unentbehrliche 
Hilfsmittel bleiben bis zum Erscheinen d. entsprechenden 
Bde v. RISM : E. Vogel, Bibl. d. gedruckten weltlichen Vo- 
calmusik Italiens ausd. Jahren 1500-1700, 2 Bde, Bin 1892, 
Nachdruck Hildesheim 1962; dass., bearb. u. neu hrsg. v. 
A. Einstein in: Notes 11,2, 1944/45 - 5, 1947/48; CI. Sartori, 
Bibliogr. della musica strumentale ital., stampata in Italia 
fino al 1700, = Bibl. di bibliogr. ital. XXIII, Florenz 1952. 
Weitere Lit.: A. de Lafage, Essais de diphtherographie 
mus., Paris 1856, Neudruck Amsterdam 1964; Inventori 
dei mss. delle bibl. d'ltalia, begonnen v. A. Sorbelli, Forli 
seit 1890; A. Smijers, Vijftiende en zestiende eeuwsche 
muziekhss. in Italie met werken van nld. componisten, 
TVer XIV, 3, 1935; G. Gabrieli, Notizie statistiche, sto- 
riche, bibliogr. delle collezioni di mss. . . . , Mailand 1936; 
L. Tardo, I codici melurgici bizantini nelle bibl. d'ltalia, 
in: Accad. e bibl. d'ltalia XII, 1938 - XIII, 1939; W. H. 
Rubsamen, Music Research in Ital. Libraries, Notes II, 
6, 1948/49 - 8, 1950/51, separat Los Angeles 1951; N. 
Pirrotta, Le bibl. mus. ital., Rass. mus. XXII, 1952; CI. 
Sartori, Finalmente svelati i misteri . . . , Fontes artis mu- 
sicae II, 1955 - III, 1956; Kn. Jeppesen, Fonti, in: Italia 
sacra musica, Musiche corali ital. sconosciute della prima 
meta del cinquecento, 3 Bde, Kopenhagen (1 962). 
Assist, Bibl. Comunale. Lit.: CI. Sartori, A., La cappella 
della Basilica di S. Francesco I, Cat. del fondo mus. nella 
Bibl. Comunale, = Bibl. musicae I, Mailand 1962. 
Bologna, Civico museo bibliogr. mus. (fruher Bibl. del 
Liceo mus., Bibl. mus. G. B. Martini); Slgen Martini, 
Mattei, Gaspari, Conti Castelli (Libretti), Autographen v. 
Bellini, Martini, Mozart, Rossini, Verdi, Wagner. Lit. : G. 
Gaspari u. a., Cat. della Bibl. del Liceo mus. di B. I-IV, B. 
1890-1905, Neudruck 1961 ; U. Sesini, Cat. ... V, Libretti 
I, B. 1943. -Bibl. dell' Accad. Filarmonica, Examensarbei- 
ten d. Mitglieder. - Arch. mus. della Basilica di S. Petronio. 
Lit. : A. Bonora, Arch, della R. Accad. Filarmonica, Arch, 
mus. della Basilica di S. Petronio, = Cat. AMI II, 1913. - 
Bibl. Universitaria. Lit. : F. Liuzzi, I codici mus. conservati 
nella R. Bibl. Universitaria di B. , La Rinascita Mus. 1, 1 909/ 
10; L. Frati, Codici mus. della R. Bibl. Universitaria di B., 
RMI XXIII, 1916. 

Florenz, Bibl. Nazionale Centrale; enthalt d. Bibl. Ma- 
gliabechi, Palatina, Panciatichi sowie d. NachlaB V. Ga- 
lileis. Lit. : B. Becherini, Cat. dei mss. della Bibl. Nazionale 
di F., Kassel 1959. - Bibl. Mediceo-Laurenziana. - Bibl. 
del Conservatorio di musica L. Cherubini. Lit. : R. Gan- 
dolfi, C. Cordara u. A. Bonaventura, Citta di F., Bibl. del 
R. Conservatorio di musica, = Cat. AMI IV, 1, 1929 (sehr 
liickenhaf t). - Bibl. Marucelliana. - Bibl. Riccardiana. 
Genua, Bibl. Universitaria. Lit.: R. Bresciano, Citta di 
G., R. Bibl. Universitaria, = Cat. AMI VII, o. J. - Grotta- 
ferrata, Badia Greca. Lit. : L. Tardo, La musica bizantina 



105 



Bibliotheken (Italien) 



e i codici di melurgia della Bibl. della Badia di Gr., in: 
Accad. e bibl. d'ltalia IV, 1930/3 1 . 
Mailand. Lit.: M. Dona, La musica nelle bibl. milanesi, 
Mostra di libri e documenti, Cat., M. 1963. - Bibl. del Con- 
servatory di musica G. Verdi; umfangreicher Bestand an 
neueren Hss. u. Drucken, auch d. Mss. d. Cappella di S. 
Barbara in Mantua (16. Jh.) sowie Musikalien aus d. Univ. 
Pavia u. aus d. Bibl. Nazionale Braidense. - Bibl. Nazionale 
Braidense; hier verblieben liturgische Mss., einige seltene 
Musikdrucke, Musiktheorie d. 1 6.-1 8. Jh. u. Libretti. Lit. : 
M. Dona, Musiche a stampa nella Bibl. Braidense, in : Fon- 
tes arfis musicae VII, 1960. - Arch, della Ven. Fabbrica del 
Duomo. Lit. : CI. Sartori, La cappella mus. del duomo di 
M., Cat., M. 1957. - Bibl. Ambrosiana. - G. Ricordi & C. ; 
autographe Partituren u. Briefe v. Verdi u. Puccini. - Mes- 
sina, Bibl. Universitaria. Lit.: O. Tiby, I codici mus. italo- 
greci di M., in: Accad. e bibl. d'ltalia XI, 1937. - Modena, 
Bibl. Estense. Lit. : P. Lodi, Citta di M., = Cat. AMI VIII, 

0. J.; G. Roncaglia, Le composizioni strumentali di A. 
Stradella esistenti presso la R. Bibl. Estense, RMI LXIV, 
1940; ders.,Le composizioni voc.di A. Stradella . . .,RMI 
LXV, 1941. - Duomo. Lit.: A. Dondi, Notizie storiche ed 
artistiche del duomo di M., M. 1896. - Montecassino, 
Badia. Lit.: P. Ferretti OSB, A. Pirro u. E. Dagnino in: 
Casinensial, (M.) 1929. 

Neapel, Bibl. Nazionale Vittorio Emanuele III; d. Thea- 
ter-Abt. (Bibl. Lucchesi-Palli) besitzt Partituren sowie 
Libretti vor allem neapolitanischer Opern. - Bibl. del Con- 
servatory di musica S. Pietro a Maiella; Hss. u. Libretti 
vor allem d. neapolitanischen Schule, Autographen v. Ge- 
sualdo, Bellini, Donizetti. Lit.: G. Gasperini u. Fr. Gallo, 
Citta di N., Bibl. del R. Conservatorio di musica, = Cat. 
AMI X, 2, 1934. - Bibl. Oratoriana detta dei Gerolamini. 
Lit. : S. Di Giacomo, Citta di N., Oratorio, = Cat. AMI X, 

1, 1918; G. Pannain, Prefazione, in: Istituzioni e monu- 
menti dell'arte mus. ital. V, 1934. 

Padua, Bibl. Universitaria. Lit.: G. Tebaldini, L'arch. 
mus. della cappella Antoniana, P. 1895 ; A. Capri, G. Tar- 
tini, Mailand 1945. - Parma, Bibl. del Conservatorio di 
musica A. Boito ; verwahrt auch d. Musikbestande d. Bibl. 
Palatina. Lit.: G. Gasperini u. N. Pelicelli, Citta di P., 
= Cat. AMI I, 1911. 

Rom, Bibl. Apostolica Vaticana; Musik-Hss. enthalten 
vor allem d. Arch. d. Cappella Sistina u. Cappella Giulia, 
Musiktheorie d. Mss. vat. lat. 5315-5326. Lit.: Fr. X. Ha- 
berl, Bibliogr. u. thematischer Musikkat. d. papstlichen 
Kapellarch., Beilage I zu Mf MXIX, 1 887 - XX, 1888, sepa- 
rat als : Bausteinef . Mg. II, Lpz. 1 888 ; H. M. Bannister OSB, 
Monumenti vaticani di paleografia mus. lat., 2 Bde, Lpz. 
1913 ; L. Feininger, The Music Mss. in the Vatican, Notes 
II, 3, 1945/46; J. M. Llorens Cistero, Las dedicatorias de 
los mss. mus. de la Capilla Sixtina, AM XI, 1956; ders., 
CapellaeSixtinaecodices . . ., = Bibl. Apostolica Vaticana, 
Studi e testi CCII, R. 1960.-Bibl. Mus. di S. Cecilia ; besteht 
aus einer staatl. Abt. (Slg d. Pflichtexemplare neuer Musik- 
drucke) u. einer akad. Abt. mit reichen alteren Bestanden, 
Autographen v. Palestrina, Rossini, Bellini, ubernahm 
auch Musikalien d. Bibl. Nazionale, Angelica, Alessandri- 
na u. Vallicelliana. - Bibl. Casanatense. Lit. : A. de Lafage, 
Essais de diphtherographie mus., Paris 1856, Neudruck 
Amsterdam 1964. - Bibl. Corsiniana e dell' Accad. Nazio- 
nale dei Lincei. Lit. : A. Bertini, Cat. dei fondi mus. Chitie 
Corsiano, = Bibl. musicae II, Mailand 1964. - Bibl. Valli- 
celliana; Mss. mit Musik u. Theorie d. 15.-16. Jh. u. Ora- 
torianer-Lauden. - Bibl. ed Arch. Doria-Pamphilj. Lit. : A. 
Holschneider, Die Musikslg d. Fiirsten Doria-Pamphilj 
...,AfMw XVIII, 1961. 

Turin, Bibl. Nazionale ; Slgen Foa u. Giordano mit (zum 
Teil autographen) Hss. v. Vivaldi u. Stradella sowie 16 Or- 
geltabulaturen d. 17. Jh. Lit.: L. Villanis, Alcuni codici 
mss. . . . , in : Atti del congresso internazionale di scienze 
storiche VIII, Rom 1905 ; A. Gentili mit L. Torri, La raccol- 
ta di rarita mus. »M. Foa«, in : Accad. e bibl. d'ltalia 1, 1927/ 
28; ders., La raccolta di antiche musiche »R. Giordano«, 
ebenda IV, 1930/31 ; A. Cimbro, Citta di T., = Cat. AMI 
XII, 1928 ; thematischer Kat. d. Tabulaturen v. O. Mischia- 
tiin:L'OrganoIV, 1963. 

Venedig, Bibl. Nazionale Marciana ; Autographen v. Mon- 
teverdi, B. Marcello, Lotti, Slgen Contarini, Canal. Lit.: 
T. Wiel, I codici mus. Contariniani . . . , V. 1 888. - Bibl. del 
Conservatorio di musica B. Marcello ; besitzt d. Musikbe- 



stande d. Museo Correr u. d. Bibl. e Pinacoteca Querini 
Stampalia. Lit.: G. Concina, A. D'Este, T. Wiel u. R. 
Faustini, Citta di V., =Cat. AMI VI, 1, 1923-40. - C. 
Goldoni; Libretti-Slg. - Fondazione G. Cini, Scuola di S. 
Giorgio per lo studio della civilta veneziana, Istituto per le 
lettere, la musica e il teatro; 36000 Libretti (Grundstock 
ist d. Slg Rolandi, fruher Rom), Photokopien-Slg d. ge- 
samten venezianischen Musik, begonnen 1956 durch Uber- 
nahme d. Slg v. Don S. Cisilino. 

Japan. 

Tokio. Lit. : Cat. of the Nanki Mus. Library, Books on 
Music, 2 Bde, T. 1918-20; Cat. of the W. H. Cummings' 
Collection in the Nanki Music Library, T. 1925; Cat. of 
the Nanki Music Library, Bd I : Musicology, T. 1 929. 

Niederlande. 

Amsterdam, Toonkunst-Bibl. ; enthalt d. Bibl. d. Vereeni- 
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis. Lit. : Cat. van 
de bibl. der Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst 
en der Vereeniging voor Noord-Nederlands Muziekge- 
schiedenis, A. 1884, Suppl. A. 1895. C. S. Bottenheim, Cat. 
van de bibl. der Vereeniging . . . , A. 1919. - Stichting Do- 
nemus (Documentation for NEtherlands MUSic) ; gegr. 
1947, sammelt d. gesamte nld. Musik d. 19.-20. Jh. Lit.: 
Cat. van vocale muziek, A. 1958 u. 1961 ; Cat. van instr. 
muziek.A. 1959. 

Den Haag, Gemeente Museum, muziekhist. af deling; 
enthalt d. groBten Teil d. Slg Scheurleer. Lit.: D. Fr. 
Scheurleer, Muziekhist. Museum van D. Fr. Sch., Cat — , 
3 Bde, D. H. 1923-25. - Koninklijke Bibl. ; besitzt d. Lie- 
der- u. Gesangbiicher d. Slg Scheurleer. Lit.: Cat. van 
schoone kunsten en kunstnijverheid, D. H. 1905. 
Leiden, UB. Einige Musikdrucke d. 17. u. 18. Jh. sind ver- 
zeichnet in: Bouwsteenen III, (Amsterdam) 1881, S. 1 1 Iff". 
Utrecht, Bibl. d. Rijksuniv. Lit. : P. A. Tiele u. A. Hulshof, 
Cat. codicum mss. bibl. Univ. Rheno-Trajectinae, 2 Bde, 
U. 1887-1909. 

Norwegen. 

Bergen, UB. - Bergens Offentlige Bibl. ; enthalt d. an Mu- 
sikalien reiche Griegslg. 
Oslo, UB. 

Osterreich. 

Eine Reihe mit Kat. osterreichischer Musik-Bibl. erscheint 
seit 1964 (Graz) unter d. Titel Tabulae musicae austriacae. 
Gottweig, Musikarch. d. Benediktinerabtei ; Teile d. Slg 
A. Fuchs ; hs. thematischer Kat. v. H. Wondratsch (1 830). - 
Graz, UB. Lit. : A. Kern, Die Hss. d. UB Gr., I Lpz. 1942, 
II Wien 1956. - Bibl. d. mw. Inst. d. Univ. Gr.; enthalt d. 
Musikalien d. St. Jakobskirche Leoben u. d. steiermarki- 
schen Musikver. - Diozesanarch. ; enthalt d. Musikalien 
Karntner u. Steiermarker Kloster. Lit.: H. Federhofer, Alte 
Musikalien-Inventare d. Kloster St. Paul (Karnten) u. 
G6B (Steiermark), KmJb XXXV, 1951; ders., Die Si- 
cherung d. alten Musikalienbestande, in : Der osterreichi- 
sche Bibliothekartag 1952, = Biblos-Schriften III, Wien 
1953. 

Klosterneuburg, Musikarch. u. Bibl. d. Augustiner- 
Chorherrenstiftes. Lit.: A. Koczirz, Kl.er Lautenbiicher, 
Musica Divina I, 1913. - Kremsmunster, Regenterei d. 
Benediktinerstifts. Lit.: A. Kellner, Mg. d. Stifts Kr., 
Kassel 1956. 

Melk, Stiftsbibl. u. Musikarch. d. Benediktinerstiftes. 
Salzburg, Bibl. d: Stadtischen Museums Carolino-Au- 
gusteum. Lit.: J. Gassner, Die Musikalienslg . . ., in: S.er 
Museum C. A., Jahresschrift VII, 1961. - Internationale 
Stiftung Mozarteum. 

Wien, Musikslg d. Osterreichischen Nationalbibl. (ONB) ; 
gegrundet 1826, enthalt d. Hofmusikarch., Teile d. Hof- 
kapellenarch., private Musikslgen d. Kaiser, Estensische 
Slg (Lit. : R. Haas, Die Estensischen Musikalien, Regens- 
burg 1927), Slg Kiesewetter (Lit. : Cat. d. Slg alter Musik d. 
k. k. Hof rathes R. G. Kiesewetter, W. 1 874 ; Galerie d. alten 
Contrapunctisten, . . . aus d. Arch, alter Musik d. k. k. 
Hofrathes R. G. Kiesewetter, W. 1847), Slg Ambros, Bibl. 
d. Fugger (Lit.: L. Nowak, Die Musikhss. aus Fugger- 
schem Besitz in d. ONB, in : Die ONB, Fs. J. Bick, W. 1 948), 
Arch. d. W.er Theater; Autographen: Haydn, Mozart, 
Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner; »Arch. f. Photo- 
gramme mus. Meisterhss. - Widmung A. van Hoboken« 



106 



Bibliotheken (Schweiz) 



(Lit.: R. Haas, Arch. f. Photogramme mus. Meisterhss., 
Verz. d. Aufnahmen, W. 1928); Slgd. gesamten osterreichi- 
schen Notenproduktion. Lit. : J. Mantuani, Codicum mus. 
pars I— II, = Tabulae codicum manu scriptorum ... in 
Bibl. Palatina Vindobonensi asservatorum IX-X, W. 1 897 ; 
R. Lach, Kat. d. mus. Hss. (N. S.): Suppl. mus. Nr 1- 
2102 d. Musikalienslg d. W.er Nationalbibl., in: Anzei- 
ger d. philosophisch-hist. Klasse d. Akad. d. Wiss. in W. 
LXII, 1925; ders., Aus d. Hss.-Schatze d. Musikalienslg, 
in: Fs. d. Nationalbibl. in W., W. 1926; R. Haas, Die Mu- 
sikslg d. Nationalbibl., JbP XXXVII, 1930; L. Nowak, 
Die Musikslg, in: Die ONB, Fs. J. Bick, W. 1948; ders., 
ONB, Fontes artis musicae II, 1955; Fr. Grasberger, Mu- 
sikhss. in d. ONB, Osterreichische Musikzs. X, 1955. - 
Bibl. d. Ges. d. Musikfreunde; enthalt u. a. d. alten Kir- 
chenmusikalien d. Marienkirche zu Liibeck, d. Nachlasse 
E. L. Gerber, Kochel u. J. Brahms, d. Schubert-Slg Spaun- 
Witteczek, Brief- u. Musikautographen v. Schubert, Beet- 
hoven, Mozart. Lit.: E. Mandyczewski, Zusatzband zur 
Gesch. d. K.K. Ges. d. Musikfreunde in W., Slgen u. Sta- 
tuten, W. 1912. - Musikslg d. W.er Stadtbibl.; enthalt d. 
Schubert-Slg N. Dumba, Autographen v. Schubert, Beet- 
hoven. Lit. : K. Gladt, Die W.er Stadtbibl., Amtsblatt d. 
Stadt W. LV, 1950-LVI, 1951 ; Fr.Racek, Die Musikslg d. 
W.er Stadtbibl., Osterreichische Musikzs. X, 1955 ; Fs. zum 
lOOjahrigen Bestehen d. W.er Stadtbibl., W. 1956. - UB. 
Lit.: W. Merlingen, Der neue Musikalienkat. d. UB W., 
in: Der osterreichische Bibliothekartag 1952, = Biblos- 
Schriften III, W. 1953. - Arch. d. Osterreichischen Minori- 
tenprovinz, Abt. B: Musik-Hss. Lit.: Fr. W. Riedel, Kat. 
d. alteren Bestandes v. 1789. Das Musikarch. im Minori- 
tenkonvent zu W., Kassel 1963. - Musikarch. d. St. Peters- 
kirche. Lit. : C. Rouland, Kat. d. Musik-Arch. d. St. Peters- 
kircheinW.,W. 1908. 
Polen. 

Allgemeines: Dr. Plamenac, Music Libraries in Eastern 
Europe, Notes II, 19, 1961/62. 

Danzig (Gdansk), Bibl. Polskiej Akad. Nauk (Bibl. d. 
polnischen Akad. d. Wiss.). - Stadtbibl. ; hat starke Kriegs- 
verluste erlitten, erhalten sind nur noch 685 Werke. Lit. : 
O. Giinther, Die mus. Hss. d. Stadtbibl. u. d. in ihrer Ver- 
waltung befindlichen Kirchenbibl. v. St. Katharinen u. 
St. Johann in D., = Kat. d. Hss. d. D.er Stadtbibl. IV, D. 
1911. 

Kattowitz (Katowice), Bibl. Paiistwowej Wyzszej Szkory 
Muzycznej (Bibl. d. Musikhochschule). Lit.: K. Musiof, 
Bibl. Panstwowej Wyzszej Szkory Muzycznej w Kato- 
wicach (The Library of the Higher School of Music in K., 
mit einer engl. Zusammenfassung), K. 1960. - Krakau 
(Krakow). Lit. : A. Chybiiiski, Die Musikbestande d. Kr.er 
Bibl.en v. 1500-1650, SIMG XIII, 1911/12. - Archiwum 
Kapitury Metropolitalnej Krakowskiej (Metropolitanka- 
pitel-Arch.). - Bibl. Uniwersytetu Jagiellonskiego. Lit.: 
W. Wistocki, Kat. rekopisow Bibl. Uniwersytetu Jagiel- 
loriskiego, 2 Bde, Kr. 1877-81 ; J. Wl. Reiss, Ksiazki o mu- 
zyce . . . w Bibl. Jagiellonskiej, 3 Bde, Kr. 1924-38; Wl. 
Hordynski, Dzial nut w Bibl. Jagiellonskiej, Przeglad Bi- 
blioteczny IX, 1935; Inwentarz rekopisow Bibl. Jagiellons- 
kiej Nr 4175-6000, Kr. 1938, maschr. 
Thorn (Torun), Bibl. Glowna Uniwersytetu M. Koperni- 
ka (Hauptbibl. d. N.-Kopernikus-Univ.) ; enthalt Teile d. 
Noten u. Bucher d. Stadtbibl. Elbing u. Stettin, d. Volks- 
bibl. Th. u. d. Bibl. d. Schlosses Pansin b. Stettin. Lit.: 
Schulprogramm 1871. 

Warschau (Warszawa), Bibl. Narodowa, Zaklad Mu- 
zyczny (Musikabt. d. Nationalbibl.) ; enthalt d. Bestande 
d. v. d. Grafen Potocki gegriindeten Bibl. zu Wilanow. Ge- 
samtbestand iiber 20000 Musikdrucke u. iiber 200 Hss. 
Der Vorkriegsbestand (26000 Musikdrucke, 5000 Hss.) 
wurde 1944 ganzhch vernichtet. Lit.: Kat. mikrofilmow, 
Bibl. Narodowa, Stacja Mikrofilmowa i Zaklad Muzyczny, 
W. 1956. - Musikabt. d. Univ.-Bibl. (Oddzial Muzyczny 
Bibl. Uniwersyteckiej), verwaltet d. Bibl. d. Mus. Inst. d. 
Univ. Breslau. Lit. : E. Kirsch, Die Bibl. d. Mus. Inst, bei 
d. Univ. Breslau, Hundsfeld 1922; Fr. Feldmann, Der 
Codex Mf 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ. Breslau, 2 Bde, 
Breslau 1932. - Wroclaw siehe unter Deutschland, Breslau. 

Portugal. 

Coimbra, UB (Bibl. Geral da Univ.). Lit. : M. S. Kastner, In- 

ventario dos ineditos e impressos musicais I, C. 1937 ; ders., 



Los mss. mus. N. s 48 y 242 de la Bibl. General de la Univ. de 
C, AM V, 1950; U. Berti, Ensaio com notas biogr. de um 
cat. dos mss. mus. da Bibl. de Univ. de C, = Publicacoes 
de Bibl. da Univ. de C, C. 1940; M. de Sampayo Ribeiro, 
Os mss. mus. nos. 6 e 12 da Bibl. Geral da Univ. de C, C. 
1941. 

Lissabon (Lisboa), Bibl. da Ajuda. - Bibl. Nacional. - Die 
Bibl. d. Konigs Joao IV. wurde durch d. Erdbeben 1755 
zerstort ; d. Kat. v. 1 649 Index de obras que se conservao 
na Bibl. Real da Musica wurde zuerst beschrieben in : J. de 
Vasconcellos, Ensaio critico sobre o cat. d'el-Rey D. 
Joao IV, Porto 1873 ; Faks. : Index da livraria de musica do 
muyto alto, e poderoso Rey Dom Joao o IV, hrsg. v. dems., 
Porto 1874-76. Lit.: ders., El Rey D. Joao o IV 10 , Porto 
1900,21905. 

Schweden. 

Allgemeines: A. Davidsson, Cat. critique et descriptif des 
imprimes de musique des XVI e et XVII e s. conserves dans 
les bibl. suedoises (Excepte la Bibl. de l'Univ. Royale d'Up- 
sala), = Studia musicologica upsaliensia I, Uppsala 1952; 
ders., Cat. critique et descriptif des ouvrages thdoriques sur 
la musique imprimes au XVI e et au XVII e s. et conserves 
dans les bibl. su6doises, = ebenda II, 1953 ; ders., Cultural 
Background to Collections of Old Music in Swedish Li- 
braries, Fontes artis musicae XI, 1964. 
Halsingborg, D. Fryklunds Samling. Lit. : D. Fryklund, 
Collection Fryklund, Musica, H. 1929. 
Norrkoping, Stadsbibl., Musikavdelningen ; enthalt d. 
Musikwerke d. SchloBbibl. Finspang. 
Stockholm, Kungliga Musikaliska Akademiens Bibl. 
Lit. : Kat. over Kungliga Mus. Akad. Bibl., 2 Bde, St. 1905- 
10; C. Fr. Hennerberg, Brevsamlingen i Kungliga Mus. 
Akad. Bibl., STMf IX, 1927; ders., Kungliga Mus. Akad. 
Bibl., Nordisk Tidskrift for Bok- och Biblioteksvasen, 
1927; C. Johansson, Nagot om Mazers musiksamling . . ., 
STMf XXXIII, 1951; dies., Studier kring P. Alstromers 
musiksamling, STMf XLIII, 1961 ; H. T. Blomstedt, Till 
kannedomen om J. C. Bachs symfonier, STMf XXXIII, 
1951 ; A. Lellky, Kat. over orkester- och korverk . . ., St. 
1953; I. Bengtsson u. R. Danielson, Handstilar och not- 
pikturer i K. Mus. Akad. Roman-samling, = Studia mu- 
sicologica upsaliensia III, Uppsala 1955. - Kungliga 
Biblioteket. Lit.: C.-G. Stellan Morner, Rariteter ur en 
okatalogiserad notsamling . . . , STMf XLIII, 1961. - Arch, 
d. Kungliga Teatern. - Bibl. d. Tyska kyrkan (Deutschen 
Kirche). Lit. : T. Norlind, Fran Tyska kyrkans glansdagar, 
3 Bde, St. 1944-^5. 

Uppsala, UB; enthalt d. Slg Diiben mit Mss. d. 17. Jh. 
Lit.: C. Stiehl, Die Familie Diiben . . ., MfM XXI, 1889; 
F. Lindberg, Cat. of the Diiben Collection . . . , Vocal Mu- 
sic in Ms., 1946, maschr. ; R. Mitjana u. A. Davidsson, Cat. 
critique et descriptif des imprimes de musique des XVI C et 
XVII e s. conserves a la bibl. de l'Univ. Royale d'U., 3 Bde, 
U. 1911-51. R. Englander, Die Mozart-Skizzen d. UB U. 
STMf XXXVII, 1955; A. Davidsson, Cat. of the Gimo 
Collection ...,U. 1963. 

VasterAs, Stifts- och Landsbibl. Lit. : W. Moler, Forteck- 
ning over musikalier i V. hogre allmanna laroverks bibl. 
t.o.m. 1850, V. 1917. 

Schweiz. 

Basel, Offentliche Bibl. d. Univ. B. ; enthalt d. Bibl. d. 
Schweizerischen Musikforschenden Ges. (Schweizerische 
Musikbibl.), d. Slgen B. Amerbach, L. Sarasin, Bibl. d. 
Collegium musicumB., einenTeild. Autographenslg Geigy 
(Lit.: Autographenslg v. K. Geigy-Hagenbach B., Kat. 
samt Nachtrag I— II, B. 1929, Nachtrag III 1933, IV 1939; 
fur d. nicht in d. UB B. gelangten Teile d. Slg Geigy vgl. d. 
Auktionskat. 1961 d. Firmen Haus d. Bucher AG, B., u. 
J. A. Stargardt, Marburg). Lit.: J. Richter, Kat. d. Mu- 
sik-Slg auf d. UB in B., Beilage zu MfM XXIII, 1891; 
E. Refardt, Kat. d. Musikabt. d. offentlichen Bibl. d. 
Univ. B. I, B. 1925 ; ders., Thematischer Kat. d. Instrumen- 
talmusik d. 18. Jh. in d. Hss. d. UB B., = Publikationen d. 
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 6, Bern 1957. - 
Bern, Schweizerische Landesbibl. - Stadt- u. UB. Lit.: 
H. Hagen, Cat. codicum Bernensium, B. 1874. 
Einsiedeln, Musikbibl. d. Benediktinerstifts. Lit.: MfM 
IV, 1872, 20f.; G. Meier, Cat. codicum manu scriptorum 
qui in bibl. monasterii Einsidlensis O. S. B. servantur I, E. 
u. Lpz. 1899; II, Ms. - Engelberg, Bibl. d. Benediktiner- 



107 



Bibliotheken (Spanien) 



stif ts. Lit. : B. Gottwald, Cat. codicum manu scriptorum 
qui asservantur in bibl. monasterii Engelbergensis, Frei- 
burg i. Br. 1891 ; J. Handschin, Angeloraontana polypho- 
nica, SJbMw III, 1928 ; ders., Die Schweiz, welchesang, Fs. 
K. Nef, Zurich u. Lpz. 1933. 

Genf, Bibl. publique et universitaire ; besitzt d. Slg R. A. 
Mooser (2000 Bde Russiaca). - Bibl. du Conservatoire de 
Musique; besitzt Autographen russ. u. frz. Komponisten. 
Lausanne, Bibl. A. Cortot. Lit. : Bibl. A. Cortot I, Theorie 
de la musique, Argenteuil 1936. - Luzern, Zentralbibl. 
Lit. : W. Jerger, Die Musikpflege in d. ehemaligen Zister- 
zienserabtei St. Urban, Mf VII, 1954; ders., Kat. d. Musi- 
kalien d. Allg. Musikges. in d. Zentralbibl. L., L. 1958, 
maschr. ; ders., Ein Musikalieninventar aus d. Jahre 1661 
im Kat. v. St. Urban, Mf IX, 1956. 

Muzzano-Lugano, Slg Floersheim-Koch. Lit. : G. Kins- 
ky, Mss., Briefe, Dokumente v. Scarlatti bis Strawinsky, 
Kat. d. Musikautographen-Slg L. Koch, hrsg. v. M.-A. 
Souchay, Stuttgart 1953. 

Neuenburg, Bibl. publique de la ville; Autographen v. 
Rousseau. 

Rheinfelden bei Basel, Bibl. d. ehemaligen Chorherren- 
stiftes zu St. Martin. Lit. : H. P. Schanzlin, Kirchenmusik 
in d. Stiftsbibl. zu St. Martin in Rh., KmJb XLIII, 1959. 
St. Gallen, Stiftsbibl. Lit. : G. Scherrer, Verz. d. Hss. d. 
Stiftsbibl. v. St. G., Halle 1875; ders., Verz. d. Incunabeln 
d. Stiftsbibl. v. St. G., St. G. 1880; Fr. Labhardt, Das Se- 
quentiar Cod. 546 d. Stiftsbibl. v. St. G., = Publikationen 
d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 8, Bern 
1959. 

Winterthur, Stadtbibl. 

Zurich, Zentralbibl. Lit. : G. Walter, Kat. d. gedruckten 
u. hs. Musikalien d. 17.-19. Jh. im Besitze d. AMG Z., Z. 
1960 ; L. C. Mohlberg OSB, Kat. d. Hss. d. Zentralbibl. Z. I, 
Ma. Hss., Z. 1932-1952; E. Schenk, Die osterreichische 
Musikiiberlieferung d. Z.er Zentralbibl., in: Die osterrei- 
chische Nationalbibl., Fs. J. Bick, Wien 1948. 

Spanien. 

Barcelona, Bibl. Central de la Diputacion Provincial. 
Lit. : F. Pedrell, Cat. de la Bibl. mus. de la Diputacid de B., 

2 Bde, B. 1908-09; H. Angles, Cat. dels mss. mus. de la 
colleccio Pedrell, = Publicacions del Departement de mii- 
sica II, B. 1920; ders., La miisica espafiola . . ., = Cat. de 
las colecciones de la Bibl. Central de la Provincia de B. V, 
B. 1941. 

El Escorial, Bibl. u. Arch, de Miisica. Lit. : Ch. E. Ruelle, 
Rapports sur une mission litteraire et philol. en Espagne, 
in : La Bibliogr. Mus. XXII, 1 875, separat Paris 1 875. 
Granada, Arch, de Miisica de la Capilla Real. Lit.: J. 
Lopez Calo SJ, El Arch, de Miisica . . . , AM XIII, 1958. 
Madrid, Bibl. Nacional, Seccion de miisica. Lit.: H. 
Angles u. J. Subira, Cat. mus. de la Bibl. Nacional de M., 

3 Bde, Barcelona 1 946-5 1 . - Bibl. d. Herzogs v. Alba. Lit. : 
J. Subira, La musique de chambre espagnole et frc. du 
XVIII e s. dans la bibl. du Due d'Albe, Rev. de Musicol. X, 
1926; ders., La miisica en la casa del Duque de Alba, M. 
1927. - Bibl. Medinaceli. Lit.: J. B. Trend, Cat. of the Mu- 
sic in the Bibl. Medinaceli, Rev. hispanique LXXI, 1927. - 
Bibl. Municipal. Lit. : J. Subira, Cat. de la Seccion de mii- 
sica . . . I, M. 1965. - Montserrat, Bibl. d. Benediktiner- 
Klosters. Lit. : R. B. Lenaerts, Niederlandische polyphone 
Musik in d. Bibl. v. M., in: Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 
1957. 

Sevilla, Bibl. Colombina. Lit. : Hss.-Kat. v. F. Columbus, 
nach dessen Hs. faksimiliert durch A. M. Huntington, 
NY 1905; Kn. Jeppesen, Die neuentdeckten Bucher d. 
Lauden des O. dei Petrucci . . ., ZfMw XII, 1929/30; Dr. 
Plamenac, A Reconstruction of the French Chansonnier 
in the Bibl. Colombina, MQ XXXVII, 1951 - XXXVIII, 
1952; ders., Excerpta Colombiniana, Miscelanea en ho- 
menaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61; ferner: H. 
Angles, La miisica conservada en la Bibl. Colombina y en 
la Catedral de S., AM II, 1 947. 

Toledo, Catedral, Bibl. Capitular. Lit. : J. F. Riafio, Notes 
on Early Span. Music, London 1887; F. Rubio Piqueras, 
Codices polifonicos toledanos, T. (1925); H. Angles, La 
miisica medieval en T. hasta el s. XI, in : Span. Forschun- 
gen d. Gorresges. I, 7, Munster i. W. 1938. 
Valencia, Arch. Municipal. Lit. : V. Ripolles-Perez, Cat. 
de las obras polifonicas conservadas en el Arch, de V., in: 



Boletin de la Soc. castellonense de cultura VII, 1925. - 
Valladolid, Arch. mus. de la Catedral. Lit. : H. Angles, 
El Arch, mus AM III, 1948. 

Tschechoslo wakei . 

Zusammenf assend : M. J. Terrayova, Siipis archivnych 
hudobnych fondov na Slovensku (»Verz. mus. Archiv- 
bestande in d. Slowakei«), Hudobnovedne Studie IVff., 
1960ff. - Dr. Plamenac, Music Libraries in Eastern Europe, 
Notes II, 19, 1961/62. 

Bartfeld (Bartfa, Slowakei) siehe unter Ungarn, Buda- 
pest. - Brunn (Brno), Universitni knihovna, Hudebni od- 
deleni (»Musikabt. d. UB«). - Moravske Museum, Od- 
deleni hudebne historickd (»Mg. Abt. d. Mahrischen 
Museums«). 

Kolin, Museum. Lit.: H. Oplatkova, Stare rukopisy v 
kolinskem museu (»Alte Hss. im Museum v. K.«), in: Mis- 
cellanea Musicologica V, Prag 1958. - Kremsier (Krome- 
fiz), Hudebni Arch. Kolegiatniho Kostela Sv. Mofice 
(»Musikarch. d. Kollegiatskapitels St. Moritz«). Lit.: Fr. 
Hogler, Die Kirchensonaten in Kr., Diss. Wien 1926, 
maschr. ; K. Vetterl, Der mus. NachlaB d. Erzherzogs Ru- 
dolf . . ., ZfMw IX, 1926/27; A. Breitenbacher, Hudebni 
Arch. Kolegiatniho Kostela Sv. Mofice, Kr. 1928; J. 
Sehnal, Poznamky k hudebnimu arch. Kromefizskemu, 
Prag 1956. - Krumau (Cesky Krumlov), ehemalige Fiirst- 
lich Schwarzenbergsche Musikalienslg. Lit.: J. Zaloha, 
Cesky Krumlov, Prag 1961. 

Prag (Praha), Hudebni oddeleni Narodniho musea (»Mu- 
sikabt. d. Nationalmuseums«) ; ihr wurden nach 1945 d. 
Musikbestande vieler verstaatlichter Klosterbibl. u. stan- 
desherrlicher Slgen einverleibt. Lit. : W. Vacek, Die Cho- 
ralhss. d. Stiftes Tepl, in : Zum 700jahrigen Todestage d. 
Seligen Hroznata I, Marienbad 1917; Hss.-Verz. in: Stift 
Tepler Vierteljahrsschrift I, 1920; P. Nettl, Musicalia d. 
Furstlich Lobkowitzschen Bibl., in: Mitt. d. Ver. f. d. 
Gesch. d. Deutschen in Bohmen LVIII, Pr. 1920, auch in: 
Beitr. zur bohmischen u. mahrischen Mg., Briinn 1927; 
Narodni museum v Praze 1818-1948 (»Das Nationalmu- 
seum in Pr. 1818-1948«), Pr. 1948; A. Buchner, Hudebni 
sbirka E. Troldy (»D. Musikslg E. Trolda«), in: Sbornik 
Narodniho musea VIIIA, Historia I, Pr. 1954; ders., Prii- 
vodce sbirkami hudebniho oddeleni Narodniho musea 
(»Fiihrer durch d. Slgen d. Musikabt. d. Nationalmu- 
seums«), Pr. 1954; O. Pulkert, The Mus. Department of 
the National Museum in Prague, Fontes artis musicae II, 
1955. - Universitni knihovna (UB). Lit.: R. Eitner, Die 
k. k. UB in Pr., MfM IX, 1877; J. Wolf, Ein Ms. d. Pr.er 
UB, KmJb XIV, 1899; E. Urbankova, Rukopisy a vzacn6 
tisky prazske univ.knihovny(»DieHss. u. seltenen Drucke 
d. Pr.er UB«), Pr. 1957; M. Svobodova, Le Departement 
de la musique de la Bibl. Univ. de Prague, Fontes artis mu- 
sicae IV, 1957. - Metropolitankapitel. Lit.: A. Podlaha, 
Cat. collectionis operum artis musicae quae in bibl. capi- 
tuli metropolitani Pragensis asservantur, (Pr.) 1926. - 
Arch. Statni Konservatofe (»Arch. d. Staatl. Musikkon- 
servatoriums«). Lit. : R. v. Prochazka, Aus fiinf Jh., Mu- 
sikschatze d. Pr.er Konservatoriums, Pr. 1911. - Minori- 
tenkloster. Lit.: E. Trolda, Hudebni arch, minoritskeho 
klaStera u. Sv. Jakuba v Praze (»Das Musikarch. d. Minori- 
tenklosters St. Jakob in Pr.«), in: Cyril XLIV, 1918. - 
Pressburg (Bratislava), UB. - Franziskaner-Bibl. Lit. : D. 
Orel, Hudebni pamatky franti§kanske knihovny v Bratis- 
lava (»Die mus. Denkmaler d. Franziskaner-Bibl. zu Pr.«), 
Pr. 1930. 

Raudnitz (Roudnice), Augustinerkloster. Lit.: M. Dvo- 
rak, Knihovna Augustianskeho klaStera Roudnice (»Die 
Bibl. d. Augustiner-Klosters in R.«), in: Cesky casopis 
historicky VI, 1900; E. Trolda, Roudnicke kancionaly 
(»R.erKantionalien«), Hudebni vychova XVIII, 1937. 

UdSSR. 

Allgemeines: M. Braschnikow, Russkije pewtscheskije 

rukopisi . . . (»Russ. Gesangs-Hss. u. russ. Paleographie«), 

= Trudy inst. russ. lit. Akad. Nauk SSSR VII, Moskau 

1949. 

Leningrad, Bibl. publitschnaja imeni M. J. Saltykowa- 

Schtschedrina (Off. M. J. Saltykow-Schtschedrin-Bibl.). 

Lit. : Monuments de la notation ekphonetique et neuma- 

tique de l'eglise lat., hrsg. v. J.-B. Thibaut, St. Petersburg 

1912; Monuments de la notation ekphonetique et hagiopo- 



108 



Bibliotheken (USA) 



lite de l'eglise grecque, hrsg. v. dems., ebenda 1913 ; A. N. 
Rimskij-Korsakow, Musykalnyje sokrowischtscha ruko- 
pisnowo otdelenija . . . (»Mus. Schatzed. Hss.-Abt. d. Staatl. 
Off.M.J.Saltykow-Schtschedrin-Bibl.«),L.1938. 
Moskau, Gossudarstwennaja bibl. SSSR imeni W. I. Le- 
nina (Staats-Bibl. d. Sowjetunion). Lit. : I. M. Kurdjawzew, 
Sobranije D. W. Rasumowskowo i W. F. Odojewskowo, 
Archiw D. W. Rasumowskowo, Opisanija (Verz. altruss. 
Gesangs-Mss.), M. 1960. - Zentralnyj musej musykalnoj 
kultury imeni M. I. Glinka (Zentrales M. I. Glinka-Mu- 
seum d. Musikkultur) ; Autographen v. Mozart, Beetho- 
ven, Rossini, Berlioz, Liszt, Glinka, Mussorgsky, Tschai- 
kowsky, Rimskij-Korsakow. 

Ungarn. 

Allgemeines: P. Rado, Index codicum mss. liturgicorum 
Regni Hungariae, = Orsz. Szechenyi Konyvtar kiadvanyai 
XIV, Budapest 1941 ; ders., Repertoire hymnologique des 
mss. liturgiques dans les bibl. publiques de Hongrie, = eben- 
da XX, 1945 ; ders., Libri liturgici manu scripti bibl. Hun- 
gariae I, Libri ... ad missam pertinentes, = ebenda XXVI, 
1947; ders., Ma. liturg. Hss. deutscher, ital. u. frz. Her- 
kunf t . . . , in : Miscellanea liturgica in honorem L. C. Mohl- 
berg II, Rom 1949; ders., Beschreibung d. Quellen, in: B. 
Rajeczky, Melodiarum Hungariae medii aevi I, Hymni et 
sequentiae, Budapest 1956; K. Szigeti, Denkmaler d. Gre- 
gorianischen Chorals aus d. ungarischen MA, Studia mu- 
sicologica IV, 1963. 

Budapest, National-Bibl. Szechenyi ; groBer Hss.-Bestand, 
vor allem zur ungarischen Mg. v. MA bis zur Neuzeit, 
deutsche Musikhss. d. 16.-17. Jh. aus Bartfeld (Slowakei), 
verwahrt auch d. Esterhazysche Musik-Arch. aus SchloB 
Eiseftstadt. Lit. : E. Bartoniek, Codices manu scripti lat. I, 
= A magyar nemzeti muzeum konyvtaranak, Cimjegyzeke 
XII, 1, B. 1940; K. Isoz, Zenei levelek (»Musikerbriefe«), 
= ebenda VI, 1, 1921; O. Gombosi, Die Musikalien d. 
Pfarrkirche St. Aegidi in Bartfa, in : Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, 

Bin 1929; ders., Quellen aus d. 16.-17. Jh Ungarisches 

Jb. XII, 1 932 ; H. Albrecht, Zwei Quellen zur deutschen Mg. 
. . . , Mf 1, 1 948 ; J. Vecsey, Haydns Werke in d. Nationalbibl. 
Sz6chenyi, B. 1959, verbessert engl. als: Haydn Compo- 
sitions in the National Szech6nyi Library, B. 1960; D. 
Bartha u. L. Somfai, Haydn als Opernkapellmeister, B. u. 
Mainz 1960, dazu J. Harichin: Haydn- Jb. 1, 1962; L. Som- 
fai, Albrechtsberger-Eigenschrif ten . . . , Studia musico- 
logica I, 1961 u. IV, 1963; I. Kecskemeti, Sussmayr-Hss. 
...,ebendaII,1962.-Akad.d.Wiss.,Bartok-Arch. 
USA. 

Die Music Library Association verdffentlicht in ihrer Zs. 
Notes (Serie 1 1934-42, II seit 1943/44) viele Aufsatze iiber 
amerikanische Musik-Bibl. Weitere Lit. : O. E. Albrecht, 
A Census of Autograph Mus. Mss. of European Composers 
in American Libraries, Philadelphia 1953; (A. B. Barks- 
dale), Medieval and Renaissance Music Mss., Toledo 
(O.) 1953 (Ausstellungs-Kat., beschreibt Mss. aus 28 
Slgen) ; (A.-T. Luper), An Exhibit of Music . . . , Iowa City 
1953 (Ausstellungs-Kat., beschreibt wertvolle Stucke aus 
Chicago, Iowa City, Rochester, Urbana, Washington); R. 
Benton, An Introduction to American Music Libraries, 
Fontes artis musicae IX, 1962. 

Ann Arbor (Mich.), Univ. of Michigan; erwarb 1954 d. 
Bibl. v. J.- A. Stellfeld (Antwerpen). 
Berea (O.), Baldwin- Wallace College; Bach-Slg Riemen- 
schneider. Lit : S. W. Kenney, Cat. of the E. and K. Rie- 
menschneider Memorial Bach Library, NY u. London 
1961. - Berkeley (Calif.), Univ. of California, Music 
Library ; d. Musik-Abt. besitzt d. Bibl. v. A. Einstein (s. 
auch Northampton) u. M. F. Bukofzer, d. Slgen Connick 
u. Romberg (Oper), A. Olschki (ital. Vokalmusik u. Mu- 
siktheorie) sowie 1200 ital. Musik-Hss. d. 18. Jh. Lit.: V. 
Duckies u. M. Elmer, Thematic Cat. of a Ms. Collection of 
18 th Cent. Ital. Instr. Music in the Univ. of California, B. 
1963. - Boston (Mass.), Public Library, Music Depart- 
ment. Lit. : Cat. of the A. A. Brown Collection . . . , 3 Bde u. 
Suppl., B. 1910-16. - Harvard Mus. Association, gegr. 
1837; praktische Musik-Slg mit vielen seltenen Werken. - 
New England Conservatory of Music; besitzt d. Opern- 
Slg G. Farrar. - Handel and Haydn Soc. - Museum of Fine 
Arts ; liturgische Mss. 

Cambridge (Mass.), Harvard Univ.; d. Musikbestande 
sind auf 3 Bibl. verteilt : d. Houghton Library sammelt vor 



allem altere Hss. u. seltene Drucke, d. E. K. Loeb Music 
Library verwahrt d. neueren Musikalien u. Musikbucher, 
d. Isham Memorial Library wird als umfassende Mikro- 
film-Slg v. Musik-Hss. u. -Drucken vor 1700 ausgebaut. - 
Chicago (111.), Newberry Library; liturgische Mss. d. 13- 
18. Jh., Tabulatur-Hss. u. -Drucke d. 16. Jh., viele Drucke 
d. 17.-18. Jh. aus d. ehemaligen Bibl. Woiffheim (Bin), 
Autographen v. Mozart, Mendelssohn, Chopin, Liszt, 
Wagner, MacDowell. Lit.: F. Borowski, in: Hdb. of the 
Newberry Library, Ch. 1938. 

Iowa City (la.), State Univ. of Iowa Libraries. Lit. : Fr. 
K. Gamble, An Annotated Cat. of Rare Mus. Items in the 
Libraries of the Univ. of Iowa, I. C. 1963. 
Los Angeles (Calif.), Univ. of California Library; d. Mu- 
sik-Abt. besitzt ital. Libretti, Ballad Operas u. a'ndere engl. 
Musik d. 17.-18. Jh. sowie eine groBe Slg amerikanischer 
Musik. 

New Haven (Conn.), Yale Univ. School of Music Library; 
Slg L. Mason mit Bestanden aus d. Bibl. Chr. H. Rincks, 
Slg Filmer (engl. Musik d. 17.-18. Jh.), Autographen v. 
Bach u. Ives. - New York, Public Library, Music Division ; 
Slg Drexel, iiber 400 Bde aus d. ehemaligen Bibl. Woiff- 
heim (Bin), Autographen u. Briefe v. Bach, Handel, Haydn, 
Mozart, Beethoven, Paganini, Schubert, Schumann, Stra- 
winsky. Lit.: H. Botstiber, Musicalia in d. NY Public 
Library, SIMG IV, 1902/03; V. Duckies, TheGamble Ms., 
JAMS I, 1948; A. Mell, Paganiniana in the Muller Collec- 
tion . . ., MQ XXXIX, 1951 ; Fr. Blume, Eine Tabulatur- 
quelle f. M. Praetorius, Mf XV, 1962; J. P. Cutts, »Songs 
vnto the Violl and Lute« . . ., MD XVI, 1962; Dictionary 
Cat. of the Music Collection, The NY Public Library, 
Boston (Mass.), seit 1964. - Columbia Univ., Music De- 
partment; Volkslied-Slgen v. M. Parry (serbokroatisch) 
u. B. Bartok. - Pierpont Morgan Library, liturgische Mss. 
u. Autographen (Beethoven). Lit.: anon., Exhibition of 
Illuminated Mss., NY 1934. - Hebrew Union College; 
jiidische Musik. - Heinemann Foundation; Autographen 
v. Mozart, Schubert, Chopin, R. Strauss. - Northampton 
(Mass.), Smith College; besitzt A. Einsteins Spartierungen 
v. Madrigalen u. Instrumentalmusik d. 16.-18. Jh. 
Philadelphia (Pa.), Curtis Inst, of Music Library; Slgen 
Burrell (Wagner) u. Farnam (Orgel). - Free Library, Mu- 
sic Department; Fleisher Collection of Orchestral Mu- 
sic u. Lewis Collection. Lit. : E. Wolf II, European Mss. in 
the J. Fr. Lewis Collection, Ph. 1937. 
Rochester (N. Y.), Univ. of R., Sibley Music Library ; be- 
sitzt 2 zentrale Theoretiker-Hss. d. 11.-12. Jh. (aus Rei- 
chenauu. Admont) u. viele Drucke d. 16.-18. Jh. 
Saint-Louis (Mo.), Concordia Seminary; hymnologische 
Slg. - St. L. Univ. ; Mikrofilm-Slg d. vatikanischen Mss. - 
San Marino (Calif.), Huntington Library. Lit.: E. N. 
Backus, Cat. of Music in the Huntington Library Printed 
before 1801, S. M. 1949. - Spokane (Wash.), Conservatory; 
Arch, of Music Hist, from Primary Sources. Lit. : H. Mol- 
denhauer, From My Autograph Collection: C. Ph. E. 
Bach - Dittersdorf - Mozart, Kgr.-Ber. Wien 1956; J. 
Beale, Weberns mus. NachlaB, Melos XXXI, 1964. - 
Stanford (Calif.), Univ. Library; enthalt d. Memorial 
Library. Lit. : N. van Patten, A Memorial Library of Music 
at St. Univ., St. 1950. 

Washington (D. C), Library of Congress; besitzt eini- 
ge wertvolle Mss. mit Musik u. Musiktheorie d. MA 
sowie in d. 1897 gegr. Music Division d. wohl groBte 
Musik-Bibl. d. Welt. Die alteren Werke wurden zum Teil 
aus d. Bibl. Cummings, Heyer, Landau, Prieger, Wecker- 
lin u. Woiffheim angekauft; d. Grundstock d. Slg v. 35000 
Libretti bildet d. 1908 ubernommene Slg A. Schatz (Ro- 
stock). Autographen v. Purcell, J. S. Bach u. seinen S6h- 
nen, Handel, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Paga- 
nini (Slg M. Bang Hohn), Schubert, Schumann, Liszt, 
Wagner, Brahms, H. Wolf, Mahler, Debussy, Ravel, Si- 
belius, Reger, Schonberg, A. Berg, Strawinsky, Bartok, 
Gershwin. Lit. : O. G. Th. Sonneck, Cat. of Opera Scores, 
W. 1912; ders., Cat. of Opera Librettos Printed Before 
1800, 2 Bde, W. 1914; ders.; Cat of 19 th Cent. Librettos, 
W. 1914; J. Gregory, Cat. of Early Books on Music (Be- 
fore 1800), W. 1913, dazu Suppl. v. H. Bartlett 1944. - 
Dumbarton Oaks Research Library ; untersteht d. Harvard 
Univ., sie dient Forschungen zur ma., friihchristlichen u. 
byzantinischen Kultur. - Folger Shakespeare Library; 
Materialien zur Gesch. d. engl. Theaters. 



109 



Bicinium 



Bicinium (lat., Zwiegesang) ist die im 16. Jh. vor al- 
lem in Deutschland gelaufige, danach mit der Sache 
selbst allmahlich aussterbende Bezeichnung fiir einen 
kontrapunktisch gearbeiteten 2st. Vokal- oder seltener 
Instrumentalsatz. Den Terminus iibernahm wahr- 
scheinlich Rhaw (1545) aus Isidore Etymologiae (VI, 19, 
6); noch Mattheson (1739) verwendet ihn; bei Koch 
(1802) bezeichnet er speziell die kleinen Tonstiicke fur 
zwey Homer oder Trompeten. - Das B. versteht sich als 
reizvolle Abweichung von der Norm des 4- oder 5st. 
Kontrapunkts; deshalb sind seine altesten, ins 15. Jh. 
zuriickreichenden Vertreter die zweistimmigen, mit 
dem vollstimmigen Satz kontrastierenden Abschnitte 
in Messen und Motetten, darunter vor allem die tradi- 
tionell mit wenig Stimmen komponierten Ordina- 
riumsteile (Et iterum venturus est; Benedictus; Pleni sunt 
coeli usw.), wie sie seit Dufay u. a. von Isaac, Josquin, 
Stoltzer, Senfl, J. Walter, Mouton und Morales vertont 
worden sind. Als vier weitere Arten des B. treten im 
16. Jh. deutsche Lieder (Othmayr, P.Rebhun, J. Heller, 
A.Schwartz, Wannenmacher, M.Praetorius), franzo- 
sische Chansons (Gardano, P. de Manchicourt, Certon, 
Sweelinck) und italienische Madrigale (G. Scotto) hin- 
zu, sowie 2st. Instrumentalsatze, die von spielmanni- 
scher Musik (Rhaw, Appenzeller Kuhreigen) iiber Fan- 
tasien und Ricercare (Lassus) bis zum strengen Kanon 
(J.Walter) reichen. - Dem als Spezialgattung gepfleg- 
ten B. wurden bald auch Spezialdrucke gewidmet. 
Hauptsachlich lateinische Motetten iiberliefern die 
Drucke von Gardano (1543 und spater), E. Rotenbucher 
(Diphona amoena, 1549), A. Chrysoponus (Bicinia nova, 
i579; auch tschechische Texte), Fr. Lindner (Bicinia 
sacra, 1591), J. de Castro (Bicinia, 1593), Calvisius (Bi- 
cinia, 1599 und 1612), G.Otto (Bicinien, handschrift- 
lich 1601), Bodenschatz (Bicinia, 1615) und Friderici 
(Bicinia, 1623 und 1642), ferner die Handschrift 18832 
der Nationalbibliothek Wien. 2st. Chansons enthalten 
u. a. Drucke von Attaingnant (1535), J. Moderne (1538, 
1539 und spater), Gardano (1539, 1543 und spater), J. 
Gero (1541, Gardano), Sweelinck (1612) und J. de 
Castro (1634). Deutsche Bicinien liegen vor in Drucken 
von Othmayr (Bicinia sacra, 1547), E. Rotenbucher 
(Bergkreyen, 1551), Wannenmacher (1553) und M. 
Praetorius (Musae Sioniae IX, 1610 und spater). Text- 
lose Bicinien sind handschriftlich von J. Walter (1542), 
im Druck von E.Romano (1521), A.Licino (1545/46 
und spater), B.Lupacchino mit G.M.Tasso (1559, Gar- 
dano, Nachdrucke bis 1701), P.Vinci (1560), V.Galilei 
(1584), F.E.Lucchese (1588), G.Gastoldi (1598,21602), 
G.Puliti, G.B.Cali und R.Amadino (1605) erhalten. 
Gemischten Inhalts sind die Drucke von Rhaw (Bicinia 
gallica, latina, germanica, 1545), Scotto (3 Biicher Ma- 
drigale, auch Motetten und Spielstiicke enthaltend, 
1541/59/62 u. 6.), Lassus (1577 u.'o., 12 Motetten und 
12 Instrumentalsatze enthaltend), Phalese und Bellere 
(Liber musicus 1571, Bicinia 1590, Bicinia 1609) und 
Mancinus (1597, Instrumental- und italienisch textierte 
Vokalstiicke). - Dienten diese Drucke, vor allem die- 
jenigen gemischten Inhalts, generell dem geselligen 
Musizieren, so waren die deutschen, meist von Schul- 
meistern zusammengestellten Drucke, zumal wenn sie 
ausdriicklich Bicinien genannt sind, speziell als Exem- 
pla fiir die Jugend gedacht und fiir diesen Zweck oft- 
mals eigens kontrafaziert (besonders durch Rhaw). 
Dementsprechend enthalten auch die Musikkompen- 
dien des 16. und noch des 17. und 18. Jh. Bicinien als 
Lehrbeispiele, u. a. die von S. Heyden, Glarean, Gr. Fa- 
ber, Gumpelzhaimer, M.Beringer, Banchieri und E. 
Gruber (1673). - In den Bicinien von Lassus in einer 
franzbsischen Ballard-Ausgabe von 1601 und denen 
des M.Praetorius von 1610, welchen jeweils ein Stiitz- 



baG unterlegt ist, vollzieht sich der LJbergang vom 
kontrapunktisch gearbeiteten zum harmonisch gestiitz- 
ten 2st. Satz, der forthin die Bezeichnung Duett oder 
Duo erhalt. In choralgebundenen Werken nord- und 
mitteldeutscher Organisten (vor allem Scheidts) er- 
scheint jedoch bis zum Ende des 17. Jh. auch weiterhin 
das B. ohne stiitzenden BaB. Die Singbewegung des 
20. Jh. und die Ruckbesinnung der Neuen Musik auf al- 
te Stile und Techniken haben zu einer Wiederbelebung 
der Bicinientradition gefiihrt; neben Neudrucken alter 
Bicinien, u. a. durch Fr.Jode (Altdeutsches Liederbuch), 
stehen Neukompositionen u. a. von Bartok, Hinde- 
mith, Piston, Genzmer, W. Burkhard, Pepping, Reda, 
K.Marx, Fr. Dietrich, W.Hensel, A.Knab, J. Bender, 
H.Walcha, A.Thate, W.Rein. 

Ausg.: J. Walter, Kanons, hrsg. v. W. Ehmann, Kassel 
1930, Neudruck als HM LXIII, Kassel 31955; G. Rhaw, 
Bicinia, hrsg. v. H. Albrecht u. M. Geek, Rhaw GA, in Vor- 
bereitung ; ders., 30 Bicinia germanica, hrsg. v. H. Reichen- 
bach, =Der Musikant, Beih. X, Wolfenbuttel 1926; C. 
Othmayr, Geistliche Zwiegesange, 2 H., hrsg. v. W. Lipp- 
hardt, Kassel 1928-29; E. Rotenbucher, Schone u. liebli- 
che Zwiegesange, hrsg. v. D. Degen, = HM LXXIV, Kas- 
sel 1 95 1 ; J. Wannenmacher, Bicinia, hrsg. v. A. Miiller, in : 
Vom Turm IV, Dresden 1 929 ; Weltliche Zwiegesange (4 v. 
Wannenmacher, 3 aus Rotenbuchers Bergkreyen), hrsg. v. 
Fr. Piersig, Kassel 1 930 ; O. de Lassus, Bicinien, hrsg. v. G. 
Pinthus, = HM II, Kassel 1949; ders., 2 x Sechs Fantasien 
f. 2 Instr., hrsg. v. W. Pudelko, Kassel 1927, Neudruck als 
HM XVIII-XIX, Kassel 1949; G. O.tto, 9 Bicinien, hrsg. 
v. G. Heinrichs, in : 25 geistliche Tonsatze, Homberg 1929- 
33 ; M. Praetorius, Zwiegesange, hrsg. v. Fr. Jode, = Der 
Musikant, Beih. I, Wolfenbuttel 1924, erweitert 31927; 
ders., Zwiegesange, 2 H., hrsg. v. G. Schwarz, Kassel 1948 ; 
J. P. Sweelinck, Duette, hrsg. v. J. Ph. Hinnenthal, = HM 
LXXV, Kassel 1951; G. Gastoldi, 12 Spielstucke f. 2 
Instr., hrsg. v. E. (Gerson-)Kiwi, Kassel 1933 ; 20 Bicinien, 
hrsg. v. E. Doflein, Mainz 1932. 

Lit.: L. Nowak, Eine Bicinienhs. d. Wiener Nationalbibl., 
ZfMw XIV, 1931/32; H. Albrecht, Zur Rolle d. Kontra- 
faktur in Rhaus .Bicinia', Fs. M. Schneider, Lpz. (1955); 
A. L. Murphy, The Bicinia Variorum Instrumentorum of 
J. Chr. Pezel, Diss. Tallahassee Univ. 1959, maschr.; W. 
Boetticher, Eine f rz. Bicinien- Ausg. als f ruhmonodisches 
Dokument, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962; D. Kam- 
per, Das Lehr- u. Instrumentalduo um 1500 in Italien, Mf 
XVIII, 1965. MG 

BIEM (Bureau International d'Edition Musico-Meca- 
nique), eine seit 1929 bestehende gemeinsame Zentral- 
stelle der deutschen AMMRE, der franzbsischen EDIFO 
(->■ AMMRE) und der italienischen SIDE (Societa In- 
cassi Diritti Editoriali) sowie mehrerer auslandischer 
Verlagsunternehmen, mit dem Sitz in Paris. Die Grtin- 
dung des BIEM bezweckte vor allem, der internatio- 
nal organisierten Schallplattenindustrie gegeniiberzu- 
treten. Aus dem BIEM ist die -* GEMA 1960 vorsorg- 
lich ausgeschieden auf Grund kartellrechtlicher Be- 
denken des deutschen Bundeskartellamtes gegen die 
Statuten des BIEM und gegen den zwischen BIEM und 
IFPI (Internationale Federation der phonographischen 
Industrie) vereinbarten sogenannten Normal vertrag fiir 
die Schallplattenindustrie. Die dem BIEM angeschlos- 
senen nationalen Verwertungsgesellschaf ten fiir mecha- 
nische Rechte haben der GEMA ein unmittelbares Man- 
dat zur Wahrnehmung der mechanischen Rechte an 
ihren jeweiligen Repertoires fiir das Gebiet der Bundes- 
republik Deutschland und West-Berlins erteilt. Umge- 
kehrt werden die der GEMA ubertragenen mechani- 
schen Rechte auf Grund entsprechender Vereinbarun- 
gen im Ausland durch die nationalen Verwertungsge- 
sellschaften verwaltet. Die GEMA vergibt nunmehr in 
Deutschland die ihr zur treuhanderischen Wahrneh- 
mung von Komponisten, Textdichtern, Musikverle- 
gern und auslandischen Verwertungsgesellschaften 



110 



Blasquinte 



iibertragenen mechanischen Vervielf altigungsrechte an 
Tontragerhersteller (Schallplattenindustrie usw.) und 
kassiert von diesen Lizenzgebiihren, die im Normal- 
fall gegenwartig je Plattenseite 4% des Katalog-De- 
tailverkaufspreises betragen. Nach Abzug eines Un- 
kostensatzes (zur Zeit 15%) werden die Einnahmen 
an die Berechtigten nach MaBgabe des fiir jedes Werk 
bestehenden Verteilungsschliissels weiterverrechnet. 
Eine Besonderheit bietet die den Herstellern von me- 
chanischen Musikinstrumenten und der Schallplatten- 
industrie zu Beginn dieses Jahrhunderts eingeraumte 
Zwangslizenz (-»■ Lizenz), deren historische Grundla- 
gen iiberholt sind. 

Big band (big baend, engl., groBes Orchester), eine im 
Jazz iibliche Bezeichnung fur Ensembles, in denen 
einzelne Instrumente - anders als in den Small bands - 
nicht solistisch, sondern mehrfach bzw. chorisch be- 
setzt sind. In der Praxis wird die Anwendung dieser 
Bezeichnung weniger von der GroBe als von der Mu- 
sizierweise und dem auBeren Auftreten des Ensembles 
abhangig gemacht. Die instrumentale Zusammen- 
setzung der B. b. ist mit derjenigen der kleinen En- 
sembles identisch, nur kann jedes einzelne Instrument 
der Melodiegruppe (Trompete, Posaune, Klarinette, 
Saxophon) mehrfach (in der Regel zwei- bis f iinffach) 
besetzt sein, wahrend die Rhythmusgruppe (Piano, 
Gitarre, Schlagzeug, KontrabaB) unverandert bleibt. 
Der spezifische Charakter der B. b. kommt vor allem 
in der satztechnisch und klanglich durchorganisierten 
Spielweise zum Ausdruck (->■ Arrangement) : die ar- 
rangierten Passagen sind zahlreicher und differenzierter 
gestaltet, die einzelnen Instrumentengruppen - Brass 
section (Trompeten, Posaunen), Reed section (Klari- 
netten, Saxophone) und Rhythmusgruppe - werden 
einander in pragnanter Weise gegeniibergestellt, und 
auch unter den mitwirkenden Musikern wird eine Art 
satzfunktionelle Hierarchie aufgestellt: lead, fiihrende 
Stimme; leader, Leiter der B. b. (bandleader) oder ei- 
ner Instrumentengruppe; front line, begleitende t In- 
strumente; sidemen, Neben- oder »Fullstimmen«-Mu- 
siker. Dem Pradikat big tragt auBerlich unter anderem 
das auf Schauwirkung bedachte Auftreten des Ensem- 
bles Rechnung (einheitliche Kleidung, dekorative Pul- 
te, eine sorgfaltige, wenn auch an keine besonderen 
Regeln gebundene Aufstellung der einzelnen Gruppen, 
Verwendung eines Band theme oder Signature tune als 
Erkennungsmelodie). In der Geschichte des Jazz steht 
die B. b., weil sie dem individualistischen Charakter 
des Jazzmusizierens nicht ganz gerecht werden kann, 
abseits der wesentlichen Entwicklungslinie, obschon 
viele bahnbrechende Solisten aus groBeren Ensembles 
hervorgegangen sind. Die Bliitezeit und auch die zah- 
lenmaBige Konzentration der B. b.s fallt in die Swing- 
Ara, besonders in die Dekade um 1935-45. Vorher 
(nach 1920) und nachher (nach 1947) liegt der Schwer- 
punkt auf den kleineren Ensembles, was sowohl den 
geschichtlichen als auch den wirtschaftlichen Gesichts- 
punkten zuzuschreiben ist. - Bedeutende B. b.s leiteten 
u. a. Fletcher Henderson (1923-37), Duke Ellington 
(seit 1926), Don Redman und Benny Carter (1928), 
Earl Hines (1929), Cab Calloway, Andy Kirk (1930), 
Jimmy Lunceford (1930-47), Chick Webb (1931-39), 
Benny Goodman (1934), Count Basie, Woody Her- 
man (1937), Stan Kenton (1941), Boyd Raeburn (1944), 
Dizzy Gillespie (1946). 

Biniou (binj'u, frz., von lat. bini, zwei), eine kleine 
bretonische Sackpfeife mit doppeltem Rohrblatt und 
3 Bordunen in einem Sockel mit einfachen Blattern. 
Im Zusammenspiel begleitet der B. die Bombarde 
(Schalmei) in der oberen Oktave. In neuerer Zeit wer- 



den B.s auch in gleicher Oktavlage mit der Bombarde 
und nach dem Muster schottischer Sackpfeifen gebaut 
(grand b.). 

Lit.: Cl. Marcel-Dubois, Bombardes et b., Paris 1951. 
Birma ->■ Hinterindien. 

Birmingham. 

Lit. : J. Smith, The Story of Music in B., B. 1945. 

Birne (frz. baril; ital. barilotto; engl. pear) heiBt we- 
gen seiner Form das FaBchen unter dem Mundstiick- 
teil (Schnabel mit Blatt) der Klarinette. Zum Zwecke 
der Stimmung der Klarinette verfiigt der Blaser iiber 
mehrere B.n von geringfiigiger Langenverschieden- 
heit. Zum Feinstimmen konnen B. und Mundstuck 
auseinandergezogen und zusammengeschoben werden. 

bisbigliando (bizbiA'ando, ital., fltisternd), auch bis- 
bigliato, besonderer Effekt auf der Harfe, der in einem 
»sanft fliisternden« Tremolieren eines Akkords oder 
Einzeltons besteht. 

Bisdiapason, latinisierte Form fiir -*■ Disdiapason. 
Bitonalitat, haufigste Form der ->• Polytonalitat. 
Bitterfeld (Sachsen-Anhalt). 
Lit. : A. Werner, Musikpflege in Stadt u. Kreis B. seit d. 
Reformation, B. 1931 ; ders., B.er Neujahrssingen in alter 
Zeit,HeimischeScholle,B. 1935. 

Biwa (japanisch) ->■ P'i-p'a. 

Black-bottom (blaek-b'Dtam), amerikanischer Mode- 
tanz um 1926/27, der Gattung des ->• Ragtime angeho- 
rend. Der Name (»schwarzer Boden«) ist von der Be- 
zeichnung der Erde an den Ufern des Mississippi ge- 
nommen, da der Tanzschritt auf Eigentumlichkeiten 
der dortigen Negertanze zuriickgeht. Der Bl.-b. ist ein 
langsamer -»- Foxtrott im 4/4-Takt (J = 72) mit Syn- 

kopierung auf dem 3. Viertel: *J ( J>J J^ | J 
* 4 > ' • > • > 

Die Begleitung hat den Akzent auf dem 1. Viertel. Die 

Musik des ersten Bl.-b. stammt von dem Tanzkompo- 

nisten R. Hendersson. 

Lit.: A. Baresel, Das Jazz-Buch, Lpz. 1926; J. Slawe, 

Einf uhrung in d. Jazzmusik, Basel 1 948. 

Blaserquartett, Blaserquintett, Blasertrio -> 

Quartett, ->■ Quintett, -> Trio. 

Blanche (bla: J, frz., weiBe) -*■ Halbe Note. 

Blasinstrumente (frz. instruments a vent; engl. wind 
instruments), die Gruppe der ->■ Aerophone, bei denen 
der Ton durch Einblasen von Luft erzeugt wird, ent- 
weder durch den menschlichen Atem oder durch ein 
Geblase wie bei der Sackpfeife und der Qrgel. Syste- 
matisch werden die Bl. unterteilt in Floten-, Horn- 
und Zungeninstrumente, in der Praxis in Holz- und 
Blech-Bl. sowie Rohrblattinstrumente. 
Lit.: E. Euting, Zur Gesch. d. Bl. im 16. u. 17. Jh., Diss. 
Bin 1899; E. Buhle, Die'mus. Instr. in d. Miniaturen d. 
friihen MA I, Die Bl., Lpz. 1903; V.-Ch. Mahillon, Les. 
instr. a vent, Briissel 1907; Fr. Brucker, Die Bl. in d. alt- 
frz. Lit., = GieBener Beitr. zur Romanischen Philologie 
XIX, GieBen 1926: H. Bouasse u. M. Fouche, Instr. a 
vent, 2 Bde, Paris 1929-30; A. Carse, Mus. Wind Instr., 
London 1939; B. Hayne, Tonal Spectra of Wind Instr., 
Proc. R. Mus. Ass. LXXIV, 1947; G. Gorgerat, Encyclo- 
pedic de la musique pour instr. a vent, 3 Bde, Lausanne 
3 1955 ; I. Horseley, Wind Techniques in the 16 th and Early 
17"" Cent., Brass Quarterly IV, 1960/61. 

Blasorchester -> Harmoniemusik, -> Blech- 
musik. 

Blasquinte (engl. blown fifth), Bezeichnung fiir die 
beim Oberblasen einer gedackten Pfeife entstehende 
Quinte fiber der Oktave des Grundtones (Duodezime), 



111 



Blatt 



die nach v. Hornbostel mit 678 Cent fast i [s Ton klei- 
ner ist als die reine (durch Saitenteilung entstehende) 
und die temperierte Quinte (702 bzw. 700 Cent). MaB- 
quinten nannte Bukof zer die ebenf alls zu kleinen Quin- 
ten, die an Pfeifen beobachtet werden, wenn die Rohr- 
langen oder die Grifflochabstande das gemessene Ver- 
haltnis 3:2 aufweisen. Fur v. Hornbostel, von dem 
die Bezeichnung Bl. stammt, diente der - iibrigens nie 
realisierte - 23stufige Bl.n-Zirkel als Grundlage seiner 
Bl.n-Theorie, die das Entstehen einer Reihe von nicht- 
europaischen Tonsystemen (Pelog, Slendro) erklaren 
soil. Hypothetisch gewonnene Auswahlleitern schie- 
nen durch Messungen bestatigt, die v. Hornbostel und 
J.Kunst an Panpfeifen und Xylophonen vornahmen. 
Eine wesentliche Rolle fiir die Bl.n-Theorie spielt f er- 
ner der chinesische Normalton Huang chong (»gelbe 
Glocke«) = 366 Hz, den v. Hornbostel fiir eine Pfeife 
der Normlange 23 cm (=1 altchinesischer FuB) er- 
rechnete und an den untersuchten Instrumenten nach- 
wies. Wie Bukofzer jedoch feststellte, widersprechen 
v. Hornbostels Hypothesen und Berechnungen in ver- 
schiedenen Punkten den akustischen Gegebenheiten, 
Tatsachlich schwankt die GrbBe der Bl. je nach Rohr- 
lange und Art des Anblasens zwischen groBer und klei- 
ner als die reine Quinte (mit einer Streuung von 100 
Cent und mehr). Auch der Huang chong wurde mit 
366 Hz als zu hoch berechnet (Bukofzer gibt 358 Hz 
als gemessenen Wert an). Als weiteren Einwand fiihrt 
Husmann das Fehlen jeder Uberlieferung einer zumin- 
dest theoretisch bedeutungsvollen 23stufigen Skala an, 
akzeptiert aber das Prinzip, wenn er aus der etwas ver- 
Snderten Bl. einen Zirkel aus 7 Quinten = 4 Oktaven 
entwickelt, der sich mit der 7stufigen Temperatur als 
fundamentalem Prinzip in der auBereuropaischen Mu- 
sik deckt. 

Lit.: E. M. v. Hornbostel, Mus. Tonsysteme, in: Hdb. d. 
Physik VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. Scheel, Bin 1927 ; M. 
F. Bukofzer, Kann die Blasquintentheorie zur Erklarung 
exotischer Tonsysteme beitragen?, Anthropos XXXII, 
1937; J. Kunst, Around v. Hornbostel's Theory of the 
Cycle of Blown Fifths, = Mededeling van het Koninklijk 
Indisch Inst. LXXVI, Amsterdam 1948; J. Handschin, 
Der Toncharakter, Zurich (1948); H. Husmann, Grundla- 
gen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961. 

Blatt -*■ Zunge, -*■ Rohrblattinstrumente. 

Blechblasinstrumente (frz. cuivre), Sammelbezeich- 
nung fiir die Gruppe der Horninstrumente des mo- 
dernen Orchesters, die Trompeten, Waldhorner, Po- 
saunen und Tuben nebst ihren Verwandten umfaBt 
und der Gruppe der Holzblasinstrumente gegenuber- 
steht. 

Lit. : A. Machabey, Apercus hist, sur les instr. de cuivre, 
RM 1955, Nr 226; H. Bahnert, Th. Herzberg u. H. 
Schramm, Metallblasinstr., Lpz. 1958; M. Vogel, Die In- 
tonation d. Blechblaser, Neue Wege im Metallblas-Instru- 
mentenbau, = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. 
Musik I, Dusseldorf 1961. 

Blechmusik (frz. fanfare; ital. fanfara; span, charan- 
ga; engl. brass band), eine Musik, die im Unterschied 
zur ->■ Harmoniemusik nur von Blechblasinstrumen- 
ten ausgefuhrt wird, im iibertragenen Sinn auch das 
Ensemble selbst. Zur Bl. gehoren : in der Militarmusik 
die reine Signalmusik; das Trompeterkorps der Ka- 
vallerie mit Trompeten und Pauken, nach Einf iihrung 
der Ventilinstrumente ein Klangkorper aus scharfem 
und weichem Blech ; das Waldhornistenkorps der J3- 
ger, nach Wieprechts Tableau 1860 ein Trompeterkorps 
mit Waldhornern ohne Schlagzeug; ferner die daraus 
entwickelte Panzermusik. Das kleinste Bl.-Ensemble 
nach Wieprecht ist die »Signalhornmusik« der Infante- 
rie (->• Spielleute). - Ein Bl.-Ensemble sind auch die 



kirchlichen »Posaunenchore« (mit Trompeten, Posau- 
nen und Bugelhornern). 

Lit.: H. C. Hind, The Brass Band, London 1934; J. F. 
Russell u. J. H. Elliott, The Brass Band Movement, 
London 1936; J. Franco Ribate, Manual de instrumen- 
tation de banda, Madrid 1943. 

Blindennotenschrift. Nach mannigfachen friiheren 
Versuchen wurde die Bl. ebenso wie die Blindenbuch- 
stabenschrift 1839 von L. ->■ Braille in Paris erfunden. 
In deutscher Sprache erschien die erste stereographisch 
vervielfaltigte Darstellung der Bl. 1876. Reformen des 
Systems in einzelnen Landern machten (zuerst 1888 in 
Koln, zuletzt 1954 in Paris) Konferenzen notig, um die 
Systeme international zu vereinheitlichen. - Die mit 
erhabenen Zeichen geschriebene Bl. wird mit den Fin- 
gerspitzen tastend gelesen. Die Grundform dieser 
Schrif t besteht aus 6 rechteckig angeordneten Punkten. 

1 • • 4 



• 5 



3 • 



Die Zeichen werden durch Anzahl und Stellung der 
Punkte gebildet, so aus den Punkten 1, 2, 4 und 5 die 
Zeichen fiir die Stammtone als Achtel- oder Hun- 
dertachtundzwanzigstelnote. Durch Zuf iigen der Punk- 
te 3, 6 oder 3 und 6 werden die groBeren Noten wer- 
te dargestellt. Folgen Notenzeichen von gleichem 
Aussehen, aber verschiedener Bedeutung aufeinander 
(z. B. Halbe und eine ZweiunddreiBigstelnote), so 
werden sie durch das Taktglieder-Scheidungszeichen 
getrennt. Bei Akkordbrechungen wird eines der 5 
Brechungszeichen (fiir Brechung in Viertel-, Achtel- 
noten usw.) hinter die Notenzeichen gesetzt. Anstelle 
der Schlussel stehen Oktavzeichen. Die erste Note eines 
Tonstiickes oder Abschnittes erhalt stets ein Oktavzei- 
chen, die folgenden nur dann, wenn sie mit der voran- 
gehenden Note eine Sexte oder ein groBeres Intervall 
bilden. Bei der Darstellung von Akkorden werden der 
oberste bzw. unterste Ton als Noten, die anderen Tone 
nacheinander mit Intervallzeichen geschrieben. In un- 
gleichen Notenwerten fortschreitende Harmonien 
werden taktweise in Stimmeh aufgelost und in der 
Niederschrift durch das Stimmenzeichen auseinander- 
gehalten. Kommen zwischen Noten Vortragsbezeich- 
nungen durch Buchstaben oder Worte vor, so wird 
das Wortzeichen vorangesetzt. Die nachste Note wird 
in diesem Fall durch ein Oktavzeichen gekennzeichnet. 
Spezielle Zeichen gibt es fiir den SchluBstrich, das Wie- 
derholungszeichen, prima und seconda volta, Fermate, 
dal segno, da capo, fiir Phrasierungs- und Artikulations- 
vorschriften sowie fiir Verzierungen. 

Zeichen der 7 Stammtone 

Jc d e f g a h 
•• • • •• •• • • • 

• • ■ • «. •• •• • ■ •• 

J oderJ^ •: •. :• :: :. .• .: 

JN •• • ■ •• •• • ■ ■ • • • 
oder * .» . • «. •• •• m ■ •• 

n •• •• •• •• •• ■• -• 

o oder «' . . . • *. •• •• • ■ •• 



112 



Blockflote 



Pausenzeichen 



--- oder 3 ■ ■ --- oder J • • 

£ oder 3 • ■ V oier 3 ■ ■ 

Noten oder Pausen mit Verlangerungspunkt 

a- oder Jl •••■-• oder 3' ■ ■ ■ ■ 

Unregelmafiige Teilungen 



• • • 

• • ■ 



• • • 

• • • 



5 6 

Taktvorzeichnung 



2 • . . 

2 * * 
* • • • 



t.i 



4 ..... . 4 .. 



• • • ■ ■ 

• ■ ■ • • 



e :: :• .: 3 :: 

. . • • • • o . . 



Taktgliederscheidung 



Fingersatz- und 
Brechungszeichen 



1. 2. 3. 4. 5. 



Oktavzeichen 



4. 5. 6. 
Intervallzeichen 



2 3 4 5 6 7 

Versetzungszeichen 



Stimmen- 



Wort- Zahlzeichen 



Die einzelnen Takte werden durch einen freien 6- 
Punkt-Raum abgegrenzt. Eine partiturmafiige Schrei- 
bung wird nur selten angewandt. Die Tonstucke wer- 
den in Abschnitte (etwa 8 Takte) gegliedert, wobei 
z. B. im Klaviersatz die rechte und linke Hand getrcnnt 
werden, indem einem Abschnitt bzw. einem Takt der 
rechten Hand gleich jener der linken folgt. Der Blinde 
muB Takt flir Takt auswendig lernen. - Die Literatur 
in Bl. ist reichhaltig. Die Noten und Biicher werden in 
den Blindendruckereien in Wien, Paris, London, Ko- 
penhagen sowie in Hannover-Kirchenrode und Mar- 
burg an der Lahn gedruckt. Von groBem Wert sind die 
in groBeren Stadten von Blindenanstalten und -verei- 



nen errichteten Leihbibliotheken fur Blinde (Ham- 
burg, Leipzig, Marburg). 

Lit.: WolfN; Marburger Beitr. zum Blindenbildungswe- 
sen, hrsg. v. Ver. d. blinden Akademiker Deutschlands, 
Marburg 1930ff., ab Jg. VIII, 1937 hrsg. v. K. Strehl; A. 
Reuss, Entwicklung u. Probleme d. Bl., Diss. Heidelberg 
1933; ders., Die Weltbl. I: Die abendlandische Musik, 
Hannover 1960; Zs. Der blinde Musiker, Hannover Jg. 
XXXVIII, 1937 - (XLIX), 1958, liickenhaft; Zs. in Blin- 
dendruck: Die Gegenwart, Lpz. 1947ff. ; H. V. Spanner, 
Revidiertes Internationales Regelbuch nach d. Beschlussen 
d. Internationalen Braille-Musikkonferenz Paris 1954, 
deutsch hrsg. v. A. ReuB, Hannover 1957. 

Blockflote (Schnabelflote, Kernspaltflote, im 16.-18. 

Jh. schlechthin Flote; ital. flauto diritto, flauto dolce; 

frz. flute douce, flute a bee; engl. recorder), die wich- 

tigste Art der Langsfloten. Sie hat ihren Namen nach 

dem VerschluBkern, einem 

holzemen Block (Kern) im 

Kopf, neben dem nur eine 

enge Spalte (Kernspalte) 

freibleibt, durch die der 

Atem des Blasers ohne des- 

sen Zutun gegen die Kante 

eines Aufschnitts (Fenster) 

gefuhrt wird. Das Anbla- 

sen der Bl. ist daher ein- 

f acher als das der -> Quer- 

flote; der Ton kann aber 

nur unwesentlich beein- 



0" 




fluBt werden. Er ist verhalten, zart und still. Die bei 
weiter Mensur fast zylindrische, bei enger Mensur ko- 
nische Spielrohre (Birne, Ahorn oder Edelholzer) hat 
in der Regel 7 vorderstandige Grifflocher und ein Dau- 
menloch. - Die Bl. ist in Europa zuerst im 11. Jh. iko- 
nographisch in Frankreich belegt (Paris, Bibl. Nat., lat. 
1118, wo aber die Konstruktion des Instruments nicht 
erkennbar ist). Funde weisen Friihformen der Bl. 
(Knochenflote) in England und Nordeuropa seit der 
Steinzeit nach. Die volkstumlichen Formen der Bl. zei- 
gen in Machart und Spielweise zum Teil Sondereigen- 
schaften. Die wichtigste, aus der 2. Hilfte des 15. Jh. 
bekannte Neuerung ist das doppelte unterste Griffloch ; 
je nachdem welche Hand unten spielte, war eines mit 
Wachs zu verschliefien. Bei Praetorius (1619) ist die Bl. 
zum vollstandigen Stimmwerk ausgebaut mit Klein 
Flotlein in g 2 , Diskantflote in d 2 und c 2 , Altflote in gi, 
Tenorflote in c 1 , Bassettflote in f , BaBflote in B, GroB- 
baBflote in F. Die 3 tiefsten Lagen haben eine Klappe 
fiir das unterste Griffloch mit einem zweifliigeligen 
Hebel, der mit der linken oder rechten Hand bedient 
werden kann, sowie statt des Schnabels eine Windkap- 
sel, in die entweder direkt oder iiber eine S-formige 
Rohre geblasen wird. Im 17. Jh. trat anstelle des Dop- 
pellochs das Einzelloch, das seither bei den grofieren In- 
strumenten im drehbaren FuB sitzt. In England gab es im 
17. Jh. BaBfloten (bis 2,50 mLange), die mit Pedalen zu 
bedienende Klappen hatten. - Die Barockflote unter- 
scheidet sich vom fruheren Instrument nicht nur durch 
die auBere Form, die jetzt mehrfach ausgebuchtet und 
mit Ringen verziert ist, sondern auch durch die engere 
Mensur, meist mit breiterem Labium. Der Ton wird da- 
durch obertonreicher, der Umfang groBer (2 Oktavcn 
und mehr, gegenuber 13-14 Tonen bei Praetorius). In 
der 1. Halfte des 18. Jh. werden nur noch einige Lagen 
besetzt, vornehmlich die des Diskant und Alt. Spate 
Hohepunkte in der Literatur fiir Bl. sind die Werke 
von Vivaldi, Telemann, Handel und Bach. In Frank- 
reich hielt sich die Bl. bis in die Mitte des 18. Jh. Sie ist 
daher auch in den Ouvertiirensuiten der von Frank- 
reich her beeinfluBten deutschen Komponisten (Chr. 



113 



Blue note 



FSrster) zu finden. Die Notierung erfolgt im franzosi- 
schen Violinschliissel (gi auf der 1. Linie). Um 1750 
wurde die Bl. von der Querflote verdrangt. Erst um 
1910 gewann sie wieder an Bedeutung, besondersdurch 
die Arbeit von A.Dolmetsch in England und durch P. 
Harlan in Deutschland in Verbindung mit der Jugend- 
musikbewegung der 20er Jahre. Die Bl. wird gespielt 
in der Schul- und Kirchenmusik, in Volksmusikschu- 
len und Jugendgemeinschaften, beim hauslichen Musi- 
zieren sowie zur Wiedergabe des historischen Klang- 
bildes in den Collegia musica der Universitaten (in 
Freiburg im Breisgau 1921 durch W. Gurlitt mit einer 
Nachbildung des vollstandigen Stimmwerks aus dem 
Germanischen Museum in Niirnberg). Eine grofiere 
Zahl von Werkstatten widmet sich heute dem Bau von 
Bl.n. Neben barocken Modellen stehen Neubildungen 
nach auBerer Form (Tuju-Bl., aus dem Renaissancetyp 
entwickelt) und Mensur (mit sogenannter moderner 
oder deutscher Griff weise neben der barocken), aber 
auch billige Schulfloten aus Kunststoff (Sopran in C, 
Alt in F, Tenor in C, Bafi in F; alle Floten klingen eine 
Oktave hoher als notiert, mit Ausnahme der Sololitera- 
tur f iir Alt-Bl.) . Eine reiche Literatur von Neuausgaben 
alter Musik fur chorisches und solistisches Musizieren 
sowie von zeitgenossischer Spielmusik und Bl.n-Schu- 
len ist vorhanden. - Ein altes Orgelregister heiCt Bl. 
(Blockpfeife), eine weitmensurierte konische Labial- 
pfeife von hellem, fiillendem Klang, auch als Gedackt; 
meist zu 4', 2' oder 1'. 

Lit. : S. Virdung, Musica getutscht (1511), hrsg. v. R. Err- 
ner, = PGf M, Jg. X, Bd XI, Bin 1 882 ; dass., Faks. hrsg. v. 
L. Schrade, Kassel 193 1 ; S. Ganassi, Opera Intitulata Fon- 
tegara (1535), Faks. d. Boll. Bibl. Mus., Mailand 1934; dass. 
als: S. Ganassi, La Fontegara. Schule d. kunstvollen Floten- 
spiels u. Lehrbuch d. Diminuierens, hrsg. v. E. Dahnk- 
Baroffio u. H. Peter, Bin 1956; Praetorius Synt. II; 
M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. 
hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; J. Hotteterre, Pre- 
cipes de la flute traversiere ou fl ute d' Allemagne, de la fl ute 
a bee ou fl ute douce . . . , Paris 1 707, Faks. u. deutsche Obers. 
hrsg. v. H. J. Hellwig, Kassel (1942, 21958); J. Matthe- 
son, Das Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713 ; K. Schlenger, 
t)ber Verwendung u. Notation d. Holzblasinstr. in d. f riihen 
Kantaten J. S. Bachs, Bach-Jb. XXVIII, 1931 ; G. Scheck, 
Der Weg zu d. Holzblasinstr., in: Hohe Schule d. Musik, 
hrsg. v. J. Muller-Blattau, Potsdam 1934; D. Degen, Zur 
Gesch. d. Bl. in d. germanischen Landern, Kassel (1939); 
H. A. Moeck, Ursprung u. Tradition d. Kernspaltfl. d. eu- 
ropaischen Volkstums u. d. Herkunft d. mg. Kernspaltfl.- 
Typen, Diss. Gottingen 1951, maschr. ; A. Raistrick, 
Spaulu. E. Todd, The Malham Iron-Age Pipe, The Galpin 
Soc. Journal V, 1952 ; H. Peter, Die Bl. u. ihre Spielweise in 
Vergangenheit u. Gegenwart, Bin 1953; C. F. Dolmetsch, 
Recorder and German Flute During the 17 th and 18 th Cent., 
Proc. R. Mus. Ass. LXXXIII, 1956/57; L. Hoffer v. Win- 
terfeld u. H. Kunz, Hdb. d. Bl.-Lit., Bin u. Wiesbaden 
1959; H. Alker, Bl.-Bibliogr., 2 H., = Biblos-Schriften 
XXVII u. XXVIII, Wien 1 960-61 ; ders., Die Bl., = Wiener 
Abh. zur Mw. u. Instrumentenkunde I, Wien 1962; Chr. 
Welsh, Lectures on the Recorder in Relation to Literature, 
London 1961 ; E. Halfpenny, Technology of a Bass Re- 
corder, The Galpin Soc. Journal XV, 1962; H.-M. Linde, 
Hdb. d. Blockflotenspiels, Mainz (1962) ; E. H. Hunt, The 
Recorder and Its Music, London (1962), NY (1963). 

Blue note (blu: no:t, engl.) ->■ Blues, ->-Jazz. 

Blues (blu:z), die wahrscheinlich einzige, alteste und 
eigenstandige Form in der Musik der nordamerikani- 
schen Neger, die - zunachst in vokaler, dann auch in- 
strumentaler Ausfiihrung - zur Urform, spater auch 
zur wichtigsten Form des Jazz uberhaupt wurde. Der 
Bl. ist aus negerischen Volksgesangen entstanden, die 
teils auf afrikanische, teils auf europaische Wurzeln zu- 
riickgehen. Die Bezeichnung BL, ein aus blue devils 
(s. v. w. Trubsinn, Melancholie) zusammengezogenes 



Wort, ist erst seit dem Jahre 1912 nachweisbar, in dem 
W. Chr. Handy den Memphis Bl. veroffentlichte. 1914 
folgte sein St. Louis BL, der bekannteste aller Bl. In der 
Entwicklung des Bl. unterscheidet man eine »landliche« 
und eine »stadtische« bzw. »zeitgenossische« Phase, wo- 
bei sich beide Bezeichnungen auf (begleitete) Vokal- 
formen beziehen; der moderne instrumentale Bl. ge- 
hort der zweiten Phase an. Fur die Zuordnung eines 
Werkes der Jazzmusik zur Gattung Bl. ist sowohl der 
Text (Inhalt) und seine dichterische Form als auch die 
musikalische Gestalt entscheidend. Die Vorherrschaft 
des instrumentalen Bl. im Jazz der letzten 20 Jahre lark 
das rein Musikalische als ein zweckmaBiges Kriterium 
bei der Definierung des Begriffes Bl. erscheinen. Das 
einfachste Schema - gleichsam die Standardform - des 
Bl. weist 3 Gruppen zu je 4 Takten mit folgenden har- 
monischen Funktionen auf: Tonika (4 Takte) - Sub- 
dominante, Tonika (je 2 Takte) - Dominance, To- 
nika (je 2 Takte). Der Septakkord (kleine Septime) 
spielt, besonders an den Verbindungsstellen zwischen 
den einzelnen Taktgruppen, im Bl.-Schema eine ent- 
scheidende Rolle. Dies hangt mit der beim Bl. in me- 
lodischem wie harmonischem Sinne haufig vorkom- 
menden Erniedrigung der 3. und der 7. Stufe der ver- 
wendeten Tonleiter zusammen; die Tone, die haufig 
um weniger als um einen halben Ton erniedrigt wer- 
den, d. h. die kleine Terz und die kleine Septime, wer- 
den Blue notes genannt und als fur den wehmutig- 
melancholischen, den »blue«-Charakter der Bl.-Melo- 
dien maGgebend betrachtet. Ihrem Charakter und ih- 
rem vokalen Wesen entsprechend wurden die Bl. ur- 
spriinglich im langsamen Tempo vorgetragen; der 
moderne Bl. wie seine Abart, der -> Boogie-Woogie, 
halt sich an keine bestimmten Tempogepflogenheiten. 
Textlich hat der Bl. meist lyrischen Charakter und glie- 
dert sich in eine Art »Anrufung« und »Antwort« (call 
and response). - Zu den bedeutendsten Bl.-Sangern 
gehoren Gertrude Ma Rainey, Bessie Smith, Bertha 
Chippie Hill, Billie Holiday und Jimmy Rushing; be- 
kannte Bl.-Sanger, die sich selbst auf der Gitarre be- 
gleiten und in der Tradition des »landlichen Bl.« stehen, 
sind : Blind Lemon Jefferson, Big Bill Broonzy, Lead- 
belly. 

Lit.: R. Blesh, Shining Trumpets, NY 1946; W. Chr. 
Handy, Bl. : An Anth., NY 1926 ; ders., Father of the Bl., 
NY 1941; ders., The Birth of the Bl., NY 1941; A. M. 
Dauer, Der Jazz, Kassel (1958); C. Bohlander, Jazz - 
Gesch. u. Rhythmus, = Jazz studio I, Mainz (1960); M. 
Mezzrow u. B. Wolfe, Really the Bl., London 1961 ; S. B. 
Charters, The Country Bl., NY 1959, deutsch v. J. u. R. 
H. Foerster als: die story v. bl., Munchen (1962); C. Gr. 
Herzog v. Mecklenburg u. W. Scheck, Die Theorie d. 
Bl. im modernen Jazz, = Slg mw. Abh. XLV, StraBburg u. 
Baden-Baden 1963. 

Blues-piano -»■ Barrel-house style. 

Bluette (blii'et, frz., Feuerfiinkchen), witzspriihendes 
(meist satirisches) kurzes Theaterstiick, auch musikali- 
scher Art, in einer auf eine einzige Situation zugespitz- 
ten dramatischen Form, aus demselben Umkreis wie 
der ->• Sketch. 

BAU, Broadcast Music Inc. (USA), Verwertungsge- 
sellschaft musikalischer Rechte wie die ->■ ASCAP. 

Bobisation -> Bocedisation. 

Bocca chiusa (b'okka ki'u:za, ital.) ->■ Bouche 
f ermee. 

Bocca ridente (ital., lachender Mund), bezeichnet 
ein Singen bei lachelnder Mundstellung. 

Bocedisation, in den Lexika von Walther und Koch 
synonym mit Bobisation, bezeichnet die auf Waelrant, 



114 



Bogen 



vielleicht auch D.Mostard zuriickgehende Skala der 
7 Tonsilben bo ce di ga lo ma ni, die in Deutschland um 
und nach 1600 (Calvisius, Lippius, Baryphonus) unter 
dem Namen Voces belgicae als Ersatz f iir die Solmi- 
sation gelehrt wurden. Sie vereinigt stimmbildnerisch 
vorteilhafte Silben mit einer eindeutigen Markierung 
der Halbtonstufen durch den Vokal i, allerdings ohne 
die chromatischen Tone zu bezeichnen. 

Bock -*■ Sackpfeife. 

Bockstriller, auch Schafs- oder GeiBtriller sowie 
meckernder Triller (ital. caprino; £rz. tremblement 
chevrote, chevrottement) ist der Name fur einen feh- 
lerhaften, namlich ungleichmaBigen und zitternden 
Triller, der infolge falscher Gesangstechnik im Munde 
statt im Kehlkopf entsteht. Die meisten Theoretiker 
des 18. Jh. erwahnen und verurteilen den B. (Tosi, 
Mattheson, Monteclair, Quantz, Marpurg, L.Mozart, 
Agricola u. a.). Er ist zu unterscheiden von dem in 
Italien seit etwa 1600 als wichtige Verzierung des mo- 
nodischen Stils gelehrten ->■ Trillo. - In der neueren 
Violintechnik (C.Flesch) bezeichnet man mit B. einen 
ohne Aufheben des Fingers aus dem Arm erzeugten 
Triller, ȣiir dicke Finger in sehr hohen Lagen, insbe- 
sondere auf halben T6nen« als Notbehelf empfohlen. 

Bohmen -*■ Tschechoslowakei. 

Bohmische Bruder (Briidergemeine, Briiderunitat; 
tschechisch Jednota Bratrska), eine in Bohmen aus der 
hussitischen Bewegung hervorgegangene, 1467 ge- 
griindete Sekte, der sich als deutscher Zweig hussiti- 
sche Waldenser, die 1478 aus der Mark Brandenburg 
nach Landskron und Fulnek geflohen waren, und die 
Deutschen Bruder von Leitomichl anschlossen. Das um 
die Mitte des 16. Jh. bliihende Schrifttum der B.n Br. 
gewann groBe Bedeutung £iir die gesamte bohmische 
Literatur. Nach der Schlacht am WeiBen Berg (1621) 
erlosch das eigenstandige Leben der B.n Br. Die von 
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-60) 1722 
gegriindete Kolonie Herrnhut in Sachsen und die von 
ihr ausgehende Bewegung der Briidergemeine in 
Deutschland, dem europaischen Ausland und vor allem 
in Amerika geht auf die B.n Br. zuriick. - Fur die 
Hymnologie sind die Gesangbiicher der B.n Br. wich- 
tig geworden, deren erstes (tschechisches) 1501 ohne 
Melodien erschien mit 68 Liedern der Utraquisten und 
21 der B.n Br. Die nachsten Gesangbiicher erschienen 
1505 und 1519 mit Melodien, jedoch sind beide ver- 
schollen. Die ersterhaltene tschechische Ausgabe mit 
Melodien, die Jan -> Blahoslav 1541 unter Vorlage der 
Gesangbiicher von 1505 und 1519 besorgte, iiberliefert 
308 Weisen, von denen 260 trotz wechselnder Texte in 
den folgenden Auflagen bis zur letzten von 1618 un- 
verandert blieben. Der Gesang war offenbar nur ein- 
stimmig im Wechsel zwischen Vorsanger und Chor 
oder zwischen 2 Choren. Figural- und Instrumental- 
musik fehlten ganz. - Das friiheste deutsche Gesang- 
buch der B.n Br. gab 1531 in Jungbunzlau Michael 
WeiBe (Weysse) mit 157 notierten Liedern wohl nach 
dem Briidergesangbuch von 1519 heraus. Die Melo- 
dien im Weioeschen Gesangbuch sind ihrem Ursprung 
nach als Gesange der Utraquisten wie der B.n Br. weit- 
gehend Kontrafakta lateinischer Cantionen und litur- 
gischer Gesange und nur selten von den B.n Br.n neu 
geschaffen. WeiBes besondere Leistung liegt in der 
Ubersetzung und Neugestaltung der Texte und in den 
eigenen Dichtungen. Um ihren reichen Schatz an Ge- 
meindeliedern wurden die B.n Br. sogar von den 
Lutheranern beneidet. Zahlreiche Lieder WeiBes fan- 
den Aufnahme in die neueren Gesangbiicher der evan- 
gelischen Kirche, darunter Christus der uns selig macht, 



Gelobt sei Gott im hochsten Thron, Nun lajit uns den Leib 
begraben. WeiBes Gesangbuch von 1531 wurde 1544 
von J.Horn (= Jan Roh) in Nurnberg und 1566 von 
Michael Tham, Johannes Geletzky und Petrus Herber- 
tus in Eibenschitz erweitert und neu aufgelegt. Durch 
die Forschung im 19. Jh. (Wackernagel, Koch, Zahn) 
wurden die Lieder der B.n Br. fur den allgemeinen 
evangelischen Kirchengesang besonders als Gemeinde- 
lieder mit melodisch kirchentonaler Pragung neu wirk- 
sam. - Das erste Gesangbuch der Herrnhuter Briider- 
gemeine von 1704 schloB sich eng an das Freylinghau- 
sensche Gesangbuch an und enthalt von insgesamt 835 
Liedern nur 35 Lieder der B.n Br. Zinzendorf war mit 
35 Liedern beteiligt, wahrend im offlziellen Gesang- 
buch der Briidergemeine von 1735 von insgesamt etwa 
1000 Liedern 225 von Zinzendorf stammen. Fur die 
Praxis der Singstunden erschien gesondert das Kleine 
Briidergesangbuch (1739, 1761, 1767) mit Liedstrophen 
und Liedbruchstucken, wie es dem improvisatorischen 
Brauch wahrend der Singstunden entsprach. 1778 gab 
der Kantor Christian Gregor (1723-1810) ein groBes 
Gesangbuch heraus. Es wurde erst 1927 durch das Ge- 
sangbuch der evangelischen Briidergemeine ersetzt, das sich 
dem allgemeinen evangelischen Kirchengesang nahert, 
wie umgekehrt zahlreiche Lieder der Briidergemeine 
in die evangelischen Gesangbiicher Eingang fanden, 
z. B. Herr und Altester deiner Kreuzgemeine. Gregor be- 
sorgte 1784 auch ein Choralbuch der Briidergemeine, 
die eine besonders von K. H. Graun beeinfluBte Mehr- 
stimmigkeit pflegte. Bemerkenswert wegen ihrer Bach- 
Auffiihrungen (amerikanische Erstauffiihrungen der 
groBen Vokalwerke Bachs) ist die Briidergemeine in 
Bethlehem in Pennsylvanien (USA). 
Ausg.: Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied III, 
Lpz. 1869 (alle gereimten Texte d. B. Br.): J. Zahn, Die 
Melodien d. deutschen ev. Kirchenlieder, 6 Bde, Giitersloh 
1888-93, Miinchen 21946; Das tschechische Kantionale v. 
1541, in: Monumenta Bohemia Typographica III, Prag 
1927; W. Thomas u. K. Ameln, Singen wir heut mit glei- 
chem Mund, 20 1st. Chore f. d. Gemeindegottesdienst, 
Kassel 1929; M. Weisse, En new Gesengbuchlen (1531), 
hrsg. v. W. Thomas, Kassel 1931, u. v. K. Ameln, Kassel 
1957 ; Choralbuch d. ev. Briidergemeine, Bin 1960. 
Lit.: C. v. Winterfeld, Der ev. Kirchengesang I, Lpz. 
1843, S. 265-301 ; E. E. Koch, Gesch. d. Kirchenliedes I u. 
II, Stuttgart 3 1 866-67 ; R. Wolkan, Das deutsche Kirchen- 
lied d. B. Br. im 1 6. Jh., Prag 1 89 1 ; J. Th. Muller, Hymno- 
logisches Hdb. zum Gesangbuch d. Briidergemeine, Herrn- 
hut 1916; ders., Gesch. d. B. Br., Herrnhut, 3 Bde, 1922- 
31 ; E. Lehmann, M. Weisse, Landskron 1922; W.Thomas, 
Deutscher Brudergesang in Bohmen vor 400 Jahren, MuK 
II, 1930; H. Schmidt, Die B. Br., Bin 1938 ; B. Sailer, Bach 
in Bethlehem, MuK XX, 1950; W. Blankenburg, Zur 
Frage nach d. Herkunft d. Weisen d. Gesangbuches d. B. 
Br. v. 1531, MuK XXI, 1951 ; Br. Stablein, Die ma. litur- 
gischen Weisen im Gesangbuch d. B. Br. v. 1531, Mf V, 
1952; C. Schoenbaum, Die Weisen d. Gesangbuches d. B. 
Br. v. 1531, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie III, 1957; ders., 
Zur Problematik d. Mg. Bohmens u. Mahrens, Mf X, 1957 ; 
J. Slizinski, l)ber d. literarische Tatigkeit d. B. Br. in Po- 
len, Wiss. Zs. d. E. M. Arndt-Univ., Ges.- u. sprachwiss. 
Reihe IX, 1959/60; J. Kouba, Poznamky k ceske hymno- 
logii (»Bemerkungen 'zur tschechischen Hymnologie«), 
Miscellanea Musicologica XII, Prag 1960. UM 

Bogen, - 1) in der Notenschrift ein graphisches Zei- 
chen mit verschiedenen Bedeutungen. Der legato-B. 
trat in italienischen Orgeltabulaturen des f riihen 16. Jh. 
in Musik fur Streicher und Blaser auf und ist dort zu- 
gleich Anweisung fur Bogen- bzw. Atemfiihrung. 
Scheidt iibertrug ihn 1624 als imitatio violistica auf die 
Klavierinstrumente. Der Halte-B. steht iiber Noten 
gleicher Tonhohe und bedeutet Aushalten bis zum Ge- 
samtwert der Noten. Bei direkter Folge von legato- 
und Halte-B. wurde bis ins 19. Jh. (zum Teil auch wie- 



115 



Bogen 



der in der modemen Editionstechnik) der girlanden- 
formige B. geschrieben: 



statt 



<^m 



Nach C.Ph.E.Bach (1753) wird die 1. Note unter ei- 
nem B. betont: (fo J ' ;5 ^_T -■' 

Obwohl erst seit Riemann die -> Phrasierung durch B. 
konsequent angezeigt wurde, kommen Phrasierungs- 
bogen schon vorher vor (Beethoven). Um Verwechs- 
lungen vorzubeugen, werden jedoch Phrasierungen 
nicht mehr durch Bogen (wie bei Riemann), sondern 
durch eckige Klammern angezeigt. Diese Klammern 
ersetzen in modernen Ausgaben audi den Gruppen-B. : 



g> » * * 






Sie bezeichnen auch eine aufgeloste -» Ligatur. Bei De- 
bussy sind die ins Leere gehenden Bogen Pedalzeichen. 
Zusammen mit Punkten stehen Bogen bei -> staccato 
und -> Bebung. - 2) Der Streichbogen ist zuerst fiir das 
10. Jh. im arabisch-islamischen Raum (al-Farabi ; Abbil- 
dungen in mozarabischen Handschriften) und im by- 
zantinischen Reich nachgewiesen. Im Abendland wur- 
de er bei den einheimischen Saiteninstrumenten ver- 
wendet, nachdem zuvor um dasjahr 1000 lange Schlag- 
oder Reibestabe (->■ Plektron) mehr und mehr iiblich 
waren. Das hohe Mittelalter kannte zahlreiche B.- 
Formen, vom flachen bis zum halbkreisformigen, von 
etwa 20 cm - 120 cm Lange. RoBhaarbespannung und 
deren Bestreichen mit Harz (Kolophonium) ist seit 
dem 13. Jh. bezeugt; der Bezug war im Mittelalter 
wesentlich diinner als in der Neuzeit (im 19. Jh. 100- 
120, im 20. Jh. 150-250 Haare). Bis ins 17. Jh. wurde 
die Spannung mit den Fingern durch Druck auf den 
Bezug am unteren Bogenende geregelt. Die Cremail- 
lere, eine Vorrichtung aus Ose und Zahnreihe zur Ein- 
stellung der Spannung, wurde im friihen 18. Jh. durch 
den modernen Frosch mit Stellschraube ersetzt. Damit 
und mit der Verwendung von Pemambukholz in kon- 
kaver Kriimmung und Starke der Stange schuf Fr. 
-*■ Tourte den modernen B. - Der im 20. Jh. konstru- 
ierte »Bach-B.« fiir das Spiel von J.S.Bachs Sonaten 
und Partiten solo (BWV 1001-1006; -> Telmanyi) ist 
ohne historisches Vorbild. - 3) B. als Musikinstrument 
-> Musikbogen. 

Lit. : zu 1) : Bach Versuch ; H. Schenker, Weg mit d. Phra- 
sierungsb., in: Das Meisterwerk in d. Musik I, Munchen 
1925; H. Unverricht, Die Eigenschriften u. d. Original- 
ausg. v. Werken Beethovens in ihrer Bedeutung f. d. mo- 
derne Textkritik, = Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960; M. 
Schuler, Punctum, suspirium u. Bindeb., Mf XV, 1962. 
- zu 2) : G. A. Wettengel, Lehrbuch d. Geigen- u. Bogen- 
macherkunst, Weimar 1869; P. O. Apian-Bennewitz, Die 
Geige, d. Geigenbau u. d. Bogenverfertigung, Weimar 
1892, Lpz. 21920; H. Saint-George, The Bow, Its Hist., 
Manufacture and Use, London 1 896 ; C. Sachs, Die Streich- 
bogenfrage, AfMw I, 1918/19; F. Wunderuch, Der Gei- 
genb., seine Gesch., Herstellung u. Behandlung, Lpz. 1936, 
Wiesbaden 21952; H.-H. Drager, Die Entwicklung d. 
Streichb., Kassel 1937; W. Bachmann, Die Anfange d. 
Streichinstrumentehspiels, = Mw. Einzeldarstellungen III, 
Lpz. 1 964 ; J. Roda, Bows f or Mus. Instr. of the V. Family, 
Chicago 1 959. - A. Schering, Verschwundene Traditionen 
d. Bachzeitalters, Bach-Jb. I, 1904; R. Schroeder, Bachs 
Soloviolinsonaten original, DMK I, 1936/37; ders., Uber 
d. Problem d. mehrst. Spiels in J. S. Bachs Soloviolinsona- 
ten, in : Bach-Probleme, Lpz. 1 950 ; A. Schweitzer, Der f . 
Bachs Werke f. V. solo erforderliche Geigenb., Bach-Ge- 
denkschrift, Zurich (1950); E. Telmanyi, Problemer om- 
kring Bachbuen, DMT XXIX, 1954; D. D. Boyden, The 
V. and Its Technique, Kgr.-Ber. Koln 1958. 



Bogenfliigel (Streichklavier), ein Klavier, bei dem die 
Saiten durch Scheibenrader wie bei der -> Drehleier 
angestrichen werden. Das bekannteste war das Niirn- 
bergische Geigenwerk (Geigenclavicymbel) des Hans 
-> Heyden (1575, verbessert bis 1599). Praetorius bil- 
det es 1619 ab und gibt einen Auszug aus der 2. Ausga- 
be (1610) von Heydens dazugehorendem Traktat. 
Demnach war es ein Fliigel mit 4 Oktaven Umfang, 
5-6 mit Pergament iiberzogenen und mit Kolopho- 
nium bestrichenen, durch einen Pedaltritt oder von ei- 
nem Kalkanten mit einem Handzug bedienten Radern. 
Die Saiten wurden beim Niederdriicken der Tasten 
durch Hakchen auf die Rader herabgezogen. Das Gei- 
genwerk sollte alien Tasteninstrumenten iiberlegen 
sein, da es affektuoses Spiel erlaube und in der Lage sei, 
die Moderation der Stimmen auch ins Clavir zu bringen. - 
Obwohl zahlreiche Erfinder Konstruktionen von B.n 
versuchten, setzte sich keines dauernd durch. Die friihe- 
sten Entwiirfe stammen von Leonardo da Vinci und V. 
Galilei, der letzte war das Stfeichharmonium von Bed- 
dies in Gotha (1909). Das komplizierteste Instrument 
dieser Art war die Xanorphika von C.L.Rollig 1797, 
die fiir jede Taste einen besonderen Bogen in Bewe- 
gung setzte. Ein zwischen B. und Glasharmonika 
stehendes Instrument war Fr. ->■ Kaufmanns Harmoni- 
chord (1808), fur das CM. v. Weber 1811 ein Adagio 
und Rondo mit Orch. komponierte. C.Ph.E.Bach 
schrieb 1783 eine Sonate fiir den B. (Neudruck in: A. 
Farrenc, Le Tresor des pianistes VIII). 
Lit.: Praetorius Synt. II; WaltherL, Artikel Clavier- 
Gamba ; Fr. W. Marpurg, Anleitung zum Clavierspielen, 
Bin 1755, 2 1 765 ; J. S. Petri, Anleitung zur practischen Mu- 
sik, Lauban 1767, Lpz. 21782; SachsL, Artikel Streichkl.; 
G. Kinsky, H. Haiden, d. Erfinder d. Niirnbergischen Gei- 
genwerks, ZfMw VI, 1923/24; W. Kahl, Das Niirnberger 
hist. Konzertv. 1643 . .., AfMw XIV, 1957. 

Bogenfiihrung (frz. coup d'archet; engl. bowing), 
die Fiihrung des Bogens auf den Streichinstrumenten 
mit dem rechten Arm und der rechten Hand. Ur- 
spriinglich war bei der Vielzahl der Saiten auf alten 
Instrumental die B. der kompliziertere Bewegungs- 
vorgang gegeniiber den ruhigeren Bewegungen von 
Finger und Hand. Die Bogenhaltung bzw. der Bogen- 
griff, die Art und Weise, wie der Bogen angefaBt, ge- 
halten und fiber die Saiten gestrichen wurde, war ahn- 
lich wie Form und Mechanik des Bogens einer Ent- 
wicklung unterworfen. Mit der Bevorzugung des 
konkaven Bogens (Tourte) und seiner Mechanik der 
Spannung hat sich fiir das Violin-, Viola- und Violon- 
cellospiel der Obergriff in der Hohe des Frosches end- 
gfiltig durchgesetzt: Zeige-, Mittel- und Ringfinger 
liegen fiber der Bogenstange, der kleine Finger steht 
auf ihr, wahrend der Daumen unmittelbar dort, wo 
das obere Teil des Froschvorsprungs an der Stange an- 
setzt, gegeniiber dem Mittelfinger gehalten wird. Gam- 
be- und KontrabaBbogen werden noch heute im Un- 
tergriff gespielt : das untere Ende der Bogenstange liegt 
in der Falte zwischen Daumen und Zeigefinger, die Zei- 
gefingerspitze liegt von unten auf der Stange, die Mit- 
telfingerspitze unmittelbar am Froschausschnitt, das 
Endglied des Ringfingers und der nicht aktiv beteiligte 
kleine Finger berfihren die Unterseite des Frosches. Die 
franzosische BaBbogenhaltung bevorzugt heute den 
Obergriff. Bei der Streichbewegung (-»■ Abstrich, Auf- 
strich) sind Beuge- und Streck-, Roll- und Abbiegungs- 
bewegungen beteiligt. Das Verhaltnis von Bogen- 
druck und Strichgeschwindigkeit und die Strich- bzw. 
Kontaktstelle (Berfihrungspunkt des Bogens mit der 
Saite) bestimmen Tonqualitaten, Dynamik, Artiku- 
lation und Phrasierung. Die Beziehungen dieser Vor- 
gange untereinander, durch feinstes Nerven- und 



116 



Bolognesische Schule 



Muskelspiel des rechten Armes geordnet, werden vom 
Ohr als Initiator und Korrektor der Klangvorstellung 
iiberwacht. Die gebrauchlichsten Stricharten sind: 
-> detache, -»■ martellato, -> legato, -> portato, -»• stac- 
cato, -> spiccato (Springbogen), -* flautato, -> sul pon- 
ticello (au chevalet), ->■ col legno. 
Lit. : C. H. P. Stoevino, The Art of V. Bowing, London 
1902, deutsch als: Die Meisterschaft iiber d. Bogen, Lpz. 
1923; F. A. Steinhausen, Die Physiologie d. B. auf d. 
Streichinstr., Lpz. 1903, 21907, 51928, dazu A. Moser in: 
ZIMG XII, 1910/1 1 ; A. Jahn, Die Grundlagen d. natiirli- 
chen B. auf d. V., Lpz. 1913; L. Capet, La technique 
superieure de I'archet, Paris 1916; F.Trendelenburg, Die 
natiirlichen Grundlagen d. Streichinstrumentenspiels, Bin 
1925 ; A. de Chessin, Le guide du violoniste, Avignon 1 952 ; 
F. Kuchler, Lehrbuch d. B., Lpz. 1929, NA Lpz. (1954); 
B. A. G. Seagrave, The French Style of V. Bowing and 
Phrasing from Lully to Jacques Aubert (1650-1750) . . ., 
Diss. Stanford (Calif.) 1958, maschr. GK 

Bolero, spanischer Tanz, um 1780 angeblich von S. 
Zerezo als Abart des -»- Fandango gestaltet, in maBig 
bewegtem 3/4-Takt (im Wechsel mit 2/4) : 

? rmrmrfn 



oder 



J-nJsinflJ JT2 



gespielt von Gitarre und Tamburin. Der Tanzende be- 
gleitet seine Schritte mit Gesang und Kastagnetten. 
Charakteristisch ist das plotzliche Anhalten der Bewe- 
gung, verbunden mit einer Pose, bei der ein Arm iiber 
dem Kopf emporgestreckt wird (bien parado). Als 
Volkstanz ist der B. heute fast verschwunden. Im all- 
gemeinen besteht er aus 5 Teilen (Paseo, Traversias, 
Diferencias, Traversias, Finale). Friihe rhythmische 
Formen sind: 

» j j j i j- m i 



I , JT7TJ i J- m i 

eine spatere ist dem klassischen Rhythmusschema der 
Polonaise ahnlich : 

inula 

Bekannt ist ein 2st. B. von J.T.Murguia (1758-1836) 
und ein 3st. B. von F. Sor (B. a solo und B. a due). Der 
B. kommt in der Kunstmusik vor u. a. bei Beethoven 
(Lieder verschiedener Volker, WoO 158, 1:19 und 20) 
und in Opern von Mehul, C.M.v.Weber, Auber, 
haufig in der Klaviermusik (auch Salonmusik), so bei 
Chopin (op. 19), Moszkowski, Sibelius. Das beriihm- 
teste Beispiel in neuerer Zeit ist der urspriinglich als 
Ballett komponierte B. von M. -*■ Ravel fur Orch. 
(1928). - Von dem spanischen B. ist der kubanische B. 
als eine Abart der -> Rumba zu unterscheiden. Er ver- 
lauft in langsamerem Tempo und steht im 2/4- oder 
2/2-Takt mit dem Rhythmus : 

<< > > 

Er ist ein negroider Tanz, der auch B. cubano genannt 
wird und als solcher nach 1945 in Europa bekannt 
wurde. 

Lit. : Don Preciso (J. A. de Zamacola), Vorrede zur Co- 
leccion de las mejores Seguidillas, Tiranas y Polos . . . , Ma- 
drid 1 799, 2 1 8 1 6 ; F. Sor, Le bolero, in : Encyclopedic pitto- 
resque de la musique, Paris 1835; Estebanez Calder6n, 
Escenas andaluzas, Madrid 1 847 ; W. Hess, Beethovens »B. 
a solo«, Mk XXX, 1 937/38 ; G. Kinsky, Das Werk Beetho- 
vens, hrsg. v. H. Halm, Munchen u. Duisburg (1955). 



Bolivien. 

Lit.: A. BenjamIn, Notas para la hist, de la musica en Bo- 
livia, La Paz 1 925 ; T. Vargas, Aires nacionales de Bolivia, 
4 Bde, Cochabamba u. Santiago de Chile 1940ff. ; J. DiAZ 
Gainza, Hist. mus. de Bolivia. Epoca precolonial, Potosi 
1962. 

Bologna (Emilia). 

Lit. : G. Martini, Serie cronologica de'principi dell' Accad. 
dei Filarmonici di B., B. 1776; Fr. Tognetti, Discorso su 
i progressi della musica in B., B. 1818, mit Anh. 1819; G. 
Gaspari, zahlreiche Studien iiber Musik u. Musiker in B., 
in : Atti e memorie della Deputazione di Storia Patria per le 
provincie della Romagna, B. 1 867-80 ; L. Bignami, Crono- 
logia di tutti gli spettacoli rappresentati nel Gran Teatro 
Comunale di B., B. 1882; C. Ricci, I teatri di B. nei s. 
XVII" e XVIII", B. 1888; ders., Liutisti e liutai a B., RMI 

XXIII, 1916; ders., Per la storia della musica in B., RMI 

XXIV, 1917 ; P. Wagner, Die konzertierende Messe in B., 
Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; Fr. Vatielli, Arte e vita 
mus. a B., 2 Bde, B. 1922 u. 1927; ders., L'oratorio a B. 
negli ultimi decenni del Seicento, Note d'Arch. XV, 1938; 
J. Berger, Notes on some 17 th Cent. Compositions for 
Trumpets and Strings in B., MQ XXXVII, 1951 ; O. Mi- 
schiati, Per la storia dell'oratorio a B., CHM III, 1963. 

Bolognesische Schule, eine Gruppe wahrend der 2. 
Halfte des 17. Jh. in Bologna wirkender Komponisten, 
deren Instrumentalkompositionen zur Durchgestal- 
tung von Trio- und Solosonate und zur Entstehung 
der Konzertform wesentlich beigetragen haben. Die 
musikalischen Zentren bildeten die Kapelle von San 
Petronio (Kapellmeister: 1657-71 Cazzati, 1674-95 
Colonna, 1696-1756 Perti) und die 1666 gegrundete 
Accademia Filarmonica (Mitglieder u. a. die beiden 
Bononcini), die im 17. und 18. Jh. eine der wichtigsten 
Pflegestatten des Palestrinastils war. Sicher hat die mit 
der B.n Sch. gleichzeitige Pflege des volkssprachlichen 
Oratoriums in Bologna die Aufnahme des solistischen 
Konzertstils • in die Instrumentalmusik gefordert und 
die Komposition konzertierender Kurzmessen ohne 
C. f . f iir 3 Stimmen (ohne Tenor) und Streicher ange- 
regt (Albergati, degli Antonii, Arresti, Cazzati, Co- 
lonna). Zur B.n Sch. zahlen u. a. die Komponisten von 
Violinsolo- und Triosonaten M. Cazzati, G.B.Bassa- 
ni, D.Gabrielli (diese sowie Albergati, Arresti, Gas- 
parini u. a. sind auch wichtig fur die Entwicklung der 
Kantate), P. degli Antonii, T.A.Vitali und G.Aldro- 
vandini. A.Corelli, der Mitbegriinder des Concerto 
grosso, wurde von 1670 bis etwa 1675 an der Acca- 
demia Filarmonica ausgebildet. In den Drucken seiner 
ersten Werke (Rom 1681-89) wird er »il bolognese« 
genannt. Am bedeutendsten neben dem Sonatenkom- 
ponisten G.B. Vitali ist G.Torelli (1658-1709) als Mit- 
begriinder des Violinkonzertes, das offenbar in der B.n 
Sch. aus der Sonate fur Solotrompete und Streicherbe- 
gleitung entwickelt wurde, einer Sonderform der vier- 
stimmigen oder mehrchorigen Orchestersonate oder 
-sinfonie. Im Solokonzert und im Concerto grosso 
machte Torelli die Dreisatzigkeit (schnell-langsam- 
schnell) zur Regel. 

Lit.: G. Gaspari, La musica in San Petronio, Bologna 
1 868-70 ; A. Schering, Gesch. d. Instrumentalkonzerts bis 
auf d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen I, 
Lpz. 1905, 2 1927 ; P. Wagner, Die konzertierende Messe in 
Bologna, Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; L. Frati, Per la 
storia della musica in Bologna ncl s. XVII, RMI XXXII, 
1925 ; Fr. Vatielli, La scuola mus. bolognese, in : Strenna 
storica bolognese, B. 1 928 ; K. G. Fellerer, Der Palestrina- 
stil u. seine Bedeutung in d. vokalen Kirchenmusik d. 18. 
Jh., Augsburg 1929; N. Morini, La R. Accad. filarmonica 
di Bologna: monografia storica, Bologna 1930; H. G. 
Mishkin, The Solo V. Sonata of the Bologna School, MQ 
XXIX, 1 943 ; W. Newman, The Sonata in the Baroque Era, 
Chapel Hill 1959; A. Hutchings, The Baroque Concerto, 
London 1961. 



117 



Bombarde 



Bombarde (frz.; ital. bombardo), Bomhart, Be- 
zeichnung fiir verschieden mensurierte Zungenstim- 
men der Orgel mit trichterformigem Becher. Im fran- 
zosischen Orgelbau werden unter B. die trompeten- 
artigen Zungenstimmen (mittelweit) in 16'- und 32'- 
Lage verstanden; in Deutschland wird der Name 
gleichbedeutend mit den haufiger gebrauchten Re- 
gisterbezeichnungen Fagott (eng) und Horn bzw. Tu- 
ba (weit; hier falschlich fiir Bombardon) verwendet. 

Bombardon ->- Tuba (- 2). 

Bombo (ital; lat. bombus) -> Schwarmer. 

Bomhart, Bombart (frz. bombarde; ital. bombardo; 
span, bombarda; nhd. umgebildet zu Pommer), Name 
einer Familie von Doppelrohrblattinstrumenten mit 
konischer Bohrung, 6-7 vorderstandigenGriff- 
O lochern und 1-4 Klappen, die von einer Schutz- 
kapsel (Fontanelle) umgeben werden. Die B.e 
entstanden wahrscheinlich zu Anfang des 15. 
Jh., zuerst in Alt- und Tenorlage. 1391 werden 
in Aragonien tocadores de chalemia, bombarda y 
corneinusa genannt; 1484 nennt Tinctoris eine 
tibia tenor quam vulgo bombardam vocant. Zu Be- 
ginn des 17. Jh. ist die Familie bis zum GroB- 
baB ausgebaut; der Diskant, obwohl von glei- 
cher Mensur, hat den Namen -> Schalmei be- 
halten. Praetorius gibt 1619 aufier Diskant und 
Klein Discant Schallmey 5 Sorten von Pom- 
mern: Klein Alt Pommer g-d 2 ; Nicolo (GroB 
Alt Pommer) c-g 1 ; Tenor Pommer G-g 1 ; BaB 
Pommer C-h; GroB BaB Pommer iF-e. Die 
GroBbaBpommer, mit einer Lange von etwa 
3 m, gehoren zu den groBten Blasinstrumen- 
ten und waren schon zu ihrer Zeit Seltenheiten ; sie 
wurden schnell verdrangt durch handlichere Instru- 
mente mit geknickter Rohre wie die Fagotte. GroB- 
baCpommern sind erhalten in Berlin, Liibeck und Salz- 
burg; ein vollstandiger Satz von Pommern in Berlin. 
Die BaBinstrumente wurden mit einem S-formigen 
Anblasrohr gespielt, die anderen mit einer Pirouette. 
Die B.e gehoren zur lauten Musik (haute musique) und 
mit Posaunen und Zinken zum alta-Ensemble. - Im 
14. Jh. erscheint Pumhart als Name einer einfachen 
BaBstimme zu einer Liedmelodie, z. B. beim Nacht- 
horn und Taghorn des Monchs von Salzburg (Mond- 
see-Wiener Liederhandschrif t) ; der gleiche Name be- 
zeichnet auch dieBaBsaiten der Lauten undGrofigeigen. 
Lit. : Praetorius Synt. II ; W. Frei, Schalmei u. Pommer, 
Mf XIV, 1961. 

Bonang, hinterindisch-indonesisches Gongspiel (ba- 
linesisch trompong), das besonders im javanischen 
->■ Gamelan gespielt wird. Ein B. besteht aus 2 Reihen 
Bronzeklangkesseln (im -»■ Pelog 2x7, im -»■ Slen- 
dro 2x5), die in einem Holzrahmen an quergespann- 
ten Schniiren hangen; altere Formen sind einreihig. 
Jeder Klangkessel ist ein tiefrandiger Gong, dessen 
Offnung nach unten zeigt. Je nach Stimmung (und 
entsprechender GroBe) unterscheidet man (tief-mittel - 
hoch) B. panembung, B. barung und B. panerus. Die 
Kessel werden an ihrem Schlagbuckel mit einem lan- 
gen, stoffumwickelten Schlagel angeschlagen. 
Lit.: SachsL; C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indo- 
nesiens, Bin 1915, 2 1923; ders., Geist u. Werden d. Mu- 
sikinstr., Bin 1929; H. Simbriger, Gong u. Gongspiele, 
= Internationales Arch. f. Ethnographie XXXVI, Leiden 
1 939 ; J. Kunst, Music in Java, 2 Bde, Den Haag 1 949. 

Bongo, eine Paartrommel afrokubanischer Herkunft, 
die aus zwei verschieden (bis »Quint«-Abstand) ge- 
stimmten Trommeln zusammengesetzt ist und mit den 
lateinamerikanischen Tanzen (Mambo, Cha-cha-cha) 



Verbreitung gefunden hat. Die Trommeln des B. (et- 
wa 15 bzw. 20 cm hoch, ebenfalls 15/20 cm) hangen 
nebeneinander, sie besitzen jeweils nur ein Schlagfell 
und sind unten offen. Das B. wird sowohl mit den 
Fingern (Fingerkuppen, -nagel) als auch mit den Hand- 
ballen geschlagen. Sein Klang ist hell, trocken und hart. 
Fell- und Randschlage ergeben mehrere Klangfarben, 
die durch die verschiedenen Schlagtechniken variiert 
werden konnen. 

Bonn. 

Lit.: A. Sandberger, Die Inventare d. B.er Hofkapelle, 
= Aufsatze zur Mg. II, Munchen 1924; H. E. Pfeiffer, 
Theater in B. v. seinen Anfangen bis zum Ende d. frz. Zeit, 
1600-1814, Diss. Koln 1932, = Die Schaubuhne VII, Ems- 
detten i. W. 1933 ; J. Schmidt-Gorg, Musikgeschichtliches 
aus d. altesten Kapitelakten d. B.er Munsters, in : B. u. scin 
Munster, B. 1947; Th. A. Henseler, Das mus. B. im 19. 
Jh., = B.er Geschichtsblatter XIII, B. 1959. 

Boogie-Woogie (b'ugi-w'ugi, engl.), eine unter den 
Negern der USA im Zusammenhang mit Blues und 
Jazz entstandene Klavierspielweise, die in Chikago um 
1920 den ersten Hohepunkt erlebte, aber erst seit 1930 
international bekannt und dann auch von den Big 
bands der Swing-Ara als Spielweise iibernommen 
wurde. Der B.-W. (auch Breakdown) ist die bekann- 
teste Auspragung des -*■ Barrel-house style. Es liegt 
stets ein harmonisches Bluesschema zugrunde, wobei 
die linke Hand des Pianisten in einpragsamer - meist 
punktierter - rhythmischer Ausgestaltung die Grund- 
funktionen angibt, und dieses rhythmisierte BaBschema 
dauernd wiederholt wird (walking bass). Die rechte 
Hand fiihrt das Bluesschema stets in neuen Varianten 
aus, wobei Triller, gebrochene Akkorde, Tonskalen 
und Tremoli hervorstechend sind. Die wesentlichen 
Blue notes,^deren Intonation auf dem Piano an sich 
nicht moglich ist, werden durch gleichzeitiges An- 
schlagen der groBen und kleinen Terz wie der groBen 
und kleinen Septimen hervorgebracht, sehr haufig 
wird das -> Riff angewandt. Neben wuchtigen Stiicken 
(Meade Lux Lewis) finden sich auch sehr zarte B.-W.s 
(Jimmy Yancey). Urspriinglich ist der B.-W. eine So- 
lospielweise des Pianos, spater wurden aber auch, be- 
sonders in Club-Konzerten, 2-3 Pianos verwendet 
(Pete Johnson, M.L.Lewis und Gene Ammons). Von 
den Big bands, die den B.-W. iibernahmen, ist vor 
allem die von Count Basie zu nennen. 

Bop ->• Be-bop. 

B or dun (lat. bordunus; frz. bourdon; ital. bordone; 
engl. burdoun, burden; mhd. purdune). Ein friiher 
italienischer Beleg fiir B. als musikalischer Ausdruck 
findet sich bei Dante (Purgatorio XXVIII, 18) : Vogel 
singen, die Blatter rauschen den B. zu ihren Liedern 
(. . . che tenevan bordone a le sue rime). Ahnlich heiBt es 
um 1390 bei Giovanni da Prato (7/ Paradiso degli Al- 
berti, Bologna 1867, Band III, S. 20) : »Zwei Madchen 
singen eine Ballata, wahrend Biagio di Sernello die 
tiefere Stimme halt« (. . . tenendo low bordono). In Eng- 
land begcgnct das franzosische Lehnwort burdoun seit 
dem 14. Jh. mehrfach in der Bedeutung »Tiefstimme«, 
»tiefstimmige Begleitung«, zuerst in einer Chronik des 
Robert Mannyng von 1338: wyth treble, mene, and 
burdoun, spater bei Chaucer u. a. H.Besseler nimmt an, 
dafi der von ihm beschriebene »bassierende« Contra- 
tenor im Kantilenensatz der Ciconia-Dufay-Zeit bour- 
don genannt wurde (->■ Fauxbourdon). Im Traktat des 
Hieronymus de Moravia (um 1270) sind mit bordunus 
die auBerhalb des Griffbretts freilaufenden Saiten der 
Fiedel (viella) bezeichnet. Ahnlich werden spater die 
tiefen Saiten der Drehleier und die tiefen Pfeifen der 
Sackpfeife B. genannt, die (auch mit Quinte und Ok- 



118 



Bourree 



tave) in unveranderlicher Tonhohe standig mitklingen. 
Daneben werden auch tiefe Glocken B. genannt. Der 
tiefste Chor der 5chorigen Laute des 15. Jh., im 16. Jh. 
der zweittiefste der 6chorigen Laute, hieB B. (ital. bor- 
done, auch bordoni). In der Orgel sind B.e Gedackt- 
register zu 32', 16' oder 8', nach Praetorius 1619 sonder- 
lich wenn sie enger Mensur sind. - Im Organum wurde 
die unbeweglich auf einem Ton liegende Haltestimme 
bordunus organorum genannt (so bei Anonymus IV, 
CS I, 359a), auch punctus organicus (daher -> Orgel- 
punkt). Die Praxis des Bordunierens ist alt und heute 
noch in der Volksmusik Europas und auBereuropai- 
scher Lander verbreitet. - Somit deutet B. allgemein 
auf die Tieflage eines Instruments oder der Stimme 
einer Komposition, oft in Zusammenhang mit langen, 
unverandert ausgehaltenen Tonen. - Neuenglisch bur- 
den bedeutet auch Refrain. 

Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica 
(Kapitel XXVIII), hrsg. v. S. M. Cserba, = Freiburger 
Studien zur Mw. II, 2, Regensburg 1935; Praetorius Synt. 
II; WaltherL, Artikel Bourdon; M. Schneider, Gesch. 
d. Mehrstimmigkeit I, Bin 1934, Rom 21964; H. Besseler, 
Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; H. M. Flasdieck, 
Elisab. Faburden »Fauxbourdon« u. NE. Burden »Re- 
frain«, Anglia LXXIV, 1956. 

Bosnien. 

Ausg. : Vl. Milosevic, Bosanske narodne pjesme (»Bosni- 
sche Volkslieder«) I: (Texte hrsg. v. Lj. Trivid), II: (Texte 
hrsg. v. Lj. Trivic, Transkription v. Br. Golubovic), Banja 
Luka 1954-56. 

Lit. : M. Murko, Ber. fiber phonographische Aufnahmen 
epischer Volkslieder im mittleren B. u. d. Herzegowina, 
Wien 1915 ; Br. Marijic, Die Volksmusik B. u. d. Herzego- 
vina, Diss. Wien 1936, maschr. ; Cvj. Rihtman, Les formes 
polyphoniques dans la musique populaire de Bosnie et 
d'Herzegovine, Journal of the International Folk Music 
Council IV, 1952; D. Christensen, Heterogene Musikstile 
in d. Dorf Gabela (Herzegovina), Kgr.-Ber. Koln 1958. 

Boston (Mass., USA). 

Lit.: Anon., The Harvard Mus. Ass., 1837-1912, B. 1912; 
M. A. de Wolfe Howe, The B. Symphony Orch., 1881- 
1931, B. 1931 ; H. McCusker, 50 Years of Music in B., in: 
Music Books XII, B. 1937; Chr. M. AYARS.Contributions 
to the Art of Music in America by the Music Industries of 
B. 1640-1936, NY 1937 ; H. Leichtentritt, Koussevitzky, 
the B. Symphony Orch. and the New American Music, 
Cambridge (Mass.) 1946. 

Boston (b'gstan, engl.), - 1) eigentlich Valse Boston, 
der amerikanische langsame Walzer, der nach 1870 
aufkam und besonders um 1920 in Europa beliebt war. 
Das normale Tempo ist J = 132, die Melodik lyrisch 
mit stark sentimentalem Einschlag. Der B. steht mit- 
unter in Moll ; dies hebt ihn, mit teilweiser Ausnahme 
des Tangos, von denubrigenTanzen der Zeit ab. Rhyth- 
misch unterscheidet sich der B. vom Wiener Walzer 
durch die Begleitung. Nur die Eins im Takt erhalt ei- 
nen Akzent, wahrend die beiden nachschlagenden 
Viertel unbetont bleiben. Im Klaviersatz wird das 3. 
Viertel in der Begleitung haufig gar nicht angeschla- 
gen oder iiberhaupt nur die Eins mit J . taktweise ange- 
geben, wobei dann die Mittelstimmen den laufenden 
Rhythmus iibernehmen. Der gleichmaBige 3/4-Rhyth- 
mus wird oft durch Gegenstimmen mit ostinaten Fi- 
guren im 2/4- oder 4/4-Rhythmus abwechslungsrei- 
chcr gcstaltet: 



pjn^T} 



1922 von Hindemith, die Jazzberries von L. Gruenberg 
(1925), von E.SchulhofT die Partita (1925) und dessen 
Esquisses dejazz (1927). - 2) Mit to play a b. bezeich- 
net der Jazzmusiker ein regelmaBiges Angeben der 
Zahlzeiten und somit die Bestimmung des Vortrags- 
tempos der Stiicke im geraden Takt (4/4, Allabreve), 
was vor allem mit Hilfe des Klaviers geschieht. 

bouche' (buj'e, frz.), gestopft (bei Horn, Trompete 
usw.), gedackt (bei Orgelpfeifen). 

Bouche fermee (buj ferm'e, frz. ; ital. bocca chiusa), 
eine Gesangsmanier: wortloses Singen bei geschlosse- 
nem Munde; -> Brummstimmen. 

Bounce (bauns, engl., Sprung; bouncing, lebhaft, 
munter, hiipfend), Jazzbezeichnung aus der Swing- 
Ara, die sowohl das Tempo als auch den musikalischen 
Charakter betrifTt. Das Tempo ist maBig schnell. Der 
hiipfend schwingende Charakter ergibt sich aus der 
- gegeniiber dem friiheren Jazz und dem iiblichen 
->• Swing - betonten Unterscheidung von schweren 
und leichten Taktteilen des 4/4-Takts. Bekannt wurde 
der B. durch die Big bands von Jimmy Lunceford 
(Arrangeur Sy Oliver), Count Basie und Benny Good- 
man. 

Bourdon (burd'5, frz.) ->- Bordun. 

Bourree (bur'e, frz.; ital. buora, borea; engl. borry, 
borre), altfranzosischer, dem -»• Rigaudon ahnlicher 
Tanz, ein Reigen im 4/4-(4/8-)Takt mit J-Auftakt 
und haufiger Synkopierung des 2. und 3. Viertels. 
Rousseau (1768) bestatigt die Herkunft der B. aus der 
Auvergne, wo sie seit etwa 1550 als pantomimischer 
Tanz bekannt gewesen sein muB ; einmal als Doppel- 
fronttanz, dann als offener Paartanz im 3/8-Takt mit 
Auftakt, zur Sackpfeife oder Drehleier. Als Volkstanz 
auch auBerhalb der Auvergne begegnet man der B. 
in Frankreich in nach Landschaften unterschiedenen 
Arten teils im 2-, teils im 3teiligen Takt. - Am fran- 
zosischen Hofe wurde die B. 1565 vorgestellt. Bereits 
1587 scheint man sie gelegentlich in Paris getanzt zu 
haben. Aber erst seit etwa 1650 wurde der Volkstanz 
zum Gesellschaftstanz. Friih uberlieferte, gesungene 
B.s (1615 gedruckt) folgen in den Ballets de cour 
unmittelbar auf die Airs. Zur eigentlichen Bliite ge- 
langte die B. in stilisierter Gestalt jedoch erst im spaten 
17. Jh. Die erste genauere Beschreibung gibt der Pa- 
riser Tanzlehrer R.A.Feuillet (1699). Die Schrittord- 
nung des Hoftanzes B.. (Pas de B.) bestand demnach 
aus einem Beugeschritt mit folgendem Steifschritt auf 
den FuBspitzen und Sprung auf dem Standbein oder: 
Beugeschritt + 2 Steifschritte. Um 1650 findet sich die 
B. als 2. Satz einer Instrumentalsuite. Durch Lully um 
1670 in Oper und Ballett gelangt, erscheint die 
B. zunehmend auch »— 1 . 1 

in Suite und Franzosi- Q , IT , I «J J " *- 

scherOuvertiire.Durch 
Lully, Rameau, Purcell, 
Handel fand sie euro- 
paische Verbreitung. 



## ^ 




Im Gegensatz zu anderen Tanzen dieser Zeit spielte 
man den B. vorzugsweise in Streicherbesetzung. Bei- 
spiele fur die Ubertragung des B. in die Kunstmusik 
bieten das I. Streichquartett (SchluBsatz) und die Suite 



B. aus J. C.F.Fischers Pieces de Clavessin op. 2 

(1696, Nachdruck 1698 als Musicalisches Blu- 

men-Biischlein). 

Bekannte Beispiele linden sich bei J. S. Bach (Orchester- 

und Klaviersuiten, 1. und 3. Violin-Solopartita), Han- 



119 



Boutade 



del (»Wassermusik«, Concerto grosso Nr 26), Muffat 
(Klaviersuite Nr 2), Pachelbel, Charpentier, Destou- 
ches, Campra, D. Scarlatti u. a. Osterreichische Tanz- 
komponisten geben die B. unter ihrem italienisierten 
Namen buora an mit dem Rhythmus : 

-T3 1 J- -hJ- -hi J J-J J J i J J J J iJj ii 

Oder J] I J J J J I J J J I 

> 

Ihre Bedeutung schwand nach 1750. - Seit dem Ende 
des 19. Jh. griffen franzosische Musiker die B. wieder 
auf (Saint-Saens, Chabrier, Roussel, Canteloube, Fl. 
Schmitt, Lazzari, Pugno). 

Lit.: R. A. Feuillet, Choregraphie, Paris 1700; J. Can- 
teloube, La danse d'Auvergne, in: Auvergne litteraire et 
artistique, H. 4, 1936 ; P. Nettl, The Story of Dance Music, 
NY (1947); P. R. Fournier, Deux noms de danses au- 
vergnates, in : Le Francais moderne XVI, Nr 3, 1948. 

Boutade (but'ad, frz., Grille, Laune), Improvisation, 
Caprice, eine Bezeichnung fiir improvisierte Tanze 
oder kleine Ballette, auch fiir Instrumentalphantasien. 
Lit.: J. MATTHESON,DasBeschutzteOrch.,Hbgl717. 

Brandenburg. 

Lit. : C. Sachs, Musik u. Oper am kurbr.ischen Hof, Bin 
1910; ders., Mg. d. Provinz Br., in: Landeskunde d. Pro- 
vinz Br. IV, 1 9 1 6 ; K. Paulke, Musikpflege in Luckau, Nie- 
derlausitzer Mitt. 1918; ders., Die Kantorei-Ges. zu Fin- 
sterwalde, Fs. D. Fr. Scheurleer, Den Haag 1925; ders., 
Stadtpfeifer, Kantoren u. Organ'isten in Prenzlau, ZfMw 
II, 1919/20; L. Haupt u. J. E. Schmaler, Volkslieder d. 
Sorben in d. Ober- u. Nieder-Lausitz, 1841, Neudruck Bin 
1953. 

Branle, Bransle (bra:l, frz., von branler, sich von 
einer Seite auf die andere wiegen; ital. brando), im 15./ 
16. Jh. ein Seitenschritt mit Balancement, wie er in den 
Tanztabulaturen u. a. fiir die Basse danse (hier am 
SchluB jedes Abschnitts) festgelegt ist. Der Br. genann- 
te stilisierte Tanz des 16./17. Jh., der ab etwa 1530 be- 
legt ist, stent moglicherweise in Zusammenhang mit 
diesem Schritt der Basse danse. 




T.Susato, Het derde musyck boexken, 

Antwerpen 1551. 

Arbeau nennt 1588 26 Arten des Br.; die wichtigsten 

sind der Br. double (commun) mit einem Doppel- 

schritt nach rechts und links nach der Reverenz: 





und der Br. simple mit einfachem Schritt nach rechts 
und einer entsprechend durch Reduktion aus dem Br. 
double abgeleiteten Melodie: 

120 



Nach diesen feierlichen Schreittanzen im geraden Takt 
konnten die weniger stilisierten, schnelleren Tanze f ol- 
gen, so der Br. gay und der sehr lebhafte Br. de Bour- 
gogne. Diese 4 Typen bilden die Grundlage der alten 
franzosischen Tanzsuite. Am SchluB stand nach Ar- 
beau der Br. de Bourgogne (auch Br. de Champagne). 
Der bekannteste der meist nach ihrem Herkommen 
aus franzosischen Provinzen oder aus dem Ausland be- 
nannten Br.s war der Br. de Poitou. Arbeau zahlt auch 
die Gavotte zu den Br.s. Mersenne nennt 1636 eine 
Sechserfolge von Br.s : Br. simple, Br. gay, Br. a mener 
ou de Poictou, Br. double de Poictou, Br. de Monti- 
rande und Gavote, wobei die Tanze von Satz zu Satz 
an Lebhaftigkeit zunehmen. Nachdem im 17. Jh. die 
stilisierten Br.s double und simple auBer Ubung ge- 
kommen waren, blieb die Bezeichnung Br. fiir die 
volkstiimlichen Tanze, wie sie bei Maskeraden oder 
Wirtschaften (-s- Festmusik) gep'flegt wurden, oft als 
Reigen. Bei den Hofballen Ludwigs XIV. und XV. 
gab es nur noch 2 Arten des Br. : Br. a mener und Ga- 
votte, denen eine Courante oder auch, wie bei Rameau, 
ein Menuett folgten. - Br.s gaben heraus Attaingnant 
1530 (u. a. von Gervaise und d'Estree), M.Praetorius 
1612 (Terpsichore: 55 Br.s, darunter solche von Fr. 
Caroubel und anderen Spielleuten der Pariser Bruder- 
schaft St. Julien sowie aus der 1. Generation der 24 
Violons du Roi) und W.Brade 1617. 
Ausg.: Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA 
v. L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; M. 
Praetorius, Terpsichore, 1612, GA XV, Wolfenbiittel u. 
Bin 1 929 ; F. de Lauze, Apologie de la danse, o. O. 1 623 ; 
Vingt suites d'orch. du XVII e s. frc., 1640-70, 2 Bde, hrsg. 
v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906; R. v. Liliencron, 
Die hist. Volkslieder d. Deutschen IV, Bin 1869 (darin 
5 Br.). 

Lit.: anon., L'art et instruction de bien danser, Paris um 
1495, Faks. d. Royal College of Physicians, hrsg. v. V. 
Scholderer, London 1936; Praetorius Synt. Ill; J. -J. 
Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 1767(7), Paris 
1768 u. 6. ; J. Ecorcheville, Un livre inconnu sur la danse 
(F. de Lauze, 1623), in: Gesammelte Studien, Fs. H. Rie- 
mann, Lpz. 1909; E. Closson, La structure rythmique des 
Basses danses . . ., SIMG XIV, 1912/13; Fr. Lesure, Die 
»Terpsichore« v. M. Praetorius u. d. frz. Instrumentenmu- 
sik unter Heinrich IV., Mf V, 1952 ; ders., La communaute 
d'instr. au XVI e s., Rev. hist, de droit fr?. et etranger, 1953 ; 
M. Dolmetsch, Dances of England and France from 1450 
to 1600 ... , London (1949), 21959; P. Nettl, The Story of 
Dance Music, NY (1947); ders., Die Tanze J. d'Estrees, 
Mf VIII, 1955. 

Brasilien. 

Lit. : M.deAndrade, Ensaio sobre a musica brasileira, Sao 
Paulo 1928, 2 1963 ; ders., Popular Music and Song in Bra- 
zil, Rio de Janeiro 1943 ; E. Houston-Peret, Chants popu- 
lates du Bresil, = Bibl. mus. du Musee de la Parole et du 
MuseeGuimetI/1, Paris 1930; J. C. de Andrade Muricy, 
Musique bresilienne, Rio de Janeiro 1 937 : ders., Caminho 
de musica, 2 Serien in 2 Bden, Curitiba 1 946 ; L. H. Correa 
de Azevedo, Escala, ritmo e melodia no musica dos indios 
brasileiros, Rio de Janeiro 1938 ; ders., A musica brasileira 
e seus fundamentos (Brief Hist, of Music in Brazil), = Pan 
American Union, Music Series XVI, Washington 1948 
ders., 150 afios de musica no Brasil 1800-1950, = Colecao 
documentos brasileiros LXXXVII, Rio de Janeiro 1956 
ders., Cl. Person de Matosu. M. de Moura Reis, Bibliogr, 
mus. brasileira (1820-1950), = Inst. Nacional do livro 
Colecao BI, Bibliogr. IX, ebenda 1952; G. de Betten 
court, Temas de musica brasileira, ebenda 1941, 2 1946 



Brevier 



R. Almeida, Hist, da musica brasileira, Rio de Janeiro 
2 1 942 ; ders. , Le folklore et l'enseignement de la musique au 
Bresil, Journal of the International Folk Music Council V, 
1953; M. J. Herskovits, Drums and Drummers in Afro- 
Brazilian Cult Life, MQ XXX, 1944 ; A. T. Luper, The Mu- 
sic of Brazil, Washington 2 1944; Fr. C. Lange, Ensayo 
sobre la hist, de la miisica culta en el Brasil, Montevideo 
1948; Fr. Acquarone, Hist, da miisica brasileira, Rio de 
Janeiro 1948; V. Mariz, Diccionario bio-bibliogr. mus. 
(brasileiro e internacional), ebenda 1948; ders., Miisica 
brasilena contemporanea, Rosario 1 952 ; E. Mehlich, Bra- 
silianische Folklore, Melos XVII, 1950; M. Schneider, 
Contribution a la miisica indigena del Matto Grosso (Bra- 
sil), AM VII, 1952; O. Alvarenga, Musica popolare bra- 
siliana, Mailand 1954; M. A. C. Giffonik, Dancas folclo- 
ricas brasileiras, Sao Paulo 1955; D. P. Appleby, A Study 
of Selected Compositions by Contemporary Brazilian 
Composers, Diss. Bloomington (Ind.) 1956, maschr.; E. 
Nogueira Franca, Musica do Brasil, Rio de Janeiro 1957; 
F. Barreto, Danzas indigenas del Brasil, Mexico 1960; H. 
R. F. Braga, Musica sacra evangelica no Brasil, Rio de 
Janeiro 1 96 1 ; A. P. Merriam, Songs of the Gege and Jesha 
Cults of Bahia, Brazil, Jb. f . mus. Volks- u. Volkerkunde I, 
1963. - Kat. d. Bibl. Nacional, Secao de Musica; Lit. mus. 
(s. XVI-XVII-XVIII), Rio de Janeiro 1954; Edicoes raras 
de obras mus., ebenda 1955; Musica no Rio de Janeiro 
Imperial (1822-70), ebenda 1962. 

Brass band (bia : s bsend, engl.) ->Marchingband, 
-> Blechmusik. 

Brass section (bia:s s'ekfan, engl.) -> Big band. 

Bratsche, verkiirzt aus dem alteren Bratschgeige oder 
Bratschvioline, einer Lehniibersetzung des italieni- 
schen Viola da braccio (Armgeige) im Gegensatz zur 
Viola da gamba (-> Gambe, Kniegeige). Die Kurz- 
form findet sich schon bei Speer 1687 (Viol Braccio 
oder Braz). In der neueren Zeit ist Br. eine Bezeich- 
nung fiir die Altvioline (-> Viola - 2). 

Braunschweig. 

Lit. : Fr. Chrysander, Gesch. d. Br.isch-Wolfenbiittel- 
schen Capelle u. Oper v. 16.-18. Jh., Jb. f. mus. Wiss. I, 
Lpz. 1863; W. Gurlitt, 2 archivalische Beitr. zur Gesch. 
d. Orgelbaues aus d. Jahren 1626 u. 1631, Br.isches Maga- 
zin 1913; H. Schroder, Verz. d. Slg alter Musikinstr. im 
Stadt. Museum Br., Br. 1928 ; G. Fr. Schmidt, Neue Beitr. 
zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters am Herzoglichen Hofe 
zu Br.-Wolfenbuttel I, Munchen 1929; H. Sievers, Die lat. 
liturgischen Osterspiele d. Stiftskirche St. Blasien zu Br., 
= Veroff. d. Niedersachsischen Musikges. II, Wolfenbiit- 
tel u. Bin 1936; ders., Die Br.er Tabulaturen, Kgr.-Ber. 
Luneburg 1950; ders., Die Musik in Wolfenbiittel-Br., in: 
Die Musik in Hannover, 1961 ; ders., mit A. Trapp u. A. 
Schum, 250 Jahre Br.isches Staatstheater 1690-1940, Br. 
1941 ; H. Chr. Wolff, Die Br.er Konzerteim 18. Jh., Mitt, 
d. Niedersachsischen Musikges., H. 1/2, Br. 1944; W. Sal- 
men, Zur Gesch. d. herzoglich-br.ischen Hofmusiker, Nie- 
dersachsisches Jb. f. Landesgesch. XXX, 1958; M. Hart- 
ling, Der MeBgesang im Br.er Domstift St. Blasii (Hs. 
Niedersachsisches Staatsarch. in Wolfenbiittel VII B Hs 
175), =K61ner Beitr. zur Musikforschung XXVIII, Re- 
gensburg 1963. 

bravura (ital. ; frz. bravoure), als Vortragsbezeich- 
nung con br. : s. v. w. kiihne, rasche, prunkende Aus- 
fiihrung eines Musikstiicks (Bravourarie, Allegro di 
br., Valse de bravoure) in virtuosem Stil. 

Break (bje:k, engl., Liicke, Unterbrechung), im Jazz 
Bezeichnung fiir eine kurze, improvisierte, hiufig vir- 
tuose Phrase eines Solisten, die eine durch das plotz- 
liche Aussetzen der Rhythmus- und Melodiegruppe 
(-»• Band) entstehende Liicke iiberbriickt. Wegen der 
Unterbrechung des sonst durchlaufenden —>■ Beat ist 
jeder Br. ein Einschnitt und kann deshalb nur an be- 
stimmten Zasurstellen des -> Chorus (meist vor dem 
Halb- oder GanzschluC) auftreten. Urspriinglich 
stammt der Begriff Br. aus dem Bluesgesang: Der 



Sanger unterbrach nach jeder Blueszeile den Gesang 
und uberbruckte Texteinschnitt und Atempause durch 
ein kurzes Gitarrenzwischenspiel. Dieser Gitarren-Br. 
schloB, gleichsam kadenzierend, den Vortrag jeder 
Blueszeile. In der Bluesbegleitung durch instrumentale 
Gruppen fiel der Br. meist dem Kornett, der Trompete 
oder der Klarinette zu. Von dort gelangte die Technik 
des Br. iiber den iristrumentalen Blues auch in den 
fruhen Jazz, wurde bald nicht mehr nur auf Blues, son- 
dern auch auf jeden anderen Chorus (-> Stop time) 
angewandt und konnte von alien Melodieinstrumen- 
ten ausgefiihrt werden. Schon im New-Orleans-Jazz 
begegnen Falle des Doppel-Br., den 2 Melodieinstru- 
mente gleichzeitig ubernahmen (Oliver/Armstrong). 
Seit der Swing-Ara besteht sogar die Moglichkeit ei- 
nes Schlagzeug-Br. Der Br. wird zwar solistisch vorge- 
tragen, darf aber nicht mit einem Solo oder Solo- 
chorus verwechselt werden. 

Brelka (russ.), russisches volkstumliches Holzblasin- 
strument mit einfachem, idioglottem Blatt, das auch in 
der Sackpfeife verwandt wird. Mit Halbtonklappen 
versehen kommt es auch im Balalaikaensemble vor. 
Bremen. 

Lit. : Fr. Wellmann, Die Bremer Stadtmusikanten, Jb. d. 
bremer Slg IV, 2, 191 1 ; H. Tardel, Zur bremischen Thea- 
tergesch., Bremer Jb. XXX, 1926ff.; Fr. Piersig, Die Or- 
geln d. bremischen Stadtkirchen im 17. u. 18. Jh., ebenda 
XXXV, 1935; ders. u. R. Liesche, Die Orgeln im Bremer 
Dom, Br. 1939 ; K.L. Blum, Musikleben in Br., in ; Geistiges 
Br., Br. 1960. 

Brescia. 

Lit.: G. Bignami, Per la storia della musica a Br., Note 
d'Arch. IX, 1934; Enciclopedia dei musicisti bresciani, 
hrsg. v. dems., Mailand 1963 ; P. Guerrini, Gli organi e gli 
organisti delle cattedrali di Br., Note d'Arch. XVI, 1939. 

Breslau. 

Lit. : G. MOnzer, Beitr. zur Konzertgesch. Br. ... , Vf Mw 
VI, 1890; M. Schlesinger, Gesch. d. Br.er Theaters, I: 
1522-1841, Br. 1897; L. Sittenfeld, Gesch. d. Br.er Thea- 
ters v. 1841-1900, Br. 1909; H. H. Borcherdt, Gesch. d. 
ital. Oper in Br., Zs. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens XLIV, 
1910; H. E. Guckel, Kath. Kirchenmusik in Schlesien, I: 
Gesch. d. Br.er Domchors v. 1668-1805, Br. 1912; J. Sass, 
Die mus. Amter u. Einrichtungen in d. drei ev. Haupt- u. 
Pfarrkirchen d. Stadt Br., Diss. Br. 1922, maschr.; Fr. 
Feldmann, Der Codex Mf 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ. 
Br., 2 Bde, Br. 1932; ders., Br. u. d. mus. Romantik im 
Spiegelbild ihrer fiihrenden Musiker, Zs. f. Ostforschung 
II, 1953 ; ders., Br. Musikleben zur Zeit Beethovens aus d. 
Sicht L. A. L. Siebigks, AfMwXIX, 1962 -XX, 1963 ; H.-A. 
Sander, Beitr. zur Gesch. d. lutherischen Gottesdienstes in 
Br., = Br.er Studien zur Mw. I, Br. 1937; W. Dziedu- 
szycki, Zycie muzyczne we Wroctawiu (»Das Musikleben 
in Br.«), Muzyka V, 1954; K. G. Fellerer, M. Bruchs 
Br.er Dirigententatigkeit, AfMw XIX 1962, XX 1963. 

Bretagne. 

Lit. : R. Trebitsch, Phonographische Aufnahmen ... in d. 
Br., = Ber. d. Phonogramm-Arch.-Kommission IX, 1908; 
V. Stearns Beede, Breton Folk-Songs, MQ XVI, 1930; L. 
de La Laurencie, La musique a la cour des dues de Br. 
aux XIV e et XV e s., Rev. de Musicol. XIV, 1933; J. Cho- 
leau u. M. Drouart, Chansons et danses populaires de 
Haute Br., Paris 1938; H. Corbes, La musique bretonne 
aux XVII e et XVIII e s., Bull, de la Soc. d'Emulation des 
Cdtes-du-Nord, Jg. 1938; M. Courtonne, Un s. de mu- 
sique a Nantes ct dans la region nantaise 1850-1950, Nan- 
tes 1953; Cl. Marcel-Dubois u. M. Andral, Musique 
populaire vocale de I'ile de Batz, Arts et traditions popu- 
laires II, 1954; M. Huglo, Le domaine de la notation 
bretonne, AMI XXXV, 1963; J.-M. Guilcher, La tra- 
dition populaire de la danse en Basse-Br., = Etudes euro- 
peennes I, Paris 1963. 

Brevier (lat. breviarium, breviarius, auch directo- 
rium oder ordo), die Zusammenfassung aller fiir das 



121 



Brevis 



-> Offizium der katholischen Kirche vorgeschriebenen 
Texte. Seit dem 10./11. Jh. namentlich in monastischen 
Kreisen nachweisbar, entstand das Br. aus der Ver- 
pflichtung des am gemeinsamen Chorgebet verhinder- 
ten Geistlichen zur privaten Rezitation der taglichen 
Gebetsstunden. Das hierfiir notwendige Buch verei- 
nigte die - vorher je nach Gattung in eigenen Banden 
aufgezeichneten - Offiziumsteile (mit oder ohne Neu- 
men bzw. Choralnoten). Im 13. Jh. flihrte auch der 
Weltklerus den Gebrauch des Br.s ein. Spatestens seit 
dem 12. Jh. lafit sich iiberdies die Verwendung von 
Br.en beim Chorgebet feststellen. Historisch bedeut- 
sam wurde die liturgische Tatigkeit der Franziskaner, 
welche ab 1223 entscheidend zur Ausbreitung des Bre- 
viarium secundum ordinem Curiae Romanae (einer kiirze- 
ren Fassung des alten, stark benediktinisch gepragten 
Romischen Br.s) beitrugen. Das heutige Romische Br. 
beruht au£ der 1568 von Pius V. im Auftrag des Tri- 
dentiner Konzils veroffentlichten Ausgabe (genannt 
Pianisches Br.). Es wurde 1911 durch Pius X. einer 
grundlegenden Reform unterzogen und erhielt 1945 
eine neue Psalmeniibersetzung (ad libitum), auf die 
1955 eine Rubrikenreform und 1960 eine neue Rubri- 
kenordnung folgten (letzte Editio typica 1961). Nach 
der auf dem 2. Vatikanischen Konzil promulgierten 
Constitutio de Sacra Liturgia (4. 12. 1963) ist eine Revision 
der liturgischen Biicher und damit auch der Br.-Aus- 
gaben vorgesehen. Abweichend von der romischen 
Praxis werden im Offizium der alteren Orden vielf ach 
eigene Br.e verwendet (darunter z. B. das Breviarium 
Monastkum der Benediktiner), wahrend die jiingeren 
Orden die romische Fassung mit Ordensproprium be- 
nutzen. 

Lit.: S. Baumer, Gesch. d. Br., Freiburg i. Br. 1895, erwei- 
tert frz. v. R. Biron als: Hist, du breviaire, 2 Bde, Paris 
1905 ; P. Batiffol, Hist, du br6viaire romain, Paris 3 191 1, 
engl. 1912; H. Bohatta, Liturgische Bibliogr. d. XV. Jh., 
Wien 1911, Neudruck Hildesheim (1960); V.-M. Lero- 
quais, Les breviaires mus. des bibl. publiques de France, 6 
Teile, Paris 1934 (umfassendes Quellenwerk) ; P. Rado, 
Enchiridion Liturgicum I, Rom, Freiburg i. Br. u. Barce- 
lona 1961. KWG 

Brevis (erganze: nota oder figura; lat, die kurze), 
Notenwert der Mensuralnotation : ■, seit dem 15. Jh. : 
n, Pause: i . -»• Allabreve. 

Bridge (baid3, engl.) -> Chorus. 

Brillenbasse, Spottname fiir Abbreviaturen, wie die 
in Achtel- bzw. Sechzehntelnoten aufzulosenden Fi- 
guren: -^ 



m 



m 



bzw. 



^m 



Britische Musik (England mit Schottland, Irland und 
Wales). Ein friihes Zeugnis angelsachsischer Musik ist 
die Harfe aus dem 6. Jh. in Sutton Hoo (Suffolk). Gi- 
raldus Cambrensis, ein walisischer Geistlicher des spa- 
ten 12. Jh., erwahnt improvisierten mehrstimmigen 
Gesang sowie Instrumentalmusik in Wales, North- 
umbrien und Irland; sein Bericht lafit auf eine lange 
Tradition schliefien. Das Christentum hatte sich nach 
den Eroberungen der Angelsachsen in Wales erhalten. 
Von hier aus breitete es sich im 5. Jh. nach Irland, im 
6. Jh. nach Schottland aus ; Northumbrien wurde in der 
1. Halfte des. 7. Jh. christianisiert. Bald (664) erfolgte 
die Vereinigung der beiden Kirchen Englands. Darauf- 
hin wurde der romische Choral fiir die ganzen britan- 
nischen Inseln offiziell. Aber die Abweichungen, die 
sich in dem Graduale und Antiphonale von Salisbury 
finden (bekannt als Sarum Use, doch nicht auf Salis- 
bury beschrankt), lassen darauf schliefien, dafi von friih 
an iokale Verschiedenheiten bestanden. - Englands 



enge Verbindung mit dem Kontinent unter Eduard 
dem Bekenner (1042-66) wurde nach der Eroberung 
durch die Normannen noch verstarkt. Winchester mit 
seiner grofien Orgel aus dem 10. Jh. war ein Zentrum 
der Kirchenmusik. Eines der Winchester Tropare aus 
dem 11. Jh. enthalt neumierte 2st. Organa, die aus 
nordfranzosischen Klostern stammen. Die Einwirkung 
franzosischer Musik ist auch daran erkennbar, dafi 
Stiicke des Notre-Dame-Repertoires in England ge- 
sungen wurden. Zahlreiche dieser Stiicke finden sich 
in einer Handschrift, die in St. Andrews benutzt wur- 
de (Wolfenbuttel 677). Sie enthalt auch einige Or- 
dinariumstropen, die nicht in franzosischen Quellen 
erscheinen und moglicherweise englischer Herkunft 
sind. Einige der erhaltenen Stiicke der Kirchenmusik 
von Worcester sind Zeugnisse fiir den englischen Des- 
cant. Von den weltlichen Werken des 13. Jh. seien der 
6st. Kanon iiber einen Ground, Sumer is icumen in, und 
eine Anzahl instrumentaler Tanze erwahnt. Englische 
Theoretiker des 12.-14. Jh. sind Theinred of Dover, W. 
Odington, Coussemakers Anonymus IV und der Au- 
tor des Traktats De quatuor principalibus musicae (ge- 
wohnlich S.Tunstede zugeschrieben). J. de Garlandia, 
ein gebiirtiger Englander, wirkte in Frankreich. AuBer 
den Stiicken der Worcester-Fragmente ist nur wenig 
Musik aus dem 14. Jh. uberliefert. Das 15. Jh. hingegen 
scheint eine Zeit groBer musikalischer Aktivitat ge- 
wesen zu sein. Es ist bezeichnend, daB in den konti- 
nentalen Handschriften viele englische Stiicke, beson- 
ders von Dunstable, erscheinen. Die bedeutendste 
Quelle fiir die Kirchenmusik dieser Zeit ist das Old 
Hall-Manuskript mit Ordinariumssatzen und Motet- 
ten, zum Gebrauch der Koniglichen Kapelle bestimmt. 
In dieser Sammlung wird haufig ein »wandernder« 
C. f. angewandt. Der spezifisch englische Wohlklang 
(nach Bukofzer »Euphonie«) hat die Komponisten der 
Burgundischen Schule stark beeinfluBt. Eine andere 
wichtige Handschrift liturgischer Musik aus dem 15. 
Jh. (Brit. Mus. Egerton 3307, nach M.F. Bukofzer aus 
Meaux Abbey in Yorkshire stammend) enthalt die 
fruheste bekannte Vertonung der Passionshistorie so- 
wie Carols. Aus der gleichen Zeit stammt auch eine 
Anzahl weltlicher (zum Teil geselliger) Lieder. Die 
wichtigste Handschrift des spaten 15. und friihen 16. 
Jh. ist eine Sammlung mehrstimmiger Marienanti- 
phonen und Magnificat, die im Eton College gesun- 
gen wurden und dort aufbewahrt sind. Unter den hier 
vertretenen Komponisten sind John Browne und W. 
Cornyshe von Bedeutung. Deren Zeitgenossen waren 
R. Fayrf ax und John Lloyd, dem die anonyme Messe 
O quam suauis zugeschrieben wird. Die damalige 
schottische Musik ist durch R.Carver vertreten. An 
weltlicher Musik dieser Zeit sind nur einige mehrstim- 
mige Lieder einfachen Charakters erhalten, von denen 
einige Heinrich VIII. zugeschrieben werden. Der be- 
deutendste Komponist unter Heinrich VIII. war J. Ta- 
verner, der in seiner originellen Messe Western Wynde 
eine weltliche Melodie als C. f. verwendet. - Die eng- 
lische Reformation, die in die letzten Regierungsjahre 
Heinrichs VIII. (1509-47) fallt, begann als Bruch mit 
dem Papsttum aus politischen Motiven. Sie fiihrte zur 
Einfiihrung der englischen Sprache im Gottesdienst. 
Das erste englische Gebetbuch erschien 1549, kurz dar- 
auf (1550) J. Merbeckes 1st. Vertonung der Liturgie, 
eine Nachahmung des gregorianischen Chorals. M. 
Coverdales englische Ubersetzung einiger Kirchenlie- 
der von Luther erschien unter Heinrich VIII. ; andere 
metrische Psalter mit und ohne Musik folgten unter 
Eduard VI. Die erste Standardsammlung metrischer 
Psalmen mit Musik wurde 1557 in Genf wahrend der 
Regierung Marias der Katholischen (1553-58) ver- 



122 



Britische Musik 



offentlicht; eine erweiterte Ausgabe erschien in Eng- 
land erstmalig 1560. Wichtige Beitrage zur englischen 
Liturgie waren das Anthem und die Vertonung der 
Canticles f iir den Morgen- und Abendgottesdienst. Die 
Nachf olge Marias der Katholischen auf den protestan- 
tischen Eduard VI. brachte eingreifende Veranderun- 
gen. Nach einer Ubergangszeit fiihrte Elisabeth I. 
(1558-1603) endgiiltig den anglikanischen Gottesdienst 
ein. Jetzt wurden lateinische Texte nur noch fiir Uni- 
versitaten und die Colleges von Eton und Winchester 
vertont, f erner fiir katholische Familien, die eigene Ka- 
pellen besaBen. Sowohl die lateinische als auch die 
englische Kirchenmusik strebten nach einer Vereinfa- 
chung im Sinne erhohter Textverstandlichkeit. Im 
friihen 17. Jh. kam das Verse anthem auf, mit seinen 
Satzen fiir eine oder mehrere vokale Solostimmen mit 
Orgel- oder Streicherbegleitung. Der Sologesang mit 
Streicherbegleitung wurde von den Komponisten der 
Elisabethanischen Zeit gepflegt. Die Stiicke in Byrds 
Psalmes, Sonets and songs ofSadnes and Pietie (1588) wa- 
ren urspriinglich Sologesange dieser Art, deren Instru- 
mentalstimmen ein Text unterlegt wurde. Franzosi- 
sche Chansons und italienische Madrigale sang die ge- 
bildete Gesellschaf t Englands schon wahrend der friihen 
Regierungsjahre Elisabeths. Aber erst die Veroffent- 
lichung der Musica Transalpina im Jahre 1588, einer 
Sammlung italienischer Madrigale mit englischen Tex- 
ten, der weitere englische Sammlungen folgten, gab 
den AnstoB, Werke dieser Art zu komponieren. Die 
erste Sammlung original englischer Madrigale wurde 
1594 von Morley herausgegeben, die letzte von Pil- 
kington 1624. Stilistisch verfahren die englischen Ma- 
drigalisten im ganzen gesehen konservativ; haufig ko- 
pieren sie das italienische Madrigal, aber auch fran- 
zosische Einwirkung auf die englische Tradition des 
begleiteten Gesangsist nachweisbar. Gleichzeitig mit 
den Veroffentlichungen von Madrigalen datiert eine 
Anzahl Sammlungen fiir Solostimmen und Laute, die 
verschiedentlich drei weitere Singstimmen ad libitum 
enthalten. Dowland, dessen erste Sammlung 1597 er- 
schien, war hier am bedeutendsten. Einige dieser Lie- 
der zur Laute sind eindeutige Tanzmelodien, denen ein 
Text unterlegt wurde, aber das Muster fiir die meisten 
dieser Lieder ist das franzosische Air de cour. - Musik 
fiir Tasteninstrumente findet sich schon im 14. Jh. in 
einer Handschrif t aus der Robertsbridge Abbey Sussex. 
Von den friiheren Sammlungen des 16. Jh. ist das Mul- 
liner Book (um 1550-70) wichtig. Hier begegnet die 
Bearbeitung eines Teils des Benedictus aus Taverners 
Messe Gloria tibi Trinitas, der. mit den Worten »in no- 
mines beginnt. Die Tradition der In nomine-Kompo- 
sition fuhrt bis zu Purcell. Gegen Ende des 16. Jh. wur- 
den zahlreiche Kompositionen fiir Klavier (Virginal) 
geschrieben (Tanze, Fantasien, Variationen). Unter den 
vielen Handschriften ist das Fitzwilliam Virginal Book 
die groBte; die einzige gedruckte Sammlung ist die 
Parthenia (1611) mit Werken von Byrd, J. Bull und O. 
Gibbons. Gleichfalls beliebt, doch weniger gedruckt 
war Musik fiir Violenensemble: In nomine-Bearbei- 
tungen, Fantasien oder Fancies und Tanzsatze. Die 
englischen Violenspieler genossen in dieser Zeit hohes 
Ansehen, viele ihrer Kompositionen waren auf dem 
Kontinent beriihmt. Chr. Simpson's The Division Viol- 
ist (1659) enthalt prazise Unterweisungen und Beispie- 
le der beliebten Divisions iiber einen Ground. Die Vio- 
line wurde wahrscheinlich unter Jakob I. (1603-25) als 
ein fiir die Kunstmusik qualifiziertes Instrument aner- 
kannt. Vermutlich waren zumindest einige von Gib- 
bons Fantasies of Three Parts fiir 2 V. und BaB-Va ge- 
dacht. - Die Musik spielte eine wichtige Rolle in den 
Stiicken Shakespeares und seiner Zeitgenossen, des- 



gleichen in der hofischen Masque (dem Gegenstiick 
zum franzosischen Ballet de cour), die unter Jakob I. 
und Karl I. (1625-49) eine Blutezeit erlebte. 1617 wur- 
de Ben Jonsons Masque Lovers made Men nach italieni- 
scher Art im Stile rappresentativo von N. Laniere ver- 
tont, der von Karl I. zum ersten Hofmusikdirektor 
(Master of the Kings Music) ernannt wurde. Der neue 
Stil wurde in England heimisch, vor allem durch das 
Werk von H.Lawes, der 1634 die Musik zu Miltons 
Masque Comus schrieb. Die Commonwealth-Regie- 
rung (1649-60) gestattete nur noch privaten Zirkeln 
die Auffiihrung von Masques. Ein Beispiel hierfiir ist 
James Shirleys Cupid and Death mit der Musik von M- 
Locke und Chr. Gibbons. Die Restauration unter Karl 
II. (1660) gab den Anthems und Services in der Kirche 
wieder Raum. Im besonderen wurde das aus 24 Strei- 
chern bestehende Konigliche Orchester (den franzosi- 
schen Vingt-quatre violons du Roy nachgebildet) 1662 
in die Chapell Royal eingefiihrt und beteiligte sich an 
der Auffiihrung der Verse anthems. Die bedeutendsten 
Meister dieser Gattung waren Humphrey, J. Blow und 
Purcell. Viele der weltlichen Lieder (Catches) sind ein- 
fach und volkstumlich, andere dagegen nach dem Vor- 
bild der italienischen Cantata geformt. Die Oper hatte 
sich wahrscheinlich in England schon um die Mitte des 
Jahrhunderts eingebiirgert, wenn die Puritaner die 
Theater nicht hatten schlieBen lassen. Mit seinem The 
Siege of Rhodes (1656) versuchte der Dramatiker W. 
Davenant, das Gesetz zu umgehen (die von verschie- 
denen Komponisten stammende Musik ist verschollen) . 
Aber auch nach der Wiedereroffnung der Theater un- 
ter der Restauration setzte sich die Oper nicht gleich 
durch, vielmehr erlebte zunachst das gesprochene Dra- 
ma eine neue Bliite. Die Musik jedoch spielte eine 
groBe Rolle bei diesen Auffuhrungen, die bisweilen 
- wie Purcells Dioclesian (1690) - in Gestalt vollstandi- 
ger Masques angelegt waren. Blows Venus and Adonis 
(als Masque ausgegeben) und Purcells Dido and Aeneas 
(1689) sind vollstandig vertont und damit nichts ande- 
res als Opern. Nach Purcells Tod (1695) wuchs das In- 
teresse an der italienischen Oper. Handel, der 1710 
nach England kam, nutzte diese Situation. Als die Po- 
pularity seiner Opern aber durch Intrigen bedroht 
wurde, wandte er sich dem Oratorium zu, einer in 
England neuen Gattung. - Die allgemein beliebte Form 
dieser Zeit war die Ballad opera, das Vorbild J. Gay's 
The Beggar's Opera (1728). W.Boyce schrieb unter Ge- 
org II. (1727-60) und in den ersten Jahren der Regie- 
rungszeit Georgs III. (1760-1820) mehr als 40 Neujahrs- 
und Geburtstagsoden ; er komponierte auch Kantaten 
und Opern. Der EinfluB D. Scarlattis ist im Werk von 
Th. Roseingrave, Worgan und Kelway spiirbar. 
Ein bezeichnender Zug des 18. Jh. ist das wachsende 
Interesse an der Musik der Vergangenheit: es erschei- 
nen die Musikgeschichten von J.Hawkins (1776) und 
Ch.Buraey (1776-89) sowie 3 Bande Cathedral Music 
(herausgegeben von W. Boyce, 1760-72). 1710wurden 
die Academy of Ancient Music, 1741 die heute noch 
bestehende Madrigal Society gegriindet. Beliebter als 
das Madrigal war jedoch in der 2. Halfte des Jahrhun- 
derts das Glee. Ebenfalls ins 18. Jh. fallt die Griindung 
des Festival of the Three Choirs of Gloucester, Wor- 
cester and Hereford (1724) ; das alteste Festival ist das der 
Sons of the Clergy. Konzerte gaben in London in der 
2. Halfte des 18. Jh. vor allem J. Chr. Bach, C.Fr. Abel 
und J. P. Salomon. - Der eigenstandigste Komponist 
zu Anfang des 19. Jh. war der Ire J. Field, der den groB- 
ten Teil seines Lebens im Ausland verbrachte. In Eng- 
land war die Klaviermusik vor allem durch die Aus- 
lander Clementi und Cramer vertreten. S.S.Wesley 
bemuhte sich, das Niveau der Kirchenmusik zu heben, 



123 



Britische Musik 



aber sie blieb weithin in der Konvention erstarrt. Der 
Versuch, eine englische romantische Oper zu schaffen, 
begann mitJ.Bametts The Mountain Sylph (1834). Die 
Philharmonic Society (spater Royal Philharmonic 
Society) wurde 1813 gegriindet, 10 Jahre spater die 
Royal Academy of Music. Schon 1810 brachte Samuel 
Wesley, der Vater von S.S.Wesley, eine englische 
Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers heraus. Bachs 
Matthauspassion wurde 1854 unter W.St.Bennet auf- 
gefiihrt und die H moll-Messe 1876 unter O.Gold- 
schmidt mit dem neugegriindeten Bach-Chor. Gleich- 
zeitig wurden zum Gedachtnis Handels alle drei Jahre 
groB auf gezogene Festspiele veranstaltet, die im Kristall- 
palast stattfanden. Wichtige Ereignisse in der 2. Halfte 
des 19. Jh. waren die Griindungen des Halle Orchestra 
in Manchester (1857) und der Musical Association 
(1874; heute Royal Musical Association), die Auffiih- 
rungen von Gilberts und Sullivans Trial by Jury (1875), 
gefolgt von einer Reihe ahnlicher volkstiimlicher 
komischer Opern und Operetten (u. a. Mikado, 1885), 
ferner das Erscheinen des 1. Bandes von Groves Dic- 
tionary of Music and Musicians (1879), die Erofmung 
des Royal College of Music (1882) und der Beginn der 
Promenade Concerts unter H.J.Wood (1895). Das 
wachsende Interesse an der Musikforschung hatte sich 
schon in den Verofientlichungen der Musical Anti- 
quarian Society (1840-47) gezeigt. Diese Aktivitat 
wurde jetzt durch die Griindung der Purcell Society 
(1876) und der Plainsong and Mediaeval Society (1888) 
fortgesetzt. Ein neuer schopferischer Impuls ist im 
Werk von Parry spiirbar, dessen Prometheus unbound 
1880 in Gloucester aufgefiihrt wurde. Das gleiche gilt 
von seinem Zeitgenossen Ch. Stanford, der um die 
Herausgabe irischer Volkslieder bemiiht war. Der be- 
deutendste Vertreter der spatromantischen Musik in 
England ist E.Elgar, dessen Enigma Variations 1899 und 
The Dream of Gerontius 1900 in die verstaubte Atmo- 
sphare der spaten Viktorianischen Musik wiederfrisches 
Leben brachten. Die Romantik kam im Werk von Fr. 
Delius zum Ausdruck. Nur einige englische Kompo- 
nisten des 20. Jh. haben sich im Impressionismus ver- 
sucht; der bekannteste ist Cyril Scott. Die Einfliisse 
Elgars im Werk von A. Bliss und W.T.Walton sind 
ersichtlich. Das Volkslied und die Musik der Elisa- 
bethanischen Zeit wirkten sich auf das Schaffen von R. 
Vaughan Williams aus, der, wie sein Freund C.J. Sharp, 
selber Volkslieder sammelte. G. Hoist vertrat die Re- 
aktion gegen die Romantik. Das Werk Brittens, wenn- 
gleich oft eklektisch im Stil, zeigt sich verhaltnismaBig 
wenig mit der englischen Tradition verhaftet. Neben 
ihm wurden nach dem 2. Weltkrieg Tippet und 
Fricker international bekannt. 

Ausg. : — » Denkmaler (England). - The Engl, and Scottish 
Popular Ballads, hrsg. v. Fr. J. Child, 6 Bde, Boston 1883- 
98; C. J. Sharp, Engl. Folk-Chanteys, London 1914; F. 
Delattre u. C. Chemin, Les chansons elizabdthaines, Pa- 
ris 1948; M. Karpeles, Dances of England & Wales, Lon- 
don 1950; G. Gotsch, Engl. Liederbuch, Wolfenbuttel 
1953; J. Reeves, The Idiom of the People. 1 1 5 Traditional 
Engl. Folk Songs . . ., NY 1964. 

Lit. : G. Schad, Musik u. Musikausdriicke in d. mittelengl. 
Lit., Diss. GieBen 1911 ; J. Pulver, A Dictionary of Old 
Engl. Music and Mus. Instr., London 1923 ; ders., A Biogr. 
Dictionary of Old Engl. Music, London 1927; H. H. Car- 
ter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = Indiana 
Univ. Humanities Series XLV, 1961. - Fr. J. Crowest, 
The Story of British Music, London 1895; J. A. Fuller 
Maitland, Engl. Music in the 19 th Cent., London 1902; E. 
Walker, A Hist, of Music in England, Oxford 1907, 31952 
hrsg. v. J. A. Westrup ; Fr. W. Galpin, Old Engl. Instr. of 
Music, London 1910, 4 1965; C. Forsyth, Music and Na- 
tionalism. A Study of Engl. Opera, London 1911 ; H. O. 
Anderton, Early Engl. Music, London 1920; H. Davey, 



Hist, of Engl. Music, London 1921 ; W. H. Gr. Flood, 
Early Tudor Composers, London 1 925 ; ders., Late Tudor 
Composers, London 1929; W. A. Barrett, Engl. Church 
Composers, London 1926; J. Brucker, Der EinfiuB d. 
Musik auf d. engl. Wortschatz im 1 6. u. 1 7. Jh., Diss. Koln 
1926; E. Dent, Foundations of Engl. Opera, Cambridge 
1928; J. B. Trend, The First Engl. Songs, ML IX, 1928; 
G. Becking, Engl. Musik, in: Hdb. d. Englandkunde II, 
Ffm. 1929 ; G. Cecil, The Hist, of Opera in England, Lon- 
don 1930; W.-H. Hadow, Engl. Music, London 1931 ; M. 
F. Bukofzer, Gesch. d. engl. Diskants u. d. Fauxbour- 
dons nach d. theoretischen Quellen, = Slg mw. Abh. XXI, 
StraBburg 1936; Thr. Georgiades, Engl. Diskanttraktate 
aus d. 1. Halfte d. 15. Jh., = Schriftenreihe d. Mw. Semi- 
nars d. Univ. Miinchen III, Miinchen 1937; H. Reichen- 
bach, The Tonality of Engl, and Gaelic Folksong, ML 
XIX, 1938; J. A. Westrup, Foreign Musicians in Stuart 
England, MQ XXVII, 1941 ; ders., Domestic Music under 
the Stuarts, Proc. Mus. Ass. LXVIII, 1941/42; ders., Bri- 
tish Music, NYu. London 1943; ders., Die Musik v. 1830 
bis 1914 in England, Kgr.-Ber. Kassel 1962; ders., Cathe- 
dral Music in Seventeenth-Cent. England, Fs. Fr. Blume, 
Kassel 1 963 ; E. Blom, Music in England, Harmondsworth 
1 942, deutsch Hbg 1 947 ; A. L. B achar ach, British Music of 
Our Time, London 1946 ; E. H. Meyer, Engl.Chamber Mu- 
sic, London 1946, 2 1951, deutsch als: Die Kammermusik 
Alt-Englands, Lpz. 1958; R.Nettel, The Orch. in England, 
London 1946; ders., Sing a Song of England. A Social 
Hist, of Traditional Song, London 1954; B. Pattison, Mu- 
sic and Poetry of the Engl. Renaissance, London 1948; E. 
H. Fellowes, The Engl. Madrigal Composers, Oxford 
1949 ; K. Geiringer, Haydn and the Folksong of the British 
Isles, MQ XXXV, 1949; J. Handschin, The Summer Ca- 
non and Its Background, MD III, 1949 u. V, 1951; D. 
Kennedy, England's Dances, London 1949; ders., Engl. 
Folk Dancing Today and Yesterday, London 1963 ; E. W. 
White, The Rise of Engl. Opera, London 1951 ; N. Hyde, 
Music hath Charms. Some Aspects of the Music of the 
British Isles, Edinburgh 1956; D. J. Lumsden, The Sources 
of Engl. Lute Music (1540-1620), Proc. R. Mus. Ass. 
LXXXIII, 1956/57; E. R. Jacobi, Die Entwicklung d. Mu- 
siktheorie in England nach d. Zeit v. J.-Ph. Rameau, = Slg 
mw. Abh. XXXV, XXXIX u. XXXIXa, StraBburg 1957- 
60; Fr. Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London 
1958 ; H. Rosenthal, Two Cent, of Opera at Covent Gar- 
den, London 1 958 ; E. Apfel, Studien zur Satztechnik d. ma. 
engl. Musik, 2 Bde, = Abh.d. Heidelberger Akad. d.Wiss., 
Phil.-hist. Klasse, Jg. 1959, Nr 5 ; ders., Zur Entstehung d. 
realen 4st. Satzes in England, AfMw XVII, 1960; ders., 
Uber einige Zusammenhange zwischen Text u. Musik im 
MA, besonders in England, AMI XXXIII, 1961 ; ders., 
England u. d. Kontinent in d. Musik d. spaten MA, Mf 
XIV, 1961 ; C. C. Wimberg, Folklore in the Engl, and 
Scottish Ballads, NY 1959 ; K. H. Darenberg, Studien zur 
engl. Musikasthetik d. 18. Jh., = Britannica et Americana 
VI, Hbg 1960; J. Hollander, The Untuning of the Sky. 
Ideas of Music in Engl. Poetry 1500-1700, Princeton 1961 ; 
J. Stevens, Music and Poetry in the Engl. Tudor Coutt, 
London 1961 ; A. Hughes OSB, The Topography of Engl. 
Medieval Polyphony, in: In memoriam J. Handschin, 
StraBburg 1962; J. Buxton, Elizabethan Taste, London 
1963 ; A. H. King, Some British Collectors of Music, Cam- 
bridge 1963; E. D. Mackerness, A Social Hist, of Engl. 
Music, NY 1965. JAW 

Broderies (bradr'i, frz.) -»■ Verzierungen. 

Brugge (Flandern). 

Lit. : D. Van de Casteele, Maitres de chant et organistes 
de St.-Donatien et de St.-Sauveur a Bruges, Br. 1870 ; A. C 
De Schrevel, Les choraux et les maitres de chant de St.- 
Donatien a Bruges jusqu'au XVI e s., in: Hist, du seminaire 
de Bruges I, 1895; L. Gilliodt van Severen, Les mene- 
strels de Bruges, B. 1912. 

Briissel. 

Lit.: V. Ch. Mahillon, Cat. descriptif et analytique du 
Musee instr. du Conservatoire royal de musique de Bruxel- 
les, 4 Bde, Gent 1880-1912, I 21893, II 21909; P. Berg- 
manns, L'Acad. royale de Belgique depuis sa fondation 
1772-1922, Br. 1922; H. Liebrecht, L'opera italien a 
Bruxelles de 1650 a 1750, RM IV, 3, 1923 ; L. Renieu, Hist. 



124 



Buchstaben-Tonschrift 



des theatres de Bruxelles depuis leur origine jusqu'a ce jour, 
Paris 1938; S. Cler'cx, La chapelle royale de Bruxelles 
sous 1' Ancien Regime, Annuaire du Conservatoire royal de 
musique de Bruxelles, 1942; dies., Les Godecharles, musi- 
ciens bruxellois au XVIII e s., M61anges E. Closson, Br. 
1 948 ; J. Cuvelier, La' confrerie des musiciens instrumen- 
tistes de Bruxelles sous PAncien R6gime, Bull, de la Classe 
des Beaux-Arts de I'Acad. royale de Belgique XXVIII, 
1946; R. Wangermee, Les maitres de chant des XVII e et 
XVIII e s. a la coilegiale des SS. Michel et Gudule a Bruxel- 
les, Br. 1950. 

Bruitismus -*- Futurismus. 

Brummeisen -»■ Maultrommel. 

Brummstimmen (Summstimmen) bedeuten s. v. w. 
Gesang ohne Worte und mit geschlossenem Mund 
(bocca chiusa, bouche fermee), so daB der Ton brum- 
mend durch die Nase kommt. Begleitende Br. sind 
ofter in Choren gebraucht worden, so von Bruckner, 
Orff (Carmina Burana Nr 8) ; auch im letzten Akt von 
Verdis Rigoletto, im »Briefchor« (2. Akt) von Puccinis 
Madama Butterfly sowie in den Vokalensembles der 
modernen Unterhaltungsmusik. 



hatte schon 1487 ein Br. Seit dem 18. Jh. verschwindet 
das Br. allmahlich aus der Orgel. 

Buchstaben-Tonschrift ist die Anwendung von 
Buchstaben zur Bezeichnung von Tonen. Sie begegnet 
zuerst in den Aufzeichnungen -*■ Griechischer Musik, 
deren alteste um 200 v. Chr. datieren. Doch ist das Sy- 
stem der 2 griechischen Tonschriften spatestens in der 
1. Halfte des 3. Jh. v. Chr., wahrscheinlich in Alexan- 
dria, entstanden (A. Bataille) ; sein Kern oder eine nicht 
erhaltene friihere Schrift war schon Aristoxenos be- 
kannt. Die 2 B.-T.en der Griechen werden nach den 
Theoretikern (z. B. Gaudentios, S. 350) als vokale und 
instrumentale unterschieden ; doch sind die erhaltenen 
Aufzeichnungen, die beide Schriften wahrend eines 
Stiickes vermischen, nur schwerhiermit zu vereinbaren. 
Die Tabelle (nach Henderson) verdeutlicht den paral- 
lelen Aufbau beider Schriften in 3 Reihen von Zeichen. 
Reihe 1 stellt eine diatonische Grundskala dar. Die an- 
deren Reihen bezeichnen Tone, die in Reihe 2 einen 
Halb- oder Viertelton, in Reihe 3 zwei Halb- oder 
Vierteltone iiber dem entsprechenden Ton von Reihe 1 



I 3. 




A' A'H' K'N' 


1 * 


A A H K 


n n T X 


V V H * H U 


H 


2. 




B'E'e'A' I' 


X rh 


B E © A 


HPY* 


R F rt> V in b 


>- 


1. 




r'z' 1' M'O' 

• » — 


s u 


r Z 1 M 


OC*Q 

■r* m , 


1 7 _ W ? 3 


_n 


ni. 


z' 


N'rr'<'n' K' 


v\ z 


■ ' • • * 

N c < 1 


K C F A 


m » 

T H E h H £ 


• 


2. 




/'LI' V'X'* 1 


A X 


y u v x 


±£ V u- i 


L 1 mid U 


H 


3. 




n' nVy'x' 


X X 


\ n > y 


» D =1 1 


1 H 3 ri P 3 


T 



Brunette (briin'et, von frz. brun, braun) wurde vor 
allem im 17./18. Jh. ein kleines franzosisches Lied mit 
oder ohne instrumentale Begleitung auf pastorale und 
amourose Texte von schlichter, volkstiimlicher Hal- 
tung genannt, das sich von derberen der Vaudevilles 
und Airs a boire unterschied. Br.s tauchen auf in einer 
Sammlung des Pariser Verlegers Ballard von 1703 
(mehrfach aufgelegt: 1704, 1709), wo dieser im Vor- 
wort den Liedanfang Helas, Brunete, tnes amours zitiert 
und die den Titel Br.s ou petits Airs tendres, . . . tragt 
(3 Bande). Weitere Sammlungen sind J.Pinel, Nou- 
veau Recueil d'Airs serieux de br.s . . . (1737) und P. La 
Garde, Br.s avec accompagnement de guittarre, . . . (6 Ban- 
de, 1740-64) u. a. Bearbeitungen nur fur Instrumente 
wurden besonders im 18. Jh. gebrauchlich, z. B. M. 
Blavets Recueil de pieces . . . , br.s . ■ ■ Accomode pour les 
flutes traversieres, violons, pardessus de viole ... (3 Ban- 
de, um 1740); auBerdem fanden Br.s Eingang in die 
franzosische Klaviermusik (Chambonnieres, d'Angle- 
bert) und vor allem seit Lully und Rameau auch in die 
Oper. 

Ausg. : Chants de France et d'ltalie, hrsg. v. H. Expert, 
1. Serie: Chansons mondaines des XVII e et XVIII e s., Pa- 
ris 1909 ; Chansons de la Vieille France . . . , hrsg. (harmo- 
nisiert) v. Ch. Teuroc, Bd II, Paris 1946. 
Lit.: P.-M. Masson, Les Br., SIMG XII, 1910/1 1 ; P. Coi- 
rault, Recherches sur notre ancienne chanson populaire 
traditionelle, Bull, de l'lnst. general de psychologie III, 
1929 ; ders., Notre chanson folklorique, Paris 1942. 

Bruststimme -> Register (- 3). 

Brustwerk ist in der Orgel seit dem 15. Jh. das unter 
dem Hauptwerk (Oberwerk) in der »Brust der Orgel« 
aufgestellte Regalwerk mit eigener Windlade. Es war, 
den Raumverhaltnissen entsprechend, mit kleineren 
Pfeifen besetzt und gehorte in der Regel zum 2. oder 
3. Manual. Die groBe Orgel der Pfarrkirche zu Bozen, 
erbaut von B.Dinstlinger, die P.Hofhaymer abnahm, 



liegen. In Reihe 2 werden Halbton (Diatonik und 
Chromatik) und Viertelton (Enharmonik) nicht sicht- 
bar unterschieden, in Reihe 3 sollen die chromatischen 
Zeichen (zwei Halbtone) durch einen zusatzlichen 
Strich gegen die enharmonischen (zwei Vierteltone) 
abgehoben werden, z. B. V gegen V. Die 3 Zeichen 
einer solchen Triade hangen insofern zusammen, als 
sie - wenigstens in den Grundtonarten dorisch, phry- 
gisch, lydisch - samtliche Tone innerhalb eines ->■ Pyk- 
non, damit zugleich die grundlegende Bedeutung des 
-*■ Tetrachords in der griechischen Melodik darstcllen, 
z. B.: 

C V R 1 

a fis f e 
(Zeichen aus Reihe 13 2 1) 
Die »vokale« Schrift I verwendet die Buchstaben des 
normalen (ionischen) Alphabets der Griechen fur die 
Oktave f J -f (nach Reihe 1 gerechnet) . Das Alphabet be- 
ginnt oben, und zwar in Reihe 3, so daB der 3., 6. usw. 
Buchstabe die diatonische Grundskala bezeichnet. Die- 
ser Kern wird mit denselben, nun meist auf den Kopf 
gestellten Zeichen auf at-G erweitert. Zwei zusatzliche 
Erweiterungen sind in beiden Schriften zugleich vor- 
genommen worden und bilden offenbar die jiingste 
Schicht des Systems : die Triade iiber F mit auf die Seite 
gestellten Buchstaben sowie g^M, wo die Zeichen der 
um eine Oktave tieferen Tone mit einem Strich wie- 
derholt werden. Die »instrumentale« Schrift II stellt in 
der Regel das Zeichen der 1. Reihe in Reihe 2 auf den 
Kopf, in Reihe 3 auf die Seite oder in Seitenverkeh- 
rung. Die Theoretiker nennen das Zeichen in der Nor- 
mallage O7)u,siov 6pS-6v (z. B. Tau: T), das auf den 
Kopf gestellte avsaTpa(i(j,£vov oder ($7mov (1), das sei- 
tenverkehrte a7ve<jTp<X(X[i£vov (z. B. Gamma T start 
normal V), das auf die linke Seite gestellte TrXayio^ (l - ), 
das auf die rechte Seite gestellte 7tX<xytov <X7rEaTpau,uivov 
(H), und sie beschreiben alle diese Zeichen als Umfor- 



125 



Buchstaben-Tonschrift 



mungen verschiedener Buchstaben des normalen Al- 
phabets. Da die Reihenfolge der Normalzeichen nach 
dieser Deutung zufallig ist, hat man in den letzten hun- 
dert Jahren versucht, sie aus archaischen oder auBer- 
griechischen Alphabeten abzuleiten und die ganze 
Schrift II, die als die altere gait, aus der Stimm- und 
Spieltechnik der griechischen Saiteninstrumente zu er- 
klaren, ohne dadurch zu einer befriedigenden neuen 
Deutung zu gelangen. 1961 haben Bataille und Chailley 
wahrscheinlich gemacht, daB Schrift II, die sich von 
Anfang an iiber den Raum a!-G erstreckte, auf folgen- 
de Art aus Schrift I entwickelt wurde : a hat in beiden 
Schriften das gleiche Zeichen Sigma (C); auch das 
»doppelte Sigma« (bei G) von Schrift I iibemimmt II 
fur die entsprechende Triade; in II sind samtliche Zei- 
chen bei g-A aus dem H , samtliche Zeichen bei a l -h 
aus dem A geformt worden. 

Die B.-T.en des Mittelalters gehen auf Monochord- 
teilungen zuriick; bei der Teilung der Saite werden 
namlich wie in der Geometrie Streckenpunkte durch 
Buchstaben bezeichnet. Boethius (6. Jh.) gibt 4 Buch- 
stabenreihen an. Die eine, die die Tone des -> Systema 
teleion mit A-P bezeichnet, ist von anderen Theoreti- 
kern aufgegriffen worden. Daneben ist seit dem spaten 
9. Jh. die Reihe A-P fiir die Tonreihe nachweisbar, die 
der modernen Durtonleiter entspricht. Diese Reihe 
ist wahrscheinlich der Stimmung der Glockenspiele 
und Orgeln angepaBt. Im lO./ll.Jh. wurde in die B.-T. 
die Wiederholung gleicher Buchstaben fiir Oktavtone 
eingefiihrt (Odonische B.-T.). In dieser Bedeutung 
gingen einige der Tonbuchstaben als Schliisselbuchsta- 
ben in die Guidonische Notation mit Neumen auf 
Linien ein. 

1) ABCDEFGH IKLMNOP 

2) ABCDEF GHIKLMN OP 

3) FGABCDEF GABCDEF 

4) T ABCDEF Gabbcde f g aa(bbbbccdd) 

5) G AH c d e f g a b h ci diei fi gi at b> h' c* d* 

1) Boethius 6. Jh. ; Anonymus II, GS I, und 
Musica Enchiriadis 9. Jh. 

2) Hucbald, De harmonica institutione, Ende 
9.Jh. 

3) Notker Labeo, GS I, und Bernelinus, GS I, 
10. Jh. 

4) Odo von St. Maur, GS I, 2. Half te 10. Jh. ; 
Guido von Arezzo, Mkrologus, und Her- 
mannus Contractus, Musica, GS II, beide 
1. Half tell. Jh. 

5) Moderne Bedeutung. 

Die mittelalterliche B.-T. war weniger eine Notation 
als ein Mittel zur theoretischen Demonstration. Als 
Notenschrif t wurde sie nach dem 12. Jh. von der diaste- 
matischen Neumen- und Choralschrift verdrangt. 
Tonbuchstaben kamen wieder auf in der (sogenannten 
deutschen) -»■ Orgeltabulatur des 14.-18. Jh. In der 
-*■ Lautentabulatur bedeuten die Buchstaben nicht To- 
ne, sondern Biinde. Die Oktaveinteilung der B.-T. in 
der Orgeltabulatur ist uneinheitlich; die Teilung liegt 
oft zwischen G und A oder B = brotundum und H 
= bquadratum. Die Tone verschiedener Oktaven wur- 
den durch Striche iiber oder unter den Buchstaben oder 
durch Doppelbuchstaben bezeichnet. 
Seit Anfang des 19. Jh. (Gottfried Weber) hat sich eine 
Akkordbedeutung der Buchstaben eingeburgert, in- 
dent man durch einen groBen Buchstaben den Dur- 
akkord iiber dem bezeichneten Ton (ohne Rucksicht 
auf die Oktavlage) und durch einen kleinen den Moll- 
akkord bestimmte (A = A dur, a = A moll); eine 
kleine Null bezeichnet den verminderten Dreiklang 
(a = a-c-es). Auch versteht man unter A die A dur- 



Tonart und unter a die A moll-Tonart. M.Hauptmann 
benutzte groBe und kleine Tonbuchstaben zur Unter- 
scheidung der Quinttone und Terztone ; er bezeichnete 
alle Tone, die durch Quintschritte erreicht werden, 
durch groBe Buchstaben, die Terztone dagegen durch 
kleine (C e G, a C e usw.). Helmholtz (1863) und A. 
v. Oettingen (1866) dagegen kennzeichneten die durch 
Quint- oder Terzschritte erreichten Tone durch Ho- 
rizontalstriche (->■ Intervall). Die von H.Riemann ent- 
wickelte Akkordschrift (-»■ Klangschliissel) laBt diese 
fiir die praktische Kunstiibung durch die enharmoni- 
sche Identifikation entbehrlichen Unterscheidungen 
beiseite und bedient sich ausschlieBlich der kleinen 
Buchstaben ohne Kommastriche zur Tonbezeichnung. 

Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg. 
v. R. Da Rios, Rom 1954; Aristeides Quintilianus, De 
musica, hrsg. v. R. P. Winnington-Ingram, Lpz. 1963; 
dass., deutsch v. R. Schafke, Bin 1937; Musici scriptores 
graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Neudruck Hildesheim 
1962, S. 299ff. (Bakcheios), 347ff. (Gaudentios), 367ff. 
(Alypios); Boethius, De institutione musica, hrsg. v. G. 
Friedlein, Lpz. 1867; Fr. Bellermann, Die Tonleitern u. 
Musiknoten d. Griechen, Bin 1847; K. Fortlage, Das 
mus. System d. Griechen . . . , Lpz. 1 847 ; R. Westphal, 
Harmonik u. Melopoie d. Griechen, Lpz. 1863, 3 1886; H. 
v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen . . . , 
Braunschweig 1863, 6 1913; A. v. Oettingen, Harmoniesy- 
stem in dualer Entwickelung, Studien zur Theorie d. Mu- 
sik, Dorpat u. Lpz. 1866, als: Das duale Harmoniesystem, 
Lpz. 2 1913; H. Riemann, Studien zur Gesch. d. Noten- 
schrift, Lpz. 1878; ders., Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904, 
erweitert 2 1919, 31923; D. B. Monro, Modes of An- 
cient Greek Music, Oxford 1894; M. Emmanuel, Grece, 
in: Encyclopedie de la musique ... I, 1, hrsg. v. A. La- 
vignac, Paris (1913); WolfN; Riemann MTh; C. Sachs, 
Die griech. Instrumentalnotenschrift, ZfMw VI, 1923/24; 
ders., Die griech. Gesangsnotenschrift, ZfMw VII, 1924/ 
25; Th. Reinach, La musique grecque, Paris 1926; O. 
Gombosi, Tonarten u. Stimmungen d. antiken Musik, Ko- 
penhagen 1939, Neudruck 1950; ApelN; H.-I. Marrou, 
Melographia, in: L'antiquite classique XV, 1946; A. Au- 
da, Les gammes mus., Woluwe-St-Pierre 1947; H. Poti- 
ron, Origines de la notation alphabetique, Rev. gregorien- 
ne XXXI, 1952; S. Corbin, Valeur et sens de la notation 
alphabetique a Jumieges, Rouen 1955; R. Weakland, 
Hucbald as Musician and Theorist, MQ XLII, 1 956 ; R. P. 
Winnington-Ingram, The Pentatonic Tuning . . . , Class. 
Quarterly (N. S. VI), 1956; I. Henderson, Ancient Greek 
Music, The New Oxford Hist, of Music I, London 1957 ; J. 
Smits van Waesberghe SJ, Les origines de la notation al- 
phabdtique au moyen age, AM XII, 1957; J. Chailley, 
L'imbroglio des modes, Paris (1960) ; J. M. Barbour, The 
Principles of Greek Notation, JAMS XIII, 1960; A. Ba- 
taille, Remarques sur les deux notations melodiques de 
l'ancienne musique grecque, in : Recherches de papyrolo- 
gie I, Paris 1961, dazu J. Chailley in: Rev. de Musicol. 
XLVII, 1961 ; H. Potiron, Boece . . . , = Travaux de PInst. 
cath. de Paris IX, (Paris 1961) ; ders., Les notations d'Aris- 
tide Quintilien ..., Rev. de Musicol. XLVII, 1961. 

Bucina (lat. bos, Rind, und canere, singen, als Lehn- 
wort ahd. buchina, mhd. -»■ busine, basune; nhd. Po- 
saune, wird durch Luthers Form, Jes. 27, 13 u. 6., 
schriftdeutsch), bei den Romern ein dem Tierhorn 
nachgebildetes Blasinstrument aus Metall, war zu- 
nachst ein Instrument der Hirten und Bauern, spater 
militarisches Signalinstrument, gemeinsam mit cornu 
und tuba verwendet. B. hiefien auch die Muschelhor- 
ner, die Attribute der Tritonen waren. 

Lit.: G. Fleischhauer, B. u. Cornu, Wiss. Zs. d. M. 
Luther-Univ. Halle- Wittenberg IX, 1960. 

Budapest. 

Lit. : J. Bayer, A nemzeti jatekszin tortenete (»Gesch. d. 
Nationaltheaters«), B. 1887; O. Gombosi, Mus. Verhalt- 
nisse am Hof Konig Matthias', Muzsika I, 1929; ders., 
Vita mus. alia corte di Re Mattia, Corvina XVII, 1929; E. 



126 



Biihnenmusik 



Sebestyen, Magyar operajatszas Budapesten 1793-1937 
(»Die ungarische Opernbuhne in B.«), B. 1937 ; K. Krist6f, 
Operai esemenyek a Tanacskoztarsasag idejen (»Die B.er 
Oper zur Zeit d. R6krepublik«), in: Uj zenei szemle III, 
1952. 

Biigelhorn (von frz. und engl. bugle; frz. im 12. Jh. 
adjektivisch als cor buglerenc oder bugleret, ab Mitte 
des 13. Jh. bugle, engl. als buglehorn und um 1340 als 
bugle), seit dem 19. Jh. das Signalhorn, das zunachst 
mit Klappen (-»■ Klappenhorn, ->■ Ophikleide) und um 
1830 mit Ventilen versehen wurde. Es entstand eine 
Familie von Biigelhornern mit konischem Rohrver- 
lauf, weiter Mensur, wenig ausladender Stiirze und 
Kesselmundstuck. Die auBere Form ist meistens der 
Trompete nachgebildet (ahnlich wie das verwandte 
-> Kornett - 1) ; daneben wird in den Lagen vom Alt ab- 
warts gleichzeitig auch die ovale und die runde (Heli- 
kon-)Form gebaut (->■ Fliigelhorn, -»■ Tenorhorn, 
->• Bariton - 3, ->■ Euphonium, -> Tuba - 2; Bom- 
bardon, KaiserbaB, Sousaphon). Die Bugelhorner ha- 
ben einen weichen, aber nicht so edlen und charakteri- 
stischen Klang wie Trompeten und Waldhorner, doch 
sind sie leichter als diese zu blasen. Sie werden vor al- 
lem in der Harmoniemusik gebraucht, im Orchester 
nur die Tuba. Fur die Bugelhorner wird die ->• Kor- 
nett-Notierung verwendet. - 1845 erhielt A. -*■ Sax 
ein Patent auf eine Familie von Biigelhornern von 
gleichmaBiger auBerer Gestalt und verbesserten Men- 
suren. Diese Saxhorner werden in alien Lagen (9 Mo- 
delle von Saxhorn sopranino bis Saxhorn bourdon) 
gebaut. 

Lit. : J. Levy, Die Signalinstr. in d. altfrz. Texten, SIMG 
XII, 1910/11 ; G. Schad, Musik u. Musikausdriicke in d. 
mittelengl. Lit., Diss. GieBen 1911; Fr. Brucker, Die Blas- 
instr. in d. altfrz. Lit., = Giefiener Beitr. zur Romanischen 
Philologie XIX, GieBen 1926. 

Biihnenmusik (Inzidenzmusik, von lat. incidere, ein- 
f alien; engl. incidental music; frz. musique de scene; 
ital. musica di scena) ist im strengen Sinne die zu Biih- 
nenwerken (Opern, Schauspielen) vom Autor vorge- 
schriebene und in innerer Beziehung zur Handlung 
stehende Musik, die auf der Biihne, hinter der Szene 
oder im Orchesterraum auszuf iihren ist. Zu unterschei- 
den ist: 1) B. in der Oper zur Heraushebung eines be- 
sonderen Handlungsvorgangs entweder auf der Szene, 
z. B. Mozart, Don Giovanni, Ballmusik (1. Akt), und 
Berg, Wozzeck, Militarmusik und Heurigenmusik; 
oder hinter der Szene, z. B. Beethoven, Fidelio, Trom- 
petensignal (2. Akt), und R.Strauss, Rosenkavalier, 
Walzer (3. Akt). B., zum Teil in groBerer Besetzung, 
f ordern u. a. auch Wagner (Rienzi, Lohengrin, Tann- 
hauser) und Verdi (II Trovatore, Un hallo in maschera, 
Aida, Otello, Falstaff). - 2) Im Schauspiel ist es iiblich, 
(A. Aber 1926) drei Hauptarten von B. zu unterschei- 
den : a) die vom Dichter selbst gef orderte Musik, Biih- 
nen- oder Inzidenzmusik im engsten Sinne (Trommel- 
wirbel, Fanfaren, Marsche, Tanze, Liedbegleitungen 
usw.). b) Musikalische Ausgestaltung eines Schauspiels 
(Schauspielmusik) : Einleitungs- und Verbindungs- 
stiicke der Akte, d. h. »Rahmenmusik« (Ouvertiire, 
Zwischenakts-, Verwandlungs- und SchluBmusik) so- 
wie Begleitmusik und melodramatische Szenen. Die 
Musik wird - wie in neuerer Zeit auch -*■ Filmmusik, 
-*■ Horspielmusik und Musik zu Fernsehspielen - als 
»Hilfskunst« angesehen und in Form und Stil von den 
Forderungen des Dramas und seiner Inszenierung be- 
stimmt. c) Hinzufugung von Musik im Schauspiel, die 
zu diesem in keiner inneren Beziehung steht. Hier hat 
die Musik als Einlage oder Fiillwerk (A. Aber) unter- 
haltende, Pausen ausf iillende Auf gaben. Sie ist als »Mu- 
sik im Schauspielhaus« Schauspielmusik im weitesten 



Sinne, kann aber in formaler Hinsicht ebenfalls als Rah- 
menmusik angesehen werden und erfiillt wie diese 
auch rein technische Zwecke (z. B. zur zeitlichen 
Uberbriickung von Dekorationsumbau). 
Die Verbindung von darstellendem Spiel und Musik 
ist in den kultischen Spielen auBereuropaischer Volker 
weit verbreitet (-> Chinesische Musik, -> Indische Mu- 
sik). Sie bildet auch die Grundlage fur das antike helle- 
nische Drama (->■ Griechische Musik). Musik erklang 
bei den geistlichen und weltlichen Spielen des Mittel- 
alters, den Trionfi, Maskenziigen, Commedie erudite 
und Tragbdien der italienischen Renaissance (-> Inter- 
medium), in den Maskenspielen am englischen Hofe 
im 16. und 17. Jh., in den auf das Moralitatenspiel des 
Mittelalters zuriickgehenden Volksschauspielen der 
Schweiz, im Schuldrama in Deutschland und bei den 
Biihnenauffuhrungen in England. Zur Zeit Beaumonts 
(t 1616) und Fletchers (f 1625) hatte sich in England 
eine typische Verwendungsart der Instrumente heraus- 
gebildet: FanfarenstoBe beim Auftritt von Fiirsten; 
Trompete zur Andeutung der Schlacht, zur Erregung 
von Angst und Schrecken; Trommel beim Auftritt 
von Offizieren, bei Marsch- und Schlachtszenen, ge- 
dampft bei Trauermusiken; Horn bei Jagdszenen; 
Flote bei Hochzeits- und Liebesszenen; Laute zur Be- 
gleitung von Liedern. - Fiir die Shakespeare-Zeit war 
die B . einer der wichtigsten Inszenierungsf aktoren (Kin- 
dermann III, S. 130ff.). AuBer »Callfor-Songs« (ein- 
gefiigte Lieder-Szenen, wahrend derer die Aktion 
ruht) verwendete Shakespeare zahlreiche »Impromp- 
tus«, die eine handelnde Person kennzeichnen (Gesang 
der Ophelia in Hamlet; Trinklieder Falstaffs). Daneben 
schrieb Shakespeare in vielfaltigerWeise instrumentale 
Musik vor, vom FanfarenstoB bis zu Tanzszenen (Mid- 
summer Night's Dream), von spharenhafter Musik im 
Tempest bis zu Hexentanzen und Geisterliedem in 
Macbeth. In der 2. Half te des 17. Jh. wurden in England 
Dramen Shakespeares und seiner Zeitgenossen mit 
Musik-, Gesangs- und Balletteinlagen so angefiillt, 
daB eine Grenze zwischen Schauspiel mit Musik und 
Oper kaum zu Ziehen ist (The English opera). An 
Komponisten sind zu nennen: J. Banister, M.Locke, 
H. -> Purcell. In Frankreich entstanden B.en (Einlei- 
tungen, rezitativische und chorische Musik) zu Dra- 
men von Corneille, Racine und -*■ Moliere. An Kom- 
ponisten traten M.-A. Charpentier, J.-B.Moreau und 
besonders Lully hervor. In Spanien wurde B. zu Dra- 
men von Lope de Vega und Calderon geschrieben; 
namhafte Komponisten waren M.Romero und C. 
Patifio. 

In Deutschland gab es instrumentale Rahmenmusik als 
festen Bestandteil von Schauspielauff iihrungen seit den 
Wanderziigen der englischen Komodianten. Angeregt 
durch die Theaterprinzipale entwickelte sich im 18. Jh. 
eine anspruchsvollere, zum Schauspiel aber meist be- 
ziehungslose Rahmenmusik. Gottsched (Kritische Dicht- 
kunst, 1730) forderte offenbar als erster, daB die Musik 
bei Schauspielauffiihrungen mit dem Inhalt des Dra- 
mas ubereinstimmen miisse. Bedeutsam sind die Aus- 
fiihrungen J. A. Scheibes (Critischer Musicus, 1787, 67. 
Stuck), die eine Asthetik der B., speziell der Rahmen- 
musik darstellen. Lessing (Hamburgische Dramaturgic, 
1767/69, 26. und 27. Stuck) stiitzt sich wesentlich auf 
Scheibe, der eine Ouvertiire (auf den Inhalt des Dra- 
mas hinfuhrend) und 2teilige Zwischenaktsmusiken 
fordert, deren 1. Satz an den Gehalt des vorausgehen- 
den Akts anschlieBt, wahrend der 2. Satz das Publikum 
auf den folgenden Akt vorbereiten soil; die SchluB- 
symphonie habe dem Ausgang des Stiicks zu entspre- 
chen. Der erste Schauspieldirektor, der die Rahmen- 
musik nicht als Nebensache betrachtete, war Konrad 



127 



Biihnenmusik 



Ernst Ackermann (1712-71) ; er verlangte, daB die 
Musik uberall auj das genaueste mit dem Inhalt des Stiickes 
iibereinstimmt(ijber die HamburgischeBuhne, 1771). Nam- 
hafte deutsche Komponisten schrieben in der 2. Halfte 
des 18. Jh. B.en, darunter: J.Haydn; Joh. Andre (Beau- 
marchais' »Barbier von Sevilien«, 1776; »K6nig Lear« 
und Macbeth, 1778); K.D.Stegmann (»K6nig Lear«, 
1780; Macbeth, 1784); J. Fr. Reichardt (Einige Hexen- 
scenen aus Schackespear's Macbeth, 1787); W.A.Mozart 
(Thamos, K.-V.336a). Ende des 18. Jh. undAnfang des 
i9. Jh. entstanden zahlreiche B.en zu Dramen von 
-> Goethe und -> Schiller, unter denen die Egmont- 
Musik Beethovens (1810) herausragt. Gerade an die- 
sem Werk wurde die Problematik des Verhaltnisses 
zwischen B. und Drama deutlich und zum Gegenstand 
widerstreitender Meinungen (A.Aber, E.Peters, A. 
Schmitz). Fawsf-Musiken komponierten u. a. : K.Eber- 
wein (1812), A.H.Furst Radziwill (1835), J.Rietz (vor 
1870), E.Lassen (1876), M. v. Schillings (1908), F.v. 
Weingartner (1908), E.Kiinneke (1911). Schiller for- 
dert B. in Die Rduber, Jungjrau von Orleans, Wallen- 
steins Lager, Wallensteins Tod, Wilhelm Tell. 
Bis zur Mitte des 19. Jh. war Rahmenmusik bei Schau- 
spielauffiihrungen obligatorisch. Neue Bestrebungen 
um eine moglichst enge Verbindung von Musik und 
Drama gingen von romantischen Dichterkreisen aus, 
so von Tieck, Novalis, Eichendorff und E. T.A.Hoff- 
mann, der selbst einige B.en schrieb (Das Kreuz an der 
Ostsee von Z.Werner, 1804/05; Die Bruder von Man- 
tible von Calderon-Schlegel, 1809; Braut von Messina 
von Schiller, 1813; Tassilo von de la Motte-Fouque). 
Aus der 1. Halfte des 19. Jh. seien noch genannt: J.N. 
Hummel (Die Ahnfrau von Grillparzer, 1 823) ; C. M. v. 
Weber (Turandot von Schiller; Preziosa von P. A. 
Wolff, 1820); Fr. Schubert (Rosamunde von H.v.Che- 
zy, 1823) ; A. Lortzing (Don Juan und Faust von Grabbe, 
1829) ; R. Schumann (Manfred von Byron, 1852) ; Fr. v. 
Flotow (»Wintermarchen«, 1859). Hochsten Rang 
nimmt Mendelssohns B. zu Shakespeares »Sommer- 
nachtstraum« (1826/43) ein. - Da es bei dem schnell 
wechselnden Spielplan nicht moglich war, fur jedes 
Schauspiel eine passende B. schreiben zu lassen, be- 
half man sich an den deutschen Theatern mit mehr 
oder weniger willkiirlich eingeschobenen Repertoire- 
stiicken. Gegen diesen Brauch richteten sich um die 
Mitte des 19. Jh. scharfe Angriffe (so F.Hiller in der 
Kotnischen Zeitung vom 25. 8. 1855 und im Kapitel 
Ztvischenaktsmusik in Aus dem Tonleben unserer Zeit, 
1868). 1855 wurde am Berliner Schauspielhaus die 
Zwischenaktsmusik abgeschafft; weitere Biihnen folg- 
ten bald. 1879 verlangte Liszt in einer Schrift Keine 
Zwischenaktsmusik mehr!, daB in einem Schauspiel 
nur die eigens fur dieses komponierte Musik verwen- 
det werden diirfe. Bedeutende B.en der 2. Halfte des 
19. Jh. sind Bizets L'/lr/c'sicn«c-Musik zu Daudets 
Drama sowie Griegs Peer Cynt (1876) fur Ibsen; zu 
dessen »Fest auf Solhaug« schrieben Pfitzner (1889) und 
H. Wolf (1892) B.en. Viel gespielt wurde auch Pfitzners 
B. (1905) zu Kleists Kathchen von Heilbronn. Im natura- 
listischen Drama wird B. weniger verwendet; aber bei 
G.Hauptmann (Fuhrmann Henschel, 1898), C.Zuck- 
mayer (Der frohliche Weinberg, 1925) u. a. dient sie zur 
Hervorhebung dramatischer, folkloristischer Ziige 
usw. Starke Anregungen fiir die B. kamen vom ge- 
fiihlsbetonten, lyrisch angelegten Drama der Neuro- 
mantik ; hier war die Musik wieder beruf en, Stimmun- 
gen zu wecken, zu stutzen oder verklingen zu lassen (Nies- 
sen). Wichtig war das dramatische Schaffen Maeter- 
lincks, fiir den u. a. J.D.Davis, C.Scott, D.Fr.Tovey, 
N.O'Neille, E.Humperdinck B.en schrieben. - Mit 
der Musik von M.Marschalk erregten um diejahrhun- 



dertwende G.Hauptmanns Traumdichtung Hanneles 
Himmelfahrt (1893) sowie sein Glashiittenmarchen Und 
Pippa tanzt (1906) Aufsehen. Im 1. Jahrzehnt des 20. Jh. 
schrieb E. Humperdinck fiir den Regisseur Max Rein- 
hardt in Berlin von der Dichtung inspirierte und vom 
impressionistischen Stil der Inszenierung bestimmte 
vorbildliche B.-Werke, u. a. zu Shakespeares »Winter- 
marchen« (1906), »Was ihr wollt«, »Der Sturm« (1907). 
Fiir Reinhardt komponierten auch R.Strauss, F.v. 
Weingartner und d'Albert. Mehr und mehr entstehen 
die B.en in enger, experimentierfreudiger Zusammen- 
arbeit zwischen Regisseur und Komponist, wobei die 
Tatigkeit des Musikers durchaus eigenschopferisch 
bleibt. Beispiele solcher Zusammenarbeit bieten 
-> Weill und ->■ Dessau mit B. -*■ Brecht, der im Sinne 
seines »Epischen Theaters« neue und eigene Forderun- 
gen, vor allem in der Textausdeutung, an die B. stellte. 
Zu erwahnen sind auch D.Milhaud und A.Honegger 
mit B.en fiir Anouilh, Claudel, Cocteau, Gide u. a. 
1939 schrieb C. Orff seine oft gespielte »Sommemachts- 
traum«-Musik (6. Fassung 1964), die (im Gegensatz zu 
Mendelssohns romantischer, poesievoller Melodik) 
unter Betonung des rhythmischen Elements die Shake- 
spearsche Wortdiktion intensiviert und auf groBere 
Formen verzichtet. An zeitgenossischen deutschen B.- 
Komponisten seien genannt: B.Eichhorn, K.Heuser, 
Mark Lothar, E.Mausz, G.Miinch, H.Trantow, W. 
Zeller. Die elektroakustischen Anlagen der heutigen 
Theater bieten neue Moglichkeiten durch Einspielung 
der B. von Tontragern. Die modernen Dramatiker ge- 
ben oft vielfache, prazisierte und differenzierte Anwei- 
sungen fiir die B. Hingewiesen sei auf F.Garcia Lorca 
(Amor de Don Perlimplin con Belisa en su jardin, 1931; 
Dona Rosita la soltera, 1935) und Th. Wilder, der sich 
in Our Town (1938) der Technik des »gesehenen H6r- 
spiels« mit zahlreichen akustischen Effekten bedient und 
zur Charakterisierung des Kleinstadtburgertums und 
einer amerikanischen »Allerweltshochzeit« das (gleich- 
zeitig desillusionierend wirkende) Einspielen von Han- 
dels beruhmtem Largo, dem Brautchor aus Lohengrin 
und Mendelssohns Hochzeitsmarsch verlangt. Im pa- 
rodistischen Sinne verwendet, begegnet B. u. a. bei J. 
Anouilh (Spiel der Klarinette inLe bal des voleurs, 1938). 
In J. Osbornes, nach der Technik der Music-hall ge- 
schriebenem Entertainer (1957) sind Songs und Rock 
and Roll-Einlagen wichtig. 

Lit. : L. Schneider, tlber d. Musik auf d. Biihne, Caecilia 
XXVII, Mainz 1848; F. Hiller, Aus d. Tonleben unserer 
Zeit, Bd I, Lpz. 1 868 ; Fr. Liszt, Keine Zwischenaktsmusik 
mehr!; Gesammelte Schriften, hrsg. v. L. Ramann, III, 1, 
Lpz. 1881, S. 136ff.; A. Schaefer, Hist. u. systematisches 
Verz. samtlicher Tonwerke zu d. Dramen Schillers, Goe- 
thes, Shakespeares, Kleists u. Korners, Lpz. 1886; F. Pe- 
drell, La musique indigene dans le theatre espagnol du 
XVIP s., SIMG V, 1903/04; F. Busoni, Entwurf einer neu- 
en Asthetik d. Tonkunst, Triest 1907, Lpz. 21916, Wiesba- 
den 1954; E. Istel, Schauspielmusik, in: Das literarische 
Echo IX, 1906/07, Bin 1907; J. Simon, Faust in d. Musik, 
= Sig »Die Musik« XXI, hrsg. v. R. Strauss, Bin 1907; N. 
O'Neill, Music to Stage Plays, Proc. Mus. Ass. XXXVII, 
191 1 ; H. G. Meyer-Ball, Die Instrumentalmusik in Beau- 
mont u. Fletchers Dramen, Diss. Lugano 1916; E. Re- 
fardt, Die Musik d. Basler Volksschauspiele d. 16. Jh., 
AfMw III, 1921; E. v. Waldthausen, Die Funktion d. 
Musik im klass. deutschen Schauspiel, Diss. Heidelberg 
1921, maschr. ; H. Tiessen, Die Tonkunst im Rahmen d. 
Schauspielbiihne, in: Die Volksbuhne II, 1921/22, H. 1; 
O. Bie, Schauspiel mit Musik, in : Das deutsche Theater d. 
Gegenwart, hrsg. v. M. Krell, Miinchen u. Bin 1923; Fr. 
Mirow, Zwischenaktsmusik u. B. d. deutschen Theaters in 
d. klass. Zeit, Diss. Erlangen 1923, = Schriften d. Ges. f. 
Theatergesch. XXXVII, Bin 1927; A. Aber, Die Musik im 
Schauspiel, Lpz. 1926 ; A. Schmitz, Beethoven, Bonn 1927 ; 
H. Pfitzner, Gesammelte Schriften III, Augsburg 1929; 



128 



Bulgarien 



E. Peeters, Musik im Schauspiel, in : Prisma XI, 1 934/35 ; 
J. Klaiber, Die Aktform im Drama u. auf d. Theater, 
= Theater u. Drama VI, Bin 1 936 ; H. Wirth, J. Haydn als 
Dramatiker, Wolfenbiitte! 1940; A. L. Livermore, The 
Span . Dramatists and Their Use of Music, ML XXV, 1 944 ; 
O. Riemer, Musik u. Schauspiel, Zurich 1946; Gr. H. Bar- 
fuss, Biihne u. Musik in d. Neuromantik, Diss. Koln 1948, 
maschr. ; K. W. Pullen, Die Schauspielmusiken E. Hum- 
perdincks, Diss. Koln 1 95 1 , maschr. ; H. Wanderschreck, 
B., Das Musikleben IV, 1951; Fr. W. Sternfeld, The 
Dramatic and Allegorical Function of Music in Shake- 
speare's Tragedies, Ann. Mus. Ill, 1955; ders., Music in 
Shakespearean Tragedy, London 1963 ; Songs from Shake- 
speare's Tragedies, hrsg. v. dems., London 1964; J. S. Ma- 
nifold, The Music in Engl. Drama from Shakespeare to 
Purcell, London (1956); H. Eichhorn, K. E. Ackermann 
u. d. Ackermannische Ges., Diss. Bin 1957, maschr.; La 
musique de scene de la troupe de Shakespeare, hrsg. v. J. P. 
Cutts, Paris 1959, dazu Fr. W. Sternfeld in: ML XLI, 
1960; J. H. Long, Shakespeare's Use of Music, Gaines- 
ville (Florida) 1961 ; R. E. Moore, H. Purcell and the Re- 
storation Theatre, London (1961); H. Chr. Worbs, Die 
Funktion d. Schauspielmusik im Drama d. Gegenwart, 
MusicaXV, 1961 ; H. Mayer Brown, Music in the French 
Secular Theatre, 1400-1550, Cambridge (Mass.) 1963; 
Theatrical Chansons of the Fifteenth and Early Sixteenth 
Cent., hrsg. v. dems., ebenda 1963 ; G. H. Cowling, Music 
on the Shakespeare Stage, NY 1964; C. Orff, Musik zum 
Sommernachtstraum, Shakespeare- Jb. C, hrsg. v. d. Deut- 
schen Shakespeare-Ges., Heidelberg 1964. - H. Kinder- 
mann, Theatergesch. Europas, Salzburg (1957ff.). 

Bunde (engl. frets; frz. touches; ital. tasti; span, tras- 
tes), quer iiber das Griff brett von Saiteninstrumenten 
gebundene Saitenstiicke oder aufgesetzte Holz- oder 
Metalleisten, die als Sattel wirken und die Saite ab- 
teilen, wenn kurz hiriter ihnen der Finger aufgesetzt 
wird. Der Klang der gegriffenen Saite auf einem In- 
strument mit B.n ist dem einer leeren Saite ahnlich. B. 
ermoglichen auf Saiteninstrumenten eine feste Stim- 
mung und Temperatur. Als Faustregel f iir die Anlage 
von B.n im Halbtonabstand im modernen Tonsystem 
gilt, daB vom Sattel oder vom letzten Bund i/ig der 
Saitenlange abgeteilt wird. B. haben vor allem ->■ Zupf- 
instrumente seit den ersten Belegen aus dem alten 
Orient. An Streichinstrumenten sind sie selten ; sie sind 
charakteristisch u. a. fur die Viola da gamba. Dem 
Prinzip der B. ahnlich sind die Griffmarken (z. B. am 
-»■ K'in) ; stegartige B. hat die ->■ Vina. Beim gebunde- 
nen Clavichord teilen mehrere Tangenten eine Saite ab. 

BufTo (ital., von buff one, Hofnarr, komische Theater- 
figur) ; die Bezeichnung B. fur eine komische Charak- 
terrolle taucht in der italienischen Oper im 17. Jh. auf. 
Die (nach Stimmlage unterschiedenen) Facher des 
Tenor- und des BaB-B. (ital. basso comico) setzen ne- 
ben stimmlichen Qualititen groBes Spieltalent voraus. 
Im Unterschied zur Opera seria, in der der BaB Neben- 
rollen hatte, erhielt in der Opera buff a der 2. Half te des 
18. Jh. der Basso b. tragende Rollen. Die Fachbezeich- 
nung fur die weiblichen Rollen heiBen -> Soubrette 
und Spielaltistin (-> Alt). In der neueren Operette hat 
sich das Fach des Tanz-B.s herausgebildet, das vor al- 
lem tanzerische und darstellerische Begabung erfor- 
dert. - Parti buff e sind komische Szenen im Gef iige der 
venezianischen Oper, die zu den historischen Vorlau- 
fern der Opera buffa zahlen. 

BufTonistenstreit (frz. querelle des bouffons), schlag- 
wortartige Bezeichnung der fur die Geschichte der 
Oper bedeutsamen Auseinandersetzung zwischen den 
Anhangern der italienischen Musik, den Buffonisten, 
und denen der franzosischen Musik, den nationalge- 
sinnten, in erster Linie zur Aristokratie zahlenden Anti- 
buffonisten. Der B. entstand 1752 in Paris und wahrte 
unterschwellig noch bis in die Mitte der 1770er Jahre, 



als sich Publikum und Kritiker nach Glucks Reform- 
opern in Gluckisten undPiccinnisten (den Parteigangem 
von ->■ Piccinni) spalteten. AuBerer AnlaB fur den B. 
waren die Vorstellungen mit -> Pergolesis Serva padro- 
na und einigen anderen Intermezzi in der Zeit von 
1752-54 durch eine italienische Truppe, nach der fran- 
zosischen Bezeichnung fur diese Intermezzi Bouffons 
genannt, an der Pariser Opera. (Bis 1752 war die Buffo- 
oper in Paris nur auf den Foires von Saint-Germain 
und Saint-Laurent aufgefiihrt worden.) Ein grofler 
Teil des Publikums und namhafte Kritiker wie J.-J. 
-> Rousseau, Fr.M. -> Grimm und Diderot begrufiten 
lebhaft die Aufnahme der volkstumlichen italienischen 
Buffokunst, in der sie das neue Ideal des Gef uhlsmaGi- 
gen und Natiirlichen (Rousseau: ni force, ni baroque) 
verwirklicht sahen, gegenuber dem als riickstandig 
betrachteten stilisierten Pathos der rationalistischen 
franzosischen Operntradition : der Tragedie lyrique 
Lullys und J.-Ph. Rameaus. Noch zu Rameaus Lebzei- 
ten bildete sich (vor allem durch eine Weiterentwick- 
lung der Comedie melee d'ariettes, beginnend mit 
RousseausLe devin du village, 1752) die Opera-comique 
als eigenstandige, heitere franzosische Oper heraus, die 
im Gegensatz zur italienischen Opera buffa aus Griin- 
den sprachlicher Prosodie den gesprochenen Dialog 
verwendet. 

Lit. : A. Jullien, La musique etlesphilosophesauXVIIP s., 
Paris 1873; E. Hirschberg, Die Encyclopadisten u. d. frz. 
Operim 18. Jh., Lpz. 1903;L. de La Laurencie, Les bouf- 
fons, Bull. frc. de la Soc. internationale de musique VIII, 
1912; G. Cucuel, Les createurs de Popera-comique frc., 
Paris 1914; L. E. Reichenborg, Contribution a l'hist. de la 
»Querelle des Bouffons«, Paris 1937; N. Boyer, La guerre 
des bouffons et la musique frc., Paris 1945 ; A. R. Oliver, 
The Encyclopedists as Critics of Music, NY 1947. 

Bugaku (japanisch), Tanzwerke, die, zuerst in der 
Heian-Zeit (etwa 9.-12. Jh.), auf Tanzbiihnen (butai) 
aufgefiihrt wurden und von denen einige noch heute 
im traditionellen japanischen Theater lebendig sind. 
B. gibt es entsprechend dem chinesischen bzw. koreani- 
schen Stil der Orchestermusik als Links- (sa-no-mai) 
und Rechtstanze (u-no-mai) ; sie werden bei der Auf- 
fiihrung zu Paartanzen zusammengefiigt. B. wird von 
einem nur aus Blasern bestehenden Ensemble begleitet. 
-»■ Gagaku. 

Bukarest. 

Lit.: A. M. Musicescu, Din trecutul muzicii noastre. In 
ceputurile concertelor simfonice la Bucuresti (»Aus d. 
Gesch. unserer Musik. Die Anfange d. symphonischen 
Konzerte in B.«), Muzica IV, 1954; Fr. Poloczec, Z cin- 
nosti folkloristickeho institutu v Bukuresti (»Von d. Tatig- 
keit d. Folklore-Inst. in B.«), Hudebni rozhledy IX, 1956; 
I. Dumitrescu, Muzica in Bucurestiul . . . , B. 1959; O. L. 
Cosma, Opera romineasca, 2 Bde, B. 1962. 

Bulgarien. 

Ausg.: V. Jagic, Psalterium Bononiense, Wien, Bin u. St. 
Petersburg 1907 ; V. Stoin, Narodni pesni ot Timok do Vi- 
ta (»Volkslieder v. Timok bis Vita«), Sofia 1 928 ; D. Chris- 
tov, 66 chansons populaires des Bulgares macedoniens, 
Sofia 1931 ; St. Djoudjeff, Melodies bulgares de l'Albanie 
du Sud, Belgrad 1936; I. Kamburov, Bulgarski narodni 
pesni (»Bulgarische Volkslieder«), Sofia 1941 ; R. Katza- 
rova, Dances of Bulgaria, = The National Dances of Eu- 
rope XVII, London 1 95 1 ; B. Coner, Bulgarski narodni . . . 
(»Bulgarische Volkstanze d. Rutscheniza«), Sofia 1956; 
G. Keremidciev, Savramenata bulgarska narodna pesen 
(»Zeitgenossische bulgarische Volkslieder«), Sofia 1958. 
Lit. : A. Nikolov, Der altbulgarische Kirchengesang nach 
russ. nptierten Hss. aus d. 17./18. Jh., Sofia 1921 (bulga- 
risch); P. Panoff, Altslawische Volks- u. Kirchenmusik, 
Biicken Hdb. ; St. Djoudjeff, Rythme et mesure dans la 
musique populaire bulgare, Inst, d'etudes slaves XII, Pa-: 
ris 1931; W. Spassov, Volksmusik, Volksmusikinstr. u. 



129 



BUMA 



Tanze d. Bulgaren, Diss. Wien 1931; Chr. Obreschkof, 
Das bulgarische Volkslied, = Berner Veroff. zur Musik- 
forschung IX, Bern 1937 ; K. Nikolov, Beitr. zum Studium 
d. bulgarischen Volksliedes (Metrik, Rhythmik, Tonalitat), 
Bin 1942; Lj. Romansky, Die einfachen Koledo-Refrains 
d. bulgarischen Weihnachtslieder, Sofia 1942; St. Bra- 
schowanov, Gesch. d. Musik, Sofia 1946 (bulgarisch) ; B. 
A. Kremenliev, Bulgarian-Macedonian Folk Music, Ber- 
kely 1952; R. Palikarova-Verdeil; La musique byzantine 
chez les Bulgares et les Russes, = Monumenta musicae 
byzantinae, Subsidia HI, (Copenhagen 1953; St. Petrov, 
Ocerci po istorija na bulgarskata muzikalna kultura, Bd I, 
Sofia 1959; M. M. Velimirovic, Byzantine Elements in 
EarlySlavicChant, 2Bde, = Monumenta musicae byzanti- 
nae, Subsidia IV, 1-2, Kopenhagen 1960; E. Pantzscheff, 
Die Entwicklung d. Oper in B., = Wiener Abh. zur Mw. 
u. Instrumentenkunde IV, Wien 1962. 

BUMA, Het Bureau voor Muziek-Auteursrecht (Nie- 
derlande) ; -> CISAC. 

Burgenland. 

Lit.: 25 Jahre Erforschung u. Pflege d. Volksliedes im B., 
Eisenstadt 1 952 ; K. M. Klier, Weihnachtslieder aus d. B., 
Burgenlandische Forschungen XXVIII, 1955; ders., Das 
Totenwacht-Singen im B., ebenda XXXIII, 1956; ders., 3 
hs. Liederbucher aus d. B., ebenda XXXVIII, 1958; A. 
Riedl u. K. M. Klier, Lieder, Reime u. Spiele d. Kinder im 
B., Eisenstadt 1957; dies., Lied-FIugblattdrucke aus d. B., 
Eisenstadt 1958; J. Harich, Esterhazy-Mg. im Spiegel d. 
zeitgenossischen Textbiicher, Burgenlandische Forschun- 
gen XLXI, 1959. 

Burgundische Musik, ein- in der Musikgeschichts- 
schreibung relativ junger Begriff, der aber schon ver- 
schiedene Wandlungen erfahren hat. In seinem ur- 
spriinglichen Sinn (Gurlitt, Marix) umschlieBt er die 
am burgundischen Hof bliihende Musik, besonders 
wahrend der Regierungszeit Philipps des Guten (1419- 
67). Die wichtigsten Reprasentanten der B.n M. sind 
Grenon, Binchois, Philippe de la Folie (genannt Foliot), 
Constant de Trecht, P.Fontaine, Hayne van Ghizeg- 
hem, Gillesjoye, Jacques Vide, R. Morton und Busnois. 
Gurlitt, der auch Dufay mit einbezieht, weist dem 
burgundischen Staatswesen fur die Musikgeschichte 
eine ahnlich zentrale Rolle zu, wie es Huizinga in 
»Herbst des Mittelalters« fiir die allgemeine Kulturge- 
schichte getan hatte; folgerichtig erweiterte Besseler 
1931 den Begriff zur »Burgundischen Epoche« (S. 
184fL); er ersetzte damit die seit einem Jahrhundert 
iibliche Bezeichnung »erste niederlandische Schule« 
fiir diese Epoche, die von der Personlichkeit Dufays 
beherrscht wird. Obwohl dessen Beziehungen zum 
burgundischen Herzog nur lose waren, wurde der Be- 
griff einer »Burgundischen Epoche« allgemein iiber- 
nommen. Fiir die einen ersetzte er endgiiltig die "Nie- 
derlandische Schule«, fiir die anderen die »Ecole franco- 
flamande« (tiber diese Begriffe vgl. S.Clercx, Intro- 
duction . . .). Ch. Van den Borren iibernahm den Ter- 
minus, nuancierte jedoch den Begriff, indem er vor- 
schlug (Geschiedcnis van de muziek . . . I, S. 69ff.), die- 
ses Zeitalter »italo-burgundisch« zu nennen, um Italien 
mit einzubeziehen. Spater revidierte Besseler seine 
friihere Auffassung und beriicksichtigte den Anteil der 
»wallonischen« und besonders der aus dem Hennegau 
stammenden Musiker des 15. Jh. (Bourdon und Faux- 
bourdon, S. 193fL); da er keinen adaquaten Terminus 
fand, um eine Schule zu bezeichnen, die mehrere Mu- 
sikzentren umschlieBt, kommt er auf die alte Bezeich- 
nung »Niederlandische Schule« zuriick und behalt le- 
diglich fiir die hofische Chanson des 15. Jh. die Be- 
zeichnung »Burgundische Musik« bei. Eine kritische 
Stellungnahme erfordert einen erneuten Blick auf die 
geschichtlichen und musikalischen Gegebenheiten. 
- Zum geschichtlichen Sachverhalt: Der burgundische 
Hof des 14. Jh. war wie derjenige von Berry, Orleans und 



Anjou franzosisch. Philipp der Kiihne (1364-1404) han- 
delte zeitlebens nur als franzosischer Fiirst und war der 
Regierungdes (franzosischen) Konigreichs eng verbun- 
den. Seine Interessen fiir Brabant und Flandern hatten 
nur das eine Ziel, seine Macht in Frankreich zu ver- 
groBern. Die Haltung von Johann ohne Furcht (1404- 
19) war die gleiche. Selbst Philipp der Gute blieb zeit- 
lebens ein franzosischer Fiirst; seine Kanzler und Rat- 
geber waren Franzosen und sein Hof war uberwiegend 
franzosisch bestimmt. Die Verhaltnisse anderten sich 
unter Karl dem Kuhnen (1467-77), der in eine der 
franzosischen Monarchic mehr und mehr feindliche 
Politik hineingezogen wurde. Sein Hofstaat, bestehend 
aus brabantischen, flamischen und hennegauischen Ad- 
ligen, verwandelte die Atmosphare des Hofes, aber 
seine Ratgeber blieben Burgunder. 1477 eroffnete das 
Grand Privilege, erlassen von Marie von Burgund, den 
Zugang zum groBen Rat auch den Vertretern von Ar- 
tois, der Picardie, Hennegau, Namur, Brabant, Flan- 
dern, Holland-Seeland, Luxemburg und Limburg, so 
daB in ihm nur noch vier Burgunder vertreten waren 
(Pirenne II, S. 16f.). Mit der Katastrophe von Nancy, 
wo Karl der Kiihne ums Leben kam, verlor die bur- 
gundische Familie ihr Stammesherzogtum, und es ge- 
lang weder Philipp dem Schonen noch Karl V., es den 
Erben Philipps des Guten zuruckzugeben. - Zum mu- 
sikalischen Sachverhalt : Die Musik unter Philipp dem 
Kiihnen und Johann ohne Furcht war franzosisch. Sie 
hatte in Dijon ihr Zentrum. Philipp der Gute hatte die 
Kapelle seines Vaters geerbt, und deren Musiker waren 
an der Schule von Notre-Dame in Paris ausgebildet, an 
der Sainte-Chapelle oder auch in Chartres, Rouen und 
Toul. Bei haufigem Ortswechsel zwischen Dijon und 
den nordlichen Residenzen des Hofes blieb die Kapelle 
in der Auswahl der Musiker franzosisch. Die Anzahl 
der aus dem Norden eingestellten Musiker war sehr 
gering (1436 im Verhaltnis 3 : 20, 1439 - 3:18, 1442 - 
3:22, 1447 - 4:21, 1452 - 4:21, 1464 - 4:24). Die 
ersten Chapelains, die die Oberleitung der Kapelle 
hatten, waren (mit einer Ausnahme) Franzosen. In der 
Tat blieb die Kapelle Philipps des Guten - wie ihr 
Herr - franzosisch orientiert. Diese Lage anderte sich 
unter Karl dem Kuhnen und Marie von Burgund, und 
die Kapelle Philipps des Schonen bestand fast aus- 
schlieBlich aus Musikern aus den Pays-Bas (vgl. Van 
Doorslaer). Diese historischen Tatsachen fordern hin- 
sichtlich des Begriffs der »Burgundischen Musik« eine 
neue vorsichtige Fragestellung : Konnen die Musiker, 
die am burgundischen Hof lebten oder von einem an- 
deren Ort aus fiir die Herzoge arbeiteten oder deren 
Werke in den Handschriften zum Gebrauch der her- 
zoglichen Kapelle gesammelt wurden, »burgundisch« 
genannt werden? Kann die Musik, deren Autoren sie 
sind, dieses Beiwort unzweideutig bekommen? Kurz: 
muB das Wort »burgundisch« synonym mit »franzo- 
sisch« verstanden werden oder im Gegenteil als Frank- 
reich »fremd«? Zur Beantwortung der Frage sind 
verschiedene Abschnitte der Geschichte zu unterschei- 
den. Zweifellos wurden die ersten Musiker, die aus der 
Kapelle von Dijon hervorgingen (Grenon, Philippe de 
la Folie, P.Fontaine, R. de Locqueville) niemals als 
»Burgunder«, sondern mit Recht als Franzosen bezeich- 
net. Warum sollte man also die Bezeichnung »Burgun- 
der« auf einen Dufay, Binchois, Gilles Joye, Regis, R. 
Morton und Busnois anwenden? Im Hinblick auf die 
Musik geniigt die Feststellung, daB die wichtigsten 
Komponisten der Epoche Philipps des Guten, Dufay 
und Binchois, ebenso wie Fontaine, Foliot, Locqueville 
wesentlich durch die Tradition der franzosischen Mu- 
sik des 14. Jh. gepragt wurden. Dufay und Binchois 
verwandelten das Erbe der franzosischen .-> Ars nova 



130 



Burla 



in Beruhrung mit der italienisohen und der englischen 
Musik. Noch gegen Ende des 15. Jh. bezeugt es Tinc- 
toris. Worin liegt in den Messen, lateinischen und 
franzosischen Motetten, den franzosischen Chansons 
das »Burgundische«? Worin unterscheidet sich diese 
Musik in Form und Kompositionsart vom Werk der 
A. und H. de Lantins, von Feragut, G. Legrant, Johan- 
nes de Lymburgia, Brassart, J. Fr. de Gemblaco, H. 
Battre - Franzosen oder Liitticher, die man nicht der 
burgundischen Schule zuzahlen kann? Konkordanz- 
vergleich der Handschriften laBt oft Abschreibever- 
wechslungen erkennen und die Stilanalyse vermag die 
Zuweisung nicht immer sicher zu entscheiden. In der 
Tat reprasentieren diese Musiker eine europaische 
Kunst, was sich aus ihrer umfangreichen Reisetatigkeit 
erklart. Aber indem seit der Regierungszeit Karls des 
Kiihnen Musiker aus Flandern und Brabant gerufen 
wurden und die Abspaltung von Frankreich immer 
deutlicher in Erscheinung trat, gewann der burgundi- 
sche Hof eigenstandiges Geprage. Die Musikhand- 
schriften, die Berichte der Chronisten und die Ge- 
schichte des Hauses Burgund enthullen ein strahlendes 
Zentrum von musikalischer Aktivitat und schopferi- 
scher Kraft. Hofische und geistliche Musik strebten in 
der 2. Halfte des 15. Jh. auBerster Verfeinerung zu: 
Verflochtenheit, bewirkt durch Brechung der Melodie- 
ziige, mit Imitationen in Engfiihrung, die den durch- 
imitierenden Stil ankiindigen; formelhaft verlangerte 
Kadenzen, raffinierte Dissonanzen, die oft genug um 
ihrer Originalitat willen kultiviert werden; rhythmi- 
sche Kontraste im einzelnen, die haufig auf »Arhyth- 
mie« hinauslaufen; Raffinement in der Notation; Vor- 
liebe fiir Kanonprobleme, fiir das musikalische Ratsel, 
wo die Gelehrsamkeit der literarischen Anspielung 
oder sogar dem Wortspiel nahesteht. Der Stil ist orna- 
mental bestimmt im Gegensatz zum Stil Ockeghems. 
Diese besonders am Werk von Busnois gewonnenen 
Erkenntnisse belegt Van den Borren auch an den Wer- 
ken anderer Musiker, die am burgundischen Hof oder 
in seinem Umkreis gelebt haben: Cornelius Heyns, 
Regis, Richard Codex, Frye, Hayne van Ghizeghem, 
R. Morton. Diese Eigenheiten, ihre auf eine bestimmte 
Gesellschaftsschicht begrenzte Anwendung durch Mu- 
siker, die im gleichen Territorium lebten, namlich in 
den nordlichen Besitzungen der Herzoge von Bur- 
gund, spiegeln unbestreitbar eine Schule. Es ist das 
erste Mai, daB die am herzoglichen Hofe gepflegte 
Musik in diesem MaBe eigenstandig ist. Deshalb kann 
diese Musik (obwohl keiner der Komponisten, die sie 
beriihmt machten, Burgunder war) vielleicht »bur- 
gundisch« genannt werden, wenn man sich auf diesen 
Namen geeinigt hat. Aber aus dieser Schule einen all- 
gemeinen Stil zu machen (»Spatzeit . . . des burgundi- 
schen Stils«, Besseler, Die Musik des Mittelalters . . ., S. 
210ff .) ist gewagt, denn einer Epoche diesen Namen zu 
geben, so kurz sie auch sei, bedeutet, daB Musiker mit 
einbezogen werden miissen, die in einem anderen Um- 
kreis lebten und anderen kiinstlerischen Zielen folgten. 
In Paris, an der Loire, von wo der franzosische Hof aus- 
strahlte, in den groBen franzosischen -»■ Maitrisen ver- 
traten Ockeghem, Compere, Basiron, Caron, Brumel, 
Fevin, Verbonnet, Prioris und Josquin, in Antwerpen 
Barbireau, den internationalen Stil, den der alternde 
Dufay noch in Cambrai praktiziert hatte, und entwik- 
kelten ihn weiter. In Mailand, Ferrara, Florenz, Neapel 
und in der papstlichen Kapelle entstand ein neuer mu- 
sikalischer Stil ; hier haben Josquin, Gaspar van Weer- 
beke, A. Agricola, Isaac und Obrecht der groBen fran- 
zosischen Tradition auf Grund ihrer Beruhrung mit 
einer spontaneren italienischen Musik Leichtigkeit, 
Kraft und Grazie hinzugefiigt, jene Durchsichtigkeit 



und Klarheit der Schreibweise, wie sie das ganze 15. Jh. 
hindurch in Italien lebendig waren. Aus der Verbin- 
dung dieser drei musikalischen Zentren (burgundischer 
Hof - Frankreich - Italien) sollte ein neuer intematio- 
naler Stil entstehen: der des 16. Jh. (-> Niederlan- 
dische Musik; -» Franko-flamische Schule.) 
Lit. : J. Molinet, Les faictz et dictz . . . , hrsg. v. N. Dupire, 
3 Bde, Paris 1936-39; L. E. S. J. de Laborde, Les dues de 
Bourgogne: etudes sur les lettres . . . pendant le XV e s., 
3 Bde, Paris 1849-52; J. Huizinoa, Herfsttij der middel- 
eeuwen, Haarlem 1919, Ausg. letzter Hand 1941, deutsch 
v. T. Wolff-Monckeberg u. E. Lerch als: Herbst d. MA, 
Miinchen 1923, neue Bearb. v. K. Kdster, = Kroners Ta- 
schenausg. CCIV, Stuttgart 8(1961); W. Gurlitt, Bur- 
gundische Chanson- u. deutsche Liedkunst d. 1 5. Jh., Kgr.- 
Ber. Basel 1924; O. Cartellieri, Am Hofe d. Herzoge v. 
Burgund, Basel 1926, engl. London 1929; H. Besseler, Die 
Musik d. M A u. d. Renaissance, Biicken Hdb. ; ders., Bour- 
don u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; M. Emmanuel, Hist, de 
la musique: l'6cole bourguignonne, in: Ass. des Soc. sa- 
vantes, XI e Congres 1 934 ; G. Van Doorslaer, La chapelle 
mus. sous Philippe-le-Beau, Rev. beige d'archeologie et 
d'hist. de l'art IV, 1934; E. Dahnk, Musikausiibung an d. 
Hdfen v. Burgund u. Orleans, Arch. f. Kulturgesch. XXV, 
1935; E. Dannemann, Die spatgotische Musiktradition in 
Frankreich u. Burgund, = Slg mw. Abh. XVII, StraBburg 
1936 ; J. Marix, Les musiciens de la cour de Bourgogne au 
XV's., Paris 1937 (Ausg.); dies., Hist, de la musique et des 
musiciens de la cour de Bourgogne . . ., = Slg mw. Abh. 
XXVIII, StraBburg 1939; W. Stephan, Die burgundisch- 
nld. Motette . . . , = Heidelberger Studien zur Mw. VI, 
Kassel 1937; A. Pirro, Hist, de la musique de la fin du 
XIV e s. a la fin du XVI e , Paris 1940; Ch. Van den Borren, 
Etudes sur le XV e s. mus., Antwerpen 1941 ; ders., Geschie- 
denis van de muziek in de Nederlanden I, Amsterdam u. 
Antwerpen 1948; ders., La musique en Belgique, Briissel 
1950; P. Bonenfant, Philippe-le-Bon, Briissel 1943; H. 
Pirenne, Hist, de Belgique, 2 Bde, Briissel 1948; A. Van 
der Linden, Les aveugles de la cour de Bourgogne, RBM 
IV, 1 950 ; S. Clercx, Introduction a 1'hist. de la musique en 
Belgique, RBM V, 1951 ; E. A. Bowles, Instr. at the Court 
of Burgundy, TheGalpinSoc. Journal VI, 1953; C. Brooks, 
A. Busnois, JAMS VI, 1953; G. Reese, Music in the Re- 
naissance, NY (1954, 2 1959); La Renaissance dans les pro- 
vinces du Nord, hrsg. v. Fr. Lesure, Paris 1956; R. B. 
Lenaerts, Contribution a l'hist. de la musique beige de la 
Renaissance, RBM IX, 1955; Fl. Van der Mueren, Ecole 
bourguignonne, ecole n6erlandaise ou d6but de la Renais- 
sance?, RBM XII, 1958. SC 

Burla (ital., SpaB, Spott), Posse; von B. abgeleitet 
Burlesca, Bourlesca, Burlesque (frz.), Burleske, Kom- 
position heiter-karikierenden oder derb-komischen 
Charakters, seit dem 18. Jh. wiederholt zur Bezeich- 
nung von Instrumental-, vor allem Klaviersatzen ver- 
schiedener GroBe und Form gebraucht. In J. S.Bachs 
Partita III A moll (BWV 827) steht als 5. Satz eine Bur- 
lesca, in Schumanns Albumblatter op. 124 (komponiert 
1832-45) Nr 12 eine B. Das umfangreichste Stuck die- 
ses Genres komponierte R. Strauss mit seiner Burleske 
fur Kl. und Orch. (1885). Bekannt sind auch die Bur- 
lesken op. 58 fiir Kl. von M.Reger, einem Meister der 
-> Humoreske, die Burlesques op. 8c (1908-11) von 
Bartok und die Burlesken op. 31 von Toch. Auch in der 
modernen Kammermusik (Casella, Siciliana e Burlesca 
fiir Kl., V. und Vc.) und bei Orchesterstiicken (Bartok, 
Burlesque op. 2 ; Fr. Schmitt, Ronde Burlesque) sowie in 
der Unterhaltungsmusik (fiir Salonorchester) tauchen 
die Bezeichnungen auf. - Mit B. oder Burletta bezeich- 
nete man im 18. und friihen 19. Jh. auch eine Opera 
buff a (J.Haydns L'Infedelta delusa, 1773), deren Hand- 
lung von kontrastreicher, oft scharf karikierender Ko- 
mik getragen war. In ahnlichem Sinn werden fiir Biih- 
nenwerke noch im 20. Jh. von B. abgeleitete Bezeich- 
nungen angewandt, z. B. Burleske Operette (Kfenek, 
Schwergewicht) oder Scenes burlesques (Strawinsky, 
Petrouchka). 



131 



Burlesca 



Burlesca (ital.) -*- Burla. 

Busine (altfrz. und mhd., von lat. -»- bucina, von der 
sie aber sachlich verschieden ist; frz. auch cor sarrasi- 
nois), ist eine lange, gestreckte, seltener auch gebogene 
Blechtrompete mit Sturze und Mundstiick, deren Na- 
me zuerst in der Chanson de Roland (um 1100) auf- 
taucht. Die B. ist dem arabischen Nafir nachgebildet, 
der im Heer der Sarazenen geblasen wurde. Die B. 
wird oft in mittelalterlichen Dichtungen erwahnt, da- 
bei werden ihre fremdlandische Herkunft (Wolfram 
von Eschenbach, Willehalm: uz Thusi di waren braht; 
Wirnt von Gravenberg, Wigalois : Man horte da busine 
uil / Bldsen nach der heiden sit) und ihr lauter, schmettern- 
der Ton hervorgehoben. Als Heroldinstrument, mit 
dem an ihr befestigten Banner, gehorte die B. in das 
Gefolge der Fursten im Feldzug und beim Turnier. 
Neben dem Adel hatten auch einige freie Stadte das 
Recht, B.-Spieler zu halten. Auf der B. konnten be- 
reits Fanfaren geblasen werden; als Begleitinstrument 
diente die Trommel. Eine kleine Form der B. war das 
Clarion. Im Abendland hat sich die B. als Trompete 
und Posaune weiterentwickelt. 

Lit. : H. G. Farmer, Crusading Martial Music, ML XXX, 
1949; E. A. Bowles, Unterscheidung d. Instr. B., Cor, 
Trompe u. Trompette, AfMw XVIII, 1961. 

Byljnen -*■ Epos. 

Byzantinischer Gesang (Melurgie), die Gesange 
fur das Offizium und die Leiturgia (Messe) im byzanti- 
nischen Kaiserreich. Die Beschrankung auf geistliche 
Melodien entspricht dem Umstand, daB die entspre- 
chende weltliche Musik nicht bekannt ist: denn die 
wenigen in einem Manuskript des Klosters Iviron 
(Athos) gef undenen Melodien reichen f iir eine griind- 
liche Untersuchung nicht aus. Auch die in der Kirche 
gesungenen Polychronismoi, die sich in Manuskripten 
der kukuzelischen Epoche finden, ermoglichen kein 
Urteil iiber die Musik, mit der der Kaiser im Zirkus 
oder bei offiziellen Feierlichkeiten begrufk wurde. 
Byzantinisch heiBt diese Kunst nach dem bedeutend- 
sten Mittelpunkt ihrer Geschichte, der Hauptstadt des 
Reiches. Hier trafen die verschiedenen Stromungen 
aufeinander, und im Laufe der Zeit errang Byzanz eine 
fuhrende Stellung auch in der Melurgie. Doch ist die- 
se - wie die anderen byzantinischen Kiinste - aus ver- 
schiedenen Elementen zusammengesetzt, und ihre 
Wurzeln sind in orientalischen Traditionen und Syste- 
men zu suchen. Im Hinblick auf den kirchlichen Cha- 
rakter der Melurgie wurde bisher vor allem die hebrai- 
sche und syrische Musik als Vorbild der byzantinischen 
angesehen, doch sollte die Untersuchung auch auf Ele- 
ments anderer orientalischer Kulturen' ausgedehnt 
werden. Da das Studium des B.n G.s erst in jiingster 
Zeit - seitdem die musikalischen Quellen in groBerem 
Umfang erschlossen sind - ein bedeutendes AusmaB 
angenommen hat, ist eine genaue Bewertung seiner 
Elemente in vielen Fallen noch nicht moglich. - Der 
B. G. kann eingeteilt werden in: alter B. G., er umfaBt 
das Repertoire bis um 14. Jh. ; mittlerer oder kukuzeli- 
scher B. G., vom 14. Jh. bis zur Reform des Chry- 
santhos (1821) ; moderner B. G., seit 1821. 
In den alten byzantinischen Manuskripten finden sich 
2 Typen von Melodien, die sogenannten Gesange des 
Hagiopolites und die Asmata, die sich in der Art ihrer 
Komposition und in einigen Kennzeichen des Tonar- 
tensystems unterscheiden. Die Gesange des Hagiopo- 
lites sind Aneinanderreihungen von Formeln, die nach 
ihrer melodischen Gestalt in Arten oder Typen einge- 
teilt werden. Der Name Hagiopolites bezieht sich auf 
die Hagia Polis, das ist Jerusalem mit EinschluB des 



nahegelegenen Klosters S.Saba. Demnach konnten 
das System und die friihesten Kompositionen des Ha- 
giopolites aus Palastina stammen. Die Verwendung 
dieser Bezeichnung sowohl im Gesang als auch fur das 
Typikon (Ordo) der Kloster (das auch Hagiopolites 
heiBt), die zeitliche Ubereinstimmung des Auftretens 
der ersten musikalischen Manuskripte mit der gegen- 
seitigen Durchdringung des Typikon der Hagia Sophia 
und desjenigen der Kloster laBt darauf schlieBen, daB 
der musikalische Hagiopolites in den Klostern entstand. 
Mit seiner allgemeinen Verbreitung war dann auch die 
Vervollstandigung seines hymnologischen Repertoires 
sowie - gemaB den Erfordernissen des Offiziums und 
der Leiturgia - seine Anwendung auf die verschiedenen 
Arten des Singens verbunden. Es sind dies: 1) Das Ge- 
nos ekphonetikon (von extpcovqaic;, Lesung), das der 
feierlichen Rezitation der biblischen Perikopen (Evan- 
gelien, Epistel, Apostelgeschichte, Prophetien) vorbe- 
halten ist. Da die ekphonetische Notation, in der diese 
Musik aufgezeichnet ist, noch nicht entziffert werden 
konnte, ist eine genaue Beschreibung der Gesange nicht 
moglich. Doch sowohl die Tradition, als auch eine 
Analyse der handschriftlichen Uberlieferung und die 
entsprechenden Formeln des Codex Sinaiticus 8, f. 303 
(veroffentlicht bei C.Hoeg, La notation ekphonetique) 
weisen darauf hin, daB das Genos ekphonetikon aus 
Formeln besteht, die einer melodischen Rezitation sehr 
ahnlich sind, mit kurzen Notengruppen zu Anfang 
sowie an textlich besonders bedeutenden Stellen und 
mehr oder weniger langen Melismen, vor allem am 
Ende einer Perikope. 2) Das Genos sticherarikon (so 
genannt nach den a-zixepa. tSiofxeXa) ; die Formeln sind 
meist syllabisch, doch ist mit Riicksicht auf den Text 
oder die musikalische Form oft eine Silbe mit mehre- 
ren Tonen oder Melisma versehen, vor allem in einigen 
Kadenzformeln. Auch die Heirmoi (cEppioi) der Ka- 
nones wurden bis ins 14. Jh. im Genos sticherarikon 
gesungen, und erst die kukuzelische Epoche gab ihnen 
eine eigene musikalische Form. 3) Das Genos des As- 
matikon (nach dem Buch, das die Gesange dieser Art 
enthalt); die Formeln sind hier stark melismatisch, 
doch ergibt eine vergleichende Analyse, daB zumindest 
einige von ihnen verwandt sind mit bestimmten For- 
meln des Genos sticherarikon, aus dem sie offenbar ab- 
geleitet sind. 4) Das Genos des Psaltikon (nach dem 
Buch, das diese Gesange enthalt) ; es ist das kunstreich- 
ste dieser Genera. Aus dem Zeugnis der Typika, die 
diese Melodien als Gesange mit Cheironomie bezeich- 
nen, und aus der Analyse der melodischen Formeln 
kann mit Sicherheit geschlossen werden, daB die mu- 
sikalische Form dieses Genos das Ergebnis einer ver- 
feinerten Ausbildung der Rhythmik, Dynamik oder 
des Vortrags - der drei durch Cheironomie geregelten 
Elemente - darstellt. Die Grundlage auch dieses Genos 
scheinen die melodischen Formeln des Genos sticherari- 
kon zubilden, so daB einige Formeln offenbar in dreier- 
lei Gestalt uberlief ert sind : in den Stichera idiomela, im 
Asmatikon und im Psaltikon. Das Verfahren, die Ge- 
sange in Hinsicht auf die Cheironomie auszuarbeiten, 
ist vermutlich sehr alt und wird nachweislich in der 
musikalischen Tradition vieler ostlicher Kirchen auch 
heute noch angewendet. - Die Gesange sind nach den 
genannten Genera in besonderen liturgischen Buchern 
zusammengestellt. Es sind dies : a) Das Sticherarion mit 
den Stichera idiomela des ganzen Jahres sowohl f iir die 
kalendermaBig fixierten, als auch fur die beweglichen 
Feste, sowie mit dem Oktoechos, d. h. dem Zyklus der 
Offizien fur die 8 Sonntage, an denen die Auferstehung 
Jesu Christi gefeiert wird. b) Das Heirmologion mit 
den Heirmoi der Kanones fur das ganze Kirchenjahr; 
seine Einteilung entspricht der Reihenfolge der Ton- 



132 



Byzantinischer Gesang (Melurgie) 



arten. Im Heirmologion stehen auch die Makarismoi 
der Messe, die stets zusammen mit den Heirmoi iiber- 
liefert sind. c) Das Asmatikon enthalt die Koinonika 
und Hypakoai fur das ganze Jahr, die Dochai der Pro- 
keimena in der Vesper, das Trisagion in der allgemci- 
nen Form sowie das der Christusfeste, die Troparia, die 
zu Weihnachten und Epiphanias nach der 3. und 6. 
Prophetie in der Vesper gesungen werden usw. sowie als 
Anhang der Asmata. Nach den Feststellungen Strunks 
vereinigt das Asmatikon die dem Volk oder der Ver- 
sammlung vorbehaltenen Gesange. d) Das Psaltikon 
enthalt die Gesange, die (nach Strunk) dem Solisten 
(Psaltes) vorbehalten sind, die aber auch vom Chor 
und an einigen Orten im Wechsel mit dem Volk oder 
der Versammlung ausgef iihrt werden konnen. Es um- 
faBt die Kontakia der kalendermaBig fixierten und der 
beweglichen Feste, die Prokeimena der Leiturgia und 
der Vesper, die Alleluiaria und Hypakoai fur das ganze 
Jahr, Koinonika des Genos psaltikon usw. - Die Asmata 
unterscheiden sich von den Gesangen des Hagiopolites 
durch das Tonartensystem, vor allem aber dadurch, 
daB diese Melodien nicht aus charakteristischen prae- 
existenten Formeln zusammengesetzt sind, sondern 
unmittelbar komponiert wurden. Doch sind den Me- 
lodien nicht selten Formeln des Hagiopolites (unver- 
andert oder mit Varianten) eingefiigt. Die Asmata ge- 
horen zum Genos kalophonikon, wie aus dem Codex 
Messan. gr. 161 hervorgeht; sie sind meist als Anhang 
dem Asmatikon beigegeben. Das Repertoire der As- 
mata umfaBt (vollstandig oder nur in den solistischen 
Teilen) Versus des Hexapsalmos der Matutin, das Poly- 
eleos (Ps. 135), das Trisagion aus der Messe des Heiligen 
Basilios, den Hymnos cherubikos (GroBer Introitus), 
in der kukuzelischen Epoche Asmatikon genannt, 
Annagrammatismoi, Kratemata usw. 
Das melurgische Repertoire der kukuzelischen Epoche 
unterscheidet sich zumindest teilweise von dem der 
vorhergehenden Zeit, so daB ebenso wie in der No- 
tation auch in der Geschichte des Repertoires des B.n 
G.s im Blick auf die oben genannten Kennzeichen von 
einer kukuzelischen Epoche gesprochen werden kann. 
Ihre Bezeichnung erhielt sie von dem Beinamen Ku- 
kuzeles des Johannes Papadopoulos (um 1300), in dem 
die Tradition die »Zweite Quelle der byzantinischen 
Musik« sieht (die erste ist der Heilige Johannes von 
Damaskus). Das Repertoire des Hagiopolites gerat in 
der kukuzelischen Epoche zum groBten Teil auBer 
Gebrauch. Viele Gesange erhalten neue Melodien, so 
die Heirmoi, die allmahlich die Kennzeichen des neuen 
Genos heirmologikon annehmen und sich vom Genos 
sticherarikon losen. Nur die Stichera idiomela halten, 
von geringfiigigen Veranderungen abgesehen, noch 
lange an der Tradition fest. Bezeichnend f ur die kuku- 
zelische Epoche ist vor allem die starkere Entwicklung 
und Bedeutung des Genos kalophonikon, das zwar be- 
reits vorher bestand, doch nun auch auf Texte anderer 
Gesange, wie die der Stichera idiomela und der Heir- 
moi, angewandt wird, die sich so dem neuen Ideal an- 
passen. Infolgedessen wechselt auch der Bestand an li- 
turgischen Biichern. Die Papadike, die fur die kuku- 
zelische Epoche besonders charakteristische Samm- 
lung, ist direkt aus dem Asmatikon (mit den Asmata 
im Anhang) sowie zum Teil aus dem Psaltikon hervor- 
gegangen und enthalt (je nach Vollstandigkeit) unge- 
fahr die gleichen Gesange. Die Bedeutung der Papadike 
wird noch dadurch erhoht, daB die Handschriften oft 
mit einem Traktat iiber die byzantinische Musik be- 
ginnen. Erwahnt seien ferner das gewohnliche und das 
kalophonische Sticherarion sowie das Heirmologion 
mit den Melodien des Genos heirmologikon und des 
Genos kalophonikon; dazu kommen spater und in der 



modernen byzantinischen Musik das Heirmologion 
syntomon und argon. 

Mit der durch Erzbischof Chrysanthos von Madytos 
(t 1843), Gregorios Levita, Kanzler des Patriarchats 
Konstantinopel (f 1822), und Kurzios Georgiu Proto- 
psaltes (t 1840) unternommenen Reform der byzantini- 
schen Notation begann die moderne Epoche der byzan- 
tinischen Melurgie. Die musikalischen Formen und li- 
turgischen Biicher dieser Zeit bediirfen keiner Erlaute- 
rung, da sie aus der vorhergehenden Epoche ubernom- 
men wurden. Auch die neuen Melodien (ausgenommen 
einige in jiingster Zeit geschriebene Gesange) entfernen 
sich nicht von den traditionellen Modellen. 
Das byzantinische Tonartensystem gilt fiir samtliche 
byzantinischen Kirchengesange, wie schon aus der Tat- 
sache hervorgeht, daB besondere Zeichen die Tonart 
anzeigen, in der eine Melodie gesungen wird. Zu un- 
terscheiden sind: das Tonartensystem des Hagiopolites, 
der Asmata, der kukuzelischen Epoche und der mo- 
dernen Zeit. Im Hagiopolites (wie in alien anderen Sy- 
stemen) gibt es 8 Haupttonarten, namlich vier authen- 
tische (kyrioi) und vier plagale (plagioi); daher tragt 
das System den Namen ->■ Oktoechos. - Das Tonge- 
schlecht des Hagiopolites ist ausschlieBhch das diatoni- 
sche mit 5 Ganz- und 2 Halbtonen in der Oktave. Je- 
doch wechselt die Intervallfolge je nachdem, ob das 
Oktav- oder Pentachordsystem angewandt wird (das 
Pentachord wird auch trochos, Rad, genannt). Fiir jede 
Tonart gibt es Intonationsformeln mit bestimmten 
Textsilben. Die Schlussel (martyriai) sind eine ver- 
kiirzte Form solcher Intonationsformeln. Viele Merk- 
male des Tonartensystems des Hagiopolites blieben 
auch in denjenigen der Asmata und der kukuzelischen 
Epoche erhalten. In der kukuzelischen Epoche tritt der 
Gebrauch des Modus legetos (authentisch mit Finalis 
e 1 ) und der Chromatik (nenano) starker hervor. Auch 
das byzantinische Tonartensystem der modernen Zeit 
kennt die acht alten Tonarten, doch zeigt ihre Reihen- 
folge eine gewisse Konfusion, die sich kurz vor der 
Reform bemerkbar machte ; eine weitere Komplikation 
brachte die Einfuhrung nichtdiatonischer Tonarten 
mit sich, z. B. der chromatischen II. authentischen und 
plagalen Tonart. Die drei nunmehr gebrauchlichen 
Tongeschlechter sind das diatonische, chromatische 
und enharmonische. Die diatonische Skala besteht aus 
»natiirlichen« Intervallen; Chrysanthos teilt die Oktave 
in 78 Teile und verwendet grofiere (12 Teile), kleinere 
(9 Teile) und kleinste (7 Teile) Intervalle. Die chroma- 
tische Skala verwendet Intervalle, die groBer sind als 
das »gr6Bere« der diatonischen ; sie wird eingeteilt in 
»gespannte« und »weiche« chromatische Skala. Die en- 
harmonische Skala besteht aus Ganz- und Halbtonen 
und hat 3 Systeme: das Systema diapason (Oktavsy- 
stem), das Pentachord- (Trochos-) und das Tetrachord- 
system. Die charakteristische Oktave des Oktavensy- 
stems ist d-d 1 , das charakteristische Pentachord des Tro- 
chossystems d-a, das charakteristische Tetrachord des 
Tetrachordsystems c-f . - Zur Auf zeichnung der Gesan- 
ge verwendet die byzantinische Musik nicht wie die 
westeuropaische eine diastematische Notation, sondern 
besondere Zeichen, die die Melodie in ihren konstituti- 
ven Noten darstellen oder ihren Verlauf anzeigen. Am 
besten unterscheidet man: a) Ekphonetische Notation: 
sie ist der f eierlichen Rezitation der biblischen Perikopen 
vorbehalten. Hoeg unterscheidet in dieser Notation, in 
der die Herkunf t vieler byzantinischer Neumen von den 
griechischen Prosodiezeichen deutlich zu erkennen ist, 
3 Perioden: die archaische, von den Anfangen bis zum 
9.Jh.; die klassische, 9.-13. Jh.; die Verfallszeit, 14.-15. 
Jh. Der Deutung dieser Notation stehen noch ernste 
Schwierigkeiten entgegen. b) Palaobyzantinische No- 



133 



Byzantinischer Gesang (Melurgie) 



tation: unter diesem Namen werden mehrere No- 
tationen zusammengefaBt, die in den Grundziigen 
iibereinstimmen, aber im einzelnen charakteristische 
Unterschiede aufweisen. Nach Tillyard sind (in der 
wahrscheinlichen chronologischen Anordnung) 4 Ar- 
ten zu unterscheiden: die Andreatische, Esfingmentia- 
nische, Chartres- und Coislin-Notation. Hauptmerk- 
mal der palaobyzantinischen Notation ist, daB ihre 
Neumen kein bestimmtes Intervall, sondern lediglich 
die Grundziige der musikalischen Formeln schriftlich 
festhalten, so daB sie dem Sanger nur als Gedachtnis- 
stiitze dienen. Die Erforschung dieser Notation ist erst 
in jiingster Zeit vorangekommen, seit man erkannt 
hat, daB die Gesange des Hagiopolites (nur diese sind 
in palaobyzantinischer Notation erhalten) aus charak- 
teristischen Formeln zusammengesetzt sind. c) Neo- 
byzantinische (auch mittelbyzantinische, runde) No- 
tation: im 13. Jh. kam die palaobyzantinische Notation 
auBer Gebrauch undwurde von der neobyzantinischen 
abgelost; doch reichen deren Urspriinge ins 12. Jh. zu- 
riick, so daB eine Zeitlang beide Notationen nebenein- 
ander verwendet wurden. Prinzipiell unterscheidet sich 
die neobyzantinische Notation von der palaobyzanti- 
nischen dadurch, daB sie die Intervalle fixiert und so- 
mit eine eindeutige Darstellung der Gesange ermog- 
licht. Fur die Deutung des in dieser Notation aufge- 
zeichneten B.n G.s miissen die meist in den Papadiken 
enthaltenen jiingeren Traktate herangezogen werden. 
Diese lehren, daB die Notation als ein lebendiges Gan- 
zes betrachtet werden muB, das Korper, Geist und 
Wesen (oder Hypostaseis) besitzt. Demnach werden 
die Neumen in korperliche und geistige eingeteilt; 
die korperlichen konnen allein auftreten, die geisti- 
gen nur in Verbindung mit den korperlichen. Mit 
den korperlichen Neumen allein (einzeln oder in 
Gruppen) sowie mit der Verbindung von korperlichen 
und geistigen konnen samtliche Intervalle dargestellt 
werden. Die graphischen und qualitativen Unterschie- 
de solcher korperlicher Neumen, die die gleichen In- 
tervalle darstellen, hangen zusammen mit den Gesetzen 
der Cheironomie. GroBe Bedeutung f iir die richtige 
Ausfuhrung der durch die Neumen und Neumenver- 
bindungen dargestellten Melodien haben die cheiro- 
nomischen Zeichen (Grofie Hypostaseis genannt), die 
den Rhythmus, die Dynamik und die Vortragsart an- 
geben. d) Kukuzelische (auch spatbyzantinische) No- 
tation : sie unterscheidet sich von der vorhergehenden 
nur durch haufigeren Gebrauch der cheironomischen 
Zeichen sowie der Phthorai und durch die allmahliche 
Veranderung der Schreibweise einiger Zeichen. e) Mo- 
derne Notation: abgesehen von Anderungen der Ge- 
stalt einiger Neumen, die sich beim Ubergang zum 
Musikdruck ergaben, unterscheidet sie sich von der al- 
teren dadurch, daB bei der Reform des byzantinischen 
Kirchengesangs eine allzu groBe Zahl von Zeichen 
ohne hinreichenden Grund getilgt wurde. Von den 
phonetischen Zeichen blieben nur zehn erhalten, von 
den cheironomischen acht, denen das Endophonon 
zur Bezeichnung des nasalierten Singens hinzugefiigt 
wurde. Einige Neumen haben eine von ihrer fruheren 
abweichende Bedeutung erhalten. 

Ausg. u. Lit. : Monumenta musicae byzantinae, Kopenha- 
gen, Boston u: Rom: Facsimilia: I Sticherarium (Vindob. 
theol. gr. 181), hrsg. v. C. H0EG, H. J. W. Tillyard u. E. 
Wellesz, 1935; II Hirmologium Athoum (Iviron 470), 
hrsg. v. C. H0EO, 1938 ; III Hirmologium Cryptense (E. y. 
II), hrsg. v. L. Tardo, 1951; IV Contacarium Ashburn- 
hamense (L. 64), hrsg. v. C. Hoeg, 1956; V. Hirmologium 
Chilandaricum (307-308), hrsg. v. C. Hoeg u. R. Jakob- 
son, 2 Bde, 1957; VI Contacarium paleoslavicum Mosqu- 
ense, hrsg. v. A. Brugge, 1960. Transcripta: I Die Hymnen 
d. Sticherarium f. September, hrsg. v. E. Wellesz, 1936; 



II The Hymns of the Sticherarium for November, hrsg. v. 
H. J. W. Tillyard. 1938 ; III u. V, The Hymns of the Oc- 
toechus, hrsg. v. dems., 1940-49; IV Twenty Canons, hrsg. 
v. dems. , 1 952 ; VI The Hymns of the Hirmologium Athoum 

I, hrsg. v. A. Ayoutanti, C. H0EG u. M. Stohr, 1952; VII 
The Hymns of the Pentecostarium, hrsg. v. H. J. W. Till- 
yard, 1960; VIII The Hymns of the Hirmologium III, 2, 
hrsg. v. dems. u. A. Ayoutanti, 1956; IX The Akathistos 
Hymn, hrsg. v. E. Wellesz, 1957. Lectionaria: I Propheto- 
logium, hrsg. v. C. H0eg u. G. Zuntz, 5 Bde, 1939-62. 
Subsidia: I, 1 H. J. W. Tillyard, Hdb. of the Middle By- 
zantine Mus. Notation, 1935; I, 2, C. H0EG, La notation 
ekphondtique, 1935; II E. Wellesz, Eastern Elements in 
Western Chant, 1947, dazu Epilegomena in: Mf V, 1952; 

III R. Palikarova-Verdeil, La musique byzantine chez 
les Bulgares et Ies Russes, 1953; IV M. M. Velimirovic, 
Byzantine Elements in Early Slavic Chant, 2 Bde, 1960. 
- Weitere Ausg. : Monuments de la notation ekphonetique 
et hagiopolite de l'eglise grecque, hrsg. v. J.-B. Thibaut, 
St. Petersburg 1913 ; Die Musik d. byzantinischen Kirche, 
hrsg. v. E. Wellesz, = Das Musikwerk XIII, Koln (1959). 
Theorie u. Gesch. : Chrysantos v.Madytos, EtaavtOYii etc; 
to JJecopriTiKdv KaijcpaKTiKovTfjc^KKXriaiacrTiKftenou- 
aiKfjc;, Parisl821 ; ders., Meyer Serapnxiicdv rfjc; nouaiKfji;, 
Triest 1832; J. Tzetzes, Die altgriech. Musik in d. griech. 
Kirchen, Munchen 1874; L. A. Bourgault-Ducoudray, 
Eludes sur la musique ecclesiastique grecque, Paris 1877; 
G. Papadopoulos, lunPo>.ai etc; rf]v taxopiav rfj? nap' 
f|utv EKKX.ricna<jTiKfi<; |iouaiK:fjc;,Athen 1 890 ; ders., 'Ictto- 
pucri EitiCTKbrtriCTic; xfjc; (5o£avnvfjc; EKKXnaiacrriKfjc. uou- 
aiKf\<;, Athen 1904 ; J.-B. Thibaut, La musique byzantine et 
le chant liturgique desGrecs modernes, in: Echos d'Orient 

II, 1898; ders., Les orgues a Byzance, Rev. d'hist. et de 
critique mus. I, 1901 ; ders., La musique instr. chez les 
byzantins, in: Echos d'Orient V, 1902; ders., La musique 
byzantine chez les Slaves, Tribune de St-Gervais X, 1904; 
A. Gastoue, La tradition ancienne dans le chant byzan- 
tin, Tribune de St-Gervais V, 1899; ders., L'importance 
mus., liturgique et philologique du ms. Hagiopolite, in: 
Byzantion 1930; J. B. Rebours, La r6forme du chant grec, 
in: Echos d'Orient IX, 1905; H. Gaisser, Die Antiphon 
»Nativitas tua« u. ihr griech. Vorbild, Fs. H. Riemann, 
Lpz. 1909; Th. Reinach, Une ligne de musique byzantine, 
Rev. archeologique, 19 1 1 ; H. J.W.Till yard, Greek Church 
Music, in: The Mus. Antiquary II, 1911; ders., A Mus. Stu- 
dy of the Hymns of Casia, Byzantinische Zs. XX, 1911 ; 
ders., The Acclamation of Emperors in Byzantine Ritual, 
Annual of the British School of Athens XVIII, 1911/12; 
ders., Byzantine Music and Hymnography, = Church Mu- 
sic Monographs VI, London 1923 ; ders., Quantity and Ac- 
cent in Byzantine Hymnody, in: Laudate IV, 1926; ders., 
The Hymn »Stars of the morning« and Its Byzantine Melo- 
dy, ebenda V, 1 927 ; ders., The Stichera Anastasima in By- 
zantine Hymnody, Byzantinische Zs. XXX, 1931; ders., 
The Morning Hymns of the Emperor Leo, in : Annual of the 
British School of Athens XXX, 1931 -XXXI, 1932; ders., 
Byzantine Music at the End of the Middle Ages, in : Lau- 
date XI, 1933; ders., Byzantine Music about A. D. 1100, 
MQ XXXIX, 1953 ; E. Wellesz, Die Kirchenmusik im by- 
zantinischen Reich, in : Oriens Christianus, N.S.VI.1916; 
ders., Aufgaben u. Probleme auf dem Gebiete d. byzanti- 
nischen u. orientalischen Kirchenmusik, = Liturgiege- 
schichtliche Forschungen VI, Munster i. W. 1923; ders., 
Byzantinische Musik, Breslau 1927, span. v. R. Gerhard, 
Barcelona 1930; ders., A Hist, of Byzantine Music and 
Hymnography, Oxford 1949, 2 1961, mit ausfuhrlicher 
Bibliogr. ; Th. Gerold, Les peres de l'eglise et la musique, 
Paris 1931 ; L. Tardo, La musica bizantina e i codici di 
melurgia della Bibl. della Badia di Grottaferrata, Accad. 
e bibl. d'ltalia IV, 1930/31 ; ders., L'antica melurgia bizan- 
tina, Grottaferrata 1 938 ; J. D. Petresco, Les idiomeles . . . , 
Paris 1932; D. M. Schwarz, Le chant ecclesiastique by- 
zantindenosjours,in:IrenikonX,1933-XI, 1934;L.Brou, 
L' Alleluia greco-lat. Dies sanctificatus, Rev. gregorienne 
XXIII, 1938 - XXIV, 1939; ders., Les chants en Iangue 
grecque dans les liturgies lat., in: Sacris erudiri I, 1948 u. 
IV, 1952; O. Tiby, La musica bizantina, Mailand 1938; 
Thr. Georgiades, Bemerkungen zur Erforschung d. by- 
zantinischen Kirchenmusik, Byzantinische Zs. XXXIX, 
1939; J. Handschin, Das Zeremonienwerk Kaiser Kon- 
stantins . . . , Rektoratsprogramm d. Univ. Basel f. d. Jah- 



134 



Byzantinischer Gesang (Melurgie) 



re 1940-41, Basel 1942; ders., Sur quelques tropaires 
grecs . . ., Ann. mus. II, 1954; O. Strunk, The Tonai Sy- 
stem of Byzantine Music, MQ XXVIII, 1942; ders., S. 
Salvatore di Messina and the Mus. Tradition of Magna 
Graecia,in:IIeJipaYueva tots 9 8ie3vo0? (Jo^avtivo^oyiKoO 
auvefipiou, Saloniki 1953, Bd II; ders., St. Gregory Nazi- 
anzus and the Proper Hymns for Easter, in: Late Class, 
and Medieval Studies, Princeton 1955; ders., The Byzan- 
tine Office at Hagia Sophia, in : Dumbarton Oaks Papers 
IX/X, 1956; R. Palikarova-Verdeil, La musique byzan- 
tine chez les Slaves, in: Byzantinoslavica X, 1949 ; dies., La 
musicologie byzantine et les documents slavons, ebenda 
XI, 1950; B. Di Salvo. La tradizione orale dei canti litur- 
gici . . . , in: Atti del 1° Congresso internazionale di Musica 
sacra, Rom 1950; ders., La tradizione mus. bizantina . . . , 
Bollettino della Badia Greca di Grottaferrata, N. S. VI, 
1952; ders., Qualche appunto sulla chironomia, in: Orien- 
talia Christiana Periodica XXIII, 1957; ders., Gli Asmata 
. . ., Bollettino della Badia Greca di Grottaferrata, N. S. 
XIII, 1959-XIV, 1960; ders., L'essenza della musica nelle 
liturgie orientali, ebenda XV, 1961; ders., Asmatikon, 
ebenda XVI, 1 962 ; C. H0EG, The Oldest Slavonic Tradition 
of Byzantine Music, Proc. R. Mus. Ass. LXXXIX, 1952/ 
53; ders., Musik og digtning i byzantinsk kristendom, 
Kopenhagen 1955 ; G. Devai, The Mus. Study of Koukou- 
zeles . . ., in: Acta antiqua Acad. Scientiarum Hungariae 
VI, 1958 ; M. Antonowitsch, Die byzantinischen Elemen- 
te in d. Antiphonen d. ukrainischen Kirche, KmJb XLIII, 
1959; Chr. Thodberg, The Tonal System of the Konta- 
karium, in: Hist.-Filos. Meddel. Kon. Danske Vedenskab. 
Selskab XXXVII, 1960; K. J. Levy, The Byzantine Com- 
munion-Cycle ..., in: XII e Congres international des 
etudes byzantines, Ochrid 1 961 ; ders., An Early Chant for 
Romanus, in: Classica et mediaevalia XXII, 1962; ders., 
A Hymn for Thursday in Holy Week, JAMS XVI, 1963; 
ders., The Byzantine Sanctus . . . , Ann. mus. VI, 1963 ; E. 
Benz, C. Floros u. H. Thurn, Das Buch d. heiligen Ge- 
sange d. Ostkirche, Hbg 1962; E. Jammers, Musik in By- 
zanz . . ., = Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.- 
hist. Klasse, Jg. 1962, Nr 1 ; J. Mateos, Le Typicon de la 
grande eglise I, = Orientalia Christiana analecta CLXV, 
Rom 1962; L. Richter, Antike tiberlieferungen in d. by- 
zantinischen Musiktheorie, Deutsches Jb. d. Mw. VI 
(=JbPLIII), 1962. 

Rhythmik: H. J. W. Tilly ard, Rhythm in Byzantine Mu- 
sic, Annual of the British School at Athens XXI, 1914/16; 
E. Wellesz, Die Rhythmik d. byzantinischen Neumen, 
ZfMwII, 1919/20-111, 1920/21; ders., Ober Rhythmus u. 
Vortrag d. byzantinischen Melodien, Byzantinische Zs. 
XXXIII, 1933. 

Notation: H. Riemann, Die Martyrien . . ., Sb. Miinchen 
1882, II ; ders., Die Metrophonie d. Papadiken, SIMG IX, 



1907/08; ders., Die Byzantinische Notenschrift . . ., Lpz. 
1909; ders., Studien zur byzantinischen Musik, Byzanti- 
nische Notenschrift, N. F., Lpz. 1915; J.-B. Thibaut, La 
notation de S. Jean Damscene ou hagiopolite, in : Iswestija 
russk. archeol. inst. Konstantinop. Ill, 1898; ders., Etude 
de musique byzantine, Le chant ekphonetique, Byzantini- 
sche Zs. VIII, 1 899 ; ders., Etude de musique byzantine, La 
notation de Koukouzeles, in: Iswestija russk. archeol. inst. 
Konstantinop. VI, 1900; ders., Origine byzantine de la 
notation neumatique de l'eglise lat., Paris 1907; O. Flei- 
scher, Die spatgriech. Tonschrift, = Neumen-Studien III, 
Bin 1904; H. A. Gaisser, Les »heirmoi« de paques dans 
l'office grec, Rom 1905, dazu H. Riemann, in: ZIMG VII, 
1905/06; H. J. W. Tillyard, Fragments of a Byzantine 
Mus. Hdb. in the Monastery of Laura .... Annual of the 
British School at Athens XIX, 1912/13; ders., Byzantine 
Mus. Notation, A Reply, Byzantinische Zs. XXIV, 1923/ 
24; ders., Signatures and Cadences of the Byzantine Mo- 
des, Annual of the British School at Athens XXV, 1 923/25 ; 
ders., The Stenographic Theory of Byzantine Music, in: 
Laudate II, 1924 - III, 1925, u. Byzantinische Zs. XXV, 
1925; ders., Early Byzantine Neumes, in: Laudate VIII, 
1930; ders., Early Byzantine Neumes. A New Principle of 
Decipherment, ebenda XIV, 1936; ders., Byzantine Neu- 
mes. The Coislin Notation, Byzantinische Zs. XXXVII, 
1937; ders., The Stages of the Early Byzantine Mus. No- 
tation, Byzantinische Zs. XLV 1952; K. A. Psachos, 'H 
TtapaoTinavTiKii tfj? PuCavtivfji; uouaiKfj?, Athenl917;E. 
Wellesz, Zur Entzifferung d. byzantinischen Notenschrift, 
in: Oriens Christianus, N. S. VII, 1 91 8; ders., Die byzantini- 
schen Lektionszeichen, ZfMw XI, 1928/29; ders., Studien 
zur Paleographie d. byzantinischen Musik, ZfMw XII, 
1929/30; ders., Ein griech. Evangelium d. Wiener Natio- 
nalbibl KmJb XXV, 1930; ders., Das Problem d. by- 
zantinischen Notationen ..., in: Byzantion, 1930; ders., 
Die Epochen d. byzantinischen Notenschrift, in: Oriens 
Christianus III, 7, 1932; ders., Early Byzantine Neumes, 
MQ XXXVIII, 1952; E. Koschmieder, Die ekphonetische 
Notation in kirchenslawischen Denkmalern, in: Siidost- 
Forschungen V, 1940; ders., Zur Bedeutung d. russ. litur- 
gischen Gesangstradition f. d. Entzifferung d. byzantini- 
schen Neumen, in: Kyrios V, 1940/41 ; ders., Die altesten 
Novgoroder Hirmologien-Fragmente, 3 Bde, Miinchen 
1952-58; O. Strunk, Intonations and Signatures of the 
Byzantine Modes, MQ XXXI, 1945; ders., The Notation 
of the Chartres Fragment, Ann. mus. Ill, 1955; B. Di Sal- 
vo, La notazione paleobizantina e la sua trascrizione, Atti 
del 1° Congresso internazionale di Musica sacra, Rom 
1950; ders., La notazione paleobizantina e la sua trascri- 
zione, Bollettino della Badia Greca di Grottaferrata, N. S. 
IV, 1950; ders., La trascrizione della notazione paleobi- 
zantina I— II, ebenda V, 1 95 1 . BDS 



135 



C, - i) Ton-Name: In der lateinischen -> Buchstaben- 
Tonschrift ist C im allgemeinen die 3. Stufe. Seit Zar- 
lino (1571) ist der Ionius mit dem Grundton C primo 
modo. C wurde dadurch zum Ausgangspunkt fur die 
Konstruktion von Tonsystem und Quintenzirkel. Bei 
den romanischen Volkern haben die Solmisationssil- 
ben Ut (heute nur noch in Frankreich iiblich) und 
- seit dem 17. Jh. - Do den Buchstaben verdrangt. Die 
Erniedrigung um einen Halbton heiBt Ces (engl. C 
flat; frz. ut bemol; ital. do bemolle), um 2 Halbtone 
Ceses (engl. C double-flat ; frz. ut double bemol ; ital. 
do doppio bemolle), die Erhohung um einen Halbton 
Cis (engl. C sharp; frz. ut diese; ital. do diesis), um 2 
Halbtone Cisis (engl. C double-sharp; frz. ut double 
diese; ital. do doppio diesis). - 2) Schliissel: Schon bei 
Guido von Arezzo erscheint C als Clavis signata, d. h. 
der Tonbuchstabe wird auf einer Notenlinie vorge- 
zeichnet. Die Form des neueren C-Schliissels ist aus 
dem Buchstaben entstanden (-»■ Schliissel). - 3) Takt- 
zeichen : C und zeigen den 4/4- und Allabrevetakt 
an. Sie sind aus dem Halbkreis als Zeichen fiir das Tem- 
pus imperfectum entstanden und ahneln dem Buchsta- 
ben C nur zufallig. - 4) Seit Anfang des 19. Jh. werden 
in theoretischen Werken Akkorde mit -> Buchstaben- 
Tonschrift bezeichnet (C bedeutet den C dur-Drei- 
klang, c den C moll-Dreiklang) ; im -»- Klangschliissel 
treten Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart 
nur durch ihren Grundton zu bezeichnen, wurde im 
19. Jh. dahin ausgelegt, dafi C fiir C dur, c fiir C moll 
stand. - 5) Abk. fiir Cantus sowie fiir -*■ Cent. 

Cabaletta (frz. cavalette; von ital. cobola, cobbola, 
s. v. w. Strophe), seit dem 18. Jh. eine kurze Arie ein- 
facherer Art (-» Kavatine). Vor allem im 19. Jh. hei- 
Ben C. die haufigen Strettaabschliisse in italienischen 
Opernarien und -duetten, durch deren pragnanten 
Rhythmus eine Steigerung herbeigef iihrt wird, z. B. die 
Arie der Violetta im 1. Akt von Verdis La Traviata. 
Lit. : N. Pirrotta, Falsirena e la piii antica delle cavatine, 
CHM II, 1957. 

Cabaza (kav'asa, auch cabaca, port., Kiirbis; auch 
chaquere oder xaque genannt), aus Brasilien stammen- 
des Musikinstrument, das aus einer ausgehohlten Kale- 
basse besteht, die an einem Stiel befestigt und mit ei- 
nem Netz von Perlenkugeln iiberzogen ist, jedoch im 
Unterschied zu den ->■ Maracas keine Fiillung hat. Die 
C. wird in der linken Hand gehalten und in beiden 
Richtungen zum Drehen gebracht, wahrend die Rech- 
te mit der flachen Hand gegen die Kalebasse schlagt 
und die Perlenkugeln zum Klappern bringt. Der Klang 
ahnelt dem der Maracas. Das Instrument wird bei den 
lateinamerikanischen Tanzen, vornehmlich bei der 
-> Samba, verwendet. 

Caccia (k'attja, ital., Jagd), eine im 14. Jh. in Italien, 
besonders in Florenz, auftretende Dichtungs- und 
Kompositionsform. Der Name C. lafit sich aus dem 
Stoffkreis der Texte erklaren, die vor allem Jagdszenen 



behandeln. Lebendige, realistische Situationsschilde- 
rungen, knappe Diktion, erregte Dialoge und Zurufe 
sind typisch fiir die C.-Texte, die aber auch andere 
Themen einbeziehen, bei denen diese Darstellungswei- 
se zur Geltung kommt, wie Feuersbrunst, Fischfang, 
Jahrmarkt u. a. Der metrische Textbau schlieBt in zwei 
HSilblern mit Endreim, was auf die literarische Her- 
kunft aus dem Madrigal hindeutet. Als Dichter der C. 
sind Niccolo Soldanieri sowie die Briider Franco und 
Giannozzo Sacchetti bekannt. Der Name C. hat auBer- 
dem auch eine musikalische Bedeutung : die verwende- 
te Kanontechnik gilt schon in Quellen des 14. Jh. unab- 
hangig von Textmerkmalen als Kennzeichen der Cacie 
sive Incalci (so in dem von Debenedetti herausgegebenen 
anonymen Traktat). Die franzosische -*■ Chasse und 
die in eine iiltere Schicht weisenden Pilgerkanons von 
Montserrat (mit dem Vermerk Ca$a de duobus vel tribus) 
zeigen ebenfalls, daB die fruhe Kanontechnik u. a. als 
»Jagd« verstanden und bezeichnet wurde. Es ist noch 
nicht geklart, ob diese Namensgebung urspriinglich 
auf der Vorstellung von sich »jagenden« Stimmen, auf 
der Bevorzugung von Jagddarstellungen im Text oder 
bereits auf einer Sinnverbindung beider Motive be- 
ruhte. - Die C. ist stets dreistimmig, wobei die beiden 
Oberstimmen einen Kanon im Einklang mit weitem 
Einsatzabstand bilden. Die stiitzende, meist instrumen- 
tale Unterstimme nimmt nicht am Kanon teil und ist 
im Gegensatz zur sonst verbreiteten Praxis jener Zeit 
keinem vorgegebenen Cantus entnommen. Die Ka- 
nonstimme beginnt oft mit einer Longa und anschlie- 
Bendem Melisma und miindet durch Kadenz in einen 
ausgehaltenen konsonanten Klang, der zugleich Ein- 
satz der nachahmenden Stimme ist. Die Zurufe im 
Text werden drastisch durch Hoquetustechnik darge- 
stellt. Im Ritornell, das sich gewohnlich, aber nicht 
immer, anschlieBt, werden die Oberstimmen frei oder 
abermals kanonisch gef iihrt. Da die textlichen und mu- 
sikalischen Charakteristika der C. nicht stets zusammen 
auftreten, ist es geboten, zwischen beiden zu unter- 
scheiden. Bisher sind 20 Stiicke der musikalischen Gat- 
tung C. bekannt, von denen textlich nur 14 als C, die 
ubrigen als Madrigal (5) oder franzosische Chanson 
(1) anzusprechen sind. 5 weitere Werke stehen in enger 
Nachbarschaf t, obwohl sie trotz Kanontechnik musika- 
lisch nicht zum C.-Typ gezahlt werden konnen: 4 da- 
von haben Madrigaltext, sind aber entweder uberhaupt 
nur zweistimmig (3) oder dreistimmig mit Quint- 
kanon zwischen Mittel- und Unterstimme (De'dimmi 
tu von Landini); diese werden als kanonische Ma- 
drigale bezeichnet. Ein Werk mit C.-Text (Apposte 
tnesse) bildet nach Art der Chasse einen 3st. Kanon (die- 
se Satzweise auch im Ritornell von Nel bosco). Jacopo 
da Bologna, Giovanni da Firenze, Piero, Landini, Nic- 
colo da Perugia u. a. sind in diesem etwa zwischen 1340 
und 1380 entstandenen Repertoire vertreten. Als mu- 
sikalischer Typ trat die C.danach zuriick; unter Auf- 
gabe des strengen Kanons gewann allerdings die Satz- 



136 



Caecilianismus 



anlage von imitierendem Oberstimmenduett und 
stiitzender Unterstimme (welche nach H.BesselerVor- 
laufer eines »Harmonietragers« ist) auch im 15. Jh. Be- 
deutung. Die C.-Dichtung lebte in einzelnen Beispie- 
len (darunter den Madrigalen I cani sono fuora und Cac- 
ciando un giorno vidi una cervetta von Ciconia) weiter 
und beeinfluBte gegen Ende des 15. Jh. die Canti car- 
nascialeschi, bei denen Beschreibungen der Jagdkunst 
oft zu zweideutigen Anspielungen benutzt wurden. 
Auf die C. zu beziehen ist wohl auch die Bemerkung 
im Breslauer Mensuraltraktat aus dem Anfang des 15. 
Jh. : katschctum est, quod habet tres choros in se cum tenore 
et suo contratenore. 

Ausg.: Fourteenth-Cent. Ital. Cacce, hrsg. v. W. Th. Mar- 
rocco, = The Mediaeval Acad, of America Publications 
XXXIX, Cambridge (Mass.) 1942, 21961; The Music of 
Fourteenth-Cent. Italy, hrsg. v. N. Pirrotta, = CMM 
VIII, Amsterdam seit 1954. -J. Wolf, Gesch. d. Mensural- 
notation II— III, Lpz. 1904; O. Ursprung, Span.-katalani- 
sche Liedkunst d. 14. Jh., ZfMw IV, 1921/22. 
Lit. : G. Carducci, Cacce in rime dei s. XIV e XV, Bologna 
1896; J. Wolf, Florenz in d. Mg. d. 14. Jh., SIMG III, 
1901/02; ders., Ein Breslauer Mensuraltraktat d. 15. Jh., 
AfMw I, 1918/19, S. 336; H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, 
Lpz. 1905, 2 1920; F. Novati, Per l'origine e la storia delle 
cacce, Studi medievali II, 1906/07; S. Debenedetti, Un 
trattatello del s. XIV sopra la poesia mus., ebenda; A. Ein- 
stein, Eine C. im Cinquecento, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 
1910; Fr. Ludwig, in: Adler Hdb. ; H. Besseler, Die Mu- 
sik d. MA u. d. Renaissance, Bucken Hdb. ; ders., Bourdon 
u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; F. Torrefranca, II segreto 
del Quattrocento, Mailand 1939; F. Ghisi, Due saggi di 
cacce inedite ..., Rinascita XXIII, 1942; ders., Bruch- 
stiickeeinerneuenMusikhs.,AfMf VII, 1942; N. Pirrotta, 
Per l'origine e la storia della »c.« e del »madrigale« trecen- 
tesco, RMI XLVIII-XLIX, 1946-47; K. v. Fischer, Stu- 
dien zur ital. Musik d. Trecento u. fruhen Quattrocento, 
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden 
Ges. II, 5, Bern (1956), S. 34ff. eine Zusammenstellung d. 
Cacce; ders., On the Technique, Origin, and Evolution of 
Ital. Trecento Music, MQ XLVII, 1961. KJS 

Cachucha (katf'utfa, span.), spanischer Tanz im Drei- 
ertakt (3/4, 3/8) von maBig schneller Bewegung, eine 
Abart des ->- Fandango, urspriinglich zur Gitarre ge- 
sungen und von einer Frau getanzt. 1836 brachte die 
Wiener Tanzerin F. ElBier die C. auf die Biihne. 

Cadence (kad'a:s, frz.) -»■ Kadenz. Im Barock u. a. 
gleichbedeutend mit Tremblement (-»■ Triller). J. S. 
Bach bezeichnet mit C. den Doppelschlag (Clavier- 
biichlein fur W.Fr.Bach). 

Caecilianismus heifit die nach der hi. -»- Caecilia be- 
nannte kirchenmusikalische Reformbewegung inner- 
halb der katholischen Kirche des 19. Jh., die aus dem 
Riickverlangen nach einer an Palestrinas Musik orien- 
tierten a cappella-Kunst hervorging, sich als Reaktion 
gegen die instrumentale Kirchenmusik der Klassik ver- 
stand und als Parallele zum Nazarenertum der zeitge- 
nossischen Malerei angesehen werden kann. - Zu den 
friihesten Zeugnissen, die in diese Richtung weisen, 
zahlen die Schriften J. G. Herders (Cdcilia, 1793, in: 
Sammtliche Werke . . . XX, herausgegeben von J. v. 
Miiller, Stuttgart 1830), W.Wackenroders (Phantasien 
uber die Kunst, 1799) und Kompositionen E. T.A.Hoff- 
manns (Canzoni per 4 voci alia Capella, 1808) sowie der 
ihm zugeschriebene Aufsatz Alte und neue Kirchenmusik 
(1814). GroBe Verbreitung erlangte Thibauts Schrift 
Uber Reinheit der Tonkunst (1825), in der die Kirchen- 
musik Haydns, Mozarts und Beethovens verworfen 
wird zugunsten der Vokalkunst Palestrinas und seiner 
Nachfolger. In der Berliner Singakademie wurden 
schon vor 1797 ein 16st. Kyrie von Canniciani, ein Mi- 
serere von L.Leo und Teile der 16st. Messe von C.Fr. 
Fasch eingeubt und 1800 das Crucifixus von Lotti, 1801 



eine Motette und um 1816 die Missa Papae Marcelli von 
Palestrina studiert. Der ersten Sammlung G. v. Tuchers 
(1827) mit Werken von Palestrina, Vittoria, Nanini 
und Anerio folgten bald weitere von Fr.Rochlitz 
(1835), S.Dehn (1837) und Fr.Commer (1839). 1828 
veroffentlichte G.Baini eine Palestrina-Monographie, 
die durch Fr. S. Kandlers und R. G. Kiesewetters Auszug 
1834 auch in Deutschland bekannt wurde; 1832 er- 
schien C. v. Winterfelds Schrift uber Palestrina. P. Al- 
fieri legte zwischen 1841 und 1846 in 7 Foliobanden 
Werke Palestrinas vor. - Zentrum der aus dem roman- 
tischen Historismus hervorgegangenen Kirchenmusik- 
rcstauration wurde Siiddeutschland. In Miinchen fiihr- 
te C.Ett alte Vokalwerke auf und komponierte nach 
diesen Vorbildern Musik im »echten Kirchenstile«. 
Neben ihm trat K. Aiblinger mit Orchestermessen in 
einem gereinigten Stil hervor. In Regensburg bemiihte 
sich K. Proske, der auf Italienreisen eine kostbare Hand- 
schriftensammlung zusammentrug, um die kirchen- 
musikalische Restauration; doch gelang es ihm trotz 
der Unterstutzung Ludwigs I. von Bayern und des Re- 
gensburger Bischof s M. Sailer noch nicht, den lokalen 
Rahmen der Reform zu erweitern. Erst die Konstitu- 
ierung des Allgemeinen Cacilienvereins fiir die Lan- 
der deutscher Zunge (ACV) brachte im letzten Drittel 
des Jahrhunderts die entscheidende Wendung. Sie ist 
im wesentlichen das Werk Fr. X.Witts. Dieser hatte in 
seiner Schrift Der Zustand der katholischen Kirchenmusik 
zunachst in Altbayern (1865) ein Programm zur Regene- 
ration der Kirchenmusik aus dem Geiste der Liturgie 
aufgestellt und fortan mit den von ihm ins Leben ge- 
rufenen Fliegenden Blatternfur katholische Kirchenmusik 
und der Zeitschrift Musica sacra fiir dessen Ausfiihrung 
geworben, bis 1868 der ZusammenschluB Gleichge- 
sinnter zum ACV gelang. Die Organisation war von 
dem Ziel geleitet, die Reformen des -*■ Tridentiner 
Konzils (1545-63) erneut zu verwirklichen und einen 
allgemein verbindlichen kirchenmusikalischen Stil zu 
schaffen. 1870 wurde sie von Pius IX. durch das Breve 
Multum ad commovendos animos bestatigt. Mit Hilfe der 
dem ACV angegliederten Institutionen : des Vereins- 
katalogs mit »wiirdiger« Kirchenmusik, der Kirchen- 
musikschule in Regensburg (gegr. 1874- von Fr.X. 
Haberl), der Unterrichtskurse und Musterauffuhrun- 
gen anlaBlich der Generalversammlungen, vermochte 
Witt zugleich als Generalprases, Redakteur, Dirigent, 
Komponist und »Wanderapostel« den Gedanken einer 
choralgebundenen Kirchenmusik bis in die kleinsten 
Gemeinden auszubreiten. - Wenn auch der caciliani- 
schen Bewegung der liturgische Ernst der Kirchenmu- 
sik eines Liszt (Missa choralis), Bruckner, Rheinberger 
und J.E.Habert zu verdanken ist, deren Wert freilich 
von strengen Cacilianern in Frage gestellt wurde, so be- 
deutet doch die in unmittelbarem Zusammenhang mit 
der Arbeit des ACV entstandene Kirchenmusik kein 
Ruhmesblatt in deren Geschichte. Ihr kompositorisch 
nur durchschnittliches Niveau kann weder mit dem er- 
strebten kirchlichen Zweck noch mit dem Hinweis auf 
Palestrina verteidigt werden. Die an Palestrina orien- 
tierte Auffassung vom Choral, wie sie Fr.X. Haberl 
teilte, erwies sich als besonders folgenschwer fiir den 
ACV: Haberl hatte seinen papstlich privilegierten »Re- 
gcnsburger« Choralausgaben die Fassung der ~> Editio 
Medicaea von 1614 zugrunde gelegt; durch P.Wagner 
und Dom A.Mocquereau wurde ihre Unhaltbarkeit 
erwiesen und eine auf alteren Quellen fuBende Neu- 
ausgabe ermoglicht. Pius X. sanktionierte (1903) diese 
als -»■ Editio Vaticana seit 1905 erschienene Choralaus- 
gabe und verurteilte damit Haberls Choralarbeiten. 
Eine zweite Krise ahnlichen AusmaBes erlebte der 
ACV um 1900, als sich ein Teil seiner Mitglieder von 



137 



Caen 



der ausschlieBlichen Palestrina-Nachfolge abkehrte 
und im AnschluB an den Zeitstil Chromatik und Leit- 
motivik in dieKirchenmusik einfiihrte (P. Griesbacher). 
Seither hat der ACV kein Stilideal mehr mit Aus- 
schlieBlichkeit vertreten, sondern im Sinne der papst- 
lichen Erlasse (-> Liturgie) bis in die Gegenwart hinein 
die Kirchenmusik in alien ihren Formen gepflegt. 
Lit. : A. Walter, Cacilianische Kirchenmusik-Reform, in : 
Cacilienkalender I, 1876; A. D. Schenk, Zwei wichtige 
Fragen d. Kirchenmusik-Reform, Regensburg 1877; K. 
Greith, Uber d. Reform in d. kath. Kirchenmusik, Ein- 
siedeln 1878; O. Ursprung, Palestrina u. Palestrina-Re- 
naissance, ZfMw VII, 1924/25; ders., Die kath. Kirchen- 
musik, Biicken Hdb. ; K. G. Fellerer, Grundziige d. 
Gesch. d . kath . Kirchenmusik, Paderborn 1 929 ; ders., Der 
Cacilienver., NZfM CXI, 1950; ders., Bedeutung u. Auf- 
gabe d. ACV, Zs. f. Kirchenmusik LXXV, 1955; ders., 
Der Allgemeine Cacilien-Verband, Musica sacra LXXVII, 
1957; J. Haas, Die Aufgabe d. ACV ... in d. Gegenwart, 
ebenda; R. Quoika, Ober d. C.-Cyrilismus in Bohmen, 
KmJb XLVIII, 1964. RG 

Caen. 

Lit.: J. A. Carlez, La musique a C. de 1066 a 1848, M6- 
moires de l'Acad. Nationale des sciences, arts et belles- 
lettres de C, 1876; ders., La musique et la soc. caennaise 
au XVIII e s., ebenda 1884; A. Bloch-Michel, Melanges 
sur la vie mus. a C. au XVI C et XVII e s., Etudes normandes 
LXXXIII, 1957. 

Caisse (ke:s, frz., Kiste), Trommel, auch Resonanz- 
kasten; c. claire, c. a timbre (timbre, Schnarrsaite), c. 
plate (auch tarole), kleine Trommel; grosse c. (auch 
tonnant), groBe Trommel; c. roulante, c. sourde, Roll-, 
Ruhr-, Wirbeltrommel. 

Cakewalk (k'e:kwa:k, engl.), ein pantomimischer, 
grotesk gestalteter Tanz der nordamerikanischen Ne- 
ger, der um 1870 aufkam, in die Minstrelsy gelangte 
und um 1900, vor allem als Buhnen- und Schautanz, 
auch in Europa Mode wurde. Der C. steht im syn- 
kopischen 2/4-Takt. In der Kunstmusik hat ihn De- 
bussy in seiner Klaviersuite Children's Corner (6. Satz, 
1906/08) als Vorbild verwendet. 

calando (ital.), nachlassend, abnehmend an Lautstarke 
wie an Lebendigkeit, wie morendo, also zugleich di- 
minuendo und ritardando. 

Calata, italienischer Tanz des 15. und 16. Jh. von 
rascher Bewegung im geraden Takt (4/4 oder 12/8), 
wobei jedoch drei geradzahlige Einheiten zu einem 
3teiligen MaB zusammengefaBt werden (bei 2/4 also 
3 x 2/4 = 3/2). Der alteste literarische Beleg findet 
sich um 1435 in einem Gedicht von Simone di Golino 
Prudenziani. Der Mailander Lautenist J. A. Dalza un- 
terscheidet 1508 Calate ala spagnola und ala italiana. 
Calvinistische Musik ist, als gottesdienstliche Musik, 
auf Einstimmigkeit beschrankt, bibeltextlich, fast aus- 
schlieBlich an die Psalmen gebunden und fur den pro- 
testantisch-reformierten Gottesdienst bestimmt, wie er 
der Lehre ihres Begriinders -*>■ Calvin entspricht. Im 
Unterschied zur Kirchenmusik lutherischer Pragung 
werden nur Bibeltexte verwendet, die, durch CI. 
-> Marot und Theodore de Beze in Versf orm gebracht, 
mit eigenen Melodien versehen wurden. Die wichtig- 
sten Sammlungen von franzosischen Psalmliedern und 
Cantica, die als Gesangbiicher der Gemeinde dien- 
ten, sind: Aulcuns pseaulmes et cantiques mys en chant 
(StraBburg 1539: 18 Psalmen, Lobgesang Simeons, 
Glaubensbekenntnis, Zehn Gebote, darunter einige 
poetische Versuche von Calvin selbst neben Psalmen 
von Marot) ; La Forme des prieres et chants ecclesiastiques 
(der erste Genfer Psalter, 1542) ; erweiterte Psalter er- 
schienen in Genf 1543 (mit 50 Psalmen, alle von Ma- 
rot) und 1551 (mit 34 Psalmen von de Beze) ; 1562 er- 
schien der vollstandige Psalter mit 125 Melodien zu 



den 150 Psalmen. Die Mitarbeit (1543) von G. ->■ Franc, 
dem spater in Lausanne wirkenden Kantor, ist wahr- 
scheinlich. Als Melodieerfinder ragt L. -> Bourgeois 
hervor, dem etwa ein Drittel der Melodien zu verdan- 
ken ist. Die letzten Melodien (1562) schuf vielleicht P. 
-> Dagues. Allen Melodien ist ein fliissiger Duktus ge- 
meinsam; sie verwenden nur die Notenwerte Semi- 
brevis (lang) und Minima (kurz) und deklamieren den 
Text rein syllabisch. Die calvinistischen Psalmlieder 
fanden sehr bald weite Verbreitung : in Deutschland ab 
1573 durch die beriihmte Ubertragung A. Lobwassers. 
In den Niederlanden waren gereimte Psalmen in hol- 
landischer Sprache schon 1540 erschienen, die soge- 
nannten ->• Souterliedekens. Eine hollandische Fassung 
des Genfer Psalters (durch Petrus Dathenus) wurde 
1568 (Synode von Wesel) offiziell gebilligt, verdrangte 
allmahlich die Souterliedekens und blieb bis in die 2. 
Halfte des 18. Jh. allgemein in Gebrauch, bis heute in 
einigen Provinzen. Neuere Textfassungen erschienen 
1949 (offiziell gebiOigt) und 1961. - Der Genfer Psalter 
beeinfluBte maBgebend den Kirchengesang in Eng- 
land ; ein erster Versuch erschien 1556 (Druckort Genf), 
dem zahlreiche englische Ausgaben folgten. Neben 
Genfer Melodien, die iibernommen wurden, entstan- 
den eigene Weisen, die in alien englisch sprechenden 
Landern Verbreitung fanden und bis heute gesungen 
werden. Hervorzuheben sind die Psalter von Sternhold 
und Hopkins (ab 1556), John Daye (1567), Ravenscroft 
(1621), Playford (1677), Tate und Brady (1696); auch 
in Schottland erschien eine Reihe von Psaltern mit zum 
Teil Genfer Melodien, z. B. in Edinburgh 1564. Durch 
Emigranten wurde der Gesang der Psalmen in die calvi- 
nistischen Gemeinden des amerikanischen Erdteils ein- 
gefiihrt; Genfer Melodien fanden dort Aufnahme be- 
sonders durch englische und hollandische Ubertragun- 
gen. - Seit dem Anfang des 18. Jh. hat eine Auflocke- 
rung der strengen calvinischen Observanz eingesetzt: 
neben den Psalmen wurden immer mehr neuere Dich- 
tungen (cantiques) eingefiihrt, die die alten Psalmen 
beinahe verdrangten, so daB der gesamte Psalter, mit 
den Melodien des 16. Jh., jetzt nur noch in den refor- 
mierten Gemeinden Hollands und Norddeutschlands 
gesungen wird. - Die Genfer Melodien, die in der Kir- 
che einstimmig ohne jede Begleitung erklangen, wur- 
den in den Hausern (es maisons) um so eifriger mehr- 
stimmig gespielt und gesungen, und zwar in C. f.- 
Satzen aller Schwierigkeitsgrade, von der rein homo- 
phonen bis zur groBangelegten Komposition. An 
Komponisten sind zu nennen: A.Mornable, P.Certon 
(1546), L. Bourgeois (1547, 1554), A. Le Roy und G. 
Morlaye (Lautensatze, 1552, 1554), Cl.Janequin (1555, 
1559), J.Louys (5st. Satze, 1555), J. Arcadelt (1559), Ph. 
Jambe de Fer (1559, 1564), Th. Champion (1561), CI. 
lejeune (ab 1564), P. de L'Estocart (1583), A. Pevemage 
(1589). Cl.Goudimel (f 1572) hat den Psalter 3mal 
durchkomponiert: 1. groBangelegte Motettenbiicher 
(ab 1557) ; 2. einfache homophone Satze (1562, kom- 
plett 1564-65); 3. C. f.-Satze in koloriertem Kontra- 
punkt (1568). Die groBte Bedeutung kommt J. P. Swee- 
linck (1562-1621) zu mit seinen 4-8st. Bearbeitungen in 
4 Biichern (ab 1604 in Amsterdam, mit franzosischem 
Text). Auch unter den Instrumentalwerken von Swee- 
linck befinden sich Kompositionen iiber Psalmlied- 
C. f . Neben ihm sind als Orgelkomponisten H. Speuy 
(1610) und A. van Noordt (1659) zu nennen. Auch in 
England entstanden in der elisabethanischen Zeit mehr- 
stimmige Satze zu Genfer Psalmliedern (Th.Morley, 
J. Bull, Th.Tallis u. a.). In der Gegenwart wurde der 
Wert dieser alten Meiodien erneut anerkannt; davon 
zeugen u. a. A. Honegger (Le Roi David), H. Gagnebin, 
P. Muller-Ziirich und B.Reichel. 



138 



Camerata 



Ausg. : Aulcuns pseaulmes et cantiques mys en chant, 
StraBburg 1539, Faks. hrsg. v. D. DeleTra, Genf 1919; 
R. R. Terry, Calvins First Psalter 1539, London 1932; La 
forme des prieres et chants ecclesiastiques, Genf 1 542, Faks. 
hrsg. v. P. Pidoux, Kassel 1959; Les pseaumes . . . mis en 
musique a 4 parties par CI. Goudimel, Genf 1565, Faks. 
hrsg. v. P. Pidoux u. K. Ameln, Kassel 1935; Cent cin- 
quante pseaumes de David . . . mis en musique . . . par P. 
de l'Estocart, Genf 1583, Faks. hrsg. v. H. Holliger u. P. 
Pidoux, = DM1 1, 7, 1954. 

Lit. : F. Bovet, Hist, du psautier des eglises reformees, Pa- 
ris 1872; O. Douen, CI. Marot et le psautier huguenot, 2 
Bde, Paris 1878-79; P. A. Scholes, The Puritans and Mu- 
sic in England and New England, London 1934; W. S. 
Pratt, The Music of the French Psalter of 1 562, NY 1939; 
H. Bruinsma, The Souterliedekens and Its Relation to 
Psalmody in the Netherlands, Ann Arbor (Mich.) 1948 ; H. 
P. Clive, The Calvinist Attitude to Music and Its Literary 
Aspects and Sources, = Bibl. d'Humanisme et de Renais- 
sance, Travaux et documents XX, Genf 1958; P. Pidoux, 
Le psautier huguenot duXVI e s., 2 Bde, Basel 1962. PP 

Calypso, ein Tanz mit dem Rhythmus: 

!(od«*)j"33 j"3 ji j bZ w. run n n 

, J ., k rj J Der C. stammt aus Trinidad, 
> wo er zu Beginn des 20. Jh. 
von den Farbigen mit Begleitung von Rhythmusin- 
strumenten gesungen und getanzt wurde. Der C. ist als 
gesungener Tanz seit 1957 (Harry Belafonte, Banana- 
boat) in Europa bekannt und zum Modetanz geworden. 
Lit. : N. R. Ortiz Oderigo, El »C.«, expresion mus. de los 
negros de Trinidad, in : Miscelanea de estudios dedicados 
F. Ortiz II, Habana 1956; D. J. Crowley, Toward a De- 
finition of C, in: Ethnomusicology III, 1959. 

Cambiata, Nota cambiata (ital., vertauschte Note, 
Wechselnote) ist ein dissonierender Ton, der an der 
Stelle eines konsonierenden steht. Als C. bezeichnete 
A.Berardi den Transitus irregularis (Jeppesen: »relativ 
betonte Durchgangsdissonanz« ; Beispiel 1), J.J.Fux 
die von oben eingefiihrte und zur Unterterz absprin- 
gende Dissonanz auf unbetonter Zeit (Beispiel 2 und 3) : 

<U= ■ 2l ■'■■ 3 



mr 



||J IHIJTJJJq EP^ 



r 



pm^f 



r 



Die dritte und vierte Viertelnote in Beispiel 1 sind Note 
cambiate, »vertauschte Noten«, weil die Dissonanz be- 
tont statt unbetont und die Konsonanz unbetont statt 
betont ist, die Noten (note mutate oder cambiate) also 
solcher gestalt mit und anter einander uerwechselt sind (J. G. 
Walther 1732). Palestrina verwendet die »Berardische 
C.«, die Chr.Bernhard Quasi-Transitus nannte, vor 
allem in der Gegenstimme einer synkopierenden Dis- 
kantklausel (Beispiel 1). Die »Fuxsche C.« (Fuxsche 
Wechselnote) beruht nach Fux auf der Vertauschung 
einer Konsonanz, der Sexte h 1 , mit einer Dissonanz, 
der Septime c 2 (Beispiel 2 und 3). Sie ist bei Palestrina 
die einzige Ausnahme von der Regel, daB eine Disso- 
nanz durch einen Sekundschritt aufgelost werden soil. 
Ist die halbe Note, die der C.-Dissonanz folgt, unbe- 
tont, so mufi sie durch einen Sekundschritt aufwarts 
fortgesetzt werden, den Jeppesen als verzogerte Auf- 
losung der C.-Dissonanz iriterpretierte (Beispiel 2) ; ist 
sie betont, so kann an der Stelle des Sekundschritts ein 
Terzsprung aufwarts stehen (Beispiel 3). 
Lit.: A. Berardi, Miscellanea mus., Bologna 1689; J. J. 
Fux, Gradus ad Parnassum, Wien 1725, Faks. Rochester 
(N. Y.) 1956, engl. v. A. Mann als: Steps to Parnassus, 
NY 1943, deutsche Teilausg. v. A. Mann, Celle 1938; 
WaltherL, Artikel Note mutate; B. Ziehn, Uber d. C. u. 
andere altklass., melodische Figuren, AMz XXV, 1898; 
Kn. Jeppesen, Der -Palestrinastil u. d. Dissonanz, Lpz. 
1925; Die Kompositionslehre H. Schutzens in d. Fassung 



seines Schiilers Chr. Bernhard, hrsg. v. J. M. Muller- 
Blattau, Lpz. 1926, Kassel 21963; C. Dahlhaus, Die 
»Nota c.«, KmJb XLVII, 1963. 

Cambrai. 

Lit. : J. Houdoy, Hist, artistique de la cathedrale de C, 
Memoires de la Soc. des sciences, . . . de Lille IV, 7, Lille 
1880; A. Durieux, Le theatre a C. avant et depuis 1789, 
Memoires de la Soc. d'emulation de C. XXXIX, 1883 ; G. 
Arduin u. A. Dassonville, A travers chants. Le college de 
C. a travers les ages 1270-1911, C. 1912; F. Delcroix, La 
musique a C, la mattrise de C, Memoires de la Soc. d'emu- 
lation de C. LXVIII, 1921 ; Ch. Dancourt, Notes comple- 
mentaires sur les musiciens a C, ebenda LXXV, 1928. 

Cambridge. 

Lit. : W. Glover, Memoirs of a C. Chorister, London 1 883 ; 
G. Fr. Cobb, A Brief Hist, of the Organ in the Chapel of 
Trinity College, C. 1891 (1913); Chr. Fr. Abdy Williams, 
An Hist. Account of Mus. Degrees at Oxford and C, Lon- 
don 1894; Th. Dart, L'enseignement mus. d'aujourd'hui 
a C, RMB II, 1948; N. C. Carpenter, Music in the Me- 
dieval and Renaissance Univ., Norman/Okla. (1958). 

Camerata (ital.) hieB eine Vereinigung nach Art ei- 
ner ->■ Akademie im Hause des Grafen G. Bardi in Flo- 
renz, wo von der Mitte der 70er bis zu Beginn der 80er 
Jahre des 16. Jh. »nicht nur ein groBer Teil des Adels, 
sondern auch die ersten Musiker, gelehrten Manner, 
Dichter und Philosophen der Stadt« (Caccini 1601, 
Vorrede) zusammentrafen. In weiterem Sinne werden 
alle Komponisten der C. zugezahlt, die - obgleich im 
einzelnen verschiedene Wege einschlagend - bis um 
1600 in Florenz an der Entstehung des begleiteten Solo- 
gesangs und der Oper mitwirkten. Zentrales Zeugnis 
fur die musikalischen Interessen der eigentlichen C. ist 
V. Galileis Dialogo della musica antica et della moderna 
(Florenz 1581), der als ein Gesprach zwischen Bardi 
und P. Strozzi dargestellt wird. Darin ubernimmt Gali- 
lei - zum Teil wortlich - Ansichten des in Rom leben- 
den florentinischen Philologen G.Mei, die dieser ihm 
seit 1572 in einer Reihe ausfuhrlicher Brief e dargelegt 
hatte. Auf Meis Forschungen beruht vor allem die 
grundlegende Forderung des Dialogo : Wiederbelebung 
der antiken Einstimmigkeit als Voraussetzung fiir jene 
Verschmelzung von Textvortrag, Affektausdruck und 
Gesang, auf der die machtvolle Wirkung der alten Mu- 
sik beruht habe. Aus dieser Uberzeugung ergab sich ei- 
ne grundsatzliche Ablehnung der zeitgenossischen 
Mehrstimmigkeit, besonders eine Polcmik gegen ihren 
angesehensten Theoretiker, Galileis einstigen Lehrer 
Zarlino, die - von Galilei bereits 1578 in einem unge- 
druckten Brief an Zarlino eroffnet - in dessen Soppli- 
menti musicali (Venedig 1588) und Galileis Discorso in- 
torno all'opere di messer G. Zarlino (Venedig 1589) fort- 
gefuhrt wurde. Galileis Dialogo bringt keine Darstel- 
lung der Kompositionsweise, die seinem neuen Ideal 
entsprache ; seine praktischen Versuche im neuen Stil, 
2 Klagen des Jeremias und die Klage des Ugolino (aus 
Dantes Inferno XXXIII; alle 3 nicht erhalten), die er 
1582 der C. vortrug, konnten offenbar nicht uberzeu- 
gen. Jedenfalls hat Galilei in den f olgenden Jahren nicht 
mehr fiir Bardi komponiert, dagegen wieder Lauten- 
satze und mehrstimmige Madrigale herkommlicher 
Art. Erhaltene Kompositionen von Bardi (in den In- 
termedien von 1589) und Strozzi (in der Festmusik von 
1579, gcdruckt bei Ghisi 1939) weichcn vom alteren 
Stil nur in der ziemlich streng festgehaltenen Homo- 
rhythmik ab. Das fruheste uberlieferte Werk, in dem 
die -»• Monodie im Sinne des neuen Stile recitativo 
oder rappresentativo voll ausgebildet erscheint, sind G. 
Caccinis Le nuove muskhe (Florenz 1601, aber zum Teil 
schon in den 1580er Jahren komponiert und der C. vor- 
getragen). Caccinis Zugehorigkeit zur C. ist auch da- 
durch bezeugt, daB Bardi fiir ihn einen Discorso sopra la 



139 



Campana 



musica antica e'l cantar bene (vor 1590, gedruckt bei Do- 
ni II) schrieb und ihn regelmaBig zu den musikalischen 
Intermedien der groBen Hoffeste heranzog, die nach 
Bardis Leitgedanken in Szene gesetzt wurden. Dage- 
gen erscheint E. de' Cavalieri als Rivale Bardis. Seine 
Berufung als Generalinspektor der Kiinste und Kiinst- 
ler am Hof von Florenz (1588) ubertrug ihm Aufgaben, 
die bis dahin Bardi wahrgenommen hatte, und hangt 
mit einer politischen Entwicklung zusammen, die Bar- 
di veranlaBte, 1592 als papstlicherKammerer nach Rom 
zu gehen. Cavalieri fiihrte in Florenz 1590-95 drei Fa- 
vole pastorali mit eigener Musik (nicht erhalten) auf und 
machte damit jene literarisch-theatralische Gattung 
heimisch, die eine Vermischung der Stilbereiche er- 
laubt und es dem Komponisten ermoglicht, durch das 
Abwechseln von einfachen Lied- und Tanzsatzen (die 
mehrfach wiederholt werden konnen) und rezitativi- 
schen Abschnitten musikalische Szenen zu formen. 
Nunmehr entstand in der Nachfolge der eigentlichen 

C. durch die Arbeit einer Gruppe unter dem Patronat 
von J.Corsi die erste ->■ Oper: La Dafne (1598; von 
der Musik nur Bruchstiicke erhalten), Text von O. 
Rinuccini, Musik von J. Peri und Corsi. 

Ausg.: Les fetes de Florence (1589) I, Musique des inter- 
medes de la Pellegrina, hrsg. v. D. P. Walker, F. Ghisi u. 
J. Jacquot, Paris 1963; G. Caccini, Le nuove musiche, 
Florenz 1601 u. 6., Faks. hrsg. v. F. Mantica, Rom 1930, u. 
hrsg. v. Fr. Vatielli, Rom 1934, engl. Ubers. in: O. Strunk, 
Source Readings in Mus. Hist., NY 1950; J. Peri, Le Mu- 
siche . . . sopra l'Euridice, Florenz 1601, Venedig 2 1608, 
Faks. Mailand 1934, Neudruck in: Torchi VI. 
Lit. : G. Mei, Letters on Ancient and Modern Music to V. 
Galilei and G. Bardi, hrsg. v. CI. V. Palisca, = MSD HI, 
(Rom) 1960; V. Galilei, Dialogo della musica antica et 
della moderna . . ., (1581), Faks. hrsg. v. F. Fano, Rom 
1934; G. B. Doni, Lyra Barberina, 2 Bde, hrsg. v. A. F. 
Gori u. G. B. Passeri, Florenz 1763 ; A. Solerti, Le origini 
del melodramma, Turin 1903; ders., Gli albori del melo- 
dramma, 3 Bde, Mailand 1904-05 ; R. Haas, Die Musik d. 
Barocks, Biicken Hdb., S. 17ff. ; ders., Auffuhrungspraxis 
d. Musik, Biicken Hdb., S. 141ff.; H. Martin, La C. du 
Comte Bardi, Rev. de Musicol. XIII, 1932; F. Fano, Ein- 
leitung zu Istituzioni e monumenti dell'arte mus. ital. IV, 
Mailand 1934 ; N. Valle, Le origini del melodramma, Rom 
1936; F. Ghisi, Le feste mus. della Firenze medicea, Flo- 
renz 1939; ders., Alle fonti della monodia, Mailand 1940; 
ders., An Early Seventeenth Cent. Ms., AMI XX, 1948; 

D. P. Walker, Mus. Humanism ..., MR II, 1941 - III, 
1942, deutsch = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; L. Schra- 
de, Monteverdi, NY (1950); N. Pirrotta, Tragedie et co- 
medie dans la C. fiorentina, in : Musique et poesie au XVI e s., 
= Colloques internationaux du Centre national de la Re- 
cherche scientifique, Sciences humaines V, Paris 1954; 
ders., Temperaments and Tendencies in the Florentine C, 
MQ XL, 1954; L. Schrade, D. P. Walker u. F. Ghisi in: 
Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1 956 ; 
W. V. Porter, The Origins of Baroque Solo Song, 2 Bde, 
Diss. New Haven (Conn.) 1962, maschr. 

Campana (mittellat., ital. und span. ; altfrz. campane) 
ist in der Bedeutung von Glocke als Latinisierung einer 
ahnlichen osteuropaischen Wortsippe zuerst belegt bei 
Fulgentius Ferrandus (um 515); die Verkleinerungs- 
form ist campanella (altere Form campanula oder cam- 
panola, davon verkiirzt -> nola), Glockchen. In Orche- 
sterpartituren entsprechen Campanelli dem modernen 
(Orchester-) -> Glockenspiel, Campane (tubolari) den 
-> Rohrenglocken, Campanacci den (z. B. bei Strauss 
und Mahler verlangten) Viehschellen bzw. Kuhglok- 
ken. - Im spaten 17. Jh. ist C. auch eine Orgelstimme 
(Stab- oder Glockenspiel); J.S.Bach verlangt in der 
Kantate Schlage doch, gewiinschte Stunde (BWV 53) 
zwei »Campanella«, Glockchen in der Stimmung e 
und h, als Pedalstimme der Orgel. - N. Paganinis zwei- 
tes Violinkonzert op. 7 tragt den programmatischen 
Titel La Campanella (danach auch Liszt, Nr 3 der Etu- 



des ... d'apres Paganini, 1838, sowie in Grande Fan- 
taisie de bravoure sur la Clochette de Paganini, 1832). 
Lit. : Adlung Mus. mech. org. ; L. Wiener, Byzantinisches 
II, Zs. f. romanische Philologie XXXV, 1911; SachsL; Fr. 
Dick, Bezeichnungen f. Saiten- u. Schlaginstr. in d. altfrz. 
Lit., = GieBener Beitr. zur romanischen Philologie XXV, 
GieBen 1932; Fr. J. Dolger, Glockchen im Ritual d. Ar- 
valbriider?, in: Antike u. Christentum, hrsg. v. dems., IV, 
4, Minister i. W. 1934. 

Canarje (frz.), ein exotischer Paartanz des 16." Jh., der 
zuerst 1552 von D.Pisador genannt wird und mogli- 
cherweise von den Kanarischen Inseln durch Spanien 
an Frankreich vermittelt wurde. Die C. ist ein schnel- 
ler Tanz im 3/8-, 6/8- oder 3/4-Takt. Als Gebrauchs- 
tanz wird sie schon in den Tanzbiichern-von Caroso 
(1581), Arbeau (1588) und Negri (1604) beschrieben. 
In der franzosischen und deutschen Klavier- (Cham- 
bonnieres, Couperin, J.S.Bach) und Orchestersuite 
(Lully, G. Muff at, Kusser, Telemann, J.S.Bach) und in 
der deutschen Klaviermusik des 18. Jh. kommt die C, 
auch als Typus der -> Gigue, vor. 



SB= 




C. aus J. C. F. Fischers Pieces de Clavessin op. 2 
(1696, Nachdruck 1698 als Musicalisches Blumen- 
Biischlein). 
Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA v. 
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; M. 
Praetorius, Terpsichore 1612, GA Bd XV, Wolfenbuttel 
u. Bin 1 929 ; M attheson Capellm. ; WaltherL ; Quantz 
Versuch; P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 2. 
Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 1921. 

Cancan (kak'a, frz., Larm, auch Chahut), franzosi- 
scher Gesellschaftstanz, der nach der Julirevolution 
von 1830 in Paris aufkam. Er steht in lebhaftem 2/4- 
Takt und kann als eine Nachahmung des Fandangos be- 
trachtet werden. Der C. war einer der beliebtesten 
Tanze, wenngleich die Indezenz seiner Ausfiihrung ihn 
bald in Verruf brachte und er von der Obrigkeit als 
offentliches Argernis verfolgt wurde. Alphons Karr (in 
den Feuilletons Guepes) berichtet von verschiedenen Ab- 
arten des C, deren bekannteste, der Robert-Macaire, 
von Frederique Lemaltre in Benjamin Anders Me- 
lodram Auberge des Adrets (1. Akt) getanzt worden war. 
Im Variete wurde er chorisch von Frauen als Biihnen- 
schautanz ausgefiihrt und hat sich im »Moulin-Rouge« 
bis ins 20. Jh. als Montmartre-Attraktion halten kon- 
nen. In der Operette hat ihn 1854 Herve {La Perle d' Al- 
sace) und als Galop Infernal Offenbach in Orphee aux 
Enfers (1858) verwendet. 

Lit. : H. Heine, in : Der Karneval in Paris, 1 842 ; A. Moss u. 
E. Marvel, C. and Barcarolle, NY 1954. 

Cancionero (kanOian'ero, span., von cancion, Lied; 
galicisch-port. cancioneiro, s, v. w. Liedersammlung ; 
c. musical popular, Volksliedersammlung), im allge- 
meinen Sammlung von Gedichten eines oder mehrerer 
Dichter, auch aus verschiedenen Epochen, die fur den 
Gesang bestimmt und teilweise mit Notenschrift iiber- 
liefert sind (c.s musicales). Im besonderen versteht man 
unter C.s Liederbucher einer Dichter- bzw. Kompo- 
nistengruppe, die an einem fiirstlichen Hofe wirkte. 
Die altesten uberlieferten C.s entstammen dem gali- 
cisch-portugiesischen Kulturkreis (-» Cantigas). Die 
wichtigsten C.s musicales des 16.-17. Jh. sind: 
1) C. musical de Palacio (C. Barbieri; Madrid, Bibl. 



140 



cantabile 



Real, ms. 2-1-5, olim 1335), mit urspriinglich 304, 
jetzt 249 Folios. Der alte Index nennt 551 Stiicke; er- 
halten sind 459, davon 9 ohne Noten, 4 in doppelter 
Aufzeichnung. An Komponisten erscheinen neben J. 
del Encina (62 Stiicke) u. a. Fr.Millan (23), Gabriel 
(= G.Mena; 19), Escobar (18), Fr. de la Torre (15), J. 
Ponce (12), Mondejar (11), Alonso (11), Penalosa (10), 
Badajoz (8), Anchieta (7), L. de Baena (7), Madrid (4), 
Aldomar (3), Almorox (3), Troya (3), Urreda (3), 
Brihuega (2), Contreras (2), A. de Cordoba (2), Cor- 
nago (2), Enrique (2), J. de Espinosa (2), Gijon (2), 
Triana (2), Ajofrin (1), A. de Alva (1), G.Brocco (1), 
G. Fogliano (1), Josquin (1), Morton (1). Die Texte sind 
meist kastilisch, doch auch italienisch, portugiesisch 
und franzosisch. Die 2— 4st. Satze werden im alten In- 
dex klassifiziert in weltliche und geistliche Villancicos, 
Estranbotes und Romances; ferner finden sich einige 
italienische Frottole und instrumentale Stiicke. Diese 
umfangreichste und bedeutendste Quelle spanischer 
weltlicher Mehrstimmigkeit im friihen 16. Jh. wurde 
um 1500-30 vermutlich fur die Musiker des Konigs 
Ferdinand des Katholischen oder des Herzogs von Alba 
(dem J. del Encina um 1492-98 diente) geschrieben. 
Ausg. : C. mus. de los s. XV y XVI, hrsg. v. Fr. A. Barbieri, 
Madrid (1890), Neudruck Buenos Aires 1945; C. mus. de 
Palacio, hrsg. v. H. Angles, = La miisica en la corte de 
los Reyes Catolicos II— III, = MMEsp V u. X, Madrid 
1947-51. 

Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920; R. 
Mitjana, Nuevos notas sul »C. mus. de los s. XV y XVI« 
.. . . , Revista de filologia espanola V, 1 9 1 8 ; H. Angles, Die 
span. Liedkunst im 15. u. am Anfang d. 16. Jh., Fs. Th. 
Kroyer, Regensburg 1933; M. Schneider, Existen ele- 
mentos de miisica popular en el ,C. mus. de Palacio' ?, AM 
VIII, 1953; R. Stevenson, Span. Music in the Age of Co- 
lumbus, Den Haag 1 960. 

2) C. musical de Sevilla (Sevilla, Bibl. Colombina, ms. 
7-1-28), mit urspriinglich 107, heute 90 Folios, tragt 
den alten Titel: Cantilenas vulgares puestas en miisica por 
varios espaiioles. Er enthalt 95 3-4st. Satze; an Kompo- 
nisten sind neben Triana (20 Stiicke) u. a. Cornago 
(5-6), Urreda (3), Ockeghem (1-2), Gijon (1) und Fr. 
de la Torre (1) vertreten. Die meisten Texte sind kasti- 
lisch, 12 lateinisch und 2 franzosisch. 20 Satze finden 
sich auch im C. musical de Palacio. 

Ausg.: Cantilenas vulgares ..., hrsg. v. R. Stevenson, 
Lima 1958 (Texte). 

Lit.: R. Stevenson, Span. Music in the Age of Columbus, 
Den Haag 1960, darin 13 Stiicke. 

3) C. musical de Elvas (Elvas, Bibl. Publia Hortensia, 
ms. 11973), enthalt 65 2-3st. Stiicke mit kastilischem 
(51) oderportugiesischem (14) Text, meist in einfachem 
akkordischem Satz. Davon finden sich 14 auch im C. 
musical de Palacio, darunter 4 Satze von J. del Encina 
sowie 3 von Escobar. 

Ausg.: O C. mus. e poetico da Bibl. Publia Hortensia, 
hrsg. v. M" Joaquim, Coimbra 1940. 

4) C. de Uppsala (Uppsala, Univ.-Bibl., vol. mus., 
i.Tr.6.II), die einzige gedruckte Quelle dieses Reper- 
toires: Villancicos de diversos autores . . ., Venedig 1556, 
enthalt 48 kastilische, 4 katalanische und 2 portugiesi- 
sche Stiicke zu 2-5 St., darunter 6 Satze von J. del En- 
cina sowie je einen von Flecha, Carceres, Gombert, 
Morales und Valderrabano. 

Ausg. : C. de Upsala, hrsg. v. R. Mitjana, J. Bal y Gay u. 
I. Pope, Mexiko 1944. - Cincuenta y cuatros canciones 
espaiioles del s. XVl, C. de Uppsala, hrsg. v. R. Mitjana, 
Uppsala 1909 (Textausg.). 

Lit.: L. Querol Roso, La poesia del C. de Uppsala, in: 
Anales de la Univ. de Valencia X, 1929/30; J. Moll, Un 
villancico de Morales . . ., AM VIII, 1953. 

5) C. musical de la Casa de Medinaceli (Madrid, Bibl. 
de la Casa del Duque de Medinaceli, ms. 13230), mit 



urspriinglich 235, jetzt 207 Folios, enthalt 76 geistliche 
unci 99 (davon 2 doppelt) weltliche Stiicke zu 3-5 St. 
An Komponisten sind u. a. vertreten: Fr. und P. 
Guerrero (15 Stiicke), G. de Morata (13), O. de Lassus 
(1) sowie eine Reihe weiterer Meister, die zumeist in 
Andalusien wirkten. Unter den weltlichen Stiicken 
iiberwiegen Madrigale; daneben finden sich Cancio- 
nes, Villancicos, vereinzelt auch Romances, Villanescas 
sowie eine Ensalada. Das in der 2. Halfte des 16. Jh. 
entstandene Manuskript weist Konkordanzen mit den 
C.s de Palacio (2) und Uppsala (1) auf. 
Ausg. : C. mus. de la Casa de Medinaceli I, Polifonia pro- 
fana, hrsg. v. M. Querol Gavalda, 2 Bde, = MMEsp 
VIII-IX, Madrid 1949-50. 

6) C. musical y poetico del siglo XVII (C. Sablonara; 
Miinchen, Bayerische Staatsbibl., Mus. ms. E), mit 84 
Folios, enthalt 75 2-4st. Kompositionen iiber welt- 
liche kastilische Texte. Unter den Dichtern sind Que- 
vedo, Gongora und Lope de Vega hervorzuheben, 
unter den Komponisten Romero (22 Stiicke), J.Blas de 
Castro (20), A. de los Rios (9), G.Diaz Besson (8) und 
M.Machado (4). Neben Romances stehen auch Villan- 
cicos, Canciones, Novenas, Decimas, Folias. Das Ma- 
nuskript, von CI. de la ->■ Sablonara 1624-25 (nach 
Pfandl) fiir Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neu- 
burg geschrieben, gilt als kostbarste Quelle der spani- 
schen Mehrstimmigkeit im friihen 17. Jh. 

Ausg. : C. mus. y po6tico del s. XVII, recogido por CI. de 
la Sablonara, hrsg. v. J. Aroca, Madrid 1916 (auf Um- 
schlag: 1918). 

Lit.: R. Mitjana, Comentarios y apostillas al »C. poetico 
y mus. del s. XVII . . .«, Revista de filologia espanola VI, 
1919; L. Pfandl, Uber einige span. Hss. d. Munchener 
Staatsbibl. I, in: Homenaje a Menendez Pidal II, Madrid 
1925 ; C. S. Smith, Documentos referentes al »C.« de CI. de 
la Sablonara, Revista de filologia espanola XVI, 1929. 

7) C. musical de Olot (Olot, Bibl. Piiblica, ms. I-VIII), 
mit urspriinglich mindestens 170, jetzt 137 Folios, ent- 
halt 74 3^4st. Stiicke, iiberwiegend Villancicos und 
Romances. Die meisten Texte sind kastilisch, 3 kata- 
lanisch. An Komponisten sind J.Pujol (16 Stiicke), 
J. B. Comes (3) und andere, vorwiegend katalanische 
Meister der 1. Halfte des 17. Jh. vertreten. 

Lit.: J. Romeu Figueras, Las poesias catalanas del ms. 
mus. de Olot, AM XVIII, 1963 ; M. Querol Gavalda, El 
C. mus. de Olot, ebenda, mit Verz. 
Allgemeine Lit. zu d. C.s mus.: H. Angles, Einleitung zu 
MMEsp I, 1941 ; ders. u. J. Subira, Cat. mus. de la Bibl. 
Nacional de Madrid I, Barcelona 1946; J. Romeu Figue- 
ras, La poesia popular en los c. mus. espaiioles . . ., AM 
IV, 1949; A. Lerrea PalacIn, La cancion popular en el 
tiempo de los Reyes Catolicos, in: Curso de conferencias 
sobre la politica africana de los Reyes Catolicos IV, Ma- 
drid 1952; M. Querol Gavalda, El romance polifonico 
en el s. XVII, AM X, 1955. 

cancricans, cancrizans (lat., von cancer, Krebs), im 
-*■ Krebsgang riickwarts schreitend. 

cantabile (ital. ; frz. chantable), sangbar, gesangvoll. 
Schon Zarlino forderte, che le parti delta cantilena siano 
c: cioe che cantino bene (Istitutioni Itarmoniche 1558, III, 
34). Im spateren 17. Jh., namentlich in Siiddeutschland 
(Froberger, Kerll, Muffat und in der Niirnberger Schu- 
le vor und um Pachelbel), und im 18. Jh. allgemein 
wurdc Cantabilitat (ein iibcrall dominirendes C, Hein.i- 
chen 1728) zu einer Grundforderung der Komposition, 
speziell der Instrumentalmusik. Cantabel - das schonste 
in der Musik (Mozart Versuch I, 3, § 27) - bedeutet 
jetzt: leicht faBlich, flieBend, ungektinstelt, ausdrucks- 
voll setzen und spielen; Sangbarkeit der Kompo- 
sition in alien Stimmen, die wie singend vorzutra- 
gen sind (so daB jedem Musiker die Singkunst zu stu- 
dieren und gute Sanger zu horen empfohlen wird, da- 



141 



Cantatorium 



mit er singend dencken lernt, Bach Versuch I, 3, § 12) ; 
Meidung aller kiinstlichen und ausgesuchten Auszierung 
(Scheibe, S. 397) ; kleine Intervalle, liedhafte Periodik, 
maBig langsame Bewegung (hierzu Quantz Versuch, 
XVII, VII, § 51: aufeinjedes Achttheil ein Pulsschlag). 
J.S.Bach, der im Titel seiner Auffrichtigen Anleitung 
(1723; hierzu Forkel, S. 28ff.) eine cantable Art als Lehr- 
ziel polyphonen Spiels nennt, bildete in verschiedenen 
Werkcn namcntlich der Kothcner Zeit cincn Typus des 
C. in Satz- und Motivbau heraus, so im SchluBsatz des 
5. Brandenburgischen Konzerts (1721, BWV 1050), 
wo jeweils der kontrapunktische Satz abbricht, der 
BaB nur noch die schweren Taktteile markiert und 
uber den Begleitfiguren die Melodiestimme bereits 
jene Verbindung bewegter Auftakte und langgehalte- 
ner Motivschliisse zeigt, die W.Fischer (S. 50) als das 
Wesen kantabler Motivbildung des Wiener klassischen 
Stils beurteilt. Ahnlich angelegt ist das C. im SchluB- 
satz der 3. Gambensonate (urn 1720, BWV 1029) und 
in der Sinfonia der Kantate Am Abend aber desselbigen 
Sabbats (1731, BWV 42). Vollendung findet die vor- 
klassische instrumentale Kantabilitat und kantable Mo- 
tiv- und Satzbildung bei Beethoven, der dem 2. Satz 
seiner 2satzigen Klaviersonate op. 90 (1814) im Sinn 
von c. den Titel gibt : Nicht zu geschwind und sehr sing- 
bar vorgetragen. 

Lit.: WaltherL; J. A. Scheibe, Der critische Musicus, 
Hbg 2 1 745 ; KochL ; J. N. Forkel, Uber J. S. Bachs Leben, 
Kunst u. Kunstwerke, hrsg. v. J. M. Miiller-Blattau, Augs- 
burg 1925, Kassel 21932, •'1950; W. Fischer, Zur Entwick- 
lungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMw III, 1915; H. Bes- 
seler, Bach als Wegbereiter, AfMw XII, 1955. 

Cantatorium (lat, Gesangbuch) ist die schon im 1. 
romischen Ordo (Ende 7. Jh.) vorkommende Bezeich- 
nung fur das zumeist hochformatige, oft in kostbarem 
Einband gehaltene Buch, das die solistisch vorzutragen- 
den MeBgesange (Graduale, Tractus, Alleluia- and 
Offertoriumsverse) nach dem Kirchenjahr geordnet 
enthalt. Dazu kommen zuweilen auch die sonst in be- 
sonderen Gesangbiichern aufgezeichneten Sequenzen, 
Tropen, Ordinariums- und Prozessionslieder. Das al- 
teste erhaltene Exemplar stammt aus dem 8. Jh. (Dom 
zu Monza). Das C. kam im 13. Jh. wieder auBer Ge- 
brauch; die solistisch ausgefiihrten Teile der Messe wa- 
rm nun im vollstandigen Missale oder ->■ Graduale 
nachzuschlagen. 

Ausg.: C. (Codex 359 St. Gallen, 9. Jh.), Paleographie 
mus., Serie 2, II, 1924. 

Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I, Freiburg i. d. Schweiz 1895, Lpz. 3 1911, Neudruck 
Hildesheim u. Wiesbaden 1962. 

Cante chico, Cante jondo (k'ante tj'iko, - x'ando, 

span.) -> Flamenco. 

Canticum (lat., Gesang) heiBen die seit fruhchristli- 
cher Zeit in der Liturgie verwendeten lyrischen Texte 
der Bibel, die nicht aus dem Psalmenbuch stammen, 
aber nach Inhalt und Form den Psalmen gleichen. Heu- 
te sind im Gebrauch im romisch-katholischen Gottes- 
dienst die drei neutestamentlichen Cantica (C. Beatae 
Mariae Virginis: Magnificat = Luc. 1, 46-55; C. Za- 
chariae: Benedictus Dominus Deus Israel = Luc. 1, 68- 
79; C. Simeonis: Nunc dimittis = Luc. 2, 29-32); sie 
bilden den Hohepunkt von Laudes, Vesper und Kom- 
plet. Die alttestamentlichen Cantica (besonders zu er- 
wahnen sind C. Moysis: Cantemus Domino = Ex. 15, 
1-19; C. trium puerorum: Benedicite, omnia opera Do- 
mini, Domino = Dan. 3, 57-88 und 56) sind in die Psal- 
modie der Laudes eingereiht. Auch werden Cantica in 
der Messe der Quatembersamstage und in der Oster- 
nachtsfeier verwendet. - Einzelne Cantica des Alten 
Testaments waren wohl schon Bestandteil der jtidi- 



schen Liturgie. In den friihchristlichen Vigilfeiern f olg- 
ten bisweilen responsorisch vorgetragene Cantica auf 
die Lesungen. Von hier wurden sie in das Morgenof- 
fizium (Laudes) ubernommen. Benedikt von Nursia 
(t 547) bezeugt in seiner Regel (Kap. 13) den Gebrauch 
der Cantica in den Laudes als bereits bestehenden ro- 
mischen Brauch. Seit dem 5. Jh. finden sich iiberdies in 
den Bibelhandschriften (z. B. im Codex Alexandrinus) 
Gruppen von 9 oder 14 Cantica als Anhang zum Psal- 
ter. Die heute geltende Verteilung der Cantica auf die 
Laudes der einzelnen Wochentage gilt erst seit der Bre- 
vierreform durch Pius X. (1911), bei der die vorher 
gebrauchliche Zahl von 7 Cantica verdoppelt wurde. 
Zusammen mit den Psalmen wurden unter Pius XII. 
(1945) auch samtliche Cantica neu ins Lateinische iiber- 
setzt. - Gegenuber den alttestamentlichen Cantica und 
dem C. Simeonis, deren Vortrag stets der antiphoni- 
schen Offiziumspsalmodie entspricht, besitzen Magni- 
ficat und Benedictus melodisch reicher ausgebildete 
Psalmformeln (heute ad libitum bei feierlichen Gele- 
genheiten) ; in alien 3 neutestamentlichen Cantica wird 
bei jedem Vers das Initium gesungen (Toni commu- 
nes II). Im Unterschied hierzu folgen die Osternachts- 
cantica dem Vorbild einer Tractusmelodie. - Neute- 
stamentliche Cantica gehoren zum festen Bestandteil 
auch der lutherischen und calvinistischen Kirchenmusik. 
Lit. : S. Baumer OSB, Gesch. d. Breviers, Freiburg i. Br. 
1895, erw. frz. v. R. Biron, Hist, du breviaire I, Paris 1905 ; 
P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melodien 
III, Lpz. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; 
Dictionnaire d'archeologie chretienne et de liturgie II, Pa- 
ris 1925 ; J. Pascher, Das Stundengebet d. romischen Kir- 
che, Miinchen (1954); Leiturgia IV, Kassel 1961. 

Cantjgas (span., altere Aussprache cantigas), Melo- 
dien mit weltlichen oder geistlichen volkssprachigen 
(galicisch-portugiesischen) Texten, die im 13. Jh. zur 
Bliite kamen am Hofe des musikkundigen Konigs Al- 
fons X., des Weisen (el Sabio), von Kastilien und Leon 
(f 1284). An weltlichen C. (C. de amigo, C. de amor, 
C. de escarnio u. a.) sind fast 1700 iiberliefert in 3 
zentralen Handschriften (cancioneiros), die zwar No- 
tenlinien, aber keine Noten enthalten: 1) Cancioneiro 
da Ajuda (Sigel: CA; Lissabon, Bibl. da Ajuda), un- 
vollstandig, enthalt auf jetzt 88 Folios 310 zum Teil 
fragmentarische C. de amor; diese sind zu 38 Gruppen 
zusammengefaBt, deren jede vermutlich das Lieder- 
heft eines Sangers darstellt. Entstand diese Handschrift 
um 1300, so handelt es sich bei den beiden folgenden 
um Manuskripte des 16. Jh., die im Auftrag des Hu- 
manisten Angelo Colocci (f 1548) angelegt wurden: 

2) Cancioneiro da Vaticana (Sigel: CV; Rom, Bibl. 
Vaticana, cod. vat. 4803) mit 210 + 18 Folios, und 

3) Cancioneiro Colocci Brancuti (Sigel: CB; Lissabon, 
Bibl. Nacional; friiher im Besitz des Conte Brancuti 
di Cagli) mit 355 Folios; dieser enthalt alle bekannten 
weltlichen C. Dariiber hinaus nennt ein eigenhandiger 
Index Coloccis (Rom, Bibl. Vaticana, cod. vat. 3217) 
noch 75 Incipits nicht erhaltener C. 

Melodien sind nur zu den geistlichen C. iiberliefert, 
Lobgesangen zu Ehren der Mutter Maria (C. de Santa 
Maria, auch Loores et Milagros de Nuestra Seriora), 
ebenfalls mit galicisch-portugiesischem Text, von de- 
nen 427 erhalten sind, teils mehr erzahlenden, teils 
mehr lyrischen Charakters. In der Kathedrale von Se- 
villa, in der Alfons beigesetzt wurde, befanden sich bis 
zum 17. Jh. die beiden kostbarsten, reich illuminierten 
und mit Noten versehenen Pergamenthandschriften, 
die dann von der Escorial-Bibliothek ubernommen 
wurden: ein Codex (Signatur: T. j. 1) von 256 Folios 
mit 193 Liedern und uber 1000 Miniaturen sowie ein 
Codex (Signatur: j. b. 2) von 361 Folios mit uber 400 



142 



Cantio 



Liedern und 40 Vignetten; die Niederschrift beider 
Manuskripte war nach 1279 abgeschlossen. Ein dritter 
Codex des alfonsinischen »Liederbuchs auf die Jung- 
frau Maria« (bereits nach 1257 abgeschlossen) enthalt 
auf 160 Folios 128 Lieder; er befand sich in Toledo 
und wird seit 1869 in der Nationalbibliothek Madrid 
(Signatur: 10069) aufbewahrt. Hinzu kommt noch 
eine Handschrift aus der Florentiner Biblioteca Nazio- 
nale (Signatur: II, 1, 213), die auf 131 Folios 109 Texte, 
jedoch keine Noten enthalt. - Die C. wurden von 
christlichen, jiidischen und maurischen Spielleuten, die 
am Hof tatig waren, vorgetragen (vokal-instrumental). 
Die Formen der C. - bestimmt durch den Wechsel 
Vorsanger/Chor - sind sehr unterschiedlich; es gibt 
Virelai-, Rondeau- und andere Liedformen, die teil- 
weise von der franzosischen Musik her bekannt waren. 
Die Melodien ahneln mitunter dem Choral, den Me- 
lodien der Troubadours, dem franzosischen Lai, dem 
Volkslied oder dem Tanzlied; vereinzelt sind es auch 
Kontrafakturen. Umstritten sind die Frage nach dem 
personlichen Anteil des Konigs Alfons des Weisen an 
Text und Musik der C. de Santa Maria, der EinfluB 
arabischer Strophendichtung auf die Form der C. so- 
wie die Ubertragung der - von Angles mensural ge- 
deuteten - Notation. 

Ausg. : O Cancioneiro da Ajuda, hrsg. v. C. Michaelis de 
Vasconcellos, 2 Bde, Halle 1904; ders., hrsg. v. H. H. 
Carter, NY u. Oxford 1941 ; ders., hrsg. v. Marques Bra- 
ga, 2 Bde, Lissabon 1945. - 11 canzoniere port, della Bibl. 
Vaticana, hrsg. v. E. Monaci, Halle 1875; ders., hrsg. v. T. 
Braga, Lissabon 1878. - II canzoniere port. Colocci-Bran- 
cuti, pubblicato nelle parti che completano il cod. vat. 4803, 
hrsg. v. E. G. Molteni, Halle 1880; Cancioneiro da Bibl. 
Nacional antigo Colocci Brancuti, hrsg. v. E. P. u. J. P. 
Machado, 2 Bde, Lissabon 1949-50. - C. d'amigo dos tro- 
vadores galego-port., hrsg. v. J. J. Nunes, 3 Bde, Coimbra 
1926-28; C. d'amor . . ., hrsg. v. dems., Coimbra 1932. - 
La musica de las c. de S. Maria del rey Alfonso el Sabio, 
hrsg. v. H. Angles, 4 Bde, = Diputacion provincial de 
Barcelona, Bibl. central, Publicaciones de la Seccion de 
musica XIX, XV u. XVIII, 1-2, 1943-64, Bd I (Publ. XIX) 
= Faks. d. Ms. El Escorial j. b. 2, Bd 111,1 (Publ. XVIII.l) 
mit einer Abh. v. H. Spanke, Die Rhythmik d. C. ; La mu- 
sica delas c, hrsg. v. J. Ribera y Tarrag6, Madrid 1922, 
Faks. u. t)bertragung d. Ms. Madrid, unzuverlassig; Al- 
fonso el Sabio, C. de S. Maria, hrsg. v. L. Cutto, Marques 
de Valmar, 2 Bde, Madrid 1889, Textausg. ; dass., hrsg. v. 
W. Mettmann, 2 Bde, (Coimbra) 1959-61, Textausg. 
Lit. : J. Ballera, Las c. de Alfonso el Sabio, Madrid 1882; 
C. Michaelis de Vasconcellos u. T. Braga, Gesch. d. 
port. Lit., in: GrundriB d. romanischen Philol. II, 2, hrsg. 
v. G. Grober, StraBburg 1897 ; P. Aubry, Iter Hispanicum, 
Paris 1908; A. G. Solalinde, El codice florentino de las 

c Revista de filologia espanola V, 1918; N. Aita, O 

codice florentino das C. . . ., Revista de lingua port. XIII, 
1 92 1 ; E. Lopez Aydillo, Los cancioneros gallego-port. 
como fuentes hist., Rev. hispanique LVII, 1923 ; Fr. Lud- 
wig, in : AdlerHdb. ; R. Menendez Pidal, Poesia juglares- 
ca . . ., Madrid 1924, «1957; J. Ruggieri, Le varianti del 
canzoniere port. Colocci Brancuti . . . , Arch. Romanicum 
XI, 1927 ; K. Axhausen, Die Theorien iiber d. Ursprung d. 
prov. Lyrik, Diss. Marburg 1937; A. Salazar, Poesia y 
musica en las primeras formas de versificacion rimada . . 
Revista de filosofia y letras IV, 1943 ; F. F. Lopes, A musica 
das ,C. de S. Maria' . . . , in : Broteria XL, 1945 ; M. Schnei- 
der, A proposito del influjo arabe . . ., AM I, 1946; H. 
Spanke, La teoria arabe . . . , ebenda; J. Guerrero Lovil- 
lo, Las c, Madrid 1949; P. Le Gentil, La poesie lyrique 
espagnole et port, a la fin du moyen age, 2 Bde, Rennes 
1 949-52 ; E. S. Procter, Alfonso X of Castile, Oxford 195 1 . 

Cantilena (lat.), Lied, Melodie, Gesang; bezeichnet 
insbesondere : - 1) den lateinischen Kirchengesang (C. 
romana, Gregorianischer Gesang), speziell die lied- 
haften Teile der Liturgie im Unterschied etwa zur 
Psalmodie ; Notker nennt die Sequenzmelodien, Ekke- 
hard IV. die Tropen cantilenae. - 2) in der Organum- 



lehre des 9.-10. Jh. auch den organalen Gesang liturgi- 
scher Cantica oder Carmina sacra : ... ea nobilis c. quam 
diaphoniam vocitamus, id est organicum tnelos (CS II, 74; 
diaphonia c, GS I, 165b). - 3) das weltliche, lyrische 
und epische 1st. Lied und Spielmannslied (C. ioculato- 
ris), so das Spottlied, auch die Chanson de geste (z. B. 
C. Rolandi, Rolandslied) ; Dante (De vulgari eloquentia 
II, 8) unterscheidet den hohen (tragischen) Stil der 
Cantio von dem hoch-niederen (tragisch-komischen) 
der C, die er als kleine Cantio erklart (cantilenam vo- 
camus per diminutionem). - 4) das Tanzlied, auch In- 
strumentalstiick; J. de Grocheo beschreibt um 1300 als 
C.-Arten der in Paris gebrauchlichen Musica vulgaris 
die gesungene und gespielte Rotunda (oder Rotundel- 
lus, -> Rondeau), Stantipes (-»- Estampie) und Ductia. 
- 5) Im 13.-15. Jh. heifit C. auch der mehrstimmige 
Liedsatz mit weltlichem Text, namentlich die Refrain- 
formen. C. nennt Franco von Koln vor 1250 eine jener 
Spezies des Discantus (simpliciter prolatus), die in alien 
Stimmen gleichen Text haben (cum eadem littera; CS I, 
130a; vgl. die Erwahnung von cantilenae vulgares schon 
beij. de Garlandia, CS 1, 116a). Jacobus Leodiensis stell- 
te um 1330 fest, daB die Moderni fast nur noch Motet- 
ten und Cantilenae komponieren (CS III, 428b). Tinc- 
toris definiert C. als kleinen mehrstimmigen Gesang, 
vornehmlich mit amourosem Text (Diffinitorium, 1473/ 
74) und meint damit die in alien Stimmen gesungene 
Chanson (->■ Carmen). Fiir den -> Kantilenensatz des 
14.-15. Jh. mit gesungener Oberstimme und 1-3 in- 
strumentalen Unterstimmen ist der Terminus C. nach 
bisheriger Kenntnis nicht belegt. - Im 16.-17. Jh. be- 
zeichnet C. oft den mehrstimmigen Vokalsatz allge- 
mein (nach Zarlino, 1558, besteht die Arte del contra- 
punto im Zusammensetzen der Consonanze: che sono la 
materia delle cantilene). -> Kantilene. 
Lit. : J. de Grocheo, De arte musicae, in : Der Musiktrak- 
tat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. RohlofT, = Media Latinitas 
Musica II, Lpz. 1943, S. 47ff.; A. Viscardi, »C.«, Studi 
medievali, N. S. IX, 1936; J. Handschin, Les Etudes sur 
le XV e s. mus. de Ch. Van den Borren, RB M I, 1 946/47, S. 
94f. ; ders., Reflexions sur la terminologie, RBM VI, 1952, 
S. lOf. HHE 

Cantjno (ital.) ->- Chanterelle. 

Cantio (lat.), eine seit dem Mittelalter haufig ge- 
brauchte Bezeichnung f iir jede Art von Gesangsstiicken 
(z. B. im Gregorianischen Gesang: responsoria et offer- 
toria et huiusmodi cantiones, Jacobus v. Liittich, CS II, 
325b), im engeren Sinne, besonders seit dem hohen 
Mittelalter, fiir das Lied, etwa gleichbedeutend mit 
Carmen oder Versus. Von hier ausgehend hat der mo- 
derne musikwissenschaftliche Sprachgebrauch die Be- 
deutung von C. auf das einstimmige lateinische Lied des 
Mittelalters, zumeist geistlichen Inhalts (E. Jammers) fest- 
gelegt (-»■ Kirchenlied), ohne jedoch musikalisch-for- 
mal gleichartige vulgarsprachliche, mehrstimmig be- 
arbeitete, mitunter sogar weltliche Lieder grundsatz- 
lich auszuschlieBen. - Merkmale der C. sind die schlichte 
Form (wie A A B, A B, A A B A), der streng strophi- 
sche Bau sowie die konsequente Verwendung eines 
Kehrreimes. Die Melodien sind oft mit Dreiklangsbil- 
dungen und im tanzerischen Dreiertakt gestaltet, von 
volkstiimlichen und kirchlichen Elementen in gleicher 
Weise bestimmt. Im Gegensatz zur komplizierten 
Rhythmik des Conductus und zur antikisierenden Me- 
trik des Humanistenliedes ist die C. nach dem einfachen 
Hebigkeitsprinzip gebildet, das zugleich cine enge Ver- 
bindung zum vulgarsprachlichen Text schafft (Uber- 
setzungen geistlicher Lieder waren sowohl aus dem 
Lateinischen als auch ins Lateinische haufig, oft ist auch 
eine Mischung lateinischer und deutscher Texte anzu- 
treffen). Inhaltlich ist die C. vom Gedankengut der 



143 



Cantio sacra 



zeitgenossischen religiosen Bewegungen mit ihrem 
Ziel personlicher Frommigkeit gepragt. Ihre Haupt- 
trager waren Kleriker, Mitglieder der Bruderschaften, 
Studenten und Lateinschiiler, ihre eigentliche Bestim- 
mung waren neben der Offiziumsliturgie die Privat- 
andacht und Prozession. - Ein Vorlaufer der C. ist der 
Conductus des 12./13. Jh., zu dem sie sich wie ein Ab- 
senker (O. Ursprung) verhalt. Einige von A.Geering 
(als »Cantionen«) mitgeteilte (retrospektiv-)mehrstim- 
mige Conductus mit 1st. Refrain konnen als Binde- 
glieder zwischen beiden angesehen werden. Viele C.nes 
sind nicht als selbstandige Kompositionen, sondern 
nur als Einschiibe in liturgische Gesange (sehr oft als 
Benedicamus-Tropen des Offiziums) iiberliefert. Die- 
ser Sachverhalt ist jedoch nicht so zu deuten, als sei die 
C. durch Verselbstandigung eines Tropus entstanden; 
vielmehr nahm der jungere (strophische) Tropus selbst 
immer mehr die in der C. bereits vorgegebenen Lied- 
elemente in sich auf; dies fiihrte schlieBlich zur fast 
volligen Gleichartigkeit und damit zur Vertauschbar- 
keit von Tropus und C. Auf dem Wege iiber die volks- 
tiimliche C. fanden gelegentlich sogar weltliche Tanz- 
melodien (als Tropen) Aufnahme in liturgische Ge- 
sange. - Hauptpflegestatte der C. war im 14./15. Jh. 
Bohmen (das Gloria Bohemicum mit der C. Dies est lac- 
titiae als Tropus) ; von hier aus verbreitete sie sich vor- 
nehmlich iiber Slid- und Nordwestdeutschland, wo 
sie im Laufe des 16. Jh. vom volkssprachlichen Kirchen- 
lied abgelost wurde. - Wohl auf der allgemeineren Be- 
deutung von C. fuBt der neuzeitliche, bis zum Spat- 
barock verfolgbare C.-Begriff, der nach Praetorius 
(Synt. Ill) auch die Symphonia und das italienische 
Concerto sowie auch instrumentale Musik umfaBt 
( . . . qua Variae Voces ant Instrumenta Musica ad concertum 
faciendum comtnittuntur). In der gleichen terminologi- 
schen Tradition steht wohl auch die -> Cantio sacra 
desl6./17.Jh. 

Lit. : Analecta hymnica medii aevi, Bde I, XX, XXI, XLV, 
Lpz. 1886ff. ; J. Handschin, Angelomontana polyphonica, 
SJbMw HI, 1928; ders., Die Schweiz, welche sang (Uber 
ma. C. aus schweizerischen Hss.), Fs. K. Nef , Zurich u. Lpz. 
1933; H. Spanke, Das Moosburger Graduale, Zs. f. roma- 
nische Philologie L, 1930; ders., Die Stuttgarter Hs. H. B. I 
Ascet. 95, Zs. f. deutsches Altertum LXVIII, 1931 ; ders., 
Eine ma. Musikhs., ebenda LXIX, 1932; O. Ursprung, 
Die kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb. ; A. Schmitz, Ein 
schlesisches Cantional aus d. 15. Jh., AfMf 1, 1936; A.Gee- 
ring, Die Organa u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deut- 
schen Sprachgebietes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d. 
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, l,Bern(1952); 
Br. Stablein, Die ma. liturgischen Weisen im Gesangbuch 
d. Bohmischen Briider v. 1531, Mf V, 1952; E. Jammers, 
Artikel C, MGG II, 1952; ders., Der ma. Choral, Mainz 
1954; W. Irtenkauf, Das Seckauer Cantionarium v. Jahre 
1345 (Hs. Graz 756), AfMw XIII, 1956; R. Stephan, 
Lied, Tropus u. Tanz im MA, Zs. f. deutsches Altertum 
LXXXVII, 1956/57. FrR 

Cantio sacra (lat., geistlicher Gesang; ital. canzona 
spirituale), eine in der 1. Halfte des 16. Jh. zuerst in den 
Niederlanden greifbare neue Bezeichnung fur geistli- 
che (liturgische und nichtliturgische) Kompositionen 
mit lateinischem Text. Da ein engerer Zusammenhang 
mit dem Lied (-»- Cantio) nicht nachzuweisen ist, fuBt 
wohl der Begriff C. s. auf dem allgemeincn, seit dem 
Mittelalter gelaufigen Cantiobegriff, der im 16. Jh. 
auch mit Modulatio, Symphonia, Concentus u. a. um- 
schrieben wurde. Die Bezeichnung C. s. erscheint vor- 
wiegend in Titeln von Sammelwerken, wobei die Be- 
deutungsgleichheit mit Motette (die seit J.Tinctoris als 
Komposition vorwiegend geistlichen Inhalts definiert 
wurde) haufig ebenfalls schon im Titel hervorgehoben 
wird, z. B. Cantiones sacrae, quae vulgo Muteta vocantur 
(J. de Cleve 1559). Vor allem in Deutschland biirgerte 



sich der Begriff C. s. rasch ein (J.Meiland 1564 und 
1575, G.DreBler 1565 und 1574); hier wurde er nach 
der Jahrhundertwende auch auf die Komposition deut- 
scher Texte (S.Scheidt 1620, H.Schiitz 1625), zuvor 
bereits auch auf nichtgeistliche Inhalte (L.Lechner 
1581, Gr. Aichinger 1590) erweitert. Auch instrumenta- 
le Bearbeitungen deutscher Chorale (so in der Tabula- 
tura Nova von S.Scheidt 1624) wurden C. s. genannt; 
dabei naherte sich der Begriff der Cantio wiederum 
dem des Liedes. Die Hinwendung zum concertieren- 
den Prinzip etwa in der Form des Geistlichen Konzerts 
seit dem friihen 17. Jh. fiihrte zur allmahlichen Abkehr 
von Begriff und Sache der in der motettischen Tra- 
dition beheimateten C. s. ; wo die Bezeichnung in spa- 
teren Quellen dennoch begegnet (J.K.Kerll 1669, G. 
Carissimi 1670), schlieBt sie in der Regel die Bedeutung 
des Concerto mit ein. 

Lit.: Praetorius Synt. Ill; Fr. Blume, Die ev. Kirchen- 
musik, Biicken Hdb., Kassel 2 l 965; A. A. ABERT.Diestilisti- 
schen Voraussetzungen d. Cantiones sacrae v. H. Schiitz, 
Wolfenbiittel u. Bin 1935 ; H. Zenck, Numerus u. Affectus, 
hrsg.v.W.Gerstenberg, = Mw. ArbeitenXVI,Kassell959. 

Canto carnascialesco (k'anto karnajjal'esko, ital.), 
seit dem ausgehenden 15. Jh. in der Toskana ubliche 
Benennung fur eine volkstumliche Strophenliedform, 
die sich bei den Florentiner Karnevalsveranstaltungen 
unter Lorenzo de' Medici herausgebildet hat. Bei den 
festlichen Umziigen mit grotesk-prachtig ausgestatte- 
ten Wagen (carri carnascialeschi), die Begebenheiten 
aus Mythos oder Zeitgeschichte, aus Alltag und Be- 
rufsleben, aber auch allegorische Stoffe sinnfallig zur 
Schau stellten, wurden die Canti carnascialeschi von 
maskierten Sangern vorgetragen. Teils wurde in die- 
sen Liedern zum karnevalistischen LebensgenuB aufge- 
fordert, teils karikierend der Aufzug der Masken (mas- 
cherate) und Carri kommentiert; aber auch mensch- 
liche Typen (wie Landstreicher, Waffefbacker, Einsied- 
ler, Dirnen und Witwen), religiose Brauche, Sitten und 
Unsitten wurden mit beifiendem Spott, derber Fri- 
volitat oder geistvoller Mehrdeutigkeit besungen. 
Verschmolzen mit bestimmten Eigentiimlichkeiten 
der Ballata volkstumlichen Charakters wurden die 
C. c.-Melodien (vor allem unter dem EinfluB des Sa- 
vonarola-Kreises im letzten Jahrzehnt des 15. Jh.) auch 
geistlich parodiert und somit in Lauden (-* Lauda) 
umgewandelt. Auch in den Frottolen und Villanesken 
(canzoni villanesche) fanden die Stoffe der Mascherate 
einen Niederschlag. Die bekanntesten Textdichter sind 
Jacopo da Bientina, Bernardino del Boccia, Angelo 
Poliziano u. a., besonders jedoch Lorenzo de' Medici 
il Magnifico, der seinen ersten C. c. von H.Isaac drei- 
stimmig setzen lieB; auch 4st. Satze wurden geschrie- 
ben; die Satzweise ist eine aufgelockerte Homophonie 
wie in der Frottola. An Komponisten sind bekannt 
u. a. A.Agricola, A. Coppinus und Giovane da Nola. 
Ausg.: Chants de carnaval florentins, hrsg. v. P.-M. Mas- 
son, Paris 1913; Kn. Jeppesen (mit V. Brondal), Die mehrst. 
ital. Laude, Lpz. u. Kopenhagen 1935; Canti carnascia- 
leschi del Rinascimento, Texte, hrsg. v. Ch. S. Singleton, 
Bari 1936. 

Lit.: F. Ghisi, I canti carnascialeschi nelle fonti mus. del 
XV e XVI s., Florenz 1937; ders., Le feste mus. della Fj- 
renze medicea, Florenz 1939; E. (Gerson-)Kiwi, Studien 
zur Gesch. d. ital. Liedmadrigals im 1 6. Jh., Wiirzburg 1938. 

Cantor (lat.) -> Kan tor. 

Cantus (lat. ; ital. canto ; frz. und engl. chant), Gesang, 
Melodie; in speziellerem Sinn - 1) in der mittelalter- 
lichen Mehrstimmigkeit die melodisch vorgegebene 
oder zuerst erfundene Stimme: im alten -*■ Organum 
die Oberstimme (vox principalis), im spateren Orga- 
num und im -> Discantus des 13. Jh. die untere Stimme 



144 



Cantus firmus 



(c. vel tenor est primus cantus primo procreatus velfactus, 
Anonymus IV, CS I, 356b; -> Cantus firmus), im 
Kantilenensatz des 14.-15. Jh. und im Vokalsatz seit 
dem 15. Jh. wiederum die Oberstimme. - 2) Die spat- 
mittelalterliche Systematik der Gesangsarten unter- 
scheidet zwischen -> Cantus planus (bzw. anderen Be- 
zeichnungen fur den -> Choral) und C. mensurabilis 
(->• Musica mensurabilis) oder ->■ Cantus figuratus. 
Tinctoris (Diffmitorium, um 1473/74) verzeichnet C. 
simplex planus (cujus modi est gregorianus), C. simplex 
figuratus (einstimmig, mensuriert) und C. compositus 
(mensuriert mehrstimmig, qui res facta vulgariter appel- 
latur). Auch ohne naheren Zusatz kann C- die mehr- 
stimmige Komposition bedeuten (z. B. Jacobus Leo- 
diensis, CS II, 432a: c. antiqui; Robert de Handlo, 
CS I, 387b: in Motetis et in aliis cantibus). - Zahllose 
Zusatze kennzeichnen in der lateinischen Musikter- 
minologie die Art des C. 

Lit.: M. Appel, Terminologie in d. ma. Musiktraktaten, 
Diss. Bin 1935. 

Cantus durus, Cantus mollis, Cantus naturalis 

(lat.) ->■ Dur, -»■ Hexachord. 

Cantus figuratus (auch C. figuralis, lat.) bezeichnet 
- im AnschluB an die Figurae der Notenzeichen - seit 
dem 15. Jh. (Hothby, CS III, 330; Tinctoris, CS IV, 
41b und 179b) im Gegensatz zum Cantus planus die 
Mensuralmusik (-> Musica mensurabilis). Im 17. und 
18. Jh. wird Figuralmusik (Musica figurata oder figura- 
lis) auch als melodische Figuration (figurierter Choral 
oder BaB) verstanden. 

Cantus firmus (lat. ; Abk. : C. f.) nennt man - wohl 
erst seit dem 18. Jh. und im AnschluB an die Sprache 
der Kontrapunktlehre italienischer Provenienz - die 
einem mehrstimmigen Satz zugrunde gelegte vorge- 
gebene Melodie oder Tonfolge, die entweder geistli- 
cher oder weltlicher Herkunft oder ad hoc erfunden 
sein kann. Sie heiBt C. f., weil sie in der mittelalterli- 
chen Mehrstimmigkeit vorwiegend und noch spater 
weithin dem Choral entnommen ist, den man Cantus 
planus oder auch C. f. (ital. canto f ermo) nannte. Hiero- 
nymus de Moravia setzte gegen Ende des 13. Jh. in be- 
zug auf Einstimmigkeit beide Bezeichnungen gleich 
(...firmus sive planus, praecipue ecclesiasticus cantus, ed. 
Cserba S. 179) und so auf Grund durchgehender Tra- 
dition noch J.G.Walther 1732: Canto fermo ... der 
Choral-Gesang. Andere Bezeichnungen, die die Vor- 
gegebenheit, nicht aber ausdrucklich die chorale Her- 
kunft der mehrstimmig bearbeiteten Melodie an- 
sprechen, sind Cantus prius factus (auch cantus pri- 
mus, notus oder datus) und Subjectum (->■ Soggetto), 
eine Melodie, woruber oder worunter eine Composition 
verfertiget wird (im Unterschied zur Bedeutung von 
soggetto etwa als eine Clausul oder Formul, woraus 
eine Fuga gemacht werden kan, WaltherL). In der friihen 
Mehrstimmigkeit (->■ Organum) erklang der Choral 
als Oberstimme und hieB Cantus oder Vox princi- 
palis. Seit dem 12. Jh. bildete er in Organum und 
-> Discantus die Unterstimme, deren tonaler und 
rhythmischer Duktus fur den Bau des Satzes maBge- 
bend war. In dieser Eigenschaft gewann die Unter- 
stimme den Namen Tenor (quia discantum tenet etfundat, 
Jacobus Leodiensis, CS II, 386a), und da der Tenor we- 
senhaft Trager des C. f. war, erfolgte eine Gleich- 
setzung beider Begriffsworter : . . . primo accipitur can- 
tus aliquis prius factus, qui tenor dicitur, eo quod discantum 
tenet, et ab ipso ortum habet (Franco von Koln, CS I, 
130b), wiederum bis hin zu Walther (Tenor . . ., weil in 
den alten Motetten der C.f. . . ■ in dieser Stimme angebracht 
worden) ; andererseits konnte Tenor im 16. Jh. auch die 
vorgegebene Melodie, unabhangig von ihrer Lage, 



bezeichnen. - Grundsatzlich ging die mittelalterliche 
Komposition mehrstimmiger Musik von einem vorher 
bestehenden oder - wie in Conductus und Liedsatz - 
von einem primar erfundenen Cantus aus, da dieser, 
prazisiert durch seine rhythmische Zubereitung, in der 
Komposition den tonalen Zusammenhang stiftete. In 
den Organa der Notre-Dame-Zeit bestand der Tenor- 
C. f. aus den vollstandigen solistischen Teilen respon- 
sorialer Choralgattungen, in den Klauseln und latei- 
nischen Choralbearbeitungstropen und in den Mo- 
tetten des 13. und 14. Jh. aus Choralpartikeln, deren 
Worter von den Oberstimmentexten paraphrasiert 
wurden, oder aus weltlichen Liedern oder Refrains. In 
Verbindung mit neuen Kompositionspraktiken und je 
nach dem Realitatsgrad, in dem der Cantus als solcher 
erklingen sollte, erscheint dieser seit dem 14. und be- 
ginnenden 15. Jh. auch in kolorierter Gestalt und in 
wechselnder Lage: in englischen MeBsStzen und Mo- 
tetten mit Vorliebe in der Mittelstimme oder als 
»wandernder C. f.«, in Diskantmessen, in Hymnen 
und im Fauxbourdonstiick in der Oberstimme, in 
4st. Satzen, namentlich in MeBzyklen seit Dufay, als 
Tenor (auch weltlicher Herkunft) zwischen den Con- 
tratenores bassus und altus. Die Kunst der C. f.-Bear- 
beitung, von der sich der abschnittweise durchimitie- 
rende Chorstil mit seinen freien Soggetti (Themata) 
abzweigte, lebte fort - zuweilen gesteigert zur Verbin- 
dung mehrerer, auch kanonisch gefiihrter Cantus fir- 
mi - im 15. Jh. in den Chansons mit entlehnten Stim- 
men, in der C. f.- und Parodiemesse, in der imitieren- 
den C. f.-Motette und in Hymnen-, Lamentations- 
und Psalmbearbeitungen des 16. Jh., in den Kompo- 
sitionen iiber Solmisationssoggetti (z. B. Sweelinck, 
Fantasia super ut, re, mi, fa, sol, la), in der organistischen 
Tradition der C. f.-Bearbeitung, zumal in der Orgel- 
messe (Buxheimer Orgelbuch, Cavazzoni, Frescobaldi), 
in den Orgelhymnen und -versetten (namentlich seit 
Schlick, Hofhaymer, Cabezon) und in der instrumen- 
talen Lied- und Tanzvariation des 17. Jh. Seit dem 16. 
Jh. ist der C. f. weniger das unabdingbare Fundament 
des kompositorischen Prozesses, als vielmehr die Me- 
lodie, die in kunstvoller Einkleidung dargeboten wer- 
den soil, indem einer eine schlechte Weise oder Tenor 
(wie es die Musici heissen) her singet und 3, 4 oder 5 an- 
dere Stimmen mit mancherley. art vnd klang dieselbige 
weise wunderbarlich zieren und schmucken (Luther, Prae- 
fatio zu den Symphoniae iucundae, in der Ubersetzung 
von J.Walter, Weimarer Luther-Ausgabe, Band L, 
S. 372). Die C. f.-Bearbeitung dieser Art erlebte eine 
Bliite im deutschen Tenorlied des 16. Jh. und dann im 
mittel- und norddeutschen Orgelchoral des 17. und 
18. Jh. (Scheidt, Scheidemann, Buxtehude, Pachelbel, 
J.S.Bach) und in der vokalen oder concertierenden 
Choralbearbeitung der evangelischen Kirchenmusik 
von den Komponisten des Wittenberger Kreises um J. 
Walter bis zu Bach. Das 19. Jh. pflegte die Volkslied- 
bearbeitung (Brahms, Deutsche Volkslieder, 1858). Die 
Orgel- und Chormusik des 20. Jh. brachte eine schop- 
ferische Erneuerung der C. f.-Komposition in Lied- 
und Choralsatz. 

Lit. : P. Aubry, Recherches sur les »Tenors« lat. dans les 
motets du XIIl e s. d'apres le ms. de Montpellier, La Tribu- 
ne deSaint-Gervais XIII, 1907,u.Sonderdruck: Recherches 
sur les »Tenors« frc. . . . , Paris 1907 ; A. Schering, Die nld. 
Orgelmesse im Zeitalter d. Josquin, Lpz. 1912; P. Blasch- 
ke, Der Choral in H. Isaaks Choralis Constantinus. Ein 
Beitr. zur Gesch. d. C. f.-Technik, Diss. Breslau 1926, 
maschr. ; Fr. Dietrich, Gesch. d. deutschen Orgelchorals 
im 17. Jh., = Heidelberger Studien zur Mw. I, Kassel 1932 ; 
F. H. Sawyer, The Use and Treatment of canto fermo by 
the Netherlands School of the Fifteenth Cent., PAMS 
LXIII, 1937 ; H. Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsche 



10 



145 



Cantus fractus 



Lied (1400-1640), = NeuedeutscheForschungen CXCVII, 
Abt. Mw. VII, Bin 1938; H. Besseler, Bourdon u. Faux- 
bourdon, Lpz. 1950; H. Bittel, Der C. f. in d. zeitgenossi- 
schen geistlichen Chormusik, Diss. Miinchen 1950, 
maschr.; M. F. Bukofzer, Studies in Medieval and Re- 
naissance Music, NY 1950; B. Meier, Die Harmonik im 

c. f .-haltigen Satz d. 1 5. Jh., Af Mw IX, 1 952 ; G. Schmidt, 
ZurFraged.C. f. im 14. u. beginnenden 15. Jh., AfMwXV, 
1 958 ; L. Finscher, Zur C. f .-Behandlung in d. Psalm-Mo- 
tette d. Josquinzeit, in: H. Albrecht in memoriam, Kassel 
1962; E. H. Sparks, C. f. in Mass and Motet, 1420-1520, 
Berkeley u. Los Angeles 1963. HHE 

Cantus fractus (lat., auch C. fractibilis), in der Mu- 
siklehre des hohen und spaten Mittelalters eine haufig 
gebrauchte Bezeichnung fur mehrstimmige Kompo- 
sitionen, Kompositionsabschnitte oder auch einzelne 
ihrer Stimmen, in denen die Tone der Geriistklange 
bei strenger Beachtung der Mensur durch kleinere 
Zwischennoten »gebrochen« werden. Als Technik des 
improvisatorischen wie kompositorischen Verzierens 
und Ausgestaltens gehort die Fractio cantus, vocis oder 
modi zu den -> Flores; seit dem 14. Jh. begegnet sie 
auch unter der Bezeichnung -> Diminution. 

Cantus mensurabilis (lat.) -> Musica mensura- 
bilis. 

Cantus planus (lat.; frz. plain-chant; ital. canto pia- 
no; span, canto llano; engl. plainsong). Das inhaltlich 
vielschichtige Adjektiv planus findet sich in Verbin- 
dung mit cantus bereits bei Odo (Anfang 11. Jh.), der 
unter C. pi. im Gegensatz zum Cantus acutus einen 
Gesang mit plagalem Tonumfang versteht (ahnlich 
Guido von Arezzo). Die seit dem 12./13. Jh. gelaufige 
Bezeichnung des einstimmigen liturgischen Gesanges 
als C. pi. (vorher nur cantus, musica, cantilena u. a.) 
entsprang der Notwendigkeit, -> Choral und mehr- 
stimmige Musik voneinander abzugrenzen. Dabei gait 
als Hauptkriterium, daB der C. pi. im Unterschied 
zum Cantus mensurabilis in annahernder oder in voll- 
standiger Gleichwertigkeit der Noten erfolge (z. B. 
nach dem am Ende des 14. Jh. entstandenen Traktat 
De quatuor principalibus musicae im 5. oder 6. Modus, 

d. h. in Longen oder Breven). Den gleichen Sachver- 
halt beinhaltet die Gegeniiberstellung von Musica pla- 
na (oder immensurabilis) und ->■ Musica mensurabilis 
(Quellen ebenfalls seit dem 12./13. Jh.). - Wie die mit- 
telalterlichen Theoretiker hervorheben, bildet der C. 
pi. die Voraussetzung und das Fundament der mehr- 
stimmigen Musik. 

Lit. : Odo, Dialogus de musica, GS 1, 259a ; Guido v. Arez- 
zo, Micrologus, cap. XII, hrsg. v. J. Smits van Waesberghe 
SJ, = CSM IV, Rom 1955; Franco v. Koln, Ars cantus 
mensurabilis, cap. I, GS III, 2a u. CS I, 1 1 8a ; Elias S alo- 
monis, Scientia artis musicae, cap. V, GS III, 21b; Lam- 
bertus, Tractatus de musica, CS I, 278b; Der Musiktrak- 
tat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Rohloff, = Media Latini- 
tas Musica II, Lpz. 1943; Theodonus de Capri, De mu- 
sica mensurabili, CS III, 178b; De quatuor principalibus 
musicae, III. principale, cap. LVIII, CS IV, 251a; Conrad 
v. Zabern, De modo bene cantandi, in: K. W. Giimpel, 
Die Musiktraktate Conrads v. Zabern, = Akad. d. Wiss. 
u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse Jg. 
1956, Nr 4, S. 265 u. 284f.; P. Wagner, Einfuhrung in d. 
Gregorianischen Melodien I u. II, Lpz. 31911 u. 2 1912, 
Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; C. Vivell, Zur 
Musik-Terminologie. »Planus«, ZIMGXV, 1913/14. 

Canzona, Canzonetta (ital.) ->■ Kanzone, Kan- 
zonette. 

Capotasto (ital., Hauptbund), Kapodaster, bei Sai- 
teninstrumenten mit Griffbrett und Biinden ein ver- 
schiebbarer Sattel aus Holz oder Metall, der zur Er- 
leichterung des Spiels in schwierigen Tonarten dient. 
Kiinstlerisches Spiel erf ordert den -> Barre-Griff. Beim 



aufrechten Pianoforte ist der C. ein auf dem Stimm- 
stock befestigter Druckstab (erfunden von A.Bord, 
Paris 1843). 

Cappella (friiher auch Capella; ital.) -*■ Kapelle, 
-»• a cappella, -*■ Allabreve, -> Mehrchorig- 
keit. 

Capricci o (kapr'ittfo, ital., Laune, Einfall; frz. ca- 
price). Die Bezeichnung C. tritt zuerst auf im 16. Jh. 
bei Vokalstiicken im Madrigalstil (J. de Berchem, Pri- 
mo, secondo et terzo libro del C, 1561 ; L. Balbi, I Caprici, 
1586;G.Croce, Triaca musicale ... diversi Caprici, 1595). 
Im spaten 16. und im 17. Jh. sind die Bezeichnungen 
C, Fantasie, Ricercar, Kanzone sowie Praludium 
und Toccata oft gleichbedeutend; sie stehen bei Stiik- 
ken fiir verschiedene Instrumente (auch per sonar et 
cantar) sowie fiir Klavier in imitierender Schreibweise 
oder fiir freie Stiicke (G.Bassano, II fiore dei Capricci 
musicali, 1588; Fr. Stivori, Ricercari, capricci et canzoni, 
1589ff.; O.Bariola, Capricci overo Canzoni, 1594; M. 
Trabaci, Ricercate, Canzone francese, Capricci, 1603, 
1615; A.Troilo, Sinfonie, Scherzi, Ricercari, Caprici et 
Fantasie, 1608). Die im AnschluB an die motettische 
Schreibweise frei gestaltete Art betont Praetorius 
(1618): C. seu Phantasia subitanea: Wenn einer nach sei- 
nem eignem plesier vnd gefallen eine Fugam zu tractiren 
vor sich nimpt / darinnen aber nicht lang immoriret, sondern 
bald in eine andere fugam, wie csjhme in Sinn kompt / ein- 
fdllet . . . Auf die Erklarung von Praetorius, verbun- 
den mit einem Riickgriff auf die allgemeine Bedeutung 
von C. beruft sich Strawinsky fiir sein C. fiir Kl. und 
Orch. (1929), in dem »ganz verschiedenartige Episo- 
den in bewuBtem Gegensatz aufeinander folgen . . . 
wodurch das Stuck einen kaprizibsen Charakter er- 
halt . . . «. Bei Frescobaldi steht die Fantasie dem alter- 
tiimlichen Ricercar naher, das C, fiir das er 1624 freiere 
Vortragsweise fordert, der Toccata. Jedes der Stiicke 
hat zudem einen bestimmten Vorwurf , meist ein Kom- 
positionsproblem (C. Cromatico, C. di durczze, C. sopra 
il Cucho, Capricci iiber Solmisationssilben). Den Ca- 
pricci von Froberger, Strungk und Bohm mit ihren 
ausgedehnten fugierten Partien stehen die dem Stylus 
phantasticus zugehbrenden von Kerll, Poglietti und 
Farina im 17. Jh. gegeniiber. In diesen finden sich auf- 
fallende Themen und Tonmalereien, in Farinas C. 
stravagante (1627) Nachahmungen von Tierlauten und 
Instrumentenklangen auf der Violine, verbunden mit 
virtuoser Spieltechnik. Seither, besonders im 18.-19. 
Jh., konnen das Nachahmende, auch das Bizarre, und 
das Virtuose je fiir sich oder zusammen fiir die Gat- 
tung kennzeichnend sein. Die Freiheit der Form und 
des Einfalls betonen Brossard 1703 (C. ..., pieces, 
ou le Compositeur ■ ■ ■ donne I'essort au feu de son genie) 
und Mattheson 1739, der das C. zu den Fantasien 
rechnet (Die Capricci lassen sich nicht wol beschreiben. 
Der eine hat diase, der andre jene Einfalle. Je wunder- 
licher und ausserordentlicher sie sind, ie mehr verdienen 
sie ihren Nahmen). Uber Bachs C. sopra la lontananza 
del suo fratello dilettissimo (BWV 992), Haydns C. 
Acht Sauschneider miissen seyn (Hob. XVII, 1) und die 
Deutung von Beethovens Rondo a c. op. 129 (Alia 
ingherese. / quasi un c.) als »Wut iiber den verlornen 
Groschen« geht die Entwicklung zum Charakterstiick 
(Weber, Mendelssohn, Brahms, Reger, Dvorak, Fr. 
Kreisler). Im 19. Jh. kann C. ahnlich wie Fantasie oder 
Rhapsodie eine Bezeichnung fiir national gefarbte 
Stiicke sein (Tschaikowsky, C. italien ; Rimskij-Korsa- 
kow, C. espagnol; Saint-Saens, C. arabe fiir Orch.). Das 
Moment des Virtuosen ist besonders in der Violinmu- 
sik ausgepragt seit Locatelli 1733 und Tartini, der Ka- 
denzen zu seinen Violinkonzerten 1740 als Capricci 



146 



Carol 



veroffentlichte. Im Sinne von Kadenz verwendet auch 
Mozart die Bezeichnung C. (Variationen K.-V. 299a 
und 416e); daneben kennt er C. gleichbedeutend mit 
Fantasie fiir freie oder auch praludierende Stiicke (K.- 
V. 300g, das wohl nicht mit dem in den Briefen vom 
20. und 31. 7. 1778 genannten C. identisch ist). Seit 
Paganini (Capricen op. 1, um 1810), Kreutzer, Rode 
sowie Franchomme steht das C. fiir Streichinstrumen- 
te der Etiide nahe, dabei beriihrt es sich auch mit dem 
Scherzo (besonders bei Mendelssohn). - Auf den ur- 
spriinglichen Sinn von C. ging Cl.Krauss zuriick, als 
er als Textdichter R.Strauss (im Brief vom 6. 12. 1940) 
den Operntitel C. vorschlug: Das game istja eine Ca- 
price, schliefilich ist esja auch von Ihnen eine Caprice, sich 
in den Kopfzu setzen, gerade iiber dieses Thetna eine Oper 
zu schreiben. 

Lit. : A. Moser, Gesch. d. Violinspiels, Bin 1923 ; M. Wolf, 
Das C. in Regers Klaviermusik, Diss. Wien 1928, maschr.; 
J. Muller-Blattau, Grundziige einer Gesch. d. Fuge, 
= KonigsbergerStudienzurMw. I, Konigsberg 1923, Kas- 
sel 3 1963; R. Strauss, CI. Krauss, Briefwechsel, hrsg. v. 
G. K. Kende u. W. Schuh, Munchen ^1964. 

Carillon (karij'o, frz.) ->- Glockenspiel. Kleinere C.s 
werden entweder mit einer Tastatur gespielt (so der 
Glockenton, eine gemischte Stimme in den alteren 
Orgeln), oder mit kleinen Kloppeln geschlagen (beson- 
ders die tragbaren, friiher bei Militarmusiken nicht 
seltenen C.s, die jetzt durch die Lyra mit Stahlstaben 
ersetzt sind). Die Idee des C. ist sehr alt und besonders 
bei den Chinesen seit langer Zeit verwirklicht; mog- 
licherweise haben die Hollander sie von ihnen iiber- 
nommen (-> Tintinnabula). Das C. findet Verwen- 
dung z. B. bei Handel (Saul, 1. Akt, 1738), Meyerbeer 
(L'Africaine, 1865), G.Mahler (VII. Symphonie, 1905). 
- C. heiBen auch Musikstiicke, welche die Klangwir- 
kung des Glockenspiels nachahmen sollen. 
Lit.: W. G. Rice, C. Music ... of the Old World and the 
New, NY 1924; J. St. Archer, On C. Music, ML XVIII, 
1937. 

Carioca, auch Samba c, brasilianischer Tanz in be- 
wegtem Tempo im 4/4- oder 2/2-Takt, eine Abart der 
— y Samba. Er entstammt der Umgebung von Rio de 
Janeiro. In den 1930er Jahren wurde die C. in Europa 
bekannt. 

Carmagnole (karman'al, frz.) ist ein franzosisches 
revolutionares Tanzlied mit dem Refrain Dansons la 
C, Vive le son du canon!, im schnellen 6/8-Takt, be- 
nannt nach der Stadt Carmagnola in Piemont, woher 
im 18. Jh. viele Savoyarden nach Paris als Strafienmu- 
sikanten gekommen waren. Die C, haufig bei Hin- 
richtungen gesungen, war das bekannteste revolutio- 
nare Lied neben dem Ca ira (1790) und der Marseillaise 
(1792), die dann ebenfalls C. genannt wurden, so daB 
C. spater revolutionarer Gesang schlechthin bedeutet. 
Lit. : C a 'ra, 50 Chansons . . . aus d. Frz. Revolution 1789— 
95, hrsg. u. iibertragen v. G. Semmer, Bin (1958). 

Carmen (lat.), in der romischen Antike zunachst 
s. v. w. religiose und magische Formel, Zauberspruch 
(z. B. Livius XXXIX, 18, 3), dann auch allgemein Ge- 
dicht, Dichtung (quicquid pedibus continetur, Servius, 
Aeneis-Kommentar III, 287, ubernommen von Isido- 
rus, Etym. I, 39, 4), Lied, Gesang. In der Musikge- 
schichte tritt die Bezeichnung C. in verschiedenen Be- 
deutungen auf; - 1) in der Liedliteratur fiir eine Sing- 
stimme mit Instrumenten im 14.-15. Jh. als Name der 
allein gesungenen, das Gedicht vortragenden Stimme ; 
die Ars discantus secundum Johannem de Muris unterschei- 
det im Kapitel De compositione carminum (CS III, 93f.) 
die Stimmen C, Tenor und Contratenor. Entspre- 
chend heifit eine Messe von H.Isaac, der verschiede- 



ne Liedmelodien zugrunde liegen, Missa carminum. 
- 2) Tinctoris definiert: C. est quicquid cantari potest 
(CS IV, 180a), gebraucht die Bezeichnung C. aber 
auch (neben -*■ Cantilena) fiir die mehrstimmige Chan- 
son (. . . apud BUSNOIS in carmine Je ne demande, CS 
IV, 146a). Wegen seiner umfassenden Bedeutung kann 
C. im 15.-16. Jh. zur Bezeichnung von mehrstimmigen 
Satzen verschiedener Arten verwendet werden, so fiir 
die humanistische Ode (bei Cochlaeus), fiir das eine 
Liedweise oder einen Liedsatz verarbeitende Instrii- 
mentalstuck (Beispiele im Glogauer Liederbuch) oder 
fiir das ->■ Tricinium (Formschneyders Trium vocum 
carmina, Niirnberg 1538). Bei Burmeister (Musica 
poetica, Rostock 1606, vor allem S. 71ff .) ist C. - gleich- 
bedeutend mit Cantilena - s. v. w. mehrstimmige, 
textgebundene Komposition. 

Carmina Burana (lat.), eine um 1300 entstandene 
Liedersammlung (Bayerische Staatsbibliothek Miin- 
chen, Clm 4660), die bis zur Sakularisation (1803) dem 
Kloster Benediktbeuren (Bura Sancti Benedicti) ge- 
horte und von ihrem ersten Herausgeber J.A.Schmel- 
ler (1847) C. B. benannt wurde. Die aus vier umfang- 
reichen Teilen bestehende Handschrift ist die wich- 
tigste Sammlung weltlicher Klerikerdichtung aus dem 
12. und 13. Jh. Die Texte (moralischen und satirischen 
Inhalts, Liebeslieder, Trinkgesange, ein Weihnachts- 
und ein Osterspiel) sind teilweise volkssprachlich oder 
in einer lateinisch-deutschen Mischsprache gedichtet, 
jedoch dominiert die lateinische Lyrik. Die Mehrzahl 
der Texte ist in Frankreich entstanden; sie sind iiber- 
wiegend anonym, doch sind ihre Verfasser im Um- 
kreis von Theologen und Dichtern wie Abaelard, 
Gautier de Chatillon, Pierre de Blois, Hugo von Or- 
leans (= Primas) zu suchen. Es handelt sich bei den 
meisten Stiicken um »profane Dichtungen«; sie geho- 
ren zur Kunstpoesie und nicht, aufier den Trink- und 
Spielliedern, zum Liedrepertoire der -> Vaganten, als 
das man friiher die C. B. verstehen wollte. Die Hand- 
schrift war zum grofiten Teil fiir die Neumierung vor- 
bereitet, eingetragen finden sich die Neumen jedoch 
nur bei verhaltnismaBig wenigen Texten. - C. Orff 
komponierte 1935/36 auf einige ausgewahlte Texte eine 
szenische Kantate mit dem Titel C. B. 
Ausg.: J. A. Schmeller, C. B., Stuttgart 1847, Breslau 
"1904; A. Hilkau. O. Schumann, C. B., Bd I Text: 1, Die 
moralisch-satirischen Dichtungen, Heidelberg 1930, 2, Lie- 
beslieder, ebenda 1941, 3 u. 4 in Vorbereitung, Bdll Kom- 
mentar: 1, Einleitung (d. Hs. d. C. B.), d. moralisch-satiri- 
sche Dichtung, ebenda 1930, Bd III Melodien, hrsg. v. W. 
Lipphardt (in Vorbereitung) ; C. B., Lieder d. Vaganten 
lat. u. deutsch nach L. Laistner, hrsg. v. E. Brost, Heidel- 
berg 1954. 

Lit. : O. Schumann, Die deutschen Strophen d. C. B., Ger- 
manisch-romanische Monatsschrift XIV, 1926; H. Span- 
ke, Der Codex Buranus als Liederbuch, ZfMw XIII, 1930/ 
31 ; W. Lipphardt, Unbekannte Weisen zu d. C. B., AfMw 
XII, 1955 ; ders., Einige unbekannte Weisen zu d. C. B. aus 
d. 2. Halfte d. 12. Jh., Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; F. J. E. 
Raby, A Hist, of Secular Lat. Poetry in the Middle Ages, 
Oxford 21957 (Bd II, S. 256ff.). 

Carol (k'aejal, engl., von frz. -*■ Carole), ist bis etwa 
1550 ein meist mehrstimmiges Refrainlied mit zere- 
moniellem, im einzelnen aber wechselndem Textin- 
halt und spater ein formal freies, meist einstimmiges 
volkstiimliches Lied mit dem Hauptthema der Weih- 
nacht. Die friihesten iiberlieferten C.s, 1st. Lieder aus 
der 1. Halfte des 15. Jh., kniipfen wahrscheinlich an ei- 
ne altere Tanzliedgattung an. Sie bestehen aus einem 
Wechsel von Refrain und melodisch gleichen Versen 
mit der Reimfolge a a a b (R Vi R V2 • • •), sind for- 
mal mit Virelai und Ballata verwandt und auf Grund 
ihres geistlichen Gehalts mit der Lauda zu vergleichen. 



10* 



147 



Carole 



Die Texte sind englisch, seltener lateinisch (dann heiBt 
das C. auch cantilena) und bewegen sich meist um das 
Thema Jungfrau und Kind, sind aber trotz des haufig 
auftretenden Freudenrufes »Nowell« nicht mit dem 
franzosischen, ausschlieClich weihnachtlichen Noel 
gleichzusetzen. Die Entstehung des C. gegen Ende des 
14. Jh. ist moglicherweise als Ersatz fur den Conductus 
in der Liturgie zu verstehen. Dieser AnschluB an eine 
mehrstimmige Gattung, ferner die Bezeichnung des 
Refrains als burden (oder foote) und das Auftreten des 
Wortes faburden in spateren mehrstimmigen C.s ma- 
chen es wahrscheinlich, daB Teile der einstimmig auf- 
gezeichneten friihen C.s, vielleicht die Refrains, in der 
Weise des Faburden gesungen wurden. Die meisten 
C.s des 15. Jh. sindjedoch mehrstimmig in einfachem 
Satz uberliefert. Bald erscheint auch ein zweiter Re- 
frain, der mit dem ersten oft motivisch verwandt und 
textlich gleich ist (friihestes Beispiel ist das beriihmte 
Deo gracias, Anglia auf den Sieg Heinrichs V. bei Agin- 
court 1415). Der zweite Refrain, meist dreistimmig, 
wurde chorisch, Vers und erster Refrain, meist zwei- 
stimmig, wurden solistisch von den Vorsangern ausge- 
fiihrt, moglicherweise in der Reihenfolge R] R 2 V] R2 
V2 R2 V3 ... Charakteristisch f iir die Melodien sind die 
liedhafte Periodik und das Uberwiegen der ionischen 
Tonart und des dreizeitigen Taktes. In dieser Form ge- 
hort das C. zur gottesdienstlichen Ubung der konigli- 
chen und graflichen Hauskapellen und zum Prozes- 
sionsgesang. Besonders seit Ende des 15. Jh. weist es 
sich durch kunstvolleren Satz als Eigentum des gebil- 
deten Berufsmusikerstandes aus. - Um die Mitte des 

16. Jh. wurde die bisher festliegende Form durch unter- 
schiedliche Vertonung der Verse und Verkummerung 
der Refrains aufgelost, und bald bezeichnete C. ein 
volkstiimliches Lied beliebiger Herkunft, wobei sich 
der Akzent durch den EinfluB der Reformation von 
der Jungfrauenverehrung auf Christi Geburt und das 
weihnachtliche Singen uberhaupt verschob. Schon im 

17. Jh. gehorten Lieder deutscher Herkunft wie Joseph, 
Heber Joseph mein und In dukijubilo in englischer Uber- 
setzung zu den beliebtesten C.s, und die Anglisierung 
auslandischer Weihnachtslieder hat sich bis heute fort- 
gesetzt. Im 19. Jh. hat die Rikkwendung zurnationalen 
Vergangenheit das altenglische C. dem englischen 
Weihnachtsgesange zuriickgewonnen. 

Ausg.: Engl. C. of the 15 th Cent., hrsg. v. J. A. Fuller- 
Maitland, Cambridge 1891; Mediaeval C, hrsg. v. J. 
Stevens, = Mus. Brit. IV, London 1952; The Engl. C, 
hrsg. v. E. Routley, London 1958. 
Lit.: W. W. Fyffe, Christmas: Its Customs and C, Lon- 
don 1906; M. Shaw u. P. Dearmer, The Engl. C. Book, 
2 Reihen, London 1913 u. 1919; J. Ashley, Medieval 
Christmas C, ML V, 1924; P. Burra, C, ML XXIV, 
1943; R. L. Greene, The Early Engl. C, London 1935 
(Text-Slg); J. A. Westrup, N. Saboly and His »Noels« 
provencaux, ML XXI, 1940; M. F. Bukofzer, Studies in 
Medieval and Renaissance Music, NY 1950; J. Stevens, C. 
and Court Songs of the Early Tudor Period, Proc. R. Mus. 
Ass. LXXVII, 1951 ; N. Waixin, Zur Deutung d. Begriffe 
Faburden - Fauxbourdon, Kgr.-Ber. Bamberg 1953 ; H. H. 
Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = In- 
diana Univ. Humanities Series XLV, Bloomington (1961) ; 
Fr. Ll. Harrison, Benedicamus, Conductus, C. : A Newly 
Discovered Source, AMI XXXVII, 1965. 

Carole (kar'ab, altfrz. ; altprov., ital., span, und port, 
carola), ein mittelalterlicher Rundtanz in langsamem 
Tempo, der entweder instrumental oder (haufiger) vo- 
kal, oft von einem Vorsanger angef iihrt, begleitet wur- 
de. Als Tanzlieder sang man Rondeaux, Virelais und 
Balladen, auch mehrstimmig. 

Lit. : L. Jordan, Der Reigentanz C. u. seine Lieder, Zs. f . 
romanische Philologie LI, 1 93 1 ; P. Verrier, La plus vieille 
citation de c., Romania VIII, 1932; Y. Lacroix-Novaro, 



La c. - Ses origines, Rev. de Musicol. XVI, 1935; R. H. 
Robbins, The Earliest Carols and the Franciscans, in: Mo- 
dern Language Notes LIII, 1938 ; M. Sahlin, Etude sur la 
c. medievale, Uppsala 1940, dazu H. Spanke in: Literatur- 
blatt f. germanische u. romanische Philologie LXIV, 1943. 

Cassa (ital., Kiste), Trommel (gran c, groBe Trom- 
mel; c. rullante, Roll-, Ruhr-, Wirbeltrommel) ; im 
engeren Sinne bezeichnet c. die vornehmlich in der 
Militarmusik verwendete kleine Trommel (auch tam- 
buro militare oder, dem franzosischen caisse claire 
entsprechend, c. chiara genannt). 

Catachrese (griech., miBbrauchliche Anwendung), 
in der Musiklehre des 17. und 18. Jh. eine im AnschluB 
an die Rhetorik erklarte musikalische Figur. Die Rhe- 
torik versteht unter C. die Verwendung eines Wortes 
in einer anderen als seiner eigentlichen Bedeutung. In 
der Musik ist sie nach Walther (1732) ein Mifibrauch, 
oder uneigentlicher Gebrauch und entsteht, wenn eine 
Dissonanz auf ausserordentliche und harte Art resolvirt 
wird oder in Form von Quartenparallelen in den Ober- 
stimmen, die aber durch den BaB brauchbar gemacht 
werden. Bernhard spricht von einer Syncopatio cata- 
chrestica, wenn eine Synkopendissonanz nicht durch 
eine folgende Consonantz, so eine Secunde tiejfer ist, resol- 
viret wird. Burmeister (1606) versteht unter Catachre- 
sis Quartae die f alschliche Verwendung der Quarte als 
Unterstimme eines Zusammenklanges. 

Catch (kaetj, engl., Fang, Beute) wurden im 17. und 
18. Jh. drei- und mehrstimmige Kompositionen vor- 
nehmlich fur Mannerstimmen genannt, die als -»■ Ka- 
non (- 3) oder Rundgesang besonders in geschlossenen 
Gesellschaften (clubs) bei derben Lustbarkeiten gepflegt 
wurden. Wortspiele, Zerteilung der Texte wie auch 
der Worte auf verschiedene Stimmen (ahnlich dem 
->• Hoquetus) usw. fiihrten haufig zu gewollten Zwei- 
deutigkeiten im Text. Die C.es wurden gegen Ende 
des 18. Jh. weithin von den milderen -> Glees ab- 
gelost. Wie groBer Beliebtheit sich die C.es zu ihrer 
Bliitezeit erfreuten, zeigen die vielfaltigen Sammlun- 
gen und Ausgaben, so die erste 1609 von Th. -> Ra- 
venscroft herausgegebene Pammelia. Musicke's Miscel- 
lanie (neu herausgegeben von P. Warlock, London 
1928) und die beriihmteste von J. -> Hilton, C. that C. 
can aus dem Jahre 1652; alle erreichten mehrere Auf la- 
gen. C.es wurden u. a. komponiert vonW.Byrd, W. 
Child, B.Cooke, R.Dering, Th.Ford, N.Laniere, H. 
und W.Lawes, vor allem auch von H.Purcell und S. 
Webbe. - Bedeutung erlangte neben vielen anderen der 
1761 gegriindete Noblemen and Gentlemen's C. Club, 
der bis in die 1930er Jahre bestand. Die C. clubs forder- 
ten durch Preisausschreiben die Komposition und Auf- 
fuhrung von C.es und veroffentlichten viele Samm- 
lungen. 

Ausg. : J. Walsh, The C. Club, or Merry Companions . . . , 
um 1730; Th. Warren, A Collection of C, Canons, and 
Glees ...,o.O. 1763ff. ; E. F. Rimbault, The Rounds, C, 
and Canons of England, o. O. (1864); H. Purcell, GA Bd 
XXVIII, London 1922. 

Lit. : V. Gladstone, The Story of the Noblemen and Gent- 
lemen's Club, o. O. (1931); C. L. Day u. E. B. Murrie, 
Engl. Song-Books 1651-1702, London 1940. 

Cauda (lat., Schwanz), - 1) in der Mensurallehre der 
herabgehende vertikale Strich an den Notenkopf en der 
Maxima m und Longa n sowie in Ligaturen. Seltener 

ist die Bezeichnung C. fiir den Strich nach oben (sur- 
sum c.) bei der Minima ♦> 9 und Semiminima ♦ sowie 
fiir die opposita proprietas der Ligaturen l^. Die auf- 
und abwarts kaudierte Note ♦ wurde um 1400 ->- Drag- 
ma genannt. Im 16. Jh. kann irrtiimliche Kaudierung 
durch Zufugen der zweiten C. riickgangig gemacht 



148 



Cembalo 



werden, so daB z. B. A = <> ist. Auch die Plica der Men- 
suralmusik vor 1400 kann C. genannt werden. - 2) In 
der Formenlehre bezeichnet C. seit dem 13. Jh. einen 
Anhang, so im Choral das Neuma der Antiphonen 
(das miBbrauchlich auch in die Psalmodie Eingang 
fand), im Conductus des 13. Jh. Melismen iiber der 
letzten betonten, auch ersten Silbe eines Verses (siehe 
Perotins 3st. Salvatoris hodie, dazu Anon. IV, CS 1, 360f . ; 
auch Anon. Sowa 60), in der Liedkunst des spaten 
Mittelalters (z. B. in Walthers Goldener Weise nach 
der Colmarer Liederhandschrift, in Balladen und Frot- 
tole) eine oder mehrere die Strophe abschlieBende, 
selbstandig komponierte Melodiezeilen. Der Name hat 
sich in der italienischen Form -> Coda fiir den SchluB- 
teil vor allem in Sonaten-, Variations- und Rondo- 
satzen erhalten. 

Lit. : H. Sowa, Ein anon, glossierter Mensuraltraktat 1279, 
= Konigsberger Studien zur Mw. IX, Kassel 1930; Mar- 
chettus de Padua, Pomerium, hrsg. v. G. Vecchi, = CSM 
VI, (Rom) 1961 ; Die Musiktraktate Conrads v. Zabern, 
hrsg. v. K. W. Gumpel, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, 
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1956, Nr 4; P. 
Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien III, 
Lpz. 1921, Neudruck Hildesheira u. Wiesbaden 1962; J. 
Handschin in: ZfMw VI, 1923/24, S. 551 ; U. Aarburg, 
Walthers Goldene Weise, Mf XI, 1958. 

Cavata (ital., von cavare, herausziehen, ausgraben) 
heifit in der 1. Halfte des 18. Jh. in Rezitativen ein 
SchluBabschnitt, in dem der Inhalt des Rezitativs in gar 
wenig Worten gleichsam concentrirt, und dergestalt heraus- 
geholet wird, dap es . . . nothig, solche sententiosen Worte 
nach dem Tact, und arioso zu setzen (WaltherL). Auch 
Mattheson betont, die C. sehe mehr auf eine scharfsinnige 
Betrachtung, als einen starcken Affect. Diese Technik der 
epigrammatischen, arios gestalteten gedanklichen Zu- 
sammenfassung innerhalb eines Rezitativs ist schon 
nachweisbar in D. Mazzocchis La Catena d'Adone (Rom 
1626), wo solche Abschnitte im Index der Partitur 
»mezz'Arie« genannt werden. Beispiele fiir die C. lassen 
sich vielfach in Kantaten J. S. Bachs belegen, so in Ein 
feste Burg (BWV 80), SchluB des 3. Rezitativs Erwdge 
dock, Kind Gottes; in Sei Lob undEhr' dem hochsten Gut 
(BWV 117), SchluB des 2. Rezitativs Es danken dir die 
Himmelsheer. Die Cavate in Opern T.Traettas (DTB 
XIV, 1) sind eher selbstandige Stiicke in der Art der 
-»> Kavatine. J. G.Walther nennt unter Berufung auf 
Mattheson noch eine zweite Bedeutung des Wortes 
C. : wenn eine Arie, oder etwas anders, ungemein wohl aus- 
gefiihret, und nach Wunsch gelungen ist. - Basso cavato 
(basso pro organo) ist als ExzerptbaB bei vielstimmigen 
motettischen Kompositionen eine GeneralbaBart 
(-»■ Basso seguente). - Soggetto cavato ist im 15. und 
16. Jh. ein Thema, dessen Tone gewonnen werden, 
indem die Vokale des Thementextes als Vokale von 
Solmisationssilben verstanden werden (->• Soggetto). 
Lit.: WaltherL; Mattheson Capellm. ; N. Pirrotta, 
Falsirena e la piu antica delle cavatine, CHM II, 1957. 

Cavatina (ital.) -> Kavatine. 

Celeritas (lat., Schnelligkeit) -> Commissura. 

Celesta (tfel'esta, ital., Himmlische), - 1) Stahlplatten- 
klavier mit oberschlagiger Hammertechnik und hol- 
zernen Resonatoren in einem harmoniumartigen Ge- 
hause; der lange Nachhall kann mit einer Dampfung 
durch Pedaltritt verkiirzt werden; notierter Umfang 
c-c* (Klang eine Oktave hoher). Der Ton ist nicht 
laut, die Klangfarbe etwa zwischen der des Glocken- 
spiels und der Glasharmonika. Die C. wurde zuerst 
von A.Mustel 1886 in Paris gebaut und von Widor, 
R. Charpentier, Tschaikowsky, Leoncavallo, Puccini, 
Mahler und R.Strauss (Rosenkavalier, 2. Akt, Uber- 



reichung der silbernen Rose) im Orchester verwendet. 

- 2) In der Orgel ist C. ein veraltetes, mit Hammerme- 
chanik zu spielendes Register zu 4'. 

Celle. 

Lit. : W. Wolffheim, Mitt, zur Gesch. d. Hofmusik in C. 
(1635 bis 1706), Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910;O.v. Boehn, 
Der C.er Orgelbau im 1 5., 16., 1 7. Jh., in : Der Sachsenspie- 
gel, C. 1930; E. Palandt, Organographia hist. Cellensis, 
Hildesheim (1932); G. Linnemann, C.er Mg. bis zum Be- 
ginn d. 19. Jh., C. 1935 ; C. Meyer-Rasch, Kleine Chronik 
d. Calandgasse, C. 1951. 

Cello (tf'ello), eingebiirgertes Bezeichnungsfragment 
von -*■ Violoncello. 

Cellone (tfell'o : ne, ital.), ein um 1890 von A. -»• Stelz- 
ner gebautes Streichinstrument (Stimmung jG D A e), 
das groBer als das Violoncello und im Klang den ande- 
ren Streichinstrumenten besser angepaBt ist als der Kon- 
trabaB. Der C. konnte sich dennoch nicht durchsetzen. 

Cembal d' am our (tj'embal dam'u:r, auch clavecin 
d'amour), eine von Gottfried Silbermann 1721 in 
Dresden konstruierte Art des Clavichords mit doppel- 
tem Steg und mit Saiten von doppelter Lange, die 
durch die Tangente in der Mitte angeschlagen wurden, 
so daB beide Teile denselben Ton gaben. Beim An- 
schlag wurde die Saite aus einer Dampfungsleiste her- 
ausgehoben. Hinsichtlich der Lautstarke wie der Schat- 
tierungsfahigkeit bedeutete diese Erfindung eine Ver- 
besserung des Clavichords, konnte sich jedoch nicht 
durchsetzen. 

Lit.: WaltherL; J. Adlung, Anleitung zu d. mus. Ge- 
lahrtheit, Erfurt 1758, Dresden u. Lpz. 21783; ders., Mus. 
mech. org. II, S. 124; E. Flade, G. Silbermann, Lpz. 1926, 
21953. 

Cembalo (tj'embalo, Abk. : Cemb., von ital. clavi- 
cembalo, aus -> clavis und cymbal, im Sinne von Psal- 
terium; ital. auch gravicembalo; frz. clavessin, clave- 
cin; engl. harpsichord; deutsch auch Klavizymbel, 
Kielfliigel), ein Klavier mit Zupfmechanik; im enge- 
ren Sinn versteht man unter Cemb., im Unterschied zu 
den kleineren Modellen (-»■ Spinett, -»■ Virginal, -*■ Ar- 
picordo), das groBe Modell in Flugelform mit parallel 
zu den Tasten verlaufenden Saiten. Aufrechte Flugel- 
form hat das -> Clavicytherium. - Wahrscheinlich im 
14. Jh. wurde das Psalterium mit einer Klaviatur und 
einer -»■ Mechanik zum AnreiBen der Saiten versehen. 
Das alteste erhaltene Cemb. stammt aus dem Jahr 1521. 

- Die Saiten des Cemb.s (in der Regel ausMetalLselten 
aus Darm; -»■ Lautenclavizymbel) verlaufen von den 
Anhangestiften iiber einen Steg zu den Stimmwirbeln, 
die im Stimmstock stecken. In den Resonanzboden ist 
bei alten Instrumenten eine verzierte Rosette eingelas- 
sen. Die Cembali des 16.-18. Jh. wurden meist in einen 
bemalten Kasten eingeschlossen, der auf einem verhalt- 
nismaBig hohen Gestell ruhte. Fiir italienische Instru- 
mente wurde oft Zedern- oder Zypressenholz ver- 
wandt, sonst u. a. Eiche. Cembali mit 2 Manualen sind 
seit dem spaten 16. Jh. nachweisbar. Das 2. Manual 
war bis um die Mitte des 17. Jh. und besonders bei nie- 
derlandischen Instrumenten als Transpositionsklavier 
(eine Quarte tiefer stehend als das erste) eingerichtet. 
Wahrend der niederlandische und franzosische Cemb.- 
Bau im 17./18. Jh. zahlreichere Cembali mit 2 und sel- 
tener 3-4 Manualen hervorbrachte, waren diese in 
Deutschland und Italien bis zum Anfang des 18. Jh. 
selten. Der Tonumfang des Cemb.s steigerte sich von 
knapp 3 im 16. Jh. bis auf iiber 5 Oktaven im 18. Jh. 
(->■ Manual). Fiir jedes Manual konnen mehrere Reihen 
von Docken eingerichtet werden, die durch Handzuge 
oder (seit dem 17. Jh. vereinzelt, bei modernen Instru- 
menten haufig) Pedaltritte ein- und ausgeschaltet und 



149 



Cembalo 



gekoppelt werden. So kann wie auf der Orgel ein 
Wechsel von Registern verschiedener FuBtonlage 
(-> Disposition) oder Klangfarbe gewahlt werden. Das 
haufigste unter den Registern (»Veranderungen«) ist 
der Lautenzug, dessen Docken naher dem Steg sitzen 
oder bei dem in jiingeren Cembali (seit dem Ende des 
18. Jh.) eine Filileiste an die Saiten gedriickt wird. 
Beim Harfenzug werden Leder- oder Filzpolster oder 
Messinghaken an die Saiten gelegt. Der Klang des 
Cemb.s ist obertonreich, festlich rauschend und gut 
zeichnend. Obergangsdynamik kann durch Zu- und 
Abnahme von Stimmen vorgetauscht werden. Doch 
waren gute Cembali auch im -*■ Anschlag modula- 
tionsfahig. Den Jalousieschweller (engl. Venetian swell) 
baute am Cemb. zuerst Shudi 1769. Das Cemb. war 
neben der Orgel im 16.-18. Jh. das vornehmste Klavier 
zum solistischen und konzertanten Spiel sowie seit dem 
17. Jh. zum GeneralbaBspiel (-> Klaviermusik und 
-spiel). C. Ph. E.Bach stellte das Cemb. in einem Dop- 
pelkonzert dem Pianoforte gegenuber. Nach dem Um- 
schwung im Klavierbau um 1760 wurden noch verein- 
zelt Cembali gebaut, das letzte von Broadwood 1793, 
von Kirkman wohl 1809. Im 19. Jh. wurde es in histo- 
rischen Konzerten u. a. von Moscheles (ab 1837), C. 
Engel, Pauer (ab 1861 in London) sowie Diemer (seit 
der Pariser Weltausstellung 1889) gespielt. 1882 lieh 
Erard sich einen Kielfliigel von Taskin aus (von 1769) 
und baute ihn nach. Einen Aufschwung nahm der 
Cemb.-Bau mit dem Wirken von A.Dolmetsch (ab 
1896). Nachdem die ersten Neukonstruktionen noch 
stark von der Statik des Pianofortes (Eisenrahmen u. a.) 
beeinflufit waren, wird im gegenwartigen Cemb.-Bau 
versucht, das Klangbild der alten Cembali wiederzuge- 
winnen. Der Einsatz des Cemb.s ist fur die Wiedergabe 
der Klaviermusik des 16.-18. Jh. und als GeneralbaB- 
instrument wieder selbstverstandlich geworden. Als 
Spielerin wirkte u. a. Wanda Landowska bahnbre- 
chend. Fiir Cemb. komponierten auch zeitgenossische 
Komponisten, so de Falla (Concerto fiir Cemb. oder 
Pfte und 5 Instr. 1923-26), Poulenc (Concert champetre 
fur Cemb. und Orch. 1938), Fr. Martin (Petite Sym- 
phonie concertante fur Cemb., Pfte, Harfe und 2 Streich- 
orch.), Cemb.-Konzerte schrieben Distler (1936) und 
Martinu (1935). Zuweilen wird das Cemb. auch in der 
Unterhaltungsmusik eingesetzt. 

Lit. : Les traites d'H.-A. de Zwolle, hrsg. v. G. Le Cerf u. 
E.-R. Labande, als: Instr. de musique du XV e s., Paris 
1932; S. Virdung, Musica getutscht (1511), Faks. v. L. 
Schrade, Basel 1931 ; Praetorius Synt. II; M. Mersenne, 
Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 
3 Bde, Paris 1963 ; Adluno Mus. mech. org. ; C. Krebs, Die 
besaiteten Klavierinstr. bis zum Anfang d. 17. Jh., VfMw 
VIII, 1892; K. Nef, Clavicymbel u. Clavichord, JbP X, 
1903; ders., Zur Cembalofrage, ZIMG X, 1908/09; E. U. 
Kropp, Das Zupf kl., Diss. Bin 1925 ; Ph. James, Early Key- 
board Instr., London 1930; K. Matthaei, Ober Cemb.- 
Neukonstruktionen, Zs. f. Hausmusik II, 1933; H. Neu- 
pert, Das Cemb., Kassel 1933, 31956; E. Harich-Schnei- 
der, Die Kunst d. Cembalospiels, Kassel 1939, 21957, engl. 
als: The Harpsichord, Kassel u. St. Louis 1953;F. Trende- 
lenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Zur Klangwirkung v. 
Klavichord, Cemb. u. Flugel, Akustische Zs. V, 1940; H.- 
H. Drager, Anschlagsmoglichkeiten beim Cemb., AfMf 
VI, 1941 ; J. Worsching, Die hist. Saitenkl. u. d. moderne 
Klavichord- u. Cembalobau, Mainz 1 946 ; W. Landowska, 
Commentaries for the Treasury of Harpsichord Music, 
NY 1947; N. Dufourcq, Le Clavecin, Paris 1949; Fr. 
Ernst, Der Flugel J. S. Bachs, Ffm., London u. NY 1955 ; 
Fr. J. Hirt, Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955; D. 
H. Boalch, Makers of the Harpsichord and Clavichord 
1440 to 1840, London (1956); R. Russell, The Harpsi- 
chord and Clavichord, London (1959); J. Lade, Modern 
Composers and the Harpsichord, The Consort XIX, 1962; 
Fr. Hubbard, Harpsichord Regulating and Repairing, 
Boston 1963. 



Cencerro (OenS'erro, span. ; engl. cow-bell, Viehschel- 
le, »Kuhglocke«), aus Kuba stammendes Schlaginstru- 
ment in den lateinamerikanischen Tanzen, das entwe- 
der flach in der Handflache der linken Hand gehalten 
und mit einem dicken Stab (oder einer ->■ Claves) an- 
geschlagen oder einzeln bzw. paarweise (dann von ver- 
schiedener Klangfarbe) an den ->■ Timbales oder am 
Jazzschlagzeug befestigt und mit einem Timbales-Stock 
(bzw. Jazztrommelstock) geschlagen wird. Der Klang 
ist hell-tonend, die Anzahl der gebrauchlichen Rhyth- 
musformeln relativ klein. 

Cent (Abk.: C). Das C.-MaB wurde 1885 von A.J. 
-»■ Ellis entwickelt, um Tondistanzen unabhangig von 
den ihnen zugrunde liegenden Schwingungszahlen 
durch eine lineare Skala darstellen zu konnen. Als 
Grunddistanz wird der temperierte Halbton = 100 C 
gesetzt, so daB die Oktave die GroBe von 1200 C er- 
halt. Die Werte der reinen Intervalle weichen von 100 
und ihren ganzen Vielf achen ab ; so ist die reine Quinte 
= 702 C, die reine groBe Terz = 386 C. Um die 
GroBe eines beliebigen Frequenzverhaltnisses/i//2 in 
C.s (i) zu bestimmen, bedient man sich der Gleichung 

1 900 
i = y-ylg(/i// 2 ).Angabenin C bewahren sich vor al- 

lem bei der zahlenmaBigen Darstellung sehr kleiner In- 
tervalle, bei der Feststellung der Frequenzskalen von 
Musikinstrumenten in fester Stimmung sowie bei der 
Untersuchung auBereuropaischer Tonsysteme in der 
Musikethnologie. - Zur Berechnung des absoluten 
C. wird 1 Hz = C gesetzt; es ergeben sich dann: 
2 Hz = 1200 C, 4 Hz = 2400 C usw. mit den dazuge- 
horenden Zwischenwerten. 

Lit. : A. J. Ellis, Tonometrical Observations on Existing 
Non-Harmonic Scales, Proceedings of the Royal Soc. 
XXXVII, 1884, deutsch v. E. M. v. Hornbostel als: Ober 
d. Tonleitern verschiedener Volker, Sammelbde f. verglei- 
chende Mw. I, 1922; H. Husmann, Fiinf- u. siebenstellige 
Centstafeln zur Berechnung mus. Intervalle, =Ethno- 
Musicologica II, Leiden 1951. 

Cento (lat., Flickwerk; ital. centone), ein aus Versen 
oder Versteilen (z. B. Homer, Vergil oder Ovid) neu 
zusammengesetztes Gedicht. C. werden auch Choral- 
melodien genarmt, die aus schon vorhandenen Melo- 
dieteilen zusammengesetzt sind. Johannes Diaconus 
spricht vom Antiphonarius c. des Papstes Gregor I., 
um damit eine Zusammenstellung verschiedener 
Oberlieferungen zu kennzeichnen. Als C. bezeichnet 
daher die Musikforschung heute Stimmen, die aus ver- 
schiedenen Melodieteilen gereiht sind, wie sie in der 
Motette, der Chanson und besonders im -»■ Quodlibet 
vorkommen. Im 18. Jh. war C. s. v. w. ->■ Pasticcio. 
Lit. : O. Delepierre, Tableau de la lit. du c. chez les anciens 
et chez les modernes, I— II, London 1874-75; P. Wagner, 
Einf tinning in d. Gregorianischen Melodien I, Lpz. 3 191 1, 
Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; P. Ferretti 
QSB, Esthdtique gregorienne ou Traite des formes du 
chant gregorien, Paris, Toiirnai u. Rom 1938. 

Cercar della (la) nota (tjerk'a:r d'ella n'a:ta, ital., 
die Note suchen), Gesangsverzierung des 17. Jh. Man 
laBt die obere oder die untere Nebennote kurz und leise 
vor der Hauptnote erklingen, wobei man die Textsilbe 
der Hauptnote bereits auf diese Nebennote nimmt 
(->- Anticipation - 3) und sie an die folgende Haupt- 
note anbindet : 




Do - mi- 



150 



Chaconne 



Ceylon. 

Lit.: V. Arvey, Ancient Music and Dance in Modern C, 
Etude LX, 1 942 ; V. Raghavan, The Kandyan Dance, Mu- 
sic Acad. Journal XXI, 1921 ; D. Surya Sena, Folk Songs 
of C, Journal of the International Folk Music Council VI, 
1954 ; B. de Zoete, Dance and Magic Drama in C, London 
1957. 

C. f. ->■ Cantus firmus. 

Cha-Cha-Cha (tja-tfa-tja, eigentlich Cha-Cha, laut- 
malerisch fiir zwei langsame Schritte; im Stuck kom- 
men drei schnelle Schritte, cha-cha-cha, vor), moder- 
ner Modetanz aus Kuba im bewegten 2/4- und 4/4- 
Takt. Der Tanz wurde (wahrscheinlich von Enrique 
Jorrin in Habana 1953) aus dem -»■ Mambo entwickelt, 
seit 1957 ist er in Europa bekannt. Typisch fiir den 
Cha-Cha-Cha sind die Riff-Bildungen in der Musik 
mit dem Rhythmusschema : 

id) j~m jtji oder mn im 
* v -« / > > > > 

Chaconne (Jak'an, frz. ; ital. ciaccona; span, chacona), 
Tanz von oflfenbar spanischer Herkunft, als Chacota 
erstmals 1517 beim spanischen Dichter Torres Naharro 
in der Bedeutung eines bauerlichen Liedes genannt (Di- 
ganvos una chacota que andavan por la dehesa). Bereits um 
1560 sieht L. Panciatichi die Ch. als Instrumentalstiick 
zusammen mit der Sarabande (Ciaccona e Sarabande 
sono sonate famose), eine Verbindung, die auch spater 
wiederholt begegnet, so bei Cervantes (1610), der bei- 
de zusammen mit der Folia nennt, bei Lope de Vega 
(1618), der Ch. und Sarabande als schamlose und wilde 
Tanze bezeichnet, bis zum Dictionnaire de I'Academie 
francaise (1694), in dem die Ch. als eine Espece de sara- 
bande par couplets avec ie mesme refrain definiert wird. 
Die hier gegebene Erklarung der Form scheint schon 
fiir die friihesten Belege mit ihrer Nahe zu vokalen 
Refrainformen und eingeschobenen Couplets giiltig zu 
sein und hat sich in der (mindestens franzosischen) Lied- 
uberlieferung bis in das 19. Jh. erhalten. Uber die Lau- 
ten- und Gitarrenmusik diirfte die Vermittlung der 
Ch. von Spanien nach Italien erfolgt sein. Hier erfahrt 
sie formale Bereicherungen, die erst im spateren Ver- 
lauf des Jahrhunderts wieder auf Spanien zuriickwir- 
ken, wo der Tanz inzwischen im Gegensatz zu den 
iibrigen Landern unmodern geworden war. Minde- 
stens seit 1610 zeigen Werke der italienischen Lauten- 
und Gitarrenmusik das Aufkommen der Variations- 
Ch., die aber in Italien zahlenmaBig bald vor der 
mit der Ostinatotechnik verbundenen Ch. zuriicktritt. 
Neben der in minderer Zahl vertretenen Passacaglia 
findet sich die Ch. u. a. in den Tabulaturen von Sanse- 
verino (1622), G. A. Colonna (1623), Caliginoso (1626) 
und Pico (1628), stets im ungeraden Takt und in Dur 
gegeniiber den sowohl Zweier- und Dreiertakt als auch 
Dur und Moll verwendenden Passacaglien. Im Gegen- 
satz zur freieren BaBbehandlung der Passacaglia wird 
etwa seit Frescobaldi der vermutlich vokalem Beispiel 
folgende stxenger durchgefiihrte Ostinato, der in der 
Ensembleinstrumentalmusik zuerst bei S.Rossi (1613) 
auftritt, zum Charakteristikum der italienischen Ch. 
Seit etwa 1650 unterscheidet sie sich neben der Dur- 
tonalitat weitgehend auch durch Auftaktlosigkeit von 
der gleichzeitigen italienischen Passacaglia. Wo im 18. 
Jh. (wie bei Dall'Abaco) diese Unterschiede zwischen 
Ch. und Passacaglia verwischt werden, diirfte dies in 
erster Linie auf franzosische Einfliisse zuriickgehen. - 
Auch in Frankreich ist die Aufnahme der Ch. auf dem 
Weg liber die Lauten- und Gitarrenmusik anzuneh- 
men, •was die fruhen Belege bei N. Vallet (1618) und 
im Ballet des fees de laforet de Saint-Germain (1625) an- 
nehmen lassen. Bezeichnend ist die Benennung der 



Ch. aus Gaultiers Rhetorique des dieux (1. Halfte des 17. 
Jh.) als Sarabande in einer anderen Quelle. Wie in 
Italien wird auch in Frankreich die Ch. bald auf die 
Tasteninstrumente iibertragen und findet ihre fruhen 
Vertreter in Chambonnieres (vor 1640) und seinem 
Schiiler L. Couperin. Schon bei ihnen ist die fiir Frank- 
reich charakteristische Ch. en rondeau vollig ausgebil- 
det, so daB die Verbindung der beiden Formen noch 
friiher angenommen werden kann. Im Gegensatz zu 
Italien zeigt hier die Passacaille ein strengeres Festhal- 
ten am Ostinato, wogegen die Ch. im BaCthema eine 
weitgehend freie Behandlung aufweist. Zur Unter- 
scheidung von der Passacaille wird in Frankreich im 
theoretischen Schrifttum des 17. und 18. Jh. immer 
wieder auf die Durtonalitat und das raschere Tempo 
der Ch. hingewiesen. DaB aber Tempomodifizierun- 
gen der Ch. bereits im 17. Jh. bekannt waren, zeigt die 
Ch. grave von N.Lebegue (1675). Die daraus resultie- 
rende Verwischung der Formunterschiede und die 
Schwierigkeit einer deutlichen Unterscheidung wird 
in Bezeichnungen wie Ch. ou Passacaille (L. Couperin) 
oder Passacaille ou Ch. (Fr. Couperin, Pieces de violes 
1728) deutlich. In Fr. Couperins Ch. a deux temps wird 
schlieBlich auch der Dreiertakt nicht mehr als unbe- 
dingt giiltig angesehen. Uber die Ballets de cour wird 
die Ch. in die franzosische Oper aufgenommen und 
findet ihre uber 100 Jahre festgehaltene Auspragung 
durch Lully. Die durch die Biihne erforderte Auswei- 
tung der Form zeigt sich in zunehmendem MaBe bei 
Lully, spater auch bei Rameau und Gretry. Wie bei 
diesen wird auch bei anderen Komponisten (u. a. Col- 
lasse, Campra, Destouches) ein 3teiliger GroBaufbau in 
der Folge Dur-Moll-Dur oder instrumental-vokal- 
instrumental bevorzugt. DaB die Ch. als Tanz mit Vor- 
liebe die gluckliche Losung der Opernhandlung be- 
gleitet, unterstreicht ihren heiteren Charakter. Das 
freie Verhaltnis zum Ostinato bleibt dabei auch fiir ihr 
Auftreten in der Oper charakteristisch. Mit der Locke- 
rung der Ostinatobehandlung in der Passacaille und 
dem Fehlen rhythmischer Unterschiede gehen im Lau- 
fe des 18. Jh. die beiden Formen mehr und mehr inein- 
ander iiber, wof iir die Verwendung der Ch. aus Glucks 
Paride ed Elena als Passacaille in Iphigenie en Aulide ein 
deutliches Beispiel liefert. Eine Parallele dazu findet 
sich schon bei G. Muffat, dessen Passacaglio aus der 5. 
Sonate des Armonico tributo (1682) im Concerto grosso 
Nr 12 (1701) als Ciacona wiederverwendet ist. Ent- 
sprechend den wechselnden Einfliissen folgen die deut- 
schen Komponisten in der Ch. italienischem oder fran- 
zosischem Vorbild. Dem letzteren steht eine um 1675 
entstandene Ciaccona von Kerll mit freier BaBbehand- 
lung nahe, wahrend etwa die beiden von Biber be- 
kannten Ciacone mit BaBostinato in der italienischen 
Tradition stehen. Buxtehude in seinen Orgelwerken 
wiederum verwendet von der BaBbehandlung aus ge- 
sehen in der C moll- und E moll-Ch. den franzosi- 
schen, in der C dur-Ch. den italienischen Typus. Folgt 
J.Krieger eindeutig der italienischen Ch., so zeigen an- 
dere Komponisten (u. a. J. C. F. Fischer, der in den Or- 
chesterwerken dem Vorbild von Lully folgt, in den 
Klavierwerken aber unentschieden bleibt) das Schwan- 
ken zwischen italienischer und f ranzosischer Tradition, 
bzw. - was dem etwa gleichkommt - die Unsicherheit 
in der Verwendung der Termini von Ch. und Passa- 
caglia. Dennoch scheint die italienische Tradition mit 
strenger Behandlung des Ostinatothemas in Deutsch- 
land zu uberwiegen. So bezeichnet auch J. G.Walther 
(1732) die Ch. als einen Tantz, und eine Instrumental- 
piece, deren Bafi-Subjectum oder thema gemeiniglich aus 
vier Tacten in 3/4 bestehet, und, so lange als die dartiber ge- 
setzte Variationes oder Couplets wdhren, immer obligat, 



151 



Chalumeau 



■ d. i. unverdndertbleibet. Dieser Definition entsprichtz. B. 
die Ciaco- 
nia F moll 
von J.Pa- 

chelbel, wahrend sich die besonders kunstvolle und 
ausgedehnte Ch. in J.S.Bachs Partita in D moll fur 
V. solo (urn 1720, BWV 1004) einer Typisierung 
widersetzt. 

In England vermochte sich die Ch. an die altere 
->■ Ground-Technik anzuschlieBen. Zeigt Purcell auch 
hier seine Bindung an die italienische Musik, so lafit 
sich bei Handel wieder das Schwanken zwischen ita- 
lienischem und franzbsischem Typus feststellen, was, 
wie bei der Mehrzahl der deutschen Komponisten, 
eine eindeutige Trennung von Ch. und Passacaglia 
nicht mehr gestattet. Die historisierenden Tendenzen 
der Zeit um 1900 fiihren zu einer Wiederaufnahme der 
Form, u. a. durch J. Brahms im SchluBsatz der 4. Sym- 
phonic (1885 ; Ch. oder Passacaglia?) und durch M. Re- 
ger in der SchluB-Ch. der Sonate op. 42, Nr 4 (1900) 
und in der Ch. G moll op. 117, Nr 4 (1910), beide fur 
V. solo. 

Lit. J. Mattheson, Das Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713; 
Mattheson Capellm.; WaltherL; H. Riemann, Hdb. d. 
Mg. II, 2, Lpz. 1912, 21921 ; ders., GroBe Kompositions- 
lehre II, Bin u. Stuttgart 1903, S. 402-473; G. Beckmann, 
Das Violinspiel in Deutschland vor 1700, Bin u. Lpz. 1918 ; 
R. Oppel, Das Thema d. Violinch. u. seine Verwandten, 
Bach-Jb. XV, 1918 ; R. Litterscheid, Zur Gesch. d. Basso 
ostinato, Diss. Marburg 1928; P. Mies, Die Ch. bei Han- 
del, Handel-Jb. II, Lpz. 1929; R. Haas, Die Musik d. Ba- 
rocks, Biicken Hdb.; L. Nowak, Grundzuge einer Gesch. 
d. Basso ostinato in d. abendlandischen Musik, Wien 1932 ; 
L. Walther, Die Ostinato-Technik in d. Ch.- u. Arien- 
Formen d. 17. u. 18. Jh., = Schriftenreihe d. mw. Seminars 
d. Univ. Miinchen VI, Wiirzburg 1940; A. Machabey, Les 
origines de la ch. et de la passacaille, Rev. de Musicol. 
XXVIII, 1946; K. v. Fischer, Ch. u. Passacaglia, RBM 

XII, 1958. 

Chalumeau (Jaliim'o, frz.). - 1) Walther nennt 1732 
fur Ch. 4 Bedeutungen, zwei beziehen sich auf Schal- 
meien (Schaferpfeife und Pfeife des Dudelsacks), die 
beiden anderen auf das Ch. im engeren Sinne, ein klei- 
nes Biafi-Instrument, so sieben Locher hat (Umfang f !-a 2 ). 
Aus diesem Instrument entwickelte Denner um 1700 
die -> Klarinette. Diesen verbesserten Typ nennt 
Walther im Artikel Ch. als viertes Instrument. Fur 
welches Instrument die Ch.-Partien von M.A.Zianis 
Caio Pompilio (1704) bis zu Glucks Orfeo (1762) und 
Alceste (1767) gedacht waren, ist nicht bekannt. Tele- 
manns Ch.-Konzerte deuten auf ein Doppelrohrblatt- 
instrument hin. Bei der Klarinette ist Ch. die Bezeich- 
nung fiir das tiefe, nicht iiberblasene Register. - 2) Im 
franzosischen Orgelbau ist Ch. seit dem 13. Jh. (Dijon: 
jeu de ch.) und bis etwa 1475 neben Regal das einzige 
Rohrwerk, eine Zungenstimme mit zylindrischem 
Becher. 
Lit.: WaltherL; V. Fedeli, Zampogne calabresi, SIMG 

XIII, 1911/12; O. Kroll, Das Ch., ZfMw XV, 1932/33; 
F. G. Rendall, The Clarinet, London (1954, 21957); H. 
Becker, Zur Gesch. d. Klar. im 1 8. Jh., Mf VIII, 1955. 

Chanson (Jas'5, frz.; lat. cantio, Gesang) bezeichnet 
im weiteren Sinne ein Gedicht lyrischen Charakters, 
das zum Gesang bestimmt ist, so daB Ch. dem deut- 
schen Begriff Lied in seiner allgemeinen Bedeutung 
entspricht. Sonderformen sind -*■ Ch. de geste, -*■ Bal- 
lade, -> Rondeau, -> Virelai. Im engeren Sinn bezeich- 
net Ch. das altfranzosische Minnelied mit Kanzonen- 
strophe (-» Kanzone). Nach 1500 ist Ch. eine Sammel- 
bezeichnung fiir Lieder der verschiedensten Arten, die 
daneben air, melodie, romance, chant heiBen. Der mu- 
sikwissenschaftliche Begriff Ch. dagegen ist einge- 
schrankt. Er bezeichnet den mehrstimmigen franzosi- 



schen Liedsatz speziell des 15./16. Jh., dem der -> Kan- 
tilenensatz vorausgeht. Davon ist die (auch das) Ch. als 
kabarettistisches Lied des 20. Jh. unterschieden. - Eine 
liedhafte Gestalt, die sich - als Einheit im Verschiede- 
nen - in der pragnanten Form wie in der Melodik 
offenbart, ist in alien Ch.s mehr oder weniger ausge- 
pragt. Wie bei Machaut ist auch in den Ch.s Binchois' 
(15. Jh.) die Oberstimme von den beiden anderen 
Stimmen abgehoben. Der Beginn der Ch. Adieu, adieu 




dieu, a - dieu mon_ joi 



T^J ' J J 



zeichnet sich gegeniiber 
: Machaut durch weitrau- 

mige, geschlossene Melo- 
dik aus. Am Ende des 15. Jh. wird in der imitatori- 
schen Ch. einiges von der Pragnanz der Liedmelodik 
geopfert, gleichzeitig aber eine Abrundung der me- 
lodischen Linie der ganzen Ch. und eine Beherrschung 
der architektonischen Formung erreicht, die den Ein- 
fluB der groBen geistlichen Kompositionsgattungen 
erkennen lassen. Von hier aus geht ein ununterbroche- 
ner Traditionszug durch das 16. Jh. Denn selbst die 
einfachste Ch. zeugt nun von der Beherrschung der 
polyphon-imitatorischen Technik und schlieBt sich 
damit an die Kunst des spaten 15. Jh. an. Neue mu- 
sikalische Impulse fiir den Liedsatz kamen seit Ende 
des 14. Jh. aus Italien (Ciconia, Matheus de Perusio, 
Philipus de Caserta) und England (Dunstable). Zu den 
Pariser Meistern, die den Weg der Vereinfachung im 
beginnenden 15. Jh. wahlten, gehort vor allem Cesaris. 
Mit dem Schaffen Dufays und Binchois' wurde die 
Zeit der Experimente uberwunden. Nun herrschte der 
3st. Satz mit einem AuBenstimmenduo (Cantus und 
Tenor) und einer Fullstimme (Contratenor). Die mehr- 
stimmige franzosische Ch. des 15. und 16. Jh. ist trotz 
ihrer relativen Kiirze eine der bedeutendsten Formen 
der europaischen Musikgeschichte. Im Musizieren der 
Ch. vereinten sich aristokratische Liebhaber (auch 
Frauen) und Berufsmusiker. Zu den fiihrenden Kom- 
ponisten gehoren neben Dufay und Binchois vor allem 
Baude Cordier, Grenon, Lebertoul, Hugho und Ar- 
nold de Lantins, etwas spater Busnois und Hayne van 
Ghizeghem. Das Schaffen von Ockeghem, der in 
naherer Beziehung zu Binchois stand, eroffnete und 
pragte die folgende Phase der Ch.-Komposition. Die 
klar gegliederte Oberstimme liedhafter Pragung (Bei- 
spiel Binchois, Adieu, adieu), die ausgewogenen Pro- 
portionen des Ganzen, die weitraumige Melodik (auch 
etwa Dufays Helas, ma dame), die federnde Rhythmik 
sowie ein Contratenor, der von einer Fullstimme zum 
Harmonietrager wird, geben diesem Satztyp seine spe- 
zifische Gestalt. Andererseits wurde versucht, die Ein- 
heit des Satzganzen durch imitatorische Verflechtung 
der Stimmen zu verwirklichen (schon Binchois' Vostre 
alee). Bei der »Durchvokalisierung« geht der klare Auf- 
bau der Ch. verloren. So werden bei Ockeghem ge- 
rade die Einschnitte kunstvoO verdeckt in einer »Kunst 
des Obergangs«, die fiir die Ch. am Ende des 15. Jh. 
charakteristisch ist. Diesem ProzeB gehen Entwicklun- 
gen parallel in Formen, die am Rande stehen. Das 
Quodlibet (etwa Dufays Je vous pri / Tant que mon ar- 
gent j Mas tres doulce) schlagt die Briicke zum C. f.- 
Satz der Ch. am Jahrhundertende. Die Gattungen der 
Motetten-Ch. (motettische Struktur, aber f ranzosischer 
Text) und der Liedmotette (Ch.-Struktur, aber latei- 
nischer Text) vermitteln den Ubergang zur Ch.-Tech- 
nik der Josquinzeit. Die Motetten-Ch., in der der C. f. 
in der tiefsten Stimme des 3st. Satzes liegt, ist die Vor- 
aussetzung fiir die Entstehung der 4—5st. Tenor-Ch. 



152 



Chanson 



der Josquinzeit. - In der niederlandischen Schule von 
Ockeghem bis Willaert spielt die Ch. keine zentrale 
Rolle. Ihre imitatorische Satzstruktur ist derjenigen 
der groBen geistlichen Formen (Messe, Motette) ver- 
wandt. Einige Ch.s wurden immer wieder vertont, 
z. B. Petite camusette von Ockeghem, Josquin Desprez, 
Willaert u. a. Die schon von Dufay angewandte C. f.- 
und Parodietechnik (Dufay, Missa Se la face ay pale) 
wurde nun haufig geiibt (Josquin, Obrecht, Pierre de 
la Rue, Compere, Brumel). Bei A. Agricola, Josquin, 
Pierre de la Rue erreicht der Typ der 4st. durchimi- 
tierten Ch. seinen Hohepunkt. Am Anfang des 16. 
Jh. bildete sich daneben ein neuer, einfacherer Typ 
aus: die Durchimitation wird unterbrochen durch 
Duos, homophone Partien und Abschnitte in Parlan- 
dodeklamation (Compere, Alons ferons bare). Diesen 
einfacheren Stil der »italienischen Ch.« (Gerson-Kiwi), 
der den EinfluB besonders der Frottola zeigt, schreiben 
Isaac, Brumel, Obrecht, sparer audi Willaert, der aller- 
dings zunachst mit Kanonkiinsten begonnen hatte. 
Auch ein Druck A. Antiquis' (1520) zeigt diesen Stil (A. 
de Fevin, Richafort, Janequin). Die Kompositionsart 
der Ch. war so verbreitet, daB sie zum Vorbild nieder- 
landischer, deutscher und italienischer Liedkompo- 
sition wurde (canzone francese). Die Intavolierung 
von Ch.s reicht durch das ganze 16. Jh. ; der Antwer- 
pener Drucker Tilman Susato gab 1551 eine Samm- 
lung mit Tanzen heraus, deren Vorlagen Ch.s sind. 
Auch Ch.s fur Laute wurden gedruckt; noch A. Ga- 
brielis Sammlung Canzoni alia francese (1605) enthalt 
sowohl Ubertragungen von Ch.s als auch Paraphrasen, 
in denen nach motettischer Art einzelne Abschnitte 
der Ch. zitiert und durchgefiihrt werden. Waren bis 
ans Ende des 15. Jh. Ch.s vorwiegend im -> Chan- 
sonnier handschriftlich iiberliefert, so liegen seit Pe- 
trucci (Odhecaton, Canti B und C) die meisten gedruckt 
vor. Die franzdsischen Drucker Attaingnant und 
Adrian le Roy/Ballard in Paris und Jacques Moderne 
in Lyon sowie Tilman Susato in Antwerpen brachten 
eine groBe Zahl von Ch.s auf den Markt (Attaingnant 
in 25 Jahren 50 Sammlungen). Mit dem Druck wan- 
delte sich nach 1520 die Ch.-Komposition und wurde 
zu einer biirgerlichen Gesellschaftskunst, deren kom- 
positorischer Anspruch bcscheiden war. Die Grundla- 
ge dieser »Pariser Ch.« ist ein erzahlender, meist fri- 
voler, ja obszoner Text. Am bedeutendsten war, neben 
Claudin de Sermisy, Janequin, der fast 300 Ch.s ge- 
schrieben hat. Textinhalte wurden musikalisch nach- 
geahmt (Les critz de Paris, La Bataille, Le siege de Metz). 
Die Satztechnik der »Pariser Ch.« ist weitgehend ho- 
mophon; die Imitation lebte besonders in der gefiihl- 
volleren Ch. weiter. Der EinfluB des Madrigals spielte 
eine bedeutende Rolle, wie umgekehrt Madrigale 
durch Ubersetzung von Ch.s entstehen konnten. 
Drucke nach 1540 erneuerten den EinfluB Josquins. 
Komponisten wie Manchicourt, Lupi und Appenzeller 
schrieben, nachdem sie zunachst der »Pariser Ch.« nahe- 
standen, polyphone Ch.s. Diese wurden unter dem 
EinfluB des Madrigals zur Funf- bis Sechsstimmigkeit 
erweitert. Von Gombert, Crecquillon, vor allem von 
Orlande de Lassus und Claude le Jeune wurde dieser 
Typ zu einer letzten Bliite gefiihrt. Aus dem einfachen, 
syllabisch deklamierenden Satztyp, dem -y Vaudeville, 
entwickelte sich das Air de cour, in das auch die lau- 
tenbegleitete Ch. mundete. In diese Bemiihungen um 
eine solistische Ch. griffen die Dichter der Ple'iade 
(Ronsard, Ba'if) ein. Sie entwickelten nach antikem 
Vorbild eine nach Lange und Kiirze gemessene reimlo- 
se Strophenform, der eine Musik entsprechen sollte, 
die das Versmafi streng einhalt: die -»■ Vers mesures. 
Certon, Goudimel, auch Janequin widmen sich der 



Komposition solcher Stiicke; Costeley und Le Jeune 
fiihren diese Kompositionsart zu einem Hohepunkt, 
der deutlich auf die Monodie vorausweist. - Die re- 
formatorischen Bestrebungen im 16. Jh. regten einen 
Ch.-Typ an, der in der 2. Half te des Jahrhunderts zur 
Mode wurde: die ->■ Ch. spirituelle. - Trotz der rei- 
chen Produktion (bei le Roy/Ballard wurden in knapp 
50 Jahren 1963 Ch.s und 491 Psalmen und Ch.s spiri- 
tuelles gedruckt) und der Vielfalt der Typen verlor die 
Ch. gegen Ende des Jahrhunderts an Bedeutung. In der 
europaischen Musik herrschte unter den weltlichen 
Gattungen nunmehr uneingeschrankt das Madrigal. 
Mit dem Stilwandel um 1600 versch wand die Ch. 
Seit dem 17. Jh. ist Ch. eine Sammelbezeichnung f iir 
Strophenlieder heiteren, galanten, politisch-satirischen 
oder sentimentalen Inhalts. Zu den bekannteren Kom- 
ponisten von Ch.s im 18. Jh. gehoren: Philidor, 
Rameau, Martini, Dalayrac, Monsigny, Gretry, La- 
borde, Piccinni. Zu dieser Ch.-Gattung zahlen auch die 
Revolutions-Ch.s (Marseillaise, Ca ira). Einer der be- 
deutendsten Schopf er der volkstumlichen patriotischen 
Ch. war im 19. Jh. P.J. de Beranger. Wahrend die Ch. 
bis zur Jahrhundertmitte weitgehend von den Societes 
chantantes gepflegt und von StraBensangern verbreitet 
wurde, verhalf ihr wahrend der 2. Jh.-Halfte das 
Cafe-concert zu gesteigerter Popularitat. Hier traten 
Chansonniers wie Amiati, Theo, Yvette Guilbert, 
Fragson auf und begriindeten einen neuen Ch.-Stil, 
der sich in den 1880er Jahren fortsetzte in den Ch.s 
litteraires, die in den Pariser Cabarets und Boites von 
ihren Verfassern (Poetes-chansonniers) selbst vorge- 
tragen wurden. Die neuere Ch. des 20. Jh. ist weniger 
durch ihre Verfasser als vielmehr durch ihre Chanson- 
niers bestimmt, wie Mistinguett, Dranem, Chevalier, 
Trenet, Edith Piaf , Lucienne Boyer, Tino Rossi, Bras- 
sens, Yves Montand, Juliette Greco, Les freres Jacques, 
Francoise Hardy, Charles Aznavour. 

Ausg.: Maldeghem Tresor; Le chansonnier du XVI e s., 
hrsg. v. H.-L. Bordier, Paris 1870; Dufay and His Con- 
temporaries, hrsg. v. J. F. R. u. C. Stainer, London u. NY 
1898; Le Jardin de Plaisance, hrsg. v. E. Droz u. A. Pia- 
get, 2 Bde, Paris 1910-25; La fleur des musiciens de P. 
Ronsard, hrsg. v. H. Expert, Paris 1923; Poetes et musi- 
ciens du XV e s., hrsg. v. E. Droz u. G. Thibault, = Docu- 
ments artistiques du XV e s. I, Paris 1924; Trois chanson- 
niers frc. du XV e s., hrsg. v. dens. u. Y. Rokseth, ebenda 
IV, 1927; Der Kopenhagener Chansonnier, hrsg. v. Kn. 
Jeppesen, Kopenhagen u. Lpz. 1927; Chw. Ill (Josquin 
Desprez u. a. Meister), XIII (Lassus), XV (J. Lupi), XIX 
(Dufay), XXII (Binchois), LXI (12 frz. Lieder aus J. Mo- 
derne, Le parangon des Ch.), LXXIII (Janequin), LXXXII 
(Certon) ; J. Marix, Les musiciens de la cour de Bourgogne 
au XV e s., Paris 1937; Quatorze ch. du XV e s., extraites des 
arch, namuroises, hrsg. v. E. Montellier, Antwerpen 
1939; Harmonice Musices Odhecaton, hrsg. v. H. Hewitt, 
Cambridge (Mass.) 1946; Pieces polyphoniques profanes 
de provenance liegeoise (XV e s.), hrsg. v. Ch. Van den Bor- 
ren, Brussel 1950; Das mehrst. Lied d. 16. Jh. in Italien, 
Frankreich u. England, hrsg. v. H. Engel, = Das Musik- 
werk (III), Koln (1952) ; Anth. de la ch. parisienne au XVI C 
s., hrsg. v. Fr. Lesure, Monaco 1953; Early Fifteenth- 
Cent. Music I— II, hrsg. v. G. Reaney, = CMM XI, 1955- 
59 ; Music from the Pixerecourt Ms., hrsg. v. E. Pease, Ann 
Arbor I960; P. Attaingnant, Transcription of Ch. for Key- 
board, hrsg. v. A. Seay, = CMM XX, 1961 ; Theatrical Ch. 
of the Fifteenth and Early Sixteenth Cent., hrsg. v. H. M. 
Brown, Cambridge (Mass.) 1963. 

Lit. : G. Paris u. Fr. A. Gevaert, Ch. du XV* %., Paris 1 875 ; 
Les maitres musiciens de la Renaissance frc., Bibliogr. 
thematique, hrsg. v. H. Expert, Paris 1900 (nur 2 H. er- 
schienen); H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 21920; W. 
Gurlitt, Burgundische Ch.- u. deutsche Liedkunst d. 
15. Jh., Kgr.-Ber. Basel 1924; E. Droz, Les formes litterai- 
res de la ch. frc. au XV e s., Gedenkboek D. Fr. Scheurleer, 
's-Gravenhage 1925 ; M. Tresch, Evolution de la ch. fr?. I, 



153 



Chanson de geste 



Paris 1926; Fr. Ludwig, Die geistliche nichtliturgische, 
weltliche einst. u. d. mehrst. Musik d. MA, Adler Hdb. ; O. 
Gombosi, Ghizeghem u. Compere. Zur Stilgesch. d. bur- 
gundischen Ch., in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien 
1930; K. Ph. Bernet Kempers, Die wallonische u. d. frz. 
Ch. in d. 1. Halfte d. 16. Jh., Kgr.-Ber. Luttich 1930; D. 
Bartha, Probleme d. Chansongesch. im 16. Jh., ZfMw 
XIII 1930/31; E. Dannemann, Die spatgotische Musik- 
tradition in Frankreich u. Burgund vor d. Auftreten Du- 
fays, =Slg mw. Arbeiten XVII, StraBburg 1936; W. Ste- 
phan, Die burgundisch-nld. Motette zur Zeit Ockeghems, 
= Heidelberger Studien zur Mw. VI, Kassel 1 937 ; C. L. W. 
Boer, Chansonvormen op het einde van de XV e eeuw, 
Antwerpen u. Paris 1938; E. (Gerson-)Kiwi, Studien zur 
Gesch. d. ital. Liedmadrigals im 16. Jh., Wiirzburg 1938; 
E. Hertzmann, Trends in the Development of the Ch. in 
the Early Sixteenth Cent.; PAMS LXVI, 1940; D. P. Wal- 
ker, Some Aspects and Problems of Musique Mesuree a 
l'Antique, MD IV, 1950; H. Besseler, Bourdon u. Faux- 
bourdon, Lpz. 1 950 ; ders., Die Besetzung d. Ch. im 1 5. Jh., 
Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Hat Matheus de Perusio 
Epoche gemacht?, Mf VIII, 1955; Dr. Plamenac, Deux 
pieces de la Renaissance frc. tirees de fonds florentins, 
RBM VI, 1952; G. Reese u. Th. Karp, Monophony in a 
Group of Renaissance Chansonniers, JAMS V, 1952; Fr. 
Lesure u. G. Thibault, Bibliogr. des editions mus. pub- 
ises par N. du Chemin (1 549-76), Ann. Mus. 1, 1 953 u. IV, 
1956; K. J. Levy, »Suzanne un jour«, The Hist, of a 16 th 
Cent. Ch., Ann. Mus. I, 1953; B. Becherini, La canzone 
»alla battaglia« di H. Isac, RBM VIII, 1953; Musique et 
poesie au XVI e s., = Colloques internationaux du Centre 
National de la Recherche scientifique, Sciences humaines 
V, Paris 1954; S. Wallon, La ch. sur le pont d'Avignon 
au XVI e et XVII e s., in: M6langes d'hist. et d'esthetique 
mus. offerts a P.-M. Masson, Paris 1955 ; S. Goldthwaite, 
Rhythmic Pattern Signposts in the 15 th Cent. Ch., JAMS 

XI, 1 958 ; Fr. Lesure, lies ch. a trois voix de CI. Janequin, 
Rev. de Musicol. XLIV, 1959; V. L. Saulnier, D. Phinot 
et D. Lupi musiciens de Clement Marot et des Marotiques, 
ebenda XLIII, 1959; H. M. Brown, The Ch. Rustique: 
Popular Elements in the 15'" and 16 th Cent. Ch., JAMS 

XII, 1959; ders., Music in the French Secular Theatre, 
1400-1550, Cambridge (Mass.) 1963; P.Gulke, Das Volks- 
lied in d. burgundischen Polyphonie d. 15. Jh., Fs. H. Bes- 
seler, Lpz. 1961; M. A. Baird, Changes in the Literary 
Texts of the Late 1 5 th and Early 16 th Cent., as Shown in the 
Works of the Ch. Composers of the Pays-Bas Meridionaux, 
MD XV, 1961 ; K. Ph. Bernet Kempers, Jacobus Clemens 
non. Papa's Ch. in Their Chronological Order, MD XV, 
1961 ; U. Gunther, Das Ende d. ars nova, Mf XVI, 1963; 
Ch. and Madrigal, 1480-1530, Studies in Comparison and 
Contrast, hrsg. v. J. Haar, = Isham Library Papers II, 
Cambridge (Mass.} 1964; W. Marggraf, Tonalitat u. 
Harmonik in d. frz. Ch. zwischen Machaut u. Dufay, Af Mw 
XXIII, 1966. HK 

Chanson de geste (Jas'5 da 3'est, frz. ; lat. cantus gestu- 
alis, »Tatenlied«), epische Dichtungen des franzosi- 
schen Mittelalters, in denen sagenhafte und geschicht- 
liche Vorgange aus der nationalen Vergangenheit ide- 
alisiert dargestellt werden und der christliche Held zum 
Vorbild fur die eigene Epoche (Zeit der Kreuzziige) 
stilisiert wird. Ober 100 Ch.s de g. sind in altfranzosi- 
scher Sprache erhalten, von denen der iiberwiegende 
Teil aus dem 12. Jh. stammt. Dem Umfang nach sind 
die Epen sehr unterschiedlich. Sie umspannen teilweise 
iiber 20000 Verse. Es sind durchweg assonierende 
lOSilbler bzw. spater auch 12Silbler, die zu strophen- 
artigen Abschnitten von unterschiedlichcr Lange (Lais- 
sen oder Tiraden) zusammengefaBt werden. Das be- 
kannteste und kiinstlerisch bedeutendste -> Epos ist die 
Chanson de Roland (um 1100). - Zu den Ch.s de g. ist 
keine authentische Melodie uberliefert, doch ist be- 
zeugt, daB sie von Jongleurs zur Fiedel (vielle), spater 
auch zur Drehleier (cifonie) gesungen wurden. Wahr- 
scheinlich handelte es sich dabei um die bestandi- 
ge Wiederholung einer Zeilenmelodie, die dem Bau 
der Verszeile entsprach und wohl mehr oder weniger 



formelhaft (wie etwa bei den liturgischen Lesungen) 
gestaltet war. Besteht der LaissenabschluB aus einer 
Kurzzeile, so wurde vielleicht eine instrumentale Ab- 
schluBkadenz angehangt, die das fehlende Zeilensttick 
ersetzte und iiberdies als gliederndes Mittel erschien. 
Als indirekte Zeugnisse sind aus dem 13. Jh. 2 Zeilen- 
melodien zu Ch. de g.-Parodien erhalten, zur Bataille 
d'Annecin (vgl. Gerold 1932, S. 82) und zum Audigier 
(zitiert von ->■ Adam de la Halle im Jeu de Robin et de 
Marion, ed. Gennrich, S. 33). Wie weit hier sowie in 
der iiberlieferten Melodie zu den lyrischen Laissen der 
Chantefable Aucassin et Nicolette (Gennrich 1932, S. 43, 
in anderer Ubertragung MGG II, Sp. 1083) Melodie- 
formeln epischer Laissen der Ch. de g. erhalten, wie 
weit sie umgestaltet oder karikiert sind, ist umstritten. 
-J. de Grocheos Beschreibung der Ch. de g. (um 1300) 
halt als einziges musikalisches Merkmal die endlose 
Wiederholung einer Zeilenmelodie fest. Sie lautet 
(nach den Handschriften, der Text Rohloffs ist an die- 
ser Stelle unbrauchbar) : Versus (d. h. die Zeilen) autem 
in cantu gestuali, qui ex pluribus uersiculis (d. h. Laissen) 
efficitur, in eadem consonantia dktaminis cadunt. In aliquo 
tamen cantu clauditur per versum ah aliis consonantia dis- 
cordantem, sicut in gesta quae dicitur Girardo de Viana. 
Numerus autem versuum in cantu gestuali non est determina- 
te, sed secundum copiam materiae et voluntatem composi- 
toris (d. h. des Dichters) ampliatur. Idem etiam cantus de- 
bet in omnibus versibus reiterari. 

Lit. : Adam de la Halle, Le jeu de Robin et de Marion . . . , 
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl. XX, Langen 
1962; Der Musiktraktat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Roh- 
loff, = Media Latinitas Musica II, Lpz. 1943 ; J. Beck, La 
musique des ch. de g., in: Sb. d. Acad, des Inscriptions et 
Belles-lettres I, Paris 1911; Fr. Gennrich, Der mus. Vor- 
trag d. altfrz. Ch. de g., Halle 1923 ; ders., GrundriB einer 
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; Th. Gerold, La 
musique au moyen age, Paris 1932; J. Chailley, Etudes 
mus. sur la ch. de g. et ses origines, Rev. de Musicol. XXX, 
1948 ; ders., Autour de la ch. de g., AMI XXVII, 1955; R. 
Louis, Le refrain dans les plus anciennes ch. de g. et le sigle 
AOI dans le Roland d'Oxford, in : Melanges ... I. Frank, 
= Annales Univ. Saraviensis VI, 1957; J. van der Veen, 
Les aspects mus. des ch. de g., Neophilologus XLI, 1958; 
Ch. de g. u. hofischer Roman, Heidelberger Kolloquium 
30. 1. 1961, = Studia Romanica IV, Heidelberg 1963. 

Chansonnier (Jasoni'e, frz., Liederbuch), in der neue- 
ren wissenschaftlichen Literatur eingefuhrte Bezeich- 
nung fiir eine Sammlung franzosischer weltlicher Lie- 
der, die nur den Text oder auch Melodien oder mehr- 
stimmige Satze dazu enthalten. Zum 1st. Ch.-Reper- 
toire gehoren vor allem die mit Melodien versehenen 
Manuskripte der -*■ Trobadors und ->■ Trouveres. Die 
Melodien der Trobadors sind uberliefert in 4 Hand- 
schriften: der »Chansonnier d'Urfe« (Paris, Bibl. Nat., 
ms. fr. 22543, olim 2701, La Valiere 14; Sigel: R) mit 
heute 151 Folios, entstanden um 1300 im Languedoc, 
bringt Melodien zu 160 seiner insgesamt etwa 1090 
Lieder; der Codex Mailand, Bibl. Ambrosiana, ms. 
R 71 superiore (Sigel: G) mit 142 Folios, Anfang des 
14. Jh. in Italien geschrieben, enthalt 81 Melodien; 
kleinere Sammlungen enthalten die Trouverehand- 
schriften »Chansonnier du Roi« (Paris, Bibl. Nat., ms. 
fr. 844, Sigel fiir den provenzalischen Teil: W) mit 51 
und »Chansonnier de St-Germain« (Paris, Bibl. Nat., 
ms. fr. 20050, Sigel fiir den provenzalischen Teil: X) 
mit 24 Trobadormelodien. - Die Melodien der Trou- 
veres sind in einer Reihe meist umfangreicher Hand- 
schriften des 13. und friihen 14. Jh. gesammelt, die 
sich zum groBeren Teil in der Bibliotheque Nationale 
(fonds francais) in Paris befinden; genannt seien die 
Manuskripte: 844 (»Ch. du Roi«, Sigel: M oder Pbi, 
fiir die provenzalischen Melodien: W, fiir die Motet- 



154 



Chansonnier 



ten: R; zum Teil zerstort, jetzt 217 Folios, darin 417 
Trouveremelodien), 20050 (»Ch. de St-Germain«, 
Sigel: U oder Pb 12 , fur die provenzalischen Melodien: 
X, fur die Motetten: PaU; 173 Folios, darin 93 Trou- 
veremelodien), 765 (Sigel: L oder Pfci oder LP; ein 
Faszikel von 16 Folios, anscheinend zusammengehorig 
mit einem Faszikel von 8 Folios in Bern, Stadtbibl., 
ms. 231, Sigel: B oderfii oder LB), 845 (Sigel: Noder 
Pb*; 191 Folios), 846 (»Ch. Cange«, Sigel: O oder Pbs, 
fur die Motetten: PaO; 217 Folios), 847 (Sigel: P oder 
Pb6, fur die Motetten: PaP; 228 Folios, darin etwa 300 
Melodien), 1591 (Sigel: R oder Pb»; 184 Folios, darin 
235 Melodien), 12615 (»Ch. de Noailles«, Sigel: T 
oder Pb 11 , fur die Motetten: N; 233 Folios, darin etwa 
360 Melodien), 24406 (Sigel: Koder Pb™\ 155 Folios, 
darin 310 Melodien), ferner n. a. fr. 1050 (»Ms. Clai- 
rambault«, Sigel: X oder Pbn, fur die Motetten: PaX; 
272 Folios) ; unter den ->■ Quellen vermischten Inhalts 
ist Fauv hervorzuheben. An Manuskripten anderer 
Bibliotheken seien genannt: Arras, Bibl. municipale, 
ms. 657 (»Ch. d'Arras«, Sigel: A; 212 Folios); London, 
Brit. Mus., ms. Egerton 274 (Sigel: a, fur die Motet- 
ten: LoB; 160 Folios, im 4. Faszikel Trouveremelo- 
dien); Paris, Bibl. de 1' Arsenal, ms. 5198 (»Ch. de 
1' Arsenal«, Sigel : K oder Pa, fiir die Motetten : Ars ; 21 1 
Folios); Rom, Bibl. Vat., ms. Reg. Christ. 1490 (Sigel: 
D oder R l , fiir die Motetten: V; teilweise zerstort, 
jetzt 181 Folios, darin etwa 300 Melodien) ; Siena, Bibl. 
comunale, ms. H. X. 36 (Sigel: Z oder S 1 ; 54 Folios). - 
Als Hauptquellen fiir die 1st. Chanson des 15. Jh. gel- 
ten die Handschriften Paris, Bibl. Nat., ms. fr. 9346 
(»Ms. de Bayeux«) und 12744, deren Melodien viel- 
fach als Tenores mehrstimmiger Satze verwendet 
wurden. 

Die Sammlung mehrstimmiger Chansons in speziellen 
Handschriften setzt um 1430 ein. War im friihen 15. 
Jh. die »gemischte Quarthandschrift« (Besseler) mit 
einem MaB von etwa 30:20 cm vorherrschend, wie 
sie in den -> Quellen ModA, O, Tr und Ao vorliegt, so 
werden nun die weltlichen und geistlichen Kompo- 
sitionen getrennt. Die Entwicklung verlauft einerseits 
zum groBformatigen (geistlichen) -> Chorbuch, an- 
derseits zum Ch., der zunachst die GroBe 25:16 cm 
hat, im Laufe des 15. Jh. zum Duodezformat 17:12 cm 
schrumpft und nur in einzelnen Fallen aus reprasen- 
tativen Griinden ebenfalls im Chorbuchformat ange- 
legt wird (wie ein Chansonalbum der Margarete von 
Osterreich). Neben Pergament wird Papier verwen- 
det; der Bildschmuck ist oft reichhaltig, da die iiber- 
lieferten Ch.s meist aus hofischem Umkreis stammen. 
In der Regel stehen auf einem zweiseitigen Lesefeld 
links der Cantus mit Text, rechts (untextiert) Tenor 
und Contratenor. Aus der 1. Halfte des 15. Jh. sind vor 
allem folgende Ch.s zu nennen: El Escorial, ms. V. III. 
24 (Sigel: Esc A); Miinchen, Bayerische Staatsbibl., 
Cod. gall. 902 (friiher Mus. Ms. 3192, Sigel: MiiM); 
Paris, Bibl. Nat., ms. Rothschild 2973 (olim I. 5. 13; 
»Ch. de J. de Montchenu« oder wegen seines herzfor- 
migen Umrisses »Ch. Cordiforme«) und ms. n. a. fr. 
4379, 2. Teil (Sigel : PC II). Der erste Teil dieser Hand- 
schrift (Sigel: PC I) ist aus dem Ch. Sevilla, Bibl. Co- 
lombina, ms. 5-1-43 (Sigel: Sev) herausgelost worden; 
dicscr von Dr. Plamenac in seinem Zusammenhang re- 
konstruierte Codex gehort zu den wichtigsten Ch.s 
der Zeit um 1450-80. Aus dieser Gruppe seien ferner 
genannt: Berlin, Kupferstichkabinett, ms. 78 c 28 
(olim Hamilton 451) ; Dijon, Bibl. municipale, ms. 517 
(Sigel: Di oder Dij); El Escorial, ms. IV. a. 24 (Sigel: 
EscB); Florenz, Bibl. Naz., ms. Magi. XIX. 176, und 
Bibl. Riccardiana, ms. 2356; Kopenhagen, Kgl. Bibl., 
ms. Thott 291 8°; Monte Cassino, Arch, e Bibl. Ab- 



baziale, ms. 871 N; New Haven, Yale Univ. Library, 
Mellon Ch.; Neuilly-sur-Seine, Bibl. G.Thibault, Ch. 
Nivelle de la Chaussee; Pavia, Univ.-Bibl., ms. Aldini 
362 (Sigel : Pav) ; Porto, Bibl. municipal, ms. 714 (Sigel : 
Pot); Wolfenbiittel, Herzog August Bibl., ms. 287 
extravag. (Sigel: Wol). Zur spatesten Gruppe hand- 
schriftlicher Ch.s, um 1480-1520, gehoren: Brussel, 
Bibl. Royale, ms. .228 und 11239 (Chansonalben 
der Margarete von Osterreich) ; Cortona, Bibl. comu- 
nale, mss. 95-96 (Cantus und Altus, der Tenor liegt 
in Paris, Bibl. Nat., ms. n. a. fr. 1817) ; Florenz, Bibl. 
Naz., ms. Panciatichi 27, und Bibl. Riccardiana, ms. 
2974; London, Brit. Mus., ms. Harley 5242 (»Ch. de 
Francoise«); Paris, Bibl. Nat., ms. fr. 2245 (Compere- 
Ch., geschrieben 1496), 15123 (»Ch. Pixcrccourt«, 
Sigel: Pix) und n. a. fr. 4379, 3. Teil (Sigel: PC III); 
Rom, Bibl. Casanatense, ms. 2856, und Bibl. Vat., ms. 
Capp. Giulia XIII 27 (»Medici-Ch.«); Tournai, Bibl. 
de la Ville, ms. 94 ; Washington, Library of Congress, 
ms. M. 2. 1. L 25 Case (»Ch. Laborde«, Sigel: Lab). 
Auch eine Anzahl friiher Notendrucke, so schon Pe- 
truccis Harmonice Musices Odliecaton A (Venedig 1501), 
sind als Ch.s angelegt.' 

Ausg. : Trobadors u. Trouveres : U. Sesini, Le melodie tro- 
badoriche nel canzoniere provenzale della Bibl. Ambrosia- 
na, in: Studi medievali.N.S.XII 1939-XV, 1942,separat 
Turin 1942, Faks. u. Obertragung; Les ch. des trouba- 
dours et des trouveres, hrsg. v. J. B. u. L. Beck, I, 1 : Re- 
production phototypique du Ch. Cange, I, 2: Transcrip- 
tion . . ., Paris 1927, II: Le Ms. du Roi, 2 Bde, London u. 
Philadelphia 1938, Faks. u. Obertragung; Le ch. frc. de St- 
Germain-des-Pres, hrsg. v. P. Meyer u. G. Raynaud, Pa- 
ris 1 892, Faks. ; Le ch. de 1' Arsenal, hrsg. y. P. Aubry u. A. 
Jeanroy, Paris u. Lpz. (1909), Faks. u. Obertragung, un- 
vollstandig; Le ch. d' Arras, hrsg. v. A. Jeanroy, Paris 

1925, Faks. ; Fr. Gennrich, Die altfrz. Liederhs. London, 
Brit. Mus. Egerton 274, Zs. f. romanische Philol. XLV, 

1926, Obertragung; II canzoniere francese di Siena, hrsg. 
v. N. Spaziani, Florenz 1957; Eine altfrz. Liederslg. Der 
anon. Teil d. Liederhss. KNPX, hrsg. v. H. Spanke, = Ro- 
manische Bibl. XXII, Halle 1925, Ausg. d. anon. Texte, 
dazu 42 Melodien in Obertragung. 

15. Jh.: einst.: Le ms. de Bayeux, hrsg. v. Th. Gerold, 
StraBburg u.Paris 1921. -mehrst. : Codex Escorial . . . Ms. 
V. III. 24, Faks. hrsg. v. W. Rehm, = DM1 II, 2, 1958; Le 
ch. de J. de Montchenu, hrsg. v. G. Thibault, Paris 1965 ; 
Sevilla 5-1-43 u. Paris N. A. fr. 4379 (Teil I), Faks. hrsg. v. 
Dr. Plamenac, = Publications of Mediasval Mus. Mss. 
VIII, Brooklyn (N. Y.) 1962; Trois ch. frc. du XV e s. I, 
hrsg. v. E. Droz, Y. Rokseth u. G. Thibault, = Docu- 
ments artistiques du XV e s. IV, Paris 1 927, Teilausg. v. Di ; 
Der Kopenhagener Ch., hrsg. v. Kn. Jeppesen u. V. Bron- 
dal, Kopenhagen u. Lpz. 1927; E. J. Pease, An Ed. of the 
Pixerecourt Ms., 3 Bde, Diss. Bloomington 1959, maschr. ; 
ders., Music from the Pixerdcourt Ms. I, Ann Arbor 1960. 
Lit. : zu d. Trobadors u. Trouveres: E. Schwan, Die altfrz. 

Liederhss Bin 1886; A. Jeanroy, Bibliogr. sommaire 

des ch. fr?. du Moyen-Age, = Classiques frc. du Moyen- 
Age XVIII, Paris 1918; Fr. Gennrich, Die beiden neue- 
sten Bibliogr. altfrz. u. altprov. Lieder, Zs. f. romanische 
Philologie XLI, 1921 ; ders., Das Frankfurter Fragment 
..., ebenda XLII, 1922; L. de La Laurencie u. A. 
Gastoue, Cat. des livres de musique . . . de la Bibl. de 1' Ar- 
senal a Paris, = Publications de la Soc. fr?. de musicologie 
II, 7, Paris 1936; G. Raynaud, Bibliogr. d. altfrz. Liedes, 
neu bearb. v. H. Spanke, I, Leiden 1955, dazu Fr. Genn- 
rich in: Mf X, 1957; R. G. Dennis, Ein wiedergefundenes 
Fragment . . ., Mf XII, 1959; J. Schubert, Die Hs. Paris, 
Bibl. Nat. fr. 1591, Diss. Ffm. 1963. 
15. Jh., mehrst., allgemein: H. Besseler, Studien zur Mu- 
sikd. MA, AfMwVII, 1925 -VIII, 1926; ders., Bourdon 
u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; W. H. Rubsamen, Music 
Research in Ital. Libraries, in: Notes II, 6, 1948/49 - 8, 
1950/51, separat Los Angeles 1951 ; G. Reese, Music in the 
Renaissance, NY 1954, 21959; Th. Karp, A Lost Medieval 
Ch., MQ XLVIII, 1962. - zu einzelnen Ch. : P. Aubry, Iter 
Hispanicum, SIMG XIII, 1906/07, separat Paris 1908, zu 



155 



Chanson spirituelle 



EscA u. EscB ; Br. Kultzen, Der Codex Escorial IV. a. 24, 
Diss. Hbg 1956, maschr. - J. Porcher u. E. Droz, Le Ch. 
de J. de Montchenu, in: Les tresors des bibl. de France 
XVIII, 1933 ; E. L. Kottick, The Music of the Ch. Cordi- 
f orme, Diss. Univ. of North Carolina 1 962, maschr. - H. An- 
gles, El »Ch. Frc.« de la Colombina de Sevilla, in: Estudis 
Univ. Catalans XIV, 1929; Dr. Plamenac, A Reconstruc- 
tion of the French Ch. in the Bibl. Colombina, MQ 
XXXVII, 1951 - XXXVIII, 1952. - St. Morelot, Notice 
sur un ms. de musique ancienne de la Bibl. de Dijon, in : 
Memoires de la Commission des antiquites du Departe- 
ment de ia C6te-d*Or IV, 1856. - Dr. Plamenac, The 
»Second« Ch. of the Bibl. Riccardiana (cod. 2356), Ann. 
Mus. II, 1954 u. IV, 1956. - A. Pirro, Un ms. mus. du XV e 
s. au Mont Cassin, in: Cassinensia I, 1929/30. - M. F. Bu- 
kofzer, An Unknown Ch. of the 15 th Cent., (The Mellon 
Ch.), MQ XXVIII, 1942. - B. Meier, Die Hs. Porto 714 als 
Quelle zur Tonartenlehre d. 15. Jh., MD VII, 1953. - M. 
Picker, The Chanson Albums of Marguerite d'Autriche, 
Ann. mus. VI, 1958/63. - G. Grober, Zu d. Liederbiichern 
v. Cortona, Zs. f . romanische Philologie XI, 1 887. - A. J. H. 
Vincent, Note sur un ms. du XV e s., Paris 1858, zu Lab; 
H. E. Bush, The Laborde Ch., PAMS XLVI, 1940. - P. 
Chaillon, Le ch. de Francoise (Harley 5242 Br. Mus.), 
Rev. de Musicol. XXXII, 1953. - H. Hewitt, Einleitung 
zur Ausg. v. : Harmonice Musices Odhecaton A, = The 
Mediaeval Acad, of America Publication XLII, = Studies 
and Documents V, Cambridge (Mass.) 1946. 

Chanson spirituelle, Chansonmorale (Jas'o spiri- 
tual, - mar'al, frz.). Ch.s sp.s kamen ab etwa 1530 auf 
im Bereich der reformierten Kirche und im Zusam- 
menhang mit der Gegenreformation in Frankreich; es 
waren textliche Uberarbeitungen (Parodien) weltlicher 
Chansons oder auch Neukompositionen. Die frivolen 
Texte der weltlichen Chansons wurden in moralische 
oder geistliche geandert. 

Lit.: H. M. Brown, The Ch. Sp., J. Buus, and Parody 
Technique, JAMS XV, 1962. 

Chant, Chanting (tfa:nt, engl., Gesang), in England 
der Psalmen- und Canticagesang, besonders der angli- 
kanischen Kirche. Beim Single ch. hat jeder neue Vers 
eine eigene Melodie, beim Double ch. werden zwei 
Verse nacheinander auf dieselbe Melodie gesungen. 
Das alteste Buch mit Ch.s ist Merbeckes The booke of 
Common praier noted (1550), in der Hauptsache eine An- 
passung gregorianischer Melodien des Graduale und 
Breviers an die englischen Obersetzungen der Texte. 
Weitere Biicher gaben J.Day, J. Dowland, Th.East 
u. a. heraus. Nur voriibergehend verstummten zur 
Zeit Cromwells die Ch.s; schon 1663 wurden sie durch 
J. Clifford wieder eingefiihrt. Charakteristisch fur die 
Ch.s ist die Harmonisierung im schlichten 4st. Satz. 
Lit. : W. K. Stanton, The Canticles Pointed, Tanworth-in- 
Arden 1946. 

Chanterelle (Jatr'el, frz. ; ital. cantino), Sangsaite, die 
hochste Saite der Streich- oder Zupfinstrumente. 

Charakterstuck ist die Sammelbezeichnung fiir lyri- 
sche Stiicke bzw. Genrestucke, wie sie besonders im 
19. Jh. - teilweise auch noch im 20. Jh. - beliebt waren. 
Man versteht darunter ein kiirzeres, bisweilen zyklisch 
gebundenes instrumentales Einzelstiick (hauptsachlich 
fiir Klavier) beliebiger Form, dessen Charakter meist 
schon durch die Uberschrift bezeichnet wird. Diese 
Uberschriften reichen von Unverbindlichkeiten wie 
Moment musical, Albumblatt oder Intermezzo bis zu 
poetisierenden Assoziationen wie in den Waldszenen 
von R. Schumann (z. B. Vogel als Prophet). Das Ch. un- 
terscheidet sich von der -»■ Programmusik darin, daB 
es weniger AuBermusikalisches darstellt, als vielmehr 
dessen Wirkung auf den Menschen bewufit werden 
lafit. Seine Welt ist daher das Zustdndliche, Stimmungs- 
hafte ( W. Kahl) . Dies bekunden der auffallig konzentrierte 
Ausdrucksgehalt der Einzelmotive das entziickte 



Verweilen des Komponisten bei der Einzelwirkung, das 
Schwelgen in dem Zauber des Wohlklanges (H.Riemann). 
- Als Vorlaufer der Gattung darf manches Genrestiick 
der »Virginalisten« betrachtet werden, desgleichen die 
Tombeau-Kompositionen in der franzosischen Lauten- 
musik des 17. Jh., die bei J.J.Froberger unter dem Na- 
men Lamentation (-> Lamento) ihr erstes klavieristi- 
sches Seitenstiick finden. Weitere Vorlaufer stellen die 
Genrestucke der franzosischen Clavecinisten dar, vor 
allem die von Fr. Couperin : u. a. Les langueurs tendres 
(Pieces de clavecin II, 6' ordre), oder von J.-Ph.Rameau: 
La triomphante (Nouvelles suites de pieces de clavecin). 
Waren diese Kompositionen noch suitenartig zusam- 
mengefaBt, so schreibt C. Ph. E.Bach Einzelstiicke 
(z. B. Les langueurs tendres, 2. Sammlung Musikalisches 
Allerley, 1761). Gegen Ende des 18. Jh. entstanden 
unter EinfluB der »Nachahmungsasthetik« sogenannte 
»charakteristische Stiicke« mit Titeln wie »Frohlich- 
keit«, »Zartlichkeit«, »Schwermut«, »Zorn« (so G.Chr. 
Fiiger in seinen Characteristischen Klavierstiicken von 
1783 oder 1784). Verwandte Uberschriften kommen 
in der Unterrichtsliteratur der 2. Halfte des Jahrhun- 
derts vor (-»- Handstiick). Das eigentliche Ch., das ly- 
rische Klavierstiick der Romantik, setzt ein mit den 
1810/11 erschienenen Six Eclogues op. 35 von V.J. 
Tomasek. Er und sein Schiiler J. H. Vofisek (Rhapso- 
dien, 1818; Impromptus, 1822) beeinfluBten Schubert 
(Impromptus op. 90 und op. 142, Moments musicaux, 
Drei Klavierstucke). Unabhangig davon entstanden die 
Nocturnes fiir Kl. des Clementi-Schiilers J. Field (ab 
1814) sowie die Klavierstucke einiger nord- und mittel- 
deutscher Komponisten wie A. A. Klengel, F. Ries, J. L. 
Bohner und N. Burgmiiller. Manche mehr kantable als 
brillante Klavieretiide von J.B. Cramer, D. Steibelt, L. 
Berger und I. Moscheles trug wesentlich zur Entstehung 
der Lieder ohne Worte (ab 1830) von F.Mendelssohn 
Bartholdy bei. Entgegen dem reflexionslosen Typ des 
Ch.s von Schubert meldet sich bei Mendelssohn die fiir 
die Romantik typische assoziative Gestaltungsweise in 
Uberschriften wie Jagdlied, Venetianische Gondellieder, 
in Beischriften und bisweilen in erlauternden Zeich- 
nungen (Handschrift der 3 Phantasien op. 16 fiir Kl.) 
zu Wort. Hier setzt Schumann ein, der das poetisie- 
rend-assoziative Verfahren weit iiber Mendelssohn 
hinaustreibt und einige Titel erstmalig in die Musik 
einfuhrte (z. B. -*■ Arabeske, Blumenstuck, -> Humoreske, 
-*■ Nouellette). Auch neigt er dazu, die einzelnen Ch.e 
zu Zyklen zusammenzufassen (z. B. Papillons, Carna- 
val). Durch Fr. Chopin wurden das Praludium als 
-*■ Prelude, die Etude, das Scherzo, der Tanz und die 
Ballade zu Ch.en. Schumanns Ch. wird von Kompo- 
nisten wie St. Heller, A.Jensen, Th.Kirchner und E. 
Grieg fortgesetzt. Im Gegensatz zu dem uniiberhor- 
baren biedermannischen Zug mancher Schumann- 
Epigonen steht die weltmannische Strahlkraf t Fr. Liszts 
(Petrarca-Sonette, Consolations). Die Reaktion auf ei- 
nen iibertriebenen Hang zum Poetisieren erfolgte im 
Werk von J. Brahms. Die Titel seiner Klavierstucke 
sind betont unverbindlich (Intermezzo). Dafiir riickt 
die konstruktive Seite des Ch.s in den Vordergrund. 
Hierin ist Brahms, der nicht nur M.Reger beeinfluBte 
(Ausmeinem Tagebuch, 1904-12), Vorbild fiir A. Schon- 
berg (4 Hef te Klavierstucke) und dessen Schiiler gewor- 
den. Noch das erste der drei, Variationen genannten Kla- 
vierstucke op. 27 (1936) von A.Webern erinnert in 
Form und Diktion an ein Brahmssches Intermezzo. 
Wahrend das Ch. in Deutschland nach Regers Tod 
(1916) wohl nur noch im Schaffen von J.Haas einen 
breiteren Raum einnimmt, kam es in Frankreich durch 
den Impressionismus zu neuer kiinstlerischer Bedeu- 
tung. Der EinfluB der assoziativen Kunst eines Cl.De- 



156 



Chazozra 



bussy, wie sie sich in der Klaviermusik (Estampes, Ima- 
ges, Preludes) und in Orchesterwerken (Nocturnes, La 
mer) manifestiert, laBt sich iiber M. Ravel und E. Satie 
bis in das Schaffen von O.Messiaen (Vingt regards sur 
I'enfant Jesus £iir Kl., 1944; L'ange aux parfums in Les 
Corps glorieux fur Org., 1939) verfolgen. Das franzbsi- 
sche Ch. fur Orgel reicht bis C.Franck zuriick (6 pieces 
pour grand orgue, 1860-62, dznmtei Pastorale in E op. 19), 
beginnt also schon vor ahnlichen Werken M.Regers 
(z. B. 12 Stiicke op. 59, 1901). In der 1. Halfte des 20. 
Jh. schrieben Ch.e fur Kl. neben A.Skrjabin (op. 51, 
op. 73 und 74), S.Prokofjew (op. 17, op. 22) und K. 
Szymanowski (op. 29, op. 34) vor allem B. Bartok (14 
Bagatellen op. 6; 5 Klavierstiicke Im Freien); Bartoks 
Mikrokosmos (6 Hef te, beendet 1937) enthalt eine Reihe 
von Ch.en. 

Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913, 21922; H. 
Goldschmidt, Die Musik-Asthetik d. 1 8. Jh., Zurich 191 5 ; 
W. Kahl, Das lyrische Klavierstiick Schuberts u. sei- 
ner Vorganger seit 1810, AfMw III, 1921 ; ders., Zu Men- 
delssohns Liedern ohne Worte, ZfMw III, 1920/21 ; ders., 
Aus d. Fruhzeit d. lyrischen Klavierstiicks, Zf M LXXXIX, 
1922; ders., Lyrische Klavierstiicke d. Romantik, Stutt- 
gart u. Bin 1926; ders., Schuberts lyrisches Klavierstiick, 
Kgr.-Ber. Wien 1928; ders., Das Ch., = Das Musikwerk 
VIII, Koln (1955); M. Vidor, Zur Begriffsbestimmung d. 
mus. Ch. mit besonderer Beriicksichtigung d. Ch. f. Kl., 
Diss. Lpz. 1924, maschr. ; E. Bodky, Das Ch., = Mus. For- 
men in hist. Reihen XII, Bin 1933; W. Georgii, Klavier- 
musik, Zurich 1941, Zurich u. Freiburg i. Br. 4 1965; D. Sie- 
benkas, Zur Vorgesch. d. Lieder ohne Worte v. Mendels- 
sohn, Mf XV, 1962. ESe 

Charivari (Jarivar'i, frz., im 14. Jh. auch als chalivali 
belegt), lautmalende Bezeichnung fur ein Durcheinan- 
derklingen, so fur ein Scherzstandchen mit Larmin- 
strumenten (»Katzenmusik«), fiir dieNachahmung von 
Rufen, Pfiffen und Gerauschen im Quodlibet, fiir die 
musikalische Nachahmung von durcheinanderklin- 
genden Tierlauten (Vogelgezwitscher), auch fiir das 
Gerausch beim Stimmen und »Praludieren« des Or- 
chesters. Musikalisch kann das Ch. auch durch auffalli- 
ge Dissonanzen oder Melodieschritte (D. Scarlatti, Fu- 
ge G moll, wohl seit Clementi Fuga del gatto, »Katzen- 
fuge« genannt) charakterisiert werden. Auf dem Thea- 
ter ist Ch. ein Durcheinander auf der Szene (Lully, Le 
mariage force, Ch. grotesque im 7. Entree des Schlufi- 
balletts, von einem Rondeau begleitet). 
Lit. : G. HfJrelle, Les ch. nocturnes dans le Pays basque 
frc., Rev. internationale des etudes basques XV, 1924; H. 
u. R. Kahane, Ch., The Jewish Quarterly Review LII, 
1961/62. 

Charleston (tf'a:lst3n, engl.), amerikanischer Mode- 
tanz, der seinen Namen nach der Stadt Ch. im Staat 
South Carolina (USA) hat. Zuerst 1922 in den Neger- 
Revuen des New Yorker Managers G.White ange- 
wandt, wurde er spater (1926) in gemilderter Form 
zum Gesellschaftstanz. Musikalisch gehort er zur Gat- 
tung des ->■ Ragtime. Er ist eine schnellere Abart des 
->• Foxtrott mit dem urspriinglichen Tempo J = 126, 
fiir den Gesellschaftstanz J = 96. Die Musik des Ori- 
ginal-Ch. (4/4-Takt) stammt von den amerikanischen 
Negerkomponisten C.Mack und J.Johnson. Charak- 
teristisch fiir den Ch.-Rhythmus ist die Synkopierung : 

* J , JhJ i J , JU i J 

Fiir den grotesken Buhnen-Ch. ist die Negertanzerin 
J.Baker zu internationaler Beriihmtheit gelangt. Den 
ersten Versuch einer Ubertragung des Ch. in die Kunst- 
musik hat E.Schulhoff in der ersten seiner Etudes de 
Jazz (1927) unternommen. 

Charleston-Maschine -* Hi-hat. 



Chartres. 

Lit. : J.-M. Clerval, L'ancienne maitrise de Notre-Dame 
de Ch. du V e s. a la Revolution, Paris 1899; Ch. Metais, 
Les orgues de la cathedrale de Ch., Arch, du diocese de Ch. 
XXI, 1914; M. Jusselin, Les orgues de Saint Pierre de Ch. 
(1595-1922), Ch. 1922; ders., Hist, des livres liturgiques 
de la cathedrale de Ch. au XVI e s., Memoires de la Soc. 
archeologique d'Eure-et-Loire XVI, 1936; J. Villette, 
Ch. et sa cathedrale, Grenoble 1962. 

Chasse (Jas, frz., Jagd) bezeichnet im 14. Jh. in Frank- 
reich den 3st. Kanon im Einklang. Lediglich eine Stim- 
me der Ch. wurde notiert und zuweilen mit einer Ein- 
satzanweisung fiir die iibrigen Stimmen versehen (Ch. 
de septem temporibus fugando et revcrtendo . . . ; Iv f . 52, 
-> Quellen). Nur wenige Beispiele der Ch. sind be- 
kannt: die Hs. Ivrea iiberliefert, teilweise bestitigt 
durch andere Handschriften, insgesamt 4 Stiicke der 
Gattung. Von ihnen erscheint Talent m'est pris de chan- 
ter (Iv f. 52), ein kurzes Friihlingslied im Zirkelkanon, 
umtextiert noch bei Oswald von Wolkenstein (urn 
1420). Se je chant mais que ne sulh (Iv f. 52'), eine Jagd- 
schilderung mit hoketusartigen Partien, wird von 
Machaut im Refrain der Ballade 12 kurz zitiert. AuBer 
einem anonymen Ch.-Fragment gehoren der satztech- 
nischen Anlage nach auch die Ballade 17 und die Ka- 
nons aus Lai 16 (mit Vermerk »chace«) und Lai 17 von 
Machaut in den Bereich der Ch. Sie erzielte zwar nicht 
die Bedeutung der etwa gleichzeitigen italienischen 
-»■ Caccia, muB aber innerhalb der franzosischen Ars 
nova ausgepragt und wirksam gewesen sein. Spater 
diente die Bezeichnung Ch., jedoch vollig ohne Be- 
zug auf den Kanon, als programmatischer Titel fiir 
Jagdstiicke u. a. bei Janequin (La Ch.), Gombert (Ch. 
de lievre) und dann besonders in der Instrumentalmusik 
des 18. und 19. Jh. (z. B. Haydns Symphonie D dur, 
Hob. I, 73), wobei gern Signale der -> Jagdmusik und 
ihrer Instrumente, der Trompe de Ch. oder des Cor de 
Ch., nachgeahmt und eingearbeitet wurden. 
Lit.: H. Besseler, Studien zur Musik d. MA, AfMw VII, 
1925; ders., Die Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken 
Hdb. ; K. Taut, Die Anfange d. Jagdmusik, Lpz. 1927 ; L. 
K. J. Feininger, Die Friihgesch. d. Kanons bis Jos.quin 
des Prez, Emsdetten 1937; N. Pirrotta, Per l'origine e la 
storia della »caccia« e del »madrigale« trecentesco, RMI 
XLVIII, 1946 - XLIX, 1947; ders., On the Problem of 
»Sumer is Icumen In«, MD II, 1948; J. Handschin, The 
Summer Canon and Its Background, MDIII, 1949. 

Chasser (Jas'e, frz., jagen) ist in verschlusselten Auf- 
losungsvorschriften bei kanonisch angelegten Werken 
urn und nach 1400 ein Terminus fiir die Ableitung ei- 
ner Stimme aus einer anderen (z. B. bei Cordiers Ka- 
non in der Hs. Chantilly f. 12) und steht sicherlich im 
Zusammenhang mit -»■ Chasse und -> Caccia. 
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905, 21920, S. 
351, u. II, 1, Lpz. 1907, 21920, S. 83ff. 

Chazozra (Plur. chazozrpt ; hebraisch ; in der Septua- 
ginta: salpinx; in der Vulgata: tuba), ein gerades, etwa 
2 FuB langes, enges Blechblasinstrument, das im Alten 
Testament mehrfach genannt ist (u. a. Num. 10, 1-10; 
Hos. 5, 8). Abbildungen (immer paarweise) finden sich 
auf dem Titus-Bogen in Rom (um 80 nach Chr.) und 
auf Miinzen der Bar-Kochba-Zeit. Die Ch. wurde - 
wie das -*■ Schofar - beim Gottesdienst im Tempel ge- 
blasen; sie fand aber auch als Signalinstrument beim 
Militar Verwendung. 

Lit. : E. Kolari, Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten 
Testament, Helsinki 1947; H. Seidel, Horn u. Trp. im al- 
ten Israel . . ., Wiss. Zs. d. K.-Marx-Univ. Lpz. VI, 1956/ 
57; E. Gerson-Kiwi in: Dictionnaire de la Bible, Suppl. 
Bd V, Paris 1957, Sp. 1419ff.; H. Avenary, Hieronymus' 
Epistel iiber d. Musikinstr. u. ihre altostlichen Quellen, 
AM XVI, 1961. 



157 



Cheironomie 



Cheironomie (griech.), Leitung (eines Chores) durch 
Handbewegung, die nicht nur das Tempo regelt, son- 
dern zugleich die melodische Bewegung veranschau- 
licht und darauf verzichtet, als Gedachtnisstiitze Ton- 
h6he, Intervalle und Rhythmus meBbar festzulegen. 
Aus Agypten sind seit der Mitte des 3. Jahrtausends 
Bildbelege erhalten, die vermuten lassen, daB schon 
hier Ch. geiibt wurde, die vielleicht das Entstehen einer 
agyptischen Notenschrift veranlafit hat (Hickmann). 
Sicher bezeugt ist die Ch. erst in der altgriechischen 
Musik sowie im friihchristlichen liturgischen Gesang. 
Wahrscheinlich sind die komplizierteren Zeichen der 
byzantinischen, slawischen und hebraischen Notation 
sowie der Neumenschrift als Darstellung der Ch. zu 
verstehen. Von der Ch. sind zu unterscheiden das mo- 
dernc Dirigieren (als Taktgeben) und die Handzeichen 
der Schulmusik (die Tone und Intervalle bestimmen), 
wie -*■ Tonika-Do und -» Tonic-Solfa. 
Lit.: A. Kienle OSB, Notizen iiber d. Dirigieren ..., 
VfMwI, 1 885 ;0. Fleischer, Neumenstudien I, Lpz. 1895; 
G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, = Kleine Hdb. d. 
Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; C. Sachs, Die Ton- 
kunst d. alten Agypter, AfMw II, 1919/20; ders., The Rise 
of Music . . ., =The Norton Hist, of Music, NY (1943); 
R. Haas, Auffuhrungspraxis d. Musik, Biicken Hdb.; 
H. Hickmann, Observations sur les survivances de la 
chironomie egyptienne . . . , Annales du service des anti- 
quites de l'Egypte XLIX, 1949; ders., Musicologie phara- 
onique, = Slg mw. Abh. XXXIV, Kehl 1956; ders., Agyp- 
ten, = Mg.inBildernII, l,Lpz.o.J.(1962);DERS.,Einneuent- 
decktes Dokument . . ., AMI XXXIII, 1961 ; C. Gindele 
OSB, Chordirektion, Studien u. Mitt, zur Gesch. d. Bene- 
diktiner-Ordens LXIII, 1951; B. Di Salvo, Qualche ap- 
punto sulla ch. nella musica bizantina, in : Orientalia Chris- 
tiana Periodica XXIII, 1957; E. Werner, The Sacred 
Bridge, London u. NY 1959; M. Huglo OSB, La chiro- 
nomie medievale, Rev. de Musicol. XLIX, 1963. 

Chemnitz. 

Lit.: W, Rau, Gesch. d. Ch.er Stadtpfeifer, Mitt. d. Ver. 
f. Ch.er Gesch. XXVIII, 1931/32. 

Chevalet (/aval's, frz.) ->■ Steg. 

Chiamata (kiam'a : ta, ital., Ruf), Sammelruf zur oder 
nach der Jagd. Die Ch. wurde in der venezianischen 
Opemmusik der Mitte des 17. Jh. verwendet, z. B. in 
Cavallis Le nozze di Teti e di Peleo (1639), wo im 1 . Akt 
ein als Ch. alia caccia bezeichnetes 5st. Instrumental- 
stuck dem Chor der nach Waffen rufenden Cavalieri 
vorangeht. 

Lit. : H. Kretzschmar, Die Venetianische Oper u. d. Wer- 
ke Cavalli's u. Cesti's, Vf Mw VIII, 1 892 ; H. Goldschmidt, 
Studien zur Gesch. d. ital. Oper im 17. Jh. I, Lpz. 1901 ; E. 
Wellesz, Cavalli . . ., StMw I, 1913, S. 55; Fr. Piersio, 
Die Einfiihrung d. Homes in d. Kunstmusik . . . , Diss. 
Halle 1927. 

Chiarentana (kiarent'a:na, ital. fur Karnten), auch 
Chiarantana, Chiaranzana, im 15.-16. Jh. ein langsa- 
mer Reigen zur Laute in geradem oder ungeradem 
Takt. 14 Chiarentane stehen in der Intabolatura deLauto 
(1546) des Marcantonio del Pifaro. Die Ch. erwahnen 
-* Caroso und -> Negri. 
Lit. : V. Rossi, Un ballo a Firenze nel 1459, Bergamo 1 895. 

Chiavette (ital. chiavetta, kleiner Schlussel, auch chia- 
vi trasportate, versetzte Schlussel, genannt im Gegen- 
satz zu den Chiavi naturali, Normalschlussel) ist die Be- 
zeichnung fur 2 Kombinationen von je 4 Schliisseln 
(-> Schlussel) fiir mehr als 3st. Tonsatze (siehe Beispiel 1 ) . 
Bei gleichbleibendem Quint-, Terz- und Quintabstand 
der Schlussel stehen die beiden Ch.n-Kombinationen 
um eine Terz hoher bzw. tiefer als die Normalschlus- 
sel, d. h. ein- und dieselbe Note wiirde unter der hohen 
Ch. eine Terz hoher, unter der tiefen Ch. eine Terz 



Hohe Chiavette 




Violin— Mezzosopran— Alt— Baritonschliissel 

Tiefe Chiavette ^. 



SE 



S 



=*5F 



Mezzosopran— Tenor— Bariton— SubbaBschlussel 

Normalschlussel 



I H I 
Sopran- 



EBE 



zME 



m 



Alt- 



Tenor- 



Baftsdilussel 



g* 



: BF5 = 






Hohe Chiavette Tiefe Chiavette Normalschlussel 

tiefer erklingen (siehe Beispiel 2). Wahrend die tie- 
fe Ch., die erst von Bellermann so benannt wurde, 
in der Praxis nur selten begegnet (z. B. O. de Las- 
sus, Quand me souvient, GA XIV, Nr 88, mit zusatz- 
lichem Altschliissel; A.Padovano, Ricercar Nr 9), 
wurden hohe Ch.n und Normalschlussel die beiden 
gebrauchlichsten Schliisselkombinationen in der 2. 
Halfte des 16. Jh. Ihr Aufkommen fallt zeitlich mit der 
Vorherrschaft des 5st. Satzes zusammen. In noch al- 
terer Zeit, als Drei- und Vierstimmigkeit die Regel 
war, geniigten Zwei- und Dreischliisselkombinatio- 
nen. Mehr als zwei Drittel der Werke Palestrinas sind 
in der hohen Ch. und nur weniger als ein Drittel in den 
spater sogenannten Normalschliisseln aufgezeichnet, 
die erst im Laufe des 17. und 18. Jh. das Ubergewicht 
gewannen und infolgedessen mit den Namen der 4 
Stimmgattungen Sopran, Alt, Tenor, BaB fest verbun- 
den wurden. Die altere Zeit ordnete dagegen jeder 
Stimmgattung mehrere Schlussel zu, ohne den Begriff 
der Normalschlussel zu kennen. MaBgeblich fiir die 
Wahl der Schlussel war der durch die verschiedenen 
Stimmgattungen undKirchentonarten bestimmteTon- 
umf ang sowie die Gepflogenheit, Hilf slinien nach M6g- 
lichkeit zu vermeideft. Eine Transposition war im all— 
gemeinen nur auf die Oberquarte, bzw. bei hochgele- 
genen Kirchentonen (z. B. aolisch) in die Unterquinte 
mittels eines vorgezeichneten \> iiblich. Daher erwei- 
sen sich bei einem Umfang jeder einzelnen Stimme 
von einer Dezime bis Duodezime die obigen Schlussel- 
kombinationen fiir die Aufzeichnung mehrstimmiger 
Vokalmusik als besonders zweckmaBig. Doch kom- 
men Abweichungen nicht selten vor. Beide Schlussel- 
kombinationen durchdringen sich besonders im mehr 
als 5st. Satz. So ist z. B. in der doppelchbrigen Motette 
Laetamini von J. Gallus (DTO VI, 1, Nr 5) und in den 
Dialogen Que dis-tu und Dis-moy von O. de Lassus 
(GA XIV, Nr 92, 93) der erste Chor in Normalschliis- 
seln, der zweite Chor in Ch.n aufgezeichnet. Aber auch 
zahlreiche andere Kombinationen kommen vor. DaB 
die alten Meister mit der Ch. eine Terztransposition 
bezweckten, um die Vorzeichnung von mehreren ty 
oder !> zu vermeiden, nehmen Bellermann, Riemann 
und zahlreiche andere Forscher, so vor allem Kroyer, 
an. Die Sanger hatten (bei genauer Beachtung der 
Halb- und Ganztonabstande) so gesungen, als ob die 
Normalschlussel vorgezeichnet gewesen waren. Bei 
hoher Ch. wiirde der Satz infolgedessen um eine (klei- 
ne oder grofie) Terz tiefer, bei tiefer Ch. um dasselbe 
Intervall hoher erklingen (siehe Beispiel 3). Diese 
Theorie findet jedoch keine Stutze bei den alten Theo- 
retikern, sondern nimmt erst von Kiesewetter (Ga- 
lerie der alten Contrapunctisten, 1847) ihren Ausgang, 
der die Terztransposition jedoch nur fiir moderne Auf- 



158 



Chile 



f iihrungszwecke im Hinblick auf die von der alten Zeit 
abweichenden neuzeitlichen Chorverhaltnisse emp- 
fiehlt. Entgegengetreten sind ihr Ehrmann und Sche- 
ring, die die Ch. als blofien Schreiberbrauch deuteten, 




\ l"/ji tf \ 


w b m ° 

IHI 1 fy / titfl 


Hfir) 


IHI hHflt ) " 




V'kWW " 



Hohe Chiavette 



Tiefe Chiavette 



um Singstimmen, die sich in einer von Natur hochgelegenen 
Kirchentonart oder in der Hochtransposition einer tieferen 
bewegten, bequem und ohne Hilfsstriche zu notieren (Sche- 
ring, S. 118). Ein Vokalensemble konnte nach freiem 
Ermessen in der jeweils giinstigsten Lage einstimmen, 
was zahlreiche Theoretiker, wie J.Cochlaeus, L. Zac- 
coni und W. C.Printz, bestitigen. Dagegen muBte auf 
mitwirkende Instrumente mit fester Stimmung (Or- 
gel, Blasinstrumente), auf denen zufolge der ungleich- 
schwebenden Temperatur und der ungleichen Stim- 
mungen nicht jede beliebige Transposition ausfiihrbar 
war, Riicksicht genommen werden. Der spanische 
TheoretikerJ. Bermudo verbietet z. B. Transpositionen 
in die kleine oder grofie Terz aufwarts fiir Tastenin- 
strumente ausdriicklich. Eine mit der Ch. verbundene 
intervallmaBig fixierte Transpositionsanweisung ist 
erst eine Folge der Continuopraxis. Praetorius fordert 
bei vorgezeichneter hoher Ch. von den Spielern der 
Fundamentinstrumente die Transposition um eine 
Quarte oder Quinte abwarts. Mit !>-Vorzeichnung 
wurde um eine Quarte abwarts, ohne Vorzeichnung 
um eine Quinte abwarts transponiert; doch war in die- 
sem Falle auch die Quarttransposition sehr gebrauch- 
lich. Diese weit verbreitete Praxis erwahnen auch Sam- 
ber, Paolucci, Martini und Kiesewetter. Hier tritt die 
Transpositionsbedeutung der Ch. klar zutage, denn 
Satze in den Normalschliisseln blieben auch in den Or- 
gelbassen in der Regel untransponiert. Ein gutes Bei- 
spiel bietet der Druck der Missae quatuor (Venedig 
1621) von G. Valentini. Die Transposition betraf in er- 
ster Linie den Organisten, der wegen der damals weit- 
verbreiteten Hochstimmung der Orgel (a = c'-cis 1 ) 
auf die Sanger Riicksicht nehmen muflte. Eine Trans- 
position in andere Intervalle kam weit seltener vor, 
doch gab es keine allgemein verbindliche Regel. C. 
Vincentius laBt z. B. die Transposition bei hoher Ch. 
um eine Quarte oder Quinte abwarts zu (1612), ohne 
sie ausdriicklich vorzuschreiben. Das beweist die groBe 
Freiziigigkeit in bezug auf die Einstimmung, die von 
den zur Verfugung stehenden Stimmen und Instru- 
menten und erst sekundar von der Schliisselung ab- 
hing. DaB bereits im 16. Jh. die hohe Ch. in der Ab- 
sicht verwendet worden ware, eine tiefere Intonation 
anzudeuten, laBt sich nicht nachweisen. Transpositio- 
nen kommen zwar vor. So ist z. B. die 4st. Motette 
Johannes Apostolus von A.Willaert (GA I, S. 43; siehe 
auch PaM IX, S. XV) sowohl in angenaherter Ch. als 
auch um eine Quinte abwarts transponiert in tiefen 
Schlusseln iiberliefert. Ebenso enthalt A. Gumpelzhai- 
mers Compendium musicae (1600) 4st. Beispiele fiir die 
12 Kirchentonarten, sowohi in Normallage als auch um 
eine Quinte abwarts oder um eine Quarte aufwarts 
transponiert mit entsprechend geanderter Schliisselung . 



Daraus geht hervor, daB satztechnische Gesichtspunkte 
die Ward zwischen Normalschliissel und Ch. often las- 
sen. Beide Schlusselungen dienten auch zur Aufzeich- 
nung von Instrumentalmusik, so daB die Annahme, 
das Chiavettenproblem konne allein vom Boden der 
Vokalmusik aus gelost werden, irrig ist. 
Lit.: R. Ehrmann, Die Schliisselkombinationen im 15. u. 
16. Jh., StMw XI, 1924; Th. Kroyer, Zur Ch.-Frage, 
in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien 1930; ders., 
Der vollkommene Partiturspieler I, Lpz. 1930; A. Sche- 
ring, Auffiihrungspraxis alter Musik, = Musikpadagogi- 
sche Bibl. X, Lpz. 1931 ; A. Mendel, Pitch in the 16 th and 
Early 17 th Cent., MQ XXXIV, 1948 ; H. Federhofer, Zur 
Ch.-Frage, in : Anzeiger d. phil.-hist. Klasse d. Osterreichi- 
schen Akad. d. Wiss., Wien 1952; ders., Hohe u. tiefe 
Schliisselung im 16. Jh., Fs. Fr. Blume, Kassel 1963; S. 
Hermelink, Zur Chiavettenfrage, Kgr.-Ber. Wien 1956; 
ders., Dispositiones modorum, = Munchner Veroff. zur 
Mg. IV, Tutzing 1960; ders., Ein neuer Beleg zum Ur- 
sprung d. Ch., Mf XIV, 1961. HF 

Chicago (111., USA). 

Lit. : K. Sp. Hackett, The Beginnings of Grand Opera in 
Ch. 1850-59, Ch. 1913; F. Busoni, Die »Gotiker« v. Ch., 
in: Von d. Einheit d. Musik, = M. Hesses Hdb. LXXVI, 
Bin (1922), als: Wesen u. Einheit d. Musik neu hrsg. v. J. 
Herrmann, Bin u. Wunsiedel (1956); E. A. Johnson, The 
Ch. Symphony Orch., 1891-1942, Diss. Univ. of Ch. 1955. 

Chicago-Jazz (Chicago style), Anfang der 1920er 
Jahre entstandene Jazzspielart weiBer Musiker, die den 
->■ Dixieland abloste. - Nach SchlieBung von Story- 
ville in New Orleans (1917) spielten viele bekannte 
Jazzmusiker (Oliver, Armstrong, Morton) in der South 
Side, dem Negerviertel Chicagos. Eine Gruppe junger 
Studenten (u. a. Frank Teschemacher, spater auch Ben- 
ny Goodman) versuchte, den Jazz der Neger zu imitie- 
ren (Austin High School Gang, 1922). Der Jazzjour- 
nalist H.Panassie nannte 1934 diese Gruppe Chicago- 
ans, was schlieBlich zu Ch.-J. als Bezeichnung fur den 
weiBen Jazz der 1920er Jahre iiberhaupt gefiihrt hat. 
Bestimmend fiir die Auspragung des Ch.-J. war auch 
das Wolverine Orchestra (1923) mit dem Kornettisten 
Bix Beiderbecke. - Im Gegensatz zum Dixieland hat 
der Ch.-J. die Entwicklung des gesamten Jazz wesent- 
lich beeinfluBt, da hervorstechende Merkmale negeri- 
schen Jazzmusizierens (-> Beat, -»■ Off-beat, -*■ Swing, 
-*■ Hot-Intonation) im Ch.-J. erstmals von WeiBen 
iibernommen, aber jeweils zugleich mit der europai- 
schen Musikvorstellung zu einer neuen Spielweise ver- 
schmolzen sind. So wurde auch das kollektive Spielen 
der Neger im ->• Chorus umgewandelt: es entstand 
ein in den Harmonien des Chorus kontrapunktisch 
konzipierter Ablauf von Einzelstimmen. In dieser 
Form erscheint das Chorusspielen meist nur zu Anfang 
und am SchluB als Einrahmung. Im iibrigen Verlauf 
herrscht als figurative Umspielung der Grundmelodie 
der begleitete Solochorus (Hot-Solo), und haufig be- 
stehen die Stiicke nur aus einer Aufeinanderfolge sol- 
dier Hot-Soli verschiedener Instrumente (Hot-Solo- 
Folge). Im Ch.-J. trat erstmalig auch das spater domi- 
nierende Saxophon in den Vordergrund. Der weiBe 
Ch.-J. hatte seinerseits Riickwirkungen auf die Jazz- 
spielweisen der Neger und trug entscheidend bei zur 
Entstehung des -»■ Swing. 

Chile. 

Lit. : J. Urrutia Blondel, Apuntes sobre los albores de la 
hist. mus. chilena, Boletin lat.-americano de musica HI, 
1937; C. Isamitt, Los instr. araucanos, ebenda IV, 1938; 
ders., EI folklore en la creacion artistica de los composi- 
tores chilenos, Revista mus. chilena XI, 1957; E. Pereira 
Salas, Los origines del arte mus. en Ch., Santiago de Ch. 
1941; ders., La cancion nacional de Ch., ebenda 1947; 
ders., Guia bibliogr. para el estudio del folklore chileno, 



159 



Chinesische Musik 



ebenda 1952; ders., Hist, de la miisica en Ch. 1850-1900, 
ebenda 1958 ; M. Abascal Brunet, Apuntes para la hist, 
del teatro en Ch. La zarzuela grande, ebenda 1941 ; ders. u. 
E. Pereira Salas, Pepe Vila. La zarzuela chica en Ch., 
ebenda 1952; V. Salas Viu, Musicos modernos de Ch., 
Washington 1944; ders., La creation mus. en Ch. 1900- 
51, Santiago de Ch. 1952; C. Vega, La forma en la cueca 
chilena, ebenda 1947; V. T. Mendoza, La cancion chilena 
en Mejico, ebenda 1948; E. M. v. Hornbostel, The Music 
of the Fuegians, Ethnos XIII, 1948; Directorio mus. de la 
America latina (Mus. Directory of Latin America), Ch., 
Washington 1954; E. Gay an, La education mus. en Ch., 
Revista mus. chilena XII, 1958. 

Chinesische Musik. Am Anfang der chinesischen 
Musikgeschichte steht der Mythos. Fiinf sagenhafte 
Kaisergestalten der Vorzeit gelten als die Kulturbrin- 
ger, der alteste von ihnen, Huang-Ti (»der gelbe Kai- 
ser^ mit einer angenommenen Regierungszeit von 
2697-2597 v. Chr., als Erfinder der Schrift und Be- 
griinder der durch MaB und Zahl geordneten Musik. 
Er schickte seinen Minister Ling-Lun an die Westgren- 
ze, wo dieser in einem Bambushain ein Flotenrohr nach 
der Lange des kaiserlichen FuBes schnitt, das den Grund- 
ton des chinesischen Tonsystems und auch die Grund- 
lage aller Langen- und HohlmaBe gab. Eine andere 
Uberlieferung schreibt Ling-Lun sogar die Erfindung 
des vollstandigen Tonsystems der 12 ->• Lit zu. Der hi- 
storische Kern dieser Mythe ist die Tatsache, daB Chi- 
na sein Tonsystem aus dem Westen entlehnte. Um 
2500 v. Chr. entwickelte sich in China eine Hochkul- 
tur durch Anregungen aus den alteren Kulturzentren 
des westlichen Zentralasien, von denen auch religiose 
Vorstellungen, soziale Ordnungen, das Musiksystem 
und die melodiefahigen Instrumente iibernommen 
wurden. Die vollstandige Entwicklung des Tonsy- 
stems und der Aufbau eines umfangreichen Rituals ho- 
fischer Musik- undTanzzeremonien diirften jedoch erst 
in der Schang-Dynastie (1500-1050 v. Chr.) erfolgt 
sein, der ersten Epoche gesicherter historischer Nach- 
richten, in der die Volks- und Staatsgrundung Chinas 
abgeschlossen, das Konigtum fest begriindet und auf 
die neue Himmelsreligion umgestellt wurde, die die 
Urmutterkulte ablbste. Die neue Religion erforderte 
astronomische Beobachtungen, Tempel und Observa- 
torien und eine mathematische Orientierung des Den- 
kens. Fruhestens jetzt entstand das bipolare System des 
solaren mannlichen (yang) und des lunaren weiblichen 
Prinzips (yin), dem das Tonsystem unterstellt wurde, 
das aus einem Zirkel von 12 Quintfortschreitungen be- 
steht. In halbtonlosen pentatonischen Reihen, die aus 
den ersten 5 Quintschritten entstehen, sind je nach der 
Lage des Haupttons 5 verschiedene »Modi« oder »Ton- 
arten« moglich. Mit diesem Ton- und Leitervorrat ist 
man offenbar sehr lange ausgekommen, und tatsach- 
lich halten sich die altesten erhaltenen chinesischen Me- 
lodien sakraler Hymnen im Rahmen dieses Systems. 
Sobald man aber beim Instrumentalspiel innerhalb die- 
ser Modi transponieren und modulieren wollte, reich- 
ten die 5 Tone in der Oktave nicht aus. Erst mit dem 
Tonvorrat der 12 Lii konnten nun pentatonische Reihen 
auf jedem der 12 Grundtone errichtet werden, wo- 
durch 60 Tonarten entstanden. Die Melodien blieben 
aber trotz des chromatischen Tonvorrates streng halb- 
tonfrei. Dieses Tonmaterial ist schon friih auf fest 
abstimmbaren Instrumenten dargestellt worden: ne- 
ben der Panflote (pai hsiao) sind Bronzeglockenspiele 
(dschung) und abgestimmte Klingsteine (tjing) schon 
fur die Schang-Zeit belegt. Als wichtigstes Instrument 
mit veranderlicher Stimmung ist die 5saitige Zither 
Tjin um 1500 v. Chr. nachgewiesen. An ihr wurde das 
Tonsystem aus Quintfortschreitungen weiter erarbei- 



tet und mathematisch begriindet. Die so geordnete 
Musik wird als wichtigster Bestandteil der Zeremo- 
nien im Himmels- und Ahnenkult ein Mittel der Staats- 
fiihrung. Sind die Berichte iiber die Wirkungen der 
Musik auf die Natur und die Geisterwelt noch legen- 
dar, so wird ihre Wirkung auf das menschliche Gemiit 
spatestens in der Dschou-Zeit (1050-256 v. Chr.) als 
gesicherte Erkenntnis hingenommen. Da die 5 Grund- 
tone den Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Lebensal- 
tern, Farben, Gemiitsregungen usw. zugeordnet wer- 
den (wqbei der erste Grundton immer das Ganze be- 
deutet, also das ganze Leben, das ganze Jahr, die Mitte 
usw.), sind die auf ihnen gegriindeten Tonarten geeig- 
net, die Menschen zu dieser oder jener Haltung und 
Regung zu veranlassen. Unter solchen Aspekten ge- 
wann die Musik fur die Moral und das Wohlergehen 
des einzelnen wie des Staates eine solche Bedeutung, 
daB die Dschou-Konige ein eigenes Musikministerium 
einrichteten, dessen Aufgabe die Ausarbeitung und 
Uberwachung der musikalischen Zeremonien war. 
Jeder neue Herrscher, vor allem jede neue Dynastie, be- 
trachtete es in der Folge als dringliche Aufgabe, durch 
die Gelehrten die Ubereinstimmung der irdischen MaB- 
normen mit denen des Himmels festzustellen und ihre 
richtige Anwendung auf die Musik und die Zeremo- 
nien zu sichern. Daher hat es in China mehrfach einen 
Wechsel des GrundmaBes gegeben. Fast jeder Konig 
hatte seinen eigenen Musikstil, und ein Wechsel der 
Dynastie hatte fast immer einschneidende Anderungen 
des musikalischen Repertoires zur Folge. In der Dschou- 
Zeit wurde auch der Musikerziehung breiter Raum 
gegeben. Jeder Angehorige der vornehmen Stande ge- 
noB musikalische Unterweisung innerhalb des tagli- 
chen Unterrichts. Ein umfangreiches Schrifttum ent- 
stand, in dem die Riten beschrieben, die MaBe der Mu- 
sik erortert, die Instrumente und Kostume, die Musik- 
stiicke und Programme festgehalten sind. Die alteste 
erhaltene Quelle zur Musikgeschichte Chinas ist das 
Buch der Urkunden (Schu-djing) aus dem 9.-7. Jh. v. 
Chr. Der weise Konfuzius (Kung-fu-tse, 551-478) er- 
richtete das endgultige Gebaude der Musiktheorie. 
Unter seiner Aufsicht entstanden die Aufzeichnungen 
der »Fiinf Klassiker«, Zusammenfassungen offenbar 
schon alterer Betrachtungen, Beobachtungen und Er- 
orterungen. Zwei dieser Bucher beschaftigen sich mit 
Musik: das Buch der Lieder (Schi-djing), eine Samm- 
lung von 300 Hymnen und Liedern, und das Buch der 
Riten (Li-dji). Die Liedersammlung enthalt nur die 
Texte. Die Melodien gerieten sehr schnell in Verges- 
senheit, doch gibt es aus spaterer Zeit Notierungen der 
Hymnen fur den Tempeldienst, die noch von Konfu- 
zius gedichtet und komponiert sein sollen. Sie werden 
noch heute gesungen. - Am Ende der ritterlichen 
Dschou-Zeit ging die alte Ordnung verloren. Nord- 
china geriet unter den EinfluB westlicher und nordli- 
cher Volker, die neue Musikinstrumente und Melo- 
dien in 7stufigen Leitern mitbrachten. Vielleicht ist das 
System der 12 Lii erst jetzt entwickelt worden, um die 
pentatonische und die heptatonische Leiter in ein und 
dasselbe Tonsystem einzuordnen. Es wird zuerst in der 
Chronik der Dschou-Zeit (Dschou-Li) erortert, die 
erst am Ende der Dynastie fertiggestellt wurde. Fiirst 
Schi von Tsin, der 256 das Erbe der Dschou antrat und 
den Kaisertitel Huang-ti annahm, lieB 213 alle Schrif- 
ten der Konfuzianer verbrennen, dazu auch viele alte 
Musikinstrumente. In der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 
n. Chr.) wurde die Konfuzius-Lehre wieder restauriert, 
das Musikamt neu errichtet. Es gab jetzt 4 Abteilungen 
fur die Hof musik: die zwei der Dschou-Zeit fur die 
kultische und die profane Hofmusik, dazu eine fiir die 
Musik in den Frauengemachern und eine fiir Militar- 



160 



Chinesische Musik 



musik, jede mit eigenem Orchester, insgesamt 829 
Musiker. Neue Instrumente waren hinzugekommen: 
die Querflote (ti-tse) aus dem Norden, die der Hepta- 
tonik zum Durchbruch verhalf, und die Laute (p'i-p'a). 
Neue Liedformen entstanden neben virtuosen Instru- 
mentalsoli, besonders fiir die Zither Tjin. Die erste Er- 
wahnung der Notenschrift findet sich in den Aufzeich- 
nungen des Historikers Si-ma Tjian um 100 v. Chr., 
sie war aber damals wohl schon lange bekannt. In der 
folgenden Zeit der Zersplitterung des Reiches und 
wechselnder Fremdherrschaft (220-560 n. Chr.) kam 
es zu neuem Eindringen von Musik und Musikern, 
Tanz und Tanzerinnen, Musikstilen und Instrumenten 
aus Turkestan, Tibet und Indien. An Melodieinstru- 
menten wurdenjetzt die Harfe Kung-hao und die mon- 
golische Streichlaute Hu beliebt. Die heptatonische 
Musik aus Turkestan wurde mit ihren mimischen Tan- 
zen als eigener Stil in die Hofmusik ubernommen. In 
Siidchina drang indessen die Musik der fremdstammi- 
gen Unterschichten in die Kunstmusik ein. Berufssan- 
gerinnen pflegten in den Teehausern das begleitete »So- 
lolied«. Im Norden blieb die Ausiibung der Kunstmu- 
sik weiterhin Sache des Adels. - In der wieder rein chi- 
nesischen Sui-Dynastie (560-618) hielten die Fremd- 
einfliisse an. Der erste Sui-Kaiser heiratete eine ttirki- 
sche Prinzessin, die aus Samarkand eine Hofkapelle 
mitbrachte. 568 kam der turkestanische Musiker Su- 
Dji-po an den Pekinger Hof , der das endgiiltige chine- 
sische Tonsystem festlegte, in dem die Fiinftonleitern 
durch Einfiigung zweier Halbtone, Bians (-» Pien), zur 
Siebenstufigkeit aufgefiillt sind, wobei jede Stufe Aus- 
gang einer Leiter sein kann. So ergeben sich auf den 
12 Lii 84 mogliche Leitern. Um 600 gab es 7 Abtei- 
lungen im Musikamt. Die Tang-Zeit (618-906), die 
zweite groBe Bluteperiode Chinas, brachte eine weite- 
re Zunahme der hofischen und privaten Musikpflege. 
626 errichtete Kaiser Tai-tsung (der GroBe) die erste 
Schule fiir die Hofmusik. Das Musikamt wurde auf 10 
Abteilungen erweitert, aber nur 3 der 10 Orchester 
spielten Ch. M., die iibrigen pflegten die importierten 
Stile. Die Zahl der Musikbeamten im Hof dienst betrug 
1200, darunter Tanzer und das technische und Verwal- 
tungspersonal. In diese Epoche fallt das Eindringen des 
Buddhismus, der neue Musikarten und Instrumente 
nach China brachte. Aus der Tiirkei kamen neue Tan- 
ze, und der heitere dramatische Biihnentanz nahm sol- 
chen Aufschwung, daB der Kaiser Hsiian-tsung um 750 
ein eigenes Theateramt einrichtete. Die westlichen Sti- 
le verschmolzen mit den alten Ritualtanzen zu einer 
Art Ballettpantomime; die beriihmteste berichtet von 
»Tjin Wangs Heldentaten« (um 620). In der Schule fiir 
dramatische Musik fiir Manner wirkten zeitweise 200 
Lehrer und Schuler, auch der beriihmte Li-tai-pe. We- 
nig sparer schloB sich eine Schule fiir Frauen an. Kul- 
tische und zeremonielle Musik blieb auch weiterhin 
den Mannern vorbehalten. Der Staat unterhielt nun 
fiir die freie weltliche Musik auch eine offentliche Mu- 
sikschule fiir Gesang, Instrumentalmusik und Tanz 
(Djiau-fang). Kaiser Hsiian-tsung, selbst als Kompo- 
nist und Lehrer an der Schule fiir Musik und Drama 
tatig, gab den inzwischen ganz sinisierten Fremdstilen 
neue Namen und legte ihre Tonarten fest, von denen 
jetzt 28 (von 84 moglichen) in Gebrauch waren. Die 
Lieder der Tang- und der folgenden Sung-Dynastie 
sind stark vom Volkslied beeinfluBt; die Hofdichter 
ahmten den schlichten Strophenbau nach. Die Sung- 
Zeit (906-1279) entwickeltediesenLiedstil ins »Barocke« 
(Tsi), doch bildete sich bald als Gegenstiick ein neuer, 
ungekiinstelter, volksliedhafter Stil heraus, dessen 
Spottname Tjii (unrichtig) schnell zum Ehrennamen 
wurde. Auch die Hofkonzerte bestanden jetzt aus ei- 



ner Folge von Tjii-Stiicken, zu deren Begleitung die 
Streichlaute herangezogen wurde. Das Tjin-Lied wur- 
de in die Ballettpantomimen eingefiihrt und im 13. 
Jh. zum Hauptbestandteil der Oper. Die Mongolen- 
herrschaft der Yuan-Dynastie (1250-1368) entwickelte 
die Heptatonik weiter, zuerst in der Theatermusik. Die 
Oper wurde zum wichtigsten Teil des Musiklebens, 
ihre Sprache und ihr Inhalt wurden volkstiimlicher. 
Jeder der 4 Akte hattc nur eine Tjii-Melodie, wie heute 
im Schattenspiel. In der Ming-Zeit (1368-1644) wur- 
den die pentatonischen Orchesterwerke der alten Hof- 
musik der Tang-Zeit zu neuem Leben erweckt. Histo- 
riker bemuhten sich um ihre Rekonstruktion. Die 11 
Biicher zur Geschichte und Theorie der Ch.n M. des 
Prinzen Tsai-yii (um 1580) sind die wichtigste Quelle 
aller spateren Musikgeschichtsschreibung. In der Dy- 
nastie der Mandschu (1644-1912) verfiel die Tradition 
schnell, einzig die Volksmusik und die Oper iiberleb- 
ten. Nach der SchlieBung der Hofmusikschule im 17. 
Jh. war die lebendige Uberlieferung abgerissen. Nur 
im Bereich der privaten Musikpflege hielt sich in ge- 
lehrten und traditionsbeflissenen Kreisen noch die 
Kenntnis der alten kunstmaBigen Profanmusik. Erhal- 
ten blieb auch die sakrale Musikiibung in buddhisti- 
schen und Konfuzius-Tempeln. Von der groBartigen 
Kunst der hofischen Orchestermusik, die als hochste 
Bliite asiatischer Kunstmusik iiberhaupt zu gelten hat 
und die Musik weiter Gebiete Asiens nachhaltig beein- 
flufite, war in China in den letzten 200 Jahren jede Spur 
verloren. Sie ist nur in ubertragener Gestalt bewahrt 
geblieben in der Musik der Nachbarvolker, speziell in 
der japanischen Hofmusik (->- Gagaku). In China wur- 
de nur die Oper weitergebildet. Neben dem eleganten 
sudchinesischen Opernstil des 16. Jh. entwickelte sich 
in Nordchina in der Mitte des 17. Jh. ein etwas derberer 
Stil, der in der Mandschu-Zeit den feineren verdrang- 
te. Nach 1700 kam ein larmendes Heldendrama (pang- 
tse, s. v. w. Trommelstocke) auf, das heute nur noch in 
der Provinz anzutreff en ist, wahrend die stadtische Oper 
zwei Stile pflegte, die um 1730 in Mode kamen: das 
lyrische Musikdrama Hsi-pi und die biirgerliche Oper 
Oerl-huang. Ihre Stilunterschiede verschmolzen im 1 9. 
Jh. zur »Residenz-Melodie«, die in der Pekinger Natio- 
naloper bis zur Mitte des 20. Jh. herrschte. Die mo- 
derne chinesische Oper des 19. und 20. Jh., die einzige 
Form chinesischer offentlicher Kunstmusik dieser Zeit, 
ist stark mit pantomimischen und akrobatischen Ziigen 
ausgestattet. Es wirken nur mannliche Sanger und Ar- 
tisten in der Oper mit, und besonders die Darsteller von 
Frauenrollen sind die Lieblinge des Publikums. - Im 
heutigen China wird der Musik als Mittel der Massen- 
lenkung groBe Bedeutung beigemessen. Hymnen und 
Lieder der kommunistischen Bewegung begleiten das 
Leben des einzelnen und der Gemeinschaft in Stadt 
und Land. Auch die Oper ist als Mittel der politischen 
Agitation eingesetzt und bis in die Dorfer vorgedrun- 
gen. Die Schule hat die Musik in ihren Lehrplan ein- 
bezogen. Anstelle der komplizierten alten Notenschrift 
wird eine Notation mit arabischen Ziffern verwendet, 
wobei die Zahlen 1 bis 7 fiir die Stufen einer diatoni- 
schen Skala relativer Tonhohe stehen. Neben der in 
Wort und Weise merklich von sowjetrussischen Vor- 
bildern abhangigen Propagandamusik sind aber auch 
Bestrebungen zur Konservierung und Wiederbele- 
bung der klassischen Kunstmusik (Pekinger Musik- 
akademie) im Gange. Westlichen Beobachtern zugang- 
lich sind Unterweisung und Pflege der iiberlieferten 
Traditionen in Taiwan und Hongkong, wo man auch 
versucht, Ch. M. auf europaischen Instrumenten und 
moderne, westlich inspirierte Musik auf traditionellen 
Instrumenten zu spielen. 



161 



Chiroplast 



Lit. : J. J. M. Amiot SJ, Memoire sur la musique des Chi- 
nois tant anciens que modernes, Paris 1779, auch in: Me- 
moires concernant 1'hist. ... des Chinois VI, hrsg. v. Abb6 
Roussier, Paris 1 780 ; J. A. v. AALST.Chinese Music, Schang- 
hai 1 884, Peking 2 1 933 , NY 3 1 964 ; A. Dechevrens SJ, Etu- 
desurlesystememus. chinois, SIMG II, 1900/01 ;W.Cohn- 
Antenorid, Chinesische Musikasthetik, MfM XXXV, 
1 903 ; A. John-Laugnitz, Neue Beitr. zurchinesischen Mu- 
sikasthetik, AMz XXXII, 1 905 ; L. Laloy, La musique chi- 
noise, Paris (1910); E. Fischer, Beitr. zur Erforschung d. 
ch. M., SIMG XII, 1910/1 1 ; M. Courant, Chine et Coree, 
in : Encyclopedic de la musique 1,1, hrsg. v. A. Lavignac u. 
L. de La Laurencie, Paris 1913; E. M. v. Hornbostel, 
Ch'ao-t 'ien-tze, eine chinesische Notation u. ihre Ausfuh- 
rungen, AfMw I, 1918/19; E. Wellesz, Vom Geist d. ch. 
M., Musikblatter d. Anbruch 1, 1919; M. Granet, Danses 
et legendes de la Chine ancienne, Paris 1926 ; ders., Fetes et 
chansons anciennes de la Chine, Paris 1929; R. Wilhelm, 
Das Wesen d. ch. M„ Sinica II, 1927; Ch. M., hrsg. v. 
dems., Ffm. 1927; Friihling u. Herbst d. Lii Wu Pe, ubers. 
u. hrsg. v. dems., Jena 1928 ; Meng Chih, Remarks on Chi- 
nese Music and Mus. Instr., NY 1932; L. v. Kohl, Die 
Grundlagen d. altchinesischen Staates u. d. Bedeutung d. 
Riten u. d. Musik, Baessler-Arch. XVII, 1934; Wang 
Kuang-Ki, t)ber d. chinesische klass. Oper, Bern 1934; 
Wang Kuo-Wei, Das chinesische Theater vor d. T'ang- 
Zeit, Asia major X, 1934; A. Tscherepnin, Music in Mo- 
dern China, MQ XXI, 1935; J. H. Levis, Foundations of 
Chinese Mus. Art, Peiping 1936; H. Trefzger, Die Musik 
in China, Sinica XI, 1936 ; ders., Das Musikleben d. T'ang- 
Zeit, Sinica XIII, 1938 ; ders., tjber d. chinesischen Noten- 
schriften, Universitas VI, 1951; Hu Schi, Ursprung u. 
Entstehung der Tz'u, ubers. v. A. Hoffmann, Sinica XII, 
1937; A. Hoffmann, Kurze Einfuhrung in d. Technik d. 
San-ch'u, in: Sinologische Arbeiten I, Peking 1943; ders., 
Die Lieder des Li Yii, Koln 1950; H. Eckardt, Ryowo, 
Sinologica III, 1951/53; ders., Somakusa, ebenda; J. Ji- 
ranek, Volkschina in d. Musik, Studienmaterial f. d. 
kunstlerischen Lehranstalten I, Dresden 1955; Fr. Korn- 
feld, Die tonale Struktur ch. M., = St. Gabrieler Studien 
XVI, Wien-Modling 1955; G. Schnerson, Musykalnaja 
kultura kitaja, Moskau 1952, deutsch als: Die Musikkultur 
Chinas, Lpz. 1955; K. Reinhard, Ch. M., Eisenach u. 
Kassel 1956; Kazu Nakaseko, Symbolism in Ancient 
Chinese Music Theory, Journal of Music Theory I, 1957 ; 
W. Danckert, Der Tiger als Symboltier d. Musik in Alt- 
china, Zs. f. Ethnologie LXXXIII, 1958; A. L. Kagan, 
Music and the Hundred Flowers Movement, MQ XLIX, 
1963. FB 

Chiroplast (s. v. w. Handbildner, Handleiter; frz. 
guide-mains), eine als mechanisches Hilfsmittel fur 
das Klavierspiel von -»- Logier erfundene, 1814 pa- 
tentierte Vorrichtung, bestehend aus einer Leiste mit 
2 Rahmen, durch die die Finger der beiden Hande ge- 
steckt werden; der Apparat wird iiber der Klaviatur 
angebracht. Logier benutzte ihn fiir die ersten Stunden 
im Anfangsunterricht, um das Absinken des Handge- 
lenks und das Einknicken der Finger zu verhindern. 
Neben Logier propagierten den Ch.en Fr. -> Kalk- 
brenner, H.Herz sowie viele Nachahmer bis zur Jahr- 
hundertwende. 

Lit. : J. B. Logier, An Explanation and Description of the 
Royal Patent Ch., London 1816; ders., The First Com- 
panion to the Royal Patent Ch., London 1818, i'1867; Fr. 
Kalkbrenner, Methode pour apprendre le pfte a l'aide du 
guide-mains, Paris 1830; H. Becker, System Logier, Mu- 
sica XI, 1957. 

Chitarra battente (ital., »Schlaggitarre«; frz. guitare 
en bateau, guitare a la capucine), gitarrenartiges Zupf- 
instrument. Es wurde mit Sicherheit im 17. Jh. in 
Italien verwendet, ist wahrscheinlich jedoch viel alter. 
Im 18. Jh. war es in Italien sowie in den an der Adria 
gelegenen Balkanlandern in Gebrauch. Die Ch. b., 
eine Wolbgitarre mit leichter Flankeneinziehung, 
zeichnet sich aus durch ihre im Verhaltnis zur Gitarre 
groBe Zargenhohe (bis etwa 17 cm) und durch eine 
stark ausgebildete Bodenwolbung. Das Griffbrett ist 



mit Darm- oder Messingbiinden versehen; einzelne 
Holzbiinde sind der Decke aufgeleimt. Der Bezug be- 
steht aus Metallsaiten in zumeist 5 ChSren zu je 2 (oder 
bei alteren Exemplaren gelegentlich 3) Saiten in Quart- 
Terz-Stimmung (wie bei der Gitarre). Die noch ge- 
genwartig in Kalabrien gespielte Ch. b. hat in der Mitte 
eine einfache Saite als Bordun (scordo). Ein 7ch6riger 
Typus hielt sich vornehmlich in der Toskana. Auf der 
Decke der Ch. b. befindet sich ein zentral angebrachtes 
Schalloch, oft mit einer vertieft gelagerten Rosette. 
Die Saiten sind an der unteren Zarge eingehangt, lau- 
fen iiber den aufgesetzten Steg und das Griffbrett in 
den leicht zuriickgebogenen Wirbelhalter, wo sie an 
hinterstaridigenWirbeln befestigt sind. Eine Terz hoher 
als die normale Ch. b. steht die Terza di chitarra a bat- 
tente. Der Terminus Ch. b. deutet auf den Gebrauch 
des Plektrons. 

Chitarrone (ital, Augmentativ von chitarra), auch 
Romanische (Romische) Theorbe, eine im 17./18. Jh. 
gebrauchliche mannshohe Erzlaute (BaBlaute) mit 
doppeltem Wirbelkasten. Der zweite sitzt im Unter- 
schied zu dem der -»• Theorbe an einem langen, ge- 
radlinig iiber den 1. Wirbelkasten fortgesetzten Hals. 
In den 1. Wirbelkasten laufen die 2-3ch6rigen Griff- 
saiten, in den 2. die meist einfachen Bordunsaiten. Der 
Bezug bestand aus Draht-, gelegentlich auch aus Darm- 
saiten, die mit Plektron gerissen wurden. Die Stim- 
mung war nach Praetorius 1619: iF iG iA iH C D E F 
G c d f g a. Der Ch. wurde vor allem beim GeneralbaB 
verwendet; die BaBsaiten waren bei der ungewohnlich 
langen Mensur vollklingend. Tabulaturen fiir Ch. ver- 
offentlichten u. a. J.H. v. -» Kapsberger 1604, 1616 und 
1624 und D. -> Belli 1616. 

Lit.: Praetorius Synt. II; WaltherL; G. Kinsky, A. 
Piccinini u. sein Arciliuto, AMI X, 1938. 

Chladnische Klangfiguren. Zur Feststellung der 
Schwingungsformen von Platten hat 1787 der deut- 
sche Physiker E. Fl. Fr. Chladni (1756-1827) ein Ver- 
fahren angegeben, um mit Hilfe von aufgestreuten 
leichten Partikeln (Korkpulver) die Knotenlinien sicht- 
bar zu machen. Uberall dort, wo die Platte stark 
schwingt (Schwingungsbauche), wandern die Partikel 
fort und sammeln sich an den Stellen, wo die Platte in 
Ruhe ist (Knoten). Die Anregung zum Schwingen er- 
folgte bei Chladni meist durch Streichen des Randes 
mit einem Geigenbogen. H. Backhaus hat solche Klang- 
figuren bei Geigen aufgenommen, indem er kleine 
Metallfolien auf verschiedene Stellen des Geigenkor- 
pers klebte und diesen eine Elektrode auf kleinen Ab- 
stand naherte. Durch den so gebildeten elektrischen 
Kondensator konnte er die Amplituden der Schwin- 
gungen des Geigenkorpers bei verschiedenen Frequen- 
zen messen. AuBerdem war es moglich, die Schwin- 
gungsphase festzustellen. Durch elektromagnetische 
Abtastung wurden ahnliche Klangfiguren beispielswei- 
se auch auf den Resonanzboden von Fliigeln ermittelt. 
Lit. : E. Fl. Fr. Chladni, Entdeckungen iiber d. Theorie 
d. Klanges, Lpz. 1787; ders., Die Akustik, Lpz. 1802, 
21830, als: Traite d'acoustique, Paris 1809; H. Backhaus, 
tiber Strahlungs- u. Richtwirkungseigenschaften v. Schall- 
strahlern, Zs. f. technische Physik IX, 1928; M. Grutz- 
macher u. W. Lottermoser, Neuere Untersuchungen an 
Fliigeln, Akustische Zs. I, 1936. 

Chocalho (Juk'aXu, port.; auch chocolo, xocalho, 
xucalho), aus Brasilien stammendes Rasselinstrument, 
das zum Schlagzeug der lateinamerikanischen Tanze 
(besonders der -> Samba) gehort. Es besteht aus einem 
an beiden Enden verschlossenen Metallzylinder (4—6 
cm 0), der mit Schrot oder Samen gefullt ist. Der Ch. 
wird horizontal an den Enden zwischen den Fingern 



162 



Chor 



beider Hande gehalten und mit der rechten Hand 
waagerecht bin und her geschiittelt, wahrend die linke 
ruhig bleibt. 

Chomon|e (griech.) -*■ Ananeanes. 

Chor (griech. x°P^< urspriinglich Tanzplatz, dann 
Reigen, Tanzlied, Schar der Tanzer; lat. chorus; ital. 
coro; frz. chceur; engl. choir), bei den Griechen der 
mit Gesang verbundene und im Kult zu besonderer 
Bedeutung gelangte feierliche Tanz, Reigentanz. Von 
Homer oft erwahnt und auf friihen Vasen gem darge- 
stellt, erhielt er wohl erst bei den Dorern des 7. Jh. v. 
Chr. eine kunstvollere Auspragung. Die seither f aBba- 
re, in der Sprache dorisch gefarbte Chorlyrik, die mit 
den beruhmten Namen Alkman, Stesichoros, Simoni- 
des, Bakchylides und besonders Pindaros verkniipf t ist, 
umfaBt zahlreiche Gattungen, u. a. -> Paan, ->• Dithy- 
rambos, -*= Hymnus, -»- Threnos und Preislieder zu 
Ehren der Sieger in den panhellenischen Wettkampf en. 
Zum musikalischen Vortrag dieser iiberaus kunstvoll 
gebauten Oden (seit Stesichoros meist aus Strophe, 
Gegenstrophe und Epode bestehend) gehorten auch 
Instrumente (Aulos, Kithara, Lyra). Durch Hinzutre- 
ten eines Schauspielers entstand das attische Drama 
(Tragodie, Komodie, Satyrspiel), doch blieb der das 
Volk als Ganzes reprasentierende Ch., auch nach der 
Einfiihrung von mehr Schauspielern, fiir das Wesen 
des Dramas weiterhin bestimmend. Erst die jiingere 
und nach ihr die romische Komodie hat den Ch. auf- 
gegeben. -Der Reigentanz derjuden(hebraischmahol), 
der im Gottesdienst einen wichtigen Platz einnahm 
(2 Mos. 32, 19; Ps. 149, 3 und 150, 4), ist in der Septua- 
ginta durch x°P^? un d m der Vulgata dutch chorus 
wiedergegeben. In friihchristlicher Zeit hat sich neben 
der Bedeutung als Reigen (Lukas-Ev. 15, 25) immer 
mehr die als Sangerschar durchgesetzt (so schrieb um 
100 n. Chr. Ignatius an die Epheser, daB die Gemeinde 
zum einstimmig singenden Ch. werden solle, 4, 2). Mit 
der Unterscheidung zwischen Klerus und Laien und 
der Stellvertretung der Gemeinde durch den Klerus 
wurde der Ch.-Gesang im christlichen Kultus institu- 
tionalisiert, indem der Klerus die Ausfuhrung der Ge- 
sange ubernahm, seit dem 4. Jh. raumlich abgesondert 
von der Gemeinde um den Altar (Isidor von Sevilla: 
Chorus, quod initio in modum coronae circum aras starent et 
itapsallerent, Etym. VI, 19). Die Latinitat des Kultus so- 
wie die Formen des Gregorianischen Gesanges waren 
mitbestimmend fiir die Ablosung des Gemeindegesan- 
ges durch den Kleriker-Ch., der von der -> Schola can- 
torum unterstiitzt wurde; die musikalische Leitung 
des Ch.es oblag dem -»■ Kantor. Seit dem 12. Jh. wur- 
den auch Laien (die Bruderschaften) am kirchlichen 
Ch.-Gesang beteiligt, die im Gegensatz zur Prosa des 
Gregorianischen Chorals die poetische Lauda sangen. 
Beide Formen wurden sowohl einstimmig als auch 
mehrstimmig gesungen mit mehrfacher, d. h. chori- 
scher Besetzung jeder Stimme. Auch das alte -> Or- 
ganum bis ins 11. Jh. wurde in mehrfacher Stimmbe- 
setzung durch Sanger und Instrumente ausgefiihrt. Im 
13.-14. Jh. finden sich in England Conductussatze, die 
wahrscheinlich fiir chorischen Gesang bestimmt sind. 
Im 14. Jh. begegnen derartige Satze auch auf dem Fest- 
land (-> Quellen : Apt und Iv) . Wahrend hier die hoch- 
ste Stimme moglicherweise zusatzlich durch Kapell- 
knaben verstarkt wurde, ist fiir die ubrigen Stimmen 
eine Besetzung mit 2-3 Sangern anzunehmen. Bereits 
im Of fizium von Sens (Hs. London, Brit. Mus. Egerton 
2615 ; Repertoire des 13. Jh.) ist die sicherlich vielgeiibte 
Praxis des Alternierens zwischen dem Chorus, der den 
1st. Choral ausfiihrte, und Solosangern (unus, alter 
u. a.), die auch im mehrstimmigen (Organum-)Satz 



(cum organo) sangen, ausdriicklich angegeben. Im 
friihen 15. Jh. enthalten einzelne Ordinariumskompo- 
sitionen vorwiegend in italienischen -> Quellen (u. a. 
BL, O und Ao) abschnittweise die Vermerke chorus 
meist bei drei- und unus oder duo bei zweistimmigen 
Partien. Zunachst war damit wohl ein Wechsel ge- 
meint zwischen dem choralen Chorus, der von 2 - nicht 
textierten - Instrumentalstimmen begleitet wurde, und 
dem vokalen Soloduett besonders der Oberstimmen. 
Die zunehmendeDurchtextierung der Chorusabschnit- 
te, der Ubergang zum Chorbuchformat und schlieG- 
lich der Wegfall des chorus-, aber nicht des duo-Ver- 
merks (-> Quellen: Ca 6 und 11; Modena, lat. 454- 
456) zeigt die Entwicklung zur chorischen Besetzung 
und damit zum Ch.-Klang, die sich in der 1. Halfte des 
15. Jh. vollzog. Auch die wachsende Sangerzahl ist be- 
legt, z. B. hatte die papstliche Kapelle 1436 9 Sanger 
fiir den Figuralgesang und wurde allmahlich auf 12, 16 
und in der 2. Halfte des 15. Jh. auf 24 Sanger erweitert. 
Die Ausdriicke concentus vocum oder concento di vo- 
ci weisen im 16. Jh. auf chorische Besetzung hin. Cho- 
rus bezeichnet im 16.-17. Jh. nicht nur den vokalen 
Ch.-Klang, sondern auch die Besetzung und den Zu- 
sammenklang von Instrumenten einer Familie (Stimm- 
werk, -*- Akkord - 3; -»■ Consort). - In der -> Mehr- 
chorigkeit venezianischer Provenienz und dem barok- 
ken -*■ Concerto werden verschiedene Arten vokaler 
und instrumentaler Chore unterschieden. Der -> a 
cappella-Begriff bezeichnet daneben den Stil der alten 
Ch.-Musik, wie ihn u. a. Schiitz (1648) fortfuhrte. - 
Der nichthierarchische Kirchenbegrifl des Protestantis- 
mus wie auch die Einfiihrung der Volkssprache in den 
Gottesdienst ermoglichten wieder neben derEinsetzung 
des Gemeindegesangs auch die Verwendung von Laien- 
choren, die fiir die Gemeinde singen oder deren Gesang 
ftihren. Die Arten des Ch.-Singens der evangelisch- 
lutherischen Schulkantoreien kennzeichnen HaBlers 
vierstimmig gesetzte Psalmen und Kirchengesange 
von 1607 fugweis komponiert und simpliciter gesetzt. 
Wahrend Zwingli jeglichen Gesang in der Kirche zu- 
nachst abschaffte, spater jedoch offenbar wieder an eine 
Einfiihrung des Gemeindegesanges dachte, lieB Calvin 
zwar den Gemeindegesang zu, jedoch keine Vertre- 
tung der Gemeinde durch den Ch. - In den neuen ba- 
rocken Gattungen Kantate (Passion) und Oper wurden 
dem Ch. in Vertretung des Volkes (->■ Turbae) oder 
fiir iiberpersonliche Betrachtung homophone und fu- 
gierte Satze ubertragen. - Seit dem ausgehenden 18. 
Jh. wird der Ch.-Gesang in zunehmendem MaBe nicht 
mehr nur in seinen tiberkommenen Formen und In- 
stitutionen gepflegt. Mit dem Auf kommen neuer Vor- 
stellungen von Gemeinschaft und Gesellschaft durch 
Aufklarung und Romantik (Volk, Nation, Masse, Ge- 
meinschaft, Bund) wurde auch der Ch.-Gesang neu als 
reprasentativer Ausdruck einer Gemeinschaft verstan- 
den. Im Politischen wirkt der Ch. als reprasentative 
Darstellung der politischen Gemeinde (der Ch. beim 
»Fest des hochsten Wesens« 1794 in Paris bestand aus 
2400 Personen, die zu je 50 von den 48 Bezirken ge- 
stellt wurden, und zwar jeweils 10 alte, 10 junge Man- 
ner, 10 Mutter, 10 junge Madchen, 10 Kinder) oder als 
Kundgabe eines politischen Willens (so ging Gossec 
1795 mit einer Sangergruppe nach Brussel, um dort 
Auffuhrungen »zur Propagierung der Freiheit und 
Gleichheit« zu veranstalten). Die romantische Vorstel- 
lung vom Volksgeist. der sich u. a. im chorisch vorge- 
tragenen Volkslied ausspricht, fiihrte vornehmlich in 
Deutschland, dann auch in Osteuropa und in den USA 
zur Griindung von Choren und -> Sangerbiinden, die 
sich bis in die kleinste landliche Gemeinde der Pflege 
des Volksliedgutes annehmen. Der vierstimmige ge- 



163 



Choral 



mischte Ch. mit Frauen fur die Oberstimmen wurde 
zurNormnebendenSonderformenvon->Manner-Ch., 
->-Frauen-Ch.undKinder-Ch. In dieSymphonik wurde 
der Ch. als Steigerung einbezogen (Beethoven, 9. Sym- 
phonic; Mahler). Daneben ist volkstumlich-roman- 
tisch auch die Vertonung von Sololiedern f iir Ch. mog- 
lich, in denen das Ich als romantisch-kollektives gesehen 
ist. Ch.-Institutionen des 19. und20. Jh. sind derKir- 
chen-Ch. mit Laien sowie der -> Opern-Ch. und der 
Rundfunk-Ch. mit Berufssangern. Wahrend die riick- 
gewandten Bewegungen der Ch.-Komposition, der 
-> Caecilianismus des 19. und die Singkreise der -*■ Ju- 
gendbewegung des 20. Jh., an den von Gregorianik, 
Chorpolyphonie und Liedsatz gepragten Formen fest- 
hielten, entfernte sich der Ch.-Satz bei Webern, Nono 
u. a. von diesen traditionellen Vorstellungen. 

Lit.: R. v. Liliencron, Die Chorgesange d. lat.-deutschen 
Schuldramas im XVI. Jh., VfMw VI, 1890; E. Bodenstei- 
ner, Szenische Fragen iiber d. Ort d. Auftretens u. Ab- 
gehens v. Schauspielem u. Ch. im griech. Drama, Lpz. 
1893; E. Gause, Der EinfluB d. christlichen Kultus auf d. 
Kirchenbau, Diss. Jena 1901 ; J. Rautenstrauch, Luther 
u. d. Pflege d. kirchlichen Musik in Sachsen bis zum 2. 
Jahrzehnt d. 17. Jh., Lpz. 1907; R. Fischer, Der Ch. im 
deutschen Drama v. Klopstocks Hermannsschlacht bis 
Goethes Faust II, Munchen 1917; M. Schneider, Die Be- 
setzung d. vielst. Musik d. 17. Jh., AfMw I, 1918/19; E. 
Troeltsch, Die Soziallehren d. christlichen Kirchen u. 
Gruppen, in: Gesammelte Schriften I, Tubingen 1919; K. 
Meyer, Der EinfluB d. gesanglichen Vorschriften auf d. 
Ch.- u. Emporenanlagen in d. Klosterkirchen, AfMw IV, 
1922; H. J. Moser, Das deutsche Chorlied zwischen Senfl 
u. Hassler, JbP XXXV, 1928; P. Epstein, Der Schulch. 
v. 16. Jh. bis zur Gegenwart, Lpz. 1929; F. K. Roedemeyer, 
Vom Wesen d. Sprech-Ch., Kassel 1931; A. Bellesort, 
Athenes et son theatre, Paris 1934; W. Ehmann, Das Mu- 
sizierbild d. deutschen Kantorei im 16. Jh., in: Musik u. 
Bild, Fs. M. Seiffert, Kassel 1938 ; ders., Die Chorfuhrung, 
Kassel 1950, 21956; K. Thomas, Lehrbuch d. Chorleitung, 
3 Bde, I-II Lpz. 1935-37, III 1948, Neuauflage I-III Wies- 
baden 1961 ; W. Gurlitt, Kirchenmusik u. Kirchenraum, 
MuK XIX, 1949; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, 
Lpz. 1950; E. Valentin, Hdb. d. Chormusik I-II, Regens- 
burg 1953-58 ; J. Smits v. Waesberghe SJ, Herbeni Trajec- 
tensis De natura cantus ac miraculis vocis, = Beitr. zur 
Rheinischen Mg. XXII, Koln 1957; Thr. G. Georgiades, 
Musik u. Rhythmus bei d.Griechen, = rde LXI, Hbg (1958); 
W. Wiora, Der alte u. d. neue Sinn d. Chorgesanges, in: 
Mus. Zeitfragen II, Kassel 1958; ders., Die Natur d, Mu- 
sik u. d. Musik d. Naturvolker, Journal of the International 
Folk Music Council XIII, 1961 ; H. Reimann, Die Einfuh- 
rung d. Kirchengesanges in d. Ziircher Kirche nach d. Re- 
formation, Zurich 1959; Das Chorwesen in unserer Zeit, 
Musica XIV, 1960; H. J. Schattner, Volksbildung durch 
Musikerziehung. Leben u. Wirken H. G. Nagelis, Diss. 
Saarbriicken 1960; E. Gerson-Kiwi, Religious Chant: A 
Pan-Asiatic Conception of Music, Journal of the Inter- 
national Folk Music Council XIII, 1961; R. Hammer- 
stein, Die Musik d. Engel, Bern (1962); K. G. Fellerer, 
Soziologie d. Kirchenmusik, = Kunst u. Kommunikation 
IX, K61n 1963; H. Koller, Musik u. Dichtung im alten 
Griechenland, Bern (1963); A. Kunzmann, Gesch. d. 
Chorliedes, Stuttgart 1963; M. Ruhnke, Beitr. zu einer 
Gesch. d. deutschen Hofmusikkollegien im 16. Jh., Bin 
1963. 

Choral (lat. choralis, zum Chor gehorig, Adjektiv zu 
chorus, Chor) kennzeichnet in seiner (zunachst adjek- 
tivischen) lateinischen Wortform spatestens seit dem 
14. Jh. vorwiegend bestimmte kirchliche Gesange, fer- 
ner deren Ausf uhrende und diese Gesange enthaltende 
Biicher. Das Wort bezieht sich zunachst auf den musi- 
kalischen Trager der Gesange, den Chorus, laBt in wei- 
terer Verwendung jedoch in verschiedenen Einzelbe- 
deutungen diesen Bezug nicht mehr erkennen. - Wahr- 
scheinlich weil im ausgehenden Mittelalter die liturgi- 
schen Gesange ausschlieBlich vom Chorus gesungen 



wurden, chorischer Gesang aber urspriinglich einstim- 
mig war, wurde Ch. im Spatmittelalter zur Sammel- 
bezeichnung fur die einstimmigen, lateinischen, litur- 
gischen Gesange der abendlandischenkatholischen Kir- 
che, also des Gregorianischen, Ambrosianischen, Bene- 
ventanischen und Mozarabischen Gesanges, und spater, 
soweit sie von den Reformatoren iibernommen oder 
umgestaltet wurden, auch der evangelischen Kirche, 
nicht aber der Gesange der Ostliturgien. Der Ausdruck 
cantus choralis planus siue Cregorianus bzw. cantus choralis 
ist bei Conrad von Zabern 1460/70 belegt, um 1490 als 
korgesangk iibersetzt. Cantus choralis (frz. plain-chant; 
engl. plainsong; span, canto llano) grenzt die einstim- 
migen liturgischen Gesange gegen die mehrstimmige 
Mensural- oder Figuralmusik ab: Anonymus XI (CS 
III, 417, Mitte 15. Jh.) unterscheidet Musica mensuralis 
und coralis, ebenso zahlreiche andere musiktheoreti- 
sche Schriften vor allem des 16. Jh. (B.Prasberg, Cla- 
rissima plane atque choralis musice interpretatio, 1501 ; M. 
Agricoia, Musica choralis deudsch, 1533). Das Wort Ch., 
in der eingedeutschten Form schon 1566 bei Mathesius 
belegt, begegnet in diesem Sinne nur in Deutschland 
und Italien, wahrend im englischen und franzosischen 
Sprachgebrauch choral allgemein chorisch bedeutet. 
Es bezeichnet die Gattung, nicht den einzelnen Ge- 
sang. Gleichzeitig blieben altere Bezeichnungen wei- 
terhin in Gebrauch, wie Musica plana, ->■ Cantus planus, 
Cantus Gregorianus, -»■ Cantus firmus u. a. Bei Hoth- 
by (Mitte 15. Jh.) meint jedoch canto corale den Cantus 
mensuralis im Gegensatz zu canto legale, dem ein- 
stimmigen liturgischen Gesang. Die Ausf iihrenden die- 
ser Gesange heifien chorales ; die Gesange sind, vor al- 
lem in Italien, im Chorale zusammengefaBt; in Deutsch- 
land erscheint dieser Titel z. B. im Chorale vetus pro or- 
ganoedo 1511. Auch Zyklen mehrstimmiger Kompo- 
sitionen iiber diese Gesange heiBen Ch., z. B. der Re- 
sponsorien Choral im Heidelberger Kapellkatalog von 
1544, Isaacs 1555 in Niirnberg gedruckter Choralis Con- 
stantinus und Kneffels Cantus choralis 1575. Der Titel 
eines Ch.-Buches von 1724 Cantus choralis figuratus, 
der den urspriinglichen Gegensatz in einem Ausdruck 
vereinigt, kennzeichnet ein spateres Stadium im Ge- 
brauch des Wortes Ch. - Auch die volkssprachigen 
Strophenlieder der Gemeinde in der evangelischen Kir- 
che, die zum Teil auf vorreformatorische Lieder zu- 
riickgehen und in ihren Neuschopf ungen teilweise vom 
Gregorianischen Gesang beeinfluBt sind, werden in 
Deutschland und den skandinavischen Landern, aller- 
dings noch nicht bei den Reformatoren selbst, Ch. ge- 
nannt, moglicherweise weil auch sie zunachst nur ein- 
stimmig erklangen, wobei der Chorus choralis unter 
Leitung des Cantor choralis den Gemeindegesang an- 
fiihrte, oder weil ihre Bedeutung allmahlich auf Ko- 
sten des Gregorianischen Gesangs zunahm ; bezeichnen- 
derweise wurden die volkssprachigen Lieder der katho- 
lischen Kirche nicht Ch. genannt. Ch. bedeutet im 
evangelischen Sprachgebrauch das einzelne Lied. Luther 
nennt diese Lieder noch korrekt canticum (vernacu- 
lum), psalmus (vernaculus), deutsches Lied u. a., eben- 
so Calvin cantique oder chant ecclesiastique. Neben 
diesen Ausdriicken, die bis ins 18. Jh. beibehalten wur- 
den, begegnet die Bezeichnung Ch. fur das evangeli- 
sche -»■ Kirchenlied spatestens seit dem Ende des 16. 
Jh., so bei Osiander 1586, Eccard 1597, M.Praetorius 
1613 und S.Scheidt 1624 und im Titel einer Samm- 
lung erstmalig in D.Speers Choral Gesang-Buch, Auff 
das Clavir oder Orgel, 1692; dieses ist gleichzeitig ein 
->• Choralbegleitbuch. Im Zusammenhang mit den li- 
turgischen Erneuerungsbestrebungen der Gegenwart 
wird wieder eine Unterscheidung zwischen Ch. und 
Kirchenlied angestrebt. Schon im 17. Jh. erhielt Ch. 



164 



Choralbearbeitung 



auch die Bedeutung von -> Choralbearbeitung, z. B. 
bei Schiitz (Vorrede zum Beckerschen Psalter, 1628), 
in J.Pachelbels 8 Chorale . . . zum praeambulieren 1693 
und in J. S. Bachs Chorale von verschiedener Art fur Org. 
(Schiiblerchorale, gedruckt zwischen 1746 und 1750). 
Bach nannte auch die Choralbearbeitungen in seinen 
groBen Chorwerken Ch., z. B. den SchluBchor des 
1. Teiles der Matthauspassion. Ebenso wurden mehr- 
stimmige Kirchenliedsatze als Ch. bezeichnet. In einer 
Dresdener Gottesdienstbeschreibung von 1660 ist cho- 
raliter offenbar gleichbedeutend mit a cappella. Bei all 
diesen Bedeutungen scheint Ch. vor allem die musi- 
kalische Fassung des Kirchenliedes zu bedeuten, also 
seine wie auch immer geartete kompositorische Bear- 
beitung, die in Bezeichnungen wie Ch.-Kantate, Ch.- 
Passion, Ch.-Vorspiel, Orgel-Ch. speziell gekennzeich- 
net ist (-> Choralbearbeitung). - Da Ch.-Gesang und 
Kirchenlied seit langem an gepragten Formen und ei- 
nem festen Bestand festhalten, der stilistisch vergan- 
genen Zeiten der Musikgeschichte angehort, ergriff die 
neuere weltliche Musik die Moglichkeit, den Ch. zum 
Ausdruck des Religiosen, Erhabenen, Feierlichen, Ar- 
chaischen, auch zu parodistischen Zwecken zu ver- 
wenden. Teils werden Ch.- bzw. Kirchenliedmelodien 
iibernommen, teils wird in ihrem Stil neu kompo- 
niert; bisweilen nennt der Komponist das betreffende 
Stuck Ch. oder bringt einen in diese Richtung deuten- 
den Hinweis. Berlioz verwendet die Sequenz Dies irae 
in seiner Symphonie fantastique, ebenso Liszt im Toten- 
tanz, Hindemith die Sequenz Lauda Sion in Matins der 
Maler; evangelische Kirchenlieder verwenden z. B. 
Mozart in der Zauberfiote, Lortzing im Wildschutz, 
Meyerbeer in den »Hugenotten«, Mendelssohn Bar- 
tholdy in der »Reformationssymphonie«, Debussy in 
En- hlanc et noir; Berg iibernimmt einen 4st. Ch.-Satz 
J. S. Bachs in sein Violinkonzert. Die Bezeichnung Ch. 
erscheint z. B. in J.Haydns Chorale St. Antoni, Men- 
delssohns Klavierfuge op. 35, 1, Bruckners 5. Sympho- 
nie (wonach auch andere Themen bei ihm Ch.-The- 
men genannt werden), C.Francks Klavier- und Orgel- 
choralen, Bartoks Mikrokosmos und For Children, Stra- 
winskys »Geschichte vom Soldaten«, Weills Dreigro- 
schenoper und Bergs Wozzeck. Mahler schreibt iiber 
den 4. Satz seiner 2. Symphonie choralmdflig. Uniiber- 
sehbar ist die Zahl der nach Art des Ch.s gebildeten 
Satze, die nicht so genannt sind (z. B. der Pilgerchor 
aus Wagners Tannhauser, der Mittelteil des 2. Satzes in 
Bartoks Konzert fiir Orch.). Einen Hinweis auf choral- 
hafte Vorstellung tragt z. B. in Beethovens Streich- 
quartett op. 132 der Satz Heiliger Dankgesang eines Ge- 
nesenen an die Gottheit (in der Form einer grofien Ch.- 
Bearbeitung) oder in Bartoks 3. Klavierkonzert, das 
stilistisch deutlich am Ch. orientierte Adagio religioso. 
Honegger nennt seinen Pacific 231 einen »grofien figu- 
rierten Ch. . . ., der sich in der Form an J. S.Bach an- 
lehnt«. 

Lit. : J. Mathesius, Historien v. . . . M. Luthers anfang. . . , 
Niirnberg 1566; A. W. Schmidt, Die Calliopea Legale d. 
J. Hothby, Lpz. 1897; L. Sohner, DieGesch. d. Begleitung 
d. gregorianischen Ch.,= Veroff. d. gregorianischen Akad. 
zu Freiburg i. d. SchweizXVI, Augsburg 1931 ; A. Honeg- 
ger, Je suis compositeur, Paris 1951, deutsch Zurich (1952); 
S. Hermelink, Ein Musikalienverz. d. HeidelbergerHofka- 
pelle aus d. Jahre 1 544, in : Ottheinrich, Gedenkschrift . . . , 
Heidelberg 1956; Die Musiktraktate Conrads v. Zabern, 
hrsg. v. K. W. Gumpel, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, 
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1956, Nr 4; O. 
Brodde, Ev. Choralkunde, in: LeiturgialV, Kassel 1961 ; 
W. Blankenburg, Der gottesdienstliche Liedgesang d. Ge- 
meinde, ebenda; E. Schmidt, DerGottesdienst am kurfiirst- 
lichen Hofe zu Dresden, = Veroff. d. ev. Ges. f. Liturgie- 
forschung XII, Gottingen u. Zurich 1961 ; E. Jammers, 
Ch. u. Liturgie, in: Organicae voces, Fs. J. Smits van 



Waesberghe, Amsterdam 1963; Fr. Blume, Gesch. d. ev. 
Kirchenmusik, Kassel 2 1965. GBa 

Choralbearbeitung. - 1) Seit dem karolingischen 
Mittelalter wurde der -»• Choral, das fiir den Gottes- 
dienst bestimmte Melodiengut der Kirchen, immer 
wieder von neuem mehrstimmig gefafit. Doch hat die- 
ses Schmucken, Paraphrasieren, Deuten nicht zu alien 
Zeiten die gleichen Gattungen 1st. Gesange betroffen. 
Das -»■ Organum der Notre-Dame-Schule bevorzugte 
die melismatischen Gesange des Graduale, des Offi- 
zium-Responsoriums und des Alleluia. Seit dem 14./ 
15. Jh. fand das Ordinarium der -»■ Messe groBere 
kiinstlerische Beachtung, wahrend das 15. und 16. Jh. 
den Weisen des Offiziums besondere Aufmerksamkeit 
schenkte. In der lutherischen Reformation trat neben 
den ererbten Bestand alter Gesange seit etwa 1520 das 
deutsche -> Kirchenlied, das bald in den Rang eines 
Chorals aufstieg und eine neue Bliite der Ch. einleitete. 
Von den Liedschopfungen der anderen Konfessionen 
hat nur die Gattung des Psalmliedes einen groBeren 
Kreis von Komponisten gefesselt (-»• Souterliedekens). 
- Die mannigfaltigen Arten der mehrstimmigen Be- 
arbeitung des Chorals bewegen sich zwischen zwei 
Extremen, die im Lauf der Geschichte mit zeitgemaBen 
Abwandlungen immer wieder begegnen : der schlich- 
ten Technik des Contrapunctus simplex, in der sich die 
Stimmen unauffallig der im Tenor oder im Superius 
liegehden Weise unterordnen, und der Gattung des 
»Choralquodlibets« (M. Praetorius 1619), in welcher 
zusammen mit dem liturgischen C. f. mindestens noch 
eine weitere iiberlieferte Melodie oder auch bloB ein 
anderer Text erklingt. Zur ersten Art gehoren auBer 
der improvisatorischen Praxis zahlreiche Werke der 
englischen gottesdienstlichen Gebrauchsliteratur des 
14. Jh. (Hymnen, Magnificat, konservative Messen), 
die einfachen 4st. calvinistischen Psalmlieder und der 
protestantisch-lutherische Kantionalsatz. Den Gegen- 
pol hierzu bilden die mittelalterliche ->■ Motette, fer- 
ner die im 16. Jh. ofter nachgewiesene Gleichzeitigkeit 
von liturgischem Text und deutschem Lied und die 
Zitatweise J. S. Bachs. 

Die Geschichte der mehrstimmigen Bearbeitung des 
deutschen Kirchenlieds, der Ch. im engeren Sinne, be- 
ginnt mit der Veroffentlichung des Wittenbergisch 
deutschen Geistlichen Gesangbiichleins von J.Walter (1. 
Auflage 1524). Da es Walter darum zu tun war, die 
protestantischen Melodien in Tenor- oder (seltener) Dis- 
kantlage deutlich und zusammenhangend hervortreten 
zu lassen, orientierte er sich nicht an der zeitgenossi- 
schen Motette, sondern am deutschen weltlichen Lied. 
Der dem biirgerlichen Musizieren entgegenkommen- 
de Charakter seiner Satze und der Wunsch Luthers, daB 
sie an die Stelle des weltlichen Gesangs treten mogen 
(dazu der starke Anteil lateinischer Musik in den fiir 
die Verwendung im Gottesdienst bestimmten Tor- 
gauer Walter-Handschrif ten) , deuten auf eine urspriing- 
lich auBerkirchliche Bestimmung des Gesangbiichleins. 
Die durch G.Rhaw 1544 herausgegebenen Newen 
deudschen geistlichen Gesenge . . . fiir die gemeinen Schu- 
len bieten stilistisch ein bunteres Bild. Neben den her- 
kommlichen Formen finden sich einige groBe Mo- 
tetten niederlandischer Provenienz. Uber den in dieser 
Sammlung erreichten technischen Stand sind die Kom- 
ponisten der f olgenden Jahrzehnte (M. Le Maistre, G. 
Otto, A. Scandellus, L. Schroter) kaum hinausgegan- 
gen. Die Ch. verlor den Anschlufi an die allgemeine 
kiinstlerische Entwicklung, wie sie sich in dem inter- 
nationalen Repertoire freier Motetten der Sammel- 
drucke zwischen 1550 und 1620 spiegelt; Lied- und 
Motettenprinzip erweisen sich als schwer zu vereinen- 
de Gegensatze. Im -* Kantionalsatz zieht sich die Ch. 



165 



Choralbearbeitung 



gewissermaBen auf ihren protestantischen Ausgangs- 
punkt zuriick. In den f olgenden 50 Jahren erhielt fast 
jedes deutsche evangelische Territorium seinen eigenen 
Vorrat von Liedsatzen dieser Art, meist allerdings in 
aufgelockerterer Gestaltung. Eine Reihe von Kompo- 
nisten versuchte erneut, aus dem Choral ein zeitgema- 
Bes Kunstwerk zu machen (M. Franck 1602, H. L. HaB- 
ler 1607, Schein 1627). M.Praetorius' Musae Sioniae 
I-IV (1605-07) belegen den neuen Typ der doppel- 
chorigen Choralmotette mit episodenhaften Durch- 
imitationen, akkordischen Dialogen und C. f.-Durch- 
fiihrungen. Als Praetorius spater dazu iiberging, Par- 
tien fiir die »Favoriten« (Solisten) und solche fiir das 
gesamte Ensemble systematisch zu unterscheiden, war 
das Choral-(->-) Concerto entstanden, dessen glanzvoll- 
ste Belege (mit Symphonien, obligater Instrumental- 
begleitung und Ziergesang) seine Publikationen von 
1619-21 fiillen. Fast schematisch verwendet dann 
Scheidt den sukzessiven Kontrast, indem er die Melo- 
diezeilen erst in fugierender Technik vertont und da- 
nach sogleich im Kantionalstil und in vergroBerten 
Notenwerten wiederholt. Von der bewahrenden Ge- 
sinnung Scheidts hebt sich Scheins freiere Einstellung 
zum Lied ab, der die iiberlieferten Weisen verandert 
oder sogar preisgibt, wenn sie seinen Satztechnischen 
Planen widerstreben. Bald scheint man erkannt zu ha- 
ben, daB das C. f.-Prinzip fiir affektvolle Deklamation 
und lyrische Betrachtung ungeeignet ist. Abermals be- 
gann die Ch. den freien Kompositionen zu unterliegen. 
Kirchliche Reformbewegungen lenkten jedoch erneut 
den Blick auf das Lied. Seit etwa 1650 wurde die Ch. 
mit Gattungen verbunden, die auf anderen Texten be- 
ruhen (-> Kantate, -*■ Passion). Der Choralkantate in 
ihrer altesten, schon bei Scheidt erkennbaren Form 
dient ein einziges Lied per omnes versus als Grundlage 
einer meist von Strophe zu Strophe wechselnden musi- 
kalischen Darbietung. Wieder bedingt die Riicksicht- 
nahme auf eine »Kemweise« die altertiimliche Faktur 
mancher Satze (z. B. J.P.Krieger, Einfeste Burg, 1688, 
DDT LIII/LI V) . Wie in den Liedmessen der Zeit (Bern- 
hard, Theile, Zachow) ist dabei ein historisierender 
Ton oft nicht zu Uberhoren. Den Rahmen der Kan- 
taten bilden gewohnlich glanzvolle Konzerte mit 
Symphonien, solistischen Vorimitationen und Tutti- 
zusammenfassungen (Kniipfer, Schelle). Um auch aus- 
drucksvolle Solostiicke schreiben zu konnen, verzich- 
tete man in manchen Abschnitten auf die iiberlieferte 
Melodiesubstanz oder fiigte zwischen den Strophen 
bzw. an deren Stelle Neudichtungen ein. Diese erwei- 
terte Gestalt zeigen die meisten Choralkantaten J. S. 
Bachs. Sein sonstiges geistliches Vokalwerk ist voll 
von choralen Beziehungen. Sie finden sich zum Teil 
sogar in ouvertiirenartigen Formen, in Da-Capo- Arien 
und Rezitativen. Nach 1750 trat die Ch. in einen Zu- 
stand der Erstarrung. In den Motetten thiiringischer 
Komponisten behauptet sich noch eine Zeitlang die 
simultane oder auch sukzessive Verbindung von Bibel- 
text und Kirchenlied. Im Gebrauchsstil Note gegen 
Note beschlieBt der Choral kantatenhafte Partien oder 
markiert Einschnitte in Oratorien. Als man am Ende 
des 18. Jh. der in formelhaften Wendungen festgefah- 
renen Kirchenkantate iiberdriissig wurde, entstanden 
die »figurierten Chorale«, in denen etwa nach Art der 
friihbarocken Aria nach einer mehr oder weniger aus- 
gedehnten, mitunter symphonisch verselbstandigten 
instrumentalenEinleitung ein einfacher, vom Orchester 
figurierend begleiteter und durch Zwischenspiele ge- 
gliederter Liedsatz erklingt. J. A.Hiller hat diesen Typ 
der Ch., der im Werk von Doles und Turk vertreten 
ist, zu beschreiben versucht. - Durch den Verfall des 
kirchlichen Chorwesens und der gottesdienstlichen 



Formen im Zeitalter des theologischen Rationalismus 
war der Ch. der Boden entzogen worden. Die unter 
dem Eindruck J. S.Bachs komponierten Choralkanta- 
ten von F.Mendelssohn Bartholdy konnten auBerhalb 
Berlins keine Tradition mehr begriinden. Der Choral 
selbst verblaBte zum Symbol eines vagen Frommig- 
keitsideals. Erst im Zuge der liturgischen Erneuerungs- 
bewegungen begann man, die historischen Gattungen 
zu studieren. Doch mit der alten Ch. erwachte das 
Problem der stilistischen Assimilierbarkeit des Kirchen- 
liedes. H.Distler, E. Pepping u. a. verzichteten auf den 
Bruch mit der Tonalitat und bestatigten damit jenen 
Zwang zum Verharren, den die Ch. von jeher aus- 
geiibt hat. 

Ausg. : G. v. Tucher, Schatz d. ev. Kirchengesangs im 1. 
Jh. d. Reformation, 2 Bde, Lpz. 1848; L. Schoberlein, 
Schatz d. liturgischen Chor- u. Gemeindegesanges I— II, 
Gottingen 2 1 928-29 ; Hdb. d. deutschen ev. Kirchenmusik, 
hrsg. v. K. Ameln, Chr. Mahrenholz u. W. Thomas, 
Gottingen 1936ff. 

Lit.: J. A. Hiixer, Beytrage zur wahren Kirchenmusik, 
Lpz. 2 1791 ; C. v. Winterfeld, Der ev. Kirchengesang, 3 
Bde, Lpz. 1843^47; A. Schering, Gesch. d.ev. Kirchenmu- 
sik, Adler Hdb. ; Fr. Blume, Das monodische Prinzip in d. 
protestantischen Kirchenmusik, Lpz. 1925; ders., Die 
ev. Kirchenmusik, Biicken Hdb.; H. Teuscher, Christ ist 
erstanden. Stilkritische Studie . . ., Kassel 1930; O. Ur- 
spruno, Die kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb. ; H. Sirp, 
Die Thematik d. Kirchenkantaten J. S. Bachs in ihren Be- 
ziehungen zum protestantischen Kirchenlied, Bach-Jb. 
XXVIII, 1931 u. XXIX, 1932; W. Gosslau, Die religiose 
Haltung d. Reformationsmusik . . . , Kassel 1933 ; W. Gur- 
litt, J. Walter u. d. Musik d. Reformationszeit, Luther-Jb. 
XV, 1933 ; A. Adrio, Die Anfange d. geistlichen Konzerts, 
= Neue deutsche Forschungen XXXI, 1, Bin 1935; H. 
Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsphe Lied (1400- 
1640), ebenda CXCVII, 7, Bin 1938; F. Treiber, Die thu- 
ringisch-sachsische Kirchenkantate zur Zeit d. jungen 
Bach (etwa 1700-23), AfMf II, 1937; E. Nievergelt, Die 
Tonsatze d. deutsch-schweizerischen reformierten Kir- 
chengesangbucher im 17. Jh., Zurich 1944; C. Gerhardt, 
Die Torgauer Walter-Hss., = Mw. Arbeiten IV, Kassel 
1949; A. P. Buker, Ch. from J. Walther to D. Buxtehude, 
Diss. Boston Univ. 1953 ; H. H. Eggebrecht, J. Pachelbel 
alsVokalkomponist, AfMwXI, 1954;Thr. G.Georgiades, 
Musik u. Sprache. . . , Bin, Gottingen u. Heidelberg (1954) ; 
H. J. Moser, Die ev. Kirchenmusik in Deutschland, Bin u. 
Darmstadt 1954; W. Fortner, Geistliche Musik heute, 
MuK XXVII, 1957; S. Sorensen, D. Buxtehudes vokale 
kirkemusik ..., Kopenhagen 1958; A. Forchert, Das 
Spatwerk d. M. Praetorius, = Berliner Studien zur Mw I, 
Bin 1959 ; E. Platen, Untersuchungen zur Struktur d. cho- 
rischen Ch. J. S. Bachs, Diss. Bonn 1959; J. Stalmann, J. 
Walters Cantiones latinae, Diss. Tubingen 1960; E. Ges- 
ner, S. Scheidts Geistliche Konzerte, Bin 1961 ; A. Durr, 
Gedanken zum Kirchenmusikschaffen E. Peppings, MuK 
XXXI, 1 961 ; E. H. Sparks, C. f. in Mass and Motets, 1420- 
1520, Berkeley u. Los Angeles 1963. WB 

- 2) Die Ch. fiir Tasteninstrumente (hauptsachlich Or- 
gel) hat als C. f.-Grundlage wie die vokale Ch. den im 
weiteren Sinne verstandenen ->■ Choral. Ihre urspriing- 
liche und bis ins 19. Jh. vorwiegende Bestimmung ist 
die Verwendung im Gottesdienst ; dabei sind ihre Auf- 
gaben hauptsachlich: das versweise Alternieren mit 
dem Chor oder der Gemeinde (alternatim-Vers und 
-Strophe, -*■ Versett), das Praeambulieren vor dem 
Choralgesang (Choralvorspiel) und die Begleitung des 
Choralgesanges des Liturgen, des Chores oder der Ge- 
meinde (jedoch ist ein GroBteil der hierfiir bestimm- 
ten Satze bloBe Ausharmonisierung und nicht eigent- 
lich als Ch. zu bezeichnen). Daneben kam bereits um 
1600, zunachst im calvinistischen Holland, das auBer- 
gottesdienstliche Orgelspiel in der Kirche auf, das bald 
darauf in Norddeutschland und Danemark ubernom- 
men wurde; spater, besonders seit dem Ende des 19. 
Jh., bietet es als Orgel-»Konzert« die einzige Auffiih- 



166 



Choralbearbeitung 



rungsmoglichkeit fiir einen groBen und gewichtigen 
Teil der Ch.s-Literatur fiir Orgel. Eine weitere auBer- 
liturgische Musiziergelegenheit besteht in der hausli- 
chen Erbauung ; ihr sind besonders die im Stil der Lied- 
bearbeitung gehaltenen Variationenreihen des 17. Jh. 
(z. B. von Pachelbel) zuzuordnen, die auch ihrer Satz- 
art nach mehr zur Ausfiihrung auf dem besaiteten Ta- 
steninstrument als auf der Orgel geeignet sind. Endlich 
ist der auf die Beherrschung von Spieltechnik, Impro- 
visation und Komposition gerichtete didaktische Zweck 
zu nennen, der, meist verbunden mit der liturgischen 
Bestimmung, in der Geschichte der Gattung von den 
Exempla in Buchners Fundamentbuch iiber Bachs Or- 
gelbiichlein bis zu J.N.Davids Lehrstiick (Choralwerk, 
Heft 6) immer wieder begegnet. - In der musikalischen 
Gestaltung der Ch. lassen sich nach der Art der C. f .- 
Behandlung folgende Grundtypen unterscheiden : 1. 
die einmalige und vollstandige Durchfiihrung der Cho- 
ralmelodie (meist mit Wahrung der Stimmlage), wo- 
bei der Aufbau des C. f. fiir die Form der Bearbeitung 
grundlegend bleibt (Orgelchoral) ; dieser wichtigste 
und haufigste Grundtypus hat durch die verschiedenen 
Moglichkeiten hinsichtlich der Stimmenzahl, des Ab- 
hangigkeits- oder Kontrastverhaltnisses der Gegen- 
stimmen zum C. f., der planen oder kolorierten Dar- 
stelluhg des C. f . sowie dessen Mensurierung die gr6B- 
te Variabilitat und damit auch die groBte Fahigkeit zur 
Anpassung an den historischen Stilwandel; 2. die ab- 
schnittweise durchimitierende Durchfiihrung der ein- 
zelnen Choralzeilen bzw. der aus ihnen abgeleiteten 
Soggetti (Choralricercar) ; 3. die abschnittweise Bear- 
beitung der einzelnen Choralzeilen, die mehrfach und 
in verschiedenen Techniken durchgefuhrt werden 
(Choralfantasie) ; 4. die f ugierte Durchfiihrung der er- 
sten Choralzeile bzw. eines aus ihr gewonnenen Themas 
(Choralfuge, -fughette). Weitere Moglichkeiten erge- 
ben sich als Ubergangs- und Kombinationsf ormen aus 
den genannten Grundtypen sowie durch Einbeziehung 
von Kanon, Ostinato, Elementen der Arienf orm usw. ; 
daneben begegnen auch Formen, in denen der C. f. 
frei paraphrasierend behandelt wird und die sich einer 
Typisierung entziehen. - Die Ch. als zyklisches Gebil- 
de entsteht entweder durch die Zusammenstellung der 
zum liturgischen Gebrauch erforderlichen Einzelsatze 
(Versusprinzip) oder ist als zusammenhangende und 
in sich geschlossene Form komponiert (Variatioprin- 
zip). Im ersten Fall besteht keine Notwendigkeit zu 
musikalischem Zusammenhang iiber die in Tonart und 
C. f . gegebene Einheitlichkeit hinaus, da ein solcher im 
Rahmen des alternatim-Musizierens nur bedingt zur 
Geltung kommt ; es konnen sogar innerhalb einer Reihe 
C. f.-gebundene und freie Satze zusammentreten (so 
z. B. in Grignys Livre d'orgue). Entsprechend bietet 
andererseits die rein musikalische, auf motivischem Zu- 
sammenhang, auf Kontrast und Steigerung beruhende 
Zyklenbildung nicht immer die Moglichkeit der Her- 
auslosung von Einzelsatzen fiir den liturgischen Ge- 
brauch (so etwa in Sweelincks Ch.en mit ihrem flie- 
Benden Ubergang zwischen den Variationen). Indessen 
beruht ein groBer Teil der zyklischen Ch.en auf der 
Durchdringung von Versus- und Variatioprinzip ; Bei- 
spiele dafiir bieten die meisten Zyklen in Scheidts Ta- 
bulatura nova. 

Die Geschichte der Ch. fiir Tasteninstrumente zeigt 
einen gegeniiber der jeweils gleichzeitigen vokalen Ch. 
weitgehend eigenstandigen Verlauf . Die Uberlieferung 
setzt Anfang des 15. Jh. ein mit den MeBsatzen der Hs. 
Fa (-»■ Quellen), in denen der Tenor-C. f. von einer be- 
wegten Diskantstimme kontrapunktiert wird. Die 
gleiche Technik zeigen in Deutschland die Ch.en der 
aus Sagan (urn 1425) und Winsem (um 1430) stam- 



menden Fragmente; sie wird auch noch in den alteren 
Fassungen (Erlangen und Lochamer Liederbuch) von 
Paumanns Fundamentum organisandi gelehrt (-»■ Funda- 
mentbuch). Demgegeniiber ist der Typus, den die 
Meflsatze, Antiphonen, Hymnen und Magnificat 
des Buxheimer Orgelbuches (aufgezeichnet etwa 
zwischen 1460 und 1470) sowie die beiden in dieser 
Handschrift enthaltenen Fundamenta Paumanns aus- 
pragen, zumeist durch Hinzufugung eines Contra- 
tenors zur Dreistimmigkeit erweitert. Im Vergleich 
zu der geringen Anzahl von Quellen aus dem 15. Jh., 
in dem die Ch. mit ihrer wenig differenzierten Tech- 
nik wohl weitgehend der Improvisation iiberlassen 
blieb, ist aus dem 16. Jh. ein groBeres Repertoire 
iiberliefert, das eine reiche Entfaltung der kontra- 
punktischen und formalen Gestaltungsmoglichkei- 
ten zeigt, wobei die Vierstimmigkeit in den Vorder- 
grund tritt. Die deutsche Tradition wird fortgesetzt 
in Schlicks Tabulaturen etlicher Lobgesang (1512) und 
Buchners im AnschluB an sein Fundamentum aufge- 
zeichneten Ch.en; Frankreich ist nur durch Attain- 
gnants Drucke von 1530/31 vertreten; in Italien sind 
hervorzuheben G. Cavazzonis Intavolatura ... (1542) 
und Cl.Merulos Messe d' intavolatura (1568), in Spanien 
die posthum erschienenen Hymnen, Magnificat, 
Psalm versetten und Kyrie von A. de Cabezon. Die 
handschriftlich iiberlieferten Satze der englischen 
Organisten (Redford, Preston, Tallis, Blitheman u. a.) 
bevorzugen die Zwei- und Dreistimmigkeit und zei- 
gen zum Teil schon das Spiel mit intrikaten Rhythmen 
und virtuosem Figurenwerk, das spater fiir die Ch.en 
von Bull charakteristisch ist und auch die Technik 
Sweelincks und seiner Schiiler stark beeinfluBt hat. Im 
17. Jh. wird in den romanischen Landern die Tradition 
der Messen-, Hymnen- und Magnificatkomposition 
fortgesetzt; aus dem reichen Repertoire ragen hervor 
die Werke von Titelouze (Hymnes de Veglise, 1623; Le 
Magnificat, 1626), Correa de Arrauxo (Libro de tientos 
. . . intitulado Facultad Organica, 1626), Frescobaldi 
(Fiori musicali, 1635) und die seit 1665 erschienenen Or- 
gelbiicher der franzosischen Organisten (Nivers, Le- 
begue, Gigault, Couperin, Grigny). Gleichzeitig tritt 
im protestantischen Teil Deutschlands entsprechend 
der liturgischen Bedeutung des lutherischen Chorals 
die deutsche Kirchenliedbearbeitung mehr und mehr 
in den Vordergrund. Bedeutend als Anreger der deut- 
schen Organisten auf diesem Gebiet ist Sweelinck. Un- 
ter seinen zahlreichen Schiilern gewann H.Scheide- 
mann zumal mit seinen monodisch-kolorierten Orgel- 
choralen und Choralfantasien groBen Einflufi auf die 
folgenden norddeutschen Komponisten (Tunder, 
Reinken, Weckmann, Buxtehude u. a.), wihrend 
Scheidts Tabulatura Nova (1624) mit ihrer Formklar- 
heit und konzentrierten Kontrapunktik zum Ankniip- 
fungspunkt der mitteldeutschen Schule wurde; hier 
wird eine Reihe kleinerer Meister (Kindermann, Ahle, 
J.Chr.Bach, Buttstedt, Armsdorf u. a.) von J. Pachelbel 
iiberragt, fiir dessen Schaffen die Choralfuge, die Cho- 
ralpartita nach Art der Lied- und Ariavariation und 
der Orgelchoral mit langmensuriertem, zeilenweise 
vorimitiertem C. f. charakteristisch sind. Mitteldeut- 
sche und norddeutsche Tradition vereinigen sich in 
den Ch.en von G.Bohm und J.G.Walther.J.S.Bachs 
Ch.en, teils in Sammlungen (Orgelbuchlein, III. Teil 
der Clavieriibung, 6 [Schiibler-]C/iora7e, 18 Chorale), 
teils als Einzelwerke iiberliefert, gehoren den vorkom- 
menden Typen nach primar der mitteldeutschen Schu- 
le zu (Liedbearbeitungstypus der Choralpartiten und 
des Orgelbiichleins, Choralfuge, Orgelchoral Pachelbel- 
scher Pragung) ; dazu kommen aus norddeutscher Tra- 
dition der Orgelchoral mit koloriertem C. f. und die 



167 



Choralbearbeitung 



Choralfantasie (nur BWV 718) sowie, als einziger von 
Bach neugeschaffener Typus, das Choraltrio (BWV 
655, 664, 676). Eigenart und GroBe von Bachs choral- 
gebundenem Orgelwerk liegen in der individuellen 
Ausformung des Einzelstiickes, die ihren Hohepunkt 
im III. Teil der Clavieriibung erreicht und sich meist auf 
eine Beziehung zum Choraltext griindet. - Bereits seit 
dem Anfang des 18. Jh. blieb die Komposition von 
Ch.en im wesentlichen auf Deutsthland, besonders 
dessen protestantischen Bereich, beschrankt. Nach 
Bachs Tod entstanden Ch.en bis zum Ende des 19. Jh. 
fast ausschlieBlich als Gebrauchskunst minderen Ran- 
ges. Ausnahmen sind Mendelssohns 6. Orgelsonate 
(iiber Vater unset im Himmelrekh) und Brahms' Choral- 
vorspiele, die freilich Randerscheinungen im Gesamt- 
werk dieser Kompbnisten blieben. Bedeutend tritt die 
Gattung erst wieder im Schaffen Regers hervor mit den 
sieben groBangelegten zyklischen Phantasien iiber pro- 
testantische Kirchenlieder und drei Sammlungen von 
Choralvorspielen. Im Gef olge der liturgischen Erneue- 
rungsbestrebungen des 20. Jh. und der Orgelbewe- 
gung entstand in den letzten Jahrzehnten eine Fiille von 
choralgebundenen Orgelwerken sowohl zum liturgi- 
schen als auch zum Konzertgebrauch (David, Ahrens, 
Pepping, Distler, Reda u. a.), in denen das Problem des 
Ausgleichs von C. f .-Bindung und Kompositionsmit- 
teln der Moderne die verschiedenartigsten Losungen 
gefunden hat. 

Ausg. : Das Buxheimer Orgelbuch, Faks. hrsg. v. B. A. 
Wallner, = DM1II, 1, 1955;dass.,hrsg. v.ders., = EDM 
XXXVII-XXXIX, Kassel 1958-59; The Mulliner Book, 
hrsg. v. D. Stevens, = Mus. Brit. I, London 1952, 21959; 
46 Chorale f. Org. v. J. P. Sweelinck u. seinen deutschen 
Schulern, hrsg. v. G. Gerdes, = MMD III, 1957; Ch. u. 
freie Stiicke d. deutschen Sweelinck-Schule, hrsg. v. H. J. 
Moser u. Tr. Fedtke, I— II, Kassel 1954-55; AUein Gott 
in d. Hon sei Ehr, 20 Ch. d. deutschen Sweelinck-Schule, 
hrsg. v. dens., Kassel 1955; Die Liineburger Orgeltabula- 
tur KN 2081, hrsg. v. M. Reimann, = EDM XXXVI, Ffm. 
1957; Choralvorspiele alter Meister, hrsg. v. K. Straube, 
Lpz. 1907; 80 Choralvorspiele deutscher Meister d. 17. u. 
18. Jh., hrsg. v. H. Keller, Lpz. 1937; Orgelchorale d. 17. 
u. 18. Jh., hrsg. v. K. W. Senn, W. Schmidt u. G. Aesch- 
bacher, Kassel 1951 ; Orgelchorale um J. S. Bach, hrsg. v. 
G. Frotscher, = RD IX, Braunschweig 1937. 
Lit. : A. G. Ritter, Zur Gesch. d. Orgelspiels, vornehmlich 
d. deutschen, im 14. bis zum Anfanged. 18. Jh., 2Bde, Lpz. 
1 884 ; G. Rietschel, Die Auf gabe d. Org. im Gottesdienste 
bis in d. 18. Jh., Lpz. 1893; Fr. Dietrich, Gesch. d. deut- 
schen Orgelchorals im 17. Jh., = Heidelberger Studien zur 
Mw. I, Kassel 1932; ders., J. S. Bachs Orgelchoral u. seine 
geschichtlichen Wurzeln, Bach-Jb. XXVI, 1929; G. Kitt- 
ler, Gesch. d. protestantischen Orgelchorals, tjckermiinde 
1 93 1 ; K. G. Fellerer, Beitr. zur Choralbegleitung u. Cho- 
ralverarbeitung in d. Orgelmusik d. ausgehenden 18. u. be- 
ginnenden 19. Jh., = Slg mw. Abh. VI, StraBburg 1932; H. 
Kelletat, Zur Gesch. d. deutschen Orgelmusik in d. Friih- 
klassik, = Konigsberger Studien zur Mw. XV, Kassel 
1933; H. Klotz, Uber d. Orgelkunst d. Gotik, d. Renais- 
sance u. d. Barock, Kassel 1 934 ; L. Schrade, Die Messe in 
d. Orgelmusik d. 15. Jh.,AfMwI, 1936;DERS.,TheOrganin 
the Mass of the 1 5 th Cent., MQ XXVIII, 1942 ; L. Sohner, 
Die Orgelbegleitung zum Gregorianischen Gesang,= Kir- 
chenmus. Reihe II, Regensburg 1936; N. Dufourcq, La 
musique d'orgue f re. de J. Titelouze a J. Alain , Paris 2 1 949 ; 
Fr. Kessler, Neue Bestrebungen auf d. Gebiet d. Orgel- 
chorals, Diss. Mainz 1950, maschr. ; H. Schmidt, Unter- 
suchungen zur choralbezogenen Orgelmusik seit M. Re- 
ger, Diss. Erlangen 1951, maschr.; E. E. Lowinsky, Engl. 
Organ Music of the Renaissance, MQ XXXIX, 1953 ; M. 
Blindow, Die Choralbegleitung d. 18. Jh. in d. ev. Kirche 
Deutschlands, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XIII, 
Regensburg 1957; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels u. 
d. Orgelkomposition, I-II, Bin 1935-36, 21959; K. v. Fi- 
scher, Zur Entstehungsgesch. d. Orgelchoralvariation, Fs. 
Fr. Blume, Kassel 1963. WBr 



Choral(begleit)buch, eine Sammlung von (evangc- 
lischen) Kirchenliedern in der Ordnung des Gesang- 
buchs in 4st. Bearbeitung (-»- Kantionalsatz) oder nur 
mit Melodien und beziflerten Bassen zum Gebrauch 
der Organisten zur Begleitung des Gemeindegesanges 
im Gottesdienst. Das erste Ch. mit Melodie und be- 
ziffertem BaB gab 1692 D. -»■ Speer heraus (Choral 
Gesang-Buch, Auffdas Clavir oder Orgel . . .). 
Lit. : J. Petzold, Die gedruckten 4st. Choralbucher f . d. 
Org. d. deutschen ev. Kirche (1785-1933), Diss. Halle 1935; 
M. Blindow, Die Choralbegleitung d. 18. Jh. in d. ev. Kir- 
che Deutschlands, = Kolner Beitr. zur Musikforschung 
XIII, Regensburg 1957. 

Choralnotation ist im Gegensatz zur Mensuralnota- 
tion die fur den Gregorianischen Gesang iibliche Nc~ 
tierungsweise, die nicht den Rhythmus, sondern nur 
die Tonhohenveranderungen und die Verteilung der 
Melismen auf die Textsilben anzeigt, ursprunglich 
(nachweisbar seit dem 9. Jh.) in der Gestalt der weder 
die Tonlage noch die Intervalle genau bestimmenden 
Neumen, seit Guido von Arezzo (um 1020) durch Ein- 
tragung in ein geschliisseltes Liniensystem zwar Ton- 
hone und -abstande fixierend, aber ebenfalls ohne 
rhythmische Wertzeichen. Im engeren Sinne heifien 
Ch. 2 Schriftarten, die im 13. Jh. herausgebildet wur- 
den und sich nur durch verschiedene graphische For- 
men unterscheiden, namlich als gotische und romische 
Ch. Gemeinsame Kennzeichen sind: diastematische 
Notierung, meist im Vierliniensystem ; die Melodie 
wird als Folge einzelner Tone (nicht, wie in den alteren 
Neumen, in ihrem Bewegungsablauf) dargestellt, da- 
her verschwinden viele Differenzierungen der Neu- 
menschrift, vor allem Vortrags- oder Ornamentzei- 
chen ; die Tonzeichen herrschen vor, Gruppenzeichen, 
wo sie nicht aufgelost wurden, lassen sich als verbun- 
dene Punkte auf f assen ; auf einanderf olgende Tone kon- 
nen, abgesehen vom Podatuszeichen, nicht iiber- 
oder untereinander notiert werden. Diese Umbildung 
der Neumenschrift vollzog sich parallel zur Ausbildung 
der Modal- und Mensuralmusik, die ja auch auf den 
Choralvortrag eingewirkt hat. Die gotische (deutsche) 
Ch. hat die Formen der Neumen getreuer bewahrt, 
nur vergrobert und wie die gotische Schrif t eckig ge- 
staltet; ihre Hauptzeichen sind aus der Virga entwik- 

kelt: J-JI (Hufnagelschrift). In der romischen oder 

italienischen Ch. hat jede Note quadratische Gestalt (■), 
weshalb man sie auch nota quadrata oder quadriquarta 
nannte. Nur die der Virga mit vorausgehenden oder 
folgenden Punkten entsprechenden Figuren ,■ und ■♦ 
zeigen die rhombische Notenform statt der quadrati- 
schen, und auch die Vereinigung zweier Noten in ei- 
nem schragen Korper (figura obliqua ^*) weicht hierin 
ab. Die quadratische Form des Punctum und seine 
Rolle als Element der Gruppenzeichen sind Merkmale, 
die die romische Ch. mit der franzosischen Neumen- 
schrift (seit dem 1 1 . Jh.) teilt, vor allem der aquitani- 
schen, in der auch die Mehrstimmigkeit von St. Mar- 
tial geschrieben ist ; den hier ausgebildeten Tonzeichen 
verlieh die Modal- und Mensuralnotation als Longa, 
Brevis und Semibrevis bestimmte rhythmische Be- 
deutung. In der Ch. dagegen haben sich vereinzelte 
Versuche, genaue rhythmische Proportionen durch 
die verschiedenen Neumentypen oder Zusatzzeichen 
sichtbar zu machen, nicht durchgesetzt ; doch ist im 
Prinzip unbestritten, daB die verschiedenen Zeichen 
der Ch. einen freien Choralrhythmus andeuten. Zur 
Nota romana wurde die Quadratschrift, als Papst Ni- 
kolaus III. (1277-80) in Rom die Neumenhandschrif- 
ten entfernen lieB und an ihrer Stelle die in der neuen 
Art notierten liturgischen Biicher der Franziskaner 



168 



Chorbuch 



einfiihrte. In den liturgischen Biichern ist die romische 
Ch. vorherrschend geblieben und wird auch heute 
verwendet. Wahrend des Mittelalters umfaBte ihr Gel- 
tungsbereich auch das 1st. Lied (z. B. Cantigas, Laude) ; 
hier muB von Fall zu Fall entschieden werden, ob die 
Aufzeichnung modal, mensural oder rhythmisch frei 
zu interpretieren ist. Die deutschen Liederhandschrif- 
ten bis zum fruhen Meistersang (ausgenommen der in 
romischer Ch. geschriebene Jenaer Codex) schlieBen 
sich vorwiegend an die gotische Ch. an, bevorzugen 
jedoch das Punctum inclinatum (Semibrevis) als Haupt- 
zeichen. In der Ch. wurden auch mehrstimmige Psalm- 
bzw. Falsobordonesatze des 16. Jh. notiert (Contra- 
punctus floridus der Theoretiker), ferner in einigen 
Handschriften um 1500 (Miinchen, Mus. ms. 3154; Je- 
na, Chorbuch 34; Basler Isaac-Handschrift F. IX. 55) 
chorale Tenores, deren Grundzeichen dann den Breves 
der anderen Stimmen entsprechen. 
Lit. : H. Riemann, Notenschrift u. Notendruck, Fs. C. G. 
Roder, Lpz. 1896; E. Bernoulli, Die Choralnotenschrift 
. . ., Lpz. 1898; R. Molitor OSB, Reform-Choral, Frei- 
burg i. Br. 1901 ; ders., Deutsche Choral-Wiegendrucke, 
Regensburg 1904; H. Springer, Zur Musiktypographie 
. . . , in : Beitr. zur Biicherkunde u. Philologie, Fs. A. Wil- 
manns, Lpz. 1903 ; P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregoria- 
nischen Melodien II, Lpz. 1905, Neudruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; O. Marxer, Zur spatma. Choralgesch. 
St. Gallens, St. Gallen 1908; M. Sigl, Zur Gesch. d. Or- 
dinarium Missae..., Regensburg 1911; H. M. Bannister 
OSB, Monumenti vaticani di paleografia mus. lat., 2 Bde, 
Lpz. 1913;WoLFN;Mus.Schrifttafeln,hrsg.v. J. Wolf, 10 
H., = Veroff. d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung Bucke- 
burg II, 2, Lpz. 1922-23, Buckeburg u. Lpz. 21927 ; Gr. M. 
Sunyol OSB, Introduction a la paleografia mus. gregoria- 
na, Montserrat 1925, erweitert frz. Paris 1935; R.-J. Hes- 
bert OSB, Les mss. mus. de Jumieges, in: Monumenta 
musicae sacrae II, Macon 1954; Fr. Tack, Der gregoriani- 
sche Choral, = Das Musikwerk XVIII, Koln (1960). 

Choralvorspiel -*■ Choralbearbeitung. 

Chorbuch (ital. libro de coro; frz. livre de choeur; 
engl. choir-book; span, libro de facistol oder de atril), 
ein oft prachtvoll ausgestattetes Buch im (GroB-)Fo- 
lioformat, in das die Noten in grosso-Schrift gemalt 
wurden; es wurde in der Kirche auf ein Pult gestellt, 
damit die Sanger des Chores gemeinsam daraus singen 
konnten (Abbildung nach -*■ Gaffori u. a. bei P.Wag- 
ner 1912, S. 342). Fur den 1st. Choral waren Chorbii- 
cher vom 13. bis 18. Jh. in Gebrauch. Ein Druck Gafforis 
von 1512 zeigt die Kantorei und einen mensurierenden 
Knaben bei einem Ch. mit Choralnoten (die demnach 
offenbar mensural ausgefiihrt wurden). Im Zeitalter 
der mensuralen Chorpolyphonie von etwa 1430 bis 
zum 17. Jh. wurden die Stimmen in Blocken je fur 
sich auf eine recto- und verso-Seite geschrieben, nach 
niederlandischem Brauch in der Anordnung : 



verso 


recto 


Discantus 


Contratenor 




Altus 


Tenor 


Contratenor 




Bassus 



In deutschen Chorbuchem steht der Bassus auch auf 
der verso-Seite unter dem Discantus, der Tenor rechts. 
Der Sinn dieser verschiedenen Anordnung ist offenbar 
darin zu suchen, daB entweder das traditionelle Dis- 
cantus-Tenor-Geriist oder das AuBenstimmenpaar 
Discantus-Bassus hervorgehoben werden soil. - Die 
ersten Chorbiicher wurden um 1430-40 geschrieben. 
Gedruckte Chorbiicher sind im 16. Jh. nicht selten (u. 
a. der von Senfl redigierte Liber selectarum cantionum, 
Augsburg 1520) ; zu ihnen gehort noch Schiitz' Becker- 



scher Psalter op. 5 (Freiberg 1628, 1640, 1661). Im allge- 
meinen bot der Notendruck keinen Ersatz fiir die An- 
lage von handschriftlichen Chorbiichern; diese hielt 
vielmehr in den groBeren Kapellen (z. B. Miinchen, 
Stuttgart, Kassel, Augsburg) bis zur Einfiihrung der 
Konzertmusik im fruhen 17. Jh. an und wurde unter 
bestimmten Bedingungen (Cappella Sistina, auch Spa- 
nien und Portugal) bis ins 18. und 19. Jh. fortgesetzt. 
Solche spaten Chorbiicher haben fiir die Forschung 
nicht nur als Zeugnisse fiir das Repertoire einer Kapelle, 
sondern vielf ach auch als primare Quellen ihren Wert. 
Die wichtigsten Chorbiicher bis um 1500 sind die 
-+ Quellen Brux 5557, BU, Ca 6 und 11, Chi, CS 14 
und 15, ModB, SPB 80. 

Von den spateren seien genannt : Annaberg (Erzgebirge), 
St. Annenkirche, Hs. 1 126 u. 1248 ; 2. Viertel d. 16. Jh. Lit. : 
H. Funck, Die Ch. d. St. Annenkirche zu A., Habil.-Schrift 
Freiburg i. Br. 1933. - Augsburg, Staats- u. Stadtbibl.; 
19 Ch., geschrieben 1558-1614 fiir d. Benediktinerkloster 
S. Ulrich u. Afra in A. Lit.: H. M. Schletterer, Kat. d. in 
d. Kreis- u. Stadt-Bibl. zu A. befindlichen Musikwerke, 
= Beilage zu MfM X-XI, Bin 1878. - Bergamo, Arch, di 
S. Maria Maggiore, Cod. 1207D-1209D; hauptsachlich 
Werke G. Albertis. - Berlin, Deutsche Staats-Bibl., Mus. 
ms. 40013 (olim Z. 13), entstanden um 1545 unter J. Wal^ 
ters Aufsicht in Torgau. Lit. : C. Gerhardt, Die Torgauer 
Walter-Hss., = Mw. Arbeiten IV, Kassel (1949) ; Mus. ms. 
40020, geschrieben 1 587, gehort zur Augsburger Ch.-Grup- 
pe. - Brussel, Bibl. Royale ; 5 Ch. aus d. Zeit d. Margarete 
v. Osterreich, darunter ein Chanson-Album (Ms. 228). 
Lit. : Ch. Van den Borren, Inventaire des mss. ... en Bel- 
gique, AMI V-VI, 1933-34; J. Robijns, Eine Musikhs. d. 

fruhen 16. Jh KmJb XLIV, 1960; M. Picker, The 

Chanson Albums of Marguerite d'Autriche, Ann. mus. VI, 
1958/63. - Cambridge, Gonville and Caius Medical Colle- 
ge, Ms. 667; 1. Halfte d. 16. Jh., wahrscheinlich fiir St. 
Stephen's, Westminster, geschrieben, Messen u. Magnifi- 
cat. - Dresden, Sachs. Landesbibl., verwahrt 7 (v. ehemals 
1 6) Ch. d. Kantoreiges. Pirna, entstanden um 1 550-65, zum 
Teil schlecht erhalten. Lit.: L. Hoffmann-Erbrecht, Die 
Ch. d. Stadtkirche zu Pirna, AMI XXVII, 1955. - Edin- 
burgh, National Library, Adv. Ms. 5. 1. 15 (Scone Anti- 
phonary); um 1510-50, engl. Musik u. eine Dufay-Messe. 
Lit. : K. Elliott, The Carver Choir-book, ML XLI, 1960. - 
Eisenach, Carl-Alexander-Bibl., Cantorenbuch, angelegt 
um 1540-50 v. Kantor d. Lateinschule E. Lit.: O. Schro- 
der in: ZfMwXIV, 1931/32. -Erlangen, Univ.-Bibl., Ms. 
473, 1-4; 4 Ch. aus Heilsbronn, geschrieben 1539-48. Lit. : 

Fr. Krautwurst, Die Hellsbronner Ch Jb. f . franki- 

sche Landesforschung XXV, 1965. - Eton College, Ms. 
178; um 1 500 in E. entstanden. Ausg. : The E. Choir-book, 
hrsg. v. Fr. LI. Harrison, 3 Bde, = Mus. Brit. X-XII, London 
1956-61, dazu L. Finscher in: Mf XVI, 1963. Lit.: Fr. LI. 
Harrison, The E. Choir-book, Ann. mus. I, 1953. - Flo- 
renz, Bibl. Olschki; »Medici-Codex«, geschrieben 1518 
zur Hochzeit Lorenzo de'Medicis. Lit. : E. E. Lowinsky, 
The Medici Codex, Ann. mus. V, 1957. - Gotha, Landes- 
bibl., Ms. Chart. A. 98, geschrieben 1545 unter Aufsicht J. 
Walters f . d. SchloBkirche Torgau. Lit. : C. Gerhardt, Die 
Torgauer Walter-Hss., = Mw. Arbeiten IV, Kassel (1949). 
- Jena, Univ.-Bibl. 1 8 Ch., um 1 500-20 aus d. kurfurstlich 
sachsischen Hof kapelle. Lit. : K. E. Roediger, Die geistli- 
chen Musikhss. d. Univ.-Bibl. J., 2 Bde, =Claves Jenenses 
III, J. 1935. - Kassel, Landesbibl. 16. Ch. d. Hofkapelle, um 
1600, darunter Ms. 2« Mus. 15 mit Lechners Passion, ge- 
schrieben 1593 in Stuttgart. Lit. : K. Ameln in: LechnerGA 
XII, K. 1960. - Koniggratz (Hradec Kralove), Codex 
Specialnik, geschrieben 1611, Repertoire d. 15.-16. Jh. 
Lit. : D. Orel, Der Mensuralcodex Specialnik, Diss. Wien 
1914, maschr. - London, Lambeth Palace, Ms. 1 ; um 1510, 
engl. Repertoire. Lit. : Fr. LI. Harrison in : Mus. Brit. X, L. 
1956, S. 142. - Luttich, Bibl. du Conservatoire, Ms. 1 325 ; 
geschrieben 1645 f. d. Kathedrale L. Lit.: Ch. Van den 
Borren in: AMI VI, 1934, S. 70ff. - Mailand, Arch, della 
Cappella del Duomo, Librone 1-4 (olim Ms. 2266-69) ; ge- 
schrieben 1490-1527, Repertoire d. Kapelle zur Zeit Gaf- 
foris. Lit. : Kn. Jeppesen, Die 3 Gafurius-Kodizes . . . , 
AMI III, 1931 ; CI. Sartori, II quarto cod. di Gaffurio 
CHM 1, 1953. - Mecheln, Arch, de la Ville ; ein Pracht-Ch. 



169 



Chordometer 



d.friihen 16Jh. Lit.: Ch.VandenBorrenin: AMI VI, 1934, 
S. 116f. - Modena, Bibl. Capitolare, Cod. 4; 1. Halfte d. 
16. Jh., Gebrauchs-Hs. d. Domkapelle mit Messen, Mo- 
tetten, Hymnen u. Magnificat vornehmlich franco-flami- 
scher Meister. Bibl. Estense; einige Ch. d. Hofkapelle 
Ferrara um 1 500. - Montserrat, Abtei, Ms. 765-788 ; Ch. 
aus M. u. aus d. Real Convento de las Seftoras de la Encar- 
nacion in Madrid. Lit. : R. B. Lenaerts, Nld. polyphone 
Musik . . . , Fs. J. Schmidt-Gbrg, Bonn 1957. - Munchen, 
Bayerische Staats-Bibl. ; viele Ch. d. M.er Hofkapelle aus 
d. 1 6. Jh. Lit. : J. J. Maier, Die mus. Hss. d. k. Hof- u. Staats- 
bibl. in M. I, = Cat. codicum manu scriptorum Bibl. regiae 
Monacensis VIII, 1, M. 1879. - Nurnberg, 17 Ch., ge- 
schrieben 1573-97 fur St. Egidien, befinden sich teils im 
Landeskirchlichen Arch., teils im Germanischen National- 
Museum. Lit. : W. H. Rubsamen, The International .Ca- 
tholic' Repertoire . . ., Ann. mus. V, 1957. - Rom, Bibl. 
Apostolica Vaticana, verwahrt d. groBen Bestand d. Cap- 
pella Sistina u.Cappella Giulia. Lit. : Fr. X. Haberl, Bibliogr. 

u. thematischer Musikkat. d. papstlichen Kapellarch 

= Beilage I zu Mf M XIX, 1 886 - XX, 1 887, auch als : Bau- 
steine f . Mg. II, Lpz. 1 888 ; J. M. Llorens, Capellae Sixtinae 
codices..., Rom 1960. - Stuttgart, Wiirtt. Landesbibl. ; 
48 Ch., d. bis um 1580 fur d. St.er Hofkapelle geschrieben 
wurden, sowie 5 Ch. d. Jahre 1616-26 aus d. Benediktiner- 
kloster Zwiefalten. Lit. : H. Marquardt, Die St.er Ch., Diss. 
Tubingen 1936. - Toledo, Catedral, Arch. mus. ; 34 Ch. d. 
16.-18. Jh. Lit.: F. Rubio Piqueras, Codices polifonicos 
toledanos, T. (1925); R. B. Lenaerts, Les mss. polypho- 
niques de la Bibl. Capitulaire de T., Kgr.-Ber. Utrecht 
1952. - Verona, Bibl. Capitolare, Cod. Mus. DCCLV- 
DCCLXI. Lit. : G. Turrini, II patrimonio mus. della Bibl. 
Capitolare di V., V. (1952). - Vila Vicosa, Paco ducal ; 20 
Ch.-Drucke u. -Hss. d. 16.-19. Jh. aus d. port. Hofkapelle. 
Lit.: M. Joaquim, Vinte livros de musica polifonica do 
paco ducal deV. V., Lissabon 1953. -Weimar, Stadtkirche; 
2 Ch. d. kursachsischen Hofkapelle. Lit. : K. E. Roediger, 
Die geistlichen Musikhss. d. Univ.-Bibl. Jena, 2 Bde, 
= Claves Jenenses III, Jena 1935; C. Gerhardt, Die Tor- 
gauer Walter-Hss., = Mw. Arbeiten IV, Kassel (1949). - 
Wien, Osterreichische Nationalbibl. ; viele Ch. verschie- 
dener Herkunf t, u. a. d. Pracht-Ms. 1783, geschrieben 1526 
zur Hochzeit Karls V., sowie Ms. Suppl. Mus. 15500, ein 
deutsches Ch. um 1544. Lit.: W. Kirsch, Ein unbeachtetes 

Ch Mf XIV, 1961 . - Kunsthist. Staatsmuseum, Slg f. 

Plastik u. Kunstgewerbe, Ms. 5248; geschrieben 1493 f. 
Maximilian I. - Wolfenbuttel, Herzog-August-Bibl., Ms. 
A; Pracht-Ch. um 1510-20. 

Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien II, Lpz. 2 1912, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; H. Besseler, Studien zur Musik d. MA, AfMw VII, 
1925 - VIII, 1926; ders., Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 
1950; W. Gurlitt, Kirchenmusik u. Kirchenraum, MuK 
XIX, 1949; M. F. Bukofzer, Studies in Medieval and Re- 
naissance Music, NY 1950. 

Chordometer ->■ Saiten. 

Chordophone (griech., s. v. w. Saitenklinger) hei- 
Ben in der Systematik der Musikinstrumente bei Ma- 
hillon 1880 und v. Hornbostel und Sachs 1914 die In- 
strumente, bei denen der Ton durch Anschlagen (wie 
beim Hackbrett und dem Hammerklavier), Anreifien 
(->Zupfinstrumente),Reiben oder Streichen (-^-Streich- 
instrumente) oder Anblasen (wie bei der Aeolsharfe) 
von Saiten erzeugt wird. Nach ihrer Bauart werden 
einfache (-> Zither) und zusammengesetzte (-*■ Leier, 
-*■ Harfe, -> Laute) Ch. unterschieden. 
Lit. : K. v. Jan, Die griech. Saiteninstr., = Wiss. Beilage 
zum Jahresber. d. Gymnasiums zu Saargemiind, Lpz. 1882 ; 
E. Heron-Allen, De fidiculis opuscula VI, London 1894; 
A. Tolbecque, Notice hist, sur les instr. a cordes et archet, 
Niort 1898; R. Wallaschek, Urgesch. d. Saiteninstr., 
Mitt. d. Anthropologischen Ges. XXVIII (= N. F. XVIII), 
1898; H. Panum, Middelalderens Strengeinstr., 3 Bde, 
Kopenhagen 1925-31, engl. als: The Stringed Instr. of the 
Middle Ages, hrsg. v. J. Pulver, London o. J. ; C. Sachs, 
Der Ursprung d. Saiteninstr., Fs. P. Schmidt, Wien 1928; 
Fr. Dick, Bezeichnungen f. Saiten- u. Schlaginstr. in d. 
altfrz. Lit., = Giessener Beitr. zur Romanischen Philologie 



XXV, GieBen 1932 ; T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr. 
I— II, Stockholm 1936-39, Hannover 21941; J.-S. Lauren- 
ty, Les ch. du Congo Beige et du Ruanda-Urundi, = An- 
nales du Musee royal du Congo beige, N. F., Sciences de 
l'homme II, Tervueren 1960. 

Chorea (lat., von griech. /opcia, Reigen), Tanzlied, 
besonders Allemande (Ch. germanka bei M. Rey- 
mann 1598; Choreae quas Allemande vacant germanke 
bei Besard 1603) oder Pavane (B. de Drusina 1556). 
Die Bezeichnung kommt bereits bei Augustinus vor 
(chorea est circulus cuius centrum est diabolus et omnes ver- 
gunt in sinistrum), dann im Spatmittelalter bei Johannes 
de Grocheo (um 1300) und Robert de Handlo (1326). 
In der Stillehre des Barocks, etwa bei A. Kircher (Mu- 
surgia universalis, 1650), gibt es einen Stylus choraicus. 

Choreographie (von griech. /opeia, Reigen, undypdc- 
<pstv, schreiben; frz. choregraphie; ital. coreografia), 
Tanzschrift, schriftliche Aufzeichnung von tanzeri- 
schen Bewegungsfolgen (Stellung, Haltung, Bewe- 
gung, Richtung) mit bestimmten, fur diesen Zweck 
erdachten Zeichen auf einem Liniensystem oder mit 
Bewegungssymbolen oder (auch in Kombinationen) 
mit musikalischen Notenwertzeichen. — Beschreibun- 
gen von Tanzen finden sich bereits in den Lehrtrakta- 
ten italienischer Tanzmeister des 15. und 16. Jh., so bei 
Domenichino da Piacenza (oder da Ferrara), Antonio 
Cornazano, in ->■ Guglielmo Ebreos Trattato dell'arte del 
hallo und in C. -> Negris Le gratie d'Amore. Die wich- 
tigste und alteste (aus dem franzosisch-burgundischen 
Bereich stammende) Quelle fur die Ch. ist das Tanz- 
buch (Manuscrit dit des -> Basses danses) aus dem Be- 
sitz der Margarete von Osterreich (f 1530), in dem An- 
fangsbuchstaben von Schrittbezeichnungen mit als Bre- 
ves notierten Tonen verbunden sind. Die erste Tanz- 
wegbezeichnung steht im Ballerino (1581) von M.F. 
-»■ Caroso. Der Vorrat von Tanzschritten wurde in 
Frankreich weiter ausgebaut und fixiert in den Schrif- 
ten Ad compagnones (1536) von -» Antonius de Arena 
und Orchisographie (1588) von Th. -»■ Arbeau, in der 
Tatigkeit der 1661 in Paris gegriindeten Academie 
Royale de Danse, in der Choregraphie von R. A.-*Feuil- 
let (1700) und dem Maitre a danser von Pierre Rameau 
(Paris 1725). Feuillets (wahrscheinlich auf dem System 
von Ch.-L. Beauchamps basierende) Choregraphie wur- 
de in vielen europaischen Landern gebraucht, vor 
allem in England (Ubersetzung von J. -> Weaver 1706) 
und Deutschland (Ubersetzung von G.Taubert 1717). 
Das Werk Feuillets stellt die erste grundlegende Ch. 
vor allem fiir die Gesellschaftstanze des 18. Jh. dar und 
ist zugleich das klassische Werk der linearen Aufzeich- 
nung. Feuillet arbeitete mit Bodenwegzeichnungen: 
rechts und links der Bodenweglinie wurden die Zei- 
chen fiir die auszuf iihrenden Bewegungen geschrieben. 
Im 19. und 20. Jh. wurden eine Reihe von Tanzschrift- 
systemen erdacht mit 2 Grundtypen: 1) Verwendung 
von Strichfiguren wie bei der A. -»■ Saint-Leon zuge- 
schriebenen, wahrscheinlich von dessen Tanzmeister 
F. D. Albert stammenden Stenochoregraphie (Paris 1852), 
f erner bei der Ch. von F. A. Zorn (Grammatik der Tanz- 
kunst, Odessa 1887, neubearbeitet von G.Engelhardt, 
Berlin 1920), bei der Tanzfigurenschrift von W. P. Miss- 
litz (Offenbach 1954) und in der Benesh Dance Notation 
(London 1956) von R. und J. Benesh, die bei Sadler's 
Wells Ballet in London verwendet wird; 2) Verwen- 
dung von musikalischen Notenwertzeichen wie bei B. 
Klemm (Katechismus der Tanzkunst, Leipzig 1855), bei 
W.J. Stepanow (Alphabet des mouvements du corps hu- 
main, Paris 1892), bei der Motographie von A.Chiosa 
(in: Perseo, Mailand 1934) und in der Venture von P. 
Conte (Niort 1931). 1928 veroffentlichte R. v. -» La- 
ban (Schrifttanz) die von ihm erfundene Bewegungs- 



170 



Chorus 



schrift, die Kinetographie Laban, in Amerika Labano- 
tation genannt. Albrecht Knust hat mafigeblichen An- 
teil an deren weiterer Entwicklung. Das System be- 
steht aus wenigen Grundzeichen, Richtungszeichen fiir 
die Fortbewegung und Wendungszeichen fiir die 
Drehungen und in einem senkrecht gestellten Linien- 
system. Die Lange der Zeichen beschreibt die Dauer 
der Bewegungen; die Reihenfolge der Zeichen (von 
unten nach oben gelesen) besagt, wann die Bewegun- 
gen auszufiihren sind; die Stellung der Zeichen in den 
Spalten des Liniensystems zeigt an, welcher Teil, der 
ganze Korper oder einzelne Gheder, die Bewegungen 
ausfiihren sollen. Die Kinetographie hat sich seither 
weit verbreitet; bedeutende Choreographen wie z. B. 
G. -*■ Balanchine lassen ihre Werke »kinetographisch« 
notieren. Auch Institute fiir Volkstumsforschung und 
Volkstumspflege gebrauchen die Kinetographie als 
Hilfsmittel. Seit Labans Tod (1958) wird die Weiter- 
bildung und Verbreitung seines Systems vom Inter- 
national Council of Kinetographie Laban gefbrdert. - 
Seit dem 18. Jh. wird mit Ch. auch die vom Choreo- 
graphen in Ubereinstimmung mit der Musik (im Sin- 
ne eines Regieentwurfs) konzipierte und einstudierte 
Bewegungsfolge der Sohsten und Gruppen eines Tan- 
zes oder Balletts bezeichnet. Mit Ch. kann auch das 
Libretto eines Balletts bezeichnet werden. 
Ausg. u. Lit.: Trattato dell'arte del ballo v. Guglielmo 
Ebreo, hrsg. v. F. Zambrini, in : Scelta di curiosita lettera- 
rie, Bologna 1873; Una sconosciuta compilazione . . . 
(Trattato della danza v. Guglielmo Ebreo u. Domenichino), 
hrsg.v.C.MAZZi, in:LabibliofiliaXVI, 1915;Lems.ditdes 
basses danses de la Bibl. de Bourgogne, = Soc. des biblio- 
philes et iconophiles de Belgique, Faks. hrsg. v. E. Clos- 
son, Brussel 1912; Th. Arbeau, Orch6sographie, Langres 
(1588), NA v. L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, 
NY 1 948 ; WolfN ; V. Junk, Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930; 
C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1932, engl. NY 
1937 u. London 1938, frz. Paris 1938 ; A. Mary, L'orcheso- 
graphie de Th. Arbeau, in: Les tresors des bibl. de France 
V, 1935; A. Knust, AbriB d. Kinetographie Laban, Mun- 
chen 1942, Hbg 1956, engl. als: Hdb. of Kinetography La- 
ban, Hbg 1958 ; P. Nettl, The Story of Dance Music, NY 
(1947); S. Lifar, Traite de chordgraphie, Paris 1952; G. 
Balanchine, Ballettschrift, in: Musik d. Zeit II, hrsg. v. H. 
Lindlar, Bonn 1952; M. Dolmetsch, Dances of Spain and 
Italy, London (1954); A. Hutchinson, Labanotation, NY 
1954; I. Brainard, Die Ch. d. Hoftanze in Burgund, 
Frankreich u. Italien im 15. Jh., Diss. Gottingen 1956, 
maschr. ; R. v. Laban, Principles of Dance and Movement 
Notation, London 1956; A. Melica, Guglielmo Ebreo da 
Pesaro, Rass. mus. XXIX, 1959. 

Choristfagott ->■ Serpent. 

Chorknaben -> Kapellknaben. 

Chorton (engl. church pitch; frz. ton de chapelle; 
span, tono de capilla) war bis ins 19. Jh. der auch fiir den 
Kirchen- und Schulchor mafigebende -*■ Stimmton 
der Orgeln. Zeitlich und ortlich hat er stark geschwankt, 
bis er dem allgemeinen Stimmton angeglichen wurde. 
Den Orgelbauern war wegen Platz- und Materialer- 
sparnis ein hoher Ch. sympathisch, doch berichten Or- 
gelbauakten immer wieder von Vertiefung der Stim- 
mung. Die Abhangigkeit des Ch.s von der Orgelstim- 
mung wird von A. Schlick, M.Praetorius, G.Paolucci 
u. a. betont. Andererseits wird in Orgelschulen (schon 
bei Bermudo, Santa Maria, Diruta) von den Organi- 
sten die Fahigkeit des Transponierens gefordert, derm 
matin singt an einem ort hoher oder nidderer wann an dem 
andem, damach die person klein oder gross stymmen haben 
(Schlick) . Die tief ste Lage hatte der f ranzosische Ton de 
chapelle, im 18. Jh. war er etwa einen Ganzton tief er als 
der heutige Normalton. Der spanische, niederlandi- 
sche und romische Ch. war etwa einen Halbton tief er. In 
Siidwestdeutschland war in der 2. Halfte des 18. Jh. der 



Ch. etwa der heutigen Stimmhohe gleich (Orgeln von 
Stumm, Brief J. A. Silbermanns vom 20. 1. 1772). In 
Mittel- und Siiddeutschland, auch in der Lombardei 
und Venetien war der Ch. im 18. Jh. einen Halbton 
hoher, ebenso bei vielen englischen Orgeln. Der engli- 
sche Ch. des 16. Jh. und der norddeutsche (teilweise 
auch mitteldeutsche) des 17. Jh. waren dagegen etwa ei- 
nen Ganzton hoher. Norddeutsche und schlesische Or- 
gelbauer bauten im 17./18. Jh. ein oder mehrere Kam- 
merregister, die einen Ganzton oder eine kleine Terz 
tiefer gestimmt waren. Auch Kammerkoppeln (zum 
Transponieren) wurden konstruiert, um dem Organi- 
sten die Angleichung zu erleichtern. J. S.Bach arbeitete 
mit transponierten Continuostimmen. Da der Umf ang 
der menschlichen Stimmgattungen sich kaum gean- 
dert hat, laBt sich aus dem Gesamtumf ang einer Vokal- 
komposition erkennen, ob sie mit der heutigen Stimm- 
tonhohe rechnet oder eine hohere bzw. tiefere voraus- 
setzt. Bei vokal-instrumentalen Werken rechtfertigen 
der natiirliche Klang der Singstimmen und ihr scho- 
nender Einsatz auch Transpositionen in den Instru- 
mentalstimmen. 

Lit. : A. Schlick, Spiegel d. Orgelmacher u. Organisten, 
Speyer 1511, Faks. u. Ubertragung hrsg. v. P. Smets, Mainz 
1959; Praetorius Synt. II; J. Adluno, Anleitung zu d. 
mus. Gelahrtheit, Erfurt 1758, Dresden u. Lpz. 21783; 
Ber. iiber d. 3. Tagung f. deutsche Orgelkunst Freiberg 
1927; A. Merklin, Aus Spaniens altem Orgelbau, Mainz 
1939; A. Mendel, Pitch in the 16 th and Early 17 th Cent., 
MQ XXXIV, 1948; ders., On the Pitches in Use in Bach's 
Time, MQ XLI, 1955 ; R. Lunelli, Der Orgelbau in Italien, 
Mainz 1956; W. Gurlitt, Der mg. Denkmalwert d. alten 
Org., Ber. iiber d. Arbeitstagung d. Orgeldenkmalpfleger 
in Weilheim/Teck, Bin 1957. RW 

Chorus (k'aaas, engl., Chor, Chorgesang, Refrain; 
deutscher Plur. Chorusse). Das kollektive Stegreif spiel 
des Jazz beruht auf f reiem Umspielen einer stets wie- 
derholten Refrainmelodie, dem Ch.-Spiel, das sich 
urspriinglich unter den Negern in New Orleans als 
Gebrauchsmusizieren (Marsche, Auf spielen zum Tanz) 
entwickelt hat. Als Ch. dient bei Wegfall der Vor- 
strophe nur der Refrain eines Popular song oder ein 
Blues. Das Harmoniegerust des Ch. und seine Taktan- 
zahl bleiben unverandert: der Ch. erldingt wahrend 
eines ganzen Jazzstiicks immer wieder von neuem. 
Hierbei umspielen die einzelnen Instrumente die Melo- 
die des Ch. und manche Akkordtone seiner harmoni- 
schen Anlage - zum Teil in f ormelhaf ten Wendungen - 
und zieren sie aus. Im kollektiven Ch.-Spiel konnen 
sich gleichsam Melodien der Instrumente herausbil- 
den, die harmonisch zwar einzeln auf den Ch. bezogen 
sind, deren Zusammenklang aber dissonant wirken 
kann. Da bis in die Swing-Ara als Ch. nur die Refrains 
volkstumlicher Liedformen verwendet sind (z. B. 
32taktiger Songrefrain: A A B A, wobei der modu- 
lierende Teil B: Bridge, Uberleitung, heiCt), beruht 
Jazz auf der andauernden Wiederholung musikalisch 
einfacher Formen, so auch auf dem die nordamerika- 
nische Negerfolklore beherrschenden -> Blues. Schon 
im friiheren Jazz kann sich ein Musiker mit einem Solo- 
Ch., der solistischen Umspielung und improvisatori- 
schen Auszierung der Refrainmelodie, von dem En- 
semble abheben. Seit dem ->■ Chicago-Jazz ist dies 
die Regel (Hot-Solo). In derselben Zeit wurde Jazz- 
stiicken auf Schallplatten eine kurze Einleitung und 
ein SchluB hinzugefiigt, und alien beteiligten Musi- 
kern wurde (wahrend der kurzen Schallplattendauer, ca. 
3,5 Min.) ein Solo ermbglicht. Hierzu mufite haufig 
der Ch. im Verlauf des Stiicks in kleinere Soli auf geteilt 
werden. Da auch diese kiirzeren Soh als Ch. bezeich- 
net wurden, verwischte sich die Unterscheidung beider 
Begriffe. Vorherrschend wurde im -> Swing neben 



171 



Chromatik 



dem 12taktigen Blues der 32taktige Ch., dessenWieder- 
holung im -> Arrangement, mit langeren Einleitungen, 
Einfiigungen und SchluB versehen, zu einem kompo- 
nierten Jazzstiick (jetzt wirklich im Sinne von »The- 
ma mit Variationen«) ausgeformt ist. Dabei wurde 
das Solo-Ch.-Spiel dem Background gegeniiberge- 
stellt und der elegant-virtuose Beginn des Solo-Ch. 
(genannt Einstieg) kultiviert. Oft geschieht der Ein- 
stieg uberlappend: die harmonischen Zasuren der So- 
lofiihrung decken sich nicht mehr mit denen des Ch. 
Im Be-bop und Cool Jazz wurden solche Uberlappun- 
gen zum Prinzip. Seitdem kann auch das Harmoniege- 
riist des Ch. selbst im Musizieren bereichert und modi- 
fiziert werden. AuBerdem hat es sich eingebiirgert, als 
Ch. nicht mehr nur einen Schlager oder Blues zu ver- 
wenden, sondern auch neue Ch.se mit selbst schon 
komplizierterer Harmonik (als »Themen«) zu kompo- 
nieren. 

Chromatik (von griech. x9^>y^< Farbe) ist die »Um- 
farbung« diatonischer Stufen, die Hoch- oder Tiefalte- 
ration um einen Halbton; die chromatischen Varian- 
ten z. B. zu f sind fis und fes. Der Begrifi der Chr. setzt 
voraus, daB die 7stufige Diatonik als Grundbestand des 
Tonsystems gilt. Durch eine chromatische Stufe (fis in 
der untransponierten diatonischen Skala) wird ein 
Ganzton (f-g) in einen chromatischen (f-fis) und einen 
diatonischen Halbton (fis-g) gespalten; der chromati- 
sche Halbton ist also die Dinerenz zwischen dem Ganz- 
ton und dem diatonischen Halbton. In der harmo- 
nisch-reinen Stimmung unterscheidet man zwischen 
einem groBen und einem kleinen Ganzton, 8:9 und 
9:10, und entsprechend zwischen einem grofien und 
einem kleinen chromatischen Halbton, 24:25 und 
128: 135. Chr. ist am sinnfalligsten, wenn eine diatoni- 
sche Stufe und eine ihrer chromatischen Varianten ein- 
ander unmittelbar f olgen, und man versteht darum un- 
ter Chr. im engeren Sinne den chromatischen Halbton- 
schritt (f-fis oder f-fes). AuBer Stufen werden auch In- 
tervalle und Tonleitern als chromatisch bezeichnet. 
Chromatische Intervalle sind Tonabstande, die zwi- 
schen diatonischen Stufen nicht vorkommen und zu 
deren Bildung chromatische Stufen notwendig sind: 
der chromatische Halbton (f-fis), der ubermaBige 
Ganzton (f-gis) und die verminderte Septime (gis-f 1 ), 
die ubermaBige Quinte (f-cis 1 ) und die verminderte 
Quarte (cis-f), die ubermaBige Sexte (f-dis 1 ) und die 
verminderte Terz (dis-f). Auch der Tri tonus (f-h) 
wird, obwohl er der Diatonik angehort, als UbermaBi- 
ge Quarte, also als Variante der reinen Quarte, be- 
stimmt. Die chromatische Tonleiter, die Halbtonska- 
la, beruht anf der Ausfiillung der 7stufigen Diatonik 
(c d e f g a h c 1 ) durch fiinf chromatische Zwischen- 
stuf en (cis, dis oder es, fis, gis oder as, b ; ->■ Orthogra- 
phic). - In der griechischen Musik steht die Chr. als 
(vermutlich jiingeres) »farbiges Tongeschlecht« zwi- 
schen Enharmonik und Diatonik; das chromatische 
Tetrachord ordnet die beweghchen Tone innerhalb 
des festen Quartrahmens so an, daB sich die Folge l 1 /^, 
1/2-, !/2-Ton ergibt, z. B.: ei-cis'-c'-h. Doch unter- 
schieden die griechischen Theoretiker seit Aristoxenos 
bei der Berechnung der chromatischen Intervalle 2-3 
voneinander abweichende Quartunterteilungen, die 
sogenannten Chroai (»Farbungen«). Die mittelalterli- 
che Musik kannte in der friiheren Zeit chromatische 
Tone, wurde aber durch die Autoritat des Guido von 
Arezzo im 11. Jh. auf strenge Diatonik festgelegt. In 
der Folgezeit drangen durch die Musica ficta derMehr- 
stimmigkeit wieder chromatische Tone ein, bis im 15. 
Jh. eine vollstandige chromatische Skala erreicht war. 
Sie wird theoretisch so erklart, daB die doppelte Cha- 



rakterisierung des t>fa bmi auf die anderen Tone der 
diatonischen Skala iibertragen wird; es ergibt sich: c fa 

- cis mi - d fa mi - es fa - e mi - f fa - fis mi - g fa mi 

- as fa - a mi - b fa - h mi, also Hexachorde auf : 
es, b, f, c, g, d, a. In der Praxis diente die Chromati- 
sierung des Tonsystems, wie schon die Verknupfung 
mit der Hexachordlehre zeigt, dazu, chromatische In- 
tervalle und »falsche Konsonanzen« (mi contra fa) zu 
vermeiden. Chromatische Stimmfuhrung, d. h. Auf- 
einanderfolge von zwei oder mehr Halbtonen, lehrten 
nur Marchettus de Padua (GS III, 89) und ein Anony- 
mus um 1400 (Handschin in: ZfMw XVI, 1934, S. 120, 
mit 3st. Kyrie Cunctipotens als Beispiel). Zu hoher Be- 
deutung gelangte die Chr. im 16. Jh., wo (nach Levy) 
vier Aspekte zu unterscheiden sind: 1) Transpositions- 
Chr., d. h. manche Autoren, z. B. Salinas, nennen 
Stiicke mit Vorzeichen chromatisch; 2) experimentelle 
»chromatische Labyrinthe« wie Willaerts Quid non 
ebrietas, Greiters Passibus ambiguis, Costeleys Seigneur 
Dieu ta pitii nutzen bei diatonischer, auf Modulation 
angelegter Melodik und Harmonik das aus der Musica 
ficta gelaufige Prinzip der Hexachordtransposition zu 
chromatischer Erweiterung des Tonsystems; z. B. geht 
Costeley durch 16 Hexachorde (von F bis Heseses); 
sie hangen zusammen mit der Erprobung einer (bei 
Willaert 12stufigen, bei Costeley 19stufigen) gleich- 
schwebenden Temperatur; 3) die Neubelebung der an- 
tiken Chr., deren verschiedene Arten im humanisti- 
schen Musikschrifttum ausfiihrlich erortert werden, 
unternahmen Vicentino, Le Jeune, Bottrigari, G.B. 
Doni, D.Mazzocchi und A.Berardi; 4) als zukunfts- 
trachtig erwies sich vor allem die Ausdrucks-Chr. im 
Madrigal (C. de Rore, L.Marenzio, C.Gesualdo). Die 
Chr. in der monodischen Musik des 17. Jh. (Monte- 
verdi, Saracini, D. Belli, Schiitz) ist ohne sie nicht denk- 
bar. Eine besondere Rolle spielt in der Musik der Ba- 
rockzeit der chromatische Gang als Soggetto (vor al- 
lem im BaB), auch als musikahsch-rhetorische Figur. 
Seine Bildhaftigkeit oder Affektwirkung wird ganz 
deutlich nur, wenn er durch Semitonia majora und minora 
einhergehet (WaltherL), wie es in mitteltoniger Tempe- 
ratur der Fall ist. Die gleichschwebende Temperatur 
hat dieses Charakteristikum der Chr. nivelliert; dafiir 
ermoglicht sie die enharmonische Umdeutung und 
damit sowohl unbegrenzte Freiheit der Modulation als 
auch die Moglichkeit, die gleiche Tondistanz im Sinne 
verschiedener Intervallqualitaten umzudeuten; z. B. 
ist c-as als kleine Sexte diatonisches, das gleichklingen- 
de c-gis als ubermaBige Quinte chromatisches Inter- 
vall. J.S.Bach hat die neuen Moglichkeiten vor allem 
in der Chromatischen Phantasie und Fuge konsequent ge- 
nutzt. Seit C. Ph. E.Bach und Mozart gewinnt die Al- 
terations-Chr. mehr und mehr Gewicht. Diese Ent- 
wicklung, die ihren Hohepunkt in Wagners Tristan 
und Isolde (1865) erreichte, endete in R. Strauss' Opern 
Salome (1905) und Elektra (1909), der Musik Regers 
und Schonbergs (bis 1908). - In der freien und der do- 
dekaphonen Atonalitat gelten die 12 Stufen der Halb- 
tonskala als gleichberechtigt; der Unterschied zwischen 
diatonischen und chromatischen Stufen ist auf gehoben, 
so daB der Ausdruck Chr. seinen Sinn verliert. Unge- 
wiB ist allerdings, ob Halbtonabstande in der Atonali- 
tat nichts anderes als engste Distanzen darstellen oder 
als Leittonbeziehungen zu verstehen sind, die den Un- 
terschied zwischen diatonischem und chromatischem 
Halbton implizieren. 

Lit. : G. Jacobsthal, Die chromatische Alteration im litur- 
gischen Gesang . . ., Bin 1897, dazu P. H. A. Gaisser in: 
Rev. benedictine XIV-XV, 1897/98; Riemann MTh; Th. 
Kroyer, Die AnfSnge d. Chr. im ital. Madrigal . . . , 
= BIMG I, 4, Lpz. 1902; A. Schonberg, Harmonielehre, 



172 



Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; R. v. Ficker, Beitr. zur 
Chr. d. 14. bis 16. Jh., StMw II, 1914; E. Kurth, Romanti- 
sche Harmonik . . . , Bern u. Lpz. 1 920, Bin * 1 923 ; J. S. Le- 
vitan, A. Willaert's Famous Duo . . ., TVer XV, 1938; E. 
E. Lowinsky, Secret Chromatic Art .... NY 1946, dazu 
M. van Crevel in : TVer XVI, 1 940-46, L. Schrade in : Jour- 
nal of Renaissance and Baroque Music I, 1946/47, L. Fin- 
scher in: Mf XV, 1962; ders., M. Greiter's Fortuna, MQ 
XLII, 1956 - XLIII, 1957; ders., A. Willaert's Chromatic 
»Duo« Re-examined, TMw XVIII, 1956; J. Handschin, 
Der Toncharakter, Zurich (1948); A. Einstein, The Ital. 
Madrigal, 3 Bde, Princeton 1949; H.-H. Drager, Der heu- 
tige Horer u. d. gleichschwebende Temperatur, in: Bach- 
Probleme, Lpz. 1950; ders., Zur mitteltonigen u. gleich- 
schwebenden Temperatur, Ber. iiber d. wiss. Bachtagung 
Lpz. 1950; W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik, 
ebenda; K. J. Levy, Costeley's Chromatic Chanson, Ann. 
Mus. Ill, 1955, dazu C. Dahlhaus in: Mf XVI, 1963; W. 
Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre, 2 Bde, Regensburg 1957- 
59 ; H. H. Eggebrecht, Zum Figur-Begriff d. Musica poeti- 
ca, AfMw XVI, 1959; C. Dahlhaus, D. Belli u. d. chro- 
matische Kontrapunkt urn 1600, Mf XV, 1962; W. J. 
Mitchell, The Study of Chromaticism, Journal of Music 
Theory VI, 1962; R. Bullivant, The Nature of Chroma- 
ticism, MR XXIV, 1963. 

Chromatische Instrumente sind solche, denen alle 
Tone der chromatischen Tonleiter zu Gebote stehen. 
Man wendet die Bezeichnung Chr. I. besonders auf 
Blechblasinstrumente mit Ziigen und Ventilen an, zum 
Unterschied von den Naturinstrumenten, die nur iiber 
die Obertonreihe des Eigentons verfiigen. 

Chromatisches Tonsystem. 1776 erdrterte Mar- 
purg die Moglichkeit, die 21 Tone der vollstandig dia- 
tonisch-chromatisch-enharmonischen Tonleiter auf 12 zu 
reduzieren. Fur die enharmonischen Stufen cis sb des, 
dis «* es, fis fa ges, gis «a as und ais ss b schlug er 5 
neue Einheitsbenennungen vor : k, 1, m, n und o. Die 
vollstandige Tonleiter hieBe dann :ckdlefmgnaoh. 
Seither haben die Versuche nicht aufg'ehort, das abend- 
landische Musiksystem durch Beseitigung der 7stufigen 
diatonischen Grundskala und Zugrundelegung der 
Teilung der Oktave in 12 gleiche Teile (Zwofihalbton- 
system) zu reformieren. Sie beschrankten sich jedoch 
nicht auf eine Reform der Tonbenennungen, sondern 
erstreckten sich auch auf die Notenschrift und auf die 
Klaviatur (-*- Manual) der Tasteninstrumente; zu er- 
wahnen sind die Schriften von J. Rohleder (1791), E. 
Gambale (1840 und 1846), H.J.Vinzent (ab 1862), M. 
Balbi (1871) sowie die chromatische Klaviatur von P. 
von Janko (1882). Keiner dieser und ahnlicher Bestre- 
bungen war ein nachhaltiger Erfolg beschieden, da die 
auf der einen Seite erzielte Vereinfachung infolge Ver- 
mehrung der Grundwerte auf der anderen das Ver- 
standnis tonaler Zusammenhange stark erschwerte. 
Erst im 20. Jh. konnte durch die freie Atonalitat, die 
Zwolftontechnik und spater die Serielle Musik ein 
neues Tonsystem entstehen, das nicht nur musizier- 
praktisch, sondern auch ideell auf der Zwolfteilung 
der Oktave beruht. 

Lit. : Fr. W. Marpurg, Versuch fiber d. mus. Temperatur, 
Breslau 1776; H. Riemann, Das chr. T., in: Praludien u. 
Studien I, Lpz. 1895; M. Arend, Das chr. T., SIMG III, 
1901/02; J. M. Hauer, Zwolftontechnik, Wien 1926; K. 
Stone, Problems and Methods of Notation, Perspectives 
of New Music, Princeton (N.J.) 1963. 

Chronometer -> Metronom. 

Chronos protos (griech., erste Zeit), in der antiken 
Metrik und Musik seit Aristoxenos die kleinste Zeit- 
einheit, die aber keinen absolut feststehenden Wert 
hatte. Das Prinzip ihrer Unteilbarkeit schlieBt melodi- 
sche Verzierungen nicht aus, jedoch erlangen die Full- 
tone keine selbstandige Geltung. 



CISAC 

Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904, erweitert 
^1923 ; C. F. Abdy Williams, The Aristoxenian Theory of 
Mus. Rhythm, Cambridge 1911 ;Thr.G. Georgiades, Der 
griech. Rhythmus, Hbg 1949; ders., Musik u. Rhythmus 
bei d. Griechen, = rde LXI, Hbg (1958). 

Chrotta (lat.) -+ Crwth, -> Rotta. 

Chute (Jut, frz., auch cheute, Fallen), - 1) -> Antizi- 
pation; - 2) ->■ Vorschlag von oben; - 3) bei d'Angle- 
bert Cheute ou port de Voix en montant, en descendant, 
Vorschlag von unten und von oben; - 4) -> Arpeggio. 

Ciaccona (tfakk'o:na, ital.) -> Chaconne. 

Cimbalom, Zimbal(on), Czimbal (ungar.; von 
griech. xuu.paXov; russ. cymbali; rumanisch tambal; 
polnisch cymbalki), ein -> Hackbrett, das charakteristi- 
sche Instrument in den Zigeunerkapellen. Das moderne 
C. hat bei seinem Umfang (D)E-e 3 insgesamt 35 Sai- 
tenchore, in der Tiefe 16 iibersponnene (zu je 3 Saiten), 
nach der Hohe 19 (zu je 4 Saiten) aus Stahl. Das tra- 
pezformige, auf 4 Beinen stehende Instrument mit 
Pedaldampfung wird mit 2 Kloppeln gespielt. Es ist 
eingesetzt auch in Kodalys Hdryjdnos und Strawinskys 
Renard. Der Klang des C. ist in Klavierstiicken von 
Schubert {Divertissement h I'hongroise) und Liszt nach- 
geahmt. 

Lit.: A. Hartmann, The Czimbalon . . ., MQ II, 1916; C. 
G. Trichici, Metoda de tambal, Bukarest 1956; M. Criti- 
co, Folk Dance Instr. : The Tzimbalum, Roumania, The 
Folklorist III, 1957. 

Cimbasso (tjimb'asso), eine von Verdi in seinen 
Partituren nach dem Aufkommen der Ventilposaunen 
in Italien fur die BaBposaune, speziell fiir die Ventil- 
BaBposaune verwendete Bezeichnung. C. ist auBer- 
dem Modellbezeichnung fiir eine 1959 konstruierte 
BaB/KontrabaB-Zugposaune von besonderer spiel- 
technischer Gelaufigkeit (System Kunitz). 

Cinelli (tfin'elli, ital.) -> Becken. 

Circulatio (lat., Umkreisung),auchKyklosis (griech.) 
genannt, in der Kompositionslehre des 17.-18. Jh. eine 
musikalische Figur, die in einer kreisenden Melodiebe- 
wegung besteht (voces quasi in circulum agi videntur, A. 
Kircher, 1650) und bei Wortern wie circumdare, um- 
geben (servitque verbis actionem circularem exprimentibus, 
ebenda), Krone, Erde usw. angewandt wird. Die C. ist 
bei den Komponisten des 17.-18. Jh. sehr verbreitet. 
Von Purcell heiBt es (bei D. Webb) : »Er begleitet jeden 
Begriff einer Rundung mit einem unaufhorlichen Um- 
lauf von Noten«. - Die musikalisch enger gefaBten Fi- 
guren Circolo (ital.) und Circolo mezzo (-> Doppel- 
schlag) sind Formeln der Diminutionspraxis. Beim 
Circolo mezzo bilden 4 Noten im Schreiben einen hal- 
ben Kreiji (Printz 1696), wobei - auf- oder absteigend - 
entweder die 1. und 3. (von Printz Groppo genannt) 
oder die 2. und 4. Note den gleichen Ort innehaben. 
Beim Circolo werden (nach WaltherL) zweene Circoli 
mezzi also . . . an einander gehdnget . . . , dafi, so sie iiber 
einander gesetzt werden solten, sie einen vollkommenen 
Circul darstellen wiirden, z. B. : 



<f £^r^j 



Lit. : D. Webb, Betrachtungen iiber d. Verwandtschaft d. 
Poesie u. Musik, deutsch v. J. J. Eschenburg, Lpz. 1771. 

CISAC (Confederation Internationale des Societes 
d'Auteurs et Compositeurs), auch Konfoderation ge- 
nannt, umschlieBt die folgenden 5 Foderationen : 
I. Gesellschaften fiir Biihnenrechte (Federation des So- 
cietes de Droits de Representation); II. Gesellschaften 
fiir musikalische, konzertmaBige Auffiihrungs- und 



173 



Cister 



Senderechte (Federation des Societes de Droits d'Exe- 
cution); III. Gesellschaften fiir mechanische Verviel- 
faltigungsrechte (Federation des Societes de Droits de 
Reproduction Mecanique) ; IV. Gesellschaften fiir lite- 
rarische Rechte (Federation des Societes de Gens de 
Lettres) ; V. Gesellschaften der Filmautoren (Federation 
Internationale des Societes et Associations d'Auteurs de 
Films-Cinema et Television). Den 5 Foderationen ge- 
horen gegenwartig 63 Verwertungsgesellschaften aus 
34 Landern an. - Die CISAC wurde 1926 in Paris ge- 
griindet. Ihr Ziel ist die Verwirklichung eines wirksa- 
men Schutzes der Urheber in aller Welt. President ist 
zur Zeit der italienische Komponist Pizzetti. Als Pre- 
sident delegue der CISAC wirkt in Paris der franzosi- 
sche Autor A.Willemetz. Vizeprasidenten sind der 
franzosische Komponist G.Auric und der englische 
Komponist A.Bliss. Zu den friiheren Prasidenten zah- 
len L.Fulda, R.Strauss und A.Honegger. Die CISAC 
gibt die vierteljahrlich erscheinende Zeitschrift Inter- 
auteurs heraus. 

Cister (altfrz. citole, frz. cistre, cithre, sistre; ital. ce- 
tera, cetra, citola, cistola; span, cedra; engl. 15. Jh. : 
cithren, cittern, spater cithern ; deutsch ma. cistole, zito- 
le, 16.-17. Jh. Cither, Citter, Zitter, 18.-19. Jh. Sister), 
aus der Zupffiedel des hohen Mittelalters hervorge- 
gangenes Zupfinstrument mit 
flachem, unten kreisrundem und 
urspriinglich in den Hals spitz- 
birnenformig zulaufendem Cor- 
pus, dessen Zargenhohe sich 
vom Halsende nach unten hin 
verringert. Die Saiten sind unten 
an Nageln befestigt, die sich in 
der Zarge des Unterbugels be- 
finden, und lauf en iiber den auf- 
gesetzten Steg zur Wirbelplatte. 
Es sind - nachweisbar seit 1435 
- paarweise (chorig) angeordnete 
Metallsaiten wie spater auch bei 
den zur Gattung der C. gehoren- 
den Instrumenten ->■ Bandurria, 
— >- Cithrinchen, ->■ Orpheoreon, 
-> Pandora, -»■ Penorcon. 
C. des 17. Jh. aus Brescia mit 12 
( = 6chorig) Saiten, 8 seitenstan- 
digen und 4 vorderstandigen 
Wirbeln, 18 zum Teil unter- 
brochenen Bunden aus Messing. 
Gesamtlange 91,5 cm, Corpus 
41 cm, Breite 35,5 cm, aufierste 
Zargenhohe 7 cm (W. Heyer in 
K61n,KatalogNr613). 

Die C, zunachst von den franzosischen Jongleurs 
gespielt. hatte ihre Bliitezeit im 16. bis 18. Jh. Sie 
kdnnte sich gegeniiber der Laute durchsetzen, weil sie 
im Orchester besser durchdrang und die Stimmung 
besser hielt; aufierdem war sie billig. Tinctoris ver- 
weist um 1484 auf Italien als Ursprungsland der C. und 
noch Mersenne erklart 1636, dafi sie in Italien gangiger 
sei als in Frankreich, wo die Laute dominiere ; dement- 
gegen halt V. Galilei England fiir die Heimat der C. In 
Deutschland setzte sich die C. erst im 16. Jh. durch; 
weder Virdung (1511) noch Agricola (1528) erwahnen 
sie. - Sie wurde zunachst mit Plektron oder Federkiel 
(lat. penna) gerissen, doch bereits in der Darstellung 
der 4saitigen C. auf dem Miinsteraltar in Beverley 
(Yorkshire) aus dem 14. Jh. mit den bloBen Fingern 
gezupft. Die Wirbelplatte, die noch im 15. Jh. begeg- 
net, wird allmahlich vom Wirbelkasten abgelost, der 
nach oben hin meist spitz zulauft. Im 16. Jh. finden 




sich - wie in Italien schon um 1435 - Exemplare mit 
abgesetztem Hals. Im 16. und 17. Jh. bewegt sich die 
Zahl der Chore zwischen 4 und 12. In England ist um 
1550 die C. mit einer Darmbesaitung versehen (dd gg 
hh eie 1 ); das spate 16. Jh. in England (A.Holborne, 
The Cittham-Schoole, 1597) kennt die Stimmung der 
4chorigen C. hh gg did 1 e 1 e 1 oder ee cc gg aa; bei T. 
Robinson (New Citharen Lessons . . ., 1609) wird die 
Stimmung ff gg did 1 c^e 1 empfohlen. Praetorius zahlt 
1619 fiinf Arten von C.n auf: 1) 4chorige C. oder ge- 
meine Cither in 2 Typen: als italienische C. (hh gg did 1 
eie 1 ) und als franzosische C. (aa gg d'd 1 e 1 e 1 ); die 
4chorige C. ist in Italien, Frankreich, England, Holland 
und Deutschland bekannt. 2) 5ch6rige C. - in Italien 
bereits 1526 bekannt - in 3 verschiedenen Stimmungen 
(dd hh gg did 1 eie 1 ; FF ee cc gg aa; GG fisfis dd aa hh). 
Die 5ch6rige C. war noch im 17. Jh. vorherrschend 
und ist besonders auf hollandischen Bildern zu sehen. 
3) 6chorige C. in 3 Stimmungen (aa c'd hh gg did 1 
eie 1 altitalienisch; hh GG dd gg did 1 eie 1 nach Sixtus 
Kargel 1576; GG dd hh gg did 1 e^ 1 ). 4) GroBe 6chori- 
ge C. do das Corpus noch eins (= doppelt) so grofi ist j 
vnd vmb eine quart tieffer / als die vorigen sechs Chdrichten 
Cithern . . . (fisfis DD AA dd aa hh). 5) 12chorige C. mit 
Flankeneinbuchtungen, BaB-C. genannt, die ein herr- 
lichen starcken Resonantz von sich gibt / gleich als wenn ein 
Clavicymbel oder Symphony gehoret wurde. Sie hat einige 
frei schwingende, neben dem Griffbrett verlaufende 
Begleitsaiten (eses BB ff cc gg dd aa ee hh gg d J di eie 1 ). 
Um 1600 war zudem die theorbenartige Erz-C. oder 
Theorben-C. (frz. archicistre; engl. bijuda cither oder 
syron, Sirene) bekannt mit 11 (davon 5 Bordune), 13, 
14, 17 (9 Bordunsaiten + 4 Chore) oder 21 (7 Bordu- 
ne + 7 Chore) Saiten, die mit 19 Bunden und einem 
zweiten Wirbelkasten fiir die Bordunsaiten ausgestat- 
tet ist; Stimmung nach Robinson (1609): iG iA iB C 
D E F (Bordunsaiten), GG dd ff bb gg didi eie 1 (Griff- 
brettsaiten). Im spaten 16. Jh. finden sich C.n mit einer 
Bespannung bis 40 Saiten (Polyphant). Die Erz-C. war 
in Deutschland und Frankreich vornehmlich im 18. Jh. 
beliebt. - Haufig ist die C. im 18. und 19. Jh. mit ei- 
ner Capotastovorrichtung versehen. Typisch fiir die C. 
des 18. Jh. ist die mit einem Stimmschlusselchen zu be- 
dienende Schraubenstimmung anstelle der alteren Wir- 
belvorrichtung. Die C. hat zumeist 12 Biinde, gele- 
gentlich 15 (nach Walther 1732, im AnschluB an Fure- 
tiere: 18 Griffe). Besonders beliebt war in der 2. Halfte 
des 18. Jh. die englische, tiberwiegend 6chorige C. mit 
10 Saiten : die English guitar (frz. guitare anglaise, ge- 
legentlich: pandore), deren Corpus mandelformigen 
UmriB hat (c e gg cic 1 eie 1 gig 1 ). Etwas grofier ist die 
14saitige 7chorige C, die in Frankreich und Holland 
gespielt wurde (ee aa did 1 eie 1 aia 1 cis 2 cis 2 ), sowie die 
llsaitige 7chorige franzosische C. : (umsponnen:) E A d 
(Messing:) ee (Stahl:) aa cisicis 1 eie 1 . In Frankreich und 
Holland war die 16saitige 12chorige Archicistre (hol- 
landisch Kunst-Citer) beliebt, gelegentlich mit einem 
der Laute angenaherten Schallkasten, 3 einfachen und 4 
doppelten Griffbrettsaiten und 5 einzelnen, unverkurz- 
baren BaBsaiten (J. Verschuere Reynvaan, Muzijkaal 
Kunst-Woordenboek, 1715) mit der Stimmung A H Cis 
D Dis (Bordunsaiten) e a cis 1 eie 1 aia 1 cis 2 cis2 e 2 e 2 
(Griffbrettsaiten). In Deutschland schuf um 1800 J. W. 
Bindernagel (Gotha) eine C. mit 7 einfachen Saiten aus 
Darm (G c f g c 1 e 1 g 1 ). Die Darmbesaitung, der Weg- 
fall der Chore zugunsten von Einzelsaiten sowie das 
jetzt offene Schalloch lassen die Einwirkung der Gi- 
tarre erkennen, durch welche um 1830 in Deutschland 
die C. verdrangt wurde (wie schon im 18. Jh. in Italien 
durch die Mandoline). Als bauerliches Instrument lebt 
sie fort in der Wald- und Bergzither (Harz und Thii- 



174 



Clavichord 



ringen). - Zur Familie der C.n gehort auch das seit je- 
her als sonderbar empfundene, mannshohe Exemplar 
einer gotischen BaB-C. aus dem 14.(?)-15. Jh., das der 
Ambraser Sammlung (im Inventar 1596 als Laute 
bezeichnet) angehorte. 

Lit.: Praetorius Synt. II; M. Mersenne, Harmonie uni- 
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 
1963 ; WaltherL; J. Fr. B. C. Majer, Museum musicum, 
Schwabisch Hall 1732, Faks. hrsg. v. H. Becker, = DM1 1, 
8, 1954; Chr. G. Scheidler, Etwas iiber d. Sister, AmZ 
IV, 1801 ; KochL, Artikel Sister; Th. Dart, The Cittern 
and Its Engl. Music, The Galpin Soc. Journal I, 1948; A. 
Baines, Fifteenth-Cent. Instr. in Tinctoris' De Inventione 
et Usu Musicae, ebenda III, 1950; D. Stevens, The Mulli- 
ner Book. A Commentary, London (1952), mit Obertra- 
gung v. 1 1 Stiicken ; H. Charnasse, Sur la transcription 
des recueils de cistre edites par Adrian Le Roy et Robert 
Ballard (1564-65), Rev. de Musicol. XLIX, 1963. 

Cistole (mhd.), citole (altfrz.) -> Cister. 

Cithrinchen (ital. citarino; Cytharino, Klein Englisch 
Zitterlein) ist eine Diskantcister, meist mit 5 Choren. 
1688 erwahnt G.Falck in seiner Idea boni cantoris die 
Diskantcister. - Eine Sonderform war das Hamburger 
C, dessen Corpus den UmriB etwa eines Glockenquer- 
schnitts hatte. Fiir dieses Liebhaberinstrument mit der 
Stimmung c e g h e 1 sind Bearbeitungen in franzosi- 
scher Lautentabulatur erhalten, wertvoll, weil sie die 
einzige Quelle fiir die Musik des ersten Jahres (1678) 
der Hamburger Oper am Gansemarkt sind. 
Lit.: Praetorius Synt. II; H. Chr. Wolff, Die Barock- 
operin Hbg (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbuttel 1957. 

Clairon (kler'5, frz.), - 1) franzosischer Name des 
Signalhorns; es gelangte 1822 in die franzosische Mili- 
tarmusik. - 2) CI., auch Clarino (engl. clarion), trom- 
petenartige 4'-Zungenstimme in der Orgel, seltener 
16', 8' und 2', von engerer Mensur und hellem Klang. 
In der spanischen Orgelbaukunst, bei der den Trompe- 
tenregistern groBe Bedeutung zukommt, unterschei- 
det man eine Reihe von Clarinarten (clarin brillante, 
clarin coro, clarin suave, clarin fuerte, clarin de eco). 
CI. ist auch eine 4'-Stimme im Harmonium. 

Clarino (ital., von lat. clarus, hell) ist die hohe Lage 
der -> Trompete, in der die Naturtone im Sekundab- 
stand aufeinanderfolgen (auch ein Register der Klari- 
nette) sowie im 17./18. Jh. der Name der hohen Solo- 
trompete, die sich nur durch das engere, flache Mund- 
stiick von der tieferen (Prinzipal-)Trompete unter- 
schied. Mit dem Aufkommen der Ventile geriet die 
Kunst des Clarinblasens, wie sie noch J. S.Bach fordert, 
in Vergessenheit. Erst seit 1960 (Cappella Coloniensis 
des Westdeutschen Rundfunks Koln) ist die Clarin- 
trompete wieder in Gebrauch, die von O.Steinkopf 
und fl. Finke dem mehrf ach gewundehen, etwa 220 cm 
langen Instrument nachgebaut wurde, das J. S.Bachs 
Trompeter G.Reiche auf dem Gemalde von E.G. 
HauBmann in der Hand halt. Nach dem Vorbild hi- 
storischer Blechblasinstrumente erhielt es 2 kleine 
Locher, mit denen die geradzahligen bzw. eine Reihe 
ungeradzahliger Naturtone ausgeschaltet werden kon- 
nen, sowie ein Transpositionsloch. - Die Bemiihungen 
um die Rekonstruktion der »Bach-Trompete« reichen 
in das 19. Jh. zuriick, doch gingen sie (noch Menke 
1934) von einer geraden Trompete in D (Lange etwa 
110 cm) mit Ventilen aus. Die barocken Clarinpartien 
werden auf diesem Instrument in der Lage gespielt, in 
der die Naturtone im Terzabstand aufeinanderfolgen; 
in dieser Lage jedoch mischen sich die Tone schlecht 
mit denen anderer Instrumente (J.S.Bach, 2. Branden- 
burgisches Konzert: Trp., Blockfl., Ob., V.). 
Lit.: WaltherL; J. E. Altenburg, Versuch einer Anlei- 
tung zur heroisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Hal- 



le 1 795, NA Dresden 1 9 1 1 ; H. Eichborn, Die Trp. in alter 
u. neuer Zeit, Lpz. 1881 ; ders., Das alte Clarin-Blasen auf 
Trp., Lpz. 1894; R. Hofmann, Die F-Trp. im 2. Branden- 
burgischen Konzert v. J. S. Bach, Bach-Jb. XIII, 1916; A. 
Schering, Zu G. Reiches Leben u. Kunst, Bach-Jb. XV, 
1918; C. Sachs, Eine unkritische Kritik d. Klarinblasens, 
AfMw II, 1919/20; E. Groninger, Die Naturtrp. d. Bach- 
Zeit, Musik im Unterricht LII, 1961. 

Clarone (ital.) -> Klarinette, ->- Bassetthorn. 

Clausula (lat.) -* Klausel. 

Clavecin, Clavessin (klavs'e, frz.) -»- Cembalo. 

Claves (span., Sing, clave), Rumbastabchen, aus Ku- 
ba stammendes Schlaginstrument, das aus 2 runden 
Stabchen von etwa 15 cm Lange und 1,5 cm aus 
sehr hartem, resonierendem Holz (Bongossi-, Eben- 
oder Rosenholz) besteht. Das eine Stabchen wird in 
der linken Hand so gehalten, daB die Innenseite der 
Hand einen Resonanzhohlraum bildet. Die Rechte 
schlagt das andere Stabchen mit seinem oberen Drittel 
auf die Mitte des Stabchens in der linken Hand. Der 
Klang der CI. nahert sich einem hohen Xylophon- 
ton, er ist sehr hell und durchdringend. Die CI. wer- 
den in fast alien Tanzen Lateinamerikas verwendet. 

Clavicembalo (klavitf'embalo, ital.) ->■ Cembalo. 

Clavichord (von lat. -*■ clavis und chorda, Saite), das 
wichtigste Tasteninstrument in der alteren Musik- 
praxis neben Orgel und Cembalo. Das CI. ist aus dem 
-*■ Monochord hervorgegangen, dessen verschiebbare 
Stege durch Tasten mit -»■ Tangenten (Stegen) ersetzt 
wurden. Auf dem hinteren Tastenende ist ein schmales 
metallenes Stabchen bef estigt, das beim Niederdriicken 
der Taste emporgehoben wird und die meist 2chorigen 
Saiten »anriihrt« und zugleich abteilt. Zwischen den 
Saiten eingeflochtene Tuch- oder Filzstreifen verhin- 
dern das Mitschwingen des einen abgeteilten Saiten- 
teils. Hauptbestandteile des Cl.s sind: Anhangestock 
(links vom Spieler), ihm gegeniiber Steg und Stimm- 
stock mit Stimmwirbel, Saiten aus Eisen, Stahl oder 
Messing, die senkrecht zu den Tasten lauf en, Resonanz- 
boden mit Schalloch (Rosette), Klaviatur, Tangenten- 
mechanik und meist rechteckiger Kastenkorper. Bis 
zu Beginn des 18. Jh. gab es nur gebundene Cl.e (so 
genannt nach den Biinden der Lauten), bei denen ein 
und dieselbe Saite (bzw. Saitenchor) durch mehrere 
(hochstens fiinf chromatisch benachbarte) Tasten zum 
Klingen gebracht wird. Seit etwa 1700 gibt es bund- 
freie Cl.e, bei denen jeweils einer Saite eine Taste ent- 
spricht. Da die Art der Mechanik in den alten Instru- 
mentenbeschreibungen nicht immer deutlich wifd, ist 
die Entstehungszeit des Cl.s nicht sicher bestimmbar. 
Eine Zwischenstufe zwischen Monochord und CI. ist 
das 1434 von Georgius Anselmi erwahnte Polychord. 
Wahrscheinlich entstand das CI. in der 2. Halfte des 14. 
Jh. in Italien. Fiir 1404 (Minneregel) ist die Bezeich- 
nung clavichordium belegt (daneben steht im 15. Jh. 
oft die Bezeichnung Monochord fiir das CI., wahrend 
span, clavicordium auch das Cembalo sein kann), und 
um 1410 entstand der alteste Cl.-Traktat. Auf einer 
Abbildung von etwa 1440 (Weimarer Wunderbuch) 
findet sich ein CI. mit mehreren gleichlangen Saiten. 
Im 15. Jh. war das CI. in Mittel- und Nordeuropa weit 
verbreitet; im 18. Jh. war vor allem in Deutschland 
der Kurzname »Klavier« dem CI. vorbehalten. Der 
Tonumfang des Cl.s (-*■ Manual) erstreckte sich anf angs 
auf 20 Tone (G-e 2 ), Virdung (151 1) erwahnt 3 Oktaven 
Umfang mit 38 Tasten (F-g 2 ohne Fis und Gis), Prae- 
torius (1619) nennt C-a 2 , c3 oder d3, auch f3. Gegen 
1700 wurde der Umfang auf iF-f3 erweitert, im friihen 
19. Jh. sogar auf 6 Oktaven. Die Erweiterungen nach 



175 



Clavicylinder 

der Tiefe hin erfolgten im 17. Jh. auf dem Weg iiber 
die ->- Kurze Oktave. Die Verbindung des Cl.s mit ei- 
nem Pedal ergab schon friih die Sonderform des Pe- 
dal-Cl.s (-► Pedalklavier) . In der Zeit der Empfindsam- 
keit kam einer mehr gefiihlsmaBigen Einstellung ge- 
genuber dem Cl.-Klang die -> Bebung entgegen. Das 
Cl.-Spiel verlangt eine Fingerdrucktechnik bei ruhiger 
Haltung der Hand und der Finger. Der Klang ist zart, 
weich, modulationsfahig und seelenvoll, im Gegensatz 
zu dem rauschenden und scharf umrissenen Klang des 
Cembalos. Die alteren gebundenen Cl.e hatten einen 
kernigeren Klang als die spateren bundfreien, die zur 
Darstellung chromatisch reicherer Musik geeignet 
sind. Das CI. diente zum Musizieren im hauslichen 
Kreis und als das Lehr- und Studieninstrument fur den 
Klavierspieler und Organisten, als das Fundament al- 
ter Clavirten Instrumenten . . . Doruff auch die Discipuli 
Organici zum anfang instruirt vnnd vnterrichtet werden 
(Praetorius). Noch Turk empfahl 1789 zum Lernen 
das CI. Spielbar auf dem CI. ist die ganze (vor allem 
deutsche) Klaviermusik bis Mozart. Im 18. Jh. schrie- 
ben neben C. Ph. E. Bach u. a. HaBler, Neef e, Reichardt 
und Turk speziell fur das CI. Eine Abart des Cl.s ist 
der -> Tangentenflugel. Zu Ende des 18. und zu An- 
fang des 19. Jh. wurden viele Cl.e durch Einsetzen ei- 
ner Hammermechanik zu Tafelklavieren umgebaut. 
Mit der Wiederbelebung alter Musikinstrumente wird 
auch das CI. wieder gebaut und gespielt. 
Lit. : Volens facere clavichordium (um 1410), in: J. Hand- 
schin, Aus d. alten Musiktheorie, AMI XVI-XVII, 1944- 
45; Les traites d'H.-A. de Zwolle . . ., hrsg. v. G. Le Cerf 
u. E.-R. Labande als: Instr. de musique du XV e s., Paris 
1932; S. Virdung, Musica getutscht, (Basel 1511), hrsg. v. 
R. Eitner, = PGfM XI, Bin 1882; dass., Faks. hrsg. v. L. 
Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius Synt. II ; Bach Versuch; 
K. Nef, Clavicymbal u. CI., JbP X, 1903 ; ders., J. S. Bachs 
Verhaltnis zu d. Klavierinstr., Bach-Jb. VI, 1909; F. A. 
GoEHLiNGER.Gesch. d. CI., Diss. Basel 1910; C. Sachs, Die 
Musikinstr. d. Minneregel, SIMG XIV, 1912/13 ; C. Auer- 
bach, Die deutsche Clavichordkunstd. 18. Jh., Kassel 1930, 
2 1953 ; M. F. Schneider, Beitr. zu einer Anleitung, CI. u. 
Cemb. zu spielen, Lpz. u. StraBburg 1934; E. Harich- 
Schneider u. R. Boadella, Zum Clavichordspiel bei To- 
mas de Santa Maria, Af Mf II, 1 937 ; E. Harich-Schneider, 
Anmutu.Kunstbeim Clavichordspiel, Lpz. 1937; F. Tren- 
delenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Zur Klangwirkung 
v. Klavichord, Cemb. u. Flugel, Akustische Zs. V, 1940; A. 
Kreutz, Was ist auf d. CI. spielbar ?, Zs. f . Hausmusik IX, 
1940; J. Worsching, Die hist. Saitenkl. u. d. moderne Kla- 
vichord- u. Cembalobau, Mainz 1946; H. Neupert, Das 
Klavichord, (mit Anh. »Von d. wahren Giite d. Cl.« v. J. N. 
Forkel), Kassel 1948, 21956; W. Nef, The Polychord, The 
Galpin Soc. Journal IV, 1951; M. S. Kastner, Port. u. 
span. CI. d. 18. Jh., AMI XXIV, 1952; K. W. Gumpel, Das 
Tastenmonochord Conrads v. Zabern, AfMw XII, 1955; 
D. H. Boalch, Makers of the Harpsichord and CI. 1440 to 
1840, London (1956); R. Russell, The Harpsichord and 
CI., London (1959); H. Kelletat, Zur mus. Temperatur 
insbesondere bei J. S. Bach, Kassel 1960. 

Clavicylinder, ein von Chladni 1800 erbautes Tasten- 
friktionsinstrument, bei dem abgestimmte Eisenstabe 
dadurch zum Klingen gebracht wurden, daB sie mittels 
Tastendruck einen mit Glas iiberzogenen, durch Pedal- 
tritte rotierenden Zylinder beriihrten und von ihm an- 
gestrichen wurden. Bei dem ebenfalls von Chladni 
1790 konstruierten Euphon (von griech. efiipuvo?, 
wohlklingend) hingegen sind die abgestimmten Klang- 
stabe (gewohnlicher Umfang c-f3), die auch aus Glas 
sein konnen, unbeweglich. An ihnen sind etwa 50 cm 
lange Glasrohren befestigt. Diese Streichstabe werden 
durch unmittelbare longitudinale Friktion der Finger 
in Schwingung versetzt, die sich auf die Klangstabe 
ubertragt. Die Lautstarke sowie das An- und Abschwel- 
len des Tons wurde beim Euphon durch die Intensitat 



der Friktion, beim CI. durch Tastendruck reguliert. 
Der Klangcharakter des Euphons kam dem der Glas- 
harmonika sehr nahe, wahrend der CI. rauher und 
kraftiger klang. 

Lit. : E. Fl. Fr. Chladni, Beytrage zur praktischen Akustik 
u. . . . zum Bau d. CI. u. damitverwandter Instr., Lpz. 1 821 . 

Clavicytherium, Klaviziterium, auch Cembalo ver- 
ticale, ein Klavier mit einem hinter der Klaviatur auf- 
recht stehenden dreieckigen oder fliigelformigen Cor- 
pus und darin vertikal verlaufenden Saiten, ahnlich 
dem spateren .-> Giraffenklavier. Die erhaltenen italie- 
nischen Clavicytherien seit dem 16. Jh. sind aufrechte 
Cembali, doch scheint es nach den Beschreibungen des 
15.-18. Jh. (Paulus Paulirinus um 1460, Virdung 1511, 
Praetorius 1618, Mersenne 1636, Fuhrmann 1706) auch 
Clavicytherien mit dem Corpus und Klang von Harfe 
oder Spitzharfe gegeben zu haben. 
Lit. : J. H. van der Meer, Zur Gesch. d. Klaviziteriums, 
Kgr.-Ber. Kassel 1962. 

Clavis (lat., Schliissel), in der mittelalterlichen Musik- 
theorie die mit einem Buchstaben (-> Buchstaben- 
Tonschrift) bezeichnete Tonstufe (vox). Die Tonbuch- 
staben wurden auch auf die Tasten der Orgel geschrie- 
ben; von da ging die Bezeichnung CI. auch auf die 
Taste selbst iiber, die im 16.-18. Jh. in Deutschland 
oft-* Schliissel genannt wurde (u. a. von Virdung 1511). 
Im Guidonischen System der Notation mit Notenlinien 
wurden Tonbuchstaben vor das System geschrieben; 
hieraus entwickelten sich die modernen Notenschliis- 
sel. Tinctoris definiert CI. (um 1473) in diesem Sinne 
als signum loci lineae vel spatii; Burmeister (vgl. Ruhnke, 
S. 75) will nur noch die Schliissel (claues signatae exter- 
nae: T, F, c, g, d) als CI. bezeichnet wissen. Die vielsei- 
tige Bedeutung von CI. hat sich im englischen ->- Key 
noch erhalten. 

Lit. : WaltherL, Artikel Claves . . . ; H. Pfrogner, Der 
CI. in A. Werckmeisters »Nothwendigsten Anmerkungen 
u. Regeln . . .«, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; K. W. Gumpel, 
Das Tastenmonochord Conrads v. Zabern, AfMw XII, 
1955; M. Ruhnke, J. Burmeister, =Schriften d. Landes- 
inst. f. Musikforschung Kiel V, Kassel 1955. 

Cljmacus (lat.) -»■ Neumen. 

Climax, Klimax (griech., Leiter, Treppe), auch 
Gradatio, Auxesis oder Ascensus genannt, eine in der 
Kompositionslehre des 17.-18. Jh. im AnschluB an die 
Rhetorik erklarte musikalische Figur : eine mehrmalige, 
auf gleichf ormige Steigerung angelegte Wiederholung 
eines Melodieabschnitts auf anderer Stufe. In der Rhe- 
torik ist die CI. eine Steigerung mittels Satzglieder, die 
jeweils emphatisch an das Vorhergehende ankniipfen, 
z. B. Jauchzet und singet, singet und riihmet, ruhmet und 
lobet. Burmeister (1606) beschreibt die musikalische 
CI. als Figur, quae per gradus intervallorum similes sonos 
repetit, undJ.G. Walther (1732) als eine Clausul mit und 
ohne Cadentz, welche etlichemahl immediate nach einan- 
der immer um einen Ton hoher angebracht wird. - Eine der 
Rhetorik analoge Namenswandlung vollzieht sich 
vom 17. zum 18. Jh. in der Musiklehre: Burmeister, 
Kircher, Elias Walther (Kaldenbach) sowie die Rheto- 
riker des 17. Jh. nennen diese Figur Auxesis oder CI., 
Janowka (1701) CI. sive Gradatio, wahrend im 18. Jh. 
der Name Gradatio iiblich wird (Gottsched, Scheibe, 
Forkel). 

Clivis (lat.) -> Neumen. 

Clog box (engl.), ein in Jazzkapellen gebrauchliches, 
mit einem Trommelstock zu spielendes Schlaginstru- 
ment, das aus einem etwa 18-20 cm langen, mit Ein- 
kerbungen versehenen Holzblock besteht. 



176 



ColindS 



clos (klo:, frz., geschlossen) ->■ Klausel. 

Close shake (klo:s J"e:k, engl.) -> Vibrato. 

Cluny (Saone-et-Loire), Benediktinerabtei, gegr. 
910. 

Lit. : L. Schrade, Die Darstellung d. Tone an d. Kapitellen 
d. Abteikirche zu CI., DVjs. VII, 1929; J. Hourlier, Re- 
marques sur la notation clunisienne, Rev. gregorienne 
XXXI, 1952; K. MEYER-BAER.The Eight Gregorian Modes 
on the CI. Capitals, New Rochelle (N. Y.) 1952. 

Cluster (kl'Asta, engl., Traube) ist ein Klanggebilde, 
das durch Ubereinanderstellung groBer und kleiner 
Sekunden oder noch kleinerer Intervalle entsteht. Die 
Bezeichnung geht auf H.Cowell (1930) zuriick, der 
solche Gebilde tone-clusters nannte und sie folgender- 
maBennotiert: 



Notation: 



Ausfuhrung: 




Zu unterscheiden sind festgelegte Cl.s mit konstanter 
Breite und bewegliche, die sich von einer gegebenen 
Anfangsbreite zu einer von ihr verschiedenen Endbrei- 
te bewegen. GroBe Cl.s lassen sich durch Addition klei- 
nerer und kleine durch Subtraktion groBerer erzielen. 
Flageolett-Cl.s am Klavier entstehen durch stummes 
Niederdrucken von Tasten bei gleichzeitigem An- 
schlagen tieferer Tone oder Cl.s. Nach Cowell muB der 
CI. als Einheit behandelt werden, d. h. so, als ware er 
nur ein einziger Ton. 

Lit.: H. Cowell, New Mus. Resources, NY 1930 (bereits 
1919 geschrieben) ; M. Kagel, Ton-Cl., Anschlage, t)ber- 
gange, in: die Reihe V, Wien 1959; P. Boulez, Musikden- 
ken heute 1, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik V, 
Mainz (1963). 

Cobla (katalanisch, Paar, von lat. copula), katalanische 
Tanzkapelle, die vor allem die -*■ Sardana spielt. Sie 
geht in Spielweise und Instrumentarium auf das alta- 
Ensemble des 15. Jh. zuriick. Die Hauptstimme ist der 
Tenor, nicht wie in den anderen europaischen Tanz- 
kapellen seit den Wiener Meistern des 19. Jh. die Ober- 
stimme. Neben modernen Blechblasinstrumenten ge- 
horen ihr Instrumente an, die ihre Vorbilder in mittel- 
alterhcher Spielpraxis haben. Um 1860 legte Jose (Pep) 
Ventura die heute iibliche Zusammensetzung fest: 
Fluviol und Tamboril (Einhandflote und Trommel), 
2 Tiples (Diskantschalmeien in F mit Klappen), 2 Te- 
noras (Tenorschalmeien in B mit Klappen), je 2 Kor- 
nette (oder Trompeten) und Fliigelhorner, Posaune 
und KontrabaB. Das Zentrum der Pflege des C.-Spiels 
ist Perpignan. 

Lit.: J. Grahit, Recull sardanistic, Gerona 1916; P. Sal- 
vat, Pep Ventura, Barcelona 1927 ; A. Capmany, La sarda- 
na a Catalunya, ebenda 1948; H. Besseler, Katalanische 
C. u. Alta-Tanzkapelle, Kgr.-Ber. Basel 1949; A. Baines, 
Shawms of the Sardana C, The Galpin Soc. Journal V, 
1952. 

Coburg. 

Lit.: H. Hirschberg, Gesch. d. Herzoglichen Hoftheater 
zu Koburg u. Gotha, 1910; P. v. Ebart, 100 Jahre C.ische 
Theatergesch., C. 1927; H. J. Moser, Stadt u. Land C. in 
d. deutschen Mg., Festbuch 2. Gesamtdeutsches Musik- 
fest C. 1956. 



Coda (ital., Schwanz), Satzteil, der an Kompositionen 
angefiigt ist (im 19. Jh., seit A.B.Marx, oft »Anhang« 
genannt), so als AbschluB von Fugen (J.S.Bach, Fuge 
C moll iiber ein Thema von Legrenzi, BWV 574), 
Rondos (W.A.Mozart, Klaviersonate A dur, K.-V. 
300i, 3. Satz), auch als abschlieBender Teil zyklischer 
Werke (z. B. Tanzzyklen; -»• Deutscher Tanz). In 
tanzartigen Satzen der Klassik (Scherzo, Menuett) 
schlieBt die C. an die Wiederholung des Hauptsatzes 
an (Scherzo da capo e poi la C, z. B. Beethoven Kla- 
viersonate op. 2, Nr 3) ; in Variationszyklen steht sie 
oft als zu den Variationen kontrastierende SchluBbe- 
kraftigung (Beethoven, Bei Mdnnern wekhe Liebefuh- 
len, fiir Kl. und Vc). Die C. der Sonatensatzform folgt 
auf die Reprise. Im allgemeinen greift sie auf das the- 
matische Material des Satzes zuriick; sie kann dabei als 
eine Art zweiter Durchfiihrung mit starken modula- 
torischen Ausweichungen angelegt sein (Beethoven, 
3. Symphonie op. 55, 1. Satz) und auch neues thema- 
tisches Material einfiihren (Schumann, 1. Symphonie, 
1. Satz). - Die C. verleiht einer Komposition besonde- 
re SchluBwirkung; in langsamen Satzen kann sie be- 
ruhigend, epilogartig ausklingen; in raschen Satzen er- 
reicht sie steigernde Wirkung durch Beschleunigung 
des Tempos (-»■ Stretta). 

Lit.: B. J. Kuschnir, Zur Fruhgesch. d. Kodaprinzips, 
Diss. Erlangen 1947, maschr. ; A. Suder, Die C. bei Haydn, 
Mozart u. Beethoven . . ., Diss. Miinchen 1951, maschr. 

Colascione (kolajJ'o:ne, ital., von griech. xaXdUhov, 
Korbchen, als calison in Venedig 1570 belegt; frz. co- 
lachon), eine Langhalslaute, hervorgegangen aus dem 
orientalischen -» Tanbiir, nach Tinctoris (um 1484) 
formam quasi cociearis magni continens. Das alteste (in 
Briissel) erhaltene Instrument ist datiert 1564; sein 
Corpus ist 44 cm, der Hals 103 cm lang, es hat 3 Saiten 
und 24 Biinde. Mersenne beschreibt es (1636) als Tri- 
chord (notierte Stimmung el c 2 g 2 ) mit 16 Biinden, 
daneben auch als Bichord. In dieser Form war der C, 
der u. a. auch von Kircher 1650 und Bonanni 1722 ge- 
nannt wird, im 17. Jh. besonders in Siiditalien beliebt 
als mit Plektron gespieltes volkstumliches Instrument. 
Mit 6 Saiten (Hauptstimmung D G c f a d') hatte der 
»Calichen« als Liebhaberinstrument eine Bliitezeit vor 
allem in Suddeutschland um 1650-1750; als General- 
baBinstrument diente er (nach Mattheson 1713) auch 
in Norddeutschland. Durch die beiden reisenden C- 
Virtuosen Colla (* um 1730 zu Brescia) wurde das In- 
strument auch in Skandinavien eingef iihrt. Sie spielten 
auf 2 Colascioni, auch auf C. und Gitarre sowie auf C. 
und dem eine Oktave hoher stehenden Colasciontino 
(Mezzo C). Stiicke fiir C. sind erhalten u. a. von G. A. 
-* Brescianello, J. P. Schiflelholz, Colla und Merchi; 
eine C.-Tabulatur, um 1730 in der Oberpfalz entstan- 
den, enthalt Tanze der Zeit, darunter auch takt- 
wechselnde. 

Lit.: M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, 
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, Bd III, Paris 1963; WaltherL; 
WolfN, darin ein Menuett v. Brescianello ; K. Weinmann, 
J. Tinctoris . . . u. sein unbekannter Traktat »De inventio- 
ne et usu musicae«, Regensburg u. Rom 1917, S. 42; K. 
Geiringer, Der Instrumentenname »Quinterne« u. d. ma. 
Bezeichnung d. Gitarre, Mandola u. d. C, Af Mw VI, 1924 ; 
D. Fryklund, C. och colascionister, STMf XVIII, 1936; 
R. Luck, Ein Beitr. zur Gesch. d. C. u. seiner siiddeutschen 
Tondenkmaler im 18. Jh., Diss. Erlangen 1954, maschr. 

Colinda (rumanisch, von lat. calendae, auch colind, 
Plur. colinde), Weihnachtshed, das von rumanischen 
Bauern beim Umgang von Haus zu Haus, zuweilen im 
Wechsel zweier Gruppen, gesungen wird. Sein Ur- 
sprung reicht wie der der verwandten slawischen 
-*■ Kol?da ins Mittelalter hinauf. In den von Bartok 



12 



177 



colla parte 

gesammelten Colinde besteht der meist langere, erzah- 
lende Text aus trochaischen Zeilen zu 6 oder 8 Silben; 
VersmaB und Silbenzahl des Refrains sind beliebig ge- 
wahlt. Musikalisch ist die C. in Strophen mit 1-4 Me- 
lodiezeilen gegliedert; als haufigsten Typ nennt Bar- 
tok (1935) die 3zeilige Strophe, z. B.: 

Nr 8 Nr 60 

Silbenzahl 6 6 6 8 5 8 

Text a Refrain a oder: a Refrain b 

Melodie ABA ABA' 

Bartok bearbeitete 20 Colinde als »Rumanische Weih- 
nachtslieder« fiir Kl. (1915) und legte seiner Cantata 
pro/ana (1930) Colinde-Texte zugrunde. 

Ausg. u. Lit. : B. Bart6k, Volksmusik d. RumSnen v. Ma- 
ramure?, = Sammelbde f . vergleichende Mw. IV, Miin- 
chen 1923; ders., Die Melodien d. rumanischen C, Wien 
1935; S. V. Dragoi, 303 c., Craiova 1925; C. Brailoiu, C. 
sj cintece de stea (»Colinden- u. Weihnachtslieder«), Bu- 
karest 1931 ; J. Kuckertz, Gestaltvariation in d. v. Bartok 
gesammelten rumanischen C, = Kolner Beitr. zur Musik- 
forschung XXIII, Regensburg 1963; Z. Vancea, Einige 
Beitr. uber d. erste Ms. d. C.-Slg v.B. Bartok, Studia Mu- 
sicologica V, 1963 ; Gh. Ciobanu, Inrudirea dintre ritmul 
dansurilor si al colindelor (»Die Verwandtschaft zwischen 
d. Rhythmen d. Tanz- u. C.-Weisen«), Revista de etno- 
grafie si folclor mus. IX, 1964. 

colla parte (ital.), mit der Hauptstimme; wie -»■ sui- 
vez Anweisung fiir die Begleitung, sich einer von der 
Solostimme rhythmisch frei vorgetragenen Stelle im 
Tempo anzupassen. Die Wiederaufnahme des strengen 
TaktmaBes wird durch a battuta angezeigt. - Auch 
synonym mit ->■ colla voce. 

colla voce (k'olla v'oitfe, ital.; auch colla parte), mit 
der Stimme; Besetzungsvorschrift, wonach ein oder 
mehrere Instrumente eine vokale Stimme notengetreu 
mitspielen. Eine solche gemischte Ausf uhrung war bei 
-»• a cappella-Satzen des 16.-18. Jh. (so noch bei J. S. 
Bachs Motetten) iiblich, wo nicht, wie in der Cappella 
Sistina, die Kapellstatuten eine Mitwirkung von In- 
strumenten ausschlossen. 

Collegium musicum (lat.), im 16. bis 18. und wieder 
im 20. Jh. Vereinigung von Musikfreunden zu priva- 
tem gemeinschaftlichem Musizieren, im 16. Jh. vor- 
wiegend vokal, spater vorwiegend instrumental. Durch 
das zweckfreie Musizieren unterschied sich das Coll. 
mus. von der Kantorei, der durch die Ausgestaltung 
der Gottesdienste eine feste Aufgabe gestellt war; 
durch die Beschrankung auf das Musizieren unterschied 
es sich vom Convivium musicum, dessen Hauptzweck 
das durch Musik nur ein wenig ausgeschmiickte regel- 
maBige Festmahl darstellte. Sowohl einzelne Kanto- 
reien als auch Convivia sind seit der 2. Halfte des 16. 
Jh. gelegentlich als Coll. mus. bezeichnet worden; an- 
dererseits haben sich private Musiziergemeinschaften 
bisweilen auch Musikkranzchen, Musikgesellschaft 
u. a. genannt. Im 17. Jh. entwickelten sich die Collegia 
musica zu Vereinen mit regelmaBigen Zusammenkunf- 
ten bei wechselndem Mitghederbestand, der sich vor 
allem aus biirgerhchen Musikliebhabern, in Univer- 
sitatsstadten aus Studenten rekrutierte; gelegentlich 
wurden Beruf smusiker zur Unterstiitzung herangezo- 
gen. Man pflegte besonders die jeweils moderne Or- 
chestermusik. Das Musizieren im Coll. mus. hatte den 
Sinn - wie es in Frankfurt am Main (1718) heiBt -, theils 
durch diesen unschuldigen Zeitvertreib das von denen Amts- 
geschaften ermudete Gemiith zu erquicken, theils auch die 
Music durch ein bestandiges Exercitium zu desto mehrerem 
Wachstutn zu bringen. Nach dem Zeugnis Matthesons 
regte es auch dazu an, die Kompositionen naher zu 



studieren und uber sie zu diskutieren. Durch die Col- 
legia musica wurde vereinzelt schon im 17., vornehm- 
lich im 18. Jh. das offentliche Konzertwesen vorberei- 
tet oder eingeleitet. Zunachst konnten die Mitglieder 
Freunde als Zuhorer mitbringen. Die ersten Sffentli- 
chen Konzerte eines Coll. mus. fanden seit 1660 unter 
M. Weckmann in Hamburg statt. Hier sowie in Leip- 
zig und Frankfurt hat dann im besonderen Telemann 
mit den Collegia musica offentliche Konzerte durch- 
gef iihrt. Dabei konnte in Hamburg das zahlende Publi- 
kum groBere Gelegenheitsmusiken, Oratorien und so- 
gar Passionen, losgelost vom Zweck, fiir den sie ge- 
schrieben- waren, im Konzertsaal noch einmal horen. 
Die Konzerte des Leipziger Coll. mus., das seit 1729 
von J.S.Bach geleitet wurde, bereiteten den Boden 
fiir die spateren Gewandhauskonzerte. - Die Idee des 
Coll. mus. wurde in Leipzig durch H.Riemann er- 
neuert, der 1908 im Musikwissenschaftlichen Institut 
der Universitat ein Coll. mus. instrumentale griindete 
und ihm zunachst die Aufgabe stellte, die vergessene 
Ensemblemusik des GeneralbaBzeitalters wieder zu 
pflegen. Auch seiner groBen Sammlung von Ensemble- 
musik des 18. Jh., vornehmlich von Triosonaten und 
Quatuors, gab Riemann den Titel Coll. mus. Dem 
Leipziger Vorbild folgten seither alle Universitaten. 
Fuhrend sollte das von W. Gurlitt im Wintersemester 
1919/20 an der Universitat Freiburg im Breisgau ge- 
griindete akademische Coll. mus. vocale et instrumen- 
tale werden. Hier wurde das Repertoire an Chor- und 
Instrumentalmusik uber Barock und Renaissance in 
das Mittelalter hinein erweitert; auBerdem wurde ver- 
sucht, der originalen Klangwelt der Musik durch Re- 
konstruktion alter Musikinstrumente naherzukommen 
und eine historisch moglichst getreue und dabei kiinst- 
lerisch lebensvolle Wiedergabe zu erreichen. Das Frei- 
burger Coll. mus. bot 1922 in der Badischen Kunst- 
halle Karlsruhe zum erstenmal Musik des Mittelalters 
in offentlichen Auffiihrungen. Auch zeitgenossische 
Kammer- und Chormusik wurde (unter H.Erpf) in 
den Jahren 1923-25 in das Repertoire des Freiburger 
Coll. mus. einbezogen. Entsprechend dem immer brei- 
ter werdenden Interesse an alter Musik im europai- 
schen Musikleben griff die Idee des Coll. mus. uber die 
Universitaten hinaus und begegnete verwandten Ideen 
der -> Jugendmusik-Bewegung und der Schulmusik- 
reform. 

Lit. : K. Nef, Die Collegia musica in d. deutschen refor- 
mierten Schweiz, St. Gallen 1897; M. Seiffert, M. Weck- 
mann u. d. Coll. mus. in Hbg, SIMG II, 1900/01 ; C. Va- 
lentin, Gesch. d. Musik in Ffm, Ffm 1906; H. Staudin- 
ger, Individuum u. Gemeinschaft . . . , = Schriften zur 
Soziologie d. Kultur I, Jena 1913 ; Fr. Ludwig, Musik d. 
MA in d. Badischen Kunsthalle Karlsruhe, ZfMw V, 1922/ 
23 ; A. Schering, Mg. Lpz. II, Lpz. 1926, u. Ill, Lpz. 1941 ; 
G. Pinthus, Das Konzertleben in Deutschland, = Slg mw. 
Abh. VIII, StraBburg 1932; Zeitschrift Coll. mus., hrsg. v. 
W. Blankenburg, Kassel 1932 u. 1933 ; E. Preussner, Die 
burgerliche Musikkultur, Hbg 1935, Kassel ^1950; H. 
Zenck, Das Coll. mus., Neues Musikblatt Nr 17, Mainz 
1936; A. Werner, Freie Musikges. alter Zeit im mittel- 
deutschen Raum, Wolfenbuttel u. Bin 1940. 

col legno (kol l'e: jio, ital., mit dem Holz), Vorschrift 
beim Streichinstrumentenspiel, die Saiten mit der Bo- 
genstange zu streichen (c. 1. tratto) oder anzuschlagen 
(c. 1. battuto); der Klang ist hart und sprode (Liszt, 
Mazeppa; Honegger, La Danse macabre; Schonberg, 
Moses und Ann, 2. Akt; beide Arten des c. l.-Spiels 
z. B. in L.Nonos Varianti). Ein Unikum in seiner Zeit 
stellt das c. l.-Spiel (mit Dampfer) dar, das J.Haydn im 
2. Satz der Symphonie Nr 67 (Hob. 1, 67) verlangt. Die 
Beendigung des c. l.-Spiels wird durch -> arco ange- 
zeigt. 



178 



Comes 



Color (lat., Farbe) kommt in der Musiklehre seit dem 
spaten Mittelalter in verschiedenen Bedeutungen vor: 
- 1) C. bezeichnet in der Notation seit der Ars nova 
im 14. Jh. bis aim 17. Jh. Noten, deren Farbe von der 
iiblichen abweicht: in der schwarzen Notation des 14.- 
15. Jh. die roten (in England zuweilen auch blauen) 
oder hohlen Noten (notae rubeae sive vacuae, J. de 
Muris, CS III, 54; die hohlen Noten heiBen auch albae, 
dealbitae, cavatae), in der weiBen Notation seit Mitte 
des 15. Jh. die schwarzen Noten (notae impletae, Tinc- 
toris, CS IV, 65f.; auch notae nigrae, denigratae). Mu- 
ris erklart die normalen (bei ihm schwarzen) Noten als 
perfekt, die kolorierten als imperfekt. Die Ars perfecta 
in musica magistri Ph. de Vitriaco verallgemeinert zu der 
in der Folgezeit giiltigen Regel: »Ferner werden Mo- 
dus, Tempus und Prolatio durch rote Noten veran- 
dert . . . ; wenn die schwarzen Longae [Breves, Semi- 
breves] imperfekten Modus [Tempus, Prolatio] stehen, 
sollen die roten im imperfekten sein und umgekehrt« 
(CS III, 33b, im AnschluB an Vitrys Ars nova, Cap. 
XIX). Im allgerheinen ergibt sich, dafi eine Note durch 
C. ein Drittel ihres Wertes verliert, doch kbnnen No- 
ten imperfekter Mensur auch urn die Halfte verlangert 
werden (ApelN, Faks. 81, aus Pit). In der Hauptsache 
sind folgende Anwendungen des C. zu unterschei- 
den: Bei perfekter Mensur werden Gruppen von drei 
2zeitigen Noten (anstelle von zwei 3zeitigen) kolo- 
riert (Hemiole, Traynour, vgl. CS III, 123L). Stehen 
zwei kleinere Noten zwischen zwei groBeren, so zeigt 
(in weiBer Notation) die Schreibung a*»o, seltener 
a ♦ ■ , an, daB bei den kurzeren Noten keine Alteration 
eintritt, also J J J J zu iibertragen ist. Umgekehrt wird 
Alteration oft durch h ♦ ■ a vorgeschrieben. Bei imper- 
fekter Mensur bezeichnet der C. Triolen; der beson- 
ders haufige Minor c. ♦♦ und die Schreibung ■♦wer- 
den aber im 16. Jh. von vielen Handschriften und 
Theoretikern zu o- ♦ und 0- i umgedeutet. Ferner dient 
C. zur Kennzeichnung der Zusammengehorigkeit von 
Gruppen verschiedener Mensurierung, die sich gegen- 
seitig durchdringen und dadurch Synkopation bewir- 
ken (Beispiele aus der Notation um 1400 ApelN, Faks. 
84-87 und S. 488f., spatere Beispiele bei Tinctoris, 
CS IV, 58b und 65f.). In Handschriften des friihen 15. 
Jh. dient die kolorierte Minima zur Bezeichnung der 
Semiminima; in der Schreibung der Semiminima 
als i (heute Viertelnote J), d. h. als geschwarzte Mini- 
ma, und im damit verbundenen Obergang von den 
(langen) weiBen zu den (kurzen) schwarzen Noten hat 
die »weiBe« Mensuralnotation und noch die heutige 
Notenschrift diesen Gebrauch des C. als Proportio 
dupla bewahrt. Im 16. Jh. wurde C. als -»■ Augenmu- 
sik gem zur Wortdarstellung verwendet. - 2) Colo- 
res heiBen bei Johannes de Garlandia nach dem Vor- 
bild der Rhetorik Schmiickungen des musikalischen 
Satzes (ed. Cserba, 226f.), darunter auch die Wieder- 
holung eines melodischen Abschnitts in der gleichen 
(repetitio ejusdem vocis; vgl. auch Odington, CS 1, 246a) 
oder in einer ahderen Stimme (repetitio diversae vocis, 
Stimmtausch; vgl. auch Anonymus IV iiber Perotinus, 
CS I, 342a und 360f.). Zunachst vor allem in Ober- 
stimmen verwendet, wird erstere schon in der Ars 
ahtiqua-Motette und dann besonders in der -> Iso- 
rhythmie der Ars nova zum Ordnungsprinzip des Te- 
nors. Die fur das 14.-15. Jh. verbindllche Darstellung 
bei J. de Muris (CS III, 58b, dazu Pr. de Beldemandis, 
CS III, 225f. und 247b) sieht fiir den Tenor nach dem 
Vorgang seiniger Kantoren« die Unterscheidung von 
C. als melodischer Wiederholung und Talea als Wie- 
derholung eines rhythmischen Modells vor. C. gilt 
jedoch weiterhin als beide Arten umfassende Bezeich- 



nung; so nennt E. de Murino die Anlage der Ober- 
stimmen als mehrfache Wiederholung eines rhythmi- 
schen Modells »Kolorierung der Motetten« (CS III, 
125a). - 3) Marchettus de Padua schlagt vor, den durch 
Alteration gewonnenen Leitton des Paenultimaklangs 
als musica (oder dissonantia) colorata (statt des iiblichen 
musica f alsa) zu bezeichnen. Er gewinnt diesen Namen 
sowohl als Obersetzungswort aus seiner falschen Er- 
klarung des chromatischen Halbtons, als auch durch 
Obernahme des C.-Begriffs der Rhetorik, blieb aber 
ohne Nachfolger (GS III, 73ff., 83, 89; CSM VI, 68ff.). 
Lit. : H. Beixermann, Die Mensuralnoten u. Taktzeichen, 
Bin 1858, hrsg. v. H. Husmann "1963 ; G. Adler, Die Wie- 
derholung u. Nachahmung in d. Mehrstimmigkeit, Vf Mw 
II, 1886 ; J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation, 3 Bde, Lpz. 
1904; WolfN; E. Praetorius, Die Mensuraltheorie d. Fr. 
Gafurius . . ., = BIMG II, 2, Lpz. 1905; Fr. Ludwig, Die 
geistliche nichtliturgische, weltliche einst. u. d. mehrst. 
Musik d. MA, Adler Hdb.; H. Besseler in: AfMw VIII, 
1926, S.210ff. ;J.HANDSCHiNin: ZfMwXVI, 1934, S. 120f. ; 
M. F. Bukofzer in: AMI VIII, 1936, S. 109f.; G. Kuhl- 
MANN,Die2st.frz.Motetten. . . I, Wiirzburg 1938; ApelN; 
G. Reichert, Das Verhaltnis zwischen mus. u. textlicher 
Struktur . . ., AfMw XIII, 1956; ders., Wechselbeziehun- 
gen zwischen mus. u. textlicher Struktur . . ., in: In me- 
moriam J. Handschin, StraBburg 1962; C. Parrish, A 
Curious Use of Coloration . . . , in : Essays on Music, Fs. A. 
Th. Davison, Cambridge (Mass.) 1957; U. Gunther, The 
W-Cent. Motet . . ., MD XII, 1958; M. B. Collins, The 
Performance of Coloration, Sesquialtera, and Hemiola, 
Diss. Stanford (Calif.) 1963, maschr., Teildruck in: JAMS 
XVII, 1964. 

Combo (von engl. combination) ->• Band. 

Com£die (komed'i, frz., Komodie), eine Bezeichnung 
fiir die friihe franzosische heitere Oper, meist mit ei- 
nem Zusatz wie melee d'ariettes oder en musique 
(-> Vaudeville). Die gesprochene Komodie mit einge- 
legten, original komponierten Arietten (Dalayrac, La 
Nina ou la Folk par amour, 1786) wurde C. a ariettes ge- 
nannt, im Gegensatz zur C. lyrique, bei der die Musik 
bereits groBeren Anteil hat. 

Com£die-ballet (komed'i-bal'E, frz.), eine seit 1664 
von Lully und -» Moliere in enger Zusammenarbeit fiir 
die Hoffeste Ludwigs XIV. geschaffene, der Oper 
nahestehende Gattung des f ranzosischen Theaters. In der 
C.-b. wirkten die klassische gesprochene Comedie 
und - vom Ballet de cour ausgehende - mit der Hand- 
lung verkniipfte Ballets (mit Prolog und Entrees), dra- 
matisch gestaltete Rezitative, Airs, Duette, Terzette, 
chorische und finalartige Ensembleszenen sowie Dia- 
loge zwischen Schauspielern und Sangern zusammen. 
Zu den bedeutenden C.-b.s, die einen franzosischen 
Buffostil herausbildeten und eine wichtige musikalische 
Entwicklungsstufe zur -*■ Tragedie lyrique darstell- 
ten, zahlen Molieres und Lullys La Princesse d'Elide 
(1664), V Amour medecin (1665), La Pastorale comique 
(1667), Le Sicilien (1667), Les festes de Versailles und 
Georges Dandin (1668), Monsieur de Pourceaugnac (1669), 
Les amants magnifiques (1670), Le bourgeois gentilhomme 
(1670). Die C.-b.s verloren nach dem Tod Molieres an 
Bedeutung; Musik und Tanz wurden weniger ver- 
wendet, und die Gattung wurde den Komodien mit 
Couplets angenahert, wie sie an der Comedie Italienne 
und am Theatre de la Foire gespielt wurden. 
Lit.: M. Pellisson, Les C.-b. de Moliere, Paris 1914; Fr. 
Noack, Die Musik zu d. Moliereschen Komodie »Mon- 
sieur de Pourceaugnac« v. J. B. de Lully, in: Mw. Beitr., 
Fs. J. Wolf, Bin 1929; Fr. Bottger, Die »C.-B.« v. Mo- 
liere-Lully, Diss. Bin 1941. 

Comes (lat., Gefahrte), Thema einer Fuge in der Ge- 
stalt seiner -> Beantwortung. C, durch Calvisius (Me- 
lopoeia 1592) als Latinisierung von -> Conseguente ein- 



12« 



179 



come sopra 

gef iihrt, bezeichnet gelegentlich auch die nachi olgende 
Stimme im Kanon. 

come sopra (ital., wie oben), Anweisung zur Wie- 
derauf nahme von angegebenen Ausf iihrungsvorschrif- 
ten oder zur Wiederholung eines Satzteils. 

come sta (ital., wie es dasteht), in der Zeit der Bliite 
der Virtuosenzutaten, besonders zu Anfang des 17. Jh., 
in Instrumentalkompositionen das ausdruckliche Ver- 
bot der Auszierung. 

Commedia in music a (ital., Komodie mit Musik), 
auch Commedia per musica sowie Commedia musi- 
cale, in der 2. Halite des 17. Jh. und im 18. Jh. Bezeich- 
nung fiir die komische italienische Oper, die Handlun- 
gen und Figuren aus der Commedia dell'arte iiber- 
nahm. Mittelpunkt dieser Kunst war Neapel (C. in m. 
napoletana, auchFarsa oder Pazzia genannt). Fiir die 
heitere italienische Oper wurden auch Bezeichnungen 
verwendet wie Commedietta, Dramma burlesco (gio- 
coso), Scherzo drammatico (giocoso), Trattenimento 
carnevalesco, Opera comica. 

Commissura (lat., Verbindung), Durchgangsdisso- 
nanz, der Sache nach schon von Tinctoris (CS IV, 144) 
in Nahe zur Rhetorik beschrieben; in der Barockzeit 
eine musikalische Figur (ohne Namensentsprechung in 
der Rhetorik), auch Symblema, Celeritas und Transi- 
tus genannt. Eine in 31 Versen ausgebreitete Erklarung 
der C. gibt H.Dedekind (1590). Burmeister (1599, 
1606) erkennt Durchgangsdissonanzen als Figur nur im 
Wert einer Minima (Halfte des Tactus) an, kleinere 
Werte als Durchgange sind ihm dem Figurbegriff ge- 
geniiber nicht offenkundig genug. Calvisius (1592) da- 
gegen betrachtet unter Celeritas nur den rein musikali- 
schen Sachverhalt des Dissonanzwertes ohne Reflexion 
auf den Figurbegriff, er beschrankt sich daher auf das 
Dissonanzverbot der Semibrevis (ganzer Tactus). Nu- 
cius (1613), Goclenius (1613), Thuringus (1625), Bern- 
hard (Ausfuhrlicher Bericht) und J.G.Walther (1708, 
1732) unterscheiden C. cadens (bzw. Transitus regula- 
ris), wobei die 1. Halfte (thesis | ) der Schlagzeit konso- 
niert und die 2. Halfte (arsis f ) dissoniert, und C. di- 
recta (bzw. Transitus irregularis) mit Auflosung einer 
dissonierenden Thesis in die Arsis. 



C. cadens 

i t . I t 



S^fPP^ 



m 



i 1 1 t 



pn 




Quasitransitus ist bei Bernhard eine dem Transitus 
irregularis ahnliche, mit der -»• Multiphcatio verbun- 
dene Art, vor allem im rezitativischen Stil. Im Trac- 
tates compositions augmehtatus nennt Bernhard noch den 
Transitus regularis einfach Transitus, statt Transitus 
irregularis steht Quasi-Transitus, und der spatere Qua- 
sitransitus heiBt hier Transitus inversus. Unter den Be- 
griff des Transitus wird in dieser Zeit allgemein auch 
der Wechselton (-> Wechselnote) subsumiert. 



i 



Lit. : H. Dedekind, Praecursor metricus musicae artis, 
Erfurt 1590; S. Calvisius, Melopoeia . . . , Erfurt 1592; R. 
Goclenius, Lexicon Philosophicum .... Ffm. 1613. 

180 



Common chord (k'onwn ka:d, engl., s. v. w. ge- 
wohnlicher Klang), im GeneralbaB der konsonante 
Dreiklang (frz. accord parfait), besonders der Dur- 
dreiklang. 

Common time (k'oman taim, engl., s. v. w. gewohn- 
liches ZeitmaB) heiBt der auch in Deutschland »gemei- 
ner Takt« genannte 4/4-Takt, in alterer Zeit jeder ge- 
rade Takt. 



Commune Sanctorum (lat.) 
Sanctis. 



Proprium de 



Communio (lat.), genauer: Antiphona ad commu- 
nionem, das letzte Stuck des Proprium missae, der 
Kommuniongesang der romisch-katholischen MeB- 
feier. Schon seit dem 4. Jh. lafit sich in verschiedenen 
Liturgien des Orients und Okzidents als bevorzugter 
Gesang zur Kommunion Ps. 33 nachweisen, der offen- 
sichtlich auf Grund des Textinhaltes von Vers 9 (Gusta- 
te et videte quoniam suavis est Dominus) verwendet wur- 
de. Auch die romische Liturgie enthielt zunachst einen 
(in den einzelnen MeBformularen verschiedenen) 
Kommunionpsalm. Versweise von zwei einander ab- 
wechselnden Choren ausgefuhrt, erklang hierbei vor 
und nach dem (mit der kleinen Doxologie abgeschlos- 
senen) Psalm bzw. zwischen den einzelnen odermehre- 
ren Versen eine Antiphon (Antiphona ad communio- 
nem), welche nach allmahlichem Wegfall der Psalm- 
verse (10.-13./14. Jh., vermutlich durch Ruckgang der 
gemeinschaf tlichen Kommunion) allein iibrigblieb und 
C. genannt wurde. Nur in der C. Lux aeterna der To- 
tenmesse erhielt sich ein Versus (Requiem aetemam). Als 
sehr sparer Beleg fiir die Verwendung von C.-Psalm- 
versen gilt das Graduale der Leipziger St. Thomaskir- 
che aus dem 14". Jh. Die musikalische Gestalt der Verse 
entsprach stets der Introituspsalmodie in romanischer 
oder germanischer Fassung (vgl. die Formeln in der 
Vatikanischen Ausgabe des Graduale Romanum und 
bei P. Wagner, Einfiihrung III, S. 140ff .). Seit der neuen 
Karwochenliturgie (1956) ist man um eine Wiederein- 
fuhrung der C.-Psalmen bemiiht. Erweiternde Bestim- 
mungen sind in der Instructio de musica sacra et sacra li- 
turgia der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958 enthalten. 
Hiemach wird gestattet, beim Kommuniongang der 
Glaubigen im AnschluB an jene Antiphonen, deren 
Text einem Psalm entnommen ist, die iibrigen Psalm- 
verse mit Gloria patri und abschheBender Wiederho- 
lung der Antiphon zu singen, wobei auch nach jedem 
einzelnen oder je 2 Versen eine Repetitio antiphonae 
moglich ist. Entsprechend kann fiir Antiphonen ohne 
Psalmtext ein passender Psalm ausgewahlt werden (Ar- 
tikel 27c). - In der Choralforschung finden die C- An- 
tiphonen vor allem wegen ihrer oftmals uneinheitli- 
chen tonalen Gestalt zunehmendes Interesse. - Bezeich- 
nungen fiir den Kommuniongesang in anderen Litur- 
gien sind: Trecanum (gallikanisch), Transitorium (am- 
brosianisch), Antiphona ad accedentes (altspanisch), 
Koinonikon (byzantinisch). 

Ausg. : Das Graduale d. St. Thomaskirche zu Lpz., hrsg. 
v. P. Wagner, 2 Bde, = PaM V u. VII, Lpz. 1930 u. 1932. 
Lit.: P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I u. Ill, Lpz. '191 1 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; U. Bomm OSB, Der Wechsel d. Modali- 
Utsbestimmung in d. Tradition d. MeBgesange im IX. bis 
XIII. Jh., Einsiedeln 1929. KWG 

Completorium (lat.) -> Komplet. 

Complexio (lat.) -> Symploke. 

Computer-Musik (k3mpj'u:t3j, engl.), Musik, die 
mit Hilfe von elektronischen Rechenanlagen kompo- 
niert wird. Regeln der Satztechnik und Gewohnheiten 
der asthetischen Bewertung lassen sich als »Programm« 



verstehen, innerhalb dessen der Komponist seine Ent- 
scheidung trifft. Das Programm definiert das Material 
und die erlaubten Verkniipfungen, deren Reihenfolge 
haufig frei ist. Daher kann innerhalb gegebener Gren- 
zen der Zufall sich auswirken. - Computer fmden Ver- 
wendung, um bekannte Musiksysteme (z. B. tonale 
Harmonik) zu programmieren, Musik nach statisti- 
schen Gesichtspunkten zu komponieren oder elektro- 
nische Klange zu erzeugen. Beispiele: Illiac Suite fur 
Streichquartett von Hiller und Isaacson, Musique algo- 
rithmique von P. Barbaud, Computer Cantata von Hiller. 
Lit. : L. A. Hiller u. L. M. Isaacson, Experimental Mu- 
sic, NY 1959; J. C. Tenney, Sound-Generation by Means 
of a Digital Computer, Journal of Music Theory VII, 1 963 ; 
I. Xenakis, Musiques formelles, RM XXXIII, 1963; L. A. 
Hiller, Informationstheorie u. C.-M., in: Darmstadter 
Beitr. zur Neuen Musik VIII, Mainz (1964) ; G. H. Roller, 
The Development of the Methods for Analysis of Mus. 
Compositions and for the Formation of a Symmetrical 
Twelve-tone Row Using the Electronic Digital Computer, 
Diss. Michigan State Univ. 1964, maschr. 

Concentus (lat.) -> Akzent (- 2). 



Concertante (k5sErt'a:t, frz.) 
certante. 



Symphonie con- 



Concertato (kontJert'a:to, ital.), concertant (frz.), 
Abk. : cone, konzertierend. Voci concertate, Concer- 
tatstimmen, heifien die solistischen Vokalstimmen im 
->■ Concerto; Coro c. ist in der concertierenden -> Mehr- 
chorigkeit die Gruppe der Solostimmen im Gegensatz 
zum vollen Chor. Die Titel Psalmi concertati (Viadana, 
1612), Musiche concertate (T. Merula, Madrigali et altre 
musiche concertate, 1623), Sonate concertate (D. Castello, 
1621) besagen, daB die Kompositionen fur das mehr- 
chorige Concertieren oder fur Vokal- bzw. Instrumen- 
talsolisten bzw. fiir deren Mitbeteiligung bestimmt 
sind. -*■ Symphonie concertante. 

Concertina, ein -*■ Harmonika-Instrument mit 6ecki- 
gem Querschnitt. Es wurde 1827 von Ch.Wheatstone 
(1802-75) erfunden und 1829 patentiert. Die C. war 
das erste gleichtonige Balginstrument und wurde als 
Sopran-, Tenor-, Bariton-, BaB- vind KontrabaB-C. 
hergestellt. Eine durchgehende chromatische Tonfolge 
war auf die beiden Seiten des Instrumentes verteilt. 
Spielfinger waren der 2., 3. und 4. Finger, der Daumen 
hielt in einer Lederschlaufe das Instrument, der kleine 
Finger ruhte als Stiitze in einem Metallwinkel. Der 
Umfang der Sopran-C. reicht von g-c 3 , zum Teil bis 
a 4 . Fiir das Zusammenspiel mit Klavier wird vorzugs- 
weise die Sopran-C. verwendet. Mit der deutschen 
->■ Konzertina von Uhlig hatte sie nichts gemeinsam, 
aber vielleicht wurde Wheatstone durch Uhligs Kon- 
struktion zum Bau der Duett-C. angeregt, die 1844 
patentiert wurde und es ermoglichte, mit der rechten 
Hand die Melodie und mit der linken die Begleitung 
zu spielen. Die Duett-C. gab es in GroBen von 46-81 
Knopf en (groBter Tonumf ang : C-d 3 ; von g-c 2 waren 
die Tone doppelt vorhanden). Die C. wurden nur ein- 
fachtonig gebaut (8'-Ton), deshalb war es moglich, 
den auBeren Umfang des Geniuses sehr klein zu hal- 
ten. Der Ton war klar und weittragend, die Ansprache 
der Zungen leicht. Schulwerke und Kompositionen 
fiir die C. schrieben u. a. Wheatstone, G. Case, G. Re- 
gondi, R. Blagrove, B. Molique und G. A. Macfarren. - 
Das Melophon wurde von dem Ungarn Ferenczi 
(* 1820) der englischen C. nachgebaut. Das seinerzeit 
in Ungarn sehr beliebte Instrument wird seit 1911 
nicht mehr gebaut. - Die Symphonetta wurde 1898 
von R. Scheller (1845-1929) in Hamburg konstruiert. 
Die Knopf anlage entspricht der einer dreireihigen chro- 
matischen Harmonika mit 2 Hilfsreihen. AuBerlich 



Concerto 

entspricht die Symphonetta einem mitten im Balg 
aufgeschnittenen ->■ Bandonion, das auf einem Spiel- 
tisch so montiert ist, daB die Tastatur vor Augen liegt. 
Durch wechselndes Hochziehen und Niederdriicken 
der beiden Balgteile wird die Luft den Tonzungen zu- 
gefiihrt, die nur auf Druck ansprechen und ein ausge- 
zeichnetes dynamisches Spielen gestatten. Der Gesamt- 
umfang reicht vom B der Kontraoktave bis fis 3 . EKu 

Concertino (kontfert'i:no, ital., kleines Konzert), 
- 1) ahnlich wie -> Konzertstiick eine Gattungsbezeich- 
nung fiir Konzertkompositionen kleineren Umfangs 
oder kleinerer Besetzung (z. B. Strawinsky, C. fiir 
Streichquartett, 1920; H.Reutter, C. fur Kl. und 
Streichorch., op. 69; H.Genzmer, C. fiir Kl. und Str. 
mit Fl.). - 2) Besetzungsbezeichnung fiir eine Gruppe 
von Soloinstrumenten, die dem Orchestertutti gegen- 
iibersteht, vor allem im -> Concerto grosso und der 
->■ Symphonie concertante. 

Concerto (kontT'erto, ital.) bezeichnet als Stilprinzip 
und Werktitel die durch ein Ensemble auszufiihrende 
Komposition, in der heterogene Elemente zusammen- 
wirken. Begriff und Wesen des C. waren fiir die Musik 
der Barockzeit so bestimmend, daB J. Handschin (1948) 
das 17./18. Jh. die Zeit des »konzertierenden Stils« zu 
nennen vorschlug; insofern der GeneralbaB ein inte- 
grierender Bestandteil dieses Stils ist, faBt der Name 
GeneralbaBzeitalter (H.Riemann) die gleiche Erschei- 
nung aus anderer Sicht. - Die Ableitung des Terminus 
C. ist umstritten. Das Moment des Zusammenwirkens 
im Ensemble weist auf concertare (mittellat. und ital.), 
tibereinstimmen. Dem entspricht das Verstandnis von 
C. als vokalem, instrumentalem (auch span, taner en 
concierto, bei Ortiz 1553; engl. -*■ Consort) oder vokal- 
instrumentalem Ensemble sowie das Zusammenwirken 
von Musikern iiberhaupt, auch im Sinne einer Veran- 
staltung (Walther 1732, Rousseau 1767 ; -»• Konzert- 2), 
ferner die Gleichsetzung von C. mit Cantio harmonica, 
Concentus und Sinfonia (Symphonia). Die Heteroge- 
nitat der zusammenwirkenden Elemente spiegelt sich 
dagegen in der versuchten Zuriickf iihrung des Wortes 
C. auf concertare (klassisch-lat.), wettstreiten, die seit 
M.PraetoriuS in Formulierungen wie gegeneinander cer- 
tiren, gleichsam um den Gewinn certiren immer selbstver- 
standlicher herangezogen wurde. Beim C. in diesem 
Sinne handelt es sich im Barock um zwei Grundfor- 
men. Die friihere ist die ->- Mehrchorigkeit : C. in specie 
bedeutet, daB die Musici Chorweise vmbwechseln (Prae- 
torius Synt. Ill, S. 5). Sie ist zu verstehen als Steigerung 
der Motettenkomposition und ist in den Concerti von 
A. und G.Gabrieli 1587 voll ausgepragt als Zusam- 
menwirken von Singstimmen und Instrumenten, Cho- 
ren und Solisten iiber verstarktem Klangfundament. 
Die Rolle des (wesentlich instrumentalen) Basses, der 
als Basso pro organo bzw. GeneralbaB das musikali- 
sche Geschehen tragt und den Stimmen (solistische) 
Bewegungsfreiheit gewahrt oder sie als Fullstimmen 
oder »Griffe« fungieren laBt, verbindet alle C.-Arten 
der Barockzeit. Schon im mehrchorigen C. tritt das 
Gegeneinanderwirken auch als solistisches Sichhervor- 
tun von Stimmen auf, das dann in den Begriffswor- 
tern Concertatstimmen, Concertisten, -»■ Concertato, 
->■ Concertino (- 2) als charakteristisches Moment des 
C. angesprochen wird. - Die 2. Grundform des C, die 
zum Typ des »Kleinen (geistlichen) Concerts« fuhrte, 
ist zu verstehen als auch unter Einwirkung der -* Mo- 
nodie sich vollziehende Reduzierung der vielstimmi- 
gen, auch mehrchorigen Motettenkomposition auf das 
solistische Singen (bald auch Instrumentalspiel) mit 
GeneralbaB. Epochemachend waren hier L.Viadanas 
als 1— 4st. Solomotetten mit Basso continuo geschriebe- 



181 



Concerto 

nen Cento concert! ecdesiastki (I, 1602), die in Italien 
iiberall Nachfolge fanden (A. Agazzari, A. Grandi u. a.), 
bereits 1609 auch in Frankfurt erschienen und bald in 
Deutschland eine grofie Zahl gleichgearteter Veroffent- 
lichungen zur Folge hatten. Unter diesen sind, neben 
Gr.Aichinger (ab 1607), J.Staden (ab 1616) u. v. a., 
vor allem bedeutend die Geistlichen Concerte der 
Opella nova von Schein (1618 und 1626) und die Klei- 
nen Geistlichen Concerte von Schiitz sowic dcssen Sym- 
phoniae sacrae (I— III, 1629, 1647, 1650), in denen zum 
solistisch gesungenen Generalbafi-C. auch obligate 
Instrumente und im Band von 1650 auch Komple- 
mentchore gesetzt sind. Eine spezifisch italienische 
Auspragung des kleinen C. ist das Madrigalkonzert 
(Intermedii e Concert!, Florenz 1591; Monteverdis C. 
genanntes 7. Madrigalbuch, 1619) und eine eigentum- 
fich deutsche Auspragung das Choral-C. (M.Praeto- 
rius, Schein). Es charakterisiert die Entstehung dieser 
2. Grundform des C. aus der vollstimmigen Motette, 
wenn Schiitz 1648 betont, daB fiir den tiber den Bassum 
Continuum concertirenden Stylus Compositionis aus Italia 
der Stil der Chor-Music das Lehrfundament bildet. In- 
dessen ist es fiir den neuartigen instrumentalen Grund- 
zug des C. bezeichnend, daB bei der Einrichtung der 
»Concert-Music« in Wittenberg 1644 mit deren Durch- 
fiihrung der Organist (als GeneralbaBspieler) betraut 
wurde, wahrend die volstimmige . . . alte art der Mo- 
teten Sache des Kantors blieb. - Zwischen der mehr- 
chorigen und der solistischen Grundform des C. gab es 
im 17. Jh. viele Verbindungen und Zwischenarten, die 
im Dienste der Varietas zum Teil nur Sache der »An- 
ordnung und Aufstellung« waren, wobei einerseits die 
Concertatstimmen-Komposition durch Komplement- 
chore und Ripienoabschnitte in Richtung auf das Con- 
certiren per choros erweitert (hierzu Praetorius' 9 Ma- 
nieren, Synt. Ill, S. 175ff.), andererseits der vollstim- 
mige oder mehrchorige Satz auf solistische Ausfiih- 
rung reduziert oder durch solistische Partien aufge- 
lockert wurde. In diesem Zwischenbereich bildete 
sich (seit J. Schelle, Fr.Tunder und namentlich bei 
Buxtehude) durch Einbeziehung der musikalisch ge- 
schlossenen, textlich betrachtenden Aria und des Cho- 
rals die -> Kantate heraus. (Noch zahlreiche Kantaten 
J. S. Bachs wurden von ihm selbst C. genannt.) 
Die Anwendung des C.-Prinzips in Ausfiihrung (in- 
strumentale Besetzung) und Komposition auf die in- 
strumentalen Formen der Kanzone, Sonata und Sin- 
fonia fiihrte zur Entstehung der Gattungen -> Concer- 
to grosso und Solo-C. Soloepisoden, auch unbegleite- 
te, finden sich ebenso wie Trio- (-> Triosonate) und 
Duoepisoden schon in Kompositionen des concertie- 
renden Stils seit dem friihen 17. Jh. (Fr. Spongia detto 
Usper 1619). In der fiir die Ausbildung des Solo-C. 
entscheidenden Zeit von etwa 1660-90 wurden im C, 
zumal wo es bei f estlichen Anlassen in der Kirche mit 
Dilettanten stark besetzt war, schwierige Stellen von 
Solisten gespielt (vgl. dazu noch Torelli, Vorwort zu 
op. 8, 1709). Damit lag - beeinfluBt auch durch die 
Ritornellform der Arie - bereits das Solo-C. vor. In 
der 4-8st. Streichersinfonia oder -sonata besonders 
der Venezianischen und Bolognesischen Schule kom- 
men auch eine oder 2 Trompetenstimmen vor (z. B. 
G.B.Bononcini op. 3, 1685). Die Trompete, das be- 
deutendste Soloinstrument in dieser Zeit, konnte durch 
Oboe oder Violine (z. B. bei Cazzati 1665) ersetzt wer- 
den ; dies lag nahe besonders beim C. mit modulieren- 
den Soli. Das vom Komponisten sogleich als solches 
vorgesehene Violin-C. begegnet zuerst bei Torelli 
(op. 6, 1698) und Albinoni (op. 2, 1701/02), das Vio- 
loncello-C. bei Jacchini (op. 4, 1701). Am bedeutend- 
sten fiir die Ausbildung der Form, der Thematik, der 



Besetzung und der Spieltechnik des Solo-C. war Vi- 
valdi, dessen op. 3, wohl im ersten Jahrzehnt des 18. 
Jh. entstanden, 1712 im Druck erschien. Die beiden 
schnellen Ecksatze haben Ritornellform. Die Tuttiri- 
tornelle werden vom Solo in kleingliedrigen Motiven 
sequenzierend und modulierend fortgesponnen. Die 
zunehmend virtuosen Soli beginnen, vor allem bei 
Torelli und Vivaldi, durch Losung vom Affekt der 
Tuttiteile die Themenzweiheit der klassischen Sona- 
tensatzf orm vorzubilden. Der Mittelsatz ist einfacher 
und kantabler. Im 18. Jh. ist er oft nur mit wenigen 
Akkorden skizziert, iiber denen der Solist zu improvi- 
sieren hatte. Vor dem SatzschluB konnte in den Eck- 
satzen eine betont virtuose Soloepisode (-> Kadenz - 2) 
eingeschoben werden. Als Soloinstrumente kommen 
bei Vivaldi vor: neben Violine und Violoncello die 
Viola d'amore, Mandoline, Oboe (auch als Ersatz 
fiir Violine), Fagott und Querflote (auch Piccolo). In 
Vivaldis Nachfolge stehen Dall'Abaco, G.M.Alberti, 
Veracini, Tessarini und, mit virtuosen Violinconcerti, 
Locatelli. Tartini (op. 1, 1726) gehort nicht mehr in 
Vivaldis unmittelbare Nachfolge. Zu seinen Schulern 
zahlen Nardini und Pugnani. In Deutschland wurde 
das Solo-C. schon vor 1710 bekannt. 9 Bearbeitungen 
Vivaldischer Concerti fiir Klavier zeugen von J. S. 
Bachs Beschaftigung mit dem neuen Typ. In seinen 
eigenen Concerti sind zum Teil die Gattungen Solo-C. 
und C. grosso (die Benennungen blieben uberdiesnoch 
im 18. Jh. schwankend) vereint, so in den Branden- 
burgischen Konzerten Nr 4 und 5; Nr 3 ist dagegen 
noch ein mehrchoriges C. alten Stils, ebenso wie ein 
vierchoriges von Stolzel. Die seltene Verbindung von 
Solo-C. und Suite zeigendasl.BrandenburgischeKon- 
zert in seiner endgiiltigen Fassung sowie die Ouvertiire 
H moll. Weitere deutsche Komponisten von Solo- 
concerti sind Graupner, Telemann, J.Fr. Fasch und 
Pisendel. Der bedeutendste Meister des Violin-C. in 
Frankreich war Leclair (-» Violinmusik). Mit Bachs 
Werken fiir 1-4 Klaviere (zunachst Bearbeitungen von 
Violinconcerti) und Handels Konzerten fiir Kl. (Or- 
gel, Cembalo oder Harfe) beginnt die Geschichte des 
Klavierkonzerts (-> Klaviermusik) . Die Strahlkraf t aller 
dieser C.-Arten und des concertierenden Stils reicht 
weit iiber das Zeitalter des Barocks hinaus. In der Klas- 
sik und Romantik verlaBt das -»■ Konzert (- 1) zum 
Teil das Prinzip des Concertierens ; es erlebte eine be- 
wuBte Wiedererweckung im 20. Jh. 

Lit. : A. Schering, Gesch. d. Instrumentalkonzerts bis auf 
d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen I, 
Lpz. 1905, 21927; H. Daffner, Die Entwicklungd. Klavier- 
konzerts bis Mozart, = BIMG 11,4, Lpz. 1906; A.Werner, 
Ein Dokument iiber d. Einfiihrung d. »Concerten-Music« 
in Wittenberg, SIMG IX, 1907/08; H. Enoel, Das Instru- 
mentalkonzert, = Fiihrer durch d. Konzertsaal : Die Or- 
chestermusik III, Lpz. 1932; O. C. A. zur Nedden, Der 
konzertierendeStil, Habil.-Schrift Tubingen 1 933, maschr. ; 
H. Weber, Das Vc.-Konzert d. 18. u. beginnenden 19. Jh., 
Diss. Tubingen 1932 ; A. Adrio, Die Anfange d. geistlichen 
Konzerts, = Neue deutsche Forschungen XXXI, Abt. 
Mw. I, Bin 1935; H. Buttner, Das Konzert in d. Orche- 
stersuiten G. Ph. Telemanns, = Veroff. d. Niedersachsi- 
schen Musikges., Beitr. zur Mg. I, Wolfenbtittel 1935; M. 
Dounias, Die Violirikonzerte G. Tartinis . . . , Wolfenbuttel 
1935; M.-E. Brockhoff, Die Konzerttechnik J. S. Bachs, 
Habil.-Schrift Minister i. W. 1947, maschr. ; R. Eixer, Die 
Konzertform J. S. Bachs, Diss. Lpz. 1947, maschr.; ders., 
Die Konzertform A. Vivaldis, Lpz. 1958; ders., Die Ent- 
stehung d. Themenzweiheit in d. Fruhgesch. d. Instrumen- 
talkonzerts, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; M. Pincherle, A. 
Vivaldi et la musique instr., 2 Bde, Paris (1948) ; Fr. Gieg- 
ling, Sinn u. Wesen d. »concertare«, Kgr.-Ber. Basel 1949 ; 
ders., G. Torelli. Ein Beitr. zur Entwicklungsgesch. d. ital. 
Konzerts, Kassel 1949; W. Kolneder, Das Fruhschaffen 
A. Vivaldis, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Auffiihrungs- 



182 



Concordantia 



praxis bei Vivaldi, Lpz. (1955); ders., Die Solokonzert- 
form bei Vivaldi, = Slg mw. Abh. XLH, StraBburg u. Ba- 
den-Baden 1961 ; ders., Zur Friihgesch. d. Solokonzerts, 
Kgr.-Ber. Kassel 1962; R. Stephan, Die Wandlung d. 
Konzertform bei Bach, Mf VI, 1953 ; D. D. Boyden, When 
Is a C. Not a C, MQ XLIII, 1957; R. A. Hall, Ital. »c.« 
(conserto) and »concertare«, Italia XXXV, 1958; A. For- 
chert, Das Sp&twerk d. M. Praetorius, = Berliner Studien 
zur Mw. I, Bin 1959; E. Gessner, S. Scheidts Geistliche 
Konzerte, ebenda II, 1961 ; A. Hutchings, The Baroque 
C, London 1961 ; St. Kunze, DieEntstehungd. Concerto- 
prinzips im Spatwerk G. Gabrielis, AfMw XXI, 1964. 

HHE 

Concerto grosso (ital., s. v. w. groBes Ensemble), im 
Unterschied zum ->■ Concertino der Soli die starker 
besetzte Klanggruppe (Tutti, Ripieni), die im Wechsel 
mit jenem musiziert. Dariiber hinaus ist C. gr. ein 
-*■ Concerto, das nach dem Prinzip dieses Wechsels an- 
gelegt ist. Dabei unterscheidet sich das C. gr. vom 
Soloconcerto durch das mehrstimmige (oft 3st.) Con- 
certino, das mit gleichen oder ungleichen Instrumen- 
ten besetzt sein kann. Es entstand etwa gleichzeitig mit 
dem Soloconcerto im 2. Drittel des 17. Jh. in Ober- 
italien, auch (und bis ins 18. Jh. so iiblich) als eine Aus- 
fiihrungsart der Triosonate, deren Besetzung (2 V., Vc. 
und B. c.) fur das Concertino des C. gr. zunachst ty- 
pisch war. Vorlaufer des C. gr. sind Duo- und Trio- 
episoden in Kanzonen, Sonaten und Sinfonien (Fr. 
Spongia detto Usper 1619, D.Castello 1621, Bernardi 
1621, 1624, T.Merula 1626). Ein friihes voll ausgebil- 
detes C. gr. bot A. Stradella 1676, dem weitere Kom- 
ponisten der Bologneser und Modeneser Schule folg- 
ten. Diese schrieben auch franzosisch beeinfluBte mehr- 
stimmige Tanzmusik, deren Motivik und Rhythmik 
in den Concerti grossi anklingen. Die Bezeichnung 
C. gr. ist zuerst 1698 bei L. Gregori nachweisbar. Die 
bedeutendsten Meister des C. gr. in Italien sind Corelli 
(Concerti grossi con duoi Violini e Violoncello di Concertino 
obligati e duoi altri Violini, Viola e Basso di C. gr. ad ar- 
bitrio, che si potranno radoppiare op. 6, um 1680, ver- 
offentlicht erst 1714, Nachdrucke bis um 1745, enthal- 
tend 8 Concerti da chiesa mit je 4-7 Satzen und 4 Con- 
certi da camera mit Tanzsatzen), Torelli (Concerti mu- 
sicali a 4 op. 6, 1698 ; Concerti grossi op. 8, 1709, geschrie- 
ben um 1690, fur 2 concertierende und 2 begleiten- 
de V., Va und B. c.) und Vivaldi, der neben zahlrei- 
chen Soloconcerti eine Reihe von Concerti grossi mit 
mannigfaltigen Streicher- und Blaserbesetzungen des 
Concertino komponierte. Sein 3satziger Typ des C. gr. 
(schnell - langsam - schnell) mit seinem Besetzungs- 
und Formenreichtum, seiner pragnanten Thematik, 
funktionsharmonischen Klangflachen, der Cantabile- 
Melodik der Mittelsatze und dem rondoartigen "Wech- 
sel zwischen Tuttiritornellen und modulierenden Con- 
certinoepisoden der schnellen Satze wurde vorbild- 
hch. - Corellis Technik lernte Georg Muffat 1681/82 
in Italien kennen und vermittelte sie an die deutschen 
Komponisten (Armonico tributo, 1682; Aufierlesene . . . 
Instrumental-Music, 1701). Im 18. Jh. wurde das C. 
gr. zu einer (nur in Frankreich weniger) verbreite- 
ten Gattung, deren Technik jedoch auch in der fran- 
zosischen Ouvertiire angewandt wurde. Concerti gros- 
si schrieben neben und nach Vivaldi in Italien u. a. 
Caldara, Marcello, G.Valentini, Fr. Manf redini, Albi- 
noni, Geminiani, P. A. Locatelli, in Deutschland u. a. 
Heinichen, Telemann, Chr. Graupner, J. Fr. Fasch, Al- 
bicastro, Schickhardt, Hurlebusch, Dieupart, Molter, 
vor allem J. S.Bach in seinen Concerts avec plusieurs in- 
struments, den sogenannten Brandenburgischen Kon- 
zerten, die das C. gr.-Prinzip vermischt mit anderen 
Concertotechniken zeigen (BWV 1046-51, beendet 
1721). Der EinfluB Handels (op. 3, 1733; op. 6, 1739; 



u. a. auch Ouvertiire zum »Alexanderfest«) wirkte sich 
in England und den Niederlanden aus auf W. de Fesch, 
J.George, J. Hebden und Ch.Avison. Die Besetzungs- 
weise des C. gr. lebte in der 2. Halfte des 18. Jh. fort in 
der -> Symphonie concertante in der Form der neuen 
Sonate und Symphonie. - In der 1. Halfte des 20. Jh. 
wurde mit der Hinwendung zu Formen des Barocks 
auch auf das C. gr. zuriickgegriffen, so von Reger 
(Konzert im alien Sri'/, 1912), Kaminski (C. gr. fur 2 
Orch., 1922), Kfenek (Concerti grossi 1921 und 1924). 
An das C. gr. gemahnen Kompositionen wie die Phan- 
tasie iiber die Tonfolge b-a-c-h fur 2 Kl., 9 Soloinstru- 
mente und Orch. (1950) von Former und die Konzerte 
fiir Jazzband und Orch. von Strawinsky (Stony-Con- 
certo, 1945) und R.Liebermann (1954). 
Lit.: A. Schering, Gesch. d. Instrumentalkonzerts bis auf 
d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen II, 
Lpz. 1905, 21927; A. Einstein, Ein C. gr. v. 1619, Fs. H. 
Kretzschmar, Lpz. 1918; A. Bonaccorsi, Contributo alia 
storia del C. gr., RMI XXXIX, 1932; H. Engel, Das In- 
strumentalkonzert, = Ffihrer durch d. Konzertsaal. Die 
Orchestermusik III, Lpz. 1932; ders., Das C. gr., = Das 
Musikwerk XXIII, Koln (1962); W. Kruoer, Das C. gr. 
in Deutschland, Wolfenbiittel 1932; E. H. Meyer, Die 
mehrst. Spielmusik d. 17. Jh. in Nord- u. Mitteleuropa, 
= Heidelberger Studien zur Mw. II, Kassel 1934 ; H. Btirr- 
ner, Das Konzert in d. Orchestersuiten G. Ph. Telemanns, 
= Veroff. d. Niedersachsischen Musikges., Beitr. zur Mw. 
I, Wolfenbfittel 1935 ; G. Hausswald, J. D. Heinichens 
Instrumentalwerke, Wolfenbuttel 1937; R. Gerber, Bachs 
Brandenburgische Konzerte, Kassel 1951; H. Besseler, 
Kritischer Ber. zu: J. S. Bach, Sechs Brandenburgische 
Konzerte, Neue Ausg. samtlicher Werke VII, 2, Kassel u. 
Lpz. 1956; J. Krey, Zur Entstehungsgesch. d. ersten Bran- 
denburgischen Konzerts, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961; St. 
Kunze, Die Entstehung d. Concertoprinzips im Spat- 
werk G. Gabrielis, AfMw XXI, 1964; E. Schenk, Betrach- 
tungen fiber d. modenesische Instrumentalschule d. 17. Jh., 
StMwXXVI, 1964. 

Conclusion (kokliizi'5, frz.; von lat. concludere, ab- 
schlieBen), s. v. w. Schlufl, SchluBsatz, bildet im 18. 
Jh. verschiedentlich als einzelner Orchestersatz den 
AbschluB (WaltherL: Schlufimachung) einer Samm- 
lung von Orchesterstiicken, wie u. a. in Telemanns Mu- 
sique de table (1733). Fiir ein sehr kurzes abschlieBendes 
Stuck gebrauchte J. J. Fux in seinem Concentus (1701) 
schon die Bezeichnung Finale. Unter neueren Werken 
findet man wieder mit C. iiberschrieben z. B. die letzte 
Szene der Choephores (2. Teil der Orestie) in der Ver- 
tonung von D.Milhaud (1919). 

Concordant (kakard'a, frz.), in der franzosischen vo- 
kalen Kirchenmusik des 17. Jh. im 5st. Satz die Stim- 
me, die dem -*■ Quintus entspricht, f emer die der Quinte 
(frz.) im 5st. Instrumentalsatz der Lully-Zeit entspre- 
chende Lagenstimme zwischen ->■ Taille und Basse. 
Dem C. als Stimmgattung entsprach zunachst die Bas- 
se-taille, in der weltlichen Vokalmusik und der Oper 
des 18. Jh. die Basse chantante und der ->• Bariton (- 2). 

Concordantia (haufig auch, besonders im friihen 
Mittelalter, Concordia, von lat. concordare, zusam- 
menstimmen) ist in den musiktheoretischen Schriften 
des Mittelalters neben Symphonia die gelaufigste Be- 
zeichnung aller aus einfachen Zahlenverhaltnissen ge- 
bildeten Intervalle, bezieht sich also in erster Linie auf 
Oktave (Einklang), Quinte und Quarte. Da diese In- 
tervalle zugleich in engstem Zusammenhang mit den 
Anfangen der abendlandischen Mehrstimmigkeit ste- 
hen (-*■ Organum), fehlt in den Definitional selten der 
Hinweis auf ihren »siiBen Zusammenklang« (mixtura 
suavis), welcher seit dem 13. Jh. zum eigentlichen Kri- 
terium des C.-Charakters geworden war : C. dicitur esse, 
quando duae voces iunguntur in eodem tempore, ita quod una 



183 



Conductus 

potest compati cum alia secundum auditum (Johannes de 
Garlandia, um 1240, CS I, 104b). Der Widerspruch 
zwischen langst erfolgter empirisch-kompositorischer 
Anerkennung und zunachst uniiberbriickbarer theore- 
tischer Ablehnung der Terz als C. fiihrte im 13. Jh. zu 
dem KompromiB der Aufspaltung in Concordantiae 
perfectae (Einklang, Oktave), mediae (Quarte, Quin- 
te) und imperfectae (beide Terzen). Zwar erwog zu 
Beginn des 14. Jh. W. Odington eine Vereinfachung 
der pythagoreischen Terzproportionen 64:81 und 
27 : 32 auf 4 : 5 und 5 : 6 ( . . . quia vicinae sunt sesquiquar- 
tae et sesquiquintae habitudinibus, CS 1, 199a), doch muB- 
te auch er noch auf die horbare dulcedo der Terzen sich 
berufen, da er ihnen die voile Legitimitat als Concor- 
dantiae in numeris nicht zugestehen konnte. Auch das 
Ausscheiden der Quarte aus der Reihe der Concor- 
dantiae im 15. Jh. wurde asthetisch begriindet: als con- 
centus discrepans sei sie gebildeten Ohren im Kontra- 
punkt nicht ertraglich (Tinctoris, 1477, CS IV, 85a). 
Nicht einheitlich ist in den Traktaten die Unterschei- 
dung zwischen C. und Consonantia; gelegentlich 
werden beide Termini iiberhaupt synonym gebraucht 
(Tinctoris nennt in gleicher Bedeutung u. a. noch con- 
crepantia, euphonia, simphonia, CS IV, 78a; W. 
Odington auch armonia, CS I, 193b). Ist jedoch eine 
Unterscheidung getroffen, so umfaBt Consonantia in 
der Regel die Gesamtheit der diatonischen Intervalle, 
also Concordantiae und -*■ Discordantiae zusammen. 
Auch wird die Bedeutung von C. infolge ihrer Rolle 
in der Mehrstimmigkeit haufig auf simultanes Erklin- 
gen der Intervalltone eingegrenzt, wahrend Conso- 
nantia eher in der Bedeutung der Tonfortschreitung 
erscheint; doch findet sich, wie bei J. de Grocheo (um 
1300), auch der gegenteilige Sprachgebrauch. 
Lit.: J. Handschin, The Summer Canon and Its Back- 
ground, MD HI, 1949 u. V, 1951 ; R. L. Crocker, Discant, 
Counterpoint, and Harmony, JAMS XV, 1 962. FrR 

Conductus (lat. ; frz. conduit), lateinisches Lied des 
Mittelalters mit »rhythmischem«, zumeist strophi- 
schem Text. Der 1st. C. ist urspriinglich wohl ein li- 
turgischer Gesang, in seiner Bliitezeit im friihen 13. Jh. 
jedoch kaum noch an die Liturgie gebunden, sondern 
mehr im auBerkirchlichen Leben der Geistlichkeit be- 
heimatet, z. B. an hohen Schulen und im Bereich staat- 
licher Representation. Seine Inhalte reichen vom noch 
liturgienahen Festhed iiber allgemein geistliche, mo- 
ralisierende oder Mifistande riigende Gesange bis zu 
Gelegenheitswerken, die etwa Inthronisation oder Tod 
von geistlichen und weltlichen Fiirsten oder politische 
Ereignisse zum AnlaB haben und darin den »Staatsmo- 
tetten« verwandt sind. Der Grundton des C. ist daher 
(von parodistischen Ausnahmen abgesehen) festlich- 
gehoben und mannlich-ernst. Das Wort C. ist seit dem 
12. Jh. (Codex Calixtinus) im musikalischen Bereich 
nachweisbar, zuerst bei Stiicken, die liturgischen Le- 
sungen vorausgehen. Da diese offenbar fur den Zug 
des zum Lesepult schreitenden Geistlichen bestimmt 
waren, wird der Name als »Geleit-Gesang« gedeutet 
- auBerliturgische Bestatigung bieten ebenso benannte 
Stiicke im Danielspiel von Beauvais (friihes 13. Jh.), 
wo sie als Auftrittslieder handelnder Personen dienen. 
Nahe verwandt dem Lektions-C. sind Benedicamus- 
Einleitungen, in Handschriften oft mit jenen ver- 
mischt, stilistisch von ihnen kaum zu trennen. In den 
Notre-Dame-Handschriften hat sich, nach den Inhal- 
ten der C.-Faszikel zu urteilen, der Begriffsumfang er- 
weitert; er umfaBt nun fast alle gebundenen Texte 
aufier Motette und Rondellus, also auchjene, die friiher 
etwa als Versus, Planctus oder (auBerliturgischer) Hym- 
nus bezeichnet wurden. - Die Hauptquelle des C. bil- 
den die um St. Martial in Limoges und Notre-Dame zu 



Paris gruppierten Handschriften, womit zugleich die 
Hauptepochen und Hauptraume seiner Pflege ange- 
deutet sind. Schon in der St.-Martial-Epoche wurde der 
C. auch mehrstimmig komponiert, ohne daB dies die 
Pflege des 1st. C. beeintrachtigt hatte. Die mittelalter- 
liche Musiklehre hat nur den mehrstimmigen C. im 
Auge und ist um seine Abgrenzung von Organum, 
Clausula und Motette hinsichtlich Satztechnik, Text 
und C. f . bemiiht, nicht jedoch um inhaldiche und 
funktionelle Bestimmung (ausgenommen Joh. de 
Grocheo, der Namen und Begriff an »Gastmahl« an- 
kniipft). Den mehrstimmigen (2-, 3-, selten 4st.) C. 
der Notre-Dame-Epoche kennzeichnen die folgenden 
Gattungsmerkmale: gleichzeitige Silbenaussprache in 
alien Stimmen; eine in der Regel nicht praexistente, 
sondern ad hoc erfundene Grundstimme, die gestalt- 
hch vom Text ausgeht, mit ihm der Tendenz zu sym- 
metrischer Periodik folgt und diese dem ganzen Satz 
aufpragt. Speziellere Kennzeichen ghedern den Be- 
stand in mehrere Stilgruppen; teils werden die Text- 
strophen nach derselben Musik gesungen, teils sind 
sie durchkomponiert (wobei gelegenthch die Stim- 
menzahl von Strophe zu Strophe wechselt) oder nach 
Sequenzart paarweise gekoppelt. Die Vertonung 
kann einerseits streng syllabisch oder von Tongrup- 
pen durchsetzt sein, ohne daB (zum Unterschied vom 
Organumstil mancher St.-Martial-C.) der syllabische 
Grundrhythmus beeintrachtigt ware; andererseits 
gibt es viele Werke festhcherer Haltung, in denen me- 
Usmatische Teile (sine littera) mit syfiabischen (cum 
littera) abwechseln, wobei die Mehsmen die tektoni- 
sche Aufgabe haben, Anfang und SchluB der Kompo- 
sition bzw. Strophen- und Zeilenzasuren zu unter- 
streichen; seltener sind sie tonsymbolisch bedingt. Die- 
se melismatischen Partien, die unter Umstanden auch 
instrumentale Deutung zulassen, erinnern an die von 
den Melismen des liturgischen C. f. getragenen dis- 
kantierenden Teile im Organum; neuerdings sind so- 
gar Falle direkter Beziehungen zwischen C.-Melismen 
und Organumklauseln festgestellt worden (Bukofzer). 
Mit dem Vordringen der Motette, die in mancher Hin- 
sicht das Erbe des C. antrat, verlor letzterer an Lebens- 
kraft; seine Nachfahren nach 1300 finden sich im Be- 
reich der lateinischen Cantio und verwandter volks- 
sprachlicher Gesange (u. a. im Carol). - Weiterer Kla- 
rung bediirfen u. a. die folgenden Problemgruppen: 
1) Begriff und Bezeichnung; 2) die Querverbindungen 
des C. zu Organum und Klausel (vgl. Bukofzer), zum 
volkssprachlichen Lied (vgl. Spanke, Gennrich) und 
zum gregorianischen Choral; 3) die Rhythmik der 
syllabischen Partien - einen methodischen Ansatzpunkt 
konnte hier die Tatsache bilden, daB oft genug syllabi- 
sche Stellen als Melismen wiederkehren und deren 
rhythmische Ubereinstimmung als gewiB (Husmann) 
oder doch als moglich (Handschin) vorausgesetzt wird. 
Endlich harrt der GroBteil des C.-Bestandes noch der 
ErschlieBung durch eine wissenschafthche Edition. 

Ausg.: a) nur Text: G. M. Dreves, Lieder u. Motetten d. 
MA, Analecta hymnica medii aevi XX, XXI, 1895; H. 
Spanke, St. Martial-Studien, Zs. f . frz. Sprache u. Lit. LIV, 
1931 u. LVI, 1933 ; ders., Die Londoner St. Martial-C.-Hs. 
(= Brit. Mus. Add. 36881), Butlleti de la Bibl. deCatalunya 
VIII, 1928-32, erschienen 1935. - b) Text u. Musik: H. 
Villetard, Office de Pierre de Corbeil, = Bibl. musicolo- 
gique IV, 1907; P. Wagner, Die Gesange d. Jakobslitur- 
gie zu Santiago de Compostela, Collectanea Friburgensia 
XXIX (= N. F. XX), 1931 ; El codex mus. de Las Huelgas, 
3 Bde, hrsg. v. H. Angles, = Bibl. de Catalunya, Publi- 
cations del Departament de musica VI, Barcelona 1931 ; 
ders., La musica del ms. de Londres . . . Brit. Mus. Add. 
36881, Butlleti de la Bibl. de Catalunya VIII, 1928-32, er- 
schienen 1935; Liber S. Jacobi, Codex Calixtinus, hrsg. v. 



184 



Cohnsonata-Orgel 



W. M. Whitehill, G. Prado OSB u. J. Carro GarcIa, 
3 Bde, Santiago de Compostela 1944. 
Lit. : J. Handschin, Notizen iiber d. Notre-Dame-C, Kgr.- 
Ber. Lpz. 1925; ders., C, in: MGG II, 1952; ders., Zur 
Frage d. C.-Rhythmik, AMI XXIV, 1952; ders., C- 
Spicilegien, AfMw IX, 1952; H. Spanke, Das oftere Auf- 
treten v. Strophenformen u. Melodien in d. alt-frz. Ly- 
rik, Zs. f. frz. Sprache u. Lit. LI, 1928; ders., Beziehun- 
gen zwischen romanischer u. mittellat. Lyrik, Abh. d. 
Ges. d. Wiss. zu Gottingen, Phil.-hist. Klasse, 3. Folge 
XVIII, 1936; Fr. Gennrich, Internationale ma. Melo- 
dien, ZfMw XI, 1929; ders., Lat. Liedkontrafaktur. Ei- 
ne Auswahl lat. C. mit ihren volkssprachlichen Vorbil- 
dern, =Mw. Studien-Bibl. XI, Darmstadt 1956; ders., 
Musica sine littera. Notenzeichen u. Rhythmik d. Grup- 
pennotation, ebenda XIII/XV, 1956; E. Groninger, Re- 
pertoire-Untersuchungen zum mehrst. Notre-Dame-C, 
= Kolner Beitr. zur Musikforschung II, Regensburg 1939 ; 
L. Ellinwood, The C, MQ XXVII, 1941 ; M. F. Bukof- 
zer, Rhythm and Metre in the Notre Dame C., Bull, of the 
American Musicological Soc. XI, 1946- XIII, 1948 ; ders., 
Interrelations Between C. and Clausula, Kgr.-Ber. Ut- 
recht 1952, u. ausfuhrlicher in : Ann. mus. 1, 1953 ; A. Gee- 
ring, Die Organa u. mehrst. C. in den Hss. d. deutschen 
Sprachgebietes v. 13.-16. Jh., = Publikationen d. Schwei- 
zerischen Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952); H. 
Husmann, Zur Grundlegung d. Rhythmik d. mittellat. 
Liedes, AfMw IX, 1952; ders., Das System d. modalen 
Rhythmik, AfMw XI, 1954; L. Schrade, Political Com- 
positions in French Music of the 12" and 13 th Cent. The 
Coronation of French Kings, Ann. Mus. I, 1953; E. 
Thurston, The C. Compositions in Ms. Wolfenbuttel 
1206, 2 Bde, Diss. NY 1954, maschr. ; G. Reaney, A Note 
on C. Rhythm, Kgr.-Ber. Koln 1958; J. E. Knapp, The 
Polyphonic C. in the Notre Dame Epoch: A Study of the 
Sixth and Seventh Fascicules of the MS Florence Bibl. 
Laurenziana Pluteus 29, 1, 4 Bde, Diss. Yale Univ. 1961, 
maschr.; Fr. Ll. Harrison, Benedicamus, C, Carol: A 
Newly-Discovered Source, AMI XXXVII, 1965. GR 

Confinalis (lat.), auch affinalis, der Neben-SchluBton 
bzw. -klang in der Lehre von den -> Kirchentonen 
bzw. in der -*■ Klausel-Lehre. 

Confractorium (lat.) -> Ambrosianischer Ge- 
sang. 

Conga (span.-amerikanisches Dialektwort fur Kreis), 
ein aus Kuba stammender volkstumlicher Tanz in be- 
wegtem bis raschem Tempo, im 2/4-, 4/4- oder 2/2- 
Takt. Sein Name kommt von der C.-Trommel. Die 
C. wird auch als eine Abart der Rumba verstanden. 
Nach 1930 wurde sie in Europa bekannt. 

Congatrommel, einfach auch Conga (auch Tambo- 
ra, Tumba), einzelne Standtrommel von etwa 70 cm 
Hohe und 30 cm , die besonders in den Tanzen ku- 
banischer Herkunf t Verwendung findet (-»■ Afro-Cu- 
ban Jazz.) Sie ist entweder faBformig oder konisch 
(nach unten schmal zulaufend) und hat nur ein Schlag- 
fell mit Schraubenspannung (unten offen). Sie wird, 
zumeist sitzend, zwischen die Knie (in leichter Schrag- 
haltung oder gerade hingestellt) eingeklemmt und mit 
der ganzen Flache der ausgestreckten Finger beider 
Hande gespielt. Durch Fell- und Randschlage werden 
zwei verschiedene dumpfe Klangfarben erzeugt. Ver- 
einzelt verwendet man einen Doppel- oder Tripelsatz 
von C.n. Auf der C. wird nur eine beschrankte Anzahl 
von Rhythmen ausgefiihrt. 

Congeries (lat., Zusammenhaufung), eine in der Kom- 
positionslehre des 17. Jh. im AnschluB an die Rhetorik 
erklarte musikalische Figur. In der Rhetorik ist die C. 
nach Quintilian (VIII, 4, 26) eine Haufung verborum ac 
sententiarum idem significantium; musikalisch bezeichnet 
C. eine Anhaufung vollkommener und unvoljkom- 
mener Konsonanzen in gleichgerichteter Bewegung. 
Burmeister (1606) defmiert die C, die er auch Syn- 
atrismos (Synathroismos) nennt, als coacervatio specierum 



concordantium tarn Perfectarum, quam Imperfectarum, qua- 
rum par motus est concessus (off enbar im AnschluB an die 
Erotemata von L.Lossius 1562: C. est quando plures spe- 
cies coacervantur) ; er beschreibt sie als stuf enweises Fort- 
schreiten der Stimmen in mehrfachem Wechsel von 
Dreiklang und Sextakkord(en) auf- und abwarts und 
nennt folgendes Beispiel aus der 6st. Motette Tempus 
est von Lassus (GA XIII, S. 30) : 




as-sump 



f u - e ■ 



Coniunctura (auch Iunctura, lat., Verbindung), in 
der Modal- und friihen Mensurallehre meist synonym 
gebraucht mit -> Ligatura (z. B. Lambertus: ligatura 
seu c, CS I, 274a und passim). Der heutige musikwis- 
senschaftliche Sprachgebrauch grenzt die Bedeutung 
von C. auf eine Notengruppe ein, die, aus dem Cli- 
macus der Neumenschrift hervorgegangen, sich aus 
einer meist caudierten Einzelnote und einer Folge von 
zwei oder mehr (in der Regel absteigenden) rautenf 6r- 
migen Noten, den -*■ Currentes, zusammensetzt, z. B. : 
n, . Der rhythmische Wert der C. ist nicht eindeutig 

festgelegt. In der Notre-Dame-Zeit ist die Dreier-C. 
meist wie eine Ligatura ternaria zu lesen; bei groBeren 
Coniuncturae gelten in der Regel die erste bis dritt- 
letzte Note zusammen eine Longa, die vorletzte und 
letzte Brevis und Longa. In der 2. Halfte des 13. Jh. 
geht die Bestimmung allmahhch nicht mehr von der 
ganzen C, sondern von der Form der einzelnen No- 
ten aus, die nun als Longa und Semibreves gedeutet 
werden; dementsprechend ist z. B. in Fauv (-> Quel- 
len) m, als Longa imperfecta und 2 Semibreves, aber 

■ 4 als Brevis und 2 Semibreves zu iibertragen. Die 

Verbindung einer Ligatur mit einer C. bzw. mit Cur- 
rentes wird heute haufig als Apposition bezeichnet; 
Franco spricht in solchen Fallen von coniuncturae sim- 
plicium et ligatarum (CS I, 126a). 

Connsonata-Orgel, ein -> Elektrophon der C.G. 
Conn Ltd. in Elkhart (Ind.). Sie erzeugt, ahnlich wie 
viele Konkurrenztypen, jede benotigte Frequenz in 
einem eigenen Generator, der aus einer Elektronen- 
rohre in Ruckkoppelungsschaltung besteht. Damit 
konnen sowohl Sinusschwingungen als auch (ober- 
schwingungsreiche) Kippschwingungen erzeugt wer- 
den, die sich auch mischen lassen. Die 167 Generatoren 
sind auf 1 Cent genau abgestimmt und haben eine hohe 
Stimmungskonstanz. 32 Generatoren gehoren zum 
Pedal, 61 zum Hauptwerk und 73 zum Schwellwerk. 
Die Disposition ist ahnlich der einer kleinen Pfeifen- 
orgel. Ein Wobbelgenerator dient als Tremulant fur 
alle Register. Die elektrische Lautstarkeregelung er- 
folgt durch zwei Pedale, die auf die verschiedenen 
Werke aufgeteilt sind. Dadurch lassen sich Register- 
mischungen vornehmen, ohne daB sich die Lautstarke 
andert. Jeder Generator besitzt eine Justiermoglich- 
keit, um die Einschwingzeit zu andern. - Die Baldwin- 
Orgel benutzt im Gegensatz zur C.-O. einen Satz von 
nur 12 Generatoren fur die hochste Oktave. Die 
Schwingungen f iir die iibrigen Oktaven werden durch 
Frequenzteilung gewonnen. 



185 



Conseguente 

Lit.: A. Douglas, The Electronic Mus. Instr. Manual, 
London 1949, 31957; W. Meyer-Eppler, Elektrische 
Klangerzeugung, Bonn (1949). 

Conseguente (ital.), die »nachfolgende« (imitierende) 
Stimme im Kanon sowie, gleichbedeutend mit -> Co- 
mes, das Thema einer Fuge in der Gestalt seiner ->■ Be- 
antwortung. Die Bezeichnung C. ist, ebenso wie die 
des Gegensatzes -»■ Guida, seit Zarlino (Istitutioni har- 
moniche, 1558) gebrauchlich. 

Consonantia (lat.) -»• Konsonanz, ->■ Concor- 
dantia. 

Consort (k'anso : t, engl., wahrscheinlich von lat. con- 
sortium, Gemeinschaft), ist die Bezeichnung fur die 
aus 4-6 Mitwirkenden bestehenden instrumentalen 
Ensembles zur Bliitezeit der englischen Kammermusik 
im ausgehenden 16. und im 17. Jh. (-> Fancy), dem 
musikalischen Kranzlein oder Collegium musicum in 
Deutschland vergleichbar; dariiber hinaus bedeutet C. 
die ausdriicklich fiir diese Ensembles bestimmte Mu- 
sik. Je nach der Besetzung werden unterschieden : who- 
le c. (fiir Instrumente der gleichen Familie, z. B. Vio- 
len-C.) und broken c. (fiir Instrumente verschiedener 
Familien, z. B. Streicher und Blaser, auch mit Sing- 
stimme). Doch gehort es auch beim broken c. zur Ei- 
gentumlichkeit der Besetzung und Ausfuhrung, daB 
die Instrumente gar still j sanfft vnd lieblkh accordiren, 
vnd in anmutiger Symphonia mit einander zusammen stim- 
men (Praetorius Synt. Ill, S. 5). Durch das Vordringen 
des offentlichen Musiklebens gegen Ende des 17. Jh. 
muBte die C.-Musik dem kraftigeren, von Frankreich 
eingefiihrten Lullyschen Orchesterstil weichen: the 
Fashion has Cry'd These Things Down (Th. Mace, Mu- 
stek's Monument, 1676). Sammlungen mit C.-Musik 
wurden bekannt als C. Lessons (s. v. w. Ensemble- 
iibungen, Th.Morley 1599, Ph.Rosseter 1609), The 
Royal C.s of Viols (W.Lawes), Taffel C. (Th. Simpson 
1621). 

Ausg.: Th. Morley, The First Book of C. Lessons (1599), 
hrsg. v. S. Beck, NY 1959; Jacobean C. Music, Mus. Brit. 
IX, 1957; Music of Scotland, Mus. Brit. XV, 1959; Music 
at the Court of Henry VIII, = Mus. Brit. XVIII, London 
1961. 

Lit.: E. H. Meyer, Engl. Chamber Music, London 1946, 
2 1951, deutsch als: Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz. 
1958 ; Th. Dart, Morley's Lessons of 1599, Proc. R. Mus. 
Ass. LXXIV, 1947. 

contano (ital., Abk. : cont., sie zahlen, namlich die 
Pausentakte), Hinweis in Partituren zu Anfang oder 
inmitten eines Satzes, der besagt, dafi die betreffenden 
Instrumente erst spater (wieder) eintreten und vor- 
iibergehend nicht notiert werden. -*■ tacet. 

Continuo (ital.), Abk.: Cont., Bezeichnungsfragment 
von -> Basso c. 

Contrainte (k5tr'e:t, frz.) ->• Ostinato. 

Contralto (ital., auch frz. und engl.) - 1) -»■ Alt; 
- 2) ein von J.-B.Vuillaume (Paris 1855) konstruiertes 
Streichinstrument, das aus der Bratsche entwickelt 
wurde, sich von dieser jedoch durch einen volleren 
Klang unterscheidet. Die Lange stimmt mit derjenigen 
der Bratsche iiberein, jedoch sind die Biigel stark ver- 
breitert und die Zargenhohe vergrbBert. Der C. setzte 
sich nicht durch. 

Lit. : H. Besseler, Zum Problem d. Tenorgeige, = Mus. 
Gegenwartsfragen I, Heidelberg 1949. 

Contrapas (katalanisch, Gegenschritt), alter katala- 
nischer Volkstanz in schnellem Tempo, dessen Text 
die Passion Christi beschreibt und kommentiert; die 
charakteristischen Arten dieses in Spriingen ausgefiihr- 



ten Kreistanzes sind largo, corto, cerda, porsigola. Auf 
die Melodie des C. wird auch der -*■ Aurresku getanzt. 
Lit.: A. Capmany, El C, Slg »Minerva« XXXVIII, 1922; 
Fr. Pujol, L'oeuvre du chansonnier populaire de la Cata- 
logne, Kgr.-Ber. Wien 1927; M. Querol Gavalda, La 
miisica en las obras de Cervantes, Barcelona 1948. 

Contrapunctus (lat.) ->■ Kontrapunkt. 

Contratenor (lat., auch Contra; span, auch contra- 
baca), Gegenstimme zum Tenor; die Bezeichnung be- 
zieht sich auf die Lage dieser Stimme im Raum des Te- 
nors, nicht aber auf eine menschliche Stimmgattung 
(ausgenommen ->■ Countertenor). Im -»■ Kantilenen- 
satz des Kontinents im 14. und 15. Jh. ist der C. zum 
2st. Geriistsatz aus Tenor und Diskant hinzugefiigt, 
wobei er als reine Instrumentalstimme und zufolge sei- 
ner Abhangigkeit von den beiden Geriiststimmen auch 
in Spriingen sich bewegt und den Tenor oft kreuzt. In 
Anlehnung an den motettischen C. und wohl unter 
englischem EinfluB wurde der C. des Kantilenensatzes 
gegen Mitte des 15. Jh. mehr und mehr zum vokalen 
C. bassus, dem spateren BaB, so daB ihm zwischen Te- 
nor und Cantus ein C. altus, der spatere Alt, gegen- 
ubergestellt werden konnte, womit der Satz vierstim- 
mig wurde. - Der auf dem Kontinent von der Ars no- 
va bis zum beginnenden 15. Jh. in 4st. Motetten und 
motettischen Messesatzen vorliegende, ebenf alls instru- 
mentale C. war von vornherein mehr linearer Struktur 
und bildete schon fast immer, wo er sich unter dem 
Tenor befand, zusammen mit diesem einen kombi- 
nierten Klangtrager, d. h. den Aufbau der Klange be- 
stimmt jeweils die Stimme, die den tiefsten Ton hat. 
Diese von Tenor und C. abwechselnd gebildeten tief- 
sten Tone wurden manchmal als besondere Stimme 
(Solus Tenor) notiert, so daB der 4st. Satz auch drei- 
stimmig erklingen konnte. Der motettische C. ent- 
stammt offenbar dem textlosen Secundus Tenor, den 
die Englander bereits seit Ende des 13. Jh. statt eines 
hoher gelegenen Quadruplum dem Tenor in dessen 
Raum gegeniiberstellten. Mitte des 15. Jh. wurde auch 
der motettische C. vokalisiert, so daB beide Arten von 
C. sich weitgehend ahnlich wurden. 
Lit.: J. Tinctoris, Terminorum Musicae Diffinitorium, 
hrsg. v. A. Machabey, Paris (1951); Riemann MTh; A. 
Schering, Studien zur Mg. d. Fruhrenaissance, = Studien 
zur Mg. II, Lpz. 1914; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbour- 
don, Lpz. 1950; E. Apfel, Der klangliche Satz u. d. freie 
Diskantsatz im 15. Jh., AfMwXII, 1955; ders., Die klang- 
liche Struktur d. spatma. Musik als Grundlage d. Dur- 
Moll-Tonalitat, Mf XV, 1 962. 

Contrattempo (ital, »Gegenzeit«; frz. contretemps; 
engl. syncopation) bezeichnet die Betonung auf 
schlechtem Taktteil, die in alterer Musik meist mit 
-> Synkope verbunden ist. 

Contredanse (k5tr3d'a:s, frz.) ist der etwa 1685 in 
den Niederlanden und in Frankreich ubernommene 
->• Country dance, der im 18. Jh. behebt wurde. Er 
wurde am Hofe wie auch in der biirgerlichen Gesell- 
schaft gepflegt. Vornehmlich 5 Tanze wurden im 
AnschluB an den Country dance auf dem Kontinent 
entwickelt: die ->• Quadrille, der -> Cotillon, die 
->■ Anglaise, die franzosische C. und in Deutschland 
der Contretanz (Kontertanz, Kontratanz). 1706 gab 
Feuillet eine Sammlung von C.s heraus mit 32 Long- 
ways, und etwa 1735 veroffentlichte Chedeville l'aine 
seine Sammlung C.s ajustees pour les musettes et les vieles; 
weitere C.-Sammlungen folgten. Im spaten 18. Jh. 
nannte man in Frankreich den Tanz in der Doppel- 
reihe fiir eine groBere Teilnehmerzahl nach englischem 
Vorbild Anglaise (Colonnes anglaises, Chavanne 1767) 
und die Carree-C. fiir 4 Paare, analog den englischen 



186 



Squares, Quadrille (C.sfrancaises en quadrille, Chavanne 
1767). Grofie Bedeutung errang die C. auf der fran- 
zosischen Biihne von 1710 (zuerst durch Campra) bis 
etwa 1760; vornehmlich Rameau verwendete C.s 
haufig. Um 1750 wurde die C. auch mit einer Reihe 
anderer, ebenfalls geradtaktiger Tanze (Tambourin, 
Gavotte) vermischt. Haydn, Mozart und Beethoven 
schrieben Contretanze in grofier Zahl. Mozart berich- 
tet 1787 aus Prag von einem Ballabend, wo auf die 
Musick meines figaro, in lauter Contretanze und teutsche 
verwandelt, getanzt worden sei (vgl. hierzu K.-V. 609, 
Nr 1). Im 18. Jh. entstanden textierte C.s, die sich 
groCer Popularity erfreuten. Neben dem Menuett er- 
hielten sich der Contretanz und der ->■ Deutsche Tanz, 
bis der Walzer sie verdrangte. 

Ausg. u. Lit. : R. A. Feuiixet, Recueil de c. mises en cho- 
regraphie, Paris 1706; G.Taubert, Rechtschaffener Tan tz- 
meister ..., Lpz. 1717; G. Dufort, Trattato del ballo 
nobile, Neapel 1728 ; E.-Ph. Chedeville l'a1n£, Recueil de 

c, Paris 1735; J.Leclerc, Premier recueil de c. . . ..Paris 
1736, II 1737, III 1738; De La Cuisse, Le repertoire des 
bals ou theorie pratique des c.s, Paris 1762; G. Cucuel, 
La Poupliniere et la musique de chambre au XVIIP s., Pa- 
ris 1913; R. Lach, Zur Gesch. d. Gesellschaftstanzes im 
18. Jh., = Museion, Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz. 1920; P. 
Coirault, Notre chanson folklorique, Paris 1942; ders., 
Les chanteurs chansonniers des rues de Paris au XVIII e s., 
Bull, folklorique de l'lle de France, Paris 1949; Cl. Mar- 
cel-Dubois u. R. Lecott£, Chants de compagnonnage, 
Paris 1951 (Musses Nationaux) ; J. Beythien, Der EinfluB 

d. Kontertanzes auf d. Orchestermusik d. deutschen Friih- 
klassik, Diss. Jena 1957, maschr.; H. Besseler, Einfliisse 
d. Contratanzmusik auf J. Haydn, Kgr.-Ber. Budapest 
1959; J.-M. Guilcher, La c. frc., ses origines, son evo- 
lution, Diss. Paris 1963. 

Cool Jazz (ku:l d3aez, engl., kiihler J.), Bezeichnung 
fiir die aus dem -> Be-bop entstandene, in den 1950er 
Jahren herrschende Jazzspielweise. Das den Gegensatz 
zum friiheren -> Hot kennzeichnende Adjektiv cool 
bezog sich urspriinglich auf Intonationstechnik und 
Artikulation: an SteUe der als zu ausdrucksbetont emp- 
fundenen ->• Hot-Intonation tritt im C. J. ein undy- 
namisches Legatospiel, das auf Vibratos sowie auf alle 
friiheren dynamischen Jazzeffekte verzichtet (relaxa- 
tion) und einen ruhigen, in sich geschlossenen Cha- 
rakter hat. Konsequent bildete sich daraus eine neue, 
speziell dem Jazz gemafie musikalische Phrasierung 
der einzelnen, jetzt kontrapunktisch zueinander kon- 
zipierten Linien, was im Extrem ein auf das Vorbild 
J.S.Bach hin orientiertes polyphones Musizieren er- 
brachte (Tristano, John Lewis). Die friihere -» Off- 
beat-Technik verwandelt sich im C. J. in einen die 
Akzente leicht verzogernden, ausgeglichenen rhyth- 
mischen Vortrag, der bis zum volligen Verlust des 
-»■ Swing fiihren kann. Die Harmonik des C. J. zeigt 
haufig polytonale und atonale Bildungen. Neben den 
f iihrenden farbigen Musikern des C. J. : Lester Young, 
John Lewis, Miles Davis, stehen die Weifien: Lennie 
Tristano, Lee Konitz, Stan Getz, Gerry Mulligan. Der 
C. J. ist seiner Art gemafi vorwiegend ein Musizieren 
in kleineren Gruppen, wurde jedoch mit Hilfe moder- 
ner Arrangiertechnik auch auf die Big bands iibertra- 
gen. Die seit dem C. J. durch die Annaherung an die 
moderne Musik immer starker hervortretenden Ex- 
perimenteimharmonischen,kontrapunktischen,klang- 
lichen (-*■ Sound) und sogar formalen Bereich haben 
zu einer Intellektualisierung des modernen Jazz gef iihrt. 

cop?rto (ital.), bedeckt; timpano c. fordert die Damp- 
fung der Pauke durch ein Tuch oder ein Stuck Filz. R. 
Wagner komponierte einen Trauermarsch fiir 75 Bla- 
ser und 20 gedeckte Trommeln. 

Copla (span.) -*■ Couplet. 



Copyright 

Copula (lat., Verbindung), bezeichnet im 12. Jh. 
mehrstimmige SchluBbildungen, im 13. Jh. Auszie- 
rungen von Schliissen und Verbindungsstticke zwi- 
schen Discantus- und Organumpartien. - Der Mailan- 
der Traktat Ad organum faciendum (um 1100) nennt C. 
oder Copulatio generell die Verbindung von zwei 
Stimmen zu einem konsonanten Zusammenklang, 
speziell den Schluffklang und den Obergang zu ihm. 
Im Organum traktat von Montpellier ist dann C. fe- 
ster Terminus fiir die Klangfolge von der Paenultima 
zur Ultima (-> Klausel). -Johannes de Garlandia (Mit- 
te des 13. Jh.) spricht einerseits von der C. als einer Spe- 
zies des -*■ Organum und faBt andererseits unter der 
Bezeichnung C. mehrere Arten der Ausschmiickung 
(color) eines Discantus zusammen (CS I, 114fL): den 
Hoquetus, die Unterteilung der Zeitwerte eines rhyth- 
mischen Modus und ein Verfahren, das einem einzel- 
nen Tenorton eine langere Reihe von Tonen der Ober- 
stimme entgegensetzt. Mit dem Organum speciale hat 
eine C. der dritten Art den Halteton des Tenors ge- 
meinsam, mit dem Discantus, daG sie in einem regula- 
ren rhythmischen Modus vorgetragen wird (profertur 
recto modo). Wegen ihres stilistisch vermittelnden Cha- 
rakters wurde die C. als Verbindungsstuck zwischen 
Discantus- und Organum speciale-Partien verwendet 
(est inter discantum et organum). UngewiB ist, ob sich 
der Name C. auf die Stellung als Verbindungsstuck 
oder auf den Sachverhalt bezieht, daB der SchluB einer 
Discantuspartie - also die C. im alteren Wortsinne - 
durch ein Melisma iiber einem Halteton ausgeschmiickt 
wurde. - Franco definiert die C. als schnellen ->- Dis- 
cantus (velox discantus, CS I, 133a). Eine C. werde in 
Breven und Longen notiert, und zwar die gebundene 
C. (ligata) in Brevis-Longa-Ligaturen, die nicht gebun- 
dene (non ligata) in Einzelbreven ; doch seien die Bre- 
ven und Longen etwa im Zeitmafi von Semibreven 
und Breven vorzutragen. - Im 14. Jh. wird der Aus- 
druck C. in den Quatuor principalia (Pseudo-Tunstede) 
auf die Verbindung kleinerer Zeitwerte zu einer Ein- 
heit bezogen (CS III, 362a ; CS I V, 295b) und von Pseu- 
do-Theodoricus de Campo der Ligatur gleichgesetzt 
(CS III, 189a). 

Lit. : J. Handschin, Zur Gesch. d. Lehre v. Organum, Zf Mw 
VIII, 1925/26; ders., Der Organum-Traktat v. Montpel- 
lier, in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; 
H. Schmidt, Die 3- u. 4st. Organa, Kassel 1933; W. G. 
Waite, Discantus, C., Organum, JAMS V, 1952; Fr. Za- 
miner, Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat. 
3025), = Munchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; G. 
Schmidt, Strukturprobleme d. Mehrstimmigkeit im Re- 
pertoire v. St. Martial, Mf XV, 1962; C. Dahlhaus, Zur 
Theorie d. Organums im 12. Jh., KmJb XLVIII, 1964; S. 
Gullo, Das Tempo in d. Musik d. 13. u. 14. Jh., = Publi- 
kationen d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 1 1 , 
Bern 1964. CD 

Copyright (k'opijait, ursprunglicher Wortsinn: Ver- 
vielfaltigungsrecht) ist die anglo-amerikanische Be- 
zeichnung fiir Urheberrecht. Der voile C.-Schutz wird 
in den USA zur Zeit noch durch die Erfullung be- 
stimmter Formlichkeiten erlangt. Hierzu gehoren die 
Anbringung des C.-Vermerks auf jedes gedruckte 
Exemplar von Biichern und Noten (©, Name, Er- 
scheinungsjahr), Anmeldung und Eintragung des mit 
dem C.-Vermerk versehenen Werks in das C.-Re- 
gister, das in der KongreBbibliothek in Washington 
gef iihrt wird, sowie Hinterlegung zweier vollstandiger 
Exemplare der erschienenen Ausgabe daselbst. Die 
Schutzdauer fiir das C. betrigt zur Zeit 28 Jahre nach 
Erscheinen eines Werkes; sie kann um weitere 28 Jahre 
verlangertwerden. Grundlagedes USA-Urheberrechts 
ist das Gesetz vom 4. 3. 1909. Durch das Inkrafttreten 
des -> Welturheberrechtsabkommens vom 6. 9. 1952, 



187 



Cor 



dem auch die USA beigetreten sind, sind Erleichterun- 
gen fur die Anmeldung und Eintragung in das C.-Re- 
gister eingetreten, nicht aber fur die Verlangerung der 
Schutzdauer oder fiir die Rechtsverfolgung (Weltur- 
heberrechtsabkommen). Ein vollig neues USA-C- 
Gesetz (Urheberrechtsgesetz) ist in Vorbereitung. In 
ihm ist u. a. eine Schutzfrist von 50 Jahren vorgeschla- 
gen, die vom Tode des Urhebers an beginnt, und nicht 
wie seither ab Erscheinen des Werkes. 
Lit. : Howell's C. Law, Revised Ed., Washington 1962. 

Cor (ka:r, frz., Horn); c. anglais -* Englisch Horn 
(Altoboe); c. de basset -> Bassetthorn; c. de chasse, 
-*■ Jagdhorn, -*■ Waldhorn; c. des Alpes ->■ Alphorn; 
c. a pistons, Ventilhorn; c. simple, Naturhorn. 

Corda (ital. ; frz. corde), Saite; una c. (auf einer Saite) 
bedeutet in der Klaviermusik das Anwenden der Ver- 
schiebung (-»■ Pedal); tutte le corde (alle Saiten), ohne 
Verschiebung. In Beethovens Klaviersonate B dur op. 
106, 3. Satz, findet sich die Anweisung poco a poco due 
ed allSra tutte le corde (»allmahlich auf zwei und dann 
auf alle Saiten iibergehend«, d. h. eine halbe Verschie- 
bung allmahlich weglassen). Auf der Violine wird 
durch sopra una c. das Spiel einer Phrase auf einer Saite 
gefordert (auch z. B. durch 4me corde, auf der G-Saite). 
C. vuota (corde a vide) bedeutet ->■ Leere Saite. 

Cornamusa (ital.), Cornemuse (frz,, »Blashorn«), 
seit dem 14. Jh. eine Bezeichnung fiir -> Sackpfeife. 
Bei Praetorius ist C. daneben ein gedacktes zylindri- 
sches Doppelrohrblattinstrument mitWindkapsel und 
einkanaliger gerader Schallrohre mit seitlichen Schall- 
lochern; der Klang ist dem der Krummhorner ahn- 
lich, doch stillerllieblicher vndgar sanfft. 
Lit. : Praetorius Synt. II ; G. Kinsky, Doppelrohrblatt- 
Instr. mitWindkapsel, AfMw VII, 1925. 

Cornetto (ital.) ->- Zink. 

Cornetton (frz. ton des cornets), auch Zinkenton, 
war der Stimmton der Stadtpfeifer und Feldtrompeter. 
Soweit Nachrichten vorliegen, war er immer der noch- 
ste Stimmton (Praetorius 1619; Orgelschule Wegwei- 
ser . . . ; Samber; Brief J. A. Silbermanns vom 20. 1. 
1772, abgedruckt in: AfMf II, 1937, S. 453, und bei 
Walter 1962). Die Blaser strebten einen hellen, ober- 
tonigen, durchdringenden Klang auch durch hohe 
Stimmung an. Zur Zeit des Praetorius lag der C. etwa 
eine Quarte iiber dem heutigen Normalton, Ende des 
18. Jh. nur einen Halbton iiber dem heutigen Standard 
(Orgeln der Stumm). Der C. unterschied sich um ei- 
nen halben oder ganzen Ton vom ortsublichen -> Chor- 
ton, und zwar regelmaBig, denn die Stadtpfeifer wirk- 
ten bei der Kirchenmusik mit. In belgischen, deutschen, 
Ssterreichischen Militarkapellen hat sich der ein Halb- 
ton hohere Stimmton teilweise bis ins 2. Drittel des 20. 
Jh. behauptet, in Volksmusikkapellen des osterreichi- 
schen Alpenraums bis heute. 

Lit. : Praetorius Synt. II ; Orgelschule »Wegweiser«, Augs- 
burg 1668; J. B. Samber, Manuductio ad organum u. 
Continuatio, Salzburg 1704 u. 1707; Fr. Bosken, Die 
Orgelbauer-Familie Stumm, = Mainzer Zs. LV, 1960; R. 
Walter, Der Orgelbau f . d. Fiirstabtei St. Blasien 1 772/75, 
in: Musicae sacrae ministerium, Fs. K. G. Fellerer, Koln 
1962. 

Corno (ital.; von lat. cornu, Horn; c. di bassetto 
-*■ Bassetthorn ; c. inglese -*■ Englisch Horn ; c. da caccia, 
-*■ Jagdhorn, -»■ Waldhorn). Das Ventilhorn hat die 
Bezeichnungen c. ventile, c. a macchina, c. cromatico, 
c. pistoni. In alterer Zeit ist c. als Bezeichnung ein 
sehr vieldeutiger Begriff. J.S.Bachs Vorschrift C. be- 
zieht sich auf den Zink (Cornetto); er verwendet 
Tromba da tirarsi und C. da tirarsi synonym, z. B. in 

188 



seiner Kantate Schauet doch (BWV 46) verlangt er mit 
der Vorschrift Tromba o c. da tirarsi die Tromba da 
tirarsi, auf der auch die zwischen den Naturtonen lie- 
genden Tone geblasen werden konnten (-»- Zugtrom- 
pete). 

Lit. : C. Sachs, Bachs »Tromba da tirarsi«, Bach-Jb. V, 
1908, S. 141ff. ; Ch. S. Terry, Bach's Orch., London 1932, 
21958 ; G. Karstadt, Die Besetzung d. »C.« bei J. S. Bach, 
Mf IV, 1951. 

Corn on, Corno torto (ital.), eine groCe Art des krum- 
men (S-formigen) -» Zink; Praetorius (Synt. II, S. 36) 
zufolge steht der C. ein Quint Tieffer j alfi ein reenter ge- 
meiner Zinck und weil seine Resonantz gar vnlieblich und 
hornhafftig j so halt ich mehr darvon j das man eine Posaun 
an dessen stad gebrauche. 

Cornophone (karnaf'on, frz.) -> »Wagner«-Tuba. 

Cornu (lat., Horn) war bei den RSmern ein halbkreis- 
formig gebogenes Horn aus Metall mit einer Quer- 
stange, die beim Blasen iiber die Schulter gelegt wur- 
de. Bei den Etruskern war es Kultinstrument, im ro- 
mischen Heer Signalinstrument neben Bucina und 
Tuba. 

Lit. : E. Schenk, Die C.-Fragmente v. Virunum, Anzeiger 
d. Osterreichischen Akad. d. Wiss., phil.-hist. Klasse 
LXXXIII, 1946; G. Fleischhauer, Bucina u. C, Wiss. 
Zs. d. M.-Luther-Univ. Halle- Wittenberg IX, 1960. 

Cor omnitonique (ka:r amnitan'ik, frz., Horn fiir 
alle Tonarten), ein ->• Waldhorn, das mit Zusatzbogen 
(tons) fest verbunden ist, um das Spielen in mehreren 
Tonarten zu ermbglichen. Fiir die Einschaltung der 
einzelnen Zusatzbogen sahen die Erfinder (Dupont um 
1815, Sax 1824) verschiedene Konstruktionen vor 
(Lauf schienen, Drehvorrichtungen, spater auch Venti- 
le). Das C. o. kam in Frankreich um die gleiche Zeit 
auf, als in Deutschland die ersten Ventilhorner gebaut 
wurden. 
Lit. : R. M. Pegge, The French Horn, London (1960). 

Corona (lat. und ital., Krone) ->• Fermate. 

Coro spezzato (ital., geteilter Chor) nennt Zarlino 
(1558) die in Venedig fur Vespern und hohe Feste zu 
seiner Zeit bereits gebrauchliche Art der Psalmenver- 
tonung (comporre alcuni Salmi in una maniera, che si Ma- 
ma Choro spezzato), bei der das Gesamtkorpus der 
Sanger geteilt wird in 2 oder 3 je mindest 4st. Chore, 
die, voneinander entf ernt auf gestellt, miteinander ab- 
wechseln und (besonders an Schliissen) sich vereinen. 
Die wichtigste der von Zarlino fiir diese Kompositions- 
art gebotenen Vorschriften besagt, dafi mit Riicksicht 
auf die getrennte Auf stellung jeder Chor »konsonant« 
(consonante) sein, d. h. einen vollstandigen Satz bilden 
miisse. Diese fiir Begrifi und Prinzip mehrchoriger 
Komposition elementare Regel wurde laut Zarlino 
entdeckt (fu ritrouato) von A. Willaert, in dessen dop- 
pelchorigen Salmi spezzati (1550) die -> Mehrchorig- 
keit in Erfiillung jener Regel in der Tat erstmals aus- 
gebildet ist. 

Lit. : G. Zarlino, Istitutioni harmoniche III, 66, Venedig 
1558, ubers. u. mit Kommentar hrsg. v. G. A. Marco, Chi- 
cago 1956; WaltherL, Artikel Choro spezzato; H. 
Zenck, A. Willaerts »Salmi spezzati« (1550), Mf II, 1949; 
G. d'Alessi, Precursors of A. Willaert in the Practice of C. 
Sp., JAMS V, 1952 ; D. Arnold, A. Gabrieli u. d. Entwick- 
lung d. »cori-spezzati«-Technik, Mf XII, 1959 ; ders., The 
Significance of »Corispezzati«, ML XL, 1959. 

Corr^nte (ital.) ->■ Courante. 

Corrjdo (span., s. v. w. abgefeimt), ein mexikani- 
sches Volkslied erzahlenden Charakters, oft mit politi- 
sierendem Text. Der C. wird meist zweistimmig in 
Terzen zur Gitarre gesungen und steht im 6/8- bzw. 



Courante 



9/8-Takt; auffallend ist die weiche, »weibliche« Ka- 
denzierung der Lieder. Im Volke ist der C. weit ver- 
breitet; seiner Herkunft nach geht er auf die spanische 
Romanze zuriick. 

Lit.: R. M. Campos, El folklore y la miisica mexicana, 
Mexiko 1928 ; V. T. Mendoza, El romance espanol y el c. 
mexicano, Mexiko 1939; E. M. SAnchez, Romances y c. 
nicaraguenses, Mexiko 1946. 

Costa Rica. 

Lit. : A. Prado Ausada, Apuntes sintdticos sobre la hist, 
y produccion mus. de C. R., San Jos6 1943; L. F. Gon- 
zalez, Himno nacional de C. R., ebenda 1952; J. R. Ara- 
ja Rojas, Vida mus. de C. R., ebenda 1957. 

Cotillon (katij'5, frz., Unterrock), ein zu Anfang des 
18. Jh. in Frankreich entstandener Gesellschaftstanz, 
eine Ubernahme des englischen Round (-> Country 
dance) und als solche auch -*■ Contredanse francaise 
genannt. Er ist in Frankreich seit 1723 (J. Bonnet) und 
in Deutschland seit 1741 (Rost) bekannt, wahrend er 
nach England mit seinem franzosischen Namen erst 
1770 gelangte. 1769 erschien in Halle eine Sammlung ei- 
ner neuen Art gedruckter Contratdnze oder C.s. Der C. ist 
zweiteilig; je 4 Paare nehmen an ihm teil in uberkreuz- 
ter Aufstellung und BegriiBung im Rundgang (Entree) 
und im Ausfiihren ihrer »Tour« (Refrain). Zu Beginn 
des 19. Jh. wurde die Beschrankung auf 4 Paare aufge- 
geben und der C. durchsetzt mit Walzern, anderen 
Drehtanzen und allerlei scherzhaften Arrangements, 
wobei Orden oder Schmuckstucke vergeben wurden. 
Zur Zeit Napoleons III. gait der C. als starkster An- 
ziehungspunkt der Pariser Privatballe, deren glanzen- 
den Hohepunkt und zugleich AbschluB er bildete. Als 
Musik zum C. wurden bekannte Tanze wie Polka, 
Walzer, Galopp, Mazurka gespielt, die beim C. mit 
zusatzlichen Touren versehen wurden. Die klassische 
Beschreibung des C. zur Zeit Napoleons III. gab E. 
Zola in La Curie. 

Lit.: J. Bonnet, Hist. generate de la danse, Paris 1723; 
Chr. G. Hansel, Allerneueste Anweisung zur AuBerli- 
chen Moral . . ;, Lpz. 1755; G. Desrat, Le C. avec toiites 
ses figures, Paris 1 855 ; F. Paul, Le C. et les quadrilles, Pa- 
ris 1877; R. Lach, Zur Gesch. d. Gesellschaftstanzes im 
18. Jh., = Museion, Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz. 1920. 

Coul£ (frz.) -> Vorschlag von oben; -> Schleifer (auch 
tierce coulee, coulement). 

Countertenor (k'auntait'enaj, abgeleitet vonlat. con- 
tratenor), auch Alto, englische Bezeichnung fur den 
Manneraltisten (-»• Alt - 2), vor allem in der Kirchen- 
musik des 16. und 17. Jh., der durch Falsettieren fast 
die Hohe der weiblichen Altstimme erreicht. Der C, 
dessen normale Stimmgattung Tenor oder BaB sein 
kann, hat gewcihnlich einen Stimmumfang von c-c 2 , 
ein hoher C. : g-e 2 . Er wird noch heute in englischen 
Kirchehchoren angetroffen. Auch beim Singen von 
Glees und Catches wird der Manneraltist eingesetzt. 
Neuerdings hat A. -»■ Deller als C. den Gesang des 
Manneralts im Konzertsaal wiederbelebt. 
Lit. : A. H. D. Prendergast, The Man's Alto in Engl. Mu- 
sic, ZIMG II, 1900/01 ; W. J. Hough, The Hist. Signifi- 
cance of the C. Voice, Proc. Mus. Ass. LXIX, 1937. 

Country dance (k'Antii da : ns, engl., landlicher Tanz), 
englischer Gesellschaftstanz, urspriinglich Volkstanz; 
die Bezeichnung C. d. kommt bereits 1579 vor. Nach 
der ersten umf angreichen Sammlung von J. Playf ord : 
The English Dancing Master: OR, Plaine and easie Rules 
for the Dancing ofC. D.s, with the Tune of each Dance, 
1650 (von der 2. Auflage an: The Dancing Master . . .), 
in der 900 C. d.s beschrieben sind, werden 2 Grund- 
typen unterschieden: 1) Longways, bei denen 2 Reihen 
gebildet werden, in denen die Partner einander ge- 



geniiberstehen (Reihentanze) ; 2) Rounds, bei denen 
die Teilnehmer einen Kreis bilden und die Partner 
nebeneinanderstehen (Rundtanz). Daneben waren 
auch Squares (Carreetanze) fiir wenige Personen (4 
Paare) und Tanze fiir 2 Paare iiblich. Der Zweiertakt 
iiberwiegt bei weitem. Die Melodien sind teilweise 
alt; bereits in Elisabethanischer Zeit wurden C. d.- 
Melodien von den englischen »Virginalisten« als Vor- 
lagen fiir ihre Klaviermusik verwendet. Es scheinen 
Liedmelodien gewesen zu sein; sie fanden auch im 18. 
Jh. wieder Verwendung, so in der Ballad opera. Ei- 
ne groBe Anzahl gedruckter C. d.-Sammlungen folgte 
den 18 Auflagen des Dancing Master bis etwa 1825, wo- 
bei im Biirgertum die Longways vorherrschend wur- 
den. Im 19. Jh. verlor der C. d. mehr und mehr an Be- 
deutung. In Schottland blieb er bis heute gebrauch- 
lich, besonders gepflegt von der Scottish C. d. So- 
ciety. In Frankreich wurde der C. d. als -> Contre- 
danse im spaten 17. Jh. bekannt. In den Niederlanden 
fand er am Ende des 17. Jh., in Deutschland im 18. Jh. 
Verbreitung. Auch Nordamerika hat den C. d. iiber- 
nommen. Im England des 20. Jh. kam im Zusammen- 
hang mit der Volkstanzpflege der C. d. zu neuer Bliite, 
ebenfalls in Deutschland durch R.Gardiner (Musik- 
heim Frankfurt an der Oder) und G. Gotsch. 
Ausg. : The Engl. Dancing Master, Faks. hrsg. v. M. Dean- 
Smith, London 1957,dazuTh.Dartin: ML XXXIX, 1958. 
Lit. : Th. Wilson, The Complete System of Engl. Country 
Dancing, London o. J.; C. J. Sharp, The C. D. Book, 6 
Bde, London 1909-22; The Scottish C. D. Soc, 13 Teile, 
Edinburgh 1924-50; E. K. Wells, Playford Tunes and 
Broadside Ballads, Journal of the Engl. Folk Dance and 
Song Soc. Ill, 1936-39; M. Dean-Smith u. E. J. Nicol, 
»The Dancing Master«, 1651-1728, ebenda IV, 1943-45; 
H. Thurston, Bibliogr. of the C. D. Books, ebenda VII, 
1952 ; M. Dean-Smith, Engl. Tunes Common to Playford's 
»Dancing Master«, the Keyboard Books and Traditional 
Songs and Dances, Proc. R. Mus. Ass. LXXIX, 1953. 

Couplet (kupl's, frz., Vereinigung, von couple; lat. 
copula; span, copla). Im Altfranzosischen wurde die 
-»• Strophe eines Liedes oder Gedichtes mit cople, spa- 
ter couple bezeichnet (im Altprovenzalischen entspre- 
chend mit cobla). Das Wort C. ist seit dem 14. Jh. be- 
legt, zunachst nur fiir das Reimpaar, dann auch fiir die 
Strophe, so daB im Franzosischen die Strophe im all- 
gemeinen sowohl c. als auch stance oder strophe ge- 
nannt werden kann. In der neueren wissenschaftlichen 
Literatur wird mit C. im besonderen eine assonierende 
Folge von Versen beliebigen Umf angs bezeichnet, wie 
sie fiir die fruhe Epoche der altfranzosischen Literatur 
charakteristisch sind {-*■ Laisse), dann auch diejenigen 
Verszeilen, die auf gleicher Melodie vorgetragen wur- 
den (z. B. Refrain). Im 17. und 18. Jh. heiBen C. die 
einzelnen Zwischensatze im instrumentalen Rondeau, 
die den immer wiederkehrenden Hauptsatz (Rondeau) 
ablosen. In Lullys Opern werden die Strophen der 
Recks mit C. bezeichnet. Couplets (Plur., spater auch 
Sing.) sind seit dem ausgehenden 18. Jh. Strophenlie- 
der, meist heiteren Inhalts mit witziger Pointe im Re- 
frain, die in den Vaudevilles, aber auch in der Opera- 
comique und in der Operette als Gesangseinlagen be- 
Mebt waren. Diese C.s wurden vom aufkommenden 
Kabarett ubernommen und im 20. Jh. als freche kleine 
Lieder zu einer obligaten Programmnummer. Den 
Texten wurden dabei haufig altere - auch bekannte - 
Melodien unterlegt. 

Courante (kur'a:t, frz., »schneller Tanz«; ital. cor- 
rente oder coranta; engl. corant, corranto), franzosi- 
scher Tanz, nachweisbar seit Mitte des 16. Jh. Arbeau 
(1588) beschreibt die C. »seiner Zeit« (ca. 1540) als ei- 
nen Tanz en forme dejeu et de ballet. In Namensverbin- 



189 



Courante 



dungen mit anderen Formen begegnet die C. im 16. 
Jh. etwa als Bransles courans (Cl.Gervaise), spater als 
Allemande c. (Phalese 1571). 1577 erscheint im Orgel- 
tabulaturbuch von B.Schmid dem Alteren La corante 
du roy (Merian, S. 112), das erste eindeutig als C. be- 
zeichnete und datierbare Stiick. C.n aus der Zeit um 
(oder kurz nach) 1600 finden sich unter denen des 1. 
Bandes der Collection Philidor (1690, Paris, Bibl. Nat., 
Res. F. 494). Diesen friihen C.n sind allgemein ternarer 
Rhythmus, 2teiliger Aufbau und bei den Teilschliissen 
lang iiberhangende Endungen gemeinsam : 

i J I J J I J- JO I J- I J 

Arbeaus Beispiel (1588) im geraden Takt gab AnlaB 
zu verschiedenen Deutungen, doch finden sich verein- 
zelt auch fur andere Tanze, fur die der temare Takt 
typisch ist, Belege mit binarem Rhythmus. Eine um- 
fangreiche Sammlung franzosischer C.n bietet (neben 
einem Bransle courant) die Terpsichore (1612) von M. 
Praetorius, der zu den Melodien franzosischer Kom- 
ponisten Satze schrieb und bemerkt, daB die C.n auff 
einen gar geschwinden Tact mensuriret werden mussen. 
Nach Mersenne (Harmonie universale, 1636) war die C. 
zu seiner Zeit der in Frankreich gebrauchlichste Tanz; 
dies bestatigen die musikalischen wie literarischen 
Quellen. Das von J.Ecorcheville veroffentlichte Kasse- 
ler Manuskript von 20 Orchestersuiten vorwiegend 
franzosischer Musiker ist eine bedeutende Quelle fur 
die Praxis der C. in der Mitte des 17. Jh. (wichtig auch 
als Zeugnis fur den ununterbrochenen EinfluB der 
franzosischen C. in Deutschland). Im Laufe des 17. Jh. 
wandelte sich der heftige Charakter der C. zu hofisch 
eleganter Pragung. Seine Bliitezeit hatte dieser Tanz 
zwischen 1610 und 1660, blieb aber bis zum Ende des 
Jahrhunderts im Repertoire der getanzten Stiicke, z. B. 
der Ballettmusiken am Hofe Ludwig XIV., und hielt 
sich als Gegenstand der Tanzlehre noch langer. - Ne- 
ben der Orchestermusik ist es vor allem die Lauten- 
und Klaviermusik (Gaultier, Chambonnieres, d'An- 
glebert), die die C. pflegte. Im Laufe der 2. Halfte des 
17. Jh. bildete sich die Spatform der franzosischen C. 
aus, fiir die trotz der Unterscheidung in C. gaye und 
C. grave etwa bei Lebegue (1677) maBiges Tempo die 
Regel ist; dabei fiihrte die fiir Frankreich charakte- 
ristische Freiziigigkeit des Rhythmus zu haufigem 
Wechsel zwischen 3/2- und 6/4-Takt und dementspre- 
chender Akzentverschiebung. Die Satzanlage steht 
polyphoner Stimmfiihrung nahe; das Beispiel zeigt 
den Anfang einer C. von Chambonnieres, Pieces de 
Clavessin I, 1670 (nach der Ausgabe von P.Brunold 
und A.Tessier, Paris 1925): 




Der im Laufe des 17. Jh. sich vollziehende Stilisie- 
rungsvorgang der C. fiihrt gleichzeitig zu einer deut- 
lichen Differenzierung von zwei Uberlieferungsstran- 
gen, die sich seit der Jahrhundertmitte in eigenwerti- 
gen Formen gegeniiberstehen und allgemein als fran- 



zosische C. und italienische Corrente unterschieden 
werden; doch nicht immer decken sich die Bezeich- 
nungen mit den zu charakterisierenden Typen. Die 
Abhangigkeit Italiens von der franzosischen Praxis er- 
weisen Bezeichnungen wie Correnti alia francese (M. 
Pesenti 1630, spater auch M.Uccellini). Die Bevorzu- 
gung schnellen Tempos in Italien bekunden die Cor- 
renten der Sonate per camera op. 1 von Bassani (1677), 
der Sonate da camera op. 2 (1685) und op. 4 (1696) und 
der Concerti grossi op. 6 (1714) von Corelli im starken 
Uberwiegen der Bezeichnungen Allegro und Vivace. 
Gegeniiber dem unsteten Rhythmus der franzosischen 
Form zeigt sich hier eine gleichmaBige, konstant ein- 
gehaltene Bewegung im lebhaften 3/4- oder 3/8-Takt, 
so in G. G. Bassanis Corrente aus op. 1 Nr 7, 1677 (nach 
Wasielewski, S. 56) : 



Allegro 




m 



r gfr . rrrrh 



n r tir 1 J r 



£ 



m 



Wie die C. um 1600 in England Eingang fand (Fitz- 
william Virginal Book), so weisen seit dieser Zeit auch 
die Werke der deutschen Komponisten sie in schnell 
zunehmendem MaBe auf. 1612 nimmt sie mit 162 
Stiicken mehr als die Halfte der Terpsichore von Prae- 
torius ein, kommt aber schon 1606 bei Staden, auch 
1611 nach englischer und franzosischer Art bei V. Otto 
vor. In diesem Zusammenhang sind auch die Tanz- 
sammlungen von W.Brade (ab 1609), Th. Simpson 
(ab 1611) und J. H. Scheins Banchetto musicale (1617) zu 
beachten. Die Klaviersuiten des gleichermaBen unter 
italienischem und franzosischem EinfluB stehenden 
J. J. Froberger zeigen in ihren C.n iiberwiegend den 
jiingeren franzosischen Typus. Die Aufgeschlossen- 
heit der deutschen Musik gegeniiber Italien und Frank- 
reich findet ihren Niederschlag auch in der Ubernahme 
der beiden Formtypen, die in klarer Unterscheidung 
vor allem J.S.Bach in seinen franzosischen und engli- 
schen Suiten und den Partiten verwendet hat (den 
franzosischen Typ u. a. in alien Englischen Suiten, den 
italienischen u. a. in den Franzosischen Suiten Nr 2, 4, 
5, 6). Die Stellung der C. in Verbindung mit anderen 
Tanzen war sehr verschieden, z. B. Pavane - Galliar- 
de - C. - Tripla oder aber auch C. als ungeradtaktiger 
Nachtanz in Verbindung mit der Allemande anstelle 
der alteren Folge Pavane - Galliarde. - Rousseau (1768) 
vermerkt, die C. sei »nicht mehr im Gebrauch, eben- 
sowenig wie der Tanz, dessen Namen sie tragt«. 
Lit. : Th. Arbeau, Orch6sographie, Langres (1588), NA v. 
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; W. J. 
v. Wasielewski, Instrumentalsatze v. Ende d. 1 6. bis zum 
Ende d. 17. Jh., Bonn 1 874 ; Vingt suites d'orch. du XVII* s. 
frc. 1640-70, hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906; 
K. Nef, Gesch. d. Sinfonie u. Suite, = Kleine Hdb. d. Mg. 
nach Gattungen XIV, Lpz. 1921 ; P. Nettl, Die Wiener 
Tanzkomposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 



190 



crescendo 



1921 ; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite 
im 15. u. 16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; 
W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbiichern, 
Lpz. 1927; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, 
engl. NY 1937 u. London 1938, frz. Paris 1938; M. Rei- 
mann, Untersuchungen zur Formgesch. d. frz. Kl.-Suite, 
= Kolner Beitr. zur Musikf orschung III, Regensburg 1 940 ; 
I. Herrmann-Bengen, Tempobezeichnungen, = Miinche- 
ner VerofF. zur Mg. I, Tutzing 1 959 ; Fr. Feldmann, Un- 
tersuchungen zur C. als Tanz, Deutsches Jb. d. Mw. VI 
( = JbPLIII),1961. 

Courtrai (Kortrijk, Westflandern). 
Lit. : P. Bergmans, Les musiciens de C. et du Courtraisis, 
Gent 1912; J. Schmidt-Gorg, Die Acta Capitularia d. 
Notre-Dame-Kirche zu Kortrijk als mg. Quelle, Vlaamsch 
Jb. voor muziekgeschiedenis 1,1939. 

cps (Abk. fur engl.: cycles per second, = Hertz) 
-> Frequenz. 

Credo (lat.), der 3. Teil des Ordinarium missae (Cr. in 
unum Deum), das Glaubensbekenntnis (Symbolum Ni- 
caeno-Constantinopolitanum). Es wird in der romi- 
schen -> Messe an alien Sonn- und bestimmten Feier- 
tagen nach dem Evangelium bzw. im AnschluB an die 
Predigt vorgetragen. (Seine Verteilung auf den Zyk- 
lus des Kirchenjahres erfuhr 1960 unter Johannes XXIII. 
im Novus Codex Rubricarum eine offizielle Neurege- 
lung.) Urspriinglich Taufbekenntnis, wurde das Cr. 
seit Anfang des 6. Jh. nach dem Vorbild Konstantino- 
pels in den ubrigen Liturgien des Orients bei jeder 
Mefifeier iiblich und fand 589 als fester Bestandteil 
Eingang in den mozarabischen Gottesdienst (wo es bis 
heute vor dem Pater noster steht), gegen 800 ebenfalls 
in die frankische Liturgie. Demgegeniiber gelangte es 
erst 1014 - auf Drangen Kaiser Heinrichs II. - in den 
Bereich der romischen Messe. Der Brauch, das Sym- 
bolum dem Evangelium folgen zu lassen, hat seinen 
Ursprung in einer Verordnung Karls des GroBen fiir 
den Gottesdienst an der Aachener Pfalzkapelle. - Un- 
ter den Cr.-Melodien des Graduale Romanum (Editio 
Vaticana und erweiterter Nachdruck von Desclee- 
Tournai) ist die seit dem 11. Jh. uberlieferte 1. Ver- 
tonung (Cr. I, tonus authentus) altester, vielleicht ost- 
licher Herkunft. Sie griindet sich auf eine begrenzte 
Anzahl melodischer Formeln, die im Verlauf des Stiik- 
kes in mannigfachen Umgestaltungen und Kombi- 
nationen wiederholt werden. Cr. II stellt eine einf ache- 
re Fassung dieser Melodie dar. Ebenso leiten sich Cr. V 
(12. Jh.) und VI (11. Jh) aus ihr ab, wahrend III und 
IV dem Spatmittelalter entstammen. - Der Choral- 
vortrag des Symbolum erfolgt wechselweise (alterna- 
tim) zwischen 2 Chorhalften oder Schola und Chor 
(Intonation durch den Zelebranten), wobei nach dem 
Caeremoniale episcoporutn ein Alternieren mit der Or- 
gel nicht gestattet ist. - Luthers Cr.-Lied Wir glauben 
all an einen Gott hat seinen Vorlaufer in einer Weise, 
welche in mehreren Handschriften aus dem 14.-16. Jh. 
- erstmals als Tenor eines 2st. Cr. - aufgezeichnet wur- 
de (Wir glauben in eynengot). 

Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Neudruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; O. Ursprung, Die kath. Kirchenmusik, 
Biicken Hdb. ; M. Huglo OSB, Origine de la melodie du 
Cr. »authentique« de la Vaticane, Rev. Gr6gorienne XXX, 
1951; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958); 
J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, Frei- 
burg i. Br. u. Basel 5 1 962. KWG 

Cremaillere (kremaj'e:r, frz.) -» Bogen (- 2). 

Crembalum (lat.) -»- Maultrommel. 

Cremona. 

Lit. : P. Lombardini, Cenni sulla celebre scuola cremonese 
degli stromenti ad arco . . ., Cr. 1872; La musica in Cr. 



nella seconda meta del s. XVI . . . , = Istituzioni e monu- 
menti deH'arte mus. ital. VI, Mailand 1939; R. Monte- 
rosso, Cat. storico-critico-bibliogr. dei musicisti cremo- 
nesi.Cr. 1951. 

Creole Jazz (ka'i:o:l A^xz, engl.), Stromung inner- 
halb des New-Orleans-Jazz, die dessen Entwicklung 
bis in die 1920er Jahre nachhaltig beeinfluBte. - Die 
Kreolen im French Quarter von New Orleans bilde- 
ten unter den Farbigen eine eigene Gruppe. Ihre Mu- 
sik hatte enge Beziehungen zur lateinamerikanischen 
Volksmusik, vor allem in Tanz- und Liedf ormen (Tan- 
go, Habanera, Bamboula, Creole songs). Seit Ende 
des 19. Jh. gehorten die ein mundartlich ausgepragtes 
Franzosisch sprechenden Kreolen zur wohlhabenden 
und auch musikalisch gebildeten Schicht von New 
Orleans. Blasinstrumentc, bcsonders die Klarinette, 
wurden auch fiir sie zu Hauptinstrumenten und erlang- 
ten iiber die -s- Marching bands ihre Bedeutung im 
Jazz. Die Kreolen festigten die harmonisch-funktio- 
nalen Grundlagen des Jazz und forderten entscheidend 
seine Entwicklung zu einem planvoll organisierten 
Musizieren (-»- Arrangement). Unter den Jazzmusi- 
kern sind sie meist an ihren franzosisch klingenden 
Namen zu erkennen, z. B. die Klarinettisten Sidney 
Bechet, Alphonse Picou, Albert Nicholas, Lorenzo 
Tio, Omer Simeon; die Trompeter Freddie Keppard, 
Manuel Perez; die Posaunisten Kid Ory, Honore 
Dutrey, der Schlagzeuger Johnny St. Cyr. Den Hbhe- 
punkt des Cr. J. und zugleich einen der Hohepunkte 
des New-Orleans-Jazz uberhaupt bildete das Musizie- 
ren des Pianisten Jelly Roll Morton (Ferdinand Joseph 
La Menthe) mit seinen weitgehend aus Kreolen be- 
stehenden Red Hot Peppers (1926-30). 

crescendo (kreJJ'sndo, ital.; Abk.: cresc, iml8.Jh. 
auch: cres.), wachsend, an Schallstarke zunehmend. 
Die friihesten Anweisungen fiir cr. und deer, sind ab- 
gestufte Folgen von -*■ forte- oder -> piano-Bezeich- 
nungen seit dem spaten 16. Jh. Sie leiten in der 1. Half- 
te des 18. Jh. zum Cr. hin. Das Anschwellen und Ab- 
schwellen des Tones wurde bereits um 1600 in Ge- 
sangsschulen gelehrt (Caccini 1601) ; D. -> Mazzocchi 
verlangt 1638, dafi der mit einem C bezeichnete lange- 
re Ton angeschwellt und wieder abgeschwellt werden 
soil, also die -»■ Messa di voce, und daB der mit V be- 
zeichnete vom piano zum forte zu steigern sei: cr. a 
poco, a poco la voce. Der cr.-Effekt auf kurze Strecken 
wird 1675 von M.Locke durch lowder by degrees ange- 
strebt, 1686 von Mylius genau beschrieben, 1711 von 
Maffei und 1740 von de Brosses fiir romische Kon- 
zerte bezeugt. Das Schwellzeichen -* bei Fr. -»■ Ge- 
miniani (Prime sonate 1739, Concerti op. 2 und 3 in 
der Neuauflage bei Johnson 1755) bezieht sich nur auf 
Einzeltone, ebenso die seit 1733 bei Rameau gebrauch- 
lichen Zeichen <] [> (spater «=; ^=-) fiir cr. und 
diminuendo und die in Geminianis Treatise of good 
taste (1749) gegebene Erklarung der Zeichen-* ^-. Die 
Wortbezeichnungen cr., deer, und diminuendo traten 
um die Mitte des 18. Jh. auf, ebenso -»■ rinforzando 
als Vorlaufer und Ersatz fiir cr. J. Stamitz wandte die 
Schwellzeichen fiir den Einzelton als erster auf lan- 
gere Tonfolgen an; der als groBes Orchester-Cr. be- 
kannte EfEekt stellt eine der wichtigsten Errungen- 
schaften der Mannheimer Schule dar. Verbunden mit 
sequenzierenden Figuren bildet er die von H.Rie- 
mann »Mannheimer Orchesterwalze« genannte Ma- 
nier. Dieses allmahliche, sich iiber eine groBere Anzahl 
von Takten erstreckende Anschwellen wurde durch 

cresc oder cres. a poco a poco verlangt ; heute 

steht statt dessen: cres cen do. Unabhangig 

von der Mannheimer Schule forderte Jommelli seit 

191 



Croche 

seiner Oper Eumene (1747) das Cr. (mit der Vorschrift 
cr. il forte) fur vereinzelte erregte Gesangspartien, in 
denen die mit cr. bezeichneten Streicher in Skalengan- 
gen tremolierend mit der Singstimme aufsteigen, wah- 
rend die Blaser meist nur stufenweise die Lautstarke 
erhohen. Seit Jommellis Aufenthalt in Stuttgart wird 
das Cr. in seinen Werken haufiger, wahrscheinlich be- 
einflufit durch die Mannheimer Schule. Uber die Wir- 
kung des damals neuen kontinuierlichen Orchester-Cr .s, 
dessen prazise Ausf iihrung durch die Mannheimer be- 
sonders geriihmt wurde, berichtet Reichardt 1774: 
Man erzahlet, dafi, dajomelli dieses in Rom zum ersten- 
male horen liefi, die Zuhorer skh bey dem cr. allmahlich von 
den Sitzen erhohen, und bey dem diminuendo erst wieder 
Luft schopften, und merkten, dafi ihnen der Athem ausge- 
blieben war. Ich habe diese letztere Wirkung in Manheim 
an mir selbst empfunden. Im 19. Jh. gibt es sowohl in der 
Sonate als auch in der Programmusik Formteile, in 
denen (oft bei Stillstand des iibrigen musikalischen Ge- 
schehens) ein Cr. (seltener ein Decrescendo) in den Vor- 
dergrund tritt. Ein konsequent auskomponiertes Cr. 
ist der Bolero von Ravel. - Wahrend die Singstimmen, 
die Bias- und Streichinstrumente, da sie den einzelnen 
Ton anschwellen konnen, das Cr. vollig in der Gewalt 
haben, kann das Klavier nur den Schein des Cr.s durch 
Verstarken der einzelnen Tongebungen hervorbrin- 
gen. Auch der Orgel fehlte die Moghchkeit des kon- 
tinuierlichen Crescendierens; eine Verstarkung konnte 
nur stufenweise durch Anziehen von immer mehr Re- 
gistern erreicht werden, ahnlich einem nur durch Hin- 
zutritt von immer mehr Instrumenten bewirkten Cr. 
des Orchesters. Auf der Orgel des 19. Jh. lafit sich das 
Cr. durch ->■ Jalousieschweller- und Rollschweller-Vor- 
richtungen (-> Walze), auf dem Harmonium iiber 
Kniehebel ausfiihren. - Cr. ist auch die Bezeichnung 
eines von Hofrat Bauer (Berlin) etwa 1780 erfundenen 
Klaviers, das bei 3 Pedalziigen ein Cr. vom pp bis zum 
ff ermoglichte. 

Lit. : J. Fr. Reichardt, Briefe eines aufmerksamen Rei- 
senden ... I, Ffm. u. Lpz. 1774, 1. Brief; ders., Ueber d. 
Pflichten d. Ripien-Violinisten, Bin u. Lpz. 1776; C. 
Mennicke, Hasse u. d. Briider Graun als Symphoniker, 
Lpz. 1906; H. Abert, N. Jommelli als Opernkomponist, 
Halle 1908; H. Riemann, Zur Herkunft d. dynamischen 
Schwellzeichen, ZIMG X, 1908/09; A. Heuss, ttber d. 
Dynamik d. Mannheimer Schule, Fs. H. Riemann, Lpz. 
1909; L. Riemann, Das Wesen d. Klavierklanges, Lpz. 
1911; G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, =Kleine 
Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913; H. Besseler, 
Charakterthema u. Erlebnisform bei Bach, Kgr.-Ber. Lu- 
neburg 1950. - zu Cr. als Instr. : SachsL. 

Croche (kraf, frz., »Haken-Note«), Achtelnote; double 
cr., Sechzehntel; triple cr., Zweiunddreifiigstel; qua- 
druple cr., Vierundsechzigstel. -*■ Crotchet. 

■ crotch- 



Crocheta (lat., »hakenformige«Note; engl. 
et), Viertelnote. 

Croma (lat. ; von griech. xp&u.<*. Farbe), einer der al- 
ien Namen der Semiminima (z. B. bei Hothby), be- 
zeichnet in Italien heute die Achtelnote; entsprechend: 
semicr., Sechzehntel; biscr., ZweiunddreiBigstel; se- 
mibiscr., Vierundsechzigstel. Der Titel Madrigali cro- 
matici oder cromati (auch A Notte Negre) bei Rore u. a. 
verweist auf die vielen kleinen (»gefarbten«) Noten 
und hat mit Chromatik im heutigen Sinne nichts zu 
tun. -*■ Color (-1). 

Cromorne (ital.) ->• Krummhorn. 

Crotales (krot'al, frz. ; nach griech. xp6TaXa), kleine 
Becken (paarig), weitgehend identisch mit den Ber- 
liozschen Cymbales antiques (-»• Zimbeln - 1). Erst in 
der neueren Instrumentation (zuerst Ravel, Daphnis et 



Chloe, 1912, und Strawinsky, Les Noces, 1917, bis heute, 
z. B. L.Nono, Canciones a Guiomar 1963) werden die 
(kleinen Tanz-)Becken unter der Bezeichnung Cr. 
verlangt, die etwas irrefuhrt, da sie auf die eher klap- 
perartigen lateinischen crotala (-* Krotala) hinweist. 
Strawinsky liefi 1918 in Paris Cr. nach eigenen Anga- 
ben ( etwa 5 cm, Tonhohe cis^ und h3) giefien. 
Lit.: H. Kunitz, Die Instrumentation X (Schlaginstr.), 
Lpz. 1960; Mus. Instr., hrsg. v. A. Baines, Harmonds- 
worth/Middlesex 1961, deutsch als: Musikinstr., Miin- 
chen 1962. 

Crotchet (ki'otjit, engl.; vom frz. crochet, Hakchen), 
die englische Bezeichnung der Viertelnote. Der Wi- 
derspruch, dafi im Englischen Cr. das Viertel, im Fran- 
zosischen ->• Croche die Achtelnote ist, erklart sich 
daraus, dafi -> Crocheta der altere lateinische Name der 
Semiminima war, als diese noch als hohle Note mit 
dem Hakchen gezeichnet wurde; als statt dieser die 
geschwarzte Semiminima allgemein durchdrang, be- 
hielten die Englander die Bezeichnung fur den Noten- 
wert, die Franzosen fiir die Notenfigur. 

Crwth (kau:9, kymrisch, bauchig; altirisch crott; la- 
tinisiert chrotta; engl. crowd), wahrscheinlich das In- 
strument der keltischen Barden, eine Leier 
mit Griffbrett. Der Cr. wurde zunachst ge- 
zupft; seit dem 11. Jh. ist belegt, dafi er auch 
mit einem Bogen gestrichen wurde. Das 
Corpus mit Zargen war oval, viereckig oder 
achtformig; die altesten Cr. hatten 3 Saiten, 
die jiingeren 5-6, von denen 3-4 iiber das 
bundlose Griffbrett laufen, wahrend 2 Frei- 
saiten (Bordune) sind. Die linke Hand um- 
fafite das Griffbrett von hinten. Einen Hin- 
weis auf den Cr. gibt das Distichon des Ve- 
nantius Fortunatus (um 530-600): Roma- 
nusque lyra, plaudat tibi Barbarus harpa, Grae- 
cus Achilliaca, crotta Britanna canat (Carmina 
VII, 8, 63f.). Der erste Bildbeleg auf dem Kontinent 
ist in der Vivian-Bibel (um 847-861) Karls des Kahlen 
enthalten. Ein Tropar aus dem 11./12. Jh. (Paris, Bibl. 
Nat., Cod. lat. 1118) zeigt David mit einem Cr. von 
langlicher 8-Form und mit Bogen. Auf den britischen 
Inseln (Irland, Wales) und in der Bretagne hat sich der 
Cr. bei der Landbevolkerung noch bis ins 18./19. Jh. 
erhalten. 

Lit.: O. Andersson, Strakharpan, Stockholm 1923, engl. 
als: The Bowed Harp, London 1930; H. Steger, David 
rex et propheta, = Erlanger Beitr. zur Sprach- u. Kunst- 
wiss. VI, Niirnberg 1961. 

Csardas (tJ'a:rda:J, ungarisch, von csarda, Wirts- 
haus, Dorfschenke), ungarischer Tanz, meist bestehend 
aus einer langsamen, melancholisch-pathetischen Ein- 
leitung (Kreistanz der Manner, dem Lassu) und dem ei- 
gentlichen Cs. (Paartanz, auch friss oder friszka ge- 
nannt), der wild aufgeregt ist, im geraden Takt (2/4, 
4/4) steht und einen vom Sporenschlag bestimmten 
akzentuierten Rhythmus hat. Der Cs. ist aus einem 
mittelalterlichen Tanz hervorgegangen, dem -*■ Haj- 
diitanc (Heiduckentanz). Er gelangte gegen 1835 in 
die Ballsale der eleganten ungarischen Welt. Die 
friiheste Veroffentlichung eines Cs. scheint 1834 er- 
folgt zu sein. Gegen 1850 trat eine Tempobeschleuni- 
gung des Cs. ein und zugleich eine Differenzierung in 
schnellere (sebes) und langsame (lassu) Abarten. Seine 
Bliitezeit war etwa 1845-80. Liszt komponierte ver- 
schiedene Cs. fiir Klavier (z. B. Cs. macabre 1881/82; 
2 Cs.: Allegro, Cs. obstine, 1884). 
Lit. : A. Czerwinski, Die Tanze d. Ungarn, Lpz. 1879 ; M. 
Rethei-Prikkel, A magyarsag tancai, Budapest 1924; K. 
Visky, Hungarian Dances, Budapest 1937 ; E. C. Rearich, 




192 



Czimbal 



Dances of the Hungarians, NY 1938; I. Talasi, A magyar 
tancokrol, Budapest 1949; B. Gyorgy, Dances of Hun- 
gary, = Hdb. of National Dances XI, London 1950. 

Cueca (ku'eka, span., auch c. chilena), ein aus der chi- 
lenischen ->• Zambacueca hervorgegangener argenti- 
nischer Tanz im 3/4-Takt von bewegtem Charakter 
und mit Synkopenbildungen, dargestellt durch ein 
Paar, das Hahn und Henne versinnbildlicht. 
Lit.: P. Garrido, Biogr. delac, Santiago 1943. 

Cuivre (ku'i:vr, frz., Kupfer), auch instruments de 
c, -> Blechblasinstrumente. - Als Vortragsbezeich- 
nung bedeutet cuivre schmetternd. 

Currentes (erganze: notae, lat., laufende Noten) 
nennt Anonymus IV (CS I, 337aff., 340b und passim) 
Noten in Semibrevisform, die, mitunter in betracht- 
licher Anzahl aneinandergereiht, zu einer -* Coniunc- 
tura oder Apposition (Verbindung einer Ligatur mit 
einer Coniunctura bzw. mit C.) gehoren, z. B. im Or- 
ganum purum Viderunt omncs (zitiert CS I, 363af.), 

Cursus (von lat. currere, laufen), mittelalterlicher 
Terminus zur Bezeichnung einer rhythmischen Text- 
struktur an den Satzenden, wie sie seit dem spatantiken 
3. Jh. bis ins 14. Jh. gepflegt wurde. Der C. besteht aus 
2 Wortern, zwischen deren betonten Silben zwei oder 
vier (seltener drei) unbetonte Silben liegen, so daB der 
Satz wohltonend ausklingt. Man unterscheidet : C. 
planus (claritate signorum), C. tardus (crucifixus appa- 
ruit), C. velox (gladio pertransivit), C. trispondiacus 
(rationem confirmavit). Diese durch die Sprache ge- 
gebenen Kadenzen finden ihre musikalische Entspre- 
chung, z. B. im gregorianischen Choral, in dem etwa 
die Betonungen (schwere Silben) langere, die nicht 
betonten (leichten) Silben kiirzere Melismen haben 
konnen oder gar syllabisch sind. - »Doppelter C.« ist 
ein moderner Terminus technicus des Sequenzbaues; 
er bezeichnet,die vor allem fiir die sogenannte »archai- 
sche« -*■ Sequenz (- 1) typische Anlage, in der groflere 
Melodieabschnitte, die mehrere Doppelversikel um- 
fassen, mit neuem Text wiederholt werden (z. B. Rex 
caeli domine : aa bb cccc dddd aa bb cccc dddd aa). 
Lit. : M. G. Nicolau, L'origine du c. rhythmique . . . , Paris 
1930. 

Custos (lat., Wachter; frz. guide; engl. direct), ha- 
kenformiges Hinweiszeichen J oder vf am Ende ei- 
ner Zeile in Handschriften oder Drucken alterer Mu- 
sik, das die Tonhohe der nachsten Note auf der folgen- 
den Zeile anzeigt. 

Cymbal a (Sing, cymbalum) ist seit der Vulgata die 
Latinisierung des griechischen -> Kymbala (Ps. 150, 5; 
2. Sam. 6, 5; 2. Chron. 5, 13); das Wort C. wurde seit 
dem ausgehenden Mittelalter zum sprachlichen Zwi- 



schentrager einer Reihe von Instrumentennamen : 
-> Cembalo, -»■ Cimbalom, (engl.) cymbals bzw. (frz.) 
cymbales (-»- Becken). Die mittelalterliche Literatur 
erwahnt die C. (nebst den Ableitungen in den jeweili- 
gen Sprachen) sowohl in der den Instrumenten des 
Alten Testaments gemaBen Bedeutung (Becken, auch 
Gabelbecken; -»• Zimbeln - 1) als auch, hier besonders 
die lateinisch schreibenden Theoretiker seit dem 9. Jh., 
in der (neuen) Bedeutung von Glockchen bzw. -> Glok- 
kenspiel (Alanus ab Insulis: Cymbalum proprie dicuntur 
parvae campanae, quae acutum reddunt sonum). Synonym 
fiir C. wurde auch das Wort -> Tintinnabula ge- 
braucht ; fiir groBere Glocken verwandte man die Be- 
zeichnung -» Campana oder -»■ Nola. Das Verstandnis 
der C. als Glockenspiel blieb auf das Mittelalter be- 
schrankt, nur das Orgelregister -> Zimbelstern erin- 
nert an die alte Bedeutung, ebenso dem Worte nach 
die f riihbarocke Orgelstimme Cymbel (-5- Zimbeln -2) . 
Die nur kurze Erwahnung der gloecklin und zimeln als 
abgestimmte Instrumente (dann disc betreffen die men- 
sur) bei S.Virdung (1511) mit dem Hinweis auf Boe- 
thius laBt darauf schlieBen, daB Virdung sie schon als 
einer vergangenen Zeit angehorend ansah. - Der Sache 
nach sind die C. Glockchen ohne (selten mit) Kloppel, 
die abgestimmt nebeneinander aufgehangt sind (zu- 
meist 4-9) und mit einem kleinen Holzstab oder Ham- 
mer angeschlagen wurden. Die zahlreichen ikono- 
graphischen Belege zeigen die C. sowohl als Instru- 
ment eines der Principes Davids als auch als Anschau- 
ungsmaterial fiir musiktheoretisch-mathematische Be- 
tatigung. Letzteres sowie genaue Anweisungen fiir den 
GuB der C. bilden den Inhalt der ebenfalls zahlreich 
iiberlieferten Traktate, die sich mit den C. beschafti- 
gen. Musikalische Verwendung fanden die C. im Ele- 
mentarunterricht der Schulen sowie u. a. bei der Aus- 
fiihrung des mittelalterlichen Organum. 
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht, Basel 1511, Faks. 
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; E. Buhle, Das Glocken- 
spiel in d. Miniaturen d. friihen MA, Fs. R. v. Liliencron, 
Lpz. 1910; W. Theobald, Die Technik d. Kunsthand- 
werks im 10. Jh., Bin 1933; J. Smitsvan Waesberghe SJ, 
Klokken en klokkengieten in de Middeleeuwen (De cym- 
balis et nolis), = Nederlandsche muziekhist. en muziek- 
paedagogische studien, Serie B, Studies over^ middeleeuw- 
sche muziek I, Tilburg 1937; ders., C. (Bells in Middle 
Ages), = American Inst, of Musicology, Studies and Do- 
cuments I, Rom 1951 ; W. Kruger, Die authentische 
Klangform d. primitiven Organum, = Mw. Arbeiten XIII, 
Kassel 1958; H. Steger, David rex et propheta, = Erlan- 
ger Beitr. zur Sprach- u. Kunstwiss. VI, Nurnberg 1961. 

Cytharjno ->• Cithrinchen. 

Czakan (tj'akan, ungarisch) ->Stockflote. 

Czimbal (tf'imbal, ungarisch) -> Cimbalom. 



13 



193 



D 



D, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -> Buchstaben- 
Tonschrift ist D im allgemeinen die 4. Stufe, im Sy- 
stem der Kirchentone Finalis des 1. und 2. Tons (Do- 
risch und Hypodorisch). Seit Zarlino (1571) ist der 
Ionius auf C primo modo; dadurch riickte D an die 
2. Stelle der Normalskala. Bei den romanischen V61- 
kern hat die Solmisationssilbe Re den Buchstaben ver- 
drangt. Die Erniedrigung um einen Halbton heiBt Des 
(engl. D flat; frz. re bemol; ital. re bemolle), um 2 
Halbtone Deses (engl. D double flat; frz. re double be- 
mol; ital. re doppio bemolle), die Erhohung um einen 
Halbton Dis (engl. D sharp; frz. re diese; ital. re diesis), 
um 2 Halbtone Disis (engl. D double sharp; frz. re 
double diese; ital. re doppio diesis). - 2) Schlussel: Im 
13.-16. Jh. kann d 2 auch als Schliisselbuchstabe ge- 
schrieben werden ; es erscheint - immer zusammen mit 
eihem G-Schlussel - haufig in Tabellen der Theoreti- 
ker und in der -> Tabula compositoria, gelegentlich 
auch in praktischen Quellen. - 3) Seit dem Anfang 
des 19. Jh. werden in theoretischen Werken Akkorde 
mit -»- Buchstaben-Tonschrift bezeichnet (D bedeutet 
den D dur-Dreiklang, d den D moll-Dreiklang) ; im 
-»■ Klangschliissel treten Zusatzzeichen hinzu. Der 
Brauch, eine Tonart nur durch ihren Grundton zu be- 
zeichnen, wurde im 19. Jh. entsprechend den Akkord- 
bezeichnungen so ausgelegt, daB D fiir D dur, d fur 
D moll stand. - 4) Abk. fiir Discantus, D fiir Domi- 
nante; D. C. = da capo, D. S. = dal segno. In Musik 
fiir Tasteninstrumente steht d. oder d. m. (auch m. d.) 
fiir ital. mano destra (frz. main droite, rechte Hand). 

da capo (ital., Abk. : D. C), von vorn; Vorschrift der 
Wiederholung eines Tonstiicks bis zu der mit Fine 
(Ende), Segno (Zeichen: %) oder einer Fermate be- 
zeichneten Stelle. 

Dampfer (Sordinen, von ital. sordino; frz. sourdine) 
sind Vorrichtungen, durch die die Starke des Tons 
von Saiten-, Bias- "und Schlaginstrumenten vermin- 
dert und die Klangfarbe verandert werden kann. Die 
D. des Pianofortes sollen entweder den Ton ganz aus- 
loschen, durch Aufsetzen von Filzen auf die Saiten 
(-> Pedal - 2), oder die Schwingungen nur hemmen, 
wie in den Instrumenten des 18. und friihen 19. Jh., bei 
denen Filzstreifen auf die Saiten gelegt wurden. Beim 
Cembalo wirkt ahnlich der Lautenzug. Beim moder- 
nen Fliigel vertritt die Verschiebung eine Dampfung 
dieser Art. Die D. der Streichinstrumente (Violinen 
und Bratschen) sind Holz-, Kautschuk- oder Metall- 
kammchen, die auf den Steg geklemmt werden. Sie 
vermindern nicht das Schwingen der Saiten, sondern 
modifizieren die Ubertragung der Schwingungen 
durch den Steg auf den Resonanzboden. Das Timbre 
der gedampften Streicher gemahnt etwas an den na- 
selnden Klang der Oboen, ist im Piano traumhaft ver- 
schleiert und im Mezzoforte seltsam gedriickt. Be- 
riihmte Stellen mit gedampften Streichern sind die 
Schlafszene in Lullys Armide, die Kerkerszene in Beet- 



hovens Fidelio, der Sylphidenwalzer in Berlioz' La 
Damnation de Faust und die 1. V. im Andante cantabile 
von Haydns Streichquartett op. 3, Nr 5 (Hob. Ill, 17). 
Fiir die Blechblasinstrumente werden durchbohrte 
Holzkegel oder D. aus Leichtmetall gebraucht, die in 
die Stiirze eingeschoben werden. Wie beim Stopfen 
des Horns erhohen die D. alter Bauart den Ton (um 
einen oder 2 Halbtone), da sie die Mensur des Instru- 
ments verandern. Gedampfte Trompeten stehen seit 
dem friihen 16. Jh. in dramatischen Werken oft in 
Verbindung mit dem Todesgedanken ; gedampfte 
Horner und Trompeten wurden bei Echoeffekten be- 
reits im 18. Jh. eingesetzt. Der Klang der Trommeln 
wird gedampf t durch Auflegen eines Tuchstreif ens auf 
das Fell; auch bei der Pauke wird ein Tuch auf das Fell 
gelegt (coperto) oder es werden Schwammschlagel 
benutzt. 

Lit. : H. Eichborn, Die Dampfung beim Horn, Lpz. 1 897 ; 
W. Osthoff, Trombe sordine, AfMw XIII, 1956. 

Dampfung bezeichnet die Abnahme der Amplitude 
einer Schwingung im Zeitverlauf durch Umwand- 
lung der Schwingungsenergie in eine andere Ener- 
gieform. Bei mechanischen Schwingungen besteht 
die Hauptursache fiir die D. in den Reibungskraften, 
bei hoheren Frequenzen kommt die Abstrahlung hinzu. 
Sind die Reibungskrafte der momentanen Geschwin- 
digkeit (Schallschnelle, -> Schall) des Systems propor- 
tional, so nimmt die Amplitude (a) nach einer Expo- 
nentialfunktion ab: a = aoe~P>; dabei ist do = Aus- 
gangsamplitude, /? = Dampfungskonstante, e = Na- 
turkonstante 2,7182 und t = Zeit. 




Zeit ■ 



Das Verhaltnis zweier aufeinander folgender Amplitu- 

den einer gedampften Schwingung ist konstant, also : 

a\ _ at _ _ a n -\ 

ai as a n 

Der natiirliche ->• Logarithmus dieses Verhaltnisses 
wird als logarithmisches Dekrement (A) bezeichnet. 
Aus dem Dekrement lalk sich die Dampfungskonstan- 
te (/?) ableiten, und zwar ist /? = =, wobei Tdie Dauer 
einer Schwingung (Periode) bedeutet. 

Danemark. 

Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, 
Kopenhagen) : — > Denkmaler. - Danmarks gamle folke- 
viser, I-V, hrsg. v. S. Grundtvig, 1853-90, VI-V1II, hrsg. 
v. A. Olrik, 1898-1919, IX-X, hrsg. v. H. Gruner-Niel- 



194 



Dasia-Zeichen 



sen, 1920-38, XI (Melodier), hrsg. v. E. Abrahamsen u. 
H. Gruner-Nielsen, 1935-38; A. P. Berggren, Folke- 
sange og melodier, 1 860fT. ; Medieval Mus. Relics of Den- 
mark, hrsg. v. A. Hammerich, Lpz. 1912; Hj. L. Thuren 
u. H. Gruner-Nielsen, Faeroske melodier til danske 
kaempeviser, 1923 ; Th. Laub u. A. Olrik, Danske folke- 
viser med gamle melodier, 1930; Gamle danske viser, 
hrsg. v. A. Arnholtz, N. Schiorring u. F. Vider0, 5 Bde, 
1941-42. 

Lit.: H. Panum, Musiken og musiklivet i Danmark for 
anno 1800, 1904; dies., Musiken og musiklivet i Danmark 
efter anno 1800, =Grundrids ved folkelig universitets- 
undervisning CXI, 1906; dies., Langelegen som dansk 
folkeinstr., 1919; W. Niemann, Die Musik Skandinaviens, 
Lpz. 1906; Hj. L. Thuren, Das danische Volkslied, ZIMG 
IX, 1907/08 ; ders., Tanz u. Tanzgesang im nordischen MA 
nach d. danischen Balladendichtung, ebenda; E. Abra- 
hamsen, Liturgisk musik i den danske kirke efter Refor- 
mationen, 1919; ders., Elements romans et allemands dans 
le chant gregorien et la chanson populaire en Danemark, 
= Publication de l'Acad. Gregorienne de Fribourg (Suis- 
se) XI, 1923 ; A. Hammerich, Dansk musiks hist, indtil ca. 
1700, 1921 ; S. Widding, Dansk messe-, tide- og salmesang, 
2 Bde, 1933 ; C. F. Balslev, Den lutherske kirkesang i Dan- 
mark, 1934; H. Gruner-Nielsen, Folkemusik i Danmark, 
1934; ders., De faer0ske kvadmelodiers tonaliteti middel- 
alderen, 1945; J. Handschin, Das alteste Dokument f. d. 
Pflege d. Mehrstimmigkeit in D., AMI VII, 1935; N. 
Schi0rring, Melodistof til danske viser 1530-1630, Mu- 
sikhist. Arkiv I, 1939; ders., Det 16. og 17. aarhundredes 
verdslige danske visesang, 2 Bde, 1950; ders., Mus. 
Folklore and Ethnomusicology in Denmark, Les Col- 
loques de Wegimont III, 1956; ders., Nogle handskrev- 
ne dansk-norske koralb0ger ..., in: Natalicia Musi- 
cologica, Fs. Kn. Jeppesen, 1962; I. C. Aaberg, Hymnus 
and Hymnwriters of Denmark, Des Moines (la.) 1945; 
H. Chr. Broholm, W. P. Larsen u. G. Skjerne, The Lures 
of the Bronze Age, 1949; P. Lorenzen, Dances of Den- 
mark, = The National Dances of Europe IX, London 1950 ; 
N. Friis, Orgelbau in D., MuK XXII, 1952; L. Hansen, 
Spillemanden og hans betydning i dansk folkeliv, 1953 ; H. 
Glahn, Melodiestudier til den lutherske salmesangs hist. 
. . ., 2 Bde, 1954; G. Hahne, Die Bachtradition in Schles- 
wig-Holstein u. D., = Schriften d. Landesinst. f. Musik- 
forschung Kiel III, Kassel 1954; E. Dal, Nordisk folke- 
viseforskning siden 1800, 1956; K. Clausen, Dansk folke- 
sang gennem 150 aar, 1958; H. Rosenberg, Mw. Bestre- 
bungen in D., Norwegen u. Schweden in d. letzten ca. 15 
Jahren, AMI XXX, 1958; O. Mortensen, The Polish 
Dance in Denmark, Kgr.-Ber. Warschau 1960; Dansk 
Aarbog for Musikforskning, hrsg. v. d. Dansk Selskab 
for Musikforskning, seit 1961; A. Davidsson, Dansk 
musiktryck . . . , = Studia musicologica upsaliensia VII, 
Uppsala 1962; N. M. Jensen, Den danske romance 1800- 
50 og dens mus. forudsaetninger, 1964; S. S0rensen, All- 
gemeines iiber d. danischen protestantischen Kirchenge- 
sang, in : Norddeutsche u. nordeuropaische Musik, = Kie- 
ler Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965. 

dal segno (dal s'e:jio, ital., vom Zeichen an; Abk. : 
Dal S., D. S.), Anweisung zum Wiederholen eines 
Stiickes vom Zeichen {%) an. 

Damenisation, nach Fr. W. Marpurgs Bericht (An- 

leitung zur Musik . . . , 1763, S. 42) eine Erfindung C. H. 

Grauns als Ersatz fiir die -» Solmisation. Die D. be- 

stand aus den 7 Tonsilben da me ni po tu la be, wobei 

durch Anhangen von as oder es an die Silbenkonso- 

nanten chromatische Erniedrigung beziehungsweise 

Erhohung des betreffenden Tones angezeigt werden 

sollte. Obwohl die D. erstmalig eine vollkommene 

Unterscheidung der enharmonischen Stufen bot, wur- 

de sie in der Praxis ihrer Unsanglichkeit wegen kaum 

verwendet. 

Danse macabre (da:s mak'a:br, £rz.) -> Toten- 

tanz. 

Danzig. 

Lit.: Hingelberg, Uber D.er Musik u. Musiker, El- 

bing 1785; J. Bolte, Das D.er Theater im 16. u. 17. Jh., 



= Theatergeschichtliche Forschungen XII, Hbg 1895; 
O. Gunther, Musikgeschichtliches aus D. Vergangen- 
heit, Mitt. d. WestpreuBischen Geschichtsver. X, 1911; 
G. Frotscher, Ein D.er Orgelbuch d. 18. Jh., Kgr.-Ber. 
Lpz. 1925; ders., Ein D.er Musikantenspiegel v. Ende 
d. 18. Jh., Fs. A. Schering, Bin 1937; W. Lott, Zur Gesch. 
d. Passionsmusiken auf D.er Boden, AfMw VII, 1925; H. 
Rauschning, Gesch. d. Musik u. Musikpflege in D., 
= Quellen u. Darstellungen zur Gesch. WestpreuBens XV, 
D. 1931 ; G. Schunemann. D.er StraBenrufe, Mk XXXII, 
1939/40; H. J. Moser, Aus D. mus. Vergangenheit, Zs. 
Germanien XII, 1940; W. Scheffler, Aus D. Theater- u. 
Musikleben vor 150 Jahren, in: D.er Heimatkalender 
1940; M. Odyniec u. R. Wyrobek, Organy oliwskie (»Die 
Org. in 01iva«), D. 1958. 

Darabukka (darboka; agyptisch), eine runde, unten 
offene Bechertrommel aus Ton, meist in einen koni- 
schen Oberteil und einen engeren zylindrischen Stand- 
fu8 gegliedert. Sie wird mit Fischhaut oder Leder be- 
zogen und hat Schnur- oder Klebespannung. Die D. 
wird mit den Fingern gespielt, wobei durch Schlage 
in der Mitte oder am Rand verschiedene Lautstarken 
und Klangf arben hervorgebracht werden. Sie ist schon 
bei der vorislamischen Bevolkerung Agyptens belegt. 
Lit. : H. Hickmann, La d., Bull, de lTnst. d'Egypte XXXIII, 
1950/51 ; ders., Die GefaBtrommeln d. Agypter, Mitt. d. 
Deutschen Archaologiscften Inst., Abt. Kairo XIV, 1956; 
D. Drost, Tonerne Trommeln in Afrika, Jb. d. Museums 
f. Volkerkunde zu Lpz. XIV, 1955. 

Darmstadt. 

Lit.: E. Pasque, Gesch. d. Theaters zu D. (1557-1710), D. 
1853 ; W. Kleefeld, Landgraf Ernst Ludwig v. Hessen-D. 
u. d. deutsche Oper, Bin 1904; H. Kaiser, 125 Jahre D.er 
Oper, D. 1936; ders., Das Barocktheater in D., D. 1951 ; 
ders., Vom Zeittheater zur Sellner-Buhne. Das Landes- 
theaterD.v. 1933-60.D. 1961 ; Kl. Steinhauser, Die Musik 
an d. Hessen-Darmstadtischen Lateinschule im 16. u. 17. 
Jh., Dusseldorf 1936; Fr. Noack, Hofkonzertezu D. (1 780- 
90), Mf VII, 1954; Fs. zur Orgelweihe in d. Stadtkirche zu 
D. 1961 mit Ruckblick auf 361jahrigen Orgeldienst 
hrsg. v. M. Knodt, Langen 1961. 

Dasja-Zeichen dienen in der altesten erhaltenen Leh- 
re mehrstimmiger Musik, der Musica Enchiriadis (Ende 
9. Jh. ; GS I, 152ff.), sowie im ihr nahestehenden Pari- 
ser Organumtraktat (CS II, 74fT.), im Bamberger Dia-^ 
log iiber das Organum und in den Scholia Enchiriadis 
(GS 1, 173ff.) dem schriftmaBigen, d. h. zugleich theo- 
retischen Erfassen des friihen -> Organum. Aus einem 
Ausgangszeichen (h), dasia genannt, und ofienbar in 
Anlehnung an den Spiritus asper der Griechen, die 
7rpo<j<jj8ta Saaeia, gebildet (-»■ Prosodie-1), werden 
4 an die griechische Instrumentalnotation erinnernde 
Grundzeichen entwickelt, die als (protos) archoos, 
deuteros, tritos und tetrardos das Tetrachord der Fina- 
les (der authentischen Modi; wie D, E, F, G) vorstel- 
len. Durch Umlegung und Umkehrung dieser 4 
Grundzeichen entstehen 14 weitere Zeichen. Die ins- 
gesamt 18 D.-Z. (notae, characteres, figurae) stellen 
eine Tonordnung (omnis series sonorum) von 4 un- 
verbundenen gleichgebauten Tetrachorden (namlich 
graves, finales, superiores und excellentes) und zwei 
»iibrigen« Tonen (residui) dar, wobei das Sich-Ent- 
sprechen der Tone in den Tetrachorden (ihre gleiche 
qualitas) angezeigt ist durch Gleichheit der Namen 
(z. B. heiBt der 2. Ton jedes Tetrachords deuteros) und 
durch Entsprechung der Zeichen (z. B. fiir den deute- 
ros: »\ f J i~~>). Die Zeichen werden (nach dem Prin- 
zip der spateren Schliissel) den Zwischenraumen von 
Linien (chordae) vorangestellt, in welche die Text- 
silben geschrieben werden. Die so entstandenen De- 
scriptiones (Abzeichnungen) stellen die fruhesten Nie- 
derschrif ten mehrstimmiger Musik dar, aber nicht im 



13* 



195 



Dasia-Zeichen 

Sinne von Kompositionen und zwecks praktischer Aus- 
fiihrung, sondern als wesentlicher Bestandteil der Er- 
klarung des (fiir die Praxis in Neumen notierten) Can- 
tus bzw. des aus dem Stegreif auszufiihrenden Orga- 
num, auf dessen artifizielles Sich-BewuBtmachen die 
Erfindung der D.-Z. offenbar abzielte. 



as 
h 

a 
9 
fis 
« 
d 
■ c 
h 
a 


D 
C 
B 

A 

r 



ftmu. 



.les 



S£ 



le hu mi les fdmulimodu 



J™* 



^e^ 



Ne ran 



XX 



Organum-Descriptio eines Versikels der Sequenz 
Rex caeli dotnini (in Anlehnung an die Hs. Paris, 
Bibl. Nat. lat. 7210, p. 16). 
Indem die D.-Z. die Tone (phthongi) gemaB dem Um- 
fang der Mannerstimmen zur Verfiigung stellen, zei- 
gen sie zugleich an, wie sie musikalisch gelten sollen. 
Die Tonordnung der D.-Z. erfaBt sowohl die me- 
lodischen Gegebenheiten der Modi (Tetrachord der 
Finales und seine Wiederholung in Quintdistanz) als 
auch das klangliche Prinzip des organalen Respon- 
dierens von Stimmen, indem diese Tonordnung das 
Sich-Vereinen der Stimmen im Quartenorganum 
durch den Tritonus begriindet, der bei bestimmten 
SchluB- und Anfangswendungen des Cantus dem Re- 
spondieren der Vox organalis in Quarten entgegen- 
steht (da das 3. Zeichen eines jeden Tetrachords mit 
dem zweiten des nachsthoheren nicht eine Quarte, 
sondern die inconsonantia des Tritonus bildet), »so dafi 
beide Stimmen an einem Tonort zusammenkommen« 
(ut ambae in unum conveniant, GS I, 169b). Diese an 
Hand der D.-Z. formulierte Regel bezeichnet den 
'Punkt, an dem die artifizielle Mehrstimmigkeit des 
Abendlandes erstmalig theoretisch erfaBt ist und so- 
mit geschichtlich wird, und zugleich - in der Verbin- 
dung von -> Liniensystem und -*■ Schliissel - den Be- 
ginn der visuell eindeutigen, eigenstandig musikali- 
schen Tonschrift. Neben der Abzeichnung des paral- 
lelen (usuellen) Quintenorganum diente die Tonord- 
nung der D.-Z. offenbar in enter Linie der Demon- 
stration des nicht durchgehend parallelen (artifiziellen) 
Quartenorganum. Dem Oktavensingen tragt sie nicht 
Rechnung, da sie die Abstande B-h, F-fis und C-cis 
aufweist. Deshalb lehnte Guido von Arezzo die Ton- 
ordnung der D.-Z. ab (Micrologus, Cap. V, CSM IV, 
112f.), da er nicht mehr gelten lieB oder verstand, daB 
sie das selbstverstandliche Prinzip der Oktav-Dupli- 
catio eines Tones oder einer Stimme zugunsten der 
Tritonustheorie auBer acht lassen wollte und konnte. 

Lit. : Ph. Spitta, Die Musica enchiriadis u. ihr Zeitalter, 
VfMw V, 1889; H. Sowa, Textvariationen zur Musica 
Enchiriadis, ZfMw XVII, 1935; E. L. Waeltner, Das Or- 
ganum bis zur Mitte d. 11. Jh., Diss. Heidelberg 1955, 
maschr. ; ders., Der Bamberger Dialog vlber d. Organum, 
AfMw XIV, 1957; E. Jammers, Anfange d. abendlandi- 
schen Musik, =Slg mw. Abhandlungen XXXI, StraB- 
burgu. Kehl 1955 ;Thr. G. Georgiades, Sprache, Musik, 
schriftliche Musikdarstellung, AfMw XIV, 1957; E. Jam- 
mers, R. Schlotterer, H. Schmid, E. L. Waeltner, By- 
zantinisches in d. karolingischen Musik, Ber. zum XI. Inter- 
nationalen Byzantinisten-KongreB Munchen 1958. HHE 



Dauer ist, neben Hohe und Lautstarke, eine der ele- 
mentaren Toneigenschaften. In der seriellen Musik 
bildet sie einen der Parameter, die dem Prinzip der 
Reihentechnik unterworfen werden. Die Auffassung 
einer D. ist aus Wahrnehmung, Erinnerung (Reten- 
tion) und Erwartung (Protention) zusammengesetzt. 
Die Objektivitat des ganzen dauemden Tones konstituiert 
sich in einem Aktkontinuum, das zu einem Teil Erinne- 
rung, zu einem kleinsten punktuellen Teil Wahrnehmung 
undzu einem weiteren Erwartung ist (E.Husserl). Da dem 
Menschen ein spezifisches Organ zur Zeitschatzung 
fehlt, ist die Beurteilung einer D. einerseits individuell 
sehr verschieden und andererseits vom Inhalt einer 
Zeitstrecke abhangig. »Erfiillte« Zeiten wirken kiirzer 
als »leere«, d. h. die erlebte D. richtet sich nach dem 
Veranderungsgrad und der Veranderungsdichte der 
Ereignisse. - Den MaBstab der D. bildet in der Musik 
entweder eine unteilbare kleinste Einheit, ein -> Chro- 
nos protos, oder ein mittlerer Zeitwert, eine der Auf- 
nahme eines mannigfaltigen Inhalts fahige normale Zdhl- 
zeit (H. Riemann 1903). In manchen Werken der neue- 
sten Musik werden die Ton-D.n, statt auf eine Zahl- 
zeit bezogen zu sein, als Teile einer in Sekunden ge- 
messenen langeren Zeitstrecke bestimmt (Penderecki, 
Threni). - Die Erkennungszeit ist bei Tonwahrneh- 
mungen vom Frequenzbereich abhangig. Zwischen 
1000 und 2000 Hz betragt sie 12 Millisekunden; bei 
hoheren und vor allem bei tieferen Tbnen ist sie lan- 
ger. Von der Erkennungszeit ist die D. zu unterschei- 
den, die man braucht, um zwei Ereignisse getrennt 
wahrzunehmen: sie umfafit 50-60 Millisekunden. Am 
genauesten ist die Wahrnehmung der D. bei Zeit- 
strecken von 0,6-0,8 sec. Bei langeren D.n besteht die 
Tendenz zur Uberschatzung, bei kiirzeren zur Unter- 
schatzung. Eine rhythmische Gruppe kann bis zu einer 
Dauer von 3 sec. als ungeteilte Einheit aufgefaBt wer- 
den; langere Gruppen werden in der musikalischen 
Vorstellung zerlegt. 

Lit.: E. Meumann, Beitr. zur Psychologie d. Zeitsinns, 
= Philosophische Studien IX, Lpz. 1894; H. Riemann, Sy- 
stem d. mus. Rhythmik u. Metrik, Lpz. 1903; V. Benussi, 
Psychologie d. Zeitauffassung, Heidelberg 191 3 ; H. Berg- 
son, Duree et simultaneite, Paris 1922 ; E. Husserl, Vorle- 
sungen zur Phanomenologie d. inneren ZeitbewuBtseins, 
Halle 1928; E. Kurth, Musikpsychologie, Bin 1930, Bern 
2 1947 ; G. Bachelard, Dialectique de la duree, Paris 1936; 
E. Schmidt, Ober d. Aufbau rhythmischer Gestalten, 
= Neue psychologische Studien XIV, 2, Munchen 1939; 
G. Brelet, Le temps mus., 2 Bde, Paris 1 949 ; C. Howeler, 
Tijd en muziek, Amsterdam 1 946 ; K. Stockhausen, Struk- 
turu.Erlebniszeit,in:dieReiheIII,Wienl957;FR.WiNCKEL, 
Das Ohr als ZeitmeBorgan, Gravesaner Blatter III, 1957, 
H. 9; G. Jacono, La perception de la duree, Journal de 
psychologie LIII, 1956; F. Klugmann, Die Kategorie d. 
Zeit in d. Musik, Diss. Bonn 1961 ; G. Rochberg, DerBe- 
griffd.D.ind. Musik, MelosXXIX, 1962. CD 

dB -+ Dezibel. 

D. C. ->■ da capo. 

Dechant (dej'a, £rz., auch deschant) ist das in Chretien 
de Troyes' Erec (um 1160?) erstmals belegte franzosi- 
sche Wort fiir -> Discantus, dechanter (deschanter) 
das fiir discantare. D. kann sowohl das Extemporieren 
einer Gegenstimme zu einem Cantus als auch diese 
Stimme selbst bedeuten. Die Sublimierung des Dis- 
kantstils in der Komposition seit der Notre-Dame- 
Epoche und die Fassung des Begriff s Discantus im Rah- 
men der Musica mensurabilis durch die Theoretiker 
im 13. Jh. betreffen den D. (bzw. die weiterhin be- 
stehende ursprungliche Art des Discantus) nicht, so 
dafi die neuere Musikwissenschaft (besonders H. Rie- 
mann) D. als Terminus fiir den improvisierten Dis- 
cantus benutzen konnte. 



196 



Deklamation 



Decken nennt man die Uberfiihrung der offenen Vo- 
kale bei zunehmender Hochlage in die ihnen benach- 
barten geschlossenen: a nach 6, e nach e. Physiologisch 
werden dadurch eine Kontraktion des Ringschildknor- 
pelmuskels und eine Kippbewegung des Kehlkopfes 
hervorgerufen, die die Arbeit des Musculus vocalis 
(-»• Stimme - 2) erleichtert. Der Ton braucht dadurch 
bei entsprechender Resonanzierung aber nichts an 
Leuchtkraft einzubuBen; dafiir werden grelle, »ge- 
schrieene« Tone vermieden. 

decrescendo (dekrejj'endo, ital. ; Abk. : decresc. oder 
deer.), auch durch die Zeichen ^- oder [>- oder ;=^ 
vorgeschrieben, abnehmend (an Schallstarke), schwa- 
cher werdend. -> crescendo. 

Deklamation (von lat. declamare, laut reden, vor- 
tragen), im allgemeinen in der lateinischen Antike wie 
auch im Humanismus die Redeubung, dann der Vor- 
trag einer Rede iiberhaupt, seit dem 18. Jh. auch die 
Vortragsweise. Im Bereich der Musik bezeichnet D. 
1. den Textvortrag seitens des Singers im Sinne der 
-»■ Aussprache; 2. den gesprochenen Vortrag eines 
Textes mit untermalender Musik (-»■ Melodrama); 
3. bei einer Textkomposition das Verhaltnis zwischen 
Sprechweise und Vertonung des Textes in Rhythmus, 
-»■ Melodie (- 3) und Artikulation; 4. (erweitert) die 
Verbindung von Text und Musik schlechthin, d. h. die 
Art, wie ein Text vom Komponisten rhythmisch-me- 
lodisch fixiert und bedeutungsmaBig gef aBt wird. Die- 
se auch als Wort-Ton- Verhaltnis angesprochene Art der 
D. gilt als eines der grundlegenden Probleme der Mu- 
sik, das geschichtlich je verschieden gelost worden ist. 
Die Losungen schwanken zwischen den Polen Musik 
als absolut Klingendem und Sprache als Verstandigung. 
Sprache und Musik konnen so koordiniert sein, daB 
die ihnen immanenten Gesetze sich in ihrer Struktur 
als einander Shnlich oder identisch zusammenschliefien, 
oder aber je eines von beiden zwingt das andere, sich 
nach ihm auszurichten. Als schhehteste Moglichkeit 
der Verbindung gilt das musikalische Erfassen der 
Klanggestalt des Textes, das Verwirklichen sprachli- 
cher und musikalischer Korrespondenzen hinsichtlich 
Tonbewegung und Rhythmus. Dem Steigen oder 
Fallen der Stimme beim natiirlichen Sprechen des 
Textes entsprechen Melodieanstieg oder -abstieg, 
sprachlichen Betonungen oder Langenverhaltnissen 
musikahsche Akzente oder Tondauern (so im -*■ Rezi- 
tativ). Indem die Musik zur klanglich-iiberhohten 
Darstellung eines Textes dient, kann sie sich, je nach 
Textcharakter (Kunstprosa oder Lyrik), auch formal 
der syntaktischen Struktur durch entsprechende Glie- 
derung, so auch der Versform mit ihren Reimbildun- 
gen und Assonanzen, anpassen (so im -*■ Lied). Die 
kompositorisch kompliziertere vind asthetisch kunst- 
vollere Moglichkeit der Textvertonung ist das musi- 
kalische Erfassen des Sinhgehalts der Sprache, dariiber 
hinaus das Erfassen von Klanggestalt und Sinngehalt 
als Einheit durch figiirliches Abbilden und rhetorisches 
Auslegen oder durch Interpretieren des Textes in ver- 
schiedenen musikalischen Schichten. Indem zur Text- 
vertonung eine Instrumentalbegleitung hinzutritt, 
kann auch diese mit den nur ihr eigenen Moglichkei- 
ten in das Erfassen und Deuten des Textes eingreifen 
und mit der Singstimme zu einer den Text interpre- 
tierenden Einheit verschmelzen, zu einem wiederum 
autonomen Gebilde, das eine »iiberh6hte« Form des 
Textes darstellt. 

Als Ursprung, zugleich als Sonderfall der abendlandi- 
schen D. wird der Vers der griechischen Antike ange- 
sehen. In der Antike sind Dichtung (Sprache) und Mu- 
sik noch ungeschieden in der Einheit der [louaufl^. 



Rhythmisch wird der griechische Vers nicht akzen- 
tuierend, sondern nach Dauern (Quantitaten) geord- 
net, klanglich ist das gesprochene dichterische Wort 
seine melodische Gestalt: Die Musik ist mit dem Vers 
gegeben, der Vers ist Musik und Dichtung in einem (Ge- 
orgiades 1954, S. 6). Mit der Rhetorisierung der lite- 
rarischen Sprache, der Loslosung und Systematisierung 
von ihr eigenen Ausdrucksmoglichkeiten, verzichtet 
der Text auf den »musikalischen« Vortrag, wahrend 
die Musik als Eigenstandiges dem Text gegeniiberzu- 
treten beginnt. Das neue Verhaltnis zwischen Sprache 
und Musik wird historisch faBbar im -> Choral der 
christlichen Liturgie, der als Mittel des Sprechens 
mit der Singstimme (Jammers 1963, S. 14) die Kultspra- 
che verwirklicht auf der Ebene des gehobenen Spre- 
chens (accentus) oder des melismatisch-melodischen 
Verstromens (concentus, ->■ Akzent - 2). Musik und 
Sprache treten nun als zwei getrennte Prinzipe auf, 
wobei aber die Musik weniger akzidentiell zum Text 
hinzutritt, als vielmehr aus der Klanglichkeit und 
Struktur der Sprache heraus entsteht. Die Sprache fin- 
det klanglich und formal ihreh Niederschlag in ihr 
entsprechenden Ordnungen und Formeln der Musik. 
Urspriinglich ist die liturgische Sprache Kunstprosa; 
inwieweit sie als solche den melodischen Ablauf auch 
rhythmisch pragt, ist umstritten. Rhythmische Musik 
wird eindeutig erkennbar in den versgebundenen For- 
men der Liturgie, die zunachst am quantitierenden 
Prinzip der antiken Metrik orientiert sind, in denen 
sich jedoch zunehmend das akzentuierende Prinzip 
durchsetzt. Dieser Ubergang scheint aber erst im 11./ 
12. Jh. abgeschlossen zu sein. Das VersmaB pragt den 
rhythmischen Verlauf der Musik; die musikahsche D. 
richtet sich nach der textlichen, ut quasi metricis pedibus 
cantilena plaudatur (Guido von Arezzo, CSM IV, 164). 
Wahrend im allgemeinen fur alle liedartigen Gattun- 
gen (z. B. -*■ Conductus, -> Minnesang) bis in die heu- 
tige Zeit diese enge Beziehung zwischen Textstruktur 
und musikalischer Rhythmik gilt, wird sie - eine Er- 
rungenschaft der Modalnotation - in -*■ Organum und 
->• Discantus der Notre-Dame-Epoche aufgelockert 
zugunsten einer vom Text her relativ freien, doch mu- 
sikalisch streng gegliederten Rhythmik. Der Text der 
-»■ Motette paBt sich dieser (mit der Mensuralnotation 
sich verfeinernden Rhythmik) an und hat als Vers- und 
Strophenbau in der -*■ Isorhythmie formbildenden 
Charakter; dariiber hinaus ist er von ideeller Bedeu- 
tung, sofern er einen zumeist hturgischen Cantus pri- 
us factus tropiert. Im Verlauf ihrer Geschichte ent- 
wickelte sich die Motette in Richtung auf den Text als 
Bedeutungstrager. Einen ersten Hohepunkt fand diese 
Entwicklung in Kompositionen Josquins und Lassus' 
{-*■ Musica reservata), Vollendung im Sinne der Aus- 
gewogenheit des musikahschen Satzes bei Palestrina. 
Den Sinngehalt des Textes . . . gleichsam aus sich selbst 
heraus Musik werden zu lassen (Besseler 1931, S. 288), 
ist die eine Grundformel dieser Musik. Mit den hu- 
manistischen Tendenzen der -»■ Camerata fiorentina 
gegen Ende des 16. Jh. setzte im Zusammenhang mit 
der Entstehung der ->• Oper eine verstarkte Besinnung 
auf den Text als Darstellung von Empfindung und 
Gemiitsbewegung ein. Zugunsten der sinngemaBen 
und ausdrucksvollen D., fiir die jetzt alle Mittel mu- 
sikalischer Gestaltung eingesetzt werden, verwarf man 
in der ->■ Seconda pratica den iiberkommenen kontra- 
punktischen Motettenstil (-»■ Monodie). Wahrend 
namenthch Monteverdi den Text primar als Affekt- 
auBerung betrachtet, versteht der mehr traditionsver- 
bundene deutsche Barock die Vokalkomposition bis 
hin zu J. S.Bach neben der Affektdarstellung zugleich 
im Sinne der -*■ Musica poetica und der musikalisch- 



197 



Deklamation 



rhetorischen ->• Figuren als Verdeutlichung, Auslegung 
des Textes, Vergegenwartigung seines Sinns (Eggebrecht 
1959, S. 64). Seit der beginnenden Klassik kann die 
Frage nach dem Verhaltnis von Sprache und Musik auf 
die Gattungen Oper und Lied eingeschrankt werden. 
Die Oper bewegt sich zwischen den Polen des formal 
gebundenen ariosen Gesangstils und freier, dem Text 
in seinem Tonfall und seinem Ausdruck folgender 
Melodik. Ihre pragnanteste Gestaltung linden beide 
Richtungen im 19. Jh. in den Opern Verdis und in der 
aus dem Text geborenen »unendlichen Melodie« der 
leitmotivisch durchkomponierten Opern Wagners. 
Die Oper des 20. Jh. setzt in Berg, Schonberg, Henze 
u. a. die Wagnersche D. in Steigerung ihrer Gestik 
fort, verklammert sie jedoch in musikalische Formen ; 
Strawinsky, Orff, Hindemith u. a. kniipfen in der Art 
ihrer metrisch skandierenden Textvertonung an Verdi 
bzw. an die Oper des 17. Jh. an. Das Lied dagegen 
reicht von der metrisch gebundenen Strophenkom- 
position bis zur durchkomponierten, den Text frei 
deklamierenden und interpretierenden Vertonung. 
Die Extreme werden' markiert auf der einen Seite 
durch die bewuflt schlichten Textvertonungen der 
Liederschulen des 18. und beginnenden 19. Jh., auf der 
anderen durch die an der Wagnerschen D. und Har- 
monik orientierten Kompositionen H. Wolfs. Eine 
Mittlerstellung nehmen Schubert, Schumann und 
Brahms ein. Mit dem Auflosen der Tonalitat im 20. 
Jh. (Schonberg, Berg, Webern) wird die Frage nach 
dem Verhaltnis von Sprache und Musik zugleich eine 
Frage nach dem kompositorischen Material. Der Text, 
vornehmlich Lyrik, wird im Fruhstadium der Atonali- 
tat zu einem Formfaktor, der Zusammenhang und 
Einheitlichkeit garantiert. Dabei deckt die Musik mit 
minuzioser Genauigkeit den Text in seiner klanglichen 
Struktur und seinem Bedeutungsgehalt auf, und der 
Text greif t in vorher nicht gekannter Weise strukturell 
in die Musik ein. Indem die Musik sich an den Text 
verliert, gewinnt sie neue Bereiche tonsprachlicher 
Moglichkeiten. In jiingster Zeit wurden Versuche ge- 
macht, durch stufenweises Angleichen von elektroni- 
schen oder instrumentalen Klangen an den Sprach- 
klang (Stockhausen, Boulez) bzw. durch Ineinander- 
schieben von Wortpartikeln und Textzeilen (Nono) 
den Lautwert der Sprache musikalisch zu erschlieBen 
und kompositorisch verfiigbar zu machen. 

Lit. : J. Schuback, Von d. mus. D., Gottingen 1775 ; J. K. 
Fr. Rellstab, Versuch uber d. Vereinigung d. mus. u. 
oratorischen D., Bin 1785; N. E. Framery, Analyse des 
rapports qui existent entre la musique et la declamation, 
Paris 1802; A. Burja, Sur les rapports qu'il y a entre la 
musique et la ddclamation, Sb. Bin, mathematische Klasse, 
1803; R. Wagner, Oper u. Drama (1851), in: Samtliche 
Schriften u. Dichtungen (Volksausg.) III/IV, Lpz. o. J.; 
W. Kienzl, Die mus. D., in: Mus.-Philologische Studien, 
Lpz. 1880; H. Riemann, Katechismus d. Gesangskompo- 
sition, Lpz. 1891, 3 1921 ; ders., GroBe Kompositionslehre 
III, Bin u. Stuttgart 1913; A. Schonberg, Das Verhaltnis 
zum Text, in: DerBlaue Reiter, Miinchen 1912, engl. in: 
Style and Idea, NY 1950; A. Heuss, Der geistige Zusam- 
menhang zwischen Text u. Musik im Strophenlied, Ber. d. 
Berliner Kongresses f, Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. 
1913; A. Heusler, Deutsche Versgesch. I— III, Bin u. Lpz. 
1925-29, Bin ^1956; W. Vetter, Wort u. Weise im deut- 
schen Kunstlied d. 17. Jh., ZfMw X, 1927/28; K. G. Fel- 
lerer, Die Deklamationsrhythmik in d. vokalen Poly- 
phonie d. 16. Jh., Dusseldorf (1928); ders., Zum Wort- 
Ton-Problem in d. Kirchenmusik d. 16./17. Jh., StMw 
XXV, 1962; R. Gerber, Wort u. Ton in d. Cantiones Sa- 
crae v. H. Schutz, Gedenkschrift H. Abert, Halle 1928; A. 
Schering, Mus. Organismus u. Deklamationsrhythmik, 
ZfMw XI, 1 928/29 ; H. Abert, Wort u. Ton in d. Musik d. 
18. Jh., in: Gesammelte Schriften u. Vortrage, hrsg. v. Fr. 
Blume, Halle 1929; H. Besseler, Die Musik d. MA u. d. 



Renaissance, Biicken Hdb. ; Ch. K. Scott, Word and To- 
ne, 2 Bde, London 1933 ; E. E. Lowinski, Zur Frage d. De- 
klamationsrhythmik in d. a-cappella-Musik d. 1 6. Jh., AMI 
VII, 1935; S. Goslich, D. u. instrumentale Symbolik im 
begleiteten Kunstgesang, Ber. iiber d. internationalen Kon- 
greB Singen u. Sprechen, Ffm. 1938 ; D. Johner OSB.Wort 
u. Ton im Choral, Lpz. 1940, 21952; Thr. G. Georgia- 
des, Der griech. Rhythmus, Hbg 1949; ders., Musik u. 
Sprache . . ., Bin, Gottingen u. Heidelberg 1954; ders., 
Sprache, Musik, schriftliche Musikdarstellung, AfMw 
XIV, 1957; ders., Musik u. Rhythmus bei d. Griechen, 
= rde LXI, Hbg (1958) ; G. Baum, Wort u. Ton im roman- 
tischen Kunstlied, Das Musikleben III, 1950; W. Edel- 
mann, Uber Texte u. Komposition in Schumanns Solo- 
liedern, Diss. Munster i. W. 1950, maschr. ; J. Muller- 
Blattau, Das Verhaltnis v. Wort u. Ton in d. Gesch. d. 
Musik, Stuttgart 1952 ; Fr. G. Junger, Rhythmus u. Spra- 
che im deutschen Gedicht, Stuttgart 1952; C. S. Brown, 
Tones into Words, Mus. Compositions as Subjects of 
Poetry, Athens (Ga.) 1953; H.-H. Drager, Zur Frage 
d. Wort-Ton- Verhaltnisses im Hinblick auf Schuberts 
-Strophenlied, AfMw XI, 1954; G. Reichert, Das Verhalt- 
nis zwischen mus. u. textlicher Struktur in d. Motetten 
Machauts, AfMw XIII, 1956; A. A. Abert, H. H. Egge- 
brecht, G. Feder, H. Federhofer u. W. Kruger in : Kgr.- 
Ber. Hbg 1956; W. Durr, Zum Verhaltnis v. Wort u. Ton 
im Rhythmus d. Cinquecento-Madrigals, AfMw XV, 
1958; Kl. Heinen, Der sprachliche u. mus. Rhythmus im 
Kunstlied, Diss. Koln 1958, maschr.; H. H. Eggebrecht, 
H. Schutz, Musicus poeticus, = Kleine Vandenhoeck- 
Reihe LXXXIV, Gottingen 1959 ; ders., Machauts Motette 
Nr 9, AfMw XIX/XX, 1 962/63 ; K. Stockhausen, Musik u. 
Sprache, in: die Reihe VI, Wien 1960; H. Fahnrich, R. 
Strauss uber d. Verhaltnis v. Dichtung u. Musik (Wort u. 
Ton) in seinem Opernschaffen, Mf XIV, 1961 ; U. Gun- 
ther, Das Wort-Ton-Problem bei Motetten d. spaten 14. 
Jh., Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; E. F. Krawitt, The Influ- 
ence of Theatralic Declamation upon Composers of the 
Late Romantic Lied, AMI XXXIV, 1962 ; E. Jammers, Mu- 
sik in Byzanz . . ., = Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., 
phil.-hist. Klasse, 1962, 1 ; ders., Ausgew. Melodien d. Min- 
nesangs, = Altdeutsche Textbibl., Erganzungsreihe I, Tu- 
bingen 1963; H. Husmann, D. u. Akzent in d. Vertonung 
mittellat. Dichtung, AfMw XIX/XX, 1962/63; Th. W. 
Adorno, Fragment uber Musik u. Sprache, in : Quasi una 
Fantasia, Mus. Schriften II, Ffm. 1963 ; P. Boulez, Poesie - 
Centre et Absence - Musique, Melos XXX, 1963; K. H. 
Ehrenforth, Ausdruck u. Form. Schonbergs Durchbruch 
zur Atonalitat in d. George-Liedern op. 15, = Abh. zur 
Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XVIII, Bonn 1963; P. 
Hartmann, Syntax u. Bedeutung I : Die syntaktische Be- 
deutungsmatrix, Assen 1964; H. Petri, Lit. u. Musik, 
= Schriften zur Lit. V, Gottingen 1964. EB 

Delitzsch (Sachsen-Anhalt). 

Lit.: M. Seiffert, Die Org. d. Stadtkirche in D., Fs, H. 
Kretzschmar, Lpz. 1 9 1 8 ; A. Werner, Zur Mg.v.D., AfMw 
I, 1918/19 u. VIII, 1926; W. Braun, Zur Passionspflege 
in D. unter Chr. Schultze, AfMw X, 1953 ; ders., Der Kan- 
tor Chr. Schultze u. d. »Neue Musik« in D., Wiss. Zs. d. 
M. Luther Univ. Halle, Gesellschaftswiss.-sprachwiss. Rei- 
he X, 4, 1961. 

demancher (demaj'e, von frz. manche, Griffbrett), 
beim Streichinstrumentenspiel der Wechsel von einer 
-*■ Lage (- 3) in eine andere. 

Den Haag. 

Lit. : D. Fr. Scheurleer, Een Haagsch muziekliefhebber 
uit de 18 e eeuw, Amsterdam 1910; ders., Het muziekleven 
te 's-Gravenhage in de tweede helft d. 1 8 e eeuw.'s-Graven- 
hage 1911; Het Haagse musiekleven in de 17 e en 18 e eeuw, 
Kat. d. Gemeentemuseums v. 's-Gravenhage, D. H. 1952; 
W. Lievense, Die Instrumentenslg d. Gemeinde-Museums 
D. H., NZfM CXVIII, 1957. 

Denkmaler. 

Die nachfolgende Aufzahlung nennt nur groBere Aus- 
gabenreihen bzw. solche, die als umfangreiche Unterneh- 
men geplant waren oder es noch sind. Die einzelnen D.- 
Reihen sind, in chronologischer Folge, dem Land zuge- 



198 



ordnet, das als Haupttrager der Ausgabe angesehen wird. 
Ausgaben von Musik hier nicht aufgefiihrter Lander sind 
im betreffenden Landerartikel zu suchen. Die neben den 
D.n zu nennenden Ausgaben der samtlichen Werke ein- 
zelner Komponisten sind im Artikel — » Gesamtausgaben 
verzeichnet, sofern sie nicht Bestandteil einer hier zitierten 
Reihe sind. Das Namensregister am SchluB des Artikels 
verweist auf alle Stellen, an denen der Komponist inner- 
halb des Artikels genannt ist. 
Belgien. 

1) Trisor musical (Untertitel: Collection authentique de 
musique sacree et profane des anciens maitres beiges), 
eine f . diese friihe Zeit d. Wiederentdeckung alter Mu- 
sik hochverdienstliche Slg v. Werken nld. Komponi- 
sten d. 15./16. Jh., in Partitur hrsg. v. R.J. Van Mal- 
deghem, 29 Jg. zu je 2 Teilen (Musique profane, Mu- 
sique religieuse), Brussel 1865-93; es sind vertreten: 
Anonymi (Jg. XI, XIII-XX, XXII-XXIV), A. Agri- 
cola (III, XI, XXIV, XXIX), B.Appenzeller (XIV, 
XV, XVIII), J. Arcadelt (II, XX, XXV-XXVIII), H. 
Barra (XX), J.Baston (XII), J. de Berchem (I, XI, 
XVII, XXIV), A. Brumel (II,X, XI)J. Bultel (XXVIII), 
Cabilliau (XVIII), J.Clemens non Papa (I, XIV, XX), 
J. de Cleve (I, IX, XII-XVI), L. Compere (XIII, 
XXIII), P. Cornet (XVII), Th. Crecquillon (I, VIII, 
XII, XIV, XXIV), L.Episcopius (XI), N.Faignient 
(XIII, XXVIII), A.Feys (XXVIII), J. de Fossa (II), 
Gheerkin = C. Canis (XV, XXV), N. Gombert (II, XI, 
XII, XIV, XVII, XX), Cl.Goudimel (III, XI), J. de 
Hollande (XVI), CI. le Jeune (XX, XXIX), Josquin 
Desprez (II, III, XII, XIV-XVI, XX, XXII), G. 
Junckers (XXI), J. de Kerle (I, XVII, XXIII-XXVIII), 
Ph.Lapperdey (XVIII), P. de la Rue (XVIII-XXII, 
XXIX), O. de Lassus (III-V, IX, X, XII, XIII, XVI, 
XXIV), M. Le Maistre (I, XII), B. Le Roy (II), A. de 
Longaval (I), J.Lupi (XVI, XX, XXIV), J. de Macque 
(I, VII, IX), J. de Martelaere (I), R. del Mel (I, IX, XI, 
XII), L. van Meldert (XI), L.Monte (XI), Ph. de Mon- 
te (I, II, VI-X), A.Pevemage (I, II, V-VIII, XVI), M. 
Pipelare (I, XI, XIII, XIV, XXI), J. de Ponte (I), J. Ri- 
chafort (XV, XVII), Ph.Rogier (XXI), RogierPathie 
(XIX), C. de Rore (I, VIII, XI, XII), Fr. Sales (I, IV- 
VI), D.Scheure (XIX), Ph.Verdelot (II, XI, XXIII, 
XXVIII), C.Verdonck (I, II, XII, XXVIII), H.Wael- 
rant (I), A.Willaert (I, II, XIII, XIV, XVI), A.Yver 
(XXV). 

2) Monumenta Musicae Belgkae (MMBelg), hrsg. v. d. 
Vereeniging voor muziekgeschiedenis te Antwerpen 
mit Unterstiitzung d. Muziek-Fonds Koningin Eliza- 
beth, Berchem-Antwerpen 1932fE. : Jg. I (1932), J.B. 
Loeillet, »Werken voor clavecimbel« (Lessons u. Six 
suits of lessons); II (1933), A. Van den Kerckhoven, 
» Werken voor org.«; III (1936), J.-H.Fiocco, »Werken 
voor clavecimbel« (Pieces de clavecin) ; IV (1938), »Wer- 
ken voor org. of voor vier speeltuigen« v. Ch.Guillet 
(Vingt quatre fantaisies),]. de Macque (d. Stiicke d. Hs. 
Neapel) u. Ch.Luyton (8 Orgelstiicke u. ein instr. 
Ricercare a 4); V (1943), J.Boutmy, »Werken voor 
klavecimbek; VI (1948), »Werken voor org. en/of 
voor clavecimbel« v. D.Raick (Six suites u. Six petites 
suites) u. Ch.-J. Van Helmont (1. Suite aus Pieces de 
clavecin u. 4 d. Six fugues pour clavier); VII (1951), G. 
Havingha, »Werken voor clavecimbel« (8 Suites voor 
clavecimbel op. 1) ; VIII (1960), P. de la Rue, »Drie mis- 
sen« (Missa de Beata Virgine, Missa de Virginibus ,0 quam 
pulchra est', Missa de Sancta Anna); IX (1963), »Neder- 
landse polyphonie uit spaanse bronnen« (N.Baulde- 
wijn, Missa en douleur et tristesse u. Chanson ert.douleur en 
[sic!] tristesse; M. Gascongne, Missa ,Es hat ein Sin' ; Th. 
Verelst, Missa quatuor vocum). 

3) Flores muskales belgkae, Veroffentl. d. Soc. beige de 
musicologie, bisher nur Bd I (Brussel 1950), Pieces po- 



Denkmaler (Deutschland) 

lyphoniques profanes de provenance liegeoise (XV' siecle) : 
»Pieces frc.« v. A. u. H. de Lantins sowie J. Fr. Gembla- 
co, »Pieces ital.« v. H. de Lantins. 
Danemark. 

1) Dania sonans (Untertitel: Kilder til musikens historie 
i Danmark), Serie 4 in d. Veroff . d. Samfundet til udgi- 
velse af dansk musik (d. vorhergehenden'3Serien, be- 
gonnen 1872, enthalten zumeist praktische NA bzw. 
Erstdrucke, oft in Bearb. fiir Kl., v. Werken j lingerer 
u. zeitgenossischer Komponisten), bisher nur Bd I 
(Kopenhagen 1933), »Vaerker af Mogens Pederson« 
(Pratum spirituale u. Madrigali a cinque voci). 

2) Monumenta Musicae Byzantinae, zentrale Publika- 
tionsreihe zur ma. liturgischen Musik d. griech.-ortho- 
doxen Kirche, auf Anregung d. Koniglich-Danischen 
Akad. &. Wiss. hrsg. v. d. Union Academique Inter- 
nationale in Brussel unter Leitung v. C. Fteeg, H.J. W. 
Tillyard u. E.Wellesz in Verbindung mit d. Archi- 
mandriten v. Grottaferrata (wahrend d. 2. Weltkrieges 
besorgte d. Byzantine Inst., Boston/Mass., d. Unterneh- 
men weiter),4 nicht numerierte Serien (davonist d. Serie 
»Subsidia«, d. nur Abh. enthalt, hier nicht aufgefuhrt), 
Kopenhagen (wenn nicht anders angegeben) 1935ff . : 
Facsimilia: Bd I (1935), Stkherarium (Codex vindobo- 
nensis theol. gr. 181); II (1938), Hirmologium Athoum 
(Codex Monasterii Hiberorum 470); III (Rom 1950, 
nebst Beiheft 1951), Hirmologium e Codice Cryptense 
(Codex Cryptensis E.y.II); IV (1956), Contacarium Ash- 
burnhamense (Codex Bibl. Laurentinae Ashburnhamen- 
sis 64) ; V (2 Bde, 1957), Fragmenta Chiliandarica Palaeo- 
slavica (A. Sticherarium, B. Hirmologium, nach Co- 
dex Monasterii Chiliandarici 307 bzw. 308) ; VI (1960), 
Contacarium Palaeoslavkum Mosquense (Codex Uspens- 
kogo Sobora 9 d. Hist. Museums Moskau). - Tran- 
scripta: Bd I (1936), Die Hymnen des Sticherarium fiir 
September; II (1938), The Hymns of the Sticherarium for 
November; III (1940), The Hymns of the Octoechus, 1. 
Teil (2. Teil s. u. V dieser Serie); IV (Boston 1952), 
Twenty Canons from the Trinity Hirmologium; V (1949), 
The Hymns ... (s. o. Ill dieser Serie), SchluBteil; VI 
(1952), The Hymns of the Hirmologium, Teil 1, 1. Modus 
u. 1. plagaler Modus (Fortfuhrung s. u. VIII dieser 
Serie); VII (1960), The Hymns of the Pentecostarium; 
VIII (1956), The Hymns . . . (s. o. VI dieser Serie), Teil 
III/2 (3. plagaler Modus u. Barys); IX (1957), The 
Akathistos Hymn. - Lectionaria: Bd I (bisher 5 Liefe- 
rungen), Prophetologium (1, 1939, »Lectiones Nativitatis 
etEpiphaniae«; 2, 1940, »Lectiones Hebdomadarum 1" 
et 2" quadragesimae«; 3, 1952, »Lectiones Hebdomada- 
rum 3" et 4" quadragesimae« ; 4, 1960, »Lectiones Heb- 
domadae 5" quadragesimae et Hebdomadae in Palmis 
et Maioris«; 5, 1962, xLectiones Sabbati sancti«). 

3) Italia sacra musica (Untertitel: Musiche corali ital. 
sconosciute della prima meta del Cinquecento), hrsg. 
v. Kn.Jeppesen, 3 Bde, Kopenhagen (1962): Bd I, 
Messen u. Motetten v. G.Alberti, Ph.Verdelot, G. 
Fogliano, Fr. Seraphin, H.Maffoni, Mutus, Fra Petrus 
de Ostia, Laurus Patavus, G. Spataro, G. Buonaugurio 
da Tivoli, C. Festa ; II, Messen u. Motetten v. L. Foglia- 
no, G. Buonaugurio da Tivoli, G.Alberti, M. Cara, 
Filippus de Lurano, R.Bartolucci da Assisi, Don Mi- 
chel, A.Benincasa, H.Maffoni, Simon da Ferrara, C. u. 
S. Festa; III, Messen, eine Passion (Alberti), Lamen- 
tationen u. Motetten v. C. Festa, G.Alberti, B.Trom- 
boncino, Bernardo Pisano, P. Bivi u. Palestrina. 
Deutschland. 

1) Musica sacra (Untertitel: Cantiones XVI, XVII, XVIII 
saeculorum praestantissimas), erste bedeutende NA v. 
Kirchenmusik, d. nicht nur praktischem Gebrauch, son- 
dern auch mg. Forschung dienen sollte, hrsg. v. Fr. Com- 
mer, 28 Bde, Bin (bis Bd XVII) bzw. Regensburg 1839- 



199 



Denkmaler (Deutschland) 

87 (zur Unterscheidung v. einer gleichnamigen Ed.- 
Reihe, d., »zum bestimmten Gebrauch f. d. Konigl. 
Berliner Domchor hrsg. v. A.H.Neithardt«, ab Bd V 
parallel zu erscheinen begann, tragen d. Bde V-XIV d. 
Commerschen Reihe d. Zusatz »Selectio modorum 
...«): Bd I (1839; neu hrsg. als Meister des Orgelbarock 
v. H. F. Redlich, Bin 1931), Orgelwerke v. Anonymus, 
J.S.Bach, N.Bruhns, D.Buxtehude, Dobenecker, J. E. 
Eberlin, G.Frescobaldi, J.J.Froberger, Cl.Merulo, 
Gottlieb Muff at, J.Pachelbel, J.G.Walther, Fr.W. 
Zachow; II (1840), Werke f. 2^t Manner-St. v. Car- 
nazzi, B.Cordans, Fr. Durante, E.Fabio, D.Gallo(II), 
G.Giacomelli, A. Gumpelzhaimer, J.K.Kerll, G Le- 
grenzi, A. Lotti, Mastioletti, Menegalli, G. P. Palestrina, 
T.L. de Victoria; III (1841), Werke £. gemischte St. v. 
A.Caldara, G.Gabrieli, A. Hammerschmidt, Joachim a 
Burck, G. Legrenzi, L. Leo, J. Pachelbel, G. P. Palestrina, 
M.Praetorius, A.Scarlatti, H.Schiitz, J.Walter; IV 
(1842), f . Singst. u. Kl. eingerichtete Gesange v. J. S. 
Bach, Fr. Durante, G.Fr. Handel, J.A.Hasse, N.Jom- 
melli, L.Leo, A. Lotti, B. Marcello, J. G.Naumann, G. 
B . Pergolesi, J. H. Rolle, G. Ph. Telemann ; V-XII (1860- 
67, jahrlich 1 Bd), gesammelte Werke v. O. de Lassus; 
XIII-XIV (1872-73), Werke v. H.L.HaBler; XV- 
XXVIII (1874-87, 1 Bd pro Jahr) Chorsatze v. Gr. 
Aichinger (XVI, XXVIII), Bl. Amon (XXI), F. Anerio 
(XV), G.M.Asola (XXVII), Sc.Baroti (XXIV), G.B. 
Bassani (XXVII), S.Calvisius (XXVIII), G.P.Cima 
(XXIII), G.Croce (XV, XVI, XXIII), Chr. Demantius 
(XXVIII) , B. Donato (XXIV) , G. Dreffler (XV, XXVI) , 
Chr.Erbach (XXVIII), St.Felis (XXIII), A.Ferrabos- 
co(I) (XXV), G.Florio (XVIII), M.Franck (XXIV), G. 
Gabrieli (XV, XVI, XXI, XXIII, XXVIII), J.Gallus 
(XV, XXI, XXII, XXVII), R.Giovannelli (XXV, 
XXVI) , G Guami (XVII, XVIII) , Fr. Guerrero (XXVII) , 

A. Gumpelzhaimer (XXVIII), A. Hammerschmidt 
(XXIV-XXVIII), M.A.Ingegneri (XV), J.Kneffel 
(XIX), Gr.Lange (XIX), R. de Lassus (XXI), L.Lech- 
ner (XVIII, XIX), L.Leoni (XXII), Ch.Luyton(XVII- 
XX, XXII) , St. Mahu (XVII, XVIII) , L. Marenzio (XVI, 
XXV, XXVII, XXVIII), J. Meiland (XIX, XX), R. del 
Mel (XVI, XX, XXI, XXVI), CI. Merulo (XVI, XXIII, 
XXV, XXVII, XXVIII), S.Molinari (XV, XVI, XXII), 
Ph. de Monte (XXIV), G.M.Nanino (XXV), V.Ne- 
rito (XX), Fl.Nocetti (XV), A.Orologio (XXIV), P. 
Pace (XX), C.Porta (XXVI), V.Puteus (XXI), T. 
Riccio (XIX), B.Roi (XXV), J. Rosenmuller (XXIV), 
A.Rota (XVI), Pr.Santini (XXV), A.Scandello (XV, 
XIX, XX), A.Scarlatti (XXIV), Ph. Schondorffer 
(XXVII), L.Senfl (XVIII), A. Stabile (XVI, XXII), G. 

B. Steffanini (XV), Fr. Suriano (XXV), M. Tonsor (XV, 
XIX, XXII), A.Utendal (XX), J. Vaet (XXII), B. Van- 
nini (XXIV), M. Varotto (XV, XVI), O. Vecchi (XVI, 
XXIII, XXVII), I. de Vento (XX), St. Venturi (XVI), 

C. Verdonck (XXI), Chr. Th. Walliser (XV, XIX), G. 
de Wert (XXIII), P.Zallamella (XXV). 

2) Collectio opemm musicorum Batavorum saeculi XV & 
XVI, eine d. ersten groB angelegten Slgen nld. Musik 
d. Palestrina-Epoche, auf Anregung d. Maatschappij 
tot bevordering d. Toonkunst hrsg. v. Fr. Commer, 12 
Bde, Bin (Bd I-IV, XII), Mainz, Antwerpen u. Briissel 
(V-VIII), Bin u. Amsterdam (IX-XI), o. J. (1844-58): 
Bd I-X, Motetten v. J.Arcadelt, Ph.Basiron, J.Buus 
u. C. Canis (VIII), J.Clemens non Papa (I, II, III ganz, 

V, VIII, X), J. de Cleve (IV), Th. Crecquillon (X), CI. 
Delatre u. N.Gombert (VIII), Chr. J. Hollander (I, IV- 

VI, IX) u. S.Hollander (I), Josquin Desprez (VI- VIII), 
O. de Lassus (VII, VIII, X), M. Le Maistre (VIII), Ph. 
de Monte (VI), J.Mouton u. A.Pevernage (VIII), D. 
Phinot (VIII, IX), C. de Rore (VII), J. Vaet (II, IV, V, 
IX), H.Waelrant (I), A.Willaert (I, II); Bd XI, J.Cle- 



mens non Papa, d. 4 »Musikbiicher« Souterliedekens; 
XII, Chansons u. Madrigale v. J. Arcadelt, A.Barbe, J. 
Baston, J.Castileti (= Guyot), P.Certon, Claudin 
(= CI. de Sermisy), J.Clemens non Papa, Th. Crec- 
quillon, N.Gombert, Cl.Janequin, Josquin Desprez, 
O. de Lassus, J. Le Cocq, J.Lupi, P. de Manchicourt, J. 
Richafort, P. de Rocourt, C. de Rore. 

3) Denkmaler der Tonkunst, eine nicht zu Ende gefuhrte 
Publikationsreihe, d. d. spater folgenden »Denkmalern 
deutscher Tonkunst« (s. u. Nr 5) als Anregung diente, 
hrsg. v. Fr. Chrysander, 5 Bde in 6, Bergedorf 1869- 
71 : Bdl, G. P. Palestrina, Motectafestorum; II, G. Carissi- 
mi, 4 Oratorien (Jep/ite, Jonas, Balthazar, Judicium Salo- 
monis) ; III, A. Corelli, GA (auf 2 Bde geplant, jedoch 
hier nur 1. Bd, op. 1-4, erschienen) ; IV (2 Bde), Fr. 
Couperin (le grand), 1. u. 2. Buch d. Pieces de clavecin; 
V, Fr.A. Urio, Te Deum. 

4) Publikation alterer praktischer und tkeoretischer Musik- 
werke (PGfM), umfangreiche D.-Reihe zur Mg. d. 15. 
u. 16. jh. (nebst einigen Abh.), hrsg. v. d. Ges. f. Mu- 
sikforschung unter d. redaktioneflen Leitung v. R. 
Eitner, 33 Jg. (1873-1905) = 29 Bde, Bin (Jg. I-VII) 
bzw. Lpz. (o. J.): Jg. I— III (Bd 1-3), J.Ott, Hundert und 
fiinfftzehen guter newer Liedlein (1544); dazu im 1. Bd v. 

IV (4) eine Studie v. A.Kirchhoff, im2. Bd (5) Musikali- 
sche Spicilegien ..., eine Abh. iiber ma. Musikpraxis v. 
A.Schubiger; V (6), Josquin Desprez, ausgew. Werke 
(Missa L'Homme arme super voces musicales, Motetten, 
Psalmen u. Chansons); VI (7), J.Walter, Wittember- 
gisch Geistlich Gesangbuch (1524); VII (8), Heinrich 
Finck, 35 Vokalsatze (nebst 2 Melodia epithalamii v. 
Hermann Finck); VIII (9), E. Oglin, Liederbuch zu vier 
Stimmen (1512); IX (10), »Die Oper ... bis zur Mitte 
d. 18. Jh.«, 1. Teil (Fortfiihrung s. u. XI, XIII/XIV, 
XIX/XX-XXI/XXII), enthalt Marienklage (anon, 
geistliches Schauspiel aus d. 14. Jh.), v. P. Rebhun Ein 
geistlich Spiel von ... Susannen (1535), groBereTeile aus 
G. Caccinis L'Euridice, M. da Gaglianos La Dafne u. CI. 
Monteverdis L'Orfeo; X (11), S.Virdung, Musica ge- 
tuscht (Faks.); XI (12), »Die Oper . . .« (s. o. IX), 2. 
Teil, enthalt Fr.Cavalli, Einleitung u. 1. Akt v. II Gia- 
sone, M.A. Cesti, Ausziige aus La Dori, Le disgrazie 
d'Amore u. La Semirami; XII (13), M.Praetorius, 2. Bd 
(»De organographia«) d. Syntagma musicum ; XIII/XIV 
(14), »Die Oper ...« (s. o. IX), 3. Teil, enthaltendJ.-B. 
Lully, Armide (Akt I u. II), u. A.Scarlatti, La Rosaura 
(2 Akte) ; XV (15), H. L. HaBler, Lustgarten Neuer Teut- 
scher Gesdng (1601); XVI-XVIII (16), Glareanus, Do- 
dekachordon (in deutscher TJbers. mit Ubertragung d. 
Notenbeispiele); XIX/XX-XXI/XXII (17-18), »Die 
Oper . . .« (s. o. IX), 4. Teil, G. C. Schiirmanns Ludo- 
vicus Pius (teilweise), 5. Teil, R.Keisers Der lacherliche 
Prinz Jodelet; XXIII (19), J.Regnart, Tricinia v. 1593, 
L.Lechners 5st. Bearb. einer friiheren Ausg. ders. (1579 
v. ihm als Newe Teutsche Lieder veroffentlicht) sowie 
mehrere eigene Satze; XXIV (20), M.Agricola, Mu- 
sica instrumentalis deudsch (die Ausg. v. 1529 u. 1545; 
zum Teil in Faks.) ; XXV (21), J.Eccard, Newe Lieder 
(1589) ; XXVI (22), Joachim a Burck, Zwantzig Deut- 
sche Liedlein (1575), Die deutsche Passion (1568) u. Passio 
Jesu Christi (1574); XXVII (23), Ausw. v. »60 Chan- 
sons* aus d. bei P.Attaingnant 1539-49 erschienenen 
Chansonbuchern; XXVIII (24), G.DreBler, XVII can- 
tiones sacrae (1565) ; XXIX (25), Gr. Lange, 24 Motetten 
(hauptsachlich aus d. beiden Buchern Cantiones v. 1580 
u. 1584); XXX (26), O. Vecchi, U Amfiparnaso; XXXI 
(27), J.-M.Leclair (l'aine), Second livre de sonates pour le 
violon et la flute traversiere; XXXII (28), M.Zeuner, 
LXXXII schbne geistliche Psalmen; XXXIII (29), d. v. 
G.Forster 1540 hrsg. Sammelwerk Der ander theil . . . 
frischer teutscher Liedlein. 



200 



5) Denkmdler Deutscher Tonkunst (DDT), zentrales ra- 
tionales Unternehmen zur wiss. NA alter Musik, be- 
griindet v. Ph. Spitta, Fr. Chrysander u. O. v. Hase, ab 
1900 hrsg. v. d. PreuBischen Mg. Kommission zur 
Herausgabe d. DDT unter Leitung v. R. v. Liliencron, 
H. Kretzschmar, H. Abert u. A. Schering, erste Folge 
(2. Folge, »Denkmaler d. Tonkunst in Bayern«, s. u. 
Nr 6), 65 Bde, Lpz. 1892-1931 (eine v. H.J.Moser 
kritisch revidierte Neuauflage aller 65 Bde erschien 
innerhalb kiirzester Zeit, 1957-61, in Wiesbaden u. 
Graz; vgl. dazu: Addenda et Corrigenda, Mf XVI, 
1963) : Bdl (1892), S. Scheidt, Tabulatura nova; II (1894), 
H.L.HaBler, »Werke«, 1. Bd (Fortfuhrung s. u. VII u. 
XXIV/XXV), enthalt d. Cantiones same; III (1900), 
Fr.Tunder, »Solokantaten u. Gesangswerke« (nebst 
einer Sinfonia a 7viole); IV (1901),J.Kuhnau, »Klavier- 
werke« (d. gedruckt Uberlieferte) ; V (1901), J. R. Ahle, 
»Ausgew. Gesangswerke«; VI (1901), M.Weckmann 
u. Chr.Bernhard, »Solokantaten u. Chorwerke« (mit 
Instr.); VII (1902), H.L.HaBler ... (s. o. II), 2. Bd, 
Missae 4-8 vocum; VIII/IX (1902), I.Holzbauer, Oper 
Giinther von Schwarzburg; X (1902), »Orchestermusik 
d. 17. Jh.« (J. C. F. Fischer, Le Journal du Printems; J. A. 
Schmierer, Zodiaci Musici ... Pars J); XI (1903), D. 
Buxtehude, »Instrumentalwerke« (Triosonaten) ; XII- 
XIII (1903-04), H. Albert, alle 8 Teile d. Arien; XIV 
(1903), D. Buxtehude, »Abendmusiken u. Kirchenkan- 
taten« (8 groBere Werke); XV (1904), C.H.Graun, 
Oper Montezuma; XVI (1904), »Ausgew. Instrumen- 
talwerke« v. M.Franck u. V.HauBmann; XVII (1904), 
»Passionsmusiken« (J. Sebastiani, Das Leiden und Ster- 
ben ... Jesu Christi; J.Theile, Passio Domini nostri Jesu 
Christi); XVIII (1904), J.Rosenimiller, Sonate da came- 
ra; XIX (1905), A.Krieger, Neue Arien (nebst d. 7 Lie- 
dern aus d. Liederbuch d. Clodius); XX (1905), J. A. 
Hasse, Oratorium La conversione di Sanf Agostino ; XXI/ 

XXII (1905), Fr.W.Zachow, »Gesammelte Werke«; 

XXIII (1905), H.Praetorius d. Altere, » Ausgew. Wer- 
ke* (geistliche Vokalwerke) ; XXIV/XXV (1906), H. 
L. HaBler ... (s. o. II), 3. Bd, Sacri concentus (1601) ; 
XXVI/XXVII (1906), J.G.Walther, GA d. Orgelwer- 
ke; XXVIII (1907), G.Ph.Telemann, Singgedicht Der 
Tag des Gerichts u. Kantate Ino; XXIX/XXX (1907), 
»Instrumentalkonzerte deutscher Meister« (J.G.Pisen- 
del, Violinkonzert D dur; J. A. Hasse, Flotenkonzert 
H moll; C. Ph. E. Bach, Klavierkonzert D moll; G.Ph. 
Telemann, Violinkonzert F dur ; Chr. Graupner, Kon- 
zert f . 2 Fl., 2 Ob. u. Streichorch.; G. H. Stolzel, Concerto 
grosso a quattro chori D dur; C. Fr. Hurlebusch, Concerto 
grosso A moll); XXXI (1907), Ph.Dulichius, Prima 
Pars Centuriae (2. Teil s. u. XLI); XXXII/XXXIII 
(1907), N.Jommelli, Oper Fetonte (1768); XXXIV 
(1908), d. v. G.Rhaw 1544 gedruckten Newe deudsche 
geistliche Gesenge; XXXV/XXXVI (1909), Sperontes 
Singende Muse an derPleisse ; XXXVII/XXXVIII (1912), 
R. Keiser, Oper Der hochmiithige, gesturtzte und wieder 
erhabene Croesus (1710) u. Ausw. aus d. Oper L' Inganno 

fedele (1714); XXXIX (1909), J.Schobert, » Ausgew. 
Werke«; XL (1910), A.Hammerschmidt, »Ausgew. 
Werke« (Vokalmusik) ; XLI (1911), Ph.Dulichius, 
Secunda Pars Centuriae (1. Teil s. o. XXXI); XLII 
(1910), J.E.Bach, Sammlung auserlesener Fabeln, V. 
Herbing, Musikalischer Versuch; XLIII/XLIV (1913), 
»Ausgew. Ballette Stuttgarter Meister . . .« (Fl.J.Del- 
ler, Orphee et Euridice, La Constance, Ballo polonois u. La 
schiava liberata; J.J. Rudolph, Rinaldo, La mort d'Hercule 
u. Medea); XLV (1911), M.Hinrich Elmenhorsts ... 
Geistreiche Lieder (mit Melodien v. J.W.Franck, G. 
Bohm u. P.L. WockenfuB); XLVI/XLVII (1914), Ph. 
H. Erlebach, d. beiden Teile Harmonische Freude musica- 
lischer Freunde; XL VIII (1914), J.E.Bach, »Passionsora- 



Denkmaler (Deutschland) 

torium«; XLIX/L (1915), »Thiiringische Motetten d. 
ersten Halfte d. 18. Jh.« (93 Werke aus Ms. 13661 d. 
Univ.-Bibl. zu Konigsberg); LI/LII (1926), Chr. 
Graupner, »Ausgew. Kantaten« (17 Kirchenkantaten) ; 
LIII/LIV (1916), J.Ph.Krieger, »21 ausgew. Kirchen- 
kompositionen«; LV (1916), C. Pallavicini, Oper La 
Gerusalemme liberata; LVI (1917), J. Chr. Fr. Bach, d. 
Oratorien Die Kindheit Jesu u. Die Auferweckung La- 
zarus; LVII (1917), G.Ph. Telemann, »240den« (1741), 
J. V. Gbrner, d. 3 Teile d. Sammlung Neuer Oden und 
Lieder; LVIII/LIX (1918), »Ausgew. Kirchenkantaten« 
(je 4 Werke v. S. Kniipfer, J. Schelle u. J. Kuhnau) ; LX 
(1930), A.Lotti, »Messen« (insgesamt 8); LXI/LXII 
(1927), G.Ph.Telemann, Musique de table (alle 3 Tei- 
le); LXIII (1928), J.Pezel, »Turmmusiken u. Suiten«; 
LXIV (1930), G.Benda, d. komische Oper Der Jahr- 
markt; LXV (1931), Th.Stolzer, »Samtliche lat. Hym- 
nen u. Psalmen«. 

6) Denkmdler der Tonkunst in Bay em (DTB), d. DDT 
(s. o. Nr 5) zweite Folge, veroffentlicht durch d. Ges. 
zur Herausgabe v. D. d. Tonkunst in Bayern unter 
Leitung v. A. Sandberger, 30 Jg. = 36 Bde (2 weitere 
Bde, d. Jg. XXXI/XXXVI u. XXXVII/XXXVIII, 
stellen d. LD Bayern im EDM dar; s. u. Nr 9), Lpz. 
bzw. Augsburg (ab 1924) 1900-31 (eine revidierte 
Neuauflage, besorgt durch d. Ges. £. Bayerische Mg.,, 
wurde 1962 in Angriff genommen) : Jg. I (1900), E.F.' 
Dall'Abaco, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (aus op. 1-4; 
vollstandige Ausg. v. op. 1 s. u. IX,1); II (1901), Bd 1, 
»Klavierwerke« v. J. u. W. H. Pachelbel (Ausw.), 2, 
J.K.Kerll, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (mehr nicht er- 
schienen); III, 1 (1902), »Sin£onien d. pfalzbayerischen 
Schule« (weitere Bde s. u. VII.2 u. VIII.2), 10 Werke 
v. J.Stamitz, Fr.X.Richter u. A.Filtz, 2 (1903), L. 
Senfl, »Werke«, 1. Teil (hier mehr nicht erschienen), 
enthalt Motetten u. mehrere Magnificat; IV (1903), 1, 
J. Pachelbel, »Orgelkompositionen« (auch 2 Stiicke v. 
W.H. Pachelbel), 2, Chr.Erbach, ausgew. Werke f. 
Tasteninstr., H.L.HaBler, »Werke, I. Teil, Werke £. 
Org. u. Kl.« (enthalt auch Stiicke v. J. HaBler; Fort- 
fuhrung s. u. V,2 u. XI,1); V (1904), 1, A. Sandberger, 
»Bemerkungen zur Biogr. H. L. HaBlers«, 2 (21962), 
H.L.HaBler, »Werke, II. Teil« (s. o. IV,2), Canzonette 
v. 1590 u. Erstausg. d. Neue Teutsche gesang v. 1596; 
VI (1905), 1, »Niirnberger Meister d. zweiten Halfte d. 
17. Jh.« (geistliche Konzerte u. Kirchenkantaten v. P. 
Hainlein, H. Schwemmer, G. K. Wecker, J. Pachelbel, 
J. Ph. u. J.Krieger), 2, A.Steffani, Duette, Scherzi u. 
»Geistliche Kantaten aus Sacer Janus quadrifonsa; VII 
(1906), l.J.Staden, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (2. Teil s. 
u. VIII.l), 2, »Sinfonien ...« (s. o. 111,1), drei Werke v. 
J.Stamitz, je eines v. Fr.X.Richter, A.Filtz, I.Holz- 
bauer u. C.G.Toeschi; VIII (1907), 1, J.Staden ... 
(s. o. VII, 1), 2, »Sinfonien ...« (s. o. 111,1), je zwei 
Werke v. Chr. Cannabich u. C. Stamitz, je eines v. 
Fr.Becku.E.Eichner;IX(1908), l.E.F. Dall'Abaco... 
(s. o. I), 2, L.Mozart, »Ausgew. Werke« (Kammermu- 
sik- u. Orch.-Werke); X (1909), 1, Gr. Aichinger, 
»Ausgew. Werke«, 2, A. Gumpelzhaimer, »Ausgew. 
Werke«; XI, 1 (1910, 21962), H.L.HaBler, »Werke, 
III. Teil« (s. o. IV,2 u. V,2), enthalt d. Madrigali 5-8 
vocum, 2 (1911), A.Steffani, Oper Alarico (nebst 
Bibliogr. samtlicher Opern); XII (1912), 1, A.Rosetti 
(=Fr.A.R6Bler), »Ausgew. Sinfonien« (2. Teil s. u. 
XXV), enthalt 5 Sinfonien, 2, A.Steffani, » Ausgew. 
Stiicke« (Ausziige aus Opern; vgl. auch VI,2); XIII 
(1913), J.E.Kindermann, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (2. 
Teils.u.XXI-XXIV), enthalt Vokalmusik ; XIV (1914), 
1, T.Traetta, »Ausgew. Werke« (Szenen aus verschiede- 
nen Opern) , 1 . Teil (2. Teil s. u. XVII) , 2, Chr.W. Gluck, 
Oper Le Nozze d'Ercole e d'Ebe; XV-XVI (1914-15), 



201 



Denkmaler (Deutschland) 

»Mannheimer Kammermusik d. 18. Jh.« (Werke v. 
Chr. Cannabich, W.Cramer, Fr.Danzi, J.Fr.Edel- 
mann, E.Eichner, A.Filtz, I.Holzbauer, Fr. X. Richter, 
A. u. C. sowie J.Stamitz, J.Fr.X.Sterkel, C.G.Toes- 
chi, G.J.Vogler, J.B.Wendling); XVII (1916), T. 
Traetta . . . (s. o. XIV.l); XVIII (1917), »Gesammelte 
Werke f. Kl. u. Org.« v. J. u. J.Ph.Krieger sowie Fr. 
X.A.Murschhauser; XK/XX (1920), P.Torri, »Aus- 
gew. Werke« (Opernfragmente), 1. Teil (mehr nicht 
erschienen); XXI-XXIV (1 Bd, 1924), J.E.Kinder- 
mann- ... (2. Teil; s. o. XIII), Instrumentalmusik u. 
Gesange mit Instrumentalbegleitung; XXV (1925), A. 
Rosetti ... (2. Teil; s. o. XII.1), Orchester- u. Kam- 
mermusik; XXVI (1926), J. de Kerle, Preces specia- 
les; XXVII/XXVIII (1928), J.Chr.Petz, »Ausgew. 
Werke«; XXIX/XXX (1931), A.Raselius, Cantiones 
sacrae. 

7) Hebraisch-Orientalischer Melodienschatz, wichtige 
Veroff. d. mus. Bestandes d. jiidischen Liturgie u. Folk- 
lore, »zum ersten Male gesammelt, erlautert u. hrsg.« 
(Untertitel) v. A.Z.Idelsohn, 10 Bde, Lpz. 1914-32: 
Bd I (1914), Gesange der jemenischen Juden; II (1922), 
Gesange der babylonischen Juden; III (1922), Gesange der 
persischen, bucharischen und daghestanischen Juden; IV 
(1923), Gesange der orientalischen Sefardim; V (1929), 
Gesange der marokkanischen Juden; VI (1932, ebenso alle 
folgenden Bde), Der Synagogengesang der deutschen Ju- 
den im 18. Jh.; VII, Die traditionellen Gesange der siid- 
deutschen Juden; VIII, Der Synagogengesang der osteuro- 
paischen Juden; IX, Der Volksgesang der osteuropaischen 
Juden; X, Gesange der Chassidim. 

8) Publikationen alterer Musik (PaM), »veroffentlicht v. 
d. Abt. zur Herausgabe alterer Musik bei d. Deutschen 
Musikges.« (Untertitel) unter d. Leitung v. Th.Kroyer, 
11 Jg. (in 14 Bden), Lpz. 1926-40 (abgebrochen) : Jg. I, 
Bel 1 (1926), G. de Machaut, »Mus. Werke«, 1. Teil 
(v. d. geplanten 4 Bden sind in dieser Reihe nur 3, s. u. 
111,1 und IV,2, erschienen, d. 4., Lpz. 1943, ist eine 
selbstandige Publikation; Neudruck aller 4 Bde Lpz. 
1954), enthalt d. Balladen, Rondeaux u. Virelais, 2 
(1927), J.Ockeghem, »Samtliche Werke«, 1. Teil (hier 
mehr nicht erschienen, d. 2. Bd NY 1947; eine NA v. Bd 
1 NY 1959), enthalt d. Messen I-VIII; II (1927), DonL. 
Milan, Libro de miisica de vihuela de mano; III (1928), 1, 
G. de Machaut . . . , 2. Teil (s. o. 1,1), enthalt nur d. 
kritischen Apparat zu d. 3 Bden Notenteil, 2 (= Abh. 
I), H.Zenck, Sixtus Dietrich, ein Beitrag zur Musik und 
Musikanschauung im Zeitalter der Reformation ; IV (1929), 
1, L.Marenzio, »Samtliche Werke«, 1. Teil (mit d. 2. 
Teil, s. u. VI, wurde d. Ausg. abgebrochen), enthalt 
d. 1.-3. Buch d. Madrigali a 5, 2, G. de Machaut . . ., 
3. Teil (s. o. 1,1), d. Motetten; V (1930), Das Graduate 
der St.Thomaskirche zu Leipzig (Codex 371, 14. Jh.), 
1. Teil, » Advent bis Christi Himmelfahrt« (2. Teil, 
»Christi Himmelfahrt bis Advent, Sanctorale u. Ordi- 
narium Missae«, s. u. VII), enthalt auch Faks. ; VI 
(1931), L.Marenzio ... (s. o. IV,1), 4.-6. Buch d. 
Madrigali a 5; VII (1932), Das Graduate ... (s. o. V); 
VIII (1935), d. 1. u. 4. Buch d. bei O.Petrucci gedruck- 
ten Frottole; IX (1937), A.Willaert, »Samtliche Wer- 
ke*, 1 . Teil (hier mehr nicht erschienen) , enthalt d. bei- 
den Bucher 4st. Motetten v. 1539 u. 1545 ; X (= Abh. II, 
1939), H. Schultz, Das Madrigal als Formideal; XI (1940), 
»Die drei- und vierst. Notre-Dame-Organa«. 

9) Das Erbe Deutscher Musik (EDM), Nachfolgeunter- 
nehmen d. DDT (s. o. Nr 5 u. 6), hrsg. v. d. Mg. Kom- 
mission e. V. (vormals im Auftrag d. Staatl. Inst. f. 
Musikforschung), umfafite in d. ersten Jahren d. Er- 
scheinens (1935-43) zwei voneinander unabhangige 
Reihen: Reichsdenkmale (=RD), Landschaftsdenk- 
male (= LD) ; d. Wiederaufnahme 1953 kennt nur eine 



Hauptreihe (vormals RD) u. eine Sonderreihe (in d. 
u. a. Neuauflagen d. nicht mehr fortgefiihrten LD ein- 
geordnet werden); d. urspriingliche Unterteilung d. 
Hauptreihe in 10 Abt. ist beibehalten worden : I, Or- 
chestermusik (Erscheinungsort Wiesbaden, vormals 
Lpz.), II, Motette u. Messe (Lippstadt, vormals Lpz.), 
Ill, Mehrstimmiges Lied (Wolfenbuttel, vormals Wol- 
fenbiittel u. Bin), IV, Oper u. Sologesang (Mainz), V, 
Kammermusik (Kassel, vormals Hannover), VI, Org., 
Kl. u. Laute (Ffm., vormals Lpz.), VII, MA (Kassel), 
VIII, Ausgew. Werke einzelner Meister (Ffm., vor- 
mals Lpz.), IX, Oratorium u. Kantate (Kassel), X, 
Fruhromantik (Miinchen, vormals Reichenberg) ; d. 
Bde sind sowohl durchlaufend als auch f . jede Abt. ge- 
sondert numeriert (nachfolgende Aufzahlung ist ge- 
ordnet nach A. Hauptreihe, B. Sonderreihe, C. LD) : 
A. Bd I— II (2 Sonderbde zum Bach-Gedenkjahr), Lpz. 
1935, »Altbachisches Archiv« (v. Vater J.S.Bachs u. 
ihm selbst angelegte Slg v. Werken Bachscher Fami- 
lienmitgheder), 1. Bd, Motetten u. Chorlieder, 2. Bd, 
Kantaten; III (=Abt. V, Bd 1), 1935, J.Chr.Bach, 

6 Quintettos op. 11; IV (=VII,1), 1936, 21954, Das 
Glogauer Liederbuch, 1. Teil (2. Teil s. u. VIII), »Deut- 
sche Lieder u. Spielstiicke«; V (=11,1), 1936, L.Senfl, 

7 Messen (= »Samtliche Werke«, Bd 1 ; weitere Bde s. 
u. X, XIII, XV; d. NA, Wolfenbuttel 1949ff., wird 
nicht mehr in dieser Reihe gezahlt) ; VI (= IV,1), 1936, 
G.Ph.Telemann, Pimpinone; VII (=VII,2), 1936, 
»Trompeterfanfaren, Sonaten u. FeldstUcke« d. 16.-17. 
Jh. ; VIII (= VII.3), 1937, . . . (s. o. IV), 2. Teil, »Ausgew. 
Lat. Satze«; IX (= VI.l), 1937, »Orgelchorale um J.S. 
Bach«; X (= 111,1), 1938, L. Senfl, »Deutsche Lieder«, 1. 
Teil (2. Teil s. u. XV), »Lieder aus hs. Quellen bis etwa 
1533« (= »Samtliche Werke«, Bd 2, s. o. V) ; XI (= 1,1), 

1938, »Gruppenkonzerte d. Bachzeit« (je ein Konzert in 
D dur u. in B dur v. G.Ph.Telemann, in C dur v. 
J.D.Heinichen, in F dur v. J. Fr. Fasch) ; XII (= VI,2), 

1939, 21961, »Lautenmusik d. 17./18. Jh.« (Werke v. 
E.Reusner u. S.L.WeiB); XIII (=11,2), 1939, L.Senfl, 
»Motetten«, 1. Teil (hier mehr nicht erschienen), »Ge- 
legenheitsmotetten u. Psalmvertonungen« (=Bd 3 d. 
»Samtliche Werke«, s. o. V) ; XIV (= V,2), 1941, 21961, 
"Deutsche Blasermusik v. Barock bis zur Klassik«; XV 
(=111,2), 1940, L.Senfl ... (s. o. X), 2. Teil, »Lieder 
aus Hans Otts Liederbuch v. 1534«(= »Samtliche Wer- 
ke IV«, s. o. V); XVI ( = VIII,1), 1941, C.Othmayr, 
»Ausgew. Werke«, 1. Teil (2. Teil s. u. XXVI), Sym- 
bola; XVII (= V,3), 1941, J.J. Walther, Scherzi da vio- 
lino solo con il basso continuo; XVIII (=1,2), 1942, C. 
Ph.E.Bach, »Vier Orch.-Sinfonien«; XIX (=IV,2), 
1942, V.Rathgeber, Ohrenvergnugendes und Gemiith- 
ergotzendes Tafel-Confect; XX (=111,3), 1942, G.For- 
ster, Ein Aufizug guter alter und neuer teutscher Liedlein 
(1. Teil d. »Frische Teutsche Liedlein;« d. 2. u. 3. Teil 
sind als Bd LX u. LXI dieser Reihe vorgesehen) ; XXI 
(=11,3), 1942, G.Rhaw, Sacrorum hymnorum liber pri- 
mus, 1. Teil, »Proprium de tempore« (2. Teil, »Pro- 
prium et commune sanctorum«, s. u. XXV); XXII 
(=VIII,2), 1942, Th.Stoltzer, »Ausgew. Werke«, 1. 
Teil (mehr nicht erschienen), enthalt Messen, Motet- 
ten, Instrumentalstucke; XXIII (=VIII,3), 1942, S. 
Dietrich, »Ausgew. Werke«, 1. Teil (mehr nicht er- 
schienen), enthalt d. 1. Abt. d. Novum opus musicum . . . 
hymnorum (vollstandige Ausg. St. Louis 1960); XXIV 
(=V,4), 1953, I.Holzbauer, »Instr. Kammermusik«; 

XXV (= 11,4), 1943, G.Rhaw . . . (s. o. XXI), 2. Teil; 

XXVI (= VIII.4), 1956, C.Othmayr ... (s. o. XVI), 
2. Teil (Cantilenae, Epitaphium D. Martini Lutheri, Bi- 
cinia sacra, Tricinia, einzelne Werke aus verstreuten 
Quellen); XXVII (=IV,3), 1957, J.A.Hasse, Arminio, 
1. Teil (1. u. 2. Akt; d. 3. Akt, vorgesehen als Bd 



202 



Denkmaler (Frankreich) 



XXVIII dieser Reihe, ist noch nicht erschienen) ; XXIX 
(=111,4), 1958, J. Jeep, Studenten-gartlein, J.Steffens, 
Neue teutsche weltliche Madrigalia und Balletten (1619) ; 

XXX (=1,3), 1956, J.Chr.Bach, »Fiinf Sinfonien«; 

XXXI (=V,5), 1956, Gr. J. Werner, Neuer und sehr 
curios-Musicalischer Instrumental-Calender; XXXII- 
XXXIII (= VII.4-5), 1956/60, Der Mensuralkodex des 
NikolausApel (d. 3. Teil, vorgesehen als BdXXXIV die- 
ser Reihe ist noch nicht erschienen) ; XXXV (= IX,1), 
1957, »Kirchenkantaten« v. G.Kirchhoff u. J.G.Gold- 
berg; XXXVI (= VI,3), 1957, »Liineburger Orgeltabu- 
latur KN 208i«; XXXVII-XXXIX (= VII.7-9), 1958/ 
58/59, DasBuxheimer Orgelbuch ; XL (noch nicht erschie- 
nen), vorgesehen ist »Das Liederbuch d. Dr.Hart- 
mann Schedek (=VII,10); XLI (=1,4), 1957, »Klar.- 
Konzerte d. 18.Jh.«(J.M.Molteru.Fr.X.Pokorny);XLII 
(= 11,5), 1958, A.P.Coclico, Musica Reservata...expsal- 
misDavidicis; XLIII (= IV,5), 1962, A. Hammerschmidt, 
Weltliche Oden; XLIV (= V.6), 1956, J.Schenck, d. 
Gambenwerk Le nymphe di Rheno; XLV-XLVI (noch 
nicht erschienen), vorgesehen sind »Geistliche Konzer- 
te um 1660-1700« (=IX,2-3); XL VII (noch nicht er- 
schienen), vorgesehen sind »Motetten« v. L.Daser 
(=11,6); XLVIII (=VIII,5), 1960, Chr.Geist, »Kir- 
chenkonzerte«; XLIX (=V,7), 1957, A.Hammer- 
schmidt, Violenconsort Erster Fleifi; L (=IX,4), 1961, 
A.Pfleger, »Geistliche Konzerte Nr 1-11 aus d. Evan- 
gelien-Jg.« (Bicinia et Tricinia); LI (=1,5), 1964, »F1.- 
Konzerte d. Mannheimer Schule« v. A.Filtz, Fr.X. 
Richter, J., C. u. A.Stamitz, C.G.Toeschi; LII-LVI, 
noch nicht erschienen ; LVII ( = VIII.6) , 1962, H. Finck, 
»Ausgew. Werke« (1. Teil, Messen u. Motetten zum 
Proprium missae). -B. Sonderreihe: Bd I (Kassel 1954), 
NA v. Chr. Demantius, Neue deutsche weltliche Lieder 
(erstmals in LD Sudetenland . . . , s. u. C.) ; II (Kassel 
1955), H.Kugelmann, Concentus novi trium vocum; III 
(Mainz 1959), E. Widmann, »Ausgew. Werke«; IV (Kas- 
sel 1960), J. Schobert, »Sechs Sinfonien op. 9 u. 10«.- C. 
LD : Bayern (= DTB XXXI/XXXVI bzw. XXXVII/ 
XXXVIII), I (1936), R.I.Mayr, »Ausgew. Kirchenmu- 
sik«, II (1938), J. W.Franck, Die drey Tochter Cecrops'; 
Kurhessen, I (2 Teile, 1936/38), Moritz v. Hessen, 
»Ausgew. Werke« ; Mecklenburg u. Pommern, I (1937), 
»Hochzeitsarien u. Kantaten Stettiner Meister nach 
1700«, II (1942), D.Friderici, »Ausgew. geistliche Ge- 
sange«; Niedersachsen, I (1937), J. Schultz, Musicali- 
scher Liistgarte, II (1942), A. Crappius, »Ausgew. Wer- 
ke«; Rhein-Main-Gebiet, I (1937), J.A.Herbst, »Drei 
mehrchorige Festkonzerte f . d. freie Reichsstadt Frank- 
furt am Main«; Schleswig-Holstein u. Hansestadte, I — II 
(1937), N.Bruhns, »Gesammelte Werke« (Kirchen- 
kantaten u. Orgelwerke), III (1938), J.S.Kusser, Arien, 
Duette u. Chore aus Erindo, IV (1942), M.Weckmann, 
»Gesammelte Werke«; Mitteldeutschland, I (1939), Fr. 
W.Rust, »Werke f. Kl. u. Streichinstr.«; OstpreuBen 
u. Danzig, I — II (1939), »Zeitgenossische Kompositionen 
zu Dichtungen S.Dachs« (I, Geistliche Lieder, Il.Welt- 
liche Lieder u. Tanze) ; Sudetenland, Bohmen u. Mah- 
ren, I (1939), Chr. Demantius, Neue teutsche weltliche 
Lieder, Convivalium concentuum Farrago (NA s. o. B.I) ; 
Alpen- u. Donau-Reichsgaue, I (1942; =DTO 84), 
» Wiener Lautenmusik im 18. Jh.«. 

10) Denkmaler rheinischer Musik, hrsg. v. d. Arbeitsge- 
meinschaft f. rheinische Mg., Dusseldorf 1951ff. (aufier 
Bd II): Bd I (1951), »Sinfonien um Beethoven« (F. 
Graf v. Waldstein, Symphonie D dur; Chr.G.Neefe, 
Partita Es dur); II (Koln u. Krefeld 1951), »Das Kolni- 
sche Volks- u. Karnevalslied« (hrsg. v. P.Mies); III 
(1955), K.Hagius, d. Ausg. d. Psalmen Davids (nach K. 
Ulenberg) v. 1589; IV (1954), Liederbuch der Anna von 
Koln (um 1500); V (1955), C.Leibl, Festkantate (zur 



Wiederaufnahme d. Arbeiten am Kolner Dom); VI 
(1957), Cornelius Burgh, »Geistliche Konzerte zu vier 
St.« (1630), 1. Teil (2. Teil s. u. IX); VII (1957), C. 
Rosier, »Ausgew. Instrumentalwerke«; VIII (1958), 
A.Steffani, Tassilone; IX (1961), Cornelius Burgh 
2. Teil (s. o. VI); X-XI (1961/64), Chr.G.Neefe, »12 
Kl.-Sonaten«. 

11) Mitteldeutsches Musikarchiv, veroffentlicht v. Mw. 
Seminar d. Friedrich-Schiller-Univ. Jena, 2 Reihen 
(Klaviermusik, Kammermusik), Lpz. (1954ff.): 1. 
Reihe, H. I (1954), J.Mattheson, Die wohlklingende 
Fingersprache; II (1954), Chr. Graupner, 8 Partiten; III- 
IV (1954/55), G.Platti, 12 Kl.-'Sonaten; V (1955), G. 
Martini, 6 Sonaten; VI-VII (1955), J.G.Muthel, So- 
naten u. Variationen. - 2. Reihe, I— II (1955/57), J. Chr. 
Pepusch, 6 Triosonaten. 

12) Musikalische Denkmaler (MMD), veroffentlicht v. 
d. Kommission f. Mw. an d. Akad. d. Wiss. u. Lit. in 
Mainz, Mainz 1955ff.: Bd I (1955), »Oberital. Figural- 
passionen d. 16. Jh.« (Werke v. Maistre Jhan = J. Le 
Cocq, C. de Rore, Jachet v. Mantua, G. M. Asola) ; II 
(1957), G.Binchois, samtliche Chansons; III (1957), 
Orgelchorale v. J. P. Sweelinck u. seinen deutschen 
Schulern; IV (1958), G. Frescobaldi, d. beiden Biicher 
Arie musicali; V (1961), G.Mainerio, II primo libro de 
balli. 

13) Monumenta monodica medii aevi, hrsg. im Auftrag d. 
Inst. f. Musikforschung Regensburg v. Br. Stablein, 
Kassel 1956ff.; es erschien bisher nur Bd I (Hymnen, 
1. Teil), Die mittelalterlichen Hymnenmelodien des Abend- 
landes. 

14) Denkmiiler norddeutscher Musik, hrsg. v. Landesinst. 
f. Musikforschung Kiel, bisher Bd I: J.Theile, Musi- 
calisches Kunstbuch, Kassel 1965. 

Frankreich. 

1) Chefs-d'oeuvre classiques de /' opera francais (auch Col- 
lection Michaelis genannt), hrsg. v. Th. de Lajarte (un- 
ter Mitwirkung v. C.Franck, Fr.Gevaert, A.Guil- 
mant, V.d'Indy, Ch.Poisot, L.Soumis, J.-B.Wecker- 
lin u. a.), 38 (nicht numerierte) Bde in 7 Serien, Paris 
(einige Bde auch Lpz.) o. J. (1877-83), umfaBt Kl.-A. 
v. (insgesamt 41) Opern u. Balletten: B. de Beaujo- 
yeulx (=Baltazarini), Ballet comique de la Reine; R. 
Cambert, Trio-bouffe de Cariselli, (jeweils d. 1. Akt v.) 
Pomone u. Lespeines et lesplaisirs de V amour; A. Campra, 
V Europe galante, Lesfestes vinitiennes, Tancrede; Ch.-S. 
Catel, Les Bayaderes; P. Colasse, Thitis et Pelie; A. 
Destouches, Isse, Omphale, Les elements (mit M.-R. De- 
lalande); J.Fr. le Sueur, Ossian; J.-B.Lully, Alceste, 
Armide, Atys, BelUrophon, Cadmus et Hermione, Isis, 
Persie, Phaeton, Proserpine, Psyche", Tliesee, Les saisons 
(mit P. Colasse); Fr. A.Philidor, Ernelinde; N.Piccinni, 
Didon, Roland; J.-Ph. Rameau, Castor et Pollux, Darda- 
nus, Lesfestes d'Hibe, Hippolyte et Aricie, Les Indes ga- 
lantes, Platte, Zoroastre; A.Sacchini, Chimene ou le Cid, 
Renaud; A. Salieri, Les Danatdes, Tarare. 

2) Paliographie musicale (Pal. mus. ; Untertitel: Les 
principaux ms. de chant gregorien, ambrosien, moz- 
arabe, gallican, publies en fac-similes phototypiques 
par les Benedictins de Solesmes), unter d. Leitung v. 
Dom A.Mocquereau u. Dom J. Gajard (ab 1930) zur 
zentralen Publikation ma. Choralhss. geworden, 2 
Serien = 19 Bde (zum groBten Teil in Lieferungen er- 
schienen; d. nachfolgende Aufzahlung gibt d. Erschei- 
nungsjahr d. jeweils 1. Lieferung an), Solesmes bzw. 
Tournai (Bd VIII-XV) 1889-1958 (d. Reihe soil nicht 
mehr fortgesetzt werden), enthalt neben d. Reproduk- 
tionen auch Ubertragungen u. groBere Abh. zur Cho- 
ralgesch. u. -notation ; es erschienen in d. 1 . Serie : Bd I 
(1889), Antiphonale missarum Sancti Gregorii (Codex 339 
St.Gallen, 10. Jh.); II/III (1891/92), Responsoriengra- 



203 



Denkmaler (Frankreich) 

duale Justus utpalma (nach iiber 200 hs. Antiphonarien, 
9.-17. Jh.) ; IV (1894), Antiphonak missarum Sandi Gre- 
gorii (Codex 121 Einsiedeln, 10./11. Jh.); V-VI (1896/ 
1900), Antiphonarium Ambrosianum (Codex additional 
34209 Brit. Mus., 12. Jh.) ; VII- VIII (1901), Antiphonak 
tonarium missarum (Codex H. 159 Montpellier, 11. Jh.); 
IX (1905), Antiphonaire monastique (Codex 601 Lucca, 
12. Jh.); X (1909), Antiphonak missarum Sancti Gregorii 
(Codex 239 Laon, 9./10. Jh.); XI (1912), Antiphonak 
missarum Sancti Gregorii (Codex 47 Chartres, 10. Jh.); 
XII (1922), Antiphonaire monastique (Codex F. 160 
Worcester, 13. Jh.); XIII (1925), Graduel de Saint- 
Yrieix (Codex 903, Bibl. Nat. Paris, 11. Jh.); XIV 
(1931), Graduel biniventain (Codex lat. 10673 Bibl. 
Vaticana, 11. Jh.); XV (1937, abgeschlossen Solesmes 
1951), Graduel de Bine" vent avec prosaire et tropaire (Co- 
dex VI.34 Benevent, 11./12. Jh.); XVI (1955), Le ma- 
nuscritdu Mo/jf-i?e»<B«/(Gradualeu. AntiphonarNoyon, 
10. Jh.) ; XVII (1958), Fragments des manuscrits de Char- 
tres. - In d. 2. Serie (»Serie monumentale«) : I (1900), 
Antiphonaire du B.Hartker (Codex 390/391 St.Gallen, 
10. Jh.); II (1924), Cantatorium (Codex 359 St.Gallen, 
9.Jh.). 

3) Les Maitres musiciens de la Renaissance francaise, erste 
bedeutende D.-Publikation frz. Mehrstimmigkeit (16. 
Jh.), hrsg. (in moderner Notation mit Faks. u. kri- 
tischen Anm.) v. H. Expert in 23 Bden (ohne Bd- 
Nr), Paris 1894-1908 (abgebrochen) : 2 Bde Messen 
(1898/99), enthaltend A.Brumel, Missa De beata virgi- 
ne, P. de la Rue, Missa Ave Maria, A. de Fevin, Missa 
Mente tota, J.Mouton, Missa Alma redemptoris (d. Mes- 
sen v. de la Rue u. Fevin sind A. de Antiquis' »Liber 
XV missarum« entnommen) ; P. Attaingnant, Sam- 
meldruck Trente et une chansons musicales v. 1529 (1897), 
eine aus seinen »Livres de danceries« zusammengestellte 
Slg Danceries mit Instrumentaltanzen v. E. Dutertre, 
CI. Gervaise u. Anonymi (1908, nur Bd I) ; E. du Caur- 
roy, Meslanges de musique (1903); G.Costeley, Musique 
(3 Bde, I 1896, II/III 1904); CI. Goudimel, 150 pseaul- 
mes de David (3 Bde, 1895/96/97); Cl.Janequin, d. bei 
P. Attaingnant 1528 erschienenen Chansons (1898); CI. 
le Jeune, erstes Viertel d. Dodecacorde (1900), Le prin- 
temps (3 Bde, I 1900, II/III 1901), ein Teil d. Livre de 
melanges (1902), Pseaumes en vers mesures (3 Bde, I/II 
1905, III 1906); O. de Lassus, 1. Teil d. Meslanges v. 
1576 (1894); J.Mauduit, Chansonettes mesurees (1899); 
Fr.Regnart, Poisies de P. de Ronsard et autres pokes 
(1902). 

4) Archives des maitres de I'orgue, grofi angelegte Ausg. 
d. alteren frz. Orgelmusik (16.-18. Jh.), hrsg. v. A. 
Guilmant (mit biogr. Einfuhrungen v. A.Pirro), 10 
Bde, Paris 1898-1910 (sparer Mainz): Bd I (1898), J. 
Titelouze, »CEuvres completes d'orgue«; II (1899), A. 
Raison, Livre d'orgue; III (1901), Fr.Roberday, Fugues 
et caprices, L.Marchand, »Pieces choisies«, L.N.Cle- 
rambault, Premier livre d'orgue, P. du Mage, Premier 
livre d'orgue (mehr nicht erhalten), L.-Cl.Daquin, Livre 
de Noels; IV (1902), N.Gigault, Livre de musique; V 
(1904), N. de Grigny, Premier livre d'orgue (alles Erhal- 
tene), Fr. Couperin (le grand), »Pieces d'orgue« (2 Mes- 
sen ; als Autor ist irrtiimlich Fr. Couperin d. Altere an- 
gegeben), L.Marchand, nur d. hs. erhaltenen (also 
nicht in »Pieces choisies« hrsg.; s. o. Ill) Orgelstiicke; 

VI (1905), J.Boyvin, »CEuvres completes d'orgue«; 

VII (1906), J. Fr. Dandrieu, Premier livre de pieces d'orgue, 
J.A.Guilain, Le Magnificat; VIII (1907), S.A.Scherer, 
»CEuvres d'orgues« (Tabulatura in cymbalo et tympano); 

IX (1909), N.Lebegue, »CEuvres completes d'orgue«; 

X (1910), Liber fratrum cruciferorum (Liitticher Orgel- 
sammelwerk .aus d. 1. Halfte d. 17. Jh. mit Werken v. 
A. Gabrieli, CI. Merulo, J. P. Sweelinck u. a.) . 



5) Monuments de la musique francaise au temps de la Re- 
naissance, hrsg. v. H. Expert (in Fortfuhrung d. nicht 
abgeschlossenen »Maitres musiciens«; s. o. 3), 10 Bde, 
Paris 1924-29 (ein 11. Bd 1960): Bd I (1924), CI. le 
Jeune, Octonaires (Schlufiteil in VIII) ; II (1925), P. Cer- 
ton, Messen Sur le pont d' Avignon, Adiuva me, Regnum 
mundi; III (1925), Didier le Blanc, Airs de plusieurs mu- 
siciens; IV- VII, A. de Bertrand, Amours de P. de Ron- 
sard (1 . Buch, IV/V, 1926; 2. Buch, VI, 1927), Troisieme 
livre de chansons (VII, 1927); VIII (1928), CI. le Jeune, 
Octonaires (SchluB v. I), Ausw. aus Dix pseaumes de 
David u. Second livre des meslanges; IX (1928), CI. Gou- 
dimel, Missae tres; X-XI (1929/60), P. de L'Estocart, d. 
1. u. 2. Livre des Octonaires. 

6) Monuments de la musique ancienne, Serie I d. »Publica- 
tions de la Soc. f re. de musicologie« (Serie II : Docu- 
ments, inventaires et catalogues; III: Etudes), Paris 
1925-63 (wird fortgef iihrt) : Bd I (1925), Deux livres 
d'orgue (v. 1531 bei P. Attaingnant); II (1926), »CEuvres 
inedites de Beethoven«; III-IV (1927/29, falschlich IV- 
V numeriert), »Chansons au luth et airs de cour frc.« 
(aus d. 16. Jh.) ; V (1930), Treize motets et un prelude 
reduits en la tablature des orgues (P. Attaingnants Slg v. 
1531); VI- VII (1931-33), D. Gaultier, La Rhkorique 
des Dieux et autres pieces de luth (Faks. u. Obertragung) ; 
VIII (1934), J.H.d'Anglebert, Pieces de clavecin; IX 
(1935), J.-J. de Mondonville, Pikes de clavecin en sonates 
avec accompagnement de violon; X (1936), »Le ms. de mu- 
sique polyphonique du tresor d'Apt (geistliche Werke, 
Ende 14. - Anfang 15. Jh.); XI-XII (1944-48), A. 
Boieldieu, Sonates pour le Piano-Forte; XIII (1952), G. 
Jullien, Premier livre d'orgue; XIV (1958), G.Nivers, 

Troisieme livre d'orgue; XV (1959), Gautier de Coinci, 
Les chansons a la Vierge; XVI (I960), »Airs de cour pour 
voix et luth« (1603-1643) ; XVII (1963), »Anth. du mo- 
tet latin polyphonique en France« (1609-1661). 

7) Monumenta musicae sacrae (Untertitel : Collection de 
mss. et d'etudes), hrsg. v. Dom R.-J.Hesbert OSB, 
Macon, ab Bd III Rouen 195215. : Bd I (1952), Le pro- 
saire de la Sainte-Chapelk (Ms. du chapitre de Saint- 
Nicolas, Bari, um 1250); II (1954), »Les mss. mus. de 
Jumieges« (10.-15. Jh.) ; III (1961), Le prosaire d'Aix-la- 
Chapelk(Ms. 13 d.Domstifts Aachen, Anfang 13. Jh.). 

8) Les Luthistes, hrsg. v. J.Jacquot, Paris 1957ff. (d. 
Bde werden im Original nicht gezahlt; sie folgen 
hier nach d. Reihenfolge d. Erscheinens) : (I, 1957), G. 
Morlaye, Psaumes de P.Certon riduits pour chant et luth; 
(II, I960), A. le Roy, Premier livre de tabulature de luth 
(1551); (III, 1962), A. le Roy, »Fantaisies et danses« aus 
A Briefe and easye Instruction (1568); (IV, 1962), A. le 
Roy, »Psaumes« (enthalt d. Tiers livre de tabulature de 
luth contenant vingt & un pseaulmes, 1552, u. 8 Psalmen 
aus A Briefe and plaine Instruction, 1574); (V, 1963), R. 
Ballard, »Premier livre (1611)«; (VI, 1964), R.Ballard, 
»Deuxieme livre (1614) et Pieces diverses«. 
GroBbritannien. 

1) Publications of the Musical Antiquarian Society, eine f. 
d. Mitte d. 19. Jh. bedeutsame NA-Reihe »v. seltenen 
u. wertvollen Werken d. friihen engl. Komponisten« 
(Satzung d. Ges.), 19 nicht numerierte Bde (dazu KL- 
Ausg. in 16 jeweils entsprechenden Bden), London 
(1840-48): Th.Bateson, Anthems (Bd XIV) u. The 
First Set of English Madrigaks (XVII) ; J.Bennet, Madri- 
galls to Foure Voyces (XV); W.Byrd, Mass in Five 
Parts (I) u. Liber primus sacrarum cantionum (VI) ; J. Dow- 
land, The First Booke of Songes or Ayres (XII); M.Este 
(= East), Anthems (XIV) ; Th. Este ( = East), The Whole 
Booke ofPsalmes (XI); Th.Ford, Anthems (XIV); O. 
Gibbons, The First Set of Madrigals and Motets (III) u. 
Fantasies of Three Parts (IX) ; J.Hilton, Ayres, or Fa la's 
(XIII); W. Holes Sammelwerk Parthenia (1611/12; d. 



204 



erste gedruckte Virginalmusik) mit Werken v. W. 
Byrd, J.Bull u. O. Gibbons (XVIII); Th.Morley, The 
Firste Booke of Ballets (V); H.Purcell, Dido and Aeneas 
(IV), Bonduca (VII), King Arthur (X), Ode composed for 
St.Cecilia's Day 1692 (XIX); Th.Weelkes, Madrigals 
of Five Parts (VIII) u. Anthems (XIV) ; J. Wilbye, The 
First Set of English Madrigals (II) u. The Second Set of 
Madrigales (XVI). 

2) The Old English Edition, hrsg. v. G.Arkwright, 25 
Bde, London u. Oxford 1889-1902: Bd I (1889), Th. 
Campian, Masque in honour of the Marriage of Lord 
Hayes (1607; enthalt auch einige Songs v. Th. Giles u. 
Th.Lupo); II (1890), Th.A.Arne, »Six Songs«; III-V 
(1891/92), G.Kirbye, The First Set of English Madrigalls 
(1597); VI-IX (1892-93), W.Byrd, Songs of Sundrie 
Natures (1589); X (1893), Chr.Tye, Messe Euge bone; 
XI-XII (1894), A.Ferrabosco(I), 9 Madrigale aus N. 
Yonges »Musica Transalpina« (1588-97); XIII-XV 
(1895), Th.Weelkes, TheBalletts and Madrigals (1598); 
XVI-XVII (1895-96), Th.Weelkes, Ayres or Phan- 
tasticke Spirites (1608); XVIII-XX (1898), Fr.Pilking- 
ton, The First Booke of Songs or Ayres (1605) ; XXI 
(1898), Motetten u. Anthems v. G.Daman, G.Kirbye, 
R.White u. J. Wilbye; XXII (1900), J.Milton, »Six 
Anthems«; XXIII (1900), J. Blow, »Six Songs«; XXIV 
(1901), H.Purcell, 6 Songs aus Orpheus Britannicus; 
XXV (1902), J. Blow, Venus and Adonis. 

3) The English Madrigalists (EMS), alter Titel bis Bd 
XX: The English Madrigal School, umfassende Veroff. 
d. Madrigalschaffens zur Zeit d. elisabethanischen Epo- 
che, hrsg. v. E. H. Fellowes, 36 Bde, London 1913-24 
(einige Bde auch in 2. Auflage; eine v. Th.Dart revi- 
dierte NA begann in d. letzten Jahren zu erscheinen u. 
ist durch Angabe d. Erscheinungsjahres gekennzeich- 
net) : Bd I-I V, Th. Morleys weltliche Vokalwerke (I, 
1956, The First Booke of Canzonets u. Canzonets, Or 
Little Short Songs; II, d. 1. Ausg. d. Madrigalls u. 2 
Kanzonetten aus d. v. ihm selbst hrsg. Slg. »Canzonets 
... of the best and approved Ital. Authors«; III, Can- 
zonets or Little Short Aers u. 2 Madrigale aus d. Sam- 
melwerk »The Triumphes of Oriana«, s. u. XXXII; 
IV, The Firste Booke ofBalletts); V, O. Gibbons, The 
First Set of Madrigals and Motets; VI-VII, J. Wilbye, 
GA (VI, The First Set of English Madrigals sowie 1 Ma- 
drigal u. 2 Motetten aus anderen Slgen; VII, The 
Second Set of Madrigals) ; VIII, J. Farmer, English Madri- 
gals u. d. Madrigal aus »Triumphes . . . « ; IX-XIII, Th. 
Weelkes, samtliche Madrigale (IX, The Madrigals; X, 
The Balletts and Madrigals; XI, Madrigals of Five Parts; 
XII, Madrigals of Six Parts; XIII, Ayres or Phantasticke 
Spirites u. ein Madrigal aus »Triumphes ...«); XIV- 

XVI, W.Byrd, gesammelte Madrigale (XIV, aus 
Psalmes, Sonets & Songs u. 2 Madrigale aus N. Yonges 
Sammelwerk »Musica Transalpina«; XV, aus Songs of 
Sundrie Natures; XVI, aus Psalmes, Songs and Sonnets u. 
ein Madrigal aus Th. Watsons »Italian Madrigalls«); 

XVII, H.Lichfild, The First Set of Madrigals; XVIII, 
Th.Tomkins, Songs u. ein Madrigal aus »Triumphes 
. . .«; XIX, J. Ward, The First Set of English Madrigals; 
XX, G.Farnaby, Canzonets; XXI-XXII (1958/60), 
Th.Bateson, d. beiden Sets of Madrigals; XXIII, J. 
Bennett, Madrigalls, ein Madrigal aus »Triumphes ...* 
u. 2 Songs aus Th. Ravenscrof ts Traktat »A Brief Dis- 
course*; XXIV (1961), G.Kirbye, English Madrigalls u. 
ein Madrigal aus »Triumphes . . .«;XXV-XXVI(1959/ 
58), Fr. Pilkington, d. beiden Biicher Madrigals and 
Pastorals; XXVII (1960), R.Carlton, Madrigals u. ein 
Madrigal aus »Triumphes ...«; XXVIII, H.Youll, 
Canzonets; XXIX-XXXI, M.East, d. Madrigalwerk 
(XXIX, 1960, Madrigales; XXX, 1961, The Second Set 
of Madrigales u. ein Madrigal aus »Triumphes . . . « ; 



Denkmaler (Grofibritannien) 

XXXI, 1962, d. Madrigale aus d. 3. u. 4. Set ofBookes); 

XXXII, d. v. Th.Morley 1601 veroffentlichte Sam- 
melwerk The Triumphes ofOriana; XXXIII (1961), R. 
Alison, An Howres Recreation in Musicke; XXXIV 
(1958), Th. Vautor, Songs of Divers Ayres and Natures; 
XXXV (1961), R.Jones [The First Set of Madrigals) u. 
J. Mundy (Madrigale aus Songs and Psalmes) sowie v. 
beiden je ein Madrigal aus »Triumphes . . . «; XXXVI, 
M. Cavendish (Airs aus Tabletorie to the Lute sowie ein 
Madrigal aus »Triumphes ...«), Th. Greaves (Madri- 
gale aus Songs of Sundrie Kindes), W.Holborne (Airs 
aus seiner »Cittharn-School«). 

4) The English School of Lutenist Song-Writers (kurz 
auch English Lute-Songs), nach Originaldrucken d. 
friihen 17. Jh. hrsg. v. E. H. Fellowes, 2 Serien zu 16 
bzw. 17 Bden, London 1920-27 (eine v. Th.Dart revi- 
dierte NA sowie weitere Bde, gekennzeichnet durch 
Jahresangabe, erscheinen seit 1959): 1. Serie (1920-24; 
jedes Stuck sowohl in urspriinglicher Notation als 
auch in Ubertragung) : Th. Campian, d. 1. Buch v. Ph. 
Rosseters A Booke of Ayres (Bd IV u. XIII) ; J. Coperario, 
Funeral Teares, Songs of Mourning u. The Masque of 
Squire (XVII, 1959); J.Dowland, alle Lautenlieder aus 
d. 1., 2. u. 3. Booke of Songes or Ayres (I— II, V-VI, X- 
XI) sowie A Pilgrimes Solace (XII u. XIV); Th.Ford, 
1. Buch d. Musicke of Sundrie Kindes (III); Th.Morley, 
The First Booke of Ayres (XVI, 21959); Fr. Pilkington, 
d. Tabulaturstiicke aus The First Booke of Songs or Ayres 
(VII u. XV); Ph.Rosseter, 2. Buch d. Slg A Booke of 
Ayres (VIII-IX; 1. Buch s. o. unter Campian). - 2. 
Serie (1925-27; Bearb. f. Kl.) : J. Attey, The First Booke 
of Ayres (IX); J.Bartlet, A Booke of Ayres (III); Th. 
Campian, 1.-4. Booke of Ayres (I— II, X-XI) ; M. Caven- 
dish, d. Lieder aus d. v. ihm selbst hrsg. Slg Ayres in 
Tabletorie to the Lute (VII); W.Corkine, 1. u. 2. Booke 
of Ayres (XII-XIII) ; J. Danyel, Songs for the Lute, Viol 
and Voice (VIII) ; John Earsden, The Ayres . . . 1618 
(XVIII, 1962) ; A.Ferrabosco(II), Ayres (XVI) ; Thomas 
Greaves, d. Lautenlieder aus Songes of Sundrie Kindes 
1604 (XVIII, 1962); R.Johnson, Ayres, Songs and Dia- 
logues (XVII, 2 1961); R.Jones, alle Airs zur Laute aus 
d. 1., 2., 3. (Ultimum Vale), 4. (A Musicall Dreame) u. 
5. {The Muses Gardin for Delight) Booke of Songs and 
Ayres (IV, VI, XIV-XV); George Mason, The Ayres 
. . . 1618 (XVIII, 1962). 

5) Tudor Church Music, bedeutende Ausg. engl. Kir- 
chenmusik d. 16./17. Jh., im Auftrag d. Carnegie 
United Kingdom Trust hrsg. unter d. Leitung v. E.H. 
Fellowes, 10 Bde, London (1923-29; dazu ein Ergan- 
zungsbd 1948): J.Taverner, GA d. kirchlichen Schaf- 
fens (Bd I, Messen; III, Motetten); W.Byrd (II, angli- 
kanische Kirchenmusik; VII, d. beiden Biicher Gra- 
dualia; IX, Messen sowie d. Satze aus d. mit Th.Tallis 
hrsg. Cantiones . . . sacrae) ; O. Gibbons, d. gesamte 
geistliche Schaffen (IV); R.White, alle Vokalwerke 
(V); Th.Tallis, lat. Kirchenmusik (VI); Th.Tomkins, 
Ausw. aus Musica deo sacra (VIII); J.Marbeck ( = Mer- 
becke), alle mehrst. Werke (X); H.Ashton, aufier 2 
Motetten d. gesamte Kirchenschaffen (X); O. Parsley, 
5 geistliche Satze (X). 

6) Musica Britannica (Mus. Brit. ; Untertitel: A National 
Collection of Music), 1951 begonnene Publikation 
engl. Musik v. MA bis zum fruhen 19. Jh., hrsg. in 
London f. d. Royal Mus. Ass. unter d. Leitung v. A. 
Lewis u. a.; bisher erschienen: Bd I (1951, 2 1954), d. 
aus d. 2. Halfte d. 16. Jh. stammende Hs. The Mulliner 
Book (ausgenommen d. nicht f. Tasteninstr. bestimm- 
ten Stiicke); II (1951), M.Locke u. Chr. Gibbons, 
Masque Cupid and Death; III (1951), Th.A.Arne, 
Masque Comus; IV (1952, 21958), »Mediaeval Carols«; 
V (1955), Th.Tomkins, »Keyboard Music«; VI (1953), 



205 



Denkmller (Italien) 

J.Dowland, Ayresfor Four Voices; VII (1953), J. Blow, 
»Coronation Anthems« u. » Anthems with Strings«; 
VIII (1953), J.Dunstable, »Complete Works«; IX 
(1955), »Jacobean Consort Music«; X-XII (1956/58/ 
61), The Eton Choirbook (Eton Ms. 178, urn 1500) ; XIII 
(1957), W.Boyce, »Overtures«; XIV (1960), J.Bull, 
»Keyboard Music«, 1. Teil (2. Teil s. u. XIX); XV 
(1957), »Music o£ Scotland 1500-1700«; XVI (1959), 
St.Storace, No Song, no Supper; XVII (1961), J. Field, 
»Piano Concertos«; XVIII (1962), »Music at the Court 
of Henry VIII« (Henry VIII's Manuscript, Brit. Mus. 
Add. MS 31922); XIX (1963), J.Bull, »Keyboard Mu- 
sic*, 2. Teil (s. o. XIV) ; XX (1962), O. Gibbons, »Key- 
board Music«; XXI (1963), W.Lawes, »Select Consort 
Music«. 

7) Early English Church Music, veroffentlicht f . d. British 
Acad., London o. J. (1963ff.): Bd I, »Early Tudor 
Masses«, 1. Teil (Richard Alwood, Missa ,Praise Him 
Praiseworthy', u. Th.Ashwell, Missa ,Ave Maria'); II, 
W.Mundy, »Latin Antiphons and Psalms «; III, O. 
Gibbons, » Verse Anthems«; IV, »Early Tudor Magni- 
ficats«, 1. Teil. 
Italien. 

1) Raccolta di musica sacra, eine d. ersten groBeren 
Slgen v. NA alter Musik, hrsg. in 7 Bden v. P. Alfieri, 
Rom (1841^16) : Bd I- VI, ausgew. Werke v. Palestrina 
(I, Biogr. u. 6 Messen; II, Motetten; III, Hymni totius 
anni v. 1589; IV, Lamentationum Hieremiae Prophetae 
liber primus v. 1588; V, Offertoria totius anni v. 1593; 
VI, Motetten) ; VII, neben Palestrinas Magnificat octo 
tonum liber primus (1591) d. Te Deum v. C.Festa, eine 
Lamentatio v. E. Genet u. je eine Motette v. "CI. Goudi- 
mel u. Chr. Morales. 

2) Biblioteca di rarith musicali, NA-Reihe hauptsachlich 
v. Lautentabulaturwerken in moderner Notenschrift, 
hrsg. v. O.Chilesotti, 9 Bde, Mailand (1883-1915): 
Bd I (1883), »Danzi del s. XVI« (aus F.Carosos Nobilita 
di dame u. C.Negris Le gratie d'Amore); II (1884), G. 
Picchi, Intavolatura di balli d'arpicordo; III (1885), G. 
Stefani, Affetti amorosi canzonette ad una voce sola v. 1623 
sowie 4 Recitativi v. St.Pesori; IV (1886), B.Marcello, 
Intreccio scenico-mus. Arianna (im Kl.-A.) ; V (1892), 
O.Vecchi, Selva di varia ricreatione ... v. 1590 (daraus 
nur »Arie, canzonette e balli«) ; VI (1909), G. Frescobal- 
di, Partiten aus d. 1. Buch Toccate e partite d' intauolatura 
di cimbalo (1615) ; VII (1914), d. »Airs de cour« aus J.-B. 
Besards Thesaurus harmonicus v. 1603; VIII (1915), 
»Musica del passato« (Lautentanze d. 16.-18. Jh. f. Kl. 
eingerichtet) ; IX (1915), Ausw. v. »Madrigali, villa- 
nelle ed arie di danza« aus d. Werken J.-B. Besards. 

3) L'Arte musicale in Italia (Untertitel: Pubblicazione 
nazionale delle piu importanti opere mus. ital. dal s. 
XIV al XVIII), hrsg. v. L.Torchi, 7 Bde (urspriinghch 
auf 34 Bde geplant), Mailand, Rom, Paris u. a. (1897- 
1907): Bd I — II, »Composizioni sacre e profane a piu 
voci« (Vokalwerke v. insgesamt 38 Meistern d. 14.- 
16. Jh.); Ill, »Composizioni per org. o cemb.« (35 
Meister d. 16.-18. Jh.); IV, »Composizioni a piu voci« 
(Madrigale u. Madrigalkomodien v. 7 Meistern d. 17. 
Jh.) ; V, »Composizioni ad una e piu voci« (neben Solo- 
kantaten d. 17. Jh. Ausziige aus St. Landis Dramma 
mus. II S.Alessio u. d. anon. Oratorium Daniel, ins- 
gesamt 13 Meister); VI, »La musica scenica« (J. Peris 
L'Euridice u. CI. Monteverdis Combattimento di Tancredi 
e Clorinda u. Ballo dell'ingrate); VII, »Musica instr.« (7 
Meister d. 17. Jh.). 

4) I Classici delta musica italiana (gleichzeitig in 156 
Einzelheften erschienen als Raccolta nazionale delle mu- 
siche italiane), unter d. Leitung v. G.d'Annunzio hrsg. 
v. G. Fr. Malipiero, C.Perinello, I.Pizzetti u. Fr.B. 
Pratella, 36 Bde (v. 150 geplanten), Mailand (1919-21) : 



Bd I (=H. 1-3 d. Raccolta), A.Banchieri, »Musiche 
corali« (Ausw. aus La Pazzia senile, II Festino nella sera 
u. Trattenimento in villa); II (=4-8), G.B.Bassani, So- 
lokantaten u. einzelne Arien; III (=164-165), L. 
Boccherini, Sonaten f. Vc. u. KL; IV (=9-12), G. 
Caccini, Madrigale; V (=13-18), G.Carissimi, Aus- 
ziige aus d. Oratorienjep/jte u. Jonas sowie im Judicium 
Salomonis; VI (=23-27), G.Cavazzoni, 3 Messen u. 22 
Orgelstiicke; VII, L.Cherubini, »Arie« (Opernarien 
nebst 3 Ouverturen) ; VIII (= 176-181), M.Clementi, 
Kl.-Sonaten; IX (=28-34 u. 289-290), A.Corelli, 
Concerti grossi (aus op. 6) ; X (= 35-36), E. de' Ca- 
valieri, Teile im Kl.-A. v. La Rappresentazione di anima 
e di corpo; XI (=40-42 u. 303), Fr. Durante, »Studi, 
divertimenti e toccate« (Cemb -Werke) ; XII (=43- 
47), G.Frescobaldi, ausgew. Orgelwerke; XIII (=54- 
58), B.Galuppi, samtliche Arien aus II Filosqfo di cam- 
pagna; XIV (=59-62), C.Gesualdo (da Venosa), 14 
Madrigale; XV (=63-66), N.Jommelli, 12 Arien aus 
La Passione di Gesit Cristo; XVI (=155-156 u. 205), 
Instrumentalkompositionen v. F.G.Bertoni u. P.Lo- 
catelli; XVII (=67-71), B.Marcello, 4 Solokantaten 
u. 5 Cemb.-Werke; XVIII (=72-75), Padre G.Mar- 
tini, 6 »Sonate per pianoforte«; XIX (= 76-79 u. 224- 
225), CI. Monteverdi, Ausziige aus // Combattimento di 
Tancredi e Clorinda; XX (= 80-81), G. Paisiello, Auszii- 
ge aus La Pazza per amore; XXI (= 82-84), G. P. Pa- 
lestrina, »Canzonette e madrigali«; XXII (= 85-88 u. 
304-305), P.D.Paradies, Kl.-Sonaten; XXIII (=89- 
94 u. 306-307), G.B.Pergolesi, Kl.-A. v. La Serva 
padrona u. Livietta e Tracollo sowie d. Stabat Mater; 
XXIV (=95-96), J. Peri, Arien aus Euridice; XXV 
( = 104-107) , N. Porpora, 4 V.-Sonaten ; XXVI (=110- 
113), M.A.Rossi, »Composizioni per org. e cimbalo«; 

XXVII (=276-281), G.M.Pl.Rutini, Kl.-Sonaten; 

XXVIII (=114-119), G.B.Sammartini, 6 Sonate not- 
turne op. 7 (Triosonaten) ; XXIX (=266-267 u. 284), 
G.B.Serini, 2 Sonaten f. Cemb., P.G.Sandoni, 3 So- 
naten u. 5 Sonatensatze f. Cemb.; XXX (= 120-125), 
A.Scarlatti, Kantaten; XXXI (=126-130), D.Scar- 
latti, Essercizi per gravicembalo; XXXII (= 131-136), G. 
Tartini, 8 Sonaten; XXXIII ( = 286-288), Fr.Turini, 
Cemb.-Sonaten; XXXIV (=139-144), Fr.M.Vera- 
cini, V.-Sonaten aus op. 1; XXXV (=294-297), A. 
Vivaldi, Le Stagioni; XXXVI (= 145-150), D.Zipoli, 
Sonate d' intauolatura (1. Teil). 

5) Istituzioni e monumenti dell' arte musicale italiana, ver- 
schiedene Herausgeber, 6 Bde, Mailand 1931-39 (seit 
1957 Fortfuhrung in einer »Nuova serie«): Bd I — II 
(1931-32), »Andrea e Giovanni Gabrieli e la musica 
instr. in San Marco« (1. Teil, Vokal- u. Instrumental- 
musik vor 1590; 2. Teil, Ausw. v. Canzonen u. Sona- 
ten aus G.Gabrielis Sacrae Symphoniae v. 1597); III 
(1933), »Le capelle mus. di Novara dal s. XVI ai prim- 
ordi deU'ottocento« (Werke v. G. Battistini) ; IV 
(1934), »La camerata fiorentina« (Werke v. V. Galilei) ; 
V (1934), »L'oratorio dei Filippini e la scuola mus. di 
Napoli«, 1. Teil (mehr nicht erschienen), »La polifonia 
cinquecentesca ed i primordi del s. XVII« (geistliche 
a cappella- Werke v. G.D.Montella, G.M.Trabaci u. 
C.Gesualdo; VI (1939), »La musica in Cremona nella 
seconda meta del s. XVI e i primordi dell'arte Monte- 
verdiana« (M. A. Ingegneri, Ausw. aus d. 1.-4. Libro 
de madrigali; CI. Monteverdi, Sacrae Cantiunculae u. 
Canzonette 3 vocum). - »Nuova serie«: Bd I (1956), »La 
cappella mus. del duomo di Milano«, 1. Teil, »Le ori- 
gini e il primo maestro di cappella: Matteo da Perugia« 
(GA); II (1963), Abh. v. F.Torrefranca, »G.B.Platti e 
la sonata moderna«; III (1964), »Le frottole per canto 
e liuto intabulate da Franciscus Bossinensis«. 

6) Capolavori polifonici del secolo XVI, hrsg. v. B. Som- 



206 



ma, Rom 1939ff.: Bd I (1939, 21956), A.Banchieri, It 
Festino nella sera del giovedi grassi; II (1941, 21958), O. 
Vecchi, he Veglie di Siena; HI (1942), G.Croce, Triaca 
muskale; IV (1947), A. Striggio, II Cicalamento delle 
donne al bucato ; V (1954), O. Vecchi, L'Amfipamaso. 

7) J Classki musicali italiani (Fondazione Eugenio Bravi), 
urspriinglich auf 60 Bde geplantes, jedoch nach d. Tod 
d. leitenden Herausgebers, G.Benvenuti, abgebroche- 
nes Unternehmen, 15 Bde, Mailand 1941-43 (auBer 
Bd XIV, d. erst 1958 erschien) : Bd I, Orgelwerke v. 
M. A. Cavazzoni (Recercari, Motetti, Canzoni), G.Fogli- 
ano, G. Segni u. Anonymi (»Ricercari e Ricercate«) ; II, 
B.Marcello, 6 »Cantate per contralto e per soprano«; 
III, F.Giardini, 6 Sonate per cembalo con violino o flauto 
traverso op. 3; IV, L.Boccherini, Sonate per cembalo con 
violino op. 5; V, A.Gabrieli, »Musiche di chiesa« (5 
Werke zu 5-16 St. aus d. Concerti v. 1587) ; VI, F. 
Giardini, 2 Streichquartette aus 6 Quartette's op. 23; 

VII, N.Piccinni, Oper La buona figliuola (Kl.-A.); 

VIII, B.Marcello, Oratorium Joaz (Kl.-A.); IX, CI. 
Monteverdi, L'Orfeo (Kl.-A.); X, S.D'India, // pri- 
mo libro de madrigali; XI, Padre G.Martini, 3 Cemb.- 
Konzerte (Orch. im K1.-A.); XII, G. B. Grazioli, 12 
Cemb.-Sonaten op. 1 u. 2; XIII, A.Scarlatti, II primo 
e secondo libro di toccate; XIV, P.Locatelli, d. ersten 6 d. 
XII Sonate a violino solo e basso da camera op. 6; XV, C. 
Graziani, Six sonates a violoncelle et basso op. 3. 

8) Pubblicazioni dell' Istituto italiano per la storia delta mu- 
sica, 4 Abt., Rom 1941f£.: 1. Abt. (Antologie e Rac- 
colte), Bd I (1941), d. v. G. de Antiquis hrsg. beiden 
Bucher Villanelle alia napolitana (Komponisten d. 16. 
Jh. aus Bari); 2. Abt. (Monumenti I), I-III (I, 1942, 
21956; II, noch nicht erschienen; III, 1957), C.Gesual- 
do, d. 1. bzw. 3. Buch d. Madrigali; 3. Abt. (Monu- 
menti II), I (1942), P.Nenna, d. 1. u. 4. Libro de Madri- 
gali; 4. Abt. (Monumenti III), G.Carissimi, »Historie 
e Oratori« (1, 1951, Historia dijob u. Historia diEzechia; 
II, 1953, Historia di Abramo e Isacco; III, 1953, Historia di 
Balthazar; IV, 1956, OratoriumExfremwm Dei Judicium; 
V, 1958, Dives malus; VI, 1960, Tolle, Sponsa; VII, 
1962, Daniele), »Messe e Motetti« (I, 1960, Missa a 3 
voci, Hodie Simon Petrus u. Cum reverteretur), »Cantate« 
(I, 1960, Dunque degl' horti miei, Ahi, non torna u. Sere- 
nade Sciolto havean). 

9) Monumenta polyphoniae liturgicae Sanctae Ecclesiae 
Romanae, hrsg. durch d. Soc. Universalis Sanctae Ce- 
ciliae v. L.Feininger, Rom 1947ff. (in neuerer Zeit 
Trient): 1. Serie (Ordinarium missae), Bd I (1948), je 
eine Missa super L'homme arme v. G.Dufay, A.Busnois, 
Ph.Caron, G.Faugues, J.Regis, J.Ockeghem, M. de 
Orto, Ph.Basiron, J.Tinctoris, B.Vacqueras; Bd II 
(4 Faszikel, 1951-63), Messen v. G.Dufay u. Anonymi; 
Bd III (1957-65), bisher Faszikel 1-3, 3 Messen L'homme 
arme v. Anonymi aus Hs. Neapel Ms. VI. E. ; Bd IV, 
Faszikel 1 (1965), G. Faugues, Missa vinus vina. - 2. Serie 
(Proprium missae), bisher nur Bd I (1947), »Auctorum 
anon, missarum propria XVI« (aus Codex Trient 88; 
lid. wiedergegebenen Satze werden G.Dufay zuge- 
schrieben). 

10) Monumenta liturgiae polychoralis Sanctae Ecclesiae 
Romanae, in mehreren Serien hrsg. v. L. Feininger (Soc. 
Universalis Sanctae Ceciliae), Rom (spater Trient) 
1950ff. : Serie I (Ordinarium missae), Abt. A (cum 
quatuor choris), Bd 1^ (1950/50/51/53), O.Benevoli, 
Messen Tu es Petrus, Benevola, Tira corda, Si deus pro 
nobis; 5 (1955), G.O.Pitoni, Missa Albana; 6 (1956), P. 
Petti, Missa in honorem Sanctae Ceciliae; 7 (1960), G. O. 
Pitoni, Missa San Pietro 1720; 8 (1963), O.Benevoli, 
Missa In angustiapestilentiae; Abt. B (cum tribus choris), 
Bd 1 (1958), O.Benevoli, Missa Angelus Domini; Abt. 
C (cum duobus choris), Bd 1 (1963), O. Benevoli, Missa 



Denkmaler (Italien) 

pastoralis; 2 (1963), Giovanni Giorgi, 2 Messen, Vin- 
centii Tozzi, Missa octo vocum. - Serie II (Psalmodia), 
Abt. A (cum sex choris), Bd 1 (1950), O.Benevoli, 
Psalm Dixit Dominus secundi toni; Abt. B (cum quatuor 
choris), Bd 1-4 (1951/51/54/54), O.Benevoli, Psalmen 
Dixit Dominus primi toni detto II Bello Carioso (desglei- 
chen ein Psalm iiber d. 8. Ton), Confitebor tibi Domine 
tertii toni u. Laudate pueri Dominum sexti toni (ein Psalm 
pro Bd); 5-7 (1959/60/60), G.O.Pitoni, Psalmen Di- 
xit Dominus octavi toni (ein Psalm pro Bd) ; 8 (1961), 
P.Pisari, Psalm Dixit Dominus quinti toni; 9 (1964), O. 
Benevoli, Canticum Magnificat tertii toni; 10-11 (1965), 
St.Fabri, Magnificat sexti u. octavi toni; Abt. C (cum tri- 
bus choris), Bd 1 (1955), O.Benevoli (nicht gesichert), 
Canticum Magnificat secundi toni; Abt. D (cum duobus 
choris), Bd 1 (1953), O.Benevoli, d. erste Magnificat 
sexti toni. - Serie III, Abt. A (Proprium de tempore), 
Bd 1-2 (1960-61), G. Giorgi, Liturgia paschalis u. Litur- 
gia pentecostes; Abt. B (Proprium de Sanctis), Bd 1 
(1962; in 2 Teilen), Officium de Beata Virgine. 

11) Maestri bolognesi, Veroff. aus d. Bibl. d. Konserva- 
toriums Giovanni Battista Martini in Bologna, Bo- 
logna 1953ff.: H. I (1954), G.Giacobbi, Intermedium 
L' Aurora ingannata; II (1953), F.Azzaiolo, II secondo 
libro de Villote; III (1955), Gh.Dattari, Le Villanelle; IV 
(1955), A.Trombetti, II primo libro delle Napolitane. 

12) Instituta et monumenta, eine Slg v. D.-Ausg., Texten 
u. Abh., hrsg. v. d. Bibl. Governativa u. d. Scuola Uni- 
versitaria di paleografia mus. in Cremona, mehrere 
Serien (hiernur Serie I, Monumenta), Cremona 1954ff.: 
Bd I (1954), d. ersten 3 Bucher Frottole v. O.Petrucci; 
II (1958), Sacre rappresentazioni (nach Codex 201 d. 
Bibl. Municipale d'Orleans); III (1964), A.Vivaldi, 
Oper Lafida ninfa. 

13) Classici italiani delta musica, eine Slg unveroffent- 
lichter Musik d. 18. Jh., hrsg. unter d. Protektorat d. 
Internationalen Musikrates (UNESCO) v. A. Bonac- 
corsi, Rom 1957ff.: Bd I (1957), L.Boccherini, 4 Quin- 
tettini op. 30 u. 6 Quartettini op. 33; II (1958), A. 
Vivaldi, Concerto in D dur u. F moll; III (1960), G. 
Brunetti, Sinfonie Nr 33 (// Maniatico) u. Nr 22 in 
Gmoll. 

14) Archivium musices metropolitanum mediolanense, hrsg. 
v. L.Migliavacca unter Mitwirkung v. A. Ciceri u. E. 
Consonni, Mailand (1958ff.): Bd I-V (1958-59), Fr. 
Gaffori, Messen (I-III), Magnificat (IV), Motetten (V) ; 
VI-VIII, Messen, Magnificat (VII, 1965) u. Motetten 
v. Anonymi (VI u. VIII noch nicht erschienen); IX 
(1961), Anonymi, Motetten ; X (1962), H. Isaac, Messen 
La bassadanza (oder ,La spagna'), Quant fai. Charge de 
deul u. Wohlauf gesell von hinnen; XI (1963), Gaspar van 
Weerbeke, Messen u. Motetten.; XII (1964)/Johannes 
Martini, »Magnificat e messe«. 

15) Monumenti di musica italiana, hrsg. v. O.Mischiati, 
G.Scarpat u. L.F.Tagliavini, Brescia u. Kassel, bisher 
nur Serie I (Werke f. Org. u. Cemb.) : Bd I (1961), T. 
Merula, »Composizioni«; II (1962), G. Frescobaldi, 
»Nove toccate inedite«; III (1964), G.M.Trabaci, 
»Composizioni«, 1. Teil (12 Ricercate aus Buch I, Nea- 
pel 1603). 

16) Collana di musiche veneziane inedite o rare, hrsg. v. d. 
Fondazione G.Cini, Mailand (1962ff.): Bd I (1962), 
G.M.Nanino, G.Croce, L.Bertani, H.Baccusi u. Ph. 
de Monte, I diporti delta villa in ogni stagione (5st. Ma- 
drigalzyklus nach Texten v. Fr.Bozza, Venedig 
1601); II (1963), G.M.Asola, 8st. Missa Regina coeli 
(aus : Liber secundus missas tres . . . continens, octonis voci- 
bus, Venedig 1588); III (1963), G.Zarlino, 9 5st. Ma- 
drigale; IV (1963), 9 5st. Madrigale v. A.Willaert 
(2), V.RufEo (2), M.A.Ingegneri (3), CI. Monteverdi 
(2); V (1963), G. B. Bassani, »Cantate a v. sola e b. c.« 



207 



Denkmaler (Niederlande) 

(8 vollstandige Kantaten u. 4 Einzelsatze) ; VI (1964), 
B.Galuppi, Passatempo al cembalo (6 Sonaten, 1781); 
VII (1964), A.Fr.Doni, Dialogo delta musica (Venedig 
1543), darin 28 Vokalsatze v. Cl.Veggio (4), V.Ruf- 
fo (1), M.Riccio (1), J.Arcadelt (3), A.Fr.Doni (2), G. 
Parabosco (5), J.Palazzo (1), T.Bargonio (1), M.No- 
varese (1), Noleth (1), Perison (1), Jachet de Berchem 
(1), Willaert (2), C. de Rore (1), J.Buus (1) u. Ano- 
nymi (2). 

17) Monumenti musicali mantovani, hrsg. v. Cl.Gallico, 
Mantua u. Kassel 1965ff.: I (1965), L.Viadana, Cento 
concetti ecclesiastki, 1 . Teil. 
Niederlande. 

1) Uitgave van oudere nord-nederlandsche meesterwerken, 
nach mehrmaliger Titelanderung ab Bd XXXV Uit- 
gave der Vereeniging voor Nederlandsche Muziekgeschiede- 
nis (Maatschappij tot bevordering d. Toonkunst), 45 
Bde, Utrecht, Amsterdam, Lpz. 1869-1939 (bis 1958 
noch 2 Bde) : Bd I (1869), J.P. Sweelinck, Regina coeli; 
II (1871), A.Valerius, Nederlandtsche Cedenck-Clanck 
(Ausw. d. nld. Werke); III (1871), Orgelkompositio- 
nen v. J. P. Sweelinck u. S. Scheldt; IV (1872), »Twaalf 
geuzeliedjess (aus d. Geusen-Liederbiichem v. 1588 u. 
spater); V (1873), Madrigale u. Chansons (insgesamt 
5) v. C.Schuyt u.J. P. Sweelinck; VI- VII (1876/77), J. 
P. Sweelinck, 8 Psalmen sowie Chansons (nebst Biogr.); 
VIII (1878), Ausw. aus J.Wannings LII Sententiae; IX 
(1880), J.Obrecht, Messe Fortuna desperata; X (1882), 
»Oudnederlandsche danswijzn« (in 4handiger Kl.- 
Bearb.); XI (1883), C.Huygens, Pathodia sacra et pro- 
fana (nebst d. mus. Brief wechsel) ; XII (1884), j.P. 
Sweelinck, 6 Psalmen; XIII-XIV (1886/87), J. A. Rein- 
ken, Hortus musicus u. Partite diverse sopra Varia »Schu>ei- 
get mir vom Weiber nehmena; XV (1888), J. P. Sweelinck, 
Hodie Christus natus est (Cantio sacra); XVI (1890), 
»Vier en twintig liederen« aus d. 15./16. Jh. (f. Gesang 
u. KX); XVII (1891), J. P. Sweelinck, d. 150. Psalm (f. 
8 St.) ; XVIII (1894), J. Obrecht (irrtumlich zugeschrie- 
ben), Passio Domini (nach Matthaus); XIX (1898), A. 
van Noordt, Tabulatuur-Boeck; XX (1897), »Oud-hol- 
landsche boerenliedjes en contradansen« (f. V. u. KX), 
H. 1 (weiteres s. u. XXIII, XXXIII, XXXVI); XXI 
(1898), »Marschen in gebruik bij het nederlandsche 
leger gedurende den spaansden successie oorlog« (in 
4handigem Kl.-Arrangement) ; XXII (1899), C. Bos- 
coop, Psalmen Davids; XXIII (1900), »Oud-holland- 
sche boerenliedjes . . . «, H. 2 (s. o. XX) ; XXIV (1901), 
J.Tollius, d. 6st. Madrigali; XXV (1902), Nederland- 
sche dansen d. 16de eeuw« (f. Kl. 4-handig), H. 1 (2 s. u. 
XXVII); XXVI (1903), P.Phaleses Sammelwerk Een 
duytsch musyck boeck (1572); XXVII (1905), »Neder- 
landsche dansen . . . « (s. o. XXV), H. 2, aus P.Phaleses 
Premier livre de danseries (1574); XXVIII (1907), J. 
Schenck, Scherzi musicali; XXIX (1908), aus T. Susato, 
Het derde musyck boexken (1551); XXX (1910), »Drie- 
stemmige oud-nederlandsche liederen« (v. Ende d. 15. 
Jh.); XXXI (1911), P.Locatelli, 2 V.-Sonaten (op. 6 
Nr 7 u. op. 8 Nr 5); XXXII (1912), C. Fr. Hurlebusch, 
Compositioni musicali per il cembalo; XXXIII (1912), 
»Oud-hollandsche boerenliedjes . . . «, H. 3/4 (s. o. XX) ; 
XXXIV (1913), Orch.-Kompositionen v. Anfang d. 
17. Jh. (Paduanen u. Gaillarden v. M. Borchgrevinck, 
B.Grep u. N.Gistou); XXXV (1915), A. Willaert, 
Missa super Benedicta; XXXVI (1916), »Oud-holland- 
sche boerenliedjes ...«, H. 5 (s. o. XX); XXXVII 
(1918), »Oud-nederlandsche klaviermusiko (aus d. Mu- 
sikbuch d. Anna Maria van Eijl, 1671); XXXVIII 
(1920), Ph. de Monte, Missa ad modulum Benedicta es; 
XXXIX (1920), Studie v. M.Seiffert, Wat leren uns de 
schilderijen en prenten der 16de eeuw over de instrumentale 
begeleiding van den zang en den oorsprong van de muziek- 



gravure?; XL (1921), »Nederlandsche boerendansen«; 
XLI (1926), P.Hellendaal, 4 Vc.-Sonaten (aus op. 5); 
XLII (1931), C.Th.Padbrue, J. V. Vondels Kruisbergh en 
Klaght; XLIII (1933), Abh. v. E.Reeser, De muzikale 
handschriften van Alphons Diepenbrock; XLIV (1936), 
»Drie oud-nederlandsche motetten« (v. J.Obrecht, 
Josquin Desprez u. J.Clemens non Papa); XLV (3 H., 
1937/38/48), C.Schuyt, »5-stemmige madrigalen«; 
XLVI (1955), R.P. van Oevering, VI Suittes voor't cla- 
vier op. 1; XL VII (1958), J. P. Sweelinck, Suppl. zu 
Teil I (Werke £. Org. u. Cemb.) d. GA. 
2) Monumenta Musica Neerlandica, hrsg. v. d. Vereeni- 
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis, Amster- 
dam 1959ff. : Bd I (1959), P.Hellendaal, Six grands con- 
certs op. 3 (Concerti grossi) ; II (1959), Klavierboek Anna 
Maria van Eijl; III (1961), »Nederlandse klaviermuziek 
uit de 16 e en 17 e eeuw«; IV (1961), P.Locatelli, 1. Teil 
d. VI Introductioni teatrali e VI Concerti op. 4; V (1962), 
C.Th.Padbrue, d. nld. Madrigale (Kusjes, 1641); VI 
noch nicht erschienen, vorgesehen d. Utrechter Pro- 
sarium; VII (1963), »Het geestelijk lied van Noord- 
Nederland in de vijftiende eeuw« (d. nld. Lieder d. 
Hss. Amsterdam, Wien ONB 12875, u. Utrecht, 
Berlin MG 8° 190). 
Osterreich. 

Denkmaler der Tonkunst in Osterreich (DTO), mit d. 
DDT vergleichbare Publikationsreihe zur osterreichi- 
schen Mg. v. hohen MA bis zum 19. Jh., veroffentlicht 
v. d. Ges. zur Herausgabe d. DTO unter Leitung v. G. 
Adler, ab 1947 v. E.Schenk, 45 Jg. (1 Jg. jahrlich er- 
schienen) in 83 Bden, Wien 1894-1938 (1905-18 auch 
Lpz.),uriveranderterNeudruck Graz 1959/60; v. Bd85 
an (84 = LD Alpen- u. Donau-Reichsgaue d. EDM, 
s. o. Deutschland Nr 9) entfallt d. Jg.-Zahlung, Wien 
(Bd 96ff. auch Graz) 194711. (seit 1913 erscheinen als 
Beihefte zu d. DTO d. »Studien zur Mw.«, StMw, bis- 
her 26 H.): Jg. I, Bd 1 (=Bd 1 d. Gesamtreihe), J.J. 
Fux, 4 Messen; 1,2 (=2), Georg Muffat, Suavioris har- 
moniae instrumentalis . . . Florilegium primum (2. Teil s. 
u. 11,2); 11,1 (=3),J.J.Fux, 27 Motetten; 11,2 (= 4), G. 
Muffat, Florilegium secundum (s. o. 1,2); 111,1 (=5), J. 
Stadlmayr, Hymni totius anni v. 1628 ; 111,2 (= 6), M. A. 
Cesti, II Porno d'oro (Prolog u. 1. Akt; 2.-5. Akt s. u. 
IV ,2) ; 111,3 (= 7), Gottlieb Muffat, Componimenti musi- 
cali; IV, 1 (=8), J. J. Froberger, samtliche »Orgel- u. 
Klavierwerke«, 1. Teil (2. u. 3. Teil in VI.2 u. X,2); 
IV,2 (=9), M.A.Cesti . . . (s. o. 111,2); V,l (= 10), H. 
Isaac, Choralis Constantinus v. 1550, 1. Teil (2. Teil s. u. 
XVI, 1); V,2 (=11), H.I.Fr.Biber, d. V.-Sonaten v. 
1681 (d. v. 1674 s. u. XII.2) ; VI.l (= 12), J. Gallus, Opus 
musicum, 1. Teil (Fortfuhrung s. u. XII,1, XV,1, XX,1, 
XXIV u. XXVI), enthalt d. Motetten f. d. 1. Advents- 
sonntag bis Septuagesima; VI,2 (= 13), J. J. Froberger 
... (s. o. IV,2), 2. Teil; VII (= 14/15), Trienter Co- 
dices, 1. Teil (Fortfuhrung s. u. XI.l, XIX.1, XXVI.l, 
XXXI u. XL) ; VIII.l (= 16), A.Hammerschmidt, Dia- 
logi oder Gesprache, 1. Teil (hier mehr nicht erschienen) ; 
VIII.2 (= 17), J.Pachelbel, »94 Kompositionen . . . f. 
Org. oder Kl.« (Magnificatf ugen) ; IX,1 (=18), O.v. 
Wolkenstein, »Geistliche u. weltliche Lieder«; IX,2 
(=19), J.J. Fux, 4 Instrumental werke; X,l (=20), O. 
Benevoli, »Festmesse u. Hymnus« (zur Einweihung d. 
Salzburger Domes); X,2 (=21), J.J. Froberger ... (s. 
o. IV,2), letzter Teil; XI, 1 (=22), Trienter Codices, 2. 
Teil (s. o. VII); XI.2 (=23), Georg Muffat, Ausw. (s. 
u. Bd 89) aus Armonico tributo u. aus Instrumental-Music 
(Concerti grossi) ; XII.l (= 24), J. Gallus . . . (s. o. VI.l), 
2. Teil, Septuagesima bis Karwoche (ohne Lamentatio- 
nen); XII.2 (=25), H.I.Fr.Biber ... (s. o. V,2); XIII.l 
(=26), A.Caldara, 12 »Kirchenwerke« ; XIII.2 (=27), 
»Wiener Klavier- u. Orgelwerke aus d. 2. Halfte d. 17. 



208 



Jh.« (Werke v. A.Poglietti, F.T.Richter, G.Reutter d. 
Alteren); XIV, 1 (=28), H. Isaac, »Weltliche Werke« 
(Nachtrag dazu s. u. XVI.l) ; XIV.2 (= 29), M.Haydn, 
»Instrumentalwerke«; XV,1 (=30), J. Gallus ... (s. o. 
VI,1), 3. Teil, Karwoche (Lamentationen) bis vor Tri- 
nitatis; XV,2 (=31), »Wiener Instrumentalmusik vor 
u. um 1750«, 1. Teil (2. Teil s. u. XIX.2), enthalt Wer- 
ke v. G.Reutter d. Jungeren, G.Chr.Wagenseil, M. 
Monn, M.Schl6ger, J.Starzer; XVL1 (=32), H.Isaac 
. . ., 2. Teil (s. o. V,l u. XIV.l); XVI,2 (=33), J.G. 
Albrechtsberger, »Instrumentalwerke«; XVII (=34/ 
35),J.J.Fux, Oper Costanza e Fortezza; XVIII.l (=36), 
I.Umlauff, Singspiel Die Bergknappen; XVIII.2 (= 37), 
»Osterreichische Lautenmusik im 16. Jh.« (H.Judenkii- 
nig, H.Newsidler, S.Gintzler, Greff Bakfark u. a.); 
XIX.1 (= 38), Trienter Codices, 3. Teil (s. o. VII), enthalt 
Messen v. G.Dufay, J.Ockeghem, Anonymi; XIX.2 
(=39), »Wiener Instrumentalmusik... «, 2. Teil (s. o. 
XV,2), Werke v. M.Morm u. J.Mann; XX,1 (= 40), J. 
Gallus ... (s. o. VI,1), 4. Teil, v. Trinitatis bis Ende d. 
Kirchenjahres (= 3. Buch d. Opus musicum); XX,2 
(=41), »Gesange v. Frauenlob, Reinmar v. Zweter u. 
Alexander« (aus Hs. Wien 2701) ; XXI.l (= 42-44), Fl. 
L.GaBmann, La Contessina; XXI.2 (=44a), Chr.W. 
Gluck, Orfeo edEuridice; XXII (= 45), M.Haydn, Drei 
Messen; XXIII, 1 (=46), A.Draghi, 5 »Kirchenwer- 
ke«; XXIII.2 (=47), J.J.Fux, Concentus musico-instru- 
mentalis; XXIV (=48), J. Gallus . . . (s. o. VI.l), 5. Teil 
(1. Halfte d. 4. Buches, Gesange f. d. Feste d. Heiligen, 
aus Opus musicum); XXV.l (=49), Messen v. H.I.Fr. 
Biber, J.H.Schmelzer u. J.K.Kerll; XXV.2 (=50), 
»Osterreichische Lautenmusik zwischen 1650 u. 1720«; 
XXVI (=51/52), J. Gallus .... letzter Teil (s. o. VI.l), 
Gesange f. d. Feste d. Heiligen (2. Halfte; s. o. XXIV) ; 
XXVII.l (=53), Trienter Codices, 4. Teil (s. o. VII); 
XXVII.2 (= 54), »Das Wiener Lied v. 1778 bis Mozarts 
Tod«; XXVIIL1 (=55), J.E.Eberlin, Oratorium Der 
hlutschwitzende Jesus; XXVIII.2 (= 56), »Wiener Tanz- 
musik in d. 2. Halfte d. 17. Jh. « (J. H. Schmelzer, J. J. Hof- 
fer, A.Poglietti); XXIX.l (=57), CI. Monteverdi, II 
Ritorno d'Ulisse in patria; XXIX.2 (=58), Gottlieb 
Muffat, 72 Versetl sammt 12 Toccaten; XXX.l (= 59), je 
ein Requiem v. Chr. Straus, H.I.Fr. Biber, J.K.Kerll; 
XXX.2 (=60), Chr.W. Gluck, Don Juan; XXXI 
(=61), Trienter Codices, 5. Teil (s. o. VII); XXXII.l 
(=62), M.Haydn, »Kirchenwerke« ; XXXII.2 (=63), 
J. StrauB (Sohn), »Drei Walzer«; XXXIII.l (=64), 
»DeutscheKomodienarien 1754 bis 1758«, 1. Teil (mehr 
nicht erschienen); XXXIII.2 (=65), J.Lanner, hand- 
ler u. Walzer« (in Ausw.); XXXIV ( = 66), J.Schenk, 
Der Dorfbarbier; XXXV,1 (= 67), E.A.Forster, »Kam- 
mermusik« (2 Quartette, 3 Quintette) ; XXXV.2 (= 68), 
J. StrauB (Vater), »Acht Walzer«; XXXVI.l (=69), St. 
Bernardi, »Kirchenwerke« ; XXXVI.2 (=70), »Instru- 
mental- u. Vokalwerke« v. P.Peuerl u. I.Posch; 
XXXVH.l (= 71), d. Lieder Neidhardts v. Reuenthal; 
XXXVII.2 (=72), »Das deutsche Gesellschaftslied in 
Osterreich v. 1480 bis 1550«; XXXVIII.l (=73), Bl. 
Amon, »Kirchenwerke«, 1. Teil (mehr nicht erschie- 
nen, enthalt Liber sacratissimorum cantionum u. Sacrae 
cantiones) ; XXXVIH.2 (= 74), Josef StrauB, »Drei Wal- 
zer«; XXXIX (=75), A.Caldara, »Kammermusik f. 
Gesang«; XL (=76), Trienter Codices, letzter Teil (s. o. 
VII); XLI (= 77), »Ital. Musiker u. d. Kaiserhaus 1567- 
1625«;XLII,l(=78),J.Gallus, »SechsMessen«;XLII,2 
(=79), »Das Wiener Lied v. 1792 bis 1815«; XLIII.l 
( = 80), »Salzburger Kirchenkomponisten« (C.H. Bi- 
ber, M.S.Biechteler, J.E.Eberlin, A.C.Adlgasser); 
XLIII.2 (=81), K.Ditters v. Dittersdorf, »Instrumen- 
talwerke« (3 Sinfonien, 1 Serenata); XLIV (=82), Chr. 
W. Gluck, L'Innocenza giustificata; XLV (=83), Fl.L. 



Denkmaler (Schweiz) 

GaBmann, ausgew. »Kirchenwerke«; Bd 84 (1942), 
» Wiener Lautenmusik im 18. Jh.« (=EDM, LD Al- 
pen- u. Donau-Reichsgaue, s. o. Deutschland Nr 9); 85 
(1947), J.J.Fux, »Werke f. Tasteninstr.« (7 Sonaten, 3 
Einzelstiicke, 4 Suiten, 12 Menuette) ; 86 (1949), »Tiro- 
ler Instrumentalmusik im 18. Jh.« (G.P.Falk, J.E. de 
Sylva, Fr.S.Haindl, N.Madlseder, S.Paluselli); 87 
(1951), N.Zangius, »Geistliche u. welthche Gesange«; 
88 (1952), G.Reutter (d. Jungere), »Kirchenwerke«; 89 
(1953), Georg Muffat, Armonico tributo (ganz) u. d. nicht 
in XI,2 (s. o.) gedruckten Concerti grossi aus Instru- 
mental-Music; 90 (1954), »Nld. u. ital. Musiker d. Gra- 
zer Hofkapelle Karls II. « (insgesamt 9 Meister); 91 
(1955), A.Caldara, Oper Dafne (1719); 92 (1956), 
H.I.Fr.Biber, Harmonia artificiosa-ariosa; 93 (1958), 
J.H.Schmelzer, »Violinsonaten«; 94/95 (1959), J. Gal- 
lus, 5 Messen; 96-97 (1960), H.I.Fr.Biber, Mensa so- 
nora seu Musica instrumentalis bzw. Fidicinium sacro- 
profanum; 98 (1961), J.Vaet, »Samtliche Werke«, 1. 
Teil (Fortfuhrung s. u. 100, 103/104, 108/109), Mo- 
tetten I; 99 (1961), Arnold von Bruck, »Samtliche lat. 
Motetten u. andere unedierte Werke«; 100 (1962), 
J.Vaet ... (s. o. 98), 2. Teil, Motetten II; 101/102 
(1962), »Geistliche Solomotetten d. 18. Jh.« (M.A. 
Ziani, A.Caldara, Fr. Conti, J. J. Fux) ; 103/104 (1963), 
J.Vaet . . . (s. o. 98), 3. Teil, Motetten III; 105 (1963), 
J.H.Schmelzer, Duodena selectarum sonatarum (1659) 
u. »Werke hs. Uberlieferung« (Triosonaten) ; 106/107 
(1963), H.I.Fr.Biber, Sonatae, tarn aris, quam aulis ser- 
vientes; 108/109 (1964), J.Vaet ... (s. o. 98), 4. Teil, 
Messen I; 110 (1964), T.Massaini, Liber primus cantio- 
num ecclesiasticarum u. 3 Instrumentalkanzonen. 
Polen. 

Antiquitates musicae in Polonia, hrsg. in Warschau v. d. 
Mw. Inst. d. Univ.: Bd I (1963), The Pelplin Tablature. 
A Thematic Catalogue. 
Portugal. 

Portugaliae Musica, hrsg. seit 1959 in Lissabon v. d. 
Fundacao Calouste Gulbenkian: Bd I (1959), M.R. 
Coelho, Flores de musica, 1. Teil (Fortfuhrung s. u. Ill) ; 

11 (1960), J. de Sousa Carvalho, Ouverture zur Oper 
L'Amore industrioso; III (1961), 2. Teil v. Coelhos Flores 
de musica; IV (1961), E. Lopes Morago, »Varias obras 
de musica religiosa, a cappella«; V-VI (1963), Frei M. 
Cardoso, Liber primus missarum ; VII (1963), J. da Costa 
de Lisboa, Ausw. aus Tencao; VIII (1963), J.D.Bon- 
tempo, Sinfonia Nr 1 op. 11; IX (1965), M.Portugal, 
Ouverture zu II Duca di Foix. 

Schweden. 

1) Aldre svensk musik, hrsg. v. d. Svenska Samfundet for 
Musikforskning, 9 H., Stockholm (1935^5): H. I-V, 
Werke v. J. H. Roman (1, 1935, Sonata a tre; II— III, 1935, 
Partitur u. Kl.-A. d. V.-Konzertes D moll; IV, 1935, 
Sinfoniaper la Mesa; V, 1938, Jubilate-Psalm 100 in Par- 
titur u. K1.-A.); VI (1940), M. de Ron, Streichquartett 
F moll (Partitur); VII (1941), A.Wesstrom, Streich- 
quartett E dur (Partitur); VIII-IX (1944/45), J.H.Ro- 
man, 2 Psalmen (Partitur mit Kl.-A.). 

2) Monumenta musicae svecicae, hrsg. v. d. Svenska Sam- 
fundet for Musikforskning, Stockholm 1958ff. : Bd I 
(1958), J.H.Roman, Assagi a Violino solo; II (1960), J. 
M.Kraus, Werke (1 Symphonie); III (1962), »Musica 
svecica saeculi XVII«, 1. Teil, anon. Johannespassion. 
Schweiz. 

Schweizerische Musikdenkmaler (Monuments de la mu- 
sique Suisse), hrsg. v. d. Schweizerischen Musikfor- 
schenden Ges., Basel 1955ff. : Bd I (1955), H. Albicastro, 

12 Concerti a 4 op. 7; II (1959), J.M.Gletle, »Ausgew. 
Kirchenmusik« ; III (1960), L. Bourgeois, Le premier 
livre des pseaulmes de David (24 Psalmen) ; IV (1962), J. 
Benn, Messen (Missae concertatae, Missa ab octo). 



14 



209 



Denkmaler (Spanien) 

Spanien. 

1) Lira sacro-hispana, erste groBe, denkmalerahnliche 
Slg span. Kirchenmusik d. 16.-19. Jh., mit biogr. Anm. 
hrsg. v. H.Eslava, 10 Bde (nach Jh. zu je 2 Serien ge- 
ordnet), Madrid (1869); folgende Komponisten sind 
mit Werken vertreten: 16. Jh. (2 Bde): Serie I, Bd 1, 
zwei Anonymi, Fr.Bernal Gonzales, Fr. de Ceballos 
(eines d. 3 Werke, Inter vestibulum, muB R. de Ceballos 
zugewiesen werden), B.Escobedo, P.Fernandez de 
Castilleja, A. de Fevin, Chr. Morales, Fr. de Pefialosa, 
B.Ribera, M.Robledo, A. de Torrentes; II/l, D. del 
Castillo, M. Gomez Camargo, Fr. Guerrero, F. de las 
Infantas, J.Navarro, D.Ortiz, P.Periafiez, T.L. de 
Victoria. - 17. Jh. (2 Bde): 1/1, Gr.Baban, D.Caseda, 
J. B. Comes, A. de Heredia, A.Juares, A.Lobo, M.Ro- 
mero, Fray P. Tafalla, U. de Vargas, M.J. Veana, S. de 
Vivanco; II/l, S.Duron, Fr. de Montemayor, A.T. 
Ortells, C.Patino, D.Pontac, J.G. de Salazar. - 18. Jh. 
(2 Bde): 1/1, zwei Anonymi, Fr. V. Cabrera, J. de Ca- 
seda, P.Fuentes, B. Julia, A.Literes, D. de las Muelas, 
J.Paez, P. Rabassa, J. P. Roldan, N.Sanjuan, Padre A. 
Soler, J. de Torres Martinez Bravo, Fr. Vails; II/l, J. 
Lidon, J.Nebra, A.Ripa. - 19. Jh. (4 Bde): 1/1, P.Ara- 
naz y Vides, Fr.J.Cabo, R.F.Cuellar, M.J.Doyagiie, 
Don Fr. Garcia, A. Montesinos, J. Pons, J.Prieto, Fr. 
Secanilla; 1/2, Fr.Andrevi, J.Bros, N.Ledesma, M. 
Rodriguez de Ledesma; II/l, H.Eslava; II/2 (nebst 
Appendix), M.J.Doyagiie, S.Duron, M.Fernandez 
Caballero, M.Garcia, C.J.Hugalde, V.Meton, D.Ol- 
leta, R. Ozcoz y Calahorra, J. Perez y Alvarez, H. Pra- 
danos, Fr. Secanilla. 

2) Hispaniae schola tnusica sacra, groBe Slg span. Vokal- 
polyphonie u. Orgelwerke d. 15.-18. Jh., hrsg. v. F. 
Pedrell (mit hist.-biogr. Anm.), 8 Bde, Barcelona-Lpz. 
(1894-98): Bd I, Chr. Morales, »Composiciones« (Of- 
ficium defunctorum, 2 Magnificat, Responsorien u. Mo- 
tetten, insgesamt 10 Werke); II, Fr. Guerrero, »Com- 
posiciones« (Magnificat primi toni, Salve regina, 2 Passio- 
nen u. 3 Motetten) ; III-IV u. VII- VIII, A. de Cabezon, 
»Composiciones« (d. gesamte bis dahin bekannte u. 
ihm zugeschriebene Orgelwerk) ; V, J. G.Perez, »Com- 
posiciones« (Ausw. v. 11 Werken aus d. in d. Kathe- 
drale v. Valencia hs. aufbewahrten Stiicken) ; VI, T. de 
Santa Maria (Psalmodia variata), Anonymi (Falso bor- 
done, Aliqui psalmi modulati, Psalmodia modulata), Fr. 
Guerrero (Falso bordone), T.L. de Victoria (Falso bordo- 
ne), Fr. de Ceballos (Psalmodia modulata). 

3) Teatro Urico espanol anterior al siglo XIX, bedeuten- 
de Anth. d. span. Operngesch., hrsg. v. F. Pedrell, 5 
Bde (in 4), Madrid u. La Coruna 1897-98: Bd I, J. 
Valledor, Vida y muerte del General Malbru (vollstandi- 
ger Kl.-A.) ; II, Teile aus Werken v. P. Esteve (El pre- 
tendiente, El luto de garrido, El desvalido, Los pasages del 
verano, La soldada, Los celos iguales, Los majos renidos, 
La malicia del terno), G.Ferrer (El remedo delgato), Bl. de 
Laserna (La vida cortesana, Los amantes chasqueados, La 
despreciada), A.Literes (Acis y Galatea); III, kleinere 
Stiicke (aus Balletten, Schauspielmusiken) v. Anonymi, 
J.Bassa, M.Correa, S.Duron, M.Ferrer, J.Hidalgo, J. 
Marin, J. Navas, C.Patino, J. Peyro, M.Romero, J. de 
la Torre; IV-V, weitere Beispiele d. gleichen Art v. 
Anonymi, J. Asturiano, Fr.Berxes, S.Duron, J.Hidal- 
go, J. Justo, A.Literes, M. Machado, J. Marin, M. Mar- 
ti, Fr.Monjo, Fr. Navarro, J. Navas, C. Patino, J. Ser- 
queira, M. de Villaflor. 

4) Publicacions del Departament de musica de la Biblioteca 
de Catalunya, begriindet u. geleitet v. H. Angles, Barce- 
lona 1921ff.: Bd I (1921), J.Brudieu, »Els madrigals i 
la Missa de difunts« (alles Erhaltene); II (1921), eine 
Schrift v. H. Angles, »Cat. dels mss. mus. de la collec- 
cio F. Pedrelk; III (1926)J. Pujol, »Opera omnia« (2. Teil 



s u VII); IV (1927), J. Cabanilles, »Opera omnia« 
. (Fortfuhrung s. u. VIII, XIII, XVII); V (1929), eine 
Studie v. C.Rojo u. G.Prado, »E1 canto mozarabe«; VI 
(3 Bde, 1931), El codex musical de Las Huelgas (Einfiih- 
rung v. H. Angles, Faks. u. Ubertragung); VII (1932), 
J.Pujol ... (s. o. Ill); VIII (1933), J. Cabanilles ... (s. 
o. IV), 2. Teil; IX (1933), A. Soler, »Sis Quintets per a 
instr. d'arc i orgue o clave obligat«; X (1935), Abh. v. 
H. Angles, »La musica a Catalunya fins al s. XIII«; XI 
(1933), J.Hidalgo, 1. Akt d. Oper Celos aun del aire 
matan (1662); XII (1935), »E1 villancico i la cantata del 
s. XVIII a Valencia«; XIII (1936), J. Cabanilles ... (s. 
o. IV), 3. Teil; XIV (1951), D.Terradellas, Oper La 
Merope; XV (1943), »La musica de las cantigas de Santa 
Maria del Rey Alfonso el Sabio«, 2. Bd, Ubertragung 
(Abh. u. Faks. s. u. XVIII u. XIX); XVI (1954), M. 
Flecha, Las Ensaladas; XVII (1956), J. Cabanilles . . . 
(s. o. IV), 4. Teil; XVIII (1958), »La musica . . .« (s. o. 
XV), 3. Bd, Abh. v. H. Angles in 2 Teilen (1, »Estudio 
critico« nebst H. Spanke, »Die Metrik d. Cantigas«, 2, 
»Las melodias hispanas y la monodia lirica europea de 
los s. XII-XIII«); XIX (1964), »La musica . . .« (s. o. 
XV), 1. Bd, »Facsimil del codice j. b. 2 de El Escorial«. 

5) Mestres de Vescolanla de Montserrat (Untertitel: Obres 
mus. dels monjos del monestir de Montserrat 1500- 
1800), hrsg. in 2 Abt. v. Dom D.Pujol, Montserrat 
1930-36 u. 1965: 1. Abt.: J.Cererols, Gesammelte 
Werke (3 Bde, 1930-32; I, Salms de Vespres, Completes 
breus, Antlfones finals; II, Asperges me, 2 Messen, 2 Re- 
quiems; III, Villancicos, Romanzen, Tonos); M.Lo- 
pez, GA, 1. Bd (1965, =Bd VI d. Reihe). - 2. Abt. 
(Musica instr.): I (1934), Kl.- u. Org.-Werke v. M. 
Lopez u. N.Casanoves, II (1936), A.Viola, Concert de 
baixb obligat i orquestra (Fag.-Konzert), 16 Kl.-Sonaten 
u. ein Rondo v. F. Rodriguez, Kl.-Sonate v. J.Vinyals. 

6) Monumentosde la MAsicaEspahola (MMEsp), groB an- 
gelegte D.-Reihe d. span. Musikforschung, mit um- 
fangreichen Abh. hrsg. v. Inst. Espanol de musicologia 
unter d. Leitung v. H. Angles, Madrid bzw. Barcelona 
(einige Bde auch Rom) 1941ff.: Bd I (1941, 21960), 
»La musica en la corte de los reyes catolicos«, 1. Abt., 
Polif onia religiosa (Polif onia prof ana s. u. V, X, XIV) ; 
II (1944), »La musica en la corte de Carlos V« (enthalt 
L.Venegas de Henestrosas Libro de Cijra Nueva); III 
(1945), L. de Narvaez, Los seys libros del Delphin; IV 
(1946), J.Vasquez, Recopilacidn de sonetos y villancicos; 
V (1947), »La musica . . .« (s. o. I), 2. Abt., Polifonia 
prof ana, 1. Teil d. Cancionero musical de Palacio (friihes 
16. Jh.) ; VI (1948), Fr. Correa de Arauxo, Libro de tien- 
tos y discursos de mtisica . . . intitulado Facultad organica 
(2. Teil s. u. XII); VII (1949), A.Mudarra, Tres libros 
de mtisica; VIII-IX (1949-50), Cancionero musical de la 
Casa de Medinaceli (16. Jh.), 1. Abt., Polifonia prof ana 
(mehr noch nicht erschienen) ; X (1951), »La musica. . .« 
(s. o. I u. V), Cancionero . . . de Palacio, 2. Teil; XI 
(1952), Chr. Morales, »Opera omnia«, 1. Bd, Ausw. 
aus Missarum liber primus (weitere Bde s. u. XIII, XV, 
XVII, XX, XXI); XII (1952), Fr. Correa de Arauxo, 
2. Teil d. Libro de tientos (s. o. VI); XIII (1953), Chr. 
Morales . . . (s. o. XI), 2. Bd, SelecciSn de motetes (1-25) ; 
XIV (1953), als 3. Teil zu V u. X (s. o.) ein literarischer 
u. mus. Kommentar v. J.Rubio, J.Romeu u. H. An- 
gles; XV (1954), Chr.Morales ... (s. o. XI), 3. Bd, 
Missarum liber secundus, 1. Teil (2. Teil s. u. XXI) ; XVI 
(1955), Fr. Guerrero, »Opera omnia«, 1. Bd (Fortfiih- 
rung s. u. XIX) , 1 . Teil d. Canciones y villanescas espiritu- 
ales; XVII (1956), Chr.Morales . . . (s. o. XI), 4. Bd, 16 
Magnificat; XVIII (1956), »Romances y letras a tres 
vozes« (1. Bd) ; XIX (1957), Fr. Guerrero . . . (s. o. XVI), 
2. Bd, Liber primus missarum; XX (1959), Chr.Mora- 
les .. . (s. o. XI u. XIII), 5. Bd, Seleccion de motetes (26- 



210 



50); XXI (1962), Chr. Morales . . . (s. o. XI u. XV), 6. 

Bd, Missamm liber secundus, 2. Teil. 

USA. 

1) Smith College Music Archives, begriindet v. R.L. 
Finney, Northampton/Mass. (1935ff.): Bd I (1935), Fr. 
Geminiani, 12 V.-Sonaten; II (1936), J.J. Fux, Oper 
Costanza efortezza; HI (1937), L. Boccherini, Konzert 
f. Vc. u. Streichorch. ; IV (1941), »Canzoni, Sonetti, 
Strambotti et Frottole« (A. de Antiquis'3. Buch v. 1517 
mit d. Titel Frottole) ; V (1942), J. Arcadelt, »Chansons«; 
VI (1945), C. de Rore, 3- u. 4st. Madrigale; VII (1945), 
Fr. Caccini, Ballettoper La liberazione di Ruggiero ; VIII 
(1947), V.Galilei, Contrappunti a due voci; IX (1948), G. 
Tartini, 2 V.-Konzerte (A moll, F dur); X (1949), J. 
Haydn, Symphonie Nr 87 in A dur (Hob. I, 87); XI 
(1950), A. Steffani, 8 Lieder f. Singst. u. Blaser (davon T 
aus Trastulli); XII (1954), T.Vitali, Concerto di sonate 
op. 4; XIII (1957), P.Quagliati, La sfera armoniosa u. II 
cam difedelta d'amore; XIV (1959), G.B. Vitali, Artificii 
musicali op. 13. 

2) Corpus Mensurabilis Musicae (CMM), grofi angelegte 
Veroff. d. mus. Hauptwerke d. spaten MA u. d. Re- 
naissance in Form einer GA-Reihe, hrsg. v. American 
Inst, of Musicology in Rom unter Leitung v. A. Cara- 
petyan, Rom (neuerdings Antwerpen) 1947ff. : Abt. 1, 
G.Dufay, »Opera omnia«, bisher erschienen: Bd I (in 
urspriinglicher Zahlung als Bd I u. II, 1947/48), »Mo- 
tetti qui et cantiones vocantur« (alle Motetten), II 
(1960), Missa sine nomine, Missa Sancti Jacobi, Missa 
Sancti Antonii Viennensis, Missa Caput, Alleluia Veni 
Sancte Spiritus, Missa La mort de Saint Cothard (davon 
sind d. ersten beiden Werke neue Ubertragungen ei- 
ner schon 1949 als Bd III u. IV dieser Reihe erschiene- 
hen Ausg.), Ill (1951), "Missarum pars altera« (Se laface 
ay pale, L'homme armi, Ecce ancilla dotnini, Ave regina 
coelorum), IV (1962), »Fragmenta Missarum«; 2, G. de 
Machaut, »Opera« (bisher nur 1 Bd, 1949, La Messe de 
Nostre Dame); 3, A.Willaert, »Opera omnia«, bisher: 
I— II (1950), 1. u. 2. Buch d. Motetta quatuor vocum (d. 1. 
u. 2. Ausg.), Ill (1950), Motetta quinque vocum (beide 
Ausg.), IV (1952), Motetta sex vocum, V (1957), d. Mo- 
tetten aus Musica nova, VII (1959), Hymnen; 4, J. Cle- 
mens non Papa, »Opera omnia«, bisher: I (in 4 H, 
1951/54), Messen Misericorde, Virtute magna, En espoir, 
Ecce quam bonum, II (1953), Souterliedekens, III (1957), 
Motetten, IV (1958), alle Magnificat, V-VII (1958/59/ 
59), 10 Messen, VIII (1960), Missa defunctorum, Kyrie 
paschale. Credo, IX (1960), Motetten, X-XI (1961/62), 
Chansons; 5, A.Brumel, »Opera omnia«, bisher nur 
Bd I (in 2 Teilen, 1951/56), mit d. Messen L'homme 
armi u.Je nay dueul; 6, N. Gombert, »Opera omnia«, 
bisher: I— II (1951/54), d. 4st. bzw. 5st. Messen, III 
(1963), Messen Quam pulchra es u. Tempore paschali so- 
wie ein 8st. Credo, IV (1957), 8 Magnificat, V (1961), 
Motetten ; 7, J. Barbireau, »Opera omnia« (2 Bde, 1954/ 
57) ; 8, »The Music of Fourteenth Cent. Italy «, bisher : 
I (1954), gesammelte Werke v. Bartholus, Johannes 
(= Giovanni da Cascia) u. Gherardello de Florentia, II 
(1960), Werke v. Maestro Pierro (= Piero da Firenze) 
aus "Codex Vaticanus, Rossi 215« u. anderen Quellen, 
III (1962), Werke v. Laurentius Massii de Florentia, 
Donato de Florentia, Rosso da Collegrano u. 9 Ano- 
nymi, IV (1963), d. Werke v. Jacopo da Bologna u. 
Vincentius de Arimino; 9, J.Regis »Opera Omnia«, 
(2 Bde, 1956); 10, Fr.Gaffori, »Collected Mus. Works«, 
bisher 2 Bde Messen (1955/60); 11, »Early Fifteenth- 
Cent. Music«, I (1955), gesammelte Werke v. B.Cor- 
dier, J.Cesaris, J. Carmen u. J.Tapissier, II (1959), 67 
Werke v. insgesamt 23 Komponisten (v. papstlichen 
Hof zu Avignon u. v. burgundischen Hof); 12, G. 
Gabrieli, »Opera Omnia«, bisher: I— II (1956/59), Mo- 



Denkmaler (USA) 

tetten aus d. Concerti u. d. Sacrae symphoniae v. 1597, 

III (1962), Motetten {Symphoniae sacrae 1615) ; 13 (1957), 
Missa Tornacensis; 14, C. de Rore, »Opera omnia«, bis- 
her: I (1959), Motetten, II (1963), 5st. Madrigale, III 
(1961), Motetten; 15, L. Compere, »Opera omnia«, 
bisher: I (1958), alle Messen u. Messenfragmente, II-IV 
(1958/59/61), Motetten; 16, R.Carver, »Collected 
Works«, bisher 1 Bd (1959), d. beiden erhaltenen Mo- 
tetten; 17, R.Fayrfax, "Collected Works«, bisher: I 
(1959), alle Messen, II (1964), 2 Magnificat, 6 Motetten, 
Transkriptionen f. Laute; 18, J.Tinctoris, »Opera om- 
nia*, bisher 1 Bd (1960), Messe (f. Konig Ferdinand v. 
Sizilien u. Aragon) ; 19, W. Frye, »Opera omnia« (1 Bd, 
1960); 20, P. Attaingnant, "Transcriptions of Chansons 
for Keyboard« (d. 3 Bucher Chansons musicales v. 1531), 
1 Bd (1961); 21, »The Cypriot-French Repertory* 
(Polyphonie in Codex J.II.9 d. Bibl. Nazionale in Tu- 
rin), I (1960), Messen, II (1961), Motetten, III (1963), 
Balladen, IV (1963), Virelais u. Rondeaux; 22, A. Agri- 
cola, »Opera omnia«, bisher: I (1961), 4 Messen, II 
(1963), 4 Messen u. MeBsatze; 23, J.Ghiselin (alias 
Verbonnet), »Opera omnia«, bisher: I (1961), alle Mo- 
tetten, II (1964), 3 Messen; 24, G. de Wert, »Opera 
omnia«, bisher: I (1961), 1. Buch d. Madrigali a 5 voci 
v. 1558, II (1962), Madrigali 1561, III (1962), Madrigali 
1563; 25, C.Festa, »Opera omnia«, bisher 1 Bd (1962), 
alle Messen u. Messeteile; 26, N.Vicentino, »Opera 
omnia« (1 Bd, 1963) ; 27, Nicholas Ludford, "Collected 
Works«, bisher 1 Bd (1963), d. 7 Marienmessen; 29, 
»Fourteenth-Cent. Mass Music in France« (1 Bd, 1962; 
dazu Kritischer Ber., =MSD VII, 1962); 33, J.Hoth- 
by, »The Mus. Works« (1 Bd, 1964). 

3) The Wellesley Edition, hrsg. v. J. La Rue, Wellesley 
(Mass.) 1950ff.: Bd I, (1950), J.Jenkins, "Fancies and 
Ayres«; II (1951), H. Lamb, »Six Scenes« aus d. Protevan- 
gelion; III (1954, 21965), d. Dublin Virginal Manuscript; 

IV (1961), J.Haydn, 3 Divertimenti; V (1963), »The 
Ital. Cantata I: A.Cesti«; VI (1964), "Fifteenth Cent. 
Basse Dances« (Briissel, Bibl. Royale Ms. 9085) mit M. 
Toulouze, L'art et instruction de bien dancer. 

4) Collegium musicum, begonnen v. L. Schrade, New 
Haven (Conn.) 1955ff.: Bd I (1955), A.Scarlatti, Ora- 
torium nach d. Johannespassion (1708); II (1960), 
"Thirty Chansons from the Attaingnant Collection* ; 
IV (1963), d. Wickhambrook Lute Manuscript; V (1964), 
G. Duf ay , J. Ockeghem, J. Obrecht, Missae Caput. 

5) Polyphonic Music of the Fourteenth Century, hrsg. v. 
L. Schrade, 4 Bde nebst separaten Kommentar-Bden, 
Monaco (1956-58) : Bd I (1956), Roman de Fauvel, GA 
d. mus. Werke Ph. de Vitrys u. "French Cycles of the 
Ordinarium Missae«; II— III (1956), G. de Machaut, 
GA; IV (1958), Fr.Landini, GA. 

6) Publications of Mediaeval Musical Manuscripts, hrsg. v. 
Inst, of Mediaeval Music, Brooklyn (N. Y.) 1957S . : Bd 
I (1957), Faks. d. Hs. Madrid 20486; II (1960), Faks. d. 
Hs. Wolfenbuttel 1099 (1206); III (1959), »A Central 
Source of Notre-Dame Polyphony« (Faks., Kritischer 
Ber., Ubertragungen) ; IV (1959), d. Hss. Paris 13521 & 
11411 (Faks. u. Ubertragung nebst Quellen-Ber.) ; V 
(1959), d. Hss. Worcester Add. 68, Westminster Abbey 
33372 u. Madrid, Bibl. Nac. 192 (Faks. . . . ; wie oben 
IV) ; VI (1960), d. Hss. Oxford, Latin Liturgical d 20 u. 
London, Add. Ms. 25031 sowie Chicago, Ms. 654 app. 

(Faks ; wie oben IV) ; VII (1959), G. Faugues, "Opera 

omnia« (Faks. d. Werke aus d. Hss. "Trent 88, Trent 
91, Cappella Sistina 14, Cappella Sistina 51, Verona 
DCCLXI, Modena <x.M.1.13«). 

7) Monuments of Renaissance Music, hrsg. v. E. E. Lo- 
winsky, bisher 1 Bd (Chicago 1964), d. Sammelwerk 
Musica nova (Venedig 1540), Werke v. N.Benoist, G. 
Cavazzoni, G.Colin, G.Parabosco, Segni, Willaert. 



14* 



211 



Denkmaler (Register) 

8) Corpus of Early Keyboard Music, hrsg. v. American 
Inst, of Musicology unter Leitung v. W.Apel, Dallas 
(Tex.) 1963ff. : Bd I (1963), »Keyboard Music of the 
Fourteenth and Fifteenth Cent.«; II (1963), M.Facoli, 
»Collected Works«; III (1964), H.Praetorius, »Magnifi- 
cats«; IV (1964), G.Salvatore, »Collected Keyboard 
Works«; V (1964), B.Pasquini, »Collected Works for 
Keyboards 2 Teile; VI (1964), Johannes de Lublin, 
sTablature of Keyboard Music«, 1. Teil. 

9) Recent Researches in the Music of the Renaissance, bis- 
her 1 Bd (New Haven 1964): G.M.Asola, »Sixteen 
Liturgical Works«. 

10) Recent Researches in the Music of the Baroque Era, 
bisher 1 Bd (New Haven 1964) : M- A. Charpentier, 
Judicium Salomonis. 

11) Monuments of Music and Music Literature in Facsimile, 
NY (1965ff.); 1. Reihe, Music: Bd I (1965), H. 
Purcell, Orpheus Britannicus I, Faks. d. Ausg. London 
1698; II (1965), J.Blow, Amphion Anglicus, Faks. d. 
Ausg. London 1700. - 2. Reihe, Music Lit. : Bd I (1965), 
G.Zarlino, he istitutioni harmoniche, Faks. d. Ausg. 
Venedig 1558. 

Register (nach Komponisten ; Be = Belgien, Da = Dane- 
mark, De = Deutschland, Fr = Frankreich, Gr = GroB- 
britannien, It = Italien, Ni = Niederlande, Ost = Oster- 
reich, Po = Portugal, Sp = Spanien): 
Adlgasser, A. C: Ost XLIII.l. Agricola, A.: Be 1(111, 
XI, XXIV, XXIX); USA 2(22). Agricola, M.: De 
4(XXI V). Ahle, J. R. : De 5(V). Aichinger, Gr. : De 1 (XVI, 
XXVIII), 6(X,1). Albert, H.: De 5(XII-XIII). Alberti, 
G. : Da 3(1-111). Albicastro, H. : Schweiz I. Albrechts- 
berger, J. G. : Ost XVI,2. Alexander: Ost XX,2. Alison, 
R.: Gr 3(XXXIII). Alwood, R.: Gr 7(1). Amon, Bl. : De 
l(XXI); Ost XXXVHI.l. Andrevi, Fr.: Sp 1(19.1/2). 
Anerio, F.: De 1(XV). d'Anglebert, J. H.: Fr 6(VIII). 
Anna v. Koln: De 10(IV). Anna Maria van Eijl: Ni 
1 (XXXVII), 2(11). Anonymi: Be 1(XI, XIII-XX, XXII- 
XXIV) ; De 1 (I), 4(IX) ; Fr 3 ; It 3(V), 7(1), 9(1/11, 1 /III, 2/1), 
14(VI-IX), 16(VII); Ost XIX, 1; Schweden 2(111); Sp 
1(16.1/1, 18.1/1), 2(VI), 3(111, IV-V); USA 2(8/111). An- 
tiquis, A. de: Fr 3; USA 1(IV). Antiquis, G. de: It 8(1). 
Apel, N. : De 9(A.XXXII-XXXIII). Appenzeller, B. : Be 
1(XIV, XV, XVIII). Aranaz y Vides, P.: Sp 1(19.1/1). Ar- 
cadelt, J.: Be 1(11, XX, XXV-XXVIII); De 2(VIII, XII); 
It 16(VII); USA 1(V). Arne, Th. A.: Gr 2(H), 6(111). Ar- 
nold v. Bruck: Ost 99. Ashton, H.: Gr 5(X). Ashwell, 
Th.: Gr7(I). Asola, G. M.: De l(XXVII), 12(1); It 16(11); 
USA 9. Asturiano, J. : Sp 3(IV-V). Attaingnant, P. : De 
4(XXVII); Fr 3, 6(1, V); USA 2(20), 4(11). Attey, J.: Gr 
4(2/IX). Azzaiolo, F. : It 1 1(11). 

Baban, Gr.: Sp 1(17.1/1). Baccusi, H.: It 16(1). Bach: De 
9(A.I-II, A.IX). Bach, C. Ph. E.: De 5(XXIX/XXX), 
9(A.XVIII). Bach, J. Chr.: De 9(A.III, A.XXX). Bach, 
J. Chr. Fr. : De 5(LVI). Bach, J. E. : De 5(XLII, XLVIII). 
Bach, J. S.: De 1(1, IV). Bakfark, Greff: Ost XVIII,2. 
Ballard, R.: Fr 8(V-VI). Baltazarini: Fr 1. Banchieri, 
A. : It 4(1), 6(1). Barbe, A. : De 2(XII). Barbireau, J. : USA 
2(7). Bargonio, T.: It 16(VII). Baroti, Sc: De l(XXIV). 
Barra, H.: Be 1(XX). Bartholus de Florentia: USA 
2(8/1). Bartlet, J. : Gr 4(2/111). Bartolucci da Assisi, R. : 
Da 3(11). Basiron, Ph.: De 2(VIII); It 9(1/1). Bassa, J.: Sp 
3(111). Bassani, G. B.: De 1 (XXVII); It 4(11), 16(V). Bas- 
ton, J.: Be 1(XH); De 2(XII). Bateson, Th.: Gr 1(XIV, 
XVII), 3(XXI-XXII). Battistini, G. : It 5(1/111). Baulde- 
wijn, N.: Be 2(IX). Beaujoyeulx, B. de = Baltazarini. 
Beck, Fr.: De 6(VIII,2). Beethoven, L. van: Fr 6(11). 
Benda, G. : De 5(LXIV). Benevoli, O. : It 10(IA/l-4, IA/8, 
IB/1, IC/1, IIA/1, IIB/1-4, IIB/9, IIC/1, IID/1); Ost X,l. 
Benincasa, A. : Da 3(11). Benn, J. : Schweiz IV. Bennet, J. : 
Gr I (XV), 3(XXIII). Benoist, N. : USA 7. Berchem, J. de: 
Be 1(1, XI, XVII, XXIV); It 16(VII). Bernal Gonzales, 
Fr.: Sp 1(16.1/1). Bernardi, St.: Ost XXXVI, 1. Bernar- 
do Pisano: Da 3(111). Bernhard, Chr.: De 5(VI). Ber- 
tani, L.: It 16(1). Bertoni, F. G.: It 4(XVI). Bertrand, 
A. de: Fr 5HV-VII). Berxes, Fr.: Sp 3(IV-V). Besard, 
J.-B.: It 2(VII, IX). Biber, C. H.: OstXLIII,l. Biber, H. I. 
Fr.: Ost V,2, XII.2, XXV.l, XXX.l, 92, 96-97, 106/107. 



Biechteler, M. S.: Ost XLIII.l. Binchois, G.: De 12(11). 
Bivi, P.: Da 3(111). Blow, J.: Gr 2(XXIII, XXV), 6(VII); 
USA 11(1/11). Boccherini, L.: It 4(111), 7(IV), 13(1); USA 
l(III). Bohm, G.: De 5(XLV). Boieldieu, A.: Fr 6(XI- 
XII). Bontempo, J. D.: Po VIII. Borchgrevinck, M.: Ni 
1 (XXXIV). Boscoop, C: Ni l(XXII). Bourgeois, L.: 
Schweiz III. Boutmy, J.: Be 2(V). Boyce, W.: Gr 6(XIII). 
Boyvin, J.: Fr 4(VI). Bros, J.: Sp 1(19.1/2). Brudieu, J.: 
Sp 4(1). Bruhns, N.: De 1(1), 9(C.Schleswig. . . I-II). 
Brumel, A.: Be 1(11, X, XI); Fr 3; USA 2(5). Brunetti, 
G.: It 13(111). Bull, J.: Gr 1 (XVIII), 6(XIV, XIX). Bul- 
tel, J.: Be l(XXVIII). Buonaugurio da Tivoli, G.: Da 
3(1, II). Burgh, C: De 10(VI, IX). Busnois, A.: It 9(1/1). 
Buus, J.: De 2(VIII); It 16(VII). Buxtehude, D.: De 1(1), 
5(XI, XIV). Byrd.W. : Gr 1 (I.VI, XVIII), 2(VI-IX), 3(XIV- 
XVI), 5(11, VII, IX). 

Cabanilles, J.: Sp 4(IV, VIII, XIII, XVII). Cabez6n, A. 
de: Sp 2(III-IV, VII-VIII). Cabilliau: Be 1 (XVIII). Ca- 
bo, Fr. J.: Sp 1(19.1/1). Cabrera, Fr. V.: Sp 1(18.1/1). 
Caccini, Fr.: USA l(VII). Caccini, G.: De 4(IX); It 
4(IV). Caldara, A.: De l(III); Ost XIII.l, XXXIX, 91, 
101/102. Calvisius, S.: De l(XXVIII). Cambert, R.: Fr 1. 
Campian, Th.: Gr 2(1), 4(1/IV, 1/XIII, 2/I-II, 2/X-XI). 
Campra, A.: Fr 1. Canis, C: Be 1(XV, XXV); De 2(VIII). 
Cannabich, Chr. : De 6(VIII,2, XV-XVI). Cara, M. : Da 
3(11). Cardoso, M.: Po V-VI. Carissimi, G.: De 3(H); It 
4(V), 8(4). Carlton, R.: Gr 3(XXVII). Carmen, J.: USA 
2(11/1). Carnazzi: De 1(11). Caron, Ph.: It 9(1/1). Caro- 
so, F. : It 2(1). Carver, R. : USA 2(1 6). Casanoves, N. : Sp 
5(2/1). Caseda, D.: Sp 1(17.1/1). Caseda, J. de: Sp 1(18.1/ 
1). Castileti, J. = Guyot. Castillo, D. del: Sp 1(16.11/1). 
Catel, Ch.-S. : Fr 1. du Caurroy, E. : Fr 3. Cavalieri, E. 
de': It4(X). Cavalli, Fr.: De 4(XI). Cavazzoni, G.: It 
4(VI) ; USA 7. Cavazzoni, M. A. : It 7(1). Cavendish, M. : 
Gr 3(XXXVI), 4(2/VII). Ceballos, Fr. de: Sp 1(16.1/1), 
2(VI). Ceballos, R. de: Sp 1(16.1/1). Cererols, J.: Sp 
5(1/1-111). Certon, P.: De 2(XII); Fr 5(11), 8(1). Cesares, 
J.: USA 2(11/1). Cesti, M. A.: De 4(XI); Ost 111,2, IV,2; 
USA 3(V). Charpentier, M.-A.: USA 10. Cherubini, L.: 
It 4(VII). Cima, G. P.: De 1 (XXIII). Claudin = CI. de 
Sermisy. Clementi, M. : It 4(VIH). Clemens non Papa, J. : 
Be 1 (I, XIV, XX); De 2(1-111, V, VIII, X-XII); Ni 1 (XLIV); 
USA 2(4). Clerambault, L. N.: Fr 4(111). Cleve, J. de: 
Be 1(1, IX, XII-XVI); De 2(IV). Coclico, A. P.: De 
9(A.XLII). Coelho, M. R.: Po I, III. Colin, G.: USA 7. 
Collasse, P.: Fr 1. Comes, J. B.: Sp 1(17.1/1). Compere, 
L.: Be 1(XIII, XXIII); USA 2(15). Conti, Fr.: Ost 101/ 
1 02. Coperario, J. : Gr 4(1 /XVII). Cordans, B. : De 1 (II). 
Cordier, B. : USA 2(1 1 /I). Corelli, A. : De 3(111) ; It 4(IX). 
Corkine, W. : Gr 4(2/XII-XIH). Cornet, P. : Be l(XVII). 
Correa, M. : Sp 3(111). Correa de Arauxo, Fr. : Sp 6(VI, 
XII). Costa de Lisboa, J. da: Po VII. Costeley, G.: Fr 3. 
Couperin (le grand), Fr.: De 3(IV); Fr 4(V). Cramer, 
W.: De 6(XV-XVI). Crappius, A.: De 9(C.Niedersachsen 
II). Crecquillon, Th. : Be 1(1, VIII, XII, XIV, XXIV) ; De 
2(X, XII). Croce, G.: De 1(XV, XVI, XXIII); It 6(111), 
16(1). Cuellar, R. F.: Sp 1(19.1/1). 
Dach, S. : De 9(C.OstpreuBen. . .). Dall'Abaco, E. F.: 
De 6(1, IX,1). Daman, G.: Gr 2(XXI). Dandrieu, J. Fr.: 
Fr4(VII). Danyel, J. : Gr 4(2/VIII). Danzi, Fr. : De 6(XV- 
XVI). Daquin,L.-Cl. : Fr4(III). Daser, L. :De 9(A.XLVII). 
Dattari, Gh.: It 11(111). Delalande, M.-R.: Fr 1. De- 
latre, Cl.: De 2(VIII). Deller, Fl. J.: De 5(XLIH/XLIV). 
Demantius, Chr. : De 1 (XXVIII), 9(B.I). Destouches, A. : 
Fr 1. Diepenbrock, A.: Ni l(XLIII). Dietrich, S. : De 
8(111,2), 9(A.XXIII). D'India, S.: It 7(X). Ditters v. Dit- 
tersdorff, K.: Ost XLIII,2. Dobenecker: De 1(1). Do- 
nato, B. : De l(XXIV). Donato de Florentia : USA 2(8/ 
III). Doni, A. Fr.: It 16(VII). Dowland, J.: Gr l(XII), 
4(1/1-11, 1/V-VI, 1 /X-XII, 1/XIV), 6(VI). Doyague, M. 
J.: Sp 1(19.1/1; 19.II/2). Draghi, A.: Ost XXIII, 1. Dress- 
ler, G. : De 1 (XV, XXVI), 4(XXVIII). Dufay, G. : It 9(1 / 
I, l/II, 2/1); Ost XIX.l ; USA 2(1), 4(V). Dulichius, Ph.: 
De 5(XXXI, XLI). Dunstable, J.: Gr 6(VIII). Durante, 
Fr.: De 1(11, IV); It 4(XI). Dur6n, S.: Sp 1(17.11/1, 19.11/ 
2), 3(III-V). Dutertre, E.: Fr 3. 

Earsden, J.: Gr4(2/XVIH). East, M.:Grl(XIV), 3 (XXIX- 
XXXI). East, Th.: Gr 1(XI). Eberlin, J. E.: De 1(1); Ost 
XXVIII.l, XLHI,1. Eccard, J.: De 4(XXV). Edelmann, 
J. Fr. : De 6(XV^XVI). Eichner, E. : De 6(VHI,2, XV- 
XVI). Episcopius, L.: Be 1(XI). Erbach, Chr.: De 



212 



Denkmaler (Register) 



1 (XXVIII), 6(IV,2). Erlebach, Ph. H.: De 5(XLVI/ 
XLVII). Escobedo, B.: Sp 1(16.1/1). Eslava.H.: Sp 1(19.11/ 
1). Este, M. u. Th. = East. Esteve, P. : Sp 3(11). 
Fabio, E.: De 1(11). Fabri, St.: It 10(IIB/10-11). Facoli, 
M. : USA 8(11). Faignient, N. : Be 1 (XIII, XXVIII). Falk, 
G. P.: Ost 86. Farmer, J.: Gr 3(VIII). Farnaby, G.: Gr 
3(XX). Fasch, J. Fr.: De 9(A.XI). Faugues, G.: It 9(1/1, 
1/IV); USA 6(VII). Fayrfax, R.: USA 2(17). Felis, St.: 
De l(XXIII). Fernandez Caballero, M.: Sp 1(19.11/2). 
Fernandez de Castilleja, P.: Sp 1(16.1/1). Ferrabos- 
co(I), A. : De 1 (XXV) ; Gr 2(XI-XII). Ferrabosco(II), A. : 
Gr4(2/XVI). Ferrer, G.: Sp 3(11). Ferrer, M.: Sp 3(111). 
Festa, C: Da 3(1-111); It 1(VII); USA 2(25). Festa, S.: 
Da 3(11). Fevin, A. de: Fr 3; Sp 1(16.1/1). Feys, A.: Be 
l(XXVIII). Field, J.: Gr 6(XVII). Filippus de Lurano: 
Da 3(11). Filtz, A.: De 6(111,1, VII,2, XV-XVI), 9(A.LI). 
Finck, Heinrich: De 4(VII), 9(A.LVII). Finck, Her- 
mann: De 4(VII). Fiocco, J.-H.: Be 2(111). Fischer, J. C. 
F.: De 5(X). Flecha, M.: Sp 4(XVI). Florio, G.: De 
l(XVIII). Forster, E. A.: Ost XXXV,1. Fogliano, G.: 
Da 3(1); It 7(1). Fogliano, L.: Da 3(11). Ford, Th.: Gr 
l(XIV), 4(1/111). Forster; G.: De 4(XXXIII), 9(A.XX). 
Fossa, J. de: Be 1(11). Franciscus Bossinensis: It 5(2/111). 
Franck, J. W. : De 5(XLV), 9(C.Bayern II). Franck, M. : 
De 1(XXIV), 5(XVI). Frauenlob: Ost XX,2. Frescobal- 
di, G.: De 1(1), 12(IV); It 2(VI), 4(XII), 15(11). Friderici, 
D. : De 9(C. Mecklenburg ... II). Froberger, J. J. : De 1 (I) ; 
Ost IV, 1, VI,2, X,2. Frye, W.: USA 2(19). Fuentes, P.: 
Sp 1(18.1/1). Fux, J. J. : Ost 1,1, 11,1, IX,2, XVII, XXIII.2, 
85, 101/102; USA 1(11). 

Gabrieli, A.: Fr 4(X); It 5(1/1), 7(V). Gabrieli, G.: De 
1(111, XV, XVI, XXI, XXIII, XXVIII); It 5(1/1-11); USA 
2(12). Gaffori, Fr.: It 14(I-V); USA 2(10). Gagliano, 
M. da: De 4(IX). Galilei, V.: It 5(1/IV); USA 1(VIII). 
Gallo(II), D. : De 1 (II). Gallus, J. : De 1(XV, XXI, XXII, 
XXVII); Ost VI,1, XII.l, XV, 1, XX,1, XXIV, XXVI, 
XLII.l, 94/95. Galuppi, B.: It 4(XIII), 16(VI). GarcIa, 
Fr.: Sp 1(19.1/1). GARcfA, M.: Sp 1(19.11/2). Gascogne, 
M.: Be 2(IX). Gaspar van Weerbeke: It 14(XI). Gass- 
mann, Fl. L.: Ost XXI.l, XLV. Gaultier, D.: Fr 6(VI- 
VII). Gautier de Coinci: Fr 6(XV). Geist, Chr.: De 
9(A.XLVIII). Gemblaco, J. Fr.: Be 3. Geminiani, Fr.: 
USA 1(1). Genet, E.: It 1(VH). Gervaise, Cl.: Fr 3. Ge- 
sualdo, C. : It 4(XIV), 5(1/V), 8(2). Gheerkin = C. Canis. 
Gherardello de Florentia: USA 2(8/1). Ghiselin, J.: 
USA 2(23). Giacobbi, G.: It 11(1). Giacomelli, G.: De 
1 (II). Giardini, F. : It 7(111, VI). Gibbons, Chr. : Gr 6(11). 
Gibbons, O.: Gr 1(111, IX, XVIII), 3(V), 5(IV), 6(XX), 
7(111). Gigault, N. : Fr 4(IV). Giles, Th. : Gr 2(1). Gintz- 
ler, S.: Ost XVIII,2. Giorgi, G.: It 10(IC/2, IIIA/1-2). 
Giovannelli, R.: De 1(XXV, XXVI). Giovanni da 
Cascia: USA 2(8/1). Gistou, N.:'Ni 1 (XXXIV). Glarea- 
nus: De 4(XVI-XVIII). Gletle, J. M.: Schweiz II. Gluck, 
Chr. W.: De 6(XIV,2); Ost XXI.2, XXX.2, XLIV. Gor- 
ner, J. V. : De 5(LVII). Goldberg, J. G. : De 9(A.XXXV). 
Gombert, N.: Be 1(11, XI, XII, XIV, XVII, XX); De 2(VIII, 
XII); USA 2(6). G6mez Camargo, M.: Sp 1(16.11/1). 
Goudimel, Cl.: Be 1(111, XI); Fr 3, 5(IX); It 1(VII). 
Graun, C H.: De 5(XV). Graupner, Chr.: De 5(XXIX/ 
XXX, LI/LII), 1 1(1/11). Graziani, C. : It 7(XV). Grazioli, 
G. B. : It 7(XII). Greaves, Th. : Gr 3(XXXVI), 4(2/XVIII). 
Grep, B. : Ni 1(XXXIV). Grigny, N. de: Fr 4(V). Guami, 
G.: De 1(XVII, XVIII). Guerrero, Fr.: De l(XXVII); 
Sp 1(16.11/1), 2(11, VI), 6(XVI, XIX). Guilain, J. A.: Fr 
4(VII). Guillet, Ch.: Be 2(IV). Gumpelzh aimer, A.: De 
1(11, XXVIII), 6(X,2). Guyot, J. : De 2(XII). 
Handel, G. Fr. : De 1(IV). Hagius, K. : De 10(111). Haindl, 
Fr. S. : Ost 86. Hainlein, P. : De 6(VI,1). Hammerschmidt, 
A.: De 1 (III, XXIV-XXVHI), 5(XL), 9(A.XLIII, A.XLIX); 
Ost VIII, 1. Hasse, J. A.: De 1(IV), 5(XX, XXIX/XXX), 
9(A.XXVII). Hassler, H. L.: De 1(XIII-XIV), 4(XV), 
5(11, VII, XXIV/XXV), 6(IV,2, V, XI,1). Hassler, J.: De 
6(IV,2). Haussmann, V.: De 5(XVI). Havingha, G.: Be 
2(VII). Haydn, J.: USA 1(X), 3(IV). Haydn, M.: Ost 
XIV,2, XXII, XXXII, 1. Heinichen, J. D.: De 9(A.XI). 
Heinrich VIII.: Gr 6(XVIII). Hellendaal, P.: Ni 
l(XLI), 2(1). Herbing, V.: De 5(XLII). Herbst, J. A.: De 
9(C.Rhein. . .). Heredia, A. de: Sp 1(17.1/1). Hidalgo, 
J.: Sp 3(III-V). Hilton, J.: Gr 1(XIII). Hoffer, J. J.: Ost 
XXVilI,2. Holborne, W. : Gr 3(XXXVI). Hole, W. : Gr 
1 (XVIII). Hollande, J. de: Be 1(XVI). Hollander, Chr. 



J.: De 2(1, IV-VI, IX). Hollander, S.: De 2(1). Holz- 
bauer, I.: De 5(VIII/IX), 6(VII,2, XV-XVI), 9(A.XXIV). 
Hothby, J.: USA 2(33). Hugalde, C. J.: Sp 1(19.11/2). 
Hurlebusch, C. Fr.: De 5(XXIX/XXX); Ni 1 (XXXII). 
HuYGENs,C.:Nil(XI). 

Infantas, F. de las: Sp 1(16.11/1). Ingegneri, M. A.: 
De 1(XV); It 5(1/VI). Isaac, H.: It 14(X); Ost V,l, XIV.l, 
XVI, 1. 

Jachet v. Mantua: De 12(1). Jacopo da Bologna: USA 
2(8/IV). Janequin, Cl.: De 2(XII); Fr 3. Jeep, J.: De 
9(A.XXIX). Jenkins, J.: USA 3(1). le Jeune, Cl.: Be 1(XX, 
XXIX); Fr 3, 5(1, VIII). Joachim a Burck: De l(III), 
4(XXVI). Johannes de Florentia = Giovanni da Cascia. 
Johannes de Lublin: USA 8(VI). Johnson, R.: Gr 4(2/ 
XVII). Jommelli, N.: De 1(IV), 5(XXXII/XXXIII) ; It 
4(XV). Jones, R. : Gr 3(XXXV), 4(2/IV, 2/VI, 2/XIV-XV). 
Josquin Desprez : Be 1 (II, III, XII, XIV-XVI, XX, XXII) ; 
De 2(VI-VIII, XII), 4(V); Ni l(XLIV). Juares, A.: Sp 
1(17.1/1). Judenkunig, H.: Ost XVIII,2. Julia, B.: Sp 
1(18.1/1). Jullien, G.: Fr 6(XIII). Junckers, G.: Be 
l(XXI). Justo, J. : Sp 3(IV-V). 

Reiser, R. : De 4(XXI/XXII), 5(XXXVII/XXXVIII). Ker- 
le, J. de: Be 1(1, XVII, XXIII-XXVIII); De 6(XXVI). 
Kerll, J. K.: De 1(11), 6(11,2); Ost XXV.l, XXX.l. Kin- 
dermann, J. E.: De 6(XIII, XXI-XXIV). Kirbye, G.: Gr 
2(III-V, XXI), 3(XXIV). Kirchhoff, G.: De9(A.XXXV). 
Kneffel, J.: De l(XIX). Knupfer, S.: De 5(LVIII/LIX). 
Kraus, J. M. : Schweden 2(11). Krieger, A. : De 5(XIX). 
Krieger, J.: De 6(VI,1, XVIII). Krieger, J. Ph.: De 
5(LIII/LIV), 6(VI,1, XVIII). Kugelmann, H.: De 9(B.II). 
Kuhnau, J.: De 5(IV, LVIII/LIX). Kusser, J. S.: De 
9(C.Schlewig... III). 

Lamb, H.: USA 3(11). Landi, St.: It 3(V). Landini, Fr.: 
USA 5(IV). Lange, Gr.: De l(XIX), 4(XXIX). Lanner, 
J.: Ost XXXIII.2. Lantins, A. de: Be 3. Lantins, H. de: 
Be 3. Lapperdey, Ph.: Be l(XVIII). de la Rue, P.: Be 
1(XVIII-XXII, XXIX), 2(VIII); Fr 3. Laserna, Bl. de: 
Sp 3(11). Lassus, O. de: Be 1(III-V, IX, X, XII, XIII, XVI, 
XXIV); De 1(V-XII), 2(VII, VIII, X, XII); Fr 3. Lassus, 
R. de: De l(XXI). Laurentius Massii de Florentia: 
USA 2(8/111). Laurus Patavus: Da 3(1). Lawes, W.: Gr 
6(XXI). Lebegue, N. : Fr 4(IX). le Blanc, D. : Fr 5(111). 
Lechner, L. : De 1 (XVIII, XIX), 4(XXIII). Leclair (l'a!- 
ne), J.-M.: De 4(XXXI). Le Coco, J.: De 2(XH), 12(1). 
Ledesma, N.: Sp 1(19.1/2). Legrenzi, G.: De 1(11, III). 
Leibl, C: De 10(V). Le Maistre, M.: Be 1(1, XII); De 
2(VIII). Leo, L. : De 1(111, IV). Leoni, L. : De l(XXII). le 
Roy, A.: Fr 8(II-IV). Le Roy, B.: Be 1(11). L'Estocart, 
P. de: Fr 5(X-XI). le Sueur, J. Fr.: Fr 1. Lichfild, H.: 
Gr3(XVII).LiD6N,J.:Sp 1(18.11/1). Literes, A. :Sp 1(18.1/ 
1), 3(11, IV-V). Lobo, A.: Sp 1(17.1/1). Locatelli, P.: It 
4(XVI), 7(XIV) ; Ni 1 (XXXI), 2(IV). Locke, M. : Gr 6(11). 
Loeillet, J. B.: Be 2(1). Longaval, A. de: Be 1(1). Lopes 
Morago, E. : Po IV. L6pez, M. : Sp 5(1/VI, 2/1). Lotti, A. : 
De 1(11, IV), 5(LX). Ludford, N.: USA 2(27). Lully, 
J.-B.: De 4(XIII/XIV); Fr 1. Lupi, J.: Be 1(XVI, XX, 
XXIV); De 2(XII). Lupo, Th.: Gr 2(1). Luyton, Ch.: Be 
2(IV); De 1(XVII-XX, XXII). 

Machado, M.: Sp 3(IV-V). Machaut, G. de: De 8(1,1, 
111,1, IV,2); USA 2(2), 5(II-III). Macque, J. de: Be 1(1, 
VII, IX), 2(IV). Madlseder, N. : Ost 86. Maestro Pierro 
= Piero da Firenze. Maffoni, H.: Da 3(1, II). Mage, P. 
du: Fr 4(111). Mahu, St.: De 1(XVII, XVIII). Mainerio, 
G.: De 12(V). Maistre Jhan = J. Le Cocq. Manchi- 
court, P. de: De 2(XII). Mann, J. : Ost XIX,2. Marbeck 
= J. Merbecke. M arcello, B. : De 1(IV) ; It 2(IV), 4(XVII), 
7(11, VIII). Marchand, L.: Fr 4(111, V). Marenzio, L.: 
De 1(XV, XVI, XXVII, XXVIII), 8(IV,1, VI). MarIn, J.: 
Sp 3(III-V). Martelaere, J. de: Be 1(1). Mart!, M.: Sp 
3(IV-V). Martini, G.: De 11(1/V); It 4(XVIII), 7(XI). 
Martini, J. : It 14(XII). Mason, G. : Gr 4(2/XVIII). Mas- 
saini, T. : Ost 110. Mastioletti: De 1(11). Matheus de 
Perusio: It 5(2/1). Mattheson, J.: De 11(1/1). Mauduit, 
J.: Fr 3. Mayr, R. I.: De 9(C.Bayern I). Meiland, J.: De 
1(XIX, XX). Mel, R. del: Be 1(1, IX, XI, XII); De 1(XVI, 
XX, XXI, XXVI). Meldert, L. van: Be 1(XI). Mene- 
galli: De 1(11). Merbecke, J.: Gr 5(X). Merula, T.: It 
15(1). Merulo, Cl.: De 1(1, XVI, XXIII, XXV, XXVII, 
XXVIII); Fr 4(X). Meton, V.: Sp 1(19.11/2). Michel, 
Don: Da 3(11). Milan, L.: De 8(11). Milton, J.: Gr 
2(XXII). Molinari, S.: De 1(XV, XVI, XXII). Molter, 



213 



Denkmaler (Register) 

J. M.: De 9(A.XLI). Mondonville, J.-J. de: Fr 6(IX). 
Monjo, Fr.: Sp 3(IV-V). Monn, M.: Ost XV,2, XIX,2. 
Monte, L.: Be 1(XI). Monte, Ph. de: Be 1(1, II, VI-X); 
De l(XXIV), 2(VI); It 16(1); Ni l(XXXVIII). Montella, 
G. D.: It 5(1/V). Montemayor, Fr. de: Sp 1(17.11/1). 
Montesinos, A.: Sp 1(19.1/1). Monteverdi, Cl.: De 
4(IX); It 3(VI),4(XIX), 5(1 /VI), 7(IX), 16(IV); Ost XXIX, 1. 
Morales, Chr.: It l(VII); Sp 1(16.1/1), 2(1), 6(XI, XIII, 
XV, XVII, XX, XXI). Moritz v. Hessen: De 9(C.Kur- 
hessen). Morlaye, G.: Fr 8(1). Morley, Th.: Gr 1(V), 
3(I-IV, XXXII), 4(1/XVI). Mouton, J.: De 2(VIII); Fr 3. 
Mozart, L. : De 6(IX,2). Mudarra, A. : Sp 6(VII). Mue- 
las, D.de las: Sp 1(18.1/1). Muthel, J. G.: De 11(1/VI- 
VII). Muffat, Georg: Ost 1,2, 11,2, XI.2, 89. Muffat, 
Gottlieb: De 1(1); Ost 111,3, XXIX,2. Mundy, J.: Gr 
3(XXXV). Mundy, W.: Gr 7(11). Murschhauser, Fr. 
X. A.: De6(XVIII). Mutus: Da 3(1). 
Nanino, G. M. : De 1 (XXV) ; It 1 6(1). Narv aez, L. de : Sp 
6(111). Naumann, J. G. : De 1 (IV). Navarro, Fr. : Sp 3(IV- 
V). Navarro, J.: Sp 1(16.11/1). Navas, J.: Sp 3(III-V). 
Nebra, J.: Sp 1(18.11/1). Neefe, Chr. G.: De 10(1, X-XI). 
Negri, C.: It 2(1). Neidhart v. Reuenthal: Ost XXXVII, 1 . 
Nenna, P. : It 8(3). Nerito, V. : De 1 (XX). Newsidler, H. : 
Ost XVIII,2. Nivers, G.: Fr 6(XIV). Nocetti, Fl.: De 
1(XV). Noleth: It 16(VII). Noordt, A. van: Ni l(XIX). 
Novarese, M. : It 16(VII). 

Obrecht, J.: Ni 1(IX, XVIII, XLIV); USA 4(V). Ocke- 
ghem, J.: De 8(1,2); It 9(1/1); Ost XIX.l ; USA 4(V). Og- 
lin, E.: De 4(VIII). Oevering, R. P. van: Ni l(XLVI). 
Olleta, D.: Sp 1(19.11/2). Orologio, A.: De l(XXIV). 
Ortells, A. T.: Sp 1(17.11/1). Ortiz, D.: Sp 1(16.11/1). 
Orto, M. de: It 9(1/1). Othmayr, C.: De 9(A.XVI, 
A.XXVI). Ott, J. : De 4(1-111), 9(A.XV). Ozcoz y Cala- 
horra, R.:Sp 1(19.11/2). 

Pace, P.: De 1(XX). Pachelbel, J.: De 1(1, III), 6(11,1, 
IV, 1, VI,1); Ost VIII.2. Pachelbel, W. H.: De 6(11,1, 
IV, 1). Padbrue, C. Th.: Ni l(XLII), 2(V). Paez, J.: Sp 
1(18.1/1). Paisiello, G.: It 4(XX). Palazzo, J.: It 16(VII). 
Palestrina, G. P.: Da 3(111); De 1(11, III), 3(1); It 1(I-VI, 
VII), 4(XXI). Pallavicini, C. : De 5(LV). Paluselli, S. : 
Ost 86. Parabosco, G. : It 16(VII); USA 7. Paradies, P. D.: 
It 4(XXI1). Parsley, O. : Gr 5(X). Pasquini, B. : USA 8(V). 
Patino, C: Sp 1(17.11/1), 3(III-V). Pederson, M.: Da 1. 
Penalosa, Fr. de: Sp 1(16.1/1). Pepusch, J. Chr.: De 
1 1(2/1-11). Perez, J. G. : Sp 2(V). Perez y Alvarez, J. : Sp 
1(19.11/2). Pergolesi, G. B.: De 1 (IV) ; It 4(XXIII). Peri, 
J.: It 3(VI), 4(XXIV). Perianez, P.: Sp 1(16.11/1). Peri- 
son: It 16(VII). Pesori, St.: It 2(111). Petrucci, O.: De 
8(VIII); It 12(1). Petrus de Ostia: Da 3(1). Petti, P.: It 
10(IA/6). Petz, J. Chr.: De 6(XXVII/XXVII1). Peuerl, 
P.: Ost XXXVI.2. Pevernage, A.: Be 1(1, II, V-VIII, XVI); 
De 2(VIII). Peyro, J.: Sp 3(111). Pezel, J.: De 5(LXIII). 
Pfleger, A. : De 9(A.L). Phalese, P. : Ni 1 (XXVI, XXVII). 
Philidor, Fr. A.: Fr 1. Phinot, D.: De 2(VIII, IX). Pic- 
cinni, N. : Fr 1 ; It 7(VII). Picchi, G. : It 2(11). Piero da 
Firenze: USA 2(8/11). Pilkington, Fr.: Gr 2(XVIII- 
XX), 3(XXV-XXVI), 4(1/VII, 1/XV). Pipelare, M.: Be 
1(1, XI, XIII, XIV, XXI). Pisari, P.: It 10(IIB/8). Pisen- 
del, J. G.: De 5(XXIX/XXX). Pitoni, G. O.: It 10(IA/5, 
IA/7, IIB/5-7). Platti, G.: De 1 1 (1/III-IV) ; It 5(2/11). 
Poglietti, A. : Ost XIII.2, XXVI1I.2. Pokorny, Fr. X. : 
De 9(A.XLI). Pons, J.: Sp 1(19.1/1). Pontac, D.: Sp 
1(17.11/1). Ponte, J. de: Be 1(1). Porpora, N.: It 4(XXV). 
Porta, C. : De l(XXVI). Portugal, M. : Po IX. Posch, I. : 
Ost XXXVI,2. Pradanos, H.: Sp 1(19.11/2). Praetorius 
(d. Altere), H.: De 5(XXIII); USA 8(111). Praetorius, 
M.: De l(III), 4(XII). Prieto, J.: Sp 1(19.1/1). Pujol, J.: 
Sp 4(111, VII). Purcell, H.: Gr 1(IV, VII, X, XIX), 
2(XXIV) ; USA 11(1/1). Puteus, V. : De l(XXI). 
Quagliati, P. : USA 1(XI1I). 

Rabassa, P.: Sp 1(18.1/1). Raick, D.: Be 2(VI). Raison, 
A.: Fr 4(11). Rameau, J.-Ph.: Fr 1. Raselius, A.: De 
6(XXIX/XXX). Rathgeber, V. : De 9(A.XIX). Ravens- 
croft, Th. : Gr 3(XXIII). Rebhun, P. : De 4(IX). Regis, J. : 
It 9(1/1) ; USA 2(9). Regnart, Fr. : Fr 3. Regnart, J. : De 
4(XXIII). Reinken, J. A.: Ni l(XIII-XIV). Reinmar v. 
Zweter: Ost XX,2. Reusner, E.: De 9(A.XII). Reutter 
(d. Altere), G.: Ost XIII,2. Reutter (d. Jungere), G.: 
Ost XV,2, 88. Rhaw, G.: De 5(XXXIV), 9(A.XXI, 
A.XXV). Ribera, B.: Sp 1(16.1/1). Riccio, M.: It 16(VII). 
Riccio, T.: De l(XIX). Richafort, J.: Be 1(XV, XVII); 



De 2(XII). Richter, F. T. : Ost XIII.2. Richter, Fr. X.: 
De 6(111,1, VII,2, XV-XV1), 9(A.LI). Ripa, A.: Sp 1(18.11/ 
1). Roberday, Fr.: Fr4(III). Robledo, M.: Sp 1(16.1/1). 
Rocourt, P. de: De 2(XII). Rodriguez, F.: Sp 5(2/11). 
RoDRiouEZ de Ledesma, M.: Sp 1(19.1/2). Rossler, Fr. 
A.: De 6(XII,1, XXV). Rogier, Ph.: Be l(XXI). Rogier 
Pathie: Be l(XIX). Roi, B.: De l(XXV). Roldan, J. P.: 
Sp 1(18.1/1). Rolle, J. H.: De 1(IV). Roman, J. H,: Schwe- 
denl(I-V,VIII-IX), 2(1). Romero, M.:Sp 1(17.1/1), 3(111). 
Ron, M. de: Schweden 1(VI). Rore, C. de: Be 1(1, VIII, 
XI, XII); De 2(VII, XII), 12(1); It 16(VII); USA 1(VI), 
2(14). Rosenmuller, J. : De 1(XX1V), 5(XV1II). Rosetti, 
A. = Fr. A. RoBler. Rosier, C: De 10(VII). Rosseter, 
Ph.: Gr 4(1/IV, 1/VIII-IX, 1/XIII). Rossi, M. A.: It 
4(XXVI). Rosso da Collegrano : USA 2(8/111). Rota, A. : 
De l(XVI). Rudolph, J. J.: De 5(XLIII/XLIV). Ruffo.V.: 
It 16(IV, VII). Rust, Fr. W.: De 9(C. Mitteldeutschland). 
Rutini, G. M. Pl.: It 4(XXVII). 

Sacchini, A.: Fr 1. Salazar, J. G. de: Sp 1(17.11/1). Sa- 
les, Fr. : Be 1 (I, IV-VI). Salieri, A. : Fr 1 . Salvatore, G. : 
USA 8(IV). Sammartini, G. B. : It 4(XXVIII). Sandoni, 
P. G.: It 4(XX1X). Sanjuan, N.: Sp 1(18.1/1). Santa 
MarIa, T. de: Sp 2(VI). Santini, Pr.: De l(XXV). Scan- 
dello, A.: De 1(XV, XIX, XX). Scarlatti, A.: De 1(111, 
XXIV), 4(XIII/XIV); It 4(XXX), 7(XIII); USA 4(1). 
Scarlatti, D. : It 4(XXXI). Schedel, Dr. Hartmann : De 
9(A.XL). Scheidt, S.: De 5(1); Ni l(III). Schelle, J.: De 
5(LVIII/LIX). Schenck, J.: De 9(A.XLIV); Ni l(XXVIII). 
Schenk, J.: Ost XXXIV. Scherer, S. A.: Fr 4(VIII). 
Scheure, D.: Be l(XIX). Schloger, M.: Ost XV,2. 
Schmelzer, J. H. : Ost XXV,1 , XXVIII,2, 93, 105. Schmie- 
rer, J. A. : De 5(X). Schobert, J. : De 5(XXXIX), 9(B.IV). 
Schondorffer, Ph.: De 1 (XXVII). Schurmann, G. C. : 
De 4(XIX/XX). Schutz, H.: De l(III). Schultz, J.: De 
9(C.Niedersachsenl). Schuyt, C: Ni 1(V, XLV). Schwem- 
mer, H. : De 6(VI, 1). Sebastiani, J. : De 5(XVII). Secanil- 
la, Fr.: Sp 1(19.1/1, 19.II/2). Segni, G.: It 7(1); USA 7. 
Senfl, L.: De 1 (XVIII), 6(111,2), 9(A.V, A.X, A.XIII, 
A.XV). Seraphin, Fr. : Da 3(1). Serini, G. B. : It 4(XXIX). 
Sermisy, Cl. de: De 2(XII). Serqueira, J.: Sp 3(IV-V). 
Simon da Ferrara: Da 3(11). Soler, A.: Sp 1(18.1/1), 
4(IX). Sousa Carvalho, J. de: Po II. Spataro, G.: Da 
3(1). Sperontes: De 5(XXXV/XXXVI). Stabile, A.: De 
1(XVI, XXII). Staden, J.: De 6(VII,1, VIII.l). Stadl- 
mayr, J.: Ost 111,1. Stamitz, A.: De 6(XV-XVI), 9(A.LI). 
Stamitz, C : De 6(VI1I,2, XV-XVI), 9(A.LI). Stamitz, J. : 
De 6(111,1, VII.2, XV-XVI), 9(A.LI). Starzer, J.: Ost 
XV,2. Stefani, G.: It 2(111). Steffani, A.: De 6(VI,2, 
XI,2, XII,2), 10(VIII); USA 1(XI). Steffanini, G. B.: De 
1(XV). Steffens, J.: De 9(A.XXIX). Sterkel, J. Fr. X.: 
De 6(XV-XVI). Stolzel, G. H.: De 5(XX1X/XXX). 
Stoltzer, Th. : De 5(LXV), 9(A.XXII). Storace, St. : Gr 
6(XVI). Straus, Chr.: OstXXX.l. Strauss (Vater), J.: 
Ost XXXV,2. Strauss (Sohn), J. : Ost XXXII,2. Strauss, 
Josef: Ost XXXVI1I,2. Striggio, A.: It 6(IV). Suriano, 
Fr.: De l(XXV). Susato, T.: Ni l(XXIX). Sweelinck, 
J. P.: De 1 2(111); Fr 4(X); Ni 1 (I, HI, V-VII, XII, XV, XVII, 
XLVII). Sylva, J. E. de: Ost 86. 

Tafalla, P.: Sp 1(17.1/1). Tallis, Th.: Gr 5(VI, IX). 
Tapissier, J.: USA 2(11/1). Tartini, G.: It 4(XXXII); 
USA 1 (IX). Taverner, J. : Gr 5(1, III). Telemann, G. Ph. : 
De 1(IV), 5(XXVIII, XXIX/XXX, LVII, LXI/LXII), 
9(A.VI, A.XI). Terradellas, D.: Sp 4(XIV). Theile, J.: 
De 5(XVII), 14. Tinctoris, J.: It 9(1/1); USA 2(18). Ti- 
telouze, J. : Fr 4(1). Toeschi, C. G. : De 6(VII,2, XV- 
XVI), 9(A.LI). Tollius, J.: Ni l(XXIV). Tomkins, Th.: 
Gr 3(XVIII), 5(VIII), 6(V). Tonsor, M.: De 1(XV, XIX, 
XXII). Torre, J. de la: Sp 3(111). Torrentes, A. de: Sp 
1(16.1/1). Torres Martinez Bravo, J. de: Sp 1(18.1/1). 
Torri, P.: De 6(XIX/XX). Toulouze, M.: USA 3(VI). 
Tozzi, V.: It 10(IC/2). Trabaci, G. M.: It 5(1/V), 15(111). 
Traetta, T.: De 6(XIV,1, XVII). Trombetti, A.: It ll(IV). 
Tromboncino, B. : Da 3(111). Tunder, Fr. : De 5(111). Tu- 
rini, Fr. : It 4(XXXIII). Tye, Chr. : Gr 2(X). 
Umlauff, I.: Ost XVIII, 1. Urio, Fr. A.: De 3(V). Uten- 
dal, A.:De 1(XX). 

Vacqueras, B. : It 9(1 /I). Vaet, J. : De 1 (XXII), 2(11, IV, V. 
IX); Ost 98, 100, 103/104, 108/109. Valerius, A.: Ni 1 (II). 
Valledor, J.: Sp 3(1). Valls, Fr.: Sp 1(18.1/1). Van den 
Kerckhoven, A.: Be 2(11). Van Helmont, Ch.-J. : Be 
2(VI). Vannini, B.: De l(XXIV). Vargas, U. de: Sp 



214 



Deutsche Musik 



1(17.1/1). Varotto, M.: De 1(XV, XVI). Vasquez, J.: Sp 
6(IV). Vautor, Th.: Gr 3(XXXIV). Veana, M. J.: Sp 
1(17.1/1). Vecchi, O.: De 1(XVI, XXIII, XXVII), 4(XXX); 
It 2(V), 6(11, V). Veggio, Cl.: It 16(VII). Venegas de He- 
nestrosa, L.: Sp 6(11). Vento, I. de: De 1(XX). Venturi, 
St.: De l(XVI). Veracini, Fr. M.: It 4(XXXIV). Ver- 
bonnet = J. Ghiselin. Verdelot, Ph.: Be 1(11, XI, XXIII, 
XXVIII); Da 3(1). Verdonck, C. : Be 1(1, II, XII, XXVIII); 
De l(XXI). Verelst, Th.: Be 2(IX). Viadana, L.: It 17. 
Vicentino, N.: USA 2(26). Victoria, T. L. de: De 1(11); 
Sp 1(16.11/1), 2(VI). Villaflor, M. de: Sp 3(IV-V). Vin- 
centius de Arimino: USA 2(8/1 V). Vinyals, J. : Sp 5(2/11). 
Viola, A.: Sp 5(2/11). Virdung, S.: De 4(X). Vitali, T.: 
USA 1(XII, XIV). Vitry, Ph. de: USA 5(1). Vivaldi, A.: 
It4(XXXV), 12(111), 13(11). Vivanco, S. de: Sp 1(17.1/1). 
Vogler, G. J. : De 6(XV-XVI). 

Waelrant, H. : Be 1 (I) ; De 2(1). Wagenseil, G. Chr. : Ost 
XV,2. Waldstein, F. Graf v.: De 10(1). Walliser, Chr. 
Th.: De 1(XV, XIX). Walter, J.: De l(III), 4(VI). Wal- 
ther, J. G. : De 1(1), 5(XXVI/XXVII). Walther, J. J. : De 
9(A.XVII). Wanning, J.: Ni 1 (VIII). Ward, J.: Gr 3(XIX). 
Watson, Th.: Gr 3(XV1). Wecker, G. K.: De 6(VI,1). 
Weckmann, M.: De 5(VI), 9(C.Schleswig. . . IV). Weel- 
kes, Th.: Gr 1(VIII, XIV), 2(XIII-XVII), 3(IX-XIII). 
Weerbeke = Gaspar van Weerbeke. Weiss, S. L. : De 
9(A.XII). Wendling, J. P. : De 6(XV-XVI). Werner, Gr. 
J. : De9(A.XXXI). Wert, G. de: De 1 (XXIII); USA 2(24). 
Wesstrom, A.: Schweden 1 (VII). White, R.: Gr 2(XXI), 
5(V). Widmann, E. : De 9(B.III). Wilbye, J. : Gr 1 (II, XVI), 
2(XXI), 3(VI-VII). Willaert, A.: Be 1(1, II, XIII, XIV, 
XVI); De 2(1, II), 8(IX); It 16(IV, VII); Ni l(XXXV); 
USA 2(3), 7. Wockenfuss, P. L.: De 5(XLV). Wolken- 
stein, O. v. : Ost IX, 1. 

Yonge, N.: Gr 2(XI-XII), 3(XIV). Youll, H.: Gr 
3(XXVIII). Yver, A.: Be l(XXV). 

Zachow, Fr. W. : De 1 (I), 5(XXI/XXII). Zallamella, P. : 
De l(XXV). Zangius, N.: Ost 87. Zarlino, G.: It 16(111); 
USA 11(2/1). Zeuner, M.: De 4(XXXII). Ziani, M. A.: 
Ost 101/102. Zipoli, D.: It4(XXXVI). 

Descort (desk'srt, prov. und altfrz., MiBklang, Zwie- 
tracht, von lat. discordare) , Bezeichnung einer lyrischen 
Gattung der provenzalischen, danach auch der altfran- 
zosischen Lyrik vom 12. bis zum Beginn des 14. Jh. Der 
D. gehort mit dem lyrischen -» Lai zu den nichtstichi- 
schen unstrophischen Formen. Die mittelalterlichen 
Theoretiker definieren ihn als Lied eines ungliicklich 
Liebenden. Im Gesang sei dieses Lied alien anderen ent- 
gegengesetzt ; wo der Gesang ansteigen sollte, da senke 
er sich. Im Reimworterbuch des Donatus Provincialis 
wird descortz definiert als discordia vel cantilena habens 
sonos diversos. Es sind etwa 22 provenzalische und etwa 
12 altfranzosische D.s uberliefert, letztere uberwiegend 
notiert. Beispiele fur D.s sind Aimeric de Peguillans 
Qui la ve en ditz (P.-C. 10, 45; notiert in -> Chanson- 
nier R, W) und Guillem Augiers Ses alegratge (P.-C. 
205, 5; notiert in W). 

Lit. : C. Appel, Vom D., Zs. f . romanische Philologie XI, 
1887; P. Aubry, Laiset d. frc., Paris 1901 ; Fr. Gennrich, 
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; J. Maillard, 
Problemes mus. et litteraires du »d.«, in: Melanges . . . k 
la memoire d'l. Frank, = Annates Univ. Saraviensis (Phi- 
losophic) VI, Saarbriicken 1957. 

Dessau (Anhalt). 

Lit.: M. v. Prosky, Das herzogliche Hoftheater zu D. v. 
seinen Anfangen bis zur Gegenwart, D. 1 884, 2. Aufl. o. J. ; 
O. Urban, Der herzogliche Singechor u. d. Kurrende zu 
D. 1602-1909, D. 1910; H. Waschke, Die Musik am D.er 
Furstenhof zu Anfang d. 17. Jh., Zerbster Jb. VIII, 1912; 
A. Boes, Die liturgische Arbeit d. Reformation in D., Zs. 
d. Ver. f. Kirchengesch. d. Prov. Sachsen u. d. Freistaates 
Anhalt XXXIII/XXXIV, Magdeburg 1938; 140 Jahre 
Theater in D., D. 1938 ; H. Lomnitzer, Das mus. Werk Fr. 
Schneiders (1786-1853), Diss. Marburg 1961. 

Dessus (das'ti, frz., oben) bedeutet Oberstimme, Dis- 
kant, unterteilt in premier d., second d. (-»■ Bas-dessus) 
und troisieme d. In der Instrumentalmusik kennzeich- 



net D. die hohen Instrumente einer Instrumenten- 
gruppe (d. de violon, d. de hautbois), allgemein auch 
die Oberstimmen des Orchesters (d. de symphonie); 
hoher liegende Instrumente erhalten den Zusatz par- 
dessus (pardessus de viole, de flute). Im 17. und 18. Jh. 
bedeutete D. weitgehend auch Violine. Im Englischen 
entspricht dem D. der -> Treble. 

detach<5 (detaj'e, von frz. detacher, trennen), Strich- 
art, die im standigen Wechsel von Ab- und Aufstrich 
besteht (»abgesetzt«), wobei jede Note einen eigenen 
Bogenstrich erhalt. 

Detonieren (von frz. detoner, verstimmen), seit dem 
17. Jh. s. v. w. den Ton herunterziehen oder hinauftrei- 
ben. Dafi a cappella-Chore leicht tiefer schliefien, als sie 
angef angen haben, ist in der Regel die Folge eines Man- 
gels an Auf merksamkeit und Energie, von Ermudung 
der Stimmbander oder von zu starkem Atemdruck. 
Auch das Schwanken zwischen naturlichen und tem- 
perierten Intervallen kann Ursache des D.s sein. 
Lit. : M. Planck, Die naturliche Stimmung in d. moder- 
nen Vokalmusik, VfMw IX, 1893 (mit Beispielen v. D.); 
K. Thomas, Lehrbuch d. Chorleitung I, Lpz. 1935 u. 6. 

Deus in adiutorium meum intende (lat. ; Ps. 69, 2), 
obligatorisches Eingangsstiick (Versikel) der Horen 
des Offiziums (ausgenommen Komplet), mit Respon- 
sum Domine ad adiuvandum mefestina und darauffolgen- 
dem Gloria patri bzw. (von Septuagesima bis Ostern) 
Laus tibi Domine, Rex aeternae gloriae. In der Komplet 
steht das Deus in adiutorium vor den Psalmen. 

Deuterus (von griech. SsiiTepo?) -> Kirchentone. 

Deutsche Musik. Obwohl aus der Friihzeit nichts 
Schriftliches erhalten ist, laBt sich die Eigenart der D.n 
M. aus anderen Dokumenten erschlieBen. Im Alter- 
tum war fiir Griechenland und das Mittelmeergebiet 
das einstimmig-melodische Musizieren maBgebend, 
wahrend die Heterophonie nur eine untergeordnete 
Rolle spielte. Im Gegensatz hierzu fand man aus der 
Vorgeschichte in Norddeutschland eine groBe Zahl 
von -> Luren. Oft prachtvoll ausgefiihrt, stammen 
sie aus der Bronzezeit, die im nordgermanischen Ge- 
biet vom 16. bis zum 6. Jh. v. Chr. reichte. Der Hoch- 
stand dieser GuBtechnik hat die Abwertung der vor- 
geschichtlichen Germanen zu »Barbaren« endgiiltig 
widerlegt. Nach Ausweis der Funde wurden Luren 
mindestens mit Verdoppelung benutzt, und zwar fiir 
den Kult. Wahrscheinlich verwandte man sie in Ge- 
stalt primarer Klangmusik, einer in Europa fast ausge- 
storbenen Form des Zusammenspielens, die Klange er- 
gibt. Als Eigenart der D.n M. laBt sich also eine Vorlie- 
be fiir Instrumentalmusik, fiir Mehrstimmigkeit und 
fur Blasinstrumente schon in der Vorgeschichte er- 
kennen. Im 4. Jh. n. Chr. gab der Historiker Ammia- 
nus Marcellinus die Nachricht, die Romer hatten ger- 
manische Gefangene als Blechblaser benutzt. Damals 
hatte das Christentum gesiegt, aber gegen das germa- 
nische Brauchtum in Deutschland, wie 1020 beim 
Friedhofstanz zur heiligen Nacht in Kolbigk (Anhalt), 
hatte die Kirche noch sehr lange zu kampfen. Das ger- 
manische Brauchtum verwandelte sich in ein christli- 
ches und wurde durch neue Feste erganzt. 
Der christliche Kultgesang fiir die Messe, der spater 
nach Papst Gregor I. benannte Choral, verursachte im 
Frankenreich Schwierigkeiten, da sein Melodiestil aus 
Rom stammte. Der zu Unrecht als »germanisch« be- 
zeichnete Choraldialekt bringt hier statt einer Sekunde 
eine Terz. In Wahrheit handelt es sich um einen deut- 
schen Choraldialekt, der in Westfranken nordlich der 
Loire zwar vertreten ist, seinen Schwerpunkt aber in 
Ostfranken hat, das seit dem 9. Jh. Deutschland hieB. 



215 



Deutsche Musik 



Der Vorrang der Terz erklart sich zwanglos aus der ger- 
manischen Pentatonik, die in altesten deutschen Volks- 
liedern greifbar wird. AuBer durch Vorliebe fur die 
Terz, die spater oft zu 2-3 Terzschritten fiihrte, charak- 
terisiert sich die D. M. durch wuchtigeren Vortrag im 
Klang und Rhythmus. Was die deutsche Sprache be- 
triff t, so ist ihr entscheidendes Merkmal die Herrschaf t 
einer Stammsilbe, die stets den Wortakzent tragt. Das 
hat zur Folge, daB in der Praxis bis heute jede quanti- 
tierende Rhythmik zu einer akzentuierenden verf alscht 
wird, wobei der Sachverhalt allerdings erst in jiingster 
Zeit erkannt wurde. Das Lateinische, hierin anders ge- 
artet, wurde im 8. Jh. als Kultsprache iibernommen. 
Es gab allmahlich AnlaB zu Schwierigkeiten, die erst 
durch die Reformation grundsatzlich iiberwunden 
wurden. Angesichts der neuen Gesamtsituation der 
D.n M. verlagerte sich die Schopferkraft schon im 9. 
Jh. in die neuen Formen Tropus und Sequenz. (Im Ge- 
gensatz zum gregorianischen Choral hingen beide mit 
instrumentaler Musik zusammen.) Von Tuotilo (f 915) 
wird dies ausdriicldich gesagt, und bei Notker Balbu- 
lus (t 912) nebst seinen Nachfolgern ergibt es sich aus 
den Texten. Instrumental war schon im 9. Jh. vor al- 
lem das mehrstimmige Organum. Die damals geschaf- 
fene Formenwelt blieb lange maBgebend, wobei die 
Einstimmigkeit zahlenmaBig iiberwog. Fiir einen kon- 
servativen Grundzug der D.n M. ist charakteristisch 
das lange Festhalten am Organumstil des 10.— 11. Jh. 
und seine Fortbildung. Nun beschrankten sich Melo- 1- 
dienschopfer wie Hermannus contractus (f 1054) oder 
Wipo (t 1050) zwar auf die Einstimmigkeit, wirkten 
jedoch auf das deutsche Lied. Wohl seit 1100 gab es die 
geistlichen Volkslieder Christ ist erstanden, mit Motiven 
aus Wipos Ostersequenz, daher bei Osterspielen sehr 
beliebt (von Luther zu Christ lag in Todesbanden umge- 
formt), und das Pfingstlied Nu bittn wir den heiligen 
Geist, denen viele andere folgten; in Frankreich kannte 
man kein Gegenstiick hierzu. Erst im 12. Jh. trat bei 
geistlichen Spielen das Deutsche langsam zum Lateini- 
schen ; Hildegard von Bingen (f 1 179) schrieb ihr Schau- 
spiel mit Musik, wie iiblich, noch in lateinischer Spra- 
che. Den endgiiltigen Durchbruch der Volksspra- 
chen brachte gleichzeitig fiir die auBerreligiose Kunst an 
den Hofen der-* Minnesang. In der D.n M. f olgte man 
dem Vorbild der Provenzalen noch f riiher als die nord- 
franzosischen Trouveres. Das Problem der Einheit von 
Wort und Weise haben die Minnesanger auf sehr indi- 
viduelle Art gelost. Formal beschrankten sie sich jedoch 
seit etwa 1200 auf die Strophe mit 2 Stollen und Abge- 
sang (Barform). Walther von der Vogelweide (f um 
1230) ragt durch dichterische wie musikalische Beson- 
derheit hervor; Neidhart von Reuenthal fand mit sei- 
ner Bauernthematik viele Nachfolger, doch iiberwog 
in der Hauptentwicklung die Tradition. Mit dem Her- 
vortreten des Burgertums wurden der Spruch und die 
religiosen Stoffe immer wichtiger. Seit dem 14. Jh. 
setzte der btirgerliche, von Handwerkern betriebene 
-> Meistersang die Tradition andersartig fort. In dieser 
Spatzeit griff der Monch von Salzburg im ausgehen- 
den 14. Jh. nochmals den Minnesang auf und verband 
ihn mit einf acher Mehrstimmigkeit. Noch konsequen- 
ter und umfassender war bei Oswald von Wolken- 
stein (t 1445) die Verbindung von Minnesang und 
westlicher Poiyphonie, so daB er zu den Wegbereitern 
jener Kunst in Deutschland gehort. Dagegen verharrte 
der Meistersang bei der Einstimmigkeit, im Gegensatz 
zu der vom Patriziat der Stadte ubernommenen Poly- 
phonic Als Folge hiervon wurde der Meistersang im 
16. Jh. allmahlich zu einer Kunst zweiten Ranges und 
verlor jeden EinfluB; Hans Sachs (•(■ 1576) war allge- 
mein bekannt durch sein dichterisches, aber nicht durch 



sein musikalisches Schaffen. Das lange Fortleben des 
Meistersangs noch iiber das 18. Jh. hinaus zeugt in der 
D.n M. von einer konservativen Grundhaltung. - 
Konservativ war bis zum 15. Jh. auch das Verhaltnis 
zur Poiyphonie. Im Gegensatz zum provenzahschen 
Minnesang gab das provenzalische Organum von St. 
Martial der D.n M. keine Anregung. Obwohl dann 
Franco von Koln um 1260 in das Werden der Men- 
suralmusik entscheidend eingriff, hinterliefi diese Be- 
riihrung mit der altfranzosischen Kunst nur geringe 
Spuren. Dabei wurde die Motette zum »Engelberger 
Stil« vereinfacht und abgewandelt. Hierzu kam bis 
zum Beginn des 16. Jh. das Fortleben des Organum 
in veranderter Form. 

Eine neuartige Entwicklung begann erst mit den Trom- 
peterstiicken um den Monch von Salzburg. DaB die 
->■ Zugtrompete schon vor 1400 fiihrend auftrat, ist 
fiir die D. M. charakteristisch. Deutsche Blaser waren 
in Europa begehrt. Die deutschen Berufsmusiker, ei- 
ner -»• Zunft angehorend, hieBen Stadtpfeifer, wobei 
die Blaser bis zuletzt den Vorrang vor den Streichern 
hatten; die Ziinfte wurden erst im 19. Jh. aufgehoben. 
Im 15. Jh. verband sich das Patriziat der Stadte mit den 
Berufsmusikern zur Pflege der Poiyphonie, um alsbald 
mit den Hofen in Wettbewerb zu treten. Reprasentativ 
war damals, als universeller Musiker im Sinne der 
Friihrenaissance, der Organist C.Paumann (f 1473). 
Die Sonderart der D.n M. beruhte auf dem Tenor- 
lied. Um 1500 iibernahm es, nachdem die Kirchen- 
musik vorangegangen war, den fiir Europa vorbildli- 
chen »Singstil« der Niederlander (d. h. Franko-Flamen ; 
-> Niederlandische Musik). Hierdurch erklart sich der 
Wechsel innerhalb des Gesamtwerkes von H.Finck 
(f 1527). Aber der Liedcharakter war so ausgepragt, 
daB der zugewanderte Flame H.Isaac (f 1517) sich ihm 
anpaBte. Als ebenso universaler Komponist folgte ihm 
im Hofdienst sein Schiiler L.Senfl (f 1543). Fiir die D. 
M. der alteren Epochen ist es charakteristisch, daB der 
Stil anderer Volker maBgebend war. 
Der »Singstil« herrschte nach wie vor, als sich in der 
D.n M. der entscheidende Wandel durch die Refor- 
mation vollzog. Ihr Trager war Martin Luther (f 1546). 
Als Kern des Gottesdienstes wurde das Gemeindelied 
eingefiihrt, der Anteil des gregorianischen Chorals ge- 
kiirzt, die Musik auf ein neues Prinzip gestellt. Durch 
die Mitarbeit von J.Walter (f 1570) erhielt der neue, 
tragende Beruf des Kantors ein Vorbild. Dariiber hin- 
aus wurde nun allgemein der Komponist, der Renais- 
sance gemaB, in seiner Individualist als Musicus poeti- 
cus anerkannt, zugleich aber in das vom ->■ Mittelalter 
her fortwirkende theozentrische Weltbild eingefiigt. 
Damit begann eine zu H. Schiitz und J. S. Bach f iihren- 
de Entwicklung. Ihre Trager, stets auf beste Gegen- 
wartsmusik gerichtet, waren die protestantischen Staa- 
ten und Stadte, an Zahl iiberlegen. Auf kathohscher 
Seite gelang im 16. Jh. dem Herzog von Bayern die 
Berufung des fuhrenden Niederlanders Lassus (f 1594) 
nach Munchen. 

Vor und um 1600 anderte sich die Abhangigkeit der 
D.n M. von fremden Vorbildern insofern, als nun statt 
der Niederlande Italien die Fiihrung iibernahm und 
fiir die Instrumentalmusik voriibergehend England 
hinzukam. Nur in einer Gattung wurde die D. M. da- 
mals selbstandig, bezeichnenderweise einer instrumen- 
talen: der Orchestersuite, einer solistisch ad libitum be- 
setzten Suite von Tanzen. Unter der Herrschaft des 
niederlandischen Singstils war der Tanz ohne EinfluB. 
Die zur Neuzeit fiihrende Epochenwende um 1600 
ist vor allem dadurch charakterisiert, daB er nun Ein- 
fluB gewann und den Akzentstufentakt herbeifiihrte, 
wobei Italien mit dem Tanzlied voranging, England 



216 



Deutsche Musik 



auBerdem das tanzmaBige instrumentale Charakter- 
stiick pflegte (-> Tanz). Nach vielen Einzelpaartanzen 
bis 1604 verband 1611 P.Peuerl (f 1625) zum ersten 
Mai 2 Satzpaare variationsmaBig zu einem Zyklus, den 
J.H.Schein (f 1630) 1617 zu 5 Tanz- und Charakter- 
stiicken steigerte. Seitdem griff die D. M. immer wie- 
der zur instrumentalen Variation. Vor allem die Or- 
gelmusik der Lutheraner brachte das Verfahren bald in 
die Kirche. Das zeigt 1624 vorbildlich die Tabulatura 
nova von S. Scheidt (f 1654). - Fur beide Konfessionen 
war die Tanzmusik eine untergeordnete Gattung, derm 
die Kirchenmusik hatte um 1600 den absoluten Vor- 
rang. Hier war das Hauptproblem die Umformung 
des niederlandischen Singstils, womit Italien vorange- 
gangen war. Die venezianische -»■ Mehrchorigkeit 
war sehr beliebt, siewirkteschonim spateren 16. Jh. auf 
beide Konfessionen. Die intensive Obernahme der 
Mehrchorigkeit charakterisiert die D. M. gegeniiber 
England, Frankreich und Spanien. Am friihesten ver- 
trat der KatholikJ.Gallus (| 1591) diesen Stil. Als Pro- 
testant folgte der universelle Musiker H.L.HaBler 
(f 1612). Eine schopferische Auseinandersetzung mit 
allem Neuen, einschlieBlich GeneralbaB und Monodie, 
vollzog der Lutheraner M.Praetorius (f 1621), der 
auch das zusammenfassende Lehrwerk Syntagma mu- 
sician schrieb. In mancher Hinsicht sein Fortsetzer war 
H. Schutz (f 1672), in der D.n M. des 17. Jh. die alles 
iiberragende Gestalt. Als Schiiler G.Gabrielis, spater 
mit Monteverdi bekannt, hat er die italienischen Vor- 
bilder schopferisch ins Deutsche umgesetzt, das Ent- 
stehen der Kirchenkantate angeregt, auch Oper und 
Oratorium bedacht, wobei er u. a. das Rezitativ ein- 
deutschte. Sein Hauptverdienst liegt darin, daB er ne- 
ben der bisherigen typischen eine individuelle Motivik 
einfiihrte, die im Vokalsatz dem deutschen Text mit 
seinem Akzent auf der Starrimsilbe angepaBt war, also 
Auftakt und Taktschwere mit pragnantem Rhythmus 
unterschied. Solche Rhythmen wirkten auf die In- 
strumentalmusik. Daher hangt die Tonsprache der 
Polyphonie seit Schutz mit der deutschen Sprache zu- 
sammen. Der 30jahrige Krieg, die Katastrophe der 
deutschen Geschichte, machte das Reich 1648 zu ei- 
nem vom Ausland kontrollierten Staatenbund. Kultu- 
rell war der EinfluB des Italiens der Renaissance langst 
von dem des absolutistischen Frankreich abgelost wor- 
den. Franzosische Anregungen vermittelte in der Kla- 
viermusik J. J. Froberger (f 1667), zuvor Schiiler G. 
Frescobaldis; bezeichnend fiir die D. M., gab Frober- 
ger der Klaviersuite Einheit durch Variation. Am 
-*■ Collegium musicum der Musikliebhaber, einer fiir 
die D. M. charakteristischen Einrichtung des 16. Jh., 
hielt noch die Epoche Bachs fest. Neben der Suite, die, 
stilisiert, den Tanzcharakter verlor, pflegte man bald 
nach italienischem Vorbild die Sonate, beide gut ver- 
treten durchJ.Rosenmuller (f 1684). AuBerdem kann- 
te man stets das Sololied und das Gruppenlied mit Fal- 
settgesang von Mannern fiir den Sopran, im 17. Jh. 
auf protestantischer Seite vertreten u. a. durch H.Al- 
bert (f 1651), A.Krieger (f 1666) oder Ph.H. Erlebach 
(t 1714). Die alten und vielen neuen Choralmelodien, 
seit etwa 1660 unter dem EinfluB des Pietismus, wur- 
den von den Organisten nach S. Scheidt mannigfach 
und umfangreich bearbeitet. Der Organist M.Weck- 
mann (j- 1674) griindete in Hamburg 1660 ein Colle- 
gium musicum mit offentlichen Vorfiihrungen, dem 
sich der Schutzschiiler Chr. Bernhard (f 1692) spater 
anschloB. Der phantasievolle Organist D.Buxtehude 
(f 1707) veranstaltete in Liibeck seit 1668 auBerhalb 
des Gottesdienstes die traditionellen -*- Abendmusiken 
fur die Offentlichkeit. Die Oper, ein primar gesangli- 
ches Kunstwerk, spielte in der D.n M. zunachst eine 



Nebenrolle, wahrend der instrumentale Suitenzyklus 
seit 1611 reiche Fortsetzung fand: dort lag der Beitrag 
der Deutschen. Auf dem Gebiet der Oper hatte Italien 
seit 1600 die Fiihrung in Europa, und erst 1672 kam 
die franzosische Oper von J.B.Lully (f 1687) hinzu. 
An den katholischen Hofen zu Wien, Miinchen und 
seit 1697 auch Dresden herrschte die italienische Oper 
unbeschrankt. Sie diente im 17. und friihen 18. Jh. vor 
allem jener Gesamtkunst der Hoffeste, an denen der 
Adel zum Ruhm des Herrschers aktiv teilnahm. Eine 
deutsche Oper wurde nach Schutz an verschiedenen 
protestantischen Statten versucht, doch hatte nur die in 
Hamburg eine langere Lebenszeit (1678-1738). Ihr 
fiihrender Komponist war R.Keiser (f 1739), seit 1721 
auBerdem G.Ph.Telemann (f 1767). In Hamburg 
griff man bald zu italienischen und franzosischen 
Opern, wahrend die Schwache der deutschen oft im 
Text lag. Die anregende Kraft der franzosischen Oper 
mit ihrem Tanzreichtum gab 1682J. S.Kusser (f 1727) 
AnlaB zur Publikation von 6 Ouvertiiren nebst Tan- 
zen. Diese Ouvertiirensuite fand viel Nachfolge, bis zu 
J.S.Bach. Sie drang bald in das Collegium musicum 
ein. 1695 erschien eine solche Sammlung von J. C.F. 
Fischer (f 1746); er hat vor allem durch Klavier- und 
Orgelkompositionen (seit 1696) auf J. S.Bach gewirkt. 
Vorangegangen war ihm hierbei seit 1689 mit Klavier- 
werken der ThomaskantorJ.Kuhnau (f 1722). 
Eine neue Epoche der Musik begann um 1700. Als 
deutschen Beitrag hierzu schlug der Organist A. 
Werckmeister (f 1706) nach langer Vorarbeit 1697 ei- 
ne gleichschwebende Temperierung vor. Das Fortle- 
ben> der Hexachordlehre und der Kirchentonarten be- 
endete J.Mattheson (f 1764) durch seine kritischen 
Schriften seit 1713. Denn als Grundlage der Musik 
dienten jetzt nicht mehr die seit der christlichen Antike 
iiberlieferten Zahlenverhaltnisse, sondern die von J. 
Sauveur 1701 experimentell beobachteten Obertone; 
der fiihrende franzosische Komponist J.-Ph.Rameau 
(t 1764) benutzte sie 1722 fiir seinen Traiti de Vharmo- 
nie. Kennzeichnend fiir den konservativen Zug der 
D.n M. war 1725 der Gradus ad Parnassum des fiihren- 
den katholischen Komponisten J.J. Fux (f 1741), da 
dort auf den alten Vokalkontrapunkt zuruckgegriffen 
wird. Infolge der Loslosung des Kontrapunkts vom 
GeneralbaB hielt sich das Werk jedoch uberraschend 
bis zur Gegenwart, im Gegensatz zu den zeitgebunde- 
nen GeneralbaBschulen, etwa der von J. D. Heinichen 
(t 1729), die der Verfasser 1728 zur Kompositionslehre 
erweiterte. - Zum Neuen in der D.n M. ab 1700 ge- 
hort das Streben nach dem Amt eines Kapellmeisters, 
eines Berufes, der sich immer starker entwickelte. Wer 
nicht an einem def vielen Hofe tatig war, wollte we- 
nigstens »Kapellmeister von Haus aus« sein, wie J. S. 
Bach oder G.Ph.Telemann. So schrieb J. Chr. Graup- 
ner (f 1760) am Darmstadter Hof Kirchenmusik nebst 
freien Werken, J. Fr. Fasch (f 1758) Entsprechendes als 
Kapellmeister in Zerbst. Das Hauptwerk Matthesons 
erschien 1739 unter dem Titel Der vollkommene Ca- 
pellmeister. Der friiher so wichtige Beruf des Orga- 
nisten verlor an Bedeutung; literarisch vertrat ihn 1732 
J.G.Walther (f 1748) durch sein Musicalisches Lexi- 
con, das erste Musiknachschlagewerk fiir Personen und 
Sachen in Europa. Es wandte sich auch an den Musik- 
liebhaber, nachdem Mattheson 1713 den Galant Hom- 
me angesprochen hatte. Neu waren in dessen Erstlings- 
werk der Begriff des »Geschmacks« (ital. gusto; frz. 
gout) und das Ziel, den Geschmack zu bilden. Die Ab- 
hangigkeit der D.n M. von Vorbildern blieb weithin 
bestehen. Sie auBerte sich jetzt in der Form, daB man 
dem italienischen oder dem franzosischen Geschmack 
folgen konnte. Noch J.J. Quantz hoffte 1752 in seinem 



217 



Deutsche Musik 



Lehrwerk, aus einer Mischung des italienischen und 
franzosischen Geschmacks werde ein deutscher ent- 
stehen. 

Um 1700 hatte die D. M. jedoch auf zwei, bezeichnen- 
derweise instrumentalen Gebieten ihre Selbstandig- 
keit erreicht: der protestantischen Orgelkunst und der 
Klaviermusik. In der Kirchenkantate iibernahm man 
freilich die italienische Folge eines Rezitativs und einer 
Arie, in der ein Affekt einheitlich dargestellt war. Das 
Streben nach bester Gegenwartsmusik ftihrte jetzt zur 
Annaherung an die italienische Oper, und zwar bei 
den Orthodoxen, da der Pietismus die Mehrstimmig- 
keit ablehnte. -J.S.Bach (f 1750), primar Instrumen- 
talmusiker, Sohn eines Stadtpfeifers, hat den Orgel- 
choral als Thema seiner Lebensarbeit von der Friihzeit 
bis zuletzt sehr verschiedenartig ausgestaltet. Bei ihm 
greifen die meist auftragsbedingten, hochst individuell 
gepragten Gesangswerke und die zum Teil freien In- 
strumentalwerke oft ineinander, stehen jedenfalls im 
Gleichgewicht. Grundlegend fiir Bachs Verstandnis 
ist die Einheit seiner Tonsprache fiir den kirchlichen 
und den weltlichen Bereich, ganz im Sinne der Re- 
formationsepoche, wie das Parodieverfahren beweist. 
Als dessen letzter Vertreter war er unter den Zeitge- 
nossen eine Ausnahme. In Bachs Gesangsmusik sind 
die Figuren und Affektmotive seit den Kantaten von 
1714 fiir das wirkliche Miterleben gedacht. Die freien 
Orgelwerke erreichen eine nur ihm gehorende GroB- 
form. Wichtig war in Kothen der Ubergang zum Kla- 
vier als Hauptinstrument, auf dem sich das Miterleben 
eines Affektes immer starker durchsetzte. Die Chromati- 
sche Fantasie hat im 18. Jh. ununterbrochen gewirkt, 
und das Wohltemperierte Clavier war durch Handschrif- 
ten bekannt. Bachs Festhalten an der Fuge stand um 
1740 im Gegensatz zur Neigung des Liebhabers zum 
Galanten Stil. Spatwerke wie die Orgelchoralvariatio- 
nen oder die Kunst der Fuse sind Bekenntnisse und 
wurden von Bach selbst gedruckt, in Erwartung einer 
ihn verstehenden Zukunf t. - Hoher als Bach schatzten 
die Zeitgenossen den etwas alteren G.Ph.Telemann 
(f 1767), der durch Universalitat hervorragt. Nicht 
von Musikern abstammend, setzte er sich gegen biir- 
gerlichen Familienwiderstand durch, ebenso wie sein 
Freund G.Fr. Handel - ein von da an typischer Fall. 
Telemann beherrschte den franzosischen und den 
italienischen Geschmack ebenso wie den deutschen 
Kontrapunkt. Sein Hauptziel war aber das freie Kunst- 
werk, dem er in Hamburg seit 1721 im Collegium 
musicum (nebst der Oper) diente. Dem Liebhaber- 
wunsch nach Vereinfachung gab Telemann nach und 
ging zu einem »galanten« Stil iiber; so wurde er zu ei- 
nem Wegbereiter der Klassik. - Bei Handel (f 1759) 
war der Wille zum freien Kunstwerk und zur Oper 
die Triebkraft, die ihn nach Italien und dann nach 
England fiihrte. Seine Lebensleistung liegt jedoch im 
Oratorium mit Choren. Es war im sozial f ortgeschrit- 
tenen, friihkapitalistischen England denkbar. Deutsch- 
land schuf biirgerliche, freie Chore erst 1771 in Leip- 
zig, 1791 in Berlin und allgemein seit 1800, infolge der 
durch Handel angeregten Oratorien J. Haydns. 
Ein wichtiger Einschnitt ist in der Geschichte der D.n 
M. um 1740 erkennbar; denn in jenen Jahren erfolgte 
der Ubergang vom geselligen Collegium musicum 
zum Konzertverein mit Trennung von Musikern und 
Zuhorern. Statt franzosischer Ouvertiiren spielte man 
jetzt italienische Sinfonien, in Mannheim seit 1741 
vorbildlich eingedeutscht durch J. Stamitz (f 1757). 
Seine 4satzige Symphonie wurde nach dem Pariser 
Erfolg von 1751 international anerkannt; daB eine In- 
strumentalform in Westeuropa Erfolg hatte, ist fiir die 
D. M. bezeichnend. Nun gab es also eine zweckfreie 



Instrumentalmusik, im Gegensatz zur dienenden Kir- 
chenmusik und zur wortgebundenen Kunst im Thea- 
ter: die Neuordnung des -»■ Galanten Stils. - 1741-78 
war Mannheim das Zentrum fortschrittlicher Instru- 
mentalmusik. In Wien verband seit 1739 der Hofkom- 
ponist G. Chr. Wagenseil (t 1777) allmahlich den neuen 
Stil mit Einfliissen der osterreichischen Volksmusik, 
woran J. Haydn ankniipf te. Als eigentlicher Gegenspie- 
ler Mannheims erschien seit 1740 Berlin, wo man an 
der 3satzigen Symphonie festhielt. Die Fiihrung lag 
beim Kapellmeister C.H.Graun (t 1759) und dem 
KonzertmeisterJ.G.Graun (f 1771), der hauptsachlich 
Instrumentalmusik schrieb, schwerbliitiger als die in 
Mannheim und "Wien. MaBgebend war als Musikver- 
trauter des Konigs J. J. Quantz (t 1773), von dem es 
auBer Kompositionen das vorbildliche Flotenlehrwerk 
von 1752 gibt. Das Gegenstiick fiir die Violine verof- 
fentlichte in Salzburg 1756 L.Mozart (f 1787). Voran- 
gegangen war in Berlin 1753 das hervorragende Kla- 
vierlehrwerk von C.Ph.E.Bach (f 1788). Aus dessen 
Berliner Zeit 1740-67 stammt eine Fiille von Kom- 
positionen. Allgemein spielt bei C.Ph.E.Bach zwar 
das religiose und weltliche Lied eine Rolle, doch iiber- 
wiegt die Instrumentalmusik gewaltig an Zahl und 
Bedeutung. Vor allem die 3satzige Klaviersonate 
stand vornan, und einem solchen Friihwerk aus Ber- 
lin verdankte J. Haydn den entscheidenden AnstoB. 
Die Oper hatte in der D.n M. eine Sonderstellung. Im 
Berliner Hoftheater begann die Herrschaft der italieni- 
schen Oper 1741 mit einem Werk von C.H.Graun; 
sie endete 1841 mit dem Sturz von G. Spontini (f 1851). 
Im Hoftheater zu Dresden eroffnete diese Herrschaft 
1731 J.A.Hasse (f 1783); den AbschluB bildete dort, 
nach dem deutschen Intermezzo C. M. v. Webers, 1841 
Morlacchi (t 1841). In der Kaiserstadt Wien kannte 
man seit dem 17. Jh. nur die italienische Oper. Ihr 
Riickhalt war nach 1730 als Hofdichter der fuhrende 
Librettist Metastasio (f 1782). Von dessen Rokoko- 
Optimismus und Typik sich langsam gelost zu haben, 
ist das Verdienst Glucks (j 1787), nachdem er den 
Realismus der Opera-comique kennenlernte. Die fran- 
zosische Oper war bereits vor 1700 in Hamburg be- 
kannt und wurde im 18. Jh. von manchen Hofen ge- 
pflegt; das hat noch im 19. Jh. nachgewirkt. In Wien 
gab es seit 1762 die 3 italienischen Reformopern von 
Gluck und Calzabigi (f 1795) mit antiken Themen, im 
Dienste der Dramatik und Wahrheit, deren Aufnahme 
jedoch geteilt war. Erst die franzosischen Reformopern 
von 1774-79 fiihrten in Paris zum durchschlagenden 
Erfolg und zur Nachfolge. Aber fiir die italienische 
Oper waren nicht Gluck und Calzabigi reprasentativ, 
sondern die Neuneapolitaner, in deren Richtung L. 
Mozart seinen Sohn gedrangt hat. Zu ihnen bekannte 
sich derjiingste Sohn J. S. Bachs, J. Chr. Bach (•(■ 1782), 
der Beherrscher des Londoner Musiklebens, auch in 
seiner vielseitigen Instrumentalmusik. Er setzte sich 
iiberall fiir das Pianoforte ein und gewann starken Ein- 
fluB auf Mozart. - Um 1760 steigerte sich, als Reaktion 
auf den -> Galanten Stil, die »Empiindsamkeit« (von 
engl. sentimental) bis zur AusschlieBlichkeit. Die Fiih- 
rung lag nach wie vor bei der zweckf reien Instrumen- 
talmusik; vor allem trat an die Stelle des Musizierens 
in der Kirche zunehmend eine konzertmaBige Auf- 
fiihrung von Oratorien, Passionen und ahnlichen Wer- 
ken. Daher grundete J.A.Hiller (t 1804) in Leipzig 
1771 eine Chorgesangschule zur Erganzung der Kon- 
zerte. Fiir das Theater schrieb er seit 1766 mit groBem 
Erfolg 12 »Singspiele« (Operetten) in volkstumlichem 
Ton, mit gesprochenem Dialog: endlich ein Gegen- 
stiick zu den komischen Opern in Frankreich, Ita- 
lien und England. Anspruchsvoller verfuhr G.Benda 



218 



Deutsche Musik 



(t 1795) zu Gotha seit 1775 in 10 Melodramen, auch 
in 4 Singspielen. In Wien gab es 1772-86 beliebte Sing- 
spiele von I.Umlauff (y 1796), deren Stil aber nicht 
einheitlich ist. - In die Zukunft fiihrte seit 1778 die 
Veroffentlichung von Volksliedern durch J. G. Herder 
(f 1803) ; er gab auch der Musikasthetik eine neue, den 
Sturm und Drang vorbereitende Grundlage. J. A. P. 
Schulz (f 1800) schrieb seit 1782 Lieder im Volkston, 
der ein ideal der Romantik blieb. Inzwischen hatte sich 
die Empfindsamkeit zum Sturm und Drang gesteigert, 
zur Geniezeit. 1773 gait C.Ph. E.Bach angesichts sei- 
nes Fantasierens au£ dem Pianoforte als grofites Ori- 
ginalgenie und der grofite Mann unter uns. Sein Ham- 
burger Klavierschaffen gipfelte in den 6 Sammlungen 
fur Kenner und Liebhaber, mit der Fantasie als neuem 
Schwerpunkt. DaB nun die Individualisierung in den 
Kiinsten allgemein durchgedrungen war, bestatigte 
die Definition von I.Kant (y 1804) in der Kritik der Ur- 
teilskraft 1790: Genie ist das Talent [Naturgabe], welches 
der Kunst die Regeln gibt. 

Der letzte Epochenwechsel der D.n M. erfolgte 1781 
mit der Wiener -*■ Klassik. Sie brachte als Abkehr vom 
Sturm und Drang ein neues Gleichgewicht von Ver- 
nunft und Gefiihl. 1781 veroffentlichte J.Haydn die 
vorbildlichen Streichquartette op. 33; im selben Jahr 
iibersiedelte Mozart nach Wien. Charakteristisch fiir 
die D. M. wurde hier eine Instrumentalform zum Ty- 
pus, bald erganzt durch den der Symphonie, dann 
durch den der Klaviersonate. Die Instrumentalmusik 
war zwar langst zweckfrei, aber oft gesellig ausgerich- 
tet; nun wurde sie im Rahmen der Sonatenform eigen- 
gesetzlich. Die von J. Haydn 1781 konsequent durch- 
gefiihrte thematische Arbeit gab dem Streichquartett 
einen neuen Ernst; mit der autonomen Musik war eine 
Hohe erreicht, die es bisher nicht gab. Fur die Sym- 
phonie erreichte Mozart 1788 diese Hohe. Allgemein 
wirkte jetzt die Herrschaft der groBen Form als ein 
iiberpersonliches Element. Mag bei Haydn das instru- 
mentale Werk iiber das gesangliche dem Wert nach 
vielleicht etwas uberwiegen, so stehen sie bei Mozart 
vollig im Gleichgewicht. Seit 1781 in Wien freier, auf 
sich selbst gestellter Kiinstler, schrieb W.A.Mozart 
(t 1791) fur Wiener Theater zuerst das Singspiel Die 
Entfiihrung aus dem Serail (1782) und als AbschluB 1791 
Die Zauberflote. Die Mehrheit bilden in Wien natur- 
gemaB italienische Opern, auch mit Hauptwerken wie 
Figaro und Don Giovanni. Fur den Klavierspieler Mo- 
zart waren Klavierkonzerte und Klaviersonaten zen- 
tral. Eine Hauptleistung Mozarts liegt im Aneignen 
und volligen Einschmelzen der alten Polyphonie 
(Fantasie F moll, K.-V. 608, Requiem). Auch wegen 
der Hintergriindigkeit seiner Spatwerke wurde er zum 
Liebling der Romantik. - AuBerhalb der Wiener 
Klassik stand eine Reihe von Musikern, die heute we- 
niger bekannt sind. Erwahnt seien nur M.Haydn 
(f 1806) in Salzburg und K.Ditters v. Dittersdorf 
(t 1799). 

Die Wiener Klassik fiihrte seit 1800 L. van Beethoven 
(t 1827) zur Vollendung; heute sieht man ihm benach- 
bart den 1828 in Wien verstorbenen Fr. Schubert. 
Beethoven war mit Hilfe des Wiener Adels freier 
Kiinstler und hielt an seinem Idealismus trotz mancher 
SchicksalsschlSge fest. Er gab der Orehestermusik die 
fur das 19. Jh. charakteristische GroBraumigkeit in 
Klang und Harmonik; seine Kunst blieb jedoch im 
alten Sinne der Wirklichkeit nah, wie 1813 Wellingtons 
Sieg op. 91 zeigt. Andererseits ging er von den bisheri- 
gen typischen ZeitmaBen zum individuellen Tempo 
fiir jeden Satz iiber (das seit 1816 mit Hilfe von Malzels 
Metronom bestimmt wird). Dieser Anderung entsprach 
eine Intensivierung der Instrumentalmusik, zunachst 



mit Klavier und Orchester als Schwerpunkten. Ihr 
Ziel blieb, wie bei Haydn und Mozart, die Darstellung 
menschlicher Charaktere. Aber auf Beethovens Missa 
solemnis op. 123 und die Symphonie Nr 9 mit SchluB- 
chor folgten die letzten 5 Streichquartette ab op. 127: 
insgesamt eine Verschiebung zugunsten des Instru- 
mentalen. Da Beethoven im 19. Jh. als der Musiker 
schlechthin gait, hatte die Instrumentalmusik durch 
ihn dem Werte nach den Vorrang. - Bei Schubert 
(t 1828) stehen das gesangliche und das instrumental 
Schaffen wieder im Gleichgewicht. Seit 1814 benutzte 
er im Lied eine Spielfigur des Klaviers als Trager einer 
Stimmung im romantischen Sinne, besonders in den 
Liederzyklen Die schone Mullerin (1823) und Die Win- 
terreise (1827). Instrumental hatte Schubert seinen ro- 
mantischen Eigenstil seit 1822, der Symphonie H moll. 
Seine Kammermusik ist oft durch den Zusammen- 
hang mit einem Lied deutbar, so das Streichquartett 
A moll durch Die Gotter Griechenlands. Die Klassik 
Weimars, vor allem Goethe, wirkte auBer auf Schu- 
bert auch auf Liedkomponisten mit meist schlichterem 
Stil: auf Reichardt (y 1814) und vor allem auf Zelter 
(f 1832). Das Ziel der ->■ Romantik war nicht mehr 
autonome Instrumentalmusik zur Darstellung von 
Charakteren, sondern Ehrf urcht vor dem Unendlichen, 
Inspiriert-Sein durch etwas Seelisches, Ergriffenheit 
durch eine Naturstimmung. Das Zentrum der Ro- 
mantik lag fiir viele Jahrzehnte in Berlin; hier forderte 
schon W.H.Wackenroder (f 1798) den Vorrang der 
Kirchenmusik. Der universale Kiinstler E. T.A.Hoff- 
mann (f 1822), als Schriftsteller bald im Ausland be- 
kannt, hat die Wiener Klassik und alle Musik »roman- 
tisiert«. Nachdem er erstmalig 6 a cappella-Chbre kom- 
poniert hatte, forderte er 1814 Musik aus dem 16. Jh. 
fiir den Gottesdienst : der folgenschwere Einbruch des 
Historismus, dessen Mittelpunkt Berlin fiir ein Halb- 
jahrhundert blieb. In engen Beziehungen zu Berlin 
stand CM. v. Weber (f 1826) seit der Vertonung von 
Th.Korners Leyer und Schwert 1813. Mit der Erstauf- 
fiihrung der Oper Der Freischiitz in Berlin 1821 setzte 
sich die Stimmung, erganzt durch eine Naturstim- 
mung, als romantische Grundkraft durch; sie verlangt 
im Gegensatz zur Klassik ein Erfiiflt-Werden, also ein 
passives H6ren. Ihr technisches Mittel in der Orehe- 
stermusik ist, wie Webers Oberon (1826) bestatigt, die 
Klangfarbe. Als charakteristisch fiir die D. M. bevor- 
zugte man von jetzt an die Blaser. Eine Verbindung 
zur Klassik Mozarts versuchte der Romantiker L. Spohr 
(y 1859), der vor allem wert voile Instrumentalmusik 
hinterlieB. Allgemein gilt nun den Romantikern die 
Kunst gegeniiber der Alltagswirklichkeit als die hohere 
und eigentliche Welt, wie es Schopenhauer in der 
Philosophic schon 1818 aussprach (->■ Horen). - Die 
Romantik fiihrte zu einer Teilung des bis zu Schubert 
einheitlichen Komponierens, die um 1830 durchge- 
drungen war; ihr Ergebnis war der Verlust eines ein- 
heitlichen Stils. Von der hohen Musik fiir Theater, 
Konzert und »Kammer« trennte sich die bisher stets 
dazugehorende fiir den Tanzsaal ab. Sie wurde als un- 
terste Gattung das Gebiet von Spezialisten : der Wal- 
zerkomponisten in Wien, J. Lanner (f 1843), J.StrauB 
Vater (f 1849) und J.StrauB Sohn (f 1899), der auch 
Operetten schrieb. Unabhangig von der Tanzmusik 
entwickelte sich neben ihr der gesellige Mannerchor, 
angeregt 1809 in Berlin durch die ->■ Liedertafel von 
C.Fr. Zelter (y 1832), wahrend man in Suddeutsch- 
land mehr dem volkstiimlichen Vorbild von H. G. Na- 
geli (f 1836) folgte. In der Kleinstaaterei seit 1815 haben 
die Mannerchore eine wichtige gesamtdeutsche Auf ga- 
be erfiillt. Volksliedsammlungen fiir sie veroffentlichte 
seit 1826 mit Erfolg Fr.Silcher (y 1860). 



219 



Deutsche Musik 



Um 1830 begann mit der Alleinherrschaft der Roman- 
tik bei der jiingeren Generation die Entwicklung, die 
zur Gegenwart fiihrte. Nach Webers friihem Tode gait 
H.Marschner (f 1861) als der Weiterfiihrende, hier 
sei nur die in Berlin 1833 aufgefiihrte Stimmungsoper 
Hans Heiling genannt. Erfolgreicher war der in Berlin 
ausgebildete und zuletzt hier wieder wirkende A. 
Lortzing (f 1851); mindestens seine feinkomischen 
Opern Zar und Zimmermann, Der Wildschutz und Der 
Waffenschmied sind noch lebendig. Der fiihrende Mu- 
siker des Biedermeiers war F.Mendelssohn Bartholdy 
(f 1847). Durch seine erstmalige Wiederauffiihrung 
der Matthduspassion von J.S.Bach in Berlin 1829 gab 
er zugleich den entscheidenden Anstofi fur die Bach- 
Bewegung. Von Mendelssohn ist ein vielseitiges Werk 
iiberliefert, vor allem romantische und klassizistische 
Orchesterstiicke und klassizistische Kammermusik; 
kein Zeitgenosse war so entschieden Klassizist. Durch 
die Ausrichtung seiner Instrumentalmusik auf die For- 
men der Klassik entstand das bisher unbekannte Pro- 
blem von Form und Inhalt. Dabei war fiir die Klassiker 
das Allgemein-Menschliche zentral gewesen. Roman- 
tiker hatten zwar einst das Obermenschliche und die 
Naturstimmung gesucht, aber seit etwa 1830 fesselte 
sie immer ausschlieBlicher die Welt des eigenen Inne- 
ren. Charakteristisch hierfiir ist der 1810 geborene R. 
Schumann {f 1856). Er begann mit originellen, noch 
heute wohlbekannten Klavierwerken und gab seit 1834 
fiir ein Jahrzehnt erf olgreich eine dem Fortschritt die- 
nende Zeitschrift heraus. Im Mittelpunkt von Schu- 
manns vokalmusikalischem Schaffen stehen seine Lie- 
derzyklen, gern einem einzelnen Dichter gewidmet. 
Von der Orchestermusik nach klassischem Vorbild 
sind die Konzerte fiir Klavier und fiir Violoncello noch 
lebendig, die 4 Symphonien nur zum Teil. Die noch 
heute gern gespielte Kammermusik erreichte ihren 
Gipfel in den Klaviertrios von 1847 mit ihrem neuen, 
auf Brahms deutenden Stil. 1848 wird in der Oper 
Genoveva aber auch die Chromatik von Wagners 
Tristan vorweggenommen. So hat Schumann, bisher 
der letzte Universalkomponist, seinen Stil einheitlich 
bis zu dem Punkt fortgebildet, von dem aus seit 1860 
die Konservativen und die »Neudeutschen« gegenein- 
ander wirkten. 

Der 1811 geborene Fr.Liszt (f 1886) begann als Kla- 
viervirtuose, unterrichtet vom Beethoven-Schiller C. 
Czerny, und entwickelte in Paris einen personlichen 
Vortragsstil. Seit der Klavieriibertragung der Sym- 
phonic fantastique von Berlioz 1833 wirkte Liszt, durch- 
aus revolutionar, im Sinne eines neuen Subjektivismus 
der Musik. So schuf er nach 1835 Klavierkompositio- 
nen gemaB dem Eindruck von Landschaften (Schweiz, 
Italien), von Kunstwerken (z. B. Michelangelo) und 
Dichtungen (z. B. Dante) als personlichen Ausdruck 
dessen, was er empfand. Dem Vorbild Berlioz' selb- 
standig folgend, schrieb er von 1848-59 als Hofka- 
pellmeister in Weimar 12 Symphonische Dichtun- 
gen. Trotz ihres unterschiedlichen Wertes galten sie 
den Anhangern der Programmusik als Muster. Von 
diesen »Neudeutschen« trennten sich die Konservativen 
1860. Ihr Fiihrer war der 1833 geborene J.Brahms 
(t 1897). Im Gegensatz zu seinem Forderer Schumann 
schrieb er keine Opern, und da er den Subjektivismus 
auBermusikalischer Programme ablehnte, gait ihm als 
Hochstes die autonome Instrumentalmusik. Sein Schaf- 
fen war der Tradition der Klassik verpflichtet. AuBer- 
dem hat er sich mit J. S.Bach und mit alterer Musik 
auseinandergesetzt. Den Gegenpol der Konservativen 
bildete der 1813 geborene R.Wagner (f 1883). Fiir die 
Oper kam es nun zur Umkehrung des bisherigen Vor- 
bildverhaltnisses, denn Wagners Tonsprache hat bald 



auf Europa gewirkt, am starksten auf Frankreich. Zu- 
kunftstrachtig war die Chromatik von Tristan und 
Isolde. Durch die Festspiele in Bayreuth entstand 
gleichsam ein Nationaltheater, das sich gegen Wagners 
Absicht auf dessen Werke beschrankt hat. Aber Wag- 
ners Mythos der Kunst fiihrte zur grundsatzlichen 
Trennung von Anhangern und von Gegnern. - Un- 
abhangig von Wagner schuf der vielseitige P.Cor- 
nelius ("j- 1874) Gesangsmusik jeder Art, vor allem die 
heitere Oper Der Barbier von Bagdad. - In der Kirchen- 
musik beider Konfessionen war der Historismus herr- 
schend geworden. Ihn iiberwand seit 1860 mit origi- 
nellen Werken im Dienst des Katholizismus A. Bruck- 
ner (f 1896). Seine Bedeutung fiir das Musikleben liegt 
jedoch in den 9 Symphonien, in denen aus eigenem 
Klanggefiihl heraus die Harmonik Wagners aufge- 
griffen und umgeschmolzen ist. Als Lehrer G.Mahlers 
hat Bruckner in Wien erneut eine Schule gebildet. 
Fiir das Wiener Publikum schrieb seit 1884 Kritiken 
der Wagnerianer H.Wolf (f 1903). Von ihm gibt es 
auBer den Liederzyklen auch eine Oper sowie Or- 
chester- und Kammermusik. Abweichend von Wag- 
ner naherte sich E. Humperdinck (f 1921) in Hansel 
und Gretel 1893 erfolgreich dem Volkslied und nahm 
auch spater mit seinem Schaffen eine Sonderstellung ein. 
Als eigenwilliger Wagnerianer begann 1895 mit neu- 
romantischen Opern H.Pfitzner (f 1949), der seinen 
Hohepunkt 1917 in Palestrina erreichte. Hierzu gesellt 
sich ein umfangreicher Komplex von Kantaten, von 
Konzert- und Kammermusik; seine Grundlagen hat 
Pfitzner wiederholt streitbar verteidigt. Fast gleich- 
altrig mit ihm, und als einziger an Brahms ankniipf end, 
verzichtete M.Reger (f 1916) auf Opern. Er ver- 
schmolz jedoch die klassizistische Formenwelt mit 
Wagners Chromatik. Vor allem griff er in der Instru- 
mentalmusik seit 1904 umfassend auf J. S. Bach zuriick. 
Die Gegenpartei vertritt der von Bruckner herkom- 
mende G.Mahler (f 1911), der seit 1897 in Wien an- 
sassig war. Seine 9 Symphonien offneten den Weg in 
die Zukunft und wirkten besonders auf die Wiener 
Schule. Dem Vorbild Liszts folgend, schrieb seit 1889 
Symphonische Dichtungen in ganz personlichem Stil 
R.Strauss (t 1949). Als Wagnerianer steigerte er in 
Elektra 1909 das Dissonanzwesen aufs auBerste, bezog 
aber seit dem Rosenkaualier 1911 auch altere Vorbilder 
ein. Oper und Ballett waren seitdem sein Hauptschaf- 
fensgebiet. Der neuen Musik seit 1921 blieb Strauss 
fern. - Die katholische Kirchenmusik erneuerte seit 
1924 J.Haas (f 1960); in seinem sonstigen, wichtigen 
Gesamtwerk steht das Instrumentale im Gleichge- 
wicht mit dem Vokalen. Geistliche Musik in einem 
sehr personlichen Stil schrieb H.Kaminski (f 1946). 
Der 1895 geborene P.Hindemith (f 1963) wurde seit 
1921 allmahlich zum Fiihrer einer neuen, mit der Ro- 
mantik brechenden Musik. Bald kniipfte sie an den 
Barock und an J. S.Bach an. Angeregt durch die mu- 
sikalischejugendbewegung (Fr.Jode), band sie die bis- 
her sich selbst geniigende Kunst wieder an Auftrage 
und Anlasse, bezog seit 1929 bei Gelegenheit auch den 
Zuhbrer aktiv in das Stuck ein. Das Gesamtwerk Hin- 
demiths umfafit alle musikalischen Gattungen, auch 
Oper und Ballett. - Gleichaltrig mit ihm sind J. N. 
David (ebenfalls von J. S.Bach angeregt) und C. Orff, 
der - im Gegensatz zu David - primar am Gesangli- 
chen interessiert und eine Theaterbegabung ist. Statt 
Wagners wortgezeugter thematischer Arbeit verwen- 
det Orff seit 1937 erfolgreich eine auf sich selbst ge- 
stellte Musik mit gleichartigem, ostinatoahnhchem 
Ablauf. Die Art, wie sie mit einem lateinischen oder 
deutschen oder italienischen Text verknupft wird, ist 
in jedem Werk anders. Vor allem wird statt der friihe- 



220 



Deutscher Tanz 



ren Affektensprache eine erstarrte »Maskensprache« 
angestrebt. Da die Werke sich gegenseitig erganzen, 
schuf Orff durch die Verbindung von Spielen jeder 
Art mit der Sprechbiihne und der Oper ein eigenstan- 
diges Musiktheater. - Fiir die Neue Musik seit 1921 ist 
charakteristisch, daB es (mit einer Ausnahme) keine 
Schulen mit einheitlicher Ausrichtung gab, sondern 
ein Nebeneinander von Komponisten, die verschiede- 
ne Ziele verfolgten. Alle Mbglichkeiten standen offen. 
Neu war jetzt auch, nach dem Oratorienchor aus der 
Zeit um 1800, das von der Jugendbewegung als Ge- 
meinschaftsmusik aufgefaBte Chorsingen. Es fiihrte 
zu einem Aufschwung der evangelischen Kirchenmu- 
sik. Als ihr Erneuerer wurde E.Pepping seit 1929 be- 
kannt, auch durch freie Musik fiir alle Gattungen. 
Seit 1931 diente jenem Ziel als ebenso vielseitiger 
Komponist H.Distler (f 1942.). 
Die Wende zum Heutigen brachte der 1874 geborene 
A. Schonberg (f 1951). Nach langer Vorbereitung 
schritt er 1921 in Wien zur Kompositionsmethode 
»mit 12 nur aufeinander bezogenen T6nen«, ermog- 
licht durch Wagners Tristan. Schonberg hatte in Wien 
mehrere hervorragende Schiiler. A. Berg (f 1935) 
schrieb auBer Kammer- und Orchesterwerken, teils 
mit Gesang, die Oper Wozzeck, die seit 1925 unge- 
wohnlichen Erfolg hatte. Weniger beachtet wurde zu 
Lebzeiten A. Webern (f 1945), trotz seiner alles iiber- 
bietenden Ausdrucksintensitat und Knappheit der 
Form. - Die seit 1900 geborenen Komponisten hatten 
die Wahl, die Zwolftontechnik abzulehnen oder auf- 
zugreifen. An ihrer Spitze steht der 1900 geborene E. 
Kfenek; nach Versuchen iibernahm er diese Methode 
seit 1938 und bereicherte sie durch Kenntnis spatmittel- 
alterlicher Polyphonie. Ablehnend verhielten sich 2 
Altersgenossen mit Theaterinteresse. Von H.Reutter 
gibt es oratorienhafte Opern, Ballette und Oratorien; 
der Schwerpunkt des iibrigen Schaffens liegt in der 
Orchester- und Kammermusik, auch mit Gesang. Der 
Bayer W.Egk hatte dank seinem Theatersinn seit 1933 
mit Opern vielfach Erfolg und wirkte ungewohnlich 
in die Breite; das gilt auch fiir Egks Ballette seit 1940. 
Anders bei W. Fortner, der seit 1929 Instrumental- und 
Gesangsmusik tonal in personlichem Stil schrieb; die 
Zwolftontechnik entwickelte er jedoch seit 1948 wei- 
ter, bedachte nun auch Oper und Ballett. - Die erst 
nach 1945 bekannten Komponisten, fruhestens 1926 
geboren, bilden eine Gruppe fiir sich. H.W.Henze 
beherrscht die Zwolftontechnik und alles Neue ebenso 
wie das spatromantische Orchester; angesichts der 
Farbigkeit seiner Musik stehen Oper und Ballett vor- 
an, doch hat er aufierdem fast alle Gattungen bedacht, 
die Instrumentalmusik gem mit auBermusikalischen 
Anregungen. Der um 2 Jahre jiingere K. Stockhausen 
schrieb vielbeachtete Klaviermusik und andere Instru- 
mentalwerke; besonders verdient machte er sich bei 
der Einfuhrung elektronischer Musik. - Beim Blick 
auf Europa zeigt sich, daB neben die D. M. seit Wag- 
ners Tod eine von ihr unabhangige auslandische Kunst 
getreten war (Verdi, Puccini, Debussy, Mussorgskij). 
Doch andererseits hat sich Schonbergs Zwolftontech- 
nik seit 1921 international verbreitet. 

Lit.: A. Schering, Deutsche Mg. im UmriB, Lpz. 1917; 
ders., Vom mus. Kunstwerk, hrsg. v. Fr. Blume, Lpz. 1949, 
2 1951 ; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik, Stuttgart 
u. Bin I 1920, =1930, II, 1, 1922, "1928, als II 51930, II, 2, 
1924, als III 21928; ders., Kleine deutsche Mg., Stuttgart 
1938, 3 1949 ; J. Handschin, Angelomontana polyphonica, 
SJbMw III, 1928; R. v. Ficker, Primare Klangformen, 
JbP XXXVI, 1929; H. Besseler, Die Musik d. MA u. d. 
Renaissance, Biicken Hdb. ; ders., Die Entstehung d. Pos., 
AMI XXII, 1950; W. Dilthey, Von deutscher Dichtung 
u. Musik, hrsg. v. H. Nohl u. G. Misch, Lpz. (1933), Stutt- 



gart u. Gottingen (21957); H. Mersmann, Eine deutsche 
Mg., Potsdam 1934, als: Mg. ind. abendlandischen Kultur, 
Ffm. (21955); ders., Deutsche Musik d. XX. Jh., = Kon- 
trapunkte I, Rodenkirchen (1958); E. Preussner, Die bur- 
gerliche Musikkultur, Ein Beitr. zur deutschen Mg. d. 18. 
Jh., Hbg 1935, Kassel 21950; E. Rebling, Die soziologi- 
schen Grundlagen d. Stilwandlungd. Musik in Deutschland 
um d. Mitte d. 18. Jh., Diss. Bin 1935; H. Funck, Mus. 
Biedermeier, DVjs. XIV, 1936; G. Pietzsch, Zur Pflege d. 
Musik an d. deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf 
I, III, V-VI, 1936-41 ; A. Geering, Die Organa u. mehrst. 
Conductus in d. Hss. d. deutschen Sprachgebietes v. 13. 
bis 16. Jh., = Publikationen d. Schweizerischen Musikfor- 
schenden Ges. II, 1, Bern (1952); W. Gurlitt, Die Kom- 
positionslehre d. deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bam- 
berg 1953, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw 
I, Wiesbaden 1966; W. Wiora, Der Brautreigen zu K61- 
bigkind. Heiligen Nacht d. Jahres 1020, Zs. f. Volkskunde 
L, 1953 ; ders. u. W. Salmen, Die Tanzmusik im deutschen 
MA, ebenda; W. Salmen, Die Schichtung d. ma. Musik- 
kultur in d. ostdeutschen Grenzlage, = Die Musik im al- 
ten u. neuen Europa II, Kassel 1954; ders., Der fahrende 
Musikerimeuropaischen MA, ebenda IV, 1960; Fr. Behn, 
Musikleben im Altertum u. friihen MA, Stuttgart 1954; 
Thr. G. Georgiades, Musik u. Sprache . . . , Bin, Gottingen 
u. Heidelberg 1954; ders., Musik u. Rhythmus bei d. Grie- 
chen, Zum Ursprung d. abendlandischen Musik, =rde 
LXI, Hbg (1958); L. Schiedermair, Deutsche Musik im 
europaischen Raum, Minister i. W. u. Koln 1954; H. H. 
Eggebrecht, Das Ausdrucksprinzip im mus. Sturm u. 
Drang, DVjs. XXIX, 1955 ; ders., Barock als mg. Epoche, 
in: Aus d. Welt d. Barock, Stuttgart 1957 ; G. Cl. School- 
field, The Figure of the Musician in German Lit., = Univ. 
of North Carolina Studies in the Germanic Languages and 
Lit. XIX, Chapel Hill 1956; Die Stimme d. Komponisten, 
Aufsatze, Reden, Briefe 1907-58, hrsg. v. H. Lindlar, 
= Kontrapunkte II, Rodenkirchen (1958) ; H. Riedel, Mu- 
sik u. Musikerlebnis in d. erzahlenden deutschen Dich- 
tung, = Abh. zur Kunst-, Musik- U. Literaturwiss. XII, 
Bonn 1959; H. Zenck, Numerus u. Affectus, Studien zur 
Mg., hrsg. v. W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kas- 
sel 1959; P. Benary, Die deutsche Kompositionslehre d. 
18. Jh., =Jenaer Beitr. zur Musikforschung HI, Lpz. 
(1961); Th. Gollner, Formen fruher Mehrstimmigkeit in 
deutschen Hss. d. spaten MA, = Miinchner Veroff. zur 
Mg. VI, Tutzing 1961 ; R. Brockpahler, Hdb. zur Gesch. 
d. Barockoper in Deutschland, = Die Schaubiihne LXII, 
Emsdetten i. W. (1964). HB 

Deutscher Tanz (auch »Deutscher«) bezeichnet in 
Siiddeutschland und Osterreich im 18. und zu Beginn 
des 19. Jh. einen geschwinden Drehtanz fiir Einzel- 
paare im 3/8- (3/4-)Takt. Seine Beliebtheit auch in 
Italien und Frankreich bezeugen die auch im deut- 
schen Sprachgebrauch haufigen Benennungen Tedesco 
(Beethoven, Klaviersonate op. 79, 1. Satz: Presto alia 
tedesca; Weber, Tedesco, 1816) und Allemande (Schu- 
bert D 366 Nr 17, D 783 Nr 8; Haydn, SchluBsatz des 
Klaviertrios Es dur, Hob. XV, 29). Die von diesem 
Tanz vollig abweichenden Allemanden in der Suite 
der Barockzeit wurden zum Teil ebenfalls als Teutsche 
Tantze bezeichnet (so bei C. Farina 1627). Das ur- 
sprunglich Derbe und Volkstiimliche des D.n T.es ver- 
anlaBte Mozart, in der 21. Szene des Don Giovanni Le- 
porello und Masetto la Teitsch tanzen zu lassen, von 
Violine und BaB gespielt (wahrend die hohergestellten 
Personen Don Ottavio und Donna Anna ein Menuett 
und Don Giovanni mit Zerlina einen Contretanz tan- 
zen). In diesem Sinne ist wohl auch der Bauerntanz im 
3. Satz der 6. Symphonie von Beethoven als D. T. ge- 
meint. Zu Beginn des 19. Jh. ging der D. T. unter Be- 
schleunigung des Tempos in den Walzer iiber (Lanner 
nannte seine Tanze erst ab op. 7 Walzer, davor Deut- 
sche Tanze oder Landler), doch bestanden beide Be- 
nennungen noch einige Zeit nebeneinander (z. B. in 
Schuberts Tanzfolgen D 145 und 146; Webers Deut- 
scher von 1815 heiBt auch Original- Walzer). Der D. 



221 



Devise 

T. der Wiener Klassik ist tneist fur Orchester kompo- 
niert (35 Stiicke von Haydn, 24 von Beethoven, 50 von 
Mozart), Schuberts weit iiber 100 Deutsche jedoch 
sind ausschlieBlich fur Klavier bestimmt. Ein D. T. be- 
steht in der Regel aus zwei wiederholten 8taktigen 
Perioden, oft mit Trio. Ketten von mehreren, zusam- 
menhangend aufzufiihrenden Tanzen schlieBen ge- 
wbhnlich mit einer Coda (Mozart K.-V. 567 und 571, 
Beethoven WoO 8 und Schubert D 420 sind jeweils 6 
bzw. 12 Deutsche Tanze mit Coda; Schubert D 128 
wird durch eine Introduzione erbffnet). In Schuberts 
6 Deutschen Tanzen D 820 (1824) ist dariiber hinaus 
durch Wiederaufnahme des 1. Tanzes nach dem 2. und 
3. und des 4. nach dem 5. und 6. ein zyklischer Aufbau 
erreicht. 

Devise (frz., Wahlspruch, Kennzeichen), von H.Rie- 
mann gepragte Bezeichnung fiir eine typische Eigen- 
tiimlichkeit der Barockarie, die schon in der romischen 
Kantate um 1650 auf taucht und bei spateren, besonders 
bei italienischen Opern- und Kantatenmeistern sehr 
haufig ist : die Vorausschickung des vokalen Themen- 
kopfes. Es folgen ihr ein instrumentales Zwischenspiel 
und die identische Wiederholung des vokalen Themen- 
kopfes mit Weiterf iihrung. Diese textlich-musikalische 
Erbffnung ist wegen der Beschrankung der Barockarie 
auf einen Affekt und einheithche musikalische Substanz 
dazu bestimmt und geeignet, in der Art einer Ankiin- 
digung oder Uberschrift Gesamtinhalt und -charakter 
der Arie zu bezeichnen. Die D. findet sich auch in der 
Choralbearbeitung fiir Orgel (z. B. G.Bohm, Vater 
unset im Himmelrekh, Versus 1, J.S.Bach, Christ, der du 
hist der helle Tag, Partita II, BWV 766) Und in der Solo- 
instrumentalmusik (Bach, Flotensonate BWV 1035). 



Nu-me a-la-to, 



Nu-me a-Ia-to, dam-mi 



95^E 



g^3 



p J ' p p p p 



Pa-ce, dam-mi Pa-ce! 



m 



'dJJdtt 



A. Steffani, 

Alarico (1687), 

1. Akt, 7. Szene. 



Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912, 31921; 
H. J. Moser, Kleine Beitr. zu Beethovens Liedern u. Buh- 
nenwerken, Neues Beethoven-Jb. II, 1925. 

Dezett (von lat. decern, zehn; frz. dixtuor) heiBt eine 
Komposition fiir zehn selbstandig gefiihrte Instrumen- 
talstimmen in gemischter Besetzung, z. B. Fr.Poulencs 
Mouuements perpetuels fiir Fl., Ob., Enghsch Horn, 
Klar., Horn, Fag. und 4 Streichinstr., B.Blachers 9Est- 
nische Tanze fiir 10 Blaser, auch das Dixtuor fiir Blaser 
op. 14 von G.Enescu und schon C.Stamitz' 7 Partien 
in der doppelten Blaserbesetzung : 2 Fl., 2 Ob., 2 Klar., 
2 Horner, 2 Fag. (Manuskript in der Sachsischen Lan- 
desbibl., Dresden). 

Dezibel (dB), logarithmisches MaB fiir den Vergleich 
von Intensitats- oder Schalldruckverhaltnissen. Man 
benutzt dieses MaB u. a., um die auBerordentlich groBe 
Sparine der in Natur, Technik und Musik vorkom- 
menden und vom Gehbr zu verarbeitenden Schallin- 
tensitaten absolut erfassen zu konnen. Um beispiels- 
weise einen in fib (-»• Mikrobar) gemessenen Schall- 
druck;) in dB anzugeben, setzt man ihn ins Verhaltnis 
zu einem Bezugsschalldruck po (meist der -> Hor- 
schwelle bei 1000 Hz = 0,0002 jxb) und berechnet 
den Schallpegel in dB zu 20 • lg pjp o. So entsprechen 



dem Schalldruck von 200 (xb (Schmerzschwelle) 120 dB 
(20 • lg 200/0,0002). Das Schalldruckverhaltnis ist in 
dem Fall 10 6 :1. Bei gleichzeitigem Ertonen zweier 
gleichstarker Schallquellen steigt der Schalldruck ma- 
ximal auf das Doppelte an, der Schallpegel erhbht 
sich um 6 dB. Im Mittel steigt er nur um 3 dB, da die 
Uberlagerung von der Phasenlage der Wellenziige ab- 
hangig ist. Rechnet man mit Intensitaten (/), die pro- 
portional dem Quadrat des Schalldruckes sind, so gilt 
fur den Schallpegel in dB = 10 ■ lg///o, wobei h die 
Bezugsintensitat bedeutet. 
Dezjme (lat. decima), die Oktave der Terz. 
Di?basis (griech.) ->■ Metabasis. 
Di?bolus in musica (lat.) -»■ Tr it onus. 
Dialog (von griech. SiaXoyo?, Gesprach), allgemein 
eine musikalische Struktur, die im Gegen- oder Nach- 
einander der Stimmen eine Analogie zur gesprochenen 
Wechselrede zeigt, und zwar in vokaler oder instru- 
mentaler, einstimmiger oder mehrstimmiger Ausfiih- 
rung. Die Technik fand zu alien Zeiten Anwendung, 
z. B. in den alternierenden Teilen Gregorianischer Ge- 
sange, im friihbarocken deutschen Lied (J. Staden, H. 
Albert) , in den englischen und f ranzosischen Airs, in der 
barocken, besonders der franzosischen Orgelmusik, in 
der Themengestaltung und Durchfiihrungstechnik der 
Wiener Klassik, mitunter als Bauprinzip eines ganzen 
Satzes (Beethoven, Klavierkonzert Nr 4, op. 58, 2. 
Satz). - Als eigenstandige Gattung gewann der D. im 
16. und 17. Jh. Bedeutung. Hierbei ist zwischen einer 
italienischen und einer protestantisch-deutschen Ent- 
wicklung zu unterscheiden, ferner zwischen weltlichen 
und geistlichen und innerhalb der letzteren zwischen 
vulgarsprachlichen und lateinischen D.en. Das Ver- 
bindende ist hier iiberall die Textanlage als Gesprach, 
wahrend die musikalischen Formen wechseln. Ur- 
spriinge und Ansatze sind zu suchen im lateinischen 
geistlichen Drama des Mittelalters (->• Liturgisches 
Drama), im Minnesang, in der paarweisen Chorauf- 
teilung der Niederlander, die sich in der Coro spezzato- 
Technik Willaerts f ortsetzte und die Bliitezeit des Mo- 
tetten- und Madrigal-D.s herauffiihrte, und in den 
itahenischen D.-Lauden. Mit der Umformung der 
letzteren durch Filippo Neri fiir seine Congregazione 
dell'Oratorio in Rom (1551) miindete die Entwicklung 
in die Vor- und Friihgeschichte des -v Oratoriums. Um 
1600 setzte sich im D. der monodische Stil allgemein 
durch; erzahlende Teile und ein abschlieBender Chor 
erweitern die Form. Gleichzeitig entstanden in Ober- 
italien die solistisch-concertierenden lateinischen D.e 
als Einlage bei kirchlichen Festen (Viadana 1602), und 
als 3. Zweig der Gattung die weltlichen, der Kammer- 
kantate nahestehenden Dialoghifuor di scena, mit Stof- 
fen aus der Schaferpoesie (MeUi, Tirsie Filli, 1602). 
Durch Verschmelzung italienischer Anregungen mit 
eigenen Vorformen wurde der D. im 17. Jh. eine wich- 
tige kirchenmusikalische Gattung im protestantischen 
Deutschland. Er hatte als Gradualgesang oder vor 
(bzw. vor und nach) der Predigt einen festen Platz im 
Gottesdienst. Die Texte bestehen aus Bibelzitaten, 
freien geistlichen Dichtungen oder der Mischung bei- 
der. Sie wurden entweder realistisch-dramatisch oder 
mehr lehrhaft-darbietend vertont, zum Teil in sukzes- 
sivem, also echt dialogisierendem, zum Teil in simul- 
tanem Vortrag. Gemeinsam ist alien D.en die eindring- 
liche Gestaltung des Schlusses (meist fiir Chor), der 
eine fromme Betrachtung, allgemeingiiltige Lehre 
oder Aufforderung zur Besinnung enthalt. Unter den 
musikalischen Formen des D.s ist am verbreitetsten 
das (kleine) Geistliche Konzert. Friihe Beispiele dafiir 
sind Kompt her von Scheidt (Geistliche Concerte II, 1634) 



222 



Diastematie 



und Sei gegrujlet, Maria von Schiitz (Kleine Geistliche 
Concerte II, 1639); eine beriihmte Sammlung sind die 
Dialogi oder Gesprdche zwischen Gott und einer gldubigen 
Seelen von A. Hammerschmidt (DTO VIII, 1). Fiigen 
sich die Reden realistisch dargestellter Personen in 
fortlaufender Handlung zu einer geschlossenen Szene 
zusammen, so entsteht der Oratorien-D. (z. B. Schiitz, 
Vater Abraham, erbarme dich mein, GA XVIII). Instru- 
mentale Vor- und Zwischenspiele wurden hinzuge- 
fiigt (Kindermann), und mitunter wurden mehrere 
Szenen zusammengestellt (Rosenmiiller), so daB diese 
Mischgattung allmahlich ganz im Oratorium aufging. 
Gegen Ende des 17. Jh. drangen mit der Zunahme be- 
trachtender, erbaulicher Teile im Text strophische 
Lieder und Arien in das geistliche Konzert ein. Die so 
entstehenden D.-Kantaten stellen die Anfange der 
deutschen Solokantate dar, die auch spater noch, nach 
dem Verschwinden des D.s als Gattung, dialogische 
Partien enthalten konnte. Wichtige Meister des D.s im 
17. Jh. sind auBer den genannten : J. H. Schein, J. R. Ah- 
le, J.Schelle, W.C.Briegel, A.Pfleger, Th.Selle, J.Ph. 
Krieger, J. Chr. Bach, Chr. Bernhard, Fr. Tunder. 
Lit.: Th. Kroyer, D. u. Echo in d. alten Chormusik, JbP 
XVI, 1909; E. Schmitz, Zur Fruhgesch. d. lyrischen Mon- 
odie Italiens im 1 7. Jh., JbP XVIII, 1911; ders., Zur Gesch. 
d. ital. Continuo-Madrigals im 17. Jh., SIMG XI, 1909/10; 
ders., Gesch. d. Kantate u. d. geistlichen Konzerts I, 
Gesch. d. weltlichen Solokantate, = Kleine Hdb. d. Mg. 
nach Gattungen V, 1, Lpz. 1914, 21955; A. Schering, 
Gesch. d. Oratoriums, ebenda III, 1911; Fr. Blume, Das 
monodische Prinzip in d. protestantischen Kirchenmusik, 
Lpz. 1925; ders., Die ev. Kirchenmusik, Bucken Hdb.; W. 
Vetter, Das fruhdeutsche Lied I, = Universitas-Arch.VIII, 
Miinster i. W. 1928; K. Fr. Rieber, Die Entwicklung d. 
deutschen geistlichen Solokantate im 1 7. Jh. , Diss. Freiburg 
i. Br. 1 932 ; A. Adrio, Die Anfange d. geistlichen Konzerts, 
= Neue deutsche Forschungen XXXI, Abt. Mw. I, Bin 
1935 ; G. Frotscher, Gesch.d. Orgelspiels ... II, Bin 1936, 
2 1959; M. Lanoe, Die Anfange d. Kantate, Diss. Lpz. 
1938; H.-O. Hudemann, Die protestantische Dialogkom- 
position im 17. Jh., Diss. Kiel 1941, maschr. PS 

Diapason (griech. 8ia 7ractov, durch alle). - 1) In der 
Theorie der Griechischen Musik stellt der voile Name 
der 3 Symphoniai D. (Oktave), Diapente (Quinte) 
und Diatessaron (Quarte) den ihnen gemeinsamen kon- 
sonanten Charakter in den Vordergrund : r) 8ia 7taacov 
(oder: 8t<& 7t£vte, Sia xeaadcpov) ^opScov au^cpcovta, 
»der im Durchgang durch alle (oder : durch f iinf , durch 
vier) Tone erreichte Zusammenklang« ; der Sprachge- 
brauch hat die unterscheidenden Beifiigungen verselb- 
standigt. D. als Bezeichnung der Oktave sagt aus, daB 
diese zugleich den entferntesten und nachsten Zusam- 
menklang darstellt: den entferntesten, weil sie alle 
musikalischen Intervalle in sich schlieBt und es iiber sie 
hinaus keinen unvermittelten Zusammenklang gibt, 
den nachsten, weil alle anderen Intervalle durch Unter- 
teilung der Oktave (1:2) mathematisch bestimmt 
werden. - 2) Der enghsche Orgelbau nennt bei den 
Labialpfeifen das 4'-Register Principal, daher das 8'- 
(im Pedal 16'-)Register D. (Unteroktave), das 16'- 
(im Pedal 32'-)Register Double d. Man unterscheidet 
Open d. (Prinzipal) und Stopped oder Closed d. (Ge- 
dackt). - 3) D. hieB auch ein gewisses Modell, uior- 
nach bey den Instrumentmachern die Orgel-Pfeiffen zuge- 
schnitten, die Locher in die Floten, u. s.f. gemacht werden 
(WaltherL, nach Brossard). Dem entsprechen die ver- 
schiedenen Bedeutungen von d. heute im Franzosi- 
schen : D. ist->-Mensur (- 1) einer Orgelpfeife oder eines 
Blasinstruments, Anordnung der Grifflocher, seltener 
auch Umfang einer Stimme, ferner allgemein Tonho- 
he und insbesondere -»■ Stimmton ; d. normal Stimm- 
ton, d. oder d. a branches Stimmgabel, d. a bouche 
Stimmpfeife. 



Diapente (griech. Sk&ttevts, durch f iinf ; ->• Diapason), 
s. v. w. Quinte. - In lateinischen Kanonvorschriften 
und Musiktraktaten begegnet auch Epidiapente (Ober- 
quinte) und Hypo- oder Subdiapente (Unterquinte). 

Diaphonia (Siaipcovta, »Auseinanderklang«), grie- 
chischer Name der Dissonanz (dissonantia ist lateini- 
scher Obersetzungsterminus von d.), namlich im Ge*- 
gensatz zu den antiphonen und paraphonen Sympho- 
nien (Oktave; Quinte, Quarte) die iibrigen Intervalle 
des Tonsystems; so auch noch in der mittelalterlichen 
Musiklehre: Cuius (symphoniae) contraria est d., id est 
voces discrepantes vel dissonae (Isidor, III, 20) ; dissonantia 
autem et d. idem sunt (Marchettus von Padua, GS III, 
80b). - In der Friihzeit der artifiziellen Mehrstimmig- 
keit (9.-12. Jh.) ist D. der gelehrte griechische Name 
fur das, was damals £iir gewohnlich (vulgariter) -> Or- 
ganum hieB ; im Unterschied zum alteren Begriff der 
-»■ Paraphonia bezeichnet D. speziell das nicht durch- 
laufend parallele Quartenorganum (vgl. Musica En- 
chiriadis, GS I, 165, und Organumtraktat Koln, Dom- 
capitelbibl. Cod. LII, Darmst. 2047, f. 177': D. seu 
organum constat ex diatessaron symphonia naturaliter diri- 
vari) und seine durch Oktavverdopplung entstehende 
Quart-Oktav-Quint-Struktur. Dabei erfaBt der Name 
D. (d. cantilena) sowohl das theoretische Moment (die 
rationale Tonmessung und das »Zur Schrift-Bringen«) 
dieses organicum melos, als auch dessen Charakter als 
diaphonisch-symphonischen (dissonierend-konsonie- 
renden), das ist »eintrachtig-auseinanderklingenden« 
Zusammenklang, mit den Worten der Musica Enchiria- 
dis (GS 1, 165b) : Dicta autem d., quod non uniformi canore 
constet, sed concentu concorditer dissono. (D. vocum dis- 
iunctio sonat, quam nos organum vocamus, cum disiunctae 
ab invicem voces et concorditer dissonant et dissonanter con- 
cordant, Guido, Micrologus, CSM IV, 196f. ; Est ergo d. 
congrua vocum dissonantia, Johannes Affligemensis, CSM 
1, 157). - Die irrtiimliche Etymologie: D. = dyaphonia 
... a dya, quod est duo, . . . quasi duplex sonus (z. B. CS 
II, 387) geht zuriick auf die Zeit um und nach 1100: 
Interpretatur autem d. dualis vox sive dissonantia (Johannes 
Affligemensis, CSM I, 157) ; D. duplex cantus est (Or- 
ganumtraktat von Montpellier, Fac. de med. H. 384, 
f. 122). Denn entsprechend dem damaligen Wandel 
der mehrstimmigen Musik, demzufolge die dem Can- 
tus respondierende Vox organalis selbst die Qualitat 
eines eigenstandigen (komponierten) Cantus gewann, 
wurde D. nun als »zwiefacher Cantus« verstanden, und 
bald darauf entstand als Analogiebildung zu D. das Be- 
griff swort ->■ Discantus (»Auseinandergesang mehrerer 
Cantus «), wahrend in dem um 1300 hervortretenden 
Namen contrapunctus (-> Kontrapunkt) die intervalli- 
sche Messung des »Gegen-Punctus« in den Vorder- 
grund tritt. - Die Summa musicae (GS III, 239f.) un- 
terteilt um 1300 die polyphonia in dya-, tri- und 
tetraphonia und beschreibt terminologisch recht ei- 
genwillig als dyaphonia basilica (von griech. (Wan;, 
->• Basis) den Haltetonstil des Organum (ita quod unus 
teneat continue notam imam, quae est quasi basis cantus 
alterius concinentis) und als dyaphonia organica den Dis- 
cantus ( . . . ab organo vocali nomen accepit, eo quod diversa 
organa diversimode resonent, quemadmodum et singuli ho- 
mines singulas habentformas diversas). 
Lit.: Riemann MTh; J. Handschin, Zur Gesch. d. Lehre 
v. Organum, ZfMw VIII, 1925/26; H. H. Eggebrecht, 
»D. vulgariter organum«, Kgr.-Ber. Koln 1958. HHE 

Diaschisma (griech.) -> Schisma. 

Diastematie (von griech. 8iaaT7)[i.a, Abstand, Inter- 
vall), die Eigenart einer Notenschrift, Tonabstande 
nach Hohe und Tiefe anzugeben. Der bedeutsame 
Schritt, das Zeichen fiir einen »hoheren« Ton graphisch 



223 



Diastolik 



hoher zu setzen als das Zeichen f Ur einen »tieferen« Ton 
und damit die Augenbezeichnungen hoch und tief fur 
Tone herbeigefiihrt zu haben, die in der mittelalterli- 
chen Musiktheorie dem Horeindruck entsprechend 
acutus (scharf, spitz) und gravis (stumpf, schwer) ge- 
nannt wurden, vollzog sich mit der Entwicklung der 
Neumenschrift im 10. und 11. Jh. in Italien und Frank- 
reich und fiihrte zur Einfiihrung von einer, zwei und 
mehr Linien und weiter zu deren Schliisselung durch 
Guido von Arezzo (Aiiae regulae, urn 1020). - Eine be- 
sonders klare D. zeigt urn 1000 die aquitanische Neu- 
menschrift durch vollige Auflosung der Ligaturen in 
Punkte, deren Abstand man zum Teil durch in das 
Pergament geritzte Linien ordnete, wahrend man im 
deutschen Sprachraum, z. B. in St.Gallen, linienlose 
adiastematische (nicht tonabstandige) Neumen noch 
im 14. Jh. schrieb. Sicheres Erkennungszeichen fiir D. 
innerhalb der linienlosen Neumierung ist der->- Custos. 
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien II: Neumenkunde . . ., Lpz. 1905, 21912, Neudruck 
Hildesheim u. Wiesbaden 1962. 

Diastolik (von griech. SiaaxoXir), Einschnitt, s. v. w. 
Interpunktion) nennen altere Theoretiker (Zarlino), 
auch noch L. Mozart, die Lehre von den Einschnitten 
in der Musik, d. h. von der richtigen Gliederung der 
musikalischen Gedanken, der Phrasierung. 

Diatessaron (griech. 8ta xscradcptov, durch vier; 
-> Diapason), s. v. w. Quarte. - In lateinischen Kanon- 
vorschriften und Musiktraktaten begegnet auch Epi- 
diatessaron (Oberquarte) und Hypo- oder Subdia- 
tessaron (Unterquarte). 

Diatonik (von griech. Staxovo?, durch Ganztone ge- 
hend). Diatonisch heiBt eine Skala, die die Oktave 
in 5 Ganz- und 2 Halbtone teilt, wie das Dur und Moll 
sowie die Kirchentone. Diatonische Intervalle sind 
diejenigen, die sich aus einer solchen Skala ableiten 
lassen, also : reine Quarte, Quinte und Oktave, groBe 
und kleine Sekunde, Terz, Sexte und Septime. Der 
Tritonus wird, obwohl er der D. angehbrt, als iiber- 
maBige Quarte, also als Variante der reinen Quarte, 
d. h. als chromatisches Intervall bestimmt. Die diatoni- 
schen Intervalle gelten in der tonalen Musik im Ge- 
gensatz zu den chromatischen Intervallen als unmittel- 
bar verstandlich. Dabei ist gleichgultig, ob die das In- 
tervall bildenden Tone Vorzeichen haben oder nicht; 
gis-a und eses-des sind ebenso diatonische kleine Se- 
kunden wie h-c und e-f , und auch die in C dur leiter- 
fremden Tone fis und cis bilden eine diatonische reine 
Quinte. - In der antiken griechischen Musik fiillt das 
diatonische Tetrachord den festen Quartrahmen mit 
2 Ganztonen und einem Halbton, z. B.: el di el h. Die 
Berechnung der »beweglichen« Intervalle bei den 
Theoretikern wechselt; Ptolemaios gibt 5 fremde, da- 
zu noch 3 eigene Formeln an. Es hangt mit dem prin- 
zipiell einstimmigen Charakter der griechischen Mu- 
sik zusammen, daB die D. in der Antike kein Oberge- 
wicht gegeniiber den beiden anderen Genera, -» En- 
harmonik und -»■ Chromatik, erlangte; doch bildet sie 
fiir das System der Notenschrif t sowie allgemein in den 
Darstellungen der Musiktheorie den Ausgangspunkt. 
Erst nach dem Aufkommen der Mehrstimmigkeit 
wurde im 11. Jh., hauptsachlich unter der Autoritat 
Guidos von Arezzo, die europaische Musik auf D. fest- 
gelegt. Im Byzantinischen Gesang ist der ProzeB der 
Diatonisierung wahrscheinhch erst im 13. Jh. abge- 
schlossen, doch setzt sich hier seit dem 15. Jh., d. h. seit 
Byzanz unter tiirkische Herrschaft geriet, wieder eine 
starker differenzierte Tonordnung durch. - D. muB 
nicht immer mit einem Oktavsystem verbunden sein. 
So kennt der Byzantinische Gesang neben dem Oktav- 



system ein System von durch einen Ganzton getrennten 
Tetrachorden, in dem sich in der tieferen Oktave b 
und fi, in der hoheren h' und fis 2 ergibt, der russische 
Kirchengesang ein System von durch einen Halbton 
getrennten Trichorden mit h in der tieferen und bi in 
der hoheren Oktave. Dem genannten byzantinischen 
gleicht das Tetrachordsystem der Muska Enchiriadis 
(-> Dasia-Zeichen) ; sein durchaus diatonischer Cha- 
rakter zeigt sich darin, daB die Tone der ubermaBigen 
Oktayen b-hi und f'-fis 2 zwar durch Oktavierung ei- 
ner Stimme, aber niemals selbstandig in die jeweils an- 
dere Oktave versetzt werden konnen. Dieses die Ok- 
tave umgehende System wurde von Hermannus con- 
tractus und Guido von Arezzo bekampft, doch bot 
auch das nachguidonische Hexachordsystem die MSg- 
lichkeit, 3 Hexachorde jeweils im Quintabstand iiber- 
einanderzustellen. Sie wurde in der Mehrstimmigkeit 
bis ins 16. Jh. vielfach genutzt, da injenem System zum 
mi und fa des (mittleren) Hexachordum naturale in 
beiden Richtungen Quinten gesetzt werden konnten, 
also : a und hi zu e' mi, b und c 2 zu f i fa. Der Tritonus, 
der sich in der unveranderten Tonart als verminderte 
Quinte, d. h. falsche Konsonanz (mi contra fa) dar- 
stellt, wird in dieser Hexachordschichtung zur Uber- 
maBigen Quarte, also zur Alteration eines ohnehin 
dissonanten Klanges. Die Notierung der Stimmen mit 
verschiedenen Vorzeichen macht dieses Hexachordsy- 
stem sichtbar. Sie bedeutet eine Erweiterung der Ton- 
art insofern, als in solchen Satzen authentischer und zu- 
gehoriger plagaler Modus gleichzeitig erklingen; am 
haufigsten sind (nach Hoppin) : dorisch auf g transpo- 
niert (mit !>) und hypodorisch auf d (ohne Vorzeichen) 
sowie lydisch untransponiert auf f (mit t) und hypo- 
lydisch auf c (ohne Vorzeichen). Die Zuordnung der 
Stimmen zur authentischen und plagalen Form des 
Kirchentons wechselt; in 3st. Satzen wird iiberwiegend 
die Oberstimme ohne Vorzeichen, der Tenor mit \> 
notiert, der Contratenor aber teilt Klangregion und 
Vorzeichnung im 14. Jh. meist mit der Oberstimme, 
im 15. Jh. meist mit dem Tenor. Einen spaten Sonder- 
fall stellt die Erweiterung auf 4 Hexachorde in Jos- 
quins Fortuna d'un gran tempo dar, dessen 3 Stimmen die 
Hexachorde auf c 1 und gi (Oberstimme), f und c 1 (Mit- 
telstimme), B und f (Unterstimme) ausfiillen; die sich 
hierbei ergebenden Querstande sind jedenfalls ge- 
wollt und diirfen nicht dutch Akzidentien (vgl. H. 
Hewitt in der Neuausgabe des Satzes nach Petruccis 
Odhecaton) oder Annahme einer »Secret Chromatic Art« 
(Lowinsky) umgangen werden. Das fiir die Mehrstim- 
migkeit des Mittelalters konstitutive Nebeneinander 
von Tonart- und Hexachordordnung wird im 16. Jh. 
aufgegeben, die Tonart wird nunmehr zum einzigen 
Kriterium der D. Das System der 8 Kirchentone 
weicht allmahlich der Alleinherrschaft von Dur und 
Moll, die bis ins 19. Jh. die Grundlage der D. bildet. 
Humanistische Experimente zur Wiederbelebung der 
verschiedenen von antiken Theoretikern iiberlieferten 
Arten der D. bleiben ohne Ergebnis. Die Chromatik 
des 16. Jh. dagegen zeitigt eine Vermischung der Ton- 
geschlechter, so daB seit dem 17. Jh. dem Komponisten 
die Einfiihrung von Chromatik in den prinzipiell diato- 
nischen Satz freigestellt ist. Rein diatonisch sind fortan 
vornehmlich einfache Tanze, Marsche und Lieder so- 
wie Kirchenmusik, die am a cappella-Stil des 16. Jh. 
festhalt. In groBeren Zusammenhangen wird es nun- 
mehr zum Stilkriterium, ob ein Komponist (z. B. Han- 
del und Haydn im Vergleich mit Bach und Mozart) 
oder eine Schule (z. B. die franzosischen und englischen 
Komponisten zur Zeit Lullys und Rameaus im Ver- 
gleich mit ihren italienischen Zeitgenossen) diatoni- 
sche Stimmfuhrung und Klangverbindungen bevor- 



224 



Diffusitat 



zugt. Um die Mitte des 19. Jh. kam es zur Krise der D., 
fur die verschiedene Losungen gesucht werden. In 
Deutschland wurde fur langere Zeit der Gegensatz 
Wagner-Brahms beherrschend ; Wagner findet im 
Tristan eine prinzipiell auf Chromatik auf gebaute Ton- 
sprache und behalt die D. zur Darstellung des Volks- 
tiimlichen und Historischen (Meistersinger), urspriing- 
lich Naturhaften und AuBermenschlichen (z. B. Rhein- 
gold-Voispiel und Wotan-Motiv im Ring) bei; Brahms 
halt grundsatzlich an der D. fest, gewinnt ihr aber 
durch Riickgriff auf die Kirchentone, Kontrapunktik 
und eine verfeinerte Technik der motivischen Arbeit 
neue Wirkung ab (worin ihm u. a. Mahler folgt). D. 
tritt weiterhin auf, soweit volkstiimliche Melodik in 
die Komposition einbezogen wird, so bei Dvorak, 
Janacek, Milhaud und den modernen Russen, weniger 
bei Bartok, Hindemith und Britten. Auch in Stra- 
winskys Musik steht bis in die 1940er Jahre die D. im 
Zentrum. Unter dem EinfiuB der Jugendbewegung 
und ihrer ideologisch bestimmten Feindschaft gegen 
das 19. Jh. haben sich vor allem deutsche Komponisten 
nach dem 1. Weltkrieg wieder einer reinen D. zuge- 
wandt, in der sie einen Wesenszug der Kirchen- und 
Gemeinschaftsmusik sahen. 

Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg. 
v. R. Da Rios, Rom 1 954 ; Die Harmonielehre d. Klaudios 
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogsko- 
las arsskrift XXXVI, 1, 1930, dazu ebenda XXXVIII, 2, 
1932 (Porphyrios' Kommentar) u. XL, 1, 1934 (deutsche 
Ubers.); Musici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 
1895, Neudruck Hildesheim 1962; Musica Enchiriadis, 
GS I; Hermannus contractus, Musica, GS II; Guido 
v. Arezzo, Micrologus, hrsg. v. J. Smits van Waesberghe 
SJ, =CSM IV, Rom 1955; Riemann MTh; W. Apel, 
Accidentien u. Tonalitat in d. Musikdenkmalern d. 15. 
u. 16. Jh., Diss. Bin 1936; ders., The Partial Signatures 
. . ., AMI X, 1938 - XI, 1939; O. Gombosi, Tonarten u. 
Stimmungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Neu- 
druck 1950; D. P. Walker, Mus. Humanism in the 16 th 
and Early 17 th Cent., MR II, 1941 - III, 1942, deutsch: 
Der mus. Humanismus im 16. u. friihen 17. Jh., = Mw. 
Arbeiten V, Kassel 1949; E. E. Lowinsky, The Goddess 
Fortuna in Music, MQ XXIX, 1943; ders., The Function 
of Conflicting Signatures ..., MQ XXXI, 1945; ders., 
Conflicting Views . . ., JAMS VII, 1954; J. Handschin, 
Der Toncharakter, Zurich (1948); J. Vincent, The Dia- 
tonic Modes in Modern Music, Berkeley u. Los Angeles 
1951; R. H. Hoppin, Partial Signatures ..., JAMS VI, 
1953; ders., Conflicting Signatures Reviewed, JAMS IX, 
1956; H. Searle, Twentieth Cent. Counterpoint, London 
(1954, 21955); W. Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre I, Regens- 
burg 1957; L. B. Spiess, The Diatonic »Chromaticism« of 
the Enchiriadis Treatises, JAMS XII, 1959. 
Diazeuxis (griech.) -»■ Systema teleion. 
Dies irae (lat., Tag des Zorns; Sophonias 1, 15), die 
->■ Sequenz (- 1) der Totenmesse (Requiem), nahm im 
13. Jh. von Italien ihren Ausgang und bildet seit der 
1570 durch Pius V. eingefuhrten Neufassung des Missa- 
le einen festen Bestandteil der romischen MeBliturgie. 
Jiingste Bestimmungen iiber die Verwendung des D. i. 
wurden 1955 von Pius XII. herausgegeben. In seiner 
sprachlichen Gestalt ist das D. i., das zu den vollen- 
detsten Schopfungen der mittelalterlichen Dichtung 
zahlt, ein sequenzartiger Hymnus; die endgultige 
Textfassung diirfte einem in der 1. Halfte des 13. Jh. 
in Italien wirkenden Verfasser (Thomas von Celano?) 
zuzuschreiben sein. Der melodische Bau des Stiickes 
gliedert sich in 3 Teile, von denen jeder unmittelbar 
wiederholt wird und die Strophen 1-16 musikalisch 
zu Strophenpaaren zusammenschlieBt, wahrend die 
SchluBstrophen (ab Lacrimosa) melodisch eigenstandig 
sind. Meisterhafte Vertonungen fand die Sequenz in 
den groBen Requiemkompositionen des 18. und 19. 
Jh. (Mozart, Cherubini, Schumann, Berlioz, Verdi). 



Neben Berlioz, der die Melodie des D. i. im 5. Satz 
(Songed'une nuitdu sabbat) seiner Symphonie fantastique 
parodierte, wahlte Liszt den ersten Melodieabschnitt 
als Thema seines Totentanzes fur Kl. und Orch. 
Lit.: Cl. Blume SJ, D. i., Cacilienvereinsorgan XLIX, 
1914; M. Inguanez, II D. i. in un codice del s. XII, Revista 
liturgica XVIII, 1931 ; O. Ursprung, Die kath. Kirchen- 
musik, Bucken Hdb.; A. Chiappini, La sequenza »D. i., 
dies illa« di FraTommaso de Celano, Collectanea Francis- 
cana XXXII, 1962; F. Wanninger, D. I., Its Use in Non- 
liturgical Music. . ..Diss. Northwestern Univ. (111.) 1962. 

Diesis (Stent?, griech., Abtrennung; frz. diese) nennt 
Philolaos den UberschuB der Quarte iiber 2 Ganztone, 
d. h. den spater mit Limma (->• Apotome) bezeichne- 
ten diatonischen Halbton der Pythagoreischen Skala 
256:243. Aristoxenos ubertrug die Bezeichnung auf al- 
le Intervalle, die kleiner als ein Halbton sind. Der neue- 
re Gebrauch des Wortes in Italien und Frankreich geht 
offenbar auf Marchettus de Padua (Lucidarium) zuriick; 
dieser erklart die D. als : jg oder 2/9 des Ganztons und 
findet sie im Leittonintervall, das bei der Teilung eines 
Ganztons propter aliquant consonantiam colorandam (wie 
in der Diskantklausel) entsteht, wobei z. B. c-cjt-d in 
das Chroma c-cj( (?/<>) und die D. c)t-d (2/9) geteilt ist 
(GS III 73b). Dementsprechend wird die Bezeichnung 
D. im 14.-15. Jh. auf das (t iibertragen (siehe Nicolaus 
de Capua 336 : istafigura # quae vocatur d.) ; es heiBt ital. 
d., frz. diese, das x ital. doppio d., frz. double diese. - 
In der Akustik werden heute die Bezeichnungen groBe 
D. und kleine (enharmonische) D. verwendet: erstere 
entsteht aus der Diff erenz von 4 kleinen Terzen und der 
Oktave: 
(-£-)" :j = ~ bzw. 4 • 315,64 - 1200 = 62,6 Cent, 

letztere aus der Differenz von Oktave und 3 groBen 
Terzen : 

t- : (-r) 3 = ifUbzw. 1200 - 3 • 386,31 = 41,1 Cent. 
1 W' 125 

Diferencia (difer'enGia, span., Verschiedenheit), in 
der spanischen Instrumentalmusik des 16. Jh. seit L. de 
Narvaez (1538) soviel wie ->■ Variation. 

Differenzen (lat. differentiae, auch diffmitiones, di- 
visiones oder varietates), die regelmaBigen melodi- 
schen SchluBformeln der Psalmtone in der antiphoni- 
schen Offiziums- und Mefipsalmodie. Jeweils auf dem 
Rezitationston (Tenor oder Tuba) des Psalms ein- 
setzend, bilden sie das Verbindungsglied zwischen 
dem Psalmvers und dem Anfang der Antiphon. Zu 
ihrer Darstellung werden von alters her die 6 SchluBsil- 
ben der kleinen Doxologie (seculorum amen) bzw. de- 
ren Vokale (Euouae) herangezogen. Mit Ausnahme der 
2. Kirchentonart besitzen alle Psalmtone mehrere D. 
Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien III, Lpz. 1921, Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; Z. Falvy, Zur Frage d. D. d. Psalmodie, StMw 
XXV, 1962. 

Differenzton -> Kombinationstone. 

Diffusitat. In der ->■ Raumakustik dient der Begriff 
der D. als MaB fiir die allseitige gleichmaBige Erfiil- 
lung eines Raumes mit Schallenergie. Fiir musikalische 
Darbietungen ist eine geniigende Durchmischung der 
wegen der Reflexionen aus verschiedenen Richtungen 
einfallenden Schallwellen wichtig, da z. B. das Auftre- 
ten von Echos die Klarheit der Wiedergabe wie auch 
die Sprachverstandlichkeit empfindlich stort. Sind die 
Begrenzungsflachen eines Raumes schallzerstreuend 
(stark gegliedert), so ist die D. grofier, als wenn Wande 
und Decken reflektierend oder gar schallfokussierend 
(Kuppeln) wirken. Raume barocken Stils haben dank 
ihrer aufgegliederten Einbauten (Pfeiler, Saulen, B6- 



15 



225 



Dijon 



gen, Emporen, Stukkaturen) eine groBe D. In moder- 
nen Raumen mussen oft Diffusoren, d. h. schallzer- 
streuende Einbauten, vorgesehen oder Balkone und 
Range entsprechend aufgegliedert werden. Zur Un- 
tersuchung der D. werden mit Mikrophonen hoher 
Richtwirkung die aus verschiedenen Richtungen ein- 
fallenden Schallintensitaten gemessen. 
Lit. : W. Furrer, Raum- u. Bauakustik f . Architekten, Ba- 
sel u. Stuttgart 1956, 21961 als: Raum- u. Bauakustik - 
Larmabwehr; L. Cremer, Statistische Raumakustik, 
= Die wiss. Grundlagend. Raumakustik II, Stuttgart 1961. 

Dijon (Burgund). 

Lit. : L. de Gouvenain, Le theatre a D. 1 422-1 790, D. 1 888 ; 
E. Fyot, A propos des orgues de St-B6nigne, Rev. de Bour- 
gogne XIII, 1923; R. Moissenet, L'orgue de choeur de la 
cathedrale de D., ebenda XV, 1925 ; Ch. Oursel, A propos 
de la maitrise de D., Memoires de l'Acad. de D. 1943/46 ; J. 
Marilier, L'office rythm6 de St. Philibert a Tournus et 
a D., Kgr.-Ber. 13 e Centenaire de Jumieges 1955. 

Diktat -+ Musikdiktat. 

Dilettant ->■ Kenner und Liebhaber. 

diminuendo (ital.; Abk.: dim. oder dimin.), auch 
durch die Zeichen ► oder [>- oder :>- vorgeschrieben, 
abnehmend (an Schallstarke), schwacher werdend. 
-> crescendo. 

Diminution (lat. diminutio, Verkleinerung). - 1) In 
der Mensuralnotation heiB t D . die Verkiirzung von No- 
tenwerten in gerader oder ungerader-* Proportion (- 2) 
zu den unmittelbar vorangegangenen integren Werten 
oder denen einer gleichzeitig erklingenden anderen 
Stimme. Die D. wird im Zusammenhang mit den Te- 
nores der isorhythmischen Motette zuerst von J. de 
Muris (CS III, 58) besprochen, tritt aber bereits im 14. 
Jh. auch in Oberstimmen auf. Angezeigt wird sie durch 
bestimmte Veranderungen der iiblichen Mensurzei- 
chen (z. B. Umkehrung des C zu 0, waagerechte, 
schrage oder senkrechte Durchstreichung, z. B. ■©-, 
Zusatz von Zahlen, z. B. C3), anfangs auch durch vom 
Grundtext abweichende Farbung der Noten oder 
durch knappe Texthinweise (haec cantetur per medi- 
um). Am haufigsten begegnet die regulare Halbie- 
rung der Notenwerte (Proportio dupla), und zwar un- 
ter den Mensurzeichen (J:, \ oder . <J) bedeutet simul- 
tan Verkiirzung des Tempus perfectum um die Halfte, 
sukzessiv um die Halfte oder ein Drittel. Auch 4fache 
Beschleunigung (Proportio quadrupla) ist friih belegt 
((f2, j, :))). Das Notenbeispiel (aus Ideoque quodnascetur 
von H. Isaac, Choralis Constantinus II, 1555; vgl. DTO 
XVI, 1, S. 38; Faks. 35 bei ApelN) vereinigt vier 
verschiedene Mensurverhaltnisse. Tenor (Tempus im- 
perfectum) und Bassus (Tempus perfectum) vertreten 
den -»- integer valor notarum. Auf sie beziehen sich 
Cantus (Tempus perfectum diminutum), der um die 
Halfte, und Altus (Proportio quadrupla), der auf ein 
Viertel verkiirzt werden muB (siehe das Beispiel oben). 
Mit Hilfe der D. war es moglich, rasche Werte anzu- 
wenden, ohne Semiminimen (Viertelnoten) benutzen 
zu mussen. - Seit dem 15. Jh. wurde D. gem in kano- 
nischen Stimmenverbindungen verwendet. In der 
Theorie der Fuge bezeichnet D. die ausgeschriebene 
Verkiirzung der Notenwerte eines Themas auf die 
Halfte und erleichtert die Technik der Engfiihrung 
(z. B. J.S.Bach, Kunst der Fuge, Contrapunctus VI). 
Auch in nicht kontrapunktischer, freier Setzweise fin- 
det sie sich (Motiv-D. in Wagners Meistersinger-Vor- 
spiel, Takt 122ff.). 

- 2) (ital. auch fioretti, passaggi, fiir vokale D. auch 
gorgia; span, glosas; in Deutschland auch Passaggio, 
Coloratura), eine Sammelbezeichnung fiir -»- Verzie- 



Cantus 



Fi lius 



Tenor 



Altus 



Bassus 



fi lius 



K.LlMltlilj **t> ^l T TtTf^ 



lius 



filius 




- tur f i 



'MUtr rnri^ g 



m 



-tur fi- 



li-us 



rungen, die durch Zerlegung einzelner Geriisttone oder 
Tonschritte in Gruppen von kleinen, rascheren Noten 
zustande kommen. - Schon der hoch- und spatmittel- 
alterlichen Musiklehre war die D.s-Technik gelaufig, 
doch fiel sie hier in der Regel unter den Begriff der 
-»■ Flores, so daB die Bezeichnung D. (J. de Muris.CS 
III, 62a ff.) bis ins 15. Jh. nur selten begegnet. - Im 16. 
und 17. Jh. versahen Sanger und Instrumentisten ihre 
Arien und Partien mit D.en bei der Auffiihrung von 
Motetten, Madrigalen, Chansons, Falsi bordoni. Die 
Lange und mensurale Ordnung der Partien wurde 
dabei nicht verandert. Um keine Satzfehler zu riskie- 
ren, sollten wichtige Ausgangstone am Anfang und 
Ende des Ornaments moglichst erhalten bleiben. In 
den Lehrwerken der Zeit sind Verzeichnisse enthal- 
ten, die fiir die haufigsten melodischen Fortschreirun- 
gen (Tonwiederholung, Sekunde bis Quinte und Sex- 
te, seltener auch fiir den Oktavsprung, steigend und 
fallend) und fiir die gebrauchlichsten Klauseln einen 
Vorrat ornamentaler Umschreibungen zur Wahl stel- 
len, geordnet nach wachsender Schwierigkeit bzw. 
Schnelhgkeit. Viele dieser Ornamente haben sich schon 
im 16. Jh. zu namentlich benannten Figuren (Groppo, 
Tremolo u. a. ; G. dalla Casa 1584) verfestigt und wur- 
den vor allem in der instrumentalen -»■ Figuration 
verwendet. Da nach dem Bericht vieler Zeitgenossen 
die D. im 16. Jh. eher iibertrieben als vernachlassigt 
wurde, muBten den Ausfiihrenden wiederholt stren- 
ge Beschrankungen auf erlegt werden. Obwohl grund- 
satzlich alle Stimmen eines Tonsatzes diminuiert wer- 
den durften, sollte die improvisierte Auszierung der 
BaBstimme moghchst vermieden werden, weil man 
iiber einem instabile fundamentum kein stabile aedificium 
bauen konne (H.Finck 1556). Da das gleichzeitige 
Diminuieren in mehreren Stimmen oft wenig dis- 
zipliniert geschah, forderte H.Finck, es solle immer 
nur in jeweils einer Stimme diminuiert werden, wobei 
sich die Sanger beliebig abwechseln konnten; nur so 
kamen auch die einzelnen Ornamente wirklich zur 
Geltung. Begabte Sanger und Spieler durften sich aus 
zwei oder mehr Stimmen einen virtuosen Auszug her- 
stellen. Auch wo Komponisten in ihren Werken die 
D. selbst ausgearbeitet hatten oder der urspriinglichen 
(unverzierten) Fassung einen ausgearbeiteten D.s-Vor- 
schlag beigaben, war der Ausfiihrende nicht daran ge- 
bunden. Andererseits wurden die D.en durchaus nicht 
jedesmal neu improvisiert; gerade die beriihmtesten 
Virtuosen bereiteten (nach D.Ortiz 1553) die Verzie- 



226 



Diplakusis 



rungen schriftlich vor und studierten die Partien nach 
ihrer personlichen Fassung. Diese Freiziigigkeit in der 
Ausgestaltung erklart sich daraus, daB im Verstandnis 
der Komposition noch immer die mittelalterliche 
Scheidung zwischen primarem Geriistsatz und dessen 
kaum festgelegter »Ausfiillung« (Contrapunctus simp- 
lex und diminutus) gait, und daB ferner - mit den 
Worten A.P.Coclicos (1552) - sich das Prinzip der 
Komposition von dem des (improvisierten) Kontra- 
punkts kaum unterschied (Nam regula compositions a 
regula contrapuncti parum differt). - S. Ganassis Opera In- 
titulata Fontegara (1535), nur im Ansatz eine Floten- 
schule, gilt als alteste gedruckte D.s-Lehre. Sie nimmt 
insofern eine Sonderstellung ein, als sie in vier Abtei- 
lungen (regole) die zu verzierenden langen Noten zu- 
nachst im geraden Verhaltnis, dann in den Proportio- 
nen 4:5, 4:6 und 4:7 teilt. Diese und andere rhythmi- 
sche Kompliziertheiten sollten offensichtlich das im- 
provisatorische Ungefahr der Praxis wiedergeben. Die 
spateren italienischen Lehrbiicher bevorzugen ein- 
fachere Aufgliederungen. Weitere Lehrbiicher schrie- 
ben G.C.Maffei (1562), G. dalla Casa (1584), G.Bas- 
sano (1585, 1591), R.Rognoni (1592), L. Zacconi (1592), 
G.Diruta (1593) und G.L.Conforto (1593?, 1607). 
AuBertialb Italiens scheint die vokale D. keine grofie 
Rolle gespielt zu haben. Niederlandische Koloristen 
werden im 16. Jh. zwar offer erwahnt, doch sind sie 
bisher kaum naher zu bestimmen; in spanischen Be- 
sitzungen wurden die instrumentalen -> Glosas ge- 
pflegt; auch den deutschen Organisten und Lautenisten 
war die -> Kolorierung so vertraut, daB (seit A. G. Rit- 
ter 1884) von einer Epoche der »Koloristen« (um 1570- 
1620) gesprochen worden ist. Theoretische Erorterun- 
gen kamen in Deutschland iiber Ansatze (Coclico 1552, 
H.Finck 1556) nicht hinaus. Erst spat entstanden hier 
umf angreichere Verzierungslehren (M. Praetorius 1619, 
J. Criiger 1654, 1660 u. a.). Zwischen vokaler und in- 
strumentaler D. wurde bis ins 17. Jh. kaum unterschie- 
den : nach S. Ganassi war die menschliche Stimme Vor- 
bild fur instrumentale Verzierungen, wahrend M. 
Praetorius umgekehrt die Sanger auf das Beispiel der 
Organisten hinwies. Dennoch wurden allmahlich Text 
und Silbenqualitat starker beachtet (G.B.Bovicelli 
1594) ; zur Zeit der friihen Monodie wandte man sich 
schlieBlich mit aller Scharfe gegen das rein virtuose, 
gedankenlose Verzieren der Sanger, das nur denen 
»einen Ohrenschmaus bereite, die nicht wiiBten, was 
mit Leidenschaft zu singen heiBt« (G.Caccini 1601). 
Indes wurde die D. unter der Bezeichnung »willkiir- 
hche Veranderungen« (im Gegensatz zu den aus der 
-> Kolorierung hervorgegangenen und mit abgekiirz- 
ten Zeichen geschriebenen »wesenthchen Manieren«) 
bis weit ins 18. Jh. hinein gepflegt (Kastraten in der 
Neapolitanischen Oper, langsame Instrumentalsatze) ; 
selbst im 19. Jh. haben C.Czerny und Fr. Liszt Kom- 
positionen Beethovens bisweilen noch diminuiert vor- 
getragen. 

Ausg. : zu 2) : (Quellen bis 1620) : Locheimer Liederbuch u. 
Fundamentum organisandi, Faks. hrsg. v. K. Ameln, Bin 
1 925 ; S. Ganassi, Opera intitulata Fontegara (1535), Faks. 
d. Boll. Bibl. Mus., Mailand 1934; dass. als: S. Ganassi, 
La Fontegara . . . , hrsg. v. E. Dahnk-Baroffio u. H. Peter, 
Bin (1956); A. P. Coclico, Compendium musices, Nurn- 
berg 1552, Faks. hrsg. v. M. F. Bukofzer, = DM1 1, 9, 1954; 
D. Ortiz, Tratado de glosas sobre clausulas . . . , Rom 
1553, Faks. u. Obers. hrsg. v. M. Schneider, Bin 1913, Kas- 
sel 21936; H. Finck, Practica Musica (1556), 5. Buch, 
fibers, v. R. Schlecht, MfM XI, 1879; Fr. T. de Santa 
M ARf a, Libro llamado Arte de taner . . . , Valladolid 1 565, 
auszugsweise fibers, v. E. Harich-Schneider u. R. Boadella, 
Lpz. 1937; G. L. Conforto, Breue et facile maniera d'es- 
sercitarsi a far passaggi, Rom 1593(7), Faks. hrsg. v. J. 
Wolf, = Veroff. d. Musikbibl. P. Hirsch II, Bin 1922; G. B. 



Bovicelli, Regole passaggi . . . , Venedig 1594, Faks. hrsg. 
v. N. Bridgman, = DM1 1, 12, 1957; Th. Morley, A Plaine 
and Easie Introduction to Practicall Musicke . . . , London 
1 597, Faks. hrsg. v. E. H. Felldwes, = Shakespeare Asso- 
ciation Fasc. XIV, London 1937, NA hrsg. v. R. A. Har- 
man u. Th. Dart, London (1952); M. Praetorius, Poly- 
hymnia Caduceatrix (1619), hrsg. v. W. Gurlitt, = GA 
XVII, Wolfenbfittel u. Bin 1930; Praetorius Synt. III. 
Lit.: zu 1): H. Bellermann, Die Mensuralnoten u. Takt- 
zeichen d. XV. u. XVI. Jh., Bin 1858, hrsg. v. H. Husmann 
"1964; WolfN; C. Dahlhaus, Zur Theorie d. Tactus im 
16. Jh., AfMw XVII, 1960; U. Gunther, Die Anwendung 
d. D. in d. Hs. Chantilly 1047, ebenda; dies., Der Ge- 
brauch d. tempus perfectum diminutum in d. Hs. Chantilly 
1047, ebenda; dies., Die Mensurallehre d. Ars nova in 
Theorie u. Praxis, AfMw XIX/XX, 1962/63 ; ApelN. 
Lit.: zu 2): A. G. Ritter, Zur Gesch. d. Orgelspiels, 2 
Bde, Lpz. 1884; H. Goldschmidt, Die ital. Gesangsme- 
thode d. 17. Jh., Breslau 1890, 21892; ders., Verzierungen, 
Veranderungen u. Passaggien im 16. u. 17. Jh., MfM XXIII, 
1891 ; ders., Die Lehre v. d. vokalen Ornamentik I, Char- 
lottenburg 1907; Fr. Chrysander, L. Zacconi als Lehrer 
d. Kunstgesanges, VfMw VII, 1891 ; M. Kuhn, Die Ver- 
zierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d. 16. u. 17. Jh., 
= BIMG I, 7, Lpz. 1902; A. Einstein, Zur deutschen Lit. 
f.VadaGambaiml6.u. 17. Jh., = BIMG 11,1, Lpz. 1905; 
A. Schering, Zur instr. Verzierungskunst im 18. Jh., SIMG 
VII, 1905/06; A. Beyschlag, Die Ornamentik d. Musik, 
Lpz. 1908, Neudruck Wiesbaden 1961; O. Kinkeldey, 
Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., Lpz. 1910; R. Lach, Stu- 
dien zur Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, 
Lpz. 1913 ; W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabula- 
turbiichern, Lpz. 1927; H. J. Moser, P. Hofhaimer, Stutt- 
gart u. Bin 1929 ; A. Allerup, Die Musica Practica d. J. A. 
Herbst . . ., Kassel 1931 ; W. Apel, Early German Key- 
board Music, MQ XXIII, 1937; E. T. Ferand, Die Impro- 
visation in d. Musik, Zurich (1939); ders., Die Improvi- 
sation, = Das Musikwerk XII, Koln (1956); ders., Uber 
verzierte »Parodiekantaten« im friihen 18. Jh., Kgr.-Ber. 
Wien 1956; ders., Die Motetti, Madrigali, et Canzoni 
Francese . . . diminuti . . . d. G. Bassano (1591), Fs. H. 
Osthoff, Tutzing 1961; P. C. Aldrich, J. S. Bach's . . . 
Improvised Ornamentation, MQ XXXV, 1949; ders., Or- 
namentation in J. S. Bach's Organ Works, NY 1950; I. 
Horsley, Improvised Embellishment in the Performance 
of Renaissance Polyphonic Music, JAMS IV, 1951 ; R. Ide, 
Die melodischen Formeln d. Diminutionspraxis . . . , Diss. 
Marburg 1951 ; H. Chr. Wolff, DieGesangsimprovisation 
d. Barockzeit, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; H. P. Schmitz, 
Die Kunst d. Verzierung im 18. Jh., Kassel 1955 ; V. Duck- 
les, Florid Embellishment in Engl. Song of the Late 16" 1 
and Early 17"" Cent., Ann. Mus. V, 1957; D. Stevens, H. 
Chr. Wolff, P. C. Aldrich, J. Muller-Blattau, D. Ar- 
nold u. a., Beitr. zu: Improvisation in d. Aufffihrungs- 
praxisd. 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Koln 1958 ;Fr. Zaminer, 
Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat. 3025), 
= Mfinchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; E. T. 
Ferand, A Hist, of Music Seen in the Light of Ornamen- 
tation, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; H. Federhofer, Die D. 
in d. Kl.-Werken v. Chopin u. Liszt, Studia musicologica 
V, 1963. 

Di'oxeian (griech. 8i' S^eiav, »durch einen hohen« 
Ton) heiBt bei Philolaos die Quinte, sparer allgemein 
-» Diapente genannt. 

Diplakusis (von griech. 8i7tXo0<; und &cou<u<;), Dop- 
pelt-Horen, meist Folge von Erkrankung eines oder bei- 
der Ohren. Bei der D. monauralis echotica und der D. 
binauralis echotica werden Tone zweimal nacheinan- 
der mit dem erkrankten Ohr bzw. erst mit dem gesun- 
den, dann mit dem kranken gehort. D. binauralis dis- 
harmonica liegt vor, wenn ein Ton von den beiden 
Ohren verschieden hoch gehort wird. D. qualitatis 
nannte Revesz die pathologische Erscheinung, bei der 
innerhalb eines bestimmten Tonhohenbereiches zwar 
Tonhohen unterschieden werden, aber die Qualitat 
(etwa gis) unverandert bleibt. 

Lit. : G. Revesz, Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern 
1946. 



15» 



227 



Diple 



Diple, Diplje, ein in Montenegro beheimatetes gedop- 
peltes Blasinstrument mit aufschlagender Zunge (ein- 
f aches Rohrblatt). Die 5 Grifflocher der beiden Spiel- 
rohrensindim Einklang (mit Schwebungen) gestimmt. 
D. heiBen auch Sackpfeifen mit Doppelpfeifen (6 Griff- 
locher) in Bosnien, Herzegowina und Dalmatien. 

Director musices (lat.) ->■ Musikdirektor. 

Dirge (d3:jd3, engl.) ist ein Grablied, im weiteren 
Sinne auch ein fur Trauer- oder Gedenkfeiern kompo- 
niertes Vokal- bzw. (seltener) Instrumentalwerk. Der 
Name ist abzuleiten vom Textbeginn der 1. Antiphon 
Dirige [Dotnine Deus meus] in conspectu tuo viam meam 
(Ps. 5, 9) der Matutin des Officium defunctorum und 
begegnet haufig erst seit dem 16. Jh., z. B. bei Shake- 
speare: Our solemn hymns, to sullen dirges change (Romeo 
and Juliet IV, 5). In neuerer Zeit wurde er u. a. von I. 
Strawinsky (In Memoriam Dylan Thomas, D.-Canons 
and Song for Tenor Voice, String Quartet, and Four Trom- 
bones, 1954) und B.Bartok (For Children, II, Nr 38, 
1945) verwendet. 

Lit. : Ch. L. Cudworth, Two Georgian Classics : Arne and 
Stevens, ML XLV, 1964. 

Dirigieren (von lat. dirigere; engl. conducting; frz. 
conduire), ein Orchester, einen Chor oder eine Opern- 
auffiihrung usw. durch Gesten leiten, die den metri- 
schen Ablauf darstellen und die Dynamik und Arti- 
kulation andeuten. Der Leiter wird Director musices, 
-> Kapellmeister, seit dem 19. Jh. Dirigent (engl. con- 
ductor; frz. chef d'orchestre) genannt. - Ein musikali- 
sches Kunstwerk kann innerhalb des Rahmens der vom 
Komponisten gegebenen Vorschrif ten in verschieden- 
ster Weise vorgetragen werden, je nach der Auffas- 
sung des Interpreten. Bei Auffiihrung einer Oper, 
Symphonie usw. ist aber nicht ein einzelner, sondern 
eine groBere Anzahl zugleich tatig, deren individuelle 
Auffassungen sich einer gemeinsamen unterordnen 
miissen ; der eigentliche vortragende Kiinstler ist dann 
der Dirigent. Die Mittel, durch welche derselbe seine 
Auffassung zur Geltung bringen kann, sind sehr be- 
schrankt, wenigstens wihrend der eigentlichen Auffiih- 
rung; in den Proben kann er zumWort seine Zuflucht 
nehmen, kann den einzelnen Mitwirkenden Stellen 
vorsingen oder auf ihren Instrumenten vorspielen, 
Rhythmen mit dem Taktstock aufklopfen usw., doch 
verbietet sich das bei der Auffiihrung, und nur die ge- 
rauschlosen Bewegungen des Taktstocks und - beson- 
ders fiir Dynamik und Ausdruck - der linken Hand 
sind heute die Dolmetscher seiner Intentionen. Auch 
ein Blick, den er einem Sanger oder Spieler zuwirft, 
kann unschatzbare Dienste leisten. Das wichtigste Or- 
gan der Mitteilung bleibt aber doch der Taktstock, des- 
sen Bewegungen daher eine f eststehende konventionel- 
le Bedeutung haben. Grundformen des D.s sind die 
1-, 2-, 3- und 4teilige Schlagart : 



Die Wahl der Schlagart ist von der vorgezeichneten 
Taktart und vom Tempo abhangig; im Allegretto 
wird ein 2/4-Takt 2teilig, im Presto einteilig geschla- 
gen. Durch Unterghederung entsteht aus der 2teiligen 
die 4- oder 6teilige, aus der 3teiligen die 6- oder 9teili- 
ge, aus der 4teiligen die 8- oder 12teilige Schlagart. Bei 

>C7 1 w Unterghederung durch zwei 

fy^-. wird die Bewegungsstrecke 

J/ zerlegt; bei Unterghederung 

durch drei kann die Schlag- 
art der 3teiligen Grundform angedeutet werden. - Un- 
ter einem Auftakt versteht man beim D. nicht eine 



4 



Note oder Notengruppe vor dem Taktstrich, sondern 
einen Schlag, der dem ersten Ton vorausgeht, um das 
ZeitmaB festzusetzen. Als Auftakt wird im 3/4-Takt 
das 3. Viertel geschlagen, wenn der Satz volltaktig 
beginnt, dagegen das 2. Viertel, wenn er mit dem 
dritten anf angt. Ein Crescendo wird gewbhnlich durch 
weiter ausholende Schlage anschaulich gemacht, ein 
Diminuendo durch Verkleinerung der Schlage. Die 
Dauer einer Fermate wird durch Stillhalten des Takt- 
stocks in der Hohe angedeutet, ihr Ende durch eine 
kurze Hakenbewegung. - Die moderne Technik des 
D.s entwickelte sich seit dem 17. Jh. aus dem -*■ Tactus 
der Mensuralmusik, dem einfachen Nieder- und Auf- 
schlag (depressio und elevatio). L. Penna (1672) erwahnt 
die Unterteilung des Tactus durch ein Wiegen der 
Hand (un poco ondeggiando la mano) ; M. Saint-Lambert 
(1702) schreibt fiir 3- und 4teilige Taktarten Seitwarts- 
schlage vor. Orchesterwerke und italienische und deut- 
sche Opern wurden im 17. und 18. Jh. vom Cembalo 
aus geleitet; neben dem Kapellmeister am Cembalo, 
der den Generalbafi spielte und Einsatze durch An- 
schlage auf dem Instrument markierte, sorgte der erste 
Violinist, der Konzertmeister, fiir den Zusammenhalt 
der Stimmen (auch durch Direktion mit dem Violin- 
bogen). Reich besetzte Kirchenmusiken und franzosi- 
sche Chor- und Ballettopern wurden mit einem Takt- 
stock oder einer Taktrolle dirigiert; der groBe Takt- 
stock, mit dem aufgestampft werden konnte, war im 
18. Jh. ein Thema unablassiger Kontroversen. Als der 
GeneralbaB veraltete, setzte sich allmahlich auch in der 
Orchestermusik und in der italienischen und deutschen 
Oper das D. mit einem Taktstock durch (Reichardt 
1775, Weber und Spohr 1817, Spontini 1820, Mendels- 
sohn 1835). Je mehr sich seit den ersten Jahrzehnten 
des 19. Jh. die Komponisten vom D. zuriickzogen 
(Wagner dirigierte nicht mehr die Urauffiihrungen 
seiner spateren Werke), um so mehr entwickelte sich 
der Stand des Berufsdirigenten, der nun als Interpret 
neben den Komponisten tritt. Neben der Schlagtech- 
nik, die nur mehr handwerkliche Grundlage ist, werden 
vom modemen Dirigenten Fahigkeit zur Analyse, Pro- 
bentechnik und organisatorische Gabe verlangt. 
Lit.: A. Pisa, Battuta della musica dichiarata, Rom 1611 ; 
E. Loulie, Elements ou principes de musique, Paris 1696, 
Amsterdam 1698; M. Saint-Lambert, Les principes du 
clavecin, Paris 1702; Mattheson Capellm. ; Quantz Ver- 
such ; Bach Versuch ; J. Fr. Reichardt, Ueber d. Pflichten 
d. Ripien-Violinisten, Bin u. Lpz. 1776; J. N. Forkel, 
Direktion einer Musik, in : Genauere Bestimmung einiger 
mus. Begriffe, Gottingen 1780, auch in: K. F. Cramer, Ma- 
gazin f. Musik I (1783), S. 1039ff. ; C. L. Junker, Einige d. 
vomehmsten Pflichten eines Capellmeisters, Winterthur 
1782; F. S. Gassner, Dirigent u. Ripienist, Karlsruhe 
1844; H. Berlioz, L'art du chef d'orch., in: Traite d'in- 
strumentation . . ., Paris 1856; R. Wagner, Ober d. D., 
Lpz. 1 869 ; E. M. E. Deldevez, L'art du chef d'orch., Paris 
1878; M. Kufferath, L'art dediriger Torch., Briissel 1891, 
21901 ; F. Weingartner, Obsr d. D., Bin 1895 ; ders., Rat- 
schlage f. Auffuhrungen klass. Symphonien I— III, Lpz. 
1906-23; E. Vogel, Zur Gesch. d. Taktschlagens, JbP V, 
1898; R. Schwartz, Zur Gesch. d. Taktschlagens, JbP 
XIV, 1907; R. Cahn-Speyer, Hdb. d. D., Lpz. 1909, 21919; 
A. Chybinski, Beitr. zur Gesch. d. Taktschlagens, Lpz. 
1912; H. Lobmann, Zur Gesch. d. Taktierens u. D., Diis- 
seldorf 1912; G. Schunemann, Gesch. d. D., = Kleine 
Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913 ; Fr. Mikorey, 
Grundziige einer Dirigentenlehre, Lpz. 1917; C. Krebs, 
Meister d. Taktstocks, Bin 1 9 1 9 ; A. Boult, A Hdb. on the 
Technique of Conducting, London 1921, 21949; A. Seidl, 
Moderne Dirigenten, Bin 1922; A. Weismann, Der Diri- 
gent im 20. Jh., Bin 1925; G. Becking, Der mus. Rhyth- 
mus als Erkenntnisquelle, Augsburg 1 928, Neudruck Darm- 
stadt 1958; A. Carse, Orchestral Conducting, London 
1929; ders., The Orch. from Beethoven to Berlioz, Cam- 
bridge 1948; H. Scherchen, Lehrbuch d. D„ Lpz. 1929, 



228 



Discantus 



Mainz 21956, engl. London 1933; H. W. v. Waltershau- 
sen, Dirigentenerziehung, Lpz. 1929; ders., Die Kunst d. 
D., Bin 1943, 21954; W. Erhard, The Eloquent Baton, 
Witmark 1931; A. Szendrei, Dirigierkunde, Lpz. 1932, 
3 1956; B. Grosbayne, A Bibliogr. of Works and Articles 
on Conductors ..., Brooklyn 1934; ders., Techniques 
of Modern Orchestral Conducting, Cambridge (Mass.) 
u. London 1956; J. Muller-Blattau, Die Lehre v. Fuh- 
ren u. Folgen in Chor u. Orch., in: Hohe Schule d. Mu- 
sik I, Potsdam (1935); O. Schreiber, Orch. u. Orchester- 
praxis in Deutschland zwischen 1780 u. 1850, =Neue 
deutsche Forschungen CLXXVII, Abt. Mw. VI, Bin 
1938; A. Lualdi, L'arte di dirigere Torch., Mailand 1940, 
3 1957 ; D. E. Inghelbrecht, Le chef d'orch. et son equipe, 
Paris 1949; A.Jacobs, Spohr and the Baton, ML XXXI, 
1950; M. Rudolf, The Grammar of Conducting, NY 
1950; F. Previtali, Guida alio studio della direzione 
d'orch., Rom 1951 ; Cl. W. Holsinger, A Hist, of Choral 
Conducting ..., Diss. Northwestern Univ. (111.) 1954, 
maschr. ; M. Bowles, The Art of Conducting, NY 1959, 
engl. Ausg. als: The Conductor, London 1961. 

Dirty tones (d'a: jti to:nz, engl., schmutzige Tone), 
Jazzbezeichnung fur unreine, haufig gepreBt intonierte 
Tone (-> Hot-Intonation), die aus dem vitalen Musi- 
zieren Afrikas iiber die Negerfolklore der USA in 
Gesang und Instrumentaltechnik des Jazz gelangten. 
Im friihen Jazz (New Orleans) haben die D. t. als 
Ubertragung der Musiziervorstellung der Neger auf 
europaische Instrumente zu gelten, so daB ihnen dort 
weniger ausdruckshafte Bedeutung zukam. In der Ent- 
wicklung des Jazz bis zur Swing-Ara wurden sie je- 
doch immer starker zu expressiven Elementen umge- 
bildet und dann u. a. als Wa-wa- und Growl-Effekte 
bewuBt eingesetzt. 

Discantus (mittellat.), einer der mittelalterlichen Na- 
men artifizieller Mehrstimmigkeit, der im 12. Jh. in 
Analogie zu ->• Diaphonia gebildet wurde, wortlich 
»Auseinandergesang« bedeutet und sowohl die Gegen- 
stimme zu einem Cantus als auch den Komplex von 
zwei oder mehr Stimmen bezeichnen konnte. Der D. 
beruht auf den Konkordanzen Oktave (Einklang), 
Quinte und Quarte und deren Abwechslung und auf 
dem Prinzip der Gegenbewegung (mit Stimmkreu- 
zung) und unterscheidet sich vom gleichzeitigen-*- Or- 
ganum, bei dem ein Konkordanzensatz mit kolorier- 
tem Duplum und dementsprechend gedehnten Can- 
tustonen, also mit einer ungleichen Art der Stimmen 
vorgetragen bzw. aufgezeichnet wird, grundsatzlich 
durch die Ton-gegen-Ton-Gemessenheit und dement- 
sprechend durch die Gleichartigkeit, namlich den Can- 
tuscharakter der Stimmen, deren »auseinander«-tonen- 
des Zusammenpassen durch die Konkordanzen und 
seit Ende des 12. Jh. auBerdem durch die exakte Men- 
surierung aller Stimmen geregelt ist. - Erstmalig be- 
gegnet der Terminus D. in dem von A. de Lafage, zu- 
letzt von A. Seay edierten anonymen Traktat des spate- 
ren 12. Jh., wo betont ist, »daB die diskantierende Stim- 
me nicht mehr Noten haben soil als der Cantus « (. . . ne 
d. plures punctos habeat quam cantus, quia aequali punc- 
torum numero atnbo debent incidere . . . Organum autem 
non aequalitate punctorum sed infinita multiplicitate . . . 
cantui suo concordat . . . , ed. Seay 33 u. 35), und wo ein 
Exemplum gegeben wird, 



m 



lum-bi 



Ubertragung der Buchstabennotation. o = Can- 
tus, m = Discantus. Textunterlegung nach dem 
Antiphonale Monasticum von Lucca (Paleogra- 
phie mus. 1, IX, 535). 



das in seiner Art zuriickweist auf die Mehrstimmig- 
keitslehre der Traktatengruppe um und nach 1100 (J. 
Affligemensis, De musica, cap. XXIII; Mailand, Bibl. 
Ambr. M 17 sup., f. 56ff.; Montpellier, Fac. de med. 
H 384, f. 122f.). Hier werden D. und Organum noch 
ungeschieden behandelt und ahnliche, wohl noch pri- 
mar fiir Stegreifausfiihrung gemeinte Strukturen unter 
dem Namen organum vel diaphonia beschrieben, wo- 
bei letztere freilich bereits als »zweifacher Cantus« (du- 
plex cantus, dualis vox) erklart wird (worin das irrtum- 
liche Verstandnis von d. als biscantus sich ankiindigt). 
Dabei besteht zunehmend die Tendenz, den Cantus, zu- 
mal bei dessen tieferer Lage, als Unterstimme zu fiih- 
ren, wodurch er zum Trager der Klange und Klangfol- 
gen wird und die Quarte ihre Geltung als perf ekte Kon- 
kordanz zu verlicren beginnt. In dem 2st. Repertoire 
des St. Martial-Kreises und des Codex Calixtinus sind 
zahlreiche Stticke oder Abschnitte in Art des friihen D. 
gebildet: Note gegen Note syllabisch oder melisma- 
tisch (Melisma gegen Melisma), wobei die Neumen- 
schrift den Rhythmus noch nicht oder erst in Ansatzen 
fixiert, der aber in den syllabischen Partien durch den in 
der Regel rhythmischen Text gegeben sein mag. 
In der Epoche von -> Notre-Dame gewinnt der D. 
zunehmend an Geltung. Bei den im Magnus liber organi 
uberlieferten 2st. Choralbearbeitungen (organa dupla) 
des optimus organista Leoninus liegt das Schwerge- 
wicht der Gestaltung noch auf den organalen Partien, 
die jedoch dort, wo der Choral melismatisch ist, in 
D.-Partien ubergehen. Hier werden in den Note-ge- 
gen-Note-Satz zugunsten des Melodieflusses harmo- 
nisch freie, oft dissonierende, also in kiirzerer Dauer 
vorzutragende Tone eingefiigt, 



r' Q p' f 3 * ) 


P 1*" ) 


) 








-j£— — | [ — ^=i+ — _ 












rt } -• ' * 








yJL 












^ ex 


se - 


mi - - ne 




Ubertragung des Anfangs der Diskantpartie »ex 

semine« aus dem Organum duplum Alleluya. 

Nativitas in der Fassung W\, i. 42. 

wodurch von der Harmonik her ein dem 1. Modus 
(J J) entsprechender Rhythmus entsteht, der wohl als 
Ausgangspunkt der dann systematisch durch die Art 
der Ligaturenfolge zur Schrift gebrachten Modal- 
rhythmik anzusehen ist. Als Merkmal des D. gegen- 
iiber dem Organum gilt seitdem (erstmals formuliert 
von J. de Garlandia) die vollstandige Mensurierung 
aller Stimmen, wodurch auch melodisch und harmo- 
nisch der kompositorische Vorgang sich steigert im 
Sinne von Verdichtung, Mannigfaltigkeit und Gestal- 
tungsfreiheit. Zur Zeit und wohl weitgehend als Lei- 
stung des Perotinus, den der englische Anonymus IV 
(CS 1 342a) als optimus discantor riihmt, sind alle Stim- 
men des nun auch 3- und 4st. Satzes modalrhythmisch 
notiert, und es erfolgt neben dem NeuschafEen von 
Choralbearbeitungen ein Umgestalten der uberliefer- 
ten Organa. Dabei gewinnen die D.-Abschnitte (die 
diskantierenden Clausulae sive puncta) an Zahl, Aus- 
dehnung und Kunst, 



229 



Discantus 




Ubertragung des Anfangs der Diskantpartie sex 
semine« aus dem Organum triplum Alleluya. 
Nativitas in der Fassung W\, f. 11. 
und alte wie neue Klauseln werden in gesonderten 
Faszikeln zu wahlfreiem Einsetzen in die Organa zu- 
sammengestellt. Zumal in der Bereicherung der rhy th- 
mischen Formeln des Tenors und seiner wiederhol- 
ten Durchfiihrung und in der Anwendung der wohl 
zuerst von J. de Garlandia so genannten Colores (ed. 
Cserba 226f.), deren wichtigste Art die (oft auch vari- 
ierende) Melodiewiederholung in der gleichen oder 
einer anderen Stimme ist (per quam notitiam auditus 
suscipit placentiam), entfaltet sich die Kunst des Kom- 
ponisten. Aus den Klauseln entsteht, durch Unterle- 
guhg rhythmischer lateinischer Texte, welche die im 
Tenor gebotenen Worte des Chorals tropieren, die 
->■ Motette, genauer : zunachst der Choralbearbeitungs- 
tropus, der anfangs wohl noch ins Organum einge- 
setzt werden konnte, dann aber in verselbstandigter 
und zunehmend auch in neugeschaffener Form auf tritt 
und den Namen motetus von dem vulgarsprachlichen 
motet, also von der erst spater einsetzenden franzosi- 
schen Textierung oder Umtextierung der D.-Satze, 
ubernommen zu haben scheint. (Die »ex semine*- 
Klausel im 3. Beispiel findet sich lateinisch textiert in- 
nerhalb der entsprechenden Choralbearbeitung in den 
englischen Worcester-Fragmenten, als dreistimmige 
franzosische Motette in W2 und als lateinische Doppel- 
motette in den -*■ Quellen Mo, Ba, Hu.) Der »dis-can- 
tus« der Klauseln und Motetten erweist sich in der 
Tat als ein aus mehreren Cantus bestehender Satz (D. 
est aliquorum diversorum cantuum consonantia, Franco von 
Koln, CS 1, 118b) ; diese sind tonal ein Ergebnis desprae- 
existenten Cantus, insofern sich dessen Tonart auf 
Grund der perfekten Konkordanzen des Harmoniege- 
riists sozusagen automatisch in Quint- oder Oktavtrans- 
position auf die Oberstimmen projiziert (vgl. 3. Bei- 
spiel), - weshalb in den Choralbearbeitungen das Aus- 
tauschen von Klauseln moglich war und iiberhaupt 
das Komponieren mehrstimmiger Musik weitgehend 
noch im 13. Jh. einen seinem Wesen nach anonymen 
Vorgang darstellt. Die »mathematische Art« des D., die 
sich dann auspragt, daB die Tone der perfekten Klange 
sowohl in ihrer Beziehung zum Tenor als auch in suk- 
zessiver Relation in sich ruhen, hat zur Folge, daB 
Stimmen hinzukomponiert und weggelassen werden 
konnen, wie es auf dem franzosischen Festland der 
Oberheferungsbefund der Klauseln und Motetten des 
13. Jh. in unzahligen Fallen erweist. (Der D.-Satz im 



3. Beispiel findet sich in Fund W 2 insgesamt 6mal auch 
ohne Triplum.) 

Seit Mitte des 13. Jh. ist der D., machtig gefordert durch 
die von Franco kanonisierte Mensuralnotation, auf dem 
franzosischen Festland die ausschlieBhch gepflegte mehr- 
stimmige Kompositionsweise in den fur die -*■ Ars an- 
tiqua bezeichnenden Gattungen, in deren Mittelpunkt 
die Motette steht und der weltliche Liedsatz sich aus- 
zubilden beginnt. J. de Garlandia gliedert urn 1240 
die Musica mensurabilis, insgesamt Organum generate 
genannt, in die drei Spezies D., Copula und Orga- 
num speciale (CS 1, 175, und ed. Cserba 211 und 224). 
Bei Franco von Koln (wohl kurz vor 1250) tritt das 
Organum, als partim mensurabilis charakterisiert, be- 
reits stark in den Hintergrund gegeniiber dem in alien 
Stimmen mensurierten D., der in simpliciter prolatus, 
truncatus (= -»• Hoquetus) und copulatus (= -»■ Co- 
pula) unterteilt wird, wobei zur ersteren Art - nach 
dem Unterscheidungsmodus cum littera (cum eadem 
vel cum diversis), aut sine et cum littera - die Spezies 
Cantilena, namentlich Rondellus (frz. rondeau), fer- 
ner Motetus und Conductus zahlen (CS 1 118 und 130). 
In England gliedert W. Odington urn 1320 den Can- 
tus organicus in die beiden Genera Organum purum 
(et hoc genus antiquissimum est) und D. und beschreibt 
als dessen Spezies neben Conductus, Copula, Motetus 
und Hoquetus den Rondellus im Sinne des Stimm- 
tausch-Stiicks (CS 1, 245ff .), das zu den Besonderheiten 
des D. in England gehort. Diese sind bereits am »Som- 
merkanon« und fur die Zeit bis Mitte des 14. Jh. be- 
sonders an dem geistlichen, den Marienkult bevorzu- 
genden Repertoire der Worcester-Fragmente zu stu- 
dieren mit ihrer englischen Art der Choralbearbeitung, 
die den »Halteton«-Stil kaum kennt und ganz oder teil- 
weise tropisch textiert ist, ihren lateinischen Motetten, 
die grundsatzlich nicht auf Klauseln zuriickgehen und 
haufig auch iiber freie Tenores (pedes) gebildet sind, 
ihren Ordinariumssatzen, Rondelli una Conductus, 
deren einige schon hier annahernd den Schematismus 
der jeweils in den |-Klang fiihrenden ^-Ketten zeigen. 




Obertragung vom Anfang des Conductus cum 
cauda Beata viscera Mariae virginis, Wore, Frag- 
ment XIX, f. a2 (ed. Dittmer Nr 91). 
Dabei beruhren und durchdringen sich die verschie- 
denen Kompositionsspezies und neigen zur Funda- 
mentbezogenheit des Satzes, zur Strebigkeit der im- 
perfekten Klange, zu Vielstimmigkeit, groBem Klang- 
raum, Stimmtausch und kanonischer Bildung. Indes- 
sen wird in Italien der schriftmaBig ausgearbeitete 
mensurierte D. erst seit dem beginnenden 14. Jh. 
greifbar imd gelangt in den Madrigalen, Caccien und 
Ballaten des Trecento zu eigenstandiger Bliite. 
Dagegen stehen in der franzosischen -»• Ars nova wei- 
terhin die Motette, seit Ph. de Vitry in isorhythmischer 



230 



Discantus 



Form, und der durch G. de Machaut voll ausgebildete 
Kantilenensatz der Balladen, Rondeaux und Virelais 
im Mittelpunkt des Komponierens, 



Triplum 



[Cantus] 



Tenor 




rfrC r . rpr p,rr ^ 



^ 



^m 



gra-ci 



J J J J J- 



G. de Machaut, Anfang des Rondeau Nr 1. 
das nun in besonderem MaBe nach rhythmischer Sub- 
tilitas und harmonischer Dulcedo strebt: durch Syn- 
kopen, durch Aufschub, Auslassung und Vorwegnah- 
me von Tonen, durch Vorhalte, Durchgange und 
Wechselnoten sowie durch Folgen von imperfekten 
Klangen und ein Sich-Ausbreiten der SchluBbildun- 
gen zuriick ins Satzinnere gewinnt die Harmonik, wie- 
wohl sie sich weiterhin aus melodisch eigenstandigen, 
tonal voneinander abhangigen Stimmen konstituiert, 
einen zu den Endpunkten der Klauseln hin gerichteten 
Bewegungszug (das 5. Beispiel beginnt, entsprechend 
dem Wort Doulz, mit einer Paenultimabildung vor g, 
dem Finalklang des Satzes). In Traktaten der Schule 
Vitrys und J. de Muris nach 1325 wird der D. erstmals 
unter dem Namen Contrapunctus (->■ Kontrapunkt) 
gelehrt. Dessen buchstabliche Bedeutung »punctus con- 
tra punctum« war in alteren D.-Beschreibungen bereits 
angelegt, und im 14. Jh. stehen beide Namen noch ne- 
beneinander; gelegentlich wird sogar der Contrapunc- 
tus als »cantus contra cantum«, also noch ganz im Sinne 
des D. umschrieben (vgl. Prosdocimus de Beldemandis, 
Contrapunctus, Beginn von Cap. I, CS III 194a). Doch 
setzt sich dann das neue Begriffswort ofienbar in dem 
MaBe durch, in dem der musikalische Satz primar 
nicht mehr als ein solcher aus mehreren Cantus be- 
griffen wurde, sondern als intervallisches Messen von 
Tonen uber einem Klangtrager mit zunehmend eigen- 
standig harmonischen Strebigkeiten. 
Der improvisierte Diskant (d. ex improviso, d. sim- 
plex; frz. -*■ dechant), welcher abseits von den Zen- 
tren kunstvoller Mehrstimmigkeit die alte (diapho- 
ne) Art iiber das 13. Jh. hinaus fortsetzt, ist das in 
zahlreichen Traktaten beschriebene, auch in schrif tlich 
fixierten Satzen greifbare extemporierte mehrstim- 
mige Singen »iiber dem Buch« der liturgischen Gesan- 
ge (d. supra librum, frz. dechant sur le livre). Dabei 
handelt es sich um ein Stegreifsingen im wesentlichen 
Note gegen Note, in langsamem ZeitmaB, nicht men- 
suriert, unter Beachtung der Gegenbewegung und 
Varietas der KlangqualitSten, wobei die perfekten 
Klange das MaBgebende sind, zwischen denen 1-3 im- 
perfekte »durchgehen« dtirfen, und die Gegenstimme 
stufenweise oder in moglichst kleinen Intervallen ge- 
fiihrt wird. Bei 3st. Ausfiihrung wird jeder D. unab- 
hangig vom anderen zum Tenor gebildet. Als Contra- 
punctus simplex, Contrappunto alia mente, -*■ Sorti- 



satio wird der improvisierte D. bis ins 17. Jh., in Frank- 
reich bis ins 18. Jh. beschrieben und gelehrt. - Eine 
Sonderart des improvisierten D. ist der von M.F.Bu- 
kofzer so genannte »EngUsche Diskant«, der seit dem 
spaten 14. Jh. auch in Traktaten gelehrt wird, meist in 
der Vulgarsprache (R.Cutell, L. Powers Tretis . . . up- 
on the Gamme, Anonymus Pseudo-Chilston u. a.). Die 
Improvisation der Stimmen (Mene, Treble, Quatreble) 
geschieht hier mittels transponierender Leseweisen 
(-»- Sight), wobei der notierte Plainsong als Unter- 
stimme erklingt, wenn nicht auch der Sight des Coun- 
tertenor, Counter oder Faburden erfolgt; Parallelen 
von (hochstens fiinf gleichen) imperfekten Intervallen 
(acordis) werden als angenehm (fair and merry) cha- 
rakterisiert. Bei den nach Art dieser Improvisation auf- 
geschriebenen Stiicken ist die Stimmfuhrung freier, 
und der C. f. liegt, fiir die damalige englische Musik 
bezeichnend, oft in der Mittelstimme, wodurch die 
Unterstimme besonders an den Klauseln diezurKlang- 
bildung notige Freiheit gewinnt. Der englische D. stent 
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem -> Fa- 
burden. 

Ausg. : -> Quellen : Calixtinus, Wj , W 2 , MfiA, CI, Ba, Da, 
Mo, Hu, Tu, Wore, Fauv. 

Lit.: Anonymus, hrsg. v. J. A. de Lafage, in: Essais de 
diphtherographie mus., Paris 1864, Neudruck Amsterdam 
1964, S. 355ff„ u. v. A. Seay, An Anon. Treatise from St. 
Martial, Ann. Mus. V, 1957, d. Abschnitt fiber D. u. Or- 
ganum auch hrsg. v. J. Handschin, AMI XIV, 1942, zuvor 
ZfMw VIII, 1925/26, S. 333ff.; Discantus positio vulgaris, 
J. de Garlandia, De musica mensurabili positio, Magistri 
Franconis Ars cantus mensurabilis, hrsg. v. S. M. Cserba, 
in: H. de Moravia . . ., = Freiburger Studien zur Mw. II, 
Regensburg 1935, auch CS I, 94ff., 97ff., 1 17ff. ; J. de Gar- 
landia in anderer Fassung: CS I, 175ff. ; Magistri Franco- 
nis Ars . . . , Neudruck nach CS I u. Faks. v. 2 Hss., hrsg. v. 
Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl. XV/XVI, Darmstadt 
1957 ; Anonymus IV, CS I, 327ff. 

Fr. Ludwig, Repertorium ... I, 1, Halle 1910, 1, 2 u. II, 
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa Musicae Medii Aevi 
VII-VIII, Langen 1961-62; ders., Die Quellen d. Mo- 
tetten altesten Stils, AfMw V, 1923, Neudruck in: Summa 
... VII, Langen 1961 ; ders., Die geistliche nichtliturgi- 
sche, weltliche einst. u. d. mehrst. Musik d. M A . . . , Adler 
Hdb.; J. Wolf, Ein Beitr. zur Diskantlehre d. 14. Jh., 
SIMG XV, 1913/14; Riemann MTh; J. Handschin, Eine 
wenig beachtete Stilrichtung .... SJbMw I, 1924; ders., 
Zur Gesch. d. Lehre v. Organum, ZfMw VIII, 1925/26; 
ders., Der Organum-Traktat v. Montpellier, in: Studien 
zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; ders., Aus d. 
alten Musiktheorie, AMI XIV, 1942 - XV, 1943; ders., 
The Summer Canon . . ., MD III, 1949 u. V, 1951; A. 
Hughes OSB, Worcester Medieval Harmony, Nashdom 
Abbey 1928, dazu J. Handschin in: ZfMw XIV, 1931/32; 
ders. in : The New Oxford Hist, of Music II, London 1954; 
R. v. Ficker, Primare Klangformen, JbP XXXVI, 1929; 
ders., Polyphonic Music of the Gothic Period, MQ XV, 
1929; ders., Der Organumtraktat d. Vatikanischen Bibl., 
KmJb XXVII, 1932; ders., Zur Schopfungsgesch. d. 
Fauxbourdon, AMI XXIII, 1951; H. Besseler, Studien 
zur Musik d. MA, AfMw VII, 1925-VIII, 1926; ders., Die 
Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb.; ders., 
Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; H. Sowa, Ein anon, 
glossierter Mensuraltraktat 1279, = Konigsberger Studien 
zur Mw. IX, Kassel 1930; S. B. Meech, Three XV'-Cent. 
Engl. Mus. Treatises .... Speculum X, 1935; M. F. Bu- 
kofzer, Gesch. d. engl. Diskants ..., StraBburg 1936; 
ders., Popular Polyphony . . ., MQ XXVI, 1940; ders., 
»Sumer is icumen in«, A Revision, in : Univ. of California 
Publications in Music 11,2, Berkeley 1 944 ; ders., Studies in 
Medieval & RenaissanceMusic.N Y 1 950 ;Thr.G.Georgia- 
des, Engl. Diskanttraktate . . . , = Schriftenreihe d. Mw. 
Seminars d. Univ. Munchen III, Munchen 1937; E. T. 
Ferand, Die Improvisation in d. Musik, Zurich (1939) ; Y. 
Rokseth, La polyphonie parisienne du XHI e s., in : Les ca- 
hiers techniques de Part 1,2,1 947 ; A.Geering, Die Organa 
u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deutschen Sprachgebie- 
tes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d. Schweizerischen 



231 



Discordantia 



Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952); E. Walker, A 
Hist, of Music in England, Oxford 3 1952, hrsg. v. J. A. 
Westrup ; L. A. Dittmer, The Worcester Music Fragments, 
Diss. Basel 1952, maschr., Auszug Basel 1955; ders., An 
Engl. DiscantuumVolumen, MD VIII, 1954; W.G.Waite, 
D., Copula, Organum, JAMS V, 1952; E. Apfel, Der 
Diskant in d. Musiktheorie d. 12. bis 15. Jh., Diss. Heidel- 
berg 1953, maschr.; ders., Der klangliche Satz u. d. freie 
Diskantsatz im 15. Jh., AfMw XII, 1955; ders., Studien 
zur Satztechnik d. ma. engl. Musik, 2 Bde, = Abh. d. Hei- 
delberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1959, 
Nr 5 ; ders., Zur Entstehung d. realen 4st. Satzes in Eng- 
land, AfMw XVII, 1960; ders., England u. d. Kontinent 
in d. Musik d. spaten MA, Mf XIV, 1961 ; ders., Ober ei- 
nige Zusammenhange zwischen Text u. Musik . . . , AMI 
XXXIII, 1961 ; ders., Uber d. 4st. Satz . . ., AfMw XVIII, 
1961 ; S. W. Kenney, »Engl. Discant« and Discant in Eng- 
land, MQ XLV, 1959; Fr. Zaminer, Der Vatikanische 
Organum-Traktat (Ottob. lat. 3025), = Munchner Veroff. 
zur Mg. II, Tutzing 1959; R. L. Crocker, Discant, Coun- 
terpoint and Harmony, JAMS XV, 1962; R. H. Perrin, 
Descant and Troubadour Melodies : A Problem in Terms, 
JAMS XVI, 1963; Br. Stablein, Modale Rhythmen im 
St-Martial-Repertoire?, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963. HHE 

Discordantia (auch Discordia, von lat. discordare, 
nicht iibereinstimmen) bezeichnet in den musiktheore- 
tischen Schriften des Mittelalters alle diatonischen In- 
tervalle, welche keine -» Concordantiae sind. Seit dem 
13. Jh. werden sie eingeteilt in Discordantiae perfectae 
(kleine Sekunde, Tritonus, kleine Sexte, groBe Septi- 
me) und imperfectae (groBe Sekunde, grofie Sexte, 
kleine Septime), gelegentlich sind groBe Sekunde und 
kleine Sexte auch in einer eigenen Gruppe als Discor- 
dantiae mediae zusammengefaBt. Dissonantia wird 
nicht selten synonym mit D. gebraucht, bezieht sich 
jedoch haufiger nicht auf bestimmte Intervallgrup- 
pen, sondern dient der Beschreibung von Ungereimt- 
heiten in Komposition und Wiedergabe: Dissonantia 
. . . perfalsitatem . . . subrepit (Guido von Arezzo, CSM 
IV, 134), oder dernegativen asthetischen Beurteilung: 
was dem einen als dulcissimum erscheine, werde von an- 
deren als dissonum . . . atque omnino incompositum emp- 
funden (Johannes Affligemensis, CSM I, 110). Im posi- 
tiven Sinne bezeichnet Dissonantia den »auseinander- 
klingenden« Charakter der ->■ Diaphonia. 

Disdiapason (griech. 81? Sia 7iaaaW, zweimal durch 
alle; -> Diapason - 1), s. v. w. Doppeloktave. 

Diskant, eine hauptsachlich im 16. Jh. und vor allem 
in Deutschland gebrauchliche Bezeichnung fur die 
oberste Stimme eines mehrstimmigen Satzes. Ihr Alter 
laBt sich nicht genau f eststellen ; doch muB sie schon 
um die Mitte des 15. Jh. ublich gewesen sein, da viele 
der in den Trienter Codices enthaltenen 4st. Satze der 
traditionsgemaB unbezeichneten Oberstimme einen 
Discantus secundus gegeniiberstellen. Wahrend die 
Stimmbezeichnung D. fortan auBerhalb Deutschlands 
nur vereinzelt auftrat (haufiger: Prima vox, Superius, 
Supremus, Sopran, Treble, Cantus), wurde sie in 
Deutschland seit dem Glogauer Liederbuch besonders 
im Tenorlied regelmaBig verwandt, offenbar in An- 
lehnung an die Bezeichnung fur die alte Praxis des 
Ubersingens (»Diskantierens«) eines Tenors. Dabei 
wurde aus der relativ hoheren Stimme des alten Dis- 
kantierstimmensatzes die absolut hochste Stimme eines 
vollstimmigen Satzes, dessen einzelne Stimmen durch 
die Herausbildung charakteristischer Lagen den gan- 
zen der menschlichen Stimme zuganglichen Tonraum 
ausmessen und gliedern. Die Aufgabe, die absolute 
Diskantlage darzustellen, fiel den Knaben zu, welche 
nunmehr als Diskantisten - so nennt sie noch J. S. Bach - 
die im Mittelalter als Norm gedachte Mannerstimmen- 
besetzung nicht mehr nur aufhellen, sondern erwei- 



tem. - In ahnlichem Sinne diente D. vor allem dem 16. 
und beginnenden 17. Jh. als Bezeichnung fur die klein- 
ste Spezies eines in Choren gebauten Instruments wie: 
D.-Viole, D.-Blockflote, D.-Pommer, D.-Zink und 
D.-Posaune. - Gegen Ende des 16. Jh. wurde der Na- 
me D. mit dem Vordringen der Oberstimmenmelodik 
sinnwidrig und deshalb in Deutschland allmahlich 
durch Cantus ersetzt (so schon fast durchgangig bei 
M.Praetorius), hielt sich aber vereinzelt bis ins 19. Jh. - 
Die Orgelkunde versteht unter D. ein Register, dessen 
Umfang auf die obere Halfte der Klaviatur beschrankt 
ist, jedoch gern durch ein entsprechendes BaBregister 
erganzt wird (z. B. Oboe - Fagott). 

Diskographie (von frz. disque, Schallplatte), Be- 
zeichnung fur Schallplattenverzeichnis. Die D. ent- 
stand aus dem Bestreben des Schallplattenhandels, dem 
Kaufer in Form von Lagerkatalogen eine Obersicht 
uber die im Handel befindlichen Schallplatten zu ge- 
ben. Die erste D. dieser Art, The Gramophone Shop 
Encyclopedia of Recorded Music von R.D.Darrell (New 
York 1936, erweiterte Auflagen 1942 und 1948), eroff- 
nete die lange Reihe der heute unentbehrlichen kom- 
merziellen D.n: Bielefelder Schallplattenkatalog sowie 
ab 1964 Der grofie Schallplatten Katalog (Deutschland), 
Guide du disque (Frankreich), Record Guide bzw. Re- 
cord Year (England), Records in Review und die Zeit- 
schrift Gramophone Shop Monthly Supplement (USA). - 
Aus der Erfahrung, daB Handler^ und Firmenkataloge 
der Bedeutung der Schallplatte als eines musikgeschicht- 
lichen Dokumentes nicht gerecht werden, schufen Fr. 
F.Clough und G.J.Cuming in der bisher umfassend- 
sten D. The World's Encyclopaedia of Recorded Music 
(London 1952, Supplemente 1953 und 1957) eine wis- 
senschaftliche Bibliographie aller Schallplattenaufnah- 
men seit 1925 (ausgenommen Unterhaltungsmusik 
und Jazz). Die friihen Aufnahmen von 1898 bis 1909 
hat R.Bauer-Mailand in The New Catalogue of Histori- 
cal Records (London 1947) erfaBt. Die Lucke zwischen 
1909 und 1925 ist nur fur den amerikanischen Bereich 
annahernd geschlossen durch J.M.Moses, Collector's 
Guide to American Recordings 1895-1925 (New York 
1949). Eine vollstandige D., die fortlaufend auch die 
jiingsten Titel verzeichnet, bleibt als vordringliche 
Aufgabe der Musikbibliographie bestehen. - Spezielle 
D.n uber einzelne Werke, Interpreten und Kompo- 
nisten bringen hauptsachlich die zahlreichen Schall- 
plattenzeitschrif ten, die auch uber die wichtigsten Neu- 
erscheinungen unterrichten, z. B. Fonqforum (Deutsch- 
land), Phono (Osterreich), Disques (Frankreich), Musica 
e dischi (Italien), The Gramophone (England), American 
Record Guide (friiher The American Music Lover, USA). 
- Besondere Bedeutung kommt der Jazz-D. zu, da 
man die Entwicklung des Jazz infolge fehlender schrift- 
licher Uberlieferung nur an Hand von Schallplatten 
genauer verfolgen kann. Jazz-D.n sind gekennzeichnet 
durch eine bis in technische Einzelheiten der Auf nahme 
gehende Genauigkeit (Namen samtlicher Musiker, 
Matrizennummer, Datum und Ort der Auf nahme). 
Zu den wichtigsten Jazz-D.n gehoren u. a.: Ch.De- 
launay, Hot Discography (Paris 1936) und New Hot 
Discography (New York 1948); D.Carey und A.J. 
McCarthy, The Directory of Recorded Jazz and Swing 
Music (Fordingbridge/Hampshire 1950-55; bisher 5 
Bande : A-Kirk) ; H. H. Lange, Die deutsche Jazz-Disco- 
graphie (Berlin und Wiesbaden 1955) und Die deutsche 
»78«-Discographie der Jazz- und Hot-Dance-Musik 1903- 
1958 (Berlin 1966); W.Elmenhorst und W. v. Beben- 
burg, Die Jazz-Diskothek (= rowohlts monographien 
LV/LVI, Hamburg 1960). 

Lit. : Fr. F. Clough - G. J. Cuming, Phonographic Pe- 
riodicals, Notes II, 15, 4957/58 ; J. Coover u. R. Colvig, 



232 



Disposition 



Mediaeval and Renaissance Music on Long-Playing Re- 
cords, = Detroit Studies in Music Bibliogr. VI, Detroit 
1964. 



Diskordanz 



Discordantia, ->• Konkordanz. 



Diskothek (frz. discotheque; engl. gramophone re- 
cord library; amerikanisch phonograph record li- 
brary), Schallplattensammlung; ->■ Phonothek. 

Disposition benennt die jeweils in der Orgel vorhan- 
denen -*■ Register und deren Verteilung auf die ->• Ma- 
nuale (-> Hauptwerk, ->■ Riickpositiv, ->■ Brustwerk, 
Oberwerk,-* Schwellwerk u. a.) und das -» Pedal (- 1), 
ferner alle technischen Spielhilfen (-> Kombinationen). 
In der Zusammenstellung dieser Register sowie der 
Art der klanglichen Proportion der Manuale und des 
Pedals zueinander bekundet jede Epoche ihre Eigenart. 
-> Positive haben ein Manual, kleinere Orgeln zwei : 
Hauptwerk (HW), Brustwerk (BW) oder Riickposi- 
tiv (RP) und Pedal (P), groBere drei: HW, Oberwerk 
(OW) oder Schwellwerk oder BW, RP und P (frz. 
grand orgue, recit, positif, pedale; engl. great organ, 
positive organ, swell organ, choir organ, pedal organ). 
Viermanualige haben in klassischer Anordnung : HW, 
BW, OW, RP, P. Ohne Charakterangabe heiBen sie: 
I., II., III. Manual, Fernwerk, Schwellwerk. Friihere 
Zeiten haben dargetan, daB nicht Fiille, sondern allein 
funktionell klarer Aufbau eine dispositionelle Einheit 
erstehen laBt. Der Klang ist durch die Registernamen 
nur ungefahr beschrieben. Mensuren und Intonation in 
der jeweiligen Raumakustik sind die entscheidenden 
Faktoren des Klanges. - Die einmanualige Orgel der 
Kathedrale in Mailand (begonnen um 1550 von G. G. 
Antegnati) kennt bis auf ein weites Register (ander- 
warts 2-3) nur Stimmen der nicht weit mensurierten 
Prinzipalfamilie, wahrend vergleichsweise die groBe 
3manualige Orgel der Marienkirche zu Danzig (1583- 
86 von J.J. Friese erbaut) im Hauptwerk neben der 
Prinzipalfamilie mit groBer Mixtur eine Reihe ande- 
rer Register (gedeckte, offene und teilweise konische) 
zeigt und in den anderen Manualen auch eine Anzahl 
Rohrwerke disponiert. 

Danzig 1583-86, Hauptwerk 

1) GroBprinzipal 16' 

2) Quintadena 16' 

3) Gedackt (Hohlflote) 16' 

4) Octave 8' 

5) Spillflote 8' 

6) Offenflbte (Viol, 
Salizional) 8' 

7) Quintadena 8' 

8) Oktave 4' 

9) Spillpfeife (Viol) 4' 

10) Superoktave 2' (Sedecima) 

11) Rauschquinte (22/ 3 ' + 2') 

12) Zimbel (3fach) 

13) Mixtur (24£ach) 

Ein weiterer Vergleich der Orgeln verschiedener Epo- 
chen zeigt Ansatz und Stilwandel der D.s-Kunst. Die 
Register werden in Funktionsgruppen zusammenge- 
faBt. Gruppe I enthalt die prinzipalartigen Register mit 
den vollbechrigen -*■ Lingualpf eif en und Rohrwerkimi- 
tatoren (pleno); Gruppe II umfafit die sogenannten 
fiillebetonten oder Weitchorregister (electo). Die III. 
der kurzbechrigen Rohrwerke entfallt zumeist im 
Hauptwerk und ist darum in den anderen Werkeii zu 
vergleichen. Nachfolgend werden Hauptwerke bzw. 
Oberwerke f olgender Orgeln gegemibergestellt : 

1) Dom- und SchloBkirche zu Prag (1556-88, Fr. 
Pfannmuller, Rudner u. a.) ; 

2) Biickeburg (1615, E.Compenius, nach M.Prae- 
torius) ; 

3) St.Nicolai, Hamburg (1686, A. Schnitger, Dresdner 
Hs.); 



4) Hofkirche zu Dresden (1750, von G. Silbermann be- 
gonnen) ; 

5) St. Peter in Salzburg (1805, Simplifikationsumbau 
nach Abbe Vogler) ; 

6) St. Clothilde, Paris (1859, Cavaille-Coll). 



Mailand 1550 

1) Li contrabassi (24'-Pedal 
F32') 

2) La principale (16') 

3) L'ottaua(8') 

4) La duodecima (5 : /3') 

5) La quintadecima (4') 

6) La decimanona (22/3') 

7) La vigesimaseconda (2') 

8) La vigesimasesta (IV3') 

9) La vigesimanona (1') 

10) La trigesimaterza (2/3') 

11) La trigesimasesta (V2') 

12) II flauto in ottaua de la 
principale (8') 



1) Prag 1556-88 

I Principal 16' 
Octave 8' 
Octave 4' 
Quinte 3' (2*/ 3 ') 
Superoctave 2' 
Sexta2'(13/ 5 ') 
Superquinte l 1 / 3 ' 
Mixtur lOfach 
Cimbel 4fach 
II GroBgedackt 16' 
Gedackt 8' 
Offenflote 4' 
Spitzflote 2' 
Kiitzialflote 1' 



2) Biickeburg 1615 
Grofi Principal 16' 
GroB Octava 8' 
Octava 4' 
Mixtur 8-14fach 



3) Hamburg 1686 
I Principal 16' 

Octava 8' 

Gr. Kvinta6'(5i/ 3 ') 

Octava 4' 

Super Octava 2' 

Scharff 3fach 

Rausch-Pfeiffe 3£ach 

Mixtura 8, 9 und lOfach 

Trompeta 16' 



II Rohr-Flothe 16' 
Qvintadena 16' 
Spitz-Flothen 8' 
Salicional 8' 
Flach-Flothe 2' 

5) Salzburg 1805 
I 

Principal 8' 

Nassat 5'/3' 

Principal 4' 

Quinte 2 2 / 3 ' 

Terz3'/5' (bis as) 

Terz 13/s' 

Oktav 2' 



GroB Quintadehn 16' 
GemBhorn 8' 
Gedacte Blockpfeiffe 8' 
Viol de Gamba 8' 
Querpfeiffe 4' 
Klein Gedact Blockpfeiff 4' 
GemBhorn/Quinta 3' 
Klein Flachfloeit 2' 

4) Dresden 1750-54 
Principal 16' 
Principal 8' 
Octave 4' 
Quinta 3' (22/3') 
Octave 2' 
Tertia 2' (13/ 5 ') 
Mixtur 4£ach 2' 
Cimbel l'/ 3 '3£ach 
Cornet 5fach ab c' 
Fagott 16' 
Trompete 8' 
Bordun 16' 

Viol di Gamba Oder Spielflote 8' 
RohrflSte 8' 
Spitzflote 4' 

6) Paris 1859 

Montre 16' (Principal) 
Montre 8' 
Prestant 4' 
Octave 4' 
Nasard 2 2 / 3 ' 
Doublette 2' 
Plein-Jeu 

Bombarde 16' 
Trompette 8' 
Clairon 4' 
II Gambe 8' Bourdon 16' 

Gedackt 4' Bourdon 8' 

Gamba 8' 
Flute harmonique 8' 

Der Vergleich zeigt fur Prag ein voll ausgebautes Ple- 
num mit groBer Mixtur (I), auch in II einen abwechs- 
lungsreichen Aufbau vom 16' bis 1' ; vollbechrige Zun- 
gen sind hier dem Pedal (32' bis 2') zugeteilt; das Grup- 
penverhaltnis ist 8 zu 5. E. Compenius bevorzugt die 
f arblich sehr reichhaltige Besetzung in II, disponiert in I 
weniger Register, dafiir aber eine vielchorige Mixtur; 
vollbechrige Rohrwerke stehen ebenfalls im Pedal 
(4 zu 8). Bei A. Schnitger steht einem groBangelegten 
Plenum mit Trompete 16' eine immerhin noch reich- 
haltige Registerzahl vom 16' bis 2' in II gegeniiber 
(8 + 1 zu 5). G. Silbermann zeigt ebenfalls einvollstan- 
diges Plenum mit schon geringchorigen Mixturen, 
Cornet und 2 Rohrwerken, aber Gruppe II ist nur 
noch bis zum 4' besetzt (8+3 zu 4). Demgegeniiber 
fehlen bei Vogler der 16', Rohrwerke und Mixturen; 
der 5 1 /}' soil einen akustischen 16' mit dem 8' erzeugen; 
vollig verkummert ist die f arbreiche Gruppe II (7 zu 2, 
wobei die Aliquote mehrdeutig sind). Cavaille-Coll 
hat ein vollstandiges Plenum mit 3 Rohrwerken, die 
Register der Gruppe II aber nicht mehr iiber die Ae- 
quallage hinaus (7+3 zu 4). - Die Tendenz einer D. 
zur polyphonen Musik erweist sich in einem gesunden 
Verhaltnis von Grundton- zu Obertonregistern (hell 
auf dunkel). Fur ein akkordisch vollgriffiges Spiel sind 



233 



Dissonanz 



hohe Aliquote storend; polyphon-mehrschichtige Li- 
teratur aber braucht sie. Der Vergleich der Aequalton- 
lagen zu den Obertonspitzen (auf C) zeigt die Anlage 
des Obertonaufbaues, ob er nun 6-7 Oktaven (16'- 1 / 4 / 
= 6 Oktaven) oder nur 2 Oktaven umfafit (8'-2'). In 
der romantischen Orgel stehen zu viele Aequalregister 
und nur wenige aufhellende Obertonstimmen. In iiber- 
triebenem Gegensatz dazu wurden manchmal zu weni- 
ge Aequal- und zu viele Obertonregister gebaut. Weig- 
le disponierte 1901 (Trier) im Hauptwerk: 

16' 16' 16' 8' 8' 8' 8' 8' 8' 8' 8' 4' 4' 4' VI,' Mixtur. 
Demgegeniiber hat eine Zusammenstellung 
8' 4' 4' 4' 22/ 3 ' 2' 2' 13/j' 11/3' 1' l h' Mixtur Cimbel 
ein zu schwaches Fundament und zu viele Oberton- 
register. Sind sie zu lautstark intoniert, mangelt dieser D. 
ebenfalls die polyphone Klarheit. - Zu beurteilen ist 
ferner die Klangproportion der einzelnen Manuale zu- 
einander, ob sie in klarer, eigenstandiger WerkmaBig- 
keit sich befruchtend gegeniiberstehen oder in ihrem 
Verhaltnis nur auf Lautstarkedifferenz hin angelegt 
sind. Verglichen werden miissen auBer den FuBton- 
lagen die Registerarten. So zeigt z. B. J.G.Topfers 
Entwurf eines Positivs fiir die Lutherkapelle der Wart- 
burg 1855 nur 16'-, 8'- und 4'-Register: Gedackt 16', 
Prinzipal 8', Hohlflote 8', Quintadena 8', Harmoni- 
ca 8', Flute harmonique 4', Flauto dolce 4'. Demge- 
geniiber zeigt das Riickpositiv der Domkirchenorgel 
in Hadersleben, erbaut 1951 von Marcussen und Sohn 
(Zachariassen), eine Auflichtung durch Obernahme des 
bekannten barockdn Registerfundus: Gedackt 8', Prin- 
zipal 4', Rohrflote 4', Octave 2', Nasat 11/3', Sesquial- 
tera 2fach, Scharf 4£ach, Dulcian 16', Krummhorn 8'. 
Folgender D.s-Entwurf (RoBler) weist dariiber hinaus 
klangfunktionell weitergreifend neue Formen auf, ins- 
besondere im Ausbau der electo-Register: Rohrquinta- 
de 8', Prinzipal 4', Octave 2', Octave 1', Cymbel 5fach 
auf Ifi , Musiziergedackt 8', Sextade 4', Sesquialtera 
2f ach, Dulcian 2', iiberblasende Rohr-Gemsquinte I 1 1 3', 
Un-Tredecime, Rohrkrummhorn 16', Gemshornre- 
gal 8'. - Die Pedalfunktion ist ebenfalls aus der Anlage 
der Register ersichtlich. - Die D . des 2manualigen Cem- 
balos ist bei niederlandisch-franzosischen Meistern des 
17. Jh. in der Regel: 8' und 4' auf dem unteren Manual, 
8' auf dem oberen. Vereinzelt kommen bei deutschen 
Kielfliigeln des 18. Jh. (Hase; J. Chr. Fleischers Theor- 
benfliigel 1718) unten 8', 16' und oben 8', 4' vor. Die 
gewohnliche D. fiir ein 3manualiges Cembalo ist un- 
ten 8', 8', in der Mitte 8', 4'. Das einmanualige italieni- 
sche Cembalo hatte zwei verschieden intonierte 8'- 
Beziige, das franzosische (8') 8', 4'. 
Lit. : Praetorius Synt. II ; Adlung Mus. mech. org. ; H. H. 
Jahnn, Die Org. u. d. Mixtur ihres Klanges, Klecken 1922; 
Dresdener Hs., hrsg. v. P. Smets, Kassel 1930; C. Eus, 
Neuere Org.-D., Kassel 1930; H. Spies, Abb6 Vogler u. d. 
v. ihm simplifizierte Org. v. St. Peter in Salzburg, = Or- 
gelmonographien V, Mainz 1932; G. Frotscher, Deut- 
sche Org.-D. aus 5 Jh., Wolfenbiittel 1939; Kn. Jeppesen, 
Die ital. Orgelmusik am Anfang d. Cinquecento, 2 Bde, 
Kopenhagen 1943, 21960; W. Supper, Die Org.-D., Kas- 
sel 1950; H. Grabner, Die Kunst d. Orgelbaues, Bin u. 
Wunsiedel 1958; Chr. Mahrenholz, Grundziige d. Dis- 
positionsgestaltung d. Orgelbauers G. Silbermann, Af Mw 
XVI, 1959, auch in: Musicologica et Liturgica, Kassel 
1960. 

Dissonanz (lat. dissonantia) -»■ Konsonanz; ->Dia- 
phonia, -*■ Discordantia. 

Distanz, ein aus der Psychologie des 19. Jh. stammen- 
der Begriff, der seit Stumpf in der tonpsychologischen 
Literatur als Terminus fiir das Raumlichkeitserlebnis 
an einem Intervall gebraucht wird, das getrennt neben 
einer Intervallqualitat und gleichzeitig mit ihr auf treten 
kann. Die von der Tonpsychologie ausgehenden um- 



fangreichen Untersuchungen, deren Ergebnisse darauf 
abzielen, Riickschliisse auf die (unbewuBte) Mitwir- 
kung des D.-Empfindens beim Intervallhoren zu erhal- 
ten, lassen zwei verschiedene Methoden erkennen. Die 
eine richtet sich an dem Sachverhalt aus, daB der Rein- 
heitseindruck eines Intervalls nur selten mit dem ma- 
thematisch einfachen Schwingungsverhaltnis iiberein- 
stimmt (Stumpf). Bei der zweiten wird das Intervall- 
erlebnis auf ein reines D.-Erlebnis reduziert, um die D. 
mefibar zu machen (Abraham und v.Hornbostel). 
Lit. : C. Stumpf, Tonpsychologie I, Lpz. 1 883 ; ders., Uber 
Vergleichungen v. Tondistanzen, Zs. f . Psychologie u. Phy- 
siologie d. Sinnesorgane 1, 1890; C. Lorenz, Untersuchun- 
gen liber d. Auffassung v.Tondistanzen, in: Philosophische 
Studien VI, 1891 ; O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, 
Zur Psychologie d. Tondistanz, Zs. f. Psychologie XCVIII, 
1926; H.-P. Reinecke, Uber d. Eigengesetzlichkeit d. mus. 
Horens . . ., in: Mus. Zeitfragen X, hrsg. v. W. Wiora, 
Kassel 1962; ders., Experimentelle Beitr. zur Psychologie 
d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. 
HbgHI,Hbgl964. 

Distinctio (lat.), ein zentraler Terminus der mittelal- 
terlichen Tonartenlehre. Er bezeichnet urspriinglich 
die durch Interpunktion (-> Punctus - 1) entstehenden 
Abschnitte eines Textes, dann auch die (zumeist ihnen 
entsprechenden) Melodieabschnitte, die als Glieder im 
Gesamtbau der Melodie wesentlich durch ihren je nach 
Tonart wechselnden Anfangs- und vor allem SchluB- 
ton bestimmt sind. Die Distinktionen stellen ein maB- 
gebliches Prinzip der formalen und tonartlichen Ge- 
staltung einer Melodie dar. Erstmals zu Beginn des 11. 
Jh. im einzelnen greifbar (Odo, Guido von Arezzo), 
f and ihre Lehre eine differenzierte Erlauterung im Mu- 
siktraktat Engelberts von Admont. - Die Choralbu- 
cher der Editio Vaticana verwenden Striche verschie- 
dener GroBe (Distinktionsstriche) zur naheren Kenn- 
zeichnimg der Distinktionen. 

Lit. : H. Oesch, Guido v. Arezzo, = Publikationen d. 
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 4, Bern (1954), 
S. 93f . ; W. Apel, Gregorian Chant (Stichworte phrase u. 
standard phrase), Bloomington/Ind. (1958). 

Dithyrambos (griech. Stdupafxpo?, Herkunft und 
Grundbedeutung sind umstritten; belegt seit Archi- 
lochos fr. 77), eine mit dem Dionysoskult verbundene 
Art von Chorgesangen, die wohl erst durch Arion 
(um 600 v. Chr.) festere Form erhielt. Begleitinstru- 
ment war der Aulos. Im Versrhythmus und im stro- 
phischen Aufbau scheint, nach den iiberheferten Tex- 
ten von Bakchylides und Pindaros, kein wesentlicher 
Unterschied zu den anderen chorlyrischen Gattungen 
bestanden zu haben. Das attische Drama soil laut Ari- 
stoteles aus dem D. hervorgegangen sein. Nach 470 v. 
Chr. machte der D. einen tiefgreifenden Wandel durch 
(Timotheos, Philoxenos), der durch solistischen Vor- 
trag und durch starkes Obergewicht des Musikalischen 
iiber das Wort gekennzeichnet ist. 
Lit.: A. Pickard-Cambridge, Dithyramb, Tragedy and 
Comedy, London 1927, Oxford 21962; H. Schonewolf, 
Der jungattische D., Diss. GieCen 1938. 

Ditonus (lat., von griech. St-rovo?, Zweiton) bezeich- 
net die groBe Terz, und zwar als ein aus 2 Ganztonen 
zusammengesetztes melodisches Intervall. 

Diurnale oder Horae diurnae (lat.), eine -»■ Brevier- 
Teilausgabe mit Texten der Tageshoren des Offiziums 
(Laudes bis Komplet). Analog dem romischen und 
monastischen Brevier kennt die liturgische Praxis ein 
D. Romanum und ein D. Monasticum (letzteres auch 
mit deutscher Obersetzung erschienen als: Das Tag- 
zeitenbuch des monastischen Breviers, hrsg. von der Erz- 
abtei Beuron, 41960). 



234 



Division 



Lit. : H. Bohatta, Liturgische Bibliogr. d. XV. Jh., Wien 
1911. 

Divertimento (ital., Vergnugen, Unterhaltung; frz. 
divertissement), - 1) erscheint vom Ende des 17. Jh. 
(erstmalig bei C.Grassi 1681) bis gegen Mitte des 18. 
Jh. als Titel von Sammelwerken unterhaltender Mu- 
sik unterschiedlicher Art und Besetzung, z. B. R. Rei- 
ser, Divertimenti serenissimi, 1713 (9 Kantaten) oder J. 
Fischer, Neu-verfertigtes Muskalisches Divertissement, 
1700 (6 Ouverturen a 4). Im Laufe des 18. Jh. - beson- 
ders in dessen 2. Halfte - findet sich das Wort in zu- 
nehmendem MaBe als Bezeichnung fiir teils sonaten- 
teils suitenhafte Instrumentalwerke. Solche Diverti- 
menti waren als hofische (oder burgerliche) Unterhal- 
tungsmusik sehr beliebt. Im Schaffen J. und M. Haydns, 
L. und W. A.Mozarts und ihrer Zeitgenossen nehmen 
sie einen breiten Raum ein. Eine allgemeinverbindli- 
che Definition des D.s stoBt jedoch auf Schwierigkei- 
ten, da Form und Anzahl seiner Satze sowie seine Be- 
setzung nicht festliegen. Zwar handelt es sich in der 
Regel um Satzzyklen (bis zu 12 Satzen), doch kennt 
man auch einsatzige Divertimenti (z. B. J.Haydn, 4 
Divertimenti fur Baryton, Hob. XII, 20-23). Kom- 
positionen mit 4 bis 10 Satzen iiberwiegen, doch sind 
auch dreisatzige nicht selten (z. B. 4 von M.Haydn, 
6 fiir 4 Instrumente von L.Mozart, W.A.Mozart, K.- 
V. 136-138). Die Besetzung reicht von einem Soloin- 
strument, z. B. Klavier (J.Haydn und Wagenseil), bis 
zum Orchester (z. B. ein D. a 13 Stromenti mit 2 Clari- 
nen von J. Riepel). Alle Formen, die in der Sonate Ver- 
wendung finden, Sonatenhauptsatzform, Rondo, Va- 
riation, Menuett usw., kommen auch im D. vor. Nicht 
umsonst wurden die Bezeichnungen (D. und Sonate 
bzw. Quartett usw.) haufig ausgetauscht, z. B. in den 
Friihwerken J. Haydns. Eine gewisse Vorliebe fiir 
Tanzformen teilt das D. mit der ->- Serenade, aber 
auch die Grenzen zur -> Kassation und zur -»■ Noc- 
turne sind flieBend. W. A.Mozarts Divertimenti aus 
seiner Salzburger Zeit gehoren zwar - im Gegensatz 
zu seinen gleichzeitigen Serenaden - im ganzen der 
Kammermusik an, ebenso die seines Vaters und M. 
Haydns, doch scheint man sich auBerhalb Salzburgs 
nicht so streng an den Unterschied zwischen orchestra— 
ler Serenade und kammermusikalischem D. gehalten 
zu haben (vgl. das erwahnte D. a 13 von Riepel). Mit 
der zunehmenden Emanzipation des schopferischen 
Musikers von seinen bisherigen Auf traggebern (Kirche, 
Hof, Adel und Burgertum) gegen Ende des 18. Jh. 
schwand das Bediirfnis, unterhaltende Musik fiir eine 
bestimmte Gesellschaftsschicht zu schreiben; den fiih- 
renden Komponisten wurden Wirkungsbereich und 
Aussage der Divertimenti, Serenaden usw. zu begrenzt. 
Schon zu Beethovens Zeit verflachte das D. zur Salon- 
musik, auBerlich daran ersichtlich, daB Potpourri und 
D. haufig bedeutungsgleich sind (Schuberts Divertisse- 
ment a la hongroise, D 818, gehort zu den Ausnahmen). 
Im 20. Jh. erscheint die Bezeichnung entweder im 
Sinne von Ballettsuite (z. B. Strawinsky, D. fiir Orch., 
1938/50, eine suitenhafte Zusammenfassung von Stiik- 
ken aus dem Ballett Le baiser de la fie, 1928/49) oder als 
bewuBter Riickgriff auf die unkomplizierte Art des D.s 
in der 2. Halfte des 18. Jh. (z. B. Bartok, D.fur Strei- 
cher, 1939). - 2) freies, die strenge thematische Arbeit 
auflockemdes Zwischenspiel in der -> Fuge. 
Lit.: zu 1): KochL; A. Sandberger, Zur Gesch. d. 
Haydnschen Streichquartetts, in: Ausgew. Auf satze zur 
Mg. I, Miinchen 1921; H. Hoffmann, t)ber d. Mozart- 
schen Serenaden u. Divertimenti, Mozart- Jb. Ill, 1929; G. 
Hausswald, Mozarts Serenaden, Lpz. 1951; ders., Der 
D.-Begriffbei G. Chr. Wagenseil, Af Mw IX, 1 952 ; R. Hess, 
Serenade, Cassation, Notturno u. D. bei M. Haydn, Diss. 
Mainz 1963. ESe 



Divertissement (divertism'a, frz., Zerstreuung), 
franzosische Bezeichnung fiir die aus dem Ballet de 
cour hervorgegangenen Tanz- und Gesangseinlagen 
in Biihnenwerken. D.s stehen zwischen den Akten und 
am SchluB der -> Comedie-ballets des 17. Jh. (z. B. 
Moliere, Le bourgeois gentilhomme, 1670, Musik von 
Lully) und als eingeschobene Episoden, die aber mit 
der Haupthandlung in Verbindung stehen, in der Tra- 
gedie lyrique, die Lully schuf (z. B.Cadmus et Hermione, 
1673). Die Komponisten der Lully-Nachfolge ver- 
selbstandigen die D.s zu -*■ Opera-ballets (Rameau, 
Les Indes galantes, 1735). D.s im Sinne von Ballettein- 
lagen kommen in vielen franzosischen Opern vor, 
z. B. in Iphigenie en Aulide von Gluck (1774), in Faust 
von Gounod (Urauffiihrung der Fassung mit Ballett 
1869), in Samson et Dalila von Saint-Saens (1877) und 
in Padm&vati von A.Roussel (1923). 
Lit.: BrossardD; P.-L. Moline, Dialogue entre Lully, 
Rameau et Orphee dans les Champs-Elysees, Amsterdam 
1774; Memoires pour servir a l'hist. de la revolution ope- 
ree dans la musique par M. le Chevalier Gluck, hrsg. v. 
G. M. Leblond, Neapel u. Paris 1781, deutsch v. J. G. 
Siegmayer als: Ueber d. Ritter Gluck, Bin 1823, 21837; G. 
Carraud, La danse dans l'opera de Rameau, Courrier 
mus. , 1 908 ; P.-M. M asson, Lullystes et Ramistes, L'Annee 
mus. I, 1911; ders., Le ballet heroique, RM IX, 1928; 
ders., L'opera de Rameau, Paris 1930; H. Kretzschmar, 
Gesch. d. Oper, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen 
VI, Lpz. 1919. 

divjsi (ital.; Abk. : div.), geteilt; bedeutet in den Or- 
chesterstimmen von Streichinstrumenten, daB zwei- 
oder mehrstimmige Stellen nicht als Doppelgriffe bzw. 
akkordisch, sondern an jedem Pult geteilt gespielt wer- 
den. -> due. 

Divisio modi (lat., Teilung des Modus), - 1) in der 
Modalrhythmik des 13. Jh. ein senkrechtes Strichlein 
von unbestimmter Lange, das zum AbschluB einer 
melodisch-rhythmischen Periode (-» Ordo) gesetzt 
wurde, auch -*■ Suspirium genannt. - 2) in der Men- 
suralnotation der Punkt (-> Punctus - 2) im Sinne von 
Punctus divisionis. 

Division (div'ijan, engl., Teilung), im 16.-18. Jh. eine 
Bezeichnung fiir -*■ Diminution (- 2), besonders fiir die 
englische Gattung der D.s iiber einen -»■ Ground. Es 
handelt sich dabei um urspriinglich improvisierte Di- 
minution eines BaBmodells (breaking the ground), 
das gleichzeitig unverandert erklingen kann, oder um 
(zunachst ebenfalls improvisierte) Oberstimmenbil- 
dung iiber einem fortwahrend unverandert wieder- 
holten BaB (descant d.). Kompositorische Mittel die- 
ser Variationskunst sind (neben der Diminution) Fi- 
guration, Kolorierung, Passagen und Akkordbrechun- 
gen. In der 2. Halfte des 17. Jh. wurden haufig auch 
Lied- und Tanzmelodien mit Grounds verbunden und 
iiber deren unveranderter Wiederholung variiert. In der 
Kammermusik erklang der Ground auf einem -»■ Fun- 
damentinstrument, wahrend auf einem oder mehreren 
Ornamentinstrumenten improvisierte oder kompo- 
nierte D.s gespielt wurden. Daneben gab es D.s fiir 
Klavier oder fiir Melodieinstrument allein, besonders 
fiir die Viola da gamba. Sets of D.s fiir Va da gamba 
schrieben D.Norcqmbe (* 1576) sowie Chr. Simpson, 
der in seiner Sammlung The D. Violist (1659, 2 1665) 
diese Praxis ausfuhrlich darstellt. J.Playfords Samm- 
lung The D. Violin (um 1680, erhalten nur die 2. Auf- 
lage 1685) enthalt Kompositionen von Chr. Simpson, 
Davis Mell, Reading, Farinel, Th.Baltzer, J. Bannister, 
R. Smith, Shmett, Toilet, Frecknold, Paulwheel, 
Becket und (Zusatz der 2. Auflage) A.Poole. Ein 
Werk gleichen Titels in 2 Banden mit neuem Inhalt 
gab 1688-93 H.Playford (Sohn) heraus, mit Beitragen 



235 



Divisiones 



von H. und D.Purcell, Clark, Eccles u. a. Anonym er- 

schienen 1706-08 2 Bande The D. Flute. 

Ausg. : Chr. Simpson, The D. Violist . . . (1665), Faks. hrsg. 

v. N. Dolmetsch, NY 1955. 

Lit. : A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music of 

the XVII'" and XVIII th Cent., London (1916, 21946); A. 

Moser, Zur Genesis d. Folies d'Espagne, AfMw I, 1918/ 

19; E. H. Meyer, Engl. Chamber Music, London 1946, 

21951, deutsch als : Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz. 

1958. 

Divisiones (lat., Teilungen), mensurales Ordnungs- 
prinzip in der italienischen Notation des 14. Jh., das 
seinen Namen von der Teilung der Brevis in 2-12 
Semibreves hat; diese wird wie folgt durchgef iihrt : 

Brevis 

divisio 

I 



.1 
binaria 

_J 



ternaria 



quaternaria 



senana 
imperfecta 



senana 
perfecta 



novenaria 



octonaria duodenaria 

Der eindeutigen Festlegung des Rhythmus dienen 
neue Notenformen und Angabe der Divisio; hierfiir 
gelten f olgende Abkiirzungen : bei Marchettus de Pa- 
dua i = imperfecta, p = perfecta, b = binaria, t = ter- 
naria, g = senaria gallica (senaria imperfecta), y = se- 
naria ytalica (senaria perfecta) ; bei Pr. de Beldemandis 
b = binaria, t = ternaria, q = quaternaria, si = se- 
naria imperfecta, sp = senaria perfecta, o = octonaria, 
n = novenaria, d = duodenaria. Von den ->■ Quellen 
der Trecentomusik enthalten die friihesten (Rs) aus- 
schlieBlich, PR I und Lo iiberwiegend diese Notation. 
In der 2. Halfte des 14. Jh. setzten sich in Notation und 
Komposition mehr und mehr die Errungenschaften 
der franzosischen Ars nova durch, deren Rhythmik 
nicht an das Einhalten von Taktgrenzen gebunden ist. 
Lit.: Marchettus de Padua, Pomerium, hrsg. v. G. 
Vecchi, = CSM VI, (Rom) 1961 ; ders., Brevis compilatio, 
hrsg. v. G. Vecchi, in: Quadrivium I, 1956; Cl. Sartori, 
La notazione ital. del Trecento in una redazione inedita. . . 
di Pr. de Beldemandis, Florenz 1938; N. Pirrotta, Mar- 
chettus de Padua . . . , MD IX, 1955 ; K. v. Fischer, Studien 
zur ital. Musik d. Trecento . . . , = Publikationen d. Schwei- 
zerischen Musikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956); ders., 
Zur Entwicklung d. ital. Trecento-Notation, AfMw XVI, 
1959. 

Dixieland, Dixieland style (d'iksilaend stail), friihe- 
ster Jazz weiBer amerikanischer Musiker, die das Mu- 
sizieren der Neger in New Orleans imitierten. Der 
geographische Begriff D. (Gebiete sudlich der um 1765 
festgelegten Dixon Line) wurde im 19. Jh. volkstiim- 
licher Name fiir die Sudstaaten der USA und sollte so- 
mit auch die Herkunft dieser Musik aus dem Siiden 
kennzeichnen. Der D. entstand um 1890 als Verbin- 
dung des europaischen Marsches mit -*■ Ragtime und 
-»■ Marching band music. Jack »Papa« Laine's Reliance 
Band (um 1900) ahmte als erste auch kleinere Unter- 
haltungskapellen der Neger nach. Ein Mitglied dieser 
Band, Nick La Rocca, spielte in Chicago um 1914 mit 
einer Gruppe, aus der 1917 die Original Dixieland Jazz 
Band (ODJB) hervorging, die dann Jazz (zuerst in der 
Schreibung Jass) als Name und Musik popularisierte 
(1917 erste Jazzschallplatte). Mehr Einfuhlungsvermd- 
gen in die Musizierweise der Neger als die ODJB zeig- 
ten die New Orleans Rhythm Kings (1921). - Der D. 
ubernimmt auBerlich das kollektive Chorusspiel. Da 
seine Rhythmik jedoch rein auf Takt mit Synkopen 
beruht, fehlen die fiir den Jazz der Neger typischen 
Phanomene : -»■ Beat, Off-beat und ->• swing. Harmo- 



nisch entfallt im D. die -> Blues-Tonalitat. Die eu- 
ropaische Instrumentaltechnik des D. ist bereichert 
durch Effekthaschereien, die aus der miBverstandenen 
-> Hot-Intonation der Neger resultieren. Durch den 
-> Chicago-Jazz der 1920er Jahre wurde der D. ver- 
drangt. Seit dem Revival (D. Renaissance) am Ende 
der 1930er Jahre wird der D. jedoch - musikalisch 
zwar entscheidend beeinfluBt vom -*■ Swing - in den 
USA und in Europa vor allem in Amateurkreisen im- 
mer wieder bevorzugt. 

Do, erste Silbe der -> Solmisation, die seit dem 17. Jh. 
dem alteren Ut aus gesangstechnischen Griinden vor- 
gezogen wird. Die wahrscheinlich auf G.B.Doni zu- 
riickgehende Silbe bezeichnet in Italien, Spanien, ver- 
einzelt auch Frankreich den Ton C. 

Docke -»• Mechanik. 

Doctor of Music (d'aktai ov mj'u:zik,engl.)-> Aka- 
demische Grade. 

Dodekaphonie ->• Zwolf tontechnik. 

Dokumentation. Die D. hat die Aufgabe, Doku- 
mente zu sammeln und nachzuweisen, ihre Inhalte zu 
erschlieBen und die Informationen auf kurzestem We- 
ge zur Kenntnis zu geben. Die Musik-D. unterscheidet 
sich auf Grund ihres Materials von der allgemeinen D., 
da zu den Wortdokumenten die Klangdokumente hin- 
zutreten und da die Musik eine geistige Ausdrucks- 
form ist, die ihre eigenen GesetzmaBigkeiten hat. - 
Die Musik und ihre Wirkung bildet folgende Doku- 
mente: Graphisch festgehaltene Musik (Noten) und 
Betrachtungen iiber Musik (Musikliteratur) sowie 
bildliche Darstellungen und in Tontragern festgehalte- 
ne Klange (Schallplatten, Tonbander). Das Musikleben 
fuhrt zu ephemeren Dokumenten wie Programmen, 
Textheften, Plakaten, Anzeigen, Statistiken usw. Die- 
se Dokumente werden in Sammlungen aller Art (Bi- 
bliotheken, Institute, Archive) erfaBt. Das Vorhanden- 
sein dieser Objekte wird zur allgemeinen Kenntnis ge- 
geben durch Verzeichnisse und Kataloge, diejedes Ob- 
jekt entweder unter dem Namen des Autors oder, bei 
anonymen Verlautbarungen, unter dem Titel auffiih- 
ren. Damit ist aber erst die Voraussetzung fiir die ei- 
gentliche D. gegeben, die das einzelne Objekt auf die 
in ihm beschlossenen Sachinhalte untersucht und von 
jedem dieser Inhalte her den Weg zu den Objekten 
weist. Die klassische Form dieser Inhaltsanalyse sind 
Sachverzeichnisse und -kataloge, deren Anlage sich im 
Laufe der Jahrhunderte wandelte und in systemati- 
schen, Stich- und Schlagwortkatalogen, Kreuzkatalo- 
gen und geschliisselten Sachkatalogen ihre pragnante- 
sten Ausbildungen fand. In neuerer Zeit haben sich 
technische Verfahren gebildet, die raschere und um- 
fassendere Informationsmoglichkeiten bieten. Fiir die 
Musikwissenschaft haben das Nadellochkarten- und 
das Sichtkartensystem besondere Bedeutung gewon- 
nen. Beim Nadellochkartensystem wird jedem Do- 
kument eine Dokumentenkarte zugeordnet. Die Co- 
dezeichen fiir die Stichworte (Descriptoren) werden 
durch Kerben oder Schlitze festgehalten. Die Selektion 
erf olgt durch Nadeln, wobei die Kartenkapazitat durch 
GroBe und Genauigkeit der Nadeln begrenzt ist. Beim 
Sichtlochkartensystem wird jedem Stichwort eine 
Karte zugeordnet (Descriptorkarte). Jedem Doku- 
ment wird auf den einzelnen Karten eine bestimmte 
Lochposition zugewiesen. Bei der Fragestellung wer- 
den die der Frage entsprechenden Descriptorkarten 
herausgenommen und iibereinandergehalten. An alien 
Stellen, wo Licht durch die Karten fallt, sind Doku- 
mente gelocht, deren Descriptoranzahl gleich groB 



236 



Dominantseptakkord 



oder groBer als die Anzahl der Fragestellungen ist. Zum 
Zweck der D. werden auch elektronische Datenverar- 
beitungsanlagen verwendet. Zu den wichtigsten Tei- 
len dieser Anlagen gehoren die Speicher, die auf dem 
Prinzip der magnetischen Aufzeichnung beruhen. Sie 
miissen in der Lage sein, alle zur Festlegung der Doku- 
mente dienenden Symbole so aufzubewahren, daB sie 
fiir die zur Beantwortung der Frage erforderlichen 
Operationen zur Verfiigung stehen. Dazu gehort 1., 
daB das Speichermedium eine einmal aufgenommene 
Information beliebig lange aufzubewahren vermag, 
2. eine Anlage zur Ubertragung und Ruckiibertragung 
der Information und 3. eine Speichersteuerung, die es 
erlaubt, jede beliebige Information wiederzufinden. 
Das zentrale Steuerwerk vermag auf einen Startbefehl 
hin nach einem bestimmten Programm die gesuchten 
Daten aus dem Speicherwerk herauszuholen, zu ent- 
schliisseln und der Operation zuzuleiten. Die Eingabe 
der Daten erfolgt zumeist iiber Lochkarten oder -strei- 
fen, die Ausgabe auf verschiedenen Wegen, im allge- 
meinen iiber Zeilenschnelldrucker oder photographi- 
sche Ausgabeeinrichtungen. - Inwieweit elektroni- 
sche Datenverarbeitungsanlagen fiir die Musikwissen- 
schaft anwendbar und rentabel sind, bedarf exakter 
Untersuchungen, da die Zahl ihrer Sachsymbole im 
Vergleich z. B. zu den Naturwissenschaften klein ist 
und da die Erfassung von Musik-Incipits (-»■ Incipit, 
-*■ Thematische Kataloge), die einen wesentlichen Teil 
musikwissenschaftlicher Registrierarbeit ausmacht, 
von der Moglichkeit brauchbarer und alien Musik- 
gattungen gerecht werdender Ordnungsmethoden 
(Schliissel) abhangig ist. Neben diesen Methoden der 
Musik-D. steht schlieBlich die laufende, kritisch-ra- 
sonierende, den geistigen Produkten unmittelbar fol- 
gende Berichterstattung etwa in der Art der im angel- 
sachsischen Raum verbreiteten Abstracts, die vor alien 
maschinellen Datenspeicherungen den Vorzug haben, 
ein Objekt auf gedrangtem Raum total zu erschlieBen 
und den Forscher nicht mit dem Stellen von zahlrei- 
chen Einzelfragen zu belasten. 

Lit.: E. C. Cherry, Kybernetik, Koln u. Opladen 1954; 
E. Pietsch, D. u. mechanisches Gedachtnis, ebenda; Aus- 
schuB f. wiss. Verwaltung, Die Handlochkarte, Ffm. 1958 ; 
H. Grottrup, Studienanalyse halbautomatischer Doku- 
mentationsselectoren, = Forschungsber. d. Landes Nord- 
rhein-Westfalen Nr 604, 1958; Arbeitsgruppe Musikd., 
Kgr.-Ber. Kassel 1962; E. L. Waeltner, Plan u. Durch- 
fuhrung d. »Lexicon Musicum Latinum«: Archivaufbau 
mit Hilfe maschineller Datenverarbeitung, ebenda; W. 
Schmieder, Aphorismen zur Musik-D., in: H. Albrecht in 
memoriam, Kassel 1962; M. Woitschach u. H. G. Kor- 
ner, Automatische Bibl., in: Taschenbuch d. Nachrich- 
tenverarbeitung, hrsg. v. K. Steinbuch, Bin, Gottingen u. 
Heidelberg 1962. WoS 

dolce (d'oltfe, ital.), - 1) als Vortragsbezeichnung suB, 
sanft, lieblich; doicissimo, auBerst weich, sehr zart. 
- 2) Das Orgelregister D. ist ein Labialregister enger 
Mensur. 

Dolcian -+ Dulzian. 

Dolzaina, Dulzaina (ital.) -> Dulzian. 

Dolzflote, - 1) um 1600 eine von der Seite her ange- 
blasene zylindrische Blocknote ; im f riihen 1 9. Jh. auch 
Bezeichnung der Quernote. - 2) in der Orgel eine La- 
bialstimme mit offenen Pfeifen im 8', seltener 4', von 
enger Mensur und sanftem Klang. 

Dominante (frz. dominante), auch Ober-D., heiBt 
in der funktionalen Harmonielehre die Quinte iiber 
der -*■ Tonika. Der auf der Quinte errichtete Drei- 
klang wird Dominantdreiklang genannt. Der Begriff 
D. ist jedoch alter als die dur-mofl-tonale Musik. S. de 



Caus nannte bei authentischen Tonen die 5., bei pla- 
galen Tonen die 4. Stufe D. Andere bezeichneten die 
Repercussa eines Tones als D. (BrossardD). D. als mog- 
liche Benennung des zweitwichtigsten Tones jeder 
Kirchentonart - anstelle von Tenor oder Tuba - hat 
sich bis in unser Jahrhundert erhalten (Johner). Zu 
Beginn des 18. Jh. gehorte die D. als 5. Ton der Leiter 
neben Finalis und Mediante zu den Sons essentielles 
eines Modus (BrossardD). Die heutige Bedeutung des 
Begriffs als eine der drei Grundfunktionen tonaler 
Harmonik geht auf J.-Ph. Rameau zuriick. Dieser ver- 
steht unter D. im allgemeinen jeden Ton, der Basis ei- 
nes Septakkordes ist, unter d. tonique - tonische D. 
(Fr. W. Marpurg) - im besonderen die Quinte der Ton- 
art und den darauf errichteten Septakkord, der sich in 
den Tonikadreiklang auflost. Von Rameaus unmittel- 
baren Nachfolgern ubernahmen nur wenige (J.Fr. 
Daube) die neue Lehre von den Grundfunktionen. 
J.-J. Rousseau baute die Benennung der einzelnen Ton- 
leiterstufen weiter aus (z. B. Sus-d. fiir die 6. Stufe), um 
dadurch die hervorhebende Bedeutung der Termini 
Tonika, D. und Sub-D. wieder abzuschwachen. Jedoch 
unterscheiden H.Chr.Koch und G.Weber ausdriick- 
lich zwischen wesentlichen (Tonika-, Dominant- und 
Subdominantdreiklang) und zufalligen bzw. Neben- 
harmonien einer Tonart. Weber weist auch als einer 
der ersten darauf hin, daB der Akkord der Ober-D. 
immer (auch in Moll) ein Durdreiklang ist. Die end- 
giiltige Festigung des D.-Begriffs geschah durch M. 
Hauptmann, der diesen von der -*■ Quinte, dem zwei- 
ten der drei direkt verstandlichen Intervalle (Oktave, 
Quinte, GroBterz), ableitete. Die Funktionsbezeich- 
nung D fiir D. fiihrte H. Riemann ein. 
Lit. : S. de Caus, Institution harmonique . . . , Frankfurt 
1615; BrossardD, Artikel D. u. Mode; J.-Ph. Rameau, 
Nouveau systeme de musique theorique . . . , Paris 1 726 ; 
J. d' Alembert, Elements de musique theorique et pratique, 
suivant les principes de M. Rameau, Paris 1752, 2 1759, 
Lyon 3 1766, deutsch v. Fr. W. Marpurg als: Hrn. d' Alem- 
bert . . . Systematische Einleitung in d. mus. Setzkunst, 
nach d. Lehrsatzen d. Herrn Rameau, Lpz. 1757; J. Fr. 
Daube, General-BaB in drey Accorden, Lpz. 1756; J.-J. 
Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 1767(7), Pa- 
ris 1768 (Artikel D. u. Mode); H. Chr. Koch, Hdb. bey 
d. Studium d. Harmonie, Lpz. 1811 ; G. Weber, Versuch 
einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst, 3 Bde, Mainz 
1817-21, 4 Bde, Mainz 21824, 31830-32; M. Hauptmann, 
Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik, Lpz. 1853, 21873 ; H. 
Riemann, Vereinfachte Harmonielehre oder d. Lehre v. d. 
tonalen Funktionen d. Akkorde, London u. NY 1893, 
21903; Riemann MTh; D. Johner OSB, Neue Schule d. 
gregorianischen Choralgesanges, Regensburg 1906, 71937 
als: GroBe Choralschule, 81956 hrsg. v. M. Pfaff als: Cho- 
ralschule. ESe 

Dominantseptakkord heiBt der Akkord aus Dur- 
dreiklang und kleiner Septime auf der -*■ Dominante, 
z. B. in C dur: g-h-d-f. Hinsichtlich seiner Umkehr- 
barkeit unterscheidet er sich nicht vom leitereigenen 
-*• Septimenakkord auf anderen Tonleiterstufen (3 
Umkehrungen). Im Gegensatz zu diesen mehr oder 
weniger zufalligen Bildungen nimmt er jedoch in der 
dur-moll-tonalen Harmonik eine Schliisselstellung ein, 
denn er ist immer - auch auf anderen Tonstufen - do- 
minantisch, gleichgiiltig ob er sich (regular) in den 
Tonikadreiklang auflost oder nicht. Bei der Auflosung 
ist zu beachten, daB die Septime stufenweise nach un- 
ten, die Terz (Leitton) stufenweise nach oben gefiihrt 
wird. Im strengen Satz verdoppelt man weder Terz 
noch Septime. Die Funktionsbezeichnung des D .s ist D 7 . 
Eine Sonderform des Akkordes ist der B 1 (verkiirzter 
D., in C dur: h-d-f), der sogenannte »verminderte 
Dreiklang«. Hier darf die Septime auch im strengen 
Satz verdoppelt werden, z. B. in C dur: d-f-f-h. 



237 



Dominikanische Republik 



Dominikanische Republik. 

Lit. : J. Fr. GARd a, Panorama de la musica dominicana, 
Santo Domingo 1917; J. Arzeno, Del folklore mus. do- 
minicano, ebenda 1927; Fl. de Nolasco, La musica en 
Santo Domingo y otros ensayos, ebenda 1939; J. D. Ce- 
r6n, Canciones dominicanas antiquas, ebenda 1947 ; J. M. 
Coopersmith, Music and Musicians of the Dominican 
Republic, Washington (D. C.) 1949. 

Domra, Dombra, Dumbra (russ., wahrscheinlich auf 
-+ Tanbur zuriickgehend), eine Langhalslaute mit 
bauchigem Corpus und 3 Drahtsaiten, die mit Schlag- 
ring gespielt werden. Im 16./17. Jh. wurde das Spiel 
auf der D. von Kiinstlern gepflegt; in neuerer Zeit ist 
sie neben der Balalaika das beliebteste volkstiimliche 
Zupfinstrument in RuBland. Die Stimmungen der 6 
GroBen der D. sind denen der Balalaikafamilie gleich. 
Lit. : A. S. Faminzyn, Domra i srodnyje jej mus. instr. 
(»Die D. u. d. ihr verwandten Musikinstr. d. russ. Volkes«), 
St. Petersburg 1891. 

Donaueschingen (Baden). 

Lit.: G. Dinges, Untersuchungen zum Donaueschinger 
Passionsspiel, Breslau 1910; Das furstliche Fiirstenbergi- 
sche Hoftheater zu D. 1775-1850, bearb. v. . . . Fr. Dol- 
linger u. G. Tumbult, D. 1914; H. Bennwitz, D. u. d. 
Neue Musik, 1921-55, D. 1956; ders., Die Donaueschin- 
ger Musiktage v. 1921 bis 1926, Diss. Freiburg i. Br. 1962, 
maschr. ; M. Rieple, Musik in D., Konstanz (1959). 

Donnermaschine ist ein Gerauschinstrument, das vor 
allem zu Biihneneffekten, aber auch bei konzertanten 
Werken (R.Strauss, Eine Alpensinfonie) Verwendung 
findet. Die D. besteht gewohnlich aus einer auf 2 
Zapfen gelagerten und an einer Seilvorrichtung auf- 
gehangten Trommel von UbergroBer Dimension, die, 
mit Steinen gefiillt, um sich selbst bewegt wird, wobei 
der Trommelinhalt an die AuBenwande schlagt, was 
ein donnerndes Gerausch verursacht. Donnergerausch 
wird auch erzeugt mit groBen, senkrecht auf gehangten 
Blechen, die am unteren Rand angefaBt und hin und 
her geschiittelt werden, oder durch groBe, mit Pau- 
kenf ell iiberzogene Resonanzkasten, die man mit Schla- 
geln bearbeitet. Einschlagen des Blitzes und nachfol- 
gender langer Dormer (auch Einsturz eines Hauses 
usw.) konnen mit Hilfe des sogenannten Einschlagka- 
stens vorgetauscht werden. Dieser ist ein vom Schniir- 
boden bis zur Unterbiihne reichender, senkrecht stehen- 
der Holzkanal mit quadratischer Grundflache (etwa 
40 cm Seitenlange), in welchem abwechselnd rechts 
und links schrag abf allende, die halbe Weite des Kanals 
deckende Bretter eingebaut sind. In den holzernen 
Schacht werden von oben schwere Bleikugeln geschiit- 
tet, die, auf die Bretter auf schlagend, nach unten poltern. 

Doppelchor, ein in zwei, meist je 4st. Halbchore ge- 
teilter Chor (-> Coro spezzato; -*■ Apsidenchore), die 
haufigste Choraufteilung der ->■ Mehrchorigkeit. 

Doppelflote, Duiflote, Doiflote, Gedacktregister der 
Orgel im 4', auch 8', meist aus Holz, gelegentlich auch 
aus Metall, mit doppelten Labien, die entweder im 
Winkel nebeneinander oder sich gegeniiber liegen und 
just einander gleich respondiren. Der Ton wird dadurch 
kraftiger. Die D. ist nach Praetorius (Synt. II, S. 140) 
von Esaias Compenius (um 1590) erfunden worden. 

Doppelfuge, eine Fuge, in der 2 Themen durchge- 
fiihrt werden. Man unterscheidet 3 Typen der D. : Die 
progressive oder synthetische D. bringt getrennte 
Durchfuhrungen von Thema 1 und anschliefiend von 
Thema 2, danach in einem dritten Teil die Kombi- 
nation beider Themen (J.S.Bach, Wohltemperiertes 
Klavier II, Fuge Gis moll, BWV 887). In der simultanen 
D. werden beide Themen von Anfang an gemeinsam 
durchgefiihrt; als Unterscheidungsmerkmal von der 



sehr ahnlichen (einfachen) Fuge mit beibehaltenem 
Kontrasubjekt gilt, daB dieser Typ der D. nicht ein- 
stimmig, sondern zweistimmig und bereits doppel- 
themig beginnt (J. S.Bach, Thema fugatum der Passa- 
caglia C moll, BWV 582). Als Mischtyp ist eine D. an- 
zusprechen, wenn zwar Thema 1 gesondert durchge- 
fiihrt wird, danach jedoch Thema 2 sofort in der Kom- 
bination mit Thema 1 einsetzt (J. S.Bach, Wohltempe- 
riertes Klavier II, Fuge H dur, BWV 892). Zuweilen 
wurden auch Fugen mit beibehaltenem Kontrapunkt 
als D.n bezeichnet, weil bei ihnen Thema und Kontra- 
subjekt im doppelten Kontrapunkt vertauschbar sind 
(z. B. Mattheson Capellm., Kap. 23). 

DoppelgrifT (engl. double stop; frz. double corde), 
das gleichzeitige Greifen zweier Tone auf einem 
Streichinstrument oder Klavier. D.-Spiel wurde auf 
der Viola da gamba im 17. Jh. gepflegt, auf der Violine 
mit der Tradition des polyphonen Spiels in der deut- 
schen Geigerschule des 17. Jh. (noch bei J.S.Bach), 
virtuos in der franzosischen des 18. Jh. Auf dem Klavier 
wurde das gelaufige D.-Spiel in Terzen, Quarten, Sex- 
ten und Oktaven seit dem friihen 19. Jh. ausgebildet, 
im 20. Jh. noch um Sekunden, Septimen usw. erwei- 
tert. Die spieltechnischen Probleme sind bei den Strei- 
chern neben dem Fingersatz die Bogenfiihrung, wobei 
auch besondere Bogen benutzt werden (->- Bogen - 2), 
auf dem Klavier ein Fingersatz, der auf Bindung (auch 
mit Gleiten) abzielt. 

Doppelkonzert nennt man eine Komposition fiir 2 
Soloinstrumente und Orchester (J. S. Bach, D. fiir 2 V., 
D moll, BWV 1043; Mozart, D. fur Fl. und Harfe, 
K.-V. 299; Brahms, D. fur V. und Vc. op. 102). Im 
letzten Drittel des 18. Jh. hieBen die D.e, Tripelkon- 
zerte usw. -> Symphonie concertante. 

Doppelkreuz (engl. double sharp; frz. double diese; 
ital. doppio diesis), ein Vorzeichen, das die nochmalige 
chromatische Erhohung eines bereits durch einfaches 
Kreuz erhohten Tones anweist. Die heute gebrauchli- 
che Schreibung ist x, sinnvoller waren bis etwa 1800 
gebrauchliche Zeichen wie SB , X X , IH , # oder X • Die 
noch bei Koch 1802 belegte Aussprache fisfis usw. hat 
sich, offenbar in Anlehnung an die des Doppel-l>, zu 
fisis usw. abgeschliffen. Das D. wurde in der 1. Halfte 
des 18. Jh. notig, als die Einfiihrung der temperierten 
Stimmung das Komponieren in entlegenen Tonarten 
(Bach, Wohltemperiertes Klavier) und in diesen den hau- 
figeren Gebrauch alterierter Akkorde ermoglichte. 

Doppelleittonklang, Bezeichnung fiir einen Klang, 
der auf Grund von Leittonbeziehungen auf einen Dur- 
oder Molldreiklang reduzierbar ist, d. h. ein D. ent- 
steht, wenn ein Dreiklangston (in Dur zumeist Prim, 
in Moll zumeist Quinte) durch seine beiden Leittone 
von oben und unten ersetzt wird (z. B. h-des-e-g statt 
c-e-g; c-es-fis-as statt c-es-g). Dajeder Dreiklangston 
von 2 Leittonen eingerahmt wird, konnen auch zwei 
oder alle Dreiklangstone durch ihre Leittone ersetzt 
werden. So entstehen drei-, vier- und mehrfache Leit- 
tonklange. Die Fortschreitungsmoglichkeiten solcher 
Klange lassen den Begriff D. und die in ihm beschlosse- 
ne Sicht fragwiirdig erscheinen. 

Lit. : H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. 
neueren Musik, Lpz. 1927. 

Doppelorchester, die der Doppelchortechnik (->■ Co- 
ro spezzato) entsprechende Auf stellung des in 2 Halb- 
chore oder Haupt- und Fernchor getrennten Orche- 
sters. Die Ubertragung dieses Prinzips der vokalen auf 
die Instrumentalmusik hat G.Gabrieli durchgefiihrt. 
Vivaldi schrieb ein Concerto in due cori, Stolzel ein 
Concerto grosso a 4 chori in D dur, J. Chr. Bach 3 Sym- 



238 



Doppelschlag 



phonien fiir D. op. 18. J. Stamitz fiihrte ein von ihm 
componirtes Concert von zweyen Choren 1742 in Frank- 
furt am Main auf. C. Stamitz komponierte auBer einer 
Symphonie fiir 2 Orch. in Es dur auch ein Divertimento 
a due chori in Es dur (»Das Echo bey Saarlouis«), dessen 
2. Chor wie bei einer Symphonie concertante aus ei- 
nem Solistenensemble besteht, welches nach Anwei- 
sung des Komponisten in einem entfernten Zimmer 
plaziert werden soil, damit man die Echos mit halber 
Starke hore. Auch Glucks 1778/79 entstandene Ouver- 
ture zur Oper Echo et Narcisse verlangt ein D.; das 2. 
Orchester, mit 2 Klar., 2 Fag. und 2 V. besetzt, fiihrt 
Echoantworten aus. Beethoven stellt in seiner Sym- 
phonie Wellingtons Sieg op. 91 die Schlacht bei Vit- 
toria ebenfalls mit getrennt aufgestellten Gruppen der 
Trommeln, Trompeten, Kanonen (und Kleingewehr- 
feuermaschinen) auf der englischen und auf der fran- 
zosischen Seite dar. Berlioz bedient sich in seinem Re- 
quiem eines Fernchors von Blechblasern. Die D.-Tech- 
nik wandte auch Kaminski in seinem Concerto grosso 
fur 2 Orch. 1922 an. 

Doppelschlag (ital. gruppetto; frz. double; engl. 
turn), eine Verzierung, bei der die Hauptnote so um- 
spielt wird, daB ihre obere und ihre untere Nebennote 
je einmal nach Art eines ->■ Vorschlags beriihrt werden 
(daher der Name D.). Der D. im engeren Sinn besteht 
aus 4 Noten und beginnt mit der oberen Nebennote: 
* » m » . Beim Beginn mit der unteren Nebennote 
m » * » spricht man von umgekehrtem D. (engl. in- 
verted turn). D.-artige Figuren (Diminutionsformeln) 
sind der Groppo (Gruppo) und der Circolo mezzo 
(-»■ Circulatio) - nach W. C. Printz, Compendium mu- 
sicae signatories et modulatoriae vocalis (1689) : 

Groppo 

Ascendens Descendens 

Diese Bezeichnun- 
gen finden sich bei 
Intendens Remittens deutschen Theoreti- 
kern des 17. und 18. Jh. (fiir den friiheren italienischen 
Groppo -> Triller). Marpurg bemerkt (1755), daB der 
zu den Spielmanieren gehbrende D. seine Entspre- 
chung bei den Setzmanieren im Halbzirkel habe (-> Ma- 
nier - 2) . - Der D . kann tiber einer Note oder zwischen 
2 Noten vorkommen. Im ersteren Fall, wo der D. im 
allgemeinen aus 4 Noten besteht, kann die Hauptnote 
als funfte Note vorangestellt werden (geschnellter D.) ; 
er wird sowohl bei 4 Noten als auch bei 5 Noten mei- 
stens auf den Schlag genommen, im 19. Jh. jedoch 
auch vor den Schlag (dann kommt die letzte Note auf 
den Schlag). - Wahrend der D. zwischen 2 Noten nur 
eine melodische Funktion austibt, kann der D. iiber 
einer Note auch harmonische und rhythmische Funk- 
tionen erfiillen, entsprechend denjenigen des Vor- 
schlags und des Trillers in ahnlichen Fallen. - Der D. 
kann einen kurzen Triller mit Nachschlag ersetzen; 
seine Zeichen ( ~ , «» , S) kommen in der Zeit vor der 
Wiener Klassik fast nur in der Musik fiir Tasteninstru- 
mente vor. (Th.Mace verwendet 1676 fiir die von ihm 
Single relish genannte Lautenverzierung ein anderes, 
aus Punkten bestehendes Zeichen.) - Beim D. haben 
sich Zeichen und Ausfiihrung im Laufc der Zcit bis 
heute weit weniger verandert als bei anderen Verzie- 
rungen.BeiChambonnieresallerdings.indererstenVer- 
zierungstabelle der franzosischen Clavecinisten (1670), 
bedeutet das Zeichen eineDouble Double cadence 
cadence folgender Ausfiihrung: 
Bei seinem Schiiler d'Anglebert, 
dessen Verzierungstabelle (1689) 



nachweislich auch J. S.Bach verwendet hat, erscheint 
eine ahnliche Form der Double cadence neben der spa- 
rer gelaufigen (sans tremblement, von Fr. Couperin in 
seiner Verzierungstabelle 1713 dann Double genannt) 
sowie noch eine weitere Form (sur une tierce) : 




Wahrend noch Dieupart zu Beginn des 18. Jh. seine 
Double Cadence (von ihm mit a Shake turn iibersetzt) 
wie folgt vorschreibt: 



^^ 



Double Cadence, a Shake turn 




Pt^ 



bezeichnet Le Roux 1705 mit demselben Namen bereits 
den normalen Barock-D., und J. S.Bach verwendet in 
seinem Clavierbiichlein fiir Wilhelm Friedemann (1720) 
das (schrage) Zeichen ebenfalls in fl 2 
diesem noch heute gelaufigen Sinn, 
nennt die Verzierung aber Cadence: 
Die Unterscheidung zwischen ~ Cadence 
fiir den gewohnlichen und «« oder S fiir den umgekehr- 
ten D. wurde erst im spaten 18. Jh. verlangt; dies hat 
sich aber nicht durchgesetzt: Hummel und Spohr ver- 
wendeten in ihren Lehrwerken das Zeichen =« fiir den 
gewohnlichen D., worin ihnen viele gefolgt sind. R. 
Wagner verwendete fiir den D. das Zeichen «», ahn- 
lich wie vor ihm bereits Spohr, Schumann und Cho- 
pin in manchen ihrer Werke. Allerdings hat Wagner 
selber dieses Zeichen nicht konsequent interpretiert, 
indem er z. B. in Rienzi bei der Stelle: 



in friiheren und spateren Jahren den D. von oben, da- 
gegen in seinen mittleren Jahren den D. von unten 
bevorzugte; in seinen spateren Opern ging Wagner, 
der den D. besonders haufig verwendet hat, immer 
mehr zur Ausschreibung in groBen Noten iiber, wie 
zum Beispiel in der Cbtterddmmerung (Briinnhilde- 
Motiv) : 




: °° ii 



Vorzeichen fiir chromatische Veranderungen der obe- 
ren bzw. der unteren Nebennote konnen heute iiber 
bzw. unter das D.-Zeichen gesetzt werden, wahrend 
sie in der Barockzeit ausschheBlich iiber das Zeichen 
gesetzt wurden, haufig dann etwas nach links oder 
nach rechts verschoben, fiir die friiher bzw. spater er- 
klingende Nebennote. - Das Umspielen eines Tones 
anstelle seiner unmittelbaren Intonation gehort zu den 
urspriinglichen Verzierungsmitteln des Gesangs. (Fiir 
das dem D. ahnliche Quilisma der mittelalterlichen 
Choralnotation und die doppelschlagartigen Redobles 
und Quiebros in der spanischen Musik des 16. Jh. fiir 



239 



Doppelschlag 



Tasteninstxumente: ->■ Triller.) - Bemerkenswert sind 
gewisse Vorschriften im Barock, welche die rhythmi- 
sche Ausfiihrung des D.s in Beziehung zum Tempo 
der betreffenden Stelle setzen und ihm dadurch groBe- 
re Brillanz verleihen. Hatte schon d'Anglebert bei 
seiner Double cadence die ersten beiden Noten in kiir- 
zeren Werten als die iibrigen notiert, so rhythmisiert 
Gottlieb Muffat in der Verzierungstabelle zu seinen 
12 Versetl Sammt 12 Toccaten fur Org. (1726) den D. 
verschieden bei Viertel- und Achtelnoten: 



n r Hcj: — r i 




und ahnlich bei seinen Componimenti Musicali fur 
Cemb. etwa ein Jahrzehnt spater: 




Aber erst C. Ph. E.Bach bringt dieses Prinzip, im Zuge 
der fortschreitenden Differenzierung der Wiedergabe- 
vorschriften, in seinem Versuch (1753) zu klarer Dar- 
stellung: § 

"m 




moderato presto 
Auch fiir die Rhythmisierung des D.s hinter punktier- 
ten Noten hat C.Ph. E.Bach genaue Vorschriften ge- 
geben, wobei der punktierte Rhythmus entsprechend 
verkiirzt wird. Ahnhch, aber noch differenzierter sind 
- eine Generation spater - Turks Vorschriften in seiner 
Klavierschule (1789): i. 




Hierbei gelten (1) und (3) sowohl fiir langsameres als 
auch fiir rascheres Tempo, wahrend im mittleren Bei- 
spiel die Ausfiihrung bei (2b) fiir rascheres Tempo gilt. 
- C.Ph. E.Bach fiihrte zwei besondere Formen des D.s 
ein, den prallenden D. und den geschnellten D. Erste- 
rer ist eine Kombination von Pralltriller (->■ Triller) 
und D., der dem Klavier- 
spiel zugkich besondere An- 
muth und Glantz giebt: 

(Die Kombination dieser Zeichen kann in der fran- 
zosischen Clavecinmusik jedoch einen -> Triller mit 
Nachschlag bedeuten.) Der aus 5 Noten bestehende, 




f\ CV! 








CV> 
























vp J ' * IT* -# 









jgg^ 



-*■ Vorschlag. In seiner Musical Grammar (1806) unter- 
scheidet Callcott folgende 2 Formen: 



Written. 



#5 



41- 



Performed . 



r i "r I'ctficer 



mit der Hauptnote (auf den Schlag) beginnende ge- 
schnellte D. wird durch eine zusatzliche kleine Zwei- 
unddreiBigstelnote vor der Hauptnote angedeutet (C. 
Ph. E.Bach). Eine gewisse Ahnlichkeit mit dieser Ver- 
zierung hatte der Turn H.Purcells fl ^ 
(A Choice Collection of Lessons, ( k J 
1696): -f^- 

Um die Wende des 18./19. Jh. gerat die bis dahin be- 
stehende Tradition der Ausfiihrung des D.s auf den 
Schlag ins Wanken, ahnhch der Entwicklung beim 



Thus, or thus. Thus, or thus. 
Das 19. Jh. kennt sowohl den D. mit vier als auch den- 
jenigen mit 5 Noten, in verschieden rhythmisierter 
Form, meist in den Zeitwert der vorausgehenden Note 
fallend, und im Zug der fortschreitenden Ausschrei- 
bung in groBen Noten (R.Wagner) wird der D. hau- 
fig zum ausdrucksvollen Motiv. 
Lit. : — > Verzierungen ; besonders auch : H. Schenker, Ein 
Beitr. zur Ornamentik, Wien 1908. ERJ/BB 

Doppeltriller, Bezeichnung fiir gleichzeitige -»- Tril- 
ler auf 2 Tonen desselben Akkords; die Ausfiihrung 
unterliegt denselben Regeln wie diejenige des einfachen 
Trillers, ist aber technisch bedeutend schwieriger, vor 
allem auf der Violine und auf dem Klavier mit einer 
Hand. - Marpurg nennt (1755) den einfachen Triller 
mit Nachschlag den zusammengesetzten oder D. ; in ahn- 
licher Weise bezeichnet Agricola (1757) den Triller 
von oben bzw. von unten mit Nachschlag als D. 
(-> Double cadence). 

Doppelzunge ->■ ZungenstoB. 

Doppioni (ital.) nennt Zacconi (1592) in ihrer Bau- 
art nicht naher bestimmte Blasinstrumente mit Dop- 
pelrohrblatt, die moglicherweise mit den von ihm ge- 
nannten Sordoni (-> Sordun) identisch sind. Cerone 
iibernahm 1613 fiir die spanischen Doplados die An- 
gaben Zacconis. 

Lit.: L. Zacconi, Prattica di musica . . ., Venedig 1592, 
2 1596; P. Cerone, El Melopeo, Neapel 1613; Praetorius 
Synt. II ; C. Sachs, Doppione u. Dulzaina, SIMG XI, 1909/ 
10; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Windkapsel, 
Af Mw VII, 1925 ; A. Reimann, Studien zur Gesch. d. Fag., 
Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr. 

Dorisch-s- Systema teleion,-* Kirchentone. - D.e Sex- 
te ist die groBe Obersexte einer Molltonika, z. B. in 
D moll d-h; sie beruht jedoch in Moll auf Alteration 
(d-h anstelle von d-b), wahrend sie in D. leitereigen ist. 

Dortmund. 

Lit.: B. Friedhof, Gesch. d. Instrumentalmusik in D. seit 
d. Ausgange d. 18. Jh., D. 1912; R. Schroeder, Studien 
zur Gesch. d. Musiklebens d. Stadt D. vom friihen MA bis 
zum Ausgange d. 19. Jh., = Munsterische Beitr. zur Mw. 
V, Kassel 1934; A. Mampel, Das D.er Theater I, 1500- 
1600, D. 1935. 

Double (dubl, frz.), in der franzosischen Instrumental- 
und Vokalmusik des 16.-18. Jh. Bezeichnung fiir die 
verzierte (diminuierte) Wiederholung eines Satzes. Der 
Terminus ist zuerst 1552 (Tiers liure de tabulature degui- 
terre bei Le Roy und Ballard) belegt. In Deutschland be- 
zeichnete D. speziell die Veranderung eines Tanzsatzes, 
wahrend die Veranderung z. B. einer Aria Variatio ge- 
nannt wurde (so u. a. bei Biber 1681). Ab etwa 1650 
verschwanden D.s aus der deutschen und franzosischen 
Orchestersuite; die mehrstimmige Kammersuite ver- 
wendete D.s kaum, die Solosuite hingegen bevorzugte 
sie. Um 1760 wurde die Bezeichnung D. allgemein 
durch die Bezeichnung ->■ Variation ersetzt. 
Lit.: WaltherL; Mattheson Capellm.; Fr. Blume, Stu- 
dien zur Vorgesch. d. Orchestersuite im 15. u. 16. Jh., 
= Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; M. Reimann, Zur 
Entwicklungsgesch. d. D., Mf V, 1952- VI, 1953. 

Double (frz.) -*■ Doppelschlag. 

Double cadence (d'ubb kad'a:s, frz.)-> Doppelschlag, 
auch ->■ Triller mit Nachschlag. 



240 



Drehleier 



Double relish (dAbl j'elij, engl.), eine beliebte zu- 
sammengesetzte Verzierung des 17. Jh. (Playford 1654; 
Simpson 1659; Mace 1676), die in ihrer typischen 
Form aus 2 Trillern mit verschiedenartigen Nach- 
schlagen besteht. 

Doxologie (griech. So^oXoyta, Lobpreisung), in der 
christlichen Kirche der liturgische Lobspruch oder 
Lobgesang zur Verherrlichung der gottlichen Trinitat. 
Die Liturgik unterscheidet 2 Formen der D. : Die groBe 
D. (Doxologia maior), das Gloria in excelsis Deo der 
Messe (nach Lukas 2, 14 auch Hymnus angelicus ge- 
nannt), wird gesungen an den Sonntagen des Kirchen- 
jahres (ausgenommen die Advents-, Vorfasten- und 
Fastenzeit), an alien Festtageh sowie an den Wochen- 
tagen der Osterzeit. Die kleine D. (Doxologia minor, 
auch Hymnus glorificationis), das Gloria Patri et Filio et 
Spiritui Sancto mit dem Nachsatz Sicut erat in principio 
et nunc et semper et in saecula saeculorum, Amen, beschlieBt 
(mit einigen Ausnahmen) in ihrer vollstandigen Form 
den antiphonischen Psalmengesang (-»■ EUOUAE). - 
Luther behielt in der Formula missae die kleine D. mit 
dem Introitus bei, ebenso das Gloria nach dem Kyrie; 
noch in der preuBischen und bayerischen protestanti- 
schen Kirchenordnung finden sich beide D.n. 
Dp (Dp), Abk. fur Dominantparallele (Funktionsbe- 
zeichnung nach Riemann). 

Dragma (griech., Garbe) heiBt im spaten 14. Jh. und 
bis um 1430 eine Note mit nach oben und unten gezo- 
gener -> Cauda: ♦. Das Dr. wurde haufig notiert, blieb 
aber vieldeutig ; u. a. kann es eine imperf ekte Semibre- 
vis (-* Quellen: Sq und Pit) oder eine um die Halfte 
verlangerte Minima, d. h. die Halfte einer Semibrevis 
maior (♦♦ = « ; ModA und Ch) bezeichnen. Es soil vor- 
iibergehenden Mensurwechsel und synkopierte Rhyth- 
mik verdeutlichen. 

Lit. : CS III 1 86 (Th. de Caprio) u. 373 (Anon. Ill); WolfN ; 
ApelN ; K. v. Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento 
u. friihen Quattrocento, = Publikationen d. Schweizeri- 
schen Musikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956), S. 120. 
Drame lyrique (dram lir'ik, frz.), die zu Beginn der 
2. Halfte des 19. Jh. in Frankreich durch Verschmel- 
zung von Stilelementen der Grand opera und der Ope- 
ra-comique entstandene Gattung einer auf Gefuhlswir- 
kungen zielenden und zum Sentimentalen neigenden 
Oper mit Chor und Ballett, in ihren Anfangen noch 
mit gesprochenem Dialog (wie die Opera-comique), 
dann mit Rezitativen. Der Typus des Dr. 1. pragt sich in 
Gounods (in vielem noch zur Grand opera tendieren- 
den) Faust (1859) aus. Einen entscheidenden Beitrag 
zur Entwicklung des Dr. 1. leistete Thomas mit Mignon 
(1866). Formale Eleganz, subtile Instrumentation, Ver- 
wendung von Erinnerungsmotiven, eine teils rhyth- 
misch lebhafte und graziose, teils kontrastierend von 
Sentiment erfiillte Melodik sind kennzeichnend. Bei- 
spiele des spateren, durch besondere Betonung melodi- 
scher SiiBe stark ins Sentimentale gewandten Dr. 1. 
stellen Manon (1884) und Werther (1886) von -+ Mas- 
senet dar. Mit G. Charpentiers Louise (1900) iiber- 
nimmt das Dr. 1. Ziige des italienischen -> Verismo. 
Zu den bedeutenden Komponisten des Dr. 1. zahlen 
Lalo, Saint-Saens, Bizet, Chabrier, Faure, Widor. Zur 
Gattung des Dr. 1. gehort auch PelUas et Melisande von 
Debussy, das Hauptwerk des -*■ Impressionismus. 

Dramma per musica (ital.), auch Dramma in mu- 
sica (Monteverdi 1641 und 1642) oder Dramma musi- 
cale (Landi 1634), ist im 17.-18. Jh. haufig Bezeichnung 
fiir ernste Opern, vor allem im EinfluBbereich der 
-»- Neapolitanischen Schule. Mit der Benennung Dram- 
ma sind im 17. Jh. auch kennzeichnende Adjektiva 



wie pastorale, morale, fantastico, im 18. Jh. serio, se- 
miserio, giocoso (so Mozarts Don Giovanni), semigio- 
coso, comico, seriocomico verbunden. J. S. Bach narra- 
te einige seiner nicht fiir die Kirche geschriebenen Kan- 
taten Dr. per m., z. B. Der Streit zwischen Phoebus und 
Pan (BWV 201) und Hercules auf dem Scheidewege 
(BWV 213). 

Dramma sacro (ital.), eine Gattung des neapolitani- 
schen Musiktheaters, eine geistliche Oper nach Stoffen 
aus der Heiligenlegende mit eingeschobenen derb- 
realistischen Buffoszenen. Es wurde vor allem von den 
Konservatorien, geistlichen Kongregationen und Or- 
den aufgefiihrt. Ein fruhes Beispiel eines Dr. s. ist II 
fido campione von G.Francesco del Gesu (1656). Auch 
Pergolesis erstes dramatisches Werk, Li Prodigi della 
divina grazia nella Conversione, e morte di S. Guglielmo 
Duca d'Aquitania (1731), gehort zu dieser Gattung. 
Lit. : H. Hucke, Die neapolitanische Tradition in d. Oper, 
Kgr.-Ber.NY1961,BdI. 

Dreher, ein osterreichischer, dem ->■ Landler ahnlicher 
Tanz im 3/4-Takt, dessen Melodie gewohnlich zwei zu 
wiederholende 8taktige Gruppen umfaBt. 

Drehleier, Radleier, Bauern- oder Bettlerleier (lat. 
organistrum, symphonia mit vielen volkssprachlichen 
Nebenformen wie cifonie, chifonie; frz. vielle a roue, 
im 15. Jh. auch vielle schlechthin; ital. lira tedesca; 
span, zanfonia; engl. hurdy-gurdy), ein Streichinstru- 
ment, dessen Saiten durch ein im Innern des Corpus 
laufendes, mit einer Kurbel gedrehtes Scheibenrad an- 
gestrichen werden. Die Saiten werden verkiirzt durch 
Tangententasten. Das Corpus hat die verschiedenen 
Formen der Fiedel (Birnen-, Kasten-, 8-Form) ; Corpus 
und Tasten waren zunachst so groB, daB 2 Spieler das 
Instrument bedienen muBten. In Europa ist die Dr. zu- 
erst abgebildet in Spanien (Portalplastik an Santo Do- 
mingo in Soria um 1150), danach auch in Frankreich 
und England. Die Traktate des 13. Jh. (GS I, 303 und 
II, 286) handeln von den Mensuren der Tangenten. Zu 
dieser Zeit hatte die Dr. 6-8 Tasten; damit war eine 
Melodie im Umfang einer Oktave spielbar. Im 14. Jh. 
wurde die Zahl der Tasten erhoht. Das bei Virdung 
1511 abgebildete Instrument hat 4 Saiten; erst im 18. 
Jh. wurden sechs ublich. Nach den Drehtangenten, die 
alle Saiten zugleich verkiirzen, kamen schon um 1200 
StoBtangenten auf, die nur eine Saite beruhren, wah- 
rend die anderen unverkiirzt weiterklingen. Die der 
Dr. gemaBe Spielweise ist daher der organale Parallel- 
klang bzw. die von Bordunen begleitete Melodie. Als 
diese Praktiken ganzlich unziinftig wurden, sank auch 
die Dr. ab. M.Praetorius (1619) nennt sie Bawren- vnnd 
vmblauffenden Weiber Leyre. Zu Anfang des 18. Jh. er- 
lebte sie zusammen mit der -> Musette (- 1) eine Nach- 
bliite in der franzosischen Schafermode. Fiir Dr. schrie- 
ben u. a. J. Aubert, Ch. Baton und -> Boismortier. Fran- 
zosische Instrumentenmacher wie Baton, Louvet, De- 
laumay, Lambert und Barge fertigten kostbar verzierte 
Dr.n in Lauten- oder Gitarrenform. Schuberts Lied 
Der Leiermann (SchluBlied der Winterreise) bezieht sich 
auf den Dr.-Spieler, nicht auf den Drehorgelmann. 
Die Bezeichnung Leiermann gilt einem abgesunkenen 
Musikerstand; das Wort leiern bekam geringschatzige 
Bedeutung. - Eine Dr. mit Melodie- und Bordunsai- 
ten sowie einigen Orgelpfeifen war die Vielle organi- 
sed oder Lira organizzata, fiir die Gyrowetz, Pleyel, 
Sterkel und J.Haydn (Konzerte Hob. Vllh, 1-5, Not- 
turni Hob. II, 25*-32*) komponierten. 
Lit. : S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511),hrsg. v. R. 
Eitner, = PGf M, Jg. X, Bd XI, Bin 1882 ; dass., Faks. hrsg. 
v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius Synt. II; M. Mer- 
senne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. 



16 



241 



Drehorgel 



Lesure, 3 Bde, Paris 1963; A. Terrasson, Diss. hist, sur la 
vielle, Parisl741, auch in: Melanges d'hist.,de lit. ..., Pa- 
ris 1768 ; M. Corrette, Methodepourapprendreajouerde 
la vielle, Paris 1763; H. Lapaire, Vielles et cornemuses, 
Moulins 1901 ; E. de Bricqueville, Notices sur la vielle, 
Paris 2 191 1 ; E. Winternitz, Bagpipes and Hurdy-Gurdies 
in Their Social Setting, Bull, of the Metropolitan Museum 
of Art, N. F. II, 1943; H. R. Edwall, Ferdinand IV and 
Haydn's Concerts for the Lira organizzata, MQ XLVIII, 
1962. 

Drehorgel (Leierkasten; frz. orgue de barbarie; ital. 
organino), eine fahrbare oder tragbare kleine Orgel 
mit gedackten Pfeifen oder auch mit Zungenpfeifen, 
durch eine Kurbel nicht nur mit Wind versorgt, son- 
dern auch gespielt, indem eine dadurch in Umdrehung 
versetzte Stiftwalze oder in neuerer Zeit eine gelochte 
Scheibe (Notenblatt) die Ventile zu den Pfeifen offnet 
(-»■ Mechanische Musikwerke). Nicht selten ist die Dr. 
auch mit einem Tremulanten versehen (Wimmeror- 
gel). Die fiir die Dr. charakteristische Koppelung von 
Stiftwalze und Kurbel ist erst um 1700 nachweisbar. 
Bis etwa 1800 bestanden -*■ Drehleier und Dr. neben- 
einander, danach blieb die Dr. allein iibrig, vor allem 
als Instrument der StraBenmusikanten, nachdem sie 
seit der 2. Halfte des 18. Jh. in Verbindung mit dem 
-v Bankelsang stand. Als Barrel-organ fand die Dr. in 
kleineren englischen Gemeinden in der 1. Halfte des 
19. Jh. Eingang in die Kirche. 

Lit.: H. Zeraschi, Dr., Serinette u. barrel organ, Diss. 
Lpz. 1961,maschr. 

Drei-D-Klang -> High Fidelity. 

Dreiklang (lat. trias; frz. triple accord; engl. triad), 
ein aus zwei Terzen zusammengesetzter 3toniger Ak- 
kord, speziell der Dur- oder MoUakkord (c-e-g; 
d-f-a). Die Bezeichnung Dr. ist als Obersetzung von 
Trias im friihen 18. Jh. gepragt worden, wobei man 
unter Klang (lat. -*■ sonus) einen Einzelton verstand 
(Mattheson 1739). Die unharmonischen Dreiklange 
(triades anarmonicae), der verminderte Dr. (trias defi- 
ciens; cis-e-g) und der ubermaBige Dr. (trias super- 
flua; c-e-gis) sind als Abweichungen vom harmoni- 
schen Dr. (trias harmonica; c-e-g) zu verstehen. Unter 
der Voraussetzung, daB Tone im Oktavabstand har- 
monisch (qualitativ) identisch sind, umfaBt der Begriff 
des Dr.s auBer der Grundform (c-e-g) auch Oktaver- 
weiterungen (c-g-e 1 , »zerstreuter« Dr., trias diffusa), 
Oktawerdoppelungen (c-e-g-c 1 , »vermehrter« Dr., 
trias aucta) und Umkehrungen (Sextakkord e-g-c 1 , 
Quartsextakkord g-ci-e 1 ). - Bis zum 16. Jh. wurden 
in der Theorie der Mehrstimmigkeit 3tonige Zusam- 
menklange als Komplexe von zweitonigen begriffen, 

el-fl 
z. B. die Klangfolge g-f als Zusammensetzung von 
c-f 

e £ und 6 ^ sowieflf. Als erstersahZarlino (1558) im 
Dr. eine ubergeordnete Einheit; nicht nur die einzel- 
nen Konsonanzen, die Quinte (3:2 in der Messung 
nach Saitenlangen), die groBe Terz (5 :4) und die kleine 
Terz (6:5), sondern auch die Dreiklange im Ganzen 
sind nach Zarlino »Harmonien«, hinter denen »ausge- 
zeichnete« Zahlenverhaltnisse stehen: hinter dem Dur- 
Dr. die harmonische Proportion (15:12:10), hinter 
dem Moll-Dr. die arithmetische (6 : 5 : 4) . C. SchneegaB 
(1592) und J.Lippius (1612) deuten den Dr. als Trini- 
tatssymbol. Die Theorie der Dr.s-Umkehrung, die 
Unterscheidung zwischen Grundton (c 1 in e-g-c 1 ) und 
BaBton (e in e-g-c 1 ), entstand im friihen 17. Jh. (J. 
Lippius 1612, H.Baryphonus 1630), setzte sich aber 
erst im 18. Jh. (J.-Ph. Rameau 1722) gegeniiber der Vor- 
stellung durch, daB der (General-)BaB auch als Trager 
von Sextakkorden das Fundament der Zusammenklan- 



ge bilde. - Rameau sah in der Partialtonreihe (C c g 
c 1 e 1 g 1 ... = 1:2:3:4:5:6 ...) das Naturvorbild 
des Dur-Dr.s; fiir den Moll-Dr. aber fehlt ein physi- 
kalisches Modell. LaBt man dennochauBer der Quinte 
nur die groBe Terz, aber nicht die kleine, als »direkt 
verstandliches« (in der Partialtonreihe unmittelbar auf 
den Grundton bezogenes) Intervall gelten (M.Haupt- 
mann), so kann man den Moll-Dr. als bloBe Variante 
des Dur-Dr.s oder als Dr. mit doppeltem Grundton (f 
neben d in d-f-a) deuten. In der Theorie des harmoni- 
schen -*■ Dualismus besteht nach A.v.Oettingen der 
Dur-Dr. (ci-e^g 1 ) aus Obertonen eines gemeinsamen 
Grundtons (C) und der Moll-Dr. umgekehrt aus 
Grundtonen (d-f-a) eines gemeinsamen Obertons 
(a 3 ). H.Riemann konstruierte als Analogon zur Ober- 
tonreihe eine (fiktive) Untertonreihe (a^ a 1 d 1 a f d . . . ) 
und erklarte den obersten Ton (a) des Moll-Dr.s (d-f-a) 
zu dessen harmonischem Zentrum. 
Lit.: M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Me- 
trik, Lpz. 1853, 21873; A. v. Oettingen, Harmoniesystem 
in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz. 1866, Lpz. 2 1913 
als: Das duale Harmoniesystem; C. Stumpf, Konsonanz 
u. Konkordanz, = Beitr. zur Akustiku.Mw. VI, Lpz. 1911; 
H. Riemann, Ideen zu einer Lehre v. d. Tonvorstellungen, 
JbP XXI, 1914 - XXII, 1915; ders., Neue Beitr. zu einer 
Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP XXIII, 1916; Riemann 
MTh ; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1 948) ; C. 
Dahlhaus, War Zarlino Dualist?, Mf X, 1957 ; J. A. Mor- 
ton, Numerical Orders in Triadic Harmony, Journal of 
Music Theory IV, 1960; E. Apfel, Satztechnische Grund- 
lagen d. Neuen Musik d. 17. Jh., AMI XXXIV, 1962. CD 

Dresden. 

Lit.: M. Furstenau, Beitr. zur Gesch. d. kgl. sachsischen 
mus. Kapelle, Dr. 1849; ders., Zur Gesch. d. Musik u. d. 
Theaters am Hofe zu Dr., 2 Bde, Dr. 1861/62; H. Mann- 
stein, Denkwiirdigkeiten d. Churfurstlichen u. Konigli- 
chen Hofmusik in Dr. im 18. u. 19. Jh., Lpz. 1863; R. 
Prolss, Beitr. zur Gesch. d. Hoftheaters zu Dr., Erfurt 
1879; O. Schmid, Musik am sachsischen Hofe, 10 Bde, 
Lpz. 1905;ders., Die sachsische Staatskapelle in Dr. 1548- 
1 923 u. ihre Konzerttatigkeit, Dr. 1 924 ; H. v. Brescius, Die 
Kgl. Sachsische mus. Kapelle v. ReiBiger bis Schuch, Dr. 
1898; R. Haas, Beitr. zur Gesch. d. Oper in Prag u. Dr., 
Neues Arch, f . Sachsische Gesch. XXXVII, 1916; Musik in 
d. kath. Hofkirche zu Dr., hrsg. v. d. Ges. zur Erhaltung u. 
Fdrderung d. Musik in d. kath. Hofkirche zu Dr., Dr. 1929 ; 
P. Adolph, Vom Hof- zum Staatstheater, Dr. 1932; W. 
Gurlitt, Joh. Walter ..., Luther-Jb. XV, 1933; R. Eno- 
lander, Die Instrumental-Musik am Sachsischen Hofe 
unter Friedrich August III. u. ihr Repertoire, Neues Arch, 
f . Sachsische Gesch. LV, 1934 ; ders., Die Dresdner Instru- 
mentalmusik in d. Zeit d. Wiener Klassik, = Uppsala Uni- 
versitets Arsskrift V, 1956; ders., Die erste ital. Oper in 
Dr., STMf XLIII, 1961 ; O. Funke, Fs. zur Jahrhundert- 
feierd. Dr.erOper 1834-1934, Dr. 1934; G. Pietzsch, 125 
Jahre Opernschaffen in Dr., Mk XXX, 1938; F. Kummer, 
Dr. u. seine Theaterwelt, Dr. 1939; Dr.er Kapellbuch, 
hrsg. v. G. Hausswald, Dr. 1948; H. Schnorr, Dr., 400 
Jahre Deutsche Musikkultur, Dr. 1948 ; Fr. Busch, Aus d. 
Leben eines Musikers, Zurich 1949; R. Mauersberger, 
Dr. u. Bach, in: J. S. Bach 1750-1950, hrsg. v. G. HauB- 
wald, Dr. 1950; W. Virneisel, Zur Gesch. d. Bachpflege 
in Dr., ebenda; I. Becker-Glauch, Die Bedeutung d. Mu- 
sik f. d. Dr.er Hoffeste, = Mw. Arbeiten VI, Kassel 1951 ; 
Fr. v. Schuch, R. Strauss, E. v. Schuch u. Dr. Oper, Dr. 
(1952), 21953; F. v. Lepel, KurzgefaBtes Dr.er Musiklexi- 
kon, Bin (1953); K. Laux, Bausteine zu einer Dr.er Mg., 
Wiss. Annalen V, 1956; E. H. Hofmann, Capella Sanctae 
Crucis, Bin 1956, 21957 ; K.-H. Kohler, Die Triosonate bei 
d. Dr.er Zeitgenossen J. S. Bachs, Diss. Jena 1956, maschr. ; 
E. Schmidt, Der Gottesdienst am kurfiirstlichen Hofe zu 
Dr., = Veroff. d. ev. Ges. f. Liturgieforschung XII, Gottin- 
gen u. Zurich 1961 ; W. Becker, Die deutsche Oper in Dr. 
unter d. Leitung v. C. M. v. Weber 1817-26, =Theater u. 
Drama XXII, Bin (1962). 

Drive (cbaiv, engl., antreiben, hetzen), metrisch- 
rhythmische Intensitat, die fiir die mitreifiende Dyna- 



242 



Duisburg 



mik im Jazzmusizieren wesentlich ist und durch das 
Uberlagern von -*■ Beat und Off-beat zustande kommt. 
Die Qualitat einer Band wird haufig nach ihrem Dr. 
beurteilt. 

Drum (diAm, engl.), Trommel; im Jazz bezeichnet 
dr.s, haufig auch dr. set (Trommelsatz, frz. batterie), 
das -> Schlagzeug, das in einer gewissen gleichbleiben- 
den Anordnung um einen Spieler (Schlagzeuger; engl. 
drummer) gruppiert ist. Es besteht hauptsachlich aus 
groBer und kleiner Trommel, Cow-bell (Kuhglocke), 
Wood block (Holzblock), Tom-tom und Becken ver- 
schiedener GrbBe. 

Dualismus, eine Theorie, die annimmt, daB im Dur- 
dreiklang (c-e-g) der unterste Ton (c), im Molldrei- 
klang (A-c-e) der oberste Ton (e) das harmonische 
Zentrum (centre harmonique) bilde. M.Hauptmann, 
der nur Oktave, Quinte und groBe Terz als direkt ver- 
stdndliche Intervalle gelten lieB, deutete 1853 den Dur- 
dreiklang als aktives Quint- und Terz-Haben, den 
Molldreiklang als passives Quint- und Terz-Sein eines 
Tones. Dieser Interpretation des Dur-Moll-Gegen- 
satzes - Ergebnis der dialektischen, von Hegel beein- 
fluBten Denkweise Hauptmanns - verdankt der D. 
seine Entstehung. A. v. Oettingen begriindete ihn 1866 
dahingehend, daB die Akkordtone in Dur (z. B. g 1 hi 
d 2 ) einen gemeinsamen Grundton (G), in Moll dagegen 
(z. B. d B G) einen gemeinsamen Oberton (d 2 ) haben. 
Dort sind gi h' d 2 Obertone von G, hier d B G Unter- 
tdne von d 2 . H. Riemann ubernahm v. Oettingens Be- 
zeichnungsweise des Dur- und Molldreiklangs (z. B. 
g + furg-h-d, °dfiir d-b-g), setzte sichjedoch nicht wie 
dieser fur die Einfiihrung des reinen Mollgeschlechts 
(als Spiegelbild des reinen Durgeschlechts) in die Mu- 
sikpraxis ein. Nach anfanglichem Glauben an die psy- 
chologische, zeitweise sogar an die akustische Realitat 
der -»■ Untertone, kam er spater unter dem EinfluB der 
Tonpsychologie C.Stumpfs ganz davon ab, im akusti- 
schen Phanomen der Partialtone eine natiirliche Erkla- 
rung der beiden Dreiklange zu suchen. Statt dessen 
fiihrte er 1905 den Unterschied zwischen Dur und Moll 
darauf zuriick, dafi die Durkonsonanz in den einfachsten 
Verhdltnissen der Steigerung der Schwingungsgeschwindig- 
keit ihr Wesen hat, die Mollkonsonanz dagegen auf den 
einfachsten Verhdltnissen der Vergrofierung der schwingen- 
den Masse (Schallwellenlange . . .) beruht. Der D. fand 
seine Vollendung (und Ubersteigerung) im Polarismus 
S. Karg-Elerts, der, wie vor ihm schon v. Oettingen, 
auch die 3 Hauptfunktionen beider Tongeschlechter in 
die Spiegelbildlichkeit einbezog und - der musikali- 
schen Praxis teilweise zuwider - entsprechend umbe- 
nannte, z. B. in C dur Contra(domina)nte = f-a-c, da- 
gegen in F moll Contra(domina)nte = g-es-c. 
Lit. : M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Me- 
trik, Lpz. 1853, 21873; A. v. Oettingen, Harmoniesystem 
in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz. 1866, Lpz. 21913 
als: Das duale Harmoniesystem; H. Riemann, t)ber d. 
mus. Horen, Diss. Gottingen 1873, Lpz. 1874 als: Mus. 
Logik; ders., Mus. Syntaxis, Lpz. 1877; ders., Das Pro- 
blem d. harmonischen D., Lpz. 1905; Riemann MTh; S. 
Karg-Elert, Akustische Ton-, Klang- u. Funktionsbe- 
stimmung, Lpz. 1930; ders., Polaristische Klang- u. To- 
nalitatslehre, Lpz. 1931; C. Dahlhaus, War Zarlino 
Dualist?, Mf X, 1957; D. Jorgenson, A Resume of Har- 
monic D., MLXLIV, 1963 ; P. Rummenholler, M. Haupt- 
mann als Theoretiker, Wiesbaden 1963. 



Ductia (kt.) -»■ Estampie. 

Dudelsack-*- Sackpfeife. 

due (ital., zwei), a due (frz. a deux), a 2, zu zweien, 
zeigt in Orchesterpartituren an, daB zweifach besetzte 
Instrumente (z. B. Floten, Oboen, Klarinetten), die auf 
einem System notiert sind, dasselbe zu spielen haben. 



Diisseldorf. 

Lit.: G. Wimmer, Theater u. Musik in D., Fs. zur 600- 
Jahrfeier d. Stadt D., 1888; Fr. Walter, Gesch. d. Thea- 
ters u. d. Musik am kurpfalzischen Hofe, = Forschungen 
zur Gesch. Mannheims ... I, Lpz. 1898; J. Alf, Gesch. u. 
Bedeutung d. Niederrheinischen Musikfeste, in: D.er Jb. 
XLII/XLIII, 1940/41 ; Jb. 106. Niederrheinisches Musik- 
festin D. u. ff., hrsg. v. J. Alf, D. 1951ff.; Beitr. zur Mg. d. 
Stadt D., hrsg. v. K. G. Fellerer, = Beitr. zur rheinischen 
Mg. I, Koln u. Krefeld 1952; G. Croll, Zur Vorgesch. d. 
»Mannheimer«, Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Musikge- 
schichtliches aus Rapparinis Johann-Wilhelm-Ms., Mf 
XI, 1958. 

Duett (ital. duetto, Diminutiv von duo), ein Gesangs- 
stiick f iir zwei gleiche oder ungleiche Singstimmen mit 
Begleitung eines oder mehrerer Instrumente. Die im 
18. Jh. D. genannten Instrumentalstucke werden heute 
meist als ->• Duo bezeichnet. Von den 2st. Vorlaufern 
im 16. Jh. (-> Bicinium, Canzone, Duo, Madrigal, 
Motette) sind die D.e deutlich durch den GeneralbaB 
und die aus ihm herausgebildeten Arten der Begleitung 
getrennt. Die Bezeichnung D. trat nicht gleichzeitig 
mit der Sache auf. Bis weit ins 17. Jh. kennzeichnete 
man die Form (Canzone, Madrigal, Scherzo), die An- 
zahl der Stimmen (a due voci; a due tenori) oder der 
Personen (Due Ninfe sole in Caccinis Euridice) oder 
kombinierte die Benennung der Form mit der Angabe 
der Stimmenzahl (Arte musicali a una, a due, a tre voci, 
Frescobaldi 1630). Wahrend in der Oper erst im 18. 
Jh. die Bezeichnung D. zur Regel wurde, erscheint sie 
in Kantaten 1651 (B. Strozzi, Cantate, Ariette e Duetti) 
und in Kammer-D.en 1677 (M.Cazzati, Duetti per 
camera). - In der Oper steht das D. seit Mitte des 17. Jh. 
nur noch gelegentlich an Aktschliissen. Im 18. Jh. er- 
hielt es in der Opera buffa (Pergolesi, La serva padrona) 
und unter deren EinfluB auch in der Opera seria wie- 
der einen festen Platz. Im 19. Jh. wurde das D. wie die 
Arie als geschlossene Form aufgelost. Das »Liebes-D.« 
aus Wagners Tristan und Isolde ist eine Szene. Doch ne- 
ben dem Wagnerschen Musikdrama blieb das D. als 
geschlossene Form bei den »Circumpolaren« (Kroyer) 
erhalten; in der italienischen Oper erhielt es eine be- 
deutende Aufgabe (Verdi, Rigoletto). Das Wiederauf- 
leben der Nummernoper im 20. Jh. festigte die Stel- 
lung des D.s in der Opernform. - Aus den 2st. Con- 
tinuomadrigalen entwickelte sich im 17. Jh. das Kam- 
mer-D. Neben dem -+ Dialog (Fr. Rasi, Dialoghi rappre- 
sentativi, 1620) bildeten sich verschiedene Formen der 
Zweistimmigkeit heraus, die dann in den Kammer-D .en 
verbimden wurden: Wechselrede und 2st. Vokalsatz, 
polyphone und homophone Struktur, bloBe General- 
baBbegleitung und Hinzufiigung von obhgaten In- 
strumenten. Den Hohepunkt dieser Gattung bilden die 
Kammer-D.e A. Steffanis, die vorbildhch f iir das friihe 
18. Jh. wurden. - DaB das gesellige Lied sich gern der 
Zweistimmigkeit bedient, bedarf keiner Begriindimg. 
Doch konnen Lied-D.e auch das Niveau der Vortrags- 
lieder des 19. Jh. erreichen (Schumann, Er und Sie, op. 
78, 2; Brahms, op. 20). Andererseits verleugnen sie 
nicht die asthetische Problematik, das Aufgesetzte der 
2. Stimme, solcher erweiterten Sololieder. 
Ausg.: Alte Meister d. Bel canto. Ital. Kammerd. d. 17. u. 
18. Jh., hrsg. v. L. Landshoff, Lpz. 1927. 
Lit. : E. Schmitz, Zur Gesch. d. ital. Continuo-Madrigals 
im 17. Jh., SIMG XI, 1909/10; ders., Zur Gesch. d. ital. 
Kammerd. im 17. Jh., JbP XXIII, 1916; Th. Kroyer, Die 
circumpolare Oper, JbP XXVI, 1919. HK 

Duisburg. 

Lit.: Beitr. zur D.er Theatergesch., hrsg. v. O. C. A. zur 
Nedden, D. 1953ff.; Fr. Meyer-Todten, D. als Musik- 
stadt in Vergangenheit u. Gegenwart, D.er Forschungen 
III, D. 1960; Beitr. zur Mg. d. Stadt D., hrsg. v. G. v. Ro- 



16» 



243 



Dulcimer 



DEN U. FR. MeYER-ToDTEN, 

XXXVII, Koln 1960. 



■ Beitr. zur rheinischen Mg. 



Dulcimer (d'Alsimai, engl.) ->-Hackbrett. 

Dulzian, - 1) Name eines Doppelrohrblattinstru- 
ments, das in der altfranzosischen Literatur bis um 1500 
doucaine heifit, bei Tinctoris 1486 dulcina (mit 7 vor- 
derstandigen Grifflochern und einem Daumenloch) 
genannt und als tibia imperfecta der Schalmei gegen- 
iibergestellt wird. Als volkstiimliches Schalmeiinstru- 
ment ohne Lippenstiitze lebt die Dulzaina in Spanien 
bis in die Gegenwart fort. - Um 1500 tritt in Ober- 
italien der Name dolzaina auf. Bei Zacconi 1592 hat 
die Dolzaina 8 Griff locher (Umfang c-d 1 , mit Klappen 
2-3 Tone mehr). Um 1600 ist D. in Deutschland ein 
Name fur das Fagott, bei Praetorius 1619 auch fur den 
Sordun. G.B.Buonamente veroffentlichte (1636) ei- 
ne Canzon a 2. Canon Violino & dolzaina d Basso da 
brazzo. - 2) In der Orgel ist D. (Dolcian, Dolcan) eine 
sanfte, leicht naselnde Zungenstimme zu 16' und 8' 
mit zylindrischem langem Becher und meist kurzem 
konischem Unterteil. Sie kommt vom 16. bis ins 19. 
Jh. vor und neuerdings wieder seit der Reform durch 
die Orgelbewegung. D. wird auch als konische und 
zylindrische streichende Labialstimme (Dulzflote) ge- 
baut, zu 8' oder 4', als trichterformige offene Stimme 
(Dolkan, Tolkan, Dulzain, Dolcan - Nikolaus Maas -) 
und offene Trichterflote. 

Lit.: zu 1): L. Zacconi, Prattica di musica . . ., Venedig 
1592, 2 1596; Praetorius Synt. II; C. Sachs, Doppione u. 
Dulzaina. Zur Namensgesch. d. Krummhorns, SIMG 
XI, 1909/10, dazu u. a. G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. 
mit Windkapsel, AfMw VII, 1925; F. Brucker, Die Blas- 
instr. in d. altfrz. Lit., = Giessener Beitr. zur Romanischen 
Philologie XIX, GieBen 1926; J. A. Donostia u. J. To- 
mas, Instr. de musica popular espariola, AM II, 1947; A. 
Baines, Fifteenth-Cent. Instr. in Tinctoris »De Inventione 
et Usu Musicae«, The Galpin Soc. Journal III, 1950; A. 
Reimann, Studien zur Gesch. d. Fag., Diss. Freiburg i. Br. 
1956, maschr. 

Dumka (Deminutivum zu ukrainisch duma, Gedan- 
ke, Volkslied ; Mehrzahl dumki) ist das ukrainische und 
polnische lyrische und epische Volkslied, auch die 
Volksballade. Zu ihren Merkmalen gehoren starke 
Mollfarbung, langsames Tempo und ein dementspre- 
chend elegisch-sentimentaler Ausdruck. Die D. fand 
auch in die Instrumentalmusik vor allem slawischer 
Komponisten Eingang; bedeutend ist Dvoraks Kla- 
viertrio op. 90, das Dumky-Trio (1891), in dessen 6 
Satzen entsprechendes Melodiengut verarbeitet ist, wie 
schon in seinen Klavierstiicken D. op. 35 (1876) und 
D. und Furiant op. 12 (1884). Beachtenswert ist auch 
die D. im Intermezzo »Traum des jungen Landmanns« 
vor Ende des 1. Aktes in Mussorgskijs unvollendeter 
Oper Sorotschinskaja jarmarka (»Der Jahrmarkt von 
Sorotschinzy«). 

Ausg. : Pesni i dumy Sowjetskoj Ukrainy (»Lieder u. Balla- 
den d. Sowjet-Ukraine«), hrsg. v. G. Litwak, Moskau 
1940, mit einer Abh. v. M. Rylskij21951. 
Lit.: Dm. M. Rewuzkij, Ukrainski dumy ta pisni isto- 
rytschni (»Ukrainische Balladen u. hist. Lieder«), Kiew 
1919, Charkow 21930; Ukrainska radjenska Enzyklo- 
pedija (Ukrainische Enzyklopadie), Bd IV, hrsg. v. d. 
Akad. d. Wiss., Kiew (1961), Artikel Diimka. 

Duo (lat. zwei; ital. due) bezeichnet sowohl vokale 
als auch unterschiedhch gebildete instrumentale Stiicke 
und bezieht sich auf die Anzahl der Spieler (D. fur 2 
Fl.; D. fur Kl. vierhandig), der Stimmen (C.Ph.E. 
Bach, D. contrapuncto fur Kl.) oder der Melodiestim- 
men (D. . . . bedeutet instrumentaliter eine Composition 
von 2 Singe-Stimmen, welche von einem G. B. als der 
dritten Partie begleitet wird, Walther 1732). Bei der Trio- 



sonate wird manchmal der GeneralbaB nicht mitge- 
zahlt (Joh.Ph.Krieger, 12 Sonate a 2), meist aber in die 
Zahlung eingeschlossen (A.Corelli, Sonate da Camera a 
tre). Wie das Zahlverfahren wechselt auch die Bezeich- 
nung fur gleichgeartete Stiicke: Telemanns op. 2 wird 
in den Quellen als Sonates sans basse, a deux Flutes tra- 
verses, aber auch als Six Sonatas or Duets for two German 
Flutes und als Duetto a due Flauti a traverso bezeichnet; 
die gleich gebauten Stiicke op. 5 tragen u. a. den Titel 
VI Sonates en D. a Flutes traverses. Auch das 2st. Mu- 
sikstiick fur ein Instrument kann D. oder -»■ Duett 
heifien (J.S.Bach, 4 Duette aus dem III. Teil der Cla- 
vieriibung). Die Bezeichnungen Sonate, Duett und D. 
werden bis zum Ende des 18. Jh. synonym gebraucht. - 
Einige Motetten des 14. Jh. beginnen mit teilweise 
langen 2st. Einleitungen (Machaut, Motette Nr 21). 
Diese 2st. Partien werden in Motetten und Messen 
des 15. Jh. zu selbstandigen Teilen ausgebildet und oft 
D. genannt. Ob der friihe Beleg Dui - Chorus bei Ci- 
conia schon D. als Bezeichnung fur die Zahl der Stim- 
men verwendet oder auf den Gegensatz chorisch - soli- 
stisch (wie das parallel gebrauchte Unus - Chorus nahe- 
legt) hinweist, ist schwer zu entscheiden. Von Dufay, 
Dunstable, Ockeghem, Josquin wird D. als Bezeich- 
nung der Stimmenzahl verwendet. Selten kommt 
Gemel (->■ Gymel) vor. Im 16. Jh. steht D. neben Bi- 
cinium (P. de la Rue, Gombert, Clemens non Papa, bei 
dem analog trio gebildet wird). Auf synonymen Ge- 
brauch weist der Titel Bicinia sive d. (1553). Am Ende 
des Jahrhunderts taucht D. auch als Bezeichnung fiir 
instrumentale Stiicke auf, die neben vokalen aufge- 
zeichnet wurden (Whythorne, D.s or Songs for 2 voices, 
1590). Fiir Instrumentalstiicke ist allerdings bis ins 
friihe 18. Jh. der Ausdruck D. ungebrauchlich. Stiicke 
fiir 2 Melodieinstrumente hiefien Air (Ayre), Capriccio, 
Divertimento, Fantasia (besonders in England), am 
haufigsten Sonata, wobei entweder die Anzahl der 
beteiligten Instrumente angegeben (Sonata a due istro- 
menti) oder diese aufgezahlt werden (Suonateper camera 
a Violino, e Violoncello von B.Laurentius 1691). L.Ros- 
sis Sonata in dialogo (1613) schlieBt im Titel an die Dia- 
logkomposition der Monodisten an ; Joh. Schenk wahl- 
te fiir seine D.s fiir 2 Sologamben einen Phantasietitel 
(Le nymphe di Rheno, um 1700). K.Fr.Riecks Bezeich- 
nung Duetto a Oboe e Violino (Ende des 17. Jh.) diirfte 
in Anlehnung an das vokale Kammerduett (->■ Duett) 
gebildet sein. Wahrend die Gewohnheit, die Stiicke 
Sonate zu nennen, bis ins 20. Jh. reicht, verschwanden 
die anderen Bezeichnungen allmahlich, und es wurden 
2st. Stiicke oder solche fiir 2 Spieler in England meist 
Duet, in Frankreich meist D., in Deutschland D. oder 
Duett genannt. D.s fiir mannigfaltige Besetzungen, 
mit Vorliebe fiir 2 Violinen, 2 Flbten oder Violine und 
Flote, schrieben die Komponisten der Mannheimer 
Schule sowie C. Ph. E. und W. Fr. Bach. Von ersteren 
sind auch Duette fiir 2 Claviere uberliefert, von W.Fr. 
Bach ein Duetto (Sonata in F major fiir 2 Kl.). Der spa- 
tere Brauch, sowohl Stiicke fiir Klavier vierhandig als 
auch fiir 2 Klaviere D. bzw. Duett zu nennen, hat hier 
seine Wurzeln. Auch Stiicke fiir ein Melodieinstru- 
ment und Klavier wurden gelegentlich statt Sonate D. 
bzw. Duett genannt (C. Ph. E. Bach, Duetto a Cembalo 
obligato e Violino, 1731), doch setzte sich diese Bezeich- 
nung nicht durch. Am Ende des 18. Jh. stieg die Anzahl 
der originalen D.-Kompositionen wie der Arrange- 
ments fiir D. (von Opern, Kirchenmusik, Kammer- 
musik) erheblich; der Pariser Musikverleger Sieber 
verdoppelte sein Angebot an D.s in 20 Jahren, und der 
1796 erschienene Katalog von Imbault zahlt neben vie- 
len originalen D.s fiir mannigfache Instrumentenkom- 
binationen (Streicher, Blaser und vermischt) 155 Ar- 



244 



Dur 



rangements von Ouverturen fiir 2 Violinen, 73 fiir 2 
Floten und 46 fiir 2 Klarinetten auf. Wahrscheinlich 
hat diese Flut franzosischer Drucke mit D.-Kompo- 
sitionen zur Festigung der Bezeichnung D. gegeniiber 
Duett in Deutschlandbeigetragen. Von Mozart, Haydn, 
Beethoven und Schubert sind einige D.s bekannt, fer- 
ner vor allem von Violinvirtuosen wie Pleyel, Viotti 
und Spohr; J. Offenbach schrieb D.s fiir 2 Violoncelli. 
Auch Kompositionen fiir 2 Klaviere (Czerny, Dussek, 
H.Herz, Kalkbrenner, Moscheles) und Klavier vier- 
handig (Hiinten, Marschner, Onslow werden haufig 
D. genannt. Im 20. Jh. komponierten D.s u. a. Reger, 
Bartok, Hindemith und Strawinsky (D. concertant). 
Die Bezeichnung Duett ist manchmal als Diminutiv 
gemeint (Bartok), aber nicht immer, wie die Verwen- 
dung des Diminutivs von Duett, Duettino, zeigt (E. 
Walker, Six Duettinis; Busoni, Due tino Concertante). 
Lit.: WaltherL; A. Einstein, Zur deutschen Lit. f. Va da 
Gamba im 16. u. 17. Jh., BIMG II, 1, Lpz. 1905; H. Rie- 
mann, Mannheimer Kammermusik d. 18. Jh., 2. Teil: 
Trios u. D., = DTB XVI, Lpz. 1915; L. de La Lauren- 
cie, L'dcole frc. de violon de Lully a Viotti, 3 Bde, Pa- 
ris 1922-24; E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17. 
Jh. in Nord- u. Mitteleuropa, = Heidelberger Studien zur 
Mw. II, Kassel 1934; ders., Die Vorherrschaft d. Instru- 
mentalmusik im nld. Barock, TVer XV, 1939; O. Gom- 
bosi, Violinduette im 15. Jh., AMI IX, 1937 ; W. Altmann, 
Verz. v. Werken f . K.1. vier- u. sechshandig, sowie f . zwei u. 
mehr Kl., Lpz. 1943; ders., Kammermusik-Kat. Ein 
Verz. v. seit 1841 veroffentlichten Kammermusikwerken, 
Lpz. 6 1945; H. Moldenhauer, Duo-Pianism, Chicago 
(1950); H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; 
Cl. Sartori, Bibliogr. della musica strumentale ital. 
stampata in Italia fino al 1700, = Bibl. di bibliogr, ital. 
XXIII, Florenz 1952; C. Johansson, French Music Pu- 
blisher's Cat. of the Second Half of the 18 th Cent., Faks., 
Stockholm 1955 ; D. Kamper, Das Lehr- u. Instrumental. 
uml500inItalien,Mf XVIII, 1965. HK 

Duodezjme (lat. duodecima), die Oktave der Quinte. 

Duole (ital., Zweier; frz. duo- 
let), eine fiir 3 Noten eintreten- 
de Figur von 2 Noten gleicher 
Form. In neuerer Zeit wird sie 
(weniger gut) auch wie im 2. Bei- 
spiel notiert. Vor 1800 selten, ist 
die D. im 19. Jh. charakteristisch 
fiir das Bestreben Schuberts, 
Brahms' und vor allem Bruckners, die Melodik vom 
Gleichmafi des Taktrhythmus zu befreien. 

Dupla (lat.), Bezeichnungsfragment von Proportio 
d. (->■ Proportion - 2; -*■ Diminution - 1). 

Duplex longa (lat.) ->Maxima. 

Duplum (lat.) heiBt die Gegenstimme des Cantus im 
(2st.) Organum purum (auch organum d. oder orga- 
num in duplo) sowie die 2. Stimme im (3st.) Organum 
triplum und (4st.) Organum quadruplum der Notre- 
Dame-Epoche. Das textierte D. einer zur Motette ver- 
wandelten Klausel wird motetus genannt. -> Meane. 

Dur (von lat. durum, hart). Die Theorie der Griechi- 
schen Musik bezeichnet seit Aristoxenos verschiedene 
Arten eines Tongeschlechts als »schlaff« (ptaXa>c6v) und 
»tonig« oder »gespaimt« (toviouov, crivrovov). So 
lauten die Intervalle eines Tetrachords (das fiir Aristo- 
xenos aus 30 gleichen Teilen besteht) im »schlafEen 
Chroma« 22-4-4, im »tonigen Chroma« 18-6-6, in 
der »schlaflen Diatonik« 15-9-6, in der »gespannten 
Diatonik« 12-12-6; d. h. die »schlaffe« Art bevorzugt 
starker unterschiedene, die »tonige« oder »gespannte« 
ausgeghchene Intervalle. Unter diesem Gesichtspunkt 
lassen sich auch die Tongeschlechter so gruppieren. 




daB die Enharmonik (24-3-3) das »schlaffste«, die 
Chromatik »schlaffer« als die »gespanntere« Diatonik 
ist; Boethius (I, 21, nach Ptolemaios I, 12-16) fiihrt in 
diesem Zusammenhang die Unterscheidung dur (Dia- 
tonik) und moll (Chromatik) ein. Fiir die Diatonik ist 
der Ganzton charakteristisch, fiir die Chromatik der 
Halbton. Der mittelalterlichen Boethius-Nachfolge 
gait jener als »hart«, dieser als »weich«. Die Bezeich- 
nung h durum fiir h und b molle fiir b geht darauf zu- 
riick, daB h mit dem darunterliegenden a einen »har- 
ten« Ganzton, b mit a einen »weichen« Halbton bildet. 
Dieses wurde der »weichen« Chromatik zugerechnet, 
jenes der »harten« Diatonik. Nach dem Vorkommen 
von h durum im Hexachord g-e hieB dieses hexachor- 
dum durum (cantus durus), das Hexachord f-d mit 
b molle hingegen hexachordum molle (cantus mollis). 
Adam von Fulda (15. Jh.) unterschied zwischen duralen 
und mollaren (sowie naturalen) Hexachordstufen, 
d. h. solchen, die wie h durum einen Ganzton unter 
sich und einen Halbton iiber sich haben (mi und la), 
und solchen, die wie b molle iiber sich einen Ganzton 
und unter sich einen Halbton haben (die naturalen 
Stufen re und sol sind von Ganztonen umgeben). - 
Die Entwicklung der modernen Bedeutung von D. 
wurde durch Glarean eingeleitet, der 1547 (Dodeka- 
chordon) auBer dem Aolischen (bzw. Hypoaolischen) 
auf A als 9. (bzw. 10.) Modus das Ionische (bzw. Hy- 
poionische) auf C als 11. (bzw. 12.) Modus den 8 Kir- 
chentonarten anfiigte. Dieser war vorher nur als 5. 
Kirchenton (mit \>) moglich gewesen - transponiert 
konnte er auch von C aus begonnen werden. Glarean 
unterstrich die Beliebtheit des Ionicus und dessen be- 
sondere Eignung fiir Tanze. Zarlino (1558) kniipfte an 
Glarean an, gab jedocb. den 12 Kirchentonen eine an- 
dere Reihenfolge, indem er mit dem auf C begann. 
Samtliche Modi teilte er in 2 Gruppen ein, in solche 
mit groBer Terz und groBer Sexte iiber der Finalis (C, 
F und G) und in solche mit kleiner Terz und kleiner 
Sexte (D, E und A), wobei er den ersteren den Vorzug 
gab. Hier macht sich der EinfluB von Zarlinos Drei- 
klangslehre bemerkbar (htitutioni III, 31). Danach be- 
ruht die Vielfalt der Harmonie nicht nur auf der Ver- 
schiedenheit zweistimmiger Zusammenklange, son- 
dern auch auf der durch Einstimmung der Terz be- 
wirkten Verschiedenheit der Harmonien (gemeint 
sind Dreiklange). Zwei Arten von Dreiklangen unter- 
scheidet Zarlino. Die eine entspricht - geht man von 
Saitenlangen aus - der harmonischen Proportion (15: 
12:10). In ihr liegt die groBe Terz unten; sie wirke 
heiter (allegra). Die andere entspricht - ebenfalls unter 
Zugrundelegung von Saitenlangen - der arithmeti- 
schen Proportion (6:5:4). In ihr liegt die groBe Terz 
oben, sie wirke traurig (mesta). Auch erscheine sie we- 
niger vollkommen als die erste, da ihre Bestandteile 
sich nicht in der natiirlichen Lage befanden (Anspie- 
lung auf die Reihenfolge der Proportionen, die nach 
spateren Feststellungen die ersten 6 Tone der Oberton- 
reihe bilden). Zarlinos Auffassung vom Dreiklang als 
einem Gebilde von zwei festen AuBentonen mit einem 
variablen Mittelton wurde von J.Lippius (Synopsis 
musicae novae, 1612) iibernommen. Den D.-Dreiklang 
nannte er Trias harmonica perfecta oder naturalis, den 
Molldrciklang Trias harmonica imperfecta oder mol- 
lis. Statt perfecta sagte man in der Folgezeit auch ma- 
jor, statt imperfecta auch minor. Bei A. Werckmeister 
(Musicalische Temperatur, 1686/87) findet sich die Be- 
zeichnung h dur, e dur, a dur, fis dur und cis dur firr 
die Tone h, e, a, fis und cis als »durale« groBe Terzen 
diatonischer Stufen; analog dazu sprach er von b moll, 
e moll und a moll, wenn er b, es und as meinte. Uber- 
haupt war es im GeneralbaB ublich, das durale (t (mi) 



245 



Dur 



und das mollare \> (fa) als Zeichen fiir grofie und kleine 
Terzen bzw. fiir die ihnen entsprechenden Dreiklange 
zu verwenden. Moglicherweise haben sich von hier aus 
die Termini D. und Moll fiir Dreiklange durchgesetzt. 
Bereits zu Beginn des 17. Jh. hatte J. Kepler {Harmonke 
Mundi . . ., 1619) iiber dem Grundton G aus der Ver- 
einigung der »harten« und »weichen« Intervalle (groBe 
Terzen und Sexten bzw. kleine Terzen und Sexten) 
mit dem Cantus durus bzw. mollis ein Genus durum 
bzw. Genus molle entwickelt, die gewissermaBen einen 
abstrakten Entwurf der modernen Tongeschlechter 
D. und Moll darstellen. Doch gebrauchte noch das 
ganze 18. Jh. den Terminus genus fiir die griechischen 
Tongeschlechter bzw. fiir das, was man damals darun- 
ter verstand. Erst das 19. Jh. sprach vom Tongeschlecht 
D. (und Moll). Beide galten seit A. Werckmeister (Die 
nothwendigsten Anmerkungen . . . , 1698) als die zwei 
einzigen Modi, die auf jeder temperierten Tonstufe er- 
richtet werden konnen. Ihre Bezeichnung als Modus 
major (und minor; WaltherL, 1732) hat sich in Frank- 
reich als mode (oder ton) majeur (und mineur) bis 
heute gehalten. - Seit Rameau (Traite de I'harmonie, 
1722) wurde es ublich, die Obertonreihe zur Ablei- 
tung des D.-Dreiklangs heranzuziehen. GemaB der 
funktionalen Harmonielehre (Riemann) kann jeder 
Ton eines Dreiklangs als dessen Vertreter aufgefaBt 
werden ; z. B. kann sowohl c als auch g oder e allein im 
Sinne des C dur-Akkordes verstanden werden. Ebenso 
konnen 2 Tone eines Dreiklangs diesen vertreten, z. B. 
c-g oder c-e, sogar e-g den C dur-Dreiklang. Auch 
bei einer Anderung der Reihenfolge der Tone, d. h. 
bei einer -*■ Umkehrung des Dreiklangs (z. B. e-g-c' 
statt c-e-g), gelten die Tone als zur einheitlichen Vor- 
stellung des Dreiklangs verschmolzen. Die D.-Skala 
(mit den Halbtonen zwischen der 3. und 4. sowie 7. 
und 8. Stufe) gilt seit Rameau (Nouveau systeme de mu- 
sique theorique et pratique, 1726) als horizontale Entfal- 
tung der drei funktionalen Grundharmonien jeder 
Tonart, des Tonika-, Dominant- und Subdominant- 
dreiklangs; z. B. in C dur: 
Es ist daher moglich, eine in 
der Tonart bleibende (nicht- 
modulierende) Melodie mit 
diesen 3 Hauptakkorden zu 
harmonisieren. Dennoch ver- Dominante 

zichtet schon das 18. Jh. nicht auf leiterf remde Tone. Ihr 
Uberhandnehmen verwischte bis Ende des 19. Jh. den 
Unterschied zwischen D. und Moll mehr und mehr. 
Die Vorrangstellung des Dreiklangs (D. und Moll) war 
schon in Wagners Tristan (abgeschlossen 1859) ge- 
brochen. Im 20. Jh. wandten sich auch die Kompo- 
nisten tonaler Musik von der D.-Moll-Vorstellung 
wieder ab. Die - noch von Hindemith vorgenomme- 
ne - Ableitung des D.-Dreiklangs aus der Obertonreihe, 
wodurch seine Naturgegebenheit bewiesen sein soil, 
steht im Widerspruch zu der Tatsache, daB dieser 
(wenn iiberhaupt) nur eine Auswahl von Teiltonen dar- 
stellt und sein musikalischer Vorrang zeitlich begrenzt 
ist. Auch sind weder D. noch Moll musikalische Ur- 
phanomene, sondern Ergebnis eines geschichtlichen 
Prozesses mit fixierbarem Anf ang und Ende. 
Lit.: Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital. hrsg. 
v. R. Da Rios, Rom 1954; Die Harmonielehre d. Klaudios 
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogskolas 
arsskrift XXXVI, 1, 1930, dazu ebenda XL, 1, 1934 (deut- 
sche t)bers.) ; G. Zarlino, Istitutioni harmoniche, Venedig 
1558, Faks. d. 1. Auflage, = MMMLF I, 1, NY (1965); 
J.-Ph. Rameau, Traite de I'harmonie, Paris 1722; ders., 
Nouveau systeme de musique theorique, Paris 1726; 
WaltherL; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonemp- 
nndungen ..., Braunschweig 1863, 6 1913; A. v. Oettin- 
gen, Harmoniesystem in dualer Entwickelung, Dorpat u. 



Subdominante 




Lpz. 1866, 2 1913 als: Das duale Harmoniesystem; A. 
Thurlings, Die beiden Tongeschlechter u. d. neuere mus. 
Theorie, Bin 1877; Riemann MTh; F. Busoni, Entwurf 
einer neuen Asthetik d. Tonkunst, Triest 1907, Lpz. 2 1916, 
Wiesbaden 1954; R. Mayrhofer, Der Kunstklang I, Das 
Problem d. Durdiatonik, Wien 1910; A. Schonberg, Har- 
monielehre, Wien 1911, "1960, engl. NY 1947; H. J. Mo- 
ser, Die Entstehung d. D.-Gedankens, ein kulturgeschicht- 
liches Problem, SIMG XV, 1913/14; J. C. Jeannin OSB, 
Etude sur le mineur et le majeur dans un certain nombre 
de systemes mus., RMI XXII, 1915; H. Pfitzner, Futuri- 
stengefahr, Munchen u. Lpz. 1917; H. Erpf, Studien zur 
Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 1927; 
P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz, I Mainz 1937, 
2 1940, II Mainz 1939, engl. als: Craft of Mus. Composition, 
I London 1942, II 1941; E. Kurth, Musikpsychologie, 
Bern 1947; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich 
(1948) ; R. Dammann, Zur Musiklehre d. A. Werckmeister, 
AfMw XI, 1954; C. Dahlhaus, Die Termini D. u. Moll, 
Af Mw XII, 1955 ; ders., Eine deutsche Kompositionslehre 
d. fruhen 16. Jh., KmJb XL, 1956; P. Beyer, Studien zur 
Vorgesch. d. D.-Moll, Kassel 1958; E. Apfel, Die klang- 
liche Struktur d. spatma. Musik als Grundlage d. D.-Moll- 
Tonalitat, Mf XV, 1962; ders., Spatma. Klangstruktur u. 
D.-Moll-Tonalitat, Mf XVI, 1963. ESe 

Durchbrochene Arbeit (durchbrochener Stil) kenn- 
zeichnet als kompositionstechnischer und stilgeschicht- 
licher Begriff (besonders seit H. Riemann und G.Ad- 
ler) die Verteilung einer in ihre Motive auf gegliederten 
Melodie auf mehrere Stimmen, wie in Beethovens 
Streichquartett op. 131 Cis moll, 4. Satz (Andante, ma 
non troppo e molto cantabile) : 

_2_ 




7 fff ' L 

Die D. A. ist eine Synthese alteren kontrapunktischen 
Denkens und neuerer homophoner Setzweise, in der 
eine Hauptstimme die Fiihrung hat. Ihre Entstehung 
hangt aufs engste mit dem ->- Obligaten Akkompagne- 
ment zusammen und ist wie dieses ein wesentliches 
Charakteristikum des Wiener klassischen Instrumen- 
talsatzes. Ein erster Hohepunkt fiir D. A. ist die Kam- 
mermusik und Symphonik Haydns und besonders 
Mozarts (G moll-Symphonie, K.-V. 550, 1. Satz, 2. 
Thema, 2. Satz, Anf ang ; »Jupiter«-Symphonie, C dur, 
K.-V. 551, 3. Satz, Trio). Zu letzter Vollendung fiihrte 
sie Beethoven (z. B. Eroica, 1. Satz, 2. Thema), dessen 
Instrumentalsatz fiir das 19. Jh. richtunggebend gewor- 
den ist. Uber Brahms und R. Wagner bis zu R. Strauss 
wird die D. A. in immer feinerer Aufsplitterung zu den 
iiberraschendsten und raffiniertesten orchestralen Wir- 
kungen eingesetzt. Erst in der Musik des 20. Jh. ver- 
liert die Bezeichnung D. A. ihren Sinn. Entweder hebt 
sich, mit dem Verschwinden einer tonal bezogenen, 
fiihrenden Melodie, dieses satztechnische Prinzip in 
seiner Radikalisierung selbst auf (Schonberg, Berg, 
Webern), oder es wird durch folkloristische, archai- 
sierende oder experimentelleNeuansatze iiberhaupt die 
Grundlage verlassen, auf der D. A. entstehen konnte. 



246 



Durezza 



Lit.: G. Adler, Der Stil in d. Musik I, Lpz. 1911, 21929; 
ders., Die Wiener klass. Schule, Adler Hdb. ; H. Riemann, 
GroBe Kompositionslehre HI, Bin u. Stuttgart 1913; 
ders., Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913, 21922, S. 175ff. 

Durchfuhrung (frz. developpement; engl. develop- 
ment) bedeutet Beybehaltung und stete Bearbeitung des 
Hauptgedankens in verschiedenen Wendungen und Modi- 
fikationen (KochL). Die Musiklehre des Barocks kennt 
den Begriff D. noch nicht; sie verwendet den aus der 
Rhetorik entlehnten Terminus elaboratio allgemein 
fiir die Ausarbeitung einer Komposition. J. S. Bach be- 
niitzt in diesem Sinne die verbale Form (gute inventio- 
nes) durchfuhren in seiner Auffrichtigen Anleitung (1723). 
Als tektonischer Begriff taucht D. zuerst in der Lehre 
von der Fuge auf und bezeichnet hier das Erscheinen 
des Themas als Dux oder Comes in mehreren Stim- 
men, wobei die D. vollstandig ist, wenn das Thema in 
alien Stimmen erscheint. Die Exposition der Fuge ist 
stets eine vollstandige D. - In groBereh musikalischen 
Formen bezeichnet D. den Teil der Komposition, der 
fast ausschliefilich der Entwicklung der im themati- 
schen Material enthaltenen musikalischen Ideen dient. 
D.s-Teile finden sich in Satzen, die in 2- oder 3teiliger 
Liedform geschrieben sind, ebenso wie in Rondofor- 
men und sogenannten freien Formen (z. B. in der Pro- 
grammusik). In der Sonatensatzform steht die D. als 
zentraler, kontrastierender Teil zwischen ->• Exposition 
und -»• Reprise. In diesem Teil werden die Themen- 
einheiten der Exposition in ihre motivischen Elemen- 
te zerlegt, modulierend verarbeitet, mit Hilfe kontra- 
punktischer Techniken wie Imitation, Fugato, Um- 
kehrung, Diminution und Augmentation umgeformt, 
verschieden angeordnet und dadurch zum Teil in neue 
Beziehungen zueinander gestellt. - Der D.s-Teil des 
Sonatensatzes wurde gleichzeitig mit der Reprise aus- 
gebildet. Schon bei D.Scarlatti finden sich Ansatze zu 
D.s-Teilen in einigen seiner Sonaten dort, wo im 2. 
Teil, bei der Riickmodulation von der Dominante zur 
Grundtonart, der Anfang des Stiickes Veranderungen 
unterworfen ist. Aber in der mosaikartigen Technik 
Scarlattis haben sie noch, ahnlich wie in den Fugen- 
episoden, mehr die Bedeutung des Verbindenden und 
Beigeordneten. Die Entwicklung der D. f iihrte in Ver- 
bindung mit der Ausbildung der klassischen Sonaten- 
satzform iiber C. Ph. E.Bach, die Wiener und Mann- 
heimer Schule zu J. Haydn, W. A. Mozart und Beet- 
hoven, wo die D. als kontrastierender Mittelteil voll- 
ausgebildet dasteht. Gleichzeitig wandelte sie sich von 
melodisch-spielerischer Art zu kunstvoller ErschlieBung 
und Verarbeitung, weiterhin zu dramatischer und 
poetischer, psychisch motivierter Ausdeutung der in 
den musikalischen Grundgedanken enthaltenen me- 
lodischen, rhythmischen und dynamischen Substan- 
zen. Die Lange der D. ist unbestimmt. War sie in der 
friihen Klassik noch einfach und knapp gehalten, so 
wurde sie seit Beethoven zum wichtigsten Teil des So- 
natensatzes. Die D. ist formal nicht gebunden; aus sei- 
ner kiinstlerischen Phantasie und mit den komposito- 
rischen Moglichkeiten seiner Zeit gestaltet und be- 
leuchtet der Komponist das thematische Material der 
Exposition durch Herausarbeiten von Kontrasten. 
Doch konnen auch in der D. zusammenhangende Teile 
durch langeres Festhalten an einer Tonart und Verar- 
beitung bestimmter Themenabschnitte entstehen.Di'e 
D. kann von scheinbaren Reprisen unterbrochen wer- 
den. Die Grundtonart des Werkes wird aber in der 
Regel ausgespart, um dem Eintritt der Reprise Ober- 
zeugungskraft zu sichem. Neue Themen, oft modu- 
lierend angelegt, zumindest neues motivisches Ma- 
terial, werden haufig eingefiihrt (Beethoven, 3. Sym- 
phonic; Schubert, Klaviertrio op. 100, D 929), oft nur 



als Episoden oder als melodischer Kontrapunkt zur 
Verarbeitung eines Expositionsthemas. Die vorklassi- 
schen Phantasie-D.en Schoberts, die auf weite Strecken 
kein thematisches Material der Exposition verarbeiten, 
sondern frei, improvisationsartig gebildet sind, und 
von denen W.A.Mozart stark beeinfluBt wurde, sind 
ebenso Ausnahmen wie D.en, die nur auf einem Or- 
gelpunkt aufgebaut sind (Brahms, Violinsonate op. 
108, 1. Satz). Durchfiihrungsartige Partien gibt es auch 
in Exposition, Reprise und Coda. Doch sind bestimmte 
Arten kontrapunktischer Verarbeitung, wie Diminu- 
tion und Augmentation, selbst bei Bruckner vor allem 
dem Mittelteil des Sonatensatzes vorbehalten. Hier kon- 
nen in den ProzeB der »Umcharakterisierung« (Korte) 
und Umbildung alle Themen einbezogen werden. 
Lit.: R.v. Tobel, Die Formenwelt d. klass. Instrumental- 
musik, = Berner Veroff. zur Musikforschung VI, Bern u. 
Lpz. 1935; W. Broel, Die Durchfuhrungsgestaltung in 
Beethovens Sonatensatzen, Neues Beethoven-Jb. VII, 
1937; Fr. Neumann, Der Typus d. Stufengangs d. Mo- 
zart'schen Sonatend,, Diss. Graz 1958, maschr.; W. F. 
Korte, Bruckner u. Brahms, Die spatromantische Losung 
d. autonomen Konzeption, Tutzing 1963. PA 

Durchgang (lat. transitus), durchgehende Note, heiBt 
im musikalischen Satz ein harmoniefremder Ton, der 
als verbindendes Glied zwischen die akkordeigenen 
Tone eingeschoben wird. Im Gegensatz zum -> Vor- 
halt steht er auf unbetonter Taktzeit und dient der fi- 
gurativen Ausgestaltung. In der Kontrapunktlehre 
des 16./17. Jh. gehort der D., meist unter der Bezeich- 
nung -»• Commissura, zu den fundamentalen Figuren 
beim Gebrauch der Dissonanzen. - Man spricht auch 
von »durchgehenden Harmonien«, die sinngemaB von 
den D.s-T6nen zu unterscheiden sind. 
Lit. : Ch. Koechlin, Etude sur les notes de passage, Paris 
1922. 

Durchkomponiert ist ein Lied, dessen Melodie sich 
nicht wiederholt, wie beim Volks- und einfacheren 
Kunstlied (Strophenlied), sondern durch alle Strophen 
hindurch fortgefiihrt wird. Das d.e Lied kann auf Ein- 
zelheiten des Textes eingehen, wahrend das strophi- 
sche Lied nur dem Grundgehalt oder der Stimmung 
des Gesamttextes zu entsprechen vermag. Allerdings 
fiihrt das Durchkomponieren leicht zur Vorherrschaft 
der Musik gegeniiber der dichterischen Striiktur, wes- 
halb es z. B. Goethe fiir seine Gedichte ablehnte. Die 
Vielfalt der dem Durchkomponieren moglichen mu- 
sikalischen Formen ist besonders bei Schubert zu se- 
hen. - Der Begriff wird auch auf Oper und Musikdra- 
ma angewandt in dem Sinne, daB der musikalische Ver- 
lauf nicht durch gesprochene Stellen unterbrochen wird. 

Durchstecher in der Orgel bewirken ein gedampftes 
Mitklingen von Pfeifen, die nicht erklingen sollen 
(Heuler). Der D. entsteht, wenn die KanzeUenschiede 
nicht vollig dicht sind, indem sich die Pfeifenstocke 
von den Dammen heben oder die Schleifen sich bei 
groBer Hitze oder Trockenheit werfen. Der Wind 
geht hierbei aus der durch Niederdriicken einer Taste 
geoffneten Kanzelle in die benachbarte iiber. 

Durezza (ital., Harte) bezeichnete im itahenischen 
Sprachgebrauch des 17. Jh. eine Art der Stimmfuhrung 
oder der Klangfortschreitung, die von den traditio- 
nellen Satzregeln abweicht, z. B. unvorbereitete Ein- 
fuhrung oder regelwidrige Auflosung von Dissonan- 
zen, querstandige Klangfolgen und dissonante Inter- 
valle, wie sie dann Chr. Bernhard in seinen Traktaten 
als musikahsche ->• Figuren (unter ihnen der Passus 
bzw. Saltus duriusculus) systematisch zu erfassen sucht. 
Solche Kompositionsmittel sind aus dem Madrigal be- 
kannt, wo sie z. B. bei Galilei, Marenzio und Luzzaschi 



247 



Dux 



audi bei den Wortern duro und d. auftreten; in der 
Klaviermusik wurden sie zuerst von Macque und Tra- 
baci verwendet. Ihre Benennung als D. (A.Banchieri, 
Cartella musicale, 1614, S. 103; G. d'Avello, Regole di 
musica, 1657, S. 145) und ihre auf einzelne Werke be- 
schrankte Hauf ung bei Frescobaldi (Capriccio di durezze, 
Toccata ... . di durezze e ligature) und Kerll (Toccata . . . 
cromatica con durezze e ligature) - wobei ligatura disso- 
nierende Synkopierung bedeutet - lassen erkennen, 
daB ihre »harte«, iiberraschende Wirkung bewuBt als 
Abweichen vom regularen Satz verstanden wurde. - 
Die spateren Vortragsbezeichnungen con d. oder dura- 
mente fordern eine harte, bestimmte Spielweise. 

Dux (lat., Fiihrer), Thema einer Fuge in seiner Grund- 
gestalt. Als Latinisierung von -> Guida durch Calvisius 
(Melopoeia, 1592) eingefuhrt, kann D. auch die begin- 
nende Stimme beim Kanon bezeichnen. 

Dvojnice (dv'ainitse), jugoslawische volkstiimliche 
Doppelflote (Kernspaltflote), aus einem Stuck gefer- 
tigt, mit 4 (seltener 5) Grifflbchern in der einen, 3 (4) 
in der anderen Spielrohre. Bei der einf acheren Technik 
spielen beide Hande in parallelen Griffen, so daB die 
Melodie im Sekund- oder Terzabstand verdoppelt 
wird. Durch schrages Ansetzen des Instruments kann 
ein Rohr ausgesetzt werden. 

Dynamik (von griech. Suvajit?), - 1) das Phanomen 
und die Theorie der Klang- oder Tonstarkegrade. Den 
der Philosophic seit der Antike vertrauten Terminus 
hat wahrscheinlich zuerst H.G.NageU (1810) auf die 
Musik iibertragen und damit eine Eigenschaf t des Mu- 
sikwerks bezeichnet, die bis dahin in dem groBeren 
Zusammenhang des musikalischen Vortrags gesehen 
wurde. Kann allgemein Musik als AuBerung eines im- 
manenten Kraftespiels verstanden werden, dessen Tra- 
ger primar die musikalischen Elemente - Rhythmus, 
Melodie, Harmonie - sind, so hat H. Riemann, von der 
Metrik ausgehend, zuerst die besondere Rolle des im 
engeren Verstande Dynamischen systematisch unter- 
sucht und dargestellt. Die musikgeschichthchen Epo- 
chen nehmen zum Phanomen der dynamischen Abstu- 
fung der Tone und der Klange ein wechselndes Ver- 
haltnis ein. Zahl und Prazision der Anweisungen und 
Zeichen aus dem Bereich der D. sind ein Spiegel inner- 
musikalischer Vorgange ; seit dem Barock treten sie im 
Verlauf einer zunehmenden Differenzierung des musi- 
kalischen Vortrags in Handschriften und Drucken in 
wachsender Zahl auf. Diese Bewegung kulminiert in 
der Musik der Spatromantik. - Vom Ursprung her ha- 
ben die dynamischen Hinweise einen dialektischen 
Charakter: sie bezeichnen bestimmte innermusikali- 
sche Formen und Strukturen, richten sich aber weiter- 
hin zugleich an den Interpreten, dessen Aufgabe es ist, 
diese Linien und Umrisse sinngemaB wiederzugeben. 
Die Grundwerte -> forte und -> piano fixieren, auch 
in den Steigerungsformen ff, fff, ffff und pp, ppp, 
pppp, die dynamische Ordnung eines mehr oder min- 
der umfangreichen Abschnittes oder einer Flache (Fla- 
chen- oder »Terrassen«-D.) ; einen starker gleitenden 
Wechsel der Tonstarke fordern dagegen die Evolu- 
tionsanweisungen -» crescendo und decrescendo oder 
-> diminuendo (Evolutions- oder Kurven-D.) ; die Ak- 
zentzeichen sforzato u. 5., die einen Einzelton oder 



-klang hervorheben, konnen sich auf die Metrik aus- 
wirken. Alle dynamischen Stufen sindjeweils auf einen 
ideellen Mittelwert zu beziehen, der im einzelnen von 
zahlreichen Faktoren abhangt, etwa von Instrumen- 
tentypus und Raum, von der Anzahl der Stimmen und 
der Musizierenden. Die vorbarocke Musik beruht we- 
sentlich auf dem Prinzip der auskomponierten D. 
(Satz- und Lagen-D.). Hieran ankniipfend ist dem 
Barockmusiker das Dynamische etwas Akzidentelles, 
reprasentiert im Kontrast von Solo und Tutti des Con- 
certo, sowie im -> Echo, andererseits versteht er es als 
Affektausdruck und damit als ein Element der musi- 
kalischen Rhetorik (oratorische D.). Die auf Evolution, 
Steigerung und Hohepunkt zielende Sonate und Sym- 
phonie der Klassiker bezieht das Dynamische ganz 
in ihre Formen und Strukturen ein (organische D.). 
Neuere Untersuchungen gelten dem Nachweis dyna- 
mischer Individualstile. Der Musik der Gegenwart ge- 
horen Versuche an, den Reihenbegriff auf alle Tonei- 
genschaften anzuwenden. Um das Problem serieller 
Organisation der D. haben sich besonders P. Boulez 
(1963, S. 52) und K. Stockhausen (1963, S. 162) bemuht. 
Dieser nennt die historische Basis: Im Parameter der 
Tonlautheit ist uns bis jetztjedes exaktere Proportionieren 
fremd (was die Instrumentalmusik betrifft); jener formu- 
liert : Eine genaue Kontrolle der D. lassen nur die elektro- 
akustischen Mittel zu. 

Lit.: H. Riemann, Mus. D. u. Agogik, Hbg u. St. Peters- 
burg 1884; ders., Katechismus a. Musik- Asthetik, Lpz. 
1890; ders., Die Elemente d. mus. Asthetik, Bin u. Stutt- 
gart 1900; A. Heuss, Ober d. D. d. Mannheimer Schu- 
le, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; H. Mersmann, Ange- 
wandte Musikasthetik, Bin 1926; R. E. M. Harding, 
Origins of Mus. Time and Expression, London 1938; Th.- 
M. Lanoner, Studien zur D. M. Regers, Diss. Bin 1952, 
maschr. ; W. Gerstenberg, Die Krise d. Barockmusik, 
Af Mw X, 1953 ; D. Schnebel, Studien zur D. A. Schon- 
bergs, Diss. Tubingen 1955, maschr.; I. Fellinger, Stu- 
dien zur D. in Brahms' Musik, Bin 1961 ; H. Jurisch, Prin- 
zipien d. D. im Klavierwerk Ph. E. Bachs, Diss. Tubingen 
1959, maschr.; K. Stockhausen, Musik im Raum, in: die 
Reihe V, Wien 1959, auch in: Texte I, Koln (1963) ; P. Bou- 
lez, Musikdenken heute 1 , = Darmstadter Beitr. zur 
Neuen Musik V, Mainz (1963). WG 

- 2) In der Akustik ist D. das Verhaltnis des groBten 
zum kleinsten Schalldruck, der von Musikinstrumen- 
ten erzeugt bzw. von elektrischen Obertragungsanla- 
gen einwandfrei verarbeitet wird. Die dynamischen 
Grenzen der Musikinstrumente sind gegeben durch 
ihre Spielmechanismen, durch Storgerausche, die bei 
der Klangerzeugung entstehen, sowie durch Wir- 
kungsgrad und Belastbarkeit der Instrumente und das 
physische Vermogen des Spielers. Der D.-Bereich 
elektrischer Ubertragungsanlagen (Storabstand) ist be- 
grenzt durch Storpegel und Klirrfaktor. Es ist iiblich, 
die D. im logarithmischen VerhaltnismaB -*■ Dezibel 
anzugeben. So haben z. B. ein Orchester je nach 
GroBe eine D. von 50-70 dB, Klavier 45 dB, Streich- 
quartett 43 dB, Orgel 37 dB, Cembalo 30 dB, wah- 
rend der Storabstand guter Magnettongerate und Ver- 
starker bei etwa 55 dB liegt. Bei der Schallplatte nimmt 
die D. (maximal 50 dB) zur Mitte hin um etwa 4 dB 
ab (30 cm Langspielplatte), da sich die relative Rillen- 
geschwindigkeit gegenuber der Nadel von etwa 50 cm/ 
sec auf weniger als die Halfte verringert. 



248 



E, - 1) Ton-Name: In der lateinischen ->■ Buchstaben- 
Tonschrift ist E im allgemeinen die 5. Stu£e, im System 
der Kirchentone Finalis des 3. und 4. Tons (Phrygisch 
und Hypophrygisch). Seit Zarlino (1571) ist der Ionius 
auf C primo modo; dadurch riickte E an die 3. Stelle 
der Normalskala. Bei den romanischen Volkern hat 
die Solmisationssilbe Mi den Buchstaben verdrangt. 
Die Erniedrigung urn einen Halbton heifit Es (engl. E 
flat; frz. mi bemol; ital. mi bemolle), um 2 Halbtone 
Eses (engl. E double flat; frz. mi double bemol; ital. mi 
doppio bemolle), die Erhohung um einen Halbton Eis 
(engl. E sharp; frz. mi diese; ital. mi diesis), um 2 Halb- 
tone Eisis (engl. E double sharp ; frz. mi double diese ; 
ital. mi doppio diesis). - 2) Seit Anfang des 19. Jh. wer- 
den in theoretischen Werken Akkorde mit -»■ Buch- 
staben-Tonschrift bezeichnet (E bedeutet den E dur- 
Dreiklang, e den E moll-Dreiklang) ; im -*■ Klang- 
schliissel treten Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine 
Tonart nur durch ihren Grundton zu bezeichnen, wur- 
de im 19. Jh. entsprechend den Akkordbezeichnungen 
so ausgelegt, daB E fur E dur, e fur E moll stand. 

East-Coast- Jazz (i: st-ko : st-djaez, engl.) -> Modern 
Jazz. 

Echappement (efapm'a, frz.), Auslosung, double e., 
doppelte Auslosung, -»■ Mechanik. 

Echeia (griech. T)x e ' a ; l at - vasa aerea ) hieBen bronze- 
ne Schallbecken, die nach Vitruvs Schrif t De architectura 
1, 1, 9 und 5, 5 als Resonatoren zur Verlangerung der 
von der Buhne herkommenden Schallimpulse in die 
aus Stein erbauten Zuschauerraume der antiken Thea- 
ter unter den Sitzstufen in besonderen Schallkammern 
eingebaut wurden. Die E. waren untereinander in ih- 
ren Intervallen harmonisch abgestimmt ; aus Sparsam- 
keit wurden sie auch aus Ton hergestellt. 
Lit. : P. Thielscher, Die SchallgefaBe d. antiken Theaters, 
Fs. F. Dornseiff, Lpz. 1953. 

fichiquier (ejiki'e, frz.) ->■ Schachbrett. 

Echo ist nach der griechischen Mythologie eine Berg- 
nymphe, die sich in vergeblicher Liebe zu Narcissus 
verzehrte und in einen Felsen verwandelt wurde; nur 
noch ihre Stimme blieb. Nach einer anderen Uberlie- 
ferung wurde E. als ungluckliche Liebe des Pan von 
Hirten zerrissen (Ovid, Metamorphosen III, 356; Au- 
sonius, Epigramme 101 ; Euripides, Andromeda, Frag- 
ment 114). Dieser Stoff wurde mehrfach dramatisch be- 
arbeitet, komponiert u. a. von Cavalli 1642, A.Dra- 
ghi (I desiderii d'Eco e di Narcisso, 1677), D.Scarlatti 
{Narcisso, 1720), Gluck (E. et Narcisse, 1780). - In der 
Akustik versteht man unter einem E. den reflektierten 
Schall, der getrennt vom Primarschall mit einer ge- 
wissen zeitlichen Verzogerung wahrgenommen wird. 
Betragt diese Verzogerung (->■ Laufzeitunterschied) 
weniger als !/20 sec, so wird das E. nicht getrennt ge- 
hort, sondern verschmilzt mit dem Primarschall und 
wirkt schallverstarkend. Eine groBere Anzahl dicht auf- 



einanderfolgender, geniigend in der Intensitat abnehr 
mender E.s wird als ->- Nachhall gehort. Eine oder 
mehrere einzelne Schallreflexionen jedoch, die beim 
Horer mit mehr als i/ 2 o sec Verzogerung eintreffen, 
werden vom Primarschall getrennt gehort und kon- 
nen die Verstandlichkeit einer Sprach- oder Musikdar- 
bietung empfindlich storen (Ein- oder Mehrfach-E.s).- 
Das E. wird in der Musik oft nachgeahmt; der E.- 
Effekt oder ihm ahnliche Erscheinungen liegen immer 
nahe, wenn kurzere Abschnitte, vor allem mit klangli- 
cher oder dynamischer Abwechslung, wiederholt wer- 
den, so daB echoartige Stellen in fast alien Gattungen 
der Musik, auch ohne Beziehung zur Nachahmung des 
E.s, auftreten. E.s haufen sich seit der Mitte des 16. Jh., 
wo sie mit dem Aufkommen des Konzertierens und 
einer bewuBt eingesetzten Dynamik zusammenhan- 
gen. Praetorius (1619) nennt das E. in Zusammenhang 
mit dem -> Dialog und in seinen Beispielen zur Auf- 
fiihrungspraxis (Synt. Ill, S. 194f.) : Wann nemblkh die 
Stimmen oder Chori sich selbsten oder aber per vices in art 
eines E., forte & Piatt, starch vnd still respondiren. In der 
Vokalmusik des 16.-17. Jh. sind Kanon und Imitation, 
beide auch mehrchorig (Lassus: O la, o che bon e.), die 
satztechnischen Mittel zur Nachahmung des E.s. Dem 
Vorbild in der Natur kommt die Art am nachsten, 
bei der eine Stimme den ZeilenschluB auf den Text der 
letzten Silben (die wieder fur sich einen Sinn ergeben) 
wiederholt. E.s begegnen besonders haufig in Madriga- 
len, seit Bertoldo 1561 bei zahlreichen italienischen 
Meistern (Marenzio, Agostini, Vecchi, Mel; Mazzocchi 
verwendet 1638 E. als Vortragsbezeichnung), auch in 
Motetten, Kantaten und Opern, in Frankreich seit le 
Jeune 1585, in Deutschland in der Lassus-Nachfolge. 
E.-Szenen im Frage-und-Antwort-Spiel finden sich in 
der Oper u. a. bei Purcell {The Fairy Queen), Gluck 
(Orfeo), Humperdinck (Hansel und Gretel),. R.Strauss 
(Ariadne aufNaxos). Von E.-Musiken fur Instrumente 
seien genannt: A.Banchieri, Fantasia in eco (1603), B. 
Marini, Sonata in eco (1629), J. C. F. Fischer, E. in der 
VIII. Partie des Journal du Printems (1695), C.Stamitz, 
Symphonie en echo (1790/91), J.Haydn, E. fur 2 Streich- 
trios (Hob. II, 39*) , W. A. Mozart, Notturno fiir 4 Orch. 
(K.-V. 286). - Bei Orgelregistern deutet der Zusatz E. 
auf zarte Intonation; ein E. -Register ist die Zartflote, 
die seit der Mitte des 17. Jh. unter der Bezeichnung E. 
vorkommt. Im franzosischen Orgelbau des 17.-18. 
Jh. wird Cornet d'echo (-> Kornett - 2) als Solostim- 
me auf einem eigenen Clavier d'echo disponiert (N. 
Gigault z. B. laBt es mit dem Grand Cornet alternie= 
ren). Durch G.Silbermann kam das E.-Komett nach 
Deutschland; er kannte auch das E. von der Kuppel 
einer Kirche herab. In der Musik fiir Tasteninstrumen- 
te, die eine »Terrassendynamik« verwirklichen konnen 
(Orgel, Cembalo), stehen E.s vorwiegend in freien 
Kompositionen (Fantasien) und Variationen, so bei 
Sweelinck (Fantasien op de manier van een e.), J.E.Kin- 
dermann (E. mit 2 Clavirn), S.Scheidt (2 E.s in der 



249 



Echos 



Tabulatura nova II), W.H.Pachelbel (Variationen iiber 
O Lamm Gottes); J.S.Bach nennt den letzten Satz der 
Ouvertiire in H moll (Clavier-Ubung II, BWV 831) E. 
Lit.: Praetorius Synt. Ill; R. Schwartz, H. L. HaBler 
unter d. EinfluB d. ital. Madrigalisten, VfMw IX, 1893; 
Th. Kroyer, Dialog u. E. in d. alten Chormusik, JbP XVI, 
1909; M. Schneider, Die Anfange d. B. c. u. seiner Bezif- 
ferung, Lpz. 1918,darin: Eco con due risposte di G. Peri; 
Chr. Mahrenholz, Die Orgelregister, ihre Gesch. u. ihr 
Bau, Kassel 1930, 21944; G. Frotscher, Gesch. d. Orgel- 
spiels u. d. Orgelkomposition, 2 Bde, Bin 1935-36, 21959; 
J. Bolte, Das E. in Volksglauben u. Dichtung, Sb. Bin XVI, 
1935; H. Haas, Uber d. EinfluB eines Einfach-E. auf d. 
Horsamkeit v. Sprache, Acustica 1, 1951. 

Echos (griech.) -*■ Oktoechos. 

Ecossaise (ekos'erz, frz.), ein Volkstanz Schottlands, 
im 3teiligen Takt, eine Art der Country dances. In 
Frankreich wurde die E. um 1700 als -> Anglaise zu 
einem geradtaktigen (2/4) Tanz in raschem Tempo. In 
die Kunstmusik gelangte die E. um 1800 (Beethoven; 
Schubert op. 18, 33, 67 ; Chopin op. 72). . 

Ecuador. 

Lit.: S. L. Moreno, La musica en el E., in: El E. en cien 
anos de independencia II, Quito 1930; ders., Musica y dan- 
zas autoctonas del E., Quito 1949; S. M. Duran, La mu- 
sique aborigene et populaire de l'Equateur, in : Art popu- 
late II, Paris 1 93 1 ; J. P. MuSoz Sanz, La musica ecuatori- 
ana, Quito 1938; R. M. Monteros, Musica autoctona del 
oriente ecuatoriano, Quito 1942; L. H. Salgado, Musica 
vernacula ecuatoriana, Quito 1952. 

Editio Medicaea heiBt die auf den Arbeiten F. Ane- 
rios und Fr. Surianos beruhende Choralreformausgabe 
des Romischen Graduale (Dominicale 1614, Sanctua- 
rium 1615), so genannt nach der mediceischen Druk- 
kerei in Rom (Eigentfimer war der Kardinal Ferdinan- 
do di Medici), in der sie gedruckt wurde. Sie gehort zu 
den vielen Choralausgaben, die im Gefolge der nach- 
tridentinischen liturgisch-kirchenmusikahschen Re- 
formbestrebungen vom Ende des 16. Jh. an erschienen 
und die iiberlieferte Choralgestalt im Sinne der hu- 
manistischen Wort-Ton- Vorstellungen und des Musik- 
ideals der Palestrina-Zeit veranderten (Entf ernung weit- 
gespannter Melismen bzw. deren Beschrankung, in 
verkiirzter Form, auf Akzent- oder Endsilben; Tona- 
litatsverdeutlichung durch starren Modusbeginn auf 
Tonika -oder Dominante und Einfiihrung des \ und jj ; 
Textverstandlichkeit durch Annaherung an deklama- 
torische Melodiewendungen). Die E. M. hatte noch im 
19. Jh. Bedeutung, als der Reformerkreis um Fr.X. 
-*■ Haberl sie zur Vorlage seiner Choralausgaben nahm 
(Graduale 1871, Antiphonarium 1878). Heute ist der 
Choralgesang verbindlich fiir die ganze romisch-ka- 
thohsche Kirche in der -> Editio Vaticana festgesetzt. 
Lit. : R. Molitor OSB, Die Nach-Tridentinische Choral- 
Reform zu Rom, 2 Bde, Lpz. 1901-02. 

Editionen -> Denkmaler, -*■ Gesamtausgaben, 
-»■ Quellen. 

Editionstechnik. Musikalische E. ist die Art der Her- 
ausgabe musikalischer Texte. Sie ist abhangig vom 
Grad der Sicherheit und Vollstandigkeit in der Deu- 
tung der iiberlieferten Notation, von der Nahe oder 
Feme der erhaltenen Quellen zum Original, vom ge- 
schichtlich veranderlichen Verhaltnis zwischen ge- 
schriebenem Text und erklingender Musik und von 
Annahmen des Herausgebers fiber die Benutzer, an die 
eine Edition sich wendet. Konflikte sind manchmal un- 
vermeidhch, und die Geschichte der E. ist zu einem 
nicht geringen Teil eine Geschichte von Kontroversen. 
- Die Voraussetzung einer Edition bildet, auBer bei 
Faksimikausgaben, eine vollstandige oder unvoll- 
standige Deutung der originalen Schrift. In dem Ver- 



fahren, bei Nachzeichnung des Originals (oder diplo- 
matischem Abdruck) verwischte Zeichen durch deutli- 
che wiederzugeben, steckt bereits ein Ansatz zur Inter- 
pretation; andererseits enthalt eine Edition, die in Kla- 
vierwerken des 18. Jh. umstrittene Verzierungszeichen 
unauf gelost stehenlaBt, einen Rest von Ungedeutetem. 
- Zu den Problemen der E., die weniger nach allge- 
meinen Regeln als im Einzelfall zu losen sind, gehbren 
die Umschrift veralteter Notationen, die Beurteilung 
von Abweichungen zwischen verschiedenen Quellen 
des gleichen Werkes und die Entscheidung, ob eine 
Ausgabe die Schreib- oder die Klangintention des Kom- 
ponisten rekonstruieren soil. Umschriften (Transkrip- 
tionen, Obertragungen) sind Kompromisse zwischen 
dem Zweck, leichter lesbar zu sein als das Original, 
und der Bedingung, daB der musikalische Sinn nicht 
verzerrt werden darf. So laBt z. B. die Umschrift 

JO- «MJ> J- J~3 I des Originals |. ♦ ♦ ♦ I I- 

(spates 14. Jh.) nicht erkennen, daB die erste Note und 
die beiden letzten als »zerschnittene« 3/8-Gruppe zu 
verstehen sind; ein Ausweg ist das Verfahren, die Um- 
schrift durch entgegengesetzte Richtung der Notenhal- 

se zu verdeutlichen (W.Apel):J »•»•»• J J. Ob 

Transkriptionsmethoden durch Konvention festgesetzt 
werden sollen, um einheitlich zu sein, oder veranderlich 
sein diirf en, um sich dem Einzelfall anpassen zu konnen, 
ist umstritten. Dem konventionellen Verfahren, samt- 
liche Notenwerte der Musik um 1500 im Verhalt- 
nis 2:1 zu reduzieren und die Entscheidung fiber die 
Temporelation zwischen dem Tempus non diminu- 
tum (O, C) und dem Tempus diminutum (0, (f ) 
often zu lassen, steht die Methode gegeniiber, das 
Tempus diminutum zu interpretieren und zwischen 
den Verkfirzungsverhaltnissen 2 : 1 und 4 : 1 abzuwech- 
seln. - Bei der Beurteilung voneinander abweichender 
Quellen eines Werkes ist es nicht selten schwierig, phne 
Willkiir zu entscheiden, ob die Uberlieferungen sich 
erganzen oder gegenseitig ausschlieBen, ob also der 
Herausgeber aus der Konfrontation der Quellen einen 
kritischen (auf der Unterscheidung guter und schlech- 
ter Lesarten beruhenden) Text entwickeln soil oder die 
Fassungen nebeneinander stehenlassen muB und in der 
Edition nicht vermischen darf. Aus dem MiBtrauen, 
daB rigorose Textkritik in Gefahr sei, aus den Quellen 
ein Werk des Herausgebers statt des Komponisten her- 
zustellen, erwachst das Verfahren, in Editionen die 
Quellenlage zu spiegeln und den Anspruch, das »Werk 
selbst« zu rekonstruieren, preiszugeben. Die Konse- 
quenz ist, daB primare una sekundare Quellen (z. B. 
eine autographe Partitur und ein vom Komponisten 
benutzter, aber nicht selbst geschriebener Stimmen- 
satz) auch dann, wenn sie sich erganzen, in der Edition 
typographisch unterschieden werden, obwohl es im 
Werk selbst eine Differenz zwischen primaren und se- 
kundaren Noten oder Vortragszeichen nicht gibt. - 
Die Kontroverse, ob eine Edition die Schreib- oder die 
Klangintention des Komponisten wiedergeben mfisse, 
ist in der kaum losbaren Schwierigkeit begrfindet, daB 
eine Ausgabe in modemer Notenschrif t als abgeschlos- 
sener Text erscheint, wahrend die musikalische No- 
tation vor der Mitte des 18. Jh. oft weder vollstandig 
war noch den Sinn hatte, ein unveranderliches Werk 
zu reprasentieren. Ein Herausgeber, der nichts auBer 
der Schreibintention des Komponisten gelten laBt, 
setzt sich fiber den Sachverhalt hinweg, daB die musi- 
kalische Schrift weniger ein fiir sich bestehender Text 
als eine bloBe Vorschrift war, die manches unausge- 
sprochen lieB, weil es sich von selbst verstand. Doch ist 
andererseits auch die Beruf ung auf die Klangintention, 



250 



Editionstechnik 



also der Versuch, die originate Schrift aus der Kenntnis 
der Ausfiihrungsweise durch zusatzliche Vorzeichen 
(Akzidentien), Verzierungen oder GeneralbaBaus- 
setzungen zu erganzen, nicht unproblematisch; denn 
die Rekonstruktion des Klangbildes in einer Edition 
schlieBt eine Umdeutung von veranderlichen Momen- 
ten der Ausfiihrungsweise zu festen Merkmalen eines 
abgeschlossenen Textes ein. 

Die Typen musikalischer Ausgaben werden nach der 
Zweckbestimmung, dem Inhalt oder der Editionsme- 
thode unterschieden. Denkmalerausgaben sind primar 
fiir das wissenschaftliche Studium gedacht. Sie ver- 
offentlichen Quellen mit Werken verschiedener Kom- 
ponisten (Trienter Codices, Rhaw-Drucke, Liinebur- 
ger Orgeltabulaturen) oder Werke eines Komponisten 
aus verschiedenen Quellen. Quellenausgaben erhalten 
den Vorzug, wenn der einzelne Komponist von gerin- 
gerer geschichtlicher Bedeutung ist als das Repertoire, 
an dessen Bildung er mitgewirkt hat. Eine Gesamtaus- 
gabe der Werke eines Komponisten kann eine Denk- 
maleredition (Alte Bach-Ausgabe), aber auch eine 
praktische, fiir Auffiihrungen bestimmte Ausgabe sein 
(Neue Bach-Ausgabe). Zwischen praktischen und 
wissenschaftlichen Editionen besteht, sofern der Aus- 
druck »wissenschaf tlich« die Editionsmethode und nicht 
die Bestimmung einer Ausgabe fiir das wissenschaft- 
liche Studium (Denkmaleredition) bezeichnet, kein 
Gegensatz. Eine Ausgabe ist praktisch, wenn die Aus- 
fiihrenden, fiir die sie gedacht ist, sie ohne Unsicher- 
heiten und MiBverstindnisse lesen konnen. Sie ist wis- 
senschafthch, wenn der Herausgeber einerseits auf die 
primaren Quellen (oder, bei deren Verlust, auf die dem 
Original nachsten sekundaren Quellen) zuriickgegan- 
gen ist und andererseits Korrekturen und Erganzungen 
des uberlieferten Textes kenntlich macht und philolo- 
gisch oder historisch zu rechtfertigen vermag. (Philo- 
logisch motiviert sind z. B. Korrekturen eines durch 
ein Autograph uberlieferten Textes durch bessere Les- 
arten autorisierter Abschriften; historisch begriindet 
sind Erganzungen aus der Kenntnis »verlorengegan- 
gener Selbstverstandlichkeiten« der Ausfiihrungswei- 
se.) Konflikte entstehen erst, wenn typographische 
Unterscheidungen im Notentext und Kritische Berich- 
te als unpraktisch angesehen werden oder wenn die 
wissenschaftlich begriindbaren Erganzungen und Ver- 
deutlichungen des Originaltextes fiir die Praxis nicht 
ausreichen oder nicht auszureichen scheinen. (Zu ent- 
scheiden, ob ein langer oder ein kurzer Vorschlag ge- 
meint sei, ist wissenschaftlich manchmal nicht mog- 
lich, aber in der Praxis unumganglich.) Instruktive 
Ausgaben erganzen den musikalischen Text durch 
Spielhilfen (Fingersatze, Angabe der Auf- und Ab- 
striche); Phrasierungsangaben (H.Riemann) kenn- 
zeichnen durch Bogen, die nicht mit Legatobogen 
verwechselt werden diirfen, die motivische Gliede- 
rung. Unter einer Bearbeitungs- oder Interpretations- 
ausgabe ist im allgemeinen eine Edition zu verstehen, 
die den Originaltext verandert (z. B. die p-Vorschrif- 
ten in pp, p und mp differenziert) oder durch Zusatze 
erganzt, die nicht philologisch oder historisch, sondern 
in dem Versuch begriindet sind, ein Werk den Klang- 
vorstellungen der Gegenwart (des Bearbeiters) anzu- 
gleichen (H.v.Biilow, M.Reger, F.Busoni). Den Ge- 
gensatz zur Bearbeitungsausgabe bildet seit dem Ende 
des 19. Jh. (Urtext dassischer Musikwerke, Berliner Aka- 
demie der Kiinste) die Urtextausgabe, die fiir die Praxis 
bestimmt ist, aber Korrekturen und Zusatze des Her- 
ausgebers entweder vermeidet oder in den Grenzen 
des wissenschaftlich Begriindbaren halt. Bei der Be- 
nennung wird manchmal nicht berucksichtigt, daB der 
Begriff -> Urtext seine festen Umrisse verhert, wenn 



ein Werk nur in sekundaren Quellen iiberliefert ist 
oder wenn der Herausgeber Vortragszeichen einfiigt, 
die wissenschaftlich begriindet sind, ohne in den Quel- 
len zu stehen. - Der kritische Apparat einer wissen- 
schaftlichen Edition besteht aus einem Kritischen Be- 
richt einerseits und Zusatzzeichen oder typographi- 
schen Unterscheidungen im Notentext andererseits. 
Kritische Berichte enthalten eine Beschreibung der 
auBeren Gestalt, des Inhalts, der Herkunft und der Ge- 
schichte der Quellen, ferner einen Versuch, die Ab- 
hangigkeit (Filiation) der Quellen voneinander darzu- 
stellen, oft in der Form eines Stammbaums (Stemma), 
und schlieBlich eine Aufzahlung der vom edierten 
Text abweichenden Lesarten der Quellen (Revisions- 
bericht). Ist die Filiation eindeutig und der Wert einer 
sekundaren Quelle gering, so geniigt es, einige abwei- 
chende Lesarten auszuwahlen, um die Abhangigkeit zu 
beweisen. Die Forderung, daB die Quellen in ihren fiir 
die Textgestalt wesentlichen Merkmalen aus der Edi- 
tion rekonstruierbar sein sollen, gilt dann nur fiir die 
primare Quelle. (Die Entscheidung, was ein fiir die 
Textgestalt wesentliches Merkmal sei, ist vom Stand 
der Forschung abhangig; scheinbar gleichgiiltige Ei- 
gentiimlichkeiten eines Schreibers konnen spater als 
relevant fiir die Abhangigkeit der Quellen und damit 
fiir die Textgestalt erkannt werden.) Zwischen Kriti- 
schem Bericht und Zusatzzeichen oder typographi- 
schen Unterscheidungen im Notentext bestehen keine 
festen Grenzen. Typographisch abgehoben werden 
Erganzungen des Herausgebers (Vorzeichen in Klam- 
mern oder iiber statt vor den Noten, Textunterlegun- 
gen in Kursivdruck, GeneralbaBaussetzungen in Klein- 
stich, Vortragszeichen in diinneren Lettern), in man- 
chen Editionen aber auch Lesarten aus sekundaren 
Quellen. Zeichen, die fiir die musikalische Ausfiihrung 
ohne Bedeutung sind, beziehen sich auf die Transkrip- 
tion (Winkelklammern fiir geschwarzte Noten). Al- 
lerdings ist der Unterschied zwischen Transkriptions- 
und Interpretationszeichen nicht immer deutlich; das 
Verfahren, Ligaturen der Modal- oder Mensuralno- 
tation durch Bpgen zu kennzeichnen, laBt offen, ob 
eine Deutung als Legato gemeint ist oder nicht. 
DaB die Methoden der E. historisch differenziert sind, 
ist im geschichtlichen Wechsel der Notierungs- und 
Uberlieferungsf ormen und in den Veranderungen des 
Verhaltnisses zwischen geschriebenem Text und musi- 
kalischer Ausfiihrung begriindet. »Gregorianische« und 
mittelalterliche Choralmelodien werden im allgemei- 
nen in gotischer Quadratnotation (ohne die rhythmi- 
schen Differenzierungen der sankt-gallischen Neumen) 
ediert. Die Umschrift in runde Notenkopfe ohne Hal- 
se, bei der zwar Ligaturen durch Bogen gekennzeich- 
net, Unterschiede der Neumenformen aber unter- 
driickt werden, ist ein bloBer Notbehelf. - Bei mittel- 
alterlichen Liedmelodien in Quadratnotation ist die E. 
einerseits vom Grad der Anerkennung, Ablehnung 
oder Modifizierung der Modaltheorie und anderer- 
seits von dem AusmaB abhangig, in dem der Heraus- 
geber sich zu musikalischer Textkritik (Fr. Gennrich, 
W.Bittinger), zur Abhebung authentischer Texte von 
Varianten und Irrtumern, entschUefit. - Das einzige ge- 
meinsame Merkmal aller Editionen von mehrstimmi- 
ger Musik des 13.-16. Jh. ist die Ubertragung der in 
Chor- oder Stimmbiichern uberlieferten Satze in Par- 
titur (Spartierung). Die Schliisselung und die Transpo- 
sition, die Anderung der Notenformen, die Reduktion 
der Werte und die Wiedergabe von Mensurzeichen, 
die Akzidentiensetzung und die Textunterlegung sind 
einem Wechsel der Editionsmethoden unterworfen. 
Die originalen Schliissel werden in manchen Editionen 
beibehalten, in anderen durch moderne Schliissel er- 



251 



Editionstechnik 



setzt. Als gebrauchlich gelten heute einzig der Violin- 
und der BaBschliissel, wahrend noch zu Anfang des 20. 
Jh. auch der Sopran-, Alt- und Tenorschliissel in prak- 
tischen Ausgaben benutzt wurden. Fiir Stimmen in 
Tenor- oder tiefer Altlage hat sich der oktavierende 
Violinschliissel durchgesetzt; er erscheint als Violin- 
schliissel mit supponierter Ziffer ||, als doppelter Vio- 
linschliissel q§ oder als einfacher Violinschliissel, des- 
sen oktavierende Bedeutung aus der Stimmbezeich- 
nung erschlossen werden muB. Die Hypothese, die 
hohen Schliissel (Chiavetten) seien im 16. Jh. ein Trans- 
positionszeichen gewesen, ist zu fragwiirdig, um als 
Prinzip der E. brauchbar zu sein. - Veraltete Noten- 
formen werden den modernen angeglichen; Editionen, 
in denen die Rhomben nicht durch runde Notenkopfe 
ersetzt sind, bilden eine Ausnahme (R.v.Ficker, DTO 
LXXVI). Ligaturen werden durch eckige, seltener 
durch runde Bogen, Kolorierungen (hohle oder rote 
Noten in schwarzer und schwarze Noten in weiBer 
Notation) durch Winkelklammern gekennzeichnet. 
Die originalen Notenwerte werden im allgemeinen 
reduziert. Das Verf ahren, sie unverkurzt zu lassen, be- 
ruhte im 19. Jh. auf einem Irrtum iiber das Zeitmafi 
der Musik vor 1600, spater auf der Vorstellung, daB in 
der modernen Auffiihrungspraxis alter Musik genii- 
gend historisches Bewufitsein herrsche, um MiBver- 
standnisse auszuschlieBen (J. Wolf, Kn.Jeppesen, Fr. 
Blume).Dennochistes in den meistenneueren Editionen 
durch die Reduktionsmethode verdrangt worden. Als 
Normen, die allerdings Ausnahmen dulden, gelten die 
Reduktionen 8 : 1 (Brevis = Viertelnote) bei der Ars 
antiqua, 4 : 1 (Minima = Achtelnote) bei der Ars nova 
(und der Ars subtilior), 2:1 (Semibrevis = Halbe Note) 
bei "Werken, die nach 1430 entstanden sind. Die Pro- 
portio tripla des 15. und 16. Jh. wird in manchen Edi- 
tionen im Verhaltnis 4:1 verkiirzt. Die originalen 
Mensurzeichen, die durch die Reduktion ihren Sinn 
verlieren, fiir die aber die moderne Notenschrift keine 
Aquivalente kennt, sollten iiber dem Notentext ver- 
zeichnet werden. Es wirkt verwirrend, wenn nicht zu 
ersehen ist, ob der Ziffer 3 ein Tempus perfectum, ein 
Tempus perfectum diminutum, eine Proportio sesqui- 
altera oder eine Proportio tripla entspricht. Eine der 
Konsequenzen der Partituranordnung ist die Notwen- 
digkeit einer Gliederung des Schrif tbildes durch Orien- 
tierungsstriche. Man benutzt durchgezogene oderpunk- 
tierte Taktstriche (Dr. Plamenac, Ockeghem-GA), 
Doppelpunkte im Notensystem, die vom Divisions- 
punkt des 14. Jh. abgeleitet sind (R.v.Ficker, DTO 
LXXVI), oder Striche zwischen den Notensystemen, 
die sogenannten Mensur- oder Mensurzwischenstriche, 
die das Lesen erleichtern, ohne den fiir die Musik des 
15. und 16. Jh. charakteristischen »Stimmstrom« (H. 
Besseler) zu zerteilen. Die Herausgeber von Werken 
des 13. und 14. Jh. verwenden Taktstriche, sei es weil 
sie der Musik Taktqualitat zuschreiben oder weil die 
Gleichzeitigkeit eines 2/4-Taktes mit einem 3/4- oder 
6/8-Takt die Anwendung desMensurstrichs ausschlieBt. 
Die Gliederungsstriche werden im Abstand eines 
Tempus (Das Chorwerk), eines Doppeltempus (Corpus 
mensurabilis musicae) oder eines Tactus gesetzt (A. Auda, 
Les y>Motets wallonso du manuscript de Turin: Vari 42, 
2 Bde, Woluwe-St-Pierre 1953; M. van Crevel, Ob- 
recht-GA). Striche in ungleichen Abstanden deuten 
wechselnde rhythmische Gruppenbildungen des gan- 
zen Stimmenverbandes (R.v.Ficker, DTO LXI) oder 
der einzelnen, durch Verschiedenheit der »Taktart« 
voneinander abgehobenen Stimmen an (H.Leich- 
tentritt, O.Gombosi). - Die Akzidentiensetzung, das 
Hinzufiigen von Vorzeichen, erscheint als kaum 16s- 



bares Problem der E., solange ungeklart ist, ob die 
Komponisten feste Normen voraussetzten oder die 
Anwendung der Musica ficta dem Ermessen der Aus- 
fiihrenden iiberlieBen; der Versuch, das intendierte 
Klangbild zu rekonstruieren, ware im einen Falle 
sinnvoll, im anderen vergeblich. Die meisten Her- 
ausgeber von Werken des 15. und 16. Jh. beschran- 
ken sich auf das Einfiigen des Leittons in Kadenzen 
und das Vermeiden des Tritonus und der verminder- 
ten Quinte. Ob in Kollisionsfallen die Stimmfuhrung 
(W.Apel) oder der Zusammenklang (E. E. Lowinsky) 
als entscheidend gelten soil, ist umstritten. Die zu- 
satzlichen Vorzeichen werden iiber, seltener in Klam- 
mern vor die Note gesetzt. - Die in Werken des 15. 
und des friihen 16. Jh. fast immer fragmentarische 
Textierung zu erganzen, ist ebenso unumganglich wie 
schwierig; die Methoden lassen sich nicht in allgemei- 
ne Regeln fassen, sondern miissen aus der satztechni- 
schen und stilistischen Analyse der einzelnen Werke 
entwickelt werden. Die von G.Zarlino (1558) und G. 
Stocker (um 1580; vgl. E.E. Lowinsky in: Festschrift 
H. Besseler, Leipzig 1961) formulierten Normen gel- 
ten fiir den Stil Willaerts, vielleicht auch Josquins. - 
Geringer an Zahl, aber kaum weniger schwierig sind 
die Probleme, die dem Herausgeber von Musik des 17. 
und friihen 18. Jh. begegnen: veraltete Partituranord- 
nungen, Differenzen zwischen geschriebener und re- 
aler Taktart, das Fehlen dynamischer Zeichen, der 
GeneralbaB, doppeldeutige Verzierungssigel. Die 
Entscheidung, ob die Anordnung der Instrumente in 
der Partitur den heute herrschenden Normen anzu- 
gleichen sei, ist vom Bedeutungsgehalt der originalen 
Disposition abhangig; man wird eine alte Reihenfol- 
ge der Holzblaser eher preisgeben als Bachs Verfah- 
ren, die Trompeten an die Spitze der Partitur zu stel- 
len. - Die originalen Gliederungsstriche widersprechen 
im friihen 17. Jh. nicht selten den realen rhythmischen 
Gruppierungen; dennoch sind Editionen, die einen 
Wechsel der Gruppierung als Anderung der Taktart 
ausschreiben (H.Riemann, A. Schering), problema- 
tisch, da der Begriff des Taktwechsels dem Sachverhalt 
nicht uneingeschrankt gerecht wird. - Dynamische 
Zeichen, die der Herausgeber hinzufiigt, werden durch 
diinnere oder kleinere Lettern oder durch Klammern 
vom Originaltext abgehoben. Fiir die Erganzung gilt, 
wenn auch nicht ausnahmslos, die Regel, daB Forte als 
dynamische Norm und Piano als Abweichung zu ver- 
stehen ist; ein p in der zweiten Phrase einer Melodie 
setzt ein f in der ersten voraus, und Wiederholungen 
wurden im allgemeinen dynamisch abgeschwacht. - 
DaB Generalbasse ausgesetzt und nicht der Improvi- 
sation uberlassen werden, ist sowohl in Denkmaler- 
editionen als auch in praktischen Ausgaben die Regel; 
Ausnahmen sind selten (Neue Bach-Ausgabe). Die Art 
der GeneralbaBbehandlung ist von der Anzahl und 
Besetzung der Stimmen und vom Stil eines Werkes 
abhangig. Satztechnische Makellosigkeit ist weniger 
ein Merkmal der Continuopraxis des 17. und 18. Jh. 
als eine Konsequenz des Sachverhalts, daB in einer Edi- 
tion die GeneralbaBaussetzung als festgelegter Text er- 
scheint. (Auch die Kargheit und Befangenheit mancher 
GeneralbaBaussetzungen diirfte zum Teil in dem Un- 
terschied zwischen Improvisation und geschriebenem 
Text begriindet sein.) - Veraltete Verzierungszeichen 
werden, sofern sie eindeutig sind, durch moderne er- 
setzt; bestehen Zweifel iiber den Sinn eines Zeichens, 
so wird es in seiner originalen Gestalt reproduziert. 
(Vor erlauternden Anmerkungen scheuen die meisten 
Editionen zuriick.) Ornamentsigeln einzufiigen ist un- 
gebrauchlich, auch dann, wenn die Verwendung einer 
Verzierung feststeht; sogar Appoggiaturen (Vorhalte) 



252 



werden im allgemeinen nicht ausgeschrieben (und dar- 
um in der Praxis des Rezitativvortrages nicht selten 
vernachlassigt). - Bei Wiederauffiihrungen war es im 
17. und noch im 18. Jh. gebrauchlich, ein Werk umzu- 
arbeiten ; und es ist oft schwierig, wenn nicht unmog- 
lich, ohne Willkiir zu entscheiden, ob eine Anderung 
des musikalischen Textes dem »auBeren Zwang« der 
Umstande oder der Gelegenheit zur Korrektur zuzu- 
schreiben ist. Eine Vermischung der Fassungen in einer 
Edition ware also dem Sachverhalt unangemessen; 
und ob dem Herausgeber die friihere Version als »ru- 
dimentar« und die spatere als »endgiiltig« oder umge- 
kehrt die friihere als »authentische Urf orm« und die spa- 
tere als Resultat »bloBer Anpassung« erscheint, ist fur 
die E. belanglos und andert nichts an der Notwendig- 
keit, beide Fassungen zu edieren (J.S.Bach, Magnifi- 
cat). - Die Probleme, die der E. aus den ehemaligen 
Notierungs- und Oberlieferungsformen erwachsen, 
schrumpfen bei derMusik des spaten 18. und des 19. Jh. 
zu geringen Resten. (UngewiB ist manchmal die Ent- 
scheidung zwischen langen und kurzen Vorschlagen, 
nicht liickenlos geklart die Relevanz oder Irrelevanz 
der Differenz zwischen Staccatostrichen und -punk- 
ten.) Ein iibliches, aber nicht immer unbedenkliches 
Verfahren der E. ist die Angleichung von Parallel- 
stellen, z. B. die Korrektur von Legatobogen, die in 
der Reprise eines Sonatensatzes anders gesetzt sind als 
in der Exposition. - In Schwierigkeiten, die bei der 
Herausgabe alterer Musik kaum jemals entstehen, ge- 
rat die E. durch den Sachverhalt, daB von Werken 
Haydns oder Beethovens nicht selten sowohl eine Ur- 
schrift und Reinschrift als auch eine autorisierte Ab- 
schrift (Stichvorlage) und ein Originaldruck erhalten 
sind, die in Einzelheiten voneinander abweichen. (Un- 
ter einem Originaldruck ist ein vom Komponisten au- 
torisierter -*■ Erstdruck zu verstehen.) Ob in den Fallen, 
in denen keine der Lesarten als Irrtum erkennbar ist, 
der Originaldruck dem -> Autograph vorzuziehen sei 
(M. Friedlaender, W.Altmann, W.Schmieder, G.v. 
Dadelsen) oder umgekehrt (H. Schenker, P.Mies, H. 
Unverricht), ist umstritten. Eine E., die das musikali- 
sche Urteil iiberfliissig macht, ist kaum vorstellbar. 
Lit. : O. Jahn, Beethoven u. d. Ausg. seiner Werke, in : Ge- 
sammelte Aufsatze fiber Musik, Lpz. 1866; Fr. Chrysan- 
der, Die Verwendung d. Schliissel bei d. Herausgabe alte- 
rer Musikwerke, AmZ V, 1870; C. P. Graedener, t)ber in- 
structive Ausg. mus. Classiker, ebenda; M. Friedlaender, 
tlber d. Herausgabe mus. Kunstwerke, JbP XIV, 1907; G. 
Adler, Uber Textlegung in d. »Trienter Codices«, Fs. H. 
Riemann, Lpz. 1909 ; A. Schering, Takt u. Sinngliederung 
in d. Musik d. 1 6. Jh., Af M w 11,191 9/20 ; H. Wetzel, Uber 
Textkritik, Analyse u. Bearb. v. Musikwerken, ZfMw II, 
1919/20; Th. Kroyer, Denkmaler d. Tonkunst in Oster- 
reich, ZfMw V, 1922/23 ; H. Muller, Zur E. bei Kirchen- 
musikwerken d. klass. Vokalperiode, Cacilienvereinsorgan 
LVII, 1925; H. Schenker, Das Meisterwerk in d. Musik, 
Miinchen, Wien u. Bin 1925; L. Schrade, L. Milan, Mus. 
Werke, = PaM II, Lpz. 1 927, Vorbemerkung zur Ubertra- 
gungsmethode (dazu O. Gombosi u. L. Schrade in: ZfMw 
XIV, 1931/32-XVI, 1 933/34) ;H.Besseler, Von Duf ay bis 
Josquin, ZfMw XI, 1928/29; ders., Grundsatzliches zur 
Ubertragung v. Mensuralmusik, StMw XXV, 1962; H. 
Birtner, Die Probleme d. spatma. Mensuralnotation u. 
ihrer Ubertragung, ZfMw XI, 1928/29; Fr. Blume, Zur 
Notationsfrage, Musikantengilde VII, 1929; E. Beninger, 
Pianistische Herausgebertatigkeit, ZfMw XII, 1929/30; O. 
Gombosi, Zur Deutung gewisser rhythmischer Figuren d. 
1 6. Jh., ebenda ; K. Ameln, Zur Gestalt d. neueren kirchen- 
mus. Verdff., MuK VIII, 1936; Fr. Gennrich, Grundsatz- 
liches zu d. Troubadour- u. Trouvereweisen, Zs. f . romani- 
sche Philologie LVII, 1937 ; L. Landshoff, J. S. Bach, Mus. 
Opfer, Beih. zur Urtext-Ausg., Lpz. 1937; W. Apel, The 
Partial Signatures in the Sources up to 1 450, AMI X, 1 939 ; 
J. P. Larsen, Die Haydn-tJberlieferung, Kopenhagen 
1939; W. Altmann, Ist d. Originalhs. oder d. Erstdruck 



Eger 

maBgebend?, AMz LXVII, 1940; W. Schmieder, Noch- 
mals: Originalhs. oder Erstdruck?, ebenda; M. Unger, 
Grundsatzliches fiber Revisionsausg. v. Beethovens Wer- 
ken, Mk XXXIII, 1940; E. E. Lowinsky, The Function of 
Conflicting Signatures in Early Polyphonic Music, MQ 
XXXI, 1945; ders., Early Scores in Ms., JAMS XIII, 1960; 
R. v. Ficker, Probleme d. modalen Notation, AMI XVIII/ 
XIX, 1946/47; ders., Probleme d. E. ma. Musik, Kgr.-Ber. 
Basel 1949; A. H. King, Some Recent Trends in Mus. Pu- 
blishingand Bibliogr., MMR LXXVIII, 1948 ; W. S. Drew, 
On Song-Editing, The Mus. Times XC, 1949; W. Emery, 
New Methods in Bach-Editing, ebenda XCI, 1950; ders., 
Ed. and Musicians, London 1957; W. Bittinger, Studien 
zur mus. Textkritik d. ma. Liedes, = Literarhist.-mw. Abh. 
XI, WOrzburg 1953 ; R. H. Hoppin, Partial Signatures and 
Musica Ficta in Some Early 15 llI -Cent. Sources, JAMS VI, 
1953; Th. Dart, The Interpretation of Music, London 
1954, deutsch als : Practica Musica. Vom Umgang mit alter 
Musik, = Slg Dalp XXIX, Bern (1959) ; G. Henle, Uber d 
Herausgabe v. Urtexten, Musica VIII, 1954; Ch. L. Cud- 
worth, Ye Olde Spuriosity Shoppe, Notes II, 12, 1954/55 
S. Clercx, Les accidents sous-entendus et la transcription 
en notation moderne, Les Colloques de Wegimont II, 1955 

F. Oberborbeck, Original u. Bearb., Fs. M. Schneider, 
Lpz. 1955;Thr.G.Georgiades, Zur Lasso-GA, Kgr.-Ber. 
Wien 1956; ders., Musik u. Schrift, Miinchen 1962; Fr, 
Giegling, Probleme d. Neuen Mozart-Ausg., SMZ XCVI 
1956; U. Aarburg, Muster fur d. Ed. ma. Liedmelodien, 
Mf X, 1957; P. Mies, Textkritische Untersuchungen bei 
Beethoven, Miinchen u. Duisburg 1957; Editionsprobleme 
d. spaten 18. Jh. (Arbeitsgemeinschaft), Kgr.-Ber. Koln 
1958 ; A. Durr, Wiss. NA u. d. Praxis, MuK XXIX, 1959 ; 

G. v. Dadelsen, Fr. Smends Ausg. d. h-moll-Messe v. J. S. 
Bach, Mf XII, 1959; ders., Die »Fassung letzter Hand« in 
d. Musik, AMI XXXIII, 1961 ; G. Feder u. H. Unver- 
richt, Urtext u. Urtextausg., Mf XII, 1959; H. Unver- 
richt, Die Eigenschriften u. d. Originalausg. v. Werken 
Beethovens in ihrer Bedeutung f. d. moderne Textkritik, 
= Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960; A. Carapetyan, 
Problems of Editing and Publishing Old Music, MD XV, 
1961 ; Kn. Jeppesen, Et par notationstekniske problemer i 
det 16. aarhundredes musik og nogle dertil knyttede iagt- 
tagelser (Taktinddeling-Partitur), STMf XLIII, 1961 ; J. 
LaRue, Watermarks and Musicology, AMI XXXIII, 1961 ; 
D. Stevens, Problems of Editing and Publishing Old Mu- 
sic, Kgr.-Ber. NY 1 96 1 , Bd I u. II ; W. Osthoff, Per la no- 
tazione originate nelle pubblicazioni di musiche antiche e 
specialmente nella nuova ed. Monteverdi, AMI XXXIV, 
1962; M. Reimann, Zur E. v. Musik d. 17. Jh., in: Nord- 
deutsche u. nordeuropaische Musik, = Kieler Schriften 
zur Mw. XVI, Kassel 1965. CD 

Editio Vaticana, die von Pius X. in dem Motu pro- 
prio von 1903 angeordnete Neuausgabe des Gregoria- 
nischen Chorals in seiner wiederhergestellten traditio- 
nellen Gestalt; sie loste als amtliche, fur die gesamte 
romisch-katholische Kirche (mit Ausnahme der Do- 
minikaner, Pramonstratenser, Zisterzienser und des am- 
brosianischen Liturgiekreises) verbindliche Choralaus- 
gabe alle bisherigen Fassungen ab (->• Editio Medicaea). 
Hergestellt in der Vatikanischen Druckerei, erschie- 
nen bis heute -> Kyriale 1905, -> Graduate (-2) 1908, 
Totenoffizium 1909, -»■ Antiphonarium (ohne Matu- 
tin) 1912, Karwochenoffizium 1923. Der AnstoB zu 
dieser bisher umfassendsten Choralreform ging haupt- 
sachlich von den Forschungen der Benediktiner von 
Solesmes aus, doch sind sie am Zustandekommen der 
Ausgabe selbst, die weniger wissenschaftlichen An- 
spriichen als den Belangen der liturgischen Praxis ge- 
niigen soil, nicht beteiligt. 

Lit. : P. Wagner, Der Kampf gegen d. E. V., Graz 1907 ; U. 
Bomm OSB, Vom Sinn u. Wert d. E. V., in : Musicus - Ma- 
gister, Fs. Th. Schrems, Regensburg (1963). 

Eger (Bohmen). 

Lit. : P. Nettl, Aus E. mus. Vergangenheit, Mitt. d. Ver. 
f. Gesch. d. Deutschen in Bohmen LVIII, Prag 1920; K. 
Riess, Die Mg. d. Stadt E. im 16. Jh., Brfinn 1935; K. M. 
Komma, E. u. d. Egerland in d. Mg., Jb. d. EgerlSnder 1955. 



253 



Eichstatt 



Eichstatt (Mittelfranken). 

Lit. : J. Sax, Musik u. Theater in d. furstbischoflichen Re- 
sidenzstadt E. bis 1802, 46. Jahresber. d. Hist. Ver. f. Mit- 
telfranken, Ansbach 1 898 ; J. Gmelch, Die Mg. E., E. 1 9 1 4 ; 
G. Schorner, Die Barockorg. in d. Pfarr- u. Klosterkirche 
St. Walburg zu E./Bayern, Musik u. Altar III, 1 950/5 1 . 

Eidos (griech.) -> Genos. 

Eilenburg (Sachsen). 

Lit. : A. Werner, Die E.er Kantorei u. M. Rinckarts Ver- 
dienste um dies., MGkK VII, 1902; ders., M. Rinckarts 
Satzungen fur d. E.er Kantorei 1646, Heimatzs. d. Schon- 
burgbundes »Forschung u. Leben«, Halle 1930. 

Einhandflote (prov. galoubet; mittelfrz. flaihutel, 
auch flageol; frz. flutet; baskisch -*■ txistu; mhd. holre 
oder holler, vielleicht von Holunder; bei deutschen 
Autoren des 16./17. Jh. Schwegel, was aber in Ober- 
deutschland Querflote ist; 1589 in einem wiirttember- 
gischen Inventar korrumpiert tammarinpfeife; tamer- 
Hnpfeife; bei Praetorius 1619 StamentienPfeiffe;Trom- 
meJpfeife) ist eine Schnabelflote von zylindrischer 
Bohrung und enger Mensur mit 2 Grifflochern vorn 
und einem Daumenloch. Die E. blast daher leicht in 
den 2. und 3. Teilton iiber ; in dieser Lage wird sie meist 
gespielt. Gelegentlich wurde das Miindungsloch mit 
dem kleinen Finger halb gedeckt. Die E. hatte einen 
scharfen, lauten Klang und wurde im 9.-19. Jh. von ei- 
nem Spieler zusammen mit einer kleinen Trommel 
oder einem anderen Schlaginstrument gespielt (frz. 
galoubet et tambourin; engl. pipe and tabor; span, 
fluviol oder flabiol und tamboril; -*■ Cobla). Im 15. Jh. 
begegnen E.n in Diskant- und Tenor-, im 16. Jh. dazu 
in Bafilage (mit S-formigem Anblasrohr). Das Am- 
braser Inventar verzeichnet 1596 Flauti, mit dainen 
driimblen zu gebrauchen, 6 stuckh, ain pasz, 3 tenor und 2 
distant. - Die Kombination E. und Trommel war in 
Westeuropa verbreitet, wahrend Deutschland sich di- 
stanziert verhielt. Virdung (1511), Agricola (1528) und 
Praetorius (1619) kennzeichnen sie als auslandisch, und 
schon in der Manesse-Handschrift (14. Jh.) wird die 
Trommel mit 2 Schlageln, also mit beiden Handen 
und ohne Flote, gespielt. Spatestens aus dem 14. Jh. 
sind Belege bekannt, wonach Trommel und E. von 2 
Musikanten getrennt gespielt wurden. Auf einem Stich 
des Matthaus Zasinger (1500), der ein Miinchner Hof- 
turnier darstellt, sitzen Trommler und Pfeifer Riicken 
an Riicken auf einem Pferd. Im 17. Jh. begegnen Pfei- 
fer auf dem Riicken der Trommler. Bilder dieser Art 
kennzeichnen Jahrmarktsbrauche in der Fortsetzung 
mittelalterlicher Spielmannsart. Mit dem gleichzeitigen 
Spiel zweier verschiedenartiger Instrumente wollte 
sich der Joculator des Mittelalters produzieren und 
durch praktisches Konnen eine Rangstufe vorweisen, 
die ihm die Hierarchie der Musikerstande wegen sei- 
nes Mangels an theoretischem Wissen versagte. In der 
1. Halfte des 9. Jh. (Bibel Karls des Kahlen) wurden 
Horn und Gabelbecken von einem Spieler bewaltigt, 
im 11. Jh. begegnet die Verbindung Panpfeife und 
Gabelbecken, im 12. Jh. (Albanpsalter Hildesheim) fin- 
det man 2 Blaser, die in der Rechten ein Stierhom hal- 
ten, wahrend die Linke eine vor der Brust angebrachte 
Trommel schlagt; ein Bild aus Reims (13. Jh) zeigt ei- 
nen Jongleur, der mit beiden Handen die Flote spielt 
und die hinten angegurtete Trommel mit dem Kopf 
schlagt. 

Lit. : Chr. Lehmann, Florilegium politicum, 3 Bde, Ffm. 
1630-42; Fr. Vidal, Lou Tambourin ... , Aix u. Avignon 
1864; D. Fryklund, Studier over galoubetn, Halsingborg 
1939; W. Salmen, Zur Verbreitung v. E. u. Trommel im 
europaischen MA, Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes 
VI, 1957; Das Standebuch. 114 Holzschnitte v. J. Am- 
mann mit Reimen v. H. Sachs, Lpz. 1960, S. 109. 



Einklang -»- Unisono. 

Einschwingen -»■ Ausgleichsvorgange. 

Eisenach (Thiiringen). 

Lit. : E. Buhle, Verz. d. Slg alter Musikinstr. im Bachhause 
zu E., = Ver6ff. d. Neuen Bachges. XXXVIII, 2, Lpz. 
(1913), 31939; W. Nicolai, Die Wiederbelebung d. Kur- 
rende in E., Bach-Jb. XI, 1914; O. Schroder, Das E.er 
Kantorenbuch, ZfMw XIV, 1931/32; C. Freyse, E. Beitr. 
zur Musikkultur, in: 34. Deutsches Bachfest d. Neuen 
Bachges., E. 1957; W. Braun, Th. Schuchardt u. d. E.er 
Musikkultur im 17. Jh., Af Mw XV, 1958. 

Eisteddfod (aist'e6vod, von eistedd, walisisch, sitzen, 
»Sitzung«), die noch heute alljahrlich abgehaltenen wa- 
lisischen Musikfeste, zuriickgehend auf friihmittelal- 
terliche Bardenwettkampfe (einer der crsten 1176 in 
Cardigan). Beriihmte E.s fanden 1450 zu Carmarthen, 
1569 zu Caerwys unter der Schirmherrschaft Elisa- 
beths I., 1681 zu Bewpyr Castle und 1819 wiederum 
zu Carmarthen start. Neben Vortragskunstlem und 
Sangern stellen sich dem Wettbewerb heute auch In- 
strumentalisten, Kunstgewerbler, Chore und Tanz- 
gruppen. Das National E. wird stets im August in wa- 
lisischen Stadten veranstaltet; ein International Musical 
E., an dem sich auch auslandische Teilnehmer beteili- 
gen, wird ebenfalls jahrlich seit 1947 in Llangollen ab- 
gehalten. 

Lit. : P. Nettl, Die Bedeutung d. keltischen Barden f . d. 
Entwicklungsgesch. d. Tonkunst, ZIMG XIV, 1912/13; T. 
Parry u. T. Cynan, The E. of Wales, Liverpool 195 1 . 

ekmelisch -> emmelisch. 

ekphonetisch (von griech. ex<pci>vi]ai.<;, Vortrag) 
heiBt seit Tzetzes (1885) der musikalische Vortrag der 
biblischen Lesungen im -> Byzantinischen Gesang. 
Entsprechend der jiidischen -*■ Kantillation und dem 
Accentus (-»■ Akzent - 2) des lateinischen Kirchenge- 
sangs ist er an die Gliederung des Textes gebunden 
und bildet keine autonom musikalischen Formen aus. 
Seine Wurzeln reichen vermutlich in die Spatantike. 
Handschriften des 10.-13. Jh. iiberliefern eine eigen- 
standige e.e Notation, deren Grundlage die prosodi- 
schen Zeichen des griechischen Alphabets bilden. Zu 
Anfang und Ende eines Wortes oder Satzteils wird 
ein Paar meist gleicher Zeichen gesetzt ; am SchluB eines 
Abschnitts oder an besonders wichtigen Stellen f ordert 
Haufung der (an diesen Stellen oft verdoppelten) Zei- 
chen kunstvolleren Vortrag (-> Akzent - 1). 
Ausg. : Monuments de la notation ekphonetique . . . , hrsg. 
v. J.-B. Thibaut, St. Petersburg 1913; Prophetologium, 
hrsg. v. C. Hoeg u. G. Zuntz, = Monumenta Musicae 
Byzantinae, Lectionaria 1, 1-5, Kopenhagen 1939-62. 
Lit.: J. Tzetzes, 'H feitiv6n<Ji? xfli; napaorrinavTiKfjc; t&v 
Bu^avTivfiiv, in: Parnassos IX, 1885; C. H0EG, La notation 
ekphonetique, = Monumenta Musicae Byzantinae, Sub- 
sidia I, 2, Kopenhagen 1935; L. Tardo, L'antica melurgia 
bizantina, Grottaferrata 1938. 

Elbing (OstpreuBen). 

Lit. : G. DQrino, Die mus. Erscheinungen in E. bis zum 
Ende d. 18. Jh., E. 1868; R. Eitner, G. Doring, Konigli- 
cher Musikdirektor u. Kantor ... in E„ MfM I, 1869; H. 
Gerigk, Mg. d. Stadt E., Teil I. Bis zum Ausgang d. polni- 
schen Zeit, Diss. Konigsberg 1929, E.er Jb. VIII, 1929 ; Br. 
Th. Satori-Neumann, 300 Jahre berufsstandisches Thea- 
ter in E., Bd 1, 1605-1846, Danzig 1936. 

Elegie (griech. eXeyeta, verwandt mit 4XeyeTov, Di- 
stichon, und £Xz-yo$, Trauergesang mit Aulosbeglei- 
tung; als Wort seit dem 5. Jh. v. Chr. belegt, wohl aus 
Kleinasien stammend). E. war in der Antike die seit 
Ende des 8. Jh. v. Chr. iiberlieferte, von Ionien aus 
verbreitete und mit einem spatantiken Ausdruck Di- 
stichon (Zweizeiler) genannte Versform (epischer 



254 



Elektronenrohre 



Hexameter in fester Verbindung mit dem Pentame- 
ter) sowie allgemein jedes Gedicht in dieser Versform 
(u. a. Kampf-, Trink-, Klagelieder, oft politischen, 
philosophischen Inhalts) ; sie wurde anscheinend meist 
mit Begleitung des Aulos vorgetragen, und zwar ge- 
wohnlich bei Symposien. Beriihmte griechische Elegi- 
ker waren Archilochos, Tyrtaios, Theognis, Solon, 
Xenophanes und in hellenistischer Zeit Kallimachos. 
Bei den Roman war es vor allem die in Distichen ge- 
schriebene Liebes- und Klagedichtung (Catull, Tibull, 
Properz, Ovid u. a.), die dem Begriff der E. einen spe- 
ziellen Inhalt gab, so daB fiir die Nach- und Neudich- 
tungen von E.n seit 1500 nicht mehr die Form, son- 
dern der sehnsuchtig-klagende Inhalt als Kennzeichen 
der Gattung gilt: E.n sind Klagelieder und verliebte Ge- 
dichte (Gottsched). Vertonungen von E.n sind verein- 
zelt seit der Humanistenzeit nachweisbar (z. B. von 
H.Purcell) und wurden besonders gegen Ende des 18. 
Jh. beliebt ( J. Fr. Reichardt, J.R.Zumsteeg u. a., auch 
Beethoven, Elegischer Gesang fiir 4 Singst. und Streich- 
quartett op. 118, 1814). Seit dem 19. Jh. sind gelegent- 
lich auch reine Instrumentalwerke E. betitelt, zuerst 
wohl von J. L. Dussek (1806). E.n fiir Kl. schrieben u. a. 
Liszt, Busoni, Reger und Former, eine E. fiir Vc. und 
Kl. Faure, eine E. fiir V. oder Va solo Strawinsky. An 
Orchester-E.n seien genannt: Bartok, 3. Satz des Kon- 
zertsfiir Orch. (1943), Strawinsky, Ode, Elegiacal Chant 
(1943), Kfenek, Sinfonische E. in memoriam A. von 
Webem (1946). 

Lit.: M. Friedlaender, Das deutsche Lied im 18. Jh., 2 
Bde (in 3 Abt.), Stuttgart 1902, Neudruck Hildesheim 
1962; J. H. Lipsius, Der Ursprung d. E., Lpz. 1914; C. M. 
Bowra, Early Greek Elegists, Oxford 1938; Fr. Beissner, 
Gesch. d. deutschen E., = GrundriB d. germanischen Phi- 
lologie XIV, Bin 1941,21961. 

Elektrochord, Anfang der 1930er Jahre von O. Vier- 
ling entwickelter elektroakustischer (Forster-) Fliigel, 
bei dem der Resonanzboden durch einen (kapazitiven) 
Schwingungsabnehmer, Verstarker und Lautsprecher 
ersetzt wurde. Im Unterschied zu W. Nernst (-> Neo- 
Bechstein-Fliigel) kam es Vierling nicht auf eine Ver- 
besserung des Klavierklanges an; die Entwicklung des 
E.s sollte vielmehr dazu dienen, neue Klangmoglich- 
keiten zu finden. Vierling ging von der Tatsache aus, 
daB bestimmte Teilschwingungen durch Oberlage- 
rung der an verschiedenen Stellen der Saite gleichzeitig 
abgenommenen Schwingungen besonders verstarkt 
bzw. ausgeschaltet werden. Ferner verandert sich der 
(abgenommene) Schwingungsvorgang vollig, wenn 
der Schwingungsabnehmer nicht in der Anschlags- 
und Schwingungsrichtung, sondern senkrecht zu ihr 
angebracht ist. Aus dem bekannten Klavierton wird 
ein langsam anklingender orgelahnlicher Ton. Das E., 
wie auch der Neo-Bechstein-Fliigel, lieferte Erkennt- 
nisse iiber die Natur der Saitenschwingungen, wenn 
auch beide Instrumente nicht serienmaBig gebaut wur- 
den und heute kaum noch Bedeutung haben. 
Lit.: O. Vierling, Das elektroakustische Kl., Diss. Bin 
1936; ders., Das F6rster-E., Zs. d. Ver. Deutscher Inge- 
nieure LXXX, 1936. 

Elektronenorgel (elektronische Orgel), umstrittene 
Bezeichnung fiir eine Reihe von -> Elektrophonen, die 
die Form eines freistehenden Orgelspieltisches mit 
einem oder mehreren Manualen aufweisen und auf ih- 
ren Registerwippen ebenfalls die Namen von Orgel- 
registern iibernehmen. Die Schallerzeugung geschieht 
bei den verschiedenen Fabrikaten (Ahlborn, Conn, 
Hammond, Lipp, Wurlitzer u. a.) entweder elektro- 
magnetisch oder elektrostatisch durch Abtasten von 
schwingenden Zungen oder rotierenden.Profil- bzw. 
Lochscheiben oder rein elektronisch durch Tongene- 



ratoren (Rohre bzw. Transistor - Spule - Kondensa- 
tor). Klangfarbenunterschiede werden bei der letzteren 
Art selektiv durch Filterungen des Grundspektrums er- 
reicht. Obertonregister (Aliquote) werden oft nach 
Art des Multiplexverfahrens als Auszug aus einer 
Grundreihe angelegt. Lautsprecher fiir hohe, mittlere 
und tief e Frequenzen - zum Teil mit regelbarem Nach- 
hall - ermoglichen ein Cresceijdieren bis zu hbchsten 
Starkegraden. J. A.Dereux entwickelte seine pfeifen- 
lose Dereux-Orgel (deutsches Patent 1961), indem er 
verschiedene Register von Cavaille-Coll-Orgeln Ton 
fiir Ton aufnahm und ihre Schwingungskurven im 
Druckverfahren mit einer Silbermetallegierung auf 
Bakelitscheiben iibertrug. Beim Spielen wird der 
Klang elektrostatisch reproduziert. - Abgesehen von 
diesen gespeicherten Orgelklangen fiihrt die elektroni- 
sche Tonerzeugung artgemaB nicht zur Kopie histori- 
scher Orgeln. Um aber weniger aufwendig an Platz 
und Kosten einen Ersatz fiir Orgelinstrumente zu offe- 
rieren, iibernimmt die elektronische Orgel Namen 
und Klange der bekanntesten Orgelregister. Ihr Klang 
aber diirfte die tonpsychologisch so wichtigen Nuan- 
cen des Orgelklangspektrums nach Anlaut, Anschlags- 
nuancierung (besonders auf mechanischer Schleiflade), 
die vollkommene Mischungsmoglichkeit auch ent- 
fernter FuBtonlagen sowie die oszillierenden fremd- 
artigen Beimischungen im Orgelklangspektrum und 
damit dessen innere Lebendigkeit nicht erreichen. 

Elektronenrohre dient der Verstarkung und Gleich- 
richtung elektrischer Schwingungen und ist wesentli- 
cher Bestandteil vom ->- Verstarker. Durch Bestrah- 
lung mit kurzwelligem Licht oder durch Erhitzen, wie 
es bei der E. geschieht, gibt Metall Elektronen ab, die 
sich durch ein elektrisches Feld in gewiinschter Rich- 
rung ablenken lassen. Je geringer der Gasdruck auf der 
Oberschicht des Metalles ist, desto besser konnen die 
Elektronen austreten. So wird ein diinner Metallzylin- 
der (Kathode), der durch einen in ihm aufgespannten 
Draht zum Gliihen erhitzt wird, in eine moglichst 
hochevakuierte glaserne oder metallene Rohre einge- 
fiihrt. Dieser und ein zweiter Metallzylinder (Anode) 
stehen einander gegeniiber und sind mit den Polen ei- 
ner Spannungsquelle (Anodenbatterie) so verbunden, 
daB die von der Heizkathode ausgeschwitzten Elektro- 
nen von der Anode abgesaugt werden konnen. Ein 
zwischen beiden Elektroden angebrachter "Wechsel- 
strom, dessen Ladung wechselphasig positiv odernega- 
tiv ist, macht die E. zu einem Gleichrichter, einer wei- 
teren Verwendungsmoglichkeit neben der Verstar- 
kung. Mit Hilfe einer dritten Elektrode, die in Form 
einer feinen Drahtspirale oder eines Drahmetzes die 
Kathode umschlieBt, wird bei konstanter Heiz- und 
Anodenspannung der Elektronenstrom zwischen Ka- 
thode und Anode durch das elektrostatische Feld vom 
Gitter her gesteuert. Bei geringer Spannung dieses 
Steuergitters (Triode) werden die Elektronen abgesto- 
Ben. Wird die Anodenspannung zusatzlich erhoht, 
kann ein ausreichender Elektronenstrom flieBen, wenn 
das Gitter stromlos bleibt. Die GroBe der gewahlten 
Gittervorspannung im Verhaltnis zu den Elektroden- 
spannungen bezeichnet man in den Kennlinien der E. 
als Arbeitspunkt. Kennlinien sind die graphischen Dar- 
stellungen der Abhangigkeit z. B. des Anodenstromes 
von der Gitterspannung. Ein weiteres Verstarkerele- 
ment ist der -*■ Transistor. 

Lit. : H. Barkhausen, Lehrbuch d. E. u. ihrer technischen 
Anwendungen, Lpz. '1955; M. J. O. Strutt, E., = Lehr- 
buch d. drahtlosen Nachrichtentechnik III, hrsg. v. N. v. 
Korshenewsky u. W. T. Runge, Bin, Gottingen u. Heidel- 
berg 1957; E., in: Technik IV, =Das Fischer Lexikon 
XXXIII, (Ffm.) 1963. 



255 



Elektronische Musik 



17200 Hz 
12500 

9060 

6570 

4760 

3450 

2500 

1S10 

1310 




K. Stockhausen, Nr. 3 Elektronische Studien. Studie II, Partitur-Seite 15. 



Elektronische Musik ist der um 1950 von W. Meyer- 
Eppler eingefiihrte Begriff fiir musikalische Phano- 
mene, die ausschlieBlich auf elektrischem Wege ent- 
stehen. Anstelle der traditionellen Orchesterinstrumen- 
te werden MeBgerate sowie Aufnahme- und Wieder- 
gabeverfahren der elektroakustischen Ubertragungs- 
technik verwendet. Als Klangquellen dienen elektri- 
sche -»■ Generatoren fiir periodische und aperiodische 
Schwingungsformen (Sinuston, weiBes Rauschen, Im- 
puls); Deformationen dieses Materials werden durch 
Filterung, Transposition, Verhallung, Modulation und 
Zerhackung erreicht. Der Komponist hat theoretisch 
stets eine genaue Kontrolle iiber den Verlauf der elek- 
trischen Schwingungen, die im Lautsprecher als Klang 
horbar werden, und damit iiber die Klangfarbe, die 
sich in der Instrumentalmusik dem seriellen Kompo- 
sitionsverfahren nicht einf iigen wollte (-> Serielle Mu- 
sik). In der Praxis jedoch lafit er sich haufig von der 
empirischen Klangerfahrung leiten. Davon zeugen die 
Partituren der E.n M., die nicht den Schwingungsver- 
lauf festhalten, sondern Arbeitsprozesse beschreiben. 
Als Arbeitsgrundlage dient eine Partitur, in der die 
einzelnen Klangelemente zeitabhangig als Frequenz- 
breiten notiert sind, deren dynamischer Verlauf einem 
zweiten System entnommen werden kann. Die Zahlen 
in der Zeitskala zwischen den beiden Systemen geben 
die benotigten Bandzentimeter an (siehe Abbildung 
oben) . Zu diesen noch nicht eindeutigen Angaben kom- 
men spezielle iiber die Teilfrequenzzusammensetzung, 
Modulation, Verzerrung, Verhallung usw. - E. M. 
wird in speziellen Studios produziert, die teils von 
Rundf unkanstalten, teils von Universitaten, selten von 
Musikschulen eingerichtet wurden. Das erste entstand 
1951 am Nordwestdeutschen Rundf unk in Koln, wei- 
tere folgten in fast alien europaischen Landern, in Ja- 



pan, Kanada, Chile und den USA. Neben der Grund- 
ausriistung (mehrere Tonbandgerate, Generatoren, 
Filter, Modulatoren, Hallraum, Mischpult) wurden 
Spezialgerate entwickelt oder in den Dienst der E.n M. 
gestellt, so in Paris Phonogene und Morphophone 
(zur Klangtransposition auf die Stufen der chromati- 
schen Tonleiter und zur Erzeugung variabler Echo- 
frequenzen), in K61n ein Verfahren zur Drehbewe- 
gung der Klange im Raum, in New York (Columbia- 
Princeton University) ein Synthesizer, in Miinchen 
(Studio der Firma Siemens) eine ahnlich wirkende 
Lochstreifensteuerung aller Studiogerate und ein Vo- 
coder (Modulation mit Sprache), in Urbana (Univer- 
sity of Illinois) elektronische Rechenmaschinen 
(-> Computer-Musik). Diese Entwicklung, die keines- 
wegs abgeschlossen ist, dient einerseits der Arbeitsver- 
einfachung, andererseits der Herstellung komplexer 
Klangstrukturen. - Die Produktionsweise der E.n M. 
lafit sich schematisch in drei Abschnitte gliedern : Pro- 
duktion, Transformation und Synchronisation der 
Klange. Zur Produktion gehoren der Aufbau von 
Spektren aus Sinustonen, die Zerlegung des weiBen 
Rauschens in farbiges Rauschen, die Filterung von Im- 
pulsen und ihre Zusammensetzung zu Impulsstruktu- 
ren, gegebenenfalls auch die Mikrophonaufnahme von 
naturlichen Klangen oder der menschlichen Stimme; 
zur Transformation die Zeitdehnung und -raff ung, die 
Verschiebung im Frequenzbereich, lineare und nicht- 
lineare Verzerrung (Veranderung der Dynamik bzw. 
der spektralen Zusammensetzung), die Zerhackung 
mittels Bandschnitt oder elektrischen Zerhackers, die 
Verraumlichung durch naturlichen oder kiinstlichen 
Hallraum (Hallplatte) ; zur Synchronisation die Zu- 
sammensetzung aller Klange nach einem festgelegten 
Zeitplan sowie die Verteilung auf die Tonspuren eines 



256 



Mehrkanalmagnetophons. Unter diesen Bedingungen 
entstehen stationare Klangfarben, ahnlich denen der 
Instrumentalmusik, d. h. in sich einfarbige Klange mit 
definiertem Anfang und Ende (Rhythmik), oder Klan- 
ge mit rasch oder unmerklich wechselndem Farb- 
verlauf, die aber im Detail kompositorisch unkontrol- 
lierbar sind. Daraus werden zwei Konsequenzen ge- 
zogen : statistische Definition des Klanges (Einf iihrung 
von Zufallsentscheidungen, Festlegung pauschaler 
Strukturmerkmale) oder kontrollierbare Veranderung 
des Schwingungsverlaufs durch automatische Steue- 
rungen (Lochstreifen oder Computer). Im ersten Fall 
unterliegt die Klangproduktion einem interpretativen 
Eingriff durch den Komponisten oder einen Realisator, 
im anderen einer durchgehenden Serialisation, die 
durchaus einen Ubergang zu aleatorischen Vorgangen 
erlaubt. Der Gestaltung komplexer Strukturen dient 
auch die Verwendung von Sprache. - Nach anfangli- 
chen Experimenten in Koln mit elektrischen Spielin- 
strumenten, wie Trautonium und Melochord (Eimert 
und Beyer), beschrankte man sich zunachst auf Sinus- 
tonspektren (Goeyvaerts, Gredinger, Hambraeus, 
Pousseur, Stockhausen), ehe Gerausche, Impulse und 



/ Mechanische Schwingungserzeugung (Msummiga sp*ii 



a ) schwingende Sailffn 



Neo- Bechstein-Flugel 



b ) schwingende Zungen 




Elektronium 



~x 



■ II 



Wurlitier - Orget 




Ranger - Harmonium 



Elektrophone 

vielfache Transformationen den Klang reicher und 
flexibler machten (Briin, Evangelisti, Kagel, Koenig, 
Ligeti). Die menschliche Stimme wurde teils einbezo- 
gen (verstehbarer Text), teils als Material verwendet 
(Boehmer, Eimert, Kfenek, Stockhausen), auch Or- 
chesterinstrumente sind zuweilen an der Auffuhrung 
beteiligt (Badings, Boehmer, de Leeuw, Stockhausen). 
- An der technischen oder musikalischen Entwicklung 
der E.n M. waren aufierdem stark beteiligt die Studios 
in Mailand (Berio, Castiglioni, Maderna, Nono), Miin- 
chen (Riedl), New York (Babbitt, Luening, Ussachevs- 
ky) und Urbana (Hiller). 

Lit.: Gravesaner Blatter I-VI, 1955; W. Meyer-Eppler, 
Elektrische Klangerzeugung, Bonn (1949); C. Martin, La 
musique electronique, Paris 1 950 ; Technische Hausmitt. d. 
NWDR VI, 1954, Sonder-H.; E. M., = die Reihe I, Wien 
1955 ; Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin 
1955, als: Phanomene d. mus. Horens, Bin u. Wunsiedel 
21960; Musique experimentale, RBM XIII, 1959, mit urn- 
fassender Bibliogr.; A. A. Moles, Les musiques experimen- 
tales, Paris 1960; Vl. Ussachevsky, Notes on a Piece for 
Tape Recorder, MQ XLVI, 1960; Fr. C. Judd, Electronic 
Music and Musique Concrete, London 1964; Fr. K. Prie- 
berg, E. M. aus Lochstreifen, Melos XXXI, 1964; Reper- 
toire international des musiques exp£ri- 
mentales, hrsg. v. Service de la Recherche 
de la RTF. 



c ) rotierende Scheiben 





Dereux - Orgel 



Welte-Lichtlon-Orgel 



II Elektronische Schwingungserzeugung 



a) HF- Generaloren (einslimmiges Spiel) 



«Misch- 
Gen. 



Aetherophon 
Kurbet - Spharophon 
Ondes musicales 



b) NF- Generatoren 



U U U L, L, L — . 



Hettertion 

Klaviatur - Spharophon 

Melochord 

Trautonium 



NF\ \NF\ \NF\ \NF\ \NF 



Ahlborn-Orgel 
Baldwin- Orgel 
Connsonata - Orgel 
Nov achor d 
Polychord - Orgel 



Elektrophone, Elektro(pho)nische 
Musikinstrumente (oft auch Elektri- 
sche Musikinstrumente genannt) sind 
dadurch charakterisiert, daB sie von 
elektroakustischer Verstarkung Ge- 
brauch machen und den Schall uber 
sekundare -> Schallwandler abstrah- 
len; hingegen sind unter Elektrischen 
Musikinstrumenten strenggenommen 
nur elektrifizierte -»■ Mechanische Mu- 
sikwerke zu verstehen. Zu unterschei- 
den sind E. mit mechanischer und sol- 
che mit elektronischer Schwingungs- 
erzeugung (siehe nebenstehende Ab- 
bildung). Gruppe I kann einmal nach 
den Schwingungserzeugern klassifi- 
ziert werden (Saiten, Zungen, rotie- 
rende Scheiben), zum andern nach der 
Art der Schwingungsabnahme (elek- 
tromagnetisch, elektrostatisch, photo- 
elektrisch und elektroakustisch). Die 
Schwingungserzeugung in Gruppe II 
erfolgt entweder durch 2 Hochfre- 
quenz-(HF-)Generatoren oder in ei- 
nem oder mehreren Niederfrequenz- 
(NF-) Generatoren.Wichtiger Bestand- 
teil fast aller E. sind Filter so wie Am- 
phtuden- und Frequenzmodulatoren, 
deren Verwendung bestimmte Veran- 
derungen im Spektrum bzw. im zeit- 
hchen Verlauf der Schwingungsvor- 
gange ermoghcht, wobei entweder 
bekannte Instrumente imitiert oder 
neue Klangfarben gefunden werden 
sollen. Eine Sonderstellung nehmen 
einige Instrumente der Gruppe la ein 
(z. B.-> Neo-Bechstein-Fliigel, Thien- 
haus-Cembalo), die zunachst lediglich 
einen Verstarkerzusatz erhielten, um 
eine bessere Schallabstrahlung zu er- 
moglichen. Die dabei nicht zu vermei- 
dende Klangverfremdung f iihrte dann 
gelegentlich dazu, diesenneuen »sound« 
besonders zu pflegen (Elektrogitarre). 



17 



257 



Ellig 



- Die meisten E. sind Tasteninstrumente. Besondere 
Spielmechaniken wurden u. a. entwickelt fur -*■ Trau- 
tonium und Hellertion (Bandmanual), -*■ Ondes musi- 
cales (Seilzugmanual, kombiniert mit Klaviatur) und 
-> Aetherophon (manualloser Spielapparat). 
Lit.: W. Heinitz, Instrumentenkunde, Biicken Hdb.; P. 
Lertes, Elektrische Musik, Dresden u. Lpz. 1933; W. 
Meyer-Eppler, Elektrische Klangerzeugung, Bonn (1949); 
E. Stockmann, Der mus. Sinn d. elektroakustischen Mu- 
sikinstr., Diss. Bin 1953, maschr. ; A. Douglas, The Elec- 
tronic Mus. Instr. Manual, London 1949, 3 1957; Actes du 
Ill 6me Congres international de musique sacree Paris 1957, 
Paris (1959). 

Ellig (audi ellicht, ellich, eine Elle), alte Bezeichnung 
statt »in ZweifuBton« (2' = eine Elle; halbellig = 1') 
fiir Orgelstimmen. 

Ellipsis (griech., Auslassung), in der Musiklehre des 
17.-18. Jh. eine aus der Rhetorik iibemommene Be- 
zeichnung fiir eine musikalisch-rhetorische Figur, von 
Bemhard definiert als Verschweigung einer Consonans, 
sei es, daB an deren Stelle eine Pause steht und eine 
Dissonanz f olgt (E. aus dem Transitu herruhrend) : 




sei es, daB in Kadenzen die Quarte nicht in die Terz 
aufgelost oder statt der Terz eine andere Konsonanz 
genommen wird (E. so aus der Syncopation herruhret) : 




Bei Scheibe und Forkel ist E. das iiberraschende Ein- 
setzen eines neuen musikalischen Gedankens, ebenso 
die unerwartete Modulation aus einer Kadenz heraus. - 
In der neueren Harmonielehre wird die Bezeichnung 
Ellipse seit H. Riemann fiir die Auslassung eines Toni- 
kaklanges verwendet (z. B. A. Berg, Streichquartett 
op. 3, SchluB des 1. Satzes). 
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. 31898. 

Elmuahim (arab., Rhombe), Simile E. (Rhomboid) 
und Elmuarifa (arab., unregelmafiiges Viereck) wer- 
den von dem englischen Musiktheoretiker Anonymus 
IV (um 1275, CS I, 339a ft.) zur Beschreibung der Se- 
mibrevisform gebraucht, Elmuarifa nur in Zusam- 
menhang mit der fiir die englische Mensuralnotation 
des 13./14. Jh. typischen Form mit linksseitig abstei- 
gender Cauda (/►). Die arabischen Worter sind in la- 
teinischer Obertragung wohl erstmals greifbar bei dem 
Englander Adelard von Bath (um 1120), der sie selbst 
einer arabischen Ubersetzung des Euklid entnommen 
hat. 

Lit. : H. G. Farmer, The Arabian Influence on Mus. Theo- 
ry, Journal of the Royal Asiatic Soc. 1925, S. 76; J. Hand- 
schin, Zur Leonin-Perotin-Frage, ZfMw XIV, 1931/32, S. 
321 ; L. A. Dittmer, Anonymous IV, = Mus. Theorists in 
Translation I, Brooklyn 1959, S. 31. 

El Salvador. 

Lit. : R. Gonzalez Sol, Datos hist, sobre el arte de la mu- 
sica en El S., San Salvador 1940; M. de Baratta, Ensayo 
sobre musica indigena de El S., Revista de estudios mus. I, 
Mendoza 1950; dies., Cuzcatlan tipico. Ensayo sobre et- 
nofonia de El S., 2 Bde, San Salvador (1951-52). 

Elsafi. 

Lit.: J. F. Lobstein, Beitr. zur Gesch. d. Musik im E., 
StraBburg 1840; E. Barre, t)ber d. Bruderschaft d. Pfeifer 
im E., Colmar 1873; J.-B. Weckerun, Chansons popu- 



lates de PAlsace, 2 Bde, Paris 1883 ; Fr. X. Matthias, Die 
Musik im E., StraBburg 1905; M. Vogeleis, Quellen u. 
Bausteine zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters im E., 500- 
1800, StraBburg 1911; A. Oberdoerffer, Nouvel apercu 
hist, sur l'etat de la musique en Alsace . . . de 1840 a 1913, 
StraBburg 1914; J. Muller-Blattau, Das E., ein Grenz- 
land deutscher Musik, Freiburg i. Br. 1922; ders., Das el- 
sassische Volkslied, in: Deutsches Arch. f. Landes- u. 
Volksforschung I, 1937; W. Kipp, Das singende E., Col- 
mar o. J.; O. Baensch, Elsassisches Musikleben v. 1871- 
1918, in: Wiss., Kunst u. Lit. in E.-Lothringen 1871-1918, 
hrsg. v. G. Wolfram, = Das Reichsland E.-Lothringen 
III, Ffm. 1934; E. Flade, Die elsassischen Org. d. Briider 
Silbermann bis 1710, in: G. Silbermann, Lpz. 1953; J. Ch. 
Haeberle, Les premiers s. des lettres et de la musique en 
Alsace, StraBburg 1953; E. Muller, Das neue Gesang- 
buch f. E. u. Lothringen, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie I, 
1 955 ; F. A. Goehlinger, Der elsassische Episkopat u. sei- 
ne Forderung d. Kirchengesanges im Laufe d. letzten 4 Jh., 
in: Caecilia, StraBburg LXIII, 1955, u. LXIV, 1956; ders., 
Gesang u. Musik im E. im Laufe d. letzten Jh., ebenda 
LXV, 1957; J. Worsching, Die Orgelwerke d. Abteien 
Maursmiinster u. Ebersmiinster, Mainz 1956. 

Embellishments (imb'elifmants, engl. ; ital. abbelli- 
menti) -»■ Verzierungen. 

Emilia (Italien). 

Lit. : anon., Cat. delle rappresentazioni in musica esposte 
nei teatri di Reggio dal 1701 al 1825, Reggio nell'E. 1826; 
A. G. Spinelli, Notizie spettanti alia storia della musica 
in Carpi, Carpi 1900; Fr. Vatielli, La stampa mus. a 
Ferrara, Bologna, Modena e Parma, in : Tresori delle bibl. 
d'ltalia, Mailand 1932; G. Porisini, Musica e balli in Fa- 
enzanel 1775, Faenza 1935; Fr. B. Pratella, Etnofonia di 
Romagna, Udine 1938; Accad. mus. Chigiana. Musicisti 
della Scuola emiliana, hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron- 
caglia, Siena 1956; Musicisti e artisti forlivesi. Note sto- 
riche e biogr., Forli 1957; Musicisti lombardi ed emiliani. 
Per la XV settimana mus., hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron- 
caglIa, Siena 1 958 ; M. Borgatti, Canti popolari emiliani, 
= Bibl. di »Lares« IX, Florenz 1962. 

emmelisch (von griech. c|j.u,eXt)?, im Melos) nennt 
die Theorie der Griechischen Musik die Tone mit 
fester Tonhohe, deren zahlenmaBig bestimmbare In- 
tervallbeziehungen das Melos vom Klang der Rede 
unterscheiden. In engerem Sinne heifien e. die Inter- 
valle, die kleiner als eine Quarte und dutch iiberteilige 
Proportion (wie der Ganzton, 9:8 oder 10:9) be- 
stimmt sind. Intervalle mit komplizierteren Proportio- 
nen oder Klange ohne feste Tonhohe (1^6901) passen 
nicht zum Melos und heifien ekmelisch (exu.£AT)c;, 
auch 7tArj(i(xeXY]<;). - Emmeleia bezeichnet auch einen, 
vor allem zur Tragodie gehorenden, nach Platon (No- 
moi VII, 816B) ruhigen Tanz. 

Empfindsamer Stil, Stilperiode zwischen etwa 
1740-60. In Anlehnung an das Wort Empfindung, einen 
der asthetischen Grundbegriffe der Zeit, meint E.St. 
unter Verwendung von Lessings Begriffswort empfind- 
sam, das er 1768 als Ubersetzung des englischen senti- 
mental vorschlug, jene expressive, ruhrende (bewegen- 
de), gefiihlsbetonte Komponente der nachbarocken 
und vorklassischen Ubergangszeit, die zusammen mit 
dem -*■ Galanten Stil zum Wesen des musikahschen 
Rokokos gehort. 

Emphasis (griech., Verdeutlichung, Nachdruck), be- 
deutet in der Kompositionslehre des 18. Jh. eine nach- 
driickliche Vortragsweise, die (nach Vogt) entweder 
vom Komponisten gefordert oder vbm Ausfiihrenden 
selbstandig vorgenommen wird. Im weiteren Sinne 
konnen als E. auch die Nachdruck bewirkenden Wie- 
derholungsfiguren verstanden werden (-> Figuren, 
musikalisch-rhetorische) . 

Engfiihrung (lat. restrictio; ital. und engl. stretto; frz. 
strette), eine Art der imitativen Themendurchfiihrung, 



258 



Enharmonik 



bei der eine Stimme mit dem Thema einsetzt, bevor es 
in der vorangehenden zu Ende gefiihrt ist. Ein Beispiel 
reicher Verwendung der E. ist die 1. Fuge in Bachs 
Wohltemperiertem Klavier (BWV 846). 

England ->■ Britische Musik. 

Englisch Horn (ital. corno inglese; frz. cor anglais), 
eine Altoboe in F (Umfang es oder e-b 2 , im Violin- 
schliissel eine Quinte hoher als klingend notiert). Das 
E. H. ist um 1730-40 aus der Oboe da caccia hervorge- 
gangen. Von etwa 1770-1820 wurde es wegen des et- 
was rohen Tons wenig verwendet. Es hatte zunachst 
die sichelformig gekrummte Gestalt wie der Zink und 
das Bassetthorn der gleichen Zeit, zusammengesetzt 
aus 2 ausgehohlten Teilen und mit Leder iiberzogen. 
Um 1820^30 wurde die Altoboe von Triebert und 
Brod als Cor anglais in Paris in Anlehnung an die Oboe 
neu konstruiert. Sie bekam gerade Form mit abge- 
knicktem Mundstiick und modernem Klappenmecha- 
nismus; der -*■ LiebesfuB blieb. In dieser Form konnte 
sich das E. H. durchsetzen und wird seitdem im groBen 
Orchester vorgeschrieben. 

Englisch Violet, nach L. Mozart (1756) hauptsiichlkh 
von der Viola d'Amore nur dadurch unterschieden, da/3 es 
oben 7. und unten 14. Seyten (Aliquotsaiten), undfolglich 
audi eine andere Stimmung hat, audi wegen Viele (der 
Menge) der untern Klangseyten einen starkern Laut von 
sich gebend; Albrechtsberger zufolge hat das E. V. nur 
6 Saiten. Koch hob 1802 als Unterschied die 14 Reso- 
nanzsaiten (statt der 6-7 der Viola d'amore) und die 
andere Stimmung hervor. Nach C. Sachs ist E. V. mit 
6 oder 7 spielbaren Saiten (dazu die Resonanzsaiten un- 
ter dem Griffbrett) nichts anderes als eine Viola d'amo- 
re. Auch nannte man eine friiher manchmal ange- 
wandte besondere Stimmung (Scordatura) der Viola 
(e a ei ai) E. V. 

English Waltz ('inglif wo :1s, engl.), auch -*■ Boston, 
ist ein um 1915 in Amerika entstandener langsamer 
Walzer (ruhiger 3/4-Takt), der sich in den 1920er Jah- 
ren vor allem auch in Deutschland einbiirgerte und 
noch heute zu den Standardtanzen gehdrt; die Melo- 
dien sind haufig sentimental (z. B. Moonlight Madonna; 
Charmaine). 

Enharmonik (von griech. !vapu,6vic<, in der Har- 
monia) ist die Verwendung von Intervallen, die klei- 
ner sind als der chromatische Halbton. Ihre GroBe, 
akustische Realisation und kompositorische Anwen- 
dung haben im Lauf der Musikgeschichte mehrfach ge- 
wechselt. Das Prinzip der E. in der antiken griechi- 
schen Musik ist - in urspriinglichem Gegensatz zur 
Diatonik - das Aufsuchen der kleinstmoglichen Inter- 
valle als Kontrast zum symphonen Rahmen der Har- 
monia, der in der Oktave (sie heiBt bei Philolaos Har- 
monia) und ihrer Teilung in 2 Quarten (und einen 
Ganzton) gegeben ist. Die altere E. des Auleten Olym- 
pos teilt die Quarte in groBe Terz und Halbton und 
gelangt so zu einer pentatonischen Skala, z. B. : e 1 c 1 h 
a £ e. Das charakteristische — v Pyknon der jungeren, 
heptatonischen E. drangt die 2 beweglichen Intervalle 
des Tetrachords im Raum eines Halbtons iiber dem 
tiefen Grenzton zusammen. Der Pythagoreer Archytas 
von Tarent (1. Halfte des 4. Jh. v. Chr.), der als tiefstes 
Intervall im enharmonischen wie auch im diatonischen 
und chromatischen Tetrachord einen Drittelton be- 
nutzt, stellt die E. als eine Folge GroBe Terz - Sechstel- 
ton - Drittelton dar. Die anderen Theoretiker setzen 
im allgemeinen den Halbton der E. dem der anderen 
Genera gleich und unterteilen ihn in meist ungleiche 
Vierteltone. Typisch ist injedem Falle der scharfe Kon- 
trast von 3 Intervallarten: symphone Quarte und 



Quinte, groBe Terz und Halbton-Pyknon mit Unter- 
teilung in 2 kleinste Tonschritte. Als Zeugnis antiker 
E. ist das Bruchstiick eines Chorlieds aus Euripides' 
Orestes auf einem Papyrus des 3.-2. Jh. v. Chr. erhal- 
ten. - Inwieweit E. in der Musik des Mittelalters Ver- 
wendung fand, ist noch nicht geklart. Kleinere als 
Halbtonschritte sind in manchen Choralhandschriften 
zwar nachweisbar und werden von verschiedenen 
Theoretikern bezeugt, scheinen jedoch nicht auf die 
griechische E. zuriickzugehen. Marchettus von Padua 
(GS III, 72ff.) unterscheidet 3 Halbtone, den »enhar- 
monischen« (a-b = 2 Diesen), den diatonischen (b-t| 
= 3 Diesen) und den chromatischen (c-cis = 4 Diesen) ; 
der Ganzton betragt bei ihm 5 Diesen. Besondere Zei- 
chen zur Unterscheidung der 3 Halbtone entwickelte 
Ciconia (f 1411). In ausdriicklichem Gegensatz zu 
Marchettus baut ->- Beldemandis (CS III, 251ff.) den 
Ganzton aus 9 Chromata auf und teilt ihn uberall in 2 
Halbtone (semitonium maius = 5, semitonium minus 
= 4 Chromata; ahnlich Tinctoris Diffinitorium, Ar- 
tikel Semitonium minus). Auf diese Weise erhalt er 
- wohl als erster im Mittelalter - eine 17stufige enhar- 
monisch-chromatische Skala. - Zu hoher Aktualitat 
gelangte die E. - neben der Chromatik - im Zusam- 
menhang mit den Bemuhungen um eine Wiederbe- 
lebung der antiken Tongeschlechter in der Musiktheo- 
rie des 16. Jh. 

Ausgehend von der damals herrschenden mitteltoni- 
gen Temperatur (entweder mit reinen groBen oder 
reinen kleinen Terzen) nannte man E. die Ausweitung 
des 12stufigen Systems c cis d es e f fis g as(gis) a b h 
(entstanden durch Hoch- bzw. Tiefalteration der Fa- 
und Mi-Stufen aller 3 Hexachorde) zur gleichschwe- 
benden Temperatur mit 19 (Salinas) bzw. 31 Stufen 
(Vicentino) ; fur Salinas z. B. galten die Tone des, dis, 
eis, ges, as, ais als »enharmonisch«. In Vicentinos Tem- 
peratur (1555) betragt die Differenz zwischen gis und 
as (diesis minore enarmonico) einen Fiinftelton. Die 
Erhohung um eine kleine Diesis bezeichnete Vicentino 
durch einen Punkt iiber der Note. Auf seinem Archi- 
cembalo waren samtliche diatonischen, chromatischen 
und enharmonischen Tone darstellbar. Als sich im Lau- 
fe des 18. Jh. die zwolftonig temperierte Stimmung 
(gleich- oder ungleichschwebend) durchsetzte, konnte 
der Unterschied z. B. zwischen gis und as nicht mehr 
realisiert werden. Zwar blieb die reine Stimmung 
auch in der Musik fur Tasteninstrumente noch lange 
(teilweise bis ins 20. Jh.) wenigstens ideell die Grundla- 
ge aller Intervallvorsteliungen, weshalb M. Hauptmann 
1853 sagen konnte, daB.auch temperierte Intervalle als 
rein gelten wollen. Dadurch aber wurde die Unter- 
scheidung der Intervalle weitgehend zu einer Sache 
der Auff assung, die ihrerseits vom Kontext abhing. 
Das »Enharmonische« hat seitdem dieses Sonderbare, 
daji es gewissermafien nur in der Einbildung besteht, und 
dennoch grofie Wiirkung thun kann (Sulzer 1792). Diese 
Wirkung vollbringen, worauf zwischen 1727 und 1731 
bereits J.-Ph.Rameau hinwies, differentes modulations, 
durch welche ein und dieselbe Tonstufe unmittelbar 
nacheinander unterschiedliche tonale Bedeutungen er- 
halt. Diese enharmonische Umdeutung ersetzt seit An- 
fang des 18. Jh. in steigendem Mafie die eigentliche E. 
Mit ihren Moglichkeiten haben sich Rameau (z. B. 
L'Enharmonique fur Cemb., 2. Trio des Parques in Hip- 
polyte et Aricie, 2. Akt), B.Marcello (Solokantate La 
Stravaganza), Fux (Sonata VI fur Cemb.) und J. S. Bach 
(z. B. Chromatische Fantasie) auseinandergesetzt. Be- 
sondere Bedeutung erlangte sie als Modulationsmittel 
iiber den verminderten Septimenakkord, den iiber- 
maBigen Quintsextakkord u. a. - die »enharmoni- 
schen Akkorde«, wie sie seit E.A.Forster (1805) viel- 



17* 



259 



Enharmonik 



fach genannt werden. Von der enharmonischen Um- 
deutung muB die enharmonische Verwechslung, die 
bloBe schreibtechnische Auswechslung von # und \>, 
geschieden werden. Sie geschieht aus Grunden der 
leichteren Lesbarkeit bzw. Ausf iihrbarkeit und bedeu- 
tet keinen Wechsel in der tonalen Auffassung einer 
Tonstufe. Ein Sonderfall enharmonischer Umdeutung 
ist die sharmonische Spirale« (W.Keller): Modulation 
in eine Tonart, die durch enharmonische Umdeutung 
mit der Ausgangstonart gleichgesetzt werden kann 
(z. B. His dur = C dur). Ihr Ursprung sind jene »har- 
monischen Labyrinthe« durch mehrfache Hexachord- 
transpositionen (K.Levy), wie sie im 16. Jh. beliebt 
waren (z. B. A.Willaert, Quid non ebrietas, 1519). Als 
»harmonische Circuln« wurden sie um 1700 durch die 
Theoretiker der zwolftonig temperierten Stimmung 
und durch GeneralbaBschulen wie die von Heinichen 
(1728) und Mattheson (1731) gelaufig (-> Quintenzir- 
kel). In der Komposition blieben sie im 18. Jh. - wie 
die enharmonische Umdeutung uberhaupt - meist auf 
die freie Fantasie und das Rezitativ beschrankt. Erst zu 
Anfang des 19. Jh. fanden sie, besonders durch Schu- 
bert, auch in die ubrigen Formen und Gattungen der 
Musik Eingang. Vor allem blieben sie nicht mehr auf 
die Musik fiir Tasteninstrumente beschrankt. Enhar- 
monische Umdeutungen und harmonische Spiralen 
nehmen zu Beginn des 20. Jh. schlieBlich so iiberhand, 
daB sie ihre urspriingliche Reizwirkung verlieren. 
Schonberg erkennt im »vagierenden« Charakter des 
verminderten Septimenakkords, der oft mit enharmo- 
nischer Umdeutung verbunden ist, eine jener Funktio- 
nen des tonalen Systems, die zur Aufhebung der Tonali- 
tatfuhren muSten (Harmonielehre, 3. Auflage, S. 239), 
und legt seinen Kompositionen die gleichschwebend 
temperierte chromatische Skala zugrunde. Kleinste In- 
tervalle verwendet auf traditionellen Instrumenten vor 
allem A.Haba in seiner -> Vierteltonmusik und in 
Werken mit Drittel- und Sechsteltonen. In jiingster 
Zeit ermoglicht die -> Elektronische Musik dem Kom- 
ponisten, kleinste Intervalle verschiedener GroBe nach 
Belieben in die Komposition einzufuhren. 

Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg. 
v. R. Da Rios, Rom 1954 ; Die Harmonielehre d. Klaudios 
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogskolas 
arsskrift XXXVI, 1, 1930, dazu ebenda XXXVIII, 2, 1932 
(Porph yrios' Kommentar) u. XL, 1 , 1934 (deutsche Ubers.) ; 
Plutarque de la musique, hrsg. v. Fr. Lasserre, = Bibl. 
helvetica romana I, Olten u. Lausanne 1954; Musici scrip- 
tores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Suppl. 1899, 
Neudruck Hildesheim 1962; Marchettus de Padua, Lu- 
cidarium, GS III; Pr. de Beldemandis, Libellus monb- 
cordi, CS III; J. Tinctoris, Terminorum Musicae Diffini- 
torium, lat. u. frz., hrsg. v. A. Machabey, Paris (1951) ; N. 
Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna prattica, 
Rom 1555, Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, =DM1 I, 17, 
1959; A. Kircher, Musurgia universalis, Rom 1650, Kap. 
VII, 7 ; J.-Ph. Rameau, Nouvelles suites de pieces de clave- 
cin avec des remarques sur les differents genres de la mu- 
sique, Paris (zwischen 1 727u. 1 73 1 ), darinL'Enharmonique; 
ders., Demonstration du principe de l'harmonie, Paris 
1750, deutsch v. E. Lesser, = Quellenschriften d. Musik- 
theorie I, Wolfenbiittel u. Bin 1930; J. D. Heinichen, Der 
Gb. in d. Composition, Dresden 1 728 ; J. A. Scheibe, Com- 
pendium Musices theoretico-practicum . . . , um 1730, 
hrsg. v. P. Benary, in : Die deutsche Kompositionslehre d. 
18. Jh., = Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961 ; 
J. D'Alembert, Elemens de musique .... Paris 1752 
u. 6., deutsch v. Fr. W. Marpurg, Lpz. 1757; G. Tartini, 
Trattato di musica . . ., Padua 1754, deutsch v. A. U. Ru- 
beli, Diss. Zurich 1958; Fr. W. Marpurg, Hdb. bey d. 
Gb. . . . I, Bin 1 755, 2 1 762 ;J.-J. Rousseau, Dictionnairede 
musique, Genf 1767(7), Paris 1768 u. o., Artikel Enharmo- 
nique; J. Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen Satzes I, 
Bin 1771; J. G. Sulzer, AUgemeine Theorie d. Schonen 
Kunste II, Lpz. 21792, Artikel Enharmonisch; E. A. For- 



ster, Anleitung zum Gb., Wien 1805; M. Hauptmann, 
Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik, Lpz. 1853, 21873; 
Riemann MTh; L. Laloy, Anciennes gammes enharmo- 
niques, Rev. de philologie XXIII, 1899; ders., Le genre 
enharmonique des Grecs, Kgr.-Ber. Paris 1900; H. Abert, 
Ein neuer mus. Papyrusfund, ZIMG VIII, 1906/07; R. 
Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Stuttgart 1 907, 5 1 9 1 6, 
'1929, neubearb. v. W. Courvoisier, R. G'schrey, G. Geier- 
haasu. K. Blessinger 10 1933; J. Gmelch, DieVierteltonstu- 
fen im MeBtonale v. Montpellier, = VerofT. d. Gregoriani- 
schen Akad. zu Freiburg VI, Eichstatt 1911; A. Schon- 
berg, Harmonielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; 
C. Del Grande, Musica enarmonica nell'antica Grecia, 
RMI XXXVI, 1929; R. P. Winnington-Ingram, Aristo- 
xenus and the Intervals . . . , The Class. Quarterly XXVI, 
1932, dazu K. Schlesinger, ebenda XXVII, 1933; ders., 
Die E. d. Griechen, Mf XVIII, 1965; W. Dupont, Gesch. 
d. mus. Temperatur, Kassel 1935; H. Husmann, Olympos, 
JbP XLIV, 1937; J. S. Levitan, A. Willaert's Famous 
Duo . . ., TVer XV, 1938, dazu E. E. Lowinsky in: TMw 
XVIII, 1956; O. GoMBOSi.Tonartenu. Stimmungend. anti- 
ken Musik, Kopenhagen 1939, Neudruck 1950; D. P.Wal- 
ker, Mus. Humanism in the 16 th and Early 17 th Cent., MR 
II, 1 941 - III, 1942, deutsch als : Der mus. Humanismus im 
16. u. friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); H.-H. 
Drager, Der heutige Bach-Horer u. d. gleichschwebende 
Temperatur, in: Bach-Probleme, Lpz. 1950; ders., Zur 
mitteltonigen u. gleichschwebenden Temperatur, Ber. fiber 
d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950; S. Clercx-Lejeune, J. 
Ciconia th£oricien, Ann. mus. Ill, 1955 ; K. J. Levy, Coste- 
ley's Chromatic Chanson, ebenda, dazu C. Dahlhaus in: 
Mf XVI, 1963 ; H. Pfrogner, Zur Theorieauffassung d. E. 
im Zeitalter Mozarts, Kgr.-Ber. Wien 1956; C. Girdle- 
stone, J.-Ph. Rameau, London (1957); W. Keller, Hdb. 
d. Tonsatzlehre I, Regensburg 1957; J. Lohmann, Die 
griech. Musik als mathematische Form, AfMw XIV, 1957 ; 
E. Seidel, Die E. in d. harmonischen GroBformen Fr. 
Schuberts, Diss. Ffm. 1962; M. Vogel, Anregendes Grie- 
chentum, Mf XV, 1962; ders., Die E. d. Griechen, 2 Bde, 
= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. Musik III— 
IV, Dusseldorf 1963. ESe 

Ensalada (span., Salat, »Mischmasch«), eine in Spanien 
in der 1. Halite des 16. Jh. verbreitete Kompositions- 
'i orm, die ahnlich wie das -> Quodlibet aus bekannten 
Melodien zusammengesetzt ist. Quodlibetisch ist schon 
die 6st. Cancion Por las sierras von Fr. de Penalosa. Die 
bedeutendsten E.s sind die von M.Flecha dem Alteren 
{Las E.s de Flecha . . . recopiladas por F. Matheo Flecha, 
1581 ; darin auch E.s von Flecha dem Jiingeren, Cha- 
con, Carceres und Vila). Sie haben einen religiosen 
Grundzug und sind fiir die Weihnachtsfeiern des her- 
zoglichen Hofs von Kalabrien geschrieben; gleichzei- 
tiger Vortrag verschiedener Texte kommt in Battaglia- 
Szenen vor (Kampf des Guten gegen das Bose). - Als 
Bezeichnung fiir ein Orgelstiick begegnet E. bei Agui- 
lera de Heredia. 

Ausg.: Fr. de Penalosa, Por las sierras, in: Cancionero 
mus. de los s. XV y XVI, hrsg. v. Fr. Ansenjo Barbieri, Ma- 
drid (1890), Neudruck Buenos Aires 1945 ; M. Flecha, Las 
E., hrsg. v. H. Angles, = Publicacions del Departament 
de musica de la Bibl. de Catalunya XVI, Barcelona 1954; 
S. Aguilera de Heredia, E. f. Org., in: Hist. Organ Re- 
citals I, hrsg. v. J. Bonnet, NY (1940). 
Lit. : J. Romeu Figueras, Las canciones de raiz tradicional 
acogidas por Carceres en su e. »La trulla«, Miscel£nea en 
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; K. Gude- 
will, Ursprunge u. nationale Aspekte d. Quodlibets, Kgr.- 
Ber. NY 1961, Bd I u. II. 

Ensemble (as'a:bl, frz., zusammen, miteinander), im 
alteren franzosischen Sprachgebrauch adverbial ver- 
wendet zur Charakterisierung des Zusammenwirkens 
einer musizierenden Gruppe; spater bezeichnet mu- 
sique d'ensemble Kammermusik, auch mehrstimmige 
Musik uberhaupt. Ein E. ist, auch auBerhalb Frank- 
reichs, jede Art von Kammermusikvereinigung, in der 



260 



Epistel 



Unterhaltungsmusik und im Jazz eine Kleinbesetzung. 
Auch das standige Sangerpersonal einer Opernbiihne 
heiBt E. - In Opern wird seit der Mitte des 18. Jh. ein 
Abschnitt, in dem mehrere Solisten zusammenwirken, 
E. genannt. Gewohnlich steht es im Aktinneren und 
hat die gleichzeitig kundgetanen Gedanken verschie- 
dener Personen zum Inhalt; oft bildet es einen Ruhe- 
punkt im Handlungsablauf und steht somit im Gegen- 
satz zum breiter und dramatischer angelegten, zum 
Teil durch Chor verstarkten -*■ Finale (- 2) . Das E . taucht 
schon in Opern des 17. Jh. auf, z. B. bei Abbatini, Ros- 
si, Cesti, Lully und Provenzale; eine fortlaufende Ent- 
wicklung setzt aber erst in der italienischen Opera 
buffa am Anfang des 18. Jh. ein (A.Scarlatti 1718). 
Seitdem ist das E. wesentlicher Bestandteil der Opern- 
literatur (Mozart, Don Giovanni, Sextett im 2. Akt; 
Verdi, Rigoletto, 3. Akt, vor dem Mord an Gilda; Stra- 
winsky, The Rake's Progress, Schlufl des 1. Akts). 
Lit. : H. Goldschmidt, Studien zur Gesch. d. ital. Oper im 
17. Jh., 2 Bde, Lpz. 1901-04; ders., Fr. Provenzale als Dra- 
matiker, SIMG VII, 1905/06, S. 609 ; E. J. Dent, E. and Fi- 
nales in 18" 1 Cent. Ital. Opera, SIMG XI, 1909/10 - XII, 
1910/1 1 ; H. Abert, Piccinni als Buffokomponist, JbP XX, 
1914; ders., Paisiellos Buffokunst u. . . . Mozart, AfMw I, 
1918/19; M. Fuchs, Die Entwicklung d. Finales in d. ital. 
Opera buffa vor Mozart, Diss. Wien 1932, maschr. 

Entr'acte (atr'akt, frz., Zwischenakt; ital. auch ->- In- 
termezzo), Zwischenaktsmusik bei Opern und Schau- 
spielen (hiier Teil der -»• Buhnenmusik). 

Entrada (span.), Entrata (ital.) -> Intrada. 

Entree (atr'e, frz.), - 1) im 16.-18. Jh. imfranzosischen 
Ballett (Ballet de cour, Ballet a e.s) der Auftritt der Per- 
sonen zu einer Szene, im weiteren Sinne die Szene selbst, 
ein Abschnitt in der locker gef iigten Handlung, der ein 
bestimmtes Sujet darstellt. Ein groBes Ballett umfaBte 
bis zu 30 E.s. Auch die Musik zu Teilen oder zum Gan- 
zen der Szene oder ein Zwischenspiel (E. des luths vor 
dem abschlieBenden Grand ballet) wurde als E. be- 
zeichnet. Als Einzugsmusik (-*■ Intrada) ist sie feierlich 
schreitend, im Rhythmus von Pavane, Allemande, spa- 
ter (bei Rameau) oft im Marschrhythmus. Die charak- 
terisierende Musik zu den E.s des ganzen Ensembles 
(das z. B. in exotischen, militarischen oder komischen 
Kostiimen auftritt) und der Solisten (E. a caractere) 
wurde auch zu Suiten zusammengestellt (z. B. in Georg 
Muff ats Orchesterouvertiiren : Pavane E. des Espagnols, 
Gavotte E. des Fraudes); auch wurden Suiten ohne 
Bindung an die Biihne mit Stiicken in der Art der E.s 
komponiert (-> Charakterstiick). - 2) der Einsatz einer 
Stimme im kontrapunktischen Satz. 
Lit.: zu 1): WaltherL; Mattheson Capellm. ; H. Pru- 
nieres, Le ballet de cour en France avant Benserade et 
Lully, Paris 1914. 

Enzyklopadien -> Lexika. 

Epanalepsis (griech., Wiederaufnahme), eine in der 
Kompositionslehre um 1700 (z. B. bei Able und Vogt) 
auf die Musik iibertragene Bezeichnung einer rhetori- 
schen Figur, die noch Gottsched im Sinne antiker Rhe- 
torik erklart (ahnlich WaltherL) : E., die Wiederholung 
des Anfangswortes am Ende desselben Satzes: oder auch 
kurz darauf, beim Schlusse des ganzen Satzes. Entspre- 
chend bezeichnet E. in der Musik die emphatische Wie- 
derholung einer Tongruppe zu Beginn einer Periode 
an deren Ende, ahnlich der -*■ Symploke. 

Epilog (griech. ETuXoyo?, Nachwort, Nachspiel), in 
Schauspiel und Oper SchluBworte oder -verse mit ei- 
ner allgemeinen Betrachtung iiber das Werk, oft die 
Lehre des Stiickes zusammenfassend, oder als Huldi- 
gung (->■ Licenza). Im instrumentalmusikahschen Be- 



reich erscheint der E. in seiner einf achsten Form als eine 
der SchluBkadenz angehangte Figurierung des SchluB- 
akkordes. In der vollentwickelten Sonatensatzform 
ist E. die an den ->■ Seitensatz anschheBende SchluB- 
gruppe der Exposition, oft nicht mehr als eine ausge- 
weitete SchluBkadenz, die vielfach durch ihre Wieder- 
holung Geschlossenheit erhalt (W.A.Mozart, Violin- 
konzert G dur, K.-V. 216). Der E. nimmt in seinem 
musikalischen Aufbau Bezug auf die vorangegangenen 
Themen oder fiihrt neues thematisches Material ein. 
In diesen Fallen liegt ihm oft der 2teilige Liedtypus 
zugrunde (W.A.Mozart, Ouvertiire zu Le Nozze di 
Figaro). Seine thematische Eigenstandigkeit fiihrte bei 
Brahms und Bruckner zur Ausbildung des 3. Themas 
in der Exposition. - E. wird auch synonym fur -*■ Co- 
da verwendet. - Als Oberschxift findet sich E. fur ab- 
schheBende Teile ein- und mehrsatziger Kompositio- 
nen (Former, Shakespeare-Songs; R.Strauss, TillEulen- 
spiegels lustige Streiche) und in der Oper (Strawinsky, 
The Rake's Progress). 

Epinette (epin'et, frz.) -*■ Spinett; e. des Vosges 
-*■ Scheitholz. 

Epiphonus (lat.) -»■ Neumen (- 1). 
Episema (griech.) -»• Neumen (- 1). 
Episode (griech. ineia6Siov, Einschaltung), in eine 
Komposition eingeschobener Teil, der fur die Ent- 
wicklung innerhalb des Werkes eine untergeordnete 
Rolle spielt und auBerhalb der eigentlichen themati- 
schen Arbeit steht. In der Fuge werden die Zwischen- 
spiele zwischen den Durchfiihrungen E.n genannt. Sie 
verwenden thematisches Material oder sind aus neuen 
Motiven entwickelt und ubernehmen die Aufgabe der 
Modulation. In dem fugierten Hauptteil der franzosi- 
schen Ouvertiire nach 1700 stechen die Zwischenspiele 
in Gestalt von Trio-E.n stark gegen die Tuttifugierung 
ab (z. B. J. S. Bachs Orchesterouvertiiren). Bei Werken 
mit refrainartig wiederkehrenden Hauptgedanken 
(Hauptteilen), wie dem Rondo, bilden die Zwischen- 
glieder (E.n) einen Kontrast zum Hauptgedanken. E.n 
in der -*■ Sonatensatzform sind thematisch und moti- 
visch Einschiibe, die nicht weiter verarbeitet werden 
und auBerhalb des eigentlichen thematischen Ge- 
schehens liegen (z. B. Einfiihrung eines neuen Themas 
in Beethovens Sinfonia eroica, Takt 284fL). Fiir die 
Opernliteratur wird E. im literarischen Sinne verwen- 
det als in sich geschlossene Einschaltung, die mit der 
Haupthandlung nicht in unmittelbarer Beziehung 
steht (Lever-Szene im Rosenkavalier, 1. Akt; Romanze 
und Arie des Annchen im Freischiitz, 2. Akt). E. als 
Werkbezeichnung findet sich z. B. bei Reger: E.n, Kla- 
vierstiicke op. 115. 

Epistel (griech. 47U<m>Xif), Brief), die 1. Lesung der 
romischen Messe, auch Lectio (bis zur Karolingerzeit 
Apostolus) genannt. Sie umfaBt bestimmte Abschnitte 
(Perikopen) aus Apostelbriefen und -geschichte, Apo- 
kalypse sowie Altem Testament mit Oberschrift (= Ti- 
tulus, z. B. Lectio libri Sapientiae), Einleitungsformel 
(z. B. Fratres; Haec dicit Dominus) und gelegentlicher 
SchluBformel (z. B. in Christo Jesu, Domino nostro). 
Nach den altesten Quellen war der Vortrag des E.- 
Textes an einen Lektor gebunden, dessen Funktion 
seit dem 4. Jh. vor allem in Rom auch von Knaben aus- 
geiibt und spater im papstlichen Stationsgottesdienst 
dem Subdiakon iibertragen wurde (7./8. Jh., Ordo 
Romanus I, 56). In Fortsetzung dieser Praxis kann die 
E. noch heute in Messen mit dem Volk von einem 
Lektor ausgefiihrt werden (Instructio der Ritenkon- 
gregation vom 26. 9. 1964, Artikel 50) ; doch bleibt sie 
im Hochamt dem Subdiakon vorbehalten. Entgegen 



261 



Epistel 

der bisherigen Tradition gestattet die Liturgiekonsti- 
tution des 2. Vatikanischen Konzils (Artikel 54) den 
Gebrauch der Muttersprache bei samtlichen Lesungen 
jener MeBgottesdienste, an denen das Volk teilnimmt. 
- Der musikalische Vortrag der E. vollzieht sich im so- 
genannten E.-Ton, dessen formelhafter Verlauf nach 
Art des Accentus (->■ Akzent - 2) mehr oder weniger 
der Metrik und Sinngliederung des Textes unterge- 
ordnet ist. Neben dem einfachen Tonus epistolae mit 
fortlaufender Rezitation auf dem Tenor (c 1 ) und Frage- 
modulation verwendet die moderne Choralpraxis eine 
dem Cantorinus von 1513 entnommene, melodisch 
reichere Formel (Graduale Romanum: Toni commu- 
nes III). Sie weist vier - den Interpunktionsstellen des 
Textes zugeordnete - Kadenzbildungen (pausationes, 
positurae) auf: 1) das zweiakzentige, von einer einzel- 
nen Note vorbereitete Metrum, welches gewohnlich 
beim Semikolon und beim Doppelpunkt (sofern die- 
sem keine direkte Rede fplgt), bisweilen auch beim 
Komma steht ; 2) das Punctum am SchluB eines Satzes 
(zweiakzentig) ; 3) die Interrogatio (Fragemodulation) ; 
4) die Conclusio mit zwei einakzentigen melodischen 
Wendungen am Ende eines Textes, auch wenn dieser 
mit einer Frage schlieBt. 

Metrum 







1 






1 


















a 


m 


m 








'• ~~ : 





Domi - nus - De - us lo 
■an - gu - sti - a 

Punctum 
/ 



cu-tus est glori - 
ve - runt inter- 



F=5= 



-fi 



cae 
ci - et 



le 
im 



Pi 



sti. 
■ um. 



Deus qui justificat, 
respondit: 



Interrogatio 



quis est qui 
Quid 
Conclusio 



con - dem 
vis fi 



net? sed indu- 
li? omnibus di- 



i=r 



-i - mi - ni Do-mi-num Je -sum Chri - stum, 

-e - bus... con-sum-ma- ti -o -nem sae-cu-li. 

Der Titulus enthalt seiner jeweiligen Lange entspre- 
chend Punctum (und Metrum) ; die Eroffnungsf ormeln 
erklingen - mit Ausnahme von In diebus Mis (Me- 
trum) - recta voce. 
(Titulus) 



-E- 



Lec - ti - o e - pi - sto - lae be - a 
Lee - ti - o Ac - tu - um A-[ 



Metrum 



Punctum 

s ■ 



- ti Pau - li A - po - sto - li ad Ro - ma-nos. 
] po - sto - lo-rum. 

Den prophetischen Lesungen der Quatembertage, der 
Fastenzeit (Quadragesima), des Karfreitags und der 
Ostervigil wird der Tonus prophetiae zugrunde gelegt 
(Toni communes II). - Innerhalb des Repertoriums 
mittelalterlicher Mehrstimmigkeit lassen sich nur we- 
nige E.-Vertonungen nachweisen: als friihestes Bei- 
spiel die 2st. Lesung In omnibus requiem quaesivi (Maria 
Himmelfahrt; St. Martial: Ms. lat. 1139 der Bibl. Nat. 
Paris). - Von der evangelischen Kirche wurde die E. 
teils in lateinischer, teils in deutscher Sprache in den 
Gottesdienst iibernommen. Fur den gesungenen Vor- 
trag schuf M.Luther zusammen mit J.Walter ein eige- 



nes Modell (8. Kirchenton), welches er in seiner deut- 
schen Messe (1526) vorlegte. 

Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLIX, Lpz. 1906 
(Texte v. E.-Tropen). 

Lit.: P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me- 
lodien II u. Ill, Lpz. 21912 u. 1921, Neudruck Hildesheim 
u. Wiesbaden 1962; F. Gebhardt, Die mus. Grundlagen 
zu Luthers Deutscher Messe, Luther- Jb. X, 1928; A. Gee- 
ring, Die Organa u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deut- 
schen Sprachgebietes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d. 
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952), 
S. 3 If. ; G. Kunze, Die Lesungen, in: Leiturgia II, Kassel 
1955; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958), S. 
203ff. ; O. Brodde, Ev. Choralkunde, in : Leiturgia IV.Kas- 
sel 1961 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, 
Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962 ; L. Schrade, Ein neuer Fund 
f ruher Mehrstimmigkeit, Af M w XIX/XX, 1 962/63 . KWG 

Epistrophe (griech., Umwendung), in der Kompo- 
sitionslehre des 17.-18. Jh. eine im AnschluB an die 
Rhetorik erklarte emphatische Wiederholungsfigur. 
In der Rhetorik ist E. (Epiphora) die Wiederholung 
eines Satzteiles am Ende aufeinanderfolgender Wort- 
gruppen. In der Musik erscheint sie zunachst als eine 
Weise der Textanordnung durch den Komponisten, 
z. B. singet dem Herren j riihmet den Herren / lobet den 
Herren, statt : singet, riihmet und lobet (J. G. Ahle 1697, 
ahnlich WaltherL), spater auch als gleiche SchluB- 
wendung aufeinanderfolgender Melodieteile (J. A. 
Scheibe 1745, ahnlich Forkel). 

Epithalamion (zum Brautgemach, griech. daXau.0?, 
gehorend) war in Griechenland ein Hochzeitslied, das 
von einem Chor vor dem Brautgemach gesungen wur- 
de. Das Wort bezeichnet auch in spaterer Zeit haufig 
eine ->■ Festmusik zur Hochzeitsfeier. 
Lit. : A. L. Wheeler, Tradition in the E., American Journal 
of Philology LI, 1930 ; R. Keydell, Artikel E., Reallexikon 
f. Antike u. Christentum V, Stuttgart 1962; H. Koller, 
Musik u. Dichtung im alten Griechenland, Bern u. Miin- 
chen (1963). 

Epizeuxis (griech., Zusammenfugung), in der Kom- 
positionslehre des 17. und 18. Jh. eine im AnschluB an 
die Rhetorik erklarte musikalische Figur. Wiederho- 
lung eines Wortes oder einer kleinen Wortgruppe in 
unmittelbarer Aufeinanderfolge, verbunden mit einer 
gleichbleibenden Tongruppe, deren Wiederholung 
auf hoherer (Beispiel 1) oder tieferer Stufe (Beispiel 2) 
erfolgen kann (Beispiele nach J. G. Ahle, 1697) : 
1 1 




dafi Er Sei-nen eingebornen, eingebornen Sohn gab: 



Epos (griech.) ist ein langeres Gedicht erzahlenden 
oder lehrhaften Inhales, das sich aus einer Folge gleich- 
artiger Verse (z. B. Hexameter) oder Strophen (stro- 
phisches E. ; z. B. Nibelungenlied) zusammensetzt. Poe- 
tische und musikalische Form des E. bedingen ein- 
ander. DaB das altgriechische und das Homerische E. 
gesungen wurde, begleitet von der Kitharis oder der 
Phorminx, gilt fur die Friihzeit als erwiesen. Im Ge- 
gensatz zu dem liedhaften Proomium basierte der 
Epenvortrag auf einem einzigen, improvisatorisch aus- 
geschmiickten (Distinktions-)Modell, das standig wie- 
derholt wurde. Etwa seit der Zeit Homers bestanden 2 
Vortragsarten nebeneinander : eine altere, bei der sich 
der Aode, der das E. sang, selbst auf einem Saitenin- 
strument begleitete, und eine jiingere, bei der der 
Rhapsode den Text nur rezitierte, entweder ganz ohne 



262 



Erlangen 



Begleitung oder unterstiitzt von einem Instrumenta- 
listen. Durch diese schlichtere Art der Rezitation wur- 
de der Epengesang schlieBlich stark zuriickgedrangt, 
kam aber wohl doch nicht ganz auBer Obung. Noch 
Juvenal (VII, 82fl.) weiB davon zu berichten, daB die 
Thebais seines Zeitgenossen Statius gesungen wurde, 
und Boethius (De institutione muskae 1, 12) beschreibt 
(nach dem Vorgang des Albinus) noch eine eigene Art 
des Sprechgesanges beim E. Im allgemeinen hat man 
aber in Rom die epischen Dichtungen nicht mehr ge- 
sungen, sondern im Sprechgesang rezitiert, und was im 
Mittelalter etwa an Ausschnitten aus Vergils Aeneis 
oder der Thebais des Statius gesungen wurde, war, wie 
die Neumen in verschiedenen Handschriften des 10.- 
11. Jh. bezeugen, »durchkomponiert«. - Beim Vortrag 
der mittelhochdeutschen strophischen Epen hat der 
Sanger Strophenmodelle wiederholt. Die alteste be- 
kannte Epenmelodie gehorte zu Otfrieds Evangelien- 
buch (9. Jh.) ; die Melodie umf aBt ein Langzeilenpaar 
und ist verhaltnismaBig schlicht. Bedeutend reicher 
ist das zum Nibelungenlied gehorende 4zeilige Mo- 
dell, das jiingst aus Kontrafakturen zuriickgewonnen 
werden konnte, sowie das Melodiemodell zu Albrecht 
von Scharfenbergs Titurel (14. Jh.), das wohl auch 
schon zu Wolfram von Eschenbachs gleichnamigem 
E. gehort. Aus dem spaten Mittelalter ist noch das Me- 
lodiemodell zu des Michel Beheim Reimchronik Das 
Buck von den Wienern bekannt. Seit dem 15. Jh. lebte 
der Epengesang nur noch im Bereich der Volksmusik, 
als Bankelsang teilweise bis ins 19. Jh. fort. (Zu den 
franzosischen Epen -*■ Chanson de geste.) - Im Zuge 
der Erneuerung antiker Traditionen haben einige Hu- 
manisten epische Dichtungen in antiken VersmaBen 
zu vertonen unternommen. Fr. Salinas teilt im 6.-7. 
Buch seiner Musica (1577) verschiedene Melodiemo- 
delle mit, u. a. fiir Hexameter und fur die spanische 
Romanze, deren Melodie er als cantus antiquissimus 
& simplicissimus kennzeichnet (S. 346). - AuBerhalb 
West- und Mitteleuropas hat sich miindlich iiberlie- 
ferter volkstumlicher epischer Gesang bis in die Ge- 
genwart erhalten. Der Epengesang der Stidslawen be- 
steht grundsatzlich aus (improvisierten) reimlosen 
Zehnsilblern, die musikalisch frei, unter Verwendung 
verschiedener, miteinander verwandter Zeilenmodelle 
- f reien sprachbedingten Kombinationen von 3 Haupt- 
und 2 Nebentonen im Raum einer Quarte - zur Beglei- 
tung der Gusla gesungen werden. Der verwendete 
Tonvorrat, der nicht unserem diatonischen System 
entspricht, laBt ebenso wie manche Stoffe auf hohes Al- 
ter schliefien, ohne daB deshalb ein unmittelbarer Tra- 
ditionszusammenhang mit der Antike angenommen 
werden diirfte. Die Formen des ostslawischen Epen- 
gesanges weichen grundsatzlich von denen des siid- 
slawischen ab. Die Vorformen der von den GroBrussen 
gepflegten Byline reichen bis ins 10. Jh. zuriick und 
wurden wohl von den Nachfahren der byzantinischen 
Mimen angeregt. Die Bylinendichtung entstand aber 
erst nach dem Untergang des Kiewer Reichs in Mittel- 
rufiland (Nowgorod) und bliihte im 16. und 17. Jh. 
Seit dieser Zeit datiert die Verfolgung der Skomoro- 
chen, der berufsmaBigen Bylinensanger, durch Kir- 
che und Staat, wodurch der Bylinengesang immer 
mehr auf Laien iiberging. Die Bylinen sind heroische 
GesSnge ohne Strophengliederung, mit ungleich lan- 
gen Versen (7-16, meist 10-12 Silben pro Vers), deren 
musikalischer Vortrag bestimmte, dem jeweiligen 
Sanger eigentumliche Modelle frei abwandelt. Die 
Melodie, bestehend aus einem bestimmten Formel- 
vorrat, ist nicht mit einem Text fest verbunden, son- 
dern kann durch eine andere ersetzt werden, ebenso 
wie auch die einzelnen Formeln auf verschiedene Lie- 



der angewandt werden konnen. Der Vortrag der By- 
line kennt keine Instrumentalbegleitung. Auch die 
(von der Byline ganz unabhangige) Duma (Plur. Du- 
my) der Ukrainer kennt keine Strophengliederung 
und keine einheitlich geformten Verse. Die Dumy, 
deren alteste kaum iiber das 15. Jh. zuriickreichen, 
werden grundsatzlich begleitet, entweder durch die 
Kobza - nach ihr heiBen die sich stets selbst begleiten- 
den Dumy-Sanger Kobzaren - oder durch die Lyra, 
eine Art Drehleier. (In neuerer Zeit wird die Kobza 
gern durch die Bandura ersetzt.) Der Gesang der Du- 
my zeichnet sich durch Melismenreichtum bei den 
Kadenzen und freie Ausgestaltung der zum Teil weit- 
raumigen (groBen Ambitus) Modelle aus. In der Ge- 
staltung macht sich hier, wie auch bei den Bylinen, 
eine gewisse Neigung zu kleinen Parallelismen (ver- 
bunden mit primitivem Reim) bemerkbar. Uber den 
Epengesang in Asien (Indien, Persien, Sibirien) und 
Afrika ist bisher nur wenig bekannt. 

Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904; F. Ko- 
lessa, Uber d. melodischen u. rhythmischen Aufbau d. 
ukrainischen . . . rezitierenden Gesange, Kgr.-Ber. Wien 
1909 u. Osterreichische Monatsschrift f. d. Orient XLII, 
1916; ders., Pro genesu ukrainskich narodnich dum (»Zur 
Entstehung d. ukrainischen Volks-E.«), Lemberg 1922; J. 
Meier, Werden u. Leben d. Volkse., Halle 1909; G. 
Becking, Der mus. Bau d. montenegrinischen Volkse., 
Arch, nderlandaises de phonetique experimentale VIII/IX, 
1932; P. Diels, Die Duma, Mitt. d. schlesischen Ges. f. 
Volkskunde XXXIV, 1934; R. Trautmann, Die Volks- 
dichtung d. GroBrussen I, Heidelberg 1935; ders., in : Neue 
Jb. f. deutsche Wiss. XIII, 1937; W. Wunsch, Heldensan- 
ger in Sudosteuropa, Lpz. 1937; ders., Der Brautzug d. 
Banovic Michael, Stuttgart 1958 ; M. Scherrer, Les dumy 
ukrainiennes, Paris 1947; A. Geering, Die Nibelungen- 
melodie in d. Trierer Marienklage, Kgr.-Ber. Basel 1949; 
Thr. G. Georgiades, Der griech. Rhythmus, Hbg (1949); 
ders., Musik u. Rhythmus bei d. Griechen', = rde LXI, 
Hbg (1958) ; G. Wille, Die Bedeutung d. Musik im Leben 
d. Romer, Diss. Tubingen 1951, maschr. ; F. Hoerburger, 
Westostliche Entsprechungen im Volkse., Mf V, 1952; C. 
M. Bowra, Heroic Poetry, London 1952; E. Seemann, 
Ballade u. E., Schweizerisches Arch. f. Volkskunde LI, 
1955; R. Stephan, Uber sangbare Dichtung in ahd. Zeit, 
Kgr.-Ber. Hbg 1956; K. H. Bertau u. R. Stephan, Zum 
sanglichen Vortrag mhd. strophischer Epen, Zs. f. deut- 
sches Altertum LXXXVII, 1956/57; E. Jammers, Das ma. 
deutsche E. u. d. Musik, Heidelberger Jb. I, 1957, dazu K. 
H. Bertau u. R. Stephan in : Anzeiger f . deutsches Altertum 
LXXI, 1959; A. Lesky, Gesch. d. griech. Lit., Bern 1958; 
A. B. Lord, The Singer of Tales, = Harvard Studies in 
Comparative Lit. XXIV, Cambridge (Mass.) 1960; Ch. 
Petzsch, Otfrieds Cantus lectionis, Euphonion LV, 1962; 
Fr. W. Neumann, Die alteste deutsche Bylinen-Nachdich- 
tung, in: Die Welt d. Slawen IX, 1964; K. H. Bertau, 
Epenrezitation im deutschen MA, Etudes germaniques 
XX, 1965. RSt 

Equal(e) -y A equal. 

Erfurt. 

Lit. : L. Meier, De schola franciscana Erfordiensi s. XV, 
in: Antonianum 1930; A. Dreetz, Aus E. Mg. (1750- 
1800), Lpz. 1932; H. Eberhardt, Die ersten deutschen 
Musikfeste in Frankenhausen am Kyffhauser u. E. 1810, 
1811, 1812 u. 1815, Greiz 1 934 ; G. Pietzsch, Zur Pfiege d. 
Musik an d. deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., 
AfMf VI, 1941 ; Fr. John, J. S. Bachs E.er Vorfahren, in: 
Bach in Thiiringen, Bin 1 950 ; O. Rollert, Die E.er Bache, 
in : J. S. Bach in Thuringen, hrsg. v. H. Besseler u. G. Kraft, 
Weimar 1950; G. Hummel, E.er Theaterleben im 18. Jh., 
= Beitr. zur Gesch. d. Stadt E. HI, E. 1956; S. Orth, Neues 
iiber d. Stammvater d. »E.er Bache«, J. Bach, Mf IX, 1956. 

Erlangen. 

Lit. : M. Rupprecht, Die Klavierbauerfamilie Schied- 
mayer, Diss. E. 1955, maschr. ; A. Pongratz, Mg. d. Stadt 
E. im 18. u. 19. Jh., Diss. E. 1958 (mit Lit.-Verz.). 



263 



eroico 



eroico (itai.)» heroique (era'ik.-frz.), heldenhaft. Die 
Originaiausgabe der Symphonie Es dur op. 55 von 
Beethoven (»geschrieben auf Bonaparte«) tragt den 
Titel Sinfonia eroica . . . composta per festeggiare il sov- 
venire di un grand' Uomo. 

Erstdruck ist die erste Druckausgabe eines bis dahin 
nur als ->■ Autograph oder Kopie vorhandenen mu- 
sikalischen Werkes. Der Begriff E. umfaBt sowohl die 
authentische, d. h. die auf den Autor selbst zuriick- 
gehende, mit seinem Willen und unter seiner Mitwir- 
kung entstandene Erstausgabe (originaler E.) als auch 
die nichtauthentische Erstveroffentlichung, die"zu Leb- 
zeiten des Autors bhne sein Zutun oder erst nach sei- 
nem Tode erschienen ist. Bei der Feststellung des 
-*■ Urtextes von Werken der Meister des 18. und 19. 
Jh. spielt der originale E. eine bedeutende Rolle. Die 
fur die Erkenntnis der Filiation (zeitliche Aufeinander- 
folge und wertmaBige Abstufung) der Quellen not- 
wendige Datierung des E.s ist oft schwierig, denn hau- 
fig erstreckte sich die Ausgabe iiber mehrere Jahre, da 
der Verleger Abziige von den E.-Platten je nach Ver- 
kaufsbedarf anfertigen lieB. Die in der Mitte des un- 
teren Plattenrandes einer Stichplatte befindliche Plat- 
tennummer (nicht identisch mit der Verlagsnummer) 
kann auch fiir mehrere zu verschiedenen Zeiten ge- 
stochene Werke gelteri und versagt deshalb oft als Da- 
tierungshilfe. Als Quelle ist der E. den autographen 
Niederschrif ten (erste vollstandige Niederschrif t = Ur- 
schrif t, Reinschrift) vorzuziehen, wenn der Autor An- 
derungen am Werk noch wahrend der Drucklegung 
vornehmen lieB (Beethoven) oder in ein fertiges E.- 
Exemplar Verbesserungen eintrug, diese aber nicht 
in seinem Manuskript vermerkte (Brahms). Sein Quel- 
lenwert ist gering, wenn die authentische Stichvorlage 
durch Druck- und Lesefehler sowie eigenmachtige 
Anderungen des Verlegers falsch wiedergegeben ist 
(Mozart, Beethoven) und der Autor korrektere zwei- 
te oder dritte Ausgaben veranlaBt hat (Beethoven). - 
Die umfassendste systematische Sammiung von E.en 
und Originalausgaben musikalischer Meisterwerke be- 
findet sich im Privatbesitz von A. van -»■ Hoboken in 
Ascona (Schweiz). 

Lit. : K. Meyer, Was sind mus. Erstausg. ?, in : Philobiblon 
VIII, 1935; O. E. Deutsch, Music Publishers Numbers, 
London 1946, 2. verbesserte u. 1. deutsche Auflage Bin 
1961 ; H. Unverricht, Die Eigenschriften u. d. Original- 
ausg. v. Werken Beethovens in ihrer Bedeutung f. d. mo- 
derne Textkritik, = Mw. Arbeiten XVII, Kassel 1960; C. 
Hopkinson, Towards a Definition of Certain Terms in 
Mus. Bibliogr., Hinrichsen's 1 1 th Music Book 1961. 

Erzlauten (ital. arciliuti) heiBen die im 16. Jh. in 
Italien aufgekommenen BaBlauten (->• Theorbe, theor- 
bierte Laute, -> Angelica, -> Chitarrone) mit 2 Hal- 
sen (Kragen), die in Deutschland friih im Inventar der 
Fugger von 1566 erwahnt werden. In den 1. Wirbel- 
kasten laufen die Griffsaiten, in den 2. die Freisaiten 
(Abziige, Bordunsaiten, Kontrasaiten; ital. bordoni, 
contrabassi). 
Lit. : G. Kinsky, A. Piccinini u. sein Arciliuto, AMI X, 1 938. 

Eskitno-Musik. Von der Ostkiiste Nordsibiriens 
iiber die Aleuten nach Alaska und Kanada bis nach 
Gronland erstreckt sich das Wohngebiet der Eskimos, 
altmongolischer Primitivstamme, deren Musik wegen 
der Abgelegenheit und weitgehenden Unberiihrtheit 
durch Fremdeinfliisse von der Musikethnologie als 
Musterbeispiel eines primitiven Musikstils angesehen 
wird. Wie die Einheit der Sprache trotz lokaler Dia- 
lekte iiber das riesige Verbreitungsgebiet hinweg ge- 
wahrt blieb, ist auch die Musik der weitzerstreuten 
Stamme im Prinzip einheitlich. Einzelne stilistische 



Unterschiede lassen sich als Stadien der kulturellen 
Entwicklung, andere als EinfluB indianischer Nachbarn 
deuten (-?- Indianermusik). Die. E.-M. ist vokal; als 
einziges Instrument wird eine runde Rahmenfelltrom- 
mel (mit Schlagel) verwendet. Sie wird zu alien Ge- 
sangen geschlagen.jedoch unabhangig von dem Rhyth- 
mus der Vokalmelodie. Die Eskimolieder sind ein- 
stimmig; sie werden meist vom Chor, aber auch so- 
listisch gesungen. Tanzlieder bilden die grbBte Gruppe. 
Sie sind personliches Eigentum des Dichter-Kompo- 
nisten, werden aber vom Chor der Zuschauer gesun- 
gen, wahrend er (oder sie) mit der Trommel dazu 
tanzt. Eine zweite Gruppe bilden improvisierte Streit- 
oder FuBballspiellieder, eine dritte die magischen Ge- 
sange der Angogoks (Schamanen), meist rhythmische 
Rezitationen von Beschwbrungen, die der maskierte 
Zaubersanger vortragt. Die Melodik ist engstufig mit 
Ansatzen zur Pentatonik; sie hat gewohnlich eine sehr 
einfache tonale Struktur mit zwei Zentralpunkten der 
Melodiebewegung, dem Ruhepunkt und einem meist 
eine Sekunde dariiber liegenden Spannungspol, beide 
mit Umspielungstonen nach oben und unten (Beispie- 
le nach Estreicher) : 



Rentier- Eskimos 

J =96 



(Padleirmiut) 




|]^;iiiiJV^i^i'J 



Gronland - Eskimos 



fa HJ jSl jT to J 'N*J A) 



§m } ni\im^ fjjo j = 



Die Gesange sind Strophenlieder mit Refrain. Stro- 
phenbau und Rhythmik wechseln bei den einzelnen 
Gruppen; die Schamanengesange und die improvisier- 
ten Schmahheder sind freier in ihrem Gefiige als die 
Tanzlieder. Auch unterscheiden sich die verschiedenen 
Stamme der Eskimos in ihrem Bestand an Liedern und 
deren Gestaltung. Da die Wanderwege der einzelnen 
Stamme bekannt sind, erlaubt die heutige Verbreitung 
ihrer verschiedenen musikalischen Formen Ruckschlus- 
se auf die historische Entwicklung der E.-M. Den 51- 
testen Typus vertreten die Rentier-Eskimos an der 
Hudsonbai; auch die Gronland-Eskimos- haben ar- 
chaische Formen bewahrt. Die kanadischen und Alas- 
ka-Eskimos sind zum Teil von indianischer Musik be- 
einfluBt, in Alaska ist ebenfalls ein mongolischer Ein- 
fluB sehr wahrscheinlich. Die Musik der sibirischen 
Eskimos ist bis heute weitgehend unerforscht. 
Lit. : Fr. Boas, The Central Eskimo, = Annual Report of 
the Bureau of American Ethnology VI (Smithsonian Inst.), 
Washington 1888; Chr. Leden, Musik u. Tanze d. gron- 
landischen Eskimos, Zs. f. Ethnologie XLIII, 1911; W. 
Thalbitzer, E.-M. u. Dichtkunst in Gronland, Anthropos 
VI, 1911 ; ders., Ligendes et chants esquimaux du Groen- 
land, = Collection de contes et chansons populaires XLV, 
Paris 1929; ders. u. Hj. Thuren, Melodies from East 
Greenland, in: Meddelelser om Gnanland XL, 1911 ; Hj. 
Thuren, On the Eskimo Music in Greenland, ebenda; H. 
H. Roberts, Mus. Areas in Aboriginal North America, 
= Yale Univ., Publications in Anthropology XII, New Ha- 
ven (Conn.) u. London 1936; Z. Estreicher, Die Musik d. 
Eskimos, Anthropos XLV, 1950; ders., Cinq chants des 
Esquimaux Ahearmiut, in: Research-Report on Caribou 
Eskimo Law, hrsg. v. G. v. d. Steenhoven, Den Haag 1956; 
E. Groven, Eskimomelodier fra Alaska, Oslo 1956; P. R. 



264 



Ethos 



Olsen, Dessins melodiques dans les chants esquimaux du 
Greenland de Test, Dansk aarbog for musikforsking III, 
1963. FB 

espressivo (ital.; Abk.: espr.), ausdrucksvoll; c. espr. 
= con espressione, mit Ausdruck. Als Vortragsbe- 
zeichnung steht e. oft in Verbindung mit Tempoanga- 
ben, aber auch als Anweisung innerhalb eines Satzes 
oder fur eine Stimme, die betreffende Stelle hervorzu- 
heben, sowie zur Bezeichnung eines Solos. 

Essen. 

Lit. : W. Nelle, Die ev. Gesangbiicher d. Stadte Dortmund, 
E., Soest, Lippstadt in d. Grafschaft Mark, Jb. d. Ver. f . d. 
ev. Kirchengesch. d. Grafschaft Mark, Jg. 1901 ; Th. Do- 
ring, Die Gesch. d. E.er Theaters v. d. Anfangen bis 1892, 
= Beitr. zur Gesch. v. Stadt u. Stift E. XLIX, E. 1931 ; E. 
Jammers, Die Bedeutung d. Hss. Diisseldorf D 1-3 aus E. 
f. d. Musik- u. Geisteswiss., = E.er Beitr. LXVII, 1952; 
Beitr. zur Mg. d. Stadt E., hrsg. v. K. G. Fellerer, = Beitr. 
zur Rheinischen Mg. VIII, Koln u. Krefeld 1955 ; H. Ket- 
tering, Quellen u. Studien zur E.er Mg. d. Hohen MA, 
ebenda XVII, E. 1960. 

Estampie (estap'i, frz.; prov. estampida; ital. istampi- 
ta; lat. stantipes; mhd. stempenie), eine ahnlich wie die 
Sequenz und der Lai auf dem Prinzip der f ortschreiten- 
den Wiederholung beruhende Form in der weltlichen 
(vornehmlich instrumentalen) Musik des 13./14. Jh. 
Eine E. besteht aus mehreren Puncta (Abschnitten, 
den Doppelversikeln der Sequenz entsprechend); jedes 
Punctum besteht aus zwei Teilen, von denen der An- 
fang gleich ist, der SchluB in oiivert (x ) und clos (x c ) 
auslauft; nach einer Reihe von Puncta kann eine neue 
Schlufimelodie - die wie ein musikalischer Refrain 
oder Reim wirkt - eingefiihrt werden (a+x a+Xc 
b+Xo b+xc ..., weiter statt f+x f+x c auch f+y 
f+yc • • ■). Die E. (stantipes) wird von Grocheo (um 
1300) yon der kiirzeren ductia und der nota unterschie- 
den. Uberliefert sind 8 einstimmige E.n in einem 
Nachtrag aus der 1. Halfte des 14. Jh. zur Handschrift 
Paris, Bibl. Nat. fr. 844, 3 zweistimmige in der Hand- 
schrift London, Brit. Mus. Harleian 978, aus dem 13. 
Jh., 8 einstimmige (auch mit wechselnden »Reimtei- 
len«), darunter das Latnento di Tristano, in der italieni- 
schen Trecentohandschrift Lo (-> Quellen), sowie 19 
mit E. bezeichnete Texte ohne Melodien im Ms. Ox- 
ford, Bodleian Library, Douce 308, friihes 14. Jh. Dem 
normalen Aufbau der E. entspricht nicht Raimbaud de 
Vaqueiras' Kalenda maya (2. Halfte 12. Jh.), das im Text 
und in der Legende iiber seine Entstehung als E. be- 
zeichnet wird. - M.Praetorius (Synt. Ill) nennt Balli 
oderBallette . . . welche keinen Texthaben: Vndwenndie- 
selbigen mit Schallmeyen oder Pfeiffen zum tantze gespielet 
werden, so heist es stampita. 

Ausg. : P. Aubry, E. et danses royales, Mercure mus. 1906, 
Sonderdruck Paris 1907 ; J. Wolf, Die Tanze d. MA, Af Mw 
I, 1918/19; Les e. frc., hrsg. v. O. Streng, in: Les classi- 
ques frc. du Moyen-Age LXV, Paris (1931), dazu H. Span- 
ke in : Zs. f. romanische Philologie LII, 1932. 
Lit. : H. J. Moser, Stantipes u. Ductia, ZfMw II, 1919/20; 
J. Handschin, t)ber E. u. Sequenz I— II, ZfMw XII, 1929/ 
30 - XIII, 1930/31; Fr. Gennrich, GrundriB einer For- 
menlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; Ll. Hibberd, E. and 
Stantipes, Speculum XIX, 1944; H. Husmann, Kalenda 
maya, Af Mw X, 1953. 

estjnto (ital., erloschen), Bezeichnung fur das auBerste 
Pianissimo (ppp, z. B. bei Liszt). 

Estland. 

Lit.: H. Neus, Ehstnische Volkslieder, Reval 1850-52; A. 
Launis, Ober Art, Entstehung u. Verbreitung d. estnisch- 
finnischen Runenmelodien, Helsinki 1913; DERS., Eesti 
runoviisid (»Estnische Runenmelodien«), Tartu 1930; A. 
Raudkats, Estnische Volkstanze u. Kinderspiele, Tartu 
1926/27; W. Graf, t)ber d. deutschen EinfluB auf d. est- 



nischen Volksgesang, Diss. Wien 1932, maschr.; ders., 
Das estnische Volkslied, Wien 1933; ders., Die altesten 
deutschen Cberlieferungen estnischer Volkslieder, in : Mu- 
sik d. Ostens I, Kassel 1962; E. Arro, Gesch. d. estnischen 
Musik, Tartu 1933. 

Estribillo (estriv'iAo, span.) -> Refrain. 

Ethos (griech. ffro%). Das Wort bezeichnet seit den 
Pythagoreern die Wesensart einer Melodie oder be- 
stimmter musikalischer Ordnungen. Wie das gesamte 
pythagoreische Weltbild beruht die Lehre vom E. auf 
der Uberzeugung von der grundlegenden Rolle der 
Zahl auch fur die Ordnung der musikalischen und 
seelischen Bewegungen. Sie besagt, daB durch die Mu- 
sik bestimmte seelische Willenshaltungen dargestellt 
und im Horer wiedererweckt werden konnen, da sich 
die Bewegungen seines Gemiits denen der Melodie- 
tone angleichen. Daraus ergibt sich die hohe erzieheri- 
sche Bedeutung der Musik; dem Musiker ist aufgege- 
ben, aus der Fiille moglicher Tonordnungen jene aus- 
zuwahlen, die die zunachst ungeordneten Bewegun- 
gen in der Seele des Horers zum Guten lenken. Die 
wissenschaftliche Betrachtung der Musik unter diesem 
Gesichtspunkt fand ihre Hauptvertreter in dem Staats- 
mann Damon von Athen, seinem Schiiler Platon, den 
Platonikern und Neuplatonikern (Plotin) sowie den 
Stoikern; kompromiBhaft abgeschwacht erscheint die 
E.-Lehre auch bei Aristoteles. Im Gegensatz zu diesen 
»Ethikern« leugnen die »Formalisten« jeden Zusam- 
menhang zwischen Musik und Ethik; zu ihnen geho- 
ren vor allem Sophisten und Epikureer (Philodemos). 
Die E.-Lehre wird auch von den Humanisten bis zur 
Entstehung der Asthetik im 18. Jh. haufig erortert. - 
Fiir den Gesamtcharakter eines Stiickes sind nach der 
E.-Lehre der Charakter seiner Tonart (apu,ovia), des 
Rhythmus, des begleitenden Instruments (Kithara oder 
Aulos) und der Tonlage (tottoc; (ptovrji;, Aristeides 
Quintilianus) von bestimmender Bedeutung. So gilt 
Dorisch als fest, streng und erhaben, Phrygisch als mil- 
de (Platon) oder als enthusiastisch und ekstatisch (Ari- 
stoteles), Lydisch als klagend (Platon) oder als anmu- 
tig (Aristoteles). Die mittelalterlichen Theoretiker 
(Guido von Arezzo, CSM IV, 158fl.; Hermannus 
contractus, GS II, 148a; Johannes Affligemensis, CSM 
I, 109ff. ; Pseudo-Muris, Summa musicae, GS III, 235f.) 
stiitzen sich, wenn sie vom gewichtigen Ernst des Do- 
rischen, dem sprunghaften Enthusiasmus des Phrygi- 
schen oder der Anmut und dem lasziven Reiz des Ly- 
dischen sprechen, auf die Bruchstiicke der antiken 
Uberlieferung bei Boethius (I, 1), ohne zu wissen, daB 
das antike Dorisch (entsprechend e'-e) eine andere 
Skala ist als das mittelalterliche (d-d>). Noch Zarlino 
halt, obwohl er in der C-Skala das antike Dorisch er- 
kannt zu haben glaubt, an der Meinung fest, daB der 
D-Modus ernst und der C-Modus zu Tanzen geeignet 
sei (Istitutioni harmoniche, 1558, IV, 18f .). Mit dem Uber- 
gang zu den Dur- und Molltonarten entwickelte sich 
seit dem 17. Jh. die moderne Lehre vom -*■ Tonarten- 
charakter. 

Lit.: H. Abert, Die Lehre vom E. in d. griech. Musik, 
= Slg mw. Arbeiten II, Lpz. 1899; ders., Die Musikan- 
schauung d. MA u. ihre Grundlagen, Halle 1905; ders., 
Gesammelte Schriften u. Vortrage, hrsg. v. Fr. Blume, 
Halle 1929; J. Stenzel, Platon d. Erzieher, = Die groBen 
Erzieher XII, Lpz. 1928, Neudruck Hbg 1961; E. M. v. 
Hornbostel, Tonart u. E., in: Mw. Beitr., Fs. i. Wolf, Bin 
1929; R. Schafke, Gesch. d. Musik-Asthetik in Umrissen, 
Bin 1934, Tutzing 21964; W. Vetter, Artikel Musik, in: 
Pauly-Wissowa RE XVI, 1 ; ders., Mythos - Melos - Mu- 
sica, 2 Bde, Lpz. 1957-61 ; O. Gombosi, Tonarten u. Stim- 
mungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Neudruck 
1950 ; D. P. Walker, Mus. Humanism in the 1 6 th and early 
17 th Cent., MR II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus. 



265 



etouffe 



Humanismus im 16. u. friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, 
Kassel 1949 ; C. Sachs, The Rise of Music . . . , The Norton 
Hist, of Music I, NY (1943); W. Jaeger, Paideia II, Bin 
1944, 2 1954; H. Koller, Die Mimesis in d. Antike, = Diss. 
Bernenses I, 5, Bern 1954; Plutarque de la musique, hrsg. 
v. Fr. Lasserre, = Bibl. helvetica romana I, Olten u. Lau- 
sanne 1954; E. Moutsopoulos, La musique dans l'oeuvre 
de Platon, Paris 1959. 

6touff£ (etuf'e, frz., erstickt), fur Pauke, Becken und 
Tamtam Vorschrift sofortiger Dampfung nach dem 
Schlag; auf der Harfe werden bei e. die Saiten sofort 
nach dem Anspielen mit dem gleichen Finger oder 
durch Auflegen der flachen Hand abgedampft. 

Etruskische Musik. ImUnterschied zurGriechischen 
Musik und auch zum romischen Musikleben besteht 
zur Musik der alten Etrusker heute kein unmittelbarer 
Zugang, da nicht nur Musikdenkmaler wie Noten und 
Instrumente, sondern auch eigene etruskische Litera- 
turnotizen vollig fehlen. Ein gewisser AufschluB ist 
nur zu gewinnen durch Nachrichten griechischer und 
lateinischer Schriftsteller und besonders Darstellungen 
der Malerei und Reliefkunst, welche allerdings durch 
vielfache motivische Anleihen bei der griechischen 
Kunst als historische Quellen nur mit Vorbehalt ver- 
wendbar sind. Aus der Gesamtheit der vorliegenden 
Uberlief erung ergibt sich die Vorliebe der Etrusker 
fur Blasmusik. Die Trompete soil dem Abendland 
durch tyrrhenische Seerauber vermittelt worden sein; 
die instrumentalen Sonderformen Lituus und Cornu 
wurden von den Etruskern entwickelt. Den ->• Aulos, 
der spater als Tibia das Nationalinstrument der R6- 
mer geworden ist, haben sie moglicherweise aus ihrem 
kleinasiatischen Ursprungsland mitgebracht. Der Vo- 
lumnier-Sarkophag in Perugia tragt das alteste euro- 
paische Zeugnis der Querflote. Von den griechischen 
Saiteninstrumenten fanden Lyra und Kithara, seltener 
der Barbitos, Aufnahme; an Schlaginstrumenten fin- 
den sich Krotala, auch in der Sonderform der Stab- 
klappern, und Kastagnetten. - Fiir die Bedeutung der 
Musik im Leben der Etrusker zeugt ihre Nachwir- 
kung in der offentlichen und sakralen Musik der R6- 
mer. Das kultische Tibiaspiel, das zu den Romern 
durch die Zunft der Subulones gelangte, begleitete 
Opfer, Festziige und Begrabnisse. Einen Aufzug mit 
groBer musikahscher Besetzung, namlich Cornu, Li- 
tuus, Wiegenkithara und Aulos, zeigt ein Steinsarko- 
phag aus Caere. Eine Besonderheit etruskischen Mu- 
sikgebrauchs ist die haufige Doppelbesetzung der Me- 
tallblasinstrumente bei Triumph- und Leichenziigen. 
Hochzeitssanger aus Fescennia regten die Romer zu 
Scherzliedern an. Die romische Theatermusik, im Zu- 
sammenhang mit Suhnefeierlichkeiten entstanden, ist 
vom Vorbild etruskischer Kultmusiker und -tanzer an- 
geregt. Etruskische Waffentanze konnen als Vorlaufer 
der romischen angesehen werden. Bei rhy thmischen Ar- 
beitsvorgangen und bei der Gymnastik war Aulosmu- 
sik geschatzt. Darstellungen an den Wanden der alten 
Etruskergraber zeigen Tanzer und Spieler von Aulos 
und Saiteninstrumenten in ausgelassener Frohlichkeit. 
Lit. : Fr. Behn, Musikleben im Altertum u. friihen MA, 
Stuttgart 1954; G. Fleischhauer, Bucina u. Cornu, Wiss. 
Zs. d. Martin-Luther-Univ. Halle- Wittenberg IX, 1960; 
ders., Etrurien u. Rom, = Mg. in Bildern II, 5, Lpz. (1964). 

GWi 

Etude (frz. etude; ital. studio; engl. study), ein Stuck, 
das zur Bewaltigung eines bestimmten spieltechnischen 
Problems geschrieben ist. Von der bloBen Finger- 
ubung, deren padagogische Zielsetzung sie teilt, unter- 
scheidet sich die E. als formal abgerundete, haufig ein- 
themige Komposition. Der E.n-Begriff kam auf, als 
hohere spieltechnische Schwierigkeiten auf dem Ham- 



merklavier einen Eigenwert bekamen und nur noch 
von Virtuosen gemeistert werden konnten. Um 1800 
war die Bezeichnung E. bereits bekannt, wenn auch 
noch nicht auf spieltechnische Studien eingeschrankt 
(z. B. A.Reicha, Etudes de Transition et 2 Fantaisies op. 
31, 1800 - es handelt sich um Modulationsiibungen). 
Auch erscheint sie anfangs oft als Sammelbegriff. Die 
einzelne Studie heiBt dann Exercice, aber auch Caprice 
(vor allem in der Violinliteratur), wie iiberhaupt die 
Bezeichnungen E., Studie, Exercice, Caprice und 
-> Capriccio bis zur Mitte des 19. Jh. vielfach dasselbe 
bedeuten. Die erste epochemachende E.n-Sammlung 
im eingangs beschriebenen Sinn sind J. B.Cramers Etu- 
des pour le pianoforte en 42 exercices ... (I. Teil 1804, II. Teil 
1810). dementis Gradus ad Parnassum (I. Teil) erschien 
1817. Cramers E.n sind mit Ernst und Konsequenz 
durchgeffihrte Studien fiber technische Schwierigkei- 
ten und Vortragsmotive, die bisweilen in die Richtung 
des lyrischen Klavierstficks weisen. In der Klavierlite- 
ratur unterscheidet man heute 2 Arten von E.n: die 
eine (vor allem von C. Czerny ausgebildete) ist der Typ 
des technischen Ubungsstfickes ffir die allerersten An- 
fange im Spiel des Instrurnentes bis zur Ausbildung 
hochster Virtuositat; die andere, die Konzert-E., ist 
fiir den offentlichen Vortrag bestimmt. Doch bleibt 
auch bei dieser das Charakteristikum eine Anhaufung 
technischer Schwierigkeiten und Vortragsprobleme 
- neuerdings (bei Messiaen) auch Kompositionsproble- 
me. Konzert-E.n ffir Kl. schrieben: Chopin (2 mal 12 
E.n, op. 10, 1829-32, und op. 25, 1832-36), R.Schu- 
mann (6 Konzert-E.n, komponiert nach Capricen von 
Paganini, op. 10, 1833, und 12 Symphonische E.n - in 
Form von Variationen - op. 13, 1834), Liszt (u. a. 
Grandes Etudes de Paganini, 1851 - Liszt hat teilweise 
dieselben Capricen bearbeitet wie Schumann, Etudes 
d'execution transcendante, 1851/52, und 2 weitere Kon- 
zert-E.n, Waldesrauschen und Gnomenreigen, ffir die 
Klavierschule von Lebert und Stark), Brahms (28 Va- 
riationen fiber ein Thema von Paganini op. 35, 1862/ 
63 und 1866 - im Untertitel als Studien bezeichnet), 
Debussy (Douze Etudes, 1915), Bartok (3 Studien op. 
18, 1918) und Messiaen (Quatre Etudes de Rythme, 1949/ 
50) , f erner F. Mendelssohn Bartholdy , A. Rubinstein, A. 
Skrjabin, K. Szymanowski, A. Tscherepnin, H. Pfitzner 
(als Studien bezeichnet), P.Hoffer und H.Degen. Der 
musikalische Rang der Klavier-E.n wird von den E.n 
fiir andere Instrumente nicht erreicht. Berfihmte E.n 
fiir V. schrieben u. a. R.Kreutzer, P. Rode, P.Fr.Baillot 
und O. Sevcfk; fur Vc. u. a. D. Popper und Fr.Griitz- 
macher. Dagegen sind aus dem 20. Jh. E.n ffir Orch. 
bzw. fiir Soloinstrumente mit Orch. hervorzuheben, 
z. B. Milhaud, Cinq Etudes pour piano et orch. (1920) ; 
Strawinsky, 4 E.n fiir Orch. (1929; Bearbeitungen eige- 
ner Stiicke); H.W.Henze, Symphonische E.n fiir Orch. 
(1955) und Fr.Martin, Etudes pour orch. a cordes (1956). 
Lit.: Fr.-H.-J. Castil-Blaze, Dictionnaire de musique 
moderne, Paris 1821, 2 1825; dass. bearb. v. J. H. Mees, 
Briissel 1828, Artikel Etude u. Exercice; K. B. v. Miltitz, 
Exercise u. E., AmZ XLIII, 1840/41 ; KochL, bearb. v. A. 
v. Dommer, Heidelberg 1865, Artikel E. ; E. Gurk, Die 
Klavieretiide v. Mozart bis Liszt, Diss. Wien 1930, maschr. ; 
S. Kaswiner, Die Unterrichtspraxis f. Tasteninstr. (1450- 
1750) mit besonderer Beriicksichtigung d. Vorformen d. 
Klavieretiide, Diss. Wien 1930, maschr.; R. Hafner, 
Die Entwicklung d. Spieltechnik u. d. Schul- u. Lehrwerke 
f. Klavierinstr., Miinchen 1937 ; W. Georgii, Brauchen wir 
noch Klavier-E. ?, Der Musikerzieher XXXV, 1939 ; ders., 
Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Freiburg i. Br. 4 1965 ; 
Fr. Goebels, Die moderne Kl.-E., Musik im Unterricht 
(Allg. Ausg.) XLIII, 1952; P. F. Ganz, The Development 
of the E. for Pfte, Diss. North Western Univ. (111.) I960, 
maschr. ; D. Themelis, Vorgesch. u. Entstehung d. Violin- 
etude, Diss. Miinchen 1964. ESe 



266 



Evangelium 



Eunuchenflote -> Mirliton. 

EUOUAE, die Vokale von seculorum amen, den 
SchluBworten der kleinen -»■ Doxologie in den romi- 
schen Choralausgaben (-»■ Differenzen). 

Euphon ->■ Clavicylinder. 

Euphonium (von griech. eucpcovoi;, wohlklingend), 

- 1) Baritonhorn in B, ein Blechblasinstrument von 
weiter Mensur; - 2) Orgelstimme zu 8', 4', 16', zu- 
meist mit durchschlagender Zunge gebaut, deren Klang 
weich und sanft ist. Als Erfinder gilt Du Hamel; zu- 
erst verwendet 1827 (Kathedrale zu Beauvais in Nord- 
frankreich). 

Eurhythmie (griech. eupuS-uia) war in der griechi- 
schen Antike kein fester Terminus und konnte allge- 
mein die rhythmische Ordnung oder Bewegung sowie 
die Anmut bezeichnen. Erst im AnschluB an eine viel- 
diskutierte Stelle bei Vitruv (1. Jh. v. Chr. ; De archi- 
tecture! 1, 2) erlangte der Begriff in der Architektur- 
theorie seit der Renaissance einige Bedeutung im Sinne 
von »Gleichma6 der Teile untereinander und Wohl- 
proportioniertheit der Teile zum Ganzen«. Zusammen 
mit Proportion, Harmonie und Symmetrie gehort E. 
zu den Begriffen, die eine Briicke zwischen Architek- 
tur- und Musiktheorie bildeten. - Fur J.G.Walther 
(1732) ist E. die Zierlichkeit und Schonheit so in der Music 
aus den Zahlen entstehet, wie sie vor allem in den eben- 
maBig geformten, von der Tanzkunst beeinflufken 
Stiicken in der franzosischen Musik zu beobachten sei. 

- Die E. in der Anthroposophie ist eine Art der -* Rhy th- 
mischen Erziehung. 

Evacuant ist in der Orgel ein durch einen Register- 
zug zu offnendes Ventil, durch das nach beendetem 
Spiel der noch im Geblase vorhandene Wind rascher 
abgelassen werden kann. 

Evangelium (griech. sua-ryeXtov, Frohbotschaft), 
die Hauptlesung aller christlichen Liturgien. In der 
katholischen MeBfeier bildet es den Hohepunkt des 
Wortgottesdienstes. Die bisher giiltige Verteilung aus- 
gewahlter Abschnitte aus den 4 Evangelienberichten 
auf die einzelnen Tage des Kirchenjahres erhielt ihre 
einheitliche Festlegung im Missale Pius' V. (1570). 
Doch soil sie jetzt durch eine mehrjahrige Perikopen- 
ordnung ersetzt werden (Liturgie-Konstitution des 2. 
Vatikanischen Konzils, Artikel 51). Ebenso darf das E. 
neuerdings gleich den iibrigen Lesungen in Messen, an 
denen das Volk teilnimmt, in der Muttersprache ver- 
kiindigt werden (Artikel 54). Im Unterschied zur Epi- 
stel kommt sein Vortrag dem Diakon (altester Beleg: 
Ordo Romanus I, 11, 7./8. Jh.) oder dem zelebrieren- 
den Priester zu. Die Lesung wird eingeleitet durch 
GruB (Dominus vobiscum) und GegengruB (Et cum spi- 
ritu tuo), denen die Ankiindigung der Perikope (z. B. 
Sequentia sancti Evangelii secundum Lucam) mit Akkla- 
mation Gloria tibi Domine folgt. Als eine Besonderheit 
gegeniiber dem romischen Ritus erklingt in der Mai- 
landischen Liturgie nach der Perikope neben einem 
3fachen Kyrie die sogenannte Antiphona post evan- 
gelium. - Dem gesungenen Vortrag des E.s liegt die 
Form eines liturgischen Rezitativs zugrunde, dessen 
Kadenzen (pausationes oder positurae) den Text nach 
seinem jeweiligen Sinnzusammenhang in einzelne Ab- 
schnitte gliedern. Wahrend in alterer Zeit vornehm- 
Uch auf subtonalem Tenor (Tuba) rezitiert wurde, ent- 
halten die Quellen seit dem 12. Jh. iiberwiegend sub- 
semitonale Tenores (c 1 und f). Die Editio Vaticana des 
Graduates bietet aus der urspriinglichen Vielzahl von 
Modellen 3 Evangelientone (-»■ Toni communes IV), 
deren erster durch schlichte Rezitation (Tenor cl) mit 



Punctum (a auf der viertletzten Silbe), Interrogatio 
(-> Epistel) und zweiakzentiger Conclusio (a-h-c 1 auf 
dem vorletzten Wortakzent) ausgefiihrt wird. Reiche- 
re Gestalt zeigen der (subtonale) Tonus antiquior und 
der Alter tonus ad libitum (in eckiger Klammer) : 

Metrum 

/ / 



In il- lo tem-po-re: Di-xit Je-sus Si-mo-ni Pe-tro: 

Interrogatio 

K 3 2 1 



^— — 



-■ — ■ — ■ ■ 



Si-mon Jo-an-nis, di-li-gis me plus his?... et di-xit e-i : 



Metrum 

/ ; 



t ' ' ' . ■ ti 



Do-mi -ne tu om-ni - a no-sti: tu scis,<rui-a 



Punctum 
/ 



t -r-r 



■f- 



a - mo te [ a - mo teJ...Hocau-tem di-xit, sig 



Conclusio 
r -\ I 



£3± 



■ * a 



-ni-fi-cans,qua mor-te cla-ri-fi-ca-tu-rus es-set De-um. 

Auch in der Matutin des Offiziums (1. Lectio der 3. 
Nokturn) findet eine - allerdings auf den Anf angssatz 
der Tagesperikope beschrankte - Lesung aus dem E. 
statt (Vortrag im Tonus lectionis). Das monastische 
Stundengebet enthalt uberdies den entsprechenden 
vollstandigen E.s-Text im SchluBteil der Matutin. - 
Wie die Quellen der Reformationszeit zeigen, bediente 
man sich im evangelischen Gottesdienst zunachst der 
regional iiberkommenen subsemitonalen EvangeUen- 
tone (lateinisch und deutsch). Auf Luther selbst gehen 
2 Modelle zuriick: das erste mit 3 Tubae (Vox evange- 
listae, Vox Christi, Vox personarum: f, c 1 , a) und meh- 
reren Kadenzen, wahrend im zweiten a und f als Tubae 
ohne Charakterisierung der redenden Personen einan- 
der abwechseln. Letzteres wurde in vereinf achter Form 
in die Lutherische Agende iibernommen. Hingegen 
enthalt das Alpirsbacher Antiphonale den Trierer 
Evangelienton (lateinische Vorlage bei P. Wagner, Ein- 
fiihrung III, S. 51). - Die mehrstimmige Vertonung 
des E.s (seit Josquin Desprez) gehort zur Geschichte der 
Motette (und in die Nachbarschaft der Figuralpassion 
und Evangehenhistorie), spater zu der der Kantate 
(Evangelienkantate). Zuerst von H. ->• Herpol 1565 
und spaterhin namenthch im Bereich der evangelisch- 
lutherischen Kirche wurden lateinische oder deutsche 
Evangelienmotetten, oft jeweils ausgewahlte Verse des 
Sonntagsevangeliums, zu Kirchenjahrgangen zusam- 
mengestellt (L.Paminger 1573-80, A.Raselius 1594 
und 1595, G.Otto 1604, M.Vulpius 1612-16 u. a.). 
Im evangelischen Gottesdienst des 16.-17. Jh. traten 
sie oft an die Stelle der Lesung dieser Verse. 
Lit. : P. Wagner, Einf iihrung in d. Gregorianischen Me- 
lodien II u. Ill, Lpz. 21912 u. 1921, Neudruck Hildesheim 
u. Wiesbaden 1962; H. J. Moser, Die mehrst. Vertonung 
d. E. I, = Veroff. d. Staatl. Akad. f . Kirchen- u. Schulmusik 
Bin II, Lpz. 193 1 ; ders., Die ev. Kirchenmusik in Deutsch- 
land, Bin u. Darmstadt (1953); A. Geering, Die Organa 
u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deutschen Sprachgebie- 
tes v. 13. bis 16. Jh., = Publikationen d. Schweizerischen 
Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952), S. 31f;; W. Apel, 
Gregorian Chant, Bloomington (1958); O. Brodde, Ev. 
Choralkunde, in: Leiturgia IV, Kassel 1961; P. Rado, 
Enchiridion Liturgicum, 2 Bde, Rom, Freiburg i. Br. u. 
Barcelona 1961 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia 
I, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962. KWG 



267 



Evergreen 

Evergreen ('evajgjirn, engl.) -*■ Schlager. 

Evir^ti (ital.) -> Kastraten. 

Exaquier (eksaki'er, span.) -> Schachbrett. 

Exclamatio (lat., Ausruf ; griech. £x(pa>V7]cjic;), in der 
Kompositionslehre des 18. Jh. eine im AnschluB an die 
Rhetorik erklarte musikalische Figur. In der Rhetorik 
ist E. die Umwandlung eines Aussagesatzes in einen 
Ausruf; Walther (1732) schreibt, daB man sie in der 
Music gar fiiglich durch die aufwerts springende Sextant 
minorem ausdriicken konne. Mattheson (1739) be- 
schreibt mehrere Arten der E. Bei Scheibe (1745) heiBt 
es, daB die E. auf warts gefuhrt werden soil, und zwar 
konsonierend oder dissonierend je nach dem freudigen 
oder traurigen Affekt. 

Exequien (lat. exsequiae), die Riten beim letzten Ge- 
leit, kirchliche Leichenfeier. In der romisch-katholi- 
schen Kirche haben die E. gemaB Titel VII des Rituale 
Romanum folgenden Aufbau: 1) Prozession von der 
Kirche zum Sterbehaus, wo die Segnung der Leiche 
stattfindet, anschlieBend Uberfiihrung zur Kirche. 
2) Die eigentlichen E. : Responsorium Subvenite sancti 
Dei beim Einzug in die Kirche - Totenoffizium (Ma- 
tutin und Laudes aus dem Officium defunctorum) - 
Totenmesse (Missa defunctorum de die obitus) - Ab- 
solution - Oration - Responsorium Libera me Domine, 
darauf folgend Kyrie eleison, Pater noster und Ora- 
tion. 3) Prozession zum Grab: Antiphon In paradisum. 
4) Beerdigung, eingeleitet dutch die Besprengung und 
Beraucherung von Grabstatte und Sarg - Antiphon 
Ego sum resurrectio mit Canticum Zachariae Benedictus 
Dominus Deus Israel, Wiederholung der Antiphon - 
weitere Gebete und Fiirbitten. 5) Riickweg zur Kirche: 
Antiphon Si iniquitates mit Psalm 129 De prqfundis 
(ohne Gesang) - abschlieBende Versikel und Oration. - 
In der evangelischen Kirchenmusik ragen die zur Be- 
grabnisfeier fur Fiirst Heinrich von ReuB komponier- 
ten Musicalischen Exequien von H. Schiitz (1636) her- 
vor; sie bestehen aus einem Concert in Form einer 
deutschen Missa (brevis), einer 2chorigen Motette iiber 
den Text der Leichenpredigt (Ps. 73, 25-26) und dem 
Canticum B. Simeonis (Luk. 2, 29-32) nebst einem 
Secundus Chorus der Beata anima cum Seraphinis mit 
dem Gesang von Offb. 14, 13 und Weish. Sal. 3, 1. 
Ausg.: Rituale Romanum. Editio typica, letzte Auflage 
Rom 1 952 ; Officium et missae pro def unctis, Tournai 1 924. 
Lit. : P. Rad6, Enchiridion Liturgicum I, Rom, Freiburg 
i. Br. u. Barcelona 1961. 

Exotische Musik (nach frz. exotique, das sich fur 
fremde Pflanzen und Tiere eingeburgert hat; zuerst 
lexikalisch belegt bei Sperander 1727) ist Musik frem- 
der Volker, die, bezogen auf geltende musikastheti- 
sche Vorstellungen, als fremdlandische Zutat, als Reiz 
oder Farbmittel zur neuabendlandischen Musik auf- 
genommen wird. Im Unterschied dazu kann eine frem- 
de Musikkultur im Ganzen und mit Berucksichtigung 
ihrer eigenen soziologischen und asthetischen Bedin- 
gungen aufgefaBt und so Gegenstand der -»- Musik- 
ethnologie werden. Da sich auBereuropaische Musik 
in der Regel nicht mit abendlandischen Musikinstru- 
menten im abendlandischen Tonsystem wiedergeben 
laBt, gibt es - wo nicht iiberhaupt Surrogate herange- 
zogen werden - nur wenig rein musikalische Mittel 
der Darstellung, wie -»■ Ganztonleiter, -> Pentatonik, 
-> Zigeunertonleiter, Verzicht auf Mehrstimmigkeit 
und ihr Ersatz durch Parallelklange usw. Am ehesten 
laBt sich der Rhythmus originalgetreu darstellen, so 
auf exotischen Instrumenten in der ->• Janitscharenmu- 
sik und im -»- Afro-Cuban Jazz. Exotische Musikin- 
strumente sind bei Praetorius 1619, Mersenne 1636 



und F. Bonanni 1722 abgebildet. - Exotismen gibt es in 
der bildenden Kunst und der Literatur seit der Antike; 
sie hatten groBere Bedeutung in Perioden, die dem 
Phantastischen, Pittoresken zuneigten, wie im Hel- 
lenismus, im Barock und im 19. Jh. Die klassischen 
exotischen Lander sind seit dem Mittelalter China, 
Indien und der Vordere Orient; in neuerer Zeit ka- 
men u. a. die Siidsee und das indianische Amerika hin- 
zu. Doch sind von Mitteleuropa aus gesehen auch eu- 
ropaische Randlander exotisch. Das 19. Jh. mit seiner 
kolonialen Entwicklung, besonders aber die Pariser 
Weltausstellung (1889), brachte den europaischen Mu- 
sikern eine lebendige Beriihrung mit Musik- und Mu- 
sizierformen des Nahen und Fernen Ostens. Infolge der 
technischen Fortschritte im 20. Jh. ist die Kunst fast 
aller Zeiten und Lander wie in einem Museum ver- 
fiigbar geworden, und damit verlor das Exotische 
weitgehend den anziehenden Charakter des Fremdar- 
tigen. - E. M. findet sich haufig in Tanzen (u. a. -*■ Mo- 
resca), in Zusammenhang mit exotischer Ausstattung 
in Biihnenwerken. Im 19. Jh. enthalt die Programm- 
musik oft Exotismen; seit dem Anfang des 20. Jh. hat 
sich die E. M. in die »Unterhaltungsmusik« verloren. 
Bekannte Werke mit E.r M. sind u. a.: Lully, Le 
triomphe de V Amour (1681), Ballet des nations in Le 
bourgeois gentilhomme (1670); Campra, L' Europe galante 
(1697) ; Rameau, Les Indes galantes (1735) ; Gluck, Le 
cinesi (1754), L'orfano delta China (1774); Felicien Da- 
vid, Le desert (1844); Saint-Saens, u. a. Le rouet d'Om- 
phale (1869); Balakirew, Islamej (1868); Borodin, 
»Eine Steppenskizze aus Mittelasien« (1880); Debussy, 
Pagodes smEstampes (1903); Puccini, Madama Butterfly 
(1904); Busoni, Indianisches Tagebuch (1915-16). 
Lit.: O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Cber d. Har- 
monisierbarkeit exotischer Melodien, SIMG VII, 1905/06; 
G. Capellen, Ein neuer exotischer Musikstil, Stuttgart 
1906; R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Anh. Ill, 
Stuttgart 1907, 91929 ; R. Mitjana, L'orientalisme mus. et 
la musique arabe, Uppsala 1907; R. Englander, Glucks 
»Cinesi« u. »Orfano della China«, Gluck-Jb. I, 1913; Fr. 
Brie, Exotismus d. Geistes, Eine Studie zur Psychologie d. 
Romantik, Sb. Heidelberg XI, 3, 1920; G. Knosp, Essai 
d'harmonie exotique, RMI XXXVIII, 1931; J. Baltru- 
SAiTis.Lemoyen-agefantastique, Paris 1955; B. Szabolcsi, 
Exoticism in Mozart, ML XXXVII, 1956; G. O. Rees, 
Exotismus bei frz. Schrif tstellern, Germanisch-romanische 
Monatsschrift XXXVII (=N. F. VI), 1956; G. Confa- 
lonieri, Immagini esotiche nella musica ital. , in : Immagini 
esotiche nella musica ital., hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron- 
caglia, Siena 1957; R. Allorto, Mala di terre lontane, 
ebenda; G. Bandmann, Das Exotische in d. europaischen 
Kunst, in : Der Mensch u. d. Kunste, Fs. H. Lutzeler, Dus- 
seldorf (1962). 

Explicit (lat., vermutlich Abk. fur explicitus est, es 
ist zu Ende), Zitat des Schlusses eines Textes. Bei mit- 
telalterlichen Traktaten ist die Angabe von ->■ Incipit 
und E. im allgemeinen vmerlaBhch. Dem TextschluB 
laBt der Schreiber oft einen Titel folgen, der mit dem 
Wort E. beginnt, z. B. : ... volentibus et desiderantibus 
introduci. Explicit ars magistri etfamosi musicij. de Muris 
Expleta 1478 in 22 dominicapost pentecosten (J. de Muris, 
Libellus cantus mensurabilis, Ms. Miinchen, Staatsbibl., 
Clm 15632, f. 103', Faks. in: MGG VII, Tafel VI, vgl. 
CS III, 58). 

Exposition (lat. expositio, Aufstellung). In der -»■ Fu- 
ge wird E. die erste Durchfiihrung des Themas als 
Dux und Comes in alien Stimmen genannt. - In der 
-»■ Sonatensatzform ist die E. zumeist zweiteilig: der 
-»• Hauptsatz bringt das Hauptthema in der Grundton- 
art und leitet unter Verwendung des thematischen 
Materials oder neuer Motivgruppen zum -> Seitensatz 
iiber. Uberleitung und -*■ Epilog (SchluBsatz) schhe- 



268 



Exultet-Rolle 



Ben die E. ab, die in der Klassik fast immer wiederholt 
wird ; Beethoven verzichtet in seinem Spatwerk oft dar- 
auf (op. 90). Was als Typus der E. angesprochen wird, 
erscheint in den Werken der Komponisten in groBen 
Differenzierungen. Der Seitensatz kann in Dursatzen 
statt in der Dominante auch in der Mollparallele ste- 
hen (Beethoven, op. 10 Nr 3, 1 . Satz) oder in der Ober- 
mediante (Beethoven, op. 31 Nr 1, 1. Satz). Er weist, 
wie auch der Hauptsatz, nicht selten mehrere Themen 
auf ; neues thematisches Material konnen Uberleitung 
und Epilog enthalten. Milhaud bringt in den E.en sei- 
ner Kammersymphonien das gesamte thematische Ma- 
terial eines Satzes gleichzeitig in verschiedenen Ton- 
arten. - Wichtig fiir die Gestaltung der E. und der So- 
natensatzform als Ganzes ist das Verhaltnis zwischen 
Haupt- und Seitensatz, das vielfach als dualistisch be- 
zeichnet wird. Indem beide Teile der E. gleichzeitig 
sich erganzen und kontrastieren sollen, ergibt sich die 
Gestaltung des Seitensatzes als Folge des Hauptsatzes. 
Kontrastierung ist oft schon im Aufbau eines Themas 
zu erkennen (Hauptthema in Mozarts Klaviersonate 
K.-V. 309, 1. Satz). Das kontrastierende Element zeigt 
sich in der E. besonders deutlich in der Gegeniiberstel- 
lung zweier tonartlicher Ebenen im Haupt- und Sei- 
tensatz. Letzterer kann ohne Unterbrechung des me- 
lodischen Flusses in der neuen Tonart ■beginnen oder 
durch Pause, Tempoanderung, sogar Taktwechsel 
vom ersten Teil der E. abgesetzt sein. Die E. im In- 
strumentalkonzert wird meist zuerst vom Orchester 
vorgetragen (Tutti-E.), dann vom Soloinstrument 
unter Mitwirkung des Orchesters wiederholt, wobei 
in der Solo-E. nicht selten neues, dem Instrument ge- 
maBes thematisches Material eingefiihrt wird (Mozart 
K.-V. 466) und die Seitenthemen der Tutti-E. teilwei- 
se oder ganz durch neue ersetzt werden (Beethoven, 
2. Klavierkonzert, op. 19). Oft beginnt das Soloin- 
strument vor dem Einsatz des Hauptthemas mit einer 
praludierenden Eingangskadenz (Brahms, Violinkon- 
zert, op. 77). Die Einfuhrung einer dritten Tonart in 
der E. der Sonatensatzform (Schubert, 7. Symphonie, 
D 944, 1. Satz) fiihrt bei Bruckner zu einer Aneinan- 
derreihung von drei thematischen Komplexen in der 
E., oft substantiell miteinander verkettet. 

Expression (frz.), im -»■ Harmonium ein Register, bei 
dem der Wind direkt aus den Schopfbalgen zu den 
Pfeifen gelangt. Das An- und Abschwellen des Tones 
kann daher mit den FUBen reguliert werden. Die E. 
wurde 1843 von A.F.Debain konstruiert; Doppel-E. 
in groBeren Harmonien ist eine Erfindung von C.V. 
Mustel (1854). 



Expressionismus, eine Kunstrichtung, die seit dem 
Beginn des 20. Jh. vorwiegend in Deutschland und 
Osterreich zunachst die Malerei (»Die Briicke«, Dres- 
den 1905; »Der Blaue Reiter«, Munchen 1909; H. 
Walden: Galerie »Der Sturm«, Berlin 1910), dann auch 
die Literatur (Trakl, Heym, Stramm, Benn, Wildgans, 
Wedekind, Toller u. a.) - auch im dramatischen In- 
szenierungs- und Darstellungsstil - und die Musik 
(Schonberg seit 1908, Berg, Webern, Ch. Ives, Stra-' 
winsky um 1911, Bartok, A.Honegger, P.Hindemith, 
Dallapiccola u. a.) erfaBte. Es ist ein programmatischer 
Versuch, aus Tradition und uberkommener Asthetik 
auszubrechen und mit revolutionaren Ausdrucksfor- 
men und -mitteln (Abstraktion, Konstruktion, Sym- 
bolik, Karikatur, Groteske) kunstlerisch ins Unterbe- 
wuBte, Irrationale und Transzendentale vorzudringen. 
- Der musikalische E. zog aus der Tonsprache der ro- 
mantischen Musik die auBersten Konsequenzen. Die 
Dynamik reicht vom Fliistern bis zum Schrei. Die 
Klangfarbe emanzipierte sich. Die Rhythmik begann 
ihre neue Entwicklung als motorisches Element von 
starker Reizwirkung, andererseits als hochst differen- 
zierbare, gestalt- und formgebende Faktur. DieTonali- 
tat wurde zugunsten der ->■ Atonalitat aufgegeben. 
Die traditionellen Formen wurden aufgelost oder auf 
engsten Raum reduziert. Formung wurde Ergebnis 
eines Forminstinkts. Da jegliche Stilisierung dem We- 
sen des E. widerspricht, war er bei fast alien Kiinst- 
lern eine voriibergehende Phase, der Tendenzen wie 
Motorik, Vitalismus, Folklore, Konstruktivismus, Neo- 
barock oder -klassizismus folgen konnten. 
Lit. : Der Blaue Reiter, hrsg. v. W. Kandinsky u. Fr. M arc, 
Munchen 1912, NA m. Ann., hrsg. v. K.1. Lankheit, ebenda 
1965; A. Schering, Die expressionistische Bewegung in d. 
Musik, in: Einfuhrung in d. Kunst d. Gegenwart, Lpz. 
1919; S. Borris, EinfluB u. Einbruch primitiver Musik in 
d. Musik d.Abendlandes, Sociologus, N. F. II, 1952; L. 
Rognoni, Espressionismo e dodecafonia, Turin 1954; H. 
H. Stuckenschmidt, Lineamenti deH'espressionismo, 
Musica d'oggi, N. S. I, 1958; J. Maegaard, Some Formal 
Devices in Expressionistic Works, Dansk aarbog f . musik- 
forskning I, 1961. 

Express! vorgel (frz. orgue expressif) -*■ Harmo- 



Extemporieren -> Improvisation. 
Extensio (lat.) -*■ Multiplicatio. 
Extravaganza (ekstisvag'snza, engl.) ->-Operette. 
Exultet-Rolle -> Rotulus. 



269 



F, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -> Buchstaben- 
Tonschrift ist F im allgemeinen die 6. Stufe, im Sy- 
stem der Kirchentone Finalis des 5. und 6. Tons (Ly- 
disch und Hypolydisch). Seit Zarlino (1571) ist der 
Ionius auf C primo modo; dadurch riickte F an die 
4. Stelle der Normalskala. Bei den romanischen V61- 
kern hat die Solmisationssilbe Fa den Buchstaben ver- 
drangt. Die Erniedrigung um einen Halbton heiBt Fes 
(engl. F flat ; f rz. fa bemol ; ital. fa bemolle) , um 2 Halb- 
tone Feses (engl. F double flat; frz. fa double bemol; 
ital. fa doppio bemolle), die Erhohung um einen Halb- 
ton Fis (engl. F sharp ; frz. fa diese; ital. fa diesis), um 2 
Halbtone Fisis (engl. F double sharp; frz. fa double 
diese; ital. fa doppio diesis). - 2) Schlussel: Seit Guido 
von Arezzo wird in der tieferen Lage vorzugsweise 
der Ton F mit -*■ Schlussel bezeichnet. Urspriinglich 
wurde der gewohnliche Buchstabe geschrieben, der 
erst allmahlich die heutige Form des F-Schliissels an- 
nahm. Im 15.-17. Jh. erscheint der F-Schliisselje nach 
seiner Stellung auf der 3., 4. oder 5. Linie des Lini- 
ensystems als Bariton-, Bafi- oder SubbaBschliissel ; 
seither ist der BaBschliissel auf der 4. Linie vorherr- 
schend. - 3) Seit Anfang des 19. Jh. werden in theoreti- 
schen Werken Akkorde mit -> Buchstaben-Tonschrift 
bezeichnet (F bedeutet den F dur-Dreiklang, f den F 
moll-Dreiklang) ; im -*■ Klangschliissel treten Zusatz- 
zeichen hinzu. Der Brauch, eine Tonart nur durch 
ihren Grundton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh. ent- 
sprechend den Akkordbezeichnungen so ausgelegt, 
daB F fur F dur, f fur F moll stand. - 4) Abk. fur forte; 
ff : fortissimo. 

Fa, in der mittelalterlichen -> Solmisation die 4. Silbe 
des Hexachords (im Sinne von f , b oder c) ; in romani- 
schen Sprachen Name fur den Ton F. Zur Mi contra 
Fa-Regel ->■ Mi. 

Faburden (f'a:b3:idn, engl.; mittelengl. faburdon) 
nennt der englische Diskanttraktat Anonymus Pseudo- 
Chilston in der um 1450 kompilierten Handschrift 
London, Brit. Mus. Lansdowne 763, die Unterstimme 
eines im Blick auf einen geistlichen C. f. (Plainsong) 
improvisierten 3st. Satzes, die Terzen oder Quinten 
zur Mittelstimme (Mene) und Sexten oder Oktaven 
mit der zur Mittelstimme quartparallelen Oberstimme 
(Treble) bildet. Der faburdener gewinnt seine Stimme 
mit Hilfe eines -» Sight an der Mittelstimme, die - wie 
in der englischen Musik dieser Zeit haufig - den Plain- 
song tragt, wobei aber die Formulierung des Traktats 
(the mene of the plainsong) offen laBt, ob nicht auch der 
Treble als (transponierter) Plainsong angesehen wird, 



^ — 1_ 


♦ ♦ ♦ #^ - i —♦ 















Vos 



qui se - cu - ti_ 



t> 




1 ' 


1 


L> 


fc 


















- stis 




me 


se 


- de - bi 


ti<; 





zumal er keine Sight-Lesung hat. In diesem einfachen 
Satz Note gegen Note sollen am Beginn und je am 
WortschluB Quint-Oktav-Klange stehen, die dazwi- 
schen verlaufenden Terz-Sext-Ketten konnen durch 
einzelne Quint-Oktav-Klange unterbrochen werden. 
Der sight of faburdon war nach dem Zeugnis des Trak- 
tats in England sehr beliebt (most in use). Musikalische 
Belege bieten englische Handschriften aus der 2. Half- 
te des 15. Jh. (z. B. London, Lambeth Palace 438, 
f. 180'), wobei es sich jeweils um die Niederschrift ei- 
ner F. -Unterstimme handelt, die mit dem zugehorigen 
Plainsong und der mit diesem ober- bzw. unterquart- 
parallelen 3. Stimme einen Satz ergibt, wie ihnPseudo- 
Chilston lehrt. Der Plainsong liegt dann entweder ori- 
ginal im Mene, original im Treble oder oktavtranspo- 
niert im Treble; offenbar hangt also die Art der F.- 
Ausfiihrung supra librum von der Hohenlage des 
liturgischen Cantus ab. Eine alternatim-Verwendung 
des durch den F. gekennzeichneten Satzes ist im -» Ca- 
rol bezeugt (z. B. Mus. Brit. IV, S. 83). Im 16. Jh. be- 
nutzen englische liturgische Orgelkompositionen in 
Anlehnung an diese vokalen Praktiken den F. eines 
Plainsong als Grundstimme eines Satzes, der haufig in 
den figurierten Oberstimmen den Plainsong selbst 
- oft koloriert - verwendet (z. B. J.Redford, O lux on 
the faburden, Mus. Brit. I, S. 23). Der Schottische An- 
onymus (London, Brit. Mus. Add. 4911, f. 94-112, 
nach 1558) lehrt als F. (neben anderen homophonen 
Techniken in Art des -»■ Falsobordone) eine Setzweise 
mit einem in originaler oder oberquarttransponierter 
Lage erklingenden Oberstimmen-Plainsong (Treble), 
einer dazu unterquartparallelen Mittelstimme (Coun- 
ter) sowie einer Sexten oder Oktaven zur Oberstim- 
me bildenden Unterstimme (Barytonant). Noch bei 
Morley (1597) aber hat F. die alte Bedeutung der Un- 
terstimme, die sich auch in literarischen Quellen bis in 
diese Zeit nachweisen laBt. - Der friiheste Wortbeleg 
in einem in Hemingbrough (Yorkshire) 1432 geschrie- 
benen Empfehlungsbrief fur ein Vikariat (redyng and 
s A n ]gy n & of plane sang and te synge a tribull tilfaburdun) 
erweist Volkslaufigkeit von Wort und Sache um 1430 
in England. Dabei spricht der Wortla'ut fur Zusam- 
menhang mit der Sight-Technik (»Lesen und Singen«) 
und mit den spateren Zeugnissen der F.-Unterstimme 
(»einen Treble zum F. singen«). - Die durch den F. ge- 
kennzeichnete, primar vom Klanglichen bestimmte 
Setzweise bevorzugt volkstiimliche geistliche Klein- 
formen (Hymnen, Psalmen, Kyrie, Magnificat) und 
wird gern alternierend als Kontrast eingesetzt. Sie kon- 
vergiert so einem Typus der Akkordrezitation in litur- 
gischen Kleinformen, der in England schon im 14. und 
uber das 15. Jh. hinaus nachweisbar ist. Bei einem Ver- 
such, die Entstehungszeit einzukreisen, ergeben sich 
zusammenf assend f olgende Fakten : 1) Existenz der von 
Pseudo-Chilston in Regeln gefafiten Stegreiftechnik 
mit F.-Unterstimme und Sight-Lesung in volkstiimli- 
chen liturgischen Gattungen um 1430; Kennzeichnung 
als F. nur bei strenger Anwendung der Technik. 2) Be- 
lege fur klangdeklamatorische Ausfiihrung der auch 



270 



Fagott 



vom F.-Satz bevorzugten Gattungen schon im 14. Jh. ; 
burdoun in der Bedeutung »Tiefstimme« vor und um 
1400 (-> Bordun); Fehlen einer F.-Beschreibung in 
dem von Pseudo-Chilston benutzten Diskanttraktat des 
L.Power; Entwicklung der Klangtechnik der engli- 
schen Res facta in den -*• Quellen Wore und OH bis an 
die Schwelle des strengen F.-Satzes. Bei Beriicksichti- 
gung dieser Ergebnisse ist - mit aller Vorsicht - eine 
Entstehung der F.-Praxis um 1420/30 anzunehmen. 
Ob sie eigenstandig englisch aus der insularen Tradition 
erwachsen oder iiber deren Vermittlung zum Konti- 
nent als Reflex des im klanglichen Ergebnis gleichen 
-»■ Fauxbourdon entstanden ist, laBt sich aus dem bis- 
her bekannten Material nicht zwingend ableiten. Auch 
ist eine rein englische Wortdeutung, die - gegeniiber 
der sprachgeschichtlich schwer haltbaren These, F. 
sei eine englische Lehniibersetzung von frz. fauxbour- 
don - den F. als einen durch die Solmisationssilbe fa be- 
stimmten burden erklart, nicht uberzeugend gegliickt. 
Die Deutung, F. sei eine Unterstimme, die in voice nur 
bfa hat, gilt auch fur den countir des Pseudo-Chilston. 
Lit. (ausschlieBlich d. in — » Fauxbourdon genannten): J. 
Hawkins, A General Hist, of the Science and Practice of 
Music I, London 1776; Ch. Burney, A General Hist, of 
Music II, London 1782; Riemann MTh; P. C. Buck, in: 
The Oxford Hist, of Music I, London 2 1 929 ; O. Ursprung, 
Die kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb. ; S. B. Meech, 
Three XV°>-Cent. Engl. Mus. Treatises, Speculum X, 1935 ; 
M. F. Bukofzer, Gesch. d. engl. Diskants u. d. Fauxbour- 
dons nach d. theoretischen Quellen, = Slg mw. Abh. XXI, 
StraBburg 1936; ders., Fauxbourdon Revisited, MQ 
XXXVIII, 1952; ders. in: The New Oxford Hist, of Music 
III, K.ap. 6, London 1960;THR.G.GEORGiADES,Engl. Dis- 
kanttraktate aus d. 1. HSlfte d. 15. Jh., = Schriftenreihe d. 
Mw. Seminars d. Univ. Miinchen III, Miinchen 1937; H. 
M. Miller, XVI" 1 Cent. Engl. F. Compositions for Key- 
board, MQ XXVI, 1940; D. Stevens, The Mulliner Book. 
A Commentary, London (1952), mit Ubertragung von 1 1 
Stiicken ; ders., Processional Psalms in F., MD IX, 1955 ; H. 
M. Flasdieck, Frz. »faux-bourdon« u. fruhneuengl. »f.«. 
Ein sprachwiss. Beitr. zur europaischen Mg., AMI XXV, 
1953 ; ders., Elisab.F.»Fauxbourdon«u.NE. Burden »Re- 
frain«, Anglia LXXIV, 1956; N. Wallin, Zur Deutung d. 
Begriffe F. - Fauxbourdon, Kgr.-Berl Bamberg 1953; G. 
Reese, Music in the Renaissance, NY (1954), 2 1959; Fr. 
Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London (1958) ; 
ders., Music for the Sarum Rite, Ann. Mus. VI, 1958/63; 
ders., F. in Practice, MD XVI, 1962; G. Schmidt, ZurFra- 
ge d. C. f. im 14. u. beginnenden 15. Jh., AfMw XV, 1958; 

E. Apfel, Studien zur Satztechnik d. ma. engl. Musik I, 
= Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, 
Jg. 1959, Nr 5; Br. Trowell, F. and Fauxbourdon, MD 
XIII, 1959 ; S. W. Kenney, »Engl. Discant« and Discant in 
England, MQ XLV, 1959; H. H. Carter, A Dictionary of 
Middle Engl. Mus. Terms, = Indiana Univ. Humanities 
Series XLV, Bloomington 1961. RB 

Fackeltanz, im preuBischen Hofzeremoniell bis ins 
20. Jh. bei Vermahlungen und ahnlichen Anlassen iib- 
licher Rundgang der Hofgesellschaft nach Art der al- 
ten Pavanen oder der spateren Polonaisen, fur den 
Spontini, Flotow, Meyerbeer und andere Komponi- 
sten Musikstucke geschrieben haben. 

Fado (f adu, port., »SchicksaI«; auch fadinho), in den 
Stadten Portugals seit Beginn des 19. Jh. popularer 
Gesang, dessen Ursprung wahrscheinlich in der Ne- 
germusik Brasiliens oder Afrikas zu suchen ist. Friiher 
ausschlieBlich von Berufssangern vorgetragen, ist der 

F. heute, wie der Schlager, weitgehend kommerziali- 
siert. Die in der Regel zweiteilige, geradtaktige Melo- 
die wird - ahnlich dem Jazz - in f reiem, stark synkopier- 
tem Rhythmus zu rhythmisch strenger Gitarrenbeglei- 
tung gesungen; gelegentlich dient der F. auch als Tanz- 
musik. Seine Texte, friiher oft improvisiert, sind iiber- 
wiegend sentimental und elegisch. 



Lit. : R. Gallop, The F., MQ XIX, 1933 ; ders., The Folk 
Music of Portugal, ML XIV, 1933 ; ders., The Folk Music 
of Eastern Portugal, MQ XX, 1934; F. Lopes Graca, A 
miisica portuguesa, 2 Bde, I Porto 1944, II Lissabon 1959. 

Fagott (das oder der Fag., im 17. Jh. auch Dolcian, 
Dulcian, im 18. Jh. Basson; ital. fagotto; frz. basson; 
engl. bassoon, im 17. Jh. curtail; span, bajon, seit dem 
19. Jh. fagot), Doppelrohrblattinstrument von koni- 
scher Bohrung mit geknicktem, in 2 Kanalen parallel 
verlaufendem Windkanal und S-formigem Anblas- 
rohr. Als Material wird meist Ahorn verwendet, zum 
Teil mit Kautschuk gefiittert. Die Bezeichnung Fag. 
ist auf Instrumente dieser Bauart friih iibertragen wor- 
den, obwohl die urspriingliche Bedeutung des Wortes 
(um 1500 ital. fagotto, Biindel) nicht mehr zutrifft, 
wie es noch beim -»■ Phagotum und den fagotti ge- 
nannten gedoppelten Blasinstrumenten der Biblioteca 
Capitolare in Verona der Fall war. Die altesten Fag.e 
von etwa 1570 bis 1670 waren aus einem Holzblock 
gebohrt und hatten (wie bei Praetorius 1619) 7 vor- 
derstandige Grifflocher, davon eines mit offener Klap- 
pe sowie 2 Daumenlocher und ein hinterstandiges 
Griffloch mit Klappe. Bei Praetorius gehoren zum 
Stimmwerk Diskant g-c 2 , Piccolo G-f!(gi), Chorist- 
fag. (offen oder halbgedackt) C-d^g 1 ) und Doppel- 
fag. als Quart- oder Quintfag. iG-f(a) oder iF-e(g). 
Um 1670 bis 1780 bestand das Fag. meist aus 3 Teilen, 
Fliigel, Stiefel und BaBrohre (dazu Schallstiick und 
Anblasrohr), und hatte 3-4 Klappen. Um die voile 
chromatische Tonleiter zu ermoglichen, wurde die 
Zahl der Grifflocher mit Klappen sehr vermehrt (um 
1800 bis zu 10 Klappen, heute nach dem franzosischen 
System Buffet 22 Klappen und 6 offene Grifflocher, 
nach dem System -> Heckel 24 Klappen und 5 offene 
Grifflocher). Der Umfang des modernen Fag.s ist iB 
(mit aufgesetzter Extrastiirze iA)-es2; die Ansprache 
der hochsten Tone wird durch ein hartes Rohrblatt er- 
leichtert. Der Klang des Fag.s ist wegen der geknick- 
ten Rohre weich, dabei trocken und etwas naselnd. In 
der Oper sind dem Fag. daher gelegentlich Stellen mit 
komischer oder grotesker Wirkung anvertraut. Es eig- 
net sich jedoch gleich gut fiir alle Bereiche des musika- 
lischen Ausdrucks. Als GeneralbaBinstrument trat es 
um 1620 auf (Schiitz op. 2 und 4), im Orchester zu- 
nachst als BaB der Oboen (Lully, Psyche, 1674). Im 
klassischen Orchester ist es in der Regel zweifach be- 
setzt, im romantischen dreifach (3. Fag. auch Kontra- 
fag.). Solokonzerte fiir Fag. schrieben Vivaldi, J. Chr. 
Bach, "W.A.Mozart und C. M. v. Weber. Schulen 
wurden verfaBt u. a. von Ozi, Blasius, J.Frohlich, 
-> Almenrader, J. Weissenborn (U1929), Oubradous 
und W.Spencer. - Nach verschiedenen Versuchen - 
(einer wird von Praetorius erwahnt) entwickelte Heckel 
1877 das heute gebrauchliche Kontrafag. mit dem 
Umfang iC-f (eine Oktave holier notiert). Im Orche- 
ster wird es u. a. von Handel, Haydn, Mozart (Mau- 
rerische Trauermusik), Beethoven (Fidelio, 5. und 9. 
Symphonie), Meyerbeer, doppelt besetzt von Schon- 
berg (Gurre-Lieder) und Strawinsky (Sacre du Printemps) 
verlangt; daneben fand es Anwendung in der Militar- 
musik des 19. Jh. Ein Subkontrafag. baute V.F.Cer- 
veny 1873. Das Quintfag. in Tenorlage (tiefster Ton F) 
ist heute nicht mehr in Gebrauch. 
Lit.: L. Zacconi, Prattica di musica . . ., Venedig 1592, 
21596; PRAETORiusSynt.il; M. Mersenne, Harmonie uni- 
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 
1963 ; J. Fr. B. C. Majer, Museum musicum, Schwabisch 
Hall 1732, Faks. hrsg. v. H. Becker, = DM1 1, 8, 1954; G. 
Tamplini, Brevi cenni sul sistema Boehm e della sua appli- 
cazione al fag., Bologna 1 888 ; W. Heckel, Der Fag., Bieb- 
rich 1899, Lpz. 21931, engl. Biebrich 1931 u. in: The Jour- 
nal of Musicology II, 1940; A. Orefice, Storia del fag., 



271 



Fagottgeige 



Turin 1926; L. G. Langwill, The Bassoon, Proc. Mus. 
Ass. LXVI, 1939 ; DERS.,TheBassoon and Double Bassoon, 
London (1947); ders., The »Boehm« Bassoon: A Retro- 
spect, The Galpin Soc. Journal XII, 1959 ; A. Baines, Two 
Curious Instr. at Verona, ebenda VI, 1953; A. Reimann, 
Studien zur Gesch. d. Fag., Diss. Freiburg i. Br. 1956, 
maschr.; H. Kunitz, Fag. (=Die Instrumentation V), 
Lpz. 1957; W. Spencer, The Art of Bassoons Playing, 
Evanston (111.) 1958; P. R. Lehman, The Harmonic Struc- 
ture of the Tone of the Bassoon, Diss. Univ. of Michigan 
1962. 

Fagottgeige (ital. viola di fagotto), ein im 17. und 
18. Jh. der Violinfamilie verwandtes Streichinstrument 
mit der Stimmung C G d a (wie das Violoncello). Die 
F. hatte einen Bezug von iibersponnenen Saiten, wel- 
che . . . hernach im Strekhen schnurren j und werden solche 
Violen j urn dieser schnurrenden Saiten halben j Violae di 
Fagotto tituliret (D.Speer 1687). Eine etwas groBere F. 
wurde nach L. Mozart (1756) auch HandbaBel genannt. 

Falsa musica (lat.) -»■ Musica ficta. 

Falsett -^-Register (- 3). 

Falsettisten (ital. alti naturali, naturliche Altstimmen) 
hieBen die Sanger der Sopran- und Altpartien in der 
Chorpolyphonie des 16. Jh. Da Frauen in den Kapell- 
choren nicht singen durften und auch -»■ Kastraten, die 
erst im 17.-18. Jh. eine groBere Rolle spielen, nicht of- 
fiziell zugelassen waren, wurden die Altpartien von 
Tenoristen mit Kopfstimme gesungen, ausnahmsweise 
auch die sonst von Knaben gesungenen Diskantpar- 
tien. Die Bezeichnung Alti naturali verdrangte ab 1652 
(nach Zulassung der Kastraten zur papstlichen Kapelle) 
die altere Bezeichnung ->• Tenorini, um den Unter- 
schied zwischen den falsettierenden Mannerstimmen 
und den »unnaturlichen« Kastratenstimmen (voci arti- 
ficiali) zu verdeutlichen. 

Falsobordone (ital., von frz. f auxbourdon) ist - auBer 
der italienischen Bezeichnung des strengen -> Faux- 
bourdon - seit dem spaten 15. Jh. Sammelbegriff fiir 
alle durch Akkorddeklamation gekennzeichneten 
Satze (Akkordrezitation bei gleicher Tonhohe in Psal- 
men u. a.; C. f.-Harmonisierungen Note gegen Note; 
auch der Contrappunto alia mente zu einem in glei- 
chen Werten schreitenden Tenor). Dabei wurde der 
Name (nicht aber die Klangtechnik) des seit der Mitte 
des 15. Jh. ebenfalls durch einen akkordlichen Satz be- 
stimmten Fauxbourdon iibernommen. Dieklangdekla- 
matorische Ausfiihrung von Psalmen, Magnificat u. a. 
selbst hat eine bis ins 14. Jh. zuriick belegbare Tradition 
(-* Faburden). In der Liturgie wurden (teilweise heute 
noch) F.-Satze -»• alternatim mit Einstimmigkeit ge- 
sungen, ahnlich der Orgelpraxis beim -» Versett. 
Lit.: H. Schutz, Auferstehungshistorie (1623), Vorrede, 
GA I; F. Pedrell, Vorw. zu: Hispaniae schola musica 
sacra VI, Barcelona u. Lpz. 1897; Pius X., Motu proprio, 
1903 ; R. Lach, Alte KirchengesSnge d. ehemaligen Dioze- 
se Ossero, SIMG VI, 1904/05; H. J. Moser, Die mehrst. 
Vertonung d. Evangeliums I, = Veroff. d. Staatl. Akad. f. 
Kirchen- u. Schulmusik Bin II, Lpz. 1931 ; Kn. Jeppesen 
(mit V. Brendal), Die mehrst. ital. Laude um 1 500, Kopen- 
hagen u. Lpz. 1935; E. (Gerson-)Kiwi, Studien zur Gesch. 
d. ital. Liedmadrigals im 16. Jh., Wiirzburg 1938; M. F. 
Bukofzer, Studies in Medieval and Renaissance Music, 
NY 1950. 

Fancy (f'amsi, engl.), auch fansy, phancy, fantasy u. a., 
ist die englische Auspragung der -*■ Fantasie (auch in 
England ohne Unterschied Fantasie und Fantasia ge- 
nannt) und der Haupttypus der englischen Kammer- 
musik von etwa 1575 bis 1680, bei dem nach Th.Mor- 
ley (1597, ahnlich bei Th.Mace 1676) may more art be 
showne than in any other musicke. Die vielen hundert F.- 
Kompositionen fanden zum groBten Teil nur hand- 



schriftliche Verbreitung. Ihre Entwicklung verlief pa- 
rallel zu der des etwas alteren -»■ In nomine. Die F. 
laBt sich auf die in England seit Beginn des 16. Jh. sehr 
beliebte rein instrumentale Ausfiihrung von Motetten, 
meist durch Violenensemble, zuriickfuhren, in deren 
Abschnitten Motive des Gregorianischen Gesangs imi- 
tatorisch durchgefiihrt wurden. Die Geschichte der F. 
begann, als das thematische Material der einzelnen Ab- 
schnitte vom Komponistcn frei erfunden wurde, wo- 
bei zunachst keine weiteren Unterschiede zum vokalen 
Vorbild der Motette bestanden. Das alteste bekannte 
Beispiel, ein Orgelstiick von Newman, steht in dem 
nach 1553 geschriebenen Mulliner Book. Folgende 
Merkmale kennzeichnen die weitere Entwicklung der 
F. : das Entstehen eines ausgepragten Instrumental- 
stils durch wachsenden Umfang der Stimmen, prag- 
nante Motive, typische Instrumentalfiguren wie groBe 
Spriinge, rasche Tonwiederholungen, mehrfach se- 
quenzierte schnelle Spielfiguren; ferner die deutliche 
Trennung der einzelnen Abschnitte durch Kadenzen 
(erstmals von Th.Morley 1595 in 2st. Fantasien kon- 
sequent durchgefiihrt) ; bald nach 1600 die kontrastie- 
rende Gestaltung der Abschnitte bis hin zu selbstandi- 
gen Satzen, wahrend gleichzeitig auch die einthemati- 
ge F. gepflegt wurde. Die F. nahm samtliche Kompo- 
sitionsformen der damaligen Kammermusik in sich 
auf (was Th.Mace ausdriicklich hervorhebt). Ihre ori- 
ginal imitatorische Anlage wurde, vereinzelt schon im 
16. Jh., mit homophonen und toccatenhaften Abschnit- 
ten durchsetzf, Tanz (z. B. Th.Morley), Variation (P. 
Philips) und Ground (J.Baldwine, H. Purcell, J. Bull) 
drangen in die F. ein. War die F. seit ihren Anfangen 
vorwiegend fiir 3-6st. Violenensemble in solistischer 
Besetzung oder fiir Klavier bestimmt, so wurden seit 
O. Gibbons auch die modernen italienischen Violinen 
und im 2. Drittel des 17. Jh. auch Instrumente verschie- 
dener Familien (nach Art des broken ->■ consort) ver- 
wendet ; auch wurden nun u. a. Tasteninstrumente oder 
Harfe konzertant eingesetzt. 4 Stadien lassen sich in der 
Geschichte der F. unterscheiden : bis etwa 1600 die 
Emanzipation von der Kirchenmusik ; danach das Stre- 
ben nach Kontrastreichtum und das Eindringen volks- 
tiimlicher Elemente; seit etwa 1625 eine Zeit des Expe- 
rimentierens, der Formspielereien, zunehmender Ver- 
wendung der Chromatik, daneben gibt es betont 
volkstumliche Stiicke, die auch in groBerer Zahl ge- 
druckt wurden; etwa nach 1650 wachsende italieni- 
sche und franzosische Einfliisse, z. B. des Concerto 
grosso und der Triosonate, die zur Auflosung der F. 
fuhrten. Als letzter schrieb H. Purcell 1680 mehrere 
Fancies. - AuBer den schon genannten Komponisten 
sind bedeutend E.Blanke, W.Byrd, die beiden A. 
Ferrabosco, Th. Ravenscrof t, Th.Ford, J.Jenkins, W. 
Lawes, Chr. Simpson und M. Locke. 

Lit.: Th. Morley, A Plaine and Easie Introduction to 
Practicall Musicke, London 1597, NA hrsg. v. R. A. Har- 
man, London (1952); Th. Mace, Musick's Monument, 
London 1676, Faks., = Collection »Le Chceur des Muses«, 
Paris 1958; E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17. 
Jh., = Heidelberger Studien zur Mw. II, Kassel 1934; 
ders., Engl. Chamber Music, London 1946, 21951, deutsch 
als : Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz. 1 958 ; E. Blom, 
Music in England, Harmondsworth/Middlesex 1942, 
deutsch Hbg 1947, ital. Florenz 1954; D. Stevens, Purcell's 
Art of Fantasia, ML XXXIII, 1952; C. Arnold u. M. 
Johnson, The Engl. Fantasy Suite, Proc. R. Mus. Ass. 
LXXXII, 1955/56; Th. Dart, The Printed Fantasies of O. 
Gibbons, ML XXXVII, 1956; M. Tilmouth, The Tech- 
nique and Forms of Purcell's Sonatas, ML XL, 1959; E. 
Fr. Nelson, An Introductory Study of the Engl. Three- 
Part String-F., Diss. Ithaca (N. Y.) 1960, maschr.; P. 
Willetts, Sir Nicholas le Strange and J. Jenkins, ML 
XLII, 1961. GBa 



272 



Fantasie 



Fandango (span., wahrscheinlich von afroamerika- 
nisch fanda, s. v. w. Gastmahl), ein seit dem friihen 18. 
Jh. bekanntes spanisches Tanzlied im 3/4- oder 3/8-, 
seltener im 6/8-Takt von maBiger bis rascher Bewe- 
gung. Der F., dessen Arten nach Landschaften auch 
Granadina, -*■ Malaguefia, Murciana und Rondefia ge- 
nannt werden, wird mit Begleitung von Gitarre und 
Kastagnetten, auch mit Sackpf eif e, Schalmei und (Schel- 
len-) Trommel gesungen; die Kastagnetten markieren 
den scharfen Rhythmus: 



I 



I 



? tuft l tm? 



Der F. ist ein Werbetanz; seine Ausfiihrung wurde oft 
als anstoBig empfunden. Haufig wird er durch eine 
rhythmisch freie Copla unterbrochen, die ein Tanzer 
seiner Partnerin zusingt. Zwischen die Verse werden 
meist instrumentale Ritornelle eingefiigt, die den F.- 
Stil pragten und deren Formen und Motive in die spa- 
nische Gitarren- und Klaviermusik eingingen. Stili- 
siert findet sich der volkstiimliche F. im Capriccio es- 
pagnol op. 34 von Rimskij-Korsakow (1887), in den 
fteria-Klavierstiicken von I.Albeniz (1906-4)9), den 
Goyescas fiir Kl. (F. de candil) von E.Granados (1911) 
und im »Dreispitz« de Fallas (1919). Eine beriihmte, 
wahrscheinlich andalusische F.-Melodie wurde bear- 
beitet von Gluck im »Don Juan«-Ballett (1761) und 
von Mozart in Le Nozze di Figaro (1786, Ende des 3. 
Aktes); sie findet sich auch in einem Skizzenbuch 
Beethovens von 1810. 

Fanfare (frz. ; ital. fanfara) s. v. w. -*■ Blechmusik, 
auch speziell eine lange Trompete (->• »Aida«-Trom- 
pete). Danach hat F. die vorherrschende Bedeutung 
von Signalmusik (-»■ Signale). Eine beriihmte Trom- 
peten-F. verkiindet in Beethovens Fidelio (2. Akt) die 
Ankunft des Gouvemeurs (auch in den Leonoren-Ou- 
vertiiren Nr 2 und Nr 3). Mehrchorige F.n fiir Trom- 
peten, Horner und Posaunen komponierte B.Blacher 
zur Einweihung der Berliner Philharmonie 1963. Nach- 
ahmung instrumentaler F.n in der Vokalmusik gibt es 
u. a. in der Caccia des 14. Jh. und in Chansons des 16. 
Jh. (Janequin). - In Orchestersuiten des 18. Jh. kommt 
die Bezeichnung F. vor fiir kurze rauschende Satze mit 
schnellen Akkordrepetitionen. - In der Musikethnolo- 
gie wird die ausschlieBliche oder bevorzugte melodi- 
sche Verwendung groBerer Intervalle (Terz, Quarte, 
Quinte) als F.n-Melodik bezeichnet. Sie findet sich vor 
allem bei Indianern sowie bei verschiedenen Zwerg- 
volkern (Pygmaen) Afrikas, Australiens und der Siid- 
see (-»-Jodeln). 

Ausg. : Trompeterf., Sonaten u. Feldstucke nach Aufzeich- 
nungen deutscher Hoftrompeter d. I6./17. Jh., hrsg. v. G. 
Schunemann, = RD VII, Kassel 1936, dazu ders., Sona- 
ten u. Feldstucke d. Hoftrompeter, ZfMw XVII, 1935. 

Fantasie (lat. und ital. fantasia; frz. fantaisie; engl. 
fancy; von griech. 9avxaoia, Erscheinung, Vorstel- 
lung). Seit dem friihen 16. Jh. (Orgeltabulaturbiicher 
von H. Kotter 1513ff. ; L. Kleber 1524) ist der Ausdruck 
F. als Titel fiir Instrumentalstucke belegt. Gegentiber 
anderen Bezeichnungen von Spielmusik, wie Praelu- 
dium, Toccata, Ricercar, Capriccio, gewann die F. ihre 
Eigenart wohl vor allem auf Grund der Vorstellungen, 
die der anspruchsvolle Name F. nahelegt in bezug auf 
Besonderheit, Unmittelbarkeit und Freiheit der Er- 
findung und Gestaltung. Im 16. Jh. konnte bereits das 
Fehlen eines Textes als Besonderheit gelten. In diesem 
weiten Sinne hieBen F.n Intavolierungen von Vokal- 
kompositionen und Tanzen oder Tanzliedern (B. de 
Drusina 1556) oder C. f.-Bearbeitungen (R.Rodio 
1575), sogar textlose Sangerubungen. Unmittelbar- 



keit lag vor bei Instrumentalwerken, die eigene The- 
men verwendeten oder nur motivisch an Bekanntes 
anknupften. Der groBte Teil schon der F.n des 16. und 
17. Jh. ist in dieser Hinsicht »freie« Musik. Im 18. und 
19. Jh. nannte man gem eigenwillige Formstrukturen 
F., namenthch bei Abweichungen gegeniiber der So- 
natensatzfofm. Wie in ihren Anfangen setzt die F. 
auch hier eine Norm voraus, von der sie sich distan- 
ziert. - In der 1. Halfte des 16. Jh. gehort die F. fast 
ausschlieBlich dem Lauten- und Vihuelaspiel an. In 
diesem auBerkirchlichen Milieu zeigt sie im Unter- 
schied zu den Vorspielen und Intonationen Ziige eines 
eigenstandigen Musizier- und Vortragsstiicks. Dem 
umfangreichsten Repertoire von F.n dieser Zeit, L. 
Milans El maestro (1535), ist zu entnehmen, daB Modi- 
fikationen des Tempos erwiinscht und iiblich waren. 
Weitere spanische Vihuela-F.n stammen u. a. von L. de 
Narvaez (1538) und M. de Fuenllana (1554). In Italien 
wurde die Lauten-F. durch Francesco da Milano, in 
Frankreich vor allem durch A. de Rippe (aus Mantua), 
G. de Morlaye undJ.Belin gepflegt. Deutschlands An- 
teil an dieser Gattung ist anfangs verhaltnismaBig klein 
gewesen. H.Gerle bemiihte sich um engen AnschluB 
andieheimischeorganistischeKolorierungspraxis.Doch 
riihmt er an seiner 1536 veroffentlichten Lautenkom- 
position Praeambel oder Fantasey die zwifachen und dri- 
fachen doppel lauffen / auch sincupationes / und viel schoner 
fugen, womit jene Buntheit im Satz beschrieben wird, 
die auch fiir auBerdeutsche Belege typisch ist. - Eine 
neue Phase in der Geschichte der F. beginnt um 1560, 
als in Italien besonders unter der alteren Bezeichnung 
-> Ricercar eine instrumentale Gattung entstand, die 
sich von der bisherigen Spielmusik durch ihre Kontra- 
punktik, von der Motette durch ihre Tendenz zur Ein- 
themigkeit unterscheidet. Da die Laute zur Darstellung 
polyphoner Strukturen wenig geeignet ist, wuchs das 
Repertoire fiir Tasteninstrumente. Auch in Stimm- 
biichern wurde die imitierende Musik verbreitet (G. 
Tiburtino 1549 u. 6.; G.Bassanos F.n, 1585). Sie ver- 
lauft in schmuckloser Strenge (z. B. doppelte bis acht- 
fache VergroBerungen und Umkehrung eines Themas 
in einer F. von O.Vecchi) oder in ornamentaler Aus- 
schmiickung (so in A. Gabrielis Fantasia alkgra). Hohe- 
punkt und AbschluB der italienischen F. bilden Fresco- 
baldis 1608 veroffenthchte Kompositionen. Sie sind 
mehrteilig, wechseln zwischen Zwei- und Dreizeitig- 
keit und variieren ihre Themen. - Ahnliche Entwick- 
lungen haben sich in Spanien vollzogen, wo das ->■ Tien- 
to den allgemeinen geschichtlichen ProzeB spiegelt. 
Unter F. verstand man hier nach 1560 weniger eine 
Gattung als die Tatigkeit der Improvisation, so T. de 
Santa Maria (1565), dem das polyphone Stegreifspiel 
als Ziel des Klavierunterrichts gait. - Die Geschichte 
der F. im 1.7. Jh. vollzog sich in anderen europaischen 
Landern. In England formte sich unter dieser Bezeich- 
nung eine eigenstandige Tradition (-*■ Fancy). Die 
franzosischen F.n wurden um 1610 zumeist in Stim- 
men verbreitet; den F.n von E. du Caurroy liegen 
uberwiegend vokale Themen zugrunde. Zwei Ar- 
ten von F.n schrieb der Niederlander J. P. Sweelinck : 
einerseits dicht gefiigte, oft homophone Echostiicke, 
wie sie ahnlich in Itahen nachgewiesen sind, anderer- 
seits diminuierende und augmentierende, durch Zwi- 
schenspiele gegliederte Durchfuhrungen eines The- 
mas, wobei kolorierende Gegenstimmen den Ein- 
fluB der englischen »Virginalisten« verraten. - In 
Deutschland war die F. fiir ein Ensemble von Mu- 
sikern zunachst gleichfalls an englischen Vorbildern 
orientiert, wahrend die Klavier- und Orgel-F. aus 
Italien und von Sweelinck die starksten Anregungen 
empfing. H.L.HaBlers umfangreiche Hexachord-F. 



18 



273 



Fantasie 



beruht wohl vorwiegend auf siidlichen Traditionen. 
Wie Frescobaldi hat sein Schiiler J.J.Froberger die 
Satziiberschriften als Stilbezeichnungen aufgefaBt. Die 
F. steht dabei der altertiimlichen Gravitat des Ricer- 
cars naher als der Modernitat von Toccata, Capriccio 
und Canzona. S.Scheidt (1624) und J.U.Steigleder 
(1626) wahlten den Ausdruck F. je einmal f iir Bearbei- 
tungen deutscher Kirchenlieder. Die vielgliedrige 
Choral-F., in den Quellen zumeist nur durch den An- 
fang des Liedtextes angekiindigt, wurde wenig spater 
zu einer Spezialitat deutscher Organisten. Fur die imi- 
tierende Behandlung eines freien Themas biirgerte 
sich allmahlich der Name -* Fuga ein; die F. hingegen 
fand wieder AnschluB an freiere Techniken. Sie paBte 
sich dem Stil des zeitgenossischen Praludiums an (J. 
Pachelbel), machte sich die Ritornellform des Concer- 
tos zu eigen (J. Krieger 1697) und verband sich, zum 
Teil noch fugierend, mit den Galanteriestiicken der 
Suite (G.Muffat 1739). Telemann verwendet den Be- 
griff F. fiir mehrsatzige oder mehrteilige selbstandige 
Kompositionen, die von einem Instrument allein aus- 
zufiihren sind (Klavier, F16te, Violine). Auf einer an- 
deren Ebene stehen die F.n von J.S.Bach durch ihre 
Sinnfiille, ihre Expressivitat und durch ihre alle Mog- 
lichkeiten der damaligen Orgeln und Klaviere aus- 
nutzende Virtuositat. Meist folgt ihnen eine Fuge. Die 
Chromatische F. (BWV 903) enthalt ein ausdriicklich 
so genanntes Rezitativ. Dieses Stuck wirkt wie eine er- 
schiitternde Szene (Ph. Spitta). Es gewann besondere 
Bedeutung fiir C. Ph. E.Bach, dessen rezitativische 
C moll-F. von 1753 der Dichter H.W.v. Gerstenberg 
durch Textunterlegung zu deuten versuchte. In sei- 
nen Freien F.n (1783, 1785) hat C. Ph. E.Bach Stilele- 
mente der Toccata und des Praludiums verarbeitet und 
urn kantable, taktmafiig geordnete Mittelpunkte grup- 
piert. Das Fehlen von Taktstrichen in den von unruhi- 
gen einstimmigen Laufen beherrschten Partien und 
die generalbaBartigen Skizzierungen darin mit der 
Vorschrift arpeggio zeigen, wie stark noch mit Impro- 
visation und freier Gestaltung durch den Spieler ge- 
rechnet wurde. 1787 traten dann rondohaft geglattete 
Formen an die Stelle dieser rhapsodischen Gebilde. - 
Fiir die Klassik war die F. von geringerer Bedeutung. 
W.A.Mozarts Klavier-F.n D moll K.-V. 397 und C 
moll K.-V. 475 sind kleine »durchkomponierte« Zy- 
klen, kontrastreich, teilweise ohne Bindurig an einen 
Takt und verhaltnismaBig weit entfernt vom tonalen 
Zentrum. Dem Uberlieferungsbefund zufolge konn- 
ten sie als Einleitungsstiicke verwendet werden. Die 
formale Ungebundenheit der F. wird im Werk Beet- 
hovens abermals deuthch. In seiner Klavier-F. G moll 
op. 77 laBt die gleichsam improvisatorische Reihung 
musikalischer Gedanken das SchluBallegretto erst spat 
eintreten, wahrend in der F. fiir Kl., Chor und Orch. 
C moll op. 80 nach einer solistischen Einleitung das 
teils rezitativische, teils in Art von Variationen an- 
gelegte, schlieBlich hymnische Finale eindeutig im 
Vordergrund steht. Beethovens Klaviersonaten op. 27 
Nr 1 und 2 tragen den Untertitel quasi una fantasia, weil 
ihre Satze den herkommlichen Bauplanen widerspre- 
chen und weil ihre Satzgrenzen zu verflieBen beginnen. 
- Eine Fiille von offenen und versteckten Beziehungen 
verbindet die einzelnen Teile der romantischen F., 
obwohl Schuberts groBe F.n (Wanderer-Phantasie op. 
15 fur Kl. ; op. 103 fur Kl. zu vier Handen; op. 159 fur 
V. und Kl.) noch eine traditionell viersatzige Anlage 
und Mendelssohn Bartholdys Klavier-F. Fis moll op. 28 
Rudimente der Sonatensatzform erkennen lassen. Bei 
Schubert werden die thematischen Beziehungen deut- 
hch formuliert; bei Schumann sind sie oft mehr zu ah- 
nen ah klar zu erfassen (M.Friedland), z. B. in der Kla- 



vier-F. C dur op. 17 (mit dem Motto Fr.Schlegels). 
Schumanns F.-Stiicke op. 16 (Kreisleriana) und op. 12 
setzen sich aus musikalisch abgeschlossenen Satzen zu- 
sammen, die sich als poetische Bilder gegenseitig er- 
ganzen und bedingen. Diesem romantischen Reihungs- 
typ ist noch Brahms (op. 116, 1892) verpflichtet, wah- 
rend Chopins F. F moll (op. 49, 1842) dem zyklischen 
Prinzip folgt. - Die F. in der 2. Halfte des 19. Jh. be- 
zieht sich nicht mehr auf die Sonate, sondern vorwie- 
gend auf die Technik der Variation. Das zeigt sich so- 
wohl in dem iiberaus popularen Genre der sogenann- 
ten Opern-F. fiir Klavier, die durch S.Thalberg und 
Fr. Liszt auf eine kunstlerische Hohe gebracht wurde, 
als auch an M.Regers monumentalen Choral-F.n. - 
Obwohl die F. eng mit dem Klavier verbunden bleibt 
- C.Czernys Anleitung zum Fantasieren (op. 200) be- 
miiht sich wie in alter Zeit f ormelhaft systematisch um 
das pianistische Stegreif spiel -, wurde sie seit S. v. Neu- 
komm (op. 9, 11 und 27, 1807, 1810, 1821) auch auf 
Orchestermusik angewendet. R. Schumanns 4. Sym- 
phonie (op. 120) mit ihren undeutlichen Einschnitten 
und thematischen Riickgriffen hieB in ihrer ersten Fas- 
sung (1841) Symphonische F. Unter dieser Bezeichnung 
und unter dem Titel Rhapsodie charakterisierte man 
etwa zwischen 1860 und 1920 auch fremde Volker und 
Lander, meist im AnschluB an ein charakteristisches 
Lied. Auf diesem Gebiet waren russische Komponisten 
(A.Glasunow, M.Balakirew u. a.) fiihrend. - Nach 
1920 erschien der Begriff F. einer Generation, die neue 
Bindungen suchte, zu vage. Erst nachdem solche Ori- 
entierungspunkte gefunden waren, wirkte die F. wie- 
der sinnvoll (E. Pepping, F.n fiir KL, 1945; A.Schon- 
berg, F. fur V. und Kl. op. 47, 1949 ; W. Fortner, Phan- 
tasie iiber die Tonfolge b-a-c-h fiir 2 Kl., 9 Soloinstr. 
und Orch., 1950). 

Lit.: Fr. Chrysander, Eine Kl.-Phantasie v. C. Ph. E. 
Bach, VfMw VII, 1891 ; O. Deffner, liber d. Entwicklung 
d. F. f. Tasten-Instr. (bis J. P. Sweelinck), Diss. Kiel 1927; 
P. Hamburger, Die F. in E. Adriansens Pratum musicum 
(1600), ZfMw XII, 1929/30; M. Friedland, Zeitstil u. 
Personlichkeitsstil in d. Variationswerken d. mus. Ro- 
mantik, =Slg mw. Einzeldarstellungen XIV, Lpz. 1930; 
E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17. Jh., = Heidel- 
berger Studien zur Mw. II, Kassel 1934; E. T. Ferand, Die 
Improvisation in d. Musik, Zurich (1938); M. Reimann, 
Zur Deutung d. Begriffs Fantasia, AfMw X, 1953; R. M. 
Murphy, Fantasia and Ricercare in the 16 th Cent., Diss. 
Yale Univ. (Conn.) 1954, maschr. ; ders., Fantaisie et 
Recercare dans les premieres tablatures de luth du XVI e 
s.,in: Le luth et sa musique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958; 
H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, 
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. 
sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; D. Launay, La f. en 
France jusqu'au milieu du XVII e s., in: La musique instr. 
de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955 ; D. Pres- 
ser, Die Opernbearb. d. 19. Jh., AfMw XII, 1955; E. A. 
Wienandt, D. Kellner's Lautenbuch (1747), JAMS X, 
1 957 ; A. Cohen, The Evolution of the F. and Works in Re- 
lated Styles in the 17 th Cent. Instr. Ensemble Music of 
France and the Low Countries, Diss. NY Univ. 1959, 
maschr.; ders., The Fantaisie for Instr. Ensemble in 17 th 
Cent. France, MQ XLVIII, 1962; H. C. Slim, The Key- 
board Ricercar and F. in Italy, c. 1 500-1 550, with Referen- 
ce to Parallel Forms in European Lute Music of the Same 
Period, Diss. Harvard Univ. 1960, maschr.; D. T. Kelly, 
The Instr. Ensemble Fantasias of A. Banchieri, Diss. Flori- 
da State Univ. 1962, maschr. ; G. v. Noe, Der Strukturwan- 
del d. zyklischen Sonatenf orm, NZf M CXXV, 1 964. WB 
Farandole (farad'al, frz. ; prov. farandoulo), ein sehr 
alter, noch heute lebendiger sudfranzosisch-provenza- 
lischer Kettentanz, an dem Manner und Frauen teil- 
nehmen. Er verlauft im 6/8-Takt und wird von einem 
Spieler mit Einhandflote und Tamburin begleitet. - 
Gounod bringt die F. in Mireille, Bizet in L'Arlesienne. 
Auch d'Indy, Pierne und Milhaud haben sie verwendet. 



274 



Farbenhoren 



Lit.: A. Mathieu, La farandoulo, Avignon 1861 ; J. Bau- 
mel, Les danses populaires, les f., les rondes, les jeux cho- 
regraphiques et les ballets du Languedoc mediterraneen, 
Paris 1958. 

Farbenhoren (engl. colour hearing; frz. audition 
coloree). DaB Farbe und Ton, allgemeiner: Gesicht 
und Gehor in Beziehung stehen, ist nicht, wie lange 
geglaubt wurde, eine mehr oder minder phantastische 
asthetizistische Konstruktion der Romantik und des 
Symbolismus oder das Resultat einer abwegigen Son- 
derveranlagung einiger weniger. Vielmehr findet sich 
das funktionelle Zusammengehen beider »kosmischen« 
Sinne als psychologische Erscheinung nicht selten in 
mehr oder minder ausgesprochener Form bei Einzel- 
personen als F. und Tonesehen. Ein Beispiel fur F., 
noch ohne daB das psychologische Phanomen erkannt 
ware, gibt schon J.Locke (1690); ausdriicklich wird 
das F. erst von dem englischen Augenarzt J. Th. Wool- 
house (f 1734) beschrieben (Trompetenklang erscheint 
»rot«). Andererseits ist die Auffassung von der Einheit 
der Sinne - nicht allein von Gesicht und Gehor - schon 
im Altertum bei Chinesen, Indern, Persern und Ara- 
bern, Babyloniern, Agyptern und Juden belegt. So 
lehren die Veden im Zusammenhang ausgedehnter 
und verschlungener zahlenmystischer Spekulationen 
die Entsprechung von Metren, Tonen und Tonarten 
mit Farben auf Grand der als kosmisch geltenden 
Siebenzahl, wobei teils je 7 konkrete Farben konkreten 
diatonischen Leitern, teils aber iiberhaupt Farben nach 
Belieben zugeordnet werden. Ahnliche Farbentonlei- 
tern finden sich bei Persern und Arabern bis zu den 
neuzeitlichen Entdeckern der -*- Farbenmusik. Aber 
auch Vokalfarben, die von A.W.Schlegel iiber Rim- 
baud bis zu E.Jiinger in der Literatur beliebt sind, ha- 
ben Vorganger im Altertum. Der Versuch, die eine 
oder die andere dieser Farbentonleitern (oder Vokal- 
spektren) als objektiv giiltig zu etabheren, mufite der 
Natur der Sache nach scheitern. Vielmehr haben die 
mit dem F. Begabten ihre Photismen (»Sichtgebilde«) 
je individuell verschieden, und auch die akustischen 
Gegenstande, auf die die Farben jeweils bezogen sind, 
differieren sehr oft. Desgleichen ist der Grad der Ein- 
dringlichkeit und Verbindhchkeit, der sinnlichen Leb- 
haftigkeit und Frische der Photismen individuell seKr 
verschieden: von bloBen relativ blassen, oft auch ver- 
anderlichen Vorstellungen bis zu unmittelbar emp- 
findungsmaBigen »eidetischen Anschauungsbildern« 
(E.R.Jaensch), die sich konstant aufdrangen und nicht 
abweisen lassen. Manche Farbenhorer haben iiber- 
haupt nur eine einzige Farbe fiir einen einzigen Ton 
oder Akkord oder Vokal, andere eine reichhaltige Pa- 
lette von Klangphotismen, d. h. Farben fiir Timbres, 
wieder andere haben regelrechte Systeme von Ton- 
und Tonartfarben bis zu vollstandigen chromatischen 
Oktaven samt enharmonischen Varianten, Schattie- 
rungen je nach Oktavlage usw. Bei einem ganz anders- 
artigen Typ gehen die Farben nicht analytisch von ein- 
zelnen Tonen und dergleichen aus, sondern von gan- 
zen Musikstiicken, mit denen anschaulich gesehene 
Gemalde verbunden werden, was Anschiitz (1925) als 
»komplexe musikahsche Synopsie« beschrieben und 
als einen besonderen Typ des F.s klassifiziert hat. Ein er- 
staunliches Beispiel systematisch-analy tischer Art haben 
schon R.Lach 1903 an sich selbst und R.Wallaschek 
1905 an Lach beschrieben, ein anderes noch 1948 
Handschin an J.Kunst. Besonders haufig finden sich 
solche Farbensysteme bei Personen mit Absolutem 
Gehor, zu denen gerade auch die Genannten zahlen. 
WeUek fand (1938) unter 65 Absoluthorern 21 Far- 
benhorer verschiedensten Grades, darunter 9 Falle mit 
Tonfarbensystemen, vollstandig mindestens fiir die 12 



Tone oder Tonarten (oder beides), mehrfach auch mit 
enharmonischen Varianten. Manche von diesen Abso- 
luthorern, so Lach, bedienen sich der Farbe als eines 
Mittels oder Kriteriums der absoluten Tonerkennung, 
und dies nach eigener Beobachtung wie auch nach dem 
objektiven Kriterium der Fehlerneigung. Bei Lach 
verblaBte das in der Jugend »eidetisch« eindringliche, 
sehr komphzierte Ton- und Tonartf arbensystem in rei- 
feren Jahren, und damit zugleich schwand auch das ur- 
spriinglich sichere Absolute Gehor. Es gibt also einen 
»synoptischen Typ des Absoluten Gehors« (Wellek). 
Auch unter Blinden (Erblindeten) sind solche Falle 
haufig. In reiner Form, wie im Falle Lach, stellt sich 
der Universal-Synasthetiker heraus, der alles mit allem 
verbindet und in Farben (Photismen) sieht : nicht bloB 
Tone, Klangfarben, Akkorde, Sprachlaute, sondern 
auch Dufte, Geschmacke, Schmerz- und Temperatur- 
empfindungen, ja Abstrakta wie Zahlen, Wochentage, 
ferner Personen, Tiere usw., und der gleicherweise 
alles in oder mit Klangen hort (Phonismen). - Die un- 
mittelbare, nicht asthetisch begriindete Neigung zu 
Tonmalerei und Programmusik steht mit dem musi- 
kalischen Synasthetikertyp in Zusammenhang. Man 
muB die Sonderphanomene der Synasthetiker in Ver- 
bindung sehen mit den urspriinglichen, allgemein- 
menschlichen Entsprechungen zwischen verschiedenen 
Sinnesbereichen, wie sie von Wellek als »Ursynasthe- 
sien« oder Ur-Entsprechungen systematisiert wurden. 
Solche finden sich in den sprachh'chen Bezeichnungen 
der Tone und Laute als hell, klar, hoch, scharf , diinn, 
spitz, leicht usw. (samt dem Gegenteil) und auch schon 
in alter Mythologie und Philosophic, wie bei Platon 
und Aristoteles. Aus dem Tonesehen im Sinne solcher 
Urentsprechungen ist iiber die Cheironomie die ur- 
spriinglich weitgehend anschauliche Neumennotation 
und schlieBlich unsere gegenwartige Notenschrif t her- 
vorgegangen. 

Lit. : J. Locke, An Essay Concerning Human Understan- 
ding, London 1690 (III, 4) ; G. T. L. Sachs, Hist, naturalis 
duorum leucaethiopum auctoris ipsius et sororis eius, 
Diss. med. Erlangen 1812; E. Bleuler u. K. Lehmann, 
ZwangsmaBige Lichtempfindungen durch Schall u. ver- 
wandte Erscheinungen auf d. Gebiete d. anderen Sinnes- 
empfindungen, Lpz. 1881 ; Th. Flournoy, Des phenome- 
nes de synopsie (audition coloree), Paris u. Genf 1893; R. 
Lach, Uber einen interessanten Spezialfall v. »Audition 
coloree«, SIMG IV, 1902/03; R. Wallaschek, Psycholo- 
gic u. Pathologie d. Vorstellung, Lpz. 1905 ; G. Anschutz, 
Untersuchungen zur Analyse mus. Photismen, Arch. f. d. 
gesamte Ps'ychologie LI, 1925; ders., Untersuchungen 
iiber komplexe mus. Synopsie, ebenda LIV, 1926 ; ders., 
Farbe-Ton-Forschungen, 3 Bde, Lpz. 1927, Hbg 1936 u. 
1931 ; ders., Das Farbe-Ton-Problem im psychischen Ge- 
samtbereich, = Deutsche Psychologie V, 5, Halle 1929; 
ders., Psychologie, Hbg 1953 ; Fr. Mahling, Das Problem 
d. »Audition coloree«, Arch. f. d. gesamte Psychologie 
LVH, 1926, u. in: G. Anschiitz, Farbe-Ton-Forschungen I, 
Lpz. 1927; A. Wellek, Das F. im Lichte d. vergleichenden 
Mw., ZfMw XI, 1928/29; ders., Das Doppelempfinden in 
d. Geistesgesch., Zs. I. Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. 
XXIII, 1929 ; ders., Der Sprachgeist als Doppelempfinder, 
ebenda XXV, 1931 ; ders., Zur Gesch. u. Kritik d. Syn- 
asthesie-Forschung (mit Bibliogr.), Arch. f. d. gesamte 
Psychologie LXXIX, 1931; ders., Das Doppelempfinden 
im abendlandischen Altertum u. im MA, ebenda LXXX, 
1931; ders., Renaissance- u. Barock-Synasthesie, DVjs. 
IX, 1931; ders., Die Entwicklung unserer Notenschrift 
aus d. Tonesehen, AMI IV, 1932; ders., Das Doppelemp- 
finden im 18. Jh., DVjs. XIV, 1936; ders., Das Absolute 
Gehor u. seine Typen, = Zs. f. angewandte Psychologie u. 
Charakterkunde, Beih. LXXXIH, Lpz. 1938; ders., Mu- 
sikpsychologie u. Musikasthetik, Ffm. 1963; G. Revesz, 
Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern 1946; J. Hand- 
schin, Der Toncharakter, Zurich (1948); J. Amor6s, El 
problema de las relaciones subjetivas entre colores y soni- 
dos, Fs. H. Angles I, Barcelona 1958-61. AW 



18* 



275 



Farbenmusik 



Farbenmusik meint eine besondere Art von Kunst- 
synthese oder »Gesamtkunstwerk«, worin Musikstiicke 
mit Farbdarbietungen verbunden werden. Psychologi- 
sche Grundlage ist das -*■ Farbenhoren und Tonesehen. 
Voraussetzung bei der F. ist allerdings, da6 hier nicht 
wie bei den eigentlichen Farbenhorern oder Synasthe- 
tikern eine enge subjektive Bindung an bestimmte 
Farbe-Ton-Entsprechungen besteht, sondern daB in 
spielerischer Weise und nach asthetischem Belieben 
iiber solche Zusammenhange verfiigt wird und diese 
abgewandelt werden konnen. Aus der alten Vorstel- 
lung von einer Spharenharmonie oder Spharenmu- 
sik, in der das farblose Licht als klingend gedacht 
war, ist die Idee einer Farbenharmonie und F. in 
der farbenfreudigen Barockepoche entstanden, zu- 
nachst bei A.Kircher und, von diesem angeregt, in 
wissenschaftlicher Begriindung in der Optik von 
Newton. Von beiden ging um 1722 der franzosische 
Mathematiker L.B.Castel aus, indem er ein Farben- 
klavier und andere Farbeninstrumente zu konstruie- 
ren versuchte. Kurz nach dessen Tode (1757) hat ein 
anonymer englischer Jiinger (vermutlich A.Morley) 
in London die Konstruktion eines Ocular harpsi- 
chord zustande gebracht und wohl auch vorgefiihrt. 
Dieses Augenklavier bestand aus einem Kasten, der auf 
ein normales Klavier vorn auf gesetzt wurde und meh- 
rere hundert Lampchen enthielt, die durch mechani- 
sche Koppelung mit dem Anschlag der Taste zum Auf- 
leuchten gebracht wurden. Der Gedanke des Farben- 
klaviers wurde schon zu Lebzeiten Castels (z. B. durch 
Telemann 1738) und seither vielfaltig diskutiert, teils 
gepriesen, teils lacherlich gemacht; er hat zu der in der 
Romantik zur Hochbliite gelangenden literarischen 
Mode der Synasthesien nicht unwesentlich beigetra- 
gen. Goethe auBerte sich in der Farbenlehre iiberwie- 
gend kritisch zur F. Bereits seit Castel und Newton 
geht der Streit vor allem um die richtige Zuordnung 
der »richtigen« Tonleiter zu den Grundf arben des Spek- 
trums. Newton hatte die Farben von Rot bis Violett 
der dorischen Leiter, d. h. deren Intervallen zugeord- 
net, wahrend Castel die Tone der C dur-Tonleiter mit 
Blau beginnen und iiber Gelb und Rot mit Violett (bei 
h) schlieBen lieB, ein Streit, der sich der Natur der Sache 
nach nicht objektiv entscheiden laBt. Andererseits war 
schon Castel selbst von dem Ungenugen einer bloBen 
kaleidoskopartigen Farbenfolge uberzeugt und darauf 
bedacht, ein ganzes Orchester von Farbeninstrumenten 
in seiner Phantasie zu projektieren. Das 19. Jh., obwohl 
es die Programmusik und das »Gesamtkunstwerk« zum 
Hohepunkt fiihrte und in ersterer auch Vertonungen 
von Gemalden versuchte (Liszt, Mussorgsky, Reger 
u. a.), hat diese Entwicklung nicht weiter gefordert. 
Erst A. Skrjabin wollte seinen Promethie {Le Poeme du 
feu) von einem Clavier a lumieres begleiten lassen. Fiir 
dieses auch damals noch hypothetische instrument no- 
tierte er in der Partitur eine Stimme in gewohnlichen 
Noten, deren Farbenbedeutung nicht ganz wider- 
spruchsfrei uberliefert ist. Zur Durchf iihrung kam die- 
ses Vorhaben erst nach seinem Tode bei einer Auf fun- 
ning in New York (1916), wobei fiir die Farberiton- 
leiter ein Vorschlag des Englanders A. Wallace Riming- 
ton verwendet wurde. Von da an mehrten sich Ver- 
suche ahnlicher Art, die bald auch die »analytisch-syn- 
optische« mechanische Abhangigkeit der Farben von 
Einzeltonen abstreiften und zu selbstandigen Farben- 
kompositionen, nach Art von zeitlich wandelbaren 
Gemalden, iibergingen. Einen wissenschaftlich ambi- 
tionierten Vorschlag in dieser Richtimg machte der 
Psychologe R.H.Goldschmidt mit seinen »Farbwan- 
delspielen« (1928), die ein gestaltfreies »Lichtnebelge- 
woge« bieten sollten. Hier, wie auch schon bei der Far- 



benorgel von A. Lapp, wird auf eine Verbindung mit 
Musik nicht Wert gelegt, sondern - in hochst proble- 
matischer Absicht - eine reine, »absolute F.« als ein 
farbliches Analogon zur Musik angezielt. Neue Mog- 
hchkeiteri eroffnete hier der Zeichentrickfilm, auch als 
Tonfilm, so zuerst durch die abstrakten Filme von O. 
und H. Fischinger in Berlin, vor allem dann durch Walt 
Disney. Weniger beachtenswert ist der 1925 von dem 
ungarischen Pianisten A.Laszlo angebotene Versuch 
eines »Farblichtklaviers«, wobei allerdings bloB ein ge- 
wohnliches Klavier mit einem Lichtbildprojektor ge- 
koppelt wurde, immerhin ebenfalls losgelost von einer 
Umsetzung einzelner Tone in feststehende einzelne 
Farben. - In groBer Anzahl gibt es Versuche, eine Ver- 
kniipfung von Tonen mit Farben gehorbildnerisch 
fruchtbar zu machen, besonders zur Anerziehung eines 
Absoluten Gehors, so in den USA von E.Maryon 
(1924), in England von Louise Gros schon wahrend 
des 1. Weltkriegs, ebenso auch in Deutschland. 
Lit. : A. Kircher, Magnes, sive de arte magnetica, Rom 
1641; ders., Musurgia universalis, Rom 1650, 21690, 2 Bde; 
ders., Phonurgia nova, sive conjugium mechanico-physi- 
cum artis et naturae . . ., Campidone 1673; I. Newton, 
Opticks II, London 1704, deutsch Lpz. 1898; J. L. Hoff- 
mann, Versuch einer Gesch. d. mahlerischen Harmonie 
uberhaupt u. d. Farbenharmonie insbesondere, Halle 1786 ; 
A. W. Rimington, Colour-Music, London 1912; E. Ma- 
ryon, Marco-Tone. The Art of Tone-Color, Boston 1924; 
A. Laszl6, Die Farblichtmusik, Lpz. 1925; R. H. Gold- 
schmidt, Postulat d. Farbwandelspiele, Sb. Heidelberg VI, 
1928; A. Wellek, SynSsthesie u. Synthese bei R. Wagner, 
Bay reuther Blatter LII, 1 929 ; ders., Beitr. zum SynSsthesie- 
Problem, Arch. f. d. gesamte Psychologie LXXVI, 1930; 
ders., Das homophone u. kontrapunktierende Farbenge- 
hor u. Farbenkl., ZfM XCVII, 1930; ders., Farbenharmo- 
nie u. Farbenkl. Ihre Entstehungsgesch. im 18. Jh., Arch. f. 
d. gesamte Psychologie XCIV, 1935 ; G. Anschutz, AbriB 
d. Musikasthetik, Lpz. 1930; L. Hirschfeld, Zd. PeSa- 
nek, A. v. Vietinghoff-Scheel, O. Fischinger, H. Grahl 
u. a., in: G. Anschutz, Farbe-Ton-Forschungen III, Hbg 
1931. AW 

Farce (fars, frz., von lat. farcire, stopfen, einlegen; 
ital. und span, farsa), - 1) Bezeichnung fiir eine Art des 
-> Tropus (besonders in der Epistel). - 2) Im Mittelal- 
ter wurde in Frankreich mit F. zunachst ein komisches 
Zwischenspiel bezeichnet, im 14.-16. Jh. ein kurzes 
(bis zu 500 Verse) selbstandiges Biihnenstiick mit ein- 
gelegten bekannten Chansons (in den Textsammlun- 
gen sind meist nur die Incipits uberliefert). Die F., 
die als Vorform des spateren franzosischen Comedie- 
vaudeville betrachtet werden kann, verbreitete sich im 
16. Jh. auch in Spanien, Italien und England; dagegen 
wurde die Bezeichnung in der deutschen Literatur 
erst seit der Sturm-und-Drang-Zeit iibernommen, hier 
gleichbedeutend mit Posse. Im spaten 18. und friihen 
19. Jh. kann auch eine kurze, meist einaktige Opera 
buffa Farsa heiBen. Solche Farse komponierten u. a. 
Cimarosa (L! impresario in angustie, Neapel 1786), Paer, 
Paisiello und Rossini (// Signor Bruschino, Venedig 
1813). Wie in der Opera buffa dieser Zeit gab es in der 
F. neben komischen Stucken solche mit ernsten und 
riihrenden Ziigen (F. sentimentale, auch F. lagrimosa). 
Ausg.: zu 2): Fr. Michel u. A.-J.-V. Le Roux de Lincy, 
Recueil de f., moralites et sermons joyeux, 4 Bde, Paris 
1831-38; E. Picot u. P. Pyrop, Nouveau recueil de f. frc., 
Paris 1880; P. Aebischer, Trois f. frc. inedites trouvtes a 
Fribourg, Paris 1925 ; Recueil de f. inedites du XV e s., hrsg. 
v. G. Cohen, Cambridge (Mass.) 1949. 
Lit. : zu 2) : L. Petit de Julleville, Repertoire du thiatre 
comique en France au moyen-age, Paris 1886; ders., La 
comedie et les moeurs en France au moyen-age, Paris 1886; 
A. Beneke, Das Repertoire u. d. Quellen d. frz. F., Diss. 
Jena 1 9 10 ; A. Wiedenhofer, Beitr. zur Entwicklungsgesch. 
d. frz. F., Diss. Munster i. W. 191 3 ; F. Neri, F. : Interludia, 



276 



Fauxbourdon 



Lucca 1916,Neudruck in: Fabrilia, Turin 1930; W.Klemm, 
Die engl. F. im 19. Jh., Diss. Basel 1946; J. Maxwell, 
French F. and J. Heywood, London u. Melbourne 1946; 
G. Cohen, Etudes d'hist. du theatre en France au moyen 
age et a la Renaissance, Paris 1956; R. L. L. Huohes, A 
Cent, of Engl. F., Princeton (N. J.) 1956. 

Fasola, wahrend des 17.-18. Jh. in England und Ame- 
rika verbrejtetes Tonsilbensystem zur Aufzeichnung 
einfacher Melodien. F. beriicksichtigt ausschlieBlich 
das Durgeschlecht, das durch vier guidonische Solmi- 
sationssilben wiedergegeben wurde (fa sol la fa sol 
la mi). Als Buchstabennotierung (F S L M), spater 

auch als Notation mit eigenen Notentypen (4 d a I), 

wurde F. gelegentlich in Kirchengesangbiichern an- 

gewendet. 

Lit. : W. Th. M arrocco, The Notation in American Sacred 

Music Collections, AMI XXXVI, 1964. 

Faulenzer -> Abbreviaturen (- 3). 

Fauxbourdon (foburd'5, frz.;ital. falsobordone) tritt 
als Terminus zuerst in kontinentalen Handschriften um 
1430 (also etwa gleichzeitig mit dem englischen ->• Fa- 
burden) im Sinne einer Anweisung (-> Kanon - 3) auf , 
die besagt, daB ein zweistimmig in Stimmen notierter 
Satz, der Sexten bzw. Oktaven zwischen Oberstim- 
men-C. f. und Tenor bildet, durch eine zum C. f. un- 
terquartparallele Mittelstimme zu erganzen ist. Si 
tritium queras / a summo tollefiguras // Et simul incipito j 
dyatessaron insubeundo, lauten die den F.-Vermerk er- 
lauternden Reimverse bei Dufays Postcommunio der 
Missa S.Jacobi in der Handschrift BL (-> Quellen), 



Nrll9. 




Dieser 3st. Satz mit F. ist - im Gegensatz zum engli- 
schen Satz mit Faburden - eine Res facta. Seine Notie- 
rungsweise verrat kontrapunktisches Denken, indem 
die von der Theorie der Zeit verbotenen Quartenparal- 
lelen in der Notation nicht aufscheinen, sondern durch 
Ableitung der Mittelstimme von der Oberstimme mit- 
tels eines Kanons eingefiihrt werden. Bei Diskantlage 
des meist kolorierten, iiberwiegend oktavtransponier- 
ten C. f. deckt der Tenor die Quarten zwischen den 
Oberstimmen durch die Sexten und Oktaven zum Dis- 
kant. Dies ergibt die charakteristische einfache Klang- 
technik auf der Grundlage nur z weier Akkorde, mit dem 
Hervortreten der imperfekten Terz-Sext-Klange (in 
der Friihzeit bis zu 5 ; spater in langen Ketten) zwischen 
den maBgebenden perfekten Quint-Oktav-Klangen; 
zugleich resultiert rhythmisch ein Satz fast Note gegen 
Note, verbunden mit nahezu syllabischer Deklamation 
(in der Friihzeit auch groBere mehsmatische Partien) ; 
beides bewirkt eine weitgehende Parallelitat aller Stim- 
men. Der Satztyp ist daher stark vom Klanglichen be- 
stimmt, die selbstandige Stimmf iihrung - Kennzeichen 
der Polyphonie der Zeit - tritt zuriick hinter dem ho- 
mogenen Verlauf der im akkordlichen Satz aufgehen- 



den, wenn auch Unear gestalteten Stimmen. Allerdings 
figurieren gerade in einigen friihen Werken mit F. 
(z. B. in Dufays Postcommunio) Diskant und Tenor 
rhythmisch unabhangig, wobei auch ungedeckte 
Quarten entstehen; die Entwicklung fiihrt aber zur 
Angleichung der Stimmen (Besselers »Sing-F.«). In 
manchen Werken (z. B. Dufays Hymnus Iste con- 
fessor, BL, Nachtrag, 313) kontrastieren zeilenweise 
einfacher akkordischer Satz und rhythmisch freie 
Fuhrung der AuBenstimmen (mit Vorhaltsbildungen 
u. a.). Merkmal friiher Kompositionen mit F. ist 
auch der haufige Quartf all des Tenors - vor allem in 
Kadenzen - bei abwarts schreitendem Diskant (z. B. in 
Dufays Postcommunio, Lymburgias Marienantiphon 
Regina celi letare, BL 199, Binchois' Hymnus Ut queant 
laxis; typisch auch insgesamt fur den englischen Steg- 
reifsatz mit Faburden bei unkoloriertem C. f.), was 
spater durch Diskantkolorierung (Unterterzklausel) 
vermieden wird. Die seit der 2. Halfte des 15. Jh. (z. B. 
in ModC, -*■ Quellen) belegte und von Guilelmus Mo- 
nachus (um 1480) beschriebene Erweiterung des F.- 
Satzes durch einen Contratenor bassus zur grundto- 
nigen Vierstimmigkeit (wobei mit dem Fortfall der 
Kanonnotation die strengen Quartenparallelen zum 
Teil aufgegeben werden, das Sext-Oktav-Verhaltnis 
von Diskant und Tenor aber durchscheint) bezeichnet 
das Ende der Bliitezeit des F. Der akkordliche Satz fin- 
det eine Fortsetzung im -»■ Falsobordone. Die folgen- 
den Jahrhunderte trennen nicht scharf zwischen F. und 
Falsobordone; der F. ist hier oft nur Sonderfall des Fal- 
sobordone. In der Barockzeit gilt der F. auch als musi- 
kalische Figur (Burmeister 1606, Thuringus 1625). 
Die Werke mit F. bilden mit etwa 170 Kompositionen 
nur einen kleinen Teil des Gesamtrepertoires des 15. 
Jh. Die Komponisten sind an diesem Bestand je nach 
dem Umfang ihres Schaffens und dem Stand der Ober- 
heferung (die zentralen burgundischen Handschriften 
z. B. sind verloren) beteiligt, so Dufay mit 24, N. de 
Merques, Binchois, Brassart und Roullet mit je 6, A. 
Janue und Lymburgia mit je 5 Werken. Diese »F.- 
Stucke« (Besseler) sind zum Teil selbstandige Kompo- 
sitionen meist kleinerer, volkstiimlicher liturgischer 
Gattungen oder Vertonungen einzelner ihrer Verse 
(z. B. Hymnen, Psalmen, Magnificat, Introitus, Anti- 
phonen, Sequenzen), zum Teil Abschnitte in liturgi- 
schen Werken (z. B . in Messesatzen) , selten Teile nicht- 
hturgischer Kompositionen (z. B. in Motetten). Ob 
die zahlreichen zweistimmigen, ohne F.-Anweisung 
uberlieferten Satze auf der Grundlage von Sexten und 
Oktaven in Handschriften des 15. Jh. ebenfalls F.-Satze 
sind, oder aber originar zweistimmig (was die Dar- 
stellung des 2st. -»• Gymel als einer dem F. verwandten 
Kompositionsart bei Guilelmus Monachus nahelegt), 
ist nicht geklart. Immerhin ist der Hymnus Ut queant 
laxis von Binchois (Marix 226; J. Wolf, Sing- und 
Spielmusik aus alterer Zeit, Leipzig 1926, Nr 13) sowohl 
als F.-Stuck (Venedig, Bibl. Marc. IX, 145, 25; in sin- 
gularer Weise mit zu erganzender Oberstimme) als 
auch in einer diesem F.-Satz entsprechenden 2st. Form 
ohne F.-Vermerk {Em 171) uberliefert. - Friiheste Auf- 
zeichnungen von Wort und Sache F. bietet die ober- 
italienische Handschrift BL mit 2 Werken (Dufays 
Postcommunio, Lymburgias Regina celi letare) im Corpus 
und 16 Werken (Dufay 9, Lymburgia 5, Feraguti 2) im 
Nachtrag; es folgen als zentrale -»■ Quellen: Em, Ao, 
ModB, Tr 87, Tr 92, Tr 90, ModC, CS 15. Ort (beim 
Tenor oder Diskant) und Wortlaut(/, auf., af) des 
Vermerks sind in den Handschriften nicht einheitlich. 
Zwar iiberwiegt in BL die Stellung beim Tenor in der 
Form Tenor au(x) f. (»Tenor mit F.«; daher bezieht 
sich das Wort wohl nicht auf den Tenor selbst), spater 



277 



Fauxbourdon 



aber (z. B. in ModB) heiBt es meist Tenor af. (wohl: 
»auf F.-Art«); gerade die zwei friihesten Aufzeichnun- 
gen in BL (beide vom Schreiber A) haben Tenor f., und 
in Dufays Motette Supremum est, BL (Nachtrag) 168, 
stehen auxf. oder/ immer beim Diskant (wie auch 
haufig in Ao). In hterarischen Quellen begegnet das 
Wort seit der Mitte des 15. Jh. (z. B. bei Charles d'Or- 
leans 1459/60) ; in der Musiktheorie tritt es erst in der 
2. Jahrhunderthalfte auf (Tinctoris 1477, Guilelmus 
Monachus um 1480). - Im liturgischen und komposi- 
torischen Zusammenhang wird der Satz mit F. durch- 
weg als Kontrast eingesetzt: im Wechsel mit 1st. Ge- 
sang fiir Einzelverse, z. B. in Hymnen Dufays; alter- 
nierend mit anderen Satzweisen polyphonen Charak- 
ters, z. B. in Dufays Kyrie Orbis factor (GA IV, 11) fiir 
eine Christe-Anruf ung ; in Dufays dreistimmiger isc>- 
rhythmischer Motette Supremum est (GA II, 5; DTO 
LXXVI, 24 und 100) anstelle des »motettischen Duos« 
zu Beginn und an Gliederungspunkten, hier als F.-Satz 
mit 2 Diskanten (Teilung der Oberstimme in der Art 
des Gymel) und Contratenor (bei pausierendem Tenor) . 
Alternierender Praxis dienen auch die zu F.-Satzen 
komponierten Contratenores sinef. Lymburgias Hym- 
nus Magne dies leticie, BL (Nachtrag) 282, z. B. hat zum 
Vers Puer in fide einen 3st. Satz mit Diskant, Tenor und 
vagierendem Contratenor; statt des Contra kann bei 
gleichbleibenden Geruststimmen si placet die F.-Mit- 
telstimme eintreten. Hier besteht also Wechselmog- 
lichkeit zwischen 1st. Cantus, 3st. Satz mit und 3st. 
Satz ohne F. 



'km\i ami. ^ m 






r^TOpr ypr'r % t 



Contratenor puer in fide sine faulx bourdon 



Pit r PPT r r Pr pp r PPf f 



Tenor puer in fide au faulx bourdon si placet 

In einigen Fallen gibt es neben dem fiir den F.-Satz 
komponierten Tenor noch einen zweiten Tenor fiir 
den freien Satz, z. B. bei Binchois' Introitus Salve 
sancta, Ao 2, Dufays Hymnus Exultet celum, BL (Nach- 
trag) 311. Im Rahmen eines fiir F.-Ausfuhrung geeig- 
neten Geriistsatzes aber bestimmt die Eigenart der 
Mittelstimme, was Satz mit F. oder ohne F. ist. Der 
Contratenor sinef, der bei hohen Tenortonen die sonst 
resultierenden Folgen von Terz-Sext-Klangen durch 
»Bassieren« im Sinne von Grundtonigkeit der Klange 
unterbricht (Notenbeispiel, Mensur 2-3) und dabei 
einen Satz in weiter Lage in Art imperfekter englischer 
Klanglichkeit ergibt, nimmt bei tiefem »F.-Tenor« 
notwendig als Mittelstimme die Quarte unter dem 
Diskant ein ; daher sind viele Abschnitte in beiden Setz- 
weisen identisch, z. B. ergeben in Dufays Hymnus Ave 
maris Stella, BL (Nachtrag) 304, 11 von 23 Mensuren 
des Satzes sinef. einen reinen F.-Satz. Die Bezeichnung 
F. scheint sich somit nicht auf den Tenor zu beziehen, 
sondern auf die besondere Art der Mittelstimme und 
vor allem auf den durch diese bewirkten strengen 
Quartenparallelismus. Ob nun F. zunachst eine Stimm- 
bezeichnung fiir den speziellen Contratenor (->■ Bor- 
dun) war (dann ware Contratenor sinef ein Wider- 
spruch), oder sofort die spater sicher belegte Bedeu- 
tung einer Setzweise (modus f der Theoretiker) hatte, 
ist strittig. Auf jeden Fall steht die ungewohnliche 
Quartenbehandlung im Mittelpunkt, der Kanon ver- 
weist darauf , die Theoretiker behandeln den F. jeweils 



im Kapitel iiber die Quarte als einen Sonderfall, auch 
die einzige zeitgenossische, wenn auch spate Namens- 
deutung bei Adam von Fulda (quia tetrum reddit sonum) 
erklart ihn von der »haBlich khngenden« Quarte her. - 
Die geschichtliche Bedeutung des offenbar aus dem 
EinfluB englischer KlangUchkeit auf die festlandische 
Polyphonie hervorgegangenen F. besteht vor allem in 
der Vermittlung eines spezifischen Klangsinns als neuer 
Komponente des Komponierens, die dann im »freien 
F.-Stil« auf der Grundlage der Sextenkopplung von 
Diskant und Tenor deutfich hervortritt und zugleich 
die spatere groBe Chorpolyphonie der franko-flami- 
schen Schule vorbereitet. Das Abhangigkeitsverhalt- 
nis von F. und Faburden ist dabei schwer zu bestim- 
men: beide Belegreihen setzen etwa zur gleichen Zeit 
ein, das Alter der (dem F. klanglich gleichen) engli- 
schen volkslaufigen Stegreifkunst ist nicht eindeutig 
zu klaren. Auch ist sprachgeschichtlich nicht vollig si- 
cher, ob F. eine Fehlwiedergabe von Faburden infolge 
Dialektlautung ist (Flasdieck) oder ob das englische 
Wort eine Ubersetzung des franzosischen darstellen 
kann (Besseler). Immerhin ware wichtig zu bemerken, 
daB sowohl die spanische als auch die deutsche Laut- 
form (span, fabordon seit 1463 belegt; deutsch fabur- 
don 1447 in H.Rosenpliits Gedicht auf C.Paumann, 
spater auch fiir Orgelregister) dem englischen Idiom 
verpflichtet sind. 

Ausg. : G. Dufay, Samtliche Hymnen, hrsg. v. R. Gerber, 
Chw. LXIX, Wolfenbiittel 1937; J. Mark, Les musiciens 
de la cour de Bourgogne au XV e s., Paris 1937. 
Lit. (ausschlieBlich d. in — » Faburden genannten) : J. Tinc- 
toris, De arte contrapuncti (1477), CS IV, 84f. ; Guilel- 
mus Monachus, De preceptis artis musice . . . , CS III, 
288f. u. 292f. (verbesserte Lesarten bei Bukofzer 1936 u. 
Trumble 1959), neuhrsg. v. A. Seay, CSM XI, 1965 ; Adam 
v. Fulda, De musica (1490), GS III, 352f.; Fl. de Faxolis, 
Liber musices (1495/96), teilweise hrsg. v. A. Seay, in: 
Musik u. Gesch., Fs. L. Schrade, Koln (1963); Fr. Gaf- 
fori, Practica musice, Mailand 1496, Buch I, Kap. 5; J. 
Galliculus, Isagoge . . ., Lpz. 1520; G. M. Lanfranco, 
Le scintille di musica . . ., Brescia 1533, S. 117; O. Lus- 
cinius, Musurgia ..., Strafiburg 1536, Kap. 4, S. 91f.; 
H. Faber, Musica poetica (1548); A. P. Coclico, Com- 
pendium musices, Nurnberg 1552, Faks. hrsg. v. M. F. 
Bukofzer, = DM1 I, 9, 1954, fol. 52; G. Zarlino, Isti- 
tutioni harmoniche, Venedig 1558, III, Cap. LXI; J. Bur- 
meister, Musica poetica, Rostock 1606, Faks. hrsg. v. 
M. Ruhnke, = DM1 1, 10, 1955, S. 65; Praetorius Synt. 
HI, S. 9f . ; J. Thuringus, Opusculum bipartitum de primor- 
diis musicis, Bin 1625; WaltherL, Artikel Falsobordone ; 
A. W. Ambros, Gesch. d. Musik, II-III, Breslau 1864-68; 
G. Adler, Studie zur Gesch. d. Harmonie, = Sb. Wien 
XCVIII, 3, 1 88 1 ; A. Orel, Einige Grundformen d. Motett- 
komposition im 1 5. Jh., StMw VII, 1 920 ; ders., Die mehrst. 
geistliche (kath.) Musik v. 1430-1600, Adler Hdb.; R. v. 
Ficker, Die friihen Messenkompositionen d. Trienter Co- 
dices, StMw XI, 1924; ders., Zur Schopfungsgesch. d. F., 
AMI XXIII, 1951 ; ders., Epilog zum Faburdon, AMI 
XXV, 1953; ders., The Transition on the Continent, in: 
The New Oxford Hist, of Music III, London 1960; Th. 
Kroyer, Die threnodische Bedeutung d. Quarte in d. Men- 
suralmusik, Kgr.-Ber. Basel 1924; H. Besseler, Die Musik 
d. MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb.; ders., Der Ur- 
sprung d. F., Mf 1, 1948 ; ders., Dufay, Schopfer d. F., AMI 
XX, 1 948 ; ders., Bourdon u. F„ Lpz. 1950, dazu A. Schmitz 
in: Mf VI, 1953 ; ders., Tonalharmonik u. Vollklang. Eine 
Antwort an R. v. Ficker, AMI XXIV, 1952; ders., Das 
Neue in d. Musik d. 15. Jh., AMI XXVI, 1954; ders., Arti- 
kel Dufay u.F., in: MGGIII, 1954; ders., Das Ergebnisd. 
Diskussion iiber »F.«, AMI XXIX, 1957; ders., Dufay in 
Rom, AfMw XV, 1958 ; G. Reese, Music in the Middle 
Ages, NY (1940), London 1941 ; J. Handschin, Aus d. al- 
ten Musiktheorie III, AMI XV, 1943; ders., Mg. im fjber- 
blick, Luzern (1948), 21964; ders., Eine umstrittene Stelle 
bei Guilelmus Monachus, Kgr.-Ber. Basel 1949 ; ders., Ar- 
tikel Dreiklang, in: MGG III, 1954; A. Schmitz, Die Fi- 
gurenlehre in d. theoretischen Werken J. G. Walthers, 



278 



Fernsehen 



AfMw IX, 1952; W. Guru-it, Die Kompositionslehre d. 
deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neu- 
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 
1966; ders., Canon sine pausis, in: Melanges d'hist. et 
d'esthetique mus. offerts k P.-M. Masson I, Paris 1955; 
G. Kirchner, Frz. faux-bourdon u. friihneuengl. fabur- 
den (H. M. Flasdieck). Epilog zum Faburdon (R.v.Ficker). 
Eine Erwiderung, AMI XXVI, 1954; Fr. Feldmann, Un- 
tersuchungen zum Wort-Ton-Verhaltnis in d. Gloria-Cre- 
do-Satzen v. Dufay bis Josquin, MD VIII, 1954; ders., 
Das »Opusculum bipartitum« d. J. Thuringus (1625) be- 
sonders in seinen Beziehungen zu J. Nucius (1613), AfMw 
XV, 1958 ; S. Clercx, Aux origines du faux-bourdon, RM 
XL, 1957; B. Meier, Alter u. neuer Stil in lat. textierten 
Werken v. O. di Lasso, AfMw XV, 1958; G. Schmidt, 
Cber d. F. Ein Literaturber., Jb. f . Liturgik u. Hymnologie 
IV, 1958/59; E. Trumble, F. A Hist. Survey I, =Inst. of 
Mediaeval Music, Wiss. Abh. Ill, Brooklyn 1959; ders., 
Authentic and Spurious Faburden, RBM XIV, 1960; R.' 
Bockholdt, Die frilhen Messenkompositionen v. G. Du- 
fay, = Miinchner Veroff. zur Mg. V, Tutzing 1960. RB 

Favola (per musica) war eine im 17. Jh. vor allem in 
Italien iibhche Bezeichnung fur Oper, audi in Verbin- 
dung mit Beiwortern wie boschereccia, pastorale 
(-* Pastorale), scenica, dramatica. 

Feldmusik (frz. musique d'ecu'rie), bis ins 18. Jh. die 
Musik der ziinftigen Hof- und Feldtrompeter, die ne- 
ben der Kammer-, Kirchen- und Theatermusik stand. 
Zur F. gehoren die einfachen -> Signale so wie die aus 
mehreren Abschnitten (Posten, Punkte) zusammenge- 
setzten groBeren Stiicke, die Feldstiicke, -sonaten und 
-partiten, Toccaten, Aufziige und Serenaden. Neben 
den typischen Trompetenmotiven kommen auch An- 
lehnungen an Volkslieder vor. Die iiberlieferten Feld- 
stiicke sind iiberwiegend einstimmig, einige auch zwei- 
stimmig; bei feierlichen Anlassen gehoren als »BaB« 
die Pauken dazu. 

Ausg.: Trompeterfanfaren, Sonaten u. Feldstiicke nach 
Aufzeichnungen deutscher Hoftrompeter d. 16./17. Jh., 
hrsg. v. G. Schunemann, = RD VII, Kassel 1936. 
Lit. : J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur hero- 
isch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795, NA 
Dresden 191 1 ; G. Schunemann, Sonaten u. Feldstiicke d. 
Hoftrompeter, ZfMw XVII, 1935. 

Feldpfeife -> Querpf eife. 

Feria (lat.), in der kathblischen Liturgik Bezeichnung 
der Wochentage (F. II = Montag usw. bis F. VI = Frei- 
tag). Der Samstag hat von alters her den Namen Sab- 
batum; die Bezeichnung ferial meint jedoch alle Wo- 
chentage mit EinschluB des Samstags. - Im einzelnen 
unterscheidet die Liturgik zwischen Feriae minores 
(Wochentage ohne Vorrecht), Feriae maiores (Wo- 
chentage der Advents- und Fastenzeit u. a.) und Feriae 
maiores privilegiatae (Aschermittwoch und Montag 
bis Mittwoch der Karwoche). 

Fermate (ital. fermata oder corona; frz. point d'or- 
gue; engl. pause), Haltezeichen (/7\ oder \&/ , friiher 
auch frl, fc=J). Die F. bezeichnet seit dem friihen 15. 
Jh. Noten, durch deren langeres Aushalten die strenge 
rhythmische Messung aufgehoben wird. Sie steht vor 
allem bei der SchluBnote einer Stimme, deren Wert 
unter Umstanden sehr stark verlangert wird (bis die 
iibrigen Stimmen den SchluBklang erreichen), ferner 
beim Paenultimaklang und bei homophonen Klang- 
f olgen, durch die emphatische Textstellen hervorgeho- 
ben werden ; in Kanons bezeichnet sie auch die SchluB- 
noten der sparer einsetzenden Stimmen - also stets die 
Stellen eines Satzes, an denen die Stimmen wie in den 
Geriistklangen des Organum zusammentreten und die 
sich durch die Dehnung (Tinctoris: Punctus moraegene- 
ralis . . . Et hie punctus vulgariter organi vocatur, CS IV, 
75f.), meist auch durch Generalpause (Adam von Fulda, 



GS III, 362a) von ihrer Umgebung abheben. In Da- 
Capo-Arien zeigt die F. den SchluBakkord des Haupt- 
teils an, haufig mit dem Zusatz Fine. In neuerer Zeit 
findet sie sich nicht selten iiber einer Pause oder - eben- 
falls eine Pause fordernd - iiber dem Taktstrich. Die F. 
iiber langeren Pausen verlangert deren Wert nicht, 
sondern macht ihn nur unbestimmt, so dafi sie oft so- 
gar kiirzer werden; z. B. schreibt L.Mozart (Versuch, 
31787, S. 45): 



Hier wird langer still gehalten. 



SP 



m 



I** 



SP 



£ 



Diese Pause wird nicht ausgehalten. 

Eine F. von besonderer Bedeutung ist die, welche in 
Solowerken vorwiegend des 18. Jh. Gelegenheit zur 
Einlegung eines improvisierten Solos gibt. Sie steht 
in Arien zuweilen beim Einsatz des SoEsten, in Kon- 
zerten regelmaBig vor dem AbschluB des letzten Solos 
(daher -> Kadenz - 2 genannt) iiber dem Dominant- 
quartsextakkord, oft mit einer zweiten iiber dessen 
Auflosung in den Dominantdreiklang, so daB erst mit 
Erreichen der Tonika das a tempo des abschlieBenden 
Tutti einsetzt. Statt der F. iiber dem Taktstrich ver- 
wendet Bartok Pausenzeichen iiber dem Taktstrich, 
die eine feinere Abstufung ermoglichen. 
Lit.: Quantz Versuch, 131f., 151f., 163f.,258f.; Bach Ver- 
such, I, 1 12ff., u. II, 266fT. ; Mozart Versuch; E. Praeto- 
rius, Die Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius . . ., = BIMG 
II, 2, Lpz. 1905; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, 
Lpz. 1950, TafelV-VI; Fr. Noske, Bemerkungen zur F., 
Mf XVII, 1964. 

Fernsehen (Fernsehrundfunk; engl. television; frz. te- 
levision) ist ein fernmeldetechnisches, elektronisches 
Publikationsmittel, das mit Hilfe rundstrahlbarer elek- 
tromagnetischer Schwingungen durch optische und 
akustische Wirkung einem theoretisch unbeschrankten 
Kreis von Teilnehmern Information iiber aktuelle, kul- 
turelle und unterhaltende Themen bietet. Ein regel- 
maBiger Fernsehdienst fur Publikum begann in 
Deutschland 1935 (nach dem Krieg 1952), in GroB- 
britannien 1936 (nach dem Krieg wieder 1946), in den 
USA 1944, in Frankreich 1951, in der UdSSR 1939 
(nach dem Krieg wieder 1945), in Japan 1950. Die 
Sender der Bundesrepublik schlossen sich im Bereich 
des F.s zur Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten 
Deutschlands (ARD) zusammen. Am 1.4. 1963 begann 
das Zweite Deutsche F. (ZDF) mit der Ausstrahlung 
des Programms. - 1953 erfolgte die Griindung der Eu- 
ropa-Television (Abk. : Eurovision) mit dem Zweck 
des Programmaustausches der ihr angeschlossenen Lan- 
der. 1960 schlossen sich die Sendeanstalten im osteuro- 
paischen Bereich zur Intervision zusammen. Zur Zeit 
strahlen in 193 Landern etwa 3500 Sender Fernsehpro- 
gramme aus. - Die ersten Versuche im Farb-F. un- 
ternahm 1928 das Bell-Laboratorium in den USA. Die 
Deutsche Reichspost fiihrte 1935 die ersten deutschen 
Experimente durch. Farb-F. mit regelmaBiger Pro- 
grammausstrahlung gibt es seit 1955 in den USA, seit 
1957 in Japan. Die deutschen Fernsehanstalten wollen 
mit einem Farbfernsehprogramm im Herbst 1967 be- 
ginnen. - Das F. hat als eine der Allgemeinheit dienen- 
de oflentliche Einrichtung gleichzeitig pubhzistische 
und kiinstlerische Auf gaben zu erf iillen. SeinProgramm 
kann alle Kommunikationsmittel einschheBen: neben 
der Live-Sendung werden der Film, das Standbild, die 
Graphik, die Techniken des -> Rundfunks sowie die 
Produktionsmethoden des Theaters und der Variete- 



279 



Femsehen 



buhnen angewendet. - Der Musik kommen im F. ver- 
schiedenartige Aufgaben zu: Die Vorlauf-, Zwischen- 
und SchluBmusik leitet das Tagesprogramm ein bzw. 
schlieBt es ab und uberbruckt kurze Pausen zwischen 
den Sendungen. Haufig dient die Musik als Gerausch- 
kulisse und Untermalung, eigens dafiir komponiert 
oder aus Vorhandenem ausgesucht. Hier reicht die 
Skala von ihrer Verwendung als Kennmelodie (z. B. 
Eurovisionsfanfare) iiber die einfache Begleitmusik bis 
zum dramaturgisch notwendigen Einsatz etwa in ei- 
nem Femsehspiel als Inzidenzmusik (-»• BUhnenmusik, 
-»■ Filmmusik, ->• Horspielmusik). Schlager, Chan- 
sons, Unterhaltungsmusik, Liedgesang, Kammermu- 
sik, Kirchenmusik, Instrumentalkonzerte, Werke fiir 
groBes Orchester, Musical, Operette, Ballett und Oper 
bieten die Moglichkeit zu eigenstandigen Sendeformen 
im F. Fiir die kiinstlerische Gestaltung ist wesentlich, 
daB die optischen und akustischen Dimensionen im 
Verhaltnis zum Bildschirm unmittelbar voneinander 
abhangen, von der Relation zur Wirklichkeit aber 
weitgehend unabhangig sind. Die Grenzen werden 
durch eine dramaturgisch und raumakustisch richtige 
Fuhrung gezogen, die keinen Widerspruch zwischen 
Bild und Ton aufkotnmen laBt. - Bei der Fernsehge- 
staltung von Biihnenwerken sind die Bewegungsvor- 
gange musikalisch sorgfaltig zu stufen, damit sich un- 
ter Beachtung der »Substanzdichte« (Koster) der ein- 
zelnen Komponenten die szenisch-musikalische Ge- 
samtwirkung einstellt. Das ->■ Playback- Verfahren ist 
etwa bei der -*■ Fernsehoper ein wesentliches Gestal- 
tungsmittel. Die konzertante Musik hat als eigenstan- 
dige Sendeform des F.s bisher 2 Stadien durchlaufen. 
Zunachst wurde versucht, die Musik durch eine bild- 
hafte Auflosung dem Zuschauer »verstandlich« zu ma- 
chen (»platschernde Brunnen«, »Sommerwiese«) oder 
durch Gemalde und Werke der Baukunst zu »interpre- 
tieren«, die ihr stilistisch entsprechen. Wenn auch diese 
Art der Darstellung von Musik im F. heute noch ein- 
zelne Verfechter findet, gilt sie doch als iiberholt. Da- 
gegen werden in neueren Musiksendungen hauptsach- 
lich die Ausfiihrenden wahrend des Konzerts im Bild 
gezeigt. Das Kriterium einer solchen Sendung bildet 
die Frage, wie weit es gelungen ist, durch die Wahl 
der Interpreten sowie durch die Zusammenarbeit von 
Bild- und Tonregisseur beim Einsatz der technischen 
Mittel des F.s zum richtigen Verstandnis des iibertrage- 
nen Werks beizutragen. - Die vielfaltigen Aufgaben, 
die der Musik im F. gestellt sind, bildeten das Thema 
der in Salzburg bisher durchgefiihrten vier Internatio- 
nalen Kongresse iiber Die Oper in Rundfunk, F. und 
Film (1956), Oper und Ballett in F. und Film (1959), Mu- 
sik im F. (1962) und Tanz, Ballett und Pantomime in 
Film und F. (1965). 

Lit. : G. Leithauser u. Fr. Winckel, F., Bin, Gottingen u. 
Heidelberg 1953; Fernsehtechnik, I: Grundlagen d. elek- 
tronischen F., II: Technik d. elektronischen F., hrsg. v. F. 
Schroter, = Lehrbuch d. drahtlosen Nachrichtentechnik, 
hrsg. v. N. v. Korshenewsky u. W. T. Runge, Bd 5, Bin, 
Gottingen u. Heidelberg 1 1956, II 1963; Film, Rundfunk, 
F., hrsg. v. L. H. Eisner u. H. Friedrich, = Das Fischer 
Lexikon IX, Ffm. (1958) ; A. V. J. Martin, Technical Tele- 
vision, Englewood Cliffs (N. J.) 1962; Gravesaner Blatter 
VII, 1964, H. 25. - H. Bredow, Vergleichende Betrachtun- 
gen iiber Rundfunk u. F., Heidelberg 1950; G. Eckert, Die 
Kunst d. F., Emsdetten i. W. (1953); G. Goebel, F. in 
Deutschland bis 1945, in: Arch. f. d. Post- u. Fernmelde- 
wesen, hrsg. im Auftrag d. Bundesministers f. d. Post- u. 
Fernmeldewesen, V, 1953; E. Koster, Musikdramatisches 
im F., in : Rufer u. Horer VIII, 1953/54 ; H. J. Girock, Die 
Sinfonie auf d. Fernsehschirm, ebenda; G. Hahn, Der 
Fernsehzuschauer, in: Rundfunk u. F. II, 1954; Die 3 gro- 
Ben »F«. Film, Funk, F., = Musik d. Zeit, hrsg. v. H. Lind- 
lar u. R. Schubert, N. F. II, Bonn (1958); The Broad- 



casting of Music in Television, in : BBC Engineering Mono- 
graph XL, London 1962, Neudruck 1963 ; H. Siebler, Mu- 
sik im F., NZfM CXXV, 1964; S. Goslich, Die Musik im 
F., in: medium, Zs. f. ev. Rundfunk- u. Fernseharbeit II, 
1965; J. Thiel, Musikdramaturgie f. d. Bildschirm, NZfM 
CXXVI, 1965. - Internationales Hdb. f. Rundfunk u. F., 
hrsg. v. H. Bredow-Inst. f. Rundfunk u. F. an d. Univ. 
Hbg, seit 1957 (jahrlich). KHH 

Fernsehoper (engl. television opera; frz. opera en te- 
levision; ital. opera televisiva) heiBen Opern, die ei- 
gens fiir das Femsehen komponiert werden (-> Funk- 
oper) ; in diesem Faile ergeht gewohnlich ein Auftrag 
von einer Fernsehanstalt an einen Komponisten. Die 
F. kam gerade im Augenblick der technischen Vervoll- 
kommnung von Ausstrahlungs- und Empfangsmog- 
lichkeiten des Fernsehens auf, als damit auch hohere 
Anspriiche an die Programmgestaltung gestellt werden 
konnten und die Moglichkeit gegeben war, fernseh- 
eigene Inszenierungen zu bringen, die durch entspre- 1 
chende Regiekonzeption und Kamerafiihrung der 
Fernsehausstrahlung (kleine Bildflache, kein groBer 
Bewegungsraum) Rechnung tragen. - Anfangs kannte 
das Femsehen nur die Direktubertragung von Biih- 
nenauffiihrungen. Nach ersten Versuchen durch die 
BBC im Jahre 1936 mit Szenen aus Mr. Pickwick von 
A. Coates gab es die ersten Sendungen in den USA in 
Form von Ubertragungen der Saison-Erofmungsvor- 
stellungen aus der Metropolitan Opera (1948 Verdis 
Otello, 1949 R.Strauss-' Der Rosenkavalier). Die ersten 
speziell fiir das Femsehen inszenierten Versuche waren 
Kurzopern: Down in the Valley von K.Weill (NBC, 
14. 1. 1950), »Der kleine Schornsteinfeger« von B. 
Britten (NWDR, 19. 4. 1953) ; spater kamen auch gr'o- 
Be Opern zur Sendung, z. B. »Die Macht des Schick- 
sals« von Verdi (WDR, 1960), »Aus einem«Totenhaus« 
von Janacek (ORF, 1961), Carmen von Bizet (BBC, 

1963) u. a. - Man kennt 2 Arten der Ausstrahlung : die 
Live-Sendung (Direktsendung) und die Aufzeichnung 
(Film oder Magnetband), wobei entweder der Origi- 
nalton gesendet bzw. aufgezeichnet oder aber das 
-> Playback-Verfahren angewendet wird. - Ausge- 
sprochene F.n, die vor allem den Notwendigkeiten 
der Fernseh-Programmgestaltung (Beschrankung der 
Auffiihrungsdauer) und den technischen Moglichkei- 
ten angepaBt wurden, sind: Amahl and the Night Vi- 
sitors von G.C.Menotti (erste F., NBC, 24. 12. 1951; 
auch RTF, 1961) ; The Marriage von B. Martinu (NBC, 
1953); Griffelkin von L.Foss (NBC, 1955); Die Aus- 
zeichnung von H. Poser (NDR, 1959); Ausgerechnet 
und verspielt von E.Kfenek (ORF, 1962); Battono alia 
porta vonR.Malipiero (RAI, 1962) ;Noah and the Flood 
von I.Strawinsky (CBS, 1962); Leonce und Lena von 
W.Haentjes (WDR, 1963); Labyrinth von G.C.Me- 
notti (NBC, 1963); Die Bafigeige von H. Poser (ZDF, 
1964). 1959 wurde von der Stadt Salzburg ein Preis 
fiir die beste F. gestiftet, mit dem 1962 die japanische 
F. »Die seidene Trommeh von Y.Irino und 1965 Das 
Cespenst von Canterville von H. Sutermeister (ZDF, 

1964) ausgezeichnet wurden. 

Lit.: A. Holde, Die F., Das Musikleben IV, 1951 ; R. A. 
Wright, Musik u. Femsehen, in: Gravesano, hrsg. v. W. 
Meyer-Eppler, Mainz (1955); Die 3 groBen »F«. Film, 
Funk, Femsehen, = Musik d. Zeit, hrsg. v. H. Lindlar u. 
R. Schubert, N. F. II, Bonn (1958); A. Brasch, Wege 
u. Irrwege d. F., NZfM CXXII, 1961 ; K. O. Koch, Die 
Technik d. Opernproduktion im Femsehen, NZfM 
CXXIII, 1962. 

Fernwerk-* Orgel, -> Disposition. 

Ferr ar a (Emilia). 

Lit. : P. Antolini, Notizie e documenti intorno al Teatro 

Comunale di F., Atti della deputazione ferrarese di storia 



280 



Festmusik 



patria, F. 1889 ; A. Lazzari, La musica alia corte dei duchi 
di F., F. 1928; W. Weyler, Documenten betreffende de 
muziekkapel aan het hof van F., Vlaamsch Jb. voor mu- 
ziekgeschiedenis 1, 1939. 
Festivals (f estivalz, engl.) -> Festspiele. 
Festmusik ist als Begriff so weit wie der des Festes, 
der in speziellerer Abgrenzung jedoch weniger das im 
kirchlichen und politischen Jahr regelmaBig wieder- 
kehrende, das stehende, als vielmehr das besonders ver- 
anlaBte und angeordnete Fest meinen kann: Geburts- 
(Tauf-)feste, Hochzeiten und Begrabnisse, Genesun- 
gen und Empfange, Erbhuldigungen, Sieges- und 
Friedensfeste, Staatsvertrage, Kronungs-, Reichs- und 
Fiirstentage, Grundsteinlegungen und "Weihefeste, Er- 
offnungs-, Jubilaums- und Gedenkfeierlichkeiten. Da- 
bei bedeutet das Fest fur die Musikgeschichtsschreibung 
nicht selten ein sicheres Datierungsmittel musikalischer 
Werke, so unter den mittelalterlichen Conductus z. B. 
die 3 Gattungsbelege zu den franzosischen Konigskro- 
nungenvon 1179, 1223 und 1226; unter den englischen 
Carols Deo gratias Anglia zum Sieg Heinrichs V. iiber 
die Franzosen bei Agincourt 1415; unter den Chansons 
Tra quante regione von H. de -*■ Lantins zur Hochzeit 
des Theodoros Palaiologos mit Cleofe Malatesta zu 
Mistra 1421 und Resvellies uous von Dufay zur Hoch- 
zeit Carlo Malatestas mit Vittoria Colonna in Rimini 
1423; spater z. B. die F.en in J. S.Bachs Schaffen. Die 
Festbeschreibungen in Chroniken, Schilderungen der 
Hofpoeten, Berichten (Relationen) der Agenten und 
Korrespondenten (zusammen mit dem Material der 
Futter- und Furierzettel) sowie die Bilddarstellungen 
von Festen bieten wertvolle musikgeschichtliche Auf- 
schliisse, z. B. iiber Aufgaben der Hoftrompeter, Zu- 
sammensetzung der Kapellen, Musikerbiographien 
und Auffiihrungspraxis. 

Im Bereich des aufiergewohnlichen Festes, dessen An- 
lafi begriiBt oder gesucht, ja erfunden wurde, um das 
AuBergewohnliche zu rechtfertigen, waren die Jahr- 
hunderte vom spaten Mittelalter bis zum Ausklang des 
Rokokos, besonders Renaissance und Barock, die Zeit 
des Festes als Lebensstil. Geschichtliche Bedeutung 
kommt besonders den Festen des Burgundischen Ho- 
fes im 15. Jh. zu, dessen Prachtentfaltung den Hofen 
anderer Lander zum Vorbild diente. Unter den Jahres- 
festen (Fasanenbankette) des von Philipp dem Guten 
1429 gestifteten Ordens vom Goldenen Vlies ist das 
am 17. 2. 1454 in Lille gehaltene Banquet du voeu 
denkwiirdig. Es diente der Vorbereitung eines Kreuz- 
zugs zur Wiedereroberung Konstantinopels, zu dem 
u. a. Dufays 4st. Motette O tres piteulx (eine Klage der 
Kirche von Konstantinopel) aufrief. Spater waren es 
vor allem die Hofe von Florenz, Mantua, Ferrara und 
- im 17.-18. Jh. - Versailles, deren Feste stilbildend 
wirkten. Dabei ist das Fest zugleich selbst ein Kunst- 
werk gewesen, und die Musik war raumlich (in Gar- 
ten, auf Wagen oder Schiffen, in Nebenraumen, in 
Kuppeln) und gedanklich (nach Instrumentarium : 
z. B. Sackpfei£e und Schalmei fur die bauerliche Pars 
oder Invention in Festaufziigen, und nach Gattungen: 
z. B. die Huldigungsoper) sowie gesellschaftlich (z. B. 
Mitwirkung des Adels) ins Zusammenspiel der Kun- 
ste und in den Gesamtplan des Festes eingeordnet. 
Doch gegeniiber solcher Bedeutung der Musik fur die 
Feste ist musikgeschichtlich wohl noch relevanter die 
Bedeutung der Feste f iir die Musik und die Kunst iiber- 
haupt, die in jener Zeit weitgehend Kunst der Feste 
war: Das barocke Fest hat der Kunst ihre gewaltigsten An- 
strengungen entlockt (Alewyn, S. 11). Als Uberhohung 
der Wirklichkeit, als Abbild oder Allegorie der Wel- 
tenordnung und -harmonie, als stilisierter Ausdruck 
des stadtischen, kirchlichen, besonders des hofischen 



Lebens, das im Fest zu seinem Wesen gelangte, als Glo- 
rifizierung und Representation des gottlichen wie des 
weltlichen Regiments, als Ergotzung und Zeitvertreib 
erforderte und ermoglichte das Fest den erhohten Auf- 
wand an Mitteln, Erfindungskraft und Modernitat 
und veranlaBte auch den Komponisten zu hochster 
Leistung. In dem MaBe wie Musik in Komposition 
und Ausfiihrung bis in die nachbarocke Zeit gebunden 
war an Amt und AnlaB, ist das Fest als ein HauptanlaB 
zur Musik zu werten. Erst mit der Vorstellung des 
freien Schaffens und dem Beginn des offentlichen Kon- 
zertwesens im spateren 18. Jh. verlor die F. (zusammen 
mit dem Fest) an Geltung und geschichtlicher Bedeu- 
tung und beriihrt den nun abschatzigen Begriff der 
»Gelegenheits«-Kunst. 

Was in Renaissance und Barock bei den unzahligen 
Geburts- und Namenstagen, Banketten, Hoftanzen, 
Ritterspielen, Turnieren, Festziigen (mit ihren Mu- 
sikwagen), Schiffspromenaden, Karnevals, Maskera- 
den und den typisch deutschen »Bauernhochzeiten« 
und »Wirtschaften« (bei denen die hohe Herrschaft, 
kostiimiert, als Gastgeber die in Nationaltrachten er- 
schienenen Hofgaste bewirtete) an Musik erklang, ist 
sehr oft nicht nachweisbar oder entspricht dem Musik- 
repertoire der Zeit. Einzelne Musikarten, die meist be- 
stimmten Gattungen zugehoren, sind durch ihre Na- 
men als F.en gekennzeichnet oder besonders geeignet : 
Epithalamion (A. Scandello zur Hochzeit von J.Wal- 
ter in Torgau 1564, A.Schroter zur 2. Hochzeit von 
G.DreBler in Zerbst 1577); »Wassermusik« (J.D.Hei- 
nichen, Serenatafatta sulla Elba bei den Vermahlungs- 
feierlichkeiten Friedrich Augusts II. in Dresden 1719, 
Handel zu einem von Konig Georg I. verordneten 
Wasserfest auf der Themse 1717) ; »Feuerwerksmusik« 
(Handel zur Londoner Feier des Friedens zu Aachen 
1749); Begrabnislieder und -motetten (z. B. die Mo- 
tettenj. S. Bachs); »Trauermusik« (W. A. Mozart, Maure- 
rische Trauermusik, K.-V. 477, zum Tode von Herzog 
August von Mecklenburg und Graf Franz Esterhazy) ; 
->■ Masque; -> Actus; auch Ode (6 Geburtstagsoden 
von H.Purcell fiir die Konigin Maria von England 
1689-94, Geburtstagsode von Handel fiir die Koni- 
gin Anna von England 1713) ; Serenata (z. B. von A. 
Scarlatti zum Geburtstag des Erzherzogs Leopold in 
Wien 1716) ; ->■ Te Deum (fast regelmaBig bei Hoch- 
zeiten; auBerdem z. B. von Handel zur Feier des Ut- 
rechter Friedens 1713 sowie des Sieges bei Dettingen 
1743, von Lully zur Tauffeier seines Sohnes 1677, von 
J. A.Hasse zur Einweihung der Dresdener Hofkirche 
1742) ; -> Requiem (so von T. L. da Victoria zum Tode 
der Kaiserin Maria 1603, von G.Croce fiir den Dogen 
Marino Grimani in Venedig 1605, von J. A. Hasse fiir 
August III. von Sachsen 1763, von M.Haydn fiir Erz- 
bischof Sigismund in Salzburg 1771). - Oft pragte die 
Musik in Besetzung und Kompositionsart (z. B. »star- 
ke« Besetzung, haufig mit Blasern und Pauken und in 
kompositorischer Nachahmung freudigen Affekts) den 
besonderen Charakter der F. aus. Zu den Hochzeits- 
feierlichkeiten des Herzogs Georg von Bayern 1475 in 
Landshut waren 105 Trompeter, Pauker und Pfeifer 
anwesend; die Tafelmusik beim Friedensbankett 1649 
in Nurnberg wurde unter Leitung von S.Th. Staden 
von 51, in 4 Chore geteilten Instrumentisten und San- 
gem ausgefiihrt; fiir den Festzug zum Karussellren- 
nen beim Besuch des Danenkonigs Friedrich IV. 1709 
in Dresden forderte die Festordnung 180 Musiker; 
HSndels »Feuerwerksmusik« verlangt 54 Blaser und 3 
Pauken (-> Harmoniemusik), bei seinen Coronation 
Anthems von 1727 wird von 200 Ausfiihrenden berich- 
tet. Gleichwohl kann auch fiir Renaissance- und Ba- 
rockzeit von F. als musikalischer Gattung nicht ge- 



281 



Festmusik 



sprochen werden. Indessen erreichten einzelne Gattun- 
gen als F.en ausgepragte Stadien, auch Hohepunkte 
ihrer Geschichte oder erhielten durch ihre Bestim- 
mung zu festlichen Anlassen entscheidende Impulse zu 
schopferischer Neuerung und wurden zum Teil als re- 
presentative GroBf ormen langhin speziell als F.en kom- 
poniert. Genannt seien: 1) die - teils noch isorhythmi- 
sche - Tenormotette in ihrem Spatstadium, so von 
Dufay: Apostolo glorioso zur Domweihe auf der Akro- 
polis von Patras 1426 ; Ecclesiae militantis zur Papstwahl 
Eugens IV. 1431 ; Supremum est anlafilich des Friedens 
yon Viterbo 1433 ; Nuper rosarumjlores zur Domweihe 
in Florenz 1436; Magnanimae gentis zum AbschluB 
des Stadtebiindnisses Freiburg-Bern 1438; ferner spa- 
tere Motetten von Brassart, O rex Friderke tu zur 
Thronbesteigung Kaiser Friedrichs III. 1440; J.Mou- 
ton, Quis dabit oculis nostris zum Tod der Konigin Anna 
von Frankreich 1514; Chr. Morales, Jubilate Deo zum 
Frieden von Nizza 1538 und Gaude et laetare zur Kar- 
dinalserhebung Ippolitos d'Este in Ferrara 1539; J. 
Walter, Beati immaculati in via zur Einweihung der er- 
neuerten Kapelle in Torgau durch Luther 1544; T. 
Michael, 3 Festmotetten zum Friedensfest in Leipzig 
1650 und die Motette In Not und Angst f iir sein Begrab- 
nis in Leipzig 1657. 2) das mehrstimmige Ordinarium 
missae: die bahnbrechende Messe von Machaut (zur 
Kronung Karls V. in Reims 1364?) ; spaterhin N. Gom- 
bert, Messe A la Incoronatione wahrscheinlich zur Kai- 
serkronung Karls V. in Bologna 1530; A.Scandello, 
6st. Messe zum Tode des Kurfiirsten Moritz von 
Sachsen 1553; O.Benevoli, 52st. Messe zur Domweihe 
in Salzburg 1629; H.Schiitz, Musicalische Exequien 
(Teutsche Begrabnis-Missa, Motette und Concert) zum 
Tode des Heinrich Posthumus von Reufi 1636; J.S. 
Bach, Kyrie und Gloria zur Regierungsiibernahme 
Augusts III. von Sachsen 1733; W.A.Mozart, Missa 
C dur K.-V. 317 (»Kronungsmesse«), komponiert 1779 
zur Erinnerung an das 1751 gekronte Gnadenbild 
der Gottesmutter Maria Plain. 3) das italienische Ma- 
drigal vor und um 1400, so von Jacopo da Bologna O, 
in Italia zur Taufe der Visconti-Zwillinge in Mailand 
1346; von Landini Godi, Firence zum Sieg von Florenz 
uber Pisa 1406; von Antonello da Caserta Del glorioso 
titolo zur Hochzeit Johannas II. 1415; und im 16. Jh. 
die 16 Madrigale (gedruckt Venedig 1539) von Fr. 
Corteccia, C. Festa u. a. zur Hochzeit Cosimos de' Me- 
dici in Florenz 1539 sowie die 19 Madrigale (gedruckt 
Venedig 1579 als Trionfo di Musica) von T.Massaini, 
A. Gabrieli, CI. Merulo, Ph. de Monte, A. Striggio und 
O. Vecchi zur Hochzeit Francescos de' Medici in Flo- 
renz 1579. 4) die Kantate als F., so vor allem von J. S. 
Bach die Ratswahlkantaten, die Thomasschulkantaten 
(BWV, Anhang 18 und 19), dieKantateNr 194 {Hochst- 
erwiinschtes Freudenfest) zur Orgelweihe in Stormthal 
1723 sowie die zahlreichen F.en fur die Furstenhauser 
von Weimar, Weifienfels und Kothen, fur das Kur- 
fiirstlich-Sachsische Haus und fur Leipziger Universi- 
tatsfeiern (Neue Bach-Ausgabe, Serie I, Band 35fL); 
spaterhin z. B. von J. Haydn die Kantate Vivangl'illustri 
sposi zur Hochzeit Antons von Esterhazy 1763; von 
Zelter die Festkantate zur Orgelweihe in der St. Geor- 
gen-Kirche in Berlin 1782 und die Kantate auf den Tod 
Friedrichs II. von PreuBen 1786; von W.A.Mozart 
Fine kleine Freimaurerkantate, K.-V. 623, zur Tempel- 
einweihung der Wiener Loge »Zur neugekronten 
Hoffnung? 1791. 5) das Anthem als F., so von G.Fr. 
Handel 4 Coronation Anthems zur Kronung Georgs II. 
von England in London 1727 und die Anthems This is 
the Day zur Trauung von Wilhelm, Prinz von Ora- 
nien, in London 1734 und Sing into God zur Hochzeit 
von Frederick, Prinz von Wales, in London 1736, das 



Funeral Anthem zum Begrabnis von Konigin Caroline 
1737 und das Dettingen Anthem von 1743. - Wiederum 
andere Gattungen verdanken wesentliche Impulse ih- 
rer Entstehung und Fortbildung dem festlichen AnlaB, 
so die -> Toccata als Blaserfanfare ; die Intermedien, 
z. B. von C. Festa und Fr. Corteccia fiir // Commodo von 
A.Landi zur Hochzeit des Cosimo de' Medici in Flo- 
renz 1539 sowie von G.Bardi, C.Malvezzi, L.Ma- 
renzio, J. Peri und E. de Cavalieri zur Hochzeit von 
Ferdinand I. von Medici in Florenz 1589; ferner das 
->■ Liturgische Drama; die ->• Masque; das Ballett 
(z. B. L. de Beaulieu und J. Salmon, Circe, ou Ballet co- 
mique de la Royne zur Hochzeit des Due de Joyeuse in 
Paris 1581), auch das Rofiballett (ital. balletto a ca- 
vallo ; frz. ballet de chevaux) : so unter vielen anderen 
La guerra d'amore mit der Musik von G.B.Signorini, 
G. Del Turco, P.Grazi und J.Peri 1615/16 zum Ge- 
burtstag Cosimos II. in Florenz und La contesa dell'aria 
e dell'acqua mit der Vokalmusik von A. Bertali, Trom- 
petenmusik von J. H. Schmelzer zur Hochzeit Leo- 
polds I. in Wien 1667; vor allem die Barockoper, die 
ihrem Wesen nach selbst als ein Fest der Kiinste und 
(wie aus unzahligen Belegen hervorgeht) als die hofi- 
sche F. par excellence angesprochen werden kann. Ei- 
ne ausgesprochen festliche Kompositionsart fiir groBe 
Stadtkirchen, SchloBkapellen und Hofkantoreien schuf 
sich die Barockzeit in der -*■ Mehrchorigkeit. Nach 
den richtungweisenden Vorbildern an San Marco in 
Venedig, der bayerischen Hofkapelle in Munchen und 
der kaiserlichen Hofkapelle in Wien und Prag bildete 
fiir die mehrchorige Concertomusik in Mitteldeutsch- 
land der Naumburger Fiirstentag von 1614 mit der 
DresdenerHofkapelle unterM. Praetorius in der Naum- 
burger St. Wenzelskirche den Auftakt. Ihm folgte 1619 
die Veroffentlichung von Schiitzens Psalmen Davids 
und Praetorius' Polyhymnia . . . Solennische Friedt- vnd 
Frewden-Concert . . . respective, bey Kayser: Konig: Chur: 
vnd Fiirstlichen zusammen Kunfften . . . 
Ein Beispiel fiir den Ubergang von der sozialgeschicht- 
lichen Gebundenheit des Kunstwerks zu freiem Schaf- 
fen im Bereich der F. bietet Beethovens Missa solemnis, 
komponiert zur Inthronisation des Erzherzogs Rudolf 
von Osterreich zum Erzbischof von Olmiitz 1820, 
vollendet aber erst 1822, erste (Teil-) Auf fiihrung dann 
in Wien 1824 im Karntnertor-Theater. - Auch im 19. 
und 20. Jh. entstanden unzahlige F.en, oft monstros in 
Besetzung und Stil: zum Preufiischen Volksgesang von 
G. Spontini beim Geburtstag der Konigin von PreuBen 
1821 waren 350 Ausfuhrende aufgeboten; Berlioz' 
Grande messe des morts, geschrieben im Auftrag der Re- 
gierung fiir eine Gedenkfeier fiir die Gefallenen der 
Revolution von 1830, fordert u. a. 6 Paukenpaare und 
4 Blechblaserorchester und wurde bei der Erstaufftih- 
rung 1837 anlafilich der Beisetzung des Generals Dam- 
remont im Dome des Invalides zu Paris - laut Verord- 
nung des Kriegsministeriums - von 300 Spielern aus- 
gefiihrt. Doch in der Zeit des durch Inspiration und 
Erleben, Freiheit und Einsamkeit bedingten Schaffens 
ist die Festveranstaltung weithin Veranlassung bloBer 
Gelegenheitsarbeit, die nach kiinstlerischem Rang und 
geschichtlicher Relevanz hinter den frei geschaffenen 
Werken der Komponisten in der Regel zuriicksteht. 
Aus der Fulle der Beispiele seien genannt: Berlioz, 
Grande symphonic funebre et triomphale zur Uberfiihrung 
der Opfer der Revolution von 1830 in ein Grabmal 
auf der Place de la Bastille in Paris 1840 (die Partitur 
verlangt iiber 100 Musiker; fiir die Freilichtauf fiihrung 
hatte Berlioz 207, fiir die Konzertauffiihrungen im 
August 1840 250 Instrumentisten zur Verfiigung) ; F. 
Mendelssohn Bartholdy, Symphonie D dur op. 107 
zur 300-Jahr-Feier der Augsburger Konfession 1830; 



282 



Festspiele, Musikfeste 



Cherubini, Messen in F dur zur Kirchweihe in Chimay 
1809 und in D moll zur Salbung Konig Karls X. von 
Frankreich 1825; Liszt, Missa solemnis zur Domweihe 
in Gran 1856 und Ungarische Kronungsmesse zur Kro- 
nung Kaiser Franz Josephs zum ungarischen Konig in 
Budapest 1867, Festkantate zur Enthullung des Beet- 
hoven-Denkmals in Bonn 1845 sowie seine Weimarer 
F.en (zur Goethe-Jubilaumsfeier 1849, zur Enthullung 
des Herder-Denkmals 1850, zur Eroffnung der iO. all- 
gemeinen deutschen Lehrerversammlung, zur Schiller- 
Feier 1859, zur Sakularfeier Beethovens 1870) ; Bruck- 
ner, Festkantaten Preiset den Herrn zur Grundsteinle- 
gung des neuen Linzer Doms 1862 und Helgoland zum 
50jahrigen Bestehen des Wiener Mannergesangvereins 
1893; Wagner, Trauerode f iir Mannerchor und Trauer- 
marsch iiber 2 Motive aus Euryanthe fur 75 Blaser und 
20 gedeckte Trommeln zur Heimbringung von We- 
bers Leiche aus London nach Dresden 1844, Kaiser- 
marsch zum Sieg iiber die Franzosen 1871, Grofier Fest- 
marsch zur Eroffnung der hundertjahrigen Gedenkfeier der 
Unabhangigkeitserkldrung der Vereinigten Staaten von 
Nordamerika 1876; R.Strauss, Olympische Fanfare fur 
Berlin 1936, F. zur Feier des 2600jahrigen Bestehens 
des Kaiserreichs Japan 1940 (op. 84) ; Former, Bldser- 
musik (Praeludium und Hymnus) zur 500-Jahr-Feier 
der Universitat Freiburg im Breisgau 1957; Hinde- 
mith, Maimer Umzug, zur 2000-Jahr-Feier der Stadt 
Mainz 1962. 

Lit. : Ph. Harsdorffer, Frauenzimmer Gesprechspiele . . . , 
Nurnbergl641-49;T.NoRLiND,EinMusikfestzuNurnberg 
im Jahre 1649, SIMG VII, 1905/06; O. v. Gerstenfeldt, 
Hochzeitsfeste d. Renaissance in Italien, EBlingen 1906 ; H. 
Prunieres, L'opera ital. en France avant Lully , Paris 1913; 
ders., Le ballet de cour en France avant Benserade et Lully, 
Paris 1 914; H.Radiguer, Lamusiquefr5.de 1789 a 18 15, in: 
Encyclop6die de la musique I, 3, hrsg. v. A. Lavignac u. 
L. de la Laurencie, Paris (1914); P. Nettl, Ein verschol- 
lenes Tournierballett . . . , ZfMw VIII, 1925/26 ; E. Magne, 
Les fetes en Europe au 17 e s., Paris 1930; G. Mourey, Le 
livre des fetes frc., Paris 1930; G. Pietzsch, Dresdner Hof- 
feste v. 16.-18. Jh., in: Musik u. Bild, Fs. M. Seiffert, Kas- 
sel 1938; ders., Die Beschreibung deutscher Furstenhoch- 
zeiten v. d. Mitte d. 15. bis zum Beginn d. 17. Jh. als mg. 
Quellen, AM XV, 1960; F. Ghisi, Feste mus. della Firenze 
medicea, 1480-1589, Florenz 1939; J. Mark, Hist, de la 
musique et des musiciens de la cour de Bourgogne sous le 
regne de Philippe le Bon (1420-67), = Slg mw. Abh. 
XXVIII, StraBburg 1939; I. Becker-Glauch, Die Bedeu- 
tung d. Musik f. d. Dresdener Hoffeste bis in d. Zeit Au- 
gusts d. Starken, = Mw. Arbeiten VI, Kassel 1951; L. 
Schrade, Political Compositions in French Music of the 
XII" 1 and XIII« h Cent., Ann. Mus. I, 1953; Les fetes de la 
Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, 2 Bde, Paris 1956-60; R. 
Alewyn u. K. Salzle, Das groBe Welttheater. Die Epoche 
d. hofischen Feste in Dokument u. Deutung, = rde XCII, 
Hbg (1959) ; Les fetes du mariage de Ferdinand de Medicis 
et de Christine de Lorraine, Florenz 1589, 1: Musique des 
intermedes de »La Pellegrina«, hrsg. v. D. P. Walker, F. 
Ghisi u. J. Jacquot, = Collection »Le Choeur des Muses«, 
Paris 1963 ; N. Bridgman, La vie mus. au Quattrocento et 
jusqu'a la naissance du madrigal, Paris (1 964). HHE 

Festspiele, Musikfeste sind Veranstaltungen, die 
den Zweck haben, Auffiihrungen von besonderer Qua- 
litat oder solche mit fur den Repertoirebetrieb nicht er- 
reichbaren Besetzungen moglich zu machen. Auch 
durch die Wahl eines Festspielortes, der durch Tra- 
dition, durch Bauten und Sale oder durch ferienhafte 
Atmosphare ausgezeichnet ist, werden F. aus dem Rah- 
men des Alltaglichen herausgehoben. Das Streben nach 
exemplarischen, aber auch oft sensationellen Auffiih- 
rungen und besonders die Erteilung von Auftragskom- 
positionen mogen Beziehungen zur alteren ->■ Festmu- 
sik erkennen lassen, doch unterscheiden sich F. und M. 
grundsatzlich von ihr, da die Musik selbst der AnlaB 



ist. Die ersten modernen F. fanden in England statt 
(Three Choirs Festival ab 1724 in jahrlichem Wechsel 
in Gloucester, Worcester und Hereford; M. in York 
ab 1791, in Liverpool ab 1794, in Norwich ab 1770). 
Die Niederrheinischen M. wurden veranstaltet, um 
»einige jener klassischen Werke aufzufiihren, welche 
nur durch ein stark besetztes Orchester wiirdig vorge- 
tragen werden konnen« (ab 1817 jahrlich zu Pfirigsten 
in rheinischen Stadten). Die Tonkiinstler-Versamm- 
lung (1859-1937) des Allgemeinen Deutschen Musik- 
vereins (-»• Gesellschaften und Vereine) war mit Auf- 
fiihrungen klassischer und zeitgenossischer, meist groB- 
angelegter Chor- und Orchesterwerke verbunden. In 
den Niederlanden veranstaltet die Maatschappij tot be- 
vordering der Toonkunst seit 1834 M. Seit der Mitte 
des 19. Jh. nahm in den USA die Zahl der F. zu (zuerst 
Worcester, Mass., ab 1858; Cincinnati ab 1873). 
Eine Reihe von M.n ist der Pflege je eines Komponi- 
sten gewidmet; die wichtigsten sind: Deutsche Bach- 
feste der Neuen Bach-Gesellschaft seit 1901 ; Leipziger 
Bachfeste des Leipziger Bach-Vereins 1908-39; Bach- 
f este der Internationalen Bach-Gesellschaft, alle 2 Jah- 
re in Schaffhausen seit 1946; Bachwoche in Ansbach 
1948-64. Beethovenfeste der Stadt Bonn seit 1931. Han- 
del-Feste in der Westminster Abtei und im Pantheon in 
London 1784-91 ; Handelfeste in Deutschland seit 1786 ; 
Handelfeste der Sacred Harmonic Society im Kristall- 
palast in London seit 1857; Handelfeste der Deutschen 
Handel-Gesellschaft seit 1926; Gottinger Handelfeste 
seit 1920. Mozartfeste der Internationalen Stiftung 
Mozarteum seit 1877. Schiitzfeste der Schiitz-Gesell- 
schaft 1922-29 und der Neuen Schiitz-Gesellschaft seit 
1930. Sibelius-Woche in Helsinki seit 1951. 
Die M. der Internationalen Gesellschaft f iir Neue Mu- 
sik seit 1923 mit wechselnden Festspielorten in Europa 
(seit 1940 wiederholt auch in den USA) sind ausschliefi- 
lich zeitgenossischer Musik gewidmet. - Vor allem in 
den Jahren der wirtschaftlicnen Prosperitat nach etwa 
1950 ist die Zahl der F. und M. sprunghaft gestiegen. 
Der Europaischen Vereinigung der Musik-F. in Genf 
sind 29 Veranstaltungen aus 18 Landern angeschlossen; 
insgesamt wurde fur 1965 mit etwa 130 Festivals in 
Europa (davon 40-50 in Deutschland) gerechnet. 
Von den wichtigsten F.n und M.n mit feststehenden 
Orten seien genannt : 

Aldenburgh. Aldenburgh Festival, begriindet von B. 
Britten, jahrlich seit 1948 (Juni) : Konzert. 
Adc-en-Provence. Festival International de Musique, 
jahrlich seit 1948 (Juli) : Oper, Konzert. 
Amsterdam, Den Haag, Scheveningen. Holland Festi- 
val, jahrlich seit 1948(Juni/Juli) : Oper, Konzert, Schau- 
spiel, Ballett, Ausstellungen. 

Bath. Bath Festival, jahrlich seit 1951 (Juni), unter 
Leitung von Y. Menuhin : Konzert, Jazz. 
Bayreuth. R.-Wagner-F., seit 1876 (Juli-August), in 
dem von Wagner zur Auffuhrung des Ring des Nibe- 
lungen und des Biihnenweihfestspieles Parsifal (dessen 
Auffuhrung bis 1913 Bayreuth vorbehalten blieb) er- 
bauten Festspielhaus. Spater wurden mit Ausnahme der 
Fruhwerke auch die anderen Buhnenwerke Wagners in 
das Programm auf genommen. Das Unternehmen steht 
unter Leitung der Enkel Wieland und Wolf gang Wag- 
ner. Von Bayreuth-Dirigenten sind zu nennen : Mottl, 
Furtwangler, Toscanini, Knappertsbusch, v.Karajan, 
K. Bohm. In Wagners Bemiihen um das wahre Wesen des 
deutschen Geistes sollte Bayreuth zu einer wirklichen natio- 
nal-kiinstlerischen Institution werden und nichts anderes 
bieten, als den ortlich fixierten periodischen Vereinigungs- 
punkt der besten theatralischen Krafte Deutschlands zu 
Vbungen und Ausfuhrungen in einem hoheren deutschen 
Originalstile ihrer Kunst, welche ihnen im gewohnlichen 



283 



Festspiele, Musikf este 



Laufe ihrer Beschaftigungen nicht ermoglicht werden ktin- 
nen. Nach den in Munchen erfahrenen Anfeindungen 
ergab sich f iir Wagner der Wunsch nach einem kleinen 
Festspielort aus dem Streben nach Unabhangigkeit 
von Presse, Hof- oder Stadtverwaltungen. Dies bot 
gleichzeitig die Moglichkeit einer volligen Isoherung 
der Kiinstler und des Publikums von allem stadtischen 
Getriebe. Die geographische Lage Bayreuths, der vor- 
wiegend protestantische Charakter und die sonstigen 
Verhaltnisse der Stadt lieBen die ehemalige markgraf- 
liche Residenz Wagner fur sein Vorhaben besonders 
geeignet erscheinen. 

Lit.: R. Wagner, Bayreuth (1873), = Samtliche Schriften 
u. Dichtungen, Volks-Ausg., Lpz. «1912-14, Bd IX; Parsi- 
fal. Organ zum Zwecke d. Erreichung d. Richard Wag- 
ner'schen Kunstideale, hrsg. v. E. Kastner, 1884-85; 
K. Heckel, Die Biihnenf. zu Bayreuth, Lpz. 1891; W. 
Golther, Bayreuther F. u. Festspielhaus., o. O. 1904; 
Bayreuther Blatter, hrsg. v. H. v. Wolzogen, Chemnitz 
1878-1939 (dazu Inhaltsverz. 1878-1927 v. A. Moritz, 
1928); S. Wagner, Bayreuth, Mk XXII, 1930; A. Lorenz, 
Die F. in Bayreuth, ebenda; R. Reich wein, Werden u. We- 
sen d. Bayreuther F., Bielefeld 1934; Der Fall Bayreuth, 
= Theater unserer Zeit II, Basel u. Stuttgart (1 962). 
Bergen. Festspillene i Bergen, begriindet 1898 von 
Grieg, seit 1953 jahrlich (Mai/Juni): Oper, Konzert, 
Ballett, Schauspiel, Folklore, Ausstellungen. 
Berlin. Berliner Festwochen, jahrlich seit 1951 (Sep- 
tember/Oktober) : Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel, 
Jazz, Ausstellungen. 

Donaueschingen. Donaueschinger Musiktage fur 
Zeitgenossische T.onkunst, jahrlich seit 1950, vorher 
schon 1921/26 (Oktober), begriindet durch die Gesell- 
schaft der Musikfreunde, unter der Schirmherrschaft 
des Fiirsten von Fiirstenberg, geleitet von H.Strobel 
vom Sudwestfunk Baden-Baden. 
Edinburgh. International Festival, jahrlich seit 1947 
(August/September): Oper, Konzert, Ballett, Schau- 
spiel, Ausstellungen, unter Mitwirkung internationa- 
ler Orchester und Opernensembles. 
Lit. : Edinburgh Festival : A Review of the First Ten Years 
of the Edinburgh International Festival . . . , Edinburgh 
1956. 

Florenz. Maggio musicale Fiorentino, seit 1933, an- 
fangs alle 2 Jahre, jetzt jahrlich mit Unterbrechungen 
(Mai/Juni) : Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel. 
Frankfurt am Main. Deutsches Jazz Festival, jahr- 
lich seit 1953. 

Glyndebourne. Glyndebourne Festival, begriindet 
durch J. und A.Christie mit Fr.Busch, C.Ebert, R. 
Bing, seit 1934 mit Unterbrechungen jahrlich (Mai/ 
August) : Oper. 

Httzacker/Elbe. Sommerliche Musiktage, seit 1946 
mit Unterbrechungen jahrlich (Juli/ August) : Kam- 
meroper, Konzert. 

Jerusalem, Tel Aviv, Haifa. The Israel Festival, jahr- 
lich seit 1961 (Juli/August) : Konzert, Ballett, Schau- 
spiel, Folklore. 

Lissabon, Porto, Coimbra, Guimaraes, Santarem, 
Leiria, Aveiro, Evora, Braga. Festival Gulbenkian de 
Miisica, jahrlich seit 1957 (Mai/Juni) : Oper, Konzert, 
Ballett. 

Luzern. Internationale Musikf est wochen, jahrlich 
seit 1938, auBer 1940 (August/September): Konzert, 
Schauspiel, Ausstellungen. 

Munchen. Munchner (Opern-)F., seit 1901 mit Un- 
terbrechungen jahrlich (Juli/August) : Oper, Konzert, 
Ballett; zunachst unter Mottl spezifisch dem Schaffen 
R.Wagners gewidmet, neuerdings stehen die Werke 
von R. Strauss im Vordergrund. 
Newport (R. I.). American Jazz Festival, jahrlich seit 
1954 (Juli). 



Prades. Seit 1950, veranstaltet von P.Casals in seiner 
Wahlheimat : Kammermusik. 

Prag. Prager Fruhling, jahrlich seit 1946 (Mai/Juni) : 
Oper, Konzert, Ballett, Ausstellungen. 
Recklinghausen. Ruhr-F., jahrlich seit 1946 (Juni/ 

Juli) : Oper, Konzert, Schauspiel, Jazz, Folklore, Aus- 
stellungen. 

Salzburg. Salzburger F., jahrlich seit 1920, auBer 1924 
und 1944 (Juli/August): Oper, Konzert, Ballett, Schau- 
spiel. Nach Griindung des Vereins Salzburger Fest- 
spielhausgemeinde 1917 Erbffnung 1920 mit Jedermann 
von H. v. Hofmannsthal (Regie M.Reinhardt). Zu- 
nachst Mozart, dann auch R.Strauss im Vordergrund, 
nach 1945 auch (Auftrags-)Werke zeitgenossischer 
Musik. Die F. sind stark vom Charakter der Stadt ge- 
pragt; neben den eigens erbauten Festspielhausern 
(GroBes Festspielhaus 1960) dienen Felsenreitschule, 
Residenz, Mozarteum und die Kirchen der Stadt als 
Auffiihrungsstatten. 

Lit.: Mitt. d. Salzburger Festspielhausgemeinde, hrsg. v. 
F. Neumayr (1919-22 v. E. Kerber), Salzburg 1918-22; A. 
Kutscher, Das Salzburger Barocktheater, Wien 1924; 
ders., Vom Salzburger Barocktheater zu d. Salzburger F., 
Dusseldorf 1939; St. Zweig, Salzburg, Die Stadt als Rah- 
men, Mk XXII, 1930; R. Tenschert, Die Salzburger F., 
ebenda; ders., Salzburg u. seine F., Wien 1947; E. Ker- 
ber, Ewiges Theater. Salzburg u. seine F., Munchen 1936; 
W. Schneditz, Das Buch v. d. Salzburger F., Linz, Wien 
u. Munchen 1948; O. Keldorfer, Klingendes Salzburg, 
Zurich, Lpz. u. Wien (1951); Offizieller Almanach d. Salz- 
burger F., hrsg. v. L. Grundner (ab 1956 v. M. Kaindl- 
Honig), 1953ff.; H. C. Fischer, Die Idee d. Salzburger F. 
. . ., Diss. Munchen 1954, maschr.; Die Salzburger F. . . . 
1824-1960, hrsg. v. F. Hadamowsky u. G. Rech, Salz- 
burg 1960; J. Kraut, F. in Salzburg, ebenda 1965. 
Schwetzingen. Schwetzinger F., jahrlich seit 1952 
(Mai/Juni): Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel; ver- 
anstaltet vom Suddeutschen Rundfunk Stuttgart, der 
Kompositionsauftrage vergibt. 

Spoleto. Festival dei due Mondi, begriindet von G. C. 
Menotti, jahrlich seit 1958 (Juni/Juli) : Oper, Konzert, 
Ballett, Schauspiel. 

Tanglewood (Mass.). Berkshire Symphonic Festival, 
begriindet von S.A.Kussewitzky, jahrlich seit 1937 

, (Juli/August) : Oper, Konzert, Kurse. 
WARSCHAU.MiedzynarodowyFestiwalMuzykiWsp61- 
czesnej. Warszawska Jesien (»Internationale F. fiir 
moderne Musik. Warschauer Herbst«), seit 1956 jahr- 
lich (September) : Oper, Konzert, Ballett (zeitgenossi- 
sche Musik). 

Wien. Wiener Festwochen, jahrlich seit 1951 (Mai/ 
Juni) : Oper, Konzert, Ballett, Schauspiel. 
Zagreb. Musicki biennale - Internacionalni Festival 
suvremene Muzike, alle 2 Jahre seit 1961 (Mai) : Oper, 
Konzert, Ballett. 

Lit. zu F. : H. J. Moser, Gesch. d. mus. F., Mk XXII, 1930; 
G. Pinthus, DieEntwicklungd. Konzertwesens in Deutsch- 
land bis zum Beginn d. 19. Jh., = Slg mw. Abh. VIII, StraB- 
burg 1932; W. A. Fisher, Music Festivals in the USA, 
Boston 1933; D. Stoll, Music Festivals of Europe, Lon- 
don 1938; G.Gavazzeni, Le feste mus., Mailand 1944; J. 
Feschotte, Les hautslieux de la musique, Paris 1949; N. 
Boyer, Petite hist, des festivals en France, Paris 1955; 
British Federation of Music Festivals, Jb. 1 960 u. 1 96 1 . - zu 
M. : Ch. Burney, An Account of the Mus. Performances in 
Westminster-Abbey and the Pantheon ... in Comme- 
moration of Handel, London (1785), dazu Bibliogr. in: 
Handel-Jb. VI, 1933; A. J. Becher, Das Niederrheinische 
Musikfest, asthetisch u. hist, betrachtet, Koln 1836; E. A. 
Hauchcorne, Blatter d. Erinnerung an d. 50jahrige Dauer 
d. niederrheinischen M., Koln 1868; anon., Zur Gesch. d. 
M. in Birmingham, in: Neue Berliner Musikzeitung 
XXXVI, 1882; J. Brennet u. F. R. Stark, Hist, of the 
Leeds Festivals 1858-89, Leeds 1892; R. H. Leggeu. W. E. 



284 



Fiedel 



Hansell, Annals of the Norfolk and Norwich Triennal 
Mus. Festivals, Norwich 1896; R. Jecht, Die schlesischen 
M., Gorlitz 1911; R. Walters, The Bethlehem Bach- 
Choir, Boston u. N Y 1 9 1 8 ; C. Lee Williams u. H. Godwin 
Chance, Annals of the Three Choirs from 1895-1922, Lon- 
don 1922; M. Gondolatsch, Die schlesischen M. u. ihre 
Vorlaufer, Gorlitz 1925; H. Leichtentritt, Gottingen u. 
d. Handel-F., Mk XXII, 1930; P. Bekker, Wiesbaden, 
ebenda; J. Alf, Gesch. u. Bedeutung d. Niederrheinischen 
M. in d. 1. Halfte d. 19. Jh., in: Diisseldorfer Jb. XLH/ 
XLIII, 1940/41 ; M. A. Howe de Wolff, The Tale of Tang- 
lewood, Berkshire, Mus. Festivals, NY 1946; R. Morin, 
The Worcester Music Festival . . . 1858-1946, Worcester 
1946; K. G. Fellerer, Mozart im Programm d. friihen 
Niederrheinischen M., Mozart-Jb. XII, 1962/63; D. Gray, 
Music Festivals of the World, Oxford 1963. 

Fest- und Gedenkschriften zur Ehrung bedeutender 
Musikwissenschaftler (frz. melanges offerts a . . . , span, 
miscelanea dedicados a . . . oder en homenaje a . . . ; 
engl. papers in honour of . . .) erscheinen meist in Form 
eines gesonderten Bandes mit Werkbibliographie des 
Geehrten, doch auch als Heft oder Jahrgang einer mu- 
sikwissenschaftlichen Zeitschrift. Die folgende Uber- 
sicht nennt den Titel der Festschrift nur dann, wenn 
der Haupttitel nicht »Festschrift fiir . . . « lautet. 
H. Abert, Gedenkschrift, Halle 1928; G. Adler zum 75., 
Studien zur Mg., Wien u. Lpz. 1930; H. Albrecht, In me- 
moriam, Kassel 1962; H. Angles zum 70., 2 Bde, Barcelo- 
na 1958-61 ; W. Apel zum 70., = MD XVII, 1963 ; B. Bar- 
t6k, Studia Memoriae Belae Bartok Sacra, Budapest 1956, 
2 1957; H. Besseler zum 60., Lpz. 1961 ; J. BiEHLEzum60., 
Lpz. 1930; Fr. BLUMEzum 70., Kassel 1963; A. Chybinski 
zum 50., Krakau 1930, - zum 70., Krakau 1950; E. Clos- 
son zum 75., Briissel 1948 ; A. Th. Davison zum 75., Essays 
on Music, Cambridge 1957; O. E. Deutsch zum 80., 
Kassel 1963; W. Ehmann zum 60., Musik als Lobgesang, 
Darmstadt 1964; A. Einstein zum 60., MQ XXVII, 1941,- 
Gedenkschrift, = CHM I, Florenz 1953 ; C. ENGELzum 60., 
A Birthday Offering, NY 1943 ; H. Engel zum 70., Kassel 
(1965) ; Vl. Fedorov zum 65., = Fontes artis musicaeXIII, 
1966, H. 1 ;K. G. Fellerer zum 60., Regensburg 1962,-zum 
60., Musicae sacrae ministerium, = Schriftenreihe d. All- 
gemeinen Cacilienverbandes ... V, Koln 1962, - zum 60., 
Studien zur Mg. d. Rheinlandes II, = Beitr. zur rheinischen 
Mg. LII, Koln 1962; W. Fischer zum 70., = Innsbrucker 
Beitr. zur Kulturwiss., Sonderh. 3, Innsbruck 1956; M. 
Friedlander zum 70., = JbP XXVIII, 1921 ; W. Gersten- 
berg zum 60., Wolfenbuttel u. Zurich (1964) ; W. Gurlitt 
zum 70., = AfMwXVI, 1959, H. 1/2; J. Handschin, In me- 
moriam, = MD X, 1956, - In memoriam, StraBburg 1962; 
P.HiRSCHzum70., = MR XII, 1951 ; A.VANHoBOKENzum 
75., Mainz 1962; Kn. Jeppesen zum 70., Natalicia Musico- 
logica, Kopenhagen 1962; D. Johner OSB zum 75., Der 
kultische Gesang d. abendlandischen Kirche, Koln 1950; 

0. Kinkeldey zum 80., = JAMS XIII, 1960; A. Koczirz 
zum 60., Wien, Prag u. Lpz. 1930; Z. Kodaly zum 60., 
Budapest 1943, - zum 80., ebenda 1962; H. Kretzschmar 
zum 70., Lpz. 1918; I. Krohn zum 60., Helsinki 1927, - 
zum 70., ebenda 1937, - zum 80., ebenda 1947, - zum 90., 
ebenda 1957; Th. Kroyer zum 60., Regensburg 1933; L. 
de la Laurencie, = Publications de la Soc. fr?. d. musi- 
cologie II, 3/4, Paris 1933; R. Lach zum 80., Personlich- 
keit u. Werk, Wien 1954; R. v. Liliencron zum 90., Lpz. 
1910; P.-M. Masson zum 70., Melanges d'hist. et d'esthe- 
tique mus., 2 Bde, Paris (1955); H. Mersmann zum 65., 
Musikerkenntnis u. Musikerziehung, Kassel 1957 ; P. Mies 
zum 70., Beitr. zur Mg. d. Stadt Koln, = Beitr. zur rheini- 
schen Mg. XXXV, Koln 1959; C. A. Moberg zum 65., 
= STMf XLIII, 1961 ; E. Muller v. Asow zum 60., Episto- 
lae et Musica, Hbg 1953; J. Muller-Blattau zum 65., 
= Annales Univ. Saraviensis, Phil. Fakultfit, Bd IX, Saar- 
brucken 1960, - zum 70., = Saarbrucker Studien zur Mw. 

1, Kassel 1966; R. Munnich zum 80., Lpz. 1957; K. Nef 
zum 60., Zurich u. Lpz. 1933; L. Nowak zum 60., Bruck- 
ner-Studien, Wien (1964); A. Orel zum 50., Wien 1939, - 
zum 70., Wien u. Wiesbaden (1960); H. Osthoff zum 65., 
Tutzing 1961 ; F. Pedrell zum 70., Escritos heortasticos, 2 
Bde, Tortosa 1911 ; H. Prunieres, In memoriam, = RM 
1952-53, Sonderh. ; P. Raabe zum 70., Von deutscher Ton- 



kunst, Lpz. 1942; G. Reese zum 65., Aspects of Mediaeval 
and Renaissance Music, NY (1966); H. Riemann zum 
60., Lpz. 1909; C. Sachs zum 60., MQ XXVII, 1941, - 
Gedenkschrift, The Commonwealth of Music, NY (1965) ; 
A. Sandberger zum 50., Munchen 1918; O. M. Sandvik 
zum70.,Oslo 1945;E.Schenk zum 60.,== StMwXXV, 1962; 
A. Schering zum 60., Bin 1937; D. Fr. Scheurleer zum 
70., Den Haag 1925 ; L. Schiedermair zum 60., Beethoven 
u. d. Gegenwart, Bin u. Bonn 1937, -zum 80., Studien zur 
Mg. d. Rheinlandes, = Beitr. zur rheinischen Mg. XX, 
Koln 1956; E. Fr. Schmid, Gedenkschrift, Recklinghau- 
sen 1961; J. Schmidt-Gorg zum 60., Bonn 1957; A. 
Schmitz zum 70., = Af Mw XIX/XX, 1962/63, H. 3/4; M. 
Schneider zum 60., Halle 1935, -zum 80., Lpz. (1955); L. 
Schrade zum 60., Musik u. Gesch., Koln (1963); Th. 
Schrems zum 70., Musicus - Magister, Regensburg (1 963) ; 
E. Seemann zum 75., = Jb. f. Volksliedforschung IX, 1964; 
A. Seidl zum 50., Musik u. Kultur, Regensburg 1913 ; M. 
Seiffert zum 70., = AfMf HI, 1938, H. 1, -zum 70., Musik 
u. Bild, Kassel 1938; Fr. Smend zum 70., Bin (1963); J. 
Smits van Waesberghe SJ zum 60., Organicae voces, 
Amsterdam 1963; O. G. Sonneck zum 60., = MQ XIX, 
1933; Fr. Stein zum 60., Braunschweig 1939; J. SubirA 
zum 80., = AM XVIII, 1963; Ch. Van den Borren zum 
70., Antwerpen 1945, - zum 75., == RBM III, 1949, - zum 
80., = RBM VIII, 1954, H. 2-4, - zum 90., Antwerpen 
1964; Fl. Van der Mueren zum 60., Miscellanea Mu- 
sicologia, Gent 1950; P. Wagner zum 60., Lpz. 1926; J. 
Wolf zum 60., Mw. Beitr., Bin 1929; R. Zoder zum 75., 
(Wien) 1957. 

Eine zweite Art von F.- u. G. ist als Publikation unge- 
druckter oder als Sammlung verstreut erschienener Ar- 
beiten des Geehrten angelegt. 

Fr. Blume zum 70., Syntagma Musicologicum, Kassel 
1963; A. Einstein, Gedenkschrift, Essays on Music, NY 
1956; J. Handschin, Gedenkschrift, Bern 1957; Chr. 
Mahrenholz zum 60., Musicologica et Liturgica, Kassel 
(1960); H. J. Moser zum 65., Kassel 1954; E. Refardt 
zum 75., Musik in d. Schweiz, Bern 1952, - zum 80., The- 
matischer Kat. d. Instrumentalmusik d. 18. Jh. in d. Hss. d. 
Univ.-Bibl. Basel, = Publikationen d. Schweizerischen 
Musikforschenden Ges. II, 6, Bern (1957); L. Schrade, 
Gedenkschrift, De scientia musicae studia atque orationes, 
Basel 1965. 

Fiedel (Fidel, -»- Viola), - 1) Bezeichnung fiir eine 
Gruppe von Streichinstrumenten im abendlandischen 
Mittelalter, meist in Diskant- oder Altlage. Die F. er- 
scheint zuerst abgebildet auf einem Buchdeckel aus 
Elfenbein vom Ende des 8. Jh. (Musee du Louvre in 
Paris) und im Utrecht-Psalter (860; ->■ Cister); fiir die 
gleiche Zeit ist sie auch literarisch nachgewiesen (Ot- 
fried von WeiBenburg, Evangelienharmonie V, Zeile 
197-199). Bevor sich im 12./13. Jh. ein einheitlicher 
Typ herausbildete, mit ovalem Corpus, C-formigen 
Schallochern, abgesetztem geradem Hals, Wirbelklotz 
oder -platte und mit vorder- oder hinterstandigen Wir- 
beln, gab es verschiedene Formen: Spaten-, Rhom- 
bus-, Flaschen-, Keulen- oder Birnenform des Corpus, 
wobei die Abbildungen nicht erkennen lassen, ob Zar- 
gen vorhanden sind oder ob das Corpus aus einem 
Stuck gearbeitet ist. Demnach kommen als Verwandte 
oder Vorbilder der F. mehrere orientalische Instrumen- 
te in Frage : -*■ T/anbur, -*■ Rabab, -»■ Kamanga oder 
turkestanische Geige. - Im letzten Viertel des 13. Jh. 
beschreibt Hieronymus de Moravia die F. (viella) als 
wichtiges Instrument, auf dem man alle Musik der 
Zeit spielen konne. Sie ist fiinfsaitig und kann 3 Stim- 
mungen haben : D G g di di (die D-Saite ist eine Bor- 
dunsaite und lauft auBerhalb des Griflbretts), G d g d 1 g 1 
und G G d ci ci. Gespielt wurde die F. meist in Arm- 
haltung, gegen die Schulter gelehnt oder gestemmt, 
auch mit Tragriemen vor der Brust, seltener in SchoB- 
oder Kniehaltung. - 2) Seit etwa 1920 (P. ->■ Harlan) 
werden F.n fiir das Musizieren der Jugend und Laien 
gebaut, auch im Selbstbau (Tennsee-F. von Monke- 



285 



Figuralmusik 

meyer). Dabei handelt es sich zum Teil nicht urn hi- 
storische Formen, sondern um Instrumente, die Merk- 
male u. a. der Violen aufgenommen haben. Diese F.n 
sind meist fiinfsaitig in Quintstimmung, seltener in 
Quart-Terz-Stimmung; sie werden meist in Kniehal- 
tung gespielt, auch die kleinen Instrumente des F.- 
Quartetts (c g d 1 ai e 2 bis F c g di ai). Besonders eignen 
sie sich fur das Zusammenspiel mit Blockfloten. 
Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica, 
hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw. 
II, Regensburg 1935; W. Bachmann, Die Anfange d. 
Streichinstrumentenspiels, = Mw. Einzeldarstellungen III, 
Lpz. 1964. 

Figuralmusik -*■ Cantus f iguratus. 

Figura obljqua (lat.) ->• Ligatur (- 1). 

Figuration, Figurierung, die Brechung einer Melo- 
die oder eines Akkords durch rhythmische, meist auch 
melodisch einheitlich gebildete Formeln (Figuren, 
»Satzmanieren«, KochL), die sich von ausgesproche- 
nen -*■ Verzierungen schon auf Grund ihrer oft etwas 
schematischen Verwendung unterscheiden. F. ist cha- 
rakteristisch fiir den instrumentalen Improvisations- 
und Kompositionsstil (vor allem der Tasteninstrumen- 
te) des 16.-19. Jh.; sie ist als improvisierte Technik 
jedoch gewiB alter und findet sich gelegentlich auch in 
Werken der Vokalmusik (hauptsachlich des Spatba- 
rocks). Obwohl der Terminus F. erst seit dem spaten 
18. Jh. greifbarist, wirder im heutigen Sprachgebrauch 
riickwirkend auch fiir analoge Bildungen in den Tech- 
niken von -»• Diminution (- 2) und -> Kolorierung ver- 
wendet, z. B. im Begriff der C. f.-F. - Am haufigsten 
begegnet die F. in der stetigen Wiederholung der glei- 
chen Spielfigur in anderer Lage oder Stimme, so vor 
allem in den Figuralvariationen iiber einem harmoni- 
schen Modell. Seit A. de Cabezon, den »Virginalisten«, 
G.Frescobaldi und dem Kreis um J.P.Sweelinck wur- 
de die F. in der Bearbeitung geistlicher und weltlicher 
Lieder, in Pavane und Gaillarde, Passacaglia und Cha- 
conne gepflegt; sie lebte in der klassischen und roman- 
tischen Musik fort in Wiederholungen, Reprisen und 
Variationssatzen (z. B. Beethoven, Klaviersonate op. 
106, Adagio sostenuto, vgl. Takt 2ff. mit 87ff.). Auch 
bei derErfindung und Fortspinnung einer Melodie (z. B. 
in den konzertanten Fugenthemen der Bach-Zeit) spiel- 
te die F. eine wichtige Rolle, ebenso wie sie - nament- 
lich im figurierten Choral - durch imitierende und 
sequenzierende Verwendung gleicher (Choral-)Mo- 
tive in alien Stimmen zur beherrschenden Technik 
bei der Gestaltung eines Einzelsatzes werden konnte. 
Die Brechung der Grundharmonie (Akkord-F.) bot 
- besonders in dem seit der Klassik gepflegten Klavier- 
satz - dariiber hinaus die Moglichkeit, einen liegenden 
Klang nicht nur stetig zu erneuern und dynamisch zu 
verandern (z. B. in Form von ->■ Murky s oder ->■ Al- 
bertischen Bassen), sondern auch wechselnde Harmo- 
nien bruchlos, fast gleitend miteinander zu verflechten 
und zugleich innig mit der Melodie zu verbinden (z. B. 
Schubert, Impromptu op. 142, Nr 3, Variation 1). Ist 
diese Art der F. schlieBlich kaum mehr im Sinne rhyth- 
mischer Akkordbrechung aufzufassen, so wurde die 
Brechung der Grundharmonie doch andererseits auch 
zur Bildung von Spielfiguren mit betont melodischer 
Wirkung gebraucht (z. B.J. S.Bach, Goldberg-Variatio- 
nen, Variation Nr 8). 

Figuren, musikalisch-rhetorische (lat. figurae mu- 
sicae) sind in der Musik des 16.-18. Jh. kunstvolle Ton- 
fiigungen des musikahschen Satzes. Im Bereich der Vo- 
kalmusik entwickelt (mit Ansatzen im 14. Jh.; -> Noe- 
ma), bedeuten sie als je besondere Bildung und Gestalt 



einen Schmuck (ornamentum; color; flos) der Musik 
und konnen dabei nicht nur zur schmuckenden oder 
emphatischen Hervorhebung von Wortern, sondern 
zugleich als Abbild des Textes, seines Sinn-, Bild- und 
Affektgehalts dienen; fiir den Komponisten bietet die 
figurliche Darstellung und Ausdeutung des Textes zu- 
dem eine »Erfindungsquelle« (fons inventionis). Die 
allgemeine historische Voraussetzung fiir die m.-rh.n 
F. war die fortwirkende Auffassung der Musik als eine 
der septem artes (-> Ars musica) und ihre - als Praxis 
der Komposition - damit bedeutete Nachbarschaft zur 
Rhetorik. Wie die rhetorische Figur (nach Quintilian) 
als »Abweichung von der gewohnlichen . . . Art zu 
sprechen« definiert ist, so die m.-rh. Figur (nach Bur- 
meister 1606) als tractus musicus, »der von der einfa- 
chen Art der Komposition abweicht«. Die besondere 
kompositionsgeschichtliche Voraussetzung des fiir die 
Barockmusik kennzeichnenden, seit Josquin, Lassus, 
den italienischen Madrigalisten iiber Schiitz bis zu J. S. 
Bach sich steigernden Gebrauchens und Erfindens der 
m.-rh.n F. war demnach einerseits ein betontes Fest- 
halten am tradierten kontrapunktischen Satz (welcher 
der Oratio propria, der gewohnlichen Rede, entsprach), 
andererseits ein neuer Ausdruckswille, der (analog der 
Oratio figurata) die abweichende und ungewohnliche 
kompositorische Bildung als Figur einsetzte. Dieses 
Verhaltnis zwischen dem tradiert Regularen als Funda- 
ment und der Figur als Licentia (Freiheit) gegenuber 
diesem Regularen wird besonders deutlich in der ge- 
staffelten Stillehre Bernhards, in deren Mittelpunkt 
eine Lehre von den Dissonanzfiguren steht (Figuram 
nenne ich einegewifie Art die Dissonantzen zu gebrauchen) : 
in der fundamental Composition (stilus antiquus) werden 
nur wenige, und zwar die Figurae fundamentales ge- 
braucht (von Kircher Figurae principales genannt), 
namlich-*- Durchgang bzw. -* Wechselnote (-»• Com- 
missura) sowie -»■ Vorhalt-Bildungen (-*■ Synkope), 
wahrend in den neueren Stilarten eine Fiille von Fi- 
gurae superficiales verwendet wird (z. B. -> Abruptio, 
-> Ellipsis, -> Multiplicatio), welche aber die alten 
Componisten zu ihrem Grunde haben. - Der Ausdruck 
des Textgehalts durch m.-rh. F. geschieht - noch weit- 
ab von psychologischen Begrundungen - nach dem 
fiir die Barockzeit kennzeichnenden Prinzip der Nach- 
ahmung bzw. des Denkens in Analogien oder partiel- 
len Ubereinstimmungen : einem wesentHchen Merk- 
mal der Figur als kompositorisch sinnvollem Gebilde 
(z. B. dem deutlichen Aufsteigen der Tone) entspricht 
ein wesentliches Merkmal des durch den Text Bezeich- 
neten (z. B. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen; 
-*- Anabasis; -*■ Hypotyposis). Stets gilt fiir die m.-rh. 
Figur, daB sie auch nur als Ornamentum gebraucht 
werden und in Beziehung zum Text mit unterschied- 
lichen Wortern partiell ubereinstimmen kann. Oft 
wird eine Textstelle durch mehrere Figuren zugleich 
abgebildet; im Beispiel aus den Symphoniae Sacrae II, 
Nr 4 von Schiitz (und lift die Reichen leer) : 



t 1 fl 












s «3 




leer, 


leer, 


leer, 





wird der Begriff »leer« dargestellt durch das Doppel- 
echo (Tone verhallen im »leeren« Raum), durch den 
lang ausgehaltenen (»leeren«) GeneralbaBton sowie 
durch die »Leere« der -»■ Apokope-Pause. Weitgehend 
war zunachst der Text AnlaB und Rechtfertigung des 
Ungewohnlichen, besonders bei den Dissonanzfiguren 



286 



Figuren, musikalisch-rhetorische 



(z. B. -> Parrhesia), die der Komposition Neuland er- 
offneten und bald auch in die rein instrumentale 
»Klangrede« (Mattheson) EinlaB fanden (hierzu Schei- 
be S. 684f.), speziell in jene poetisierenden Typen der 
Instrumentalmusik, die in Bach einen Hohepunkt fan- 
den (z. B. Orgelchorale; 3st. Sinfonia F moll, BWV 
795). - Eine groBe Zahl m.-rh.r F. wird in der Kom- 
positionslehre der Barockzeit, speziell in der -»■ Musica 
poetica, seit J. Burmeister (1599, der die Figuren zu- 
gleich an Kompositionen des spaten 16. Jh. nachweist), 
fernerhin namentlich von Chr. Bernhard bis bin zu 
J.G.Walther (1708 und 1732) und mit Auslaufern bis 
zu J. N. Forkel (1788) systematisch erf aBt. Diese Lehre 
von den m.-rh.n F. entstand im AnschluB an die Figu- 
renlehre der Rhetorik bzw. in deren Nachahmung, so 
daB prinzipiell alle Lehrfiguren als »rhetorisch« be- 
zeichnet werden konnen, so wie die damalige Musica 
selbst, besonders im Stilus recitativus, wegen Menge der 
Figuren . . . einer Rhetorica zu vergleichen ist (Bernhard; 
nach ihm auch Walther, Praecepta S. 265f.). Dabei 
wurden teils Name und Sache aus dem rhetorischen in 
den musikalischen Bereich iibertragen (z. B. -> Ana- 
lepsis), teils besteht nur eine mehr auBerliche (zuwei- 
len gezwungene) Analogie (z. B. -*■ Hypallage), teils 
wurden - wie Bernhard betont - Figuren erfunden (z. B. 
-*■ Passus duriusculus), teils die improvisierten Sing- 
und Spielmanieren (-»■ Verzierungen) kompositorisch 
als Figuren verwendet (z. B. -»• Tirata). Doch iiber die 
Lehrfiguren hinaus konnte jede musikalische Bildung 
und Erfindung, sofern sie im Gefiige der Komposition 
sich abhebt, wie als Ornamentum des Satzes so auch 
als Ausdruck des Textes gelten. Dieses Sich-Abheben 
der Figuren bedeutet bei J. S.Bach (im Vergleich etwa 
zu Schiitz) - entsprechend der Bereicherung seines mu- 
sikalischen Satzes - notwendig eine Steigerung und In- 
tensivierung der figiirlich gemeinten Bildung. Das En- 
de der m.-rh.n F. in Lehre und Praxis geht zusammen 
mit dem Ende des tradierten kontrapunktischen Satzes 
als »Hintergrund« eines figiirlichen »Vordergrunds« 
sowie mit dem Ende der barocken Nachahmungs- 
asthetik und ihres Denkens in Analogien. Das machti- 
ge Vordringen der funktionalen Harmonik sowie die 
damit verbundene neue Art des musikalischen -> Aus- 
drucks hoben das kompositorische Darstellen von den 
m.-rh.n F. fort auf neue Ebenen, wobei freilich Prin- 
zipien des figiirlichen Ausdrucks in vielen Formen 
fortlebten oder wiedererschienen. 
Die wichtigsten Figuren sind: die -> Hypotyposis und 
deren Arten -*■ Anabasis, ->■ Circulatio, ->■ Fuga (alio 
nempe sensu), -> Hyperbole, -> Katabasis, -»- Tirata; 
die melodischen Figuren ->• Exclamatio, -> Interro- 
gatio, -> Passus (Saltus) duriusculus, -*• Pathopoiia, 
-»■ Synhaeresis; die Pausenfiguren -»■ Abruptio, -*■ Apo- 
kope, -*■ Aposiopesis, -*• Homoioteleuton, -»■ Suspira- 
tio, -> Tmesis; die meist als -*■ Emphasis wirkenden 
Wiederholungsfiguren -> Anadiplosis, -»■ Analepsis, 
-* Anaphora, -> Anaploke, -> Climax, -*■ Epanalepsis, 
-*■ Epistrophe, -*■ Epizeuxis, •-»• Hyperbaton, -> Mi- 
mesis, -»■ Palillogia, -> Paronomasia, ->• Polyptoton, 
-> Polysyndeton, ->■ Symploke (Complexio); die 
-*■ Fuga-Figuren -> Hypallage, -*■ Parembole; die 
Satzfiguren -»■ Antitheton, -*■ Catachrese, -»■ Conge- 
ries, -> Ellipsis, ->■ Fauxbourdon, -> Heterolepsis, 
-*■ Metabasis, -> Metalepsis, ->■ MultipUcatio (Exten- 
sio), -> Noema, -> Parrhesia, -*■ Pleonasmus; auBer- 
dem als Arten der -> Synkope: Mora, Prolongation, 
Retardation, und die bei Bernhard beschriebenen 
Satzfiguren Cadentia duriuscula, Consonantiae im- 
propriae (deficientes und superfluae), Mutatio toni, 
Quaesitio notae; auch Manieren der Sanger und Instru- 
mentisten wie Accentus oder Superjectio (-»• Akzent 



- 4), Anticipatione della nota und della sillaba (->• An- 
tizipation - 3), Bombo, Gruppo (-> Doppelschlag), 
Passaggio (Coloratura oder Variatio, -»• Variation), Sub- 
sumptio (-> Cercar della nota), -> Tremolo, -*■ Trillo. 

Lit. : M. T. Cicero, De oratore, hrsg. v. O. Jahn u. W. 
Kroll, Bin 51913.; dass., hrsg. v. W. Friedrich, Lpz. 1931 ; 
M. F. Quintilianus, Institutionis oratoriae ... libri XII, 
hrsg. v. L. Rademacher, 2 Bde, Lpz. 1907-35, 21959; L. 
Lossius, Erotemata dialecticae et rhetoricae Philippi Me- 
lanchthonis, Lpz. 1562; G. J. Vossius, Commentatorium 
rhetoricorum, Leiden 1606; J. Chr. Gottsched, Versuch 
einer critischen Dichtkunst f. d. Deutschen, Lpz. 1730; J. 
Chr. G. Ernesti, Lexicon technologiae Graecorum rhe- 
toricae, Lpz. 1795; ders., Lexicon technologiae Latinorum 
rhetoricae, Lpz. 1797; R. Volkmann, Die Rhetorik d. 
Griechen u. Romer, Lpz. 2 1874; L. Arbusow, Coloresrhe- 
torici, Gottingen 1948, 21963; H. Lausberg, Elemente d. 
literarischen Rhetorik, Munchen 1949, 21963; ders., Hdb. 
d. literarischen Rhetorik, 2 Bde, ebenda 1960; W. S. How- 
ell, Logic and Rhetoric in England 1500-1700, Princeton 
(N.J.) 1956. - S.Calvisius, Melopoeia . . . , Erf urt 1592; J. 
Burmeister, Hypomnematum musicae poeticae . . . synop- 
sis, Rostock 1599; ders., Musica poetica, Rostock 1606, 
Faks. hrsg. v. M. Ruhnke, = DM II, 10, 1955; J. Lippius, 
Disputatio musica III, Wittenberg 1610; ders., Synopsis 
musicae novae . . . , StraBburg 1 61 2 ; J. Nucius, Musices po- 
eticae . . . praeceptiones absolutissimae, NeiBe 1613 ; J. Thu- 
ringus, Opusculum bipartitum de primordiis musicis, Bin 
1625; J. A. Herbst, Musica poetica, Niirnberg 1643; A. 
Kircher, Musurgia universalis, 2 Bde, Rom 1650, 21690; 
Chr. Bernhard, Tractatus compositionis augmentatus u. 
Ausf iihrlicher Bericht v. Gebrauche d. Con- u. Dissonanti- 
en, hrsg. v. J. M. Muller-Blattau als: Die Kompositions- 
lehre H. Schutzens in d. Fassung seines Schiilers Chr. Bern- 
hard, Lpz. 1926, Kassel 21963 ; E. Walther (Chr. Calden- 
bach), Dissertatio musica, Tubingen 1664; W. C. Printz, 
Phrynis Mitilenaeus, Dresden u. Lpz. 21696; J. G. Ahle, 
Mus. Fruhlings-, Sommer-, Herbst- u. Wintergesprache, 
Muhlhausen 1695-1701 ; Th. B. Janowka, Clavis ad The- 
saurum magnae artis musicae, Prag 1701 ; J. G. Walther, 
Praecepta d. Mus. Composition, hs. Weimar 1708, hrsg. 
v. P. Benary, =Jenaer Beitr. zur Musikforschung II, 
Lpz. 1955; WaltherL; J. Kuhnau, Texte zur Lpz.er Kir- 
chenmusic 1709/10, hrsg. v. B. Fr. Richter, MfM XXXIV, 
1902; M. J. Vogt, Conclave thesauri magnae artis musi- 
cae, Prag 1719; J. A. Scheibe, Der critische Musicus, Hbg 
21745; Mattheson Capellm.; M. Spiess, Tractatus musi- 
cus compositorio-practicus, Augsburg 1 745 ; J. N. Forkel, 
Allgemeine Gesch. d. Musik I, Lpz. 1788, Einleitung. - A. 
Scherino, Die Lehre v. d. mus. Figuren, KmJb XXI, 1908 ; 
ders., Das Symbol in d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz. 
1941 ; K. Ziebler, Zur Asthetik d. Lehre v. d. mus. Figu- 
ren im 18. Jh., ZfMw XV, 1932/33; H. Brandes, Studien 
zur mus. Figurenlehre im 16. Jh., Diss. Bin 1935; H. H. 
Unger, Die Beziehungen zwischen Musik u. Rhetorik im 
16.-18. Jh., = Musik u. Geistesgesch. IV, Wiirzburg 1941 ; 
W. Gurlitt, Musik u. Rhetorik, Helicon V, 1944; ders., 
Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik, in: Ber. iiber d. wiss. 
Bachtagung Lpz. 1950; ders., Die Kompositionslehre d. 
deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neu- 
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 
1966; G. Toussaint, Die Anwendung d. m.-rh. F. in d. Wer- 
ken v. H. Schiitz, Diss. Mainz 1949, maschr.; A. Schmitz, 
Die Bildlichkeit d. wortgebundenen Musik J. S. Bachs, 
= Studien zur Mw. I, Mainz (1950) ; ders., Die oratorische 
Kunst J. S. Bachs, Kgr.-Ber. Liineburg 1950; ders., Die Fi- 
gurenlehre in d. theoretischen Werken J. G. Walthers, 
Af Mw IX, 1 952 ; ders., Die Kadenz als Ornamentum musi- 
cae, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; ders., Einleitung zu: Oberital. 
Figuralpassionen d. 16. Jh., = MMD I, Mainz 1955; ders., 
Musicus poeticus, in : Universitas, Fs. A. Stohr II, Mainz 
1960; G. Massenkeil, Die oratorische Kunst in d. lat. 
Historien u. Oratorien G. Carissimis, Diss. Mainz 1952, 
maschr., daraus: Die Wiederholungsfiguren in d. Oratorien 
G. Carissimis, AfMwXIII, 1956; H. Federhofer, Die Fi- 
gurenlehre nach Chr. Bernhard u. d. Dissonanzbehandlung 
in d. Werken v. H. Schiitz, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; C. 
Dahlhaus, Die Figurae superficiales in d. Traktaten Chr. 
Bernhards, ebenda; Fr. Feldmann, Untersuchungen zum 
Wort-Ton- Verhaltnis in d. Gloria-Credo-Satzen v. Dufay 



287 



Filar 



un suono 



bis Josquin, MD VIII, 1954; ders., Musiktheoretiker in 
eigenen Kompositionen, Deutsches Jb. d. Mw. I (= JbP 
XLVIII), 1 956 ; ders., Das »Opusculum bipartitum« des J. 
Thuringus (1625) . . ., AfMw XV, 1958; ders., Mattheson 
u. d. Rhetorik, Kgr.-Ber. Hbg 1956; M. Ruhnke, J. Bur- 
meister, = Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung Kiel 
V, Kassel 1955; H. H. Eggebrecht, Zum Wort-Ton- Ver- 
haltnis in d. Musica poetica v. J. A. Herbst, Kgr.-Ber. Hbg 
1956; ders., Zwei Nurnberger Org.-Allegorien d. 17. Jh., 
MuK XXVII, 1957; ders., Zum Figur-Begriff d. Musica 
poetica, AfMw XVI, 1959; ders., H. Schiitz, Musicus 
poeticus, =Kleine Vandenhoeck-Reihe LXXXIV, Got- 
tingen 1959. HHE 

Filar un suono (ital.; frz. filer un son; den Ton 
»spinnen«), urspriinglich fur den Gesang, sparer auch 
f iir Melodieinstrumente verwendete Bezeichnung eines 
gleichmafiig fliefienden, lang ausgehaltenen Tones oh- 
ne Atem- bzw. Bogenwechsel. Der Ausdruck kann das 
Aushalten eines Tones bei gleichbleibender Starke be- 
deuten (L'Abbe le Fils, Violinschule, 1761), er kann 
aber auch ein allmahliches An- oder Abschwellen oder 
eine Verbindung von beiden (-*■ Messa di voce) ein- 
schlieBen (J. Fr. Agricola, Anleitung zur Singkunst, 1757 ; 
G.B.Mancini, Pensieri e riflessioni pratiche sopra il canto 
figurato, 1774). 

Filmmusik. In der friihen Stummfilmzeit wurde Be- 
gleitmusik (Potpourris, Paraphrasen usw.) auf -> Me- 
chanischen Musikinstrumenten, auf dem Klavier oder 
Harmonium gespielt. Um die Jahrhundertwende gab 
es bereits mit Schallplatten gekoppelte Filme (Kine- 
matograph von Edison 1894, Tonbilder von Oskar 
Messter 1903). Die Kinopianisten versuchten bald, eine 
zu den Filmhandlungen passende Musik zu improvi- 
sieren; auf Gerauschinstrumenten produzierten sie na- 
turalistische Untermalungen (Dormer, Glocken, Schiis- 
se usw.). Mit der Etablierung von Lichtspieltheatern 
(nach 1900) wurde die Begleitmusik von kleinen (oft 
->• Salon-) Orchestern, gegen Ende der 1920er Jahre 
auch von grofieren Orchestern ausgefiihrt. Zu dieser 
Zeit tauchte auch die -» Kinoorgel auf. - Zur Beglei- 
tung typischer, in den Filmen immer wiederkehrender 
Situationen oder Stimmungen wurden dann eigens 
F.en komponiert, so vor allem von Giuseppe Becce 
(Sammlung Kinothek), von W.R. -* Heymann, Marc 
Roland. Eines der ersten Beispiele einer fiir einen be- 
stimmten Film geschriebenen Musik ist Saint-Saens' 
op. 128 (fiir Streicher, Kl. und Harmonium) zu L'As- 
sassinat du Due de Guise (1908), in Deutschland die F. 
von Joseph WeiB zu Der Student von Prag (1913). E. 
Satie komponierte 1924 fiir sein Ballett Reldche, in dem 
erstmalig ein Film in einem Theaterstiick verwendet 
wurde, die Musik zu einem Entr'acte cinematogra- 
phique. Nennenswerte F.en der Stummfilmzeit schrie- 
ben Honegger zu La Roue und Napoleon (1922), Mil- 
haud zu L'Inhumaine (1923), Edmund Meisel zu »Pan- 
zerkreuzer Potemkin« (1926), Schostakowitsch zu »Das 
neue Babylon« (1928), Gottfried Huppertz zu Nibelun- 
gen (1922) und Metropolis (1927), M.Roland zu Frideri- 
cus Rex (1922) und Weltkrieg (1927). 1925 bearbeitete 
R.Strauss seinen Rosenkavalier zur Verfilmung; 1927 
erregte Hindemiths Musik fiir mechanische Orgel zu 
einem Ka(er-Fe/fe-Trickfilm Aufsehen. - Trotz der 
anfangs schlechten Tonwiedergabe verdrangte der 
Tonfilm seit Ende der 1920er Jahre den Stummfilm 
rasch. 1928 setzte man sich auf dem Baden-Badener 
Musikfest mit dem Problem der F. auseinander (Melos 
VII, 1928); 1929 stand dort der franzosische Tonfilm 
La p'tite Lilli mit der Musik von Milhaud im Mittel- 
punkt des Interesses. Die Musik zum ersten deutschen 
Tonfilm (Melodie der Welt, 1929) schrieb Wolfgang 
Zeller, der auch besonders als Komponist fiir Kultur- 



filme hervortrat. - Die F., die (mit Ausnahme der 
Opern-, Komponisten-, Sanger-, Schlager-, Revue- 
filme und niusikahschen Teile in Dokumentarfilmen) 
in ihrer meist nur dienenden Rolle der -»- Blihnenmu- 
sik und der -> Horspielmusik verwandt ist, soil Zeit, 
Ort, Milieu der Handlung unterstreichen, Vorgange 
und Text intensivieren, Ubergange markieren, emo- 
tionale Eindriicke vertiefen, Gedankenverbindungen 
(die iiber das Optische hinausgehen) herstellen, Atmo- 
sphare schaffen. Zwei Hauptarten der F., in Holly- 
wood Underscoring und Mood Technique genannt, lassen 
sich unterscheiden. Die erste Art setzt den Bildablauf 
untermalend und illustrierend ins Akustische um (so 
die F. von Max Steiner zu »Vom Winde verweht«, 
1939). Die zweite Art deutet die Vorgange psycholo- 
gisch aus und vertieft Dialog und visuellen Eindruck 
auch durch ironisierende oderim Charakter kontrastie- 
rende Momente, so die F.en von Auric fiir Jean Coc- 
teau. - Eine Reihe namhafter Komponisten schrieb F. 
gelegentlich, unter ihnen Dessau, Egk (Der Heir vom 
anderen Stern, 1948), Eisler, Fortner (Begegnung mit 
Werther, 1949), Henze (Muriel, 1963), Zillig; Walton; 
Petrassi, Pizzetti, Renzo Rossellini ; Antheil, Bliss, Cop- 
land, Rathaus, Rozsa; Chatschaturjan, Prokofjew, 
Schostakowitsch. Von den zahlreichen deutschen Kom- 
ponisten, die sich - meist von Operette und Unterhal- 
tungsmusik herkommend - in besonderem MaBe der 
F. widmeten, seien genannt: Bohmelt, Carste, Dostal, 
Eisbrermer, Grothe, Jary, Kiinneke, M.Lothar, Macke- 
ben, Melichar, Nick, Richartz, Schmalstich, Schmid- 
seder, Schmidt-Gentner, N.Schultze, G.Winkler. - 
Ein Spezialgebiet sind die Filme, die rein musikalische 
Vorgange durch Zeichnungen (geometrische Figuren 
o. a.) ins Optische iibertragen, so von Oskar Fischin- 
ger, Sergej Alexejew (»Eine Nacht auf dem kahlen 
Berge« nach Mussorgsky, 1933), Germaine Dulac, 
Walter Ruttmann. - Die heutige F. bedient sich auch 
der elektronischen Musik, z. B. der amerikanische Film 
Forbidden Planet (1955) mit Musik von Louis und Bebe 
Barron, oder der polnische Film Milczqca Gwiazda 
(»Der schweigende Stern«, 1960) mit Musik von A. 
Markowski. 

Lit. : E. Rapee's Encyclopedia of Music for Pictures, NY 
1925 ; Allgemeines Hdb. d. F., hrsg. v. H. Erdmann u. G. 
Becce, 2 Bde, Bin 1927; K. London, Film Music, London 
(1936) ; G. Groll, Film, die unentdeckte Kunst, Munchen 
1937; Z. Lissa, Muzykaifilm, Lemberg 1937; dies., Form- 
probleme d. F., Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962; dies., 
Estetyka muzyki filmowej (» Asthetik d. F.«), Krakau 1963; 
K. Ottenheym, Film u. Musik bis zur Einfuhrung d. Ton- 
films, Diss. Bin 1944, maschr. ; H. Eisler, Composing for 
the Films, NY u. London 1947, deutsch Bin 1949; R. U. 
Nelson u. W. H. Rubsamen, Bibliogr. of Books and Ar- 
ticles on Music in Film and Radio, in: Hinrichsen's Mus. 
Year Book VI, 1949/50; L. Chiarini, La musica nel film, 
Rom 1956; Cl. McCarty, Film Composers in America, 
Glendale (Calif.) 1954; tJber d. Musik im Film, hrsg. v. 
Staatl. Komitee f. Filmwesen, = Beitr. zu Fragen d. Film- 
kunst II, Bin 21954; Fr. v. Zglinicki, Der Weg d. Films, 
Bin (1956); E. Nick, Musik d. Stummfilmzeit, in: Die 3 
groBen »F«, Film, Funk, Fernsehen, = Musik d. Zeit, N. F. 
II, Bonn (1958); Fr. K. Prieberg, Die mus. Kulisse, eben- 
da; H. A. Thomas, Die deutsche Tonf., = Neue Beitr. zur 
Film- u. Fernsehforschung III, Giitersloh (1962), mit aus- 
fuhrlichem Verz. v. F.-Komponisten ; U. Gregor u. E. 
Patalas, Gesch. d. Films, Giitersloh (1962); H. Colpi, 
Defense et illustration de la musique dans le film, Lyon 
1963; U. Seelmann-Eggebert, Prokofjew u. d. F., NZfM 
CXXV, 1964. 

Filter. Elektrische F. oder Siebe werden in der Elek- 
troakustik zur Aussonderung bestimmter Frequenzbe- 
reiche verwendet. Sie werden aus Induktivitaten (Dros- 
seln, Spulen) und Kapazitaten (Kondensatoren) be- 
stimmter (meist veranderlicher) Dimensionierung zu- 



288 



Fingersatz 



sammengeschaltet. Hoch- und Tiefpasse haben den 
Zweck, nur Frequenzen oberhalb bzw. unterhalb ei- 
ner bestimmten Grenzfrequenz durchzulassen und den 
iibrigen Frequenzbereich abzusperren. Werden z. B. 
ein HochpaB mit der unteren Grenzfrequenz von 
100 Hz und ein TiefpaB mit der oberen Grenzfrequenz 
von 200 Hz hintereinander geschaltet, so entsteht ein 
BandpaB, mit einem DurcMaBbereich zwischen 100 
und 200 Hz. Gebrauchlich sind Bandpasse, die jeweils 
den Bereich eines bestimmten Intervalls durchlassen 
(Terzsieb, Oktavsieb), und solche, bei denen die Grenz- 
frequenzen unabhangig voneinander eingestellt wer- 
den konnen. Durch Parallelschalten eines Hoch- und 
eines Tiefpasses entsteht eine Bandsperre. Sie unter- 
driickt einen bestimmten Frequenzbereich (Sperrbe- 
reich) und laBt die auBerhalb liegenden durch. 



• 'WWWWWW- 



T 

X 



wvwwwww ■ 




riefpaU 



HochpatJ 



Ban&afl 



Bandsfiem 



F. finden in alien Bereichen der Elektroakustik Ver- 

wendung. 

Lit.: R. Feldtkeller, Einfuhrung in d. Siebschaltungs- 

theorie d. elektrischen Nachrichtentechnik, = Monogra- 

phien d. elektrischen Nachrichtentechnik IV, Stuttgart 

(1938), 41956. 

Finale (ital., SchluBstiick), - 1) der letzte Teil mehr- 
satziger (zyklischer) Kompositionen, besonders der 
Sonate oder Symphonie und der nach gleicher Form 
gearbeiteten Werke. Im 18. Jh. ist das F. in der Regel 
heiteren Charakters (»Kehraus«-F. bei Haydn) und meist 
ein schneller Satz in Form eines Rondos, aber auch als 
Sonatensatz, gelegentlich als Thema mit Variationen 
komponiert. Noch KochL schreibt dem F. als Satzty- 
pus den Charakter der Munterkeit, der Freude, oder des 
Scherzes zu; zuweilen aber schon bei Mozart (F. der 
»Jupiter-Symphonie«), vor allem dann bei Beethoven, 
Brahms und Bruckner wird das F. Gegenstuck zum 
1. Satz und oft leidenschaftlicher Hohepunkt, mit dem 
das Werk sieghaft und apotheotisch schlieBt. Beetho- 
ven zieht zum ersten Male als Steigerungsmittel die 
menschliche Stimme hinzu (F. der Phantasie op. 80 
und der 9. Symphonie). Auffallend sind bei ihm auch 
der haufige attacca-AnschluB des F.s an den vorangehen- 
den Satz (Klavierkonzette Nr 4 und 5, Violinkonzert, 
Symphonien Nr 5 und 6) und dessen thematische Be- 
ziehungen zu den ersten Satzen (Symphonien Nr 5 und 
9) . Die Technik des Themenruckgriffs im F. wird be- 
sonders von Brahms (3. Symphonie) und Bruckner 
(Kombination aller vier Hauptmotive im F. der 8. 
Symphonie) weitergefiihrt. - 2) in der klassischen 
Oper SchluBszene eines Aktes. Das Opern-F. entwik- 
kelte sich um die Mitte des 18. Jh. in der italienischen 
Opera buffa. Die in Rezitativen vorangetriebene dra- 



matische Handlung klingt im F. nicht mehr lediglich 
aus (Arien-F. ohne fortschreitende Handlung, auch 
ChorabschluB), sondern wird in ihm intensiviert. Das 
Ensemble iibernimmt dabei die Darstellung kontrastie- 
render Charaktere und laBt die Faden der Handlung in 
fortschreitender Aktion zusammenlaufen. Ein friihes 
Beispiel fiir ein dramatisches F. bietet Logroscinos II 
Governatore (1747). Neben das durchkomponierte F. 
trat bald das Ketten-F. In ihm werden musikalisch ein- 
zeln gestaltete Handlungsabschnitte aneinandergereiht, 
wobei die gleiche Grundtonart zu Beginn und am 
SchluB dem F. Einheit verleiht. Aus dem Ketten-F. 
entwickelte sich durch Wiederholung musikalischer 
Hauptgedanken das organisch gegliederte Rondo-F. 
(zuerst in Piccinnis La buonafigliuola, 1760), in dem sich 
dramatische Aktion und eine rein musikalische Form 
verbinden. Das Opern-F. erreichte bei Mozart seine 
Vollendung (z. B. he Nozze di Figaro, 1. F.), indem bei 
vollkommener musikalischer Form in ausgewogenen 
Proportionen der Teile die dramatische Handlung mit 
den verschiedenen sowohl sukzessiv wie in Ensembles 
simultan dargestellten Charakteren sich spannungsvoll 
entfaltet und f ortgef iihrt wird. 

Lit. : H. Kretzschmar, Zwei Opern N. Logroscinos, JbP 
XV, 1908; H. Abert, W. A. Mozart, 2 Bde, Lpz. 1919-21, 
71955; M. Fuchs, Die Entwicklung d. F. in d. ital. Opera 
buffa vor Mozart, Diss. Wien 1932, maschr. ; H. Engel, 
Die Finali d. Mozartschen Opern, Mozart- Jb. 1954; D. 
Rossell, The Formal Construction of Mozart's Operatic 
Ensembles and F., Diss. Nashville (Tenn.) 1955, maschr.; 
G. v. Noe, Der Strukturwandel d. zyklischen Sonatenform, 
NZfM CXXV, 1964. UM 

Finalis (lat), - 1) in der Lehre von den ->• Kirchento- 
nen der SchluBton einer Melodie (clavis f., vox f., se- 
des f., auch finis genannt). Zusammen mit Ambitus 
und Tenor (tuba) zahlt sie zu den strukturbildenden 
Elementen der mittelalterlichen Einstimmigkeit. Die 
regularen Finales der 8 Kirchentone sind: d (1. und 2. 
tonus), e (3. und 4.), f (5. und 6.), g (7. und 8.). Sie ent- 
sprechen den Tonen des Tetrachordum finalium; 
- 2) in der -»■ Klausel-Lehre der SchluBklang. 

Fine (ital.), Fin (fe, frz.), Ende. Das Wort findet sich 
vielfach am SchluB eines Werkes, um anzuzeigen, daB 
weitere Satze nicht folgen (das Gegenteil bedeutet die 
Beischrift segue). Auch dient es gleich den Zeichen ^ 
(->- segno) und /T\ (-> Fermate) bei Satzen mit einem 
D. C. (da capo) zur Bezeichnung der Stelle, bis zu der 
die Wiederholung reicht. 

Fingersatz (Applikatur; engl. fingering; frz. doigte; 
ital. digitazione, diteggiatura), im kunstgerechten In- 
strumentenspiel die physiologisch angemessene (»na- 
tiirliche«), durch Ubersichtlichkeit und Einfachheit die 
psychologisch beste, durch Unterstutzung von Dy- 
namik und Artikulation die der Komposition gemaBe 
Zuordnung der Spielfinger zu Grifflochern (mit Ven- 
tilen oder Klappen), Positionen auf Griffbrettern oder 
Tasten. Die direkte Aufzeichnung der Grille ist eine 
->- Tabulatur (- 1) . Die Zahl der F.-M6glichkeiten ist bei 
Blechblasinstrumenten mit Ventilen gering, bei Griff- 
loch- und Griffbrettinstrumenten noch beschrankt, 
beim Klavier ist sie sehr groB. - Das Grundprinzip 
der Grifflochinstrumente ist, daB durch Aufheben der 
Finger (Bezeichnung links + rechts 1-2-3 + 1-2-3-4 
oder 1 -2-3 + 4-5-6-7) nacheinander die diatonische 
Tonleiter erzeugt wird. Chromatische Zwischentone 
werden durch -> Gabelgriffe gespielt, bei den moder- 
nen Holzblasinstrumenten durch Grille auf -*■ Klap- 
pen. - Die Sopran-Alt-Instrumente mit Griffbrett 
(Kleingeigen) werden meist mit diatonischem F., die 
Tenore und Basse mit gemischtem bis chromatischem 



19 



289 



Fingersatz 



gespielt; chromatischer F. (zwischen je zwei Fingern 
liegt ein Halbton) gilt auch f iir die meisten Bundinstru- 
mente. Die F.-Bezeichnung ist 1 - 4 vom Zeigefin- 
ger bis zum kleinen der linken Hand ; der Daumenauf- 
satz wird mit angezeigt Durch den F. ist grundsatz- 
lich auch die ->■ Lage (- 3) bestimmt. Beim Ubergang 
von einer Saite auf eine andere stehen (in der 1 . Lage) der 
4. Finger oder die leere Saite zur Wahl. Die Grundpo- 
sitionen der Finger werden durchbrochen bei Doppel- 
griffen, beim Unter- und Uberstrecken sowie beim 
Gleit-F. 

Die moderne F.-Bezeichnung im Klavierspiel, die sich 
schon bei Diruta 1609 findet, ist fiir jede Hand 1 (Dau- 
men) - 5 (kleiner Finger). Die alte deutsche ist rechts 
5 (Daumen) - 1 (Zeigefmger) - 2-3 - 4, links mit durch- 
strichenen Ziffern spiegelbildlich entsprechend (Ho£- 
haymer ; Ammerbach 1 571 : statt 5) . Die englische Be- 
zeichnung bis Purcell ist rechts 1 (Daumen) - 2 (Zeige- 
fmger) - 3 - 4 - 5, links 1 (kleiner Finger) -2-3-4-5. 
Die F.-Technik vor der Bach-Zeit schloB den Daumen 
und den kleinen Finger nach Moglichkeit aus, die langen 
mittleren Finger wurden ubereinandergeschlagen (so 
in der Sweelinck-Schule rechts aufwarts 3-4, abwarts 
2-3, links umgekehrt) . Die f olgende Periode, bis in die 
ersten Dezennien des 19. Jh., beschrankte die beiden 
kurzen Finger fiir gewohnlich auf die Untertasten. Das 
brillante Klavierspiel stellte f este Regeln in den 24 Ton- 
arten fiir Tonleitern und Akkordformen auf mit strik- 
ter Oktavidentitat des F.es. Das spate 19. Jh. seit Liszt, 
Tausig und Biilow ignorierte die Unebenheit der Kla- 
viatur und hob das Verbot des Unter- und Ubersetzens 
nach dem 5. Finger auf (Busoni). Ein neues Element 
war die Phrasierungslehre (Riemann), die nach Mog- 
lichkeit den F. von der Motivbildung abhangig mach- 
te. »Gute« Finger fiir »gute« Noten hatte jedoch schon 
Diruta gefordert. F.-Probleme waren von jeher Dop- 
pelgriffe, Diminution und Verzierungen. Doppelgriff- 
tonleitern wurden durch die Schule dementis syste- 
matisiert und u. a. durch Chopin (Gleitfmgersatze) ge- 
schmeidiger gemacht zu einer Zeit, als die Pedali- 
sierung ein strenges Finger-Binden an einzelnen Stel- 
len iiberfliissig machte. Repetitionen wurden schon 
von Scheidt mit Fingerwechsel gefordert; stummen 
Wechsel lehrte Couperin 1716. - In der spattonalen 
und atonalen Musik des 20. Jh. ist das Regelwesen des 
F.es unwesentlich geworden ; es gilt, was schon C. Ph. 
E.Bach in seiner Zeit beobachtet hatte: dafi jeder neue 
Gedancke bey nahe seine eigene Finger-Setzung habe. - 
Auf der Harfe entfallt wegen der Haltung der Hande 
eine Unterscheidung von rechter und linker Hand in 
der Bezeichnung; auf der Pedalharfe sind zudem die 
Fingersatze in alien Tonarten gleich. Unter- und iiber- 
gesetzt werden kann aufsteigend mit dem 4., 3. oder 
2. Finger unter den Daumen, absteigend mit dem 
Daumen iiber den 2., 3. oder 4.; der 5. Finger wird 
selten eingesetzt. 

Lit. : Fr. Couperin, L'art de toucher le clavecin, Paris 1716, 
21717, Faks. hrsg. v. A. Linde, Lpz. 1933; Bach Versuch; 
D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 1789, Faks. hrsg. 
v. E. R. Jacobi, = DM1 1, 23, 1962; J. K. Fr. Rellstab, 
Anleitung f. Clavierspieler . . . , Bin 1790; L. Adam (mit L. 
Lachnith), Methode ou principe general du doigte, Paris 
1798; Ch. Neate, An Essay of Fingering, London 1855; 
A. Kullak, Asthetik d. Klavierspiels, Bin 1860, 7-81920; 
L. Kohler, Der Kl.-F., Lpz. 1862; H. Riemann, Verglei- 
chende theoretisch-praktische Klavierschule, Hbg u. St. 
Petersburg 1883, '•1912; O. A. Kxauwell, Der F. d. Kla- 
vierspiels . . ., Lpz. 1885; G. A. Michelsen, Der F. beim 
Klavierspiel, Lpz. 1896; M. Seiffert, Gesch. d. Klavier- 
musik, Lpz. 1899; A. Dolmetsch, The Interpretation of 
the Music of the XVII th and XVIII th Cent., London (1916, 
2 1946); S. Babitz, On Using J. S. Bach's Keybord Finger- 
ings, ML XLIII, 1962. 



Finnland. 

Ausg.: Suomen kansan savelmia (»Finnische Volksme- 
lodien«), Helsinki, 5 Bde, hrsg. v. I. Krohn (I 1898-1901, 
II 1904-32, III 1893), J. A. Launis (IV 1910 u. 1930) u. A. 
O. Vaisanen (V 1928); O. Andersson, Folkvisor I, Den 
aidre folkvisan, Helsinki 1934. 

Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Hel- 
sinki): I. Krohn, fiber d. Art d. Entstehung d. geistlichen 
Volksmelodien in F., Journal de la Soc. finno-ougrienne 
XVI, 1899; ders., Die finnische Volksmusik, in: Ber. aus 
d. Inst. f. Finnlandkunde IX, Greifswald 1935; ders., 
Merkmale d. finnischen Volksmusik, AMz LXV, 1938 ; K. 
Flodin, Finska musiker och andra uppsatser, 1900; ders., 
Musikliv och reseminnen, 1930; O. Andersson, Inhemska 
musikstrafvanden, 1907; ders., fiber schwedische Volks- 
lieder u. Volkstanze in F., 1908 ; ders., Musik och musiker, 
1917; ders., Strakharpan, Stockholm 1923, engl. als: The 
Bowed Harps, London 1930; J. A. Launis, fiber Art, Ent- 
stehung u. Verbreitung d. estnisch-finnischen Runenmelo- 
dien, 1910; T. Haapanen, Finnen, Adler Hdb.; ders., 
Kyrkomusiken i F. under medeltiden, in : Musik och mu- 
sikinstr., hrsg. v. O. Andersson, =Nordisk kultur XXV, 
Stockholm, Oslo u.Kopenhagen 1934; ders., Diemw. For- 
schung in F., AfMf IV, 1939; ders., Suomen saveltaide 
(»Die Tonkunst F.«), 1940 (auch schwedisch); ders., F. 
musikhistoria, Strangnas 1956; Musiikin tietokirja, hrsg. 
v. dems., T. Kuusisto, L. Arvi, P. Poijarvi, V. Helasvuo, 
2 1956; J. Vaananen, Beobachtungen iiber Verbreitung u. 
Art d. finnischen Volkswalzermelodien, 1945; I. Lager- 
crantz, Lutherska kyrkovisor i finlandska musikhss. fran 
1500- och 1600-talen, 2 Bde, 1948-62; V. Helasvuo, Ny 
musik i F., in : Ny musik i Norden, Stockholm 1953 ;' A. O. 
Vaisanen, Kalevalamelodin, En jamforande undersok- 
ning, STMf XXXVI, 1954; E. Ala-Koenni, Die Polska- 
TahzeinF., 1956;N.-E. Ringbom, Die Musikforschung in 
F. seit 1940; AMI XXXI, 1959; Composers of F., hrsg. v. 
T. Karila, Porvoo 1961; Cat. of Finnish Orchestral Works, 
hrsg. v. TEOSTO (Tekijanoikeustoimisto, »Ges. f. Urhe- 
berrechte«), 2 1961. 

Fioriture, Fioretti (ital.) ->■ Verzierungen. 

Fistel -> Register (- 3). 

Fistula (lat., Rohre, Rohrpfeife), mittellat. Bezeich- 
nung fiir Flote (z. B. f. anglica, Blockflote; f. germani- 
ca, Traversflote; f. pastoraJis, Schalmei), dann auch fiir 
Orgelpfeife (f. organica) und, mit entsprechenden Zu- 
satzen, fiir einzelne Orgelregister; oft gleichbedeutend 
mit ->■ Tibia. 

Flabiol, Fluviol (span.) -»- Einhandf lote. 

Flageolett (flajal'st, frz. flageolet, Diminutiv von alt- 
frz. flageol, Flote), - 1) eine kleine Schnabel-(Block-) 
Flote, angeblich 1581 von Juvigny in Paris zuerst ge- 
spielt, mit 4 vorderstandigen Griff- und 2 Daumenld- 
chern (notierter Umfang d*-c3, Klang meist eine Un- 
oder Duodezime hoher). Das Fl. war zum Spielen von 
Tanzmusik seit der Mitte des 17. Jh. in England ver- 
breitet; es hielt sich in Frankreich (mit 6 vorderstandi- 
gen Grifflochern und einem Daumenloch, auch mit 
Klappen) bis ins 19. Jh. Der im Orchester des 18. Jh. 
(Gluck, Les Pelerins de Mecque; Mozart, Die Entfiihrung 
aus dem Serail) vorgeschriebene Flauto piccolo ist noch 
ein Fl. - In England wurden im 19. Jh. Fl.s mit sehr 
schmalem Schnabel, auch als Doppel- oder Tripel- 
floten gebaut. - 2) in der Orgel ein Flotenregister zu 2' 
oder 1'. - 3) Fl.-T6ne (frz. sons harmoniques ; engl. 
harmonics) werden auf Saiteninstrumenten durch leich- 
tes Aufsetzen des Fingers auf die Teilungspunkte 1/2, 
!/3, 1 U usw. erzeugt. An dieser Stelle entsteht dann ein 
Schwingungsknoten ; die Saite schwingt in 2, 3, 4 ... 
Teilen, von denen jeder den betreffenden Oberton der 
ganzen Saite erklingen laBt, ein Vorgang, der dem 
-*■ Uberblasen der Blasinstrumente vergleichbar ist. 
Der Klang der Fl.-T6ne ist hohl und pfeSend. Neben 
diesen »natiirHchen« Fl.s werden kiinstliche erzeugt, in- 



290 



Flote 



dem ein Finger f est aufgesetzt wird und so einen neuen 
Sattel bildet und ein weiterer Finger lose aufgesetzt 
wird. Fl. ist auch in Doppelgriffen moglich. Die No- 
tierung der Fl.-T6ne ist uneinheitlich (Griffschrift in 
rhombischen Noten, Klangschrift durch iiber der 
Note, auch umgekehrt). - Fl. schrieb J.-J. de -» Mon- 
donville in den 6 SonatenLw sons harmoniques op. 4 (um 
1738) vor. Gegen das Einmischen von Fl.-Tonen unter 
die gewohnlichen wandte sich L.Mozart 1756. Noch 
Spohr hatte eine Abneigung gegen Fl.s, wahrend Pa- 
ganini sie effektvoll anbrachte (1. Konzert, 3. Satz). Fl. 
kann auch auf Zupfinstrumenten (Harfe) und dem 
Pianoforte (Schonberg op. 11, Nr 1) hervorgebracht 
werden; nur im Fl. wurde das -»■ Trumscheit gespielt. 
Lit. :zu 1) : M. Mersenne, Harmonieuniverselle, Paris 1636, 
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; WaltherL. -zu 
3): H. Heller, Lehre d. Fl.-Tone, Bin 1927; W.Kirken- 
dale, Segreto comunicato da Paganini, JAMS XVIII, 
1965. 

Flamenco (span.), auch Canto (cante) flamenco, Be- 
zeichnung fur siidspanische (andalusische) volkstiim- 
liche Tanze und Gesange. Der Fl. gehort zu den be- 
kanntesten und eigenartigsten musikalischen Erschei- 
nungen der siidspanischen Folklore. Seine Herkunft ist 
umstritten; es wurden maurische, aber auch synagogi- 
sche Einfliisse angenommen. Da er seit dem Beginn 
des 19. Jh. vorzugsweise von den Zigeunern Anda- 
lusiens und Altkastiliens (daher auch cante gitano) tra- 
diert und verbreitet wurde, hielt man ihn vielfach und 
leichthin fur Zigeunermusik. Zu unterscheiden sind 
zwei Stilarten des Fl. : der Cante jondo (jondo ist die 
andalusische Form fiir span, hondo, s. v. w. tief, tief- 
grundig, innerlich) oder auch Canto grande und der 
Cante chico (s. v. w. kleiner Gesang). Um eine Tanze- 
rin (bailaora) gruppieren sich die Gitarrespieler (to- 
caoras) und die Sanger (cantaoras). Der Cante jondo 
setzt mit einem abwechselnd laut und leise klagenden 
»Ay, Ay« ein. Der folgende schlichte Gesangstext, in 
dem meist Liebe, Tod, Schuld und Siihne beklagt 
werden, besteht iiberwiegend aus 4 Verszeilen (un- 
gleich gereimte 8Silbler) mit Refrain. Die Form des 
Textes wird jedoch durch die stereotypen oder vari- 
ierten Wiederholungen der Melodie (mit exzessiven 
Verzierungen) verundeutlicht, wobei sich auch der 
Stimmklang andert (bis ins Falsett). Der kontrastreiche, 
dramatische und ungewohnlich ausdrucksstarke Cante 
jondo mit seiner freien Melodiefiihrung und wechseln- 
den Rhythmik erfordert virtuosen Vortrag des S angers 
(an dessen Individualitat er jeweils gebunden ist), so 
dafi hier, im Unterschied zu den Cante chico-Stilen, 
dem Gesang gegeniiber der Gitarre der Vorrang zu- 
kommt. Als Unterarten gelten die Seguiriyas, Canas, 
Polos, Soleares, Martinetes. Der Cante chico ist we- 
sentlich schlichter und deshalb landlaufiger. Zu ihm 
zahlen die Bulerias, Solearillas, Alegrias, Sevillanas, 
Fandangillos, Tangos. - Der Fl.-Gesang wird vom Fl.- 
Tanz begleitet oder nur eingeleitet. Auch bei ihm wird 
zwischen Baile jondo und Baile chico unterschieden. 
Beides sind Solo- bzw. Einzelpaar-Tanzstile ; die Tan- 
zer stampfen den Takt mit den Fiifien (zapateado), 
schlagen ihn mit den HSnden oder mit den Kastagnet- 
ten. Zu den bekannten Fl.-Tanzerinnen gehoren: Pepa 
(Sevilla), Carmencilla (Malaga); zu den Sangern und 
Sangerinnen: La Niiia de los Peines, Juan Cepero, 
Chacon, Aurelio Selles. In der Kunstmusik wurde der 
Fl. von de Falla, Granados, Albeniz, Turina gepflegt. 
Lit. : A. Machado Demofilo, Collection de cantes fl., Se- 
villa 1881 ; H. Schuchardt, Die cantes fl., Zs. f. romani- 
sche Philologie V, Halle 1881; V. Almirall, Considera- 
cions sobre los balls de gitanos en los Valles, Barcelona 
1887 ; Fr. Maspons y Labr6s, Ball de gitanas en lo Valles, 
Barcelona 1887; Cabarrus, Hist., usos y costumbres de los 



gitanos, Madrid 1920; M. de Falla, El cante jondo : canto 
primitivo andaluz, Granada 1922, ital. in: Rass. mus. XI, 
1938 ; I. Brown, Deep Song. Adventures with Gypsy Songs 
and Singers in Andalusia and Other Lands, NY 1929; M. 
Azara, »Cante jondo« y cantares sinagogales, Revista de 
Occideiite VIII, 1930; C. u. P. Caba, Andalucia, su comu- 
nismo y su cante jondo, Madrid 1933; M. GarcIa Matos, 
Cante fl., Algunos de sus presuntos origenes, AM V, 1950; 
ders., Bosquejo hist, del cante fl. . . ., Madrid 1958; D. 
Manfredi Cano, Geografia del cante jondo, Madrid 1955. 

Flammenorgel ->-Pyrophon. 

flat (ftaet, engl., »flach«), unter den ->- Akzidentien das 
Zeichen fiir die Erniedrigung \>. Im Englischen werden 
durch den Zusatz fl. zu den Tonbuchstaben Tonnamen 
und Tonartenbezeichnungen angegeben, z. B. B fl. 
(major oder minor) = B (dur oder moll). 

Flatsche -v Mirliton. 

Flatte" (frz.) -> Vibrato. 

Hatted fifth (fl'aetid fif9, engl.) -» Be-bop. 

Flatterzunge -» ZungenstoB. 

flautato, flautando (ital., auf Flotenart, auch sulla 
tastiera; frz. sur la touche, auf dem Griffbrett), bei 
Streichinstrumenten Vorschrift der Bogenfuhrung 
nahe am Griffbrett, wodurch die Bildung der gerad- 
zahligen Obertone verhindert wird. Der Terminus fl. 
wird bisweilen auch fiir das Flageolettspiel gebraucht. 

Flautino (ital.), kleine Flote, -*■ Piccolo oder -> Fla- 
geolett (- 1). 

Flauto (ital.) -> Flote; fl. tra verso -*■ Querflote; fl. 
piccolo -*■ Piccolo; fl. dolce, fl. diritto -> Blockflote. 

Flensburg. 

Lit.: H. Witt, Fl., Theaterleben v. 16. Jh. bis zur Gegen- 
wart, Fl. 1953; H. P. Detlefsen, Mg. d. Stadt Fl. bis zum 
Jahre 1850, = Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung 
Kiel XI, Kassel 1961. 

Flexa (lat.) -» Neumen (- 1). 

Flexaton (von engl. to flex a tone, einen Ton biegen), 
Schiittel-Klingelinstrument, im Jazzinstrumentarium 
der 1920er Jahre verwendet und von A. Schonberg in 
das Schlagzeug einiger seiner Werke aufgenommen 
(Variational fur Orch. op. 31, Moses und Aron). Es be- 
steht aus einer elastischen langlichen Stahlplatte (Starke 
0,7 mm, Lange ca. 18 cm), die zum einen Ende hin et- 
was schmaler wird (groBte Breite etwa 8 cm). An ih- 
rem breiteren Ende ist sie in eine Holzleiste eingefiigt, 
die auf den Enden eines gabelschleuder-ahnlichen 
Handgriff es sitzt. Von dort f iihrt die Platte etwas schrag 
von der Gabel weg frei nach unten. Zwei beidseitig 
der Platte auf diinnen Stahlfedern sitzende Holzkiigel- 
chen schlagen beim Schiitteln gegen die Platte und 
erzeugen die fiir das Instrument typischen, sehr schnell 
repetierenden Tone. Die Veranderung der Tonhohe 
(Umfang bei Schonberg: cis3-d 4 ) wird dadurch er- 
reicht, daB der Daumen die Platte am freien Ende mehr 
oder weniger zur Gabel hin driickt. 
Lit. : K. Gentil, Das »Flex a tone« u. d. »Singende Sage«, 
Acustica VII, 1957. 

Flote (frz. flute; engl. flute; ital. flauto; span, flauta; 
mhd. vloite; moglicherweise onomatopoetisch von 
lat. + flauta; auch Pfeife, mhd. phife, vom vulgarlat. 
+ pipa, einer Riickbildung aus lat. pipare, piepen der 
Vogel; lat. auch fistula und tibia), eine Bezeichnung 
fiir Blasinstrumente, sowohl fiir die Fl.n im engeren 
Sinne als auch fiir die Rohrblattinstrumente ; sie ent- 
spricht damit der Sache nach etwa dem antiken Begriff 
-> Aulos oder dem altarabischen Zamr (-»■ Mizmar). 
Im engeren Sinn ist Fl. ein Instrument, bei dessen Ton- 



19* 



291 



Flote 



bildung ein Luf tband gegen eine scharfe Kante geleitet 
wird, wo es sich in Wirbeln bricht. Die Luftsaule des 
Corpus wird durch Resonanz zum Schwingen ange- 
regt und stabilisiert gleichzeitig den Spalt- oder Schnei- 
denton. Fur die Frequenz ist die Lange der Rohre be- 
stimmend unter Einbeziehung der Miindungskorrek- 
turen an beiden Enden. Wird die Rohre an einem Ende 
geschlossen (-»• Gedackt), so ist die Frequenz halb so 
groB. Die wirksame Lange der Rohre kann durch 
Grifflocher verkiirzt werden. Sind mehr Grifflocher als 
deckende Finger vorhanden, so werden sie bei hoch- 
entwickelten Formen durch ■-> Klappen geschlossen. 
In der Hohe kann der Umfang durch -> Uberblasen 
(-> Blasquinte) erweitert werden. Fur den Klang der 
Fl. ist neben der Bohrung (in der Regel zylindrisch 
oder leicht konisch) die Mensur bestimmend. Fl.n wei- 
ter Mensur klingen dunkler. Der Klang der gedackten 
Fl. ist dumpfer, weil nur die ungeradzahligen Partial- 
tone hervorgebracht werden. Der Klangcharakter wird 
in zweiter Linie durch das Material bestimmt. Die tech- 
nologisch einfachsten Fl.n sind die aus hohlen Asten, 
Knochen oder natiirlichen GefaBen wie Muscheln. Bei 
den handwerkhch hergestellten iiberwiegen als Material 
Holz und Metall, seltener werden Glas und (in neuester 
Zeit) Kunststoffe verwendet. - Die Systematik teilt die 
Fl.n ein nach der Spielhaltung in Langs- und Quer-Fl.n, 
weiter nach der Anblasart und -vorrichtung (Kerben, 
Kernspalt, Schnabel). Darin sind alle entwicklungsfahi- 
gen Typen einzuordnen; periphere Formen sind u. a. 
die Nasen-Fl. und die Gef SB-F1. (-»■ Okarina) . Die Langs- 
Fl. kommt auch gedoppelt vor; eine gereihte Langs-Fl. 
ist die -»■ Panflote. - Die altesten Funde von Fl.n, auch 
in Europa, werden ins Jungpalaolithikum datiert. Un- 
ter ihnen sind bereits Fl.n mit Kernspalten und Griff- 
lochern. Die historisch altesten Fl.n sind die im alten 
Orient ikonographisch belegten, moglicherweise aus 
Innerafrika stammenden Langs-Fl.n von enger und 
weiter Mensur, die noch heute durch die Typen Nay 
und 'Uffata reprasentiert werden. Der alteste nament- 
lich bekannte Musiker ist der agyptische Florist -> Khu- 
f u-'anch. Quer-Fl.n sind zuerst belegt im 9. Jh. v. Chr. 
in China, danach in Indien, Etrurien, Byzanz und bei 
den slawischen Volkern. In Mitteleiiropa sind die 
Langs-Fl. (als Block-Fl.) und die Quer-Fl. kurz nach- 
einander seit dem 10./11. Jh. belegt. Die Verwendung 
der Fl. ist ebenso vielseitig wie ihr Reichtum an Typen 
und Formen auf der ganzen Erde. Sie wird gebraucht 
u. a. als Spielzeug wie als Hirten- und Soldateninstru- 
ment. Die Fl.n der abendlandischen Kunstmusik sind 
neben der ->• Blockflote und der -» Querflote die -* La- 
bialpfeifen der Orgel. Dort werden als Fl.n die offenen 
Stimmen des Weitchors, aber. auch die teilgedeckten, 
gedeckten und iiberblasenden bezeichnet, die je nach 
Bauart und Klangcharakter besondere Namen haben 
wie Block-, Doppel-, Dulz-, Feld-, Fern-, Hell-, Hohl-, 
Pyramid-, Quer-, Rohr-, Spill-, Still-, Schweizer-, 
Tubal-, Wald- und Zart-Fl. Zum Unterschied von die- 
sen zumeist in 4' oder 8' stehenden Registern werden 
die entsprechenden zu 2' oder 1' auch als Pfeifen be- 
zeichnet, wie Feld- oder Schweizerpfeife. 
Lit.: W. Foy, Zur Verbreitung d. Nasenfl., Ethnologica I, 
1909 ; D. Ehrlich, The Hist, of the Fl. from Ancient Times 
to Boehm's Invention, NY 1921 ; H. Plischke, Geistertrp. 
u. Geisterfl. aus Bambus v. Sepik, Neuguinea, Jb. d. Mu- 
seums f . Volkerkunde zu Lpz. VIII, 1922 ; C. Sachs, Geist 
u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Neudruck Hilversum 
1965; V. Belaiev, The Longitudinal Open Fl. of Central 
Asia, MQ XIX, 1933; P. R. Kirby, The Reed-Fl. En- 
sembles of South Africa, Journal of the Anthropological 
Inst. XIII, 1933; S. Nadel, Messungen an kaukasischen 
Grifflochpfeifen, Anthropos XXIX, 1934; O. Seewald, 
Beitr. zur Kenntnis steinzeitlicher Musikinstr., = Biicher 



zur Ur- u. Fruhgesch. II, Wien 1934; P. Bromse, FL, Schal- 
meien u. Sackpfeifen Siidslawiens, = Veroff. d. Mw. Inst, 
d. Deutschen Univ. Prag IX, Briinn 1937; M. u. R. d'Har- 
court, Sifflets et ocarinas du Nicaragua et du Mexique, 
Journal de la Soc. des Americanistes, N. S. XXXIII, 1941 ; 
S. Wolf, Zum Problem d. Nasenfl., Abh. Volkerkundemu- 
seum Dresden, N. F. I, 1941 ; R. A. Hall, The Romance 
Words for »flute«, Studies in Linguistics I, 1942, dazu L. 
Spitzer, ebenda II, 1943; W. Graf, Zur Spieltechnik u. 
Spielweise v. Zeremonialfl. v. d. Nordkiiste Neuguineas, 
Arch. f. Volkerkunde II, 1947; K. Dittmer, Zur Ent- 
stehung d. Kemspaltfl., Zs. f. Ethnologie LXXV, 1950; 
H. A. Moeck, Ursprung u. Tradition d. Kemspaltfl. d. 
europaischen Volkstumes u. d. Herkunft d. mg. Kern- 
spaltfl.-Typen, Diss. Gottingen 1951, maschr.; H. Hick- 
mann, The Antique Cross-Fl., AMI XXIV, 1952; ders., 
Unbekannte agyptische Klangwerkzeuge, Mf VIII, 1955; 
W. J. John, The Lit. of the Transverse Fl. in the Seven- 
teenth and Eighteenth Cent., Diss. Evanston (111.) 1952, 
maschr. ; P. Wirz, Uber sakrale Fl. u. Pfeifen d. Sepik-Ge- 
bietes (Neu Guinea), Verhandlungen d. Naturforschenden 
Ges. Basel LXV, 1954; Fr. Zaoiba, Funde zur vorge- 
schichtlichen Musik in Osterreich, Anzeiger d. philoso- 
phisch-hist. Klasse d. Osterreichischen Akad. d. Wiss. XCI, 
1954; E. D. Edwards, Principles of Whistling - Hsiao 
chih - anon., Bull, of the School of Oriental and African 
Studies XX, 1957 ; A. Hausler, Neue Funde steinzeitlicher 
Musikinstr. in Osteuropa, AMI XXXII, 1960. 

Flotenuhr, eines der -*■ Mechanischen Musikwerke : 
ein Spieluhrwerk mit Walze und Flotenstimmen, die 
durch einen Blasebalg mit Wind gespeist werden. Oft 
sind sie mit Zeituhren gekoppelt und spielen zu jeder 
vollen Stunde. Im allgemeinen werden 2 Register ver- 
wendet (z. B. Gedackt 4', Offen 2'). Fl.en begegnen 
schon im 16. Jh.; ihre Bliitezeit fallt in die Jahre 1770 
bis 1860. 

Lit. : G. Kinskv, Beethoven u. d. FL, Beethoven- Almanach, 
Regensburg 1927 ; E. Fr. Schmid, J. Haydn u. d. FL, ZfMw 
XIV, 1931/32 ; K. Walther, C. Ph. E. Bachs Kleine Stiicke 
f. d. FL, Zs. f. Schulmusik VI, 1933. 

Florenz. 

Lit.: L. Puliti, Cenni storici della vita del Serenissimo 
Ferdinando dei Medici . . ., Atti dell'Accad. del Real Isti- 
tuto mus. di Firenze, 1874; A. Ademollo, I primi fasti del 
teatro di Via della Pergola in Firenze, 1657-61, Mailand 
1885 ; U. Angeli, Notizie per la storia del teatro a Firenze 
nel s. XVI, Modena 1891 ; R. Gandolfi, lllustrazione di 
alcuni cimeli concernenti l'arte mus. in Firenze, Fl. 1892; 
ders., Accad. storica di musica Toscana, Fl. 1893; ders., 
In onore di antichi musicisti florentini, Rassegna Nazio- 
nale 1906; ders., La cappella mus. della corte di Toscana, 
1539-1859, RMI XVI, 1909; G. Pavan, Saggio di croni- 
storia teatrale fiorentina: serie cronologica delle opere 
rappresentate al teatro . . . della Pergola nei s. XVII e 
XVIII, Mailand 1901; J. Wolf, Fl. in d. Mg. d. 14. Jh., 
SIMG III, 1901/02; C. Lozzi, La musica e il melodramma 
alia corte medicea, RMI IX, 1902; A. Solerti, Musica, 
ballo e drammatica alia corte medicea dal 1600 al 1637, FL 
1905; G. Piccini, Storia aneddotica dei teatri florentini: 
I, II teatro della Pergola, Fl. 1912; A. Bruno, II Teatro Al- 
fieri in Firenze, Rivista teatrale ital. 1914; G. Conti, I 
teatri di Firenze, in: L'illustratore fiorentino XI, 1914; U. 
Morini, La R. Accad. degli Immobili ed il suo teatro »La 
Pergola« 1694-1925, Pisa 1926; L. Cellesi, Documenti per 
la storia mus. di Firenze, RMI XXXIV, 1927 - XXXV, 
1928 ; R. Lustig, Per la cronistoria dell'antico teatro mus. : 
il teatro della Villa Medicea in Pratolino, RMI XXXVI, 
1929; F. Ghisi, I canti carnascialeschi, FL 1937; ders., 
Feste mus. della Firenze medicea, 1480-1589, Fl. 1939; 
ders., Alle fonti della monodia, Mailand 1940; ders., Bal- 
let Entertainments in Pitti Palace, FL 1608-25, MQ XXXV, 
1949 ; ders., Un processionale inedito . . . , RMI LV, 1953 ; 
H. Kuhner, Dokumentarisches zur Mg. v. FL im 14. u. 1 5. 
Jh., Diss. Munchen 1937, maschr.; E. Sanesi, Maestri 
d'organo in S. Maria del Fiore (1430-1600), Note d'Arch. 
XIV, 1937; B. Becherini, Un canto in panca fiorentino, 
Antonio di Guido, RMI L, 1948; dies., La musica nelle 
»Sacre rappresentazioni fiorentine«, RMI LIII, 1951; 



292 



Flores 



dies., Musica ital. al Firenze nel XV s., RBM VIII, 1954; 
Citta di Firenze, Accad. Nazionale »L. Cherubini« di mu- 
sica, lettere e arti figurative. Esposizione nazionale dei 
conservatori mus. e delle bibl., Palazzo Davanzati, 27. X. 
1949 - 8. 1. 1950, Cat., Fl. 1950; L. Parigi, I disegni mus. 
del gabinetto degli »Uffizi« . . . , Fl. 1951 ; M. Bernardi u. 
A. Della Corte, Gli strumenti mus. nei dipinti della Gal- 
leria degli Uffizi, Turin 1952 ; H. Nolthenius, Renaissance 
in Mei. Florentijns leven rond Fr. Landini, Utrecht u. Ant- 
werpen 1 956 ; A. Seay, Fl. : The City of Hothby and Ramos, 
JAMS IX, 1 956 ; ders., The 1 5 th Cent. Cappella at S. Maria 
del Fiore in Fl., JAMS XI, 1958; Fr. A. D'Accone, A 
Documentary Hist, of Music at the Florentine Cathedral 
and Baptistry in the 1 5 th Cent.,Diss. Harvard Univ. (Mass). 
1960, maschr. ; ders., The Singers of San Giovanni in 
Fl. During the 15'" Cent., JAMS XIV, 1961. 

Flores (lat., Blumen), eine vor allem im Mittelalter 
gebrauchliche Bezeichnung fur vokale und instrumen- 
tale ->■ Verzierungen aller Art, die wohl aus der Rhe- 
torik ubernommen ist, wo sie haufig die Figuren des 
Ornatus facilis zusammenfaBt (Sunt autem flores quibus 
est sententia vocum florida, Galfredus de Vino salvo, 
Poetria nova, 1208/13). - Hieronymus de Moravia (spa- 
teres 13. Jh., CS I, 91a ff.) versteht unterflos armoni- 
cus eine decora ... et celerrima procellarisque vibratio 
[vocis] und unterscheidet zwischen Fl. longi, aperti und 
subiti: Trillern, die nach Geschwindigkeit und Halb- 
bzw. Ganztonrepetition verschieden sind und die als 
Gesangsverzierungen bezeichnenderweise mit Hilfe 
des Orgeltrillers erklart werden. Bei Johannes de Gar- 
landia (um 1240, CS I, 115b f.) heifit das Bebenlassen 
der Stimme auf einem Ton (anschaulich gemacht durch 
eine Folge von Semibreven gleicher Tonhohe) florifi- 
catio soni, und Anonymus IV (um 1275, CS I, 358b f., 
363a f.) nennt als bevorzugte Trager derartiger Ver- 
zierungen Tonwiederholungen oder duplices longae 
(floratae), wie sie vor allem zu Beginn oder auf der 
Paenultima einer Komposition stehen. Beliebt scheinen 
Fl. besonders in den (solistisch vorgetragenen) Melis- 
men des Organum purum gewesen zu sein (Franco, 
um 1245, CS I, 135b; Anonymus IV, CS I, ebenda); 
W. Odington (nach 1300, CS 1, 246b) schlagt sogar fur 
den Vortrag der organalen Haltetone die tiberwiegend 
in Choraltraktaten (Hucbald, GS 1, 118a; Guido, CSM 
IV, 164) erwahnte Tremula (Liqueszenz, Bebung oder 
Triller) vor, die jedoch nur eine der vielen im Choral- 
gesang gepflegten Verzierungen (wie Quilisma, Re- 
verberatio, Plica u. a.) ist. - Beziehen sich diese An- 
gaben zumeist auf die isolierte Verzierung einer Ein- 
zelnote, so empfiehlt Pseudo-Tunstede (nicht vor 1380, 
aber in weiten Partien auf der Musiklehre des 13. Jh. 
fufiend, CS IV, 252a ff.) derartige Fl. auch in Zusam- 
menhang mit der melodischen Verbindung zweier 
Tone mittels »durchgehender« Zwischennoten (trans- 
currendo discordantias imperfectas in locis debitis, CS IV, 
294b). Ihnen haben sich in der Praxis wohl meist noch 
weitere, umspielende Zierhoten angeschlossen, und 
zwar nicht nur in den naturgemaB starker ausgezierten 
Oberstimmen, sondern nach Ausweis des gleichen 
Autors (CS IV, 295a f .) auch im Tenor, sof ern der San- 
ger mit seinen pulchrae ascensiones et descensiones den 
Discantus nicht storte. Diese »melodische Paraphra- 
sierung« (Handschin), die wohl wichtigste Technik der 
mittelakerlichen Melodiebildung im Choral (beson- 
ders ausgepragt in der responsorialen Psalmodie und 
im siidlandischen Spissim-Stil) wie in der Mehrstim- 
migkeit (schon um 1100 spricht Johannes Affligemen- 
sis von der Moglichkeit, in der Diaphonia simplkes 
motus duplicare vel triplicare vel quovis modo competenter 
conglobare, CSM I, 160f.), fand in der Auszierung der 
Paenultimaregion ihre grofke, immer neue Aufgabe. 
Als deflorere finem dausulae ist sie in dem anonymen, 



nach seinem ersten Herausgeber A. de Lafage benann- 
ten Traktat (spates 12. Jh.) naher umrissen (Ann. Mus. 
V, 1957, S. 33); der friiheste greifbare Beleg steht 
um HOOimMailander Organum traktat. SchluB-(und 
Initial-)Melismen in Minne- und Meistersang (»Blu- 
men«) oder die Caudae der Conductus sind weitere 
Beispiele. Seit dem 13. Jh. gehort die Copula, id est 
floritura (CS IV, 278a, ahnlich Jacobus von Liittich, 
CS II, 385b) zu dem vornehmsten Schmuck des Or- 
ganum und unterscheidet sich vom normalen Discan- 
tussatz hinsichtlich des Vortrags als velox discantus 
(Franco, CS I, 133a ff.), welcher delicatiore modo et sub- 
tiliore voce quam discantus [simpliciter prolatus] provulgatur 
(Anonymus St.Emmeran, 1279, ed. H.Sowa, 126), 
mitunter auch hinsichtlich der Satzweise als Hoquetus 
(Sowa, 5) oder punctus puri organi (Anonymus IV, CS 
I, 361a f.). - Das Copulabeispiel zeigt bereits deutlich, 
daB die hoch- und spatmittelalterliche Musiklehre den 
Terminus Fl. nicht nur in dem speziellen Sinne von in 
sich abgeschlossenen, nach Beispiel oder Vorschrift 
improvisierten Verzierungsformeln verwendet, son- 
dern unter dieser Bezeichnung auch viele technische 
und stilistische Besonderheiten zusammenfaBt, die sich 
in der niedergeschriebenen Komposition gegeniiber 
dem einfachen Geriistsatz wie Verzierungen ausneh- 
men. Die Lehre spricht namlich selbst dann noch von 
Fl. oder Colores, wenn diese Elemente langst (wenig- 
stens aus heutiger Sicht) zu den Grundlagen der jeweils 
typischen Kompositionsart einer musikgeschichtlichen 
Epoche geworden sind, z. B. der in Analogie zu den 
VersfiiBen beschriebene modale Rhythmus (Anony- 
mus II, CS I, 307b), die Auflosung von Longa und 
Brevis in Semibrevis- und Minimawerte seit der Ars 
nova (Petrus dictus palma ociosa, 1336, SIMG XV, 
1913/14, S. 518ff.), die eigentlich selbstverstandliche 
Verwendung perf ekter Klange auf den Mensurschwer- 
punkten (Anonymus St.Emmeran, 120) oder sogar 
der offenbar nicht alltagliche Gebrauch der duplex 
longa (ders., 87). Der Nachdruck bei der Begriffsbe- 
stimmung von Fl.liegt also nicht so sehr auf derTren- 
nung zwischen improvisatorischen und kompositori- 
schen Gestaltungsmitteln, als vielmehr auf dem be- 
zeichnenden Rangunterschied zwischen dem prima- 
ren, durch den Cantus prius factus weitgehend vorbe- 
stimmten Geriistsatz und den zwischen den Mensur- 
schwerpunkten gelegenen sindifferenten Partien«, die 
der individuellen Ausfiihrung vorbehalten sind (so 
schon Anonymus IV, CS I, 356b, 359b). Demi auch 
das (mehrstimmige) »Komponieren« selbst wird nicht 
als ein geschlossener ProzeB beschrieben, sondern es 
wird zumeist aufgeschliisselt in die Vorgange des ordi- 
nare, colorare, deflorere (florificare) und umschlieBt 
so bruchlos auch alle improvisierten, nur scheinbar 
sekundaren Zutaten, die als vollwertige Bestandteile 
der erklingenden Komposition geschatzt und erwartet 
wurden, ebenso wie die Verzierungen des Chorals vom 
Melodiebau organisch getragene und keinesfalls be- 
reits verselbstandigte Ornamente sind. - Der Uber- 
gang von dieser era of free, creative ornamentation (E.T. 
Ferand, A History . . ., S. 467) zum Verzierungswesen 
der beginnenden Neuzeit ist flieGend und vollzog sich 
hauptsachlich in der allmahlichen Scheidung zwischen 
den Techniken der -> Diminution (- 2) und.der -» Kolo- 
rierung; beide sind bereits im 13. Jh. prinzipiell ausge- 
bildet, erstere am deutlichsten in der rhythmisch pra- 
zisen Fractio modi (bzw. cantus), letztere in den vielen 
Arten der Einzelverzierungen. Im Verlauf jener fort- 
schreitenden technischen und terminologischen Diffe- 
renzierung wurden auch Fl. und Florificatio durch 
exaktere, teils noch anschaulichere, teils auch klang- 
vollere Bezeichnungen (wie Ornamenta, Licentiae, 



293 



Flugel 



Elegantiae) weitgehend verdrangt; in einzelnen Aus- 
driicken blieben sie dennoch weit iiber das Mittelalter 
hinaus gelaufig - in Contrapunctus floridus (fractus, 
diminutus) bis zum Spatbarock, in den italienischen 
Termini Fiori, Fioretti bis zur Gegenwart. 
Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de Musica, 
hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw. II, 
Regensburg 1935; Of. E. H. de Coussemaker, L'art har- 
monique aux XH e et XIII e s., Paris 1865; G. Adler, Die 
Wiederholung u. Nachahmung in d. Mehrstimmigkeit, 
Vf Mw II, 1 886 ; H. E. Wooldridge, in: The Oxford Hist, of 
Music I, Oxford 1 901 , 2 1 929 ; R. Lach, Studienzur Entwick- 
lungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913; Rie- 
mann MTh ; J. Handschin, Zur Frage d. melodischen Pa- 
raphrasierung im MA, ZfMw X, 1927/28 ; Y. Rokseth, La 
musique d'orgue au X V e s. et au debut du XVI e , Paris 1930; 
H. Besseler, Die Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken 
Hdb. ; R. Haas, Auffuhrungspraxis d. Musik, ebenda; L. 
Schrade, Die hs. Oberlieferung d. altesten Instrumental- 
musik, Lahr 1931 ; E. T. Ferand, Die Improvisation in d. 
Musik, Zurich 1938; ders., A Hist, of Music Seen in the 
Light of Ornamentation, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; Fr. 
Zaminer, Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat. 
3025), = Munchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; S. 
Corbin, Note sur l'ornementation dans le plain-chant 
gregorien, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; G. Thibault, L'or- 
nementation dans la musique profane au Moyen-Age, 
ebenda. FrR 

Flugel. Fl.-Form kommt seit dem 14. Jh. beim -*■ Psal- 
terium vor, von dem es auf die f riihen Tangenten- und 
Kielklaviere iiberging. Fl. sind die grofien Modelle des 
Cembalos (Kiel-Fl.) und des Pianofortes (heute vom 
Klein-Fl., etwa 140 cm lang, iiber den Stutz-Fl., etwa 
165-180 cm, bis zum Konzert-Fl., etwa 250-290 cm), 
daneben gab es aufrechte Fl. (->- Clavicytherium, -»• Gi- 
raffenklavier, Pyramidenklavier). 

Fliigelhom (mbglicherweise verderbt aus ->■ Biigel- 
horn, mit dem es im allgemeinen auch synonym ge- 
braucht wird) ist im besonderen der Sopran der Biigel- 
hornfamilie (in B). Es wird in Trompetenform gebaut 
und ist dem ;-> Kornett (- 1) verwandt. Das Fl. kam 
um 1825 in Osterreich auf. 

Folia (port., Tollheit; span, folia; ital. follia; frz. folie), 
zunachst eine um 1500 in Portugal bezeugte Art von 
Tanz- und Gesangsdarbietung, deren Formen und Me- 
lodien noch unbekannt sind. Hofchroniken verzeich- 
nen dan(as ef.s u. a. ; der Dichter Gil Vicente verwendet 
z. B. emf. als Ausfiihrungsanweisung in Theaterstiik- 
ken. Unsicher ist, ob hier die F. der altesten Beschrei- 
bung einer F. durch S. de Covarrubias (Tesoro de la 
lengua castellana, Madrid 1611) entspricht, wonach es 
sich um einen larmenden Tanz vermummter und ver- 
kleideter Tanzer, begleitet von Kastagnetten und ande- 
ren Instrumenten, handelt, dessen Lebhaftigkeit den 
Eindruck erweckt, als hatten alle »den Verstand verlo- 
ren«. Cervantes erwahnt 1613 (in der No velle La ilustre 
fregona) nebeneinander carabandas, chaconas y f.s. - F. 
ist sodann ein musikalisches Satzmodell, das mit -> Pas- 
samezzo (antico) und -» Romanesca verwandt ist 
und in Abschnitten ubereinstimmt. Wie alle derar- 
tigen Modelle beruht die F. auf einem Geriistsatz der 
AuBenstimmen, der von elementarer Eingangigkeit 
ist und als Grundlage fur eine Kolorierung, Variie- 
rung, gegebenenfalls Textierung der Oberstimme so- 
wie fur die Rhythmisierung und begrenzte Abwand- 
lung des Basses dient. Instruktiv ist eine schematische 
Zusammenstellung der genannten Modelle nach D. 
Ortiz (1553, nach Recercada qvarta, primera und setti- 
ma), der jedoch die Typennamen noch nicht verwen- 
det (die wichtigsten Abweichungen, die gegeniiber 
den Fassungen von Ortiz in der sonstigen Oberliefe- 
rung anzutreffen sind, wurden in Klammern erganzt) : 



, f. Folia 

pi 



rr 



1187 



m 



A 



tt U S^" 



" S lt » 



dBz 



-ft- 



m 



r^ u 




















H & tt,J o 




— ft— 


"^ ft o-ft 


ft 




o 










I 













Romanesca 



» » 3 it » l l "» ^gP 



^ 



m 



^B_ 



-«-e- 



ft 



J- 



Das F.-Modell lafit sich schon im ->■ Cancionero musi- 
cal de Palacio und vor allem in der spanischen Vihuela- 
musik des 16. Jh. nachweisen, doch heiSen die Satze 
Pavana, Aria oder nach Texttiteln, z. B. La cara 
rosa. Salinas gibt in De musica (Salamanca 1577, 
S. 309) erstmalig zum Namen F. ein Notenbeispiel, 
dem sich harmonisch das Romanescamodell unterle- 
gen laBt : 




No me di-gays ma-dremal del pa - dre fray An- 
Que es mi e-na - mo - ra - do y yo 




de 



uo - cion 



ten-go-le en 

Im 17. Jh. wird der F. genannte Tanz musikalisch an 
das F.-Modell gebunden, das nun erst seinen Namen zu 
Recht tragt. Die seit J. H. Kapsberger (1604) zahlreich 
uberlieferten F.-Kompositionen bewahren vor allem 
die BaBformel, die jedoch in voneinander abweichen- 
den Typen auftritt.-Neben dem Ortiz-Typ erscheint 
in itahenischen Quellen haufig die folgende auftaktige 
BaBformel (nach H. Spohr) : 



^ urn=r i r ir ir ir ir 



m 



i r i r i r i r 



AuBerdem gibt es offenbar Zwischenglieder der 
Modelle, die namensmaBig nicht streng unterschie- 
den werden, z. B. das Fedele, das G.Montesardo 
(1606) mit F. identifizierte (F. chiamata cost da Spagnuo- 
li, che da Italiani si chiama Fedele), das aber wohl ei- 
gene Merkmale tragt, denen Frescobaldis Partite sopra 
I'Aria di Follia (1615) zu entsprechen scheinen. Uber- 
wiegend steht die F. im Tripeltakt, einzelne Aus- 
nahmen zeigen die Verwandtschaft mit der -*■ Pa- 
vaniglia. Seit etwa 1650 wird die F. oft als Les Fo- 
lies d'Espagne bezeichnet. In der Fassung von M. 
Faninel wurde die F. beriihmt und als Thema fiir 
Variationen beliebt, wobei der Name F. zunehmend 
auf die sarabandenartige Oberstimmenmelodie bezo- 
gen wurde: 



294 



Form 



rrpi'fp 



rryirr 



' ^rr JJ i ff JJ irj 



i££ 



si 



?w 



s 



Ff^ 



PPjg 



rrpirrcr 



wm 



Thema von Faronell's division on a ground, 
Nr 5 aus J.Playfords The Division-Violin (1685). 
Einzelne Verarbeitungen der F. finden sich in Opern, 
Kantaten (z. B. J.S.Bach, BWV 212, Arie Unser treff- 
licher lieber Kammerherr), Orchester- und Instrumental- 
werken bis ins 20. Jh. hinein. - Gelegentlich tragen 
marsch- oder tanzartige Satze unabhangig vom F.- 
Modell den Titel F., z. B. in einer Musik zu einem 
Pferdeballett von J.H. Schmelzer (Follia per nuovo in- 
gresso de i Saltatori, & altre operazioni de Cavalli, 1667). 
Lit. : H. Riemann, J. Playford's Division Violin . . . , Mk X, 
1910/11; A. Moser, Zur Genesis d. Folies d'Espagne, 
AfMw I, 1918/19; P. Nettl, Zwei span. Ostinatothemen, 
ZfMw I, 1918/19; O. Gombosi, Zur Fruhgesch. d. F., AMI 
VIII, 1936; ders., The Cultural and Folkloristic Back- 
ground of the F., PAMS IV, 1940; J. Ward, The F., Kgr.- 
Ber. Utrecht 1952; H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkom- 
position, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr. 

Folies d'Espagne (fol'i dssp'a:ji, frz.) -s- Folia. 

Folklore, seiner Herkunf t nach englischer Sammelbe- 
griff fiir Kunde oder Wissen des Volks, d. h. Volks- 
iiberlieferungen. W. J. Thorns pragte die Bezeichnung 
F. 1846 fiir den Gegenstand (nichtfiir die Wissenschaft) 
der Volkskunde. 

Lit. : H. A. Krappe, The Science of Folk-Lore, NY u. Lon- 
don 1930; Funk and Wagnalls Standard Dictionary of F., 
Mythology and Legend, hrsg. v. M. Leach u. J. Fried, NY 
1949-50. 

Forlana, Furlana, Frulana, Friauler, aus der italieni- 
" schen Provinz Friaul (ital. Friuli), ein sehr lebhafter, 
urspriinglich werbender 6/8-Tanz fiir ein oder zwei 
Paare, vielleicht slawischer Herkunft. Im 16. Jh. be- 
gegnet er im Zweiertakt als Ballo F. in Phaleses Dan- 
series (1583), der -*■ Allemande ahnlich. Im 17. Jh. ver- 
lauft die F. im schnellen 6/4- oder 6/8-Takt; als Volks- 
tanz war sie besonders im Venedig des 18. Jh. beliebt. 
In der franzosischen Oper findet sich die F. bei A. 
Campra, L'Europe galante (1697) und Le camaval de 
Venise (1699), dann in Wien und Deutschland (Bach, 
Orchestersuite C dur, BWV 1066). In Frankreich blieb 
die F. bis in die Gegenwart lebendig (Ravel, F. im 
Tombeau de Couperin). 

Lit. : C. Blasis, Manuel complet de la danse, Paris 1 830 ; G. 
Casellati u. G.Trombini, F.,Venedigl914 ; A.Caccialu- 
pi, La f ., Paris 1 9 14 ; R. Lach, Zur Gesch. d. Gesellschafts- 
tanzes im 18. Jh., = Museion. Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz. 
1920; P. Nettl, The Story of Dance Music, NY (1947). 

Form ist Einheit im Verschiedenen (Riemann). Der Be- 
griff der F. ist in dreifachem Sinne relativ. Erstens, ver- 
mittelt in Plotins Metaphysik des Schbnen, die in der 



Asthetik des 18. und 19. Jh. durch Shaftesbury und 
Winckelmann wirksam wurde, die F. (elSo?) zwischen 
der Idee (Itea) und der erscheinenden Gestalt (u.op<p7)) ; 
sie ist einerseits »innere« F. (£v8ov eT8o<;), andererseits 
»auBere«. Zweitens ist der Begriff der F. davon abhan- 
gig, wie das der F. Zugrundeliegende (u7toxslu,evov, 
subiectum) bestimmt wird: als Tonmaterial, Thema 
(subiectum), Affekt, Stimmung oder »Vorwurf« (su- 
jet) ; ist das Zugrundeliegende ein Thema, so ist F. die 
Ausarbeitung; ist es ein Sujet, so erscheint F. als »Dar- 
stellung in Tonen«. Relativ ist drittens die aristoteli- 
sche Kategorie der F.; der einzelne Ton ist F. der 
schwingenden Materie (Kant), die Liedzeile F. der To- 
ne, das ganze Lied F. der Zeilen. Aus der Reihe der re- 
lativen Stoffe und F.en aber heben sich nach Aristoteles 
bestimmte Stufen dadurch heraus, daB sie eine »Voll- 
endung«, ein »Ziel« (tIao?) darstellen; das ganze Lied 
ist eher ein »Ziel« als die einzelne Zeile oder der Ton. 
Als »Ziel«, also als F. im ausgezeichneten Sinne, gait 
in der Theorie der Kunst bis zum 18. Jh. weniger das 
einzelne Werk als die Gattung; erst seit dem 19. Jh. 
setzte sich allmahlich die Vorstellung durch, daB das 
einzelne Werk fiir sich stehe und nicht an einer Gat- 
tungsnorm gemessen werden diirfe. Aus dem Wandel 
in der Bestimmung des Telos ist es zu verstehen, daB 
der Begriff der F. einerseits an den der Gattung, ande- 
rerseits an den der Struktur (des Einzelwerkes) an- 
grenzt. Die musikalische Formenlehre, die im spaten 
18. Jh. entstand, halt sich in einer vagen Mitte zwi- 
schen dem Anspruch, die den Gattungen - der Mo- 
tette, der Opernarie oder der Sonate - eigentiimlichen 
und angemessenen Normen der F. zu bestimmen, und 
der bescheideneren Absicht, bloBe Schemata zu ent- 
werfen, deren Zweck in nichts anderem besteht, als 
daB durch Abhebung von ihnen die besonderen For- 
men der einzelnen Werke beschrieben werden kon- 
nen. - Die tragenden Kategorien der Formasthetik 
- Proportion und Symmetrie, Einheit in der Mannig- 
faltigkeit, Harmonie des Entgegengesetzten und Zu- 
sammenstimmen der Teile (congruentia, convenien- 
tia, consonantia partium) - sind bis zum 19. Jh. in der 
Philosophie des Schbnen entwickelt worden; noch 
Hanslicks Entwurf einer Asthetik der musikalischen F. 
ist ein Buch Vom Musikalisch-Schonen (1854). In der 
neueren Asthetik, die auf den Begriff des Schonen ver- 
zichtet, werden dessen Momente - die »innere« und die 
»auBere« F., das gestaltende Prinzip und die erschei- 
nende Gestalt - manchmal als »Formung« und »Form« 
voneinander abgehoben. Die »Formung« wird psycho- 
logisch oder metaphysisch als Schbpfung des Kompo- 
nisten - schon das 16. Jh. kannte die Vorstellung vom 
Dichter als einem zweiten Gott (alter deus, J. Scaliger) -, 
ontologisch als »Wille« eines in den Tbnen waltenden 
Formgesetzes (A. Halm) oder geschichtsphilosophisch 
als Tendenz des Materials der in den Tonbeziehungen 
sedimentierten Geschichte (Adorno) interpretiert. - Die 
Elemente der musikalischen F. sind die Toneigenschaf- 
ten Hohe, Dauer, Starke und Farbe; ob auch die Ton- 
verwandtschaft (Konsonanz) in einer Toneigenschaft 
fundiert sei, ist umstritten (v. Hornbostel, Handschin). 
Die untersten formalen Kategorien sind Relation, MaB 
und Niveau. Tone sind erstens in Relation zueinander 
hoher und tiefer (Diastematie, von griech. SnxarrnLa., 
Intervall), langer und kiirzer, starker und schwacher; 
sie erscheinen zweitens, bezogen auf ein mittleres MaB, 
als hoch und tief, lang und kurz, stark und schwach; 
und drittens sind die Relationsgefiige transponierbar : 
relative Tonhohen kbnnen in eine andere Lage, relative 
Zeitrwerte in ein anderes Tempo und relative Starke- 
grade auf eine andere dynamische Stufe versetzt wer- 
den. Allerdings entziehen sich Tempo und Bewegung 



295 



Form 



einer generellen Definition. In Tanzsatzen ist das Tem- 
po durch die Dauer der Zahlzeit und die Bewegung 
(mouvement), auBerdem durch die Taktart und die 
Akzentabstufung bestimmt. Die rhythmische Aus- 
fiillung erscheint als sekundares Merkmal; ein Menuett 
in Sechzehnteln ist nicht »schneller« als eines in Vier- 
teln. Dagegen fallen in rhythmisch irrationalen melis- 
matischen Gesangen, z. B. in primitiven Totenklagen, 
Tempo und Bewegung mit den realen Tondauern zu- 
sammen; gedehnte Tone sind »langsam«, fliichtige 
»schnell«. - Die in einem engeren Sinne formalen 
Momente der Musik, Gliederung, Gewichtsabstufung 
und das Hervortreten von Attraktionspunkten (Brenn), 
sind im allgemeinen nicht an ein einzelnes Substrat 
(Hohe, Dauer, Starke) gebunden, sondern in Wechsel- 
wirkungen zwischen den elementaren Faktoren be- 
griindet. Die rhythmische Geschlossenheit einer Takt- 
gruppe und die harmonische einer Akkordfolge kcin- 
nen sich gegenseitig stiitzen oder durchkreuzen, und 
nur im ersten Fall entsteht eine deutliche Zasur ; und ob 
der erste oder der zweite Takt einer Phrase als »schwer« 
erscheint, ist nicht nur von seiner Stellung, sondern 
auch vom melodischen und harmonischen Inhalt ab- 
hangig (Riemann). - Formale Funktionen sind auf 
Systeme oder Modelle bezogen. Eine melodische Phra- 
se erfiillt die Funktion eines Vorder- oder Nachsatzes 
im Hinblick auf ein System, z. B. die Stufenordnung 
einer Tonart, oder auf ein Modell, z. B. die Psalmodie. 
Die Ubergange zwischen Bezugssystemen und Model- 
len sind manchmal fliefiend. Die harmonische Tonart 
ist als Inbegriff von Akkordfunktionen ein Bezugssy- 
stem; die Regel aber, daB die Subdominante der Do- 
minante vorausgehen und nicht folgen soil, ist im Mo- 
dellcharakter der Kadenz T-S-D-T begriindet. - Be- 
stimmungsmomente der musikalischen F. als einer 
»Einheit in der Mannigfaltigkeit« sind Wiederholung, 
Abwandlung (Variation), Verschiedenheit und Kon- 
trast. Die oberste Fordemng fur alle Formgebung, auch die 
musikalische, ist Einheit; diese komtnt aber erst zur pollen 
Entfaltung Hirer asthetischen Wirkung am Gegensatzli- 
chen, am Kontrast und Widerspruch (Konflikt). Die Ein- 
heit in der speziell musikalischen Gestaltung tritt uns ent- 
gegen im konsonanten Akkord, in der Auspragung einer 
Tonart, dem Festhalten einer Taktart, eines Rhythmus, in 
der Wiederkehr rhythmisch-melodischer Motive, der Bil- 
dung und Wiederkehr pragnanter Themen; der Kontrast und 
Konflikt [erscheint] im Harmoniewechsel, der Dissonanz, 
Modulation, dem Wechsel verschiedener Rhythmen und 
Motive, der Gegeniiberstellung im Charakter gegensatzlicher 
Themen (Riemann). - Man unterscheidet Reihungs- 
von Entwicklungs-F.en oder plastische von logischen 
F.en (Handschin). Die Begriffe sind als Bestimmungen 
von Idealtypen im Sinne Max Webers zu verstehen; 
eine ausschlieBlich »logische« F. ohne »plastische« Mo- 
mente ist kaum vorstellbar. In primar »logischen« F.en, 
z. B. manchen Sonatensatzen von Beethoven, beruht 
der musikalische Zusammenhang auf entwickelnder 
Variation (Schonberg) von Themen und Motiven; ein 
zweiter Gedanke wird einem ersten nicht wie eine 
Komplementarfarbe entgegengesetzt, sondern durch 
kontrastierende Ableitung (A. Schmitz) gewonnen. An 
plastischen F.en, z. B. dem Rondo, treten tektonische 
und architektonische Momente (Fr. Blume), Symmetric 
und Proportion, deutliche Gliederung und der Unter- 
schied zwischen Hauptteilen und uberleitenden Ver- 
bindungsstiicken, in den Vordergrund. Ein erganzen- 
der Kontrast erscheint als Kontrapost, nicht als Um- 
schlag eines Gedankens in sein Gegenteil. 

Lit. : M. Steinitzer, t)ber d. psychologischen Wirkungen 
d. mus. F., Diss. Munchen 1885; G. Engel, Der Begriff d. 
F. in d. Kunst u. in d. Tonkunst insbesondere, VfMw II, 



1886; H. Riemann, Das formale Element in d. Musik, in: 
Praludien u. Studien I, Heilbronn 1895; W. Harburger, 
GrundriB d. mus. Formvermogens, Munchen 1912; H. 
Erpf, Der Begriff d. mus. F., Diss. Lpz. 1914, Teildruckin: 
Zs. f . Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. IX, 1 9 1 4 ; A. Halm, 
Die Symphonie A. Bruckners, Munchen 1914; K. Blessin- 
oer, Versuch iiber d. mus. F., Fs. A. Sandberger, Munchen 
1918; A. Schmitz, Beethovens »Zwei Prinzipe«, Bin u. 
Bonn 1923; R. v. Ficker, Formprobleme d. ma. Musik, 
ZfMw VII, 1924/25 ; A. Lorenz, Das Geheimnis d. F. bei 
R. Wagner, 4 Bde, Bin 1924-33; ders., Das Relativitats- 
prinzip in d. mus. F., in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, 
Wien 1930; E. Kurth, Bruckner, 2 Bde, Bin (1925); P. 
Bekker, Mg. als Gesch. d. mus. Formwandlungen, Mk 
XVIII, 1925/26; E. Bucken, Geist u. F. im mus. Kunst- 
werk, Bucken Hdb. ; Fr. Blume, Fortspinnung u. Entwick- 
lung, JbP XXXVI, 1929; H. Mersmann, Zur Gesch. d. 
Formbegriffs, JbP XXXVII, 1930; B. Wl. Assafjew, Mu- 
sykalnaja forma kak prozess (»Die mus. F. als ProzeB«), 
2 Bde, Moskau u. Leningrad 1930-47; E.G. Wolff, Grund- 
lagen einer autonomen Musik-Asthetik, = Slg mw. Abh. 
XV, StraBburg 1934; K. Herbst, Der Begriff d. mus. F., 
Mk XXVII, 1934/35 ; K. Westphal, Der Begriff d. mus. F. 
in d. Wiener Klassik, Lpz. 1935; E. C. Bairstow, The 
Evolution of Mus. F., Oxford 1943; G. Abraham, Design 
in Music, Oxford 1949; Th. W. Adorno, Philosophie d. 
neuen Musik, Tubingen 1949; Fr. Brenn, Das Wesensge- 
fiiged. Musik, Kgr.-Ber. Basel 1949; ders., F. in d. Musik, 
Freiburg i. d. Schweiz 1953; H. Federhofer, Mus. F. als 
Ganzheit, in: Beitr. zur mus. Gestaltanalyse, Graz 1950; 
O. Gombosi, Gothic F., MD IV, 1950; A. Cceuroy, La 
musique et ses formes, Paris 1951 ; W. Kolneder, Motivi- 
sche Gliederung u. F„ SMZ XCIII, 1953; I. Krohn, Ein- 
heitliche Grundziige mus. Formgebung, AMI XXV, 1953 ; 
W. Gurlitt, F. in d. Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. 
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, 
Jg. 1954, Nr 13 ; G. Nestler, Die F. in d. Musik, Freiburg 
i. Br. u. Zurich 1954; R. Kelterborn, Gegensatzliche 
Formprinzipien in d. zeitgenossischen Musik, SMZ XCVII, 
1957; G. Ligeti, Wandlungen d. mus. F., in: die Reihe 
VII, Wien 1960. CD 

Formant, Jedes schwingungsfahige System, so auch 
Musikinstrumente und das menschliche Stimmorgan, 
besitzt eine oder mehrere Eigenfrequenzen. Sofern eine 
periodische Kraft gleicher oder unmittelbar benachbar- 
ter Frequenz darauf einwirkt (-»• Resonanz), schwingt 
es starker mit als bei erzwungener Schwingung auBer- 
halb der Eigenresonanz. Die Breite eines Resonanzge- 
bietes hangt u. a. von der ->■ Dampfung des Systems 
ab. Resonanzkorper bzw. Luftsaulen von Musikinstru- 
menten verf iigen zumeist iiber verschiedene mehr oder 
minder breite Resonanzgebiete. Werden sie durch 
periodische Krafte angeregt, deren Zeitverlauf nicht 
sinusformig ist (z. B. bei Anstreichen einer Saite oder 
Anblasen eines Blasinstrumentes), so entsteht ein Fre- 
quenzspektrum aus mehreren Teilschwingungen, von 
denen einige jeweils in ein solches Resonanzgebiet fal- 
len konnen und dadurch verstarkt werden. Der Be- 
griff F. fur solche Verstarkungsgebiete innerhalb der 
Frequenzspektren von Klangen geht auf L.Hermann 
zurtick. F.en vor allem verursachen die charakteristi- 
sche Farbung von Vokalen; sie liegen jeweils in cha- 
rakteristischen Frequenzgebieten : 
Vokal U: 200-400 Hz 

O: 400-600 Hz 

A: 800-1200 Hz 

E: 400-600 Hz und 2200-2600 Hz 
I: 200-400 Hz und 3000-3500 Hz 
Auch die Klangfarben von Musikinstrumenten werden 
weitgehend durch Anzahl und Lage ihrer F.en beein- 
fluBt. Wahrend v.Helmholtz noch annahm, daB fur 
die Farbung eines Klanges die Teilschwingung einer 
bestimmten Ordnungszahl entscheidend sei, deren 
Frequenz also mit der Tonhohe wechselt (Helmholtz- 
sche Relativtheorie), konnte E.Schumann auf Grund 



296 



Formenlehre 



sehr vieler Klanganalysen zeigen, daB dies nur inner- 
halb sehr enger Grenzen zutrifft. Die Schumannschen 
Klangfarbengesetze beschreiben das Verhalten der F.en 
genauer: bei gleichbleibender Grundfrequenz, aber 
zunehmender Klangstarke, wandern die F.en auf Teil- 
schwingungen hoherer Ordnung (akustisches Ver- 
schiebungsgesetz) ; seine direkte Parallele bildet das 
Wiensche Verschiebungsgesetz der Strahlungsphysik. 
Bei Klangen mit zwei F.en springt das Maximum bei 
Intensitatssteigerung von der unteren F.-Strecke zur 
oberen iiber (Schumannsches Sprunggesetz) . Bei gleich- 
bleibender Intensitat, aber steigender Grundfrequenz 
bleibt das Maximum nur so lange auf der gleichen 
Teilschwingung, bis es die obere Grenze der F.-Strecke 
erreicht hat; danach verlagert sie sich auf eine in der 
gleichen F.-Strecke befindliche Teilschwingung nie- 
derer Ordnung (hierin steckt die Helmholtzsche Hy- 
pothese). Sofern ein Klang zwei F.en enthalt, bilden 
diese ein fur das jeweilige Instrument typisches Fre- 
quenzverhaltnis (Intervall), z. B. fur Oboe 1:2, Eng- 
lisch Horn 2:5, Fagott 3:8 (Schumannsches F.en-In- 
tervallgesetz). Andere Instrumente lassen nur einen 
F.en erkennen (Flote, Horn) oder ergeben uniibersicht- 
lichere Verhaltnisse (Klarinette, Streichinstrumente). 
F.en werden auch kiinstlich erzeugt, so in den Mixtu- 
ren, Scharfs und Zimbeln der Orgel durch Hinzunah- 
me von 8'-, 4'- bzw. 2'-Register in Oktav-, Quint- 
oder Terzlage (Cornett). Durch Repetition dieser 
Stimmen bleibt der F.-Bereich iiber die ganze Klavia- 
tur hinweg erhalten. Meyer-Eppler schlieBlich wies 
auf das Zustandekommen eines Tonhoheneindrucks 
durch Erzeugung und Veranderung elektroakustisch 
hergestellter F.en hin : schickt man einen musikalischen 
Schallablauf iiber ein elektrisches Filter, dessen Durch- 
laBbereich variiert werden kann, so lost seine Verande- 
rung deutlich den Eindruck wechselnder Tonhohen 
- auch gegenlaufig zu den musikahschen Tonen - aus. 
Auf diesem Wege sind melodieartige Tonhohenbewe- 
gungen moglich. 

Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
. . ., Braunschweig 1863, 6 1913; L. Hermann, Phonopho- 
tographische Untersuchungen I-VI, Pflugers Arch. XLV, 
1 889 - XLVII, 1 890, LIII, 1 892 u. LVIII, 1 894 ; ders., Ober 
d. Verhalten d. Vokale am neuen Edisonschen Phonogra- 
phen, ebenda XLVII, 1890; ders., Weitere Untersuchun- 
gen iiber d.Wesend. Vokale, ebendaLXI, 1895; K.W.Wag- 
ner, Der Frequenzbereich v. Sprache u. Musik, Elektro- 
technische Zs. XLV, 1914; C. Stumpf, Die Struktur d. Vo- 
kale, Sb. Bin, Physikalisch-mathematische Klasse 1918; 
ders., Die Sprachlaute, Bin 1926; E. Schumann, Akustik, 
Breslau 1925; ders., Die Physik d. Klangfarben, Habil.- 
Schrift Bin 1929; H. Winkhaus, Vergleichende akustische 
Untersuchungen, Diss. Bin 1930; E. Thtenhaus, Neuere 
Versuche zur Klangfarbe u. Lautstarke v. Vokalen, Zs. f. 
Technische Physik V, 1934; Y. Katsuki, The F. Construc- 
tion of Japanese Voices Vowels, Shindo (Vibration) 1, 1 947 ; 
T. Tokizane, The F. Construction of Japanese Vowels, 
Japanese Journal of Physiology I, 1951 ; H.-P. Reinecke, 
IJber d. doppelten Sinn d. Lautheitsbegriffes beim mus. 
Horen, Diss. Hbg 1953, maschr. ; ders., Experimentelle 
Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. 
Mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964; W. Meyer-Eppler, 
Die dreifache Tonhohenqualitat, Fs. J. Schmidt-Gorg, 
Bonn 1957 ; F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Akustik, 
Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961. HPR 

Formenlehre ist (nach dem herrschenden Sprachge- 
brauch) die systematische Darstellung von Typen der 
Gliederung musikalischer Werke, der Gruppierung 
thematischer und nichtthematischer Teile und der Dis- 
position der Tonarten. Die einzelnen Perioden oder 
Zeilen, deren Struktur die Melodielehre und die musi- 
kalische Metrik untersuchen, werden in der F. als Ein- 
heiten vorausgesetzt. - Die F. entstand im 18. Jh., als 
durch die Verselbstandigung der Instrumentalmusik 



die Form zum Problem wurde. J. Riepel (1752) und H. 
Chr. Koch entwickelten, nach Ansatzen bei J. Matthe- 
son (1739) und J.A.Scheibe (Critischer Musicus, 1739), 
eine F. als Erweiterung der Lehre vom musikalischen 
Periodenbau. Die Form h'dngt theils von der bestimmten 
Anzahlder Hauptperioden, theils von der Tonart, in welche 
dieser oder jener Periode hingeleitet wird, theils aber auch 
von dem Orte ab, wo dieser oder jener Haupttheil wiederholt 
wird (Koch, II, S. 103). A. B. Marx sah in der Dreiteilig- 
keit, der Gliederung in Exposition der Thematik, mo- 
dulierenden Bewegungstheil und Reprise, ein Naturge- 
setz der musikalischen Form, das sowohl in Tanzsatzen 
als auch in' der Fuge und in der Sonate herrsche. Im 
Gegenzug zu dem Verfahren, Formen als Dispositio- 
nen von Teilen zu erklaren, betont H.Riemann den 
thematisch-motivischen Zusammenhang, die Unter- 
scheidung von eigentlich den Aufbau konstituierenden , ent- 
wickelnden Partien und von Einschaltungen (Grojie Kom- 
positionslehre I, S. 425). Die Veranderung im Ansatz 
der F. ist asthetisch motiviert. Zahlt man die Form zum 
bloB mechanischen Theil der Ausfiihrung (Koch), so ge- 
niigt es, sie als Syntax zu beschreiben ; den inneren Zu- 
sammenhang stif tet der »Inhalt«, die »Modifikation des 
Affekts«. Werden aber statt der Affekte musikalische 
Themen zum »Inhalt« der »absoluten Musik« erklart, 
so riickt die thematisch-motivische Entwicklung in 
den Vordergrund. Aus der Erkenntnis, daB die Vor- 
aussetzung der F., die Lehre vom Periodenbau, der Fu- 
ge inadaquat ist, zog A. Halm die Konsequenz, Fuge 
und Sonate als zwei Kulturen der Musik einander ent- 
gegenzusetzen. Als Ausweitung der Kontrastierung 
von Fuge und Sonate erscheint der Versuch, eine F. 
aus der Antithese von »Lied« und »Kontrapunkt« zu 
entwickeln (H. Leichtentritt, J. Miiller-Blattau). Im Be- 
griff der »kontrapunktischen Formen« sind Satztech- 
nik und Form verschrankt. Ob aber die durchimitierte 
Motette des 16. Jh. Gegenstand einer F. sein kann, ist 
zweifelhaft, obwohl jede einzelne Motette eine Form 
hat. Denn eine F. muB, um Lehre zu sein, verallgemei- 
nern, und Verallgemeinerung ist nicht immer mog- 
lich; am klassischen Sonatensatz ist (nicht ohne we- 
sentliche Einschrankungen) die Form, aber nicht die 
Satztechnik generahsierbar, an der durchimitierten 
Motette umgekehrt die Satztechnik, aber nicht die 
Form. Andererseits legt der Sachverhalt, daB Formka- 
tegorien wie Exposition, Verarbeitung und Wieder- 
kehr, Erganzung, Fortsetzung und Uberleitung, Vor- 
bereitung, Episode und Anhang, Steigerung und Auf- 
losung nicht ohne Beriicksichtigung satztechnischer 
und stilistischer Bedingungen sinnvoll anwendbar sind, 
die Folgerung nahe, die F. in musikalischer Analyse 
(E. Ratz) oder historischer Typologie (Ansatze bei H. 
Leichtentritt) aufgehen zu lassen. - Die Namen musi- 
kalischer Gattungen beziehen sich im allgemeinen nicht 
auf die Form, sondern auf die Bestimmung eines Wer- 
kes fiir Singstimmen oder Instrumente (Kantate, So- 
nate), die Besetzung und die Anzahl der Stimmen 
(Streichquartett), die Satztechnik (Fuge) oder den Text 
(Messe), die Funktion eines Stiicks (Praludium) oder 
den Auffiihrungsort (Sonata da chiesa). Bezeichnungen 
wie Lied-, Fugen-, Konzert- oder Sonatenform, die 
einer durch andere Merkmale definierten Gattung eine 
bestimmte Form zuschreiben, sind also miBverstand- 
lich; nicht alle Lieder folgen dem Schema der »Lied- 
form« (ABA). Aus der Vielfalt der Formen, die seit 
dem 18. Jh. ausgepragt worden sind, zum Teil in 
Wechselwirkung zwischen Vokal- und Instrumental- 
musik, hebt die F. einige Typen heraus. Von der ein- 
fachen Reihung ABC ... heben sich durch Wieder- 
holung oder Wiederkehr von Teilen die 3teilige Lied- 
form (A B A), die Barform (A A B, zwei Stollen und 



297 



Formenlehre 



Abgesang) und die Gegenbarform (A B B) ab; eine 
Erweiterung der Barform ist die Reprisenbarform 
(A A B A). Von der (3teiligen) Liedform ABA unter- 
scheidet sich das kleine Rondo durch Untergliederung 
und scharfere Abhebung der Teile (A B A = a b a / 
c d c / a b a, z. B. Menuett mit Trio). Die Abgrenzung 
des grofien Rondo von der Konzertform beruht auf 
der Tonartendisposition. In der Rondoform ABACA 
(D A oder B A) kehrt das Ritornell (A) immer in der 
Haupttonart wieder; in der Konzertform ABACA 
(D A oder B A) wird es transponiert, z. B. nach dem 
Schema T-D-Tp-T, und die Episoden (B, C, D), die 
Solo- oder Concertinopartien, vermitteln modulierend 
die Ubergange zwischen den Tonartenstationen des Ri- 
tornells. Verwandt mit der Konzertform ist derHaupt- 
typus der grofien Da-Capo-Arie des friihen 18. Jh. 
Vokal: a a' b a a' 

Instrumental: AAA AAA 
Tonarten: T D T Tp T D T 
Zu den geschichtlichen Voraussetzungen der klassi- 
schen -> Sonatensatzform gehort auBer der Konzert- 
form eine 2teilige Form des friihen 18. Jh., die von H. 
Riemann als embryonale Sonatenform, von R.Sondhei- 
mer als Suitensatzform bezeichnet worden ist. Beiden 
Teilen liegt das gleiche thematische Material zugrunde ; 
der erste moduliert zur D, der zweite, oft auf dem Weg 
iiber die Tp oder die S, zuriick zur T. - Dem Verfah- 
ren, Formen durch Buchstabenfolgen darzustellen, lie- 
gen die Kategorien Gleichheit (A A) , Ahnlichkeit (A A') 
und Verschiedenheit (A B) zugrunde; allerdings fehlt 
bisher eine geniigend differenzierte Auslegung der Ka- 
tegorie Verschiedenheit, eine Systematik der Moglich- 
keiten zwischen den Extremen der Beziehungslosig- 
keit und des erganzenden Kontrasts. Die Schemata 
miissen, um nicht nichtssagend zu sein, in einer Weise 
interpretiert werden, die sowohl den stihstischen und 
satztechnischen Bedingungen als auch der relativen 
und absoluten Lange der Formteile und Formen ge- 
recht wird. Eine F., die von der Struktur der Einheiten, 
deren Disposition und Zusammenhang sie beschreibt, 
absahe, ware leer und abstrakt. Die Periodenbildung 
kann auf der Reihung von Liedzeilen oder der Ab- 
wandlung von Psalmodiemodellen, der Gruppierung 
rhythmischer »ordines« (Notre-Dame-Organa) oder 
der Orientierung an einem rhythmischen Typus (Ober- 
gang von langsamer zu rascherer Bewegung und Riick- 
kehr zu langsamer), der Weiterfiihrung eines Vorder- 
satzes durch Fortspinnungen (spatbarocker Fortspin- 
nungstypus) oder der Erganzung eines offenen Vor- 
dersatzes durch einen schliefienden Nachsatz (klassische 
Periode) beruhen. Und es ist nicht gleichgiiltig, ob der 
UmriB der »Suitensatzform« oder »embryonalen So- 
natenform « durch einen Vordersatz mit Fortspinnun- 
gen oder durch eine Reihe kurzer, in sich geschlossener 
Phrasen ausgefiillt wird. - Die F., die als Theorie der 
Instrumentalmusik des 18. Jh. entstanden ist, beschreibt 
primar die Gleichheit, Ahnlichkeit oder Verschieden- 
heit melodischer Perioden. Melodische Beziehungen 
sind aber nicht die einzige Moglichkeit, musikalische 
Form als »Rhythmus im GroBen« zu verwirklichen. 
Die Disposition der Tonlagen in Choral- und Liedme- 
lodien des Mittelalters, die Chorspaltung und das Al- 
ternieren zwischen polyphonem und homophonem 
Satz in Motetten des 16. Jh. oder der Wechsel zwischen 
scharf voneinander abgehobenen rhythmischen Be- 
wegungsarten in Sonaten und Instrumentalkanzonen 
des friihen 17. Jh. sind als Formprinzipien von kaum 
geringerer Bedeutung als die melodische Wiederho- 
lung, Abwandlung und Kontrastierung. - Die relative 
Lange der Formteile ist nicht nur asthetisch relevant, 
sondern kann sogar ein Klassifikationsmerkmal sein. 



In der Kanzonenstrophe des Mittelalters, der »Bar- 
form« A A B, soil der Abgesang (B) nicht kurzer als 
der Stollen (A) sein; eine Strophe, in der zwei melo- 
disch gleichen Langzeilen eine Kurzzeile folgt, gilt also 
nicht als Kanzonenstrophe. Die Bedeutung der abso- 
luten Lange einer Form, z. B. die Berechtigung des 
Verfahrens, einen musikalischen Zusammenhang, der 
sich in einem Musikdrama Wagners iiber Hunderte 
von Takten erstreckt, als Barform zu kennzeichnen 
(A.Lorenz), ist umstritten. - Teilformen konnen zu 
iibergeordneten Formen, Satze zu Zyklen zusammen- 
geschlossen werden. Ubergeordnete Formen sind z. B. 
der doppelte Cursus in manchen Sequenzen, die Ver- 
kettung von Solo-, Ensemble- und Chorpartien zu ei- 
nem Opernfinale, aber auch die Sonatensatzform, wenn 
deren Teile, Haupt- und Seitenthema, Durchfuhrung 
und Reprise, die Satztypen des Sonatenzyklus repra- 
sentieren (Schubert, Wanderer-Phantasie; Liszt, H moll- 
Sonate). Haupttypen der Zyklenbildung sind in der 
Vokalmusik die mehrstimmige Messe mit wiederkeh- 
rendem C. f . oder Satzanfang und die Kantate, in der 
Instrumentalmusik die Partita, die Suite und die mehr- 
satzige Sonate. Klassifiziert man Zyklen nach den Tem- 
porelationen der Satze, so kann man der Kirchensonate 
des spaten 17. Jh. (langsam - schnell - langsam - schnell) 
die klassische Sonate (schnell - langsam - schnell - 
schnell) kontrastieren oder der Opernsinf onia und dem 
Konzert des friihen 18. Jh. (schnell - langsam - schnell) 
die f ranzosische Ouvertiire (langsam - schnell - lang- 
sam). - Eine scharf e Abgrenzung der Formen von 
blofien Ausfiihrungsweisen ist nicht immer moglich. 
Man kann die Praxis, die Antiphon eines Psalms erst 
nach dem letzten statt nach jedem Vers zu wiederho- 
len, als Veranderung der Form oder der Ausfuhrungs- 
weise verstehen; und ob die Teilwiederholungen in 
Sonaten- und Symphoniesatzen ein essentielles oder ein 
akzidentelles Moment sind, ist nicht selten ungewiB. 
Manche Formen, die bei ihrer Entstehung mit Ausfiih- 
rungsweisen verbunden waren - mit dem Wechsel von 
Halbchoren (Sequenz) oder von Vorsanger und Chor 
(Rondeau, Virelai) -, sind sparer von ihrem Ursprung 
abgelost worden. Die fortschreitende Repetition (a a b 
b c c . . . ) wurde von der Sequenz auf die solistische 
Instrumentalmusik iibertragen (Estampie), und die 
Formen, die das Zusammenwirken von Vorsanger und 
Chor spiegeln, sind auch im instrumental begleiteten 
Sololied verwendet worden (Machaut). 
Lit.: H. Chr. Koch, Versuch einer Anleitung zur Com- 
position, 3 Teile, I Rudolstadt 1782, II-IH Lpz. 1787-93; 

A. Reicha, Trait6 de haute composition mus., 2 Bde, Pa- 
ris 1824-26; A. B. Marx, Die Lehre v. d. mus. Kompo- 
sition, 4 Bde, Lpz. 1837-47 u. 6., neu bearb. v. H. Riemann, 
1 91887, II '1890, IV 51888; E. Fr. E. Richter, Die Grund- 
ziige d. mus. Formen u. ihre Analyse, Lpz. 1852; J. Chr. 
Lobe, Lehrbuch d. mus. Composition I— III, Lpz. 1858-60; 

B. Widmann, F. d. Instrumentalmusik, Lpz. 1862; L. 
Bussler, Mus. F., Bin 1878; Fr. Zd. Skuhersky, Mus. F., 
Prag 1879; H. Riemann, Systematische Modulationslehre 
als Grundlage d. mus. F., Hbg 1887; ders., GrundriB d. 
Kompositionslehre (Mus. F.), Lpz. 1889; ders., GroBe 
Kompositionslehre, 3 Bde, Bin u. Stuttgart 1902-13; S. 
Jadassohn, Die Formen in d. Werken d. Tonkunst, Lpz. 
1889, 61923; E. Prout, Mus. Form, London 1893; ders., 
Applied Forms, London 3 1895; O. Klauwell, Die For- 
men d. Instrumentalmusik, = Universalbibl. f. Musiklit. 
IX/X, Lpz. u. Bin 1 894, 2 1 948 redigiert v. W. Niemann ; St. 
Krehl, Mus. F., 2 Teile, = Slg Goschen Nr 1 49 u. 1 50, Lpz. 
1902-05, 1 Bin 21914, II 21911, Neudruck 1928; M. J. L6- 
wengard, Lehrbuch d. mus. Formen, Bin 1904; H. Leich- 
tentritt, Mus. F., = Hdb. d. Musiklehre VIII, Lpz. 1911, 
5 1952, erweitert engl. Cambridge (Mass.) u. London 1951 ; 
R. Stohr, Mus. F., Lpz. 19 1 1 , N A mit H. Gal u. A. Orel als : 
F. d. Musik, Lpz. 1933, Neudruck Lpz. 1954; S. G. Kal- 
lenberg, Mus. Kompositionsf ormen, = Aus Natur u. Gei- 



298 



Foxtrott 



steswelt Nr 412, Lpz. u. Bin 1913 ; A. Halm, Von zwei Kul- 
turen d. Musik, Miinchen 1913, Stuttgart 3 1947; ders., Ei- 
ne vergessene Form, in : Von Grenzen u. Landern d. Mu- 
sik, Miinchen 1916; P. Wagner, Einfuhrung in d. Gre- 
gorianischen Melodien III: Gregorianische F., Lpz. 1921, 
Neudruck Hildesheim u. Wiesbaden 1 962 ; K. Weidle, Bau- 
formen in d. Musik, Stuttgart 1925 ; K. Blessinger, Grund- 
ziiged.mus. F., ebenda 1 926 ; Th. Wiehmayer, Mus. F. in 
Analysen, Magdeburg 1927 ; H. Reichenbach, F. d. Musik, 
Bin 1 929 ; H. Martens, Mus. Formen in hist. Reihen, 20H., 
Bin 1 930-37, 2. Auf lage mit W. Drangmeister u. H. Fischer, 
Wolfenbuttel (1957ff.); H. Eimert, Mus. Formstrukturen 
im 17. u. 18. Jh., Augsburg 1932; Fr. Gennrich, GrundriB 
einer F. d. ma. Liedes, Halle 1932; R. Noatzsch, Prakti- 
sche F. d. Klaviermusik, Lpz. 1932; H. Grunsky, Neues 
zur F., ZfMw XVI, 1933/34; J. Muller-Blattau, Hohe 
Schule d. Musik, 4 Bde, Potsdam (1934-37); R. v. Tobel, 
Die Formenwelt d. klass. Instrumentalmusik, = Berner 
Veroff. zur Musikforschung VI, Bern u. Lpz. 1935; E. J. 
Dent, Binary and Ternary Form, ML XVII, 1936; H. 
Mersmann, Musikhoren, Potsdam u. Bin 1938, Ffm. 2 1 952 ; 
J. Daniskas, Grondslagen voor de analytische vormleer d. 
muziek, Rotterdam 1948; E. Ratz, Einfuhrung in d. mus. 
F., Wien 1951 ; H. Degen, Hdb. d. F., Regensburg 1957;G. 
Kahler, Studien zur Entstehung d. F. in d. Musiktheorie, 
Diss. Heidelberg 1958, maschr.; W. Hess, Die Dynamik d. 
mus. Formbildung, 2 Bde, Wien 1 960-64 ; J. P. Larsen, So- 
natenform-Probleme, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963; W. F. 
Korte, Struktur u. Modell als Information in d. Mw., 
Af Mw XXI, 1 964 ; G. v. Noe, Der Strukturwandel d. zykli- 
schen Sonatenform, NZfM CXXV, 1964. CD 

forte (ital.), stark, laut, als Vortragsbezeichnung der 
dynamische Gegenpol zu -»■ piano, Abk. : f ; fortissimo 
(im Barock piu forte), Abk. : ff, sehr stark; mezzoforte, 
Abk. : mf , »mittelstark«, d. h. ziemlich stark, zwischen 
forte und piano; fortepiano, Abk.: fp, stark und so- 
fort wieder leise. Im Englischen kommt, forte und 
piano entsprechend, loud, Abk. : lo, und soft, Abk. : so, 
vor (z. B. Th.Mace 1676). forte und piano treten zu- 
erst bei G.Gabrieli (1597) und Banchieri (1601, 1608) 
auf. Bald danach erscheinen auch die Abbreviaturen. 
Zur Modifizierung werden vor allem seit dem 18. Jh. 
Beiworter wie meno, molto, poco, quasi und possibile 
gebraucht. Bei Klaviermusik konnen durch f und p 
verschiedene Manuale (»Terrassendynamik«) gefordert 
werden. Durch f und p kann auch ein crescendo oder 
decrescendo bezeichnet werden (f-p-pp bei Mazzocchi ; 
loud - soft - softer bei M. Locke). In der neueren Mu- 
sik kommt das f gesteigert bis zum fffff vor (Tschai- 
kowsky op. 74; Reger op. 40, Nr 2). 

Fortepiano -*■ Pianoforte. 

Fortspinnung, in der Musik das Verfahren der melo- 
dischen Ableitung aus nur einem Bewegungsimpuls. 
Ein bevorzugtes Mittel ist die Sequenz. J. S.Bachs F.s- 
Technik wurde von E.Kurth beschrieben und der 
»klassischen Motivtechnik« gegeniibergestellt. Bei W. 
Fischer bildet F. im engeren Sinn den Mittelteil des 
»F.s-Typus« (Vordersatz - F. - Epilog), der dem »Lied- 
typus« (Vordersatz - Nachsatz) als »primarem Tanz- 
melodietypus« konfrontiert wird. Diese beiden kon- 
trastierenden Strukturtypen - als Begriffspaar nach 
dem Vorbild der Kunstgeschichte (Wolfflin) konzi- 
piert - findet Fischer in der Musik vor und nach dem 
Stilwandel urn 1750 : der F.s-Typus wird zur Form der 
Exposition des Sonatensatzes (abgesehen vom Seiten- 
satz), namlich der Vordersatz zum Hauptsatz, die F. 
zur modulierenden Uberleitung, der Epilog zum Ab- 
schlufi der Uberleitung. Da die Betrachtung sich auf 
die Melodik beschrankt, die verschiedenartigsten 
Mischf ormen weit iiberwiegen und nur f ormale Merk- 
male erfaBt werden, ist die Brauchbarkeit des Begriffs- 
paares in Frage gestellt. Fr. Blume wollte daher beide 
Begriffe nicht als Typen, sondern ahnlich wie Kurth 



als Prinzipien musikalischer Gestaltung verstanden 
wissen. Er schlug daftir die sprachlich allerdings fast 
synonymen Begriffe F. (Weiterspinnen aus einem Ur- 
gebilde) und Entwicklung (lockere Aneinanderreihung 
geschlossener Gebilde) vor zur Bezeichnung von Kri- 
terien namentlich fiir die Musik des 18. Jh. 
Lit. : W. Fischer, Zur Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. 
Stils, StMw III, 1915; ders., Instrumentalmusik v. 1750- 
1828, Adler Hdb.; E. Kurth, Grundlagen d. linearen 
Kontrapunkts, Bern 1917, Bin 31927, S. 205, 225-249; P. 
Mies, Die Bedeutung d. Skizzen Beethovens zur Erkennt- 
nis seines Stils, Lpz. 1925; Fr. Blume, F. u. Entwicklung, 
JbP XXXVI, 1929. 

forzato (ital. ; Abk. : fz), s. v. w. -*■ sforzato. 

Fourieranalyse (Harmonische Analyse) ist ein ma- 
thematisches Analysierverfahren, das auf den Satz des 
franzosischen Mathematikers und Physikers Baron J. B. 
Fourier (1768-1830) zuriickgeht (Fourier-Theorem), 
nach dem sich jede beliebige periodische Kurvenform 
(z. B. Schwingungsbewegung) durch Uberlagerung 
mehrerer (im Grenzfall unendlich vieler) Sinuskurven 
mit verschiedenen Perioden als deren algebraische 
Summe darstellen laBt. Demnach kann jede beliebige 
Schwingungsbewegung als aus sinusformigen Teil- 
schwingungen zusammengesetzt verstanden werden. 
Ihre Perioden T (->• Frequenz) stehen als Glieder dieser 
Fourierschen Reihe im Verhaltnis 

2 " 3 " 4 n ' 

ihre Frequenzen/(= =) verhalten sich entsprechend 

wie 1:2:3:4:..: : n. Der Fouriersche Satz gilt genau ge- 
nommen nur fiir streng periodische Kurven. Doch 
auch bei nur annahernd periodischen Ablaufen wie 
z. B. musikalischen Schallvorgangen laBt er sich inner- 
halb eines begrenzten Zeitintervalles mit ausreichender 
Genauigkeit anwenden. Eine Funktion F von einer un- 
abhangigen Veranderlichen t ist durch die unendliche 
Reihe 

F(t) = Ao+Aicosa)t + A2Cos2wt+A 3 cos3a)t+ . . . 
+ Bi smwt + Bz sin 2cof + B3 sin3eof + . . . 

darstellbar, wobei co = ^=rdie Kreisfrequenz bedeutet. 

Ao, Ai, Az, . . ., Bi, Bz, ... sind konstante GroBen. In 
der Praxis kann man meist von einem bestimmten 
Gliede an die weiteren als vernachlassigbar klein fort- 
lassen, so daB eine endliche Reihe herauskommt. Es 
gibt verschiedene mechanische und elektrische Ver- 
fahren der Fourierzerlegung. 

Lit. : O. Mader, Ein einfacher harmonischer Analysator 
mit beliebiger Basis, Elektrotechnische Zs. XXX, 1909; 
A. Kalahne, Grundziige d. mathematisch-physikalischen 
Akustik, 2 Bde, Lpz. u. Bin 1910-13 ; A. Galle, Mathema- 
tische Instr., Lpz. u. Bin 1 9 1 2 ; L. Zipperer, Taf ein zur har- 
monischen Analyse periodischer Kurven, Bin 1922; G. v. 
BekIsy, t)ber d. mechanische Frequenzanalyse einmaliger 
Schwingungsvorgange ..., Akustische Zs. II, 1937; A. 
Hussmann, Rechnerische Verfahren zur harmonischen 
Analyse u. Synthese, Bin 1938; M. Grutzmacher, Eine 
neue Darstellungsform d. harmonischen Analyse . . . , 
Akustische Zs. VIII, 1943 ; W. Meyer- Eppler, Experimen- 
telle Schwingungsanalyse, in: Ergebnisse d. exakten Na- 
turwiss. XXIII, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1950; O. v. 
Essen, Mathematische Analyse periodischer Vorgange in 
gemeinfaBlicher Darstellung, = Hamburger Phonetische 
Beitr. II, Marburg 1961 ; F. Trendelenburg, Einfuhrung 
in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1961. 

Fourniture (furnit'u:r, frz., Zutat) bedeutet in fran- 
zosischen Orgeldispositionen Mixturregister, die de- 
fer als Cymbale (-»- plein jeu) stehen. 

Foxtrott (engl. foxtrot, Fuchsgang), ein aus ->■ Rag- 
time und -> Onestep entwickelter Gesellschaftstanz, 
der um 1914 in England, nach dem 1. Weltkrieg im 



299 



Fragments 



iibrigenEuropa groBe Verbreitung fand und noch heu- 
te zu den Standardtanzen gehort. Der F., ein mafiig 
schneller Tanz im 4/4-((£-)Takt mit leicht synkopier- 
ter Rhy thmik, ist zum Grundtyp des Geh- bzw. Schritt- 
tanzes geworden. Seit 1924 wurde er nach dem Vor- 
bild des Onestep in raschem Tempo getanzt mit ver- 
einfachter Schrittfolge. Diese sich fest einbiirgernde 
Seitenform des F.s wurde nun Quickstep genannt (im 
Deutschen bKeb die Bezeichnung F.) ; fur den eigent- 
lichen, den maBigschnellen F. wurde in Deutschland 
zur Abgrenzung vom sschnellen Fox« (Quickstep) die 
Bezeichnung Slowfox gebrauchlich. In der Kunstmu- 
sik ist der F. besonders in vom Jazz beeinfluBten Wer- 
ken der 1920er Jahre anzutreffen (F. fiir Orch., Tanz 
der Holzpuppen, in Tuttifantchen von Hindemith, 
1922; Seiber, F. und Slowfox in Leichte Tdnze fiir KL, 
1932). In der Tanz- und Unterhaltungsmusik ist der F. 
auBerordentlich haufig (Ein Gliick, dafi man sich so ver- 
lieben kann ... aus der Operette Hochzeitsnacht im Pa- 
rodies; Uber die Prdrie usw.) ; auch im Jazz spielt er eine 
Rolle. 

Fragments (fragm'a, frz., Bruchstiicke). Mit Fr. 
wurden die um 1700 (unter den Nachfolgern Lullys) 
in Paris in Mode gekommenen Bearbeitungen fiir die 
Buhne von Teilen aus beliebten Balletten und Opern 
eines oder mehrerer Komponisten bezeichnet, wie z. B. 
Les Fr. de M. de Lully (1702) von Campra nach Lullys 
Les fetes de V Amour, Le bourgeois gentilhomme, Les 
Amours deguises und weiteren Stiicken. In Telemaque, 
fr. des modemes (1704) verarbeitete Campra zusammen 
mit seinem Librettisten ->■ Danchet Musik aus mehr als 
10 Biihnenwerken von Collasse, M.-A. Charpentier, 
Desmarets, J. F. Rebel und von sich selbst. 

Francaise (fras'e:z, frz.) ->- Anglaise. 
Franken. 

Lit. : Fr. W. v. Ditfurth, Frankische Volkslieder mit ih- 
ren 2st. Weisen, Lpz. 1855; C. Valentin, Theater u. Mu- 
sik am Furstlich Leiningischen Hofe, Neujahrsblatter d. 
Ges. f. Frankische Gesch. XV, Wiirzburg 1921 ; M. Bohm, 
Volkslied, Volkstanz u. Kinderlied in Mainfranken .".., 
Nurnberg 1929; ders., Volksmus. Erinnerungen an ein 
oberfrankisches Dorf im Fichtelgebirge, Jb. d. Osterreichi- 
schen Volksliedwerkes VI, 1957 ; O. JCaul, Zur Mg. d. ehe- 
maligen Reichsstadt Schweinfurt, Wiirzburg 1935; E. Fe- 
derl, Spatma. Choralpflege in Wiirzburg u. in mainfranki- 
schen Klostern, Diss. Wiirzburg 1937; W. Schwinn, Stu- 
dien zur Slg »Frankische VolksIieder« v. Fr. W. Ditfurth, 
Miinchen 1939; A. Scharnagl, J. Fr. X. Sterkel, Ein 
Beitr. zur Mg. Mainfrankens, Diss. Wiirzburg 1943 ; ders., 
Frankische Musik d. Vergangenheit, Mg. im Spiegel einer 
Landschaft, Musica VII, 1953 ; H. v. d. Au, Uber d. Volks- 
tanzgut im westlichen Mainfranken, Bayerisches Jb. f. 
Volkskunde 1952; W. M. Brod, J. M. Bachmann . . . , Ein 
Beitr. zur Gesch. d. frankischen Kirchenmusik, Mainfran- 
kisches Jb. f. Gesch. u. Kunst V, 1953 ; ders., J. M. Bach- 
mann, Ein Nachtrag . . ., ebenda VII, 1955; H. Denner- 
lein, Musik d. 18. Jh. in Fr. Die Inventare d. Funde v. 
Ebrach, Burgwindheim, Maria Limbach u. Iphofen, Vor- 
abdruck aus Ber. d. Hist. Ver. Bamberg 1953, Munster- 
schwarzach 1953; R. Laugg, Studien zur Instrumental- 
musik im Zisterzienserkloster Ebrach in d. 2. Halfte d. 18. 
Jh., Diss. Erlangen 1953, maschr.; E. Fr. Schmid, Musik 
am Hofe d. Fiirsten v. Lowenstein-Wertheim-Rosenberg 
(1 720-50), Mainfrankische Hefte XVI, 1 953 ; R. Steglich, 
Der Anteil d. frankischen Univ. an d. Musikforschung, 
Musica VII, 1953; Fr. Krautwurst, Taktwechselnde 
Volkstanze in Fr., Jb. d. Osterreichischen Volksliedwerkes 
IV, 1955; D. Bloch, Gesch. d. Kirchen-, Schul- u. Stadt- 
musik in Neustadt a. d. Aisch, Diss. Erlangen 1956; Fr. 
Moeckl, Frankisches Liederbuch, Regensburg 1961. 

Frankfurt am Main. 

Lit.: E. Pasque, Fr.er Musik- u. Theatergesch., Fr. 1872; 
C. Israel, Fr.er Konzertchronik 1713-80, Neujahrsblatt 
d. Ver. f. Gesch. u. Altertumskunde, Fr. 1876; C. Valen- 

300 



tin, Gesch. d. Musik in Fr. v. Anfange d. 14. bis zum An- 
fange d. 18. Jh., Fr. 1906; F. Mamroth, Aus d. Fr.er Thea- 
terchronik 1889-1907, 2 Bde, Bin 1908; H. Dechent, Kir- 
chengesch. v. Fr. seit d. Reformation, Lpz. u. Fr. 191 3 ; P. 
Epstein, Die Fr.er Kapellmusik zur Zeit J. A. Herbsts, 
AfMw VI, 1924; O. Bacher, Beitr. zur Gesch. d. Fr.er 
Oper im 18. Jh., 2 Bde, Diss. Fr. 1924, maschr.; ders., Fr. 
mus. Buhnengesch. im 18. Jh., Teil I : Die Zeit d. Wander- 
truppen (1700-86), = Arch. f. Fr. Gesch. u. Kunst I, 4, Fr. 
1925; ders., Die Gesch. d. Fr.er Oper im 18. Jh., Fr. 1926; 
Gassenhawerlin u. Reutterliedlin zu Franckenfurt am 
Meyn (1535), Faks. hrsg. v. H. J. Moser, Augsburg 1927; 
H. de Bary, Gesch. d. Museumsges. zu Fr., Fr. 1937 ; A. R. 
Mohr, Fr.er Theaterleben im 18. Jh., Fr. 1940; Th. Peine, 
Der Orgelbau in Fr. a. M. u. Umgebung v. d. Anfangen bis 
zur Gegenwart, Fr. 1957; Das »Museum« : 1 50 Jahre Fr.er 
Konzertleben, 1808-1958, hrsg. v. H. Weber, Fr. 1958; W. 
Saure, Die Gesch. d. Fr.er Oper v. 1792 bis 1880, Diss. 
Koln 1959. 

Frankfurt an der Oder. 

Lit.: G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen 
Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf VII, 1942; H. Grimm, 
Der Anteil einer Stadt am deutschen Theater . . . , Fr. a. d. 
O., Bin u. Posen 1942; ders., Meister d. Renaissancemusik 
an d. Viadrina, Fr. a. d. O. u. Bin 1942. 

Franko-flamische Schule. Seit den Arbeiten Kiese- 
wetters und Fetis' (1829) iiber die »Alten Niederlander« 
ist die Einheitlichkeit einer um 1430-1560 fiir die mehr- 
stimmige Komposition normgebenden, hauptsachlich 
im Gebiet beiderseits der heutigen franzosisch-belgi- 
schen Grenze beheimateten Schule unbestritten. Die 
meist fiir sie verwendeten Namen, -*■ Burgundische 
Musik, -s- Niederlandische Musik, sind jedoch inso- 
fern unbefriedigend, als sie mit neueren Staatsbildun- 
gen (Niederlandisch, Belgisch) oder mit Teilaspekten 
(Flamisch, Burgundisch) verbunden sind. Auch geben 
sie keinen Hinweis darauf, daB die Fr.-fl. Sch. mit der 
franzosischen Musiktradition eng zusammenhangt. 
Dagegen soil die Bezeichnung franko-flamisch die 
auch fiir die Musikgeschichte grundlegende Tatsache 
festhalten, daB das in Frage stehende Gebiet seine eige- 
ne Kultur seit Beginn unseres Jahrtausends iiber die 
Grenzen zweier Staaten (Frankreich und das Kaiser- 
reich) und Sprachen (franzosisch und flamisch-nieder- 
landisch, das zum Niederdeutschen gehort) hinweg 
ausbildete. Die Kompositionsart der Fr.-fl.n Sch. wur- 
de in standiger Auseinandersetzung mit der Kunst Eng- 
lands und Italiens geschaffen; dennoch erscheint es an- 
gebracht, durch die Benennung darauf hinzuweisen, 
daB die meisten ihr zugezahlten Komponisten nach 
Herkunft und Ausbildung aus dem franko-flamischen 
Gebiet kommen. Obgleich seit Anfang des 15. Jh. fran- 
ko-flamische Komponisten in Italien und Frankreich, 
spater auch Deutschland kiinstlerisch und erzieherisch 
wirken, bleibt der hohe Stand der Musikiibung in den 
Maitrisen ihrer Heimat so vorbildlich, daB bis um 1550 
viele Hofe sich neue Kapellmeister und Sanger von 
dorther verschrieben. 

Franzosische Musik. In der Antike hieB das zum 
groBten Teil von ligurischen und keltischen Volkern 
besiedelte heutige Frankreich Gallien. Um 600 v. Chr. 
griindete ein aus Kleinasien stammender Grieche die 
Stadt Marseille. Nach der Eroberung Galliens durch 
Caesar blieb das Land 500 Jahre lang an das romische 
Imperium gebunden; damit kam auch griechisch-ro- 
mische Musik ins Land. Die erste christliche Gemeinde 
in Gallien entstand 160 in Lyon; spater entwickelten 
sich auch Marseille, Narbonne, Aries, Vienne, Au- 
tun, Orleans und Tours zu bedeutenden Zentren des 
-> Gallikanischen Gesangs. Die syrische Hymnodie 
wurde im 4. Jh. von einem verbannten Gallier, Bischof 
Hilarius von Poitiers, fiir die westliche Kirche entdeckt. 
Nachdem der Gallikanische Gesang unter den Mero- 



Franzosische Musik 



wingern voile Freiheit genossen hatte, verordneten im 
8.-9. Jh. die frankischen Konige Pippin und Karl der 
GroBe die Ubemahme des Gregorianischen Gesangs 
aus Rom. Die Tropen und Sequenzen, die im nord- 
franzosischen Kloster Jumieges aufkamen, wurden in 
St. Martial (Limoges) weiterentwickelt und bildeten 
eine der Grundlagen fur die Lyrik der Trobadors und 
Trouveres und das liturgische Drama. - Die Mehr- 
stimmigkeit ist nach 900 von den Schulen von Chartres, 
Fleury, Fecamp, Limoges und Cluny gepflegt wor- 
den. Nach 1150 entstand die Schule der franzosi- 
schen Polyphonie in Paris, dem geistigen Mittel- 
punkt Alteuropas, mit Leoninus und Perotinus als 
den Schopfem einer neuen Kunst des -> Organum. 
An sie kniipft die Motette der -»■ Ars antiqua an, von 
deren Komponisten mit Namen nur Petrus de Cruce 
aus Amiens bekannt ist, der 1260 Organist an Notre- 
Dame wurde. Die weltliche Mehrstimmigkeit fand in 
den Rondeaux und Chansons a danser von Adam de la 
Halle einen ersten Hohepunkt. Das 1st. Lied mit geist- 
lichem oder profanem Text wurde im 12.-13. Jh. von 
den Trobadors und Trouveres gepflegt. In ihrem Re- 
pertoire standen neben sehr kunstvollen Formen auch 
volkstiimliche wie die Klagelieder, Pastourellen, Chan- 
sons d'amour, Berceusen, Chansons de metier, Chants 
de saison und Tanzlieder. Einen ungewohnlich brei- 
ten Uberblick iiber die Formen ein- und mehrstim- 
miger Komposition um 1300 bietet unter den -> Quel- 
len Fauv; in ihr stehen auch isorhythmische Mo- 
tetten von Ph. de Vitry, der neben G. de Machaut 
als Hauptmeister der — >• Ars nova des 14. Jh. hervor- 
ragt. In der Nachfolge Machauts wurden von den 
Komponisten der -> Quellen Ch und O vor allem der 
-»• Kantilenensatz der Balladen, Rondeaux und Virelais 
zu hochster, zuweilen manieristischer Kunstfertigkeit 
gesteigert, bis um 1430 Binchois und Dufay den neuen 
»euphonischen Kontrapunkt« (Besseler) aufbrachten, 
in dem auch die Klangkunst des -> Fauxbourdon ver- 
arbeitet ist. Dufays Schiiler Ockeghem, der im Dienst 
der Konige Karl VII., Karl VIII. undLudwig XI. stand, 
A.Busnois, der am Hofe Karls des Kiihnen lebte, und 
Ph. Caron werden in einer zum Gedenken Dufays 
von L. Compere komponierten Gebetsmotette genannt. 
Josquin wurde zum Schopfer der neuen franzosischen 
polyphonen -> Chanson. Neben ihm sind J.-Mouton, 
A. le Riche, Cr. van Stappen, Fr. de Layolle und E. 
Genet (Carpentras), Leiter der Papstlichen Kapelle von 
Avignon, zu nennen. Vertreten diese den in ganz Eu- 
ropa gepflegtenKontrapunktder-> Franko-flamischen 
Schule, so erscheint in den geistvollen Chansons von 
Janequin, Passereau, Sermisy, O. de Lassus, Arcadelt, 
Fr.Regnart, Costeley und A. de Bertrand ein spezifisch 
franzosischer Stil, der mit der Zeit auch in Messe und 
Motette eindrang. Zwischen 1528 und 1552 veroffent- 
lichte der Pariser Drucker P.Attaingnant nicht weni- 
ger als 1500 Chansons. Zur gleichen Zeit beeinfluBte 
die Reformation die Psalmenkompositionen Goudi- 
mels und die Harmonisierungen von Ph.Jambe de Fer 
und L. Bourgeois. Als erste Sammlungen von Instru- 
mentalmusik erschienen 1531 drei Biicher Orgelwerke, 
ferner Lautentabulaturen, Musik fur Clavichord, Spi- 
nett und Gitarre, fur Violen und Violinen, sowie Dan- 
ceries von Gervaise und Dutertre. 
Im Zeichen des Humanismus griindete der Dichter 
J.-A. de Bai'f mit dem Musiker Th. Courville unter 
dem Protektorat Karls IX. in Paris 1570 die Academie 
de Poesie et de Musique, in der nach antikem Vorbild 
quantitierende Verse (vers mesures a l'antique) kom- 
poniert wurden (CI. le Jeune, E. du Caurroy, Mau- 
duit). Gegen Ende des Jahrhunderts wurde der mu- 
sikalische Geschmack weitgehend vom Konigshof 



bestimmt. Wahrend sich die alte 4st. Chanson zum 
1st. Air de cour mit Lautenbegleitung entwickelte, 
bliihte das Ballett, eine aristokratische Unterhaltung, 
in der halb florentinischen Atmosphare des Hofes 
der Katharina von Medici und ihrer Sohne. Das Balet 
comique de la Royne (1581) gilt als erstes -v Ballet de 
cour. Der von Italien kommende GeneralbaB und die 
italienische Oper, die durch Kardinal Mazarin (f 1661) 
eingefuhrt wurde, losten das Ballet de cour ab. Dau- 
ernden Erfolg errang erst der geburtige Italiener Lully, 
der die Tragedie en musique (-> Tragedie lyrique) 
und zusammen mit Moliere die -> Comedie-ballet 
begriindete. Im Pariser Opernhaus, das 1671 mit Cam- 
berts Pastorale Pomone eroffnet worden war, ging 1673 
Cadmus et Hermione als erste der 13 von Lully vollen- 
deten Tragedies lyriques iiber die Biihne. Das Neue 
in den Werken Lullys war das der franzosischen 
Deklamation angepafite Rezitativ mit B. c. oder 
Orchester, aus dem an den Hohepunkten der Hand- 
lung die Airs herauswachsen. GroBe Chore, Tanz- 
satze, Marsche und festliche Aufziige bereichern das 
Schauspiel, dem eine feierliche und glanzvolle -»- Ou- 
vertiire vorangeht. M. P. de Monteclair, M.-A. Char- 
pentier, Collasse, M. Marais, A. C. Destouches, Mouret 
und vor allem Campra setzten Lullys Kunst fort, ga- 
ben aber den gesungenen Airs und den Tanzen das 
Ubergewicht und schufen das -> Opera-ballet, das un- 
ter Ludwig XV. zur beliebtesten Vergniigung der gro- 
Ben Gesellschaft wurde. Beide Gattungen, Tragedie 
lyrique und Opera-ballet, bereicherte Rameau, der 
grofie franzosische Klassiker, um hervorragende Wer- 
ke. - Seit Beginn des 17. Jh. unterlag die Kirchenmusik 
dem EinfluB der dramatischen und der instrumentalen 
Kunst. Wahrend Forme, Moulinie und Cosset in ihren 
Messen der a cappella-Musik treu blieben, ersetzten 
Dumont, Lully, Delalande und spater Campra, Bernier, 
Fr.Couperin.H.Madin (1698-1748), Mondonville und 
Blanchard die Messe durch die grofie konzertierende 
Motette. Neben ihnen sind noch einige Kirchenmusi- 
ker zu nennen, wie M.-A. Charpentier, der der italie- 
nischen Musik am nachsten stand und den Oratorien- 
stil seines Lehrers Carissimi nach Frankreich iibertrug, 
D.Danielis (1635-96), Lorenzani und Lallouette, Ka- 
pellmeister an Notre-Dame als Nachfolger Campras. 
Die Tanzsuite wurde zunachst von den Lautenisten 
Gaultier, Gallot und Ch. Mouton gepflegt, spater von 
den Clavecinisten Chambonnieres, J. H. d' Anglebert 
undLebegue auf gegriffen und neu gestaltet, um schlieB- 
lich zu den Ordres von Couperin und den Pieces von 
Rameau, Dandrieu, Duphly, Dornel und Fr.d'Agin- 
court zu fiihren. Die Orgelmusik war bei Titelouze 
(Hymnes de Veglise, Paris 1623), Roberday, Lebegue, 
Fr. Couperin und N. de Grigny zunachst streng litur- 
gisch, wurde aber dann bei Gigault, Raison, Boyvin, 
L.Marchand, P. du Mage, Clerambault, Corrette und 
Daquin durch die anmutige Spielweise der Clavecini- 
sten beeinfluBt. Die Gambe war noch immer beliebt 
dank der Gambistenfamilien Forqueray und Marais; 
doch die Violine, der schon Mersenne 1636 den Vor- 
rang gegeben hatte, trat im 18. Jh. mit den Sonaten 
von Couperin, Rebel, Anet und Mondonville sowie 
den Konzerten von Aubert und Leclair rasch in den 
Vordergrund. Das Repertoire der Blasinstrumente 
wurde durch Sonaten von J. Hotteterre, Blavet, J.B. 
de Boismortier und Corrette bereichert. - RegelmaBi- 
ge Konzerte veranstaltete A.-J.-J. de La Poupeliniere, 
bei dem um 1750 Rameau, J. Stamitz und Gossec Kon- 
zertdirektoren waren. GroBe Bedeutung hatte auch 
das 1725 von A.Philidor gegriindete Concert spirituel 
in der Salle des Suisses des Tuilerien-Schlosses, in dem 
Instrumentalwerke und konzertierende Motetten mit- 



301 



Franzosische Musik 



einander abwechselten. Seinem Beispiel folgten zahl- 
reiche Academies de musique in der Provinz. - Uber 
die Grenzen Frankreichs hinaus wirkte auch das fran- 
zosische Musikschrifttum des 18. Jh. ; seine wichtigsten 
Zeugnisse um 1750 sind Rameaus Demonstration du 
principe de Vharmonie, servant de base & tout I'art musical 
(Paris 1750), deren Hauptgedanken d'Alembert in ver- 
einfachter Darstellung publizierte (Elemens de musique 
thiorique et pratique, suivant les principes de M. Rameau, 
Paris 1752, deutsch von Fr. W. Marpurg, Leipzig 1757), 
sowie die Lettre sur la musique francaise, mit der Rous- 
seau 1753 in den -> Buffonistenstreit eingriff. - Nach 
dem Tode Rameaus und Leclairs wurde die Fr. M. ein 
Jahrhundert lang zum groBen Teil von auslandischen 
Meistern reprasentiert. Doch gab Fr.-A. Philidor der 
Opera-comique ihre endgiiltige Form, und der Liitti- 
cher Gretry fiihrte diese Gattung mit Monsigny, Da- 
layrac, Boieldieu, Riegel und J. P. Martini (eigentlich 
Schwartzendorf) weiter. 1773 kam Gluck mit Unter- 
stiitzung seiner ehemaligen Schiilerin, der Dauphine 
Marie-Antoinette, nach Paris und belebte die Tragedie 
en musique neu. Nach dem anhaltenden Erfolg der 
Motetten von Delalande und Mondonville feierten die 
Pariser im Concert spirituel die Violinisten Guillemain, 
Saint-Georges, Gavinies und Viotti, die Clavecinisten 
und Organisten Balbastre und Sejan sowie viele aus- 
landische Virtuosen. Neben Instrumentalwerken von 
Vivaldi, Sammartini, Wagenseil, Cannabich, Stamitz, 
Haydn und Mozart wurde auch die franzosische Sym- 
phonie gepflegt, als deren Hauptmeister Gossec, spater 
Mehul und Cherubini zu nennen sind. 
In der Revolutionszeit entstanden patriotische Oden 
und Hymnen, Auftragsmusik, die charakterisiert ist 
durch Freiheit des Rhythmus, einfache Melodik und 
Harmonik, dargeboten von riesigen Choren und Or- 
chestern. Der Konvent griindete das Institut National 
de Musique (1795 Conservatoire, seit 1831 Conserva- 
toire National de Musique). Herold und Halevy im 
Theater sowie Berlioz und F.David im Konzertsaal er- 
offneten um 1830 die romantische Epoche. Die groBen 
Opern Meyerbeers waren ein halbes Jahrhundert lang 
auf alien europaischen Biihnen vertreten. 'Mit Berlioz 
bemiihten sich in den f olgenden Jahrzehnten Gounod, 
Saint-Saens und Bizet, die Fr. M. von auslandischen 
Einfliissen zu befreien. Neben der Opera-comique tri- 
umphierte im 2. Kaiserreich die Operette mit Offen- 
bach, Herve und Delibes. Zur Erneuerung der Kir- 
chenmusik trugen Choron und Niedermeyer bei. Nie- 
dermeyer griindete 1853 eine Musikschule, um Gre- 
gorianik und Polyphonie des 16. Jh. zu lehren und den 
Grund fiir eine neue kirchliche Orgel- und Vokalmu- 
sik zu legen. Vorbildliche Auffiihrungen der Sympho- 
nien Haydns, Mozarts und Beethovens brachte die 
Societe des concerts du Conservatoire unter Leitung 
Habenecks. Ein groBeres Publikum gewann ab 1861 
Pasdeloup mit den Concerts populaires, wo auch Wer- 
ke junger Komponisten, wie Saint-Saens und Bizet, 
gespielt wurden. Unter dem Motto »ars gallica« stan- 
den die Konzerte der Societe nationale de musique, 
die 1871 von Saint-Saens gegriindet wurde; zu ihrem 
Kreis gehorten C.Franck, Lalo, Duparc, V. d'Indy, 
Chabrier, Bordes, Chausson, P. O. de Breville, Faure, 
Pierne und der junge Debussy. An Biihnenwerken die- 
ser Zeit blieben bekannt: Gounods Faust (1859), Mi- 
reille (1864) und Romh et Juliette (1867), Bizets Carmen 
(1875), Lalos Le roi d'Ys (1888) sowie von Delibes die 
Ballette Coppelia (1870) und Sylvia (1876) und die Oper 
Lakme (1883). In Weimar erlebte 1877 Liszt stiirmi- 
schen Beif all mit Saint-Saens' Samson et Dalila, auf des- 
sen Annahme durch die Pariser Oper der Komponist 
bis 1892 warten muBte. Wagners EinfluB wurde spiir- 



bar in Chabriers Gwendoline (1886) und V.d'Indys 
Fervaal (1897). Schulbildend wirkten unter den Kom- 
positionslehrern des Conservatoire in dieser Zeit vor 
allem Massenet, bei dem u. a. Bruneau und G.Char- 
pentier - die Vertreter des Naturalismus auf der Biih- 
ne - studierten, und Faure, der sein Ideal einer Riick- 
kehr zur franzosischen Tradition auf seine Schuler Fl. 
Schmitt, Ravel, Aubert, KSchlin, Roger-Ducasse und 
Ladmirault iibertrug. Operette und Opera-comique 
glanzten mit Lecocq, Audran, Varney, Planquette, 
Chabrier, Messager, Terrasse, Pierne, R.Hahn, Yvain 
und L.Beydts. 1902 vollendete Debussy das Drame 
lyrique Pelleas et Melisande, das eine kiinstlerische Weri- 
de der Fr.n M. herbeifiihrte. Debussys Kunst wurde 
• bestimmend fiir eine groBe Zahl von Komponisten, 
namentlich Dukas, Ravel, L. Boulanger, Ibert, J. de La 
Presle und Rivier. Mit der Wiederbelebung des Gre- 
gorianischen Gesangs durch die Benediktiner von So- 
lesmes, der Griindung der Schola Cantorum durch 
Bordes, Guilmant und V. d'Indy 1896, den Messen, 
Motetten und Requiems von Faure, Ropartz und Pou- 
lenc, den Psalmkantaten von Fl. Schmitt, Roussel und 
Tournemire und den Oratorien Mors et vita von Gou- 
nod, Redemption und Les Beatitudes von Franck, Miroir 
de Jesus von Caplet, V Apocalypse de Saint Jean von 
La Presle sowie La Passion und Saint Germain d'Auxerre 
von Migot gewann die geistliche Musik eine neue Far- 
be, ebenso die Orgelmusik mit den Sonaten, Sympho- 
nien und liturgischen Stucken von Franck, Guilmant, 
Widor, Vierne, Dupre, Durufle, Messiaen, J. Alain, Li- 
taize, Langlais, J. Demessieux und R. Falcinelli. 
Nach dem 1. Weltkrieg entzog sich die junge Gene- 
ration mehr und mehr dem EinfluB Wagners und De- 
bussys. Sie belief sich auf den Jazz und den »style de- 
pouille«, eine Doktrin der Einfachheit, die durch Satie 
in Mode kam. Zur Gruppe der Six (1918) gehorten, 
neben Milhaud und Honegger, Auric, Poulenc, Durey 
und G. Taillef erre. 1923 bildeten Sauguet, Cliquet- 
Pleyel, M.Jacob und Desormiere als Anhanger Saties 
und seines Strebens nach Einfachheit und Klarheit die 
Ecole d'Arcueil. Die Gruppe »Jeune France«, 1936 von 
Baudrier, Jolivet, Messiaen und Daniel-Lesur gegriin- 
det, setzte sich die »Rehumanisierung« der Musik zum 
Ziel; Jolivet und Messiaen haben auf den Weg der 
jiingsten Fr.n M. bestimmenden EinfluB gewonnen. 
Unabhangig von diesen Gruppen waren Komponisten 
wie Bondeville, Barraud, E.Barraine, Francaix, Mar- 
tinon, Landowski und Dutilleux erf olgreich mit Wer- 
ken, die der Tradition treu blieben. Nach dem 2. Welt- 
krieg haben Schonberg und seine Schuler Berg und 
Webern - vor allem durch Leibowitz - weitgehend 
auf die Fr. M. eingewirkt. Die Auseinandersetzung mit 
den Problemen der Elektronischen Musik fiihrte zu- 
nachst zur Entwicklung der -*■ Musique concrete, wur- 
de aber vor allem von einigen Schiilem Messiaens 
fruchtbar gemacht; genannt seien M. Le Roux, Marti- 
net, Nigg und - der bedeutendste - Boulez. 
Ausg. : — »Denkmaler. - J.-B. Weckerlin, Chansons po- 
pulaires du pays de France, Paris 1 903 ; Th. Gerold, Chan- 
sons populaires du XV e et XVI e s. avec leurs melodies, 
= Bibl. romanica Nr 190/192, Strafiburg 1913 ; J. Poueigh, 
Chansons populaires des Pyrenees frc. I, Paris 1926; A. 
Udry, Les vieilles chansons patoises de tous les pays de 
France, Paris 1930; French Secular Music of the Late 
Fourteenth Cent., hrsg. v. W. Apel, =The Mediaeval 
Acad, of America, Publications LV, Cambridge (Mass.) 
1950; J. Canteloube, Anth. de chants populaires fr?., 4 
Bde, Paris 1951 ; Anth. de la chanson parisienne au XVI e s., 
hrsg. v. Fr. Lesure, Monaco 1953; Les Luthistes, Paris 
seit 1957; Fourteenth-Cent. Mass Music in France, hrsg. 
v. H. Stablein- Harder, = CMM 29, (Rom) 1962, dazu 
Critical Text, = MSD VII, (Rom) 1962. 



302 



Frauenchor 



Lit. (wenn nicht anders angegeben, in Paris erschienen): 
N. Dufourcq, Larousse de la musique, 2 Bde, 1957; Ency- 
clopedic de la musique Fasquelle, hrsg. v. Fr. Michel, 3 
Bde, 1958-61. - M. Dietz, Gesch. d. mus. Dramas in 
Frankreich . . . , Wien u. Lpz. 1 886, 2 1 893 ; J. Tiersot, Les 
types melodiques dans la chanson populaire fr?., 1894; 
ders., Les fetes et les chants de la Revolution fr?., 1908; 

ders., Un demi-s. de musique fr? 1918, 2 1924; M. 

Brenet, Les concerts en France sous l'ancien regime, 1 900 ; 
dies., Musique et musiciens de la vieille France, 1911; Me- 
langes de musicologie critique, 3 Bde, hrsg. v. P. Aubry, 
1900-01 ; E. Hirschberg, Die Encyclopadisten u. d. frz. 
Oper im 18. Jh., Lpz. 1903 ; L. de la Laurencie, Le gout 
mus. en France, 1 905 ; ders., L'ecole fr?. de violon de Lully 
a Viotti, 3 Bde, 1922-24; G. Cucuel, La Poupliniere et la 
musique de chambre au XVIIP s., 1913; ders., Les crea- 
teurs de Fopera-comique frc., 1914; H. Prunieres, L'opera 
ital. en France avant Lully, 1913; ders., Le ballet de cour en 
France . . . , 1 9 1 4; Hist, de la musique, France, in : Encyclope- 
diedelamusiqueI,3,hrsg.v.A.LAViGNACu.L.DELALAUREN- 
cie, ( 1 9 1 4) ; A. G astoue, L'orgueen France, 1 92 1 ; ders., Les 
primitifsdelamusiquefrc.,1922;TH.GEROLD,L'artduchant 
enFranceauXVIII e s.,StraBburgu.Parisl921;A.CcEUROY, 
La musique frc. moderne, 1921 ; F. Raugel, Les organistes, 
1923,M961 ; M.Pincherle, Les violinistes, 1924; A. Pirro, 
Les clavecinistes, 1924; ders., L'enseignement de la mu- 
sique aux univ. fr?., AMI II, 1930; O. Sere, 50 ans de mu- 
sique fr?., 2 Bde, 1925; Th. W. Werner, Musik in Frank- 
reich, Breslau 1927; Y. Rokseth, La musique d'orgue au 
XV s. et au debut du XVI e , 1930; A. Cortot, La musique 
fr?. de piano, 3 Bde, 1930-44; R. Dumesnil, La musique 
contemporaine en France, 2 Bde, 1930; ders., La musique 
fr?. entre les deux guerres, Genf 1946; Publications de la 
Soc. fr?. de musicologie, Serie II— III, seit 1930; E. Borrel, 
L'interpretation de la musique fr?., 1934; H. Eckardt, 
Die Musikanschauung d. frz. Romantik, = Heidelberger 
Studien zur Mw. Ill, Kassel 1935; L. Schrade, Das frz. 
Beethovenbild d. Gegenwart, in: Beethoven u. d. Gegen- 
wart, Fs. L. Schiedermair, Bin u. Bonn 1937; ders., Beet- 
hoven in France, New Haven 1942; ders., Political Com- 
positions in French Music of the XII th and XIII" 1 Cent., 
Ann. Mus. I, 1953; H. Bartenstein, H. Berlioz' Instru- 
mentationskunst u. ihregeschichtlichenGrundlagen, = Slg 
mw. Abh. XXVIII, Strafiburg 1939 ; E. Reeser, De klavier- 
sonate met vioolbegeleiding . . . , Rotterdam 1939; N. Du- 
fourcq, La musique d'orgue fr?. de J. Titelouze a J. Alain, 
1941, 2 1949; ders., La musique fr?., 1949; ders., Aspects 
inedits de l'art instr. en France, RM Nr 226, 1955; »Re- 
cherches« sur la musique fr?. class., hrsg. v. dems., 4 Bde, 
1960-64 (=La vie mus. en France sous les Rois Bour- 
bons) ; ders., Die klass. frz. M., Deutschland u. d. deutsche 
Mw., AfMw XXII, 1965 ; J. Gaudefroy-Demombynes, Les 
jugements allemands stir la musique fr?. au XVIII e s., 1941 ; 
ders., Hist, de la musique fr?., 1946; P. Landormy, La 
musique fr?., 3 Bde, 1943-44; B. Champigneulle, L'age 
class, de la musique fr?., 1946; W. Gurlitt, Deutschland 
u. Frankreich in d. Musik, in: Almanach zu d. Kunst- 
wochen Tubingen 1946; A. R. Oliver, The Encyclope- 
dists as Critics of Music, NY 1947; F. A. Yates, The 
French Acad, of the XVI th Cent., =Univ. of London, 
Warburg Inst., Studies XV, London 1947 ; W. L. Crosten, 
French Grand Opera, NY 1 948 ; A. Liess, Deutsche u. frz. 
Musik . . . , Wien u. Vaduz 1950; M. Cooper, French Mu- 
sic, from the Death of Berlioz to the Death of Faure, Lon- 
don, NY u. Toronto 1951 ; A. Hiebner, Frz. Musik, Olten 
u. Freiburg i. Br. 1 952 ; Cl. Rostand, La musique fr?. con- 
temporaine, 1952; ders., Bibliogr. d. zeitgenossischen frz. 
Musik (1935-55), Antares IV, 1956; P. Schaeffer, A la 
recherche d'une musique concrete, 1952; G. Favre, La 
musique frc. de piano avant 1830, 1953; La Renaissance 
dans les provinces du nord, hrsg. v. Fr. Lesure, 1954; Th. 
Marix-Spire, Les romantiques et la musique, Le cas G. 
Sand, (1954) ; Fr. Noske, La melodie fr?. de Berlioz a Du- 
parc, 1 954 ; Fr. Lesure, Musicians and Poets of the French 
Renaissance, NY 1955; ders., La musicologie fr?. depuis 
1945, AMI XXX, 1958; J. Van der Veen, Le melodrame 
mus. de Rousseau au romantisme, Den Haag 1955; W. 
Amtmann, La vie mus. dans la nouvelle France, Diss. 
StraBburg 1956; D. L. Heartz, Sources and Forms of the 
French Instr. Dance in the 16 th Cent., Diss. Harvard Univ. 
1957, maschr. ; J.-A. Thoumin, Bibliogr. retrospective des 



periodiques fr?. de litterature mus., 1870-1954, 1957; J. 
Chailley, L'dcole mus. de St-Martial de Limoges jusqu'a 
la fin du XI e s., 1960; Cl. Marcel-Dubois, Ethnomusi- 
cologie de la France 1945-59, AMI XXXII, 1960; J. Ep- 
pelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, =Munch- 
ner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961 ; U. Backer, Frank- 
reichs Moderne v. Cl. Debussy bis P. Boulez, Zeitgesch. im 
Spiegel d. Musikkritik, =K61ner Beitr. zur Musikfor- 
schung XXI, Regensburg 1962; B. S. Brook, La sympho- 
nic fr?. dans la seconde moitie du XVIII e s., 3 Bde, 1962; 
M. Honegger, La musique fr?. de 1830 a 1914, Kgr.-Ber. 
Kassel 1962; U. Eckart-Backer, Frankreichs Musik zwi- 
schen Romantik u. Moderne, = Studien zur Mg. d. 19. Jh. 
II, Regensburg 1965. FeR 

Frauenchor, eine Vereinigung weiblicher, nicht so^ 
listisch Singender, auch Bezeichnung fur eine von ih- 
nen gesungene Komposition. Im Vergleich zum in 
gleicher Tonhohe singenden Kinder- oder Knaben- 
chor ist fiir den Fr. sein (vor alien Dingen durch die 
Altstimmen bedingtes) grofieres Klangvolumen cha- 
rakteristisch. - Fr.-Gesang ist in friihen Hochkulturen 
(z. B. Agypten und Palastina) im kultischen (bei Got- 
tesdienst, Totenfeiern, Initiationsriten) und weltlichen 
Bereich (z. B. bei Siegesfeiern) nachweisbar. Im Fruh- 
christentum beteiligte sich der Fr. am Hymnen- und 
Psalmengesang in der Kirche; von Jungfrauenchoren 
vorgetragene Gesange richteten sich gegen die aria- 
nische Lehre. Die Bemiihungen, den Fr. aus der 
Kirche zu verbannen (seit dem 4. Jh.), wirkten sich 
im 6. Jh. auf die Gemeindekirchen aus (wo Knaben- 
die Frauenstimmen ersetzten) und bezogen im 7. Jh. 
auch die Nonnenkloster ein. Doch nur von wenigen 
Orden (z. B. Pramonstratenser und Bernhardiner) 
wurden diese Verbote befolgt, so daB - auch durch die 
Auffiihrung geistlicher Spiele - die Nonnenkloster im 
Mittelalter Hauptpflegestatten des chorischen Frauen- 
gesanges waren. In italienischen Klostern gab es seit 
dem 15. Jh. Kompositionen von Nonnen. DaB ihre 
Gesange oft die der Kultmusik gezogenen Grenzen 
tiberschritten, zeigt die Ermahnung Savonarolas von 
1494, »vom Prunk und Tand bei der Einkleidung der 
Nonnen« (iiber die Funktion des Fr.s bei diesem Feste 
schreibt B.Buonmattei, Modo di consecrar le uergini, 
1622) und »von den kiinstlichen Gesangen«, d. h. von 
der Figuralmusik, abzulassen. Der gef orderten Schlicht- 
heit entsprechen die fiir die Florentiner Nonnen ge- 
schriebenen Lauden von S.Razzi (Buch I Venedig 
21563, Buch II Florenz 1609), die zu den fruhesten 
mehrstimmigen Kompositionen fiir Fr. zahlen. Die 
vier venezianischen Madchenkonservatorien (degli 
Incurabili, dei Mendicanti, di San Giovanni e Paolo 
und della Pieta) wurden von einem Maestro di Coro 
geleitet. Zu den Musikern, die diese Stellung bekleide- 
ten oder Kompositionen fiir jene Anstalten schrieben, 
gehoren Bertoni, Cimarosa, Galuppi, Gasparini, Hasse, 
Jommelli, Legrenzi, Lotti, Porpora, Saratelli, Traetta, 
Vivaldi und Ziani. Gesangs- und Instrumentalmusik 
wurde von den Schiilerinnen aufgefiihrt, so etwa bei 
der Auffiihrung des Oratoriums II ritomo di Tobia von 
Galuppi anlafilich der Anwesenheit Papst Pius' VI. 
(1782). Von den fiir die Konservatorien geschriebenen 
Werken sind besonders wichtig das Miserere fiir 4st. 
Fr., Soli und Orch. (1782) von Hasse und das Laudate 
pueri fiir doppelten Fr. von Jommelli. - AuBerhalb 
Italiens war fiir die Entwicklung des Fr.s im 17.-18. Jh. 
vor allem das Musikleben an den Madchenpensionaten 
entscheidend. In England dirigierte Susanna Perwich 
um 1 650 in einer von ihrer Mutter geleiteten Madchen- 
schule Chor und Orchester der Zoglinge. 1689 fiihrten 
Schiilerinnen des Internats Chelsea Purcells Oper Dido 
and Aeneas auf. In Frankreich schrieben Lully, Cou- 
perin, Delalande, Mattheau, Coqueret und Cleram- 



303 



Frauenchor 



bault f iir die Madchen des von Madame de Maintenon 
1682 begriindeten Pensionats (Maison Royale) in St. 
Cyr. Fur dieses Institut entstanden audi die von J.-B. 
Moreau vertonten l-3st. Chore zu den Aktschliissen 
der ebenfalls fiir die Madchen geschriebenen Dramen 
Esther und Athalie von Racine. - Obwohl die Frau 
schon friihzeitig (in der 2. Halfte des 16. Jh. in Italien, 
im 17. Jh. in Frankreich, im 18. Jh. in Deutschland) als 
Solistin oder als Mitglied eines weiblichen Ensembles 
musizierte, trat sie als Chorsangerin (auch im gemisch- 
ten Chor) auBer im Kloster, Konservatorium oder 
Pensionat erst seit der 1. Halfte des 19. Jh. auf. Verhalt- 
nisse wie am Baden-Durlachischen Hofe, wo der Mark- 
graf Karl Wilhelm von 1714 bis 1737 ein nur aus Mad- 
chen zusammengesetztes Opernensemble einschlieB- 
lich Chor und Ballett unterhielt, sind Ausnahmeer- 
scheinungen. Die seit der Mitte des 18. Jh. fortschrei- 
tende Emanzipierung der Frau veranderte auch ihre 
Stellung im offentlichen Musikleben. Zwar blieb das 
Musizieren der Frau zunachst noch auf den hauslich- 
gesellschaf tlichen Kreis beschrankt, drang aber im Lau- 
fe des 19. Jh. immer mehr auch in die Offentlichkeit, 
begiinstigt durch die Eingliederung der Musikcrziehung 
fiir Madchen in den Lehrplan der Schulen. 1834 wurden 
das Singen nach Noten und das Chorsingen in den 
Elementarschulen Berlins fiir Madchen obligatorisch. 
Es entstand die besondere Literaturgattung der Mar- 
chenkomposition (Reinecke, Abt, Hummel, Krause), 
bestimmt fiir Frauenchore an hoheren Tochterschulen 
und Lehrerinnenseminaren. An den neuentstandenen 
Singschulen (1771 in Leipzig durch Hiller, 1806 Sing- 
institut fiir junge Frauenzimmer in Erlangen) wurden 
auch Frauen unterwiesen. Frauenchore bildeten sich 
zunachst als gesellige Zirkel um einen Komponisten 
(Brahms leitete ab 1857 in Detmold, ab 1859 in Ham- 
burg einen Fr.) oder als Schiilerkreise von Gesangs- 
lehrerinnen (Schubert komponierte fiir die Schiilerin- 
nen von Anna Frohlich in Wien; in Hamburg schrieb 
1823 Louise Reichardt fiir ihren 1814 gegriindeten Fr. ; 
in Stuttgart bestand 1830 ein Fr. unter Emilie Zum- 
steeg). Haufig entstand ein separater Fr. aus den Da- 
men eines gemischten Chores; Schumann schrieb seine 
Fr.-Romanzen op. 69 und 91 fiir die Damen der unter 
seiner Leitung stehenden Dresdener Chorgemeinschaf t. 
Im 1-9.J und zu Beginn des 20. Jh. schrieben fiir Fr. : 
Berlioz, Brahms, Bruch, Debussy, Faure, Gade, Gla- 
sunow, Grieg, Ljadow, Liszt, Mahler, Mandyczewski, 
Pfitzner, Rheinberger, Rimskij-Korsakow, Rossini, 
Roussel und Verdi. Weber (Freischiitz) , Lortzing (Wild- 
schutz), Verdi (II Trovatore und Aida) verwendeten 
in der Oper den Fr. selbstandig. Im 20. Jh. nahm das 
Interesse am Fr.-Gesang, bedingt u. a. durch die musi- 
kalische Jugendbewegung, stark zu, und es kam zur 
Griindung eigener Vereine. Zu den Komponisten, in 
deren Werk Kompositionen fiir Fr. enthalten sind, ge- 
horen Bartok, Distler, Driessler, Haas, Knab, Kodaly, 
Kfenek, Lahusen, Marx, Micheelsen, Pepping, Ravel, 
Reger, Rein, Reutter, Rohwer, Strawinsky, Sturmer 
und Zilcher. 

Lit.: A. Taphanael, Le theatre de St. Cyr, Paris 1876; H. 
Kretzschmar, Chorgesang, Sangerchore u. Chorver., 
= Slg mus. Vortrage I, hrsg. v. P. Graf v. Waldersee, Lpz. 
1 879 ; M. Brenet, La musique dans les convents de femmes 
depuis le moyen age jusqu'a nos jours, Paris 1898; E. 
Chaillier, Frauen- u. Kinderchor-Kat., GieBen 1904; L. 
Schiedermair, Die Oper an d. badischen Hofen d. 17. u. 
18. Jh., SIMG XIV, 1912/13; K. Meyer, Der chorische 
Gesang d. Frauen mit besonderer Bezugnahme seiner Be- 
tatigung auf geistlichem Gebiet I : Bis zur Zeit um 1 800, 
Lpz. 1917; A. Krille, Beitr. zur Gesch. d. Musikerziehung 
u. Musikiibung d. deutschen Frau v. 1750-1820, Diss. Bin 
1938; W.Ehmann, DerThibaut-Behaghel-Kreis.AfMf III, 



1938 - IV, 1939; H. Engel, Das Chorwesen in soziologi- 
scher Sicht, ZfM CXIII, 1952; E. Valentin, Hdb. d. Chor- 
musik, 2 Bde, Regensburg 1953-58; S. Drinker, Die Frau 
in d. Musik, Zurich 1955; H. Frey, Werden Frauenchore 
zu wenig beachtet?, Deutsche Sangerbundzeitung XLIII, 
1954; ders., J. Brahms u. d. Fr., Lied u. Chor L, 1958; 
ders., Aus d. Gesch. d. Fr., ebenda; A. Friedrich, Beitr. 
zur Gesch. d. weltlichen Fr. im 19. Jh. in Deutschland, 
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XVIII, Regensburg 
1961 ; S. Kross, Brahmsiana, Der NachlaS d. Schwestern 
Volckers, Mf XVII, 1964. 

Freiberg in Sachsen. 

Lit.: G. Schunemann, Fr.er Bergmusiker, Fs. H. Kretz- 
schmar, Lpz. 1918; ders., Die Bewerber um d. Fr.er Kan- 
torat (1556-1798), AfMw I, 1918/19; E. Muller, Mg. v. 
Fr., =Mitt. d. Fr.er Altertumsver. LXVIII, Fr. 1939; 
ders., Die Musikinstr. in d. Fr.er Domkapelle, AfMw 
XIV, 1957. 

Freiburg im Breisgau. 

Lit. : J. B. Trenkle, Fr. gesellschaftliche, theatralische u. 
mus. Inst., Fr. 1856; W. Schlano, Das Fr.er Theater, Fr. 
1910; O. Hoerth, Fr. u. d. Musik, Fr. 1923; C. Winter, 
Das Orgelwerk d. Fr.er Miinsters, Fr. (1930); G. v. Grae- 
venitz, Musik in Fr., Fr. 1938; H. Wachtel, Die liturgi- 
sche Musikpflege im Kloster Adelhausen seit d. Griindung 
d. Klosters 1234 bis um 1500, = Fr.er Diozesan-Arch., 
N. F. XXIX, 1938 ; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. 
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf VI, 1941 ; 
A. E. Harter, Zur Mg. d. Stadt Fr. i. Br. um 1 500, Diss. Fr. 
1952, maschr. ; R. Hammerstein, Die Musik am Fr.er 
Minister, AfMw IX, 1952; K. Ameln, Die neue Praetorius- 
Org., Musica X, 1956; W. Gurlitt, The Praetorius Organ 
in Fr., The American-German Review XXII, 1956; G. 
Seifert, Die Choralhss. d. Predigerklosters zu Fr. i. Br. um 
1500, Diss. Fr. 1957, maschr. 

Freiburg im Uechtland (Schweiz). 
Lit. : K. G. Fellerer, Ma. Musikleben d. Stadt Fr. i. Ue., 
= Fr.er Studien zur Mw. Ill, Regensburg 1935; ders., 
Orgeln u. Organisten an St. Nikolaus zu Fr. i. d. Schw. im 
1 5.-19. Jh., KmJb LII, 1958 ; J. Keller, La vie mus. a Fri- 
bourg de 1750 a 1843, Arch, de la Soc. d'hist. du canton de 
Fribourg XV, 1941 ; G. Zwick, Les proses en usage a l'eg- 
lise de St. Nicolas a Fribourg jusqu'au 18 e s., 2 Bde, Im- 
mensee 1950. 

Freimaurer musik. Neben der Musik fiir den Ritus 
wurde besonders im 18. Jh. das gesellige volkstiimliche 
Lied gepflegt, wobei bekannten Melodien oft (in Eng- 
land Catches und Glees, in Frankreich Chansons und 
Vaudevilles ; ein Freimaurerlied bei Sperontes, Die sin- 
gende Muse an der Pleifte, 1736) neue Texte unterlegt 
wurden. Im spaten 18. und friihen 19. Jh. war der hu- 
manitare Geist auch aufierhalb des Freimaurertums 
verbreitet (Beethoven war nicht Freimaurer). Eine 
Reihe bedeutender Musiker war Freimaurer, in Eng- 
land, wo in London 1717 die erste Loge gegriindet 
worden war, Ch.King, Boyce, Arne, S.Wesley, W. 
Hayes und Th.Attwood, in Frankreich, wo die Frei- 
maurerei von England aus ab 1725 FuB faBte, u. a. 
Clerambault, in Osterreich, wo das Freimaurertum 
nach 1740 eine Bliite erlebte, Wranitzky, Kozeluch, 
G. Benda, J. Haydn und W.A.Mozart. Mozart schrieb 
an Fr. die Lieder K.-V. 468, 483, 484, die Kantaten 
K.-V. 471 und 623, die Maurerische Trauermusik K.-V. 
477'; Gedanken des Freimaurertums sind auch in K.-V. 
429 und 619 enthalten. Das bedeutendste Werk im 
humanitaren Geiste der Freimaurerei ist die Zauberflote. 
In Deutschland waren Freimaurer u. a. Lowe, Abt, 
Lortzing, ReiBiger, Spohr, Naumann, Liszt, auch H. 
Riemann. Freimaurerlieder erschienen in Sammlun- 
gen von Naudot (1737), in Deutschland zuerst von L. 
Fr. Lenz (1 746, mit Melodien anonymer Komponisten) , 
in England von Th.Hale (1763), aufierdem u. a. von 
Scheibe (1749-85), C. Ph. E.Bach, Naumann und 
Schulz (1788), J.K.Ambrosch und J.M.Boheim 



304 



Frequenzbestimmung 



(1793ff.), A.Andre (o. J.), Liborius von Bergmann 
(1785),J.G.Naumann (1782), Fr.Hurka (urn 1800), A. 
Neithardt (1820). 

Lit.: P. Nettl, Mozart u. d. Konigliche Kunst, Bin 1932, 
als: Musik u. Freimaurerei, ESlingen 2 1956, engl. NY 1 957; 
O. E. Deutsch, Mozart u. d. Wiener Logen, Wien 1932; 
R. Cotte, Les musiciens dans l'hist. de la Franc-Macon- 
nerie, Rev. internationale de musique Nr 1 1, 1951 ; S. Mo- 
renz, Die Zauberflote, Miinster i. W. 1952; R. Hammer- 
stein, Der Gesang d. geharnischten Manner, AfMw XIII, 
1956; E. A. Ballin, Der Dichter v. Mozarts Freimaurer- 
lied »0 heiliges Band« u. d. erste erhaltene deutsche Frei- 
maurerliederbuch, Tutzing 1960. 

Freising (Oberbayern). 

Lit.: O. Ursprung, Fs. ma. Mg., in: Wiss. Festgabe zum 
1 200jahrigen Jubilaum d. HI. Korbinian, hrsg. v. J. Schlicht, 
Miinchen 1924; ders., Das Fr.er Petruslied, Mf V, 1952; 
K. G. Fellerer, Beitr. zur Mg. Fr. v. d. altesten christli- 
Chen Zeiten bis . . . 1803, Fr. 1926. 

French sixth (faentj siksO, engl., franzosische Sexte), 
bei englischen Theoretikern (und selbst dort als will- 
kiirlich bezeichneter) Name fur den ubermaBigen 
Terzquartakkord = Doppeldominantseptakkord auf 
der tief alterierten Quinte (§) 7 ), z. B. in C dur as-c-d- 

fis. -> German sixth, -» Italian sixth. 

Frequenz bezeichnet die Anzahl von -> Schwingun- 
gen pro Zeiteinheit. Sie wird in Hertz (Hz) = Schwin- 
gungszahl pro Sekunde angegeben (nach dem Physiker 
Heinrich Hertz, 1857-94, der als erster Versuche und 
Berechnungen iiber die Ausbreitung elektromagneti- 
scher Wellen anstellte). Im Ausland gilt die Bezeich- 
nung cycle per second (cps). Unter der Periode T ei- 
ner Schwingung wird ihre Dauer verstanden. Sie ist 

der Kehrwert der Fr. Ist/die Fr., dann gilt also/ = -=, 

d. h. je kiirzer die Periode ist, um so groBer ist die Fr. 
Beispielsweise ist fur 1000 Hz (= 1 kHz) T = Viooo sec. 

Frequenzanalyse (auch Klang-, Schall-, Schwin- 
gungs-, Spektralanalyse) ist die Beobachtung und Mes- 
sung der in einem Schwingungsablauf enthaltenen 
Amplituden, Frequenzen und Phasen von Teilschwin- 
gungen. Sie gibt AufschluB iiber Schwingungsstruktu- 
ren von Instrumenten, Sprache und Gesang, die wie- 
derum zur Losung einer Vielfalt musikalisch-akusti- 
scher Probleme beitragen. Vor der Entwicklung elek- 
trischer Verstarkersysteme wurden dazu mechanische 
Gerate (Resonatoren, Interferenzrohren) und die 
-> Fourieranalyse benutzt. Die modernen elektrischen 
Verfahren (Oktavsieb-, Suchtonanalyse u. a.) haben 
gegenuber den alteren den Vorzug, eine unmittelbare 
Analyse des Schallvorganges zu ermoglichen. Allen 
Analysen liegt eine von G. S. Ohm 1843 veroffentlichte 
Abhandlung zugrunde, in der u. a. Untersuchungen 
zusammengesetzter Schwingungen mitgeteilt werden. 
Ihr Ergebnis, die Hypothese iiber die Eigenschaft des 
Ohres, periodische Schwingungsvorgange in ihre Teil- 
schwingungen zu zerlegen, ist als sogenanntes Ohm- 
sches Gesetz der Akustik bekannt. H. v. Helmholtz He— 
ferte darauf aufbauend mittels Resonatorversuchen die 
ersten Analysen, nach denen er z. B. die Klangfarbe 
durch Zahl und Starke vorhandener Teilschwingungen 
zu bestimmen suchte und vor allem Anregung f iir sei- 
ne Resonanztheorie des Horens gewann (-> Hortheo- 
rie) ; in diesem Zusammenhang steht der Begriff »me- 
chanische Fr. der Schnecke« (v. Bekesy). Stumpf beob- 
achtete sowohl den Umfang beteiligter Frequenzen bei 
Vokalen und Konsonanten als auch Klangfarbenande- 
rungen bei Entzug von Teilschwingungen, den er 
durch Interferenz eines durch Rohren geleiteten Schal- 
les erreichte. Bereits 1898 wurde ein erstes Verfahren 



zur unmittelbaren Analyse (von Wechselstromen) 
durch Th. des Coudres angegeben. Aber erst die Ent- 
wicklung der -»■ Elektronenrohre ermoglichte es, die 
geringen Energien akustischer Prozesse einer genauen 
physikalischen Messung zuzufuhren, so daB nun elek- 
tronische Analysatoren die Stelle der bisher ausschlieB- 
lich subjektiven Beobachtung einnehmen. Die ge- 
brauchlichsten Verfahren sind die Suchtonanalyse 
(Grutzmacher), das Tonfrequenzspektrometer (Frey- 
sted), die Oktavsieb-Oszillographie (Trendelenburg) 
und die -*■ Visible speech-Analyse. Mit ihnen werden 
hauptsachlich die Amplituden und Frequenzen der 
Teilschwingungen bestimmt. Die Analysatoren erfas- 
sen oft nur die (quasi-) stationaren Abschnitte eines 
Schwingungsverlaufes, da die Einschwingvorgange 
einiger Bestandteile (Siebkette, Filter) der Apparaturen 
langsamer verlaufen als die der zu messenden Schwin- 
gungen. Die Untersuchungen iiber Frequenzumfang, 
Intensitat, genaue spektrale Verteilung (-> Frequenz- 
spektrum) und den zeitlichen Verlauf der Teilschwin- 
gungen bei Stimm- und Instrumentenklang verhelfen 
zu Aussagen iiber stimmphysiologische Vorgange, iiber 
instrumentale Schallerzeugung, sie geben Aufschliisse 
fur Instrumentenbau und die Schalliibertragungstech- 
nik. 

Lit. : G. S. Ohm, liber d. Definition d. Tones . . . , Annalen 
d. Physik u. Chemie LIX, 1843 - LXU, 1844; H. v. Helm- 
holtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen, Braunschweig 
1863, "1877; C. Stumpf, Tonpsychologie II, Lpz. 1890; 
Th. des Coudres, Eine direkte Methode f. Wechselstrom- 
analyse, Elektrotechnische Zs. XXI, 1900; M. Grutz- 
macher, Eine neue Methode d. Klanganalyse, Elektrische 
Nachrichtentechnik IV, 1927; E. Freystedt, Das Tonfre- 
quenzspektrometer, ein Frequenzanalysator . . . , Zs. f . 
technische Physik XVI, 1935; F. Trendelenburg u. E. 
Franz, Untersuchungen an schnellveranderlichen Schall- 
vorgangen, ebenda; G. v. Bekesy, Fortschritte d. Horphy- 
siologie, ebenda XVII, 1936; ders., Ober d. mechanische 
Fr. einmaliger Schwingungsvorgange . . . , Akustische Zs. 
II, 1937; H. H. Hall, Sound Analysis, JASA VIII, 1936/ 
37 ; F. Trendelenburg, Ohms akustisches Grundgesetz u. 
d. neueren Anschauungen iiber d. Klanganalyse durch d. 
Ohr, Elektrotechnische Zs. LX, 1939; ders., Einfiihrung 
in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961; W. 
Meyer-Eppler, Die Spektralanalyse d. Sprache, Zs. f. 
Phonetik IV, 1950; ders., Schwingungsanalyse nach d. 
Suchtonverfahren, Arch. d. elektrischen Ubertragung IV, 
1950; ders., Experimentelle Schwingungsanalyse, in: Er- 
gebnisse d. exakten Naturwiss. XXIII, Bin, Gottingen u. 
Heidelberg, 1950; F. A. Fischer, Die grundlegenden Be- 
griffe u. Gesetze d. Fr., in: Der Fernmeldeingenieur VI, 
1952, H. 10; W. Kallenbach, Anwendungsmoglichkeiten 
d. Schallspektrographie bei akustischen Untersuchungen, 
Acustica IV, 1 954 ; E. Skudrzyk, Die Grundlagen d. Aku- 
stik, Wien 1954; H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw., Hei- 
delberg (1958). WiD 

Frequenzbestimmung. Zur Fr. konnen Vergleichs- 
und Zahlverfahren benutzt werden. Im einfachsten 
Fall dient als Vergleichsnormal eine geeichte Stimm- 
gabel. Um etwa die genaue Frequenz des ai eines Or- 
gelregisters bestimmen zu konnen, laBt man die Or- 
gelpfeife und eine Stimmgabcl (440 Hz) gleichzeitig 
erklingen und zahlt (mit einer Stoppuhr) die Anzahl 
der auftretenden -*■ Schwebungen. Bei z. B. 3 Schwe- 
bungen/sec betragt die gesuchte Frequenz 440 + oder 
- 3 Hz. Ob die Pfeife 443 oder 437 Hz abgibt, laBt 
sich feststellen, indem man die Frequenz der Gabel 
durch Beschweren einer Zinke mit einem leichten Ge- 
wicht herabsetzt. Werden darauf die Schwebungen 
schneller, so gilt fur die Pfeife 443 Hz, werden sie lang- 
samer, gilt 437 Hz. Fur genauere Messungen wird die 
Stimmgabel durch einen -> Generator ersetzt, dessen 
Frequenz meBbar geregelt werden kann und auf Schwe- 
bungsfreiheit eingestellt wird. Auch das stroboskopi- 



20 



305 



Frequenzspektrum 

sche Verfahren liefert gute Ergebnisse. Mit der zu un- 
tersuchenden Frequenz wird eine Glimmlampe ge- 
steuert, die eine rotierende, in schwarze und weiBe 
Segmente aufgeteilte Scheibe beleuchtet. Die Ge- 
schwindigkeit der Scheibe ist regelbar und wird so ein- 
gestellt, daB scheinbarer Stillstand beobachtet wird. 
Aus der Anzahl der Segmente multipliziert mit der An- 
zahl der Umdrehungen/sec ergibt sich die Frequenz. 
Neuerdings werden in zunehmendem MaBe elektroni- 
sche Zahler benutzt. Nach Aussieben der Oberschwin- 
gungen hinter Mikrophon und Verstarker wird die zu 
messende Grundschwingung in eine synchrone Im- 
pulsfolge umgewandelt, die wiederum zur Auslosung 
dekadischer Zahlapparaturen dient. Auf diese Weise 
lassen sich die Frequenzen des Horbereiches mit groB- 
ter Genauigkeit messen. 

Lit. : L. L. Beranek, Acoustic Measurements, NY u. Lon- 
don (1949), 2 1950; W. Meyer-Eppler, Experimentelle 
Schwingungsanalyse, in : Ergebnisse d. exakten Naturwiss. 
XXIII, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1950; H. Husmann, 
Einfiihrung in d. Mw., Heidelberg (1958); F. Trendelen- 
burg, Einfiihrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidel- 
berg 31961. 

Frequenzspektrum wird die graphische Darstellung 
der Teilschwingungen eines Schwingungsablaufes ge- 
nannt, die zu einer optischen Vorstellung iiber deren 
Anzahl, Starke und Verteilung verhilft. Die Zerlegung 
in einzelne, diskret verteilte Schwingungen im Linien- 
spektrum geschieht so, daB die gemessenen Frequenzen 
und Amplituden in ein Koordinatensystem eingetra- 
gen werden, wobei die Amplituden als Strecken (paral- 
lel zur Ordinate) iiber den auf der Abszisse (nach rechts) 
abgetragenen Frequenzen erscheinen. Auf das Banden- 
spektrum fiihrt z. B. die -*■ Fourieranalyse. Hier er- 
scheinen in der graphischen Darstellung die Amplitu- 
den im kontinuierlichen Ablauf, zusammengesetzt aus 
einer Vielzahl unendlich dicht nebeneinanderliegender 
Teilschwingungen. 

Sinusschwingung (WOOHz) 



12 3 4 

Oboe h (247 Hz) 



6 kHz 



12 3 4 

Rdhrenglocke c (131 Hz) 



6 kHz 



6 kHz 



Fr. einer Sinusschwingung, eines periodischen 

(Oboe) und eines unperiodischen 

Schwingungsvorganges (Rohrenglocke). 



Sehr oft lassen sich am Fr. eines Instrumentes und be- 
sonders der menschlichen Stimme Amplitudenmaxi- 
ma nachweisen, die trotz veranderter Tonhohe ihre 
Lage iiber einem bestimmten Frequenzgebiet (auf der 
Abszisse) beibehalten. Solche bevorzugt ausgebildeten 
Gebiete von Teilschwingungsgruppen werden For- 
mantgebiete (-> Formant) genannt. 

Fricassee (frz.), in Frankreich im 16. Jh. eine dem 
-»■ Quodlibet und friihen -*■ Potpourri ahnliche, meist 
4st. ^Composition. Die erste gedruckte Fr. erschien in 
Attaingnants Trente et quatre chansons musicales (1528); 
eine Fr. von H.Fresneau im 3. Buch von Le Parangon 
des chansons (1538) enthalt Bruchstiicke von 100 Chan- 
sons. Wahrscheinlich unter franzosischem EinfluB ent- 
standen ahnliche, meist 3st. Kompositionen (Medley) 
in England und Schottland. So sind in den von J. For- 
bes in Aberdeen 1666 in 2. Auflage gedruckten Songs 
and fancies 3 Stiicke iiberliefert, die wohl aus der 1. 
Halfte des 16. Jh. stammen. Wie die franzosische Fr. 
gehoren sie mit Tanz und Spiel in den Rahmen eines 
kirchlichen (Weihnachten), hofischen oder landlichen 
Festes. 

Ausg. : Pleugh Song u. Christmas Medley, in: Music of 
Scotland 1500-1700, hrsg. v. K. Elliott u. H. M. Shire, 
= Mus. Brit XV, London 1957. 

Lit. : Fr. Lesure, Elements populaires dans la chanson frc. 
au debut du XVI e s., in: Musique et poesie au XVI e s., 
= Colloques internationaux . . . , Sciences humaines V, 
Paris 1954; H. M. Shire u. K. Elliott, La fr. en Ecosse ..., 
in : Les fdtes de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 
1956. 

Friktionsinstrumente (frz. friction, Reibung), durch 
Reiben zum Erklingen gebrachte Instrumente; auBer 
der -> Reibtrommel handelt es sich um -> Idiophone. 
Die Friktion kann unmittelbar mit der Hand (Glashar- 
monika, Euphon) oder mechanisch durch rotierende 
Zylinder u. 5. (-> Clavicyhnder, -*■ Nagelgeige, -*■ Ter- 
podion) eriolgen. Auch das Streichen bei den Bogen- 
instrumenten ist, streng genommen, eine Sonderform 
der Friktion. 

Friss, Friszka (ungarisch) ->• Csardas. 

Frosch (engl. nut, frog, heel; frz. talon; ital. tallone), 
das Griffende beim -> Bogen (- 2) der Streichinstru- 
mente; »am Frosch« (au talon) zu spielen, wird vorge- 
schrieben, um eine harte Tongebung zu erzielen. 

Frottola (ital., wahrscheinlich von frotta, Schwarm; 
eine Ansammlung von Sonderbarem), eine in der 2. 
Halfte des 15. und in den ersten Jahrzehnten des 16. Jh. 
in Ober- und Mittelitalien (Mantua, Verona, Modena, 
Padua, Venedig, Florenz) gepflegte Liedform, die be- 
sonders durch die Sammelbande des venezianischen 
Druckers Petrucci (11 Biicher von 1504-14) bekannt 
ist. Weitere Sammlungen liegen vor in Drucken von 
A. de Antiquis (ab 1510). Der letzte bekannte Frotto- 
lendruck erschien 1531 in Rom bei Valerio Dorico. 
Danach geniigte diese Gattung den gesteigerten An- 
spriichen nicht mehr und wurde von Madrigal, Villota 
und Villanesca verdrangt. Der musikalische Satz der 
Fr. ist fast durchweg vierstimmig und homophon ge- 
halten; in Anlehnung an die Setzweise der Niederlan- 
der kommt es mitunter zu einer Scheinpolyphonie : 
Sopran und Tenor bilden das Geriist des Satzes, BaB 
und Alt umspielen mehr den harmonischen Verlauf. 
Die Melodie liegt im Sopran, der BaB verlauft in der 
Art des spateren Generalbasses in Quint- und Quart- 
schritten; im Gegensatz zum Madrigal sind bei der Fr. 
die Stimmen sukzessiv (Sopran - Tenor - BaB - Alt) 
konzipiert. Das zeigt sich u. a. darin, daB bei Lauten- 
intavolierungen der Alt als zuletzt eingefiigte Stimme 
weggelassen wird. Mit Text versehen ist meist nur die 



306 



Fuga 



Oberstimme, was auf fakultative instrumentale Aus- 
f iihrung schlieBen laBt. Von geschickten Lautensangern 
wurden vielfach an den Hofen Frottolen aus dem Steg- 
reif improvisiert; feste Melodieschemata, die auf Ver- 
se mit einer bestimmten Silbenzahl paBten, kamen ih- 
nen dabei zu Hilf e. Zur Fr. im weiteren Sinne gehoren 
auch die Florentiner Karnevalslieder (->• Canto carna- 
scialesco), die als 3- oder 4st. Aufzugslieder von Mas- 
ken ihre Bliitezeit in Florenz wahrend der Regierungs- 
zeit des Lorenzo de' Medici (f 1492) hatten. Die Haupt- 
vertreter der 4st. Fr.-Komposition sind Marchetto Ca- 
ra aus Verona und B.Tromboncino in Mantua. In Pe- 
truccis Drucken sind unter anderen vertreten : Fr. Ana, 
G.Broccho, Capreolo, L. Compere, Onofrio Anteno- 
reo, Jusquin d'Ascanio (Josquin Desprez), Cariteo, Pe- 
legrino Cesena, Eneas Dupre, G. Luppatus, F. de Lura- 
no, M. Pesenti, Nicolo Pif aro, G. de la Porta, A. Rigum, 
A.Rossetus, Rossino. Namentlich bekannte Dichter- 
sanger sind Cariteo (Neapel), Serafino Aquilano (Rom), 
Cosa (Mailand), Testagrossa (Pavia). Die Fr.-Dichter 
wurden zwar von der Volksdichtung inspiriert, schrie- 
ben und sangen aber fur die gebildete Biirgerschicht 
und die Aristokratie. Als Dichtungsform ist die eigent- 
liche Fr. ein Absenker der Ballata und reprasentiert de- 
ren einfachste und kunstloseste Art mit folgenden zwei 
Typen: die Fr. barzelletta, bestehend aus Ripresa mit 
vier trochaischen 8Silblern mit der Reimfolge abba 
oder a b a b, Mutazione mit der Reimfolge c d c d und 
der Volta mit der Reimfolge d a oder d e e a ; ein zwei- 
ter Fr.-Typus, bestehend aus Strophen zu vier jambi- 
schen 7Silblern mit oder ohne Refrain, dessen Reim- 
ordnung in der Ripresa abba oder a a a a, in den Stro- 
phen ccca, ddda, eeea usw. ist. Dariiber hinaus ist 
Fr. ein Sammelbegriff, der viele in Musik gesetzte 
Dichtungsformen umfaBt: den Strambotto (auch Ri- 
spetto oder Ottava rima genannt) mit Strophen zu je 
acht HSilblern nach dem Reimschema abababcc; 
den Capitolo, eine Strophenfolge von je drei 1 1 Silblern 
nach dem Reimschema aba, bcb, cdc usw. ; die Oda, 
eine Folge von 4zeiligen Strophen, von denen die 
ersten drei Verse stets jambische 7Silbler darstellen, der 
letzte 4, 5, 7 oder 11 Silben zahlen kann, nach dem 
Reimschema abbe, cdde, effg; das Sonetto mit 14 
llsilbigen Verszeilen nach dem Reimschema abba, 
abba, cde, cde; die Kanzone, die sich aus Strophen 
zusammensetzt, in denen 7- und 1 1 Silbler f rei wechseln, 
deren jede sich in zwei Teile, in Fronte mit zwei Piedi 
und Volta, gliedert. Die Fr.-Komponisten suchten 
leicht eingangliche Melodien zu schaffen. Eine bemer- 
kenswerte Klarheit im Formaufbau erreichten sie, in- 
dem z. B. gleiche Reimzeilen musikalisch wiederholt 
werden. Bei mehrstrophigen Gebilden begniigten sich 
die Frottolisten oft nur mit der Vertonung der ersten 
Strophe des Textes und iiberlieBen die Unterlegung 
der weiteren den Ausfiihrenden. Die Texte haben in- 
haltlich die Liebe zum Hauptgegenstand, als Loblied auf 
die geliebte Person, haufiger als Beschreibung der Lei- 
den des verschmahten oder erf olglosen Liebhabers ; sie 
galten als gesellschaftliches poetisches Spiel. 

Ausg. : O. Petrucci, Frottole, Buch I u. IV, hrsg. v. R. 
Schwartz, = PaM VIII, Lpz. 1933-35; A. Einstein, Can- 
zoni, sonetti, strambotti et frottole, libro tertio, = Smith 
College Music Arch. IV, Northampton (Mass.) 1941 ; W. 
Rubsamen, Literary Sources of Secular Music in Italy, 
= Univ. of California Publications in Music I, 1, Berkeley 
1943 ; Le frottole nell'edizione di O. Petrucci, Tomo I, libro 
I, II, e III, =Inst. et monumenta, Serie I, 1, hrsg. v. R. 
Monterosso mit einer Einfuhrung v. B. Disertori, Cremo- 
na 1954. 

Lit.: R. Schwartz, Die Fr. im 15. Jh., VfMw II, 1886; 
ders., Nochmals »Die Fr. im 15. Jh.«, JbP XXXI, 1924; 
ders., Zum Formproblem d. Fr. Petruccis, Fs. Th. Kroyer, 



Regensburg 1933 ; A. Einstein, Das 11. Buch d. Fr., ZfMw 
X, 1927/28; ders., Die mehrst. weltliche Musik v. 1450- 
1600, Adler Hdb. I; H. Besseler, Die Musik d. MA u. d. 
Renaissance, Biicken Hdb.; E. Ferand, Ein neuer Fr.- 
Fund, AMI X, 1938; F. Torrefranca, II segreto del quat- 
trocento, Mailand 1939; Das mehrst. Lied d. 16. Jh. in 
Italien, Frankreich u. England, hrsg. v. H. Engel, = Das 
Musikwerk III, K61n (1952); G. Reese, Music in the Re- 
naissance, NY (1954), 21959; W. H. Rubsamen, From Fr. 
to Madrigal: The Changing Pattern of Secular Ital. Vocal 
Music, in: Chanson and Madrigal, 1480-1530, hrsg. v. J. 
Haar, =Isham Library Papers II, Cambridge (Mass.) 1964. 

Fiihrer-*- Dux. 

Fiillstimmen, im mehrstimmigen Tonsatzharmonie- 
und klangverstarkende Stimmen (-»■ Mittelstimmen), 
die an der Satzstruktur relativ unbeteiligt sind. Die F. 
erganzen zumeist einen innerhalb des Satzgefiiges feh- 
lenden Harmonieton, was zu sprunghafter Stimmfiih- 
rung fiihren kann (->■ Vagans); als Klangverstarker 
konnen sie auch parallel zu einer Stimme verlaufen. 

Fuga (lat., Flucht) bezeichnete seit dem 14. Jh. den 
Kanon, seit Ende des 15. Jh. auch Arten der Imitation, 
nahm aber seit dem 17./18. Jh. die spezielle Bedeutung 
von Fuge an. Schon Jacobus Leodiensis (um 1330) 
kannte die F. als ausgepragten Typ, denn er erwahnt 
die Anwendung des Discantus infugis (CS II, 395) und 
den Wechselgesang von 2 Sangergruppen ad modum 
fugae bei den responsorialen Neumata (CS II, 339). Si- 
cherlich ist damit der Kanon gemeint, da sich alle an- 
deren Friihbelege eindeutig auf ihn beziehen: das 
Verbum fugare kommt in der 2. Halfte des 14. Jh. im 
Bereich der ->• Chasse und seit etwa 1400 neben dem 
Wort F. besonders in Kanonanweisungen vor (Ciconia, 
Matheus de Perusio, Oswald von Wolkenstein, Dufay, 
Ockeghem u. a.). Kanontechnik wurde offenbar als ein 
»Jagen« oder »Gejagt-Werden« (»Fliehen«) der Stimmen 
aufgefaBt, was sich auch in den Namen -*■ Caccia und 
Chasse ausdriickt. Seit der 2. Halfte des 15. Jh. erscheint 
dieBezeichnung Missa ad f ugam bei Messen mit Kanon- 
technik (Standlay, de Orto, Josquin Desprez, Palestri- 
na). Neben anderen Theoretikern des ausgehenden 15. 
Jh. (Tinctoris, Florentius de Faxolis, Gaffori) ist Ramos 
de Pareja (1482) fur die F. wichtig, weil er die Mog- 
lichkeit erwahnt, vom strengen Kanonverlauf abzu- 
weichen. Das Vordringen der freien -*■ Imitation in 
dieser Zeit fiihrte dazu, daB Zarlino (1558) die offenbar 
nicht mehr klar abgegrenzten satztechnischen Termini 
so bestimmte, wie sie bis ins 17./18. Jh. hinein zumeist 
verstanden wurden: F. nannte er die streng intervall- 
gleiche Nachahmung, die nur in Einklang, Quarte, 
Quinte und Oktave erfolgen kann; als Imitatione da- 
gegen bestimmte er die nicht streng Ganz- und Halb- 
tonschritte beriicksichtigende Nachahmung, die sich 
in den iibrigen Intervallen ergibt. F. und Imitation 
konnen entweder kanonisch gebunden (legata) oder 
frei (sciolta) weitergefiihrt verkufen. Aus der F. sciolta 
entwickelte sich im 17. Jh. der spezielle Typ der -*■ Fu- 
ge. Seine Verbreitung fiihrte dazu, daB im 18. Jh. die 
F. legata in der seitlangem gleichbedeutenden Bezeich- 
nung Canon aufging. - In der Musica poetica gehort 
die F. (als F. realis, Burmeister 1606) zu den musikali- 
schen Figuren, die Bildlichkeit annehmen konnen, und 
»dient dazu, aufeinanderfolgende Handlungen auszu- 
driicken« (servit quoque actionibus successiuis exprimendis, 
Kircher 1650). Die »F., jedoch im anderen Sinn« (F. 
alio nempe sensu, Janowka 1701) ist dagegen eine musi- 
kalisch-rhetorische Figur, die durch schnelle, fliichtige 
Bewegung einer oder mehrerer Stimmen gebildet 
wird ; sie wird verwendet bei Wortern, die ein »Fliehen« 
aussagen, steht aber sonst in keinem Zusammenhang 
zur F. im satztechnischen Sinn. 



20* 



307 



Fugara 

Lit. : J. Tinctoris, Terminorum Diffinitorium musicae, CS 
IV; ders., De arte contrapuncti, CS IV; B. Ramos de Pa- 
reja, Musica practica, Bologna 1482, neu hrsg. v. J. Wolf, 
= B1MG I, 2, Lpz. 1901 ; Fr. Gaffori, Practica musice, 
Mailand 1496; Fl. de Faxolis, Liber musices (um 1495), 
teilweise hrsg. v. A. Seay in : Musik u. Gesch., Fs. L. Schra- 
de, Koln (1963); G. Zarlino, Istitutioni harmoniche, Ve- 
nedig 1558, Neudruck Rochester 1954, Teil III iibers. u. 
mit Kommentar hrsg. v. G. A. Marco, Chicago 1956; Rie- 
mann MTh ; H.-H. Unger, Die Beziehungen zwischen Mu- 
sik u. Rhetorik ira 16.-18. Jh., = Musik u. Geistesgesch. 
IV,Wurzburgl941. KJS 

Fugara (Vogara, von bohmisch fujara, Hirtenflote), 
in der deutschen Orgel seit dem 17. Jh. (in Frankreich 
erst nach 1850) ein Labialregister zu 8' oder 4' in mit- 
telengerMensur mit scharf streichendem, hellemKlang. 

Fugato (ital., fugiert), fugenmaBig gearbeiteter Ab- 
schnitt (oftmals nur aus einer Exposition bestehend) als 
Teil eines nicht vorwiegend in Fugentechnik geschrie- 
benen Satzes. Fugati finden sich oft innerhalb der Satze 
von Symphonien, Sonaten, Konzerten usw., besonders 
bei Beethoven (z. B. im Allegretto der 7. Symphonie 
und in der Durchfuhrung des 1. Satzes von op. 59, 1). 

Fuge (lat. und ital. fuga; engl. und frz. fugue, Flucht), 
ein musikalisches Werk, das streng stimmig gesetzt ist 
(zwei- bis acht-, meist aber drei- oder vierstimmig), 
das gepragt wird von einem charakteristischen, alle 
Stimmen durchwandemden Thema, und das sinnfallig 
mit diesem Thema in jeder der nacheinander einsetzen- 
den Stimmen beginnt. Die F. unterscheidet sich vom 
Kanon durch ihren freien Stimmenverlauf ; gegeniiber 
der Imitation als einer kontrapunktischen Technik ist 
sie durch formale Einheit ausgezeichnet. Kanon und 
Imitation, welche ehemals beide den Namen ->■ Fuga 
trugen, sind die Ahnen der F., die im 17. Jh. entstand 
und in der Epoche J. S.Bachs iiberragende Bedeutung 
gewann. Seit dem Zuriicktreten der F. um 1750 ist die 
F.n-Komposition im wesentlichen als standig neue 
Auseinandersetzung mit den Werken jener Bliitezeit 
zu verstehen. - Die Bauweise der F. entzieht sich auf 
Grund einer Vielfalt von Moglichkeiten alien Versu- 
chen der generellen Bestimmung. Daher lassen sich 
nur typische Ziige der F. exemplarisch veranschauli- 
chen (hier an J. S. Bachs F. C moll, BWV 847, aus dem 
Wohltemperirten Clavier I) : 

Takt 13 5 7 

Oberstimme 

Mittelstimme — 

Unterstimme 

9 11 

D 



c 



21 23 25 27 29 31 



•WNAA/WWWl/WVWWW\« • M •• B •• AAAKAAW 



■vvwwv 



- = Thema (Subjekt) 

- = beibehaltener Gegensatz (Kontrasubjekt) 1 

- = beibehaltener Gegensatz (Kontrasubjekt) 2 
freie Gegenstimme (Kontrapunkt) 

D = Dux (Fiihrer, Guida, Proposta) 

C = Comes (Gefahrte, Conseguente, Risposta) 



Die Exposition (1. Durchfuhrung des Themas) umfaCt 
die sukzessiven Themaeinsatze des Anfangs und wird 
gemessen bis zum Ablauf des Themas in der zuletzt 
einsetzenden Stimme (Takte 1-9). Dem einstimmig 
vorgetragenen Thema in seiner Grundgestalt (Dux, 
hier auf der 1. Stufe) folgt die im vorliegenden Fall 
»tonale« -> Beantwortung durch das 2. Thema-Zitat 
(Comes, hier auf der 5. Stufe). Da der Comes in die 
Dominanttonart moduliert, ist eine RUckmodulation 
eingefugt (Takte 5-6), bevor der 3. Einsatz (wiederum 
als Dux auf der 1. Stufe) erfolgt. Die Gegenstimmen 
zum Thema (Takte 3-5 und 7-9 der Mittelstimme) 
werden in der vorliegenden F. bei alien Auftritten des 
Themas beibehalten (Ausnahme : Takte 29-31, mit Ab- 
weichungen: Takte 11-13 und 26-28) und deshalb 
-> Kontrasubjekte genannt. Fiir die Exposition gilt 
weithin, dafi alle Stimmen nacheinander, thematisch 
und meist mit Abstand einer Themalange einsetzen. 
Typisch ist das Verfahren der Beantwortung - in der 
F.n-Lehre des 18. Jh. als ->■ Repercussio (- 3) bezeichnet : 
es wechseln sich Dux mit Comes und dadurch in der 
Regel auch Tonika- mit Dominanttonalitat ab. Vom 
weiteren Verlauf einer F. lassen sich dagegen nur die 
groben Umrisse verallgemeinern. Das Wiederauftre- 
ten des Themas erfolgt in freier Anordnung, zuwei- 
len als Neueinsatz einer pausierenden Stimme; es 
vollzieht sich jedoch seltener in Einzelzitaten des The- 
mas als in Gruppen, die weitere Durchfiihrungen bil- 
den. Diese sind oft weder vollstandig (d. h. je Stim- 
me ein Themaeinsatz) noch hinsichtlich des Dux-Co- 
mes- Wechsels regelmaBig. Allerdings wird oft -* Eng- 
f iihrung des Themas vorgenommen und zuweilen dabei 
auch seine ->■ Augmentation (- 3), -> Diminution (- 2) 
oder-* Umkehrung angewendet. Zwischenspiele (An- 
damenti, Divertimenti oder Episoden), die vielfach 
auf Elemente der Exposition zuriickgreifen und sie 
weitertragen, vermitteln zwischen den thematischen 
Strecken. Der Exposition folgen Partien, die in ver- 
wandte Tonarten modulieren; der SchluB leitet in die 
Ausgangstonart zuriick. Es ist jedoch irrefiihrend, von 
diesem zwangslaufigen Modulationsschema her die F. 
als eine »dreiteilige Form« zu bestimmen. Vielmehr ist 
die F. ihrem Wesen nach formal often, erfiillt sich in 
freier, scheinbar ungebundener Entf altung und bildet, 
wenn iiberhaupt, individuelle, nicht typische Abschnit- 
te. Die »Strenge« der F.n-Komposition liegt weder in 
der Beachtung von »Regeln« noch in der Anpassung 
an eine auBere »Form«, sondern in der Forderung nach 
innerer, musikalischer Folgerichtigkeit des nicht vor- 
gegliederten Ablaufs. 

Die Geschichte der F. beginnt mit der Ubertragung 
der Bezeichnung Fuga (im Sinne von Fuga sciolta) 
auf ein ganzes Stuck und ist bis in die 2. Halfte des 17. 
Jh. hinein nicht zu trennen von ->• Kanzone (- 2) , -> Ca- 
priccio, -*■ Fantasie, ->• Ricercar und -> Tiento. Alle 
diese Gattungen sind, obwohl sie ausnahmslos der In- 
strumentalmusik (vorwiegend fiir Tasteninstrumente) 
angehoren, dem Stylus motecticus (WaltherL) zuzu- 
ordnen; sie verweisen durch Vokalduktus der Stim- 
men und Mehrteiligkeit in unterschiedlichem Grade 
auf ihre gemeinsame Herkunft aus der Motette. Mit 
diesen nicht streng gegeneinander abgrenzbaren Ty- 
pen wurde die F. zunachst gleichgesetzt, z. B. F.n (oder 
wie es die Italiener nennen) Canzoni alia Francese (B. 
Schmid der Jungere, Tabulaturbuch 1607). In der Fan- 
tasia super Io sonferito lasso, Fuga quadruplici (Scheidt) 
zeigt sich die Mehrdeutigkeit der Bezeichnung Fuga 
am Vermerk concursus et coagmentatio omnium quatuor 
fugarum beim Beginn der vierfachen Themenkombi- 
nation. Weitere Friihbelege mit der Bezeichnung F. 
finden sich u. a. in einer anonymen Tabulatur von 1593 



308 



Fuge 



(W.Merian, Der Tanz ..., Leipzig 1927, S. 216f.), bei 
H. L. Hafiler (darunter Psalmen und Christliche Gesang . . . 
fugweifi componiert, 1607), in der Tabulatur von J. 
Woltz (1617) und in Scheidts Tabulatura nova (1624). 
In der 2. Half te des 17. Jh. setzte sich der Name F. durch 
im Zusammenhang mit zunehmend einthemiger, ein- 
heitlicher Bauweise, instrumental Thematik und 
harmonisch-figurativem Satz. In J.Kriegers Anmuthi- 
ger Clavier Uhung (1699) ist beispielsweise die Abgren- 
zung von F. und Ricercar, dem Vokalitat und ruhiger 
Rhythmus eigen sind, offenkundig. Die Bedeutung der 
F. wuchs auch dadurch, daB sie seit Lully in die fran- 
zosische Ouvertiire, seit Froberger in die Gigue der 
Suite und seit den italienischen Meistern der Sonata da 
chiesa in die Triosonate eindrang. In der C. f.-freien 
Klaviermusik war die F.n-Technik, wenn auch unter 
verschiedenen Bezeichnungen, seit A. Gabrieli und be- 
sonders durch Sweelinck und Frescobaldi verwurzelt, 
von denen sich sowohl die Haupttradition der selb- 
standigen F. herleitet als auch jener Typ der von F.n- 
Teilen durchsetzten Praeludien und Toccaten Buxte- 
hudes, Muffats u. a. Die fugierte Choralbearbeitung, 
ein anderer Seitenzweig der F., ist in der Sammlung 
Hymnes de I'eglise pour toucher sur I'orgue, avec les fugues 
et recherches sur leur plain chant (1623) von Titelouze 
ausgepragt. Aus der Literatur selbstandiger F.n sind 
Pachelbels Zyklus von Magnificat-F.n und die Minia- 
tur-F.n in Murschhausers Octi-Tonium (1696) und J. C. 
F.Fischers Ariadne Musica (1715) hervorzuheben. Ei- 
genstandige Vokal-F.n konnten sich dagegen noch 
nicht entwickeln; wohl aber ist in den Motetten und 
(den meist noch nicht als solchen bezeichneten) Kanta- 
ten des ausgehenden 17. Jh. fugische Satztechnik ge- 
brauchlich, gelegentlich auch mit »instrumentaler« 
Stimmfuhrung (Buxtehude, Cantate Domino canticum 
novum). Im Werk J. S.Bachs wird die F.n-Tradition zu 
ihrem Hohepunkt gefiihrt. Die friihen Orgelkompo- 
sitionen zeigen deutlich das Ubernommene ; in denen 
der Weimarer Zeit wird die Gegenuberstellung von 
Praeludium (Toccata oder Fantasie) und F., die als ge- 
trennte Satze miteinander korrespondieren, zur Regel; 
auBerdem wachsen die Dimensionen (A moll, BWV 
543; F dur, BWV 540) und die Intensitat (dorisch, 
BWV 538) auf die spateren groBen Werke zu (Es dur, 
BWV 552). Einfliisse der konzertanten F. (Branden- 
burgisches Konzert Nr 4, BWV 1049) finden sich auch 
in Orgel- (E moll, BWV 548) und Cembalokompo- 
sitionen (Prelude der Englischen Suite E moll, BWV 
810). Die Vokal-F. ist in Motetten, Kantaten, Messen 
und Passionen reich vertreten, entweder als geschlosse- 
ner Satz (Wer an ihn glaubet, BWV 68), als Satzteil (1. 
Kyrie der H moll-Messe, BWV 232) oder in Abhan- 
gigkeit zu nichtfugischen Chorpartien, wobei zuwei- 
len der besondere Typ der ->■ Permutations-F. ver- 
wendet wird. Bachs Bestreben, Werke in Zyklen zu- 
sammenzuschlieBen, bekundet sich in den zweimal 24 
Praeludien und F.n des Wohltemperirten Claviers (Teil 
I, BWV 846-869, 1722; Teil II, BWV 870-893, bis 
1744), einer Sammlung, die auch als Lehrwerk der F. 
zentralen Rang hat, und in der Kunst der F. (1749-50; 
BWV 1080, dem die Durchnumerierung folgt), die als 
Hohepunkt der F.n-Komposition anzusehen ist. In die- 
sem Werk wird in letzter Vollkommenheit bei einer 
Vielfalt der Gestaltung geistige Einheit verwirklicht : 
ein Grundthema, zu dem andere, darunter »BACH« 
hinzutreten, durchzieht in immer neuen Themenver- 
bindungen 19 F.n und Kanons, und das Aufgebot aller 
kontrapunktischen Techniken unter Einbeziehung von 
Gegen-F.n (Durchf iihrung des Themas und seiner Um- 
kehrung, Nr 5-7), Spiegel-F.n (Umkehrung des ge- 
samten Satzes, Nr 12-13), Doppel- (Nr 9-10), Tripel- 



(Nr 8 und 11) und Quadrupel-F.n (die unvollendete 
Nr 19) steht im Dienste bewundernswerter Ausdrucks- 
kraf t und einer iiber das Musikalische hinausgreifenden 
Symbolik. Neben den Werken J. S.Bachs sind die Vo- 
kal-F.n aus Handels Oratorien durch pragnante The- 
matik, besonders ubersichtlichen, oft sparsamen Satz 
und durch die mit homophonen Chorabschnitten wir- 
kungsvoll kontrastierende Anlage zu Vorbildern ge- 
worden. Um die Mitte des 18. Jh. entstanden grundle- 
gende Lehrschriften der F. (Scheibe um 1730, Matthe- 
son 1739, Marpurg 1753-54). Mit dem gleichzeitigen, 
einschneidenden Stilwandel zum freistimmigen Satz, 
zur Herrschaft der Harmonik und motivischen Fort- 
spinnungstechnik riickte die F. in den Hintergrund. Sie 
verlor ihre Selbstandigkeit und lebte nun uberwiegend 
in Bindung an zyklische Formen weiter. Die F.n- 
Komposition wurde in der geistlichen Musik geradezu 
als eines ihrer Stilmerkmale allgemein beibehalten und 
laBt sich iiber die Messen und Oratorien von Haydn, 
Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Brahms, 
Bruckner u. a. bis ins 20. Jh. weiter verfolgen. Im zen- 
tralen Schaffensbereich der Klassik, in Symphonie, 
Streichquartett und Sonate, kames zu einer Synthese von 
Sonatenf orm und F.n-Technik, wobei letztere entweder 
als -> Fugato in den Durchfiihrungsteil des Sonaten- 
satzes Eingang fand oder als »SchluBsteigerungs-F.« das 
mehrsatzige Werk beschloB (Haydn, Quartette Nr 32, 
35, 36, 47; Mozart, Quartett K.-V. 387 und »Jupiter- 
Symphonie« C dur, K.-V. 551 ; Beethoven, Eroica- 
Variationen op. 35 und Quartett op. 59, 3). Besondere 
Bedeutung kommt der F. in den spaten Werken Beet- 
hovens zu (op. 101, op. 106, op. 110, Quartett op. 131, 
»GroBe F.« op. 133), dessen Aufierung, wonach heutzu- 
tage in die althergebrachte Form ein anderes, ein wirklich 
poetisches Element kommen muB, den Sinnwandel zeigt, 
der fur einen Teil der F.n des 19. Jh. bezeichnend ist. 
Bei den Romantikern, denen die F. im Grunde we- 
sensfremd war, die aber deshalb in ihr geistige An- 
naherung an das Vergangene suchten, lassen sich zwei 
Wege der Begegnung mit der F. auf weisen, wenn auch 
nicht streng trennen. An die Klassik, besonders an 
Beethoven anknupfend, stellen z. B. Liszt (»Dante-Sym- 
phonie«), Wagner (Meistersinger) und R.Strauss (Sin- 
fonia domestica) die oft recht frei behandelte F.n-Tech- 
nik in den Dienst einer programmatischen Idee. Dabei 
wird die F. gelegentlich zur Tragerin negativer Cha- 
rakterisierungen, etwa zum Bild des Chaos (Berlioz, 
»Hexensabbath« der Symphonie phantastique), des Teuf- 
lischen (Liszt, Mephisto der Faust-Symphonie) oder der 
trockenen Gelehrsamkeit (R.Strauss, Von der Wissen- 
schaft in Also sprach Zarathustra) . Andere Komponisten 
suchten auf dem Wege iiber die Kunst Bachs und Han- 
dels, also ohne die Vermittlung der Klassik, die F. als 
geistige Ordnung in ihr Schaffen aufzunehmen, so z. B. 
Mendelssohn (op. 7, op. 35, op. 37, op. 81, 4), Schu- 
mann (BACH-F.n op. 60, op. 72, op. 126), Brahms 
(Handel-Variationen op. 24) und Busoni (Fantasia con- 
trappuntistica). Bruckner gelang es, beide Traditions- 
linien giiltig zu vereinen (5. Symphonie). Ebenfalls 
bedeutsam, doch wesentlich umfangreicher ist das F.n- 
Schaff en Regers. Hier erf ahrt die spatromantische »Mo- 
numental-F.«, die durch gewaltige dynamische und 
agogische Steigerungen gekennzeichnet ist, ihre letzte 
Auspragung (Orgel-F.n op. 29, op. 46, op. 57, op. 73, 
Beethoven-, Hiller- und Mozart-Variationen) . Zugleich 
aber ersteht bei Reger auch von neuem der Typ der in 
sich ruhenden, »kleinen F.« (F.n fur Solovioline op. 42, 
op. 91, op. 117, op. 131a sowie Klavier- und Orgel- 
F.n). Die F.n-Lehre des 19. Jh. behandelt meist eine 
»Schul-F.« als feste, vorgegebene Form, deren Be- 
herrschung zum technischen Rustzeug des Kompo- 



309 



Fughetta 



nisten gehort, deren Schematik jedoch nicht das We- 
sen der F. in ihrer giiltigsten Auspragung trifft. In ver- 
schiedenen Stilrichtungen der nachromantischen neue- 
ren Musik des 20. Jh., in denen polyphone Prinzipien 
vorherrschen, hat die F. mannigfache Verwendung, 
aber zugleich einschneidende Wandlungen besonders 
hinsichtlich der tonalen Anlage erfahren. Berg [Woz- 
zeck, 1922), Strawinsky (Concerto per due pianoforti soli, 
1935),Hindemith(LHd«j<ona/i5, 1943), Schostakowitsch 
(24 Praeludien und F.n op. 87, 1951) und andere bieten 
Beispiele sowohl f iir die fortdauernde Ergiebigkeit des 
F.n-Prinzips als auch fiir das Weiterwirken der bedeu- 
tenden F.n-Tradition. 

Lit.: J. A. Scheibe, Compendium Musices theoretico- 
practicum . . . , um 1 730, hrsg.v. P. Benary in : Die deutsche 
Kompositionslehre d. 18. Jh., = Jenaer Beitr. zur Musik- 
forschung III, Lpz. 1961; Mattheson Capellm.; Fr. W. 
Marpurg, Abh. v. d. F., 2 Teile, Bin 1753-54, Lpz. 21806; 
Fr.-J. Fetis, Traite du contrepoint et de la fugue, Paris 
1824, 21846; Th. Weinlig, Anleitung zur F„ Lpz. 1852 ; E. 
Fr. E. Richter, Lehrbuch d. F., Lpz. 1859, 91921 ; H. Rie- 
mann, Lehrbuch d. einfachen, doppelten u. imitierenden 
Kontrapunkts, Lpz. 1888, "-61921, engl. Lpz. 1904; ders., 
Katechismus d. F.-Komposition, Lpz. 1890, 31914; A. 
Halm, Von zwei Kulturen d. Musik, Miinchen 1913, Stutt- 
gart 3 1947; J. Muller-Blattau, Grundziige einer Gesch. 
d. F., = Konigsberger Studien zur Mw. I, Konigsberg 1923, 
Kassel 31963; E. Gatscher, Die Fugentechnik M. Re- 
gers in ihrer Entwicklung, Stuttgart 1925; W. Fischer, 
Zur Gesch. d. Fugenthemas, Kgr.-Ber. Lpz. 1925; W. 
Wesely, Die Entwicklung d. F. bis Bach, Diss. Prag 1928, 
maschr., Auszug in: Jb. d. Philosophischen Fakultat d. 
Deutschen Univ. in Prag V, 1927/28; H. Grabner, An- 
leitung zur Fugenkomposition, Lpz. 1934, 2 1944; M. Du- 
pre, Cours complet de fugue, 2 Bde, Paris 1938; W. Neu- 
mann, J. S. Bachs Chor-F., = Schriftenreihe d. Staatl. Inst. 
f. Deutsche Musikforschung IV, Lpz. 1938, als: Bach- 
Studien III, 3 1953 ; J. Lambert, L'art de la fugue, Paris 
1945; G. Oldroye, The Technique and Spirit of Fugue, 
London 1948; W. Jacobi, Lehrbuch d. F., Regensburg 
1950; A. Ghislanzoni, Storia della Fuga, Mailand 1952; 
ders., Arte e tecnica della fuga, Rom 1953; Ph. T. Bar- 
ford, The Idea of Fugue, MR XV, 1954; C. Dahlhaus, 
Bachs konzertante F., Bach-Jb. XLII, 1955; U. Unger, 
Die Klavier-F. im 20. Jh., = Kolner Beitr. zur Musikfor- 
schung XI, Regensburg 1956; A. Mann, The Study of 
Fugue, New Brunswick (N. J.) 1958 ; K. Trapp, Die F. in d. 
deutschen Romantik v. Schubert bis Reger, Studien zu 
ihrer Entwicklung u. Bedeutung, Diss. Ffm. 1958; G.-Fr. 
Wieber, Die Chor-F. in Handels Werken, Diss. Ffm. 1958 ; 
M. Taling-Hajnali, Der f ugierte Stil bei Mozart, = Publi- 
kationen d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 7, 
Bern (1959); A. Adrio, Die F., H. I, = Das Musikwerk 
XIX, Koln 1960; N. Linke, Die Orchesterf. in Spatroman- 
tik u. Moderne, Diss. Hbg 1960, maschr.; Z. Gardonyi, 
Zur Fugentechnik J. S. Bachs, Studia musicologica III, 
1962; G. Pauly, G. Fr. Handels Klavierf., Diss. Saar- 
brucken 1962; H. J. Pauly, Die F. in d. Orgelwerken D. 
Buxtehudes, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XXXI, 
Regensburg 1964; W. Kirkendale, F. u. Fugato in d. 
Kammermusik d.Rokoko u.d.Klassik,Tutzingl966. KJS 

Fughetta (ital.), kleine Fuge. Unter Bachs Fughetten 
sind sicher vom Komponisten als solche bezeichnet 
Variation 10 der Goldberg-Variationen (BWV 988) 
sowie die Choralfughetten BWV 679, 681, 698, 699, 
701-704. Aus dem 19. Jh. sind zu nennen: Beethoven, 
Diabelli-Variationen op. 120, Variation 24; Schumann, 
op. 68, 40 und op. 126; Reger, op. 80, 2. 

Fulda (Hess en). 

Lit.: Sacramentarium Fuldense S. Decimi, hrsg. v. G. 
Richter u. A. Schonfelder, F. 1912; W. Lewalter, Zur 
Gesch. d. fiirstbischoflichen Hofkapelle in F. im 18. Jh., 
F.er Geschichtsblatter XXXV, 1959; A. Gottron, »Ca- 
pella Fuldensis« u. d. F.er Dommusik im 19. Jh., in: Musi- 
cae Sacrae Ministerium, Fs. K. G. Fellerer, = Schriften- 
reihe d. Allgemeinen Cacilien-Verbandes V, K61n 1962. 



Fundamentbuch (von lat. fundare, den Grund, fun- 
dus, zu etwas legen) ist im 15. und beginnenden 16. Jh. 
die Bezeichnung fiir eine Folge methodischer Ubungs- 
stiicke fiir Orgel oder Klavier, an denen die griff- und 
satztechnischen »Grundzuge« des Tasteninstrumenten- 
spiels dargelegt werden. Die Fundamentbucher geho- 
ren zu den altesten Quellen der Instrumentalmusik auf 
deutschem Boden. Das erste bedeutende F., C.Pau- 
manns Fundamentum organisandi (1452, zusammenge- 
bunden mit dem Lochamer Liederbuch; zwei weitere 
Fundamentbucher Paumanns im Buxheimer Orgel- 
buch), steht noch in der Nahe der instrumentalen Im- 
provisationskunst des Mittelalters. Notiert in deutscher 
-*■ Orgeltabulatur, lehren 2- und 3st. Beispiele das di- 
minuierende und figurierende Umspielen eines for- 
melhaften (ascensus simplex, ascensus per tercias, des- 
census) oder Lied-C. f. im Diskant. Dariiber hinaus 
baut H.Buchner sein F. (um 1520) nach einer einlei- 
tenden Unterweisung in den Anfangsgriinden der Mu- 
siklehre als eine Ars organistarum (Organistenlehre) in 
3 Hauptstiicken auf: 1. via ludendi (Einfiihrung zum 
Spielen auf Clavichord und Orgel), 2. ratio transferendi 
compositas cantiones informant organistarum, quam tabula- 
turam vocant (Methode des »Absetzens« mehrstimmi- 
ger vokaler Kompositionen in die Orgeltabulatur), 3. 
ratio quemvis cantum planum redigendi ad justas duarum, 
trium aut plurium vocum diversarum symphonias, quam 
rationem uno nomine fundamentum dicunt (fundamentum 
im engeren Sinne des Wortes als die Methode der 
zwei-, drei- oder mehrstimmigen Komposition und 
Bearbeitung eines Cantus planus, zudem die Ars fugan- 
di, die Lehre vom Kontrapunkt, der Imitation und vom 
Kanon). - In den Orgel- und Lautentabulaturen, die 
das F. um 1500 abzulosen beginnen, bezeichnet F. nur 
noch den Teil, der dem Instrumentalisten die musikali- 
schen Grundbegriffe, den »rechten Grund«, vermittelt. 
Im Tabulaturcodex des B.Amerbach (1513) ist das 
Fundamentum Kotters eine Tabelle von Tabulaturzei- 
chen nebst deren Erklarungen. Das F. wird nicht mehr 
als ein Lehrgebaude instrumentengerechten Spielens 
und Komponierens verstanden. In J. Kuhnaus Kom- 
positionslehre Fundamenta compositionis (1703) ist der 
Begriff F. in seiner alten Bedeutung als umfassender 
Lehrgang noch einmal aufgenommen. 
Ausg.: C. Paesler, F. v. H. v. Constantz, VfMw V, 1889; 
Locheimer Liederbuch u. Fundamentum . . . , Faks. hrsg. 
v. K. Ameln, Bin 1925; Das Buxheimer Orgelbuch, Faks. 
hrsg. v. B. A. Wallner, = DM1 II, 1, 1955; DASs.,hrsg. v. 
ders., = EDM XXXVII-XXXIX, Kassel 1958-59. 
Lit.: W. Merian, 3 Hss. aus d. Friihzeit d. Klavierspiels, 
AfMw II, 1919/20; L. Schrade, Die hs. Uberlieferung d. 
altesten Instrumentalmusik, Lahr 1931; Fr. Feldmann, 
Ein Tabulaturfragment d. Breslauer Dominikanerklosters, 
ZfMw XV, 1932/33; O. A. Baumann, Das deutsche Lied 
u. seine Bearb. in d. fruhen Orgeltabulaturen, Kassel 1934; 
G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels I, Bin 1935, 21959; 
W. Gurlitt, J. Kotter u. sein Freiburger Tabulaturbuch 
v. 1513, ElsaB-Lothringisches Jb. XIX, 1940; B. A. Wall- 
ner, C. Paumann u. sein Werk, Zs. f. Kirchenmusik 
LXX1V, 1954; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Ter- 
minologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. 
geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; K. Hahn, J. 
Kuhnaus »Fundamenta Compositionis«, Kgr.-Ber. Hbg 
1956; H. J. Marx, Der Tabulatur-Codex d. Basler Hu- 
manisten B. Amerbach, in: Musik u. Gesch., Fs. L. Schra- 
de, Koln (1963); H. R. Zobeley, Die Musik d. Buxheimer 
Orgelbuchs, = Miinchner Verbff. zur Mg. X, Tutzing 1964. 

Fundamentinstrumente heifien bei Praetorius 1619 
(nach Agazzari 1607) die^ur Ausfuhrung des General- 
basses gebrauchten Instrumente, die des Akkordspiels 
fahig sind (instrumenta omnivoea) und das rechte Fun- 
dament vnd die Harmony fest vnd bestdndig halten, nam- 
lich Orgel, Positiv, Regal, Cembalo und in einer stillen 



310 



Funktionsbezeichnung 



Music Spinett, Laute, Theorbe usw. Den Gegenpart 
hierzu bilden die Ornamentinstrumente, namlich Spi- 
nett, Laute usw., wenn sie nicht als F. gebraucht wer- 
den, und alle einfachen Instrumente (univoca seu sim- 
plicia), die- kontrapunktierend und verzierend - die 
Oberstimme(n) ausfuhren. 

Fundamentum (lat., Grund) bezeichnet kraft seines 
urspriinglich architektonischen Sinnes (/. dictum, quod 
fundus sit aedificii, Isidorus, orig. XIX, 10, 2) im Spat- 
mitteJalter den Charakter und erklart den Namen des 
Tenors, »iiber den der Discantus gebaut wird( fundatur), 
wie ein Gebaude iiber sein Fundament«, und welcher 
Tenor heiBt, »weil er den Discantus halt und griindet« 
(quia discantum tenet etfundat, Jacobus Leodiensis, CS II, 
386a). Der Tenor ist nach Tinctoris (CS IV, 29b)/ 
totius relationis, d. h. das F. der tonalen, auch rhythmi- 
schen und harmonischen Struktur der Komposition. - 
Seit dem 16. Jh. (Zarlino) bezeichnet F. (ital. fonda- 
mento; frz. fondement) neben und im Sinne von 
-»■ Basis die BaBstimme (. .. supra Bassum velf., Prae- 
torius, Synt. Ill, S. 80), im 17. Jh. speziell den General- 
baB, weil dieser, nebst den Grund-Noten, auch die Harmo- 
nic zugleich mit exprimiret (WaltherL, nach BrossardD). 

Funkoper (engl. radio-opera; frz. opera radiopho- 
nique; ital. opera radiofonica). Opern werden im 
Rundfunk auf verschiedene Weise gesendet: Opern- 
iibertragung ist die Direktsendung oder Wiedergabe 
der Schallauf zeichnung einer Auf fiihrung im Theater ; 
Sendeoper die »funkgemaBe« Bearbeitung fiir die 
Sendung aus dem Studio (dramaturgische Straffungen, 
Erlauterungen durch Sprecher usw.) ; Opernquerschnitt 
eine Sendung (Schallaufzeichnung) von Teilen einer 
Oper. - Da einerseits das Wirkfeld von Biihnenwer- 
ken durch die Beschrankung des Rundfunks auf das 
Akustische eingeengt wird, andererseits im akustischen 
Bereich Stoffe gestaltet werden konnen, die sich der 
sichtbaren Darstellung weitgehend entziehen (Mar- 
chen, Traum mit unwirklichen Gestalten; Mystisches, 
Abstraktes), entwickelte sich eine neue Kunstgattung 
dramatischen Charakters: das eigens fiir den Rund- 
funk geschriebene Funkwerk, das sich gliedert in die 
Gattung des Horspiels (->• Horspielmusik), das auf dem 
gesprochenenWortbasiert,undindiedesSendespiels(F., 
Funkoperette, Funkoratorium, Funkballade) , bei dem 
die Musik dominiert. - Die erste Operniibertragung 
durch Rundfunk fand, lange vor Beginn regelmaBiger 
Sendungen in Deutschland, am 8. 6. 1921 aus der Berli- 
ner StaatsopermitPuccinis Madatna Butterfly statt. Ende 
1924 begann die sogenannte Sendespiel-Biihne des Ber- 
liner Funkhauses mit Mozarts »Figaros Hochzeit« ihre 
Opernproduktion, bei der dieWerke im allgemeinen in 
der Originalf assung geboten wurden. Da die Dauer der 
Aufnahmewilligkeit des Rundfunkhorers im allge- 
meinen begrenzt ist (erfahrungsgemaB etwa 45 Minu- 
ten), wurde nach und nach versucht, durch Kiirzungen 
(Auswahl wichtiger Szenen) und verbindende Texte, 
erweiterte Dialoge, Gerauschkulissen u. a. eine mog- 
lichst »funkgerechte« Sendeoper zu produzieren. Nach- 
dem seit 1924 Erfahrungen mit dem Horspiel gesam- 
melt waren, konnte Ostern 1929 der Sender Leipzig 
das originale Funkoratorium Rundfunkpassion von H. 
Ambrosius auffiihren, bald danach die Deutsche Welle 
das Sendespiel Mord von W. Gronostay (bereits eine 
Vorform der F.) und am 24. 12. 1929 der Sender Koln- 
Langenberg Christkindleins Erdenreise von G.Kneip, die 
erste eigentliche F. Bis zum 2. Weltkrieg ist die F. vor 
allem in Deutschland entwickelt worden. Herausra- 
gende Werke sind: Columbus von Egk (Sender Miin- 
chen, 1933), Das kalte Herz von M.Lothar (Deutsch- 
landsender, 1935), Die schwarze Spinne von Sutermei- 



ster (Radio Beromunster, 1936), DieGeschichte vom bra- 
uen Kasperl und dem schonen Annerl von LJ.Kauffmann 
(Sender Koln, 1937). Seit etwa 1940 fand die F. inter- 
nationales Interesse; an ihrer Entwicklung beteiligten 
sich vor allem die Schweiz, dann u. a. Frankreich, Ita- 
lien und die USA. Wichtige F.n sind die Opera radio- 
phoniqueT/iy/C/awvonWl. Vogel (Radio Genf, 1942), 
Don Quichotte von Ibert (Radio Lausanne, 1947), ferner 
The Old Maid and the Thief (Sender NBC, 1939) von 
Menotti, die Trilogie Feeries mythologiques (Psyche; 
Persephone; Pan) von P. Wissmer und C.Hornung (Ra- 
dio Genf, 1949-51) in Musique concrete, dann P. 
Schaeffers melodramatisch mit Zwolftontechnik ge- 
staltete Pantomime lyrique Toute la Lyre (1951). Nach 
1945 zeichnet sich in Deutschland eine »Literarisierung« 
des F.n-Librettos ab, so z. B. in Ein Landarzt von Henze 
(NWDR, 1951) nach Kafka, Die Briicke von San Luis 
Rey von Reutter (Hessischer Rundfunk, Frankfurt am 
Main, 1954) nach Th. Wilder, Die Verlobung in St. 
Domingo von Zillig (NDR, 1957) nach Kleist. Gestal- 
tungsmafiig hat sich die F. - mit der Tendenz zur Ver- 
wendung funkischer Mittel (Beriicksichtigung der 
Wortverstandlichkeit, kleinen Besetzungen und be- 
sonderen Satztechniken) - immer mehr dem Melodra- 
matischen, auch dem Balladesken genahert. In zuneh- 
mendem MaBe findet ein modernes Instrumentarium 
(praparierte Klaviere usw.) Verwendung und werden 
die technischen Moglichkeiten des Rundfunkstudios 
(Gerausche, Halleffekte) ausgenutzt. Seit 1950 sind in 
die Entwicklung der F. die Klangmontage und die elek- 
tronische Klangerzeugung einbezogen, wobei jedoch 
noch immer die Faktoren wirksam bleiben, die den 
Eigenschaftskomplex »opernhaft« ausmachen. Eine 
Reihe F.n, die nicht auf die spezielle Technik des Rund- 
funkstudios angewiesen sind, gelangten auch zur szeni- 
schen Darstellung auf der Biihne, z. B. Egks Columbus, 
Blachers Die Flut und Sutermeisters Die schwarze Spin- 
ne. Die meisten F.n entstanden als Auftragswerke von 
Rundfunkanstalten. Seit 1948 gibt es den Premio Italia 
fiir funkeigene Musikwerke, mit dem u. a. ausge- 
zeichnet wurden: Ifigenia von Pizzetti (1949), St. 
Francois d' Assise von Honegger (1949) und Orestes von 
Badings (1962). Im Rahmen der Berliner Festwochen 
1961 wurden die F.n Escorial von H.-Fr.Hartig und 
Der Doktor aus Clas von R.Vlad vom Sender Freies 
Berlin uraufgefiihrt. - Der Typ des Funkoratoriums 
wird durch Werke reprisentiert wie Battements du 
Monde (1944) von Honegger und Die Passion des Pro- 
metheus von Fr. Wohlfahrt (1955). -> Fernsehoper. 
Lit.: H. Bredow, Aus meinem Arch., Heidelberg 1950; 
Kl. Blum, Die F., Diss. Koln 1951, maschr.; ders., F.n als 
musikdramatische Funkwerke, in: Die 3 groBen »F«. 
Film, Funk, Fernsehen, = Musik d. Zeit, N. F. II, Bonn 
(1958); S. Goslich, Die F., Musica XIII, 1959; W. Egk, 
Musik- Wort -Bild, Miinchen 1960. - Vierteljahresschrift 
Rundfunk u. Fernsehen, Hbg. 195 Iff. 

Funktionsbezeichnung nermt H. Riemann die Chiff- 
rierung der Harmonien mit T, S und D, die deren Be- 
deutung fiir die Logik der Kadenzbildung klarstellt 
(erstmalig in: Vereinfachte Harmonielehre, 1893). Auch 
die kompliziertesten dissonanten Bildungen und Trug- 
fortschreitungen sind dann zu verstehen als mehr 
oder minder modifizierte Gestalten der drei allein we- 
sentlichen Funktionsharmonien : Tonika- (T), Subdo- 
minant- (S) und Dominantdreiklang (D). Diese sind in 
Dur zunachst Durakkorde (T + , S + , D + ), in Moll Moll- 
akkorde (°T, °S, »D); doch kann der S-Dreiklang in 
Dur auch ein Mollakkord (°S) und der D-Dreiklang 
in Moll auch ein Durakkord sein (D + ). Die mehr als 
dreitonigen dissonanten Formen der Dominantharmo- 
nien (Dreiklange mit hinzugefiigten charakteristischen 



311 



Funktionsbezeichnung 



Dissonanzen) sind zunachst: S 6 , D 1 , S VI! , D VI . Dazu 
kommen die scheinkonsonanten Formen, die den Klang 
als einen Akkord gegenteiligen Geschlechts maskieren, 
namlich die Stellvertretung der Quinte durch die Sexte 
(£) in den Parallelklangen : Tp, Sp, Dp (in Moll: °Tp, 
°Sp, °Dp) und die der Prime durch die kleine Gegense- 
kunde (II °1, °2 I) in den Leittonwechselklangen : ■?, 
&, © in Dur und 3 s , S, © in Moll (erstere 3 die Durprime 
durch die kleine Untersekunde ersetzend, letztere 3 die 
Mollprime durch die kleine Obersekunde, z. B. in A 
moll 5F = a-c-f statt a-c-e, in C dur •? = h-e-g statt 
c-e-g usw.) - alles Akkorde, fur deren Setzweise (Terz- 
verdoppelung usw.) die Ableitung von den durch sie 
vertretenen Hauptklangen maBgebend ist. Leiterfrem- 
de Tone einfuhrende Harmonien stellen sich meist als 
Dominanten ihnen folgender einfacherer Funktions- 
harmonien heraus (-»- Zwischendominanten) und wer- 
den dementsprechend bezeichnet. Zur direkten Be- 
zeichnung der Oberterz- und Unterterzklange fiihrte 
Riemann in seinen Analysen der Beethoven-Sonaten 
die F.en 3 + fur den Oberterzklang und III + fiir den 
Unterterzklang in Dur, °III fiir den Unterterzklang und 
°3 fiir den Oberterzklang in Moll ein (z. B. 3 + in C dur 
= e-gis-h, III + in C dur = as-c-es; °III in A moll 
= f-as-c, °3 in A moll = c-es-g). Zur Bezeichnung der 
-»- Varianten bediente er sich der Chiffren Tv (in C dur 
= c-es-g) und °Tv (in A moll = a-cis-e). Zahlen bei den 
F.en, z. B. D 7 , fordern dissonante Zusatztone, Durch- 
streichen des Buchstabens bedeutet den Ausfall der Prim 
(z. B. 07 in C dur = h-d-f). Chromatische Hoch- 
oder Tiefalteration wird durch das Zeichen < bzw. > 

7 

angegeben (z. B. D 5> in C dur = g-h-des-f). Wenn 
auch die von der jeweiligen Tonart unabhangigen F.en 
heute nicht mehr alien Anforderungen einer wissen- 
schaftlich exakten Analyse genugen (genauere Be- 
zeichnungen wurden u. a. von W. Keller auf der Basis 
der Noten-Reinschrift A.v. Oettingens entwickelt), 
so werden sie doch den Anspriichen des Tonsatzunter- 
richts eher gerecht als die -> Stufenbezeichnungen. Die 
F.en verdeutlichen in klarer Weise die strenge Logik 
aller Harmoniebewegung. Einfache und schwerer ver- 
standliche Wendungen treten als solche auch in der 
Bezeichnung sof ort hervor. F.n sollten freilich nur auf 
dur-moll-tonale Musik angewandt werden - im we- 
sentlichen also auf die Musik vom 18. bis zum Beginn 
des 20. Jh. (bis zu R. Strauss, Pfitzner, Reger, dem jun- 
gen Schonberg u. a.). H.Erpfs Bemiihen, auch tonale 
Musik aus der Zeit nach Auflosung der Funktionshar- 
monik mit Hilfe der F.en zu analysieren, vermag daher 
nicht immer za iiberzeugen ; urn so wertvoller ist der 
Reichtum seiner Untersuchungen, die sich im 3. Ka- 
pitel seiner Studien (1927) auch auf »funktionslose Zu- 
sammenhange«, darunter die »Zwolf-T6ne-Musik« er- 
strecken. Im Gegensatz zu S.Karg-Elerts extrem duali- 
stischer (polaristischer) Harmonielehre, worin an Stelle 
von Subdominante von Kontradominante gesprochen 
wird (Kontradominante von C dur zwar f-a-c, von A 
moll aber e-g-h als Spiegelung der Funktionsverhalt- 
nisse von C dur, ->■ Dualismus), hat H.Grabner die F. 
Riemanns iibernommen, jedoch die F.en ihrer dualisti- 
schen Zutaten entkleidet und sie im monistischen Sinne 
verwendet. Auf Grabner beruhen mehrere bekannte 
Harmonielehren des 20. Jh., wie die von H.Distler 
und W.Maler. Den Mollsubdominantdreiklang mit 
tiefalterierter Sexte ohne Quinte - nach Riemann 
der Leittonwechselklang der Mollsubdominante (S) - 

6 
bezeichnet Maler mit s n (= s?). Die in der Spatphase 
der dur-moll-tonalen Musik haufigen chromatisch al- 
terierten Klange, die zum f olgenden Akkord nur leit- 



tonig sind und eine eindeutige dominantische Wurzel 
nicht mehr erkennen lassen, nennt er »freie Leittonein- 
stellungen«. Fr. Neumann fafSt diese und ahnliche Bil- 
dungen als Verselbstandigung der oberen und unteren 
Nebennoten (»Wechseltone«) von Funktionsharmo- 
nien auf und gibt ihnen den Namen »StrebeklSnge«. 
Lit.: H. Riemann, Vereinfachte Harmonielehre oder d. 
Lehre v. d. tonalen Funktionen d. Akkorde, London u. 
NY 1893, 21903; Riemann MTh; ders., L. van Beethovens 
samtliche Klaviersolosonaten. Asthetische u. formal-tech- 
nische Analyse mit hist. Notizen, 3 Bde, = M. Hesses illu- 
strierte Hdb. I— III, Bin 1918-19, 41920; A. v.Oettingen, 
Harmoniesystem in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz. 
1866, als: Das duale Harmoniesystem, Lpz. 2 1913; H. 
Grabner, Die Funktionstheorie H. Riemanns u. ihre Be- 
deutung f. d. praktische Analyse, Miinchen 1923, 2 1930; 
ders., Allgemeine Musiklehre, Stuttgart 1924, Kassel 
71959; ders., Hdb. d. Harmonielehre, 2 Bde, Bin 1944, 
2 1955 ; H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. 
neueren Musik, Lpz. 1927; E. Kirsch, Wesen u. Aufbaud. 
Lehre v. d. harmonischen Funktionen, Habil.-Schrift Bres- 
lau 1928; S. Karg-Elert, Akustische Ton-, Klang- u. 
Funktionsbestimmung, Lpz. 1930; ders., Polaristische 
Klang- u. Tonalitatslehre, Lpz. 1931 ; W. Maler, Beitr. zur 
Harmonielehre, Miinchen u. Lpz. 1931, dass. neu bearb. 
mit G. Bialas u. J. Driessler als: Beitr. zur durmolltonalen 
Harmonielehre, ebenda^l 950, Miinchenu. Duisburg 4 l 957; 
K. Dennecke, Die Kompositionslehre H. Riemanns, Diss. 
Kiel 1937; H. Distler, Funktionelle Harmonielehre, Kas- 
sel 1940; Fr. Neumann, Synthetische Harmonielehre, Lpz. 
1951 ; H. Federhofer, Die Funktionstheorie H. Riemanns 
u. d. Schichtenlehre H. Schenkers, Kgr.-Ber. Wien 1956; 
W. Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre I, Regensburg 1957. 

Furiant, ein schneller, feuriger bohmischer Tanz, 
weist als Volkstanz die Eigentumlichkeit des Takt- 
wechsels (2/4 und 3/4) auf, wie ihn auch der -> Zwie- 
fache kennt. Der F. wird bei D.G.Tiirk (Klavierschule, 
1789, S. 400) als Beispiel angefiihrt und »Furie« ge- 
nannt. In der Kunstmusik des 19. Jh. ist er durchgehend 
im 3/4-Takt notiert, wobei durch Verschiebungen des 
Taktschwerpunktes scharf akzentuierter Hemiolen- 
rhythmus erreicht wird, z. B. Dvorak, Zwei F.en fiir 
Kl. op. 42 (1878) und F. in der 6. Symphonie op. 60, 
3. Satz (1880) sowie der bekannte F. aus Smetanas 
»Verkaufter Braut« (1866) : 
Allegro energico 

i2j i"^ ^ 




Furlana -> Forlana. 

Fusa (lat., nota oder figura f., wohl von fusus, Sprosse) 
heifit in der Mensuralnotation eine Note mit Fahn- 

chen : ♦ oder q. Sie gilt die Half te der entsprechenden 
Note ohne Fahnchen (Minima oder Semiminima). 

Fufitonzahl bezeichnet die Tonhohe eines Orgel- 
registers. Zur Abkurzung der F. dient ein ' bei der Zahl 
(16', 8', 4'). FuB ist ein altes nach Land, Ort und Zeit 
variables LangenmaB von etwa 30 cm. Eine offene 
Labialpfeife im Ton (groB) C miBt ungefahr 8 FuB 
(= ca. 2,40 m, je nach Weitenmensur etwas verschie- 
den). Daher heiBen alle Orgelregister, die auf der Taste 
C den Ton (groB) C bringen, achtfuBig, auch wenn sie 
als Gedackte nur 4'-Lange haben. Sie khngen in der ge- 
schriebenen Tonhohe (Aquallage). Entsprechend erge- 
ben sich fiir die verschiedenen FuBtonbezeichnungen 
(-> Grundstimme - 2, ->■ Aliquotstimmen) folgende 
Tonhohen : 32' = 2 C, 16' = iC, IO2/3' = iG, 8' = C, 51/3' 



312 



fz 



Decima nona 


= H/3 


' bzw. 


22/s' 


Vigesima seconda 


= 1' 


bzw. 


2' 


Vigesima sesta 


= 2 / 3 ' 


bzw. 


IV3' 


Vigesima nona 


= 1 / 2 ' 


bzw. 


1' 


Trigesima terza 


= ! /3' 


bzw. 


W 


Trigesima sesta 


= V4' 


bzw. 


V2' 



= G, 4'=c, 31/5' = e, 22/3' =g, 22//= b, 2' = ci, U/j' 
= ei, li/ 3 '= gl, 11//= bi, l'=c2, 8 / 9 '=d2, t/ 5 ' ==e 2, 
2 /3'=g 2 usw. bis 1 /io'= e5 - 6' in barocken Angaben 
ist 51/3', 3' = 22/ 3 ', H/2'= IVs', l s /«' und 14/ 3 '= 13/,'. 
Prinzipal 24' heiBt : der 32' beginnt erst in der 24'-Lage, 
also bei (groB) F. Auch 8 /n', 8/13', 8 /i 5 ' werdenheute 
gebaut. Der italienische Orgelbau bezeichnet die Re- 
gister nicht nach F.en, sondern zahlt vom Grundton 
aus die Entfernung in diatonischen Stufen. So ist 
Ottava auf Prinzipalbasis 8' der 4', auf 16'-Basis der 8' : 

Duodecima = 2 2 / 3 ' bzw. 5 ! /3' 

Decima quinta = 2' bzw. 4' 

Decima nona = l 1 / 

Vigesima seconda = 1' 

Vigesima sesta = 2 / 3 ' 

Vigesima nona = 1/2' 

Trigesima terza = i ji 

Trigesima sesta = V4' 
Die spanische FuBtonbestimmung geht aus von Tapada 
oder Tapadillo de 13 als Norm (= 8'), 26 entsprechen 
dem 16', 52 dem 32'. Die kleinen MaBe (4', 2', 1') ha- 
ben besondere Namen nach Stufenzahl (Octava, Quin- 
cena, Xanto en 2). Die Quintstimmen gehen aus von 
Nasardo (= Quint 22/ 3 '), Docena de 26 (= 51/3'); Oc- 
tava de nasardo (= I1/3') geht auf Diezmonovena (19) 
zuriick. 

Futurismus (ital. futurismo) nannte eine Vereinigung 
junger Dichter, Maler und Musiker Italiens ihre Kunst- 
richtung, die laut der ersten Formulierung ihres Pro- 
gramms durch F. T. Marinetti (Le Figaro, Paris, 20. 2. 
1909) den radikalen Bruch mit der Vergangenheit for- 
derte und die technifizierte Welt zum einzig kunst- 
wiirdigen Gegenstand erklarte. Gleichgesinnte Grup- 
pen bildeten sich u. a. auch in Deutschland (H. Walden, 
1910;->-Expressionismus),RuBland(S.Sewerjan, 1911) 
und Frankreich (Albert-Birot, 1916). Im Vorwort sei- 
ner Musica Futuristica per Orch. op. 30 (erschienen im 
Klavierauszug 1912, aufgefiihrt 1913) setzte Fr.B.Pra- 
tella dem musikalischen F. das Ziel, »der Masse, den 
groBen Industriebetrieben . . . Panzerkreuzern, Auto- 
mobilen und Flugzeugen die musikalische Seele zu ge- 
ben. Den groBen innersten Motiven der Tondichtung 
das Reich der Maschine . . . hinzuzufiigen«. Das Werk 
selbst bediente sich auf relativ niederem Niveau der 



Ganztonleitermelodik, symmetrischen Rhythmik und 
Tritonusharmonik, und hatte, wie auch Pratellas Flie- 
geroper L'Av iatore Dro (1920), musikalisch keine Zu- 
kunft. In einem offenen Brief an Pratella (Corriere di 
Napoli, 20./21. 3. 1913) schlug der Maler-Musiker L. 
Russolo vor, Gerausche als Material musikalischer Ge- 
staltung zu verwenden ; auch lief erte er eine Systematik 
der Gerausche und fiihrte 1913 seine zusammen mit U. 
Piatti konstruierten Gerauschinstrumente (intonaru- 
mori) offentlich vor. Ein zweites, mit Marinetti veran- 
staltetes Konzert in Mailand (1914), mit Kompositio- 
nen wie »Die Versammlung der Autos und Flugzeuge« 
und »Uberfall in der Oase«, loste einen Kampf zwi- 
schen Futuristen und Publikum aus. Den Hohepunkt 
des musikalischen F. bezeichnet wohl das Konzert 
(1921) im Theatre des Champs-Elysees in Paris (mit 
Milhaud und Strawinsky als Zuhorern) ; Intonarumori, 
in zwei kurzen und einfachen Stiicken (II Cappuccino 
und Corah) zusammen mit einem herkommlichen Or- 
chester eingesetzt, entfachten auch hier einen Presse- 
sturm. Wahrend Marinetti den F. an den Faschismus 
verriet und am 29. 3. 1934 in Berlin als Vorkampfer 
des Faschismus in Italien gefeiert wurde (Manifest Stile 
futurista, 1934), widmete sich Russolo der Verbesse- 
rung seiner Bruiteurs futuristes. Es gelang ihm, sie im 
Rumorarmonio, in Frankreich auch Russolophone ge- 
nannt, zu einem Instrument fur das ungestufte Reich 
der Gerausche zu vereinen, das er 1929/30 A.Honegger 
und E. Varese vorfiihrte. Eine Verwirklichung der Idee 
des musikalischen F., der nach Pratella »die neue Ord- 
nung der Unordnung begriinden« wollte (Mailand, 
18. 7. 1912), gliickte - ohne futuristische Instrumente - 
annahernd erst Varese mit Werken wie Hyperprism 
(1923) und Ionisation (1931). 

Lit.: L. Russolo, L'arte dei rumori, Mailand 1916, frz. 
Neudruck als: L'art des bruits, Paris 1954: Fr. B. Pratel- 
la, Appunti biogr. e bibliogr., Ravenna 1931 ; ders., Evo- 
luzione della musica dal 1910 al 1917, 2 Bde, Mailand 
(1918); N. Slonimsky, Music Since 1900, NY 1937, 31949; 
Fr. K. Prieberg, Lexikon d. neuen Musik, Freiburg i. Br. 
u. Miinchen 1958; ders., Musica ex machina, Bin, Ffm. u. 
Wien 1960; H. H. Stuckenschmidt, Die Ordnung in d. 
Freiheit, Melos XXIX, 1962; Chr. Baumgarth, Gesch. d. 
F., Hbg 1966. RG 



fz (forzato, ital.). 
sff ; -> sforzato. 



ffz (forzatissimo), identisch mit sf, 



313 



G, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -»■ Buchstaben- 
Tonschrift ist G im allgemeinen die 7. Stufe, im 
System der Kirchentone Finalis des 7. und 8. Tons 
(Mixolydisch und Hypomixolydisch). Der Ton unter 
dem tiefen A wird bis ins 16. Jh. im Sinne der griechi- 
schen Musiktheorie als hinzugefiigter verstanden und 
-*■ Gamma genannt. Seit Zarlino (1571) ist der Ionius 
auf C primo modo; dadurch rtickte G an die 5. Stelle 
der Normalskala. Bei den romanischen Volkern hat 
die Solmisationssilbe Sol den Buchstaben verdrangt. 
Die Erniedrigung um einen Halbton heiBt Ges (engl. 
G flat; frz. sol bemol; ital. sol bemolle), um 2 Halbtone 
Geses (engl. G double flat; frz. sol double bemol; ital. 
sol doppio bemolle), die Erhohung um einen Halbton 
Gis (engl. G sharp; frz. sol diese; ital. sol diesis), um 2 
Halbtone Gisis (engl. G double sharp; frz. sol double 
diese; ital. sol doppio diesis). - 2) Schliissel: Der Ton 
g 1 wird in Choralhandschriften selten, in mehrstim- 
migen Manuskripten seit der St.-Martial-Zeit haufig 
durch -> Schliissel bezeichnet. Urspriinglich wurde 
der gewohnliche Buchstabe geschrieben, der erst all- 
mahlich die heutige Form des G-Schliissels annahm. 
Dieser wurde im 17.-18. Jh. als Violinschliissel auf der 
2. Linie oder als Franzosischer Violinschliissel auf der 
1. Linie des Liniensy stems vor allem in der Instrumen- 
talmusik verwendet. Uber das Klavierlied drang er 
schon bald auch in die Vokalmusik ein, verdrangte 
hier aber erst seit 1800 den Diskantschliissel. Der G- 
Schliissel auf der 2. Linie wird auch fur die Notierung 
der Tenorstimme herangezogen; er bezeichnet dann 
nicht gi, sondern g, entweder ohne Zusatzzeichen (so 
schon kurz nach 1800 in Klavierausziigen), wo sich die 
oktavierende Ausfuhrung aus dem Zusammenhang er- 
gibt, oder mit Zusatzzeichen (heute meist eine kleine 8 
am Fufie des Schliissels). Der tiefe G- (eigenthch Gam- 
ma-)Schliissel, der im 16.-17. Jh. gelegentlich (meist 
zusammen miteinem F-Schliissel) auftritt, erlangte kei- 
ne praktische Bedeutung. - 3) Seit Anfang des 19. Jh. 
werden in theoretischeriWerken Akkorde mit -> Buch- 
staben-Tonschrift bezeichnet (G bedeutet den G dur- 
Dreiklang, g den G moll-Dreiklang) ; im -> Klang- 
schliissel treten Zusatzzeichen hinzu. Der Brauch, eine 
Tonart nur durch ihren Grundton zu bezeichnen, wur- 
de im 19. Jh. entsprechend den Akkordbezeichnungen 
so ausgelegt, daB G fur G dur, g fur G moll stand. 
- 4) Abk. fiir frz. gauche, m. g. = main gauche (linke 
Hand). 

Gabelgriffe (engl. cross fingering) sind auf Blasin- 
strumenten mit Grifflochern Griffe, bei denen die ge- 
deckten bzw. offenen Grifflocher nicht (wie bei Nor- 
malgriffen) in ununterbrochener Folge liegen. G. sind 
auf Instrumenten mit diatonischer Grifflochfolge im- 
mer notwendig bei chromatischen Tonen, bei der 
Blockflote mit barocker Griffweise auch fiir die diato- 
nische 4. Stufe. Daneben sind G. oft notig, um die In- 
tonation zu korrigieren. Mit G.n erzeugte Tone klin- 



gen matter als die mit Normalgriffen erzeugten. Auf 
der Querflote und der Oboe werden G. seit dem 18. Jh. 
mehr und mehr durch vermehrte (chromatische) Griff- 
locher im Zusammenhang mit ->- Klappen vermieden. 

Gabelklavier ->- Adiaphon (- 2). 

Gagaku(japanisch), die »vornehme Musik«, bezeich- 
net die seit der Heian-Zeit (etwa 9.-12. Jh.) am japani- 
schen Hof gepflegte und bis heute fast unverandert 
iiberlief erte Tonkunst. Sie spiegelt in ihren verschiede- 
nen Elementen von Lied und Tanz der alten japani- 
schen Tradition, von neuerer, instrumentalbegleiteter 
Vokalmusik und von aus anderen Teilen Asiens (u. a. 
China, Indien, Korea) eingefiihrten oder in diesem Stil 
neukomponierten Werken die im Laufe der Geschichte 
der japanischen Musik wirksam gewordenen Einfliisse 
wider. Die orchesterbegleiteten Tanze des ->• Bugaku 
sind in dem Gesamtkomplex G. einbegriffen. 
Lit.: E. Harich-Schneider, The Rhythmical Patterns in 
G. and Bugaku, = Ethno-Musicologica III, Leiden 1954, 
dazu L. Picken u. E. P. Ceadal in: ML XXXVI, 1955; H. 
Eckardt, Das Kokonchomonshu d. Tachibana Narisue 
als mg. Quelle, =G6ttinger Asiatische Forschungen VI, 
Wiesbaden 1956; W. P. Malm, Japanese Music and Mus. 
Instr., Rutland (Vt.) u. Tokio 1959. 

Gagliarda (gaX'arda, ital.) -»■ Galliarde. 

Gaillarde (gaj'ard, frz.) -> Galliarde. 

Gaita (kastilisch und galicisch-port., wahrscheinlich 
von gotisch gaits, Ziege, GeiB; vom Spanischen ins 
Arabische, Tiirkische und in die Balkansprachen als 
gajda, gajde), eine -> Sackpfeife (meist in Zusammen- 
setzung wie g. gallega, g. asturiana). Daneben kommt 
g. als Bezeichnung fiir Schalmei vor (g. zamorana), ge- 
legentlich auch fiir Drehleier. 

Galanterien wurden im 18. Jh. gewohnlich kleinere 
homophone Satze ahnlich dem Air und einzelne Sui- 
tentanzsatze genannt, vornehmlich fiir Tasteninstru- 
mente. So hetfit es im Titel zu J. S. Bachs Clavier-Ubung 

I. Teil (1731): bestehend in Praeludien, Allemanden, . . . 
Menuetten, undandem G. {-*■ Galanter Stil). 

Galanter Stil (frz. galant, s. v. w. elegant, modern). 
Das Modewort galant, aus dem Franzosischen iiber- 
nommen, wurde zuerst um 1700 in der deutschen Dich- 
tung heimisch als Bezeichnung einer aristokratisch ori- 
entierten, spielerisch-erotischen Gesellschaftspoesie in 
witzig-pointierten Kleinformen. In der Musiklehre be- 
gegnet es gelegentlich bei J. G.Walther (Praecepta 1708, 

II, 10), Heinichen (1728), Scheibe (um 1730) und Mat- 
theson (1739), um bei Quantz (1752) und C. Ph. E. Bach 
(1753, Vorrede: . . . bald nach der Strenge der Harmonie, 
bald galant . . . ) zur haufig verwendeten Kennzeich- 
nung eines Grundzuges der neuen./reyen Schreibart zu 
werden. Diese setzte sich bewuBt ab vom gebundenen, 
gelehrten oder gearbeiteten Stil des Hochbarocks ein- 
schlieBlich J. S. Bachs. Ihre asthetischen Forderungen 



314 



Galliarde 



zielen auf Deutlichkeit und Klarheit, Zierlichkeit, An- 
mut und Gefalligkeit der Musik als einer ausdrucksvol- 
len Klangrede. Gegeniiber der alteren Auffassung vom 
einheitlichen Affekt eines Tonstiicks soil jetzt die Mu- 
sik durch angenehme Mannigfaltigkeit uberraschen. 
Sie soil unmittelbar verstandlich sein und sich das Ohr 
des genieBenden Liebhabers und nicht das Auge des 
scharfsinnigen Kenners zum Richter wahlen. Ausge- 
pragte Fiihrung einer kantablen Melodie iiber sparsa- 
men und harmonisch durchsichtigen Begleitstimmen, 
kleine Formen, kleine und kleinste Symmetriebildun- 
gen und Motivwiederholungen (ein grazios prononzier- 
tes Mehrmalsagen im Sinne der zeitgenossischen, feinge- 
schliffenen Konversationsmanier, Biicken Hdb.), die aber 
durch reiche und variative Ornamentik aufgelockert 
werden, kontrastierende Dynamik, Beschleunigung 
der langsamen Satze (Bevorzugung des Andante) sind 
musikalische Merkmale des G.n St.s. Seine wichtigsten 
Komponisten in der ersten Generation sind - mit ein- 
zelnen Werken und Werkgruppen - in Frankreich Fr. 
Couperin (le grand), in Italien D. Scarlatti, in Deutsch- 
land Keiser und Telemann. Bezeichnend sind z. B. die 
Six Sonates en quatuors ou conversations galantes et amu- 
santes ... von Guillemain (1743) una J.W.Gorners 
Sammlung Neuer Oden undLieder (1742), in deren Vor- 
rede es heiBt: Das Gefallige, das Reizende, das Scherzen- 
de, das Tandelnde, das Verliebte, das Lustige ist in den Me- 
lodien mein Vorwurf gewesen. Zu einer zweiten Gene- 
ration, in der die zartlich-elegische Komponente des 
G.n St.s starker hervortritt, gehoren u. a. Pergolesi, 
Sammartini, Galuppi sowie die Norddeutschen Ge- 
briider Graun, Quantz, auch C. Ph. E.Bach. Doch la(3t 
sich keiner dieser Komponisten unter der Bestimmung 
G. St. ganz erfassen. Die expressive Melodik mancher 
(Adagio-)Satze, die sich ausbreitende Seufzermotivik, 
die Dur-Moll-Riickungen und harmonischen Aus- 
weichungen in entlegene Tonarten, der Schwung und 
die freieren Bogen vieler thematischer Bildungen zei- 
gen den Einbruch eines neuen, gefuhlsbetonten Aus- 
druckswillens an, der zunachst als ->• Empfindsamer 
Stil in und neben dem G.n St. bemerkbar ist, ihn all- 
mahlich zuriickdrangt und ihn als musikalischer Sturm 
und Drang uberwindet. Galanter und Empfindsamer 
Stil bilden die beiden Teilaspekte des musikalischen 
Rokokos. Dementsprechend finden sich in der Musik- 
lehre - vor allem bei Quantz - neben den galanten 
Stilbestimmungen andere asthetische Begriffe, die das 
neue Ideal der Natiirlichkeit, Wahrheit und edlen Ein- 
falt (so Mattheson schon vor Winckelmann), des be- 
seelten Gesangs, der Riihrung des menschlichen Her- 
zens (Dubos' toucher) zum Inhalt haben und insgesamt 
die Forderung nach dem Ausdruck reiner menschli- 
cher Empfindungen (= Gef iihle) umschreiben. Quantz' 
Begriff des Vermischten Geschmacks, zunachst nur als 
deutsche Vermittlung und als Uberwindung der Na- 
tionalstile gemeint, bedeutet zugleich ein erstes Selbst- 
verstandnis der Musik als einer allgemeinen, universel^ 
len Sprache. Aus dem Gedankengut des G.n St.s ent- 
wickelten sich, unter Aufnahme englischer (Shaftes- 
bury, Young) und franzosischer Einfliisse (Rousseau), 
die Ideen der Empfindsamkeit und des Sturm und 
Drangs und bereiteten die neue kunsttheoretische 
Grundlegung der Klassik und Romantik vor. So auch 
fuhrten die jiingeren Komponisten der galanten und 
empfindsamen Periode (Schobert, J. Chr. Bach, Mann- 
heimer und "Wiener Vorklassik), von der auch Haydn 
und der junge Mozart noch ausgehen, den.Instrumen- 
talstil iiber den musikalischen Sturm und Drang bis an 
die SchweOe der Wiener Klassik. 

Lit. : Quantz Versuch ; A. Scherino, Die Musikasthetik d. 
deutschen Aufklarung, ZIMG VIII, 1906/07; ders., C. Ph. 



E. Bach u. d. »redende Prinzip« in d. Musik, in : Vom mus. 
Kunstwerk, hrsg. v. Fr. Blume, Lpz. 2 1951; E. Bucken, 
Der G. St., Zf Mw VI, 1923/24; ders., Die Musik d. Roko- 
kos u. d. Klassik, Bucken Hdb. ; R. Schafke, Quantz als 
Asthetiker. Eine Einfuhrung in d. Musikasthetik d. G. St., 
AfMw VI, 1924; W. Dahms, The »Gallant« Style of Mu- 
sic, MQXI, 1925;P.Gradenwitz, Mid-1 8 tb -Cent. Trans- 
formations of Style, ML XVIII, 1937 ; H. H. Eggebrecht, 
Das Ausdrucksprinzip im mus. Sturm u. Drang, DVjs. 
XXIX, 1955 ; L. Hoffmann-Erbrecht, Der »G. St.« in d. 
Musik d. 18. Jh., StMw XXV, 1962. PS 

Galliarde (ital. gagliarda, Femininum zu gagliardo, 
stark, rasch; frz. gafllarde; engl. gaillard; span, gallar- 
da), ein - seinem Namen entsprechend - ausgelassener 
und keeker Tanz des 16. und 17. Jh. von franzosischer 
oder italienischer Herkunft, der als pantomimischer 
Paartanz (Werbetanz) ausgefiihrt wurde. Schon Bo- 
jardos Dichtung Orlando innatnorato (1480) belegt die 
G. in der Lombardei; die altesten musikalischen Belege 
enthalt die Sammlung Six Gaillardes et six Pauanes . . . 
(1529) von P. Attaingnant. Die G. steht hier im Dreier- 
takt und ist vorwiegend dreiteilig, homophon und aus 
geradzahligen Taktgruppen zusammengesetzt: 




Die G. tritt zwischen 1550 und 1650 vielfach in Ver- 
bindung mit der -*■ Pavane auf, der sie, den Saltarello 
ersetzend, als schnellerer Nachtanz folgt; dabei enthalt 
die G. in der Regel die in den Tripeltakt umgef ormte 
melodisch-harmonische Substanz der vorangestellten 
Pavane : 

Pavane ferrarese 




Aus Liber primus leviorum carminum, Lowen 1571. 
Oft wird an beide Tanze noch ein dritter angehangt 
(Tourdion, Ripresa, Recoupe), der wiederum schneller 
ist als die G. Die Kopplung gleicher Tanzmelodien in 
verschiedener Taktart war bereits in der Vulgarmusik 
des Mittelalters Brauch als ein Verfahren zur Reper- 
toireerweiterung. Im 17. Jh. entstand aus dem Tanz- 
paar nach demselben Umformungsprinzip die Varia- 
tionensuite. - In England zur Zeit Shakespeares sind 
sink-a-pace, sinque-pace, sinco-pas Bezeichnungen fur 
die G. Dazu erklart Praetorius fSynt. Ill, 24), daB ein 



315 



Gallikanischer Gesang 

Galliard fiinff tritt hat / vnd dahir ein Cincquebafi genennet 
wird; demnach hat als Schrittfolge fiir die G. zu gelten 
(*= Sprung): 

lrlr*lrlrl*rl... 

123 456 123 456 1 ... 
Unrichtig ist, die G. mit der -* Romanesca zu identifi- 
zieren, da diese nur eine bestimmte Melodieform der 
G. darstellt. - Bereits um 1600 war die G. hoffahig; sie 
wurde zumeist instrumental ausgefiihrt, doch schloB 
dies nicht aus, daB bifiweilen amorosische Texte darunter 
gesetzt seyn j welche sie in Mascaraden selbst singen j vnd 
zuglekh tantzen / ob gleich keine Instrumenta darbey vor- 
handen (Praetorius Synt. Ill, 24). Textierte G.n bot z. B. 
V.HauBmann (1604). Vor allem durch die G.n von 
Byrd, Gibbons und Schein wurde eine Entwicklung 
eingeleitet, die als fortschreitender StilisierungsprozeB 
zu kunstvoller polyphoner Durcharbeitung, gelegent- 
lich auch zu Chromatik in der G. gef iihrt hat (Galliarda 
cromatica von G.M.Trabaci, 1615). - In der 2. Halfte 
des 17. Jh. loste sich die G. aus der Verbindung mit der 
Pavane und kommt als selbstandiger Tanz vor (z. B. 
bei E.Reusner, C. A. Marino, S.Mazzella, M. Locke 
u. a.) ; auch bei D. Gaultier und den franzosischen Lau- 
tenisten seiner Zeit, ferner bei Chambonnieres, ist die 
Kopplung beider Tanze nicht mehr iiblich. Durch ihre 
Verselbstandigung wurde die G. fur Wandlungen ihres 
Typus anfallig. Nachdem es bereits im spaten 16. Jh. 
vereinzelt G.n im 2/2-Takt gegeben hatte (Gagliarda di 
Spagna von F. Caroso), gelangte nun die geradtaktige 
Form neben der ungeradtaktigen zur Verbreitung. 
Wahrend, vor allem als Folge des 30jahrigen Krieges, 
die Tanzkultur mehr und mehr verfiel und das Tempo 
der G. als Gebrauchstanz in dem MaB schneller wurde, 
als der Obermut der Tanze sich steigerte, verlangsamte 
sich das Tempo der Kunstform G. zusehends. Schon 
J. Vierdanck warnte in der Vorrede seiner Newen Pava- 
nen, Gagliarden, Balletten und Correnten (I, 1641) vor 
einer iibertrieben schnellen Ausfuhrung der G., da die 
Pavanen und sonderlich die Gagliarden, einen gantz lang- 
samen und von Correnten Art weit unterschiedenen Tact . . . 
erfordern . . . Th.Mace (1676) sprach bereits von einer 
gravitatischen Vortragsweise der G. und d'Anglebert 
(1689) schrieb sogar lentement vor. Ende des 17. Jh. 
kam die G. auBer Gebrauch. 

Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA v. 
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; F. 
Caroso, Nobilita di dame (1 605), hrsg. v. O. Chilesotti, in : 
Bibl. di rarita mus. I, Mailand (1 883) ; Th. Mace, Musick's 
Monument, London 1676, Faks. Paris 1958; J.-H. d'An- 
glebert, Pieces de clavecin . . . avec la maniere de les 
jouer, Paris 1689, hrsg. v. M.Roesgen-Champion, = Publi- 
cations de la Soc. frc. de musicologie I, 8, Paris 1934 ; Vingt 
suites d'orch. du XVII C s. frc., 1640-70, hrsg. v. J. Ecor- 
cheville, Bin u. Paris 1906; P. Nettl, Die Wiener Tanz- 
komposition in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 1921; 
ders., The Story of Dance Music, NY (1947); Fr. Blume, 
Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite im 15. u. 16. Jh., 
= Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; C. Sachs, Eine 
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 
1938, frz. Paris 1938. 

Gallikanischer Gesang, Gesang der altgallischen 
Liturgie (im engeren Sinn). Diese ist aber nicht als Ein- 
heit zu verstehen, so daB das von ihr entworfene Bild 
unsicher ist. Ihre naheren Verwandten sind die ambro- 
sianische, mozarabische, keltische Liturgie, die mit ihr 
die gallikanische Liturgie (im weiteren Sinne) bilden. 
Sie hat manche Einzelheiten mit ostlichen Liturgien 
gemeinsam, wahrend sie sich von der romischen durch 
einen groBeren Reichtum unterscheidet. Sie wurde 
unter Pippin dem Jiingeren und Karl dem GroBen zu- 
gunsten der romischen verboten. Die wichtigste Quel- 
le, die auch iiber die Musik berichtet, ist die falschlich 



Gerfnanus von Paris (f 576) zugeschriebene Expositio 
brevis antiquae liturgiae gallicanae aus der Zeit um 700. 
Von der Musik selber haben sich nur wenige Gesange 
erhalten, die dank besonderer Umstande in siidfran- 
zosische Choralhandschriften aufgenommen wurden. 
Die in der Expositio erwahnten Gesange der Messe sind 
hauptsachlich f olgende : in der Vormesse die Antiphona 
ad praelegendum (entsprechend dem romischen In- 
troitus), das Trishagion ("Ayiog 6 &b6c - Sanctus Deus - 
"Ay tog loxvgdg usw.), das Kyrie (wie das romische), 
das Benedictus des Zacharias (im Wechselgesang) ; im 
Lesegottesdiensf. nach den Lektionen aus dem Alten 
Testament und den Apostelbriefen das Benedicite der 
drei Jiinglinge im Feuerof en (oder ein Gesang Sanctus 
Deus archangelorum) und ein Responsorium (gemaB 
dem romischen Graduale). Das Evangelium wird 
feierlich eingeleitet durch ein neues Trishagion oder 
eine Antiphona ante evangelium (ahnlich dem spa- 
teren Conductus) und beendigt wieder durch ein Tris- 
hagion oder die Laudes (im romischen Ritus Alleluia). 
Nach der nun folgenden Predigt werden die Preces, 
groB aufgebaute Litaneien, angestimmt. Der sakra- 
mentale Teil der Messe wird erofrnet durch den So- 
nus und andere Laudes oder das Alleluia (anstelle des 
romischen Offertoriums). Prafation und Sanctus ent- 
sprechen den romischen Formen. Statt des nicht ur- 
spriinglichen romischen Agnus wird eine Antiphona 
ad confractionem gesungen. Es folgen eine gesungene 
Benedictio und schlieBhch das Trecanum (entspre- 
chend der romischen Communio). Ober die Ordnung 
des Stundengebetes ergibt sich aus der Expositio nichts 
Sicheres. Auch im gallikanischen Stundengebet linden 
sich die bekannten Formen: Psalm, Antiphon, Re- 
sponsorium, Hymnus. - Musikalisch wichtig ist, daB 
manche Gesange nur einen Text fiir das ganze Kirchen- 
jahr besitzen, dem aber mehrere Melodien entsprechen 
konnen, vielleicht zunachst mit gesonderter Verbrei- 
tung; das gibt der Musik eine groBere Selbstandigkeit. 
Ferner spielt die Prozession eine beachtliche Rolle, so 
beim Hereintragen des Evangelienbuches oder in der 
Hymnodie, was fiir die Gestaltung und Entwicklung 
des Rhythmus von Bedeutung sein diirfte. Architek- 
tonischer Aufbau der Gesange, z. B. bei den Preces, ist 
ofters zu beobachten. Die Melodik entfernt sich wie- 
derholt von den Formen des Rezitativs, so durch ei- 
ne Vorliebe fiir Terzaufstiege (c e g, d f a) oder fiir 
Quintsprunge auf- und abwarts. Wie weit die Instru- 
mente eine Rolle spielten, ist schwer zu fixieren; dich- 
terischen AuBerungen zufolge gab es ein groBeres In- 
strumentarium, das nach Betatigung verlangen muBte. 
Die in die Choralhandschriften aufgenommenen Me- 
lodien enthalten viele Melismen; die silbenweise Un- 
terlegung von Texten unter uberkommene Melismen, 
die sofort nach der Einfuhrung des Gregorianischen 
Gesanges einsetzt, laBt aber eine starke Neigung zur 
syllabischen Musik und ein Einzeltonhoren statt des 
gregorianischen Tongruppenhorens vermuten. 
Lit.: A. Gastoue, Les origines du chant liturgique dans 
l'6glise de Paris, Rev. du chant gregorien XI, 1902/03 - XII, 
1903/04; ders., Le chant gallican, ebenda XLI, 1937 - 
XLIII, 1939; H. Netzer, L'introduction de la messe ro- 
maineen France, Paris 1910; P. Wagner, Einfuhrung in d. 
Gregorianischen Melodien III, Lpz. 1921, Neudruck Hil- 
desheim u. Wiesbaden 1962; H. Leclercq, Artikel Galli- 
cane (figlise et liturgie), in: Dictionnaire d'archeologie 
chretienne et de liturgie VI, 1 , Paris 1 924 ; A. Wilmart, Ar- 
tikel Germain de Paris (Lettres attributes a Saint), ebenda ; 
J.-B. Thibaut, L'ancienne liturgie gallicane, Paris 1929 ; F. 
Cabrol, Les origines de la liturgie gallicane, Rev. d'hist. 
ecclesiastique XXX, 1 930 ; J. Quasten, Expositio antiquae 
liturgiae gallicanae, = Seria Liturgica III, Miinster i. W. 
1934; E. Wellesz, Eastern Elements in Western Chant, 
= Monumenta Musicae Byzantinae, Subsidia II (= Ameri- 



316 



Ganztonleiter 



can Series I), Boston 1947, dazu Epilegomena in: Mf V, 
1952; E. Griffe, Aux origines de la liturgie gallicane, Bull, 
de lit. ecclesiastique XXV, 1951; Br. Stablein, Artikel 
Gallikanische Liturgie, in: MGG IV, 1955; G. Oury OSB, 
Les messes de St. Martin . . . , fitudes gregoriennes V, 1962. 

Galopp (beschleunigte Gangart des Pferdes), auch 
Galopade, Rutscher, Galoppwalzer, ein besonders um 
1820-75 beliebter Paartanz nach Art einer Schnellpol- 
ka, meist dreiteilig im 2/4-Takt in schneller, springen- 
der Bewegung (J = ca. 126 M.M.). Das Schrittsche- 
ma ist (r = rechter FuB, 1 = linker FuB) : 



l^JD ^iJT] 



i i 



1 r 



Jeder der 3 Teile ist zweifach, sparer dreifach unter- 
teilt. An Titeln finden sich Wilde Jagd, Leichts Blud, 
Kruppsche Kanonen-G.e u. a. In Paris fand der G., von 
Deutschland kommend, in den 1820er Jahreri schnell 
Eingang als Complement du bal. Auch gelangte er f riih 
in die Oper (z. B. Auber, Gustave III, 1833). Beliebt 
waren akustische Effekte zum Anfeuern der Tanzer 
(z. B. Pistolenschiisse). Populare Opern- und Operet- 
tenmelodien wurden haufig zu G.s umgestaltet. An 
Komponisten sind zu nennen J. StrauB Vater (iiber 30 
G.s ab 1827), Marschner, A.Adam, Czerny, Liszt 
(Grand Galop chromatique, 1838; Galop du Bal, um 
1880), Johann, Joseph und Eduard StrauB; beriihmt ist 
Offenbachs Galop infernal (in Orphee aux enfers, 1858) 
mit der bekannten Cancanmelodie. 

Galoubet (galub'e, prov.) -* Einhandflote. 

Gambang, Sammelbezeichnung fiir Stab- bzw. Plat- 
tenspiele im indonesischen -> Gamelan; sie bestehen 
entweder aus Metall (Bronze, G. gangsa) oder aus 
Holz (G. kayu). Die Platten hangen waagerecht iiber 
einem als Resonanzkasten dienenden holzernen Trog 
und werden mit 2 Kloppeln gespielt. Der Umfang der 
G.-Instrumente umfaBt 3-4 Oktaven. 

Gambe, verkiirzt aus -»■ Viola da gamba (- 1), Knie- 
viola, Beingeige, Kniegeige. 

Gambenstimmen -> Viola da gamba (- 2). 

Gamelan, das iiberwiegend aus Idiophonen bestehen- 
de Instrumentenensemble, dessen Spiel besonders auf 
Java und Bali zu hoher Kultur entwickelt wurde. Nach 
ihrer Aufgabe sind im G. 3 Hauptgruppen von Instru- 
menten zu unterscheiden : Zu den Instrumenten, die 
das unverzierte Kern-»Thema« Balungan (-> Patet) 
spielen, gehoren -*■ Bonang in der alteren (einreihigen) 
Form sowie -> Saron in drei im Oktavabstand stehen- 
den GroBen (in einem grofien G. bis zu 14 Sarons). Die 
Instrumente, denen Verzierung und Umspielung (pa- 
nerusan) des Kernthemas obliegen, haben insgesamt 
eine hohere Tonlage als die Balungan-Instrumente. 
Zu den Panerusan-Instrumenten gehoren -*■ Gender, 
Bonang (der neuen Form) sowie das Xylophon 
->• Gambang. Hinzu kommen das Streichinstrument 
-> Rabab, die Zither Chelempung, in Stiicken sanften 
Charakters die Langsflote Suling sowie die Singstim- 
me. Die dritte Gruppe wird von den -> Gong-Instru- 
menten gebildet. Sie gliedern mit ihren Schlagen das 
Stiick in Perioden, der groBteGong ageng in Abschnit- 
te von 8-32 »Takt«-Einheiten (gongan), die kleineren 
(helleren) Kenong, Ketuk und Kempul unterteilen 
weiter. Der Spieler der Trommel Kendang leitet das 
Ensemble, indem er durch Veranderung der Schlag- 
abfolge Tempobeschleunigung und -verlangsamung 
angibt. Obwohl es Aufzeichnungen von Stiicken 
(gending) gibt, wird in der Regel improvisiert. 
Lit. : J. Groneman, De g. te Jogjakarta, Amsterdam 1 890 ; 
J. S. u. A. Brandts Buys- Van Zup, Omtrent notaties en 



transscripties en over de constructie v. gamelanstukken, 
Djawa XIV, 1934; dies., Land's transscripties v. gending's, 
Djawa XV, 1935; dies., Javaansche gendings bij Land en 
bij Seelig, Djawa XVI, 1936 u. XVIII, 1938; C. McPhee, 
Angkloeng G. in Bali, Djawa XVII, 1937; ders., G.-mu- 
ziek v. Bali . . ., Djawa XIX, 1939; ders., The Five-Tone 
G. Music of Bali, MQ XXXV, 1949; J. Kunst, Music in 
Java I, Den Haag 1949; ders., G. Music, Kgr.-Ber. Ut- 
recht 1952; M. Hood, The Nuclear Theme as a Determi- 
nant of Patet in Javanese Music, Groningen u. Djakarta 
1954; J. Barber Murray, MiBverstandnisse fiber d. Stim- 
mung d. javanischen G., Mf XVI, 1963 ; D. A. Lentz, The 
G.Musicof Java and Bali, Lincoln/Nebr. (1965). 

Gamma (als griech. GroBbuchstabe T), im 10.-16. Jh. 
die Bezeichnung fiir den dem groBen G entsprechen- 
den Ton. Wahrend das griechisch-antike -*■ Sy sterna 
teleion A als tiefsten Ton hatte, wurde im System der 
-» Kirchentone seit Odo von Cluny (10. Jh.) der Ton 
r hinzugefiigt, zunachst ohne ihn in ein -> Tetrachord 
einzubeziehen (»Proslambanomenos«). Vom T als Tie- 
fengrenze des Tonsystems und Ausgangspunkt der 
Guidonischen Hand in der -»■ Solmisation (rut) ging 
die Bezeichnung auf die Gesamtskala iiber (engl. 
gamut; frz. gamme). - In alten Notierungen kommt 

das r auch als Schliisselbuchstabe vor: */ 

Ganze Note (ital. semibreve; frz. ronde; engl. semi- 
breve; in den USA auch whole note): o; Pause (frz. 
la pause) : -— -. 

Ganzinstrument wird (seit K.v.Schafhautls Bericht 
iiber die Musikinstrumente der Miinchner Industrie- 
ausstellung von 1854) ein Blechblasinstrument genannt, 
bei dem der tiefe Eigenton des Rohrs sicher anspricht 
und praktisch verwendbar ist, was nur bei Instrumen- 
ten von ziemlich weiter Mensur (Verhaltnis der Durch- 
messer des Schallrohrs vom Mundstiick bis zum Schall- 
trichter bis 1:20) der Fall ist; die eng mensurierten 
schlagen sogleich in die Oktave iiber. Von den heute 
ublichen Blechblasinstrumenten sind nur die Biigel- 
horner und Tuben G.e, alle anderen sind eng mensu- 
rierte (1:4 bis 1:8), also Halbinstrumente (Kornette, 
Trompeten, Waldhorner, Posaunen). 

Ganzschlufi -> Kadenz (- 1), -> Klausel. 

Ganzton (lat. tonus), das groBere der beiden Sekund- 
intervalle der Grundskala (c-d, d-e, f-g, g-a, a-h sind 
Ganztone, e-f und h-c Halbtone). Die reine Stim- 
mung unterscheidet zwei Ganztone, den groBen oder 
pythagoreischen G. (8:9; in C dur c-d, f-g und a-h) 
und den kleinen G. (9: 10; in C dur d-e und g-a). Der 
akustische Unterschied zwischen groBem und kleinem 
G., das syntonische ->• Komma, wird in der musikali- 
schen Praxis nicht berucksichtigt. Bei einer exakten 
Analyse tonaler Verhaltnisse (etwa mit Hilfe der No- 
ten-Reinschrift A. v. Oettingens) wird er jedoch be- 
wahrt. Die -*■ Zwolftontechnik kennt nur den tem- 
perierten G. ('/6 Oktave). Eine temperierte Zwolf- 
halbton-Notierung entwickelte J. M. Hauer, weil eine 
korrekte Orthographie temperierter Intervalle in 
unserer pythagoreisch orientierten Notenschrift nicht 
moglich ist. 

Ganztonleiter, Teilung der Oktave in 6 gleiche Teile 
(temperierte Ganztone). Eine korrekte Orthographie 
der G. ist in unserer pythagoreisch orientierten No- 
tenschrift nicht moglich; fiir die Notierung entscheidet 
jeweils die an der Diatonik orientierte leichtere Lesbar- 
keit. Das charakteristische Intervall der Skala ist die 
»Halboktave«(Jelinek) ; sie tritt im temperierten System 
an die Stelle yon Tritoniis und verminderter Quinte, 
wahrend die reine Quinte fehlt. Da Original und 
Transposition der G. zusammen die 12 Tone der chro- 



317 



Gassenhauer 



matischen Tonleiter enthalten, lafit sich die G. nur ein- 
mal transponieren (nach Messiaen ein mode a transpo- 
sitions limiths) : 



$ 



^ 



■ l>" !>« 



transponiert: 



Ein friihes Beispiel fur die Verwendung der G. findet 
sich in Mozarts »Dorfmusikantensextett« (Ein musika- 
lischer Spafi, 1787, K.-V. 522, 3. Satz), wo in der Ca- 
denza der 1. Violine das Solo eines Dilettanten mit 
f alsch intonierter Durtonleiter eine komische Wirkung 
beabsichtigt. Die unvollstandige 5tonige G. verwendet 
C.Loewe in der Melodie der Ballade Edward (1818): 
g f es des ces und e d c B As. Bei Schubert taucht 
die G. ab 1824 gelegentlich auf, so im Finale des Oktetts 
(D 803, 1824), im 1. Satz der VII. Symphonie in C 
dur (D 944, 1828) und zu Beginn des Sanctus in der 
Es dur-Messe (D 950, 1828), als Fragment im Finale 
des Streichquintetts (D 956, 1828) und im langsamen 
Satz der Klaviersonate in C moll (D 958, 1828). Abge- 
sehen vom Anfang des Sanctus in der Es dur-Messe 
(Partie der Orchesterbasse) handelt es sich jedoch nie 
um echte Hexaphonie, sondern stets um Modulations- 
ergebnisse. Dasselbe gilt teilweise auch noch von den 
Ganztonfolgen bei Glinka (»Ruslan und Ljudmila«), 
Dargomyschskij, Borodin und einigen anderen russi- 
schen Komponisten des 19. Jh., die anscheinend Liszt 
zu ahnlichen Versuchen anregten (Sursum corda aus 
Annies de Pelerinage III und Unstern, entstanden zwi- 
schen 1880 und 1886). Die erste konsequente Anwen- 
dung scheint die G. bei W.J.Rebikow (1866-1920) 
gefunden zu haben, der Les Dimons s'amusent aus- 
schliefilich auf der G. aufbaut. Zu Beginn des 20. Jh., 
auf der Suche nach neuen Mbglichkeiten gegeniiber 
der Dur-Moll-Tonalitat, erlebte die G. ihre Bliitezeit. 
Sie erscheint episodisch haufig vor allem bei Debussy 
(z. B. in Pelleas et Melisande, 1902, La Mer, 1905, und 
Cloches h travers les feuilles, in: Images II, 1907) und 
Dukas (Ariane et Barbe-Bleue, 1906). Man findet sie un- 
ter anderem bei A. Schonberg (Pelleas und Melisande, 
1903), R. Strauss (Salome, 1905), Pfitzner (An den Mond, 
1906), Busoni (Sonatina, 1910) und Reger (Romanti- 
sche Suite, 1912, Notturno). Immer aber hat die G. nur 
als ein Kompositionsmittel unter anderen zu gelten; 
Stiicke wie das fast durchgehend auf der G. beruhende 
Prelude Voiles (1910) von Debussy sind selten. Nach 
dem 1. Weltkrieg verlor die G. wieder an Bedeutung. 
Messiaen halt ihre Verwendungsmoglichkeiten seit 
Debussy und Dukas fur erschopft. 
Lit.: R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Stuttgart 
1907, 91929, neubearb. v. W. Courvoisier, R. G'schrey, 
G. Geierhaas u. K. Blessinger '01933 ; A. Schonberg, Har- 
monielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; H. Rie- 
mann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913, S. 251ff. ; O. Messiaen, 
Technique de mon langage mus. I, Paris 1944, S. 52; H. 
Jelinek, AnleitungzurZwolftonkomposition I, Wien 1952, 
S. 10; K. Ph. Bernet Kempers, Ganztonreihen bei Schu- 
bert, in : Organicae Voces, Fs. J. Smits van Waesberghe, 
Amsterdam 1963 ; H. Seraphin, Debussys Kammermusik- 
werke . . . , Kassel 1964. ESe 

Gassenhauer (hauen,fruhnhd.,Kraftwortfurgehen), 
kennzeichnete im 16. Jh. zuerst Personen als Gassen- 
sanger (Vaganten, Bettelstudenten), dann die von 
diesen gesungenen Lieder, Tanze und Standchen. 
Als Bezeichnung mit urspriinglich soziologischem 
Gehalt blieb der Begriff G. bis nahezu ins 18. Jh. 
ohne abwertenden Nebensinn, wenngleich der G. als 

318 



niedere Kunstgattung bezeugt ist. H.Sachs nannte 
in einer Aufzahlung seiner poetischen Werke (1567) 
psalmen und ander kirchengsang . . . auch gassenhawer 
hin und wider . . . auch etlich bullieder darbei. Charakteri- 
stisch fur den G. ist ein derb humoristischer Ton: da 
sie aber anfiengen zu gumpen, dasz der ganze bau zitter- 
te, well man eben einen trollichteng. aufmachte . . . (Grim- 
melshausen, Simplizissimus, 1669). Doch enthalten 
die Gassenhawerlin und Reutterliedlin von 1535, Chr. 
Egenolffs altester deutscher Liederbuchdruck, auch 
kunstvoll gesetzte Hofweisen von Isaac, Hofhaymer 
und Senfl. - Nach Herders Einf iihrung des Kunstwor- 
tes Volkslied (1773) verlor der Begriff G. das Ansehen, 
das er bis dahin auch durch seine Nachbarschaft zum 
Begriff der alteren Ballade (engl. ballad) besessen hatte. 
Schon im 18. Jh. gait das landlaufig gewordene Sing- 
spiel- und Opernlied, mit neuem parodistischem Text 
versehen, als Inbegriff des G.s in der Bedeutung des 
Abgedroschenen, Gemeinen, nicht der Kunst Wurdi- 
gen. Die von der Hamburger Oper ausgehenden G. 
enthielten oft obszone Anspielungen; gut biirgerlich 
und sittsam, wenn auch trivial, traten dagegen geho- 
bene G. als Parodien bekannter Melodien in Sperontes' 
Singender Muse (1736) auf. Im spaten 18. und in der 1. 
Halite des 19. Jh. wurde das Wiener Singspiel (J. 
Weigh W. Miiller, P. Wranitzky) zu einer reich flieBen- 
den Quelle fur G. (vgl. Hegels Brief vom 25. 9. 1824 
aus Wien), ebenso der ->• Bankelsang. Eine der belieb- 
testen G.-Melodien, auf die zahlreiche parodierende 
Texte gesungen wurden, war C.M.v.Webers Lied 
O du schoner griiner Jungfernkranz aus dem Freischutz. 
Durch Textierung von Marschen, Polkas, Rheinlan- 
dern und Wiener Walzern entstand die Mehrzahl der 
G. der 2. Halfte des 19. Jh. (z. B. Denkste denn, denkste 
denn, du Berliner Pflanze auf den Peter sburger Marsch). - 
Dem -*■ Volkslied und dem G. gemeinsam ist der pro- 
duktive Anteil des Volkes bzw. der GroBstadtbevolke- 
rung. Indem der G. oft historische Geschehnisse spie- 
gelt, an StraBenfiguren, Gewerbe oder Volksfeste an- 
kniipft, stand er gleich dem Volkslied in einem Lebens- 
zusammenhang. Bedingten solche Anlasse auch die 
Kurzlebigkeit des G.s, die er mit dem -»• Schlager ge- 
meinsam hat, so unterscheidet ihn doch von diesem die 
aktive Beteiligung des Volkes. 

Ausg.: Chr. Egenolff, Gassenhawer u. Reutterliedlin, 
Faks. hrsg. v. H. J. Moser, Augsburg u. Koln 1927. 
Lit.: R. Hildebrandt, Artikel G., in: Grimm, Deutsches 
Worterbuch IV, Bin 1878; H. Naumann, Artikel G., in: 
Reallexikon d. deutschen Literaturgesch., hrsg. v. P. Mer- 
ker u. W. Stammler, Bd I, Bin 1925, 21958 hrsg. v. W. 
Kohlschmidt u. W. Mohr. - Ph. Spitta, Zu Sperontes' 
Singender Muse, VfMw I, 1885; Fr. M. Bohme, Der G. 
seit 100 Jahren, Centralblatt f. Instrumentalmusik XI, 
1 896 ; L. Riemann, Der G., Neue Musikzs. XXIX, 1908 ; A. 
Penkert, Kampf gegen d. mus. Schundlit I: Das Gassen- 
lied, Lpz. 1911 ; L. Band, Der Kampf gegen d. G., Neue 
Musikzs. XLVII, 1926; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen 
Musik, Stuttgart u. Bin 1 1920, 51930, II, 1 1922, 41928, als 
II 51930, II, 2 1924, als III 21928 ; H. Chr. Wolff, Die Ba- 
rockoper in Hbg (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbuttel 1957; 
L. Richter, Parodieverfahren im Berliner Gassenlied, 
Deutsches Jb. d. Mw. IV (= JbP LI), 1959. 

Gavotte (frz.; ital. gavotta; engl. gavot; span, gavota, 
wahrscheinlich von altprov. gavot, Spottname fur die 
Bewohner des Berglandes in der Provence), ein Tanz, 
der heute noch in Frankreich, besonders in der Bre- 
tagne und im Pays Basque, als Reihentanz sowie als 
pantomimischer Paartanz mit eingeschobenen Tanzfi- 
guren wie Promenades und Baisers getanzt wird. Die 
G. steht im geraden Takt (2/2, <f, 2) und beginnt in der 
Regel auftaktig mit 2 Vierteln. Kurzere Notenwerte 
als Achtel sind selten. Sie umfaBt 2 Teile, die je aus 4, 8 



oder 16 Takten bestehen und jeweils zu wiederholen 
sind. Verbreitet ist auch die G. en -»■ rondeau (- 2). Seit 
Anfang des 17. Jh., wo die G. noch in Verbindung mit 
dem zu ihr kontrastierenden -> Branle (z. B. Kasseler 
Ms., herausgegeben von Ecorcheville) stand, dessen 
Commotion und bewegung . . . gar gelind war, gait sie als 
ein lebhafter Tanz (Praetorius Synt. Ill, 25). Diesen 
Charakter bewahrte die G. durch zwei jahrhunderte; 
zwar schrieben d'Anglebert (1689) und Rameau (1732) 
Lentement vor, doch iiberwiegen Vorschriften wie 
Allegro, Vivace und Presto weitaus. Mattheson Ca- 
pellm. nennt ihren Affekt . . . wircklich eine rechtejauch- 
zende Freude und das hiipffende Wesen im Gegensatz 
zum fliefienden der ->• Bourree als ihr eigentiimlich. - 
Mit Beginn des 17. Jh. erlangte die G. als Hoftanz An- 
erkennung (Mersenne, Harmonie universale, 1636). Am 
Hof von Versailles wurde sie fester Bestandteil des 
Balletts. Lully biirgerte den neuen Modetanz in die 
Orchestersuite (-*■ Suite) ein. Sein G.n-Typ ist von 
seinen Nachahmern unzahlige Male kopiert worden. 
Uber das Ballett zog die G. auch in die Oper ein : auBer 
Rameau (Les Indes galantes, Castor et Pollux, Les Pala- 
dins u. a.) verwandten sie Handel (Ottone), Gluck (Or- 
pheus) und Gretry (Cephale et Procris). - In der Kam- 
mersonate machte Corelli die G. heimisch (op. 2 und 
op. 4, 1685 und 1694); dort behielt sie ihren Platz bis 
hin zu Vivaldi (II Pastor fido op. 13, 1737) und Handel 
(op. 5, 1739), wenn auch zuweilen nur noch als »A 
tempo di gavotti«. - In die Klaviersuite scheint die G. 
durch N.Lebegue eingefiihrt worden zu sein (Second 
liure de clavecin, 1687); von hier gelangte sie in die 
Ordres und Suiten von d'Anglebert, J. K. F. Fischer und 
Pachelbel; zum Hohepunkt ihrer kunstvollen Ausge- 
staltung f iihrten sie Fr. Couperin (Les Nations, sonates 
et suites de symphonies en trio, 1726) und vor allem J. S. 
Bach, der sie als Solostiick (Suiten V und VI fur Solo- 
Vc, BWV 1011 und 1012; Partita III fur Solo-V., 
BWV 1006), als Cembalostuck (Englische Suiten III 
und VI, BWV 808 und 81 1 ; Franzosische Suiten IV, V, 
VI, BWV 815, 816, 817; Klavierpartita VI, BWV 830) 
sowie als Orchestertanz komponierte (Ouvertiire C 
dur, BWV 1066; Ouverturen D dur, BWV 1068 und 
1069). Aus der Ouvertiire D dur (BWV 1068, G. II) 
stammt das wohl einpragsamste Beispiel einer G. : 
Gavotte II 




kJJ jjjj Ai 



Die Verbindung zweier G.n, von denen die zweite ge- 
gen die erste entweder als Triosatz oder durch Musetten- 
charakter (-»■ Musette - 4) absticht, findet sich bei J. S. 
Bach of ter. - Nachdem die G. in derKlassik und Roman- 
tik auBer Gebrauch gekommen war, erlebte sie in der 
Spatromantik und Moderne eine Art Renaissance: G.n 
schrieben Saint-Saens (Septett op. 65), d' Albert (Kla- 
viersuite op. 1), R.Strauss (Suite fur 13 Blaser op. 4), 
Reger (op. 82 und op. 131c), auch Schonberg (Suite 
fur Kl. op. 25), Prokofjew (Kl.-Stucke op. 12) und A. 
Casella (Serenata, 1927). 

Lit.: M. Praetorius, Terpsichore (1612), GA, Bd XV 
(1929); M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, 
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; BrossardD; 
KochL; Vingt suites d'orch. du XVII e s. frc., 1640-70, 
hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1 906 ; P.-M. M asson, 
L'opera de Rameau, Paris 1930, 21943; C. Sachs, Eine 
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 
1938, frz. Paris 1938; N. Dufourcq, La musique fr?., Pa- 
ris 1949. RG 



Gegenfuge 

Gedackt (Gedact; engl. covered stops; frz. jeux bou- 
ches; span, tapada), gewohnliche Bezeichnung der ge- 
deckten, d. h. an ihrem Ende geschlossenen Labial- 
stimmen der Orgel. Die FuBtonbestimmung der G.e 
bezieht sich auf die Tonhohe und nicht auf die Pf eif en- 
lange, d. h. G. 16' gibt dieselbe Tonhohe wie Prinzipal 
16', aber durch halb so lange Pfeifen. G.e begegnen im 
Orgelbau seit dem 14. Jh. (1361 im Magdeburger 
Dom), sind aber vermutlich alter. Die Pfeifen sind aus 
Metall oder Holz, zylindrisch oder konisch und halb- 
(seit etwa 1450) oder vollgedackt ( = G.). Die Deck- 
vorrichtung heiBt Haube, Biichse, Hut, Stulpe, Stop- 
sel oder Spund; Kapseln finden sich im deutschen Or- 
gelbau seit 1650, Verschraubvorrichtungen nach 1822. 
Zugelotete G.e wurden am Seitenbart gestimmt. Bei 
G.en fehlen die geradzahligen Teiltone (2., 4.), die 
ungeradzahligen, besonders Quinte und Terz (3., 5. 
Partialton), klingen mehr oder weniger stark mit; dies 
hat den eigentumlich hohlen Klang zur Folge. Uber- 
blasende G.e erklingen im 3. Teilton, d. h. in der Duo- 
dezime (g.e Schweizerflote und Querflote). Praetorius 
(Synt. II, S. 139f.) nennt 6 GroBen: Groji Gedact 16' 
(mit einem thunen vnd stillen Klang im Pedal auch groji 
Gedacter SubBafi 32'), G. 8', Klein Gedact 4', Gedacte 
Quinta 3', Supergedactlein 2', Bawerfloit Baft oder Paurlin 
1'. G. 32' heiBt gewohnlich Untersatz, MajorbaB, 
GroBsubbaB, InfrabaB, SubkontrabaB (lat. pileata 
maxima; engl. great bourdon; frz. sous-bourdon; 
span, tapada de 52); 16' Bordun, Perduna, SubbaB 
(engl. double stopped diapason; span, tapada de 26); 
8' Mittel-G. (lat. pileata maior; engl. stopped diapason; 
frz. grosse flute; span, tapada de 13) ; 4' Klein-G., pileata 
minor, flute. Noch kleinere G.e finden sich in alten Or- 
geln (Bauernflote zu 2' und 1'). Die engere Bauart des 
G.s heiBt G.-Pommer, auch Nachthorn (M. Praetorius). 

Gedachtnis. Die Fahigkeit, Musikstucke aus der Er- 
innerung in der Phantasie zu reproduzieren, ist weni- 
ger verbreitet, als etwa das Behalten einer Melodie, 
kann aber durch anhaltende Ubung sehr gesteigert 
werden. Ein gutes G. ist besonders fur den Opernsan- 
ger erforderlich, aber auch f iir den Konzertspieler, von 
dem seit der 1. Halfte des 19. Jh. verlangt wird, daB er 
auswendig spielt. Die beste Methode, ein Werk dem 
G. einzupragen, ist die -*■ Analyse (Leimer-Gieseking : 
Reflexion). Neben dem Erfassen des formalen Zu- 
sammenhangs wirken die klangliche Vorstellung, die 
Erinnerung an das Notenbild sowie die durch Ubung 
erfeichte Automatisierung der Bewegungen mit, um 
Kompositionen aus dem G. zu reproduzieren. - Auch 
-»■ Absolutes Gehor ist eine Sonderleistung des Ton- 
und Tonart-G.ses. Die erstaunlichen G.-Leistungen, 
die von groBen Komponisten wie Mozart und von 
auswendig dirigierenden KapeUmeisternberichtet wer- 
den, waren ohne Mitwirkung des Absoluten Gehors 
nicht moglich. 

Lit. : K. Leimer mit W. Gieseking, Modernes Klavierspiel, 
Mainz (1931) u. 6., Neudruck (1965); G. Clostermann, 
Spiele auswendig. Zur Psycholbgie d. auswendigen Kla- 
vierspiels, = Praktische Arbeits- u. Bildungspsychologie 
VI, Munsteri.W.(1963). 

Gedenkschriften -»■ Fest-undGedenkschriften. 

Gefahrte -»■ Comes. 

Gegenbewegung (lat. motus contrarius), eine Grund- 
moghchkeit der -* Stimmf uhrung : das Fortschreiten 
zweier Stimmen in entgegengesetzter Richtung. Un- 
ter G. eines Motivs, Themas oder Cantus ist dessen 
-* Umkehrung zu verstehen. 

Gegenfuge (lat. fuga contraria), eine Fuge, deren Co- 
mes die melodische -»■ Umkehrung des Dux ist (z. B. 



319 



Gegensatz 

J.S.Bach, Kunst der Fuge, BWV 1080, Nr 5; verbun- 
den mit Diminution und Augmentation auch Nr 6 
und 7). -* Hypallage. 

Gegensatz, Kontrapunkt zum Thema einer Fuge, 
speziell der beibehaltene Kontrapunkt, das -► Kontra- 
subjekt. 

Gehorbildung ist die Heranbildung und Schulung 
des musikalischen Unterscheidungs- und Reproduk- 
tionsvermogens. Ausgehend vom Nachsingen und 
Bestimmen einzelner Intervalle und vom Erkennen 
von Zusammenklangen und Rhythmen, soil der Schii- 
ler gehorte musikalischeZusammenhange notenschrift- 
lich fixieren (->■ Musikdiktat) und harmonische Vor- 
gange (Modulationen) iiber das Gehor erfassen und 
analysieren lernen. G. erfolgt empirisch schon durch 
die Anfange der -*■ Musikerziehung beim Kinde. Be- 
sonders ein Anfangsunterricht auf Instrumenten mit 
festen Tonhohen (z. B. Klavier, auch Blockflote) muB 
durch G. erganzt werden, damit Tonvorstellung und 
Intonationsvermogen sich ausbilden. Wie das ->■ Re- 
lative Gehor durch G. zu fordern ist, so mufi auch das 
-» Absolute Gehor meist durch individuelle G. f iir die 
musikalische Praxis geschult werden. In der -> Schul- 
musik, auf Konservatorien und Musikhochschulen 
wird systematische G. betrieben. - Durch Jahrhunderte 
hindurch war die -*■ Solmisation die herrschende Me- 
thode ; sie verband mit der G. das Erkennen der Ton- 
qualitaten und die Stimmbildung. Im 19. Jh. betonten 
erstmals Pfeiffer und Nageli (1810) die Notwendigkeit 
der G., danach besonders A.B.Marx (1855). Neue 
Methoden der G. erprobten der Pestalozzi-Schiiler 
C.A.Zeller,J.N.Schelble,G.L.Wilhem, P.Galin und 
E.-J.-M. Cheve ; auch A.E. Choron trat mit einer 
Methode concertante hervor. In Frankreich wurde nach 
dem Vorbild der italienischen Gesangsiibungen (Sol- 
feggio) im 19. Jh. das -> Solfege zu einer - ahnlich wie 
die' Solmisation - auch die Stimmbildung umfassenden 
Methode der G. ausgebaut; grundlegend ist das Werk 
von A. -> Lavignac. In methodischer Anlehnung an 
das Solfege soil auch das -> Tonic-Solfa-System von 
J. Curwen, das von A. Hundoegger als -> Tonika-Do- 
Methode in Deutschland eingefiihrt (und u. a. von R. 
Miinnich abgewandelt) wurde, der G. und der elemen- 
taren Einfiihrung in das Tonsystem dienen ; doch wah- 
rend in Italien und Frankreich SolfegesilbenundTonbe- 
nennung derKunstmusik identisch sind, miissen die eng- 
lischen und deutschen Silbensysteme, auch das -»■ Ton- 
wort von Eitz, in einem fortgeschritteneren Stadium 
der Ausbildung wieder verlassen werden. Eine Uber- 
bewertung der Frage der Methode kann vom eigent- 
lichen Ziel der G., dem Dienst an der musikalischen 
Gesamtausbildung, ablenken. 

Lit. : M. Tr. Pfeiffer u. H. G. Nageli, Vollstandige u. aus- 
fuhrliche Gesangschule I (Gesangbildungslehre nach Pe- 
stalozzischen Grundsatzen), Zurich 1810; C. A. Zeller, 
Elemente d. Musik, Konigsberg 1810; A. E. Choron, Me- 
thode elementaire de musique et de plain-chant, Paris 1811; 
ders., Methode concertante de musique a plusieurs parties, 
Paris 1 8 1 5 ; A. B. Marx, Die Musik d. Neunzehnten Jh. u. 
ihre Pflege, Lpz. 1 855 ; K. Lang, J. N. Schelbles Gehorent- 
wicklungsmethode, Braunschweig 1873; F. G. Shinn, Ele- 
mentary Ear Training, 2 Bde, London 1899-1900; F. J. 
Sawyer, The Teaching of Harmony as a Basis of Ear Trai- 
ning, Proc. R. Mus. Ass. XXVII, 1900; M. Battke, Die 
Erziehung d. Tonsinns. 304 Ubungen f. Ohr, Auge u. Ge- 
dachtnis, Bin 1905, 2 1906; St. Macpherson u. E. Read, 
Aural Culture Based Upon Mus. Appreciation, 3 Bde, 
London 1912-18; A. Gedalge, L'enseignement de la mu- 
sique par l'education methodique de l'oreille, 2 Bde (I Tex- 
te, II Exercices), Paris 1920; E. Dahlke, Das Arbeitsprin- 
zip im Gesangunterricht, Essen 1921 ; Fr. Reuter, Das 
mus. Horen auf psychologischer Grundlage, Lpz. 1925, 



Lindau 2 1942; W. Howard, Ubung im Horen, = Auf d. 
Wege zur Musik III, Bin 1 926 ; E. Read, Exercises in Aural 
Training, 2 Bde, London 1941 ; H. Grabner, Neue Gehor- 
ubung, Bin 1950. 

Gehorphysiologie ist die Wissenschaft von den or- 
ganischen Funktionen des Gehors. - Periodische Luft- 
druckschwankungen zwischen 16 Hz und 20 kHz sind 
erst dadurch Schall, daB sie vom Gehor aufgenom- 
men, weitergeleitet und wahrgenommen werden 
(-> Akustik). Das Hororgan besteht aus zwei Ohren 
und einem komplizierten Reiziibertragungssystem, 
das zum Gehirn fiihrt, auBerdem die Ohren unterein- 
ander wie auch mit anderen Sinnesorganen und Zen- 
tren verbindet. - Die biologische Aufgabe des Gehors 
besteht darin, im Zusammenwirken mit anderen Sin- 
nesorganen die Orientierung im Lebensraum sicher- 
zustellen und Gefahren anzuzeigen. Zur Orientierung 
dient vor allem seine ausgepragte Fahigkeit, aus In- 
tensitats-, Laufzeit- sowie Strukturunterschieden der 
Schallreize an den Ohren die Schallrichtung zu er- 
mitteln. Bemerkt wird bereits eine Abweichung der 
Schallrichtung um 3° von der Mittelebene (entspre- 
chend einem Zeitunterschied von ca. V30000 sec )- m 
der Regel verschmelzen die verschiedenen Schallrich- 
tungen zu einem allgemeinen Raumeindruck, doch 
kann ein Schallereignis durch groBere Intensitat oder 
besondere Erwartung aus diesem Hintergrund heraus- 
gehoben und isoliert wahrgenommen werden. Fur die 
dann folgende Einschatzung von Schallereignissen 
kann das Gehororgan ein Schallsignal bis zum gewis- 
sen Grad in seine Frequenz- und Amplitudenstruktur 
zerlegen (-> Fourieranalyse). Auf Grund der Struk- 
tur des Schalles werden aus dem Schallreiz Eindriicke 
oder Anmutungen entnommen : Horwahrnehmungen. 
Der urspriingliche biologische Sinn dieser Fahigkeit 
ist, AufschluB zu geben iiber die Machtigkeit eines Ge- 
geniibers. 

Der Horvorgang verlauft etwa in der Weise, daB 
(mehr oder minder) periodische Luf tdruckschwankun- 
gen das Trommelf ell jedes der beiden Ohren erreichen. 
Sie werden iiber die angekoppelte Knochelkette ins 
Innenohr iibertragen und zugleich auf hohere Druck- 
werte transformiert. Trommelfell, Knochelkette und 
Schnecke bilden ein eng verkoppeltes Schwingungs- 
system, das allerdings die aufgenommenen Schwin- 
gungen nicht getreu iibertragt: die Kurvenverlaufe 
werden verformt (->• Verzerrung). Die Schnecke oder 
Cochlea (-»- Ohr) hat die Aufgabe, die ankommen- 
den Schwingungsbewegungen in Nervenreize um- 
zusetzen. Dieser spiralformig gewundene, mit Fliis- 
sigkeit (Perilymphe) gefiillte Hohlraum ist durch die 
Basilarmembran langsgeteilt, deren Ende durchbro- 
chen ist (Helikotrema). Die Druckwelle wird vom 
Trommelfell iiber die Knochelkette durch das ovale 
Fenster geleitet und setzt sich in der U-formigen 
Schneckenfliissigkeitssaule fort. Sie findet ihren Druck- 
ausgleich durch das runde Fenster hindurch. Dieser 
mechanische Aufbau hat zur Folge, daB die Basilar- 
membran in ihrer Lange frequenzabhangig bewegt 
werden kann: sie spricht an der Nahe der Fenster- 
membranen auf schnelle, am Helikotrema auf lang- 
same Schwingungsvorgange an (->■ Hortheorie). In 
dem auf der Basilarmembran befindlichen Cortischen 
Organ sind ca. 25000 Nervenfasern, deren Enden er- 
reg t werden. Bei Beschallung des Ohres und Reizung der 
Nervenenden entsteht einmal der »Mikrophonstrom« 
mit einem der Schwingungsform entsprechenden 
Kurvenverlauf, zum anderen aber werden die weit 
wichtigeren Aktionspotentiale hervorgerufen, impuls- 
artige SpannungsstoBe unveranderlicher GroBe. - Le- 
diglich Haufigkeit und zeitliche Strukturierung (z. B. 



320 



periodische Wiederkehr von Dichteschwankungen) 
liefern die Informational fiir die Horempfindung. Die 
Nervenfasern sind jedoch nicht in der Lage, die Ak- 
tionspotentiale in beliebiger Folge zu erzeugen, da sie 
zwischen jeder Erregung wahrend einer Erholungszeit 
(Refraktarzeit) von ca. Viooo-Viooo sec unempfindlich 
bleiben. Daher werden SchwingungsstoBe nur bis 
etwa 1000 Hz synchron in Aktionspotentiale pro Ner- 
venfaser umgesetzt. Die Aktionspotentiale pflanzen 
sich mit endlicher Geschwindigkeit (zwischen 1 und 
120 m/sec) im Hornerv fort und unterliegen vielerlei 
Umformung in den »Schaltstellen«. Eine der wichtig- 
sten dieser Art scheint der Mittlere Kniehocker (cor- 
pus genitalium mediale) zu sein, in dem es wahrschein- 
lich zu einem Vergleich der Reizstrukturen beider 
Ohren kommt (-»• Konsonanz - 2). Neben den man- 
nigf altigen Nichtlinearitaten bei der Reiztransf ormation 
beeinfluBt eine besondere Eigenschaft des Ohres die 
Horwahrnehmung: das Ohr paBt sich einem mittleren 
Reizniveau an, indem es seine Empfindlichkeit veran- 
dert, vergleichbar mit der Helligkeitsregulierung des 
Auges durch die Pupillenweite (-* Adaptation). Die- 
se schallpegelabhangige Empfindlichkeitsveranderung 
kann auch dazu f iihren, daB ein bestimmter akustischer 
Reiz infolge der gleichzeitigen Einwirkung eines an- 
deren gar nicht zur Wahrnehmung kommt: er wird 
verdeckt. Diese -> Verdeckung hangt von der Fre- 
quenzlage der Reihe ab : im allgemeinen verdeckt ein 
Schall hoherer Frequenz einen tieferen nur dann, wenn 
die Frequenzdistanz gering ist, ein tieferer einen hohe- 
ren, sofern er groBere Intensitat besitzt. Vor allem aber 
verdecken sich Tonreize in ganzzahligen Schwingungs- 
vcrhaltnissen gegenseitig recht stark, was zu verstark- 
ter Einheitlichkeit des Klangempfindens fiihrt (-> Ver- 
schmelzung). Adaptation und Verdeckung relativieren 
besonders auch die Lautstarkeempfindung, so daB 
schallintensitatsbezogene LautstarkemaBe nur einen 
begrenzten Wert fiir die psychologische Einschatzung 
der Lautstarke besitzen (-»■ Lautstarke). Auch bei der 
Einwirkung von einzelneh Schallreizen ist das Horor- 
gan fiir verschiedene Frequenzbereiche unterschiedlich 
empfindlich. Zu den auBeren Frequenzbereichen hin 
nimmt die Empfindlichkeit deutlich ab. Der Gesamt- 
bereich horbaren Schalles zwischen unterer (ca. 16 Hz) 
und oberer (20 kHz) Horgrenze sowie zwischen Hor- 
schwelle (0,0002 jib bei 1000 Hz) und Schmerzschwelle 
(ca. 200 (ib) wird als Horfeld bezeichnet. Man hat die 
unterschiedliche Empfindlichkeit durch Vergleiche 
mit Sinusschwingungen zu bestimmen versucht und 
ist dadurch zu Kurven gleicher Lautstarke (Fletcher 
und Munson), sogenannten Isophonen, gekommen, 
von denen die quantitativen LautstarkemaBe wie Phon 
und Sone abgeleitet wurden. Auch die lineare Kompo- 
nente der Tonhohe korreliert nur begrenzt mit der 
Frequenz, ganz abgesehen von der qualitativen (-*To- 
nigkeit) : Sie andert sich sowohl mit dem Frequenzbe- 
reich als auch mit der Intensitat (-> Tonhohe). Schall- 
ereignisse werden sinnvoll ausgewertet nur unter Hin- 
zunahme von Informationen aus anderen Bereichen, 
den anderen Sinnesgebieten - vornehmlich dem visuel- 
len Bereich -, der Erinnerung, Motivation, Erwartung 
usw. Es kommt meist zu einer Einschatzung (Wahr- 
nehmung), die iiber die reine Reizinf ormation hinaus- 
geht und teilweise davon stark abweicht. So korreliert 
die musikalische Lautstarke (pp-ff) mehr mit der aus 
der Schallstruktur entnommenen Information als mit 
dem Pegel (das »Leisedrehen« eines Radioapparates 
macht einen Fortesatz niemals zum piano). -*■ Tonhohe 
im musikahschen Sinn ist ebenfalls etwas anderes und 
iiber die Frequenzparallelitat Hinausgehendes. Indessen 
ist die Kenntnis der physiologischen Vorgange not- 



Geigenbau 

wendige Voraussetzung fiir die Beschreibung und 
Deutung der Horphanomene. 

Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
.... Braunschweig 1863, 61913; St. Sm. Stevens u. H. 
Davis, Hearing. Its Psychology and Physiology, NY (1938, 
51960); Hdb. of Experimental Psychology, NY 1951; H. 
Husmann, Der Auf bau d. Gehorswahrnehmungen, Af Mw 
X, 1 953 ; O. Fr. Ranke u. H. Lullies, Gehor, Stimme, Spra- 
che, = Lehrbuch d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelen- 
burg u. E. Schiitz, Bin, Gottingenu. Heidelberg 1953; E. G. 
Wever u. M. Lawrence, Physiological Acoustics, Prince- 
ton (N. J.) 1954; H. Rein u. M. Schneider, Physiologie d. 
Menschen, Bin, Gottingen u. Heidelberg "1955. HPR 

Gehorpsychologie 

sikpsychologie. 



Horpsychologie, -»■ Mu- 



Geige (ahd. giga, herzuleiten von germanisch geigan, 
hin- und herbewegen; danisch gige; frz. -> gigue; ital. 
giga; engl. -»-jig), altere Bezeichnung fiir verschiedene 
Bogeninstrumente. Ein bestimmter Typ laBt sich dem 
Wort nicht zuordnen; es scheint vielmehr das jeweils 
verbreitetste Streichinstrument einer Zeit zu bezeich- 
nen, oft synonym mit -> Fiedel (- 1) - Luther iibersetzt 
1. Sam. 8, 6, 1523 fiddeln, 1534 geygen. Die Instrumen- 
tensystematik benutzt das Wort G. zur Bezeichnung 
primitiver sowie hoher entwickelter Streichinstrumen- 
te, besonders wenn sie nicht dem Lautentyp (mit abge- 
setztem Hals) zugehoren. - Im Dictionarius des Johan- 
nes de Garlandia (urn 1230) wird giga genannt und in 
Glossarien des 12. Jh. als tricordium erklart. In Dich- 
tungen des Mittelalters wird die G. verschiedentlich 
erwahnt, so im altfranzosischen Alexander-Roman 
(rote, harpe, vielle et gigue et ciphonie), bei Adenet le Roi 
im Cleomades-Roman (gigueours d'allemagne); bei 
Heinrich von Freiberg (Tristan 1285) wird die G. aus- 
nahmsweise nicht gestrichen (gigen garren, s. v. w. auf 
die G. klopfen); Dante nennt (Paradiso XIV) giga ed 
arpa. Die G. wurde mit anderen Instrumenten beim 
Turnier und zur Hochzeit gespielt, zum Tanz auch 
allein. Agricola nennt 1529 drei Arten von G.n: die 
grojien G.n (1545: welsche G.n; bei Praetorius 1619 
sachlich zutreffend: Alte Fiddel), die kleinen G.n (1545: 
Handgeiglein) und kleine G.n mit 3 Saiten in Quint- 
stimmung und ohne Biinde, deren Corpus vom -> Re- 
bec-Typ ist (1545: Polnische G.n). Praetorius bezeich- 
net die Violen da gamba nach dem Brauch der Kunst- 
pfeifer in den Stadten als Violen, die Violen da braccio 
als G.n, darunter auch die nicht zur Violenfamilie ge- 
horende -»■ Pochette (gar klein Geiglein). Bei L.Mo- 
zart (1756) ist das Wort G. ein allgemeines Wort, welches 
alle Arten der Geiginstrumente in sich einschliesset; es 
sei MiBbrauch, wenn man die Violin platterdings die G. 
nennet. Dennoch ist seit dem 18. Jh. G. in der Regel 
gleichbedeutend mit ->• Violine, besonders im volks- 
tiimlichen Sprachgebrauch. 

Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), hrsg. v. 
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass. Fates, 
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931; M. Agricola, Musica 
instrumentalis deudsch, Wittenberg 1528 u. *1545, neu 
hrsg. v. R. Eitner, =PGfM XXIV, Bd XX, Lpz. 1896; 
Praetorius Synt. II; WaltherL, Artikel Giga; Mozart 
Versuch; A. Scheler, Trois traitfe de lexicographie lat. 
du XII e et du XIII* s., Jb. f. Romanische u. Engl. Lit. VI, 
1865, separat Lpz. 1867; J. Ruhlmann, Die Gesch. d. Bo- 
geninstr., 2 Bde, Braunschweig 1882; D. Fryklund, Ety- 
mologische Studien uber G. - Gigue - Jig, = Studier i mo- 
dern sprakvetenskap VI, Uppsala 191 7; L.Spitzer, DieG., 
Arch, romanicum X, 1926; D. Treder, Die Musikinstr. in 
d. hofischen Epen d. Bliitezeit, Diss. Greifswald 1933; N. 
Bessaraboff, Ancient European Mus. Instr., Boston 1941 ; 
K. M. Klier, Volkstiimliche Musikinstr. in d. Alpen, Kas- 
sel 1956. 

Geigenbau, einer der wichtigsten Zweige im -> In- 
strumentenbau, der sich mit der Anfertigung von 



21 



321 



Geigenprinzipal 



Violinen, Bratschen, Violoncelli und Kontrabassen 
(heute seltener noch mit der von Lauten, Gitarren 
usw.) befaBt, daneben mit Reparaturen und Restau- 
rierungen, Taxationen und Handel. Obwohl der Gei- 
genbauer heute eine Reihe von Halbfertigfabrikaten 
bezieht (geleimte Bodenbretter, Halse), ist seine Ar- 
beit im wesentlichen die gleiche wie vor 250 Jahren. - 
Am beriihmtesten sind die Instrumente der italieni- 
schen G.-Schulen, der von Brescia (Bliitezeit um 1520- 
1620, ->■ Gasparo da Salo, -> Maggini), Cremona (um 
1550-1760, -*■ Amati, ->• Guarnerius, ->■ Stradivari, 
->■ Bergonzi), Mailand und Neapel (um 1680-1800, 
->• Grancino, ->■ Testore, -> Gaghano), Venedig (um 
1690-1765, -»■ Montagnana) sowie Florenz, Rom und 
Bologna (um 1680-1760). In Cremona lernten die 
Griinder der Tiroler (J. -> Stainer) und Mittenwalder 
(M. -> Klotz) Schule. Die klassischen italienischen Mo- 
delle wurden in Frankreich (-> Vuillaume und -*■ Lu- 
pot, nach Stradivari) nachgebaut, die Stainers in Eng- 
land und im Vogtland. 

Lit.: O. Bachmann, Theoretisch-praktisches Hdb. d. G., 
Quedlinburg u. Lpz. 1835; G. de Piccolellis, Liutai an- 
tichi e moderni, Florenz 1885; G. Hart, The V., Its Fa- 
mous Makers and Their Imitators, London 1887, 21909; 
A. Vidal, La lutherie et les luthiers, Paris 1889; C. Stai- 
ner, A Dictionary of V. Makers, London 1896, 21901 ; P. 
de Wit, Geigenzettel alter Meister, 2 Bde, Lpz. 1902-10; 
W. L. v. Lutgendorff, Die Geigen- u. Lautenmacher v. 
MA bis zur Gegenwart, 2 Bde, Ffm. 1904, 5-61922; A. 
Fuchs, Taxed. Streichinstr., Lpz. 1906, «1960; A. Jacquot, 
La lutherie lorraine et frc., Paris 1912; J. Macon, Die Ent- 
wicklung d. Geigenindustrie in Mittenwald, Diss. Erlan- 
gen 1913; H. Boltshauser, Gesch. d. Geigenbaukunst in 
d. Schweiz, Lpz. 1923; H. Poidras, Dictionnaire desluthiers 
anciens et modernes, Rouen 1924, 21930; ders.. Critical 
and Documentary Dictionary of V. Makers, Reading 1 928 ; 
O. Haubensak, Die geschichtliche Entwicklung u. d. wirt- 
schaftliche Aufbau d. Geigenindustrie in Deutschland 
Diss. Marburg 1926, maschr.; F. Niederheitmann, Cre- 
mona. Charakteristik d. ital. G.er u. ihrer Instr., Lpz. 1 928, 
Ffm. 81956; O. Mockel, Die Kunst d. G., Bin 1930, (21 954) 
hrsg. v. Fr. Winckel; D. J. Balfoort, De Hollandsche 
vioolmakers, Amsterdam 1931 ; Fr. Hamma, Meisterwerke 
ital. Geigenbaukunst, Stuttgart 1932; ders., Meisterwerke 
deutscher Geigenbaukunst, Stuttgart 1948, engl. London 
1961 ; R. Vannes, Dictionnaire universel des luthiers, 2 
Bde, Paris 1932, Brussel 21951 ; J. Reiter, 250 Jahre Mit- 
tenwalder G. 1685-1935, Mittenwald (1936); A. Riechers, 
Die Geige u. ihr Bau, Lpz. 1940, Wiesbaden 2 1955 hrsg. v. 
O. Bahlmann; K. Jalovec, Houslari I, tschechisch u. engl. 
Prag 1 948, 21952, deutsch als : Ital. G.er, (Prag 1 957) ; ders., 
CeSti houslari, Prag 1959; W. Senn, Forschungsaufgaben 
zur Gesch. d. G., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; Zdz. Szulc, 
Stownik lutnikow polskich, Posen 1953; M. Moller, The 
V. Makers of the Low Countries (Belgium and Holland), 
Amsterdam 1955; W. Lottermoser, Die akustische Prii- 
fung v. V., Kgr.-Ber. Wien 1956; W. Henley, Universal 
Dictionary of V. and Bow Makers, 5 Bde, Brighton 1959-60. 

Geigenprinzipal, Geigendprinzipal (engl. violin dia- 
pason, auch crisp toned diapason), offene, zylindrische, 
labiale Orgelstimme aus Metall (in tieferen Lagen ge- 
legentlich Holz, heute oftmals Zink), mit niedrigem 
Aufschnitt, obertonreicher als das Prinzipal, im 8' oder 
4'. Mensur und Klang liegen etwa in der Mitte zwi- 
schen Prinzipal- und Gambenstimmen. Das Register 
begegnet gelegentlich im Barock als prinzipalartiges 
Salizional (Danzig 1549), besonders aber in der Ro- 
mantik (als 8' im Nebenwerk), doch auch heute noch 
(vornehmlich im III. Manual als 4'). 

Geigenwerk -> Bogenfliigel. 

Geifilerlieder werden die Gesange der GeiBler (ital. 
flagellanti, disciplinati u. a.) genannt, die sich im 13. 
und 14. Jh. vor allem in Italien und Deutschland unter 
dem Eindruck be,druckender politischer und sozialer 



MiBstande und in Erwartung des Anbrechens der End- 
zeit zu BiiBergemeinschaften zusammenschlossen. Die 
erste, 1258 von Umbrien ausgehende Bewegung 
kniipfte bei den Laudesi an; von den uberlieierten 
Lauden, die mit den GeiBlem in Zusammenhang ge- 
bracht werden konnen, ist jedoch nur Chi volo de mondo 
desprezzare im Codex Cortona mit Noten yersehen. 
Uber eine zweite, im Pestjahr 1349 von Osterreich 
ausgehende und schnell sich verbreitende Bewegung 
berichtet u. a. das Chronikon Hugos von Reutlingen, 
das iiberdies Texte und - als einzige Quelle - auch Me- 
lodien von 6 G.n in gotischen Neumen iiberliefert. 
Von diesen geht allerdings nur der Leis Nu tret herzuo 
auf die GeiBler selbst zuriick; die anderen Lieder ent- 
stammen alterem Liedgut und sind daher eine wichtige 
Quelle fur das alteste deutsche geistliche Volkslied. 
AuBerdem sind zwei franzosische, von den deutschen 
beeinfluBte G. erhalten. Die Rufzeile, der Kern des 
geistli'chen Volksliedes, ist auch fiir die G. charakteri- 
stisch. Von diesen lebt Nu ist diu betfart so here noch 
1666 in einem Prozessionslied der Catholisch Geistlkh 
Nachtigal fort. Beeinflussung der GroBen Tageweise 
des Grafen Peter von Arburg durch den Leis Nu tret 
herzuo konnte nachgewiesen werden. 
Lit. : Die Lieder u. Melodien d. GeiBler d. Jahres 1 349 nach 
d. Aufzeichnung Hugo's v. Reutlingen, hrsg. v. P. Runge, 
Lpz. 1900, mit Beitr. v. H. Schneegans u. H. Pfannen- 
schmid; A. Hubner, Die deutschen G., Bin 1931 ; J. Mul- 
ler-Blattau, Die deutschen G.,ZfMw XVII, 1935; ders., 
-Zu Form u. Uberlieferung d. altesten deutschen geistlichen 
Lieder, ebenda ; ders., In Gottes Namen fahren wir. Studie 
zur Melodiegesch. d. altdeutschen Fahrtenliedes, Fs. M. 
Schneider, Halle 1935. 

GEM A (Abk. von : Gesellschaf t fiir musikalische Auf- 
fiihrungsrechte), eine -»• Verwertungsgesellschaft, wel- 
che das -»■ Auffiihrungsrecht und die sogenannten me- 
chanischen Rechte (-» AMMRE) ihrer Mitglieder 
(Komponisten, Textdichter, Musikverleger) verwal- 
tet. - In Frankreich wurde bereits 1851 die heute noch 
bestehende Societe des auteurs, compositeurs et edi- 
teurs de musique (SACEM) gegriindet, das Vorbild fiir 
alle spateren Verwertungsgesellschaften. In Deutsch- 
land wurde erst durch das Urheberrechtsgesetz von 
1870 ein Auffiihrungsrecht anerkannt, aber an einen 
Vorbehalt durch Auf druck auf den Musiknoten gebun- 
den. Nicht zuletzt durch das unermiidliche Eintreten 
von R. Strauss und Fr. -> Rosch wurde im Urheber- 
rechtsgesetz von 1901 das Auffiihrungsrecht bedin- 
gungslos im heutigen Sinne statuiert. Als Folge entstan- 
den am 14. 1. 1903 mit R. Strauss an der Spitze die Ge- 
nossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) und ein hal- 
bes Jahr spater, am 9. 7. 1903, die Anstalt fiir musikali- 
sche Auffiihrungsrechte (AFMA) als erste deutsche 
Verwertungsgesellschaft. Daneben entstand 1915 die 
Genossenschaf t zur Verwertung musikalischer Auffiih- 
rungsrechte (GEMA, Vorlauferin der heutigen), die 
iiberwiegend die Unterhaltungsmusik vertrat, beson- 
ders nach der ein Jahr spater erfolgten Griindung des 
Musikschutzverbandes (Verband zum Schutze musi- 
kalischer Auffiihrungsrechte fiir Deutschland) in Ge- 
meinschaft mit der osterreichischen Schwestergesell- 
schaft -*- AKM. Das ungute Nebeneinander mehrerer 
Gesellschaften und der Sog des wirtschaftlich weit 
iiberlegenen Musikschutzverbandes fiihrte 1930 zum 
BeschluB einer gemeinsamen Wahrnehmung der Auf- 
fiihrungsrechte. Im September 1933 entstand nach 
Liquidation der bestehenden Gesellschaften die gemein- 
same Staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwer- 
tung musikalischer Auffiihrungsrechte (STAGMA). 
Nach dem 2. Weltkrieg wurde 1945 die STAGMA auf 
Verlangen der Alliierten wieder in GEMA umbenannt, 



322 



GeneralbaB 



unter Belassung der rechtlichen Struktur. Der GEMA 
obliegt die treuhanderische Verwaltung der ihr iiber- 
tragenen Rechte. Dies sind im besonderen die kon- 
zertanten Auffiihrungs- und Senderechte (sogenannte 
Kleine Rechte), also nicht die Auffiihrungsrechte von 
Buhnenwerken (Tantiemen = GroBe Rechte), ferner 
die mechanischen Vervielfaltigungsrechte (Schallplat- 
ten, Tonbander) und eine Reihe anderer Werknutzungs- 
rechte. Die Berechnung der Auffiihrungsgebiihren 
durch die GEMA erfolgt nach Tarifen, die mit den zu- 
standigen Organisationen der Musikverbraucher ver- 
einbart werden. Hierbei handelt es sich bei den Auf- 
fiihrungsgebiihren iiberwiegend um Pauschalen (je 
nach Bedeutung der Veranstaltung, in Gaststatten be- 
sonders nach Konzerthaufigkeit, Anzahl der Musiker, 
RaumgroBe usw.). Fiir Sendegebiihren liegen beson- 
dere Vereinbarungen mit den Rundf unk- und Fernseh- 
anstalten vor. Die Verteilung der Gebuhren erfolgt 
nach einem Verteilungsplan, dem eine Punktbewer- 
tung zugrunde liegt; diese unterscheidet hinsichtlich 
der Hohe zwischen Ernster (E-Musik) und Unterhal- 
tungsmusik (U-Musik). Die Verrechnung erfolgt auf 
Grund der eingesandten Musikprogramme. 
Die Verwaltung der mechanischen Rechte lag zunachst 
bei der 1909 gegriindeten -> AMMRE, ging dann 1938 
mit deren Eingliederung in die Vorlauf erin der GEMA 
auf diese iiber. Die der Industrie abverlangten Lizenzen 
wurden durch das -* BIEM fiir die ihr angeschlosse- 
nen Verwertungsgesellschaf ten, wozu auch die AMM- 
RE bzw. die GEMA gehorten, mit der Industrie ein- 
heitlich vereinbart. Nachdem die GEMA 1964 ihre 
Mitgliedschaft bei dem BIEM aus kartellrechtlichen 
Griinden vorsorglich gekiindigt hat, verwaltet sie die 
ihr iibertragenen mechanischen Rechte eigenen Na- 
mens. Der Name AMMRE wurde im gleichen Jahr 
aufgegeben. Als Lizenzgebiihr gilt im Normalfall ge- 
genwartig 4% des Katalogpreises je Plattenseite, und 
bei Langspielplatten ein entsprechend angemessener 
Betrag. Die Einnahmen werden den Berechtigten nach 
einem fiir jedes Werk bestehenden Verteilungsschliis- 
sel abgerechnet. - Die GEMA ist ein gemeinnutziges 
Unternehmen und erzielt keine eigenen Gewinne. 
Ihre Unkosten werden mit einer verhaltnismaBig klei- 
nen Provision bestritten. Auf Grund von Gegenseitig- 
keitsvertragen mit den auslandischen Schwesterge- 
sellschaften, die in 40 Landern bestehen und in der 
-> CISAC vereinigt sind, ist die GEMA in der Lage, 
iiber das Musikrepertoire der Welt zu verfiigen. Auf- 
fiihrungen im Ausland, die deutsche Autoren betref- 
fen, werden von den auslandischen Verwertungsge- 
sellschaften mit der GEMA abgerechnet, wie umge- 
kehrt seitens der GEMA. - Die GEMA hat ihren Sitz in 
West-Berlin und eine Geschaf tsstelle in Miinchen. Der 
AuBendienst der GEMA ist in 15 Bezirksdirektionen 
eingeteilt, welche die Musikauffiihrungen kontrollie- 
ren und die Gebuhren kassieren. Die GEMA beschaf- 
tigt zur Zeit ca. 1000 Angestellte. 
Der Mitghederversammlung obliegt dieWahl des Auf- 
sichtsrats, die Wahl der Ehrenmitglieder (zur Zeit je 2 
Komponisten, 1 Textdichter, 2 Verleger), dieBeschluB- 
fassung iiber Anderung der Satzungen und des Ver- 
teilungsplans. Der Aufsichtsrat besteht aus 15 Personen, 
von denen 6 Komponisten, 5 Verleger und 4 Text- 
dichter sein miissen. Der Vorsitzende ist ein Kompo- 
nist. Der Vorstand (gegenwartig Erich Schulze) wird 
vom Aufsichtsrat bestellt. - Die GEMA erf reut sich in 
Verbraucherkreisen, vor allem im Gaststattengewerbe, 
keiner besonderen Beliebtheit. Die Erkenntnis dariiber, 
daB die geforderten Gebuhren keinem Erwerbsunter- 
nehmen zugute kommen, sondern das Entgelt darstel- 
len fiir die Leistungen der Urheber und der Verleger, 



macht aber allmahlich Fortschritte. Mit zunehmender 
Mechanisierung (Rundfunk, Schallplatten usw.) wer- 
den die bei der GEMA eingehenden Betrage fiir deren 
Mitglieder zur iiberwiegenden, wenn nicht zur einzi- 
gen Einnahmequelle. Der iiberwiegende Betrag flieBt 
an die an der Unterhaltungsmusik Beteiligten. 
Lit. : E. Schulze, Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche 
Urheberrechtsges., Bin 1951, 21956; Musik u. Dichtung, 
Fs. d. GEMA, Miinchen 1953; E. Ulmer, K. Bussmann u. 
S. Weber, Das Recht d. Verwertungsges., Weinheim (Berg- 
straBe) 1955; E. Ulmer, Urheber- u. Verlagsrecht, Bin, 
Gottingen u. Heidelberg 2 1960. 

Gemischte Stimmen (engl. compound stops; frz. 
jeux composes) sind in der Orgel die aus mehreren 
Obertonstimmen (-> Ahquotstimmen) zusammenge- 
setzten Register (Mixtur, Scharf, Zimbel, Rauschpfei- 
fe, Kornett, Sesquialtera, Terzian). 

Gemshorn (engl. goat-horn), - 1) eine bei Virdung 
(1511) und Agricola (1529) genannte und abgebildete 
Blockflote mit 4 Grifflochern in der Form eines kurzen 
Tierhorns (Horn des Steinbocks; gekriimmt, kegel- 
formig), bei der am dickeren, verschlossenen Ende An- 
blasevorrichtung und Aufschnitt angebracht sind; als 
Randzeichnung von A.Diirer findet sich ein G. im 
Gebetbuch fiir Kaiser Maximilian I. - 2) ein Labialre- 
gister der Orgel mit konischen Pfeifen im 8', 4' oder 2', 
auch als Quinte 22/3' oder ii/3'. Der Klang ist weich 
und hornartig. Das G. war ursprunglich und bis ins 18. 
Jh. weiter mensuriert, wurde dann enger und wird neu- 
erdings wieder in der alten Mensur gebaut. Praetorius 
(Synt. II, S. 154f.) nennt Grofi Gemfihom 16' (beson- 
ders im Pedal, liebliche Stimme), Aequal G. 8' (eine 
sonderbahre liebliche undsiisse Stimme), Octaven G. A' und 
Klein Octaven G. 2' (gehoret mehr ins Riickpositiff). . 

Gender (Gendir), Metallophonfamilie des -*■ Game- 
Ian, bestehend aus den mehroktavigen G. panerus und 
G. barung (1 Oktave tiefer) sowie den einoktavigen G. 
slentem (oder panembung) und G. demung bzw. gan- 
tung (1 Oktave hdher). In der Tonhohenlage ent- 
spricht der G. slentem der untersten Oktave des G. 
barung. Bestandteile des G. sind diinne, an Schniiren 
aufgehangte Metallplattchen (Bronze) sowie als Reso- 
natoren ein zu jedem Plattchen gehdrendes Bambus- 
rohr mit dem gleichen Eigenton. 

Generalauftakt (Terminus von H.Riemann) ist ein 
Auftakt hoherer Ordnung, der nicht Bestandteil des 
folgenden Motivs, sondern Uberleitung zu einem 
neuen Gedanken oder zur Wiederholung eines bereits 
vorher aufgetretenen Themas ist. Die Bedeutung des 
G.s erkannte bereits J.J. de Momigny; er nennt ihn 
lien (Band). M.Lussy, der Momignys Ideen wieder 
aufgriff (1873), nennt die Uberleitungstone notes de 
soudure (Naht). In H.Riemanns Phrasierungsausgaben 
ist der G. durch einen vorwarts iiberlaufenden Bogen 
kenntlich gemacht. 

Generalbafi (ital. basso continuo; engl. thorough- 
bass; frz. basse continue) ist die Bezeichnung der seit 
dem Ende des 16. Jh. in mehrstimmiger Musik ge- 
brauchlichen instrumentalen BaBstimme, die zur steg- 
reifartigen Darstellung des harmonischen Verlaufs in 
einfachen oder verzierten Akkordgriffen dient. Vor- 
aussetzung fiir diese Praxis ist der Dreiklang als Norm 
des Zusammenklangs. Haufig, aber nicht immer, deu- 
tet eine iiber oder seltener unter den Noten der Gb.- 
Stimme befindliche Bezifferung die zu greifenden In- 
tervals von der Prim auf steigend mit den Zahlen 1,2,3 
usw. an und setzt im Bedarf sf alle Akzidentien vor oder 
nach diesen. Abweichungen von diesem Prinzip dienen 
der Vereinfachung der Gb.-Schrift. Leitereigene Drei- 



21* 



323 



GeneralbaB 



klange in ihrer Grundstellung bleiben unbezeichnet, 
wenn sie nicht Ziel einer Dissonanzauf losung sind, und 
bei der Bezifferung der Akkordbildungen entfallen 
ebenfalls haufig die Ziffern 3 und 5. Fur den Sextak- 
kord steht in der Regel nur die Ziffer 6 anstatt *; nicht 
leitereigene kleine und groBe Terzen werden haufig 
bloB durch \> bzw. j) und Erhohungen auch mittels 
kleiner Striche durch die betreffenden Ziffern ange- 
deutet. Die Ziffern werden je nach IntervallgroBe, die 
sie bezeichnen, iibereinandergesetzt, ohne eine be- 
stimmte Lage vorzuschreiben. Waagerechte Striche 
fordern die Fortdauer der vorangegangenen Harmo- 
nic Oft ist die Bezifferung aus drucktechnischen Griin- 
den oder aus Fliichtigkeit unvollstandig oder fehlend. 
Zusammengesetzte Intervalle bezeichnen Friihmono- 
disten wie Caccini, Peri und Cavalieri zahlenmaBig 
exakt (»hohe Bezifferung«), wodurch ausnahmsweise 
die Lage der Begleitstimmen festgelegt erscheint, wah- 
rend sonst haufig nur None und Dezime durch die Be- 
zifferung von Sekunde und Terz unterschieden werden. 
Das Pausieren der Beglei- 
tung iiber dem BaB wird 
durch Tasto solo (T. S.) be- 
zeichnet, an dessen Stelle 
auch die Ziffer 1 oder Stri- 
che stehen konnen. I, 55 















































Als Gb.-Instrumente finden je nach Gattung, Stil, Ort 
und verfiigbarem Instrumentarium vor allem Orgel, 
Cembalo, Laute, Theorbe, Chitarrone oder Gitarre 
Verwendung, denen meist ein Streich- oder Blasin- 
strument wie Viola da gamba, Violoncello, Violone, 
Fagott oder Posaune zur Verstarkung der BaBlinie an 
die Seite tritt. In geistlicher Musik ist die Orgel das 
wichtigste Continuoinstrument, ohne das Cembalo in 
der Kirche auszuschlieBen, wie umgekehrt die Orgel 
auch in Kammer und Theater Verwendung finden 
kann. - Der Gb. kniipft an den unbezifferten Basso 
pro organo des 16. Jh. an, der als Basso seguente der 
jeweils tiefsten Stimme folgt und auf Grund festlie- 
gender Intervallkombinationen ein Mitspielen der 
anderen Stimmen ermoglicht. Als friihestes Beispiel 
dieser Art ist aus dem Jahre 1587 die 41. Pars zu einer 
40st. Motette von A. Striggio bekannt. Solche Orgel- 
basse wurden erst nachtraglich zum Zwecke einer 
Begleitung hinzugefiigt und kommen mit oder oh- 
ne Bezifferung auch im 17. und 18. Jh. vor. Die- 
sen Notationsbehelf, der an die Stelle einer Orgel- 
tabulatur trat, wandelten L.Viadana (Concerti ecclesi- 
astici, 1602) zwecks Schaffung einer eigenstandigen 
solistischen Motettenliteratur und die Meister der 
Florentiner Camerata zwecks Verwirklichung der in- 
strumentalbegleiteten Monodie zu einem Komposi- 
tionsprinzip um. Die Gb.-Stimme als Trager der Har- 
monie wird dadurch organischer Bestandteil des Satzes. 
Sie dient bei groBerer Besetzung zugleich als Direk- 
tionsstimme {-*■ Partitur; ->■ Dirigieren) und tragt dann 
haufig den Vermerk M. D. C. (maestro di capella). 
Obwohl der Gb. nur im Rezitativ und bei Kompo- 
sitionen mit wenigen Stimmen unentbehrlich ist, tritt 
er als instrumen tales Harmoniegeriist mit der Auf gabe, 
ein Ensemble im Ton und Takt zu halten sowie klang- 
lich zu stiitzen, auch zu alien sonstigen Musikgattun- 



gen mit Ausnahme solistischer Musik fiir Tasten- oder 
andere Instrumente hinzu und behielt in dieser Eigen- 
schaft seine im wesentlichen unverminderte Geltung 
bis zur Mitte des 18. Jh. Ausgehend von Italien drang 
er zunachst nach Deutschland, wo Gr. Aichinger seine 
Cantiones ecclesiastkae (1607) mit Gb. versah und der 
italienische Fruhmonodist B.Mutis, Conte di Cesana 
(Musiche, 1613), bereits ab 1604 am Grazer Hof wirkte. 
Vor allem die Nachdrucke von Viadanas Konzerten 
durchN. Stein verschafften der neuen Praxis inDeutsch- 
land weite Verbreitung und Anerkennung, wenn- 
gleich im Gegensatz zum katholischen Siiden der pro- 
testantische Norden daneben noch bis zum Anfang 
des 18. Jh. die deutsche Orgeltabulatur pflegte und vor 
allem H. Schiitz fiir das Mitspielen der Chormusik im 
alten Stil die Intabulierung fordert. Doch lieBen Ver- 
leger, um der Bequemlichkeit der Organisten entge- 
genzukommen, selbst Werke von Palestrina und an- 
deren Meistera des 16. Jh. mit Generalbassen versehen, 
denen zur Erleichterung der Ausfuhrung bisweilen ein 
Sopran beigedruckt wurde, wie auch M.Praetorius 
dem Basso continuo seines Puericinium (1621) noch 
einen Cantus continuus hinzufiigte. Englische Gb.- 
Drucke lassen sich seit 1637 (H.Lawes), franzosische 
seit 1652 (H.Dumont) nachweisen. Der Gb. findet zu- 
nachst in Vorreden zu gedruckten Kompositionen, 
dann in Lehrbiichern teils knapp, teils sehr ausfiihrlich 
Behandlung. Fiir die Friihzeit gewahren in Italien u. a. 
Viadana, A. Agazzari, G. Caccini, J. Peri, E. de Cava- 
lieri und G.Sabbatini AufschluB, in Deutschland M. 
Praetorius (Synt. Ill), der sich vor allem auf Viadana 
und Agazzari stiitzt. An Vorreden von H. Schiitz und 
H. Albert sowie an Lehrbiichern von A. Werckmeister 
(1689), Fr.E.Niedt, nach dessen Musicalischer Handlei- 
tung (1700) noch J.S.Bach unterrichtete, J.P.Treiber 
(1704), J.D.Heinichen (1711, 1728), D.Kellner (1732), 
J.Mattheson (1735), G.Ph.Telemann (1733/35), J.J. 
Quantz (1752), C. Ph. E.Bach (1762), J.Ph.Kirnberger 
(1781) und D.G.Turk (1791) ist die weitere Entwick- 
lung in Mittel- und Norddeutschland abzulesen, wah- 
rend in Siiddeutschland und Osterreich die Gb.-Lehre 
iiber die kaiserhchen Hofmusiker W.Ebner (1653), A. 
Poghetti (1676) und J.J.Prinner (1677) einen Hohe- 
punkt in den Regulae concentuum partiturae (1699) von 
Georg Muffat findet, an den die Salzburger Organisten 
J. B. Samber (1704), M. Gugl (1719 u. 6.) und M. Haydn 
anschlieBen. In Italien treten L.Penna (1672) und Fr. 
Gasparini (1708), in Frankreich M. de Saint-Lambert 
(1680, 1707) und in England M.Locke (1673) und G. 
Keller (1707) als Theoretiker hervor. - Die Gb.-Lehre 
ist eine Akkord- und Stimmfiihrungslehre, zugleich 
war sie eine Anleitung zur Improvisation iiber vorge- 
gebene Basse, auch eine Einfiihrung in die -»• Kom- 
position und ein Ausgangspunkt der -*■ Harmonieleh- 
re. Die Ausfuhrung ist von Zeit, Ort, Gattung und Be- 
setzung abhangig. Als Tabulaturersatz spielte der Gb. 
zunachst mehr oder weniger getreu die Hauptstimmen 
einschlieBlich der Oberstimme mit. Eine solche Be- 
gleitung blieb auch spaterhin in Werken, die noch dem 
Umkreis des Stylus antiquus angehoren, Norm. In 
konzertierender Musik hingegen iibernimmt der Gb. 
die Aufgabe der Klangfiillung und vermeidet nach 
Moglichkeit ein Mitspielen des melodisch oft beweg- 
teren Diskants im Einklang. Auch ein Ubersteigen der 
hochsten Stimmen ist verboten. In bezug auf Anzahl 
der Stimmen kann Drei- bis Vierstimmigkeit, die Muf- 
fat neben der Fiinfstimmigkeit ohne Bevorzugung der 
einen Art vor der anderen lehrt, als Normalbegleitung 
angesehen werden. Doch ist je nach Umstanden Ein- 
bis Zehnstimmigkeit moglich, und die Anzahl der Be- 
gleitstimmen sowie ihre Registrierung kann innerhalb 



324 



Genos 



ein- und desselben Stiickes wechseln. Geteiltes Ak- 
kompagnement ist nur bei maBig bewegtem BaB mog- 
lich, wahrend bei laufenden Bassen zumeist die rechte 
Hand allein die Begleitung iibernehmen mu6. Der Gb. 
richtet sich zwar prinzipiell nach den jeweils geltenden 
Stimmfiihrungsregeln, gestattet aber als Improvi- 
sationspraxis manche satztechnische Freiheiten, beson- 
ders bei Vollstimmigkeit. So sind bei f iinf- und mehr- 
stimmiger Begleitung parallele Oktaven und Quinten 
nur zwischen den AuBenstimmen verpont. Je weniger 
Stimmen im Akkompagnement ausgefuhrt werden, 
desto groBere Sorgfalt erfordert auch die Fiihrung der 
Mittelstimmen. Einklangs- oder Oktavparallelen der 
Continuostimmen mit Hauptstimmen sind mit der 
vorhin gegebenen Einschrankung in bezug auf die 
Oberstimme erlaubt. Erfindungsgabe des Begleiters 
erfordert der »Manierliche Gb.«, der Verzierungen, 
Passagen, Arpeggios, Imitationen einstreut, ja selbst 
den BaB erfaBt und durch Vermehrung oder Vermin- 
derung der Stimmenzahl den Intentionen des Kompo- 
nisten folgt. Schon M.Praetorius gestattet dem Orga- 
nisten Verzierungen, die den Solisten nicht storen, und 
im gleichen Sinne aufiern sich D.Heinichen und C.Ph. 
E.Bach. Arpeggieren der Akkorde ist vor allem im 
Rezitativ, zumal auf dem Cembalo und auf Zupfin- 
strumenten gebrauchlich. Ein von Theoretikern mehr- 
fach empfohlenes Mitspielen von Fugeneinsatzen ist 
nur dort moglich, wo diese in der Gb.-Stimme ent- 
halten sind. Eine aus dem Gb. abgeleitete Praxis ist das 
-*■ Partimento-Spiel. - Als die Komponisten seit der 
Mitte des 18. Jh. die Begleitung immer haufiger selbst 
ausschrieben (-»■ Obligates Akkompagnement) oder 
die Ausfiillung mit Mittelstimmen zugunsten eines 
2st. Satzes verschmahten, verlor der Gb. allmahlich 
seine Bedeutung fur die Praxis, obwohl die Kirchen- 
musik noch bis weit in das 19. Jh. an ihm festhielt. An- 
kniipfend an Rameaus Lehre von der Umkehrbarkeit 
der Akkorde verband H. Riemann Elemente der Gb.- 
Schrift mit der von ihm entwickelten Funktionstheo- 
rie. - Neuausgaben alterer Musik enthalten zur Er- 
leichterung fur den Begleiter zumeist eine ausgesetzte 
Gb.-Stimme. Eine solche Ausgabe gilt als schutzfahige 
-> Bearbeitung, wenn nachgewiesen werden kann, 
daB der Gb. nicht mechanisch ausgesetzt ist. Einen Gb. 
dem jeweiligen Zeitstil gemafi auszusetzen, erfordert 
in jedem Fall Entscheidungen des Bearbeiters, die iiber 
rein handwerkliche Tatigkeiten hinausgehen. 

Lit.: H. Riemann, Anleitung zum Gb.-Spielen, Bin 1889 
u. 6.; O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., 
Lpz. 1 9 1 ; A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music 
of the XVII" 1 and XVIII^Cent., London (1916, 21946) ; M. 
Schneider, Die Anfange d. B. c. u. seiner Bezifferung, Lpz. 
1918 ; Fr. Th. Arnold, The Art of Accompaniment from 
a Thorough-Bass as Practised in the 17 th and 18 th Cent., 
London 1931 (grundlegend) ; H. Keller, Schule d. Gb.- 
Spiels, Kassel 1931 u. 6. ; E. Ulrich, Studien zur deutschen 
Gb.-Praxis in d. 1. Halfte d. 18. Jh., = Miinsterische Beitr. 
zur Mw. II, Kassel 1932; Fr. Oberdorffer, Der Gb. in d. 
Instrumentalmusik d. ausgehenden 18. Jh., Kassel 1939; 
K. G. Fellerer, Der Partimentospieler, Lpz. (1940); A.- 
Mendel, On the Keyboard Accompaniments to Bach's 
Lpz. Church Music, MQ XXXVI, 1950; W. Gurlitt, 
Die Kompositionslehre d. deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.- 
Ber. Bamberg 1953, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, 
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966; H. H. Eogebrecht, Arten 
d. Gb. im friihen u. mittleren 17. Jh., AfMw XIV, 1957; P. 
Benary, Die deutsche Kompositionslehre d. 18. Jh., = Je- 
naer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961 ; G. Kirch- 
ner, Der Gb. bei H. Schiitz, = Mw. Arbeiten XVIII, Kas- 
sel 1 960 ; U . Thomson, Voraussetzungen u. Artung d. oster- 
reichischen Gb.-Lehre zwischen Albrechtsberger u. Sech- 
ter, Diss.Wien 1960, maschr. ; L.-U. Abraham, Der Gb. im 
Schaffen d. M. Praetorius u. seine harmonischen Voraus- 
setzungen, = Berliner Studien zur Mw. Ill, Bin 1961 ; 



Georg Muffat, An Essay on Thorough-Bass, hrsg. v. H. 
Federhofer, = MSD IV, 1961 ; H. Federhofer, Striche in 
d. Bedeutung v. »tasto solo« oder d. Ziffer » 1 « bei Unisono- 
stellen in Continuostimmen, in: Neues Augsburger Mo- 
zartbuch, Augsburg 1962; G. Buelow, The Full-Voiced 
Style of Thorough-Bass Realization, AMI XXXV, 1963; 
W. J. Mitchell, Chord and Context in 18 th -Cent. Theory, 
JAMS XVI, 1963. HF 

Generalpause (engl. general rest; frz. silence; ital. 
vuoto ; Abk. : G. P.) , bei grbBer besetzten Werken (vor 
allem fiir Orchester) eine alien Stimmen gemeinsame 
langere Pause, die den FluB eines Tonstucks plotzlich 
und auffallend unterbricht. Bis zur Mitte des 18. Jh. 
bedeutet das Zeichen der Fermate, wenn es am SchluB 
eines Abschnitts iiber gewissen Noten in alien Stimmen 
zugleich vorkommt, ein allgemeines Stillschweigen, oder 
eine Pausam generalem (WaltherL 1732, Artikel Corona). 
-> Aposiopesis. 

Generator. Seit Erfindung der Elektronenrohre ist 
eine Reihe von G.en zur elektr(on)ischen Schwin- 
gungserzeugung entwickelt worden. G.en finden in 
der elektroakustischen MeBtechnik, in elektronischen 
Musikinstrumenten und in der elektronischen Mu- 
sik Verwendung. Die wichtigsten Typen sind Riick- 
kopplungs-G., RC-G. und Schwebungssummer. Sie 
liefern Sinusschwingungen (Frequenzabweichungen 
< 1%, Klirrfaktor < 0,5%), bei Ruckkopplungs- und 
RC-G.n direkt aus einem abstimmbaren Schwingkreis, 
bei Schwebungssummern als Differenzfrequenz zweier 
hochfrequenter Schwingungen, deren eine in ihrer 
Frequenz verandert werden kann. Fiir bestimmte Auf- 
gaben dienen G.en, die statt der Sinusschwingungen 
z. B. »Rechteck«-oder »Sagezahn«-Schwingungenabge- 
ben oder mit denen ein kontinuierliches Frequenzspek- 
trum erzeugt werden kann (»Rausch«-G.). Zur Erzeu- 
gung beliebiger Schwingungsablaufe werden Photo- 
sirene (-» Sirene) und Kathodenstrahl-G. verwendet. 

Genero chico (x'enero tf'iko, span., kleine Gattung), 
Bezeichnung fiir eine Gattung einaktiger spanischer 
Buhnenstiicke mit Musik, die nach ihrem operettenar- 
tigen Stil der neueren -*■ Zarzuela Shnlich sind und als 
Fortsetzung der .-»■ Sainete angesehen werden konnen. 
Sie wurden in der 2. Halfte des 19. Jh. gepflegt. In Ma- 
drid gab es allein 11 Theater fiir diese Gattung. Bekann- 
te Komponisten sind: F.Chueca, T.Breton, R. Chapf 
y Lorentes und J. Gimenez. 

Lit. : E. Cotarelo, Ensayo hist, sobre la zarzuela, Boletin 
Acad. Espaftola XIX, 1932 - XXI, 1934 ; M. Mufioz, Hist, 
de la zarzuela y el g. ch., Madrid 1946 ; J. Deleyto y Pinue- 
lo, Origen y apogeo del g. ch., Madrid 1949. 

Genf. 

Lit. : Fr. Choisy, La musique a Geneve au XIX e s., G. 
1914; W. Tappolet, La musique au college de Geneve, 
Bull, de la Soc. Suisse de musicologie 1, 1934 ; P. F. Geisen- 
dorf, Une famille d'organistes a Geneve au XVIII e s. : les 
Scherer, SMZ LXV, 1945 ; Cl. Tappolet, Fragments d'une 
hist, de la musique a Geneve (bis 17. Jh.), SMZ XCIII, 
1953 - XCV, 1955 ; ders., La musique a Geneve au XIX e et 
au XX e s., G. 1956; P. Pidoux, Le psautier huguenot du 
XVI e s., Faks., 2 Bde, Basel 1962; H. Husmann, Zur 
Gesch. d. MeBliturgie v. Sitten u. iiber ihren Zusammen- 
hang mit d. Liturgien v. Einsiedeln, Lausanne u. G., AfMw 
XXII, 1965. 

Genos (griech. ybioz, Gattung, Geschlecht; lat. ge- 
nus; ital. genere; frz. genre; engl. kind, class). Genera 
sind in wissenschaftlichen Schriften Einteilungen eines 
Oberbegriffs, die haufig weiter zerlegt werden in Ar- 
ten (eWt), species). Das aus der Umgangssprache stam- 
mende Wort wird bei Aristoteles zum Terminus; da- 
nach ist G. in der Definition »die Aussage iiber das 
Wesen mehrerer Dinge von verschiedener Art« (To- 



325 



Genos 



pik I, 5, 102a 31ff.). Die griechische Musiklehre riennt 
G. vor allem die -» Diatonik, -»• Chromatik und -»■ En- 
harmonik; diese werden verstanden als »ein gewisses 
Verhalten der Tonstufen zueinander, die zusammen 
die Quartkonsonanz ausfullen« (Ptolemaios I, 12). In 
vereinfachender Darstellung erscheinen als Arteh die- 
ser Gattungen die »Farbungen« (xpoat; z. B. Kleonei- 
des, S. 190); dagegen lafit Ptolemaios die »Farbungen« 
ebenfalls als Gattungen gelten und erklart, der Aristo- 
telischen Methode folgend, die Arten als »eine gewisse 
Lage der fur jedes G. durch ihre besondere Begrenzung 
charakteristischen mathematischen Verhaltnisse (In- 
tervals, X6yoi)« (II, 3). Danach wird z. B. das Tetra- 
chord des chromatischen G. im Chroma malakon des 
Aristoxenos durch die Zahlenfolge 22 + 4 + 4 darge- 
stellt, im Chroma toniaion durch 18 + 6 + 6; charak- 
teristisches Intervall des chromatischen G. ist die kleine 
Terz (22 oder 18) ; sie nimmt in der ersten Art des chro- 
matischen Tetrachords die hochste Stelle ein. - Die 
Frage, ob die zeitgenossische Musik einem antiken G. 
zugeordnet werden kann und ob es moglich ist, die 
Vielfalt der alten Genera wiederzubeleben, gehort zu 
den Hauptthemen des musikalischen Humanismus. 
Zur gleichen Zeit erhalt der Begriff G. in der Tonar- 
tenlehre eine neue Bedeutung : Bis zum 1 7. Jh, galten 
die Transpositionsskalen (der ,cantus durus' und der ,cantus 
mollis') als Tongeschlechter (Genera), die Modi (z. B. 
c-jonisch und a-aolisch) als Tonarten (Spezies). Seither 
betrachtet man die Modi als Genera (den jonischen Mo- 
dus als Dur-Geschlecht, den aolischen Modus als Moll- 
Geschlecht) und die Transpositionsskalen als Spezies (C- 
Dur und a-moll als Tonarten) (Dahlhaus, S. 296). - In 
der Kunstlehre gehort die Aufstellung und Behand- 
lung von Gattungen zu den hauptsachlichen Arbeits- 
weisen ; ihre Systematik und normative Geltung wird 
um so strenger festgehalten, je mehr sich der Autor 
von schulmaBigen und klassizistischen Vorstellungen 
leiten lafit. In der Musik sind vor allem Kompositions-*- 
(z. B. Symphonie, Suite, Ouvertiire, Oper, Oratorium, 
Kantate, Lied) und ->■ Stil-Gattungen zu beachten; die 
letzteren werden im 16.-18. Jh. zum Teil von den 
Genera dicendi der Rhetorik und Poetik abgeleitet und 
als Stilus gravis (hoher oder erhabener Stil), mediocris 
(mittlerer oder mittelmaBiger) und humilis (niedriger 
oder gemeiner) bestimmt, meist jedoch im Hinblick 
auf die gesellschaftliche Einstufung eines Werks als 
Kirchen-, Theatral- und Kammer-Stil, denn alle und 
iede Ausdrucke, sie mbgen was erhabenes, mdfiiges oder ge- 
ringes begreiffen, mussen sich unumganglich nach obbesagten 
dreien vomehmsten Geschlechtern der Schreib-Art, mit alien 
Gedancken, Erfindungen und Krafften, als Diener nach 
ihren Herren, ohne Ausnahm richten (Mattheson, S. 69). 
Lit.: Die Harmonielehre d. Klaudios Ptolemaios, hrsg. v. 

I. During, = G6teborgs hogskolas arsskrift XXXVI, 1, 
Goteborg 1 930 ; Musici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, 
Lpz. 1895, Nachdruck Hildesheim 1962; Boethius, Dein- 
stitutione musica, hrsg. v. G. Friedlein, Lpz. 1867; N. Vi- 
centino, L'antica musica . . ., Rom 1555, Faks. hrsg. v. 
E. E. Lowinsky, = DM1 1, 17, 1959; G. Zarlino, Istitutioni 
harmoniche, Venedig 1558, 31573, "1593, Faks. d. 1. Aufla- 
ge, = MM MLF II, 1 , NY (1 965) ; V. Galilei, Dialogo della 
musica antica et della moderna..., Florenz 1581, Faks. 
hrsg. v. F. Fano, Rom 1934; Mattheson Capellm. ; E. 
Katz, Die mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 
1 926 ; F. Fano, La camerata fiorentina, = Istituzioni e mo- 
numenti dell'arte mus. ital. IV, Mailand 1934; D. P. Wal- 
ker, Mus. Humanism in the 1 6 th and Early 1 7 th Cent., MR 

II, 1 941 — III, 1 942, deutsch als : Der mus. Humanismus im 
16. u. fruhen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; E. R. 
Curtius, Europaische Lit. u. lat. MA, Bern (1948, 31961); 
C. Dahlhaus, Die Termini Dur u. Moll, AfMw XII, 1955 ; 
M. Fuhrmann, Das Systematische Lehrbuch, Gottingen 
(1960); H. W. Kaufmann, Vicentino and the Greek G., 
JAMS XVI, 1963. 



Gent. 

Lit. : P. Clays, Hist, du theatre a Gand, 3 Bde, G. 1 892 ; E. 
Van der Straeten (mit C. Snoeck), Etude biogr. et orga- 
nographique sur les Willems, luthiers gantois du XVII C s., 
G. 1896; P. Bergmans, La musique gantoise au XVIIP s., 
G. 1898 ; Th. Dart, The Ghent Chime Book, The Galpin 
Soc. Journal VI, 1953. 
Genua. 

Lit.: anon., Tavola cronologica di tutti li drammi o sia 
opere in musica, recitati alii teatri detti del Falcone, e da 
Sant'Agostino da cento anni . . . 1670 al 1771, G. 1771, 
Appendice . . ., G. 1772; anon., Annuario dei teatri di 
Genova, dal 1828 al 1844, G. 1844; G. B. Vallebona, II 
Teatro Carlo Felice (1828-1928), G. 1928; R. Giazotto, 
II melodramma a Genova nei s. XVII e XVIII . . . , G. 1 95 1 ; 
ders., La musica a-Genova nella vita pubblica e privata dai 
XIII al XVIII s.,G. (1952). 

Gera. 

Lit.: W. Weber, Studie zu einer Gesch. d. G.er Musik- u. 
Theaterlebens, 2 Bde, G. 1937 ; H. R. Jung, Ein unbekann- 
tes Gutachten v. H. Schutz uber d. Neuordnung d. Hof-, 
Schul- u. Stadtmusik in G., Beitr. zur Mw. IV, 1962, dazu 
AfMw XVIII, 1961, S. 241ff. 

Gerausch ist eine Gehorwahrnehmung, die - im Ge- 
gensatz zum Ton - eher amorphen Charakter besitzt 
und keine eindeutige Tonhohe aufweist. Zur Unter- 
scheidung der in vielfaltiger Gestalt vorkommenden 
G.e besitzt die Sprache eine grofie Anzahl beschreiben- 
der Ausdrucke, wie z. B. sauseln, rauschen, knarren, 
klatschen, knallen. Durch solche Begriffe lassen sich 
die Farbung, die LautstSrke, der zeitliche Verlauf und 
die Dauer, wie auch die Hohenlage eines bestimmten 
G.es mehr oder weniger gut angeben. Die Akustik de- 
finiert das G. oft als Schallvorgang, der sich aus sehr 
vielen, meist zeitlich veranderlichen, in ihren Frequen- 
zen unharmonischen Schwingungen zusammensetzt. 
In dem von Musikinstrumenten abgestrahlten Schall 
ist stets ein bestimmter Gerauschanteil enthalten (z. B. 
das Anstrich-G. bei der Violine) ; f erner wird der Schall 
der Schlaginstrumente mit unbestimmter Tonhohe 
vorwiegend gerauschhaft gehort. Ein Schallvorgang, 
der mit gleicher Amplitude in samtlichen Frequenzen 
eines bestimmten Frequenzbereiches schwingt, wird 
als »farbiges Rauschen« bezeichnet. UmfaBt sein Fre- 
quenzspektrum den gesamten Horbereich, so spricht 
man - analog zur Optik - von »weiBem Rauschen«. 
Solche Schallvorgange lassen sich kiinstlich durch ei- 
nen -*■ Generator erzeugen und finden in der MeB- 
technik Verwendung. 

Lit. : R. Feldtkeller u. E. Zwicker, Das Ohr als Nach- 
richtenempfanger, = Monographien d. elektrischen Nach- 
richtentechnikXIX, Stuttgart 1956. 

German sixth (d3'3:man siksG, engl., deutsche Sex- 
te), bei englischen Theoretikern (und dort selbst als 
willkurlich bezeichneter) Name fiir den iibermaBigen 
Quintsextakkord = verkiirzter Doppeldominantsept- 

7 

nonenakkord auf der tiefalterierten Quinte:,® 5 * z. B. 
in C dur as-c-es-fis, oder fiir die Subdominante mit 
hochalterierter Sexte: S^ < , z. B. in C dur f-a-c-dis. 
-»• French sixth; -> Italian sixth. 
Gesatz -> Bar. 

Gesamtausgaben der musikalischen Werke bedeu- 
tender Komponisten haben die Aufgabe, den Werkbe- 
stand vollstandig (unter Ausscheidung falschlich zuge- 
schriebener Stttcke) zuganglich zu machen und den 
Text in einer fiir Praxis und Forschung brauchbaren 
kritischen Fassung vorzulegen. Die Uberlieferung der 
mittelalterlichen Musik beruht in der Regel auf der 
Sammlung eines Repertoires, so z. B. in den -*■ Quel- 
len der Notre-Dame-Zeit. Nennung des Autors und 



326 



Sammlung eines Gesamtwerks wurden von der Lite- 
ratur ubernommen; bezeichnenderweise handelt es 
sich bei den ersten Sammlungen samtlicher Kompo- 
sitionen eines Meisters urn Dichter-Musiker (Adam de 
la Halle, Machaut), deren musikalische Werke hier 
Teil einer GA ihrer Texte sind. Bis urn 1800 gibt es 
nur einzelne Versuche, Teilgebiete des Schafiens eines 
Komponisten in einer Ausgabe zu sammeln (z. B. H. 
Praetorius 1616-22, Joachim a Burck 1626, der bedeu- 
tendsteist Lassus' Ma^nwmopiJsmraaim.Munchen 1604, 
herausgegeben von seinen Sohnen, mit 516 von insge- 
samt um 1200 Motetten). Einen Sonderfall stellt M. 
Praetorius dar, dessen erhaltene Werke (mit ganz we- 
nigen Ausnahmen) als Teil eines Sammelwerks zu ver- 
stehen sind, das (an einigen Stellen durch Stiicke an- 
derer Autoren erganzt) den gesamten Bereich der 
kirchlichen und weltlichen Musik, der Musiklehre und 
Erbauungsliteratur umfassen sollte (Gesamtplan in 
Praetorius Synt. Ill, S. 198fL). Bei den neueren GA 
sind 2 Typen zu unterscheiden : entweder bieten sie 
einen vom Komponisten selbst (Haydn) oder von den 
Verwaltern seines Nachlasses (Mozart, Mendelssohn, 
Schumann, Brahms, Reger, Schonberg) autorisierten 
Werkbestand und Text, oder sie entstehen im Zuge 
der historischen Musikforschung (so schon die erste 
Handel-GA S.Arnolds, ab 1787, ferner: Bach, Beet- 
hoven, Berlioz, Bruckner usw.). In beiden Fallen ge- 
horen die GA selbst der Geschichte der Musik an; die 
Kriterien und Ergebnisse ihrer ->■ Editionstechnik sind 
nicht endgiiltig, so daS im Laufe der Zeit neue Arbei- 
ten und Anschauungen auch neue GA als notwendig 
erscheinen lassen (siehe Lassus, Bach, Handel, Mozart, 
Beethoven, Schubert). - Bisher sind als selbstandige 
Publikationen (GA innerhalb groBerer Veroffent- 
lichungsreihen ->- Denkmaler) f olgende GA erschienen 
(einschliefilich der unvollendet gebliebenen) : 
K. Fr. Abel, 2 Bde, Cuxhaven (1963ff. ; Hrsg. : W. Knape). 

- Adam de la Halle, Paris 1872 (E. de Coussemaker). - 
J. S. Bach, 1): 46 Jg. (Jg. XLVII als Suppl. 1926), Lpz. 
1851-99 (Bach-Ges.), Nachdruck Ann Arbor (Mich.) 
1 948 ; 2) : neue Ausg., bisher 27 Bde (nebst 3 Suppl. -Bden), 
Kassel 1954ff. (Johann-Sebastian-Bach-Inst. Gottingen u. 
Bach-Arch. Lpz.). - Beethoven, 1): 24 Serien (1 Suppl.), 
Lpz. 1862-65 (1888), Nachdruck Ann Arbor (Mich.) 1949, 
Suppl. dazu in bisher 7 Bden, Wiesbaden 1 959ff. (W. Hess) ; 
2) : neue Ausg., bisher 2 Bde, Munchen u. Duisburg 1964ff. 
(Beethoven-Arch. Bonn). - Berlioz, 9 Serien in 20 Bden, 
Lpz. 1900-07 (Ch. Malherbe u. F. Weingartner). - Fr. Ber- 
wald, bisher 1 Bd (I. Bengtsson u. a., in: Monumenta mu- 
sicae svecicae), Kassel 1966. - G. Bohm, 2 Bde, = Veroff. 
d. Kirchenmus. Inst. d. ev.-lutherischen Landeskirche . . . , 
Lpz. 1 927-32 (J. Wolgast), Neuauflage in je 2 Teilen, Wies- 
baden 1952ff. (G. Wolgast, H. Kummerling). - Brahms, 
26 Bde, Lpz. 1926-28 (Ges. d. Musikfreunde in Wien), 
Nachdruck Ann Arbor (Mich.) 1949. - Bruckner, bisher 
16 Bde, Augsburg, Lpz. u. Wien 1930-44, Wien u. Wiesba- 
den 195 Iff. (Osterreichische Nationalbibl. u. Internationa- 
le Bruckner-Ges.). -Buxtehude, 8 Bde, I— II, Klecken 1 925- 
26, III-VII, Hbg 1930-37, VIII, Bin 1958 (Glaubensge- 
meinde Ugrino in Verbindung mit d. Inst. f. Musikfor- 
schung Bin). - W. Byrd, 20 Bde, London 1937-50 (E. H. 
Fellowes). - J. Ch. de Chambonnieres, Paris 1925 (P. 
Brunhold u. A. Tessier). - M.-A. Charpentier, Paris 
1948ff. (G. Lambert). - Chopin, 1): 14 Bde, Lpz. 1878-80 
(Bargiel, Brahms, Franchomme, Liszt, C. Reinecke, Ru- 
dorff); 2): neue Ausg., 21 Bde, Warschau 1949-63 (Pa- 
derewski, Bronarski, Turczyriski). - Corelli, 3 Bde, Lon- 
don 1 888-91 (J. Joachim, Fr. Chrysander). - P. Cornelius, 
5 Bde, Lpz. 1905-06 (M. Hasse, W. v. Bausznem). - Fr. 
Couperin, 12 Bde, Paris 1932-33 (M. Cauchie). - L. Cou- 
perin, Paris 1936 (P. Brunold), NA 1962 (Th. Dart). - 
Dvorak, bisher 45 Bde, Prag 1955ff. (Dvofak-Ges. Prag). 

- C. Fr. Chr. Fasch, 2 Bde (unvollstandig), Bin 1839 
(Singakad. in Bin). - Friedrich II. v. Preussen, 3 Bde 
(mehr nicht erschienen), Lpz. 1889 (Ph. Spitta, P. Graf v. 
Waldersee). - J. J. Fux, bisher 6 Bde, Graz 1960ff. (Johann- 



Gesamtausgaben 

Joseph-Fux-Ges. Graz). - Gesualdo da Venosa, bisher 9 
Bde (von 10), Hbg 1957ff. (W. Weismann, Gl. E. Watkins). 
- M. I. Glinka, bisher 8 Bde, Moskau 1955ff. (D. Schosta- 
kowitsch). - Gluck, bisher 13 Bde, Kassel 1951ff. (Inst. f. 
Musikforschung Bin). - A. E. M. Gretry, 49 Bde (nur 
Biihnenwerke), Lpz. u. Brussel 1883-1937 (Gouvernement 
Beige). - Handel, 1) : 36 Bde, London 1 787-97 (S. Arnold); 
2) : 1 6 Bde (abgebrochen), London 1 843-58 (Handel-Soc.) ; 
3): 93 Bde (6 Suppl.), Lpz. 1858-1903 (Fr. Chrysander im 
Auftrag d. Deutschen Handel-Ges.) ; 4): Hallische Ausg., 
bisher 20 Bde, Kassel 1955ff. (Georg-Friedrich-Handel- 
Ges.). - Haydn, 1): 12 Lieferungen (nur Kammermusik), 
Lpz. 1800-1806; 2): 11 Bde (mehr njcht erschienen), Lpz. 
1907-32 (E. Mandyczewski, F. Weingartner, M. Friedlan- 
der, K. Pasler, H. Schultz), f ortgef iihrt als 3) : 4 Bde, Boston, 
Wien, Lpz. u. Wiesbaden 1950-51 (Haydn-Soc), abgebro- 
chen u. ubergefiihrt in 4): bisher 6 Bde, Miinchen 1958ff. 
(Joseph-Haydn-Inst. Koln). - Hildegard v. Bingen, Diis- 
seldorf 1913 (J. Gmelch). - E. T. A. Hoffmann, 3 Bde 
(mehr nicht erschienen), Lpz. 1922-27 (G. Becking). - Ja- 
copo da Bologna, Los Angeles 1954 (W. Th. Marrocco). - 
Josquin Desprez, 49 Lieferungen (wird fortgesetzt), Lpz. 
u. Amsterdam 1921-63 (A. Smijers im Auftrag d. Vereni- 
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis). - Fr. Landi- 
ni, Cambridge (Mass.) 1939, 21945 (L. Ellinwood). - J. 
Lanner, 1): 14 Bde, Wien 1888-89 (E. Kremser); 2): 8 Bde 
(f. Kl.), Lpz. 1889-91 (ders.). - Lassus, 1): 21 Bde (unvoll- 
standig), Lpz. 1894-1927 (F. X. Haberl, A. Sandberger), 
fortgesetzt als 2): neue Ausg., bisher 6 Bde, Kassel 1956ff. 
(Acad. Royale de Belgique, Bayerische Akad. d. Wiss.). - 
L. Lechner, bisher 8 Bde, Kassel 1954ff. (K. Ameln im 
Auftrag d. Neuen Schutz-Ges.). - Liszt: 34 Bde, Lpz. 
1 907-36 (Franz-Liszt-Stiftung), erganzt durch : 4 Bde, Lon- 
don 1952ff. (Liszt-Soc). - D. Lobo, bisher 1 Bd, Lissa- 
bon 1945 (M. Joaquim). - C. Loewe, 17 Bde (nur Werke f. 
Singst. u. Kl.), Lpz. 1899-1904 (M. Runze). - V. Lubeck, 
Klecken 1921 (G. Harms). - J.-B. Lully, 10 Bde (nicht ab- 
geschlossen), Paris 1930-39 (H. Prunieres). - Mahler, bis- 
her 4 Bde, Bin, Wiesbaden u. Wien 1960ff. (Internationale 
Gustav-Mahler-Ges.). - Mendelssohn-Bartholdy, 1): 
19 Serien in 36 Bden, Lpz. 1874-77 (J. Rietz); 2): Lpz.er 
Ausg., bisher 1 Bd, Lpz. (1961) (Internationale Felix- 
Mendelssohn-Ges.). - Ph. de Monte, 31 Bde (unvollstan- 
dig), Brugge u. Dusseldorf 1927-39 (J. Van Nuffel, G. Van 
Doorslaer, Ch. Van den Borren). - Monteverdi, 16 Bde 
(in 20), Wien u. Asole-Gardone 1926-42 (G. Fr. Malipiero), 
fortgefiihrt 1954-67. - Mozart, 1): 3 Abt. u. Nachtrag, 
Lpz. 1798-1808; 2): 24 Serien in 69 Bden, Lpz. 1876-1905 
(Brahms, Joachim, Ritter v. Kochel, Ph. Spitta, Wiillner 
u. a.) ; 3) : neue Ausg., bisher 42 Bde (nebst 6 Suppl. -Bden), 
Kassel 1955ff. (Internationale Stiftung Mozarteum Salz- 
burg). - Fr. Nietzsche, 1 Bd (unvollstandig), Lpz. 1924 
(G. Gohler). - J. Obrecht, 1): 30 Lieferungen, Lpz. u. 
Amsterdam 1908-21 (J. Wolf); 2): bisher 8 Faszikel, 
Amsterdam 1953ff. (A. Smijers im Auftrag d. Vereni- 
ging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis). - Ocke- 
ghem, bisher 2 Bde (Dr. Plamenac), = American Musico- 
logical Soc, Studies and Documents I u. Ill, NY 1947 u. 
1959. - A. Pacelli, bisher 1 Bd, Rom 1947 (M. Gliri- 
ski). - Palestrina, 1): 33 Bde, Lpz. 1862-1907 (Th. de 
Witt, Rauch, Espagne, Commer, Haberl); 2): bisher 26 
Bde, Rom 1939ff. (R. Casimiri, L. Virgili, Jeppesen, Bian- 
chi). - G. B. Pergolesi, 27 Bde (Opern nur im Kl.-A.), Rom 
1939^12 (F. Caffarelli). - M. Praetorius, 21 Bde, Wolfen- 
buttel u. Bin 1928-59 (Fr. Blume, A. Mendelssohn, W. 
Gurlitt). - Purcell, 26 Bde, London 1878-1928 (Purcell- 
Soc), fortgefiihrt seit 1962, bisher 5 Bde (The New Purcell 
Soc). - J.-Ph. Rameau, 18 Bde, Paris 1895-1929 (Saint- 
Saens, M. Emanuel, M. Teneo). - Reger, bisher 20 Bde, 
Wiesbaden 1954ff. (Max-Reger-Inst. Bonn). - A. Rener, 
bisher 1 Bd, Brooklyn (N. Y.) 1964 (Inst, of Mediaeval Mu- 
sic). - G. Rhaw, bisher 5 Bde (begonnen v. H. Albrecht im 
Auftrag des Landesinst. f. Musikforschung Kiel). - N. A. 
Rimsky-Korsakow, bisher 42 Bde, Moskau 1946ff. (B. Wl. 
Assafjew u. a.). - D. Scarlatti, 1) : 2 Bde (luckenhaft, nur 
Kl.-Werke), Wien 1839 (C. Czerny); 2): 10 Bde, 1 Suppl. 
(Kl.-Werke), Mailand 1907-37 (A. Longo). - S. Scheidt, 
bisher 10 Bde, Klecken u. Hbg 1923ff. (G. Harms, Chr. 
Mahrenholz). - J. H. Schein, 1): 7 Bde (unvollstandig), 
Lpz. 1901-23 (A. Priifer, K. Hasse, B. Engelke); 2): neue 
Ausg., bisher 2 Bde, Kassel 1963ff. (A. Adrio). - SchOn- 



327 



Gesangbuch 



berg, bisher 1 Bd, Mainz u. Wien 1966 (J. Rufer). - Schu- 
bert, 1): 20 Serien in 40 Bden, Lpz. 1888-97; 2): neue 
Ausg., bisher 1 Bd (nebst 2 Suppl.-Bden), Kassel 1964 (In- 
ternationale Schubert-Ges.). - Schutz, 1): 16 Bde u. 2 
Suppl., Lpz. 1885-94, 1909/27 (Ph. Spitta, A. Schering); 
2): neue Ausg., bisher 16 Bde, Kassel 1955ff. (Neue Schiitz- 
Ges., seit 1963 Internationale Heinrich-Schutz-Ges.). - 
Schumann, 14 Serien mit 31 Bden, Lpz. 1879-93 (CI. Schu- 
mann, Brahms). - L.Senfl, bisher 8 Bde (einschlieBlich d. 
friiher in EDM erschienenen — ► Denkmaler),Wolfenbuttel 
1949ff. (Landesinst.f. MusikforschungKiel.Schweizerische 
Musikforschende Ges.). - L. Spohr, bisher 15 Bde (groCe 
Ausw.-Ausg.), Kassel 1949ff. (Fr. O. Leinert). - Th. Spo- 
rer, Kassel 1929 (H. J. Moser). - J. Strauss (Vater), 7 Bde 
(im Kl.-A.), Lpz. 1887-89 (J. StrauB [Sohn]). - J. P. Swee- 
linck, 10 Bde, Den Haag u. Lpz. 1894-1901 (M. Seiffert), 
2 Suppl. Wiesbaden 1957/58 (A. Annegarn, B. Van den 
Sigtenhorst Meyer). - Telemann, bisher 18 Bde (groBe 
Ausw.-Ausg.), Kassel 1944/53ff. (Ges. f. Musikforschung). 
- J. Theile, bisher 10 Bde, Dusseldorf 1955ff. (W. Max- 
ton). - Tschaikowsky, bisher 44 Bde, Moskau 1946ff. 
(J. Gleboff). - T. L. de Victoria, 8 Bde, Lpz. 1902-1 3 (F. 
Pedrell). - Vivaldi, bisher 300 Lieferungen, Mailand 
1 947ff. (Istituto Ital. A. Vivaldi). - R. Wagner, 10 Bde (un- 
vollstandig), Lpz. 1912-29 (M. Balling). -J. Walter, bis- 
her 4 Bde, Kassel 1943/53ff. (O. Schroder). - Weber, 3 Bde 
(abgebrochen), Augsburg 1926ff. (H. J. Moser). - H. Wolf, 
bisher 3 Bde, Wien 1963ff. (Internationale H.-Wolf-Ges.). 

Gesangbuch ist der Name des Buches, das die Gesan- 
ge der Kirchengemeinden zum Gebrauch im Gottes- 
dienst enthalt. Liedgesang der Gemeinde war schon im 
katholischen Gottesdienst des Mittelalters iiblich. Doch 
das Aufbliihen des Gemeindeliedes und die Entwick- 
lung des G.s waren Folgen der reformatorischen Ab- 
sicht, die Gemeinde am Gottesdienst starker zu beteili- 
gen. Die Ordnung der Lieder im G. erfolgte im An- 
schluB an die Gradualien, Cantualien usw. gemaB dem 
Verlauf von Kirchenjahr und Liturgie. Etwas spater als 
in der protestantischen Kirche setzte die Ausbildung 
des G.s in der katholischen Kirche ein. In der Refor- 
mationszeit wird das Gemeinde-G. mit Enchiridion, 
Geistliche Lieder, Psalmen usw. betitelt. Erst im 18. Jh. 
ist die Bezeichnung G. allgemein gebrauchlich gewor- 
den, nachdem das unbegleitete Auswendigsingen der 
Gemeinde und der alternatim-Gebrauch der Orgel 
verlorengegangen waren. Die Orgel hatte Ende des 
17. Jh. mit der Begleitung zugleich die Leitung des 
Gemeindegesangs iibernommen. Wahrend fur den 
Organisten Choralbegleitbiicher erschienen, ging das 
G. aus der Hand des Pfarrers, des Kantors, des Organi- 
sten und des Schulmeisters in die Hand der Gemeinde- 
glieder iiber. Dabei verschwanden die Melodien aus 
dem G. und kamen erst im 19. Jh. wieder auf. - Das 
erste volkssprachliche G. erschien 1501 tschechisch 
(->■ Bohmische Briider). Die beiden wichtigsten, weil 
unmittelbar auf -»■ Luther zuriickgehenden und von 
ihm mit je einer Vorrede versehenen Gesangbiicher 
der Ref ormationszeit sind das Klugsche und das Babst- 
sche G. Ersteres erschien unter dem Titel Geistliche 
lieder auffs new gebessert zu Wittemberg. D. Mart.Luth. 
Gedruckt zu Wittemberg durch Joseph Klug 1529, aus- 
gezeichnet mit Luthers Wappen (weitere Auflagen 
1533, 1535, 1543ft".). Klug hatte 1524 das Chor-G. von 
J. -»- Walter (Geystliche gesangk Buchleyn), ebenfalls mit 
einer gewichtigen Vorrede von Luther, gedruckt 
(Nachdruck 1525 bei P. Schoffer in Worms, 2. Auflage 
1534 in StraBburg bei Schoffer und Apiarius, 3. ebenda 
1537, 4. bei G.Rhaw in Wittenberg 1544, 5. ebenda 
1551). Das Babstsche G. (Leipzig 1545) ist das letzte zu 
Lebzeiten Luthers erschienene und mit einer Vorrede 
von ihm versehene G. Bedeutende Gesangbiicher sind 
auBerdem das StraBburger Teutsch Kirchen amt (1525), 
das Leipziger Enchiridion (1530), das erste deutsche G. 
der Bohmischen Briider von M.Weysse (1531), das 



Niiw gsangbiichle (Zurich 1540), das grofie StraBburger 
G. mit einer Vorrede von M.Bucer (Butzer) 1541 und 
der Genfer Liederpsalter (-> Calvinistische Musik). 
Das mehrstimmige Chor-G. war bis Ende des 17. jh. 
gebrauchlich, solange namlich an manchen Orten al- 
ternatim-Gesang der Chorale zwischen Figuralchor 
und Gemeinde iiblich war (-> Kantionalsatz). Das G. 
der Reformationszeit enthalt einen festen Stamm von 
Liedern, der nahezu 200 Jahre lang den Kern der mei- 
sten evangelischen Gesangbiicher bildete, zudem mehr 
oder weniger zeitgebundene Lieder, die spater in den 
»Anhang« aufgenommen wurden. Der Stamm blieb 
unangetastet, wahrend der Anhang etwa alle 30 Jahre 
umgestaltet oder gegen andere Lieder ausgewechselt 
wurde, bis unter dem EinfluG des Pietismus der An- 
hang das Ubergewicht erhielt. Das reformatorische 
Bekenntnis- und Zeugnislied ist durch das private 
Haus-G. mit seinem pietistischen »Kammerleinlied« 
und seinen neuen Erbauungsliedern und -arien mehr 
und mehr verdrangt worden. Von Luther abgesehen 
ist kein Liederdichter in dem MaBe wie P.Gerhardt 
(1607-76) in das lebendige Erbe des evangelischen G.s 
eingegangen. Als Beispiele fur das pietistische G. »zur 
Beforderung sowohl Kirchen- als Privat-Gottesdien- 
stes« seien genannt die Gesangbiicher von J.Criiger 
(vierstimmig mit Gb., Berlin 1644; in 2. Auflage als 
Praxis pietatis melica 1647, das allein in Berlin 44mal 
aufgelegt wurde), von J.A.Freylinghausen (Halle/ 
Saale, 1. Teil 1704, 2. Teil 1714, 191759), daran an- 
schlieBend Zinzendorfs Bethelsdorfer G. von 1775, 
das trotz Traditionszusammenhang zwischen Herrn- 
huter Briidergemeinde und Bohmischen Briidern 
kaum noch Lieder aus deren Gesangbiichern enthalt, 
und schlieBlich Schemellis Musikalisches G. (Leipzig 
1736), fiir das J. S. Bach Lieder beigesteuert hat. Das G. 
der Aufklarung verlagert das Verhaltnis von Gemein- 
delied und privatem Erbauungslied noch weiter zu- 
gunsten des letzteren und ordnet die Lieder nicht mehr 
nach dem Ablauf von Liturgie und Kirchenjahr, son- 
dern nach erbaulichen Lehrschemata. Genannt seien 
die Gesangbiicher von H.Lindenberg (Koln 1741, 
katholisch), G. J. Zollikofer (Leipzig 1766, reformiert) 
und J.S.Diterich (Berlin 1783, lutherisch). - Das 51- 
teste katholische G. mit Melodien gab M. Vehe, Stifts- 
propst zu Halle (Saale), heraus (Leipzig 1537) ; es folgen 
das G. von J. Leisentritt (Bautzen 1567) sowie die lange 
Reihe der Diozesangesangbiicher, die den evangeli- 
schen Landeskirchengesangbuchern nachgebildet sind. 
Das evangelische G. des 19. Jh. spiegelt die kirchliche 
Erweckung wider, die im Zusammenhang mit den Frei- 
heitskriegen, spater mit der kirchlichen Erneuerung 
und der Neubesinnung auf das Erbe der Reformation 
hervortrat. E.M.Amdt (Von dem Wort und dem Kir- 
chenliede, Bonn 1819) war der erste, der den Gedanken 
eines christlichen deutschen Einheits-G.s aussprach, 
das sowohl fiir die evangelischen als auch die katholi- 
schen Christen gleichermaBen giiltig sein sollte. Im 20. 
Jh. setzte dann eine umfassende G.-Reform ein, die 
nicht zuletzt auch die praktischen Erfahrungen der Ju- 
gendmusikbewegung sowie die Erkenntnisse des mu- 
sikgeschichtlichen Zweigs der Hymnologie verwertete. 
Dabei wurde der Liedbestand auf die wertvollsten 
Kernlieder hin gesiebt und jeweils die Urfassungen an- 
gemessen berucksichtigt. So entstand, bearbeitet von 
Chr. Mahrenholz und O.Sohngen, 1950 das heute 
giiltige Evangelische Kirchen-G. Zu seinen 394 Stamm- 
liedern kommen jeweils noch etwa 60-100 regional 
gebrauchliche Kirchenlieder (WUrttemberg hat deren 
200) im Anhang, der etwa alle 20 Jahre revidiert wer- 
den soil. Konfessionelle Besonderheiten finden sich 
ebenfalls im Anhang berucksichtigt. Neben den katho- 



328 



lischen Diozesangesangbiichern sind als iiberregional 
zu nennen H. Bones Cantate (1847) sowie das Kirchen- 
lied (1928) und das Einheitsliederbuch der deutschen 
Bistiimer (1947) mit 74 Liedern. 
Ausg.: J. Walter, Geystliche gesangk Buchleyn (Witten- 
berg 1524), hrsg. v. O. Kade, = PGfM Jg. VI, Bd VII, Bin 
1878; dass., hrsg. v. O. Schroder, in: J. Walter, GA I— III, 
Kassel 1943-55; Geystliche Lieder (Babstsches G., Lpz. 
1545), Faks. hrsg. v. K. Ameln, Kassel 1929, 21959; Erfur- 
ter Enchiridion (1524), Faks. Kassel 1929; Teutsch Kir- 
chen amt (StraBburg 1 525), Faks. hrsg. v. K. Reinthaler, 
Erfurt 1948; Lpz.er Enchiridion (1530), Faks. hrsg. v. H. 
Hofmann, Lpz. 1914; M. Weysse, Ein new Geseng buch- 
len (Jungbunzlau 1531), Faks. hrsg. v. W. Thomas, Kassel 
1931; Geistliche lieder auffs new gebessert (Wittenberg 
1533), Faks. hrsg. v. K. Ameln, Kassel 1954; Niiw gsang- 
biichle (Zurich 1540), Faks. hrsg. v. J. Hotz, Zurich 1946; 
Gesangbuch, darinn begriffen sind, d. aller fiirnemisten u. 
besten Psalmen, geistliche Lieder, u. Chorgesang (StraB- 
burg 1 541), Faks. Stuttgart 1953 ; Les pseaumes . . . mis en 
musique a 4 parties par CI. Goudimel (Genf 1565), Faks. 
hrsg. v. P. Pidoux u. K. Ameln, Kassel 1935 ; N. Beuttner, 
Catholisch Gesang-Buch (Graz 1602), Faks. hrsg. v. W. 
Lipphardt, Graz 1964. 

Lit. : Fr. Zelle, Das erste ev. Choralbuch (Osiander 1586), 
Wiss. Beilage zum Jahresber. d. 10. Realschule zu Bin, 
1903; Ch. Schneider, Luther poete et musicien et les En- 
chiridiens de 1524, Genf 1942; O. Sohngen, Die Zukunft 
d. G., Bin (1949); Chr. Mahrenholz, Das Ev. Kircheng., 
Kassel 1950; W. Brennecke, Das Hohenlohesche G. v. 
1629 u. J. Jeep, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie IV, 1958/59; 
M. Jenny, Gesch. d. deutsch-schweizerischen ev. G. im 
16. Jh., Basel 1962. 

Gesangschulen -> Gesangskunst. 

Gesangskunst setzt in technischer Hinsicht die sou- 
verane Beherrschung des Stimmapparates, prazise Ar- 
tikulation und reine Intonation voraus; in musikali- 
scher Hinsicht erfordert sie eine sinnvolle Interpre- 
tation des Notentextes, verbunden mit personlicher 
Ausstrahlung des Sangers au£ sein Publikum. - Die 
Pflege des Gesanges laBt sich bis ins Altertum zuriick- 
verfolgen, dessen Schriftsteller iiber verschiedene, zum 
Teil hoch virtuose Arten des Gesangsvortrags berich- 
ten; auch liegen Nachrichten iiber das Wirken von 
Gesanglehrern (-*■ Phonascus) vor. Den Kirchenva- 
tern gait kunstvoller Gesang iiberwiegend als heidnisch 
und anstoflig, da er die Deutlichkeit des Textvortrags 
und durch seinen sinnlichen Reiz die Andacht der Ge- 
meinde storen konnte. Zur Ausiibung einer neuen, 
kirchlichen Forderungen entsprechenden G. kam es in 
der vermutlich im 5. Jh. gegriindeten romischen 
-»■ Schola cantorum, die fiir die im 8. Jh. entstehenden 
Schulen in Metz und St. Gallen vorbildlich wurde. 
Wahrend Schulen dieser Art (spater auch in Paris und 
Cambrai) der gesanglichen Ausbildung von Klerikern 
und der korrekten Uberlieferung des Gregoriani- 
schen Gesanges dienten, entstanden daneben bei K16- 
stern und groBeren Kirchen Schulen, in denen Knaben 
nebenderallgemeinenAusbildungauchimgottesdienst- 
lichen Gesang unterrichtet wurden (-»• Schulmusik, 
-*■ Kantorei, Domchor, -»- Maitrise). - In der Mitte 
des 16. Jh. erwachte das Interesse an der -*■ Stimmbil- 
dung, der wichtigsten Voraussetzung der G. In seinem 
Brief All' Illustrissimo Signor d'Alta Villa (Neapel 1562) 
behandelt G.C.Maffei die Anatomie der Stimmorga- 
ne und bringt Gesangsregeln und Ubungen fiir die 
-> Verzierungen. G. dalla Casa (// vero modo di diminuir 
..., Venedig 1584), G.Bassano (Motetti, madrigali et 
canzonifrancejie, Venedig 1591), G. B. Bovicelli (Regole, 
passaggi di musica, Venedig 1594) und L.Zacconi (Prat- 
tica di musica, Venedig 1596) zeigen an Hand von Ver- 
zierungsbeispielen in Madrigalen und Motetten, wie 
einzelne Stimmen mehrstimmiger Kompositionen so- 



Gesangskunst 

listisch verziert ausgef iihrt werden konnen. G. Caccini, 
der in der Vorrede zu he nuove musiche (1601) seine 
Kunst des ausdrucksvollen Sologesanges darlegt, gibt 
zur Erzielung einer nobile maniera di cantare (-*■ Mono- 
die) fiir die Intonazione, die Esclamazione und das cres- 
cere e scemare delta voce Anweisungen, die einen wichti- 
gen Ansatzpunkt fiir den -»■ Belcanto mit einer sich 
iiber das ganze 17. Jh. erstreckenden Nachwirkung bil- 
den. Im 18. Jh. richtete man sorgfaltig abgestufte Ubun- 
gen ein, deren vollkommene Beherrschung ein lang- 
wieriges Studium erforderte. Uber diese Vorbildung 
informieren Passaggien- und Solfeggienwerke (-> Sol- 
fege), so die Opinioni de' cantori antichi e moderni (1723) 
von P. Fr.Tosi, die Pensieri e riflessioni pratiche sopra 
il canto figurato (1774) von G.Mancini und die Raccol- 
ta di esercizj per il canto (1811) von G. Crescentini. Es 
zeichnen sich dabei vier Grundstufen ab: das Solmi- 
sieren, das Vokalisieren (-> Vocalise), die -*■ Messa di 
voce und die Ausfiihrung der improvisierten Verzie- 
rungen. - In Frankreich setzte sich eine derartige G. 
nicht durch. Die Auffiihrung italienischer Opern in 
Paris wahrend der Amtszeit des Kardinals Mazarin 
veranlaBte die Franzosen zu einer eigenen Gesangs- 
asthetik, die ganz auf den rationalistischen Prinzipien 
der Vernunft und der Klarheit gegriindet war. Als 
erster behandelt M.Mersenne im 6. Buch seiner Har- 
monie universelle (1636) Stimme und Gesang; dabei 
zieht er die kleineren Stimmen den groBeren vor. Das 
gleiche tut B. de Bacilly in seinen Remarques curieuses 
sur I' art de bien chanter (1668), da die kleineren Stimmen 
zum Vortrag der avec douceur zu singenden Verzierun- 
gen geeigneter seien. Bacilly verlangte vor allem ge- 
naue Artikulation der Worter und scharfe Deklama- 
tion der Verse; beide Forderungen wurden dann ober- 
ste Grundsatze fiir die Tragedie lyrique. - Mit der Er- 
neuerung der Oper durch Gluck anderten sich auch 
die seitherigen Grundlagen. In der von B.Mengozzi 
verfaBten und von H.Fr.M.Langle 1802 herausgege- 
benen Mhhode de chant du Conservatoire wird versucht, 
die franzosische Tradition mit den italienischen Ten- 
denzen in Einklang zu bringen. Hierbei handelt es sich 
nicht mehr um bloBe Anweisungen wie in den Ver- 
zierungslehren des 18. Jh., sondern um ein methodi- 
sches Lehrwerk, dessen Ubungen nicht direkt ver- 
wertbar sind, sondern erst nachtraglich auf den Gesangs- 
vortrag angewendet werden. Unter dem EinfluB von 
Physiologen, besonders von F.Magendie, entstand 
L'art du chant (1845) von G.Duprez, eine auf der Laut- 
bildung (phonation) beruhende Gesangsmethode. Der 
Sanger und Wissenschaftler M.Garcia, der 1840 der 
Academie Francaise in der Memoire sur la voix humaine 
physiologische Untersuchungen vorgelegt hatte, schuf 
1855 durch dieErfindung des Laryngoskops, des Kehl- 
kopfspiegels, die Voraussetzung fiir auf systematischer 
Schulung der -»■ Stimme (- 2) beruhende Gesangsme- 
thoden. Durch seinen Traite complet du chant hatte 
Garcia 1847 die erste moderne Gesangschule begriin- 
det, die, wie viele folgende Schulen, sich dem zielbe- 
wuBten Aufbau der Singstimme und ihrem Training 
widmete. Der mit R.Wagner befreundete Fr. Schmitt 
stellte in seiner Crofien Gesangschule fiir Deutschland 
(1854) eine nach Schwierigkeitsgraden angelegte Stu- 
fenleiter auf, systematisch angeordnete Ubungen von 
Tonverbindungen und Tongruppen bis zur Oktave; 
erst nach der Stimmbildung folgt dann die sprach- 
gesangliche Erziehung. Sein Schuler J. Hey verlegte in 
seinem Deutschen Gesangunterricht (1885) neben der 
Ton- und Stimmbildung die Sprecherziehung in den 
Mittelpunkt seiner Lehre. Die Sprache steht als Aus- 
gangspunkt in der Gesangsmethode (1884) von J. Stock- 
hausen; die Gesangsiibungen beginnen in der Mittel- 



329 



Gesangskunst 



lage mit Schwelltonen innerhalb des Hexachordrau- 
mes; zur Gewinnung eines dunklen Timbres empfiehlt 
Stockhausen die Tiefhaltung des Kehlkopfes. Br. Miil- 
ler-Brunow verbreitete mit seinem Buch Tonbildung 
oder Gesangunterricht (1898) die Lehre vom primdren 
Ton, mit dem der jedem Menschen seiner Natur nach 
am nachsten liegende Grundton gemeint ist, derfessellos 
dem leichtgeoffneten Munde entstromt (S. 9). Diese Theo- 
rie erregte um 1904 zwei einander diametral wider- 
sprechende Methoden: das »Stauprinzip« von G. Ar- 
min, der nur von der Bruststimme aus zu optimalen 
Erfolgen gelangen zu konnen glaubte, und die Mini- 
mallufttheorie oder die Lehre vom »Freilauf « und den 
»Partialtonen« von P.Bruns, der unter optimaler Lok- 
kerheit vom Falsett aus zum Ziel zu kommen ver- 
meinte. Eine Synthese beider Theorien versuchten die 
Danen J. und V. Forchhammer in ihrer Theorie und 
Technik des Singens und Sprechens (1921). Einen von der 
physiologischen Methode abweichenden Weg be- 
schritt Fr. Martienssen (Das bewuftte Singen), die von der 
psychologischen Grundlage der echten Gesangstechnik aus- 
ging. - Heute bestehen nebeneinander die verschiede- 
nen Gesangstechniken der Italiener, deren G. auf der 
Trennung der Stimmregister beruht, und die deutsche 
G., die darauf gerichtet ist, die verschiedenen Register 
zu iiberbrucken. 

Lit.: G. Caccini, Le nuove musiche, Florenz 1601 u. 6., 
Faks. hrsg. v. F. Mantica, Rom 1930, u. hrsg. v. Fr. Va- 
tielli, Rom 1934, engl. in: O. Strunk, Source Readings in 
Music Hist., NY 1950; O. Durante, Arie devote ..., 
Rom 1608; Fr. Rognoni-Taeggio, Selva di varii passaggi 
. . ., Mailand 1620; J. Cruger, Kurzer u. verstandlicher 
Unterricht, recht u. leichtlich singen zu lernen, Bin 1625; 
M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. 
hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; J. A. Herbst, Mu- 
sica practica, Niirnberg 1642, erweitert Ffm. 1653; B. 
de Bacilly, Remarques curieuses sur l'art de bien chanter, 
Paris 1668; P. Fr. Tosi, Opinioni de' cantori antichi e 
moderni, Bologna 1723, Faks. hrsg. v. E. R. Jacobi, Celle 
1963, engl. London 1742, 2 1743, deutsch v. J. Fr. Agricola, 
Bin 1757, frz. Paris 1874; G. Mancini, Pensieri e rifles- 
sioni pratiche sopra il canto figurato, Wien 1774, Mai- 
land 21777, frz. 1776 u. 1796, nld. 1837, engl. um 1912; 
J. A. Hiller, Anweisung zum mus.-richtigen Gesange, 
Lpz. 1774, 2 1798; ders., Anweisung zum mus.-zierlichen 
Gesange, Lpz. 1780; B. Mengozzi, Methode de chant . . ., 
hrsg. v. H. Fr. M. Langle, Paris 1803/04; G. Crescentini, 
Raccolta di esercizj per il canto, Paris 1811 u. 6.; A. de 
Garaude, Methode complete du chant, Paris 1825; M. 
GarcIa, Memoire sur la voix humaine, Paris 1840, deutsch 
Wien 1 878 ; ders., Traite complet de l'art du chant, 2 Teile 
Paris 1840-47, deutsch v. M. C. Wirth u. Mangold, Mainz 
(1858), in abgekiirzter Form v. Fr. Volbach als: Garcia- 
Schule, Mainz 1891-92, 21895, NA 1898 u. 6. als: Ge- 
sangsschule oder Die Kunst d. Gesanges, 2 Bde, Mainz 
1911, engl. v. B. Garcia als: Hints of Singing, London 
1895; Fr. Schmitt, GroBe Gesangsschule f. Deutschland, 
Munchen 1854, 2 1864; J. Hey, Deutscher Gesangsunter- 
richt, Mainz 1881, 4 H., Mainz 1885ff.; J. Stockhausen, 
Gesangsunterrichtsmethode, 2 Teile, Lpz. 1886-87; ders., 
Gesangstechnik, Lpz. o. J.; H. Goldschmidt, Die ital. 
Gesangsmethode im 17. Jh., Breslau 1890, 2 1892; ders., 
Hdb. d. deutschen Gesangspadagogik I, Lpz. 1896; Br. 
Muller-Brunow, Tonbildung oder Gesangunterricht, 
Lpz. 1890, 61912; L. Lehmann, Meine G., Bin 1902, 31922, 
Nachdruck Wiesbaden 1961, engl. v. R. Aldrich als: How 
to Sing, NY u. London 1902, 31924 u. 1949, frz. v. E. 
Naegely als: Mon art du chant, Paris 1911; P. Bruns- 
Molar, Neue Gesang-Methode nach erweiterten Grund- 
lehren v. primarenTon, Bin 1906 ; ders., Die Registerfrage, 
1 Das Problem d. Kontraaltst., Bin 1906, 21930 als: Das 
Kontraaltproblem, II Bar. oder T., Bin 1910; ders., Mi- 
nimalluft u. Stiitze, Bin 1927, 21929, als: Atemkunst u. 
Stimmhohe, Bin 1932; ders., Bar.-T., Bin 1932; G. Ar- 
min, Das Stauprinzip, Lpz. 1909, NA 1912; ders., Von d. 
Urkraft d. St., Lpz. 1921 ; ders., Carusos Technik, Bin 
1922; ders., Der Modegesanglehrer, Stuttgart 1925; J. u. 



V. Forchhammer, Theorie u. Technik d. Singens u. Spre- 
chens, Lpz. 1923 ;'Fr. Martienssen-Lohmann, Das be- 
wuBte Singen, Lpz. 1923, 31951 ; dies., Der wissende San- 
ger, Zurich u. Freiburg i. Br. 1956; A. Thausig, Die San- 
gerst., Stuttgart 1924, Hbg M957; E. Ross, Deutsche u. 
ital. Gesangsmethode, = Kbnigsberger Studien zur Mw. 
Ill, Kassel 1928; ders., Gesang u. Gesangsmethode, in: 
Hohe Schule d. Musik, hrsg. v. J. Miiller-Blattau, Bd III, 
Potsdam (1935) ; K. J. Kutsch u. L. Riemens, Unvergang- 
liche St., Kleines Sangerlexikon, = Slg Dalp XCII, Bern u. 
Munchen (1957); H. Holzen, Die methodisch-padagogi- 
schen Grundsatze deutscher Gesangskultur im 19. Jh., 
Diss. Miinsteri. W. 1958; R. Husson, La voix chantee, Pa- 
ris 1960; G. Baum, Die buhnentaugliche Singst., Musik im 
Unterricht (allgemeine Ausg.) LII, 1961 ; Fr. Herzfeld, 
Magie d. St., Bin, Ffm. u. Wien (1961); E. Rossi, Neue 
Grundlagen f. d. Sprech- u. Gesangsunterricht, Munchen 
u. Basel 1965. 

Geschichte der Musik. Es liegt im abendlandischen, 
seiner Herkunft nach griechischen und von daher 
durch das Spannungsverhaltnis von -*■ Theorie und 
Praxis gekennzeichneten Begriff der Musik beschlos- 
sen, daB sie Gesch. hat im Sinne eines immerwahren- 
den Wandels ihrer Erscheinungsformen, in der Weise 
einer bestandigen Folge neuer Musik. In solcher Ge- 
schichtlichkeit ist die Musik eine nur dem Abendland 
eigene Erscheinung. Ihr gegenuber steht als Gegenpol 
die vorgeschichtliche (vormusikalische), gleichsam 
naturwiichsige, oder die noch nicht europaisch beein- 
fluCte Gestaltung des Klingenden, die so wenig Praxis 
genannt werden kann, wie sie Theorie kennt, und die 
sich durch ihre relative Geschichtslosigkeit auszeich- 
net. Das Verhaltnis zwischen diesen Polen ist nicht 
wechselseitig: Begegnungen zwischen Naturwiichsi- 
gem und Artifiziellem geschehen im Endergebnis 
wohl stets zugunsten des letzteren, sei es als eine Be- 
fruchtung der abendlandischen Musik, ihrer Gesch., 
sei es als Europaisierung, indem sich das Artifizielle ne- 
ben die einheimische Uberlieferung stellt, sie durch- 
dringt, in ihrer Eigenart gefahrdet und auszuloschen 
droht. Zwar spricht der Europaer heute (so wie auch 
dieses Musiklexikon) von Musik der Naturvolker, 
Eskimo-Musik, Negermusik, Afrikanischer Musik 
usw. und ihrer Gesch. (ein eigenes Problem ist wo- 
moglich die -»• Chinesische Musik), doch geschieht 
dies weithin unreflektiert in Ermangelung und als Er- 
satz der kultureigenen Begriffsworter und dabei zu- 
meist in blind europaisierender Sicht. Die Konzeption 
einer musikalischen Universalgesch. ist wohl moglich 
angesichts der Ausbreitung abendldndischer Melodik und 
Harmonik uber die ganze Erde (Wiora), muB aber proble- 
matisch bleiben, wo die Eigenart fremder Klangwelt 
zugunsten von universalgeschichtlich konzipierten 
Weltaltern der Musik verkannt und dem in Termino- 
logie und Tonschrift grundsatzlich theoretischen, arti- 
fiziellen und geschichtlichen Begriff der Musik adap- 
tiert wird. - Die Gesch. d. M., in der die unaufhorliche 
Folge der Neuerungen zugleich ein Kontinuum der 
Tradition darstellt und die sich seit dem 12./13. Jh. 
primar als Gesch. der -> Komposition abspielt, beglei- 
tet ein bestandiges Sich-Erinnern an die Vergangenheit. 
Dieses hat selbst Gesch.; es wandelt sich zusammen 
mit der Art, in der die Tradition in der Gesch. d. M. 
wirksam ist. 

Das mittelalterliche Musikschrifttum (ahnlich schon in 
der Spatantike der unter Plutarchs Namen iiberlieferte 
Dialog IIeqi fiovaixfji;) erinnert an die Vergangenheit 
nach Art der Weltchroniken : es erzahlt den biblischen 
(Jubal/Thubalkain, Genesis 4, 21 f. ; z. B. Isidorus, Ety- 
moXogiae III, 16, 1) oder griechischen (Mythologie, 
Pythagoras-Legende ; z. B. Guido von Arezzo, Micro- 
logus, CSM IV, 2291T.) Ursprung der Musik, die spa- 
teren »Erfindungen«, die biblischen oder legendaren 



330 



Geschichte der Musik 



Berichte iiber die Wirkungen der Musik und die Lei- 
stungen der Autoritaten (Kirchenvater, Gregor I., 
Guido, Franco). Die Erinnerung steht im Dienst der 
Wesensschau, des Bewahrens und Uberlieferns von 
Wissen, des Lobes und der Rechtfertigung der Musik, 
noch nicht aber im Zeichen von Wiederentdeckungen. 
Dies entspricht der Eigenart der mittelalterlichen Gesch. 
d. M., in der die Tradition noch gleichsam selbsttatig 
(daher unreflektiert) wirksam war. Die aus der grie- 
chischen Antike tradierten Grundlagen entfaltete die 
Musik des -*■ Mittelalters seit der karolingischen Zeit 
zu einer grundsatzlich neuen Art musikalischer (d. h. 
von theoretischer Reflexion begleiteter) Praxis, die 
durch die Entstehung der Mehrstimmigkeit (-> Or- 
ganum), der tonlich und rhythmisch eindeutigen Mo- 
dalnotation und der Komposition mehrstimmiger Mu- 
sik gekennzeichnet ist und Gesch. hatte in den Erschei- 
nungen Sequenz und Tropus, Organum, Discantus 
und Contrapunctus, Clausula, Motette und Chanson, 
->■ Ars antiqua und ->■ Ars nova. Doch hinter der Folge 
der Neuerungen standen als traditionsstiftende Mo- 
men te nicht nur musikalische Prinzipien (z. B. die Re- 
lation zwischen Ton und Tonsystem oder das ton- 
sprachliche Gestalten von Anfang, Mitte und SchluB), 
die ins je Neue sich entfalteten, sondern auch die be- 
harrliche Geltung der Theoretiker (wie es z. B. die 
Boethius- und die Musica Enchiriadis-lJbexlieleiung 
zeigt) und die Konstanz des Chorals. An den Zentren 
der Musikpflege waren gegenwartig giiltig die neuen 
Arten der Musik, wahrend die vergangenen veralteten 
und weithin vergessen wurden. Doch das Vergangene 
war im Neuen mit eingeschlossen und wirksam : in der 
jeweils neuen Musik waren die ihr uorausgegangenen Stu- 
fen implicite enthalten (Georgiades). 
Erstmals haben -+ Humanismus und -> Renaissance 
des ausgehenden 15. und 16. Jh. mit ihrem Interesse 
am originalen fruh- und hochmittelalterlichen Musik- 
schrifttum (besonders im Zuriickgreifen au£ Boethius 
und Guido von Arezzo) und an der antik-griechischen 
Musik und Musiktheorie (Gaflori, Glarean, Vicentino, 
G. Mei, V. Galilei) Vergangenes wiederentdeckt. Zwar 
war auch in der Florentiner ->• Camerata die Berufung 
auf die Musica antica noch ein Mittel der Rechtferti- 
gung, namlich der polemischen Erorterung und der 
Verteidigung einer neuen Art von Musik gegenuber der 
derzeitigen Musica moderna. Indem nun aber die Be- 
sinnung auf die Antike im Hinblick auf die zeitgenossi- 
sche Praxis entdeckerisch iiber den TraditionsprozeB 
hinwegzugreifen strebte, waren erstmalig die Voraus- 
setzungen fur das neuzeitlich reflektierende Sich-Ver- 
halten gegenuber der Gesch. d. M., fur ein Traditions- 
»BewuBtsein« und fur das Wiederentdecken alter Mu- 
sik gegeben. Die Gliederung des Gesamtgeschehens in 
die Zeitalter Antike, Mittelalter und Neuzeit und die 
entwicklungsgeschichtliche Vorstellung von Bliite-, 
Niedergangs- und Aufstiegszeit haben hier ihre Wur- 
zeln. - Doch neben dem, auch als -> Seconda prati- 
ca proklamierten, »neuen Stil« der Musik, der durch 
Monodie, GeneralbaB und neuartige Dissonanzbehand- 
lung gekennzeichnet ist und in Madrigal und Concer- 
to, Oper und Oratorium, Rezitativ und Arie konstitu- 
tiv wurde, blieb im 17. Jh. der »alte Stil« der Musik un- 
mittelbar wirksam, teils als der fur die Kirchenmusik 
geforderte oder fur einzelne Gattungen (Messe, Mo- 
tette) besonders geeignete -> Stil, teils als Lehrfunda- 
ment (Schiitz; im 18. Jh. noch Fux) und uberall in der 
gegenseitigen Durchdringung der Stile. Dementspre- 
chend stand bis in die Bach-Zeit auch das Schreiben 
iiber die alte Musik weithin noch nicht unter dem 
Aspekt des Wiederentdeckens, sondern bewahrte den 
Charakter der Musica historica. Diese erzehlet den Ur- 



sprung und erste Erfindung der Music . . . , auch deren Auf- 
nahme und Fortgang, ingleichen die beruhmtesten Auctores 
(Walther 1732). Sie besteht im Zusammenstellen von 
Quellenexzerpten, und ihre Motivierung ist das Riih- 
men der Musik und des Musikerstandes, das exempla- 
rische Belegen der »Nutzbarkeit« der Musik (fur Ge- 
miit, Tugend, Gesundheit, Belustigung usw.) und ihres 
Hohersteigens bis zur jetzigen Vortrefflichkeit. Zu den 
Topoi der »historischen Beschreibung« gehoren z. B. 
der Beweis, dafi die Kirchvdter im Newen Testament die 
Instrumentalische Musicam nicht verworffen haben (Prae- 
torius Synt. I, S. 135ff.), und die Erorterung Von der 
Music Endzweck (Printz, Kap. 14). Zur Musica historica 
(oder Musica historia) zahlen der 2. Teil der Exercitatio- 
nes tnusicae duae (1600) von S. Calvisius, der de Initio et 
Progressu Musices unter musiktheoretischem Aspekt 
berichtet; das lateinisch geschriebene Syntagma musi- 
cum I (1615) von M.Praetorius, das im 1. Teil Von der 
Geistlichen- vnd Kirchen-Music . . . vorzeiten j wie auch 
noch jtzunder (bis zur Reformation) handelt und im 2. 
Teil Eine Historische Beschreibung der Alten Politischen 
vnd Weltlichen Music gibt; ferner die Historische Be- 
schreibung . . . (1690) von W.C. Printz, deren 12. Ka- 
pitel (Von Denen Beruhmtesten Musicis des 17. Jh.) zu- 
sammen etwa mit Walthers Lexicon (1732) und Mat- 
thesons Ehren-Pforte (1740) der spateren biographischen 
Musikgeschichtsschreibung als Quelle diente. 
Eine auf die Quellen zuriickgehende, philologisch, 
historisch und kritisch verfahrende Musikgeschichts- 
schreibung entstand im Zusammenhang mit der Auf- 
klarung zuerst in Frankreich, teils in Verbindung mit 
der »Querelle« iiber die Vorziige der italienischen und 
franzosischen Musik (-»- Raguenet 1702 und 1705; 
-*■ Lecerf de la Vieville 1704fL; auch die Histoire de la 
musique von -*■ Bourdelot-Bonnet, 1715, gehort teil- 
weise hierher), teils im Dienst der »Querelle des An- 
ciens et des Modernes« auf musikalischem Gebiet (Bu- 
rette 1729). In der Tradition benediktinischer Gelehr- 
samkeit steht der Essai d'une histoire de la musique des 
Mauriners Ph. J. -> Caffiaux (3 Bde, 1757, hs.), der, bis 
1754 reichend, ausschlieBlich Musikschrifttum heran- 
zieht, dieses jedoch breit und griindlich verarbeitet. 
Ein Ergebnis systematischen Forschens unter dem 
Aspekt wissenschaftlichen Aufklarens ist 1780 die en- 
zyklopadische Bewaltigung des musikgeschichtlichen 
Stoffes durch J.B. de Laborde. In Italien erarbeitete 
Padre G.B.Martini in kritischer Methode aus den 
Quellen seiner gewaltigen Bibliothek eine Storia della 
musica, die in den gedruckten 3 Banden (1757-81) je- 
doch nicht iiber die Musik des Altertums hinausge- 
langte. In Deutschland schuf M. Gerbert, geleitet vom 
Interesse an kirchenmusikalischen Fragen, mit seinem 
Werk De cantu et musica sacra . . . (1774) eine reiche 
Materialsammlung zur Gesch. der Musica sacra und 
mit seinen Scriptores . . . (1784) ein Quellenwerk ersten 
Ranges fur die Erforschung der mittelalterlichen Mu- 
siklehre. In England veroffentlichte 1776 der Jurist J. 
Hawkins A General History . . . of Music, die besonders 
in der Mitteilung von Partien des Musikschrifttums 
und etwa 150 Kompositionen alterer Zeiten eine Fiille 
erstmals erschlossenen Materials bietet, gegenuber der 
Moderne indessen von Skepsis erfiillt ist. Dagegen liegt 
der besondere Wert von Ch.Bumeys A General Hi- 
story of Music . . . (Bd I, ebenfalls 1776) gerade in dem 
letzten, 4. Band (1789) iiber die Musik des 18. Jh., die 
Burney auf seinen Reisen durch Europa (1770 und 
1772) studiert hatte. Fortschrittsglaube und musikali- 
sches StandesbewuBtsein fuhren ihn zu skeptischer Be- 
urteilung des einseitigen Interesses an der Musik der 
Antike (indeed, I should have been glad to have waived all 
discussion about it: for . . . the study of ancient music is now 



331 



Geschichte der Musik 



become the business of an Antiquary more than of a Mu- 
sician). Ubersichtlich ordnet er die Gesch. d. M. nach 
Zeiten, Schulen und Sachproblemen und versucht sie 
je als Teil eines Kulturganzen zu sehen; doch seine De- 
finition der Musik als an innocent luxury bietet noch 
keine Impulse zur Entfaltung einer tieferen Konzep- 
tion. Eine solche Konzeption stellt J.N. -» Forkels 
Versuch einer Metaphysik der Tonkunst dar, der den I. 
Band seiner Allgemeinen Gesch. d. M. (1788) einleitet 
(Bd II reicht bis ins 16. Jh. ; der nicht erschienene Bd III 
war als eine Spccialgesch. der deutschen Musik geplant). 
In Forkels Leitgedanken ist die Friihromantik erkenn- 
bar: die universalhistorische Betrachtungsweise und 
die Idee der organischen Entwicklung, die durch die 
Gottinger Geschichtsschule und besonders wohl durch 
Herders Gedanken des Wachstums, der kulturhistori- 
schen Bedingtheit und des Eigenwertes der geschicht- 
lichen Erscheinungen auf Forkel einwirkten. Doch 
letztlich ist Forkels Werk noch immer im Sinne der 
Aufklarung konzipiert als stuffenweise Ausbildung der 
Musik vom ersten Anfang bis zu ihrer hochsten Vervoll- 
kommnung (Einleitung, § 1). Ein Mafistab, der syste- 
matisch nach Art der Natur-Lehre aus der Natur der 
Kunst und des Menschen und geschichtlich aus der Mu- 
sik des 18. Jh. (namentlich J. S.Bachs, Haydns und 
Dittersdorfs) gewonnen ist, dient zur Beurteilung der 
Erscheinungen im Sinne des Fortschritts. Forkels Mo- 
tive der Musikgeschichtsschreibung sind vornehmlich 
das Interesse an der »wahren Musik«, das Aufdecken 
der Ursachen desjetzigen Verfalls der Kirchenmusik und 
ihre Verbesserung (Einleitung zu Bd II) und das Riih- 
men der deutschen Musik des 18. Jh. In seiner Mono- 
graphic iiber J.S.Bach (1802, urspriinglich als Ab- 
schluB seiner Gesch. d. M. geplant), die sich methodisch 
durch das Zuriickgehen auf die Quellen auszeichnet 
und praktisch die Wiederentdeckung Bachs vorberei- 
ten half, wird Bach gepriesen als der erste Kiassiker, der 
je gewesen ist, und vielleicht je seyn wird, und als ein 
Deutscher. Von einer zusammen mit J. Sonnleithner 
auf 50 Bande geplanten Gesch. d. M. in Denkmalern 
wurde nur Band I fertiggestellt (dessen Bleiplatten 
jedoch 1805 vernichtet worden sind). 
Das Interesse an der Gesch. d. M. brach im 3. und 4. 
Jahrzehnt des 19. Jh. mit der Vehemenz einer Existenz- 
frage hervor. So wie kompositorisch die noch in der 
Klassik bestehende Einheit von Tektonik und Sinn 
jetzt in die Antithese »Form« und »Inhalt« (-*■ Aus- 
druck) auseinanderbrach - wobei die Formen weit- 
gehend historische Formen sind -, so ist die neue Zeit 
ab etwa 1830 durch den Bruch im Gedachtnis (Georgia- 
des) gekennzeichnet, der ein antithetisches Verhaltnis 
von Gesch. und Gegenwart zur Folge hat und anstelle 
des selbsttatigen Prozesses der Tradition die Aneig- 
nung der Gesch. im Akt der Reflexion fordert. Das 19. 
Jh. beginnt, den Inbegriff von Musik erst in der Gesamt- 
heit der historisch erfafibaren Musik zu erblicken (Georgia- 
des). Zu den Erscheinungsformen dieses neuen Interes- 
ses an der Gesch. d. M. gehoren die Wiederbelebung al- 
terer Musik (Berliner Singakademie schon seit 1791, 
Auffiihrung von Bachs Matthauspassion 1829), das 
Entstehen der historischen Konzerte, privat (van Swie- 
ten, Kiesewetter) und offentlich (Fetis 1832/33), die 
praktischen Neuausgaben alterer Musik (-»• Tucher 
1827; -> Rochlitz ab 1837, -»• Dehn 1837, -> Alfieri ab 
1840), die Griindung von -*■ Gesellschaften zur Forde- 
rung oder als Trager musikgeschichtlicher Untemeh- 
mungen (Bach-Gesellschaft 1850; Deutsche Handel- 
Gesellschaft 1856), die bald einsetzende Edition von 
->• Denkmalern (Deutschland : Musica sacra, hrsg. von 
-*■ Commer, ab 1839; England: Publications ..., ab 
1840; Italien: Raccolta . . ., hrsg. von Alfieri, ab 1841) 



und -> Gesamtausgaben (Handel ab 1843; Bach ab 
1851) sowie die daraus sich entwickelnde Wissenschaft 
der -> Editionstechnik und -> Auff iihrungspraxis ; auf 
seiten der Komponisten bekundet sich jene neue Si- 
tuation in der Stilnachahmung namentlich der alten 
a cappella-Musik (E. T.A.Hoffmann 1808; -»■ Ett), 
vor allem jedoch in der bewuBten Auseinandersetzung 
mit Techniken und Formen alterer Musik (Mendels- 
sohn Bartholdy, 6 Praludien und Fugen fur Kl. op. 35, 
1832-37; Spohr, Historische Symphonie im Styl und 
Geschmack vier verschiedener Zeitabschnitte, op. 116, 
1839; Schumann, 6 Fugen iiber den Namen BACH op. 
60, 1845; spaterhin z. B. Brahms, IV. Symphonie op. 
98, 4. Satz: Passacaglia, 1884/85; Reger, Konzert im al- 
ten Stil op. 123, 1912; Strawinsky, Pulcinella, 1919; A. 
Berg, Wozzeck, 1914-21; Hindemith, Ludus tonalis, 
1942). - Zu den Motivierungen der Musikgeschichts- 
schreibung zahlt zunachst weiterhin vor allem die Fra- 
ge nach der »wahren Kirchenmusik«, die Thibaut in 
seiner Schrift Uber Reinheit der Tonkunst (1825) beant- 
wortete mit dem Hinweis auf die religiose Demut, Be- 
geisterung und Erhabenheit, wodurch die grofien alten Mei- 
ster so oft dem veredelten Menschen den Himmel offhen 
(Ausgabe 1907, S. 46), und die dann auf katholischer 
Seite (->■ Caecilianismus) besonders zu den Arbeiten 
des Regensburger Reformkreises (-> Proske, J.G. 
-> Mettenleiter, J. -*■ Schrems, Fr. X. -> Haberl), zu den 
Choralforschungen der Benediktiner von Solesmes 
(-> Gueranger, -»■ Pothier, -> Mocquereau; -*■ Denk- 
maler Paleographie musicale) und zur Choralrestauration 
zu Beginn des 20. Jh. (-> Editio Vaticana) fiihrte. Auf 
evangelischer Seite stent der Gedanke der Erneuerung 
der Kirchenmusik im Hintergrund der Arbeiten z. B. 
von -»■ Tucher (1840), C.v.Winterfeld (Der evangeli- 
sche Kirchengesang, 1843-47) und Ph.Spitta (J.S.Bach, 
1873-80) und fiihrte im 20. Jh. zu den historischen 
Forschungen der -»■ Orgelbewegung und der kirchen- 
musikalischen Erneuerungsbestrebungen allgemein 
(-> Kirchenmusik - 2). - Im Zusammenhang mit der 
Restauration der Kirchenmusik war auch G. Bainis 
Arbeit iiber Palestrina (1828) entstanden, die als Kom- 
ponistenmonographie Vorganger hat in den Arbeiten 
u. a. von Mainwaring (Handel, 1760), J.Hawkins (Co- 
relli, 1777), Hiller (Lebensbeschreibungen ..., 1784), 
Forkel (Bach, 1802), G.N.Nissen (Mozart, 1828-29). 
Doch die eigentliche historische Monographie als Gat- 
tung der Musikgeschichtsschreibung entstand im 19. 
Jh. aus der Verehrung der Heroen der Wiener Klassik 
und der Meister des Barocks und auf dem Fundament 
der in der klassischen Philologie entwickelten For- 
schungsmethoden; sie wurde begrundet durch O. 
-> Jahn (Mozart, ab 1856; H. -»• Abert) und fortge- 
fiihrt in den Monographien von Chrysander (Handel, 
ab 1858), Thayer (Beethoven, 1866), Ph.Spitta (Bach, 
1873-80), C.F.Pohl (Haydn, 1878-82). - Als Folge 
der sich steigernden Anspriiche des Wissenwollens 
richtete sich die forschende Arbeit in zunehmendem 
MaBe auf eingegrenzte Gebiete. Die musikalische V61- 
kerkunde erhielt, nach den Ansatzen im 18. Jh., beson- 
ders durch Kiesewetter (1842) und Fetis (1867) neue 
Impulse (-»• Musikethnologie) ; f iir das Verstandnis der 
antiken Griechischen Musik wurden neue Grundlagen 
geschaffen (A.Bockh, 1811, R.Westphal, ab 1854, K. 
v.Jan, 1895) ; die Musik des Mittelalters wurde auf der 
Basis von Arbeiten zur Gesch. der Notation (H.Bel- 
lermann) und von Editionen des musiktheoretischen 
Schrifttums (Coussemaker, Scriptores, 1864-76; Laf age, 
Essais de diphtherographie musicale, 1864) in zunehmen- 
dem MaB ein Gegenstand spezieller Arbeit ; die Erf or- 
schung des Chorals (Danjou, Nisard, Gevaert) und des 
evangelischen Kirchengesangs (Mortimer, v.Winter- 



332 



Geschichte der Musik 



feld, Ph. Wackernagel, J.Zahn) wurde intensiviert. 
Die Darstellungen nationaler Komponistenschulen 
wurden eroffnet durch die quellenkundlich und me- 
thodisch vorbildlichen Preisschriften von Kiesewetter 
und Fetis fiber die Verdienste der Niederlander (beide 
1829 erschienen), die der einseitig italienisierenden 
Auffassung des Entstehens der neuzeitlichen Musik 
kraftig entgegenwirkten, wahrend C.v.Winterfeld 
durch seine Arbeit iiber Johannes Gabrieli und sein Zeit- 
alter (1834) von der Bliithe heiligen Gesanges im 16. Jh. 
zur Wiederentdeckung Schiitzens gefuhrt wurde. In 
immer groBerer Zahl entstanden musikgeschichtliche 
Einzeldarstellungen von Stadten, Landern und Schu- 
len, Gattungen und Formen, auch z. B. Monographien 
iiber Instrumente, ihre Spieltechnik und Literatur 
(Weitzmann.Wasielewski, A. G. Ritter). Alle diese For- 
schungszweige erhielten um 1900 eine neuartige In- 
tensivierung und Vertiefung durch das methodisch an- 
spruchsvollere ErschlieBen und Interpretieren der prak- 
tischen und theoretischen Quellen, namentlich auf 
dem Gebiet der Notation (J. Wolf), des Gregoriani- 
schen Chorals (Jacobsthal, P.Wagner), der mittelalter- 
lichen ein- und mehrstimmigen Musik (Aubry, J.-B. 
Beck, Fr.Ludwig), der Gesch. der Musiktheorie (H. 
Riemann) und der Musikinstrumente (C.Sachs, ab 
1913), und in grandiosen Leistungen begann das for- 
schende Interesse das gesamte Gebiet der Gesch. d. M. 
in seiner Weite und Tiefe zu durchmessen und auszu- 
loten. Daneben waren die Grundlagen der Musikge- 
schichtsschreibung erneut durchdacht worden, na- 
mentlich von -> Fetis in seinem Risumc philosophique 
de I'histoire de la musique, den er seiner Biographie uni- 
verselk (1837-44) voranstellte, und in H.Riemanns 
musikgeschichtlicher Konzeption. Wahrend Fetis sich 
gegen die Auffassung eines bestandigen »Fortschritts« 
in der Musik wandte zugunsten des Erkennens bloBer 
Umformungen (transformations) musikalischer Prin- 
zipien, sah Riemann die Gesch. d. M. an als fortschrei- 
tende Entwicklung, als zielstrebigen ProzeB des In- 
Erscheinung-Tretens ihrer natiirlichen GesetzmaBig- 
keit. Damit war der Musikgeschichtsschreibung des 20. 
Jh. eine der zentralen Fragen gestellt. 
Die Einzelforschungen sammelten sich im 19. und be- 
ginnenden 20. Jh. in den Gesamtdarstellungen nament- 
lich von Kiesewetter (1834), Fetis (1869-76, reicht bis 
ins 15. Jh.), Ambros (ab 1862, reicht bis zum Beginn 
des italienischen Barocks) und Riemann (Handbuch der 
Mg., ab 1904). Ambros betrachtete in seinem grund- 
legenden Werk, dessen Hohepunkt die Darstellung 
der Renaissance (Band III, 1868) bildet, die Gesch. d. 
M. culturhistorisch, mit dem Blick aufglekhzeitige bilden- 
de Kunst, auf politische und sociale Verhaltnisse (1862, S. 
XIV), um sie als Aufierung einer und derselben geistigen ■ 
Stromung zu verstehen (Bunte Blatter . . ., 1872, S. XI). 
Diese kulturhistorische Interpretation der Mg., ange- 
bahnt schon durch C.v.Winterfeld, wurde fortge- 
fiihrt und vertieft insbesondere durch Ph. ->• Spitta, H. 
-» Kretzschmar und A. -> Schering. Demgegenuber 
fiihrte H. -»■ Riemann die an einem autonom-musi- 
kalischen Wertsystem sich orientierende undprogram- 
matisch in der f ormal-technischen Analyse verharren- 
de Musikgeschichtsschreibung zu einem Hohepunkt. 
Vornehmlich auf dem Boden der musikalisch-analy- 
tischen Betrachtungsweise wurde die Gesch. d. M. zu 
Beginn des 20. Jh. als Stilgesch. (Riemann, G.Adler 
1911, W.Fischer 1915, -> Stil) und als Formen- bzw. 
Gattungsgesch. (Kretzschmars Handbiicher, ab 1905) 
geschrieben. Eindringlich f orderte W. Gurlitt 1918/19 
die Synthese der Form- und Inhaltsperspektive, der 
stilkritischen Werkbeschreibung und der geistesge- 
schichtlich oricntierten Deutung. Seine namentlich 



von W.Dilthey inspirierte Konzeption der »Musik- 
gesch. als Geisteswissenschaft« verankert die Musik als 
Gegenstand des analytischen Befragens in die Geistig- 
keit, die Individualitat und Subjektivitat des Menschen 
(des Volkes, der Zeit) und fiihrte somit zu vertieftem 
Erkennen und Begriinden der Geschichtlichkeit und 
Jeweiligkeit, Eigenwertigkeit, Gegenwartsbezogenheit 
und Standortgebundenheit alles musikalischen Den- 
kens.Erfindens und Auf fassens (-*■ Terminologie) . 
Nach 1918 und abermals nach 1945 gab die in der 
-> Neuen Musik sich vollziehende Umformung mu- 
sikalischer Prinzipien und Begriffe dem Interesse an 
der Gesch. d. M. durch neue Fragestellungen neue Im- 
pulse. Daneben richtet sich die Arbeitskraft in ver- 
starktem MaB auf das ErschlieBen der praktischen und 
theoretischen Quellen, die in kritischen Ausgaben (zu- 
nehmend auch als nationale und landschaftlich gebun- 
dene -*■ Denkmaler), in Katalogen und Werkverzeich- 
nissen erstmals oder erneut dargeboten werden. Und 
neben der anhaltenden Besinnung auf die Grundlagen 
der Musikgeschichtsschreibung und dem Zusammen- 
fassen und Gliedern des Stoffes in Handbiichern (Ad- 
ler, 1924, Biicken, ab 1927; vorher schon The Oxford 
History of Music, ab 1901, und die zuerst von Lavignac 
redigierte Encyclopedic, ab 1913) sucht ein immer in- 
tensiveres Wissenwollen - vornehmlich in der Ver- 
offentlichungsform von Aufsatzen (-» Zeitschriften) - 
den Stoff im Detail zu durchdringen, wobei sich die 
forschende Arbeit (nicht selten kritiklos) bis in die ent- 
ferntesten lokalgeschichtlichen und skleinmeisterli- 
chen« Bereiche ausgedehnt hat. Die Detailforschung 
sammelte sich in Darstellungen einzelner Zeitraume 
(z. B. des Mittelalters durch Besseler 1931 und Reese 
1940, des Barocks durchHaas 1928 undBukofzer 1947), 
Gattungen (z. B. Rokseth 1930 und Frotscher 1935 
iiber Orgelmusik, de La Laurencie 1922 iiber Violin- 
musik, Reeser 1939 und W.Newman ab 1959 iiber die 
Sonate, Einstein 1949 iiber das Madrigal) und Kompo- 
nisten oder unter bestimmten Fragestellungen (Geor- 
giades 1954), wahrend eine Gesamtdarstellung, die ei- 
genes Forschen und Werten verbindet, nach 1945 
Handschin (1948) gelang; und bedeutende Leistungen 
entstehen in Erfiillung des verstarkten Verlangens nach 
dem quellenkundlichen, bibhographischen, lexikali- 
schen und enzyklopadischen Verfiigbarmachen des 
Wissensstoffes (Musik in Gesch. und Gegenwart, seit 
1949, hrsg. von Fr. Blume; -*■ Lexika). - Erneut stellt 
sich fiir die Musikgeschichtsschreibung die Aufgabe 
der »gedeuteten Analyse«, doch heute in jener stren- 
geren Art der -> Interpretation, die in Uberwindung 
der auf Merkmalkategorien abzielenden Stilforschung 
und zugunsten der Einmaligkeit des Werks (die in der 
Gesamtheit seiner Merkmale beschlossen liegt) die 
Gesch. d. M. als Gesch. musikalischer Sinntrager er- 
arbeitet - als wichtigster Teil der ->■ Musikwissen- 
schaft und in steter Wechselbeziehung zur systemati- 
schen Grundlegung sowie in voller BewuBtheit der 
im Zusammenfiihren von Musik, Ethnologie und 
Universalgesch. gelegenen Problematik. 
Bibliogr.: bis 1825: S. Calvisius, Exercitationes musicae 
duae, Lpz. 1 600, zusammen mit Exercitatio musica tertia 
(1609) als: Exercitationes musicae tres, 2 1611; M. Prae- 
torius, Syntagma musicum I, Wittenberg 1615, Faks. 
hrsg. v. W. Gurlitt, = DM1 I. 21, 1959; W. C. Printz, 
Hist. Beschreibung d. Edelen Sing- u. Kling-Kunst, Dres- 
den 1690, Faks. hrsg. v. O. Wessely, = Die groBen Dar- 
stellungen d. Mg. in Barock u. Aufklarung I, Graz 1964; 
G. A. Bontempi, Hist, musica . . . , Perugia 1 695 ; P. Bourde- 
lot, P. Bonnet-Bourdelot u. J. Bonnet, Hist, de la mu- 
sique, et de ses effets depuis son origine, les progres succes- 
ses de cet art jusqu'a present, Paris 1715, Nachdrucke (zu- 
sammen mit einem Werk v. — » Lecerf) Amsterdam, Den 



333 



Geschichte der Musik 



Haagu. Ffm. 1721 u. 6. ; A. Malcolm, Treatise of Musick, 
Speculative, Practical, and Hist., Edinburgh 1721, erwei- 
tert London 21730, NA (verkiirzt) 1776 u. 1779; P.-J. Bu- 
rette, Dissertation, ou Ton fait voir, que les merveilleux 
effets, attribuez a la Musique des anciens, ne prouvent 
point, qu'elle fust aussi parfaite que la n6tre, in: Acad, des 
inscriptions et belles-lettres (Paris, Memoires), Paris 1729, 
ital. Venedig 1748 ; G. B. Martini OFM, Storia della Musi- 
ca, 3 Bde, Bologna 1757-81 ; Fr. W. Marpurg, Kritische 
Einleitung in d. Gesch. u. Lehrsatze d. alten u. neuen Mu- 
sik, Bin 1759; Ch.-H. de Blainville, Hist, generale, cri- 
tique et philologique de la musique, Paris 1767; M. Ger- 
bert OSB, De cantu et musica sacra, a prima ecclesiae aeta- 
te usque ad praesens tempus, 2 Bde, St. Blasien 1774; J. 
Hawkins, A General Hist, of the Science and Practice of 
Music, 5 Bde, London 1776 (dazu J. N. Forkel, in: Mus.- 
kritische Bibl. II, Gotha 1778, Faks. Hildesheim 1964), 
NA in 3 Bden 1853, dass. 1875, NA in 2 Bden hrsg. v. Ch. 
L. Cudworth, NY u. London 1963; Ch. Burney, A Ge- 
neral Hist, of Music from the Earliest Ages to the Present 
Period, 4 Bde, London 1776-89, Bd I— II 21789, NA in 2 
Bden hrsg. v. F. Mercer, NY u. London 1935, NA in 4 
Bden Baden-Baden 1958, separat: d. Abh. iiber d. Musik 
d. Alten, deutsch v. J. Eschenburg, Lpz. 1781 ; Essai sur la 
musique ancienne et moderne, hrsg. v. J. B. de Laborde, 
4 Bde, Paris 1780, 2 Suppl. Paris 1781; G. Leopold, Ge- 
danken u. Konjecturen zur Gesch. d. M., Stendal 1780; J. 
N. Forkel, Allgemeine Gesch. d. M., 2 Bde, Lpz. 1788- 
1801 ;Th. Busby, A General Hist, of Music..., Condensed 
from the Works of Hawkins and Burney, 2 Bde, London 
1819, deutsch v. Chr. Fr. Michaelis als : Allgemeine Gesch. 
d. Tonkunst, 2 Bde, Lpz. 1821-22. 

1825-1900: R. G. Kiesewetter, Die Verdienste d. Nie- 
derlaender um d. Tonkunst, u. Fr.-J. Fetis, Memoire sur 
cette Question: »Quels ont ete les merites des Neerlandais 
dans la musique . . . ?«, in: Verhandelingen over de vraag: 
Welke verdiensten hebben zich de Nederlanders vooral 
in de 1 4 e , 1 5 e en 1 6 e eeuw in het vak der toonkunst verwor- 
ven . . . ?, Amsterdam 1829; R. G. Kiesewetter, Gesch. d. 
europaisch-abendlandischen oder unserer heutigen Mu- 
sik, Lpz. 1834, 21846, engl. v. R. Miller, London 1848; C. 
v. Winterfeld, Johannes Gabrieli u. sein Zeitalter, 2 Bde 
Text, 1 Bd Musikbeispiele, Bin 1834, Nachdruck Hildes- 
heim 1965; ders., Der ev. Kirchengesang u. sein Verhalt- 
nis zur Kunst d. Tonsatzes, 3 Bde, Lpz. 1843-47; Fr.-J. 
Fetis, Resume philosophique de l'hist. de la musique, in: 
Biogr. universelle des musiciens I, Briissel, Mainz u. Paris 
1837; ders., Hist, general de la musique, 5 Bde, Paris 1 869- 
76; J. A. de Lafage, Hist, generale de la musique et de la 
danse, 2 Bde u. ein »Atlas«, Paris 1844; K. Fr. Brendel, 
Grundziige d. Gesch. d. M., Lpz. 1848, nld. v. Kist, russ. v. 
P. Sinowjew, St. Petersburg 1877; ders., Gesch. d. M. in 
Italien, Deutschland u. Frankreich . . ., 2 Bde, Lpz. 1852, 
81893, NA erganzt v. R. Hovker 1902; K. Czerny, Um- 
riss d. ganzen Musik-Gesch., dargestellt in einem Verz. 
d. bedeutenderen Tonkiinstler aller Zeiten . . . chronolo- 
gisch geordnet, Mainz 1851, engl. v. C Engel als: Mus. 
Myths and Facts, London 1876; A. W. Ambros, Gesch. 
d. M., Bd I (Antike Musik), Breslau 1862, Lpz. 21880, 
bearb. v. B. v. Sokolowsky 31887, Bd II (Musik d. MA 
bis Dufay u. Busnois), Breslau 1864, hrsg. v. O. Kade Lpz. 
21880, hrsg. v. H. Reimann 31892, Bd III (Gesch. d. M. 
im Zeitalter d. Renaissance bis zu Palestrina), Breslau 1 868, 
hrsg. v. O. Kade, Lpz. 21881, 31891, Bd IV (Gesch. d. ital. 
Musik nach 1550, nach d. unvollendeten Ms. v. Ambros), 
hrsg. v. G. Nottebohm, Lpz. 1878, 21881, erganzt u. bis 
1650 fortgefiihrt v. H. Leichtentritt 31909, Bd V (Beispiel- 
slg zu Bd III), hrsg. v. O. Kade, Lpz. 1882, 21887, 31911, 
Namen- u. Sachregister zu Bd I-V v. W. Baumker, Lpz. 
1882, Fr. W. Langhans, Die Gesch. d. M. d. 17., 18. u. 
19. Jh. (als Fortsetzung v. Ambros' Werk), 2 Bde, Lpz. 
1881-87; A. v. Dommer, Hdb. d. Mg„ Lpz. 1868, 21878, 
vollig neu bearb. v. A. Schering 31914, 4-61923; H. A. 
Kostlin, Gesch. d. M. im UmriB, Bin 1875, hrsg. v. W. 
Nagel Lpz. «1910; E. Naumann, Illustrierte Mg., 2 Bde, 
Stuttgart 1880-84, bearb. v. E. Schmitz 21907-08, "1920, 
101934; H. Riemann, Katechismus d. Mg., 2 Bde (I, 
Gesch. d. Musikinstr. u. Gesch. d. Tonsysteme u. d. No- 
tenschrift; II, Gesch. d. Tonformen), = Hesse's Illustrierte 
Katechismen I— II, Lpz. 1888, als: AbriB d. Mg., Bin 
7 1918; A. Prosniz, Compendium d. Mg., 3 Bde, Wien 



1889-1915, 31920; Ch. H. Parry, The Art of Music, Lon- 
don 1893, erweitert als: The Evolution of the Art of Mu- 
sic, = The International Scientific Series LXXX, London 
1896, NA erweitert v. H. C. Colles, NY 1930, NA London 
1950. 

ab 1900: H. Riemann, Gesch. d. M. seit Beethoven, Bin 
1901 ; ders., Hdb. d. Mg., 2 Bde in 5 : 1, Altertum u. M A, 1 , 
Die Musik d. (klass.) Altertums, 2, Die Musik d. MA (bis 
1450), II, 1, Das Zeitalter d. Renaissance (bis 1600), 2, Das 
GeneralbaBzeitalter (Die Monodie d. 17. Jh. u. d. Welt- 
herrschaft d. Italiener), 3, Die Musik d. 18. u. 19. Jh. (Die 
groBen deutschen Meister), Lpz. 1904-13, hrsg. v. A. Ein- 
stein 21919-22, Bd I, 1 31923; ders., Kleines Hdb. d. Mg. 
mit Period isierung nach Stilprinzipien u. Formen, Lpz. 
1908, 31919, hrsg. v. A. Einstein 4-51922, 81951, 91952; 
ders., Mg. in Beispielen, Lpz. 1912, "1929; The Oxford 
Hist, of Music, hrsg. v. W. H. Hadow, 6 Bde, I— II, H. E. 
Wooldridge, The Polyphonic Period, III, Ch. H. Parry, 
The Music of the XVII th Cent., IV, J. A. Fuller-Maitland, 
The Age of Bach and Handel, V, W. H. Hadow, The Vien- 
nese Period, VI, E. Dannreuther, The Romantic Period, 
Oxford 1901-05, in 8 Bden, Introductory Volume, hrsg. v. 
P. C. Buck, I— II, Method of Mus. Art 300-1400 bzw. 1 500- 

c. 1600, bearb. v. P. C. Buck, III hrsg. v. E. J. Dent, VII, 
H. C. Colles, Symphony and Drama 1850-1900, London 
21929-38 ; R. Storck, Gesch. d. M., 2 Bde, Stuttgart 1904- 
05, 6 1926; H. Leichtentritt, Gesch. d. M., = Hillger's 
Illustrierte Volksbucher XXXVI, Bin 1905; ders., Music, 
Hist, and Ideas, Cambridge (Mass.) u. London 1938, 7 1946, 
span. Buenos Aires 1945; Kleine Hdb. d. Mg. nach Gat- 
tungen, hrsg. v. H. Kretzschmar, 14 Bde, Lpz. 1905-22 
(I, A. Schering, Gesch. d. Instrumentalkonzerts, 1905, 
21927; II, H. Leichtentritt, Gesch. d. Motette, 1908; III, 
A. Schering, Gesch. d. Oratoriums, 191 1 ; IV, H. Kretzsch- 
mar, Gesch. d. Neuen Deutschen Lieds I, 1911; V, E. 
Schmitz, Gesch. d. weltlichen Solokantate, 1914, 2 1955, 
Nachdruck Hildesheim 1965 ; VI, H. Kretzschmar, Gesch. 

d. Oper, 1919 ; VII, ders., Einfuhrung in d. Mg., 1920 ; VIII, 
J. Wolf, Hdb. d. Notationskunde, 2 Bde, 1913-19, Nach- 
druck Hildesheim 1963; IX, H. Botstiber, Gesch. d. Ou- 
verture u. d. freien Orchesterformen, 1913; X, G. Schune- 
mann, Gesch. d. Dirigierens, 1913, Nachdruck Hildesheim 
1965; XI, P.Wagner, Gesch. d. Messe I, 1913, Nachdruck 
Hildesheim 1 963 ; XII, C. Sachs, Hdb. d. Musikinstrumen- 
tenkunde, 1920, 21930; XIII, A. Aber, Hdb. d. Musiklit., 
1922; XIV, K. Nef, Gesch. d. Sinfonie u. Suite, 1921); R. 
Batka, Allgemeine Gesch. d. M., 2 Bde, Stuttgart 1909-1 1 ; 
Encyclopedie de la musique et dictionnaire du Conserva- 
toire, hrsg. v. A. Lavignac u. L. de La Laurencie, I* re 
Partie: Hist, de la musique, 3 Bde, Paris 1913-14; J. Com- 
barieu, Hist, de la musique, 3 Bde, Paris 1913-19, NA er- 
weitert um 2 Bde v. R. Dumesnil 1946-60; A. Schering, 
Tabellen zur Mg., Lpz. 1914, 4 1934, bearb. v. H. J. Moser, 
Wiesbaden 5 1962, ital. Mailand 1941 ; ders., Deutsche Mg. 
im UmriB, Lpz. 1917; ders., Gesch. d. M. in Beispielen, 
Lpz. 1931, Neudruck 1954, engl. NY 1950; A. Einstein, 
Gesch. d. M., = Aus Natur u. Geisteswelt 438, Bin u. Lpz. 
1918, dazu: Beispielslg zur alteren Mg., ebenda 439, 1917, 
NA erweitert in 1 Bd, Zurich u. Stuttgart 1953, engl. als: 
A Short Hist, of Music, NY 1937, 31947, neu hrsg. v. A. H. 
King, London 1953; K. Nef, Einfuhrung in d. Mg., Basel 
1920, 21930, hrsg. v. W. Nef, Zurich 31945, frz. bearb. v. 
Y. Rokseth als: Hist, de la musique, Paris 1925, 21931, 
Lausanne 3 1944, norwegisch v. R. Brehmer als: Musik- 
historie, Oslo 1932, engl. v. C. Fr. Pfatteicher als: An Out- 
line of the Hist, of Music, = Columbia Univ. Studies in 
Musicology I, NY 1935, 21950, griech. mit Suppl. v. Ph. 
Anojanakis, Athen 1957; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen 
M., 3 Bde, Stuttgart u. Bin I 1920, 51930, II, 1 1922, 41928 
(als II 51930), II, 2, 1924 (als III 21928) ; ders., Lehrbuch d. 
Mg., = Hesses Hdb. d. Musik II/III, Bin 1936, '21953; Hdb. 
d. Mg., hrsg. v. G. Adler, Ffm. 1924, in 2 Bden Bin 21930, 
Neudruck Tutzing 1961 ; J. Wolf, Gesch. d. M. in allge- 
meinverstandlicher Form, 3 Bde, = Wiss. u. Bildung 
CCIII-CCIV u. CCLI1I, Lpz. 1925-29, dazu Sing- u. Spiel- 
musik aus alterer Zeit, ebenda CCXVIII, 1926, span, mit 
Anh. v. H. Angles, Barcelona 1934, 41957, engl. NY 1950; 
P. Bekker, Mg. als Gesch. d. mus. Formwandlungen, 
Stuttgart 1926, engl. v. M. D. H. Norton u. A. Kortschaak 
als: The Story of Music, an Hist. Sketch of the Changes in 
Mus. Form, NY 1927, frz. Paris 1929; Hdb. d. Mw., hrsg. 



334 



Gesellschaften und Vereine 



v. E. Bucken, 1 3 Bde in 1 (H. Besseler, Die Musik d. MA 
u. d. Renaissance; R. Haas, Die Musik d. Barocks; ders., 
Auffiihrungspraxis d. Musik; E. Bucken, Die Musik d. 
Rokokos u. d. Klassik, ders., Die Musik d. 19. Jh. bis zur 
Moderne; ders., Geist u. Form im mus. Kunstwerk; H. 
Mersmann, Die moderne Musik seit d. Romantik; O. Ur- 
sprung, Die kath. Kirchenmusik; Fr. Blume, Die ev. Kir- 
chenmusik; W. Heinitz, Instrumentenkunde; C. Sachs, 
Die Musik d. Antike, P. Panoff, Die altslavische Volks- u. 
Kirchenmusik, R. Lachmann, Die Musik d. auBereuro- 
paischen Natur- u. Kulturvolker), Potsdam (1927-34); A. 
Lorenz, Abendlandische Mg. im Rhythmus d. Generatio- 
nen, Bin 1928; A. Della Corte, Scelta di musiche per lo 
studio della storia, Mailand 1928, 21939, erweitert 31949; 
ders. u. G. Pannain, Storia della musica, 2 Bde, Turin 
1936, in 3 Bden 21942, 31952, "1964; G. Kinsky (mit R. 
Haas u. H. Schnoor), Gesch. d. M. in Bildern, Lpz. 1929, 
engl. hrsg. v. E. Blom, London u. NY 1930, Neudruck 
1951, frz. hrsg. v. H. Prunieres, Paris 1930, ital. hrsg. v. G. 
Cesari, Mailand 1930; H. Mersmann, Eine deutsche Mg., 
Potsdam (1934), als: Mg. in d. abendlandischen Kultur, 
Ffm. ( 2 1955); Th. Gerold, Hist, de la musique des origines 
a la fin du XIV e s., A. Pirro, Hist, de la musique de la fin 
du XIV e s. a la fin du XVI e , = Manuels d'hist. de Part, Pa- 
ris 1936-40; Fr. Abbiati, Storia della musica, 5 Bde, Mai- 
land 1939-46; (Norton Hist, of Music), NY 1940ff.: C. 
Sachs, The Rise of Music in the Ancient World (1943), G. 
Reese, Music in the Middle Ages (1940), ders., Music in 
the Renaissance (1954, 2 1959), M. F. Bukofzer, Music in 
the Baroque Era (1947), A. Einstein, Music in the Romantic 
Era (1947, deutsch als: Die Romantik in d. Musik, Mun- 
chen 1950), A. Salazar, Music in Our Time (engl. v. I. Po- 
pe) 1946; P. H. Lang, Music in Western Civilization, NY 
1941, deutsch als: Die Musik im Abendland, 2 Bde, Augs- 
burg 1947; A. Th. Davison u. W. Apel, Hist. Anth. of 
Music, 2 Bde, Cambridge (Mass.) 1947-50, Bd I 21950; C. 
Sachs, Our Mus. Heritage, A Short Hist, of World Music, 
NY 1948, 21955, London 1949; J. Handschin, Mg. im 
tiberblick, Luzern (1948), hrsg. v. Br. u. H. Stablein 2 1964; 
Das Musikwerk, Eine Beispielslg zur Mg., hrsg. v. K. G. 
Fellerer, Koln (seit 1951); E. Preussner, Mg. d. Abend- 
landes, 2 Bde, Wien 1951, in einem Bd 21958 ; E. H. Meyer, 
Musik im Zeitgeschehen, Bin 1952; H. Schnoor, Gesch. d. 
M., Giitersloh 1953, 21954; K. H. Worner, Gesch. d. M., 
Gottingen 1953, erweitert 3 1 96 1 ; The New Oxford Hist, of 
Music, hrsg. v. J. A. Westrup u. a., 1 1 Bde, London seit 
1954; D. J. Grout, A Hist, of Western Music, NY 1960; 
Hist, de la musique, hrsg. v. Roland-Manuel, 2 Bde, 
= Encyclop6die de la Pleiade IX u. XVI, Paris (1960-63); 
K. M. Komma, Mg. in Bildern, Stuttgart 1961 ; Mg. in Bil- 
dern, hrsg. v. H. Besseler u. M. Schneider, Lpz. o. J. 
(seit 1962); H. Renner, Gesch. d. M., Stuttgart 1965. 
Lit.: Ph. Spitta, Mw. u. Kunst, in: Zur Musik, Bin 1892; 
H. Kretzschmar, Kurze Betrachtungen iiber d. Zweck, d. 
Entwicklung u. d. nachsten Zukunftsaufgaben d. Musik- 
historie, JbP XIV, 1907; A. Schering, Experimentelle 
Mg., Z1MG XIV, 1912/13; E. Wellesz, Die Grundlagen 
d. mg. Forschung, AfMw I, 1918/19; W. Gurlitt, H. Rie- 
mann u. d. Mg., ZfMw I, 1918/19; ders., Fr.-J. Fetis u. 
seine Rolle in d. Gesch. d. Mw., Kgr.-Ber. Liittich 1930, 
beide Abh. auch in: Mg. u. Gegenwart, hrsg. v. H. H. Eg- 
gebrecht, = BzAfMw II, Wiesbaden 1966; G. Adler, Me- 
thoded. Mg., Lpz. 1919; H. Abert, Uber Aufgaben u. Zie- 
le d. mus. Biogr., AfMw II, 1919/20; ders., Kunst, Kunst- 
wiss. u. Kunstkritik, Mk XVI, 1923/24, beide Abh. auch in : 
Gesammelte Schriften u. Vortrage, hrsg. v. Fr. Blume, Hal- 
le 1929; H. J. Moser, Zur Methodik d. mus. Geschichts- 
schreibung, Zs. f. Aesthetik u. allgemeine Kunstwiss.XVI, 
1920; C. Sachs, Die Musik im Rahmen d. allgemeinen 
Kunstgesch., AfMw VI, 1 924 ; E. Bucken, Grundfragen d. 
Mg. als Geisteswiss., JbP XXXIV, 1927; Fr. Blume, H. 
Abert u. d. Mw., in: Gedenkschrift f. H. Abert, Halle 1929, 
auch in : Syntagma Musicologicum, Fs. Fr. Blume, hrsg. v. 
M. Ruhnke, Kassel 1963; L. Schrade, Eine Einfiihrungin 
d. Musikgeschichtsschreibung alterer Zeit, Die Musik- 
erziehung VII, 1930; E. Hegar, Die Anfange d. neueren 
Musikgeschichtsschreibung um 1770 bei Gerbert, Burney 
u. Hawkins, = Slg mw. Abh. VII, StraBburg 1932; H.Ost- 
hoff, Die Anfange d. Musikgeschichtsschreibung in 
Deutschland, AMI V, 1933; K. G. Fellerer, Zur Erfor- 
schung d. antiken Musik im 16.-18. Jh., JbP XLII, 1935; 



ders., Gesch. d. M. - Gesch. d. Musizierens, Mk XXIX, 
1936/37; W. D. Allen, Philosophies of Music Hist., A 
Study of General Hist, of Music, London 1939, NA NY 
1 962 ; M. F. Bukofzer, Hist. Musicology, The Music Jour- 
nal IV, 1946; A. H. King, Mus. Research: Background 
and Sources, The Year's Work in Music, 1948/49 ; Fl. Van 
der Mueren, Persoonlijkheid van individu en tijd in de 
muziekgeschiedschrijving, in: Mededelingen van de Kgl. 
Vlaamse Acad, voor wetenschap en schone kunsten van 
Belgie XIV, 2, 1952; ders., Over constanten in de muziek- 
geschiedenis, ebenda XV, 4, 1953; ders., L'hist. de la mu- 
sique et la comparaison avec les autres arts, Kgr.-Ber. Wien 
1956; ders., Is parallelvergelijkende muziekgeschiedenis 
mogelik?, Antwerpen 1958; Thr. G. Georgiades, Musik 
u. Sprache. Das Werden d. abendlandischen Musik darge- 
stellt an d. Vertonung d. Messe, = Verstandliche Wiss. L, 
Bin, Gottingen u. Heidelberg 1954; J. A. Westrup, An In- 
troduction to Mus. Hist., London 1955; W. Wiora, Zur 
Grundlegung d. Allgemeinen Mg., Deutsches Jb. d. Mw. I 
(= JbPXLVIII), 1956; ders., Die vier Weltalter d. Musik, 
= Urban Bucher LVI, Stuttgart 1961, engl. v. M. D. H. 
Norton als : The Four Ages of Music, NY 1 965 ; ders., M w. 
u. Universalgesch., AMI XXXIII, 1961 ; W. Kahl, Das 
Nurnberger hist. Konzert v. 1643 u. sein Geschichtsbild, 
AfMw XIV, 1957; W. Vetter, Gedanken zur mus. Biogr., 
Mf XII, 1959; H. Zenck, Mg. Wirklichkeit (Vortrag v. 
23. 10. 1932), in: H. Zenck, Numerus u. AfTectus, hrsg. v. 
W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel 1959; K. v. 
Fischer u. H. H. Eggebrecht, The Concept of the »New« 
in Music from the Ars nova to the Present Day, Kgr.-Ber. 
NY 1961, Bd I u. II. HHE 

Gesellschaften und Vereine. Ansatze fur Vereini- 
gungen, die das Musikleben ihrer Zeit gefordert und 
beeinfluBt haben, fmden sich seit dem spaten Mittelal- 
ter in den -> Kantorei-G. und in den Singschulen des 
-*■ Meistersangs. Seit dem 17. Jh. entwickelten sich G., 
die ohne Bindung an eine bestimmte Institution ihre 
Organisationsform und ihre Ziele nach dem Vorbild 
der italienischen -*■ Akademien frei setzen. Bekannt ist 
die 1636 in Konigsberg gegriindete »Kurbishutte« mit 
ihrer auf der Zusammenarbeit von Dichtern (Simon 
Dach) und Komponisten (J. Stobaeus, H. Albert) beru- 
henden Bedeutung fur das deutsche Lied. In Niirnberg 
entstand 1644 der »Pegnesische Hirten- und Blumenor- 
den«, gegriindet von G. Ph. Harsdorf er (seit 1642 Mit- 
glied der »Fruchtbringenden Ges.«). J.Rist wurde zum 
Mittelpunkt des 1656 in Hamburg entstandenen »Elb- 
schwanenordens«. In der Zusammensetzung dieser Ver- 
einigungen deuten sich schon jene sozialen Umschich- 
tungen an, die im 18. Jh. neben der Aristokratie das 
Biirgertum als Trager des Kulturlebens in den Vorder- 
grund treten lieBen. Das Gesellschafts- und Vereins- 
wesen neuerer Form nimmt (noch ohne rechtlich ver- 
bindliche Grundlage) im 18. Jh. seinen Anfang, als das 
in den groBeren Stadten sich entwickelnde Musikleben 
und Konzertwesen (-» Konzert -2) Zusammenschliisse 
zur Bewaltigung organisatorischer und wirtschaftli- 
cher Belange nahelegte. Dieses neue Vereinswesen 
richtete sich zunachst in Form von Konzert-G., Mu- 
sikausiibenden G. usw. besonders auf die Aktivierung 
des offentlichen Musiklebens, so in England u. a. die 
Academy of Ancient Music (1710), etwas spater auch 
die den Mannergesang pflegenden -»- Catch- und 
-> Glee-Clubs und die Caecilian Society (1785). Wah- 
rend die zu dieser Zeit ins Leben gerufenen Konzert- 
reihen, z. B. die beriihmten Concerts spirituels in Pa- 
ris (1725), mehr als Institution denn als eigentliche Ges. 
zu bezeichnen sind, waren die Wiener Tonkunstler- 
Societat (1771) und die Ges. Felix Meritis in Amster- 
dam (1777) schon eher V., zumal sich die erstere auch 
sozialen Belangen widmete (Witwen- und Waisenbe- 
treuung in Musikerkreisen). Zu Beginn des 19. Jh. 
wurden besonders in deutschen Stadten G. u. V. ins 



335 



Gesellschaften und Vereine 



Leben gerufen zur Forderung des Musiklebens durch 
Griindung und Unterhaltung von groBeren Orchestern 
und Konservatorien, so die Frankfurter Museumsges. 
(1808), die Kolner Musikalische Ges. (1812, ab 1827 
Concertges.) und die Berliner Philharmonische Ges. 
(1826, begriindet von E.Rietz). Daneben sind nen- 
nenswert: die Philharmonischen G. in London (1813) 
und St. Petersburg (1802); die noch heute bestehende 
Ges. der Musikfreunde (vormals: des osterreichischen 
Kaiserstaates) inWien, die auf Anregung von I. v. Sonn- 
leithner und Fanny v. Arnstein 1812 gegriindet wurde 
und durch deren Initiative u. a. ein Konservatorium, 
das Gesellschaf tsorchester, ein Archiv und eine Musik- 
bibliothek eingerichtet wurden; die Maatschappij tot 
Bevordering der Toonkunst in Amsterdam (ab 1829); 
die Schweizerische Musik-Ges. (Luzern, ab 1808, nur 
wenige Jahrzehnte tatig) ; die Society of British Mu- 
sicians in London (ab 1834, Forderung des englischen 
Komponistennachwuchses); die »Kaiserlich Russische 
Musik-Ges.« (ab 1859). Der Allgemeine Deutsche Mu- 
sikver. wurde 1859 von Fr.Brendel und L.Kohler ge- 
legentlich des 25jahrigen Jubilaums der Neuen Zeit- 
schrift fiir Musik (NZfM), die dann lange das Organ des 
Ver.s war, begriindet. Sein Zweck war die Auff uhrung 
von bemerkenswerten neuen und selten gehorten be- 
deutenden alteren Kompositibnen, wozu alljahrlich ein 
Musikfest (Tonkiinstlerversammlung) veranstaltet wur- 
de. Neben diesen vornehmlich dem Konzertwesen die- 
nenden G. u. V.n gibt es die zahlreichen Gesang-V., 
Chor-G. und -biinde. - Mit der Entwicklung der mu- 
sikwissenschaftlichen Forschung wuchs das Bestreben, 
diese durch Griindung von G. zu fordern. 
Die wichtigsten musikwissenschaftlichen G. mit den 
von ihnen herausgegebenen -»• Zeitschrif ten sind : Ges. 
fiir Musikforschung (1868-1906), begriindet in Berlin 
von Fr. Commer und R.Eitner: Monatshefie fur Musik- 
geschichte mit Beilagen (MfM; 1869-1905), als prakti- 
sche Ausgabe die Publikation alterer praktischer und theo- 
retischer Musikwerke (PGfM; 1873-1905) mit 29 Ban- 
den. Ges. fiir Musikforschung (1946), begriindet in 
Kiel von Fr.Blume: Die Musikforschung (Mf ; 1948ff.). 
Deutsche Musikges. (1918-35), begriindet von H. 
Kretzschmar u. a. zu Berlin als Ersatz der 1914 ausein- 
andergebrochenen Internationalen Musikges. : Zeit- 
schrift fiir Musikwissenschaft (ZfMw), als praktische 
Ausgabe die Publikationen alterer Musik (PaM; 12 Jg., 
1926-43). Ges. zur Erforschung der Musik des Orients 
(1930-36), begriindet in Berlin unter Vorsitz von G. 
Schiinemann: Zeitschrift fiir vergleichende Musikwissen- 
schaft (3 Jg., 1933-35), erneut begriindet in Hamburg 
als Deutsche Ges. fiir Musik des Orients (I960): Jahr- 
buchfiir musikalische Volks- und Vblkerkunde (I, 1963). - 
G. im Ausland : Vereniging voor nederlandse Muziek- 
geschiedenis (1868): Tijdschrift der Vereeniging voor ne- 
derlandse Muziekgeschiedenis (TVer; 1882ff.), seit 1947 
Tijdschrift voor Muziekwetenschap (TMw), zuvor einige 
Jahrbucher Bouwstenen (1872, 1874, 1881). Royal Mu- 
sical Association (1874), begriindet in London auf An- 
regung von J. Stainer: Proceedings of the Musical Associa- 
tion (1874ff.), seit 1945 Proceedings of the Royal Musical 
Association. Associazione dei Musicologi Italiani (1908- 
41) , begriindet von G. -» Gasperini, neu begriindet 1 964. 
Musikvetenskapliga sallskapet i Finnland (1916), be- 
griindet von I. Krohn. Societe francaise de Musicologie 
(1917), begriindet in Paris von L. de La Laurencie: Re- 
vue de Musicologie (1922ff.), zuvor Bulletin de la Societe 
francaise de Musicologie (1917-21). Schweizerische Mu- 
sikf orschende Ges. (1919), hervorgegangen aus der In- 
ternationalen Musikges. in Basel (ursprunglich Neue 
Schweizerische Musikges.): Schweizerisches Jahrbuch 
fiir Musikwissenschaft (SJbMw; 1924-38, nicht regel- 



mafiig), seit 1934 Mitteilungen der Schweizerischen 
Musikforschenden Ges. Svenska samfundet for Musik- 
forskning(1919), begriindet zu Stockholm: Svensk Tid- 
skrift for Musikforskning (STMf; 1919ff.). American 
Musicological Society (1934), begriindet in New York 
von O.Kinkeldey u. a.: Papers of the American Musico- 
logical Society (PAMS; 1936-41), daneben das Bulletin 
of the A.M.S. (1936-A7), Journal of the American Mu- 
sicological Society (JAMS; 19488.). Norsk samfund 
for Musikkgranskning (1937), begriindet zu Oslo: 
Norsk Musikkgranskning (Jb., 1937ff.). Instituto Espafiol 
de Musicologia (1943), begriindet zu Barcelona: Anu- 
ario Musical (AM; 1946S.). Societe Beige de Musico- 
logie (1946), begriindet in Briissel von Ch. Van den 
Borren: Revue Beige de Musicologie (RBM ; 1946ff.). The 
Galpin Society (1946), begriindet speziell fiir instru- 
mentenkundliche Forschung in London von Schulern 
Fr. W. -+ Galpins: The Galpin Society Journal (1948fL). 
- Bedeutende Internationale G. : Internationale Musik- 
ges. mit einzelnen Landersektionen (1899-1914), be- 
griindet unter Vorsitz von O.Fleischer: Zeitschrift der 
Internationalen Musikges. (ZIMG), Sammelbdnde der 
Internationalen Musikges. (SIMG) und Publikationen 
der Internationalen Musikges., Beihefte (BIMG; 1899- 
1914). An ihre Stelle trat die Union Musicologique, 
begriindet 1921: Bulletin de la Societe Union Musico- 
logique (BUM; 1921-26). Eine Art Fortsetzung ist die 
Internationale Ges. fiir Musikwissenschaft (Societe 
Internationale de Musicologie), begriindet auf Anre- 
gung von H. Prunieres anlaGlich des Musikwissen- 
schaftlichen Kongresses in Wien 1927 (Sitz in Basel) : 
Mitteilungen der I. G. M. (1928-30), dann Acta Mu- 
sicologica (AMI; 1931ff.). Internationale Ges. fiir Mu- 
sikerziehung (engl. International Society for Music 
Education; 1953), begriindet inBrussel(ISME,1960ff.). 
Internationale Ges. fiir Neue Musik (IGNM; engl. 
International Society for Contemporary Music; frz. 
Societe Internationale de Musique Contemporaine ; 
ital. Societa Internazionale di Musica Contemporanea ; 
1922), begriindet in Salzburg zur Forderung des zeit- 
genossischen Musikschaffens (alljahrliche Musikfeste 
in wechselnden Orten). 

Seit Mitte des 19. Jh. gibt es G. u. V. zur Pflege bzw. 
Wiederbelebung der Werke bestimmter Komponisten, 
die sich zum Teil auch mit der Herausgabe von -»• Ge- 
samtausgaben oder -*■ Jahrbiichern, Mitteilungen usw. 
und der Veranstaltung von Konzerten, ->■ Festspielen 
und Musikfesten verdient gemacht haben. Genannt 
seien: Bach-Ges., Leipzig 1850, Neue Bach-Ges. 1900, 
Internationale Bachges., Schaffhausen 1946 (->■ Bach). 
Deutsche Handel-Ges., Hamburg 1856, Handel-Ges., 
Leipzig 1925-35 und Georg-Friedrich-Handel-Ges., 
Halle 1955 (-> Handel). Purcell Society, London 1876. 
Allgemeiner R.-Wagner-Ver., Bayreuth 1883, her- 
vorgegangen aus dem 1877 gegriindeten Bayreuther 
Patronatsver., der die Fortsetzung der Wagner-Fest- 
spiele ermoglichen sollte. Ver. Beethovenhaus, Bonn 
1889. J.-Brahms-Ges., Wien 1904 und Berlin 1906. 
Robert-Schumann-Ges., Zwickau 1920, Frankfurt am 
Main 1956. Societe Fr. Chopin, Paris 1911, Internatio- 
nale Chopin'-Ges., Wien 1952. Max-Reger-Ges., 
Leipzig 1916 (heute Reger-Institut in Bonn). Bruck- 
ner-Ges., Leipzig 1925, Internationale Bruckner-Ges., 
Wien 1929. Heinrich-Schutz-Ges., Dresden 1922, Neue 
Schutz-Ges., Kassel 1930. Dietrich-Buxtehude-Ges., 
Liibeck 1932. Deutsche Mozart-Ges., Augsburg 1951. 
Internationale R.-Strauss-Ges., Miinchen und Berlin 
1951. J.-Haydn-Institut e. V., Koln 1955. Internatio- 
nale Mahler-Ges., Wien 1955. Internationale F.-Men- 
delssohn-Ges., Basel 1958. Dvofak-Ges., Prag 1963. 
Internationale Schubert-Ges., Tubingen 1963. 



336 



Gesellschaftstanz 



Lit.: J. C. C. Oelrichs, Hist. Nachrichten v. d. akademi- 
schen Wiirden in d. Musik u. offentlichen raus. Akad. u. G., 
Bin 1752; C. F. Pohl, Die Ges. d. Musikfreunde u. ihr 
Konservatorium, Wien 1871 ; E. Albrecht, AbriB d. Ge- 
samttatigkeit d. Petersburger Philharmonischen Ges., St. 
Petersburg 1884; A. v. Bohm, Gesch. d. Singver. d. Ges. d. 
Musikfreunde in Wien, Wien 1908; E. Bernoulli, tjberd. 
Schweizerische Musikges., Kgr.-Ber. Wien 1909; N. Find- 
eisen, Gesch. d. St. Petersburger Sektion d. Kaiserlich 
Russ. Musikges. 1 859-1 909, St. Petersburg 1909; A. Seidl, 
Fs. zum 50jahrigen Bestehen d. ADMV, Bin 1911 ; M. B. 
Foster, Hist, of the Philharmonic Soc. of London, 1813- 
1912, London 1912; R. v. Perger, E. Mandyczewski u. 
R. Hirschfeld, Gesch. d. k. k. Ges. d. Musikfreunde in 
Wien 1812-1912, u. Die Slgen u. Statuten, 2 Bde, Wien 
1912; J. -G. Prod'homme, Lesinst. mus. ... en Belgiqueet 
en Hollande, S1MG XV, 1913/14; A.Dandelot, La Soc. 
des concerts du Conservatoire de 1828 a 1923, Paris 1923; 
L. Kestenberg, Jb. d. deutschen Musikorganisation, Bin 
1931 ; J. H. Railey, Hist, of the Handel and Haydn Soc. of 
Boston 1903-33, Boston 1933; H. Rutz, Fs. zum 75jahrigen 
Bestehen d. ADMV, Bin 1936; C. Lafite, Gesch. d. Ges. d. 
M usikfreunde in Wien 1 9 1 2-37, Wien 1937 ; K. Geiringer, 
The Soc. of Friends of Music, MQ XXIV, 1938; J. Erskine, 
The Philharmonic-Symphony Soc. of NY, NY 1943; H. 
Engel, Musik u. Ges., Bin u. Wunsiedel (I960); D. W. 
MacArdle, Beethoven and the Philharmonic Soc. of Lon- 
don, MR XXI, 1960. 

Gesellschaftstanz, (neulat. choreae, saltationes con- 
viviales; frz. danses du salon; engl. ballroom dances; 
ital. ballo; span, baile). Zum Unterschied vom thea- 
tralischen Tanz (dramatischer Tanz, Schautanz, Bal- 
lctt), Sakraltanz und Volkstanz ist G. die moderne Be- 
zeichnung fur alle jene Tanzformen, die der geselligen 
Unterhaltung dienen und von zwei oder mehreren 
Personen gemeinsam getanzt werden und deren Ele- 
mente von Amateuren in alterer Zeit bei Tanzmeistern, 
in jiingster Zeit in Tanzschulen erlernt werden. - Der 
G. ist an den italienischen Furstenhofen des 15. Jh. auf- 
gekommen; dort wurden auch die ersten Tanztheo- 
rien, Tanztabulaturen und -lehrbiicher verfaBt. Wah- 
rend noch bis zum Beginn des 15. Jh. die Spielleute das 
Tanzen lehrend vermittelten - an den provenzalischen 
und burgundischen Hofen des Mittelalters waren die 
Trobadors die Vortanzer gewesen -, hatten die italie- 
nischen Renaissancefiirsten bereits eigene Tanzlehrer 
(professori di ballare). Von den spatmittelalterlichen 
Tanzformen waren noch belicbt die Doppeltanze: 
Estampie oder Basse danse mit Saltarello, Pavane mit 
Galliarde, Passamezzo mit Galliarde, Courante oderCa- 
narie. Als Gruppenpaartanz pflegte man den Branle, der 
in Frankreich spater zum beherrschenden Modetanz 
wurde. Als einzigen Drehtanz mit Umarmungsstel- 
lung (bis zum spateren Walzer) tanzte man die Volte. 
Mit dem ausgehenden 16. und vollends dann im 17. 
Jh. wurde Frankreich bestimmend fiir die Formen und 
den Stil des G.es. Im 16. Jh. tritt an den franzosischen 
Hofen gegeniiber dem geselligen das representative 
Moment (Paradetanz) starker hervor. Mit der Griin- 
dung der Academie de Danse unter Ludwig XIV. zu 
Paris (1662) wird die Improvisation beim Tanz ver- 
pont. Der Tanzmeister hatte neben taglicher Unter- 
weisung im Tanzen auch bei den Hofballen die Regeln 
und die Rangfolge zu »observiren«. An der Academie 
unterrichteten allein 13 Maitres de danse. Beriihmte 
Tanzmeister ihrer Zeit waren in Frankreich Beau- 
champs - der Tanzlehrer Ludwigs XIV. -, Pecour, 
Marcel; in Spanien A. de Almeda, Esquivel Navarro 
- der Tanzlehrer Philipps IV. Wie hoch auch immer 
der Anteil regionaler, fremdlandischer und bauerlicher 
Tanze an der Entstehung und Erneuerung der hofisch- 
geselligen Tanze veranschlagt werden muB, entschei- 
dend ist die Stilisierung und Systematisierung, die sie 
innerhalb des hofischen Zeremoniells erf ahren. Die be- 



liebtesten Tanze des 17. Jh. waren in Frankreich Bour- 
ree, Gavotte, Allemande, Chaconne, Gigue, Sarabande 
und Menuett. - In Deutschland war es M.Praetorius, 
der in seiner Terpsichore (1612) atterley Frantzosische 
Dantze undLieder . . ., Wie dieselbige von den Frantzosi- 
schen Dantzmeistem in Franckreich gespielet j etc. vnnd 
vor Fiirstlichen Taffeln j auch sonsten in Convivijs zur 
recreation und ergotzung gantz wol gebraucht werden kon- 
nen, bekannt macht. Von welschen Tanzmeistern, die 
generell an deutschen Hofen das Tanzen lehrten, be- 
richtet schon 1610 Guarinonius. - Die zwanglosere 
Form des G.es wurde im 18. Jh. entwickelt (Passepied, 
Musette, Rigaudon, die englischen Contres und Ecos- 
saisen und der deutsche Landler). Wahrend im 17. Jh. 
der akademische Hoftanzlehrer nur gelegentlich auch 
dem reichen Burgertum Unterricht erteilte (Moliere, 
Le bourgeois gentilhomme, 1670), begegnen im 18. Jh. 
biirgerliche Tanzlehrer (Tanzmeisterzunft in Prag), die 
spater, nach der Franzosischen Revolution, in den 
Stadten gegen Entgelt allgemein zugangliche Tanz- 
kurse veranstalteten oder Privatunterricht erteilten, 
aber auch den biirgerlichen Soirees dansantes und den 
Tanzyeranstaltungen der Geselligkeitsvereine vorstan- 
den. Offentliche Balle wurden seit dem Beginn des 18. 
Jh. iiblich. (Seit 1716 wurden im Saal der Pariser Oper, 
spater auch in der Comedie-Francaise, wahrend der 
Wintermonate regelmaBig Balle veranstaltet.) Die 
groBe Gesellschaf t tanzte die Chaconne, den Lieblings- 
tanz Ludwigs XIV., den Branle, die Courante, die Ga- 
votte und die Loure, die dann vom Menuett verdrangt 
wurden. - Der Bal pare (ohne Masken, in festlich reich 
geschmiickter Kleidung) wurde am Hofe bei feier- 
lichen Anlassen als Bal de ceremonie veranstaltet. Der 
Ball begann, wenn sich der Konig oder der Furst und mit 
ihm die Gaste erhoben und er sich auf die Tanzflache 
begab, um mit der Konigin oder mit der ersten Prin- 
zessin den ersten Tanz - einen Branle - zu tanzen. Auf 
den Branle folgte eine Courante und eine Gavotte und 
schliefilich ein Menuett, das zunachst nur von der rang- 
hochsten Person getanzt wurde. AuBer bei dem Er- 
offnungstanz befand sich beim Bal de ceremonie stets 
nur ein Paar auf der Tanzflache. Seit dem 19. Jh. wur- 
de der Bal pare von der ranghochsten Person mit einer 
Polonaise eroffnet. - Die Tanzmusik auf Hofballen 
(wie auch bei Tafel) wurde, da sie nur niedere Fertig- 
keit erf orderte, gewohnlich nicht den koniglichen oder 
fiirstlichen Kapellisten iibertragen. 
Seit der Franzosischen Revolution verlor der G. in zu- 
nehmendem MaBe seine standische Bindung und seine 
groBen festen Formen. Er wird freier und wesentlich 
mitgetragen von der nichthofischen, biirgerlichen Ge- 
sellschaf t. Diesem nunmehr gemischten Tanzpublikum 
wurden in Deutschland z. B. die jeweils modischen 
Tanztouren alljahrlich in W.Gottlieb Beckers Taschen- 
buch zum geselligen Vergniigen (Leipzig 1791-1814) 
durch Kupfertafeln und Beschreibungen bekannt. - 
Die Lanciers, der Landler, der Galopp, der Cancan 
(auch Chahut) und schliefilich die Polka waren die be- 
liebtesten Modetanze jener. Jahrzehnte, bis schliefilich 
um die Jahrhundertmitte der Wiener Walzer vorherr- 
schend wurde. Wahrend das Volk in der 1. Halfte des 
18. Jh. noch sein Tanzvergniigen in Paris in den Vor- 
ortkneipen (Guingettes) suchen muBte, kamen gegen 
Ende des Jahrhunderts die ersten stadtischen Tanzlokale 
auf. 1768 griindete Torre in Paris nach englischem 
Vorbild das Vauxhall; 1813 wurde in Paris das erste 
Cafe chantant (Cafe Montausier) eroffnet. Um die 
Jahrhundertmitte waren die Gartenlokale groBe Mode 
(in Paris u. a. der Mabille-Garten). Gegen 1867 sind in 
Paris iiber 400 offentliche Ballokale bekannt, wenn- 
gleich die hohere Gesellschaft noch bis zur Jahrhun- 



22 



337 



Gesellschaftstanz 



dertwende den The dansant, die Soiree dansante und 
auch ihre groBen Balle exklusiv in Privathausern zu 
veranstalten bevorzugte. Die gesellschaf tsf ahigen Tanz- 
bars und Dancing-rooms kamen erst im 20. Jh. auf. - 
Zu den beliebtesten Mondantanzen zu Beginn des 20. 
Jh. gehorten der Boston, der Grizzly-bear, der Turkey- 
trott (1914 vom Vatikan abgelehnt) und vor allem 
der Tango. In Paris und Nizza wurden die ersten Tanz- 
weltmeisterschaften ausgetragen. Nach dem 1. Welt- 
krieg war der Charleston, seit 1926 der Black-bottom 
bevorzugter Modetanz. Der Jitterbug wurde Mitte der 
1940er Jahre popular. Neben diesen nordamerikani- 
schen Tanzen kamen nach dem 1. Weltkrieg auch siid- 
und mittelamerikanische Tanze in Mode: Rumba, 
Machiche, Samba. Die modernen Standardtanze der 
Tanzschulen, zum Teil auch der Tanzturniere, sind: 
Waltz, Tango, Quickstep, Slowfox, Wiener Walzer 
und die jeweiligen Modetanze wie Cha-Cha-Cha, 
Boogie, Twist. - Ein Reichsverband zur Pflege des 
G.es (RPG) wurde 1925 gegrundet; nach 1945 Deut- 
scher Verband zur Pflege des G.es, spater Deutscher 
Amateurtanzsport-Verband. 1963 hat der Allgemeine 
Deutsche Tanzlehrer- Verband das vom Internationa- 
len Rat fur G. in London beschlossene »Welttanzpro- 
gramm« befiirwortet. Es besteht aus zehn Tanzen: 
langsamer Walzer, schneller Foxtrott (Quickstep), 
Wiener Walzer, Tango, Rumba, Cha-Cha-Cha, Sam- 
ba, Paso doble, Boogie und Blues. 
Bibliogr. u. Lit.: Domenico da Piacenza, De la arte di 
ballare e danzare, 1416, Ms. ; Guglielmo Ebreo, Trattato 
dell'arte del ballo, hrsg. v. F. Zambrini, in: Scelta di curio- 
sita letterarie, Bologna 1873; Una sconosciuta compila- 
zione . . . (Trattato della danza v. Guglielmo Ebreo u. 
Dommenichino), hrsg. v. C. Mazzi, in : La Bibliofitia XVI, 
1914; A. Cornazano, II libro dell'arte del danzare, 1455, 
Ms., hrsg. v. C. Mazzi, ebenda XVII, 1915; R. Coplande, 
The Manner of Dauncynge after the Use of Fraunce and 
Other Places Translated out of Frenche in Englysshe, 
1521, NA v. F. J. Furnivall, London 1871 ; M. F. Caroso, 
II ballerino, Venedig 1581, Nachdruck Rom 1630; Th. 
Arbeau, Orchesographie, Langres 1588, NA v. L. Fonta, 
Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948, deutsche 
Ubers. im Auszug v. A. Czerwinski, Die Tanze d. XVI. Jh., 
Danzig 1878 ; H. Guarinonius, Die Grewel u. Verwiistung 
menschlichen Geschlechts, Ingolstadt 1610, S. 1194; C. 
Negri, Le gratie d'Amore, Mailand 1602; J. de Esquivel 
Navarro, Discursos sobre el arte del dancado . . . , Sevilla 
1642; J. Playford, The Engl. Dancing Master or Di- 
rections for Country Dances, London 1650, 121703, 181728 ; 
R. A. Feuillet, Chor6ographie, Paris 1699, deutsche 
Ubers. v. R. Taubert als: Rechtschaffener Tantzmeister 
Oder griindliche Erklarung d. frz. Tantzkunst, Lpz. 1717; 
Gr. Lambranzi, Neue u. curieuse theatralische Tantz- 
Schul, Niirnberg 1716, =»Deliciae theatrales«, engl. v. 
C. W. Beaumont als : New and Curious School of Theatri- 
cal Dancing, London 1 928 ; P. R ameau, Le maitre a danser, 
Paris 1725; G. Dufort, Trattato del ballo nobile, Neapel 
1 728 ; M. de Cahusac, La danse ancienne et moderne, Den 
Haag 1754; Chr. G. Hansel, Allerneueste Anweisung zur 
AuBerlichen Moral . . . , Lpz. 1 755 ; J. G. Noverre, Lettres 
sur la danse, et sur les ballets, Lyon u. Stuttgart 1760, Wien 
1767, Paris u. London 1783, NA Paris 1952, deutsche 
Ubers. v. G. E. Lessing, Hbg u. Bremen 1769; E. C Ma- 
del, Die Tanzkunst f. d. elegante Welt, Erfurt 1805; C. 
Blasis, Code complet de la danse, Paris 1830; A. Czer- 
winski, Die Tanze d. XVI. Jh. u. d. alte frz. Tanzschule 
vor Einfiihrung d. Menuett, Danzig 1878 (mit deutscher 
Ubers. v. Teilen v. Arbeaus »Orchesographie«) ; ders., 
Brevier d. Tanzkunst, Lpz. 1 879 ; Fr. M. B6hme, Gesch. d. 
Tanzes in Deutschland, 2 Bde, Lpz. 1886 (dort weitere 
Lit.); F. A. Zorn, Grammatik d. Tanzkunst, Lpz. 1887; 
M. Roseri, Katechismus d. Tanzkunst, = M. Hesse's illu- 
strierte Katechismen XLI1, Lpz. 1896; O. Bie, Der Tanz, 
Bin 1906, 31925; C. Caffin, Dancing and Dancers of To- 
day, NY 1912; C. Walker, The Modern Dances How to 
Dance Them, Chicago 1915; R. Lach, Zur Gesch. d. G. 
im 18. Jh., = Museion, Mitt. I, Wien, Prag u. Lpz. 1920; 



F. W. Loebner, Das neueTanzbrevier, Bin 1920; H. Bran- 
denburg, Der moderne Tanz, Miinchen 1921 ;H. Pollack, 
Die Revolution d. G., Dresden 1922; J. Schikowski, Der 
neue Tanz, = Kunst u. Volk, Bin (1924); F. Aeppli, Die 
wichtigsten Ausdriicke f. d. Tanzen in d. romanischen 
Sprachen, = Beih. zur Zs. f. romanische Philologie LXXV, 
Halle 1925; M. v. Boehn, Der Tanz, Bin 1925; Fr. Boh- 
me, Der Tanz d. Zukunft, Miinchen 1926; V. Silvester, 
Modern Ballroom Dancing, London 1927, erweitert 2 1935, 
deutsch als: G., Lpz. 1930; W. Schuftan, Hdb. d. Tanzes, 
Mannheim 1 928 ; C. W. Beaumont, A Bibliogr. of Dancing, 
London 1929 ; I. A. Levinson, La danse d'aujourd'hui, Pa- 
ris 1929; F. Giovannini, I balli di ieri e di oggi, Mailand 
1930; P. G. Cressey, The Taxi Dance Hall, Chicago 1932; 
E. L. Baum, Dictionary of Dance Terms, Chicago 1 932 ; C. 
Sachs, EineWeltgesch.d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 
u. London 1938, frz. Paris 1938; Fr. Fosca, Hist, des Cafes 
de Paris, Paris 1934; O. Gombosi, Der Hoftanz, AMI VII, 
1935 ; Fr. Pujol u. J. Amades, Diccionari de la dansa (dels 
instr. de miisica i sonadors), Barcelona 1 936 ; W. Bahr, Zur 
Entwicklungsgesch. d. hofischen G., Diss. Breslau 1941 ; 
Ph. J. S. Richardson, A Hist, of Engl. Ballroom Dancing 
(1910-45), London 1946; P. Nettl, The Story of Dance 
Music, NY (1947); A. Chujoy, The Dance Encyclopedia, 
NY 1949; P. Conte, La danse et ses lois, Paris 1952; A. 
Moore, G., Stuttgart 1 954 ; A. J. Waganowa, Die Grund- 
lagen d. klass. Tanzes, Bin 1954, Koln 1959; Der Tanz in d. 
modernen Ges., hrsg. v. F. Heyer, = »Soziale Wirklich- 
keit« IV, Hbg 1958; H. Gunther u. H. Schafer, Vom 
Schamanentanz zur Rumba, Stuttgart 1959; D. Bianchi, 
Un trattato inedito di Domenico da Piacenza, in: La 
Bibliofilia LXV, 1963. HOc 

Gigue (3ig, frz., iiber engl. jig von altfrz. giguer, s. v. w. 
tanzen; moglicherweise auch von altfrz. gigue, mhd. 
gige, mittelengl. gige, s. v. w. -> Geige, abgeleitet da- 
von ital. giga), ein besonders in der Instrumentalmusik 
des 17.-18. jh. weit verbreiteter Tanz, der von einem 
noch heute in Irland gebrauchlichen Tanz(-Lied) ab- 
stammt, dann jedoch in England, Frankreich, Italien 
und Deutschland Sonderentwicklungen durchlief. - 
Die -*■ Jig wurde von dem englischen Hoflautenisten 
J. Gaultier (um 1635) von London nach Paris verpflanzt 
und - grundlegend verandert - durch ihn und D. Gaul- 
tier in 2 G.-Typen einem Schulerkreis bis hin zu R. de 
Visee ubermacht. Dem ersten Typ liegt das rhythmi- 

sche Schema ( «h)| J- Al J J J I «h im 4/4-Takt zu- 

grunde, auch { J*)l J- JW- jj- 2 1 J> ; dem zweiten da- 

gegen das Schema J\aJ\aJ\a, auch in kleine- 

ren Werten («M «T3J und J^l JH) im 3/4- 6/4-, 
6/8-(3/8-)Takt. - Wahrend fur den zweiten Typ in 
der Lautenliteratur keine hochstilisierten Belege auf- 
fmdbar sind, zahlt der erste mit 1st. Beginn undhomo- 
phoner oder imitierender Fortspinnung zum festen 
Grundstock der Lautensuite (Allemande, Courante, 
Sarabande, G.). In der franzosischen Klaviersuite dage- 
gen fand gerade der zweite Typ durch Chambonnieres 




J. Ch. Chambonnieres, 
* QBuvres completes, hrsg. 
*— von P. Brunold und A. 

Tessier,Paris(1925),S.16. 

(Pieces de clavessin, 1670) und seine Nachfolger L. Cou- 
perin, d'Anglebert, Lebegue hochst subtile Auspra- 
gung durch Synkopen, Vorhalte, Ornamente, Figura- 
tion und Komplementarrhythmik; haufig sind Imi- 



338 



Gitarre 



tationen (nach 1st. Beginn) und fugierte Partien, ohne 
daE daraus, wie in Deutschland, G.-Fugen entstanden. 
Fr. Couperin, bei dem alle zu seiner Zeit gelaufigen G.- 
Typen nachweisbar sind, steht wie nach ihm Rameau 
bereits unter dem EinfluB auch der italienischen Vio- 
lingiga. Zeigte bei Chambonnieres die G. Verwandt- 
schaft mit der Courante, so f iihrte Lully eine mit dem 

fur die Canarie typischen Auf takt JW I J- versehene 
Form der G. ein (Ballette Les gardes und Les saisons, 
Amadis, Persee, Roland) und trug damit nicht wenig zu 
einer Verwirrung der Tanztypen bei, zumal bei ihm die 
Canarie generell auftaktlos erscheint. Eine franzosi- 
sche Eigehtiimlichkeit ist auch die G. en rondeau (zu- 
erst bei Lebegue 1677). 

Die italienische Giga kann einerseits von der franzosi- 
schen G. der Klaviersuite hergeleitet werden (z. B. P. 
degli Antoni, Partitura balletti e arie diverse a violino . . . 
e anco per suonare nella spinetta . . . op. 3, 1671, wo ne- 
ben der Giga im 12/8-Takt auch die G. mit punktier- 
tem 4/4-Takt erscheint und der Titel den Zusammen- 
hang zwischen Violin- und Klaviermusik andeutet), 
andererseits von den SchluBallegri der altitalienischen 
Kirchensonate bzw. Kanzone. Die Giga ist »glatt rhyth- 
misiert« (Danckert), hat sehr schnelle Tempi, typische 
Violinfiguration, bloBe BaBstiitze, in Triosatzen meist 
Terzen- und Sextenparallelen, spater lange Phrasen; 
Imitation und Volltaktigkeit erscheinen als Reste der 
ricercarartigen Kanzone. Die f ruheste bekannte Samm- 
lung stammt von Vitali (op. 4, 1668), die charakte- 
ristische Form, Vorbild fur die franzosische (J.-M. 
Leclair) und deutsche Geigerschule (J.J. Walther), von 
Corelli (op. 1-4 und 5, 1681ff.): 




6 6 

A. Corelli, Giga aus op. 4 Nr 4 (1694). 
Die Giga nach 1700 hat in Italien das Virtuosentum 
gepragt; fiir ihre zasurlose Fortspinnungs- und Se- 
quenzenmelodik ist die Charakteristik : wie der glatt- 
fortschiessende Strom-Pfeil ernes Backs, zutreffend (Mat- 
theson Capellm.). Uber die Neapolitaner (Sammartini, 
Pergolesi) fand sie als Satztyp Eingang in die Kammer- 
und Orchestermusik der Fruhklassik, wo sie (z. B. bei 
Haydn) oft als Presto den Kehraus abgibt. 
Nachdem E.Reusner die franzosische G. in die deut- 
sche Lautensuite eingefiihrt hatte, begegnet zuerst bei 
Froberger die fiir Deutschland typische Fugen-G., der 
schluBkraftige Finalsatz der Klaviersuite. Die fran- 
zosische Fugierungstechnik in der G. und das italieni- 
sche kanzonenhafte Prinzip des Kontrasts fiir die G. 
nutzend, ftigt Froberger dem nach Taktart und Rhyth- 
mus auf die franzosische Lauten-G. zuriickgehenden 
G.-Thema einen Kontrapunkt hinzu, der auch zum 2. 
Subjekt der kontrapunktischen Verarbeitung wird, 
und leitet den 2. Teil der G. mit Themaumkehrung 
ein. Damit war das Modell fiir Bachs spatere Doppel- 
fugen-G. aufgestellt. - Lullys deutsche Schiiler (Kus- 
ser 1682, Erlebach 1693, Mayr 1692, Georg Muffat 
1695/98, J. Fischer 1702) ahmten dessen Suitentyp und 
damit auch die Canarie-G. nach, wahrend osterreichi- 
sche Komponisten (J. H. Schmeltzer, Poglietti) die G. 
als wirkliches Tanzstiick komponierten und Biber, 
Muffat und Fux (Concentus, 1701, Vorrede) volkstiim- 
liche Einfachheit in der G. anstrebten. Fiir die Tradi- 
tion der Frobergerschen Klavier-G. wurde die mittel- 
und norddeutsche Schule (Reinken, Kuhnau, Liibeck, 



Bohm) maBgebend; nicht Handel, der in alien Instru- 
mentalkompositionen, so auch in den Klaviersuiten, 
die italienische G. bevorzugte, sondern J. S.Bach emp- 
fing sie hier. Er rezipierte im iibrigen alle G.-Modelle 
und fiigte sie in seine Violoncellosuiten I-VI (BWV 
1007-1012), Viohnpartiten II und III (BWV 1004 und 
1006), Klavierpartiten I, III-VI (BWV 825 und 827- 
830) und Englischen und Franzosischen Suiten (BWV 
806-817) ein; dabei gestaltete er die Fugen-G. durch 
kontrapunktische Konsequenz zu einer G.n-Fuge um, 
wie z. B. in der Franzosischen Suite Nr IV: 



, $ ^ ,. — _ — --, 




*\ h *, 








" V 




U-TZzs 




= 


= 




Wie andere Tanze erlebte auch die G. in neuerer Zeit 
eine Wiedergeburt: u. a. durch CI. Debussy (Images 1: 
G.s, 1912), J.Francaix (Sonatine 1952), Ph.Jamach 
(Quintett op. 10), Reger (V.-Solo op. 42; Vc.-Solo op. 
131c; op. 36 fiir Kl.), Schonberg (Suiten op. 25 und op. 
29), Strawinsky (Duo concertant 1932, Septett 1952/53). 
Lit.: J. Pulver, The G., Proc. Mus. Ass. XL, 1913/14; D. 
Fryklund, Etymologische Studien iiber Geige - G. - Jig, 
= Studier i modern sprakvetenskap VI, Uppsala 1917; J. 
Muller-Blattau, Grundziige einer Gesch. d. Fuge, 
= Konigsberger Studien zur Mw. I, Konigsberg 1923, 
Kassel 3 1 963 ;W. Danckert, Gesch. d.G., = Veroff.d.raw. 
Seminars d. Univ. Erlangen I, Lpz. 1924; C. Sachs, Eine 
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 
1938, frz. Paris 1938; M. Reimann, Untersuchungen zur 
Formgesch.d.frz. Klaviersuite, = KolnerBeitr.zur Musik- 
forschung III, Regensburg 1940; E. Bauer, Die Klaviersui- 
te bei J. J. Froberger, Diss. Saarbrucken 1 962. R G 

Giraffenklavier, eine Art der aufrecht stehenden 
Hammerniigel, die, auf das ->■ Clavicytherium zuriick- 
gehend, um 1745-60, danach in der 1. Halfte des 19. 
Jh. vielfach gebaut wurde. Pyramidenfliigel (im Un- 
terschied zum G. symmetrisch) sind von Del Mela 1739 
und Friederici 1745 nachgewiesen. Lyrafliigel baute 
zuerst J. C. Schleip 1824 in Berlin. - Das liegende G. 
gehort zu den Vorformen des -> Pianinos. 

Gitarre (von -> kithara, mit der jedoch sachlich kein 
Zusammenhang besteht; ital. chitarra, auch viola; 
span, guitarra, auch vihuela; frz. guiterne, guitare; 
engl. gittern, guitar), Zupf instrument mit 8formigem 
Corpus, Zargen, flachem Boden und flacher Decke, in 
die ein groBes rundes Schalloch eingelassen ist, heute 
offen, friiher mit einer Rosette verziert. Die 6 Saiten 
der modernen G. (E A d g h e 1 , notiert eine Oktave 
hoher) laufen vom Querriegel iiber den Hals mit Bun- 
den zum leicht abgeknickten Wirbelkasten ; die mo- 
derne G. hat eine Schraubenmechanik start der Wirbel. 
- Die G. ist im Abendland seit dem 13. Jh. in Spanien 
nachgewiesen (Cantigas de Santa Maria), als Guitarra 
moresca (->■ Mandora) und Guitarra latina (s. v. w. G. 
der Einheimischen). Ihre Herkunft aus dem Orient ist 
moglich, doch konnte bisher noch kein mit der G. in 
Einzelziigen verwandtes Instrument als Vorfahr nach- 
gewiesen werden. Die Guitarra latina (guitarra espano- 
la) hatte zunachst 4 Saiten und 4 Btinde, im 15. Jh. 4 
doppelchorige Saiten (verschiedene Stimmungen, u.a. 



22* 



339 



Gitarre 



cci ff aa did', FF cc ee aa) und im 16. Jh. 4 oder 5 Chore 
(u. a. Aa ddi gg hh e 1 ). Sie unterschied sich dadurch 
von der -+ Vihuela mit 5-7 Saiten. Im 18. Jh. kam eine 
6. Saite hinzu, der Bezug wurde einchorig. Die ersten 
Stiicke fur G. wurden von Mudarra und Fuenllana in 
ihren Drucken von Tabulaturen fiir Vihuela veroffent- 
licht, die erste Ausgabe nur fiir G. von J. C. Amat (1596). 
Im gleichen MaB, wie die kunstreiche Literatur fiir Vi- 
huela am Ende des 16. Jh. verfiel, bliihte die volkstiim- 
lichere fiir G. im 17. Jh. auf. Neben dem Spiel inEinzel- 
noten (span, punteado) steht nun das akkordische Spiel 
(rasgueado). Die Tabulaturen fiir G. enthalten u. a. Airs 
de cour, Romances, Seguidillas, Volkslieder und Tan- 
ze; die G. war sowohl im Volke als auch in der stadti- 
schen Gesellschaft beliebt. Die wichtigsten spanischen 
und portugiesischen Komponisten fiir G. sind Bricefio 
(1627), Velasco, Sanz, Ruiz de Ribayaz, Guerau, Abreu, 
im 19. Jh. Sor und Tarrega. In jiingster Zeit hat A. 
Segovia durch Erneuerung der Spieltechnik und des 
Repertoires (Kompositionsauftrage) die kunstlerische 
Bedeutung der G. wieder herausgestelk. 
Die italienische Literatur fiir G. im 16.-19. Jh. ist die 
reichste fiir das Instrument iiberhaupt; genannt seien 
M. de Barberiis (1549), G. Montesardo, G. A.Colonna, 
B. Sanseverino, P.Millioni, A.Trombetti, A.M.Bar- 
tolotti, A. Carbonchi. Auch zur Kammermusik wurde 
die G. herangezogen, so von Boccherini, M. Giuliani, 
Porro, Zani de Ferranti und Paganini, der auch ein 
Virtuose auf der G. war. In England hat die G. in der 
mittelalterlichen Gittern (im 13. Jh. im Ormesba Psal- 
ter abgebildet) eine Sonderform (Stiicke dafiirim Mul- 
liner Book), die im 17. Jh. durch die spanische G. ab- 
gelost wurde. In Frankreich veroffentlichten u. a. Mor- 
laye, le Roy & Ballard, Grenerin, de Visee, Desorieres, 
Medard, Vabray und Campion Tabulaturen fiir G. - 
In Deutschland scheint die G. nicht im gleichen MaBe 
beliebt gewesen zu sein. Praetorius (Synt. II, S. 53) 
nennt 1619 die Quinterna oder Chiterna mit 4 (c f a d 1 
oder f g d 1 g 1 ) oder 5 Choren, und brauchens in Italia die 
Ziarlatini vnd Salt' in banco (das sind beyn vnsfast wie die 
Comoedianten vnnd Possenreisser) nur zum schrumpen; 
Darein sie Villanellen vnd andere narrische Lumpenlieder 
singen. Es konnen abet nichts desto weniger auch andere 
feine anmuthige Cantiunculae, vnd liebliche Lieder von eim 
guten Senger vnd Musico Vocali darein musicirt werden. 
Erst nachdem die Herzogin Anna Amalia von Sachsen- 
Weimar (wahrscheinlich) 1788 eine G. aus Italien mit- 
gebracht hatte und der Geigenmacher J. A. Otto auf 
Veranlassung von J.G.Naumann G.n nachbaute, wur- 
de sie zum Modeinstrument, vor allem in Wien, wo 
neben S.Molitor und den Italienern M.Giuliani und 
Legnani auch der Bohme Matiegka zahlreiche Werke 
fiir G. veroffentlichte. - In RuBland wurde die G. um 
1800 als Saloninstrument uberaus beliebt, und eine 
Reihe von Virtuosen (Sichra, Wyssozkyj) kultivierten 
das Solospiel. - Das Spiel auf der G. (Klampfe, Zupf- 
geige) nahm in Deutschland durch die -*■ Jugendbe- 
wegung und das von ihr wachgerufene Interesse fiir 
altere Spielmusik wieder einen Aufschwung. Im Jazz 
verdrangte die G. als Begleit- (in der Rhythmusgruppe 
neben Piano, BaB und Schlagzeug) und Soloinstru- 
ment zum Teil das Banjo. Starker EinfluB auf die Single 
note-Spielweise ging von Dj. -> Reinhardt aus. Seit 
etwa 1940 wird die G. in Jazz und Unterhaltungsmusik 
elektrisch verstarkt mit Plektron gespielt. - Die G. hat 
zahlreiche Nebenformen, oft von regionaler Bedeu- 
tung, die sich in Grofie und Stimmung unterscheiden : 
Terz- und Quint-G., BaB-G. mit freien Saiten in der 
Schrammelmusik; portugiesische Machete, -»• Ukule- 
le ; Venturina, Chitarrina, Guitarrillo ; -> Lyra - G. , Gui- 
tare d'amour (-> Arpeggione). 



Lit.: J. Bermudo, Declaration de instr. mus., (Osuna) 
1555, Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, = DM1 1, 11, 1957; M. 
Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. 
v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; J. Fr. B. C. Majer, Mu- 
seum musicum (1732), hrsg. v. H. Becker, = DM1 I, 8, 
1 954 ; J. A. Otto, Ueber d. Bau u. d. Erhaltung d. Geige u. 
alter Bogeninstr., Halle 1817; Fr. W. Galpin, Old Engl. 
Instr. of Music, London 1910, 31932, "1965 hrsg. v. Th. 
Dart; J. Zuth, S. Molitor u. d. Wiener Gitarristik, Wien 
(1920); ders., Hdb. d. Lauteu. G., Wien 1926-28; B. Hen- 
ze, Die G. u. ihre Meister d. 18. u. 19. Jh., Bin 1920; A. 
Koczirz, Die Fantasien d. M. de Barberis f. d, siebensaiti- 
ge G., ZfMw IV, 1921/22; ders., Die Gitarrekompositio- 
nen in M. de Fuenllanas Orphenica lyra (1554), AfMw IV, 
1922; K. Geiringer, Der Instrumentenname »Quinterne« 
u. d. ma. Bezeichnungen d. G., Mandola u. d. Colascione, 
AfMw VI, 1924; F. Buek, Die G. u. ihre Meister, Wien 
1926, Bin 31952; S. N. Contreras, La guitarra, sus ante- 
cedentes hist, y biogr. de ejecutantes celebres, Buenos Aires 
1927; E. Pujol Villarube, La guitarra e su hist., Buenos 
Aires 1932; ders., Escuela razonada de la guitarra, 5 Bde, 
ebenda 1932-35; ders., Les ressources instr. et leur r61e 
dans la musique pour vihuela et pour guitare au XVI e et au 
XVIP s., in : La musique instr. de la Renaissance, hrsg. v. 
J. Jacquot, Paris 1955; D. Prat, Diccionario biogr., 
bibliogr.,hist.,criticodeguitarras, guitarristas . . ..Buenos 
Aires 1934; E. Schwarz-Reiflingen, La chitarra in Ger- 
mania, La chitarra 1, 1934 ; F. Andorra, La chitarra, Mai- 
land 1936; M. Giordano, Contributo alio studio della 
chitarra, Mailand 1936; B. Terzi, Dizionario dei chitar- 
risti e liutai ital., Bologna 1937; S. Bloch, Lute Music, Its 
Notation, Technical Problems in Relation to the Guitare, 
The Guitare Review IX, 1949; H. Hickmann, Ein unbe- 
kanntes Sgyptisches Saiteninstr. aus koptischer Zeit, Mf 
III, 1950; Fr. Lesure, Le guitare en France au XVI e s., 
MD IV, 1950; Ph. J. Bone, The Guitar and Mandolin, 
London 2 1954; A. P. Sharpe, The Story of the Span. Gui- 
tar, London 1954; R. Sainz de la Maza, La guitarra y su 
hist., Madrid 1 955 ; T. Usher, The Span. Guitar in the 19 th 
and 20 th Cent., The Galpin Soc. Journal IX, 1956; D. L. 
Heartz, The Elizabethan Tutor for the Guitar, ebenda 
XVI, 1963. 

Giustiniane (d3ustini'a:ne, ital.; auchJustiniane.Ve- 
neziane), scherzhaft pointierte Liebeslieder des 15.-16. 
Jh., die nach dem Begrunder dieser Gattung, dem ve- 
nezianischen Dichter L. -> Giustiniani, benannt wur- 
den. Es sind 8zeilige Gedichte in venezianisch dialekta- 
ler Farbung, im Stil des begleiteten Sololiedes. Melis- 
matische Auszierung der Oberstimme ist zum Teil in 
den Quellen iiberliefert und muB auch fiir die iibrigen 
G. (im Gegensatz zur Frottola) angenommen werden. 
Mit diesen G. des 15. Jh. haben die G. des spaten 16. Jh. 
nur die Dreistimmigkeit und die venezianische Far- 
bung des Textes gemeinsam; im iibrigen handelt es 
sich dabei um Satze von schlicht villanellenartiger 
Faktur. 

Lit. : A. Einstein, The Greghesca and the Giustiniana of 
the Sixteenth Cent., Journal of Renaissance and Baroque 
Music 1, 1946; W. H. Rubsamen, The Justiniane . . . , AMI 
XXIX, 1957. 

giusto (dj'usto, ital., richtig), verselbstandigt aus Tem- 
po g., Normaltempo, gleichbedeutend mit Tempo 
ordinario. Allegro tempo g. erscheint als Satzbezeich- 
nung noch in Oboenkonzerten E.Eichners (1764 und 
1772); g. zeigt auch (wie -» a tempo) den Wiederein- 
tritt des HauptzeitmaBes an. 

Glagolitischer Kirchengesang -> Altslawischer 
Kirchengesang. 

Glasharfe, ein von Bruno Hoffmann 1929 konstru- 
iertes und gespieltes Glasreibspiel mit senkrecht stehen- 
den Glasern. Sie ahnelt den alteren Formen der — s- Glas- 
spiele, die vor Franklins ->• Glasharmonika verbreitet 
waren. Werke fiir Gl. schrieben neben Br. Hoffmann 
u. a. H. Genzmer (Variationen fiir Gl., Fl.,Va und Vc.) 
und J. N. David (Choral und Fuge fiir Gl. solo). 



340 



glissando 



Glasharmonika (engl. und frz. glass harmonica; 
ital. armonica) im 18. und 19. Jh. einfach Harmonika 
genannt, eine Bezeichnung, die auch fur manche an- 
deren Instrumente gait, bei denen auf gestimmten fes- 
ten Korpern mehrstimmiges Spiel moglich war, z. B. 
Stahl- (Nagelgeige), Holz- (Xylophon), Steinharmo- 
nika (Lithophon) ; davon hergeleitet und auf Instru- 
mente mit schwingenden Zungen bezogen: -*■ Har- 
monika-Instrumente. Die Gl. ist ein -> Friktionsin- 
strument, dessen schwingende Teile Glasglocken, 
-stabe oder -rohren sein konnen. Zu groCter Verbrei- 
tung gelangte die Gl. in der Form, wie sie B.Franklin 
1762 in London konstruierte, indem er Glasglocken auf 
eine Achse reihte in der Anordnung eines Glasglok- 
kenkegels, der, waagerecht vor dem Spieler liegend, 
durch Pedaltritte uber Treibriemen und Schwungrad 
gedreht wird. Gespielt wird diese Gl. durch Beriih- 
rung der Fingerkuppen mit den sich drehenden, was- 
serbenetzten Glocken. Der urspriingliche Tonum- 
fang g-g 2 wurde nach 1770 von A. Schmittbaur auf 
c-c* erweitert. Die Gl. verdrangte das Verrillon (->■ Glas- 
spiele) und erlebte ihre Bliitezeit in Deutschland. Be- 
riihmte Virtuosen auf der Gl. waren J. L. Dussek und 
die blinde Marianne KirchgaBner, fur die Mozart das 
Adagio und Rondo K.-V. 617 schrieb. Auch Beetho- 
ven, J. G. Naumann, J. Fr. Tomaschek schrieben Kom- 
positionen fur die Gl. Dem Instrument, das dynami- 
scher Schattierungen fahig ist, und zwar vom leisesten 
Hauche bis zu einer merklichen Starke (KochL), fehlt je- 
der Anlaut. Der atherische Klang erinnert an ein zartes 
streichendes Orgelregister und lieB die Gl. zu einem 
bevorzugten Instrument des empfindsamen 18. Jh. 
werden. Die Vermutungen jener Zeit, daB die Glas- 
vibration in direkter innigster Weise durch die Fingerspitzen 
auf das Nervensystem (Mendel) schadigend wirke, auch 
ein langeres Anhoren des Gl.-Spiels der Gesundheit 
nicht zutraglich sei, bewegten lange die Gemiiter. Um 
die Mitte des 19. Jh. war das Instrument in Vergessen- 
heit geraten. R.Strauss verlangt es dann noch einmal 
in der Frau ohne Schatten (1919), heute jedoch iiblicher- 
weise ersetzt durch zwei »kiihl geschlagene« Vibra- 
phone (ohne »Vibrato«-Klang). - Kaum ein anderes 
Instrument hat je so die Phantasie zu Verbesserungs- 
versuchen angeregt. Mit Tasten versehen, von denen 
aus eine gepolsterte Streichvorrichtung an die Glas- 
glocken gebracht wurde, hieC die Gl. Clavier-Har- 
monica; bereits 1769 wurde der Bau eines solchen In- 
strumentes empfohlen. Hierher gehoren auch Chladnis 
Konstruktionen (-»• Clavicylinder). Kombinationen 
von Tastenharmonika und Orgelstimmen erfolgten 
1795 (Harmonicon), eine Art Orgelharmonika mit 
2 Manualen entstand 1800 (Coelestine), ein Cherubine 
Minor verband noch 1859 Glasglocken, Harfe, Kla- 
vier und Orgel zu einem Instrument. Bei all diesen 
Mechanisierungsversuchen ging freilich der feinnervi- 
ge Klangcharakter verloren. 

Lit. : C. L. Rollig, Dber d. Harmonica, Bin 1787 ; J. Chr. 
Muller, Anleitung zum Selbstunterricht auf d. Harmoni- 
ca, Lpz. 1 788 ; K. Bartl, Nachricht v. d. Harmonika u. . . . 
d. Tastenharmonika, Briinn 1799 ; C. F. Pohl, Zur Gesch. 
d. Gl., Wien 1862; Mus. Conversations-Lexikon IV, hrsg. 
v. H. Mendel, Bin 1874, Artikel Harmonica; SachsL; 
Sachs Hdb. ; W. Luthge, Die Gl., d. Instr. d. Wertherzeit, 
in: Der Bar, 1925; Br. Hoffmann, Gl. u. Glasharfe, Mu- 
sica IV, 1950; O. E. Deutsch, Neues v. d. Gl., Osterreichi- 
sche Musikzs. IX, 1954; Kx. W. Niemoller, J. A. Schmitt- 
baurs Werke . . . , Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962. 

Glasspiele (frz. verrillons; engl. musical glasses), 
-*■ Idiophone aus Glas, die durch Friktion (seltener 
durch Schlagen, z. B. die xylophonartige Glasstabhar- 
monika) zum Erklingen gebracht werden. In der ein- 
fachsten Form sind es senkrecht stehende, durch ent- 



sprechende Wasserf ullung eingestimmte diinnwandige 
Trinkglaser, die mit befeuchteten Fingerspitzen am 
oberen Rande der Glaser angerieben werden (->• Glas- 
harfe). So waren die Gl. in Europa vor Einfiihrung der 
Glasharmonika allgemein, besonders aber in England, 
bekannt. Ihr Ursprung ist vermutlich auf die im in- 
disch-persischen Mittelalter verbreiteten, mit Wasser 
abgestimmten Schalen aus Porzellan oder Ton zuriick- 
zufiihren, die aber mit Stockchen angeschlagen wur- 
den (-»• Jaltarang). Seit Fr.GafEoris Theorica musicae 
(1492) und der Erwahnung ain Instrument aus glaswerch 
im Ambraser Verzeichnis (1596) reiBt die theoretische 
und praktische Beschaftigung mit den Gl.n nicht mehr 
ab und erreicht ihren Hohepunkt in der 2. Halfte des 
18. Jh. mit der Konstruktion der ->■ Glasharmonika 
und damit verwandter Instrumente. 
Lit. : A. Ford, Instructions for Playing of the Mus. Glasses, 
London 1761 ; A. H. King, The Mus. Glasses and Glass 
Harmonica, Proc. Mus. Ass. LXXII, 1 945/46. . ^ 

Glee (gli:, engl.; von angelsachsisch gliw oder gleo, 
[musikalische] »Unterhaltung«) bezeichnet in der eng- 
lischen Musik urspriinglich (meist) dreistimmige, un- 
begleitete Chorlieder, die geselligem Zeitvertreib die- 
nen. Schon in der Mitte des 17. Jh. (z. B. in Playfords 
Select musicall Ayres, and Dialogues, 1652) findet sich 
die Bezeichnung in dieser Bedeutung, ohne Fixierung 
von Form und Besetzung. Besondere Pflege erfuhr 
das Gl. in den Manner-Clubs (u. a. Londoner GL- 
Club, 1783-1857), wodurch sich seine weitgehende Be- 
vorzugung der Mannerstimmen erklart. Als Bliitezeit 
des Gl. gelten etwa die Jahre zwischen 1750 und 1830, 
als bedeutendsterKomponist von Gl.s wird S. — »■ Webbe 
(Vater) genannt. Die haufige Gleichsetzung von Gl. 
und Madrigal ist insofern unzutreffend, als das Gl. als 
eigenstandige Chormusik des 18. Jh. durch die stilisti- 
schen Eigenheiten seiner Zeit gepragt ist, so durch 
Verzicht auf polyphone Gestaltung und eine schlichte, 
oft klar periodisierende Anlage. Noch im 18. Jh. wur- 
de die Bezeichnung Gl. auch fur instrumental beglei- 
tete Trios, Quartette und Chore verwendet, die nicht 
selten dem Opernrepertoire entnommen sind. 
Ausg.: H. R. Bishop, A Complete Collection of the Gl., 
Trios. . . and Chorusses,10Bde, London 1839.-B. Cooke, 
A Collection of Gl., Catches and Canons for 3, 4, 5 and 6 
Voices, London (1775); ders.; 9 Gl. and 2 Duets op. 5, 
London 1 795 ; W. Horsley, 6 Gl. f or 2 Trebles and a B. op. 
3, London (1 806) ; ders., A Second Collection of Gl., Ma- 
drigals, . . . op. 4, London o. J. ; ders., A Fourth Collection 
of Gl., Canons ..., London 1827; Th. Attwood, A Col- 
lection of Gl. for 3, 4, 5 and 6 Voices, London 1 827. 
Lit.: W. A. Barrett, Engl. Gl. and Part-Songs, London 
1886; Cat. of Engl. Song Books Forming a Portion of the 
Library of Sir J. Stainer, London 1 891 ; D. Baptie, Sketches 
of the Engl. Gl. Composers, London (1896). 

glissando (Abk. : gliss.), auch gliss(ic)ato, glissicando 
(ital., gleitend, von frz. glisser), das Gleiten durch ein 
groBeres Intervall, im Gesang oder auf Instrumenten 
ohne feste Tonhohen (Streichinstrumente) durch Ver- 
schleifen der einzelnen Tonstufen. Im Unterschied zum 
-> Portamento, das dem Bereich des (ausdrucksvollen) 
Vortrags angehort und das vor allem im Jazz (-»■ Tail 
gate), in der volkstiimlichen und in der Unterhaltungs- 
musik oft falschlich als gl. bezeichnet wird, ist das echte 
Gl. stets ein fester Bestandteil des vorgetragenenWerks. 
Auf dem Klavier wird gl. durch schnelles Streichen 
mit der Nagelseite der Finger liber die Ober- oder die 
Untertasten hervorgebracht. Die chromatische Tonlei- 
ter laBt sich, wie C. Tausig gezeigt hat, mit tauschender 
Wirkung mit 2 Fingern einer Hand im Gl. ausfiihren. 
Ein friihes Zeugnis fur das Sexten-Gl. begegnet bei Mo- 
zart 1778 (Klaviervariationen uber Lison dormait, K.-V. 



341 



Glocke 



264) ; Glissandi in Oktaven fordert Beethoven (Kla- 
vierkonzert C dur) und Weber (Konzertstiick op. 79), 
in Terzen und Quarten Ravel (Miroirs). Noch Mozart 
und Beethoven schrieben das Gl. in Noten aus (oft mit 
auskomponiertem Accelerando) ; seither ist die -> Ab- 
breviatur (- 7) gebrauchlich. Chromatische ein- und 
mehrstimmige Glissandi sind auf der Janko-Klaviatur 
(->■ Manual) ausfiihrbar. Das Gl. auf der Pedalharfe 
ist in alien einstellbaren Tonfolgen moglich, auch 
Doppel- und Akkord-Gl. Das Gl. auf den Pedalpauken 
fordert Bartok in seiner Musik fiir Saiteninstrumente, 
Schlagzeug und Celesta und der Sonate fur 2 Kl. und 
Schlagzeug. Gl. auf dem Orgelpedal verlangt Former 
im 1. seiner 3 Intermezzi (1962). -> strisciando. 
Glocke (aus dem keltischen + clocc, daraus mittellat. 
clocca, frz. cloche, nld. klok, russ. kolokol; als roma- 
nische Wortform ital. und span. -> campana; engl. 
bell; lat. signum, daher altfrz. sin, seing, port. sino). 
Als Musikinstrument fand die Einzel-Gl. wegen ihrer 
GroBe und ihres Gewichtes nur ausnahmsweise Ver- 
wendung (als Effektinstrument im Opernorchester des 
19. Jh.). Wo ihr Klang gefordert ist, werden heute 
Ersatzinstrumente, wie abgestimmte Stahlplatten oder 
->■ Rohren-Gl.n, verwandt. Hingegen ist die Zusam- 
menstellung mehrerer Gl.n zu einem abgestimmten 
-> Gl.n-Spiel sehr haufig anzutreffen (-»- Carillon) und 
seit dem hohen Mittelalter (-» Cymbala) belegt. - Die 
Gl. als Klang werkzeug laBt.sich bis in die Vorgeschich- 
te zuriickverfolgen; nachweisbar ist die Ton-Gl. der 
Steinzeit, die athiopische Stein-Gl., die altagyptische 
Gold- oder Silber-Gl., abgesehen von der Natur-Gl., 
bestehend aus Fruchtschalen (Kiirbis, z. B. als Rasselin- 
strument) oder als eigentliche Gl. mit Kloppel aus 
Zahn. Die Hand-Gl. gab es in China bereits gegen En- 
de des 2. Jahrtausends, die Bronze-Gl. (gegossen) im 
9. Jh. v. Chr. in Asien und im Vorderen Orient (Assy- 
ricn, Agyptcn). Diese Friihformen dienten dem Bannen 
von Damonen (Gl.n an Tieren), dem Schmuck oder der 
Magie (von Menschen getragen; griechische Antike, 
Agypten), als Zeit-Gl. (Vorderindien, bis heute in der 
Liturgie der Kopten vom Priester geschlagen, auch zur 
Markierung ritueller Hohepunkte in der romisch-ka- 
tholischen Messe), als Feuer-Gl. (in der romischen An- 
tike), als Sturm-Gl. usw. Im Abendland fand die Gl. so- 
wohl profane als auch sakrale Verwendung; das Mittel- 
alter kannte, heidnischen Vorstellungen entsprechend, 
die Wetter-Gl., die dem Unwetter wehren sollte; in 
spaterer Zeit diente sie nur noch als Signal-(Unwetter-, 
Feuer-)G1. Lange vermochte sich der profane Gebrauch 
der Gl. (auch als Gerichts-, Rats-, Bier-Gl. u. a.) neben 
der Kirchen-Gl. zu behaupten; seit dem 19. Jh. be- 
schrankt er sich im wesentlichen auf die Zeit-(Uhr-)Gl. 
Der Brauch, Gl.n mit Inschriften, Symbolen oder Zier- 
rat zu versehen, geht bis ins Altertum zuriick. - Die Ver- 
wendung der Gl. in der christlichen Kirche nahm ihren 
Ausgang von den orientalischen Klostern, verbreitete 
sich von dort nach RuBland und ins nordliche Abend- 
land, nach Irland und Schottland, und von da nach dem 
kontinentalen Europa (zunachst Frankreich und Italien) . 
Das 6. Jh. (2. Halfte) kennt bereits die Kirchen-Gl., 
aus dem 8. Jh. sind Gl.n-Weihe und »Gl.n-Taufe« be- 
kannt. Die Kloster waren im Mittelalter Pflegestatten 
des Gl.n-GieBens, hier insbesondere die Benediktiner 
(mindestens seit dem 8. Jh.). Die wichtigste Quelle ist 
eine Aufzeichnung des benediktinischen Presbyters 
Theophilus (10. Jh.) ; nach ihm nannte man die Gl.n sei- 
ner Zeit »Theophilus-Gl.n«. Bis ins 12. Jh. bestehen 
Klosterprivilegien fiir den GuB von Gl.n, die dann auf 
biirgerliche Handwerker (Wien) iibergehen, bis im 
15. Jh. mit der Erfindung des SchieBpulvers die Gl.n- 
GieBer auch fiir die Herstellung von Kanonenrohren 



in Anspruch genommen wurden und Gl.n- und Ka- 
nonengiefierei in ein und derselben Werkstatt erfolgte. 
Neben den Gl.n-Formen des Altertums (Hickmann 
nennt deren 33) war im Mittelalter (bis 12. Jh.) beson- 
ders die Bienenkorbform mit nach auBen geschweif tern 
Rand verbreitet, daneben die Zuckerhutform (beide 
dissonant); aus ihnen entstand die gotische Gl., die 
von der Bienenkorbform das Verhaltnis von Hohe 
und Durchmesser ubernahm ( 4 / 5 Rand - = Hohe) 
und von der Zuckerhutform das Verhaltnis von unte- 
rem und oberem Durchmesser (2:1). Im 13./14. Jh. 
wurden die Gl.n-Formen wesentlich vergroBert (die 
Osanna im Freiburger Miinster von 1258: unten 
1,60 m). - Der gute »Ton« der Gl. und ihr angenehmes 
Zusammenklingen hangen sowohl von dem Stoff 
(Gl.n-Speise) und seiner Bereitung wie von der Stim- 
mung ab; im allgemeinen wird Bronze verwendet 
(78-80% Kupfer + 20-22% Zinn); alsvorziiglicheMi- 
schung geben englische Meister 80% feinstes russisches 
Kupfer, 10-11% feinstes englisches Zinn, 5-6% Zink 
und 3-4% Blei an, doch ist auch mit Stahl-Gl.n gute 
Wirkung erzielt worden (im 17. Jh., zuerst in Genf, 
stellte man guBeiserne Gl.n her; im Unterschied zu 
diesem GrauguB 1852 in Bochum die GuBstahl-Gl.). 
Das Gl.n-Gelaute, die Zusammenstellung (Disposition) 
mehrerer Gl.n mit verschieden gelagerten Schlagtonen, 
kann sukzessiv erfolgen (Melodie; insbesondere bis 
zum 18. Jh.) oder simultan (Harmonie); fiir letzteres 
wird heute die pentatonische Reihe (ausschnittweise) 
bevorzugt. 

Die akustischen Eigenschaften der Gl. werden seit En- 
'de des 19. Jh. (Rayleigh) von Physikern, Gl.n-Bauern 
und Musikern untersucht. Dabei stehen zwei Besonder- 
heiten des Schwingungsablaufs im Mittelpunkt der 
Forschungen : der unharmonische spektrale Aufbau der 
Teilfrequenzen und der Schlagton. Das Spektrum ei- 
ner durch Kloppelschlag erregten Gl. besteht - wie bei 
alien mehrdimensionalen Schwingcrn - vorwiegend 
aus nicht harmonisch zur Grundschwingung liegenden 
Teilschwingungen. Die Ausbildung dieser Schwin- 
gungen ist ausschlieBlich vom Querschnitt des Gl.n- 
Mantels, der sogenannten Gl.n-Rippe, abhangig, und 
der Gl.n-GieBer ist bemiiht, moglichst harmonisch zu- 
einander stimmende Teilschwingungen im Prinzipal- 
bereich zu erhalten: Unteroktave, Prime, Terz, Quin- 
ce, Oberoktave. Diese unteren Teilschwingungen be- 
sitzen groBe -s- Intensitat und sind gegenuber den 
hoheren im Mixturbereich nur gering gedampft. Wah- 
rend alle Teilschwingungen einzeln erregt, d. h: ob- 
jektiv nachgewiesen werden konnen, entzieht sich der 
Schlagton der physikalischen Messung. Bei einigen 
Gl.n-Typen wird der Schlagton im Oktavabstand un- 
ter der 5. Teilschwingung gehort. Einige Forscher 
sehen darin eine Abhangigkeit des Schlagtons von der 
Oberoktave (Rayleigh, Griesbacher, Jones, van Heu- 
ven). Andere deuten den Schlagton als Resultante meh- 
rerer Teilschwingungen (Schaeben) und halten ihn fiir 
»imaginar« (Biehle). Gegen die Erklarung als Diffe- 
renzton von Duodezime und Oberoktave (Meyer und 
Klaes) wendet sich besonders J. Arts. Allen diesen (hy- 
pothetischen) Erklarungen stent die von Schouten 1940 
aufgcstellte Theorie der ->■ Residualtonhohe als plau- 
sibelste Deutung gegenuber. 

Lit. : Lord Rayleigh (J. W. Strutt), On Bells, Physiologi- 
cal Magazine and Journal of Science V, 29, 1890; J. J. 
Raven, The Bells of England, London 1906; K. Walter, 
Glockenkunde, Regensburg u. Rom 1913 (mit umfang- 
reicher Bibliogr.); J. Biehle, Die Analyse d. Glockenklan- 
ges, AfMw I, 1918/19; P. Griesbacher, Glockenmusik, 
Regensburg 1927; H. Lobmann, Das Gl.-Ideal, Bin 1928; 
Sachs Hdb. ; ders., Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin 
1929, Nachdruck Hilversum 1965 ; ders., The Hist, of Mus. 



342 



Gloria 



Instr., NY (1940); E. Meyer u. J. Klaes, Uber d. Schlag- 
ton v. Gl., Die Naturwiss. XXI, 1933; A. Schaeffner, 
Origine des instr. de musique, Paris 1936 ; A. T. Jones, The 
Strike Note of Bells, JASA VIII, 1936/37; J. Arts, The 
Sound of Bells, JASA XI, 1 939/40 (ders. auch in : JASA IX, 
1937/38) ; S. N. Coleman, The Book of Bells, London 1938 
(mit Bibliogr.) ; Cl. M arcel-Dtjbois, Les instr. de musique 
de l'lnde ancienne, Paris 1941 ; Chr. Mahrenholz, Glok- 
kenkunde, Kassel (1948); E. W. van Heuven, Acoustical 
Measurements on Church-Bells and Carillons, 's-Graven- 
hage 1949; C. Stuber, Akustische Untersuchungen an Gl., 
Instrumentenbau Zs. IV, 1950; H. Hickmann, Zur Gesch. 
d. altagyptischen Gl., MuK XXI, 1951 ; E. Morris, Bells 
of All Nations, London 1951 ; ders., Tintinnabula: Small 
Bells, London 1959; F. Ortiz, Los instr. de la musica 
afrocubana II, Habana 1952; (A.-P.) Paluel-Marmont, 
Cloches et carillons, Paris (1953); J. Schaeben, Die Be- 
deutung d. Materials f. d. Klangcharakteristik d. Gl., Zs. 
f. Kirchenmusik LXXIII, 1953; M. Grutzmacher, Uber 
d. Klange v. Gl. u. Org., Acustica IV, 1954; T. Ingram, 
Bells in England, London 1954; H.-P. Reinecke, Unter- 
suchungen uberd.KlangablaufeangeschlagenerGl.,AfMw 
XII, 1955 ; W. Eixerhorst, Hdb. d. Glockenkunde, bearb. 
u. hrsg. v. Gr. Klaus, Weingarten 1957; Sc. B. Parry, The 
Story of Handbells, Boston 1957; J. v. Gardner, Gl. als li- 
turgisch-mus. Instr. in d. russ. Kirche, Ostkirchliche Stu- 
dien VIII, 1958; Deutscher Glockenatlas, hrsg. v. G. 
Grundmann, I, Wurttemberg u. Hohenzollern, bearb. v. 
S.Thurm, Munchenu. Bin 1959; A. Lehr, De klokkengie- 
ters Fr. en P. Hemony, Asten 1959 (mit umfangreicher 
Bibliogr.) ; A. Weissenback u. J. Pfundner, Tonendes Erz, 
Graz u. Koln 1961; E. Arro, Hauptprobleme d. osteuro- 
paischen Mg., in: Musik d. Ostens I, Kassel 1962; J. 
Pfundner, Uber d. Schlagton d. Gl., Acustica XII, 1962. 

Glockenspiel (hollandisch beiaard, klokkenspel; frz. 
carillon; engl. chime). Im Mittelalter sind an Rahmen 
aufgehangte, in Skalen abgestimmte, mit Hammern 
zu spielende kleine Glocken (-> Cymbala) oft belegt. 
Im Spatmittelalter wurde als Ankiindigung des Stun- 
denschlags von den Tiirmen (belfried, belf ort) eine 
kleine Melodie gespielt (»Vorschlag«, hollandisch ram- 
mel) durch Anschlagen einiger (anfanglich 4, daher 
carillon von lat. quadrillionem) Glocken mit einem 
Hammer. Noch im ausgehenden Mittelalter erfolgte 
die Einfuhrung des durch Stiftwalze gespielten mecha- 
nischen Gl.s (-*- Mechanische Musikwerke) und be- 
gann deren Verwendung in den astronomischen Uhren 
(1352 erste StraBburger Mu'nsteruhr, 1405 Marienkir- 
che in Liibeck, 1419 Olmiitz, 1441 Lund in Schweden). 
BeimWalzenautomaten schlagt der Kloppel die Glocke 
auf der AuBenseite, bei dem 1510 in Audenarde erst- 
mals belegten Gl. mit einer Klaviatur von innen an. Fur 
die grofien Glocken sind nach 1600 auch Pedale ange- 
bracht. Jeder Glocke entspricht eineTaste mit Grundton- 
(nicht Schlagton-)Benennung. Die Traktur ist in alten 
Gl.en mechanisch mit einem Drahtzug, in modernen 
elektrisch oder pneumatisch. Zu einem Gl. gehoren heu- 
te mindestens 25 Glocken in chromatischer Folge; der 
Umfang ist in Europa 2-4 (C-c3), in den USA bis 6 
Oktaven. Gl.e sind besonders in Holland, Belgien und 
Nordfrankreich verbreitet und galten als horbares 
Zeichen der reichen Stadte. Beruhmte Hersteller wa- 
ren im 17. Jh. die Briider Hemony. Das Interesse an 
Gl.en wurde neu geweckt vor allem durch J. Denijn, der 
in Mecheln ab 1892 im Sommer wochentliche Gl.- 
Konzerte gab und 1922 eine Beiaardschool griindete. 
Kleinere klavierte Gl.e sind vom 17. Jh. an bekannt. Sie 
wurden als Halbregister auch in die Orgel eingebaut 
und fanden Eingang ins Orchester (Handel Saul, Mo- 
zart Zauberflote); heute sind sie ersetzt durch Lyra- 
Gl. und Celesta. 

Lit.: C. Dasypodius, Wahrhafftige AuBlegung d. astro- 
nomischen Uhrwerks zu StraBburg, StraBburg 1578; A. 
Rocca, De campanis commentarius, Rom 1612; H. Ma- 
gius, De tintinnabulis, Amsterdam 1664; E. Van der 



Straeten, Notice sur les carillons d' Audenarde, Antwer- 
pen 1855; E. Buhle, Das Gl. in d. Miniaturen d. friihen 
MA, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910; A. Loosjes, De toren- 
muziek in de Nederlanden, Amsterdam 1916; W. G. Rice, 
Carillon Music and Singing Towers of the Old World and 
the New, NY 1924, London 1926; ders., Beiaarden in de 
Nederlanden, Amsterdam 1927; P. Verheyden, Beiaarden 
in Frankrijk, Mecheln 1926; P. Griesbacher, Glocken- 
musik, Regensburg 1927 u. 1929; Fr. P. Price, The Caril- 
lon, London 1933; ders., Campanology Europe 1945-47, 
Ann Arbor 1 948 ; G. Karstadt, Spieltechnik u . Musik auf 
Turmgl., Deutsche Musikkultur III, 1938 ; A. Protz, Beitr. 
zur Gesch. d. mechanischen Musikinstr. im 16. u. 17. Jh., 
Kassel 1943; F. Timmermans, Luidklokken en beiaarden, 
Amsterdam 2 1944; P. D. Peery, Chimes and Electronic 
Carillons, NY 1948; K. Lefevre, Bells over Belgium, NY 
1949; A. L. Bioelow, Engl. Type Carillonic Bells, Sellers- 
ville 1949; J. Smits van Waesberghe SJ, Cymbala (Bells 
in the MA), = American Inst, of Musicology, Studies and 
Documents I, Rom 1951 ; J. Rottiers, Beiaarden in Belgie, 
Mecheln 1952; Fr. M. Feldhaus, Deutsche Gl., AfMwX, 
1953 ; A. Lehr, De klokkengieters Fr. en P. Hemony, Asten 
1959. 

Gloria in excelsis Deo (lat., Ehre sei Gott in der 
Hohe), der 2. Teil des Ordinarium missae in Form 
eines Lob-, Dank- und Bittgesanges, auch Hymnus 
angelicus oder (im Unterschied zur Doxologia minor, 
der Schlufiformel Gloria patri) Doxologia maior ge- 
nannt. Sein liturgischer Ort ist der Wortgottesdienst, 
in welchem es an alien Sonntagen des Kirchenjahres 
(auBerhalb des Advents, der Vorf asten- und Fastenzeit), 
an Festtagen im weiteren Sinne und an den Wochen- 
tagen der osterlichen Zeit nach dem Kyrie eleison re- 
zitiert oder gesungen wird (nahere Angaben iiber seine 
Verwendung im Novus Codex Rubricarum von 1960, 
Artikel 431^432). Gleich dem Hymnus Te decet laus 
des monastischen Offiziums und dem Te Deum zahlt 
das Gl. zu den in Anlehnung an biblische Vorbilder, 
vor allem Psalmen, entstandenen literarischen Neu- 
schopfungen (psalmi idiotici) der christlichen Antike. 
Die heutige Textgestalt hat ihren Vorlaufer in dem 
griechischen Text des Codex Alexandrinus (5. Jh.). Als 
alteste Quelle der lateinischen Fassung gilt ein Manu- 
skript der irischen Abtei Bangor (um 690; Mailand, 
Bibl. Ambrosiana, Ms. C 5 inf .) ; die endgultige Version 
uberliefert erstmals der Codex 20 der Stiftsbibl. St. 
Gallen (9. Jh.). Der Text selbst enthalt den Gesang der 
Engel in Bethlehem (nach Luc. 2, 14), hierauf folgend 
Lobpreisungen Gottes (Laudamus te ... Deus pater 
omnipotens) und einen christologischen Abschnitt (Domi- 
nefili unigenite . . . Amen). - Ursprtinglich Bestandteil des 
kirchlichen Stundengebets (Morgen- und Abendoffi- 
zium), desgleichen als feierlicher Dankgesang nach- 
weisbar, fand der Hymnus angelicus erst allmahlich 
Eingang in die romische Messe, wobei sein Gebrauch 
dem Bischof vorbehalten und auf die Mitternachts- 
messe von Weihnachten beschrankt war. Nach einer 
Notiz des Liber pontificalis (um 530) gestattete Papst 
Symmachus (498-514) das Gl. auBerdem in den Bi- 
schofsmessen der Sonntage und der Mirtyrerfeste. 
Demgegenuber wurde es den Priestern nur fiir die 
Osternacht und den Tag ihrer Primiz zugebilligt. Erst 
im ausgehenden 11. Jh. erlosch das Vorrecht der Bi- 
schofe unter dem starken EinfluB frankischer Kleriker. 
Auch begann man nunmehr, das Gl. in zahlreiche wei- 
tere Messen aufzunehmen. - Wie aus dem 1. Romi- 
schen Ordo (Ende 7. Jh.) ersichtlich ist, wurde der Gl- 
Gesang im papstlichen Stationsgottesdienst vom Pon- 
tifex, zum Volk gewandt, angestimmt (I, 53). Seine 
Weiterfiihrung war - abgesehen von einer moglichen 
Beteiligung der Gemeinde in altester Zeit - Angele- 
genheit des Totus chorus (oder Totus clerus), d. h. aller 
bei der MeBfeier im Chorraum versammelten Kleri- 



343 



Gloria 



ker (friihester Beleg: Ordo Romanus V, 24, kurz vor 
900). Ein Gleiches berichten die Quellen fiir die Kathe- 
dral- und Klosterkirchen. Der Vortrag erfolgte ge- 
schlossen durch den Gesamtchor oder im Wechsel 
zweier Chorhalften (nach Johannes de Grocheo tractim 
et ex longis et perfectis ad modum cantus coronati; vgl. The 
New Oxford History of Music II, S. 228). Haufig wurde 
auch die Orgel als alternierendes Instrument einbezo- 
gen. Bei dieser hauptsachlich im 15. und 16. Jh. verbrei- 
teten Auffiihrungsweise wechselten Orgel und Chor 
zeilenweise miteinander ab. Die Vatikanische Ausgabe 
des Graduate sieht nach der Intonation durch den Zele- 
branten (G/. in excelsis Deo) alternatim-Gesang zwi- 
schen zwei Chorhalften oder Schola und Chor vor. Im 
Zuge der liturgischen Reformbestrebungen wird eine 
aktive Teilnahme der Glaubigen auch am gregoriani- 
schen Gl.-Gesang, insbesondere nach Ordinarium XV, 
empf ohlen (Instrudio de musica sacra et sacra liturgia vom 
3. 9. 1958, Artikel 25b). - Das mittelalterliche Reper- 
toire 1st. Vertonungen des Hymnus angelicus - neuere 
Forschungen erbrachten 56 Melodien, von denen 18 
im Graduale (Editio Vaticana) enthalten sind - zeigt 
im ganzen eine relative Einheitlichkeit stilistischer 
Merkmale. In melodischer Hinsicht wesentlich durch 
Umfang und Struktur des Textes mitbestimmt, bewe- 
gcn sich die Stiicke im Rahmen einer vorwiegend syl- 
labischen Kompositionsweise. Nur selten kommt es zu 
ausgesprochen melismatischen Wendungen (Gl. Ill ad 
libitum). Dagegen bildet die Wiederholung gleicher 
oder ahnlicher Motive in verschiedenen Textzeilen 
eines der wichtigsten Kriterien. Als vermutlich alteste 
Melodie erweist sich Nr XV der Editio Vaticana (iiber- 
liefert seit dem 10. Jh.). Ihr liegt eine den Ambitus ei- 
ner Quinte (e-h, ohne f) umspannende archaische 
Psalmformel zugrunde (vgl. auch Te Deum und alt- 
spanisches Pater noster, letzteres in The New Oxford 
History of Music II, S. 82). Besonderes Interesse ver- 
dient ebenfalls Gl. I ad libitum, dessen schwer singbare 
Melodie von ungewohnlichen Intervallspriingen be- 
herrscht und bis zur Duodezime ausgeweitet wird; 
nach Ms. 366 der Fragmentensammlung des Klosters 
Einsiedeln soil es von Papst Leo IX. (1049-54) kompo- 
niert worden sein. - Seit dem 10. Jh. wurde das Gl. mit 
zahlreichen Tropen ausgestattet, die man vielfach als 
Laudes (lauda, laude) bezeichnete. Ihre letzten Auslau- 
fer reichen bis ins 14. Jh. Einige von ihnen finden sich 
in mehrstimmigen Vertonungen des Ordinarium 
missae wieder, darunter der bekannte Tropus Spiritus 
et alme orphanorum Paraclite zum Gl. der 1 . Marienmesse 
(Ordinarium IX). - Die Mailandische Liturgie ver- 
wendet 4 Melodien des Gl. seu Laus missae (vgl. Anti- 
phonale Missarum juxta ritum Sanctae Ecclesiae Medio- 
lanensis, Rom 1935). Melodie I (Tonus festivus) wurde 
auch in die Desclee-Ausgabe des Vatikanischen Gra- 
duale iibernommen (= Gl. IV ad libitum: More Am- 
brosiano). 

Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLVII, Lpz. 1905 
(Texte v. Gl.-Tropen). - 1st. Fassung d. Tropus Spiritus 
et alme orphanorum Paraclite: Graduale Sarisburiense, 
hrsg. v. W. H. Frere, London 1894, Tafel 14*. u. P. Wag- 
ner, Einfuhrung... Ill, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim 
u. Wiesbaden 1 962, S. 5 1 0. - Mehrst. Vertonungen : El codex 
mus. deLasHuelgas, hrsg. v.H. Angles, = Publicacionsdel 
Departament de musica de la Bibl. de Catalunya VI, Bar- 
celona 1931, III Nr 6 (vgl. dazu Bd I d. Ausg., S. 119ff., 
mit weiteren Quellenangaben); J. Dunstable, Complete 
Works, hrsg. v. M. F. Bukofzer, = Mus. Brit. VIII, Lon- 
don 1953, 1 9 (Gl.); Chr. Morales, Gl. d. Missa de beata 
virgine, in: Opera omnia, hrsg. v. H. Angles, = MMEsp 
XV, Rom 1954 (auch bei P. Wagner, Gesch. d. Messe, S. 
463ff.); Ein 3st. Spiritus et alme in: Ch.-E.-H. de Cousse- 
maker, Hist, de l'harmonie au moyen age, Paris 1852, 
Tafel 33. 



Lit. : Cl. Blume SJ, Der Engelhymnus Gl. in excelsis Deo, 
in: Stimmen aus Maria-Laach LXXIII, 1907; P. Wagner, 
Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 
31911 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u.Wiesbaden 1962; 
ders., Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gat- 
tungen XI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963; M. 
Andrieu, Les Ordines romani du haut moyen age II, = Spi- 
cilegium Sacrum Lovaniense. foudes et documents, Fasc. 
23, Lbwen 1948 ; W. Stapelmann, Der Hymnus Angelicus, 
Heidelberg 1948; M. Huglo OSB, La m61odie grecque du 
»G1. in excelsis Deo« et son utilisation dans le Gl. XIV, 
Rev. gregorienne XXIX, 1950; D. Bosse, Untersuchung 
einst. ma. Melodien zum Gl. in excelsis Deo, Diss. Erlan- 
gen 1 954 ; The New Oxford Hist, of M usic 1 1, London 1954, 
21955, u. Ill, 1960; Acta ApostolicaeSedisL, Rom 1958; W. 
Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958); J. A. Jung- 
mann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, Freiburg i. Br. u. 
Basel 51962. KWG 

Glosa (span., Auslegung, Erlauterung, von lat. glossa; 
griech. Y A " CCT a)» in der spanischen Musikpraxis des 
16. und friihen 17. Jh. bezogen auf die Auszierung 
eines mehrstimmigen Tonsatzes (-»• Diminution - 2) 
und auf dessen instrumentale Erweiterung und Ver- 
wandlung (->■ Variation). 

Glottis (griech.) bezeichnet den Zwischenraum zwi- 
schen den beiden Stimmlippen (manchmal werden 
auch die Stimmlippen selbst in den Begriff mit einbe- 
zogen). Die Gl. kann durch die Bewegungsmoglich- 
keiten der beiden Stellknorpel (-»■ Stimme - 2, -»• An- 
satz - 2) verschiedene Form annehmen: ein gleich- 
schenkliges, spitzwinkliges Dreieck bei ruhiger At- 
mung, ein weites Fiinfeck bei kraftvoller Einatmung. 
Bei der Phonation nahern sich die Stimmlippen ein- 
ander so weit an, daB die Gl. nur noch einen schmalen, 
spindelformigen Spalt bildet. Volliger Gl.-SchluB tritt 
ein beim Schluckakt und beim Anhalten der Luf t. Un- 
ter Gl.-Schlag versteht man das plotzliche Aufspren- 
gen eines vollen Gl.-Schlusses durch den Atem zum 
Zwecke der Phonation, wodurch der Ton mit einem 
knackenden Gerausch anlautet. Der Gl.-Schlag wird in 
der Stimmbildung vor allem wegen seiner moglichen 
schadigenden Folgen fiir den Stimmapparat vermieden. 

Gorlitz (Schlesien). 

Lit.: L. Haupt, Gesch. d. Org. in . . . St. Peter u. Paul in 
G., G. 1859; M. Gondolatsch, G.er Musikleben in ver- 
gangenen Zeiten, G. 1914; ders., Beitr. zur Mg. d. Stadt 
G., I: Die Organisten, II: Die Kantoren, in: AfMw VI, 
1924 u. VIII, 1926; ders., Der Personenkreis um d. G.er 
Convivium u. Coll. mus. im 16. u. 17. Jh., Neues Lausitzi- 
sches Magazin CXII, 1936; H. Hoffmann, Das G.er ba- 
rocke Schultheater, = Konigsberger deutsche Forschun- 
gen X, Konigsberg 1932; M. Kirchner, Das G.er Stadt- 
theater 1851-98, = Wiss. Beitr. zurGesch. u. Landeskunde 
Ost-Mitteleuropas L, Bin 1960. 

Goliarden ->■ Vaganten. 

Gong, aus Indonesien (Java) stammende onomatopoe- 
tische Bezeichnung (in Hinterindien : khong ; im eng- 
lischen Sprachgebrauch steht das Wort g. allgemein 
fiir massive, dumpf klingende Schallgerate, z. B. slit— 
g., Schlitztrommel, rock-g., Felsenlithophon) fiir ein 
metallenes, vorwiegend bronzenes Aufschlagidiophon. 
Der (seltener das) G. besteht aus einer runden Platte 
mit oder ohne Schlagbuckel, deren Rand mehr oder 
weniger tief umgebogen ist - bis zu tiefrandigen trom- 
melahnlichen Klangkesseln (Kessel-G., oft Metall- 
oder Bronzetrommel genannt). Angeschlagen wird 
der G. mit einem weichen Schlagel in der Mitte der 
Scheibe; im Unterschied zu den Glockeninstrumenten 
und den Becken befindet sich der Schwingungsscheitel 
nicht am Rand, sondern in der Mitte. Das Verbrei- 
tungsgebiet der in mannigfachen Formen vorkom- 
menden G.-Instrumente, Erzeugnisse asiatischer Hoch- 



344 



Graduale 



kulturen des 1. Jahrtausends v. Chr., erstreckt sich von 
Indien und Indonesien iiber Hinterindien bis nach Chi- 
na, Japan und Korea. Die Verwendung und Symbol- 
haftigkeit reicht von Geisterabwehr und Representa- 
tion bis zum Kult- und Signalinstrument (in letzterer 
Verwendung z. B. der europaische Tisch-G.). Im indo- 
nesischen -> Gamelan wie auch in den hinterindischen 
Orchestern bilden die verschiedenen G.-Formen eine 
Instrumentengruppe : die vertikal aufgehangten G.s 
treten einzeln oder paarweise auf , ihre Tonhohe ist nur 
annahernd fixiert, wahrend die waagerecht ruhenden 
Klangkessel der G.-Spiele Kenong, Ketuk oder -»■ Bo- 
nang zu Skalen abgestimmt sind; das chinesische G.- 
Spiel -*■ Ytin-lo hangt in einem vertikalen Rahmen. - 
Die Einfiihrung des G.s in das europSische Orchester 
erfolgte um die Wende des 18./19. Jh. unter der Be- 
zeichnung ->• Tamtam. Erst die neuere Instrumenta- 
tion begann zu unterscheiden zwischen dem groBen 
G. von unbestimmter Tonhohe (Tamtam) und den 
kleineren (abgestimmten) Formen: chinesischer (Flach-) 
undjavanischer (Buckel-)G. 

Lit. : H. Simbriger, G. u. Gongspiele, = Internationales 
Arch. f. Ethnographie XXXVI, Leiden 1939 (grundle- 
gend) ; J. Kunst, A Hypothesis about the Origin of the G., 
Ethnos XII, 1947; ders., Music in Java, 2 Bde, Den Haag 
2 1949; L. Vandermeersh, Bronze Kettledrums of South- 
east Asia, Journal of Oriental Studies III, 1 956. 

Gopak (russ.) ->■ Hopak. 

Gorgia (g'ord3a, ital., »Gurgel«) ist im 16. Jh. Termi- 
nus fur die Gesangskoloraturen, Triller und Laufe, mit 
denen die Kunstsanger vor allem Ende des 16. Jh. die 
Melodien systematisch ausschmiickten, ganz ahnlich 
wie die Organisten sie kolorierten. Gorgheggiare ist also 
gleichbedeutend mit Diminuieren (-> Diminution -2). 

Gospelsong (engl.; Gospel, Evangelium), religiose Ge- 
sangsgattung der nordamerikanischen Neger, die sich 
in Anlehnung an die -> Negro spirituals des 19. Jh. ent- 
wickelt hat. Ursprunglich entstand der G. im Gegen- 
satz zum Spiritual innerhalb des Gottesdienstes wah- 
rend der Auslegung des Evangeliums durch den Predi- 
ger aus spontanen Zurufen der Gemeinde, die ins Sin- 
gen ubergingen. Dabei ergaben sich kurze, formelhaft- 
pragnante Melodien, die - vielstimmig ausgefiihrt und 
ausgeziert - immer von neuern wiederholt wurden 
und so zu ekstatischem Singen und sogar Tanzen (holy 
dancing) der Gemeinde f iihren konnten. Die modernen 
G.s, meist komponierte Melodien in einfachen Lied- 
formen, werden ebenfalls von der Gemeinde, aber 
auch von Solisten (Mahalia Jackson) gesungen und im 
Gegensatz zum Spiritual stets von kleineren Instrumen- 
talensembles begleitet. - Seit den 1930er Jahren gelang- 
te der G. im Zusammenhang mit dem Jazz zu welt- 
weiter Verbreitung, die - wie auch bei Blues und Spi- 
ritual - gleichzeitig seine Kommerzialisierung und Ver- 
flachung durch virtuose reisende Vokalensembles und 
Solisten eingeleitet hat. In nordamerikanischen Neger- 
gemeinden jedoch erkliugt auch noch heute der mo- 
derne G. als inbriinstige oder ekstatische Gesangsgat- 
tung wahrend des Gottesdienstes. 
Lit.: G. P. Jackson, White Spirituals in the Southern Up- 
lands, Chapel Hill (N. C.) 1933; G. Chase, America's Mu- 
sic, NY 1955, frz. Paris 1957, deutsch als: Die Musik 
Amerikas, Bin u. Wunsiedel (1958); M. W. Stearns, The 
Story of Jazz, NY 1956; A. M. Dauer, Jazz-d. magische 
Musik, Bremen 1961. 

Gotha. 

Lit.: H. Hirschberg, Gesch. d. herzoglichen Hof theater 
zuCoburgu. G.,Berlin-Charlottenburg 1910; K. Schmidt, 
G. im heimatkundlichen Schrifttum, G. 1939; A. Fett, 
Mg. d. Stadt G. Von d. Anfangen bis zum Tode G. H. 
Stolzels (1749), Diss. Freiburg i. Br. 1952, maschr.; W. 



Blankenburg, Die Auffuhrungen v. Passionen u. Pas- 
sionskantaten in d. SchloBkirche auf d. Friedenstein zu G. 
zwischen 1699 u. 1770, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963. 

G. P., Abk. fur -> Generalpause. 

Graces (gj'e:siz, engl.) -> Verzierungen. 

Gradatio (lat.) -> Climax. 

Graduale (lat.), - 1) Responsorium aus dem Wort- 
gottesdienst der romischen Messe (2. Stuck des Pro- 
prium missae), unter der Bezeichnung Responsorium 
gradale erstmals im 8. Jh. in Gesangbiichern franki- 
scher Herkunft iiberliefert. Als selbstandiger Teil der 
liturgischen Handlung steht es heute nach der Epistel, 
gefolgt von Alleluia oder Tractus, wahrend es ur- 
sprunglich wahrscheinlich im AnschluB an die (friihe- 
stens zu Beginn des 6. Jh. entfallene) erste von insge- 
samt 3 Lesungen vorgetragen wurde. Das Gr. hat seine 
Wurzeln in der altchristlichen Psalmodie, die nach 
synagogalem Vorbild zwischen den Lesungen erklang 
(alteste Zeugnisse: Tertullian, De anima IX, 4, Corpus 
Christianorum II, 792; Constitutiones Apostolorum II, 57, 
6, herausgegeben von Fr.X.Funk, I, Paderborn 1905, 
S. 161). Hierbei handelte es sich um den solistischen 
Vortrag eines ganzen Psalms mit gleichbleibendem 
Kehrvers (Responsum) der Gemeinde. Die Vermutung, 
daB der responsorische Gesang im Lesegottesdienst der 
Messe zunachst ebenfalls einen vollstandigen Psalm 
unter Teilnahme des Volkes enthielt, bestatigt nach 
dem hi. Augustinus und anderen Kirchenvatern noch 
im 5. Jh. Papst Leo der GroBe (Sertno III, 1, Migne 
Patr. Lat. LIV, 145). Dagegen weisen die entsprechen- 
den Stiicke schon in den altesten liturgischen Biichern 
(8. Jh.) einen einzigen Psalmvers auf (vgl. Antiphonale 
Missamm Sextuplex, herausgegeben von R.-J. Flesbert, 
Briissel 1935). Eine Ausnahme bilden lediglich die spa- 
ter als Tractus bezeichneten Gesange De necessitatibus 
vom Quatembermittwoch der Fastenzeit, Domine ex- 
audi vom Mittwoch der Karwoche und Domine au- 
divi auditum tuum vom Karfreitag (im MeBantipho- 
nale von Blandinenberg auch das Gr. Haec dies des 
Ostersonntags ; vgl. Ant. Miss. Sext., 80). Der Grund 
fur jene Textverkiirzung - sie erfolgte in Rom ver- 
mutlich zwischen 450 und dem ersten Drittel des 7. 
Jh. - liegt nach Ansicht der Choralwissenschaft in 
der allmahlichen Ausbildung eines vorwiegend me- 
lismatischen Stils, der sich zunachst der Soloverse des 
MeBresponsoriums bemachtigte, schlieBlich aber auch 
zu einer kunstvollen Erweiterung des Kehrverses fiihr- 
te. - Wie aus den Quellen hervorgeht, fungierten im 
romischen Stationsgottesdienst ursprunglich Diakone 
als Sanger der solistisch ausgefuhrten Teile des Gr.s. 
Durch ein Verbot Gregors des GroBen (595) offenbar 
zur Angelegehheit der Subdiakone geworden, wurde 
jene Auf gabe jedoch schon bald von einem oder auch 
mehreren Sangern aus dem Kreis der Schola iiber- 
nommen und die Gemeindepartien dem Chor bzw. 
der Schola anvertraut. Zum Vortrag begaben sich die 
Cantores (Solosanger) auf den Ambo oder, romisch- 
frankischer Ordnung folgend, auf eine seiner Stufen 
(gradus: daher Gr.?). Der Gesang wurde mit dem 
Responsum (Solo) eingeleitet, wiederholt vom Chor, 
worauf der Solovers erklang und eine erneute Repe- 
tition des Responsum (Chor) den AbschluB bildcte. 
Erst im spaten Mittelalter setzte sich der Brauch, die 
2. Responsumwiederholung ganz auszulassen, durch, 
nachdem diese schon seit dem 12. Jh. entfallen war, 
wenn das betreffende MeBformular im AnschluB an 
das Gr. einen weiteren Zwischengesang (Alleluia oder 
Tractus) verzeichnete. - Fur den heutigen Gottesdienst 
ist folgende Ausfiihrung vorgesehen (Gr. Romanum: 



345 



Graduale 



De ritibus servandis in cantu Missae IV) : ein oder zwei 
Solisten beginnen mit dem Responsum, welches der 
Chor »aut saltern cantores designati« zu Ende fiihren. 
Ebenso wird der von zwei Solisten gesungene Versus 
durch den Chor abgeschlossen. Daneben darf das Gr. 
auch »iuxta ritum responsorialem« mit einer (Chor-) 
Wiederholung des Responsum schlieBen. In diesem 
Fall bleibt der Versus ganz den Solisten iiberlassen. 
Wahrend des Kirchenjahres wird das Gr. vom Sams- 
tag nach Ostern bis zum Freitag der Pfingstquatem- 
ber durch Alleluiagesang ersetzt. Auch die Oster- 
nachtsfeier enthalt kein Gr. - Innerhalb des einstim- 
migen liturgischen Repertoires genieBen die Gradua- 
lien eine hervorragende Stellung. Ihre stilistische Ei- 
genart wird wesentlich durch den Gebrauch auBerst 
kunstvoller, meist uppiger Melismen bestimmt, wobei 
sich haufig die Tendenz zeigt, den Versus durch eine 
reichere Gestaltung gegeniiber dem Responsum auszu- 
zeichnen. Im Unterschied zu den Psalmelli des mai- 
landischen Liturgiekreises lassen die Gradualien der 
romischen Uberlieferung eine betont strenge stilisti- 
sche Einheitlichkeit erkennen, die sich weitgehend aus 
der Bindung an vorgegebene Melodiemodelle erkla- 
ren durfte. Als Reprasentanten des altesten Typus gel- 
ten die Gesange A summo caelo (Sabbato Quatuor Tem- 
porum Adventus) bzw. Justus ut palma (Commune 
Confessoris non Pontificis): in ihnen blieb das Mo- 
dell einer archaisch gepragten Melodie erhalten. Das 
gregorianische Repertoire zahlt 19 Stiicke, deren Me- 
lodie diesem wohl noch auBerhalb der 8 Kirchentone 
(Modi) stehenden Typus verpflichtet' ist. Responsum 
und Versus schlieBen auf a, weshalb sie gewohnlich als 
transponierter 2. Modus angesprochen werden. Doch 
ordnen altere Theoretiker die Gesange bisweilen dem 
4. Modus mit Finalis e zu (Aurelianus Reomensis, Mu- 
sica disciplina, GS 1, 47b f . ; Alia musica, GS 1, 135a). Hin- 
sichtlich der kirchentonal, d. h. im Rahmen der 8 
Modi ausgefiihrten Gradualresponsorien bietet sich als 
Hauptmerkmal fur eine stilistische Einordnung die 
offenkundig auf den Vortrag des Solisten zugeschnit- 
tene hohere Lage der Versus. Auch in diesen - iiber- 
wiegend den authentischen Kirchentonen angehoren- 
den - (jiingeren) Stticken steht das Prinzip modellge- 
bundener Melodiegestaltung im Vordergrund. Rela- 
tiv unveranderliche Teile, vor allem greifbar in den 
Zasurmelismen, verbinden sich hier mit variativ um- 
geformten Abschnitten zu kunstvoller Einheit. (Uber 
mehrstimmige Vertonungen des Gr.s ->• Messe.) 
- 2) Seit dem 12. Jh. enthalt das als Gr. bezeichnete Cho- 
ralbuch der romischen Kirche samtliche MeBgesan- 
ge (ausgenommen die Gesange des Priesters). Seine 
jiingere Geschichte ist eng verbunden mit den schon 
bald nach dem -*■ Tridentiner Konzil einsetzenden 
Versuchen einer Choralreform. Nachdem der im Auf- 
trag Gregors XIII. von Palestrina und A.Zoilo besorg- 
ten Uberarbeitung des Gr.s (1577/78) die Drucklegung 
vorenthalten worden war, erschien 1614 mit der soge- 
nannten Editio Medicaea unter Paul V. eine 2bandige 
Privatausgabe, die - bis zum Ende des 19. Jh. in zahl- 
reichen Neuauflagen verbreitet - durch die willkiir- 
lichen Eingriffe ihrer Herausgeber F.Anerio und Fr. 
Suriano zugleich eine Periode des Niederganges ro- 
mischer Choraluberlieferung einleitete. Noch Fr.X. 
Haberls »Regensburger Ausgabe« (1871 und 1873) be- 
diente sich der Editio Medicaea als unmittelbarer Vor- 
lage. - Das heute giiltige MeBgesangbuch fur alle 
Kirchen des romischen Ritus erschien 1908 in der Va- 
tikanischen Druckerei (daher -»• Editio Vaticana, auch 
Editio typica) unter dem Titel Gr. Sacrosanctae Ro- 
manae Ecclesiae De Tempore et De Sanctis ■ . . (kurz Gr. 
Romanum ; zur Drucklegung siehe das Dekret Nr 4203 



der Ritenkongregation vom 7. 8. 1907). Es bietet die 
von Pius X. im Rahmen der kirchenmusikalischen 
Restauration veranlaBte offizielle Neufassung der gre- 
gorianischen MeBgesinge. Die Ausgabe beruht auf 
Handschriften aus dem 9. bis 12. Jh. Den Kern des Va- 
tikanischen Gr.s bilden folgende 3 Hauptteile: 1) das 
Proprium de tempore, d. h. alle an den Sonntagen 
und an den beweglichen Festen mit Ausnahme der 
Heiligenfeste wechselnden Gesange: Introitus, Gr., 
Alleluia, Tractus, Sequenz, Offertorium und Com- 
munio (die urspriingliche Vermischung von De tem- 
pore- und Heiligenfesten blieb nur zwischen Weih- 
nachten und Epiphanie erhalten); 2) das Proprium 
Sanctorum mit den veranderlichen Gesangen der an 
ein Kalenderdatum gebundenen (zumeist Heiligen-) 
Feste, ebenso des Kirchweihfestes; 3) das Commune 
Sanctorum: es umfaBt die Gesangstucke solcher Hei- 
ligenfeste, die kein eigenes MeBformular oder nur Tei- 
le daraus besitzen. Hierauf folgen Votivmessen und 
Formulare von lokal gefeierten Festen. Ein weiterer 
Abschnitt ist dem Ordinarium missae gewidmet (als 
Kyriale seu Ordinarium missae bereits 1905 erschienen). 
Er vereinigt die textlich gleichbleibenden Gesange 
Kyrie eleison, Gloria in excelsis Deo, Sanctus / Benedictus 
qui venit und Agnus Dei, desgleichen den Entlassungs- 
ruf he missa est bzw. Benedicamus Domino in 18 Zyklen 
(Festlegung durch A.Mocquereau); es folgen 6 Credo- 
Melodien. Am Ende dieses Teiles stehen verschiedene 
Ordinariumsstucke ad libitum. Nach den Gesangen 
fur Totenmesse (Missa pro defunctis) und Begrabnis- 
feierlichkeiten (Absolutio pro defunctis und Exequien) 
bringt ein besonderer Abschnitt mit dem Titel Toni 
communes Missae die Melodieformeln der rezitativi- 
schen MeBgesange (Orationen, Prophetie, Epistel 
usw.), ferner - in kirchentonaler Ordnung - die For- 
meln der Introituspsalmverse sowie Alleluiaanhange 
der osterlichen Zeit fur Introitus, Offertorium und 
Communio. Neueste Erganzungen und Anderungen 
des Rubrikenteils De ritibus servandis in cantu Missae 
finden sich in der Instructio de musica sacra et sacra li- 
turgia vom 3. 9. 1958, Art. 27a-c. 

Ausg. : zu 1) u. 2): Analecta hymnica medii aevi XLIX, 
Lpz. 1906 (Texte v. Tropen zum Gr.). Faks. ma. Quellen: 
Paleographie mus. 1/1 (St. Gallen 339, 10. Jh.), 1/4 (Ein- 
siedeln 121, 10. Jh.), 1/7-8 (Montpellier H 159, 11. Jh.), 
I/10(Laon239, 9./10. Jh.),I/ll (Chartres47, 10. Jh.), 1/13 
(Paris, Bibl. Nat. lat. 903, 11. Jh.), 1/14 (Rom, Bibl. Vat. 
10673, 11. Jh.), 1/15 (Benevent VI 34, 11./12. Jh.), So- 
lesmes seit 1889; Gr. Sarisburiense (13. Jh.), hrsg. v. W. 
H. Frere, London 1894. - Le graduel romain. Ed. cri- 
tique par les moines de Solesmes, bisher erschienen: II 
(Les sources), IV, 1 u. 2 (Le texte neumatique), Solesmes 
1957, 1960 u. 1962. - Bekanntester Nachdruck d. Editio 
typica d. Vatikanischen Gr. : d. bei Desclee (Tournai) ver- 
legte Ausg. mit d. rhythmischen Zusatzzeichen d. Monche 
v. Solesmes (letzte Auflage 1961). Eigene Ordensausgaben 
mit Sondertradition besitzen d. Zisterzienser (Westmalle 
1899), Dominikaner (Rom 1907) u. Pramonstratenser 
(Rom 1910). 

Lit.: zu 1) u. 2): R. Molitor OSB, Die Nach-Tridentini- 
sche Choral-Reform zu Rom, 2 Bde, Lpz. 1901-02; P. 
Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I, 
Lpz. 31911, u. Ill, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; C. H. Leineweber, Das Gr. Junta 1611, 
= Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg (Schweiz) 
IV, Freiburg i. d. Schweiz 1909 ; A. Gastoue, Le graduel et 
l'antiphonaire romains, Lyon 1913; L. Eisenhofer, Hdb. 
d. kath. Liturgik II, Freiburg i. Br. 1933, 21941 ; D. Dela- 
lande, Le Graduel desPrecheurs, = Bibl. d'hist. domini- 
caine II, Paris 1949; G. Birkner, Die Gesange d. Gr. 
Karlsruhe Pm 16, Diss. Freiburg i. Br. 1951, maschr. ; H. 
Hucke, Improvisation im Gregorianischen Gesang, KmJb 
XXXVIII, 1954; ders., »Gr.«, in: Ephemerides Liturgicae 
LXIX, 1955; J. Aengenvoort, Quellen u. Studien zur 
Gesch. d. Gr. Monasteriense, =K61ner Beitr. zur Musik- 



346 



Gregorianischer Gesang 



forschung IX, Regensburg 1955 (mit zahlreichen Quellen) ; 
Fr. A. Stein, Das Moosburger Gr., Diss. Freiburg i. Br. 
1956, maschr.; Br. Stablein, Artikel Gr., in: MGG V, 
1956; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington (1958); 
H. Husmann, Das Gr. v. Ediger, Fs. K. G. Fellerer, Re- 
gensburg 1962; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, 
Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962; K. Meyer-Baer, Li- 
turgical Music Incunabula. A Descriptive Cat., London 
1962; F. Haberl, Die Gradualien d. 3. Modus u. ihre mus. 
Struktur, in: Musicus - Magister, Fs. Th. Schrems, Re- 
gensburg 1963. KWG 

Granada. 

Lit.: Fr. de Paula Valladar, Apuntes para la hist, de la 
miisica en Gr., Gr. 1922; J. Lopez Calo SJ, La musica en 
lacatedral de Gr. en el s. XVI, Gr. 1964. 

Grand choeur (gra kce:r, frz.), - 1) im Barock Be- 
zeichnung fur den Tuttichor, Ripienochor, den »gro- 
Ben« oder »Capell-Chor« im Gegensatz zum schwach 
besetzten Solochor; - 2) in der Orgelmusik (auch frz. 
plein jeu; engl. full organ; ital. organo ripieno) des 
17.-18. Jh. voiles Werk (Plenum) ohne Zungenstim- 
men, spater mit Zungenstimmen, voile Klangstarke 
der Orgel ; gelegentlich bezeichnet Gr. ch. auch Haupt- 
werk (Manual I). 

Grand jeu (gra 30, frz., groBes Spiel), in der Orgel die 
Verbindung von vollbechrigen Rohrwerken wie 
Trompette und Clairon (grand orgue), auch Cromome 
(im Positif), mit Prestant, Cornet, Nasard, Tierce, vor 
1680 noch mit Montre, Bourdon und (etwas langer 
gebrauchlich) Doublette; nach 1760 tritt im Positif 
Cromome zugunsten des Clairon zurtick. Die Kla- 
viere werden gekoppelt, die Pedalbasse wie im Plein 
jeu behandelt. Das Recit wird ebenfalls cornetartig 
registriert. - Im Harmonium heiBt der das voile Werk 
zur Ansprache bringende Registerzug Gr. j. 

Grand orgue (gra:t'org, frz.; Abk. : G. O.) in der 

franzcisischen Orgel das -> Hauptwerk, auch Haupt- 
orgel (orgue concertant) im Gegensatz zur Chororgel 
(orgue de chceur). 

Grave (ital., schwer, ernst), als Tempo- und Charak- 
terbezeichnung seit dem friihen 17. Jh. (A.Brunelli, 
Ballo gr., 1616; B.Marini, Symphonia gr., 1617) fiir 
langsame Satze oder Satzteile verwendet, die dem 
Barockideal der Gravitas, des gewichtigen Ernstes, 
entsprechen. Besonders langsame Einleitungen (Intra- 
den, Entrees) werden oft als Gr. charakterisiert (B. 
Marini 1655). Brossard (1703) beschreibt das Gr. als 
»schwer, bedachtig, majestatisch und darum fast im- 
mer langsam«. Andererseits scheint, sogar in der Oper 
(A.Scarlatti, Statira, 1690), manchmal die Vorstellung 
des gebundenen Kirchenstils (stylus gravis) die Wahl 
der Bezeichnung Gr. mitbestimmt zu haben. Die Gr.- 
Satze des 18. und 19. Jh. lassen von den Teilmomenten 
der Gravitas entweder das Majestatische (Bach, Kan- 
tate BWV 182; Beethoven, op. 43) oder das schwer- 
miitige Pathos hervortreten (Beethoven, op. 13 und 
op. 135). 

Lit. : BrossardD ; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich- 
nungen, = MiinchnerVeroff. zur Mg. I.Tutzing 1959. 

Graves (lat., voces gr.), im Mittelalter die Tone des 
tiefsten -> Tetrachords. 

Gravicembalo (gravitj'embalo, ital.) ->- Cembalo. 
Graz. 

Lit.: F. Bischoff, Zur Gesch. d. Theaters in Gr. (1574- 
1775), Mitt. d. hist. Ver. f. Steiermark XL, 1892; A. Seyd- 
ler, Gesch. d. Domchors in Gr., KmJb XV, 1900; O. E. 
Deutsch, Beitr. zur Gesch. d. Gr.er Theaters 1824-25, 
Steirische Zs. f. Gesch. Ill, 1905; R. Hofer, Das Jesuiten- 
theater 1573 bis 1600, Diss. Gr. 1931, maschr.; A. Ein- 
stein, Ital. Musik u. ital. Musiker am Kaiserhof u. an d. 



erzherzoglichen Hofen in Innsbruck u. Gr., StMw XXI, 
1934; H. Federhofer, Zur Musikpnege d. Jesuiten in Gr. 
im 17. Jh., in: Aus Arch. u. Chronik XI, 1949; ders., Die 
Gr.er Stadtmusikanten u. d. privilegierte Stadtmusikan- 
tenkompanie, Zs. d. hist. Ver. f. Steiermark XLII, 1951 ; 
ders., Die Gr.er Hofmusikkapelle, in: Neue Chronik zur 
Gesch. u. Volkskunde d. innerosterreichischen Alpenlan- 
der XV, 1953 ; ders., Die Musikpnege an d. ev. Stiftskirche 
in Gr., 1570-99, Jb. d. Ges. f. d. Gesch. d. Protestantismus 
in Osterreich LXVIII/LXIX, 1953 ; ders., Die Gr.er Stadt- 
pfarrmatrikel als mg. Quelle, Zs. d. hist. Ver. f. Steiermark 
XLV, 1954; ders., Gr. Court Musicians and Their Contri- 
bution to the »Parnassus musicus Ferdinandaeus« 1615, 
MD IX, 1955; E. Krempel, Anfange d. Gr.er Konzert- 
gesch., Diss. Gr. 1950, maschr.; A. P. Walner, Gesch. d. 
Gr.er Opernhauses 1899-1938, Diss. Gr. 1955, maschr.; 
E. Eisbacher, Das Gr.er Konzertleben von 1815 bis Marz 
1839, Diss. Gr. 1956, maschr. 

Greghesca (ital.), ein im 16. Jh. in Venedig gelaufiges 
mehrstimmiges Musikstiick von variabler Form, kom- 
poniert nach Gedichten, oft volkstumlich-komischen 
Charakters, von Antonio Molino in der Lingua gr. e 
stradiotesca (der Sprache der im Dienste der Vene- 
zianischen Republik stehenden griechischen Soldner), 
einem Gemisch aus venezianischem Dialekt und neu- 
griechischen Wortern. Die Gr., in ihrer Textform 
und musikalisch der -> Villanella nahestehend, war 
offenbar vorwiegend als Zwischenaktsgesang bei Lust- 
spielen bestimmt. Die beiden einzigen bekannten 
Sammlungen von Greghesche sind : Di ManoliBlessi (A. 
Molino) il primo libro delle Greghesche, 4-8st., Venedig 
1564, mit Kompositionen von Bell'Haver, A.Gabrieli, 
Guami, Merulo, Padovano, Porta, Rore, Vento, Wert, 
Willaert u. a. ; ferner A. Gabrieli, Greghesche etjustinia- 
ne, 3st, Venedig 1571. 

Lit. : A. Einstein, The Gr. and the Giustiniana of the Six- 
teenth Cent., Journal of Renaissance and Baroque Music I, 
1946. 

Gregorianischer Gesang, im weiteren Sinne die in 
der Liturgie der romischen Kirche wurzelnden Friih- 
formen des einstimmigen lateinischen Gesangs (Ora- 
tionen, Lektionen, Antiphonen, Responsorien, Hym- 
nen, Sequenzen usw.), im engeren Sinne diejenigen 
Melodien des MeB- und Offiziumsantiphonale (= Gra- 
duale bzw. Antiphonale) , die in der r6misch-fran- 
kischen Liturgie gebraucht wurden. AuszuschlieBen 
sind hier also: die Hymnen des Offiziums, die Ge- 
sange des Ordinariums bzw. Kyriales, die Rezitationen, 
die jiingeren Offizien (wie das vom Dreifaltigkeits- 
oder vom Fronleichnamsfest). Einer bis ins 8. Jh. zu- 
riickgehenden Oberlieferung zufolge hat ->• Gregor 
der GroBe die Melodien des Offiziums (Antiphonale) 
und der Messe gesammelt. Diese traditionelle Auf- 
fassung wurde mehrfach verworfen (Gevaert 1890, 
Dom R. Van Doren 1923, Dom S. Brechter 1939), dann 
wieder als begrundet anerkannt (Dom Cagin 1890, 
Dom Morin 1890, Gastoue 1907 usw.). Die Aktivitat 
Gregors des Grofien auf dem Gebiet der Liturgie ist 
jedoch inzwischen einwandfrei erwiesen. Es ist aber 
ungewiB, ob die ersten Zeugen fiir Gregors musikali- 
sche Leistung unseren jetzigen Gr.n G. meinen oder 
aber den sogenannten altromischen oder sogar den 
»protoromischen« Gesang. - Der altromische Gesang 
ist in Rom und dessen Umgebung durch Handschrif- 
ten zwischen der Mitte des 11. und dem Ende des 13. 
Jh. nachgewiesen. Es will scheinen, dafi sich auf Grund 
einiger mittelbarer Zeugen seine Existenz bereits seit 
Ende des 8. Jh. belegen laBt. Der altromische Gesang 
unterscheidet sich vom gregorianischen durch seine 
weniger ausgewogene Architektur und seine viel we- 
niger feste Modalitat. Obwohl seine Melodien des 6f- 
teren reicher ornamentiert sind, haben sie im Grund- 
satzlichen verwandte Ziige mit den entsprechenden 



347 



Gregorianischer Gesang 



gregorianischen Melodien. Die bisher vorgeschlagenen 
Losungen seiner historischen Einordnung lassen sich in 
drei Punkte zusammenfassen: 1) der Gr. G. fiihrt zum 
altromischen Gesang; 2) der Gesang der Friihkirche 
fiihrt zum altromischen, Gregorianischen und -> Am- 
brosianischen Gesang; 3) der altromische Gesang fiihrt 
zum Gr.n G. Die 1. Losung (PaUographie musicale I, 2, 
S. 5) betrachtet den altromischen Gesang als eine Ent- 
artung des gregorianischen, entstanden in einer Nie- 
dergangszeit. Die 2. Losung sieht in dem fruhen Ge- 
sang der lateinischen Kirche die Vorform der drei 
Zweige des heute bekannten. Damit lieBe sich die 
Ahnlichkeit dieser verschiedenen Repertoires erklaren 
(W.Lipphardt). Bei der 3. Moglichkeit (der altromi- 
sche Gesang als die unmittelbare Vorform des grego- 
rianischen) sind sich die Autoren iiber den Zeitpunkt 
uneinig. Fur die einen (Dom Andoyer 1912, Bannister 
1913, J. de Valois 1957) ist der altromische Gesang das 
vorgregorianische Repertoire, aus dem Gregor den 
Gr.n G. ausgewahlt hat. Stablein zufolge hat sich diese 
Umformung erst unter dem Pontifikat Vitalians (657- 
672) vollzogen. Nach einer eher gewagten als fundier- 
ten Interpretation des Liber pontijicalis ware der altro- 
mische Gesang derjenige der Kleriker und der Schola, 
der gregorianische hingegen der Gesang der Monche 
(Smits van Waesberghe). Einer radikaleren Interpre- 
tation zufolge ist der altromische Gesang der traditio- 
nelle Gesang Roms, genau wie der altbeneventanische 
Gesang derjenige von Benevent ist (vgl. Paleographie 
musicale I, 14, S. 447ff.); der Gr. G. hingegen ware eine 
Umformung des altromischen, die sich im frankischen 
Gebiet zwischen Rhein und Loire vollzogen haben 
soil in der Zeit, in der die von den Karolingern vor- 
geschriebene romische Liturgie umgeformt wurde 
(Hucke). 

Dieser neuartige Gesang, dem man den Namen Gre- 
gors gab, soil sich ab etwa 850 iiberall durchgesetzt 
haben, abgesehen von Spanien (-»• Mozarabischer Ge- 
sang) und Mailand. Mailand soil diesem Gr.n G. mehr 
als 200 Stiicke entnommen, sie aber im Sinne der am- 
brosianischen Musik umgestaltet haben (Huglo 1956, 
S. 127ff.). Die altesten Denkmaler des Gr.n G.s sind 
die nicht neumierten Manuskripte, die nur den Text 
der Gesangsstiicke enthalten. Diese Handschriften aus 
dem spaten 8. und dem 9. Jh. gestatten einen Einblick 
in die Zusammensetzung und die Ordnung der Texte 
des Repertoires friihgregorianischer Musik (vgl. Dom 
R.-J. Hesbert, Antiphonale Missarum Sextuplex, Briissel 
1935 ; Corpus Antiphonalium Officii I— II, Rom 1963-65). 
Andere Handschriften (Tonarien) ordnen die Gesang- 
stiicke nach ihren Tonarten (Tonar von St.Riquier, 
8. Jh. ; Tonar von Metz, 9. Jh.). - Im 9. Jh. entstand ein 
vollstandiges musikalisches Notationssystem. Es um- 
faBt die einfachen und kombinierten ->• Neumen (- 1) 
oder musikalischen Akzente. Dieses in seiner Art voll- 
kommene System hat den Nachteil, daB es die GroBe 
der Intervalle nur ungenau wiedergibt, aber es legt die 
Nuancen der Bewegung und des Ausdrucks genau 
fest. Die diastematisch neumierten Handschriften hin- 
gegen helfen dem Mangel an Fixierung der Tonhohe 
ab (campo aperto-Notierung), indem sie Notenzeichen 
mit prazisen GroBenverhaltnissen fur die Intervalle 
verwenden. Diese Notation wurde von Guido von 
Arezzo vervollkommnet, dem es durch Anordnung 
der Linien im Terzabstand und durch Buchstaben- 
schliissel bzw. farbige Linien gelang, den Platz des 
Halbtons im Notensystem sichtbar zu machen. Die 
wichtigsten Choralhandschriften des Mittelalters sind 
in der Paleographie musicale (*-> Denkmaler) reprodu- 
ziert. Guidos System der Notation sollte die Ausbil- 
dung der Sanger vereinf achen. Aber es f iihrte allmahlich 



dazu, daB zahlreiche Verzierungen verschwanden, die 
in der neumatischen Notation durch besondere Zei- 
chen vermerkt waren, sowie verschiedene (irrationale) 
Intervalle der Tonleiter, besonders innerhalb des Halb- 
tonfeldes. AuBerdem ging die Fixierung der agogi- 
schen und dynamischen Nuancen verloren. Sie wur- 
den von Sanger und Chor aus dem Gedachtnis beriick- 
sichtigt. Es ist verstandlich, daB auf Grund dieser nicht 
adaquaten Notation allmahlich der Gesangsvortrag 
seinen urspriinglichen Wert verlor. Uberdies wurde 
der Niedergang noch beschleunigt durch die Kon- 
kurrenz der aufkommenden Mehrstimmigkeit. Die 
ersten in Deutschland um 1500 sowie im fruhen 16. 
Jh. in Frankreich und in anderen Landern erschienenen 
Choraldrucke (-»• Notendruck) enthalten die tradi- 
tionelle Liniennotierung : Hufnagelnotation (gotische 
Choralnotenschrift) in Deutschland, Quadratnotation 
(romische Choralnotenschrift) in den anderen Lan- 
dern. Aber im Verlauf des 16. Jh., vornehmlichjedoch 
im 17. Jh., loste sich in den Choraldrucken das traditio- 
nelle Notationssystem auf; Form und Anordnung der 
Noten wurden nicht mehr eingehalten. AuBerdem 
nahmen Anerio und Suriano in der beriihmt gewor- 
denen ->■ Editio Medicaea (1614-15) willkurliche 
Veranderungen der Melodien vor; sie lieBen Melismen 
ausfallen oder versetzten sie. Der Editio Medicaea 
folgten bis zum Ende des 19. Jh. viele Neuauflagen. 
Das Niveau der gedruckten Gesangbucher des 18. und 
19. Jh. zeigt eindringlich den Niedergang des Gr.n G.s. 
Die traditionelle Vortragsweise war schon seit langem 
verlassen. Der Gesang hatte nunmehr einen abgerisse- 
nen, gekiinstelten und rhythmisch starren Charakter. 
Die Restauration der romischen Liturgie nahm ihren 
Ausgang von Frankreich. Ihr Inaugurator ist Dom 
-> Gueranger. Er veranlaBte Neuausgaben des Gra- 
duales und des Antiphonales im AnschluB an die mittel- 
alterlichen Handschriften. Die Neuausgaben erschie- 
nen erst nach seinem Tode (1883 und 1891). Auch un- 
terwies er seine Schiiler in einem leichten, natiirlichen 
und ungekiinstelten Gesangsstil, wobei der freizugige, 
rhythmische Vortrag wesentlich sein sollte. Diese 
Praxis wurde methodisch gefestigt und theoretisch 
formuliert durch Arbeiten von Gontier (1859) und 
Dom J.Pothier (1880), der die Theorie des oratori- 
schen Rhythmus darlegte; ihm folgte Dom L.David 
(f 1955) und die Pariser Schola cantorum (heute C- 
Franck-Schule) ; eine ausfiihrliche Darlegung der 
Theorie des freien musikalischen Rhythmus bot Dom 
A.Mocquereau (1908-27). Mehreren bis in die Gegen- 
wart hinein vertretenen Lehrmeinungen zufolge ist 
der Gr. G. nach einem f esdiegenden MaB und nicht in 
einem freien Rhythmus vorzutragen. Die Theorien ei- 
nes mensuralen Vortrags kamen erst im spaten 19. Jh. 
auf (Dechevrens 1895 und 1904; Houdard 1897L; Mgr. 
Foucault 1903; Dom Ferretti 1913; Dom -»■ Jean- 
nin 1926-30; gegenwartig E. Jammers, J.W.A.Vol- 
laerts u. a.). Diese Theorien weichen voneinander ab, 
und oft erscheinen Transkriptionen eines gregoriani- 
schen Stiickes, die vollig verschieden mensuriert sind. 
Die Autoren stiitzen sich auf Schriften mittelalterlicher 
Theoretiker oder iibertragen die prosodische Quanti- 
tat des Textes auf die Melodie, oder sie deuten gewisse 
Zeichen und Buchstaben der Neumenschrift als Kenn- 
zeichnung der Tondauer. - In der heutigen Praxis 
singen die meisten Chore nach freiem Rhythmus. Die 
offizielle melodische Version ist die der -*■ Editio Va- 
ticana. Pius X. inaugurierte die Restauration der ka- 
tholischen Kirchenmusik. Er berief eine Kommission 
ein (geleitet von Dom Pothier) und betraute sie mit der 
Vorbereitung der offiziellen Neufassung. 1908 er- 
schien das Graduate Romanutn, 1912 das Antiphonale 



348 



Gregorianischer Gesang 



Rotnanum (weitere Editionen: Kyriale seu Ordinarium 
missae, 1905; Officium mortuorum, 1909; Officium hebdo- 
madis sanctae, 1923). Dieser offiziellen Fassung fiigen 
verschiedene Ausgaben noch rhythmische Zeichen 
hinzu (z. B. die Ausgaben von Solesmes: Antiphonale 
Monasticum, 1934; Graduate Romanum, 1937/38). Der 
Restaurationsphase, deren unmittelbares Ziel prakti- 
scher Art war, folgt gegenwartig eine Phase wissen- 
schaftlicher Forschung, die sich in kritischen Ausgaben 
liturgischer Gesangbiicher widerspiegelt. Wie die 
Liturgiekonstitution (1963) des 2. Vatikanischen Kon- 
zils ausfiihrt, sieht die Kirche im Cantus gregorianus 
»den der romischen Liturgie eigenen Gesang« (Artikel 
116). Gleichzeitig jedoch gestattet sie andere Arten 
der Kirchenmusik, darunter vor allem die vokale 
Mehrstimmigkeit, und empfiehlt mit besonderem 
Nachdruck eine Pflege des religiosen Volksgesangs. - 
Die Modalitat des Gr.n G.s laBt sich auf zwei Aiten 
studieren : durch Analyse des kritisch durchgesehenen 
Repertoires und durch das Studium mittelalterlicher 
Autoren, die seit dem 9. Jh. die traditionelle Theorie 
der 8 -> Kirchentone dargelegt haben. - In ihrer Me- 
lodik sind viele gregorianische Stiicke auf den Um- 
fang eines Hexachords beschrankt. Andere Melodien 
sprengen diese Grenzen, begeben sich in weitere Be- 
reiche des Kirchentons und wechseln ihn sogar. Diese 
Beweglichkeit modaler Melodien macht den gre- 
gorianischen Choral abwechslungsreich. Es erscheint 
heute sonderbar, daB zahlreiche Stiicke, die auf eine 
derartige Beweglichkeit hin angelegt sind, im 10. Jh. 
als irregular abgewertet wurden. Einige Theoretiker 
haben sie sogar dementsprechend uberarbeitet, unter 
dem Gesichtspunkt, dafi die Einheit des Kirchentons 
normativ sein miisse. Dieses Einheitsprinzip allein 
schien ihnen dem Geist gregorianischer Melodien an- 
gemessen. In diesem Sinne iiberarbeiteten die Zister- 
zienser zwischen 1134 und 1147/48 systematisch zahl- 
reiche Stiicke ihres Repertoires. Unter dem Ordens- 
general Humbertus de Romanis Ubernahmen die Do- 
minikaner 1256 einen betrachtlichen Teil der von den 
Zisterziensern bearbeiteten Stiicke. Aus der Reihe terri- 
torialer Eigentraditionen des Gr.n G.s sei der -> Sarum 
use genannt. 

Im 9. Jh. wurden neue Psalmtone hinzugewonnen. 
Einige von ihnen, z. B. der spater sogenannte -> To- 
nus peregrinus, sind vermutlich sehr alt. Jedoch reichen 
ihre Wurzeln nicht in den Bereich der friihgregoriani- 
schen Musik zuriick. Gleichzeitig wurden die 8 Psalm- 
formeln der Responsorien in der Vesper durch reich- 
haltiger verzierte und sorgf altig strukturierte Melodie- 
typen ersetzt. Schon im 9. Jh. begegnen auf einer der 
letzten Silben im abschlieBenden Responsorium der 
Nokturnen lange textlose Melismen. Amalar von 
Metz nennt sie neuma (Studi e testi CXL, S. 54ff .). Bald 
versah man diese mit einem Text (prosula; -* Pro- 
sa) : auf eine Note kommt eine Silbe (syllabische Tex- 
tierung). Diese Technik der Interpolation laBt sich 
auch in den Mefigesangen beobachten, vor allem im 
Alleluia. Der »endlosen alleluiatischen Melodie« gibt 
man eine »Prosa«, auch hier mit syllabischer Textie- 
rung. Solche Prosatechnik wurde fur Notker Balbulus 
in seiner um 860-887 entstandenen Sequenzensamm- 
lung, dem Liber Ymnorum, mustergiiltig. 
Andere Teile des Gr.n G.s, besonders die des Ordi- 
narium missae, werden mit musikalisch-literarischen 
Interpolationen (Tropen) versehen. In —*■ Tropus und 
->■ Sequenz (- 1) werden allmahlich neue musikalische 
Vorgange erkennbar, wie »kaudale« Melismen, harmo- 
nischer Gang und groBe Intervalle (Septime, Oktave), 
die im Gr.n G. vorher nicht iiblich waren. - Eine an- 
dere, erstmals im 9. Jh. greifbare Erscheinung, eben- 



falls im Gr.n G. wurzelnd, sollte einen gleichgroBen 
Erfolg haben: das -*■ Organum und spater der -> Dis- 
cantus. Die Geschichte der Mehrstimmigkeit spiegelt 
eine fortschreitende Loslosung vom gregorianischen 
Melos wider und fiihrte in der Neuzeit zum Zerfall 
des kirchentonalen (modalen) Systems. 
Ausg.: Paleographie mus. Les principaux mss.de chant 
gregorien . . . , publies . . . par les Benedictins de Solesmes, 
Solesmes seit 1 889 ; C. Weinmann, Hymnarium Parisiense. 
Das Hymnar d. Zisterzienser-Abtei Pairis, = Veroff. d. 
Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz II, Re- 
gensburg 1 904 ; Le graduel de I'eglise cathedrale de Rouen 
au XIII e s., Faks. hrsg. v. H. Loriquet, J. Pothier OSB u. 
A. CoiXETTE, Rouen 1907; Monumenti vaticani di paleo- 
grafia mus. lat., 2 Bde, hrsg. v. H. M. Bannister, = Codi- 
ces vaticani selecti phototypice expressi XII, Lpz. 1913; 
Das Graduate d. St. Thomaskirche zu Lpz., Faks. hrsg. v. 
P. Wagner, 2 Bde, = PaM V u. VII, Lpz. 1930-32; Die 
Gesange d. Jakobusliturgie zu Santiago de Compostela, 
hrsg. v. dems., = Collectanea Friburgensia XXIX (N. F. 
XX), Freiburg i. d. Schweiz 1931; Monumenta musicae 
sacrae, hrsg. v. R.-J. Hesbert OSB, Macon seit 1952; Mo- 
numenta Monodica Medii Aevi, hrsg. v. Br. Stablein, 
Kassel seit 1956; Le graduel romain. Ed. critique par les 
moines de Solesmes, Solesmes seit 1957; W. Lipphardt, 
Der karolingische Tonar v. Metz, = Liturgiewiss. Quellen 
u. Forschungen XLIII, Munsteri. W. 1965. 
Lit. zu d. Quellen: M. Pellechet, Notes sur les livres litur- 
giques des dioceses d'Autun, Chalon et Macon, Paris u. 
Autun 1883; F. E. Warren, The Leofric Missal, Oxford 
1883; J. F. Riano, Critical and Bibliogr. Notes on Early 
Span. Music, London 1887; H. Ehrensberoer, Bibl. li- 
turgica mss., Karlsruhe 1889 (liturgische Hss. v. Karls- 
ruhe); ders., Libri liturgici Bibl. Apostolicae Vaticanae, 
Freiburg i. Br. 1897; A. Ebner, Quellen u. Forschungen 
zur Gesch. u. Kunstgesch. d. Missale Romanum im MA. 
Iter Italicum, Freiburg i. Br. 1896; C. Daux u. Ch. More- 
lot, Deux livres choraux monastiques, Paris 1899; W. H. 
Frere, Bibl. musico-liturgica, London 1901 ; A. Gastou£, 
Un rituel note de la province de Milan . . ., Rassegna gre- 
goriana II, 1903 ; M. Sablayrolles OSB, Iter Hispanicum, 
SIMGXIII,1911/12; Monuments de la notation ekphone- 
tique et neumatique de I'eglise lat. Expose documentaire 
des mss. de Corbie, St-Germain-des-Pres et de Pologne, 
consents a la Bibl. Imperiale de St-Petersbourg, hrsg. 
v. J.-B. Thibaut, St. Petersburg 1912; P. Ferretti OSB, 
I mss. gregoriani dell'Arch. di Monte Cassino, Casinen- 
sia I, 1929; H. Wilson, The Gregorian Sacramentary • • • . 
= Publications of the H. Bradshaw Soc. XLIX, Lon- 
don 1915; P. Wagner, Ein bedeutsamer Fund zur Neu- 
mengesch., AfMw I, 1918/19; V. Leroquais, Les sacra- 
mentaires et les missels mss. des bibl. publiques de France, 
3 Bde, Paris 1924; ders., Les breviaires mss. des bibl. 
publiques de France, 6 Teile, Paris 1934; ders., Les 
psautiers mss. lat. des bibl. publiques de France, 3 Bde, 
Macon 1940-41 (mehrere Hymnare); K. Hain, Ein mus. 
Palimpsest,c.= Veroff. d. gregorianischen Akad. zu Frei- 
burg i. d. Schweiz XII, Freiburg i. d. Schweiz 1925; U. Lin- 
delof, Rituale Ecclesiae Dunelmensis. The Durham Col- 
lector, = Surtees Soc. CXL, London 1927; A. Dold OSB, 
Neuentdeckte Bruchstiicke neumierter liturgischer Hss. 
..., Gregorius-Blatt LIII, 1929; ders., Die Zurcher u. 
Peterlinger Messbuch-Fragmente, in : Texte u. Arbeiten d. 
Erzabtei Beuron XXV, 1934; ders., Ein neues Winithar- 
Fragment mit liturgischem Text, ebenda XXXI, 1940; 
ders., Gesch. eines karolingischen Plenarmissales ..., 
Archivalische Zs. XLVI, 1950; A. Schroder, Bruchstiick 
eines MeBantiphonars ..., Arch. f. d. Gesch. d. Hoch- 
stifts Augsburg VI, 1929; B. Ebel OSB, Das alteste ale- 
mannische Hymnar mit Noten, Kodex 366 (472) Einsie- 
deln, = Veroff. d. gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. 
Schweiz XVII, Einsiedeln (1931); E.Omlin OSB, Die St.- 
Gallischen Tonarbuchstaben, ebenda XVIII, Regensburg 
1934; J. Handschin, The Two Winchester Tropers, The 
Journal of Theological Studies XXXVII, 1936 ; ders., Eine 
alte Neumenschrif t, AMI XXII, 1 950 ; L. de La Laurencie 
u. A. Gastou£, Cat. des livres de musique de la Bibl. de 
l'Arsenal a Paris, = Publications de la Soc. frc. de musico- 
logie II, 7, Paris 1936; Cat. mus. de la Bibl. Nacional de 
Madrid I, hrsg. v. H. Angles u. J. Subira, Barcelona 1 946 ; 



349 



Gregorianischer Gesang 



H. Sidler OMCap, Ein kostbarer Zeuge d. deutschen 
Choraliiberlieferung, KmJb XXXIV, 1950; P. Siffrin 
OSB, Eine Schwesterhs. d. Graduate v. Monza: Reste zu 
Bin, Cleveland u. Trier, Ephemerides liturgicae LXIV, 
1950; Tr6sor des bibl. d'ltalie, Paris, Bibl. Nat., 1950; M. 
Huolo OSB, Die Adventsgesange nach d. Fragmenten 
v. Lucca (8. Jh.), KmJb XXXV, 1951 ; ders., Un tonaire 
. . . du VIII e s., Rev. gregorienne XXX, 1952; ders., Le 
chant »vieux-romain«. Liste d. mss. et temoins indirects, 
in : Sacris erudiri VI, 1954; ders. in : Fonti e paleografia del 
canto ambrosiano, = Arch. Ambrosiano VII, Mailand 
1956 ; G. Vecchi, Atlante paleografico mus., Bologna 1951 ; 
E. Jammers, Die Essener Neumenhss. d. Landes- u. Stadt- 
bibl. Dusseldorf, Ratingen 1952;Tafeln zurNeumenschrift, 
hrsg. v. dems., Tutzing 1965; R.-J. Hesbert OSB, Un cu- 
rieux antiphonaire palimpseste de l'office, Rev. benedictine 
LXIV, 1954; W. Lipphardt, Ein Quedlinburger Antipho- 
nar d. 11. Jh., KmJb XXXVIII, 1954; B. Moragas, Con- 
tenido y procedencia del himnario de Huesca, in: Scripta 
et Documenta VII, Liturgica I, Montserrat 1956 ; J. Chail- 
ley, Les anciens tropaires et sequentiaires de l'Ecole de St- 
Martial de Limoges, Etudes grdgoriennes II, 1957; C. 
Marcora, II messale di Civate, in: G. B. Bognetti, L'ab- 
bazia benedettina di Civate, Civate 1957; J. Hourlier 
OSB, Le breviaire de St-Taurin, Etudes grdgoriennes III, 
1958 ; J. A. Emerson, The Recovery of the Wolffheim Anti- 
phonal, Ann. Mus. VI, 1958 - XI, 1963; L. Gherardi, II 
codice Angelica 1 23, in : Quadrivium III, 1 959; J. Leclercq 
OSB, Un missal note de Montieramey, in: Scriptorium 
XIII, 1959; H. Husmann, Das Graduate v. Ediger. Eine 
neue Quelled, rheinischen Augustinerliturgie, Fs. K. G. Fel- 
lerer, Regensburg 1962; ders., Tropen- u. Sequenzenhss., 
= RISM B V 1, Munchen u. Duisburg (1964); Kx. Gam- 
ber, Codices liturgici lat. antiquiores, = Spicilegii Fri- 
burgensis Subsidia I, Freiburg i. d. Schweiz 1963; La no- 
tation mus. des chants liturgiques lat., prdsentee par les 
moines de Solesmes, Paris (1963). 

Lit. zu allgemeinen Fragen : M. Gerbert OSB, De cantu et 
musica sacra, 2 Bde, St. Blasien 1774; J. L. d'Ortigue, 
Dictionnaire liturgique, hist, et theorique de plain chant 
et de musique d'dglise, Paris 1 853, 2 1 860 ; A. Gontier, Me- 
thode raisonnee de plain-chant, Paris u. Le Mans 1859; J. 
Pothier OSB, Les irtelodies gregoriennes d'apres la tra- 
dition, Tournai 1880, 31890, deutsch 1881 ; P. Cagin OSB, 
Un mot sur l'Antiphonale Missarum, Solesmes 1890; Fr. 
A. Gevaert, Les origines du chant liturgique de l'eglise lat., 
Gent 1890, deutsch v. H. Riemann, Lpz. 1891; ders., La 
melopee antique dans le chant de l'eglise lat. , Gent 1 895/96; 
G. Morin OSB, Les veritables origines du chant gregorien, 
Maredsous 1890; Rev. du chant gregorien, seit 1892; A. 
Dechevrens SJ, Du rythme dans l'hymnographie lat., Pa- 
ris 1895; ders., Le rythme gregorien, Annecy 1904; O. 
Fleischer, Neumenstudien, I— II Lpz. 1895-97, III Bin 1 904; 
P. Wagner, Einfuhrung in d. gregorianischen Melodien, 
3 Bde, I Freiburg i. d. Schweiz 1895, Lpz. 31911, II Lpz. 
1 905, 2 1 9 1 2, III Lpz. 1 92 1 , Nachdruck Hildesheim u. Wies- 
baden 1962; ders., Einfuhrung in d. kath. Kirchenmusik, 
Dusseldorf 1919 ; G. Houdard, L'art dit gregorien d'apres 
la notation neumatique, Paris 1897; ders., Le rythme du 
chant dit gregorien . . . , Paris 1 898 ; R. Molitor OSB, Die 
Nach-Tridentinische Choral-Reform zu Rom, 2 Bde, Lpz. 
1901-02; Rassegna gregoriana, seit 1902; Mgr. Fou- 
cault, Le rythme du chant gregorien, Paris 1903; A. 
Gastoue, Cours theorique et pratique de chant gregorien, 
Paris 1904; ders., Les origines du chant romain, Paris 
1907 ; ders., L'art gregorien, Paris 191 1 ; ders., Le graduel 
et l'antiphonaire romains. Hist, et description, Lyon 1913; 
D. Johner OSB, Neue Schule d. gregorianischen Choral- 
gesangs, Regensburg 1906, 7 1937 als: GroBe Choralschule, 
81956 hrsg. v. M. PfaffOSB als: Choralschule, gekiirzt als: 
Kleine Choralschule 1910, 3 1932; ders., Wort u. Ton im 
Choral, Lpz. 1940, 21952; A. Mocquereau OSB, Le 
nombre mus. gregorien, 2 Bde, Rom u. Tournai 1908-27; 
H. Netzer, L'introduction de la messe romaine en France, 
Paris 1910; J. Gmelch, Die Vierteltonstufen im MeBtona- 
le v. Montpellier, = Veroff. d. gregorianischen Akad. zu 
Freiburg i. d. Schweiz VI, Eichstatt 1911; Rev. gregorienne, 
seit 1 9 1 1 ; R. Andoyer, Le chant romain anterieur au gre- 
gorien, Rev. du chant gregorien XX, 1912; P. Ferretti 
OSB, II cursus metrico e il ritmo delle melodie gregoriane, 
Rom 1913; ders., Estetica gregoriana I, Rom 1934, frz. v. 



A. Agaesse, Tournai 1938; WolfN; L. David OSB, Me- 
thode pratique du chant gregorien, Lyon 1922; R. Van 
Doren OSB, Etude sur l'influence mus. de l'abbaye de St. 
Gall du VHP au XI* s., Lowen 1923; Gr. Sunyol OSB, 
Introduccio a la paleografia mus. gregoriana, Montserrat 
1925, erweitert frz. Paris 1935; H. Angles, La musica a 
Catalunya fins al s. XIII, = Publications del.Departa- 
ment de musica de la Bibl. de Catalunya X, Barcelona 1935; 
K. G. Fellerer, Der gregorianische Choral im Wandel d. 
Jahrhunderte, Regensburg 1936; ders., Deutsche Grego- 
rianik im Frankenreich, = Kolner Beitr. zur Mw. V, eben- 
da 1941 ; ders., Der gregorianische Choral, Dortmund 
1951 ; ders., Zur Choralbewegung im 19. Jh., KmJb XLI, 
1957; J. Smits van Waesberghe SJ, Muziekgeschiedenis 
der Middeleeuwen, 2 Teile, Tilburg 1936-39 u. 1939^7; 
ders., Die Tradition d. »Altromischen« u. d. Gregoriani- 
schen Chorals, Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Das gegen- 
wartige Geschichtsbild d. ma. Musik, KmJb XLVI, 1962 - 
XLIX, 1965; E. Jammers, Der gregorianische Rhythmus, 
= Slg mw. Abh. XXV, StraBburg 1937; ders., Der ma. 
Choral, =Neue Studien zur Mw. II, Mainz (1954); ders., 
Musik in Byzanz, im papstl. Rom u. im Frankenreich, 
= Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., phil.-hist. Klas- 
se 1962, Nr 1 ; L. Kunz OSB, Aus d. Formenwelt d. gre- 
gorianischen Chorals, 4 H., Miinster i. W. 1946-50; H. 
Potiron, L'analyse modale du chant grdgorien, Tour- 
nai 1948; W. v. den Steinen, Notker d. Dichter, 2 Bde, 
Bern 1948 (kleine Ausg. d. Ed.-Bd, hrsg. v. G. Birkner, 
Bern u. Munchen 1960); D. Delalande, Vers la version au- 
thentique du graduel gregorien: le Graduel des Precheurs, 
Paris 1949; J. Chailley, Hist. mus. du moyen age, Paris 
1950; ders., La musique medievale, = Les grands mu- 
siciens I, Paris (1951); ders., L'ecole mus. de St-Martial 
. . ., Paris 1960; Br. Stablein, Zur Fruhgesch. d. rdmi- 
schen Chorals, Atti del Congresso di Musica Sacra 
Rom 1950; S. R. Marosszeki OCist, Les origines du chant 
cistercien, = Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis VIII, 
Rom 1952; Etudes gregoriennes, seit 1954; H. Hucke, Gr. 
G. in altromischer u. frankischer Uberlieferung, AfMw 
XII, 1955; W. Lipphardt, Uber Alter u. Ursprung d. 
deutschen Choraldialekts, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie II, 
1956; J. de Valois, Art. Gregorien, in : Larousse de la Mu- 
sique, Paris (1957); W. Apel, Gregorian Chant, Bloom- 
ington (1958); J. W. A. Vollaerts SJ, Rhythmic Pro- 
portions in Early Medieval Ecclesiastical Chant, Leiden 
1958, 21960; G. Murray OSB, The Authentic Rhythm of 
Gregorian Chant, Bath 1959; E. Werner, The Sacred 
Bridge, London u. NY 1959; S. Corbin, L'eglise a la 
conquete de sa musique, Paris 1960; L. Agustoni, Ele- 
menti di canto gregoriano, Padua 1959, deutsch Freiburg 
i. Br., Basel u. Wien (1963); E. Cardine OSB, Le chant 
gregorien, est-il mesure?, Etudes gregoriennes VI, 1963. 

MH 
Greiz. 

Lit.: W. Querfeld, Kultur- u. Vereinsleben in d. Stadt 
Gr. wahrend d. 19. Jh., = Beitr. zur ma., neuen u. allge- 
meinen Gesch. XXVII, Jena 1957; H. R. Jung, Gesch. d. 
Musiklebens d. Stadt Gr. I: Von d. Anfangen bis zum 
Stadtbrand 1802, = Schriften d. Heimatmuseums Gr. IV, 
Gr. 1963. 

Grenoble. 

Lit. : G. Helbig, La tres curieuse hist, du grand orgue de 
Saint-Louis de Gr., RM XI, 1930; L. Royer, Les mu- 
siciens et la musique a l'ancienne collegiate Saint-Andre 
Gr. du XV e au XVIII C s., Paris 1939; Ch. J. Biard, L'orgue 
de la collegiate et la paroisse Saint- Andre de Gr. , Gr. 1950. 

Griechenland. 

Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, 
Athen): 30 melodies populaires de Grece . . ., hrsg. v. L. 
Bourgault-Ducoudray, Paris 1876; M61odies popu- 
laires grecques de Pile de Chio, hrsg. v. H. Pernot, Paris 
1903 ; (260) AT)ua>8r| fe>.^r|viKd Janata, hrsg. v. G. Pachti- 
kos, 1 905; Anua)8r| Janata Eicupoo, hrsg. v. K. A. Psachos, 
2 Bde, 1910-1 1 ; (66) AnucbSri Q.a\iaxa ropTovia?, hrsg. v. 
dems., 1923; (50)Ar|u(b8ri Janata nsXo>rovvf|(Tou icai Kpf|- 
ttig, hrsg. v. dems., 1930; (66) TpaYoo8ia xi\<; Pouue>.tk, 
hrsg. v. M. Merlier, 1931; 'H 'EXAr|viKf| 8nuii)8r|? uoo- 
CTiKf|, hrsg. v. G. Lambelet, 1933; TpayoOSia rtSv Aco8e- 
Kavf|CT<ov, hrsg. v. S. Baud-Bovy, 2 Bde, 1935-38; 50 



350 



Griechische Musik 



EXXnvucol xopof. hrsg. v. K. Sakellariou, 1940; Moo- 
aiK& keIuevci StiuotikoSv Tpayou8ifi>v tfjc; OpaKnc;, hrsg. 
v. P. Kabakopoulos u. a., 1956. 

Lit. : T. Synadinos, 'Iaxopia trie. VEOEXAriviKfii; uooaucfjc; 
1 824-1 9 1 9, Athen 1 9 1 9 ; S. Mich aelides, The Neohellenic 
Folk-Music, Limassol 1948; Thr. G. Georgiades, Der 
griech. Rhythmus, Hbg 1949; Kgr.-Ber. Musiche popolari 
raediterranee Palermo 1 954, Palermo(1959);S.BAUD-BovY, 
Etudes sur la chanson cleftique, Athen 1958 ; ders., La sy- 
stematisation des chansons populaires, Studia musicologi- 
ca VII, 1965; S. Motzenigos, NEOEXXnvucri uoucnxin, 
Athenl958; D.Mazaraki, T6 Xcuko KX-apivo atriv 'EU4- 
8a, Athen 1959; M. Merlier, La chanson populaire 
grecque, AMI XXXII, 1960; P. Tzermias, Die volkstum- 
liche Musik Gr., Zurich u. Stuttgart 1962; N. Slonimsky, 
New Music in Greece, MQ LI, 1965. 

Griechische Musik. Von der altgriechischen Musik 
laBt sich ein zutreffendes Bild nicht gewinnen ohne 
Kenntnis der grundsatzlichen Schwierigkeiten, vor 
die sich der Forscher gestellt sieht. Die Musik selbst ist 
verschollen. (Die iiberlieferten musikalischen Auf- 
zeichnungen bilden keine ausreichende Grundlage f iir 
die Rekonstruktion der Musik.) Vom Rhythmus ab- 
gesehen, der durch die Verse festgelegt ist, gibt es im 
wesentlichen nur indirekte Quellen : literarische Zeug- 
nisse (Hinweise von Dichtern und Schriftstellern), Mu- 
siktheorie und bildliche Darstellungen. Aus diesen 
Quellen kann aber die altgriechische Musik in ihrer 
Gesamtheit nicht mehr rekonstruiert werden. 
Am Anfang der Uberlieferung, zur Zeit der homeri- 
schen Epen, gab es weder das Wort »Musik« noch 
einen anderen aquivalenten Ausdruck. Die Sprache 
enthielt zwar eine Reihe musikalischer Bezeichnun- 
gen, z. B. fiir »singen« (aeiSeiv), »singen und tanzen« 
(uiX7reiv), »au{ der Kitharis spielen« (xi&api^eiv), auch 
geht aus den zahlreichen Musenanrufungen hervor, 
daB Singen und Sagen eine gottliche, von den Mu- 
sen verliehene Gabe war, aber es fehlte eine zusam- 
menfassende Bezeichnung. In der Friihzeit hingen 
Vers, Musik und Tanz aufs engste zusammen. Es 
scheint, daB der epische Hexameter rhythmisch vom 
Reigen her zu verstehen ist. Die Verbindung mit dem 
Tanz war noch bedeutsamer fiir die Chorlyrik und die 
Chorlieder des Dramas (y_op°? bedeutet »Reigen«). 
Allerdings haben die Rhapsoden in der nachhomeri- 
schen Zeit die homerischen Verse, ahnlich spater die 
Schauspieler die Dramenverse, nur rezitiert. - In den 
homerischen Gedichten werden mehrere Arten von 
Gesangen erwahnt: Trairjow (paieon, -»■ Paan) als 
Dankgesang an Apollon, Xivoc; (->• Linos) als Winzer- 
lied, S-prjvo? (-> Threnos) als Klagegesang. Unter den 
Musikinstrumenten werden die Zupfinstrumente 
->• Phorminx und Kitharis (->■ Kithara) am haufig- 
sten genannt, seltener -> Aulos, -> Syrinx und -*■ Sal- 
pinx. Uber die auBere Beschaffenheit der Instrumente 
geben die altesten bildlichen Darstellungen AufschluB. 
- Im ionischen, aolischen und dorischen Sprachbereich 
entstand im 7. Jh. eine zumal durch die Vielfalt der 
Versrhythmen und durch die menschliche Haltung vom 
Epos verschiedene Verskunst, fiir die seit der Spatan- 
tike die Bezeichnung »Lyrik« (von Lyra) gebrauch- 
lich ist. Doch wurden die Verse nicht ausschlieBlich 
zur -> Lyra (- 1) gesungen, sondern auch zu Phorminx, 
Kithara sowie zum Aulos, den ein sagenhafter Phry- 
gier, Olympos, aus Kleinasien mitgebracht haben soil. 
Mit dem Aulos kam ein neues, ekstatisches Moment 
in die Gr. M., das die Haltung zumal des -*■ Dithy- 
rambos (eine Gattung der Chorlyrik) bestimmte, aber 
auch auf die gesamte Lyrik einwirkte. Die Auseinan- 
dersetzung zwischen der Lyra- und der Aulosmusik 
wurde in einem Mythos als Wettkampf zwischen 
Apollon und Marsyas, dem Lehrer des Olympos, dar- 



gestellt, aus dem Apollon als Sieger hervorging. - So- 
listisch vorgetragen wurden die in Ionien entstande- 
nen Formen der -*■ Elegie und des Iambos, deren groBter 
Meister Archilochos von Paros war. Das monodische 
Lied (uiXo£, -> Melos) erreichte bei den Aolern auf 
Lesbos (Sappho, Alkaios) seinen Hohepunkt. Beruhmt 
war. auch der ionische Lyriker Anakreon. Die wohl aus 
Sparta stammende und sich spater weit ausbreitende 
dorische Lyrik hingegen wurde von einer tanzenden 
Gruppe, dem »Chor«, vorgetragen, begleitet von Leier 
oder Aulos oder von beiden zusammen. Bedeutende 
Chorlyriker waren Alkman, Stesichoros, Simonides, 
Bakchylides und vor allem Pindar. Eine als Lyriker 
kaum noch faBbare bedeutende Musikerpersonlich- 
keit war Terpandros, der die Zahl der Saiten auf 7 er- 
hoht und mehrere »Nomoi« eingefiihrt haben soil; 
-*■ Nomos bedeutet »Gesetz« und bezeichnet hier eine 
Art Melodietypen, wie sie ahnlich auch heute noch im 
Orient weiterleben (-*■ Maqam, -v Raga). 
Im Bereiche der dorischen Chorlyrik begegnet zum 
ersten Male das Wort u,ouatxif) (musike), von |i,ouaa, 
Muse, wortlich »(die) Musische« (altester erhaltener 
Beleg bei Pindar, 1. Olympische Ode von 476). Die 
Deutung der Musike als einer te^vt] (techne, Kunst, 
Geschicklichkeit) stammt erst aus nachklassischer Zeit ; 
friiher gait sie wohl eher als zur 7tou8eta (paideia, Bil- 
dung, Erziehung) gehorend oder auch als eine 8uvau,ic; 
(dynamis, Fahigkeit, Vermogen). Die Musike bean- 
spruchte als Einheit von Vers, Gesang, instrumentaler 
Begleitung und Tanz den ganzen Menschen; sie wirkte 
auf ihn nicht als bloBe Kunst (im spateren abendlandi- 
schen Sinn des Wortes), sondern als eine den Charak- 
ter des Menschen bildende Kraft (->■ Ethos). Die Mu- 
sike geht daher weder in der Kategorie des Autonom- 
Asthetischen noch in dem Begriff der abendlandischen 
-*■ Musik (-»■ Musica) auf. - Das attische Drama soil aus 
dem Dithyrambos hervorgegangen sein. Diese ekstati- 
schen Gesange mit Aulosbegleitung, die einst von einem 
Chor in Bocksverkleidung zu Ehren des Weingottes 
Dionysos vorgetragen und getanzt wurden, gaben spa- 
ter den Rahmen fiir eine szenische Handlung ab. Mit 
dem attischen Drama sind die Namen der drei groBen 
Tragiker Aischylos (f 456), Sophokles (f 406), Euri- 
pides (f 406), und des Komodiendichters Aristophanes 
(f 388) verkntipft. Gegen Ende des 6. Jh. trat zum 
Chor zunachst ein Schauspieler hinzu, bei Aischylos 
ein zweiter und bei Sophokles ein dritter; der Chor 
wurde auf 15 Mitglieder erweitert und teils von der 
Kithara, teils vom Aulos begleitet. Von den rezitierten 
Versen der Schauspieler heben sich die rhythmisch 
komplizierteren dorischen Chorlieder, die strophisch 
gebaut sind, deutlich ab. 
■■ Von der Mitte des 5. Jh. an begannen neue musikali- 
sche Krafte in Erscheinung zu treten, die im 4. Jh. 
schlieBlich die Oberhand gewannen und eine grund- 
legende Wende herbeifiihrten. Schon innerhalb des 
Dramas hatte Euripides als Neuerer gewirkt, indem 
er den Solo- und den Wechselgesang in den Vorder- 
grund riickte. Die leidenschaftliche AuBerung brach 
iiberall hervor. Spatere Quellen bezeugen, daB sich im 
neuen Dithyrambos, der mit dem alten kaum noch 
etwas gemein hatte, das bisherige Verhaltnis von Text 
und Melodie umkehrte. Das melodische Moment 
dominierte und begann zu wuchern; der Aulos be- 
herrschte das Musikleben ; die Kithara erhielt bis zu 1 1 
und 12 Saiten. Als Neuerer galten vor allem Phrynis, 
Timotheos, Philoxenos. Es gibt Anzeichen dafiir, daB 
in derselben Zeit die eigenstandig musikalisch-rhyth- 
mische Seite der griechischen Sprache zu schwinden 
begann. Der Vers verlor im 4. Jh. seine verbindliche 
Kraft und trat hinter der seit der 2. Halfte des 5. Jh. 



351 



Griechische Musik 



aufbliihenden Prosa zuriick. - Seit dem 5. Jh. gibt es 
eine neue Art Quellen, die sich mit dem Phanomen 
Musik gedanklich auseinandersetzt. Pythagoras (6. Jh.) 
befaBte sich mit den mathematisoh-akustischen Grund- 
lagen der Musik; seine schriftlich nicht fixierten Er- 
kenntnisse sind auf dem Umweg iiber die sogenann- 
ten Pythagoreer nur mittelbar bekannt. Platon eror- 
terte (»Staat«, »Gesetze«) die hervorragende Bedeu- 
tung der Musike fur die Erziehung und wandte sich 
deshalb (»Staat«, 4. Buch) energisch gegen die musi- 
kalischen Neuerungen; denn er sah in ihnen, wie vor 
ihm schon Damon, den Anfang eines unaufhaltsa- 
men Niedergangs der staatlichen Ordnung. Nach 
Aristoteles, der die Forschung auf alien Gebieten be- 
fruchtet hat, traten zum ersten Male musikalische 
Fachgelehrte auf. Aristoxenos von Tarent, ein Schiiler 
des Aristoteles, verf aBte mehrere Schrif ten iiber Musik, 
von denen die »Elemente der Harmonik* und Frag- 
mente seiner »Rhythmik« auf uns gekommen sind. In 
einer dem Plutarch zugeschriebenen Abhandlung 
iiber Musik heiBt es, daB »die meisten Platoniker und 
die Besten unter den Philosophen der Peripatetischen 
Schule mit Eifer iiber die alte Musike und ihren Nie- 
dergang« geschrieben hatten. Das meiste davon ging 
verloren. In den iiberlieferten musiktheoretischen 
Schriften, die in erster Linie iiber die Musik ihrer ei- 
genen Zeit AufschluB geben, werden u. a. folgende 
Gegenstande behandelt: das Tonmaterial und seine 
Struktur, Rhythmus, Metrum, musikalischeErziehung, 
Instrumente, Notenschrift, die mathematisch-physika- 
lischenGrundlagen der Musik, Weltenharmonie. AuBer 
von Aristoxenos sind Schriften erhalten von Eukleides 
(um 300 v. Chr.), Philodemos (1. Jh. v. Chr.), Sextus 
Empiricus, Ptolemaios, Kleoneides, Nikomachos (2. 
Jh. n. Chr.), Aristeides Quintilianus (unsicher, 2. oder 
3. Jh. n. Chr.), Alypios (4. Jh. n. Chr.), Bakcheios und 
Gaudentios (wohl 4. Jh. n. Chr.) ; hinzu kommt eine 
anonyme, im Corpus Aristotelicum innerhalb der 
»Problemata« iiberlieferte Schrift. - Einige spatantike 
Schriften beschaftigen sich auch mit der Frage nach 
der Herkunft der Musik. So enthalt die unter dem Na- 
men Plutarchs (f um 120 n. Chr.) iiberlieferte Schrift 
»Uber die Musik« wichtige, von Widerspriichen je- 
doch nicht ganz freie Angaben iiber die Musik der al- 
teren Zeit, namentlich vom 7. bis zum 4. Jh. v. Chr. ; 
darunter ist eine sachlich nicht ausreichend geklarte 
Stelle (Kap. 28) iiber instrumentale Begleitung des 
Gesangs (xgovaig vnd ttjv wdrjv - ngdaxogda xgoveiv), 
die aber nicht im Sinne rationaler Mehrstimmigkeit 
zu deuten ist. - Die -»• Buchstaben-Tonschrift, deren 
Anfange im Dunkel liegen und die seit dem 4. Jh. v. 
Chr. eindeutig bezeugt ist (Aristoxenos), wurde 1847 
anhand der Tabellen des Alypios entziffert. 
Die am ehesten zugangliche Seite der Gr.n M. ist der 
Rhythmus. Erreichbar ist er in den Versen selbst, da 
Vers und Musik (wenigstens bis zur klassischen Zeit) 
innig zusammenhingen. Zwar kann der Rhythmus an 
den bloBen Texten bereits abgelesen werden, doch 
ist er zunachst noch nicht ohne weiteres verstandlich, 
denn er unterscheidet sich grundsatzlich vom abend- 
landischen Rhythmus. Der griechische beruht auf der 
->■ Quantitat, der abendlandische auf eincm System 
von Betonungen. Diese beiden rhythmischen Haltun- 
gen schlieBen einander aus. Im Altgriechischen wurde 
der aus Langen und Kiirzen bestehende Quantitats- 
rhythmus ganzlich frei von jeglicher Betonungsord- 
nung (Takt, Schlagzeit) vofizogen. Die Kiirze (^) 
gait als kleinste, nicht weiter teilbare rhythmische 
Einheit (Aristoxenos nennt sie -*■ Chronos protos); 
die Lange (-) entsprach in der Regel der Dauer zweier 
Kiirzen (- = ^^), konnte aber auch ausnahmsweise 



die Dauer von anderthalb Kiirzen einnehmen (so im 
epischen Hexameter, dessen daktylisches MaB Aristo- 
xenos als Choreios alogos, d. h. als irrationalen Reigen- 
rhythmus bezeichnet). Durch die Aneinanderreihung 
von Langen und Kiirzen ergaben sich bestimmte im- 
mer wiederkehrende rhythmische Elementargruppen, 
die sogenannten FiiBe (beim Tanz), bestehend aus we- 
nigstens 2 Elementen, z. B. ^ - (Iambos), - ^ ^ (Dak- 
tylos). »Innere Responsion« liegt vor, wenn inner- 
halb eines Verses der gleiche FuB wiederholt wird, 
z. B. beim epischen Hexameter, der aus Daktylen be- 
steht. Schwieriger wird die Beschreibung von Versen 
ohne innere Responsion, weil dort die eindeutige Ab- 
grenzung der rhythmischen Elemente nach FiiBen oft 
nicht moglich und auch nicht sinnvoll ist (besonders 
in der Chorlyrik). Diese scheinbar regellosen Verse, 
die auBerlich fast an Prosa erinnern, enthalten aber 
doch gewisse charakteristische Wendungen, die im 
Zusammenhang mit den ubrigen Versen des Gedichts 
als solche sinnfallig in Erscheinung treten. So laBt sich 
z. B. aus den verschiedenen Spielarten des sogenannten 
Glykoneus - ^ - ^ ^ - ^ - oder - ^ ^ _ ^ _ ^ - 
folgende als charakteristische Wendung herausheben: 
- ^ ^ - ^ -. Solche rhythmischen Gestalten kehren 
innerhalb einer Strophe mehrfach wieder und tragen 
so zur Gliederung des rhythmischen Ablauts bei. Mit 
ihrer durch die musikalische Quantitat bedingten fest- 
korperlichen Beschaffenheit hangt zusammen, daB sie 
sich nicht willkurlich andern lieBen und daher beim 
Vortrag von subjektiver Deutung und personlichem 
Ausdruck unberiihrt bheben. Nachdem die Einheit 
der Musike verlorengegangen war (nach dem 5. Jh. 
v. Chr.), begann auch die theoretische Unterscheidung 
zwischen der sprachlichen Metrik (-»■ Metrum -1) und 
dem musikalischen -> Rhythmus. 
Uber das Tonmaterial der Gr.n M. und seine prakti- 
sche Verwendung gibt vor allem die Musiktheorie 
Auskunf t. Den Tonvorrat der altesten Zeit kennen 
wir nicht zuverlassig ; es scheint, daB die anhemitoni- 
sche Pentatonik vorherrschte, und daB erst im Zu- 
sammenhang mit der Verbreitung des Aulos auch die 
kleineren, teilweise irrationalen Tonstufen ( ] /2-» l h-> 
!/4-T6ne) Eingang in die Gr. M. fanden. In der Mu- 
siktheorie wurden nur heptatonische Leitern behan- 
delt. - Die Intervalle wurden von den sogenannten 
Kanonikern (Pythagoras und seine Schule) mathema- 
tisch, durch Saitenteilung, bestimmt, im Gegensatz 
zu den Harmonikern (besonders Aristoxenos), die von 
Beobachtungen der musikalischen Praxis ausgingen. 
Fur das griechische Tonsystem war die fallende Quarte 
(-» Tetrachord) charakteristisch. Das Quartintervall 
selbst blieb stets unverandert (dbdvqxov), dagegen war 
die Tonhohe fur die 2 Zwischentone (>avounevoi) je 
nach dem Tongeschlecht (ykvoe) variabel (die Schritte 
von oben nach unten gerechnet) : 

I + I + 1/2 IV2 + V2 + V2 2 + 1/4 + '/4 

e d c h e des c h e deses ces h 

diatonisch chromatisch enharmonisch 

(Die modernen Tonbezeichnungen sind lediglich zur 
Verstandigung herangezogen und nicht als absolute 
Tonhohen zu verstehen, die die Antike nicht kannte.) 
Das diatonische Geschlecht soil das alteste gewesen 
sein und gait - auch bis in die Spatzeit - als Grundlage 
der Gr.n M. Das chromatische und das enharmonische 
Geschlecht traten seit der klassischen Zeit in den Vor- 
dergrund, scheinen aber in nachchristlicher Zeit wie- 
der an Bedeutung verloren zu haben. Der Darstel- 
lung der griechischen Tonarten dient das ->■ Systema 
teleion. 

An erhaltenen Aufzeichnungen in griechischer No- 
tenschrift sind bisher bekannt geworden (ausfiihrliches 



352 



Griechische Musik 



Verzeichnis mitLiteraturangaben bei Pohlmann, 1960) : 

1) Fragment aus dem 1. Stasimon des »Orestes« von 
Euripides (Vers 338-344). Der erhaltene Papyrusrest 
wurde zwischen 260 und 150 v. Chr. geschrieben; da- 
her handelt es sich moglicherweise um keine Euripidei- 
sche Melodie (Wien, Papyrus Rainer G. 2315). 

2) Fragmente dramatischer Texte, Papyrus aus der 2. 
Halfte des 2. Jh. v. Chr. (Wien, Papyrus Rainer G. 
29825a-f, veroffentlicht durch Hunger und Pohlmann 
1962). 

3) Fragment mit 3 SchluBzeilen eines unbekannten 
Gedichtes, moglicherweise aus einer Tragodie (Papy- 
rus Kairo 59533, aus der 1. Halfte des 2. Jh. v. Chr.). 

4) Fragment aus einer unbekannten Tragodie (Papyrus 
Oslo 1413a-m, wohl aus dem 2. Jh. n. Chr.). 

5) und 6) Zwei Apollonhymnen, eingemeiBelt auBen 
in die siidliche Mauer des Schatzhauses der Athener in 
Delphi (2. Jh. v. Chr.). 

7) Skolion auf der Grabsaule eines gewissen Seikilos, 
die in Tralles (Kleinasien) gefunden wurde (Datierung 
unsicher: zwischen 2. Jh. v. Chr. und 1. Jh. n. Chr.). 

8) Fiinf Fragmente auf einem Berliner Papyrus (P. 
6870, 2. Jh. n. Chr.) : Paian, 2 Instrumentalstiicke, ein 
Stuck auf den Selbstmord des Aias und ein Tragodien- 
fragment. 

9-11) Helioshymnus und Nemesishymnus von Meso- 
medes (2. Jh. n. Chr.) sowie ein anonymer Musen- 
hymnus (Cod. Neapel III C 4 u. Venedig Marc. VI 10). 

12) Fragment einer Monodie, vielleicht aus dem »Me- 
leagros« von Euripides (Papyrus Oxy. 2436, 2. Jh. n. 
Chr.). 

13) Fragment, noch unveroffentlicht (Papyrus Michi- 
gan 2958, 2. Jh. n. Chr.). 

14) Friihchristlicher Hymnus auf einem Papyrus aus 
Oxyrhynchos (Papyrus Oxy. 1786, 3. Jh. n. Chr.). 

15) Fragmente mit Instrumentalnotenschrift aus einem 
spatantiken Musiktraktat (hrsg. von H.Bellermann). 
Die von Athanasius Kircher (f 1680) angeblich aus 
einer jetzt verlorenen Handschrift abgeschriebene 
Melodie zu Pindars 1. Pythischer Ode gilt als unecht 
(R.Wagner; anders P. Friedlander) . Die Entzifferung 
der obigen Aufzeichnungen ist zwar zum Teil gelun- 
gen, doch hat man damit nur einen ungeniigenden 
Hinweis auf die Beschaffenheit der Musik; denn diese 
lieBe sich erst mit Kenntnis einer Fiille in der Noten- 
schrift nicht enthaltener musikalischer Voraussetzun- 
gen herstellen. So bleiben die Aufzeichnungen im 
Grunde musikalisch unerschlossen und wohl auch un- 
erschliefibar. 

Nachdem in der Spatantike Augustinus (f 430), Mar- 
tianus Capella (5. Jh.), Cassiodorus (f 580), Isidorus 
von Sevilla (f 636) und besonders Boethius (f 524) 
das Gedankengut der griechischen Musiktheorie fur 
den lateinischen Sprachraum erschlossen hatten, bil- 
dete dieses (allerdings in nunmehr modifizierter Form) 
die Grundlage fur die Musiktheorie des Mittelalters 
und wirkte auch auf die musikalische Praxis ein. Das 
Interesse fiir die Gr. M. lebte neu' auf als in der Zeit 
der Renaissance und des Humanismus griechische 
Handschriften aus Byzanz nach dem Westen kamen 
und die griechische Musiktheorie im Originaltext zu- 
ganglich wurde. Die zusammenfassende und fiir die 
folgenden Jahrhunderte maflgebende Ausgabe griechi- 
scher Musiktheoretiker bot Marcus Meibom 1652 (mit 
lateinischer Ubersetzung). Eine andere Form der Aus- 
einandersetzung waren die Wiederbelebungsversuche 
der antiken Tragodie in Italien, aus denen um 1600 
die -*■ Oper hervorging. Im Zuge der allgemeinen 
Hinwendung zur Geschichte erwachte im 19. Jh. 
auch das Interesse an der antiken Musik von neuem. 
Ihre Erforschung war eine Angelegenheit reiner Ge- 



lehrsamkeit und lag daher in Handen von Philologen 
(A.Bockh, Fr. Bellermann, K.Fortlage, R. Westphal, 
K.v.Jan), die allerdings weitgehend in den musikali- 
schen Vorstellungen ihrer eigenen Gegenwart befan- 
gen blieben (vgl. jedoch Nietzsches Rhythmusstudien). 
Hier schalteten sich Musikhistoriker ein (Fr. A. Gevaert, 
H.Riemann, H.Abert). NeueAnregungenempfingdie 
musikhistorische Forschung durch die sogenannte 
Vergleichende Musikwissenschaft, die deutlich zu 
machen versuchte, daB gewisse Zuge der auBereuro- 
paischen Musik eher zum Verstandnis der altgriechi- 
schen beizutragen vermogen als die abendlandische 
(C.Stumpf, C.Sachs). Als fruchtbarer erwies sich in 
neuester Zeit die Behandlung des Rhythmus (die bis- 
her den Philologen uberlassen blieb) von musikhistori- 
scher Seite und unter Heranziehung der neugriechi- 
schen Volksmusik (Thr.G.Georgiades). Anregungen 
gingen ferner von der Instrumentenkunde aus fiir die 
Deutung der Notenschrift, der Tonarten und Stim- 
mungen (C.Sachs, O.Gombosi). -»■ Maqam, -*■ Raga. 
Ausg. : M. Meibom, Antiquae musicae auctores septem, 
graece et lat., 2 Bde, Amsterdam 1652 (Texte v. Aristoxe- 
nos, Eukleides, Nikomachos, Alypios, Gaudentios, Bak- 
cheios, Aristeides Quintilianus) ; Musici scriptores graeci, 
hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895 (Aristoteles, Pseudo-Aristote- 
lische Problemata, Eukleides, Bakcheios, Gaudentios, 
Kleoneides, Nikomachos, Alypios, Suppl., Melodiarum 
reliquiae, erweitert 1899), Nachdruck Hildesheim 1962. - 
Aristoxenos v. Tarent, Melik u. Rhythmik d. class. Hel- 
lenenthums, I (t)bers. u. Kommentar) v. R. Westphal, 
Lpz. 1883, II (Text) hrsg. v. Fr. Saran, Lpz. 1893, Nach- 
druck Hildesheim 1965; ders., The Harmonics, hrsg. mit 
engl. Ubers. v. H. S. Macran, Oxford 1902 ; Die Schule d. 
Aristoteles, Texte u. Kommentar, H. II: Aristoxenos, 
hrsg. v. Fr. Wehrli, Basel (1945), enthalt d. indirekte 
Uberlieferung; Aristoxeni elementa harmonica, griech. u. 
ital., hrsg. v. R. Da Rios, 2 Bde, Rom 1954; ders., Rhyth- 
mica, hrsg. v. G. B. Pighi, Bologna 1959; Euclidis opera 
omnia, hrsg. v. J. L. Heibero u. H. Menge, Bd VIII, Lpz. 
1916; Philodemos, De musica, hrsg. v. J. Kemke, Lpz. 
1884; ders., De muziek, griech. u. nld., hrsg. y. D. A. van 
Krevelen, Diss. Amsterdam 1939 ; Plutarch, t)ber d. Mu- 
sik, griech. u. deutsch, hrsg. v. R. Westphal, Breslau 1865 ; 
ders., Delamusique, griech. u. frz., hrsg. v. H.Weilu. Th. 
Reinach, Paris 1 900 ; ders. , De musica, hrsg. v. K. Ziegler, 
in: Plutarchi Moralia VI, 3, Lpz. 1953 ; Plutarque de la mu- 
sique, griech. u. frz., hrsg. v. Fr. Laserre, = Bibl. helvetica 
romana I, Olten u. Lausanne 1954; Sextus Empiricus III, 
hrsg. v. J. Mau, Lpz. 1954 ; Die Harmonielehre d. Klaudios 
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, =G6teborgs hogskolas 
arsskrift XXXVI, 1, Goteborg 1930; Porphyrios' Kom- 
mentar ..., hrsg. v. dems., ebenda XXXVIII, 2, 1932; 
Ptolemaios u. Porphyrios iiber d. Musik, deutsch v. dems., 
ebenda XL, 1, 1934; Aristeides Quintilianus, De musica 
libri III, hrsg. v. A. Jahn, Bin 1882; dass., hrsg. v. R. P. 
Winnington-Ingram, Lpz. 1963; dass., deutsch v. R. 
Schafke, Bin 1937. 

Lit.: A. Bockh, De metris Pindari, Lpz. 1811; Fr. Bel- 
lermann, Die Tonleitern u. Musiknoten d. Griechen, Bin 
1 847 ; K. Fortlage, Das mus. System d. Griechen in seiner 
Urgestalt, Lpz. 1847; A. Rossbach u. R. Westphal, Me- 
trik d. griech. Dramatiker u. Lyriker, 3 Bde, Lpz. 1854-65, 
neu bearb. in 4 Bden als : Theorie d. musischen Kiinste d. 
Hellenen, 31885-89; R. Westphal, System d. antiken 
Rhythmik, Lpz. 1865; ders., Die Musik d. griech. Alter- 
tums, Lpz. 1883; Fr. A. Gevaert, Hist, et theorie de la 
musique de l'antiquit6, 2 Bde, Gent 1875-81; ders., La 
melopee antique dans le chant de Peglise lat., Gent 1895; 
Ch. E. Ruelle, Etudes sur l'ancienne musique grecque, 
2 Bde, Paris 1875-90; O. Crusius, Zu neuentdeckten an- 
tiken Musikresten, Philologus LII, 1893; D. B. Monro, 
Modes of Ancient Greek Music, Oxford 1894; C. Stumpf, 
Die pseudo-aristotelischen Probleme uber Musik, = Abh. 
d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bin, Phil.-hist. Klasse III, Bin 
1 896 ; H. Abert, Die Lehre v. Ethos in d. gr. M., = Slg mw. 
Arbeiten II, Lpz. 1899; ders., Die Musikanschauung d. 
MA u. ihre Grundlagen, Halle 1905, Faks. hrsg. v. H. Hu- 
schen, Hildesheim 1965; ders., Gesammelte Schriften u. 



23 



353 



Griechische Musik 



Vortrage, hrsg. v. Fr. Blume, Halle 1929; H. Riemann, 
Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904, 31923; W. Cronert, Die Hi- 
behrede ttber d. Musik, in: Hermes XLIV, 1909; Fr. 
Nietzsche, Philologica II, = Werke Bd XVIII, Lpz. 1912; 
C. Sachs, Die griech. Instrumentalnotenschrift, Zf Mw VI, 
1923/24; ders., Die griech. Gesangsnotenschrift, ZfMw 
VII, 1924/25; ders., Die Musik d. Antike, in: Biicken 
Hdb. ; ders., The Rise of Music in the Ancient World, 
East and West, = The Norton Hist, of Music I, NY (1943), 
span. Buenos Aires 1946; Th. Reinach, La musique 
grecque, Paris 1926; W. Vetter, Artikel Musik, Musik- 
unterricht u. a. in: Pauly-Wissowa RE XVI, 1 ; ders., An- 
tike Musik, = Tusculum-Schriften XXVI, Munchen 1935 ; 
ders., Mythos - Melos - Musica, 2 Bde, Lpz. 1957-61 ; J. 
Quasten, Musik u. Gesang in d. Kulten d. heidnischen An- 
tike u. christlichen Friihzeit, = LiturgiegeschichtlicheQuel- 
lenu. ForschungenXXV, Miinsteri. W. 1930; H. Huchzer- 
mayer, Aulos u. Kithara in d. gr. M. bis zum Anfang d. 
klass. Zeit, Diss. Miinster i. W. 1931 ; B. Meyer, APMO- 
NIA. Bedeutungsgesch. d. Wortes v. Homer bis Aristote- 
les, Diss. Freiburg i. d. Schweiz 1932; P. Friedlander, 
Die Melodie zu Pindars 1. pythischem Gedicht, =Sb. 
Lpz. LXXXVI, 4, 1934; ders., Adnotatiunculae, Hermes 
LXXXVII, 1959; G. Lehmann, Theorie u. Gesch. d. 
griech. Harmonik in d. Darstellung durch A. Bockh, Diss. 
Hbg 1934; M. Guillemin u. J. Duchesne, Sur l'origine 
asiatique de la cithare grecque, in : L'antiquite class. IV, 
1935; R. Wagner, Zum Wiederaufleben d. antiken Mu- 
sikschriftsteller seit d. 16. Jh., Philologus XCI, 1936; R. P. 
Winnington-Ingram, Mode in Ancient Greek Music, 
= Cambridge Class. Studies II, Cambridge 1936; ders. u. 
J. F. Mountford, »Music«, in: Oxford Class. Dictionary, 
1949; ders. mit S. Eitrem u. L. Amundsen, Fragments of 
Unknown Greek Tragic Texts, Symbolae Osloenses XXXI, 
1955; ders., The Pentatonic Tuning of the Greek Lyre, 
Class. Quarterly L (=N. S. VI), 1956; ders., Ancient 
Greek Music 1932-57, Lustrum III, 1958; H. Husmann, 
Olympos, JbP XLIV, 1937; ders., Zur Metrik u. Rhyth- 
mik d. Mesomedes, in: Hermes LXXXIII, 1955; ders., 
Grundlagen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, 
Bin 1961 ; L. P. Wikinson, Philodemus on , Ethos' in Mu- 
sic, Class. Quarterly XXXII, 1938; K. Schlesinger, The 
Greek Aulos, London 1939, dazu J. Handschin in: AMI 
XX, 1948; O. Gombosi, Tonarten u. Stimmungen d. an- 
tiken Musik, {Copenhagen 1939, Neudruck 1950; ders., 
Key, Mode, Species, JAMS IV, 1951 ; E. Jammers, Rhyth- 
mische u. tonale Studien zur Musik d. Antike u. d. MA I, 
AfMf VI, 1941 ; I. Henderson, The Growth of the Greek 
»Harmoniai«, Class. Quarterly XXXVI, 1942; dies., 
Ancient Greek Music, The New Oxford Hist, of Music I, 
London 1957; I. During, Studies in Mus. Terminology 
in the 5 th Cent. Lit., Eranos XLIII, 1 945 ; E. Wellesz, The 
Earliest Example of Christian Hymnody, Class. Quarterly 
XXXIX, 1945; H.-I. Marrou, Melographia, in: L'anti- 
quit6 class. XV, 1946; Thr. G. Georgiades, Der griech. 
Rhythmus. Musik, Reigen, Vers u. Sprache, Hbg 1949; 
ders. mit Fr. Zaminer, Musik u. Rhythmus bei d. Grie- 
chen. Zum Ursprung d. abendlandischen Musik, = rde 
LXI, Hbg (1958); M. Wegner, Das Musikleben d. Grie- 
chen, Bin 1949; ders., Griechenland, = Mg. in Bildern II, 
4, Lpz. o. J. (1963) ; E. Martin, Essais sur les rythmes de la 
chanson grecque antique, Paris 1953; ders., Trois docu- 
ments de musique grecque, Paris 1953; A. J. Neubecker, 
Die Bewertung d. Musik bei Stoikern u. Epikureern, 
= Deutsche Akad. d. Wiss. zu Bin, Inst. f. griech.-romi- 
sche Altertumskunde, Arbeitsgruppe f. hellenistisch-ro- 
mische Philos., Verdff. V, Bin 1956 ; J. Chailley, Le mythe 
des modes grecs, AMI XXVIII, 1956; ders., La musique 
de la tragddie grecque . . . , Rev. de Musicol. XXXIX, 1957 ; 
ders. u. A. Machabey, A propos de Themison, ebenda 
XLI, 1958; J. Lohmann, Die gr. M. als mathematische 
Form, AfMw XIV, 1957; ders., Der Ursprung d. Musik, 
AfMw XVI, 1959; O. Becker, Fruhgriech. Mathematik 
u. Musiklehre, AfMw XIV, 1957; E. Moutsopoulos, La 
musique dans Pceuvre de Platon, Paris 1959; B. Pighi, 
Ricerche sulla notazione ritmica greca, Aegyptus, N. F. I, 
1959; C. del Grande, Cenni sulla musica greca, in: Enci- 
clopedia classica II, Bd V, 2, Turin (1960); E. Pohlmann, 
Griech. Musikfragmente, = Erianger Beitr. zur Sprach- u. 
Kunstwiss. VIII, Nurnberg 1960; D. D. Feaver, The Mus. 
Setting of Euripides' Orestes, American Journal of Philo- 



logy LXXXI, 1960; L. Richter, Die Beziehungen zwi- 
schen Theorie u. Praxis d. Musik im aristotelischen Pro- 
treptikos, in: Hermes LXXXVIII, 1960; ders., Zur Wis- 
senschaftslehre v. d. Musik bei Platon u. Aristoteles, 
= Deutsche Akad. d. Wiss. zu Bin, Schriften d. Sektion 
f. Altertumswiss. XXIII, Bin 1961; ders., Griech. Tra- 
ditionen im Musikschrifttum d. Romer, AfMw XXII, 
1965; L. Gamberini, La parola e la musica nell'antichita, 
= Hist. musicae cultores Bibl. XV, Florenz 1962; H. 
Hunger u. E. Pohlmann, Neue griech. Musikfragmente 
. . . , Wiener Studien LXXV, 1962 ; B. Aign, Gesch. d. Mu- 
sikinstr. d. agaischen Raumes bis um 700 v. Chr., Diss. 
Ff m. 1 963 ; E. K. Borthwick, The Oxyrhynchos Mus. Mon- 
ody ... , American Journal of Philology LXXXIV, 1963 ; H. 
Koller, Musik u. Dichtung im alten Griechenland, Bern 
u. Munchen (1963); H. Hommel, Das Apollonorakel in 
Didyma. Pflege alter Musik im spatantiken Gottesdienst, 
in: Gottesdienstliche Fragen d. Gegenwart, Fs. Fr. Smend, 
Bin 1963 ; M. Vogel, Die Enharmonik d. Griechen, 2 Bde, 
= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. Musik III- 
IV, Diisseldorf 1963; E. A. Lippman, Mus. Thought in 
Ancient Greece, NY 1964. ThG 

Griffbrett (ital. tastiera) heiBt bei den Saiteninstru- 
menten das auf den Hals aufgeleimte, schwarz ge- 
beizte oder aus Ebenholz gefertigte Brett, auf das der 
Spieler die Saiten beim Greifen niederdriickt. Bei den 
Zupfinstrumenten sowie bei den Violen tragt das Gr. 
die -> Biinde. 

Gronland ->- Eskim'o-Musik. 

Ground (giaund, engl., Grund), auch Gr.-bass, be- 
zeichnet in der Musikhteratur englischer Sprache den 
Basso ostinato in umfassendem Sinne, speziell in eng- 
lischen Ostinatovariationen des 16.-18. Jh. (spate- 
stens seit My Ladye Nevells Book, 1591) sowohl die 
ostinat beibehaltene Tonfolge (nach Th.Mace, 1676, 
S. 129, a set Number of Slow Notes, very Crave, and 
Stately) als auch die iiber eine solche Tonfolge gebil- 
dete (polyphone oder homophone) Komposition, die 
entsprechend ihrer Kompositionsart oft auch Divisions 
upon a gr. heiBt (-* Division). Nur ein Teil der als Gr. 
anzusprechenden "Werke ist in den Quellen so be- 
zeichnet. Ebenso wie andere Bezeichnungen von 
Ostinatoformen kennzeichnet Gr. weniger eine be- 
stimmte Form als eine Praxis, die in verschiedene 
Kompositionsformen eindrang und in samtlichen da- 
mals iiblichen Besetzungsarten vorkommen kann. 
Fast alle bedeutenderen enghschen Komponisten des 
angegebenen Zeitraumes schrieben Gr.s. Besondere 
Bedeutung gewann der Gr. in der enghschen Klavier- 
musik des 17. Jh. und in der Oper (z. B. bei Purcell). - 
Wahrend in England auch kontinentale Ostinatofor- 
men Gr. genannt wurden (die -*■ Folia z. B. war hier 
als Farinell's Gr. bekannt) und manche Erscheinungs- 
formen des Gr. sich von kontinentaler Praxis nicht 
abheben, wird der Gr. in anderen Fallen gegen jene 
Formen abgegrenzt (z. B. in The Division Flute, 1708 : 
divisions upon . . . gr.s . . ,,as also several . . . chacon's . . .) 
und hat ihnen gegeniiber ein eigenes Geprage. Einer- 
seits kennzeichnet ihn das anscheinend typisch engli- 
sche Festhalten an wenigen die Komposition beherr- 
schenden Klangen; es findet sich schon in enghschen 
Kompositionen des 13.-14. Jh. - so im »Sommerkanon«, 
in dessen -»- Pes (-2) die Tone f und g abwechseln - und 
ist charakteristisch fiirW. Byrds The Bells, deren Gr. aus 
den T6nen c und d besteht. Derart kurze Gr.s sind in- 
dessen nicht die Regel. Oft ist der Gr. auch ein ostina- 
tes Klanggeriist. Andererseits ist im Unterschied zu 
kontinentalen Ostinatoformen das Vorkommen des 
Gr. im Sinne der ostinaten Tonfolge nicht auf die 
tiefste Stimme beschrankt. Der harmonische Gr. be- 
steht zwar vorwiegend aus typischen BaBschritten und 
kommt dementsprechend im allgemeinen nur im BaB 



354 



Guidonische Hand 



vor; iiber ihm werden entweder forrwahrend neue 
Oberstimmen gebildet oder bestimmte, mit dem Gr. 
verbundene Tonfolgen (besonders in der 2. Halfte des 
17. Jh. oft bekannte Liedmelodien) variiert. Der me- 
lodische Gr. hingegen kann im gleichen Werk in alien 
Stimmen vorkommen; auch ostinate Tonfolgen, die 
nur in den Oberstimmen erscheinen, werden Gr. ge- 
nannt. Dabei verwischen sich die Grenzen zu anderen 
Gattungen: z. B. konnen Werke, denen als Gr. das 
durch alle Stimmen wandernde Hexachord oder eine 
ahnliche Tonfolge zugrunde liegt, als -»■ Fancy ange- . 
sprochen werden. Die ostinate Tonfolge kann auch in 
Bruchstiicken auf verschiedene Stimmen verteilt und 
anf verschiedene Tonstufen, bis hin zu samtlichen 
Stufen der chromatischen Skala transponiert werden. 
Neben der melodischen Gestalt kann auch die Lange 
des Gr. geringen Anderungen unterworfen sein. - Die 
Bezeichnung Gr. ist im 16. Jh. auch belegt fiir einen 
C. f., iiber dem diskantiert wird. 
Lit.: Th. Mace, Mustek's Monument, London 1676, 
Faks., = Collection «Le chceur des Muses«, Paris 1958; 
Ch. Van den Borren, Les origines de la musique de cla- 
vier en Angleterre, Briissel 1912, engl. London 1913; A. 
Moser, Zur Genesis d. Folies d'Espagne, AfMw I, 1918/ 
19; R. Gress, Die Entwicklung d. Klaviervariation v. A. 
Gabrieli bis zu J. S. Bach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. 
Tubingen VI, Kassel 1929; L. Neudenberger, Die Va- 
riationstechnik d. Virginalisten im Fitzwilliam Virginal 
Book, Diss. Bin 1937; H. W. Shaw, Blow's Use of Gr. 
Bass, MQ XXIV, 1938; E. H. Meyer, Engl. Chamber 
Music, London 1946, 2 1951, deutsch als: Die Kammermu- 
sik Alt-Englands, Lpz. 1958; E. Apfel, Ostinato u. Kom- 
positionstechnik bei d. engl. Virginalisten, AfMw XIX/ 
XX, 1962/63. GBa 

Growl (gaaul, engl., brummen), Bezeichnung fiirln- 
strumentaleffekte im Jazz (-»■ Dirty tones), die sich 
bei Veranderung der natiirlichen Klangfarbe von 
Blechinstrumenten - etwa durch Dampfer oder Flat- 
terzunge - einstellen. Beliebt war der Gr. bei Trom- 
petern und Posaunisten der -*■ Swing-Ara, so z. B. bei 
der Nachahmung von Tierstimmen im Jungle style 
(Duke Ellington). 

Grundstimme, - 1) seitdem 17. Jh. nachgewiesen als 
deutsche Bezeichnung des Basses in seiner Rolle als 
-»■ Fundamentum eines Satzes, spater auch fiir Rameaus 
Basse fondamentale. - 2) in der Orgel im allgemeinen 
Register zu 16', 8' und 4' im Unterschied zu den -*■ Ali- 
quotstimmen und -*■ Gemischten Stimmen. 

Grundton, - 1) im GeneralbaB, teils auch in der Har- 
monielehre der Ton, auf dem sich bei terzweisem 
Aufbau der Akkord erhebt, wobei der Gr. mit dem 
Bafkon identisch ist. Letzterer andert sich bei -> Um- 
kehrung des Akkordes, wahrend der Gr. immer der- 
selbe bleibt. Bisweilen notigt der Kontext dazu, als 
Gr. eines Akkordes einen Ton anzunehmen, der nicht 

wirklich erklingt, so 
in op. 15 Nr 13 von 
Schumann, wo der 
Vorschlag in der lin- 
ken Hand vor dem 
vierten Akkord die- 
sen als A moll-Sext- 
akkord ausgibt, ohne daB a als Gr. akustisch vorhanden 
ware. Nach P.Hindemith (Unterweisung . . . I, S. 120) 
ist der Gr. eines jeden Akkordes identisch mit dem Gr. 
seines »besten«, d. h. am leichtesten verstandlichen In- 
tervalls, z. B. beim Durdreiklang mit dem Gr. der 
Quinte. Kommt das beste Intervall mehrfach im glei- 
chen Akkord vor, so dient das am tie/sten gelegene zur 

Grundtonbestimmung. Der Akkord ( fo * **.. " enthalt 




V 



23* 



sein bestes Intervall, die Quinte, zweimal: cis^gis^ und 
a i_e2 ; se i n G r . i s t a 1 . - 2) bisweilen s. v. w. -*■ Tonika. 
- 3) in der Akustik der tiefste Teilton eines Klanges. 

Gruppo, Groppo, Groppolo, Groppetto (ital.), ->■ Tril- 
ler, -> Doppelschlag. 

Guatemala. 

Lit.: J. Saenz Poggio, Hist, de la musica guatemalteca 
desde la monarqla espafiola hasta fines del aflo 1877, G. 
1947; J. Castrillo, La musica maya-quich6, Quetzalten- 
ango 1941 ; J. A. Vasquez, Hist, de la musica en G., G. 
1950; V. Chenoweth, The Marimbas of G., Lexington 
(Ky.) 1964. 

Guayana. 

Lit. : L. C. van Panhuys, Les chansons et la musique de la 
G. Neerlandaise, Journal de la Soc. des Americanistes de 
Paris, N. F. IX, 1912; M. J. u. F. S. Herskovits, Suriname 
Folklore, = Columbia Univ. Contributions to Anthropo- 
logy XXVII, NY 1936; W. G. Gilbert, Een en ander over 
de negroide muziek van Suriname, = Koninklijke Ver- 
eeniging »Koloniaal Inst.«, Mededeeling LV, Afd. Vol- 
kenkunde 17, Amsterdam 1940; G. D. van Wengen, The 
Study of Creole Folk Music in Surinam, Journal of the 
International Folk Music Council XI, 1959. 

Gudok, altrussisches volkstiimliches Streichinstru- 
ment, das in Kniehaltung gespielt wird. Von den drei 
Saiten sind zwei als Bordunsaiten im Quintabstand ge- 
stimmt. 

Guida (ital., Fiihrer), die beginnende Stimme beim 
Kanon sowie das Thema einer Fuge in seiner Grund- 
gestalt; Gegensatz von -> Conseguente. 

Guidonische Hand (lat. manus Guidonis oder manus 
Guidonica, in Traktaten meist als manus bezeichnet ; auch 
Harmonische Hand genannt), ein seit dem spaten 11. 
Jh. im Musikunterricht allgemein verbreitetes Mittel 
zur Veranschaulichung des Tonsystems. Sein Prinzip 
besteht darin, die einzelnen Tone bzw. Tonbuchstaben 
(htterae), gewohnlich auch die Solmisationssilben 
(syllabae) mit Hilfe der linken Innenhand (Fingerge- 
lenke und -spitzen) darzustellen und so dem Schiiler 
gleichzeitig eine Stiitze beim Erlernen der Scientia 
recte cantandi zu geben. (Das Singen nach der Manus 
bildete durch Jahrhunderte einen festen Bestandteil 
des Elementarunterrichtes.) Wie Sigebert von Gem- 
bloux (De viris illustribus, um 1105/10: Migne Patr. 
lat. CLX, 204) und jiingere Autoren (z. B. Johannes 
Gallicus, CS IV, 379; Adam von Fulda, GS III, 342b) 
ausf iihren, soil es sich hierbei um eine Erfindung Gui- 
dos von Arezzo handeln. Doch wird die Manus, deren 
Gebrauch in der Musiklehre wie auch in anderen Dis- 
ziplinen - z. B. beim Rechnen - auf einer alteren Tra- 
dition beruht (vgl. u. a. den Traktat Super unum con- 
cavum lignum, MfM VII, 1875, S. 47; Anonymus II, 
GS I, emendierter Text bei Smits van Waesberghe, 
De . . . Guidone, S. 116), im Umkreis der Guidoni- 
schen Lehre erstmals von Johannes Affligemensis er- 
wahnt (CSM I, 50). Ihre Abbildung im Codex Monte- 
cassino 318 (um 1100) stellt eine altere, speziell zur 
Veranschauhchung von Ganz- und Halbtonen dienen- 
de Form aus der Zeit Guidos dar. Diese umfafit ledig- 
lich die Litterae T-g ( = G-gi, ohne Solmisationssilben) . 
Als eine weitere Eigenart sei die Fixierung der Tone 
C-F (untere Fingergelenke) sowie F und b-e (ober- 
halb von Daumen und Fingerspitzen) genannt (siehe 
umseitige Abbildung links). Erst am Ende des 12. Jh. 
kam es zur Ausbildung jener Form, wie sie noch in 
Quellen aus dem 17./18. Jh. enthalten ist (siehe Abbil- 
dung rechts). Die zentrale Bedeutung der G.n H. im 
Rahmen des Elementarunterrichtes wird von zahlrei- 
chen Theoretikern hervorgehoben. Die Kenntnis der 
Doctrina manualis (Tinctoris, CS IV, 2b) war dem Ler- 

355 



Guiro 



nenden unentbehrlich beim Umgang mit den fur die 
Gesangspraxis notigen musiktheoretischen Grundbe- 
grifien (Tonbuchstaben, Silben, -> Solmisation, -> Mu- 
tation - 1). Daher gait die Manus als ein Symbol der ge- 
samten Ars musica: ... est clavis,figura sive instrumen- 
tum continens omnimodam notitiam artis musicae seu omni- 
um, quae recte cantari possunt, manifestationem, sine cuius 
notitia scientia nulla (Elias Salomonis, GS III, 23a). 




Lit. : J. Smits van Waesberghe SJ, School en muziek in de 
Middeleeuwen, Amsterdam 1949; ders., De musico-paed- 
agogico et theoretico Guidone Aretino, Florenz 1953 ; H. 
Oesch, Guido v. Arezzo, = Publikationen d. Schweizeri- 
schen Musikforschenden Ges. II, 4, Bern (1954). KWG 

Guiro (g'iro; seltener Guero, span., Gurke), latein- 
amerikanisches Rhythmusinstrument (Schraper) kuba- 
nischer Herkunft, ein ausgehohlter Flaschenkiirbis, der 
auf einer Seite mit Rillen versehen ist. Abarten in Form 
einer Bambusrohre sind der aus Brasilien stammende 
Reco-reco und derSapo (cubana), beide mit trockene- 
rem Klang als der G. Uber das Instrumentarium der 
lateinamerikanischen Tanze hinaus sind diese Instru- 
mente, besonders der G., zum Bestandteil des modernen 
Orchesterschlagzeugs geworden (z. B. Strawinsky, Sac- 
re du Printemps; E. Varese, Ionisation). 
Guitarre-*- Gitarre. 

Gusla (serbokroatisch), auf dem Balkan ein griffbrett- 
loses Streichinstrument mit einer Saite aus RoBhaar, die 
von der Seite her mit den Fingern abgeteilt wird, wo- 
bei vielfach Flageolettone entstehen. Das Corpus hat 
eine Decke aus Fell. Die Guslaren begleiten sich auf der 
G. zum Vortrag der Volkslieder und -epen. 
Lit.: W. Wunsch, Die Geigentechnik d. siidslawischen 
Guslaren, = Veroff. d. mw. Inst. d. Deutschen Univ. Prag 
V, Briinn 1934; ders., Die siidosteuropaische Volksepik 
..., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; G. A. Kuppers-Sonnen- 
berg, Ornamente u. Symbole siidslawischer Bauernlauten 
(G.), Zs. f. Ethnologie LXXXIV, 1959. 

Gusli (russ.), Bezeichnung fiir verschiedene russische 
Zithertypen. Die altrussische G. ist eine Brettzither 
wie die finnisch-baltische -»• Kantele: ein kleiner 
flacher Resonanzkasten mit einer Decke aus Ahorn- 
holz und 5-7 Saiten. Der G.-Psaltyr des 14./15. Jh. ist 
eine groBere Brettzither mit 18-32 Saiten. Im 18. Jh. 
wurde eine Art Clavichord als G. bezeichnet. 
Lit.: A. S. Faminzyn, G., ein volkstiimliches russ. Musik- 
instr., St. Petersburg 1890, russ.; A. O. Vaisanen, Das 
Zupfinstr. G. bei d. Wolgavolkern, Suomalais Ugrilaisen 
Seuran Toimituksia (Memoiren d. finnisch-ugrischen 
Ges.) LVIII, 1928. 

Gymel (engl., auch gemell, gimel, Von lat. gemellus, 
Zwilling) wird in Handschriften des spaten 15. und 
16. Jh. ein in einer mehrstimmigen Komposition durch 
Spaltung einer Einzelstimme (z. B. einer Diskantstim- 
me in 2 Diskantstimmen) entstehendes sohstisches Duo 



genannt, wobei die beiden gleichgeschliisselten und 
in gleicher Lage erklingenden Stimmen bei moglicher 
Stimmkreuzung imperfekte Intervallabstande bevor- 
zugen. Vielleicht ist G. auch Stimmbezeicnnung fiir 
eine der Duostimmen. Der G. gilt als spezifisch eng- 
lisch. Das friiheste Beispiel bietet allerdings ein 3st. 
Sanctus von Roullet (Miinchen, Bayer. Staatsbibl., 
mus. 3232), in dem die durch Aufspaltung der Ober- 
stimme entstehenden zweistimmigen (tropierenden) 
Zwischensatze gemell heiBen. Wohl aus der gleichen 
Zeit stammen die beiden mit Gimel und alius Gimel 
gekennzeichneten Zusatzstimmen zu Dunstables O 
rosa bella in den Trienter Codices (DTO VII, 229f. und 
Lederer, S. 361). Jede von ihnen ergibt mit dem origi- 
nalen Diskant Dunstables einen G. Die Hs. Breslau Mf . 
2016 uberliefert urn 1510 einen G. in einer anonymen 
Messe. Die meisten Belege aber bieten englische Hand- 
schriften um 1500. Dabei tritt die Spaltung einer Stim- 
me zum G. oft mit anderen ungeteilten Stimmen zu- 
gleich auf. Statt G. steht hier auch das gleichbedeuten- 
de semel, was der synonymen Verwendung von Duo 
und Unus in Handschriften des 15. Jh. entspricht. Sin- 
gular ist die Erwahnung eines Countergemel bei Pseu- 
do-Chilston (Brit. Mus. Lansdowne 763; um 1450). 
-^ Guilelmus Monachus (CS III, 289 und 292f., vgl. 
Bukofzer 1936) definiert den G. neben dem ihm ver- 
wandten -*■ Fauxbourdon als einen 2st. modus Angli- 
corum auf der Grundlage der imperfekten Konsonan- 
zen von der Unterterz bis zur Dezime. Eine tiefere 
3. Stimme (Contratenor bassus) kann zum Supranus- 
Tenor-Geriist hinzutreten. - In einem weiteren Sinn 
heiBen in der musikwissenschaftlichen Literatur G. 
oft auch die seit dem spaten 13. Jh. iiberlieferten zwei- 
stimmigen englischen Satze in conductusartiger Setz- 
weise mit imperfekten Klangen, die, wenn liturgisch, 
kleinere Gattungen (Hymnus, Sequenz usw.) bevor- 
zugen. Wiederholt ist im Zusammenhang mit dem 
G. wegen der analogen Bezeichnung Tvisongvar (is- 
landisch, Zwiegesang) auf eine volklaufige 2st. Mu- 
sizierpraxis auf Island hingewiesen worden. Auch das 
sogenannte »motettische Duo« in englischen Kompo- 
sitionen des friihen 15. Jh. wird heute oft als G. ange- 
sprochen. Aus dieser dann auch auf das Festland hin- 
iiberwirkenden Technik abschnittsweisen 2st. Setzens 
ist der G., wie er innerhalb mehrstimmiger Kompo- 
sitionen auftritt, sicher hervorgegangen. Es bleibt aber 
zu bedenken, daB die Bezeichnung G. selbst erst im 
Verlauf des 15. Jh. erscheint. 

Lit. : G. Adler, Studie zur Gesch. d. Harmonie, Sb. Wien 
XCVIII, 3, 1881 ; H. E. Wooldridge, Early Engl. Harmo- 
ny I, London 1 897 ; Riemann MTh ; V. Lederer, Uber Hei- 
mat u. Ursprung d. mehrst. Tonkunst, Lpz. 1906; Fr. 
Feldmann, Der Godex Mf. 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ. 
Breslau, = Schriften d. Mus. Inst, bei d. Univ. Breslau II, 
Breslau 1932; J. Handschin, A Monument of Engl. Me- 
dieval Polyphony, The Mus. Times LXXIII, 1 932 - LXXIV, 
1933 ; M. F. Bukofzer, The G., the Earliest Form of Engl. 
Polyphony, ML XVI, 1935 ; ders., Gesch. d. engl. Diskants 
u. d. Fauxbourdons nach d. theoretischen Quellen, = Slg 
mw. Abh. XXI, StraBburg 1936; ders., Popular Polypho- 
ny in the Middle Ages, MQ XXVI, 1940; ders., Studies in 
Medieval and Renaissance Music, NY 1950; ders., Arti- 
kel G., in: MGG V, 1956; ders. in: The New Oxford Hist, 
of MusicIII, London 1960, Kap. 4u. 6;Thr. G. Georgiades, 
Engl. Diskanttraktate aus d. 1. Halfte d. 15. Jh., = Schrif- 
tenreihe d. Mw. Seminars d. Univ. Miinchen III, Miin- 
chen 1937 ; G. Reese, Music in the Middle Ages, NY (1940), 
London 1941 ; ders., Music in the Renaissance, NY 
(1954), 2J959; Fr. Ll. Harrison, Music in Medieval 
Britain, London (1958); ders., Faburden in Practice, MD 
XVI, 1962; E. Trumble, Fauxbourdon. An Hist. Survey 
I, =Inst. of Medieval Music III, Brooklyn 1959; H. H. 
Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = In- 
diana Univ. Humanities Series XLV, 1961. RB 



356 



H 



H, - 1) Ton-Name: In der lateinischen -*■ Buchstaben- 
Tonschrift reichte die Oktave im allgemeinen von A 
bis G mit B als 2. Stufe, einen Ganzton uber A. Im 12. 
Jh. verfestigte die Einftihrung des Hexachordum molle 
auf F eine Spaltung des B in 2 Tonstufen; der Ganzton 
uber A hiefi nun B durum (t|) und war als t|mi groBe 
Terz uber G, bildete also mit F einen Tritonus. Im 
System der -> Kirchentone ist bmi Confinalis des 
Phrygischen; wegen der verminderten Quinte t|mi-f 
konnte es auch im erweiterten System des 16. Jh. nicht 
selbst zum Finalton werden. Infolge der Verwendung 
der Drucktype H fur t| wurde im 16. Jh. in Deutsch- 
land die Bezeichnung H fiir die 7. Stufe der seit Zarlino 
(1571) mit C beginnenden Grundskala iiblich. In Eng- 
land heiBt unser H noch heute B, bei den romanischen 
Volkern hat die Solmisationssilbe Si den Buchstaben 
verdrangt. Die Erniedrigung des H um einen Halbton 
heiBt B (engl. B flat; frz. si bemol; ital. si bemolle), um 
2 Halbtone Heses (engl. B double flat; frz. si double 
bemol; ital. si doppio bemolle), die Erhohung um ei- 
nen Halbton His (engl. B sharp; frz. si diese; ital. si 
diesis), um 2 Halbtone Hisis (engl. B double sharp; 
frz. si double diese; ital. si doppio diesis). - 2) Seit dem 
Anfang des 19. Jh. werden in theoretischen Werken 
Akkorde mit -*■ Buchstaben-Tonschrift bezeichnet 
(H bedeutet den H dur-Dreiklang, h den H moll-Drei- 
klang) ; im -» Klangschliissel treten Zusatzzeichen hin- 
zu. Der Brauch, eine Tonart nur durch ihren Grund- 
ton zu bezeichnen, wurde im 19. Jh. entsprechend den 
Akkordbezeichnungen so ausgelegt, daB H fiir H dur, 
h fiir H moll stand. 

Habanera, ein in Kuba beheimateter und nach dessen 
Hauptstadt Habana benannter Tanz, der, seit Anfang 
des 19. Jh. bekannt, im spaten 19. Jh. nach Europa 
kam. Die H., dem Tango ahnlich, ist von gemafiigter 

bis langsamerBewegung mit demRhythmus: J J-3J J . 

Bizets H. in Carmen (1875) fuBt auf der H. El arreglito 
von S. de Iradier. Weitere Stiicke mit H.-Charakter 
schrieben u. a. Chabrier (H. fur Kl., 1885), Ravel (H. 
fiir 2 Kl., 1895, orchestriert in der Rapsodie espagnole, 
1907; Vocalise en forme de H., 1907) und Debussy (La 
soirte dans Grenade, Mouvement de H., in: Estampes fiir 
Kl., 1903). 

Hackbrett (engl. dulcimer; frz. tympanon; ital. sal- 
terio tedesco; ungarisch cimbalom), ein zur Klasse der 
Zithern gehorendes Instrument (meist mit Schallka- 
sten), dessen Metallsaiten mit Kloppeln angeschlagen 
werden. Vom verwandten -*■ Psalterium ist es (spate- 
stens seit dem 17. Jh.) durch 2 durchlochte oder balu- 
stradenformige Stege unterschieden, iiber die jeweils 
die Halfte der Saiten lauft. Der linke Steg vergroBert 
den Tonvorrat, indem er die Saiten (meist im Verhalt- 
nis 2:3) teilt. Das H. tritt im 15.-18. Jh. vor allem in 
Deutschland zahlreicher auf, anfangs in sehr einfachen 
Formen; eine Beeinflussung vom vorderorientalischen 



->■ Santur ist nicht gesichert. Eine friihe Abbildung ei- 
nes 4eckigen H.s mit 2 runden Schallochern, 7 Saiten 
und loff elartigen Kloppeln zeigt Jan de Ta verniers Boom 
Jesse (um 1450). Im 16. Jh. hat das H. zum Teil Trapez- 
form, auf italienischen Bildern auch ein Corpus von 
fiedelahnlicher Gestalt. Das H. wird von Virdung 1511 
(f. B II'), im AnschluB an ihn von Agricola 1528 (S. 
106) und Praetorius 1619 (Tafel 18) als 4eckiges In- 
strument mit 6-10 Saitenchoren abgebildet. Praetorius 
sieht in ihm, wie auch die Initiatoren des Niirnberger 
historischen Konzerts von 1643, ein Instrument der 
irregular-Music. Unter dem Namen Psalterion beschreibt 
Mersenne 1636 (Traiti des instruments, S. 173ff.) ein 
3eckiges H. mit 13 Saitenchoren; doch iiberwiegt 
auch im 17.-18. Jh. die 4eckige Form, tragbar oder mit 
Beinen versehen (Bonanni, Laborde). Der Umfang 
wird im 17.-18. Jh. mit c-g 1 (bei Mersenne dazu eine 
G-Saite als bourdon), in Italien auch f-f 3 angegeben. 
Ein vergroBertes H. war das -> Pantaleon; als -*■ Cim- 
balom wird das H. noch heute in den Landern der Bal- 
kanhalbinsel gespielt. Auch in der Volksmusik der Al- 
penlander wird das H. weiterhin gepflegt. 
Lit. : Praetorius Synt. II ; G. Kinsky, Musikhist. Museum 
v. W. Heyer II, Koln 1912; V. Denis, De muziekinstr. in de 
Nederlanden en in Italie naar hun afbeelding in de 15 e - 
eeuwsche kunst I, = Publicaties op het gebied d. geschie- 
denis en d. philologie III, 20, Lowen 1944; Ch. F. Bryan, 
American Folk Instr. I/II, Tennessy Folklore Soc. Bull. 
XVIII, 1952; K. M. Klier, Volkstiimliche Musikinstr. in 
d. Alpen, Kassel 1956; W. Kahl, Das Niirnberger hist. 
Konzert v. 1643 u. sein Geschichtsbild, AfMw XIV, 1957; 
Ch. Seeoer, The Appalachian Dulcimer, Journal of Ameri- 
can Folklore LXXI, 1958, auch separat Santa Monica 
(Calif.) 1958; A.-E. Cherbuliez, Quelques observations 
sur le »psalterion« (tympanon) populaire Suisse: »H.«, 
Journal of the International Folk Music Council XII, 1960. 

Hagenau (ElsaB). 

Lit.: A. Pirro, Orgues et organistes de H. de 1491 a 1525 
environ, Rev. de Musicol. X, 1926; W. Kipp, Eine Mu- 
sikerfamilie aus d. 17. Jh.: die Boddecker aus H., Bull, de 
la Soc. d'hist. et d'archeologie de H. IX/X, 1928/29; G. 
Schmidt, Uber d. Org. v. H., in: Die Musik am Hofe d. 
Markgrafen v. Brandenburg-Ansbach ..., Kassel 1956. 

Haiti. 

Lit.: R. R. Terry, Vooduism Music, London 1934; H. 
Courlander, Mus. Instr. of H., MQ XXVII, 1941 ; ders., 
The Drum and the Hoe, Berkeley u. Los Angeles 1960; M. 
Blanco BArzaga, La miisica de H., Habana (1953) ; M. P. 
Hyppolite, Une etude sur le folklore haltien, Port-au- 
Prince 1954. 

Hajdutanc (h'ajdu:ta:nts, ungarisch), Tanz der Hei- 
ducken, Haidones, ein in hockender Stellung ausge- 
fiihrter, von Handeklatschen und Gejohle begleiteter 
ungarischer Tanz, aus dem sich spater der Csardas ent- 
wickelte. 

Halbe Note (ital. minima; frz. blanche; engl. minim; 
in den USA auch half note): J; Pause (frz. demi- 
pause): .— .. 



357 



Halbinstrumente 



Halbinstrumente -+■ Ganzinstrumente. 

Halbmond -* Schellenbaum. 

Halbsatz-> Metrum (-3), -> Periode. 

Halbschlufi->- Kadenz (- 1), -* Klausel. 

Halbton (lat. semitonium, auch hemitonium), das 
kleinste Intervall unseres Tonsystems. Die pythago- 
reische Stimmung unterscheidet 2 Halbtone: -> Apo- 
tome und Limma (-> Diesis), die Reine Stimmung 
deren drei: den natiirlich-harmonischen H. (15:16), 
das grofie Chroma (128:135) und das kleine Chroma 
(24:25); die gleichschwebend-temperierte Stimmung 
kennt nur den temperierten H. (1/12 Oktave). Seit der 
Erfindung einer Noten-Reinschrift durch A. v. Oettin- 
gen (1913) sind die kompliziertesten tonalen Verhalt- 
nisse im Fiinfliniensystem darstellbar. Dennoch rech- 
net die musikalische Praxis, soweit es sich um tonale 
Werke handelt, nur mit 3 Arten von Halbtonen, dem 
diatonischen (kleine Sekunde), dem chromatischen 
und dem enharmonischen (doppelt verminderte Terz). 
Der diatonische H. findet sich nur zwischen Tonen, 
die auf benachbarten Stufen der Grundskala ihren Sitz 
haben, z. B.: h-c. Im Verhaltnis des chromatischen 
H.s stehen dagegen Tone, die von demselben Ton der 
Grundskala abgeleitet sind, z. B. : c-cis. Der enharmo- 
nische H. entsteht, wenn Tone, die in der Grundskala 
Terzabstand aufweisen, durch verschiedene Vorzeich- 
nung einander auf den Abstand eines H.s angenahert 
werden, z. B.: cis-eses. Gehort der diatonische H. zu 
den konstituierenden Intervallen der Dur- und Moll- 
tonleiter, so setzen die beiden anderen Arten des H.s 
kompliziertere Harmonik voraus. Uber die Art des H.s 
gibt im einzelnen Fall der harmonische Zusammen- 
hang Auskunft, nicht immer die -»• Orthographie, die 
durch enharmonische Verwechslung vereinfacht wer- 
den kann. Neuere tonale Tonsatzlehren (Schonberg, 
Hindemith) sowie die -> Zwolftontechnik rechnen 
nur noch mit dem gleichschwebend temperierten H. 

Halle an der Saale. 

Lit. : K. E. Forstemann, Familiennachrichten fiber G. Fr. 
Handel u. Verz. Hallischer Musiker d. 17. Jh., H. 1843 ; H. 
Mund, Hist. Nachrichten fiber d. Kirchenorg. in H., H. 
1908; W. Serauky, Mg. d. Stadt H., 3 Bde Text, 2 Bde 
Musik, = Beitr. zur Musikforschung I, VI-IX, H. u. Bin 
1935-43; ders., Das Hallische Coll. mus. d. 18. Jh., Thu- 
ringisch-sachsische Zs. f. Gesch. u. Kunst XXVI, 1938; O. 
Rebling, Kleine Beitr. zur Mg. d. Stadt H., Fs. M. Schnei- 
der, Lpz. (1955); W. Siegmund-Schultze, H. Beitr. zur 
Mg., H. 1961 ; W. Rackwitz, Die Hallische Handel-Re- 
naissance v. 1859 bis 1952, Diss. H. 1963, maschr.; Tra- 
ditionen u. Aufgaben d.' Hallischen Mw., Wiss. Zs. d. 
Martin-Luther-Univ. H.-Wittenberg 1963 (Sonder-Bd); 
W. Stuven, Org. u. Orgelbauer im h.schen Land vor 1800, 
Wiesbaden 1964. 

Halleluja -»• Alleluia. 

Hailing, norwegischer Volkstanz im 2/4- (selten im 
6/8-)Takt in mafiiger Bewegung, in der Regel begleitet 
mit der -»■ Hardanger Fiedel. In der Kunstmusik haben 
Ole Bull und E. Grieg den H. verwendet. 

Hals heiBt bei den Instrumenten vom Typ der -> Lau- 
te die schmale massive Verlangerung des Schallkor- 
pers, iiber die die Saiten nach den Wirbeln laufen. Auf 
der den Saiten zugekehrten abgeplatteten Seite des 
H.es ist das Griffbrett aufgeleimt; die untere Seite ist 
gerundet und gestattet ein bequemes Hinauf- und 
Heruntergleiten der (linken) Hand. 

Hamburg. 

Lit.: J. Fr. Schutze, H.ische Theatergesch., H. 1794; L. 
Wollrabe, Chronologie samtlicher H.er Biihnen, H. 1847 ; 
E. O. Lindner, Die erste stehende Oper in Deutschland, 



2 Bde, Bin 1855; Fr. Chrysander, Die H.er Oper (1678- 
1738), AMz XIII, 1878; L. Meinardus, Riickblick auf d. 
AnfSnge d. deutschen Oper in H., H. 1878; J. Sittard, 
Gesch. d. Musik u. d. Concertwesens in H., Altona u. Lpz. 
1890; ders., Musik u. Theater in H. um d. Jahrhundert- 
wende 1800, H. 1900; W. Kleefeld, Das Orch. d. H.er 
Oper 1678-1738, SIMG I, 1899/1900; W. Gurlitt, Die 
H.er Grunrolle v. Jahre 1691, SIMG XIV, 1912/13; Die 
Musik H. im Zeitalter Seb. Bachs, Ausstellungs-Kat. 
1921; H. Leichsenring, H.ische Kirchenmusik aus d. 
Reformationszeitalter, Diss. Bin 1922, maschr.; P. A. 
Merbach, Das Repertoire d. H.er Oper v. 1718-50, 
AfMw VI, 1924, dazu E. H. Mffller in: AfMw VII, 1925; 
Th. Cortum, Die Orgelwerke d. ev.-luth. Kirche im 
H.ischen Staate, Kassel 1928; L. Kruger, Die H.ische 
Musikorganisation im 17. Jh., = Slg mw. Abh. XII, StraB- 
burg 1933; dies., J. Kortkamps Organistenchronik, eine 
Quelle zur h.ischen Mg. d. 17. Jh., Zs. d. Ver. f. h.ische 
Gesch. XXXIII, 1933; dies., »Verz. d. Adjuvanten . . .«, 
in: Beitr. zur H.ischen Mg., = Schriftenreihe d. mw. Inst, 
d. Univ. H. I, H. 1956; H. Funck, Beitr. zur Altonaer Mg., 
Altonaische Zs. f . Gesch. u. Heimatkunde VI, Neumunster 
(Holstein) 1937; H. Freund u. W. Reinking, Mus. Thea- 
ter in H., H. 1938; W. Schulze, Die Quellen d. H.er Oper 
(1678-1738), = Mitt, aus d. Bibl. d. Hansestadt H., N. F. 
IV, H. u. Oldenburg 1938; H. Becker, Die frfihe H.ische 
Tagespresse, in: Beitr. zur H.ischen Mg., = Schriftenreihe 
d. mw. Inst. d. Univ. H. I, H. 1956; K. Stephenson, Mus. 
Biedermeier in H., ebenda; H. Chr. Wolff, Die Barock- 
operin H. (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbfittel 1957. 

Hammer wird im Orchester zum Schlagen eines 
-*■ Ambosses oder eines Holzbretts (Mahler, 6. Sym- 
phonie; Schonberg, Die gliickliche Hand) gebraucht. - 
Weniger als Schlaginstrument als in anhaltender Er- 
innerung an die Legende, nach der Pythagoras die 
Konsonanzen durch Wiegen von Hammern gefunden 
habe, bilden u. a. noch Virdung und Praetorius (Synt. 
II, Tafel XXIII, zusammen mit Pauken und Trom- 
meln) H. und Ambofi ab. 

Lit.: H. Oppermann, Eine Pythagoras-Legende, Bonner 
Jb. CXXX, 1925. 

Hammerklavier (ital. cembalo a martelli) -> Pia- 
noforte. 

Hammondorgel ist ein elektrophonisches Tastenin- 
strument, das 1934 von Laurens Hammond in Chi- 
cago konstruiert wurde. Sein Tonerzeugungsappa- 
rat besteht im Manual aus 91 gleichmaBig rotieren- 
den Metallscheiben, deren Rander - Zahnradern ver- 
gleichbar - entsprechend den zu erzeugenden Schwin- 
gungen verformt sind. Jede Scheibe lauft mit ihrem 
Rand an einem Elektromagneten vorbei und induziert 
an dessen Spule einen sinusformigen Spannungsver- 
lauf definierter Frequenz. Die einzelnen Spannungen 
werden verstirkt und iiber Mischeinrichtungen und 
Filter geleitet, mit deren Hilfe verschiedene Registrie- 
rungen ermoglicht werden, die der Pfeifenorgel nach- 
gebildet sind. Nach Leistungsverstarkung wird der 
Ton iiber Lautsprecher abgestrahlt. Die H. besitzt in- 
folge einer gewissen Starrheit ihrer Klange einen eigen- 
artigen Charakter, der sie vor allem f iir die Unterhal- 
tungsmusik geeignet erscheinen lafit. 
Lit. : S. Irwin, Dictionary of Hammond Organ Stops, NY 
1952, 31961. 

Handharmonika, zur Familie der ->■ Harmonika- 
Instrumente gehorige Gruppe von wechseltonigen 
Instrumenten, bei denen die durchschlagenden Zun- 
gen durch Saug- und Druckluft aus einem hin- und 
herbewegtenFaltenbalg (Zug undDruck) zumSchwin- 
gen gebracht werden (im Unterschied zur -> Mund- 
harmonika und zum gleichtonigen -*■ Akkordeon). 
Heute ist der Begriff H. eingeengt auf die wechselto- 
nigen diatonischen Instrumente; speziell wird das mit 
einer Gleichtontaste (c2) und einer besonderen Hilfs- 



358 



Harfe 



tastenreihe ausgestattete Modell als H. bezeichnet 
(Klubmodell). Von den einfacheren diatonischen H.s 
(heute meist Ziehharmonika genannt) haben sich nur 
die l-3reihigen Wiener Modelle erhalten, fur die es 
auch eine eigene, bequem lesbare Griffschrift gibt. 
Sehr verbreitet war auch die Bandonika, eine H. in 
Bandonionform. Werke fiir Klubmodelle komponier- 
ten u. a.: Fr.Haag, H.Herrmann, H. Schittenhelm, Kl. 
Treidler, E. Wild, R. Wiirthner, H. Zilcher. 
Lit.: A. Fett, Die H., Kleine Instrumentenkunde, = Kleine 
Biicherei d. Harmonika-Freundes XV, Trossingen (1956). 

Handleiter -* C h i r o p 1 a s t. 

Handschriften -> Quellen, -»- Autograph. 

Handstiick. H.e nennt D.G.Turk (1789) kurze Al- 
legros, Andante u. dgl. auch leichte und gut gesetzte Me- 
nuetten, Polonoisen etc. fiir den Unterricht am Klavier 
zur musikalischen Erganzung der rein technischen 
Ubungen. Gattungsgeschichtlich gehort das H., das 
oft von der Affektenlehre beeinfluBte Uberschriften 
tragt, zu den in der 2. HSlfte des 18. Jh. haufigen »cha- 
rakteristischen Klavierstiicken«. Der Satz ist oft zwei- 
stimmig, Liedformen iiberwiegen. Die H.e wurden 
vielfach von den Klavierlehrern unmittelbar fiir die 
Bedurfnisse ihrer Schiiler geschrieben und nur zu ei- 
nem geringen Teil veroffentlicht, well nicht leicht ein 
Komponist von Ruf damit auftreten mag (Turk). Die 
wichtigsten Sammlungen stammen von Turk (Zwolf 
H.e, in: Klavierschule, 1789; zweimal 60 H.e fiir an- 
gehende Klavierspieler, 1792), der auch manches nicht 
ausdrucklich so benannte kurze Klavierstiick C. Ph. E. 
Bachs zur Gattung der H.e zahlte. Zu Beginn des 19. 
Jh. wurde das H. von der -*■ Etude abgelost, doch 
ist die Bezeichnung H. im Sinne von leichter Etiide 
noch in den 1860er Jahren nachzuweisen. 
Lit. : D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 1789, Faks. 
hrsg. v. E. R. Jacobi, = DM1 1, 23, 1962; L. Hesse, Sonati- 
neu. H. f. Kl., Diss. Freiburg i. Br. 1941, maschr.; R. Sof- 
fer, From Pieces de genre to H., Musicology II, 1949; 
W. Kahl, Das Charakterstuck, = Das Musikwerk VIII, 
Koln (1955). 

Hannover. 

Lit.: G. Fischer, Opern u. Konzerte im Hoftheater zu H. 
bis 1866, H. u. Lpz. 1899, 21903 als: Musik in H.; E. Ro- 
sendahl, Gesch. d. Hoftheater in H. u. Braunschweig, 
= Niedersachsische Hausbiicherei I, H. 1927; Th.Abbet- 
meyer, Zur Gesch. d. Musik am Hofe in H. vor A. Steffani 
1636-89, Diss. Gottingen 1931 ; Th. W. Werner, Haupt- 
stadt H . 300 Jahre. Von d. Hof kapelle zum Opernhausorch. 
1636-1936, Fs. H. (1937); Landestheater H., 100 Jahre 
Opernhaus (1852-1952), hrsg. v. K. H. Streibing, H. 
(1952); G. Vorkamp, Das frz. Hoftheater in H., Diss. 
Gottingen 1957, maschr.; H. Schrewe u. Fr. Schmidt, 
Das H.sche Hof- u. Opernorch. u. seine Mitglieder, H.sche 
Geschichtsblatter, N. F. XI, 1958; H. Sievers, Musik in 
H.,H. 1961. 

Hardanger Fiedel (norwegisch hardingfele oderhar- 
dangerfele), ein in Norwegen volkstufnliches Streich- 
instrument in Violinform, jedoch kiirzer als die Vio- 
line und mit niedrigerem Griffbrett und Steg sowie 
diinneren Saiten. Unter den 4 Spielsaiten laufen 4 
Sympathiesaiten; fiir beide gibt es mehrere Stimmun- 
gen. Auf der H. F. wird mit vielen Doppelgriffen und 
Verzierungen gespielt. Das alteste bekannte Instru- 
ment wurde 1651 gebaut. In neuerer Zeit wurde die 
H. F. u. a. von Ole -»■ Bull gespielt. 
Ausg.: Norsk folkemusikk, Serie I, Hardingfeleslatter, 
3 Bde, hrsg. v. O. Guruin u. E. Groven, Oslo 1958-60. 
Lit.: S. B. Osa, Hardang Fela .... Oslo 1952; A. Bj0rn- 
dal, Nasjonalinstr. Hardingfela, = Univ. i. Bergen Arbok 
1950, Hist.-antikvarisk rekke III; ders., The H. Fiddle, 
Journal of the International Folk Music Council VIII, 
1956. 



Harfe (von germanisch + harppo, ahd. harpfa, harffa, 
mhd. harpfe, herpfe, die Schreibung mit pf hielt sich 
zum Teil bis ins 18. Jh. ; engl. harp; frz. harpe; ital. 
arpa; lat. harpa zuerst belegt bei Venantius Fortunatus 
im 6. Jh., Carmina 7, 8; mittellat. cithara), ein zusam- 
mengesetztes Chordophon, dessen Saitenebene senk- 
recht zum Schallkorper steht. Die H. ist nicht nur das 
groBte und im modernen Orchester das einzige regel- 
maSig verwendete Zupfinstrument, sondern auch ei- 
nes der altesten, traditionsreichsten und symboltrach- 
tigsten Musikinstrumente. Seit dem Mittelalter ist sie 
das Attribut Konig Davids (dessen historisches Instru- 
ment allerdings das ->■ Kinnor war) und Orpheus' (an- 
stelle der antiken -»■ Lyra - 1). Noch heute hat die H. 
ungewohnlich viel Zierat (Vorderstange in Form einer 
klassizistischen Saule, Vergoldung). - Die H. war ne- 
ben der ->■ Leier das wichtigste Saiteninstrument des 
alten Orients. In Sumer (belegt 2400-1800 v. Chr.) 
herrschte die groBe, vertikale H. in unsymmetrischer 
Parabelform vor mit boots- oder loffelformigem 
Schallkorper und 3-7 Saiten, die ohne Plektron ge- 
spielt wurden. Eine kleine Trag-H. ist nur episodisch 
fiir die Mesilim-Zeit nachgewiesen. Die ersten agypti- 
schen Belege stammen aus der Zeit der 4. Dynastie 
(ab 2703 v. Chr.) ; es sind Bogen-H.n mit meist 6 Sai- 
ten. Ihre Form wandelt sich im Neuen Reich (ab 1580) 
zu einer Tiefbogenform als groBe Stand-H. und kleine 
Schulter-H., daneben treten Winkel-H.n auf, die schon 
vorher aus Babylon bekannt sind. Wahrend bei der 
Bogen-H. Schallkorper und Hals ineinander iiber- 
gehen, sind sie bei der Winkel-H. getrennt; dadurch 
ist der Widerstand gegen den Zug der Saiten groBer. 
Auch die Rahmen-H., die dritte mogliche Grundform 
der H., war dem Orient nicht unbekannt, wurde aber 
erst im mittelalterlichen Europa zur herrschenden 
Form. In der griechischen Antike waren verschiedene 
Typen der H. (Trigonon, Sambyke) vertreten; die H. 
gait jedoch als fremdes Instrument. AuBerhalb der 
Hochkulturen sind H.n in Af rika und Asien (Altindien, 
Birma, in Nordasien bei den Ostjaken) verbreitet. In 
Europa taucht die H. zu- 
erst im 8. Jh. auf den 
britischen Inseln bei den 
Angelsachsen und den 
irischen Kelten auf (Ir- 
land hat noch heute die 
H. im Landeswappen). 
Es handelt sich um eine 
Rahmen-H., bestehend 
aus Schallkasten, Hals 
(Saitentrager) und Vor- 
derstange. Sie wurde als 
Cithara anglica um 1000 
auf dem Festland be- 
kannt (ikonographisch 
belegt bei Gerbert 1774, 
nach einer Handschrift 
des 12. Jh.). Diese kur- 
ze, runde, breite, mit 
einem Tierkopf verzierte 
»romanische« Form hielt 
sich bis um 1400. Danach 
erscheinen auf niederlan- 
dischen Bildwerken die 
ersten H.n einer neuen 
»gotischen«, schlanken 
und schmalen Form mit einer langen Vorderstange (Ba- 
ronstange, von mhd. barre, Riegel; vgl. Abbildung) . Sie 
hat ihre typische Ausbildung mit den beiden Nasen am 
Saitentrager um 1450-1500 erreicht (z. B. H.Mem- 
lings Gemalde »Gott und die musizierenden Engel«, 




359 



Harfe 



um 1490). In Italien lag der Umschwung etwa 25 Jahre 
spater. Die mittelalterliche H. hatte urspriinglich 7-9 
Saiten; nebenher entwickelte sich eine groBere Form 
mit ungefahr 24 Saiten (Machaut nennt 25). Sie findet 
sich in Handen der vornehmen Sanger als Begleitin- 
strument. Seit dem Anfang des 17. Jh. wurde das In- 
strument groBer und schwerer; die gemeine einfache 
H. hat bei Praetorius (Synt. II) 24 oder mehr Saiten und 
ist diatoniscn im Umfang F-c 1 oder a 2 gestimmt. Ne- 
ben der diatonischen wurden seit dem 16. Jh. (Bermu- 
do 1555) chromatische Saitenanordnungen ersonnen 
(Saiten einreihig hintereinander, 2-3reihig nebenein- 
ander; zweiseitig gekreuzteim 19. Jh.). -Eine Sonder- 
heit war die irlandische H., die einen stark verbreiter- 
ten Schallkasten, Messingsaiten C-e 3 mit Halbtonen 
und einen aus der tnassen lieblichen Resonantz (Praetorius, 
Synt. II) hatte. Die Losung des Problems des Um- 
stimmens bahnte sich jedoch erst an mit der Tiroler 
Haken-H. in der 2. Halfte des 17. Jh., bei der dreh- 
bare Haken am oberen Saitenende mit der Hand um- 
gelegt werden konnen, um die Saite zu verkiirzen. 
Ein Umstimmen ohne Unterbrechung des Spiels wur- 
de bei der Pedal-H. (5, dann 7 Pedale) moglich, so bei 
der von Georg(?) Hochbrucker (* um 1670, f 1763) in 
Donauworth um 1720 erfundenen »Tretharpfe«. Die- 
ser H.n-Typ steht (wie noch die heutige Tiroler Volks- 
H.) in Es dur und kann nur in l>-Tonarten gespielt wer- 
den. Mozarts Konzert fur FL, H. und Orch. (K.-V. 299) 
ist f iir diesen Typ geschrieben. - Die letzte entscheiden- 
de Verbesserung war 1810 die Doppelpedal-H. (harpe 
a double mouvement) von S. -*■ Erard. Die modemeH. 
ist diatonisch in Ces dur temperiert gestimmt (Umfang 
47 Saiten von Ces^ges 4 , auch 46 oder 48 Saiten). Jeder 
der 7 Pedaltritte wirkt auf alle Oktavlagen eines To- 
nes und kann in 2 Stufen getreten werden, von denen 
jede um einen Halbton erhoht. Damit werden alle 
Tonarten ausfuhrbar, zum Teil allerdings nur nach en- 
harmonischer Umdeutung. Die moderne (beidhandi- 
ge) H.n-Spieltechnik verwendet Daumen, Zeige-, 
Mittel- und Ringfinger (-*■ Fingersatz). Auf der H. 
sind ausfuhrbar Einzeltone, Akkorde und -> glissando, 
charakteristisch sind gebrochene Akkorde (-»• Ar- 
peggio); entwickelt wurden auch Tonrepetitionen 
(-»• bisbigliando, -*■ martelement), Tremolo und Triller 
sowie -> flageolett (-3), secco oder sec (»trocken«, d. h. 
kurz und hart gezupft), -> etouffe, -> Mediator- An- 
schlag, -> pres de la table. - Die Besaitung der H. ist 
im BaB stahlumsponnen, in der Mittel- und Diskant- 
region aus Darm, heute vielfach auch aus Nylon oder 
Perlon. F-Saiten sind blau, C-Saiten rot gefarbt. Mo- 
derne H.n sind etwa 180 cm hoch (die gotische H. maB 
kaum 50 cm) und 35 kg schwer. - An heutigen H.n- 
Baufirmen seien genannt: Erard (Frankreich), R. Wur- 
litzer sowie Lyon & Healy (USA); in Deutschland: 
Loffler (Berlin, jetzt Wiesbaden), Obermayer (Miin- 
chen), J.M.Vosseler (Schwenningen/Neckar). - Die 
H.n-Musik des 16./17. Jh. steht der fur besaitete Ta- 
sten- und Zupfinstrumente nahe (die scharfe Tren- 
nung zwischen H.n- und Klaviermusik brachte erst 
das 19. Jh.). Die ersten Tabulaturen gaben Bermudo 
1555 und Mudarra 1546 heraus. Als Ornament- und 
->- Fundamentinstrument konnte die H. im 17./18. Jh. 
im Solo und im GeneralbaB eingesetzt werden; im 
Orchester wurde sie von Monteverdi 1607, dann von 
Landi, Handel (Giulio Cesare, 1724,Esther, 1732), Gluck 
(Orfeo, 1762) u. a. gefordert. Im 18. und 19. Jh. zeugt 
eine groBe Anzahl von Galanteriestiicken von der 
Beliebtheit der H., vor allem bei Dilettanten. Zahl- 
reiche H.n-Kompositionen erschienen nach 1760 in 
Paris (Sonaten; Tanze, Duos; Begleitungen zu klei- 
nen Arien, Romanzen u. a.). Bedeutende Werke mit 



H. schufen L. Spohr (2 Concertanten fur H., V. und 
Orch., 1807; Trio; 5 Sonaten fur H. und V.; Solo- 
stiicke) und E. T.A.Hoffmann (Quintett C moll). Be- 
kannte Virtuosen, die auch zahlreiche Stiicke £iir ihr 
Instrument schrieben, waren Fr.J. -> Naderman, 
-»■ Backofen, -> Dalvimare, -*■ Dizi, -* Labarre, -*■ Pa- 
rish-Alvars. In der Oper des 19. Jh. ist die H. vor allem 
bei Ballett-, Chor-, Zauberszenen u. a. vorgeschrie- 
ben, gegen Ende des Jahrhunderts auch in den meisten 
Werken fiir groBes Orchester. Sie gehort zum Kolorit 
des franzosischen Impressionismus (Debussy, Faure, 
Ravel) ebenso wie zum Orchesterklang bei Boulez, 
Henze u. a., oft im Ensemble der -»• Kurztoninstru- 
mente und des Schlagzeugs. H.n-Sonaten schrieben 
u. a. Hlndemith (1939), A.CaseUa (1946), G.Taiile- 
ferre (1953), Soli mit Orchester Glier, Kf enek, Jolivet, 
Villa-Lobos, Milhaud, Genzmer, Fr. Martin (Petite 
symphonie concertante, 1945), Hindemith (Konzert fiir 
Holzblaser, H. und Orch., 1949). An H.n-Schulen 
seien genannt: Ph. J. Mayer (Nouuelle methode pour ap- 
prendre a jouer de la harpe, Paris um 1770), J.G.Wer- 
nich (Versuch einer richtigen Lehrart die H. zu spielen, 
Berlin 1772), J. G.H. Backofen (Anleitung zum Harfen- 
spiel, Leipzig 1801ff .), Bochsa, Fr.J. Naderman, Labasse 
(1844), Ch.Oberthur (1852), Zabel (1900), M.V. 
Grossi und M. Bauer-Ziech (1912), C.Salzado (1921), 
H.J.Zingel (Neue H.n-Lehre, 4 Bande, Frankfurt am 
Main 1961ff.). 

Lit.: J. Bermudo, Declaracion de instr. mus., (Osuna) 
1555, Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, = DM1 I, 11, 1957; 
Praetorius Synt. II ; M. Mersenne, Harmonie universelle, 
Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; 
R. B. Armstrong, The Irish and the Highland Harps, 
Edinburgh 1904; W. H. Grattan Flood, The Story of the 
Harp, London 1905 ; H. Panum, H. u. Lyra im alten Nord- 
europa, S1MG VII, 1905/06; F. Jonsson, Das Harfenspiel 
d. Nordens in d. alten Zeit, SIMG IX, 1907/08; A. Kastner, 
The Harp as a Solo Instr. and in the Orch., Proc. Mus. Ass. 
XXXV, 1908; C. Fox, Annals of the Irish Harpers, Lon- 
don 1911; M.V. Grossi, L'arpa e il suo meccanismo, Bo- 
logna 1911; R. Ruta, Storia dell'arpa, Aversa 1911; H. 
Sperber, Deutsch »H.« u. seine Verwandten, in: Worter 
u. Sachen III, 1912; C. Sachs, Die altagyptischen Namen 
d. H., Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; Fr. W. GALPiN.The 
Sumerian Harp of Ur, ML X, 1929; R. Herbio, Griech. 
H., Mitt. d. Deutschen Archaologischen Inst., Athenische 
Abt. LIV, 1929; B. Bagatti, Arpa e arpisti, Piacenza 1932; 
H. J. Zingel, H. u. Harfenspiel v. Beginn d. 16. bis ins 2. 
Drittel d. 18. Jh., Halle 1932; ders., Zur Gesch. d. Harfen- 
konzerts, Zf Mw XVII, 1935 ; ders., Zur Bibliogr. d. Schul- 
werke f. H., AMI VII, 1935; ders., Wandlungen im Klang- 
u. Spielideal d. H., Fs. M. Schneider, Halle 1935; ders., 
Studien zur Gesch. d. Harfenspiels . . ., AfMf II, 1937; 
ders., Die Einfuhrung d. H. in d. romantische Orch., Mf 

II, 1949; ders., Die H. in d. Musik unserer Zeit, Fs. M. 
Schneider, Lpz. 1955; ders., Theorie u. Praxis in d. zeit- 
genossischen Notation f. H., in: Das Orch. IX, 1961 ; J. 
Duchesne u. M. Guillemin, La harpe en Asie occidentale 
ancienne, Rev. d'assyriologie XXXIV, 1937; A. O. Vai- 
sanen, Die obugrische H., Finnisch-ugrische Forschun- 
gen XXIV, 1937; G. Beaumont, La harpe irlandaise, Pa- 
ris 1941 ; V. Denis, De muziekinstr. in de Nederlanden en 
in Italie naar hun afbeelding in de 1 5 e -eeuwsche kunst I, 
= Publicaties op het gebied d. geschiedenis en d. philologie 

III, 20, Lowen 1944; H. Hickmann, Miscellanea musico- 
Iogica, Annales du service des antiquites de l'Egypte 
XLVIII, 1948, L, 1950 u.-LIII, 1953; ders., Das Harfen- 
spiel im alten Agypten, Mf V, 1952; ders., Les harpes de 
l'Egypte pharaonique, Bull, de lTnst. d'Egypte XXXV, 
1954; ders., A New Type of Egyptian Harp, AMI XXVI, 
1954; ders., La scene mus. d'une tombe de la VI e dynastie 
a Guizah (Idou), Annales du service des antiquit6s de 
l'Egypte LIV, 1957; R. Rensch, The Harp, NY 1950; R. 
Hayward, The Story of the Irish Harp, London 1954; J. 
Werner, Leier u. H. im germanischen Friihmittelalter, Fs. 
Th. Mayer, Lindau (1954); K. M. Klier, Volkstumliche 
Musikinstr. in d. Alpen, Kassel 1956; Kx. P. Wachsmann, 



360 



Harmonia 



Harp Songs from Uganda, Journal of the International 
Folk Music Council VIII, 1956; W. Stauder, Die H. u. 
Leiern d. Sumerer, Ffm. 1957; M. Tournier, La harpe, 
Paris u. Briissel 1959; H. Kunitz, Die H., = Die Instru- 
mentation XI, Lpz. 1961 ; A. N. Schirinzi, L'arpa, Mai- 
land 1961 ; H. Steger, David rex et propheta, = Erlanger 
Beitr. zur Sprach- u. Kunstwiss. VI, Niirnberg 1 961 ; J. Rim- 
mer, The Morphology of the Irish Harp, The Galpin Soc. 
Journal XVIII, 1964; E. Heinrich, Die H. in d. Kammermu- 
sik d. 20. Jh., Deutsches Jb. d. Mw. X (= JbP LVII), 1965. 

Harfenett-> Spitzharfe. 

Harmonia (lat.; griech. apu.ovla) ist in der griechi- 
schen Musik eine kunstvolle Mischung (xpaatc;) aus 
dem »Hohen« und »Tiefen« des Klanges (im Griechi- 
schen als 6!;u, scharf, und fSapu, schwer, qualitativ be- 
zeichnet), analog dem Begriff des Rhythmus, den 
Platon im Symposion als eine kunstvolle Mischung 
aus schneller und langsamer Bewegung erklart. In ei- 
ner mehr technischen Definition ist die griechische H. 
eine kunstmaBig gefiigte Oktavstruktur. Vollig frei 
von jeder spateren Vorstellung einer Tonleiter ent- 
spricht diese autonome, in sich selbst ruhende Oktav- 
struktur nach Aristoteles in ihrer Rolle fur die Musik 
genau der des Alphabets in der Sprache, wenn man 
darunter nicht eine Schrift, sondern die elementare 
Artikulation der Sprache selbst versteht. Die auf die- 
ser Grundlage aufgebaute -*■ Griechische Musik oder 
»musische Kunst« ((/.ouctixy), Dichtung und Musik 
zugleich) besteht aus den Disziplinen Harmonik (der 
eigentlichen Musik-Theorie), Rhythmik, Metrik und 
eventuell Instrumentenkunde (6pyavix7]). 
Die Oktavstruktur der H. setzt sich zusammen aus 4 
festen (etwa el h a e oder auch e 1 di a e) und 4 beweg- 
lichen »Klangen« (tpWyyoi; etwa d 1 cl g f oder auch 
c 1 b g f), wobei die letzteren im Verhaltnis zu den 
festen Klangen in ihrer gegenseitigen Lage variabel 
sind gemaB den Tongeschlechtern (enharmonisch, 
chromatisch, diatonisch). Diese Unterscheidung eines 
festen Rahmens von 2 Quartintervallen, in den als 
Kontrast je 2 bewegliche Klange eingesetzt wurden, 
muB mit der Unterscheidung der Klange als symphonoi 
(auu,<pcovoi) und diaphonoi (Sidupovoi; im Latei- 
nischen nachgebildet als consonantes und dissonantes) 
zusammengenommen werden. Die 4 urusammen- 
klingenden«, in der Oktavstruktur von vornherein 
fixierten Symphonoi sind in jeder Hinsicht das Gegen- 
teil der »auseinanderklingenden« und unfesten Dia- 
phonoi, weshalb auch alle Erwagungen, warum die 
Terz hier nicht zu den symphonen Intervallen gehort, 
abwegig sind. Mit dieser Struktur bildet die H. als 
Ganzes ein in wechselseitiger Spannung in sich ausge- 
wogenes Gefiige, das Heraklit mit der widerstrebend- 
zusammenstrebenden Fiigung des Bogens vergleicht 
(-> Syllabe). In den Quellen hat H., ahnlich wie tonos 
(t6voi;; -*■ Ton), zwei konkrete technische Bedeu- 
tungen, die sich aus der allgemeinen Bedeutung von 
H. als Oktavstruktur ableiten lassen: 1) die durch die 
Transpositionen des Ausgangssystems sich ergebenden 
einzelnen Oktavgestalten, die in anderer Hinsicht auch 
tonoi (t<5voi, »Tonarten«) genannt werden; 2) das 
enharmonische Geschlecht, bei dem die bewegli- 
chen Tonstufen so in das -> Tetrachord hineingesetzt 
werden, daB sich eine Folge Ditonus - Viertelton - 
Viertelton ergibt. Die beiden Namen der -> Enhar- 
monik, harmonia und genos enarmonion (y^vo? £v<xp- 
(x6viov), erklaren sich gegenseitig. Der zweite Name 
bezeichnet das Genos als »im Rahmen der Oktave 
(= harmonia) verbleibend« ; der erste beweist die Iden- 
titat von harmonia und Oktavstruktur. In Form ei- 
ner exakten quantitativen Definition ist diese Identitat 
im altesten Zeugnis iiber das System der griechischen 



Musik als H. im Fragment des Philolaos bezeugt: 
dgftovlai; fiiye&A; sort. ovAXafid xat 8i d^eidv . . . , 
»die H. ist gleich Quartintervall (Syllabe) + Quint- 
intervall . . .« (ed. Diehls-Kranz, Fragment B 6). DaB 
der Name genos enarmonion hier das auf die einzelne 
H. (= Oktave) beschrankte Tongeschlecht bezeichnen 
soil, geht auch hervor aus dem Gegenbegriff des genos 
diatonon (yhiac, Siarovov), des Genos mit durch- 
gehender, nicht auf den Oktavrahmen beschrankter 
Tonbewegung. Dafiir, daB geschichthch die Form der 
Oktavstruktur als harmonia = genos enarmonion am 
Anf ang gestanden hat, spricht sowohl dessen Bezeich- 
nung als harmonia schlechthin als auch die vielfach 
wiederholte Angabe des Aristoxenos, wonach die 
altere Schule der Harmoniker allein dieses theore- 
tisch behandelt hatten. Gerade diese Oktavstruktur, 
Ditonus - Viertelton - Viertelton - Ganzton - Ditonus 
- Viertelton - Viertelton (der Ganzton kann auch nach 
oben gesetzt werden, -»• Systema teleion), verbindet 
ein HochstmaB von »Auseinanderklingen« mit dem 
»Zusammenklang« des Gefiiges der Oktavstruktur 
im ganzen. Die H. ist das »Prinzip« der griechischen 
Musik und auch der Ausgangspunkt des anscheinend 
schon von -»■ Terpandros von Antissa im 7. Jh. v. Chr. 
begriindeten Systems. Das Prinzip der H. wurde jeden- 
f alls so friih auf gestellt, daB Harmonia als Tochter von 
Ares und Aphrodite (Personifikationen von »Ausein- 
anderklang« und »Zusammenklang«) und Gemahlin 
des zu »Kosmos« umgedeuteten Kadmos noch in den 
gemeingriechischen Mythos aufgenommen wurde. 
Harmoniai waren urspriinglich die ein FloB oder die 
Planken eines Schiffes zusammenf iigenden Klammern. 
Wahrscheinlich in einem bewuBten Schopfungsakt 
wurde aus den fiigenden Klammern der Harmoniai 
die H. als Prinzip der Fiigung gewonnen, ahnlich und 
wohl auch gleichzeitig mit den analogen Umdeutun- 
gen von uiXoi; (->■ Melos) zum Prinzip der Gliede- 
rung (als musikalischer Form) und ^oe, (-> Ethos) 
zum Prinzip des menschlichen Verhaltens und der hin- 
ter diesem Verhalten stehenden seelisch-charakterli- 
chen »Gestimmtheit« des Menschen. 
Das Verstandnis der H. als eines Gefiiges, dessen Teile 
voneinander unabhangig, aber in ihren Bewegungen 
aufeinander bezogen sind, blieb als Erbe der Pythago- 
reer und Platons in der Geistesgeschichte des Abend- 
lands wirksam. Ausschlaggebend dafiir war, daB die 
verschiedenen Arten von Zahlenbeziehungen in den 
qualitativen Unterschieden der Intervalle unmittelbar 
sinnfallig werden. Damit ist die Harmonik ein beson- 
ders eindringliches Beispiel fiir das philosophische 
Verfahren, die Erscheinungen der AuBenwelt als Ab- 
bilder von Zahlen (Pythagoreer) oder Ideen (Platon) zu 
erklaren. Als Zahlenlehre wurde sie unter die mathe- 
matischen Disziplinen der ^yxuKXio? 7rat8eta aufge- 
nommen (-> Ars musica). Zugleich kam ihr der zen- 
trale Platz in der Theorie der Griechischen Musik zu, 
die als u.oua»d) im weiteren Sinne »aus dreierlei be- 
steht: Logos, H. und Rhythmus« (Platon, Politeia III, 
398d), d. h. Dichtung und Tanz einschlieBt. Diese 
Konzeption der Harmonik als Teilgebiet einer um- 
fassenden Musiklehre, die sich auch in Augustins De 
musica nachweisen laBt, wurde dem Mittelalter vor al- 
lem durch Cassiodors Klassifikation der -»• Musica in 
armonica (est scientia musica quae decernit in sonis acutum 
et gravem), rithmica und metrica (Institutiones II, 5, 4) 
iiberliefert, die u. a. von Isidorus iibernommen wurde 
(Etymologiae III, 18; im folgenden Kapitel wird har- 
monica zu »Vokalmusik« umgedeutet). Sie wirkt noch 
in Zarlinos Istitutioni harmoniche (Venedig 1558, II, 7; 
dazu Zenck, S. 566) nach. Jedoch wurde die Harmonik 
auch mit der Musica schlechthin gleichgesetzt, vor al- 



361 



Harmonia 



lem seit Boethius, dessen De institutione musica aus- 
schlieBlich die Harmonik behandelt (vgl. Rud. Wagner 
in: MGG II, Sp. 51). Andererseits ermoglichte es eine 
nur den mathematischen Sachverhalt beriicksichtigen- 
de Definition der H. (z. B. Boethius, De institutione 
arithmetica II, 32 : Est enim armonia plurimorum adunatio 
et dissidentium consensio), den Geltungsbereich der H. 
iiber das Klangliche hinaus auszudehnen. Audi diese 
Tradition geht auf die Pythagoreer zuriick; ihr Grund- 
gedanke war: »Die harmonische Kraft wohnt allem 
inne, was seiner Natur nach vollendet ist, und erscheint 
am deutlichsten in der menschlichen Seele und in den 
Bewegungen der Gestirne« (Ptolemaios III, 4). Gele- 
gentlich wurde dariiber hinaus die H. in der Staatsord- 
nung behandelt, so mehrmals von Cicero. Die wich- 
tigsten Abhandlungen iiber diese im Makro- und 
Mikrokosmos waltende H. sind Buch III der 'Aq/ho- 
vixd des Claudius Ptolemaios und das 3. Buch der 
Schrift IIeqi /lovoixrjg des Aristeides Quintilianus. 
Beide wurden von Boethius ausgewertet, durch den 
die hier als f\ rov navzot; dgfiovia und rpvxixr) 
agfiovla (beides nach Aristeides Quintilianus III, 9) 
behandelten Erscheinungsformen der H. in der Drei- 
gliederung der Musica mundana, humana und quae 
in quibusdam constitute! est instrumentis (Boethius I, 2) 
zum Gegenstand der mittelalterlichen Ars musica wur- 
den. Fur die christliche Anschauung bekundet sich in 
der zahlenmaBigen Bestimmtheit der Weltordnung 
ihre Herkunf t aus Gott, gemafi dem Bibelwort : omnia 
in mensura, et numero, et pondere disposuisti (Liber Sa- 
pientiae 11, 22). Auch diese theologische Begriindung 
der H. kniipft an die Pythagoreer und besonders an die 
Erbrterungen iiber die -> Spharenharmonie und den 
Schopfergott in Platons oft kommentiertem Dialog 
Timaios an. - Seit den Neupythagoreern und Neu- 
platonikern der spatantiken Zeit gibt es neben der 
streng mathematischen Harmonik eine reiche Litera- 
tur, die dem Wirken der H. in den verschiedensten Da- 
seinsbereichen und den darauf beruhenden vielfaltigen 
Analogien nachspiirt, wobei vielfach mystische und 
magische Vorstellungen einfliefien. Zu dieser Tra- 
dition gehoren u. a. die Humanisten M.Ficino und 
Agrippa von Nettesheim, im 17. Jh. A.Kircher und R. 
Fludd, dessen Schriften in der deutschen Musiklehre 
um 1700 viel beachtet wurden. Streng mathematisch 
ging J.Kepler in seinen Harmonices mundi libri V (1619) 
vor, der, unter Verzicht auf die symbolische Deutung 
der H. und gestiitzt auf den Eukleides-Kommentar des 
Proklos, den Kreis zum Urbild aller H. des Seins er- 
klarte. M.Mersenne (Harmonie universelle, 1636-37; 
Cogitata physico-mathematica, 1644) schliefit sich mit 
der erneuten Betonung des Strukturhaften in der Zahl 
enger an Platon und Augustinus an. Zu hochster Be- 
deutung gesteigert erscheint der Begriff der (von Gott) 
prastabilierten Harmonie der Weltordnung in der Phi- 
losophic Leibniz'. Von hier aus lassen sich Parallelen 
zur Kunst J. S.Bachs ziehen, namentlich aber zur Mu- 
siklehre des deutschen Spatbarocks (vor allem Werck- 
meister), die es noch einmal unternimmt, mit einer 
theologischen und naturphilosophischen Deutung der 
H. den hohen Rang der Musik zu begriinden. Im 18 . Jh. 
wurde der Begriff der H. zu einer primar asthetischen 
Kategorie und von der traditionellen Bindung an die 
Zahlenproportionen weitgehend gelost. Im Zusam- 
menhang mit den Empfindungen vom Schonen und 
Guten sah Wieland die Wissenschaft der Harmonie, des 
Schonen und mit der Seele zusammen stimmenden, welche 
die alten Griechen Musice geheissen haben, und die man 
jezo die schonen Wissenschaften zu nennen pflegt (1754). 
Seit der Mitte des 19. Jh. ist einerseits die Zahlentheorie 
wieder in das Zentrum philosophischen Interesses ge- 



riickt, andererseits hat die spekulative Harmonik in 
A.v.Thimus ihren griindlichen Erforscher, in H.Kay- 
ser einen vielbeachteten modernen Vertreter gefunden. 

Lit.: Dem 1. u. 2. Absatz dieses Artikels liegt ein Ms. v. J. 
Lohmann, Freiburg i. Br., zugrunde. - Die Fragmente d. 
Vorsokratiker I, hrsg. v. H. Diehls u. W. Kranz, Bin 7 1 954; 
Aristoxeni Elementa harmonica, griech. u. ital., hrsg. v. R. 
Da Rios, 2 Bde, Rom 1954; Die Harmonielehre d. Klau- 
dios Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = Goteborgs hogsko- 
las arsskrift XXXVI, 1, Goteborg 1930, dazu Porphvrios' 
Kommentar, ebenda XXXVIII, 2, 1932, deutsche t(bers. 
ebendaXL, 1, 1934; Aristeides Quintilianus, De musica, 
hrsg. v. R. P. Winnington-Ingram, Lpz. 1963, deutsch v. 
R. Schafke, Bin 1937; Boethius, De institutione arithme- 
tica . . . , De institutione musica, hrsg. v. G. Friedlein, Lpz. 
1867; Cassiodorus, Institutiones, hrsg. v. R. A. B. My- 
nors, Oxford 1937, Neudruck 1963; Isidorus, Etymolo- 
giarum . . . libri XX, hrsg. v. W. M. Lindsay, 2 Bde, Ox- 
ford 1911, Neudruck 1957; G. Zaruno, Istitutioni harmo- 
niche, Venedig 1558, 31573, "1593, Faks. d. 1. Auflage, 
= MMMLF II, 1, NY (1965); R. Fludd, De templo mu- 
sicae, Oppenheim 1617; J. Kepler, Harmonices mundi 
libri ... V, Linz 1619, deutsch v. M. Caspar, Miinchen u. 
Bin 1939; M. Mersenne, Harmonie universelle, 2 Bde, Pa- 
ris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; ders., 
Cogitata physico-mathematica, 3 Bde, Paris 1644; A. Kir- 
cher SJ, Musurgia universalis, 2 Bde, Rom 1650, 2 1690; 
A. v. Thimus, Die harmonikale Symbolik d. Alterthums, 
2 Bde, Koln 1868-76; Riemann MTh; H. Abert, Die Mu- 
sikanschauung d. MA u. ihre Grundlagen, Halle 1905, 
Faks. hrsg. v. H. Hiischen, Hildesheim 1965; J. Stenzel, 
Zahl u. Gestalt bei Platon u. Aristoteles, Lpz. 1924; G. 
Pietzsch, Die Klassifikation d. Musik . . . , = Studien zur 
Gesch. d. Musiktheorie im MA I, Halle 1929; H. Zenck, 
Zarlinos »Istitutioni harmoniche« . . ., ZfMw XII, 1929/ 
30; H. Kayser, Der horende Mensch, Bin (1932); ders., 
Akroasis. Die Lehre v. d. Harmonik d. Welt, Basel 1946, 
Stuttgart 1947; ders., Lehrbuch d. Harmonik, Zurich 
1950; B. Meyer, "Apuovia [H.]. Bedeutungsgesch. d. Wor- 
tes v. Homer bis Aristoteles, Diss. Freiburg i. d. Schweiz 
1932; A. Speiser, Kepler u. d. Lehre v. d. Weltharmonie, 
in: Diemathematische Denkweise, Zurich 1932, = Wiss.u. 
Kulturl, Basel 3 1952 ; R. Schafke, Gesch. d. Musik- Asthe- 
tik ..., Bin 1934, Tutzing 21964; O. Gombosi, Studien zur 
Tonartenlehre d. fruhen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); E. Bindel, 
Die Zahlengrundlagen d. Musik im Wandel d. Zeiten I, 
Stuttgart 1950; H. H. Eggebrecht, Bach u. Leibniz, in: 
Ber. iiber d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950; D. P. Walker, 
Ficino's Spiritus and Music, Ann. Mus. I, 1953; R. Dam- 
mann, Zur Musiklehre d. A. Werckmeister, AfMw XI, 
1954; G. Steyer, Ein kritisches Wort zur harmonikalen 
Musik- u. Weltbetrachtung, MuK XXVII, 1957; L. Rich- 
ter, Die Aufgaben d. Musiklehre nach Aristoxenos u. 
Klaudios Ptolemaios, AfMw XV, 1958; W. Blanken- 
burg, Der Harmonie-Begriff in d. lutherisch-barocken 
Musikanschauung, AfMw XVI, 1959; K. G. Fellerer, 
Agrippa v. Nettesheim u. d. Musik, ebenda; J. Lohmann, 
Der Ursprung d. Musik, ebenda; E. Moutsopoulos, La 
musique dans l'ceuvre de Platon, Paris 1959; R. Haase, 
Einfuhrung in d. harmonikale Symbolik, Miinchen 1960; 
R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u. Miinchen 
(1962); E. E. Lippmann, Hellenic Conceptions of Harmo- 
ny, JAMS XVI, 1963; L. Spitzer, Classical and Christian 
Ideas of World Harmony, Baltimore 1963. 

Harmonichord ->- B o g e n f 1 u g e 1. 

Harmonie ist das Zusammenstimmen von Verschie- 
denem oder Entgegengesetztem (-»■ Harmonia), mu- 
sikalisch das Gefiige der Tone bzw. Klange und in der 
Neuzeit der Akkord und Akkordzusammenhang. Die 
Ausdriicke Harmonik und Harmonielehre bedeuteten 
urspriinglich dasselbe, haben sich aber voneinander 
getrennt. Der Terminus -*■ Harmonielehre bezeichnet 
eine Theorie oder eine Unterweisung und ist auf die 
Akkorde und Akkordverbindungen der dur-moll-to- 
nalen Musik eingeschrankt. Dagegen wird das Wort 
Harmonik heute f iir den Gegenstand der Theorie, den 



362 



Harmonielehre 



Klang- oder Akkordvorrat und dessen Verwendung, 
gebraucht; und man spricht von Harmonik nicht nur 
bei dur-moll-tonaler, s.ondern auch bei atonaler Musik 
und bei der modalen Mehrstimmigkeit des Mittelalters 
und der friihen Neuzeit. - Ein hoherer und ein tieferer 
Ton bilden nach antiker, vom Mittelalter ubernom- 
mener Auffassung eine H., wenn der Tonbeziehung 
eine einfache, »ausgezeichnete« Zahlenproportion zu- 
grunde liegt (-»■ Konsonanz - 1), sei es unmitcelbar 
(c-g) oder indirekt (c-d, vermittelt durch c-g und 
g-d). Der H.-Begriff des Mittelalters umfaBt tech- 
nisch sowohlTonfolgen (Isidorus von Sevilla, GS 1, 21b) 
als auch 2tonige Zusammenklange (Scholien zur Mu- 
sica Enchiriadis, GS I, 193a). Die Ubertragung auf 
3tonige Zusammenklange war zunachst (Fr. Gaflori 
1496, G.Zarlino 1558) mit Spekulationen iiber »ausge- 
zeichnete« 3gliedrige Zahlenverhaltnisse, die »harmo- 
nische« und die »arithmetische« Proportion, verbunden 
(->• Harmonische Teilung). J.-Ph.Rameau (1726) fiihr- 
te den Durdreiklang, den Zarlino mathematisch er- 
klart hatte, auf das Naturvorbild der Partialtonreihe 
zuriick (-> Naturklangtheorie) ; die H., das Zusam- 
menstimmen der Akkordtone, sei in der Einheit des 
Bezugspunktes (centre harmonique, Grundton) be- 
griindet. AuBer der Struktur von Akkorden umf aBte der 
H.-Begriff des 16.-18. Jh. auch die Zusammenfiigung 
von Tonen zu einer Melodie, von Stimmen zu einem 
Satz (G.Zarlino 1558, S.Calvisius 1592), von konso- 
nanten und dissonanten Zusammenklangen zu einer 
nach den Normen des Kontrapunkts geregelten Folge 
(J. G. Walther 1732) oder von Akkorden zu einer durch 
die -» Basse fondamentale bestimmten Progression 
(d'Alembert 1752, Fr.W.Marpurg 1757). Im 19. Jh. 
wurde der H.-Begriff auf die Akkordlehre einge- 
schrankt. Die Ausdriicke H. und Akkord werden ent- 
weder synonym gebraucht, oder die H. wird als zu- 
grunde liegendes Wesen vom Akkord als auBerer Er- 
scheinung unterschieden: verschiedene Akkorde (c-e-g, 
e-g-c 1 ) reprasentieren die gleiche H. (C dur-H.). In 
der den -*■ Funktionsbezeichnungen zugrunde liegen- 
den Theorie wird der H.-Begriff manchmal, allerdings 
nicht terminologisch streng, verwendet, um die funk- 
tionsbestimmenden Tone eines Akkords von Zusatzen 
zu unterscheiden : nach H.Riemann besteht z. B. die 
Subdominantparallele, in C dur d-f-a, aus den Sub- 
dominant-Tonen f-a und dem »harmoniefremden« 
(»auffassungsdissonanten« oder »scheinkonsonanten«) 
Zusatzton d. CD 

Harmoniefremde Tone, auch akkordf remde Tone, 

-> Nebennoten. 

Harmonielehre ist die Lehre vom Aufbau und von 
der Bedeutung der Akkorde in der dur-moll-tonalen 
Musik. Dabei meint der Begriff Harmonie alles, was 
im Akkord und zwischen den Akkorden Zusammen- 
hang stiftet. Die H. ist einerseits eine Theorie der »na- 
tiirlichen« Beschaffenheit dieser Zusammenhange, an- 
dererseits eine (heute historische) Satzlehre, die sich aus 
dem GeneralbaB entwickelt hat. Theorie und Satz- 
lehre haben sich wechselseitig beeinfluBt, so daB theo- 
retische Erkenntnisse haufig nur schwer von prakti- 
schen Lehrsatzen zu trennen sind (z. B. in Rameaus 
Schriften von 1722 und 1726 sowie in Riemanns Ver- 
einfachter H. von 1893). Voraussetzung fiir das Ent- 
stehen der H. war die Auffassung des Dur- und Moll- 
dreiklangs als akkordliche Einheit (Zarlino 1558), die 
Lehre von der Umkehrbarkeit der Dreiklange (ent- 
wickelt vor allem von Th.Campian 1613, Werckmei- 
ster 1687 und G.Keller 1707) und im Zusammenhang 
damit die durch den GeneralbaB bewirkte klangliche 
Identifizierung von Akkorden, die aus gleichnamigen 



Tonen - gleichgultig welcher Oktavlage - bestehen, 
schlieBlich die Ablosung der Kirchentone durch 
-> Dur und -»• Moll. Die ->■ Regola dell'ottava laBt ein 
bereits betrachtlich entwickeltes Gespiir fiir die Logik 
dur-moll-tonaler Akkordfolgen erkennen. - Das deut- 
sche Wort H. taucht anscheinend bei G. A. Sorge (Com- 
pendium harmonicum oder . . . Lehre von der Harmonie, 
1760) zuerst auf, blieb aber bis ins 19. Jh. meist der Ge- 
neralbaBlehre verbunden, so noch 1816 in der Harmo- 
nie- und Generalbafllehre vonJ.Drechsler. 
Als Theorie wie als Satzlehre beginnt die H. mit Ra- 
meaus Hauptschriften (ab 1722). Dennoch darf keine 
von ihnen als H. im Sinne des spateren 19. Jh. miB- 
verstanden werden. Dazu fehlt ihnen, soweit sie sich 
uberhaupt der praktischen Satzlehre widmen, bei- 
spielsweise die Beschrankung auf die homophone 
Setzweise. Als Reprasentant des Aufklarungszeitalters 
war Rameau darauf bedacht, alle musikalischen Er- 
scheinungen auf »Naturgegebenheiten« zuriickzufuh- 
ren (->■ Naturklangtheorie). Andererseits lieB er die 
Akkorde durch Uber- bzw. Untereinanderschichtung 
von Terzen entstehen. Grundakkorde sind ihm der 
Dreiklang sowie der durch Hinzufiigung einer weite- 
ren Terz davon abgeleitete Septimenakkord. Die Tone 
der Akkorde beziehen sich auf den bei Grundstellung 
tiefsten Ton, den Grundton, das centre harmonique. 
Auf diesem Begriff, nicht bloB auf dem Dreiklang, be- 
ruht nach Rameau das principe de l'harmonie (Traite). 
Im Nouveau systeme ist erstmalig von den drei sons fon- 
damentaux und ihren Akkorden als den drei Grundpf ei- 
lern jeder Tonart die Rede, dem son principal oder der 
(note) tonique (-»- Tonika) mit dem Dreiklang auf der 
1. Stufe der Tonleiter, der dominante (->■ Dominante) 
mit dem Akkord der kleinen Septime auf der 5. Stufe 
und der sousdominante (-»■ Subdominante) mit dem 
Quintsextakkord auf der 4. Stufe. Tonique, dominante 
und sousdominante werden durch die ihnen eigenen 
Akkorde unverwechselbar gepragt. Jeder Dreiklang 
kann durch Hinzufiigen einer groBen Sexte zum Ak- 
kord der Subdominante (z. B. c'-a 1 zu c'-e'-g 1 = 
c i_ei_gi_ a i = Subdominante mit -*■ Sixte ajoutee von 
G dur), jeder Durdreiklang durch Hinzufiigen einer 
kleinen Septime zum Dominantseptakkord werden 
(z. B. c'-b 1 zu ci-ei-g 1 = ci-ei-g'-b 1 = Dominant- 
septakkord von F dur). Beide verlangen eine bestimm- 
te Fortschreitung bzw. Auflosung, haben also modu- 
latorische Wirkung. Auch sind beide miteinander ver- 
wandt: wahrend in der Septime des Dominantsept- 
akkordes gleichzeitig die Subdominante vertreten ist, 
enthalt diese in der zur Dreiklangsquinte dissonieren- 
den Sexte ihrerseits als Bestandteil der Dominante 
deren Quinte. Der son principal steht zur sousdomi- 
nante, die dominante zum son principal im Verhaltnis 
einer reinen Quinte. Eine sinnvolle Folge von Akkord- 
grundtonen werde daher in erster Linie von Quint- 
schritten, erst in zweiter von Terzschritten gepragt 
(-> Basse fondamentale). Als erster vertrat Rameau die 
fiir die Entwicklung der H. entscheidende These, daB 
die Melodie aus der Harmonie hervorgehe (Traite). 
Die Durtonleiter entwickelt er daher aus den Akkor- 
den der drei sons fondamentaux, ein Verfahren, das er 
auf die (harmonische) Molltonleiter iibertragt. Seine 
Lehre vom Terzenaufbau und die Begriffe Tonika 
und Subdominante fanden rasch Verbreitung. Doch 
scheinen - sieht man von J. Fr. Daube ab (1756) - die 
Theoretiker und Praktiker des 18. Jh. die Bedeutung 
der drei sons fondamentaux fiir die Logik der Akkord- 
folgen noch nicht recht erkannt zu haben. So betrach- 
tete Kirnberger die Akkorde der Tonika, Dominante 
und Subdominante nur als elementare Harmonisie- 
rungsmoglichkeiten einer Melodie. Zusammen mit 



363 



Harmonielehre 



den Akkorden auf den ubrigen Stufen der Leiter er- 
gaben sich reichere Moglichkeiten. Auch herrscht 
noch lange Uneinigkeit iiber die Anzahl der Grund- 
akkorde. Erst H. Chr.Koch (1811) unterscheidet strikt 
zwischen »wesentlichen« (auf der 1., 4. und 5. Stufe der 
Tonleiter) und »zufalligen« Dreiklangen (auf den ubri- 
gen Tonleiterstufen). Der verminderte Dreiklang gilt 
ihm entgegen manchen GeneralbaBlehren (Sorge, Kirn- 
berger) als dissonant. Sein eigentlicher Grundton sei 
die Quinte der Tonart; diese Interpretation ist seither 
zum festen Bestandteil vor allem der funktionellen H. 
geworden. Dem fortgeschrittenen Wissen um die Lo- 
gik von Akkordverbindungen konnte die General- 
baBbezifferung nicht mehr geniigen. Als daher der 
GeneralbaB gegen Ende des 18. Jh. aus der musikali- 
schen Praxis verschwand, stand einer neuen Bezeich- 
nungsweise der Akkorde - nun ausschlieBlich fur ana- 
lytische Zwecke, dem Ziele Rameaus (1732) entspre- 
chend - nichts mehr im Wege. Sie wiirde 1817 von G. 
Weber als -*■ Buchstaben-Tonschrift entwickelt. Mit 
ihr bezeichnete er sieben Grundakkorde (Dur- und 
Molldreiklang, verminderter Dreiklang, Dur- und 
Molldreiklang mit kleiner Septime, verminderter Drei- 
klang mit kleiner Septime, Durdreiklang mit groBer 
Septime), wahrend er alle ubrigen Akkordbildungen 
als zufallig betrachtete und unbezeichnet lieB. We- 
ber iibernahm auch die 1800 von G.J.Vogler einge- 
fiihrte Numerierung der Tonleiterstufen und ihrer 
Akkorde mit romischen Ziffern. Mit ihrer Hilfe liefB 
sich zum erstenmal die Umdeutung eines Akkordes 
bei Modulationen genau bezeichnen. Vor allem von 
E.Fr.Richter (1853) wurde die neue Bezeichnungs- 
weise - entgegen Webers Absicht - durch Bestand- 
teile der GeneralbaBschrift erganzt. In dieser Gestalt 
ist sie, wenn auch im 20. Jh. 6fter mit Funktionsbe- 
zeichnungen verquickt (Schonberg 1954), als -» Stu- 
fenbezeichnung noch heute in Gebrauch. Eine Er- 
weiterung der Rameauschen Idee vom Centre har- 
monique bedeutete der von Castil-Blaze (1821) ge- 
pragte Begriff tonalite (->■ Tonalitat), den Fr. J. Fetis 
1844 als Beziehung der Akkorde auf ein gemeinsames 
Tonzentrum prazisierte. Sein starkes BewuBtsein von 
der geschichtlichen Bedingtheit der abendlandischen 
Musik lieB Fetis - im Gegensatz zu Rameau - erken- 
nen, daB die Harmonie nicht a priori von der Natur ge- 
geben, sondern als Erscheinung menschlichen Empfin- 
dens und Denkens geschichtlichen Wandlungen unter- 
worfen ist. Prophetisch hat Fetis die Entwicklung der 
Musik zu tonaler Vieldeutigkeit vorausgesehen. 
Im Laufe des 19. Jh. bildeten sich zwei Systeme der H. 
von weitreichender Bedeutung: die Fundamenttheorie 
S. Sechters (1853/54) und die Funktionstheorie H. Rie- 
manns (ab 1872). Sechters Theorie fuBt auf Rameaus 
Basse fondamentale und auf dessen Lehre vom Ter- 
zenaufbau der Akkorde. Alle Akkorde bauen sich auf 
dem BaBfundament auf, das auch verschwiegen sein, 
das heiBt hinzugedacht werden kann (z. B. zwischen 
den Akkorden auf c 1 und d 1 ein a unter c 1 , denn das 
Fundament, dessen primares Intervall die Quinte sei, 
steige hier nur scheinbar um eine Stufe). Die Drei- 
klange erscheinen - ganz wie spater im Sinne der Ton- 
psychologie C.Stumpfs (1883-90) - als Verschmel- 
zung zweier Terzen (Durdreiklang : groBe und kleine 
Terz, Molldreiklang: kleine und groBe Terz). Auch 
Riemann bezieht sich auf Rameau, jedoch auf den Har- 
moniker (d. h. den Verfechter der Naturklangtheorie) ; 
Rameaus Lehre vom Terzenaufbau der Akkorde lehnt 
er als unfruchtbaren Schematismus ab. Im Gegensatz 
zum iiberwiegend padagogisch-praktisch orientierten 
Sechter ist Riemann sowohl Theoretiker als auch 
Padagoge. Der Theoretiker empfing entscheidende 



Anregungen von den akustischen und tonphysiologi- 
schen Entdeckungen H. v. Helmholtz' (1863). Musik- 
horen war ihm jedoch eine hochgradig entwickelte 
Betatigung logischer Funktionen des menschlichen 
Geistes. Daher kam er spater mehr und mehr davon 
ab, von den positiven Wissenschaften Aufschlusse iiber 
das innerste Wesen der Musik zu erwarten. Nach der 
Auseinandersetzung mit der Tonpsychologie Stumpfs 
gelangte er schlieBlich zu der Uberzeugung, daB gar 
nicht die wirklich erklingende Musik, sondern vielmehr die 
in der Tonphantasie des schaffenden Kiinstlers vor der Auf- 
zeichnung in Noten lebende und wieder in der Tonphantasie 
des Horers neu entstehende Vorstellung der Tonverhaltnisse 
das Alpha und das Omega der Tonkunst ist (1914/15). 
Der Grundgedanke seiner' H., daB Tone stets als Ver- 
treter von Klangen (Akkorden) aufzufassen seien 
(-> Klangvertretung), betrifft eine Vorstellung (keine 
akustisch-physiologische Realitat). Sie gilt unter der 
Voraussetzung, daB der Dreiklang, nicht aber Tone 
oder Intervalle als das in der Musik primar Gegebene 
angesehen werden. Auch Riemanns -> Dualismus (In- 
terpretation des Durdreiklangs als Oberklang, desMoll- 
dreiklangs als gleichberechtigter, aber polar entgegen- 
gesetzter Unterklang eines Tones) hat seine Realitat in 
der Vorstellung. Dies mag erklaren, warum Riemann 
auch dann noch an dieser Auffassung festhielt, nach- 
dem er sich von der Unhorbarkeit der »Untertone«, in 
denen er den Beweis fur die Konsonanz des Mollak- 
kordes gefunden zu haben glaubte, iiberzeugen muBte. 
Dualismus und Klangvertretung bilden die Basis, auf 
der sich sein System der H. aufbaut. Dissonant sind 
ihm alle Akkorde, die sich nicht aus Prime, Terz und 
Quinte desselben Ober- bzw. Unterklanges zusam- 
mensetzen, also auch der aus Prime und Terz der Sub- 
dominante und aus der Quinte der Dominante be- 
stehende scheinbare Molldreiklang auf der 2, Stufe in 
Dur (-»■ Auffassungsdissonanz). War Riemann schon 
die Unterscheidung von Konsonanz und Dissonanz 
eine Betatigung unseres logischen Instinkts auf dem Ge- 
biete der Musik, so noch mehr die Beurteilung von 
Akkordfortschreitungen. Schon 1872 hatte er aus der 
Kadenz I-IV-I-V-I, dem Typus aller musikalischen 
Form, die Grundziige einer harmonischen Logik ent- 
wickelt, indem er M.Hauptmanns dialektische Be- 
griff e (1853) der Oktave, Quinte und (GroB-)Terz (Ein- 
heit - Entzweiung - Einigung) auf das zeitliche Nach- 
einander der Akkorde ubertrug. Im zweiten Auftreten 
der Tonika nach der Subdominante sah er die Quint- 
entzweiung oder Antithese, die sich der Oktavenein- 
heit (These) des ersten Auf tretens entgegensetzt und die 
ihre Terzeinigung durch die Oberdominante (Synthe- 
se) wieder in der Tonika findet. Die Hauptmannschen 
Begriff e gab Riemann zwar schon 1873 wieder auf, 
spater auch die Termini These, Antithese und Synthe- 
se, die Interpretation der Akkorde in ihrem Sinne 
blieb jedoch erhalten, d. h. die Logik der Akkordfol- 
gen und die Logik der vollstandigen Kadenz sind ihm 
eins. Riemanns H. erhielt 1893 ihre abschlieBende For- 
mulierung in der Lehre von den tonalen Funktionen 
der Akkorde (-> Funktionsbezeichnung). Riemanns 
Akkordbezeichnungen, die allmahlich aus denen G. 
Webers und A. v. Oettingens (1866) entstanden, tren- 
nen die H. endgultig vom GeneralbaB, indem sie auch 
die Akkordumkehrungen nicht mehr vom BaBton, 
sondern vom Bezugston des Akkordes aus beziffern; 
z. B. den C dur-Sextakkord als £. Seine 1893 entwik- 
kelten Buchstabensymbole (T= Tonika, D = Domi- 
nante, S = Subdominante u. a.) interpretieren nicht 
die Klange a priori; sie sind vielmehr die Funktions- 
bezeichnungen. Funktion ist nach H.Grabner die Be- 



364 



Harmonielehre 



deutung des einzelnen Klangesfiir den harmonischen Ge- 
samtverlauf des Stiickes. Dieser wird bestimmt dutch die 
Beziehung alter Klange aufein harmonisches Zentrum, die 
Tonika. Umgekehrt aber - so ist zu erganzen - wird 
nur der Klang zur Tonika, auf den sich alle iibrigen 
Klange beziehen. Die meisten Lehrbiicher des 20. Jh. 
sind von Riemanns H. mehr oder weniger beeinfluBt, 
selbst Unterrichtswerke, die, wie die H. von R.Louis 
und L.Thuille (1907), die Weberschen Stufenbezeich- 
nungen beibehielten. Doch gerade von iiberzeugten 
Verfechtern der funktionellen H. wurden Riemanns 
Lehren weitgehend umgestaltet. So betonte H. Grab- 
ner (1923) starker die Selbstandigkeit der Nebendrei- 
klange und lieB die Moglichkeit, sie als Scheinkonso- 
nanzen aufzufassen, mehr in den Hintergrund treten. 
Er gab den Dualismus Riemanns auf und sah die Ne- 
bendreiklange unter dem Blickwinkel der Terzver- 
wandtschaft. Hier ist der EinfluB spatromantischer 
Harmonik spiirbar. In starkerem MaBe noch gilt dies 
von Grabners neuem Begriff Mediantik, einer Sonder- 
form der Terzverwandtschaft, die sich nur mehr auf 
das Grundtonverhaltnis (GroB- oder Kleinterz) be- 
schrankt; z. B. as-c-es = untere GroBterzmediante 
von c-e-g. Doch sind im 20. Jh. auch wieder pytha- 
goreische Vorstellungen von der Quinte als dem einzi- 
gen die Tonverwandtschaften konstituierenden Inter- 
vall lebendig (Handschin 1948). Aus dem Dualismus 
v. Oettingens und Riemanns entwickelte S.Karg-Elert 
ein System extremer Polaritat (Polarismus). Monisti- 
sche Vorstellungen (Auffassung des Mpllakkords im 
Dursinne) kommen demgegeniiber in den Funktions- 
symbolen des Grabner-Schiilers W. Maler zum Aus- 
druck (GroBschreibung der Dur- und Kleinschreibung 
der Mollsymbole). Der Bruckner-Schiiler H. Schenker 
loste 1906 den allzu neutralen Stufenbegriff aus der en- 
gen Bindung an den einzelnen Dreiklang. Nicht jeder 
Dreiklang sei mit einer Stufe identisch. Diese bilde 
vielmehr eine hohere abstrakte Einheit, so daft sie zuweilen 
mehrere Harmonien konsumiert, von denen jede einzelne 
sich als selbstandiger Dreiklang oder Vierklang betrachten 
liefte . . . Die so definierten Stufen bilden iibergeord- 
nete Zusammenhange, die Hindemith (1937) im An- 
schluB an Schenker -*■ Stufengang nannte. Den har- 
monisch kompliziertenWerken am Ende der dur-moll- 
tonalen Epoche wird die H. zumeist nicht mehr ge- 
recht. In Schonbergs im wesentlichen »klassischer« H. 
(1911) - nur am Ende des Buches ist von schwebender 
und aufgehobener Tonalitat, von der Ganztonleiter 
und von Quartenakkorden die Rede - kommt dies 
deutlich zum Ausdruck. Aber auch einfache Drei- 
klangsfolgen richten sich (z. B. bei Debussy) oft nicht 
mehr nach der Logik des Kadenzgeschehens. Gleich- 
zeitig unterlag der Grundgedanke der H., alle Ton- 
ereignisse auf Klange zuruckzufiihren, seit E.Kurth 
(1913) mehr und mehr der Kritik. Auch verlor die H. 
die Vorrangstellung im Unterricht, die ihr vor allem 
in der zweiten Halfte des 19. Jh. zugef alien war, an den 
-> Kontrapunkt. Unter dem Oberbegrifl -> Satzlehre 
werden beide Disziplinen heute zusammengef aBt, ohne 
daB damit jedoch eine Vermischung beider gemeint 
ist. Das Interesse der Musiktheoretiker an der H. ist 
stark geschwunden, seitdem - ausgelost vor allem 
durch die Musik der Wiener Schule - die Frage nach 
den Tonzusammenhangen neu gestellt werden muBte. 

Lit.: G. Zarlino, Istitutioni harmoniche, Venedig 1558, 
31573, 41593, Faks. d. 1. Auflage, =MMMLF1I, 1,NY 
(1965); ders., Dimostrationi harmoniche, Venedig 1571, 
Faks., ebenda II, 2, (1965); Th. Campian, A New Way 
of Making Foure Parts in Counter-Point, London (1613); 
A. Werckmeister, Musicae mathematicae Hodegus cu- 
riosus, Ffm. u. Lpz. 1686/87, 21689; G. Keller, Rules 



for a Complete Method ... to Play a Thorough-Bass, 
London 1707 u. 6.; Fr. Campion, Traite d'accompagne- 
ment et de composition selon la regie des octaves, Paris 
u. Amsterdam 1716; J.-Ph. Rameau, Traite de l'harmo- 
nie reduite a ses principes naturels, Paris 1722; ders., 
Nouveau systeme de musique theorique, Paris 1726; ders., 
Dissertation sur les differentes methodes d'accompagne- 
ment pour le clavecin ou pour I'orgue . . ., Paris 1732; 
ders., Gen6ration harmonique, ou Traite de musique 
theorique et pratique, Paris 1737; ders., Demonstration 
du principe de 1'harmonie, servant de base a tout l'art mus. 
theorique et pratique, Paris 1750, deutsch v. E. Lesser, 
= Quellenschriften d. Musiktheorie I, Wolfenbiittel u. 
Bin 1930; ders., Code de musique pratique ... , Paris 1 760 ; 
L. Euler, Tentarhen novae theoriae musicae, St. Peters- 
burg 1739 ; G. A. Sorge, Vorgemach d. mus. Composition, 
3 Bde, Lobenstein 1745-47; ders., Compendium harmo- 
nicum oder kurzer Begriff d. Lehre v. d. Harmonie, ebenda 
1760; J. d'Alembert, Elemens de musique theorique et 
pratique, suivant les principes de M. Rameau, Paris 1752, 
2 1759, Lyon 3 1762, deutsch v. Fr. W. Marpurg als: Hrn. 
d'Alembert . . . Systematische Einleitung in d. mus. Setz- 
kunst, nach d. Lehrsatzen d. Herrn Rameau, Lpz. 1757; 
G. Tartini, Trattato di musica secondo la vera scienza 
dell'armonia, Padua 1754, deutsch v. A. U. Rubeli, Diss. 
Zurich 1958; ders., Dissertatione dei principi dell'armonia 
mus., Padua 1767; Fr. W. Marpurg, Hdb. bey d. Gb. 
u. d. Composition, 3 Teile, Bin 1755-58, Anh. 1760, 1. 
Teil 2 1762; ders., Anfangsgriinde d. theoretischen Mu- 
sik, Lpz. 1757; ders., Versuch iiber d. mus. Temperatur, 
Breslau 1776; J. Fr. Daube, General-Ba8 in drey Accor- 
den, Lpz. 1756; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, 
Genf 1767(7), Paris 1768 u. 6.; J. G. Sulzer, Allgemeine 
Theorie d. Schonen Kiinste, 2 Teile, Lpz. 1771-74, Artikel 
Harmonie; J. Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen Satzes 
in d. Musik, 2 Bde, Bin u. Konigsberg 1 771-79 ; G. J. Vog- 
ler, Tonwiss. u. Tonsetzkunst, Mannheim 1776; ders., 
Choral-System, Kopenhagen 1800; ders., Hdb. d. H. u. f. 
d. Gb., Prag 1802; H. Chr. Koch, Versuch einer Anleitung 
zur Composition, I Rudolstadt 1782, II— III Lpz. 1787-93; 
ders., Hdb. bey d. Studium d. Harmonie, Lpz. 1811 ; G. 
Weber, Versuch einer geordneten Theorie d. Tonsetz- 
kunst, 3 Bde, Mainz 1817-21, 21824 (4 Bde), 31830-32; Fr. 
H. J. Castil-Blaze, Dictionnaire de musique moderne, 
Paris 1821, 21825, bearb. v. J. H. Mees, Briissel 1828; Fr.- 
J. F£tis, Traite complet de la theorie et de la pratique de 
1'harmonie, Paris 1844, '1861, 121879; A. B. Marx, Die 
Lehre v. d. mus. Komposition, 4 Bde, Lpz. 1837-47 u. 6., 
neu bearb. v. H. Riemann I «1887, II 71890, IV 51888; E. 
Fr. E. Richter, Lehrbuch d. Harmonie, Lpz. 1 853, 341948 ; 
S. Sechter, Die Grundsatze d. mus. Komposition, 3 Bde, 
Wien 1853-54; M.HAUPTMANN.DieNaturd. Harmonik u. 
d. Metrik, Lpz. 1 853, 21 873 ; H.v. Helmholtz, Die Lehre v. 
d. Tonempfindungen ..., Braunschweig 1863, 61913; A. v. 
OETTiNGEN.HarmoniesystemindualerEntwickelung, Dor- 
pat u. Lpz. 1866, als: Das duale Harmoniesystem, Lpz. 
21913; H. Riemann, Mus. Logik, NZfM LXVIII, 1872, 
Nr 28ff. (unter d. Pseudonym Hugibert Ries), auch in: 
Praludien u. Studien III, Lpz. 1901 ; ders., Ueber d. mus. 
Horen, Diss. Gottingen 1873, als: Mus. Logik, Lpz. 1873; 
ders., Mus. Syntaxis. GrundriB einer harmonischen Satz- 
bildungslehre, Lpz. 1877; ders., Skizze einer neuen Me- 
thode d. H., Lpz. 1 880, umgearbeitet als: Hdb. d. H., 21 887, 
51912, '1920, 101929; ders., Vereinfachte H. oder d. Lehre 
v. d. tonalen Funktionen d. Akkorde, London u. NY 1893, 
21903; Riemann MTh; ders., Ideen zu einer Lehre v. d. 
Tonvorstellungen, JbP XXI, 1914 - XXII, 1915; ders., 
Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP 
XXIII, 1916; A. Thurlings, Die beiden Tongeschlechter 
u. d. neuere mus. Theorie, Bin 1877; C Stumpf, Tonpsy- 
chologie, 2 Bde, Lpz. 1883-90, Nachdruck Hilversum u. 
Amsterdam 1965; B. Ziehn, Harmonie- u. Modulations- 
lehre, Braunschweig 1888, 2 1910;G. CAPELLEN,Die»mus.« 
Akustik als Grundlage d. Harmonik u. Melodik, Lpz. 
1903; ders., Fortschrittliche Harmonie- u. Melodielehre, 
Lpz. 1908; M. Reger, Beitr. zur Modulationslehre, Lpz. 
1903 ; A. Halm, H., = Slg Goschen CXX, Bin u. Lpz. 1905, 
Neudruck 1 934; H . Schenker, Neue mus. Theorien u. Phan- 
tasien I, H., Stuttgart u. Bin 1906, engl. Chicago 1954; R. 
Louis u. L. Thuille, H., Stuttgart 1907,91929, neu bearb. 
v. W. Courvoisier, R. G'schrey, G. Geierhaas u. K. Blessin- 



365 



Harmoniemusik 



ger > ioi933;A.ScH6NBERQ > H.,Wienl911 > 51960,engl.NY 
1947 ; ders., Structural Functions of Harmony, London u. 
NY 1954, deutsch als: Die formbildenden Tendenzen d. 
Harmonie, Mainz 1957; E. Kurth, Die Voraussetzungen 
d. theoretischen Harmonik u. d. tonalen Darstellungssyste- 
me, Bern 1913; ders., Romantische Harmonik u. ihre Krise 
in Wagners Tristan, Bern u. Lpz. 1 920, Bin 2 1 923 ;H. Grab- 
ner, Regers Harmonik, Munchen 1920, 2 1961 ; ders., Die 
Funktionstheorie H. Riemanns u. ihre Bedeutung f. d. 
praktische Analyse, Munchen 1923, 2 1930; ders., Die 
wichtigsten Regeln d. funktionellen Tonsatzes, Lpz. 1935; 
ders., Hdb. d. H., 2 Bde, = Hesses illustrierte Hdb. XV(a) 
u. XXV, Bin 1943-44, 21951 = Hesses Hdb. d. Musik XV; 
S. Karg-Elert, Die Grundlagen d. Musiktheorie, Lpz. 
1920; ders., Akustische Ton-, Klang- u. Funktionsbe- 
stimmung, Lpz. 1930; ders., Polaristische Klang- u. To- 
nalitatslehre, Lpz. 1931; H. Erpf, Studien zur Harmo- 
nie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 1927; E. 
Kirsch, Wesen u. Aufbau d. Lehre v. d. harmonischen 
Funktionen, Habil.-Schrift Breslau 1928; H. Mersmann, 
Musiklehre, Bin 1929; W. Maler, Beitr. zur H., 3 Hefte, 
Lpz. 1931, neu bearb. mit G. Bialas u. J. Driessler als: 
Beitr. zur durmolltonalen H., Munchen u. Lpz. 3 1950, 
Munchen u. Duisburg 4 1957; H. L. Denecke, Die Kom- 
positionslehre H. Riemanns, hist. u. systematisch darge- 
stellt, Diss. Kiel 1937; P. Hindemith, Unterweisung im 
Tonsatz, 2 Bde, I Mainz 1937, 21940, II Mainz 1939, engl. 
als: Craft of Mus. Composition, I London 1942, II 1941 ; 
ders., A Concentrated Course in Traditional Harmony, 
NY I 1943, 21944, II 1948, deutsch als: I Aufgabenf. Har- 
monieschuler u. II Harmonieilbungen f. Fortgeschrittene, 
Mainz 1949; W. Piston, Harmony, NY 1944; J. Hand- 
schin, Der Toncharakter, Zurich (1948); Fr. Neumann, 
Synthetische H., Lpz. 1951 ; W. Keller, Hdb. d. Tonsatz- 
lehre, 2 Bde, Regensburg 1957-59; A. Forte, Schenker's 
Conception of Mus. Structure, Journal of Music Theory 
III, 1959; W. Dunwele, The Evolution of 20 th -Cent. 
Harmony, London 1960; J. Mekeel, The Harmonic 
Theories of Kirnberger and Marpurg, Journal of Music 
Theory IV, 1960; M. Vogel, Der Tristan-Akkord u. d. 
Krise d. modernen H., = Orpheus-Schriftenreihe zu 
Grundfragen d. Musik II, Diisseldorf 1962; P. Rummen- 
holler, M. Hauptmann als Theoretiker, Wiesbaden 1963 ; 
J. W. Krehbiel, Harmonic Principles of J.-Ph. Rameau 
and His Contemporaries, Diss. Indiana Univ. 1964, 
maschr.; E. Seidel, Die H. H. Riemanns, in: Beitr. zur Mu- 
siktheorie d. 19. Jh., hrsg. v. M. Vogel, = Studien zur Mg. 
d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966. 

Harmoniemusik (frz. harmonie; ital. banda, ar- 
monia; engl. wind band), im Unterschied zur reinen 
-*■ Blechmusik ein Blasorchester mit gemischter Be- 
setzung aus Holz- und Blechblasinstrumenten (auch 
mit Schlagzeug), wie es (als Musikkorps) vor allem f in- 
die -»■ Militarmusik typisch ist. AuBerdem wird die ge- 
mischte Blaserbesetzung von zahlreichen Musikverei- 
nen und Stadtmusikkapellen, in den USA von Schul-, 
Hochschul- und Universitatsblasorchestem bevorzugt. 
Im AnschluB an die -»- Orpheon-Bewegung entstan- 
den in Frankreich neben Fanfares (Blechorchestern) auch 
Harmonies. - In der Infanteriemusik deutscher Heere 
kam die H.-Besetzung in der 2. Halfte des 18. Jh. auf, 
doch gibt es gemischte (ad hoc zusammengestellte) 
Blaserbesetzungen schon friiher (z. B. Handels »Feuer- 
werksmusik« 1749). Das f riiheste Einsetzen und der Be- 
stand von Originalkompositionen fur H. im 18. Jh. 
(meist als Parthien bezeichnet, z. B. von I. Franzl, Fr. A. 
Rofller und J.Haydn, Hob. II, 41*-46*) ist noch nicht 
uberschaubar. Eine verbreitete Standardbesetzung der 
1770er Jahre war das Blaseroktett (2 Ob., 2 Klar., 2 
Horner und 2 Fag.). Mozart und Beethoven schrieben 
nicht nur mehrere Originalwerke fur H., sondern hat- 
ten Teil an der zu ihrer Zeit schon verbreiteten Praxis 
des Arrangierens fiir H. (vgl. Mozarts Brief an den Va- 
ter vom 20. 7. 1782 iiber die Blaserbearbeitung der 
Entfiihmng; wahrend Beethovens op. 20 und 72 noch 
von Fremden arrangiert wurden, entstanden die Uber- 



tragungen von op. 84 und 91 fiir vollstandige Tiirkische 
Musik und von op. 92 und 93 fiir Blasernonett unter 
Aufsicht des Komponisten und erschienen gleichzeitig 
mit der Originalausgabe). Das Aufkommen der Ven- 
tile an den Blechblasinstrumenten und die zahlreichen 
neu entwickelten Instrumentenf ormen erweiterten die 
Besetzungsmoglichkeiten der H. im 19. Jh. Qualitativ 
hochstehende Kompositionen fiir H. wurden nun sel- 
tener (Mendelssohn Bartholdy, Ouverturefiir H. op. 24, 
1828), dafiir machten die H.- Arrangements die jeweils 
neuesten Werke des Konzertsaals und der Oper einem 
weiteren Publikum in regelmaBigen Garten- und Pro- 
menadenkonzerten bekannt. In neuerer Zeit schrieben 
anspruchsvollere Kompositionen fiir H. u. a. Strawinsky 
(Symphonie d 'instruments a vent, 1921, revidiert 1947; 
Circus Polka, 1942), Hindemith (Konzertmusik fur Blas- 
orch. op. 41, 1926) und Schonberg (Theme and Variations 
op. 43A, 1943). 

Lit.: J. H. Saro, Instrumentationslehre f. Militarmusik, 
Bin 1883; A. Kalkbrenner, Die Organisation d. Militar- 
musikchore aller Lander, Hannover 1 884 ; G. Pares, Traite 
d'instrumentation et d'orchestration a l'usage des mu- 
siques militaires, Paris 1898; L. Degele, Die Militarmusik, 
Wolfenbuttel 1937; B. Husted, The Brass Ensemble, Diss. 
Rochester (N. Y.) 1955, maschr. ; J. Wagner, Band Scor- 
ing, NY 1960; R. Fr. Goldman, The Wind Band, Boston 
1961. 

Harmonik -> Harmonia, -> Harmonie. 

Harmonika -> Glasharmonika. 

Harmonika-Instrumente, Gattungsbezeichnung fiir 
eine in vielfaltigen aufieren Formen ausgepragte Fa- 
milie von Musikinstrumenten mit durchschlagenden 
Zungen, die seit ihrer Erfindung kurz nach 1800 Ein- 
gang in das volkstiimliche Musizieren fanden und urn 
die Mitte des 19. Jh. auch von Virtuosen aufgegriffen 
wurden. Nach dem 1. Weltkrieg erlebten sie vor al- 
lem durch den »Trossinger Kreis« einen neuen Auf- 
schwung und sind im Laienmusizieren unserer Zeit 
sehr verbreitet. Ihre hochstentwickelten Formen, das 
->■ Akkordeon und die (chromatische) -*■ Mundhar- 
monika, haben sogar Eingang in den Konzertsaal ge- 
funden. - Nach 1750 mehren sich die Zeugnisse fiir die 
Verwendung der durchschlagenden Zunge. Chr. G. 
Kratzensteins um 1780 geschaffene Sprechmaschine 
zur Nachahmung der menschlichen Stimme sowie die 
Versuche der Orgelmacher Kirsnik und Racknitz und 
die endgiiltige Ubernahme der durchschlagenden 
Zunge in den Orgelbau durch Abbe Vogler sind fiir 
die Auspragung der H.-I. nicht so bedeutsam wie Chr. 
Fr. L. Buschmanns Mund-Aeoline (1821). Dieses In- 
strument - die Vorlauferin der Mundharmonika - 
sollte zunachst lediglich zum Orgelstimmen dienen, 
wurde aber schon ein Jahr spater, um die Hande beim 
Stimmen frei zu bekommen, mit einem senkrecht 
stehenden Faltenbalg versehen, der aufgezogen wurde 
und unter dem eigenen Gewicht langsam wieder zu- 
sammensank, dadurch einen gleichmaBig stromenden 
Lufthauch erzeugend. Diese »Hand-Aeoline« - die 
Vorform aller spateren Handharmonikatypen - wur- 
de von Buschmann selbst spater Concertina genannt; 
sie wurde von C. Demian in Wien mit BaBtasten ver- 
sehen und 1829 als Accordion patentiert. Beide Instru- 
mente hatten mit dem heutigen Akkordeon die Art 
der Tonerzeugung gemein; das Spiel war auf 1-3 dia- 
tonische Durtonleitern beschrankt und nach Art der 
wechseltonigen -> Handharmonika erklangen beim 
Niederdriicken ein und derselben Taste bei Balgzug 
und -druck zwei verschiedene Tone. Die Buschmann- 
sche Hand-Aeoline entwickelte sich in Deutschland 
zur sogenannten deutschen Harmonika (eine Neben- 



366 



Harmonische Teilung 



form fuhrte iiber die ->• Konzertina zum -*■ Bandonion, 
wahrend das Demiansche Accordion zum Wiener 
Modell weitergebildet wurde. In Tonaufbau und -an- 
ordnung, Tonerzeugung und Spieltechnik entsprechen 
sich deutsche und Wiener Harmonika, unterscheiden 
sich aber in ihrer auBeren Form (offene Klappenan- 
ordnung beim deutschen Modell) und vor allem da- 
durch, daB die Wiener Instrumente f este Kopplungen 
der einzelnen Stimmzungenreihen (Chore) hatten 
(Kopplungen der 8'-Grundreihe mit der tiefen Oktave 
oder einer meist parallel zur Grundreihe verlaufenden 
Schwebetonreihe), wahrend die einzelnen Chore des 
deutschen Modells durch der Orgel nachgebildete Re- 
gisterschieber wahlweise ein- und ausgeschaltet wer- 
den konnten. Beide Typen gingen allmahlich zur ein- 
seitigen Balgfiihrung - Bedienung des Balges nur mit 
einer Hand - iiber, dagegen behielten die Konzertina 
und ihre abgeleiteten Formen die doppelseitige Balgfiih- 
rung bei. - Die steigenden musikalischen Anforderun- 
gen an die Handharmonika lieBen ihre Beschrankung 
auf ein bis hochstens drei diatonische Durtonleitern 
mehr und mehr spiirbar werden. Man fiigte Hilfs- 
tasten ein, die wenigstens ein Ausweichen in die Ober- 
dominante zulieBen. Andere Versuche fiihrten um 
1850 (durch den Wiener Musiker Walter) zur Chro- 
matisierung der Diskantseite und schlieBlich zur 
»Gleicht6nigkeit«, wobei aber auf der BaBseite die 
Wechseltonigkeit zunachst beibehalten wurde (Typ 
der Wiener Schrammelharmonika). Gegen Ende des 
Jahrhunderts wurde auch die BaBseite gleichtonig. 
Das nun entstandene Instrument erhielt den Namen 
-> Akkordeon und trug bereits alle Wesensmerkmale 
des heutigen Instruments gleichen Namens. - Beim 
Wiener Modell konzentrierte sich die weitere Ent- 
wickJung auf den Zweireiher, der besonders nach dem 
1. Weltkrieg durch Einfiigung mehrerer nun in eine 
3. Tastenreihe verlegter Hilfstasten (in der Regel 7) 
und durch den 1916 geschaffenen »Gleichton« (c 2 ) in 
der 2. Reihe zum »Klub-Modell« ausgebaut wurde, 
der heute herrschenden diatonischen Handharmonika. 
Spater wurden beide Instrumententypen, (diatonische) 
Handharmonika und (chromatisches) Akkordeon, 
auch technisch vervollkommnet und ihre musikali- 
schen Moglichkeiten durch Register und andere Spiel- 
hilfen erweitert. Hand in Hand mit der technischen 
Vervollkommnung des Instruments ging die 1926 von 
E.Hohner angeregte musikliterarische und spielme- 
thodische Entwicklung, die zu dem von H. Herrmann 
gefiihrten »Trossinger Kreis« sowie zur 1931 gegriin- 
deten Stadtischen Musikschule Trossingen und der 
im gleichen Jahr ins Leben geruf enen Edition Hohner 
fuhrte. - Weiterbildungen der H.-I. (Baritonakkor- 
deon, BaBorgel u. a.) hielten sich im wesentlichen an 
die iiberlieferten Formen. In jiingster Zeit wurde dem 
Akkordeon ein weiteres Manual auf der BaBseite zu- 
gefiigt, das Melodiespiel iiber 5'/2 Oktaven ermog- 
licht. Vollig neu ist die Anwendung des Prinzips der 
elektronischen Tonerzeugung bei den H.-I.n, die zur 
Electravox, einem rein elektronischen Akkordeon, 
fuhrte. - Die Entwicklung der Mundharmonika ver- 
lief wesentlich einfacher. Die diatonische Mundhar- 
monika herrschte in verschiedenen, nur dem Tonum- 
fang und dem Klang nach verschiedenen Typen bis 
weit ins 20. Jh. hinein allein. Sie gait zunachst als Mu- 
sikspielzeug, wurde aber in den 1920er Jahren durch 
Ubernahme in das Volksmusizieren mehr und mehr 
zum Musikinstrument. Das solistische Musizieren ver- 
langte jedoch nach der chromatischen Mundharmoni- 
ka und nach Spezialinstrumenten tieferer Tonlage, un- 
ter denen die BaBmundharmonikas und die Akkord- 
begleitinstrumente im Vordergrund stehen. Ein neue- 



rer Typ (Harmonetta) vereinigt Melodie- und Be- 
gleitinstrument in einem. Daneben wurde die Mund- 
harmonika aber auch als reines Melodieinstrument 
weiterentwickelt. Als wichtigstes Ergebnis dieser Be- 
miihungen gilt die Melodica, ein in ihrer auBeren 
Form der Blockflote nachgebildetes Mundharmonika- 
Instrument, dessen Klappenmechanik durch Klavier- 
tasten ausgelost wird. Es wird in verschiedenen Stimm- 
lagen (Sopran, Alt) gebaut. - Die Harmonikaherstel- 
lung erfolgte urspriinglich auf rein handwerklicher 
Basis. Die rege Nachfrage nach seinen Mundharmoni- 
kas notigte aber den Trossinger Uhrmacher Matthias 
-v Hohner schon 1857, mit der fabrikmaBigen Her- 
stellung zu beginnen, aus der dann ein ganzer Indu- 
striezweig entstand, der heute neben Mund- und Hand- 
harmonikas auch andere (vor allem elektronische) In- 
strumente herstellt und in alle Welt exportiert. Weitere 
Schwerpunkte der europaischen Harmonikaherstel- 
lung liegen im Vogtland (Klingenthal) und in Italien. 
Lit.: H. Buschmann, Chr. Fr. L. Buschmann, Trossingen 
1934; J. Fischer, M. Hohner, Stuttgart 1940; R. Sonner, 
Schwingende Zungen, Trossingen 1956; A. Fett, 30 Jahre 
Neue Musik f. Harmonika, 1927-57, ebenda 4 1964. AWF 

Harmoniker heifien in der antiken Griechischen Mu- 
sik allgemein die Theoretiker, entsprechend der zen- 
tralen Stellung der -> Harmonia im System der Mu- 
siklehre (in dieser Bedeutung findet sich das Wort u. a. 
bei Aristoxenos). H. im speziellen Sinne werden Ari- 
stoxenos und seine Schule genannt, die bei der Inter- 
vallbestimmung, im Unterschied zu den pythagorei- 
schen Harmonikern, nicht von der Saitenmessung am 
Monochord (xavtov) ausgehen, sondern dem Gehors- 
urteil den Vorrang geben. BezugsgroBe ist fiir Aristo- 
xenos der Ganzton ; alle anderen Intervalle werden als 
Vielfache (Oktave = 6 Ganztone) oder Teile (Halb-, 
Drittel-, Viertelton) des Ganztones beschrieben. Da- 
durch ergeben sich fiir die »beweglichen« Intervalle 
innerhalb des Tetrachords zwar ungenauere, aber ein- 
fachere Zahlenbeziehungen als bei den Kanonikern. 

Harmonische Hand -> Guidonische Hand. 

Harmonische Teilung ist die Zerlegung einer Strek- 
ke, in der Musiktheorie einer schwingenden Saite, 

nach der Formel b = — =— . Aus der Oktave (1:2= 2:4) 

ergeben sich durch h. T. die Quinte und die Quarte 
(2:3:4), aus der Quinte (2:3 = 4:6) die groBe und die 
kleine Terz (4:5:6), aus der groBen Terz (4:5 = 8:10) 
der grofie und der kleine Ganzton (8:9:10). Die For- 
mel b = — y- , die arithmetische Darstellung der har- 

monischen Streckenteilung, wird arithmetische Pro- 
portion oder arithmetisches Mittel genannt, wahrend 
der Ausdruck harmonische Proportion oder harmoni- 
sches Mittel eine Proportion bezeichnet, der die Formel 

2ac 
b = — — zugrunde liegt, z. B. 10:12:15. Eine arith- 
metische Teilung gibt es nicht; der Gebrauch desWor- 
tes beruht auf einer Verwechslung von Teilung und 
Proportion. Im musikalischen Resultat ist einerseits 
eine arithmetische Proportion, also eine h. T., die Um- 
kehrung einer harmonischen ; die arithmetische Pro- 
portion 4:5:6 entspricht, bezogen auf Schwingungs- 
zahlen, demDurdreiklang, die harmonische Proportion 
10:12:15 dem Molldreiklang. Andererseits sind die 
Proportionen von Schwingungszahlen die Umkeh- 
rung der Proportionen von Saitenlangen, weil die 
groBere Zahl bei Schwingungen dem hoheren, bei 
Saitenlangen dem tieferen Ton entspricht. Bezogen 
auf Schwingungszahlen reprasentiert die arithmetische 
Proportion 4:5:6 den Durdreiklang, bezogen auf 
Saitenlangen den Molldreiklang. 



367 



Harmonium 



Harmonium, gebrauchlicher Name fur die um 1800 
aufgekommenen Tasteninstrumente mit durchschla- 
genden (freischwingenden) Zungen aus Metall ohne 
Aufsatze. Der erste, der Orgelregister mit durchschla- 
genden Zungen (nach dem Vorbild der chinesischen 
Mundorgel) baute, war der St. Petersburger Orgel- 
macher Kirsnik um 1780, dessen Schiiler, der Schwede 
Racknitz (Rackvitz), solche in Abbe Voglers ->- Or- 
chestrion einfiigte. Vorlaufer des H.s waren die Orgue 
expressif von G.-J. Grenie (1810) mit durchschlagenden 
Zungen, aber noch orgelregisterartigen Becherauf- 
satzen, die Physharmonika von Hackl (1818) sowie das 
Accordeon und das Melodium von Alexandre (1829). 
Eine Reihe von Instrumentenmachern baute H.-Typen, 
mit Namen wie Aeoline, Aelodicon, Aerophone, Me- 
lophone, Poikilorgue von Cavaille-Coll (1834) und 
Seraphine. Den Namen H. gab A.Debain seinen 1840 
patentierten Instrumenten, die als erste mehrere (4) 
Register und Koppeln hatten. Von Bedeutung fiir 
die Entwicklung zum Kunst-H. waren die Einfiih- 
rung der Perkussion (1841; Hammeranschlag ge- 
gen die Zungen zu praziserer Ansprache, wodurch 
auch schnelles Spiel im Staccato ermoglicht wurde), 
des Prolongement (Verankerung einzelner Tasten in 
herabgedrtickter Lage) und des doppelten Druckpunk- 
tes (Erzeugung von 2 Tonstarken auf einer Taste). Bei 
der Expression wird der Wind nicht uber das Magazin, 
sondern direkt aus dem Schopfbalg an die Zungen ge- 
fiihrt. Da der Wind durch Pedaltreten erzeugt wird, 
ist der Ton so vom Spieler in der Starke beeinfluBbar. 
Bei der Double expression (V.Mustel 1854) ist das Re- 
gister geteilt. Erfindungen zur Verstarkung der AuBen- 
stimmen sind Melody attachment (1864) und Pedal- 
substitute. Das moderne H. hat meist 1-2 Manuale mit 
einer Klaviatur von 5 Oktaven (im Saugwindsystem 
von F bis f 3 mit Registerteilung bei h/ci, im Druck- 
windsystem zumeist von C-c 4 und Registerteilung bei 
ei/£i. Kleinere H.s reichen von C-c 3 ). Die FuBtonla- 
gen der Register (Spiele) sind 8', 4', 16'. GroBe H.s ha- 
ben im BaB noch einen 2', im Diskant einen 32'. Die 
Zahl der Registerziige ist oft grofier als die der vor- 
handenen Zungenreihen (Spiele), weil einige Register- 
ziige die Aufgabe haben, durch unterschiedlich weite 
Offnung von VerschluBklappen verschiedene Laut- 
starkegrade der Register (Spiele) einzustellen. Knie- 
hebel ermoglichen ein Generalcrescendo. Bekannte 
deutsche H.-Fabriken sind Schiedmayer und Stein- 
meyer, Hofberg, Horiigel, Burger sowie (aus Schwe- 
den kommend) Lindholm und Mannborg. Eine ganz 
neue Bauart ist die -»• Amerikanische Orgel. Als Mu- 
sikinstrument hat das H. auf die Dauer weder mit 
der Orgel (im kirchlichen Raum) noch mit dem Kla- 
vier (als Haus- und Konzertinstrument) konkurrieren 
konnen; gebraucht wurde es im -> Salonorchester. 
Originalwerke fiir H. schrieb u. a. S. Karg-Elert, Schu- 
len: B.Mettenleiter, Leybach, Piechler und Karg- 
Elert. Da bei Zungen Ober- und Kombinationstone 
sowie Schwebungen gut horbar sind, wurde das H. 
auch zu einem Instrument fiir akustische Experimentc, 
an dem zuerst praktische Versuche mit der Reinen 
Stimmung unternommen worden sind. 

Lit.: J. Promberger, Theoretisch-praktische Anleitung 
zur Kenntnis u. Behandlung d. Physharmonika, 1830; G. 
Enoel, Das mathematische H., Bin 1881 ; J. Lederle, Das 
H., Freiburg i. Br. 1884; W. Riehm, Das H., Bin 21886, 
31897; H. M. Allihn, Wegweiser durch d. H.-Musik, Bin 
1894; A. Reinhard, Etwas vom H. (Erganzung: Das H. v. 
heute), Bin 1895, 21903 ; W. Luckhoff, Das H. d. Zukunft, 
Bin 1901 ; ders., Uber d. Entstehung d. Instr. mit durch- 
schlagenden Zungenstimmen u. d. ersten Anfange d. Har- 
moniumbaues, Zflb XXI, 1901 - XXII, 1902; V. Mustel, 
L'orgue expressif ou l'h., 2 Bde, Paris 1903; R. A. Mile, 



Das deutsch-amerikanische H., Hbg 1905; O. Bie, KI., 
Org. u. H., = Aus Natur- u. Geisteswelt 325, Lpz. 1910, 
21921; L. Hartmann, Das H., Lpz. 1913; E. Benz, Die 
Diktatur d. H., Erfahrungen einer fernostlichen Studienrei- 
se, Eckart XXVIII, 1959. - Zs. : Das H., hrsg. v. W. Luck- 
hoff, I-IX, Weimar u. Lpz. 1900-11; Der Harmonium- 
freund, I— III, Bin 1927-30. 

Harpsichord (h'a:jpsik3:id, engl.) ->■ Cembalo. 

Harschhorn (Harsthorn, von Harst, seltener Harsch, 
Vortrupp der alteren Schweizer Kriegsheere) ist ein 
Signalhorn, urspriinghch ein Stierhorn, dann (mit Sil- 
ber) verziert, spater ganz aus Metall, von durchdrin- 
gendem Ton. Die Luzerner Harschhorner wurden im 
Feldzug meist paarweise geblasen; entsprechende In- 
strumente in den anderen Kantonen waren der Stier 
von Uri, das Landhorn von Unterwalden. Seit dem 
15. Jh. wurden die Harschhorner mehr und mehr 
durch die Pfeifer und Trommler verdrangt. 
Lit. : Schweizerisches Idiotikon II, hrsg. v. Fr. Staub, L. 
Tobler u. R. Schoch, Frauenfeld 1885; E. A. Gessler, 
Die Harschhorner d. Innerschweizer, Anzeiger f. Schwei- 
zerische Altertumskunde, N. F. XXVII, 1925. 

Hauptsatz. In der Sonatensatzform enthalt der H. als 
erster Teil der -»• Exposition das haufig periodisch in 
Vorder- und Nachsatz gegliederte Hauptthema in der 
Grundtonart, das oft, schon bei den Vorklassikern, in 
sich kontrastierend angelegt ist (W. A. Mozart, »Jupiter- 
Symphonie«, K.-V. 551, 1. Satz). Der H. kann aus meh- 
reren thematischen Gedanken gebildet sein (Beetho- 
ven, Klaviersonate op. 2 Nr 2, 1. Satz), auch zwei 
Hauptthemen enthalten (W.A.Mozart, Symphonie 
Es dur, K.-V. 543, 1. Satz). Er schlieBt nur selten mit 
einer Vollkadenz, oft leitet er motivisch zum -»■ Sei- 
tensatz uber. Motivische, durchfiihrungsmafiige Ar- 
beit ist von Beginn des Werkes an moglich (Beetho- 
ven, 5. Symphonie op. 67, 1. Satz). In der Rondoform 
wird die refrainmaBige Wiederkehr des H.es (Ron- 
deau, Ritornello) von Episoden unterbrochen. 

Hauptton, - 1) In den meisten Musikkulturen laBt die 
Art der Gestaltung von »horizontalen« Tonbewegun- 
gen eine Differenzierung des Tonmaterials nach Haupt- 
(oder Zentral-) und Nebentonen erkennen (-> Melo- 
die). - 2) Im engeren Sinne beruht der Begriff der me- 
lodischen Verzierung auf der Unterscheidung von H. 
und Nebentonen (Hauptnote und Nebennoten). Im 
Schriftbild ist der H. indirekt oft schon daran zu er- 
kennen, dafi die Nebentone in kleineren Noten no- 
tiert oder durch bloBe Verzierungszeichen (tr, <*> , *>• , *■ 
usw.) vorgeschrieben sind. - 3) In der dualistischen 
Harmonielehre Riemarms (-»• Dualismus) ist H. der Be- 
zugston des Dreiklangs, und zwar in Dur der -s-Grund- 
ton (- 2), in Moll die Quinte. 

Hauptwerk, in der Orgel das Hauptmanual mit ge- 
schlossenem Prinzipalchor, Mixturen und zumeist voll- 
bechrigen Rohrwerken (Trompeten) sowie einigen 
Weitchorregistern. Das H. groBer, 3-4manualiger 
Orgeln basiert auf dem Prinzipal 16', mittelgroBe In- 
strumente haben neben dem Prinzipal 8' einen gedack- 
ten 16' (z. B. Quintadena). Kleine Orgeln, in deren H. 
der Prinzipal 4' bestimmend ist, haben einen gedackten 
8' als Basis ; diese Disposition wird auch als Positiv be- 
zeichnet. Das H. liegt raumlich uber dem Brustwerk 
und fuhrt bei 2manualigen Orgeln und bei 3manuali- 
gen mit Ruckpositiv auch den Namen Oberwerk. 

Hausmusik ist das Musizieren im hauslichen Kreise 
zur musikalischen Erbauung und Unterhaltung der 
Ausubenden, ihrer FamiUe oder Freunde. Kammermu- 
sikwerke, die durch Besetzung, relativ leichte Aus- 
fiihrbarkeit und intimen Charakter fiir solche private 



368 



Heidelberg 



Musikausiibung besonders geeignet erscheinen, war- 
den ebenf alls H. genannt, auBerdem die ausdriicklich 
fur H. bestimmten Kompositionen. - Als gesellschaft- 
liche Erscheinung ist H. Ausdruck der Musikkultur 
des Biirgertums, wahrend die -»■ Kammermusik aus 
dem Lebensbereich des Adels erwuchs. J.Staden be- 
stimmte seine Hauss-Music (1623), schlichte drei- und 
mehrstimmige Satze iiber deutsche geistliche Dichtun- 
gen (Darinnen ich nit auffgrosse Kunst . . . gesehen), aus- 
driicklich fiir den hauslichen Gesang im Kreis der Fa- 
milie; Gegensatz ist hier die kunstvollere Kirchenmu- 
sik. Zugleich mit dem musikalischen Dilettantentum 
erlebte die H. eine Bliite im 18. Jh.; das Wort H. als 
Titel erscheint jedoch erst wieder um die Mitte des 19. 
Jh. W.H.Riehl lehnt in der Einleitung zu seiner Lie- 
dersammlung H. (Stuttgart 1855, 21860) die -+ Sa- 
lonmusik ab, andeutungsweise auch schon die Ent- 
wicklungstendenzen der spatromantischen Kunstmu- 
sik, deren technische Anspriiche und deren Ausdrucks- 
welt zusehends iiber die Moglichkeiten der H. hin- 
auswuchsen und die sich in gleichem MaBe der be- 
liebten Arrangierpraxis entzog. Klavierausziige und 
Bearbeitungen aller Art bildeten bis ins 20. Jh. einen 
wichtigen Zweig der Literatur fiir H. H.Leichtentritts 
Deutsche H. aus vier Jahrhunderten (Berlin 1905-07) und 
H.Riemanns H. aus alter Zeit (Leipzig 1906) kiindigten 
die Hinwendung der H. auf Musik der Vergangenheit 
an, doch bedeutete dann die gesellschaftliche Krise 
des Biirgertums auch einen Bruch in der Geschichte 
der H. - Die aus der Jugend- und Singbewegung er- 
wachsenen musikalischen Erneuerungsbestrebungen 
brachten den Aufschwung einer durch die -»■ Musik- 
erziehung und durch Offentlichkeitsarbeit geforder- 
ten H., in der das Laienmusizieren und die Spielmu- 
sik in den Vordergrund traten. In der Erkenntnis, daB 
hausliches Musizieren nicht nur der Nahrboden fiir 
musikalische Talente, sondern auch fiir die Bildung 
eines am offentlichen Konzertleben interessierten Pu- 
blikums ist, verbanden sich Padagogen und Kompo- 
nisten, Musikalienverlage und -handler sowie die Mu- 
sikinstrumentenindustrie im politisch und wirtschaft- 
lich erschiitterten Deutschland zur Werbung fiir die 
H. Seit 1932 fand jahrlich im November der Cacilien- 
tag der deutschen H. statt (heute: Tage fiir H., fast 
uberall kommunal gefordert) ; groBe Breitenwirkung 
erlangte der 1933 (Kasseler Musiktage) gegriindete 
Arbeitskreis fiir H. (Zeitschrift fiir H.). Die Bermihun- 
gen um eine Verankerung der erneuerten H. in der 
Familie haben einen schweren Stand gegeniiber den 
technischen Toniibermittlern (Rundfunk, Schallplatte, 
Fernsehen) und der Anziehungskraft von Jazz- und 
Schlagermusik. 

Lit.: K. F. Becker, Die H. in Deutschland in d. 16., 17. u. 
18. Jh., Lpz. 1840; R. Wagner, t)ber deutsches Musikwe- 
sen, in: Gesammelte Schriften u. Dichtungen I, Lpz. 1871, 
S. 149ff. ; J. Hullah, Music in the House, London 1877; 
A. Reissmann, Die H., Bin 1 884; K. Storck, Musik-Politik, 
Bin 191 1 ; L. Kestenberg, Musikerziehung u. Musikpflege, 
Lpz. 1921, 21927; M. C. Herbst, Das Kind, d. Eltern u. d. 
H., Lpz. 1930; Die Forderung d. H. u. d. Durchfuhrung d. 
»Tages d. deutschen H.«, hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft 
H. in d. Reichsmusikkammer, Bin 1938; H. Lemacher, 
Hdb. d. H., Graz 1948; E. Valentin, Musica domestica, 
Trossingen 1958. - Zs.: G. Ph. Telemann, Der Getreue 
Musikmeister, Hbg 1728 (enthalt nur Kompositionen f. 
H.); Blatter f. Haus- u. Kirchenmusik, hrsg. v. E. Rabich, 
Langensalza 1897-1915; Zs. f. H., hrsg. v. W. Blanken- 
burg, Kassel 1933-43, 1948ff. hrsg. v. R. Baum, seit 1962 
vereinigt mit Musica. HHa 

haut (o, frz., hoch oder laut). Im klassischen Latein 
bedeutet altus raumlich hoch oder tief, daneben auch 
laut und hell; bassus ist erst spatlateinisch in den Be- 
deutungen fett, dick belegt, im 8. Jh. in St. Gallen in 



der Bedeutung niedrig. Altfranzosisch bedeutet h. 
hoch oder laut (neufranzSsisch sind Synonyme nach 
Rousseau: aigu und fort), bas (seit dem 12. Jh.) tief 
oder leise (grave oder doucement, a demi voix). In 
Frankreich wurden etwa ab 1400 Instruments h.s und 
bas unterschieden ; am burgundischen Hof rangierten 
die Joueurs des h.s instruments hinter den Hoftrom- 
petern vor den Spielern der Bas musique. Tinctoris 
nennt um 1484 alta (musica) das Zusammenwirken 
von Schalmei, Dulzian, Trombone und Zugtrompete 
(->• Cobla). Zu den starken Instrumenten gehorten 
im Spatmittelalter Schalmeien, Sackpfeifen, Horner 
und Blechblasinstrumente wie Busine, Schlaginstru- 
mente wie Trommel und Becken. Mit ihnen wurde im 
Freien, bei Turnier, Tanz und Mummerei musiziert. 
Zu den stillen Instrumenten gehorten Flote, Block- 
flote, Krummhorn, Saiteninstrumente wie Harfe, Psal- 
terium, Laute, Gitarre, Fiedel sowie das Portativ. Mit 
ihnen wurde die Musik in der Kammer und bei My- 
sterienspielen gespielt. - Die Holzblasinstrumente der 
starken Musik hieBen h. bois ; bis ins 20. Jh. war Haut- 
boist eine Bezeichnung fiir Militarmusiker (B laser) 
schlechthin. Mit der Entwicklung der Bomharte 
(Praetorius zufolge von den Franzosen Hautbois, von 
den Englandern Hoboyen genannt) ging das franzosi- 
sche Wort hautbois (bis ins 18. Jh. gesprochen obo'e; 
ital. oboe) unter Bedeutungsverengung auf das mo- 
derne Instrument ->■ Oboe (- 1) iiber. 
Lit. : Praetorius Synt. II ; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de 
musique, Artikel h. u. bas, Genf 1767(7), Paris 1768; A. 
Baines, Fifteenth-Cent. Instr. in Tinctoris' De Inventione 
et Usu Musicae, The Galpin Soc. Journal III, 1950; E. A. 
Bowles, H. and Bas. The Grouping of Mus. Instr. in the 
Middle Ages, MD VIII, 1954. 

Hautbois (obu'a, frz.) ->Oboe(-l). 

Hautboisten, Hoboisten, bis 1918 in Deutschland 
allgemeine Bezeichnung fiir die Militarmusiker der 
Infanterie. Diese sind aus den die Schalmei, spater die 
Oboe (beides frz. hautbois) blasenden Regimentspfei- 
fern des 17. Jh. hervorgegangen. Die Bezeichnung blieb 
auch dann noch bestehen, als schlieBlich von 42-48 
Musikern nur noch 2 die Oboe bliesen. 

Haute-contre (otk'5:tr, frz., von ->• contratenor 
altus) ist die hochste Mannerstimme (hoher Tenor, 
mannlicher Alt); haut-contre de violon -> Viola te- 
nore (- 1). 

Heckelphon, eine 1904 von W. -> Heckel konstru- 
ierte Baritonoboe mit -» LiebesfuB. Es steht eine Ok- 
tave unter der Oboe und unterscheidet sich durch sei- 
nen vollen Klang von den franzosischen Konstruktio- 
nen defer Oboen im 19. Jh. (Triebert um 1825). Das 
H. wurde zuerst von R.Strauss (Salome, Elektra) und 
von M. v. Schillings (Mona Lisa) vorgeschrieben. 

Heidelberg. 

Lit.: F. W. E. Roth, Zur Gesch. d. Hofmusik zu H. im 16. 
Jh., Neues Arch. f. d. Gesch. d. Stadt H. VI, 1905; Fr. 
Stein, Gesch. d. Musik- u. Konzertwesens in H. bis zum 
Ende d. 18. Jh., H. 1921, u. in: Neues Arch. f. d. Gesch. d. 
Stadt H. XI, 1924; D. Bartha, Zur Gesch. d. Hofmusik in 
H., ZfMw XII, 1929/30; ders., Neue Mitt, iiber d. Hofmu- 
sikkapelle in H. unter Pfalzgraf Ludwig V., Mannheimer 
Geschichtsblatter XXXI, 1930; C. Ph. Reinhardt, Die 
H.er Liedmeister d. 1 6. Jh., = H.er Studien zur Mw. VIII, 
Kassel 1939; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deut- 
schen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., H. u. Koln, AfMf V, 
1940; ders., Quellen u. Forschungen zur Gesch. d. Musik 
am kurpfaizischen Hof zu H. bis 1622, = Akad. d. Wiss. u. 
d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 
1963, Nr 6; S. Hermelink, Ein Musikalienverz. d. H.er 
Hofkapelle aus d. Jahre 1544, in: Ottheinrich, Gedenk- 
schrift ...,H. 1956. 



24 



369 



Heirmos 



Heirmos (griech. eipi^, Reihe, Kette), heiBt in je- 
der der 9 Oden eines ->■ Kanons (- 2) das erste Glied der 
Reihe von Troparia. Bau und Melodik dieser Strophe 
werden in alien folgenden Strophen Ubernommen; 
der H. ist also ein Automelon (-> Troparion) und steht 
in gewissem MaBe dem antiken Nomos nahe. Da viele 
Kanones dcs kirchlichen Repertoires die gleiche Folge 
von Heirmoi besitzen, ist deren Zahl geringer als die der 
Kanones. Meist sind die Heirmoi eine ziemlich genaue 
Umschreibung, zuweilen fast Wiederholung des ent- 
sprechenden biblischen Gesangs und vor allem des 
Hypopsalma; nur an den groBeren Festen sind sie in- 
haltlich selbstandiger. Die 9. Ode ist dem Gedachtnis 
und Lob der Jungfrau Maria vorbehalten, da sie in der 
Matutin auf das Magnificat folgt. In der musikalischen 
Uberlieferung bilden die Heirmoi ein besonderes 
Buch, das Heirmologion, in dem sie nach Tonarten 
zusammengestellt sind. In den liturgischen Buchern 
fur das Offizium ist sehr haufig nicht der ganze H. auf- 
gezeichnet, sondern nur ein Incipit. Wird ein H. am 
Ende der Ode gesungen, so heiBt cr Katabasia (Ab- 
stieg), weil wahrend dieses Gesangs das Chorgestuhl 
verlassen wird. 

Helikon (griech. eXixcov), - 1) ein Berg in Boiotien, be- 
kannt alsWohnsitz der ->■ Musen; - 2) ein mit 4 Saiten 
gleicher Stimmung bezogenes Instrument, das wie das 
Monochord nur der Intervallbestimmung diente. Eine 
ausfiihrliche Beschreibung gibt Ptolemaios II, 2 (dazu 
der Kommentar des Porphyrios), eine kiirzere Aristei- 
des Quintilianus III, 3, sowieim 13. Jh. G.Pachymeres; 
- 3) ein vor allem in der Militarmusik gebrauchtes 
groBes Blechblasinstrument der Bugelhornfamilie (ei- 
ne Tuba, vor allem die KontrabaBtuba), das kreisrund 
gewunden ist und iiber der Schulter getragen wird. Ei- 
ne Abart des H.s mit nach vorn gerichteter Sturze ist 
das Sousaphon. 

Helligkeit ->-TonhShe,-» Klangfarbe. 

Helmstedt. 

Lit. : W. Gurlitt, Was ist wahrend d. 17. Jh. in St. Stepha- 
ni musiziert worden?, H.er Kreisblatt 1912, Nr 127, 128, 
139; A. Behse, Das Coll. mus. an d. H.er Univ., Zs. Alt-H. 
I, 1 9 1 5 ; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen 
Univ. bis zur Mine d. 16. Jh., AfMf VII, 1942; A. Bruo- 
gemann, Um d. Stadtmusik: Bestallung d. Hausmanns zu 
H. 1685, Zs. Alt-H. XL, 1955. 

Helsinki. 

Lit.: O. Andersson, Den unge Pacius och musiklivet i 
Helsingfors pa 1830-talet, H. 1938 ; J. Rosas, Musikaliska 
sallskapet och symfoniforeningen i Helsingfors 1827-53, 
H. 1952 ; A. Larvouen, Sibelius-Akad. 1 882-1957, H. 1957; 
N.-E. Ringbom, Musiklivet, in: Helsingfors stads historia 
V, 2, H. 1965. 

Hemiole (von griech. f)|ii6Xio<;, anderthalb; lat. pro- 
portio hemiolia, hemiola, sesquialtera) heiBt in der 
Mensuralnotation seit dem 15. Jh. eine Gruppe von 
3 imperfekten, mit -> Color (- 1) geschriebenen No- 
ten, die anstelle von 2 perfekten Noten gleicher Gestalt 
gesetzt wird (vgl. Tinctoris, CS IV, 161, auch 183 
und 181b), z. B.: . , , . . 

Q = J J- J- 1 1 J J J I 

Die Notierung einer H. durch geschwarzte Noten ist 
in der Kirchen-, Orgel- und Klaviermusik noch im 
18. Jh. anzutreffen. In den meisten Fallen jedoch wird 
die H. seit dem 17. Jh. nicht mehr durch Schwarzung 
angezeigt, sondern ist an der melodischen Gliederung 
und am Harmoniewechsel abzulesen. Ihr Sinn ist im 
Taktsystemdes 17.-1 9. Jh. die rhythmische Zusammen- 
fassung zweier ungerader Takte zu einem einzigen mit 

370 



doppelt so langer Zahlzeit, z. B. : 

» J J J iJ- AUJ3J i J- i 

entspricht 

■ JJJljJJJJJ I J J- I 

Beim 6/4- oder 6/8-Takt verwandelt die H. die innere 
Gliederung des Taktes dementsprechend von 2 x 3 in 
3x2. Bis um 1750 ist die H. einerseits in Tanzen (vor 
allem Couranten), andererseits allgemein wegen ihrer 
verbreiternden Wirkung vor dem SchluB eines Satzes 
oder Themas beliebt. Nachdem sie bei den Wiener 
Klassikern etwas in den Hintergrund getreten war, 
begegnet sie im 19. Jh. wieder haufig, vor allem bei 
Schumann und Brahms, aber auch - bei festgehalte- 
nem Begleitrhythmus - vielfach in Walzermelodien. 
Lit. : H. H. Wintersgill, Handel's Two-length Bar, ML 
XVII, 1936; W. Tell, Die H. bei Bach, Bach-Jb. XXXIX, 
1951/52; K. Hlawiczka, Die rhythmische Verwechslung, 
Mf XI, 1958, dazu R. Steglich in: Mf XII, 1959; K. Ph. 
Bernet Kempers, Hemiolenrhythmik bei Mozart, Fs. H. 
Osthoff, Tutzing 1961; M. B. Collins, The Performance 
of Coloration, Sesquialtera, and Hemiola (1450-1750), 
Diss. Stanford (Calif.) 1963, maschr., Teildruck in: JAMS 
XVII, 1964. 

Hemitonium (lat., auch semitonium; von griech. 
t]U.itoviov) -> Halbton. 

Hermeneutik (von griech. epfxYjveuetv, deuten) ist 
die Lehre von der Auslegung eines objektiven Sinnge- 
bildes. Urspriinglich als Anleitung zum Textverstand- 
nis Bestandteil der Theologie und Philologie, wird 
bei Dilthey (1900) diese Lehre von der Interpretation ein 
wichtiges Verbindungsglied zwischen der Philosophic und 
den geschichtlichen Wissenschaften, ein Hauptbestandteil 
der Grundlegung der Geisteswissensch often (Gesammelte 
Schriften V, S. 331). Anwendungen der Diltheyschen 
H. auf die Musikgeschichte bilden z. B. H.Kretzsch- 
mars Versuch einer Wiederbelebung der Afiekten- 
lehre, A.Scherings Lehre vom Symbol in der Musik 
und seine Forschungen iiber das poetische Programm 
der Instrumentalwerke Beethovens, G.Beckings Be- 
handlung des Musikalischen Rhythmus als Erkenntnis- 
quelle und H.Zencks Untersuchungen iiber Grundfor- 
men der Musikanschauung. 

Lit. : W. Dilthey, Die Entstehung d. H., Fs. Chr. Sigwart, 
Tubingen 1900, auch in: Gesammelte Schriften V, Bin 
1924; oers., Von deutscher Dichtung u. Musik, hrsg. v. H. 
Nohl u. G. Misch, Lpz. (1933), Stuttgart u. Gottingen 
( 2 1957); H. Kretzschmar, Anregungen zur Forderung 
mus. H., JbP IX, 1902, auch in: Gesammelte Aufsatze II, 
Lpz. 1911; ders., Neue Anregungen zur Forderung mus. 
H., JbP XII, 1905 ; A. Schering, Zur Grundlegung d. mus. 
H., Zs. f. Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. IX, 1914; 
ders., Beethoven in neuer Deutung, Lpz. (1934); ders., 
Beethoven u. d. Dichtung, = Neue deutsche Forschungen 
LXXVII, Abt. Mw. Ill, Bin 1936; ders., Das Symbol in 
d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt, Lpz. 1941 ; H. Besseler, 
Grundfragen d. Musikasthetik, JbP XXXIII, 1926; G. 
Becking, Der mus. Rhythmus als Erkenntnisquelle, Augs- 
burg 1928, Neudruck Darmstadt 1958; E. Betti, Zur 
Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre, Fs. E. 
Rabel II, Tubingen 1954; H. Zenck, Numerus u. Affectus, 
hrsg. v. W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel 
1959; H.-G. Gadamer, Wahrheit u. Methode. Grundzuge 
einer philosophischen H., Tubingen 1960; G. Funke, Krise 
d. H.?, Zs. f. Religions- u. Geistesgesch. XIII, 1961. 

Hertz -»■ Frequenz. 

Hessen. 

Lit. : W. Diehl, Die Org., Organistenstellen u. Organisten- 
besoldungen in d. alten Obergrafschaftsgemeinden d. 
GroBherzogtums H., Darmstadt 1908; H. Lemacher, Zur 
Gesch. d. Musik am Hofe zu Nassau- Weilburg, Diss. Bonn 
1916; G. Heinrichs, Beitr. zur Gesch. d. Musik in Kurh., 



Hexachord 



4 Bde, Homberg 1921-25; T. Sokolskaja, Alte deutsche 
Volkslieder in d. oberhessischen Sprachinsel Belowjisch 
(Nord-Ukraine), Hessische Blatter f. Volkskunde XXIX, 
1930; K. Steinhauser, Die Musik an d. H.-Darmstadti- 
schen Lateinschulen im 16. u. 17. Jh., Diss. GieBen 1936; 
K. Schmidt, Aus vergangenen Zeiten. Gesammelte Auf- 
satze zur Musik- u. Kulturgesch. d. ehemaligen Reichs- 
stadt Friedberg in d. Wetterau, I Friedberg 21935, II 1934; 
K. Dreimuller, Die Musik d. Alsfelder Passionsspiels, 
3 Bde, Diss. Wien 1935, maschr.; H. v. D. Au, Das Volks- 
tanzgut im Rheinfrankischen, = GieBener Beitr. zur deut- 
schen Philologie LXX, GieBen 1939; E. Imbescheid, Die 
Melodien d. Volkslieder in Oberh., Diss. GieBen 1941, 
maschr. ; E. Gutbier, Zur Gesch. d. Kirchenmusik in Fran- 
kenberg bis zum Ausgangd. 18. Jh., = Beitr. zur Gesch. d. 
ev. Kirchenmusik in Kurh.-Waldeck I, Kassel 1952; D. 
Grossmann, Zu einer Gesch. d. Orgelbaues in H., Zs. d. 
Ver. f. hessische Gesch. u. Landeskunde LXVIII, 1957; 
H. J. Moser, Zur Musikbegabung d. Alth., ebenda; D. 
Rouvel, Zur Gesch. d. Musik am Fiirstlich Waldeckschen 
Hofe zu Arolsen, = Kolner Beitr. zur Musikforschung 
XXII, Regensburg 1962. 

Heterolepsis (griech., Ergreifen eines anderen Ge- 
genstandes), in der Kompositionslehre des 17. und 18. 
Jh. eine musikalische Figur. Chr.Bernhard beschreibt 
sie als unregelmaBige Dissonanzbildung oder -auflo- 
sung durch Springen zu einem Ton, der nach den Re- 
geln des strengen Satzes nur in einer anderen Stimme 
erscheinen kann. J. G. Walther (1708) spricht allgemei- 
ner von einer H., wenn eine Stimme aus einer andern bis- 
weilen einen Clavem hinweg nimmet, und den ihrigen un- 
terdafi jener beraubten Stimme zukommen \afiet, und ftigt 
hinzu, daB diese Figur sich einer grofien Freyheit anmaset. 
Im folgenden Beispiel (Schiitz, Symphoniae Sacrae II, 
Nr 3, Herr unser Herrscher; GA VII, S. 19) ergreift die 
Singstimme bei * das im Sekundschritt erreichte c 2 der 
Violine II, das seinerseits wieder'heteroleptisch weiter- 
gef iihrt wird : r J H i— a i 

Violinum I, II 



Cantus vel Tenor 




Bassus pro organo 



was ist des Men-schen Kind, 

tt 



Heterophonie (griech. e-rspoipcovia, von sTepo?, 
anders, verschieden, und ycowj, Stimme) wurde als 
Terminus von C.Stumpf (1901) - unter Berufung auf 
eine Stelle bei Platon (»Gesetze« 812d-e) - in die Ver- 
gleichende Musikwissenschaft eingef iihrt und spater in 
verschiedenem, mitunter wenig pragnantem Sinne 
verwendet. Primar versteht man unter H. ein von 
strengem Unisono und von rationaler Mehrstimmig- 
keit verschiedenes Prinzip des Zusammenspielens und 
-singens, das auBerhalb Europas in Hoch- und Primi- 
tivkulturen weit verbreitet und vereinzelt auch in eu- 
ropaischen Randgebieten (z. B. Balkan, RuBland) an- 
zutreffen ist. Es lafit sich etwa dahingehend charakteri- 
sieren, daB eine »in den Grundziigen identische Ton- 
bewegung« (Stumpf) gleichzeitig in verschiedenen 
Abwandlungen realisiert wird: die Ausfiihrenden fol- 
gen im groBen derselben Bewegungsrichtung, wei- 
chen im einzelnen aber spontan immer wieder von ihr 
ab. Die hier gemeinte H. wird auf die unterschiedlich- 
ste Weise praktiziert: in einigen, vorwiegend linear- 
melodisch orientierten Musikkulturen erscheint sie 
mehr als Umspielung eines melodischen Kerns, in an- 
deren, vorwiegend vertikal-klanglich orientierten 
Musikkulturen erweckt sie mehr den Eindruck einer 
Umspielung von an sich starren Klangen. Daneben 



gibt es Zwischenstufen und Ubergangserscheinungen, 
die unter systematischen Gesichtspunkten schwerer zu 
fassen sind. Typische Arten der H. sind: 1) Zur vor- 
getragenen Melodie gesellt sich eine (oft instrumental 
ausgefiihrte) umspielende Begleitung, die vielerlei zu- 
fallige Zusammenklange entstehen laBt. Verbreitet ist 
diese Art zumal im Orient und in Nordafrika (->• Ara- 
bisch-iskmische Musik). 2) Gleichberechtigte Versio- 
nen (Varianten) einer Melodie erklingen gleichzeitig, 
wobei sich an den abweichenden Stellen Zusammen- 
klange ergeben, die aus meist kleineren Intervallen be- 
stehen. Fur diese Art ist die Bezeichnung Varianten- 
H. gebrauchlich (zur Varianten-H. im weiteren Sinne 
wird gelegentlich auch die zuerst genannte Art gerech- 
net). Sie ist im Orient und bei vielen Naturvolkern zu 
finden (Ceylon, Indonesien, Ozeanien, Afrika und 
sonst). Ein Sonderfall liegt vor, wenn die Abweichun- 
gen vom Unisono unbewuBt entstehen (was allerdings 
nicht leicht zu beurteilen ist) ; hierf iir wurde die Be- 
zeichnung »negative H.« vorgeschlagen (C.Sachs). 
3) Eine besonders kompliziert erscheinende Art, die 
in Hinterindien und Indonesien gepflegt wird, beruht 
auf dem Zusammenwirken zahlreicher Instrumente 
(->• Gamelan). Jedes von ihnen wird auf eine andere, 
seiner Eigenheit gemaBe Art gespielt. Die durch die 
Vielzahl der Instrumente und der Mitwirkenden be- 
dingte Buntheit im Zusammenspiel war es in erster 
Linie, die C. Stumpf an die erwahnte Platon-Stelle er- 
innerte. - H. hat ferner die abgeleitete Bedeutung ei- 
ner gleichsam nach Art der eigentlichen H. eingerichte- 
ten Technik oder Manier im Zusammenspiel. In dieser 
iibertragenen Bedeutung wird der H.-Begriff manch- 
mal auch auf Erscheinungen der abendlandischen Mu- 
sik angewendet (z. B. wenn zwei Stimmen im Prinzip 
die gleiche Bewegung zusammen ausfiihren, wobei 
jedoch die eine zusatzlich diminuiert oder ausgeziert 
wird). - Entgegen einer haufig anzutreffenden Mei- 
nung hat sich das Wort trspcxptovia. in der Antike an- 
scheinend noch nicht zu einem musikalischen Termi- 
nus verfestigt. Platon spricht an der genannten Stelle 
von iregogxavia rfji; Mgag, einer (von der Sing- 
stimme) »abweichenden Tonf uhrung der Lyra«. Diese 
Musizierweise lehnt er fiir die Erziehung der Jugend 
in seinem Idealstaat ab. Wie sie konkret ausgefuhrt 
wurde, ist aus seiner polemischen Beschreibung schwer 
zu erkennen. Das Wort Jfepotpoma hat er wohl ad hoc 
gebildet; es ist im Griechischen nur noch bei Theo- 
phrast in ganz anderem Sinn belegt. 
Lit.: C. Stumpf, Tonsystem u. Musik d. Siamesen, in: 
Beitr. zur Akustik u. Mw. Ill, Lpz. 1901, auch in: Sam- 
melbde f. Vergleichende Mw. I, Munchen 1922; G. Adler, 
Uber H., JbP XV, 1908; M. Schneider, Gesch. d. Mehr- 
stimmigkeit I, Bin 1934, Rom 2 1964; J. Handschin, Mg. 
im tiberblick, Luzern (1948), 2 1964; H. Gorgemanns u. 
A.-J. Neubecker, »H.« bei Platon, AfMw XXIII, 1966. 

FZa 

Hexachord (lat. hexachordum, von griech. &,, sechs, 
und x°pSt), Saite; Analogiebildung zu tetrachordum), 
eine Reihe von 6 in gleicher Richtung stufenweise auf- 
einanderf olgenden Tonen, in der mittelalterlichen Mu- 
siktheorie speziell der Tonraum aus 2 x 2 Ganztonschrit- 
ten mit in der Mitte liegendem Halbtonschritt. Mit 
diesem Tonraum, der wohl aus den Gegebenheiten des 
mehrstimmigen Musizierens erwuchs und erstmalig 
von ->■ Guido von Arezzo beschrieben wurde, konnte 
der gesamte damals verwendete Tonbereich syste- 
matisch erfaBt werden, indem man um die Halbtone 
e-f, a-b und h-c jeweils ein derartiges H. gruppierte. 
Die in bezug auf den die Mitte bildenden Halbton- 
schritt qualitativ gleichen Stufen der verschiedenen H.e 
wurden unabhangig von ihrer Tonhohe mit gleichen 



24» 



371 



Hifthorn 



Tonsilben (voces, syllabae) bezeichnet (ut re mi - fa 
sol la; -»• Solmisation). Entsprechend den drei genann- 
ten Halbtonschritten unterschied man ein Hexachor- 
dum naturale (c-a), molle (£-d) und durum (g-e), 
letztere benannt nach dem darin verwendeten bmolle 
(= b) bzw. bdurum (= h). Da seit dem spaten Mittel- 
alter, wohl nicht ohne EinfluB der zunehmenden Mit- 
wirkung von in ihrer Stimmung mehr oder weniger 
unveranderlichen Instrumenten, die Stufen des Tonsy- 
stems immer mehr mit absoluten Tonhohen gleichge- 
setzt wurden, war es erforderlich, alle Tonarten durch 
entsprechende Transpositionen unter Einfuhrung wei- 
terer, nicht im guidonischen System vorhandener 
Halbtonschritte (mit Hilfe der -* Akzidentien; -> Mu- 
sics ficta) von alien Stufen aus bilden zu konnen. Dies 
hat dazu gefiihrt, daB die H.e, die streng diatonisch, 
dafiir aber nicht unbedingt an eine absolute Tonhohe 
gebunden waren, allmahlich durch andere Erfassungs- 
moglichkeiten des in der Praxis verwendeten Ton- 
raumes abgelost wurden (-»■ Dur, ->• Moll). 

Hifthorn (von hief, hift, Jagdsignal; umgedeutet zu 
Hiif thorn), mittelalterliches Signalhorn, das auf dem 
Riicken oder an einem Giirtel um die Hiifte getragen 
wurde. Es war eine metallene Nachbildung des ge- 
schwungenen Stier- oder Kuhhorns. Die am H. des 14. 
Jh. erkennbare Biegung der Rohre f iihrte zum gewun- 
denen Jagerhorn. 

Lit. : E. Buhle, Die mus. Instr. in d. Miniaturen d. friihen 
MA I, Die Blasinstr., Lpz. 1903. 

High Fidelity (hai faid'eliti, engl.; Abk.: Hi Fi [hai 
fai]) ist der mit der Ausbreitung der Langspielplatte zu- 
nachst in den USA, spater auch in Europa eingefiihrte 
Begriff f iir ein Optimum originalgetreuer elektrischer 
Musikwiedergabe. H. F.-Qualitat wird heute durch- 
weg stereophonischen Wiedergabegeraten (-*■ Stereo- 
phonic) zuerkannt, sofern deren technische Eigen- 
schaften bestimmten hochgesetzten Normen (Din 
45500) hinsichtlich des Ubertragungsbereiches, des 
Klirrfaktors (->-Verzerrung), der Dynamik usw. ge- 
niigen. Musikalisch gesehen betriff t die technische Uber- 
tragungsqualitat den Horeindruck nicht zentral, da sie 
lediglich jene Bereiche beriihrt, die etwa durch die Po- 
laritaten hell-dunkel, hart-weich, kuhl-warm, voll-leer 
charakterisiert sind. Kriterien hoherer Strukturebene 
werden wenig oder gar nicht beeinfluBt, wie z. B. auch 
der Sinngehalt der gesprochenen Rede sich etwa durch 
die Mangel einer Telephoniibertragung nicht andert. 
Lit.: H. Brauns, Stereotechnik, Stuttgart 1963; O. Stur- 
zinger, Hi-Fi-Technik, ebenda 1963; Deutsches H. F. 
Jb., Karlsruhe 1963/64; E. P. Pils, Rundfunk-Stereopho- 
nie, Stuttgart 1964; H. P. Reinecke, Der Eindrucksspiel- 
raum v. erklingender Musik, in : Mitt. d. Deutschen Musik- 
phonothek I, Bin 1965; Einfuhrung in d. H.-F. u. Stereo- 
phonie, hrsg. v. dhfi Deutsches H.-F. Inst. e. V., Dussel- 
dorf 1965. - Zs. HiFi Stereophonie, Karlsruhe seit 1962. 

Hi-hat (h'ai-haet, engl., von high hat, hoherHut),be- 
steht aus 2 auf einem Stander horizontal angebrachten 
Becken, von denen das obere, bewegliche Becken 
durch Treten eines Pedals gegen das untere, festliegen- 
de geschlagen wird. Das Hi-hat, falschlich auch Char- 
leston-Maschine genannt (diese ist nur etwa halb so 
hoch wie das Hi-hat), gehort zur Rhythm section des 
Jazzorchesters. 

Hinterindien. 

Lit. : C. Sachs, Die Musikinstr. Birmas u. Assams im K. 
Ethnographischen Museum zu Miinchen, = Sb. Munchen 
1917, II; L. Strickland- Anderson, Music in Malaya, 
MQ XI, 1 925 ; M. Kolinski, Die Musik d. Primitivstamme 
auf Malakka u. ihre Beziehungen zur samoanischen Musik, 
Anthropos XXV, 1930; K. Reinhard, Die Musik Birmas, 
= Schriftenreihe d. mw. Seminars d. Univ. Munchen V, 



Wurzburg 1939; Phra Chen Duriyanga, Thai Music. 
= Thailand Culture Series VIII, Bangkok 1948, 41956; R, 
Devigne, L'Indochine folklorique: Chants et musique du 
Laos, du Cambodge et de l'Annam, Orphee I, 1953; 
NGUYEN-DiNHLAi,Etudesurlamusiquesino-vietnamienne 
et les chants populaires du Viet-Nam, Bull, de la Soc. des 
etudes indochinoises, N. F. XXXI, 1956; H. Nevermann, 
Die Stimme d. Wasserbuffels. Malaiische Volkslieder, Kas- 
sel 1956; A. Danielou, La musique du Cambodge et du 
Laos, = Publications de PInst. frc. d'indologie IX, Pondi- 
chery 1957, Paris 21959; L. Picken, The Music of Far- 
Eastern Asia, in: The New Oxford Hist, of Music I, Lon- 
don 1957; Dh. Yupho, Thai Mus. Instr., (Bangkok 1960); 
Tran Van Khe, La musique vietnamienne traditionnelle, 
= Annales du Musee Guimet LXVI, Paris 1962. 

Hintersatz (auch Nachsatz oder Lokatz, verderbt von 
lat. locatio, Stellung; spater auch Blockwerk genannt) 
hieB in der spatgotischen Orgel dasjenige Pfeifen- 
werk, das hinter der Hauptstimme (lat. vox principalis, 
daher -*■ Prinzipal) auf der Windlade stand. Der H. ist 
eine ungeteilte und nicht repetierende GroBmixtur mit 
bis zu 10, 22 und mehr Choren. Originale H.-Laden 
finden sich vor allem noch auf der schwedischen Insel 
Gotland. Der 7chorige H. der Nikolai-Orgel in Utrecht 
von 1479 bestand aus 16', 8', 51/3', 4', 22/3', 2', li/ 3 ' 
mit ansteigender Chorzahl (auf F 8, auf a 2 17 Pfeifen). 
Nachdem A.Schlick (1511) den H. abgelehnt hatte, 
kam er allmahlich auBer Gebrauch und wurde in Or- 
gelregister aufgeteilt. 

Histpria (lat., Historie, Geschichte), im spaten Mittel- 
alter eine Bezeichnung fiir die Antiphonen und Re- 
sponsorien des Offiziums eines Tages, wohl deshalb so 
genannt, weil sie urspriinglich der jeweiligen Heiligen- 
vita entnommen waren. Die deutschen Reformatoren 
verwendeten H. im Sinne von Heilsgeschichte haufig 
anstelle von Evangehum ; seitdem begegnet H. bis hin 
zu Schiitz verschiedentlich in den Titeln der nun meist 
deutschsprachigen Passionskompositionen (H. des Lei- 
dens . . .). Gegen Mitte des 16. Jh. bildete sich in den 
protestantischen Kirchen Sachsens und Thiiringens 
der Brauch heraus, auch die Evangelien hoher Festtage, 
besonders von Ostern und Weihnachten, nach dem 
Vorbild der responsorialen -*■ Passion mit verteilten 
Rollen und Choreinschiiben musikahsch aufzufiihren. 
Diese H. genannten Kompositionen wurden ursprung- 
hch in den Haupt-, spater in den Gebetsgottesdiensten 
(Vesper, Mette) gesungen. DemgemaB beriicksichtigt 
der Text der H., abgesehen von Einleitungs- und 
SchluBchor, normalerweise nur die Worte des jeweili- 
gen Festevangeliums. FUr die liturgische Verwendung 
der H. spricht auch der zumindest fiir die friihe H. ei- 
gentiimliche Rezitationston : wie in den Passionen 
wurde den verschiedenen Rollen je nach Stimmlage 
und Ausdrucksgehalt eine eigene Tuba zugewiesen, 
beim Osterton: Evangelist a, Christus d oder f, vox 
personarum d 1 oder f 1 , Maria Magdalena e 1 . Zuneh- 
mende Ausdruckssteigerung fiihrte jedoch von der ur- 
spriinglich psalmodischen Rezitation mehr und mehr 
zum dramatischen, oft generalbaBbegleiteten Rezi- 
tativ und lieB die H. in die aus Italien stammende Tra- 
dition des Oratoriums iibergehen. - Unter den Hi- 
storien wurde die Vertonung der Auferstehungsge- 
schichte bevorzugt. Schon der erste Beleg, die anony- 
me Oster-H. aus Sachsen (um 1550) nach dem Text 
der Evangelienharmonie J. Bugenhagens (1526), ver- 
wendet den Osterton, dessen Herkunft noch nicht ge- 
klart ist. Bedeutung erlangte Scandellos Auferstehungs- 
H.(1568),dieu.a.furN.Rosthius(1598),A.Finold(1611) 
und B.Faber (1621) zum Vorbild wurde. Eines ihrer 
Hauptmerkmale ist die aus Italien stammende Synthese 
von durchkomponierter und responsorialer Verto- 
nung, bei der die Worte des Evangelisten einstimmig, 



372 



Horfeld 



die der Soliloquenten zwei- oder dreistimmig, die Chri- 
stusworte vierstimmig, die Turbae und Rahmenchbre 
fiinfstimmig gesetzt sind. Auch die Auferstehungs- 
H. von Schiitz (1623) ubernimmt Textvorlage, Oster- 
ton und die gemischte Schreibweise von Scandello. 
Schiitz schreibt £iir seine Komposition durchweg Ge- 
neralbaB vor ; die teilweise schon rezitativisch auskom- 
ponierten Evangelistenworte werden von einem Gam- 
benquartett begleitet. Zu den 2st. Christuspartien und 
Worten der Maria Magdalena bemerkt Schiitz, daB 
beyde Stimmen, oder nur eine gesungen, die andre Instru- 
mentaliter gemacht, oder auch wol, si placet, gar ausgelassen 
werden konne. Die Auferstehungs-H. von Selle nahert 
sich stilistisch bereits dem Oratorium; dasselbe gilt 
wahrscheinlich auch fiir die vier verschollenen Histo- 
rien von J.-Ph. Krieger. - Die Geschichte der Weih- 
nachts-H. beginnt mit der Empf angnis- und der Weih- 
nachts-H. von R.Michael (1602), die stilistisch der H. 
von Scandello nachgebildet sind. Nach der anonymen H. 
Nativitatis Christi (Breslau 1638) folgt als bedeutendstes 
Werk dieser Art die Weihnachts-H. von Schiitz (1664). 
Die Worte des Evangelisten sind hier als dramatische 
Rezitative komponiert, konnen aber der Vorrede zu- 
folge auch ohne GeneralbaB choraliter aufgefiihrt wer- 
den. Neben den beiden Rahmenchoren stehen als be- 
sonders wichtige Teile die acht als Intermedien be- 
zeichneten solistischen oder chorischen Vertonungen 
der Reden, die jeweils von einer charakteristischen 
Instrumentengruppe begleitet werden. Neben T. 
Zeutschner (1649) schrieb auch J. Ph. Krieger 5 Weih- 
nachtshistorien, die jedoch verschollen sind. - Von 
Historien iiber andere Evangelien sind u. a. bekannt: 
P. Schede, H. de navicula vehente Christum (1565); E. 
Gerlach, H. von dem christlichen Lauffund seeligen Ende 
Johannis des Teuffers (1612); S.Kniipfer, H. de Missione 
Spiritus. H. nennt Carissimi einen Teil seiner Oratorien 
iiber Stoffe aus dem Alten Testament (Job, Ezechia, 
Baltazar, Abraham und Isaak). Gleichfalls alttestamen- 
tarische Szenen behandelt Kuhnau in seinen Klavier- 
sonaten Musicalische Vorstellung Einiger Biblischer Histo- 
rien (1700). - In der neueren evangelischen Kirchen- 
musik entstanden eine Reihe von Kompositionen nach 
dem Vorbild der Historien (Distler, H.Degen, Reda), 
wobei die Bezeichnung H. jedoch durchweg von dem 
deutschen Wort Geschichte abgelost wird. 
Ausg. : Hdb. d. deutschen ev. Kirchenmusik I, 3-4, hrsg. v. 
K. Ameln, Chr. Mahrenholz u. W. Thomas, Gottingen 
1937-39; R. Michael, Die Geburt unseres Herrn Jesu 
Christi nach d. Evangelisten Lukas u. Matthaus (1602), 
hrsg. v. H. Osthoff, Kassel 1937; H. Schutz, H. d. Geburt 
Jesu Christi, hrsg. v. F. Schoneich, Kassel 1955; ders., H. 
d. Auferstehung Jesu Christi, hrsg. v. W. S. Huber, Kassel 
1956. 

Lit.: O. Kade, Die altere Passionskomposition bis zum 
Jahre 1631, Giitersloh 1893; A. Scherino, Gesch. d. Ora- 
toriums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III, Lpz. 
1911, Nachdruck Hildesheim 1966; P. Wagner, Ursprung 
u. Entwicklung d. liturgischen Gesangsformen bis zum 
Ausgang d. MA, = Einfuhrung in d. Gregorianischen Me- 
lodien I, Lpz. 3 191 1, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; H. J. Moser, Diemehrst. Vertonungd. Evangeliumsl, 
= Veroff. d. Staatl. Akad. f . Kirchen- u. Schulmusik Bin II, 
Lpz. 193 1 ; ders., H. Schutz, Kassel 21954; H. Osthoff, Die 
Historien R.Michaels, Fs. A.Schering, Bin 1937;W.Mat- 
thaus, Die Evangelienhistorie v. J. Walter bis H. Schutz 
..., Diss. Ffm. 1943, maschr. ; K. Ameln, Die Anfange d. 
deutschen Passionshistorie, Kgr.-Ber. Basel 1 949. NJ 

Hit (engl.) -*■ Schlager. 

Hochdruckregister in der Orgel werden Lingual- 
und Labialregister genannt, die mit erhohtem Wind- 
druck (bis 300 mm und mehr) angeblasen werden. Die 
ersten H. wurden von der Firma Weigle 1893 fiir die 
Orgel der Liederhalle in Stuttgart mit sehr breitem 



Labium - bis zu J /2 des Umfanges - und Bogenober- 
labium gebaut. Die 1901 patentierten Seraphonstim- 
men stellen eine andere Form der H. dar; ihre Pfeifen 
weisen zwei flache Labien auf , die im stumpfen Winkel 
aufeinanderstoCen. 

Hochschule fiir Musik ->■ Konservatorium. 

Holzern Gelachter, HiilzernGlachter-> Stroh- 
fidel. 

Horen ist als musikalisches H. ein aktives Auffassen von 
Tonfolgen und Zusammenklangen, ein logisches Verkniipfen 
von Tonvorstellungen (H.Riemann). Als »logische Akti- 
vitat« des H.s, die der »musikalischen Logik« desWerks 
korrespondiert und die als -*■ Begabung gleichwohl 
der Ausbildung bedarf, kennzeichnet Riemann die auf 
Gedachtnis- und Phantasiekraft beruhende Fahigkeit, 
beim H. von Musik das in zeitlichem Ablauf akustisch 
Geschehende zu umgrenzen, zu gliedern, zu verglei- 
chen und »synthetisch« zueinander in Beziehung zu 
setzen. Wahrend das H. als psychologisches Phanomen 
Gegenstand der an naturwissenschaftlichen Methoden 
orientierten ->■ Hbrpsychologie und -*■ Musikpsycho- 
logie, in seiner gesellschaftlichen Bedingtheit Gegen- 
stand der -»• Soziologie ist, erscheint es als Instanz des 
Verstehens von Sinnzusammenhangen zugleich bedingt 
durch die -*■ Geschichte der Musik und durch das fiir 
die -»■ Komposition jeweils geltende System der mu- 
sikalischen Werte. Gleichwohl ist im historisch Jewei- 
ligen ein Immerwahrendes, Kategoriales wirksam, das 
das (begrenzt unmittelbare) Erfassen auch der ge- 
schichtlichen (»vergangenen«) Musik ermoglicht und 
die geschichtliche Fragestellung in fruchtbare Span- 
nung setzt zur Wissenschaft und Lehre musikalischer 
Prinzipien und Kategorien. Bei der Musik erscheint das 
Ohr eingeschaltet zwischen zwei Welten: die naturhafte 
Welt der ... Schallwellen und Luftschwingungen einer- 
seits und die menschlich-geistig-geschichtliche Welt der uns 
ansprechenden musikalischen Sinngestalten, Sinnbedeutun- 
gen und Bedeutungszusammenhange andererseits (Gurlitt, 
S. 9). Die Frage nach dem Abhangigkeitsverhaltnis 
beider je eigengesetzlichen Schichten des H.s ist eine der 
Grundfragen der Musikwissenschaft, wahrend die Re- 
lation zwischen kompositorischem Erfinden (Ausden- 
ken) und musikalischem H. (Verstehen) durch die 
Neue Musik der Gegenwart als Frage neu gestellt 
wurde. 

Lit. : H. Riemann, Mus. Logik, Lpz. 1 873, Diss. Gottingen 
1874 ais: Ueber d. mus. H.; ders., Ideen zu einer Lehre v. 
d. Tonvorstellungen, JbP XXI, 1914 - XXII, 1915; ders., 
Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP 
XXIII, 1916; H. Mersmann, Versuch einer Phanomenolo- 
gie d. Musik, Zf Mw V, 1922/23 ; ders., Musikh., Potsdam 
u. Bin 1938, erweitert Ffm. 21952; K. Huber, Der Aus- 
druck mus. Elementarmotive, eine psychologische Unter- 
suchung, Lpz. 1923 ; Fr. Reuter, Das mus. H. auf psycho- 
logischer Grundlage, Lpz. 1925, Lindau 2 1942; H. Besse- 
ler, Grundfragen d. mus. H., JbP XXXII, 1925; ders., 
Das mus. H. d. Neuzeit, Sb. Lpz. CIV, 6, 1959; J. Hand- 
schin, Der Toncharakter, Zurich (1948); W. Gurlitt, H. 
Riemann, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. gei- 
stes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1950, Nr 25; H. H. Egqe- 
brecht, Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 1961 ; Z.Lis- 
sa, Zur hist. Veranderlichkeit d. mus. Apperzeption, Fs. H. 
Besseler, Lpz. 1961; R. Stephan, Horprobleme serieller 
Musik, in : Der Wandel d. mus. H., = Veroff. d. Inst, f . 
Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt III, Bin 1962. 

Horfeld (Horflache) bezeichnet den durch Hor- und 
Schmerzschwellenkurve (-»• Horschwelle) begrenzten 
Bereich des horbaren Schalles, der sich graphisch in 
einem Intensitats-Frequenz-Koordinatensystem (nach 
R. Feldtkeller undE. Zwicker) darstellen lafit (siehe um- 
seitige Abbildung). 



373 



Horpsychologie 




Im H. lassen sich verschiedene Bereiche erkennen, die 
den musikalischen bzw. den Sprachschall umfassen 
(etwa 1/4 bzw. Vio des H.es). Ein gesundes Ohr kann 
bei mittlerer Lautstirke im unmittelbaren Vergleich 
etwa 1500 verschiedene Tonhohenstufen und bei mitt- 
lerer Tonhohe etwa 325 verschiedene Lautstarkestufen 
unterscheiden. Das ergibt insgesamt etwa 340000 im 
direkten Vergleich unterscheidbare Horelemente (Va- 
lenzen). 

Horpsychologie oder Gehorpsychologie (Wellek), 
friiher als Tonpsychologie (Stumpf) bezeichnet, auch 
s. v. w. Psychologische Akustik, handelt von den Ge- 
horerscheinungen, einschliefilich der musikalischen, 
und den zugrunde liegenden Gehoranlagen oder -f ahig- 
keiten unter dem Aspekt und der Methodik der Psy- 
chologic Als Zweig der Sinnes- oder Wahrnehmungs- 
psychologie einerseits, der Begabungspsychologie an- 
dererseits geht die H. (G.) von dem Gehor als einem 
Sinnes- oder Rezeptionsorgan und seinen Erlebnissen 
als einem Sinnesbereich (-modus) aus, zunachst ohne 
auf die musikalischen Erscheinungen besonders abzu- 
zielen, schreitet aber auch zu diesen fort, soweit die 
Horfunktionen grundsatzlich betroffen sind, d. h. so- 
weit elementare Phanomene und Vorgange in Frage 
stehen wie der Einzelklang, Zwei- und Mehrklang, 
Ton- und Akkordschritt. Dagegen wird die Entfal- 
tung in der Zeit in mehrgliedrigen Aufeinanderfolgen, 
somit der Rhythmus und die Musik im eigentlichen 
Sinn, nicht von der H. (G.), sondern von der -> Mu- 
sikpsychologie behandelt; die Aufgabe der H. (G.) 
wird an diese weitergegeben, sobald Musik und Rhyth- 
mus als kulturelle Strukturen zum Gegenstand werden. 
In diesem Sinne ist zuerst von Kurth (1931), hiernach 
von Wellek (1934 und sparer) grundsatzlich unter- 
schieden worden. - Zunachst waren es die auf der Re- 
duktionshypothese aufbauende Psychophysik (hier: 
Psychoakustik) in der Nachfolge Fechners und die 
Elementenpsychologie des 19. Jh., welche die horpsy- 
chologische Forschung bestimmten. Bahnbrechend 
wirkte v. Helmholtz mit dem Buche Die Lehre von den 
Tonempfindungen als physiologische Grundlage fur die 
Tlieorie der Musik (1863), worin er mit einer Resonanz- 
theorie des Horens die moderne physiologische -> Hor- 
theorie begriindete und damit den »elementaren« psy- 
chischen Inhalt der Empfindung auf die Sinusschwin- 
gung als einfachsten physikalisch-akustischen Vorgang 
zuriickfuhrte. Die Tonhohe ist hiernach das psychi- 
sche Aquivalent oder Korrelat der Frequenz, die erleb- 
tc Lautheit entspricht dem physikalischen Schalldruck, 
die Klangfarbe der spektralen Zusammensetzung des 
Schalls (der Kurvenform). Auch komplexe Phanome- 
ne wurden in gleicher Weise den physikalischen Tat- 
bestanden unmittelbar zu- und untergeordnet, so 



-*■ Konsonanz und Dissonanz (- 2) als Erfolg der Inter- 
ferenzen (Rauhigkeiten) und des Zusammenfalls von 
Obertonen (Partialschwingungen) bei zwei und mehr 
gleichzeitigen Klangen. Eine starker an den Erscheinun- 
gen als solchen interessierte Wendung, mit einschnei- 
dender Kritik an den Ansatzen H. v. Helmholtz', wurde 
der nach ihm so genannten Tonpsychologie (1883 und 
1890) von Stumpf gegeben, der z. B. fiir die Konso- 
nanztheorie von dem Phanomen der Verschmelzung 
ausging und diesem nur sekundar im Physiologischen 
»spezifische Synergien« rein hypothetisch zuordnete. 
Ihm folgte G.Revesz (ab 1912) mit grundlegenden 
Verbesserungen in der Theorie der Tonhohe. 1890 
durch Chr.v.Ehrenfels und vor allem ab 1900 durch 
F.Krueger wurde ein spater als »Krise der Psycholo- 
gie« (K.Buhler) interpretierter grundsatzlicher Um- 
schwung in der psychologischen Theorienbildung ein- 
geleitet, der als Wendung von der Elementen- zur 
Ganzheits- und Gestaltpsychologie bezeichnet wird. 
Schon v.Ehrenfels selbst wies (1890) gerade am Bei- 
spiel der Melodie, der Harmonie und des musikalischen 
Satzes nach, daB diese nicht auf Elemente zurtickfuhr- 
bare, sondern »iibersummenhafte« und »transponier- 
bare« Gebilde darstellen, die er Gestaltqualitaten nann- 
te. Krueger entwickelte ahnliche Ansatze (ab 1900) in 
seinen Untersuchungen zur Konsonanz; er fiihrte die 
Konsonanz auf farbenartige Qualitaten hinaus, die den 
Zusammenklangen eigentiimlich sind und die er den 
Gestaltqualitaten als (gleichfalls iibersummenhafte) 
»Komplex-« oder »Ganzqualitaten« beiordnete. Die von 
Chr.v.Ehrenfels ausgehende Schule der Berliner »Ge- 
stalttheorie« wandte sich in zweien ihrer Begrunder und 
fiihrenden Kopfe, E. v.Hornbostel und W.Kohler, der 
Tonpsychologie, besonders als Phanomenologie zu; 
der erstgenannte gab 1926 eine erste, bis heute muster- 
giiltige Darstellung der Psychologie der Gehorserschei- 
nungen bis hin zum Tonschritt und Mehrklang. Schon 
friiher und parallel hierzu hatte Krueger in Leipzig die 
Schule der Genetischen Ganzheitspsychologie begriin- 
det, in welcher Wellek, bei ihm und auch bei v.Horn- 
bostel ankniipfend, die Psychologie der Gehbrerschei- 
nungen auf die sukzessiven Mehrheiten (Satzformen) 
als die »musikalischen Erscheinungen« ausdehnte und 
von da aus zur -*- Musikpsychologie iiberleitete, zu- 
gleich auch die Theorie der Gehoranlagen, zumal des 
-*■ Absoluten Gehors und-*- Relativen Gehors, entwik- 
kelte. Mit der Ganzheits- und Gestaltpsychologie wird 
auch der Reduktionismus im Sinne des Abhangigkeits- 
satzes (der »Konstanzannahme«) der alteren Psychophy- 
sik hinfallig, d. h. die Voraussetzung eindeutiger Be- 
ziehungen zwischen (physikalischem) Reiz und (psychi- 
schem) Reizerfolg. Zugleich wird die Annahme einer 
»reinen«, »einfachen« Empfindung,. aus der sich die 
komplexe Wahrnehmung aufbauen soil, fallen gelassen 
und der originare Charakter der Qualitaten-(Farben-) 
und Gestaltwahrnehmung auf alien Sinnesbereichen er- 
kannt. Damit entfallt die Festlegung des Begriffs der 
-> Tonhohe auf eine einzige, angeblich allein originare 
Qualitat; die von Revesz so genannte »musikalische 
Qualitat« - nach v.Hornbostel Tonigkeit genannt - 
wird als selbstandige (nach Wellek »zyklische«) Wahr- 
nehmungs-»Dimension« neben dieser eingefuhrt und 
die Mehrseitigkeit der Tonhohe anerkannt. Von da- 
her wird eine qualitative Aufgliederung auch der 
Klangfarbe und der Tonzwei- und -mehrheiten mog- 
lich, die v. Hornbostel begonnen, Wellek durchgef uhrt 
hat. Die Probleme physikalischer und physiologischer 
Korrelate verlieren damit innerhalb der H. (G.) an 
Gewicht und werden der Psychoakustik als einer phy- 
sikalisch-physiologischen Disziplin uberwiesen, wo 
sie neuestens u. a. durch Heranziehung der Informa- 



374 



Horspielmusik 



tionstheorie und Kybernetik und ihrer hochst frucht- 
baren Modellvorstellungen neuen theoretischen Mog- 
Hchkeiten zugefiihrt wurden. Andererseits gewinnen 
mathematisierte Methoden an Bedeutung: innerhalb 
der Phanomenologie in der Erarbeitung von »Phano- 
menskalen«, wie der Phon- und Soneskala fur Laut- 
starken (St. Sm. Stevens) und der Melskala fiir Ton- 
hohen; in der Analyse der Gehoranlagen (-strukturen) 
durch die Korrelationsrechnung, mit der besonders 
die von Wellek entdeckten Gehor- und Musikalitats- 
typen und deren Zusammenhang mit allgemein-psy- 
chologischen Typen (ab 1934) gesichert werden konn- 
ten; desgleichen fiir Grundfragen der musikalischen 
Erbforschung seit Galton. Hochformalisierte Metho- 
den und Modelle, wie die genannten, die in England 
bei Galton und dessen Schiilern, zumal Ch. Spearman, 
dann auch in Deutschland (ab 1906) bei Krueger und 
dessen Schiilern ihren Ursprung hatten, wurden zwi- 
schen den Weltkriegen und seither in Nordamerika in 
groflem Stil weiterentwickelt, ahnlich die auf Fechner 
(1860) zuriickgehende Psychophysik und MaBmetho- 
dik in derneueren Psychometrik. In deren Anwendung 
auf die H. (G.) nimmt der Harvard-Psychologe St. Sm. 
Stevens eine fiihrende Stellung ein. Der von der Er- 
kenntnistheorie her traditionelle Gegensatz von Sub- 
jekt und Objekt, Subjektivitat und Objektivitat wird 
solchermafien im Bereiche der psychologischen Pha- 
nomenologie entscharft, ja unaktuell, da auch der »ob- 
jektive«, d. h. intersubjektiv giiltige Gehalt des Sub- 
jektiven mit exakter Methodik aufgewiesen werden 
kann, wiihrend die Gehoranlagen eo ipso objektive 
Gegebenheiten organismischer (»struktureller«) Art 
darstellen und als solche gleichfalls exakt formalisie- 
render Methodik, z. B. der Faktorenanalyse, zugang- 
lich sind. 

Lit.: H. v.Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
..., Braunschweig 1863, 6 1913; C. Stumpf, Tonpsycho- 
logie, 2 Bde, Lpz. 1883-90, Nachdruck Hilversum u. Am- 
sterdam 1965; Beitr. zur Akustik u. Mw., hrsg. v. dems., 9 
H., Lpz. 1898-1924; ders., Die Sprachlaute. . . nebst einem 
Anhangiiber Instrumental-Klange, Bin 1926; W. Kohler, 
Akustische Untersuchungen, Zs. f. Psychologie LIV, 1909, 
LVIII, 1910 u. LXIV, 1913; ders., Tonpsychologie, in: 
Hdb. d. Neurologie d. Ohres I, hrsg. v. G. Alexander u. O. 
Marburg, Bin u. Wien 1923; G. Revesz, Zur Grundlegung 
d. Tonpsychologie, Lpz. 1913; ders., Einfiihrung in d. 
Musikpsychologie, Bern 1946; H. J. Watt, The Psycho- 
logy of Sound, Cambridge 1917; R. M. Odgen, Hearing, 
NY 1924; E. M. v. Hornbostel, Psychologie d. Gehors- 
erscheinungen, in: Hdb. d. normalen u. pathologischen 
Physiologie XI, hrsg. v. A. Bethe u. a., Bin 1926; E. Schu- 
mann, Die Physik d. Klangfarben, Habil.-Schr. Bin 1929; 
H. Schole, Tonpsychologie u. Musikasthetik, Gottingen 
1930; A. Wellek, Musik, Neue Psychologische Studien 
XII, 1, 1934, 21954; ders., Typologie d. Musikbegabung 
im deutschen Volke, = Arbeiten zur Entwicklungspsycho- 
logieXX, Miinchen 1939; ders., Musikpsychologie u. Mu- 
sikasthetik. GrundriB d. systematischen Mw., Ffm. 1963 
(mit Bibliogr.); St. Sm. Stevens u. H. Davis, Hearing. Its 
Psychology and Physiology, NY (1938, 51960); St. Sm. 
Stevens, J. G; C. Loring u. D. Cohen, Bibliogr. on Hear- 
ing, Cambridge (Mass.) 1955 (ttber 10000 Titel); G. Al- 
bersheim, Zur Psychologie d. Ton- u. Klangeigenschaften, 
= Slg mw. Abh. XXVI, Lpz., StraBburg u. Zurich 1939 ; J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ; E. B. New- 
man, Hearing, in: Foundations of Psychology, hrsg. v. 
E. G. Boring, H. S. Langfeld u. H. P. Weld, NY 1948; H. 
Husmann, Vom Wesen d. Konsonanz, = Mus. Gegen- 
wartsfragen III, Heidelberg 1953; W. Meyer-Eppler, 
Grundlagen u. Anwendungen d. Informationstheorie, Bin, 
Gottingen u. Heidelberg 1959; G. v. Bekesy, Experiments 
in Hearing, NY u. London 1960; H.-P. Reinecke, Experi- 
mentelle Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens, = Schrif- 
tenreihe d. mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964; W. Wio- 
ra, A. Welleks »Grundrifl d. Systematischen Mw.« . . . , 
Mf XIX, 1966. AW 



Horsamkeit ist ein subjektiver und sehr komplexer 
Begriff aus der -»■ Raumakustik, der sich nicht exakt 
festlegen lafit. Man fafit darunter all das zusammen, 
was in der Umgangssprache unter der »Akustik« eines 
Raumes verstanden wird. H. laBt sich durch akustisch 
definierte GroBen (z. B. Nachhallkurve, Diffusitat) an- 
nahernd beschreiben. 

Horschwelle ist die Bezeichnung fiir den intensi- 
tatsbedingten, frequenzabhangigen Ubergang vom 
Unhorbaren zum Horbaren. Die durch subjektive Ur- 
teile ermittelten Schalldruckwerte, durch welche die 
H.n bei den verschiedenen Frequenzen markiert sind, 
ergeben die »H.n-Kurve«. Die Bezeichnung ist genau- 
genommen unzulassig, da es sich nicht um die graphi- 
sche Darstellung der H.n selbst handelt, die einer Mes- 
sung gar nicht zuganglich sind, sondern um die Dar- 
stellung von Mittelwerten der als eben horbar bzw. 
eben unhorbar beurteilten Schalldrikke. - Eine ent- 
sprechende Kurve, die sogenannte Schmerzschwellen- 
kurve, gibt an, bei welchen Werten ein Schall so stark 
ist, daB er als schmerzhaft empfunden wird. Beide 
Kurven umgrenzen das ->• Horfeld. Die H. liegt fiir 
1000 Hz bei etwa 0,0002 jxb, die Schmerzschwelle bei 
iiber 200 u.b, das ist mehr als das 10 6 fache. Die H. kann 
durch -»• Adaptation und -> Verdeckung verandert 
werden. 

Lit. : St. Sm. Stevens u. H. Davis, Hearing. Its Psychology 
and Physiology, NY (1938, 51960); G. v. Bekesy, Uberein 
neues Audiometer, Arch. d. elektrischen Ubertragung I, 
1947; O. Fr. Ranke, Physiologie d. Gehors, in: Lehrbuch 
d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. Schutz, 
Bin, Gottingen u. Heidelberg 1953 ; R. Feldtkeller u. E. 
Zwicker, Das Ohr als Nachrichtenempf anger, = Mono- 
graphien d. elektrischen Nachrichtentechnik XIX, Stutt- 
gart 1956. 

Horspielmusik. Im Horspiel wird wie in der -+ Funk- 
oper der Rundfunk vom Informations- und Ubertra- 
gungsmittel zum kiinstlerischen Instrument. Das Hor- 
spiel gewinnt seine endgiiltige Klanggestalt erst im 
Lautsprecher ; in der vorangehenden Produktion exi- 
stieren nur seine Bruchstiicke Wort, Gerausch und 
Ton, deren jedes elektrisch verformt werden kann 
(z. B. durch Hall). Die Funkhauser beherbergen eigene 
Horspielstudios mit akustisch wirksamer Einrichtung 
(Zimmer verschiedener Horsamkeit, halltoter Raum, 
Hallraum, Regie- und Mischpult, Tontragerraum fiir 
das Zuspielen vorproduzierter Bestandteile) sowie Ge- 
rauscharchive. - Die Bezeichnung Horspiel geht auf 
Nietzsches Also sprach Zarathustra (IV, Die Begriifiung) 
zuriick und wurde von H.v.Heister in die Radiolite- 
ratur eingefuhrt (Der deutsche Rundfunk, August 1924). 
Wie Dicht- und Tonkunst kann das Horspiel sich nur 
in der verrinnenden Zeit darbieten, es formt aber auch 
selbst das Gef iihl des Horers fiir den Ablauf, der rasch, 
trage, gleichmaBig oder diskontinuierlich zu wirken 
vermag. Unter Aufhebung der Zeitkonstante kann 
zeitweilig ein Nebeneinander von Vergangenheit, Ge- 
genwart und Zukunft beschworen werden. Dramati- 
sche, balladeske, oratorische, edukative Mittel sind im 
Horspiel angewandt worden; L. Weismantels Toten- 
feier (1931) hat Kantatenform, R.Leonhard spricht 
1927 (Vorwort zu Wettlauf) vom Horspiel als Sprech- 
oper. Feature, Horfolge und -bild sind Mischgattun- 
gen, die Mittel der Erzahlung, Chronik und Repor- 
tage einbeziehen. Das erste europaische Horspiel schrieb 
R.Hughes (A Comedy of Danger, BBC 1924), das 
erste deutsche R. Gunold (Gespenstersonate, nach E. T. A. 
Hoffmann, Breslau 1924). Zum Wort trcten die aku- 
stisch wahrnehmbaren AuBerungen von Mensch, 
Tier, Naturerscheinung oder Maschine als Ausdrucks- 
und Symbolwerte hirizu. Von der anfangs unbe- 



375 



Hortheorie 



denklichen Uberfiitterung mit naiv-naturalistischen 
Lauten gelangte man immer mehr zur sparsamen 
Andeutung und UberlieB Klangvorstellungen des H6- 
rers der Suggestivkraft des Wortes. Illusionsfordernd 
konnen indessen ostinat gebrauchte Zeitsymbole 
(Uhrenticken, Wassertropfen) wirken. Manche Auto- 
ren fordern musikalische Personen- und Situations- 
charakteristika (J. M. Bauer, Der geduldige Liigner mit 
dem 4handigen Klavierspiel der alten Liebenden; E. 
Ionesco, Der Automobilsalon mit der Zuordnung elek- 
tronischer Tierstimmenparodien). Beim Gebrauch 
autonomer Musik als Background ist zuweilen noch 
Respekt- und Instinktlosigkeit zu beklagen. Demge- 
geniiber griindet sich die eigens komponierte H. auf 
die Gemeinsamkeit derBedeutung von Metrum, Rhyth- 
mus, Klangfarbe und Lautstarke fiir Wort- und Ton- 
kunst. Wesentliches Gebot ist aphoristische Pragnanz: 
vielfach ist die H. nur nach Sekunden festgelegte klin- 
gende Interpunktion. Leitmotivik, unterstiitzt durch 
die Logik sparsamer Instrumentation, wird gem ge- 
braucht. Die Musik tritt als milieubestimmender Fak- 
tor in das Spiel ein, fixiert geschichtliche Handlungs- 
orte, erlautert Szenenwechsel, markiert Zasuren, lafit 
Gesprachsinhalte nachwirken, intensiviert oder paro- 
diert den Text. Von Exotik und Folklore reicht ihre 
Skala tiber das Volkstumliche bis zum Expressionisti- 
schen und zur Elektronik; die Ausdrucksmittel der 
Musique concrete ordnen sich der funkischen Wort- 
handlung miihelos zu. Stilbildende H.-Komponisten 
sind u. a. H.Badings, G.Bialas, B.Blacher, W.Egk, F. 
FaBbind.W. Former, S.Franz, W.Haentjes, A.Honeg- 
ger, M. Lothar, G. Petrassi, L. Roselius, H. Sutermeister, 
W. Zillig und B. A. Zimmermann. 
Lit.: H. Pongs, Das Horspiel, in: Zeichen d. Zeit I, Stutt- 
gart 1930; F. Fassbind, Dramaturgie d. Horspiels, Zurich 
1943; H. Jedele, Reproduktivitat u. Produktivitat im 
Rundfunk, Diss. Mainz 1952, maschr.; G. Eckert, Skizzen 
zu einer deutschen Horspielgesch., in : Rufer u. Horer VIII, 
1953; W. Haentjes, Ober H„ Melos XX, 1953; G. Mul- 
ler, Dramaturgie d. Theaters, d. Horspiels u. d. Films, 
Wiirzburg 6 1954; G. Prager, Das Horspiel in sieben Ka- 
piteln, in: Akzente I, 1954; E. Koster, Mus. Kulisse im 
Horspiel, in: Das Musikleben VIII, 1955; Fr. Sieburg, 
Klangkulisse zum Bildschirm, Melos XXII, 1955; G. Bon- 
te, Die Frage d. H., NZfM CXVII, 1956; F. Knilli, Das 
Horspiel, Stuttgart 1961 ; H. Schwitzke, Das Horspiel, 
Koln u. Bin 1963 (mit Verz. d. seit 1945 gedruckten Hor- 
spiele). SG 

Hortheorie. Die Beschreibung von Aufnahme und 
Weiterleitung akustischer Reize im Gehor muB sich 
besonders fiir das Innenohr auf Modellversuche und 
theoretische Berechnungen sttitzen, da der Schwin- 
gungsverlauf innerhalb der Schnecke (-»■ Ohr) direkter 
Messung nicht zuganglich ist. Die anfangs hier an- 
setzenden Untersuchungen beschrankten sich auf die 
Erklarung hauptsachlich des Tonhohen-Unterschei- 
dungsvermogens durch physiologische Ablaufe. Am 
Beginn dieser H.n steht die Resonanzhypothese, deren 
Urheber H. v. Helmholtz ist. Sie geht auf das Ohmsche 
Gesetz der Akustik (-»■ Frequenzanalyse) zuriick. Nach 
dieser Theorie ist bei Einwirken eines Reizes jede Faser 
oder Fasergruppe entsprechend ihrer Eigenfrequenz in 
Resonanz mit der Schneckenfliissigkeit und den sonsti- 
gen vorhandenen Massen (z. B. Aufbauten auf den 
Fasern). Diese Annahme setzt voraus, daB die Fasern 
auf der Basilarmembran wie Resonatoren oder Saiten 
mechanische Schwingungen ausfiihren, wogegen sich 
besonders die Einwande der Physiologie wandten, so 
vor allem die von Max Wien, der rechnerisch nach- 
wies, daB die (mechanische) Einschwingzeit der Basi- 
larmembran-Resonatoren den zeitlichen Abstand 
zweier gerade noch getrennt wahrnehmbarer Schwin- 



gungsimpulse demnach noch weit iibersteigen miiBte. 
Diese physikalische Betrachtung von Ein- und Aus- 
schwingzeiten der Resonatoren wird durch neuere 
Uberlegungen in ihrer Bedeutung abgeschwacht, wel- 
che die wesentlich kiirzeren Zeiten auf rein physiologi- 
sche Vorgange zuriickfiihren (Erregung in Sinneszel- 
len und Nervenfasern). Der Resonanzhypothese steht 
neben der Schallbilderhypothese von Ewald (nicht aus 
dem Ort der Schwingungsmaxima auf der Basilar- 
membran, sondern durch den Abstand dieser Maxima 
zueinander wird dem Nervensystem die MSglichkeit 
der Tonhohenbestimmung gegeben) vor allem die 
hydrodynamische Theorie gegeniiber. Sie besagt, daB 
die Schwingungsform der Basilarmembran durch ihre 
Elastizitat sowie durch die Wellenbewegung der 
Schneckenfliissigkeit bestimmt wird. Daran kniipfen 
eine Reihe von Hortheorien (vgl. dazu Waetzmann), 
die zunachst die Wellenbewegung beriicksichtigen, 
ohne mathematisch-physikalische Analysen heranzu- 
ziehen. Gildemeister teilte sie durch Art und Form der 
sich auf die Basilarmembran abbildenden Fliissigkeits- 
bewegung sowie nach Anzahl der Schwingungsmaxi- 
ma in Ein-, Zwei- und Mehrortstheorien auf. Spater 
lieferten dann Kucharski, Ranke und Zwislocki ma- 
thematische Berechnungen der Vorgange im Innen- 
ohr und vor allem Bekesy diesem genau entsprechende 
Modelle und hervorragende Untersuchungen am Pra- 
parat. In neuerer Zeit wurde der Untersuchungsbe- 
reich auf die Horbahnen und -zentren ausgedehnt, 
auBerdem neben der Tonhohenunterscheidung die an- 
deren Eigenschaften des Gehors beriicksichtigt (Laut- 
starkeempfindung, Klangfarbensinn, Schallortung) 
und erkannt, daB diese Eigenschaften nicht ausschlieB- 
lich durch physiologische Vorgange im Innenohr er- 
klart werden konnen. So besagt die Salventheorie von 
Wever und Bray, daB Frequenzen iiber 1000 Hz, die 
eine einzelne Faser nicht weiterleiten kann, in salven- 
ahnlichen Impulsen von mehreren zusammenwirken- 
den Fasern transportiert werden. Mit Schouten ist an- 
zunehmen, daB die Frequenzanalyse nicht ausschlieBlich 
auf der Basilarmembran geschieht. In jiingster Zeit 
baute Licklider eine Triplex-Theorie aus. Danach 
kommt die Tonhohenwahmehmung durch ein Zusam- 
menwirken dreier verschiedener Vorgange zustande, 
namlich der Frequenzanalyse in der Cochlea, ferner 
einer Autokorrelationsanalyse (-> Statistik) sowie wei- 
terer Prozesse in hoheren Zentren. 
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
..., Braunschweig 1863, 41877, <>1913; E. Mach, Zur 
Theorie d. Gehororgans, Sb. d. Kaiserlichen Akad. d. Wiss. 
Bin, mathematisch-naturwiss. Klasse, XLVIII u. L, 1863; 
ders., Die Analyse d. Empfindungen, Jena 1903, 9 1922; 
J. R. Ewald, Zur Physiologie d. Labyrinths VI, Eine neue 
H., Pfliigers Arch, f . d. gesamte Physiologie LXXVII, 1 899 ; 
ders., Zur Physiologie d. Labyrinths VII, Die Erzeugung v. 
Schallbildern in d. Camera acustica, ebenda XCIII, 1903; 
M. Wien, Ein Bedenken gegen d. Helmholtzsche Reso- 
nanztheorie d. Horens, Fs. A. Wiillner, Lpz. 1905; E. 
Waetzmann, Zur Helmholtzschen Resonanztheorie, 
Habil.-Schrift Bin 1906; ders., H., in: Hdb. d. normale u. 
pathologischen Physiologie XI, hrsg. v. A. Bethe u. a., Bin 
1926; E. Budde, tiber d. Resonanztheorie d. Horens, Phy- 
sikalische Zs. XXVIII, 1927; G. v. Bekesy, Zur Theorie 
d. Horens, ebenda XXIX, 1928 - XXX, 1929 ; ders., Physi- 
kalische Probleme d. Horphysiologie, Elektrische Nach- 
richten-Technik XII, 1935; ders., Ober d. Schwingungen 
d. Schneckentrennwand beim Praparat u. Ohrenmodell, 
Akustische Zs. VII, 1942; ders., Beitr. zur Frage d. Fre- 
quenzanalyse in d. Schnecke, Arch. f. Ohren-, Nasen-, 
Kehlkopfheilkunde CLXVII, 1955; M. Gildemeister, 
Probleme u. Ergebnisse d. neueren Akustik, Zs. f. Hals-, 
Nasen- u. Ohrenheilkunde XXVII, 1930; W. Kucharski, 
Schwingungen v. Membranen in einer pulsierenden Flils- 
sigkeit, Physikalische Zs. XXXI, 1930; E. G. Wever u. 



376 



Hohlflote 



Ch. W. Bray, Auditory Nerve Impulses, Science LXXI, 
1930; J. F. Schouten, Die Tonhohenempfindung, Philips 
Technische Rundschau V, 1940; J. Zwislocki, Zur Theo- 
ried. Schneckenmechanik, Acta oto-laryngologica LXXII, 
1948; O. Fr. Ranke, Hydrodynamik d. Schneckenfliissig- 
keit, Zs. f. Biologie CHI, 1950; ders., Physiologie d. Ge- 
hors, in: Lehrbuch d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelen- 
burg u. E. Schutz, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1953; L. 
Cremer, tiber d. ungelosten Probleme in d. Theorie d. 
Tonempfindungen, Acustica I, 1951 ; J. Matzker, Unter- 
suchungen iiber d. zentrale Tonhohenwahrnehmung, Zs. f. 
Laryngologie, Rhinologie, Otologie u. ihre Grenzgebiete 
XXXIII, 1954; J. C. R. Licklider, Auditory Frequency 
Analysis, in : Information Theory, London 1 956 ; H. Fack, 
Informationstheoretische Behandlung d. Gehors, in: Im- 
pulstechnik, zusammengestellt u. bearb. v. Fr. Winckel, 
Bin, Gottingen u. Heidelberg 1956; W. Meyer-Eppler, 
Die dreifache Tonhohenqualitat, Fs. J. Schmidt-Gorg, 
Bonn 1957. WiD 

Horversuch. Mit der unter Laboratoriumsbedin- 
gungen einsetzenden Beobachtung von Schallereig- 
nissen, deren Parameter variiert werden, bezog die al- 
tere Tonpsychologie das Experiment in den Bereich 
ihrer Forschungsmethodik ein. Diese Einbeziehung 
ging zeitlich parallel mit der systematischen Inan- 
spruchnahme experimenteller Moglichkeiten in der 
Psychologie iiberhaupt, die um die Mitte des 19. Jh. 
begann. Das Ziel des experimentellen H.s ist, in Ent- 
scheidungs- und Erkundungsversuchen aus theoreti- 
schen Erwartungen (Hypothesen) von musikalischen, 
psychologischen, physiologischen und physikalischen 
Erscheinungen Ergebnisse des Experimentes zu dedu- 
zieren bzw. diese Phanomene greifbar zu machen. Ei- 
ner der altesten H.e stammt von dem Physiologen E. 
H. Weber, der als Schallquelle zwei Taschenuhren be- 
nutzte: Indem er je eine Uhr vor das rechte und linke 
Ohr hielt, hatte er sich der Methode der getrenntohri- 
gen (binauralen oder dichotischen) Reizdarbietung be- 
dient, wie sie wenige Jahrzehnte spater in der experi- 
mentellen Tonpsychologie angewendet wurde. E. 
Mach und C. Stumpf entdeckten mit dieser Darbie- 
tungsart und mit Stimmgabeln als Schallquellen, daB 
die Schwebungen und Kombinationsfrequenzen, die 
bei beidohrigem (monauralem oder monotischem) H6- 
ren zweier Tone auftreten, hierbei ausbleiben. Dieses 
Versuchsergebnis wurde als Einwand gegen die Helm- 
holtzsche Dissonanzerklarung vorgebracht. Die altere 
Tonpsychologie, beeinfluBt durch die psychophysi- 
schen Methoden des 19. Jh., lieferte besonders Unter- 
suchungen iiber Horschwellen, Schallokalisation, Un- 
terschiedsempfindlichkeit, ferner Beobachtungen von 
Kombinationstonen, Horgrenzenbestimmungen usw. 
Ihre Versuchsapparatur bestand aus Stimmgabeln oder 
Stimmzungen, denen schalleitende Rohre angeschlos- 
sen wurden. Eine Verbesserung trat ab 1878 durch die 
Anwendung des Telephons ein (Tarchanow, Preyer). 
Aber erst die Entwicklung der Elektroakustik erwei- 
terte die experimentellen Moglichkeiten (MeBgenera- 
toren, Kopfhorer), die dann fur die Arbeiten von A. 
Wellek und H. Sandig gegeben waren. H.Husmann 
benutzte die binaurale Darbietung zu Beobachtungen 
von Intervallen, auf die er seine »Koinzidenztheorie 
der Konsonanz« grundete; an diese Untersuchungen 
kniipfen mehrere Arbeiten seiner Schiller an. H.-P. 
Reinecke gelang 1961 durch die gleiche Darbietungs- 
art die Entdeckung von Tonerscheinungen, den »Bin- 
aural-T6nen«, fiir die kein unmittelbares physikali- 
sches Korrelat vorhanden ist. Die Verfeinerung und 
Erweiterung der Untersuchungsmethoden im Rah- 
men der Psychologie ist nicht ohne EinfluB auf das 
Horexperiment. So richtet sich Anordnung, Durch- 
fiihrung und Interpretation der neueren H.e an den 
statistischen Methoden der Psychologie aus. 



Lit.: W. Preyer, Die akumetrische Verwendung d. 
Bell'schen Telephons, Sb. d. Jenaischen Ges. f. Medicin 
u. Naturwiss. f. d. Jahr 1878; J. Tarchanow, Das Tele- 
phon als Anzeiger d. Nerven- u. Muskelstrome beim Men- 
schen . . . , St. Petersburger medizinische Wochenschrift 
III, 1878; C. Stumpf, Tonpsychologie I, Lpz. 1883, Nach- 
druck Hilversum u. Amsterdam 1965; ders., t)ber d. Er- 
mittlung v. Obertonen, Annalen d. Physik u. Chemie, 
N. F. LVII, 1896; ders., Binaurale Tonmischung, Mehr- 
heitsschwelle u. Mitteltonbildung, Zs. f. Psychologie 
LXXV, 1916 ; K. L. Schaefer, Die Bestimmung d. unteren 
Horgrenze, Zs. f. Psychologie u. Physiologie d. Sinnesor- 
gane XXI, 1 899 ; F. Krueger, Beobachtungen an Zwei- 
klangen, in: Philosophische Studien XVI, 1900; G. Mela- 
ti, Ueber binaurales Horen, ebenda XVII, 1901 ; St. Ba- 
ley, Versuche iiber d. Lokalisation beim dichotischen Ho- 
ren, Zs. f. Psychologie LXX, 1914/15; E. M. v. Horn- 
bostel, Beobachtungen iiber ein- u. zweiohriges Horen, 
ebenda LXXV, 1916; M. Gildemeister, Untersuchungen 
iiber d. obere Horgrenze, Zs. f. Psychologie u. Physiologie 
d. Sinnesorgane L, 1919; J. Wittmann, Beitr. zur Analyse 
d. Horens bei dichotischer Reizaufnahme, Arch. f. d. ge- 
samte Psychologie LI, 1925 ; A. Wellek, Die Aufspaltung 
d. »Tonhdhe« in d. Hornbostelschen Gehorpsychologie . . . , 
ZfMw XVI, 1934; H. Sandig, Beobachtungen an Zwei- 
klangen . . . , in : Gef iihl u. Kunst, hrsg. v. A. Wellek, = Neue 
psychologische Studien XIV, 1, Munchen 1939; H. Hus- 
mann, Eine neue Konsonanztheorie, AfMw IX, 1952; 
ders., Vom Wesen d. Konsonanz, in: Mus. Gegenwarts- 
fragen III, Heidelberg 1953 ; P. R. Hofstatter, Psycholo- 
gie, = Das Fischer Lexikon VI, Ffm. (1957) ; I. Korthaus, 
Die Beurteilung mus. Intervalle im mittleren u. unteren 
Horbereich, Diss. Hbg 1960, maschr. ; W. Wille, Das Ver- 
halten mus. Intervalle in mittleren u. hohen Tonlagen, Diss. 
Hbg 1960, maschr. ; H.-G. Lichthorn, Zur Psychologie d. 
Intervallhorens, Diss. Hbg 1962; V. Rahlfs, Zur Anwen- 
dung quantitativer Methoden in d. Tonpsychologie, Mf 
XV, 1962; H.-P. Reinecke, Experimentelle Beitr. zur Psy- 
chologie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. mw. Inst. d. 
Univ. Hbg HI, Hbg 1964. WiD 

Hofmusikkapelle, Wiener. Die W. H. geht zuriick 
auf die am 30. 6. 1498 gestiftete ->- Kapelle Kaiser 
Maximilians I., die bis 1520 bestand. Seit der Neugriin- 
dung einer Kapelle durch Ferdinand I. 1526/27 be- 
stand sie bis 1919, in den ersten Jahrhunderten den 
mehrfach wechselnden Residenzorten des Habsburger 
Hofes folgend (vor allem nach Prag) und lebhaft ver- 
bunden mit den Kapellen der erzherzoglichen Hofe in 
Innsbruck und Graz. Dank dem Musikverstandnis vie- 
ler Habsburger hatte die W. H. stets eine groBe Zahl 
hervorragender Kapellmeister und Musiker aufzuwei- 
sen. Unter Maria Theresia wurden 1746 die Hofmusik 
(Kirchen-, Kammer- und Tafelmusik) und die Oper 
getrennt. Zur Hofmusik gehorte ein Konvikt fiir San- 
gerknaben, dem u. a. Haydn und Schubert angehorten 
und.das in den Wiener Sangerknaben fortlebt. 
Lit. : L. Ritter v. Kochel, Die kaiserliche H., Wien 1 869 ; 
A. Smijers, Die kaiserliche Hofmusik-Kapelle v. 1543- 
1619, StMw VI, 1919 - IX, 1922; P. Nettl, Zur Gesch. d. 
kaiserlichen H. v. 1636-80, StMw XVI, 1929 - XIX, 1932; 
A. Koczirz, Die Auflosung d. H. nach d. Tode Kaiser 
Maximilians I., ZfMw XIII, 1930/31 ; H. Schweiger, Ar- 
chivalischeNotizen zur Hof kantorei Maximilians I., ZfMw 
XIV, 1931/32 ; O. C. A. zur Nedden, Zur Gesch. d. Musik 
am Hofe Maximilians I., ZfMw XV, 1932/33 ; A. Einstein, 
Ital. Musik u. ital. Musiker am Kaiserhof . . . , StMw XXI, 
1 934 ; H. Federhofer, Etats de la chapelle mus. de Charles- 
Quint (1528) et de Maximilien (1554), RBM IV, 1950; G. 
Reichert, Die Preces-primariae-Register Maximilians I. 
. . . , AfMw XI, 1954; W. Senn, Musik u. Theater am Hof 
zu Innsbruck, Innsbruck 1954; O. Wessely, Archivalische 
Beitr. zur Mg. d. maximilianischen Hofes, StMw XXIII, 
1956. 

Hohlflcte ist in der Orgel ein weit mensuriertes, zy- 
lindrisch offenes, mitunter auch gedecktes oder teilge- 
decktes Labialregister im Manual und Pedal von 16', 
8', 4' und 2' (als Hohlpfeife) ; als Quintstimme Hohl- 



377 



Holler 



quinte genannt. Die Herleitung des Namens von »hohl 
klingender F16te«, wie Praetorius meint, wird bestrit- 
ten, dagegen vom Material her, Holderflote = Holun- 
derflote vorgeschlagen. 

Holler (h'obj, engl., schreien, laut rufen, abgeleitet 
von hallo, hollah), in der nordamerikanischen Neger- 
folklore eine Art gellender, schriller Rufe zwischen 
Singen und Sprechen, bei denen die Stimme iiber ein 
grell tonendes Schreien hinaus einen ausgepragt melo- 
disch-expressiven Charakter gewinnt. H.s beanspru- 
chen den gesamten Stimmumfang (vom Falsett bis 
zum Grunzen oder Brummen), sind nie instrumental 
begleitet und erklingen zur Verstandigung als Zurufe 
(Cornfield h. bei Landarbeitern), aber auch als stim- 
mungsbedingte Ausrufe. Dem Typ der H.s stehen Call 
und ->■ Street cry nahe. 

Holzblasinstrumente (verkiirzt auch Holz; frz. 
bois; engl. wood; ital. legni), Sammelbezeichnung fur 
eine Gruppe von Instrumenten des modernen Or- 
chesters, welche die Floten, Oboen, Klarinetten und 
Fagotte nebst ihren Verwandten (Piccoloflote, Eng- 
lisch Horn, BaBklarinette, Bassetthorn, Kontrafagott, 
Saxophon, Sarrusophon usw.) umfaBt. Die Mehrzahl 
dieser Instrumente ist allerdings in der Regel aus Holz 
gefertigt; aber auch Floten aus Silber oder Klarinetten 
und Saxophone usw. aus Blech werden H. genannt, 
im Gegensatz zu den in ihrer Spieltechnik grundver- 
schiedenen Blechblasinstrumenten. 
Lit. : A. Baines, Woodwind Instr. and Their Hist., London 
1 957 ; J. Meyer, Akustik d. Holzblasinstr. in Einzeldarstel- 
lungen, = FachbuchreiheDasMusikinstr.XVlI,Ffm. 1966. 

Holzblock (engl. wood block; ital. legno) ist in der 
»chinesisch« genannten Form eine langlich-rechtecki- 
ge -*■ Schlitztrommel mit einem schmalen, geraden 
Schlitz durch die obere Halfte. Das Instrument ist 
meist in 3 GroBen anzutreffen (z. B. Varese, Integrates: 
3 Blocs chinois - hoch, mittel, tief) ; die mittlere GroBe 
hat Abmessungen von etwa 18 x 7,5 x 4 cm. Der H. 
ist iiber das Schlagzeug des Jazz (hiet besonders in der 
Dixieland-Gruppe verwendet; eine Abart ist der 
-»■ Clog box) in das Orchesterschlagzeug gelangt (wohl 
zuerst bei Hindemith, Kammermusik Nr 1, 1921) und 
hat dort, im Gegensatz zu den verwandten -»• Tempel- 
blocken,- seinen festen Platz erhalten (Ravel, Konzert 
fiir die linke Hand; Hindemith, Symphonische Meta- 
morphosen; Prokofjew, 5. Symphonie). Der »amerika- 
nische« H. besteht aus zwei durch einen Schaft ver- 
bundenen Holzzylindern, die, an beiden Enden unter- 
schiedlich lang ausgehohlt, verschiedene Klanghohe 
ergeben und in der Langsrichtung geschlitzt sind. An- 
geschlagen werden beide Formen mit Holzschlageln 
oder Filzkloppeln. Der Klang ist hell, kurz und hohl. 
Im Instrumentarium des Orffschen Schulwerkes ist der 
H. unter den Bezeichnungen Holzblocktrommel bzw. 
Rohrenholztrommel vertreten. 
Holztrompete ->• Alphorn. 

Homoioteleuton (griech., das Gleich-Endende), in 
der Kompositionslehre des 17.-18. Jh. eine musikalische 
Figur, die in Abweichung von dem H. in der Rhetorik 
(Ahnlichkeit der Endungen mehrerer Perioden) eine 
Generalpause bezeichnet. Die Definition des H. bei 
Nucius (1613) : cum post communem vocum concursum 
Semibrevis ant minimae Pausae interventu generate silen- 
tium indicitur ac Harmonia interrumpitur iibernimmt Thu- 
ringus (1625) mit dem Zusatz: est finale silentium in 
medio cantionis, stellt dem H. aber das Homoioptoton 
(Est cum generalis pausa . . . in omnibus vocibus simul 
inseritur) unter dem Oberbegriff -*■ Aposiopesis ge- 
geniiber. Deutlicher erklart Walther (1732) mit Hin- 
weis auf Thuringus die beiden Arten der Aposiopesis, 



wobei das H. eine Generalpause bedeutet, die in der 
Mitte eines Sticks, vermitteht einer vorhergehenden Final- 
Cadenz . . . gemacht wird, wahrend das Homoioptoton 
formalen Schlufi oder Cadenz nicht kennt. 

Homophonie (griech. 6u.o9cov(a, Gleichklang; -*■ Iso-) 
nennt man den Akkordsatz, bei dem alle Stimmen 
rhythmisch gleich (homorhythmisch) oder fast gleich 
gebildet sind (absolute H. basiert auf der iibereinstimmen- 
den Rhythmisierung der Stimmen, Riemann, S. 340), 
bzw. den Melodiesatz, bei dem eine melodische Haupt- 
stimme (meist die Oberstimme) akkordisch oder von 
Nebenstimmen im Sinne eines Akkordgefiiges beglei- 
tet wird, im Gegensatz zur rhythmisch-melodischen 
Eigenwertigkeit der Stimmen in der -*■ Polyphonic 
- Griech. o^otpuvoi; cpS-AyY ? bezeichnet (Ptolemaios 
I, 7) die Oktave und Doppeloktave (lat. aequisonus), 
spater auch denEinklang (unisonus). Diese Bedeutung 
besteht bis ins 18. Jh. WaltherL deftniert suoni homqfoni 
(ital.) als gleichlautende Klange, Fuga homophona als Fuga 
in Unisono. Der Ubergang zur heutigen Bedeutung des 
Begriffs H. erfolgte im Zusammenhang mit dem Her- 
vortreten des funktional-harmonischen Melodiesatzes 
offenbar erst gegen Ende des 18. Jh. (KochL: Homo- 
phonische Setzart). Altere Bezeichnungen fiir derartige 
Satzstrukturen sind Contrapunctus simplex (-*■ Kon- 
trapunkt) und der im 16. Jh. in Italien zu belegende Be- 
griff Stile famigliare. Erscheinungen eines gleichrhyth- 
mischen, in Vokalmusik oft syllabisch textierten Gan- 
ges der Stimmen (von denen eine als Cantus, Liedmelo- 
die oder Oberstimme ausgezeichnet sein kann) begeg- 
nen -wenn auch kompositorisch unter sehr verschiede- 
nenAspekten-u.a.alsDiscantus, mehrstimmigerHym- 
nus und Conductus (»Conductussatz«), Fauxbourdon, 
Frottola, Villanella, Tanzsatz, Kantionalsatz, Oden- 
komposition usw. 

Lit. : H. Riemann, GroBe Kompositionslehre I, Der homo- 
phone Satz, Bin u. Stuttgart 1902. 

Honduras. 

Lit.: M. Adalid y Gamero, La miisica hondurena, Re- 
vista del arch, y bibl. nacionales XVI/XVII, 1938 (Teguci- 
galpa); R. Coello Ramos, La cultura mus. del pueblo 
hondureno, Boletin latino-americano de miisica IV, 1938. 

Hopak (ukrainisch), Gopak (russ.), ein vor allem in 
der Ukraine und WeilkuBland beheimateter 2zeitiger 
Tanz in schnellem Tempo, der von einer oder mehre- 
ren Personen meist akrobatisch ausgefiihrt wird. Ein- 
gang fand der H. z. B. in Werke Mussorgskijs: Finale 
der Oper Sorotschinskaja jarmarka (»Der Jahrmarkt von 
Sorotschinzy«, 1874) in der Fassung N. Tscherepnins. 

Hoqu^tus (auch [h]oketus, [h]ochetus, latinisiert aus 
altfrz. hoquet, womoglich ein das »Schlucken« nach- 
ahmendes Wort, jedoch nach Husmann aus dem ara- 
bischen Stammwort al-qat' abzuleiten und dement- 
sprechend altfrz. hoqueter, zerschneiden, und H. um- 
schrieben als truncatio vocis; ital. ochetto), das Durch- 
setzen zweier Cantus mit Pausen, »so daB, wenn einer 
pausiert, der andere nicht pausiert, und umgekehrt« 
(Franco von Koln, CS I, 134b), eine Art des ->• Dis- 
cantus, die zuerst in der nachleoninischen Zeit der Epo- 
che von Notre-Dame, also seit etwa 1200 in Nordf rank- 
reich, in einzelnen Partien von 2st. Klauseln und 3st. 
Organa erscheint und in der Ars antiqua und Ars nova 
verbreitet war. Beschrieben wird der H. (discantus 
truncatus, harmonia resecata, cantus abscisus) u. a. von 
Franco von Koln (CS I, 134a: Truncatio est cantus rectis 
obmissisque vocibus truncate prolatus), Lambertus (CS I, 
281), Walter Odington (CS I, 248ff.) und Johannes de 
Grocheo (ed. Rohloff, S. 57 und 87f., wo die mobilitas 
und velocitas des H. betont ist). Die von den Theore- 
tikern gebrauchten Bezeichnungen H. duplex, triplex 



378 



Hot-Intonation 



und quadruplex sind in ihrer Bedeutung noch nicht er- 
schlossen. Auch in den 3- und 4st. Kompositionen 
hoquetieren in der Regel nur 2 Stimmen gegeneinan- 
der. Jacobus von Liittich nennt (CS II, 394b, 401a, 
429a) auch den H. contraduplex: womoglich das 
Hoquetieren zweier Stimmen unter einer nicht hoque- 
tierenden Stimme (wie in Mo, f. 357'/358). Zu unter- 
scheiden sind die H.-Partie innerhalb eines Satzes und 
der H. als Stiick oder Gattung - nicht textiert (instru- 
mental?) oder textiert -, wie er in den -*■ Quellen Mo 
und Ba begegnet. Ein im 13. Jh. besonders bekannter 
H. ist das In seculum longum (Ba, f . 63' ; 4st. mit fran- 
zosisch textiertem Quadruplum in Mo, f. 1'; vgl. auch 
Franco, CS 1, 134a, und Anonymus IV, CS 1, 350a) : 

■-J. 




Gegen 1330 bedauerte Jacobus von Liittich (Speculum 
musicae, CS II, 394b), daB heutige Discantatores den H. 
als Cantus antiquus verschmahen, es sei denn, daB sie 
H.-Partien in Motetten einfiigen. Die Komponisten 
der Ars nova gebrauchen die H.-Technik mit Vorliebe 
in isorhythmischen Motetten als Gliederungsmittel am 
Ende oder Anfang jeder Talea (Machaut, Motette Nr 
19), doch auch im Kantilenensatz (Machaut, Ballade 
Nr 1), im 14. Jh. textbezogen auch in der Chasse, be- 
sonders in der italienischen ->• Caccia. Den Hohepunkt 
(und einen Sonderfall) der Gattung H. bildet Machauts 
3st. Double Hoquet (Tenor, H., Triplum) iiber dem 
isorhythmisch angeordneten Tenor David. 
Lit.: M. Schneider, Der H., ZfMw XI, 1928/29; H. Hus- 
mann, Der Hoketus »A l'entrade d'avril«, AfMwXI, 1954; 
ders., Die Etymologie v. ,hoquet' u. d. arabische EinfluB in 
d. gotischen Musik, Romanisches Jb. VII, 1955/56; J. H. 
Kwabena Nketia, The Hocket-Technique in African Mu- 
sic, Journal of the International Folk Music Council XIV, 
1962. HHE 

Horn (deutsch und engl. ; ahd. belegt seit dem 9. Jh., 
auch als wichorn, herhorn, hornelin u. a. ; lat. -> cornu; 
ital. -*■ corno; frz. -*■ cor; span, cuerno; lat. u. a. auch 
tuba), ein (Blech-)Blasinstrument, bei dem der Ton 
durch die als Gegenschlag-(Polster-)Zungen wirken- 
den Lippen des Blasers erzeugt wird. Der der Lippen- 
frequenz am nachsten liegende Eigenton des Corpus 
wird durch Resonanz zum Klingen gebracht; er stabi- 
lisiert durch akustische Riickkopplung die Lippen- 
frequenz. Die Liicken zwischen dem Grundton (der 
bei eng mensurierten sogenannten Halbinstrumenten 
oft nicht erzeugt werden kann; -> Ganzinstrument) 
und den ersten Teiltonen kdnnen iiberbriickt werden 
durch Verkiirzung der Rohre mittels Grifflocher (wie 
beim Zink; auch durch Klappen gedeckt), Ventile 
oder Ziige (wie bei der Zugtrompete oder der Posau- 
ne). Geringere Abweichungen von den Naturtonen 
werden auch durch Stopfen mit der Hand, Einfiihrung 
von Dampfern (beides erhoht), seltener durch Einfiih- 
rung eines Rohrchens oder durch Decken (beides ver- 
tieft) erreicht. Fur den Klang des H.es ist von EinfluB 
die Bohrung (konisch oder zylindrisch), die Mensur, 
die Form (gerade wie Chazozra, Salpinx, Nafir, Busi- 
ne, Trompete, Posaune; geknickt wie Schof ar, Karnyx; 
gebogen oder eingerollt wie die Jagd- und Waldhor- 
ner), daneben das Material (Holz wie beim Alphorn; 



Tier-H., worauf zahlreiche Bezeichnungen hinweisen, 
wie bugle, -*■ Biigelhorn, Bucina, Olifant). Mit Metall 
beschlagene Tierhorner oder reine Metallhorner sind 
aus dem alten Orient, der Antike, der germanischen 
Kultur (->■ Luren) bekannt, in Europa in verstarktem 
MaBe seit der Volkerwanderungszeit. Der Klang des 
H.es ist meist kraftig und weittragend, reicht dabei von 
dumpf bis zu scharfer Helle und schwingt relativ 
rasch ein. Zur Erleichterung des Anblasens kann ein 
-> Mundstiick vorhanden sein. Horner werden meist 
an einem Ende angeblasen ; seitlich angeblasene Quer- 
horner sind selten. Eine ausgebildete ->• Stiirze strahlt 
die hohen Frequenzen gebiindelt ab. - In den techno- 
logisch einfachsten Formen als Tier- oder Muschel-H. 
oder als hohler pflanzlicher Tubus ist das H. seit vor- 
geschichtlicher Zeit iiber die ganze Erde verbreitet. 
Meist ist es ein Instrument fur das Ritual, den Kult, die 
Jagd oder das Kriegswesen (-» Harschhorn). Oft be- 
gleitet von Schlagwerk, wird sein Klang sowohl als 
Klangzauber wie als Signal eingesetzt. Die klingende 
Verwendung des H.es reicht von Eintonsignalen bis zu 
erweiterten Fanfaren und der vollen chromatischen 
Ausnutzung der hochentwickelten Formen der Trom- 
peten, Posaunen, Waldhorner und Fliigelhorner im 
modernen Orchester seit dem 2. Drittel des 19. Jh. 
Lit.: W. Jackson, Shell-Trumpets ..., Memoirs of the 
Manchester Literary Soc. LX, 1916; M. Buttner, Studien 
zur Gesch. d. Trp., Diss. Miinsteri. W. 1953,maschr.; F.J. 
Young, The Natural Frequencies of Mus. H., Acustica X, 
1 960 ; E. A. Bowles, Unterscheidung d. Instr. Buisine, Cor, 
Trompe u. Trompette, Af M w XVII I, 1 96 1 . 

Hornpipe (h'a: jnpaip, engl.), - 1) ein Blasinstrument 
mit einfachem Rohrblatt und einem Schallstiick aus 
einem Tierhorn oder -huf , das einzeln oder gedoppelt 
mit dem Mund angeblasen oder auch als Spielpfeife 
einer Sackpfeife benutzt wird. Eine H. ist auch das 
englische -»■ Pibgorn; Instrumente vom H.-Typ sind 
auf der Erde etwa im gleichen MaBe verbreitet wie die 
->■ Sackpfeife. - 2) eine Gruppe von englischen Tan- 
zen, urspriinglich in Schottland und Wales beheimatet. 
Bis um 1760 stand der H. im Tripeltakt (3/2), danach 
meist im geraden Takt. H.s schrieben u. a. H. Ashton 
(vor 1522), J. Ravenscroft, Purcell und Handel. 
Lit. : Mattheson Capellm.; Ch. Burney, A General Hist, 
of Music IV, London 1789, Neudruck Baden-Baden 1958, 
darin H. v. Ravenscroft; H. Balfour, The Old British 
»Pibcorn« or »Hornpipe« and Its Affinities, Journal of the 
Royal Anthropological Inst, of Great Britain and Ireland 
XX, 1891 ; A. Baines, Bagpipes, = Occasional Papers on 
Technology IX, Oxford 1960. 

Hornquinten -*■ Parallelen. 

Hot (hat, engl., heiB), Inbegriff der fiir den Jazz typi- 
schen Merkmale im Bereich des Melodischen (-»• Dir- 
ty tones), des Rhythmischen (-»• Off-beat, -*■ swing), 
besonders aber der Tonbildung (-»■ Hot-Intonation). 
Als ein Zentralbegriff des Jazz wurde H. in den Jahren 
1925-35 haufig gleichbedeutend mit Jazz verwendet 
(h. music, h. style), wodurch zugleich die Verschie- 
denheit dieses Musizierens von der kommerziellen 
Sweet music herausgestellt war. Als Gegensatz zu H. 
wurde in den 1950er Jahren der Begriff Cool zur Be- 
zeichnung eines neuenjazzideals gepragt (-> Cool Jazz). 

Hot-Intonation, die fiir den Jazz bis zum Cool Jazz 
typische vokale und instrumentale Tonbildung. Cha- 
rakteristisch sind im instrumentalen Bereich: vehe- 
mentes Anspielen der Einzeltone (-> Attack), Vibrato, 
->■ Dirty tones, Blue notes, -> Growl, -*■ Off-beat. Die 
H.-I. ist die Ubertragung der Gesangsvorstellung der 
nordamerikanischen Neger auf Blasinstrumente (sing- 
ing horns). 



379 



Hot-Solo 



Hot-Solo -*■ Chicago-Jazz. 

Hufnagelschrift -> Choralnotation. 

Humanismus. Das seit Mitte des 19. Jh. belegte 
Wort wurde abgeleitet von dem schon im 16. Jh. ge- 
laufigen lateinischen humanista (s. v. w. Lehrer oder 
Student der alten Sprachen). Es bezeichnet eine Bil- 
dungsform, die im 14. Jh. in Italien entstand und sich 
seit dem 15. Jh. bis jetzt (allerdings mit nachlassender 
Intensitat seit der Mitte des 19. Jh.) als eine Grundlage 
der neuzeitlichen europaischen Kultur behauptet hat. 
Im engeren Sinne bezeichnet das Wort meist den 
H. des 15.-16. Jh., also der -»• Renaissance-Zeit, die 
selbst in der Pflege der renascentes bonae litterae (Erasmus) 
ihre vordringlichste kulturelle Aufgabe sah. Mit der 
kirchlichen Reformation des 16. Jh. verbanden den H. 
Beziehungen personlicher Art, die vor allem in der 
Neugestaltung des Schulwesens sowie in der Erneue- 
rung des Bibel- und des Augustinus-Studiums zum 
Ausdruck kamen. Jedoch ergaben sich - am deutlich- 
sten in der Auseinandersetzung Luther-Erasmus - un- 
uberbriickbare Gegensatze bei der Entscheidung fur 
ein religios gebundenes oder indifferentes Bildungs- 
ideal. Obgleich die von Melanchthon gepragte prote- 
stantische Lateinschule an der kirchlichen Bindung 
festhiclt (was auch in der Beteiligung der Schulchore 
am Gottesdienst zum Ausdruck kam; -»■ Schulmusik), 
hat sie jedoch gerade durch ihre Pflege der alten Spra- 
chen ein Element des H. nachhaltig gefordert, wofiir 
noch in der Zeit Bachs die Behandlung der typischen 
Redewendungen der Humanistensprache (»Adagia«) 
im Unterricht (vgl. Freyse 1951/52) wie auch etwa in 
J. G.Walthers Musicalischem Lexicon (Leipzig 1732) zeu- 
gen. Die zentrale Idee des H., daB das Wesen alien Un- 
terrichts nicht in der Weitergabe eines systematisch 
geordneten Lehrstoffs, sondern in der menschlichen 
Begegnung von Lehrer und Schiiler vermittelt wird, 
die diesen zu selbstandiger Auseinandersetzung mit 
dem vorgetragenen Stoff fiihrt, pragt auch den Um- 
gang der Humanisten mit den Werken antiker Auto- 
ren: diese werden als Lehrer und Freunde betrachtet, 
deren Vorbild auch in der Bevorzugung bestimmter 
literarischer Formen (wie Rede, Dialog, Brief) bcfolgt 
wird. Die Reflexion iiber das eigene Leben und die ei- 
gene Umwelt auBert sich weitgehend in der Form von 
Randbemerkungen zu einem antiken Text. So finden 
sich auch humanistische Wiirdigungen beriihmter 
zeitgenossischer Musiker in dieser Art uberliefert, von 
Petrarcas Notiz zum Gedachtnis Ph. de Vitrys (in sei- 
ner Vergil-Handschrift) bis zu J.M.Gesners bewun- 
dernder Schilderung J. S.Bachs (in seiner Ausgabe von 
Quintilians De institutione oratoria, Gottingen 1738, 
zu I, 12, 3). Wie es bei Gesner die Direktion einer Auf- 
fiihrung (von der Orgel aus) ist, die hochste Bewun- 
derung erregt, so beachtet auch der friihe H. in der 
Musik vor allem die Ausfiihrung, und in den Er- 
ziehungsprogrammen wird nur die Ausbildung in 
Gesang und Lautenspiel zur Abrundung der gesell- 
schaftlichen Umgangsformen beriicksichtigt. Im frii- 
hen 16. Jh. wandten die Humanisten Osterreichs, der 
Schweiz und Siiddeutschlands ihr Interesse auch den 
Tastemnstrumenten zu, wofiir die vielfaltigen Ver- 
bindungen zwischen ihnen und der Hofhaymer-Schu- 
le Zeugnis geben. 

Das Eindringen humanistischer Gedanken in Musik- 
theorie und Komposition war Ergebnis eines Prozes- 
ses gegenseitiger Durchdringung zweier urspriinglich 
ganz voneinander getrennter Spharen: der kirchlich 
und hofisch gebundenen Mehrstimmigkeit sowie der 
im Universitatsbetrieb verwurzelten Musiktheorie 
einerseits und des von alien traditionellen Bindungen 



freien Lehrbetriebs der Humanisten andererseits. Ein 
erstes Anzeichen dieser Durchdringung ist die Tatsache, 
daB Vittorino da Feltre (urn 1378-1446) die Musik- 
theorie nach Boethius in den Studienplan seiner Schule 
in Mantua aufnahm. Sein Schiiler Johannes Gallicus 
(um 1415-73) unternahm in seinem Ritus canendi ve- 
tustissimus et novus eine Erneuerung der Musiktheorie 
nach Boethius (wobei er sich polemisch gegen Mar- 
chettus de Padua richtete) sowie der Gesangslehre nach 
Guido von Arezzo (wobei er auf Abschaffung des als 
nachguidonisch erkannten Hexachordsystems mit sei- 
nen Mutationen drang). Die Erneuerung des Boethius- 
Studiums war ein Teil des humanistischen Kampfes 
gegen die »Artes«, d. h. gegen vereinfachende Auszii- 
ge aus grundlegenden Werken, wie sie fur die Musik- 
theorie in J. de Muris' Musica speculativa secundum Boe- 
tium . . . abbreviata und den noch weiter verkiirzenden 
Bearbeitungen dieses Traktats vorlagen. Sie gipfelte in 
Fr. Gaff oris Theoricum opus musicae disciplinae (Neapel 
1480), in dessen Neufassung (als Theorica musicae, Mai- 
land 1492) die Ergebnisse von Gafforis Aristoteles- 
Studien eingearbeitet sind. Die Kenntnis griechischer 
Musiktheoretiker, die sich Gaffori noch durch in sei- 
nem Auf trag angefertigte handschriftliche Obersetzun- 
gen ins Lateinische verschaffen muBte (vgl. Gallo 1963), 
wurde im 16. Jh. durch eine Reihe lateinischer und 
zweisprachiger Druckausgaben gefordert. Ging es 
Gaffori vor allem um eine verbesserte Formulierung 
und vertiefte Begriindung der traditionellen Lehre 
(wodurch er nachhaltig auch auf die deutschen Musik- 
lehrbiicher des 16. Jh. einwirkte), so gelangte sein Leh- 
rer Tinctoris in seinen Schrif ten zu neuen Ergebnissen 
und Ansatzen : er bot im Terminorummusicae diffinitorium 
(um 1473/74) eine aufschluBreiche Interpretation der 
musikalischen Fachworter und iibertrug im Liber de 
arte contrapuncti (1477) die Methode humanistischer 
Textkritik auf das Studium der zeitgenossischen Kom- 
positionsweise, die er durch viele Notenbeispiele zi- 
tiert; und indem er zum AbschluB dieses Traktats - ge- 
stiitzt auf.die antike Poetik - die Varietas als wichtigstes 
Erfordernis jeder Komposition darstellt, leitet er iiber 
den Rahmen einer Kontrapunktlehre hinaus zum Stu- 
dium der unterschiedlichen Handhabung der Satzmit- 
tel in verschiedenen Formen, aber auch durch verschie- 
dene Komponisten an. Folgerichtig erscheinen im Vor- 
wort seines Proportionate musices (um 1473) als Trager 
der geschichtlichen Entwicklung der neuesten Zeit die 
Komponisten, wahrend fur die alteren Epochen die 
Gestalten der biblischen Geschichte, der heidnisch-an- 
tiken Mythologie und Geschichte, Papst Gregor I. so- 
wie Dichter und Theoretiker der spatantiken Zeit, 
Guido von Arezzo und J. de Muris genannt sind. Auch 
fiir das Geschichtsbild spaterer Humanisten ist es kenn- 
zeichnend, daB die Autoritat Guidos fiir die Musica 
plana und Muris' fiir die Musica mensurabilis aner- 
kannt wird. Als das Neue der jiingsten Zeit seit etwa 
1435 spricht Tinctoris die Konsonanz- und Dissonanz- 
behandlung sowie die Vielfalt der Kompositionsmittel 
der franko-flamischen Komponisten seit Dufay an. 
Die Entfaltung dieser neuen Kunst vollzieht sich nach 
ihm in einer Folge von Generationen, wie sie - mit un- 
terschiedlicher Wertung und Charakterisierung - auch 
Glarean, Coclico und Finck darstellen. Die Vorrang- 
stellung des Theorie und Praxis zugleich beherrschen- 
den Komponisten gegeniiber dem Nur-Theoretiker 
(dem Boethius und das Mittelalter die hochste Stellung 
einraumten) und dem Nur-Praktiker, in Italien von 
Zarlino in seiner auf Willaert bezogenen Schilderung 
des Musico perfetto postuliert, fiihrte in Deutschland 
(seit Listenius 1533) zu einer neuen Klassifikation der 
Musik, die im AnschluB an Aristoteles der Musica 



380 



Hummel 



theorica und practica die -> Musica poetica als umfas- 
sende und hochste Art musikalischer Tatigkeit hinzu- 
fiigte. Wenngleich damit urspriinglich nur allgemein 
das Schaffen (7roteiv) eines Kunstwerks bezeichnet 
wurde, haben in der Folge die Lehrbucher der Musica 
poetica zunehmend ihre Aufgabe in der Ubertragung 
der Dichtungstheorie, vor allem der Lehre von den 
rhetorischen -> Figuren auf die Musik gesehen. Auch 
wenn das Musikschrifttum des H. sich anderen speziel- 
len Fragen zuwandte, blieb sein Leitgedanke immer 
das Postulat einer Verbindung von antikem Musik- 
denken und zeitgenossischer Musizierpraxis, in der 
Formulierung N. Vicentinos : L'antica musica ridotta alia 
moderna prattica (Rom 1555). Ebenso wichtig wie radi- 
kale Vorschlage zur Wiederbelebung antiker Musik 
(wie Vicentinos Versuche mit der Enharmonik und V. 
Galileis Forderung, durch Ruckkehr zur Einstimmig- 
keit die Reinheit des antiken Tonsystems wieder herzu- 
stellen) konnten dabei produktive Mifiverstandnisse 
sein (wie Glareans Versuch, sein System der 12 Kir- 
chentone auf antike Autoritat zu stiitzen). 
Auf die Entwicklung der Kompositionskunst hat der 
H. mehr indirekt eingewirkt. Im Bereich der traditio- 
nellen Mehrstimmigkeit wurde antike Dichtung nur 
ausnahmsweise vertont. Dem Universitats- und Schul- 
unterricht gehorte die humanistische -»■ Odenkompo- 
sition an, bei der cs meist um die Vertonung nicht eincs 
bestimmten Textes, sondern eines Strophenmusters 
ging. Sie bezog seit Grefinger friihchristliche Dichtung 
ein (Prudentius), die auch in der protestantischen, meist 
als Schulmusik konzipierten Hymnenkomposition 
einen festen Platz hatte. Die Odenkomposition selbst 
sowie die spatere Komposition von franzosischen 
-»■ Vers mesures a l'antique sind nur ein Symptom fur 
die Einwirkung des H. auf die Kompositionsweise, die 
im Verlauf des 16. Jh. zu einer vollig veranderten Hal- 
tung zum Text fiihrte.War noch fur Tinctoris, der sich 
stilistisch am spaten Dufay und an Ockeghem orien- 
tierte, das Verhaltnis von mehrstimmiger Komposition 
und Text keiner Erlauterung wert, so trat dieses Pro- 
blem um 1500 in den Vordergrund, sowohl in den 
Kompositionen Josquins, seiner Schuler und Nachf ol- 
ger bis hin zu Palestrina und den Madrigalisten, als 
auch in der Musiklehre von Gaffori und Glarean bis zu 
Coclico, Zarlino und V.Galilei. Fur die katholische 
Kirchenmusik wurde Verstandlichkeit des Textes nach- 
driicklich von der Gegenreformation gefordert und 
auf dem -> Tridentiner Konzil diskutiert. Neben der 
zunehmend intensivierten Affektdarstellung der Ma- 
drigalisten (die durch Beziehung auf die antike Lehre 
vom ->■ Ethos gerechtfertigt werden konnte) trat im 
Laufe des 16. Jh. die Musik fiir Theater in den Vorder- 
grund. Dabei handelte es sich in Italien meist um Favole 
pastorali (hervorzuheben ist A. Polizianos Fabula di Or- 
feo, Mantua, wahrscheinlich 1480, Musik von Germi?) 
mit Musikeinlagen, im Norden vorwiegend um Schul- 
dramen mit Choren im homorhythmischen Oden- 
satz. Zu einer grundlegend neuen Losung gelangte die 
->■ Camerata in Florenz ab 1580, die auf Grund der 
Forschungen Meis die moderne Mehrstimmigkeit 
iiberhaupt verwarf und durch Ruckkehr zur instru- 
mental begleiteten ->■ Monodie die machtigen Wir- 
kungen der antiken Musik wieder erreichen wollte. 
Die spatere Camerata verband dann diese neue Mo- 
nodie nicht mit der Tragodie (wofiir die Auffiihrung 
von Sophokles' »K6nig Odipus« in der Obersetzung 
von O.Giustiniani, mit gesprochenem Dialog und 
drei- bis sechsstimmigen homophonen Choren von 
A. Gabrieli, Vicenza 1585, einen Anhaltspunkt geboten 
hatte), sondern wiederum mit der Favola pastorale. 
Erscheint demnach die Wiederbelebung des antiken 



Musiktheaters in der friihen -> Oper durch Riicksicht- 
nahme auf die Konventionen der eigenen Zeit abge- 
schwacht, so bekennt sich doch auch ein so moderner 
Komponist wie Monteverdi (der mit seiner Arianna 
1608 zum ersten Mai einen Tragodienstoff als Oper 
vertonte) als Humanist, wenn er (mehrfach in seinen 
Briefen) die Naturlehre und Platon als seine einzigen 
Lehrmeister anerkennt. 

Lit.: W. Dilthey, Weltanschauung u. Analyse d. Men- 
schen seit Renaissance u. Reformation, = Schriften II, 
Lpz. u. Bin 1914; Fr. Paulsen, Gesch. d. gelehrten Unter- 
richts auf d. deutschen Schulen u. Univ., hrsg. v. R. Leh- 
mann, 2 Bde, Lpz. M919-21, Neudruck Bin 1960; P. Wag- 
ner, Aus d. Mg. d. deutschen H., ZfMw III, 1920/21 ; H. 
Birtner, Studien zur nld.-humanistischen Musikanschau- 
ung, Habil.-Schrift Marburg 1928, Teildruck Heidelberg 
1930; H. Zenck, Zarlinos »Istitutioni harmoniche« als 
Quelle zur Musikanschauung d. ital. Renaissance, ZfMw 
XII, 1929/30; ders., N. Vicentinos »L'antica musica« 
(1555), Fs. Th. Kroyer, Regensburg 1933; ders., Grund- 
formen deutscher Musikanschauung, Jb. d. Akad. d. Wiss. 
in Gottingen f. 1941/42, Neudruck in: H. Zenck, Numerus 
u. Affectus. Studien zur Mg., hrsg. v. W. Gerstenberg, 
= Mw. Arbeiten XVI, Kassel 1959; G. Toffanin, Storia 
dell'Umanesimo, Neapel 1933, Neudruck Bologna 1950, 
deutsch als: Gesch. d. H., Amsterdam 1941; G. Cesari, 
Einleitung zu: Fr. Gaffori.Theorica musicae (1492), Faks., 
Rom 1 934 ; F. Fano, La Camerata fiorentina, = Istituzioni 
e monumenti dell'arte mus. ital. IV, Mailand 1934; R. 
Schafke, Gesch. d. Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934, 
Tutzing 2 1964; W. Jaeger, Humanistische Reden u. Vor- 
trage, Bin u. Lpz. 1937, erweitert Bin 21960; H. Rudi- 
ger, Wesen u. Wandlung d. H., Hbg 1937; D. P. Wal- 
ker, Mus. Humanism in the 16" 1 and Early 17 th Cent., 
MR II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus. H. im 16. u. 
friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel (1949); ders., 
Ficino's Spiritus and Music, Ann. mus. I, 1953; ders., Le 
chant orphique de M. Ficin, in: Musique et poesie au 
XVI* s., = Colloques internationaux du Centre National 
de la Recherche scientifique, Sciences humaines V, Paris 
1954; W. Gurlitt, Musik u. Rhetorik, Helicon V, 1944, 
Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesba- 
den 1966; ders., Die Kompositionslehre d. deutschen 16. 
u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neudruck ebenda; 
E. R. Curtius, Europaische Lit. u. lat. MA, Bern (1948, 
3 1961); J. Handschin, Anselmi's Treatise on Music An- 
notated by Gafori, MD II, 1948; C Freyse, Die Schul- 
hefte W. Fr. Bachs, Bach-Jb. XXXIX, 1951/52; L. Schra- 
de, Renaissance, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., La repre- 
sentation d'Edipo Tiranno . . ., Paris 1960; K. G. Felle- 
rer, Zur Oratio de laudibus musicae disciplinae d. O. Gra- 
tius, KmJb XXXVII, 1953; ders., Agrippa v. Nettesheim 
u. d. Musik, AfMw XVI, 1959; H. Weinstock, Die Tra- 
godie d. H., Heidelberg 1953, 21954; Thr.G.Georoiades, 
Musik u. Sprache . . . , = Verstandliche Wiss. L, Bin, Got- 
tingen u. Heidelberg 1954; B. Meier, H. Loriti Glareanus 
als Musiktheoretiker, in: Beitr. zur Freiburger Wiss.- u. 
Universitatsgesch. XXII, Freiburg i. Br. 1960; Kl. W. Nie- 
moller, Die Musik im Bildungsideal d. allgemeinen Pad- 
agogik d. 16. Jh., AfMw XVII, 1960; H. H. Eggebrecht, 
Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 1 96 1 ; W. Kahl, Das 
GeschichtsbewuBtsein in d. Musikanschauung d. ital. Re- 
naissance u. d. deutschen H., in : H. Albrecht in memoriam, 
Kassel 1962; A. Gallo, Le traduzioni dal Greco per Fr. 
Gaffurio, AMI XXXV, 1963. 

Hummel, - 1) (schwedisch, nach 17701iterarisch nach- 
gewiesen; norwegisch langleik, Nachweis seit dem 
friihen 17. Jh.; islandisch langspil), eine volkstlimliche 
Griffbrettzither. Das Corpus hat entweder gerade Zar- 
gen wie das -*■ Scheitholz oder eine Ausbuchtung auf 
einer Seite, der »Salzburger Zither« ahnlich, oder Aus- 
buchtungen auf beiden Seiten. Die Saiten sind mit vor- 
derstandigen Eisenstiften oder seitenstandigen Wir- 
beln verstellbar; die Wirbelplatte oder der Wirbel- 
kasten lauft meist in eine Schnecke aus. Die Zahl der 
Saiten liegt zwischen 3 und etwa 20, haufig sind es et- 
wa 10, wobei jeweils der kleinere Teil iiber das Griff- 



381 



Humoreske 



brett lauft. Die Abstande der Biinde schwedischer H.n 
weisen Intervalle auf, die von den Normintervallen zum 
Teil abweichen. Die H. wurde wie die -> Zither (- 2) 
gespielt, meist mit Plektron, von Bauernmusikanten 
zur Begleitung weltlicher und geistlicher Lieder, auch 
solistisch, sowie in biirgerlichen Kreisen schwedischer 
Stadte in der 2. Halite des 18. Jh. Zu Anfang des 19. Jh. 
wurde sie iiberall weitgehend durch moderne Instru- 
mcntc vcrdrangt. - 2) H., Hiimmelchcn -> Sackpfcife. 
Lit.: zu 1): E. Eggen, Skalastudier, Oslo 1923; T. Nor- 
lind, Systematik d. Saiteninstr. I, Gesch. d. Zither, Stock- 
holm 1936; St. Walin, Die schwedische H., =Nordiska 
museets handlingar XLIII, ebenda 1952, dazu E. Emshei- 
merin: STMf XXXVII, 1955. 

Humoreske (Wortbildung in Analogie zur alteren 
Burleske, Groteske, friihester Beleg 1838) nennt R. 
Schumann sein vielgliedriges, in gegensatzlichen Stim- 
mungen schwankendes Klavierstuck op. 20 (1839). Die 
Bezeichnung H. fur ein instrumentales Charakterstiick 
erscheint damit zum erstenmal in der Musikgeschichte. 
Schumann, der die Bezeichnung danach nur noch ein- 
mal anwandte (Nr 2 der Fantasiestiicke fur Klaviertrio 
op. 88), verstand sie im Sinne Jean Pauls (Humor als 
gliickliche Verschmelzung von Schwarmerei und Witz). 
St. Heller (op. 64), E.Grieg (op. 6: 4 H.n, 1865), A. 
Dvorak (op. 101 : Acht H.n, 1894 - darunter die be- 
riihmte in Ges dur, Nr 7), M.Reger (u. a. 5 H.n op. 
20 und op. 26, Nr 4) u. a. iibernahmen von Schu- 
mann nur die Bezeichnung, der Charakter ihrer H.n 
laBt sich nicht auf einen Nenner bringen. Die genann- 
ten Stucke sind, von Schumanns op. 88/2 abgesehen, 
samtlich fur Klavier geschrieben. Zu erwahnen sind 
auch C.Loewes 5 H.n fur 4 Mannerst. op. 84 (1843) 
und E. Humperdincks H. fiir Orch. (1879). 
Lit.: A. Penkert, Die mus. Formung v. Witz u. Humor, 
Kgr. f. Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. Bin 1913, Stutt- 
gart 1914; R. Hohenemser, Uber Komik u. Humor in d. 
Musik, JbP XXIV, 1917. 

Hupfauf ->- Nachtanz. 

Hurdy-gurdy (h'3:idi-g3:jdi, engl.) ->■ Drehleier. 

Hydraulis (griech., Wasserorgel; von uScop, Was- 
ser, und ax>kt>c„ Schalmei, Pfeife; auch hydra oder 
hydraulikon organon; lat. organum hydraulicum), 
eine Orgel, bei der durch Wasserdruck die Luftzuf iih- 
rung zur Windlade reguhert wird. Ihre Erfindung 
wird von -> Heron und Vitruvius (De architecture! X, 
8; 1. Jh. v. Chr.) dem Mechaniker Ktesibios von 
Alexandria (3. Jh. v. Chr.) zugeschrieben. Nach ihren 
Darstellungen besteht das Geblase aus einem zum Teil 
mit Wasser gef iillten, meist sechseckigen geschlossenen 
Metallsockel, auf dessen Boden eine ebenf alls metallene 
Halbkugel mit kleinerem Durchmesser und Offnun- 
gen am unteren Rand steht. Vom Scheitelpunkt der 
Halbkugel fiihrt eine Rohre zur Windlade. 2 Pumpen 
driicken von oben Luft in diese Rohre oder die Halb- 
kugel; dadurch wird das Wasser aus der Halbkugel 
hinaus und im aufieren GefaB nach oben gedriickt, be- 
wirkt nun aber durch sein Gewicht, daB der bei nicht 
ganz gleichmaBiger Handhabung der Pumpen schwan- 
kende Winddruck auf gleicher Hohe gehalten wird. 
Die Windlade ist bereits bei Vitruvius in Registerkan- 
zellen unterteilt; den Zutritt der Luft zu den Pfeifen 
regeln mit Lochern versehene Metallschleifen, die 
durch Tastendruck bewegt werden. Verwendet wur- 
den wahrscheinlich nur Labialpfeifen (offen und ge- 
dackt). Die 3 Register des H.-Modells von Karthago 
werden nach den GroBenverhaltnissen als Grundton, 
Oktave und Quinte, die 4 Register der Orgel von 
Aquincum als Grundton (offen), Quinte, Dezime und 
Doppeloktave (alle gedackt) angenommen. Die Zahl 



der Pfeifen je Register, in Aquincum 13, schwankt auf 
Darstellungen zwischen 7 und 18; fiir Aquincum wird 
als Tonfolge die diatonische Skala angenommen. Die 
Anlage des Instruments erlaubt gleichzeitiges Erklin- 
gen mehrerer Tone sowie - bei mehreren Registern - 
Klangverstarkung zum Plenum- oder Mixturklang. 
Allgemein hat man sich den Klang der H. als ziemlich 
hoch und laut vorzustellen. Neben der eigentlichen 
H., bei der Kalkanten notig waren, kannte die Antike 
auch Orgeln mit Balggeblase, das wahrscheinlich vom 
Spieler selbst bedient wurde. Nach Iulius Pollux war 
die H. das groBere, die Orgel mit Balggeblase das klei- 
nere Instrument, wobei in der Benennung nicht streng 
unterschieden wurde. Darstellungen, die sicher eine H. 
zeigen, lassen die Schatzung zu, daB das Instrument 
etwa 1,60-2 m hoch und halb so breit war. Die sehr 
viel kleineren MaBe (Breite 35 cm, Hohe wahrschein- 
lich etwa 60 cm) der Orgel von Aquincum sowie die 
Tatsache, daB von deren (bei einer H. notwendiger- 
weise metallenem) Geblase keine Reste erhalten sind, 
machen es wahrscheinlich, daB dieses Instrument keine 
H. war, auch wenn es in der 228 n. Chr. datierten Wid- 
mungsinschrift als »hydra« bezeichnet ist. Fiir die Be- 
liebtheit der H. zeugt zuerst eine Inschrift, wonach ein 
H.-Spieler in den musikalischen Wettkampfen der 
Delphischen Spiele 90 v. Chr. Sieger wurde, in der 
romischen Kaiserzeit das Vorhandensein von Miinzen, 
die H.-Spieler mit Siegeszeichen darstellen. Auch Nero 
lieB sich als H.-Spieler bewundern. Mosaiken des 1.-2. 
Jh. n. Chr. (Zliten in Libyen; Nennig/Mosel) zeigen 
Gladiatorenkampfszenen, die von einer H.-Spielerin 
und einigen Blechblasern begleitet werden ; diese Ver- 
bindung der H. mit dem Zirkus bestatigt um 300 n. 
Chr. der Historiograph Ammianus Marcellinus. Als 
beste Darstellung hat eine Terracottalampe des 2. Jh. 
n. Chr. in Karthago (Musee Lavigerie) zu gelten, die in 
Form einer H. mit Spieler gehalten ist. Zahlreiche 
Darstellungen spaterer Jahrhunderte, die besten bei 
-* Muristus und im Utrechter Psalter (9. Jh.), beruhen 
wohl nicht mehr auf eigener Anschauung. 
Lit. : Ch. Maclean, The Principle of the Hydraulic Organ, 
SIMG VI, 1904/05, mit Ausg. d. wichtigsten Texte; H. 
Degering, Die Org., ihre Erfindung u. ihre Gesch. bis zur 
Karolingerzeit, Miinster i. W. 1905; H. G. Farmer, The 
Organ of the Ancients from Eastern Sources, London 1 93 1 ; 
L. Nagy, Az Aquincumi Orgona (»Die Org. v. Aquincum«), 
= Az Aquincumi Muzeum Kiadvanya II, Budapest 1933, 
ungarisch mit deutschem Auszug; J. Handschin, »Antio- 
chien, jene herrliche Griechenstadt«, AfMf VII, 1942; W. 
Apel, Early Hist, of the Organ, in : Speculum XXIII, 1 948 ; 
Th. Schneider, Organum Hydraulicum, Mf VII, 1954; 
J. Perrot, L'orgue de ses origines hellenistiques a la fin du 
XIII= s., Paris 1965. 

Hymen aios (griech. uuivoaoc;), griechischer Hoch- 
zeitsgesang, der die Braut zum Haus des Brautigams 
geleitete, ausgefiihrt von einem Chor mit Kithara, 
Floten- und Tanzbegleitung. ->■ Epithalamion. 
Hymnographie, byzantinische, ist ihrem Wesen 
nach eine kirchliche Kunst, obgleich in einigen ihrer 
Formen auch Werke vorliegen, die nicht fiir das Offi- 
zium oder die Leiturgia (Messe) bestimmt sind. By- 
zantinisch heiBt diese Kunst, weil Byzanz zwar nicht 
ihr Ursprungsort, aber als politische und kulturelle 
Hauptstadt des Kaiserreichs der Ort war, wo Liturgie 
und Hymnographie zur Vollstandigkeit ausgebildet 
wurden und dessen kiinstlerisches Leben weithin nach- 
geahmt wurde. Wie alle byzantinische Kunst stellt 
auch die b. H. eine Synthese dar; sie hat auch orienta- 
lische Elemente aufgenommen, unter denen die Memre 
und Madrase der syrischen Dichtung (-»■ Syrischer 
Kirchengesang) groBe Bedeutung erlangten. Westli- 
che Gelehrte neigen dazu, diese orientalischen Elemen- 



382 



Hymnus 



te hervorzuheben, dagegen betonen griechische For- 
scher starker den Beitrag Griechenlands. Jedenfalls ist 
nicht zu iibersehen, dafi die fruhesten und groBten 
»Meloden« Syrer waren, so Auxentios (Ende des 4. Jh. 
bis um 473), Romanos »der Melode« (2. Hiilfte des 5. 
Jh. bis 2. Halfte des 6. Jh.), Sophronios von Jerusalem 
(um 550-638), Andreas von Kreta (um 660-740), Jo- 
hannes von Damaskus (Ende des 7. Jh. bis 749), Kos- 
mas von Maiuma (f 760; dieser zumindest seiner Er- 
ziehung nach). Die fruhesten Troparia, von denen wir 
wissen, sind in der Vita des Auxentios zusammenge- 
stellt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daB es schon vor 
dieser Zeit Troparia gab, jedoch wird der praktische 
Beginn der b.n H. gewohnlich ins 5. Jh. gesetzt. In 
ihrem goldenen Zeitalter (vom 6. Jh. an) entstanden 
das Kontakion und der Kanon. Im 10. Jh. begann die 
Dekadenz, und nach dem 13. Jh. versiegte die Schaf- 
fenskraft der byzantinischen Hymnographen. - Die 
fruhesten Zentren und Schulen der neuen melodischen 
Kunst bestanden in Syrien und Palastina, wo das Kloster 
S.Saba nahe Jerusalem besondere Bedeutung erlangte. 
Sophronios von Jerusalem, Andreas von Kreta, Johan- • 
nes von Damaskus, Kosmas von Maiuma, Stephan von 
S. Saba sind die bedeutendsten Vertreter dieser Schule. 
Ihr folgt die sizilianische Schule, deren Hauptmeister 
jedoch in Konstantinopel wirkten; genannt seien Me- 
thodios von Syrakus, Patriarch von Konstantinopel 
(Ende des 8. jh. bis 847), und Joseph »der Hymno- 
graph« (um 813-883). Diese beiden Schulen trafen in 
Konstantinopel aufeinander, wo die H. schon seit lan- 
gerem bekannt war und eine eigene bedeutende Schule 
bestand. Von den Meistern der Schule von Konstan- 
tinopel seien genannt Theodoros Studita (779-826) 
und sein Bruder Joseph, Erzbischof von Saloniki (urn 
762-832), Theophanes Graptos (778-845), die Nonne 
Cassia (9. Jh.), der Kaiser Theophilos (9. Jh.). Die italo- 
griechische Kultur fand eine Pflegestatte im Kloster 
Grottaf errata bei Rom; zu einer Zeit, da die H. des 
Ostens bereits zur Dekadenz neigte, entstanden hier 
Werke, die sich den besten der Schule von Konstan- 
tinopel an die Seite stellen konnen. Die Hauptmeister 
dieser Schule sind die Heiligen Bartolomeo, Luca, 
Clemente und Arsenio. - Grundlage und Kern der ge- 
samten b.n H. ist das -> Troparion. Von ihm sind die 
groBeren Formen abgeleitet, deren wichtigste das 
->■ Kontakion und der -*■ Kanon (- 2) sind. 

Ausg. : "PcoiiavoO to0 MeX.q>8o0 "Yuvoi, hrsg. v. N. 
Tomadake u. N. A. Libadara, 4 Bde, Athen 1952-57; Ro- 
mano il Melode, (8) Inni, griech. u. ital. hrsg. v. G. Cam- 
meixi, =Testi cristiani II, Florenz 1930; Anth. graeca 
carminum christianorum, hrsg. v. W. Christ u. J. Para- 
nikas, Lpz. 1871 ; Analecta sacra spicilegio solesmensi pa- 
rata I, hrsg. v. J. B. Pitra, Paris 1876, griech. u. lat.; Die 
Ostkirche betet, iibersetzt v. K. Kirchhoff OFM, 4 Bde, 
Lpz. 1934-37, neu bearb. v. Chr. Schollmayer OFM, 2 Bde, 
Miinster i. W. 2(1962-63); Osterjubel d. Ostkirche, iiber- 
setzt v. dems., 2 Bde, Miinster i. W. 1940; 'EKX.oyfi iXXr\- 
viKfK 6p9o665ou Onvoypaipia?, hrsg. v. P. Trempela, 
Athen 1949. 

Lit.: K. Krumbacher, Gesch. d. byzantinischen Lit., 
= Hdb. d. klass. Altertumswiss. IX, 1, Munchen 1890, er- 
weitert 21897, griech. v. G. Soteriades, Athen 1897. - J. B. 
Pitra, Hymnographie de l'Eglise grecque, Rom 1867; P. 
Bouvy, Poetes et melodes, Nimes 1886; K. Krumbacher, 
Die Akrostichis in d. griech. Kirchenpoesie, Sb. Munchen 
1903; P. Maas, Das Kontakion, Byzantinische Zs. XIX, 
1910; E. Mioni, Romano il Melode, Turin 1937, darin 10 
Hymnen; L. Tardo, L'antica melurgia bizantina, Grotta- 
ferrata 1938; R. Cantarella, Poeti bizantini, Mailand 
1948; G. Schir6, Lineamenti storici sulla genesi e lo svi- 
luppo del Syntomon, Bollettino della Badia greca di Grot- 
taferrata, N. S. Ill, 1949 ; E. Weixesz, A Hist, of Byzantine 
Music and Hymnography, Oxford 1949, 2 1961; G. Gio- 
vanelli, Gli inni sacri di S. Bartolomeo Juniore, Grotta- 



ferrata 1955; N. Tomadake, Eiaayoryii eic; xr|V PuCav- 
tivfiv (pi^oXoyiav, Athen 2 1958; B. Di Salvo, Gli asmata 
nella musica bizantina, Bollettino della Badia greca di 
Grottaferrata, N. S. XIII, 1959 -XIV, 1960. 

Hymnus (griech. uu.voc;), - 1) in der griechischen 
Dichtung der Antike ein Fest- oder Preislied (Homeri- 
sche Hymnen, Pindar) zu Ehren eines Gottes oder Heros 
(lat. meist als carmen iibersetzt). Die christliche Litera- 
tur ubernahm die Bezeichnung und biirgerte das Lehn- 
wort H. auch im Lateinischen ein. Im Neuen Testa- 
ment wird der H. nur an zwei Stellen genannt, beide 
Male in der Verbindung XaXovvret; eavrolg tpalfiolg 
xai v/ivoig teal codatc nvev/iarixalQ (»miteinander in 
Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern singend«, 
Eph. 5, 19, ahnlich Kol. 3, 16). Die Moglichkeit, die- 
se drei Bezeichnungen voneinander abzugrenzen, ist 
umstritten. Da jedoch das Verbum uu,veiv an zwei 
Stellen auf das Singen des Hallel (Hebr. 2,12, Zitat von 
Psalm 22, 23) und der Hallel-Psalmen (Matth. 26, 30 
= Mark. 14, 26) zuriickgefiihrt wird (-s- Alleluia) und 
da die Psalmen in friihchristlichen Texten mehrfach 
als »Hymnen Davids « bezeichnet werden, liegt off en- 
bar die Weiterfiihrung einer traditionellen jiidischen 
Gesangsweise vor. Von der Hymnendichtung der al- 
testen Kirche haben sich nur das -> Gloria in excelsis 
Deo (H. angelicus), -*■ Sanctus (H. seraphicus) und die 
alteste Schicht des ->- Te Deum (sogenannter H. Am- 
brosianus) im Gebrauch erhalten. Diese fruhesten Hym- 
nen waren Gemeindegesange, meist kunstlose Gebilde, 
die gleich den biblischen Psalmen und Cantica nicht auf 
Rhythmus und Versma/l gebaut sind (Jungmarm I, S. 446). 
Dementsprechend verzichtet noch im 5. Jh. Augustinus 
in seiner Definition des H. auf die Nennung formaler 
Merkmale: Cantus est cum laude Dei. Si laudas Deum, et 
non cantas, non dicis hymnum; si cantas, et non laudas 
Deum, non dicis hymnum; si laudas aliud quod non pertinct 
ad laudem Dei, etsi cantando laudas, non dicis hymnum. H. 
ergo tria ista habet, et cantum, et laudem, et Dei. Laus ergo 
Dei in cantico, h.dicitur (Enarrationes in Psalmum CXLVIII, 
17). Zur Zeit des Augustinus liegt jedoch bereits eine 
reich entwickelte Literatur strophischer Hymnen vor, 
deren altester Zweig im -»■ Syrischen Kirchengesang 
mit -»■ Ephraim dem Syrer (um 310-373) als bedeu- 
tendstem Dichter zu finden ist. Er gab das Vorbild fiir 
die im 5. Jh. einsetzende byzantinische -> Hymno- 
graphie, deren friiheste »Meloden« ebenfalls aus Syrien 
stammten, wie auch fiir lateinische Autoren, vor allem 
Hilarius von Poitiers (um 315-367), den noch Isidorus 
von Sevilla als ersten lateinischen Hymnendichter 
nennt. Erhalten sind von ihm 3 H.-Fragmente, deren 
Strophenform an die kunstvolle Metrik der weltlichen 
Lyrik anschlieBt. Als eigentlicher Begriinder des la- 
teinischen strophischen liturgischen H. gilt -*■ Am- 
brosius von Mailand. Der Erfolg seiner Lieder darf 
vor allem der schlichten Form von 8 vierzeiligen jam- 
bischen Dimeterstrophen zugeschrieben werden, die 
fiir die als authentisch gesicherten Hymnen verbind- 
lich ist und sich wahrscheinlich mit einer der weltli- 
chen Liedtradition nahestehenden Melodik verband. 
Augustinus, Schiiler von Ambrosius, belegt fiir dessen 
Hymnen am Beispiel des Deus creator omnium den 
Dreierrhythmus mit 12 Zahlzeiten fiir jede Zeile, d. h. 
mit Jamben aus einzeitiger Kiirze und zweizeitiger 
Lange (De musica VI, 2) : 



De-us, cre-a-tor om-ni-um 

Von den unmittelbaren Nachfolgern des Ambrosius 
ist am bedeutendsten der Spanier -> Prudentius. Mit 
voller Beherrschung der klassischen Sprachkunst ver- 



383 



Hymnus 



bindet er ungewohnlichen Formenreichtum. Seine 
Dichtungen sind als Literatur konzipiert; in die Litur- 
gie fanden iiberwiegend Ausschnitte aus seinen Ge- 
dichten oder Bearbeitungen Eingang, die einzelne 
Strophen oder Verse, oft mit Umstellungen und Ande- 
rungen, zu einem -> Cento verbinden. Neben Paulinus 
von Nola (f 431), Caelius. Sedulius (Mitte des 5. Jh.) 
und Magnus Felix Ennodius (f 521) steht eine groBe 
Reihe anonymer Hymnendichter. Entscheidend f iir die 
rasche Verbreitung des H. wurde seine Aufnahme in 
das kanonische Stundengebet der monastischen Ge- 
meinschaften durch ->■ Benedictus von Nursia um 530. 
Im Anfangsteil der Vigil und kleineren Horen wie vor 
dem SchluB von Matutin, Vesper und Komplet erhielt 
er seinen festen Platz. Seither gilt als H. im engeren 
Sinne nur der Offiziums-(Brevier-) und der Prozes- 
sions-H. Ihm steht als H. im weiteren Sinne die Ge- 
samtheit der strophisch gegliederten lateinischen geist- 
lichen Dichtung gegeniiber, zu der auch -> Tropus, 
-»■ Sequenz (- 1 ; vgl. Notkers Liber hymnorum) und 
-s- Reimoffizium gehoren. Die Zahl der bekannten 
Hymnen im weiteren Sinne betragt etwa 35000. 
Auch die Zahl der Offiziums- und Prozessionshym- 
nen ist so groB, daB ortlich ganz verschiedene Reper- 
toires entstanden, die seit dem 7. Jh. in Hymnarien ge- 
sammelt wurden; als friihestes Hymnar mit diastemati- 
scher Notation gilt das Hymnar von Moissac (Rom, 
Bibl. Vat., Ms. Rossi 205, um 1000; Ausgabe der Melo- 
dien in Monumenta monodica medii aevi I). Die Verbrei- 
tung des H. erfolgtejedoch nicht ohneWiderstande. So 
sprachen sich im 4.-6. Jh. mehrere Konzilien gegen die 
Zulassung solcher freien Dichtung aus, und in Rom 
fand der H. erst im 13. Jh. Eingang in die Liturgie. 
Daher liegt der Schwerpunkt der Hymnendichtung 
im 6.-8. Jh. in Spanien, Gallien (Venantius Fortuna- 
tus, f nach 600) und England (->■ Beda venerabilis). 
Charakteristisch fur die Hymnodie der Karolingerzeit 
mit ihrer Nahe zur weltlichen strophischen Dichtung 
ist das Zusammentreffen der ambrosianischen Tra- 
dition und ihrer Dimeterstrophen mit der auf Pru- 
dentius zuriickgehenden kunstmaBigen Dichtung und 
ihrem Formenreichtum. Aus der folgenden Zeit sind 
als Hymnendichter zu nennen : Paulus Diaconus (f 799), 
Theodulphus von Orleans (f 821), Rhabanus Maurus 
(t 856), sein Schuler Walahfrid Strabo (f 849) und 
Ratpert von St. Gallen (f nach 884). Im Laufe des 9. Jh. 
verbreitete sich (unter AusschluB Mailands) ein neues 
Repertoire von Hymnen, das (nach Ph. A. Becker) un- 
ter der Verantwortung Benedikts von Aniane ("J" 821) 
entstanden sein konnte, wobei Rhabanus Maurus an 
dessen Redaktion beteiligt gewesen ware. Zwar trat 
im 10.— 1 1 . Jh. neben dem H. die Sequenz in den Vor- 
dergrund, doch wurde die Tradition ununterbrochen 
weitergefuhrt, in St. Gallen von Hartmann (f 924) 
und Ekkehard I. (t 973), in Deutschland von ->• Berno 
von Reichenau und Gottschalk von Limburg (f 1098), 
in Frankreich durch -*■ Hucbald von Saint-Amand, 
-> Odo von Cluny, Fulbert von Chartres (j" 1029), 
Ademar von Chabannes (y 1034) und Odilo von Cluny 
(f 1048), auch in England und Italien, hier vor allem 
durch Petrus Damiani (f 1072). - Die an der Wende 
zum 12. Jh. neu einsetzende Epoche der Literatur zeigt 
in der Hymnendichtung ein Zurucktreten des Bene- 
diktinerordens, an dessen Stelle bald andere Ordens- 
gemeinschaften, seit dem 13. Jh. vor allem die Franzis- 
kaner, traten. Bis in die neuere Zeit (Leo XIII., Fest- 
offizium von der Heiligen Familie, 1892) ist dann die 
Neuschopfung von Hymnen nicht abgebrochen. 

Ausg. u. Lit.: Augustinus, Enarrationes in Psalmos CI- 
CL, hrsg. v. E. Dekkers OSB u. J. Fraipont, = Corpus 
Christianorum, Series lat. XL, Turnhout 1956. - F. J. 



Mone, Lat. Hymnen d. MA, 3 Bde, Freiburg i. Br. 1853- 
55 ; Analecta hymnica medii aevi, hrsg. v. G. M. Dreves u. 
Cl. Blume SJ, vor allem d. Bde II : Moissac, 10. Jh. (1 888), 
XlVa: San Severin, Neapel (1893), XVI: Spanien (1894), 
XXVII: Mozarabische Hymnen (1897), sowie d. Hymni 
inediti in d. Bden IV, XI, XII, XIX, XXII, XXIII, XLIII, 
d. Hymnographi latini in Bd XLVI1I u. L u. d. Hymnen 
neuerer Ausg. (u. a. v. H. A. Daniel) in Bd LI u. LII; U. 
Chevalier, Repertorium hymnologicum, Lowen u. Briis- 
sel 1892-1921 ; E. Garbagnati, Gli inni del breviario am- 
brosiano, Mailand 1897; C. Weinmann, Hymnarium Pari- 
siense. Das Hymnar d. Zisterzienser-Abtei Pairis im ElsaB, 
= Ver6fT. d.Gregorianischen Akad. zu Freiburg / Schweiz 
II, Regensburg 1904; G. M. Dreves, Ein Jahrtausend 
lat. Hymnendichtung, 2 Bde, Lpz. 1909; P. Wagner, Ein- 
f iihrung in d.Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 3 1 9 1 1 
u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; Anti- 
phonaire monastique, XIII e s., Cod. F 160 de la Bibl. de la 
cathedrale de Worcester, = Paleographie mus. XII, Soles- 
mes u. Tournai 1922-24; B. Ebel OSB, Das alteste ale- 
mannische Hymnar mit Noten, Kodex 366 (472) Einsiedeln 
(12. Jh.), = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg 
i. d. Schweiz XVII, Einsiedeln (1931); O. Ursprung, Die 
kath. Kirchenmusik, Biicken Hdb.; Ph. A. Becker, Vom 
christlichen H. zum Minnesang, Historisches Jb. d. Gorres- 
Ges. LII, 1932; Cl. Blume, Unsere liturgischen Lieder. 
Das Hymnar d. altchristlichen Kirche, Regensburg 1932; 
Fr. Gennrich, GrundriB einer Formenlehre d. ma. Liedes, 
Halle 1932; R. E. Messenger, Christian Hymns of the 
First Three Cent., NY 1942; ders., The Medieval Lat. H., 
Washington 1953; E. Jammers, Rhythmische u. tonale 
Studien zur Musik d. Antike u. d. M A I, Af Mf VIII, 1 943 ; 
W. R. Bonniwell, A Hist, of the Dominican Liturgy, NY 
2 1945; Br. Stablein, Die ma. Hymnenmelodien, Habil.- 
Schrift Erlangen 1946, maschr.; ders., Zur Gesch. d. cho- 
ralen Pange-lingua-Melodie, in: Der kultische Gesang d. 
abendlandischen Kirche, Fs. D. Johner OSB, Koln 1950; 
Monumenta Monodica Medii Aevi I, Hymnen (I), Die ma. 
Hymnenmelodien d. Abendlandes, hrsg. v. dems., Kassel 
1956; ders., Parerga zu Monumenta Monodica Medii Aevi 
I, Mf X, 1957 ; C.-A. Moberg, Die liturgischen Hymnen in 
Schweden, = Beitr. zur Liturgie u. Mg. d. MA u. d. Re- 
formationszeit I, Kopenhagen u. Uppsala 1947; U. Se- 
sini, Poesia e musica nella latinita cristiana dal III al X s., 
= Nuova bibl. ital. VI, Turin 1949; E. Wellesz, A Hist, ol 
Byzantine Music and Hymnography, Oxford 1949, 2 1961 ; 
ders., Die Hymnen d. Ostkirche, = Basilienses de musica 
orationes I, Basel (1962); G. Vecchi, Poesia lat. medievale 
. . ., = Collezione Fenice XVII, Parma 1952; C. E. Pock- 
nee, The French Diocesan Hymns and Their Melodies, 
London 1954; Hymni et Sequentiae, hrsg. v. B. Rajeczky 
u. P. Rad6, = Melodiarium Hungariae medii aevi I, Buda- 
pest 1956; LXX Hymni antiquissimi, hrsg. v. W. Bulst, 
Heidelberg 1959 ; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia, 
2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962; W.Sh. Smith, 
Mus. Aspectsof theNewTestament, Diss, theol. Amsterdam 
1 962 ; Y. Szoverffy, Die Annalen d. lat. Hymnendichtung, 
2 Bde, Bin (1964-65); Pl. Mittler OSB, Melodieunter- 
suchung zu d. dorischen Hymnen d. lat. Liturgie im MA, 
= Siegburger Studien II, Siegburg 1965. 
- 2) die mehrstimmige Hymnenbearbeitung (hier ab- 
gekurzt: Hb.). Unter den fruhesten Beispielen von 
Hb.en finden sich 2st. Satze, die auf dem Prinzip des 
Stimmtausches aufgebaut sind (lam lucis orto sidere, 12, 
Jh., in einem Ms. von Nevers). Eine andere Art de; 
2st. Satzes (Nobilis, humilis, Magne, in einem Ms. in 
Uppsala) ist hauptsachlich in Terzparallelen geschrie- 
ben. Die ->• Quelle Apt enthalt 10 Hb.en (etwa letzte; 
Drittel des 14. Jh.) fur die Hauptfeste des Kirchenjah- 
res. Mit einer Ausnahme erscheint die Hymnenmelo- 
die gewohnlich in leicht verzierter Form im Diskant; 
zwei dieser Hb.en haben eine instrumentale Mittel- 
stimme. Der musikalisch relativ schlichte Satz. ist je- 
weils fur die 1. Strophe bestimmt, was darauf schlieBer 
laBt, daB er fur alle ungeradzahligen Strophen benutzl 
wurde, wahrend die geradzahligen einstimmig gesun- 
gen wurden. In anderen Handschrif ten ist der Wechse! 
umgekehrt, offenbar je nach lokalem Gebrauch. Aui 



384 



Hymnus 



dem 15. Jh. sind etwa 20 Hb.en von Dufay (um 1430) 
erhalten. Im Ms. Cappella Sistina 15 (um 1500; -> Quel- 
len: CS 15), das die meisten von Dufays Hb.en ent- 
halt, wird ein neues Prinzip befolgt: jede Wechsel- 
strophe erhalt einen (wohl rein vokalen) neuen mehr- 
stimmigen Satz bei gleichem C. f. Die meisten Hb.en 
Dufays sind dreistimmig mit dem leicht stilisierten 
C. f. in der Oberstimme, einige jedoch zweistimmig 
mit -»• Fauxbourdon-Vermerk. In den anderen Hb.en 
von CS 15 erscheint der C. f. auch im Tenor oder un- 
ter die Stimmen verteilt oder im strengen Kanon. Ei- 
nige Satze sind imitierend, einige akkordartig kom- 
poniert, wahrend andere einen Wechsel beider Satz- 
arten zeigen. Von 71 mehrstimmigen Strophensatzen 
der 28 Hb.en sind 6 kanonisch angelegt. 
Vor der Mitte des 16. Jh. erscheinen die 4 vollstandi- 
gen Zyklen durchs Kirchenjahr von Carpentras, Festa, 
Willaert und Corteccia. Der Liber hymnorum von Car- 
pentras (um 1533 in Avignon gedruckt) enthalt 31 
2-6st. (meist 4st.) Hb.en dazu verschiedene Versionen 
fur bestimmte Hymnen oder Strophen, insgesamt etwa 
120 Stiicke. Fast durchweg sind Satze fur die Doxologie 
beigefiigt. Mitunter erscheint die Hymnenmelodie un- 
verandert im Tenor, wie z. B. in der Bearbeitung des 
Advents-H. Conditor alme, der zweimal vollstandig 
komponiert ist (einmal fiir die ungeradzahligen und 
einmal fiir die geradzahligen Strophen). Oft wechseln 
4st. und 3st. Satze in einer Hb. ab; in der Doxologie 
wird bisweilen ein 5st. Kanon eingefuhrt. C. Festas 
Hymni per tolum annum (3-6st.) sind Vesperhymnen. 
Das Prinzip, jede zweite Strophe eines H. mehrstim- 
mig zu setzen, wird beibehalten. Die 90 Satze der 
Sammlung bilden eine Art AbriB des Motettenstils 
im friihcn 16. Jh. Die iiberall vorhandene Grundme- 
lodie fuhrt dazu, dafi die Anzahl der Teile und so- 
mit auch die Gesamtlange der einzelnen Komposi- 
tionen beschrankt bleibt. Infolge des Vorherrschens 
der 4zeiligen Strophe ist der 4teilige Typus am haufig- 
sten. Willaert (Hymnorum musica, Venedig 1542) setzt 
gewohnlich die geradzahligen Strophen aus, wobei er 
2-6 Stimmen mit groBer kontrapunktischer Mannig- 
faltigkeit und freier Stilisierung der Hymnenmelodien 
gebraucht. Im freien kontrapunktischen Stil des Hin- 
nario di Fr. Corteccia (Ms. Florenz, Laur. Med. Palat. 7, 
um 1543) wechselt die Stimmenzahl in der Abfolge 
4-3-5, mit einem gelegentlichen Satz zu 6 Stimmen. 
Die Himni vesperorum totius anni vonjachet von Mantua 
(posthum, Venedig 1566) entstanden wahrscheinlich 
vor der Jahrhundertmitte. Konsequent sind die gerad- 
zahligen Strophen ausgelassen; der Kanon erscheint 
regelmaBig im 5st. SchluBsatz. - Nach der Mitte des 
Jahrhunderts vermehrten sich die Veroffentlichungen 
von Hymnenzyklen in Italien, besonders in Venedig, 
Rom und Mailand. Zu erwahnen sind die Zyklen 
von J. de Kerle (Rom 1558-60), G.Contino (Venedig 
1561), D.Ortiz (Venedig 1565), Aretino (Mailand 
1565) und M.Varotto von Novara (Venedig 1568). In 
seinen Hymni totius anni (Rom 1581) variiert Victoria 
die Stimmenzahl nach dem Muster 4—3-4. Palestrina 
laBt in seinen Hymni totius anni (Rom 1589) in der Re- 
gel die 1. Zcile der 1. Strophe einstimmig und setzt die 
iibrigen Zeilen sowie die ungeradzahligen Strophen 
mehrstimmig. Andere Hymnenzyklen schrieben J. 
Sabino (Venedig 1582), G.M.Asola (Venedig 1585), 
G. Navarro (Rom 1590), G. deWert (2 Bande, Mailand, 
Cons. SB 167-168, 1590), P.Ponzio (Venedig 1596), 
Orf eo Vecchi (Mailand 1600), C. Porta (Venedig 1602), 
Orazio Vecchi (Venedig 1604), G.Cavaccio (Venedig 
1605), M.A.Ingegneri (Band II, Venedig 1606) und 
F. Vitali (Rom 1636). Der EinfluB neuer Stilarten wird 
deutlich in S.Stellas Hymnorum ecclesiasticorum liber I 



(Neapel 1610, simul canendi atque sonandi) und in P. 
Lappis Hymni per tutto I'anno a 4 voci con . . . organo 
(Venedig 1628). Spatere Beispiele enthalten die Inni 
novi concertati fiir 2-6 Stimmen mit Instrumenten per 
le sinfonie von A.Freddi (Venedig 1632), die Hinni 
sacri concertati fiir 1 bis 6 Stimmen von A.Mattioli (Ve- 
nedig 1646), die Hinni per tutto I'anno a voce sola con 
violini a beneplacito von M.Cazzati (Bologna 1662) und 
ahnliche Sammlungen von C. D. Cossoni (1668), Seb. 
Cherici (1672), G.A.Florimi (1673) und B.Graziani 
(1674). In der Nachfolge Cazzatis stehen die Werke 
von G.B. Vitali (Modena 1681) und G.A.Silvani (Bo- 
logna 1702). Von dieser Zeit an begniigten sich die 
italienischen Komponisten damit, einzelne Hb.en fiir 
besondere Anlasse zu komponieren. 
Deutschland zeigt im 15. und 16. Jh. fiir die Hb. wegen 
ihrer Verwandtschaft mit dem strophischen Tenor- 
lied eine besondere Vorliebe (z. B. enthalt der Apel- 
sche Codex 47 3-5st. Offiziumshymnen). Einer der 
friihesten deutschen Komponisten von Hb.en, Adam 
von Fulda, bringt in seinem 5st. Nuntius celso (NA 
Chorwerk XXXII, Nr 11) einen Diskant-Tenor-Kanon 
in der Oktave und einen zweiten C. f . mit zusatzlichem 
Text nach Art eines Tropus. In der deutschen Hb. liegt 
der C. f. entweder im Tenor oder im Diskant, oft ge- 
koppelt mit einem textlich auf ihn abgestimmten an- 
deren lateinischen oder deutschen C. f., wahrend die 
iibrigen Stimmen textlos und von instrumentalem 
Charakter sind; so wird der Pfingst-H. Veni creator mit 
dem altdeutschen Lied Tannhauser ihr seid mir lieb ver- 
bunden. In seinem Sanctorum hymnorum liber primus 
(Wittenberg 1542), der 113 deutsche Einzelsatze ent- 
halt, nennt G.Rhaw im Titel als primi artifices Th. 
Stoltzer, H. Finck und Arnold von Bruck. AuBer die- 
sen Meistern begegnen in der Sammlung auch Satze 
von Senfl, Isaac und Obrecht. Die Hb.en von Sixt Diet- 
rich (Wittenberg 1545) waren ausdriicklich fiir den 
evangelischen Vespergottesdienst bestimmt. Ihre bei- 
den Teile (Proprium de tempore und de Sanctis) ent- 
halten insgesamt 122 Satze. Es seien noch genannt die 
Sammlungen vonX. Schroter (Erfurt 1587), B.Gesius 
(Wittenberg 1595) und M. Praetorius (Hymnodia Sionia, 
145 Satze a 2 bis 8, Wolfenbiittel 1611). Der meist ho- 
mophone Hymnus scholasticus ist ein Sonderzweig der 
Hb. fiir die evangelische Lateinschule. Komponisten 
dieses Typus waren M.Agricola (1557), W.Figulus 
(1594, 1605), B.Gesius (1597, 1609) und S.Calvisius 
(1594). Die 32 Hymni per totum annum von O. de Lassus 
(1580/81) sind nie veroffentlicht worden (Bayerische 
Staatsbibl. Miinchen, Mus. Ms. 55). Andere Samm- 
lungen von Hb.en aus Suddeutschland sind die von W. 
Perckhaimer (Wasserburg am Inn 1564, Miinchen 
21591), C. de Zachariis (Munchen 1594) und J. Lefebure 
(Konstanz 1596). Gelegentlich erschienen in Deutsch- 
land Hb.en auch wahrend des 17. und 18. Jh. 
Neben den Spaniern in Italien gab es eine Anzahl Hym- 
nenkomponisten, deren Werke in spanischen Bibliothe- 
ken aufbewahrt werden. Das Ms. Taragona, Musikar- 
chiv der Kathedrale, Ms. no. 2, enthalt einen Zyklus 
mit 20 4st. Hb.en von Escobar (8), Dalua (6), Pefialosa 
(4), Sanabria (1) und Urreda (1). Stilistisch haben sie viel 
mit den italienischen Hb.en des friihen 16. Jh. gemein- 
sam. - In Frankreich ist der Bestand an Hb.en nach der 
Reformation verhaltnismafiig unbedeutend. Der Codex 
Cambr^iNo.l7(Mittel6.Jh.)enthalt35anonymeHym- 
nensatze. Als Hymnenkomponisten sind bekannt: Fr. 
Callet (Douai 1586), J.Bournonville (Paris 1612), Ch. 
de Heifer (1660, nach Fetis) und M. A. Charpentier. 
Das Ms. Paris, Bibl. Nat., Ms. Vmi 1171, enthalt eine 
Anzahl Hymnen, aber keinen eigentlichen Zyklus. - 
Das Ms. Brit. Mus., Egerton 3307 (2. Viertel des 15. 



25 



385 



Hypallage 



Jh.), enthalt 6 Kompositionen der Prozessionshymnen 
fur die Karwoche nach dem Ritus der Diozese Sarum 
im modifizierten englischen Conductusstil, gewohn- 
lich mit dem figurierten Cantus im Superius (drei- 
stimmig oder wechselnd zwei- bis vierstimmig). Im 
16. Jh. wurden nur wenige lateinische Hymnen von 
Tallis, Byrd und anderen komponiert; die protestanti- 
sche Kirchenkomposition wandte sich in England mehr 
den Psalmsatzen und volkssprachigen Liedern zu. 
Das Prinzip der Hb. wird im 15. Jh. auch fiir die Or- 
gel iibernommen. Angefangen bei Paumann (1452) bis 
zu Hofhaymer, Schlick, Buchner und Sicher (f 1546) 
sind die friihen Orgelhymnen im C. f.-Satz geschrie- 
ben und bringen die Melodie in langen Noten im Te- 
nor, die anderen Stimmen in kontrapunktischer Aus- 
arbeitung. Die spatere Entwicklung schloB kanonische 
Durchfiihrung ein. Die Orgelhymnen von G.Cavaz- 
zoni (1542) zeigen den flamischen Motettenstil. Das 
Prinzip des Wechsels ist ganz augenscheinlich in G. M. 
Asolas Canto fermo sopra Messa, Hinni ... ai suonatori 
d'organo per rispondere al coro (1596). Die Komposition 
von Orgelhymnen wurde in Italien fortgefiihrt von 
A.Banchieri (1605), B.Bottazzi (1614), Frescobaldi 
(1627), G.B.Fasolo (1645), G.Scipione (1650) und G. 
C. Arresti (1664). Weitere Komponisten des Orgel-H. 
sind Cabezon, J. Bull, Sweelinck, Praetorius, Scheidt 
und Titelouze. 

Ausg.: Der Mensuralkodex d. N. Apel, hrsg. v. R. Ger- 
ber, =EDM XXXII, Abt. MA IV, 1956; H. Finck, 8 
Hymnen zu 4 St., hrsg. v. R. Gerber, Chw. IX, 1931 ; Deut- 
sche Meister d. 15. Jh., 12 Hymnen zu 3-5 St., hrsg. v. R. 
Gerber, Chw. XXXII, 1935; G. Dufay, Samtliche Hym- 
nen, hrsg. v. R. Gerber, Chw. XLIX, 1937; G. Rhau, 
Sacrorum hymnorum liber I (1542), hrsg. v. R. Gerber, 
RD XXI u. XXV, 1942-43; C. Festa, Hymni per totum 
annum, 3-6st., hrsg. v. Gl. Haydon, = Monumenta poly- 
phoniae ital. HI, Rom 1958; Fr. Corteccia, Hinnario, 
hrsg. v. dems., = Musica liturgica I, 4, Cincinnati 1958; 
Sixt Dietrich, Hymnen (Wittenberg 1545), hrsg. v. H. 
Zenck, mit einem Geleitwort v. W. Gurlitt, Saint Louis 
(USA) 1960. 

Lit. : A. Eixing, Die Messen u. Hymnen d. Hs. v. Apt, Diss. 
Gottingen 1924, maschr. ; A. Gastoue, Le ms. de musique 
du tresor d'Apt, = Publications de la Soc. frc. de musicolo- 
gie I, 10, Paris 1936; Gl. Haydon, The Lateran Cod. 61, 
Kgr.-Ber. Koln 1958 ; ders., The Hymns of C. Festa, JAMS 
XII, 1959; ders., The Dedication of Fr. Corteccia's Hin- 
nario, JAMS XIII, 1960; ders., The Hymns of Jacobus de 
Kerle, in: Aspects of Medijeval and Renaissance Music, 
Fs. G. Reese, NY (1 966) ; R. Gerber, Zur Gesch. d. mehrst. 
H. (Die Textwahl in d. mehrst. Hymnenkomposition d. 
spSten MA; Die Hymnen d. Apelschen Kodex; Die Sebal- 
dus-Kompositionen d. Berliner Hs. 40021 ; Span. Hym- 
nensStze um 1 500 ; Romische Hymnenzyklen d. spaten 1 5. 
Jh.; Die Hymnen d. Hs. Monte Cassino 871), = Mw. Ar- 
beiten XXI, Kassel 1965. fur Hymnus (- 2) : GH 

Hypallage (griech., Veranderung), in der Kompo- 
sitionslehre des 17.-18. Jh. eine musikalische Figur, die 
in Anlehnung an die rhetorische H. erklart wurde. Die- 
se entsteht durch Verschiebung der grammatischen 
und semantischen Beziehung eines Adjektivs (z. B. des 
Knaben lockige Unschuld), so daB sich eine Umkehrung 
in der Zuordnung ergibt. Nach Burmeister (1606) liegt 
eine musikalische H. vor, wenn die Fuga in umgekehr- 
ter Intervallanordnung eingefiihrt wird (quando Fuga 
converso intervallorum ordine introducitur), also eine Ge- 
genfuge entsteht. Ein Beispiel textbedingter Anwen- 
dung der H. findet sich in der Motette Exaudi Domine 



von Lasso (GA VII, S. 158) bei den Wortern ne avertas 
(faciem tuam a me). AuBer Burmeister verbindet nur 
Janowka (1701) die Gegenfuge mit dem Namen H. 

Hypate (griech.) -> Sy sterna teleion. 

hyper (griech. iiber; lat. super), hypo (griech. unter; 
lat. sub), in Zusammensetzungen bei Intervallbezeich- 
nungen wie Hyperdiatessaron (Oberquarte), Hypo- 
diapente (Unterquinte), oder bei den Namen der Ska- 
len des -> Systema teleion und der -*■ Kirchenton 
wie hypodorisch. 

Hyperbaton (griech.; lat. verbi transgressio, Wort- 
versetzung), eine in der Kompositionslehre des 18. Jh. 
im AnschluB an die Rhetorik erklarte musikalische 
Figur. In der Rhetorik ist das H. nach Gottsched die 
Versetzung eines Worts oder Gedankens von seiner natur- 
lichen Stelle, die . . . aus der Heftigkeit des Affects her- 
riihrt (Critische Dichtkunst, X. Hauptstiick, § 10). Schei- 
be (Critischer Musicus, 75. Stiick) erklart die Figur mu- 
sikalisch als Versetzung eines Tones oder Motivs in 
eine andere Lage. 

Hyperbole (griech., Uberwerfen; lat. superlatio), in 
der Kompositionslehre des 17. Jh. eine musikalisch- 
rhetorische Figur. In der Rhetorik ist die H. eine Uber- 
treibung (z. B.: in Tranen zerflieBen). Burmeister er- 
klart (1606) die H. musikalisch als das Uberschreiten 
des Notenliniensystems nach oben hin. Hypobole 
nennt er das Unterschreiten des Liniensystems. Beide 
Figuren konnen zur Darstellung des besonders Hohen 
bzw. Tiefen verwendet werden (wie Himmel, Holle), 
wobei der mit dem Verlassen des Notenliniensystems 
gegebene optische Eindruck mitspielt. 

Hyporchema heiBt in der griechischen Antike eine 
Gattung von Chorliedern (Fragmente von Pindar), 
spater ein zur Begleitung einer pantomimischen Dar- 
stellung geschaffenes Tanzlied (Platon, Ion, 534C; 
Lukian, De saltatione, 16). 

Lit.: H. Roller, Die Mimesis in d. Antike, = Dissertatio- 
nes Bernenses 1, 5, Bern 1954. 

Hypotjjposis (griech., Abbildung) nennt Burmeister 
(1606; im AnschluB an die rhetorische H. in L.Lossius' 
Erotemata, 1544) jenes fiir die Vokalkomposition seit 
dem 16. Jh. zentrale musikalische Abzeichnen (H. vel 
descriptio heiBt sie bei Lossius, »Abschilderung« bei 
Gottsched), wodurch »lebendig zu sein scheint, was 
hinter dem Text verborgen ist. « Hoc ornamentum usi- 
tatissimum est apud authenticos Artifices (Burmeister). H. 
als Figur der Musica poetica ist demnach eine Sammel- 
bezeichnung fiir unzahlige Verwirklichungen solchen 
Abbildens, Belebens und Veranschaulichens des Sinn- 
und Affektgehalts der Worter; sie kommt zustande, 
indem die musikalische Erfindung (nach Bewegungs- 
art, Stimmenlage, Modulationsgang usw.) analog dem 
Textgehalt gebildet ist (z. B. bei Wortern wie Freude, 
Schmerz; Seufzen, Schweigen; Wasser, Schlange; 
Pauken, Trompeten). Denn man soil das freudige, freu- 
dig, das traurige, traurig, das geschwinde, geschwind, das 
langsame, langsam etc. machen (Bernhard). - Als Klasse 
der H.-Figuren konnen eine Reihe spezifischer Bildfi- 
guren zusammengeschlossen werden, wie -*■ Anabasis 
und -*■ Katabasis, -»■ Circulatio, -»■ Tirata, -> Passus 
duriusculus, -> Suspiratio u. a. 

Hz (Abk. fiir Hertz) -*■ Frequenz. 



386 



I 



i, bei Kirnberger (1771) Bezeichnung der von ihm ver- 
suchsweise in die Komposition und Notenschrif t einge- 
fiihrten natiirlichen Septime (7. Naturton; -*■ Intervall- 
Tabelle) ; sie hat 968,8 Cent und ist somit um 27,3 Cent 
kleiner als die pythagoreische und um 31,2 Cent klei- 
ner als die temperierte kleine Septime. Durch Rameaus 
Erklarung der Konsonanz aus dem Phanomen der 
Obertone war der Gedanke nahegelegt, ob nicht auch 
die hoheren primaren Teiltone fiir die Theorie der 
Harmonie in Frage kommen, und noch vor Kirnber- 
ger hatte 1754 Tartini ( Trattato di musica . . .) mit dem 
die Erniedrigung um etwa einen Achtelton andeuten- 
den Zeichen [/ oder, wenn dasselbe zu einem \> hinzu- 
kommt, |o praktische Versuche gemacht : 

f-t4» 



$ 



i ilo * \> . 



m 



£M^# 



k>7 b \>7 

Euler (1739) schrieb der Naturseptime wegen ihres ein- 
fachen Zahlenverhaltnisses (4:7) einen hohen Konso- 
nanzgrad zu und erklarte die angenehmeWirkung des 
Dominantseptakkords dadurch, daB der Horer statt der 
erklingenden Septime (8:15) die Naturseptime (8:14) 
auffasse. Es steht experimentell fest, dafi der Zusam- 
menklang 4:5:6:7 (c-e-g-i) sehr schon klingt, auch ist 
z. B. die bekannte Stelle im Trio des Scherzos (Takt 236) 
der 3. Symphonie Beethovens (des'-es'-b 1 ), von drei 
Naturhornern geblasen, mit dem 7. Naturton im2. Horn 
von bezaubernder Wirkung. Gehorte die Naturseptime 
bis zur Einf iihrung der Ventilinstrumente um die Mitte 
des 19. Jh. zum Klangbild der Blechblaser (allerdings 
wegen der Diskrepanz zu anderen Instrumenten oft 
durch Umspielung verdeckt), so wird sie in der neueren 
Musik in einzelnen Fallen als besonderer Effekt vorge- 
schrieben, z. B. in der Einleitung zu Brittens Serenade 
fiir T., Horn und Streichorch. op. 31 (1943). 
Lit. : M. Vogel, Die Zahl Sieben in d. spekulativen Musik- 
theorie, Diss. Bonn 1955, maschr.; ders., Die Intonation 
d. Blechblaser, = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen 
d. Musik I, Diisseldorf 1961 ; ders., Der Tristan-Akkord 
....ebendall, 1962. 

Iastisch-*- Systema teleion. 

Idee fixe (id'e fiks, frz.) nennt Berlioz das Kernthema 
(unepensee musicale) seiner Symphonie fantastique (1830), 
das in deren 5 Satzen in je abgewandelter Form den 
ungliicklichen Kunstler durch verschiedene Situatio- 
nen seines Lebens als xmelancholischer Reflex« verfolgt, 
- ein Vorlaufer des -*■ Leitmotivs. 

Idiophone (Eigenklinger, von griech. tStoc;, eigen), 
im AnschluB an die Instrumentensystematik Mahillons 
(1880; instruments autophones) von E.M.v.Hornbostel 
und Sachs (1914) gebildete Bezeichnung fiir Instru- 
mente, bei denen der schwingende Instrumentenkorper 
selbst, und nicht eine gespannte Membran (->- Mem- 
branophone) oder Saite (-»■ Chordophone), den Ton 



erzeugt. In ihrem Material bestehen die I. aus Holz 
(-»• Xylophon), Stein {-*■ Lithophone), Metall (-»■ Me- 
tallophon) oder Glas (-> Glasspiele). Die Erregung 
des Schwingungsvorganges kann erfolgen durch un- 
mittelbares Schlagen (-»• Schlaginstrumente), Schiit- 
teln (Rasseln, Sistrum, Angklung), Schrapen (Ratsche, 
Guiro), Zupfen (Maultrommel, Sansa) sowie Reiben 
(-> Friktionsinstrumente). 

Ikonographie, musikalische (von griech. etxwv, 
Bild, und ypaipEiv, schreiben), dieWissenschaft von den 
Bildzeugnissen zur Geschichte der Musik. Sie umf aBt 3 
Arbeitsbereiche: 1) kritische Sichtung der Bilddoku- 
mente zur Biographie eines Komponisten (vorbildlich 
z. B. O.E.Deutsch 1913 und 1961, W.Neumann 1953) 
und seiner Umwelt; dieser Bereich der mus.n I. beriihrt 
sich mit der musikalischen Lokalgeschichtsschreibung. 

2) Sammlung von Bildzeugnissen zur -*■ Auffiihrungs- 
praxis (z. B. Besseler 1952 und 1959) ; dieser Bereich der 
mus.n I. steht vor allem der Instrumentenkunde nahe. 

3) Tritt die mus. I. in den bisher genannten Zusammen- 
hangen als Hilfswissenschaft auf, so liegt doch ihr 
zentraler Arbeitsbereich in der Sinndeutung kiinstleri- 
scher Musikdarstellungen, die zuverlassig nur unter 
Zusammenfassung musik- und kunstgeschichtlicher 
Kriterien moglich ist. Zu untersuchen ist dabei vor al- 
lem die Frage, welchen Anteil Darstellung der Wirk- 
lichkeit, Symbolik und freie Phantasie in einem be- 
stimmten Kunstwerk einnehmen; an der Beantwor- 
tung dieser Frage entscheidet sich, ob ein Bild als Zeug- 
nis fiir die musikahsche Praxis oder fiir das Musikden- 
ken einer Epoche gelten kann. Am Ausbau dieses 
Zweiges der mus.n I. sind als Kunsthistoriker vor allem 
A.Warburg und E.Panofsky, als Musikhistoriker u. a. 
W. Gurlitt und R. Hammerstein beteiligt. - Die Kata- 
logisierung der Quellen zur mus.n I. steht noch in den 
Anfangen. 

Lit. : E. Buhle, Die mus. Instr. in d. Miniaturen d. f ruhen 
MA I, Die Blasinstr., Lpz. 1903; ders., Das Glockenspiel 
in d. Miniaturen d. friihen MA, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 
1910; H. Leichtentritt, Was lehren uns d. Bildwerke d. 
14.-17. Jh. iiber d. Instrumentalmusik ihrer Zeit?, SIMG 
VII, 1905/06; K. Storck. Musik u. Musiker in Karikatur 
u. Satire, Oldenburg 1910; O. E. Deutsch, Fr. Schubert. 
Sein Leben in Bildern, = Fr. Schubert. Die Dokumente 
seines Lebens u. Schaffens III, Munchen 1913; ders., Mo- 
zart u. seine Welt in zeitgenossischen Bildern, = W. A. 
Mozart, Neue GA X, 32, Kassel 1961 ; M. Seiffert, Bild- 

zeugnissed. 16. Jh , AfMwI, 1918/19; M. Sauerlandt, 

Die Musik in fiinf Jh. d. europaischen Malerei, Kdnigstein 
u. Lpz. 1922; E. Droz u. G. Thibault, Poetes et musiciens 
du XV e s., = Documents artistiques du XV e s. I, Paris 1 924; 
C. Moreck, Die Musik in d. Malerei, Munchen (1924); A. 
Schering, Zur Frage d. Orgelmitwirkung in d. Kirchen- 
musik d. 15. Jh., in: Ber. fiber d. Freiburger Tagung f. 
deutsche Orgelkunst, hrsg. v. W. Gurlitt, Augsburg 1926; 
G. Kinsky (mit R. Haas u. H. Schnoor), Gesch. d. Musik 
in Bildern, Lpz. 1929, engl. hrsg. v. H. Besseler, M. Schnei- 
der u. E. Blom, London u. NY 1930, Neudruck 1951, frz. 
hrsg. v. H. Prunieres, Paris 1930, ital. hrsg. v. G. Cesari, 
Mailand 1930; L. Schrade, Die Darstellung d. Tone an d. 
Kapitellen d. Abteikirche zu Cluny, DVjs. VII, 1929; E. 



25* 



387 



Imbroglio 



Panofsky, Hercules am Scheidewege, = Studien d. Bibl. 
Warburg XVIII, Lpz. 1930; ders., Who is Jan van Eyck's 
»Thymotheos«?, Journal of the Warburg and Courtauld 
Inst. XII, 1949; R. van Marle, Iconographie de l'art pro- 
fane au moyen-age et a la Renaissance, 2 Bde, Den Haag 
1931-32; A. Warburg, Gesammelte Schriften, hrsg. v. G. 
Bing u. Fr. Rougemont, 2 Bde, Lpz. 1932; L. Parigi, I pit- 
tori lombardi e la musica, Mailand 1934; ders., La musica 
nelle gallerie di Milano, Mailand 1935; ders., Musica in 
pittura, Florenz 1939; ders., I disegni mus. del gabinetto 
degli »Uffizi« . . ., Florenz 1951 ; W. Gurlitt, Die Musik 
in Raffaels Heiliger Caecilia, JbP XLV, 1938, Neudruck in : 
Mg. u. Gegenwart I, = BzAf Mw I, Wiesbaden 1966; E. 
Reuter, Les representations de la musique dans la sculp- 
ture romane en France, Paris 1938; Musik u. Bild, Fs. M. 
Seiffert, Kassel 1938; M. F. Schneider, Alte Musik in d. 
bildenden Kunst Basels, Basel 1941 ; ders., Musik d. Neu- 
zeit in d. Bildenden Kunst Basels, Basel 1944; M. Wegner, 
Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949; ders., Musikinstr. 
d. alten Orients, = Orbis antiquus II, Miinster i. W. 1950; 
H. Besseler, Die Besetzung d. Chansons im 15. Jh., Kgr.- 
Ber. Utrecht 1952; ders., Umgangsmusik u. Darbietungs- 
musik im 16. Jh., AfMw XVI, 1959; M. Bernardi u. A. 
Della Corte, Gli strumenti mus. nei dipinti della galleria 
degli Uffizi, Turin 1952; R. Hammerstein, Die Musik am 
Freiburger Miinster, AfMw IX, 1952; ders., Instrumenta 
Hieronymi, AfMw XVI, 1959; ders., Die Musik d. Engel, 
Bernu. Munchen(1962);K. Meyer-Baer, The Eight Grego- 
rian Modes on the Cluny Capitals, The Art Bull. XXXIV, 
1952; W. Neumann, Auf d. Lebenswegen J. S. Bachs, Bin 
1953; A. G. Hess, The Cataloging of Music in the Visual 
Arts, Notes II, 1 1, 1953/54; Fr. Behn, Musikleben im Al- 
tertum u. friihen MA, Stuttgart 1954; M. Lisner, Die San- 
gerkanzel d. Luca Delia Robbia, Diss. Freiburg i. Br. 1955, 
maschr. ; J. Banach, Tematy muzyczne w plastyce polskiej, 
2 Bde, (Krakau 1956-60), deutsch als: Die Musik in d. 
Bildenden Kiinsten Polens, ebenda 1957-65 ; Les fetes de la 
Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, 2 Bde, Paris 1956; E. 
Winternitz, Alcune rappresentazioni di antichi strumen- 
ti ital. a tastiera, CHM II, 1957; ders., The Visual Arts as a 
Source for the Hist, of Music, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; G. 
Bandmann, Melancholie u. Musik, = Wiss. Abh. d. Ar- 
beitsgemeinschaft d. Landes Nordrhein-Westfalen XII, 
Koln 1960; H. Steger, David rexet propheta, = Erlanger 
Beitr. zur Sprach- u. Kunstwiss. VI, Niirnberg 1961 ; Mg. in 
Bildern, hrsg. v. H. Besseler u. M. Schneider, Lpz. (seit 
1 962) ; A. Ott, Tausend Jahre Musikleben, = Bibl. d. Ger- 
manischen National- Museums XV1II/XIX, Miinchen 
(1963); H. Heyde, Die Musikinstrumentendarstellung auf 
d. Mindener Altar, Beitr. zur Mw. VI, 1964; A. P. de Miri- 
monde, Remarques sur 1'iconographie mus., Rev. de Mu- 
sicol. LI, 1965 ; E. u. R. L. Waldschmidt, Musikinspirierte 
Miniaturen aus d. Slg d. Museums f. Indische Kunst Bin, 
Bd I, = VerofT. d. Museums f . Indische Kunst Bin II, Wies- 
baden 1966. 

Imbroglio (imbr'aAo, ital., Vermischung, Verwir- 
rung) bezeichnet in der Musik, sofern sie auf einheit- 
licher Taktordnung beruht, dierhythmische Verwick- 
lung, die durch Vermischung oder Uberlagerung ver- 
schiedener Taktarten entsteht. Bekannte Beispiele bie- 
ten das 1. Finale in Mozarts Don Giovanni, der SchluB 
des 1. Akts von Wagners Meistersinger und die Eroff- 
nungsszene des 3. Aktes im Rosenkavalier von R. Strauss. 

Imitation (lat. imitatio, Nachahmung), grundlegende 
Satztechnik in der mehrstimmigen Musik: eine melo- 
disch-rhythmische Sinneinheit (Motiv, Soggetto, The- 
ma oder langere Melodielinie) der einen Stimme wird 
gleich oder ahnlich in einer anderen Stimme wieder- 
holt. Hinsichtlich der Bewegungsrichtung ist die wich- 
tigste Art der I. diejenige in gleicher Bewegung (imi- 
tatio aequalis motus), bei der die Nachahmung als sol- 
che vernehmbar ist, weil der Melodiezug des Vorbil- 
des erhalten bleibt. I. in Gegenbewegung (inaequalis 
motus oder motu contrario), also mit melodischer 
-> Umkehrung oder Spiegelung, sowie die selteneren 
Arten im -*■ Krebsgang (cancricans) und seiner Um- 
kehrung (cancricans motu contrario) sind dagegen fiir 



den Horer schwieriger oder gar nicht zu erkennen. Di 
I. kann auf derselben Tonstufe (in unisono) oder in an 
deren Intervallen (in secunda, in tertia usw.) oberhall 
oder unterhalb (superior oder inferior) des Vorbilde 
einsetzen. Zu beriicksichtigen ist jedoch, daB die Be 
zeichnung I. lange Zeit in einem engeren Sinn, nam 
lich als Gegensatz zur -> Fuga verwendet und dabe 
auf die nicht streng intervallgleiche Nachahmung ii 
der Sekunde, Terz, Sexte und Septime bezogen wurd 
(Zarlino 1558 und noch WaltherL). AuBerdem kani 
die I. mit Verlangerung oder Verkiirzung der rhyth 
mischen Werte (per augmentationem oder per dimi 
nutionem) auftreten oder auch durch Pausen unter 
brochen werden (imitatio interrupta). - Die ausge 
dehnten Anwendungsf elder der I. lassen sich durch dei 
Gegensatz von strenger und freier I. abstecken: Ii 
strenger I. folgt die imitierende Stimme der voran 
gehenden vollstandig, wie es fiir alle Arten des Kanon 
kennzeichnend ist; bei freier I. trennt sich die nachfo] 
gende Stimme nach einer Strecke der Nachahmun; 
vom Vorbild, was etwa bei Fuge und Motette ebens* 
der Fall ist wie bei der Technik der motivischen I., di 
auch auBerhalb der kontrapunktisch bestimmten For 
men vielfaltig verwendet worden ist. Bezogen auf da 
jeweilige Werk kann die I. alle beteiligten Stimmen er 
fassen oder sich auf zwei beschranken, langere Ab 
schnitte ganz beherrschen oder nur vereinzelt auftre 
ten und in entsprechendem Mafie zur organischen Ent 
faltung und architektonischen Geschlossenheit de 
Komposition beitragen. Da nur gleichberechtigt 
Stimmen an der I. teilnehmen konnen, bleibt eine ein 
zelne C. f .-Stimme, sofern sie Eigencharakter hat, voi 
der Nachahmung ausgeschlossen. Deshalb entstam 
men die altesten Beispiele der I. dem Conductus un< 
den C. f .-freien Stimmen aus dem 3- oder 4st. Orga 
num der Notre-Dame-Epoche (Anfang 13. Jh.) : 



>> h i r n' r-ir r * | [ ' w r 



> i i r w nr r *ir n' r 



b ' i ir rr nr r M^rr 



Vi- 



(b) 



r r * h r ] w 



^ 



r r * i r r r r i r r * 



m- r >!i- n' r^P* 



l-derunt 



Perotinus, Organum Viderunt principes 

(Ubertragung des Anfangs). 

Dieses Friihstadium verwendet die I. (a) neben der eir 

fachen Wiederholung eines Melodiegliedes in derselbe 

Stimme (b) und neben dem -> Stimmtausch (a und c 



388 



Impressionismus 



Die beiden letztgenannten Satztechniken werden in 
ihrer altesten theoretischen Erwahnung durch Johan- 
nes de Garlandia (Mitte des 13. Jh.; CS I, 116) als re- 
petitio ejusdem vocis und repetitio diversae vocis bezeich- 
net und zum Schmuck (color, pulchritudo soni) der 
Musik gezahlt. Von hier aus fiihrt die Entwicklung 
sowohl zu den Friibiormen des Kanons als auch iiber 
weitere Ansatze (z. B. im Bamberger Motettenkodex 
und bei Machaut) zur Ausbreitung der freien I. seit 
dem Anfang des 15. Jh. In der burgundischen Epoche 
wurde die Praxis der Eingangs-I. ausgebildet. Mit dem 
Vordringen der C. f.-freien Motette im ausgehenden 
15. Jh. erfafite die I. zunehmend alle Stimmen des 
Satzes. Josquin Desprez, fiir dessen Werk die I. in 
Stimmenpaaren charakteristisch ist, forderte entschei- 
dend die Entwicklung des »durchimitierenden Stils« (H. 
Riemann), der im 16. Jh. geradezu satztechnische Norm 
wurde : von Abschnitt zu Abschnitt wandert das dem 
jeweiligen Textglied zukommende -*■ Soggetto imi- 
tierend durch alle nunmehr gleichberechtigten Stim- 
men. Die Einsatzfolge wird im Innern eines Stiickes 
iiberwiegend freiziigig behandelt, bei der Eingangs-I. 
dagegen oft sehr regelmaBig angeordnet (N. Gombert, 
in: Magnificat octavi toni, CMM 6, IV, S. 90). Die Durch- 
I. griff seit dem 16.-17. Jh. auch auf die Instrumentalmu- 
sik iiber und begriindete u. a. die Entwicklung der Fu- 
ge, bei der im Verfahren der ->• Beantwortung eine 
pragnante Weise der I. entstand. Vom 18. Jh. an wur- 
de die I. in wachsendem Mafie der metrischen Periodik 
angepaBt und bewirkt im harmonisch bestimmten Satz 
der Klassik und Romantik stets, wenn auch oft nur 
kurz, den teilweisen oder volligen Durchbruch zur 
Polyphonie; sie tritt hier vorzugsweise an Stellen von 
besonderer Dichte und als Impuls der Durchfiihrung 
und Steigerung auf und erscheint haufig hervorgeho- 
ben und individualisiert durch Instrumentierungskon- 
traste. L , K 




J. Haydn, Streichquartett D moll (Hob. Ill, 76), 
4. Satz, Takt 93ff. _ 




L. van Beethoven, Streichquartett F dur 
op. 18, Nr 1, 1. Satz, Takt 129ff. 
- In der Kompositionslehre nimmt der simitierende 
Kontrapunkt« seit dem 17. Jh. einen fiihrenden Platz 
ein. Grundsatzlich beschrankt sich aber die Anwen- 
dung der I. nicht auf einzelne_Epochen. 
Lit.: G. Adler, Die Wiederholung u. Nachahmung in d. 
Mehrstimmigkeit, VfMw II, 1886, S. 27 Iff.; H. Riemann, 
Lehrbuch d. einfachen, doppelten u. imitierenden Kontra- 
punkts, Lpz. 1888, 31915, '•-61921, engl. Lpz. 1904; ders., 
Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920, S. 212ff.; W. Gurlitt, 
Burgundische Chanson- u. deutsche Liedkunst d. 15. Jh., 



Kgr.-Ber. Basel 1924, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart 
I, =BzAfMw I, Wiesbaden 1966; H. Besseler, Studien 
zur Musik d. MA II, AfMw VIII, 1926; M. Schneider, 
Zur Satztechnik d. Notre-Dame-Schule, ZfMw XIV, 1931/ 
32; W. Apel, I. in the 13 th and 14 th Cent., in: Essays on 
Music, Fs. A. Th. Davison, Cambridge (Mass.) 1957; C. 
Dahlhaus, Chr. Bernhard u. d. Theorie d. modalen I., 
AfMw XXI, 1964; D. Harbinson, I. in the Early Motet, 
ML XLV, 1964; J. Kerman, Byrd, Tallis, and the Art of I., 
in: Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. 
Reese, NY (1966). KJS 

Imperfektion (von lat. imperfectus, unvollkommen) 
ist in der Mensuralnotation »die Wegnahme eines 
Drittels vom eigentlichen Wert einer ganzen Note oder 
ihrer Teile« (Tinctoris, Liber imperfectionum notarum 
musicaliutn, CS IV, 54a). Nach Franco von Koln (ed. 
Cserba, S. 235ff.) tritt I. einer Longa oder Brevis dann 
ein, wenn ihr eine einzelne Note der nachst kleineren 
Gattung folgt und dieser wieder eine grofiere, oder 
wenn mehr als 3 Noten der nachst kleineren Gattung 

^.^..■T-JJJIJJIJJJIJ.I 

Abweichung von diesen Regeln wird durch -> Divi- 
sio modi (- 2), spater Punctus divisionis (-> Punctus - 2) , 
angezeigt, vor allem wenn z. B. eine Brevis zwischen 2 
Longae nicht die vorhergehende Longa imperfiziert 
(I. a parte post), sondern die folgende (I. a parte ante): 

V1 - f J- IJJ I 

Die Ars nova (J. de Muris, CS III, 47-52, und GS III, 
296-300; dagegen Jacobus Leodiensis, CS II, 424-427) 
lafit auch I. der Maxima und Semibrevis zu und fiihrt 
neben der bei Franco allein iiblichen I. um '/3 0- a d 
totum) auch die I. ad partem propinquam ein; bei ihr 
wird nur die Halfte oder ein Drittel der Note imperfi- 
ziert, so dafi sich insgesamt Verkiirzung um l j(, oder 
1 jg ergibt. Die Musiklehre beschreibt auch die I. ad 
partem remotam (z. B. Maxima durch Semibrevis im- 
perfiziert) und die I. ad partem remotiorem (Maxima 
durch Minima imperfiziert). Weitere Komplikationen 
ergeben sich dadurch, dafi eine Note mehrfach imper- 
fiziert werden kann, auch gleichzeitig a parte post und 
a parte ante, und dafi auch die imperfizierende Note 
ihrerseits imperfiziert wird. Ein Schulbeispiel geben 
die Quatuor principalia (CS IV, 270b, vgl. ApelN, 388). 
Wie durch verschiedene I. der Wert einer Brevis von 
9 auf 4 Minimae verringert werden kann, zeigt der 
Anfang des Contratenors in Machauts Ballade Nr 32 : 

■■; ■ i ... » J- J-iAl J Al. i 

Impressionismus. »Impressionistisch« hat man vor 
allem die Musik Debussys, Ravels und ihrer Schiiler 
genannt, weil sie Bildvisionen mit suggestiver Kraft 
heraufbeschwor und das Atmospharisch-Dunstige des 
Klanges (»Sfumato«), die harmonikale »Farbe« gegen- 
tiber dem melodischen »Umrifi« bevorzugte. Auch die 
Vorliebe fiir das vibrierend Lebendige hat die impres- 
sionistische Musik mit der gleichbenannten Malerei 
vielfach gemeinsam, nicht aber die Schatzung des fliich- 
tigen Augenscheins, das Momentane, Eilend-Vergang- 
liche, Ziigig-Bewegte, ebensowenig das geheimnislose, 
michterne Freilicht. Debussy selbst hat schnellfertige 
Rezensenten, die seine Musik in Bausch und Bogen »im- 
pressionistisch« nannten, nicht ohne Grand als Dumm- 
kopfe bezeichnet. Denn von der Oberflachenwelt blo- 
Ber Sinneseindriicke trennt ihn seine durchaus seelen- 
hafte, dem Mythischen nahekommende Naturschau. 
In dieser Hinsicht steht er - nicht nur durch die Mittler- 
schaft der symbolistischen Dichter - der Grundauffas- 
sung deutscher Romantik oft naher als demWeltbild der 
franzosischen Malerimpressionisten. Er schatzteWhist- 



389 



Impromptu 



lers Nachtstiicke und die eroshaf te Atmosphare in man- 
chen Bildern von Degas, miBbilligte hingegen die end- 
los wiederholten Momentstudien Monets. In seinen 
Klangvisionen von arkadischen Landschaftcn und fer- 
nen paradiesischen Inseln kommt er der Siidseemalerei 
Paul Gauguins oft nahe. Schon der mittlere Stil, mehr 
noch der Spatstil Debussys hatte ubrigens eine Erneue- 
rung der melodischen Linie, der »gottlichen Arabeske«, 
angestrebt: Abkehr von der Vorherrschaft harmoni- 
kaler Flachen. Dem I. der Maler kommt der reizsame, 
tagwach-sinnenscharf beobachtende Ravel oft naher 
als Debussy. »Impressionistisch« hat man schlieBlich 
jede Musik um und nach 1900 genannt, in der Klang- 
lich-Stimmungshaftes und Koloristisches als Eigen- 
werte hervortraten, selbst die ekstatisch bewegten Ton- 
dichtungen eines Skrjabin. Bei solchen Ausweitungen 
verfliichtigt sich der Begriff des I. leicht zur bloBen 
Sammelkategorie von geringem Aussagewert. Selb- 
standige Farbwirkungen findet man nicht nur bei De- 
bussy, Dukas, Satie, Ravel, Aubert, Caplet, Roland- 
Manuel, Roussel, de Falla, Respighi, sondern auch et- 
wa im Spatwerk des »Klassizisten« Faure, massiver bei 
C.Scott, Fr.Delius, Koddly, R.Strauss, zum »Klang- 
sumpf« verdickt bei Schreker. Als unmittelbare Vor- 
fahren solcher Verselbstindigung des Koloristischen 
waren etwa Chopin, Liszt, Chabrier, vor allem aber 
Mussorgsky und Borodin zu nennen, als friihe Weg- 
bereiter vielleicht sogar italienische Madrigalisten wie 
Marenzio, Gesualdo und Monteverdi. Ein so weit ge- 
faBter Begriff des I. nivelliert begreiflicherweise viele 
feinere Stuunterschiede, vor allem die Kluft zwischen 
der Musique descriptive (z. B. bei R. Strauss) und der 
Musique evocatrice Debussys, die auf unmittelbare 
Erweckung, Beschworung individueller Stimmungs- 
gehalte ausgeht. Man muB jedenfalls immer dessen ein- 
gedenk sein, daB der Begriff I. anfanglich ein der Frei- 
lichtmalerei zugedachtes, spater umgedeutetes und an- 
genommenes Schmahwort war, das in seiner urspriing- 
lichen Bedeutung als Vision immediate (Augenblicks- 
malerei) gerade die Traumkunst des friihen Debussy 
(etwa der drei Nocturnes fiir Orch.) nicht triff t. 
Lit.: W. Danckert, Das Wesen d. mus. I., DVjs. VII, 
1929; ders., Liszt als Vorlaufer d. mus. I., Mk XXI, 1928/ 
29; ders., CI. Debussy, Bin 1950, mit ausfuhrlichem Lit.- 
Verz. zur Frage d. I. in Malerei u. Musik; H. F. Kolsch, 
Der I. bei Debussy, Diss. Koln 1937; H.-G. Schulz, Mus. 

1. u. impressionistischer Klavierstil, Wurzburg 1938; E. 
Kroher, I. in d. Musik, Lpz. 1957. WD 

Impromptu (sprSpt'ii, frz. ; von lat. in promptu esse, 
bei der Hand, bereit sein) war im 17. Jh. in der Bedeu- 
tung von Stegreifgedicht oder als Zwischenakteinlage 
bei Buhnenstucken im Franzosischen (Moliere, VI. de 
Versailles, 1663) gebrauchlich. Mattheson (1739) be- 
zeichnet einen bei einer Geselligkeit »stehenden FuBes« 
geschriebenen und gesungenen Kanon als I. Die Nahe 
zur Improvisation zeigen Liszts l.s sur des themes de 
Rossini et Spontini (1824). In der Romantik wurde I. 
zum Werktitel von Charakterstiicken fiir Klavier, die 
in 2- oder 3teiliger Liedform, Rondo- oder seltener in 
Sonatenhauptsatzform (Schubert, op. 142 Nr 1) kom- 
poniert sind, daneben auch in Variationsform (Schu- 
mann, op. 5 auf ein Thema von Clara Wieck, 1833, 

2. Fassung 1850). I.s schrieben 1822 Vofisek, op. 7, und 
H. Marschner, op. 22 und 23. Besondere Beliebtheit er- 
langten Schuberts I.s op. 90 (1827, hier wurde der Titel 
I.s durch den Verleger Haslinger hinzugef iigt) und op. 
142 (1838, aus dem NachlaB) neben den I.s Chopins 
(op. 29, 36, 51, 66) sowie Liszts Valse-I. (1852). 

Lit.: Mattheson Capellm.; W. Kahl, Das lyrische Kla- 
vierstuck Schuberts u. seiner VorgSnger seit 1810, AfMw 
III, 1921; ders., Ausd. Friihzeit d. lyrischen Klavierstucks, 



ZfM LXXXIX, 1922; H. H. Eggebrecht, Studien zur 
mus. Terminologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, 
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; L. 
Misch, Ein unbekanntes »I.« v. Beethoven, NZfM CXVII, 
1956. 

Improperien (lat. improperia, Vorwiirfe), Gesange 
zur feierlichen Kreuzverehrung in der romischen Kar- 
freitagshturgie, die Klagen des leidenden Heilands 
uber das undankbare judische Volk darstellend. Sie 
beginnen mit den sogenannten Improperia maiora: 
Popule meus und 3 Verse (Quia eduxi te de terra Aegypti - 
Quia eduxi te per desertum - Quid ultra debuifacere tibi), 
zwischen denen das griechisch-romische Trishagion 
erklingt ("Ayiog 6 #ed;, Sanctus Deusmv/.). Die hieran 
anschlieBenden Improperia minora umfassen 9 psalm- 
odisch vertonte Verse, jeweils gefolgt von einer Wie- 
derholung des Popule meus. - Als altestes Dokument, 
das den vollstandigen Text der wahrend des 1 1 .-12. Jh. 
vom frankischen in den romischen Liturgiebereich 
iibernommenen Improperia maiora und des -> Trisha- 
gion vereinigt, gilt das Graduale von Senlis aus dem 9. Jh. 
Erste Melodieaufzeichnungen finden sich im Graduale 
von Laon (10.— 11. Jh.; Paleographie musicale I, 10). 
Demgegeniiber gehoren die Improperia minora einer 
spateren Zeit, vermuthch dem 11. Jh., an. Seit dem 16. 
Jh. existieren auch mehrstimmige I.-Bearbeitungen 
(Palestrina). 

Improvisation (von lat. improvisus, unvorherge- 
sehen; ex improviso, ohne Vorbereitung) besteht mu- 
sikalisch im Erfinden und gleichzeitigen klanglichen 
Realisieren von Musik; sie schlieBt die schriftliche 
Fixierung (-> Komposition) ebenso aus wie das Reali- 
sieren eines Werkes (Auff iihrung, Wiedergabe, -*■ In- 
terpretation). Daher kann strenggenommen nur im 
Abendland, und selbst da erst von einer geschichtlich 
spateren Stufe an, von I. gesprochen werden, da die 
auBereuropaische und die altere europaische Musik 
jenseits der Scheidung in Komposition und Auffiih- 
rung stehen, die der Begriff I. voraussetzt. Miindliche 
Oberlieferung ist kein Kriterium fiir I. - Improvisieren 
bedeutet (vgl. Goethe, Gesprache mit Eckermann am 
28. 2. 1824 und 29. 1 . 1826), uber einen Gegenstand, der 
zur Aufgabe gestellt ist, unvermittelt produktiv wer- 
den. Weitgehend die gleiche Bedeutung haben die 
Worter extemporieren (von lat. ex tempore, etwas »aus 
dem Augenblick heraus« erfinden und sofort auBern) 
und aus dem Stegreif formulieren bzw. musizieren (aus 
dem Steigbugel, d. h. wie ein Reiter, der etwas erledigt, 
ohne abzusitzen). - I. bekundet sich musikahsch als 
klingendes Ergebnis der Auseinandersetzung sponta- 
ner Eingebungen mit einer gestellten Aufgabe; die 
Spannung zwischen der Objektivitat eines Gegebenen 
oder Modellhaften und der Subjektivitat spontanen 
Produzierens macht das Wesen der I. aus. Nach KochL 
(1802) ist Improvisieren die Geschicklichkeit eines Ton- 
setzers, uber ein ihm noch unbekanntes Gedicht sogleich aus 
dem Stegreif e eine Komposition zu verfertigen und solche 
zugleich singend unter der Begleitung eines Instrumentes 
vorzutragen. KochL nennt auBerdem die italienischen 
Improvisatori, die offentlich uber eine ihnen aufgege- 
bene Materie in der Art eines Rezitativs zur Gitarre, 
auch im Dialog, improvisierten. Eine literarisch-thea- 
tralische Form der I. ist die gleichfalls spezifisch italie- 
nische Commedia dell'arte, in der die Spieler als Ver- 
korperung feststehender, meist sehr popularer (mithin 
in ihren AuBerungen weitgehend f estgelegter) Typen 
nach einem vereinbarten oder schriftlich festgelegten 
Szenarium (canevas) ihren Text spontan formulierten. 
Elemente der Commedia dell'arte drangen uber die 
Parti buffe auch in die -*■ Oper ein; noch bei den Pro- 
ben zur ersten Auff iihrung von W.A.Mozarts Don 



390 



Improvisation 



Giovanni in Prag wurde die Tafelszene improvisiert 
(Abert II, 419). - Das Vorgegebene kann als melodi- 
sches (zu variierendes oder zu kontrapunktierendes), 
harmonisches oder rhythmisches Geriist, auch als ein 
alle drei Kategorien umf assendes Modell der improvi- 
satorischen Betatigung zugrunde liegen oder von ihr 
verarbeitet werden. Je nach Grad bzw. Abhangigkeit 
der I. von Vorgegebenem sind verschiedene Erschei- 
nungen musikalischer I. feststellbar: Stegreif ausfiih- 
rung, I. im eigentlichen Sinne und Fantasieren, die frei- 
lich nicht immer streng voneinander zu scheiden sind. 
Wird die musikalische Darbietung, obwohl sie keine 
Komposition vermittelt, durch ein Regelsystem oder 
ein im Gedachtnis bewahrtes Modell in feste Bahnen 
gelenkt und ist der Anteil personlicher Initiative ge- 
ring, so liegt Stegreifausfiihrung in einem speziellen, 
von der I. abgegrenzten Sinne vor. Gelangt jedoch die 
Ausfuhrung gegenuber dem Vorgegebenen (Modell- 
haften, tradiert Regelhaften, Schematischen) in spon- 
taner AuBerung zu je eigenartiger und immer wieder 
neuer Wirklichkeit, so kann von I. im eigentlichen 
Sinne gesprochen werden. Ohne Bindungen an kon- 
kret Vorgegebenes, vor allem an rhythmische oder 
an sonstige den zeitlichen Ablauf der I. festlegende Ge- 
riiste, verlauft das Fantasieren, das sich in Ausdruck 
und Wahl der technischen Mittel oft nur der Situa- 
tion und dem Ort seiner Ausfuhrung anpafk. Doch 
nicht selten bindet sich auch der fantasierende Musiker 
an strenge kompositorische Regeln (kontrapunktisches 
Fantasiaspiel im 16. Jh.) oder Formen (extemporierte 
Fugen oder Ricercari), verarbeitet bekannte Themen 
oder vorgegebene Werke, iiber die er quasi musika- 
lisch meditiert. Hierher gehort z. B. das improvisierte 
Choralvorspiel (-*■ Choralbearbeitung-2), das in Ton- 
art und Thematik gebunden ist (-> Praeludium). Un- 
ter den genannten Arten der I. wird das Fantasieren 
am ehesten in seinen historischen Auspragungen greif- 
bar, insofern es Vorbild und Ausgangspunkt fiir die als 
Komposition niedergeschriebene -> Fantasie war. - 
I.en konnen zwar schriftlich protokolliert oder auf 
Tontragern (Schallplatte, Tonband) festgehalten wer- 
den, sind dann aber nicht als I.en reproduzierbar. Als 
Augenblickserzeugnis der -»■ Phantasie verlangt die I. 
vom Ausf iihrenden eine besondere Art und einen hohen 
Grad der Begabung, so daB seine Leistung (in ganz an- 
derer Weise als die eines Interpreten) beim Horer auch 
das Moment des Bewunderns asthetisch ins Spiel bringt. 
- Improvisatorische Momente sind zu alien Zeiten in 
der -*■ Auffiihrungspraxis wirksam gewesen. Daher 
wiederholt sich in der Geschichte der Musik mehrfach 
der Vorgang, daB Elemente aus der I.s-Ebene in die der 
Schriftlichkeit aufgenommen werden. 
In den meisten aufiereuropaischen Hochkulturen gilt 
die tongetreue Wiederholung eines Stiickes als wertlos. 
Das Ausgestalten und Verandern von schriftlos iiber- 
lieferten Melodiemodellen (-> Maqam, -*■ Patet, -»■ Ra- 
ga) geschieht dort jedoch festgelegt durch eine relativ 
strenge Tradition. Es ist bezeichnend, daB den euro- 
paischen Sprachen fiir diese Art der Klangformung 
offenbar kein umfassendes Begriflswort zur Verf ugung 
steht. - In ihrer Friihzeit (9.-11. Jh.) wurde die abend- 
landische Mehrstimmigkeit als -*■ Organum nicht 
schriftlich ausgearbeitet, doch (da ihrem Zustande- 
kommen das Moment der Spontaneitat und Erfin- 
dungsfreiheit ganz fehlt) auch nicht improvisiert, son- 
dern als eine besondere Ausfiihrungsweise des Can- 
tus nach bestimmten Regeln chorisch, spater auch so- 
hstisch aus dem Stegreif ausgefiihrt. Auch neben dem 
Entstehen und Aufbliihen komponierter Mehrstim- 
migkeit seit dem 12. Jh. lebte deren Stegreifausfiihrung 
fort. Ober den extemporierten -*■ Discantus berichtet 



aus der Mitte des 13. Jh. u. a. der Anonymus II (CS I, 
311a: componere et prqferre discantum ex improviso) . Nach 
Tinctoris (1477) kann sowohl der schlichte als auch der 
diminuierte Kontrapunkt nicht nur schriftlich (-»■ Res 
facta), sondern auch aus dem Stegreif (super librum, 
ex mente) ausgefiihrt werden, wobei jede Stimme har- 
monisch nur auf ihr Verhaltnis zum Cantus Rucksicht 
nimmt. Die Kunst der vokalen Stegreifmehrstimmig- 
keit, die in den einzelnen Landern Europas zum Teil 
eine eigene Entwicklung hatte (-> Sight, -> Gymel, 
-> Faburden, -»■ Sortisatio), ist im 15.-17. Jh. von 
Theoretikern beschrieben worden (u. a. von Calvisius 
1592, Zacconi 1622). Der Contrappunto alia mente, 
der in Italien als Stegreifausfiihrung iiber dem grego- 
rianischen Choral spatestens um 1600 aus dem Gottes- 
dienst verdrangt worden war, erlebte im fruhen 17. Jh. 
durch einige Gesangsvirtuosen als solistische I. eine 
Nachbliite. In Frankreich hielt sich der Chant sur le 
livre noch bis ins spate 18. Jh. - Die -*■ Fundamentbii- 
cher des 15. Jh. kniipfen an eine bereits entwickelte I.s- 
Kunst auf Tasteninstrumenten an, die dadurch teilwei- 
se greifbar wird. Auch als »komponierte« Formen ver- 
leugnen z. B. -> Praeludium, -*■ Toccata, -> Ricercar 
nicht ihre Herkunft aus der I. zum Zwecke der -*■ In- 
tonation (- 1) und des Ausprobierens eines Instrumen- 
tes. Die Ende des 16. Jh. einsetzende I.s-Praxis des 
GeneralbaBspiels hat eine ihrer Wurzeln in der Praxis 
der extemporierten Fantasia, wie sie z. B. T. de Santa 
Maria (1565) und G.Diruta (1609) lehrten. - Vokale 
und instrumental Diminutionen bzw. Verzierungen, 
die sich meist »quasi improvisierend« gebarden, kon- 
nen nur soweit als I.en gelten, als sie tatsachlich aus 
spontaner Eingebung beim reproduktiven Musizieren 
erfolgen. Doch wurden Verzierungen oft schematisch 
nach Lehrbiichern und -beispielen ausgefiihrt. Im 17. 
Jh. wurden sie - seit Caccinis Forderung (1601) - auch 
in den Dienst des Ausdrucks (affetto) gestellt und teil- 
weise schon vom Komponisten notiert. Das Variieren, 
das dem Improvisieren eng verbunden ist, wurde be- 
sonders seit dem 16. Jh. in verschiedenen, auf die Kom- 
position ausstrahlenden Formen ausgebildet (-> Va- 
riation, -»• Ostinato). Nach 1700 erreichte die Praxis 
des Verzierens der Da-Capo-Arie ihren Hohepunkt. 
Die der freien I. (nach Art der Fantasie) vorbehaltene 
Stelle in der Arie wie im Konzert ist die -»■ Kadenz (- 2), 
die jedoch seit dem Ende des 18. Jh. zunehmend vom 
Komponisten selbst ausgeschrieben wird. Hier - wie 
schon bei der Diminution bzw. Verzierung - wird in 
die Komposition als Res facta aufgenommen, was zu- 
vor in der I. Usus war, und somit fiir die Auffiihrungs- 
praxis der Abstand zwischen Schrift und Klangbild 
verringert. Im 19. Jh. wuchs der Widerstand gegen 
improvisatorische Ausschmiickung der Komposition 
durch den Interpreten, die schliefilich fast vollig ver- 
schwand. Dem entspricht auch, daB das freie Fanta- 
sieren vor Zuhorern, wie es u. a. fiir J. S. und C.Ph.E. 
Bach, W.A.Mozart, Beethoven, Chopin und Liszt 
riihmend bezeugt ist, heute nur noch ganz vereinzelt 
vorkommt (W.Kempff, Fr. Gulda). Dafiir wurden 
im 19. Jh. als improvisatorisch geltende Merkmale 
abermals zunehmend in die Komposition einbezogen, 
wie freie Formen, -*■ Tempo rubato (Chopin), und 
es entstanden Stiicke, die als I. (Reger op. 18) oder 
-»■ Impromptu bezeichnet wurden. Das seit der Mitte 
des 19. Jh. iibliche Auswendigspielen des Solisten im 
Konzertsaal behielt oft noch die Geste des Improvi- 
sierens bei. Am langsten hielt sich die I.s-Kunst bei den 
Organisten (C.Franck, Bruckner, Dupre); die I. von 
Choralbearbeitung und Fuge gehort noch heute zu je- 
der ziinftigen Organistenprobe. Die neuzeitliche Mu- 
sikerziehung hat sich, nach Vorgangern im 18. Jh. 



391 



Incatenatura 



(Rousseau, Basedow), wieder der I. zugewandt und 
nutzt sie besonders fur die -> Rhythmische Erziehung 
und die musikalische Elementarlehre. 
Seit den 1950er Jahren entstehen Werke (wie das Kla- 
vierstiick XI von K. Stockhausen oder die III.Klavier- 
sonate von P.Boulez), deren Gesamtform nicht festge- 
legt ist. Der Interpret erhalt gleichsam vorgefertigte 
Bauelemente, mit denen er innerhalb der vom Kom- 
ponisten gesetzten Grenzen beliebig verfahren darf. 
Der Gegensatz zwischen I. und Komposition ist im 20. 
Jh. aber weniger in der ->■ Aleatorik aufgehoben, als 
vielmehr in mehrdeutig notierten Kompositionen oder 
in Grafiken, die zu musikalischen Assoziationen anre- 
gen sollen und eine scheinbar vollige Freiheit gewah- 
ren (E. Brown, Folio, 1952-53). - Die Vorherrschaft der 
I. gegeniiber der Komposition gilt seit jeher als eines 
der wesentlichen Merkmale des -> Jazz. Anfanglich 
wurde ohne Noten aus dem Stegreif gespielt, weil viele 
Spieler Noten nicht lesen konnten (oft waren die 
Stiicke aber gut einstudiert und wurden aus dem Ge- 
dachtnis reproduziert). Seit den spiiten 1920er Jahren 
wurde, teilweise unter dem EinfluB von Jazzkritikern, 
die I. im von der europaischen Tradition bestimmten 
Sinn von ausgebildeten Musikern iibernommen, doch 
bildet nach wie vor das -*■ Arrangement den Rahmen 
fiir I.en iiber Tunes (Melodien) in Liedform oder Har- 
moniefolgen (-> Blues), die strophenartig (-»■ Chorus) 
aneinandergereiht werden. 

Lit.: KochL, Artikel Improvisatori u. Improvisieren ; E. 
Jaques-Dalcroze, Le rythme, la musique et l'education, 
Basel 1922, auch engl. u. deutsch; A. M. Richardson, Ex- 
tempore Playing, NY 1922; M. Dupre, Traite d'i. a 1'or- 
gue, Paris 1924; G. F. Wehle, Die Kunst d. I., I— III, Mun- 
ster i. W. 1925-32; Fr. Jode, Das schaffende Kind in d. 
Musik, in: Hdb. d. Musikerziehung, hrsg. v. E. Biicken, 
Potsdam ( 1 93 1 ) ; M. Fischer, Die organistische I. im 1 7. Jh. , 
= Konigsberger Studien zur Mw. V, Kassel 1929; K. G. 
Fellerer, Zur Gesch, d.freienl., Die Musikpflegell, 1932; 
Fr. Dietrich, Elemente d. Orgelchoral-I., Kassel 1935; 
E. T. Ferand, Die I. in d. Musik, Zurich (1939) ; ders., Die 
1., =Das Musikwerk XII, Koln (1956, 21961); ders., G. 
Guerson's Rules of Improvised Counterpoint (ca. 1500), 
Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; 
M. Fritsch, Variieren u. Improvisieren, Kassel 1941; P. 
Aldrich, Bach's . . . Improvised Ornamentation, MQ 
XXXV, 1949; P. Nettl, Casanova u. seine Zeit, EBlin- 
gen 1949 (S. 153); R. Wangermee, L'i. pianistique au de- 
but du 19 e s., Miscellanea musicologica Fl. Van der Mue- 
ren, Gent 1950; I. Horsley, Improvised Embellishment in 
the Performance of Renaissance Polyphonic Music, JAMS 
IV, 1951 ; J. Smits van Waesberghe SJ, Guido of Arezzo 
and Mus. I., MD V, 1951 ; H. Chr. Wolff, Die Gesangsi. 
d. Barockzeit, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; A. Hodeir, Hom- 
ines et problemes du jazz, Paris 1954, engl. als: Jazz, Its 
Evolution and Essence, NY 1956; H. Hucke, I. im Gre- 
gorianischen Gesang, KmJb XXXVIII, 1954; E. Harasz- 
ti, La technique des improvisateurs de langue vulgaire et 
de latin au quattrocento, RBM IX, 1955; P. C Aldrich, 
W. Blankenburg, R. B. Lenaerts, J. Muller-Blattau, 
B. Szabolcsi, H. Chr. Wolff in: Kgr.-Ber. Koln 1958; 
G. Ligeti, Zur III. Klaviersonate v. Boulez, in: Berichte- 
Analysen, = die Reihe V, Wien 1958; B. Hansen, Varia- 
tionen u. Varianten in d. mus. Werken Fr. Liszts, Diss. 
Hbg 1959, maschr.; M. Kagel, Translation - Rotation, 
in: Form - Raum, =die Reihe VII, Wien 1960; A. M. 
Dauer, Jazz - d. magische Musik, Bremen 1961 ; J. Prim, 
Chant sur le Livre in French Churches in the 18 th Cent., 
JAMS XIV, 1961 ; H. A. Low, Die I. im Klavierwerk L. 
van Beethovens, Diss. Saarbriicken 1962; P. Boulez, »So- 
nate, Que Me Veux-Tu ?« in : Perspectives of New Music, 
Princeton (N.J.) 1963. 

Incatenatura (ital.) -> Villota, -> Quodlibet. 

Jncipit (lat., es beginnt; auch tritium), Zitat des An- 
fangs eines literarischen oder musikalischen Textes. Bei 
rnittelalterlichen Traktaten ist die Angabe von I. und 



-» Explicit im allgemeinen unerlaBlich. Sie erlaubt dii 
Identifizierung anonym iiberlieferter Werke und gib 
einen Hinweis darauf, ob eine Schrift vollstandig, in 
Auszug oder in einer Umarbeitung vorliegt. Zu be 
achten ist, daB das I. sehr bekannter Werke auch it 
mehr oder weniger freien Bearbeitungen oft beibehal 
ten ist. Haufig ist dem Textanfang ein Titel vorange 
stellt, der mit dem Wort I. beginnt, z. B.: J. ars cantu 
mensurabilis secundum J. de Muris. Quilibet in arte prac 
tica mensurabilis cantus ... (J. de Muris, Libellus cantu 
mensurabilis, Rom, Bibl. Vat., Ms. Cappon. 206, f 
179; vgl. MGG VII, Tafel 6). Fur das musikalische I 
gibt es verschiedene Zitierweisen. Bei Werken ii 
groBerer Besetzung wird gewohnlich nur die fiihrend 
Stimme wiedergegeben ; Angabe der ausfiihrendei 
Stimmen (oder Instrumente) ist wiinschenswert. Be 
ginnt ein Satz mit Vorspiel, so erscheinen der Anfanj 
des Vorspiels und das I. des Hauptsatzes bzw. der So 
listen- oder Sangereinsatz. - Die Anlage von I.-Kata 
logen ist abhangig von der Art des zu erfassenden Re 
pertoires. -> Thematische Kataloge eines Komponi 
sten (z. B. Kbchel fiir Mozart) geben das I. zweck 
eindeutiger Identifizierung in moglichst authentische 
Fassung. I.-Kataloge eines (wenigstens teilweise) ano 
nymen Repertoires haben ihr fruhestes Vorbild im In 
dex des Kodex Em (-»• Quellen). Ihr Ordnungsprinzi] 
ist die Intervallfolge. Um die Stiicke auf einen Nenne 
zu bringen, werden sie entweder auf den gleichen An 
fangs- oder SchluBton transponiert oder in einen Zah 
lenschliissel umgesetzt, z. B. (Bridgman 1961) : g a b a 1 
= [0] +2 +3 +2 +3; hierbei ist [0] Anfangston de 
Oberstimme, +2 und +3 das Intervall von 2 bzw. '. 
Halbtonen iiber dem Anfangston; der Rhythmus win 
nicht berucksichtigt. 

Lit. : C. Vivell OSB, Initia tractatuum musices . . . , Gra 
1912; H. Walther, Initia carminum ac versuum med; 
aevi posterioris lat., = Carmina medii aevi posteriori 
lat. I, Gottingen u. Zurich 1 959 ; J. Smits van Waesbergh 
SJ, P. Fischer u. Chr. Maas, The Theory of Music fron 
the Carolingian Era up to 1400, I, = RISM B IVi, Miin 
chen u. Duisburg (1961). - H. Barlow u. S. Morgen 
stern, Dictionary of Mus. Themes, NY 1948. - O. Kol 
ler, Die beste Methode, Volks-'u. volksmaBige Liede 
nach ihrer melodischen Beschaffenheit lexikalisch zu ord 
nen, SIMG IV, 1902/03; I. Krohn, Welche ist d. best 
Methode . . . , ebenda ; W. Heinitz, Eine lexikalische Ord 
nung . . ., AfMw III, 1921 ; B. Bart6k, A magyar nepda 
(»Das ungarische Volkslied«), Budapest 1924, deutscl 
Bin 1925, engl. London 1931 ; K. Dezes, Der Mensuralco 
dex d. Benediktinerklosters Sancti Emmerami . . . , Zf M\ 
X, 1927/28; S. B. Hustvedt, Melodic Index of Child' 
Ballad Tunes, = Publications of the Univ. of California a 
Los Angeles in Languages and Lit. I, 2, Los Angeles 193C 
dazu S. P. Bayard in: Journal of American Folklore LV 
1942; W. J. Entwistle, Notation for Ballad Melodies, in 
Publications of the Modern Language Ass. LV, 1940; N 
Bridgman, L'etablissement d'un cat. par i. mus., MD IV 
1950; dies., Nouvelle visite aux i. mus., AMI XXXIII,1961 
J. LaRue u. M. Rasmussen, Numerical I. for Themati 
Cat., Fontes artis musicae IX, 1962; J. Lansky u. W. Suf 
pan, Der neueMelodien-Kat. d. Deutschen Volksliedarch 
ebenda X, 1 963 ; G. Birkner, Eine mus. Katalogisierung c 
neueren deutschen Volkslieds, Zs. f. Volkskunde LX, 1964 

Indianermusik. Die Ureinwohner des amerikani 
schen Erdteils sind zwar rassisch recht einheitlich, doc] 
kulturell verschieden und sprachlich zersplittert. Ihr 
Musik als ein Kulturelement, das von der Sprach 
wesentlich abhangt, zeigt daher eine Fiille von Dia 
lekten. Die gemeinsamen Merkmale aller I. sind: da 
Uberwiegen der vokalen gegeniiber der instruments 
len Musik und demgemaB eine relative Armut an Mu 
sikinstrumenten. Chorlieder, bis auf geringe Ausnah 
men einstimmig, sind haufiger als Sologesange. Liede 
und Tanze sind stammeseigener Besitz und meist Be 



392 



Indianermusik 



standteil und Hauptinhalt von kultischen Zeremonien. 
Die formalen Unterschiede sind groB, die klanglichen 
gering. Der Bewegungscharakter ist gemessen, ernst, 
pathetisch, der Stimmklang rauh, oft gepreBt, zuwei- 
len leidenschaf tlich verhalten. Der Aufbau der Gesange 
ist regelmaBig und strophisch. Die Melodik ist mit ge- 
ringen Ausnahmen weitraumig und vielgestaltig, die 
Rhythmik pragnant. Melodische Gestalt und Gestal- 
tung sind liednaft und stehen den abendlandischen 
Volksmusikstilen naher als etwa af rikanische ->■ Neger- 
musik. - Deutlich heben sich, wenn man von den 
nichtindianischen Eskimos im auBersten Norden des 
Kontinents absieht (->• Eskimo-Musik), zwei groBe 
Stilkomplexe heraus, die durch die Zweiteilung des 
Kontinents gegeben sind. 

Die.Musik der Indianer in Nordamerika ist die am 
besten bekannte Musik aller Naturvolker, da sie der 
Beobachtung durch amerikanische Forscher leicht er- 
reichbar ist. Die KongreBbibliothek in Washington 
sammelt auf Walzen, Schallplatten und Bandern die 
Musik der in den USA noch lebenden Indianerstam- 
me, manche Universitaten und Museen des Landes be- 
sitzen gleichfalls Archive und Forschungsstatten. Uber- 
wog anfangs der Eindruck einer stilistischen Einheit- 
lichkeit der nordamerikanischen I., so sind heute (nach 
Br.Nettl) 6 Stilkreise zu unterscheiden: 1) Die Gesange 
der Indianer der Nordwestkiiste und der Selisch-In- 
dianer der Staaten Washington und Oregon ahneln in 
ihrem primitiven Bau denen der nordlich angrenzen- 
den Eskimos. Ihre Melodiezeilen sind aus Reihungen 
und Veranderungen kleiner Motive gebildet. Rhyth- 
mik und Metrik sind komplizierter, das Instrumen- 
tarium etwas reicher als das der zentraleren Stamme. 
Nordwestkiiste (Makah) 



j = Kalifornien (Yuma) 




Aus Fr. Densmore, Nootka and Quileute 
Music ...,1939. 
Gesange fallen auf durch die expressive, stark akzentu- 
ierende Vortragsweise mit bellenden Einsatzen und 
tonschwachem Pulsieren der Stimme sowie durch um- 
fangreiche Strophen und groBraumiges Melos, das von 
einem hohen, oft im Falsett intonierten Spannungs- 
niveau terrassenformig bis an die untere Grenze des 
Stimmbereichs absinkt. DieMelodien werden gewohn- 
lich zuerst auf sinnlosen Silben gesungen, danach mit 
dem zugehorigen Text wiederholt. 

Prarie- Indianer (Arapaho) 

J = 152, Trommel dazu J = 200 




Manner 





Aus Fr. Densmore, Yuman and Yaqui Music ..., 1932. 
2) Die Great-Basin-Stamme der kalifornischen Wiiste, 
Oregons, Nevadas und Utahs sind Nomaden, die von 
der Jagd leben. Ihre Strophenlieder haben tetrachorda- 
le Leitern im Umfang einer Quinte oder Sexte und 
Strophen aus 2 oder 3 selbstandigen Teilen, die jeweils 
wiederholt werden. Instrumente sind kaum vorhan- 
den, auch nicht die sonst allgemein verbreiteten Trom- 
meln. 3) Trotz kultureller Unterschiede bilden die Na- 
vahos und Apachen im Sudwesten der USA einen mu- 
sikalischen Stilkreis, dessen auffallendstes Merkmal der 
schlichte, 2teiUge Rhythmus ist, der nur einen langen 
und einen kurzen Wert kerint. Die Melodien der Apa- 
chen sind schlichter als die der Navahos, die starker von 
den benachbarten Pueblos beeinfluBt scheinen. 4) Ent- 
wickeltere Melodik zeigen die Gesange der Stamme 
des mittleren und siidlichen Kalif orniens und der Yuma- 
Gruppe in Stid- Arizona (siehe folgendes Beispiel). Die 
Strophen haben mehrere Teile, deren mittlerer auf ei- 
ner hoheren Tonlage intoniert wird. 5) Am bekannte- 
sten ist die Gruppe der Prarie- und Pueblo-Indianer. Ihr 
Verbreitungsgebiet reicht von den groBen Seen im 
Norden bis nach Arizona im Siiden der Staaten. Ihre 



Nach Br.Nettl, Stylistic Variety . . ., 1953. 
6) Die Indianer im Osten des Kontinents leben schon 
seit Jahrzehnten nicht mehr in geschlossenen Stammes- 
verbanden. Ihre bis auf kargliche Spuren verschollene 
Musik hatte wellenformige Melodik und unregelma- 
Big gebaute Strophen aus kleinen, in der Wiederkehr 
variierten Motiven, die im Wechsel von Vorsanger 
und Chor vorgetragen wurden. - Musikinstrumente 
treten bei den nordamerikanischen Indianern fast nur 
in Verbindung mit Gesang und Tanz auf. Als selbstan- 
diges Melodieinstrument existiert nur eine Kernnote 
in Art des Flageoletts, die als Liebeszauber bei den 
Omahas u. a. verwandt wird. Die auf ihr gespielten Me- 
lodien heben sich von den sonstigen Zeremonialgesan- 
gen merklich ab. Rasselgehange dienen als tonender 
Schmuck der Tanzer und unterstreichen den Rhythmus 
der Tanzschritte, andere Rasseln verschiedener Form 
werden in den HSnden gehalten; sie gelten als Zauber- 
instrumente, besonders bei der Krankenheilung. Der 
Magie dienen auch die artenreichen Trommeln, iiber- 
wiegend Felltrommeln, die stets mit Stocken, nie mit 
der Hand geschlagen werden. Ihr Rhythmus ist oft von 
dem der Gesangsstimme unabhangig. 
Starker als in Nordamerika sind in Mittel- und Siid- 
amerika die indianischen Ureinwohner mit den euro- 
paischen Eroberern und Siedlern kulturell und rassisch 
verschmolzen. Reinrassige und kulturell unbeeinfluBte 
Indianerstamme gibt es im ganzen iberoamerikani- 
schen Kulturbereich nur noch in den abgelegensten 
Gebieten, vor allem in den undurchdringlichen Ur- 
waldern Brasiliens. Im Gegensatz zu Nordamerika 
werden ihnen weder Reservate zur Verf iigung gestellt, 
noch werden sie sonst staatlich betreut; ihre Kultur 
und ihre Musik sind auch kaum systematisch erforscht. 



393 



Indianermusik 



Die kulturellen Unterschiede zwischen den Stammen 
sind in Lateinamerika noch groBer als im Norden, ent- 
sprechend auch die Stilunterschiede in der Musik. Im 
allgemeinen bietet sich das bei Naturvolkern iibliche 
Bild: ein festes Repertoire von Festgesangen und -tan- 
zen zu den religios bestimmten Jahreszeiten-, Ernte-, 
Jagd-, Kriegszeremonien- und Krankenkuren, daneben 
einige Gesange und Tanze und auch Instrumental- 
stiicke, die der Belustigung dienen, sowie ein beschei- 
denes, bei den verschiedenen Kulturgruppen aber recht 
unterschiedliches Instrumentarium. Neben diesen Pri- 
mitivschichten gab es in Lateinamerika zur Zeit der 
Eroberung durch Spanier und Portugiesen Hochkul- 
turen, die sich in den Andengebieten Perus, Kolum- 
biens, Ekuadors sowie in Mittelamerika und in Mexiko 
erst in neuerer Zeit entwickelt hatten und zum Teil 
noch in der Entfaltung standen, als die europaischen 
Eroberer sie vernichteten. Unsere Kenntnis iiber die 
hochentwickelte Musikkultur der Inkas, Chibchas, Az- 
teken, Mayas u. a. stiitzt sich auf Funde, Ausgrabungen, 
Darstellungen in Stein und Ton und in den Bilder- 
handschriften sowie auf Berichte der Europaer iiber 
die zur Zeit der Eroberung noch intakten Kulturen. 
Auch hier war Musik Teil des kultischen Lebens, stand 
aber nicht ausschlieBlich im Dienste der Religion. Wie 
alles, war auch dasMusikleben staatlich geordnet. GroB 
war der Reichtum an Gesangen und Musikarten, be- 
deutend die Zahl und die KunstmaBigkeit der Instru- 
mente, die zum Teil auch ohne vokale Mitwirkung 
gebraucht wurden, so vor allem Trommeln aller Ar- 
ten und GroBen, darunter auch die in Nordamerika 
nicht heimische Schlitztrommel. Melodief ahige Instru- 
mente sind fast ausschlieBlich Blasinstrumente: Floten, 
meist paarweise gebraucht, Okarinas aus Ton in Tier- 
oder Menschengestalt, Horner oder Trompeten aus 
Tierhorn, Meeresschnecken, Holz, Ton oder Gold und 
zahlreiche Arten der Panpfeife. Wahrend bei den Flo- 
ten die Anordnung der Grifflocher nach metrischen 
Gesichtspunkten erfolgte (gleiche Abstande), sind die 
Panpfeifen meist in musikalisch brauchbaren Tonfol- 
gen gestimmt und weisen auf das Vorhandensein eines 
Tonsystems. - Die Musik der heutigen Indianer in den 
Gebieten der untergegangenen mittel- und siidameri- 
kanischen Hochkulturen ist, soweit nicht schon vollig 
europaisiert, diejenige entwickelterer Naturvolker. 
Sie enthalt jedoch Elemente, die auf die Hochkulturen 
zuriickweisen. Auch die Musik benachbarter India- 
nervolker im Ausstrahlungsbereich der einstigen Hoch- 
kulturen bewahrt solche Uberlieferungsreste. So sind 
vor allem die Musikinstrumente der andinen Hoch- 
kulturen in Sudamerika weit iiber den einstigen Aus- 
breitungsbezirk hinaus verstreut, besonders die Pan- 
pfeife, die nur im auBersten Suden wie in Nordamerika 
fehlt. Der Musikbogen, in Sudamerika heimisch, wird 
auch bei Volkern angetroffen, die nicht von Einfliissen 
der Hochkulturen erreicht wurden. Auch die Schlitz- 
trommel findet sich bei den primitiveren Volkern Siid- 
amerikas, auBerdem der Tanzbalken, das Stampfbrett 
und das Schwirrholz, Instrumente, die bei den Hoch- 
kulturen nicht vorhanden waren. Wie in Nordamerika 
ist das musikalische Brauchtum mit der Ausiibung 
kultisch-magischer Zeremonien verkniipft. Profane 
Musik ist selten und meist erst als Folge des Kulturzer- 
falls aufzufassen; oft werden Kultgesange und -tanze 
der Nachbarstamme zur Belustigung aufgefiihrt. Die 
primitivsten Stile finden sich bei den auch anthropo- 
logisch und kulturell altertiimhchsten Stammen, den 
Feuerlandern und einigen Inlandsstammen des tropi- 
schen Urwaldmassivs, wie den Uitotos: engstufiges 
Melos mit wenigen Tonstufen und geringe Variabili- 
tat der Gestalten. 



Feuerland (Yamana) 



J = 100 



Fine 

AusE.M.v.Hornbostel, The Music of the 

Fuegians, 1958. 

Die groBe Masse der sudamerikanischen Indianervol- 

ker hat eine entwickeltere Musik mit gestaltreichem 

Melos, vielzeiligen Strophen und groBerem Ambitus. 

I Patagonien (Tehuelche) 




Aus R. Lehmann-Nitsche, Patagonische 
Gesange ...,1908. 
Im Bereich der alten Inka-Kultur findet sich auch in 
vokaler Musik haufig halbtonlose Pentatonik, die die 
herrschende Instrumentalstimmung der Inkas gewesen 
zu sein scheint. Die Indianer im Bereich der nordliche- 
ren andinen Hochkulturen haben, wie die Arhuacos in 
Kolumbien, recht entwickelte Musikstile. Ihre Gesan- 
ge zeigen weitgeschwungene Melodik, oft terrassen- 
formig absteigend, groBen Ambitus mit diatonischen 
Leitern, reich gegliederte Strophen, ausgepragte, un- 
terschiedliche Gestalten, komplizierte Rhythmen und 
einen pathetischen Vortragsstil mit Falsettgebrauch 
und Pulsationen. 

Kolumbien (Arhuacos) 




Aus Fr. Bose, Die Musik der Chibcha ..., 1958. 
Die Ubereinstimmung mit den Stilen der Pueblo- und 
Prarieindianer Nordamerikas ist auffallig und auf den 
EinfluB gleicher oder verwandter Hochkulturstile zu- 
riickzufuhren. In neuerer Zeit durchsetzt sich auch die 
I. Lateinamerikas stark mit Elementen der europai- 
schen Musik; die meisten heutigen Indianer sind mu- 
sikalisch vollig assimiliert. Beachtlich ist auch der Ein- 
fluB der Neger, die in Siid- und Mittelamerika einen 
wesentlichen Bestandteil der Bevolkerung bilden und 
mit der indianischen wie mit der weiBen Bevolkerung 
rassisch vermischt sind. 

Lit. : zu Nordamerika: Th. Baker, Ober d. Musik d. nord- 
amerikanischen Wilden, Lpz. 1882; A. C. Fletcher, A 
Study of Omaha Indian Music, Cambridge (Mass.) 1 893 ; 
Fr. R. Burton, American Primitive Music, NY 1909; Fr. 
Densmore, The American Indians and Their Music, NY 
1926; dies., Yuman and Yaqui Music, = Smithsonian 
Institution, Bureau of American Ethnology, Bull. Nr 110, 
Washington 1932; dies., Nootka and Quileute Music, 
ebenda 124, 1939 (weitere Publikationen ders. Autorin 
ebenda45,53,61,75,80,90, 102, 136, 191CM3); dies., Mu- 
sic of the Maidu Indians of California, = Frederick Webb 
Hodge Anniversary, Publication Fund VII, Los Angeles 
1958 ; G. Herzoo, Mus. Styles in North America, in: Pro- 
ceedings of the 23 rd International Congress of Americanists, 



394 



Indische Musik 



NY 1928; ders., Special Song Types in North American 
Indian Music, Zs. f. vergleichende Mw. Ill, 1935; J.deAn- 
gulo u. M. Beclard-d'Harcourt, La musique des In- 
diens de la Californie du Nord, Journal de la Soc. des Ame- 
ricanistes, N. F. XXIII, 1931; H. H. Roberts, Form in 
Primitive Music, NY 1933; dies., Mus. Areas in Aborigi- 
nal North American Indian Music, = Yale Univ. Publi- 
cations in Anthropology XII, New Haven (Conn.) u. Lon- 
don 1936; dies., Songs of the Nootka, Philadelphia 1955 ; 
W. N. Fenton, Songs from the Iroquois Longhouse, Wa- 
shington 1942; D. P. McAllester, Peyote Music, NY 
1949; ders., Enemy Way Music, Cambridge (Mass.) 1954; 
ders., The Role of Music in Western Apache Culture, in: 
Men and Cultures, Fifth Congress of Anthropological and 
Ethnological Sciences, Philadelphia (1960); Br. Nettl, 
Stylistic Variety in North American Indian Music, JAMS 
VI, 1953; ders., North American Indian Mus. Styles, 
Journal of American Folklore LXVII, 1954; ders., Mus. 
Volkerkunde in Amerika, Mf IX, 1956; ders., Polyphony 
in North American Indian Music, MQ XLVII, 1961 ; W. 
Rhodes, North American Indian Music in Transition, 
Journal of the International Folk Music Council XV, 
1963. 

zu Mittel- u. Sudamerika: R. Lehmann-Nitsche, Pata- 
gonische Gesange u. Musikbogen, Anthropos III, 1908; 
O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Phonographierte 
Indianermelodien aus Britisch-Columbia, Sammelbde f. 
vergleichende Mw. 1, 1922; Ch. W. Mead, The Mus. Instr. 
of the Incas, Anthropological Papers of the American Mu- 
seum of Natural Hist. XV, 1924; R. u. M. d'Harcourt, 
La musique des Incas et ses survivances, Paris 1925; dies., 
La musique des Aymara, Journal de la Soc. des America- 
nistes, N. F. XLVIII, 1959; Fr. Densmore, Music of the 
Tule Indians of Panama, = Smithsonian Miscellaneous 
Collections LXXVII, 11, Washington 1926; Fr. Bose, Die 
Musik d. Uitoto, Zs. f. vergleichende Mw. II, 1934; ders., 
Die Musik d. Chibcha u. ihrer heutigen Nachkommen, In- 
ternationales Arch. f. Ethnographie XLVIII, 1958; K. G. 
Izikowitz, Music and Other Sound Instr. of the South 
American Indians, = Goteborgs Kungl. Vetenskaps- och 
Vitterhets-Samhalles Handlingar V. A, 5, Nr 1, Goteborg 
1935; L. H. Correa de Azevedo, Escala, ritmo e melodia 
na musica dos indios brasileiros, Rio de Janeiro 1938; R. 
Gallop, The Music of Indian Mexico, MQ XXV, 1939; E. 
M. v. Hornbostel, The Music of the Fuegians, Ethnos 
XIII, 1948; S. L. Moreno, Musica y danzas autoctonas del 
Ecuador, Quito 1949; ders., La musica de los Incas, Quito 
1957 ; C. W. Gould, An Analysis of the Folk Music in the 
Oaxaca and Chiapas Areas of Mexico, Diss. Northwestern 
Univ. (111.) 1954; J. Viogiano Esain, La musicalidad del os 
Tupi guarani, = Publicaciones de l'Univ. Nacional de C6r- 
doba, Inst, de Arqueologia, Linguistica y Folklore »Dr. 
Pablo Cabrera« XXV, Cordoba 1954; S. Mart!, Instr. 
mus. precortesianos, Mexico 1955; ders., Canto, danza y 
musica precortesiano, Mexico 1959. FB 

Indische Musik. Der EinfluB der I.n M. erstreckt sich 
in den vorderen Orient und weit in den Osten bis nach 
Japan, im Siiden auf den malaiischen Archipel, im 
Norden iiber Tibet hinaus nach Zentralsibirien. Die 
Kontakte mit den Nachbarvolkern setzen schon in 
vorgeschichtlicher Zeit ein und sind in Agypten und 
Mesopotamien bereits vor dem Eindringen der Inder 
in den heutigen Siedlungsraum nach der Mitte des 2. 
vorchristlichen Jahrtausends nachweisbar. Um diese 
Zeit beginnt auch die datierbare Musikgeschichte In- 
diens mit den vedischen Buchern (veda, Wissen), 4 
groBen Sammlungen religioser Dichtung, deren erste 
und alteste {Rigveda), eine Sammlung liturgischer Re- 
zitationen (ohne Melodien) in 10 Biichem, zum Teil 
schon vor der Einwanderung der Indoarier nach In- 
dien entstanden sein soil. Auch die 3 anderen Veden 
enthalten Materialien £iir den Kult {S&maveda, Athar- 
vaveda, Yajurveda). Der in den letzten vorchristlichen 
Jahrhunderten entstandene 5. Veda (N&tyaveda) enthalt 
Gesange und einen AbriB der Musiklehre. Er ist in dem 
Lehrbuch der Theaterkunst (Ndtyashdstra) von Bharata 
enthalten, der dort eine knappe Darstellung der sakra- 



len wie der profanen Kunstmusik Indiens gibt. Auch 
die weltliche Musik Altindiens beruht auf den alteren 
Oberlieferungen des Rigveda und des SAmaveda, wurde 
aber bereits (3.-2. Jh. v. Chr.) von den Traditionen der 
unteren Kasten und der nichtarischen Ureinwohner 
beeinfluBt. Mit dem Kult des nichtarischen Gottes 
Shiva gelangte eine sinnenfrohere Richtung neben der 
ernsten Wiirde des vedischen Kultes in die I. M. In 
den Schriften von Matanga und Dattila (1. Jh. n. Chr.) 
wird die Musik nach den von Bharata niedergelegten 
Regeln behandelt, doch wird zwischen Kultmusik und 
hofischer Kunstmusik strenger unterschieden, die hier 
deshi (Musik des Landes) genannt wird. Dieser Begriff 
bedeutete allgemein Unterhaltungsmusik, wahrend die 
Kunstmusik marga hieB (Sangttadarpana, »Spiegel der 
Musik«, von Damodara, 17. Jh.). Die Hauptquelle der 
indischen Musiklehre nach Bharata ist das Sangtta- 
ratn&kara (»Ozean der Musik «) von Sharugadeva (13. Jh.) . 
Im 14. Jh. begann die Spaltung der bis dahin einheit- 
lichen Kult- und Hofmusik in zwei selbstandige Stil- 
kreise; der Norden des Landes geriet unter den EinfluB 
des Islams und der arabisch-persischen Musik, wahrend 
der Suden die alten Oberlieferungen weiterentwickel- 
te. Mit dem Schwinden des Sanskrits als lebendiger 
Volkssprache um 1500 wurde auch die auf den Sans- 
krituberlieferungen aufbauende Kult- und Hofmusik 
immer mehr zu einer Kunst der Gebildeten und Ge- 
lehrten. Ihre durchjahrhunderte kaum veranderte Form 
erlosch erst in der Neuzeit mit der Auflosung der Feu- 
dalherrschaft; erst in jiingster Zeit gibt es uriter staatli- 
cher Forderung Ansatze zu einer Neubelebung. 
Von der klassischen altindischen Musik hat sich die 
vedische Kultmusik bis heute erhalten. Melodien und 
Vortrag von Rig und Saman werden streng unterschie- 
den. Der magische Gehalt der Rigveda-Texte haftet an 
den Worten, die deshalb die musikalische Gestalt be- 
stimmen: eine feierliche Rezitation mit 3 Akzenten, 
denen 3 verschiedene Tonhohen entsprechen. Die me- 
trisch nicht geghederte, syllabisch deklamierte Melodie 
pendelt um einen Zentralton Udatta (der »Gehobene«), 
sinkt um einen Ganzton zum Anudatta (der »Nichtge- 
hobene«) oder erhebt sich um einen Ganz- oder Halbton 
zum Svarita (der »Stimmhabende«). Ob eine Silbe die- 
sen oder jenen Akzent erhalt, hangt von ihrer Wort- 
und Satzstellung ab, melodieahnliche Gestalten entste- 
hen auf dieseWeise nicht. Das ist dem Saman vorbehal- 
ten, bei dem sich die Melodie weitgehend vom Wort 
gelost hat und ein Eigenleben fiihrt. Durch Einfiigen 
sinnloser Silben wird der Text zerrissen, er wird un- 
verstandlich und kann auch ganz fehlen. Der Saman 
wird auch nicht zu den taglichen Opferriten, sondern 
nur zu bestimmten grofien und seltenen, besonders hei- 
ligen Zeremonien benutzt und wird geheimgehalten. - 
Die Darstellung der Musiklehre von Bharata diirfte 
bereits auf eine seit langem bestehende Tradition zu- 
riickgehen. Die beiden Tonsysteme sind siebenstufige 
Leitern im Oktavumfang aus Halbtonen, kleinen und 
groBen Ganztonen. Die SchrittgroBe dieser 3 Inter- 
valle wird bereits bei Bharata so definiert, daB der 
Halbton aus 2, der kleine Ganzton aus 3 und der groBe 
Ganzton aus 4 Kleinintervallen (shruti) aufgebaut ist. 
Addiert man die Tonstufen jeder der beiden Skalen 
(grama), so erhalt man 22 Shruti in der Oktave. Die 
Minimalintervalle, die etwas groBer als Vierteltbne 
sind, werden also nicht durch Teilung der Oktave ge- 
wonnen und sind auch nicht mathematisch bestimmt. 
Nach dem Anfangston heiBen die beiden Skalen sa- 
grama und ma-grama. Die Stufennamen (als Noten- 
bezeichnung auf ihre 1. Silbe gekiirzt) sind in beiden 
Leitern identisch, aber die SchrittgroBe der Stufen ist 
in ihnen verschieden. Pa ist im sa-grima als 5. Stufe 



395 



Indische Musik 



ein groBer, im ma-grama als 2. Stufe ein kleiner Ganz- 
ton; dha im sa-grama ein kleiner und im ma-grama 
ein groBer Ganzton. 

. sa ri ga ma pa dha ni 
sa-grama . 1 ! ' 1 ) ! . 

ma-grama : 



pa 



dha 



ga 



Im sa-grama ist der 3. Schritt ein Halbton, so daB er 
im Kleinterzabstand zum Grundton steht, im ma-gra- 
ma ein groBer Ganzton. Auf jeder der 7 Tonstufen 
werden nun Tonleitern modalen Charakters aufge- 
baut, wobei 4 dem sa-, 3 dem ma-grama entnommen 
sind. Aber auch diese modalen Leitern (murchana) 
sind nur das Rohmaterial fiir die tatsachlich gebrauch- 
ten Modi (jati), zu deren Kennzeichnung noch An- 
fangston, Zentralton und Finalis der Melodie, die Bin- 
nenkadenz, Lage des Modus gegeniiber dem Grund- 
ton des Systems und die Stufenzahl der Leiter gehoren. 
Bharata unterscheidet 7 reine Jatis, die den erwahnten 
7-Murchanas entsprechen und stets heptatonisch sind 
(shaddhajati), gleich den griechischen Modi, und 11 
gemischte (vikrtajati), die aus 2 oder mehr der reinen 
Jatis zusammengesetzt sind. Nach der Funktion der 
einzelnen Leitertone ergeben sich weitere Modifikatio- 
nen, die spater zur Ausbildung des -»• Raga-Systems 
fiihren. - Nach der Islamisierung des Nordens ging 
auch die Musiklehre getrennte Wege. An den Hbfen 
der Mogulen wird von mohammedanischen wie Hin- 
du-Musikern im wesentlichen das iiberlieferte System 
beibehalten und ausgebaut. In Siidindien flieBen viele 
Charakterziige der dravidischen Unterschichten in die 
reine Hindumusik ein. Es fehlt nicht an Versuchen, Sy- 
stem in die uniibersehbare Mannigfaltigkeit der Gestal- 
ten zu bringen. Das gelang am vollstandigsten Venka- 
tamakhin, der Anfang des 17. Jh. die 18 Jatis Bharatas 
oder Gramaragas Sharugadevas (13. Jh.) durch ein 
System von 72 Grundtonreihen (melakarta) ersetzte, 
das wie bei Bharata auf 2 Ausgangstonsystemen auf- 
baut, deren Unterschied jetzt allerdings nicht die groBe 
oder kleine Terz, sondern die reine oder iibermaBige 
Quarte ist. Die stets 7stufigen Skalen sind so geordnet, 
daB jeweils 6 mit gleichem unterem Tetrachord eine 
Gruppe bilden (cakra). Jeder Melakarta ist dann wieder 
die Grundlage einer Reihe von Ragas und Raginis, je 
nach der Funktion der Leitertone in der Melodie. Frei- 
lich werden in der Praxis langst nicht alle Melakartas 
gebraucht, aber trotz seiner spekulativen Konstruktion 
ist dieses System bis heute die theoretische Grundlage 
der siidindischen Musik. Die melodische Gestaltung ist 
prinzipiell einstimmig, vokale Ausfiihrung herrscht 
vor, die Instrumente wirken urspriinglich nur als rhyth- 
mische und melodische Stiitze des Gesangs mit. Alle 
Stiicke werden zunachst von einem Vorspiel (alapa) 
eingeleitet, in dem der Solist ohne jede Begleitung die 
Horer mit dem Riga oder Ragini vertraut macht. Da- 
nach erst f olgt, nun stets von Trommeln begleitet, das 
eigentliche Stuck. Weitere mitwirkende Instrumente 
haben nur die Rolle eines Borduns auf den Haupt- 
tonen des Raga. GroBere Ensembles gibt es in der 
klassischen I.n M. nicht. - Die alte erhabene Musik 
(marga) kannte nur 3 rhythmische Werte: laghu 
(leicht), guru (schwer), pluta (gedehnt). In der spateren 
deshi-Musik kamen noch 2 kurze Werte hinzu: druta 
und anadruta. Fiir diese Zeitwerte gibt es Schriftsym- 
bole, ahnlich unseren Mensuralnoten. Ein Punkt ver- 
langert den Notenwert um die Halfte, so daB neben 
binaren auch ternare und aus beiden kombinierte, z. B. 
5- und 7teilige Takte vorkommen. 3 oder (meistens) 
4 solcher Takte, die jedoch nicht selbstandig gedacht 
sind, bilden eine Einheit (tala), die wiederum viermal 
hintereinander auftritt. In Nordindien gibt es zahllose 



Talas, die ohne Ordnung wie die Ragas nebeneinander 
bestehen, wahrend der Siiden auch fiir die Rhythmik 
ein System von 35 Talas mit 7 Grundformen und je 5 
Abarten entwickelt hat. Die eine Hand des Trommlers 
gibt das Grundschema, die andere spielt bereits eine Ge- 
genstimme, zu der noch die Stimme des Solisten als 
dritte rhythmische Komponente hinzukommt. 
Die Instrumente werden schon bei Bharata in 4 Klassen 
eingeteilt. In der Klasse der Idiophone kommen Glock- 
chen und Zimbeln auBer im Kult auch in der welt- 
lichen Kunstmusik und natiirlich im Kunsttanz zur 
Unterstreichung des Rhythmus vor. Von Membrano- 
phonen gibt es viele Arten von Trommeln. Bei Doppel- 
felltrommeln stimmt man das 2. Fell in der Oktave, 
Quinte oder auch Quarte des Grundtons. Meist be- 
nutzt man jedoch 2 verschieden gestimmte Trommeln. 
Es wird mit den Fingern oder dem Handballen ge- 
schlagen, auf die Mitte oder den Rand der Membran. 
Das ergibt einen groBen Reichtum an Abstufungen. 
Jeder Trommelschlag hat seinen Namen, so daB ein 
Trommelstiick auch gesprochen oder niedergeschrie- 
ben werden kann. Wie bei der Trommelstimme, so 
gehort die Vielfalt an Schattierungen und Verzierun- 
gen auch der Melodie zum Charakter der I.n M. Un- 
ter den Saiteninstrumenten uberwiegen die gezupften 
(-»■ Vina, -> Sitar). Der aus Persien stammende Sarod 
mit bundfreiem Steg und wenigen Bordunsaiten ge- 
hort in die Lautenfamilie wie auch die Tambura, die 
4 Saiten hat, die in den Haupttonen des Raga gestimmt 
werden und stets leer zur Stutzung der Melodie als 
Bordun erklingen. Die jiingeren Streichinstrumente 
gehoren mehr der Volksmusik an. An Blasinstrumen- 
ten gibt es Quer- und Langsfloten sowie eine Schalmei 
(shannai) arabischer Herkunft, die stets paarweise auf- 
tritt. Der Dudelsack und ein Rohrblattinstrument mit 
Windkapsel (bin), das von Schlangenbeschworem be- 
nutzt wird, gehoren in die Volksmusik. Diese ist in 
einem so groBen, aus so verschiedenen Sprach- und 
Rassengruppen gemischten Gebiet naturgemaB auBer- 
ordentlich artenreich. Da die Kunstmusik das Privileg 
der hochsten Kasten und nur dem gelehrten Kenner 
verstandlich war, bestand neben ihr zu alien Zeiten 
eine bliihende Volksmusik. - Die Begegnung mit der 
Musik des Abendlandes hat in Indien zu einem Chaos 
gef iihrt, aus dem erst schwache Ansatze zu einer neuen 
nationalen Musikkultur erkennbar sind. Die Unver- 
einbarkeit des einheimischen Tonsystems mit dem 
europaischen steht einer echten Verschmelzung ent- 
gegen. R. Tagore hat als erster versucht, zu seinen Ge- 
dichten eine Musik zu schaffen, die im Sinne des abend- 
landischen »Liedes« dem Wort wieder einen starkeren 
Anteil an der Komposition einraumt. Sein Vorgehen 
hat Schule gemacht und eine neue, volkstiimliche Mu- 
sikgattung einstimmiger begleiteter Solo- und Chor- 
lieder ins Leben gerufen. Rundfunk und Tonfilm in 
Indien bevorzugen diesen neuen Stil. 
Lit. : Ch. R. Day, The Music and Mus. Instr. of Southern 
India and the Deccan, N Y u. London 1 89 1 ; E. Felber u. B. 
Geioer, Die I. M. d. vedischen u. klass. Zeit, Wien 1912; 
R. Simon, Die Notationen d. vedischen Liederbiicher, Wie- 
ner Zs. f. d. Kunde d. Morgenlandes XXVII, 1913; A. H. 
Fox Strangways, The Music of Hindostan, Oxford 1914, 
NachdruckNY1966,dazuR.Lachmannin:AfMwVI,1924, 
S. 4841T.; C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indonesiens, 
Bin 1 9 1 5, 2 1 923; H. A. Popley, The Music of India, London 
1 92 1 ; O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Phonographier- 
te indische Melodien, Sammelbde f. vergleichende Mw. I, 
1922; B. Breloer, Die Grundelemente d. altindischen Mu- 
sik nach dem Bhaara-tiya-natya-sastra, Diss. Bonn 1922; 
E. Rosenthal, The Story of Indian Music and Its Instr., 
London (1928); A. A. Bake, Indian Music, London 1932; 
ders., Der Begriff Nada in d. I. M., Kgr.-Ber. Basel 1949 ; 
ders., Some Aspects of the Development of Indian Music, 



396 



Initium 



Proc. R. Mus. Ass. LXXVI, 1949/50; ders., Die beiden 
Tongeschlechter bei Bharata, Kgr.-Ber. Luneburg 1950; 
ders., The Music of India, in: The New Oxford Hist, of 
Music I, London 1957; E. M. v. Hornbostel u. R. Lach- 
mann, Das indische Tonsystem bei Bharata u. sein Ur- 
sprung, Zs. f. vergleichende Mw. I, 1933; H. L. Roy, Pro- 
blems of Hindustani Music, Kalkutta 1937; A. Majum- 
dar, Die nordindische Musik d. Gegenwart, Diss. Konigs- 
berg 1941, maschr.; Cl. Marcel-Dubois, Les instr. de 
musique de PInde ancienne, Paris 1941 ; A. Danielou, 
Northern Indian Music, 2 Bde, London u. Kalkutta 1949- 
54; ders., A Cat. of Recorded Class, and Traditional In- 
dian Music (engl. u. frz.), o. O. o. J. (UNESCO 1951); 
P. Sambamoorthy, South Indian Music, 5 Bde, Madras 
1951-56; ders., A Dictionary of South Indian Music and 
Musicians, 2 Bde, Madras 1952-59 ; Fr. Bose, I. M., Atlan- 
tis XXVI, 1 954 ; ders., Volksmusik in Indien, Musica VIII, 
1954; O. Gosvami, The Story of Indian Music, Bombay 
1957; L. Frederic, La danse sacree de PInde, Paris 1957; 
S. Swarup, The Arts and Crafts of India and Pakistan, 
Den Haag 1958; Sw. Prajnananda, The Hist. Develop- 
ment of Indian Music, London 1960; H. Husmann, 
Grundlagen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 
1961;T. V. S. Rao, Studies in Indian Music, London 1962; 
Bh. A. Pingle, Hist, of Indian Music, Kalkutta 31963. FB 

Indonesien. 

Lit.: C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. I., Bin 1915, 
21923; J. Kunst u. C. J. A. Kunst-Van Wely, De toon- 
kunst van Bali, Weltevreden 1925; W. Kaudern, Mus. 
Instr. in Celebes, = Ethnographical Studies in Celebes III, 
Goteborg 1927; J. Kunst, Hindoe-javaansche muziek- 
instr., = Studien over javaansche en andere indonesische 
muziek II, Weltevreden 1927; ders., De toonkunst van Ja- 
va, 2 Bde, Den Haag 1934, engl. als: Music in Java, 2 Bde, Den 
Haag 1949; ders., Ein musikologischer Beweis f. Kultur- 
zusammenhange zwischen I. ... u. Zentral-Afrika, An- 
thropos XXXI, 1936; ders., The Cultural Background of 
Indonesian Music, = Publications of the Royal Tropical 
Inst. Amsterdam LXXXII, 1949; ders., Kulturhist. Be- 
ziehungen zwischen d. Balkan u. I., ebenda CHI, 1953; 
ders., Die 2000jahrige Gesch. Sud-Sumatras gespiegelt in 
ihrer Musik, Kgr.-Ber. Luneburg 1950; A. Steinmann, 
Uber anthropomorphe Schlitztrommeln in I., Anthropos 
XXIII, 1938; S. Wolf, Zum Problem d. Nasenflote, Abh. 
Vblkerkundemuseum Dresden, N. F. 1, 1 94 1 ; W. Danckert, 
Alteste Musikstile u. Kulturschichten in Ozeanien u. I., 
Zs. f. Ethnologie LXXVII, 1952; J. A. Dungca u. L. Ma- 
nik, Musik di Indonesia dan beberapa persoalannja, Dja- 
karta 1 952 ; T. Norlind, Dieindonesischen Gambus-Instr., 
Ethnos XVIII, 1953; M. Hood, The Nuclear Theme as a 
Determinant of Patet in Javanese Music, Groningen u. 
Djakarta 1954; J. Bouws, Die Musikpflege bei d. hollandi- 
schen ost- u. westindischen Kompagnien, Mf X, 1957; H. 
Husmann, Grundlagen d. antiken u. orientalischen Mu- 
sikkultur, Bin 1961 ; A. M. Jones, Africa and Indonesia. 
The Evidence of the Xylophone and Other Mus. and 
Cultural Factors, Leiden 1964; C. McPhee, Music in Bali, 
Leiden 1966. 

Informationstheorie. Die methodischen Verfahren 
der I. sind in den letzten Jahren in verschiedenen Ge- 
bieten angewandt worden, in der Musikwissenschaft 
vor allem in der Wahrnehmungspsychologie und bei 
der Analyse musikalischer Strukturen. In der Gehorpsy- 
chologie konnte z. B. erstmals die Frage mathematisch 
exakt untersucht werden, wieviel Tone auf einer Di- 
mension (bzw. in mehreren Dimensionen) von einem 
Beobachter einwandfrei erkannt (identifiziert) werden 
konnen (recognition problem). Das statistische Werk- 
zeug fiir diese Untersuchung ist die vor allem von 
Garner und Hake sowie von McGill aus dem Infor- 
mationsmaB entwickelte Multivariate informational 
analysis. Die von Shannon operational definierten Be- 
griffe Information und Redundanz sind als analytische 
Hilfsmittel auch in mehreren statistischen Untersu- 
chungen musikalischer Strukturen angewandt wor- 
den. Hierbei wurde gewohnlich die relative Haufig- 
keit (= Wahrscheinlichkeit des Auftretens) von Ton- 



dauern oder -hohen in der Partitur durch Auszahlen 
bestimmt; durch Einsetzen in die Formeln ergab sich 
der Informationsgehalt bzw. die Redundanz. Auf die- 
se Art untersuchte Fucks die Tonhohenhaufigkeiten 
von Musik verschiedener Epochen, Frances Tonhohen 
und -dauern von Volksliedern und Kompositionen 
Bachs, Mozarts, Beethovens u. a., Cohen die Tonhohen 
zweier Rock-and-Roll-Tanze. Mit informationstheore- 
tischen Mafkn analysieren seit 1960 an der University 
of Illinois Youngblood Lieder romantischer Komponi- 
sten und Brawley die Rhythmik musikalischer Stile. In 
welchem Grade die neuen mathematischen Werkzeuge 
Stilkriterien zu erschlieBen vermogen, laBt sich wegen 
der Sparlichkeit des vorliegenden Faktenmaterials zur 
Zeit noch nicht entscheiden. Eine Hauptauf gabe er- 
blickt die I. darin, schwer faSbare Begriffe der Asthetik, 
wie Ordnung.Einheit, durch operational definierte Be- 
griffe zu ersetzen. 

Lit. : R. V. L. Hartley, Transmission of Information, Bell 
System Technical Journal VII, 1928; A. Kolmogoroff, 
interpolation u. Extrapolation v. stationaren zufalligen 
Folgen«, Iswestija Akademii nauk SSSR, Serija matema- 
tischeskaja V, 1942; N. Wiener, Cybernetics, NY 1948, 
deutsch als: Kybernetik, Diisseldorf u. Wien 2 1963; C. E. 
Shannon u. W. Weaver, The Mathematical Theory of 
Communication, Urbana 1949; W. R. Garner u. H. W. 
Hake, The Amount of Information in Absolute Judg- 
ments, Psychological Review LVIII, 1951 ; W.J. McGill, 
Multivariate Information Transmission, Psychometrika 
XIX, 1954; R. C. Pinkerton, Information Theory and Me- 
lody, Scientific American CXCIV, 1956; A. A. Moles, I. 
d. Musik, Nachrichtentechnische Fachber. Ill, 1956; 
ders., Theorie de Pinformation et perception esthetique, 
Paris 1958; C. Cherry, On Human Communication, NY 
1957, deutsch als: Kommunikationsforschung - eine neue 
Wiss., o. O. 1963; A. I. Khinchin, Mathematical Found- 
ations of Information Theory, engl. v. R. A. Silverman u. 
M. D. Friedman, NY 1957 ; R. Frances, La perception de 
la musique, Paris 1958; D. Kraehenbuehl u. E. Coons, 
Information as a Measure of the Experience of Music, 
Journal of Aesthetics and Art Criticism XVII, 1958/59; E. 
Coons u. D. Kraehenbuehl, Information as a Measure 
of Structure in Music, Journal of Music Theory II, 1958; 
F. Attneave, Applications of Information Theory to 
Psychology, NY 1959; J. G. Brawley jr., Application of 
Information Theory to Mus. Rhythm, Diss. Indiana Univ. 
1959, maschr.; W. Meyer-Eppler, Grundlagen u. An- 
wendungen d. I., Bin, Gottingen u. Heidelberg 1959 ; ders., 
Informationstheoretische Probleme d. mus. Kommunika- 
tion, in: die Reihe VIII, Wien 1962; J. E. Youngblood, 
Music and Language: Some Related Analytical Tech- 
niques, Diss. Indiana Univ. 1960, maschr.; J. E. Cohen, 
Information Theory and Music, Behavioral Science VII, 
1962; W. R. Garner, Uncertainty and Structure as Psy- 
chological Concepts, NY 1962; H.-P. Reinecke, Zur 
Frage d. Anwendbarkeit d. I. auf tonpsychologische 
Probleme, Kgr.-Ber. Kassel 1962; W. Fucks, Mathema- 
tische Analyse v. Formalstrukturen v. Werken d. Musik, 
= Veroff. d. Arbeitsgemeinschaft f. Forschung d. Landes 
Nordrhein- Westf alen, Natur-, Ingenieur- u. Gesellschaf ts- 
wiss. H. 124, Koln u. Opladen (1963); ders. u. J. Lauter, 
Exaktwiss. Musikanalyse, = Forschungsber. d. Landes 
Nordrhein-Westfalen Nr 1519, ebenda 1965; L. A. Hil- 
ler Jr., I. u. Computermusik, = Darmstadter Beitr. zur 
Neuen Musik VIII, Mainz (1964); Fr. Winckel, Die in- 
formationstheoretische Analyse mus. Strukturen, Mf XVII, 
1964; E. N. Ferentzy, Computer Simulation of Human 
Behaviour and Concept Formation in Music Composition, 
in: Computational Linguistics IV, Budapest 1965; W. 
Reckziegel, Theorien zur Formalanalyse mehrst. Musik, 
Koln u. Opladen (1966). VR 

Inganno (ital., Tauschung), auch cadenza d'i., Trug- 
kadenz, -»- Trugschlufi. 

Ingressa (lat.) -*■ Ambrosianischer Gesang. 

Initium (lat., Anfang), - 1) im Gregorianischen Ge- 
sang die aus zwei oder mehr Tonen bestehende Initial- 



397 



In nomine 



formel der -> Psalmtone. Sie verbindet das Ende der 
Antiphon mit dem Rezitationston (tenor, tuba). Im 
antiphonischen Psalmengesang beginnt in der Regel 
nur der erste Vers mit dem I., wahrend die folgenden 
Verse auf dem Tenor einsetzen. Die Cantica ex Evan- 
gelio (Magnificat, Benedktus Dominus Deus Israel und 
Nunc dimittis) verlangen fur jeden Vers die Initialfor- 
mel. - 2) in der Kompositionslehre des 16. Jh. Termi- 
nus fur den Anfangsabschnitt eines mehrstimmigen 
Vokalwerkes, auf den dann Medium (Mittelteil) und 
Finis (SchluBabschnitt) folgen. 

In nomine (lat., Im Namen). Den zahlreichen so be- 
nannten Instrumental werken englischer Meister im 16. 
und 17. Jh. liegt meist als C. f. die Antiphon Gloria tibi 
Trinitas (Beispiel nach [ — 



Antiphonale Sarisburien- 
se) in Festo Sanctissi- 
mae Trinitatis zugrun- 



• ■ r * 



3= 



Glo-ri - a ti - bi Tri-ni-tas 
de, deren Text jedoch keinen Anhaltspunkt f ur den Na- 
men der Stiicke bietet. Diese Antiphon hatte J. Taver- 
ner als C. f. seiner gleichnamigen Messe verwendet 
(vor 1528), in deren Benedictus sie zu den Worten 
in nomine Domini im Medius (zweitoberste Stimme) 
zum einzigen Mai zusammenhangend in ruhigen, 
gleichlangen Notenwerten erklingt, wahrend die ande- 
ren Stimmen in lebhaf terem Rhythmus kontrapunktie- 
ren. Mit instrumentalen Ubertragungen dieses anschei- 
nend sehr beliebten 4st. Vokalsatzes beginnt die lange 
Reihe fortan originar instrumentaler I. n.-Kompositio- 
nen, die aufier ihrem Namen auch kompositorische Ei- 
gentumlichkeiten von dort entnehmen : der C. f . tritt 
zunachst fast nur in den Mittelstimmen auf und hebt 
sich in seinen ruhigen, gleichlangen Notenwerten von 
den immer lebhafter werdenden iibrigen Stimmen 
deutlich ab ; einige Komponisten iibernehmen sogar die 
Anfangsmotivik der kontrapunktierenden Stimmen 
von Taverner. — Das I. n., dessen kirchliche Bindung 
sofort nach Taverner abriB, ist die erste eigentlich in- 
strumentale, von der Liturgie und vom Tanz unabhan^ 
gige Kompositionsgattung der englischen Musikge- 
schichte. Zunachst bestehen kaum Unterschiede zur 
vokalen C. f.-Motette, doch beginnt schon um die 
Mitte des 16. Jh. ein ProzeB zunehmender Instrumen- 
talisierung, ahnlich wie bei der -> Fancy. Im Laufe der 
Entwicklung entstand eine Form, die unabhangig von 
der Gestalt des C. f . aus mehreren Abschnitten besteht, 
die spater durch Kadenzen deutlich voneinander ge- 
trennt und immer kontrastierender gestaltet werden. - 
Fast alle bedeutenden englischen Komponisten von Ta- 
verner bis Purcell schrieben I. n.-Kompositionen, vor 
allem fur 4-7st. Violenensemble und fur Klavier. Der 
groBte Teil der etwa 150 iiberlieferten I. n. stammt aus 
den Jahren 1560-1610. Einige I. n.-Kompositionen hei- 
Ben entsprechend ihrem C. f . Gloria tibi Trinitas, andere 
tragen besondere Titel, z. B. bei Chr.Tye, einem 
Hauptmeister der Gattung, Farewell my good lord for 
ever, oder bei O. Gibbons die beriihmten Cries of Lon- 
don fiir Vokalstimmen und Violenensemble. In spaterer 
Zeit zeigen einzelne I. n. genannte Kompositionen 
keinen Zusammenhang mit einem C. f. Andere, I. n.- 
Fantasie genannte Werke verwenden die Antiphon 
nicht als C. f., sondern bilden daraus ihr thematisches 
Material. - R.Strauss verwendet in seiner Oper Die 
schweigsame Frau im 3. Akt ein I. n. von J. Bull. 
Lit.: E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17. Jh. in 
Nord- u. Mitteleuropa, = Heidelberger Studien zur Mw. 
II, Kassel 1934; ders., The»I. N.«, ML XVII, 1936; ders., 
Engl. Chamber Music, London (1946, 2 1951), deutsch als: 
Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz. 1958; G. Reese, 
The Origin of the Engl. I. N., JAMS II, 1949 ; ders., Music 
in the Renaissance, NY (1954), 2 1959; R. Donington u. 



Th. Dart, The Origin of the I. N., ML XXX, 1949; D. 
Stevens, The Mulliner Book. A Commentary, London 
(1952). GBa 

Innsbruck. 

Lit.: Fr. Waldner, Nachrichten iiber d. Musikpflege am 
Hofezul., Beilagezu MfM XXIX, 1897ff.; H. v. Zingerle, 
Die ein- u. zweist. Kirchengesange d. Codex 457 d. Uni- 
versitatsbibl. I. aus d. Kartause Schnals, Diss. I. 1925, 
maschr. ; G. Gruber, Das deutsche Lied in d. I.er Hofka- 
pelle d. Erzherzogs Ferdinand (1567-95), Diss. Wien 1928, 
maschr. ; A. Einstein, Ital. Musik u. ital. Musiker am Kai- 
serhof u. an d. erzherzoglichen Hofen in I. u. Graz, StMw 
XXI, 1934; W. Senn, Musik u. Theater am Hof zu I., I. 
1954; K. M. Klier, I.er Lied-Flugblatter d. 17. Jh., Jb. d. 
Osterreichischen Volksliedwerkes IV, 1955. 

Instrument (lat. instrumentum, griech. Spyavov, 
Werkzeug), im Bereich der Musik ein meist hand- 
werklich hergestelltes Gerat zum Erzeugen vor allem 
musikalisch verwendbaren Schalles; physikalisch ist 
auch die menschliche-v Stimme(-2) einlnstr., inTheo- 
rie und Praxis wird sie jedoch oft den Instr.en gegen- 
iiber gestellt, und zwar - wo nicht die Instr.e zum Ver- 
fremden der Stimme dienen - als MaBstab der »Voll- 
kommenheit«. Nicht eigentlich Instr.e sind auch die Or- 
gane des menschlichen Korpers, die gleichwohl als 
Rhythmusgeber eingesetzt werden; primitive Instr.e 
sind zum Teil technologisch alsOrganprojektionen zu 
verstehen. Fiir die von der Natur fertig gegebenen Ge- 
genstande ist die Bezeichnung Schallgerat sinnvoll ; die 
Grenzen zwischen diesen und den Instr.en sind flie— 
Bend. - Den Hochkulturen ist das Streben gemein, die 
vorhandenen Instr.e zu klassifizieren. Die altchinesi- 
sche Einteilung ist vom Material her gedacht und unter- 
scheidet8 Gruppen: Metall(Glocken), Stein (-*■ K'ing), 
(Ton-)Erde (GefaBflote), Leder oder Fell (Trommel), 
Seide (Saiten, -»- K'in), Holz (zum Schlagen oder Rei- 
ben), Kiirbis (Sheng, -*■ Mundorgel) und Bambus 
(Flote). Bei den 4 altindischen Gruppen sind der Bau 
und die Erregungsart beriicksichtigt : Ghana (von han, 
schlagen; Schlagidiophone, wie Becken und Gongs), 
Avanaddha (von nath, hinzufiigen, und ava, decken; 
Membranophone, wie Trommeln), Tata (von tan, 
ziehen; Saiteninstr.e) und Sushire (Tubus- oder Blas- 
instr.e). Die im Abendland bis ins spate Mittelalter in 
Grundziigen geltende und meist innerhalb der Klassi- 
fikation der -> Musica erorterte Einteilung in Saiten- 
(instrumenta chorda ta), Bias- (pneumatica) und Schlag- 
instr.e (pulsatilia) stellt zugleich eine Rangordnung 
dar, die den Saiteninstr.en den Vorrang gab, weil an 
ihnen die Theorie darstellbar ist. Sie blieb als Eintei- 
lungsgrundsatz bis in die moderne Orchestergliederung 
lebendig. Den ersten Platz in der Wertschatzung nah- 
men in der Renaissancezeit die Blasinstr.e ein, nach 
soziologischer Rangordnung wieder in sich gegliedert 
(-»■ haut). Das Attribut perfekt bekamen im 16. Jh. 
die akkordfahigen Instr.e (->■ Fundamentinstr.e). Im 
18./19. Jh. waren fiir den Vergleich mit der Stimme die 
Melodiefahigkeit und der Klangcharakter bestim- 
mend, wenn Violine (Schubart), Querflote oder Kla- 
rinette als ideal bezeichnet werden. Ein neues Interesse 
an einer Systematik erwachte am Ende des 19. Jh. un- 
ter dem EinfluB der Physik und Volkerkunde. Die zu- 
erst von Mahillon (1880) vorgelegte Systematik nach 
dem schwingenden Medium setzte sich. in der Neu- 
fassung von E. M. v. Hornbostel und Sachs (1914) all- 
gemein durch. Sie gliedert in ->■ Idiophone, ^r Mem- 
branophone, -> Chordophone und -> Aerophone; in 
neuester Zeit kamen die -> Elektrophone hinzu. Kri- 
terien der weiteren Unterteilung sind die Spielart (Idio- 
phone, Membranophone) sowie f ormale (Chordopho- 
ne) oder funktionell-konstruktive (Aerophone) Merk- 
male. Dagegen wird eine einheitliche Systematik nach 



398 



Instrument 



der Bauart, vor allem des Resonators, von Schaeffner 
(1931) vorgeschlagen (instruments a corps solide und 
vibrant, andererseits a air vibrant, wobei die ersteren 
weiter gegliedert sind nach nicht gespannten, gespann- 
ten und flexiblen Korpern). Drager (1948) erfaBt mit 
einer groBeren Zahl Kategorien von der auBeren Kenn- 
zeichnung und Tonerzeugung iiber die Klangerregung 
und -art bis zum Spiel moglichst vielseitig das Instr. 
und dessen Funktion. Die Systematik von Husmann 
(1958) geht dagegen konsequent von der Physik des 
Schwingenden aus. 

Die fruhesten nachweisbaren Instr.e sind prahistorisch 
{-*■ Horn, -► Flote). Die Kulturkreislehre (Sachs 1929) 
schliefit nach dem Vorkommen von Instr. en-Formen 
auf ein Zentrum im agyptisch-mesopotamischen und 
auf eines im chinesischen Altertum, daneben auf ein 
mbglicherweise noch alteres gemeinsames Zentrum in 
Zentralasien. Als Entstehungsfolge nimmt Sachs (1959) 
an: Urbesitz: Aufschlager, Rasselgehange. - Palaolithi- 
kum: Schwirrholz, Schraper, Flote, Schnecken- und 
Tubushom. - Alteres Neolithikum: Schlitztrommel, 
Grifflochflote, einfellige Trommel, Musikbogen, Pan- 
pfeife. - Jiingeres Neolithikum: Querflote und -horn, 
Xylophon, Mirliton, Cricri, Maultrommel, Rohrblatt- 
pfeife, Nasenflote, Trommelschlagel. - Altere Metall- 
zeit: Metallglocke, FloB-, Brett- und Schalenzither. - 
Ab etwa 4000 v. Chr. : Harfe, Leier. - Ab 3000 v. Chr. : 
zweifellige Trommel, Rahmentrommel. - Ab 2000 v. 
Chr.: Becken, Laute, Metalltrompete, Doppelrohr- 
blattpfeife. - Ab 1000 v. Chr.: Kastagnetten, Sack- 
pfeife. - Um Christi Geburt: Mundorgel. - Ab etwa 
1000 n. Chr.: Gong, Metallophon, Zargenlaute, Gei- 
ge. - 2. Jahrtausend n. Chr. : Pauke. 
Die Theorie der »Wanderungen« laBt sich nur bedingt 
nachweisen. Funde sind nur in einer natiirlichen Aus- 
wahl von Instr.en aus vorwiegend hochwertigen Stof- 
fen erhalten, die schon Sammler- oder Handelsgut 
sind. Gewisse Anhaltspunkte fiir die Forschung geben 
die Namen der Instr.e, doch haben sich an ihnen ent- 
wickelte Herkunftstheorien oft als Irrtiimer erwiesen. 
Nicht selten fin den sich Bezeichnungen (z. B. Kithara- 
Gitarre - Cister - Zither) fiir - nicht nur der Bauart 
nach - verschiedene Instr.e tradiert. Ein Teil der Instr.en- 
Bezeichnungen ist wahrscheinlich aus onomatopoeti- 
schen Bildungen entstanden (->■ Viola- 1, Pommer, Flo- 
te), andere gehen auf Spielbewegungen zuriick (->■ Gei- 
ge), kennzeichnen Material, Bauart oder Form (Horn, 
Kithara, Aulos, Kortholt) oder defmieren den Klang- 
charakter (Hautbois, Sordun, Schryari). In den Hoch- 
kulturen laBt sich dariiber hinaus die Geschichte der 
Instr.e aus Schrift- und Bildbelegen (-»■ Ikonographie) 
deuten. Die Funktion von Instr.en als magische oder 
kultische Gerate oder als Trager von MaBnormen mehr 
denn als Schallgerate ist aus auBereuropaischen Hoch- 
kulturen wie aus einfachen Kulturen bekannt. So wie 
die ethnologische Feldforschung der Meinung ist, daB 
zwar Instr.e »wandern«, nicht aber mit ihnen der Klang- 
charakter oder Melodien, so wird auch fiir die abend- 
landische Musikgeschichte angenommen, daB sich je- 
de Epoche ihr Instrumentarium nach ihrem Klangideal 
schaffe. Dem in der Geschichte der abendlandischen 
Musikinstr.e seit dem Mittelalter erkennbaren Zug, 
die Gerauschkomponente zuriickzudrangen und cincn 
dem Tonsystem gemaBen »reinen« Obertonaufbau im 
Klang zu erreichen, scheint die Musik seit etwa 1950 
und das Aufkommen elektronischer Instr.e mit mani- 
pulierbarem Gerauschspektrum entgegenzuwirken. 
Lit. : allgemein : V.-Ch. Mahillon, Cat. descriptif et ana- 
lytique du Musee instr. (hist, et technique) du Conserva- 
toire Royal de Musique de Bruxelles I, Gent 1880, 2 1893; 
D. Fryklund, Vergleichende Studien iiber deutsche Aus- 



driicke mit d. Bedeutung Musikinstr., Uppsala 1910; C. 
Sachs, Real-Lexikon d. Musikinstr., Bin 1913, Nachdruck 
Hildesheim 1 962 u. (mit Corrigenda u. Addenda) NY 1964 ; 
Sachs Hdb.; ders., The Hist, of Mus. Instr., NY (1940); 
ders., Vergleichende Mw., = Musikpadagogische Bibl. II, 
Heidelberg (21959); E. M. v. Hornbostel u. C. Sachs, 
Systematik d. Musikinstr., Zs. f. Ethnologie XLVI, 1914, 
engl. v. A. Baines u. Kl. P. Wachsmann als : Classification 
of Mus. Instr., The Galpin Soc. Journal XIV, 1961; E. 
HarasztI, Schallnachahmung u. Bedeutungswandel in 
d. Instrumentenkunde mit Riicksicht auf d. ungarische 
Organographie, Budapest 1928; W. Heinitz, Instrumen- 
tenkunde, Biicken Hdb.; H. Matzke, Grundziige einer 
mus. Technologie, Breslau 1931 ; ders., Unser technisches 
Wissen v. d. Musik, Lindau (1949), Wien 21950; A. 
Schaeffner, Projet d'une classification nouvelle des instr. 
de musique, Bull, du Musee d'Ethnographie du Troca- 
dero I, 1931; O. Tiby, Acustica mus. e organologia degli 
strumenti mus., Palermo 1933; T. Norlind, Musikinstr. 
hist, i ord och bild, Stockholm (1941); R. Wright, Dic- 
tionnaire des instr. de musique, London 1941; H.-H. 
Drager, Prinzip einer Systematik d. Musikinstr., = Mw. 
Arbeiten III, Kassel 1948; K. Reinhard, Musikinstr. u. 
Kulturkreise. Versuch einer primar mw. Instrumenten- 
kunde, Habil.-Schr. Bin 1950, maschr.; ders., Beitr. zu ei- 
ner neuen Systematik d. Musikinstr., Mf XIII, 1960; A. 
Buchner, Musikinstr. im Wandel d. Zeiten, Prag (1956, 
2 1962); H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw., Heidelberg 
(1958); S. Marcuse, Mus. Instr., A Comprehensive Dic- 
tionary, Garden City (N. Y.) 1964. 

Europaisch-abendlandische Mg. : S. Virduno, Musica ge- 
tutscht (Basel 1511), hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg. X, 
Bd XI, Bin 1882; dass., Faks. hrsg. v. L. Schrade, Kassel 
1931 ; M. Agricola, Musica instrumentalis deudsch, Wit- 
tenberg 1529 u. '•1545, hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg. 
XXIV, Bd XX, Lpz. 1896; J. Bermodo, Declaration de 
instr. mus., (Osuna 1555), Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, 
= DM1 1, 11, 1957; Praetorius Synt. I-II; M. Mersenne, 
Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 
3 Bde, Paris 1963 ; P. Trichet, Traite . . . (vers 1640), hrsg. 
v. Fr. Lesure, Ann. Mus. 1II-1V, 1955-56, auch separat 
Neuilly-sur-Seine 1957, Suppl. in : The Galpin Soc. Journal 
XV, 1962 - XVI, 1963; J. Mattheson, Das neu-eroffnete 
Orch.,Hbg 1713 ; F. BuoNANNi.Gabinetto armonico, Rom 
1722, 21723, engl. Teilausg. als: The Showcase of Mus. 
Instr., hrsg. v. Fr. LI. Harrison u. J. Rimmer, NY (1960); 
J. Fr. B. C. Majer, Museum musicum, Schwabisch-Hall 
1732, Faks. hrsg. v. H. Becker, = DM1 1, 8, 1954; J. Chr. 
Weigel, Mus. Theatrum, Faks. hrsg. v. A. Berner, = DM1 
I, 22, 1961 ; W. Schneider, Hist.-technische Beschreibung 
d. mus. Instr., Neisse u. Lpz. 1834; H. Welcker v. Gon- 
tershausen, Neu eroffnetes Magazin mus. Tonwerkzeuge, 
Ffm. 1855; A. J. Hipkins, Mus. Instr., Historic, Rare and 
Unique, Edinburgh 1888, verkiirzte Ausg. London 1921; 
H. Riemann, Katechismus d. Musikinstr., Lpz. 1888 u. 
ofter (spater Hdb. genannt); F. Pedrell, Organografia 
antiqua espanola, Barcelona 1901 ; C. Sachs, Die Musik- 
instr. d. Minneregel, SIMG XIV, 1912/13; ders., Die mo- 
dernen Musikinstr., = M. Hesses Hdb. LXVIII, Breslau 
(1923); R. Brancour, Hist, des instr. de musique, Paris 
1921; J. Schlosser, Unsere Musik-Instr., Wien 1922; J. 
Pulver, A Dictionary of Old Engl. Music and Mus. Instr., 
London 1923 ; A. Aber, Musikinstr. u. ihre Sprache, = Zel- 
lenbiicherei LXXI, Bin 1924; K. Geiringer, Musikinstr., 
in: Adler Hdb.; ders., Mus. Instr., London (1941, 21945, 
3. Auflage o. J.) ; W. Giese, Maurische Musikinstr. im ma. 
Spanien, Iberica III, 1925; D. Parent, Les instr. de mu- 
sique au XIV s., Diss. Paris 1925, Auszug in : Ecole Natio- 
nal de Chartres, Positions de Theses ; K. Nef, Gesch. un- 
serer Musikinstr., = Wiss. u. BildungCCXXIII, Lpz. 1926, 
Basel 2 1949; Fr. Gennrich, Zur Musikinstrumentenkun- 
de d. Machaut-Zeit, ZfMw IX, 1926/27; W. Gurlitt, Der 
mus. Denkmalwert d. alten Musikinstr., in : Tag f . Denk- 
malpflege u. Heimatschutz Breslau 1926, Bin 1927; G. 
R. Hayes, Mus. Instr. and Their Music 1500-1750, 2 Bde, 
London 1928-30; G. Pietzsch, Die Klassifikation d. Mu- 
sik v. Boetius bis Ugolino v. Orvieto, = Studien zur Gesch. 
d. Musiktheorie im MA I, Halle 1929; H. Schultz, In- 
strumentenkunde, Lpz. 1931, 21956; D. Treder, Die Mu- 
sikinstr. in d. hofischen Epen d. Blutezeit, Diss. Greifswald 
1933; H. Panum, Middelalderens musikinstr., in: Musik 



399 



Instrumentalmusik 



och musikinstr., hrsg. v. O. Andersson, = Nordisk kultur 
XXV, 1934; G. Schunemann, Die Musikinstr. d. 24 Alten, 
AfMf I, 1936; Fr. W. Galpin, A Textbook of European 
Mus. Instr., NY (1937) ; Th. Gerold, Les instr. de musique 
au moyen age, Rev. des cours et conferences XXIX, 1938; 
N. Bessaraboff, Ancient European Mus. Instr., Boston 
1941 ; J. Hutter, Hudebni nastroje (Musikinstr.), Prag 
1945; A. Baines, J. Talbot's Ms. (Christ Church Library 
Music MS 1 1 87), I, Wind Instr., The Galpin Soc. Journal I, 
1948; ders., Fifteenth-Cent. Instr. in Tinctoris' De In- 
ventione . . . , ebenda III, 1950; Mus. Instr., hrsg. v. dems., 
Harmondsworth/Middlesex 1 961 , deutsch als: Musikinstr., 
Munchen 1962; R. Donington, The Instr. of Music, Lon- 
don 1949; A.-F. Marescotti, Les instr. d'orch Paris 

(1951); E. A. Bowles, Instr. at the Court of Burgundy 
(1363-1467), The Galpin Soc. Journal VI, 1953; ders., 
Mus. Instr. in Civic Processions During the Middle Ages, 
AMI XXXIII, 1961; ders., Haut and Bas. The Grouping 
of Mus. Instr. in the Middle Ages, MD VIII, 1954; I. Otto, 
Die instrumentenkundliche Auswertung d. deutschen Lexi- 
ka d. 18. Jh., Kgr.-Ber. K.61n 1958; D. Devoto, La enume- 
ration de instr. mus. en la poesia medieval castellana, in : 
Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; 
H. Riedel, Musik u. Musikerlebnis in d. erzahlenden deut- 
schen Dichtung, = Abh. zur Kunst-, Musik- u. Literatur- 
wiss. XII, Bonn 1959; R. M. Longyear, Some Aspects of 
16" 1 Cent. Instr. Terminology and Practice, JAMS XVII, 
1964; Fr. Ll. Harrison u. J. Rimmer, European Mus. 
Instr., London 1964, NY 1965; E. Winternitz, Dieschon- 
sten Musikinstr. d. Abendlandes, Munchen (1966). 
AuBereuropaisches u. Volksinstr. : H. G. Farmer, The 
Music and Mus. Instr. of the Arab, NY u. London (1916); 
ders., Studies in Oriental Mus. Instr., 2 Serien, London 
1931, Glasgow 1939; ders., Turkish Instr. of Music in the 
17 th Cent., = Collection of Oriental Writers on Music III, 
Glasgow 1937; E. Wiedemann u. F. Hauser, Byzantini- 
sche u. arabische akustische Instr., Arch. f. Gesch. d. Natur 
u. TechnikVIII, 1918; G. Montandon, La genealogie des 
instr. de musique et les cycles de civilisation, Arch, suisses 
d'anthropologie generale III, 1919; C. Sachs, Geist u. 
Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hilversum 
1965; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native Races of 
South Africa, Oxford u. London 1934, Johannesburg 
2 1953; O. Seewald, Beitr. zur Kenntnis d. steinzeitlichen 
Musikinstr. Europas, = Biicher zur Ur- u. Fruhgesch. II, 
Wien 1934; K. G. Izikowitz, Mus. and Other Sound Instr. 
of the South American Indians, = Goteborgs Kungl. Ve- 
tenskaps- och Vitterhets-Samhalles Handlingar, 5. Folge, 
Serie A, Bd V, 1, Goteborg 1935; A. Schaeffner, Origine 
des instr. de musique, Paris 1936; G. Barblan, Musiche 
e strumenti mus. dell'Africa orientale ital., Neapel 1941; 
Cl. Marcel-Dubois, Les instr. de musique de l'Inde an- 
cienne, Paris 1941 ; W. Friedrich, Die alteste tvirkische 
Beschreibung v. Musikinstr. aus d. Anfang d. 15. Jh. v. A. 
Siikrullah, Diss. Breslau 1944, maschr.; K. Dittmer, Mu- 
sikinstr. d. Volker, Hbg 1947; E. Kolari, Musikinstr. u. 
ihre Verwendung im Alten Testament, Helsinki 1947; M. 
Wegner, Die Musikinstr. d. alten Orients, = Orbis anti- 
quus II, Minister i. W. 1950; F. Ortiz, Los instr. de la 
musica afrocubana, 5 Bde, Habana 1952-55; S. MARTi, 
Instr. mus. precortesianos, Mexiko 1955; H. Avenary, 
Magic, Symbolism and Allegory of the Old-Hebrew Sound 
Instr., CHM II, 1956; H. Hickmann, Musicologie pha- 
raonique, = Slg mw. Abh. XXXIV, Kehl 1956; B. Soder- 
berg, Les instr. de musique du Bas-Congo et dans les 
regions avoisinantes, =The Ethnographical Museum of 
Sweden, Monograph Series, Publication III, Stockholm 
1956; H. Fischer, Schallgerate in Ozeanien, = Slg mw. 
Abh. XXXVI, StraBburg u. Baden-Baden 1958 ; E. Stock- 
mann, Towards a Hist, of European Folk Music Instr., 
Studia musicologica VII, 1956. 

Instrumentalmusik ist im Unterschied zur -*■ Vo- 
kalmusik fur instrumentale Ausfuhrung bestimmt und 
nicht an Sprache gebunden. Historisch gesehen ist die 
Trennung von I., die nur fiir Instrumente, und Vokal- 
musik, die nur fiir Singstimmen konzipiert ist, ledig- 
lich innerhalb der abendlandischen Musik moglich, 
und im engeren Sinne erst seit der Entstehung einer 
selbstandigen I. im 16. Jh. In jeder friiheren Kultur be- 



gleitete instrumentales Spiel als selbstverstandliche 
Komponente der Musik Kult und Festlichkeit. Dassel- 
be gilt fiir die auBereuropaische Musik bis heute. Trotz- 
dem lassen sich spezifische dem Spiel auf Instrumenten 
iibertragene Aufgaben erkennen: Eroffnung, Zwi- 
schenspiel und Spiel zu Tanz und Marsch sowie Be- 
gleitung der Singstimme. Auch die I. seit dem 16. Jh. 
bis zur Symphonie des 18. Jh. steht mit diesen Aufga- 
ben in Verbindung und wird von ihnen zum Teil deut- 
lich gepragt. - Der jiidische Synagogalgesang des 1. 
Jahrtausends n. Chr. verbannt, als Vortrag des gottes- 
dienstlichen Wortes, die Instrumente aus dem Kult. 
Demgegeniiber war die friihere jiidische Tempelmusik 
stark instrumental gepragt. Dem friihen Christentum 
gait instrumentales Spiel, da es nicht dem liturgischen 
Wort diente, als Inbegriff des Heidnischen, daher 
Weltlichen, Profanen, und hatte folglich niedrigeren 
Rang. Innerhalb der griechischen Kirche bewahrte die 
Musik bis heute den rein vokalen Charakter. - We- 
sentlich auf instrumentales Zusammenspiel und damit 
auf Mehrstimmigkeit ausgerichtet ist die Musik, die 
R. v.Ficker als »primar klanglich« bezeichnet hat (z. B. 
Gamelan auf Java). Es scheint, daB ein primar klang- 
liches Musizieren in Nordeuropa entscheidend bei der 
Entstehung der abendlandischen, geschichtlichen Mehr- 
stimmigkeit im 9. Jh. beteiligt war. Seitdem steht die 
Musik jeweils mehr oder weniger im Zeichen des In- 
strumentalen. Aber erst im 16. Jh. begann die I. sich zu 
emanzipieren, und etwa seit 1600 wird fiir die Musik 
immer mehr der instrumentale Satz maBgebend. 
In der Antike, die eine Orientierung weltlich-geistlich 
nicht kannte, laBt sich das Instrumentalspiel von der 
[iouaixTj, die bis zum 5. Jh. v. Chr. Dichtung und 
Musik umfaBte, nicht trennen: die homerischen Ge- 
sange wurden urspriinglich mit Begleitung der Kithara 
(Phorminx, Lyra) vorgetragen, und der friihe aulodi- 
sche und kitharodische ->■ Nomos hangt noch eng mit 
dem Vers zusammen. ->■ Lyra (- 1) un d -*■ Aulos sind die 
Symbole von Apoll und Dionysos und damit fiir die 
beiden Pole griechischen Wesens. Im 6. Jh. v. Chr. lieB 
man indessen auch das solistische Aulosspiel (Sakadas) 
und etwas spater das selbstandige Kitharaspiel bei den 
Agonen zu. Mit der instrumentalen Begleitpraxis ver- 
bunden sind die XQOvaa; vno t?)v (bdrfv, "Instrumen- 
talspiel zum Gesang« (Plutarch, § 28), und die -»- He- 
terophonie, beides wohl eine Art variierendes Mitspie- 
len der Hauptmelodie. Aufgabe und Entstehungszeit 
der instrumentalen Griffschrift sind noch ungeklart. 
Die instrumentale Komponente der antiken Musik 
trat erst mit dem Zerfall der Einheit von Vers und Mu- 
sik im 4. Jh. v. Chr. selbstandig in Erscheinung. Vir- 
tuoses Instrumentalspiel, mitunter in Massenbesetzung 
(romische Circus-»Orchester«), ist bis in die Spatantike 
(byzantinische Orgel) bezeugt; besonders wegen seiner 
Verbindung mit dem Circus wurde es von der Kirche 
bekampft. - Im Osten (Byzanz) wie im Westen war 
die liturgische Musik einstimmig und vokal. Im ger- 
manischen Norden jedoch erfuhr der Choral wahrend 
des 9.-10. Jh. wohl unter dem EinfluB instrumentaler 
Elemente eine Verwandlung durch Diatonisierung. 
Unmittelbar mit I. hangen die Sequenzmelodien des 
9. Jh. zusammen, wie die Beischriften Symphonia, 
Frigdola, Chithara und ahnliche zeigen. Die friiheste, 
-> Organum genannte Mehrstimmigkeit des 9. Jh. 
beruht stark auf instrumentalen Vorstellungen. Zum 
ersten Mai innerhalb der liturgischen Musik waren da- 
her die Instrumente wesentlich an der Ausfuhrung be- 
teiligt. Man weiB von der Einweihung einer Orgel mit 
iiber 400 Pfeifen in der Kathedrale zu Winchester im 
Jahr 980. Jede Musik war nun Musica instrumentalis 
und schloB instrumentale und vokale Ausfuhrung ein. 



400 



Instrumentalmusik 



Erst aus dem 13. und 14. Jh. sind vereinzelte untextierte 
Stucke, z. B. das In seculum viellatoris in Ba (-»- Quel- 
len), und meist einstimmige instrumentale Tanze 
(Stantipes, Ductia, Saltarello, Trotto) iiberliefert. Mit 
der nur sparlich tradierten Spielmannsmusik befaBt 
sich u. a. der Traktat des Johannes de Grocheo (Pa- 
ris um 1300). Vielle und Rubeba waren die bevorzug- 
ten Instrumente. Dagegen ist das instrumentale -*■ Car- 
men bei Isaac und Hofhaymer am Vokalsatz der 
Zeit orientiert. - Innerhalb der sprachgebundenen Mu- 
sik ist jedoch ein im 14. Jh. einsetzender und bis An- 
fang des 16. Jh. reichender Instrumentahsierungspro- 
zeB festzustellen. Vor allem die Musik der Niederlan- 
der seit Dufay ist mit instrumental-konstruktiven Ele- 
menten (Ostinato, Sequenz) durchsetzt. Dies auBert 
sich auch in Bezeichnungen wie Gloria ad modum tu- 
bae (Dufay), Missa tubae (Cousin, um 1450), Missa 
trombetta (Gaffori?). Einzelne Instrumente, z. B. die 
Posaune, und die Blasermusik (Dreiklangsharmonik, 
C- und F-Tonart) haben hier auf den Satz eingewirkt. 
Die sprachgebundene Musik, die seit etwa 1500 einer 
satztechnischen Klarung in Richtung auf reine Vokali- 
tat unter AusstoBung der instrumentalen Elemente ent- 
gegenging (Hohepunkt Palestrina), blieb jedoch bis 
zum Ende des 16. Jh. fuhrend. In Lauren- und Orgel- 
tabulaturen wird aber schon um 1450 in Deutschland 
und kurz nach 1500 in Italien (Venedig) eine bliihende 
Instrumentalpraxis greifbar. Die Wege, die die I. zu 
ihrem ersten Hohepunkt um 1600 f iihren sollten, zeich- 
nen sich hier bereits ab. Paumanns Fundamentum or- 
ganisandi (1452) und das Buxheimer Orgelbuch (um 
1470) sowie die ersten italienischen Tabulaturen von 
Spinaccino, Dalza und Bossinensis (1507-09) fur Laute 
und von M.Cavazzoni (1523) fiir Orgel enthalten: 
1) Bearbeitungen vokaler Satze bzw. von Cantus firmi 
(friiheste Beispiele in einer englischen Orgeltabulatur 
um 1330) durch instrumentale Kolorierung und An- 
passung an die Spieltechnik des Instruments; 2) freie 
Praeludien, in Deutschland Praeambeln, in Italien-* Ri- 
cercare genannt; 3) Tanzbearbeitungen bzw. Tanze 
(vor allem 1529 bei Attaingnant; Basses danses fiir Lau- 
te). Mit Ausnahme der Tanze handelt es sich bei diesen 
friihen Sammlungen nicht so sehr um selbstandige 
Kompositionen im Sinne der Vokalmusik, sondern 
mehr um Spielanweisungen mit Beispielen. Die Rich- 
tung der deutschen Organisten nach Paumann : Schhck, 
Kleber, Kotter u. a., der »Koloristen«, fiihrte zunachst 
nicht weiter. Auch die Tanze spielten fur den Auf- 
schwung der I., der im 16. Jh. vor allem in Italien er- 
folgte, eine verhaltnismaBig geringe Rolle. Die I. ging 
nun - schon durch die Bearbeitung von Vokalstiicken - 
bei der sprachgebundenen Musik in die Schule. Der 
durchimitierte 4st. Satz diente als Vorbild. Diese Vo- 
kahsierung der I. hinsichtlich Stimmfuhrung und -urn- 
fang vollzog sich innerhalb der Gattung des Ricercars 
(des -»■ Tiento in Spanien) seit G. Cavazzoni (1542/43). 
Damit war die Voraussetzung dafiir gegeben, daB 
auch der Geist der sprachgebundenen Musik auf die I. 
iiberging. Diese trat nun aus dem Stadium der Spiel- 
mannsmusik in dieGeschichte ein, und erst jetzt konn- 
ten Kompositionen im Sinne der Vokalmusik ent- 
stehen. In der I. waren nun die italienischen Organisten 
fuhrend. Aus dem Ricercar entwickelte sich die -*■ Fu- 
ge unter Einbeziehung von Elementen der Kanzone. 
Aus der freien Improvisation erwuchsen -*■ Toccata 
und -»■ Intonation (- 1). Von J. P. S weelinck iibernah- 
men die deutschen Organisten des 17. Jh. (S. Scheidt) 
vor allem englische und spanische Traditionen, von G. 
Frescobaldi die italienische. Eine urspriinglich instru- 
mentale, zuerst in Spanien greifbare Gattung von weit- 
tragender Bedeutung erstand in der ->• Variation iiber 



ostinate Tanzbasse, vielleicht zum Teil spanischer Her- 
kunft (Passamezzo, Ciaccona, Follia, Passacaglia), oder 
iiber volkstiimliche Weisen (Romanesca, Ruggiero). 
Aus Variationen iiber BaBostinati (-»■ Ostinato, 
-*■ Ground) bestand neben Lied- und Tanzbearbeitun- 
gen zum groBen Teil das Repertoire der I. fiir das Ta- 
steninstrument in England, das vor allem im Fitzwilliam 
Virginal Book (1570-1625) gesammelt ist. 
Doch erst Ende des 16. Jh. trat in Venedig mit den 
3-22st. Kanzonen und Sonaten G. Gabrielis eine der 
geistlichen und weltlichen Musik ebenburtige, in der 
-*■ Mehrchorigkeit wurzelnde I. fiir mehrere Instru- 
mente auf. Gabrieli ist der erste Organist, der als Kom- 
ponist Gleichbedeutendes in I. und Vokalmusik leistete. 
Die Canzona bzw. die Sonata verbindet nun die spezi- 
fisch instrumentale, beweglich-concertierende Faktur 
mit der Wiirde des Vokalsatzes zu neuer Einheit. In 
diese Zeit fallt die Entstehung von ->• GeneralbaB und 
-> Concerto, wodurch erstmalig instrumentale und 
vokale Partien getrennt sind und die Musik nun iiber- 
haupt auf instrumentaler Grundlage ruht. Die Kanzo- 
nen G. Gabrielis fuhrten durch Verselbstandigung der 
zusammenhangenden Kanzonenabschnitte und unter 
dem EinfluB der Tanzsuite einerseits zur mehrsatzigen 
Solo- und Triosonate, andererseits in Verbindung mit 
dem Satz der venezianischen Opernsinfonie zu einer 
Vielfalt von reich besetzten Stiicken unter den Titeln 
Canzona, Sinfonia und Concerto. Zwischen veneziani- 
scher Kanzone und A. Corellis Solo- und Triosonaten 
vermitteln Kompositionen S.Rossis (1607-13), T. 
Merulas (1615 und 1637), B.Marinis (1617), D.Castel- 
los (1621), G.B.Fontanas (posthum 1641), M.Cazzatis 
(1656) u. a. Es kommt zur klassischen Satzfolge der 
Sonata da chiesa vind da camera. Bis zum Ausgang der 
GeneralbaBepoche um 1750 kommt dem Triosonaten- 
satz zentrale Stellung zu. Im mehrchorigen Concertie- 
ren der Gabrieli-Zeit liegen auch die Keime des um 
1680 als Gattung auftretenden ->• Concerto grosso. 
Voraussetzung fiir das Solokonzert (G. L. Gregori, G. 
Torelli 1698) war nicht nur der Quartettsatz in Strei- 
cherbesetzung seit etwa 1650, sondern auch die vene- 
zianische Opernarie (Cavalli), deren harmonische An- 
lage sich in den Konzerten Vivaldis wiederfindet. Nach 
Entstehung eines spezifischen Instrumentalsatzes, vor 
allem durch G. Gabrieli, wurden nach 1600 in ver- 
starktem MaBe wieder die Tanze in die I. einbezogen. 
Eine lebhafte Wechselwirkung zwischen dem Satz fiir 
instrumentales Ensemble und der Tanzkomposition 
setzte ein. Das Ergebnis war eine Stilisierung und 
Durchgeistigung der Tanze vom Musikalisch-Techni- 
schen her (-> Suite). Der Gebrauchstanz war nur noch 
als Typus wirksam. Die wechselnde, meist reiche Be- 
setzung wurde im Verlauf des 17. Jh. auf den 4- bzw. 
5st. Streichersatz reduziert, der sich etwa gleichzeitig 
in Italien und Frankreich (Lully) ausbildete. Seit etwa 
1670 trat die -»■ Ouverture genannte Suite die Herr- 
schaft an. In Frankreich eroffnete Ch. de Chambon- 
nieres die Reihe der Clavecinisten (Fr. Couperin, J.-Ph. 
Rameau). Von ihm iibernahm Froberger die Klavier- 
suite, vertiefte aber gleichzeitig den Klaviersatz. Alle 
Wege und Traditionen dieser groBen Zeit der I. lau- 
fen in Deutschland zusammen, wobei auch der Satz 
und das Instrumentarium (Blaser) ungcahntc Bcrcichc- 
rung erfuhren. Hier trat J. S. Bach auf. Sein sprechend- 
artikulierender Instrumentalsatz eroffnete der I. auch 
dort, wo er an Concerto grosso, Triosonate oder Suite 
ankniipft, eine neue Dimension und Aussagekraft und 
sichert ihr von da an den Vorrang. Bachs I. wird auBer- 
dem gepragt von der spezifisch norddeutschen Orga- 
nisten- una Kantorentradition des 17. Jh. Auch fiir 
diese Musik bedeutet Bach die Erfullung. 



26 



401 



Instrumentalmusik 



Schon um 1720 bahnte sich in Italien die Auflosung 
der GeneralbaBkomposition an. Die alten Gattungen 
Triosonate, Concerto grosso und Suite verschwanden 
allmahlich. Insbesondere durch die Opera buffa (Per- 
golesi) entstand ein neuer, auf gleichartigen Kadenz- 
folgen beruhender, beweglicher, in kleinteiligen Sym- 
metrien fortschreitender Satz (z. B. Pergolesis Trioso- 
naten von 1731). Der Typus der italienischen Opern- 
sinfanie, die auch als selbstandiges Konzertstiick diente 
(A.Scarlatti, G. B. Sammartini), fiihrte zur -> Sym- 
phonic der Vorklassiker. Die typische Orchesterbe- 
setzung der italienischen Oper wurde bindend : Streich- 
orchester (3- bzw. 4st.) und harmoniefiillende Blaser 
(Oboen, Horner). Durch J. Haydn, W.A.Mozart und 
Beethoven wurde die Symphonie neben Streichquar- 
tett, Klavierkonzert und Sonate zur vornehmsten Gat- 
tung. In Haydns »russischen« Quartetten (1781) und 12 
Londoner Symphonien, in Mozarts Haydn-Quartet- 
ten (1782-86) und spaten Symphonien, in Beethovens 
9 Symphonien und 16 Quartetten ist ein durch und 
durch instrumentaler Satz von hochster Vergeistigung 
wirksam, der es nicht zuletzt durch konsequent ange- 
wendete motivische Arbeit vermag, jedem Werk ei- 
nen einmaligen Sinn zu geben. Die siiddeutsche instru- 
mentale Tradition der Divertimenti, Kassationen und 
Serenaden hat die Musik der Wiener Klassiker stark 
mitgepragt. Ihr volkstumlich-bodenstandiges Moment 
wurzelt vornehmlich in dieser Tradition. Der Rang 
der Wiener klassischen I. lieB sie schon zu ihrer Zeit als 
Hohepunkt der I. und als Inbegriff der Musik (->- Ab- 
solute Musik) erscheinen. Eine einzigartige Stellung 
nimmt die spate I. von Schubert seit der H moll-Sym- 
phonie (1822) ein, in der das Erbe der Wiener Klassik 
durch die schmelzende Kraft der einheitlichen Lied- 
melodie verwandelt ist. Auseinandersetzung mit dem 
Phanomen der Wiener klassischen Musik sind die »ro- 
mantische« Symphonik einschlieBlich -»■ Symphoni- 
sche Dichtung und -> Programmusik sowie die Kam- 
mermusik des 19. Jh. Einzelne Komponenten erfuhren 
nun neue Ausweitung (Harmonik, Instrumentation). 
Aber an die Stelle des Denkens in groBen musikalischen 
Zusammenhangen traten das Prinzip des Variierens f iir 
sich stehender Gedanken, die Isolierung des -*■ Aus- 
drucks und die als feste »Formen« iibernommenen Gat- 
tungen der Klassiker. Daher finden sich die vielleicht 
vollkommensten und originaren Werke im Bereich der 
Klaviermusik (->■ Charakterstiick, -> Etiide) und im 
ausdrucksbetonten Klavierlied. Neben die in Wollen 
und Sinngebung di vergierende Symphonik trat seit 1850 
immer mehr das musikalische Theater in den Mittel- 
punkt : das in Variation der »Leitmotive« durchkompo- 
nierte und von der »instrumentalen Melodie« getrage- 
ne Musikdrama Wagners, die Opern von Verdi und 
von R.Strauss. Die I. nach Wagner steht stark unter 
dessen Eindruck. Neue Moglichkeiten auch fur die I. 
eroffneten demgegenuber die Opern von Mussorgsky, 
des spaten Verdi, von Debussy und R.Strauss. Die 
Neue Musik des 20. Jh. ist wieder vornehmlich I. (De- 
bussy, Strawinsky, Bartok, Hindemith) ; sie ist gekenn- 
zeichnet teils durch Ankniipfung an die Romantik 
oder durch Abkehr vom Ausdruckselement (Spielmu- 
sik), teils durch klassizistische Hinwendung zu weit zu- 
riickliegender Musik, teils durch Folklore (Melodik, 
Rhythmik) bzw. bewuBte Einbeziehung exotischer 
Musik (z. B. Pentatonik, Gamelan), vor allem aber 
durch Isolierung einzelner musikahscher Elemente 
(Rhythmus, Klanglichkeit, Linearitat usw.). Diese star- 
kere Einbeziehung nicht mehr unmittelbar aus ge- 
schichtlicher Kontinuitat erklarlicher Mittel ist nur als 
I. mdglich, da das Vokale stets auch eine Bindung an 
ungebrochene Tradition bedeutete. Mit -> Zwolfton- 



technik und -> Serieller Musik ist eine Entwicklung 
angebahnt, die das Komponieren mehr und mehr dem 
Bereich der instrumentalen oder vokalen Ausfiihrung 
entriickt, teils durch Ausschaltung des Interpreten 
(->■ Elektronische Musik), teils durch eine ganzlich 
neutrale Einstellung zum ausf iihrenden Medium. 

Lit. : G. Gaspari, Musicisti bolognesi nel s. XVII, Modena 
1875-80; W. J. v. Wasielewski, Gesch. d. I. im XVI. Jh., 
Bin 1878; M. Seiffert, Gesch. d. Klaviermusik I, Lpz. 
1899; O. Korte, Laute u. Lautenmusik, =BIMG I, 
3, Lpz. 1901; K. Nef, Zur Gesch. d. deutschen I. in d. 
2. Halfte d. 17. Jh., =BIMG I, 5, Lpz. 1902; A. Heuss, 
Die Instrumentalstiicke d. Orfeo v. Monteverdi, SIMG 
IV, 1902/03; A. Einstein, Zur Gesch. d. deutschen Lit. 
f. Va da Gamba, BIMG II, 1, Lpz. 1905; F. Pedrell, El 
organista liturgico espahol, Barcelona 1905; A. Sche- 
ring, Zur instr. Verzierungskunst im 18. Jh., SIMG VII, 
1905/06; O. Kinkeldev, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., 
Lpz. 1910; Ch. Van den Borren, Les origines de la mu- 
sique de clavier en Angleterre, Briissel 1912, engl. London 
1913; ders., Les origines de la musique de clavier aux Pays- 
Bas, Briissel 1914; A. Halm, Von zwei Kulturen d. Musik, 
Miinchen 1913, Stuttgart 3 1947; J. Wolf, Tanze d. MA, 
AfMw I, 1918/19; A. Moser, Gesch. d. Violinspiels, Bin 
1923 ; O. Deffner, Ober d. Entwicklung d. Fantasie f. Ta- 
sten-Instr. (bis J. P. Sweelinck), Diss. Kiel 1927; R. v. 
Ficker, Primare Klangformen, JbP XXXVI, 1929; M. 
Fischer, Die organistische Improvisation im 17. Jh., 
= Konigsberger Studien zur Mw. V, Kassel 1929; G. 
Oberst, Engl. Orchestersuiten um 1600. Ein Beitr. zur 
deutschen I. nebst einer Bibliogr. d. Tanzlit. bis 1900, Wol- 
fenbiittel 1929; C. Auerbach, Die deutsche Clavichord- 
kunst d. 18. Jh., Kassel 1930, 21953; H. Spanke, Tanzmu- 
sik in d. Kirche d. MA, Neuphilologische Mitt. XXXI, 
1930; S. Pfau, Die Violinmusik in Italien, 1600-50, Diss. 
Bin 1931; L. Schrade, Die hs. tlberlieferung d. altesten I., 
Lahr (Baden) 1931 ; G. Cesari, Origini delta canzona stru- 
mentale, Einleitung zu: Istituzioni e monumenti dell'arte 
mus. ital. II, Mailand 1932; E. H. Meyer, Die mehrst. 
Spielmusik d. 17. Jh. in Nord- u. Mitteleuropa, = Heidel- 
berger Studien zur Mw. II, Kassel 1934; E. Elsner, Unter- 
suchung d. instr. Besetzungspraxis d. weltlichen Musik im 
16. Jh. in Italien, Diss. Bin 1935 ; R. v. Tobel, Die Formen- 
welt d. klass. I., = Berner Veroff. zur Musikforschung VI, 
Bern u. Lpz. 1935 ; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels u. 
d.Orgelkomposition,2 Bde,Bln 1935-36, 2 1959; O. Schrei- 
ber, Orch. u. Orchesterpraxis in Deutschland zwischen 
1780 u. 1850, =Neue deutsche Forschungen CLXXVII, 
Abt.Mw.VI,Blnl938;E.v.RuMOHR,DerNurnbergischeTa- 
steninstrumentalstiliml7.Jh.,Diss. Miinsteri.W. 1939 ;Ll. 
Hibberd, Musica ficta and Instr. Music ca. 1250-ca. 1350, 
MQ XXVIII, 1942; ders., On Instr. Style in Early Melody 
I, MQ XXXII, 1946; Kn. Jeppesen, Die ital. Orgelmusik 
am Anfang d. Cinquecento, 2 Bde, Kopenhagen 1943, 
21960; Fr. Gieglino, G. Torelli. Ein Beitr. zur Entwick- 
lungsgesch. d. ital. Konzerts, Kassel 1949; Cl. Sartori, 
Bibliogr. della musica strumentale ital. stampata in Italia 
fino al 1700, = Bibl. di bibliogr. ital. XXIII, Florenz 1952; 
Fr. Bose, Instrumentalstile in primitiver Musik, Kgr.- 
Ber. Bamberg 1953 ; U. Siegele, Kompositionsweise u. Be- 
arbeitungstechnik in d. I. J. S. Bachs, Diss. Tubingen 1957, 
maschr.; Fr. W. Riedel, Quellenkundliche Beitr. zur 
Gesch. d. Musik f. Tasteninstr. in d. 2. Halfte d. 17. Jh. 
(vornehmlich in Deutschland), = Schriften d. Landesinst. 
f. Musikforschung Kiel X, Kassel 1960; J Eppelsheim, 
Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Miinchner Veroff. 
zur Mg. VII, Tutzing 1961 ; St. Kunze, Die I. G. Gabrielis, 
ebenda VIII, 1963; E. Southern, The Buxheim Organ 
Book, = Musicological Studies VI, NY 1963; H. M. 
Brown, Instr. Music Printed Before 1600. A Bibliogr., 
Cambridge (Mass.) 1 965 ; D. Schuberth, Splendor imperii 
sonus. Voraussetzungen f . d. Einbeziehung v. Musikinstr. 
in d. abendlandische Liturgie d. friihen MA, Diss, theol. 
Hbg 1965 ; H. R. Zobeley, Die Musik d. Buxheimer Orgel- 
buchs, = Miinchner Veroff. zur Mg. X, Tutzing 1965. 

StK 

Instrumentation heiBt die Verteilung des musikali- 
schen Satzes auf die Instrumente in einer Orchester- 
komposition. Versuche, den Begriff enger zu fassen, 



402 



Instrumentation 



haben sich nicht durchsetzen konnen. Seit Berlioz in 
seinem klassischen Lehrbuch (1844) I. und -*■ Orche- 
stration gleichgesetzt hatte, sind immer wieder Vor- 
schlage zur Unterscheidung gemacht worden: 1) Un- 
ter dem historischen Aspekt sollte die Orchesterbe- 
handlung vor 1750 Orchestration heiBen. 2) I. sollte 
sich auf die fiir Orchester konzipierte Komposition, 
Orchestration hingegen auf die Bearbeitung eines an- 
ders konzipierten Werkes fiir Orchester beziehen. 3) I. 
sollte den Satz fiir Symphonieorchester, Orchestration 
den Satz fiir andere Ensembles (z. B. -> Harmoniemu- 
sik) bezeichnen. Sogar I. und Instrumentierung werden 
gelegentlich unterschieden, um stilgeschichtlich be- 
stimmbare Arten der I. (z. B. Klangfarbe als »Struktur- 
wert« oder als »Ausdruckswert«) begrifflich von einer 
Orchesterbehandlung zu trennen, die stilistisch unab- 
hangig sei. Eindeutig abgrenzbar ist die I. vom ->■ Ar- 
rangement und der -> Bearbeitung (- 2) ; ihnen gegen- 
iiber kann von I. nur da gesprochen werden, wo schon 
im Konzept die Moglichkeiten eines Orchesters mit ver- 
bindlicher Besetzung beriicksichtigt sind oder wo eine 
Vorlage ohne Veranderung der Substanz in die Or- 
chestersprache ubersetzt wird. - Mischung und Kon- 
trastierung der Klangfarben gehoren ebenso zum Be- 
griff I. wie die fachkundige und angemessene Verwen- 
dung der einzelnen Instrumente; und zwar ware in ei- 
ner I.s-Lehre die Verwendung des Einzelinstruments 
als technische Grundlage zuerst zu lehren, erst danach 
die eigentliche I., die Technik der Kombination, Mi- 
schung und Kontrastierung. Gerade diese jedoch hielt 
schon Berlioz fiir nicht lehrbar; er legte das Hauptge- 
wicht auf die Instrumentenkunde und begniigte sich 
damit, den eigentlichen Gegenstand seines Buches an 
Partiturbeispielen zu demonstrieren. Dabei ist es bis 
heute geblieben: Fiir gute I. gibt eskeine Rezepte (L.K. 
Mayer). Einzig E.Wellesz verzichtet auf den instru- 
mentenkundlichen Teil und gibt eine Darstellung der 
I., wie sie sich nach R.Wagner und R.Strauss entwik- 
kelt hat. - Die I. unterliegt, von ihren Anfangen bei 
Monteverdi bis in unsere Tage, in der Tat einer solchen 
Vielfalt von sie beeinflussenden und bedingenden Fak- 
toren (auch etwa sozialgeschichtlicher Art), dafi an eine 
systematische Darstellung und an ein zeitlos gultiges 
Lehrsystem nicht zu denken ist. Wenn z. B . H. Riemann 
vom Klaviersatz ausgeht und die I. von Klavierstiicken 
zum Lehrprinzip erhebt, so ist dieses Verfahren nicht 
schlechthin abzulehnen, sondern als Indiz fiir eine or- 
chestrale Satztechnik zu werten, wie sie z. B. in der 
Symphonik Schumanns zu finden ist. Der Bedeutung 
des Klaviers bei Schumann entspricht bei Bruckner die 
der Orgel, deren Registerprinzip in seiner Orchester- 
behandlung wiederkehrt. 

Der Weg, den die I. vom Absterben der fakultativen 
Besetzung nach 1600 bis hin zum regelmafiigen Ge- 
brauch von Dirigierpartituren in der Opernmusik 
(-*- Partitur) genommen hat, ist ungewiB und kann 
nur aus Beschreibungen, Spielanweisungen und eini- 
gen meist handschrif tlich iiberlieferten Kompositionen 
erschlossen werden. Fest steht, daB die Opernkompo- 
nisten den machtigsten AnstoB gegeben haben und 
daB der solistischen Instrumentalmusik ein bedeuten- 
der Anteil an der Herausbildung eines orchestralen 
Idioms zukommt. Beherrschend blieben fiir die ba- 
rocke I. das GeneralbaBfundament und das Prinzip der 
Variatio per choros (-*■ Mehrchorigkeit). Die Wen- 
dung zur klassischen I. ist demgemaB weniger von der 
Zunahme der Mittel als vom Abtreten des General- 
basses, der durch den Streicherkorper ersetzt wurde, 
und von den Anfangen der -*■ Durchbrochenen Arbeit 
ablesbar. Hatte die Streichertechnik schon bei A. Vival- 
di eine hohe Entwicklungsstuf e erreicht, so ist fiir die 



klassische I. die Differenzierung der Holzblaser, dane- 
ben auch des Schlagzeugs (-> Janitscharenmusik), cha- 
rakteristisch. Der Neigung zum »redenden Prinzip« 
(C. Ph. E. Bach) entspricht das Aufkommen der Klari- 
nette, die einer reicheren Nuancierung fahig ist als die 
anderen Blasinstrumente. Kontrastierung und Klang- 
mischung sind auch iiber die Klassik hinaus Kennzei- 
chen der I. des 19. Jh. Die Tendenz zu »koloristischer« 
statt »struktureller« I. ist unverkennbar, ohne daB je- 
doch eine schroffe Trennung der beiden Momente 
moglich ware. Zwar entwickelte sich die I. vor allem 
in der Opern- und Programmusik, doch wurden die 
in der »malenden« und »redenden« Musik entdeckten 
Klangmittel dann auch zur Verdeutlichung des Ton- 
satzes, zur Unterscheidung der Stimmen, Phrasen, 
Perioden oder Satzgruppen gebraucht. Die VergroBe- 
rung des -»■ Orchesters ist vom Standpunkt der I. her 
gesehen nicht so sehr als quantitative Erweiterung be- 
achtenswert, sondern eher als Folge des Strebens nach 
auBerster Differenzierung, nach Belebung und Durch- 
formung im »Inneren« des Orchestersatzes zu bewer- 
ten. Beispielhaft sind die Partituren R.Wagners. In ih- 
rem Nuancenreichtum einerseits und ihrem Volumen 
andererseits lagen die Keime fiir die kiinf tige Entwick- 
lung der I. Nach 1900 beginnt die Trennung dieser 
beiden Momente, meist bei ein und demselben Kom- 
ponisten, am deutlichsten wohl bei G. Mahler, der trotz 
monumentaler Ausweitung des Volumens die Diffe- 
renzierung der Einzelstimmen so weit treibt, daB von 
einer kammermusikalischen I. eines Riesenorchesters 
gesprochen werden kann. Strawinsky, der an die I.s- 
Kunst Rimskij-Korsakows anschlieBt, R.Strauss, der 
das von Wagner uberkommene Orchester zugleich er- 
weitert und verfeinert, oder A. Schonberg, dessen Gur- 
re-Lieder ein iiberaus voluminoses Orchester auf weisen, 
sie alle verwirklichten friiher oder spater neue instru- 
mentatorische Ideen mit kleinen Ensembles, nutzten 
aber die so gewonnenen Erfahrungen meist auch wie- 
der fiir die I. des groBen Orchesters. Die weitere Dif- 
ferenzierung der I. bis in feinste Verastelungen bei A. 
v.Webern, die -*■ Klangfarbenmelodie Schonbergs, 
aber auch der Riickgriff auf den Klanggruppenkontrast 
der Barockzeit bei P. Hindemith sind fiir die Wandlun- 
gen der musikalischen Sprache um 1920 ebenso be- 
zeichnend wie in der Folgezeit Hindemiths an Bruck- 
ner ankniipfende I., der Versuch einer Rehabilitierung 
des im spaten 19. Jh. ublichen groBen Orchesters bei 
K. A.Hartmann oder die um 1950 aufkommende Ver- 
wendung ungewohnlicher und neuer (z. B. elektroni- 
scher) Klangmittel fiir die stilistische Vielfalt der heuti- 
gen Musik. 

Lit.: Praetorius Synt. II/III; V. Roeser, Essai d'instruc- 
tion a l'usage de ceux qui composent pour la clarinette 
et les cors, Paris 1764; Fr.-J. Fetis, Manuel des composi- 
teurs . . . ou traite methodique de l'harmonie, des instr., 
. . ., Paris 1837; H. Berlioz, Traite d'i. et d'orchestration 
modernes, Paris 1844, erweitert Paris 2 1856, deutsch Lpz. 
1843, NA bearb. v. R. Strauss, Lpz. 1905, 21955; A. Toso- 
roni, Trattato pratico di strumentazione, Florenz 1850; F. 
Gleich, Hdb. d. modernen Instrumentierung f. Orch. 
u. Militar-Musikcorps, Lpz. (1853, 21860, 41903); Fr. 
A. Gevaert, Traite gdneral d'i., Gent 1863, umgearbei- 
tet u. erweitert als: Nouveau traite d'i., Paris u. Briissel 
1 885, deutsch v. H. Riemann, Lpz. 1 887 ; F. Sandi, Tratta- 
to di strumentazione pratica, Mailand 1864; E. Prout, I., 
London (1878), deutsch als: Elementar-Lehrbuch d. I., 
Lpz. 3 1904; L. Bussler, Praktische mus. Kompositions- 
lehre III : I. u. Orchestersatz, Bin 1 879 ; S. Jadassohn, Mus. 
Kompositionslehre, Teil II, Die Lehre v. d. freien Kom- 
position, Bd V: Lehrbuch d. I., Lpz. 1889, 31924; J. Fr. 
Giraud, Le polycorde, ou nouveau traite th6orique et pra- 
tique de musique . . ., Paris 1875, 31876, 51884; H. Rie- 
mann, Katechismus d. Orchestrierung (Anleitung zum In- 
strumentieren), = Hesse's illustrierte Katechismen XXXI, 



26* 



403 



Instrumentation 



Lpz. 1902; Ch.-M. Widor, La technique de Torch, mo- 
derne, Paris 1904, 2 1906, deutsch v. H. Riemann als: 
Die Technik d. modernen Orch., Lpz. 1904, 21929, engl. 
London 1906 u. 1946; E. v. Komorzynsky, Mozarts Kunst 
d. I., Stuttgart 1906; Fr. Mayerhoff, Instrumentenlehre 
I : Text, = Slg GoschenNr 437, Bin u. Lpz. 1909, Neudruck 
1913; R. Haas, Zur Frage d. Orchesterbesetzung in d. 2. 
Halfte d. 18. Jh., Kgr.-Ber. Wien 1909; Fr. Hofer, Instru- 
mentationslehre mit besonderer Beriicksichtigung d. Kir- 
chenmusik, = Slg Kirchenmusik X-XI, Regensburg 1913; 
N. Rimsioi-Korsakow, Osnowi orkestrowki (»GrundIa- 
gen d. Orchestration«), 2 Bde, hrsg. v. M. O. Steinberg, 
Bin, St. Petersburg u. Moskau 1913, Moskau u. Leningrad 
21946, frz. Bin 1914, engl. Bin 1922, in 1 Bd NY 1964; Fr. 
Volbach, Die Instr. d. Orch., = Aus Natur u. Geisteswelt 
Bd 384, Lpz. u. Bin 1913, 21921 ; C. Forsyth, Orchestra- 
tion, London u. NY 1914, 21935; G. Borch, Practical 
Manual of I., NY 1918; M. Schneider, Die Besetzung d. 
vielst. Musik d. 17. u. 16. (sic!, 18.) Jh., AfMw I, 1918/19; 
A. Carse, Practical Hints on Orchestration, London 
(1919); ders., The Hist, of Orchestration, London 1925, 
NY 21964; ders., The Orch. in the 18 th Cent., Cambridge 
1940; V. Ricci, L'orchestrazione nella sua essenza, nella 
sua evoluzione e nella sua tecnica, Mailand 1920; F. G. 
Fidler, A Hdb. of Orchestration, London 1921 ; A. Sandt, 
K. M.v.Weber'sOperninihrerI.,Diss.Ffm. 1921, maschr.; 
H. D. Bruger, Glucks dramatische Instrumentationskunst 
u. ihre gesch. Grundlagen, Diss. Heidelberg 1922, hs. ; O. 
Karsten, Die I. Schumanns, Diss. Wien 1922, maschr.; J. 
Koffler, t)ber orchestrate Koloristik in d. symphonischen 
Werken v. F. Mendelssohn-Bartholdy, Diss. Wien 1923, 
maschr. ; H. Schmidt, Die Einfliisse d. Italiener auf d. I. d. 
Mozartschen Jugendopern, Diss. Miinster i. W. 1923, 
maschr.; W. Weczerza, Das koloristisch-instr. Moment 
in d. Sinfonien J. Haydns, Diss. Wien 1923, maschr.; G. 
Kozlik, Der Haydn'sche Streichersatz, Diss. Wien 1925, 
maschr. ; Fr. Konigshofer, Die Orchestration bei L. van 
Beethoven, Diss. Wien 1927, maschr.; H. J. Moser, Die 
Anfange d. Instrumentationskunst 1600-1750, Das Orch. 
IV, 1 927; V. Zuckerkandl, Prinzipien u. Methoden d. I. in 
Mozarts dramatischen Werken, Diss. Wien 1927, maschr.; 
H. Botstiber, Die I. bei J. Haydn, Das Orch. V, 1928; K. 
Nef, Zur I. im 17. Jh., JbP XXXV, 1928; E. Wellesz, Die 
neue I., 2 Bde, Bin 1928-29; M. Hasse, Die I. J. S. Bachs, 
Bach-Jb. XXVI, 1 929 ; H. Stute, Studien iiber d. Gebrauch 
d. Instr. in d. ital. Kirchenorch. d. 18. Jh., Diss. Miinster 
i. W. 1930; P. Berl, Die Opern G. Verdis in ihrer I., Diss. 
Wien 193 1 , maschr. ; O. Kaul, Die I. Mozarts, Ber. fiber d. 
mw. Tagung d. Stiftung Mozarteum in Salzburg 1931 ; Fr. 
Koschinsky, Das protestantische Kirchenorch. im 17. Jh., 
Diss. Breslau 1931 ; W. Nedwed, Die Entwicklung d. I. v. 
d. Wiener Klassik bis zu d. Anfangen R. Wagners, Diss. 
Wien 1931, maschr.; A. Scherino, Auffiihrungspraxis 
alter Musik, = Musikpadagogische Bibl. X, Lpz. 1931; 
H. W. v. Waltershausen, R. Wagners I., Das Orch. VIII, 
1931 ; Th. Wiesengrund-Adorno, Zur I. v. Bergs friihen 
Liedern, SMZ LXXII, 1931 ; Ch. S. Terry, Bach's Orch., 
London 1932, 21958; N. Ellis, I. and Arranging for the 
Radio and Dance Orch., NY 1936; A. Lorenz, Zur I. v. 
A. Bruckners Sinfonien, ZfM CHI, 1936; A. Schaefers, 
G. Mahlers I., Diss. Bonn 1936; C Thieme, Der Klang- 
stil d. Mozartorch., Diss. Lpz. 1936; B. W. Merrill, Prac- 
tical Introduction to Orchestration and I., Ann Arbor 
(Mich.) 1937; J. Royere, Orchestration, = Collection 
La Phallange, Paris 1937; R. Tenschert, Zur Frage d. 
Brahmsschen I., AMz LXIV, 1937; H. Bartenstein, H. 
Berlioz' Instrumentationskunst u. ihre gesch. Grundlagen, 
= Slg mw. Abh. XXVIII, Lpz. u. StraBburg 1939 ; Fr. Oe- 
ser, Die Klangstruktur d. Bruckner-Symphonie, Lpz. 
1939; W. H. Reese, Grundsatze u. Entwicklung d. I. in d. 
vorklass. u. klass. Sinfonie, Diss. Bin 1939 ; B. Bazala, Die 
Grundziige d. Orchestrierung v. Berlioz bis zu R. Strauss, 
Diss. Lpz. 1943, maschr.; A. Bauer, Der Instrumentator. 
Einfiihrung in d. I., Freising 1949; F. Schroeder, Die I. 
bei Mozart u. seine Bearb. eigener Werke, Diss. Koln 1949, 
maschr. ; A.-F. Marescotti, Les instr. d'orch., leurs ca- 
racteres, leurs possibility et leur utilisation dans Torch, 
moderne, Paris (1951); B. Rogers, The Art of Orchestra- 
tion, NY 1951 ; W. Gurlitt, Das hist. Klangbild im Werk 
J. S. Bachs, Bach-Jb. XXXIX, 1951/52; P. Barzizza, 
L'orchestrazione moderna nella musica leggera, Mailand 



1952; K. W. Kennan, The Technique of Orchestration, 
NY 1952; Ch. Koechlin, Traite de Torchestration I— III, 
Paris 1954-56; S. Kohler, Die I. als Mittel mus. Aus- 
drucksgestaltung, Diss. Lpz. 1955, maschr.; H. Kunitz, 
Die I. Ein Hand- u. Lehrbuch, 12 Teile, Lpz. 1956-60; A. 
Roeseler, Studien zum Instrumentarium in d. Vokalwer- 
ken v. H. Schiitz. Die obligaten Instr. in d. Psalmen Davids 
u. in d. Symphoniae sacrae I, Diss. Bin (FU) 1957; H. 
Erpf, Lehrbuch d. I. u. Instrumentenkunde, Mainz (1959) ; 
R. L. Weaver, 16">-Cent. I., MQ XLVII, 1961 ; H. Becker, 
Gesch. d. I., = Das Musikwerk XXIV, Koln (1964); A. D. 
McCredie, Instrumentarium and I. in the North German 
Baroque Opera, Diss. Hbg 1964. LA 

Instrumentenbau als Zweig der Wirtschaf t kann nur 
in Kulturen entstehen, in denen an das Musikinstru- 
ment hohe Anforderungen hinsichtlich Qualitat und 
Normung gestellt werden und in denen es als wertvol- 
ler Gegenstand auch der Representation dienen oder 
als Sammler- und Handelsobjekt auftreten kann. Un- 
ter diesen Bedingungen hat sich besonders im Abend- 
land der I. aus einer Nebentatigkeit von Handwerkern 
und Musikern zu einem vielfach spezialisierten Hand- 
werk und zu Industrie und Handel entwickelt. Die 
wichtigsten Zweige sind der Orgelbau, -*■ Klavierbau, 
-*■ Geigenbau, dazu seit dem 16. Jh. der Blechblas-, 
spater der Holzblas-I. und in neuester Zeit der Bau von 
Harmonikas und elektrischen Instrumenten. Als Wirt- 
schaftszweig entwickelt ist der I. besonders in Deutsch- 
land, GroBbritannien, Frankreich, Italien (Geigenbau, 
Saiten), Osterreich, Japan (injiingster Zeit mit beson- 
ders preiswerten Instrumenten), den Niederlanden, der 
Schweiz, Skandinavien (Holzinstrumente), der Tsche- 
choslowakei und den USA. Da I. bis heute oft in Fa- 
milientradition ausgeiibt wird, haben sich Schulen des 
I.s und landschaftliche Schwerpunkte gebildet. Zu den 
Aufgaben des Instrumentenbauers gehoren neben der 
Fertigung die Pflege, Reparatur, Restauration, in f riihe- 
rer Zeit auch oft das Umarbeiten, der Entwurf (weniger 
des Prinzips als der auBeren Form) , die Berechnung und 
die Technologie (Werkstoffprufung). In der modernen 
Wirtschaft entstanden iiberregionale Zunftverbande 
des Handwerks und Verbande von Industrie und Han- 
del. Diese Fachverbande sind gegliedert nach GroB- 
(Orgel, Klavier) und Klein-I. Als optimale Betriebs- 
groBe fiir den ersteren hat sich die stadtische Werkstatt, 
fiir den letzteren der Mittelbetrieb (auch in kleinen 
Gemeinden gelegen) herausgestellt. Die Verbande for- 
dern den Export wie den Vertrieb im Inland. Der Ver- 
kauf geht bei groBen Firmen zum Teil durch eigene 
Hauser, sonst durch Musikalienhandlungen, die schon 
seit langem Verbundgeschafte sind und seit etwa 1950 
auch den Verkauf von Phonogeraten betreiben. Der 
Information und Werbung dienen Messen und Kon- 
gresse. Fiir die Ausbildung des Nachwuchses haben die 
Verbande Schulen errichtet, oft in Zentren des histori- 
schen I.s, so in Deutschland fiir den Geigen- und Lau- 
tenbau zuerst in Markneukirchen 1834. Heute sind die 
wichtigsten die Fachschule fiir Musikinstrumentenbe- 
rufe (Meisterschule fiir Orgel-, Klavier- und Harmo- 
niumbauer) in Ludwigsburg und die Staatliche Be- 
rufsfachschule fiir Musik-I. (Holz) in Bubenreuth. 
Lit.: Zflb, hrsg. v. P. de Wit, 1880-1940; Deutsche I.- 
Zeitung, hrsg. v. E. Euting, 1899-1943 ; I. Zs., hrsg. v. H. 
Matzke, seit 1946 ; Das Musikinstr., hrsg. v. E. Bochinsky, 
seit 1952. P. de Wit, Internationales Hand- u. Adressbuch 
f. d. gesamte Musikinstrumentenbranche, Lpz. 1883, ab 
1890: Weltadressbuch d. gesamten Musikinstr.-Industrie, 
zuletzt in 2 Bden, 1 1929/30, II 1926/27. - Th. Berthold u. 

M. Furstenau, Die Fabrikation mus. Instr im koniglich 

sachsischen Vogtlande, Lpz. 1876; P. Kuppers, Ein Beitr. 
zur Gesch. d. Musik-Instrumentenmacher-Gewerbes mit 
besonderer Riicksicht auf Lpz., Diss. Lpz. 1 886 ; H. Nirrn- 
heim, V. Heckscher, P. de Wit, Zur Gesch. d. I., Mitt. d. 
Ver. f. hamburgische Gesch. XIX, 1898 - XXI, 1900; W. 



404 



Instrumentensammlungen 



Kurth, Die hausindustrielle Fabrikation kleinerer mus. 
Instr. im Vogtland u. in Oberbayern, Diss. Lpz. 1910; W. 
Hanger, Die Musikinstr.-Industrie, = A.Weber, Ueberd. 
Standort d. Industrien II, 4, Tubingen 1919; J. Zimmer- 
mann, Die deutschbohmische Musikinstrumentenindustrie 
d.Gebietev:Schonbachu.GrasIitz,Diss.Lpz. 1921,maschr.; 
R. Bruckner, Die Musikinstrumentenindustrie v. Mark- 
neukirchen i. V., Diss. Jena 1923, maschr.; Fr. Jahn, Die 
Niirnberger Trp.- u. Posaunenmacher im 16. Jh., AfMw 
VII, 1925; A. Neumann, Die Musikinstrumentenindustrie 
Deutschlands, Diss. Lpz. 1925, maschr.; G. Bretschnei- 
der, Das Hausgewerbe in d. vogtlandischen Musikinstru- 
mentenindustrie, Diss. iur. Lpz. 1926, maschr.; E. Jahn, 
Die Lage d. vogtlandischen Musikindustrie, d. Interesse 
d. Verlegers an d. Hausindustrie u. Heimarbeit u. d. volks- 
wirtschaf tliche Bedeutung d. Aktienges. f. Geigenindustrie 
in Markneukirchen, Diss. Ffm. 1927; R. Bethmann, Die 
Versorgung d. Welt mit Musikinstr., Diss. Bin 1929; W. 
Theobald, Technik d. Kunsthandwerks im 10. Jh., Bin 
1933; E. Closson, La facture des instr. de musique en 
Belgique, Brussel 1935; H. Rensmann, Die Entwicklung 
u. Bedeutung d. Berliner Musikinstrumentenbaugewerbes 
im Handwerks- u. Industriebetrieb, Diss. iur. Bin 1942, 
maschr.; A. Malecek, Beitr. zur Gesch. d. Wiener Lau- 
tenmacher im MA, Jb. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Wien 
V/VI, 1946/47; P. Loubet de Sceaury, Musiciens et fac- 
teurs d'instr. sous l'Ancien Regime, Paris 1949; H. Hick- 
mann, Fabrikationsmarken an altagyptischen Blasinstr., 
Mf III, 1950; Fr. Lesure, Les facteurs d'instr. de musique 
a Paris au XVI e s., Paris 1950, maschr.; ders., La facture 
instr. a Paris au XVI C s., The Galpin Soc. Journal VII, 
1954; A. Fuchs, Die Standortverlagerung d. sudetendeut- 
schen Kleinmusikinstr.-Industriev. Graslitzu. Schonbach, 
= Schriften d. Inst. f. Kultur- u. Sozialforschung e. V. 
in Munchen IV, Marburg 1953; W. Worthmuller, Die 
Nurnberger Trp.- u. Posaunenmacher d. 17. u. 18. Jh., 
Mitt. d. Ver. f . Gesch. d. Stadt Niirnberg XLV, 1954; ders., 
Die Instr. d. Nurnberger Trp.- u. Posaunenmacher, ebenda 
XLI, 1955; H.-H. Drager, Die hist. Entwicklung d. I., in: 
Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin (1955); 
A. Layer, Die Anf ange d. Lautenbaukunst in Schwaben, Mf 
IX, 1956; J. Martin, Graslitz. Seine AnfSnge u. seine Ent- 
wicklung zur Zentrale d. Blasinstrumentenindustrie d. 
osterreichisch-ungarischen Monarchie 1610-1918, Wien 
1957, maschr.; U. Lachmann, Die Struktur d. deutschen 
Musikmarkts . . ., Diss. iur. Tubingen 1960, maschr.; L. 
G. Langwill, An Index of Mus. Wind-Instr. Makers, 
Edinburgh 1960, 2 1962; H. Haupt, Viennese Instr.-Ma- 
kers from 1791 to 181 5, Kgr.-Ber. Budapest 1961 ; M. Vo- 
gel, Die Intonation d. Blechblaser. Neue Wege im Metall- 
blas-I., = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. Mu- 
sik I, Dflsseldorf 1961. 

Instrumentensammlungen in ihrer modernen 
Form haben neben dem musealen Zweck die Aufgabe, 
den Bestand musikgeschichtlich und ethnologisch be- 
deutsamer Instrumente durch Sammeln, Beschreiben 
und Restaurieren der Forschung als dokumentarisches 
Quellenmaterial zu erschlieBen sowie Vorlagen zur 
Kopie und Neukonstruktion von Instrumenten zu lie- 
fern, die bei der Auffiihrung alter Musik verwendet 
werden. - Als ihre Vorlaufer sind die in den Kunst- 
und Wunderkammern weltlicher und geistlicher Re- 
naissancehofe bzw. reicher Burger (Handelsherren) zu- 
sammengetragenen musealen Sammlungen anzusehen, 
die kiinstlerisch ausgestaltete Prachtstiicke sowie In- 
strumente von Kuriositatswert (alte oder exotische In- 
strumente) enthielten, ferner die fur den praktischen 
Gebrauch der hofischen und stadtischen Musikkapel- 
len bestimmten Instrumentenkammern (oft zusammen 
mit einer Musikaliensammlung). Auf diese in Deutsch- 
land und Italien im 16. Jh. recht zahlreichen Instr.- 
Slgen konnten die mit dem Erwachen des historischen 
BewuBtseins im 19. Jh. entstehenden Instr.-Slgen nur 
selten zuriickgreifen (Ambraser und Estensische Samm- 
lung in Wien, Sammlung Contarini-Correr in Paris 
una Brussel). Den Grundstock zu der heute iiblichen 
Form als offentliches Museum bilden zumeist bedeu- 



tende Privatsammlungen (Crosby Brown, Fryklund, 
Galpin, Heyer, Mahillon, Scheurleer, Snoeck, Ta- 
gore, de Wit). Der Bestand der Instr.-Slgen in Pri- 
vatbesitz (Neupert, Riick), offentlichen Sammlungen 
und von Ausstellungen zu besonderen Anlassen (The 
Royal Military Exhibition, London 1891 ; die Ausstel- 
lung »Musik im Leben der Volker«, Frankfurt am Main 
1927) ist zum groBen Teil in gedruckten Katalogen er- 
fafit. - Fur die altere Zeit geben die erhaltenen Inven- 
tare Auskunft, von denen die wichtigsten sind (mit 
Angabe ihrer Veroffentlichung) : Instrumentarium Isa- 
bellas der Katholischen im Alcazar von Segovia (1503), 
bei F.Pedrell, Emporio cientifico e histSrico de organografla 
musical espahola antigua, Barcelona 1901; Instr.-Slgen 
Heinrichs VIII. von England (1547), in: Fr. W.Galpin, 
Old English Instruments of Music, London 1910, 31932, 
4 1965; Instrumente der Konigin Maria von Ungarn 
(1559), in: H. Angles, La miisica en la corte de Carlos V, 
= MMEsp II, Barcelona 1944; Verzaichnufi Rayd. (Rai- 
mund) Fuggers Instrument vnd Musica 1566, bei A. Sand- 
berger, Bemerkungen . . . zur Musikgeschichte der Stadte 
Niirnberg und Augsburg . . ., DTB V, 1, Leipzig 1904, 
dazu B. A. Wallner, Ein Instrumentenverzeichnis aus dem 
16. Jh., Festschrift A. Sandberger, Munchen 1918, R. 
Schaal, Die Musikinstrumenten-Sammlung von Raimund 
Fugger d.J., AfMw XXI, 1964; Instrumentarium der 
Weimarer Hofkapelle (urn 1570 und 1662), bei A. 
Aber, Die Pflege der Musik unter den Wettinem . . . , 
= Veroffentlichungen des fiirstlichen Instituts fiir mu- 
sikwissenschaf tliche Forschung zu Biickeburg IV, 1, 
Biickeburg und Leipzig 1921 ; Instrumente der Hof- 
kapelle zu Kassel (1573, 1613, 1638), bei E.Zulauf, Bei- 
tr'dge zur Geschichte der Landgrdflich Hessischen Hofka- 
pelle ..., Kassel 1902, sowie Chr.Engelbrecht, Die 
Hofkapelle des Landgrafen Carl von Hessen-Kassel, in: 
Zeitschrift des Vereins fiir Hessische Geschichte und 
Landeskunde LXVIII, 1957; Grazer Instrumenten- 
kammer (1577, 1590), Ambraser Sammlung (1596) und 
Kunstkammer des Manfredo Settala in Mailand (1664), 
bei J. Schlosser, Die Sammlung alter Musikinstrumente, 
Wien 1920; Instrumentarium der brandenburgischen 
Hofkapelle in Berlin (1582, 1667), bei C.Sachs, Musik 
und Oper am kurbrandenburgischen Hof, Berlin 1910; 
Sammlung der Stuttgarter Hofkapelle (1589), bei G. 
Bossert, Die Hofkapelle unter Eberhard III., in: Wiirt- 
tembergische Vierteljahreshefte fiir Landesgeschichte, 
N. F. XXI, 1912 ; Kurf iirstlich-sachsische Instrumenten- 
kammer (1593), bei M. Fiirstenau, Beitrdge zur Geschichte 
der Koniglich sachsischen musikalischen Kapelle, Dresden 
1849, sowie: Ein Instrumenten-Inventarium von 1598, 
Dresden 1872; Instr.-Slg der Herzoge d'Este in Ferrara 
(1598) und Modena (1600 und 1625), bei E. Van der 
Straeten, La musique aux Pays-Bas avant le XIX' sihle, 
Band VI, Brussel 1882. - Bedeutende Instr.-Slgen 
sind: in Basel die Instrumentenabteilung des Histori- 
schen Museums (erste Aufstellung 1894); in Berlin 
die Musikinstr.-Slg beim Institut fiir Musikforschung 
(1888 gegriindet; durch Erwerb von Teilen der Samm- 
lungen de Wit und Snoeck kam ein reicher Bestand 
an europaischen und exotischen, besonders chinesi- 
schen, Instrumenten zusammen, der durch den 2. Welt- 
krieg starke Verluste hinnehmen muBte); in Boston 
die Leslie Lindsey Mason Collection im Museum of 
Fine Arts (Hauptbestand geht auf die 1916 erwor- 
bene Sammlung Galpin zuruck); in Brussel das Mu- 
see Instrumental du Conservatoire Royal de Musique 
(begonnen 1872 mit der Sammlung Fetis, spater er- 
weitert durch die indische Sammlung S.M.Tagore, 
einen Teil der aus dem 17. Jh. stammenden Sammlung 
Contarini-Correr und den flamisch-niederlandischen 
Teil der Sammlung Snoeck); im Haag die Musikab- 



405 



Instrumentensammlungen 



teilung des Gemeentemuseums (aus der 1935 erworbe- 
nen Sammlung Scheurleer hervorgegangen und 1951 
durch den leihweise iiberlassenen Instrumentenbestand 
des Rijksmuseums Amsterdam erweitert); in Kopen- 
hagen das 1897 gegriindete Musikhistorisk Museum; 
in Leipzig das Instrumenten-Museum am Musikwis- 
senschaftlichen Institut der Universitat Leipzig (be- 
griindet 1926 durch Ubernahme der ehedem 2600 
Nummem umfassenden Sammlung Heyer aus Koln, 
im 2. Weltkrieg zu 40% zerstort) ; in London die 1857 
von C.Engel im South Kensington (jetzt Albert & 
Victoria) Museum eingerichtete Instr.-Slg sowie die 
des Royal College of Music (seit 1894 aus den Samm- 
lungen Donualdson, Hipkins, Tagore) ; in New York 
die Crosby Brown Collection im Metropolitan Mu- 
seum of Art (Grundstock ist die 1889 erworbene Samm- 
lung Crosby Brown mit Instrumenten aus alien Kul- 
turkreisen); in Numberg die 1859 begonnene Samm- 
lung des Germanischen Museums; in Paris das Musee 
du Conservatoire de Musique (seit 1861); in Stock- 
holm das 1901 erofmete Musikhistoriska Museet; in 
Wien die Sammlung alter Musikinstrumente im Kunst- 
historischen Museum (hervorgegangen 1814 aus der 
fast vollstandig erhaltenen Sammlung Ferdinands von 
Tirol aus SchloB Ambras, erweitert 1916 durch die 
Estensische Sammlung und 1938 durch das leihweise 
iiberlassene Instrumentenmuseum der Gesellschaf t der 
Musikfreunde). 

Lit.: S. v. Quickelberg, Inscriptiones vel tituli Theatri 
amplissimi, Munchen 1565; J. ROhlmann, Uber Museen 
Oder Slgen mus. Instr., NZfM LXII, 1866; ders., Die 
Grundung eines Instr.-Museums, MfM V, 1873; C. En- 
gel, A Descriptive Cat. of the Mus. Instr. in the South 
Kensington Museum, London 1870, 21874; G. Chouquet, 
Le Musee du Conservatoire National de Musique, Paris 
1875, 21884, Suppl. v. L. Pillaut, 1894, 1899, 1903; V.-Ch. 
Mahillon, Cat. descriptif et analytique du Musee instr. 
(hist, et technique) du Conservatoire Royal de Musique 
de Bruxelles, 4 Bde, Gent 1880-1912, 1 u. II 21893 u. 21909; 
E. de Bricqueville, Les collections d'instr. de musique 
aux XVI e , XVII" et XVIII* s., in: Un coin de la curiosite 
.... Paris 1895; Cat. of the Crosby Brown Collection 
. . ., 4 Bde, =The Metropolitan Museum of Art, Hdb. 
XIII, NY 1904-07; K. Nef, Kat. d. Musikinstr. im Hist. 
Museum zu Basel, in : Fs. zum 2. Kgr. d. International 
Musikges., Basel 1906; G. Kinsky, Kat. d. Musikhist. 
Museums v. W. Heyer in Coin, I Lpz. 1910, II 1912, IV 
1916; ders., Musikinstr.-Slgen in Vergangenheit u. Ge- 
genwart, JbP XXVII, 1920; A. Hammerich, Das Musik- 
hist. Museum zu Kopenhagen, Kopenhagen 1 9 1 1 ; T. Nor- 
lind, Musikhist. Museets i Stockholm, STMf II, 1920; 
J. Schlosser, Die Slg alter Musikinstr., = Kunsthist. 
Museum in Wien. Publikationen aus d. Slgen f. Plastik 
u. Kunstgewerbe III, Wien 1920; C. Sachs, Slg alter Mu- 
sikinstr. bei d. Staatl. Hochschule f. Musik, Bin 1922; 
ders., La signification, la tache et la technique museogra- 
phique des collections des instr. de musique, Mouseion 
VIII, 1934; W. Gurutt, Der mus. Denkmalwert d. alten 
Musikinstr., in: Tag f. Denkmalpflege . . . Breslau 1926, 
Bin 1 927, auch in : Richtlinien zum Schutze alter wertvoller 
Orgeln, zugleich Ber. iiber d. Tagung d. Orgeldenkmal- 
pfleger in Weilheim/Teck, Bin 1958; H. Schultz, Fuhrer 
durch d. Mw. Instr.-Museum d. Univ. Lpz., Lpz. 1929; H. 
Neupert, Fuhrer durch d. Musikhist. Museum Neupert, 
Nurnberg 1938; N. Bessaraboff, Ancient European Mus. 
Instr. An Organological Study of the Mus. Instr. in the 
Leslie Lindsey Mason Collection ..., Boston 1941; A. 
Berner, Die Berliner Musikinstr.-Slg, Bin 1952; A. W. 
Ligtvoegt, Muziekinstr. uit het Rijksmuseum te Amster- 
dam, Den Haag 1952; ders., Exotische en oude europese 
muziekinstr. in de muziekafdeling van het Haagse Ge- 
meentemuseum, ebenda 1955 (auch engl.); W. Serauky, 
Ausgew. instrumentenkundliche Probleme in einem Mu- 
sikinstr.-Museum, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; P. Rubardt, 
Fuhrer durch d. Musikinstr.-Museum d. Karl-Marx-Univ. 
Lpz., Lpz. 1 955; J. H. van der Meer, Gedanken zur Darbie- 
tungeiner Musikinstr.-Slg, Museumskunde XXXIII, 1964. 



intavolieren (von ital. intavolare), intabulieren, auch 
»absetzen«, heifk eine mensural notierte Komposition 
in eine ->■ Tabulator (- 1) iibertragen. 

integer valor notarum (lat., unveranderter Noten- 
wert), in der Mensurallehre (S.Heyden 1537) die ge- 
wohnliche Geltung der Notenwerte, die durch Vor- 
zeichnung von Diminution, Augmentation oder einer 
Proportion verandert werden kann. Reduktion der mit 
Proportionszeichen geschriebenen Noten auf den i. v. n. 
gestattet also die Bestimmung der Temporelationen, 
die in der Mensurallehre als Abwandlungen einer 
gleichbleibenden Grundbewegung verstanden sind. 
Als deren MaBeinheit wird die Semibrevis bei einigen 
Autoren mit den Einheiten anderer regelmaBiger Be- 
wegungen verglichen: bei Gaffori (1496) und Lan- 
franco (1533) mit dem Pulsschlag (etwa M.M. 60-80), 
bei Vanneo (1533) mit dem Gang einer Uhr (etwa 
M.M. 60), bei Buchner (vor 1538) mit dem Schritt ei- 
nes Menschen (etwa M.M. 60-75); dagegen rechnet 
M.Praetorius (1619) 320 Semibreves auf eine Viertel- 
stunde, was M.M. 85 fur eine Semiminima (Viertel- 
note) ergibt und dem heutigen Andante entspricht. 
Neuere Versuche, mit einer Lehre vom i. v. n. zahlen- 
maBig bestimmte Temporelationen noch im Werk 
von Bach, Beethoven und ihren Zeitgenossen zu er- 
mitteln, werden durch derartige Hinweise nicht hin- 
reichend gestiitzt; einerseits ist in der Geschichte der 
Mensuralmusik die Verlangsamung der Notenwerte 
als kontinuierlicher Vorgang zu beobachten, anderer- 
seits sind die genannten Theoretiker besser dahingehend 
zu deuten, daB bereits das friihe 16. Jh. beginnt, Tem- 
pounterschiede bewuBt zu beobachten und damit das 
moderne Taktsystem vorbereitet, das seit dem 17. Jh. 
mit dem Nebeneinander vielfaltig abgestufter Tempi 
rechnet, zwischen denen keine zahlenmaBigen Be- 
ziehungen hergestellt werden. 

Intensitat (Schallstarke) bezeichnet in der physikali- 
schen Akustik die Schallenergiemenge, die bei einer 
ebenen Welle durch die Einheit der Flache pro Zeitein- 
heit befordert wird. 

Interferenz ist der von H. v. Helmholtz definierte Be- 
griff f iir die Erscheinungen, die beim Zusammentreffen 
von Schwingungen oder Wellen mit festen Phasenbe- 
ziehungen auftreten. Haben zwei Schwingungen glei- 
che Frequenz und Phase, so addieren sich die Ampli- 
tuden; sind die Phasen um 180° (= n) gegeneinander 
verschoben, so loschen sich die Schwingungen bei 
Amplitudengleichheit aus. 

Phasengleichheit Phasenunterschied 180° 





I. von zwei Sinusschwingungen. 
I. lafit sich in Raumen mit reflektierenden Wanden bei 
konstantef Frequenz und Amplitude gut beobachten. 
Es bilden sich stehende Wellen, die am Vorhandensein 
von Punkten groBerer und geringerer Intensitat im 
Raum festgestellt werden konnen. 



406 



Intermedium 



Interludium (lat., Zwischenspiel), - 1) (auch ital. in- 
termezzo; frz. entr'acte) in der Oper ein szenisches 
(-> Intermedium) oder instrumentales Zwischenspiel 
zwischen 2 Szenen oder Akten (-*• Intermezzo (- 1); 
- 2) ein Zwischenspiel fur Orgel zwischen Hymnen-, 
Psalm- oder Choralversen oder -strophen, das (wie auch 
Praeludium und Postludium) zu improvisieren war. 
Fur den Gemeindechoral des 18./19. Jh. gait, dafi sich 
das I. motivisch an die Choralmelodie anzulehnen habe, 
sichjedoch von der Strophe unterscheidenmiisse(Tiirk 
1787, Kittel 1801-08, Koch 1802). Seit dem 18. Jh. (D. 
Purcell, The Psalms Set Full for the Organ or Harpskord 
. . . as also with their Interludes . . ., posthum 1718), zu- 
nehmend im 19. Jh. wurden solche Interludiensamm- 
lungen gedruckt. - Selbstandige, oft modulierende 
Satze sind die Interludien zwischen Suiten- und So- 
natensatzen, z. B. die Interludes fur Laute in Th. Mace's 
Mustek's Monument (1676), auch die Interludien in Hin- 
demiths Ludus tonalis. 

Intermedium (ital. intermedio, auch intermezzo; 
frz. intermede) ist die Bezeichnung fur die in Italien 
im 15. Jh. aufgekommene Zwischenaktsunterhaltung, 
die wahrscheinlich von den Rappresentazioni sacre 
ihren Ausgang nahm und bald in die Auffiihrung von 
Schauspielen, vor allem Komodien, eindrang. Dabei 
handelte es sich um reine Pantomimen oder um Maske- 
raden, Tanze oder Musikstiicke, die anfangs mit dem 
Hauptstiick nicht oder nur in sehr loser Verbindung 
standen, aber es manchmal so beherrschten, dafi sie, was 
die Dichter wiederholt beklagten, das ganze Interesse 
des Publikums auf sich zogen. Bereits 1487 sind in den 
Cefalo von Nicold da Correggio Intermedien einge- 
schlossen, wie sie dann fur das 16. Jh. charakteristisch 
sind: Nymphenchor, eine von Coridon und Tirsis vor- 
getragene Ekloge, Faunentanz zurii Klang von Instru- 
menten, Lamento der Musen und Ballo der Nymphen. 
1519 wurden vor Papst Leo X. die Suppositi von Ariost 
mit mehreren Intermedien aufgefiihrt (L'ultimo inter- 
medio fu la moresca, die si rappresentd lafavola di Gorgon, 
etfu assai bella). Gleichermafien prunkhafte wie selb- 
standige Intermedien enthielt die 1513 in Urbino auf- 
gefuhrte Komodie La Calandria des Kardinals Bibbiena 
(Beschreibung in einem Brief Castigliones). Bekannt 
sind die Intermedien von Corteccia zu A. Landis II com- 
modo (1539) und vor allem die 1589 in Florenz als 
-*■ Festmusik aufgefiihrten Stiicke (Intermedii et con- 
cert! . . ., hrsg. v. Cr.Malvezzi, Venedig 1591, NA als: 
Les fetes du mariage . . ., Paris 1963). In ihnen kommen 
zwar bereits Kompositionen fur nur eine Singstimme 
mit Instrumenten vor, doch nicht als Monodie, son- 
dern als diminuierte Madrigale. Fiir die friihen Interme- 
dien trifft die Charakterisierung von M.Praetorius zu 
(Synt. Ill), dafi in comoedien zwischen jedem Actu einefeine 
liebliche Musica Instrumental, mit cornetten, Violen oder 
andem dergleichen Instrumenten vmbwechselnde j bifiweilen 
auch mit Vocal Stimmen angeordnet . . . wird; Damit vnter 
dessen die personatae personae sich anders vmbkleiden vnd 
zufolgendem Actu praepariren. Nach 1600 ist eine Reihe 
kleiner Opern nachweisbar, die ebenfalls noch als In- 
termedien bruchstiickweise zwischen die Akte eines 
Dramas eingeschoben wurden, so D.Bellis Orfeo do- 
lente (1616, zu Tassos Aminta), G.Boschettis Strali 
d'amore (1618) und O. Vernizzis Ulisse e Circe (1619, zu 
Branchis Alteo). Dafi daneben die urspriingliche Tra- 
dition weitergefiihrt wurde, zeigen die Intermedien 
zur Rappresentazione sacra La Maddalena (1617; mit 
Kompositionen von G.B. Andreini, M.Effrem, A. 
Guivizzani, S.Rossi u. a.). Von anderen gleichzeitigen 
Intermedienkomponisten seien die Briider Monteverdi 
(Intermedien zur Idropica von G. B. Guarini, zusammen 



mit S.Rossi und M. da Gagliano, 1608; Musik verlo- 
ren), G. Giacobbi, L. Aleardi und F. Vitali genannt. - 
Die in Oberitalien beheimatete und vom spanischen 
Drama (das seinerseits im Entremes einen eigenen, mit 
Musik und Tanz verbundenen Typ des I.s ausgebildet 
hatte) wiederholt angeregte Gattung fand eine ihrer 
Vielf alt entsprechende Aufnahme im iibrigen Europa. 
Das englische Drama kennt sie ebenso wie das franzo- 
sische Ballet de cour. Als friihe franzosische Belege sind 
die Airs de cour nach Texten von Ronsard (gedruckt 
1571 bei Adrien le Roy) zu den Intermedien von Fon- 
tainebleau zu nennen. Auch in die protestantische Kir- 
chenmusik Deutschlands wurden sie in einer dem geist- 
lichen Rahmen entsprechenden Weise eingefuhrt. So 
finden sich Intermedien als betrachtende Psalmchore 
1643 in derjohannespassion von Th. Selle; bei H. Schiitz 
fiihren sie als konzertierende Einlagen (vokal und in- 
strumental) zu einer Formerweiterung seiner Historia 
von der freudenreichen Geburt (1664). Die Intermedien in 
der italienischen Oper des 17. Jh. zeigen noch haufig 
mythologische Szenen, daneben auch Tanze und seit 
der Mitte des Jahrhunderts zunehmend Einlagen von 
komischem Charakter. In der klassizistischen Tragedie 
lyrique Frankreichs erscheinen Intermedien dagegeh 
nur als Balletteinlagen, die man dem Inhalt der Trago- 
die anzupassen suchte. Bezeichnend ist, dafi in der Lon- 
doner Oper, in der seit 1710 die italienische Sprache 
herrschte, das Englische nur noch im Intermezzo gedul- 
det wurde. Die komischen Elemente der Intermedien 
hatten haufig das Libretto der Opera seria so durchwu- 
chert, dafi der eigentliche Charakter der Oper iiber- 
deckt wurde. Die vor allem von Zeno und Metastasio 
getragene Reform merzte diese fremden Elemente in 
den fiir Wien und andere deutsche Hofe geschriebenen 
Werken aus. In Italien aber blieben sie an den Aktschliis- 
sen sehr im Schwange und iibernahmen als Intermezzi 
die Stellung der fruheren Intermedien, meist in burles- 
ken Duoszenen fiir Sopran (Dienstmagd) und Bafibuf- 
fo. Wegen ihrer Unabhangigkeit von der Haupthand- 
lung wurden diese Szenen nicht selten aus einer Oper 
in eine andere ubernommen. Der Plural Intermezzi 
wird auch zur Bezeichnung eines Werkes mit abge- 
schlossener Handlung gebraucht, weil es sich um 2 oder 
mehrere Zwischenaktsszenen handelt: Zu A. Scarlattis 
Oper Scipione nelle Spagne (1714, Libretto von Zeno) 
sind die Buffoszenen Pericca e Vallone erhalten, die 1730 
in Bologna als La dama spagnola ed il cavalier romano auf- 
gefiihrt wurden; Scarlattis Buffoszenen Despina e Niso 
wurden 1714 mit seiner Oper L'amorgeneroso und 1724 
mit G. M. Orlandinis Antigona aufgefiihrt. Die Autor- 
schaft Scarlattis an dem Intermezzo Palandrana e Zam- 
berlucco zu seiner Oper Carlo re d'Allemagna (1716) ist 
nicht gesichert; von Vespetta e Milo (1717 fiir Lottis 
Giove in Argo) ist die Musik verloren. Das historisch 
bedeutsamste Werk dieser Gattung ist das Intermezzo 
La serva padrona von Pergolesi, 1733 fiir seine Opera 
seria II prigionier superbo komponiert. Mit diesem Werk 
setzt die eigentliche Geschichte der Opera buffa ein; 
es loste 1752 in Paris den -»• Buffonistenstreit aus und 
gab einen entscheidenden Anstofi fiir die franzosische 
komische Oper. Angeregt von Pergolesi und aus Ver- 
ehrung fiir ihn schrieb J.-J. Rousseau sein Intermede Le 
devin du village (1752) ; A. Dauvergne folgte dem italie- 
nischen Beispiel mit Les Troqueurs (1753). 
Ausg.: Les fetes du mariage de Ferdinand de Medicis et 
de Christine de Lorraine, Florence 1589, I, Musique des 
intermedes de »La Pellegrina«, hrsg. v. D.P.Walker, F. 
Ghisi u. J. Jacquot, = Collection »Le Choeur des Muses«, 
Paris 1963. 

Lit. : A. D'Ancona, Sacre rappresentazioni dei s. XIV, XV 
e XVI, 3 Bde, Florenz 1873; ders., II teatro mantovano nel 



407 



Intermezzo 



s. XVI, Giornale storico della letteratura ital. VII, 1886 
(auch Turin *l 89 1 ) u. A. New, Gli »Intermezzi« del »Pastor 
fido«, ebenda IX, 1888; ders., Le origini del teatro ital., 2 
Bde, Turin 21891 ; G. Carducci, Su l'»Aminta« di T. Tas- 
so ..., = Bibl.critica della letteratura ital. XI, Florenz 1896; 
H.GbLDSCHMiDT,StudienzurGesch.d.ital.Operiml7.Jh., 
2 Bde, Lpz. 1901-04; A. Solerti, Le origini del melodram- 
ma, Turin 1903 ; ders., Gli albori del melodramma, 3 Bde,. 
Palermo 1904-05; ders., Musica, ballo e drammatica alia 
cortemediceadall600al 1637, Florenz 1905; R. Rolland, 
L'op6ra avant i'opera, in: Musiciens d'autrefois, Paris 
1908 ; E. Cotarelo y Mori, Coleccion de entremeses, loas, 
bailes, jacaras y mojigangas desde fines del s. XVI a me- 
diados del XVIII, 2 Bde, Madrid 191 1 ; M. Fehr, A. Zeno 
u. seine Reform d. Operntextes, Diss. Zurich 1912; ders., 
Pergolesi u. Zeno, SIMG XV, 1913/14; H. Prunieres, Le 
ballet de cour en France avant Benserade et Lully, Paris 
1914; J. Pulver, The Intermezzi of the Opera, Proc. Mus. 
Ass. XLIII, 1916/17; O. G. Th. Sonneck, A Description 
of A. Striggio's and F. Corteccia's Intermedi »Psyche and 
Amor« 1 565, in: Miscellaneous Studies in the Hist, of Music, 
NY 1921; A. Einstein, Firenze prima della monodia, Rass. 
mus. VII, 1934; ders., The Ital. Madrigal, 3 Bde, Princeton 
(N. J.) 1949; F. Ghisi, Feste mus. della Firenze medicea, 
1480-1589, Florenz 1939; U. Rolandi, II libretto per mu- 
sica attraverso i tempi, Rom 1951 ; L. Maoagnato, Teatri 
ital. del Cinquecento, Venedig 1954; S. T. Worsthorne, 
Venetian Opera in the 17 lh Cent., Oxford 1954; H. Engel, 
Nochmals d. Intermedien v. Florenz 1 589, Fs. M. Schnei- 
der, Lpz. (1955); Les fetes de la Renaissance I, hrsg. v. J. 
Jacquot, Paris 1956. 

Intermezzo (ital.), - 1) ein szenisches (->• Intermedium) 
oder instrumentales (Mascagni, Cavalleria rustkana; 
Fr. Schmidt, Notre Dame; Berg, Lulu) Zwischenspiel 
in einer Oper. - 2) im 19. Jh. Bezeichnung fur ein 
-> Charakterstiick, sowohl als selbstandiges Stuck 
(Schumann op. 4, Brahms, Reger) als auch als (meist 
Mittel-)Satz des Sonaten-Satzzyklus (Schumann, Kla- 
vierkonzert) oder als Trio eines 3teiligen Satzes (Schu- 
mann, im Scherzo der Sonate op. 11). 

Interpretation ist als nachschopferisches Verwirkli- 
chen musikalischer Komposition durch den Instru- 
mentalisten, Sanger oder Dirigenten (->- Dirigieren) 
nicht nur Auslegung (lat. interpretatio) eines Sinntra- 
gers, sondern zugleich Umschaffen (Ubersetzen bzw. 
Riickiibersetzen) eines Sinntragers Schrift in den Sinn- 
trager Klang. In der Spanne zwischen dem Notenbild, 
das auf den Akt jenes Umschaffens berechnet und an- 
gewiesen ist, und seinem Erklingen kommen - auf der 
Ebene des Verstehens und Auffassens - Qualitat, Sub- 
jektivitat und Geschichte der I. ins Spiel. - Geschichte 
hat aber bereits das Verhaltnis zwischen Schrift und 
Erklingen. In alterer Zeit ist Klangverwirkhchung 
noch nicht eigentlich I., sondern »Ausfiihrung« (exe- 
cutio) von Vorschriften (wie beim friihen Organum) 
oder eines Schriftbildes, das mit jenen Praktiken der 
Klangverwirkhchung rechnet (im Barock z. B. Be- 
setzungsart, GeneralbaB, Ornamentik, Kadenz), die 
durch Tradition, Gepflogenheit und Regeln in einem 
weiten Spielraum zu »Selbstverstandlichkeiten« gefe- 
stigt waren. Und in jiingster Zeit basiert Klangver- 
wirkhchung nicht mehr auf I., wo die Schallplatte in 
Fortsetzung des Aufzeichnungsprozesses die authenti- 
sche Fassung fixieren soil (Strawinsky) oder wo die nur 
andeutenden Diagramme der Aleatorik die Ausfiih- 
rung zur Wahl stellen oder wo Elektronische Musik 
und Musique concrete die I. ausschalten. - Begriff und 
Sache der I. wurden zu jener Zeit (besonders seit Mitte 
des 18. Jh.) zunehmend aktuell, wo der Komponist zu- 
gunsten der »Originalitat« seiner Aussage die Distanz 
zwischen Schrift und Erklingen zu verringern strebte 
und von der Ausf uhrung gefordert wurde, dafi sie dem 
Charakter des Tonstiicks, und der Absicht des Tonsetzers 
vollkommen entspricht (KochL, Artikel Ausfiihrung). Je 



mehr die neuzeitliche Musik Ausdruck subjektiver 
Innerlichkeit wurde (und je diffiziler ihre Technik), 
desto mehr forderte sie, auch durch -> Vortragsbe- 
zeichnungen, den Durchgang durch die Subjektivitat 
des Ausf iihrenden, der als Interpret (und -»■ Virtuose) 
besonders seit dem 19. Jh. Triumphe feiert. Fur H. Rie- 
mann ist dementsprechend musikalische I. weitgehend 
identisch mit jener Art »lebendigen Vortrags«, dessen 
Gesetzlichkeiten er in eiher Lehre vom -*• Ausdruck 
systematisch zu erfassen suchte. Doch Kunst und Pro- 
blematik der I. steigern sich nicht nur zusammen mit 
der Subjektivitat der Aussage (auchtechnischenSchwie- 
rigkeit) der Komposition, sondern zusammen auch 
mit deren geschichtlicher Entfernung. Ebenfalls im 19. 
Jh. wurde Musik der Vergangenheit ein Gegenstand 
der Wiederbelebung. Die Schwierigkeiten der richti- 
gen I. aber vergroBern sich in dem MaBe, als das aus- 
zuf iihrende Werk in Niederschrift und Art der gelau- 
figen Musikiibung fernliegt und die Forderung nach 
historisch getreuer Wiedergabe gestellt wird. Zur Er- 
f iillung dieser Forderung sind Wissenschaf t und Lehre 
der ->• Editionstechnik und -*■ Auffiihrungspraxis ent- 
standen. Doch schon jegliches Ubersetzen eines origi- 
nalen Notentextes ins heute verstandlichere Bild und 
auch jeder Versuch der Rekonstruktion alter Musizier- 
praktiken sind I. geschichtlicher Gegebenheiteri. - Die 
Qualitat der I. gilt als abhangig vom Grad der Annahe- 
rung ans kompositorisch Gemeinte. Doch das Streben 
nach der richtigen I. wird getragen und zugleich durch- 
kreuzt durch die individuelle und geschichtliche Sub- 
jektivitat des Interpreten. Mit ihrem Entstandensein 
tritt die Komposition, selbst eine geschichtliche GroBe, 
zugleich in eine Geschichte ihrer I. ein. Zeichen dieser 
Geschichte des Verstehens und Ubersetzens sind z. B. 
das Verandern von Ausfiihrungspraktiken, so das ak- 
kordische Aussetzen des Gregorianischen Gesangs und 
die B. c.-Begleitung von a cappella-Werken im 17. Jh., 
und innerhalb der schrif tlichen Fixierung die -> Bear- 
beitung als Anpassung an den lebendigen Zeitstil, so 
z. B. die Neuinstrumentierung von Werken Handels 
durch Mozart 1788-90 (K.-V. 566, 572, 591, 592) oder 
in neuerer Zeit als ein Paradigma solchen Bearbeitens 
A. Weberns Instrumentation des 6st. Ricercars aus J. S. 
Bachs Musicalischem Opfer: um diese Musik endlich zu- 
ganglich zu machen, indem ich versuchte, darzustellen . . ., 
wie ich sie empfinde . . . Bestandig bieten die Werke der 
Vergangenheit Moglichkeiten des MiB- und Neuver- 
stehens ihrer ursprunglichen Intention zugunsten ihrer 
geschichtlichen Wirksamkeit, ihrer Gultigkeit im Ge- 
genwartigen. I. ist das Zusammenwirken mehrerer 
GroBen: des Werkes selbst in seiner Geschichtlichkeit, 
des Willens zu ihm und der Zeitbedingtheit dieses 
Willens. 

I. ist auch theoretische I. durch das Wort. Sie erfordert 
das Ubersetzen der Sinntrager Tonschrift/Erklingen in 
Worter: das »Zur Sprache-Bringen« der Musik als Akt 
der Transformation von einem Medium des Denkens 
und Aussagens in ein anderes. Die I. als erklarendes 
Wort dient der praktischen I., dem Umschaffen von 
Schrift in Erklingen, oder sie dient dem musikalischen 
Horen als Verstehenshilfe. Doch in ihrer eigentlich 
theoretischen Zielsetzung dient sie nicht, sondern ver- 
leiht dem Werk jene Weise des Daseins, die es nur auf 
der Ebene der Worter und Begriffe gewinnt und die 
unter der Frage steht: Was ist das? Stufen der theoreti- 
schen I. sind das Beschreiben (das schon in der Wahl 
der Worter und Termini unausweichlich interpretiert; 
-> Terminologie), das Erklaren (das als -> Analyse die 
Kompositionsart und deren Sinn entdeckt) und das 
Deuten (das den der Musik immanenten Gehalt zur 
Sprache bringt). Diese Stufen sind unloslich aufeinan- 



408 



Intervall 



der bezogen: Beschreiben ohne Erklaren bleibt blind, 
so wie bloBes Deuten (Schreiben iiber Musik ohne Be- 
schreiben und Erklaren) leer ist. Gescbichtsschreibung 
der Musik unter dem Aspekt der I., die ausschlieBlich 
in der Komposition selbst sowohl die Einmaligkeit und 
Qualitat als auch die f iir Geschichte und Prinzip exem- 
plarische Bedeutung desWerkes aufzeigt, ist eine noch 
weitgehend unbewaltigte Aufgabe der Musikwissen- 
schaft, die freilich auch als »Struktur-Analyse« die bio- 
graphische, quellenkundliche, sozialgeschichtliche usw. 
Fragestellung und Forschung einzubeziehen hat. Dabei 
muB die I. ihre Methode am Gegenstand stets neu ent- 
wickeln (Rezepte der I. gibt es nicht). Und wie die 
praktische, hat auch die theoretische I. unausweichlich 
Geschichte zuf olge der geschichtlichen und individuel- 
len Subjektivitat des Interpreten. 
Lit.: A. Dolmetsch, The I. of Music of the XVII th and 
XVIII 01 Cent, London (1916, 21946); K. Fabian, Die 
Objektivitat in d. Wiedergabe v. Tonkunstwerken ..., 
Diss. Hbg 1929; I. Strawinsky, Poetique mus., Paris u. 
NY 1942, Dijon 5 1945, erweitert Paris 1952, engl. Cam- 
bridge (Mass.) 1942 u. 1947, London u. Oxford 1948, NY 
1956, deutsch v. H. Strobel als: Mus. Poetik, Mainz 1949, 
21960; Th. Dart, The I. of Music, London 1954, deutsch 
als : Practica Musica. Vom Umgang mit alter Musik, = Slg 
Dalp XXIX, Bern u.Munchen(1959);THR.G.GEORGiADES, 
Die mus. I., Studium Generale VII, 1954; E. Jammers, In- 
terpretationsfragen ma. Musik, AfMw XIV, 1957; M. Pin- 
cherle, On the Rights of the Interpreter in the Performance 
of 17 th - and IgU'-Cent. Music, MQ XLIV, 1958;Th.Wohn- 
haas, Studien zur mus. Interpretationsfrage (Anhand v. 
Schallplattenaufnahmen d. Coriolan-Ouvertiire Beetho- 
vens), Diss. Erlangen 1959; Vergleichende Interpretations- 
kunde, = Veroff . d. Inst, f . Neue Musik u. Musikerziehung 
Darmstadt IV, Bin 1963; Th. W. Adorno, Der getreue 
Korrepetitor. Lehrschriften zur mus. Praxis, Ffm. 1963; 
R. Hammerstein, Musik als Komposition u. I., DVjs. XL, 
1966. HHE 

Interrogatio (lat., Frage), musikahsche Figur der Fra- 
ge: zumeist Sekundschritt aufwarts. Die I., in dieser 
Form schon im mittelalterlichen Choral eine fest- 
stehende Melodieformel, ist den Komponisten und 
der Musiklehre des 16.-18. Jh. zwar gelaufig (Bernhard: 
Die Fragen werden gemeinem Brauche nach am Ende eine 
Secunde hbher als die vorhergehende Sylbe gesetzt), doch 
wird sie erst im 18. Jh. von J. A. Scheibe als Figur ange- 
sprochen. 

Lit. : P. Mies, Die Behandlung d. Frage in d. Bachschen 
Kantaten, Bach-Jb. XVII, 1920. 

Intervall (lat. intervallum, Zwischenraum; griech. 
8iaaT»]|jwc) ist heute sowohl der Abstand (->• Distanz) 
als auch das Verhaltnis zweier nacheinander (sukzessiv) 
oder gleichzeitig (simultan) erklingender Tone. Im 
Sinne von Tonabstand gibt es das Wort bereits in der 
Antike (harmoniam autetn ex intervallis sonorum nosse 
possumus, Cicero, Tusc. I, 41). Die im Mittelalter hau- 
fige Definition: intervallum est vocis a voce, seu soni acuti 
gravisque distantia, geht auf Boethius zuriick (De insti- 
tutione musica V). Sie hat iiber Zarlino (1558) und J.-J. 
Rousseau (1768) bis ins 19. Jh. nachgewirkt (z. B. bei 
G.Weber: Die Entfernung von einem hohern Ton zu ei- 
nem tiefem . . . nennt man I.). Daneben kannte das Mit- 
telalter noch andere Bezeichnungen fiir Tonhohenab- 
stande bzw. -unterschiede, wie modus, spatium, diaste- 
ma und coniunctio. 

I.e konnen einerseits nach ihrer Distanz quantitativ 
gemessen, andererseits im Hinblick auf ihren Grad an 
-> Konsonanz und Dissonanz (-1) qualitativ beschrie- 
ben werden. Fiir die I.-Messung wird heute allgemein 
die -> Cent-Rechnung von A.Ellis benutzt, die jeden 
gleichschwebend temperierten Halbton in 100 gleiche 
Teile zerlegt. Auch die seit den Kontrapunkttraktaten 



des 14.-15. Jh. gelaufige Bezeichnung der I.e als Prime, 
Sekunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte, Septime, Oktave 
usw. begniigt sich mit einer Abstandsmessung, setzt 
allerdings (wie die Liniennotation) den Wechsel von 
Ganz- und Halbtonschritten des diatonischen Tonsy- 
stems voraus, so daB z. B. die Quarte nicht mit 3, son- 
dern mit 2^2 Ganztonen bemessen ist. In der mathe- 
matischen Theorie der Griechischen Musik werden die 
I.e qualitativ als Zahlenverhaltnisse beschrieben und 
diese am Monochord durch die Proportionen der klin- 
genden Saitenlange horbar gemacht. Dem entspricht 
die Bezeichnung der I.e (in der latinisierten Form): 
semitonium (»Halbton«), tonus (»Ton«), semiditonus 
(»Anderthalbton«), ditonus (»Zweiton«), diatessaron 
(»durch vier«, d. h. der im Durchgang durch vier Tone 
erreichte Zusammenklang), tritonus (»Dreiton«), dia- 
pente (»durch fiinf«), semitonium cum diapente, tonus 
cum diapente, ditonus cum diapente, diapason (»durch 
alle«). Die durch die Art ihrer Benennung deutlich her- 
ausgehobenen Symphoniai (consonantiae) entsprechen 
deneinfachenZahlenverhaltnissen 1 : 2 (diapason = Ok- 
tave), 2:3 (diapente = Quinte) und 3:4 (diatessaron 
= Quarte) ; sie allein sind »feststehend«. Im Gegensatz 
zu ihnen gelten die kleineren I.e als Diaphoniai (disso- 
nantiae) und »beweglich«; sie werden im Durchgang 
durch ein symphones I. verwirklicht; ihre zahlenmaBi- 
ge Darstellung stimmt bei den verschiedenen Autoren 
nicht iiberein, mit Ausnahme des Ganztons 8:9, der 
als Differenz zwischen Quarte und Quinte oder 2 
Quarten und Oktave (diazeuxis) zu den das -> Systema 
teleion konstituierenden I.en gehort, womit zugleich 
seiner Bedeutung fiir die Melodik Rechnung getragen 
wird. Von weittragender Bedeutung wurde die Klassi- 
fikation der I.e bei Ptolemaios (I, 7) in Phthongoi ho- 
mophonoi (sgleichklingende T6ne«, Oktave und Dop- 
peloktave), symphonoi (»zusammenklingende«, Quin- 
te und Quarte mit ihren Oktavversetzungen) und em- 
meleis (die ubrigen »im Melos« vorkommenden I.e), 
die Boethius (V, 5ff.) ins Lateinische iibertrug als Voces 
aequisonae, consonae, emmeles. Das spatere Mittelal- 
ter klassifizierte die I.e meist an Hand der Termini 
-»■ Concordantia (oder consonantia, ->- Konsonanz - 1, 
auch symphonia, -*■ Symphonie) und -*■ Discordantia 
(dissonantia). - Ist das griechische Systema teleion eine 
ideale Konstruktion, die sich durch Zusammenstellung 
aller iiblichen I.e ergibt, so geht dagegen Boethius von 
einem wirklichen, diatonischen Tonsystem aus, in dem 
alle moglichen I.e gegeben sind. Im Mittelalter stehen 
beide Arten von Tonordnungen nebeneinander. Vom 
I. her auf gebaut sind z. B. das byzantinische und das russi- 
sche Tonsystem sowie das Tetrachordsystem der Mu- 
sica Enchiriadis (-> Dasia-Zeichen). Die Oktave, in den 
Boethius folgenden Tonordnungen Prufstein und Aus- 
gangspunkt aller I.-Bestimmungen, ist bei solchen vom 
I. her aufgebauten Systemen nicht konstitutiv; so sieht 
die Musica Enchiriadis iiber B und f die ubermafiigen 
Oktaven h und fis 1 vor, obgleich die Praxis des Orga- 
numsingens mit Oktavverdopplung rechnet (womit 
sich b und f 1 ergibt). Nach Guido von Arezzo gilt fiir 
mehrere Jahrhunderte eine doppelte Tonbezeichnung. 
Geben die Tonbuchstaben a, b, c, d, e, f, g, nun auch in 
der Liniennotation und ihren Schlusseln dargestellt, 
eine Stclle im Tonsystem an, ohne den Wechsel von 
Ganz- und Halbtonschritten zu beriicksichtigen, so 
definieren die Tonsilben ut, re, mi, fa, sol, la (-*■ Sol- 
misation) einen Ton durch die ihn umgebenden I.e, 
vor allem zum nachsten Halbtonschritt; jedes Re hat 
Ganzton und kleine Terz iiber sich, jedes Mi einen 
Halbton iiber sich, jedes Fa einen Halbton unter sich 
usw. Da jedes -> Hexachord um je einen anderen 
Halbton (e-f ; a-b ; h-c) zentriert ist, ergibt sich bei den 



409 



Intervall 

Tonsilben Oktavwiederholung nur sekundar; die Ok- 
tave liber dem dre des Hexachordum naturale wird 
im Aufstieg durch die dorische Tonleiter als dsol des 
Hexachordum durum erreicht und kann erst durch 
-> Mutation (- 1) wieder in ein dre verwandelt werden. 
Die zunehmende Einfiihrung chromatischer Tonstu- 
fen fiihrte um 1500 zur Entstehung der mitteltonigen 
Temperatur und damit, zunachst im Spiel der Tasten- 
instrumente, zur Fixierung des Gebrauchs unreiner I.e. 
Von Italien ausgehend, bahnte sich im 16. Jh. der Uber- 
gang vom kontrapunktischen Satz, dessen Zusammen- 
klange auf der je besonderen Konstellation der I.e zwi- 
schen den einzelnen Stimmen beruhen, zum akkordi- 
schen Satz an, in dem die I.-Struktur durch Riickfiih- 
rung auf die Grundform des Akkords zu deuten ist. 
Rameau, der den Dreiklang als »natiirliches Prinzip 
der Harmonie« erklart, ist zugleich Verfechter der 
gleichschwebenden Temperatur. Diese begrenzt die 
Zahl der wirklichen I.e auf die moglichen Kombinatio- 
nen von 12 Halbtonen innerhalb einer Oktave; doch 
kann in ihnen eine unendliche Zahl von I.en vorge- 
stellt werden, und die gleichklingenden I.e sind je nach 
dem Satzzusammenhang verschieden zu deuten. So ist 
c-es als kleine Terz konsonant, das gleichklingende 
c-dis als UbermaBige Sekunde -*■ Auffassungsdissonanz. 
Die Moglichkeit, durch enharmonische Umdeutung 
von I.en und Klangen unerwartete melodische und 
harmonische Fortschreitungen zu rechtfertigen, ist f iir 
die Harmonik des 18.-19. Jh. grundlegend. Dagegen 
geht Schonberg in seiner Zwolftonmusik davon aus, 
dafi immer das erklingende temperierte I. selbst ge- 
meint ist. Die neueste Musik bezieht in zunehmendem 
MaBe auch irrationale I.e in die Komposition ein; ne- 
ben Busonis und Habas Propagierung der !/,(-, '/3- und 
J/e-Tone fordern vor allem die elektronische Kompo- 
sition und die Begegnung mit auBereuropaischen Musi- 
zierweisen diese Entwicklung. 

Prime, Quarte, Quinte und Oktave gelten als reine 
I.e, eine Charakterisierung, die sich erst im 19. Jh. 
durchgesetzt hat (noch A.B.Marx spricht von »gro- 
Ben« statt von reinen Quinten). Alteriert werden sie zu 
iibermaBigen und verminderten. Die anderen I.e sind 
entweder groB oder klein; alteriert werden die gro- 
Ben zu iibermaBigen und die kleinen zu verminderten. 
Jedes einfache I. kann durch sein Komplementir-I. zur 
Oktave erganzt werden, z. B. Quinte 4- Quarte = Ok- 
tave (-> Umkehrung). Im europaischen -*■ Tonsystem 
gelten seit dem 16. Jh. nur die Dreiklangs-I.e Prime 
oder Oktave, (groBe) Terz und reine Quinte als »direkt 



verstandlich« (M.Hauptmann). Da es keine weiteren 
einheitlich auffaflbaren Zusammenkldnge, keine ,Klange' 
gibt, als den Oberklang (Durakkord) und Unterklang 
(Mollakkord), vielmehr alle anderen noch so komplizierten 
Bildungen im Sinne tines dieser beiden uerstanden werden, 
so lassen sich tatsachlich alle Tonbeziehungen auf die Grund- 
I.e oder naturlichen I.e: Oktave, Quinte, Terz zuriickfuh- 
ren (H.Riemann «1918, S. 59). Danach erscheint z. B. 
(immer mit Oktavtransposition) die grofie Sekunde 
(c-d) als 2. Oberquinte oder als groBe Oberterz der 
2. Unterquinte, die groBe Septime (c-h) als 5. Ober- 
quinte oder als groBe Oberterz der Oberquinte oder 
als 2. groBe Oberterz der 3. Unterquinte. Aus der 
fortwahrenden Durchkreuzung von Quint- und GroB- 
terzbeziehungen in der tonalen Musik ergeben sich weit 
mehr I.e als unsere pythagoreisch orientierte Noten- 
schrift darzustellen imstande ist. In der untenstehen- 
den, beliebig zu erweiternden Ubersicht ist jeder ho- 
rizontale Schritt ein Quintschritt, jeder vertikale ein 
Terzschritt. Die Striche (Kommastriche) uber bzw. 
unter den Tonnamen gehen auf A. v. Oettingen zu- 
riick - sie wurden von H.v.Helmholtz, H.Riemann 
(Musik-Lexikon, 1. — 11. Auflage) u. a. in umgekehrter 
Anordnung iibernommen. Nach A. v. Oettingen be- 
deutet gegeniiber dem gleichnamigen, von c aus durch 
Quintschritte erreichbaren Ton ein Strich uber dem 
Tonbuchstaben die Vertiefung, unter dem Tonbuch- 
staben die Erhohung um ein syntonisches Komma. So 
ist z. B. das dem c nachstverwandte dis (mit 2 Komma- 
strichen) uber zwei Terzen und eine Quinte zu errei- 
chen und um 2 Kommata defer als das dis der Hori- 
zontalreihe von c (9. Oberquinte). Oktavtranspositio- 
nen werden nicht beriicksichtigt, da sie auf die Ton- 
verwandtschaft keinen EinfluB ausiiben. - A. v. Oettin- 
gen entwickelte spater (1913) eine Notenreinschrift, 
mit deren Hilfe sich alle erdenklichen Tonbeziehun- 
gen innerhalb unseres Funfliniensystems eindeutig 
darstellen lassen. Alle diese Notationen sind f iir die to- 
nale Analyse von Bedeutung. Die Musizierpraxis 
kann auf sie verzichten, da die tonverwandtschaftlich 
richtige Auffassung der I.e vom Kontext und nicht von 
der Intonation abhangt. Hier spielen historisch beding- 
te Horgewohnheiten eine wichtige Rolle, z. B. die 
lange Gewohnung an die gleichschwebende -*■ Tem- 
peratur, die ihrerseits eine asthetisch allgemein befrie- 
digende akustische Realisation der komplizierten Ton- 
beziehungen der dur-moll-tonalen Musik erst ermog- 
licht hat. Denn auch auf Instrumenten, deren »Tonorte« 
nicht fixiert sind, muB der Ausf iihrende zwischen dem 

Oberquinte 
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 



Oberterz 



3. 
2. 
1. T 



ais eis his fisis cisis gisis 
e h lis cis gis dis ais eis his 
c g d a e h fis cis gis dis 



deses asas eses heses fes ces ges des as es b f c g d a e h fis cis gis dis ais eis his 

heses fes ces ges des as es b f c g 1." 

deses asas eses heses fes ces ges des as 2. 
ceses geses deses asas eses 3. 

12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1. 

I I 



Unterterz 



Unterquinte 



410 



Tonbezeichnung und Intervall (bezogen auf c) 



Verwandt- 

schaf tsgrad : 
Q = Quinte 
T = groBe Terz 
4- = aufwarts 
— = abwarts 



Logarithmen 
dcr relativen 
Schwingungs- 
zahlen auf der 
Basis 10 


Cent 


0,00000 





0,00049 


1,95 


0,00491 


19,6 


0,00540 


21,5 


0,00589 


23,5 


0,01030 


41,1 


0,01570 


62,6 


0,01773 


70,7 


0,01907 


76,0 


0,02263 


90,2 


0,02312 


92,2 


0,02509 


100,0 


0,02633 


105,0 


0,02803 


111,7 


0,02852 


113,7 


0,02938 


117,1 


0,03342 


133,2 


0,04085 


162,9 


0,04300 


171,4 


0,04527 


180,5 


0,04576 


182,4 


0,04847 


193,2 


0,05017 


200,0 


0,05115 


203,9 


0,05606 


223,5 


0,06021 


240,0 


0,06888 


274,6 


0,07379 


294,1 


0,07463 


297,5 


0,07526 


300,0 


0,07784 


310,3 


0,07918 


315,6 


0,07967 


317,6 


0,08601 


342,9 



Vernal tnis 

der 

Schwingungszahlen 

zur Prime 



C 

His 
deses 

c 

His 
deses 

deses 



(cis) 
des 



[des = 
des 



des 



d 
(d) 
[d] 
d 



dis 
es 

[es = 

(es) 

es 

dis 



reine Prime, 1. Naturton 

Schisma 

Diaschisma 

syntonisches Komma 

pytliagoreisches Komma 

kleine Diesis 

groBe Diesis 

kleines Chroma, (kleinere) iiberma- 
fiige Prime 

kleiner mitteltoniger Halbton .... 

pythagoreisches Limma, pythagorei- 
sche kleine Sekunde 

groBes Chroma, (groBere) ubermaBige 
Prime 

> cis] — Oktave 

17. Naturton 

diatonischer Halbton, (kleinere) kleine 
Sekunde 

pythagoreische Apotome, pythagorei- 
sche ubermaBige Prime 

groBer mitteltoniger Halbton [z. B. 
(cis)-(d)] 

groBes Limma, (groBere) kleine Se- 
kunde 

doppelt ubermaBige Prime 

— Oktave . . . : 

pythagoreische verminderte Terz . . 

groBe Sekunde, kleiner Ganzton . . 
mitteltoniger Ganzton 

2 

— Oktave 

pythagoreische groBe Sekunde, groBer 
Ganzton, 9. Naturton 

verminderte Terz 

j Oktave 

ubermaBige Sekunde 

pythagoreische kleine Terz 

19. Naturton 

3 
dis] Tj Oktave 

naturliche kleine Terz ....... 

pythagoreische ubermaBige Sekunde 

2 

•=- Oktave 



+ 8Q + 1T 
-4Q -2T 

+ 4Q-1T 

+ 12Q 

-3T 

+ 4Q -4T 
-1Q+2T 

-5Q 

+ 3Q + 1T 

-1Q-1T 
+ 7Q 

+ 3Q-2T 
+ 2Q+3T 

-10Q 
-2Q + 1T 



+ 2Q 
-2Q — 2T 

+ 1Q + 2T 
-3Q 



+ 1Q-1T 
+ 9Q 



1,00000 = f 
1,00113 = 32805 



1,01136 = 



32768 
2048 

: 2025 



1,01250 = ^ 



1,01364 = 



531441 
524288 
1,02400 = i| 



1,03680 = 



648 
625 



1,04167 = || 
1,04489 



1,05350 = =£ 



256 
243 



1,05469 = 
1,05947 

1,06250 = 
1,06667 = 
1,06787 = 
1,06998 
1,08000 = 

1,09863 = 
1,10409 

1,10986 = 

1,11111 = 

1,11806 

1,12246 

1,12500 = 
1,13778 = 

1,14870 

1,17188 = 

1,18519 = 

1,18750 = 

1,18921 
1,19630 
1,20000 = 

1,20135 = 

1,21901 



135 
128 

17 
16 

16 
15 

2187 
: 2048 



27 
25 
1125 
: 1024 

65536 
59049 

10 

9 



256 
225 



75 
: 64 

32 
: 27 

19 
: 16 



5 

19683 

16384 



411 



Tonbezeichnung und Intervall (bezogen auf c) 



Verwandt- 

schaftsgrad: 

Q = Quinte 

T = groBe Terz 

+ = aufwirts 

— = abwarts 



Logarithmen 
der relativen 
Schwingungs- 
zahlen auf der 
Basis 10 


Cent 


0,09642 


384,4 


0,09691 


386,3 


0,10034 


400,0 


0,10182 


405,9 


0,10231 


407,8 


0,10721 


427,4 


0,11464 


457,0 


0,11810 


470,8 


0,12003 


478,5 


0,12041 


480,0 


0,12494 


498,0 


0,12543 


500,0 


0,12628 


503,4 


0,12901 


514,3 


0,13082 


521,5 


0,13524 


539,1 


0,13830 


551,3 


0,14537 


579,5 


0,14757 


588,3 


0,14806 


590,2 


0,15052 


600,0 


0,15297 


609,8 


0,15346 


611,7 


0,15761 


628,3 


0,16579 


660,9 


0,17021 


678,5 


0,17202 


685,7 


0,17475 


696,6 


0,17560 


700,0 


0,17609 


702,0 


0,18062 


720,0 


0,18100 


721,5 


0,18639 


743,0 


0,19382 


772,6 


0,19873 


792,2 


0,19922 


794,1 


0,20069 


800,0 


0,20412 


813,7 



Verhaltnis 

der 

Schwingungszahlen 

zur Prime 



35) 
36) 

37) 
38) 

39) 

40) 

41) 
42) 

43) 
44) 
45) 
46) 
47) 
48) 

49) 

50) 

51) 
52) 
53) 

54) 
55) 

56) 

57) 

58) 

59) 

60) 
61) 
62) 
63) 
64) 

65) 
66) 

67) 
68) 

69) 
70) 
71) 
72) 



fes pythagoreische verminderte Quarte . 

e = (e) natUrliche groBe Terz, mitteltonige 
groBe Terz, 5. Naturton 

[e] ^Oktave 

fes (kleinere) verminderte Quarte . . . 

e pythagoreische groBe Terz 

fes (groBere) verminderte Quarte . . . 

eis (kleinere) UbermaBige Terz .... 
21. Naturton . 

eis (groBere) UbermaBige Terz .... 

J- Oktave 

f pythagoreische reine Quarte .... 

[f] ^Oktave 

(f) 

■=- Oktave 

eis pythagoreische UbermaBige Terz . . 

geses doppelt verminderte Quinte .... 

11. Naturton 

(fis) 

ges pythagoreische verminderte Quinte . 

fis UbermaBige Quarte, Tritonus .... 
[ges = fis] rr Oktave 

ges verminderte Quinte 

fis pythagoreische UbermaBige Quarte, 
pythagoreischer Tritonus 

23. Naturton 

fisis doppelt UbermaBige Quarte .... 

asas pythagoreische verminderte Sexte . . 
— Oktave 

[g] 

[g] l 2 Oktave 

g pythagoreische reine Quinte, 3. Natur- 
ton 

J Oktave 

asas (kleinere) verminderte Sexte .... 

asas (groBere) verminderte Sexte .... 

gis= (gis) (kleinere) UbermaBige Quinte, naturli- 
che Doppelterz, 25. Naturton 

as pythagoreische kleine Sexte .... 

gis (groBere) UbermaBige Quinte .... 

[as = gis] j2 Oktave 

as natiirliche kleine Sexte 



-8Q 

+ 1T 

-4Q-1T 
+ 4Q 

-2T 

-1Q+3T 

+ 3Q + 2T 
-1Q 



+ 11Q 
-1Q-3T 



-6Q 

+ 2Q + 1T 

-2Q-1T 
+ 6Q 

+ 1Q+3T 
-11Q 



+ 1Q 

-3Q -2T 
+ 1Q -3T 

+ 2T 
-4Q 
+ 4Q + 1T 

-IT 



8192 
6561 



1,24859 = 

1,25000 = 
1,25992 
1,26420 = 

1,26563 = 

1,28000 = 

1,30208 = 
1,31250 = 

1,31836 = 

1,31951 

1,33333 = 

1,33484 

1,33746 

1,34590 

1,35152 = 

1,36533 = 

1,37500 = 
1,39757 
1,40466 = 

1,40625 = 
1,41421 

1,42222 = 

1,42383 = 

1,43750 - 

1,46484 = 

1,47981 = 
1,48599 
1,49537 
1,49831 

1,50000 ■ 
1,51572 
1,51704 = 

1,53600 «1£ 



_5_ 
: 4 

512 
: 405 

81 
: 64 

32 
: 25 

125 

96 

21 
' 16 

675 
: 512 

± 
3 



177147 

131072 

512 

375 

11 

8 

1024 
729 
45 

32 

64 

*$ 

729 
: 512 
23 
16 
375 
256 
262144 
177147 



1024 
675 
192 
125 



1,56250 = 



25 
16 

1,58025 = ^ 



405 
256 



1,58203 = 
1,58740 
1,60000 = 



412 



Tonbezeichnung und Intervall (bezogen auf c) 



Verwandt- 
schaftsgrad: 
Q = Quinte 
T = groBe Terz 
+ = auf warts 
— = abwarts 



Logarithmen 
der relativen 
Schwingungs- 
zahlcn auf der 
Basis 10 


Cent 


0,20461 


815,6 


0,21085 


840,5 


0,21502 


857,1 


0,21694 


864,8 


0,22136 


882,4 


0,22185 


884,4 


0,22319 


889,7 


0,22577 


900,0 


0,22724 


905,9 


0,23215 


925,4 


0,24082 


960,0 


0,24304 


968,8 


0,24497 


976,5 


0,24988 


996,1 


0,25086 


1000,0 


0,25256 


1006,8 


0,25527 


1017,6 


0,25576 


1019,6 


0,25803 


1028,6 


0,25828 


1029,6 


0,26018 


1037,2 


0,26761 


1066,8 


0,27166 


1082,9 


0,27251 


1086,3 


0,27300 


1088,3 


0,27594 


1100,0 


0,27791 


1107,8 


0,27840 


1109,8 


0,28330 


1129,3 


0,28724 


1145,0 


0,29073 


1158,9 


0,29514 


1176,5 


0,30103 


1200,0 



Vernal tnis 

der 

Schwingungszahlen 

zur Prime 



glS 



gisis 
heses 

a 

(a) 
[a] 
a 

heses 



pythagoreische ubermaBige Quinte 
13. Naturton 



[b = ais] 

(b) 

b 



ceses 1 

h 

00 
ces' 

h" 
M 
cesi 

h 
ces 1 

his 

deses 1 

ci 



■=- Oktave 



doppelt ubermaBige Quinte . . . . 
pythagoreische verminderte Septime 

natiirliche groBe Sexte 



12 



Oktave 



pythagoreische groBe Sexte, 27. Natur- 
ton 



verminderte Septime 
4 



• Oktave 



natiirliche kleine Septime, 7. Naturton, 



ubermaBige Sexte 

pythagoreische kleine Septime . 
10. 



12 



Oktave 



kleine Septime 

pythagoreische ubermaBige Sexte 



■=■ Oktave 

29. Naturton 

doppelt verminderte Oktave 



(kleinere) groBe Septime 



pythagoreische verminderte Oktave . 

(groBere) groBe Septime, 15. Naturton 
^ Oktave 



(kleinere) verminderte Oktave . . . 
pythagoreische groBe Septime . . . 
(groBere) verminderte Oktave . . . 

31. Naturton 

ubermaBige Septime 

pythagoreische verminderte None . . 
reine Oktave, 2. Naturton 



Streben nach akustisch exakter Darstellung tonaler 
Tonbeziehungen einerseits und dem Wunsch nach 
»reinen« I.en (im Detail) andererseits standig Kompro- 
misse schlieBen. Erleichtert wird ihm dies dadurch, 
daB selbst die reinen I.e nur im mittleren Horbereich 
akustisch einigermaBen genau erkannt werden. Die 
Grenze der Empfindlichkeit liegt im Laboratoriums- 
versuch bei etwa 8 Cent (den Pythagoreern gait die 
enharmonische Diesis = l ji Limma = 45,1 Cent als 



+8Q 



+ 3Q+3T 
-9Q 

-1Q + 1T 



+ 3Q 
-1Q. 



-2T 



+ 2Q+2T 
-2Q 

+ 2Q-1T 
+ 10Q 



— 2Q -3T 
-3Q+2T 

-7Q 

+ 1Q + 1T 

— 3Q-1T 

+ 5Q 

+ 1Q -2T 



+ 3T 



-12Q 



6561 
4096 
13 



3375 

2048 

32768 

19683 

_5_ 

3 



1,60181 = 
1,62500 = 
1,64067 

1,64795 = 
1,66479 = 

1,66667 = 

1,67182 

1,68179 



1,68750 = f 6 
1,70667 = ^f- 
1,74109 



1,75000 = -r 

l,75781 = f| 

1,77778 = j 

1,78180 
1,78879 
1,80000 = j 



1,80203 = 

1,81145 
1,81250 = 



59049 
32768 



29 
16 

1,82044 -f^ 

1,85185 = | 
1,86922 
l,87289 = f| 

1,87500 = f 



1,88775 
1,89630 = 

1,89844 = 

1,92000 = 

1,93750 = 



256 

135 

243 

128 

48 

25 

31 

16 

1,95313 = ^p 

2,00000= |- 



kleinstes singbares I.). Dariiber hinaus bleibt heute 
nicht unbestritten die weit verbreitete Ansicht, die to- 
nale Auffassung der I.e sei von vornherein gegeben. 
Selbst reine Quinte und GroBterz, die tpnale Beziehun- 
gen zwischen den Tonen tiberhaupt erst konstituieren, 
naben diese Fahigkeit offenbar nur in einem tonal kom- 
ponierten Stuck. MaBgebend fiir die Auffassung der 
I.e ist in jedem Fall der Zusammenhang. Dazu be- 
merkt H.Riemann (MTh, S. 522), ... daji wit nicht 



413 



Intervall 



durch rein hervorgebrachte Intervallfolgen gezwungen 
werden konnen, dieselben entsprechend zu verstehen, son- 
dern dafi wit der reinen Stimmung zum Trotz lieberfalsche 
Tongebungen, unreine Intonationen als unlogische Tonfol- 
gen horen. Weder hat das Musizieren auf temperierten 
Instrumental das Aufkommen tonaler Horvorstellun- 
gen verhindert, noch ist etwa nur das Klavier adaquates 
Darstellungsmittel zwolf toniger Strukturen. M. Haupt- 
manns fiir die tonale Musik zutreffende Bemerkung, 
dafi temperierte I.e als rein gelten wollen, lafit sich um- 
kehren: auch reine I.e wollen in einem zwolf tonigen 
Werk als temperiert gelten. 

Die I.-Tabelle (S. 41 1^13) enthalt - an der Oktave c-ci 
demonstriert - die reinen I.e, die Naturtone 1-31 
(0.-30. Oberton) sowie die I.e der 12-, 7- und 5stufigen 
sowie der mitteltonigen Temperatur (wobei die Tone 
der 12stufig-gleichschwebenden Temperatur in eckige, 
die der mitteltonigen in runde Klammern gesetzt sind) 
mit den Angaben der Schwingungszahlverhaltnisse in 
reinen Briichen (soweit moglich), in Dezimalbriichen, 
deren Logarithmen auf der Basis 10, und die GroBe 
der I.e in Cent. Aus den Logarithmen ergeben sich 
durch Multiplikation mit 1000 die Savart. Die ab- 
soluten Frequenzen berechnen sich durch Multiplika- 
tion einer festen Frequenz fiir c mit den Verhaltniszah- 
len, z. B. bei ci = 261,63 Hz (440 Hz: 1,68179) ist 
gi = 261,63 Hz • 1,49831 = 392,000 Hz. 
Lit.: W. C. Printz, Exercitationes musicae theoretico- 
practicae curiosae de concordantiis singulis, Dresden 1 689 ; 
J. A. Scheibe, Abh. v. d. mus. I. u. Geschlechtern, Hbg 
1739; G. A. Sorge, Genealogia allegorica intervallorum 
. . . , d. i. Geschlechtsregister d. I. nach Anleitung d. Klan- 
ge, so d. groBe Waldhorn gibt, Hof 1741 ; J.-Ph. Rameau, 
Demonstration du principe de l'harmonie . . . , Paris 1 750, 
deutsch v. E. Lesser, = Quellenschriften d. Musiktheorie I, 
Wolfenbiittel u. Bin 1930; J. d'Alembert, Elemens de 
musique theorique et pratique, suivant les principes de M. 
Rameau, Paris 1752, 21759, Lyon 3 1766, deutsch v. Fr. W. 
Marpurg als: Herrn D'Alembert .... Systematische Ein- 
leitung in d. mus. Setzkunst, nach d. Lehrsatzen d. Herrn 
Rameau, Lpz. 1757 ; F. W. Riedt, Versuch iiber d. mus. I., 
Bin 1753; Fr. W. Marpurg, Anfangsgriinde d. theoreti- 
schen Musik, Lpz. 1757; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de 
musique, Genf (1767?), Paris 1768, Artikel I.; C. L. Rol- 
lig, Versuch einer mus. Intervallenlehre, Lpz. 1789; G. 
Weber, Versuch einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst, 

3 Bde, Mainz 1817-21, 4 Bde 21824, 31830-32; F. v. Drie- 
berg, Die mathematische Intervallenlehre d. Griechen, 
Bin 1 8 1 8 ; A. B. Marx, Die Lehre v. d. mus. Komposition, 

4 Bde, Lpz. 1837-47 u. 6., neu bearb. v. H. Riemann I 
91887, II 71890, IV 51888; M. W. Drobisch, Uber d. ma- 
thematische Bestimmung d. mus. I.e, Lpz. 1846; ders., 
NachtrSge zur Theorie d. mus. Tonverhaltnisse, Lpz. 1855; 
M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik, 
Lpz. 1853, 2 1873; H. Chr. Koch, Mus. Lexikon, bearb. v. 
A. v. Dommer, Heidelberg 1865, Artikel I.; A. v. Oettin- 
oen, Harmoniesystem in dualer Entwickelung. Studien 
zur Theorie d. Musik, Dorpat u. Lpz. 1 866, als : Das duale 
Harmoniesystem, Lpz. 2 1913 ; J. G. H. Bellermann, Die 
GroBe d. mus. I. als Grundlage d. Harmonie, Bin 1873 ; H. 
v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen . . . , 
Braunschweig 1863, 41877, «1913 ; H. Riemann, Allgemei- 
ne Musiklehre, = M. Hesses illustrierte Handbiicher V, 
Bin 61918; Riemann MTh; W. Freudenberg, Die Lehre 
v. d. I., Bin 1902; G. Capellen, Die Freiheit oder Unfrei- 
heit d. Tone u. I., Lpz. 1904; R. P. Winnington-Ingram, 
Aristoxenos and the Intervals, Classical Quarterly XXVI, 
1932; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, Mainz 
1937, 21940, engl. als: Craft of Mus. Composition I, Lon- 
don 1942; H. Jelinek, anleitung zur zwolf tonkomposition 
I, Wien 1952; R. Dammann, Zur Musiklehre d. A. Werck- 
meister, AfMw XI, 1954; W. Keller, Hdb. d. Tonsatz- 
lehre I, Regensburg 1957; H. Husmann, Einfiihrung in d. 
Mw., Heidelberg (1958); I. Korthaus, Die Beurteilung 
mus. I. im mittleren u. unteren Horbereich, Diss. Hbg. 
1960, maschr.; J. Lohmann, Der Ursprung d. Musik, 
AfMw XVI, 1959; Fr. Onkelbach, L. Lossius u. seine 



Musiklehre, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XVII, 
Regensburg 1960; W. Wille, Das Verhalten mus. I. in 
mittleren u. hohen Tonlagen, Diss. Hbg 1960, maschr.; 
H.-G. Lichthorn, Zur Psychologie d. Intervallhorens, 
Diss. Hbg 1962; S. Smedeby, Interval Notation, STMf 
XLV, 1963; H.-P. Reinecke, Experimentelle Beitr. zur 
Psychologie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. Mw. Inst, 
d. Univ. Hbg III, Hbg 1964. 

Intonarium (lat.) ->- Tonar. 

Intonation (lat. intonatio; ital. intonazione), - 1) das 
nach Tonart und Tonhohe richtige Anstimmen eines 
Gesanges, im gregorianischen Choral oft solistisch aus- 
gefiihrt (z. B. Kantor: Ad te levavi - Chorus: animam 
meam . . .). Seit dem 14. Jh. intoniert auch der Orga- 
nist mit einer kurzen, in der Regel improvisierten Ein- 
leitung den Gesang (vor allem Introitus, Gloria und 
Magnificat), seit der Reformation auch den lutheri- 
schen Gemeindechoral. Schriftlich festgehaltene I.s- 
Satze, meist aus Akkordzerlegungen oder Laufwerk 
frei geformt und noch im 18. Jh. so viel moglich, unge- 
zwungen und ohne Vermerckung des Tacts (Mattheson 
Capellm., S. 477) vorzutragen, begegnen haufig in 
Sammlungen »durch alle Tonarten« (Intonationi d'or-r 
gano . . . composte sopra tutti li dodeci toni . . ., 1593, von 
A. und G.Gabrieli), jedoch keineswegs immer unter 
der ausdriicklichen Benennung I., der in Spanien und 
Portugal die Bezeichnung Entrada (de verso) entspre- 
chen konnte. Nur selten kommt die Satziiberschrift I. 
auch bei gleichartigen Einleitungssatzen zu weltlichen 
Liedern und Tanzen vor (so im Kopenhagener Kla- 
vierbuch, um 1626). Da im Hintergrund der Entste- 
hungsgeschichte von ->■ Toccata, ->• Ricercar, -*■ Prae- 
ludium ebenfalls die Aufgabe des Intonierens steht, 
werden diese Satzbezeichnungen auch alternativ mit I. 
gebraucht (von den 12 I.en A.Gabrielis von 1593 sind 
4 als Toccata bezeichnet, im Kopenhagener Klavier- 
buch wechseln die Bezeichnungen I. una Praeludium). 
Die als I. bezeichnetenSatzebewahrtenihrenursprung- 
lich improvisatorischen Charakter bis zum Spatbarock. 
- 2) Mit I. werden (entsprechend dem allgemeinen 
Wortsinn) auch das Treffen und Einhalten eines Tones 
beim Vortrag, das Einstimmen und die Ansprache eines 
Instruments oder das Einregulieren der Klangf arbe (be- 
sonders bei den Orgelregistern) bezeichnet. Beim Pia- 
noforte werden der Klangcharakter und der Ausgleich 
zwischen den Lagen durch Stechen (das den Ton wei- 
cher macht) oder Abfeilen des Filzbelags der Hammer- 
kopfe erreicht, auch durch Bearbeiten der Hammer- 
stiele. - 3) In Anlehnung an den I.s-Begriff der Phone- 
tik versteht B. Wl.Assafjew unter musikalischer I. die 
Gesamtheit aller Merkmale, die die inhaltliche Bedeu- 
tung einer Melodie oder eines Themas festlegen; ein- 
deutige Bestimmung solcher Inhaltlichkeit setzt vor- 
aus, daB der Komponist in Melodik, Satz- und Vor- 
tragsweise Elemente des Zeitstils oder der Volksmusik, 
d. h. einer iiberindividuellen, allgemeinverstandlichen 
Ausdrucksf orm verwendet. 

Lit.:zu 1): L. Schrade, Ein Beitr. zur Gesch. d. Tokkata, 
ZfMw VIII, 1925/26; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels 
u. d. Orgelkomposition, 2 Bde, Bin 1935-36, 21959; H. H. 
Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d. 
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, 
Jg. 1955, Nr 10; M. Reimann, Materialien zu einer Defi- 
nition d. Intrada, Mf X, 1957.-zu 3) : B. Wl. Assafjew, Mu- 
sykalnaja forma kak prozess, 2 Bde, Moskau u. Leningrad 
1930-47; H. Goldschmidt, Mus. Gestalt u. I., Beitr. zur 
Mw. IV, 1962; R. Kluge, Definition d. Begriffe Gestalt u. 
I. als Beitr. zur Mathematisierungd. Mw., ebenda VI, 1964. 

Intrada (ital. entrata; span, und port, entrada; frz. 
entree; engl. entry), Bezeichnung fiir ein meist kurzes 
Instrumentalstuck, das in wortlicher oder ubertragener 
Bedeutung auf ein »Eintreten« (lat. intrare) bezogen ist. 



414 



Introitus 



Im wohl urspriinglichen Sinn begleitet die I. (welch 
man bey grosser Herren Einzug oder Auffziigen im Turnie- 
ren vnd sonsten zugebrauchen pflegt, Praetorius Synt. Ill), 
vor allem als Trompetensignal, -tusch oder -satz, das 
Erscheinen hochgestellter Personen, spater auch in viel- 
faltigen Besetzungsarten das Auftreten der Darsteller 
bei Theater- und Tanzdarbietungen (wenn die Personen 
in der Mummerey zum eingang erscheinen, ebenda), be- 
sonders im franzosischen Baflett (->• Entree - 1). Vom 
gleichen auBeren AnlaB her geprigt ist die Bezeichnung 
Aufzug, die neben und anstelle von I. Ende des 16. bis 
Mitte des 17. Jh. in deutschen Quellen oft verwendet 
wird. Im ubertragenen Sinn bewirkt die I. als Eroff- 
nungsstiick oder Einleitungssatz das »Eintreten« in ei- 
ne festliche Veranstaltung oder speziell in eine musi- 
kalische Darbietung. Bei den zahlreichen Beispielen 
der I. im 17. Jh. lassen sich (nach M.Reimann) folgende 
Typen unterscheiden: ein Aufzugstypus, geradtaktig, 
mit Marschrhythmus, Signalmotivik und Tonwieder- 
holungen (vgl. Beispiel), ein geradtaktiger, langsamer 
und feierlicher Pavanentypus, ein ungeradtaktiger, be- 
wegter Tanztypus sowie ein durch Homophonie und 
Volksliedmelodik bestimmter Liedtypus. 




M.Franck, I. aus Neue musicalische Intraden, 1608 
(nach DDT XVI, S. 61). 
Der Eroffnungscharakter riickt die I. in die Nahe von 
Introduktion, Ouverture und Praeludium, doch tritt 
im Gegensatz zu diesen Bezeichnungen der Name I. 
bereits Ende des 17. Jh. zuriick. Eine Verwendung der 
I. als Intonation fur den Chor im Gottesdienst bezeugt 
u. a. M.Altenburg (1620): Kirchen-Intraden ... zwi- 
schen einem jeglichen Gesang, bevoraufi wann figural ge- 
sungen wiirde, . . . damit unter defi der Schulmeister oder 
Cantor . . . desto bequemer . . . anstimmen und an/alien 
kondte. In der Orchestersuite des 17. Jh. tritt die I. auch 
als Binnensatz und anstelle eines Vortanzes (zu Galliar- 
de oder Courante) oder eines Nachtanzes (der Pavane) 
auf, ist selbst jedoch nicht als Tanz mit feststehenden 
Merkmalen nachzuweisen. Im bisher friihesten Beleg, 
der Fantasia sobre la entrada di una baxa (Valderrabano, 
Silua de Sirenas, 1547), hat Entrada die Bedeutung von 
Stimmeinsatz in einer kontrapunktischen Komposition; 
dieser Sinn blieb in den Wortformen Entree und En- 
trata, die auch in die Fugenlehre eindrangen, bewahrt. 
Hervorzuheben sind die Beispiele der I. aus den Samm- 
lungen von M.Franck (zwischen 1603 und 1627), V. 
HauBmann (1604), Demantius (1608), Schein (1609), 
H.L.HaBler und J.Staden (1610), Peuerl (1611 und 
1625), Kindermann (1643), Pezel (1669 und 1685). 
Noch Glucks Alceste (italienische Fassung, 1767), Mo- 
zarts Bastien und Bastienne (1768) und Beethovens op. 
25 werden durch eine I. eingeleitet. Im 20. Jh. wurde 
die I. vereinzelt wieder aufgegriffen (z. B. von J.Ah- 
rens, C.Orff, E. Pepping). 

Lit.: K. Nef, Die I. v. A. Orologio, Fs. D. Fr. Scheurleer, 
's-Gravenhage 1925; M. Reimann, Materialien zu einer 
Definition d. I., Mf X, 1957. 



Introduktion (ital. introduzione), kurzer, oft mit 
HalbschluB endender Einleitungsteil zum 1. Satz von 
Symphonien oder Divertimenti, selterier von Quin- 
tetten (Mozart K.-V. 452; Beethoven op. 16), Streich- 
quartetten (Beethoven op. 59, 3) oder Streichtrios (R. 
Kreutzer) . -J. Haydn, der in seinen Instrumental werken 
zahlreiche langsame Einleitungen schrieb, verwendet 
das Wort I. hierfiir nicht. Beethoven gebraucht die Be- 
zeichnung I. u. a. fur den Mittelsatz der Klaviersonate 
op. 53, fur die Einleitungssatze der Variationenwerke 
op. 35 und op. 121a und in einem Brief an Varena 
(Thayer III, S. 306) auch fur die Ouverture zu Die 
Ruinen von Athen, op. 113. - Die erste, unmittelbar an 
die Ouverture anschlieBende Gesangsszene der Num- 
mernoper heiBt bisweilen I. (W. A. Mozart, Don Gio- 
vanni, Zauberflote), manchmal aber auch nur die eine 
Oper oder einen Akt eroffnende Instrumentaleinlei- 
tung zur 1. Gesangsszene (Beethoven, Fidelio, 2. Akt: 
I. und Arie; -*■ Vorspiel). Typische Elemente der I.en 
wie auch ihr oft pathetischer und feierlicher Charak- 
ter gehen auf den Graveanfang der franzosischen Ou- 
vertiire Lullyscher Pragung zuriick. Als Zeitmafl ist 
meist Grave, Largo, Adagio oder Andante vorgeschrie- 
ben, oft mit dem Zusatz Maestoso. 
Lit. : W. Gerstenberg, Ober d. langsamen Einleitungssatz 
in Mozarts Instrumentalmusik, = Innsbrucker Beitr. zur 
Kulturwiss., Sonder-H. 3, Innsbruck 1956; G. E. Menk, 
The Symphonic Introductions of J. Haydn, Diss. State 
Univ. of Iowa 1960, maschr. 

Introitus (lat.), genauer: Antiphona ad introitum, 
der Einleitungsgesang der romisch-katholischen Messe 
(1. Stuck des Proprium missae). Je nach Festgrad des 
betreffenden Tages von einem bis 4 Kantoren ange- 
stimmt und durch Schola oder Gesamtchor weiterge- 
fiihrt, erfolgt sein Vortrag, wahrend der Klerus bzw. 
zelebrierende Priester Einzug halt und zum Altar 
schreitet. Nach dem Stand der Quellen war in Rom 
bereits vor Mitte des 6. Jh. antiphonischer, d. h. wech- 
selchoriger I.-Gesang der Schola iiblich. Dieser be- 
stand aus einem Psalm mit folgendem Gloria patri, ein- 
geleitet und abgeschlossen durch die Antiphona ad 
introitum, wobei sich - noch in spaterer Zeit - die An- 
zahl der Psalmverse nach der Dauer der liturgischen 
Handlung richtete. Im frankischen Raum wurde die 
Antiphon auBerdem zwischen den einzelnen Versen 
wiederholt. Wahrend der I. zunachst auf den feierli- 
chen Gottesdienst beschrankt war, wurde er, seit dem 
8. Jh. nachweisbar, Bestandteil auch der Missa lecta. 
Seine spater allgemein verbreitete Form, welche auBer 
der Antiphon nur noch einen einzigen Psalmvers mit 
kleiner Doxologie enthalt, ist das Ergebnis eines lange- 
ren Riickbildungsprozesses (8.-11. Jh.). Uberdies sei- 
ner eigentlichen Aufgabe beraubt, erklang er nunmehr 
beim Stufengebet der Messe. Als eine reichere Ausge- 
staltung findet sich seit dem 11. Jh. vielerorts der 
Brauch, die Antiphon bei festlichen Gelegenheiten 
durch zusatzliche (Teil-)Wiederholungen zwischen 
Vers und Gloria patri dreimal zu singen (»triumphare 
psalmis«, »triplicare« ; noch heute bei den Pramon- 
stratensern, Karmeliten u. a.); auch entstanden zahl- 
reiche Tropierungen der I.-Texte und -Melodien (dar- 
unter der Tropus Hodie cantandus est des Tuotilo, siehe 
P. Wagner, Einfiihrung III, S. 51 If.). - Erst in den litur- 
gischen Vorschriften der jiingeren Zeit wurde die ur- 
spriingliche Form und Aufgabe des I.-Gesanges wieder 
aufgegriffen. So konnen bei langerem Einzugsweg des 
Zelebranten in die Kirche im AnschluB an die Anti- 
phon nach Bedarf mehrere Verse des I.-Psalms - auch 
mit Einschub der Antiphon nach jeweils einem oder 2 
Versen - gesungen werden. Der Gesang schlieBt mit 
dem Gloria patri und der Repetitio antiphonae (vgl. 



415 



Invention 



Artikel 27a der Instructio de musica sacra et sacra liturgia 
der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958). Nach altestem 
Brauch bleibt das Hochamt der Osternacht ohne I., die 
Doxologie entfallt vom 1. Passionssonntag bis zum 
Griindonnerstag. (Weitere Bestimmungen im Novus 
Codex Rubricarum von 1960, Artikel 427-429.) - Der 
melodische Verlauf der I.-Antiphon zeigt gewohnlich 
einen mittleren, wenngleich im einzelnen steigerungs- 
fahigen Grad an kompositorisch-stilistischer Ausge- 
staltung. Er wird vorwiegend durch eine von syllabi- 
schen Partikeln durchzogene Gruppenmelodik be- 
stimmt. Die Antiphon als musikalische Form erreicht 
in den I.-Gesangen ihren unbestreitbaren Hohepunkt. 
- Der Vortrag von Psalmvers(en) und kleiner Doxo- 
logie erfolgt nach den Formeln der antiphonischen 
MeBpsalmodie, deren romanische Fassung im Graduate 
Romanum (Editio Vaticana) uberliefert wird (die ger- 
manische Version bei P. Wagner, Einfuhrung III, S. 
140ff.). - Die dem I. entsprechenden Einleitungsgesan- 
ge anderer Liturgien tragen folgende Namen: Ingressa 
(ambrosianisch, ohne Psalmvers und Doxologie), An- 
tiphona ad praelegendum (gallikanisch), Officium (alt- 
spanisch sowie bis heute bei den Kartausern, Karmeli- 
ten und Dominikanern). KWG 

Invention (lat. inventio, von invenire, finden) bedeu- 
tet im weiteren Sinne Findung, Einfall, Erfindungs- 
kraft, auch Einrichtung. In Werktiteln und Vorreden 
seit dem 16. Jh. kann I. eine besondere Art der musi- 
kalischen Erfindung ankundigen: Cl.Janequin nannte 
seine schildernden Chansons (z. B. La guerre) I.s musi- 
cales (2 Biicher 1555). Meist aber werden Neuheit oder 
Besonderheit der I. durch Beiworter eigens gekenn- 
zeichnet: Viadana bezeichnet die neue Art seiner Cento 
concerti ecclesiastici (1602) im Untertitel als nova inven- 
tione (iibernommen in Untertitel und Vorrede von 
Scheins Opella nova I, 1618); B.Marini veroffentlichte 
Sonate, symphonie . . . e alcune sonate capricciose . . ., con 
altre curiose e modeme inventioni op. 8 (1626); G.B.Vi- 
tali betitelt in seinen Artificii musicali op. 13 (1689) 2 
Balletti als inventioni curiose: beim ersten ist jede der 
Stimmen verschieden mensuriert, beim zweiten mit 
verschiedenen Vorzeichen notiert. Vier der als Inven- 
zioni a violino solo e B. c. bezeichneteri 10 partitenarti- 
gen Satzfolgen von Fr. A. Bonporti (op. 10, 1713) lie- 
gen in einer Abschrift J. S. Bachs vor; sie wurden lange 
Zeit irrtiimlich als Werk Bachs (GA XLV) und als 
Vorlaufer seiner I.en angesehen. - Wenngleich Poetik 
und Musiklehre des Barocks die I. als angeboren beur- 
teilen {Die I. ist uns angeboren, Heinichen, S. 22) und 
von der Disposition des Gemiits abhangig machen und 
auch die »unvermutete« Art des Einfalls kennen (in- 
ventio ex abrupto, Mattheson Capellm., S. 132), ent- 
wickelten vor allem deutsche Komponisten und Theo- 
retiker (Kircher, Niedt, Kuhnau, Heinichen, Matthe- 
son) eine ausgedehnte musikalische I.s-Lehre, die we- 
sentlich auf Kombinatorik und Veranderungskunst 
und auf dem Prinzip der Nachahmung beruht. Zu den 
Hilfsmitteln des Erfindens gehoren speziell die Ars 
combinatoria oder Verwechslungskunst der Tone oder 
Rhythmen und die oratorischen Loci topici. Matthe- 
son behandelt in seiner lehrreichen Betrachtung von der 
Erfindungs-Kunst (Capellm., S. 121ff.) 15 derartige »Er- 
findungs-Quellen« und als deren reichste den Locus 
notationis, das systematische Verandern der Noten ei- 
nes Satzes, und den Locus descriptionis, das Beschrei- 
ben oder Abmalen der Gemutsbewegungen. Als Fons 
inventionis gait auch die Lehre von den musikalisch- 
rhetorischen -*■ Figuren. - Im engeren Sinne bezeich- 
net I. die Erfindung, die vor der Ausarbeitung steht, 
speziell das zum Durchf iihren oder Variieren bestimm- 



te Soggetto oder Thema (z. B. Murschhauser: inven- 
tioni ac imitationi im Appendix zum Octi-Tonium novum 
organicum, 1696). Dies entspricht der aus der lateinischen 
Rhetorik (Cicero, Quintilian) uberkommenen, im 
Barock lebendigen Lehre von der Stufenfolge beim 
Fertigen einer Rede: Inventio - Dispositio (Einrich- 
tung) - Elaboratio/Decoratio (Ausarbeitung/Schmuk- 
kung) - Executio (Ausf iihrung). Dementsprechend de- 
finiert J.G.Walther (Praecepta, 1708) die -> Musica 
poetica: sie unter richtet, wie man eine . . . Zusammen- 
stimmung der Klange erstlich inventiren (Inventio), und 
hemach aufsetzen und zu Papier bringen soil (Elaboratio), 
damit selbige hernachmahls kann gesungen oder gespielet 
werden (Executio). J. S.Bach verwendet Inventio 1723 
im Titel Auffrichtige Anleitung . . . der als Spiel- und 
Ko'mpositionslehre bestimmten Endfassung seiner I.en 
und Sinfonien im Sinne dieser musikalisch-rhetori- 
schen Tradition: . . . gute inventiones nicht alleine zu 
bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuj "iihren, am 
allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen 
... In dieser Erlauterung meint der Inventiobegriff 
keine Form, sondern ein Prinzip des Komponierens 
und bezieht sich sowohl auf die 2st. I.en (im Clavier- 
biichlein fur Friedemann Bach um 1720 Praeambula ge- 
nannt) als auch auf die 3st. Sinfonien (ebenda Fantasiae 
genannt), deren besonderer Titel besagen mag, da6 sie 
im Ergebnis der »Zusammenstimmung« eine Stufe 
hoher stehen als die 2st. Kompositionen. Kompositions- 
geschichtlich stehen die 2- und 3st. Stiicke, tonartlich 
je aufsteigend geordnet und primar furs Clavichord 
bestimmt, vor dem Hintergrund des Bicinium, des 
zweistimmigen italienischen Ricercars des 17. Jh. so- 
wie des Triosatzes der Sonata und des Kammerduetts 
mit BaB. Dennoch sind sie ihrem Typus nach eigen- 
standig, und dies vornehmlich auf Grund hochster 
Auspragung des Inventio/Elaboratio-Prinzips, das sie 
nach alter Weise in Lehrexempla vorfiihren: Inventio 
ist hier sowohl der zwei- oder dreistimmige, zum 
Durchfiihren geeignete Einfall als auch das durch ihn 
vorgezeichnete Stiick, in dem aus dem Keim des je- 
weiligen Einfalls verschiedene Satztypen und Formen 
disponiert und elaboriert sind (Reprisenf ormen, Forma 
bipartita und tripartita nach genauen Klauselplanen, 
fugierte und kanonische Anlage, Spielstiick und affekt- 
volle Klangrede). Im AnschluB an Bachs I.en, deren 
Kompositionsprinzip spaterhin namentlich in Stiicke 
des Wohltemperirten Claviers (Praeludien, 1. Teil Nr 14, 
19, 2. Teil Nr 2, 8, 10, 20, 24) und in die Duette des 3. 
Teils seiner Clavieriibung ausstrahlt, wurde I. in ein- 
seitig formaler Bestimmung zu einem stehenden Ter- 
minus, sowohl theoretisch (Forkel, S. 76) als auch 
kompositorisch (z. B. J. Ahrens, I. in 5 kleine Stiicke, 
1938). Naher stehen dem Bachschen Inventiobegriff 
jene Kompositionen, die aus einer thematischen Sub- 
stanz eine Struktur entwickeln, wie A. Bergs I.en im 
3. Akt des Wozzeck (I. iiber einen Ton, einen Rhyth- 
mus, einen Sechsklang usw.) und Jelineks I.en im 
Zwblftonwerk H. 1 (iiber Reihen). Zahlreiche I. ge- 
nannte Kompositionen des 20. jh. kniipfen teils for- 
mal an den Typ Bachs, teils offenbar mehr an die vo- 
kabulare Bedeutung des Begriffs an: E. Pepping, 1. fiir 
kleines Orch., 1931 ; B. Blacher, Zwei I.en fiir Orch. op. 
46; Kl.-I.en von H.Reutter (Die Passion in 9 I.en op. 
25), W. Former, W.Maler, G.Klebe (Vier I.en op. 26). 
Lit. : A. Kircher SJ, Musurgia universalis, Rom 1650, lib. 
VIII; J. Kuhnau, Texte zur Lpz.er Kirchen-Music (1709/ 
10), hrsg. v. B. Fr. Richter, MfM XXXIV, 1902; Fr. E. 
Niedt, Handleitung zur Variation, Hbg 1706, 21721 ; J. G. 
Walther, Praecepta d. Mus. Composition, hs. Weimar 
1708, hrsg. v. P. Benary, =Jenaer Beitr. zur Musikfor- 
schung II, Lpz. 1955 ; J. D. Heinichen, Der Gb. in d. Com- 
position, Dresden 1728; Mattheson Capellm.; J. N. For- 



416 



Isorhythmie 



kel, Ober J. S. Bachs Leben, Kunst u. Kunstwerke, Lpz. 
1802, 21855, NA v. J. Miiller-Blattau, Augsburg 1925, 
Kassel 4 1950; R. Oppel, Die neuen deutschen Ausg. d. 
zwei- u. dreist. I., Bach-Jb. IV, 1907; A. Schering, Ge- 
schichtliches zur ars inveniendi in d. Musik, JbP XXXII, 
1925, u. in: Das Symbol in d. Musik, hrsg. v. W. Gurlitt, 
Lpz. 1941 ; Fr. Jode, Die Kunst Bachs, dargestellt an sei- 
nen I., Wolfenbuttel 1926; L. Landshoff, Revisionsber. 
zur Urtextausg. v. J. S. Bachs I. u. Sinfonien, Lpz. 1933; 
W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik, Ber. iiber 
d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950, Neudruck in: Mg. u. Ge- 
genwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 1966; K. v. Fischer, 
Zum Formproblem bei Bach. Studien an d. I., Sinfonien u. 
Duetten, in: Bach-Gedenkschrift, Zurich 1950; E. Ratz, 
Einfuhrung in d. mus. Formenlehre. Ober Formprinzipien 
in d. I. J. S. Bachs . . . , Wien 1 95 1 ; H. H. Eogebrecht, Stu- 
dien zur mus. Terminologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. 
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 
10; Fr. Feldmann, Mattheson u. d. Rhetorik, Kgr.-Ber. 
Hbg 1956; J. N. David, Die zweist. I. v. J. S. Bach, Gottin- 
gen 1957; ders., Die dreist. I. J. S. Bachs, ebenda 1959. 

HHE 

Inventionshorn, ein Waldhom, bei dem die Stimm- 
bogen nicht am Mundstiick, sondern in den Windka- 
nal (ventus) im Innern der Windung eingesetzt wur- 
den. Dadurch wurde das Instrument beim Einsetzen 
der Bogen nicht vom Spieler abgeriickt, so daB die 
Stopftechnik nicht mehr erschwert wurde. Nach An- 
gabe des Dresdner Hofmusikers A.J.Hampel soil es 
von dem Instrumentenmacher J.Werner in Dresden 
zuerst 1753 gebaut worden sein. Die Erfindung wurde 
auch auf die Trompete iibertragen, geriet aber nach 
Erfindung der -* Ventile (- 2) in Vergessenheit. 
Lit.: Fr. Piersig, Die Inventionstrp., Zs. f. Instrumenten- 
bau XLVII, 1927. 

Inversion -*■ Umkehrung. 

Invitatorium (lat., Aufforderung), die mit dem 
(I.s-)Psalm 94 Venite exsultemus Domino verbundene 
Antiphon zu Beginn der -»■ Matutin im romisch-ka- 
tholischen Offizium. Seiner Struktur nach ein chori- 
scher Kehrvers, steht das I. am Anfang und SchluB des 
solistisch vorgetragenen Psalms sowie abwechselnd 
vollstandig oder mit der 2. Halfte zwischen den in 5 
Strophen + Doxologie gegliederten Versen. Die heu- 
tige Praxis kennt etwa 60 Invitatorien. 
Ausg.: Invitatoria cum Psalmo Venite exsultemus per 
varios tonos, Tournai 2 1948. 

Inzidenzmusik -> Bu linen musik. 
Ionisch -> Systema teleion, ->■ Kirchentone. 
Irland. 

Lit. : E. Bunting, Ancient Music of I., Dublin 1840; W. H. 
Gr. Flood, A Hist, of Irish Music, Dublin 1895, 3 1913; 
D. B. Macdonald, Irish Music and Irish Scales, Lpz. 
1910; H.Graham, The Early Irish Monastic Schools, Lon- 
don 1925 ; M. Hannagan u. S. Clandillon, Songs of the 
Irish Gaels with the Music and Engl. Metrical Translation, 
3 Bde, London 1927; D. J. O'Sullivan, Folk Music and 
Songs I-IV, London 1927-39; ders., Songs of the Irish, 
London 1960; R. Henebry, A Hdb. of Irish Music, London 
1929; A. G. Fleischmann, Music in Ireland, Cork u. Ox- 
ford 1 952; R. Hayward, The Story of the Irish Harpe, Bel- 
fast 1954; I. M. Hogan, Anglo-Irish Music 1780-1830, 
Diss. Dublin 1957/58. -Journal of the Irish Folk SongSoc., 
London 1940ff. 

Island. 

Ausg. u. Lit.: A. Hammerich, Studien iiber islandische 
Musik, SIMG I, 1899/1900; Icelandic Folktunes, hrsg. v. 
B. Thorsteinsson, Kaupmannahofn 1906-1909 ; H. Wiehe, 
Om Islandsk tonekunst og musikliv, = Dansk-islandske 
samfunds smaskrifter X, Kopenhagen 1922; J. Leifs, Is- 
landische Volkslieder, ZfMw XI, 1929; E. M.v. Hornbo- 
stel, Phonographierte islandische Zwiegesange, in : Deut- 
sche Islandf orschung 1930, hrsg. v. W. H. Vogt u. H. Spath- 
mann, = Veroff. d. Schleswig-Holsteinischen Universitats- 



ges. XXVIII, 1, Breslau 1933; Fr. Metzler, Tonalitat u. 
melodische Struktur d. alteren deutschen u. nordischen 
Volksweise mit besonderer Beriicksichtigung d. islandi- 
schen Kleinmelodik, Diss. Tubingen 1950, maschr.; H. 
Helgason, Dasjiingere Heldenlied in I., Diss. Zurich 1954; 
ders., Das Bauernorganum auf I., Kgr.-Ber. Koln 1958; 
M. St. Selden, The Music of Old I., American-Scandina- 
vian Review XLV, 1957. 

Iso- (von griech. taos, gleich, besonders hinsichtlich 
der auBeren Beschaffenheit) hat in den auf Musik be- 
ziiglichen Wortzusammensetzungen meist die spezielle 
Bedeutung: im Zeitablauf, im Nacheinander unver- 
andert wiederkehrend (im Unterschied zu Homo-, von 
griech. 6(jl6c;, gemeinsam, das iiber die Qualitat des 
Gleichklangs hinaus die Bedeutung eines gleichzeitigen 
Vorgangs angenommen hat). Im AnschluB an die von 
Fr. Ludwig (SIMG V, 1903/04, S. 2231.) gepragten Aus- 
driicke isorhythmisch und Isorhythmik (-> Isorhyth- 
mie) sind weitere Komposita gebildet worden, iiber 
deren Berechtigung und Bedeutung die Meinungen 
divergieren. - 1) Isoperiodik betrifft, nach Handschin 
(Musikgeschkhte, 1949, S. 201f.), in der vorisorhyth- 
mischen Motette die Faktur der Oberstimmen und be- 
steht darin, daB die Periodenbildung, d. h. die Einschnitt- 
setzung in ihnen gleich bleibt bei verschiedenem melodischem 
Material. Fur Besseler hingegen (MGG I, 1949-51, Sp. 
708f .) ist Isoperiodik ein Bauprinzip, das von Philippe de 
Vitry bis weit ins 15. Jh. hinein giiltig blieb: der Aufbau 
des Werkes mit Hilfe mehrfach wiederkehrender, zahlen- 
mafiig streng geregelter Perioden, mit EinschluB des Te- 
nors; Isoperiodik der Oberstimmen liegt vor, wenn 
der Schlupton jedes Melodieteils und sdmtliche Pausen in 
genau gleichem Abstand wiederkehren. - 2) Isomelisch und 
isomelodisch : Wiederkehr des gleichen Melos (Bu- 
kofzer, Studies . . ., 1950, S. 65 u. 6.: isomelic repeat; 
Handschin, MD V, 1951 , S. 75 : isoperiodical sections are 
at the same time isomelodical in the Tenor). - 3) Isochron: 
von gleicher Zeitdauer, wobei entweder einzelne Tone 
gemeint sein konnen (ApelN, S. 265; hier wird der 
5. Modus als isochronous bezeichnet) oder mehrere 
Tone innerhalb einer festen Taktordnung (Encyclopedie 
de la musique, 1959, Artikel Isochrone). - 4) Isome- 
trisch und Isometrie werden haufig miBverstandlich 
oder unrichtig gebraucht. Von der Wortbedeutung 
her erwartet man, daB es sich um ein wiederkehrendes 
gleiches Metrum handelt (was immer ->• Metrum da- 
bei heiBen mag); statt dessen werden die Ausdrucke 
etwa im Sinne von homorhythmisch (mit gleichem 
Rhythmus in mehreren Stimmen, wie im Conductus 
oder im homophon gesungenen Kirchenlied) oder iso- 
chron verwendet (in Adler Hdb. I, S. XIII, ist isome- 
trisch erklart : rhythmische Gleichwertigkeit der Noten und 
metrische Gleichwertigkeit der Silben, im Gegensatz zu 
polymetrisch). 

Isorhythmie (nach dem Griech., gleiche rhythmische 
Ordnung) nennt Fr. Ludwig ein Kompositionsprinzip 
der -> Motette im 14.-15. Jh.; nicht nur im Tenor kom- 
men jedesmal die analogen Tone der einzelnen Abschnitte 
auf rhythmisch uerschiedene Stellen, sondern auch in den 
Oberstimmen, da diese die I. der einzelnen Tenorabschnitte 



Color 1 




Talea 3 



27 



417 



istesso tempo 



ebenfalls ganz scharf auspragen (SIMG VI, 1904/05, S. 
622). Grundlage einer isorhythmischen Komposition 
ist die Zubereitung des Tenors mit Unterscheidung 
von -»■ Color (- 2: Melodieabschnitt) und -> Talea 
(»Strophe«, rhythmisch festgelegter Abschnitt). Die 
fur die Gliederung eines Stiicks maBgebende Folge der 
Taleae iiberschneidet oft die der Colores ; das Notenbei- 
spiel (Machaut, Speravi - Puisque - De bon espoir) zeigt 
2 Colores zu je 18 Tonen, die von 3 Taleae zu je 12 
Tonen iiberlagert sind (siehe vorige Seite). Die friihe 
I. kniipft an die Motettentradition des 13. Jh. an, 
wobei an die Stelle der modalen Tenor-Ordines die 
langeren, frei gebildeten Taleae treten. Isorhythmi- 
sche Ordnung nur des Tenors (in 4st. Motetten des 
Tenors und Contratenors) nennt Besseler Isoperiodik. 
Sie begegnet vor allem in friihen Quellen (Vitrys Mo- 
tetten in Fauv). Die isorhythmische Motette Machauts ist 
eine aufdem Tenor aufgebaute Strophenform ; sie will ei- 
nen vers- und strophenjormigen Text musikalisch zur Er- 
scheinung bringen (Eggebrecht). Text und Musik, oft 
das Werk eines Dichterkomponisten, sind in ihrer 
Struktur meist so aufeinander bezogen, daB Korre- 
spondenz zwischen Strophe und Talea besteht. Die 
Perioden der Oberstimmen beginnen entweder gleich- 
zeitig mit den Tenor-Taleae (nach Reichert »Phasen- 
gleichheit«) oder sie uberbrucken den Einschnitt und 
beginnen in einem festgelegten Abstand dazu (»Pha- 
sendifferenz«, Apel: »isoperiodicity«). Einer Verdeut- 
lichung der I. dienen vor allem Hoqueti und melodi- 
sche Analogien, die gewohnlich an den AuBenstellen 
der Perioden wiederkehren (Apel: »sectional iso- 
rhythm«). Bei mehrteiligen isorhythmischen Motet- 
ten werden die Teile 2-4 meist durch Diminution des 
Tenors und Mensurwechsel der Oberstimmen ge- 
kennzeichnet. Der Tenor wird in der Regel nur einmal 
notiert, seine Veranderung in den spateren Teilen 
durch Proportionszeichen oder Kanonanweisungen 
vorgeschrieben. Motetten mit streng durchgefiihrter 
Talea-Ordnung auch der Oberstimmen (Apel: »pan- 
isorhythmic motet«) sowie die Ubertragung dieser 
Satzweise auf MeB- und Liedsatze begegnen verein- 
zelt bei Machaut uncLin der Handschrift Iv, hauptsach- 
lich jedoch in den spateren -»• Quellen Ch, TuB, auch 
OH, sowie bei Ciconia, Dunstable, Dufay, Spatfor- 
men der I. noch bei Willaert. 

Lit. : Fr. Ludwig, Rezension zu J. Wolf, Gesch. d. Men- 
suralnotation, 3 Bde, Lpz. 1904, in: SIMG VI, 1904/05; 
ders., Die isorhythmische Motette . . ., Adler Hdb. I, S. 
265ff., besonders S. 273; H. Besseler, Studien zur Musik 
d. MA, AfMw VII, 1925 -VIII, 1926; ders., Die Musik d. 
MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb.; J. Handschin, Mg. 
im Oberblick, Luzern (1948), 21964, S. 201ff.; R. Dam- 
mann, SpStformen d. isorhythmischen Motette im 16. Jh., 
AfMw X, 1953 ; W. Apel, Remarks About the Isorhythmic 
Motet, in: Les Colloques de W6gimont II, 1955; G. Rei- 
chert, Das Verhaltnis zwischen mus. u. textlicher Struk- 
tur d. Motetten Machauts, AfMw XIII, 1 956 ; ders., Wech- 
selbeziehungen zwischen mus. u. textlicher Struktur in d. 
Motette d. 13. Jh., in: In memoriam J. Handschin, StraB- 
burg 1962; U. Gunther, Der mus. Stilwandel d. frz. Lied- 
kunst in d. 2. Halfte d. 14. Jh., Diss. Hbg 1957, maschr., 
Auszug engl. als: The 14 tb -Cent. Motet ..., MD XII, 
1958; E. Apfel, Studien zur Satztechnik d. ma. engl. Mu- 
sik, 2 Bde, = Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.- 
hist. Klasse, Jg. 1 959, Nr 5 ; ders., Zur Entstehung d. realen 
4st. Satzes in England, AfMw XVII, 1960; H. H. Egge- 
brecht, Machauts Motette Nr9, AfMw XIX/XX, 1962/63; 
D. H arbinson, Isorhythmic Technique in the Early Motet, 
MLXLVII, 1966. 

istesso tempo (ital.) -»■ 1 ' istesso tempo. 

Italian sixth (it'seljsn siksB, engl., italienische Sexte), 
bei englischen Theoretikern (und dort selbst als will- 
kurlich bezeichnete) Benennung des UbermaBigen 



Sextakkords, d. h. des verkiirzten Doppeldominant- 
septakkords auf der tiefalterierten Quinte ( V z. B. in 

C dur: as-c-fis. ->■ French sixth, ->• German sixth. 

Italienische Musik. Obgleich Italien erst vor hun- 
dert Jahren seine staatliche Einheit erlangte, hat es in 
den vergangenen Jahrhunderten doch eine Musik von 
einheitlicher Eigenart und groBer Ausstrahlungskraft 
besessen, auch wenn nacheinander verschiedene Stadte 
mit ihren mehr oder weniger groBen Territorien die 
f iihrende Rolle iibernahmen : Turin, Mailand, Venedig, 
Mantua, Bologna, Modena, Florenz, Neapel und Rom. 
- Die Grundlage der I.n M. ist die -*■ Romische Musik. 
Eine fortwirkende Kraft war im friihen italienischen 
Mittelalter der liturgische Gesang, vor allem in dem 
strophischen Hymnus des Ambrosius, Bischof von 
Mailand. Mailand, Rom und Benevent (Kampanien) 
waren die Mittelpunkte kirchlicher Musikpflege, wo 
der ambrosianische, der romische (im engeren Sinne 
gregorianische) und der beneventanische Choral ent- 
standen. Dem Benediktinermbnch Guido von Arezzo 
verdankt das Abendland die Erfindung der Intervall- 
notenschrift auf Linien. Mit dem Erstarren des Gre- 
gorianischen Gesanges entstand in Italien die 1st. Lau- 
da, ein Bindeglied zwischen dem Kirchengesang und 
der weltlichen Kunst des Trecentos. Die Pflege friiher 
kirchlicher Mehrstimmigkeit wird belegt fur Mailand 
(997) und Rom (12. Jh.); 1215 bezeugt der Ordo of- 
ficiorum des Doms von Siena die Pflege mehrstim- 
migen Gesanges, der in seiner liturgischen Stellung 
dem Repertoire von Winchester verwandt und von 
dem der gleichzeitigen Notre-Dame-Schule grundle- 
gend verschieden ist. Die wenigen bekannten Satze 
aus dem 12. Jh. (Sizilien, Lucca, Verona) und aus der 
Zeit um 1300 (Padua, Bologna, Cividale und in 2 Flo- 
rentiner Laudenhandschriften) gehoren zum Typus 
der »retrospektiven Mehrstimmigkeit« und stehen of- 
fenbar der Gesangspraxis von Siena nahe. Die Haupt- 
meister des Trecentos, Jacopo da Bologna, Bartolino 
da Padova und Francesco Landini, sowie ihr wichtigster 
Theoretiker, Marchetto da Padova, lebten in Ober- 
und Mittelitalien, wo auch die bedeutenden Trecento- 
handschriften Rs, PR, FP, ho. Pit und Sq (-> Quellen) 
entstanden, hinzu kommt aus dem Siiden Anthonello 
da Caserta. Von Madrigal, Caccia und Ballata fiihrt 
der Weg einerseits zur Polyphonie der franko-flami- 
schen Meister im 15. Jh., andererseits zu den typisch 
italienischen volkstumlichen Formen in homophonem 
satz, den Canti carnascialeschi, den venezianischen 
Giustiniane, den Strambotti, Frottole und mehrstim- 
migen Laude. Bemerkenswert ist im 15. Jh. auch die 
Kultur der italienischen Tanzmusik und Tanzmeister 
(-> Gesellschaftstanz). Die Handschriften mehrstim- 
miger Musik spiegeln um 1400 die wachsenden fran- 
zosischen Einfliisse in Melodik, Rhythmik, Formbau 
und Notation (PR, Mod) und bald ein fast ausschlieB- 
liches Vorherrschen auslandischer Kompositionen in 
der italienischen Musikubung (BL, O, BU, Trienter 
Codices). Denn als Lehrer der polyphonen Kunst des 
Nordens kamen viele niederlandische Komponisten 
nach Italien; hier wiederum lernten sie den ungekiin- 
stelten Stil, der sich der Volksmusik nahert, sowie Ein- 
fachheit und Wohlklang des Satzes. Die bekanntesten 
dieser Meister sind Ciconia (ab 1403 bestandig in Pa- 
dua), Dufay, der bei den Malatesta in Rimini, am Hofe 
von Savoyen sowie am papstlichen Hof wirkte, Jos- 
quin, der seine friihen Jahre als Domsanger in Mailand 
verbrachte, spater Willaert, der Begrunder der Vene- 
zianischen Schule, und Isaac, der in Ferrara und Flo- 
renz, dann in Deutschland tatig war, bevor er nach 
Florenz zuruckkehrte. 



418 



Italienische Musik 



Aus solcher gegenseitigen Durchdringung entstand in 
Italien das Madrigal des 16. Jh., Zeugnis einer Gesell- 
schaftskunst, wie sie von den hoheren Standen und be- 
sonders an den Hofen gepflegt wurde. Mit dem 5-, 4- 
und 3st. Madrigal, das vor allem in England und 
Deutschland Schule machte, erwuchs der I.n M. die 
europaische Vorbildlichkeit. Die Villanella als typisch 
italienische volkstiimelnde Gattung wirkte mit ihrer 
Neigung zu frischer Ausgelassenheit und Parodie auf 
das vornehme Madrigal bis zum Ende des Jahrhunderts 
anregend. Die italienische Musiklehre dieser Zeit 
gipfelt in Gaffori und Zarlino. Die Welt der Corn- 
media dell'arte, an deren musikalischer Ausschmiik- 
kung sich in Venedig und Neapel viele bekannte Mu- 
siker beteiligten, spiegelt sich in den Werken von G. 
Croce und in den Madrigalkomodien von Vecchi und 
Banchieri. Das gesteigerte Streben nach Affektdar- 
stellung, schon in der Chromatik eines Gesualdo und 
C. de Rore sowie im Lyrismus Luzzaschis offenkundig, 
erreichte seinen Hohepunkt bei Monteverdi, der die 
dramatische Darstellung auch ins Madrigal einfiihrte 
und damit den urspriinglichen Rahmen dieser hofi- 
schen Kunstform sprengte. - Zur Vorgeschichte der 
Oper gehoren Auffiihrungen von Biihnenwerken mit 
Vertonung einzelner Chore und Gesange (zuerst Po- 
lizianos Orfeo mit Musik von Germi, Mantua 1471 
[oder 1480?], am bedeutendsten O. Giustinianis Edipo 
Tiranno nach Sophokles mit Choren von A. Gabrieli, 
Vicenza 1585, aber auch eine Reihe von Komodien, 
Pastoralstiicken und Rappresentazioni sacre) und die In- 
termedien der Hoffeste, vor allem in Florenz, Ferrara, 
Mantua und Venedig, sowie theoretische Arbeiten 
(Mei, V.Galilei, sparer G.B.Doni) und praktische Ex- 
periments (Caccini, Peri) der Florentiner Camerata. 
Die eigentliche Geschichte der Oper begann in Mantua 
mit Monteverdis Orfeo und Arianna. Mittelpunkt der 
Opernpflege war zunachst Rom mit Cavalieri, D. und 
V.Mazzocchi, Marazzoli, St.Landi, L. und M.Rossi, 
Vittori und Abbatini; von hier aus zogen Opern- 
truppen bald durch ganz Italien und ins Ausland. Eine 
glanzende Fortsetzung erfuhr das Opernwesen in Ve- 
nedig mit der Eroffnung der ersten offentlichen Opern- 
hauser, fiir die als Komponisten Sacrati, Cavalli, Mon- 
teverdi, sparer auch Cesti wirkten. Die venezianische 
und die romische Schule versorgten ihr Publikum mit 
prunkvollen und farbenprachtigen Stiicken, bis am 
Ende des 17. Jh. die -> Neapolitanische Schule mit ih- 
ren Neuerungen sich durchzusetzen begann und als 
Hauptmeister Provenzale, A. Scarlatti und L. Leo, spa- 
ter auch die Deutschen Handel, Hasse und Gluck, als 
Reformer Jommelli und Traetta, als Librettisten Zeno, 
Metastasio und Calzabigi herausstellte und sich die 
Opera buffa (Pergolesi, Logroscino, Paisiello, Cima- 
rosa) verselbstandigte. Das Dramma in musica wandel- 
te sich zur Oper des 18. Jh. An die Stelle dramatischer 
Darstellung trat die Arienkette konzertahnlichen Cha- 
rakters. Das Interesse konzentrierte sich auf die beriihm- 
ten Primadonnen und Kastraten, die die Chronik der 
Zeit mit ihren Launen und Streitereien fiiUten: die 
Cuzzoni, die Bordoni-Hasse, die Tesi-Tramontini, die 
Gabrielli sowie Siface, Matteucci, Senesino, Carestini, 
Farinelli, Caflarelli, Gizziello und Guadagni. Der Er- 
folg dieser Opernkunst erfaSte binnen kurzem ganz 
Europa und fiihrte zu einem Export I.r M. und Mu- 
siker. Regionale Kompositionsschulen bildeten sich 
auch auBerhalb der Oper. 

In Rom erhielt die mehrstimmige Kirchenmusik, de- 
ren wichtigster italienischer Meister um 1500 Gaffori 
in Mailand gewesen war, wahrend des 16. Jh. eine neue 
Richtung zum Affektuosen, fand ihren abgeklarten 
Hohepunkt im klassischen Palestrina-Stil und wandelte 



sich mit der Romischen Schule (und unter dem EinfluC 
der Venezianer A. und G. Gabrieli) zum Prunk der ba- 
rockenMehrchorigkeit. Neben ihr stehen dasOratorium 
(Carissimi), das geisthche Konzert (Viadana) und der 
einfache Laudenstil des Kreises um den hi. F.Neri. In 
der Kammerkunst folgte den Nuove musiche Caccinis 
die Solokantate, die sich - auch als Duett - bis hin ?u 
A.Steffani groBer Beliebtheit erfreute; ihr nahe stehen 
die Psalmkantaten des Venezianers B.Marcello, deren 
vorbildliche Deklamation noch Verdi riihmte. Wah- 
rend im 16. Jh. an alien Hofen die Lautenkunst ge- 
pflegt wurde, entstand, besonders in Venetien und der 
Toscana, eine bedeutende Orgelkunst, beginnend mit 
Marc' Antonio Cavazzoni (bolognesischer Herkunft), 
dessen Orgeltabulatur (Recerchari motetti canzoni, Ve- 
nedig 1523) Italiens alteste gedruckte Orgelkompo- 
sitionen enthalt, bis hin zu G. Frescobaldi (f 1643 zu 
Rom). Ein wichtiges Dokument italienischer Orgel- 
musik bereits des friihen 15. Jh. stellt der neuentdeckte 
Codex Faenza (Fa) dar. Im 15. und besonders im 16. 
Jh. bliihte der Bau von Orgeln (Familien Da Prato und 
Antegnati) und Streichinstrumenten (Familien Amati, 
Guarneri, Stradivari in Cremona). Das 17. Jh. brachte 
zudem einen Hohepunkt der Musik fiir Violine und 
andere Streichinstrumente mit den Zentren Bologna 
(-v Bolognesische Schule) und Modena, wo neben der 
Triosonate und dem Solokonzert als neue Form das 
Concerto grosso gepflegt wurde (Corelli, D. Gabrielli, 
Torelli). Corellis affektbetonte Schreibweise erfahrt 
bei Vivaldi, Tartini und Viotti eine vor allem die Me- 
lodik und Spielweise verwandelnde Erneuerung. Der 
Notendruck trug - nachdem Petrucci in Venedig 1501 
mit dem Druck von Mensuralnoten begonnen hatte - 
zur Verbreitung der Musik in Italien und im iibrigen 
Europa bei; wie bei den Instrumentenmachern vererb- 
ten sich die groBen Unternehmungen in der Familie 
durch mehrere Generationen, so bei den Gardano, 
Scotto, Vincenti, Monti, Sala, Zatta. Weiteste Ver- 
breitung erlangten die Formen der Sinf onia da concer- 
to, der Sonata a piu stromenti (Sonata da camera und 
Sonata da chiesa) und der Sonate fiir Cembalo. Vor 
allem das Schaffen D. Scarlattis verdrangte die Orgel 
in der Gunst des Publikums. Nachdem Zipoli und 
Delia Ciaja die Cembalomusik zu einer letzten Bliite 
gef iihrt hatten, erofmete die Erfindung des Pianofortes 
durch Cristofori neue Bahnen. Wahrend sich die mo- 
derne Sonate und die Symphonie entwickelten (Sam- 
martini und Platti) , widmeten sich venezianische, toska- 
nische und neapolitanische Komponisten dem Streich- 
trio, -quartett und-quintett (Cambini und Boccherini). 
In Bologna wirkte Padre Martini als hochste Autoritat 
in musikalischen Fragen. 

Mit dem Beginn des 19. Jh., einer Epoche der Oper 
und des Klaviers, verdrangte Rossini die spate neapoli- 
tanische Schule vollstandig von der Opernbiihne. 
Nach ihm fuhrten Mercadante, Bellini und Donizetti 
zu der iiberschwenglichen Romantik Verdis, die ihrer- 
seits von Puccinis burgerlich-intimer Dramatik sowie 
vom Verismo der »Giovane scuola italiana« (Mascagni, 
Leoncavallo, Giordano und Cilea) abgelost wurde. 
Als Violinvirtuose glanzte der Genuese N.Paganini 
mit eigenen Kompositionen. Unter den im Ausland 
wirkenden Opernkomponisten ragen Salieri, Cheru- 
bini und Spontini hervor. Die in der Nachfolge Bazzi- 
nis, Sgambatis, G.Martuccis und Busonis stehende 
Generation (Respighi, Pizzetti, Malipiero, A. Casella, 
Lualdi, Ghedini) pflegte wieder verstarkt die Instru- 
mentalmusik und gab dem Geschmack des Publikums 
eine kosmopolitische Richtung. Die Zeitgenossen tiber- 
nahmen Zwolftontechnik und serielle Methoden (Dal- 
lapiccola, R. Malipiero, Petrassi, Donatoni, Nono, Be- 



27* 



419 



Italienische Musik 



rio). Die Vorherrschaft des Klaviers, fiir das im 19. 
Jh. ausschlieBlich Opernfantasien und Variationen ge- 
schrieben wurden, wurde iiberwunden, und in alien 
groBeren Stadten entstanden Konzertgesellschaften so- 
wie Symphonieorchester, um dem erneuerten Verlan- 
gen nach Instrumentalmusik zu entsprechen. Im Kon- 
zertsaal erschienen bedeutende Virtuosen (Bazzini, Si- 
vori, die Schwestern Milanollo), im Opernhaus groBe 
Sangerinnen (A.Catalani, A.Patti, G. Pasta), Sanger 
(Lablache, Rubini, Battistini, Caruso) und Dirigenten 
(Bolzoni, Mancinelli, Faccio, Mariani), unter denen A. 
Toscanini hervorragte. Es entstanden die Verlagshauser 
(Ricordi 1808, Lucca 1825, Sonzogno 1874), die staatli- 
chen -*■ Konservatorien (nach dem Vorbild der alten 
Conservatori in Neapel und Ospedali in Venedig), die 
-» Zeitschriften (Gazzetta musicale di Milano, 1842; Ri- 
vista musicale italiana, 1894; Musica d'oggi, 1919; Rassegna 
musicale, 1928); die groBen -*■ Denkmaler-Ausgaben al- 
terer I.r M. (L.Torchis L'arte musicale in Italia, 1897- 
1907; I classici musicali italiani von G. Benvenuti und E. 
Bravi, 1941-56, sowie die von G. Cesari begrundeten, 
regional gegliederten Istituzioni e monumenti delVarte 
musicale italiana, 1931-41; Nuova serie seit 1956). 
Das Musikleben der Gegenwart wird getragen von 13 
staatlichen Konservatorien (neben weiteren offentli- 
chen Musikschulen), den 3 groBen Opernhausern (La 
Scala in Mailand, Teatro dell'Opera in Rom und San 
Carlo in Neapel), weiteren regionalen Opernveran- 
staltungen (wie in der Arena von Verona) und Stagio- 
ni, den Symphonieorchestern der Mailander Scala, 
der Accademia di Santa Cecilia in Rom, der Societa 
Scarlatti in Neapel sowie von den Sendern Turin, 
Mailand und Rom der Rundfunk- und Fernsehgesell- 
schaft (RAI). Internationale Bedeutung haben die Fest- 
spiele zeitgenossischer Musik in Venedig, der Maggio 
Musicale Fiorentino, die Settimana Senese (veranstaltet 
von der Accademia Chigiana; die beiden letzteren mit 
wertvollen Programmbiichern), ferner die Sagra Mu- 
sicale Umbra in Perugia, seit 1958 das Festival dei Due 
Mondi in Spoleto und seit 1961 die Internationale 
Woche Neuer Musik in Palermo. 
Ausg. : — ► DenkmaJer, — > Quellen. 

Lit. : P. Lichtenthal, Dizionario e bibliogr. della musica, 
4 Bde, Mailand 1826, erweitert frz. v. D. Mondo, Paris 
1839; C. Schmidl, Dizionario universale dei musicisti, 2 
Bde, Mailand 1887-89, 21926-29, Suppl. 1938; E. Vooel, 



Bibl. d. gedruckten weltlichen Vocalmusik Italiens aus d. 
Jahren 1500-1700, 2 Bde, Bin 1892, Nachtrage v. A. Ein- 
stein in: Notes II, 2, 1944/45 -5,1 947/48, Nachdruck (mit d. 
Nachtragen) Hildesheim 1962; G. u. C. Salvioli, Bibliogr. 
universale del teatro drammatico ital. I, Venedig 1903 ; G. 
Bustico, Bibliogr. delle storie e cronistorie dei teatri ital., 
Domodossola 1913, Mailand 21929 ; G. Cocchiara, L'ani- 
ma del popolo ital. nei suoi canti, Mailand 1929; F. Tor- 
refranca, Le origini ital. del romanticismo mus., Turin 
1930; ders., II segreto del Quattrocento, Mailand 1939; A. 
Della Corte u. G. Pannain, Storia della musica, 3 Bde, 
Turin 1936, in 3 Bden 31952, 41964, span. Barcelona 1950- 
56; V. Santoli, I canti popolari ital. : ricerche e questioni, 
Florenz 1940; Fr. Abbiati, Storia della musica, 5 Bde, Mai- 
land 1941-46; K.N. Jeppesen, Die ital. Orgelmusik am An- 
fang d. Cinquecento, 2 Bde, Kopenhagen 1943, 21960; 
ders., Uber ital. Kirchenmusik in d. 1. Halite d. 16. Jh., 
Studia musicologica III, 1962; I. Pizzetti, La musica ital. 
del '800, Turin 1946; Cl. Sartori, Bibliogr. della musica 
strumentale ital., stampata in Italia fino al 1700, = Bibl. di 
bibliogr. ital. XXIII, Florenz 1952; ders., Dizionario degli 
editori mus. ital., ebenda XXXII, 1958; ders. mit F. Brous- 
sard, F. Colorni Zambrini, A. Ferrari, G. Manzoni, P. San- 
ti, G. Tintori, E. Fossati u. A. Gentile, Dizionario Ricordi 
della musica e dei musicisti, Mailand (1959); ders. mit R. 
Allorto, La musicologia ital. dal 1945 a oggi, AMI XXXI, 
1959; ders. mit R. Allorto, A. Bertini, Fr. Bussi, F. Color- 
ni Zambrini, M. Dona, G. Dotti, E. Farina, G. Manzoni, 
U. Prota-Giurleo, G. C. Testoni, G. Tintori, Enciclopedia 
della musica, 4 Bde, Mailand (1963-64); Enciclopedia dello 
spettacolo, unter Leitung v. S. D' Amico, 9 Bde, Rom 1 954- 
62; G. Gavazzeni, La musica e il teatro, Pisa (1954); M. 
Manferrari, Dizionario universale delle opere melo- 
drammatiche, 3 Bde, Florenz 1954-55; D. Carpitella, 
Ritmi e melodie di danze popolari in Italia, Rom 1956; 
ders., Rassegna bibliogr. degli studi di etnomusicologia in 
Italia dal 1945 a oggi, AMI XXXII, 1960; R. Lunelli, Der 
Orgelbau in Italien . . ., Mainz 1956; L. Ronoa, Arte e 
gusto nella musica, Mailand u. Neapel 1956; ders., L'es- 
perienza storica della musica, = Bibl. di cultura moderna 
545, Bari 1960; K. v. Fischer, Die Rolle d. Mehrstimmig- 
keit am Dom v. Siena zu Beginn d. 13. Jh., AfMw XVIII, 
1961; Storia della danza popolare e d'arte, hrsg. v. G. 
D'Aronco, 6 Bde, Florenz 1962; Cl. Galuco, Un libro 
di poesie per musica dell'epoca di Isabella d'Este, Mantua 
1 96 1 ; M. Laghuzza Ricooni, Studi sul canto lirico mono- 
strofico popolare ital., = Bibl. di Lares XI, Florenz 1963; 
M. Bortolotto, The New Music of Italy, MQ LI, 1965? 
P. Collaer, Lyrisme baroque et tradition populaire, Studia 
musicologica VII, 1965; N. Pirrotta, Music and Cultural 
Tendencies in 15" 1 -Cent. Italy, JAMS XIX, 1966. - Stu- 
dien zur ital.-deutschen Mg. I — III, = Analecta musicolo- 
gica I— III, Koln u.Graz 1963-66. ClS 



420 



J 



Jack (d3sek, engl.), Springer, -*■ Mechanik. 

Jagdhorn (ital. corno da caccia; frz. trompe oder cor 
de chasse), in der neueren Zeit das gewundene kleine 
Horn, das im Unterschied zum groBeren -> Wald- 
horn, mit dem es die Friihgeschichte gemeinsam hat, 
an der Hiifte zu tragen ist. Wahrend das Waldhorn 
ein Instrument der Kunstmusik wurde, blieb das J. 
wie das -*■ Hifthorn, -> Harschhorn und das ->• Post- 
horn Signalinstrument. Im 17. Jh. wurden die Horn- 
typen nach ihrer GroBe bezeichnet, z. B. als Wald- 
horn, Mittelhorn, Riidenhorn und Zinggl. Das am 
meisten verbreitete moderne J. ist das PleBhorn (ge- 
nannt nach Herzog Heinrich XI. von PleB) in B mit 
Lederwicklung. 

Lit.: B. Pompecki, Jagd- u. Waldhornschule ..., Neu- 
damm ( 2 1926) ; H. Jacob, Anleitung zum Jagdhornblasen, 
Hbgu. BlnC»1958). 

Jagdmusik. Seit jeher bedarf die Jagd der akustischen 
Verstandigung : aus Schreien und Zurufen der Jager 
bildeten sich (durch Intervalle und Rhythmus unter- 
schiedene) Jagdrufe, die hinuberleiten zum Signal und 
Signalinstrument. Funde aus der Eiszeit deuten auf die 
Verwendung von Signal- und Lockinstrumenten (Pha- 
langenpfeifen, Knochenfloten). In den alten Kulturen 
(Agypter, Babylonier, Assyrer) spielte Musik bei Jagd 
und Jagdopfern eine Rolle, ebenso in der Antike beim 
Artemis- und Diana-Kult. Auch die Germanen feier- 
ten Jagdfeste mit Gesangen. Jagdrufe erwahnt Xeno- 
phon in seinem KweyrjTixit;. Die mittelalterlichen 
Quellen mit Jagdberichten gehen bis ins 8. Jh. zuriick. 
Signale, bestehend aus verschiedenen Folgen kurzer 
oder langer Tone gleicher Hohe, wurden auf dem 
-*■ Olifant oder auf dem -> Hifthorn geblasen. - Als 
altestes Jagdlehrbuch gilt Le Dit de la Chace dou Cer/aus 
der Zeit Ludwigs IX. von Frankreich (f 1270). Das 
Livre du Roy Modus (1338) nennt 5 Signale, Hardouin 
(1394) bereits 14. Aus dem friihen 14. Jh. stammt G. 
Twicis IS art de Venerie, eines der altesten englischen 
Jagdbiicher. Die wortliche Wiedergabe des Kapitels 
uber Signale aus La Venerie (1561) von Du Fouilloux 
findet sich in S. Feyerabends Neuwjag vnnd Weydwerck 
Buck (1582). - Mit der Vervollkommnung der Instru- 
mente wird im 17. Jh. das Intervallsignal moglich (Par- 
forcehorn). In verschiedenen Abwandlungen finden 
die Motivtypen der Signale vom 14. Jh. an in die 
Kunstmusik Eingang (-*■ Caccia, Madrigal, Canto car- 
nascialesco, Chanson; allegorische Jagdszenen bei 
Nasco, Striggio, Marenzio, O.Vecchi). Die wahr- 
scheinlich urspriingliche Weise von Herzog Ulrich 
von Wiirttembergs Jagdlied Ich schell mein Horn (1510, 
aus Hs. 77, St. Blasien) ist im Liederbuch des Arnt von 
Aich (Koln, um 1520) erhalten. Zwei weitere Melo- 
dien bieten L. Senfl in -»• Forsters Ein Auszug frischer 
teutscher Liedlein (1539B.) und Brahms (op. 41 Nr 1). 
Seit M.A.Rossis Erminia sul Giordano (1637) werden 
immer wieder Jagdszenen in Opern und Balletten ein- 



gefiigt; so bei Cavalli (-»■ Chiamata), Purcell (Dido and 
Aeneas, 1689, 2. Akt, 2. Szene, mit einem zweimal er- 
klingenden Signal aus Fouilloux' La Venerie), Lully 
(La princesse d'Elide, 1664). - Das technisch weiterent- 
wickelte Jagdhorn (-»■ Waldhorn) wird in das Orche- 
ster eingefiihrt. Eine Sonderform des Signalhorns ver- 
wendet J. A. Mares 1751 in seiner »Russischen J.«. Das 
musikalische Jagdidiom in der Kunstmusik war wesent- 
lich durch imitierende Elemente, die spezifische Horn- 
klangwirkung und Fanfarenmotive, oft durch schnel- 
len, den Galopp der Parforcejagd nachahmenden 6/8- 
Takt gekennzeichnet. Die Aufnahme zum Teil stili- 
sierter franzosischer Parforcejagdsignale zeigen Haydns 
Jahreszeiten und die Symphonien Hob. I, 31 und I, 73. 
Musikalische Elemente der Jagd finden sich im sym- 
phonischen Schaffen von C. Stamitz und L. Mozart, in 
Finalsatzen von W.A.Mozarts Konzerten fur Horn 
und Orch. K.-V. 412, 41 7, 447 und 495, im Streichquar- 
tett K.-V: 458 und in »La Chasse«, K.-V. Anh. 103. 
Auch im Themenkreis von Biihnenwerken erscheint 
die Jagd immer haufiger (E. G. Duni, J. A. Hiller). 
In der Entwicklung eines spezifisch romantischenjagd- 
idioms gipfelt die Verbindung von Jagd und Musik. 
Webers Freischiitz inspirierte zu einer Anzahl ahnli- 
cher, dasJagdmilieukennzeichnenderWerke (u. a. von 
Marschner, Lortzing, C.Kreutzer, Rossini). Bei Wag- 
ner charakterisieren ganze Szenenvorspiele und -nach- 
spiele die Jagdsituation (z. B. Walkiire, Vorspiel zum 

3. Akt). Auch die Lied- und Mannerchorliteratur sowie 
die Instrumental musik der Romantik haben ofters 
jagdliches Geschehen zum Vorwurf (Schubert, op. 13 
Nr3, op. 96 Nr 2, op. posth. 139; C.Kreutzer, Des 
Jagers Lust; Schumann, Jagerliedchen aus op. 68, Jager 
auf der Lauer aus op. 82; Mendelssohn Bartholdy, Ja- 
gerlied aus op. 19, Durch schwankende Wipfel . . . op. 
59; Brahms, 4. Satz der 3. Symphonie op. 90, op. 
28 Nr 4; Grieg, op. 4 Nr 4; Bruckner, Scherzo der 

4. Symphonie; Mahler, 1. Satz, Wie ein Naturlaut, der 
1. Symphonie; H. Wolf, Jagerliedchen aus den Morike- 
Liedern, 1888 ; C. Franck, Le chasseur maudit, 1882). Um 
die Mitte des 19. Jh. tauchen standische Liederbiichef 
auf: Jdgerlieder (1843) von Franz Graf Pocci und Franz 
Ritter von Kobell, Jagd- und Waldlieder von H. Chr. 
Burckhardt (1865). Immer wieder vertont wurde der 
seit 1813 melodisch nachweisbare Jager aus Kurpfalz 
(erste bekannte Mannerchorfassung von Fr. Silcher, 
1839). In den 3 Banden Denkmaler Deutscher Jagdkultur 
(1938) von C. Clewing sind Jagdmadrigale und Chor- 
gesange des 16. bis 19. Jh. und alle bedeutenden Lieder 
dieses Stoffbereiches gesammelt. In der Kunstmusik 
klingt das Jagdidiom bis zum Jager aus Kurpfalz in 
Bergs Wozzeck und zu Torquins Ritt in Brittens The 
Rape ofLucretia (1946) durch. 

Ausg. : Livres du Roy Modus (1338), hrsg. v. G. Tilander, 
2 Bde, Paris 1932; Gaston Phoebus de Foix, Le livre de 
chasse (1387), hrsg. v. J. Lavallee, Paris 1854; Hardouin, 
Seigneur de Fontaine-Guerin, Tresor de v6nerie (1394), 

421 



Jahrbiicher 



hrsg. v. M. H. Michelant, Metz 1 856 ; C. Othmayr, Reutte- 
rische u. Jegerische Liedlein (1549), hrsg. v. Fr. Piersig, 
Wolfenbiittel u. Bin 1928; J. Du Fouilloux, La Venerie, 
Poitiers 1561 u. 6., Paris 1573 u. 6., Rouen 1650, 1656, Bay- 
reuth 1754, Angers 1844, Niort 1864, 1888, Mailand 1615, 
Ffm. 1582, StraBburg 1590, Dessau 1727; Fr. de La Mar- 
che, Mus. Jagerhorn, Konstanz 1655; J. M. Gletle, Mu- 
sica genialis latino-germanica op. IV, Augsburg 1675; H. 
Fr. v. Fleming, Der vollkommene teutsche Jager u. Fi- 
scher, Lpz. 1719; H. W. Dobel, Neu eroffnete Jagerprakti- 
ka . . . , Lpz. 1 754 ; Denkmaler Deutscher Jagdkultur, hrsg. 
v. C. Clewing, Neudamm u. Kassel, 3 Bde, I: Musik u. 
Jagerei, 1937, II: Jagerlieder . . ., 1938, HI: Jagdmadriga- 
le . . . , 1938 ; Die deutschen Jagdsignale u. Brackensignale 
mit Merkversen v. W. Frevert, Hbg u. Bin 1952. 
Lit.: P. M. Sahlender, Der Jagdtraktat Twici's, d. Hof- 
jagers bei Edward II. v. England u. seine Oberlieferung, 
Diss. Lpz. 1894; U. Wendt, Kultur u. Jagd, 2 Bde, Bin 
1907-08; O. Wiener, Das deutsche Jagerlied, =Slg ge- 
meinnutzigerVortrage 388/389, Prag 1911 ; H. Benzmann, 
Die Jagd im deutschen Liede, in: Der Sammler XC, 1921 ; 
A. Bierl u. B. v. Pressentin-Rauter, Die Jagd mit Lock- 
instrumenten, Kothen 1924; K. Taut, Die Anfange d. J., 
Lpz. 1927; J. Thiebaud, Bibliogr. des ouvrages frc. sur la 
chasse, Paris 1934; W. Frevert, Das jagdliche Brauchtum, 
Hbg u. Bin 61952, '1962 (darin d. deutschen Jagd- u. Brak- 
kenjagdsignale); A. L. Ringer, The Chasse as a Mus. Topic 
of the 18 th Cent., JAMS VI, 1953; ders., The Chasse .... 
Diss. Columbia Univ. 1955, maschr. ; M. Fehr, Mus. Jagd, 
Neujahrsblatt d. Allgemeinen Musikges. Zurich CXLI, 
1954; E. Paul, Osterreichische J., Osterreichische Musikzs. 
XII, 1957; ders., Jagd u. Musik, in: Musikerziehung XV, 
1961/62; Kapitel »Jagd u. Musik« v. G. Karstadt u. Kl. 
Blum, in: Die Jagd, = Convivium Symbolicum III, hrsg. 
v. E. Lutze u. Kl. Blum, Bremen (1959), mit Notenbeispie- 
len; S. Hermelinck, Jagermesse, Mf XVIII, 1965. 

Jahrbiicher (engl. yearbooks; frz. annales; ital. an- 
nuarii; span, anuarios), einige der wichtigsten sind: 
- 1) Musikalisches Jahrbii.chlein, mit dem Untertitel Be- 
nefit alter bemerkenswerten Ereignisse im Cebiete der Ton- 
kunst, hrsg. von J.E.Haeuser (nur 1833); J. des Deut- 
schen Nationalvereins fiir Musik und ihre Wissenschaft, 
hrsg. von G. Schilling, I-IV Karlsruhe 1839-42; J. fur 
musikalische Wissenschaft, hrsg. von Fr. Chrysander, I 
Leipzig 1863, II 1867, der erste Versuch einer periodi- 
schen, rein musikwissenschaftlichen Publikation mit 
Statistiken iiber die Gesangvereine und Konzertinsti- 
tute Deutschlands und der Schweiz; Caecilien-Kalen- 
der, hrsg. von Fr.X.Haberl, I-X Regensburg 1876-85, 
erweitertfortgefuhrtalsKirc/ienmHiife<i/i5(:/iMjfc.(KmJb), 
hrsg. von Fr.X.Haberl 1886-1907, K.Weinmann 
1908-11, als Veroffentlichung des Allgemeinen Caci- 
lienvereins hrsg. von K.G.Fellerer seit 1930, I-XXIV 
(=XI-XXXIV des Caecilien-Kalenders) Regensburg 
1886-1911, XXV-XXXIII Regensburg (ab 1936 Koln) 
1930-38, XXXIVff. Koln 1950ff. Jb. der Musikbiblio- 
thek Peters (JbP), hrsg. von E.Vogel 1894-1900, R. 
Schwartz 1901-28, K.Taut 1929-38, E.Schmitz 1939- 
40, I-XLVII Leipzig 1894-1940, bot, neben musiko- 
logischen Arbeiten, zusammen mit einer Liste der 
Neuzugange der Bibliothek eine Ubersicht iiber die 
Neuerscheinungen des betreffenden Jahres (dazu ab 
1913 eine Jahrestotenliste der Musiker und 1931-38 
ein Verzeichnis der musikwissenschaftlichen Disser- 
tationen an den deutschen und osterreichischen Uni- 
versitaten), seit 1956 fortgefiihrt als Deutschesjb. der Mu- 
sikwissenschaft, hrsg. vonW. Vetter, Iff. (=XLVIIIff. des 
JbP) Leipzig 1956ff. (Aufsatze, Totenliste der Musiker 
und Verzeichnis der im Berichtsjahr bei der Deutschen 
Biicherei zu Leipzig registrierten Dissertationen und 
Habilitationsschriften). Ober dieMusikpflege in Oster- 
reich und die bedeutendsten Musikstadte des Auslandes 
berichtete von 1904 bis 1913 das Musikbuch aus Oster- 
reich, das auch musikwissenschaftliche Abhandlungen 
enthalt (von dem alsWeiterfuhrung versuchten Wiener 



Musik- und Theateralmanach erschien nur der Jg. 1913/ 
14). Als J. des deutschen Musiklebens bestanden: Deut- 
sches Musik-Jb., hrsg. v. R.Cunz, I-IV Essen 1923-26; 
Jb. der deiUschen Musikorganisation, hrsg. von L. Kesten- 
berg, F.W. und E. A. Beidler, Berlin 1931 Jb. des Deut- 
schen Sangerbundes, I-X Dresden (ab 1934 Berlin) 1926- 
1935/36, Xlff. Monchen-Gladbach (ab 1956/58 Koln) 
1952ff. (XV 1956/58, XVI 1959/60, XVIIff. 1961ff.); 
Katholisches Kirchenmusik-Jb., hrsg. von H. Hoffmann, 
I— II Kronach 1927-28; Jb. der staatlichen Akademiefiir 
Kirchen- und SchulmusikBerlin, hrsg. von H. Halbig, I-V 
Kassel 1 928-32 Jb. der Musikwelt, hrsg. von H.Barth, 
I Bayreuth 1949/50 (mehr nicht erschienen). Weitere 
Publikationen sind das Jb. fur Volksliedforschung, hrsg. 
von J.Meier, I- VIII Berlin 1929-51 Jb.fiirLiturgik und 
Hymnologie, hrsg. von K.Ameln, Chr. Mahrenholz, 
K.F.Miiller, Iff. Kassel 1955ff. (Jg. VI 1961, VII 1963); 
Jb.fur musikalische Volks- und Volkerkunde, hrsg. von Fr. 
Bose, I Berlin 1963, II 1966. An auslandischen J.n sind 
zu nennen: Schweizerisches Jb. fur Musikwissenschaft 
(SJbMw), hrsg. von der Schweizerischen Musikfor- 
schenden Gesellschaft, I Basel 1924, II-VI Aarau 1927- 
29, 1931, 1933, VII Basel 1938; Vlaamsch Jaarboek voor 
muziekgeschiedenis, hrsg. von J. A. Stellfeld, A.Corbet, 
W. Weyler, I Antwerpen 1939, II/III 1940/41, IV 1942, 
fortgesetzt ah Jaarboek (1 Jg. 1959), hrsg. von Fl. Van 
der Mueren; Hinrichsen's . . . Music Book, hrsg. von 
R.Hill und M.Hinrichsen 1944-46, M.Hinrichsen 
seit 1947, I- VII London 1944-52, Vlllff. London und 
New York 1956ff. ; Anuario musical (AM), hrsg. von 
H. Angles, Iff. Barcelona 1946ff. ; Musica Disciplina 
(MD), hrsg. von A. Carapetyan, I Rom 1946/47 un- 
ter dem Titel Journal of Renaissance and Baroque Mu- 
sic, Ilff. Rom 1948ft. (mit Beitragen besonders zur 
Musikgeschichte des Mittelalters) ; Journal of the Inter- 
national Folk Music Council (mit Unterstiitzung der 
UNESCO), Iff. London 1949ff.;Jfc. des Osterreichischen 
Volksliedwerkes, hrsg. von L.Nowak, L.Schmidt, R. 
Zoder, Iff. Wien 19523. ; Annales musicologiques (Ann. 
Mus.), Moyen-Age et Renaissance, Publications de la 
Societe de musique d'autref ois, hrsg. von G. Thibault, 
I— II Paris 1953-54, III-V Neuilly-sur-Seine 1955-57, VI 
1958/63; Dansk Aarbog for Musikforskning, hrsg. von 
N.Schiorring und S.Sorensen, Iff. Kopenhagenl961ff. 
- 2) J. fur groBe Meister der Musik: Bach-Jb., im Auf- 
trag der Neuen Bach-Gesellschaft hrsg. von A. Sche- 
ring 1904-39, M. Schneider 1940-52, A.Durr und W. 
Neumann 1953ff. , I-XXXVI Leipzig 1904-39, XXXVII 
1940/48, XXXVIII 1949/50, XXXIX 1951/52, XLff. 
Berlin 1953ff. ; Richard-Wagner-Jb., hrsg. von L.Fran- 
kenstein, I-V Berlin 1906-13; Beethoven-Jb., hrsg. von 
Th.v.Frimmel, I— II Munchen 1908-09, Neues Beetho- 
ven-Jb., hrsg. von A. Sandberger, I-X Augsburg 1924- 
42, Beethoven-Jb., hrsg. von P.Mies und J. Schmidt- 
Gorg in den »Veroffentlichungen des Beethovenhauses 
in Bonn«, Iff. Bonn 1953/54ff.; Gluck-Jb., hrsg. von 
H. Abert (Veroffentlichung der Gluck-Gesellschaft), I- 
IV Leipzig 1913-18; Mozart-Jb., hrsg. von H.Abert, 
I— II Munchen 1923-24, III Augsburg 1929, Neues Mo- 
zart-Jb., hrsg. von E.Valentin im Auftrag des Zentral- 
instituts fur Mozartforschung am Mozarteum Salz- 
burg, I — III Regensburg 1941-43, Mozart-Jb., hrsg. von 
G. Rech (Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg), 
Salzburg 19503. (ohne Jahrgangszahlung) ; Handel- 
Jb., im Auftrag der Handel-Gesellschaft hrsg. von R. 
Steglich 1928-33, fortgefiihrt von der G.-Fr.-Handel- 
Gesellschaft, hrsg. von M.Schneider und R. Steglich 
1955ff., I-VI Leipzig 1928-33, Vllff. (= Neue Folge 
Iff.) Leipzig 1955ff. ; Richard-Strauss-Jb., hrsg. von W. 
Schuh, I Bonn 1954, II 1960; Chopin-Jb., hrsg. von Fr. 
Zagiba, Wien 1956 und 1963, Annales Chopin, hrsg. 



422 



Japan 



von J. M. Chominski, Iff. Warschau und Krakau 1956ff.; 
Haydn-Jb., hrsg. von H. Singer, K.Fiissl, H. C.Robbins 
Landon, Iff. Wien 1962ff. 

Jale, von Richard Miinnich erdachtes Tonsilbensy- 
stem, das die Vorziige der Tonika-Do- und der Eitz- 
schen Tonwort-Methode zu verbinden sucht. Den 
Ausgangspunkt bildet die diatonische Durtonleiter, 
die mit den Silben ja le mi ni ro su wa ja wiedergege- 
ben wird. Diatonische Halbtonschritte werden durch 
Konsonantenwechsel (z. B. cis, d, es = je, le, me), chro- 
matische Halbtone durch Vokalwechsel (z. B. des, d, 
dis = la, le, li) angezeigt. 

Lit. : R. Munnich, J., ein Beitr. zur Tonsilbenfrage, Lahr 
1930, Wolfenbiittel 21957; S. Bimberg, Chr. Lange u. Fr. 
Bachmann, Fs. R. Munnich, Lpz. 1957. 

Jalousieschweller, in der Orgel ein groBerer Schrank, 
in dem die Register eines Manuals (-> Schwellwerk) 
stehen. Durch Offnen und SchlieBen der Klappen (Ja- 
lousien) sind Lautstarke und Horeindruck des Orgelto- 
nes zu variieren. Der J. wird vom Spieler iiber einen 
FuBhebel am Spieltisch bedient. Der Erfinder des J.s ist 
Th.Mace (1676), aber erst durch die beiden Abraham 
Jordan (1712) fand er weitere Verbreitung. Wahrend 
in der Fruhromantik die Schwellwerke nur schwach 
besetzt waren, wurden sie im spaten 19. Jh. mit zahl- 
reichen und stark klingenden Registern versehen. 
Schon das alte -*■ Regal (- 1) hatte einen Kasten zum 
Abdecken der Regalpfeifen. Einen Venetian swell fur 
Cembalo lieB sich Tschudi 1769 patentieren. 
Lit.: E. Flade, Zur Gesch. d. dynamischen Ausdrucks- 
fahigkeit d. Orgeltons, Zs. f. kirchenmus. Beamte I, Borna 
1919, Nr 1 1-13 ; W. L. Sumner, The Organ, London 21953. 

Jaltarang, persisch-indisches Musikinstrument; es 
besteht aus durch Wasserfiillung abgestimmten Por- 
zellanschalen, die im Halbkreis um den Spieler aufge- 
stellt und mit Stockchen angeschlagen werden. Das 
J., das noch heute vereinzelt in Indien anzutreffen ist, 
erlebte seine Bliitezeit im arabischen Mittelalter; es 
wurde saz kasat, inPersien pingan, in derTiirkei fingan 
genannt. Ahnliche Instrumente aus der gleichen Zeit 
(13.-17. Jh.), die aber nicht geschlagen, sondern mit 
den Fingern gerieben wurden, sind als Vorbilder fiir 
die spateren europaischen -*■ Glasspiele anzusehen. 

Jamaika. 

Lit.: H. H. Roberts, A Study of Folk Song Variants 
Journal of the American Folklore XXXVIII, 1925; dies., 
Possible Survivals of African Song in Jamaica, MQ XII, 
1926; M. Warren Beckwith u. H. H. Roberts, Jamaica 
Folklore, NY 1928. 

Jam session (d3aem s'ejan, engl.), Zusammenkunft 
von Jazzmusikern in zufalliger Besetzung aus Freude 
am freien Musizieren (ohne -»• Arrangement, Publi- 
kum oder »Stilzwang«). Solche Sitzungen fanden schon 
in New Orleans und Chicago statt, erlangten aber erst 
in der -*■ Swing- Ara, als viele Musiker in Engagements 
zum Spielen von Sweet music gezwungen waren, be- 
sondere Bedeutung. Aus Experimenten in J. s.s ent- 
stand um 1942-^45 der -*■ Be-bop. In neuerer Zeit wer- 
den J. s.s haufig zu Plattenaufnahmen und als Konzerte 
organisiert und verlieren so ihren urspriinglichen Sinn. 

Janitscharenmusik (auch »Turkische Musik« ge- 
nannt; ital. banda turca; frz. musique turque; engl. 
janissary, janizary oder turkish music) ist die Bezeich- 
nung fiir die Feldmusik der Janitscharen, im engeren 
Sinne fiir das fiir sie charakteristische Larm- und Rhyth- 
musinstrumentarium (groBe und kleine Trommel, 
Becken, Tamburin, Triangel, Schellenbaum). Die J. 
wurde im Gefolge der Turkenkriege durch tiirkische 
Militarkapellen in Europa bekannt; das Instrumen- 



tarium fand Eingang in die Militarmusik (in Polen um 
1720 durch August II., in RuBland 1725, in Osterreich 
1741, bald darauf auch in PreuBen). In die Kunstmusik 
gelangte die J. durch die »Tiirkenopern«, wie Glucks 
La rencontre imprevue (»Die Pilger von Mekka«, 1764; 
groBe Trommel) und Iphigenie en Tauride (1779; Bek- 
ken, Triangel, kleine Trommel) sowie Mozarts Ent- 
fiihrung aus dem Serail (Becken, Triangel, groBe Trom- 
mel). Uber diese Beschrankung auf die exotismen- 
hafte Darstellung orientalischen Kolorits hinaus wurde 
die J. Ausdrucksmittel des Kriegerisch-Martialischen 
(Haydn, »Militarsinfonie«, 1749, Hob. I, 100; Beet- 
hoven, Wellingtons Sieg oder Die Schlacht hex Vittoria op. 
91,1813) und des ekstatischen Uberschwanges (Beetho- 
ven, Finale der 9. Symphonie). Fiir den musikalischen 
Stil der J., die oft als solche durch die beigegebene Stil- 
bezeichnung alia turca noch besonders gekennzeichnet 
war (z. B. Mozart, SchluBsatz der Klaviersonate A dur 
K.-V. 331), ist die dick unter eine Melodie gesetzte 
larmende, zwischen wenigen Akkorden wechselnde 
Begleitung eigentiimlich. Der Beliebtheit der J. fol- 
gend wurden um 1800 Pianofortes mit einem Jani- 
tscharenzug ausgeriistet, durch den Glockchen, Becken 
sowie (durch Schlag eines Kloppels auf den Resonanz- 
boden) der Klang der groBen Trommel nachgeahmt 
wurden; auch Orchestrions wurden mit Turkischer 
Musik versehen. 

Lit.: R. Harding, The Piano-forte, Cambridge 1933; H. 
G. Farmer, Turkish Instr. of Music in the 1 7 tb Cent. , = Col- 
lection of Oriental Writers on Music III, Glasgow 1937; 
P. Pan6ff, Das mus. Erbe d. Janitscharen, Atlantis XX, 
1938; N. Bessaraboff, Ancient European Mus. Instr., 
Boston 1941 ; Fr. J. Hirt, Meisterwerke d. Klavierbaus, 
Olten 1955; C. M. Altar, W. A. Mozart im Lichte osma- 
nisch-osterreichischer Beziehungen, RBM X, 1956; E. 
Simon, Mechanische Musikinstr. friiherer Zeiten u. ihre 
Musik, Wiesbaden 1960; G. Oransay, Von d. Tiirken dol- 
pischer Musik, Siidosteuropa-Jb. VI, 1962. 

Japan. 

Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, 
Tokio) : S. Izawa, Collection of J.ese Koto-Music, hrsg. v. 
d. Imperial Acad, of Music, I 1888, 21914, II 1914; Gesam- 
melte Werke d. Weltmusik (transkribierte j.ische Musik in 
d. Bden XVIII, XXV u. XXXIV), o. J.; N. Peri, Cinq No, 
Paris 1921, NA: Le No, Tokio 1944; Sassa Yo Sassa, 
J.ische Tanze, Bin 1922; Denkmaler, hrsg. seit 1930 v. d. 
Nanki Musik-Bibl. Abt. I, Hofmusik, 1. H.: Saibara, hrsg. 
v. Kanetune-Kyoske u. Syoti Tudi; D. Taki u. T. Yo- 
schida, Tendai-syomyo-taisei (»Slg d. Syomyo d. Tendai- 
Sekte«), 2 Bde, Kioto 1935-55; T. Iwahara, Nanzan- 
syomyo-kyoten (»Slg d. Syomyo d. Nanzan-Schule«), 
Koyasan 1938; Tohoku-minyo-schu (»Slg d. Volkslieder 
in d. Nordost- Region J.s«), hrsg. v. Nippon-Hoso-Kyokai, 
4 Bde, 1942-59; Nihon-no-minyo (»Slg j.ischer Volkslie- 
der«), hrsg. v. Nippon-Hoso-Kyokai, 4 Bde, 1944-60; G. 
F. Hughes, Rhymes Sung by J.ese Children, Western Folk- 
lore X, 1951; E. Norbeck, J.ese Folk-Music, NY 1951; 
S. Schiba, Gagaku - J.ische Hofmusik, 2 Bde, 1955-56; 
K. Kanal, Ryukyu-no-minyo (»Volkslieder v. Riukiu«), 
1956; I. Komiya, J.ese Music and Drama in the Meiji Era, 
1956; K. Kubo, Minami-Nihon-minyo-kyokuschu (»Slg 
d. Volkslieder in Sud-J.«), 1960; K. Ischii, J.ese Folk 
Songs, 3 Bde, 1961; M. Yamanoi, Fuzoku-yaku-fu (»Slg 
d. Fuzoku-uta«), 1961. 

Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, To- 
kio) : C. G. Knott, Remarks on J.ese Mus. Scales, Trans- 
actions of the Asiatic Soc. of J. XIX, 1891 ; F. T. Piggott, 
The Music and Mus. Instr. of J., London 1893, 21909; O. 
Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Studien iiber d. Tonsy- 
stem u. d. Musik d. J.er, SIMG IV, 1902/03 ; H. Riemann, 
Uber j.ische Musik, Mus. Wochenblatt XXXIII, 1902; 
K. Suzuki, Nihon-ongaku-schi (»Gesch. d. j.ischen Mu- 
sik*), 1913, 2 1944;H.TANABE,Sch6s6in-gakki-no-tschosa- 
hokoku (»Ber. uber d. Musikinstr. in d. kaiserlichen Schatz- 
kammer Schosoin«), in: Teischitsu Hakubutsukan Gakuho 
II, 1921; DERS.,Nihon-ongaku-no-kenkyu(»Studien iiber d. 



423 



Japan 



j.ische Musik«), 1926; ders., J.ese Music, 1936, 21959; R. 
Lachmann, Musik u. Tonschrift d. No, Kgr.-Ber. Lpz. 
1925; K. Konakamura, Kabu-ongaku-ryakuschi (»Eine 
kurzeGesch.d.Sing-u.TanzmusikJ.«), 1928; H. Eckardt, 
Zum Verstandnis d. j.ischen Musik, in : Yamato, Bin 1 929 ; 
ders., Wesensziige d. j.ischen Musik, in: Nachrichten d. 
Deutschen Ges. f . Natur- u. Volkerkunde Ostasiens XLIII, 
1937; ders., Zur Frage d. Netori, Monumenta Nipponica 
I, 1938; ders., Die Ei u. Saezuri, verschollene melismati- 
sche Gesangsformen im j.ischen Tanz, Kgr.-Ber. Liine- 
burg 1950; ders., Ryowo, Sinologica III, 1951/53; ders., 
Somakusa, ebenda; ders., Das Kokonchomonshu d. Ta- 
chibana Narisue als mg. Quelle, = Gottinger Asiatische 
Forschungen VI, Wiesbaden 1956; ders., Zur Frage u. Be- 
deutung d. Ranjo, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; T. Takano, 
Nihon-kayo-schi (»Gesch. d. j.ischen Liedes«), 1930; R. 
Uehara, Zokugaku-senritsu-k5 (»Studien iiber d. volks- 
tiimlichen Melodien«), 1932; T. Iba, Nihon-ongaku-schi 
(»Gesch. d. j.ischen Musik«), 1934; N. Peri, Essay sur les 
gammes japonaises, Paris 1934; R. Umemoto u. Y. Ishi- 
zawa, Introduction to the Classical Dances of J., 1935 ; K. 
Sunaoa, J.ese Music, 1936; A. Beaujard, Le theatre co- 
mique des Japonais, Paris 1937; K. Takano, Beitr. zur 
Gesch. d. j.ischen Musik, AfMf II, 1937; G. Morita, Un 
coup d'ceil sur la musique et la danse traditionnelles au 
Japon, Paris 1937; M. Piper, Das j.ische Theater, Ffm. 
1937; H. Beyer, Deutsche Musik in J., ZfM CVIII, 1941 ; 
K. Boda, Nihon-senritsu-to-wasei (»Melodik u. Harmonik 
d. j.ischen Musik«), 1941 ; S. Tanaka, Nihon-waseino- 
kiso (»Grundlage d. Harmonik in d. j.ischen Musik«), 
1941 ; K. Schimofusa, Nihon-minyo-to-onkai-no-hana- 
schi (»Gesprach iiber Volkslieder u. Tonleitern J.«), 1942, 
21954; J. LaRue, Native Music on Okinawa, MQ XXXII, 
1946; ders., The Okinawan Notation System, JAMS IV, 
1951 ; E. Kikkawa, »Charakter d. j.ischen Musik«, 1948; 
ders., Hogaku-kanscho (»Einfiihrung in d. j.ische Musik«), 
2 Bde, 1952; E. Cunningham, The J.ese Ko-uta and Ha- 
uta, MQ XXXIV, 1948; R. A. Waterman u. a., Bibliogr. 
of Asiatic Musics V, B, J., in: Notes II, 7, 1949/50; E. Ha- 
rich-Schneider, Die Gagaku in d. Musikabt. d. j.ischen 
Kaiserhofes, Kgr.-Ber. Liineburg 1950; dies., Koromogae, 
Monumenta Nipponica VIII, 1952; dies., The Present 
Condition of J.ese Court-Music, MQ XXXIX, 1953 ; dies., 
The Rhythmical Patterns in Gagaku and Bugaku, = Ethno- 
Musicologica III, Leiden 1954; dies., The Earliest Sources 
of Chinese Music and Their Survival in J., Monumenta 
Nipponica XI, 1955 ; dies., Uber d. Gilden blinder Musiker 
in J., Kgr.-Ber. Hbg 1956; dies., Regional Folk Songs and 
Itinerant Minstrels in J., JAMS X, 1957; dies., The Re- 
molding of Gagaku under the Meiji Restoration, Trans- 
actions of the Asiatic Soc. of J. Ill, 5, 1957 ; dies., Roei, the 
Medieval Songs of J., Monumenta Nipponica XIV, 1958 - 
XVI, 1960; dies., Ein Beitr. zur Quellenkunde j.ischer Mu- 
sik, Kgr.-Ber. Koln 1958; G. Kataoka, Musikerziehung 
in J., ZfM CXVI, 1955; J.ese Music and Drama in the 
Meiji Era, hrsg. v. T. Komiya, = J.ese Culture in the Meiji 
Era III, 1956; M. Murai, Der gegenwartige Stand d. Mu- 
sik in J., Kgr.-Ber. Wien 1956; Y. Togaschi, Nihon-no- 
sakkyokuka (»Komponisten in J.«), 1956; P. Arnold, Le 
theatre japonais: no, kebuki, shimpa, shingeki, Paris 1957; 
F. Koizumi, Nihon-dento-ongaku-no-kenkyu (»Studien 
fiber d. traditionelle Musik J.«), 1957 ;T. Minagawa, J.ese 
»Noh« Music, JAMS X, 1957; S. Mita, A Comparative 
Study of the Preparation of School Music Teachers in J. 
and the United States, Diss. Michigan State Univ. 1957, 
maschr. ; Fr. Y. Nomura, Gegenwartige Probleme d. Mw. 
in J., Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Musicology in J. since 
1945, AMI XXXV, 1963; W. P. Malm, J.ese Music and 
Mus. Instr., Rutland (Vt.) u. Tokio 1959; ders., Special 
Bibliogr. A Bibliogr. of J.ese Magazines and Music, Ethno- 
musicology HI, 1959 ; ders., Nagauta. The Heart of Kabu- 
ki Music, Rutland (Vt.) u. Tokio 1963; S. Matsumiya, 
Traditional Music and Dance in J. To-day, Its Stability 
and Evolution, Journal of the International Folk Music 
Council XI, 1959; E. May, J.ese Children's Folk Songs 
Before and After Contact with the West, ebenda XI, 1959; 
R. Uchida, Uber d. j.ische Volkslied, Deutsches Jb. d. 
Mw. IV ( = JbP LI), 1959; Bibliogr. of Standard Refer- 
ence Books for J.ese Studies, VII: Theatre, Dance and 
Music, 1961 ; J. T. Araki, The Ballad-Drama of Medieval 
J., Berkeley (Calif.) 1964. - Zs.: Toyo-ongaku-kenkyu 



(Journal of the Soc. for Research in Asiatic Music), 1938-41, 
N. F. seit 1951 ; Ongaku-gaku (Zs. d. j.ischen Ges. f. Mw.), 
seit 1955. 

Jazz (d3sz, engl.-amerikanisch), eineEnde des 19. Jh. 
unter den Negern in den Siidstaaten der USA (Louisia- 
na : New Orleans) als Synthese aus af roamerikanischer 
Volksmusik und europaischer Volks-, Unterhaltungs- 
und Militarmusik entstandene Musizierweise. Der J. 
verbreitete sich seit etwa 1915 in den USA, gelangte 
im 1. Weltkrieg auch nach Europa und wird seither 
international in verschiedenen, zeitlich nacheinander 
aufgekommenen Ausfiihrungsarten (»Stilen«) prakti- 
ziert. - Die Etymologie des Wortesjazz (anfanglich ge- 
schrieben jass) ist umstritten. Es kann von einem ameri- 
kanischen Slangwort (jazz[y], grell, bunt, erregend, 
schreiend) hergeleitet werden. - J. ist in seinem Ur- 
sprung Gehrauchsmusizieren in »kollektiver Improvi- 
sation*, auf Grund des -> Chorus, d. h.^eines alien Mit- 
spielern in seinem melodischen und harmonischen Ver- 
lauf bekannten Schlagerrefrains, bzw. eines Blues oder 
Marsches. Der Chorus wird fortlaufend wiederholt 
und von den einzelnen Musikern, je nach Talent und 
technischem Konnen, rhythmisch umgestaltet und me- 
lodisch umspielt. Hierbei ist Spontaneitat, aber auch die 
Anwendung stereotyper melodischer Formeln wesent- 
lich, so daB ein J.-Stiick, auch von denselben Musikern 
gespielt, jedesmal auf andere Weise, haufig mit erheb- 
lichen Abweichungen, erklingen kann. Die Dauer ei- 
nes solchen J.-Stiicks, d. h. die Anzahl der »Chorusse«, 
liegt nicht fest. Jedoch war die Schallplatte (31/2 Min.) 
als erstes Medium der Konservierung von J. mitbetei- 
ligt an der Herausbildung einer Standardanzahl von 
Chorussen in den verschiedenen Tempi. Durch Lang- 
spielplatte und Tonband entfiel die zeitliche Begren- 
zung, wodurch haufig die friihere Geschlossenheit und 
Knappheit der Stiicke verlorenging. Der J. ist - vor 
allem in seinen »Stilen« vor der Swing-Ara - ein Cho- 
russpielen in bestimmten Manieren. Die These, die 
musikalische Form des J. sei »Thema mit Variationen«, 
ist also irrefiihrend: sie ist Ergebnis einer Betrachtungs- 
weise, die unreflektiert Begriffe der Kunstmusik auf 
den J. projiziert. Im modemeren J., der immer starker 
den Einfliissen der Kunstmusik erlegen ist, finden sich 
denn auch Bestrebungen, tatsachlich Thema mit Va- 
riationen zu gestalten. - Da J. einerseits ohne Noten- 
schrif t entstehen kann, andererseits aber durch sie nicht 
restlos zu erfassen ist, existiert ein J.-Stiick nicht als 
aufgefiihrte Komposition, sondern nur als jeweils ein- 
maliges Erklingen. (Viele beruhmte Musiker desfriihe- 
ren J. konnten keine Noten lesen.) Die Eigenschaft, 
daB sich J. letztlich der Notenschrift entzieht, zeigt 
noch seine urspriingliche Gemeinsamkeit mit der afro- 
amerikanischen Volksmusik, und sie resultiert, wie in 
dieser, aus rhythmischen, melodischen und den mit 
beiden zusammenhangenden intonatorischen Bedin- 
gungen. So liegen auch in diesen Bereichen die we- 
sentlichen Merkmale des J., und gerade sie sind von 
der afroamerikanischen, ganz urspriinglich aber von 
der af rikanischen Musik herzuleiten : im Rhythmischen 
-*• Beat (- 1) , -*■ Off-beat und der auf Grund ihrer Uber- 
tragung auf gerade Taktarten (2/4, 4/4) sich einstellen- 
de -*■ swing; im Melodischen die aus der Gesangsvor- 
stellung der Neger stammende Umspielungs- und 
Kolorierungstechnik. Dieser entspricht die - von der 
sprachlichen Artikulation der Neger herzuleitende 
und fiir den f riiheren J. typische - vehement? und zu- 
gleich vibrierende Intonation (->■ Hot-Intonation), an 
deren Stelle jedoch im modernen J. (-»■ Be-bop; 
-»■ Cool J.) eine geschmeidigere Tongebung, verbun- 
den mit der sogenannten J.-Phrasierung getreten ist. 
In Zusammenhang mit den melodischen Bedingun- 



424 



Jazz 



gen sind wohl auch die iiber den -*- Blues in den J. 
eingegangenen Blue notes (gleichberechtigte groBe 
und kleine Terzen und Septimen) zu bringen. - J. ist 
im Prinzip Gruppenmusizieren. Eine -*■ Band besteht 
aus einer Melodie- und einer Rhythmusgruppe. Die 
Rhythmusgruppe gibt mit dem Beat das metrische 
und teilweise zugleich das harmonische Fundament, 
wahrend die Melodiegruppe, vornehmlich Blasinstru- 
mente, zu der gegebenenfalls auch eine Gesangsstim- 
me zahlt, sich durch Off-beat-Phrasierung »swingend« 
von jener abhebt. Als Instrumente, auf denen ein Mu- 
siker als einzelner J. vortragen kann, eignen sich nur 
solche, bei denen Rhythmus- und Melodiegruppe 
durch beide Hande des Spielers reprasentiert sind 
(Piano, Wurlitzer-Orgel; -*■ Boogie- Woogie). Seit 
der Swing-Ara wurden Vibraphon und elektrisch ver- 
starkte Gitarre zu beliebten J.-Instrumenten. Im mo- 
dernen J. finden sich auch Experimente mit Floten, 
Harfe, Cembalo u. a. - Die Harmonik des friiheren J. 
beruhte auf f unktionaler Tonalitat : im Laufe der J.- 
Entwicklung wurde sie der spatromantischen Harmo- 
nik, im modernsten J. sogar teilweise dem Klangbild 
modernerer Musik angeglichen. 
Ausgangspunkt fiir die Entstehung des J. war das auf 
der Grundlage der musikalischen Negerfolklore der 
USA (-»• Worksongs; -»■ Negro spirituals; -»• Blues) 
um 1880 entstandene Musizieren der schwarzen 
-»■ Marching bands (brass bands) in New Orleans, die 
europaische Marschmusik nachzuahmen versuchten. 
Als Verkleinerung solcher Bands entstanden um 1895 
Tanzkapellen mit der fiir den -*■ New-Orleans-J. typi- 
schen Standardbesetzung, deren Musizieren jedoch 
auch von dem damals schon weitverbreiteten -*■ Rag- 
time beeinfluBt wurde. Aus dem New-Orleans-J., der 
noch Gruppenmusizieren ohne wesentliches Hervor- 
treten von Solisten war, gingen die ersten namhaften 
J.-Musiker hervor: z. B. Buddy Bolden, King Oliver, 
Johnny Dodds, Baby Dodds, Sidney Bechet, Kid Ory, 
Louis Armstrong. Andererseits hatten schon Ende des 
19. Jh. weiBe Bands in New Orleans das Musizieren der 
Neger nachzuahmen versucht, was zu dem stark unter 
dem EinfluB des Ragtime (ohne Beat, Off-beat, swing) 
stehenden ->■ Dixieland fiihrte. Aus weiBen Musikern 
rekrutierte sich spater auch die Original Dixieland Jazz 
Band, die ab 1917 (erste Schallplattenaufnahmen) den 
J. weltbekannt machte. Als 1917 das Vergniigungsvier- 
tel Storyville in New Orleans geschlossen wurde, iiber- 
siedelten viele J.-Musiker nach Chicago, wo der J. in 
den 1920er Jahren seinen ersten Hohepunkt erreichte. 
Um in Chicago als Tanzkapellen konkurrenzfahig zu 
werden, muBten die schwarzen Musiker ihre Technik 
vervollkommnen und gelangten so zu einer geglattet- 
eleganten und virtuosen Spielweise. Erst in Chicago 
entstanden 1923-28 die wichtigen Plattenaufnahmen 
des New-Orleans-J. (z. B. Oliver, Armstrong, Mor- 
ton). Wohl im Zusammenhang mit dem organisierten 
Musizieren fiir Schallplatten traten in dieser Zeit das 
-» Arrangement (Head-Arrangement), das Solocho- 
rus-Spiel (Hot-Solo) und verbunden damit auch der 
Typ des J.-Stars in den Vordergrund. Beteiligt an die- 
ser Entwicklung waren auch WeiBe, die erneut den J. 
der Neger imitierten, und den -*■ Chicago-J. kreierten, 
in dem (gegeniiber dem Dixieland) Beat, Off-beat, 
swing, Hot-Intonation und Blue notes realisiert sind 
(Beiderbecke). Dariiber hinaus ist der weiBe Chicago- 
J. durch Erweiterungen in der Harmonik, Einfiihrung 
des Saxophons und zunehmende Verquickung von J.- 
Elementen rnit der Sweet music gekennzeichnet. Die 
weltweite Bedeutung, die der J. von Chicago aus er- 
langte (»J. Age«), spiegelt sich nicht zuletzt in seinem 
EinfluB auf Komponisten wie Strawinsky, Gershwin, 



Milhaud, Kfenek, Hindemith. - Ende der 1920er Jahre 
war, ausgehend von New York und gefSrdert von 
der Kulturindustrie, eine neue Musizierweise Mode 
geworden: groBe Schauorchester spielten in Hotels 
und Rundfunk sogenannten Symphonischen J. (P. 
Whiteman), eine mit J.-Elementen durchsetzte kom- 
ponierte Unterhaltungsmusik. Die schwarzen J.-Mu- 
siker muBten sich der neuen Situation anpassen und 
sich ebenfalls auf Musizieren in groBeren Orchestern 
umstellen. Mit den in der Folgezeit gegriindeten -> Big 
bands begann Ende der 1920er Jahre der -*■ Swing, 
der 1930-45 die vorherrschende J.-Spielweise blieb 
(Bandleader: Henderson, Lunceford, Ellington, Basie, 
Benny Goodman). Merkmale des Swing sind raffinier- 
te Arrangements mit ausgesparten Partien fiir impro- 
visierte Soli, Instrumentaleffekte, Ausweitung der Har- 
monik in Anlehnung an den Impressionismus, -*■ Riff- 
Technik, J.-Komposition. Auf Grund der im Swing 
erreichten vollkommenen Verschmelzung des Takt- 
prinzips mit Beat und Off-beat konnte nun jede Musik 
im geraden Takt so gespielt werden, daB sie swingt 
(Verjazzen alterer Musik, z. B. J.S.Bach). Das »Swin- 
gen« gait als ausschlaggebendes Kriterium fiir J., wes- 
halb in dieser Periode J. vielfach mit »Swing« gleichge- 
setzt wurde. Die Grenzen zwischen J. und kommer- 
zieller Tanzmusik wurden flieBend (Glenn Miller). Erst 
seitdem muB von J.-Musikern, Kennern und Journali- 
sten auf die grundlegende Verschiedenheit von J. ge- 
geniiber komponierter und mit swing-Momenten aus- 
gestatteter Tanzmusik hingewiesen werden. Dadurch 
trat aber zugleich eine neue Situation ein : fiir den »wirk- 
lichen« J. wurde gleichzeitig mehr und mehr der An- 
spruch auf Kunstmusik geltend gemacht (J.-Komposi- 
tionen, J.-Konzerte). Zusammen mit dieser immer star- 
ker in den Vordergrund tretenden Anschauung fiihrte 
der perfektionierte Big band-J. der Swing-Ara auf 
Grund seiner Einengungen der improvisatorisch-spie- 
lerischen Moglichkeiten fiir die einzelnen Musiker zu 
zwei Reaktionen : zur New Orleans Renaissance bzw. 
Dixieland Revival (seit etwa 1940) als Folge derErinne- 
rung an unbekummertesfriiheresJ.-Musizieren (Come- 
back alter Musiker und seitherige internationale Be- 
liebtheit des Old time-J. unter Amateuren), aber auch 
zur Entstehung des -*■ Modern J., dessen Entwicklung 
wieder wesentlich von kleineren Ensembles bestimmt 
ist. In der Swing-Ara hatten sich zwei Moglichkeiten 
zum Musizieren in kleineren Gruppen herausgebildet : 
die Combo (-»■ Band) als gleichsam kammermusika- 
lische Solistengruppe aus beriihmten Big bands (B. 
Goodman Trio, Quartett) und die -»■ Jam session. 
Durch Jam sessions in Harlem entstand - vorbereitet 
durch den -»■ Kansas-City-J. - zwischen 1942-45 der 
-*■ Be-bop. Mit dieser Musizierweise des modernen, 
intellektuellen GroBstadtnegers (Gillespie, Monk, Par- 
ker) war eine neue J.-Konzeption geschaffen, in der 
zum ersten Male das Suchen nach einem fiir die heutige 
Zeit giiltigen kiinstlerisch-musikalischen Ausdruck im 
Bereich des J. zentrales Thema wurde. - Seit 1943 ent- 
wickelte sich neben dem Be-bop durch neue Versuche, 
symphonischen J. mit Hilf e stark konzertanter Arran- 
gements zu gestalten, der -»■ Progressive J. (Stan Ken- 
ton), in dem weitgehend Mittel modernerer Musik 
(Hindemith) ubemommen sind. Seit dem Aufkomm'en 
des ->• Cooi J. um 1950, der gegeniiber dem Be-bop 
eine betont verhaltene Spielweise (Lester Young), teil- 
weise verkniipft mit moderner Kontrapunktik (Lennie 
Tristano, John Lewis), darstellt, werden die in die ver- 
schiedensten Richtungen gehenden Experimente hau- 
fig unter dem Begriff -»• Modern J. zusammengefaBt. 

Lit.: Ch. Delaunay, Hot Discographie, Paris 1936; ders., 
New Hot Discography, NY 1948 ; H. H. Lange, Die Deut- 



425 



Jeu parti 



sche J.-Discographie, Bin 1955; ders., Die deutsche »78«- 
Discographie d. J.- u. Hot-Dance-Musik 1903-58, Bin 
1966. - H. Panassie, Le J. Hot, Paris 1934, engl. als: Hot 
J., NY 1936; W. Sargeant, J. : Hot and Hybrid, NY 1938 ; 
R. Blesh, Shining Trumpets, NY 1946, London 51958; S. 
Finkelstein, J.: A People's Music, NY 1948, deutsch 
Stuttgart 1951 ; J. Slawe, Einfiihrung in d. Jazzmusik, Ba- 
sel 1948; L. Feather. Inside Be-bop, NY 1949; ders., The 
Encyclopedia of J., NY 1955, 21960; Metronome Year- 
book, NY seit 1950; R. Harris, J., Harmondsworth 
(Middlesex) 1952, erweitert als: The Story of J., NY 1955; 
B. Ulanov, A Hist, of J. in America, NY 1952, deutsch als: 
J. in Amerika, Bin 1958 ; W. Laade, W. Ziefle, D. Zimmer- 
le, J.-Lexikon, Stuttgart 1953 (mit Bibliogr. u. Angabe d. 
wichtigsten J.-Zss.) ; A. Hodeir, Hommes et problemes du 
J., Paris 1954, engl. als: J., Its Evolution and Essence, NY 
1956; P. E. Merriam, A Bibliogr. of J., Philadelphia 1954; 
Th. W. Adorno, Zeitlose Mode. Zum J., in: Prismen, Ffm. 
1955; O. Keepnews u. W. Grauer, Pictorial Hist, of J., 
NY 1955; Down Beat Music, Annual Yearbook, Chicago 
seit 1956; Down Beat J. Record Reviews, ebenda o. J. (seit 
1956); M. W. Stearns, The Story of J., NY 1956, deutsch 
als: Die Story v. J., Miinchen 1959 (mit umfangreicher 
Bibliogr.); W. Burkhardt, ArtikelJ., in: MGG VI, 1957; 
St. LOngstreet u. A. M. Dauer, Knaurs J.-Lexikon, 
Miinchen 1957 ; A. M. Dauer, Der J., Kassel (1958) ; ders., 
J., d. magische Musik, Bremen 1961 ; J. E. Berendt, das 
neue jazzbuch, Ffm. 1959; Ch. Fox, J. since 1945, Proc. R. 
Mus. Ass.LXXXVI, 1 959/60 ; C. Bohlander, J. -Gesch. u. 
Rhythmus, = J. studio H. 1, Mainz(1960);C.GR.HERZOG 
zu Mecklenburg u.W.Scheck, DieTheorie d. Blues im 
modernen J., = Slg mw. Abh. XLV, StraBburg u. Baden- 
Baden 1 963 ; E. L.Waeltner, Metrik u. Rhythmik im J., in : 
Terminologie d. Neuen Musik, = Veroff. d. Inst. f. Neue 
Musik u. Musikerziehung Darmstadt V, Bin 1965; H. H. 
Lange, J. in Deutschland . . . 1900-60, Bin 1966. EWa 

Jeu parti (30 part'i, altfrz. ; prov. joe partit), eine Form 
des mittelalterlichen Streitliedes, die von den Troba- 
dors ausgebildet, von den Trouveres vor allem in den 
->■ Puys gepflegt wurde und eine Art Sangerkrieg dar- 
stellt. Ein Sanger formuliert in der Eingangsstrophe ei- 
ne strittige Frage - meist iiber ein Thema der hbfischen 
Liebe -, auf die ein zweiter Sanger einseitig pointiert 
antwortet, dem der erste wiederum mit Gegenargu- 
menten in der nachsten Strophe entgegnet. Im Unter- 
schied zur Tenzone gibt sich der J. p. spielerisch geist- 
reich und meidet jede Polemik. Am Schlufi konnen in 
zwei kurzeren Geleitstrophen (envoi) Unbeteiligte 
zur Entscheidung iiber die Streitfrage angerufen wer- 
den. Von den iiber 180 erhaltenen J.x p.s ist die Mehr- 
zahl sechsstrophig und durchgereimt. Der Umfang 
der Strophen schwankt zwischen 6 und 15 Versen. 
Metrische Form und Melodie werden vom ersten 
Sanger, in der ersten Strophe vorgegeben und in den 
folgenden Strophen wiederholt. 

Ausg.: A. LAngfors, Recueil general des j. p. frc., Paris 
1926. 

Lit. : K. Knobloch, Die Streitgedichte im Provenzalischen 
u. Altfrz., Diss. Breslau 1 886 ; H. Jantzen, Gesch. d. Streit- 
gedichtes im MA, in: Germanistische Abh. XIII, Breslau 
1896; Fr. Fiset, Das altfrz. J. p., Romanische Forschun- 
gen XIX, 1906; Fr. Gennrich, Der Gesangswettstreit im 
Parfait du Paon, ebenda LVIII/LIX, 1947; E. Kohler, 
Zur Gesch. d. altprov. u. altfrz. Streitgedichts, Wiss. Zs. d. 
Univ. Lpz. 1951/52. 

Jig (d3ig, engl. to jig; mhd. gigen; altfrz. giguer, 
s. v. w. sich schnell und schwankend hin und her be- 
wegen; — >- Geige), ein auf den englischen Inseln behei- 
mateter Tanz. Die in abgelegenen Gegenden Irlands 
noch heute gebrauchliche J. wurde seit dem 16. Jh. in 
Reihen oder Ketten (rounds or hayes) getanzt und ge- 
sungen. Sie gehort zu den Ballads; durch ihre spotti- 
schen Texte unterscheidet sie sich von den iibrigen 
Tanzliedern. In der zeitgenossischen Literatur wurden 
J. und -*■ Country dance haufig gleichbedeutend ge- 
braucht. Auf den grotesken Charakter der J. weist, daB 



der Veitstanz in England noch immer »St. Vitus' J.« ge- 
nannt wird; schon Th.Mace (1676) hatte die J. als only 
fit for Fantastical, and Easie-Light-Headed People bezeich- 
net. - Erst aus der Elisabethanischen Zeit, als vulgare 
Tanze am Hof Eingang fanden, sind J.s iiberliefert. Im 
Fitzwilliam Virginal Book, in Th. Robinsons Schoole of 
Musicke (1603) und Th. Fords Musicke ofSundrie Kindes 
(1607) kommen bei den J.s folgende Taktarten vor: 
2/4 und 2/2 bei 2teiliger Form ; 9/8, 9/4 und 6/4, 6/8, 3/8 
bei 3teiliger Form. Charakteristisch sind der melodi- 
sche Terzfall und eine als Scotch snap bezeichnete Syn- 
kopenbildung. Die meisten J.s tragen Titel, wie die 
Nobodyes Gigge von R.Farnaby aus dem Fitzwilliam 
Virginal Book (II, 162): 



jir i fJJ^irjjfir ^ 



Die Titel weisen auf bekannte Schauspieler (jester), 
die jene J.s in Singspielen bekannt machten. Die J. als 
Singspiel hat sich aus dem Solosketch entwickelt, in 
dem Gesangs- und Tanzeinlagen enthalten waren. Die 
zur Shakespeare-Zeit weit verbreitete Singspiel-J. miin- 
dete, nachdem ihr Dialog schriftlich fixiert war, in das 
-> Intermedium. Mit dem Ende der Elisabethanischen 
Epoche starb die J. fast ganz aus. Purcell und seine 
Zeitgenossen, denen sie in der Form der iiber Frank- 
reich internationalisierten ->■ Gigue wiederbegegnete, 
verhielten sich ihr gegeniiber reserviert, wohl wegen 
ihres an die niedere Abkunft gemahnenden Namens. 
Erst das burgerliche Zeitalter, das in der Beggar's Opera 
(1728) sich seiner Vulgarmusik erinnerte, belebte auch 
die J. wieder. 

Lit.: D. Fryklund, Etymologische Studien iiber Geige - 
Gigue - J., = Studier i modern sprakvetenskap VI, Upp- 
sala 1917; W. Danckert, Gesch. d. Gigue, = Veroff. d. 
Mw. Seminars d. Univ. Erlangen I, Lpz. 1924; C. R. Bas- 
kerville, The Elizabethan J., Chicago 1929 ; F. J. u. T. M. 
Flett, Dramatic J. in Scotland, Folklore LXVII, London 
1956. RG 

Jodeln (alpenmundartliche Benennung fur das Jo- 
Rufen, schriftdeutsch seit Goethe) ist das volkstumliche 
textlose Singen der Alpler in vorwiegend grofien In- 
tervallen (Quarte, Sexte, Dezime) und auf Akkord- 
zerlegungen (Dominantsept- und Nonenakkord) bei 
haufigem Umschlagen vom Brust- ins Kopfregister 
(Falsett). Das alpenlandische J. wird auch mehrstim- 
mig im kanonartigen Fiireinand und mit Stimmkreu- 
zungen im Nacheinand gesungen. Die wichtigsten 
Beispiele fur jodlerahnliches Singen auBerhalb Euro- 
pas geben die Pygmaen vmd Buschmanner in Afrika 
sowie die Melanesier. 

Ausg.: J. Pommer, Jodler u. Juchezer, Wien 1890, weitere 
Ausg. ebenda 1893, 1902, 1906; H. Commenda, 25 ober- 
osterreichische Volkslieder u. Jodler, 2 H., Linz 1920-25, 
21929; H. Pommer, Volkslieder u. Jodler aus Vorarlberg, 
= Osterreichisches Volkslied-Unternehmen III, Wien u. 
Lpz. 1926; ders., Jodler d. deutschen Alpenvolkes, Lpz. 
1936; M. Haager, Das Jodelbuch, Graz 1936; H. Gielge, 
Klingende Berge. Juchzer, Rufe u. Jodler, Wien 1937; G. 
Kotek, Volkslieder u. Jodler um d. Schneeberg u. Semme- 
ring in Niederdonau, Wien u. Lpz. (1944). 
Lit. : A. Tobler, Kiihreihen oder Kiihreigen, Jodel u. Jo- 
dellied in Appenzell, Zurich 1890; E. M. v. Hornbostel, 
Die Entstehung d. J., Kgr.-Ber. Basel 1924; G. Kotek, Der 
Jodler in d. osterreichischen Alpen, Kgr.-Ber. Wien 1927; 
W. Sichardt, Der alpenlandische Jodler u. d. Ursprung 
d. J., = Schriften zur Volksliedkunde u. volkerkundlichen 
Mw. II, Bin 1939; C Brailoiu, A propos du jodel, Kgr.- 
Ber. Basel 1949; W. Wiora, Zur Fruhgesch. d. Musik in 
d. Alpenlandern, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f. 
Volkskunde XXXII, Basel 1 949 ; J. Dnesel, Der Jodel u. d. 
Jodellied in d. Schweiz, Heimatleben XXVIII, 1955; W. 
Danckert, Hirtenmusik, AfMw XIII, 1956; W. Schram- 
mek, tJber d. J. im Harz, in : Zur Situation d. traditionellen 



426 



Judische Musik 



Volkskunst im Harz, Inst, f . Volkskunstforschung . . . , 
Lpz. 1958; W. Wunsch, Zur Frage d. Mehrstimmigkeit d. 
alpenlandischen Volksliedes (Steirische Landschaft), Kgr.- 
Ber. Koln 1958; M. Probst, Vom J. u. Singen im Allgau, 
in: Sanger -u. Musikantenzeitung II, 1959; H. Gielge, 
Sprachliche u. mus. GesetzmaBigkeiten bei d. Anordnung 
v. Jodlersilben, Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes X, 
1961 ; W. Graf, Zu d. Jodlertheorien, Journal of the Inter- 
national Folk Music Council XIII, 1961 ; W. Senn, J., Ein 
Beitr. zur Entstehung u. Verbreitung d. Wortes, Jb. d. 
osterreichischen Volksliedwerkes XI, 1962. 

Jongleur (35gl'ce:r, frz. ; prov. joglar; altfrz. joug- 
leur; span, juglar; mittellat. joculari[u]s, nach lat. jo- 
culator, s. v. w. SpaBmacher) bezeichnet seit dem 7. 
Jh. zunachst allgemein den aus den antiken Histriones 
und Mimi hervorgegangenen berufsmaBigen Schau- 
steller, Akrobaten, Zauberkiinstler, Musikanten, der 
sich der Unterhaltung des Publikums widmete. Seit 
dem Entstehen einer volkssprachlichen Dichtung - der 
Chansons de geste, der Fabliaux, der bretonischen Lais, 
aber auch der Heiligenviten und der Trobador- und 
Trouverelyrik-oblagen auch der musikalische Vortrag 
und die Verbreitung dieser Dichtung weitgehend den 
J.s. Sie traten bei hofischen und Kirchweihfesten in 
Erscheinung, spielten bei den Jahrmarkten zum Tanz 
auf und begleiteten die Heere auf den Kreuzziigen. 
Ihre bevorzugten Begleitinstrumente waren die Viella 
und die Rotta. Neben diesen fahrenden -> Spielleuten 
(- 1) niederen Standes und geringer Wertschatzung tra- 
ten auch einige J.s hervor, die zugleich Trouveres waren 
(z. B. Rutebceuf), und andere, die an den Hofen eine 
feste und ehrbare Anstellung fanden (-> Menestrel). 
Lit.: E. Freymond, J. u. Menestrels, Diss. Halle 1883; E. 
Faral, Les j. en France, Paris 1910; R. Menendez Pidal, 
Poesia juglaresca y juglares, Madrid 1924, 6 1957; W. Sal- 
men, Der fahrende Musiker im europaischen MA, = Die 
Musik im alten u. neuen Europa IV, Kassel 1960. 

Jota (x'ota, span.), ein schneller (gesungener) spani- 
scher Volkstanz im 3/8- oder 3/4-Takt, meist von Gi- 
tarren und Bandurrias (spanischen Diskantcistem), sel- 
tener von Trommel und Pfeife begleitet. Die J. stammt 
aus der Provinz Aragon (Nordspanien) und ist in 
Spanien sehr verbreitet. Sie erfordert groBte korper- 
liche Behendigkeit und Virtuositat im doppelhandigen 
Kastagnettenspiel. Bei Schautanzen ist am SchluB eine 
Stretta iiblich. Verschiedene Komponisten ubernah- 
men die J., z. B. Liszt in der Rhapsodie espagnole (Folies 
d'Espagne et J. aragonesa) fur Kl. (um 1863). Glinka 
schrieb ein OrchesterstiickJ. aragonesa, M. de Falla eine 
J. im Ballett El sombrero de populares espanolas (1922) 
und I. Albeniz eine J. aragonesa in Deux danses espagnoles 
op. 164 fur Kl. 

Lit. : J. Ribera y Tarrag6, La musica de la j. aragonesa. 
Ensayo hist., Madrid 1928; M. Arnaudas Larrode, La j. 
aragonesa, Saragossa 1933; A. de Larrea PalacIn, Pre- 
liminares al estudio de la j. aragonesa, AM II, 1947; M. 
Schneider, Zambomba u. Pandero, Span. Forschungen d. 
Gorresges. I, 1, Miinster i. W. 1954. 

Jubalflote, Tubalflote, tonstarkes Flotenregister in 
der Orgel, mitunter mit doppeltem Labium, im 8', 4', 
2' oder 1'. Das Register ist nach Jubal bzw. Thubalkain 
benannt (1. Mos. 4, 21f.), dahernicht: Jubelflote. 

Jubilee (d3'u:bili:, engl.), eine ekstatische, dem 
-> Negro spiritual und dem -»■ Gospelsong, auch dem 
Ring-shout {-*■ Shout) nahe verwandte religiose Ge- 
sangsgattung der nordamerikanischen Neger. Die J.s 
entstanden aus englischen Choralen (hymns), deren 
Strophen von den Negern auf Grund der melodischen 
Wiederholung als -> Chorus betrachtet und auf der 
Basis von -»• Beat (-1) und -»• Off-beat in der fiir die 
Negerfolklore typischen Gesangsweise (blue notes, Ko- 



lorierung) ausgefiihrt wurden. Ein bekanntes Beispiel 
neuerer J.s ist When the Saints go marching in. 

Jubilus (lat., auch jubilum, jubilatio, neuma, sequen- 
tia), eine melismatische textlose Melodie, im besonde- 
ren die mit dem Alleluia, seltener auch mit Antiphonen 
oder Responsorien verbundene melismatische Partie. 
Verschiedentlich wird der J. aus dem fiir die Antike 
und auch die spatere Zeit (in gewissen Volkstraditionen 
noch bis heute) vielfach bezeugten wortlosen Singen 
oder Rufen der Hirten, Schiffer und Soldaten abgelei- 
tet. Doch darf die Existenz melismatischen Singens 
in vorchristlichen Kulten und seine Ubernahme aus 
dem synagogalen Gesang als sicher angenommen wer- 
den (hebraisch hallel, -»• Alleluia; griech. ta^yj; -»■ Me- 
los). Den J. bezeugen fiir die vorgregorianische Litur- 
gie u. a. Hilarius, Hieronymus und Augustinus. Letz- 
terer definiert ihn in der fiir das ganze Mittelalter giilti- 
gen Weise als sonus quidam . . . significans cor parturire 
quod dicere non potest (Enarrationes in psalmos 32). Als In- 
begriff der expressiven Freude wird er non articulatis ser- 
monibus, sondern confusa voce gesungen (Cassiodorus, 
Expositio in psalterium 46). Im Mittelalter wurde zur 
Erhohung der Feierlichkeit gewissen Antiphonen und 
Responsorien ein J. finalis (auch finalis oder cauda; 
->• Neumen - 2) angehangt; die frankische Liturgie 
steigerte bei einigen Responsorien den SchluB-J. zum 
Neuma triplex. Dem J. am engsten verwandt sind die 
Melismen auf dem. SchluB vokal des -*■ Alleluias, das 
vor der Reform durch Gregor den GroBen noch weit 
ausgedehntere Jubili kannte; von diesen vermitteln be- 
sonders die nach dem Vers gesungenen Melodiae der 
Mailandischen Tradition eine Vorstellung. In solchen 
langen Melismen (sequentiae) sieht man allgemein die 
von Notker im Prooemium seines Liber ymnorum ge- 
nannten melodiae longissimae, durch deren syllabische 
Textierung die Prosen entstanden sein sollen (-+ Se- 
quenz - 1). 

Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Me- 
lodien I, Lpz. 31911 u. Ill, 1921, Nachdruck Hildesheimu. 
Wiesbaden 1962; ders., Die Koloraturen im ma. Kirchen- 
gesang, JbP XXV, 1918; R. Lach, Studien zur Entwick- 
lungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913 ; E. Ger- 
son-Kiwi, Halleluia and J. in Hebrew-Oriental Chant, Fs. 
H. Besseler, Lpz. 1961 ; W. Wiora, Jubilare sine verbis, in: 
In memoriam J. Handschin, StraBburg 1962. 

Jiidische Musik. Die Deutung der alttestamentari- 
schen Musik auf Grund der Textaussagen allein blieb 
bis in die jiingste Zeit hinein hypothetisch, da notierte 
Melodien, musiktheoretische Schriften und, bis auf 
einige Ausnahmen, auch Bildwerke zur Musik fehlen. 
Neue AnstoBe gingen von der Erforschung der Friih- 
liturgien der Ost- und Westkirche aus, ebenso von 
der Musikethnologie durch Tonaufnahmen schriftlo- 
ser Traditionen. Diese Arbeit hat erstmalig A. Z. Idel- 
sohn (ab 1914) fiir die hebraischen Liturgien unter- 
nommen. Ahnhch laBt- sich auch das biblische Instru- 
mentarium durch vorderasiatische Volksinstrumente 
zum Teil riickerschlieBen, gestiitzt auf die ikonogra- 
phischen Quellen und auf archaologische Funde. Auch 
zur vergleichenden Liturgiegeschichte des hellenisti- 
schen Judaismus und Fruhchristentums sind neue For- 
schungen entstanden (E.Werner, H.Avenary). - Die 
Musik der Bibel verteilt sich auf mehrere groBe Zeit- 
alter, die Nomaden-, Konigs- und nachexilische (Pro- 
pheten-)Zeit. Die ungleich und sparlich verstreuten 
musikalischen Textaussagen lassen vorlaufig noch kein 
geschlossenes musikalisches Geschichtsbild erkennen. 
Dagegen ist gleich in der ersten Erwahnung der Mu- 
sik ein Hinweis zur Sichtung des StofEes gegeben: Im 
Rahmen der Schopfungsgenealogien erscheint (Gen. 
4, 20-22) neben Jawal, dem seBhaften Bauern, sein 



427 



Jiidische Musik 



Bruder Jubal (Juwal) als Vater der Geiger und Pfeifer 
(-> Kinnor, ->■ 'UgabJ- Zudem deutet Jubals Eigen- 
name auf eine dritte Instrumentengattung hin, die der 
Tierhorner, im besonderen auf das Widderhorn 
(-» Schofar), das auch Jowel, Keren oder Sachar ge- 
nannt wird. Den drei Kategorien von Leiern, Floten 
und Hornern entsprechen drei ihnen verbundene Le- 
bensbezirke: die Priesterkaste (Cohanim) mit Hornern, 
die Tempelmusiker (Leviten) mit Leiern und Harfen 
(Kinnor, Newel, Assor, Minnim, Sambukka, Santerin) 
und die auBerliturgische Volksmusik mit Floten und 
Rohrblattinstrumenten ( c Ogab, Chalil, Mashroqita, 
Abuw). Diese Trias wird von einer Gruppe eherner 
Idiophone (Zimbeln und Glocken, Becken und Gongs) 
erganzt, die sich im Namen der Urmutter Zilla (Zil- 
zal, Miziltajim) und ihres Sohnes Thubalkain (Tuwal 
Kain), des Urvaters von Erz- und Eisenwerk, ankuhdet. 
Als Kultinstrumente, beladen mit starkem apotropai- 
schem Gehalt, sind siedem Hochsten eines Standes vor- 
behalten (Exod. 28, 33-35: das Glockengewand des 
Hohenpriesters ; I. Chron. 16, 5 : dasZimbelpaar desLe- 
vitenfiihrers Assaph). Zu erganzen sind die Trommel- 
oder FellinstrumenteToph.-oft zum Frauenbereich ge- 
horig, und das antiphonale Chorsingen (l'tanot; Jud. 5, 
11; 11, 40), das sich zusammen mit den Trommeltanzen 
bis heute in orientalisch-jiidischen Frauengemeinschaf- 
ten (besonders den jemenitischen) erhalten hat. Friih- 
formen der liturgischen Mannergesange bevorzugen 
dagegen die responsorialen Formen mit Vorsanger 
und kurzen Chorrufen (I. Sam. 10, 24) ; auch sie wer- 
den noch heute gepflegt, besonders in Gebetslyrik und 
Psalmlesung. - Die Organisation einer kultischen Mu- 
sikbiihne mit Orchester und Choren erforderte die 
berufliche Ausbildung der Musiker in Tempelschulen 
und ihren ZusammenschluB in der Musikergenossen- 
schaft der Levitenkaste. David als hochster Musiker- 
priester sorgte £iir eine feste Hierarchie des Musiker- 
standes und fiir die Kontinuitat der Schultradition : 
6 Levitenfamilien bildeten den obersten Rat, der die 
3 Hauptmusiker erwahlte, welche ihrerseits wieder 12 
Heifer zur Seite hatten. Nach I. Chron. 25 waren diese 
in 24 Ordnungen eingeteilt, so daB der Akademie ins- 
gesamt 288 Berufsmusiker angehorten, auf erblicher 
Grundlage. Weiterhin sind im Mischna-Traktat Ara- 
chin (II, 3, 5, 6) die Minimum- und Maximumzahlen 
der Orchesterinstrumente iiberliefert. - Die stille 
Klanglichkeit von Harfen und Zimbeln ist auf das Wort 
religioser Poesien abgestimmt und verwandelte sich 
in eine geistige Kraft im Dienste des biblischen Seher- 
tums (I. Sam. 10, 5-6). 

Die musikalische Liturgie der Synagoge hat ihre Wur- 
zeln in dem jahrhundertelangen Antagonismus zwi- 
schen Tempel und Bethaus. Wahrend der Konigszeit 
hatten sich die musischen Krafte des jiidischen Volkes 
entfaltet und mit ihnen die Organisation der Tempel- 
orchester und -chore sowie die Berufsausbildung des 
Musikerstandes (II. Chron. 5, 12-14). Doch schon in 
der nachsalomonischen Zeit, mit der Teilung des Rei- 
ches, schwand die Pracht des Tempeldienstes, die so- 
ziologischen Bindungen seiner Musikergilden locker- 
ten sich, und die ersten Anzeichen einer Abkehr vom in- 
strumentalen Prunkstil sind erkennbar. DerWandel der 
Auffassungen fiihrte zur »pneuma«-erfiillten mensch- 
lichen Stimme als dem einzigen Instrument, und fiir 
die Formen des Singens und Lobpreisens haufen sich 
die Ausdriicke, in denen wohl auch verschiedene Ar- 
ten von Gesangsstilen zu vermuten sind (Jes. 12, 4-6: 
6 Arten; I. Chron. 16, 4: 3 Arten; I. Chron. 16, 8: 10 
Arten). Verbunden mit dem Wort wurde Musik zum 
»redenden« Ton, zu jener »Gedankenmusik«, die seit 
den Tagen der Schriftpropheten zum eigensten musi- 



kalischen Erbe Israels geworden ist. Von den Priestern 
und Leviten ging die Musik in die Hande der Prophe- 
ten uber. In der neuartigen poetischen Prosa ihrer Re- 
den fand das Davidische Psalmenwerk seine innere 
Fortsetzung und Erneuerung, und es ist anzunehmen, 
daB so manche Teile von ihnen in einem der Psalmodie 
ahnlichen Kantillationsstil vorgetragen wurden. Hier 
liegen die Wurzeln der spateren Synagogalmusik. - 
Der liturgische Gesangsstil gliedert sich in Psalmodie, 
Lectio und Hymnodik. Offenbar waren die Psalmen 
ursprunglich fiir festliche Auffiihrung mit Instrumen- 
tenspiel und Chor bestimmt. An diese verlorengegan- 
gene Tradition erinnert eine Reihe von Psalmtiteln, 
die zweifellos Anweisungen zur praktischen Ausfiih- 
rung in einer den damaligen Musikergilden gelaufigen 
Berufssprache enthalten, aber schon den Ubersetzern 
der Septuaginta nicht mehr verstandlich waren. Ge- 
nerationen von Bibelexegeten haben sich um eine Er- 
klarung bemiiht, hielten die Worte meist fiir verschol- 
lene Musikinstrumente, obwohl ihre Namen an keiner 
anderen Stelle der Bibel mehr vorkommen, ungleich 
dem Kinnor oder Schofar (ajjeleth haschachar, Ps. 32; 
mahalat, Ps. 53 und 88; jonath elem rehoqim, Ps. 56; 
sosanim, Ps. 45 und 94). Nach C.Sachs handelt es sich 
hier um Kennworter gewisser weltlicher Volkslieder, 
die als Melodiemodelle nach Art des arabisch-persi- 
schen -> Maqam-Systems auf geeignete Texte ange- 
wandt wurden. - Die rein gesangliche Psalmodie lehn- 
te sich eng an den parallelistischen Bau so vieler Psalm- 
dichtungen an. Es entstand die musikalische Psalm- 
formel, aufgebaut auf dem zentralen Rezitationston 
der Tuba (schofar munach, - mehuppach, - ilui, - me- 
karbel), welche an Satzanfang, -mitte und -ende durch 
drei Melismata unterbrochen wird (initium - mediatio 

- finalis; hebraisch: qadma, peticha, paschta - athnach 

- soph passuq). Das Psalmodieren ist mindestens aus 
dem letzten vorchristlichen Jahrhundert in mehreren 
Arten responsorialer Antiphonie (Sela) bekannt. Da- 
gegen wurde die monumentale Chorantiphonie bi- 
blischer Zeiten (Jos. 8, 33ff. ; Neh. 12, 27ff.) nicht in die 
Synagoge iibernommen. Die neuen Antriebe, die glei- 
chermafien grundlegend fiir die friihen Liturgien der 
Diasporasynagogen wie fiir diejenigen der friihchrist- 
lichen Sekten und Kirchen waren, gingen von der So- 
lopsalmodie aus (mit Responsen oder Akklamationen). 
Hier war der Wendepunkt erreicht, wo aus juden- 
christlichem Geist heraus helleniscb.es Wesen fiir alle 
Zeiten gebrochen wurde. 

Die starke Neigung zum kantillierenden Sprechen lieB 
den ostlichen Menschen sich nicht auf lyrische Texte 
beschranken. Biblische Prosa, auch Mischna und Tal- 
mud, wurden gleichermaBen mit einem Netz syntakti- 
scher Melodik iiberzogen. Die hebraische Psalmodie 
wurde, trotz ihrer lyrischen Bindung an die dichoto- 
mische Verszeile, zum Urbestand aller weiteren Lese- 
formen. Ihre drei ekphonetischen Grundakzente (acu- 
tus - gravis - circumflexus) wurden in die irregularen 
Satzglieder der biblischen Prosa eingebaut. Nicht das 
Lesen, sondern das Vorlesen der Bibel mag die musi- 
kalische Kantillation angeregt haben. Der Gedanke 
wurde erst in nachexilischer Zeit reif (regelmafiige 
Vorlesung des Priesterkodex durch Esra, ab 444 v. 
Chr.), doch noch ein weiteres Jahrtausend war not- 
wendig, ehe sich die Schriftzeichen und die Systematik 
der Leseakzente entwickelten. Die seit AbschluB des 
Talmuds (um 500) einsetzende Arbeit der Masoreten 
in Babylonien und Israel (Tiberias) gipfelte in dem 
noch heute fiir den Bibelgesang verbindlichen Ko- 
dex des A. ben Ascher (895). Er erweiterte die altere 
friihisraelische Punktnotation um Striche, Haken und 
Kreise; Akzente treten jetzt gruppenweise als Reges 



428 



Judische Musik 



und Servi (melachim, meschartim) auf, zu groBeren 
syntaktischen wie melischen Einheiten verbunden. 
Doch nicht immer vermochte die Praxis der Kantoren 
den vorgesteckten Plan der Grammatiker musikalisch 
auszufiillen. Bei AbschluB des Tiberianischen Systems 
hatten sich schon die Diasporakreise der orientali- 
schen, sephardischen und aschkenasischen Juden ge- 
bildet, von denen nur die letzteren, durch palastini- 
sche Lehrer unterrichtet, eine getreue Tradition auf- 
weisen, nach den musikalischen Notierungen bei J. 
Reuchlin (1518) und S. Muenster (1524) zu urteilen. 
Die sephardischen Gemeinden wie auch die jemeniti- 
schen Juden waren der alteren babylonischen Schule 
zugewandt und zeigen weit geringeren Motivschatz 
(Notierung bei J. Bartoloccius, 1693; nach Avenary). 
Die sephardischen Gemeinden am Mittelmeer standen 
zudem unter dem starken EinfluB der arabischen 
Kunstmusik, welche die urspriingliche Akzentreihung 
von innen her aufloste zugunsten eines reich orna- 
mentierten arabischen Melos. 

Die Ansatze der Hymnodik und Gebetslyrik liegen im 
aramaisch-ostsyrischen Raum. Anfanglich Psalmpara- 
phrase, auch poetisch noch lange im psalmographen 
Rahmen gehalten, entwickelte sich der hebraische 
Pijjut seit dem 6. Jh. (J. ben Jose; E.Kalir). Bis zum 
Einbruch der metriscnen arabischen Lyrik (10. Jh.) 
wurden als musikalisches Gewand von Hymnen und 
Gebeten freirhythmische Rezitative und Gebetsfor- 
meln bevorzugt, oft ohne Rucksicht auf den strophi- 
schen Bau. Erst wahrend der spanischen Epoche erfolg- 
te Angleichung an das Lied (Villancico). Die neuere 
Gebetslyrik erweiterte altere Formen zu emotionell- 
ornamentalen Motivketten und erforderte daher den 
stimmbegabten Kantor (chasan), dessen Wirken fort- 
an das Gewicht der Synagogenmusik von Psalm und 
Lectio auf die solistische Gebetslyrik (chasanuth) ver- 
schob. Ihre schopferischen Epochen waren die Kabbala 
zu Safed (16. Jh.) sowie der Chassidismus (18. Jh.) in 
Osteuropa. In seinen »Steigern« wurden altere ostli- 
che Modellieder zu neuen Gebetsmodellen umge- 
schmolzen (Ahabah Rabbah; Magen Aboth) und er- 
hielten in den Mi-Sinai-Gesangen (mit Erinnerungs- 
motiven alterer Litaneien) einen weiteren Schaffens- 
zweig. Seit der jiidischen Emanzipation bewirkte die 
synagogale Reform eine Angleichung der Kantoral- 
musik an die europaische Kunstmusik (S.Sulzer, L. 
Lewandowski, S.Naumbourg, mit ihren Bearbeitun- 
gen von Chasanuth-Melodien fiir mehrstimmige Sy- 
nagogenchore im zeitgenossischen Stil Mendelssohn- 
scher Oratorien). 

Jiidisches Schrifttum im Mittelalter zur Wissenschaft 
der Musik setzt mit Saadya Gaon (892-942) ein, der 
im 10. Kapitel seines Kitab al-amanat . . . (»Glauben 
und Wissen«, Bagdad 933) die griechische Ethoslehre 
der Rhythmen vertieft, fuBend auf al-Kindis Neuun- 
tersuchung dieses Stoffes. Poetische Metrik und das 
Verhaltnis von Wort und Musik erhielten neuen An- 
trieb in der spanisch-judischen Dichterschule des 11.- 
12. Jh. mit Abr. ben Halfon (urn 1000), Schmuel Ha- 
nagid (1020-55), Schlomoh Gabriol (um 1020-58), 
Abr. ibn Esra (1092-1167) und Moscheh ibn Esra (1060- 
1139); letzterer hat in seiner »Poetik« die Systematik 
der neuen metrischen Verslehre sowie die Geschichte 
dieser Dichterschule (mit etwa 60 Dichtern) niederge- 
legt. - Unter den jiidischen Philosophen, die sich um 
die Deutung der Musik in ihrem Weltbild bemiihten, 
sind zu nennen: Maimonides (1135-1205; »Fiihrer der 
Verirrten« III, 46; Responsas Nr 129 und 143); Jos. 
ibn Aknin (um 1160-1226; »Heilung der Seelen«, Kap. 
27); Schemtow Falaquera (um 1225-95; »Anfang der 
Weisheit«); -*■ Abu s-Salt Umayya (1068-1134; Mu- 



siktraktat, Paris, f . hebr. 1037) ; Abr. Abulafia (um 1240- 
90; Gan Na'ul, Munchen 58, 324b); Profiat Duran 
(um 1400; Maasse Efod - Zum Wesen jiidischer Mu- 
sik); Leo Hebraeus (Gersonides, Levi ben Gerson, 
1288-1344; De numeris harmonicis, 1343, im Auftrag 
von Ph. de Vitry, ed. Carlebach 1910). 
Die italienische Spatrenaissance brachte eine Reihe 
jiidischer Musiker und Musikphilosophen hervor, vie- 
le von ihnen mit dem Mantuaner Hof der Gonzaga 
verbunden, darunter als bedeutendster Salomone 
-> Rossi. Von jiidischen Madrigalisten seien genannt: 
Davit Civita (1616), Anselmo de' Rossi (1618), Allegro 
Porto (1619), Muzio Effrem (1623); dazu Abramo 
daO'Arpa (um 1542-66, Harfenist, Sanger und Schau- 
spieler), sein Neffe Abramino dall'Arpa (1566-87) und 
die Lautenisten Gianmaria dal Cornetto (14 Stiicke in 
Gerles Lautenbuch 1552) und Jacchino Massarano (um 
1583-99). Jiidisches Schrifttum aus dem Mantuaner 
Kreis: Jehuda Moscato, »Betrachtungen zum Leier- 
spiel« (1589, hrsg. v. H. Shmueli, Tel Aviv 1953) ; Leone 
de' Sommi Portaleone, Dialoghi sull'arte rappresentativa; 
Leone da Modena (1571-1641), Streitschriften und 
Responsa zur jiidischen Kunstmusik, Vorwort zu S. 
Rossis Salmi . . . , Begriinder einer jiidischen Musik- 
akademie im Getto Venedig (um 1629-39). Der Schil- 
ler Moscatos, Abraham Portaleone (1 542-1 612), schrieb 
Schilte ha-Giborim (Mantua 1612) ; es enthalt eine Ana- 
lyse des biblischen Instrumentariums und wurde in 
Kirchers Musurgia universalis (Rom 1650) verwertet, 
10 Kapitel daraus auch in lateinischer Ubersetzung in 
B.Ugolinis Thesaurus antiquitatum sacrarum (Venedig 
1744-60), Band XXXII. Nach dem Mantuanischen 
Erbfolgekrieg 1628-31 und dem Pestjahr 1630 trat das 
philosophisch-theoretische Schrifttum zur jiidischen 
Musik in eine lange Pause ein. - Auch das Musikleben 
und -schaffen innerhalb der Gemeinden Italiens setzte 
sich nur in bescheidenem MaBe fort, hauptsachlich 
durch die Tatigkeit der jiidischen Sangerbriiderschaf- 
ten, die sich die Ausfiihrung hebraischer Festkantaten 
und Hymnen zur Aufgabe machten. Sie sind nicht nur 
in Italien, sondern auch in Prag, Regensburg, Amster- 
dam, Offenbach und Mainz anzutreffen und bilden 
wohl die sonst fehlende Briicke zur jiidischen Musik 
der Emanzipationszeit (18./19. Jh.). 
Neue Ansatze zur Erforschung der Musik jiidischer 
Stamme liegen in der Sammelarbeit lokaler Synagogal- 
stile, die sich wahrend der fortschreitenden Emanzi- 
pation im 19. Jh. auflockerten, vermischten und euro- 
paisiert wurden. Drei ethnische Gruppen lassen sich er- 
kennen, deren Vertreter fast ausnahmslos im heutigen 
Israel zu finden sind : 

1) die orientalischen Gemeinden im Jemen, in Babylo- 
nien (Irak), Kurdistan, Persien, Indien, Abessinien. 
Unter diesen sind die Weisen der jemenitischen Juden 
von hohem Alter, dank der geographischen Isolierung 
und einer hohen Stammeskultur, auch im Kunsthand- 
werk und in der Literatur (bedeutender kabbalistischer 
Dichter: Salim Schabasi, * 1619). Ihre Bibellesungen 
bilden wichtige Prototypen fiir die fruhchristlichen 
Lectioformen; ihre halbreligiosen Fest- und Hoch- 
zeitslieder eroffnen einen Einblick in mittelalterliche 
Hymnentypen, auch in Formen primitiver Mehr- 
stimmigkeit. - Neben ihnen zeigen die babylonischen 
Juden aus dem Irak und aus Kurdistan eine der altesten 
Liturgien. Persien mit seinen alten Kulturprovinzen 
in der Buchara, in Aserbeidschan, Kaukasien, Afghani- 
stan, Daghestan zeigt vielfache Uberlagerung von 
Stilschichten, die aus indischen, persischen, turkischen, 
slawischen und vor allem sephardischen Elementen 
resultieren. Zum weiteren Kreis dieser orientalischen 
Gruppen gehoren einige abgesprengte Stamme aus 



429 



Jiidische Musik 



Siidindien (Cochin), China, Abessinien (Falaschas), 
ebenso einige jiidische Sekten wie die Samaritaner 
oder die Karaer. 

2) die spanisch-sephardischen Gemeinden des Mittel- 
meerkreises in Spanien, Italien, den Balkanlandem, 
der Ttirkei, Israel, den nordafrikanischen Landern, mit 
dem westeuropaischen Zweig in Amsterdam und Lon- 
don. - Wahrend des mittelalterlichen spanischen Exils 
fand eine fruchtbare Kultursymbiose der althebrai- 
schen mit spanisch-christlichen und maurisch-arabi- 
schen Elementen statt. Als wahrend der Pogrome der 
Inquisition 1492 der groiBe Ruckzug einsetzte, wurde 
Judaospanisches mitgetragen und lebt bis heute in 
Verkapselungen oder ortlichen Varianten weiter. In ih- 
ren Romanzen und Villancicos haben sich, zusammen 
mit der altkastilischen Sprache und Poesie, Reste der 
historischen Musikformen erhalten. Im liturgischen 
Bereich hat ihr EinfluB seit langem zur Hispanisierung 
auch der altorientalischen Stamme gefiihrt. 

3) die aschkenasischen Gemeinden in West- und Osteu- 
ropa.Diese bauten ihre alten Siedlungen an derRomer- 
strafie, d. h. vom provenzalischen Carpentras aus nord- 
warts am Rhein entlang. Ihre liturgischen Gesange wie 
auch die Umgangssprache haben nochWesentliches des 
mittelalterlichen, siidwestdeutschen Idioms bewahrt. 
Verf olgungen trieben sie nach Osteuropa, wo im Schat- 
ten der Gettos eine Bliite des ostjudischen Liedes ein- 
setzte, das durch den Chassidismus des 18.-19. Jh. 
neuen Auftrieb erfuhr. Der Ruckzug nach dem Westen, 
der wahrend der Polen- und Russenkriege einsetzte 
und zu neuen Vermischungen zwischen ost- und west- 
aschkenasischen Elementen fiihrte, leitete auch liturgi- 
sche Reformbewegungen ein und den AnschluB an 
die zeitgenossische Kunstmusik, wie die oratorienarti- 
gen gottesdienstlichen Kompositionen von E.Bloch, 
Milhaud oder das Kol Nidre von Schonberg bezeugen. 
Sie finden in den Kantaten israelischer Komponisten 
wie Mordechai Seter, A. Uri Boscovich, Karel Salo- 
mon, Marc Lawri, Jehuda Scharet eine innere Fort- 
setzung. 

Das israelische Volkslied ist eng mit der Renaissance 
der hebraischen Sprache und ihrer Umwandlung von 
einer Bibel- und Gebetssprache in die moderne Um- 
gangs- und Literatursprache verbunden. Systematische 
Pflege und Sammelarbeit begannen mit dem ostjiidi- 
schen Volkslied durch Griindung der St. Petersburger 
Gesellschaft fiir jiidische Volksmusik 1908 unter der Lei- 
tung von Joel -»■ Engel. Die reiche Liederwelt der ost- 
europaischen Juden, genahrt an den mystisch-wortlo- 
sen Melodien (Niggun) des Chassidismus und mit vie- 
len Elementen der slawonischen, ukrainischen und 
balkanischen Folklore untermischt, wurde von friihen 
Einwanderern 1907-18 nach Palastina verpflanzt und 
blieb lange das Vorbild fiir neuhebraische Lieder. In 
den 1920er Jahren sind eine deutliche Abkehr von der 
harmonikalen Melodieauffassung und eine Hinwen- 
dung zu modalen und pentatonischen Neubildungen 
zu verzeichnen, auch eine neue Rhythmussprache, 
durch Beriihrung mit tiirkisch-arabisch-jemenitischen 
Volkstanzen, vornehmhch den Horra- und Debka- 
Typen. In den 1930er Jahren entstand eine Neuorien- 
tierung. Die Umschichtung zum Bauernberuf, das Ge- 
meinschaftsleben auf den Kollektivfarmen (Kibbuz), 
brachte die ersten Hirten- und Naturlieder hervor, an 
arabische Flotenmelodik anklingend. Nach 1940 ent- 
stand eine Volkstanzbewegung, die aus den Schritt- 
und Sprungfiguren orientalischer Tanze neue Anre- 
gungen gewann. Als mit der Staatsgriindung 1948 die 
Verpflanzung ganzer Gemeinden nach Israel einsetz- 
te (ausjemen, Kurdistan, Siidindien, Marokko), erwei- 
terten sich die Kultursymbiosen urn ein Vielfaches. 



Seit den 1950er Jahren verfestigt sich der Mischtyp 
zwischen westlichen Liedformen und ostlichen Ge- 
sangsmotiven von jemenitisch-arabischer, spanisch- 
marokkanischer oder bucharisch-persischer Herkunft. 
Dazu kommen in letzter Zeit (siid)amerikanische »Bal- 
lad«- und »Song«-Elemente. Mit der Wiederbelebung 
biblischer Bauern- und Pilgerfeste, die wahrend des 
2000jahrigen Exils in Vergessenheit geraten waren 
(Baumpflanzung, Winterkornernte, Erstlingsfriichte), 
setzte die Schaffung von Volkskantaten und dramati- 
schen Spielen (Massechta) ein. Einige Volkskompo- 
nisten orientalischer Abkunft bestimmen wesentlich 
die Umbildung und Absorbierung ostlicher Stile, dar- 
unter Esra Aharon (Bagdad), Esra Gabbai (Persien) 
und Sarah Lewi-Tannai (Jemen), die mit ihrer jemeni- 
tischen Tanzgruppe »Inbal« eine neuartig stilisierte 
Volkskunst ins Werk gesetzt hat. - Die zahlreichen 
Schulen und Entwicklungsphasen der israelischen 
Kunstmusik lassen sich in folgenden Richtungen zu- 
sammenfassen: 1) die Nachfahren der russisch-impres- 
sionistischen Schule mit J. Engel, J. Stutschewsky und 
M. Lawri. 2) Die um 1900 geborene Generation der 
Neoimpressionisten aus westlichen Schulen, zu denen 
die fiihrenden Komponisten des Landes gehoren, hat 
durch Einbeziehung biblischer Stoffe und orientali- 
scher Musizierweisen neue Klangverbindungen ange- 
strebt. Zu diesen Symphonikern eines »Mittelmeer- 
Stils« gehoren E.-W. Sternberg, P. Ben-Haim und M. 
Brod. 3) Die um 1910 geborene Gruppe der in atona- 
len, neoklassischen oder dodekaphonischen Schulen 
auf gewachsenen Musiker sind wie die vorigen noch bei 
europaischen Meistern ausgebildet. Aus der Bartok- 
Kodaly-Schule kommen in erster Linie O.Partos, aus 
der franzosischen A. U. Boscovich, M. Seter und M. 
Avidom. Wahrend sie eine Erneuerung der musikali- 
schen Sprache durch eingehendes Studium der ostli- 
chen Folklore anbahnen, suchen die aus der Hindemith- 
Schule kommenden Musiker wie H. Jacoby und J. Tal 
eine Neuorientierung durch Ausbau absolut-musikali- 
scher Strukturen, wobei J. Tal letzthin zur elektroni- 
schen Musik vorgedrungen ist. Aus dem Schonberg- 
Kreis kommen B.Bergel und St. Wolpe. Zurjungeren 
dodekaphonischen Gruppe gehoren H.Briin und R. 
Haubenstock-Ramati. Von weiteren, schon in Israel 
erzogenen Musikern der um 1920-30 geborenen Ge- 
neration seien genannt: H.Alexander, J. Bohm, M. 
Lustig, Ben-Zion Orgad, R.Starer (in den USA le- 
bend), R.Da-oz, Zvi Snunit, Schlomoh Jaffe, N.Sche- 
riff und der junge arabische Komponist Chabib Touma 
(Nazareth). - Seit den bahnbrechenden Arbeiten A.Z. 
Idelsohns und R. Lachmanns ist die Musikf orschung in 
Israel bemiiht, die »Einsammlung der Exile« und das 
Zusammentreffen von mehr als 70 jiidischen »Stam- 
men« zu erfassen und phonographisch festzuhalten. 
Das erste Phonogrammarchiv in Jerusalem wurde 1935 
durch R.Lachmann gegriindet. Ein neueres Archiv 
fiir Orientalische und Jiidische Musik besteht seit 1947 
in Jerusalem (Leitung: E. Gerson-Kiwi) ; das Jewish 
Music Research Center (Leitung: I.Adler) entstand 
1964 in Verbindung mit der Nationalbibliothek Jerusa- 
lem. Dazu kommen das Institut fiir Religiose Musik (A. 
Herzog) in Jerusalem sowie das Musikmuseum in Hai- 
fa, dessen Leiter, M. Gorali, auch Herausgeber der Mu- 
sikzeitschrif t Tatzlil ist. Musikwissenschaft wird an den 
Universitaten Jerusalem, Tel Aviv und Haifa gelehrt. 
Zwei Musikakademien und -seminare sorgen fiir den 
Nachwuchs an Lehrern, Interpreten und Komponisten. 
Ausg. : S. Naumbourg, Recueil de chants religieux et po- 
pulates des Israelites, Paris 1876; J. S. u. M. Cremieu, 
Chants h6braiques . . . de l'ancien Comtat Venaissin, Aix- 
en-Provence 1885 ; Fr. Consolo, Sefer szire Israel . . . An- 



430 



Jugendbewegung 



tichi canti liturgici dell rito degli Ebrei spagnoli, Florenz 
(1892); A. Danon, Recueil des romances judeo-espagno- 
les chantees en Turquie, Rev. des etudes juives XXXII, 
1896; A. Z. Idelsohn, Hebraisch-orientalischer Melodien- 
schatz, 10 Bde, Lpz. 1914-32; E. de Sola u. D. Aguilar, 
The Ancient Melodies of the Span, and Portuguese Jews, 
Neudruck London 1931 ; A. de Larrea PalacTn, Cancio- 
nero judio . . . I-IV, Madrid seit 1952; Out-of-Print 
Classics of Synagogal Music, 25 Bde, NA 1953-55; Ch. 
Vinaver, Anth. of Jewish Music, NY 1955; O. Camhy, 
Liturgie sephardie, London 1959; E. Werner, Hebraische 
Musik, =Das Musikwerk XX, Koln (1961), dazu H. 
Avenaryin:Mf XVI, 1963. 

Lit.: Bibliogr. of Asiatic Musics, Notes II, 5, 1947/48; 
A. Szendrei, Bibliogr. of Jewish Music, NY 1958. - A. 
Ackermann, Der synagogale Gesang in seiner hist. Ent- 
wicklung, Trier 1894; J. Carlebach, Levi ben Gerson 
als Mathematiker, Bin 1910; A. Z. Idelsohn, Die Vor- 
tragszeichen bei d. Samaritanern, Monatsschrift f. Gesch. 
u. Wiss. d. Judentums XXV, 1917; ders., Parallelen zwi- 
schen gregorianischen u. hebraisch-orientalischen Ge- 
sangsweisen, ZfMw IV, 1921/22; ders., Jewish Music in Its 
Hist. Development, NY 1929, 21946; ders., Jewish Liturgy, 
NY 1932; P. Nettl, Alte jfidische Spielleute u. Musiker, 
Prag 1923; A. Hemsi, La musique de la Torah, Alexandria 
1929; H. Loewenstein (Avenary), Eine pentatonische Bi- 
belweise, ZfMw XII, 1929/30; ders., Formal Structure of 
Psalms and Canticles in Early Jewish and Christian Chant, 
MD VII, 1953; ders., Etudes sur le cancionero judeo-es- 
pagnol, Sefarad XX, 1960; ders., Hieronymus' Epistel 
fiber d. Musikinstr. u. ihre altostlichen Quellen, AM XVI, 
1961 ; ders., Studies in the Hebrew, Syrian and Greek 
Liturgical Recitative, Tel Aviv 1963; O. Glaser, Die alte- 
sten Psalm-Melodien, Zs. f. Semitistik VIII, 1932; E. Wer- 
ner, Die hebraischen Intonationen in Marcello's Estro 
poetico-armonico, Monatsschrift f. Gesch. u. Wiss. d. Ju- 
dentums XLV, 1937; ders., The Sacred Bridge, London u. 
NY 1959; ders., Die Bedeutung d. Totenmeerrollen f. d. 
Mg„ Studia musicologica IV, 1963 ; ders. u. I. Sonne, The 
Philosophy and Theory of Music in Judeo-Arabic Lit., 
Hebrew Union College Annual XVI/XVII, 1941/43; R. 
Lachmann, Jewish Cantillation and Song in the Isle of 
Djerba, Jerusalem 1940; H. G. Farmer, Medieval Jewish 
Writers on Music, MR III, 1 942 ; ders., Sa 'adyah Gaon on 
the Influence of Music, London 1943 ; C. Sachs, The Rise 
of Music . . . , = The Norton Hist, of Music I, NY (1943) ; 
E. Kolari, Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten Te- 
stament, Helsinki 1947; P. Gradenwitz, The Music of 
Israel, NY 1949, span. Buenos Aires 1949, neue Bearb. 
deutsch als: Die Mg. Israels, Kassel 1961, dazu I. Adler in: 
Rev. de Musicol. XLVIII, 1962; A. M. Rothmueller, Die 
Musik d. Juden, Zurich 1951, engl. London (1953), NY 
(1954); H. Shmueli, Higgajon Bechinnor (Betrachtungen 
zum Leierspiel) d. Jedudah . . . Moscato, Tel Aviv 1953; 
E. Gerson-Kiwi, Musique (dans la Bible), in : Dictionnaire 
de la Bible, Suppl. V, Paris 1957 ; dies., Musicology in Isra- 
el, AMI XXX, 1958 ; dies., Halleluia and Jubilus in Hebrew- 
Oriental Chant, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; dies., Religious 
Chant . . . , Journal of the International Folk Music Coun- 
cil XIII, 1961 ; dies., On the Mus. Sources of the Judaeo- 
Hispanic Romance, MQ L, 1964; dies., The Bards of the 
Bible, Studia musicologica VII, 1965; B. Bayer, The Ma- 
terial Relics of Music in Ancient Palestine and Its Environs, 
Tel Aviv 1963; Dv. Lapson, Jewish Dances of Eastern 
and Central Europe, Journal of the International Folk Mu- 
sic Council XV, 1963 ; E. Mandell, A Collector's Random 
Notes on the Bibliogr. of Jewish Music, Fontes artis mu- 
sicae X, 1963; A. U. Boskovitch, La musique israelienne 
contemporaine et les traductions ethniques, Journal of the 
International Folk Music Council XVI, 1964; I. Adler, 
Les chants synagogaux notes au XII C s. (ca 1103-50) par 
Abdias, le proselyte normand, Rev. de Musicol. LI, 1965; 
ders., La pratique mus. savante dans quelques communau- 
t6s juives en Europe aux XVII e -XVIII e s., Paris 1965; 
A. L. Ringer, Mus. Composition in Modern Israel, MQ 
LI, 1965. EGK 

Jugendbewegung. Die Generation junger Menschen 
in Deutschland, die in den ersten Jahren des 20. Jh. die 
Schule besuchte, strebte leidenschaftlich nach einem 
neuen jugendgemaBen Leben. Dazu sollte die Flucht 



aus der GroBstadt und den Bezirken der Erwachsenen 
in die freie Natur und in eine Gemeinschaft verhelfen, 
die auBerhalb von Schule und Elternhaus in Gruppen 
(Biinden) frei ihre Anhanger warb. Gelebter Protest 
gegen den zu engen Lebensraum der biirgerlichen 
Welt, gegen ihre Lebensformen und geltenden Werte, 
gegen die zunehmende Mechanisierung des Lebens 
und der Kunst im Massendasein, gegen jede Art von 
Bildungsphilisterei sammelte sich in dem Kampfbe- 
griff »19. Jahrhundert«. Ergebnis dieses Aufstandes der 
Jugend waren der Wille zur Selbsterziehung in den 
Jugendgruppen, eine neue Form der Geselligkeit, die 
Wanderlust, die Freude am Singen von Volksliedern 
zur Klampfe (Gitarre), am Volkstanz und Laienspiel 
("*" Jugendmusik). Das am weitesten verbreitete Wan- 
dervogel-Liederbuch war der Zupfgeigenhansl, heraus- 
gegeben 1909 von dem Heidelberger Studenten der 
Medizin H.Breuer (gef alien 1918 an der Westfront). 
Gruppen der J. kamen Oktober 1913 auf dem Hohen 
MeiBner (siidostlich von Kassel) zu einem Freideutschen 
Jugendtag zusammen, der einen Hohepunkt der J. be- 
deutet. Im gleichen Jahr erschien G. Wyneckens Schule 
und Jugendkultur, worin der Leiter der Freien Schulge- 
meinde Wickersdorf bei Saalfeld (Thiiringen) die Mu- 
sik und das Musizieren der J. kritisierte und ihr die 
Musikpflege in Wickersdorf unter A. -> Halm gegen- 
iiberstellte. Halm hatte ein neues Verstandnis fur das 
»Eigenreich der Musik« (mit Bach und Bruckner im 
Mittelpunkt) erweckt und gewann einen starken Ein- 
fluB auf die Jugend. Neben ihm ragte Fr. -> Jode als 
eine der markantesten Personlichkeiten der J. hervor, 
der 1918 mit dem Sammelband Musikalische Jugend- 
kultur (mit Beitragen u. a. von H.Breuer, A. Halm, Fr. 
Jode, P.Natorp, H. Reichenbach, G.Wynecken) ein 
Bekenntnis zur J. ablegte und in ihren Reihen vor allem 
die volkserzieherischen Krafte weckte. In den nach 
dem 1. Weltkrieg gegriindeten Neudeutschen Kiinst- 
lergilden war Jode Obmann der Musikergilde. 1923 
fand die erste deutsch-bohmische Singwoche unter W. 
Hensel in Finkenstein bei Mahrisch-Trubau statt. Bei- 
de Singbewegungen, der Jode- und der Finkensteiner 
Kreis, wirkten selbstandig nebeneinander bis zu ihrer 
Eingliederung in den Reichsbund Volkstum und Hei- 
mat (1934) : die reichsdeutsche Bewegung (ab 1922/23) 
mit der Zeitschrift Die Musikantengilde (friiher Die 
haute), die Hensel-Bewegung (ab 1924) mit der Zeit- 
schrift Die Singgemeinde. Die weitere Entwicklung der 
J., die sich wahrend des nationalsozialistischen Regimes 
nur eingeschrankt betatigen konnte, fiihrte nach dem 
2. Weltkrieg 1952 zu einem ZusammenschluB der 
Sing- und Spielkreise der wiedererstandenen beiden 
alten Bewegungen. Doch sind die charakteristischen 
Auswirkungen beider Richtungen der J. auch heute 
noch spurbar: die Arbeit des Jode-Kreises fiihrte brei- 
ter ins Erzieherische in Jugendorganisationen, zur 
Griindung von Volks- und Jugendmusikschulen, zu 
einer Reform des Schul- und Privatmusikunterrichts 
sowie zur Einrichtung Offener Singstunden, wahrend 
die Arbeit des Finkensteiner Bundes eine Reform der 
Haus- und Kirchenmusik erstrebte (Kasseler Musik- 
tage, begriindet 1933, nach dem 2. Weltkrieg erst- 
mals wieder 1950). Seit 1927 (Hindemiths Schulwerk 
des Instrumental-Zusammenspiels) besteht eine starkere 
Verbindung der J. mit der Neuen Musik. 
Lit.: H. Bluher, Wandervogel. Gesch. einer J., 2 Bde, 
Prien (Chiemsee) 1912, 51920; A. Messer, Die f reideutsche 
J., = Manns padagogisches Magazin, Langensalza 1915, 

2 1922; O. Stahlin, Die deutsche J Lpz. u. Erlangen 

1 922 ; Fr. Jode, Unser Musikleben. Absage u. Beginn, Wol- 
fenbfittel 1924, 21926; ders., Musikdienst am Volk. Ein 
Querschnitt in Dokumenten, Wolfenbiittel 1927; ders., 
Vom Wesen u. Werden d. Jugendmusik, Mainz (1954); H. 



431 



Jugendmusik 



Hockner, Die Musik in d. deutschen J., Wolfenbiittel 
1927 ; H. Klein, Die Wurzeln d. Finkensteiner Bewegung, 
in: Musik u. Volk I, Kassel 1933; W. Kamlah, Die deut- 
sche Musikbewegung, ebenda; ders., Die Singbewegung 
u. d. musische Bildung, Die Sammlung X, 1955; H. Nohl, 
Die padagogische Bewegung in Deutschland u. ihre Theo- 
rie, Ffm. 1935, 41957; W. Ehmann, Erbe u. Auftrag mus. 
Erneuerung, Kassel 1950; R. Stephani, Die deutsche mus. 
J., Diss. Marburg 1952, maschr.; E. Spranger, 5 Jugend- 
generationen 1900-49, in: Padagogische Perspektiven, 
Heidelberg 1951 ; H. Erpf, Neue Wege d. Musikerziehung, 
Stuttgart 1953 ; Th. W. Adorno, Kritik d. Musikanten, in: 
Dissonanzen, Ffm. 1956. HiM 

Jugendmusik, Bezeichnung der aus der deutschen 
-»■ Jugendbewegung erwachsenen und von ihr gepfleg- 
ten Musik und der Formen dieser neuen jugendgema- 
Ben Musiktibung sowie der dazugehorenden Musik- 
literatur. Das Lied ist urspriinglich der Inhalt der J. ; 
schon im Zupfgeigenhansl (1909) steht das Volkslied im 
Vordergrund. Es wurde auf Fahrt und im Lager iibungs- 
mafiig zur Klampfe (Gitarre) gesungen. Einen ent- 
scheidenden Schritt vorwarts brachte das (1.) Jenaer 
Liederblatt (1917), das neben 3st. Vofksliedbearbeitun- 
gen eine Anzahl Lautenlieder mit zusatzlicher Beglei- 
tung der Violine und Flote im Satz von W.v.Bausz- 
nern enthielt. Eine andere verbreitete Form wurde die 
Lied-»Kantate«, die ein Lied in den Mittelpunkt ge- 
meinsamen Musizierens stellt. In der Chormusik f iihrte 
der Weg vom zweistimmigen polyphon gesetzten Lied 
uber Jodes Alte Madrigale (1921) zu neuen Liedsatzen. 
Die Verbindung mit zeitgenossischen Komponisten 
(starker seit 1927) brachte Chore, Spielmusiken, Kan- 
taten, Lehrstiicke, Kinder- und Schulopern, u. a. von 
Hindemith. Die Pflege alter Sing- und Spielmusik 
fiihrte (nicht ohne EinfluB der Musikwissenschaft) zur 
Einbeziehung alter und danach zum Teil selbstgebau- 
ter Instrumente, vor allem der -*■ Blockflote, von 
Gamben, Fiedeln, Clavichord und Cembalo. Der Ge- 
brauch der Streichinstrumente sowie der Querflote 
fiihrte zu einer Wiedererweckung alter Kammer- und 
Orchestermusik (zumeist aus der Barockzeit). Der 
Kanon, gesungen und gespielt, fand seit dem Erschei- 
nen von Jodes Sammlung Der Kanon (1925) weitver- 
breitete Pflege. Im Hinblick auf den Verwendungs- 
zweck-.stehen, nebeneinander: eine Literatur fiir das 
»offene« Sirigen (Liederbiicher, Liederblatter, zum Teil 
mit Instrumentalsatzen), eine Literatur fiir das »ge- 
schlossene« Singen (die eigentliche Chorliteratur), eine 
Literatur fiir Instrumentalkreise (Spielmusiken, alte 
Orchester- und Kammermusik, Musik fiir Fiedeln, 
Blockfloten, zu Spiel und Tanz) sowie eine solche fiir 



Sing- und Spielkreise zusammen (Liedkantaten). Eini- 
ge Ausgaben von Liedern der deutschen Jugendbewe- 
gung fanden weite Verbreitung, darunter: H.Breuer, 
Der Zupfgeigenhansl (Leipzig 1909, 164 1940, Mainz seit 
1950); Fr. Fischer, Wandervogel-Liederbuch (Leipzig 
1911); W.Hensel, Strampedemi (Kassel 1929); Th. 
Warner, Lieder der biindischen Jugend (Potsdam 1929); 
G.Gotsch, Derjungfernkranz (Wolfenbiittel 1930); K. 
Miiller, Lieder der Trucht (Plauen 1933); G.Schulten, 
Der Kilometerstein (Potsdam 1934) ; W. Jahn, Biwak und 
Lagerfeuer (Plauen 1936); A. Zschiesche, Wenn die bun- 
ten Falmen wehen (Plauen 1936); Der Turm (Bad Go- 
desberg 1 1952ff., II 1962ff.); K. Roller, Lieder des Bun- 
des (Bund deutscher Pfadfinder, ebenda 1954). HiH 

Jugoslawien. 

Ausg. : Fr. §. KuhaC, Juzno-slovjenske narodne popijevke 
(»Jugoslawische VolksIieder«), I-IV, Zagreb 1878-81, V 
hrsg. v. B. Sirola, 1941 ; D. Jankovic u. Lj. S. jANKOVid, 
Narodne igre(»Volkstanze«), 7 Bde, Belgrad 1934-52. 
Lit.: W. Wunsch, Die Geigentechnik d. siidslawischen 
Guslaren, = Veroff. d. mw. Inst. d. Deutschen Univ. Prag 
V, Brunn 1934; ders., Die siideuropaische Volksepik, d. 
Ballade u. d. Tanzlied im Vergleich zu d. Friihformen in d. 
abendlandischen Musikkultur, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; R. 
Gallop, Folk Music of the Southern Slavs, MQ XXIII, 
1937; P. Bromse, Floten, Schalmeien u. Sackpfeifen Siid- 
slawiens, = Veroff. d. mw. Inst. d. Deutschen Univ. Prag 
IX, Brunn 1937 ; A. B. Lord, Yugoslav Epic Songs I, Cam- 
bridge(Mass.) 1954; Dr. CvETKO.The Problem of National 
Style in South Slavonic Music, Slavonic Review XXXIV, 
1955; ders., Les formes et les resultats des efforts musico- 
logiques yougoslaves, AMI XXXI, 1959; ders., Die Si- 
tuation u. d. Probleme d. slowenischen, kroatischen u. ser- 
bischen Musik d. 19. Jh., Kgr.-Ber. Kassel 1962; D. Jan- 
kovic u. Lj. S. Jankovi6, Prilog proucavanju ostataka 
orskih obrednih igara u Jugoslaviji (»Ein Beitr. zu einer 
Studie uber d. noch erhaltenen Tanze in J.«), Belgrad 1957 ; 
V. Zganec, The Tonal and Modal Structure of Yugoslav 
Folk Music, Journal of the International Folk Music Coun- 
cil X, 1958 ; ders., La gamme istrienne dans la musique po- 
pulate yougoslave, Studia musicologica IV, 1963; J. An- 
dreis u. Sl. Zlatic, Yugoslav Music, Belgrad (1959) ; Lj. S. 
Jankovic\ La situation actuelle de Pethnomusicologie en 
Yougoslavie, AMI XXXII, 1960; J. Andreis, Dr. Cvetko 
u. St. Duric-Klajn, Historijski razvoj muzicke kulture u 
Jugoslaviji (»Geschichtliche Entwicklung d. Musikkultur 
in J.<0, Zagreb 1962; E. Helm, Music in Yugoslavia, MQ 
LI, 1965 ; R. Petrovic, The Oldest Notation of Folk Tunes 
in Yugoslavia, Studia musicologica VII, 1965. 

Jump (d3Amp, engl.) -» Rhythm and blues. 

Justiniane (ital., venezianische Dialektf orm) -> G i u s - 
tiniane. 



432 



K 



Kadenz (ital. cadenza; frz. unci engl. cadence, SchluB- 
fall; Abk. : Cad.). - 1) Der Terminus K., der von italie- 
nischen Theoretikern des 16. Jh. in die Musiktheorie 
eingefiihrt wurde, bezeichnet bei Zarlino (1558) pri- 
mar eine mehrstimmige und sekundar eine melodische 
SchluBformel, bei J.-Ph.Rameau eine abschlieBende 
Akkordfolge mit einer charakteristischen Dissonanz 

6 
(jyi-T oder S$-T) und bei H.Riemann die Darstel- 
lung einer Tonart durch harmonische Funktionen 
(-*■ Funktionsbezeichnung). - Im Mittelalter wurden 
Schlusse in der Ein- und Mehrstimmigkeit conclusio, 
finis, pausatio, terminatio oder teleusis, in der Mehr- 
stimmigkeit auch occursus, copula oder finis concordii 
genannt. K.-Typen des gregorianischen und des mit- 
telalterlichen Chorals sind die Tonfolgen II — I (e-d), 
VII-I (c-d) und VII-1I-I (c-e-d); in der lydischen K. 
wurde, aus Scheu vor dem Halbton, die Untersekunde 
oft durch die Unterterz ersetzt (g-d-f). - Im -»■ Or- 
ganum des spaten 11. und des 12. Jh. beruhte die K., 
die -> Copula, auf dem Prinzip des Wechsels der Klang- 
qualitaten; Quinte oder Quarte bildeten die Paenulti- 
ma (-> Klausel), Einklang oder Oktave die Ultima 
(Mailander Traktat Ad orga- ■ 
num faciendum) : 
Die Progressionen Terz-Ein- 
klang und Sexte-Oktave, im Organumtraktat von 
Montpellier (Anfang 12. Jh.) als sekundare K.en zuge- 
lassen, setzten sich im 13. Jh. als primare Schlufitypen 
durch. Im 14. und friihen 15. Jh. gait die Norm, daB 
dem Einklang die kleine Terz, der Quinte die groBe 
Terz und der Oktave die groBe Sexte vorausgehen soil 
(GS III, 306b; CS III, 72a, 496b; CS IV, 384b). Sie wird 
sowohl von der phrygischen K. (Beispiel a) als auch 
von der »Doppelleitton-K.« (Beispiel b) erfiillt: 





Die primare K. des spaten 15. und der 1. Halfte des 
16. Jh., die Zusammensetzung der Sext-Oktav-Pro- 
gression mit einem Quartsprung des Basses (Beispiel c; 
-*■ Klausel), vermittelte den Ubergang vom Intervall- 
zum Akkordsatz; statt der Sext-Oktav-Progression 
(Diskant-Tenor-Geriist) wurde die vom Fundament- 
schritt des Basses getragene Akkordfolge V-I (D-T) als 
Substanz der K. aufgefaBt. Eines der Anzeichen des 
Wandels ist die Wendung des Tenors zur Terz des 
SchluBklangs (Beispiel d). Bis zum friihen 18. Jh. wurde 
die Mollterz im SchluBklang im allgemeinen zur Dur- 
terz alteriert (-»• Pikardische Terz), weil der Klang eines 
lang ausgehaltenen Mollakkords durch Schwebungen 
getriibt ist. - Zarlino (Istitutioni harmoniche, 1558, III, 
cap. 51) unterscheidet die einfache K. Note gegen Note 



(cadenza semplice, Beispiel a) von der durch Disso- 
nanzen und rhythmische Differenzierung ausgezierten 
K. (cadenza diminuita, Beispiel b). Der SchluB in der 
Oktave oder im Einklang ist nach Zarlino vollkom- 
men (cadenza perfetta), der SchluB in der Quinte 
oder Terz unvollkommen (cadenza imperfetta oder 
sfuggita, Beispiele c und d). Fur vollkommene K.en 
gilt die Regel, daB sie mit Textzasuren zusammen- 
treffen sollen; Abweichungen konnten ein Mittel 
zur Ausdeutung des Textinhalts sein. - Nach der 
Terminologie des friihen 18. Jh. ist die authentische 
K. (V-I) vollkommen (parfaite), die plagale (IV-I), 
die in der Literatur des 19. Jh. manchmal »Kirchen- 
schluB« genannt wird, unvollkommen (imparfaite 
oder, bei Rameau, irreguliere). Eine K. auf der Tonika 
gilt als GanzschluB, eine K. auf der Dominante als 
HalbschluB (I-V). Der Gebrauch der Bezeichnungen 
»authentisch« und »plagal« fur Schlusse beruht auf irri- 
ger Ubertragung; man nannte den SchluB von der 
Quintstufe zum Grundton »authentisch« und den 
SchluB von der Quartstufe zum Grundton »plagal«, 
weil die Oktave in einem authentischen Modus durch 
die Quinte (1. Modus: d-a-d 1 ) und in einem plagalen 
durch die Quarte geteilt wird (2. Modus: A-d-a); 
doch bildet nicht A, sondern d den Grundton des 2. 
Modus. Rameau postuliert, nach dem Prinzip des 
Wechsels der Klangqualitaten, fur die vollkommene 
K. die Dominantseptime (Beispiel a), fur die unvoll- 
kommene die hinzugefiig- 
te Sexte (sixte ajoutee; Bei- 
spiel b) ; diese »charakteri- 
stischen Dissonanzen« (H. 
Riemann) konnen real ge- 
geben oder bloB vorgestellt 
sein. Die Akkordfolge I-IV-I-V-I (T-S-T-D-T) bil- 
det nach Rameau, wenn die charakteristischen Disso- 
nanzen hinzugedacht werden, einen Komplex von Ca- 
dences parfaites (I-IV und V-I) und Cadences irregu- 
lieres (IV-I und I-V). Die Progression V?-VI (D7-Tp) 
wird -> TrugschluB (cadence rompue oder evitee) ge- 
nannt. - Ubertrug Rameau den K.-Begriff von der 
Funktion, der SchluBbildung, auf das Substrat, die 
Akkordfolge, so bezeichnet Riemann auBer einzel- 
nen Progressionen (D-T oder S-T) auch groBere 
Komplexe von Akkorden, die eine Tonart darstellen 
(T-S-T-D-T), als K. (»vollstandige K.«). Durch Ein- 
fiigen von -» Zwischendominanten entsteht eine »er- 
weiterte K.«: 






































T (D 7 ) Tp (D 9> ) Sp (D 1 ) D i D T 

Differenzierte Analysen von K.-Bildungen beriicksich- 
tigen auBer den Akkordfunktionen die »innere Dyna- 



28 



433 



Kadenz 



mik« (Riemann), die Leittonstrebungen (E.Kurth), 
die formalen Gewichtsabstufungen der Schliisse (H. 
Schenker) und die rhythmisch-metrische Stellung 
der Akkorde (H.J. Moser). 

- 2) K. werden seit dem 16. Jh. (G.Bassani 1585) auch 
die improvisierten oder ausgeschriebenen Verzierun- 
gen der Schliisse genannt. Stereotype Koloraturen 
(Passagen, Triller, Groppo) umschreiben in der Vokal- 
und Instrumentalmusik des 16. und 17. Jh. den SchluB- 
klang oder die Antepaenultima und Paenultima der 
Klausel. Aus der K. iiber einem Dominantorgelpunkt 
(A. Corelli) entwickelte sich die eingeschobene K. des 
Soloconcertos (G.Torelli, A.Vivaldi). Eine Vorform 
der lang ausgesponnenen K. sind die »perfidie« in 
den Konzerten Torellis, Einschube, die auf hart- 
nackiger Wiederholung einfacher Motive (oft Drei- 
klangsbrechungen) beruhen. Als Vorbereitungsakkord 
setzte sich um die Mitte des 18. Jh. statt der Domi- 
nante der Quartsextakkord durch (»aufgehaltene« K., 
C. Ph. E.Bach). Die Improvisation der K. wich all- 
mahlich der Niederschrift durch den Komponisten 
(C. Ph. E.Bach, Mozart, Beethoven) oder einen Vir- 
tuosen; die K.en, die Mozart und Beethoven zu ihren 
Klavierkonzerten schrieben, scheinen fur Ausfiihrun- 
gen der Werke durch Freunde oder Schuler bestimmt 
gewesen zu sein. Im ersten Satz des Es dur-Konzerts 
von Beethoven ist die K. statt einer Einfiigung ein in- 
tegrierender Teil der Komposition; improvisatorische 
Zusatze werden untersagt: Non si fa una Cadenza. - 
Die K. im Solokonzert erschopft sich nicht in der De- 
monstration spieltechnischer Virtuositat, sondern ist an 
asthetische Kriterien gebunden. Einerseits wird sie 
durch thematische Anspielungen oder sogar durch 
Kombinationen mehrerer Themen auf den Satz bezo- 
gen, den sie unterbricht. Andererseits darf die K., um 
den Charakter einer Verzogerung, einer »Aufhaltung« 
zu wahren, keine SchluBbildungen enthalten; daB sie 
eine blofie Unterbrechung darstellt, wird durch ab- 
rupte Modulationen in fremde Tonarten fiihlbar ge- 
macht. 

Lit. : zu 1) : J.-Ph. Rameau, Traite de l'harmonie . . . , Paris 
1722; ders., Nouveau systeme de musique thSorique, Paris 
1726; H. Riemann, Mus. Logik, in: Praludien u. Studien 
III, Lpz. 1901 ; Riemann MTh; E. M. Lee, Cadences and 
Closes, Proc. Mus. Ass. XXXI, 1904/05; ders., The Future 
of the Cadence?, ZIMG VII, 1905/06 ; H. Schenker, Neue 
mus. Theorien u. Phantasien I, Harmonielehre, Stuttgart 
u. Bin 1906; E. Kurth, Die Voraussetzungen d. theoreti- 
schen Harmonik u. d. tonalen Darstellungssysteme, Bern 
1913; M. Frey, Die Hauptk. im Wandel d. Zeiten, Mk 
XIII, 1913/14; H. J. Moser, Die harmonischen Funktio- 
nen in d. tonalen K., ZfMw I, 1918/19; ders., Das Schick- 
sal d. Penultima, JbP XLI, 1934; R. Tenschert, Die Ka- 
denzbehandlung bei R. Strauss, ZfMw VIII, 1925/26; Fr. 
Th. ARNOLD.The Art of Accompaniment from a Thorough- 
Bass, London 1931 ; H. Naumann, Strukturk. bei Beetho- 
ven, Lpz. 1931; Ch. L. Cud worth, Cadence galante, 
MMR LXXIX, 1949 ; W. Biber, Das Problem d. Melodie- 
formel in d. einst. Musik d. MA, = Berner Veroff. zur Mu- 
sikforschung VII, Bern 1951 ; M.-E. Brockhoff, Die K.bei 
Josquin, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; P. Hamburger, Subdo- 
minante u. Wechseldominante, Kopenhagen u. Wiesbaden 
1955; J. Smits van Waesberohe SJ, A Textbook on Me- 
lody, Rom 1955; J. Werner, The Mendelssohnian Ca- 
dence, The Mus. Times XCVII, 1956; E. Apfel, Studien 
zur Satztechnik d. ma. engl. Musik, 2 Bde, = Abh. d. Hei- 
delberger Akad. d. Wiss., Phil. -hist. Klasse, Jg. 1959, Nr 5 ; 
K. Stockhausen, Kadenzrhythmik bei Mozart, in: Darm- 
stadter Beitr. zur Neuen Musik IV, Mainz (1962), auch in: 
K. Stockhausen, Texte ... II, Koln 1964; D. Schjelde- 
rup-Ebbe, Purcell's Cadences, Oslo 1962. - zu 2) : Quantz 
Versuch ; Bach Versuch ; J. Fr. Aoricola, Anleitung zur 
Singekunst, Bin 1757; C. Czerny, Systematische Anlei- 
tung zum Fantasieren auf d. Pfte, op. 200; A. Scherino, 
Zur instr. Verzierungskunst im 1 8. Jh., SIMG VII, 1905/06 



H. Goldschmidt, Die Lehre v. d. vokalen Ornamentik I, 
Charlottenburg 1907; H. Knodt, Zur Entwicklungsgesch. 
d. K. im Instrumentalkonzert, SIMG XV, 1913/14; R. 
Stockhammer, Die K. zu d. Klavierkonzerten d. Wiener 
Klassiker, Diss. Wien 1936, maschr.; P. u. E. Badura- 
Skoda, Mozart-Interpretation, Wien (1957). CD 

Karnten. 

Lit.: E. Schenk, Musik in K., Wien 1941 ; H. Federhofer, 
Alte Musikalien-Inventare d. Kloster St. Paul (K.) u. G6B 
(Steiermark), KmJb XXXV, 1951; ders., Eine Karntner 
Org.-Tabulatur d. 16. Jh., Carinthia CXLII, 1952; ders., 
Beitr. zur alteren Mg. K., ebenda CXLV, 1955 ; ders., Ital. 
Musik am Hofe d. Furstbischofs v. Gurk, J. J. Lamberg 
1603-30, CHM II, 1957; Fr. Koschier, Der »Steirische« 
in K., Carinthia CXLIV, 1954; ders., Karntner Volkstan- 
ze. I. Teil mit Beih. »Tanzweisen« v. A. Anterluch, = Karnt- 
ner Museumsschriften XXVII, Klagenfurt 1963; W. Ir- 
tenkauf, Eine St. Pauler Hs. aus d. Jahre 1 136, Carinthia 
CXLV, 1955; ders. u. H. Eggers, Die Donaueschinger 
Marienklage, ebenda CXLVIII, 1958; G. Mittergrad- 
negger, Die Lieder in d. Karntner Passionsspielen, Diss. 
Wien 1964, maschr. 

Kaiserbafl -»• Tuba (- 2). 

Kalkant (Calcant, von lat. calx, Ferse), Balgetreter 
der Orgel; K. heiBt auch der Klingelzug, der, vom 
Organisten bedient, dem Balgetreter das Zeichen gibt, 
in Tatigkeit zu treten (vgl. die Teilansicht der zur Or- 
gel im Dom zu Halberstadt, 1361, gehorenden Kam- 
mer der Balgetreter bei Praetorius Synt. II, Theatrum 
Instrumentorum XXVI). 

Kamanga (von arabisch kaman, Bogen; persisch 
kemance), eine seit dem 10. Jh. erwahnte SpieBlaute. 
Seit dem Mittelalter ist die K. im ganzen Vorderen 
Orient verbreitet als Streichinstrument, mit kleinem, 
eckigem oder rundem Corpus (KokosnuB, Holz), das 
mit einer Membran (Tierhaut) oder einer diinnen 
Holzplatte bedeckt ist, mit langem diinnem Hals, sei- 
tenstandigen Wirbeln (2-4 Saiten) und oft einem 
Stachel aus Eisen. Seit dem 19. Jh. umfaBt die Bezeich- 
nung K. auch die europaischen Streichinstrumente, 
besonders die Violine. 

Lit. : A.Berner, Studien zur arabischen Musik, = Schriften- 
reihe d.Staatl.Inst. f .deutsche Musikforschung II.Lpz. 1 937. 

Kambodscha -»- Hinterindien. 

Kammermusik (von ital. musica da camera; frz. mu- 
sique de chambre; engl. chamber music), eine Sam- 
melbezeichnung fur weltliche Vokal- und Instrumen- 
talmusik, deren Stimmenzahl, Besetzung und Kom- 
positionstechnik auf kleine bis mittelgroBe Raume 
berechnet sind. Im 17. Jh. zahlten alle hofischen Musi- 
zierformen zur K., z. B. Cantata da camera (-»■ Kan- 
tate), Sonata da camera (-»• Sonate). Die Bezeichnung 
bezog sich zunachst noch nicht auf die GroBe der En- 
sembles, deren Repertoire bis ins 18. Jh. auch Musik 
fur ->■ Orchester mit umfaBte, sondern ursprunglich 
auf die fiirstliche »Kammer« als den Ort, fur den die 
Musik bestimmt war. Fur die Kammer wurde ein ei- 
gener Besoldungsetat der Hofbuchhaltung gefiihrt, 
dem die K. - im Unterschied z. B. zur Feldmusik (frz. 
musique d'ecurie) - unterstand. Daher riihrt der Titel 
Kammermusiker : 1601 bittet Monteverdi den Herzog 
von Mantua um Beforderung zum maestro de la camera 
et da Mesa sopra la musica; ebenso ftihren ihn in Aus- 
gaben ihrer Kompositionen u. a. E.Radesca 1605 (Mu- 
sico di camera) und S.d'India 1611 (Maestro della mu- 
sica di camera). Der Titel Kammermusiker wird noch 
heute durch den Staat (bzw. die Stadt) an beamtete oder 
angestellte Musiker verliehen. - Auf die Unterschiede 
der kompositorischen Behandlung von vokaler K. ge- 
geniiber der Kirchenmusik wies schon N. Vicentino hin 
(1555; f. 37: K. wird piano ausgefiihrt; f. 84': zur Text- 



434 



Kammerton 



behandlung) ; in Deutschland hebt erst H. Guarinonius 
1610 die Kamer-Music (Gemdcher-Music), die in der stille 
mit halben oder sonst wol moderirten Stimmen vorgetragen 
wird, gegen die Kirchenmusik ab. Vokale Concerti da 
camera gab G.G.Arrigoni 1635 in Venedig heraus; 
1637 veroffentlichte T.Merula gleichfalls in Venedig 
Canzoni overo sonate concertate per chiesa e camera. Be- 
stand im Instrumentalbereich im 17. Jh. kein Unter- 
schied zwischen Kirchen- und Kammerstil, so wurde 
im 18. Jh. wieder differenziert: nach Mattheson (1739) 
zeichnet sich der Kammer-Styl durch kunstvolleren 
Satz aus im Unterschied zu Kompositionen fiir Kirche 
und Theater, und nach Quantz (1752) erfordert er 
mehr Lebhaftigkeit und Freyheit der Gedanken . . ., alsder 
Kirchenstyl; und weil keine Action dabey stattfindet, er- 
laubt er mehr Ausarbeitung und Kunst ..., alsder Theater- 
styl. - Da seit dem Ende des 18. Jh. das hofische Musik- 
leben mit seinem intimen Auffiihrungsrahmen zu- 
riicktrat gegeniiber den offentlichen Konzertveran- 
staltungen (-»■ Konzert - 2), erfuhr der Begriff K. einen 
Bedeutungswandel: der Gegensatz von K. ist nicht 
mehr Kirchen- oder Theatermusik, sondern die grofie 
Konzert-, d. h. Orchester- und Chormusik. Zur K. 
werden nun alle Werke in solistischer Besetzung ge- 
zahlt, wie Streich- und Klaviertrios, Quartette, Quin- 
tette, Werke fiir Soloinstrumente mit Klavier, fiir Bla- 
ser- und gemischte Ensembles (-> Sextett, -»■ Septett, 
-> Oktett, ->• Nonett) und allgemein Werke, die an die 
altere -*■ Serenade anschlieBen. Auch Lieder, Duette 
usw. mit Instrumentalbegleitung (Klavier oder wenige 
Instrumente) werden zur K. gerechnet. K. blieb von 
nun an oft dem privaten Musizieren und der Darbie-; 
tung vor einem kleineren Kreis von Kennern und 
Liebhabern vorbehalten; das moderne Konzertwesen 
kennt allerdings auch K.-Veranstaltungen mit groBem 
Publikum. Wird der Unterschied zwischen K. und 
-> Hausmusik heute oft nur in den unterschiedlichen 
technischen Anf orderungen der Werke gesehen, so ist 
doch in soziologischer Hinsicht zu unterscheiden zwi- 
schen darbietungsmaBigem Musizieren als K. und um- 
gangsmaBigem als Hausmusik. - Schon bei Haydn fin- 
det sich die kompositionstechnische Differenzierung 
der K. gegeniiber der groBen Konzertmusik und an- 
deren Gattungen. Im kammermusikalischen Satz tritt 
das artifizielle Element besonders hervor, speziell im 
-*■ Streichquartett, das bis ins ausgehende 19. Jh. als 
wichtigste Gattung der K. und als Priifstein komposi- 
torischen Konnens gait. In der Regel setzt sich die K. 
mit der Sonatensatzform und dem Sonaten-Satzzyklus 
auseinander. Charakteristisch fiir den K.-Stil sind das 
Streben nach Gleichrangigkeit der Stimmen (Partner) 
und besonders die -»■ Durchbrochene Arbeit. K.-Stil 
und reduzierte Besetzung kennzeichnen die kammer- 
musikalischen Ableitungen groBerer Gattungen (Kam- 
meroper, Kammersymphonie). Fiir die kompositori- 
sche Entwicklung der Musik im beginnenden 20. Jh. 
war die K. des 19. Jh. von groBer Bedeutung; in ihrer 
bewuBt kunstvollen, thematisch-motivischen Satzart 
bereiteten sich Tendenzen vor, die in den friihen ato- 
nalen Kompositionen der Wiener Schule entscheidend 
wirksam wurden. 

Lit. : N. Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna 
prattica (Rom 1 555), Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, = DM1 
I, 17, 1959; H. Guarinonius, Die Grewel d. Verwustung 
menschlichen Geschlechts, Ingolstadt 1610; Mattheson 
Capellm. ; Quantz Versuch ; KochL ; H. Chr. Koch, Mus. 
Lexikon, bearb. v. A. v. Dommer, Heidelberg 1865; H. 
Mendel, Mus. Conversations-Lexikon V, Bin 1875; M. 
E. Sachs, Die weitere Entwickelung d. K., ZIMG IV, 
1902/03; W. Altmann, Zur weiteren Entwicklung d. 
K., ebenda; ders., K.-Kat., Lpz. 1910, «1945; Fr. Niecks, 
Wind Instr. Chamber Music, ZIMG V, 1903/04; N. 



Kilburn, The Story of Chamber Music, London u. NY 
1904, revidiert als: Chamber Music and Its Masters, 
hrsg. v. G. E. H. Abraham, London 1932; R. H.Walthew, 
The Development of Chamber-Music, London 1909; H. 
Prunieres, La musique de la chambre et de l'ecurie sous le 
regne de Francois I er , L' Annie mus. 1, 191 1 ; Th. Fr. Dun- 
hill, Chamber Music, London 1913; A. Heuss, Kammer- 
musikabende, Lpz. 1919; H. Mersmann, Beitr. zur Auf- 
fiihrungspraxis d. vorklass. K. in Deutschland, Af Mw II, 
1919/20; ders., Die K., = H. Kretzschmars Fiihrer durch 
d. Konzertsaal III, 4 Bde, Lpz. 1930-33; W. W. Cobbett, 
Cyclopedic Survey of Chamber Music, 3 Bde, Oxford 1929, 
2. Auf lage hrsg. v. C. Mason, London 1963 ; N. Ruet, Mu- 
sique de chambre, o. 0. 1930; L. de La Laurencie, Les d6- 
buts de la musique de chambre en France, Rev. de Mu- 
sicol. XVIII, 1934; W. Hutschenruyter, De geschiedenis 
d. kamermuziek, Hilversum 1935; E. H. Meyer, Engl. 
Chamber Music, London 1946, 21951, deutsch als: Die K. 
Alt-Englands, Lpz. 1958; A. H. Kino, Chamber Music, 
London 1948; M. Pincherle, L'orch. de chambre, Paris 
1948 ; H. Ulrich, Chamber Music, NY 1948, M953 ; R. H. 
Rowen, Early Chamber Music, NY 1949; Cl. Rostand, 
Les chefs-d'oeuvre de la musique de chambre, Paris 1952; 
A. Ccsuroy, La musique de chambre, Paris 1953 ; O. Alain, 
La musique de chambre, = Les cahiers du journal mus. 
frc. XIII, Paris 1955; H. RENNERmit W. Zentner, A.Wurz 
u. S. Greis, Reclams K.-Fuhrer, Stuttgart 1955, <1962; A. 
Robertson, Chamber Music, Harmondsworth/Middlesex 
1957; J. Fr. Richter, K.-Kat., Lpz. 1960; Th. W. Adorno, 
Einleitung in d. Musiksoziologie, Ffm. 1962, S. 96ff. ; R. M. 
Jacobs, The Chamber Ensembles of C. Ph. E. Bach Using 
Two or More Wind Instr., Diss. State Univ. of Iowa 1964. 

Kammerregister heiBt in der Orgel des 17. bis An- 
fang des 19. Jh. diejenige Orgelstimme, die im -> Kam- 
merton stand (daher auch Kammerstimme), also eine 
groBe Sekunde oder kleine Terz defer als alle anderen, 
im Cornett- oder im Chorton stehenden Register der 
Orgel. Das Kammergedackt (Musicgedackt) diente 
zur Ausfiihrung des Generalbasses, der mit dem Kam- 
merton rechnete, sonst aber vom Organisten in diesen 
transponiert werden muBte. Eine transponierende 
Koppel heiBt Kammerkoppel (Schlick, Adlung). 

Kammerton (frz. ton de chambre; engl. chamber 
pitch) wurde von -»■ Chorton, -* Cornetton und 
-> Opernton unterschieden. Nach M.Praetorius wur- 
de er vor der Taffel vnd in Convivijs zur froligkeit ge- 
braucht, nach Adlung so bezeichnet, weil man ihn bey 
der Tafel in Zimmern zur Frolichkeit gebraucht, daft man 
die Vokalisten schonen konnte. Grundsatzlich gilt auch 
fiir den K., daft der Thon so wol in Orgeln als andem In- 
struments Musicis offt sehr varijre (Praetorius). - Nach 
Praetorius und Mersenne war in der 1. Halfte des 17. 
Jh. der K. hoher als der Chorton. Um 1700 wurde er 
unter dem EinfluB franzosischer Holzblasinstrumente 
tiefer als der Chorton. Hieriiber berichtet Quantz: 
Nachdem aber die Franzosen, nach ihrem angenehmen tie- 
fern Tone, die deutsche Querpfeife in die Flote traversiere, 
die Schallmey in den Hoboe, und den Bombart in den Basson 
gewandelt hatten, hat man in Deutschland auch angefangen, 
den hohen Chorton mit dem K.e zu verwechseln ... Ich hal- 
te . . . den deutschen sogenannten A-K., welcher eine kleine 
Terze tiefer ist, als der alte Chorton, fiir den besten. Diesen 
K. fiihrte J.Kuhnau, Bachs Vorganger im Leipziger 
Thomaskantorat, bald nach seinem Amtsantritt 1702 
fiir die Leipziger Kirchenmusik ein, so daB Bachs in 
Leipzig entstandene Kirchenkompositionen fiir diese 
Stimmhohe berechnet sind. Der K., der etwa einen 
halben Ton tiefer lag als der heutige Stimmton, wur- 
de auch fiir manche Orgelbauten verwendet, etwa fiir 
G. Silbermanns Dresdener Orgeln, fiir J. Gablers Or- 
gel in Weingarten und fiir die meisten Orgeln J. A. 
Silbermanns (z. B. die im Kloster St. Blasien, bei deren 
Planting sich Silbermann brief lich iiber die verschiede- 
nen Stimmtone aufierte). - Von etwa 1700 bis um 1820 



28* 



435 



Kanada 



war der K. ziemlich konstant: Bachs Stimmton betrug 
(nach der Dresdener Sophienorgel) 415,5 Hz, Handels 
Stimmgabel hatte 422,5 Hz, die Berliner Stimmhohe 
war 1752 422 Hz, Mozarts Stimmgabel gab 421,6 Hz, 
und die Pariser Stimmhohe lag 1810 bei 423 Hz. Nach 
1820 setzte ein Steigen des K.s ein, das im Streben nach 
mehr Brillanz des Orchesterklangs begriindet sein 
diirfte. 1858 waren folgende Stimmhohen erreicht: 
Turin 445 Hz, Paris 449 Hz, Mailand 451 Hz, Berlin 
452 Hz, London 453 Hz. 1874 stimmte man in London 
455 Hz, um 1880 stimmte Steinway in New York seine 
Klaviere auf 457 Hz ein. Durch die Wiener Stimmton- 
konferenz von 1885 versuchte man, die Uberhohung 
riickgangig zu machen und eine internationale Eini- 
gung zu erzielen (-»■ Stimmton). 
Lit.: Praetorius Synt. II; M. Mersenne, Harmonie uni- 
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 
1963; J. Mattheson, Critica musica II, Hbg 1725, Neu- 
druck Amsterdam 1964 ; Quantz Versuch; Adluno Mus. 
mech. org.; K. Nake, Ober Orchesterstimmung, Dresden 
1862; A. J. Ellis, On the Hist, of Mus. Pitch, Journal of 
the Soc. of Arts 1880, separat London 1880, dazu G. Adler 
in : Vf Mw I V, 1 888, beides in Nachdruck Amsterdam 1 963 ; 
A. Schering, J. S. Bachs Lpz.er Kirchenmusik, = Veroff. 
d. Neuen Bach-Ges. XXXVI, 2, Lpz. 1936, 21954; Fr. Ha- 
mel, Die Schwankungen d. Stimmtons, DMK IX, 1944; 
A. Mendel, Pitch in the 16 th and Early 17 th Cent., MQ 
XXXIV, 1948 ; ders., On the Pitches in Use in Bach's Time, 
MQ XLI, 1955. RW 

Kanada. 

Lit. : E. Gagnon, Chansons populaires du Canada, Quebec 
1865, 3 1894; H. Kallmann, Cat. of Canadian Composers, 
Toronto 1952; ders., A Hist, of Music in Canada 1534- 
1914, Toronto (1960); W. Sargeant, Folk and Primitive 
Music in Canada, Journal of the International Folk Music 
Council IV, 1952; E. F. Fowkeu. R.Johnston, Folk Songs 
of Canada, Waterloo (Ontario) 2 1955; Music in Canada, 
hrsg. v. E. C. MacMillan, Toronto 1955 ; R. u. M. d'Har- 
court, Chansons folkloriques frc. au Canada, Quebec 
1956 ; G. P. Howell, The Development of Music in Cana- 
da, Diss. Rochester (N. Y.) 1959, maschr.; M. Barbeau, 
Canadian Folk Songs, Journal of the International Folk 
Music Council XIII, 1961. 

Kan on (griech. xiavcov; lat. canon; MaBstab, Regel), 
- 1) im Altertum die MeBleiste zur Messung der Pro- 
portional schwingender Saitenlangen, seit dem 2. Jh. 
n. Chr. ->• Monochord genannt, sowie das aus der Mes- 
sung gewonnene Zahlensystem der Intervallverhalt- 
nisse. Daneben ist K. auch eine Bezeichnung fiir mo- 
nochordahnliche Instrumente, noch im Mittelalter fiir 
das Psalterium, und gelegentlich fiir Instrumententeile, 
z. B. den Querstab der Kithara (bei Porphyrios), ver- 
schiedene Trakturstabe der Hydraulis (bei Heron) oder 
das GrifEbrett von Saiteninstrumenten (im Spatlateini- 
schen). - 2) In der byzantinischen Liturgie ist K. eine 
der wichtigsten hymnischen Dichtungs- und Liedfor- 
men. Er schlieBt sich in Aufbau, Reihenfolge und In- 
halt an die 9 biblischen Cantica an, gehort liturgisch in 
die Matutin und folgte ursprunglich auf die Cantica, 
an deren Stelle er spater trat. Der K. setzt sich aus 9 
Oden zusammen, von denen die 2. Ode, die dem Can- 
ticum des Mose vor seinem Tod (5. Mose 32, 1-43) 
entspricht, meist weggelassen, aber dennoch mitge- 
zahlt wurde. Im Triodion, einem K. von nur 3 Oden 
fiir die Fastenzeit, findet sich in der Regel auch die 2. 
Ode. Jede der 9, 8 oder 3 Oden des K.s besteht aus 
einer Modellstrophe, dem -*■ Heirmos, und mehreren 
formal und melodisch mit ihr ubereinstimmenden 
Troparia. Der K., wohl zu Unrecht als Erfindung des 
Andreas von Kreta (um 660-740) angesehen, trat als 
Form gegen Ende des 7. Jh. auf, verdrangte das -> Kon- 
takion und wurde seit dem 8. Jh. von vielen kirchlichen 
Dichtern gepflegt, unter denen hervorzuheben sind: 



Kosmas von Maiuma (f um 760), Johannes von Da- 
maskus (um 675-750), Theophanes Graptos (um 775- 
845), Theodoras Studites (759-826), Joseph von Thes- 
salonike (762-832), Methodios (843-847 Patriarch von 
Konstantinopel), Joseph »der Hymnograph« (um 816- 
886), Bartolomeo von Grottaf errata (f 1055) sowie die 
Schule dieses Klosters und die Nonhe Kasia (im 9. Jh.). 
- 3) In der mehrstimmigen Musik ist K. zunachst ein 
bestimmten Stucken beigefiigter Schliisselspruch, meist 
als Anweisung, aus einer einzigen aufgezeichneten 
Stimme mehrere Stimmen abzuleiten (ex una voce 
plures deducere, Glareanus 1547). Sodann bezeichnet K., 
wie bis zum 17. Jh. auch ->■ Fuga, die fiir dieses Ver- 
fahren besonders geeignete Satztechnik der strengen 
-> Imitation, bei der mindestens eine Stimme, die 
Conseguente, einer anderen, der stets notierten Guida, 
in melodischer und rhythmischer Identitat (zuweilen 
mit gewissen Einschrankungen) folgt. Das satztechni- 
sche Grundschema des K.s setzt voraus, daB die K.- 
Melodie sich abschnittsweise selbst zu kontrapunktie- 
ren vermag. Der K.-SchluB erfolgt entweder in alien 
Stimmen gemeinsam, so daB die Conseguente unvoll- 
standig bleibt (Kennzeichnung der SchluBtone oft 
durch Fermaten u. a.), oder lauft entsprechend dem 
Anfang stimmenweise einzeln aus. Ein Zirkel-K. (Ca- 
non infinitus oder perpetuus) liegt vor, wenn die Stim- 
men in ihren Anfang einmiinden und somit theoretisch 
unendlich sind (z. B. J.S.Bach, Musicalisches Opfer, 
BWV 1079 Nr 2). Der Spiral-K. (Canon per tonos) 
ist ein Zirkel-K., der durch Modulation seinen Anfang 
auf jeweils neuer Tonstufe wiedergewinnt und da- 
durch allmahlich »durch die T6ne« wandert (z. B. J. S. 
Bach, ebenda Nr 3e; Modulation um einen Ganzton 
aufwarts). - Zur eindeutigen Bestimmung eines nach 
dem Grundschema gebauten K.s sind Stimmenzahl und 
Einsatzabstand anzugeben. Die Differenzierung der K.- 
Technikmachteesbereitsiml4./15.Jh. notwendig, dar- 
iiber hinaus gegebenenf alls den Intervallabstand, die Be- 
wegungsrichtung,dieMensurrelationderStimmenoder 
weitere Besonderheiten der Ableitung zu vermerken. 
Anhand dieser Kennzeichen, die gewohnlich in der K.- 
Anweisung genannt werden, laBt sich die Vielfalt kano- 
nischerMoglichkeiten systematisieren. Hinsichtlich der 
Stimmenzahl wird beim K. Zwei- bis Vierstimmigkeit 
bevorzugt, allerdings auch oft iiberschritten. Der viel- 
stimmige K. hat haufig die Struktur eines mehrfachen 
K.s, dessen Kennzeichen mehrere Guide sind. Als 
Doppel-, Tripel-, Quadrupel-, allgemein Gruppen-K. 
wird gewohnlich ein K. bezeichnet, den 2, 3 oder 4 
gleichzeitig auftretende Guide eroffnen. Das 36st. Deo 
gratias von Ockeghem(?) und die 24st. Motette Qui 
habitat in adiutorio von Josquin, beriihmte Beispiele 
extremer Stimmenzahl, sind demgegeniiber als Ad- 
dition von 4 einfachen K.s anzusprechen: die 4 notier- 
ten Stimmen werden nacheinander in jeweils 9- bzw. 
6st. K.-B16cken eingefiihrt. Der K. kann entweder in 
vollstSndig oder in teilweise kanonischem Satzgefiige, 
d. h. als reiner oder gemischter (auch angewandter) K., 
auftreten. Im zweiten Fall verbindet er sich mit einer 
oder mehreren freien Stimmen, deren Zahl und Ge- 
prage den mannigfachen Moglichkeiten der K.-Be- 
handlung angepafit werden konnen. Der Einsatzab- 
stand der K.-Stimmen wird allgemein in Tempus- 
oder Taktmensuren angegeben, oft auch durch Ein- 
satzzeichen markiert. Die Fuga ad minimam des 15./16. 
Jh. ist ein charakteristischer Typ mit engem Einsatzab- 
stand von einer Minima (z. B. injosquins 6st. Agnus aus 
der Missa Malheur me bat sowohl zwischen den geteil- 
ten BaB- als auch Altstimmen). Aus der Gruppe von 
K.-Arten mit dem Einsatzabstand null sind zunachst 
Grenzfalle des K.s zu nennen: Canon sine pausis (z. B. 



436 



Kanon 



Scheldt, Tabulatura nova, K. Nr 6 und 7) und -+ Faux- 
bourdon, bei denen die K.-Stimmen standig parallel 
gef iihrt werden, so da6 eine Stimme der anderen struk- 
turell, aber nicht zeitlich »folgt«. Hinsichtlich des In- 
tervallabstandes ist der K. auf gleicher Tonstufe (Ein- 
klang oder Oktave) die ursprungliche und haufigste 
Art. Der Intervall-K. tritt vorzugsweise in Quinte 
und Quarte auf, die weitgehende intervallische Identi- 
tat der Conseguente ermoglichen, wahrend in den 
iibrigen Intervallen vielfach zur Wahrung der Ton- 
art Ganzton- durch Halbtonschritte und umgekehrt 
ersetzt werden miissen. Drei- und mehrstimmige 
K.s konnen verschiedene Intervallabstande aufweisen. 
Umkehrungs-(oder Gegen-)K., Krebs-K. und Spiegel- 
krebs-K. entstehen dadurch, daB die Conseguente 
nicht in der Bewegungsart der Guida, sondern in de- 
ren -»■ Umkehrung, ->• Krebsgang oder in umgekehr- 
tem Krebsgang fortschreitet. Bei Umkehrungs-K. und 
Spiegelkrebs-K. geniigt die bloBe Angabe des Inter- 
vallabstands der einsetzenden Stimmen nicht; zur we- 
senthchen Bestimmung ist die Nennung derjenigen 
Tonstufe notig, welche »beibehalten« bleibt, d. h. die 
Achse der melodischen Spiegelung zwischen Guida 
und Conseguente bildet (-> Umkehrung). Krebs- und 
Spiegelkrebs-K. beginnen in der Regel ohne Einsatz- 
abstand, was auch fur die K.-Arten mit ungleicher 
Mensurrelation der Stimmen gilt: der Mensur- oder 
Proportions-K. (oft mit dem Zusatz simul incipiendo) 
ist an die Moglichkeiten der -> Mensuralnotation ge- 
bunden, welche perfekte (dreizeitige) und imperfekte 
(zweizeitige) Wertung der Noten vorsieht sowie 
-> Proportionen (- 2) einbezieht. Das folgende Beispiel 
ist aufzulosen mit Hilfe der vier Mensurzeichen, die die 
Proportionen und Einsatztone der Stimmen angeben. 
-jt- 



Ubertragung : 

(f Proportio dupla 




O Tempus perfectum 
(integer valor notarum) 

<f3 Proportio tripla 
C Tempus imperfectum 





i i J "j — J^i i n 


•o- 


•» -S ■ _ . f, ■&■ 














y.» 


U J IJJ J 1 =1 



P. de la Rue, Missa L'homme armt, 
Anfang des Agnus III (nach Glareanus, Dodekachordon, 

Basel 1547, S. 445). 
Das K.-Prinzip der ungleichen Mensurrelation be- 
schrankt sich seit dem 16. Jh. auf den VergroBerungs- 
oder Augmentations-K. (z. B.J. S.Bach, Variation IV 
der Canonischen Veranderungen iiber Vom Himmel hoch, 
BWV 769). Im Gegensatz zu den genannten K.-Arten, 
bei denen die Conseguente der Guida stetig folgt, ent- 



halt der im 15.-17. Jh. gelegentlich verwendete Aus- 
sparungs- oder Reservat-K. Vorbehalte fiir die Ab- 
leitung: z. B. in Nr 27-29 der 29 Canons on plain-song 
melodies von Byrd sind 3st. Reservat-K.s aus einer ab- 
schnittsweise rot und griin notierten Stimme zu ge- 
winnen, indem eine Stimme die roten, eine andere die 
griinen, die dritte unter Auslassung der Pausen rote 
und griine Noten ubernimmt. Ahnlich sind 2st. K.s 
ebenda in Nr 14-15 gemaB dem Schliisselspruch digni- 
ora sunt priora zu losen, der besagen soil, daB die Con- 
seguente aus den Guidanoten in der. Reihenfolge 
ihrer rhythmischen Werte, beginnend mit dem groB- 
ten, zu bilden ist. Die Wichtigkeit des Schliisselspruchs, 
der besonders im 15. Jh. oft in Zitate gekleidet ist, als 
Ratsel erscheint und »die Absicht des Komponisten 
irgendwie verdunkelt wiedergibt« (voluntatem compo- 
sitoris sub obscuritate quadam ostendens, Tinctoris' Diffi- 
nitorium), macht verstandlich, daB »Canon« zumMerk- 
mal und schlieBlich zur Bezeichnung der streng imi- 
tatorischen Satztechnik werden konnte. Die Differenz 
beider Wortbedeutungen von K. (Anweisung und 
strenge Imitation) ist bei folgenden modernen Termini 
zu beachten: unter Tenor- oder Linear-K. wird die 
einzelne (Tenor-) Stimme verstanden, wenn in ihr ein 
Soggetto mehrmals nacheinander auftritt und sie ver- 
kiirzt notiert werden kann (z. B. Josquin, Gloria der 
Missa Hercules Dux Ferrariae) ; Formal-K. dagegen ist 
die auf mehrere Stimmen verteilte, kanonahnliche 
Durchfiihrung eines solchen Soggettos (z. B. ebenda, 
Kyrie I und 6st. Agnus). Unabhangig von der darge- 
stellten Systematik konnen als weitere K.-Eigenschaf- 
ten auftreten: das Fehlen einer Ableitungsanweisung 
beim Ratsel-K. (enigmatischer K.), dessen Losung ge- 
sucht werden soil, was z. B.J. S.Bach im Musicalischen 
Opfer (BWV 1079 Nr 6) durch den Schliisselspruch 
quaerendo inuenietis (nach Matth. 7, 7) ausdriickt, und 
die Moglichkeit mehrerer Losungen im polymorphen 
K. (z. B. der Byrd zugeschriebene K. Mm nobis Domine 
mit elf 2- bis 4st. Losungen). 

Die altesten Belege kanonartiger Technik, 2st. Bei- 
spiele aus dem 12. Jh. (z. B. Hymnus Nunc sancte no- 
bis spiritus, Hs. Oxford, Bodl., Corp. Christi Coll. 134, 
f. 73) und dreistimmige aus dem 13. Jh. (z. B. Benedica- 
mus Domino, Hs. F, f. 47'; Hu, f. 25'-26), beruhen auf 
-> Stimmtausch, wie er von Odington (CS I, 245ff.) 
als -> Rondellus beschrieben ist. Da es sich hierbei um 
Stimmen gleicher Lage handelt, liegt klanglich eine 
auf mehrere Stimmen verteilte Wiederholung dessel- 
ben Satzabschnitts vor. In dieser Weise ist auch der 
2st. Pes von Sumer is icumen in (»Sommer-K.«, um 1300 
in der Abtei Reading aufgezeichnet) angelegt. Die 4 
weiteren Stimmen dieses Stiickes unterhegen dagegen 
dem Prinzip der -»■ Rota : sie beginnen nacheinander, 
sind melodisch gleich und ermoglichen 1st. Notierung, 
aus der mit Hilfe der beigegebenen Anweisung ein 
mehrstimmiger Satz gewonnen werden kann. Ron- 
dellus und Rota haben haufig Zirkelablauf und sind 
besonders in England im 13./14. Jh. belegt. Auf dem 
Festland entstanden im 14. Jh. als Formen der Gesell- 
schaftskunst ->■ Chasse und -> Caccia. Sie zeigen die 
Tendenz zu groBgliedrigem Bau und zielstrebigem 
Fortschreiten. Ab 1400 drang die K.-Technik, nun 
iiberwiegend unter dem Namen -> Fuga und in 1st. 
Notierung mit dazugehorigem Canon (Anweisung), 
in die geistliche Musik (Mefisatze und Motetten) ein. 
Diese Entwicklung stand in Wechselwirkung mit ei- 
ner fortschreitenden Festigung der Konsonanz-Disso- 
nanz-Ordnung im musikalischen Satz iiberhaupt und 
schuf in der Dufay-Zeit die fiir die niederlandische K.- 
Technik wesentlichen Typen. Dariiber hinaus gewann 
der K. Symbolbedeutung, die sich in (oft biblischen) 



437 



Kanoniker 



Canonspriichen bekundete. In den Werken von Jos- 
quin, Isaac, Mouton und de la Rue wurden Artistik, 
musikalischer Gehalt und Sinnbildcharakter der K.- 
Kunst zu einem Hohepunkt gefiihrt. Der 2-3st. Ge- 
riist-K. als Kern eines groBeren Werkes war auch im 
16. Jh. gebrauchlich (Messen von Palestrina) ; die 
komplizierten K.-Arten traten dagegen zurtick und 
wurden Gegenstand des theoretischen Interesses. Da 
die K.-Technik, die vielfach als hochste, kunstvollste 
Stufe der Kompositionslehre angesehen worden ist, 
eine faszinierende Kraft der strengen Ordnung in sich 
birgt, hat sie seither mannigfach und kontinuierlich als 
Impuls gewirkt. Hervorzuheben sind die Bedeutung 
des K.s im Orgelchoral und in der Kammermusik des 
Barocks, der hohe Rang der K.-Verwendung beson- 
ders im Spatwerk J.S.Bachs und die verstarkte Hin- 
wendung zur K.-Technik seit etwa 1920. In der Schul- 
musik seit der Reformation wurde der didaktische 
Wert des K.s genutzt, vorwiegend durch Pflege be- 
sonders einfacher Arten. Kanonische Miniaturkunst, 
die bis zum umgangsmaBigen Musizieren im Mittelal- 
ter (mittelalterlicher Lied-K.) zuriickverfolgt werden 
kann, durchzieht als Gesellschafts-K. (in bestimmten 
Epochen auch unter speziellen Namen wie -» Radel, 
-*■ Round, -*■ Catch) die K.-Geschichte und pragt sich 
daneben aus im Portrat- und Stammbuch-K. und ahn- 
lichen Arten, die den K. als Standesausweis der Mu- 
siker zeigen. 

Lit. : zu 1) : S. Wantzloeben, Das Monochord als Instr. u. 
als System, Halle 1911 ; SachsL.; Sachs Hdb.; H. Oppel, 
KANON, = Philologus, Suppl.-Bd XXX, 4, Lpz. 1937. 
-zu 2): K. Krumbacher, Gesch. d. byzantinischen Lit., 
= Hdb. d. klass. Alterturaswiss. IX, 1, Munchen 1890, er- 
weitert 21 897, griech. v. G.Soteriades, Athen 1 897 ; H. J.W. 
Tillyard, Byzantine Music and Hymnography, = Church 
Music Phonographs VI, London 1923; ders., Twenty 
Canons from the Trinity Hirmologium, Boston 1952; E. 
Wellesz, A Hist, of Byzantine Music and Hymnography, 
Oxford 1949, 21961; H.-G. Beck, Kirche u. theologische 
Lit. im byzantinischen Reich, = Hdb. d. Altertumswiss. 
XII, 2, 1 (Byzantinisches Hdb. II, 1), Munchen 1959. -zu 
3): O. A. Klauwell, Die hist. Entwickelung d. mus. K., 
Diss. Lpz. 1875; H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 1, Lpz. 1904, 
31923 u. II, 1, Lpz. 1907, 21920; O. Ursprung, Span.-ka- 
talanische Liedkunst d. 14. Jh., ZfMw IV, 1921/22; Fr. 
Jode, Der K., 3 Teile, Wolfenbiittel 1925 (umfassende Bei- 
spielslg v. Vokal-K.) ; ders., Vom Geist u. Gesicht d. K. in 
d. Kunst Bachs . . .,ebendal926;P. Mies, Der K.immehr- 
satzigen klass. Werk, Zf M w VII 1 , 1 925/26 ; L. K . J. Feinin- 
ger, Die Friihgesch. d. K. bis Josquin des Prez (um 1500), 
Emsdetten i. W. 1937; R. H. Robbins, Beitr. zur Gesch. d. 
Kontrapunkts v. Zarlino bis Schiitz, Diss. Bin 1938 ; M. F. 
Bukofzer, »Sumer is icumen in«, A Revision, in: Univ. of 
California Publications in Music II, 2, Berkeley u. Los 
Angeles 1944; N. Pirrotta, Per l'origine e la storia della 
»caccia« . . ., RMI XLVIII, 1946 -XLIX, 1947; ders., On 
the Problem of »Sumer is Icumen In«, MD II, 1948; J. 
Handschin, The Summer Canon and Its Background, 
MD III, 1 949 u. V, 1 95 1 ; W. Blankenburg, Die Bedeutung 
d. K. in Bachs Werk, Ber. iiber d. Wiss. Bachtagung Lpz. 
1950; Fr. Smend, J. S. Bach, bei seinem Namen gerufen, 
Kassel 1950; W. Wiora, Der ma. Liedk., Kgr.-Ber. Lune- 
burg 1950; E. Schenk, Das»Mus. Opfer« v. J. S. Bach, Sb. 
Wien XC, 1953, Nr 3 ; J. Hein, Die Kontrapunktlehre bei 
d. Musiktheoretikern im 17. Jh., Diss. Koln 1954, maschr. ; 
W. Gurlitt, Canon sine pausis, in: Melanges d'hist. et 
d'esthetique mus. offerts a P.-M. Masson I, Paris 1955, 
Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesba- 
den 1966; J. J. A. van der Walt, Die Kanongestaltung im 
Werk Palestrinas, Diss. K61n 1956; B. Brand, The Use of 
Canon in Bartoks Quartets, MR XVIII, 1957 ; J. D. Robin- 
son, The Vocal Canon of the Classical Era, Diss. Indiana 
Univ. 1959, maschr. ; Fr. Ll. Harrison, Rota and Rondel- 
lus in Engl. Medieval Music, Proc. R. Mus. Ass. LXXXVI, 
1959/60. furKanon(-3): KJS 

Kanoniker -*■ Harmoniker. 



Kansas-City-Jazz, eine in Kansas City seit etwa 1925 
entstandene Jazzspielweise, die sich in den 1930er Jah- 
ren mit dem Big band-Jazz der Swing-Ara verband 
und teilweise die Entwicklung zum moderneren Jazz 
vorbereitete (Charlie Parker; Lester Young; -*■ Be- 
bop; -> Cool Jazz). Typisch fur die Bands des K.-C.-J. 
(Benny Moten, Count Basie) sind der federnde Jump- 
Rhythmus (-»■ Bounce) und der bewuBte Riickgriff 
auf den -> Blues als ->• Chorus, der gleichzeitig zur 
Ausbildung der -> Riff-Technik gefiihrt hat. 

kantabel ->■ cantabile. 

Kantate (ital. cantata, von lat. und ital. cantare, sin- 
gen), im 17. und bis Mitte des 18. Jh. als Cantata die 
wichtigste Gattung des italienischen weltlichen Solo- 
gesangs aufierhalb der Oper; im 18. Jh. die Hauptgat- 
tung der deutschen evangelischen Kirchenmusik. Im 
19. Jh. werden groBere, aus Sologesangen, Duetten 
usw. und Chorsatzen bestehende Vokalwerke mit In- 
strumentalbegleitung als K. bezeichnet, deren Verse 
lyrische, d. h, weder epische noch dramatische Inhalte 
(-> Oper, -> Oratorium) behandeln. Als Sammelbe- 
zeichnung f iir Vokalmusik mit Instrumenten begegnet 
K. heute hauptsachlich in der -> Jugendmusik. - Can- 
tata war in der 1. Hilfte des 17. Jh. ein zunachst nur ge- 
legentlich verwendeter Name fiir ein ausgedehnteres, 
mehrteiliges Sologesangstiick mit B. c. Um 1620 her- 
ausgewachsen aus den Monodien von Caccini und Peri, 
erreichte die Cantata nach einer Periode formaler Ex- 
perimente etwa seit der Jahrhundertmitte ihre Bliite- 
zeit. Die bei A.Grandi (Cantade et Arie, 1620) erstmals 
nachweisbare Bezeichnung wurde wohl in Analogie 
zu der schon friiher bekannten Sonata gebildet. Die 
Cantata besteht bei Grandi und seinen Nachfolgern 
(G.P.Berti, C.Milanuzzi u. a.) aus einer Folge von 5-9 
durchkomponierten Strophen eines madrigalischen, 
d. h. heterometrischen Textes iiber gleichbleibendem 
BaB, im Unterschied zu der gleichfalls strophischen 
Aria (-> Arie), bei der alle Strophen auf die gleiche 
Musik gesungen (aber wahrscheinlich ex tempore vari- 
iert) wurden. Caccini, in dessen Nuoue musiche (1601) 
beide Arten strophischer Komposition schon neben- 
einander auftreten, bezeichnet die durchkomponierten 
Stiicke noch als Aria. - Cantata hieBen seit Fr. Turin 
(1624) auch die nichtstrophischen -*- Lamento-Kom- 
positionen, woraus die »Sujet-Cantata« (E. Schniitz) 
entstand. Monteverdi gebraucht fiir das strophisch 
durchkomponierte Tempro la cetra (1619) die Bezeich- 
nung Cantata noch nicht (sein Lamento d'Arianna wird 
erst in spateren Abschriften Cantata uberschrieben), 
ebensowenig P.Possenti fiir seinLamento d'Ariana (1 623) 
und das strophische Udite, udite (1625), doch sind diese 
Stiicke, wie auch die durchkomponierten strophischen 
Gesange von Landi (Arie a una voce, 1620), obwohl der 
Name fehlt, unter die Anfange der Gattung Cantata ein- 
zuordnen. Von groBer Bedeutung fiir die weitere Ge- 
schichte der Cantata waren die drei Biicher Musiche 
varie (1633-41) von B.Ferrari, der den Basso ostinato 
als satztechnisches Kunstmittel zu hochster Vollendung 
fiihrte. AuBerdem bahnte sich in seinen Cantate auch 
die prinzipielle Scheidung von Rezitativ und Arie an, 
die das Gesicht der Gattung f ernerhin bestimmen sollte. 
Den ersten Werken des neuen Stils fehlte noch das 
wichtigste Element des spateren Recitativo, das Prosa- 
artige, Ungebundene, das den Eindruck des Sprechens 
im Gegensatz zum Singen bedingt. Die spatere Gegen- 
satzlichkeit von Rezitativ und Arie entsprang zum 
Teil aus dem gem angewendeten Wechsel von gera- 
dem in den Tripeltakt. Dadurch entstand vom Musi- 
kalischen her ein Kontrast zwischen mehr rezitieren- 
den und mehr ariosen Teilen, so bei Peris Se tu parti 



438 



Kantate 



(1609), das Riemann eine wirkliche kleine K.« nennt. 
Die ariosen Teile (im Tripeltakt) kehren in vielen Can- 
tate rondoartig wieder. Entscheidende Voraussetzung 
fiir die Trennung von Rezitativ und Arie war jedoch 
die Beschaffenheit des Textes, der Wechsel von Erzah- 
lung und Betrachtung. Ferrari, der viele seiner Texte 
selbst verfaBt hat, scheint der Urheber dieses bis ins 18. 
Jh. (Neapolitanische Oper, Metastasio) wirksamen dich- 
terisch-musikalischen Formschemas zu sein. 
Die Bliitezeit der Cantata setzte mit den zahlreichen 
Kompositionen von L. Rossi und G. Carissimi ein. Die 
strophische Art der Cantata tritt nur noch selten auf, 
um so haufiger die mehrsatzige, in der einzelne mit 
vorangehendem Rezitativ kombinierte Da-Capo- 
Arien aneinandergereiht sind. Textgestaltung und mu- 
sikalische Mittel (Ritornell, Basso ostinato) verbiirgen 
bei stark wechselnder Anzahl der Arien die Geschlos- 
senheit einer Einzelszene. Die Hauptmeister der Can- 
tata nach der Jahrhundertmitte sind Cavalli, Cesti und 
Legrenzi, ferner A. Stradella. Beachtenswert ist die Bo- 
logneser Schule, wo auch die Cantata con stromenti, 
d. h. mit orchestraler oder solistisch konzertierender 
Instrumentalbegleitung, zuerst erscheint, die dann bei 
den Komponisten der Neapolitanischen Schule (Fr. 
Provenzale, A. Scarlatti u. a.) haufiger begegnet, wo- 
durch sich die Cantata der Opernszene nahert, nament- 
hch dann, wenn ein Accompagnato hinzutritt. Bei A. 
Scarlatti waren vielteilige Formen noch gleichberech- 
tigt neben der nach ihm zur Norm werdenden 3- bis 
4satzigen Cantata, die mehr und mehr ihre Selbstan- 
digkeit gegeniiber der sie verdrangenden Opernarie 
bzw. -szene verlor und schlieBlich in die Konzertarie 
ausmiindete. - Im 17. Jh. gehorte die K. als Cantata da 
camera zur -*■ Kammermusik. Als Gattung der geistli- 
chen Musik war die Cantata in Italien unbekannt : Can- 
tate mit geistlichem, aber italienischem Text sind keine 
Kirchenmusik, sondern geistliche Kammermusik oder 
Oratorien (diemitunter als Cantata bezeichnet wurden). 
Geistliche Sologesange mit lateinischem Text trugen 
stets die Bezeichnung Concerti ecclesiastici oder Mo- 
tetti a voce sola. - In Frankreich wurde die Cantata erst 
in der stereotypen Zwei-Arien-Form ubernommen, 
doch wurde nicht selten eine dritte Arie (mit Rezitativ) 
angehangt. Die K. gait als Dichtungsgattung (Haupt- 
dichter: J. Bapt. Rousseau), die letzte Arie sollte den 
Point moral der Geschichte enthalten. Die wichtigsten 
Meister der kurzen Bliitezeit (1715-25) sind L.N.Cle- 
rambault undJ.-Ph.Rameau. Die Sujet-K. mit antiken 
Stoffen iiberwiegt, doch nehmen einige K.n Bezug auf 
aktuelle Stoffe (Kaffee-K. von Bernier). Lange Zeit ist 
die K. eine beliebte Kompositionsaufgabe fiir Wettbe- 
werbe (z. B. fiir den Rompreis) geblieben. 
In Deutschland veroffentlichte als erster K.Kittel 1638 
nach italienischem Vorbild Arien und Cantaten, strophi- 
sche Sololieder mitWiederholung des 1. Teils, die teil- 
weise wie die Cantata durchkomponiert sind und (laut 
Vorrede) den Dresdener Kapellsangern die italienische 
Gesangskunst nahebringen sollten. Da auf Diminution 
mehr Wert gelegt ist als auf Affetto, stehen die Stiicke 
der Strophenaria naher als der Cantata. Fiir eine Ein- 
biirgerung der weltlichen K. in Deutschland fehlten 
damals nicht nur die Voraussetzungen bei den Sangern 
und beim Publikum, sondern es mangelte vor allem an 
deutschsprachigen K.n-Texten. Den Anregungen zu 
madrigalischer Dichtung von Caspar Ziegler (1653), 
die wie Kittels K.n aus der personlichen Umgebung 
von Schiitz herriihrten, blieb hterarisches oder musi- 
kalisches Echo versagt. Ansatze zu kantatenahnhchen 
Kompositionen bei H. Albert erbrachten, da sie auf den 
iiblicnen Liedtexten basierten, keinen kiinstlerischen 
Gewinn gegeniiber der Strophenarie. Dagegen bahnte 



sich auf dem Gebiet der protestantischen Kirchenmu- 
sik eine echte Auseinandersetzung mit der Gattung 
Cantata an. Seit im Geistlichen Concerto auGer dem 
Bibelwort auch Choraltexte und geistliche Oden ver- 
tont wurden, gab es mehrstrophige durchkomponierte 
Stiicke, die gelegentlich Beriihrung mit der italieni- 
schen Cantata aufweisen (z. B. Buxtehudes mit Aria 
betitelte Kompositionen iiber Strophenbasse). Doch 
werden die einzelnen Strophen nur ausnahmsweise 
von einem einzigen Solisten vorgetragen, meistens 
von den verschiedenen Stimmgattungen reihum ab- 
wechselnd, auch mit Duetten, Trios und Choren un- 
termischt (noch bei Bach wechselt die Besetzung fast 
regelmaBig nach jedem Stuck, auch zwischen Re- 
zitativ und Arie). Eingangs- und SchluBchor iiber ei- 
nen Bibelspruch (Dictum) bilden haufig die Umrah- 
mung fiir den strophischen Mittelteil, in den auch Ri- 
tornelle eingeschaltet sein konnen. Die Textzusammen- 
stellvmg aus Spruch und Ode (die wohl auf D.Pohle 
zurii ckgeht) wurde am bedeutsamsten fiir die Zukunf t ; 
sie erlaubte einen klaren architektonischen Aufbau 
des Werkes und kombinierte das subjektive Dichter- 
wort auf gliickliche Weise mit dem authentischen 
Bibeltext. Ebensooft wurden aber auch andere mehr- 
satzige, nichtstrophischeTextkombinationen angewen- 
det, darunter auch die Dialogform. - Ph. Spitta hat fiir 
die protestantischen Kirchenkompositionen des 17. Jh., 
denen zwar das Rezitativ fehlt, doch deren formale 
Anlage im iibrigen schon auf die Kirchen-K. Bachs 
hinweist, die Bezeichnung »altere K.« eingefiihrt (J. S. 
Bach I, S. 226 und 291). Die Bezeichnung K. wurde 
dann von Schering durchweg angewendet, unabhan- 
gig davon, ob eine Beziehung zur italienischen Can- 
tata vorliegt oder nicht; Kriterium hierfiir war ihm le- 
diglich die Mehrsatzigkeit. Zu ihrer Zeit besafien diese 
mehrteiligen Kompositionen keinen eigentlichen Gat- 
tungsnamen. In den Manuskripten sind gewohnlich 
nur Textanfang, Tonart, Besetzung und liturgische 
Bestimmung angegeben. Wenn iiberhaupt eine Be- 
nennung stattfand, wurde neben Motetto die Bezeich- 
nung Concerto (so noch meist bei J. S. Bach) weiterhin 
verwendet. Das Fehlen einer verbindlichen Gattungs- 
bezeichnung, das besonders durch die in Sekundar- 
quellen (Textdrucke, Dokumente usw.) angewendeten 
Umschreibungen deutlich hervortritt, konnte nur bei 
der iiberwiegend handschriftlichen Oberlieferung hin- 
genommen werden. Seitdem die Bachsche Kirchenmu- 
sik in der alten Gesamtausgabe gedruckt vorliegt, ist der 
Gattungsname K. dafiir eingefiihrt, den man heute 
auch - in unberechtigter Verallgemeinerung - fiir 
geistliche Kompositionen der 2. Halfte des 17. Jh. in 
Neuausgaben anwendet. - Die kontinuierliche Entfal- 
tung der evangelischen vokal-instrumentalen Kirchen- 
musik, an deren Hohepunkt die Werke J. S. Bachs 
stehen, vollzog sich im 17. und 18. Jh. als Geschichte 
einer Gattung, die anfanglich noch identisch war mit 
dem Geistlichen Konzert (aus dem auch die Mehr- 
satzigkeit organisch erwuchs). Aber die eigenthche K., 
die der Gattung spater den Namen geben sollte, war 
innerhalb dieser Entwicklung urspriinglich nur eine 
Sondererscheinung. Unter dem Titel Geistliche Canta- 
ten statt einer Kirchen-Music erschienen 1704 geistliche 
Dichtungen in madrigalischen, d. h. freien Versen 
(ohne Strophenbindung), die der WeiBenfelser Pfarrer 
Erdmann Neumeister vor oder um 1700 verfaBt hatte. 
Im Vorwort erklart er die K. als eine Folge von Rezi- 
tativen und Arien; als musikalisch-formales Vorbild 
nennt er die Oper. Die Einf iihrung des Rezitativs in die 
Kirchenmusik durch Neumeister geschah kaum aus 
rein musikalischen Erwagungen (fiir Bibeltexte war es 
schon vorher gelegentlich verwendet worden). Einer- 



439 



Kantate 



seits konnte er in der Kombination Rezitativ-Arie das 
subjektiv-religiose Empfinden starker hervortreten 
lassen, andererseits bot das Rezitativ durch prosaartige 
Ungebundenheit der Sprache mehr Raum fur theolo- 
gische Erorterung als die Odenstrophe. Fiir die Arien 
empfiehlt Neumeister die Da-Capo-Form, ohne sie 
von der Dichtung her zur Bedingung zu machen. Die 
ersten Kantatentexte Neumeisters, deren Inhalt Pre- 
digtgedanken fiir alle Sonn- und Festtage des Jahres 
bilden, wurden vollstandig vertont von J.Ph.Krieger. 
Fiir Krieger, von dem wahrscheinlich die Anregung 
zvir K. kam, hatte Neumeister schon friiher einen Jahr- 
gang Poetische Oratorien (ohne Rezitative) gedichtet (von 
alien Kompositionen Kriegers iiber Neumeister-Texte 
ist keine einzige K. erhalten; vgl. M. Seiffert in DDT 
LIII/LIV, 1916). Die Neuerung breitete sich rasch aus, 
allerdings setzte sofort ein Prozefi der Verschmelzung 
mit den herkommlichen Textgrundlagen der Kirchen- 
musik ein: in einem Danziger Jahrgang von 1708 wur- 
den die Texte . . . nachCantaten Art eingerkhtet / undumb 
mehrer Erbauung willen gemeiniglich einen Spruch aus hei- 
liger Schrifft vorgesetzet / ubrigens aber j die Gemeinde 
desto mehr zu obligiren j hier und dar Stiicke aus bekandten 
Choral Gesdngen eingerucket j und mithin einen jedenfrey- 
gestellet j mitzusingen (vgl. Rauschning 1931). Schon fiir 
den 2. Jahrgang seiner Kantatentexte (1708, die Musik 
von Erlebach ist verloren) dichtete Neumeister Ein- 
gangsverse fiir Chor- bzw. Tuttibesetzung; im 3. und 
4. Jahrgang (1711 und 1714), komponiert von Tele- 
mann, fiigte er die herkommlichen Dicta und Choral- 
strophen ein (andernorts wurden umgekehrt auch altere 
Texte durch Einfiigung von Rezitativen modernisiert). 
Diese Textvermischung war die Voraussetzung fiir die 
Ubertragung der Bezeichnung K. auf die Gattung der 
»ordentlichen Kirchenstucke«, die schon 1739 von 
Mattheson (Capellm., S. 215) beobachtet bzw. geriigt 
wurde, aber erst bei Koch (1802) vollzogen erscheint. 
DieEinf iihrung von Rezitativ und Da-Capo- Arie in die 
Kirchenmusik war auch auf Ablehnung bei Theologen 
(z. B. Chr.Gerber) und Musikern(J.H.Buttstedt) ge- 
stoBen, doch setzten sich die Kritiker der Neuerung 
nicht durch, vielmehr f olgten andere Dichter dem. Vor- 
bild Neumeisters (S.Franck, J.K.Lichtenberg, J.J. 
Rambach u. a.). Das Rezitativ vermochte die Auf- 
merksamkeit der Komponisten erneut auf das Wort 
hinzulenken: dies entsprach in besonderer Weise der 
Auf gabe der K. als Predigtmusik (Auffiihrung im Got- 
tesdienst meist unmittelbar vor der Predigt oder diese 
umrahmend). Ein wesentliches, kiinstlerisches Merk- 
mal der K. besteht in der Vielfalt der mbglichen Text- 
zusammenstellungen aus Bibelwort und Choral einer- 
seits als den Elementen der kirchlichen Tradition, Pre- 
digtwort und subjektiv gefarbter religioser Aussage in 
Rezitativ und Arie andererseits als Zeugen lebendiger 
Gegenwart. Diese Vielfalt der Texte fand ihr Gegen- 
stiick in der Fulle der musikalischen Gestaltungsmog- 
hchkeiten, die vor allem Bachs K.n-Werk kennzeich- 
net, aber eine prazise Definition der Gattung oder eine 
systematische Einteilung nach K.n-Typen erschwert. 
Mit wenigen Ausnahmen enthalten alle der rund 200 
iiberlieferten K.n von Bach Rezitative und schlieBen 
mit einer vom Chor bzw. Tutti ausgefiihrten Choral- 
strophe. Bach hat auch einige Solo-K.n geschrieben 
(z. B. BWV 51, 54 und 56), die nach Besetzung und 
formaler Struktur der italienischen Cantata am nach- 
sten kommen. Die meisten K.n Bachs kniipfen jedoch 
durch ihre Erofmung mit grofien, vom Orchester be- 
gleiteten Chorsatzen an die seit dem 17. Jh. bestehende 
Tradition des evangelischen Geistlichen Concertos an. 
Anstelle des Chores begegnen auch einleitende, meist 
aus weltlichen Werken iibernommene Instrumental- 



satze, die mitunter durch Einfiigung von Chorstim- 
men in den Orchestersatz bearbeitet sind (z. B. BWV 
110 nach BWV 1069). In der Leipziger Zeit entwickel- 
te Bach besonders die Sonderform der Choral-K. zu 
hochster Reife; er fand hierin keine Nachfolger. - In 
der 2. Halfte des 18. Jh. wird die musikalische Pro- 
duktion von Kirchen-K.n iiberschattet von aufklareri- 
scher Kritik, die sich gegen die Art der religiosen Dich- 
tung ebenso richtet wie gegen den »unkirchlichen« 
Charakter ihrer Musik. Wahrend man im Gottesdienst 
zu Anfang des 19. Jh. den einfachen Choralgesang fiir 
erbaulicher zu halten begann als Figuralmusik, wan- 
derten anspruchsvollere Kompositionen (C.Loewe, 
Mendelssohn) in den Konzertsaal ab. Dort vollzog 
sich auch die Wiederbelebung der Bachschen Kirchen- 
musik. Erst im 20. Jh. erwacht wieder ein lebendiges 
Interesse an neuen kirchenmusikalischen Kompositio- 
nen, wobei unter anderen Formen auch eine erneuerte 
K. gepflegt wird. 

Die itahenische Cantata erlebte wahrend des 18. Jh. ei- 
ne bescheidene Nachbliite an deutschen Furstenhofen. 
Verbreitet war die Cantata (auch unter dem Namen 
Serenata) vor allem als Gliickwunsch- und Gelegen- 
heitskomposition (diese Art bestand auch in Italien und 
Frankreich fort). Als Textdichter war Metastasio iiber 
seinen Tod hinaus beliebt. Die Koloratur blieb Be- 
standteil der Cantata bis nach 1800, doch fand etwa ab 
1750 ein Ubergang zur Konzert-K. statt, angezeigt 
durch haufigere Verwendung des Chores. Als inter- 
nationale Gattung fand die italienische Cantata, im 
Gegensatz zur nationalen deutschen und franzosischen 
Konzert-K., im 19. Jh. keine Fortsetzung. - Im Gefol- 
ge der Oper war um 1700 auch die weltliche K. iiber 
deutsche Texte aufgekommen, vor allem in Hamburg 
(R.Keiser, Gemiitsergotzung, 1698). Die wichtigsten 
Textdichter waren Hunold, Gottsched (der sich im 
Versuch einer Critischen Dichtkunst, Leipzig 4 1751, auch 
theoretisch auBerte) und Herder. Deutsche weltliche 
K.n stehen im Schaffen der meisten Komponisten am 
Rande (C.H.Graun, Telemann, J. S.Bach, G.H. Stol- 
zel, J. A.Hiller), doch fiihrt eine kontinuierliche und 
bisher noch nicht zusammenfassend dargestellte Tra- 
dition (Kirnberger, J. Chr. Fr. Bach, Fr.Benda, Abbe 
Vogler u. a.) zur Konzert-K. des 19. Jh. Im Gefolge der 
Handel-Verehrung, besonders auch seit Haydns Schbp- 
fung und Jahreszeiten (und Beethovens 9. Symphonie) 
wurde die Begeisterung fiir groBere Vokalwerke mit 
Chor und Orchester geweckt (-»- Oratorium) . Als »Mu- 
sikvereinskunst« (Schnoor 1939), auch unter Bertick- 
sichtigung der zahlreichen Mannerchore, entstand eine 
umfangreiche Literatur, wobei die Grenzen zwischen 
Oratorium und K. flieBen. Die K. zeichnete sich immer 
noch durch groBere Gegenwartsnahe aus (Beethoven 
op. 136; Weber, Kampfund Sieg, 1815), doch wurden 
auch Balladen, Marchenstoffe usw. vertont. Fiir diese 
Werke (z. B. Schumann, DasParadies und die Peri, 1843; 
M.Bruch, Szenen aus der Fritjofsage, 1864; J.Brahms, 
Rinaldo, 1868, und Schicksalslied, 1871; R. Strauss, Wan- 
derers Sturmlied, 1886; u. a.) bevorzugte H.Riemann 
die genaueren, an der Textvorlage orientierten Be- 
zeichnungen : Chorballade, Chorode, Legende, lyri- 
sche Szene und Mysterium. Entstand noch 1921 als 
Spatwerk der musikalischen Romantik Pfitzners Ei- 
chendorff-K. Von deutscher Seele, so setzten schon im 
gleichen Jahrzehnt als Zweig der »Gebrauchsmusik« 
die besonders fiir das Gemeinschaftsmusizieren be- 
stimmten K.n ein: P.Hoffer, Frohliche Wanderkantate 
(nachEichendorff); Hindemith, Mahnung an diejugend, 
sich der Musik zu befleifiigen (K. aus Ploner Musiktag). 
Jugend-K.n komponierten in neuerer Zeit auch J. Haas, 
H. Bergese, H. Brautigam u. a. Die zwei K.n von We- 



440 



Kantilenensatz 



bern (iiber Dichtungen von H.Jone, op. 29, 1938/39, 
und op. 31 , 1941/43) kniipfen weniger an das auBere (sti- 
listische), als an das geistigeVorbild derGattungK. an. 

Ausg.: K.-Friihling, hrsg. v. H. Riemann, Lpz. 1909-13; 
Ausgew. Kammerk., hrsg. v. dems., 6 H., Lpz. o. J. ; Alte 
Meister d. Belcanto I— III, hrsg. v. L. Landshoff, Lpz. 
1912-15; La Flora, hrsg. v. Kn. Jeppesen, 3 Bde, Kopen- 
hagen 1949 ; The Ital. Cantata I (A. Cesti), hrsg. v. D. Bur- 
rows, = The Wellesley Ed. V, Wellesley (Mass.) 1963. 
Lit.: Ph. Spitta, J. S. Bach, 2 Bde, Lpz. 1873-80, Wiesba- 
den 51962, engl. London 1884-99 u. NY 1951, span. Mexi- 
ko 1950; ders., Die Anfange madrigalischer Dichtung in 
Deutschland, in: Mg. Aufsatze, Bin 1894; H. Gold- 
schmidt, Die ital. Gesangsmethode im 17. Jh., Breslau 
1890, 21892; J. Tiersot, Cantates frc. du XVIIP s., Le M6- 
nestrel LXIX, 1893; Ch. Th. Malherbe, Einleitung zu 
J.-Ph. Rameau, (Euvres completes III (Cantates), Paris 
1897; A. Schweitzer, J. S. Bach, Lpz. 1908 u. 6., Kap. VI 
(Die K. u. Passionen bis zu Bach) ; H. Leichtentritt, Der 
monodische Kammermusikstil in Italien bis gegen 1650, 
in: A. W. Ambros, Gesch. d. Musik IV, Lpz. 31909; E. 
J. Dent, The Ital. Chamber Cantatas, The Mus. Anti- 
quary, Jg. 1 9 1 1 ; A. Schering, Uber d. Kirchenk. vorbachi- 
scher Thomaskantoren, Bach-Jb. IX, 1912; ders., Mg. 
Lpz. II, Lpz. 1926, u. Ill, 1941 ; E. Schmitz, Gesch. d. K. u. 
d. geistlichen Konzertes I, Gesch. d. weltlichen Solok., 
= Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen V, 1, Lpz. 1914, 
21955, Nachdruck Hildesheim 1965; M. Seifferthi: DDT 

LIII/LIV, Lpz. 1916, 21963, S. 74ff.; P. Brausch, DieK 

zur Gesch. d. deutschen Dichtungsgattungen I: Gesch. d. K. 
bis Gottsched, Diss. Heidelberg 1 921 , maschr. ; J. Muller- 
Blattau, Hamann u. Herder in ihren Beziehungen zur 
Musik, = Schriften d. Koniglichen Deutschen Ges. zu 
Konigsberg i. Pr. VI, Konigsberg 1931 ; H. Rauschning, 
Gesch. d. Musik u. Musikpflege in Danzig, = Quellen u. 
Darstellungen zur Gesch. WestpreuBens XV, Danzig 193 1 ; 
K. Fr. Rieber, Die Entwicklung d. deutschen geistlichen 
Solok. im 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1932; U. Leupold, 
Die liturgischen Gesange d. ev. Kirche im Zeitalter d. Auf- 
klarung u. d. Romantik, Kassel 1933; Fr. Treiber, Die 
thiiringisch-sachsische Kirchenk. zur Zeit d. jungen J. S. 
Bach (etwa 1700-23), AfMf II, 1937; W. Lange, Die An- 
fange d. K., Dresden 1938 ; G. Schwanbeck, Die dramati- 
sche Chork. d. Romantik in Deutschland, Diss. Bin 1938; 
H. Schnoor, Oratorien u. weltliche Chorwerke, in: H. 
Kretzschmar, Fiihrer durch d. Konzertsaal II, 2, Lpz. 
5 1939; A. Durr, tjber Kantatenformen in d. geistlichen 
Dichtungen S. Francks, Mf III, 1950; R. B. Morris, A 
Study of Ital. Solo Cantata Before 1750, Diss. Indiana 
Univ. 1955, maschr.; E. T. Ferand, Embellished »Parody 
Cantatas« in the Early 18 th Cent., MQ XL1V, 1958; H. 
Melchert, Das Rezitativ d. Kirchenk, J. S. Bachs, Diss. 
Ffm. 1958; Fr. Krummacher, Die Uberlieferung d. Cho- 
ralbearb. in d. fruhen ev. K., = Berliner Studien zur Mw. 
X, Bin 1965; G. Schuhmacher, Gesch. u. Moglichkeiten 
d. Vertonung v. Dichtungen Fr. Holderlins, Diss. Saar- 
brucken 1965, maschr. HHa 

Kantele (estnisch kannel; lettisch kuokle; litauisch 
kankles), das finnische Nationalinstrument, eine flache 
Zither ohne Griffbrett, mit 3eckigem Resonanzkorper 
aus Holz und bis zu 30 Saiten (heute in der Regel aus 
Stahl). Die K. wird auf den SchoB oder einen Tisch ge- 
legt und mit den bloBen Fingern gespielt. - Die Jou- 
hikko-K. ist eine Streichleier. 

Ausg.: Kantelejo jouhikko savelmia (»K. u. Jouhikko- 
Melodien«), = Suomen kansan savelmia V, hrsg. v. A. O. 
Vaisanen, Helsinki 1928. 

Lit.: O. Andersson, Strakharpan, Stockholm 1923, engl. 
als: The Bowed Harp, London 1930; T. Norlind, Bidrag 
till k. hist., StMf V, 1923; ders., Systematik d. Saiten- 
instr. I, Gesch. d. Zither, Stockholm 1936; A. O. Vai- 
sanen, Wirklichkeitsgrund d. finnisch-estnischen K.-Ru- 
nen, Acta Ethnologica 1, 1938 ; ders., Y. Kilpinens kantele- 
tar-Lieder, Kgr.-Ber. Hbg 1956; Fr, Bose, Die finnische 
K., d. alteste Zither Europas, Atlantis XXIV, 1952. 

Kantilene (frz. cantilene) bezeichnet seit Ende des 17. 
Jh. (im AnschluB an die Grundbedeutung von lat. 



->■ cantilena) einen Gesang oder ein Lied, nach Bros- 
sard (1703) eine Komposition mit ausgepragter Melo- 
diefuhrung (ahnlich -»■ cantabile), nach Koch (1802) 
speziell eine kleine Solokantate, im 19. Jh. allgemein 
eine (auch instrumentale) Melodie von ausgesprochen 
gesanglich-lyrischem Charakter. 

Kantilenensatz, in der neueren Musikgeschichts- 
schreibung eine im AnschluB an -»■ Cantilena (- 5) ge- 
bildete Bezeichnung fur den Typus des Liedsatzes im 
14. und 15. Jh. mit textiertem, solistisch gesungenem, 
wohl auch auf einem Instrument mitzuspielenden 
Cantus und 1-3 instrumentalen Stimmen. Der K. 
wurde in Frankreich ausgebildet als eine Spatform des 
-»• Discantus und eine Art der mehrstimmigen -> Chan- 
son, die in der in alien Stimmen textierten Form des 
13. Jh. Cantilena, im spateren 15. und im 16. Jh. neben 
Cantilena und Chanson auch -*■ Carmen hiefi, wah- 
rend fur den K. eine spezielle Bezeichnung nicht be- 
legt ist. A. Schering (1914) nannte das Lied im K. miB- 
verstandlich »Diskantlied« (Oberstimmenlied) und Fr. 
Ludwig einseitig »Balladenf orm« (z. B. ZfMw V, 1922/ 
23, S. 443) oder »Balladenstil«, da jener Typ des Lied- 
satzes im 14. Jh. am haufigsten in der Ballade ausge- 
pragt ist. Doch auch die Bezeichnung K. hat als »ge- 
machter« (nicht historischer) Terminus Nachteile, vor 
allem bei Abgrenzung gegenuber dem Chansonsatz, 
der nach heutiger Ubereinkunft im 15. Jh. dem K. 
folgte, wenngleich schon bei Machaut die Bezeichnung 
Chanson (chanson notee, chanson mise en chant) als 
Oberbegriff seiner Liedformen begegnet. - Der K., 
der die mehrstimmige Cantilena des 13. Jh. (Adam de 
la Halle, L'Escurel) abloste, entstand als eine Schbp- 
fung der Ars nova wohl vor dem Hintergrund des im- 
provisiert begleiteten Trouvereliedes und unter dem 
EinfluB der franzosischen Motette mit frei erfundenem 
instrumentalemTenor. Der Dichterkomponist Machaut 
erhob ihn in den (jetzt ganz ins Solistische gewendeten) 
Refrainformen Ballade, Rondeau und Virelai zu hoher, 
dem Motettensatz kiinstlerisch ebenbiirtiger Auspra- 
gung. Von seinen insgesamt 41 mehrstimmigen Balla- 
den und 21 Rondeaux sind 19 bzw. 8 zweistimmig, 17 
bzw. 11 dreistimmig und 5 bzw. 2 vierstimmig. Dar- 
unter befinden sich als Sonderart - unter dem EinfluB 
der Motette stehend - zwei 3st. Tripelballaden (mit 3 
verschiedenen Texten), eine 4st. Doppel- und eine 2st. 
isorhythmische Ballade. (Von den 34 Virelais sind 
7 zwei-, nur eine drei-, die iibrigen einstimmig.) 
Seinem Typus nach geht der K. - im Unterschied 
zum alteren Conductus- sowie zum Motettensatz - 
von der Komposition des fur hohe, zuweilen mitt- 
lere Mannerstimme geschaffenen Cantus aus, dem der 
instrumentale Tenor frei beigegeben wird. Sowohl 
die Kompositions- als auch die Uberlieferungsart 
- zahlreiche Satze sind zwei- und dreistimmig, bzw. 
drei- und vierstimmig tradiert - weisen in den 3- und 
4st. Liedsatzen den Cantus-Tenor-Satz als Geriistsatz 
aus, der durch Hinzufiigung eines instrumentalen 
Contratenors (in der Lage des Tenors) oder Triplum 
(in der Lage des Cantus) zur Drei-, durch Zufiigung 
von Contratenor und Triplum zur Vierstimmigkeit er- 
weitert werden konnte. Der Satz ist in alien Stimmen 
versmaflig gcgliedert (mit gelegentlichen Ubcrlcitun- 
gen in einer der Unterstimmen), die Zeilen des Stollen- 
paars sind meist durch ouvert- und clos-Schliisse dif- 
ferenziert, die Strophenteile auch sonst tonal zueinan- 
der in Beziehung gesetzt sowie dieEnden des Anfangs- 
und SchluBteils oft durch musikalischen »Rucklauf « ver- 
bunden. Die fiir Synkopierungen geeignete Prolatio 
minor-Einteilung des Taktes wird bevorzugt. Die 
rhythmische Subtilitas der Ars nova-Notation ermog- 



441 



Kantillation 




licht durch das Spiel der Synkopen, Vorhalte, Antizipa- 
tionen, Tonverschweigungen usw. hochst diffizile har- 
monischeBildungenvordemHintergrunddes2st.Kern- 
satzes und im Rahmen des in der Regel klanglich perf ek- 
ten Beginnens und Schliefiens der Partikel und Zeilen. 

- Q mm T , T 1 ■; T 'a 1 

[Cantus] 



Contra- 
tenor 



Tenor 



Machaut, Beginn der Ballade Nr 33. 
Der K. strahlte im spateren 14. Jh. auch auf die mehr- 
stimmige Liedkunst Italiens aus, namentlich auf die 
Ballata (Fr.Landini). In der franzosischen Spatzeit, 
nach Machauts Tod (1377), erlangte der jetzt fast aus- 
schlieBlich 3- und 4st. K. die Vorherrschaft gegeniiber 
der Motette (die -> Quelle Ch enthalt neben nur 13 
Motetten 99 Kantilenensatze, davon 70 Balladen). In 
Verbindung mit der auBersten Verfeinerung der No- 
tationskunst steigerte sich die rhythmische, melodische 
und klangliche Subtilitas der liedsatze. Gleichzeitig 
schritt die gegenseitige Durchdringung des Motetten- 
und K.es weiter fort, indem letzterer haufig die Iso- 
rhythmie sowie die Doppel- und Tripeltextierung 
aufnahm, wahrend die Motetten- und MeBsatze, na- 
mentlich bei Binchois und dem jungeren Dufay, oft 
nach Art des K.es gebildet wurden (»Kantilenenmo- 
tette«, Besseler 1950; »Balladenmesse«, Ludwig, AfMw 
VII, 1925, S. 424ff.). Wahrend sich nach 1400 inner- 
halb der Liedformen im K. das Schwergewicht von 
der Ballade auf das Rondeau verlagerte, wirkte der K. 
(als von der Oberstimme her konzipierter Kernsatz, 
der mannigfacher Erweiterungen fahig ist) auBer auf 
Motette und Messe auch auf andere Gattungen ein, sei 
es, daB nur die Oberstimme textiert ist (wie oft in der 
Lauda, Frottola und im Villancico), sei es, dafi der 
ganze Satz vokal ist (wie im Carol und im Fauxbour- 
donstiick, in Hymnen und Antiphonen). Bis zur Zeit 
Ockeghems ist der K. ein Haupttypus unter den 
Kompositionsarten. Unter demEinfluBEnglands (Dun- 
stable) und im Zuge der sich festigenden tonalen Har- 
monik iiber einer Klangtrager-Tiefstimme wichen so- 
wohl die Scheidung zwischen gesungenen und gespiel- 
ten Stimmen als auch die Geriistsatzstruktur im Lied- 
satz des spateren 15. Jh. der vokalen Gleichrangigkeit 
und satztechnischen Unentbehrlichkeit aller Stimmen - 
Kennzeichen des neueren -*■ Chanson-Satzes. 
Lit. : Fr. Ludwio, Die mehrst. Musik d. 14. Jh., SIMG IV, 
1902/03; ders. in: Adler Hdb.; J. Handschin, Mg. im 
Oberblick, Luzern (1948), 21964; ders., Reflexions sur la 
terminologie, RBM VI, 1952; H. Besseler, Bourdon u. 
Fauxbourdon, Lpz. 1950; G. Reaney, Fourteenth Cent. 
Harmony and the Ballades, Rondeaux, and Virelais of G. 
de Machaut, MD VII, 1953; U. Gunther, Der mus. Stil- 
wandel d. frz. Liedkunst in d. 2. Halite d. 14. Jh., darge- 
stellt an Virelais, Balladen u. Rondeaux v. Machaut sowie 
datierbaren K. seiner Zeitgenossen . . ., Diss. Hbg 1957, 
maschr. ; E. Apfel, Beitr. zu einer Gesch. d. Satztechnik v. 
d. friihen Motette bis Bach I, Munchen 1964 (S. 54ff. : Der 
Satz d. mehrst. weltlichen Liedes seit d. Ars nova). HHE 

Kantillation, Bezeichnung fur den bei biblischen 
Gebeten und Lesungen des synagogalen Gottesdien- 
stes gebrauchten, solistisch psalmodierenden Sprechge- 
sang, der weitgehend die gleichen Charakteristika auf- 
weist wie die aus ihm hervorgegangenen Lektions- und 
-* Psalmtone der christlichen Kirche. Die urspriing- 



lich nur iiber die Cheironomie gelehrte Bibellesung 
in der Synagoge ist bereits durch Philon von Alexan- 
drien (f um 45-50 n. Chr.) und das Neue Testament 
bezeugt. Durch schlichte melodische Wendungen 
werden Versmitte und -ende, mitunter auch der An- 
fang hervorgehoben, wogegen der groBere Teil des 
Textes auf dem (in den verschiedenen Vershalf ten gern 
wechselnden) Rezitationston vorgetragen wird, der, 
der orientalischen Praxis entsprechend, haufig umspielt 
werden kann. Wenn auch die Friihf ormen der K. nicht 
mehr rein erhalten sind, lassen sie sich doch als ge- 
meinsames Element in der K. der Hauptgruppen der 
Judischen Gemeinden feststellen. Die orientalische K. 
ist, vor allem in ihren jemenitischen, persischen und in- 
dischen Zweigen, als die al teste anzusehen. Sie lafit noch 
Zusammenhange mit der ursprunglichen babyloni- 
schen Tradition erkennen, die auch in den sephardi- 
schen Gesangen f estzustellen sind. 




Ua-yiq-ra Mo-she 



lS-khol ziq-ney Yis-ra-el 




ua-yo - mer a-le-hem 



Exodus 12, 21. -Jemen (nach E.Gerson-Kiwi). 
Die auf mundlicher Uberlieferung basierende altere 
Tradition ubernahm fiir die K. nur in beschranktem 
MaBe die melodisch reichere Gestaltung, die mit der sy- 
stematischen Ausbildung eines weitentwickelten schrif t- 
lichen Akzentsystems Hand in Hand ging. Dieses Sy- 
stem von den textbegleitenden Akzentzeichen mit ei- 
ner der -* ekphonetischen Notation nahekommenden 
Bedeutung verdankt seine Vervollkommnung vor al- 
lem der Schule von Tiberias um 900. Es ist fiir die schrif t- 
liche Bibeliiberlieferung in der dort entwickelten Form 
noch bis heute giiltig und bestimmt die von ihr aus- 
gehende Gestaltung der K. im Unterschied zu der noch 
heute bestehenden miindlichen Uberlieferung. 
Lit. : A. Z. Idelsohn, Hebraisch-orientalischer Melodien- 
schatz, 10 Bde, Lpz. 1914-32; ders., Phonographierte Ge- 
sange u. Ausspracheproben d. jemenitischen, persischen u. 
syrischen Juden, Sb. Wien 1917; ders., Die Vortragszei- 
chen bei d. Samaritanern, Monatsschrift f. Gesch. u. Wiss. 
d. Judentums LXI (N. F. XXV), 1917; ders., Parallelen 
zwischen gregorianischen u. hebraisch-orientalischen Ge- 
sangsweisen, Zf M w I V, 1 92 1 /22 ; P. K ahle, Die Lesezeichen 
bei d. Samaritanern, in: Oriental Studies, Fs. P. Haupt, Balti- 
more u. Lpz. 1926; R. Lachmann, Jewish Cantillation and 
Song in the Isle of Djerba, Jerusalem 1940; E. Werner, Pre- 
liminary Notes for a Comparative Study of Catholic and 
Jewish Mus. Punctuation, Hebrew Union College Annual 
XV, 1940; ders., The Origin of Psalmody, ebenda XXV, 
1954; H. Avenary, Systematik u. Tradition im Vortrag d. 
hebraischen Bibel, Jerusalem 1956 (Mikrofilm); S. Ro- 
sowsky, The Cantillation of the Bible, NY 1957; S. Cor- 
bin, La cantillation des rituels Chretiens, Rev. de Musicol. 
XLVII, 1961 ; E. Gerson-Kiwi, The Legacy of Jewish Mu- 
sic Through the Ages, Jerusalem 1963 ; J. Spector, Sama- 
ritan Chant, Journal of the International Folk Music 
Council XVI, 1964; ders., The Significance of Samaritan 
Neumes . . . , Studia musicologica VII, 1965. 

Kantionalsatz. Der gottesdienstliche Liedgesang in 
der evangelischen Kirche war anfanglich einstimmig 
und unbegleitet. Erst L. -> Osiander schuf fiir das ge- 
meinsame Singen des Figuralchors der stadtischen La- 
teinschule und der Kirchengemeinde einen vierstim- 
migen homorhythmischen K. mit der Melodie in der 
Oberstimme. 1586 veroffentlichte er in Niirnberg seine 
Fiinfftzig Geistliche Lieder vnd Psalmen. Mit vier Stim- 
men j auff Contrapunctsweise (fiir die Schulen vnd Kirchen 
im loblichen Fiirstenthumb Wurtenberg) also gesetzt / das 



442 



Kantor 



ein gantze Christliche Getnein durchaufi mit singen kan. In 
der Vorrede heiBt es, daB die Componisten sonsten ge- 
wbhnlich den Choral im Tenor fiihren. Wann man aber das 
thut, so ist der Choral vnter andem Stimmen vnkenntlich: 
Dann der gemein Mann verstehet nicht, was es fur ein 
Psalm ist: vnd kan nicht mit singen. Darumb hob ich den 
Choral inn den Distant genommen, damit er ja kenntlich, 
vnd einjederLeye mit singen kbnne. Nach Osianders Vor- 
bild entstand eine Reihe bedeutender Kantionalien, 
u. a. von R. Michael (1593), J.Eccard (1597), S.Cal- 
visius (1597), A.Raselius (1559), B.Gesius (1601), M. 
Vulpius (1604), M.Praetorius (1605ff.), H.L.HaBler 
(1608), J.H.Schein {Cantional oder Gesangbuch, 1627) 
und M.Franck (1631). Der K. verdrangte nach und 
nach den 1st. Gemeindegesang in der Kirche. Um die 
Wende zum 18. Jh. wurde er durch Gesangbuchdrucke 
mit Melodie und beziftertem BaB abgelost. 
Ausg. : L. Osiander, Funfzig geistlicbe Lieder, hrsg. v. Fr. 
Zelle, in: Wiss. Beilage zum Jahresber. d. 10. Realschule 
zu Bin, Bin 1903; M. Praetorius, Musae Sioniae V-VIII, 
= GAV-VIII,Wolfenbuttelu.Bln(1928ff.);H.L.HASSLER, 
Kirchengesange,hrsg.v.R.v.Saalfeld,Augsburg(1925). 
Lit.: Fr. Blume, Dieev. Kirchenmusik, Biicken Hdb., als: 
Gesch. d. ev. Kirchenmusik, Kassel 2 1965, unter Mitarbeit 
v. L. Finscher, G. Feder, A. Adrio u. W. Blankenburg; H. 
Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsche Lied (1400- 
1600), = Neue deutsche Forschungen CXCVII, Abt. Mw. 
VII, Bin 1938; H. J. Moser, Die ev. Kirchenmusik in 
Deutschland, Bin u. Darmstadt (1954); W. Blankenburg, 
Der gottesdienstliche Liedgesang d. Gemeinde, in: Lei- 
turgia. Hdb. d. ev. GottesdienstesIV, Kassel 1961 ; E. Wolf, 
Der vierst. homophone Satz. Die stilistischen Merkmale d. 
K. zwischen 1590 u. 1630, Wiesbaden 1965. 

Kantor, allgemein Sanger, seit dem Mittelalter Kir- 
chensanger, seit dem 16. Jh. speziell der fur die Kir- 
chenmusik verantwortliche Schulgesanglehrer, in neue- 
ster Zeit an groBeren Kirchen der leitende Kirchen- 
musiker. Als Cantor bezeichnet noch Boethius, der 
antiken Tradition entsprechend, den zu den niede- 
ren Schichten gehorenden fahrenden Sanger im Ge- 
gensatz zum gelehrten -> Musicus, der durch Kennt- 
nis der spekulativen Musiktheorie die Einsicht in die 
mathematischen Gesetze der Musik besaB. Bis ins 
friihe Mittelalter, als man die Sanger der kirchlichen 
Liturgie als Cantores bezeichnete, haftete an dem Be- 
grifi etwas Abwertendes, bis sich eine eigene Theorie 
und Lehre des Kirchengesangs entwickelte. Der mit 
den Regeln der Gesangskunst vertraute Kirchensinger 
wurde bei Guido von Arezzo in den Rang eines Mu- 
sicus erhoben. Der allmahliche Wandel des Begriffs 
cantor zeigt sich darin, daB im Gegensatz zum unge- 
bildeten Praktiker, der nur nach dem Gehor sang 
(cantor per usum), der kunsterfahrene Sanger jetzt 
auch als Cantor per artem bezeichnet wurde. Zu die- 
sem Kreis der gebildeten Cantores zahlten einerseits 
die Sanger der Dom- und Hofkapellen, andererseits 
die Sangmeister und Musiklehrer der Kloster-, Dom- 
und Stadtschulen. - Ein neuer Typ des K.s bildete sich 
im 16. Jh. an den protestantischen Lateinschulen her- 
aus. So wie die Schule einerseits Bildungsanstalt sein 
sollte, andererseits nach dem Vorbild der alten Stifts- 
schule die Sanger fur den liturgischen Kirchengesang 
stellen muBte, war auch der K. der Schule und der Kir- 
che verpflichtet. In der Schule unterrichtete er nicht 
nur in der Musik, sondern auch in wissenschaftlichen 
Fachern. An vielen Orten muBte ein K. daher den 
-»■ Akademischen Grad des Magisters erworben oder 
wenigstens an einer Universitat studiert haben. Fur den 
theoretischen Musikunterricht verfaBten zahlreiche 
K.en im 16. und 17. Jh. eigene Lehrbucher der Musica 
practica (Gesangslehre) ; den Stoff der Musica poetica 
(Kompositionslehre) und der Musica theorica (speku- 



lative Musiktheorie vermittelten sie einer Auswahl 
begabter Schuler im Privatunterricht. Im Gottesdienst 
leitete der K. zunachst den einstimmigen liturgischen 
Gesang der Schuler. Schon im 16. Jh. wurde vielerorts 
von ihm aber auch Figuralgesang gefordert, zuerst nur 
an den Festtagen, schlieBlich jeden Sonntag; dabei 
wurde sein Auswahlchor oder seine ->■ Kantorei re- 
gelmaBig von den Stadtpfeifern unterstutzt. In gro- 
Beren Stadten wurde vom K. erwartet, daB er die 
sonntaglichen Motetten oder spater Kantaten selbst 
komponierte. Die zunehmenden musikalischen und 
kompositorischen Aufgaben konnte er in der Regel 
nur erfiillen, wenn die Schule ihn vom wissenschaft- 
lichen Unterricht entlastete und wenn die Stadt ein 
zentrales Kantorat einrichtete, d. h. wenn sie dem K. 
als dem Director musices die Verantwortung iiber die 
Musik in alien Kirchen iibertrug. In einer solchen Stel- 
lung gait der K. als die fiihrende Personlichkeit des 
stadtischen Musiklebens. Er komponierte von Amts 
wegen auch die Musik fur die stadtischen Feste und 
muBte mit seinen Schiilern bei Hochzeiten und Fa- 
milienfesten der Burger sowie regelmaBig bei Beerdi- 
gungen singen. Die ihm aus diesen Nebendiensten zu- 
fallenden Entschadigungen (Akzidentien) bildeten den 
weitaus groBten Teil seiner Einkunfte. Die feste Leh- 
rerbesoldung machte bei Demantius in Freiberg etwa 
ein Sechstel, bei Bach in Leipzig etwa ein Siebentel 
der Gesamtentlohnung aus. So war es fur viele K.en 
eine Existenzfrage, wenn sie hartnackig um ihre Son- 
derrechte und damit um ihre Nebeneinnahmen kampf- 
ten. - Entsprechend den lokalen Unterschieden im 
Schulwesen waren Stellung und Aufgaben des K.s ort- 
Uch sehr verschieden. An kleineren Schulen stand der 
K. im Kollegium an zweiter Stelle hinter dem Rektor; 
hier nahm f iir ihn die -> Schulmusik einen relativ brei- 
ten Raum ein. Dagegen hat man an vielen der im 16. 
Jh. neugegriindeten zentralen Stadtschulen die musi- 
kalischen Verpflichtungen der Schuler als unbequeme, 
das eigentliche humanistische Bildungsprogramm sto- 
rende Beigabe empfunden und den dafiir erforder- 
lichen Musikunterricht soweit wie moglich einge- 
schrankt. Hier wurde der K. seinem wissenschaftlichen 
Unterricht entsprechend in das Kollegium eingeord- 
net und konnte die 4. oder 5. Stelle einnehmen. An 
einer Schule, die in alien Kirchen der Stadt die Musik 
ausfuhren muBte, gab es mitunter 3 oder 4 K.en, von 
denen jeder mit einer Klasse einer Kirche zugeteilt 
war. Hier kam es ebenso zu einer Zersplitterung der 
Krafte wie in den Stadten, in denen es mehrere Schu- 
len, aber kein zentrales stadtisches Musikdirektorat gab. 
In diesen relativ unbedeutenden und wegen der gerin- 
gen Nebeneinnahmen auch wenig eintraglichen Kan- 
toraten findet sich kaum ein bekannterer Komponist. 
Nicht selten konnte hier der Organist zur fiihrenden 
Musikerpersonlichkeit einer Stadt werden. Kleinere 
Kantorate wurden vielfach nur als Durchgangsstation 
auf dem Wege zu einem Pfarramt angesehen. In den 
maBgebenden Musikzentren aber behauptete sich von 
Johann Walter bis zu J. S. Bach eine feste Tradition 
amtsbewuBter protestantischer K.en, die sich in den 
Dienst von Kirche, Stadt und Biirgerschaft stellten 
und von ihrem Kirchenamt her die hochste Stufe in 
der Rangordnung der Musiker einnahmen. Die Tra- 
dition endet im Zeitalter des Rationalismus, als die alte 
Lebensordnung nicht mehr anerkannt wurde und das 
stadtische Musikleben sich von Grund auf wandelte. 
Lit. : R. Vollhardt, Gesch. d. Cantoren u. Organisten v. 
d. Stadten im Konigreich Sachsen, Bin 1899 ; E. Preussner, 
Die Methodik im Schulgesang d. ev. Lateinschulen d. 17. 
Jh., Diss. Bin 1924,maschr.,Teildruckein: AfMw VI, 1924, 
u. Fs. Fr. Stein, Braunschweig 1939; G. Schunemann, 



443 



Kantorei 



Gesch. d. deutschen Schulmusik, 2 Teile, Lpz. 1928-32, 1 
2 1 93 1 ; A. Werner, Vier Jahrhunderte im Dienste der Kir- 
chenmusik, Lpz. 1933; G. Pietzsch, Bildungu. Aufgaben 
d. K. im MA u. Friihprotestantismus, Die Musikpflege 
IV, 1933/34; W. M. Luther, Die gesellschaftliche u. wirt- 
schaftliche Stellung d. protestantischen K., MuK XIX, 
1949; W. Gurlitt, Zur Bedeutungsgesch. v. musicus u. 
cantor bei Isidor v. Sevilla, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. 
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg.1950, Nr 7, 
Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesba- 
den 1966; Kl. W. Niemoller, Grundziige einer Neube- 
wertung d. Musik an d. Lateinschulen d. 16. Jh., Kgr.-Ber. 
Kassel 1962; D. Krickebero, Das protestantische Kan- 
torat im 17. Jh., = Berliner Studien zur Mw. VI, Bin 1965. 

MR 
Kantorei, in Stadten die vom Schulkantor geleitete 
freiwillige Vereinigung sangesfreudiger Burger zur 
Forderung der Kirchenmusik, auch der durch Man- 
nerstimmen verstarkte Schulchor eines Kantors, an 
Hofen die Vereinigung der besoldeten Berufssanger 
oder der Sanger und Instrumentisten. - Fur die Aus- 
fiihrung der Figuralmusik in den stadtischen Kirchen 
stand dem Kantor der Chorus symphoniacus, ein aus 
Schulern aller Klassen gebildeter Auswahlchor, zur 
Verfiigung. Er wurde vervollstandigt durch die Schul- 
kollegen des Kantors, die zur Mitwirkung verpflichtet 
waren, sowie durch Gehilfen (meist ehemalige Schii- 
ler), die freiwillig oder gegenEntschadigung mitsangen 
(-> Adjuvantchore). Die Stadtpfeifer muBten diesen ge- 
legentlich schon als K. bezeichneten Chor regelmaBig 
bei der Figuralmusik unterstiitzten. - Die eigentlichen 
burgerlichen K.en gehen in Zielsetzung und Organi- 
sation zuriick auf vorreformatorische Laienvereinigun- 
gen wie die Kalandbruderschaften (benannt nach den 
an den Calendae, den ersten Monatstagen, abgehaltenen 
Versammlungen) und die Stabulisten- oder Konstabler- 
vereine (von lat. stabilire, befestigen, starken).Wahrend 
vor der Reformation musikalische Sonderleistungen in 
der Regel durch eine Stiftung veranlaBt waren und die 
Ausfiihrenden oder die Bruderschaft dafiir Entscha- 
digungen oder Vergiinstigungen erhielten, forderte 
Luther, daB Laien sich ohne alle Stiftung und nur aus 
frohlichem Gewissen und Herzen zu K.en zusam- 
menschlieBen und bei der Kirchenmusik mitwirken 
sollten. Diese Forderung blieb 2 Jahrhunderte lang das 
Ideal der zahlreichen, vor allem in Mitteldeutschland 
gegriindeten K.en. In den Satzungen wird stets be- 
tont, daB die Hauptaufgabe das Singen im Gottesdienst 
sei. In zunehmendem MaBe wurden die Mitgheder 
aber auch durch die geselhgen Umrahmungen der 
Ubungsabende und durch materielle Vorteile zum 
Beitritt veranlaBt. Die K. sang bei Hochzeiten oder 
Beerdigungen ihrer Mitgheder. Wer in Not geriet, 
wurde unterstiitzt. Jahrlich wurde ein groBes Festmahl 
veranstaltet, das sich an einigen Orten zu mehrtagigen 
stadtischen Feiern ausdehnte. Auch nichtsingende Bur- 
ger konnten die Mitgliedschaft erwerben, muBten je- 
doch Beitrag zahlen. Im 16. Jh. war in vielen kleine- 
ren Stadten erst durch die Griindung einer K. die Auf- 
fiihrung mehrstimmiger Gesange im Gottesdienst 
moglich geworden. Der 30jahrige Krieg unterbrach 
die Entwicklung. Die in der 2. Halfte des 17. Jh. neu 
gegriindeten oder wiederbelebten K.en hielten im all- 
gemeinen am alten Motettenrepertoire fest und ver- 
paBten den AnschluB an die neuere Kunstmusik. Pietis- 
mus und Aufklarung fiihrten im 18. Jh. mit neuen Vor- 
stellungen von Kirchenmusik und neuen Formen biir- 
gerhcher Geselligkeit zum Ende der stadtischen K.en. 
- Vorwiegend an den protestantischen, aber auch an 
einigen katholischen Hofen bezeichnete man seit dem 
16. Jh. als K. im Gegensatz zur -*■ Kapelle, der auch alle 
Hofgeistlichen und MeBdiener angehorten, die selb- 
standig gewordene Gruppe der hbfischen Sanger und 



Organisten. Seit Mitte des 16. Jh. wurde den K.en 
auch die Gruppe der Instrumentisten zugeordnet; diese 
hatte bis dahin in geringerem Ansehen gestanden und 
war deshalb organisatorisch stets von der Kapelle ge- 
trennt und dem niederen Hofgesinde zugeordnet ge- 
wesen, ftihrte aber mit den Sangern zusammen die 
gottesdienstliche Figuralmusik aus. Sanger und Instru- 
mentisten waren in den Hof-K.en etwa in gleicher 
Zahl vertreten. Mit dem starkeren Ausbau der hofi- 
schen Orchester im 17. Jh. (-> Kammermusik) verlo- 
ren die Hof-K.en ihre Struktur und ihren Namen. 
Lit. : A. Werner, Gesch. d. Kantoreiges. im Gebiete d. ehe- 
maligen Kurfurstentums Sachsen, = BIMG I, 9, Lpz. 
1902; ders., Freie Musikgemeinschaften alter Zeit im mit- 
teldeutschen Raum, = Schriftenreihe d. Handelhauses in 
Halle VII, Halle 1940; J. Rautenstrauch, Luther u. d. 
Pflege d. kirchlichen Musik in Sachsen . . . Ein Beitr. zur 
Gesch. d. sachsischen K., Lpz. 1907; H. Birtner, Ein 
Beitr. zur Gesch. d. protestantischen Musik im 16. Jh., 
ZfMw X, 1927/28; W. Gurlitt, J. Walter u. d. Musik d. 
Reformationszeit, Luther-Jb. XV, Munchen 1933; W. Eh- 
mann, Das Musizierbild d. deutschen K. im 16. Jh., in: 
Musik u. Bild, Fs. M. Seiffert, Kassel 1938; M. Ruhnke, 
Beitr. zu einer Gesch. d. deutschen Hofmusikkollegien im 
16. Jh., Bin 1963. MR 

Kanzellen (lat. cancellae), in der Orgel die einzelnen 
Abteilungen der ->• Windlade, die den Wind zu den 
Pfeifen fiihren. Bei den Ton-K. (Schleifladen, Spring- 
laden als den beiden wichtigsten Ton-K.-Systemen) 
stehen iiber ein und derselben Kanzelle die Pfeifen, 
die zu einer Taste gehoren, bei den Register-K. (mit 
meist kegelf ormigen Ventilen, Kegelladen) dagegen al- 
le zu derselben Stimme (Register) gehorenden Pfeifen. 

Kanzone (prov. canso; ital. canzona, auch canzone, 
Plur. canzone oder canzoni; frz. chanson; span, can- 
cion; engl. canzon), - 1) Bezeichnung fur eine lyrische 
Dichtungsgattung provenzalischer Herkunft, die dann 
vor allem bei den Italienern vom 13. bis 17. Jh. ge- 
pflegt wurde. Bereits bei den Provenzalen ist die K. 
eng an die Musik gebunden. Ihrer strophischen Glie- 
derung entspricht die Musik durch Wiederholung der 
Strophenmelodie. Beispiel Quart Verba fresc' e-lfoilla par 
(P-C 70, 39) des Bernart de Ventadorn: 

SSilbler a ^ « 
a b a b 

lOSilbler 8 8 z , \ 
c c d a 

Die Musik beriicksichtigt die strophische Einheit so- 
wie die Zweiteilung der Strophe, jedoch nicht die klei- 
neren Einheiten. Fur Dante steht die K. zuoberst in der 
Hierarchie der lyrischen Gattungen als ein vulgarium 
poetnatum supremum (De uulgari eloquentia II, VIII, 7). 
Die K.n-Strophe wird gegliedert in Fronte und Sirima, 
wobei die Fronte wiederum aus 2 Piedi bestehen kann 
und die Sirima aus 2 Volte. Z wischen Fronte und Sirima 
kann eine Chiave eingeschoben werden. Die Zahl der 
Stanzen schwankt zwischen 2 und 10. Es iiberwiegen 
jedoch die 5- bis 7strophigen K.n. Beispiel Petrarca, 
S' i" '/ dissi mai, ch' i' vegna, komponiert von B.Trom- 
boncino (gedruckt 1507; vgl. A.Einstein, The Italian 
Madrigal III, Nr 12), 1. Stanze: 

literarisch musikalisch 



fronte 



pi. piede \Z\,""\ 
L 2 .piede Cj J 


.... a 

; b 

c 

\ d 


chiave | a ■-■■; 


,.. a | ! 


i— 1. volta I - 

r Lc i 

L 2. volta r c i 
•—a 


e ; 
f 

% A ! 



444 



Kanzonette 



Aus dem 14.-15. Jh. sind nur vereinzelte K.n-Kompo- 
sitionen bekannt, darunter als wichtigste Dufays 3st. 
Liedmotette Vergine bella (nach Petrarca). Die italieni- 
sche K. des friihen 16. Jh., auf Texte Petrarcas oder des 
durch Bembo angeregten Petrarchismus, gehort nach 
ihrer Kompositionsweise in die Nahe der -*■ Frottola, 
mit der zusammen sie sich auch veroffentlicht findet 
(z. B. Canzoni sonetti strambotti et frottole libro quarto, 
Rom, bei A. de Antiquis und N.Giudici, 1517). Gegen 
Mitte des 16. Jh. wurden auch volkstiimliche Formen, 
die in den Stilbereich der -> Villanella (-> Villotta) 
fallen und wie diese meist schlicht Note gegen Note 
gesetzt sind, als Canzoni alia napoletana (1572) und 
Canzoni villanesche (1541) bezeichnet. - 2) Im 16. und 
17. Jh. ist K. auch ein Instrumentalstiick, entweder ei- 
ne Bearbeitung einer franzosischen Chanson oder eine 
in deren Stil gehaltene instrumentale Originalkompo- 
sition. Die franzosische vokale Chanson, die sich in 
Italien groBer Beliebtheit erfreute, und ihr instrumen- 
taler Ableger hieBen hier Canzon (alia) francese, letzte- 
rer auch, mit ausdriicklicher Unterscheidung von der 
Vokalform, Canzona da sonar. M. A. Cavazzonis K.n 
(Recerchari, motetti, canzoni, Venedig 1523) sind die 
ersten unter dieser Bezeichnung nachweisbaren Wer- 
ke. Wahrend in Italien die K. zu einer Gattung der 
Klaviermusik wurde, blieben im Ursprungsland der 
Chanson Attaingnants 1530 erschienene Chansons mu- 
sicales reduictes en la tabulature des orgues, espinettes . . . 
isoliert (weitere Chansoniibertragungen beschrankten 
sich auf Bearbeitungen fur Laute). Obwohl viele der in 
Italien entstandenen K.n als Uberschrift ein franzo- 
sisches Textincipit aufweisen, sind die vokalen Vor- 
lagen oft nicht mehr nachweisbar, so daB fur die Ge- 
samtheit der K.n-Literatur der Anteil von Bearbeitun- 
gen und primar instrumental konzipierten Neukom- 
positionen nicht geklart ist. Tonrepetitionen in den 
Kopfmotiven und lebhafter Rhythmus weisen auf die 
franzosische Chanson zuriick. Imitierende wechseln mit 
homophonen, stimmig dichte mit aufgelockerten Ab- 
schnitten. Folgende 3 K.n-Typen lassen sich unter- 
scheiden: die unmittelbar der Chanson nachgebildete 
(oder ubertragene) 4st. K. mit imitierender Einleitung 
und vielen abwechslungsreichen Abschnitten, die K. 
mit deutlicher Neigung zu thematischer Vereinheit- 
lichung und die groBangelegte mehrchorige K. (zu- 
erst G.Gabrieli, 6 K.n, 1608). - K.n wurden als Inta- 
volierung (meist diminuierte Bearbeitungen), in Par- 
titur oder in Stimmbuchern (meist Originalkompo- 
sitionen »alla francese«) veroffentlicht. Bei letzteren 
war entweder die Auffiihrung durch Ensemble oder 
nachtragliche Intavolierung und Bearbeitung fiir Or- 
gel moglich. K.n fiir Tasteninstrumente veroffentlich- 
ten neben M. A. Cavazzoni vor allem G. Cavazzoni 
(sehr freie Chansonbearbeitungen), A. Gabrieli (di- 
minuierte Bearbeitungen und Neukompositionen ; An- 
naherung von K. und -> Ricercar), Cl.Merulo (viele 
K.n ohne Modelle, doch dem Schema verpflichtet) 
und G.P. Cima (16 K.n in Partitur, 1606). Frescobaldi 
verlieB das iiberlieferte K.n-Schema weitgehend, seine 
K.n (erschienen zwischen 1615 und 1640) wandeln oft 
ein Thema in verschiedenen Abschnitten fugiert ab 
(Variations-K.). Durch seine Schiller Froberger und 
Kerll kam die K. nach Deutschland, wo noch Buxte- 
hude und J.S.Bach (BWV 588) K.n schrieben. Die 
K. fiir Tasteninstrumente ging in die -*■ Fuge tiber 
(schon 1607 werden K.n im TabulaturBuch von B. 
Schmid dem Jiingeren als Fugen bezeichnet ; Mursch- 
hauser spricht noch 1707 von Canzona sivefuga). - Die 
bedeutendsten Komponisten von in Stimmbuchern 
veroffentlichten K.n nach Vicentino (1572) und In- 
gegneri (1579) waren die von A.Raverii in seinem gro- 



Ben Sammelwerk Canzoni per sonare con ogni sorte di 
stromenti a 4, 5 e 8 con il suo basso generate per I'organo 
(1608) vereinigten beriihmten italienischen Organi- 
sten: G.Gabrieli, Cl.Merulo, G.Guami, Fl.Maschera, 
L.Luzzaschi, C.Antegnati, P.Lappi, G. Frescobaldi, 
G.B.Grillo, B.Chilese, O.Bartolini und T.Massaini, 
auBerdem A.Banchieri, G.Cima und G.D.Rognoni. 
In der K. fiir Ensemble trat um 1600 die Vierstimmig- 
keit zuriick gegeniiber der -*■ Mehrchorigkeit (hier 
finden sich auch Urspriinge des -> Concerto grosso), 
doch begegnen seit Frescobaldi (II primo libro delle can- 
zoni a 1, 2, 3 e 4 foci, 1628) auch generalbaBbegleitete 
K.n fiir Soloinstrumente ; Erweiterung und Verselb- 
standigung ihrer einzelnen Teile durch Takt- und 
Tempowechsel fiihrten zur ->• Sonate. - 3) Das spate 18. 
und das 19. Jh. haben den Namen K. nicht aufgegeben, 
gebrauchen ihn aber hauptsachlich fiir Musikstiicke 
von lyrischem Charakter, in denen eine kantable Me- 
lodik iiberwiegt, vokal z. B. Voi che sapete aus Mozarts 
Le Nozze di Figaro und instrumental der langsame Satz 
in Tschaikowskys 4. Symphonie (in modo di canzone). 
Lit. : Dante, De vulgari eloquentia II, VIII ; ders., Divina 
commedia, Purgatorio II, 112; Boccaccio, DecameroneX, 
7 ; L. Biadene, Indice delle canzoni ital. del s. XIII, Asolo 
1886; A. Heuss, Die venetianischen Opern-Sinfonien, 
SIMG IV, 1902/03; Fr. Gennrich, GrundriB einer For- 
menlehre d. ma. Liedes, Halle 1932 ; W. Kruger, Das Con- 
certo grosso in Deutschland, Wolfenbiittel 1932; A. 
Schlossberg, Die ital. Sonata f. mehrere Instr. im 17. Jh., 
Diss. Heidelberg 1935; J. M. Knapp, The Canzone Fran- 
cese and Its Vocal Models, Diss. Columbia-Univ. (N. Y.) 
1941, maschr.; E. C. Crocker, An Introductory Study of 
the Ital. Canzona for Instr. Ensembles, Diss. Radcliffe Col- 
lege, Cambridge (Mass.) 1943, maschr. ; Kn. Jeppesen, Die 
ital. Orgelmusik am Anfang d. Cinquecento, 2 Bde, Kopen- 
hagen 1943, 2 1960; A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 Bde, 
Princeton 1949; E. Segura Covarsi, La cancion petrar- 
quista en la lirica espahola del siglo de oro, = Anejos de 
cuadernos de lit. V, Madrid 1949. - H. Wilkins, The Deri- 
vation of the Canzone, Modern Philology XII, 1914/15. 

Kanzonette (ital. canzonetta, Diminutiv von canzo- 
na) bezeichnet im spaten 16. und im 17. Jh. kurze Vo- 
kalstiicke von leichter und geschwinder Art, die oft 
den Charakter von Tanzliedern haben. Ihren Ursprung 
hat die K. in Italien, wo sie sich neben der hohen 
Kunstform des -*■ Madrigals und der suditalienischen 
-*■ Villanella zu einer eigenen Gattung entwickelte mit 
der volkstumlichen Strophenform aa b cc (in den K.n 
wird meistentheils die erste vnd letzte Reye repetirt, die 
mittelste aber nicht, Praetorius Synt. III). K.n sind von 
einfacher Struktur, meist nicht polyphon gearbeitet; 
sie zeigen gegeniiber dem Pathos des Madrigals den 
raschen, aggressiv klopfenden Puis des Tanzes mit 
kraftig bestimmten Ikten. An italienischen Kompo- 
nisten sind u. a. zu nennen: Agazzari, Gastoldi (2 Bii- 
cher 3st. Canzonette, 1592 und 1595), G.Torelli, O. 
Vecchi (ab 1580 mit mehreren Buchern K.n), Viadana, 
auch Monteverdi (Canzonette a tre voci, 1584, und eine 
posthume Ausgabe mit 2st. K.n, 1651). Fiir die Beliebt- 
heit der K. im letzten Drittel des 16. Jh. zeugen die 
zahlreichen Drucke. Unter italienischem EinfluB kom- 
ponierten K.n in Deutschland vornehmlich H. L. HaB- 
ler (24 4st. Canzonette, 1590, und 4-8st. Neue Teutsche 
gesang nach art der welschen Madrigalien und Canzonet- 
ten, 1596), Gr. Aichinger, V.HauBmann (4st. weltliche 
K.n, 1596), Chr. Demantius und L.Lechner. Schon 
J.Regnart und A.Scandello hatten italienische mehr- 
stimmige Liedtypen in Osterreich und Deutschland 
eingefuhrt (-»■ Villotta). In England nahm sich vor al- 
lem Th.Morley der K. an (3st. Canzonets, 1594, ^1631), 
die sich dort um 1600 zum Ay re (-»• Air) entwickelte. - 
Im 18. Jh. erschienen vereinzelt Soloheder (anfangs 
mit GeneralbaB-, spater mit Klavierbegleitung) unter 



445 



Kapelle 



der Bezeichnung K.* so von W. de Fesch (Canzonette 
edarie a voce sola di soprano con basso continuo, 1738/39). 
Canzonettas fur Singst. und Kl. komponierte J.Haydn 
auf Texte von A. Hunter (Hob. XXVI, 25-30). Eine 
Canzonetta fur Streichorch. von J. Sibelius (1911) be- 
arbeitete Strawinsky fur 8 Soloinstr. 
Ausg. : H. L. Hassler, Canzonette (1 590) u. Neue Teutsche 
Gesang (1596), hrsg. v. R. Schwartz, = DTB V, 2, Lpz. 
1904; Cl. Monteverdi, Canzonette (1584) u. Madrigali 
(1651), hrsg. v. G. Fr. Malipiero, GA X u. IX, Asolau. Vit- 
toriale degli Italiani (d. i. Gardone) (1929); ders., Canzo- 
nette (1 584), hrsg. v. G. Cesari u. G. Pannain, = Istituzioni 
e monumenti dell'arte mus. ital. VI, Mailand 1939; Th. 
Morley, Canzonets to Three Voyces, hrsg. v. E. H. Fel- 
lowes, = EMS I, London 1913 ; dass., revidiert v. Th.Dart, 
London (1956); dass., Faks. hrsg. v. J. E. Uhler, = Loui- 
siana State Univ. Studies, Humanities Series VII, Baton 
Rouge (La.) 1957. 

Lit. : Fr. Vatielli, Canzonieri mus. del cinquecento, RMI 
XXVIII, 1921 ; H. J. Moser, Das deutsche Chorlied zwi- 
schen Senfl u. HaBler, JbP XXXV, 1928; E. (Gerson-)Ki- 
wi, Studien zur Gesch. d. ital. Liedmadrigals im 16. Jh., 
Wiirzburg 1938; dies., Sulla genesi delle canzoni popolari 
nell '500, in: In memoriam J. Handschin, StraBburg 1962; 
H. Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsche Lied (1400- 
1640),= Neue deutsche Forschungen CXCVII, Abt. Mw. 
VII, Bin 1938; A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 Bde, 
Princeton (N. J.) 1949; L. Schrade, Monteverdi, NY 
(1950), London 1951 ; Fr.-J. Machatius, Uber mensurale 
u. spielmannische Reduktion, Mf VIII, 1955; W. Durr, 
Die ital. Canzonette u. d. deutsche Lied im Ausgang d. 16. 
Jh., Fs. L. Bianchi, Bologna (1960). 

Kapelle (lat. ; ital. cappella; frz. chapelle; engl. chapel). 
Cappella (auch capella), in der Merowingerzeit Be- 
zeichnung einer Martinsreliquie, umfaBt seit dem 8. 
Jh. einen dreifachen Begriffsinhalt, den dinglichen (als 
gottesdienstliches Gerdt), den raumlichen (als Ort des 
herrscherlichen Gottesdienstes) und den personlichen (als 
die Gesamtheit der dem Hofe dienenden Geistlichen) (Kle- 
witz, S. 119, Anm. 1). Der letztere ist fur die Musikge- 
schichte bedeutsam, da die K. bis ins 16. Jh. in enter 
Linie ein Element feudaler Herrschaftsstruktur dar- 
stellt. Die Capellani unterstanden allein dem obersten 
Geistlichen des Hofes; ihrer engen Bindung an die 
Person des Herrschers entsprach es, daB sie neben der 
(den Choralgesang einschlieBenden) Abhaltung der 
Gottesdienste auch Aufgaben der Verwaltung, Recht- 
sprechung und Diplomatic ubernahmen und fur die 
Ausbildung jiingerer Krafte auf alien diesen Gebieten 
sorgten. ihre Versorgung durch kirchliche Pfriinden, 
deren Verleihung dem Herrscher zustand, diente vor 
allem in der friiheren Geschichte der K. nicht zuletzt 
dem Zweck, die Verbindung des Hofes mit den groBen 
Kirchen seines Machtbereichs zu pflegen. Im 14. Jh. 
wurde die Sangergruppe innerhalb der K. nach Zahl 
und Ansehen zum bestimmenden Element. Nachweis- 
bar ist diese Entwicklung zuerst 1336 am Hofe Papst 
Benedikts XII. in Avignon, wo neben der wachsenden 
Zahl von Capellani commensales (nun nurmehr ein 
Ehrentitel) die Capella intrinseca mit 12 Capellani et 
cantores und einem Leiter (ab 1341 : Magister capellae) 
gebildet wurde, der nun die Ausgestaltung der papst- 
hchen Gottesdienste oblag und die nach der Riickkehr 
des Hofes nach Rom die Funktion der -»• Schola can- 
torum iibernahm. Die Zahl der Sanger einer K. iiber- 
stieg selten 20-25, wozu noch etwa 10 Sangerknaben 
kommen konnten; eine groBere Zahl von Ausfuh- 
renden verhinderte schon die charakteristische Auf- 
fiihrungsweise des Singens aus dem -> Chorbuch. 
Neben der geistlichen Mehrstimmigkeit pflegten die 
Hof-K.n des 15. Jh. auch die mehrstimmige Chanson. 
Das Vorbild der oft zur Reprasentation herangezogenen 
Hof-K.n wurde an groBen Kirchen, bei denen die 



rechtlichen Voraussetzungen zur Griindung einer K. 
nicht gegeben waren, seit dem 15. Jh. durch Stiftung 
von Kantoreien (auch Sangerei, Chor, in Frankreich 
-*■ Maitrise) nachgeahmt, deren Mitglieder nicht 
Geistliche, sondern im allgemeinen Burger oder Be- 
rufsmusiker waren. Dadurch wurde die im 16. Jh. ein- 
tretende Wandlung des K.-Begriffs vorbereitet; hielt 
auch der kaiserliche Hof (als Nachfolger des burgundi- 
schen) an der traditionellen Organisationsform der K. 
im geistlichen Rahmen fest, neben der (in der Wiener 
Hofmusik-K. bis um 1600) Instrumentisten undTrom- 
peter getrennte, anderen Hofamtern unterstehende 
Gruppen bildeten, so wurde anderwarts im allgemei- 
nen die Bezeichnung K. auf die Gesamtheit der an ei- 
nem Hof oder an einer Kirche wirkenden Musiker 
iibertragen. Nach Ausweis der Bildzeugnisse wandelte 
sich auch die Auffiihrungsweise; ist fiir das 15. Jh. 
mehrfach rein vokale Besetzung belegt, so zeigen Dar- 
stellungen der K. Maximilians I. Gesang mit Orgel 
(dabei ist an alternatim-Praxis zu denken) oder mit 
Blasern; ab etwa 1550 war Gesang mit verschiedenen 
Instrumenten die Regel, wo nicht - wie in der -> Sixti- 
nischen K. - durch besondere Vorschriften Instrumen- 
te ausgeschlossen waren. Seit dem 17. Jh. dient das 
Wort K. in zunehmendem Mafie zur Benennung von 
Orchestern eines Hofes, einer Stadt, eines Theaters, 
Regiments, Kurorts, schlieBlich eines Unterhaltungs- 
betriebs. - Als historisches Erbe der Kapellmusik im 
15.-16. Jh. hat sich die Satz- und Auffiihrungsweise 
-*■ a cappella bis heute erhalten. Ihre Bezeichnung 
weist darauf hin, daB die K. 2 Jahrhunderte lang der ent- 
scheidende Trager der Kompositionskunst und -lehre 
war. Die groBen Meister dieser Zeit waren fast alle 
(auch Organisten wie Schlick und Hof haymer) Mitglie- 
der einer K. Da die Diskantstimme von Knaben gesun- 
gen wurde, die von einem zur K. gehorenden Magister 
puerorum (oft ein Sanger oder Organist) ausgebildet 
wurden, war auch die Voraussetzung fiir eine konti- 
nuierliche Tradition gegeben. Andererseits zogen oft 
politische Ereignisse, vor allem Regentenwechsel, be- 
trachtliche Veranderungen oder Auflosung einer K. 
nach sich; zusammen mit der ohnehin starken Wan- 
derlust vieler Sanger, den haufigen Reisen ganzer K.n, 
die sich gelegenthch zu regelrechten Wettbewerben 
trafen, sowie der absoluten Vorherrschaft der franko- 
flamischen Kompositions- und Gesangschule forder- 
ten sie die ziemlich gleichmaBige Verbreitung eines 
internationalen Repertoires, das kaum regionale oder 
nationale Besonderheiten zulieB. Die handschriftlichen 
Quellen dieser Musik sind zum groBen Teil in einer 
oder fiir eine K. oder Kantorei entstanden; das No- 
tieren und Ingrossieren gehorte zur Ausbildung des 
jungen Sangers. Die Einzelstimmennotierung der 
fiir die Auffiihrung bestimmten Handschriften hat ihr 
Korrelat in der zur kompositorischen Niederschrift 
und zum Studium benutzten -*■ Tabula compositoria. 
Die sparliche Uberlieferung zur Tabula compositoria 
entspricht dem vorwiegend miindlichen Charakter 
des Unterrichts; was hier gelehrt wurde, wird zum 
ersten Mai bei Tinctoris (in legibus licentiatus ac regis 
Skiliae capellanus) greifbar und begriindet die auBer- 
ordenthche Ergiebigkeit seiner Schriften, die zusam- 
men mit denen seines Schiilers Gafrori fiir die Schul- 
theorie des 16. Jh. grundlegend wurden. 
Lit. : E. Fr. RiMBAULT.The Old Cheque Book of the Chapel 
Royal, London 1871 ; Fr. X. Haberl, Bausteine f. Mg., 3 
Bde, Lpz. 1885-88 ; H. C. de la Fontaine, The King's Mu- 
sic, London 1898; L. Schiedermair, Die Blutezeit d. Ot- 
tingen-Wallerstein'schen Hofk., SIMG IX, 1907/08 ; W. H. 
Gr. Flood, The Engl. Chapel Royal Under Henry V and 
VI, SIMG X, 1908/09; ders., The Beginnings of the Chapel 
Royal, ML V, 1924; ders., Early Tudor Composers, Lon- 



446 



Kastagnetten 



don 1925; M. Brenet, Les musiciens de la Ste-Chapelle 
du Palais, Paris 1910; H.-W. Klewitz, Konigtum, Hofk. 
u. Domkapitel im 10. u. 11. Jh., Arch. f. Urkundenfor- 
schung XVI, 1939, separat Darmstadt 1960; J. Marix, 
Hist, de la musique et des musiciens de la cour de Bour- 
gogne . . ., = Slgmw. Abh. XXVIII, StraBburg 1939; Fr. 
Ll. Harrison, Music in Medieval Britain, London (1958) ; 
J.FLECKENSTEiN.DieHofk.d.deutschenKonigel, = Schrif- 
ten d. Monumenta Germaniae Hist. XVI, 1, Stuttgart 1959; 
G. Pietzsch, Die Beschreibungen deutscher Furstenhoch- 
zeiten . . ., AM XV, 1960; ders., Quellen u. Forschungen 
zur Gesch. d. Musik am kurpfalzischen Hof zu Heidelberg 
bis 1622, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- 
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1963, Nr 6; N. Grass, Pfalzk. u. 
Hofkirchen in Osterreich, Zs. f. Rechtsgesch., Kanonisti- 
sche Abt. XL VI, 1960 - XLVII, 1961; E. Schmidt, Der 
Gottesdienst am kurf iirstlichen Hofe zu Dresden, = Veroff. 
d. Ev. Ges. f. Liturgieforschung XII, Gottingen 1961; B. 
Guillemain, La cour pontificale d'Avignon, = Bibl. des 
Ecoles frc. d'Athenes et de Rome CCI, Paris 1962; W. 
Boetticher, Aus O. di Lassos Wirkungskreis. Neue ar- 
chivalische Studien zur Munchner Mg., Kassel 1963; M. 
Ruhnke, Beitr. zu einer Gesch. d. deutschen Hofmu- 
sikkollegien im 16. Jh., Bin 1963, mit Bibliogr. ; N. Bridg- 
man, La vie mus. au Quattrocento . . ., Paris (1964); U. 
Gunther, Zur Biogr. einiger Komponisten d. Ars sub- 
tilior, AfMw XXI, 1964. 

Kapellknaben (Chorknaben; lat. pueri, scholares; 
ital. f anciulli, putti ; span, mocos de capilla ; f rz. enf ants 
de choeur; engl. choir boys, friiher children of the 
chapel) heiBen die in einer Vokalkapelle singenden 
Knaben. Schon in der hochmittelalterlichen ->• Kapelle 
wurden in der Regel Knaben zum Choralgesang mit 
herangezogen, mit deren Versorgung und musikali- 
scher wie allgemeiner Ausbildung ein Kapellmitglied 
bzw. Magister puerorum beauftragt war. Uberwie- 
gend blieben die K. auch als Erwachsene im Kapell- 
dienst; spater hatten sie vielfach nach dem Stimmbruch 
Anrecht auf ein Stipendium fur das Universitatsstu- 
dium. In den meisten Kapellen des 15.-16. Jh. hatten 
die K. - selten mehr als 10 - den Discantus zu singen. 
Einzelheiten der K.-Ausbildung dieser Zeit beschreibt 
Johannes von Soest, ihre wesentlichen Grundlagen L. 
Senfl. Die meisten bedeutenden Komponisten des 15.- 
16. Jh. und viele aus spaterer Zeit begannen ihre Lauf- 
bahn als K. Seit dem 17. Jh. kann die Bezeichnung K. 
allgemein auf Sangerknaben groBerer Kirchenchore 
ubertragen werden; hiufig ist ein solcher Chor, wie 
die -»■ Maitrise in Frankreich, mit einer Internatsschule 
verbunden. 

Lit. : M. Brenet, Les musiciens de la Ste-Chapelle du Pa- 
lais, Paris 1910, S. 15ff.; J. v. Soest, Selbstbiogr., hrsg. v. 
J. C. v. Fichard, in : Frankf urtisches Arch. f. altere deut- 
sche Lit. u. Gesch. I, 1811 ; L. Senfl, Liedtext »Lust hab 
ich ghabt zuer Musica«, in: Deutsche Lieder I, hrsg. v. A. 
Geering u. W. Altwegg, = RD X, Abt. Mehrst. Lied I, 
Wolfenbuttel u. Bin 1938. 

Kapellmeister (lat. magister cappellae) ist entweder 
der Letter eines Chores (ital. maestro del coro; frz. 
chef dechceur; engl. choirmaster) oder eines Orchesters 
(auch Dirigent; ital. direttore; frz. chef d'orchestre; 
engl. conductor). Der Titel ist zuerst in der Form Ma- 
gister capellanorum regis um die Mitte des 1 1 . Jh. am 
franzosischen Konigshof nachzuweisen und bezeichnet 
hier bis um 1300 den obersten Hofgeistlichen. Am 
papstlichen Hof in Avignon wird der Letter der Ca- 
pellani et cantores capellae intrinsecae ab 1341 Magister 
capellae (-»■ Kapelle) genannt. In gleichem Sinne heifit 
K. bis 1500 nicht ein Musiker, sondern der Geistliche, 
dem die Leitung des herrscherlichen Gottesdienstes und 
damit die Oberaufsicht iiber die Kapellsanger oblag. 
Noch jetzt bezieht sich in Italien Maestro di cappella 
und in Frankreich MaJtre de chapelle auf Kirchenmu- 
siker. Dagegen wurde K. in Deutschland seit dem 16. 



Jh. zum Titel des Leiters einer Hofmusik (in Frank- 
reich im 17.-18. Jh. Surintendant de la musique du Roi, 
in England Master of the King's Music), dem im 
stadtisch-kirchlichen Bereich der Titel Director mu- 
sices (-> Musikdirektor) entsprach. Mit dem Absinken 
des Wortes Kapelle verliert auch die Benennung K. 
im 19. Jh. ihren bis dahin hohen Rang; sie kann nun 
auf jeden Leiter eines musikalischen Ensembles ange- 
wendet werden, bezeichnet besonders den 2. oder 3. 
Dirigenten, der dem Musikdirektor oder (Chef-)Diri- 
genten nachgeordnet ist. K. dient nun auch zur abfal- 
ligen Charakterisierung eines bloB routinierten Or- 
chesterleiters, wie auch eine eklektische Komposition 
nun geringschatzig als »K.-Musik« bezeichnet wird. 

Kapodaster ->• Capotasto. 

Karlsruhe. 

Lit.: W. Harder, Das K.r Hoftheater, mit einem Anh.: 
Die K.r Oper, v. J. Siebenrock, K. 1889; H. Ordenstein, 
Mg. d. Haupt- u. Residenzstadt K. bis 1914, K. 1915; H. 
Poppen, Gesch. d. GroBherzoglichen Hofkirchenmusik zu 
K., MGkK XXIV, 1919; W. Bauer, Das Hoftheater zu K. 
1715-1810, Diss. Heidelberg 1923, maschr.; G. Haass, 
Gesch. d. ehemaligen GroBherzoglich-Badischen Hof- 
theaters K 1806-52, Bd I: 1806-22, K. 1934. 

Kassation (von ital. cassatione, Entlassung), im 18. 
Jh. ein mehrsatziges, locker gereihtes Werk im Cha- 
rakter eines Standchens fur mehrere, meist solistisch 
besetzte Instrumente. Die K. wurde wohl vorwiegend 
fur Auffuhrungen im Freien komponiert. Eine ein- 
deutige Abgrenzung zu den verwandten Gattungen ist 
nicht moglich; der fur einige K.en charakteristische 
Marsch als Einleitungs- oder SchluBsatz findet sich 
z. B. auch in Divertimenti. Bezeichnend ist, daB bei J. 
Haydns Streichquartetten Nr 1-12 im Entwurfkatalog 
(vgl. Hob. I) der urspriingliche Titel Cassatio in Di- 
vertimento geandert wurde. Oft kommen die Bezeich- 
nungen Cassatio, Divertimento, Notturno, auch Sin- 
fonia in verschiedenen zeitgenossischen Ausgaben oder 
Abschriften gleicher Werke synonym vor. 
Lit.: KochL, Artikel Cassatio; A. Sandberoer, Zur 
Gesch. d. Haydnschen Streichquartetts, in: Ausgew. Auf- 
satze zur Mg. I, Miinchen 1921 ; G. Hausswald, Mozarts 
Serenaden, Lpz. 1951 ; R. Hess, Serenade, Cassation, Not- 
turno u. Divertimento bei M. Haydn, Diss. Mainz 1963. 

Kassel. 

Lit.: J. D. v. Apeix, Gallerie d. vorzuglichsten Tonkiinst- 
ler u. merkwiirdigen Musik-Dilettanten in Cassel, K. 1806; 
W. Lyncker, Gesch. d. Musik u. d. Theaters in K., K. 
1865, 21886; W. Bennecke, Das Hoftheater in K. v. 1814 
bis zur Gegenwart, K. 1906 ; H. Kummer, Beitr. zur Gesch. 
d. . . . Hoforch., d. Hofoper u. d. Musik zu K. im Zeitraum 
v. 1760-1822, Diss. Ffm. 1922, maschr.; Fr. Blume, Geist- 
liche Musik am Hofe d. Landgrafen Moritz v. Hessen, K. 
1931 ; Jubilaum d. Hessischen Staatskapelle K. 1502-1952, 
K. 1952; Chr. Engelbrecht, Die Hof kapelle d. Landgra- 
fen Carl v. Hessen-K., 1677-1730, Zs. d. Ver. f. Hessische 
Gesch. u. Landeskunde LXVIII, 1957; dies., Die K.er 
Hof kapelle im 17. Jh. u. ihre anon. Musikhss. aus d. K.er 
Landesbibl., = Mw. Arbeiten XIV, K. 1958; E. Wolff v. 
Gudenberg, Beitr. zur Mg. d. Stadt K. unter d. letzten bei- 
den Kurfursten (1822-66), Diss. Gottingen 1958, maschr. ; 
K. Votterle, Haus unterm Stern, K. 1963. 

Kastagnetten (span, castafiuelas, ma. castanetas; ka- 
talanisch castanyoles; andalusisch auch palillos, Holz- 
chen; portugiesisch castanholas; ital. castagnette und 
castagnolc; frz. castagnettes ; engl. castanets), ein ein- 
faches, in Spanien und Unteritalien verbreitetes Klap- 
perinstrument, bestehend aus 2 Holzschalen (etwa von 
der Gestalt einer mitten durchgeschnittenen Kasta- 
nienschale), die mit einem Band am Daumen befestigt 
und mit den anderen Fingern gegeneinander geschnellt 
werden. Gespielt werden die K. von Tanzern (so beim 



447 



Kastilien 



-> Flamenco). Ein ahnlicher, auch K. genannter Effekt 
(Nebrija, 1492: castafiuelas entre dedos, digitorum 
crepitus) kann auch durch Abschnellen der Finger von 
der Daumenspitze auf den Daumenballen (»Finger- 
schnalzen«) erzielt werden. Im modernen Orchester 
werden zur Kennzeichnung spanischen oder neapoli- 
tanischen Kolorits (Carmen von Bizet, Tannhauser von 
Wagner) 3teilige K. verwendet, bei denen die beiden 
Schalen abwechselnd gegen ein flaches Mittelteil schla- 
gen, das an einem Stiel gehalten wird. .-»■ Krotala. 
Lit. : Fray J. Fernandez de Rojas (Pseudonym Fr. A. Flo- 
rencio), Crotalogia 6 ciencia de las castafiuelas, Madrid 
1792; Fr. Asenjo Barbieri, Las castafiuelas. Estudio jo- 
coso, Madrid 1 879 ; A. Moya, El triunfo de las castafiuelas, 
Barcelona 1 882 ; Fr. A. Gevaert, Nouveau traite d'instru- 
mentation, Paris 1885, deutsch v. H. Riemann, Lpz. 1887. 

Kastilien 

Lit. : E. GARcfA Chico, Documentos para el studio del arte 
enCastilla. Maestrosde Hacer Organos, AM VII, 1953; 
D. Devoto, La enumeracion de instr. mus. en la poesia 
medieval castellana, in: Miscelanea en homenaje a H. 
Angles 1, 1958-61 ; Cancionero popular de la Provincia de 
Madrid, hrsg. v. M. GarcIa Matosu. a., 3 Bde, I— II Bar- 
celona 1951-52, III Madrid 1960, 

Kastraten (ital. castrati, von lat. castrare, verschnei- 
den), auch Evirati. In Italien wurde schon seit der SpSt- 
antike die Verstummelung von Knaben vorgenom- 
men, um die ->■ Mutierung zu verhiiten und die Kna- 
benstimme zu erhalten. Die Stimme der erwachsenen 
K. vereinigte mit dem Timbre und der Tonlage der 
Knabenstimme (soprano oder contralto) die Brustre- 
sonanz und Lungenkraf t des Mannes ; dies erlaubte die 
Ausfiihrung von virtuosen Passagen und eine erstaun- 
liche Ausdehnung der -*■ Messa di voce. In der katholi- 
schen Kirchenmusik in Italien vertraten die K. seit dem 
17. Jh. zunehmend die -»• Falsettisten bei der Ausfiih- 
rung des Diskants, doch war der eigentliche Ort ihrer 
Erfolge die Oper. Eine Glanzleistung des beriihmten 
K.-Sangers -> Farinelli (f 1782) ist in dessen Ausarbei- 
tung der von seinem Bruder R. Broschi komponierten 
Arie Son qual nave erhalten, die als Einlage der von 
J.A.Hasse 1730 in Venedig uraufgefiihrten Oper Ar- 
taserse diente. Das Publikum bevorzugte K.-Stimmen 
so sehr, daB in der Opera seria Mannerstimmen nahezu 
verschwanden. Sogar die Frauenstimmen hatten es 
nicht leicht, sich zu behaupten, und iibernahmen des- 
halb ofters Mannerrollen (»Hosenrollen«). Der K.- 
Sanger Senesino (Fr. -> Bernardi) gait um 1710 mit 
seinem Mezzosopran als einer der besten Sanger Euro- 
pas. Von B. Ferri berichtet A.Bontempi 1695, daB sich 
um seine Dienste mehrere Fursten bemuhten, weil er 
eine Sopranstimme von unbeschreiblicher Reinheit und 
Technik besaB. Der K.-Sanger G.Cafarelli (t 1783) 
konnte sich von seinem erworbenen Vermogen ein 
Herzogtum kaufen. Angesichts der Erfolge einiger K. 
wurde die Kastration zu Ende des 17. Jh. zu einer ver- 
werflichen Spekulation. Die katholische Kirche hat 
zwar 1587 die Kastration verboten, doch war schon 
1588 ein Kastrat papstlicher Sanger, und in A. -»• Mo- 
reschi (f 1922) hat die Sixtinische Kapelle noch zu Be- 
ginn des 20. Jh. einen K. besessen. 
Lit.: Ch. Ancillon, Traits des eunuques . . ., o. O. 1707; 
A. Vallisnieri, Lettres sur la voix des eunuques, Genf 
1 730 ; G. Monaldi, Cantanti evirati celebri del teatro ital., 
Rom 1920; Fr. Habock, Die K. u. ihre Gesangskunst, Bin 
u. Lpz. 1927; H. B. Bowman, A Study of the Castrati Sin- 
gers and Their Music, Diss. Indiana Univ. 1952; A. He- 
riot, The Castrati in Opera, London 1956; H. Hucke, 
Die Besetzung v. S. u. A. in d. Sixtinischen Kapelle, in: 
Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; 
Fr. Herzfeld, Magie d. Stimme, Bin, Ffm. u. Wien (1961); 
W. Ruth, Die K. u. ihre Gesangskunst, in : Biihnengenos- 
senschaft XV, 1963. 



Katabasis (griech., Abstieg; lat. descensus), in der 
Kompositionslehre des 17. und 18. Jh. eine musikali- 
sche Figur. Sie besteht aus einem deutlich sich abhe- 
benden Abwartsgang einer Stimme und dient haufig 
zur bildhaften Darstellung von Textaussagen wie »hin- 
abfahren«, »Erde«, »H6lle«, »Erniedrigung«, »Knecht- 
schaft« u. a. (Beispiel: -> Paronomasia). Die K. ge- 
hort wie ihr Gegensatz, die -»■ Anabasis, zur Gruppe 
der ->• Hypotyposis-Figuren. 

Katalonien. 

Ausg. : — ► DenkmSler (Spanien). 

Lit. : A. El! as de Molins, Diccionario biogr.-bibliogr. de 
escritores y artistas catalanes del s. XIX, Gaceta mus. bar- 
celonesca 1860ff. u. Revistamus. catalana 1904ff. ; O. Ur- 
sprung, Span.-katalanische Liedkunst d. 14. Jh., ZfMw 
IV, 1921/22; H. Angles, Cantors u. Ministrers in d. Dien- 
sten d. Konige v. K.-Aragonien im 14. Jh., Kgr.-Ber. 
Basel 1924; ders., La musica a Catalunya fins al s. XIII, 
= Publicacions del Departament de musica de la Bibl. de 
Catalunya X, Barcelona 1935; Fr. Pujol, L'oeuvre du 
chansonnier populaire de la Catalogne, Kgr.-Ber. Wien 
1927 ; D. Johner OSB, Die Musik in K. bis zum Ende d. 1 3. 
Jh., Benediktinische Monatsschrift XVIII, 1936; H. Bes- 
seler, Katalanische Cobla u. Alta-Tanzkapelle, Kgr.-Ber. 
Basel 1949 ; J. Amades, Folklore de Catalunya, 2 Bde, Bar- 
celona 1950-51; ders., Strumenti di musica popolare in 
Catalogna, in: Kgr.-Ber. Musiche popolari mediterranee 
Palermo 1954, Palermo 1959; ders., Las danzas de espadas 
y de palos en Cataluiia . . . , AM X, 1 955 ; J. Romeu Figue- 
ras, El cantar paralelistico en Cataluiia . . . , AM IX, 
1954; M. Schneider, Singende Steine. Rhythmus-Studien 
an drei katalanischen Kreuzgangen romanischen Stils, 
Kassel 1955; H. Pepratx-Saisset, La sardane. La danse 
des Catalans, Perpignan 1956; M. Valls, La musica cata- 
lana contemporanea, Barcelona 1960. 

Kaval, volkstiimliche jugoslawische Langsflote, die 
auch in Albanien, Bulgarien und Rumanien vorkommt, 
von enger Mensur, vorn 7 Griff- und 3 Schallocher, 
hinten je ein Griff- und Schalloch. Der K. wird schrag 
an den Mund gesetzt, der Klang ist weich; meist wer- 
den zwei gleiche Instrumente gespielt, entweder im 
Einklang oder mit Bordun. 

Kavatine (ital. cavatina, Diminutiv von cavata; frz. 
cavatine) ist in Opern und Oratorien des 18. und 19. 
Jh. ein lyrisches Sologesangstiick mit Instrumentalbe- 
gleitung, das sich von der Arie durch einfachere, fast 
liedmaBige Behandlung abhebt, Textwiederholungen 
und groBere Koloraturen einschrankt und mit seinem 
schlichten, ein- bis zweiteiligen Aufbau vom Schema 
der Da-Capo-Arie abriickt. Die K. entwickelte sich 
aus der -> Cavata des friihen 18. Jh. zu einem selbstan- 
digen Stiick. Beispiele aus dem Bereich des Oratoriums 
sind die K.n Dem Druck erlieget die Natur und Licht und 
Leben sind geschwachet in J.Haydns Die Jahreszeiten; aus 
dem Bereich der Oper sind vor allem die 3 K.n aus he 
Nozze di Figaro von W.A.Mozart zu nennen sowie 
die K.n von CM. v. Weber: Und ob die Wolke sie ver- 
hulle (Freischutz), Glbcklein im Thale und Hier dicht am 
Quell (Euryanthe). - Gelegentlich kommt Cavatina als 
Satziiberschrift in der Instrumentalmusik des 19. Jh.vor, 
z. B. in Beethovens Streichquartett op. 130 (5. Satz) bis 
hin zu J. J. Raffs Stucken fur V. und Kl. op. 85, Nr 3. 
Lit. : N. Pirrotta, Falsirena e la piu antica delle cavatine, 
CHM II, 1957. 

Kegellade ->• Windlade. 

Kehlkopf -> Stimme (- 2). 

Kemance (persisch) ->-Kamanga. 

Kenner und Liebhaber. An den Schonen Kiinsten 
hatten im 18. Jh. neben den Berufskunstlern die K. 
(frz: connaisseurs) und L. (frz. amateurs) groBen An- 
teil. Der haufig synonym und vor dem 19. Jh. stets in 



448 



Kinderlied 



positivem Sinn gebrauchte Ausdruck Dilettant (von ital. 
diletto, Vergniigen) umfaBte beide Arten von Kunst- 
und Musikinteressierten. Als Dilettanti bezeichneten 
sich im 16.-18. Jh. in Italien Hofleute, darunter Musi- 
ker wie Gesualdo, Cavalieri, Bardi, Albinoni, Astorga 
und Marcello. Im Musikleben des 18. Jh. ist K., wer 
die Regeln der Musik, auch die der alten oder nationa- 
len Stile, kennt und die Kompositionen danach beur- 
teilt. Ein K. war z. B. der Baron van Swieten, der Mo- 
zart zum Studium des gebundenen Stils Bachs und 
Handels anregte. Der L. dagegen spielt oder geniefit 
die Musik unbefangen. Seinem Verstandnis kommen 
Oberschriften entgegen, wie sie u. a. fiir Symphonien 
und Sonaten Haydns und Beethovens gangig sind. Der 
Forderung, die Musik dem Ort und der Zeit ihrer 
Auffiihrung sowie den Zuhorern anzupassen, die im 

18. Jh. Heinichen, Scheibe, Quantz und Reichardt 
stellten, entspricht es, wenn Komponisten in ihren 
Werken fiir L. auf gearbeitete oder gelehrte Setzweise, 
auf improvisiert auszuzierende Adagios und schwierige 
Modulationen verzichten und das Brillante und Gefdllige 
(Quantz) des -»■ Galanten Stils bevorzugen. Die Be- 
stimmung fiir K. oder L. wurde oft im Titel ausge- 
sprochen; dabei gilt die Widmung an das »schone Ge- 
schlecht« (z. B. C. Ph. E.Bach, Six sonates pour le clave- 
cin, a I'usage des dames, 1770) als gleichbedeutend mit 
»fur L.«. D.Scarlatti bestimmte seine Essercizi per gra- 
vicembato (1738), Boccherini seine Quartette op. 1 
(1761) und C. Ph. E.Bach seine 6 Sammlungen Sona- 
ten, Fantasien und Rondos (1779-87) ausdriicklich fiir 
K. u. L. Auch Mozart schrieb in der Regel fiir beide, 
wenn auch z. B. in seinen Klavierkonzerten erkennbar 
solche fiir K. (K.-V. 449 und 453 fiir Barbara de Ployer; 
K.-V. 491) neben den Virtuosenkonzerten stehen. Das 
Mechanische der Ausfiihrung konnten K. u. L. be- 
herrschen. Mit der Steigerung der Spieltechnik in der 
1. Halfte des 19. Jh. jedoch wurden viele Kompositio- 
nen nur noch fiir Berufsspieler und -»■ Virtuosen aus- 
fiihrbar; wo sich der L. dennoch mit ihnen vorwagte, 
kam fiir ihn der jetzt abschatzige Begriff des Dilettan- 
ten auf, wahrend gleichzeitig der des Kiinstlers eine 
Aufwertung zu seiner heutigen Bedeutung erfuhr. 
Seit der 2. Halfte des 18. Jh. gab es organisierte Kon- 
zerte (-»■ Konzert - 2) fiir oder mit Beteiligung von 
L.n, so die Concerts des amateurs ab 1769 in Paris, die 
mit den Concerts spirituels rivalisierten. Bis weit in das 

19. Jh. blieb der L. fiir offentliches Auftreten als Or- 
chester- oder Chormitglied geschatzt, doch zog er sich 
mehr und mehr auf die ->• Hausmusik bzw. den Kon- 
zertbesuch zuriick. 

Lit. : J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie d. Schonen Kilnste, 
2 Teile, Lpz. 1771-74 u. 6. ; J. W. v. Goethe, Ober d. soge- 
nannten Dilettantismus oder d. practische Liebhaberey in 
d. Kunsten, 1799, in: Werke I, 47, Weimar 1896; KochL; 
H. J. Moser, Amateur u. Professional, Mk XX, 1927/28; 
ders., Die friihesten Zs. f. Musikliebhaber, Die Volksmu- 
sik V, 1938; A. Schering, Kilnstler, K. u. L. d. Musik im 
Zeitalter Haydns u. Goethes, JbP XXXVIII, 1931 ; E. 
Preussner, Die burgerliche Musikkultur, Hbg 1935, Kas- 
sel 2 1950; O. Schreiber, Orch. u. Orchesterpraxis in 
Deutschland zwischen 1780u. 1850, = Neuedeutsche For- 
schungen CLXXVII, Abt. Mw. VI, Bin 1938; H. Chr. 
Worbs, Komponist, Publikum u. Auftraggeber . . . , Kgr.- 
Ber.Wienl956. 

Kenong -*■ Gong. 

Kenthorn -*■ Klappenhorn. 

Kettledrum (k'etldjAm, engl.) ->• Pauke. 

Key (ki:, engl., Schliissel) ist wie das lateinische 
-*■ clavis ein Wort von vielfacher Bedeutung: Taste 
bei Klavier, Orgel usw., Klappe (ital. chiave; frz. 
clef) bei den Blasinstrumenten, Tonbuchstabe, Schliis- 



sel, Vorzeichen, auch Tonart (frz. clef); key-note ist 
s. v. w. Tonika, keyboard (frz. clavier) s. v. w. Kla- 
viatur und bei Saiteninstrumenten das Griffbrett mit 
Biinden. 

Kiedrich (Rheingau). 

Lit. : W. Lipphardt, Die K.er Schola, Musica sacra LXVII, 
1937; ders., K. im Rheingau, ein Dorf mit 600jahriger 
Choraltradition, Benediktinische Monatsschrift XIX, 
1937; P. Smets, Org. d. St. Valentinuskirche zu K., Mainz 
1945; G. Toussaint, Neue Quellen zur Gesch. d. Chor- 
stifts K., AfMw XIX/XX, 1962/63. 

Kiel. 

Lit. : W. v. Gersdorff, Gesch. d. Theaters in K. unter d. 
Herzogen zu Holstein-Gottorp bis 1773, = Mitt. d. Ges. f. 
K.erStadtgesch.Nr27,1911u.Nr28,1912;TH.Voss,P.L. 
WockenfuB, Kantor an St. Nicolai in K. v. 1708-21, eben- 

da Nr 33, 1926 ; G. Junge, Die Gesch. d. Theaters in K 

1774-1841, Diss. K. 1928; K. Gudewill, Musik an d. K.er 
Univ., Kgr.-Ber. K. 1963; ders., Musik an d. K.er Univ., 
in: Norddeutsche u. nordeuropaische Musik, = K.er 
Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965; ders., Zur Gesch. d. 
Faches Mw. an d. Chr.-Albrechts-Univ. in K., in: Musik- 
erziehung in Schleswig-Holstein, ebenda XVII, 1965. 

Kielfliigel ->• Cembalo. 

K'in (chinesisch), eine Wolbbrettzither aus Holz mit 
(5-)7 seidenen Saiten in verschiedenen Stimmungen 
(darunter eine in Quinten). Das K. wird auf einen 
Tisch (»K.-Altar«) gelegt, die rechte Hand zupft die 
Saiten ohne Plektron, die linke greif t ; zum Auf finden 
der Tone sind unter der Melodiesaite Griffmarken an- 
gebracht. Das K. wird zuerst erwahnt im Shi-king 
(»Buch der Lieder«, aus dem 9.-6. Jh. v. Chr.), doch 
soil es schon Jahrhunderte friiher entstanden sein. Es 
gait vor allem als sakrales Instrument; besonders der 
Taoismus (seit dem 6. Jh. v. Chr.) hat sich spekulativ 
mit ihm beschaftigt. Das Spiel auf dem K. bliihte vor 
allem in der Ming-Dynastie (um 1368-1644) ; die her- 
vorragende Schrift aus dieser Zeit ist K'in shen shih liu 
fa (»16 Regeln fiir die Tone des K.«) von Leng Chien 
(um 1375). Darin werden die vielfaltigen Klangschat- 
tierungen beschrieben, die bei der leichten Ansprache 
des Instruments je nach Wahl des Fingers und der An- 
schlagstelle erzeugt werden konnen. Eine altere chi- 
nesische Notation ist durch eine jiingere, wohl buddhi- 
stische (mit mehr als 200 Zeichen) verdrangt worden. 
Lit. : R. H. v. Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokio 
1940, Addenda u. Corrigenda Tokio 1951 ; DERS.,Hsi K'ang 
and His Poetical Essay on the Lute, Tokio 1941; H.Trefz- 
ger, Das Musikleben d. T'ang-Zeit, Sinica XIII, 1938; 
ders., Ober d. K , SMZ LXXXVIII, 1948. 

Kinderlied. Den verschiedenen Entwicklungsstufen 
vom Kleinkind bis ins Schulalter entsprechen in Text 
und Melodik durchaus verschiedene Stufen des K.es. 
Wahrend nach oben die Grenze zum -> Volkslied 
fliefk, steht das fiir Kleinkinder geeignete K. textlich 
und melodisch auf einer Stufe, die vielfach urtiimlich 
erscheint : Aneinanderreihung pentatonischer Melodie- 
formeln, haufig Wortklangspiele oder Lautmalerei; 
eintonige, »leiernde« Melodik geht einher mit einfor- 
migem, meist geradtaktigem Rhythmus, den schon 
das Kleinkind bald spontan mit Bewegungen verbin- 
det. Im 2. Lebensjahr beginnt das Nachplappern der 
Texte oder Nachsingen der Melodien. Der Stimm- 
umfang ist meist noch auf di-a 1 beschrankt, Halbtone 
werden schwerer intoniert. Das K. ist Basis und Grund- 
stock der -> Musikerziehung. Von der individuellen 
Entwicklung des Kindes ist es abhangig, wann K.er 
im Umfang von Sexte und Oktave und in 3teiliger 
Liedform erfafit werden. Daneben bleibt die Verbin- 
dung zwischen reihender, oft halbtonloser Melodik 
und Bewegungsspielliedern und Abzahlversen be- 



29 



449 



K'ing 



stehen. - Das K. tragt Sinnzusammenhange der Um- 
welt dem Kind als gesungene Sprache zu. Anderer- 
seits werden Texte oft rein lautlich, ohne Sinnver- 
standnis aufgenommen und weitergegeben. In man- 
chen K.-Texten finden sich Nachklange von Sagen 
oder Brauchtum der Vergangenheit, moglicherweise 
sogar Reste alter Zauber- oder Beschworungsformeln 
(z. B. : Heile, heile, Segen . . .). Moritaten und Balladen, 
Reigenspiele, Mittwinterlieder sind ins K. eingegan- 
gen. Manche K.-Texte und -Motive sind international 
verbreitet (z. B. Briickenlieder), bei regionaler Ver- 
schiedenheit der Melodien. - Die erste Textsammlung 
von K.ern boten A. v. Arnim und C.Brentano im An- 
hang zumlll. Band von Des Knaben Wunderhom (1808). 
Seit Mitte des 19. Jh. erschienen zahlreiche Publikatio- 
nen mit meist regionalem Repertoire, leider nur selten 
mit den Melodien. In von Musikern besorgten Ausga- 
ben erhielten die K.er oft Durschlusse, oder die fur 
das K. charakteristischen gesprochenen Schliisse wur- 
den mit festen Tonhohen wiedergegeben; die miind- 
lich iiberlieferten Texte und Melodien wurden ortho- 
graphisch bearbeitet, die oft allzu einformigen Melo- 
dien »belebt«. Die Jugendmusikbewegung brachte die 
Besinnung auf das ursprunglich KindgemaBe im K. 
(Jode, Orff). - Die Liederfur Kinder (nach dem gleich- 
namigen Gedichtband von F.Chr.WeiBe) von J. A. 
Scheibe (1766 und 1768) gehoren der -»■ Schulmusik 
an; Reichardts Liederfur Kinder (1781) stehen auf der 
Grenze zwischen Kunst- und Volkslied (daraus z. B. 
Schlaf, Kindchen, schlaf). In der Romantik regte das K. 
Dichter und Komponisten an, sich bewuBt »kindlich« 
zu geben, z. B. Schumann, Brahms, Reger, Humper- 
dinck, Prokofjew, Knab; Mussorgskij verarbeitete K.- 
Motive milieuschildernd in seiner »Kinderstube«. 
Ausg. u. Lit.: Fr. Zimmer, Volkstiimliche Spiellieder u. 
Liederspiele, Quedlinburg 1879; J. Lewalter (mit G. Es- 
kuche), Hessische Kinderliedchen, Kassel 1891 ; ders. (mit 
G. Schlager), Deutsches K. u. Kinderspiel, in Kassel . . . 
gesammelt, Kassel 1911; P. Eickhoff, Westfalische ma. 
Volkslieder, VfMw VIII, 1892; Fr. M. Bohme, Deutsches 
K. u. Kinderspiel, Lpz. 1897, Neudruck 1924; W. Lehn- 
hoff, Schone alte Singspiele, Miinchen 1907, 21918; K. 
Wehrhan, K. u. Kinderspiel, = Hdb. zur Volkskunde IV, 
Lpz. 1909; ders. u. J. Dillmann, Vierzehn Engel fahren. 
K., in Frankfurt gesammelt, Ffm. 1923; ders., Frankfur- 
ter Kinderleben in Sitte u. Brauch, K. u. Kinderspiel, Wies- 
baden 1 929 ; Fr. J6de, Ringel Rangel Rosen. 1 50 Singspie- 
le u. 100 Abzahlreime . . ., Lpz. 1913, '•1928; ders., Sing- 
sang for Kinners, = Uns' Modersprak III/IV, Wolfenbiit- 
tel 1930; H. Enders, Ringa Ringa Reia, = Osterreichisches 
Liederbuch I, Wien 1924; J. Wenz, K. u. Kinderseele, in: 
Musikerziehung. Stuttgarter Vortrage, hrsg. v. H. Keller, 
Kassel 1928; ders., Die goldene Briicke, Kassel 1929; M. 
Bohm, Volkslied, Volkstanz u. K. in Mainfranken, Nurn- 
berg 1929 ; K. Ameln u. H. Hetzer, Lied u. Musik im Kin- 
derleben, Kassel 1933 ; A. G6pel, Der Wandel d. K. im 18. 
Jh., Diss. Kiel 1935, maschr. ; E. Goedel u. G. Waldmann, 
Kinder singt mit, Mainz (1936); W. Pudelko, Das Rosen- 
tor, Kassel 1941 ; ders., Mutter Sonne, Kassel (1942); E. v. 
Bochmann-Eggebrecht u. H. Degn, Sonne Sonne schei- 
ne, Hbg 1949; J. u. P. Opie, The Oxford Dictionary of 
Nursery Rhymes, Oxford 1951 ; dies., The Oxford Nursery 
Rhyme Book, Oxford 1955 ; B. Kurth, Das deutsche K. d. 
19. Jh., Diss. Halle 1955, maschr.; R. Lorbe, Das K. in 
Nurnberg. Versuch einer Phanomenologie des K., = Ntim- 
berger Forschungen III, Nurnberg 1956; B. Bronson, The 
Traditional Tunes of the Child Ballads with Their Texts, 
According to the Extant Records of Great Britain and 
America, Princeton (N. J.) 1959; W. S. Miles, Children's 
Hymn and Chorus, London 1960; H. M. Enzensberger, 
Allerleirauh, Ffm. 1961 (mit Bibliogr.); E. May, The In- 
fluence of the Meiji Period on Japanese Children's Music, 
Berkeley u. Los Angeles 1963. HHa 

K'ing (tjing), chinesisches Schlaginstrument aus der 
Familie der -»■ Lithophone. Es hat die Form eines 



stumpfen Winkels; an dessen kurzerem Schenkel sind 
in einem reich verzierten Gestell in 2 Reihen meist 16, 
in friihercn Zeiten auch 12, 14 oder 24 Klingsteine auf- 
gehangt, die mit Kloppeln angeschlagen werden. Jede 
der beiden Reihen bildet eine Folge von Ganztonen, 
die obere Reihe steht einen Halbton iiber der unteren : 
fis gis ais/b c d e fis 1 gisi 
f g a h cis dis f 1 g 1 

Von den 12 Tonstufen (-> Lii) des chinesischen Tonsy- 
stems enthalt die obere Reihe die »weiblichen« Tone 
(yin lii), die untere die »mannlichen« (yang lii). Diese 
Anordnung ermoglicht das Spiel aller traditionellen 
(im Prinzip pentatonischen) Melodien, ihre Transpo- 
sition und jeden Moduswechsel. Das Instrument wur- 
de im Tempel- und Hof orchester verwendet. ->■ Chi- 
nesische Musik. 

Lit. : P.-M. Cibot, Essai sur les pierres sonores de Chine, 
in: Memoires concernant l'hist., les sciences, les arts . . . des 
Chinois ... VI, Paris 1780; A. V. Moule, A List of the 
Mus. and Other Soundproducing Instr. of the Chinese, 
Journal of the North China Branch of the Royal Asiatic 
Soc. XXXIX, 1908; Fr. A. Kuttner, A »Pythagorean« 
Tone-System in China. . ., Kgr.-Ber. Koln 1958. 

Kinnor (hebraisch), eine Leier, ist neben dem Schofar 
im Alten Testament das am haufigsten erwahnte In- 
strument. Jubal wird (Gen. 4, 21) als Vorvater der K.- 
und 'Ugab- Spieler genannt. Danach begegnet K. erst 
wieder (1. Sam. 10, 5) als Instrument in den Handen 
von Wanderpropheten, zusammen mit -> Newel, 
Toph und Chalfl. Davids K. ist die assyrische Form der 
Jochleier mit geschlossenem trapezoidem Rahmen 
iiber dem Corpus und facherartiger Bespannung mit 
meist 5, 7 oder 9 Saiten. Es war Hauptinstrument der 
Tempelperiode und verbreitete sich iiber die syri- 
schen Nordprovinzen westlich bis nach Hellas. - In 
den Handen des koniglichen Dichtermusikers David 
wird die Leier K. zum Symbol der Musik uberhaupt. 
Leier und Harfe waren die bevorzugten Begleitinstru- 
mente zum Gesang der Psalmen und religioser Poesien. 

Kinoorgel ist ein Orgeltyp, der bei kleinem Pfeifen- 
bestand eine groBe Anzahl von Registerausziigen be- 
sitzt. Auch werden Schlaginstrumente, wie Gong, Vi- 
braphon, kleine Trommel, iiber die Manual? und das 
Pedal gespielt. Das ganze Instrument steht in Schwell- 
kasten. Die K. wurde vor allem von der Wurlitzer 
Company in den USA gebaut. Ursprunglich hatte die 
K. den Stummfilm musikalisch zu illustrieren, sie ist, 
wie die -> Hammondorgel, auch fiir Unterhaltungs- 
musik und Schlager geeignet. 

Kirchenlied ist, sofern nicht in einem allgemeinen 
Sinn als geistliches gegenuber dem weltlichen Lied 
verstanden, das nationalsprachige Gemeindelied als 
Symbol christlichen Glaubens und Bestandteil des 
Kultus. Wesentlich fiir den Begriff K. ist der mit ihm 
verbundene Anspruch: das K. hat Tradition, ist allge- 
meingiiltig und allgemein verbreitet; es steht fiir den 
ganzen Glaubensinhalt der Kirche. - Die Bezeichnung 
K. setzte sich um die Mitte des 17. Jh. durch, als (wie 
im Titel des Luneburgischen Gesangbuchs von 1661) 
zwischen gewohnlkhen alten Kirchen-Liedern und neuen 
niitzlkhen Gesdngen, d. h. zwischen dem alten Choral 
Lutherscher Pragung und dem neuen Andachtslied 
(Aria), bewuBt unterschieden wurde. Hier ist das K. 
durch seine Zugehorigkeit zum erweiterten Corpus 
reformatorum, seine Aufgabe im Gemeindegottes- 
dienst, seine allgemeine Verbreitung und die Einheit 
von Wort und Weise bestimmt, die Aria dagegen als 
erbauliches, vor allem der Privatandacht dienendes 
geistliches Lied, das weder lange Lebensdauer noch 
Symbolcharakter beansprucht. Wahrend diese Kluft 



450 



Kirchenlied 



in anderen europaischen Landern (mit Ausnahme 
Schwedens) weitaus weniger zutage tritt, da dort die 
alten Lieder allmahlich umgesungen und zum Teil 
durch neue ersetzt wurden, bestimmte sie die weitere 
Geschichte des deutschen K.es. Nachdem gegen 1700 
einerseits der KanonisierungsprozeB des reformatori- 
schen Liedes abgeschlossen worden, andererseits das 
neue Andachtslied tiefer in die kirchliche Frommig- 
keit eingedrungen war, folgte - etwa mit den Lebens- 
daten Bachs sich deckend - eine Ubergangszeit, in der 
auch viele Andachtslieder Eingang in den fur den 
Gottesdienst bestimmten Liedkanon fanden. In der 
Zeit des spaten Pietismus Hallescher und Herrnhuter 
Pragung, noch starker im Zeichen der Aufklarung ab 
etwa 1750, nahm man dann gerade am kanonischen 
Anspruch des reformatorischen Liedes AnstoB und er- 
setzte es weitgehend durch »zeitgemaBe« Andachtslie- 
der erwecklichen oder aufgeklarten Inhalts. Mit Be- 
ginn des 19. Jh. erfolgte, durch Herder vorbereitet und 
u. a. von E.M. Arndt vorgetragen, ein GegenstoB, der 
wiederum dem reformatorischen K. zu seinem Recht 
gegeniiber pietistischer und rationalistischer Verfla- 
chung verhelf en sollte. Nachdem dieser GegenstoB zu- 
nachst von den Ideen der nationalen Romantik und 
des Historismus getragen war, wurde er allmahlich, 
besonders intensiv mit Beginn des 20. Jh., seitens der 
theologischen und liturgischen Bewegungen des Pro- 
testantismus verstarkt. Da das K. nun wieder strikt in 
den Dienst der Verkiindigung gestellt (K.Barth) und 
gleichzeitig als Element des Kultus (W.Stahlin) ver- 
standen wird, betrachtet man im wesentlichen das re- 
formatorische K. als legitimen Trager dieses Namens 
mit dem oben definierten Anspruch. Als solches wird 
es in den Mittelpunkt des 1950 verbindlich fur alle 
deutschen lutherischen und unierten Landeskirchen ge- 
schaffenen Evangelischen Kirchengesangbuchs (-> Ge- 
sangbuch) geriickt. Dabei ist freilich nicht zu iiber- 
sehen, daB diese Leitidee eines liturgischen Bekenntnis- 
liedes dem Anspruch der Gemeinde auf ein ihrem je- 
weiligen Lebensgefiihl gemaBes Erbauungslied nicht 
geniigt. Die praktischen Bemiihungen um ein »zeitge- 
m5Bes«, u. a. an Jugendlied, Spiritual, Chanson, Jazz 
und Schlager orientiertes geistliches Lied haben bisher 
nicht zu iiberzeugenden Ergebnissen gefiihrt. 
Das mit den Karolingern in Deutschland sich ausbrei- 
tende Christentum fiihrte den gregorianischen Choral 
ein und fur das Volk den einfachen Kyrie eleison-Ruf. 
Auf einer zweiten Entwicklungsstufe entstanden in 
Deutschland aus der Verbindung des iiberkommenen 
Volksgesangs und des romischen liturgischen Gesangs 
neue liedhafte Forrrien, deren wichtigste Arten in la- 
teinischer Sprache die -*■ Sequenz (- 1) und in deutscher 
die -> Leise sind. Dabei fuBten besonders die Leise oft 
auf alteren Strophenmodellen, die durch neuen Text 
und das angehangte Kyrie eleis zu christlichen Liedern 
wurden. Besonders volkstiimlich sind die Rufe, eine an 
die Leise angrenzende und an die Litanei ankniipfende 
Gattung, die sich durch knappen Strophenbau (oft- 
mals nur 2 Langzeilen) und groBe Strophenzahl mit 
standig eingeschobenem Bittruf als Kehrreim aus- 
zeichnet. Der typische Ruf Maria, unset Fraue gehort 
zu den 1349 aufgezeichneten Liedern der GeiBlerbe- 
wegung. - In schriftlichen Quellen erst seit dem 14. Jh. 
greifbar, aber off enbar alter, ist eine zweite groBe Gat- 
tung des geistlichen mittelalterlichen Liedes, die 
-> Cantio, wie sie vor allem in Klostern und Schulen 
gepflegt wurde. Lieder wie In dulcijubilo und Joseph, 
lieber Joseph mein deuten darauf hin, daB diese Gattung 
ihren Platz hauptsachlich im christlichen Weihnachts- 
brauch hatte (etwa entsprechend den englischen Ca- 
rols). Manche Cantiones sind auch in Mysterienspiele 



und Marienklagen eingegangen. - In der Nahe des 
geistlichen Kunstliedes steht eine dritte, vor allem im 
15. Jh. bezeugte Gattung, die als spatmittelalterliche 
Liedmystik bezeichnet werden kann: besonders Jesus- 
und Marienlieder in den Formen des Minne- und 
friihen Meistersangs, als Typenkontrafaktur oder 
direkte Umdichtung weltlicher Vorlagen. Die von den 
Niederlanden ausgehende Devotio moderna hat dieser 
Gattung vor allem in Nonnenklostern Eingang ver- 
schafft. Ihr Repertoire spiegeln u. a. das Hohenfurther 
und das Liederbuch der Anna von Koln, die Mondseer, 
Donaueschinger und Kolmarer Liederhandschriften 
(-> Liederbucher). - Als letzte Gattung sind die Uber- 
setzungen von Hymnen und anderen liedhaf ten liturgi- 
schen Stucken zu nennen, die vereinzelt seit der Karo- 
lingerzeit belegt sind, in groBerem AusmaB aber erst im 
14. Jh. bei Hermann von Salzburg und im 15. Jh. bei 
Heinrich Laufenberg begegnen. Von ersterem stammt 
u. a. eine Verdeutschung des Hymnus A solis ortu car- 
dine, von letzterem eine der vielen Ubertragungen der 
Mariensequenz Ave maria praeclara maris Stella. - Am 
Ausgang des Mittelalters steht eine Gruppe einzelner, 
wohl samtlich erst im 15. Jh. geschaffener Lieder: sie 
sind langer, schwingen textlich und musikalisch weiter 
aus, sind freier und reicher in der Gedankenfiihrung 
und weisen damit auf den Anbruch der Reformation 
voraus, z. B. Komm heiliger Geist, Herre Gott; Ein Kin- 
delein so lobelich; Wir glauben all an einen Gott und die 
Weise Es ist das Heil uns kommen her. 
Ab etwa 1522 nahm in den Bemiihungen Luthers um 
die praktische Ausbreitung seiner Lehre das K. einen 
wichtigen Platz ein. Es sollte vor allem das heilige 
Evangelium treiben und in Schwang bringen. Als volks- 
sprachiges Lied entspricht es den nationalen Grund- 
lagen der Reformation, als Nachfahre des mittelalter- 
lichen geistlichen Volksliedes wurzelt es im Volk, als 
Lied schlechthin ist es besonders geeignet, zum leben- 
digen Symbol einer Bewegung zu werden. Luther ging 
von dem vorhandenen Liedbestand aus, um ihn im 
Sinne des Evangeliums zu »bessern« und zu erweitern. 
Auf diese Weise entstanden neue Strophen zu Gelobet 
seist du, Jesu Christ; Nun bitten wir den heiligen Geist; 
Wir glauben all an einen Gott; Hymnenubertragungen 
wie Nun komm der Heiden Heiland; Komm Gott, Schop- 
fer, heiliger Geist; ferner Lieder, die sich an einen bereits 
vorhandenen weltlichen Typus anschlieBen, wie Nun 
freut euch lieben Christen g'mein an den Typus des er- 
zahlenden Liebesliedes, Ein neues Lied wir heben an und 
Einfeste Burg an den des politischen Marktliedes, Vom 
Himmel hoch an den des geselligen Kranzelliedes. An- 
dere Lieddichtungen gehen nicht auf altere Textmo- 
delle zuriick, halten sich dafiir aber an Bibeltexte wie 
die Psalmlieder Ach Gott vom Himmel sieh darein; Es 
wolle Gott unsgnddig sein; Aus tiefer Not oder die Kate- 
chismuslieder Dies sind die heilgen zehn Gebot; Vater 
unser im Himmelreich ; Christ unser Herr zum Jordan kam. 
Luthers genialer Aussagekraft vermochten seine Zeit- 
genossen nur wenig Gleichrangiges an die Seite zu stel- 
len, am ehesten Speratus mit Es ist das Heil uns kommen 
her, L. Spengler mit Durch Adams Fall ist ganz verderbt 
und J. Gramann mit Nun lob mein Seel den Herren. Un- 
auf f Slliger vollzog sich die Ubernahme und Neuf assung 
der Weisen durch unveranderte Ubernahme {Gelobet 
seist du,Jesu Christ), geringfiigige, durch Ubersetzung 
hervorgerufene Anderungen {Nun komm der Heiden 
Heiland), liedmaBige Formung choraler Vorlagen (Je- 
saja dem Propheten das geschah), Erweiterung und Um- 
bildung geistlicher Volkslieder {Christ ist erstanden zu 
Christ lag in Todesbanden; Maria, du bist gnadenvoll zu 
Es wolle Gott uns gnddig sein), Anknupfung an Typen 
des weltlichen Liedes {Nun freut euch lieben Christen 



29* 



451 



Kirchenlied 



g'mein; Ein neues Lied wir heben an; Einfeste Burg; die 
altere Weise zu Vom Himmel hoch , aus der die heute ge- 
laufige Weise vielleicht durch Obersingen hervorge- 
gangen ist). Sofern es sich um kunstvofiere Melodien 
handelt (Aus tiejer Not schrei ich zu dir; Mit Fried und 
Freud ichfahr dahin; beide aus dem Kreis J. Walters und 
M.Luthers), mogen die wenigen reformatorischen 
Weisen, zu denen sich bisher keine Vorlagen nachwei- 
sen lassen, als Liedtenores fiir mehrstimmige Satze ge- 
schaffen worden sein. - Nur sehr zogernd wurde das 
K. in den Gottesdienst aufgenommen und ist hier zu- 
nachst wiederum weniger von der Gemeinde, welche 
keine eigenen Gesangbiicher besaB, als vom Schiiler- 
chor gesungen worden, zumal viele Liedtenores fiir 
die Gemeinde zu schwierig waren. Dem hat die nach- 
lutherische Generation Rechnung getragen, vor allem 
N.Hermann, dessen Lieder - zum Teil im Anklang 
an geistliche Bergreihen - in Wort und Weise frische 
und einfache Ziige zeigen (Lobt Gott ihr Christen allzu- 
gleich; Erschienen ist der herrlich Tag; Steht aufihr Heben 
Kinderlein). Erst im letzten Drittel des 16. Jh. biirgerte 
sich mit der Hinwendung zum -> Kantionalsatz mit 
Oberstimmenmelodie (L.Osiander, L.Lossius, M. 
Praetorius) das reformatorische Lied als gottesdienst- 
liches Gemeindelied fest ein. An neuen Liedern ent- 
standen vor allem solche fiir den taglichen Wandel der 
Christen und seine Festigung in Glaubensstreitigkeiten, 
wie etwa N. Selneckers Lafi mich dein sein und bleiben. - 
Zeigt das lutherische K. des Reformationsjahrhunderts 
eine bunte Vielfalt, so entwickelte sich demgegeniiber 
das reformierte K. - nach einer ersten Bliite durch die 
noch stark dem Luthertum verpflichteten Reformato- 
ren J. Zwick und A. Blaurer - geradlinig auf den Lob- 
wasser-Psalter zu, der gegen Ende des 16. Jh. in den 
ref ormierten Gemeinden meist fest eingef iihrt war und 
als ref ormierter Liedkanon bis tief ins 18. Jh. giiltig ge- 
blieben ist. Stark auf Volkstraditionen fuBt das Sonder- 
gut der ->■ Bohmischen Briider. 
Wahrend Ph.Nicolai an der Schwelle zum 17. Jh. sei- 
ne beiden christusmystischen Lieder Wie schon leuch- 
tet der Morgenstern und Wachet auf, ruft uns die Stimme 
als genialer Einzelner schrieb, bildete sich in der ersten 
Generation des 17. Jh. das mystisch-fruhpietistische 
Andachtslied als eine eigene Gattung heraus, deren 
hervorragende Vertreter J.Heerman als Dichter und 
M. Vulpius als Melodieschopfer sind. Heermans Texte 
(O Jesu Christe, wahres Licht; Herzliebster Jesu; Friih- 
morgens, da die Sonn aufgeht; O Cott, dufrommer Gott) 
zeigen die veranderte Blickrichtung des K.-Sangers: 
hatte der reformatorische Liedsanger sich zu Gott und 
seinen Heilstaten emporgewandt, so beginnt der Lied- 
sanger des 17. Jh. sich selbst zum Gegenstand andachti- 
ger Betrachtung zu machen, seine Einsamkeit und 
Sundhaftigkeit zu beklagen und seine Begegnung mit 
dem Seelenbrautigam Jesus zu preisen. Dem entspricht 
musikalisch der Ubergang von der Volkslied- oder 
C. f.- Weise zum solistischen Lied, wie er in den Kan- 
tionalsatzen des M. Vulpius (Gelobt sei Gott im hochsten 
Thron; Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all; Die helle 
Sonn leucht' jetzt herfiir; Hinunter ist der Sonnen Schein) 
sich anbahnt: die Weisen folgen weder einem vor- 
gepragten Melodietypus oder »Ton«, noch sind sie auf 
eine mehrstimmige Bearbeitung hin geschaffen; sie 
sind knapp, strebig und setzen harmonisches H6ren 
voraus. - Ahnliche Zuge, meist noch verstarkt, zeigt 
das Lied der zweiten Generation, welcher neben J. Rist 
(O Traurigkeit, o Herzeleid; Werde munter, mein Gemiite; 
O Ewigkeit, o Donnerwort), C.Homburg (Jesu, meines 
Lebens Leberi) und J. Franck (Jesu, meine Freude) in P. 
Gerhardt (Ich steh an deiner Krippen hier; O Haupt voll 
Blut und Wunden; Auf auf, mein Herz, mit Freuden; Die 



giildne Sonne; Nun ruhen alle W alder) ein Dichter ange- 
hort, der die Kraft orthodoxer GlaubensgewiBheit mit 
der innigen Warme pietistischer Jesusfrommigkeit ver- 
eint. Als Musiker kongenial zur Seite steht J. Criiger 
(Frbhlich soil mein Herze springen; Nun danket alle Gott; 
Ach wie ftiichtig, ach wie nichtig; Lobet den Herren alle, 
die ihn ehren) ; ferner sind J. Schop (Sollt ich meinem Gott 
nicht singen; Werde munter mein Gemiite) und J.Ebeling 
(Du meine Seele singe; Warum sollt ich mich denngramen) 
zu nennen. In der dritten Generation, namentlich bei 
J.Neander (Lobe den Herren, den mikhtigen Konig der 
Ehren), nimmt in den Liedtexten der nunmehr weich- 
liche Jesuston zu; musikalisch vollzieht sich die Hin- 
wendung zu einem Liedtypus, der - wie die Aria - 
weiche, flieBende Achtelmelismen bevorzugt. Die 1. 
Halfte des 18. Jh. ist von dem Bestreben des jiingeren 
Pietismus beherrscht, sein Liedgut, das bis dahin fast 
ausschlieBlich der Privatandacht gedient hatte, in den 
Gemeindegottesdienst einzufuhren. DaB dies in gro- 
Bem Umfang gelang, ist an der Zahl der von Bach 
choralmaBig vertonten Arien abzulesen. Das jungere 
pietistische Lied ist dementsprechend gemeindebe- 
wuBt, dennoch in seinem Lebensgefiihl schwankend 
zwischen sieghaftem Uberschwang und tiefster Siin- 
denzerknirschung; die Jesusfrommigkeit bleibt domi- 
nierend, verliert sich aber, besonders bei Zinzendorf, 
in Sakramentsschwarmerei. GemaBigter dichten B. 
Schmolck (Schmiickt das Fest mit Maien; Liebster Jesu, 
wir sind hier) undJ.J.Rambach (Ich bingetauft aufdeinen 
Namen) ; eine zarte Spatbliite niederrheinischer Mystik 
bringen die Lieder G.Teerstegens (Ich bete an die Macht 
der Liebe). Musikalisch treten neben den Ariatypus des 
17. Jh. ein emphatischer (Jesus ist kommen, Grund ewiger 
Freude; O Durchbrecher aller Bande), ferner ein tandeln- 
der im Dreierrhythmus (Eins ist not), um dessentwillen 
der Pietismus den Vorwurf der Weltlichkeit hat hin- 
nehmen miissen, schlieBlich ein rational-schlicht und 
isometrisch gebildeter Typus (O dafi ich tausend Zungen 
hatte ; Herz und Herz vereint zusammen) . Viele der Wei- 
sen sind anonym iiberliefert, von begeisterungsfahigen 
Dilettanten geschaffen, oft in Anlehnung an weltliche 
Vorlagen. - Nachdem im Pietismus an die 70000 Lie- 
der entstanden waren, scheint um 1750 der Born er- 
schopft. Die nun folgende Aufklarung verwandte fast 
mehr Miihe darauf, die bestehenden Gesangbiicher zu 
reinigen, als selbst Lieder zu dichten, besaB freilich in 
Chr. F. Gellert (Wenn ich o Schopfer deine Macht) einen 
fahigen Dichter, dessen Texte u. a. J. A.Hiller und C. 
Ph. E.Bach vertont haben. Unter den damals beliebten 
»Liedern im Volkston« ragt als geniale Schopfung her- 
vor Der Mond ist aufgegangen (Worte von M. Claudius, 
Weise von P.A.Schulz). Aus der Zeit des Idealismus 
sind Fr.G.Klopstock (Auferstehn,ja auferstehn wirst du) 
und E.M. Arndt (Ich weift, woran ich glaube; Du lieber, 
heilger,frommer Christ), aus der Friihromantik Novalis 
(Wenn ich ihn nur habe) bekannt geworden. Das 19. Jh. 
brachte neben dem wiedererwachenden historischen 
Interesse am K. auch Dichter hervor, die im Geiste der 
Reformatoren zu schaffen versuchten, vor allem Fr. 
Spitta mit seiner Sammlung Psalter undHarfe (Ich steh in 
meines Herren Hand) und A. Knapp (Eines wiinsch ich mir 
vor allem andern) . Von den Dichtern des 20. Jh. haben vor 
allem R. A. Schroder und J. Klepper, in Vertonungen 
von G.Schwarz, Chr.Lahusen u. a., Aufnahme in das 
evangelische Kirchengesangbuch gefunden. 
Wahrend das protestantische K. scit seinen Anfangen 
ein konstituierender Bestandteil von Kultus und From- 
migkeit gewesen ist und - ausgenommen im 19. Jh. - 
auch in der Geistesgeschichte eine wichtige Rolle 
spielte, hat das kathohsche K., von wenigen Ausnah- 
men abgesehen, weder liturgisch unentbehrlich noch 



452 



Kirchenmusik 



geistesgeschichtlich dominierend zu werden vermocht, 
dafiir freilich in stillerer Anonymitat das Erbe des mit- 
telalterlichen geistlichen Volksgesangs weitergefiihrt. 
Nachdem sich die ersten gegenreformatorischen Ge- 
sangbucher entweder eng an das protestantische Re- 
pertoire angeschlossen oder eine nicht immer frucht- 
bare Apologetik getrieben hatten, waren seit dem 
Ende des 16. Jh. eine Reihe von Gesangbiichern be- 
miiht, unter Auslassung des reformatorischen Liedguts 
bewuBt an das mittelalterliche Erbe anzukniipfen; vie- 
le alte Rufe und Leise teilen u. a. die Gesangbiicher 
von N.Beuttner (1602ff.) und G. Comer (1625ff.) mit. 
Die Folgezeit ist bis zum Ende des 17. Jh. beherrscht 
von den Andachtsbuchem des Jesuitenordens mit ih- 
rem teils volkstiimlichen, teils anspruchsvolleren ba- 
rockmystischen Inhalt. Zu nennen sind vor allem Fr. v. 
Spees Geistliches Psalterlein (1637) und W.Nakatenus' 
Himmliches Palm-Gartlein (1660ff.). Angelus Silesius 
steht mit seiner Heiligen Seelenlust von 1657 (Morgen- 
stern der fin stern Nacht; Ich will dich lieben, meine Starke) 
zwischen der jesuitischen und der gleichzeitigen friih- 
pietistischen Dichtung. Im Zeitalter der Aufklarung 
verfiel auch das katholische K. den Vorstellungen einer 
»verniinftigen« Erbauung und Belehrung. Das 19. Jh. 
brachte auf der einen Seite einen Zug zum mitunter 
kraftlos-siiBlichen geistlichen Volkslied (Stille Nacht), 
auf der anderen Seite eine Ruckbesinnung auf das 
Traditionsgut (Sammlungen von J. F. Schlosser, J. 
Kehrein und G.M.Dreves). Im 20. Jh. hat die katholi- 
sche Jugendbewegung (K., 1928) dem Liedgesang Im- 
pulse gegeben, die sich - wenn auch noch zogernd - in 
der Gestaltung der neuen Diozesangesangbiicher aus- 
zuwirken beginnen. 

Lit. : M. Luther, Werke XXXV, Die Lieder Luthers, hrsg. 
v. W. Lucke, H. J. Moser u. O. Albrecht, Weimar 1923. - 
Hoffmann v. Fallersleben, Gesch. d. deutschen K. bis 
auf Luthers Zeit, Hannover 3 1 861 ; Ph. Wackernagel, 
Das deutsche K. v. d. altesten Zeit bis zum Anfang d. 17. 
Jh., 5 Bde, Lpz. 1864-77; E. E. Koch, Gesch. d. K. u. d. 
Kirchengesanges ..., 8 Bde, Stuttgart 3 1866-77; W. 
Baumker, Das kath. deutsche K. in seinen Singweisen . . . 
bis gegen Ende d. 1 7. Jh., 4 Bde, Freiburg i. Br. 1 883-1 9 1 1 ; 
J. Zahn, Die Melodien d. deutschen ev. K., 6 Bde, Giiters- 
loh 1888-93, Nachdruck Hildesheim 1963; P. Dietz, 
Die Restauration d. ev. K., Marburg 1903; A. F. W. Fi- 
scher u. W. Tumpel, Das deutsche ev. K. d. 1 7. Jh., 6 Bde, 
Gutersloh 1904-16; P. Sturm, Dasev. Gesangbuch d. Auf- 
klarung, Barmen 1923; R. Giessler, Die geistliche Lied- 
dichtung d.Katholiken im Zeitalter d. Auf klarung, = Schrif- 
ten zur deutschen Lit. X, Augsburg 1928 ; W. Nelle, Gesch. 
d. deutschen ev. K., Hbg 31928; W. Stahlin, Die Bedeu- 
tungd. Singbewegung f. d. ev. Kirchengesang, Kassel 1928; 
U. Leupold, Die liturgischen Gesange d. ev. Kirche im 
Zeitalter d. Aufklarung u. d. Romantik, Kassel 1933; K. 
Barth, Die kirchliche Dogmatik I, 2, Munchen 4 1948; W. 
Blankenburg, WertmaBstabe f. Choralweisen, MuK 
XVIII, 1948; O. Schlisske, Hdb. d. Lutherlieder, Gottin- 
gen 1948; O. Sohngen, Die Zukunft d. Gesangbuchs, Bin 
(1949); Chr. Mahrenholz, Das Ev. Kirchengesangbuch, 
Kassel 1950; K. Berger, Barock u. Aufklarung im geist- 
lichen Lied, Marburg 1951 ; Hdb. zum ev. Kirchengesang- 
buch, hrsg. v. Chr. Mahrenholz u. O. Sohngen, 4 Bde, 
Gottingen 1953ff. ; P. Gabriel, Das deutsche ev. K. v. M. 
Luther bis zur Gegenwart, Bln 3 1956; I. Roebbelen, Theo- 
logie u. Frommigkeit im deutschen ev.-lutherischen Ge- 
sangbuch d. 17. u. friihen 18. Jh., = Forschungen zur Kir- 
chen- u. Dogmengesch. VI, Gottingen 1957; Leiturgia. 
Hdb. d. ev. Gottesdienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. 
Blankenburg, Bd IV: Die Musik d. ev. Gottesdienstes, 
Kassel 1961 ; W. Wiora, The Origins of German Spiritual 
Folk Song, Ethnomusicology VIII, 1964. MG 

Kirchenmusik. - 1) Unter katholischer K. wird so- 
wohl die den eigentlichen liturgischen Handlungen 
(actiones liturgicae, z. B. ->• Messe, -> Offizium) zuge- 
ordnete Musik als auchjene verstanden, welche bei den 



iibrigen Gottesdiensten (pia exercitia, z. B. Andachten) 
zum Vortrag gelangt. Sie wird wesentlich bestimmt 
durch ihre unmittelbare Bindung an die -> Liturgie 
im engeren und weiteren Sinne und ist ausgezeichnet 
unter alien iibrigen kiinstlerischen Ausdrucksformen vor 
allem deshalb, weil sie als der mit dem Wort verbundene 
gottesdienstliche Gesang einen notwendigen und integrie- 
renden Bestandteil der Jeierlichen Liturgie ausmacht (Ar- 
tikel 112 der Constitutio de sacra Liturgia vom 4. 12. 
1963). Das wechselseitige Verhaltnis von Liturgie und 
Musik und deren gegenseitige Durchdringung ist hi- 
storisch bedingt. Aus ihrer Einbeziehung in den Be- 
reich der Liturgie erwachst die fundamentale und zu- 
gleich vornehmste Auf gabe katholischer K. : die feier- 
liche Ausgestaltung der liturgischen Handlung zum 
Lobpreis Gottes und zur religiosen Erbauung der Glau- 
bigen. Um dieser Auf gabe gerecht werden zu konnen, 
muB sie selbst die in der Liturgie innewohnenden Ei- 
genschaften - Heiligkeit, Giite der Form, Allgemein- 
heit - besitzen, wie Pius X. in seinem richtungweisen- 
den Motu Proprio Tra le sollecitudini (1903) fordert. - 
Nach der Instructio de Musica sacra et sacra Liturgia vom 
3. 9. 1958 umfafit die katholische K. (Musica sacra) 
folgende Gattungen: a) Cantus gregorianus (-»■ Gre- 
gorianischer Gesang). In ihm, der die genannten Ei- 
genschaften am meisten in sich vereinigt und als das 
vollkommenste Beispiel kirchlicher Musik gilt (vgl. 
Motu Proprio, 1903), erblickt die Kirche den cantus 
sacer Ecclesiae Romanae proprius et principalis. Er soil un- 
ter den iibrigen Gattungen absoluten Vorrang genie- 
Ben, bei liturgischen Handlungen die erste Stelle ein- 
nehmen; b) Polyphonia sacra, die sakrale Mehrstim- 
migkeit (a cappella) besonders der 2. Halfte des 16. Jh., 
vornehmlich geeignet zur feierlicheren Gestaltung der 
liturgischen Akte; c) Musica sacra moderna (moderne 
K.). Sie darf - auch unter Mitwirkung von Instrumen- 
ten - in alien Actiones liturgicae verwendet werden, 
wenn sie der dignitas, gravitas und sanctitas Liturgiae 
entspricht und die Voraussetzungen fur eine werkge- 
rechte Auffiihrung gegeben sind; d) Musica sacra pro 
organo (solistische sakrale Orgelmusik); e) Cantus 
popularis religiosus, der religiose Volksgesang (z. B. 
das deutsche -> Kirchenlied) mit seinem bevorzugten 
Platz in den (innerhalb und auBerhalb der Kirche voll- 
zogenen) Pia exercitia, wahrend seiner Verwendung 
bei den Actiones liturgicae Beschrankungen auferlegt 
sind; f) Musica religiosa (geistliche Musik). Wenn- 
gleich von religiosen Intentionen getragen, ist sie doch 
nicht eigens fur den Cultus divinus bestimmt und darf 
daher nur in den Pia exercitia zur Anwendung kom- 
men. -Eine entscheidendeErweiterung dieses Rahmens 
traf die Liturgiekonstitution des 2. — >■ Vatikanischen 
Konzils, indem hier autoritativ festgestellt wird, daB die 
Kirche alle Formen wahrer Kunst, welche die erforderli- 
chen Eigenschaften besitzen, billigt und zur Liturgie zu- 
lafit (Artikel 112). Dabei werden mit besonderem 
Nachdruck auch die musikalischen Eigentraditionen, 
vor allem der Missionslander, erwahnt und in ihrer 
zentralen Bedeutung fur den Gottesdienst jener V61- 
ker herausgestellt (Artikel 119). Uberdies rtickt die 
Konstitution die aktive Teilnahme der Gemeinde am 
liturgischen Gesang in den Vordergrund und empfiehlt 
eine eifrige Pflege des religiosen Volksgesanges (Ar- 
tikel 114 und 118). *" KWG 
- 2) Wesen und Berechtigung der protestantischen K. 
lutherischer Pragung als gottesdienstlicher Musik be- 
ruhen auf -*• Luthers Auffassung von der Musik als ei- 
ner laeta creatura (vgl. sein Encomion musices). Sie betont 
neben ihrem gottlichen Ursprung zugleich ihre Nahe 
zum Glauben. Der schopfungsmaBige Zusammenhang 
von Musik und Freude liBt die Musik als eine Art Na- 



453 



Kirchenmusik 



turform des Evangeliums (A.D.Miiller) und von daher 
im theologischen Sinne als pradestiniert fiir das christ- 
liche Leben des einzelnen sowie der Gemeinde erschei- 
nen. Da Musik jedoch nicht nur Freude auszudriicken, 
sondern auch hervorzurufen vermag, ist die K. in dop- 
pelter Aufgabe Lobpreis und Verkundigung in einem. 
Die Frage, ob sie angesichts der Polaritat von Luthers 
Gottesdienstverstandnis als Wort (Predigt des Pfarrers) 
und Antwort (Gebet und Lobgesang der Gemeinde; 
vgl. die Einleitung der Predigt zur Einweihung der 
SchloBkirche zu Torgau vom 5. 10. 1544) nur zur 
letzteren gehort, ist gegenstandslos. Da die noten . . . 
den text lebendig machen (Tischreden Nr 2545 u. 6.), hat 
die K. immer auch die Fahigkeit und Aufgabe des Ver- 
kiindigens. Ohne daB der Protestantismus je eine all- 
gemeingiiltige Wesensbestimmung der K. geboten 
hat, ist doch Luthers Musikanschauung zu alien groBen 
Zeiten der K. bis zur Gegenwart bestimmend geblie- 
ben. Auch Calvins Anschauung von der Musik be- 
riihrt sich im wesentlichen Punkt mit der Luthers 
(-> Calvinistische Musik). Im Unterschied zur katholi- 
schen Auffassung von mehreren, verschieden gewerte- 
ten Graden der K. steht die protestantische K., mit Aus- 
nahme ihrer Beschrankung auf das Gemeindelied in 
der Friihzeit des Calvinismus, alien Moglichkeiten 
gottesdienstlicher Musik often. Grundlage bildet frei- 
hch iiberall das durch Luther zu liturgischem Rang er- 
hobene strophische Gemeindelied (quo verbum Dei vel 
cantu inter populos maneat, Luther an Spalatin Ende 
1523). Jedoch ist die K. zunachst als Lesungsmusik in 
der Form der Evangelien- oder Spruchmotette, dann 
aber mehr und mehr in der Form der musikalischen 
Auslegekunst als Geistliches Konzert und Kantate von 
Schiitz bis zu Bach neben und in Verbindung mit dem 
Kirchenlied zum wichtigsten Bestandteil der gottes- 
dienstlichen Musik geworden. Die Gegeniiberstellung 
der Worte Concio und Cantio durch M.Praetorius 
meint nicht eine Polaritat von Predigt und Gesang, 
sondern die Musik als integrierenden Bestandteil got- 
tesdienstlicher Verkundigung. Er erlautert das Be- 
griffspaar mit einem Satz von Justinus Martyr (f 167) : 
Es ist vnd bleibet Gottes Wort j auch das da im Gemuth 
gedacht j mit der Stimme gesungen j auch auff Instrumenten 
geschlagen vndgespielet wird (Widmung der Polyhymnia 
caduceatrix et panegyrica, 1619). Hier findet sich zugleich 
eine theologische Rechtfertigung der Instrumentalmu- 
sik im Gottesdienst. Ausfiihrlicher erfolgte sie bereits 
in einem Gutachten der Wittenberger Theologischen 
Fakultat von 1597, dort mit ausdriicklichem Bezug auf 
die instrumentalis musica .'. . wenngleich mit menschlicher 
Stimme darunter nicht gesungen wird. War in der Zeit von 
Luther bis Bach die Frage nach dem rechten Stil der K. 
allenfalls von peripherer Bedeutung, weil sie jeweils 
die sich ihr bietenden neuen musikalischen Errungen- 
schaf ten auf grift, so wird diese Frage - nach einer Epo- 
che des Niedergangs wahrend des Rationalismus - im 
spaten 18. und beginnenden 19. Jh. entscheidend. 
Wenn jetzt, vornehmlich unter den Auswirkungen der 
Theologie Schleiermachers, die K. der religiosen Selbst- 
darstellung und Erweckung frommer Gefiihle diente, 
dann mufite die Frage nach der echten K. laut werden. 
So fand die romantische Restauration in dem feierlich- 
getragenen, an Palestrina und vor allem an einen miB- 
verstandenen Eccard angelehnten puristischen a cap- 
pella-Stil und dessen »edler Simplizitat« den Inbegriff 
von K., vor dem auch J. S. Bach nicht bestehen konnte. 
In dessen Werken trete doch einesteils eine Fremdartigkeit 
der Ausdrucksweise hervor ..., andernteils eine gewisse 
Manier des Kirchenstyls, der . . . unsern Bediirfnissen nicht 
mehr entspreche (C.v.Winterfeld, Uber Herstellung des 
Gemeinde- und Chorgesanges, S. 145). Diese Vorstellung 



von K. blieb vorherrschend bis in die ersten Jahrzehnte 
des 20. Jh., wenn sie auch in ihren wichtigsten Vertre- 
tern, wie L. Schoeberlein, R.v.Liliencron, Ph. und Fr. 
Spitta, Ph. Wolf rum sowie J.Smend, Auflockerung 
erfuhr. Die kirchenmusikalische Erneuerung fiihrte 
seit dem 2. Viertel dieses Jahrhunderts zu einer volligen 
Neuorientierung der K. an der Reformation und ge- 
wann damit auch ihre doppelte Aufgabe im Gottes- 
dienst zuriick. Von den zahlreichen literarischen AuBe- 
rungen erscheint die bekenntnishafte von H.Distler 
(1935) besonders bedeutungsvoll. Die Gegenwart fiihr- 
te demzufolge auch zu einer Erneuerung des kir- 
chenmusikalischen Amtes und zu einer neuen liturgi- 
schen Eingliederung der K. Mit der Uberwindung des 
a cappella-Ideals hat sich die K. auch dem Reichtum 
verschiedener musikalischer Stile geoffnet, wozu auch 
die okumenische Ausweitung des kirchlichen Lebens 
sowie die musikalischen Erscheinungsformen im Indu- 
striezeitalter drangen. In neuester Zeit ist zufolge der 
jiingsten Musikentwicklung, der sich die K. um ihrer 
Aktualitat willen nicht entziehen kann und will, das Pro- 
blem der Verstandlichkeit und Eignung heutiger Mu- 
sik als K. brennend geworden, das freilich durch eine 
Spaltung der K. in gottesdienstliche und geistliche Musik 
(W. Fortner) nicht gelost werden kann. WBl 

Lit.: zu 1): K. Weinmann, Gesch. d. K., = Slg Kosel VI, 
Kempten 1906, Miinchen 4 1925; P. Wagner, Einfuhrung 
in die kath. K., Diisseldorf 1919; O. Ursprung, Die kath. 
K., Biicken Hdb.; M. Kat, De geschiedenis d. kerkmuziek, 
Hiiversum 1939; K. G. Fellerer, Gesch. d. kath. K., = Ver- 
off. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz 
XXI, Diisseldorf 1939, 2 1949; ders., Soziologie d. K., 
= Kunst u. Kommunikation IX, Koln u. Opladen 1963; 
F. Romita, Jus musicae liturgicae, Rom 1947; H. Lema- 
cheru. K. G. Fellerer, Hdb. d. kath. K., Essen 1949; Do- 
cumenta pontificia ad instaurationera liturgicam spectantia 
I (1903-53) u. II (1953-59), collegit . . . A. Bugnini, = Bibl. 
»Ephemerides liturgicae«, Sectio practica VI u. IX, Rom 
(1953 u. 1959); Fr. Krieg u. E. Tittel, Kath. K., St. 
Gallen 1954; P. Hume, Cath. Churchmusic, NY 1957; A. 
Pons, Droit eccldsiastique et Musique sacree, 5 Bde, St- 
Maurice (Schweiz) 1958-64; P. Rad6 OSB, Enchiridion 
Liturgicum, 2 Bde, Rom, Freiburg i. Br. u. Barcelona 
1961; J. Gelineau, Chant et musique dans le culte chr6- 
tien, Paris 1962, deutsch als: Die Musik im christlichen 
Gottesdienst, Regensburg (1965); H. Hucke, Die K. in d. 
Liturgiekonstitution d. 2. Vatikanischen Konzils, Musik u. 
Altar XVI, 1964; ders.. Die Instruktion v. 26. 9. 1964 uber 
d. . . . Liturgiekonstitution . . , ebenda XVII, 1965. 
- zu 2) : C. v. Winterfeld, Uber Herstellung d. Gemeinde- 
u. Chorgesanges in d. ev. Kirche, Lpz. 1848; R. v. Li- 
liencron, Uber d. Chorgesang in d. ev. Kirche, = Deut- 
sche Zeit- u. Streitfragen IX, H. 144, Bin 1880; L. Schoe- 
berlein, Die Musik im Cultus d. ev. Kirche, Heidelberg 
1881; G. Rietschel, Lehrbuch d. Liturgik I, Gottingen 
1900, neu bearb. v. P. Graff 21951; J. Smend, Der ev. 
Gottesdienst, Gottingen 1904; Ph. Wolfrum, Die ev. K., 
= Kirchenmus. Arch. XXII, Bremen 1914; Fr. Blume, Die 
ev. K., Biicken Hdb., als: Gesch. d. ev. K., Kassel 21965, 
unter Mitarbeit v. L. Finscher, G. Feder, A. Adrio u. W. 
Blankenburg; H. Distler, Vom Geiste d. neuen ev. K., 
ZfM CII, 1935; A. D. Muller, Musik als Problem lutheri- 
scher Gottesdienstgestaltung, Bin 1947; H. J. Moser, Die 
ev. K. in Deutschland, Bin u. Darmstadt (1954); Chr. 
Mahrenholz, Die K. in d. neuen Lutherischen Agende, 
MuK XXV, 1955; ders., Fs. : Musicologica et Liturgica, 
Kassel 1960; ders., Richtlinien f. d. Tatigkeit d. Chores im 
Gottesdienst, desgl. d. Org., in: Kompendium d. Liturgik, 
Kassel 1963; W. Fortner, Geistliche Musik heute, MuK 
XXVII, 1957; L. Fendt, Einfuhrung in d. Liturgiewiss., 
Bin 1958; A. Brunner, Wesen, Funktion u. Ort d. Musik 
im Gottesdienst, Zurich (1960); Leiturgia. Hdb. d. ev. 
Gottesdienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. Blanken- 
burg, Bd IV: Die Musik d. ev. Gottesdienstes, Kassel 
1961 ; Chr. Albrecht, Schleiermachers Liturgik, Bin 
1962; K. F. Muller, Der Kantor, Giitersloh 1964. 

Kirchenschlufi -> Kadenz (- 1). 



454 



Kirchentone 



Kirchentone (lat. modi, toni, tropi), auch Kirchen- 
tonarten genannt, bilden das tonale Ordnungsprinzip, 
die Art der Tonalitat der Musik vom friihen Mittelal- 
ter bis ins 16. Jh., mit unmittelbaren Nachwirkungen 
bis ins 17. und 18. Jh. - Ansatze zu einer Lehre von den 
K.n und damit zu dem Versuch, die liturgischen Ge- 
sange hinsichtlich ihrer tonalen Struktur zu erfassen 
und verbindliche Normen fur sie aufzustellen, diirften 
erst erfolgt sein, nachdem das gregorianische und 
ambrosianische Melodienrepertoire fertig ausgebildet 
war. Die Vermutung, daB bei der Entwicklung des 
abendlandisch-lateinischen Systems der 8 K. byzanti- 
nisch-griechische Einfliisse wirksam wurden, ist nahe- 
liegend, da den lateinischen Modi und den byzantinj- 
schen Echoi (->■ Oktoechos) neben der Anzahl und Be- 
nennung (protus, deuterus, tritus, tetrardus) die Un- 
terscheidung von authentischen und plagalen Modi 
und deren paarweise Anordnung (authentisch/plagal) 
gemeinsam sind. Als alteste bisher bekannte theoreti- 
sche Quelle aus dem abendlandischen Raum, die sich 
mit den 8 K.n befaBt, gilt die Musica disciplina des Au- 
relianus Reomensis (entstanden um 850; Kap. 8-18, 
GS I, 39b ff. ; vgl. dazu den bei GS I, 26f . unter dem 
Namen des -*■ Alcuinus abgedruckten Traktat iiber 
die 8 K.). Sie zeigt einen Modusbegriff, der sich pri- 
mar auf die Beobachtung formelhafter Melodiewen- 
dungen, des Tonraums und moglicher SchluBbildun- 
gen griindet, wahrend eine Fixierung des Tonmaterials 
(im Zusammenhang mit den K.n erstmals bei Odo von 
St. Maur, Dialogus de musica, GS I, 259ff. ; ->■ Odo von 
Cluny), der Intervalle sowie weiterer wich tiger Ein- 
zelheiten fehlt. Wenige Jahrzehnte spater lassen sich die 
ersten Anfange einer Herleitung und Rechtfertigung 
der K. aus der griechischen Musiktheorie nachweisen. 
Zwar beruhten jene - im Rahmen der Alia musica ein- 
setzenden - Versuche auf einem folgenschweren Irr- 
tum, da man die durch Boethius (De institutione musica 
IV, Kap. 15, ed. Friedlein, S. 342) iiberlieferten Trans- 
positionsskalen (tonoi) des Ptolemaios als Oktavgat- 
tungen (A-a bis g-g 1 ) verstand und diese mit den K.n 
identifizierte (GS I, 126b ff.). Gleichwohl schufen sie 
die Basis fiir weitere Bestrebungen, die K. der Ord- 
nung des geltenden (diatonischen) Systems anzupas- 
sen. Den Endpunkt dieses langwierigen Systemati- 
sierungsprozesses setzte der Reichenauer Mbnch -*■ Her- 
mannus contractus mit seiner »Erfindung« des hypo- 
mixolydischen, d. h. plagalen 8. Kirchentons (d-d 1 ), 
welcher den ptolemaischen Tropus hypermixolydius 
(a-a 1 ) abloste (Musica, GS II, 132a ff.). Als gemeinsa- 
mes Bauprinzip liegen den paarweise miteinander ver- 
bundenen authentischen und plagalen Modi nach Her- 
mannus jeweils die gleiche Quart- und Quintgattung 
und damit die gleichen Geriisttone (principals Utterae) 
zugrunde. So enthalt etwa der phrygische Kirchenton 
die 2. Quintspecies (e-h) mit dariiberstehender 2. 
Quartspecies (hne 1 ), wogegen der hypophrygische 
Kirchenton die umgekehrte Anordnung zeigt (H-e 
+ e-h). Hieraus ergibt sich auch die wichtige Folge- 
rung, daB dorischer und hypomixolydischer Modus 
trotz Verwendung derselben Oktavgattung (d-d 1 ) in 
ihrer inneren Struktur voneinander unterschieden sind 
(dorisch: d-a = a-d 1 ; hypomixolydisch: d-g = g-d 1 ). 
Das System der K. hat fortan folgende Gliederung 
(h = Finalis, • = Tenor, + = ilterer Tenor) : 
Erster Kirchenton, seit dem 10. Jh. auch dorischer Mo- 
dus genannt (alteste Bezeichnung: protus authentus): 
DEFGabcd (mittelalterliche Schreibweise, ent- 
spricht den modernen Tonstufen d e f g a h c 1 d 1 ). 

-£ *.- ■-■- 



Zweiter oder hypodorischer Kirchenton (protus pla- 
galis) :ABCDEFGa(=AHcdefga). 

' ■ N ' : ' " 

Dritter oder phrygischer Kirchenton (deuterus au- 
thentus) : E F G a b c d e (= e f g a h c 1 d 1 e 1 ). 

C - ■ ■ ' 



Vierter oder hypophrygischer Kirchenton (deuterus 
plagalis): B C D E F G a b (= Hcdef g ah). 

E - ■ • 






Fiinfter oder lydischer Kirchenton (tritus authentus): 
FGabcdef(=fgahc 1 d 1 e 1 f). 



-f- 



Sechster oder hypolydischer Kirchenton (tritus pla- 
galis) :CDEFGahc(=cdefgah c 1 ). 

^ ! ■ ■- 



T-W- 



Siebenter oder mixolydischer Kirchenton (tetrardus 
authentus) : G a b c d e f g (= g a h c 1 d 1 e 1 f 1 g 1 ). 



Achter oder hypomixolydischer Kirchenton (tetrardus 
plagalis) :DEFGabcd(=defgahc 1 d 1 ). 



-E- 



Die komplexe, jeweils unverwechselbare Einheit eines 
Kirchentons erf ahrt etwa seit der Mitte des 10. Jh. ihre 
nahere Charakterisierung durch Finalis, Tenor und 
Ambitus, die in den musiktheoretischen Schriften als 
Hauptkriterien der Modi herausgearbeitet werden. 
Unter ihnen kommt der Finalis und dem Tenor die 
wichtige Bedeutung von Geriisttonen zu, wobei der 
(entwicklungsgeschichtlich altere) Tenor als bevorzugt 
angestrebter Ton einer Melodie oder - wie in den ver- 
schiedenen Formen der Psalmodie - als Rezitationston 
in Erscheinung tritt (-»• Repercussa). Demgegeniiber 
stellt die Finalis den zentralen Bezugspunkt eines Ge- 
sanges dar. Als Grund- und SchluBton der den ein- 
zelnen K.n eigenen Skalen bildet sie das Regulativ fiir 
den Melodieverlauf und ist zugleich ausschlaggebendes 
Kriterium fiir die Beurteilung und modale Einord- 
nung der Gesange. Vor diesem Hintergrund wird die 
wahrend des ganzen Mittelalters maBgebliche Defi- 
nition Odos von St. Maur verstandlich : Tonus vel mo- 
dus est regula, quae de omni cantu in fine diiudicat (GS I, 
257b). Das System der K. sieht fiir die einander zuge- 
horigen authentischen und plagalen Modi die gleiche 
Finalis vor (1 . und 2. Modus d, 3. und 4. Modus e usw.), 
aber verschiedene Tenores. Letztere befanden sich in 
den authentischen K.n urspriinglich eine Quinte, in den 
plagalen eine Terz oberhalb der Finalis. Die noch heute 
gebrauchliche endgiiltige Ordnung, nach welcher der 
Tenor des 3. und 8. Modus auf c 1 statt h und der des 
4. Modus auf a statt g gesungen wird, findet sich schon 
im 1 2. Jh. bei Johannes Aff ligemensis (De musica, Kap. 
11, CSM I, 82ff.). Der Tonumfang der einzelnen K. 
war innerhalb des Systems prinzipiell an die Oktave 
gebunden. Allerdings wurde er, im Hinblick auf die 
praktischen Gegebenheiten des vorhandenen Melo- 
diengutes, schon bald um einige Tonstufen erweitert. 
Spatere Musiktheoretiker unterschieden zwischen dem 



455 



Kirchentone 



regularen Ambitus eines Modus und solchen Tonstu- 
fen, deren Verwendung nur »per licentiam« erlaubt 
war. Nach Johannes Affligemensis diirfen z. B. alle 
authentischen K. regular bis zur Oktave des Finaltones 
ansteigen, entsprechend der Licentia bis zur None oder 
Dezime, wahrend die plagalen Modi iiber einen As- 
census zur Quinte (regula) bzw. Sexte (licentia) verfii- 
gen. Im Unterschied hierzu wird der - nur per regu- 
lam verlaufende - Melodieabstieg in den authentischen 
Gesangen von der Untersekunde (Ausnahme: 5. Mo- 
dus mit f als tiefstem Ton), in den plagalen Gesangen 
von der Unterquarte oder -quinte begrenzt (Kap. 12, 
CSM I, 91ff .). - Wie die Quellen des einstimmigen li- 
turgischen Repertoires erkennen lassen, wurden zahl- 
reiche Stiicke transponiert aufgezeichnet, wobei mit 
Riicksicht auf den diatonischen Charakter des mittel- 
alterlichen Tonsystems meist Transpositionen in die 
Oberquinte oder -quarte zur Anwendung kamen (im 
1. una 2. Modus gewohnlich von d nach a, im 3. von 
e nach a, im 4. von e nach a oder h. im 6. von f nach 
c 1 ; Transpositionen der iibrigen Modi kommen gar 
nicht oder nur auBerst selten vor). In solchen Fallen 
tritt an S telle der regularen Finalis die Confinalis (= af- 
finahs: a, h, c 1 ) als SchluBton. Ferner begegnen, vor 
allem in der Mehrstimmigkeit, Nebenformen des 1. 
und 5. Modus mit regelmaBigem bmolle (= b) statt des 
bdurum (= h) und als ihre Transpositionen authenti- 
sche Skalen ohne Vorzeichen auf a und c 1 . In seinem 
Dodekachordon von 1547 fiigte der humanistische Mu- 
sikgelehrte -> Glareanus diese Skalen nebst ihren pla- 
galen Formen dem herkommlichen System der K. als 
eigenstandige Modi hinzu. AuBer den traditionellen 8 
umfaBte das System nunmehr folgende 4 Modi: den 
aolischen und hypoaolischen Modus (auf a und e mit 
Finalis a) : „ 



-E- 



=^n= 



sowie den ionischen und hypoionischen Modus (auf c 1 
und g mit Finalis c 1 ) : 



C B ■ 



■f- 







Damit waren samtliche Tone der diatonischen Grund- 
skala - auBer h - als Finalis eines Kirchentons vertreten. 
(Der schematisch aufgestellte lokrische und hypolo- 
krische Modus auf h und f mit Finalis h wurde unter- 
driickt.) Nach Glareanus setzte sich auch -»■ Zarhno 
fiir die allgemeine Annahme des erweiterten Systems 
der K. ein. In den Dimostrationi harmoniche (1571) fiihr- 
te er erstmals eine neue Moduszahlung durch, welche 
mit den Skalen auf c 1 (ionisch) und g (hypoionisch) als 
1. und 2. Kirchenton beginnt. 

Die Auflosung des Systems der K. ging Hand in Hand 
mit der seit dem 16. Jh. sich anbahnenden Dur-Moll- 
Tonalitat. Die K. blieben mit ihrer modalen Ordnung 
dort bestehen, wo gregorianische Gesange polyphon 
verarbeitet wurden, daneben auch im protestantischen 
Choral. Beispiele fiir altere, kirchentonal gebundene 
protestantische Chorale sind: Mit Fried und Freud ich 
fahr dahin; Vater unser im Hitnmelreich; Durch Adams 
Fall ist ganz verderbt (dorisch) ; Wer nur den lieben Gott 
lafit walten (hypodorisch) ; Ach Gott, vom Himmel sieh 
darein (phrygisch) ; Mitten wir im Leben sind (hypophry- 
gisch) ; Nun bitten wir den heiligen Geist (lydisch) ; Es ist 
das Heil uns kommen her (mixolydisch) ; Erhalt uns Herr 



bei deinem Wort (aolisch) ; Allem zu dir, Herrjesu Christ 
(hypoaolisch) ; Vom Himmel hoch, da komm ich her; Ein 
feste Burg (ionisch) ; Nunfreut euch, lieben Christen gmein 
(hypoionisch). Aus dem Transpositionssystem der K. zu 
verstehende »modale« Vorzeichnung findet sich bis ins 
18. Jh. Doch waren zur Zeit J.G. Walthers, der 1708 in 
den Praecepta der Musicalischen Composition samtliche 12 
Modi erlauterte, bey denen heiitigen Musicis nicht mehr 
als Dorius, Aeolius und Ionicus im Gebrauch (Kap. 8, ed. 
Benary, S. 164ff.). Noch im 19. Jh. spielten kirchen- 
tonale Wendungen eine bedeutsame Rolle, so z. B. bei 
Beethoven (Streichquartett A moll op. 132, 3. Satz: 
Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in 
der lydischen Tonart), besonders jedoch bei R.Franz, 
Brahms und Chopin. In der 1. Halfte des 20. Jh. fiihr- 
te das Bestreben zur Erweiterung des Dur-Moll-Sy- 
stems vielfach zu einem Riickgriff auf die K., der da- 
durch begiinstigt wurde, daB die K. im europaischen 
Volkslied wirksam blieben. 

Lit.: W. Brambach, Das Tonsystem u. d. Tonarten d. 
christlichen Abendlandes im MA . . ., Lpz. 1881; G. Ja- 
cobsthal, Die chromatische Alteration im liturgischen 
Gesang d. abendlandischen Kirche, Bin 1897 ; P. Wagner, 
Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 
3 1911 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; 
ders., Elemente d. Gregorianischen Gesanges, = Slg Kir- 
chenmusik II, Regensburg u. Rom 2 1917; ders., Zur ma. 
Tonartenlehre, in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien u. 
Lpz. 1930; W. Muhlmann, Die Alia musica, Diss. Lpz. 
1914; Fr. Hogler, Bemerkungen zu Zarlinos Theorie, 
ZfMw IX, 1926/27; U. Bomm OSB, Der Wechsel d. Mo- 
dalitatsbestimmung in d. Tradition d. MeBgesange im IX. 
bis XIII. Jh., Einsiedeln 1929; A. Auda, Les modes et les 
tons de la musique, Briissel 1930; ders., Contribution a 
l'hist. de l'origine des modes et des tons gregoriens, La 
Rev. du chant gregorien XXXVI, 1932; A. Gastoue, Ober 
d. acht Tone ..., KmJb XXV, 1930; A. M. Richardson, 
The Medieval Modes, NY 1933 ; F. S. Andrews, Medieval 
Modal Theory, Diss. Cornell Univ. (N. Y.) 1935, maschr.; 
L. Balmer, Tonsystem u. K. bei J. Tinctofis, = Berner 
Veroff. zur Musikforschung II, Bern u. Lpz. 1935 ; E. Cle- 
ments, The Four Parent Scales of Modal Music, Proc. Mus. 
Ass. LXII, 1 936 ; O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d. 
friihen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; G. Reese, Music in 
the Middle Ages, NY (1940), London 1941 ; O. Urspruno, 
Die antiken Transpositionsskalen u. d. K. d. MA, Af Mf V, 
1940; G. Reichert, Kirchentonart als Formfaktor, Mf IV, 
1951; E. Jammers, Der ma. Choral. Art u. Herkunft, 
= Neue Studien zur Mw. II, Mainz (1954) ; W. Apel, Gre- 
gorian Chant, Bloomington/Ind. (1958); J. Chailley, La 
naissance de la notation modale au moyen age, in : Miscela- 
nea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; ders., 
Alia Musica (Traite de musique du IX e s.), Ed. critique com- 
mentee, = Publications de l'lnst. de musicologie de l'Univ. 
de Paris VI, Paris (1965); H. Schmid, Byzantinisches in d. 
karolingischen Musik, in: Ber. zum XI. Internationalen 
Byzantinisten-Kgr. V, 2, Munchen 1958; K.. W. Gumpel, 
Zur Interpretation d. Tonus-Deflnition d. Tonale Sancti 
Bernardi, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. gei- 
stes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1959, Nr 2; S. Hermelink, 
Dispositiones Modorum, = Miinchner Veroff. zur Mg. 
IV, Tutzing 1960; B. Meier, Heinrich Loriti Glareanus als 
Musiktheoretiker, in : Beitr. zur Freiburger Wiss.- u. Uni- 
versitatsgesch. XXII, Freiburg i. Br. 1960; H. Oesch, Ber- 
no u. Hermann v. Reichenau als Musiktheoretiker, — Pu- 
blikationen d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. 
II, 9, Bern (1961). 

Kit (engl.) ->- Pochette. 

Kithara (griech. >a&dtpa), in der Antike das neben der 
Lyra am weitesten verbreitete Saiteninstrument der 
Griechen. Das Wort ist seit dem 5. Jh. v. Chr. belegt 
(u. a. Herodot I, 24, 5), kommt aber als Kitharis (xt- 
&api.c;) bereits bei Homer (z. B. Ilias III, 54) und den 
Lyrikern mehrfach vor. Die K. wird heute gewohnlich 
als ein in der Regel 7saitiges, entweder gezupftes oder 
mit ->- Plektron gespieltes Instrument charakterisiert, 



456 



Klangfarbe 



das einen aus Holz gefertigten und in verhaltnismaBig 
dicke Jocharme unmittelbar iibergehenden Schallkor- 
per besaB (im Unterschied etwa zur ->- Lyra - 1). Diese 
Charakteristik bezieht sich in erster Linie auf ein vom 
Ende des 7. Jh. v. Chr. bis in romische Zeit auf Bild- 
darstellungen nachweisbares Instrument mit unten ab- 
geflachtem, kastenartigem Schallkbrper (die sogenann- 
te Konzert-K.; siehe Abbildung links). Dariiber hinaus 
soil der Name K. aber vielfach auch noch ein oder 
mehrere ahnlich aussehende Instrumente mit erfassen, 










; — 




:_ — : 




f h 


\ 


/ ( 




> \ 


\%) 


rHHL 





z. B. ein Instrument mit unten abgerundetem Schall- 
kbrper (ahnlich der ->■ Phorminx), das auf Vasenbil- 
dern des 5. Jh. v. Chr. oft dargestellt wurde (die soge- 
nannte Wiegen-K.; siehe Abbildung rechts). Ob es 
sich in diesen Fallen um dasselbe oder um verschiedene 
Instrumente (mit jeweils eigenem Namen) handelt, ist 
unklar. Erst recht gilt dies fur die noch viel zahlreiche- 
ren Instrumentenformen der Fruhzeit. Daher diirfte es 
aussichtslos sein, zwischen K. und Kitharis sowie zwi- 
schen Kitharis und Phorminx scharf unterscheiden zu 
wollen, zumal diese Namen in der Antike selbst offen- 
bar nicht immer klar auseinandergehalten wurden 
(z. B. Ilias XVIII, 569f.: <pdgfiiyyc xi&dgi£e; Odys- 
seel, 153ff. : xi&agiv . . . 6<poQ/ii£(ov; in hellenistischer 
Zeit etwa Aristoxenos, fr. 102, ed. Wehrli: xiftagis 
ydg icrtiv fj Avga). Aus demselben Grand ist die Frage 
der Herkunft der K. sehr umstritten. Als gesichert gilt, 
daB die K. zuerst bei den kleinasiatischen Griechen in 
Gebrauch war (deshalb auch 'Aaiac; genannt, z. B. Eu- 
ripides, Kyklops 443). Zusammen mit der auf Lesbos 
im 7. Jh. v. Chr. zur Bliite gelangten Kitharodie (Ge- 
sang mit K.-Begleitung) und mit den dort u. a. von Ter- 
pandros geschaffenen kitharodischen Nomoi (-»■ No- 
mos) scheint die von einem Schuler Terpanders, Ke- 
pion, in eine neue Form gebrachte K. dann auch im 
Mutterland ziemlich rasch FuB gefaBt zu haben. Denn 
schon gegen Anfang des 6. Jh. v. Chr. sollen im Rah- 
men der Pythischen Spiele in Delphi Preise fur die 
Kitharodie und wenig spater fur die Kitharistik (K.- 
Spiel ohne Gesang) ausgesetzt gewesen sein (Pausanias 
X, 7, 4 und 7). Anders als die Lyra wurde die K. all- 
mahlich das bevorzugte Instrument der Virtuosen, die 
ihrerseits die Zahl der Saiten bis auf 11 und 12 erhoh- 
ten (Timotheos und Melanippides gegen Ende des 5. 
Jh. v. Chr.). Als typisches Virtuoseninstrument aber 
eignete es sich nicht mehr fiir den gewohnlichen Mu- 
sikunterricht (Aristoteles, »Politik« VIII, 6, 5). Die K., 
spater auch von den Romern iibernommen (lat. citha- 
ra), blieb bis in die Spatantike in Gebrauch. Das Instru- 
ment Davids, der hebraische -> Kinnor, in der Septua- 
ginta noch xivtipa genannt, heiBt in der Vulgata (1. 
Sam. 16, 23) cithara. 

Lit.: Timotheos, Die Perser, hrsg. v. U. v. Wilamowitz- 
Moellendorff, Lpz. 1903 (mit einem Modelltext d. virtuo- 



sen Kitharodie) ; C. Sachs, Die griech. Instrumentalnoten- 
schrift, ZfMw VI, 1923/24; ders., Die griech. Gesangsno- 
tenschrift, ZfMw VII, 1924/25; ders., The Rise of Music 
in the Ancient World, East and West, = The Norton Hist, 
of Music I, NY (1943) ; L. Deubner, Die viersaitige Leier, 
Mitt. d. Deutschen Archaologischen Inst., Athenische Abt. 
LIV, 1929; H. Huchzermeyer, Aulos u. K. in d. griech. 
Musik bis zum Anfang d. klass. Zeit, Diss. Miinster i. W. 
193 1 ; J. W. Schottlander, Die K., Diss. Bin 1933, maschr.; 
T. Norlind, Lyra u. K. in d. Antike, STMf XVI, 1934; M. 
Guillemin u. J. Duchesne, Sur l'origine asiatique de la 
cithare grecque, L'antiquit6 classique IV, 1935; O. Gom- 
bosi, Tonarten u. Stimmungen d. antiken Musik, Kopen- 
hagen 1939, Neudruck 1950; M. Wegner, Das Musik- 
leben d. Griechen, Bin 1949; ders., Griechenland, = Mg. 
in Bildern II, 4, Lpz. (1963); Fr. Behn, Musikleben im Al- 
tertum u. friihen MA, Stuttgart 1954; H. G. Farmer, I. 
Henderson u. J. E. Scott, in: The New Oxford Hist, of 
Music I, London 1957 ; B. Aign, Die Gesch. d. Musikinstr. 
d. agSischen Raumes bis um 700 v. Chr., Diss. Ffm. 1963; 
G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom, = Mg. in Bildern II, 5, 
Lpz. (1964). FZa 

Klampfe -»■ Gitarre. 

Klang ist der allgemeine Begriff fiir akustische Er- 
scheinungen, die in der Skala der Einheitlichkeit etwa 
zwischen Ton (pragnant) und Gerausch (amorph) lie- 
gen. Dabei tragt dieser Begriff einen positiven Akzent 
gegeniiber dem (amorphen) Gerausch und dem (ne- 
gativen) Larm. Akustisch und psychologisch bestim- 
mendes Merkmal ist seine -»■ Klangfarbe. Im umgangs- 
sprachlichen Gebrauch dient der Begriff Kl. der allge- 
meinen Charakterisierung von akustischen Eindriicken 
(Glocken-Kl., Instrumenten-Kl., Kl.-Ideal). In der spe- 
ziellen musikahschen Terminologie ist der Kl. die Ver- 
bindung von simultan erklingenden Tonen (Zwei-KL, 
-*■ Drei-Kl.) bzw. der Zusammen-Kl. von Tonen, der 
nicht als Akkord und somit als Akkordfunktion auf- 
gefaBt und benannt werden soil. - Im 19. Jh. biirgerte 
sich vor allem im AnschluB an H. v. Helmholtz ein phy- 
sikalisierender Gebrauch des Begriffs ein. In diesem 
Sinne ist der Tonbegriff auf das erlebnismaBige Korre- 
lat der Sinusschwingung eingeengt; als Klange werden 
demgegeniiber alle Schallvorgange bezeichnet, in 
denen Oberschwingungen enthalten sind. Diese Klas- 
sifizierung entspringt dem damaligen Konzept der 
Reduktion aller Horerscheinungen auf physikalische 
Sachverhalte und Gesetze, widerspricht aber sowohl 
den Hbrtatsachen als auch dem musikalischen Sprach- 
gebrauch. 

Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
. . . , Braunschweig 1863, «1913 ; E. Waetzmann, Ton, Kl. 
u. sekundare Klangerscheinungen, in: Hdb. d. normalen 
u. pathologischen Physiologie XII, Bin 1926; J. Hand- 
schin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ; A. Wellek, Mu- 
sikpsychologie u. Musikasthetik, Ffm. 1963; H.-P. Reine- 
cke, Experimentelle Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens, 
= Schriftenreihe d. mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964. 

Klangfarbe. - 1) historisch: Tonhohe und Dauer 
sind »zentrale«, Lautstarke und Kl. »periphere« Ton- 
eigenschaften (J.Handschin). Obwohl die Kl.n die 
Wirkung von Musik wesentlich mitbestimmen, haben 
sie eher verdeutlichende als konstitutive Funktion, da 
sie, im Unterschied zu Tonhohen und Zeitwerten, kei- 
ne Skala bilden. Zwar sind Einzelmomente der Kl., wie 
Fiille und spezifische Helligkeit, im Sinne einer Stu- 
fenfolge wahrnehmbar; im wesentlichen aber stehen 
sich die Kl.n als selbstandige, nicht aufeinander redu- 
zierbare Qualitaten gegeniiber. Mit dem akzessori- 
schen Charakter der Kl. hangt es zusammen, daB sie 
einerseits bis zum 19. Jh. kein Gegenstand der Musik- 
theorie gewesen ist und andererseits nicht isoliert be- 
trachtet werden kann. Die Instrumentationstechnik 
orientiert sich oft weniger an der eigentlichen Kl. als 



457 



Klangfarbe 



an der Intensitat und dem Volumen, der Spieltechnik 
und der Artikulation der Instrumente. - Klangstile 
sind ein Ausdruck individuell, zeitlich und national be- 
grenzten geschichtlichen Lebens (W. Gurlitt). Sie sind 
1) durch die Neigung entweder zum »Spalt-« oder zum 
»Verschmelzungsklang« (A. Schering), 2) durch die 
Bevorzugung bestimmter Instrumente und Instrumen- 
tengruppen, 3) durch die Symbolfunktionen und die 
Sozial- oder Ausdruckscharaktere von Instrumenten 
und 4) durch die Vorliebe fur einen distanzierten oder 
einen beseelten, dem Tonfall und Modulationsreich- 
tum der menschlichen Stimme ahnlichen Klang ge- 
kennzeichnet und bestimmt. So hangt z. B. die Ein- 
fiihrung der Klarinette und des Waldhorns im 18. Jh. 
mit der Orientierung am Klangideal der menschlichen 
Stimme zusammen. - Man kann zwischen funktionel- 
ler, den Tonsatz vordeutlichender und koloristischer, 
die Wirkung belebender Verwendung der Kl. unter- 
scheiden, ohne daB zwischen den beiden Momenten 
ein ausschlieBender Gegensatz bestiinde. Die kontrast- 
reichen Instrumentenensembles des 14. und 17. Jh. 
dienten sowohl der Differenzierung der Stimmen als 
auch der Buntheit des Klangbildes. Und umgekehrt ist 
eine die Stimmen verschmelzende Instrumentation 
nicht nur koloristisch, sondern als Darstellung eines 
durch ineinandergleitende Akkorde bestimmten Ton- 
satzes zugleich funktionell. 

Lit. : W. Gurlitt, Die Wandlungen d. Klangideals d. Org. 
im Lichte d. Mg., in: Ber. iiber d. Freiburger Tagung f. 
deutsche Orgelkunst Augsburg 1926, Neudruck in: Mg. u. 
Gegenwart II, = BzAf Mw II, Wiesbaden 1966; DERS.,Vom 
Klangbild d. Barockmusik, in: Die Kunstformen d. Ba- 
rockzeitalters, = Slg Dalp LXXXII, Bern u. Munchen 
1956, Neudruck ebenda I, I, 1966; A. Schering, Hist. u. 
nationale Klangstile, JbP XXXIV, 1927 ; G. Pietzsch, Der 
Wandel d. Klangideals in d. Musik, AMI IV, 1932; Fr. 
Dietrich, Vom Spielklang, DMK II, 1937; K. G. Felle- 
rer, Satzstil u. Klangstil, Mk XXX, 1937/38; ders., Die 
Klangwirklichkeit im mus. Erbe, Das Musikleben VI, 
1953 ; E. Halfpenny, The Influence of Timbre and Tech- 
nique on Mus. Aesthetic, The Music Review IV, 1943; J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ; Fr. Ernst, 
Die Klangwelt d. alten Musik, SMZ XCII, 1952; E. Laaff, 
Oberschatzung d. Klanges?, Das Musikleben VII, 1954; 
H.J. MosER,Farbenu.Kl.,MusicaXI, 1957. CD 

- 2) akustisch : Kl. benennt den »zustandlichen« Aspekt 
unter den einem Klang zugeschriebenen Fundamental- 
eigenschaften neben Tonhohe, Lautstarke und Dauer. 
Der Begriff entstammt dem akustischen Konzept des 
19. Jh. und deutet eine gewisse Parallelitat zum Visuel- 
len an, in dem die Farbe eine analoge Funktion ausiibt. 
In der klassischen Akustik wurde die Kl. auf das tonen- 
de Objekt bezogen, auf das Musikinstrument bzw. die 
Singstimme (»Geigen-Kl.«, »Klarinetten-Kl.«, »Chor- 
Kl.«). Man suchte folglich die Kriterien in der Schall- 
struktur des jeweiligenKlangerzeugers. Ausgangspunkt 
dieser Bemiihungen und Beginn der modernen akusti- 
schenForschungbildetedieKl.n-Theoriev.Helmholtz', 
der dieErklarung fiir die Kl. in der Art und Weise sah, wie 
die Bewegung innerhalbjeder einzelnen Schwingungsperiode 
vor sich gent. Seine an Hand von Einzelbeobachtungen 
auf gestellte Hypothese lautet, daB fiir die Kl. bestimm- 
ter Musikinstrumente immer eine Teilschwingung be- 
stimmter Ordnung innerhalb des Klangspektrums ent- 
scheidend sei, deren Frequenz also mit der Tonhohe 
wechsele (Relativtheorie). Diese Annahme wurde 1929 
von E. Schumann widerlegt, der nach umfangreichen 
Messungen mehrere Kl.n-Gesetze f ormulierte : 1) Die 
Klange bestimmter Musikinstrumente weisen - wie 
die Sprachlaute - unabhangig von ihrer Grundfrequenz 
Gebiete verstarkter Teilschwingungen auf, die an feste 
Frequenzbereiche (Formantstrecken, -> Formant) ge- 
bunden sind. 2) Mit zunehmender Klangstarke verla- 



gert sich bei gleicher Tonhohe das Intensitatsmaximum 
auf Teilschwingungen hoherer Ordnungszahlen ( Aku- 
stisches Verschiebungsgesetz). 











































1 












1 


1 1. 















1 










































1 


















1 












1. 


■ 





1 










1 


1 


t 


1 . . 















1 
II — — 






















1 










1 


1 




1 


1 




1 


1 




1 . 

















1 

ft* 




























































■ ( 












1 










1 




' 


1 


1 









Schumannsches Verschiebungsgesetz beim Klang 
einer Flote; bei Intensitatssteigerung verlagert 
sich das Maximum auf Teilschwingungen hoherer 
Ordnungszahl. 
3) Liegt bei Klangen mit zwei Formanten das Intensi- 
tatsmaximum im Bereich der tieferen Formantstrecke, 
so springt es unter geeigneten Bedingungen bei Stei- 
gerung der Klangstarke direkt auf die obere Formant- 
strecke iiber (Schumannsches Sprunggesetz). 

















































































1 




1 . 
















1 




1 


1 


1 1 


1 


1 1 


ll 


■II 



























































































1 




1 






III 












1 




1 




1 




1 


III 


1 . 


II. 


■■■ 











i 
it 


;U^4.±i 


tt 


lll|IUli u . 



Schumannsches Sprunggesetz beim Oboenklang; 
das Maximum uberspringt bei Intensitatssteige- 
rung von mf zu ff alle zwischen den Formant- 
strecken liegenden Teilschwingungen. 
4) Bei steigender Grundfrequenz, aber gleicher Intensi- 
tat bleibt das Intensitatsmaximum so lange auf der glei- 



458 



Klangschliissel 



chen Teilschwingung bestimmter Ordnungszahl, bis 
die obere Grenze der Formantstrecke erreicht ist. Da- 
nach springt es zuriick auf eine in der gleichen For- 
mantstrecke befindliche Teilschwingung niederer 
Ordnungszahl. 

Hi 
MS2 




Grundfrtquenl 
Qrvndfrtquenzlinit 
Maximum im Formanten I 
Maximum im Formanttn II 
Ntbtnmaximum 



Verlauf der Intcnsitatsmaxima innerhalb einer 
Formantstrecke bei steigender Tonhohe. 
5) Hat ein Instrumentenklang zwei Formanten, so bil- 
den deren Maxima immer ein charakteristisches festes 
und einf aches Frequenzverhaltnis, so Oboe 1:2, Eng- 
lisch Horn 2:5 und Fagott 3:8 (Schumannsches For- 
mantenintervallgesetz). - Mit der Formulierung dieser 
GesetzmaBigkeit wurde die physikalische Beschreibung 
der stationaren Schallvorgange zu einem gewissen Ab- 
schluB gebracht. Sie bilden die Voraussetzung fiir die 
weitere Behandlung der Fragen des Zusammenhangs 
zwischen Schallstruktur und Klangerlebnis. Schon 
Stumpf (1926) unterschied die Kl. im engeren und im 
weiteren Sinn. Zu letzterer rechnet er alle erlebnisma- 
Bigen Verschiedenheiten, die sich aus dem zeitlichen 
Ablauf des Klanges ergeben, z. B. beim Zupfen, An- 
blasen usw. Dazu gehoren auch die typischen Klang- 
einsatze und Ausgleichsvorgange beim Ubergang von 
einem zum anderen Ton. Vor allem die subjektive Sei- 
te des Kl.n-Begriffs wird von Stumpf betont. So kann 
ein Klang weich, hart, rauh, voll, leer sein, ein Vokal dun- 
kel, hell. Wellek hat eine sehr weitgehende Klassifizie- 
rung der emotionellen Affinitaten von Klangen gege- 
ben, die jedoch noch empirischer Uberpriifung harrt. 
Einen integrierenden Aspekt der Kl. hat Fr.Blume 
(1959) als das sspezifische Kolorit« bezeichnet. Inner- 
halb jeder Kulturgruppe wird das Klangmaterial aus 
einem theoretisch unendlichen Reservoir in langen 
Selektionsprozessen den spezifischen Horbedurfnis- 
sen angepaBt, so daB sich die Klarige gegeniiber denen 
anderer ethnischer Gruppen mehr oder minder stark 
unterscheiden. Es entstehen charakteristische Eindrucks- 
werte, welche gewissermaBen »iiber alles« wirken und 
so das Integral eines spezifischen Kolorits entstehen 



lassen. In diese Richtung weisen auch schon die von 
Wellek gepragten Begriffe der integrierenden Klang- 
eigenschaften bestimmter Instrumentengruppen, die 
er als Gattungstimbre (Streicherklang, Blaserklang) 
bezeichnet, doch fehlt hier der soziologisch differen- 
zierende Akzent. Das alien Gemeinsame ist das Zustand- 
liche, die emotionelle Farbung, welche alles von dem 
Kl.n-Begriff Umschlossene auszeichnet. 
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
.... Braunschweig 1863, «1913; Sachs Hdb.; C. Stumpf, 
Die Sprachlaute . . . , Bin 1 926; E. Schumann, Die Physik d. 
Kl., Habil.-Schrift Bin 1929 ; H. Backhaus, Uber d. Bedeu- 
tung d. Ausgleichsvorgange in d. Akustik, Zs. f . Techni- 
sche Physik XIII, 1932; ders., Uber Ausgleichsvorgange 
an Streichinstr., ebenda XVIII, 1937; F. Trendelenburg, 
KlSnge u. Gerausche, Bin 1935; ders., Einfuhrung in d. 
Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1 96 1 ; Fr.Winckel, 
Klangwelt unter d. Lupe, = Stimmen d. XX. Jh. I, Bin u. 
Wunsiedel (1952), neubearb. als: Phanomene d. mus. H6- 
rens, ebenda IV, (I960); Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. 
dems., Bin (1955); H. Husmann, Einfuhrung in d. Mw., 
Heidelberg (1958); Fr. Blume, Was ist Musik?, = Mus. 
Zeitfragen V, Kassel 1959; W. Meyer-Eppler, Grundlagen 
. . . d. Informationstheorie, Bin, Gottingen u, Heidelberg 
1959; A. Wellek, Musikpsychologie u. Musikasthetik, 
Ffm. 1963 ; H.-P. RErNECKE, Experimentelle Beitr. zur Psy- 
chologic d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. mw. Inst. d. 
Univ. Hbg III, Hbg 1964; V. Rahlfs, Die Kl., Diss. Hbg 
1966, maschr. HPR 

Klangfarbenmelodie nennt Schonberg am SchluB 
seiner Harmonielehre (Wien 1911, 3 1922, englisch New 
York 1947) eine Folge von Klangfarben, deren Be- 
ziehung untereinander mit einer Art Logik wirkt, ganz 
dquivalent jener Logik, die uns bei der Melodie der Klang- 
hbhen geniigt. Die Idee der Kl. hat Schonberg im dritten 
seiner Fiinf Orchesterstiicke op. 16 (1909), urspriinglich 
Farben betitelt, zu verwirklichen versucht. Ansatze zur 
Kl. finden sich in der spatromantischen und impressio- 
nistischen Orchesterbehandlung, z. B. Wechsel von 
Instrumenten auf gleichbleibender Tonhohe (Debussy) . 
Im Unterschied zu Schonbergs Idee der Eigenstandig- 
keit der Klangfarbe, verdeutlicht sie bei Webern die- 
nend die Tonhohenstruktur der Komposition, die sich 
somit zugleich als Farbstruktur darstellt. Ein weiterer 
Schritt ist die Behandlung der Klangfarbe als Parame- 
ter in der ->■ Seriellen Musik. 

Klangfiguren -> Chladnische Klangf iguren. 

Klangschliissel nennt H.Riemann die in seinen 
theoretischen Schriften entwickelte und ausschliefilich 
angewandte Harmoniebezeichnung, die aus derjenigen 
G.Webers und A. v. Oettingens herausgewachsen ist 
und stets einen Klang (Dur- oder Mollakkord) als 
Hauptinhalt hinstellt, z. B. c? = C dur-Akkord (mit 
kleiner Septime), g 9> = G dur-Akkord (mit kleiner 
Septime und kleiner None und Auslassung der Prim) 
usw. Beim Kl. werden ebenso wie beim GeneralbaB 
die Zahlen 1-10 verwendet, aber die Intervalle nicht 
vom BaBton aus gezahlt, sondem von der Prime des 
Klanges. Fiir Durakkorde werden arabische Ziffern, 
fiir Mollakkorde romische gebraucht; jene bedeuten 
die Intervalle vom Hauptton nach oben, diese die nach 
unten. Der Hauptton selbst wird mit einem lateini- 
schen Buchstaben (c, a usw.) notiert. Die Zahlen haben 
f olgende Bedeutung : 1 (I) Hauptton, 2 (II) groBe Se- 
kunde, 3 (III) groBe Terz, 4 (IV) reine Quarte, 5 (V) 
reine Quinte, 6 (VI) groBe Sexte, 7 (VII) kleine Septi- 
me, 8 (VIII) Oktave (= Prime), 9 (IX) groBe None 
(= Sekunde), 10 (X) groBe Dezime (= Terz). Alle 
Zahlen, auBer 1, 3, 5 (8, 10) bzw. I, III, V (VIII, X), be- 
deuten dissonante Tone; denn nur Haupt-, Terz- und 
Quintton sind Bestandteile des (Dur- oder Moll-)Klan- 



459 



Klangstufen 



ges. Chromatische Veranderungen der oben aufge- 
zahlten 7 (10) Grundintervalle werden durch < fiir die 
Erhohung und > fiir die Erniedrigung um einen Halb- 
ton angezeigt. Den Durakkord (Oberklang) bezeich- 

5 
net das abkiirzende Zeichen + statt 3, den Mollakkord 

1 

(Unterklang) das Zeichen ° statt III; wo Zahlen (fiir 

Lagen, Zusatztone usw.) das Klanggeschlecht anzeigen, 
bleibt das Klangzeichen ( + oder °) weg. Auch wird, da 
der Durakkord haufiger ist als der Mollakkord, bei 
Fehlen jeder Bezeichnung der Durakkord gemeint. 
Der Name Kl. unterscheidet diese an eine bestimmte 
Tonart gebundene Bezeichnung von der daraus seit 
1893 von Riemann entwickelten, fiir jede Tonart gel- 
tenden -*■ Funktionsbezeichnung. -> Dualismus. 
Lit. : H. Riemann, Skizze einer neuen Methode d. Harmo- 
nielehre, Lpz. 1880, umgearbeitet als: Hdb. d. Harmonie- 
lehre, Lpz. 21887, 51912, '1920, 101929; ders., Vereinfach- 
te Harmonielehre . . ., London u. NY 1893, 2 1903; ders., 
Elementar-Schulbuch d. Harmonielehre, Lpz. 1906, Bin 
u. Lpz. 31918. 

Klangstufen -> Stufen, -*■ Stufenbezeichnung. 

Klangvertretung nennen A.v.Oettingen und H. 
Riemann in Weiterentwicklung eines Gedankens v. 
Helmholtz' (1863) die besondere Bedeutung, die ein 
Ton (oder ein Intervall) gewinnt, je nachdem er als 
Bestandteil dieses oder jenes Dreiklangs aufgefaBt wird. 
Gilt z. B. der Ton C als Terz des As dur-Dreiklangs, so 
hat er eine andere Bedeutung fiir die Logik des Ton- 
satzes, als wenn er als Terz des A moll-Dreiklangs auf- 
tritt; in jenem Fall ist er nachstverwandt mit Des und 
dem Des dur-Dreiklang, in diesem mit H und dem 
E dur- und E moll-Dreiklang. Jeder Ton kann 6 ver- 
schiedene Klange vertreten, namlich als Grundton, 
Quinte und Terz 3 Dur- und 3 Molldreiklange, z. B. : 



Im musikalischen Zusammenhang aber hat jeder Ton 
nur eine einzige dieser Bedeutungen. Entsprechendes 
gilt fiir Intervalle als Vertreter von Dreiklangen. Wird 
ein Ton irgendeinem Dreiklang als dissonanter Ton 
beigegeben oder anstelle eines von dessen Akkordto- 
nen als Vorhalt oder alterierter Ton eingestellt, so ist 
- nach Riemann - seine Bedeutung dennoch im Sinne 
eines der oben genannten sechs Dreiklange, und zwar 
des nachstverwandten, zu bestimmen. 
Lit.: H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
. . ..Braunschweig 1863, 6 1913; A. v. Oettingen, Harmo- 
niesystem in dualer Entwickelung, Dorpat u. Lpz. 1866, 
als: Das duale Harmoniesystem, Lpz. 2 1913; H. Riemann, 
Mus. Syntaxis, Lpz. 1877; ders., Die Natur d. Harmonik, 
= Slg mus. Vortrage, hrsg. v. P. Graf v. Waldersee, 4. Rei- 
he, Nr40, Lpz. 1882; Riemann MTh. 

Klangzentrum, als Zentrum eines Klanges (Rameaus 
centre harmonique) der -> Grundton (- 1) eines Akkor- 
des im Gegensatz zum BaBton; nach Hindemith (1937) 
als tonales Zentrum der Bezugsklang einer Akkord- 
gruppe, ahnlich -> Tonika; nach H. Erpf (1927) ein nach 
Intervallzusammenhang, Lage im Tonraum und Farbe be- 
stimmter Klang,. der dadurch konstitutive Bedeutung 
erlangt, daB er nach kurzen Zwischenstrecken immer wie- 
der auftritt. Klangzentren der letzteren Art finden sich 
u. a. in Schonbergs op. 19, 6 und in Strawinskys Sacre 
du Printemps (Anfang des 2. Teils). 
Lit. : J.-Ph. Rameau, Trait6 de Fharmonie . . . , Paris 1 722 ; 
H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neue- 
ren Musik, Lpz. 1927; P. Hindemith, Unterweisung im 
Tonsatz I, Mainz 1937, 21940, engl. als: Craft of Mus. 
Composition I, London 1942. 



Klappen sind die bei den Holzblasinstrumenten seit 
dem 1. Drittel des 16. Jh. nachweisbaren, im 19. Jh. 
auch bei den Blechblasinstrumenten verwendeten me- 
tallenen, mit weichem Leder (meist Ziegenleder) ge- 
polsterten VerschluBdeckel fiir die Tonlocher. Nach 
ihrer Normalstellung, in der sie durch Federdruck ge- 
halten werden, sind offene (Deck-Kl.) und geschlosse- 
ne Kl. zu unterscheiden. Die geschlossenen Kl. schei- 
nen erst im 17. Jh. aufgekommen zu sein. Urspriinglich 
dienten die Kl., durch einfache Hebel betatigt, nur zur 
Deckung der fiir die Finger nicht oder nur schwer er- 
reichbaren Tonlocher; sie waren daher nur in sehr ge- 
ringer Zahl angebracht, die sich im 18. Jh. allmahlich 
steigerte. Die fiir das heutige Kl.-System der Holzblas- 
instrumente maBgebende Verbesserung ersann Th. 
-> Bohm, der im Jahre 1832 die erste -> Querflote an- 
fertigen lieB, bei der die Tonlocher an den akustisch 
richtigen Stellen des Rohres angebracht waren und die 
mit einem sinnreich konstruierten Kl.-Mechanismus 
versehen war. Ahnlich hatte bereits seit 1824 -*■ Al- 
menrader am Fagott einige Tonlocher tiefer gelegt 
und sie mit den entsprechenden Deck-Kl. versehen; 
auch brachte er verschiedene andere Kl. zur Verbesse- 
rung der Intonation und zur Erleichterung der Appli- 
katur an. An den Holzblasinstrumenten und den Saxo- 
phonen werden heute unterschieden: die Drehklappe 
(modern), bei der die Bewegung des Hebels durch eine 
am Rohr entlangfiihrende Welle auf die Klappe iiber- 
tragen wird; die Ringklappe, ein ringformiger Beta- 
tigungshebel, der iiber einem offenen Griffloch liegt 
und beim Greifen bewirkt, daB die Klappe iiber einem 
anderen Tonloch mitbewegt wird (nach SachsL wurde 
diese Art von Kl. 1808 von Fr. Nolan erfunden); die 
Trillerklappe zur Erleichterung der Ausfiihrung von 
bestimmten Trillern; die Schleif- oder Oktavklappe 
auf der Unterseite des Rohres, die der Erleichterung 
des Uberblasens dient. Das Anbringen von KL an den 
Blechblasinstrumenten zu Beginn des 19. Jh. konnte 
sich gegeniiber den Vorteilen der etwa gleichzeitig er- 
fundenen -> Ventile (- 2) nicht durchsetzen (-»■ Kl.- 
Horn, ->• Ophikleide). 

Klappenhorn (frz. bugle a clefs; engl. key bugle), 
ein Blechblasinstrument mit Tonlochern und (ge- 
schlossenen) Klappen. Erfolgreicher als das Waldhorn 
mit Klappen (->■ Amorschall) waren Biigelhorner mit 
Klappen, vor allem das Kl. von J. Halliday (Dublin, 
patentiert 1810) mit 5 Klappen, das auch Kenthorn ge- 
nannt wird (weil es ein Herzog von Kent als Signalhorn 
in die englische Armee einfiihrte). Die Zahl der Klap- 
pen wurde bald auf 6 oder - vornehmlich in Deutsch- 
land - auf 7 erhoht (davon eine offene), wodurch 
die der Naturtonreihe fehlenden Tone hervorgebracht 
werden konnten, wenn auch nicht mit der gleichen 
Reinheit wie auf Ventilhornern (-> Ventile - 2). - 
Zur Kl.-Familie gehoren: Kl. in C oder B als Diskant 
mit dem Umfang h-c3 bzw. a-b 2 , Kl. in F oder Es als 
Alt (e-f 3 bzw. d-es3) sowie die -*■ Ophikleide. 

Klappentrompete, eine 1801 von Weidinger (Wien) 
erfundene Trompete, die zur Ausfiillung der Natur- 
tonreihe mit diatonischen und chromatischen Stufen 
4—6 gedeckte Tonlocher hatte. 

Klappern, ein Gegenschlagidiophon aus Metall, Kno- 
chen, Holz oder harten Fruchtschalen. Die Kl. gehoren 
zu den altesten und verbreitetsten Rhythmusinstru- 
menten. Aus den in Handform geschnitzten altagypti- 
schen Kl. (um die Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtau- 
sends) kann geschlossen werden, daB die Kl. aus dem 
Handeklatschen hervorgegangen sind. Im Brauchtum 
werden Kl. heute noch (auch unter verschiedenen 



460 



Klarinette 



schallnachahmenden Bezeichnungen) neben Knarren 
und -»• Ratschen vor allem zur Fastnacht verwendet 
und in katholischen Kirchen an den Kartagen, wenn 
die Glocken schweigen miissen. Besonders ausgebildete 
Kl. sind die -> Kastagnetten. -*■ Crotales, -»• Krotala. 

Lit. : I. Jurk-Bauer, Volkstumliche Larminstr., Diss. Hbg 
1937; H. In der Gand, Volkstumliche Musikinstr. in d. 
Schweiz, Schweizerisches Arch. f. Volkskunde XXXVI, 
1937/38; H. Hickmann, La cliquette, un instr. de percus- 
sion egyptien de l'epoque copte, Bull, de la Soc. d'archeo- 
logie copte XIII, 1948/49; ders., Cymbales et crotales 
dans l'Egypte ancienne, Annales du service des antiqui- 
tes de l'Egypte XLIX, 1949; ders., Du battement de la 
main aux planchettes entrechoquees, Bull, de l'lnst. 
d'Egypte XXXVII, 1954/55. 

Klarinette (ital. clarinetto, Diminutiv von -> clarino), 
ein zylindrisches Blasinstrument mit einfachem, als 
aufschlagende Zunge wirkendem Rohrblatt. Die Klar. 
besteht aus Schnabel, Birne, Ober- und Unterstiick so- 
wie Stiirze. In die Unterseite des Schnabels ist eine 
schrage Bahn eingelassen, auf die das Blatt gebunden 
oder (seit etwa 1810) geschraubt wird. Bis ins 19. Jh. 
hinein wurde das Mundstiick, im Unterschied zur 
modernen Spielweise, mit dem Blatt nach oben einge- 
setzt. Auf der Klar., die akustisch (infolge des aufschla- 
genden Rohrblatts) wie eine gedackte Pfeife wirkt, 
sprechen nur die ungeradzahligen Naturtone an; es 
wird daher in den 3. (Duodezime), 5. usw. Naturton 
iiberblasen. Um den Abstand zwischen dem 1. und 2. 
Register chromatisch zu uberbrucken, sind daher (min- 
destens) 18 Grifflocher notig. - Die Klar. ist hervorge- 
gangen aus dem -> Chalumeau (- 1). J. G. Doppelmayr 
berichtet 1730, -» Denner habe Zu Anfang des laufen- 
den Seculi . . . die sogenannte Clarinette erfunden; der 
Name der Klar. ist zuerst im Titel eines anonymen 
Sammelwerks (Airs a deux chalumeaux, deux trompettes, 
. . . deux clarinettes, ou cors de chasse . . . ) des Amster- 
damer Musikverlags Roger und Le Cene belegt (ca. 
1716). Das verbesserte Chalumeau hatte ein Uberblas- 
loch und 2 Klappen. Dadurch wurde das Spiel im 2., 
dem Clarinregister moglich. Die trompetenahnliche 
Fiihrung der Klar. zeigen noch die Klar.n-Konzerte 
von Molter (um 1740-50). Walther schreibt 1732: 
Clarinetto . . . klingt von feme einer Trompete ziemlich 
dhnlich. Die Ausnutzung des nicht uberblasenen Cha- 
lumeauregisters zeigen deutlich erst die Klar.n-Kon- 
zerte von Pokorny (1765). Damit bekam die Klar. den 
ihr eigenen Klang, der schon von Eisel 1738 mit der 
menschlichen Stimme verglichen wurde und der sie im 
19. Jh. zu einem »romantischen« Instrument werden 
lieB. Berlioz (1856) beschreibt die Register und die 
Qualitaten der Klar. ausfiihrlich, besonders die Mittel- 
lage sei favorable a Vexpression des sentiments ... les plus 
poetiques. R.Strauss (in der Neuausgabe von Berlioz' 
Werk, 1905) bemerkt: Die franzbsischen Klar.n haben 
einen fiachen, naselnden Ton, wahrend die deutschen sich 
der Gesangsstimme ndhern. - Nachdem die Klar. in der 1. 
Halfte des 18. Jh. als Nebeninstrument von Oboisten 
und Flotisten geblasen worden war, tauchen Klarinet- 
tistenstellen in den Kapellakten nach 1750 auf (Mann- 
heim 1759). Zu den ersten Komponisten, die Klar.n in 
Oper und Symphonie vorschrieben, gehoren Rameau 
(1749),J. Stamitz (1753) und C. Fr. Abel (1763; unterK.- 
V. Anh. 1091 als Werk Mozarts bezeichnet). Um 1760 
hatte die Klar. 4, gegen Ende des Jahrhunderts 6 Klap- 
pen, bei der Klar. von I. -*■ Miiller um 1812 waren es 13. 
Bis 1844 wurde das Bohmsche Ringklappensystem von 
Klose und Buffet auf die Klar. iibertragen. In Deutsch- 
land hielt sich noch lange das von Barmann verbesserte 
System Mullers. Im klassischen Orchester (Haydn, 
Londoner Symphonien; Beethoven von der 1. Sym- 



phonie an) sind 2 Klar.n iiblich, im romantischen 3-4, 
von neueren Komponisten werden auch mehr (Mah- 
ler, 8. Symphonie: 6; Schonberg, Gurre-Lieder: 7) vor- 
geschrieben. Konzerte f iir Klar. schrieben C. Stamitz, 
A.Dimler, Rosetti, Mozart, Reissiger, Rietz, CM. v. 
Weber, Spohr, Rimskij-Korsakow, Nielsen, Debussy, 
Milhaud, Busoni, Copland, Hindemith und Seiber; 
bedeutende Kammermusikwerke mit Klar. kompo- 
nierten Mozart und Schubert, auBerdem Weber, Schu- 
mann, Brahms, Reger, Bartok u. a. Beriihmte Klari- 
nettisten alterer und neuerer Zeit, die zum Teil auch 
Schulen verfaBten, sind : Joseph Beer, Fr. Tausch, Yost, 
Lefevre, Blasius, Blatt, H.J. und K. Barmann, Fr.Berr, 
Hermstedt, G. Chr. Bachmann, Miihlf eld, Ch. Draper, 
Jost Michaels und H. Geuser. - Im Jazz war die Klar. 
neben der Trompete das wichtigste Melodieinstrument, 
bis sie vom Saxophon etwas in den Hintergrund ge- 
drangt wurde. Hire groBe Zeit war der Swing der 
1930er Jahre. Die bekanntesten Jazzklarinettisten sind 
A.Nicholas, Benny Goodman, Artie Shaw, Woody 
Herman, Stan Hasselgard, Buddy de Franco und Jim- 
my Giuffre. - Ansatze zur Bildung einer Klar.n-Fa- 
milie zeigten sich in der 2. Halfte des 18. Jh., doch ist 
ein Teil der bis ins 19. Jh. entwickelten Lagen nur in 
der -> Harmoniemusik verwendet worden. Im Or- 
chester ist das Standardinstrument die Klar. in B (No- 
tation transponierend im Violinschliissel, notierter Urn- 
fang e-a 3 ), daneben die in A und C, selten die hoheren 
in D, Es, F und As. Das ->■ Bassetthorn ist eine Altklar. 
BaBklar.n gibt es seit etwa 1780, einen verbesserten 
Typ brachte Sax 1838 heraus. Heute werden neben der 
BaBklar. in B (eine Oktave unter der normalen) auch 
die in A und C gespielt. KontrabaB- (inEs oder F, auch 
in B) und OktokontrabaB-Klar.n sprechen bei weitem 
schwerer an als die gewohnliche Klar. Im spaten 18. Jh. 
entstand die Clarinette d'amour mit -> LiebesfuB. 
Ausg. : Klarinettenduette aus d. Fruhzeit d. Instr., hrsg. v. 
H. Becker, = Coll. mus. CVI, Wiesbaden (1954); Klar.- 
Konzerte d. 18. Jh., hrsg. v. dems., = EDM XLI, ebenda 
1957. 

Lit. : J. G. Doppelmayr, Hist. Nachricht v. d. Nurnbergi- 
schen Mathematicis u. Kiinstlern, Niirnberg 1730; J. Fr. 
B. C. Majer, Museum musicum, Schwabisch Hall 1732, 
Faks. hrsg. v. H. Becker, = DM1 1, 8, 1954; WaltherL; V. 
Roeser, Essai d'instruction a l'usage . . . de ceux qui com- 
posent pour la clar. et les cors, Paris 1764; F. Antolini, La 
rettamanieradiscrivereperilclar., Mailand 1813 ;H. Ber- 
lioz, Traite d'instrumentation et d'orchestration moder- 
nes, Paris 1844, erweitert 21856, deutsch Lpz. 1843, NA 
bearb. v. R. Strauss, Lpz. 1905, 21955 ; W. Altenburg, Die 
Klar., Heilbronn 1904; G. Cucuel, La question des clar. 
dans l'instrumentation du XVIIP s., ZIMG XII, 1910/11; 
ders., Etudes sur un orch. au XVIIP s., Paris 1913 ; L. de 
La Laurencie, Rameau et les clar. , La Rev. mus. mensuelle 
IX, 1913; O. W. Street, The Clar. and Its Music, Proc. 
Mus. Ass. XLII, 1 9 1 5/ 1 6 ; J.-G. Prod'homme, Notes d'arch. 
concernant l'emploi des clar. en 1 763, Bull, de la Soc. f re. 
de musicologie III, 1919; E. Elsenaar, De clarin, Hilver- 
sum 1929 ; V. Aschoff, Experimentelle Untersuchungen an 
einer Klar., Akustische Zs. I, 1936; P. Gradenwitz, The 
Beginnings of Clar. Lit., ML XVII, 1936; A. Gabuzzi, 
Origine e storia del clar., Mailand 2 1937; R. Dunbar, 
Treatise on the Clar., London 1939 ; G. Lavo, Cenni storici 
sull'origine del clar., Salerno 1939 ; H. Boese, Die Klar. als 
Soloinstr. in d. Musik d. Mannheimer Schule, Dresden 
1940; R. Maramotti, II clar., Bologna 1941 ; W. Nef, Die 
Bafiklar., SMZ LXXXIV, 1944; R. B. CHATwrN, Handel 
and the Clar., The Galpin Soc. Journal III, 1950; Th. Dart, 
The Earliest Collections of Clar. Music, ebenda IV, 1951 ; 
ders., The Mock Trumpet, ebenda VI, 1953; W. Kolne- 
der, Die Klar. als Concertino-Instr. bei Vivaldi, Mf IV, 
1951; F. G. Rendall, The Clar., London (1954, 21957); 
H. Becker, Zur Gesch. d. Klar. im 1 8. Jh., Mf VIII, 1 955 ; 
R. W. Young u. J. C. Webster, Die Innenstimmung v. 
Musikinstr. (Ill), Die Klar., Gravesaner Blatter IV, 1958/ 



461 



Klassik 



60, H. 11/12; K. Opperman, Repertory of the Clar., NY 
1960; H. Kunitz, Die Klar., (= Die Instrumentation IV), 
Lpz. 1961 ; O. Kroll, Die Klar., Ihre Gesch., ihre Lit., ihre 
groBen Meister, bearb. v. D. Riehm, Kassel 1964. 

Klassik. Der Begriff des Klassischen vereinigt in sich 
eine normative und eine geschichtliche Bedeutung; er 
bezeichnet einerseits das schlechthin Vollendete, Mu- 
stergiiltige, andererseits eine historische Stilkategorie, 
die aber keinen iibergeschichtlichen Wertgedanken 
einzuschlieBen braucht. Infolgedessen wird bei den 
Kiinsten Kl. sowohl fiir einzelne Werke, einzelne Mei- 
ster (Klassiker) als auch fiir ganze Epochen gebraucht. 
So unsicher ein solcher, erst durch geschichtliche Be- 
wahrung und weitreichende Ubereinkunft moglicher 
Urteilsspruch bleiben muB, so ist doch stets gemeint, 
daB ein emotional und rational gleichgewichtiger Dar- 
stellungswille seine vollige Entsprechung im Kunst- 
werk gefunden hat. Uber die Art und die Mittel der 
Gestaltung wird zugleich ausgesagt, daB die einzelnen 
kiinstlerischen Elemente ein harmonisches Ganzes bil- 
den. In der Musik bezieht sich der Terminus KL vor 
allem auf die Gipfelwerke Haydns, Mozarts und Beet- 
hovens. Wie weit die drei GroBmeister das Kunstschaf- 
fen ihrer engeren und weiteren Umwelt mitbestimmt 
haben, ist eine Frage fiir sich, die nur bei Haydn, nicht 
zuletzt als Folge seiner langen Lebenszeit, durchweg 
positiv beantwortet werden kann. Mit Recht ist die 
Wertung als »Klassiker« auch Komponisten anderer 
Epochen und Nationen zuteil geworden, so etwa Bach 
und Handel als »Altklassikern«. Klassische Hohepunkte 
sind auch im Lebenswerk Glucks und Schuberts er- 
kannt worden, ohne daB die Reihe damit abzuschlieBen 
braucht. Kl. im weiten Sinn ist in alien Epochen mog- 
lich. - In der internationalen Verstandigung ist »Wie- 
ner Kl.« auch als Epochenbezeichnung gebraucht wor- 
den, etwa fiir je 3 Jahrzehnte vor und nach 1800. Damit 
finden auch Stilbestimmungen einen brauchbar abge- 
steckten Zeitraum. Dieser iiberschneidet sich weitge- 
hend mit der Bliitezeit deutscher Dichtkunst in der 
»Weimarer Kl.«. Deren Ausrichtung auf eine freie, 
selbstverantwortliche Ausbildung des einzelnen zu ei- 
nem gelauterten Menschentum stand im Zeichen hoher 
ethischer Wertsetzung. Ein neues Humanitatsideal trat 
im Denken Herders, Goethes und Schillers hervor, 
schon angekiindigt in den Begriffen Gott, Freiheit und 
Unsterblichkeit bei Chr. Wolff, in der Kulturkritik 
Lessings, bestatigt durch das smoralische Gesetz in mir« 
Kants, durch den Gedanken der sittlichen Gemein- 
schaft aller Menschen bei Hegel und in W.v.Hum- 
boldts Theorie der Bildung, kiinstlerisch gestaltet u. a. 
in Goethes groBem Erziehungsroman. Nach Schiller 
erweckt das Erlebnis des Schonen notwendig den Trieb 
zum guten Handeln. Beethoven hat sich um den An- 
schluB an das Weimarer Bildungsgut zah bemiiht; die 
menschliche Gesamthaltung der Weimarer Kl. stand 
aber auch hinter dem Schaffen Haydns und Mozarts. 
Damit diese Haltung zu kiinstlerischer Auswirkung 
gelangen konnte, wurde ein bisher nicht gekanntes 
MaB an personlicher und Schaffensfreiheit notig. Die 
Musiker losten sich aus den Bindungen und der Gebor- 
genheit der Hofe, der Kirche und der Stadte als freie 
Kiinstler. Den Ubergang in diesen neuen Stand hat 
Haydn erst nach Jahrzehnten hofischer Bedienstung, 
gestiitzt auf seinen personlichen Ruhm, vollziehen kon- 
nen, Mozart friihzeitig durch den Bruch mit dem Salz- 
burger Hof , Beethoven nach dem Abschied von Bonn 
zunachst unter dem Schutz der Wiener Hocharistokra- 
tie. Das Geschehen in Wien spiegelte die europaische 
Gesamtentwicklung; das im ausklingenden Absolutis- 
mus wieder erstarkende Biirgertum wurde zunehmend 
Mittrager der Musikiibung, im bffentlichen Konzert, 



durch die Bildung von Musikvereinen und in einer 
aufbliihenden Hausmusik. Mit dem Entstehen einer 
smusikalischen Offentlichkeit« verfestigten sich die 
Typen des reisenden Virtuosen, des Musiklehrers und 
-schriftstellers, des musikalischen Unternehmers im 
Konzert, im Verlag und in der Instrumentenfabrika- 
tion. Als Organe seiner kunstrichterlichen Gewalt schuf 
sich das Biirgertum Musikzeitschriften und offentliche 
Kritik. Die damit geschaffenen Grundlagen behielten 
ihre Giiltigkeit bis in die Gegenwart. 
Die neue Kunsthaltung, die in Wien zu Gipfelleistun- 
gen fiihrte, ist musikgeschichtlich in einer Anlaufzeit 
(»Vorklassik«, u. a. -> Mannheimer Schule), einer Ver- 
festigung (»Hochklassik«) und einem Auslauf neben 
anderen Haltungen, der romantischen, biedermeierli- 
chen, klassizistischen, zu erkennen. In einzelnen Gat- 
tungen hat die Barockmusik ohne entschiedenen Bruch 
in die neue Epoche hineingewirkt, vorziiglich in der 
Vokalkunst. Der Ubergang von der gesellschaf tlich-ar- 
tistischen Opera seria, ihrer franzosischen Abwandlung 
bei Lully und Rameau sowie ihrer deutschen (vor allem 
in Hamburg) zu den Meisterwerken Mozarts, zur Ver- 
kiindigung biirgerlich-humanitarer Leitwerte in der 
Entjiihrung und Zauberftote und in Beethovens Fidelio 
verlief flieBend iiber den menschlich-vertieften Han- 
delschen Typ, iiber spatneapolitanisches Erneuerungs- 
streben, iiber Glucks reifste Werke. Die komische 
Kleinoper (Opera buffa) hat bei der Ausbildung der 
Lebenswahrheit auf der Musikbuhne entscheidend mit- 
gewirkt. Ihr Ursprung aus der neapolitanischen Schule 
(Pergolesi) blieb bis iiber die Jahrhundertwende hinaus 
sichtbar. Die Schwenkung zum biirgerlichen Libretto, 
auch ernsterer Haltung, in der Opera-comique und im 
deutschen Singspiel hat den Boden fiir die Wiener 
Meisterwerke mitbereitet. Verfriihte Versuche, den 
italienischen und franzosischen GroBformen ein deut- 
sches musikalisches Drama gegeniiberzustellen, hatten 
Holzbauer und, in der Form des Mono-(Duo-)dramas, 
A.Schweitzer in Verbindung mit Wieland schon zu 
Beginn der Epoche gemacht. - In behutsamer Um- 
wandlung setzte sich die katholische Kirchenkunst 
des osterreichischen Spatbarocks - durch die liturgische 
Bestimmung eng an die Uberlieferung gebunden - bis 
zu Haydn und Mozart fort. Erst mit der Hochsteige- 
rung des Ausdrucks der Individualist in Beethovens 
Missa solemnis wurde der liturgische Zusammenhang 
zugunsten konzertmaBiger Haltung gelockert. In der 
evangelischen Kirche begann schon zuj. S.Bachs Leb- 
zeiten, zugleich mit der zunehmenden Entkraf tung der 
kirchlichen Musikiibung, eine Abwendung von der 
barocken Kunst. DaB in Norddeutschland mit der Ver- 
pflanzung religioser Erbauungsmusik in den Konzert- 
saal ein neues, aufklarerisch-empfindsames geistliches 
Oratorium entstand, konnte auf die Wiener Entwick- 
lung um so weniger einwirken, als hier die Verbindung 
mit dem altitalienischen Oratorium Dauer envies, ahn- 
lich wie der AnschluB der englischen Komponisten an 
die Handelschen Meisterwerke. Handels Vorbild regte 
noch den alten Haydn zu den GroBwerken Die Schop- 
fung und Diejahreszeiten an, in denen sich eine religiose 
Grundhaltung mit der Darstellung irdischer Fiille ver- 
bindet. - Entscheidende Vorgange in der Ausbildung 
des -»■ Lieds (zum Klavier) zwischen dem Barock und 
dem ersten deutschen GroBmeister Schubert spielten 
sich auBerhalb Wiens ab. Obwohl die Entwicklung in 
Wien nachvollzogen werden muBte und Haydn wie 
Mozart das Lied nur am Rande ihres Schaffens pfleg- 
ten, haben beide iiber die Ariette und das stimmungs- 
haf te Arienlied hinaus Liedkunstwerke von klassischem 
Rang geschaffen. Dagegen hat Beethoven unter dem 
EinfluB hoher Dichtkunst (vor allem Gellerts und Goe- 



462 



Klassizismus 



thes), aber auch mit dem Liederkreis An die feme Ge- 
liebte die Wiener Klassik auch als Liedkomponist voll 
reprasentiert. - In geschlossener Gesamtleistnng fiihr- 
ten die Wiener GroBmeister die Instrumentalmusik zu 
jener Hohe, an die sich die Bezeichnung »klassisch« in 
erster Linie angekniipft hat und mit welcher der Be- 
ginn eines »deutschen Zeitalters« der Tonkunst deutli- 
cher als in der Vokalmusik erkannt worden ist. Einzel- 
ne barocke Formen wie die Suite, Kammer- und Trio- 
sonate, auch die Orgelkunst und Lautenmusik klangen 
mit der Praxis des Generalbasses aus, andere erfuhren 
Umwandlungen, die Neuschopfungen gleichkamen, 
vor allem mit dem Ausbau des Sonaten-Satzzyklus. 
Waren an dieser Entwicklung, die sich in Jahrzehnten 
und weitraumig anbahnte, neben norddeutschen, boh- 
mischen und osterreichischen Komponisten auch italie- 
nische noch unmittelbar beteiligt, so verlagerte sich 
seit etwa 1770 mit Haydn das Schwergewicht nach 
Wien. Die neuen Baugesetze der Sonatensatzform im 
engeren Sinne durchdrangen auch das altere Rondo, 
die Variation und das Menuett und schliefilich die for- 
mal geschlossenste Gestalt des Barocks, die Fuge. Ei- 
genheiten der Klaviersonate, der Spielarten der Kam- 
mermusik, der Symphonie und des Instrumentalkon- 
zerts (nebst deren Verschmelzungsformen), auch des 
neuen Divertimentos, erscheinen als besetzungs- und 
zweckbedingte Abwandlungen der beherrschenden 
Grundgestalt, noch bei den Fortbildungen in Beetho- 
vens Spatwerk und weit dariiber hinaus. 
Stilistisch wurde die Ausbildung einer »diskursiven 
Tonsprache« (Riemann) grundlegend und folgenreich. 
An die Stelle der barocken Einhelligkeit in Struktur 
und Affekt traten Beweglichkeit und Spannungsfahig- 
keit durch schnelle Kontrastierungen (Themenpolari- 
tat) bzw. rasch wechselnden Ausdruck. Die Melodie als 
Haupttrager des Ausdrucks umschlieBt in iibersichtli- 
cher oder auch kunstvoll verschleierter Periodisierung 
(-»■ Metrum - 3) die Bauelemente des Satzes (Motivauf- 
schliefiung) und tritt im Stimmengefiige beherrschend 
hervor. FaBlichkeit im Sinne der - haufig unmittelbar 
eingewobenen - Volksmusik wurde oft angestrebt. Die 
betonte Vereinfachung der Harmoniefiihrung auf der 
vorklassischen Stufe, die Reduzierung der Funktionen 
und der Akkordbildungen, wirkt gegen den Reichtum 
der barocken Harmonik wie eine Absage. Dagegen ha- 
ben die Wiener Klassiker den Reichtum harmonischer 
Wirkungen durch die Ausdehnung des tonalen Bereichs 
(auch im Zyklus), durch Alterationsklange und oft 
iiberraschende Modulationen zuruckerobert und aus- 
gebaut und dadurch die Grundlage f iir die »Ausdrucks- 
harmonik«des 19. Jh. geschaffen. DerrhythmischeVer- 
lauf wurde mannigfaltiger und plastischer. Die dy- 
namischen und farblichen Schattierungsmoglichkei- 
ten der (zum Teil baulich weiterentwickelten) Instru- 
mente wurden in die neue Satzweise einbezogen. Dem 
entspricht der Schritt zum Violoncello, zur Querflo- 
te und zum Fortepiano bzw. dessen Ausbau vom 
noch relativ zarten Tasteninstrument (Mozart) zum 
Hammerfliigel mit orchestraler Wirkungsmoglich- 
keit (Beethoven). Das virtuos-beweglichste und klang- 
lich wandlungsfahigste Instrument, die Violine, und 
mit ihr der Streichkorper wurden zur Grundsubstanz 
des Orchesterklanges und bildeten in der kammermu- 
sikalischen Einheit des Streichquartetts (-quintetts) die 
reinste Erfullung des neuen Klangbediirfnisses. Dane- 
ben wurden die selbstandigen Klangfarben der Blaser 
(vor allem der neu ins Orchester eingetretenen Klari- 
nette, der Horner, Trompeten und Posaunen) entdeckt 
und ihr Wert fur satztechnische und ausdrucksmaBige 
Differenzierung erkannt. Ging der Grundsatz der ba- 
rocken Klangaufspaltung auch nicht vollig unter, so 



setzte sich doch das Leitbild einer vielfaltig abgestuften 
Klangverschmelzung durch. Gegeniiber der vielschich- 
tigenEntwicklung der Jahrzehnte vor der Wiener Hoch- 
klassik sind die Versuche der Musikgeschichtsschrei- 
bung, vorbereitende Hauptkrafte als Galanten und 
Empfindsamen Stil (mit einer Sturm-und-Drang-Epi- 
sode) zu benennen, nur als erste Verstandigungsmittel 
zu verstehen. Der Sammelbegriff »vorklassisch« er- 
scheint insofern berechtigt, als die Wiener Meister die 
noch unterschiedlichen und gesellschaftlich begrenzten 
Kunsthaltungen des 18. Jh. zu einer »klassischen« iiber- 
hohen und in ihrer Kunst der -*■ Komposition die ein- 
zelnen Stilmittel zur Einheit verschmelzen konnten. 
Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913; W. Fi- 
scher, Zur Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, 
StMw III, 1915; A. Schering, Beethoven u. d. deutsche 
Idealismus, Lpz. 1921 ; P. Moos, Die Philosophie d. Musik 
v. Kant bis E. v. Hartmann, Stuttgart 21922; G. Becking, 
Kl. u. Romantik, Kgr.-Ber. Lpz. 1925; A. Schmitz, Das 
romantische Beethovenbild, Bin u. Bonn 1927; E. Bucken, 
Die Musik d. Rokokos u. d. Kl., Bucken Hdb.; P. Mies, 
Zu Musikauffassung u. Stil d. Kl., ZfMw XIII, 1930/31; 
H . Birtner, Renaissance u. Kl. in d. Musik, Fs. Th. Kroyer, 
Regensburg 1933; E. Preussner, Die biirgerliche Musik- 
kultur, Hbg 1935, Kassel 21950; R. v. Tobel, Die Formen- 
welt d. klass. Instrumentalmusik, = Berner Veroff. zur Mu- 
sikforschung VI, Bern u. Lpz. 1935 ; R. Gerber, Klass. Stil 
in d. Musik, in : Die Slg IV, 1 949 ; H. J. Moser, Goethe u. d. 
Musik, Lpz. 1949; Thr. G. Georgiades, Zur Musik- 
sprache d. Wiener Klassiker, Mozart-Jb. 1951; K. Ste- 
phenson, Die mus. Kl., = Das Musikwerk VI, Koln 
(1953); H. H. Eggebrecht, Das Ausdrucksprinzip im mus. 
Sturm u. Drang, DVjs. XXIX, 1955; W. Seifert, Chr. G. 
Korner, Ein Musikasthetiker d. deutschen Kl., = For- 
schungsbeitr. zur Mw. IX, Regensburg 1960. KS 

Klassizismus bezeichnet die formale Anlehnung ei- 
nes Werkes oder einer Kunstrichtung an klassische Vor- 
bilder. Dies schliefit notwendig den Begriff der stilisti- 
schen Nachbildung ein, die sowohl zu schopferischer 
Neugestaltung aufsteigen als auch zu epigonaler, ma- 
nieristischer Nachahmung absinken kann. Als klassi- 
zistisch im weitesten Sinne sind alle abendlandischen 
KunstauBerungen einschlieBlich der Renaissance be- 
nannt worden, die unter dem unmittelbaren EinfluB 
der klassischen Antike standen. In zeitlicher Veren- 
gung wird der Name auf antikisierende Stilkrafte an- 
gewendet, die von etwa 1750 bis 1850 neben anderen 
hervorgetreten sind, vor allem in den bildenden und 
darstellenden Kiinsten. Im Bereich der Musik entfiel 
die Moglichkeit zur Anlehnung an musikalische Mu- 
ster des Altertums. Die Vorstellung der Florentiner 
Camerata, mit einer Verschmelzung von Wort, Ton 
und szenischer Darstellung der altklassischen Tragodie 
nahe zu kommen, beruhte auf theoretischen Erwagun- 
gen. Seitdem sind auch Stoffe aus der antiken Dich- 
tung auf der Musikbiihne (einschlieBlich Ballett) und 
auch in anderen Vokalformen immer wieder behan- 
delt worden, u. a. in Meisterwerken von Handel, Gluck, 
Mozart, bis in die neueste Zeit hinein durch R. Strauss, 
Strawinsky, Krenek u. a., doch kann von daher ein 
musikalischer Kl. nicht definiert werden. Der Begriff 
wird im engeren musikhistorischen Sinn mit der Nach- 
f olge der Wiener Klassiker verkniipft, vorwiegend im 
Bereich der Instrumentalkomposition und zuweilen in 
Gedanken an Schubert und Mendelssohn. Dabei darf 
jedoch Klassizitat keineswegs als bloBes Nachahmen 
und Epigonentum beurteilt werden, und es bleibt zu 
bedenken, daB die Kompositionskunst des 19. Jh. ins- 
gesamt aus Vorklassik und Klassik hervorgewachsen 
ist und mit der Wiederentdeckung Bachs und Palestri- 
nas Anlehnungen an Stile der Vergangenheit noch 
weit iiber die Wiener Klassik zuriick wirksam gewor- 
den sind, so bei Brahms, Reger, Busoni, Hindemith 



463 



Klausel 



und in der neuen Chormusik. - Die Pariser Gruppe 
um Strawinsky, »Les Six« und Cocteau haben in den 
1920er Jahren fur ihre Riickgriffe auf Musik des 18. Jh. 
die Bezeichnung Neoklassizismus gewahlt. 
Lit.: O. Weinreich, Fr. Schuberts Antikenlieder, DVjs. 
XIII, 1935; R. Gerber, Klass. Stii in d. Musik, in: Die Slg 
IV, 1 949 ; W. Vetter, Schuberts Klassizitat, Mf VIII, 1 955. 

KS 

Klausel (lat. clausula) bezeichnet in der Grammatik 
und Rhetorik den rhythmischen SchluB einer Periode, 
in der Musiklehre eine SchluBformel oder einen Ab- 
schnitt. In der musikwissenschaftlichen Literatur wird 
KI. im allgemeinen als Bezeichnung fiir die SchluBfor- 
meln einzelner Stimmen eines mehrstimmigen Satzes 
verwendet. Die Unterscheidung zwischen Kl. und 
-»■ Kadenz (- 1) stiitzt sich darauf, dafi die lateinisch 
schreibenden deutschen Musiktheoretiker seit Anfang 
des 16. Jh. (M. Schanppecher 1501, J.Cochlaeus 1507) 
primar die Formeln der Einzelstimmen Kl.n nennen, 
wahrend die Italiener (P. Aron 1523, N. Vicentino 1555, 
G.Zarlino 1558) unter der Bezeichnung cadenza die 
Stimmen zusammenfassen (Zarlino, Istitutioni harmoni- 
che, 1 558, III, cap. 53:Ld cadenza adunque e vn certo atto, che 
fanno le parti della cantilena cantando insieme). - Im Mit- 
telalter wird der Terminus clausula, abgesehen von ei- 
ner umstrittenen Stelle im Organumtraktat von Mont- 
pellier, als Bezeichnung fiir einen Abschnitt im Choral 
(GS II, 276b) oder in der Mehrstimmigkeit (CS 1, 271b, 
342a, 357a, 363a, CS IV, 180a) verwendet. Anonymus 
IV (13. Jh.) erwahnt (CS 1, 342a), daB Perotin die Orga- 
na Leonins (-»- Organum) durch Kl.n erganzte (fecit 
clausulas sive puncta plurima meliora) ; Fr. Ludwig nannte 
darum Perotins Ersatzkompositionen Kl.n. - Die Ter- 
mini clausum und apertum (frz. clos und ouvert) fiir den 
Ganz- und den HalbschluB sind seit 1300 iiberlief ert (CS 
III, 128b; Johannes de Grocheo). Als Halbschliisse, die 
einen tonalen Gegensatz zum GanzschluB auf der 1. Stu- 
fe bilden, werden im d- und f-Modus die 5., im e- und 
g-Modus die 4. Stufe bevorzugt. Von clausula im Sin- 
ne eines Schlusses auf der Finalis spricht, in Anlehnung 
an die Grammatik, Adam von Fulda (1490; GS III, 
352a). In der Theorie der Mehrstimmigkeit werden die 
Kl.n als melodische Formeln beschrieben, die 2 oder 
(nach Guilelmus Monachus, CS III, 289b) 3 Tone um- 
fassen: die Antepaenultima, die Paenultima und die 
Ultima. Das unterscheidende Merkmal einer Kl. ist der 
Schritt oder Sprung von der Paenultima zur Ultima: 
der Halbtonschritt aufwarts im 
Diskant, die Tonwiederholung 
oder (seit dem spaten 15. Jh.) der 
Terzfall im Alt, der Ganzton- 
schritt abwarts im Tenor und der 
Quartsprung aufwarts oder der 
Quintfall im BaB. (Die altere Formel des Contratenor 
bassus, der Oktavsprung aufwarts, veraltete um 1500.) 
Die Umschreibung der Diskantformel durch eine Aus- 
weichung zur Unterterz wird 
»Landino-Kl.« oder »Unter- 
terz-Kl.« genannt : 



P 



^ 



A A 



m 



J. JTl i J. 



-rr 



r 



Die Stimmen konnen ihre Formeln austauschen; er- 
scheint die Diskant-, Alt- oder Tenorformel z. B. im 
BaB, so sprechen die Theoretiker des 17. Jh. von einer 
clausula cantizans, altizans oder tenorizans des Basses 
(Chr.Bernhard, A. Werckmeister, J.G. Walther). S. 
Calvisius (1592) und J.Lippius (1612), die sich in der 
Sache, wenn auch nicht in der Terminologie, auf G. 
Zarlino (1558) stiitzen und unter Clausula die mehr- 
stimmige, von Zarlino cadenza genannte SchluBbil- 
dung verstehen, teilen die Kl.n in eigentliche (propriae) 
und uneigentliche (impropriae) ein: als Clausulae 
propriae galten Kl.n auf den Stufen I (primaria), V (se- 



cundaria) und III (tertiaria) der Tonart; die Secundaria 
wurde auch als Clausula confinalis bezeichnet. Die um- 
fassendste und verwickeltste Kasuistik und Terminolo- 
gie der Kl.-Bildung entwarf W. C. Printz (1696). 
Lit.: J. de Grocheo, De arte musicae, in: Der Musiktrak- 
tat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Rohloff, = Media Latinitas 
Musica II, Lpz. 1943; Fr. Ludwig, Die liturgischen Or- 
gana Leonins u. Perotins, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; H. 
Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; B. Meier, 
Die Harmonik im C. f.-haltigen Satz d. 15. Jh., AfMw IX, 
1952; ders., Wortausdeutung u. Tonalitat bei Orlando di 
Lasso, KmJb XLVII, 1963 ; M. F. Bukofzer, Interrelations 
Between Conductus and Clausula, Ann. Mus. I, 1953; A. 
Schmitz, Die Kadenz als Ornamentum musicae, Kgr.- 
Ber. Bamberg 1953; R. Jakoby, Untersuchungen iiber d. 
Klausellehre in deutschen Musiktraktaten d. 17. Jh., Diss. 
Mainz 1955, maschr. ; L. Finscher, Tonale Ordnungen am 
Beginn d. Neuzeit, in: Mus. Zeitfragen X, Kassel 1962; G. 
Schmidt, Strukturprobleme d. Mehrstimmigkeit im Re- 
pertoire v. St. Martial, Mf XV, 1962; N. E. Smith, The 
clausulae of the Notre-Dame School, 3 Bde, Diss. Yale 
Univ. (Conn.) 1964. CD 

Klaviatur (von lat. ->• clavis; frz. clavier; ital. tasta- 
tura; span, tecla; engl. keyboard; lat. auch abacus), ei- 
ne Reihe von Hebeln (Tasten), die mit den Handen 
(-*■ Manual) oder FiiBen (-> Pedal - 1) gespielt werden 
und eine -> Mechanik oder -»• Traktur in Tatigkeit 
setzen. Die KL, vor allem als Manual, ist das gemein- 
same Merkmal der Tasteninstrumente (u. a. Klaviere, 
Glockenspiel, Celesta, Drehleier und Schliisselfiedel). 
Eine Friihform der Kl. sind die Spielhebel an der anti- 
ken ->■ Hydraulis; handbreit grofie Tasten gab es an 
einzelnen Instrumenten (Sundre-Orgel um 1370), doch 
sind seit dem Spatmittelalter Kl.en, die den modernen 
mit Unter- und Obertasten ahnlich sind, nachweisbar. 
Die friihesten Angaben iiber Kl.en sind uberliefert bei 
Johannes Gallicus (CS IV, 298) sowie Georgius Ansel- 
mi, Conrad von Zabern und Henri Arnaut de Zwol- 
le aus dem 15. Jh. - Stumme und halbstumme Kl.en 
(meist als Manuale fiir Pianofortes) wurden als Ubungs- 
instrumente gebaut; bekannt wurde u. a. das Virgil- 
Klavier (-1882), das eine mechanische Kontrolle des 
Legatos erlaubte. 

Lit. : T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr. II, Gesch. d. 
Klaviers, Stockholm 1939, Hannover 21941; K. W. Gum- 
pel, Das Tastenmonochord Conrads v. Zabern, AfMw 
XII, 1955. 

Klavier, die Gesamtheit der Claves (->• Clavis), be- 
sonders im Sinne von Tasten eines Instruments (->■ Kla- 
viatur), danach ein Tasteninstrument uberhaupt. Un- 
ter Kl.en sind im engeren Sinne die klassischen Tasten- 
instrumente Orgel, Clavicembalo, Clavichord und 
Pianoforte zu verstehen, die bis zum Ende des 18. Jh. in 
der Regel als geschlossene Gruppe der »clavierten In- 
strumente« angesehen wurden (und im Barock den 
->■ Fundamentinstrumenten zugehorten); die -> Kla- 
viermusik bis ins 18. Jh. hinein war grundsatzlich auf 
alien Kl.en ausfiihrbar, die verschiedene Art der Ton- 
erzeugung war ein sekundares Merkmal. Vornehmlich 
an Kl.en mit ihren festliegenden TSnen wurden seit 
dem 16. Jh. (-»■ Archicembalo) akustische Probleme de- 
monstriert (u. a. -»• Temperatur). - Der Begriff Kl. 
wurde in der 2. Halfte des 18. Jh. vorwiegend auf das 
Clavichord bezogen, ab etwa 1800 auf das Pianoforte 
und von der 2. Halfte des 19. Jh. an auf das Pianino. 

Lit.: Praetorius Synt. II/III; J.-J. Rousseau, Dictionnaire 
de musique, Genf 1767(7), Paris 1768, Artikel Clavier; 
Adlung Mus. mech. org. ; C. Krebs, Die besaiteten Kla- 
vierinstr. bis zum Anfang d. 17. Jh., VfMw VIII, 1892; G. 
Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in Coin I, Lpz. 
1910; SachsL; Sachs Hdb.; C. Sachs, Das Kl., Bin 1923; 
T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr. II, Gesch. d. Kl., 
Stockholm 1939, Hannover 21941. 



464 



Klavierbau 



Kla vierauszug ist ein -*■ Arrangement von Ensemble- 
musik (instrumental, vokal oder gemischt vokal-instru- 
mental) fiir Klavier; er dient zum Kennenlernen durch 
Spielen, zum Mitspielen oder Begleiten bei Proben, 
seltener auch bei (Liebhaber-)Auffiihrungen. Insofern 
dabei die dem Klavier eigene Moglichkeit der Voll- 
stimmigkeit ausgenutzt wird, ist der Kl.-A. die Wie- 
deraufnahme der alteren Praxis des Intavolierens (seit 
dem 17. Jh. hatte der GeneralbaB das Arrangieren von 
Instrumentalbegleitungen iiberfliissig gemacht). Das 
Aufkommen des modernen Kl.-A.s nach der Mitte des 
18. Jh. - zunachst vornehmlich in Deutschland - stand 
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fortfall des 
Generalbasses in der Komposition und damit auch fiir 
die Probenarbeit. Auf dem neuen schallstarken und 
modulationsfahigen Pianoforte konnte der Klang des 
groBer werdenden Orchesters nachgeahmt werden. 
Im Zusammenhang mit der Bearbeitungstechnik des 
Kl.-A.s drangen Spielfiguren und Satzelemente der 
Orchestermusik in die -> Klaviermusik ein, z. B. Trom- 
mel- und Albertibasse, spacer u. a. Tremoli und Oktav- 
verdoppelungen. Die friihesten bekannten Klavieraus- 
ziige sind die zu J. Fr. Agricolas Cleofide (1754), Ga- 
luppis // mondo alia roversa (1758) unci Hasses Alcide al 
livio (1763). J.A.Hiller gab 1761-62 zeitgenossische 
Symphonien (Raccolta delle megliore sinfonie) und ab 
1766 seine Singspiele in Klavierausziigen heraus. Eige- 
ne Systeme fiir die Singstimmen verwendeten zuerst 
Andre (1776), Dittersdorf (1787) und Neefe (1797, Kl.- 
A. von Mozarts Don Giovanni) ; der Kl.-A. mit in den 
Klaviersatz einbezogenen Singstimmen blieb seitdem 
auf den Gebrauch in der Hausmusik beschrankt. Seit 
CM. v.Weber (1821) wird auch die originale Instru- 
mentation im Notentext des Kl.-A.s angedeutet. Die 
Anwendung des lithographischen Verfahrens, das den 
Notendruck wesentlich verbilligte und hohere Aufla- 
gen gestattete, begiinstigte die Ausbreitung des Kl.-A.s 
seit etwa 1830 aufierordentlich. Besonders beliebt wur- 
den Klavierausziige einzelner Instrumentalstiicke aus 
erfolgreichen Opern (z. B. Opernmarsche, Ouvertii- 
ren). Symphonische Musik fand vor allem in Form der 
Bearbeitung zu 4 Handen Eingang in die Hausmusik. 
Auch bedeutende Musiker fertigten - besonders in 
jungen Jahren - Klavierbearbeitungen klassischer und 
zeitgenossischer Orchesterwerke an (besonders ->- Liszt; 
R.Wagners erstes Verlagsangebot an Schott war 1831 
seine Klavierbearbeitung der 9. Symphonie von Beet- 
hoven); die Grenze zwischen Kl.-A., Transkription 
und Konzertparaphrase ist oft nicht scharf zu Ziehen. 
Die Zunahme von Koloristik und Figuration in den 
Orchesterstimmen fiihrte im Kl.-A. zur Ausbildung 
spezifisch klavieristischer, den Orchestersatz nur klang- 
lich nachahmender Spielfiguren. Der kompliziert ge- 
wordene Orchestersatz des spaten 19. und des 20. Jh. 
stellt die Bearbeiter vor die Wahl eines in Einzelheiten 
reduzierten, aber leicht spielbaren oder eines moglichst 
partiturgetreuen Klaviersatzes (z. B. waren die Kla- 
vierausziige Tausigs von Werken R.Wagners kaum 
spielbar, im Unterschied zu den von Wagner person- 
lich veranlafiten von -*■ Klindworth). Der Partituraus- 
zug (Miiller-Rehrmann) UberlieB es dem Spieler, wie 
er den teilweise auf 3 oder 4 Systemen notierten Satz 
auf dem Instrument darstellen will. Diese Schwierig- 
keiten der Ausfiihrung, letztlich auch die Unmoglich- 
keit der Wiedergabe moderner oder gar avantgardisti- 
scher Orchestermusik auf dem Klavier, haben die Be- 
deutung des Kl.-A.s geschmalert. Vor allem bei der 
Einstudierung von musikalischen Biihnenwerken (fiir 
Sanger und -*■ Korrepetitor) und beim Gesangsunter- 
richt und -studium ist der Kl.-A. jedoch nach wie vor 
ein unentbehrliches Hilfsmittel. 



Lit.: K. Grunsky, Die Technik d. Kl.-A., dargestellt am 
3. Aktv. Wagners Tristan, Lpz. 191 1 ; M. Broesike-Schoen, 
Der moderne Kl.-A., Die Musikwelt II, 1921/22; ders. in: 
Mk XVI, 1923/24 ; M. Hansemann, Der Kl.-A. v. d. Anfan- 
gen bis Weber, Lpz. 1943; H. H. Eogebrecht, Artend. Gb. 
im friihen u. mittleren 17. Jh., AfMw XIV, 1957; E. Valen- 
tin, Vom Kl.-A. zum Partitur-Auszug, NZfMCXX, 1959. 

Klavierbau. Klaviermacher als Hersteller von Cem- 
bali und Clavichorden sind seit dem 2. Jahrzehnt des 
15. Jh. nachweisbar in Venedig, Florenz, Mailand, Rom 
und Antwerpen, etwas spater u. a. in Miinchen und 
Paris. Vom Ende des 16. bis in die 2. Halfte des 18. Jh. 
war Antwerpen durch das Wirken der -*■ Ruckers und 
Couchet ein Zentrum des Kl.s. Dort hatten die Kla- 
viermacher Zugang zur St.-Lukas-Gilde der Maler, zu- 
nachst weil sie ihre Instrumente bemalten, ab 1558 in 
ihrer Eigenschaft als Instrumentenmacher. Neben den 
beriihmten Klaviermachern befafiten sich bis ins 19. Jh. 
auch Orgelmacher, Organisten, Schreiner u. a. mit Kl. 
- Einen Aufschwung nahm das Gewerbe nach der Er- 
findung des Pianofortes im 18. Jh. Die bedeutendsten 
Schulen des neueren Kl.s waren die der -> Silbermann in 
Sachsen und im ElsaB, von denen die wichtigsten Kl.- 
Schulen des spaten 18. Jh. ausgingen: die siiddeutsche, 
seit dem Ende des Jahrhunderts in Wien (Stein, Strei- 
cher, Graf, Walter, Bosendorfer), so wie die englische 
(Tschudi, Kirkman, Zumpe, Longman & Broderip; 
Broadwood seit 1773, 1862 wurden bei Broadwood 
560 Arbeiter beschaftigt und iiber 2000 Klaviere ge- 
baut). Die bekanntesten Manufakturen in Paris waren 
die von Erard (1777, bis 1900 wurden 100000 Instru- 
mente gefertigt), Pleyel (1807), Gaveau und Herz. In 
den USA waren einige Werkstatten um die Mitte des 
19. Jh. zu groBen Fabriken geworden, so Chickering 
in Boston, Knabe in Baltimore und Steinway in New 
York, ahnlich in Deutschland die neuen Firmen Ibach 
in Barmen, Schiedmayer in Stuttgart, Bluthner in 
Leipzig, Bechstein in Berlin (1853; 1863 fertigten dort 
130 Arbeiter 400 Klaviere, 1914 1200 Arbeiter 5000 
Klaviere), ferner u. a. Feurich, Forster, Grotrian-Stein- 
weg, Ronisch und Sauter. Bedeutende Klavierfabri- 
ken entstanden daneben in RuBland (Schroder in St. 
Petersburg 1818), in der 2. Halfte des 19. Jh. auch in 
Japan sowie in den Niederlanden (Rippen in Ede 1937). 
Der Kl. erreichte bis zum 1 . Weltkrieg den Gipf el sei- 
ner Konjunktur. 1911 wurden in den USA 350000 
Klaviere verkauft, 1913 wurden in Deutschland 170000 
hergestellt, davon 50% fiir den Export. Nach dem 2. 
Weltkrieg ist der Umsatz in Europa starker zuriickge- 
gangen als in den USA; er betrug 1966 in der Bundes- 
republik Deutschland einschlieBlich West-Berlin etwa 
20% deS Gesamtumsatzes der Musikinstrumentenin- 
dustrie (->■ Instrumentenbau), 

Lit. : S. Hansing, Das Pfte in seinen akustischen Antagen, 
Schwerin 1888, 21909, Neudruck Bin 1950; D. Spillane, 
The Hist, of the American Pfte, Its Technical Develop- 
ment and Its Trade, NY 1 890 ; A. Dolge, Pianos and Their 
Makers, Covina (Calif.) 1911-13; Th. Cieplik, Entwick- 
lung d. deutschen Klavierindustrie . . . unter besonde- 
rer Beriicksichtigung d. nordamerikanischen Konkurrenz, 
Diss. GieBen 1923, maschr.; G. Roos, Die Entwicklung d. 
deutschen Klavierindustrie nach dem Weltkriege bis ... 
1923, Diss. Bin 1924, maschr., Auszug in: Jb. d. Philoso- 
phischen Fakuttat Bin II, 1923/24; J. Goebel, Grundziige 
d. modernen Klavierbaus, = Die Werkstatt LXVII, Lpz. 
3 1 925, 4 1 952 ; Der Piano- u. Flugelbau, bearb. u. hrsg. v. H. 
Junghanns u. a., = Bibl. d. gesamten Technik 396, Lpz. 
1932, Bin 21952, Ffm. 31962 = Fachbuchreihe Das Musik- 
instr. IV; O. Funke, Theorie u. Praxis d. Klavierstimmens, 
Dresden 1940, als: Das Kl. u. seine Pflege, Radebeul 21946, 
Ffm. 3 1962 = Fachbuchreihe Das Musikinstr. II; H. 
Freygang, Die Produktions- u. Absatzbedingungen d. 
deutschen Klavierindustrie, Diss. (Wirtschafts- u. Sozial- 
wiss.) Bin (F. U.) 1949, maschr. ; Fr. J. Hirt, Meisterwerke 



30 



465 



Kkvierduo 



d. Klavierbaus, Olten 1955; D. H. Boalch, Makers of the 
Harpsichord and Clavichord 1440 to 1840, London (1956); 
P. J. Hardouin, Harpsichord Making in Paris, 18 th Cent., 
The Galpin Soc. Journal X, 1957, XII, 1959 - XIII, 1960; 
Michel's Piano Atlas, Ffm. 21961 ; H. K. Herzog, Ta- 
schenbuch d. Piano-Nrn, Ffm. (1961). 

Klavierduo, Klavierquartett, Klavierquintett, 
Klaviertrio -»■ Duo, -»■ Quartett, -*■ Quintett, 
-> Trio. 

Klaviermusik ist das Repertoire fiir die klavierten, 
d. h. die Tasteninstrumente, das bis ins 18. Jh. zu einem 
Ganzen verbunden war, in dem sich Satz und Ausfuh- 
rung auf den Ebenen von Stegreifspiel, Improvisation, 
Ubertragung (Intavolierung) und Komposition ge- 
genseitig durchdringen und bedingen. Vor allem we- 
gen der Vollstimmigkeit und der festen (temperierten) 
Stirhmung waren Klaviere seit Beginn ihrer Geschich- 
te in den verschiedensten Standesbereichen und Musi- 
kerkreisen beliebt. Als traditionsreichstes der Klaviere 
nahm die Orgel den ersten Rang ein. Eine feste Zuord- 
nung von Teilen des Repertoires oder Gattungen zu 
bestimmten Klaviertypen widersprache jedoch bis ins 
18. Jh. dem Begriff und der Eigenart der Kl.-M. Das 
schlieBt nicht aus, daB es Fakturen des Satzes gibt, die 
auf einem bestimmten Klavier eigene Klangwirkun- 
gen ergeben oder der Spieltechnik eines Klaviertyps 
besonders entgegenkommen. Bezeichnend aber ist, 
daB das Spiel von Tanzen auf der Kirchenorgel im 15./ 
16. Jh. immer wieder verboten werden muBte. Zu den 
Griinden fiir das Auseinanderfallen des Repertoires, 
das Entstehen von »zwei Kulturen« der Kl.-M., ge- 
horen die nachbarocke Trennung der Spharen welt- 
lich und kirchlich (geistlich) und damit die Festlegung 
der Orgel auf den kirchlichen Bereich, andererseits das 
Heraufkommen eines modernen Konzertbetriebs und 
die Trennung der Literatur f iir Liebhaber und Virtuo- 
sen, gleichzeitig mit der Ablosung des Cembalos durch 
das Pianoforte. Als Konvention blieb noch - in Deutsch- 
land bis um 1800, in England bis um 1830 - auf No- 
tendrucken die Bestimmung »fiir alle Arten von Kla- 
vieren«, seit den 1770er Jahrenjedoch oft mit ausdriick- 
licher Nennung des Pianofortes und mit selbstver- 
standlichem AusschluB der Orgel. 
Es liegt nahe, daB auf der -> Orgel im 9./10. Jh. in ein- 
facher Weise einstimmig intoniert oder (alternatim) 
Choral gespielt wurde; 1st. Choralspiel hielt sich stel- 
lenweise bis ins 16. Jh. Die Vieldeutigkeit des Begriffs 
-> Organum laBt es nicht zu, eindeutige Zusammen- 
hange zwischen der f riihen Mehrstimmigkeit und ihrer 
Ausfuhrung speziell auf der Orgel festzustellen. Dar- 
stellbar auf ihr sind aber sowohl der Satz Note gegen 
Note (-*■ Discantus) in langeren Werten als auch der 
Haltetonstil des Organum, bei dem eine bewegte Stim- 
me gegen lange Cantusnoten in der Unterstimme (wie 
beim -> Orgelpunkt) gesetzt ist. Eine dritte grundle- 
gende Spielform der Kl.-M. ist im ->• Hoquetus vor- 
gebildet; dem komplementar-rhythmischen Verlauf 
entspricht technisch das Ablosen der Hande. Dem 
klangbetonten Satz kommen das Blockwerk der mit- 
telalterlichen Orgel, spater die Mixturen, Koppeln 
und die MSglichkeit von Oktav- und Akkordgriffen 
entgegen. Die Ausfuhrung bewegter Stimmen wurde 
moglich auf Klavieren von zierlicherem Bau und leich- 
terer Gangart. Die Anfange einer auch in Quellen be- 
legten Kl.-M. fallen daher nicht zufallig in die Zeit der 
Auflosung des Blockwerks (zunachst in Italien, im 14. 
Jh. auch im iibrigen Europa) und des Aufkommens 
der leichtgangigeren Mechaniken der Orgeln, vor al- 
lem der kleineren Pfeifenklaviere (Positiv, Portativ, 
Regal) und der Saitenklaviere (Clavichord, Cembalo) 
im 13./14. Jh. Als alteste Quelle der Kl.-M. gilt der Ro- 



bertsbridge-Codex (um 1320), der 2st. Estampien und 
kolorierte Motetten (zum Teil aus dem Roman de Fau- 
vel) enthalt, notiert in der Art der alteren deutschen 
-*■ Orgeltabulatur. Im Klaviersatz des um 1420 abge- 
schlossenen Codex Faenza (-> Quellen: Fa), in italieni- 
scher Orgeltabulatur, mit 2st. MeB- und Liedsatzen 
des Trecentos (Jacopo da Bologna, Landini) und der 
Ars nova (Machaut), liegt iiber dem Tenor eine beweg- 
te, rhythmisch und kontrapunktisch durchgeformte 
Oberstimme. Dem hohen Stand dieser Kl.-M. ent- 
spricht die angesehene Stellung von Klaviermeistern 
wie ->• Landini und -*■ Squarcialupi, in Deutschland 
spater das Ansehen Paumanns oder Hofhaymers; Or- 
ganisten standen an Rang und Besoldung vor den ho- 
fischen und stadtischen Spielleuten. Das wichtigste Do- 
kument der Kl.-M. des 15. Jh. in Deutschland ist das 
Buxheimer Orgelbuch (Bux), aufgezeichnet um 1460- 
70. Es enthalt 4 Fundamenta (davon 2 unter dem Na- 
men Paumanns ; ein weiteres Paumann-Fundamentum 
•ist in Verbindung mit dem Lochamer Liederbuch iiber- 
liefert; -*■ Fundamentbuch), liturgische Satze, die zum ' 
Teil noch der mehrstimmigen Stegreifausfiihrung des 
Chorals nahestehen, Intavolierungen deutscher Tenor- 
lieder und franzosischer Chansons sowie Praeludien. 
Die Intavolierungen der alteren Schicht gehen von 
zwei Geriiststimmen, Cantus und Tenor, aus (gele- 
gentlich mit Contratenor), dieje kolorierend umschrie- 
ben werden. Bei dem jiingeren Typ ist das Klangge- 
riist des Satzes in Form von Griffen herausgezogen, die 
dann durch Kolorierungen verbunden werden. Zu die- 
sem Satztyp gehoren weitgehend die Ubertragungen 
motettischer Vorlagen und von Tanzen der Paumann- 
und Hofhaymer-Schule (Buchner, Kotter, Kleber, Si- 
cher, Tabulaturen aus Lublin 1540 und Krakau 1548) 
sowie der deutschen Koloristen der 2. Halfte des 16. 
Jh. In deren gedruckten Tabulaturbiichern, in neuerer 
deutscher Orgeltabulatur (Ammerbach 1571 , B. Schmid 
der Altere und der Jungere, Paix, Loffelholtz, Normi- 
ger 1598) herrschen viertonige (oft doppelschlagartige), 
stereotyp angebrachte Diminutionsformeln vor. Au- 
Berhalb dieser Gruppe steht Schlick, der 1512 bereits 
einen Lauten- und Orgeltabulaturdruck erscheinen 
lieB und in spaten Stiicken (1520) iiber die Drei- bis 
Vierstimmigkeit hinausgehend bis zum lOst. Satz (mit 
4 Pedalstimmen) gelangt. 1517 wurden bei A. de Anti- 
quis Frottole intabulate da sonare organi gedruckt; 1523 
erschienen mit den Recerchari, motetti, canzoni von M. A. 
Cavazzoni Kompositionen, die die stimmige Satzanla- 
ge in aufgelockerter klavieristischer Form vorbildlich 
auspragen. Durch freie Verbindung der Formen des 
Diminuierens und Passeggierens ist die Toccata des 
Marcus-Organisten in Venedig, Merulo, gepragt, des- 
sen Klavierlehre durch Diruta (1593) iiberliefert ist. 
Seit der Mitte des 16. Jh. erschienen auch in Spanien 
Drucke von Kl.-M., darunter die des bedeutenden 
Cabezon (1557; Obras, posthum 1578), Lehrwerke von 
Bermudo (1555), der die Diminution grundsatzlich ab- 
lehnt, und von Santa Maria (1565). Tientos, Glosas 
und Diferencias sind auch nach Cabezon die wichtig- 
sten Satzformen der iberischen Schule, die iiber Correa 
de Arauxo bis Cabanilles (f 1712) reicht. Nach den 
Drucken von Tanzen und motettischen Satzen bei 
Attaingnant, beginnend kurz vor 1530, erschien in 
Frankreich nur vereinzelt Kl.-M., bis die Uberliefe- 
rung 1623 mit Titelouzes Hymnes de Veglise im imitati- 
ven, von der Vokalpolyphonie herkommenden Satz 
wieder einsetzt. Von nachhaltigem EinfluB auf die KL- 
M. des 17. Jh. in Deutschland war die Satztechnik der 
englischen Kl.-M., wie sie im Mulliner Book (abge- 
schlossen nach 1553), dem Fitzwilliam Virginal Book 
(abgeschlossen erst um 1620 durch -*■ Tregian) und in 



466 



Klaviermusik 



der gedruckten Sammlung Parthenia (1611) iiberliefert 
ist. Die Gegenstimme zum unverzierten C. f . oder die 
Abschnitte der Bearbeitung eines Lied- oder Tanzmo- 
dells oder eines -» Ground ist gebildet durch sequen- 
zierende, abschnittsweise rhythmisierte Spielfiguren. 
In diesen Sammlungen sind neben britischen Kompo- 
nisten, die meist Organisten der Chapel royal waren 
(Blitheman, Byrd, Farnaby, Gibbons; Bull und Philips 
wirkten auch als Hof organisten in Briissel), die Nieder- 
lander Cornet und Sweelinck vertreten. In den Nie- 
derlanden wirkten die stadtischen Organisten nach der 
Reformation und dem Verlust der liturgischen Aufga- 
ben in Konzerten und Abendmusiken mit. Davon 
zeugt das Klavierwerk Sweelincks, das in Fantasien, 
Echofantasien und Toccaten venezianischen, in Lied- 
und Choralvariationen englischen EinfluB zeigt. Seine 
Kompositionen und die seiner nord- und mitteldeut- 
schen Schiiler Scheidt, J. Praetorius und Scheidemann 
sowie die der Siiddeutschen HaBler und Erbach sind in 
nord- und siiddeutschen Sarhmelhandschriften (Lfib- 
benauer und Luneburger Tabulaturen, um 1640-60; 
Wien, Minoritenkloster; Turiner Orgeltabulaturen) 
iiberliefert, die teilweise durch die Praxis von Parodie 
und Pasticcio als Gebrauchssammlungen gekennzeich- 
net sind. Ist die siiddeutsche Kl.-M. des 17. Jh. aus- 
gezeichnet durch Formenreichtum und satztechnische 
Schulung italienischer Pragung, so wird in der nord- 
deutschen, fiber Weckmann und Buxtehude bis zu 
Bach fuhrenden Entwicklung das obligat und virtuos 
eingesetzte Pedal zu einer Spezialitat. Als Klaviermei- 
ster von europaischer Geltung ragt der Italiener Fres- 
cobaldi heraus, dessen Kanzonen, Capricci, Toccaten, 
Fantasien und Variationen ab 1608 gedruckt verbreitet 
wurden. Sein in Partitur notiertes Spatwerk, Fiori mu- 
sicali (1635), gait als Exemplum des strengen Stils in der 
Kl.-M. Ausgepragter noch als bei Frescobaldi hat sich 
bei seinem deutschen Schiiler Froberger die im 17. Jh. 
vieldiskutierte Stillehre in der Notation niedergeschla- 
gen. Froberger notiert den Stylus motecticus (gebun- 
dene Formen wie Ricercar, Kanzone, Capriccio) in 
Partitur, den Stylus fantasticus (Praludium, Toccata) 
in italienischer, den Stylus choraicus (Tanze) sowie 
den Stylus melismaticus (Lied- und Tanzvariation) 
in franzosischer Tabulatur, worin sich die Geltung 
f ranzosischer Klavieristen wie L. Couperin und Cham- 
bonnieres fur die Tanz- und Suitenkomposition an- 
zeigt. Die Kl.-M. im Umkreis der Wiener Hofkapelle 
(Poglietti, Kerll, beide Muffat) dagegen kultivierte die 
grofiangelegten Formen des italienischen strengen Stils 
und des Programmstficks im Stylus fantasticus. Als Er- 
weiterung des stilistischen Rahmens der modischen 
Suite - der fast alle Klavieristen Mitteldeutschlands im 
letzten Drittel des 17. Jh. Veroffentlichungen widme- 
ten - fiihrte Kuhnau die Formtypen der Sonate in die 
Kl.-M. ein (1692), verbunden mit literarischem Pro- 
gramm und affekthaltigen Figuren (Biblische Historien, 
1700). Vorwiegend fiir den liturgischen Dienst an der 
Kirchenorgel bestimmt sind die strengen und gebunde- 
nen Formen, Fuge und Choralbearbeitung, vonJ.C.F. 
Fischer, Krieger und J.Pachelbel. 
Die Festigung des Generalbasses in Komposition und 
AusfUhrung im Laufe des 17. Jh. gab dem Klavier un- 
ter den -»• Fundamentinstrumenten die bedeutendsten 
Aufgaben, denn sowohl die Technik der Reduzierung 
motettischer Satze auf Solostimme(n) und Begleitung 
als auch der Generalbafi des solistischen ->■ Concertos 
waren weitgehend am Klavier entwickelt und durch 
dessen Grifftechnik bestimmt. Da das Concerto auch 
auf einem Klavier allein (vornehmlich dem mit mehre- 
ren Manualen) zu verwirklichen ist, errang das Klavier 
eine Vorrangstellung, die es bis zum Ende des 19. Jh. 



behalten sollte. Die Forderungen, die im spaten 17. und 
im 18. Jh. an einen Organisten gestellt wurden und in 
der Orgelprobe nachzuweisen waren, setzten sich da- 
her zusammen aus dem Generalbafi (einschliefilich des 
manierlichen, d. h. improvisiert auszuzierenden), der 
»Tabulatur«, d. h. dem Spiel nach Tabulatur oder No- 
ten fiberhaupt, sowie der Verffigung fiber freie und 
gebundene Formen in der Improvisation. Diese Grund- 
forderungen differenzieren sich in den nationalen Schu- 
len der Kl.-M. Der in Oper und Ballett beheimatete 
Recit- und Tanzstil findet sich nicht nur in den Tan- 
zen, Rondeaus und Charakterstficken der Suiten von 
Fr. Couperin und Rameau, sondern auch in den liturgi- 
schen Livres d'orgue franzosischer Klavieristen. Den 
vollstimmigen, gravitatischen Satzen (Ouvertfiren, 
Allemanden, Plein jeu) steht eine durchsichtige, galan- 
te Satzart gegenuber; sie beherrscht die fiber 500 Sona- 
ten (auch Essercizi, Toccate genannt) des auf der iberi- 
schen Halbinsel wirkenden Neapolitaners D. Scarlatti. 
Seine Technik der vielf altigen Skalenfiguren, der Dop- 
pelgriffe, des Uberschlagens der Hande entfaltete sich 
auf dem Grund eines 2st. Satzes. Von Handels Kl.-M. 
erlangten die Suiten (1722) groBte Verbreitung, mit 
ihren hochbarock »deutschen« und konzertanten und 
galanten »italienischen« Satzen, und die fiir Orgel, 
Cembalo oder Harfe mit Orchester komponierten 
Konzerte (op. 4, 1738), die dem Klavier die Rolle des 
Concertinos im Concerto grosso zuweisen; sie wurden 
ursprfinglich (ab 1735) als Intermezzi bei Oratorien- 
aufffihrungen gespielt und waren (nach Burney) bis in 
die 1780er Jahre in Konzert und Hausmusik beliebt. - 
Die Geschichte des Klavierkonzerts beginnt mit J. S. 
Bach, der zunachst, wahrend seiner Weimarer Tatig- 
keit, Arrangements vor allem Vivaldischer Violinkon- 
zerte fiir Org. (BWV 592-597) und fiir Cemb. (BWV 
972-987) vornahm, spater auch mehrere fremde und 
eigene Concerti fiir 1-4 Cemb. und Orch., wahrschein- 
lich fiir sich und seine Sohne, arrangierte (BWV 1052- 
1060 und 1062-1065). Original fiir Cembalo von Bach 
komponiert sind nur der Solopart von BWV 1050 und 
das Concerto C dur fiir 2 Kl. und Orch. (BWV 1061). 
Bachs Sohne C.Ph.E., W. Fr. und J. Christian haben 
entscheidend eingewirkt auf die weitere Geschichte 
dieser fiir die gesamte Kl.-M. (und auch fiir den Piano- 
fortebau) eirifluBreichen Gattung, die im Klavierkon- 
zert der Wiener Klassiker, vor allem in den Werken 
W. A. Mozarts und Beethovens kulminiert. Das Vir- 
tuosentum des 19. Jh., in Verbindung mit differenzier- 
tem Klangsinn und symphonischer Gestaltung des Kla- 
vierparts, verhalf dem Klavierkonzert zu einer bis an 
die Gegenwart heranreichenden Bliitezeit, deren Hohe- 
punkte durch die Namen C. M. v. Weber, Mendelssohn 
Bartholdy, R.Schumann, Chopin, Liszt, C.Franck, 
Anton Rubinstein, Brahms, Tschaikowsky, Grieg und 
Rachmaninow gekennzeichnet sind. 
Der universellste Klavierist seiner Zeit und der Musik- 
geschichte uberhaupt war J. S. Bach. Das Satzpaar Prae- 
ludium (Toccata, Fantasie) und Fuge erhielt einerseits 
durch seine grofiangelegten Formen mit Pedal, ande- 
rerseits durch die beiden Sammlungen fiir Klavier 
manualiter durch alle Tonarten, Das Wohltemperirte 
Clavier (1722, 1744), die klassische Auspragung. Stil- 
elemente franzosischer, italienischer und wohl auch 
englischer Musik (Purcell) sind in seinem Suitenwerk 
nachweisbar. Einen breiten Raum nehmen in Bachs 
Kl.-M. die Exempla der Komposition ein, die zugleich 
Unterweisung im Spiel sind. Der Hauptzweck liegt 
bei den Inventionen (Praeambula) und Sinfonien (Fan- 
tasien) auf klavieristischer Themenerfindung und -ver- 
arbeitung und dem cantablen Spiel, bei den Choralbe- 
arbeitungen des Orgelbiichleins auf der Durch- und 



30* 



467 



Klaviermusik 



Ausfiihrung des Chorals mit obligatem Pedal. Exem- 
plarisch in der Stilisierung und daher dem Druck an- 
vertraut sind die vier Teile der Clavier-Ubung: der 1. 
Teil (geschlossen vorliegend 1731) ist der Suite (Par- 
tita) mit wechselnden Typen von Einleitungssatzen ge- 
widmet, der 2. (1735) dem italienischen Concerto und 
der franzosischen Ouvertiire auf dem Cembalo mit 2 
Manualen, der 3. (1739) den von Praeludium und Fuge 
eingerahmten Choralbearbeitungen (oft als »Orgel- 
messe« gedeutet) und 2st. Satzformen der inventions- 
artigen Duette; den 4. Teil (1742) bilden die »Gold- 
berg-Variationen«. Auslaufer der Gattung der (in Par- 
titur geschriebenen) Kunstbiicher und damit primar 
Kl.-M. ist die Kunst der Fuge. Fiir den Triosatz findet 
Bach vielfaltige Anwendungen: in der Choralbear- 
beitung, in der Sonate fiir 2 Manuale und Pedal sowie 
in der Kammermusik, wo ein Melodieinstrument (Vio- 
line, Viola da gamba, Flote) einen Cantus iibernimmt. 
Bachs Klavierkonzert, zunachst entstanden aus Uber- 
tragungen von Violinkonzerten, erwies sich als zu- 
kunftstrachtiger als das Handels. Sein vollstimmiger 
Satz uberwiegt die Ansatze eines modernen Galanten 
Stils (z. B. im 2. Teil des WoMtemperirten Claviers), 
hattejedoch zur Folge, daB die Verbreitung seiner Kl.- 
M. nach seinem Tode zunachst auf seinen Schiilerkreis 
beschrankt blieb. Von groBer Wirkung auf die Gene- 
ration der Sturmer und Dranger waren Bachs »Cha- 
rakterthema« und freie Satztypen, vor allem die Chro- 
matische Phantasie. Nachdem C.Ph.E.Bach die Sonate 
(auch fur Orgel) in einer Reihe von Veroffentlichungen 
(1742 und spater) zu hoher Gestaltung gebracht hatte, 
trat neben sie in den anschliefienden Sammlungen fiir 
Kenner und Liebhaber (1779-87) die »freie« Phantasie 
und das leichte Rondo. In seinem Versuch, etwa gleich- 
zeitig mit den Lehrwerken fiir Flote bzw. Violine von 
Quantz und L. Mozart erschienen, in der Wirkung (bis 
Haydn und Beethoven) noch weiter reichend, ist das 
System der Kl.-M. noch intakt. Gelehrt werden Fin- 
gersatz, Manieren (einschlieBlich der »freien« Phanta- 
sie) und GeneralbaB. Doch kiindigt. sich hier - wie 
auch in den Schriften von Mattheson und Forkel - 
die Spezifizierung von Gattungen auf bestimmte In- 
strumente an. Seit den 1740er Jahren war in Deutsch- 
land (am Hof Friedrichs des GroBen), seit den 1760er 
Jahren in Paris, wahrscheinlich auch am Hof in Ma- 
drid, wo Scarlatti wirkte, das Pianoforte in Gebrauch. 
C.Ph.E.Bach, der 1733-78 etwa 50 Klavierkonzerte 
komponierte, stellt in 2 Doppelkonzerten das Piano- 
forte dem Cembalo gegeniiber. Waren von ihm die 
aus der Oper kommenden Spielfiguren wie Trommel- 
basse, Murkys und Albertische Basse noch abgelehnt 
worden, so wurden sie im -»• Galanten Stil (Telemann, 
Paradies, Galuppi, Durante, J. Chr. Bach), auch in Zu- 
sammenhang mit der Herausbildung des modernen 
-*■ Klavierauszugs, zu haufigen Begleitungsformen der 
einfachen Melodie in der Diskantlage. Das Interesse an 
der Erfindung von Spielfiguren nahm zu in der brillan- 
ten Kl.-M. Zwar enthalt dementis Lehrwerk Gradus 
ad Parnassum (1817) noch strenge Stiicke (Kanons), 
doch schulbildend (Cramer, Field, Moscheles) war er 
allein durch die neue Satzart, die - auf den neuen, 
klangstarken englischen Pianofortes zu spielen - Ok- 
taven, Doppelgrifflaufe, Trillerketten einsetzt. Mo- 
zarts Spieltechnik, aus der Wiener Schule (Wagenseil, 
Kozeluch) herkommend, ist »brillant« nur in einigen 
Ecksatzen der Konzerte und in den Klaviervariationen. 
Seine Sonaten und Konzerte, gewichtige Werke fiir 
Kenner, mit Formen im »alten Stil« und mit ausgezier- 
ten Adagios, schlieBen durch die an der barocken Kla- 
vierkunst gebildete Artikulation ein mechanisches und 
bloB gelaufiges Spiel aus. Seit Mozart gibt es einen 



kompositorisch wie pianistisch vollgiiltigen Satz fiir 
Klavier zu 4 Handen. Das umfangreiche Klavierwerk 
Beethovens, der als Improvisator und charakteristi- 
scher mehr denn als brillanter Spieler geruhmt wird, 
erhebt sich iiber alle modischen Stromungen. Einzelne 
Satze sind in der friihromantisch-brillanten Art etwa 
Hummels oder Webers geschrieben, andere bahnen in 
der Ausweitung der Spielfiguren auf die auBeren La- 
gen bereits die kompositorisch vollgiiltige virtuose 
Technik an (op. 53, 57, 73, 106). Grundlage fiir den 
Satz Beethovens ist die -> Durchbrochene Arbeit und 
das -»■ Obligate Akkompagnement kammermusikali- 
schen oder symphonischen Stils. Die Zentren der mo- 
dischen Kl.-M. zu seiner Zeit waren noch Paris, wo die 
neuere Geschichte der Kammermusik mit Klavier be- 
gann, undWien, wo Beethovens Schiiler Czerny das 
Ideal der Gelaufigkeit und Fingerfertigkeit in zahlrei- 
chen fiir Lehrzwecke bestimmten Kompositionenkodi- 
fizierte: einen extrem homophonen Satz mit Bevorzu- 
gung der hohen Diskantlage fiir Melodiefiguration bei 
stereotyper Begleitung durch die linke Hand. 
Das romantische Liedideal kiindigte sich im -> Cha- 
rakterstiick bei Tomasek und Von'sek an, das bei Men- 
delssohn (-» Lied ohne Worte) und vor allem bei Schu- 
bert zu einem wesentlichen Element auch in der Sonate 
wurde. Als Gegenpol zum Liedhaf ten dienen die durch- 
gehaltenen poetisierenden Begleitungsfiguren (auch in 
der Klavierbegleitung des Liedes) dem Ausdruck zu- 
standlicher oder schwankender Stimmung. Als Ken- 
ner der K1.-M. Beethovens, Schuberts, aber auch J. S. 
Bachs, bildete Schumann seine ganz eigene Technik 
der romantisch verschlungenen Stimmziige und Metren 
aus. Auch als Kritiker stand er im Gegensatz zur modi- 
schen Kl.-M. seiner Zeit, in der Pianisten wie Pleyel, 
Herz (in dessen epigonenhaften Klavierkompositionen 
sich fast das gesamte Repertoire von Figurationsfor- 
meln seiner Zeit widerspiegelt) und Kalkbrenner ein 
stark wachsendes Publikum von Zuhorern, aber auch 
von Klavierlehrern und spielenden Dilettanten mit ih- 
ren Kompositionen ebenso wie mit den Erzeugnissen 
ihrer Verlage und Klavierfabriken beherrschten. Der 
Reichtum an Figurationen im Klaviersatz Chopins 
entstand auf dem Grund der romantischen Harmonik 
durch eine Technik der diatonischen und chromati- 
schen Nebennoten, die - auch in Doppelgriffen und 
Oktawersetzungen - Passagen und Akkordzerlegun- 
gen verzieren, so besonders in den Spielepisoden yon 
Expositionen und Reprisen, in Durchfiihrungen der 
Konzerte und Sonaten, in den Etiiden, Preludes, Scher- 
zi und Impromptus. Zu diesem und dem akkordischen 
Satz kontrastiert der von Field herkommende, von 
Chopin in einigen Nocturnes, in 2. Themen von So- 
natensatzen und getragenen Mittelteilen 3teiliger For- 
men verwandte Satz; dessen (verzierte) Melodie in der 
Diskantlage ist dem Belcanto der italienischen Oper 
des friihen 19. Jh. abgelauscht und wird von einer groB- 
raumigen Akkordbrechung in der linken Hand beglei- 
tet. Chopins grundsatzlich homophone Satzanlage 
wird nur episodisch von selbstandigen Mittelstimmen 
und Polymelodik durchbrochen. Der sorgsamen Aus- 
gewogenheit der Kantilenen und Spielepisoden des 
Chopinschen Satzes steht der Klavierstil Liszts gegen- 
iiber, dessen Pole pathetisches Rezitativ und Arioso 
(z. B. als Daumenmelodie in der Tenorlage) sind. Die 
betont symmetrische Figuration erscheint als Orna- 
mentierung eines Geriistes vordergriindiger als bei 
Chopin. Liszts kompakter Akkordsatz ist ein Zeichen 
fiir den endgiiltigen Bruch mit der nachmozartschen 
Schule der Fingertechnik. Die klavieristische Erfindung 
Liszts, in dessen Werk die -> Transkriptionen und 
-»■ Paraphrasen die Originalwerke an Zahl iibertreffen, 



468 



Klaviermusik 



ist angeregt von Spielfiguren und Klang des Geigen- 
spiels Paganinis und des Orchesters Berlioz'. Das Ab- 
losen der Hande wird sowohl in raschen Passagen als 
auch fiir die Kantilene eingesetzt. Durch virtuose 
Sprungtechnik und Pedal lassen sich alle Elemente zu 
einem mehrschichtigen Satz verbinden, der die No- 
tierung zum Teil auf 3-4 Systemen erfordert. Liszts 
Ruhm als reisender Virtuose und Improvisator ab 1836 
uberstrahlte den aller Rivalen, Thalberg eingeschlos- 
sen. Seine Spielart iiberlieferten mehrere Generationen 
von Schiilern, darunter Biilow, Tausig, d' Albert und, 
zwar als indirekter Schiiler, aber konsequenter Fort- 
setzer, Busoni. Liszts Klaviersatz war Vorbild fiir die 
Klavierkomposition der Neudeutschen Schule, russi- 
scher Komponisten wie Tschaikowsky, Rubinstein, 
bis zu Rachmaninow, Prokofjew und Chatschaturjan, 
fiir die franzosische Kl.-M. des spaten 19. Jh. (Faure, 
Franck, zum Teil noch Messiaen) ; sie war aber auch 
Voraussetzung fiir groBangelegte Kompositionen aus 
der Leipziger Mendelssohn-Schumann-Schule (z. B. 
Klavierkonzert von Grieg) und fiir Brahms und Reger, 
die jedoch kompositorisch an Beethoven ankniipf ten. 
Liszts intimerer Spatstil (Lesjeux d'eau a la villa d'Este, 
erschienen 1877), verbunden mit dem bewuBten Riick- 
griff auf den spielerischen Geist der Clavecinisten des 
18. Jh., ging in den Klaviersatz von Debussy und Ravel 
ein. Deren Klangtechnik ermoglichte die Begegnung 
mit dem Jazz, dessen gebildetste Solopianisten (Art 
Tatum, Oscar Peterson) seit der Swing-Ara mit der 
Harmonik auch das Repertoire von Spielformen der 
Kl.-M. etwa seit Schumann einsetzten. Dieses Jazzkla- 
vier war weitgehend von den Aufgaben der Rhythm 
section befreit, die die linke Hand in den friihen, von 
der Tanzmusik des 19. Jh. herkommenden Formen, im 
-*■ Ragtime sowie im -»■ Boogie- Woogie bindet. Das 
Schlagzeug als Vorbild fiir einen Klavierstil fiihrte zu 
antiromantischer Motorik (Bartok, Allegro barbaro, 
1911 ; Hindemith, Suite 1922). Als folgenreicher erwies 
sich das Ausspielen von schlagzeugahnlichen Klangfar- 
ben des Klaviers bei Bartok (u. a. Sonate fiir 2 Kl. und 
Schlagzeug, 1937), friiher noch bei Ives (um 1909) und 
Cowell, die durch -*■ Cluster, direktes Anzupfen oder 
Schlagen der Saiten und des Instrumentenkorpers {Ban- 
shee; Aeolian harp, 1925) die Klangfarben radikal zu er- 
weitern und von den fiir das Klavier bislang charakteri- 
stischen festen Tonhohen loszukommen suchten. Diese 
Techniken, auch ihre Erganzung durch das ->• Prepared 
piano und die Elektronik (Stockhausen, Kontakte, 1960; 
Kagel, Transition JJ fur 2 Kl., Schlagzeug - d. h. Schla- 
gel - und 2 Tonbander, 1958) bliebenbis in die 1960er 
Jahre im Stadium des Experiments. Die Tendenz, den 
Klavier- mit dem Orchesterklang zu verschmelzen, als 
Fortsetzung der Verwendung des Klaviers als obligates 
und nur episodenhaft konzertantes Instrument seit der 
Spatromantik, erreichte bei Skrjabin (Promethee, 1911), 
Strawinsky (Petrouchka, 1911 und 1946; Solofassung 
1921), Schreker und Berg je eigene Losungen. Ein vol- 
liges Aufgehen in den Ensembleklang folgte aber erst 
zwingend aus dem von aller flachenhaften Gelauflg- 
keitstechnik absehenden, stark auf isolierten Spriingen 
und Griffen beruhenden Klaviersatz der strengen Rei- 
hentechnik der seriellen und postseriellen Musik (We- 
bern, Konzert op. 24, Variationen op. 27; Schonberg, 
Suite op. 25; Messiaen, Modes de valeurs et d'intensites, 
1949; Boulez, Sonaten, Structures fiir 2 Kl. ; Stockhau- 
sen, Klavierstucke ab 1952; auch Henze, Sonata, 1959), 
so daB das Klavier bei diesen Komponisten gleichzeitig 
zu der fiir den Orchesterklang seit Schonberg wesent- 
lichen Gruppe der -* Kurztoninstrumente gehort. 
Ausg.: A. u. L. Farrenc, Le tresor des pianistes, 23 H., 
Paris 1861-72; The Fitzwilliam Virginal Book, hrsg. v. J. 



A. Fuller- Mattland u. W. Barclay Squire, 2 Bde, Lon- 
don u. Lpz. 1894-99, Neudruck NY 1963; Torchi; Guil- 
mant-Pirro ; Wiener Kl.- u. Orgelwerke aus d. 2. Halfte d. 
17. Jh., hrsg. v. H. Botstiber, = DTO XIII, 2 (Bd 27), 
Wien 1906; Organum, Reihe IV; H. Expert u. P. Brunold, 
Anth. des maitres frc. du clavecin des XVII e et XVIlI e s., 
Paris 1913-22; G. Benvenuti, Cembalisti ital. del sette- 
cento, Mailand 1926; My Ladye Nevells Booke, hrsg. v. 
H. Andrews, London u. Philadelphia 1926; Aus R. Buch- 
mayers Hist. Klavierkonzerten, hrsg. v. R. Buchmayer, 5 
H., Lpz. 1927; Liber organi, hrsg. v. E. Kaller, 10 Bde, 
Mainz (1931-54); Tagliapietra Ant.; Musik aus friiher 
Zeit f. Kl., hrsg. v. W. Apel, 2 H., Mainz (1934); Concord 
Classics of the Piano, hrsg. v. dems., Boston 1938 ; Masters 
of the Keyboard, hrsg. v. dems., Cambridge (Mass.) 1947; 
Keyboard Music of the Fourteenth and Fifteenth Cent., 
hrsg. v. dems., = Corpus of Early Keyboard Music I, Rom 
1963 ; Deutsche Kl.-M. d. 17. u. 18. Jh., hrsg. v. H. Fischer 
u. Fr. Oberdoerffer, 9 H., Bin 1935-36; Clavistas portu- 
guezes, hrsg. v. M. S. Kastner, 2 Bde, Mainz (1935-50); 
Parthenia, Faks. hrsg. v. O. E. Deutsch, = The Harrow 
Replicas III, Cambridge 1943; C. Sachs, The Evolution of 
Piano Music 1350-1700, NY 1944; W. Georoii, Vierhun- 
dert Jahre europaische Kl.-M., = Das Musikwerk I, Koln 
(1950, 21959) ; The Mulliner Book, hrsg. v. D. W. Stevens, 
= Mus. Brit. I, London 1952, 21959; Parthenia, hrsg. v. K. 
Store, NY 1951 ; Ant. organistica ital., hrsg. v. P. Ferrari, 
Mailand 1954; Choralbearb. u. freie Orgelstiicke d. deut- 
schen Sweelinck-Schule, hrsg. v. H. J. Moser u. Tr. Fedt- 
ke, 2 Bde, Kassel 1954-55 ; Die Liineburger Orgeltabulatur 
KN 208', hrsg. v. M. Reimann, = EDM XXXVI, Ffm. 
1957; 46 Chorale f. Org. v. J. P. Sweelinck u. seinen deut- 
schen Schiilern, hrsg. v. G. Gerdes, = MMD III, Mainz 
1957; Das Buxheimer Orgelbuch, Faks. hrsg. v. B. A. 
Wallner, = DM1 II, 1,1955, dass., hrsg. v.ders., = EDM 
XXXVII-XXXIX, Kassel 1958-59; Klavierboek A. M. 
van Eijl, hrsg. v. Fr. Noske, = Monumenta Musica Neer- 
landica II, Amsterdam 1959; Nederlandse Klaviermuziek 
uitde 16 c en 17 e eeuw, hrsg. v. A. Curtis, ebenda III, 1961 ; 
An Early Fifteenth-Cent. Ital. Source of Keyboard Mu- 
sic. The Cod. Faenza . . . , Faks. hrsg. v. A. Carapetyan, 
= MSD X, (Rom) 1961; Tabulatura organowa Jana z 
Lublina (»Orgeltabulatur d. Johannes v. Lublin«), Faks. 
hrsg. v. Kr. Wilkowska-Chominska, = Monumenta Mu- 
sicae in Polonia, Serie B, Bd I, Krakau 1964; dass., hrsg. v. 
J. R. White, = Corpus of Early Keyboard Music VI, Rom 
1964. 

Lit. : A. G. Ritter, Zur Gesch. d. Orgelspiels, vornehm- 
lich d. deutschen im 14. bis zum Anfange d. 18. Jh., 2 Bde, 
Lpz. 1884; M. Seiffert, Gesch. d. Kl.-M. I, Lpz. 1899; G. 
Pannain, Le origini e lo sviluppo dell'arte pianistica in 
Italia dal 1500 al 1730 circa, Neapel 1919; A. Brugnoli, 
La musica pianistica ital. dalle origini al 1900, Turin 1932 ; 
G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels u. d. Orgelkompo- 
sition, 2 Bde, Bin 1935-36, 21959; G. Schunemann, Gesch. 
d. Kl.-M., Bin 1940, neu hrsg. v. H. Gerigk, MUnchberg 
1953, Hbg21956;W.GEORGii, Kl.-M., Zurich 1941, Zurich 
u. Freiburg i. Br. 4 1965. - J. K. Eschmann, Wegweiser 
durch d. Klavierlit., Zurich 1869, Lpz. 31888 bearb. v. A. 
Ruthardt, Zurich 81914-101925 als: A. Ruthardt, Wegwei- 
ser ...; A. Prosnitz, Hdb. d. Klavierlit., 2 Bde, Wien u. 
Lpz. 1884-1907, 81918; Ch.-Fr.-H. Parent, Repertoire 
encyclopedique du pianiste, 2 Bde, Paris 1900-07; R. 
Teichmuller u. K. Herrmann, Internationale moderne 
Kl.-M., Lpz. u. Zurich 1927, Nachtrag 1934; W. Altmann, 
Verz. v. Werken f. Kl. vier- u. sechshandig sowie f. zwei u. 
mehr Kl., Lpz. 1943 ; E. Hutcheson, The Lit. of the Piano, 
NY 1948; H. Moldenhauer, Duo-Pianism, Chicago 
(1950); J. Friskin u. I. Freundlich, Music for the Piano 
. . . 1580-1952, NY 1953. 

J. Wolf, Zur Gesch. d. Orgelmusik im 14. Jh., KmJb XIV, 
1899; O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., 
Lpz. 1910; A. Schering, Die nld. Orgelmesse im Zeitalter 
d. Josquin, Lpz. 1912; ders., Studien zur Mg. d. Friihre- 
naissance, = Studien zur Mg. II, Lpz. 1914; Ch. Van den 
Borren, Les origines de la musique de clavier en Angle- 
terre, Briissel 1912, engl. London 1913;ders., Les origines 
de la musique de clavier dans les Pays-Bas nord et sud 
jusquevers 1630, Briissel 1914; W. Merian, DerTanzind. 
deutschen Tabulaturbuchern, Lpz. 1927; Y. Rokseth, La 
musique d'orgue au XV e s. et au debut du XVI C , Paris 1 930 ; 



469 



Klaviermusik 



W. Apel, Die Tabulator d. Adam Ileborgh, ZfMw XVI, 
1934; ders., Early Span. Music for Lute and Keyboard 
Instr., MQ XX, 1934; ders., Neapolitan Links Between 
Cabezon and Frescobaldi, MQ XXIV, 1938; ders., Die 
sudital. Clavierschule d. 17. Jh., AMI XXXIV, 1962; Kn. 
Jeppesen, Die ital. Orgelmusik am Anfang d. Cinquecento, 
2 Bde, Kopenhagen 1943, 2 1960; G. S. Bedbrook, Key- 
board Music from the Middle Ages to the Beginnings of 
the Baroque, London 1950; Dr. Plamenac, Keyboard 
Music of the 14°> Cent, in Cod. Faenza 117, JAMS IV, 
1951; M. S. Kastner, Parallels and Discrepancies Be- 
tween Engl, and Span. Keyboard Music of the 16 th - and 
H^-Cent., AM VII, 1952; D. Stevens, The MullinerBook. 
A Commentary, London (1952); E. E. Lowinsky, Engl. 
Organ Music of the Renaissance, MQ XXXIX, 1953; J. 
Ward, Les sources de la musique pour le clavier en Angle- 
terre, in: La musique instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. 
Jacquot, Paris 1955; Ch. Jacobs, La interpretaci6n de la 
musica espanola del s. XVI para instr. de teclado, Madrid 
1959; L. Schierning, Quellengeschichtliche Studien zur 
Org.- u. Kl.-M. in Deutschland aus d. 1. Halfte d. 17. Jh., 
= Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung Kiel XII, 
Kassel 1961; E. Apfel, Ostinato u. Kompositionstechnik 
bei d. engl. Virginalisten d. elisabethanischen Zeit, AfMw 
XIX/XX, 1962/63; W. Young, Keyboard Music to 1600, 
MD XVI, 1962 - XVII, 1963 ; K. Parton, On Two Early 
Tudor Mss. of Keyboard Music, JAMS XVIII, 1964 ; H. R. 
Zobeley, Die Musik d. Buxheimer Orgelbuchs, = Munch- 
ner Veroff. zur Mg. X, Tutzing 1964. 
W. Landowska, Musique ancienne, Paris 1909, ''1921, 
engl. NY 1924; A. Pirro, Les clavecinistes, in: Les mu- 
siciens celebres, Paris 1925; H. Uldall, Das Klavierkon- 
zert d. Berliner Schule . . . , = Slg mw. Einzeldarstellungen 
X, Lpz. 1928; C. Auerbach, Die deutsche Clavichord- 
kunst d. 18. Jh., Kassel 1930, 21953; E. Stilz, Die Berliner 
Klaviersonate zur Zeit Friedrichs d. GroBen, Diss. Bin 
1930, Auszug als: Uber harmonische Ausfullung in d. 
Kl.-M. d. Rokoko, ZfMw XIII, 1930/31 ; R. E. M. Har- 
ding, Experimental Pf tes and the Music Written for Them, 
Proc. Mus. Ass. LVII, 1930/31; dies., The Earliest Pfte 
Music, ML XIII, 1932; E. Bodky, Der Vortrag alter Kl.- 
M., Bin 1932 ; M. F. Schneider, Beitr. zu einer Anleitung, 
Clavichord u. Cemb. zu spielen, = Slg mw. Abh. XVI, 
Lpz. u. StraBburg 1934; R. Hafner, Die Entwicklung d. 
Spieltechnik U; d. Schul- u. Lehrwerke f. Klavierinstr., 
= Schriftenreihe d. Mw. Seminars d. Univ. Miinchen II, 
1937 ; H. Husmann, Die »Kunst d. Fuge« als Klavierwerk, 
Bach-Jb. XXXV, 1938; E. Harich-Schneider, Die Kunst 
d. Cembalospiels, Kassel 1939, 21957, engl. als: The Harp- 
sichord, Kassel u. St. Louis 1 953 ; E. v. Rumohr, Der Niirn- 
bergische Tasteninstrumentalstil im 17. Jh., Diss. Minister 
i. W. 1939; M. Reimann, Untersuchungen zur Formgesch. 
d. frz. Kl.-Suite, = Kolner Beitr. zur Musikforschung III, 
Regensburg 1940; dies., Pasticcios u. Parodien in nord- 
deutschen Klaviertabulaturen, Mf VIII, 1955; H. Hering, 
Die Dynamik in J. S. Bachs Kl.-M., Bach-Jb. XXXVIII, 
1949/50; ders., Bachs Klavieriibertragungen, ebendaXLV, 
1 958 ;W. St. Newman.A Checklist of the Earliest Keyboard 
»Sonatas« (1641-1738), Notes II, 11, 1953/54; ders., The 
Sonata in the Baroque Era, Chapel Hill/N. C. (1959); L. 
Hoffmann-Erbrecht, Deutsche u. ital. Kl.-M. zur Bach- 
zeit, =Jenaer Beitr. zur Musikforschung I, Lpz. 1954; 
ders., Sturm u. Drang in d. deutschen Kl.-M. v. 1753-63, 
Mf X, 1957; H. Dennerlein, Mozart u. d. Org., Mozart- 
Jb. IX, 1958; Fr. W. Riedel, Quellenkundliche Beitr. zur 
Gesch. d. Musik f. Tasteninstr. in d. 2. Halfte d. 17. Jh. 
(Vornehmlich in Deutschland), = Schriften d. Landesinst. 
f. Musikforschung Kiel X, Kassel 1960; ders., Strenger u. 
freier Stil in d. nord- u. suddeutschen Musik f . Tasteninstr. 
d. 17. Jh., in: Norddeutsche u. nordeuropaische Musik, 
= Kieler Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965; Fr. Ernst, 
Bach u. d. Pfte, Bach-Jb. XLVIII, 1961, auch in: Schrif- 
tenreihe Das Musikinstr. VI, Ff m. (1 962). 
Fr. Wieck, Clavier u. Gesang. Didaktisches u. Polemi- 
sches, Lpz. 1853,"21878; A. Kullak, Die Aesthetik d. Kla- 
vierspiels, Bin 1861, '1922 hrsg. v. W. Niemann; W. v. 
Lenz, Die groBen Pfte-Virtuosen unserer Zeit, Bin 1872, 
engl. NY 1899; H. Riemann, Vergleichende theoretisch- 
praktische Klavierschule, Hbg u. St. Petersburg 1883, 
••1912; O. Bie, Das Kl. u. seine Meister, Munchen 1898, 
3 1921, engl. London 1899; ders., Kl., Org. u. Harmonium, 



= Aus Natur u. Geisteswelt Bd 325, Lpz. 1910, 21921 ; O. 
Klauwell, Gesch. d. Sonate v. ihren Anfangen bis zur 
Gegenwart, = Universal-Bibl. f. Musiklit. XVHI-XX, 
Koln u. Lpz. (1 899) ; J. Pembaur, Von d. Poesie d. Klavier- 
spiels, Munchen 1910, 21911, nld. 's Gravenhage 1930; W. 
Niemann, Die nordische Kl.-M., Lpz. 1918 ; ders., Meister 
d. Kl., Bin 1919; E. Schmitz, Kl., Kl.-M. u. Klavierspiel, 
Lpz. 1919; W. Kahl, Das lyrische Klavierstiick Schuberts 
u. seiner Vorganger seit 1810, AfMw III, 1921; ders., 
Friihe Lehrwerke f . d. Hammerkl., AfMw IX, 1952 ; M. W. 
Eberler, Studien zur Entwicklung d. Setzart f. Kl. zu 4 
Handen v. d. Anfangen bis zu Fr. Schubert, Diss. Mun- 
chen 1922, maschr.; H. Engel, Die Entwicklung d. Deut- 
schen Klavierkonzertes v. Mozart bis Liszt, Lpz. 1927; 
C. A. Martienssen, Die individuelle Klaviertechnik auf d. 
Grundlage d. schopferischen Klangwillens, Lpz. 1930; I. 
Amster, Das Virtuosenkonzert in d. 1. Halfte d. 19. Jh., 
Wolfenbiittel 1931 ; K. Leimer mit W. Gieseking, Moder- 
nes Klavierspiel, Mainz (1931) u. 6., Neudruck (1965); 
ders. mit W. Gieseking, Rhythmik, Dynamik, Pedal, 
Mainz (1938) u. 6., Neudruck (1965), engl. Philadelphia 
1938; G. Piccioli, L'arte pianistica in Italia da Clementi 
ai nostri giorai, Bologna 1931 ; ders., II concerto per pfte 
e orch. da Mozart a Grieg, Como 1940; K. Schubert, 
Die Technik d. Klavierspiels aus d. Geiste d. mus. Kunst- 
werkes, = Slg Goschen Nr 1045, Bin 1931, '1954 hrsg. v. 
H. J. Moser; Th. Stengel, Die Entwicklung d. Klavier- 
konzerts v. Liszt bis zur Gegenwart, Diss. Bin 1931; P. 
Egert, Die Klaviersonate im Zeitalter d. Romantik I, Bin 
1934; W. Rehberg, Das Kl., in: Hohe Schule d. Musik III, 
hrsg. v. J. Miiller-Blattau, Potsdam (1935); A. Casella, II 
pfte, Mailand 1937, 31956, span. Buenos Aires 1942; H.-G. 
Schulz, Mus. Impressionismus u. impressionistischer Kla- 
vierstil, = Literarhist.-mw. Abh. Ill, Wiirzburg 1938; J. 
Muller-Blattau, Zur Gesch. u. Stilistik d. 4handigen 
Klaviersatzes, JbP XLVII, 1940; A. Stoffregen, Klavier- 
musikens forsiringer fra c. 1700 til nutid, 2 Bde, Kopenha- 
gen 1942; D. Brook, Masters of the Keyboard, London 
1946, 2 1951 ; A. Aleksejew, Russkije pianisty, Moskau u. 
Leningrad 1948; A. Foldes, Keys to the Keyboard, NY 
1948, deutsch als: Wege zum KL, Wiesbaden 1952; P. 
Hissarlian-Lagoutte, Style et technique des grands 
mattres du piano, Genf 21948 ; D. N. Ferguson, Piano In- 
terpretation, London 1950; R. Wangermee, L'improvisa- 
tion pianistique au debut du XIX e s., in : Miscellanea musi- 
cologica Fl. v. d. Mueren, Gent 1950; H. C. M. Kloppen- 
burg, De ontwikkelingsgang v. d. piano methoden, Ut- 
recht u. Briissel 1951 ; K. Hahn, tlber d. Zusammenhange 
v. Klavierbau u. Klavierstil, Diss. Bin 1952, maschr.; G. 
Favre, La musique frc. de piano avant 1830, Paris 1953; A. 
G. Hess, The Transition from Harpsichord to Piano, The 
Galpin Soc. Journal VI, 1953; E. Leipold, Die romantische 
Polyphonie in d. Kl.-M. R. Schumanns, Diss. Erlangen 
1954, maschr., Auszuge in: SMZ XCVI, 1956,u.NZfM 
CXVII, 1956; A. Loesser, Men, Women, and Pianos. A 
Social Hist., NY 1954; H. v. Besele, Das Klavierspiel, Kas- 
sel 1956, 21965; U. Unger, Die Klavierfuge im 20. Jh., 
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XI, Regensburg 1956; 

V. v. Hemel, Het kl Antwerpen 21957 ; R. Stuber, Die 

Klavierbegleitung im Liede v. Haydn, Mozart u. Beetho- 
ven, Bern 1958; H. Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, 
Sb. Lpz. CIV, 6, Bin 1959; H. Hering, Ubertragung u. 
Umformung. Ein Beitr. zur Klavieristik im 19. Jh., Mf XII, 
1959; ders., Satzstrukturen in d. Kl.-M. d. 18. u. 19. Jh., 
Mf XVII, 1964 ; H. Federhofer, Die Diminution in d. Kla- 
vierwerken v. Chopin u. Liszt, Studia musicologica V, 
1963; H. C. Schonberg, The Great Pianists, NY 1963, 
deutsch Bern, Munchen u. Wien 1965; J. Kaiser, GroBe 
Pianisten in unserer Zeit, Munchen 1965 ; H. Grundmann 
u. P. Mies, Studien zum Klavierspiel Beethovens u. seiner 
Zeitgenossen, = Abh. zur Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. 
XXXVI, Bonn 1966. 

Klaviertabulatur -»- Orgeltabulatur. 

Klirrfaktor -»■ Verzerrung. 

Klosterneuburg (Niederosterreich), Augustiner- 
chorherrenstift, gegr. um 1108. 

Lit. : H. Pfeiffer, Kl.er Osterfeier u. Osterspiel, Jb. d. Stif- 
tes Kl. 1, 1908 ; ders. u. B. Cernik, Catalogus codicum . . . 
qui in bibl. canonic. Reg. S. Augustini Claustroneoburgi 



470 



Koloratur 



asservantur, Wien 1922; L. Schabek, Alte liturgische Ge- 
brauche ... an d. Stiftskirche zu KI., Kl. 1930; G. v. Ber- 
ger, Das Osterspiel v. Kl., = Kl.er Weihespiele VIII, Kl. 
1932; A. Weissenbach OFA, Musikpflege im Stift Kl., 
Anbruch XVIII, Wien 1936; B. Rzyttka, Die geistlichen 
Lieder d. Kl.er Hs. 1228, Diss. Wien 1952, maschr.; Fr. 
Zagiba, Die altesten mus. Denkmaler zu Ehren d. hi. Leo- 
pold, Zurich, Lpz. u. Wien (1954). 

Knarre -*■ Ratsche. 
Kniegeige-*- Viola da gamba (- 1). 
Koln. 

Lit. : G. Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in Coin, 
Kat., 3 Bde, Lpz. 1910-16; E. Wolff, Das mus. Leben in 
K., K. 1917; A. Schmitz, Arch.-Studien iiber d. mus. Be- 
strebungen d. K.er Jesuiten im 17. Jh., AfMw III, 1921; 
ders., Der Anteil d. Musik in d. K.er Jesuitendramen . . . 
1580-1700, Gregorius-BlattXLVI, 1921 ; ders., Monodien 
d. K.er Jesuiten, Zf Mw IV, 1 921/22 ; A. Stehle, Die offent- 
liche Musikpflege in K. als Statte d. Bildung, K. 1922; F. 
W. Lohmann, Das »Coll. mus.« d. alten K.er Jesuitenkol- 
legs, Jb. d. K.er Geschichts-Ver. V., 1923; H. Hack, Die 
Gesch. d. K.er Dommusik, ebenda; H. Nelsbach, Die Or- 
gelbauer d. K.erDoms, Gregorius-Blatt L, 1 926 ; W. Kahl, 
Die Musik an d. alten Univ. K., in: Fs. zur Erinnerung an 
d. Griindung . . . 1388, K. 1938; ders., Studien zur K.er 
Mg. d. 16. u. 17. Jh., = Beitr. zur rheinischen Mg. Ill, K. 
u. Krefeld 1953; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. 
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh., AfMf V, 1940; K. 
G. Fellerer, 2000 Jahre K.er Musik, Rheinische Blatter 
XX, 1943, H. 4; ders., Die K.er Dommusik u. d. kirchen- 
mus. Reform d. 19. Jh., in: Fs. Der K.er Dom, K. 1948; 
Beitr. zur Mg. d. Stadt K., hrsg. v. dems., = Beitr. zur rhei- 
nischen Mg. XXXV, K. 1959 (weitere Lit. dess. Verfassers 
in: Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962); P. Mies, Das 
K.ische Volks- u. Karaevalslied (1823-1923), = Denkma- 
ler rheinischer Musik II, K. u. Krefeld 1951; ders. u. Kl. W. 
Niemoller, Bibliogr. zur Mg. d. Stadt K., in: Beitr. zur 
Mg. d. Stadt K., = Beitr. zur rheinischen Mg. XXXV, K. 
1959; J. SmitsvanWaesbergheSJ, Mus. Beziehungen zwi- 
schen Aachen, K., Liittich u. Maastricht v. 11.-13. Jh., 
ebenda VI, K. u. Krefeld 1 954 ; H. Oepen, Beitr. zur Gesch. 
d. K.er Musiklebens 1760-1 840, ebenda X, 1955; Kl. Cre- 
mer, Das Ordinarium Missae in d. K.er Choralfassung d. 
19. Jh., KmJb XLIV, 1960; Kl. W. Niemoller, Kirchen- 
musik u. reichsstadtische Musikpflege im K. d. 18. Jh., 
= Beitr. zur rheinischen Mg. XXXIX, K. 1960; W. Arlt, 
Zum Repertoire d. K.er Domkapelle im ausgehenden 18. 
Jh., KmJb XLVII, 1963; H. J. Zingel, Das K.er Giirze- 
nichorch., K. 1963. 

Konigsberg. 

Lit. : A. Mayer-Reinach, Zur Gesch. d. K.er Hofkapelle 
1578-1720, SIMG VI, 1904/05; G. Kusel, Beitr. zur Mg. 
d. Stadt K. i. Pr., = K.er Studien zur Mw. II, K. 1923; B. 
Rottluff, Die Entwicklung d. offentlichen Musiklebens 
d. Stadt K. im Lichte d. Presse v. d. Mitte d. 18. Jh. bis zur 
Mitte d. 19. Jh., Diss. K. 1924, maschr.; H. Guttler, K. 
Musikkultur im 18. Jh., = K.er Studien zur Mw. IV, K. 
1925 ; I. Peper, Das Theater in K./Pr. v. 1750 bis 181 1 ... , 
Diss. K. 1928; M. Federmann, Musik u. Musikpflege zur 
Zeit Herzog Albrechts . . . 1525-78, = K.er Studien zur 
Mw. XIV, Kassel 1932; Die zwei altesten K.er Gesangbii- 
cher v. 1527, eingerichtet u. hrsg. v. J. M. Muller-Blat- 
tau, = Veroff. aus d. Staats- u. Univ.-Bibl. zu K. I, Kassel 
1933; E. Ross, Gesch. d. K.er Theaters v. 1811-34, Diss. 
K. 1935 ; L. Finscher, Beitr. zur Gesch. d. K.er Hofkapel- 
le, in: Musik d. Ostens I, Kassel 1962; W. Braun, J. Se- 
bastian! (1622-83) u. d. Musik in K., in: Norddeutsche u. 
nordeuropaische Musik, = Kieler Schriften zur Mw. XVI, 
Kassel 1965; E. Kroll, Musikstadt K., Zurich u. Freiburg 
i. Br. 1966. 

Kothen. 

Lit.: R. Bunge, J. S. Bachs Kapelle zu Cothen . . ., Bach- 
Jb. II, 1905 ; H. Waschke, Die Hofkapelle in Cothen unter 
J. S. Bach, Zerbster Jb. Ill, 1907; W. Vetter, Der Kapell- 
meister Bach. Versuch einer Deutung Bachs auf Grund 
seines Wirkens als Kapellmeister in K., Potsdam 1950; Fr. 
Smend, Bach in K., Bin (1951); E. K6nig, Neuerkennt- 
nissezu J. S. Bachs K.er Zeit, Bach-Jb. XLIV, 1957. 



Kolfda (kol'eda, polnisch; Plur. koledy) hat verschie- 
dene, auf Weihnachten bezogene Bedeutungen und 
heifit in der Musik s. v. w. Weihnachtslied. Nachweis- 
bar ist sie schon in Handschriften aus dem 12. Jh. Seit 
dem 15. Jh. steigt die Zahl der uberlieferten Koledy 
standig; auBer in Polen sind sie im tschechischen, slo- 
wakischen und bulgarischen Bereich anzutreffen. Die 
K. wird in der Kirche, in der hauslichen Gemeinschaft 
oder als Gliickwunsch-K. (zu Weihnachten und Neu- 
jahr) gesungen. Auf friihmittelalterliche Sequenzen 
und Hymnen zuriickgehend, bewahrten die K.-Me- 
lodien im kirchlichen Bereich ihren urspriinglichen 
Charakter. Daneben gab es im weltlichen Bereich den 
Volksliedern nahestehende (oder von diesen entlehnte) 
Weihnachtslieder, die meist Pastoralki (Hirtenlieder) 
genannt wurden; sie sind in groBer Zahl und vielen 
Varianten lebendig. K. bzw. Pastoralka sind auch Be- 
zeichnungen fiir Weihnachts- und Krippenspiele mit 
reichem Instrumentarium. Komponisten wie Dichter 
der Koledy blieben weitgehend anonym. Im 18./19. Jh. 
trat an die Stelle des ursprunglich-volksttimlichen Cha- 
rakters der K. ein Zug zur Sentimentalitat. K.-Melo- 
dien gingen vielfach auch in die slawische Tanzmusik 
ein. Die beruhmte, aus dem 18. Jh. stammende, wie- 
genliedartige K. Lulajze,Jezuniu ist als Hauptthema des 
Trios in Chopins Scherzo H moll op. 20 paraphrasiert. 
Ausg. : M. M. Mioduszewski, Pastoralki i koledy z melo- 
dyami,Krakaul843, Erganzungen Lpz. 1853; Z.Rothert, 
Polskie koledy, Warschau 1956; E. Grotnik, Polskie ko- 
ledy i pastoralki, Krakau 1957 (mit ausfuhrlichemVorw.); 
Kolenden, 25 polnische Weihnachtslieder, iibers. u. hrsg. 
v. M. Zollner, Hbg(1965). 

Lit. : St. Dobrzycki, O koledach (»Uber Koledy«), Posen 
1923 ; ders., Koledy polskie a czeskie. Ich wzajemny stosu- 
nek (»Polnische u. tschechische Koledy in ihren gegenseiti- 
gen Beziehungen«), Posen 1930; Lj. Romansky, Die ein- 
fachen Koledo-Refrains d. bulgarischen Weihnachtslie- 
der, Diss. Bin 1940, gedruckt in: Sbornik na Bulgarskata d 
Akad. na naukite XXXVI, 4, Sofia 1942; J. Prosnak, O 
melodiach koled polskich, Warschau 1956. 

Kolo (serbokroatisch, Rad), jugoslawischer Schreit- 
tanz von vorwiegend lebhafter, mitunter auch ruhiger 
Bewegung, in Slowenien meist als Singtanz ausge- 
f iihrt. Haufig wird er in einer langen Kette getanzt, der 
sich immer mehr Tanzer anschlieBen konnen. In Ver- 
bindung mit dem lokalen Brauchtum kennt der K. 
zahlreiche Arten der Ausgestaltung, die mit verschie- 
denen, auf den jeweiligen AnlaB bezogenen Spielele- 
menten verbunden werden konnen. - Ein K. ist der 7. 
Tanz der Slauischen Tiinze op. 72 von A. Dvorak. 

Koloratur (ital. coloratura, von lat. -*■ color) heiBen 
allgemein Verzierungen einer Gesangstimme _(-»■ Di- 
minution - 2) , speziell das Verzierungswesen in der Arie. 
Die K. steht in der Arie meist am Ende der einzelnen 
Abschnitte und verwendet Triller, Laufe durch weite 
Tonraume, groBe Spriinge sowie Sequenzen kleiner 
Motive, teilweise im AnschluB an die instrumentale 
Einleitung. - Die Geschichte der K. ist weitgehend 
durch den Gegensatz einer nur der Virtuositat und ei- 
ner auch der Dramatik dienenden Verzierung gepragt. 
So schrieb Mozart in der Entfiihrung aus dem Serail eine 
K.-Arie fiir die »gelaufige Gurgel« einer Sangerin; an- 
dererseits steht die K. im Part der Konigin der Nacht 
(Die Zauberflote) im Dienst der Dramatisierung und 
der Charakterisierung. Auch Sinn- und Ausdrucksge- 
halt bestimmter Worter und Satze konnen durch K.en 
abgebildet werden. - G. Caccini hatte 1601 eine »edle 
Leichtigkeit des Gesanges« (nobile sprezzatura di canto) 
gefordert, und in Monteverdis Orfeo ist eine Szene so- 
wohl unverziert als auch verziert notiert. Uber St. 
Landis Morte d'Orfeo (1619), worin Charon ein 3teili- 
ges Lied mit notierten K.en singt, reicht der Entwick- 



471 



Kolorierung 



lungszug der K. bis zu Cavalli, in dessen Opernschaf- 
fen in der Mitte des Jahrhunderts die K. als ein not- 
wendiger Bestandteil der italienischen Opernarie ver- 
ankert wird. Uber 150 Jahre blieb die K. ein teilweise 
notierter, teilweise von Sangern (vornehmlich ->• Ka- 
straten) improvisierter Teil der Arie. Bekannt durch 
ihr technisches wie musikalisches Konnen waren im 
18. Jh. Carestini und Farinelli, beide Schiiler von Ber- 
nacchi; unter den Sangerinnen ragte Faustina -*■ Hasse- 
Bordoni hervor. Gegen den auch in Deutschland seit 
dem Ende des 17. Jh. herrschenden Arientyp (Kusser, 
Keiser) steht der franzosische, in dem wegen der Ge- 
bundenheit der Musik an das Textmetrum die K. kaum 
eine Rolle spielt. Rossini zog um 1815 aus dem Verfall 
der Verzierungskunst, wie sie die Sanger iibten, die 
Konsequenz, samtliche K.en zu notieren. Wahrend in 
Italien auch in der Folgezeit die K. ein Bestandteil der 
Opernarie blieb (Verdi, Rigoletto), auch bei Weber 
(Oberon) und in der GroBen Oper noch eine Rolle 
spielte, wurde sie in Deutschland durch Wagner und 
in seinem EinfluBbereich als undramatisch verbannt. 
Der Wandel der Opernasthetik im 20. Jh., besonders 
der Ruckgriff auf Formen des 18. Jh. bei R.Strauss, 
stellte auch die K. wieder in den Dienst der Personen- 
charakteristik. Hochste Anforderungen an die techni- 
sche Perfektion der Gesangstechnik stellt Strauss in der 
K.-Arie der Zerbinetta (Ariadne auf Naxos). Drama- 
tisch verankert sind auch die K.en der Lulu (Berg). Bei 
Strawinsky wird die K. parodistisch mit der Aufnah- 
me alter Formen (Cabaletta) verwendet (The Rake's 
Progress). 

Lit. : H. Goldschmidt, Die Lehre v. d. vokalen Ornamen- 
tik I, Charlottenburg 1 907 ; E. Wellesz, Studien zur Gesch. 
d. Wiener Oper I, StMw 1, 1913 ; Fr. Habock, Die Kastra- 
ten u. ihre Gesangskunst, Bin u. Lpz. 1927; R. Haas, Auf- 
fiihrungspraxis d. Musik, Biicken Hdb. ; M. Hogg, Die 
Gesangskunst d. F. Hasse u. d. Sangerinnenwesen ihrer 
Zeit in Deutschland, Diss. Bin 1931 ; H. Faller, Die Ge- 
sangsk. in Rossinis Opern u. ihre Ausfuhrung, Diss. Bin 
1935; L. Medicus, Die K. in d. ital. Oper d. 19. Jh., Diss. 
Zurich 1939; G. Hausswald, Instrumentale Ziige im Bel- 
canto d. 18. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953 ; H. Chr. Wolff, 
Die Barockoper in Hbg (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbuttel 
1957. HK 

Kolorierung (von lat. colorare, ausschmiicken), ein 
Begriff, der von der Musikwissenschaft zur Analyse 
von Musik des spaten Mittelalters entwickelt wurde. 
Er wurde gewonnen zunachst im AnschluB an den Be- 
griff color (-»■ Color - 2), der aber im Sinne der Tech- 
nik der »Koloristen« (->■ Diminution - 2) des 16. Jh. ver- 
standen wurde (A. Schering) ; spater wurde jeder Zu- 
sammenhang mit Color geleugnet (R.v. Ficker). - Der 
Begriff K. soil das (hypothetische) Verfahren bezeich- 
nen, durch das eine melodische Vorlage soweit umge- 
bildet wird, daB eine neue Melodiegestalt entsteht. 
In der Geschichte des Begriffs K. sind jeweils ver- 
schiedene Aspekte betont worden. Schering entwickel- 
te an der Trecentomusik die These, die melismenrei- 
chen Oberstimmen seien unter Anlehnung an bereits Ge- 
gebenes, hier des Volksliedes, entstanden und man miisse 
sie »dekolorieren«, um die urspriinglichen Weisen 
wiederherzustellen : 

XL- * ~ 




Ficker und A.Orel die Frage, inwieweit die K. ein 
kompositorisches Verfahren war. Messen und Mo- 
tetten des friihen 15. Jh. wurden daraufhin untersucht, 
in welchem MaBe damals bekannte liturgische Melo- 
dien in ihnen verarbeitet waren. War fur Schering der 
thematische Urstoff eine plastische Liedgestalt, deren 
Formkrafte in die Komposition einflieBen, so ist fur 
v. Ficker die Vorlage nur eine beziehungslose Aufeinan- 
derfolge von Tonen ohne melodische Eigenbedeutung. Sche- 
ring wollte »Volkslieder« finden, v. Ficker mochte zei- 
gen, wie aus einem Geriist die Komposition entsteht. 
In dem folgenden Beispiel (DTO XXVII, 1, S. 98) 
sind die Tone der »Urmelodie« mit * bezeichnet. 



t) * 


# 




* 


* 




* * 


• 
















Sanctus 
A * 















Da zeitgenossische Quellen fehlen, blieb Scherings 
These unbewiesen. Stand bei ihm die Dekolorierung 
als analytische Methode im Vordergrund, so bei R.v. 



Th.Kroyer wandte sich gegen diese Annahme, derm sie 
stempelte den alten Phonasken zum Abschreiber. Auch 
konne die Ahnlichkeit zwischen Vorlage und kolorier- 
ter Gestalt wegen der Verwandtschaft vieler Melodien 
des gleichen Modus auf blofiem Zufall beruhen. - Im 
Gegenzug zu Kroyers Bedenkeh untermauerte v. Ficker 
seine Theorie 1924 historisch durch eine Geschichte 
der K.s-Technik in der Messenkomposition des friihen 
15. Jh. Von den notengetreuen Obernahmen ganzer 
liturgischer Melodien ausgehend, stellte er die K.s- 
Technik in eine Entwicklung, die zu immer weiter- 
gehender Freiheit gegeniiber den Vorlagen filhrte. Wo 
der strikte Nachweis nicht moglich war, half der Hin- 
weis auf die Tradition. J. Handschin diff erenzierte den 
Begriff der K. in Paraphrasierung (die Vorlage ist nur 
noch ideell vorhanden), Variierung (Nacheinander 
von Original und Bearbeitung der Melodie), Figurie- 
rung, Komprimierung (Auslassen von Tonen) und K. 
Seine Beispiele entnahm er hauptsachlich dem Reper- 
toire der englischen Ordinariumstropen. H.Besseler 
und W.Korte wiesen Scherings These, die Trecento- 
musik beruhe auf K., zuriick. Die Ordinariumskom- 
positionen, besonders die englischen, und die Hym- 
nenkompositionen des 14. und vor allem des friihen 15. 
Jh. aber gel ten allgemein als koloriert. - Nach 1945 hat 
sich die musikwissenschaftliche Themenstellung ver- 
andert : die kontrapunktische Technik wurde starker als 
die melodische akzentuiert; doch nahert sich der Ver- 
such, die Satztechnik einer Komposition durch Re- 
duktion auf deren kontrapunktische Geriiste zu unter- 
suchen, dem Verfahren der Dekolorierung. 
Lit.: A. Schering, Das kolorierte Orgelmadrigal d. Tre- 
cento, SIMG XIII 1911/12; ders., Studien zur Mg. d. 
Friihrenaissance, = Studien zur Mg. II, Lpz. 1914; A. 
Orel, Einige Grundformen d. Motettkomposition im 15. 
Jh., StMw VII, 1920; R.v. Ficker, Die Kolorierungstech- 
nik d. Trienter Messen, ebenda ; ders., Die friihen Messen- 
kompositionen d. Trienter Codices, StMw XI, 1924; Th. 
Kroyer, Denkmaler d. Tonkunst in Osterreich, Zf Mw V, 
1922/23, dazu R. v. Ficker, A. Orel, SchluSwort v. Th. 
Kroyer, ebenda ; P. Wagner, Zur Vorgesch. d. Missa, Gre- 
gorius-Blatt XLVIII, 1923; J. Handschin, Zur Frage d. 
melodischen Paraphrasierung im MA, ZfMw X, 1927/28; 
H. Besseler, Von Dufay bis Josquin, ZfMw XI, 1928/29; 
W. Korte, Studie zur Gesch. d. Musik in Italien im ersten 
Viertel d. 15. Jh., = Munsterische Beitr. zur Mw. VI, Kas- 
sel 1933 ; H. Federhofer, Akkordik u. Harmonik in friihen 
Motetten d. Trienter Kodices, Diss. Wien 1936, maschr.; 
E. H. Sparks, C. f. in Mass and Motet 1420-1920, Berkeley 
(Calif.) u. Los Angeles 1963. HK 

Kolumbien. 

Lit. : E. Closson, A propos de la zambumbia colombienne. 
Bull, de la Soc. Internationale de Musicologie II, 1930/31 ; 



472 



Komposition 



E. de Lima, La musique colombienne, ebenda; ders., La 
chanson populaireen Colombie, AMI IV, 1932; ders., Di- 
verses manifestations folkloriques sur la cote des Antilles 
en Colombie, AMI VII, 1935; J. I. Perdomo Escobar, Hist, 
de la miisica en Colombia, Bogota 1945; Fr. Bose, Die Mu- 
sik d. Chibcha u. ihrer heutigen Nachkommen, Internatio- 
nales Arch. f. Ethnographie XLVIII, 1958; H. Zapata 
Cuencar, Compositores colombianos, Medellin 1962; R. 
Stevenson, La miisica colonial en Colombia, Cali 1964; 
A. Prado Tovar, Traditional Songs in Choco, Colombia, 
= Inter- American Music Bull. Nr 46/47, Marz-Mai 1965. 

Kombinationen sind in der Orgel Kollektivziige, die 
durch Druckknopfe, Handgriffe oder FuBtritte eine 
festgelegte Anzahl von Registern (Organo pleno, Tutti 
u. a.) oder frei eingestellte Registrierungen (freie K., 
Setzer-K. ; engl. setter pistons) erklingen lassen. 

Kombinationstdne werden horbar, wenn durch 
->- Verzerrung von zwei oder mehreren gleichzeitigen 
Schwingungsvorgangen zusatzliche Schwingungen 
(Kombmationsschwingungen) entstehen. Ihre Frequen- 
zen ergeben sich rechnerisch als Summen bzw. Differen- 
zen der Primarf requenzen oder ihrer Vielf achen. Diffe- 
renztbne wurden zuerst von -> Tartini und -»• Sorge be- 
obachtet; H. v. Helmholtz postulierte auBerdem Sum- 
mationstone, die bisher aber nicht nachgewiesen wer- 
den konnten. Haben zwei Schwingungen das Verhalt- 
nis m : n, so bilden sich als Kombinationsschwingungen 
z. B. m- n (Differenzschwingung) bzw. m + n (Sum- 
mationsschwingung). Nach Husmann wird in iiber- 
sichtlicher Abkiirzung fiir den Kombinationston K, 
den DifEerenzton D, den Summationston S eingesetzt. 
Dazu zeigen Indizes an, welche Teilschwingungen den 
K.n zugrunde liegen; die Quersummen der Indizes ge- 
ben die Ordnung in der Potenzreihe an, in der sie ent- 
stehen. Die aus den Primarschwingungen m:« resul- 



5 o> o £ o < t> 



E 

si 







tierenden Kombinationen Ku erscheinen dann als Dn 
(m-«) und Sn (m+ri). Ebenso werden die Kombi- 
nationsschwingungen hoherer Ordnung dargestellt: 
S21 (2m + «) und S12 (m + 2n), bzw. D21 (2m- n) und 
D12 (m-2n) usw. Theoretisch lassen sich behebige 
Kombinationen bilden; gehort werden K. nur etwa 
bis zur achten Ordnung. 

Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
. . ., Braunschweig 1863, "1877, 61913; W. Preyer, Ober 
Combinationstone, Sb. d. Jenaischen Ges. f. Medicin u. 
Naturwiss. f. d. Jahr 1878, Jena 1879; C. Stumpf, Tonpsy- 
chologiell.Lpz. 1890,NachdruckHilversumu. Amsterdam 
1965 ; ders., Beobachtungen iiber subjektive Tone u. Dop- 
pelthoren, Zs. f. Psychologie u. Physiologie d. Sinnesorga- 
ne XXI, 1899; F. Krueger, Beobachtungen an Zweiklan- 
gen, in: Philosophische Studien XVI, 1900; ders., Zur 
Theorie d. Combinationstone, ebenda XVII, 1901 ; G. v. 
Bekesy, Uber d. nichtlinearen Verzerrungen d. Ohres, 
Annalen d. Physik XX, 1934; H. Husmann, Vom Wesen d. 
Konsonanz, in: Mus. Gegenwartsfragen III, Heidelberg 
1953 ; J. P. Fricke, Ober subjektive Differenztone hochster 
horbarer Tone u. d. angrenzenden Ultraschalls im mus. 
Horen, =K61ner Beitr. zur Musikforschung XVI, Re- 
gensburg 1960; H.-P. Reinecke, H. Riemanns Beobach- 
tungen v. »Divisionstonen« ..., in: H. Albrecht in me- 
moriam, Kassel 1962. WiD 

Komma. - 1) Das Verhaltnis des groBen zum klei- 
nen Ganzton ergibt das didymische oder syntonische 

K - t : f = i bzw - 203,9 ~ 182,4 = 21,5 Cent - Das 

Verhaltnis von 12 reinen Quinten zu 7 Oktaven er- 
gibt das pythagoreische K. (y) : (y) = g^gg bzw. 

701,96 • 12 - 1200 • 7 = 23,5 Cent. Fur das syntonische 
K. ist von A. v. Oettingen der K.-Strich (z. B. : "c) in die 
Buchstaben-Tonbezeichnung eingef iihrt worden (-> In- 
tervall). - 2) In der Literatur fiir Gesangsstimmen und 
Blasinstrumente wird das K.-Zeichen (') benutzt, urn 
die Stellen zu bezeichnen, bei denen geatmet werden 
soil; in ahnlichem Sinn angewendet kommt es in In- 
strumentalwerken vor, wenn eine »Luftpause«, d. h. 
eine nicht ihrem Werte nach notierte Unterbrechung 
beabsichtigt ist. 

Komplet (lat. completorium), - 1) die letzte Hore im 
-*■ Offizium der katholischen Kirche. Sie beschlieBt das 
tagliche Stundengebet. Im abendlandischen Liturgie- 
bereich wurde ihr Aufbau erstmals in der Regel des hi. 
Benedikt (Kap. 29) erlautert. Nach dem Romischen 
Brevier enthalt die K. folgende Teile: a) Officium ca- 
pituli (seit 1568) : Einleitende Benedictio Noctem quie- 
tam - Lectio brevis Fratres: Sobrii estote (1 . Petr. 5, 8-9) - 
Schuldbekenntnis (Confiteor) und Absolution; b) Of- 
ficium chori: 3 Psalmen mit Antiphon - Hymnus Te 
lucis ante terminum - Capitulum Tu autem (Jer. 14, 9), 
Responsorium breve In manus tuas und Versikel Custodi 
nos - Canticum Simeonis Nunc dimittis (Luc. 2, 29-32) 
mit Antiphon Salva nos - Oration Visita quaesumus - 
SchluBsegen - Marianische Antiphon. - Gegeniiber 
der romischen Form der K. zeichnet sich die monasti- 
sche durch groBere Einf achheit aus. Die K. der mailan- 
dischen Liturgie ist umf angreicher. - 2) Completorium 
war auch die Bezeichnung der SchluBantiphon im 
letzten Stundengottesdienst (Lucernarium = romische 
Vesper) des mailandischen und gallikanischen Ritus; 
beide Liturgien besaBen im Mittelalter keine K. 

Komposition (lat. compositio) in der Musik ist heute 
allgemein das tonschriftllch ausgearbeitete Werk, des- 
sen Gelingen schopferische musikahsche Begabung 
und umfassende Ausbildung voraussetzt und das mit 
der klingenden Ausfiihrung rechnet. (Im Sinne des 
-*■ Urheberrechts ist K. jede selbstandige Schopfung, 
unabhangig von ihrer kiinstlerischen Bewertung.) - 



473 



Komposition 



Durch die Person des Komponisten, besonders durch 
seine Stellung in der Gesellschaft, ist die K. vielfaltig 
verflochten mit der politischen, kirchen-, kultur- und 
sozialgeschichtlichen, der wissenschaf ts-, literatur- und 
kunstgeschichtlichen Situation ihrer Entstehungszeit. 
Gleichwohl ist das Komponieren ein spezifisches »Den- 
ken in T6nen«, das seiner eigenen GesetzmaBigkeit und 
Logik f olgt und das sich einerseits mit der -*■ Theorie 
der Musik auseinandersetzt, andererseits selbst als Ge- 
genstand der Reflexion Theorien zu beeinflussen, zu 
bestimmen und zu stiften vermag. Dem Studium der 
K. dient die K.s-Lehre (Harmonie- und Kontrapunkt- 
lehre; Zwolftontechnik; Rhythmik, Metrik, Formen- 
und Instrumentationslehre) ; doch kniipf t der Kompo- 
nist vor allem an die Werke der Meister an, die er sich 
(im einzelnen und Prinzipiellen) zum Muster wahlt. 
Die K. selbst aber mu6, um giiltig zu sein, die Forde- 
rung der Neuheit, der Originalitat erfiillen. - Als ton- 
schnf tliche Ausarbeitung von Musik - die der -> Im- 
provisation bzw. Stegreifausfuhrung gegeniibersteht 
(meist jedoch in der Ausfiihrung in bestimmter Weise 
mit ihr rechnet und kompositorisch sich mit ihr aus- 
einandersetzt) - ist die K. in ihren Anfangen und in 
ihrer Fortentwicklung mit der Geschichte der -»• No- 
tenschrift unlosbar verbunden. Voll greifbar ist sie 
im Bereich der Einstimmigkeit erst seit dem 9. Jh. 
(Sequenz, Tropus), in der Mehrstimmigkeit seit dem 
12. Jh. (-»■ Organum; -> Quellen: Calixtinus, SM) 
bzw. erst nach Ausbildung der -> Modalnotation 
(->• Notre-Dame-Epoche; -*■ Discantus), die dem Auf- 
zeichnen von Musik die Eindeutigkeit der Tondauern 
hinzugewann. Seitdem steht die Geschichte der K. im 
Mittelpunkt der abendlandischen -»• Geschichte der 
Musik und entlaBt jedes ihrer bedeutenderen Werke 
in eine Geschichte seines Verstehens, die sich in ->• In- 
terpretation, -> Auffiihrungspraxis und -*■ Editions- 
technik widerspiegelt. - In ihrer Logik und Art der 
Aussage ist die K. bedingt durch den geschichtlichen 
Status der tonsprachlichen Gegebenheiten (Tonsystem 
und Tonalitat, Verhaltnis von Stimme und Klang, 
Dissonanzbehandlung, Messung und Gliederung der 
Zeit durch Mensur bzw. Takt, Metrum und Rhyth- 
mus u. a.). Diese bilden, sich gegenseitig bedingend, 
jeweils ein System geltender musikalischer Werte, das 
die K. einerseits erfiillen muB, andererseits zugunsten 
neuer Sprachmoglichkeiten zu bereichern und zu ver- 
wandeln strebt. Die geschichtliche Relevanz einer K. 
griindet in der Kraft solchen Verwandelns, wahrend 
die K. als Erfiillung eines (oder ihres) Wertesystems 
ein epochal (oder personell) Jeweihges, also Unersetz- 
liches ist und somit - verbunden mit QuaUtat (die als 
Sinnfulle zu definieren und zu analysieren ist) - fort- 
dauernde Geltung zu erlangen vermag. Oberwiegt 
z. B. in Viadanas Cento concerti ecclesiastici oder in C. 
Ph.E. Bachs oder J. Stamitz' Schafien die geschichtliche 
Relevanz und zeichnet sich das Gesamtwerk z. B. von 
Schiitz, von J.S.Bach oder von W.A.Mozart durch 
eine die zeitgenossische Erfiillung eines Wertesystems 
iiberragende Qualitat aus, so verbindet die K.s-Kunst 
etwa Dufays, Monteverdis und Weberns beides in 
gleich hervorragender Weise. - Bei aller geschichtli- 
chen Bedingtheit hat die K. doch stets tonsprachliche 
Grundforderungen zu erfiillen, so die der FaBlichkeit, 
der Gliederung und des Zusammenhangs, der Man- 
nigfaltigkeit, des SchlieBens (-»■ SchluB), und kompo- 
sitionsgeschichthche Prozesse wiederholen sich, z. B. 
das Eindringen der Dissonanzen von der SchluBge- 
staltung ins Satzinnere oder die kompositorische Fixie- 
rung von zunachst improvisatorischen Zusatzen. Eine 
Reihe von Grundtatsachen kompositorischen Gestal- 
tens kann durch Begriffe wie Wiederholen (auch Se- 



quenz, Stimmtausch, Umkehrung), Nachahmen 
{-*■ Imitation), Verandern (-> Variation), Schmiicken 
(-»■ Color - 2, -> Diminution - 2, -*■ Figuren) um- 
schrieben werden. Auch Gesichtspunkte bleiben kon- 
stant, so die Beziehung zur Sprache, grammatisch, rhe- 
torisch, deklamatorisch (->■ Deklamation), die sich in 
Gestaltungsprinzipien und in der -+ Terminologie zu 
erkennen gibt, oder die sozialgeschichtlich veranlaBte 
Entstehung (z. B. als -»■ Festmusik oder als -*■ Salon- 
musik). Wenn auch die Geschichte der K. wesentlich 
nicht unter der Perspektive der Vervollkommnung 
(des »Fortschritts«) betrachtet werden kann, da jede 
Verwandlung des Geltenden neben Gewinn auch Ver- 
lust bedeutet, zeigt sie doch Zielstrebigkeit, nicht nur 
im Schaffen eines Komponisten (z. B. Haydns), son- 
dern auch innerhalb von Zeitabschnitten: Die mehr- 
stimmige Musik des Mittelalters steigerte vor allem die 
rhythmischen K.s- (zugleich Notierungs-)m6gUchkei- 
ten bis hin zur -*■ Ars nova (und Ars subtilior) des 14. 
Jh. ; J. S. Bachs Art der K. bedeutet den Hohepunkt der 
Zeit einer Auseinandersetzung von kontrapunktischer 
Stimmigkeit und sich emanzipierender Akkordlogik; 
und das 19. Jh. kann als eine Epoche der fortschreiten- 
den Sublimierung und der Auflosung der funktionalen 
Harmonik beschrieben werden. Dariiber hinaus kann 
die gesamte Geschichte der K. als zielstrebig angesehen 
werden : z. B. als Steigerung des Neuheitsanspruchs in 
Verbindung mit dem Anwachsen der kompositori- 
schen Moglichkeiten, zugleich als Fortschreiten von 
der Anonymitat des Komponisten (->■ Anonym) zur 
Nennung seines Namens (seit dem 14. Jh.) und zum 
Begriff des »ingenium« (16. Jh.) und dem des »Origi- 
nalgenies« (18. Jh.), oder als Entwicklung der K. von 
ihrer Nachbarschaf t zur Sprache im Mittelalter (-> Co- 
lor - 2, -> Flores, Clausula, -> Talea, auch Compositio, 
s. u.) zum Ausdruck der Sprache in Humanismus und 
Renaissance, weiterhin zur »Versprachlichung« der In- 
strumentalmusik im Barock, ihrer Auffassung als »rei- 
ner« Musik in der Klassik bis zum Entstehen des Be- 
griffs der -*■ Absoluten Musik im 19. Jh. und der »ab- 
soluten« (oder »totalen«) K. im 20. Jh. 
Das mittelalterliche Musikschrifttum gebraucht die 
Worter componere und compositio weithin in voka- 
bularer Bedeutung (oft in der Gegenuberstellung 
simplex-compositus), z. B. fiir das Zusammenfugen 
von einfachen IntervaUen zu abgeleiteten (CS III, 424b : 
. . . tonus cum dyapente . . . dicitur a tono et dyapente com- 
positus), von IntervaUen (simplices symphoniae) zu 
mehrtonigen Klangen (GS I, 162a), von Stimmen zu 
einem mehrstimmigen Satz (CS IV, 26b: simplex 
cantus - compositus cantus), von Noten (figurae sim- 
plices) zu einer Ligatur (CS III, 336), von Zeiteinheiten 
zu einem iibergeordneten Zeitwert (CS III, 137b). In 
einem terminologisch gefestigteren Sinn (gegeniiber 
der vokabularen Bedeutung jedoch nicht immer scharf 
abzugrenzen) bezeichnen componere und compositio 
die nach Tonf iihrung, GUederung und Rhythmik rech- 
te, auf Einheit, Mannigfaltigkeit und Wohllaut be- 
dachte Bildung eines Cantus, seit dem friihen 11. Jh. 
auch unter EinschluB seiner schrif tlichen Auf zeichnung 
(Guido von Arezzo, Micrologus, cap. XV: De commoda 
vel componenda modulatione, CSM IV, 162; Johannes 
Affligemensis, De arte musica, cap. XVIII : Praecepta de 
cantu componendo, CSM I, 117). Hierbei handelt es sich 
sehr wahrscheinlich um eine Anlehnung an den com- 
positio-Begriff der antiken Rhetorik, der das wohllau- 
tende Zusammenfugen der Worter zum Satzganzen 
benennt, in bezug auf GUederung, Wortwahl und -ver- 
bindung mit dem Ziel des recte und des bene dicere. 
Neben componere in der fixierten und seit dem 13. Jh. 
immer ausschlieBlicher auf die mehrstimmige Musik 



474 



Komposition 



eingegrenzten Bedeutung steht das Wort modulari 
(Johannes Affligemensis, ebenda H: ... modulatur id est 
componitur) ; modulari ist in seiner spezifisch musikali- 
schen Verwendung jedoch alter und zunachst zentraler 
als componere und einerseits konkreter in seinem an 
Modus angelehnten Sinn, andererseits umfassender in 
seinem Anwendungsbereich (->• Modulatio). Bis ins 
spateMittelalter stehen neben componere und modulari 
- teils gleichbedeutend und gleichrangig - die Worter 
fingere (Boethius, De institutione musica I, 34), facere 
(Guido, CS IV, 167), formare (Johannes de Grocheo, 
ed. Rohloff, S. 57), ordinare (tenorem; Aegidius de 
Murino, CS III, 24), notare (Anonymus A. de Lafage, 
Ann. Mus. V, 1957, S. 30), edere (Quartumprincipale, CS 
IV, 268), scribere (Prosdocimus de Beldemandis, CS 

III, 194). Ebenso wie dieseWorter erscheint auch com- 
ponere bis ins 15. Jh. fast stets in Verbindung mit einem 
es naher bestimmenden Objekt (componere cantum, 
cantilenam u. a. ; compositor cantus bzw. cantuum). - 
Obwohl vor allem das -> Organum im Stadium Pero- 
tins, die -> Motette seit Vitry, der ->■ Kantilenensatz 
seit Machaut, die ->• Ballata und das -»■ Madrigal seit 
Landini als hochentwickelte K.s-Kunst zu beurteilen 
sind und die Geschichte der mittelalterlichen K. im 
Fortschreiten vom -> Discantus zum Contrapunctus 
(-»■ Kontrapunkt) und von der -> Notre-Dame-Epo- 
che zur -»■ Ars antiqua und -»■ Ars nova und zum Auf- 
bliihen der Kunst des -» Trecentos als ein bestandiges 
Erweitern und Verwandeln des Systems der musika- 
hsch geltenden Werte sich darstellt, hat sich im mittel- 
alterlichen Denken der Begriff der K. im modernen 
Sinn der schopferischen Leistung eines Individuums 
nur langsam (etwa seit dem 13. Jh.) entwickelt. Das 
Bilden, Machen, Schreiben, Notieren, Finden und Er- 
finden verstand sich in erster Linie als artifizielles, d. h. 
auf Wissenschaft, Lehre und Fertigkeit beruhendes 
Zum-Erscheinen-Bringen eines durch Uberlieferung 
und Auctoritas zu erhellenden, in der Contemplatio zu 
ergriindenden immerwahrenden Seins und Wesens 
des Klingenden als -»■ Harmonia. 

Im 15. und 16. Jh., zur Zeit des -*■ Humanismus und 
der Renaissance, steigerten sich Moglichkeiten und 
Freiheit der K. in Verbindung mit dem Aufkommen 
der fruhneuzeitlichen Harmonik (des neuen Ideals 
klanglicher Suavitas anstelle des Primats rhythmischer 
Subtilitas), der C. f.-freien K., der Text- und Affekt- 
darstellung und des musikalisch-kompositorischen 
Ziels der Varietas, Elegantia, Exornatio, Expressio. Fur 
Tinctoris (Liber de arte contrapuncti, \ i Hl ' , Prologus, CS 

IV, 77b) gibt es erst seit den 1430er Jahren, dem Schaf- 
fen Dunstables, Dufays und Binchois', dem Beginn der 
-*■ Niederlandischen Musik (-*■ Franko-flamische Schu- 
le), quippiam compositum . . ., quod auditu dignum ab 
eruditis existimetur. Er unterscheidet nun aufs deutlich- 
ste die Stegreifausfuhrung der Mehrstimmigkeit durch 
die Concentores (concentus super librum, super librum 
cantare; -»■ Sortisatio) und die schrifthch ausgearbeitete 
mehrstimmige Musik (cantus compositus ; -*■ Res facta) 
und definiert den Compositor: est alicujus novi cantus 
editor (Diffinitorium, 1473/74). Auch z. B. Glareanus 
setzt sich in seiner Gegeniiberstellung von Phonascus 
und -»■ Symphoneta (letzterer »jetzt allgemein« com- 
positor genannt, Vorrede zum III. Buch des Dodeka- 
chordon, 1547) und in seiner Wiirdigung der bedeuten- 
den Symphoneten seiner Zeit (De Symphonetarum in- 
genio, ebenda III, cap. XXVI) mit der neuen Geltung 
des Komponisten auseinander. An die Stelle des spat- 
mittelalterlichen musicus-cantor tritt der musicus- 
componista (Gurlitt), der das theoretische Wissen ganz 
in den Dienst der Schaffenspraxis stellt. Das musikali- 
sche Werk gilt in seinem Gelingen als abhangig von 



den Viribus ingenii (naturali quadam ac ingenita virtute 
magis quam arte, Glareanus, II, cap. XXXVIII), vom 
impetu quodam naturali (Coclico 1552), vom celeste in- 
flusso (Aaron 1545) ; es folgt im LehrprozeB des Nach- 
ahmens von Exempla den gepriesenen Vorbildern, 
muB jedoch selbst neu und an der bestandigen Ver- 
vollkommnung der Musik beteiligt sein; als opus per- 
fectum et absolututn uberdauert es den Tod und begriin- 
det den Nachruhm des Komponisten (Listenius 1537). 
Neben den Begriff des Contrapunctus, der - schon 
auf Grund seines Namens - an bestimmte Satzprin- 
zipien gebunden blieb (-> Kontrapunkt), trat seit An- 
fang des 16. Jh. der zum selbstandigen Begriff ge- 
festigte Terminus compositio, zunachst gleichbedeu- 
tend, dann in dem umfassenderen Sinne der »Gestal- 
tung« (constitutio cantilenae, A. Ornitoparchus 1517). 
Compositionis regula liberior est, et in hacplura licent quam 
in contrapuncto (Coclico 1552). Der compositio-Begriff 
schloB hinfort den extemporierten Kontrapunkt aus, 
bezog den Contrapunctus scriptus mit ein und ver- 
mochte von nun ab alle Neuerungen der musikalischen 
Setzkunst zu umgreifen. Die Kontrapunktlehre im 
friihhumanistischen Stadium der Lehrbucher von Gaf- 
fori (ab 1478), Adam von Fulda (1490) und -»■ Tincto- 
ris wurde zur K.s-Lehre (ars componendi) erweitert. 
Diese Entwicklung wurde besonders gefordert von 
einer an der Kolner Universitat zentrierten Schule der 
Musiklehre (-> Wollick und Schanppecher, -»■ Coch- 
laeus, -»• Glareanus) und stand stark unter dem EinfluB 
der K.en Josquins. Zu nennen sind die gedruckten 
Lehrbucher von Schanppecher (ars componendi, = Teil 
4 des Opus aureum musicae, Koln 1501), Cochlaeus 1511, 
Ornitoparchus 1517, Galliculus 1520 und Luscinius 
1536. In Deutschland entstand seit der Mitte des 16. Jh. 
eine eigene Art und Tradition der K.s-Lehre unter der 
humanistischen Benennung -* Musica poetica (-*■ Me- 
lopoie). In Italien erschienen die Lehrwerke der Wil- 
laert-Schiiler Vicentino (1555) und Zarlino (1558), des- 
sen grundlegende Neufassung der Musica prattica 
weithin ausstrahlte (Artusi ab 1586, Zacconi 1592, Cal- 
visius 1592, Morley 1597, Sweelinck), jedoch in Italien 
selbst bereits seit den 1570er Jahren bei den Verfech- 
tern der neuen K.s-Art zum Inbegriff alter, zu iiberho- 
lender Theoreme wurde (->■ Camerata). Neben der 
vokalmusikahsch konzipierten K.s-Lehre und in Ver- 
bindung mit dem systematischen Ausbau der Lehre 
von der (auch vokalen) -> Diminution (- 2) und ->• Va- 
riation erstarkte die Spiellehre fiir den Organisten 
(-> Fundamentbuch; Schlick 1511) sowie die instru- 
mentale Handwerkslehre allgemein (M. Agricola 1529) 
und speziell fiir Tasteninstrumente (Virdung 1511, G. 
Diruta 1593), Laute (Judenkiinig um 1515, 1523, H. 
Gerle 1532, 1552, Newsidler 1537), Streichinstrumente 
(Ganassi 1542/43, Ortiz 1553) und Blockflote (Ganassi 
1535). 

Die Geschichte der K. im 16. und beginnenden 17. Jh. 
wurde entscheidend bestimmt durch die zunehmend 
klanglich-akkordischeRechtfertigungdesSatzes(-»-Ak- 
kord - 1 ; ->■ BaB - 1 ; ->• Fundamentum), durch die neu 
entstehende selbstandige -*■ Instrumentalmusik (-> Ri- 
cercar, -> Toccata usw.) und vor allem durch das sich 
steigernde Streben nach Ausdruck (des Textes und der 
Affekte), der gegeniiber dem Kontrapunkt ein neues, 
in Akkordik und Instrumentalismen begriindetes, bald 
auch die reine Instrumentalmusik einbeziehendes Sy- 
stem des Geltens und Bedeutens der Tonsetzungen 
rechtfertigte und konstituierte. Die Neuerungen zen- 
trieren sich um die Begriff e: -> Coro spezzato, -> Mehr- 
chorigkeit, ->■ Concerto; -*■ GeneralbaB; -> Musica re- 
servata, -*■ Monodie, ->■ Seconda pratica (->• Chroma- 
tik, ->• Durezza, ->■ Konsonanz/Dissonanz - 1). Gleich- 



475 



Komposition 



zeitig hatte die weitgehende Unvereinbarkeit alter und 
neuer K.s-Prinzipien ein Auseinanderfallen der K. in 
»Stile« zur Folge. - GemaB den wichtigsten K.s-Stilen 
des 17. Jh. (-»• Barock): dem vornehmlich von der 
katholischen Kirche sanktionierten »alten« (contra- 
punctischen) Stilus ecclesiasticus und dem die motetti- 
sche a cappella-Tradition erneuernden Stil der Chor- 
musik, ferner dem neuen monodischen bzw. solistisch 
concertierenden Stil und dem damit verbundenen Ge- 
neralbaB, gliedert sich die K.s-Lehre seit Beginn des 
17. Jh. (entsprechend der neuen ->• Stil-Lehre) in eine 
Lehre, die wesentlich im uberlieferten Kontrapunkt, 
dem »Palestrina-Stil«, verharrt (so Berardi 1690 und 
noch Fux 1725) und eine Lehre, die auf ihn eine K.s- 
Lehre aufbaut (so z. B. die Musica poetica von Herbst, 
1643, und die Praecepta der Muskalischen Composition 
von J. G. Walther, hs. 1708), ferner eine auf den Stilus 
recitativus zugeschnittene Lehre (Chr.Bernhard), ne- 
ben der die praktische Generalbafllehre steht. Der Ge- 
neralbaB, von Fr.Gasparini 1708 als composizione es- 
temporanea bezeichnet, wurde seit der Wende zum 18. 
Jh. auch als Weg zur Composition gelehrt (Niedt, Mu- 
sicalische Handleitung I, 1700; auch Heinichen, Der Ge- 
neralbafi in der Composition, 1728, Sorge 1745-47 und 
noch Kirnberger 1781) und blieb mit der seit Rameaus 
Traite de Vharmonie (1722) entstehenden -> Harmonie- 
lehre bis ins 19. Jh. verbunden. - Gegeniiber dem aus 
vokalmusikalischer Tradition entworfenen, vom 2st. 
C. f.-Satz ausgehenden Gradus ad Parnassum von Fux 
(1725) war J. S.Bachs K.s-Lehrgang instrumentalmu- 
sikalisch (»clavieristisch«), klanglich (»harmonisch«) 
konzipiert: Nach dem Zeugnis seiner Schiiler (Kirn- 
berger, C. Ph. E.Bach, der Forkel berichtete) begann 
Bachs K.s-Unterricht mit dem Spielen und Aussetzen 
des Generalbasses (nach Niedts Handleitung, Spitta II, 
S. 597ff.) und der 4st. Harmonisierung von Choralme- 
lodien; erst auf dicscr Basis des vollstimmigen Akkord- 
satzes erfolgte die Unterweisung in jenen K.s-Arten, 
denen Bachs Lehrwerke (namentlich Inventionen, Wohl- 
temperiertes Klavier und Kunst der Fuge) als Muster die- 
nen. DaB Bach seiner Lehre den protestantischen Cho- 
ral zugrunde legte, beleuchtet das fiir den Reichtum 
seines Tonsatzes bezeichnende Sich-Durchdringen des 
modalen (kirchentonalen) und des dur-moll-tonalen 
Systems der Ton- und Klanggeltung (Beispiel: O 
Haupt uoll Blut und Wunden) . Und wenn C. Ph. E. Bach 
die Grundsatze des Vaters »antirameauisch« nennt, so 
mag damit generell Rameaus vereinfachendes Zuriick- 
fiihren der Harmonik und Stimmfiihrung auf jene 
principes naturels gemeint sein, die freilich in der Folge- 
zeit maBgebend wurden. 

In der Vorklassik (-» Mannheimer Schule, ->• Wiener 
Schule - 1 ; C. Ph. E. Bach, J. Chr. Bach) wurde das Sy- 
stem des Geltenden zu Grundprinzipien einer wesenhaf t 
instrumentalmusikalischen Tonsprache hin verwan- 
delt, die dann in der Klassik eine »Norm« darstellen: 
klare Kadenz-(Funktions-) Harmonik, (tanz)liedhaftes 
Singen der Melodie, ausgepragte Takt- und Taktgrup- 
penmetrik in Form von Satzgliedern (Einzeltakt, Takt- 
gruppe, Halbsatz, Periode), die - in Verbindung mit 
der Dynamik und im Wechsel mit (oft sequenzieren- 
den und modulierenden) »Entwicklungs«-Partien - 
nach dem Prinzip des Aufstellens und Beantwortens 
miteinander korrespondieren (-* Symmetrie) und als 
bestandiges (abgestuftes) Endigen und Neuanfangen 
das Kontrastieren ermoglichen. Die Form dieses Gel- 
tenden, in welchem das spezifisch Menschhche (zu- 
nachst ebenfalls noch durch Konvention genormt) sich 
ins Spiel bringt, ist vor allem die -»• Sonatensatzform 
und der Sonaten-Satzzyklus (mit Lied-, Variations- und 
Rondoformen) und speziell das -*• Menuett, das als 



Tanzliedtypus jene kompositorischen Grundprinzipien 
bietet und fordert und dessen Stellung im K.s-Unter- 
richt der Mozart-Zeit etwa derjenigen des Chorals in 
Bachs K.s-Lehrgang zu vergleichen ist. Die wichtig- 
sten K.s-Lehren des spateren 18. Jh., Riepel (1752) und 
H. Chr. Koch (1782-93), stellen die Taktgruppenmetrik 
des -»■ Satzes in den Vordergrund, exemplifizieren sie 
vorzugsweise an Tanzsatzen (besonders Menuetten), 
erklaren die Normalf alle und kodifizieren die Abwei- 
chungen. Doch die Wiener -*■ Klassik beginnt dort, 
wo auf der Grundlage des Normativen die K. als ein- 
maliger Fall verwirklicht, das spezifisch Menschhche 
zum individuell Menschlichen gesteigert wird, wie 
z. B. schon im Trio von Mozarts Menuett K.-V. 65a 
(Nr 4) von 1769, wo - bei Ruckgriff 
auf s erste Taktmotiv des Menuetts 
das Taktmetrum (' « ^) durch Be- 
tonungskeil, Uberbindung und wechselnde Phrasie- 
rung »Leben« erhalt, um im Nachsatz um so deutlicher 
als das Normgebende hervorzutreten: 



iff 4 , ?t f-y-f- 




$=3==H=£ 



M 



/ 



•>■■]}> r 1 1 ^^ 



m 



^ 



^ 



^ 



rrr j | r t -. 



^m 



^m 



Das Komponieren als Umgehen mit dem Normativen 
(im Sinne des Abweichens, Eingreifens, Durchbre- 
chens) steigert die Wiener Klassik zu hochster Subtili- 
t'at in Symphonie, Sonate, Konzert, Oper und Kirchen- 
musik, Fantasie und Fuge, besonders im -»■ Streich- 
quartett. Dabei bereichert sie die K.s-Kunst dutch Aus- 
bildung des -> Obhgaten Akkompagnements, der 
-> Durchbrochenen und der -*■ Thematischen Arbeit, 
der -> Durchfiihrungs-Technik, des Ableitungs- und 
Variationsverfahrens der Motive, Themen und Satze 
so wie generell durch Ankniipf en an das lebenswirkliche 
Agieren der Opera buff a, Einbeziehen der Wiener kon- 
trapunktischen Schultradition undLernen an J. S.Bach. 
Mittelpunkt und Inhalt der klassischen Kunst ist der 
Mensch in seiner Lebendigkeit und Individualitat, Frei- 
heit (durch Bindung) und durchgeistigten Schonheit. 
DaB das spezifisch Menschhche in Form des liedhaften 
Singens, des Sich-Bewegens im Takt und des korre- 
spondierenden »Aufstellens und Beantwortens« den 
normgebenden Prinzipien als solchen schon innewohnt, 
ermoglichte die volhge Einigung von Meinen (Inhalt) 
und Erscheinen (Form) der K. und somit die immer 
wieder bewunderte »Reinheit« dieser Musik, die in 
dem Sinne rein ist, dafi ihr - in Erfiillung des der Mu- 
sik wesentlichen Unbegrifflichen und Ungegenstand- 
lichen - kein vom Komponisten beabsichtigter begriff- 
licher Inhalt eingestaltet zu sein braucht. 
Die Geschichte der K. im 19. Jh. kann beschrieben wer- 
den als bestandige Auseinandersetzung mit der Wiener 
Klassik (und zunehmend mit der -> Geschichte der 
Musik iiberhaupt), einerseits als bewuBtes Ankniipf en 



476 



Komposition 



und Weiterfiihren (Mendelssohn, Schumann, Brahms, 
Reger), andererseits als erklarter Wille zum Neuen 
(Berlioz, ->■ Neudeutsche Schule, ->■ Zukvinftsmusik). 
Konservativismus und Fortschrittsfanatismus bildeten 
eine jener Antithesen, die das 19. Jh. kennzeichnen 
und die in Erscheinung traten z. B. auch als Gegensatz 
der Qualitat (Epigonentum und totales Vergessen- 
werden - hochste Genialitat und geschichdiche Rele- 
vanz), alsWiderstreit sozialgeschichtlicher Gegebenhei- 
ten (Kiinstler-Publikum; Bourgeoisie-Masse; Haus- 
lichkeit-Offentlichkeit) und als Kontraste der GroBen- 
ordnung: einerseits biedermeierliche Geniigsamkeit und 
»schone Gemiitlichkeit« (Schumann 1840), das extrem 
Kleine als -> Charakterstiick, ->• Salonmusik, -»■ Haus- 
musik, auch etwa in Schumanns K.en »£iir die Jugend« 
(op. 68 und 79 mit Titelblattern von L.Richter), an- 
dererseits das Phantastische und Gigantische, das ex- 
trem GroBe in Musikdrama, Symphonie, auch etwa als 
->■ Pestmusik. - Kompositorisch erscheint der antithe- 
tische Grundzug der Musik des 19. Jh. vor allem im 
Auseinanderbrechen der klassischen Einigung von Mei- 
nen und Erscheinen in die Dualitit von »Inhalt« (-> Aus- 
druck) und »Form« (-»• Absolute Musik). Das Abstra- 
hieren der Form (auch als -*■ Formenlehre) bedeutete 
die Isolation des Inhalts, der, von der musikalischen 
-*■ Romantik vielfaltig begrifflich umschrieben und 
»gewollt«, zu einer die K. motivierenden Instanz erho- 
ben wurde und als solche die »Reinheit« (Gegenstands- 
und Begriffslosigkeit, Absolutheit) der Musik in Frage 
zu stellen begann. Mit Beethoven entstand eine Kunst, 
die mit einet gewissen Betonung iibet sich selbst hinausweist 
(im Sinne von willensmiifiiger Anspannung, Tugendim- 
puls, Kraftausbriichen), so daB wit bei Beethoven mit det 
tein musikalischen . . . Anschauung nicht auskommen 
(Handschin 1948, S. 349ff.). Weithin im 19. Jh. ist ein 
von auBen her Kommendes, inhaltlich Beabsichtigtes, 
das Bewegende der stonend bewegten Form«. Es hat 
die Namen: Programm (-> Programmusik) ; oder das 
biographisch faBbare, in der Intimsphare beheimatete 
Erleben (Berlioz plante seine Symphonie fantastique als 
ein Werk, oil le developpement de mon infemale passion 
doit ette peint; Lettres intimes, hrsg. von Ch. Gounod, 
Paris 1882, S. 63) ; oder das Beeindrucken undSchockie- 
ren (Berlioz' Huit scenes de Faust sollten epouvantet le 
tnonde musical; ebenda S. 30); oder Menschheitsrevolu- 
tion (Wagners »vollkommenes Kunstwerk« ist ihm Vor- 
bereitung und Ausdruck der vollkommenen mensch- 
lichen Gesellschaft, die an die Stelle der Unfdhigkeit 
unsetet ftivolen Kultut zu treten hat; Das Kunstwetk det 
Zukunft, 1850); oder »Todesverkiindigung«, »Erge- 
bung«, »Verklarung« (Bruckner iiber seine 8. Sympho- 
nie am 27. 1. 1891) ; oder Sehnsucht nach der Natur als 
dem Unverdorbenen und Heilen (Mahler am 18. 2. 
1896 iiber seine Musik: Sie ist immet und ubetall nut Na- 
tutlaut!). Det Rifi etfolgt von dtitbenjenseits det eigenen Be- 
wegung det Musik. In sie witd eingegtiffen (Adorno, Mah- 
let ..., 1960, S. 11, im Hinblick auf Mahlers 1. Sym- 
phonie, 1. Satz, Partitur S. 35). Am feinsinnigsten und 
musikalischsten ist das die Musik Bewegende im 19. 
Jh. durch den Begriff des »Poetischen« bezeichnet, der 
auch im Wort »Tondichter« angesprochen ist (er habe 
gedichtet, odet wie man sagt komponitt, schrieb Beethoven 
an Nanette Streicher, 30. 7. 1817). . , , eine neue poeti- 
sche Zeit votzubeteiten, beschleunigen zu helfen, gehorte 
zu Schumanns Zielen seiner Neuen Zeitschrift fiir Mu- 
sik (zur Eroffnung des Jahrganges 1835). Der Ausdruck 
der K. ist um so »poetischer«, je meht . . . det Musik vet- 
wandte Elemente die mit den Tonen erzeugten Gedanken 
odet Gebilde in sich ttagen (Schumann, Rezension von 
Berlioz' Symphonie phantastique, 1835). Das Dichteri- 
sche der Musik beruht auf Analogien und Assoziatio- 



nen und ist s. v. w. das Musikalische der Dichtung 
bzw. das am Gegenstandlichen kunstlerisch verdichtete 
Gef iihls- oder Stimmungsmoment : eine Ftuhlingsddm- 
metung oder das Bild eines Schmettetlings, det auf einem 
Blatte am Bache mit fottschwimmt. Das Poetische ist die 
Kraft, die die scheinbate Fotmlosigkeit rechtfertigt und 
die Musik von der Vorder- und Nachsatzentsprechung 
und vom Gesetz det Taktschwete befreit, so daB sie sich 
zu einet hbheten poetischen Intetpunktion (wie ... in det 
Ptosajean Pauls) selbstandig [zu] etheben scheint (Schu- 
mann, ebenda) . - Damit ist der kompositionsgeschicht- 
liche ProzeB des 19. Jh. angedeutet, der zur Musik des 
20. Jh. fiihrte. Das die K. Motivierende (das inhaltlich 
Beabsichtigte) war die eigentlich geschichtliche Kraft; 
. . . aufietmusikalische Tendenzen . . . waten die Utsachen 
von Vetandetungen in alien Etscheinungsfotmen det musi- 
kalischen Substanz (Schonberg 1957, S. 74). Indem die- 
se Tendenzen harmonisch, melodisch, metrisch das 
System des Geltenden zu den Grenzen der Tonalitat 
hin zu verwandeln, die uberkommenen Formen zu 
sprengen und neue, je individuelle und darum von ih- 
rem inhaltlichen Moment nicht mehr abstrahierbare 
Formungen zu bilden vermochten, hoben sie den 
Form/Inhalt-Dualismus wieder auf und fiihrten die 
Musik zu neuer Reinheit in sich selbst. Diese neue Ab- 
solutheit der Musik brach als -»■ Neue Musik am deut- 
lichsten in der -> Atonalitat und Expressivitat der 
-> Wiener Schule (- 2) hervor : die Materialitat der Mu- 
sik erlangt erneut Autonomic; Inhalte werden sprach- 
lich unformulierbar; das Komponieren selbst verab- 
solutiert sich in dem MaBe, wie Stil-, Gattungs- und 
Formkategorien sekundar werden und der komposi- 
torische ProzeB in die »Materialerstellung« einriickt 
(->• Serielle Musik, -* Elektronische Musik, -»■ Mu- 
sique concrete) ; Form entsteht (wie ihr »Inhalt«) jedes- 
mal neu, oder sie wird dem Mitspielen des Zufalls 
(->• Aleatorik) preisgegeben. Das musikahsche Material 
ist nicht mehr durch Selektionsprozesse beschrankt 
und durch ein System des Geltenden pradeterminiert, 
sondern strebt nach Unbegrenztheit, die (von Fall zu 
Fall) kompositorisch begrenzt werden muB. K. wurde 
seit Schonberg, Berg und Webern somit auch in dem 
Sinne »total«, daB sie sich der Formulierbarkeit von 
Regeln zu entziehen schien und sowohl die Komponisten 
als auch die Zuhotet nut aufihten Instinkt angewiesen sind 
(Bartok 1920). Wetwagthiet Theotie zufotdetn! (Schon- 
berg, SchluBsatz seiner Harmonielehte, 1911). - Doch 
gerade die Versuche theoretischen Durchdringens der 
Musik der Wiener Schule (besonders der K.en We- 
berns) stehen im Hintergrund der Seriellen Musik, de- 
ren Exponenten nicht nur Merkmale des Tones (Quali- 
tat, Hohe, Farbe usw.), sondern auch die Eigenschaften 
des Tonsatzes (Gefiige, Dichte, Gruppierung usw.) 
pradeterminieren. Die Begrenzung der unbegrenzten 
Materialitat (die Klarstellung des Geltenden) geschieht 
hier nicht mehr eigentlich kompositorisch als Setzen 
von Tonen, sondern die K. gehorcht dem Plan, der 
sie steuert. Das Problem der Neuen Musik nach 1950 
scheint das Horproblem zu sein, namlich die Erschei- 
nung, daB in der Musik das Ausdenken wesentlichet 
witd als das Ausfiihten und Anhbren (Kf enek 1955, S. 35). 
Doch das wird vorubergehen. 

Die groBen Lehrbucher der K. von Momigny (1803- 
06), A.Reicha (ab 1818), G.Weber (1817-21), Logier 
(1827), A.B.Marx (1837-47), Lobe (1850-67), Sechter 
(1853-54), Prout (in Einzeldarstellungen ab 1876), Ja- 
dassohn (1883-89), d'Indy (ab 1903) verbinden in stu- 
fenweisem Aufbau die aus Klassik und Barock abstra- 
hierten Lehrgegenstande : Harmonielehre (mit Melo- 
dielehre und Satzbau; kleinere Formen), Kontrapunkt 
(mit Kanon und Fuge), Formen- und Instrumentations- 



477 



Komposition 



lehre (zusammengesetzte Formen, Stilarten, Gattun- 
gen, Orchestersatz, Ensemblesatz) . Dabei f iihrt der Weg 
von der »reinen« zur »angewandten« K. (Marx), vom 
»reinen Satz« zur »freien K.« (Jadassohn), von der »mu- 
sikalischen Zeichnung« (Formgebung) zur »musikali- 
schen Farbengebung und speziellen Charakteristik« 
(Riemann, Vorwort 1913, S. V) und stellt die Analyse 
von Beispielen aus der Geschichte in den Mittelpunkt. 
Die Tradition der K.s-Lehre des 19. Jh. brachte H.Rie- 
manns Grofie Kompositionskhre (1902-13) zu einem ab- 
schlieBenden Hohepunkt. Seine Vorganger sind vor 
allem H.Chr.Koch (Periodenbau), Momigny (»Takt- 
moriv«- und Phrasierungslehre, wobei manche, speziell 
metrische Einsicht dem Systemzwang Riemanns zum 
Opfer fiel), G.Weber (Funktionsbezeichnungen) und 
Marx (Anlage der K.s-Lehre). Riemanns Lehre setzte 
sich zum Ziel, das Bleibende in der Erscheinungen Wechsel 
seiner ewigen Bedeutung nach zum Bewufitsein zu bringen: 
die innere Gesetzmafiigkeit, die zwingende Logik, welche 
alles Kunstschaffen alter Zeiten beherrscht (Vorwort 1913, 
S. VII). Und es kennzeichnet die Situation, wenn Rie- 
mann 1913 urteilt, dafi das Neue an dem Neuesten . . . 
sich in absichtlichen Gegensatz zu dem durch hartes Ringen 
von Jahrhunderten erreichten Normativen setzt, dafi es eben 
darum sich einer systematischen Darstellung entzieht und 
nicht Gegenstand einer schulmdfiigen Lehre sein kann (eben- 
da). Gleichwohl bleibt es gultig fur den Lernenden, 
- ob er an Schonberg oder Hindemiths Lehrwerk an- 
kniipft, ob er sich Bartok oder Strawinsky zum Vor- 
bild wahlt oder ob er auf der Basis der Zwolftontech- 
nik und Seriellen Musik neue Wege sucht - : daB er die 
Kunst weiterfuhren soil, ausgeriistet mit dem Konnen derer, 
die vor ihm schufen (Riemann 1902, S. 2). 

Bibliogr.: — > Kontrapunkt, — >Musica poetica, — >Harmo- 
nielehre, — » Formenlehre, — > Zwolftontechnik, — > Elektro- 
nische Musik, — » Serielle Musik, — » Theorie d. Musik. - 
Im f olgenden gilt d. Abk. C. fur d. altere deutsche sowie fur 
d. lat., engl., frz. u. ital. Form d. Stichwortes K. 
15. u. 16. Jh.: J. Tinctoris, De arte contrapuncti (Ms., 
1477), hrsg. v. E. de Coussemaker, in: Joannis Tinctoris 
Tractatus de musica, Lille 21875, dass. in: CS IV; Fr. 
Gaffori, Practica musice, Mailand 1496, als: Musicae 
utriusque cantus practica, Brescia 1497 u. 6.; M. Schanp- 
pecher, Ars componendi, = N. Wollick, Opus aureum 
musicae, Teil 4, Koln 1501 u. 6., als: Die Musica figurativa 
d. M. Schanppecher, hrsg. v. Kl. W. Niemoller, = Beitr. 
zur rheinischen Mg. L, Koln 1961 ; J. Cochlaeus, Tetra- 
chordum musices . . . , Niirnberg 1 5 1 1 , 7 1 526 ; A. Ornito- 
parchus, Musice active micrologus, Lpz. 1517, 6 1540, 
engl. v. J. Dowland, London 1 609 ; J. Galliculus, Isagoge 
de c. cantus, Lpz. 1520, als: Libellus de c. cantus, Witten- 
berg 2 1538 u. 6.; O. Luscinius, Musurgia seu praxis mu- 
sicae, StraBburg 1536, 21542; H. Glareanus, Dodeka- 
chordon, Basel 1547, deutsch v. P. Bohn, = PGf M, Jg. 
XVI/XVIII, Bd XVI, Lpz. 1888-90; A. P. Coclico, Com- 
pendium musices, Niirnberg 1552, Faks. hrsg. v. M. F. 
Bukofzer, = DM1 1, 9, 1954; N. Vicentino, L'antica musi- 
ca ridotta alia moderna prattica,(Rom 1555), Faks. hrsg. v. 
E. E. Lowinsky, = DM1 I, 17, 1959; M. de Menehou, 
Nouvelle instruction familiere, en laquelle sont contenus 
les difficult^ de la musique . . ., Paris 1558, hrsg. v. H. 
Expert, = Les theoriciens de la musique au temps de la 
Renaissance I, Paris 1900; G. Zarlino, Istitutioni harmo- 
niche, Venedig 1558, 21562, erweitert 31573, "1593, dass. 
in: Tutte le opere . . ., 4 Bde, 1588-89, Faks. d. 1. Auflage, 
= MMMLF II, 1, NY (1965); Fr. Salinas, De musica 
libri septem . . . , Salamanca 1577, 2 1592, Faks. hrsg. v. M. 
S. Kastner, = DM1 1, 13, 1958; P. Pontio, Ragionamento 
di musica, . . . ove si tratta ... del modo di far motetti, 
messe, salmi, et altre c. . . ., Parma 1588, Faks. hrsg. v. S. 
Clercx-Lejeune, = DM1 1, 16, 1959; G. M. Artusi, L'arte 
del contrapunto, 2 Bde, Venedig 1586-89, 21598; S. Cal- 
visius, Melopoeia seu melodiae condendae ratio . . . , Er- 
furt 1592; L. Zacconi, Prattica di musica utile et neces- 
saria si al compositore per comporre ... si anco al cantore 
.... I Venedig 1592, 21596, II 1622; V. Bona, Regole del 



contraponto et della compositione, Casale 1595, tJbers. u, 
Kommentar v. Fr. Reusch, Diss. Heidelberg 1 924, maschr. ; 
Th. Morley, A Plaine and Easie Introduction to Practical! 
Musicke ..., London 1597 u. 6., Faks. hrsg. v. E. H, 
Fellowes, = The Shakespeare Association Facsimiles XIV, 
London 1937, dass., Nachdruck hrsg. v. R. A. Harman u 
Th. Dart, London (1952). 

1 600-1 750 : G. M. Artusi, L' Artusi overo delle imperf ettio- 
ni della moderna musica, 2 Bde, Venedig 1600-03; J. P, 
S weelinck, C.-Regeln . . . (ran 1 600), hrsg. v. H. Gehrmann, 
Sweelinck-GA X, 's-Gravenhage u. Lpz. 1903; J.Copera- 
rio, Rules How to Compose (Ms., um 1610), Faks. hrsg. 
v. M. F. Bukofzer, Los Angeles 1952; H. Baryphonus, 
Pleiades musicae, Halberstadt 1615, neu hrsg. (zusammes 
mit S. Calvisius, , Melopoeia) v. H. Grimm, Magdeburg 
1630; Sc. Cerreto, Dialoghi armonici per contrapontc 
e per la compositione (Ms., 1626, Neapel), dass. als: Dialo- 
go harmonico . . . et anco della compositione di piu voci (Ms., 
1631, Bologna); J. CrOger, Synopsis musica, Bin 1630, 
2 1654; W. Schonsleder, Architectonics musices univer 
salis, ex qua melopoeiam, lngolstadt 1631 u. 1681; A, 
Parran SJ, Traite de la musique . . . , contenant les pre- 
ceptes de la c, Paris 1636, 21639, 3 1646; Chr. Bernhard, 
Tractatus c. augmentatus (Ms., um 1648/49), hrsg. v. J, 
Miiller-Blattau in: Die Kompositionslehre H. Schutzens 
in d. Fassung seines Schulers Chr. Bernhard, Lpz. 1926, 
Kassel 2 1963 ; G. A. Bontempi, Nova quatuor vocibus 
componendi methodus, Dresden 1660; G.-G. Nivers. 
Traite de la c. de musique, Paris 1667 u. 6., nld. (fibers, v 
E. Roger), Amsterdam 1697; L. Penna, Li primi albon 
mus. per li principianti della musica, 3 Bde, Bologna 1672, 
erweitert 21679, 41684, Nachdruck d. 2. Buchs als: Albor 
mus. per li studiosi ..., Venedig 1678; W. C. Printz 
Phrynis oder Satyrischer Componist, Quedlinburg 1676, 
Bd II als Phrynis Mitilenaeus oder . . ., Sagan 1677, Be 
III (zusammen mit NA v. Bd I— II), Dresden u. Lpz. 2 1696 
A. Berardi, Ragionamenti mus., Bologna 1681; ders. 
Documenti armonici, Bologna 1687 ; ders., II perch6 mus. 
Bologna 1693; Ch. Masson, Nouveau traite des regie! 
pour la c, Paris 1694, 21699, 31705, Amsterdam "1738 ; A 
Werckmeister, Hypomnemata Musica oder musicalischei 
Memorial ..., Quedlinburg 1697; ders., Harmonologu 
Musica oder kurtze Anleitung zur Musicalischen C, Ffm 
u. Lpz. 1702; Fr. E. Niedt, Musicalische Handleitung . . , 
I, Hbg 1700, 21710, II (Handleitung zur Variation) 1706 
hrsg. u. bearb. (mit Anh.) v. J. Mattheson 21721, III hrsg 
v. J. Mattheson, 1717; J. Kuhnau, Fundamenta c. (Ms. 
1 703) ; J. G. Walther, Praecepta d. Musicalischen C, Ms. 
Weimar 1708, hrsg. v. P. Benary, = Jenaer Beitr. zur Mu 
sikforschung II, Lpz. 1955 ; J.-Ph. Rameau, Traite de l'har 
monie reduite a ses principes naturels, Paris 1722; J. J 
Fux, Gradus ad Parnassum, Wien 1725, deutsch (mi 
Anm.) v. L. Chr. Mizler, Lpz. 1742, engl. v. A. Mann als 
Steps to Parnasus, NY 1943, deutsche Teilausg. v. A 
Mann, Celle 1938; J. D. Heinichen, Der Gb. in d. C. 
Dresden 1728 ; J. Mattheson, Kern Melodischer Wiss., . . 
Haupt- u. Grundlehren d. musicalischen Setz-Kunst ode: 
C. ..., Hbg 1737; G. A. Sorge, Vorgemach d. musicali 
schen C, 3 Bde, Lobenstein 1745-47. 
1750-1900: J. Riepel, Anfangsgrilnde zur musicalischei 
Setzkunst . . . , De rhythmopoeia oder v. d. Tactordniing 
Augsburg 1752, Regensburg 21754; ders., Grundregelnzu 
Tonordnung insgemein (= Cap. 2), Ffm. u. Lpz. 1755 
ders., Grundliche Erklarung d.Tonordnung insbesondere 
zugleich aber f . d. mehresten Organisten insgemein ( = Cap 
3), Ffm. u. Lpz. 1757; ders., Erlauterung d. betrfiglichei 
Tonordnung, namlich d. versprochene 4. Cap., Augsburi 
1765; ders., 5. Cap.: Unentbehrliche Anmerkungen zun 
Contrapunkt . . ., Regensburg 1768; ders., BaBschlfissel 
d. ist Anleitung f. Anfanger u. Liebhaber d. Setzkunst, d 
schone Gedanken haben u. zu Papier bringen, aber nu 
klagen, daB sie keinen BaB recht dazu zu setzen wissen 
hrsg. v. J. C. Schubarth, Regensburg 1785; ders., Harmo 
nisches SylbenmaB . . . angehenden Singcomponisten zu 
Einsicht . . . abgefaBt, I Recitativ, II Arien (in 1 Bd), Re 
gensburg 1776; Fr. W. Marpurg, Abh. v. d. Fuge, 2 Teile 
Bin 1753-54, Lpz. 21806, gekfirzte frz. Ubers. v. dems. 
Bin 1756, Paris 21801 ; ders., Hdb. bey d. Generalbasse u 
d. C, 3 Teile, Bin 1755-58, Anh. Bin 1760, 1. Teil 21762 
ders., Anleitung zur Singe, Bin 1758 ; J. Ph. Kirnbergef 
Der allezeit fertige Polonoisen- u. Menuetten-Componisl 



478 



Komposition 



Bin 17S7; ders., Die Kunst d. reinen Satzes in d. Musik, 

2 Bde, Bin u. Konigsberg 1771-79; ders., Anleitung zur 
Singec., Bin 1782; ders., Gedanken iiber d. verschiedenen 
Lehrarten in d. C. als Vorbereitung zur Fugenkenntnis, 
Bin 1782; J. Adlung, Anleitung zu d. mus. Gelahrtheit 
(Kap. 18: Von d. Setzkunst Oder C), Erfurt 1758, hrsg. v. 
J. A. Hiller, Dresden u. Lpz. 2 1783, Faks. d. 1. Auflage, 
hrsg. v. H. J. Moser, = DM1 1, 4, 1953; P. Giannotti, Le 
guide du compositeur, Paris 1759; F. Fenaroli, Regole 
mus., Neapel 1775, frz. v. E. Imbibo als: Cours complet 
d'harmonie et de haute c, Paris o. J. ; Fr. X. Richter, Har- 
monische Belehrung oder griindliche Anweisung zu d. mu- 
sicalischen Ton-Kunst u. regulairen C. (Ms., kompiliert aus 
Fux u. a.), frz. iibers. u. bearb. v. Chr. Kalkbrenner als: 
Traite d'harmonie et de c., Paris 1804; G. J. Vogler, Ton- 
wiss. u. Tonsetzkunst, Mannheim 1776; H. Chr. Koch, 
Versuch einer Anleitung zur C, I Rudolstadt 1782, II— III 
Lpz. 1787-93; Chr. Kalkbrenner, Theorie d. Tonsetz- 
kunst I, Bin 1789; J. G. Albrechtsberger, Griindliche 
Anweisung zur K., Lpz. 1790 u. 1818, frz. v. A. E. Choron 
als: Methode elementaire de c, Paris 1814; J. Fr. Daube, 
Anleitung zum Selbstunterricht in d. musicalischen C, 2 
Bde, Wien 1797-98; Ch. Gauzargues, Traite de c, Paris 
1 797 ; J.-J. de Momigny, Cours complet d'harmonie et de c. 
d'apres une theorie neuve et gen6rale de la musique, 3 Bde, 
Paris 1806, dazu H. Riemann, Ein Kap. v. Rhythmus, Mk 
111,1 903/04; A. E. Choron, Principes dec. des ecoles d'ltalie, 

3 Bde, Paris 1808-09, 6 Bde, 21816; W. Crotch, Elements 
of Mus. C, London 1812, 21833, hrsg. v. T. Pickering 
31856; A. Reicha, Traite de melodie, abstraction faite de 
ses rapports avec l'harmonie, Paris 1814, 21832, 1U911; 
ders., Trait6 de haute c. mus., 2 Bde, Paris 1824-26, NA 
mit deutscher Obers. u. Anm., zusammen mit: Cours de c. 
mus., ou Traite complet et raisonni d'harmonie pratique, 
(Paris 1818), v. C. Czerny als: Vollstandiges Lehrbuch d. 
mus. K., 4 Bde, Wien 1834; ders., L'art du compositeur 
dramatique, ou Cours complet de c. vocale, 4 Bde, Paris 
1833, deutsch v. C. Czerny, 6 Bde, Wien 1835; J. H. G6- 
roldt, Leitfaden zum griindlichen Unterricht im Gb. u. d. 
C, 2 Bde, Quedlinburg 1815-16, als: Griindlicher Unter- 
richt ..., 31832; G. Weber, Versuch einer geordneten 
Theorie d. Tonsetzkunst, 3 Bde, Mainz 1817-21, 21824 (4 
Bde), 31830-32, engl. als: The Theory of Mus. C, London 
1851 ; Fr.-J. Fetis, Traite du contrepoint et de la fugue, 
Paris 1824, 21846; C. Fr. Zelter, 1.-3. Cursus d. Compo- 
sitionslehre, 3 Bde (Ms., 1 824) ; J. B. Logier, A Systeme of 
the Science of Music, London 1827, deutsch v. A. B. Marx 
als: System d. Musik-Wiss. u. d. praktischen C, Bin 1827; 
J. A. Andre, Lehrbuch d. Tonsetzkunst, 2 Bde (Bd II in 3 
Teilen), Offenbach 1832-43, NA hrsg. v. H. Henkel, 1874- 
78; B. Asioli, II maestro di c, Mailand 1832; A. B. Marx, 
Die Lehre v. d. mus. K., 4 Bde, Lpz. 1837-47 u. 6., neube- 
arb. v. H. Riemann, I «1887, II 71890, IV 51888; J. Chr. 
Lobe, Compositionslehre oder umfassende Lehre v. d. the- 
matischen Arbeit, Lpz. 1844; ders., Lehrbuch d. mus. C, 

4 Bde, Lpz. 1850-67, bearb. v. H. Kretzschmar 21884-87, 
frz. v. G. Sandre 21897; G. W. Fink, Mus. Kompositions- 
lehre, hrsg. v. Th. Coccius, Lpz. 1847; Fr. Silcher, Har- 
monie- u. C.-Lehre, Tiibingenl 85 1 , 2 1 859 ; S. Sechter, Die 
Grundsatze d. musicalischen C, 3 Bde, Lpz. 1 853-54 ; Fr. 

v. Drieberg, Die Kunst d. mus. K Bin 1858 ; E. Prout, 

Instrumentation, London 1876, deutsch Lpz. 31904; ders., 
Harmony, London 1889, revidiert 1910; ders., Counter- 
point, London 1890; ders., Double Counterpoint and Ca- 
non, London 1891, 21893; ders., Fugue, London 1891; 
ders., Fugal Analysis, London 1892; ders., Mus. Form, 
London 1893; ders., Applied Forms, London 3 1 895; ders., 
The Orch., 2 Bde, London 1 898-99, deutsch London 1905- 
06; A.Bruckner, VorlesungentiberHarmonielehreu.Kon- 
trapunkt an d. Univ. Wien (ab 1 875/76), hrsg. v. E. Schwan- 
zara, Wien 1950; H. Riemann, Mus. Syntaxis. GrundriB 
einer harmonischen Satzbildungslehre, Lpz. 1877; ders., 
Neue Schule d. Melodik. Entwurf einer Lehre d. Contra- 
punkts nach einer ganzlich neuen Methode, Hbg 1883; 
ders., Systematische Modulationslehre als Grundlage d. 
mus. Formenlehre, Hbg 1887, russ. St. Petersburg 1896; 
ders., GrundriB d. Kompositionslehre (Mus. Formenleh- 
re), Lpz. 1889; ders., Katechismus d. Kompositionslehre, 
2 Bde, = Hesse's Illustrierte Katechismen VIII-IX, Lpz. 
1889, als: Hdb. d. K.s-Lehre, '1922; ders., Katechismus d. 
Gesangsk. (Vokalmusik), ebenda XX, 1891; L. Bussler, 



Praktische mus. Kompositionslehre, 3 Bde, Bin 1878-79; 
P. Goetschius, The Material Used in Mus. C, Stuttgart 
1882, NY 21889, 141913; S. Jadassohn, Mus. K.-Lehre, 2 
Teile in 5 Bden, Lpz. 1883-89 u. 6.; ders., Methodik d. 
musiktheoretischen Unterrichtes, Lpz. 1898; A. Richter, 
Die Lehre v. d. thematischen Arbeit, mit praktischen 
Ubungen verbunden, Lpz. 1896. 

Ab 1900: H. Riemann, GroBe Kompositionslehre, 3 Bde 
(I Der homophone Satz, II Der polyphone Satz, III Der 
Orchestersatz u. d. dramatische Gesangstil), Bin u. Stutt- 
gart 1 902, 1 903, Stuttgart 1 9 1 3 ; V. d'Indy (mit A. Serieyx), 
Cours de c. mus., I-III Paris (1903-33), (21948-50), IV 
hrsg. v. G. de Lioncourt, 1950; H. Schenker, Neue mus. 
Theorien u. Phantasien, 3 Bde in 4: I Harmonielehre, 
Stuttgart u. Bin 1906, engl. v. O. Jonas, Chicago 1954, II, 

1 Kontrapunkt (C. f., d. 2st. Satz), Stuttgart u. Bin 1910, II, 

2 Kontrapunkt (d. 3- u. mehrst. Satz), Wien 1922, III Der 
freie Satz, Wien 1935, hrsg. v. O. Jonas 2 1956; A. Schon- 
berg, Harmonielehre, Wien 1911, 31922, 41949, M960, 
engl. NY 1947; ders., Der mus. Gedankeu. d. Logik.Tech- 
nik u. Kunst seiner Darstellung (unvollendetes Ms., 1934- 
36); ders., Models for Beginners in C, NY 1942; ders., 
Composing with Twelve Tones (1941), in: Style and Idea, 
London u. NY 1950; ders., Structural Functions of Har- 
mony, hrsg. v. H. Searle, NY 1954, deutsch v. E. Stein als: 
Die formbildendenTendenzend.Harmonie, Mainz (1957); 
Ch. V. Stanford, Mus. C, London 1911; H. Grabner, 
Der lineare Satz, Stuttgart 1925, 21950; J. M. Hauer, Vom 
Melos zur Pauke. Eine Einfuhrung in d. Zwolfteltonmu- 
sik, = Theoretische Schriften I, Wien u. NY (1925); ders., 
Zwolftontechnik. Die Lehre v. d. Tropen, ebenda II, 
(1926); A. Haba, Neue Harmonielehre d. diatonischen, 
chromatischen, Viertel-, Drittel-, Sechstel- u. Zwolftel- 
tonsystems, Lpz. 1927; Ch. H. Kitson, The Elements of 
Mus. C, London 1936, NY 1937; P. Hindemith, Unter- 
weisung im Tonsatz, 2 Bde, I Theoretischer Teil, Mainz 
1937, 21940, II Ubungsbuch, ebenda 1939, engl. als: Craft 
of Mus. C, I London 1942, II 1941 ; A. Bertelin, Trait6 
de c. mus., Paris 1939; G. Fr. Wehle, Neue Wege im K.- 
Unterricht, I Bin 1940, II Lpz. 1941, I-II Hbg 31955-57; 
ders., Die hohere Kompositionstechnik in neuzeitlicher 
Beleuchtung, 2 Bde, Bin u. Lpz. 1943, Hbg 2o. J.; I. Stra- 
winsky, Poetique mus., Paris u. NY 1942, Dijon 5 1945, 
erweitert Paris 1952, engl. Cambridge (Mass.) 1942 u. 1947, 
London u. Oxford 1948, NY 1956, deutsch v. H. Strobel 
als: Mus. Poetik, Mainz 1949, 21960; H.-P. Busser, Precis 
de c, Paris 1943 ; O. Messiaen, Technique de mon langage 
mus., 2 Bde, Paris 1944, engl. Paris 1956, Chicago 1957; J. 
Schillinger, The Schillinger System of Mus. C., hrsg. v. 
L. Dowling u. A. Shaw, 2 Bde, NY 1946; J. Rohwer, To- 
nale Instruktionen u. Beitr. zur Kompositionslehre, Wol- 
fenbiittel (1949-51); ders., Beispielbuch f. d. Lehrwerk 
»Tonale Instruktionen«, ebenda 1950; H. Heiss, Elemen- 
te d. mus. K. (Tonbewegungslehre), Heidelberg (1949); 
B. Blacher, Einfuhrung in d. strengen Satz, Bin u. Wies- 
baden 1953; R. F. Brauner, Satztechnik. Ausgew. Kap. 
d. Tonsatzlehre unter besonderer Berucksichtigung d. 
neueren K., Wien 1954. 

Lit. : A. B. Marx, Die alte Musiklehre im Streit mit unserer 
Zeit, Lpz. 1841; U. Kornmuller OSB, Die Choralkom- 
positionslehre v. 10. bis 13. Jh., MfM IV, 1872; H. Ch. 
Banister, On Some of the Underlying Principles of Struc- 
ture in Mus. C, Proc. Mus. Ass. VII, 1880/81; Riemann 
MTh; H. Riemann, Ein Kap. v. Rhythmus, Mk III, 1903/ 
04 ; ders., Spontane Phantasietatigkeit u. verstandesmaBige 
Arbeit, JbP XVI, 1909; M. Graf, Die innere Werkstatt d. 
Musikers, Stuttgart 1910; ders., From Beethoven to Sho- 
stakovich: the Psychology of the Composing Process, 
NY 1947; B. Bartok, Das Problem d. neuen Musik, Melos 
I, 1920, auch in XXV, 1958; F. Busoni, Von d. Einheit d. 
Musik (Gesammelte Aufsatze), Bin 1923, NA (revidiert u. 
erganzt) hrsg. v. J. Herrmann als: Wesen u. Einheit d. Mu- 
sik, = Hesse's Hdb. d. Musik LXXVI, Bin 1956; Kn. 
Jeppesen, Palestrinastil ..., Kopenhagen 1923, deutsch 
als: Der Palestrinastil u. d. Dissonanz, Lpz. 1925, engl. 
Kopenhagen u. London 1927, 21946; A. Haba, Von d. 
Psychologie d. mus. Gestaltung, Prag u. Wien 1925 ; ders., 
Grundlagen d. Tondifferenzierung u. d. neuen Stilmog- 
lichkeiten in d. Musik, in: Von neuer Musik, hrsg. v. H. 
Grues, E. Kruttge u. E. Thalheimer, Koln 1925, NA in: 
H. H. Stuckenschmidt, Neue Musik, = Zwischen d. beiden 



479 



Komposition 



Kriegen II, Bin 1951 ; E. Stein, Mahler, Reger, Strauss u. 
Schonberg. Kompositionstechnische Betrachtungen, Jb. d. 
Universal Ed., Wien 1925; H. Erpf, Studien zur Harmo- 
nie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 1927; J. Geh- 
rino, Grundprinzipien d. mus. Gestaltung, = Slg mw. 
Einzeldarstellungen XI, Lpz. 1928; A. Jancke, Beitr. zur 
Psychologie d. mus. K., = Musikpsychologische Studien 
III, Lpz. 1928; J. Bahle, Zur Psychologie d. mus. Gestal- 
tens . . ., Arch. f. d. gesamte Psychologie LXXIV, 1930, 
auch separat Lpz. 1930; ders., Der mus. SchaffensprozeB, 
Lpz. 1936; ders., Eingebung u. Tat im mus. Schaffen, Lpz. 
1939; A. Schonberg, Zur Kompositionslehre, Mk XXIII, 
1930/3 1 ; P. Goetschius, The Structure of Music . . . Origin 
and Employment of the Fundamental Factors of Music C, 
Philadelphia (1934); C.De Sanctis, La polifonia nell'arte 
moderna spiegata secondo i principi classici, 3 Bde, Mai- 
land 1934; H. Vater, Mus. Produktion, Arch. f. d. gesam- 
te Psychologie XC, 1934, separat Lpz. 1934; R. O. Morris, 
The Structure of Music, Oxford 1935 ; H. W. v. Walters- 
hausen, Erfindung u. Gestaltung d. dramatischen Musik, 
in: Hone Schule d. Musik I, hrsg. v. J. Miiller-Blattau, 
Potsdam (1935); W. Twittenhoff, Die musiktheoreti- 
schen Schrif ten J. Riepels . . . , = Beitr. zur Musikfor- 
schung II, Bin 1935; Fr. Brandt, Wie entsteht eine K.?, 
Diisseldorf 1936; W. Fortner, Musiklehre u. Komposi- 
tionsunterricht, in: Deutsche Musikkultur I, 1936; ders., 
K. als Unterricht, AfMw XVI, 1959; H. L. Denecke, Die 
Kompositionslehre H. Riemanns, Diss. Kiel 1937; A. 
Gastoue, Un ms. inconnu : un cours de c. de Gounod, Rev. 
de Musicol. XXIII, 1939; H. Pfitzner, Uber mus. Inspi- 
ration, Bin 1940,41943, dazu: J. Bahle, H. Pfitzner u. d. 
geniale Mensch, Konstanz 1949; A. I. MacHose, The 
Contrapunctal Harmonic Technique of the 18 th Cent., 
NY (1947); J. Handschin, Mg. im Uberblick, Luzern 
(1948), 2 1964; Fr. Martin, Die Verantwortung d. Kom- 
ponisten, in: Stimmen I, 1948; L. Dallapiccola, Kom- 
positionsunterricht u. Neue Musik, Melos XVI, 1 949 ; J. P. 
Thilmann, Probleme d. neuen Polyphonie, Dresden 1949; 

E. T. Ferand, »Sodaine and Unexpected« Music in the 
Renaissance, MQ XXXVII, 1951 ; ders., Improvvisazioni 
e c. polifoniche, RMI LIV, 1952; H. W. Zimmermann, 
Neue Musik im Kompositionsunterricht, Musik im Un- 
terricht (allgemeine Ausg.) XLII, 1951; R. F. Brauner, 
Aus d. Werkstatt d. Komponisten, Wien 1952; P. Hinde- 
mith, A Composer's World: Horizons and Limitations, 
Cambridge (Mass.) 1952, deutsch als: Komponist in sei- 
ner Welt, Freiburg i. Br. u. Zurich 1959; ders., Krafte u. 
Verlauf d. mus. K., Universitas VII, 1952; W. Gurlitt, 
Die Kompositionslehre d. deutschen 16. u. 17. Jh., Kgr.- 
Ber.Bamberg 1953, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, 
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966; B. Blacher, Die mus. K. 
unter d. EinfluB d. technischen Entwicklung d. Musik, in: 
Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin (1955); 
A. Feil, Satztechnische Fragen in d. Kompositionslehren v. 

F. E. Niedt, J. Riepel u. H. Chr. Koch, Diss. Heidelberg 
1955 ; E. Krenek, Den Jiingeren iiber d. Schulter geschaut, 
in: die Reihe I, Wien 1955; C. Dahlhaus, Eine deutsche 
Kompositionslehre d. fruhen 16. Jh., KmJb XL, 1956; 
ders., Musica poetica u. mus. Poesie, AfMw XXIII.1966; 

G . P. S. jACOB.The Composer and His Art, London 1 956; L. 
Dallin, Techniques of Twentieth Cent. C., Dubuque (la.) 
1957; A. Palm, J.-J. de Momigny (1762-1842), Leben u. 
Werk, Diss. Tubingen 1957, maschr. ; B. Schaffer, Nowa 
muzyka. Problemy wspotczesnej techniki kompozytorskiej 
(»Neue Musik. Probleme d. neuen Kompositionstechnik«), 
mit Zusammenfassung in deutscher Sprache, Krakau 1958 ; 
P. Benary, Die deutsche Kompositionslehre d. 18. Jh., 
= Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961; E. 
Apfel, Uber d. Verhaltnis v. Musiktheorie u. Kompo- 
sitionspraxis im spateren MA (etwa 1200-1500), Kgr.-Ber. 
Kassel 1962; ders., Beitr. zu einer Gesch. d. Satztechnik v. 
d. fruhen Motette bis Bach, 2 Bde, Munchen 1964-65; R. 
Stephan, Horprobleme serieller Musik, in: Der Wandel 
d. mus. Horens, hrsg. v. S. Borris, = Veroff. d. Inst, f . Neue 
Musik u. Musikerziehung Darmstadt III, Bin (1962); P. 
Boulez, Musikdenken heute 1, = Darmstadter Beitr. zur 
Neuen Musik V, Mainz (1963); Fr. Neumann, Das Ver- 
haltnis v. Melodie u. Harmonie im dur-moll-tonalen Ton- 
satz, insbesondere bei J. S. Bach, Mf XVI, 1963; K. Stock- 
hausen, Texte zurelektronischen u. instr. Musikl. Auf satze 
. . . zur Theorie d. Komponierens, Koln 1 963. HHE 



Konkordanz. C.Stumpf verwendet die Ausdriicke 
K. und Diskordanz (von lat. -> concordantia/discor- 
dantia), um den Konsonanz- und Dissonanzbegriff der 
Funktionstheorie (-»■ Funktionsbezeichnung) von dem 
der Tonpsychologie zu unterscheiden. Der Zusammen- 
klang e-g-h, tonpsychologisch eine Konsonanz, bildet 
als Durchgangsakkord zwischen C dur- und F dur- 
Dreiklang funktional eine Diskordanz. 1st die Konso- 
nanz in der Tonempfindung begriindet, so ist die K. 
eine Sache der Auffassung und des beziehenden Denkens. 
Lit. : C. Stumpf, Konsonanz u. K., in : Beitr. zur Akustik u. 
Mw. VI, Lpz. 1911; ders., Konsonanz u. K., Zs. f. Psycho- 
logie LVIII, 1911 ; R. Munnich, K. u. Diskordanz, ZIMG 
XIII, 191 1/12 ; H. Riemann, Stumpf's »K. u. Diskordanz«, 
ebenda; R. Hohenemser, Uber K. u. Diskordanz, Zs. f. 
Psychologie LXXII, 1914/15. 

Konservatorium (ital. conservatorio; frz. conserva- 
toire; engl. conservatory), in Deutschland die bedeu- 
tenden Institute auch Hochschule fiir Musik, wer- 
den groBere Musikschulen genannt, in denen die Schii- 
ler in Komposition, in alien Instrumentalfachern (auch 
Volksmusikinstrumente), in Dirigieren, Gesang (auch 
Opemensembleklassen), in musikpadagogischen Fa- 
chern (-> Schulmusik, -» Privatmusikerziehung), auch 
in Kirchenmusik (Orgel) ausgebildet und Diplome 
bzw. staatliche Zeugnisse erlangen konnen. - K. (lat. 
conservare, erhalten, verwahren) bezeichnete urspriing- 
lich in Italien eine »Bewahranstalt« (Waisenhaus, Pfle- 
geheim), in der musikalisch begabte Waisenkinder 
Musikunterricht erhielten, anfangs besonders um den 
Nachwuchs fiir die Kirchenchore, seit dem 17. Jh. 
auch um junge Krafte fiir die Opemunternehmen her- 
anzubilden. Die ersten Griindungen solcher Anstalten 
gehen in das 16. Jh. zuriick, so das Conservatorio Santa 
Maria di Loreto in Neapel (1537). Friihe Griindungen 
von Musikschulen auBerhalb Italiens sind u. a. die Ecole 
Roy ale de Chant et de Declamation in Paris (1784; vor 
allem fiir den Opernnachwuchs bestimmt), das K. in 
Prag (1811) und das K. der Gesellschaft der Musik- 
freunde in Wien, letzteres als Singschule von A. Salieri 
1817 gegriindet. In Deutschland gilt als eine der ersten 
Musikschulen die Theater- und Musikabteilung, die 
um 1775 der Hohen Carls-Schule in Stuttgart ange- 
schlossen wurde. An ihr und an der 1772 gegriindeten 
Ecole des demoiselles wurde der Nachwuchs fiir Hof- 
kapelle, Theater und Ballett des Herzogs Carl Eugen 
von Wiirttemberg herangebildet. Nach der 1804 durch 
Zelter in Berlin errichteten Ordentlichen Singschule 
nach Art der italienischen Konservatorien erfolgte 
1822, ebenfalls durch Zelter, die Griindung des Konig- 
lichen Instituts fiir Kirchenmusik, seit 1922 Staatliche 
Akademie fiir Kirchen- und Schulmusik und von 1933- 
1945 Hochschule fiir Musikerziehung genannt, dann 
der Hochschule fiir Musik eingegliedert, mit den Di- 
rektoren K. Fr. Zelter (1822-32), A. W. Bach (1832-69), 
A.Haupt (1869-91), R.Radecke (1892-1907), H. 
Kretzschmar (1907-22), C. Thiel (1922-27), H.J. Moser 
(1927-33) und E.Bieder (1934-45). Die Heranziehung 
vieler hervorragender Lehrer begrundete den hohen 
Rang dieser Schule, so auch bei dem schon 1810 ge- 
griindeten Akademischen Institut fiir Kirchenmusik 
in Breslau (ab 1929 Institut fiir Schul- und Kirchenmu- 
sik, spater Hochschulinstitut fiir Musikerziehung). Die 
Griindung einer Koniglichen Hochschule fiir Musik in 
Berlin erfolgte 1869, nachdem die Errichtung einer 
Hochschule unter Mendelssohn 1840 an der Uneinig- 
keit der zustandigen Stellen gescheitert war. J.Joachim, 
der erste Direktor (1869-1907), verstand es, durch die 
Berufung vorziiglicher Lehrkrafte die neue Institution 
schnell zu groBer Bedeutung zu fiihren. Den Unter- 
richtsklassen fiir Tasten-, Streich-, Blasinstrumente und 



480 



Konservatorium (Deutschland) 



Gesang wurde 1925 ein Seminar fiir Musikerziehung 
und eine staatliche Schauspielschule angegliedert. Jahr- 
zehntelang nahm unter alien deutschen Konservatorien 
das von Mendelssohn gegriindete K. zu Leipzig die er- 
ste Stelle ein (eroffnet 1843, ab 1876 Konigliches K., seit 
1927 Landes-K., seit 1941 Staatliche Hochschule, nach 
1945 mit dem Zusatz Mendelssohn- Akademie). Hier 
wirkten als Lehrer u. a. F.Mendelssohn Bartholdy, R. 
Schumann, Ferd. David, M.Hauptmann, E.F.Richter, 
Ferd.Hiller, N.W.Gade, J.Moscheles, J.Rietz, K.Rei- 
necke, Fr.Brendel, S.Jadassohn, H. Kretzschmar, G. 
Schreck, M. Reger, H. Sitt, A. Nikisch, K. Straube, C. A. 
Martienssen, A. Schering, S. Karg-Elert, G. Ramin, Fr. 
Reuter, H.Grabner, K.Thomas, G.Raphael, J.N.Da- 
vid, G.Trexler.W. Weismann, F.Fr.Finke. - Den Na- 
men Hochschule trug wohl als erstes dieser Institute die 
1869 gegriindete Konigliche Hochschule fiir Musik in 
Berlin. Heute bezeichnet Hochschule in Deutschland 
in der Regel die ranghochsten Musikschulen, denen 
allein die Ausbildung von Schulmusikern vorbehalten 
ist (das Staatliche Hochschul-Institut in Mainz ist aus- 
schlieBlich fiir die Ausbildung von Schulmusikern be- 
stimmt). - Mit den Volks- und Jugendmusikschulen, 
Konservatorien und Staatlichen Hochschulen ist eine 
Schichtung der Lehrstatten gegeben, die mit ihren 
progressiven Anspriichen den Nachwuchs fiir alle Be- 
reiche des Musiklebens heranzuziehen bestimmt sind. 
Einigen der Institute ist eine Tonmeister- oder Ton- 
ingenieurschule angeschlossen (eine Tontechnikerschu- 
le befindet sich in Niirnberg, seit 1964 der Schule fiir 
Rundfunktechnik angegliedert). Der deutschen Be- 
zeichnung Hochschule entsprechen im Ausland die 
Namen K., -»■ Akademie oder College. Eine nicht un- 
bedeutende Rolle in der heutigen Musikerausbildung 
kommt den Ferien- und Meisterkursen zu, in denen 
international anerkannte Kiinstler und Wissenschaftler 
fiir die Dauer von einigen Wochen Kurse in ihrem 
Fachgebiet abhalten. - Seit 1953 besteht ein Verband, 
der die europaischen K.s-Direktoren in regelmaBigen 
Kongressen zur Erorterung von Problemen der Mu- 
sikausbildung zusammenfiihrt, anfangs als Internatio- 
nale Vereinigung der Direktoren der europaischen 
Musikhochschulen, Akademien und Konservatorien, 
seit 1956 als Association Europeenne des Academies, 
Conservatoires et Musikhochschulen. 
In der folgenden Aufstellung erscheint eine Auswahl euro- 
paischer und nordamerikanischer Institute mit Namen, 
Grundungsjahr und Griinder; die ursprunglichen Namen 
und die Daten der erfolgten Umwandlungen stehen in ( ) ; 
es folgen die Namen bekannter bzw. gegenwartiger Direk- 
toren mit Wirkungsdaten. Schulen ohne den Vermerk pri- 
vat (priv.) sind staatlich bzw. stadtisch, was teils auch aus 
dem Titel (Stadtisch bzw. Staatl.) hervorgeht (KM = Kir- 
chenmusikschule). Alle fremdsprachlichen Formen des 
Wortes K. sind im folgenden mit C. oder K. abgekiirzt. 
Belgien. 

Antwerpen, Koninklijk Vlaams Muziekc., 1898 v. P. 
Benoit. Ders. (1898-1901), Fl. Peeters (1952-). Lit.: A. L. 
M. Corbet, Het Koninklijk Vlaamsch C, A. 1941. 
BrCssel, C. Royal de Musique, 1832. Fr.-J. Fetis (1833- 
71), Fr.-A. Gevaert (1871-1908), E. Tinel (1908-12), M. 
Poot (1949-). Lit.: Annuaire du C. Royal de Musique de 
Br., 1877ff.; E. Mailly, Les origines du C. Royal de Mu- 
sique de Br., Br. 1879. 

Danemark. 

Kopenhagen, Det Kongelige Danske Musikk., 1867 v. P. 
W. Moldenhauer (Kjobenhavns Musikk. -1902). N. W. 
Gade mit J. P. E. Hartmann u. H. S. Paulli (1867-90 bzw. 
1900), Kn. Riisager (1956-). Lit.: S. Berg, Det Kongelige 
Danske Musikk. 1917-55, K. 1959. 

Deutschland. 

Aachen, Gregoriushaus - KM, K., Musikseminar, 1881 

v. H. Bockeler. Ders. (1881-90), H. Freistedt (1940-). 



Berlin, Hochschule f. Musik, 1869 v. J. Joachim. Ders. 
(1869-1907), H. Kretzschmar (1909-20), Fr. Schreker 
(1920-32), G. Schunemann (1932-33), Fr. Stein (1933-45), 
P. Hoffer (1948-49), W. Egk (1950-53), B. Blacher (1953-). 
Lit.: Fr. W. Langhans, Die Konigliche Hochschule f. Mu- 
sik zu Bin, Lpz. 1873; S. Borris, Hochschule f. Musik, 
= Bln, Gestalt u. Geist III, Bin (1964). - Stadtisches K., 

1850 v. J. Stern (Stern'sches K. -1936, K. d. Reichshaupt- 
stadt -1945). Ders. (1850-83), G. Hollander (1895-1915), 
H. Tiessen (1945-49), H. J. Moser (1950-60), K. Westphal 
(1962-). Lit.: W. Klatte u. L. Misch, Das Sternsche K. d. 
Musik zu Bin 1850-1925, Bin 1926. - Berliner KM, 1928 v. 
F. Reusch. Ders. (1928-29), G. Schwarz (1929-35), G. 
Grote (1935-55), H.-M. Schneidt (1955-63), H. W. Zim- 
mermann (1963-). Lit.: Fs. zur Feier d. lOOjahrigen Be- 
stehens d. staatl. akademischen Inst. f. KM 1822-1922, 
hrsg. v. M. Schipke, Bin 1922. - Deutsche Hochschule f. 
Musik »Hanns Eisler«, 1950 v. G. Knepler. Ders. (1950- 
59), E. Rebling (1959-). - Braunschweig, Niedersachsi- 
sche Musikschule, 1939 (Staatsmusikschule -1962). G. 
Bittrich (1939-44), H. Kiihl (1955-). - Breslau (bis 1945), 
Schlesische Landesmusikschule, 1880 (Schlesisches K. 
-1936). A. Fischer (1880-93), H.Boell(1936-45).-Ev.KM 
d. Provinz Schlesien, 1927. O. Burkert (1927-45). Fortfuh- 
rung dieser KM in Gorlitz. 

Danzig, D.er K. u. Musikseminar, 1900 v. L. Heidings- 
feld. Ders. (1900-20), H. Sommerfeld (1927^*5). - Rie- 
mann-K., 1906 v. C. Adami u. P. Wermbter. P. Wermbter 
(1912-33). - Darmstadt, Stadtische Akad. f. Tonkunst, 

1851 v. Ph. Schmitt. Ders. (1851-1909), W. Kolneder 
(1959-65), G. Meyer-Sichting (1965-). - Detmold, Nord- 
westdeutsche Musikakad., 1946. W. Maler (1946-59), M. 
Stephani (1959-). - Dresden, Staatl. Hochschule f. Musik, 
1 856 v. F. Trostler (Konigliches C. -1918, K. d. Stadt 1937- 
52). C. G. Reissiger (1856-59), J. Rietz (1860-77), Fr. 
Wullner (1877-84), F. Fr. Finke (1946-51), K. Laux(1952- 
63), H.-G. Uszkoreit (1 963-). Lit. : E. ReuB, Zum 50jahrigen 
Bestehen d. Koniglichen K. in Dr., ZIMG VII, 1905/06. - 
Dusseldorf, R.-Schumann-K., 1902 v. J. Buths u. O. 
Neitzel (Buths-Neitzel-K. -1935). J. Buhts (1902-20), J. 
Neyses (1945-65), J. Baur (1965-). - Landes-KM d. Ev. 
Kirche im Rheinland, 1949. G. Schwarz (1949-). 

Essen, Folkwang-Hochschule Musik, Theater, Tanz, 1927 
v. R. Schulz-Dornburg (Folkwangschule f. Musik, Tanz, 
Schauspiel u. Sprechen -1963). Ders. (1927-32), H. Erpf 
(1932-43), H. Dressel (1956-). - Esslingen, KM d. Ev. 
Landeskirche in Wurttemberg, 1945. H. A. Metzger 
(1945-). 

Frankfurt am Main, Staatl. Hochschule f. Musik, 1878 
v. J. P. J. Hoch (Dr. Hoch'sches K. -1938). J. Raff (1878- 
82), B. Scholz (1882-1908), J. Knorr (1908-16), B. Sekles 
(1923-33), H. Reutter (1936-45), Ph. Mohler (1958-). Lit.: 
H. Hanau, Dr. Hoch's C. zu Ffm., Ffm. 1903. - Freiburg 
im Breisgau, Staatl. Hochschule f. Musik, 1946. G. Scheck 
(1946-64), C. Seemann (1964-). 

Gorlitz, Ev. KM, 1947. E. Wenzel (1947-50), H. Schnei- 
der (1951-63), R. Lammert (1964-). 
Halle/Saale, Staatl. Hochschule f. Theater u. Musik, 
1947. H. Stieber (1947-49), F. Bennedik (1949-53), A. 
Hetschko (1953-55). - Ev. KM, 1926 v. D. Schottler (KM 
Aschersleben-1939). J. Burger (1926-40), K. Fiebig (1941- 
50), E. Wenzel (1951—). - Hamburg, Staatl. Hochschule f. 
Musik, 1943 (Schule f. Musik u. Theater -1950). E. G. 
Klussmann (1943-50), Ph. Jarnach (1950-59), W. Maler 
(1959-). - Hannover, Staatl. Hochschule f. Musik u. 
Theater, 1897 v. K. Leimer (Stadtisches K. -1957, Nieder- 
sachsische Hochschule -1962). Ders. (1897-1935), F. Pro- 
haska (1961—). - KM d. Ev.-Lutherischen Landeskirche, 
1945. F. Meyer (1945-54), K. F. Miiller (1955-). - Heidel- 
berg, Staatl. anerkannte Hochschule f. Musik u. Theater 
u. K. d. Musik, 1894 v. O. Seelig (Stadtisches K. -1949). 
Ders. (1894-1934), E. L. v. Knorr (1962-). - Ev. Kirchen- 
mus. Inst., 193 1 v. H. M. Poppen. Ders. (193 1-56). H. Haag 
(1956-). - Herford, Westfalische Landes-KM, 1948. W. 
Ehmann (1948-). 

Karlsruhe, Badische Hochschule f. Musik, 1884 (GroB- 
herzogliches K. -1920, Badisches K. -1929). H. Orden- 
stein (1884-1921), G. Nestler (1957-65), W. Kolneder 
(1966-). - Kassel, Musikakad. d. Stadt, 1939. R. Gress 
(1939-45 u. 1951-59), K. Herfurth (1959-). - Koln, Staatl. 
Hochschule f. Musik, 1850 v. F. Hiller (Rheinische Musik- 



31 



481 



Konservatorium (Finnland) 



schule -1858, K. -1925). Ders. (1850-85), Fr. Wullner 
(1885-1902), Fr. Steinbach (1902-14), H. Abendroth 
(1915-34) mit W. Braunfels (1925-34 u. 1946-50), H. Mers- 
mann (1947-57), H. Schroter (1957-).- Rheinische Musik- 
schule, K. d. Stadt, 1850 (s. o., 1925 erfolgte die Trennung, 
1962 Neugriindung). H. Abendroth u. W. Braunfels (1925- 
34), H. W. Schmidt (1962-). Lit.: Fs. zur Feier d. Griin- 
dung d. K.er K. im Jahre 1850 u. d. Staatl. Hochschule f. 
Musik K. im Jahre 1925, K. (1940). - Konigsberg (bis 
1945), K.f. Musik, 1881. 

Leipzig, Staatl. Hochschule f. Musik, 1843 v. F. Mendels- 
sohn Bartholdy (seit 1876 Konigliches K., Landesk. 1927- 
41). Ders. (1843-47), C. Schleinitz (1847-81), R. Fischer 
(1946-). Lit.: Fs. zum 75jahrigen Bestehen d. Koniglichen 
K. d. Musik zu Lpz., Lpz. 1918; Landesk. d. MusikzuLpz., 
gegr. 1843, Lpz. 1937. - Lubeck, Schleswig-Holsteinische 
Musikakad. u. Norddeutsche Orgelschule, 1933 (Staatsk. 
-1950). H. Dressel (1934-35), J. Rohwer (1955-). 
Mainz, Staatl. Hochschulinst. f. Musik, 1947. E. Laaff 
(1947-). - P. Cornelius- K., 1880 v. P. Schumacher (P. 
Schumachersches K. d. Musik -1920, Stadtische Musik- 
hochschule u. K. -1937). Ders. (1880-91), H. Rosbaud 
(1923-30), H. Gal (1930-33), L. Windsperger (1933-35), 
G. Kehr (1953-61), O. Schmidtgen (1961-64), V. Hoff- 
mann (1966—). - Mannheim, Stadtische Hochschule f. Mu- 
sik u. Theater, 1899 v. W. Bopp (priv. -1933). Ders. (1899- 
1907), R. Laugs (1951-). - Munchen, Staatl. Hochschule 
f . Musik, 1 846 v. Fr. Hauser (K. -1 867, Konigliche Musik- 
schule-1892, Akad. d. Tonkunst-1924). Ders. (1846-64), 
H. v. Biilow (1867-69), Fr. Wullner (1869-77), J. Rhein- 
berger (1877-1901), F. Mottl (1904-11), H. BuBmeyer 
(1911-19), S. v. Hausegger (1920-34), J. Haas (1946-50), 
R. Heger (1950-54), K. Holler (1954-). Lit.: Fs. zum50jah- 
rigen Bestehen d. Akad. d. Tonkunst in M., 1874-1924, M. 
1924. - R.-Strauss-K., 1927 v. J. Trapp (Trapp'sches K. d. 
Musik-1962, K. d. Landeshauptstadt-1964). Ders. (1927- 
61), H. Mayr (1962-). - Munster, Westfalische Schule f. 
Musik (priv.), 1919 v. Fr. Volbach. Ders. (1919-25), H.-J. 
Vetter (1957-). 

Nurnberg, Stadtisches K. d. Musik, 1883 (Stadtische Mu- 
sikschule -1919). W. Bayerlein mit K. Mannschedel (1 883- 
1914), R. Seiler(1949-). 

Osnabruck, Stadtisches K„ 1 9 1 9 v. K. Hasse (priv. -1936). 
F. M. Anton (1919-24), K. Schafer (1938-45 u. 1954-65), 
B. Hegmann(1965-). 

Regensburg, KM, 1874 v. Fr. X. Haberl. Ders. (1874- 
1910), K. Weinmann (1910-29), K. Thiel (1929-39), F. 
Haberl (1939-). 

Saarbrucken, Staatl. Hochschule f. Musik, 1947 (Staatl. 
K. d. Saarlandes -1955). E. P. Stekel (1947-51), J. Miiller- 
Blattau (1952-58), H. Schmolzi (I960-). - Schluch- 
tern, Ev. KM, 1947. W. Blankenburg (1947-). - Speyer, 
Bischofliches Kirchenmus. Inst., 1944 v. Bischof J.Wendel. 
E. Quack (1944-). - Stuttgart, Staatl. Hochschule f. Mu- 
sik u. Darstellende Kunst, 1 857 v. S. Lebert u. I. FaiBt (K. f . 
Musik -1896, Konigliches K. -1921, Wiirttembergische 
Hochschule -1938). S. Lebert (1857-61), I. FaiBt (1861- 
94), S. de Lange (1900-07), M. v. Pauer (1907-24), W. 
Kempff (1924-29), C. Wendling (1929^*0), H. Erpf (1942- 
45 u. 1952-56), H. Keller (1945-52), H. Reutter (1956-66). 
Lit.: Zur Hundertjahrfeier ... 1857-1957, Ludwigsburg 
(1957) ; Staatl. Hochschule f. Musik u. Darstellende Kunst 
St., Jahresber. I, 1962 - II, 1963. 

Trier, Bischofliche KM, 1946 v. H. v. Meurers. P. Schuh 
(1946-). 

Weimar, Fr.-Liszt-Hochschule, 1872 v. C. Miillerhartung 
(GroBherzogliche Orch.- u. Musikschule -1920, Staatl. 
Musikhochschule -1956). Ders. (1872-1902), Br. Hinze- 
Reinhold (1916-33), W. Felix (1955-). Lit.: Fs. aus AnlaB 
d. Namensgebung »HochschuIe f. Musik Fr. Liszt«, W. 
1 956. - Wurzburg, Bayerisches Staatsk. d. Musik, 1 804 v. 
J. Frohlich (Akad. Musikinst. -1820, Konigliches Musik- 
inst. -1875, Konigliches K. -1913). Ders. (1804-58), H. 
Reinartz (1957-). - Wuppertal u. Haan, Bergisches Lan- 
des-K., 1945 (Kreisk. f. Musik -1949). E. Grape (1946-54), 
R. Haase (1959-). 
Finnland. 

Helsinki, Sibelius-Akatemia (priv.), 1882 v. M. Wegelius 
(Helsingin Musiikkiopisto -1924, Helsingin K. -1939). 
Ders. (1882-1906), E. Linko (1936-). Lit.: A. Larvouen, 
Sibelius-Akad. 1882-1957, H. 1957. 



Frankreich. 

Aix-en-Provence, Ecole Nationale de Musique, 1 849 v. M. 
Lappiere (reorganisiert 1961). CI. Lecointe (1961-). 
Dijon, C. Nationale de Musique et d'Art Dramatique, 
1793 (Inst, de Musique -1820, Ecole de Musique -1868, 
Succursale du C. de Paris -1919), Ch. Poisot (1868-72), A. 
Ameller(1953-). 

Lyon, Ecole Nationale de Musique et d'Art Dramatique, 
1874 v. Mangin. A. Savard (1902-22), Fl. Schmitt (1922- 
24), E. Trillat (1941-). 

Nancy, Ecole Nationale de Musique et d'Art Dramatique, 
1881. G. Ropartz (1894-1919), A. Bachelet (1919-44), M. 
Dautremer (1946-). 

Paris, C. National Superieur de Musique, 1784 (Ecole 
Royale de Chant et de Declamation -1793, Inst. National 
de Musique -1795, C. National de Musique usw. -1957). 
B. Sarrette (1795-1814/15), L. Cherubini (1822-42), D. Fr. 
E. Auber (1842-71), A. Thomas (1871-96), Th. Dubois 
(1896-1905), G. Faure (1905-20), H. Rabaud (1920-40), 
CI. Delvincourt (1940-54), M. Duprd (1954-56), R. Lou- 
cheur (1956-). Lit.: A. A. E. Elwart, Hist, de la Soc. des 
concerts du C, P. 1860, 21863, Paris 1885 v. E. M. E. Del- 
devez; A.-G. Chouquet, Le mus6e du C. National de Mu- 
sique, P. 1875, 21884, Suppl. v. L. Pillaut 1894, 1899, 1903; 
E. M. E. Deldevez, La Soc. des concerts de 1 860 a 1 885, P. 

1887; C. Pierre, B. Sarrette et les origines du C P. 

1895; ders., Le C. National . . . de P., P. 1900; A. Dande- 
lot, La Soc. des concerts du C. de 1828 a 1923, P. 1923 ; H. 
de Curzon, Hist, et gloire de 1'ancienne salle du C. de P., 
1811-1911, P. 1917; J.-G. Prod'homme u. E. de Crauzat, 
P. qui disparait. Les menus plaisirs du Roi. L'Ecole Royale 
etleC.de musique, P. 1 929 ; J. Cordes, La Soc. des concerts 
du C, P. 1941. - Ecole Normale de Musique (priv.), 1919 
v. A. Cortot u. A. Mangeot. A. Cortot (1919-62). - Schola 
cantorum (priv.), 1896 v. Ch. Bordes, A. Guilmant u. V. 
d'Indy. V. d'Indy (1896-1931), D. Lesur (1957-). Lit.: V. 
d'Indy, La Schola cantorum en 1925, P. 1927. 
Strassburg, C. de Musique, 1855. M. Hasselmans (1855- 
71), Fr. Stockhausen (1871-1907), H. Pfitzner (1907-19), 
G. Ropartz (1919-29), Fr. Munch (1929-60), L. Martin 
(I960-). 

Versailles, Ecole Nationale de Musique et d'Art Dra- 
matique, 1878 v. E. Cousin (C. de Musique -1956). Ders. 
(1878-1906), J. Hubeau (1942-). 

Griechenland. 

Athen, Odeion Athenon (priv.), 1871. A. Katakouzinos 
(1871-90), Thr. G. Georgiades (1939-41), Sp. Farantatos 
(1942-61), M. Pallandios (1961-). 

GroBbritannien. 

Croydon, The Royal School of Church Music, 1927 v. S. 
H. Nicholson (School of Engl. Church Music -1945). Ders. 
(1927-47), G. H. Knight (1952-). 

Glasgow, The Royal Scottish Acad, of Music, 1890 
(School of Music -1929, Scottish National Acad, of Mu- 
sic -1944). W. G. Whittaker (1930-41), E. Bullock (1941- 
52), H.Havergal(1952-). 

London, Royal Acad, of Music, 1822 v. J. Fane (Lord 
Burghursh). W. Crotch (1823-32), C. Potter (1832-59), W. 
St. Bennett (1866-75), G. Macfarren (1875-88), A. C. 
Mackenzie (1888-1924), J. McEwen (1924-36), Th. Arm- 
strong (1955-). Lit. : W. W. Cazalet, The Hist, of the Royal 
Acad, of Music, L. 1854; Fr. Corder, A Hist, of the Royal 
Acad, of Music: from 1822 to 1922, L. 1923; H. C. Colles, 
The Royal College of Music, 1833-1933, L. 1933. - Royal 
College of Music (priv.), 1883. G. Grove (1883-94), H. 
Parry (1895-1918), K. Falkner (I960-). - Royal College of 
Organists, 1864 v. R. D. Limpus. 

Manchester, The Royal M. College of Music, 1893. Ch. 
Hall6 (1893-95), A. Brodsky (1895-1929), R. J. Forbes 
(1929-53), Fr. R. Cox (1953-). 
Irland. 

Dublin, The Royal Irish Acad, of Music, 1848 v. Fr. W. 
Brady. 

Italien. 

Bologna, C. di Musica G. B. Martini, 1804 (Liceo Filar- 
monico -1881, Liceo Mus. -1925). G. Rossini (1839-48), 
M. E. Bossi (1892-1911), F. Busoni (1913-14), G. Mari- 
nuzzi (1916-19), Fr. Alfano (1919-23), E. Desderi (1951- 



482 



Konservatorium (Schweiz) 



63), L. Liviabella (1963-). Lit.: CI. Sartori, II R. C. di Mu- 
sica »G. B. Martini« di B., Florenz 1 942. - Bozen, C. Stata- 
le di Musica CI. Monteverdi, 1 932 v. M. Mascagni (Liceo 
Mus. Rossini -1939). Ders. (1932-48), G. Cambissa 
(1962-). 

Florenz, C. di Musica L. Cherubini, 1849 (Istituto Mus., 
Scuola di Musica, Accad. di Musica -1912). G. Pacini 
(1849-60), I. Pizzetti (1917-23), A. Lualdi (1944-55), A. 
Veretti (1955-). Lit.: A. Damerini, 11 R. C. di Musica »L. 
Cherubini« di Firenze, Fl. 1941. 

Mailand, C. di Musica G. Verdi, 1808 v. E. de Beauhar- 
nais (»G. Verdi« seit 1908). B. Asioli (1808-14), I. Pizzetti 
(1924-36), G. F. Ghedini (1950-62), J. Napoli (1962-). 
Lit.: F. Mompellio, 11 R. C. di Musica »G. Verdi« di Mi- 
lano, Florenz 1941. 

Neapel, C. di Musica S. Pietro a Majella, 1808 (San Se- 
bastiano -1825). F. Fenaroli, G. Paisiello u. G. Tritto 
(1808-13), N. Zingarelli (1813-37), G. Donizetti (1837-40), 
S. Mercadante (1840-70), Fr. Cilea (1916-35), J. Napoli 
(1955-62), T. Gargiulo (1962-). Lit.: G. Pannain, II R. C. 
di Musica »S. Pietro a Majella« di Napoli, Florenz 1942; 
H. Hucke, Verfassung u. Entwicklung d. alten neapolita- 
nischen Konservatorien, Fs. H. Osthoff, Tutzing 1961. 
Palermo, C. di Musica V. Bellini, 1618 (C. Buon Pastore 
-1737, Collegio di Musica -1861). P. Platania (1866-87), 
Fr. Cilea (1913-16), V. Mannino (1962-). Lit. : F. De Maria, 
II Regio C. di Musica di P., Florenz 1941 ; C. di Musica »V. 
Bellini«, Annuario 1960/61, P. (1962). - Parma, C. di Mu- 
sica A. Boito, 1818 (Scuola chorale-1889).G. Rossi (1864- 
73), F. Faccio (1889-90), A. Boito (1890-91), G. Tebaldini 
(1897-1902), L. Liviabella (1959-63). Lit.: A. Furlotti, II 
Reale C. di Musica »A. Boito« di P., Florenz 1942; L. 
Gambara, II C. di Musica »A. Boito«, P. 1958. 
Rom, C. di Musica S. Cecilia, 1624 (Liceo Mus. -1919), E. 
Terziani (1877-86), E. Bossi (1916-23), O. Respighi (1923- 
25), G. Guerrini (1951-60), R. Fasano (I960-). Lit.: II C. 
di Musica »S. Cecilia« di Roma, R. 1964. - Pontificio Isti- 
tuto di Musica Sacra, 1911. A. De Santi SJ (1911-21), H. 
Angles (1947-). 

Siena, Accad. Mus. Chigiana (priv.), 1932 v. Graf G. Chigi 
Saracini. Ders. (1932-). Lit.: A. Vannini, L' Accad. Mus. 
Chigiana, S. 1957. 

Turin, C. di Musica G. Verdi, 1 867 (Civica Scuola -1935). 
C. Pedrotti (1869-82), Fr. Alfano (1924-39), L. Rocca 
(1940-). 

Venedig, C. di Musica B. Marcello, 1877. R. Grazzini 
(1882-92), M. E. Bossi (1895-1902), E. Wolf-Ferrari 
(1902-09), G. Fr. Malipiero (1940-52), R. Fasano (1952- 
60), G. Bianchi (I960-). Lit.: G. Damerini, II C. di Stato 
»B. Marcello« di Venezia, Florenz 1949; D. Arnold, Or- 
phans and Ladies: The Venetian C. (1680-1790), Proc. R. 
Mus. Ass. LXXXIX, 1962/63. 
Jugoslawien. 

Belgrad, Muzicka Akad., 1937. K. Manojlovic (1937- 
39), P. Konjovic (1939^13 u. 1945-47), M. Zivkovid 
(1952-). 

Laibach, Akad. za glasbo, 1919 (Drzavni K. -1939). A. 
Trost (1939-41), K. Rupel (1949-51 u. 1962-). 
Zagreb, Muzicka Akad., 1829 (Hrvatski K. -1922). Fr. 
Lhotka (1923-41 u. 1948-52), Fr. Lucid (1952-). 
Kanada. 

Toronto, Royal C. of Music, 1886 (T. C. of Music -1947). 
E. Fisher (1886-1913), E. Mazzoleni (1945-). 

Niederlande. 

Amsterdam, A.sch C, 1884 v. Fr. Coenen, D. de Lange, 

J. Messchaert u. J. Rontgen. Fr. Coenen (1884-95), J. Ode 

(1956-). 

Den Haag, Koninklijk C. voor Muziek, 1 826 v. Konig Wil- 

lem I. J. H. Lubeck (1 826-65), H. Andriessen (1949-). 

Rotterdam, Toonkunst C. en Muziekscholen (priv.), 1 844 

v. A. C. G. Vermeulen (Muziekscholen) u. 1930 v. W. 

Pijper (Toonkunst C). A. C. G. Vermeulen (1844-45), G. 

Stam (1956-). 

Norwegen. 

Bergen, Musikk. (priv.), 1905 v. T. Castberg (Musikakad. 

-1929). Ders. (1905-27), G. Saevig(1952-). 

Oslo, Musik-K. (priv.), 1883 v. L. M. u. P. Lindeman (Or- 

ganistskolen -1892). L. M. Lindeman (1883-87), Tr. H. 

Lindeman (1930-). 



Osterreich. 

Graz, Akad. f . Musik u. darstellende Kunst, 1816 (Musik- 
schule -1938, Landesmusikschule -1945, Steiermarki- 
sches Landesk. -1963). E. Hysel (1819-41), E. Marckhl 
(1957-). 

Salzburg, Akad. f. Musik u. darstellende Kunst Mo- 
zarteum, 1 880 v. Stiftung Mozarteum (Musikschule -1914, 
K. -1939, Musikhochschule-1953). J. Fr. Hummel (1880- 
1908), B. Paumgartner (1917-38 u. 1945-59), CI. Krauss 
(1939-45), E. Preussner (1959-64), R. Wagner (1965-). 
Wien, Akad. f. Musik u. darstellende Kunst, 1817 (C. d. 
Ges. d. Musikfreunde -1909). G. Preyer (1844-48), H. 
Sittner (1946-). Lit.: C. F. Pohl, Die Ges. d. Musikfreunde 
. . . u. ihr C, W. 1871 ; R. Lach, Gesch. d. Staatsakad. u. 
Hochschule f. Musik u. darstellende Kunst in W., W. 1927. 

Polen. 

Breslau, Paristwowa Wyzsza Szkola Muzyczna (»Staatl. 
Hochschule f. Musik«), 1948. H. Feicht (1948-51), Zb. 
Liebhart(1963-). 

Kattowitz, Panstwowa Wyzsza Szkola Muzyczna, 1929 
(Panstwowe K. Muzyczne -1931, K. Towarzystwa Mu- 
zycznego -1934, Sl^skie K. Muzyczne-1939, Hohere Lan- 
desmusikschule -1945). W. Frieman (1929-34), B. Woy- 
towicz (1946), W. Gadzinski (1965-). Lit. : 30 lat PWSM w 
Katowicach 1929-59, Krakau 1 960. - Krakau, Panstwowa 
Wyzsza Szkola Muzyczna, 1888 (K. Towarzystwa Mu- 
zycznego w Krakowie-1939). Wt. 2eleriski (1888-1921), B. 
Wallek-Walewski (1938-39), Zb. Drzewiecki (1945-52), E. 
Umiriska (1964-66), J. Hoffman (1966-). Lit.: 75 latWyz- 
szych Szkol Muzycznych w Krakowie, Kr. 1963. 
Lodz, Panstwowa Wyzsza Szkola Muzyczna, 1926(?) v. 
H. Kijehska (K. Muzyczne H. Kijenskiej -1939, Stadti- 
sche Musikschule -1945). Dies. (1926-39), K. Wilkomirs- 
ki (1945-47), K. Sikorski (1947-54), M. Drobner (1954- 
57),K.Bacewicz(1957-). 

Posen, Panstwowa Wyzsza Szkola Muzyczna, 1920 (Panst- 
wowa Akad. i Szkola Muzyczna -1922, Panstwowe K. 
Muzyczne -1939). H. Opienski (1920-26), Zdz. Jahnke 
(1931-39, 1945-48), E. Mackowiak (1961-). Lit.: 40-lecie 
Pafistwowej Wyzszej Szkory Muzycznej w Poznaniu 1920- 
60, hrsg. v. W. Kandulski u. a., P. 1962. 
Warschau, Panstwowa Wyzsza Szkola Muzyczna, 1816 
(Szkola Muzyki i Sztuki Dramatycznej -1821, Szkola Mu- 
zyki i Deklamacji -1822, Oddzial Muzyczny Wydzialu 
Sztuk Pieknych przy Uniwersytecie Warszawskim -1826, 
Szkola Glowna Muzyki -1831, geschlossen -1861, Inst. 
Muzyczny -1915, Panstwowe K. -1939, Stadtische Mu- 
sikschule -1944). J. Eisner (1826-3 1), A. Kafciki (1861-79), 
K. Szymanowski (1927-29 u. 1931), St. Kazuro (1945-55), 
K. Sikorski (1957-66), T. Zalewski (1966-). Lit.: St. Sle- 
dzinski u. a., 150 lat Panstwowej Wyzszej Szkoly Muzycz- 
nej w Warszawie, Krakau 1960. 

Zopott, Panstwowa Wyzsza Szkola Muzyczna, 1947. J. 
Ekier (1947-48), P. Rytel (1956-61), R.Heising(1961-). 

Portugal. 

Lissabon, C. Nacional, 1836 v. J. D. Bontempo. Ders. 
(1836-42), I. Cruz (1938-). Lit.: J. E. dos Santos, Le C. 
National de Lisbonne, La Rev. internationale de musique 
I, 1938. 

Rumanien. 

Bukarest, C. de muzica C. Porumbescu, 1 864. A. Flechten- 
macher (1864-98), D. Popovici-Bayreuth (1908-27), D. 
Gh. Dinicu (1955-59), V. Giuleanu (1962-). 

Schweden. 

Stockholm, Kungliga Musikhogskolan, 1771 v. Konig 
Gustaf III. (Kungliga Mus. Akademiens Undervisnings- 
verk -1880, Statens Musikk. -1940). J. M. Kraus (1788- 
92), B. Carlberg (1954-). Lit.: O. Morales u. T. Norlind, 
Kungliga Mus. Akad. 1771-1921, St. 1921, dass. 1921-31, 
St. 1932, u. 1931-41, St. 1 942; StigWalin, Kungliga Svenska- 
Mus. Akad., in : Uppsala Univ. Arsskrif t IV; 1 945. 
Schweiz. 

Basel, Musik-Akad. (mit Schola Cantorum Basiliensis), 
1867 (Allgemeine Musikschule -1905, Musikschule u. K. 
-1954). S. Bagge (1868-96), W. Miiller v. Kulm (1947-). 
- Bern, K. f. Musik (priv.), 1858 (Musikschule -1928). E. 
Franck (1859-67), R.Sturzenegger (1963-). Lit. : W. Juker, 
Musikschule u. K. f. Musikin B. 1858-1958, B. 1958. 



31* 



483 



Konservatorium (Spanien) 



Genf, C. de Musique, 1835 v. Fr. Bartholoni. N. Bloc 
(1835-49), S. Baud-Bovy (1957-). Lit.: H. Brochet, Le C. 
de Musique de Geneve, 1835-1935, G. 1935. 
Zurich, K. u. Musikhochschule (priv.), 1876 v. Fr. Hegar. 
Ders. (1876-1914), R. Wittelsbach (1939-). Lit.: R.Wittels- 
bach, K. Z., Fs., Z. 1951. - Musikakad. (priv.), 1891 v. A. 
Eccarius-Sieber. Ders. (1891-1901), H. Lavater (1923-59). 

Spanien. 

Barcelona, C. Superior Municipal de Miisica, 1886 v. J. 

Rodoreda (Escuela Municipal -1949). Ders. (1886-96), J. 

Zamacois Soler (1945-). 

Madrid, Real C. de Miisica y Declamation, 1830. Fr. 

Piermarini (1830-40), M. H. Eslava (1866-78), J. M. N. 

Otaflo y Eguino (1939-51). 

Tschechoslowakei. 

Brunn, Statni Hudebni a Dramatika K., 1919 v. J. Jana- 

cek. Ders. (1919-20), Zd. Blazek (1947-). 

Prag, Statni K., 1 8 1 1 v. Ver. zur Bef orderung d. Tonkunst 

in Bohmen (seit 1919 staatl.). F. D. Weber (1811-42), V. 

Holzknecht (1942-). Lit.: Stopadesat let Prazske k. (»1 50. 

Jahrestag d. Pr.er K.«), hrsg. v. V. Holzknecht, Pr. 1961. 

UdSSR. 

Kiew, Kiewska derschawna k. imeni P. I. Tschajkowsko wo 
(»K.er Staatl. Tschaikowsky-K.«), 1913. 
Lemberg, Lwy wyska derschawna k. imeni M. W. Lissenka, 
1903 (Hoheres Musikinst. M. W. Lissenko -1939). - Le- 
ningrad, Leningradskaja gossudarstwennaja k. imeni N. 
A. Rimskowo-Korsakowo (»L.er Staatl. N. A. Rimskij- 
Korsakow-K.«), 1 862 auf Initiative A. Rubinsteins durch 
d. Russ. Musikges. A. Rubinstein (1862-66 u. 1887-91), A. 
Glasunow (1905-28). Lit.: J. Kremlew, Leningradskaja 
gossudarstwennaja k., 1862-1937, L. 1938. 
Moskau, Moskowskaja gossudarstwennaja k. imeni P. I. 
Tschajkowsko wo, 1 866 auf Initiative N. Rubinsteins durch 
d. Russ. Musikges. N. Rubinstein (1866-81), S. Tanejew 
(1881-89), M. Ippolitow-Iwanow (1906-22). Lit.: N. Dm. 
Kaschkin, Perwoje dwadzatipjatoletije moskowskoj k. 
(»Das 1. Viertel-Jh. d. M.er K.«), M. 1891 ; Moskowskaja 
gossudarstwennaja k. imeni P. I. Tschajkowskowo. Mastera 
sowetskoj pianistitscheskoj schkoly, hrsg. v. A. A. Nikola- 
jew, M. 1954. - Gossudarstwennij musykalno-pedagogi- 
tscheskij inst. Gnessin, 1895 v. J. F. Gnessin (Musikschule 
-1944). Dies. (1895-1953), J.Wl.Muromzew(1953-). 
Odessa, Odeska derschawna k. imeni A. B. Neschdanowoj, 
1913. 

Reval (Tallinn), Gossudarstwennij inst. musyki i teatra 
ESSR, 1919 v. M. Liidig (Musikhochschule -1923, K. 
-1964). Ders. (1919-23), E. Kapp (1952-). - Riga, Letti- 
shes Staatl. J.-Vitol-K. (Lettisches. Staatl. K. -1958). J. 
Vitol (1920-35 u. 1937-44), J. Osolinsch (1950-). 

Ungarn. 

Budapest, Liszt F. Zenemiiveszeti Foiskola, 1875 v. Fr. 
Liszt (Koniglich Ungarische Landes-Musikakad. -1918). 
Fr. Erkel (1875-87), F. Szabo (1958-). 

USA. 

Ann Arbor, Univ. of Michigan, School of Music, 1892 v. 
A.A.Stanley.Ders.(1892-1921),E.V.Moore(1922-). 
Baltimore, Peabody C. (priv.), 1868 v. G. Peabody. N. H. 
Morison (1 868-71), R. Stewart (1941—). — Boston, B. Univ. 
College of Music, 1872. E. Tourjee (1872-91), R. A. Choate 
(1952-). - New England C. of Music, 1867 v. E. Tourjee. 
Ders. (1867-90), H. Keller (1947-). 
Cambridge, Harvard Univ., Department of Music (priv.), 
1871 v. J. Kn. Paine. Ders. (1871-1906), D. G. Hughes 
(1963-).- Cincinnati, College-C. of Music (priv.), 1955 
(entstanden aus College of Music, 1876 v. Th. Thomas, u. 
C. of Music, 1867 v. CI. Baur). J. L. Willhide (1955-). 
New Haven, Yale Univ., School of Music (priv.), 1894. 
H. Parker (1894-1920), L. Noss (1954-). - New York, 
Columbia Univ., Department of Music (priv.), 1754 (Kings 
College). E. MacDowell (1896-1904), W. J. Mitchell 
(1962-). - The Mannes College of Music (priv.), 1916 v. D. 
u. CI. Mannes. Dies. (1916-48), L. Mannes (1948-). 
Oberlin, O. College C. of Music (priv.), 1837 (C. of Music 
-1867). F. B. Rice (1871-1901), D. R. Robertson (1949-). 
Philadelphia, The Curtis Inst, of Music (priv.), 1924 v. 
M. C. Zimbalist. J. Hofmann (1927-38), E. Zimbalist 
(1941-). 



Rochester, Eastman School of Music of the Univ. of R. 
(priv.), 1913 v. G. Eastman. H. Hanson (1924-). Lit.: Note 
on the Eastman School of Music, Publication Found 
Series II, NY 1923. 

Lit. allgemein: L. Kestenberg, Musikerziehung u. Musik- 
pflege, Lpz. 1921, 21927; Fr. Jode, Musikschulen f. Jugend 
u.Volk, Wolfenbuttel 1924,21928; R. Schaal, Das Schrift- 
tum zur mus. Lokalgeschichts-Forschung, Kassel (1947); 
W. Twittenhoff, Neue Musikschulen, Mainz (1951); E. 
Preussner, Mus. Beruf serziehung, in : Musikerziehung VI, 
1953; Musikstudium in Deutschland. Studienfuhrer, hrsg. 
v.K.Hahn, Mainz (1960,21963) ;Musikberufeu. ihrNach- 
wuchs. Statistische Erhebungen 1960/61 d. Deutschen Mu- 
sikrates, hrsg. v. H. Sass u. W. Wiora, Mainz (1962). 

Konsonanten (von lat. consonare, mitklingen) sind 
Sprachlaute, die durch Beruhrung der Zunge mit wei- 
chem oder hartem Gaumen, den Zahnen oder durch 
Beruhrung beider Lippen oder der Unterlippe mit den 
Oberzahnen gebildet werden. Die K. unterteilen sich 
in solche, die den Atemstrom unterbrechen (intermit- 
tierende) oder weiterflieBen lassen (kontinuierliche), 
auBerdem in solche, die iiberwiegend Gerauschcharak- 
ter haben (stimmlose) oder bei denen Stimmlippen- 
schwingungen beteiligt sind (stimmhafte). Bei den 
stimmlosen VerschluBlauten setzt im Gegensatz zu den 
stimmhaften die Stimmlippenschwingung erst nach 
Sprengung des Verschlusses ein. Der Schwingungs- 
vorgang bei den stimmhaften K. ist gegeniiber dem 
bei den Vokalen nicht streng periodisch. Bei r kom- 
men die Schwingungen der Zunge oder des Zapfchens 
hinzu (20-40 Hz), die die Amplitude des in der Fre- 
quenz der Stimmlippen schwingenden Luftstromes 
modulieren. Die Bestimmung der Frequenzlage der 
verschiedenen K.-Gerausche erfolgte zuerst durch 
Suchtonanalysen (-*■ Frequenzanalyse), die zeitliche 
Ausbildung der Frequenzkomponenten wurde durch 
Oktavsiebanalysen erkannt. -*■ Aussprache, -*■ Vokale. 

Lit.: C. Stumpf, Die Sprachlaute, Bin 1926; O. v. Essen, 
Allgemeine u. angewandte Phonetik, Bin 1953, 3 1962; H. 
Lullies, Physiologie d. Stimme u. Sprache, in: Lehrbuch 
d. Physiologie, hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. Schutz, 
Bin, GSttingen u. Heidelberg 1953; F. Trendelenburg, 
Einfuhrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 
31961. 

Konsonanz und Dissonanz (lat. consonantia und 
dissonantia, griech. aufitpwvia und 8ia9«vta). - 1) K. 
bedeutet »Zusammentonen«, D. »Auseinandertonen«. 
Zwischen K. und D. besteht einerseits ein gradueller 
Unterschied (die hohere K.- ist eine niedrigere D.- 
Stufe und umgekehrt), andererseits eine spezifische 
Differenz oder ein Gegensatz. Die K.-Grade sind ma- 
thematisch, akustisch und tonpsychologisch bestimm- 
bar. Mathematisch entspricht einem hbheren K.-Grad 
ein einfacheres, einem niedrigeren ein komplizierteres 
Zahlenverhaltnis ; die Proportionen 1 : 2 (Schwingungs- 
frequenzen) oder 2:1 (Saitenlangen) reprasentieren die 
Oktave, 2 : 3 die Quinte, 3 : 4 die Quarte, 4 : 5 die grofie 
und 5 : 6 die kleine Terz. Die Tonverwandtschaf t in der 
Aufeinanderfolge ist der K. im Zusammenklang zwar 
im allgemeinen, aber nicht immer analog; der Ganz- 
ton, simultan eine D., begriindet als Sukzessivintervall 
eine nahe Tonverwandtschaft. Die spezifische Diffe- 
renz zwischen K. und D. ist einerseits durch die Ab- 
stufung in K.-Grade fundiert, erscheint andererseits 
aber als Sache der Aujfassung und des beziehenden Den- 
kens (C. Stumpf); die Quarte bildet trotz ihres hohen 
K.-Grades im Kontrapunkt seit dem 14. Jh. eine D. Ist 
der graduelle Unterschied von Natur gegeben, so ist 
der spezifische geschichtlich, in der Struktur des Ton- 
systems und der Technik der Mehrstimmigkeit, be- 
griindet. Eine K. ist im mehrstimmigen Satz ein selb- 
standiger, eine D. ein abhangiger Zusammenklang. 



484 



Konsonanz und Dissonanz 



Der dissonierende Ton muB entweder in einen konso- 
nierenden aufgelost oder als »harmoniefremder« Zu- 
satz aufgefaBt werden; wird keine der Bedingungen 
erfullt, so ist die spezifische (nicht die graduelle) Diffe- 
renz zwischen K. und D. aufgehoben (Schonberg: 
»Emanzipation der D.«). Im Tonsystem ist eine K. ein 
konstitutives, eine D. ein abgeleitetes Intervall, also 
eine indirekte K. (Guido von Arezzo bezeichnete 
samtliche diatonischen Intervalle als consonantiae). Als 
Difierenz zwischen Quarte und Quinte entsteht der 
Ganzton, zwischen groBer Terz und Quarte der diato- 
nische Halbton, zwischen kleiner und groBer Terz der 
chromatische Halbton. Die Ableitung von den K.en 
entscheidet iiber die Auswahl der musikalisch brauch- 
baren D.en aus der unendlichen Menge moglicher 
Tonabstande. Zwischen dem K.-Begriff der Satztech- 
nik und dem des Tonsystems konnen Divergenzen be- 
stehen; die Quarte, im Kontrapunkt des spateren Mit- 
telalters eine D., ist im Tonsystem ein konstitutives In- 
tervall, also eine K. - Im asthetischen Urteil iiber den 
»Wohl-« oder »Ubellaut« (C. Ph. E. Bach) und den Aus- 
druckscharakter eines Zusammenklangs verschranken 
sich akustische Momente mit logischen; eine scharfe 
D. kann leicht, eine milde schwer verstandlich sein. - 
In der Antike und im friihen Mittelalter galten einzig 
die Geriistintervalle des Tonsystems als symphon: die 
Consonantiae simplices Quarte, Quinte und Oktave 
und die Consonantiae compositae Undezime, Duode- 
zime und Doppeloktave. Die Symphonia wurde ei- 
nerseits psychologisch als Mischung der Tone beschrie- 
ben, andererseits mathematisch als vielfache oder iiber- 
teilige Proportion in den Grenzen der Vierzahl (qua- 
ternarius numerus) definiert; allerdings fallt die Un- 
dezime (3:8) aus dem Quaternarius numerus heraus. 
Die Frage, ob die Bestimmung der groBen Terz des 
Enharmonion als 4 : 5 und der kleinen Terz des Chroma 
als 5 : 6 (Archytas, Didymos) eine Auff assung als K.en 
einschlieBe, ist gegenstandslos, da die Terz kein Geriist- 
intervall war. - Das -*■ Organum des 9.-11. Jh. stiitzte 
sich auf Quarte und Quinte, die als symphon und zu- 
gleich diaphon (-> Diaphonia), also als ein Zusammen- 
stimmen von Verschiedenem, begriffen wurden. Terz 
und Sexte verfestigten sich im 12.-14. Jh. allmahlich 
von akzidentiellen D.en zu essentiellen Zusammenklan- 
gen, die als »unvollkommene« K.en (consonantiae im- 
perfectae) eine den musikalischen Fortgang bestim- 
mende Antithese zu den »vollkommenen« K.en (con- 
sonantiae perfectae), Oktave und Quinte, bilden 
(->■ Concordantia, -*■ Discordantia) . DaB sie »unvoll- 
kommen« seien, besagte, daB sie zwar in Parallelen 
fortschreiten durften, sich am SchluB eines Abschnitts 
aber in vollkommene K.en auflbsert sollten. Seit dem 
spaten 15. Jh. wurden die Terzen als selbstandige Zu- 
sammenklange aufgefaBt, als uberteilige Proportionen 
(4:5 und 5:6) start als abgeleitete Intervalle (Ditonus, 
d. h. doppelter Ganzton = 64:81) bestimmtundalskon- 
stitutiv fiir das Tonsystem begriffen. - Die D. gait im 
-*■ Kontrapunkt des 15. und 16. Jh. als Ubergang zwi- 
schen 2 K.en. Die unbetonte D. wurde als -*■ Durch- 
gang (transitus; la) durch Sekundschritte exponiert 
la b una " aufgelost, die 

J . 1 _l^~>_l j betonte D. als 

<h „ 1 o I I . I .^ ^ "* Vorhalt (sus- 

i) ^y pensio; lb) durch 

Vorausnahme des dissonierenden Tones »vorbereitet« 
und durch einen Sekundschritt abwarts aufgelost. Eine 
zulassige Ausnahme bildete die -*■ Cambiata. Irregulare 
2 a b D.en, die Auslas- 

,J . „ y j- — r~>J I . sung der Vorberei- 

tungs-K. (-* Ellip- 
sis ; 2a) oder das Ab- 



springen von der D. in eine andere Stimme (->■ Hetero- 
lepsis; 2b), wurden im 17. und friihen 18. Jh. als -> Fi- 
guren gerechtfertigt. Andererseits setzte sich allmahlich 
die Unterscheidung zwischen »wesentlichen« und »zu- 
falligen«D.en(J.Ph.Kirnberger)durch: zwischen Sept- 
akkorden, die als Ganzes dissonieren, und »harmonie- 
fremden« Tonen, die durch die Stimmfiihrung moti- 
viert sind. Die Bezeichnungen fiir »zufallige« D.en sind 
nicht fest umrissen: Durchgang wird eine unbetonte 
3 a be d e 





r r r r r r 

und durch einen Sekundschritt exponierte (3a), manch- 
mal aber auch eine durch einen Sprung herbeigefiihrte 
(3b) oder eine betonte D. (3c) genannt, Vorhalt die vor- 
bereitete (3d) oder unvorbereitete (3c) betonte D., An- 
tizipation die unbetonte Vorausnahme einer K. (3e). - 
Die -*■ Harmonielehre des 19. Jh. ersetzte die Differenz 
zwischen K. und D. durch die Unterscheidung zwi- 
schen harmonischen und harmoniefremden Tonen 
oder gebrauchte die Ausdriicke K. und D. als Synony- 
me fiir harmonisch und harmoniefremd. G.Weber 
klassifizierte samthche leitereigenen Septakkorde als 
harmonisch, die iibrigen Tone als harmoniefremd. H. 
Riemann laBt dagegen einzig die Dreiklange der Toni- 
ka, Dominante und Subdominante als Harmonien gel- 
ten ; so fallt z. B. der Ton d des Akkords d-f-a in C dur 
als Zusatz zu den Subdominanttonen f und a unter den 
Begriff des harmoniefremden Tons, also der D. 
Lit.: A. v. Oettingen, Harmoniesystem in dualer Ent- 
wickelung, Dorpat u. Lpz. 1866, als : Das duale Harmonie- 
system, Lpz. 2 1913; C. Stumpf, Gesch. d. Consonanzbe- 
griflfs I, Abh. d. kgl. bayerischen Akad. d. Wiss., philoso- 
phisch-philologische u. hist. Klasse XXI, 1897; ders., K. 
u. D., in: Beitr. zur Akustik u. Mw. I, Lpz. 1898; H. Rie- 
mann, Zur Theorie d. K. u. D., in : Praludien u. Studien III, 
Lpz. 1901 ; St. Krehl, Die D. als mus. Ausdrucksmittel, 
ZfMw I, 1918/19; E. Hartmann, K. u. D., zur Gesch. ih- 
res Begriffs u. ihrerTheorien, Diss. Marburg 1923, maschr. ; 
I. Krohn, Zur Analyse d. K.-Gehalts, Fs. H. Pipping, Hel- 
sinki 1924; Kn. Jeppesen, Der Palestrinastil u. d. D., Lpz. 
1925, engl. Kopenhagen u. London 1927, 21946; K. Len- 
zen, Gesch. d. Konsonanzbegriffes im 19. Jh., Diss. Bonn 
1933; E. Kickton, Das Problem d. K., Diss. Bin 1947, 
maschr. ; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ; 
H. Husmann, Vom Wesen d. K., in: Mus. Gegenwartsfra- 
gen III, Heidelberg 1953; ders., Verschmelzung u. K., 
Deutsches Jb. d. Mw. I (=JbP XLVIII), 1956; J. Loh- 
mann, Die griech. Musik als mathematische Form, AfMw 
XIV, 1957; C. Dahlhaus, Oberd. D.-Begriffd. MA, Kgr.- 
Ber. Koln 1958; ders., Intervalld. u. Akkordd., Kgr.-Ber. 
Kassel 1962; R. Bobbitt, The Physical Basis of Intervallic 
Quality and Its Application to the Problem of Dissonance, 
Journal of Music Theory III, 1959; B. Stockmann, Ober 
d. D.-Verstandnis Bachs, Bach-Jb. XLVII, 1960. CD 

- 2) K. und D. als spezifische horpsychologische Er- 
scheinungsweisen zunachst an Zweiklangen, dann auch 
an Mehrklangen sind schon seit den Pythagoreern und 
neuerdings seit einem Jahrhundert unter moderner 
Methodik Gegenstand experimenteller Untersuchun- 
gen. Diesen wurde zumeist die Hypothese der »klassi- 
schen« Psychophysik (-> Horpsychologie) zugrunde 
gelegt, wonach sich alle erscheinungsmaBigen (»pha- 
nomenalen«) Sachverhalte auf einfache physikalische 
oder physiologische zuriickfuhren lassen sollen. Schon 
Leibniz und L.Euler erklarten K. und D. aus einem un- 
bewuBten Zahlenvergleich oder Rechnen. H. v. Helm- 
holtz (1862) gab zweiKriteriendafiiran, und zwar : 1) K. 
ist eine stetige (kontinuierliche), D. eine intermittieren- 
de Tonempfindung, beide sind polare Gegensatze einer 
Dimension des Klangeindrucks. D. entstehe durch Sto- 
rungen zweier (odermehr) gleichzeitiger Schwingungs- 



485 



Konsonanz und Dissonanz 



vorgange bei kompliziertem Frequenzverhaltnis inf ol- 
ge des Auftretens von Schwebungen zwischen den 
Primar- oder auch Teil- und Kombinationstonen. K. 
stelle eine Ausnahme von dieser Regel dar, indem sol- 
che Storungen bei ganzzahligem Frequenzverhaltnis 
entfallen oder nur abgeschwacht auftreten, so daB sie 
den Klangeindruck nicht wesentlich beeinflussen. 
2) Kriterium der K. ist das Zusammenfallen von Ober- 
schwingungen beider Primartone (»Klangverwandt- 
schaft«). Stumpf wies die nur beschrankte Gultigkeit 
beider Helmholtzscher Kriterien nach und erblickte 
die K. in der eindrucksmaBigen (phanomenalen) An- 
naherung desZweiklangs an denEinklang (»Verschmel- 
zung«). Th.Lipps und nach ihm v.Hornbostel nahmen 
als Ursache der K. zentralnervose Prozesse an in Ge- 
stalt von Gliederungen der Schwingungsimpulse in 
»Mikrorhythmen«, deren gutes Zusammenpassen die 
K. ergeben soil. F.Krueger, der Begriinder der Leipzi- 
ger ganzheitspsychologischen Schule, sah in der Ver- 
traglichkeit oder Unvertraglichkeit der beim Zusam- 
menklingen entstehenden Kombinations-, zumal Dif- 
ferenztone, den Ursprung von K. und D.: eine zur 
harmonischen Reihe erganzende Ordnung des Diffe- 
renztonunterbaus ist bei K. gegeben und fur dehWohl- 
klang und das Feststehende maBgebend, wahrend im 
Falle der D. Storungen, Triibung und Unklarheit in 
diesem Unterbau eine Beeintrachtigung des Klangein- 
drucks im Sinne der Labilitat herbeifiihren. Wellek 
(1934) und sein Schiiler Sandig (1939), sodann nach 
ihnen Husmann ging'en von Experimenten mit »ge- 
trenntohrig« (dichotisch, binaural) gebotenen Zwei- 
klangen aus und widerlegten den Alleinanspruch des 
Kruegerschen Kriteriums. Husmann definiert in An- 
lehnung an die antike Musiktheorie als K. dasjenige Er- 
scheinungsmaflige . . . , was der Tatsache entspricht, dafi die 
physikalischen Schwingungen konsonanter Intervalle ein- 
fache Zahlenverhd'ltnisse bilden (1952). Hier besteht je- 
doch der von Hornbostel und Wellek vorgetragene 
Einwand, daB etwas uberscharfe Intervalle (z. B. 
200:401 Hz) in unwissentlicher Beurteilung als bessere 
K.en imponieren als streng exakte (»Schwellentatsa- 
che«). Husmanns »Koinzidenztheorie« der K. geht da- 
von aus, daB selbst bei getrenntohriger Darbietung 
zweier Schwingungen sich »subjektive« oder »Ohr- 
Obertone« im Sinne von Helmholtz bilden, deren 
Existenz neuerdings nachgewiesen ist, und daB die 
Strukturen der nervosen Prozesse im zentralen Bereich 
zur Deckung gelangen und damit den Eindruck der K. 
hervorrufen. D. sei indes nicht Gegenpol der K. und 
habe nichts mit den Schwingungsverhaltnissen selbst 
zu tun. Sie sei vielmehr eine Art von Storung, die erst 
beim Zusammenklingen entstehe und auch bei konso- 
nanten Intervallen in mehr oder minder schwacher 
Form anzutreffen sei. K. und D. seien daher zwar als 
parallel entgegengesetzte, aber voneinander weitgehend 
unabhangige, auf verschiedenen Ebenen der Wahrneh- 
mung etablierte Phanomene anzusehen. In Fortfiih- 
rung der Theorie Husmanns zeigten die Untersuchun- 
gen iiber Binauraltone von Reinecke (1964), daB vor 
allem bei ganzzahligen Schwingungsverhaltnissen der 
Klangeindruck zu hoheren Strukturen erweitert wer- 
den kann (aus der Terz wird ein Dreiklang, aus der 
Quarte ein Quartsextakkord), was auf sehr komplexe 
Prozesse beimZustandekommen klanglicherEindrticke 
hindeutet. In diesem Sinne ist auch die von Wellek 
(1958 und 1963) formulierte »Multiplizitatstheorie« der 
K. anzusetzen, die einen Versuch darstellt, die Ergeb- 
nisse eigener und alterer fremder Experimente zusam- 
mengefaBt auf einen Nenner zu bringen, das Phano- 
men der K. auf vielfaltige Wurzeln sowohl phano- 
menaler wie physiologischer Art zuriickzuftthren. 



Lit.: H.v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
als physiologische Grundlage f. d. Theorie d. Musik, 
Braunschweig 1863, 41877, 61913; C. Stumpf, Tonpsycho- 
logie, 2 Bde, Lpz. 1883-90, Nachdruck Hilversum u. Am- 
sterdam 1965; F. Krueger, DifTerenztone u. K., Arch, 
f. d. gesamte Psychologie I— II, 1903/04; ders., Die Theorie 

d. K Psychologische Studien I, 1906, S. 305ff. ; E. M. 

v. Hornbostel, Psychologie d. Gehorserscheinungen, in: 
Hdb. d. normalen u. pathologischen Physiologie XI, hrsg. 
v. A. Bethe u. a., Bin 1926 ; A. Wellek, Die Aufspaltung d. 
»Tonh6he« . . . u. d. Konsonanztheorien v. Hornbostel u. 
Krueger, ZfMw XVI, 1934; ders., Artikel K. - D., in: 
MGG VII, 1958; ders., Musikpsychologie u. Musikasthe- 
tik, Ffm. 1 963 ; H. Sandig, Beobachtungen an Zweiklangen 
in getrenntohriger u. beidohriger Darbietung, Neue Psy- 
chologische Studien XIV, 1939; H. Husmann, Eine neue 
Konsonanztheorie, AfMw IX, 1952; ders., Vom Wesen d. 
K., = Mus. Gegenwartsfragen III, Heidelberg 1953 ; ders., 
Der Aufbau d. Gehorswahrnehmungen, AfMw X, 1953; 
ders., Verschmelzungu. K., Deutsches Jb. d. Mw. I (= JbP 
XLVIII), 1956; H.-P. Reinecke, Experimentelle Beitr. zur 
Psychologie d. mus. Horens, = Schriftenreihe d. Mw. Inst, 
d. Univ. Hbg III, Hbg 1964. AW 

Konstanz. 

Lit. : Fr. Spitta, Die Lieder d. K.er Reformatoren, MGkK 
II, 1897/98 - III, 1898/99; A. Dold OSB, Die K.er Ritua- 
lientexte in ihrer Entwicklung v. 1482-1721, Munsteri.W. 
1 923 ; O. C. A. zur Nedden, Zur Mg. v. K. um 1 500, ZfMw 
XII, 1929/30; J. Autenrieth, Die Domschule v. K. zur 
Zeit d. Investiturstreits, = Forschungen zur Kirchen- u. 
Geistesgesch., N. F. Ill, Stuttgart (1956); P. Zinsmaier, 
Eine unbekannte Quelle zur Gesch. d. ma. Liturgie im 
K.er Munster, Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins CIV, 1956; 
Cl. Gottwald, Das K.er Fragment, AMI XXXIV, 1962; 
M. Schuler, Die K.er Domkantorei um 1500, AfMw 
XXI, 1964; ders., Der Personalstatus d. K.er Domkan- 
torei um 1500, ebenda; ders., Die Musik in K. wahrend d. 
Konzils 1414-18, AMI XXXVIII, 1966. 

Kontakion (griech., Stabchen). Mit dem Aufkom- 
men des K. im 6. Jh. beginnt das goldene Zeitalter der 
byzantinischen -> Hymnographie. Die Erfindung des 
K. wird Romanos »dem Meloden« zugeschrieben. 
Wenn auch nicht wirklich der Erfmder, so war Ro- 
manos doch jedenfalls der bedeutendste Dichter von 
Kontakia und verdiente sich durch sein Schaffen auf 
diesem Gebiet den Beinamen eines »christlichen Pin- 
dar*. Sein erstes Werk in dieser Form soil das Weih- 
nachts-K. gewesen sein. Weitere Schopfer von Kon- 
takia waren Kyriakos, Georgios, Theodoros Studita 
so wie in der Spatzeit derK.-Dichtung Bartolomeo von 
Grottaferrata (f 1055). - Die Urspriinge der Form des 
K. sind in Syrien zu suchen. Es besteht aus einer Einlei- 
tungsstrophe, dem Kukulion oder Prooimion oder K., 
und bis zu 40 Oikoi (»Hauser«, Strophen), deren Bau 
sich nach dem ersten Oikos (nicht nach dem Kukulion) 
richtet. Das Kukulion und die folgenden Strophen en- 
den- mit dem gleichen Akroteleution oder Ephymnion 
(Refrain). Die Anfangsbuchstaben der Strophen eines 
K. ergeben oft ein Akrostichon. Als solistischer Gesang 
(mit Chorrefrain) weist das K. eine stark melismatische 
Melodik auf; es findet sich im Psaltikon aufgezeichnet. 
Von den beriihmtesten Kontakia seien das Weihnachts- 
K. des hi. Romanos und der demselben zugeschriebene 
-> Akathistos hymnos genannt. 

Ausg. : Contacarium Ashburnhamense, hrsg. v. C. H0EG, 
= Monumenta Musicae Byzantinae IV, Kopenhagen 1956. 
Lit.: P. Maas, Das K., Byzantinische Zs. XIX, 1910; E. 
Wellesz, A Hist, of Byzantine Music and Hymnography, 
Oxford 1949, 21961 ; ders., K. u. Kanon, in: Atti del con- 
gresso internazionaie di musica sacra Rom 1950; ders., 
Zum Stil d. Melodien d. K., in: Miscelanea en homenaje a 
H. Angles II, Barcelona 1958-61; C. Floros, Das K., 
DVjs. XXXIV, 1960; K. Levy, The Slavic Kontakia and 
Their Byzantine Originals, in : Queens College of the City 
Univ. of NY, Department of Music, Twenty-Fifth Anni- 
versary (1937-62), hrsg. v. A. Mell, NY 1964. 



486 



Kontrafaktur 



Kontertanz -> Contredanse. 

Kontrabafi (ital. violone, violone grosso, contravio- 
lone, contrab basso; frz. basse double, contrebasse; engl. 
double bass), - 1) das grofite der Streichinstrumente 
(abgesehen von Riesenbassen; ->• Octobasse), das durch 
tiefe Lage und fiilligen Ton ausgezeichnet ist. Der 
Kb. hat heute meist ein Corpus vom Viola da gamba- 
Typ mit flachem, oben abgeschragtem Boden und 
spitz zulaufenden Schultern, seltener ein Corpus vom 
-»■ Viola da braccio-Typ; auch Mischformen kom- 
men vor. Die Normalstimmung ist iE iA D G (Um- 
fang bis d 1 und hdher, besonders mit Flageolett) ; als 
16'-Instrument wird der Kb. im BaBschliissel eine Ok- 
tave hoher als klingend notiert. - Der Kb. ist hervor- 
gegangen aus den tiefsten Instrumenten des -*■ Viola da 
gamba-Stimmwerks, doch wurden in Italien im 16. 
Jh. auch Kontrabasse mit gewolbtem Boden gebaut. 
Praetorius bildet 1619 eine 5saitige Grofi Contra-Bas- 
Geig und einen 6saitigen Violone, Grofi Viol-de Gamba 
Bass, ab, deren Corpora iiberwiegend Merkmale des 
Viola da braccio-Typs zeigen; die Stimmung in Quar- 
ten befindet Praetorius fur gut. Im 17. Jh. wurde der 
Kb. in Deutschland und Italien zur Ausfiihrung der 
BaBstimme im vokalen und instrumentalen Ensemble 
eingesetzt, besonders in groBen Raumen (Kirchen) und 
in der Oper. In Paris, wo er erst 1706 in Marais' Alcyone 
ausdriicklich gefordert wurde, war er bis 1719 noch 
Nebeninstrument. Im 18. Jh. und bis ins 19. hinein 
waren mehrere Stimmungen in Gebrauch, darunter 
die in iG D A (auch jG D G) oder iADG fiir 3saitige 
Kontrabasse, die (noch von R.Strauss) wegen ihrer 
leichten Ansprache bei groBer Klangfiille und gut 
zeichnender Bafilinie geschatzt wurden. Koch (1802) 
berichtet, dafi die jE-Saite des 4saitigen Instruments 
auch auf iEs oder ]D heruntergestimmt wurde. Von 
Wagner und in der modernen Literatur wird bisweilen 
das jC gefordert, wozu 5saitige Kontrabasse oder sol- 
che mit C-Maschine (durch die die iE-Saite verlangert 
werden kann) verwendet werden. Etwa gleichzeitig 
mit der modernen Stimmung wurde der Kb. ohneBun- 
de um 1800 zur Regel. Der Bogen (seit Simandl in der 
modernen konkaven Form) wird nach Landern unter- 
schiedlich gef iihrt : entweder mit seitlichem Untergriff 
oder (nach Bottesini) wie der Violoncellobogen mit 
Obergriff (deutsche bzw. franzosische Bogenfiihrung). 
Wahrend im klassischen Orchester der Kb. in der Re- 
gel oktavierend mit dem Violoncello gef iihrt und nicht 
gesondert notiert wurde, wird er seit Beethoven viel- 
fach selbstandig eingesetzt. Konzerte fiir Kb. schrie- 
ben neben Dittersdorf u. a. Vanhal, C. Stamitz und 
Capuzzi. Daneben wird er in der Kammermusik ver- 
wendet (Boccherini, Quintett, 1787; ferner u. a. bei 
Schubert, Forellenquintett ; Dvorak, Quintett op. 77, 
1875), seltener solistisch (Hindemith, Sonate). Fiir die 
Kammermusik im 18. Jh. gab es auch ein handliche- 
res Instrument der gleichen Lage, jedoch von gerin- 
gerer Tonfiille (-* Bassett). Besonders wirkungsvoll 
ist das Pizzicato des Kontrabasses, das im Jazz durch- 
gangig angewendet wird, wo der Kb. friih die Tuba 
verdrangt hat. Bekannte Kontrabassisten alterer und 
neuerer Zeit: W.Hause, J.Abert, Laska und Kusse- 
witzky, im Jazz O. Pettiford und Ch. Mingus. - 2) eine 
1845 von Cerveny gebaute kreisrunde -> Tuba (- 2) in 
C, iB, iF und iEs; 1873 baute er noch einen Sub-Kb., 
der bis 2 A reicht. - 3) in der Orgel eine 16'- oder 32'- 
Labialstimme im Pedal, als Nachahmung der Blech- 
kontrabasse auch als 16'-Zungenstimme. 
Lit. : zu 1 ) : Praetorius Synt. II ; Quantz Versuch ; KochL, 
Artikel Contra- Violon ; Fr. Warnecke, Ad infinitum. Der 
Kb., Seine Gesch. u. seine Zukunft, Hbg 1909 ; M. Flech- 
sig, Spielkultur auf d. Kb., Lpz. 1934; E. Halfpenny, A 



Note on the Genealogy of the Double Bass, The Galpin 
Soc. Journal I, 1948; A. Planyavsky, Der Kb. in d. Kam- 
mermusik, Osterreichische Musikzs. XIII, 1958. 

Kontrafaktur (von lat. contrafacere, dagegen ma- 
chen, nachahmen) bezeichnet das Abfassen eines Lied- 
textes auf eine schon vorhandene Melodie (Gennrich 1963), 
in der Regel unter formalem und (bzw. oder) inhalt- 
lichem Bezug auf einen friiher mit ihr verbundenen 
Text. Schon der sinnverandernde Austausch weniger 
Worter fallt in den Bereich der K. Sie betrifft vor al- 
lem die 1st. Musik. Aber auch Umtextierungen von 
oder in mehrstimmigen Tonsatzen werden heute unter 
diesen Begriff gestellt. Ab 1600 hiefi das gleiche Ver- 
fahren zumeist -v Parodie. - Die K. besitzt ein hohes 
Alter. Im Gregorianischen Gesang sind seit dem Mit- 
telalter bis in die Neuzeit haufig neue Texte vorgege- 
benen Singweisen unterlegt worden. Zu Beginn seines 
27. Liedes beschreibt Bernart de Ventadorn den Vor- 
gang, rechte Worte zu einem Ton zu fmden. Uber- 
schriften wie contre le chant oder super cantilenam ver- 
weisen gelegentlich auf das Modell. Die grofie Rolle 
der K. im Mittelalter erklart sich aus dem Schaffens- 
prinzip dieser Zeit, Neues in engem AnschluB an Be- 
stehendes zu gewinnen, und aus dem intensiven kiinst- 
lerischen Austausch zwischen den Volkern. Durch 
Ubersetzung von einer Sprache in die andere und 
durch Nachahmung beruhmter Muster entstand ein 
umfangreiches, internationales Liedgut. Die Erfor- 
schung der K. ermoglicht es, scheinbar verschollene 
Melodien, z. B. fiir den deutschen Minnesang oder fiir 
das deutsche Barocklied, wiederzugewinnen. - Den 
groBten Anteil unter den K.en haben geistliche Um- 
dichtungen weltlicher Lieder (contrafact uff einen geist- 
lichen Sinn, Hs. Pfullingen, 15. Jh.). Seit dem 12. Jh. 
diente das Verfahren dem neu sich entfaltenden Ma- 
rienkult. Aus dem Kreis deutscher Dichtermusiker des 
ausgehenden Mittelalters ragt H. Lauffenberg als Ver- 
fasser geistlicher K.en hervor. - Wahrend der lutheri- 
sche Choral vor allem an das vorreformatorische geist- 
liche Liedgut ankniipft, gewann im letzten Drittel des 
16. Jh. die geistliche und moralische »Besserung« ur- 
spriinglich profaner Gesange erneut an Bedeutung. 
Mit erbaulichen Umdichtungen wollten der Alzeyer 
Burggraf Philippsen der Jungere zu Winnenberg und 
Beilstein, der Prediger zu Stade H.Wepse (Vespasius) 
und der Jurist H.Knaust verhafite »Buhlenlieder« ver- 
drangen. Aus anderen europaischen Landern sind ahn- 
liche Bestrebungen bekannt. Haufig stiitzten sich Psal- 
mendichtungen auf weltliche Melodien (-> Souter- 
liedekens). In zunehmendem MaBe wurden seit der 
Mitte des 16. Jh. ganze Tonsatze, Chansons, Madrigale, 
Villanellen und Kanzonetten, darunter Scheins Musica 
boscareccia, in den geistlichen Bereich uberfiihrt, wobei 
die Oberstimmen zum Teil in den Rang von Kirchen- 
liedern aufstiegen. J.Regnarts Venus, du und dein Kind 
wurde zu Auf meinen lieben Gott, H.L.HaBlers Mein 
Gmiith ist mir verwirret zu Herzlich tut mich verlangen 
bzw. O Haupt voll Blut und Wunden und G. G.Gastoldis 
A lieta vita zu In dir ist Freude. - Seit etwa 1650 hat 
die K. sichtlich an Bedeutung und Dynamik verlo- 
ren. Man dichtete nun nicht mehr an einer bestimm- 
ten Melodie entlang, sondern rechnete mit Neuverto- 
nung oder uberliefi die Auswahl einer metrisch passen- 
den Weise der kirchenmusikalischen Praxis. Je weiter 
sich geistliche und weltliche Musik voneinander ent- 
fernten, desto schwieriger wurde ein Austausch zwi- 
schen beiden Spharen. Nur in den Erweckungsbewe- 
gungen hat er sich bis heute und anscheinend miihelos 
vollzogen. 

Lit.: K. Hennio, Die geistliche K. im Jh. d. Reformation, 
Halle 1909; Fr. Gennrich, Lat. Kontrafacta altfrz. Lie- 



487 



Kontrapunkt 



der, Zs. f. romanische Philologie L, 1930; ders., Liedk. in 
mhd. u. ahd. Zeit, Zs. f. deutsches Altertum LXXXII, 1948, 
u. in : Der deutsche Minnesang, = Wege d. Forschung XV, 
Darmstadt 1961, Nachdruck 1963; ders., Lat. Lied-K.., Ei- 
ne Auswahl lat. ConductusmitihrenvolkssprachlichenVor- 
bildern, = Mw. Studienbibl. XI, Darmstadt 1956; ders., 
Die K. im Liedschaffen d. MA, = Summa musicae medii 
aevi XII, Langen bei Ffm. 1965; Fr. Blume, Die ev. Kir- 
chenmusik, Biicken Hdb., als: Gesch. d. ev. Kirchenmusik, 
Kassel 21965; Kn. Jeppesen (mit V. Brandal), Die mehrst. 
ital. Laude um 1500, Kopenhagen 1935; M. C. Pfleoer, 
Untersuchungen am deutschen geistlichen Lied d. 13. bis 
16. Jh., Diss. Bin 1935; A. A. Abert, Das Nachleben d. 
Minnesangs im liturgischen Spiel, Mf I, 1948; J. Hand- 
schin, Gesungene Apologetik, in: Miscellanea liturgica in 
honorem L. C. Mohlberg II, = Bibliotheca »Ephemerides 
Liturgicae« XXIII, 1949, u. in: Gedenkschrift J. Handschin, 
Bern u. Stuttgart 1957; J. A. Huisman, Neue Wege zur 
dichterischen u. mus. Technik Walthers v. d. Vogelweide, 
= Studia litteraria Rheno-Traiectina I, Utrecht 1950; 
N. Schi0rring, Det 16. og 17. arhundredes verldslige 
danske visesang I u. II, Kopenhagen 1950; F. Ghisi, 
Strambotti e laude nel travestimento spirituale della poesia 
mus. del Quattrocento, CHM I, 1953; ders., L'Aria di 
Maggio et le travestissement spirituel de la poesie mus. 
profane en Italie, in: Musique et poesie au XVI e s., = Col- 
loques internationaux du Centre National de la Recher- 
che scientifique, Sciences humaines V, Paris 1954; H. Al- 
brecht, Zur Rolle d. K. in Rhaus Bicinia v. 1545, Fs. M. 
Schneider, Lpz. (1955); S. W. Kenney, Contrafacta in the 
Works of W. Frye, JAMS VIII, 1955; U. Aarburg, Melo- 
dien zum fruhen deutschen Minnesang. Eine kritische Be- 
standsaufnahme, Zs. f. deutsches Altertum LXXXVII, 
1956/57, u. in: Der deutsche Minnesang, = Wege d. For- 
schung XV, Darmstadt 1961, Nachdruck 1963; K. v. Fi- 
scher, K. u. Parodien ital. Werke d. Trecento u. fruhen 
Quattrocento, Ann. Mus. V, 1957; E. Jammers, Der Vers 
d. Trobadors u. Trouveres u. d. deutschen K., in : Medium 
Aevum Vivum, Fs. W. Bulst, Heidelberg 1960; J. Muller- 
Blattau, K. im alteren geistlichen Volkslied, Fs. K. G. 
Fellerer, Regensburg 1962; M. Honegger, La chanson 
spirituelle huguenote au XVI e s., Jb. f. Liturgik u. Hym- 
nologie IX, 1 963 ; Th. Gollner, Landinis Questa f anciulla 
bei O. v. Wolkenstein, Mf XVII, 1964; J. Aengenvoort, 
Die K. in d. Gesch. d. geistlichen Liedes, Musik u. Altar 
XVIII, 1966; W. Braun, Die ev. K., Jb. f. Liturgik u. 
Hymnologie XII, 1966. WB 

Kontrapunkt (lat. contrapunctus oder -um; ital. und 
span, contrapunto; frz. contrepoint; engl. counter- 
point), das aus punctus contra punctum (Note gegen 
Note; -»- Punctus - 1) entstandene, seit dem 14. Jh. ge- 
brauchliche und fortan in der mehrstimmigen Musik 
des Abendlandes zentrale Begriffswort mit den Bedeu- 
tungsfeldern : 1) als grundlegendes Satzprinzip, als Satz- 
oder (improvisatorische) Singpraxis und als -*■ Satz- 
lehre; 2) als Bezeichnung fur die nach dem K.-Prinzip 
gewonnene Stimme oder fur eine ganze kontrapunkti- 
sche Komposition; 3) als spezielle Satztechnik der Ver- 
tauschung oder Versetzung einzelner Stimmen, wo- 
durch »doppelter« oder »mehrf acher« K. entsteht. 
1) Prinzip, Praxis und Lehre des K.s dienen im 14./15. 
Jh. dazu, einen Cantus bzw. C. f. au£ Grund von Kon- 
sonanz- und Konsorianzfolgeregeln mit einer Gegen- 
stimme (oder mehreren) zu versehen, und beruhen dar- 
auf, daB »Note gegen Note« gesetzt, d. h. je eine Ge- 
genstimmennote je einer Cantusnote intervallmaBig 
»zugemessen« wird. Damit regelt das K.-Prinzip den 
Zusammenklang, aber zugleich auch die Fortschrei- 
tung, indem der Cantusverlauf sowie der Rangunter- 
schied von perfekten (Einklang, reine Quinte und Ok- 
tave) und imperfekten (Terzen, Sexten) Konsonanzen 
die Konsonanzfolgen bestimmen. Der K. in dieser ur- 
spriinglichen Weise ist hervorgegangen aus dem -*■ Dis- 
cantus, genauer : aus dem wohl fiir Improvisation und 
Lehrzwecke geschaffenen Discantus simplex (qui nihil 
alius est quam punctus contra punctum, Petrus dictus Pal- 



ma ociosa, 1336) und gait zunachst als Grundlage der 
Discantuspraxis (contrapunctus . . . est . . . fundamentum 
discantus . . . aliquis non potest discantare, nisi priusfaciat 
contrapunctum, CS III, 60b). Bis ins 15. Jh. blieb der zu- 
weilen noch weiterhin discantus genannte K. beschrankt 
auf den 2st. Note-gegen-Note-Satz und auf Konso- 
nanzen. Die Regeln verlangen Gegenbewegung der 
Stimmen sowie Wechsel zwischen perfekten und im- 
perfekten Konsonanzen als allgemeine Norm, von der 
nur im Schutze anderer Vorschriften abgewichen wird. 
Perfekte Konsonanzen sind fiir Anfangs- und SchluB- 
klang verbindlich, diirfen keine Parallelfolgen aus glei- 
chen Intervallen bilden, konnen aber bei ungleichen 
Intervallen parallelgefiihrt werden, wenn eine Stimme 
im Sekundgang fortschreitet. Imperfekte Konsonan- 
zen werden in die stufenbenachbarten perfekten wei- 
tergefiihrt, gleichsam »aufgelost« (kleine Terz zum 
Einklang, groBe Terz - und, wohl spater, kleine Sexte - 
zur Quinte, groBe Sexte zur Oktave), was jedoch durch 
eine Kette von zwei bis vier gleichen, stufenweise 
schreitenden imperfekten Konsonanzen hinausgezo- 
gert werden kann; die Paenultima muB imperfekt sein. 
Die Folge intervallverschiedener imperfekter Konso- 
nanzen (die deren Auflosungsstreben nicht vollstandig 
erfullt) ist, wie Erwahnungen und Notenbeispiele zei- 
gen, gestattet. Die fruhen K.-Regeln beriicksichtigen 
meist nur je zwei benachbarte Zusammenklange, aber 
nicht den melodischen Gesamtverlauf der Gegenstim- 
me, der ein Sekundarergebnis der Setzung bleibt. Ak- 
zidentiengebrauch (->■ Musica ficta) tritt auf zur Ver- 
meidung des -> Mi contra Fa (der nicht reinen Quinte 
oder Oktave) und als Auspragung des klanglichen 
Strebens der imperfekten zu den perfekten Konsonan- 
zen (vgl. die dulcior armonia bei Prosdocimus de Bel- 
demandis, CS III, 199). Trotz der Beschrankung auf 
Konsonanzen und 2st. Note-gegen-Note-Satz verkor- 
pert der friihe K. bereits dasjenige Regelsystem, wel- 
ches f iir Jahrhunderte das gultige Fundament des mehr- 
stimmigen Satzes geblieben ist. Dissonanzen werden in 
den Traktaten der Friihzeit vereinzelt erwahnt, aber 
nicht in die K.-Lehre einbezogen ; der Cantus f ractibilis, 
eine in kleine Notenwerte aufgegliederte Gegenstim- 
me mit erlaubten, kaum erorterten Dissonanzen, steht 
auBerhalb des K.s (CS III, 27) ; die Beispiele fiir eine 
Diminutio des K.s (CS III, 62ff.) zeigen lediglich rhyth- 
mische Gliederungsmoglichkeiten. Die allmahliche, 
zunachst kritisierte Ausdehnung der Bezeichnung K. 
auf den Satz mehrerer Noten gegen eine (plurimarum 
notarum contra aliquant unicam solam notam . . . positio, 
CS III, 194a) laBt sich Anfang des 15. Jh. nachweisen. 
Die Neuerungen der K.-Lehre im Laufe dieses Jahr- 
hunderts betreffen die Einbeziehung der Dissonanzen 
sowie die Behandlung des drei-(und mehr-)stimmigen 
Satzes und rhythmisch freier Gegenstimmen. Die im 
2st. K. zu den Dissonanzen zahlende reine Quarte wird 
im mindestens 3st. Satz konsonant verwendet, wenn 
sie iiber einer Terz oder Quinte steht. 
Entscheidende Bedeutung fiir die Entwicklung des K.s 
gewann der kompositionsgeschichtliche Einschnitt um 
1430, der zur niederlandischen Polyphonie f iihrte, und 
unter dessen Eindruck die erste umfassende K.-Lehre, 
der Liber de arte contrapuncti (1477) des Johannes Tinc- 
toris (CS IV), entstand. Dieses Werk griindet sich 
didaktisch auf den Note-gegen-Note-Satz (contra- 
punctus simplex), leitet aber ein neues Stadium ein: 
den Kern der Lehre bildet der K. in unterteilten oder 
gemischten Notenwerten (contrapunctus diminutus 
oder floridus), bei dem nun Dissonanzen »unter der Be- 
dingung besonnener Erwagung zuweilen zugelassen 
werden« (cum ratione moderata interdum permittuntur, 
134b), so die vorbereitete Synkopendissonanz, die se- 



488 



kundgebunden ein- und weitergefiihrte Durchgangs- 
dissonanz, jedoch nur zwischen den Zahlzeiten, also 
»unbetont« verwendet, die Wechseltondissonanz, be- 
schrankt auf so kurze Notenwerte, »daB man sie kaum 
hort« (ut uix exaudiatur, 145a), und als seltene Ausnah- 
me (quamvis hoc rarissime, 145a) der Terzsprung aus ei- 
ner Dissonanz. Tinctoris unterscheidet (129 u. 6.), auch 
hinsichtlich der Regelstrenge, zwischen komponiertem 
K. (qui scriptofit) oder -> Res facta und improvisiertem 
(mente), der auch schlechthin (absolute) K. heiBt oder 
mit super librum cantare umschrieben wird. Die Kom- 
position muB die Konsonanzregeln zwischen alien 
Stimmen erfiillen, bei der Improvisation geniigt das je- 
weilige Konsonieren mit dem Tenor. Die Lehre des 
Tinctoris zeigt eine Hinwendung zur freien Figural- 
musik und ein Aufgehen der Konsonanzfolgeregeln in 
allgemeineren Stimmf iihrungsregeln : das Kontrapunk- 
tieren iiber figuriertem statt planem Cantus wird be- 
vorzugt; sogar die beliebige Stimme einer Res facta 
kann als Satzgrundlage dienen ; storende Wiederholun- 
gen (redictae) in einer Stimme werden untersagt, Viel- 
falt (varietas) in der Wahl der satztechnischen Mittel 
wird dagegen gefordert. Die Schrift des Tinctoris be- 
einfluBte die Kompositionslehre bis zur Mitte des 16. 
Jh. stark und wurde in ihrer Methode (hochwertige, 
in sich geschlossene Notenbeispiele ; Berufung auf an- 
erkannte Komponisten) nachgeahmt. Anfang des 16. 
Jh. tritt Compositio (-*• Komposition) als selbstandige 
Bezeichnung neben K. Beide Ausdriicke werden in der 
Folgezeit uneinheitlich verwendet, oft synonym, zu- 
weilen als Gegensatze (z. B. von Coclico 1552). Auch 
gegeniiber -> Sortisatio ist K. nicht eindeutig abzu- 
grenzen. Wirkung und Verbreitung der K.-Lehre 
wuchsen mit dem Erscheinen der ersten gedruckten 

V D 

per sanc-tu - a - ri-um 



Kontrapunkt 

Abhandlungen, u. a. von Ramos de Pareja (Bologna 
1482), Burtius (Bologna 1487), Gaffori (Mailand 1496), 
Duran (Salamanca um 1500), G. Guerson (Utilissime 
musicales regule, Paris um 1500). Uber die Lehre des 
Tinctoris hinausgehende Einzelheiten finden sich bei 
Adam von Fulda (um 1490) in der Regel, daB wenig- 
stens eine Stimme des Satzes dem tonartlichen Modus 
angepafit sein und dementsprechend »schon und ange- 
messen« (pulcre localiterque) Klauseln bilden soil (GS 
HI, 352b), bei Cochlaeus (1507) und Aaron (1523) mit 
Hinweisen auf die Simultankonzeption der Stimmen, 
die nun an Bedeutung gewann, bei Ornitoparch (1517) 
in Erorterungen der Klauseln, bei verschiedenen Auto- 
ren in genaueren Bestimmungen der Dissonanzbehand- 
lung und in Bemerkungen, die eine wachsende Beriick- 
sichtigung der Sangbarkeit und melodischen Gestalt 
der Stimmen zeigen (der Ausdruck -> cantabile wird 
wichtig). 

Durch die Wandlung, die sich seit Tinctoris anbahnte, 
wurde K. im 16./17. Jh. vorwiegend zum Prinzip der 
Kombination selbstandiger, melodisch und rhythmisch 
eigen-, aber auch etwa gleichwertiger Stimmen im 
Rahmen geordneter Klange und Fortschreitungen. Das 
Prinzip des ffiihen K.s ist damit nicht aufgehoben, son- 
dern erweitert; es bleibt gultig und gegenwartig im 
Note-gegen-Note-Satz, von dem die K.-Lehre auch in 
dieser Epoche ausgeht. Zwei K.-Theoretiker, Schiiler 
A. Willaerts, sind fiir das 16. Jh. besonders zu erwahnen: 
N. Vicentino behandelt in L'antka musica ridotta alia 
moderna prattica (1555) neben den tradierten K.-Grund- 
lagen nachdrucklich die freie, nicht C. f.-gebundene 
Komposition, die Technik des Kanons, der Imitation, 
des doppelten K.s und der Mehrchorigkeit und erhebt 
die zukunftweisende Forderung, daB die Musik den 

D 



m 



* jij j 



^p 



±m 



m 



i 



r^ 



rr^T 



i ,. l ni r f t h J ^ fcp 



rr 



- ci - em tu 



am su - per sane - tu - a 



tu - um, tu 

V 

su - per sane - tu - a 

_i ^ _W_.. J. J J" 



faM 



um, 

V . D 

- n - um tu 



tf^ fir i r p r F 



m 



-am 
A 



per sanc-tu 
A 



ri-um tu 



3i 


su - 


- per sanc-tu - 

rj J I I 


a 


- - 


D 
ri 


, V P 


V 


- um 


et 


V P 


V 

— -flftj — 1 


su - per 
- um, sanc-tu - 


sanc-tu 


-f- 

- a - 


-rt»pJ 


- , ri - um tu - 


r 

i " 

um 


F 

- um 

— 


L-o — ' 

et 

r 8 1 


I3-" 




kJ^ 


ri - um tu - 

1 J J J i 


V r cj r — 


Lp 




— 




i — i 




' 





37 


,>-T kJ 


=£ 


^=^ 


i j l 


=F 




po - 

j- 


D 

- pu - lum 

hJ j i = 


V 

i - stum 

— -1 1 


pro 

4): & — 


-pi - - - 


-+- 
ti - 


us 

A 


in - ten 

J J 


de 

i 


3 


r 

po - 

D D 

' f rn \ 


- pu-Ium l - - 
- pu - - lum 

^H -h 


- ' - stum 
i - stum 

pi J — - 


s 


— 1 ' >'Y— 














-^1 — | p 1 





A A 



A A 



A A 



po 
A 



pu - lum 
A A 



stum 

A A 



489 



Kontrapunkt 



Textinhalt auszudriicken habe. Das III. Buch der Isti- 
tutioni harmoniche von G. Zarlino (1558) ist eines der be- 
deutendsten K.-Lehrwerke. Seine Leitgedanken lassen 
sich durch die Hauptregeln in Capitel 26 skizzieren: 
Der K. soil von einem — ► Soggetto ausgehen, soil 
hauptsachlich aus Konsonanzen, sodann aber auch aus 
vielen hinzutretenden, regelentsprechenden Dissonan- 
zen bestehen; die Einzelstimmen miissen melodisch 
gut fortschreiten; aus einer Vielfalt (diversita) der Mit- . 
tel soil die Harmonia der Komposition erwachsen ; die 
Ordnung des tonartlichen Modus und die Anpassung 
der Musik an den Text (inhaltlich und, wie die grund- 
legenden Textierungsregeln in Buch IV, Cap. 33, zei- 
gen, deklamatorisch) sind zu beachten. Auch Zarlino 
geht methodisch vom Contrapunto semplice (Note 
gegen Note) aus, schlieBt den 2st. Contrapunto di- 
minuito an, bei dem der Dissonanzgebrauch eingehend 
erortert wird, und behandelt dann wie Vicentino, aber 
mit Beschrankung auf die geistliche Vokalmusik, die 
Satztechniken seiner Zeit. Zarlinos Lehre wurde oft 
gekiirzt, vereinfacht oder abgewandelt iibernommen, 
u. a. in den Schrif ten von Artusi (1586/89) , Tigrini (1 588) , 
Diruta (1609), Zacconi (1622); sie gelangte durch Cal- 
visius (1592) und Sweelinck (um 1600) nach Deutsch- 
land, durch Morley (1 597) nach England und hat bis hin 
zu Fux (1725) Starke Wirkung ausgeiibt. 
Das Wesen des K.s in der 2. Halfte des 16. Jh. wird ge- 
wohnlich am Palestrina-Stil dargestellt, der vielfach als 
Inbegriff des K.s bzw. der -> Polyphonie gilt. Diese 
Wertung, die leicht den Blick f iir andere kontrapunkti- 
sche Kunst verkurzt, bezieht ihre Berechtigung nicht 
nur aus der Vollkommenheit der Werke Palestrinas, 
sondern auch aus dem einzigartigen Phanomen ihrer in 
erstaunlichem MaBe durch Regeln erfaBbaren und da- 
durch beispielhaften kompositorischen Strenge und 
Konsequenz. Hauptmerkmale des Palestrina-Stils, des- 
sen Kategorien nur teilweise der Lehre Zarlinos ent- 
stammen und wesentlich erst aus der historischen Riick- 
schau durch Berardi (Arcani musicali, 1690), Fux (1725), 
Jeppesen (1925) u. a. formuliert wordeh sind, seien an- 
hand eines Beispiels (siehe vorhergehende Seite) aus der 
Motette Exaudi Domine preces servi tui von G. P. Palestri- 
na (GA, hrsg. von R.Casimiri, III, S. 136, Rom 1939) 
dargestellt: Jedem Textabschnitt entspricht im Con- 
trapunctus diminutus (bis Takt 35) ein Soggetto, das 
imitierend die Stimmen durchwandert (Takt 25/26 
endet der Abschnitt illumina faciem tuam), im Contra- 
punctus simplex (36-40) eine von der Deklamation ge- 
pragte Folge von Klangen, die in eine Kadenz fiihrt. Die 
Konsonanz des vollstandigen Dreiklangs mit Grundton 
im BaB ( A ) wird ausgenutzt, iiberwiegt gegenuber dem 
»Sextakkord« (A) und bestimmt den Contrapunctus 

simplex. Dissonanzen treten auf als Durchgang (D) und 
Vorhalt (V), der gelegentlich mit dem die folgende No- 
te vorausnehmenden »Portament« (P) verbunden wird. 
Beide sind oft begleitet von einer fallenden Vierton- 
gruppe, die einen »betonten« Durchgang bildet und sich 

zur Obersekunde wendet (, ,) ; diese Floskel gehort 

neben der -»■ Cambiata (C), die einen Sprung aus der 
Dissonanz enthalt, zu den wenigen, typischen Formeln, 
in denen bestimmte Freiheiten der Dissonanzbehand- 
lung gestattet sind. Sukzessiv komponierte Stimmen- 
abschnitte (Alt 28-30, Tenor 32-35) werden so in den 
Satz eingeschmolzen, daB sie nicht als sekundare Ge- 
bilde wirken. Melodisch herrscht Sekundbewegung 
vor ; Spriinge (in kleiner und groBer Terz, reiner Quar- 
te, Quinte und Oktave sowie kleiner Sexte - diese aber 
nur aufwarts) sind von der metrischen Stellung abhan- 
gig und werden durch anschliefiende Richtungsande- 
rung ausgeglichen. Ober die detaillierten Regeln fiir 



den rhythmischen Ablauf und fiir die Textzuordnung 
unterrichtet Jeppesen. - Neben dieser hohen Auspra- 
gung des K.s wuchs in der Madrigalkunst, danach in 
der Monodie, eine starke Tendenz, die Musik dem 
Wort unterzuordnen. Das Bemuhen um deutliche 
Deklamation, um Darstellung des Textinhaltes und 
um Nachahmung von Affekt und Dramatik durch die 
Musik fiihrte zu einschneidenden satztechnischenNeue- 
rungen. Die Dissonanz gewann selbstandigen Aus- 
druckswert, wurde als »Harte« (-> Durezza) zu ent- 
sprechenden Textwortern bewuBt gesucht und freier 
verwendet. Die tonartlichen Modi verloren bei gestei- 
gerter Chromatik ihre Eigenart und Geltung. Der auf 
Solo- und Begleitstimme reduzierte monodische Satz 
hob die kontrapunktische Gleichwertigkeit der Stim- 
men auf und forderte in der GeneralbaBpraxis die 
Emanzipation des harmonischen Prinzips. Als erste 
Konsequenz dieser Entwicklung spaltete sich der K. in 
den strengen, iiberlieferten, in der geistlichen Musik 
beibehaltenen Contrapunto osservato (auch -»- Prima 
pratica genannt) und den freieren, von der weltlichen 
Musik getragenen Contrapunto commune (-> Seconda 
pratica). Die Kluft zwischen strengem und freiem Satz 
ist Gegenstand theoretischer Auseinandersetzungen 
seit V.Galilei (1588). Von den Uberbriickungsversu- 
chen des 17. Jh. ist erwahnenswert Chr. Bernhards Ein- 
teilung (um 1660) nach satztechnischen Erscheinungen 
(nicht nach Gattungen) in Contrapunctus gravis (oder 
Stylus antiquus) und Contrapunctus luxurians (Stylus 
modernus), letzterer unterteilt in communis und co- 
micus oder theatralis (-»■ Stil). Die Wichtigkeit des 
strengen K.s fiir die Unterweisung blieb im 17. Jh. un- 
bestritten. Zahlreiche Schriften geben die Lehre ge- 
ringfiigig vereinfacht oder methodisch verandert wei- 
ter; noch der Gradus ad Pamassum (1725) von Fux steht 
in dieser Tradition. Das kompositorisch Neue der Se- 
conda pratica wurde nicht in einem eigenen Lehrsy- 
stem festgelegt, sondern fiihrte zu Regeln oder Lehr- 
gebieten, die den strengen K. voraussetzen, wie in der 
-»■ Musica poetica die Lehre von den -»- Figuren, die 
zur Abbildung oder Deutung des Textes bestimmte 
Satzfreiheiten gestatten. Auch die Anerkennung des 
Dreiklangs, der -*■ Trias harmonica, als vollkommen- 
ster Harmonie und das Verstandnis von Komposition 
als einer Folge solcher Klange durch Lippius (1612) 
vollzogen sich auf dem Boden des K.s, auch wenn dieser 
Terminus kritisiert wurde (Compositio . . . barbare Con- 
trapunctus a punctum contra punctum ponendo dicta). Doch 
bahnte sichdamit die zweite Konsequenz des Umbruchs 
um 1600 an, die aber erst ein Jahrhundert spater deut- 
lich gezogen wurde: die Spaltung des bisher einheitli- 
chen K.-Prinzips in zwei um den Vorrang streitende, 
sich zuweilen isolierende Prinzipien, den nunmehr 
linear verstandenen K. und die Harmonik (-»■ Harmo- 
nielehre). 

Die GeneralbaBpraxis und -lehre, die das Komponie- 
ren mit dem Material fertiger Akkorde forderte, hob 
den K. nicht auf. Solange strenge Stimmigkeit ge- 
wahrt blieb, bildete das System fest verfiigbarer Klan- 
ge keinen ausschliefienden Gegensatz zum K., son- 
dern beide erganzten sich. Das Verhaltnis dieser Er- 
ganzung kehrte sich schlieBlich um: die Harmonik, 
zuerst durch Rameau (1722) formuliert, wurde Grund- 
lage fiir den K. In diesem Sinn definiert Kirnberger 
(1771) K. als die Kunst nach den Regeln derguten Harmo- 
nie zu einem gegebenen einstimmigen Gesang noch eine 
oder mehrere Stimmen hinzu zu setzen. Die kontrapunk- 
tische Komposition auf harmonischer Grundlage fand 
im Werk J. S. Bachs, Kirnbergers Vorbild, ihren Hohe- 
punkt. Mit dem Obergang zur Klassik verselbstandigte 
sich die Harmonik, pragte die Melodik den weitgehend 



490 



Kontrapunkt 



in Melodie und Begleitung zerlegbaren Satz sowie sei- 
nen metrisch-periodischen Verlauf und verdrangte den 
K. Der Verwendung der Dissonanzen eroffneten sich 
durch deren harmonische Motivierung neue Moglich- 
keiten. Es bleibt bedeutungsvoll, daB auch die Klassiker 
noch mit dem K. im Gewande der Fuxschen Lehre ver- 
traut waren, wie an kontrapunktischen Partien inner- 
halb der klassischen Musik zu erkennen ist. In dieser 
Epoche ist K. zu einem Teil als Anlehnung an den K. 
vor allem Bachs und Handels zu verstehen ; im wesent- 
lichen aber erscheint der K., nun besonderen Strecken 
der Steigerung und Verdichtung vorbehalten, als Prin- 
zip der imitierenden oder kontrastierenden Verflech- 
tung von thematischen und motivischen Elementen in 
den verschiedenen Stimmen des Satzes. In einer dem 
kontrapunktischen Schaffen fernstehenden Zeit forder- 
ten die Schriften von Cherubini (1835), Bellermann 
(1862) u. a. die historische und padagogische Beschaf- 
tigung mit dem »strengen K.«, der in der Unterwei- 
sung als Schul-K. neben die Harmonielehre trat, weni- 
ger als deren Erganzung, vielmehr als Lehre (»Theo- 
rie«) eines anderen Stiles. Von historisierenden Sonder- 
fallen abgesehen, begann erst in der Spatromantik eine 
neue Wendung zum K. Au£ Grund des gesteigerten 
Dissonanzgehalts in den Akkorden und erweiterter 
Moglichkeiten der Modulation wurde die Behandlung 
der Dissonanzen immer verwickelter. Die Respektie- 
rung ihres Auflosungsstrebens fiihrte zu einer klanglich 
und harmonisch besonders angereicherten Polyphonie 
(etwa bei Brahms und Bruckner), seine Ignorierung 
dagegen eroffnete den Weg zur Aneinanderfiigung 
weitgehend beliebiger Klange, die vorwiegend als 
Farb- oder Reizwerte motiviert sind (->• Impressionis- 
mus). Seit der Jahrhundertwende wurde kontrapunkti- 
sches Denken zu einem der Impulse fur die neue Mu- 
sik, in der - da Tonalitat und funktionale Harmonik 
aufier Kraft gesetzt sind - die Tone primar linear ge- 
bunden werden und den neuen Klang wie auch die 
Klangfolge ermoglichen und rechtfertigen. Der iiber- 
kommene Begriff des K.s kann jedoch weder die Fiille 
neuer satztechnischer Phanomene erfassen noch den 
radikal veranderten klanglichen Grundlagen - auch 
wo er sie provozierte - gerecht werden. Bemerkens- 
wert ist aber, daB in der -*■ Seriellen Musik die Ab- 
leitung des Linearen wie des Klanglichen aus einem 
einheitlichen Material, der -*■ Reihe, eine geistige 
Verwandtschaft mit dem alten, ungeteilten K.-Prinzip 
aufweist. 

2) Neben Prinzip, Praxis und Lehre wird auch deren 
Resultat, die gewonnene Gegenstimme oder der ganze 
Satz, K. genannt. Zwischen diesen Bedeutungen ist 
nicht immer klar zu unterscheiden ; Ausdriicke wie 
facere contrapunctum, contrapunctare, contrapuncta- 
tio beziehen sich sowohl auf die einzelne Stimme wie 
auf das Verfahren, nach dem sie geschaffen ist. Der 
Stimmenname K. bezeichnet im Gegensatz zu -*■ Dis- 
kant eine in ihrer Lage unabhangige Stimme und 
scheint nur in Lehrschriften und ihren Exempla, nicht 
aber in praktischen Quellen verwendet worden zu 
sein. In der Fugenlehre wird die zum Thema erklingen- 
de Partie der Gegenstimme K. genannt (->■ Gegensatz, 
-*■ Kontrasubjekt). Da kontrapunktische Kompositio- 
nen meist spezielle Gattungsnamen tragen, tritt K. als 
Bezeichnung eines ganzen Satzes selten auf, z. B. in 
Willaerts Fantasie, Recercari, Contrapunti a tre uoci (1551) 
oder, als bekanntester Beleg, im Erstdruck von J. S. 
Bachs Kunst der Fuge. 

3) Die zuerst von Vicentino beschriebene Technik des 
doppelten K.s besteht darin, einer Stimme eine zweite 
hinzuzuf iigen, die entweder Ober- oder Unterstimme 
sein kann, so daB sich durch Stimmenumschichtung 



aus einem Satz zwei Fassungen herstellen lassen, deren 
Intervallrelationen verschieden sind. Die Auswahl an 
brauchbaren Intervallen und Fortschreitungen ist ge- 
geniiber dem einfachen K. eingeschrankt. Die Ver- 
tauschung der Stimmen durch Oktavierung (doppelter 
K. der Oktave) erweist sich als giinstig, weil alle Inter- 
valle auBer Quarte und Quinte beim Austausch ihren 
(perfekt wie imperfekt) konsonanten bzw. dissonan- 
ten Charakter bewahren, und uberwiegt bei weitem. 
Schwierigere Bedingungen stellt der doppelte K. bei 
der Versetzung auf eine andere Tonstufe (in der Praxis 
Versetzung um eine None bis Duodezime), wie aus fol- 
gender Obersicht zu ersehen ist (Zahlen statt Intervall- 
namen) : Das Intervall der 

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 
wird im doppelten K. 

der 8 zu 8 7 6 5 4 3 2 1 
der 9 zu 9 8 7 6 5 4 3 2 1 
der 10 zu 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 
der 11 zu 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 
der 12 zu 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 
Beim mehrfachen K. werden drei oder mehr Stimmen 
ausgetauscht, z. B. in den thematischen Teilen von J. S. 
Bachs Sinfonia F moll (BWV 795) als 3facher K. der 
Oktave. 

Lit. : allgemein : Riemann MTh ; E. Kurth, Grundlagen d. 
linearen K., Bern 1917, Bin M927, Bern "1946; E. T. 
Ferand, Die Improvisation in d. Musik, Zurich (1939) ; E. 
Apfel, Beitr. zu einer Gesch. d. Satztechnik v. d. fruhen 
Motette bis Bach, 2 Bde, Miinchen 1964-65. 
zuml4.u. 15.Jh.:CSIII, llb-13b,23a-29a,36b-41a,59a- 
75a, 92b-95a, 115b-118b, 193a-199b, 288b-299a, 307a- 
328b, 333a-334b, 354a-361a, 409a-411b, 462a-466b, 
493a-b, 496a-498b; CS IV, 76b-153b, 278a-294a, 383a- 
396b, 443b-454b; CSM 7, Liber secundus, 1-53; CSM 9, 
30-39, 45-46; GS III, 306a-307b, 326b-327a, 352b-353b; 
A. de Lafage, Essais de diphtherographie mus., 2 Bde, Pa- 
ris 1864, Nachdruck Amsterdam 1964, S. 241f., 335-338, 
381ff.; J.WoLF.Ein Beitr. zur Diskantlehred. 14.Jh.,SIMG 
XV, 1913/14; H. Angles, Dos tractats . . . , in: Mw. Beitr., 
Fs. J. Wolf, Bin 1929; P. Nalli, Regulae contrapuncti 
secundum usum Regni Siciliae, Arch, storico per la Sicilia 
orientale XXIX (=Serie 2/IX), 1933; M. F. Bukofzer, 
Gesch. d. engl. Diskants . . . , = Slg mw. Abh. XXI, StraB- 
burg 1936; Thr. G. Georgiades, Engl. Diskanttraktate 
aus d. 1. Halfte d. 15. Jh., = Schriftenreihe d. Mw. Semi- 
nars d. Univ. Miinchen III, Miinchen 1937; R. Casimiri, 
Teodono de Caprio, Note d'arch. XIX, 1942; J. Hand- 
schin, Aus d. alten Musiktheorie III: Zur Ambrosiani- 
schen Mehrstimmigkeit, AMI XV, 1943; E. Krenek, A 
Discussion of the Treatment of Dissonances . . ., = Ham- 
line Studies in Musicology II, St. Paul (Minn.) 1947; H. 
Schmid, Die musiktheoretischen Hss. d. Benediktiner- 
Abtei Tegernsee, Diss. Miinchen 1951, maschr.; E. Apfel, 
Der Diskant in d. Musiktheorie d. 12. bis 15. Jh., Diss. 
Heidelberg 1953, maschr.; A. Seay, Ars ad adiscendum 
contrapunctum secundum Paulum de Florentia, in : L'ars 
nova ital. del Trecento, Kgr.-Ber. Certaldo 1959; ders., 
The »Liber Musices« of Florentius de Faxolis, in : Musik u. 
Gesch., Fs. L. Schrade, Koln (1963); R. L. Crocker, Dis- 
cant, Counterpoint and Harmony, JAMS XV, 1962; Ra- 
mos de Pareja, De musica practica, Bologna 1482, hrsg. 
v. J. Wolf, = BIMG I, 2, Lpz. 1901 ; N. Burtius, Musices 
opusculum, Bologna 1487; Fr. Gaffori, Practica Musice, 
Mailand 1496, als: Musicae utriusque cantus practica, 
Brescia 1497 u. 6.; D. M. Duran, Siimula de canto de 6r- 
gano, Salamanca (um 1500); G. Guerson, Utilissime mus. 
regulae . . ..Paris (um 1500). 

zum 1 6.-18. Jh. : N. Wollick, Opus aureum musicae, Koln 
1 501 u. 6., NA d. Teile I1I/IV : Die Musica figurativa d. M. 
Schanppecher, hrsg. v. Kl. W. Niemoller, = Beitr. zur 
rheinischen Mg. L, Koln 1961 ; J. Cochlaeus, Musica, 
Koln 1507 u. 1515 (vgl. H. Riemann, Anonymi Introduc- 
torium musicae, MfM XXIX, 1897 - XXX, 1898); A. Or- 
nitoparchus, Musice actiue micrologus, Lpz. 1517, 6 1540, 
engl. v. J. Dowland, London 1609; P. Aaron, Thoscanello 
de la musica, Venedig 1523, 5 1562; G. M. Lanfranco, Le 



491 



Kontrapunkt 



scintille di musica . . . , Brescia 1 533 ; St. Vanneo, Recane- 
tum de musica aurea . . . , Rom 1533 ; H. Glareanus, Do- 
dekachordon, Basel 1 547, deutsch v. P. Bohn, = PGf M 
Jg. XVI/XVIII, Bd XVI, Lpz. 1888-90; A. P. Coclico. 
Compendium musices, Nurnberg 1552, Faks. hrsg. v. M 
F. Bukofzer, = DM1 I, 9, 1954; N. Vicentino, L'antica 
musica ridotta alia moderna prattica, Rom 1555, Faks. 
hrsg. v. E. E. Lowinsky, = DM1 1, 17, 1959; G. Zarlino, 
Istitutioni harmoniche, Venedig 1558, 31573, 41593, Faks. 
d. 1. Auflage = MMMLF II, 1, NY (1965), Faks. d. 3. Auf- 
lage Ridgewood (N. J.) 1966 ; G. M. Artusi, L'arte del con 
trapunto, 2 Bde, Venedig 1586-89, 21598; O. Tigrini, Com 
pendio della musica, Venedig 1588; V. Galilei, II primo 
libro della prattica del contrapunto ..., Ms. 1588-91 
ders., Discorso intorno all'uso delle dissonanze, Ms. 1 588 
91 (vgl. CI. V. Palisca in: JAMS IX, 1956, S. 81); S. Cal- 
visius, Melopoeia . . ., Erfurt 1592; Th. Morley, A Plaine 
and Easie Introduction to Practicall Musicke . . . , London 
1 597, Faks. hrsg. v. E. H. Fellowes, = Shakespeare Associ- 
ation, Facsimiles XIV, London 1937, NA hrsg. v. R. A. 
Harman u. Th. Dart, London (1952); J. P. Sweelinck, 
Compositions-Regeln . . . (um 1600), hrsg. v. H. Gehrmann, 
Sweelinck-GA X, 's-Gravenhage u. Lpz. 1903 ; Sc. Cerre- 
to, Della prattica musica, Neapel 1601, 2 161 1 ; G. Diruta, 
II Transilvano, 2. Teil, Venedig 1609, 21622; J. Lippius, 
Synopsis musicae novae . . . , StraBburg 1612, Erfurt 2 1614; 
P. Cerone, El Melopeo, Neapel 1613; A. Banchieri, Car- 
tella mus. nel canto figurato.f ermo e contrappunto, Venedig 
1614;L. Zacconi, Prattica di musica . . . II, Venedig 1622; 
J. CrOger, Synopsis musica. Bin 1630, 2 1654; Chr. Bern- 
hard, Tractatus compositionis augmentatus (Ms. um 
1648/49), hrsg. v. J. Muller-Blattau, in: Die Komposi- 
tionslehre H. Schutzens . . ., Lpz. 1926, Kassel 2 1963; A. 
Kircher SJ, Musurgia universalis, 2 Bde, Rom 1650, 
2 1690; G. M. Bononcini, Musico prattico, Bologna 1673, 
3 1688; A. Berardi, Documenti armonici, Bologna 1687; 
ders., Miscellanea mus., ebenda 1689; ders., Arcani mus. 
ebenda 1690; G. A. Bontempi, Hist, musica, Perugia 1695; 
J. G. Walther, Praecepta d. Mus. Composition, hs. Wei- 
mar 1708, hrsg. v. P. Benary, = Jenaer Beitr. zur Musik- 
forschung II, Lpz. 1955; J.-Ph. Rameau, Traite de l'har- 
monie . . ., Paris 1722; J. J. Fux, Gradus ad Parnassum, 
Wien 1725, deutsch (mit Anm.) v. L. Chr. Mizler, Lpz. 
1742, engl. v. A. Mann als: Steps to Parnassus, NY 1943, 
deutsche Teilausg. v. A. Mann, Celle 1938; Mattheson 
Capellm.; Fr. W. Marpurg, Abh. v. d. Fuge, 2 Teile, 
Bin 1753-54, Lpz. 2 1806, gekiirzte frz. Ubers. v. dems., Bin 
1756, Paris 2 1801 ; ders., Hdb. bey d. Gb. u. d. Composi- 
tion, 3 Teile, Bin 1755-58, Anhang 1760, 1. Teil 2 1762; J. 
Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen Satzes in d. Musik, 
2 Bde, Bin u. Konigsberg 1771-79; ders., Gedanken iiber 
d. verschiedenen Lehrarten in d. Composition . . . , Bin 
1782; G. B. Martini OFM, Esemplare o sia saggio fonda- 
mentale pratico di contrappunto . . . , 2 Bde, Bologna 1773- 
75, Faks. Ridgewood (N. J.) 1965; J. G. Albrechtsberger, 
Griindliche Anweisung zur Komposition, Lpz. 1790 u. 
1818, frz. v. A. E. Choron als: Methode elementaire de 
composition, Paris 1814. - R. O. Morris, Contrapuntal 
Technique in the 16 tb Cent., Oxford 1922; Kn. Jeppesen, 
Der Palestrinastil u. d. Dissonanz, Lpz. 1925, engl. Kopen- 
hagen u. London 1927, 2 1946; ders., K., Lehrbuch d. klass. 
Vokalpolyphonie, danisch Kopenhagen 1930, deutsch 
Lpz. 1935, Nachdruck Lpz. 1956, engl. NY 1939; R. H. 
Robbins, Beitr. zur Gesch. d. K. v. Zarlino bis Schiitz, Diss. 
Bin 1938; A. T. Merritt, Sixteenth-Cent. Polyphony, 
Cambridge (Mass.) 1939; J. Hein, Die Kontrapunktlehre 
bei d. Musiktheoretikern im 17. Jh., Diss. Koln 1954, 
maschr. (mit umfangreichen Quellenangaben) ; R. Schlot- 
terer, Struktur u. Kompositionsverfahren in d. Musik 
Palestrinas, AfMw XVII, 1960; C. Dahlhaus, Zur Theo- 
rie d. klass. K., KmJb XLV, 1961; ders., D. Belli u. d. 
chromatische K. um 1600, Mf XV, 1962; ders., Bach u. d. 
»lineare K.«, Bach-Jb. XLIX, 1962. 
zum 19. u. 20. Jh.: L. Cherubini, Cours de contrepoint et 
de fugue, Paris 1835; S. Dehn, Lehre v. Contrapunkt, d. 
Canon u. d. Fuge, hrsg. v. B. Scholz, Bin 1859, 21883; H. 
Bellermann, Der Contrapunkt, Bin 1862, 41901; S. Ja- 
dassohn, Mus. Kompositionslehre, Teil I: Die Lehre v. 
reinen Satz II, Lehrbuch d. einfachen, doppelten, drei- u. 
vierfachen K., Lpz. 1884, '1926; H. Riemann, Lehrbuch 
d. einfachen, doppelten u. imitierenden K., Lpz. 1888, 



*-<1921, engl. Lpz. 1904; E. Prout, Counterpoint, London 
1890; ders., Double Counterpoint and Canon, London 
1891,21893; F. Draeseke, Der gebundene Stil, 2 Bde, Han- 
nover 1902; St. Krehl, K.., = Slg Goschen Nr 390, Bin 
1908, 3 1920; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, 
Mainz 1937, 2 1940, II Mainz 1939, engl. als: Craft of Mus. 
Composition, I London 1942, II 1941 ; E. Krenek, Studies 
in Counterpoint, NY 1940, deutsch als: Zwolfton-K.- 
Studien, Mainz 1952; E. Pepping, Der polyphone Satz I, 
Bin 1943,21950,11 1957, = SlgGoschenNr 1148 u.Nr 1164/ 
1164a; W. Piston, Counterpoint, NY 1947; H. Grabner, 
Der lineare Satz, Stuttgart (1950), Neudruck Lippstadt 
(1961); H. Lemacher u. H. Schroeder, Lehrbuch d. K., 
Mainz 1950; K. Sikorski, K„ 3 Bde, Krakau 1953-57; 
H. Searle, Twentieth Cent. Counterpoint, London (1954, 
2 1955); J. M. Chominski, Hist, harmonii i kontrapunktu, 
2 Bde, Krakau (1958-62) ;Th. W. Adorno, Die Funktion d. 
K. in d. neuen Musik, in: Klangfiguren, Ffm. 1959; A. 
Schonberg, Preliminary Exercises in Counterpoint, hrsg. 
v. L. Stein, London (1963). KJS 

Kontrasubjekt, auch Gegensatz, ein Kontrapunkt 
zum Thema einer Fuge, der £iir den Verlauf des Stiickes 
beibehalten wird. Das K. setzt mit oder zu dem -»- Co- 
mes ein, hat ungefahr dessen Lange und kontrastiert zu 

ihm: „ 

Comes 




Ende und Uber- Kontrasubjekt 
leitung vom Dux 

J. S. Bach, Wohltemperirtes Clavier II, 
Fuge As dur, BWV 886. 
Das K. kehrt mit jedem weiteren Auftreten des The- 
mas wieder (einzelne Ausnahmen sind moglich) und 
muB mit diesem als Ober- wie Unterstimme einen kor- 
rekten Satz bilden, d. h. im doppelten Kontrapunkt 
stehen. Zuweilen wurden auch die zum Grundthema 
hinzutretenden Themen der Doppel-, Tripel- oder 
Quadrupelfuge K. genannt, wie z. B. in C.Ph.E.Bachs 
Vermerk am SchluB der Handschrift von J. S. Bachs 
Kunst der Fuge: Uber dieser Fuge, wo der Nahme BACH 
im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser ge- 
storben. 

Konzert (von -> concerto), - 1) (engl. concerto) be- 
zeichnet seit dem spaten 18. Jh. ein mehrsatziges Werk 
(das einsatzige ist das -> Konzertstiick) fur Soloinstru- 
ment(e) und Orchester (-*■ Doppelkonzert, -> Tripel- 
konzert, -*■ Quadrupelkonzert, -*■ Symphonie con- 
certante), meist in Form des Sonaten-Satzzyklus. Das 
K. ging hervor aus dem -» Concerto und dem -»• Con- 
certo grosso, von denen es sich vor allem unterscheidet 
durch den Fortfall der Generalbafibegleitung fur den 
(oder die) Solisten und durch die daraus resultierende 
Aufhebung der starren Gegeniiberstellung von Solo 
und Tutti (die nur noch gelegentlich in virtuosen K.n 
des 19. Jh., z. B. bei Paganini, wiederkehrt). Die nach 
Zahl und Bedeutung uberwiegenden Besetzungen des 
neueren Solo-K.s sind das Violin-K. (->■ Violinmusik) 
und das Klavier-K. (-> Klaviermusik). Die seit dem 17. 
Jh. concertierend verwendeten Instrumente -» Trom- 
pete (- 1), ->■ Querflote, -> Oboe (- 1), ->• Fagott er- 
hielten mit ihrer Weiterentwicklung hinsichtlich der 
Spielbarkeit und Klangfarbe seit dem spaten 18. Jh. 
neue Aufgaben als Soloinstrumente im K. Hinzu ka- 
men seit dem 18. Jh. -»■ Violoncello (- 1), ->■ Viola (- 2), 
-»- KontrabaB (- 1), -s-Waldhorn, -»- Klarinette, im 19. 
Jh. auch das -> Saxophon und die ->■ Harmomka-In- 
strumente, im 20. Jh. Schlagzeug, Ondes Martenot (K. 
von Jolivet 1947) und andere elektrische Instrumente 
sowie das wiederentdeckte Cembalo (K.e von de Falla 
1928, Distler 1936). -Etwa seit der Zeit der Bach-S6h- 
ne hat vor allem der 1. Satz des K.s -*■ Sonatensatzform, 



492 



Konzert 



zunachst noch mit Resten der Ritornellform. Alle Satz- 
teile sind erweitert durch solistische Eingange, Spiel- 
episoden (-*• Kadenz - 2), zum Teil auch durch ein 3. 
Thema (-»■ Exposition). Stent das Soloinstrument im 
brillanten und virtuosen K. dem geschlossenen Or- 
chester gegeniiber, so sind die Grenzen im spatroman- 
tischen K. verwischt, da hier einerseits das Soloinstru- 
ment obligat ins Orchester einbezogen wird, anderer- 
seits aus dem Orchester Soli heraustreten und in Episo- 
den mit dem eigentlichen Solo duettieren. - Wie die 
gleichzeitige Symphonie oder Sonate ist das K. in der 
Regel dreisatzig. Das romantische K. zeigt Verbindung 
der Satze (Beethoven, Mendelssohn, Schumann, Pfitz- 
ner) bis zur Einsatzigkeit und monothematischen Anla- 
ge (Liszt), wobei die Satzcharaktere noch erkennbar 
sind. Als 4. Satz kommt (so bei Litolff, Brahms) das 
Scherzo hinzu ; Erweiterung in Analogie zur Chorsym- 
phonie findet sich u. a. bei Busoni (Klavierkonzert). 
- 2) K. (engl. concert) bedeutet auch eine musikahsche 
Zusammenkunft, bei der umgangsmafiig oder -fiir das 
moderne K.-Wesen eigentumlich - darbietungsmaBig 
musiziert wird. Fiir Solodarbietungen sind neben K. 
auch Bezeichnungen wie Klavier- oder Liederabend 
(Soiree), Soliloques und Recital (-»• Recit) gebrauch- 
hch. Darbietung von Musik in Kirche, Kammer, Zunf t, 
-*■ Akademie, -»■ Collegium musicum und Salon rich- 
tete sich an einen abgegrenzten Zuhorerkreis, obwohl 
auch hier Gaste zugelassen wurden. Das moderne K.- 
Leben mit K.en, die nach dem Vorbild der veneziani- 
schen Oper (seit 1637) von jedermann gegen Entgelt 
besucht werden konnen, offentlich durch Annoncen 
bekanntgemacht, auch in Reihen mit Subskription und 
Abonnement von Impresarii und -»■ Konzertdirektio- 
nen veranstaltet werden, entwickelte sich von England 
aus. Der Violinist J. Banister gab in seinem Haus in 
London 1672-78 K.e gegen Eintrittsgeld; fiir das Pro- 
gramm konnten die Zuhorer Wiinsche SuBern. K.- 
Veranstalter in London waren nach ihm u. a. Th. Brit- 
ton 1678-1714, R.King zusammen mit dem deutschen 
Opernunternehmer J.W.Franck 1690-93, mit einem 
eigenen Konzertsaal. 1710-92 bestanden die K.e der 
Academy of Ancient Music, 1765-82 die Bach-Abel- 
K.e. Die Promenaden-K.e seit 1895 sind eine typisch 
englische Einrichtung. In Frankreich veranstaltete der 
Lautenist Gallot ab 1683 wochentlich K.e. Bei den 
Concerts italiens ab 1713 wurde vorwiegend italieni- 
sche Kammermusik gespielt. In den Concerts spirituels 
(1725-91, erneuert 1805) wurde zunachst in der Kar- 
woche geistliche Musik aufgef iihrt, sparer fanden diese 
K.e vor allem an den opernfreien Tagen start. Ab 1769 
rivalisierte mit ihnen das von Gossec gegriindete Con- 
cert des amateurs. In Deutschland entwickelten sich 
K.-Reihen vor allem in den Stadten mit wohlhabender 
Biirgerschaft, so in Frankfurt am Main (Grofies K. ab 
1739), Hamburg (Subskriptions-K.e ab 1761), Mann- 
heim ab 1 779, Erfurt ab 1 780. Am bekanntesten wurden 
die Gewandhaus-K.e in Leipzig ab 1781 (unter J. A. Hil- 
ler), die hervorgingen aus dem 1743 von Doles gegriin- 
deten GroBen Concert. Die Berliner Musikiibende 
Gesellschaft gab ab 1749 K.e, ab 1770 fanden die Ber- 
liner Liebhaber-K.e start, ab 1791 die Chor-K.e der 
-*■ Singakademie, wahrend Reichardt mit der Konig- 
lichen Kapelle K.e nach dem Vorbild der Concerts 
spirituels gab. In St. Petersburg fanden regelmaBige Sf- 
fentliche K.e ab 1762 start, in Stockholm ab 1771. In 
Rom gab es geregelte weltliche K.e seit der Griindung 
der Pontificia Accademia Filarmonica Romana 1822. - 
VergnUgungsgarten mit K.en sind in England seit der 
2. Halfte des 17. Jh. bekannt; die Vauxhall Gardens 
waren 1730-1859 K.-Statte. Die Garten- und Platz- 
K.e der -> Militarmusik boten, auch in Deutschland, oft 



zeitgenossischeWerke in Bearbeitungen (-> Harmonie- 
musik). - Die von Komponisten mit eigenen Werken 
veranstalteten K.e (Akademien, Benefiz-K.e) sind im 
19. Jh. auBer Gebrauch gekommen, teils durch das 
offentliche K.-Wesen, teils weil sich den Komponisten 
andere Einnahmequellen erschlossen (z. B. durch das 
-*■ Urheberrecht). - Trager des offentlichen K.-Lebens 
sind heute die Lander und die groBen Stadte mit eige- 
nen Symphonieorchestern (etwa 7-12 Abonnements- 
K.e pro Saison), die erganzt werden durch reisende 
Orchester und Solisten. K.e, die hinsichtlich Besetzung 
und Programm AuBergewohnliches bieten, finden oft 
im Rahmen von -> Festspielen start oder bilden deren 
eigentlichen AnlaB. - Bis ins 19. Jh. waren umfangrei- 
che K.-Programme mit zum Teil wechselnder Be- 
setzung iiblich (eine Akademie Mozarts vom 15. 10. 
1790 hatte die Programmfolge: Symphonie, Arie, Kla- 
vier-K., Arie; im 2. Teil: Klavier-K., Duett, Improvi- 
sationen Mozarts, Symphonie). Symphonie-K.e dau- 
ern heute etwa li/ 2 -2 Stunden und bringen durch- 
schnittlich 3-4 Werke verschiedener Komponisten, oft 
in chronologischer Ordnung (oder mit einem klassi- 
schen Repertoirestuck am SchluB) und mit einem Werk 
fiir Soloinstrument und Orchester (meist im ersten 
Teil, vor der Pause). Programme, die vom herrschen- 
den Publikumsgeschmack abweichen, konnen sich vor 
allem die Rundf unkanstalten, die nicht von Einnahmen 
aus Eintrittskarten abhangig sind, in ihren offentlichen 
K.en erlauben. Rundfunksendungen gehen oft vom 
Prinzip des K.-Programms mit einheitlicher Besetzung 
ab, wenn Schallaufzeichnungen, die zu verschiedenen 
Zeiten mit verschiedenen Musikern oder Ensembles 
hergestellt wurden, zu einer Darbietung vereinigt 
werden. 

Lit.: zu 1): A. Schering, Gesch. d. Instrumental, bis auf 
d. Gegenwart, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen I, 
Lpz. 1905, 21927, Nachdruck Hildesheim 1965; Fr. Blu- 
me, Die formgeschichtliche Stellung d. Klavierk. Mozarts, 
Mozart-Jb. II, 1924; ders., Mozarts K. u. ihre Oberliefe- 
rung, in: Syntagma musicologicum, Fs. Fr. Blume, Kassel 
1963; H. Engel, Das Instrumental^, = Fiihrer durch d. 
Konzertsaal I, 3, Lpz. '1932; ders., Das Solok., = Das 
Musikwerk XXV, Koln (1964); E. J. Simon, The Double 
Exposition in the Classic Concerto, JAMS X, 1957; A. 
J. B. Hutchings, The Baroque Concerto, London 1961 ; 
W. Kolneder, Die Solokonzertform bei Vivaldi, = Slg 
mw. Abh. XLII, StraBburg u. Baden-Baden 1961; W. Le- 
bermann, Zur Frage d. Eliminierung d. Soloparts aus d. 
Tuttiabschnitten in d. Partitur d. Solok., Mf XIV, 1961, da- 
zu H. Beck, Das Soloinstr. im Tutti d. K. d. 2. Halfte d. 18. 
Jh., ebenda. 

- zu 2): Th. Busby, Concert-Room and Orch. Anecdotes 
.... 3 Bde, London 1825; A. A. E. El wart, Hist, de la 
Soc. des concerts du Conservatoire, Paris 1860, 2 1863, 
Paris 1885 v. E. M. E. Deldevez; ders., Hist, des concerts 
populaires ..., Paris 1864; H. Kretzschmar, t)ber d. 
Stand d. offentlichen Musikpflege in Deutschland, in: 
Slg mus. Vortrage XXI/XXXVII, hrsg. v. P. Graf v. Wal- 
dersee, Lpz. 1881; M. Brenet, Les concerts en France 
sous l'Ancien regime, Paris 1900; C. Pierre, Le concert 
spirituel 1725 a 1790, Paris 1900; H. Staudinger, Indivi- 
duum u. Gemeinschaft in d. Kulturorganisation d. Ver., 
= Schriften zur Soziologie d. Kultur 1, Jena 1913; P. Bek- 
ker, Das deutsche Musikleben, Stuttgart u. Bin 1916; A. 
Dandelot, La Soc. des concerts du Conservatoire de 1828 
a 1923, Paris 1923 ; K. Meyer, Das K., Stuttgart (1925); G. 
Pinthus, Das Konzertleben in Deutschland, =Slg mw. 
Abh. VIII, StraBburg 1932; E. Preussner, Die burgerliche 
Musikkultur, Hbg 1935, Kassel 21950; W. v. d. Wall u. 
Cl. M. Liepmann, Music in Institution, NY 1936; G. 
Mauge, Concert, Paris 1937; R. Wangermee, Les premiers 
concerts hist, a Paris, in: Melanges E. Closson, Briissel 
1948; H. Rutz, Das K.-Leben v. heute, Europa-Arch. VI, 
1951 ; E. Gerhardt, Recital, London 1953; R. Bauer, Das 
K., Bin 1955; J. Subira, Conciertos espirituales espafloles 
en el s. XVIII, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1926. 



493 



Konzertdirektion 



Konzertdirektion, ein Geschaftsunternehmen, das 
sich mit der Vorbereitung und Durchfiihrung musi- 
kalischer Veranstaltungen befaBt, auf eigene Rechnung 
oder im Auftrag. Die K. iibernimmt - als Konzertagen- 
tur - auch die' Vermittlung von Engagements (Manage- 
ment) fiir Instrumentalisten und Konzertsanger(innen) ; 
Opernengagements werden von Theateragenturen 
(Impresarios) vermittelt. - Die ersten Konzertunter- 
nehmer traten in England schon Ende des 17. Jh. auf 
(z. B. J. Banister), doch trat ihr EinfluB im Konzertle- 
ben hinter dem der musikalischen -»■ Gesellschaften 
zuriick. Im 18. Jh. iiberwogen die von den Musikern in 
eigener Regie veranstalteten ->■ Akademien. Die erste 
K. im modernen Sinn griindete H. Wolff 1 880 in Berlin. 
Lit.: P. Bekker, Das deutsche Musikleben, Stuttgart u. 
Bin 1916; E. Stargardt- Wolff, Wegbereiter grofier Mu- 
siker, Bin u. Wiesbaden 1954. 

Konzertfuhrer. 

H. Kretzschmar, Fuhrer durch d. Konzertsaal, 2 Bde 
in 3, I Sinfonie u. Suite, II Vokalmusik, 1, Kirchliche 
Werke, 2, Oratorien u. weltliche Chorwerke, Lpz. 1887- 
90, neubearb. u. erweitert als: I, Orchestermusik, 1, Sin- 
fonie u. Suite (v. Gabrieli bis Schumann), v. Fr. Noack 
71932, 2, Sinfonie u. Suite (v. Berlioz bis zur Gegenwart), 
v. H. Botstiber '1932, 3, Das Instrumentalkonzert, v. H. 
Engel 71932, II, 1, ^1921, 2, v. H. Schnoor 51939, III, Die 
Kammermusik, v. H. Mersmann, 4 Bde, Lpz. 1930-33 ; M. 
Burkhardt, Fuhrer durch d. Konzertmusik, Bin 1909, 
3 1918; Th. Muller-Reuter, Lexikon d. deutschen Kon- 
zertlit., 2 Bde, Lpz. 1909-13, Nachtrag 1921 ; W. Georgii, 
Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Freiburg i. Br. 41965; 
M. Senechaud, Concerts symphoniques .... Lausanne 
1947; ders., Le repertoire symphonique, Paris 1954; A. 
Veinus, The Victor Book of Concertos, NY 1948; G. v. 
Westerman, Knaurs K., Munchen u. Zurich 1951, 'I960; 
H. Renner, Reclams K. (Orchestermusik), Stuttgart 1952, 
51961 ; O. Schumann, K., Wilhelmshaven 1952; K. Blau- 
kopf, Lexikon d. Symphonie, Koln 1953; K. Bauer, Das 
Konzert, Bin 1955; M. Grater, K., Neue Musik, = Fi- 
scher Biicherei XCIV, Ffm. (1955, 21958); Konzertbuch, 
Orchestermusik, hrsg. v. K. Schonewolf, 2 Bde, Bin 1958- 
60, 1 5 1 961 , II 3 1 962 ; G.-W. Baruch, K., 99 Orchesterwerke 
v. Beethoven bis R. Strauss, = Fischer Biicherei CCXCIX, 
Ffm. (1960); R. Kloiber, Hdb. d. klass. u. romantischen 
Symphonie, Wiesbaden 1964; Meisterwerke d. Musik. 
Werkmonographien zur Mg., hrsg. v. E. L. Waeltner, 
H. Iff., Munchen 1965ff. 

Konzertina, ein ->■ Harmonika-Instrument mit 4- 
oder 6eckigem Querschnitt; es wurde 1834 von dem 
Klarinettisten C.Fr.Uhlig (1789-1874) in Chemnitz 
gebaut, der die Handharmonika von Demian kennen- 
gelemt hatte. Statt der gekoppelten Basse fuhrte Uhlig 
fiir die Jinke Hand Einzeltone ein, mit denen er jeden 
Akkord in jeder Lage und Stellung (dem Umfang ent- 
sprechend) spielen konnte. Die erste K. hatte 5 Melo- 
die- und 5 BaBknopfe; da wie bei der Harmonika im 
Auf zug andere Tone erklangen als im Zudruck, hatte 
sie auf jeder Seite 10 Tone. Diese Anlage wurde bald 
auf 40 Tone, 1840 auf 56 und bis 1872 auf 78 Tone er- 
weitert, auf Anregungen von M.Neubert (1869-1926) 
und R. Lindner (1853-1931) auf 102 Tone (»Scheffler- 
sche Tonlage«) und durch K. Jobst auf 124 Tone (»Carls- 
felder Tonlage«). Die Einheits-K. wurde 1924 von ei- 
ner Kommission des damaligen Deutschen K.- und 
Bandonionbundes ausgearbeitet und war 128t6nig. Bis 
1868 wurden die Instrumente einchorig, dann durch 
Hinzufiigung der oberen Oktave zweichorig gebaut. 
Die Notierung erfolgte im sogenannten Waschleinen- 
system : auf einer Linie waren die Notenwerte verzeich- 
net, die dariiberstehenden Zahlen bezeichneten die 
Knopf e, die in Verbindung mit den Auf- und Zudruck- 
zeichen zu greifen waren. Die Tone und Akkorde der 
linken Hand wurden ebenfalls durch Zahlen darge- 
stellt. Nach 1920 notierte man die Tone der rechten 



Hand in der ublichen Notenschrift, um Streichern ein 
Mitspielen zu ermoglichen, wahrend die Zahlen fiir 
den K.-Spieler beibehalten wurden. Bei den beschei- 
denen musikalischen Anspriichen der Spieler, die sich 
auf Volks- und Unterhaltungsmusik beschrankten, 
war diese Notation ausreichend. Die K. wurde im Lau- 
fe der Zeit durch das -»• Bandonion verdrangt. 

Konzertmeister (engl. leader; amerikanisch concert 
master; frz. violon solo bzw. chef d'attaque; ital. vio- 
lino primo), der erste Geiger eines Orchesters, der das 
Einstimmen zu leiten, das Spiel anzufiihren, die Vio- 
linsolostellen zu spielen und in Proben zuweilen den 
Dirigenten zu vertreten hat. In groBeren Orchestern 
gibt es mehrere K., z. B. die Stimmfiihrer der 2. Vio- 
linen, Bratschen oder Violoncelli. In Hofkapellen des 
17.-19. Jh. war der K. Orchesterleiter (z. B. Bach in 
Weimar 1714-17) ; er war der Regente bey der Instru- 
mental-Musik (Mattheson Capellm., S. 483). 

Konzertsaal. Im 19. Jh. hatte der K., ein Reprasen- 
tant des musikalischen Bildungsanspruchs des aufstre- 
benden biirgerlichen SelbstbewuBtseins, zunachst ein 
den hofischen Fest- und Prunksalen nachempfundenes 
Aussehen. Die wachsenden Zuhorerzahlen yerlangten 
zum Teiljedoch wesentlich groBere Dimensionen. Da- 
bei fuhrte die Forderung qualifizierter Musikdarbie- 
tung zur Suche nach meBbaren Kriterien der -> Raum- 
akustik. Als wichtige GroBen werden heute -> Nach- 
hall und -*■ Diffusitat genannt. Die geometrischen Di- 
mensionen naherten sich vom Quader ausgehend im 
Laufe der Zeit zunehmend der Muschelform an. Die 
GroBe der Konzertsale schwankt zwischen 5000 und 
22000 m 3 (Royal Festival Hall London). Eine wichtige 
Rolle scheint auch das Verhaltnis des Raumvolumens 
zur Besetzungsdichte (angegeben als Volumen pro 
Sitzplatz) zu spielen. Es bewegt sich zwischen 6 und 
17 m 3 . Bislang konnten aus den Nachhallkurven von 
Konzertsalen keine eindeutigen Qualitatskriterien ab- 
gelesen werden; sie unterscheiden sich im leeren ge- 
geniiber dem besetzten Zustand zum Teil wesentlich 
voneinander. Die Nachhallzeiten gehen bei voller 
Publikumsbesetzung auf etwa 70% (z. B. groBer Kon- 
zerthaussaal Wien) bis 90% (Royal Festival Hall Lon- 
don) gegeniiber den Leerwerten zuriick. 
Lit.: L. Cremer, Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik, 
I Geometrische Raumakustik, Lpz. 1948, II Statistische 
Raumakustik, Stuttgart 1 96 1 ; P. H . Parkin, W. E. Scholes 
u. A. G. Derbyshire, The Reverberationtimes of Ten Bri- 
tish Concert Halls, Acustica II, 1952; W. Kuhl, Uber 
Versuche zur Ermittlung d. giinstigsten Nachhallzeit gro- 
Ber Musikstudios, ebenda IV, 1954, Beih. 2$ L. Cremer, 
L. Keidel u. H. Muller, Die akustischen Eigenschaften 
d. groBen u. d. mittleren Saales d. neuen Liederhalle in 
Stuttgart, ebenda VI, 1 956, Beih. 2 ; E. Meyer u. H. Kutt- 
ruf, Zur akustischen Gestaltung d. neuerbauten Beetho- 
venhalle in Bonn, ebenda IX, 1959; Fr. Bruckmayer, 
Hdb. d. Schalltechnik im Hochbau, Wien 1962. 

Konzertstuck, auch Concertino, seit dem spaten 18. 
Jh. ein einsatziges Solokonzert oder eine groBere, fiir 
den Konzertvortrag ohne Orchester bestimmte Kom- 
position (Chopin, Allegro de concert op. 46; Schumann, 
Sonate op. 14, bezeichnet als Concert sans orchestre). 
Neben der regularen oder verkiirzten Sonatensatz- 
form (Schumann, Concertstiick fiir 4 Horner und Orch. 
op. 86; Concertstiick, Introduktion und Allegro appas- 
sionato fiir Kl. und Orch. op. 92; der 1. Satz des Kla- 
vierkonzerts war zunachst unter der Bezeichnung Fan- 
tasie als K. gedacht) oder dem in einen Satz zusammen- 
gezogenen Sonaten-Satzzyklus kommen als K.e vor: 
Rondos (Mozart K.-V. 382); Variationen (Chopin 
op. 2); Tanze (Chopin, Krakowiak op. 14); Charakter- 
stiicke wie Romanzen (Beethoven, fiir V. und Orch. 



494 



Korea 



op. 40 und 50) und Capricci (Mendelssohn, Capriccio 
brillant op. 22 fur Kl. und Orch.) oder Ravels Tzigane 
fiir V. und Orch. ; auch freie Formen der Programm- 
musik (CM. v.Weber, K. op. 79 fur Kl. und Orch.). 
Lit.: H. Engel, Die Entwicklung d. Deutschen Klavier- 
konzertes v. Mozart bis Liszt, Lpz. 1927; ders., Das In- 
strumentalkonzert, = Fiihrer durch d. Konzertsaal I, 3, 
Lpz. 71932. 

Kopenhagen. 

Lit.: Th. Overskou, Den danske skuespil indtil vor tid, 
5 Bde, K. 1854-64; A. Hammerich, Musiken ved Christian 
den Fjerdes Hof, K. 1892, deutscher Auszug.v. C. EUing 
in: VfMw IX, 1893; ders., Musikhistorisk Museum, K. 
1909, deutsch v. E. Bobe, K. 191 1 ; A. Aumont u. E. Col- 
lin, Det Danske Nationalteater 1 748-1 889, 3 Bde, K. 1 896- 
1900; C. Thrane, Fra hofviolonernes tid, K. 1908; V. 
Christensen, Stadsmusikanten, in : Hist, meddedelser om 
K. V, 1915/16; T. Krogh, Zur Gesch. d. danischen Sing- 
spiels im 18. Jh., K. 1924; G. Hetsch, Musiklivet (1870- 
1914), in : Danmark i fest og glaade V, 1935/36 ; H. Funck, 
Beitr. zur Altohaer Mg., Altonaische Zs. f. Gesch. u. Hei- 
matkunde VI, Neumiinster (Holstein) 1937, S. 64ff.: K. 
mus. Romantik um 1840; N. Friis, Det Kongelige Teater, 
K. 1943; ders., Det danske Hoftrompeter Korps, K. 1947; 
ders., Det Kongelige Kapel, K. 1948 ; A. Kjerulf, Hundre- 
de ar mellem noder (Gesch. d. Musikverlags Wilhelm 
Hansen), K. 1959. 

Kopfstimme -»■ Register (- 3). 

Koppeln (von lat. copula, Band, Verbindung; frz. 
tirasses; ital. accopiamenti ; engl. couplers) sind Spiel- 
hilfen, die in der Orgel die verschiedensten Verbin- 
dungen von Spieltrakturen und Registern herstellen, 
sei es mit der Hand durch Druckknopfe, sei es mit dem 
FuB durch Tritte. Die Normal-K. ermoglichen es, die 
gezogenen Register eines Manuals auf einem oder meh- 
reren anderen Manualen, auch auf dem Pedal, mitzu- 
spielen. Mechanische, pneumatische und elektrische K. 
sind von je verschiedener Bauart. Oktav-K. lassen als 
Super-K. die hoheren Oktaven im gleichen oder im 
anderen durch sie angekoppelten Manual mitklingen, 
Sub-K. dagegen die Unteroktaven, soweit sie ausge- 
baut sind. Die Melodie-K. (Melodiefiihrer, Vorsanger) 
lassen zur Melodieverstarkung die Oktave des hoch- 
sten Tones eines gegriffenen Akkordes im gleichen 
Manual mitklingen oder koppeln nur ihn aus einem 
anderen - starker zu registrierenden - Manual in Nor- 
mal- oder Oktavlage an. Oktav- und Melodie-K. und 
iiberhaupt ein Zuviel an K. lehnt der Orgelbau heute 
wegen des klaren Werkprinzips einer Orgel ab. 

Koptische Musik. Die agyptischen Christen haben 
schon sehrfruh eineeigeneliturgische Musik entwickelt, 
die sich eng an den byzantinischen Kult anschlieBt. 
Dariiber hinaus scheint sie auch Reste altagyptischer 
Elemente zu enthalten. Die Trennung der koptischen 
Kirche von Byzanz im Jahre 451 und die Eroberung 
(640) und damit verbundene Islamisierung Agyptens 
durch die Araber haben auf die Entwicklung der K.n 
M. stark eingewirkt im Sinne einer merkbaren An- 
passung der Liturgie an das Empfinden der agyptischen 
Glaubigen und einer Erneuerung der Volksmusik, wo- 
mit eine gewisse Riickkehr zur altehrwurdigen musi- 
kalischen Tradition im Niltal, nach den Perioden zeit- 
weiser Uberf remdung in f riiheren Jahrtausenden ver- 
bunden war. - Seit dem 10./11. Jh. erscheinen in kop- 
tischen Manuskripten ekphonetische und neumenarti- 
ge Zeichen, die der griechischen und byzantinischen 
Akzent- und Musikschrift entnommen sind oder sich 
gelegentlich an jiidische Lektionszeichen (taamim) an- 
lehnen. Diese Aufzeichnungsversuche sind aber verein- 
zelt geblieben und wieder in Vergessenheit geraten. 
Die koptische Kirchenmusik mit ihrer 1st. Liturgie 
wurde bis heute mundlich uberliefert und besonders in 



Sangerschulen gepflegt. Dabei ist erstaunlich, wie die 
Priester und die (meist blinden) Kirchensanger das rie- 
sige Repertoire gedachtnismaBig beherrschten. Der tra- 
ditionelle Gesangsstil unterscheidet sich in der Klang- 
farbe deutlich vom arabischen Kunstgesang. Liturgi- 
sche Sprache ist weiterhin das auf das Altagyptische zu- 
riickgehende Koptische, jedoch werden bestimmte 
Teile der Messe, vor allem katechetische Deklamatio- 
nen, auch in arabischer Sprache zugelassen. Damit 
dringt unmerklich arabischer Stil und Geschmack in 
den Gottesdienst ein. Zu unterscheiden sind 3 Formen 
der Messe: die des hl.Basilius (329-379), die als die 31- 
teste gilt, die Messe des hi. Gregor von Nazianz (fiir 
groBe Festtage) und die des hi. Kyrillos (heute fast ganz 
vergessen). - Die Kopten gelten zu Recht als die direk- 
ten und unverfalschten Nachkommen der alten Agyp- 
ter, wird doch sogar der Name »Kopte« entweder von 
der alten oberagyptischen Stadt Koptos oder von der 
griechischen Bezeichnung aigyptios abgeleitet. Sie ha- 
ben noch lange eine eigene, echt agyptische Volksmu- 
siktradition bewahrt, die bis heute im Lied des Fella- 
chen trotz schwerwiegender arabisch-islamischer Be- 
einflussung weiterlebt. Dieses konservative Element 
hatte die Aufspaltung des agyptischen Musiklebens in 
ejne stadtische, stark iranisch-arabisch beeinfluBte 
Kunstmusik und eine folkloristische Musik der Land- 
bevolkerung zur Folge. Die koptische Volkskunst der 
Vergangenheit muB jedenfalls noch so viel Lebens- 
kraft besessen haben, daB es sogar zur Neuschaffung 
verschiedener Musikinstrumente gekommen ist. Hier- 
zu gehoren Blasinstrumente aus Vogelknochen und 
Lauteninstrumente mit eingeschniirten Flanken, wah- 
rend Langfioten und Doppelklarinetten aus Bambus 
auf altagyptische Klangwerkzeuge zuriickgehen. Ty- 
pisch fiir den koptischen Gottesdienst ist das ebenfalls 
auf die altagyptische Liturgie zuriickgehende Sistrum. 
Erst in jiingster Zeit wird es durch das modernere Tri- 
angel verdrangt. Koptische Instrumente im weitesten 
Sinne des Wortes sind auch Handgriffglocken, Seman- 
terien, Klappern und Handgriffklappern, teils im Got- 
tesdienst, teils in der Volksmusik verwendet ; auch ver- 
mittelten die Kopten dem Abendland den Gebrauch 
der liturgischen Glockchen orientalischen Ursprungs. 
Lit.: J. Blin, Chants liturgiques coptes, Kairo 1888; L. 
Badet, Chants liturgiques des Coptes, Kairo 1899; W. 
Crum, Cat. of the Coptic Mss., Manchester 1909; Th. 
Gerold, Hist, de la musique des origines a la fin du XIV s., 
= Manuels d'hist. de Fart, Paris 1936; H. Hickmann, La 
cliquette, un instr. de percussion egyptien de l'epoque 
copte, Bull, de la Soc. d'archeologie copte XIII, 1948/49; 
ders., Observations sur les survivances de la chironomie 
egyptienne dans le chant liturgique copte, Annales du ser- 
vice des antiquites de FEgypte XLIX, 1949; ders., Un 
instr. a cordes inconnu de l'epoque copte, Kairo 1949; 
ders., Quelques observations sur la musique liturgique des 
Coptes d'Egypte, Kgr.-Ber. Rom 1950; ders., Quelques 
nouveaux aspects du role de la musique copte dans l'hist. 
de la musique en Egypte, Bull, de la Soc. d'archeologie 
copte XV, 1958/60; ders., K. M., in: Koptische Kunst, 
Ausstellungs-Kat. d. Villa Hiigel e. V., Essen 1963; P. R. 
Menard, Note sur les musiques arabes et coptes, Les ca- 
hiers coptes II, Kairo 1952; ders., Notation et transcription 
de la musique copte, ebenda III, 1953 ; ders., Une etape de 
Fart mus. egyptien: la musique copte, Rev. de Musicol. 
XXXVI, 1954; ders., Note sur la memorisation et l'impro- 
visation dans le chant copte, Etudes gregoriennes III, 1959 ; 
M. Huglo OSB, La chironomie medievale, Rev. de Mu- 
sicol. XLIX, 1963. HaH 

Korea. 

Lit.: A. Eckardt, K.nische Musik, Mitt. d. Deutschen 
Ges. f. Natur- u. Volkerkunde Ostasiens XXIVB, 1930; 
Ch. S. Keh, Die k.nische Musik, = Slg mw. Abh. XVII, 
StraBburg 1935 ; J. L. Boots, K.n Mus. Instr. and an Intro- 
duction to K.n Music, in : Transactions of the RoyalAsiatic 



495 



Kornett 



Soc, K.n Branch, 1940; K., in: Bibliogr. of Asiatic Musics, 
Notes II, 7, 1949/50; C..S. Cho, Songs of K., Dubuque 
(la.) 1950; W. S. Lim, Present Status of Music in K., Kgr.- 
Ber. Wien 1956; J.-G. Kim, Musikethnologische Studien 
liber d. k.nische Volkslied, Diss. Wien 1964, maschr. 

Kornett (f rz. cornet a pistons, kleines Horn mit Pump- 
ventilen; auch einfach Piston genannt), - 1) aus dem 
Posthorn durch Einbau von Ventilen hervorgegange- 
nes Blechblasinstrument, das zuerst in Frankreich (viel- 
leicht von Halary vor 1830) gebaut wurde. Urspriing- 
lich von gedrungener Form, wurde es seit etwa 1920 
der Trompete sehr stark angeglichen, so daB sich heute 
Flugelhorn, K. und Trompete nur noch geringfugig 
unterscheiden (im Bau des Mundstiicks und in der 
Mensur, wobei das K. zwischen dem weiteren Fliigel- 
horn und der engeren Trompete steht). Der Ton des K.s 
ist weniger hart und glanzend als der der Trompete 
und weniger fiillig als der des Flugelhorns. Das wich- 
tigste Instrument ist das Sopran-K. in B (Umfang et- 
wa f-c3), daneben in C und A; in der Harmoniemusik 
werden auBerdem das Pikkolo-K. (Cornettino, vor 
allem in Es) und das Alt-K. (vor allem in Es, eine Ok- 
tave unter dem Pikkolo-K.) verwendet. Wie fiir die 
moderne Trompete in B und die Instrumente der 
-> Btigelhorn-Familie, wird fiir das K. die transponie- 
rende K.-Notierung verwendet. (Beim K. in B er- 
klingt der Ton einen Ganzton tiefer als geschrieben.) 
In das Orchester wurde das K. durch Rossini einge- 
fiihrt (Guillaume Tell, 1829), konnte sich aber, zugun- 
sten der Trompete, auf die Dauer nicht behaupten. 
Neben der Verwendung in der Harmoniemusik spielte 
das K. im Jazz zunachst eine groBe Rolle, bis es auch da 
von der Trompete verdrangt wurde (bald nach 1920). 
Von Jazzmusikern werden jedoch fast ausnahmslos 
Trompeten mit Pistonventilen gespielt. - 2) In der Or- 
gel ist K. (Cornett) entweder eine den Ton des Zink 
nachahmende Zungenstimme 4' oder 2', im Pedal oft 
als doppelchoriges Singend Cornett 2' mit verkiirzten 
Bechern disponiert, oder eine gemischte Stimme, zu- 
meist drei-, vier- oder fiinffach auf 22/ 3 ', 4', 8' oder 16' 
(GroB-K.). Von der Mixtur unterscheidet sich das K. 
durch Repetitionslosigkeit, weitere Mensur und die 
charakteristische Terz (5. Partialton), die nur in den 
seltenen Oktav-K.en fehlt. Das Septimen-K. nimmt 
- zumeist im Diskant - eine Sept hinzu. Als Rohrwerk- 
verstarker begann das K. friiher ofter ab f oder c 1 . 
Lit. : zu 1) : M. Rasmussen, On the Modern Performance of 
Part Originally Written for the Cornett, Brass Quarterly 
I, 1957. 

Korrepetjtor (lat., »Mitwiederholer«) nennt man den 
Kapellmeister (Oper, Ballett), dessen Aufgabe das Ein- 
studieren der Solopartien am Klavier ist. Der K. fiir 
das Einstudieren der Chore an Operntheatern heiBt im 
allgemeinen Chordirektor. 
Lit.: R. Hartmann, Hdb. d. Korrepetierens, Bin 1926. 

Kortholt (Kurzholz; engl. curtail; frz. courteaud), im 
17. Jh. ein Doppelrohrblattinstrument mit Windkapsel; 
in das zylindrische Corpus ist ein doppelter Windkanal 
gebohrt. Es steht geschichtlich zwischen der alteren 
-> Rauschpf eife und dem barocken Fagott. Zusammen 
mit den Fagotten und Dolzianen nennt M.Praetorius 
(Synt. II, S. 23) Corthol und DoppelCorthol (in Tenor- 
BaB-Lage) und SingelCorthol (in Tenor-Alt-Lage). 

Koto (japanisch), Bezeichnung fiir eine Reihe von 
Saiteninstrumenten, speziell fiir die Wolbbrettzither, 
die aus China (->• K'in) nach Japan gekommen ist, wo 
sie im 5. Jh. erwahnt wird. Im 8. Jh. war der K. 6saitig 
(Yamato-K. oder Wagon), im 9. Jh. 13saitig und ge- 
horte als hofisches Instrument (S6no-K.) zum Instru- 
mentarium der chinesisch beeinfluBten »Linksmusik«. 



Seit dem 17. Jh. entstand eine volkstumliche Literatur 
fiir K., fiir die das Spielgut fiir -> Samisen Vorbild 
war. Auch in Stiicken mit Gesang hat das Instrument 
den Vorrang. Der moderne groBe K. ist 180-190 cm 
lang, hat 13 oder mehr Saiten, die durch bewegliche 
Stege gestimmt werden, und wird mit Plektron ge- 
spielt. Der wichtigste neuere Meister des K.-Spiels war 
M. -> Miyagi. 

Ausg. : S. Izawa, Collection of Japanese K.-Music, Tokio I 
1888, 21914, II 1914; Shochikubai, Japanese K.-Music, 
hrsg. v. Yamase j. Yamada, Tokio o. J. 
Lit. : E. T. Piggott, Principal Tunings of the Modern Ja- 
panese K., London 1892; J. Obata, Acoustical Investi- 
gations of Some Japanese Mus. Instr., Tokio 1930; M. 
Nomura, Treatise on the Three Instr. of the Sankyoku, 
Tokio 1958; W. P. Malm, Nagauto, The Heart of Kabuki 
Music, Rutland (Vt.) u. Tokio 1963. 

Krakau. 

Ausg.: Pie$ni ludu krakowskiego (»Die Lieder d. Kr.er 
Volkes«), hrsg. v. Wt. Pozniak, Kr. (1956); Muzyka w 
dawnym Krakowie (»Die Musik im alten Kr.«), hrsg. v. 
Z. M. Szweykowski, Kr. 1964. 

Lit.: A. Chybinski, Materialy do dziejow krolewskiej ka- 
peli Rorantystow na Wawelu (»Materialien zur Gesch. d. 
koniglichen Rorantistenkapelle auf SchloB Wawel«), I 
1540-1624, Kr. 1910, II 1624-94, in: Przeglqd muzyczny 
IV, 1911; ders., Nowe materialy do dziejow krolewskiej 
kapeli Rorantystow . . . na Wawelu (»Neue Materialien 
zur Gesch. d. koniglichen Rorantistenkapelle . . .«), Lem- 
berg 1925 ; ders., Muzycy wfoscy w kapelach katedralnych 
krakowskich 1619-57 (»Die ital. Musiker in Kr.er Kathe- 
dralkapellen . . .«), I. Teil, Posen 1927; ders., 3 przyczynki 
do historii muzyki wKrakowie w 1 polowie XVII wieku 
(»3 Beitr. zur Gesch. d. Kr.er Musik in d. 1. Halfte d. 17. 
Jh.«), Warschau 1927; Zdz. Jachimecki, Muzyka na 
dworze krola Wladyslawa Jagielry (»Die Musik an d. Hofe 
d. Konigs Wladyslaw Jagiello«), Kr. 1915; J. Wt. Reiss, 
Muzyka w Krakowie w XIX w. (»Die Musik im Kr. d. 19. 
Jh.«), Kr. 1931; ders., Almanach muzyczny Krakowa, 
1780-1914 (»Kr.er Musikalmanach . . .«),2Bde,Kr. 1939; 
G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis 
zur Mitte d. 16. Jh. (Prag, Wien, Kr.), AfMf I, 1936; A. 
Klose, Die mg. Beziehungen zwischen Kr. u. Schlesien im 
15. u. 16. Jh., Deutsche Monatsh. VI, Posen 1939; A. 
Szweyko-wska, Pocza.tki Krakowskiej Kapeli Katedralnej 
(»Die Anfange d. Kr.er Domkapelle«), Muzyka IV, 1959; 
J. Dobrzycki, Hejnaf Krakowski (»Kr.er Turmblasen«), 
Kr. 1961. 

Krakowiak (frz. Cracovienne, »Krakauer«), polni- 
scher Tanz aus der Gegend um Krakau, im schnellen 
2/4-Takt mit synkopiertem Rhythmus: 




Der charakteristische Rhythmus des Kr., der auch un- 
ter den Namen Flisak, Wloczek, Kopeniak, Suwany 
vorkommt, findet sich schon unter den mit Chorea 
Polonica, Volta Polonica, Polnisch Tanz benannten 
Tanzen und Liedern des 16. und 17. Jh., z. B. in den 
Tabulaturen von Johannes de Lublin (1537-47), Nor- 
minger und Fuhrmann. Kr.s komponierten Chopin 
(Kl.-Konzert op. 11, 3. Satz, und Kr. op. 14), Pade- 
rewski (Kr. op. 3) und L.Rozycki (Kr. im Ballett Pan 
Twardowski). 

Krebsgang (bezeichnet mit lat. cancrizans, recurrens 
oder per motum retrogradum; ital. alia riversa oder 
auch al rovescio), das Verfahren, eine Melodie oder ein 
Satzgefiige riickwarts zu lesen und in dieser Gestalt 
kompositorisch zu verwerten. Der Kr. hat ein literari- 
sches Vorbild in solchen Worten oder Satzen, die auch 



496 



Kroatien 



beim Riickwartslesen der Buchstaben (gelegentlich 
auch der Silben oder Worte) einen Sinn ergeben (Pa- 
lindrom, anazyklische Verse oder Versus recurrentes). 
In der Musik setzt er Notation voraus, weil die Fahig- 
keit, ihn als solchen gehorsmafiig zu erfassen, auf klein- 
ste Partikel beschrankt bleibt. Der Kr., eine der kiinst- 
lichsten Techniken im musikalischen Satz, geht bis in 
die Notre-Dame-Epoche zuriick: die Hs. F enthalt am 
SchluB der Dominus-Klauseln (f. 150') ein Stuck mit 
dem Cantus als Kr., worauf der Textzusatz Nus-mi-do 
(silbenweise Riickwartslesung von Dominus) iiberdies 
hinweist. Der Kr. ist als konstruktives Mittel und Spiel 
zu werten, wird aber dariiber hinaus in vielen Fallen 
zum Symboltrager, so etwa - auf Grund des Doppel- 
sinns oder des Zusammenfallens der Begriffe »Anfang« 
und »Ende«- zur Darstellung von Tod, Ewigkeit, Un- 
endlichkeit u. a. DaB Machauts 3st. Rondeau Nr 14 Ma 
fin est mon commencement auch in solchem Sinn verstan- 
den werden soil, liegt nahe; hier ergibt sich der Tenor, 
wie es die auf dem Kopf stehende Textierung fordert, 
aus dem Kr. der niedergeschriebenen Oberstimme, und 
der bis zur Mitte auf gezeichnete Contratenor ist durch 
seinen eigenen Kr. zu erganzen. Noch offenkundiger 
ist der Symbolcharakter des Kr.s im Schlufibeispiel aus 
dem Compendium musices von Coclico, einem 8st. 
Krebskanon iiber zwei auf das »Ende« bezogene Bibel- 
verse (Vulg. Ps. 118, 96; Matth. 10, 22 oder 24, 13) 
oder in Scheidts Canon retrogradus a 3 voc. super In te 
Domine speravi (non confundar in aetemum ; Vulg. Ps. 30, 
2; Tabulatura nova). Auch die Anweisungen zum Kr. 
wurden gelegentlich verschliisselt und in Zitate einge- 
kleidet, so z. B. bei dem genannten Stuck von Coclico 
mit Canon. Per aliam viam reversi sunt in regionem suam 
(Matth. 2, 12) oder in der Missa Alleluia von de la Rue 
mit vade retro Satanas (Mark. 8, 33). - Hinsichtlich der 
musikalischen Verarbeitung des Kr.s lassen sich unter- 
scheiden: 1) Kr. einer Stimme innerhalb des Satzes, 
z. B. der vor- und riickwarts schreitende Tenor in Du- 
fays isorhythmischer Motette Balsamus et mundi oder 
das Fugenthema in Beethovens Sonate op. 106; 2) Kr. 
eines Satzgefiiges, indem alle Stimmen von einem 
Zeitpunkt an - der dadurch zum Mittelpunkt oder zur 
»Achse« wird - in ihren eigenen Kr. iibergehen, wie in 
J.Haydns Menuetto al rovescio (Klaviersonate A dur, 
Hob. XVI, 26, u. a.) oder in der Fuga tertia in F aus 
Hindemiths Ludus tonalis. Schonberg kombiniert im 
Pierrot lunaire (Nr 18, Der Mondfieck) diese Technik im 
4st. Instrumentalsatz mit einer freien Sprechstimme 
und einer Fuge im Klavier; 3) Spiegel-Kr. eines Satz- 
gefiiges, indem dieses als Ganzes auch mit umgekehr- 
tem Notenblatt, also in Kr. und -*■ Umkehrung zu le- 
sen ist, z. B. J.Haydns Canon cancrizans a tre (Thy voice 
o Harmony is divine) von 1791 oder Praeludium und 
Postludium aus Hindemiths Ludus tonalis; 4) der Krebs- 
kanon im eigentlichen Sinn: das simultane Erklingen 
von Melodievorlage und deren Kr., z. B. J. S.Bachs 
Canon a 2 aus dem Musicalischen Opfer (BWV 1079, 3a) 
oder die 8st. Motette Diliges Dominum von Byrd; 5) der 
Spiegelkrebskanon: die Vereinigung von Vorlage und 
Kr. in der Umkehrung Diesen seltenen Typ vertreten 
die wohl zu unrecht W.A.Mozart zugeschriebenen 4 
Spiegelkanons (K.-V. Anh. 284 da ), die von zwei ein- 
ander gegeniiberstehenden Spielern aus ein und dem- 
selben Notenblatt ausgefiihrt werden konnen. - Der 
Kr. - obwohl er relativ selten vorkommt - ist kenn- 
zeichnend fur streng konstruktive Moglichkeiten des 
Komponierens, die im 15. Jh. entwickelt und bis ins 17. 
Jh. besonders gepflegt wurden. Mindestens seit Kircher 
(1650) wird der Kr. auch theoretisch behandelt. - In 
der seriellen Technik des 20. Jh. sind Kr. und Spiegel- 
Kr. neben der Umkehrung als Ableitungsweisen der 



-> Reihe eine Grundlage f iir das Kompositionsverfah- 
ren geworden. Beispiel einer mehrschichtigen Verwen- 
dung des Kr.s ist der 2. Satz der Symphonie op. 21 von 
Webern: eine krebsgleiche Reihe wird in axial krebs- 
gangigen Variationen durchgefiihrt, wobei ein Satz- 
ganzes entsteht, das hinsichtlich der Reihen-(und Ton-) 
Anordnung ebenfalls krebsgleich verlauft. 
Lit.: Pauly-Wissowa RE, Artikel Palindrom; A.W.Am- 
bros, Gesch. d. Musik III, Breslau 1868, S. 67f.; H. Rie- 
mann, Hdb. d. Mg. II, 1, 1907, 21920, S. 84ff; L. K. J. Fei- 
ninger, Die Fruhgesch. d. Kanons bis Josquin des Prez 
(um 1500), Emsdetten i. W. 1937. KJS 

Kremsier (Kromeriz, Tschechoslowakei). 
Lit.: P. Nettl, Zur Gesch. d. Musikkapelle d. Furstbi- 
schofs Karl Liechtenstein-Kastelkorn v. Olmutz, ZfMw 
IV, 1921/22; Fr. Hogler, Die Kirchensonaten in Kr., Diss. 
Wien 1926, maschr.; E. H. Meyer, Die Bedeutung d. In- 
strumentalmusik am furstbischoflichen Hof zu Olomouc 
(Olmutz) in Kromefiz (Kr.), Mf IX, 1956, auch in: Auf- 
satze iiber Musik, Bin 1957. 

Kreuz -»■ Akzidentien. 

Kreuzkantoren. Das Kantorenamt der Kreuzschule 
in Dresden ist von einer Anzahl bedeutender Kirchen- 
musiker bekleidet worden. Es folgten nacheinander: 
S.Baumann (-1553), J. Seiner (-1560), A.Petermann 
(-1585), B.Kohler (-1589), B.Petermann (-1606), S. 
Ruling (-1615), Chr. Neander (-1625), M. Lohr (-1654), 
J.Beutel (-1694), B.Petritz (-1713), J.Z.Grundig 
(-1720), Th.Chr.Reinhold (-1755), G.A.Homihus 
(-1785), Chr.E.Weinlig (-1813), Chr.T.Weinlig 
(-1817), Chr.H.Uber (-1822), Fr.W.Agthe (-1828), 
E.J. Otto (-1875), Fr.O.Wermann (-1906), O.Richter 
(-1930), seitdem Rudolf Mauersberger. -> Thomas- 
kantoren. 

Lit.: O. Meltzer, Die Kreuzschule zu Dresden bis zur 
Einfiihrung d. Reformation (1539), Dresden 1886; K. H. 
Neubert, Aus d. Gesch. d. Kreuzschule, Dresden 1893; 
K. Held, Das Kreuzkantorat zu Dresden, Diss. Lpz. 1894; 
O. Socher, 700 Jahre Dresdner Kreuzchor, Dresden 1937 ; 
E. H. Hofmann, Capella sanctae crucis, Bin 1956; dies., 
Der Dresdner Kreuzchor, Lpz. 1962; H. Bohm, Dieev. Kr., 
in: Kirchenmusik heute, Fs. R. Mauersberger, Bin 1959. 

Kritik ->■ Musikkritik. 

Krjuki (russ., Haken) heiBen die Schriftzeichen des 
russischen Kirchengesangs, deren alteste bekannte For- 
men mit den byzantinischen des 12.-13. Jh. identisch 
sind. Es handelt sich dabei um mehrere Schriftarten, 
die zum Teil gleichzeitig im Gebrauch waren. Neben 
der -»■ ekphonetischen Notation fiir die Lesungen und 
der Kontakarien-Notation (bis ins 14. Jh. nachgewie- 
sen) unterscheidet J. v. Gardner 4 Schrif ttypen : Stolp- 
Notation (11.-20. Jh.), Putj-Notation (15.-17. Jh.), 
Demestische Notation (16.-20. Jh.) unci Kasan-No- 
tation (16.-17. Jh.). Die Stolp-Notation wird seit dem 
17. Jh. nur noch von den Altglaubigen gepflegt; dage- 
gen hatte die Staatskirche eine -*■ Choralnotation mit 
Funfliniensystem eingef iihrt. 

Ausg. : Ein hs. Lehrbuch d. altruss. Neumenschrift I, hrsg. 
v. J. v. Gardner u. E. Koschmieder, = Bayerische Akad. 
d. Wiss., phil.-hist. Klasse, Abh., N. F. LVII, Munchen 
1963 (mit Bibliogr.). 

Kroatien. 

Ausg.: V. Zganec, Hrvatske pucke popijevke iz Medji- 
murja (»Kroatische volkstiimliche Gesange v. Medjimur- 
je«), Zagreb I 1916, II 1920, III-V 1941; ders., Hrvatske 
narodne pjesme kajkavske(»Kroatisch-kajkawischeVolks- 
lieder«), Zagreb 1950; ders., Narodne popijevke Hrvat- 
skog Zagorja (»Volksgesange v. Hrvatsko Zagorje«), 2 
Bde, Zagreb 1950-52; ders. (mit N. Sremec), Hrvatske 
narodne pjesme i plesovi (»Kroatische Volkslieder' u. 
-tanze«), Zagreb 1951 ; B. Bart6k u. A. B. Lord, Serbo- 



32 



497 



Krotala 



Croatian Folk Songs, NY 1951 ; A. B. Lord, Serbo-Croa- 
tian Heroic Songs Collected by M. Parry, 2 Bde, Cam- 
bridge (Mass.), Belgrad u. London 1953-54; N. Kara- 
baic, Muzicki folklor Hrvatskog Primorja i Istre (»Mus. 
Folklore v. Hrvatsko Primorje u. Istrien«), Rijeka 1956; 
Spomenici hrvatske muzicke proSlosti (»Denkmaler d. 
kroatischen mus. Vergangenheit«), Bd I: V. Jelic (1596— 
1636?) . . ., hrsg. v. A. Vidakovic, Zagreb 1957. 
Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, 
Zagreb): Fr. §. Kuhac, Ilirski glazbenici (»Illyrische 
Musiker«), 1893; ders., Osebine narodne glazbe, narocito 
hrvatske (»Eigenarten d. Volksmusik, besonders d. kroati- 
schen«), Rad jugoslavenske akad. znanosti i umjetnosti 
Nr 160, 174, 176, 1905-09; R. Lach, Alte Weihnachts- u. 
OstergesangeaufLussin,SIMGIV,1902/03;DERS.,Volkslie- 
der in Lussingrande, ebenda ; ders., Alte KirchengesSnge d. 
ehemaligen Diozese Ossero, SIMG VI, 1904/05; J. Vajs, 
Toni missae ..., Krk 1904; ders., Memoriae liturgiae 
slavicae in dioecesi Axerensi, Krk 1906; ders., Najstariji 
hrvatskoglagolski misal (»Das alteste kroatisch-glagoliti- 
sche Missale«), 1948 ; L. Jelic, Fontes hist, liturgiae glago- 
lito-romanae .... Krk 1906 ; M. Ogrizovic u. N. Andric, 
Hrvatska opera 1870-1920 (»Die kroatische Oper . . .«), 
1920; B. Sirola, Pregled povijesti hrvatske muzike (»Ab- 
riB d. Gesch. d. kroatischen Musik«), 1922 ; DERS.,Hrvatska 
narodna glazba (» Kroatische Volksmusik«), 1940—42; 
ders., Hrvatska umjetnicka glazba (»Kroatische Kunst- 
musik«), 1942; ders., Horvat nep hangszerck (»Kroati- 
sche Volksmusikinstr.«), Melanges offerts a Z. Kodaly, 
Budapest 1943 ; ders., Crkvena glazba u Hrvatskoj (»Kir- 
chenmusik in Kr.«), o. J. ; ders., Die Volksmusik d. Kroa- 
ten, in : Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956; 
L. K. Goetz, Volkslied u. Volksleben d. Kroaten u. Ser- 
ben, 2 Bde, Heidelberg 1937; Dr. Plamenac, Music of the 
16 th and 17 th Cent, in Dalmatia, PAMS IV, 1939; ders. 
in: G. Reese, Music of the Renaissance, NY (1954), 21959, 
S. 757ff.; Dr. Kniewald, IUuminacija i notacija zagre- 
backih liturgijskih rukopisa («Buchmalerei u. Notation d. 
Zagreber liturgischen Hss.«), 1944; V. Zganec, Kroati- 
sche Volksweisen u. VoIkstSnze, 1944; A. Vidakovic, 
Sakramentar MR 126 metropolitanske knjiznice u Zagre- 
bu (»Das Sakramentar MR 126 d. Metropolitan-Bibl. in 
Zagreb«), Rad ... Nr 287, 1 952 ; Fr. Zagiba, Die deutsche 
u. slavische Choraltradition . . ., KmJb XXXVII, 1953; 
ders., Die Funktion d. Volksliedgutes in d. Entwicklung d. 
sudosteuropaischen Mg., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; K. 
KovaCevic, Hrvatski kompozitori i njihova djela (»Die 
kroatischen Komponisten u. ihre Werke«), 1960; A. B. 
Lord, The Singer of Tales, = Harvard Studies in Com- 
parative Lit. XXIV, Cambridge (Mass.) 1960. 

Krotala (griech. xp6xaXa; lat. crotala), iiberwiegend 
paarig gebrauchte (Hand-)-*Klappern (FuBklapper 
-*■ Scabillum) besonders der griechischen Antike, die 
in einfacher Form zwei bewegliche Schenkel eines ge- 
spaltenen Rohrs, gegeneinandergeschlagene Stabchen 
oder Brettchen, in Weiterentwicklung aber auch von 
kastagnettenartig ausgehohlter und verkiirzter Form 
sein konnten (Holz, Erz oder Ton). Hier sind die Gren- 
zen zu den kleinen metallenen Tanzbecken (-»■ Kym- 
bala, -*■ Zimbeln - 1) oft nicht mehr exakt zu Ziehen. 
Die in mittelalterlichen Abbildungen haufig anzutref- 
fenden Gabelbecken sind eine Mischform beider In- 
strumente. Die Kr. wurden in den orgiastischen Riten 
des Dionysos und in denen der Kybele (Euripides, 
Pindar) verwendet ; sie wurden vorwiegend von Frauen 
gespielt (Herodot), Vasenbildern zufolge vor allem 
beim Tanz. 

Lit.: M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949. 
Krummbogen -*■ Stimmbogen. 

Krummhorn (ital. cromorno, cornomuto torto; engl. 
und £rz. cromorne, frz. auch tournebout), - 1) ein 
Doppelrohrblattinstrument mit Windkapsel und zy- 
lindrischem Corpus, das am unteren Ende schwach 
konisch und wie eine Kriicke gebogen ist. Das Kr. hat 
6-8 vorderstandige Grifilocher (die beiden unteren 
auch mit Klappcn), ein Daumenloch, dazu 1-2 Stimm- 



locher. Das Kr.-Stimmwerk hat 1511 bei Virdung 4 
GroBen, bei Praetorius 1618 besteht es aus Exilent 
(ci-d2), Diskant (g-a»), Alt-Tenor (c-d»), BaB Chorist 
(F- oder C-g), GroBbaB (C- oder iA-d). Das Kr. iiber- 
blast nicht. Der Klang ist dunkel und gleichmaBig, da- 
bei leicht schnarrend. Im 16. und 17. Jh. war es beson- 
ders in Deutschland beliebt. - 2) in der Orgel - seit dem 
Ende des 15. Jh. nachweisbar - eine Zungenstimme, 
meist im Oberwerk oder Riickpositiv als 8' (selten auch 
16'), disponiert mit engem zylindrischem Aufsatz. 
Das Register wurde im 19. Jh. von der Klarinette ver- 
drangt. In neueren Orgeln ist es wieder haufig zu fin- 
den. Das im Klang cembaloartige Rohr-Kr. in 16'- und 
8'-Lage, von E.K.RoBler entworfen, fugt in den zy- 
lindrischen Aufsatz ein teilgedecktes Rohr ein. Da- 
durch erklingen noch hohere Partialtone. 
Lit.: zu 1): S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), 
Faks. hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882; 
dass., Faks. hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius 
Synt. II; M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, 
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; C. Sachs, 
Doppione u. Dulzaina. Zur Namensgesch. d. Kr., SIMG 
XI, 1 909/ 1 ; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Wind- 
kapsel, AfMw VII, 1925. 

Krupalon, Krupezion (griech.) -> Scabillum. 

Kuba. 

Lit. : E. Sanchez de Fuentes y Pelaez, Consideraciones 
sobre la musica cubana, Habana 1936 ; ders., Viejos ritmos 
cubanos, ebenda 1937; H. Courlander, Mus. Instr. of 
Cuba, MQ XXVIII, 1942; J. Nin-Culmell, The Music of 
Cuba, Washington (D. C.) 1943; A. Carpentier, La mu- 
sica en Cuba, Mexiko 1946, Habana 2 1961 ; F. Ortiz, Los 
bailes y el teatro de los negros en el folklore de Cuba, eben- 
da 1951 ; ders., Los instr. de la musica afrocubana, 5 Bde, 
ebenda 1952-55 ; ders., La af ricania de la musica f olklorica 
de Cuba, ebenda 1952; M. Blanco Barzaga, Origen y 
evolution de la musica en Cuba, ebenda 1952; G. Torn- 
berg, Mus. Instr. of the Afro-Cubans, Ethnos XIX, 1954; 
M. MacIa de Casteleiro, La musica religiosa en Cuba, 
Habana 1956 ; P. H. Balaguer, La Capilla de Musica de la 
catedral de Santiago de Cuba, Revista mus. chilena XVIII, 
1964, A. Leon; Musica folklorica cubana, Habana 1964. 

Kubanischer Jazz ->• Afro-Cub an Jazz. 
Kuckucksruf (frz. coucou), barockes Orgelregister 
als Imitation des Kuckucksrufs (-> Vogelgesang), be- 
stehend aus meist gedackten Pfeifen im Intervall einer 
kleinen Terz (fZ-d 2 ). Die Ventile werden durch ein 
Windrad in regelmaBigem Ab stand geoffnet. 

Kuhreigen, sehr alte, heute fast ausgestorbene Hirten- 
weisen der deutschsprachigen Schweiz. Sie sind drei- 
teilig, mit melismatischen Rahmenteilen und einem 
rufartigen Mittelteil, der die einzelnen Tiere der Rin- 
derherde mit Sondernamen bedenkt. Der K. war ur- 
spriinglich wohl ein magischer Mannertanz (Frucht- 
barkeitszauber, vielleicht Tiermaskentanz). Aus ihm 
wurde durch Einfiigung gregorianisch-litaneihafter 
Elemente der Alpensegen, der in seinen Melodiefor- 
meln und im Eingangswort Lobet, o lobet (von loba, 
Kuh, daher auch Lobetanz) noch die alte tiermagische 
Grundlage verrat. DemK. ahnlich sind Viehlockrufe 
(lokk, rop, huing) skandinavischer Hirten. In spatiiber- 
lieferte, namentlich welsch-schweizerische Fassungen 
drangen liedhafte oder chansonmaBige Ziige ein (ranz 
des vaches). In der Kunstmusik kommen K. u. a. vor 
bei Rhaw (Bicinia gallica, 1545) und im 19. Jh. bei Liszt 
(Album d'un voyageur, 1835/36, nach der Aufzeichnung 
des K.s von F. F. Huber paraphrasiert). 
Lit.: J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 
1767(7), Paris 1768, darinein K.; G.Tarenne, Recherches 
sur les ranz des vaches, ou sur les chansons pastorales des 
bergers de la Suisse, Paris 1 8 1 3 ; A. Tobler, Kiihreihen oder 
Kuhreigen, Jodel u. Jodellied in Appenzell, Zurich 1890; 



498 



Kymbala 



L. Gauchat, Etude sur le ranz de vaches fribourgeois, 
Zurich 1899; M. F. Bukofzer, Zur Erklarung d. »Lobe- 
tanz« durch d. schweizerische Volksmusik, Schweizeri- 
schesArch. f.Volkskunde XXXVI, 1937/38; W.Sichardt, 
Der alpenlandische Jodler u. d. Ursprung d. Jodelns, 
= Schriften zur Volksliedkunde u. volkerkundlichen Mw. 
II, Bin 1939; C.-A. Moberg, Om Vallatar. En studie i de 
svenska fabodarnas musikaliska organisation («Uber K., 
eine mus. Organisation d. schwedischen Sennhiitten«), 
STMf XXXVII, 1955; ders., Kuhreihen, Lobetanz u. 
Galder, Deutsches Jb. d. Mw. Ill (= JbP L), 1958; ders., 
Kuhreihen, Lobetanz u. Galder, in: In memoriam J. Hand- 
schin, StraBburg 1962. 

Kujawiak, polnischer Tanz in Kujawien (am linken 
Weichselufer), im 3/4-Takt, mit lyrischer Melodik, 
eine langsame, nicht gesprungene Abart des Mazur. 
Triolen, Vorschlage, auch Tempoverzogerungen sind 
haufig. Im stilisierten K. seit Mitte des 19. Jh. domi- 
niert die Molltonart. H. Wieniawski nannte K. seine 
2. Mazurka fur V. und Kl. (op. 13). 

Kurrende (von lat. currere, laufen, oder von corra- 
dere, zusammenkratzen, betteln), ein aus bediirftigen 
Schiilern gebildeter Chor, der gegen Brot- oder Geld- 
gaben in den StraBen sang. K.n bestanden bereits vor 
der Reformation. Auch Luther ist in Eisenach als 
Knabe Mitglied einer K. gewesen. Im 16. Jh. wurde an 
vielen Orten das K.-Singen zunachst verboten, nicht 
zuletzt weil nach der Auflosung zahlreicher Kloster- 
und Stiftsschulen das unorganisierte Almosensingen 
iiberhandgenommen hatte. Die neugegriindeten Stadt- 
schulen fiihrten aber, unterstiitzt von den stadtischen 
Behorden, die organisierte K. wieder ein. Bediirftigen 
Kindern wurde nur dadurch der Schulbesuch ermog- 
licht. Schul- und spezielle K.-Ordnungen legten fest, 
unter welchen Bedingungen die Aufnahme in die K. 
moglich war, in welchen StraBen, an welchen Tagen 
und in welcher Tracht (meist schwarze Radmantel und 
flache Zylinderhiite) die K. sang, wie die Almosen zu 
verteilen waren und wie man sich auf den StraBen zu 
verhalten hatte. Im allgemeinen sang die K. einstim- 
mige liturgische Gesange und Kirchenlieder, selten 
auch mehrstimmig. Vom K.-Gesang zu unterscheiden 
ist das ebenfalls von der Schule organisierte Singen bei 
Beerdigungen und Hochzeiten, das auch eine wichtige 
Einnahmequelle fur Schiiler und Lehrer darstellte. Die 
K.n hielten sich an den meisten Orten bis ins 18. Jh., 
vereinzelt bis ins 19. Jh. Im 19. und noch im 20. Jh. 
wurde, ankniipfend an die Bemuhungen von J.F. 
Marquardt (1810-93, Berlin), in einigen Stadten ver- 
sucht, das K.-Wesen neu zu beleben. 
Lit. : J. F. Marquardt, Was singt unserer Zeit d. Witten- 
berger Nachtigall?, Bin 1883; J. Rautenstrauch, Luther 
u. d. Pflege d. kirchlichen Musik in Sachsen, Lpz. 1907; 
W. Nicolai, Die Wiederbelebung d. K. in Eisenach, Bach- 
Jb. XI, 1914 ; S. Nystrom, Die deutsche Schulterminologie 
in d. Periode 1300-1740, Helsinki 1915; G. Schunemann, 
Gesch. d. deutschen Schulmusik, 2 Teile, Lpz. 1928-32, 1 
2 1931 ; P. Epstein, Der Schulchor v. 16. Jh. bis zur Gegen- 
wart, Lpz. 1929. 

Kurze Oktave (Mi-Re-Ut) heiBt die in Klavieren aus 
dem 16. bis gegen Ende des 18. Jh. sowohl im Manual 
als auch im Pedal vorkommende Einrichtung der Kla- 
viatur fur die tiefste (groBe) Oktave, die fur Cis, Dis, 
Fis und Gis keine Tone hat, die Tasten aber so zusam- 
menruckt, daB der tiefste Ton (C) scheinbar E ist; es 
entsteht eine diatonische Skala der groBen Oktave mit 
B (zwischen A und H) : 
ut 



d. h. C F G A H sind Untertasten, D E und B Ober- 
tasten; oder auch in der Anordnung: 



re 
D 




mi 
E 




B 






cis 






G 






A 






H 


c 







mi 




ut 
C 




re 
D 




B 






cis 




E 


F 






G 






A 






H 


c 






d 



mit C D und B als Obertasten. 

Auch nennt man K. O. die Anordnung der Tasten fur 
die GroBe Oktave mit Weglassung aller oder einiger 
Obertasten fur chromatische Tone der C dur-Skala 
(Cis, Dis, Fis, Gis), z. B. (bei Cerone und Mersenne): 



D 



Fis 



Gis 



B 



G A H 



Mit dieser Anordnung der K.n O. rechnet wohl auch 
S.Scheidt in seiner Tabulatura nova (1624), die fur die 
Orgel in der Moritzkirche in Halle bestimmt war. Die 
Einrichtung der K.n O. erklart sich daraus, daB das 
Pedal der Orgel sich lange auf die in der Guidonischen 
Hand gelehrte Diatonik mit B als einziger chromati- 
scher Note beschrankte, wobei F der tiefste Ton blieb ; 
da das Pedal zunachst hauptsachlich fiir ausgehaltene 
Tone (Bordunspiel, »Orgelpunkte«) gebraucht wurde, 
geniigte es, jene Tone zur Verfiigung zu haben. Um 
nun die Tone E D C (Mi-Re-Ut) in der Tiefe zu ge- 
winnen, ohne doch die Klaviatur wesentlich zu ver- 
breitern, setzte man eine Taste links an und schob die 
andern dazwischen. Diese z. B. von Diruta (1597) Mi- 
Re-Ut genannte Einrichtung wurde dann auch bei 
neugebauten Orgeln getroffen, da sich die Organisten 
an die K. O. gewohnt hatten. 

Im Unterschied zur K.n O. gibt es die gebrochene 
Oktave; bei ihr sind die Obertasten D und E geteilt 
(gebrochen), so daB auf ihren hinteren Half ten die 
Tasten der Tone Fis und Gis stehen: 





Fis 




Gis 




B 






cis 


D 


E 


F 






G 






A 






H 


c 







Gebrochene Oktaven wurden im 16.-17. Jh. auch auf 
Instxumenten verwendet, bei denen die Zahl der Ton- 
stufen auf iiber 12 pro Oktave vermehrt war (-»• Archi- 
cembalo). Werckmeister bezeichnet die gebrochene 
Oktave als K. O. ; eindeutig sind beide Bezeichnungen 
nach der Terminologie des 17.-18. Jh. nicht zu unter- 
scheiden. W.A.Mozart z. B. verstand unter gebroche- 
ner Oktave die K. O. (mit D E B als Obertasten). 
Lit.: A. Werckmeister, Erweiterte u. verbesserte Orgel- 
Probe, Quedlinburg 1698, Nachdruck Kassel 1927; A. G. 
Ritter, Zur Gesch. d. Orgelspiels . . ., 2 Bde, Lpz. 1884; 
G. Kjnsky, K. O. auf besaiteten Tasteninstr., ZfMw II, 
1919/20. 

Kurztoninstrumente, eine von A.Schonberg ge- 
pragte Bezeichnung fiir Instxumente, deren Tondauer 
nach dem Anschlagen oder AnreiBen nicht beliebig 
verlangert werden kann, wie das bei den Bias- und 
Streichinstrumenten moglich ist. In Moses und Aron 
notiert Schonberg als K. Klavier, Harfe, Xylophon, 
Glockenspiel, Gitarre, Mandoline und Celesta, 

Kyklosis (griech.) ->-Circulatio. 

Kymbala (griech., Sing. xufz(3aXov, von xu|i(3T], 
Topf, Becken, und paXXciv, werfen, schlagen; lat. 
cymbala, vasa aera, auch acetabula, Essignapfe), antike 
-*■ Becken, die in der griechisch-romischen Antike als 
Klanggerate besonders der vorderasiatischen Gottin- 



32» 



499 



Kyriale 



nenkulte bekannt waren. Auch als Larminstrumente 
im Dionysoskult (K. in der Hand der Manaden) sind sie 
haufig anzutreffen. Xenophon vergleicht den Huftritt 
der Pferde mit dem Gerausch des Kymbalon. Auf 
Grund zahlreicher Abbildungen lassen sich 2 Grund- 
formen unterscheiden : flache, tellerartige und mehr 
glockenahnliche, gefaBformige Gebilde mit oder ohne 
Rand, die paarweise (deshalb meistens die plurale 
Bezeichnung) gegeneinandergeschlagen werden. In der 
Bibel entsprechen den K. die Instrumente meziltajim 
(I. Chron. 15, 16) und zelzlim (II. Sam. 6, 5; Ps. 150, 5, 
dieses wohl eher den Kastagnetten ahnlich). Bekannt 
waren auch Gabelbecken: kJeine Becken, die an den 
Enden zweier Gabeln saBen und beim Schiitteln anein- 
anderschlugen. - Das lateinische Wort -> cymbala, 
dem das deutsche -> Zimbeln entlehnt ist, bezeichnete 
im Mittelalter eine ganze Reihe von Instrumenten: 
Becken, Gabelbecken, Klappern, Schellen, Glocken, 
Glockenspiel. Mittelalterliche Abbildungen belegen 
das Vorkommen der den antiken K. ahnlichen Becken 
(besonders auch Gabelbecken) in reichem MaBe. 
Lit.: Sachs Hdb.; C. Sachs, Geist u. Werden d. Musik- 
instr., Bin 1929, Nachdruck Hilversura 1965; E. Kolari, 
Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten Testament, Hel- 
sinki 1947; M. Weoner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 
1949; H. Hickmann, Cymbales et crotales dans l'Egypte 
ancienne, in : Annales du service des antiquites de l'Egypte 
XLIX, 1949; ders., Vorderasien u. Agypten im mus. Aus- 
tausch, Zs. d. Deutschen Morgenlandischen Ges. CXI 
(= N. F. XXXVI), 1961 ; Fr. Behn, Musikleben im Alter- 
tum u. friihen MA, Stuttgart 1954; G. Fleischhauer, 
Etrurien u.Rom, = Musikgesch.inBildernII,5,Lpz. (1964). 

Kyriale, eines der -*■ Liturgischen Biicher; es enthalt 
die (auch im -> Graduale - 2 befindlichen) Choralme- 
lodien des Ordinarium missae, ebenso die Gesange fur 
Totenmesse und Exequien nebst den Toni communes 
missae usw. Die vatikanische Ausgabe des K. seu Ordi- 
narium missae erschien 1905. Sie wurde neuerdings er- 
ganzt in den Variationes in cantu in Missali, Kyriali, Gra- 
duali et Antiphonali vom 3. 5. 1961 (vgl. Ephemerides 
Liturgicae LXXV, 1961). 

Kyrie eleison (griech. Kvqie eXeXaov), ein bereits 
in der Antike verbreiteter Bittruf, dessen Gebrauch im 
christlichen Gottesdienst zunachst in Antiochien und 
Jerusalem nachweisbar ist (4. Jh.). Wahrend des 5. Jh. 
in Rom eingefiihrt (K.-Litanei ahnlich wie in der grie- 
chischen Liturgie zu Beginn der Messe), nahm das K. 
sodann seinen Weg nach Mailand und Gallien, wo es 



seit dem Konzil von Vaison (529) praktiziert wurde. 
Wie Gregor der GroBe erwahnt (Migne Patr. lat. 
LXXVII, 956), wurden zu seiner Zeit in Rom neben 
der K.-Litanei des feierlichen Gottesdienstes (vorge- 
tragen von Klerikern mit Antwort durch das Volk, 
darunter wechselweise Christe eleison) in den Missae 
cotidianae einf ache, vom Litaneitext abgeloste K.-Ruf e 
verwendet. Ihre Verselbstandigung wird endgiiltig im 
1. romischen Ordo (Ende 7. Jh.), die spater allgemein 
beibehaltene Neunzahl der Anrufungen (3 K. + 3 
Christe + 3 K.) im 4. Ordo (8. Jh.) bestatigt. Als einzi- 
ger Trager des K.-Gesangs erscheint in der romischen 
Pontifikalliturgie nunmehr die Schola, wogegen fur 
den Bereich der romisch-frankischen Bischofsmesse 
Schola und Regionarii (Subdiakone) genannt werden. 
- Innerhalb der romischen MeBfeier bildet das K. den 
1. Teil des Ordinarium missae. Sein gesungener Vor- 
trag erfolgt alternierend zwischen Chorus und Can- 
tores (Schola) oder zwei Halbchoren. Aus dem sehr um- 
fangreichen Repertoire 1st. K.-Vertonungen (Schwer- 
punkt im 11./12. und 15. Jh.; dazu im 9.-16. Jh. eine 
Fiille von K.-Tropen) bietet das Vatikanische Graduale 
bzw. Kyriale mit insgesamt 30 Melodien einen nur be- 
grenzten Ausschnitt. Fur den formalen Bau der Melo- 
dien lassen sich als wichtigste Schemata erkennen: 
1) A A A (gleiche Gestaltung aller 9 Anrufungen nach 
dem Litaneiprinzip) ; 2) A B A (melodische Eigenstan- 
digkeit der Christe eleison-Gruppe gegenuber den bei- 
den K.-Gruppen) ; 3) A B C (gleiche Melodie fur je- 
weils 3 Anrufungen), wobei zusatzlich die mittlere 
Anrufung jeder Gruppe mit eigener Melodie versehen 
sein kann (axa-byb-czc). Hiervon unabhangig 
wird sehr haufig die Schlufianrufung durch melodi- 
sche Steigerung ausgezeichnet. - Im Rahmen der li- 
turgischen Praxis erscheint das K. ebenf alls im Offizium 
(Beginn der Preces), desgleichen am Anfang und Ende 
der Litaneien. - Die Beteiligung des Volkes am K.- 
Gesang, wie sie vor allem nordlich der Alpen bei Pro- 
zessionen usw. gepflegt wurde, fand hier bis zum spa- 
ten Mittelalter ihren Niederschlag in volkstumlichen 
Kirchenliedern, den sogenannten -*■ Leisen. 
Lit.: P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me- 
lodien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Nachdruck Hildesheim 
u. Wiesbaden 1962; M. Melnicki, Daseinst. K. d. lat. MA, 
= Forschungsbeitr. zur Mw. I, Regensburg 1954; M.Hu- 
olo, Origine et diffusion des K., Rev. gregorienne XXXVII, 
1958; J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, 
Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; H. Husmann, Tropen- u. Se- 
quenzenhss., = RISM B V 1 , Munchen u. Duisburg (1964), 



500 




Stimmlappen 



Pfeifenkorptr 

Oberlobium 

Labiumbreite 

Au/schnitt 



Kemspalt 
Unteriabhjm 



Fuftoffnung 



La, in der mittelalterlichen -*■ Solmisation die 6. Silbe 
des Hexachords (im Sinne von a, d oder e) ; in romani- 
schen Sprachen Name fur den Ton A. 

Labialpfeifen (Lippenpf eifen, von lat. labium, Lippe) 
gehoren zum altesten und wichtigsten Bestand der 
-»■ Register (- 1) der Orgel. Das 
Kennzeichen der L. ist das Labium 
(Pfeifenmund) mit seinen beiden 
Lippen, dem Ober- und Unter- 
labium, am unteren Ende der 
Pfeife uber dem PfeifenfuB. Der 
Orgelwind flieBt durch den 
Kernspalt, bricht sich an der 
Kante des Oberlabiums und ver- 
setzt dadurch die Luftsaule im 
Pfeifenkorper in Schwingungen, 
die eine stehende Welle bilden. 
Um die Ansprache zu erleich- 
tern, werden L. auch mit -> Bar- 
ten versehen. 

Lit.: K. Th. KOhn, Klangfarbe u. 
Wirbelform einer Lippenpfeife in Abhangigkeit v. d. Bau- 
weise, Diss. Bin 1940; J. Kreps OSB, Le tuyau a bouche. . . , 
Melanges E. Closson, Brussel 1948 ; J. Meyer, Uber d. Re- 
sonanzeigenschaften offener L., Acustica XI, 1961 ; H. 
Danzer, Ober d. stationaren Schwingungen d. Orgelpfei- 
fen, Zs. f. Physik CLXII, 1961 ; D. Wolf, Ober d. Eigen- 
frequenzen labialer Orgelpfeifen, ebendaCLXXXIII, 1965; 
J. Sundberg, Mensurens betydelse i oppna labialpipor, 
= StudiamusicologicaUpsaliensia, N. F. Ill, Uppsala 1 966. 

Landler (auch Landerer oder Oberlandler, wohl so ge- 
nannt nach dem Landl, Osterreich ob der Enns), ein 
seit etwa 1800 unter diesem Namen bekannter Tanz 
in ruhigem Gleichschritt (3/8- S J J J I J J J I 
oder 3/4-Takt).Er hat 2teiligen 4 i r i r 1 r 
Aufbau zu je 8 Takten; beide Teile werden ein- oder 
mehrmals wiederholt, so bei Mozart, 6 Landlerische f iir 
2 V. und B., K.-V. 606 (1791), Beethoven, 11 Modlin- 
ger Tiinze (1819), Schubert, 4 KomischeL. D dur (1816) 
und 8 L. Fis dur (1816). Zu Anfang des 19. Jh. wurde 
der L. vom Wiener Walzer verdrangt. Wenig mit dem 
alten L. zu tun haben die so bezeichneten Stiicke von 
St. Heller, A.Jensen, J. Raff u. a. - Der volkstumliche L. 
hatzahlreiche Stammesvarianten: Steirer, Tiroler, Bay- 
rischer (Schuhplattler), Egerlander, Bohmerwaldler, 
Siidmahrischer, Siebenbiirger; in der Steiermark und 
im Salzkammergut wird der L. auch in Verbindung 
mit dem Schnaderhiipferl getanzt. Neben dem unge- 
radtaktigen L. gibt es in Oberosterreich (Lauffen im 
Salzkammergut) auch eine Art, die in Geradtakten 
steif daherschreitet. Eine franzosische Nachahmung des 
L.s ist die Tyrolienne. 

Lit. : H. GreLGE, Der geradtaktige L Das deutsche 

Volkslied XLII, 1940; E. Hanza, Der L., = Forschungen 
zur Landeskunde v. Niederosterreich IX, Wien 1957; H. 
Derschmidt, Der »Steinhauser Landler«, Jb. d. Osterrei- 
chischen Volksliedwerkes IX, 1960; H. Dreo, Volksmusik 
aus d. Seewinkel, ebenda XI, 1962. 




Lage, - 1) in der Harmonielehre a) die Anordnung 
eines Dreiklangs in bezug auf seinen hochsten Ton. 
Dieser kann die Terz, die Quinte oder die Oktave 
bzw. deren Oktavversetzungen liber dem Grundton 
sein ; entsprechend befindet sich der Akkord in Terz-, 
Quint- oder Oktav-L. ; b) der Abstand der Akkordtone 
untereinander. Im 4st. Satz spricht man von enger 
L., wenn zwischen 
die Tone der drei 
Oberstimmen keine 
akkordeigenen To- 
ne eingefiigt wer- 
den konnen. An- , 
dernfallsliegt weite en 8 eL - weiteL - E«mi«hteL. 

L. vor. Mit gemischter L. bezeichnet man die Falle, in 
denen zwei Stimmen zueinander in enger, imVerhaltnis 
zu den anderen Stimmen jedoch in weiter L. stehen. Der 
Abstand zur BaBstimme bleibt bei der L.n-Bezeich- 
nung jeweils unberiicksichtigt. In der Praxis wechseln 
die L.n innerhalb einer Komposition standig, wenn 
auch bei manchen Kompositionsgattungen die eine 
oder die andere L. bevorzugt wird. So uberwiegt im 
gemischten Chorsatz die weite L., auch im Streichquar- 
tett ist sie an bestimmten Stellen von groBerWirkung. 
Dagegen ist f iir die Klaviermusik (auch im -*■ General- 
baB) die enge L. charakteristisch. Veraltet ist die Be- 
zeichnung L. fur die Angabe, welcher Ton eines Ak- 
kords im BaB liegt, ob also Grundstellung oder -*■ Um- 
kehrung vorliegt. - 2) Stimm-L., d. h. Tonumfang und 
spezifische Farbung der Gesangsstimme ; sie wird so- 
wohl vom Gesamtumfang wie von der L. der am 
miihelosesten singbaren Tone bestimmt (Sopran, Alt, 
Tenor, BaB). Ein Ausschnitt aus dem Tonvorrat einer 
Stimme oder eines Instrumentes kann als Mittel-L., 
hohe L. usw. gekennzeichnet werden. Die Stimmen im 
Chorsatz werden nach den jeweiligen Stimm-L.n der 
Sanger benannt, im Unterschied zur Bezeichnung ei- 
ner Stimme als -> Lagenstimme. - 3) Bei Streichinstru- 
menten wird mit L. der vom 1 . und 4. Finger bestimm- 
te Stand der Hand auf dem Griffbrett bezeichnet, zu- 
gleich der Tonraum, der mit diesem Stand zur Verfii- 
gung steht. Die Sekunde tiber der leeren Saite ist in der 

1. L. der gewohnliche Platz des 1. Fingers. Die L.n 
werden fortlaufend numeriert: auf der Terz steht die 

2. L., auf der Quarte die 3. L. usw. In der halben L. un- 
ter der 1 . L. steht der 1 . Finger auf dem um einen Halb- 
ton erhohten Ton der leeren Saiten, wobei die anderen 
Finger mit der abwarts geruckten Hand entsprechend 
tiefer gestellt werden. Beim Violoncello muB im Be- 
reich der unteren L.n fur jede L. eine tiefe und eine 
hohe Form unterschieden werden, da Unterarm und 
Daumen im Halbtonabstand aufriicken, auBerdem eine 
enge und eine weite Stellung, je nachdem, ob der Ab- 
stand zwischen 1. und 2. Finger eine kleine oder eine 
groBe Sekunde betragt. Dasselbe gilt grundsatzlich 
auch fur die Viola da gamba. Beim KontrabaB werden 
die L.n in Ganz-L.n und Zwischen-L.n gezahlt oder 



501 



Lagenstimme 

aber halbtonweise fortschreitend durchnumeriert. 
Richtige Wahl der L.n und ein musikalisch sinnvoller, 
unmerklicher L.n-Wechsel sind bei alien Streichinstru- 
mentenwesentlicheVoraussetzungenzurBeherrschung 
des Instrumentes. 

Lagenstimme, moderne Bezeichnung fur eine Stim- 
me im alteren polyphonen Satz, deren Klangraum 
nicht durch den Umfang einer menschlichen Stimm- 
gattung vorgezeichnet, sondern durch ihr Verhaltnis 
zum Tenor als -*■ Fundamentum relationis bestimmt 
ist. In der Musik des 14.-16. Jh. sind Kompositionsgat- 
tungen wie Messe und Motette einerseits, Ballade und 
Chanson andererseits oft mit typischen Stimmkombi- 
nationen verbunden; dabei hangen von der Lage einer 
Stimme auch die tonartliche Zuordnung und die rhyth- 
mische Beweglichkeit ab. Solche Stimmkombinatio- 
nen sind z. B. : 3st. Motettensatz der franzosischen Ars 
nova (Ph. de Vitry, Heu, Fortuna subdola: Tenor f-d 1 , 
beide Oberstimmen d-e 2 ); 3st. Kantilenensatz der 
franzosischen Ars nova (G. de Machaut, Ballade Nr 3 : 
Tenor und Contratenor B-di, Textstimme f— gi) ; 3st. 
Chanson des 15. Jh. mit Contratenor bassus (J.Regis, 
Sil vous plaist: Contratenor F-b, Tenor B-es 1 , Ober- 
stimme g-b 1 ), 4st. Satz der franko-flamischen Schule 
mit beiden Mittelstimmen in gleicher Lage (Josquin, 
Missa Da pacetn : Bassus G-b, Tenor d-es 1 , Altus c-g 1 , 
Discantus a-es 2 ) oder mit Unterteilung in 2 Stimm- 
paare (Tenor und Discantus, Bassus und Altus), die im 
Oktavabstand disponiert sind (Ockeghem, Missa pro- 
lationum: Bassus F-d 1 , Tenor B-ai, Altus f-d 2 , Discan- 
tus a-f 2 ). Seit der Palestrina-Zeit hat sich die letztge- 
nannte Stimmkombination fur den Chorsatz a cappella 
durchgesetzt, doch wird sie in neuerer Zeit durch Be- 
ziehung auf die normalen menschlichen Stimmlagen 
erklart; danach gilt als Regel : BaB E-di (Bariton A-e 1 ), 
Tenor c-a 1 , Alt a-f 2 , Sopran c!-a 2 . Die Anlage eines 
Satzes mit L.n findet sich jedoch noch bei Schiitz und 
Lully, und zwar auch in instrumentalen Stiicken. 

Lai (le, frz.), Leich, eine der Hauptgattungen der 
mittelalterlichen volkssprachlichen Lyrik; die Texte 
behandeln religiose (vor allem als Marien-L.) oder 
weltliche Them en (Minne-, Pastourellen-L.). Der alt- 
franzosische L. (von altirisch laid, Lied) ist seit der Mit- 
te des 12. Jh., der mittelhochdeutsche Leich (zu gotisch 
laiks, germanisch + laik, Tanz, Spiel) seit 1198 belegt; 
letzterer ist in der Sache wie in der Benennung sicher 
vom altfranzosischen L. beeinfluBt. Die Herleitung des 
beiden zugrunde liegenden Formprinzips ist umstrit- 
ten ; erwogen wurde die liturgische Sequenz, aber auch 
eine vorliterarische Form keltisch-irischen Ursprungs, 
der die dem Prinzip nach gleichen Formen -*- Se- 
quenz (- 1), -> Descort, L. und Leich sowie die ahnlich 
gebauten Tanzlieder -*■ Estampie, Ductia und Nota 
entstammen sollen. - Der L. ist durch seine nichtstichi- 
sche, unstrophische Form gekennzeichnet. Er besteht 
aus metrisch wie musikalisch verschieden gebauten 
Teilen unterschiedlicher Lange. Die GroBformen kon- 
nen bis zu 300 Versen umfassen. Die einzelnen Teile 
werden von metrisch und musikalisch gleichgebauten, 
sich auf mannigfaltige Weise wiederholenden Versi- 
keln gebildet, die in sich reich gegliedert sein konnen. 
Neben der einfachsten Form einer f ortschreitenden Re- 
petition (AA BB CC . . .) gibt es den Typus mit einfa- 
chem Eingangs- und SchluBversikel (A BB CC DD E, 
auch A BB CC DD A) oder Wiederholungen ganzer 
Versikelgruppen (AA BB CC ... AA BB CC . . .) 
als Typus des doppelten (oder mehrfachen) Cursus, 
wie er auch in archaischen Sequenzen erscheint. Da- 
bei konnen sich metrische und melodische Wieder- 
holungen uberschneiden. Unter den Abweichungen 



vom einfachen Formtypus sind ferner zu nennen die 
Zufiigung einer melodisch selbstandigen oder aus dem 
Vorhergehenden entwickelten -*■ Cauda (- 2) am 
SchluB eines Versikels oder Teiles sowie die Abwand- 
lung des Melodieanfangs oder -schlusses (apertum - 
clausum, entsprechend der Beschreibung der Estampie 
bei J. de Grocheo, ed. Rohloff , S. 53) bei der Wieder- 
holung eines Versikels. In Deutschland war der L. vor- 
nehmlich im 13. Jh. beliebt, doch sind nur wenige Me- 
lodien iiberliefert. In Frankreich ist er in einer strenge- 
ren Formung noch im 14. Jh. u. a. in Fauv (vier 1st. L.s; 
-> Quellen) sowie bei Machaut und E.Deschamps an- 
zutreffen. Der L. besteht jetzt meist aus 12 Doppelver- 
sikeln (Strophenpaaren) von gleichem oder verschiede- 
nem Bau; regelmaBig ist jedoch der 12. Doppelversikel 
metrisch und musikalisch dem ersten gleich. Die 
Machaut-Quellen iiberliefern 24 L.s, von denen 6 nicht 
komponiert wurden, aber unter die L.s mit Noten ein- 
gereiht sind (Nr 4, 8, 9, 11, 13, 20). Die einzelnen Ver- 
sikel sind ihrerseits in 2 Halften geteilt, die zur gleichen 
Melodie mit apertum- und clausum-SchluB gesungen 
werden; fur einen derartigen Doppelversikel ergibt 
sich demnach die melodische Folge AA'AA'. Der letzte 
Doppelversikel enthalt die Melodie des ersten oft in der 
Transposition in die Oberquinte (einmal in die Unter- 
quarte). Von der Norm des einstimmigen »durchkom- 
ponierten« L. weichen ab die L.s Nr 1 (die Melodie des 
ersten Versikels gilt auch fur alle folgenden), 2 (nur 7 
Doppelversikel) sowie die mehrstimmigen L.s Nr 16 
(die ungeradzahligen Doppelversikel sind einstimmig, 
die geradzahligen sind 3st. Chaces, deren letzte melo- 
disch mit dem ersten Doppelversikel iibereinstimmt), 
17 (jeder Doppelversikel ist eine 3st. Chace) und 23 
(nach Hoppin als 2st. Satz zu deuten). 
Ausg. u. Lit.: F. Wolf, Uber d. L., Sequenzen u. Leiche, 
Heidelberg 1841 ; L. et descorts hi;, . . ., hrsg. v. P. Aubry 
(mit A. Jeanroy u. L. Brandin), = Melanges de musicologie 
critique III, Paris 1901 ; G. O. Gottschalk, Der deutsche 
Minneleich . . ., Diss. Marburg 1908; Gesange v. Frauen- 
lob, Reinmar v. Zweter . . . , hrsg. v. H. Rietsch, = DTO 
XX, 2 (Bd 41), Wien 1913 ; H. Spanke, Eine neue Leichme- 
lodie, Zf Mw XIV, 1931/32; ders., Sequenz u. L., Studi me- 
dievali, N. S. XI, 1938 ; ders., Deutsche u. frz. Dichtung d. 
MA, Stuttgart u. Bin 1943 ; Fr. Gennrich, GrundriB einer 
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; ders., Zwei altfrz. 
L., Studi medievali, N. S. XV, 1942 ; ders., Der mus. Nach- 
laB d. Troubadours, = Summa musicae medii aevi III— IV, 
Darmstadt 1958-60; ders., Die Kontrafaktur . . ., ebenda 
XII, Langen bei Ffm. 1965 ; E. H using, Deutsche Leiche u. 
Lieder, Wien 1932; M. C. Pfleger, Untersuchungen am 
deutschen geistlichen Lied d. 1 3. bis 1 6. Jh., Diss. Bin 1937; 
G. de Machaut, Mus. Werke IV (Messe u. L.), aus d. 
NachlaB v. Fr. Ludwig hrsg. v. H. Besseler, Lpz. 1943,Neu- 
druck 1954; H. Kuhn, Minnesangs Wende, Tubingen 
1952; G. Reichert in: Minnesang d. 13. Jh., aus: C. v. 
Kraus' »Deutsche Liederdichter«, ausgew. v. H. Kuhn, 
ebenda 1953; G. Reaney, The L. of G. de Machaut 
Proc. R. Mus. Ass. LXXXII, 1955/56; R. H. Hoppin, An 
Unrecognized Polyphonic L. of Machaut, MD XII, 1958; 
J. Maillard, Problemes mus. et litteraires du L., Quadri- 
vium III, 1958 ; ders., Le»L.« et la »Note« de Chevrefeuille, 
MD XIII, 1959; ders., L. et Chansons d'Ernoul de Gasti- 
non, MD XVII, 1963; Br. Stablein, Die Schwanenklage. 
Zum Problem L. - Planctus - Sequenz, Fs. K. G. Fellerer, 
Regensburg 1962; E. Jammers, Ausgew. Melodien d. Min- 
nesangs, = Altdeutsche Textbibl., Erganzungsreihe I, Tu- 
bingen 1963; K. H. Bertau, Sangverslyrik, = Palaestra 
CCXL, Gottingen 1964. 

Laisse (les, frz.), eine in der friihen altfranzosischen 
Dichtung, vor allem der -> Chanson de geste, ubliche 
Strophenform. Die L. ist eine Folge von assonierenden 
Versen beliebiger Zahl, die oft durch einen kiirzeren 
Vers abgeschlossen wird, der nicht assoniert. An L.n- 
Melodien ist auBer einer Zeile einer Chanson de geste- 
Parodie nur die Melodie zu den L.n der Chantefable 



502 



Lamento 



Aucassin et Nicoktte (13. Jh.) erhalten: eine Melodie im 
G-Modus sowie fur die kurzere SchluBzeile eine Cauda 
im C-Modus. 

Lit.: Fr. Gennrich, GrundriB einer Formenlehre d. ma. 
Liedes, Halle 1932; U. Aarburg, Die Laissenmelodie zu 
»AucassinetNicolette«, Mf XI, 1958. 

Lamentation. In der Liturgie der romisch-katholi- 
schen Kirche sind die Lektionen in den ersten Noktur- 
nen der drei letzten Kartage (-> Tenebrae, daher in 
Frankreich oft lecons de tenebres fiir L.en) den L.es 
Jeremiae entnommen (->■ Threnos) : fiir Griindonners- 
tag Kap. 1, 1-14, Karfreitag II, 8-15, III, 1-9, Karsams- 
tag III, 22-30, IV, 1-6, V (Oratio Jeremiae), 1-11. Diese 
Ordnung ist seit dem Tridentiner Konzil verbindlich. 
Diejeweils erste Lektion beginnt mit denWorten Incipit 
Lamentatio Jeremiae bzw. De L.e . . ., die Lectio III am 
Karsamstag mit Incipit Oratio . . . Am Anfang jedes 
Verses stent ein hebraischer Buchstabe, jede Lektion 
schlieBt mit dem Vers Jerusalem, Jerusalem, convertere 
ad Dominum Deum tuum (nach Hosea 14, 2). Wie die 
Passion wird auch die L. im feierlichen Gottesdienst 
durch eine eigene Lektionsweise ausgezeichnet. Seit 
dem Tridentiner Konzil ist der romische Tonus l.um, 
der an den 6. Psalmton anklingt, offiziell vorgeschrie- 
ben. - Die wichtigste Quelle fiir die Friihgeschichte 
der mehrstimmigen L., die sich bis zur Mitte des 15. 
Jh. zuruckverfolgen laBt, ist der L.s-Sammeldruck 
von Petrucci (1506) mit Kompositionen von A. Agri- 
cola, de Orto, de Quadris, Gaspar, Lapicida, Tinctoris, 
Ycart und Anonymi. Bezeichnend fiir die Werke die- 
ser und der spateren Sammlungen ist, daB die Kom- 
ponisten eine verschiedene Auswahl aus den Threni- 
Kapiteln treffen und sich auch in der Anzahl der kom- 
ponierten Verse und in deren Gruppierung in Lek- 
tionen sehr unterscheiden. Durch die Mitvertonung 
der hebraischen Buchstaben und des Jerusalem- Verses 
bleibt in alien Werken der Charakter der L. als liturgi- 
scher Lectio gewahrt. In der melodischen Substanz sind 
die meisten L.en der Petrucci-Sammlung von dem ro- 
mischen Tonus l.um gepragt, der teils als C. f. deut- 
lich erkennbar ist, teils freier verarbeitet erscheint. 
Vierstimmigkeit und homorhythmischer Satz herr- 
schen vor. Tromboncino wiederholt bei seiner etwa 
60 Verse umfassenden L. die musikalischen Einzelab- 
schnitte des Anfangs in gleicher oder anderer Reihen- 
folge. Auffallig ist auch eine Art strophenmaBiger Ge- 
staltung bei de Quadris. - Mit der Petrucci-Sammlung 
beginnt die das ganze 16. Jh. vor allem in den Nieder- 
landen, Frankreich, Italien und Spanien wahrende Blii- 
tezeit der mehrstimmigen L. Ein L.s-Druck von Mon- 
tanus & Neuber (1549) enthaltWerke von Crecquillon, 
Fevin, J. Gardano, de la Rue und Sermisy. Die L.en von 
Fevin und Sermisy erschienen bereits 1534 bei Attain- 
gnant und noch 1557 bei Le Roy & Ballard (dort au- 
Berdem L.en von Arcadelt, Carpentras und Festa). 
Carpentras' L.en (gedruckt 1532) wurden bis 1587 re- 
gelma'Big in der papstlichen Kapelle in Rom gesungen. 
Kennzeichen der L. in der 1 . Half te des Jahrhunderts 
sind eine festere Bindung an den romischen Tonus l.um 
und deutliche Nahe zur motettischen Satz- und Aus- 
druckskunst. - Hohepunkte in der Entwicklung der L. 
sind die Vertonungen von Morales (1564), Victoria 
(1581), Lassus (1585), Gallus (1587) und vor allem von 
Palestrina (5 Bucher seit 1564, davon nur das erste 1588 
gedruckt). Palestrinas L.en losten in der papstlichen 
Kapelle 1587 diejenigen von Carpentras ab. Sie gehoren 
zu den reifsten Werken des Meisters und lassen gegen- 
iiber den L.en der ersten Jahrhunderthalfte eine starke- 
re Tendenz zu homorhythmischer Satzweise erkennen, 
zugunsten einer sprachgerechten Deklamation. Die 
Bindung an den choralen L.s-Ton ist in der Palestrina- 



Zeit nicht mehr so eng wie vorher. Weitere L.en schrie- 
ben in der 2. Halfte des 16. Jh. u. a. Byrd, G.Nasco, 
Tallis, A. de Torrentes, R.White. 
Vom 17. Jh. an lieB das Interesse an einer Vertonung 
der Threni immer mehr nach. Die L.en von Luyton 
(1604) und Viadana (1609) stehen noch in der Tradi- 
tion des 16. Jh.; das gleiche gilt fiir Allegri, dessen L.en 
ab 1641 in der papstlichen Kapelle zum Teil anstelle 
der Palestrinensischen gesungen wurden. Sonst aber 
greift der neuitalienische monodische Stil auch auf die 
L. iiber, so bei Carissimi, Charpentier und Rosenmiiller. 
Die L. weist hier zwar im textlichen GrundriB noch die 
Kriterien einer liturgischen Lectio auf (hebraische Buch- 
staben, Jerusalem- Vers usw.), entfernt sich aber von 
ihr insofern, als die stark affekthaltigen Texte der Thre- 
ni (z. B. die Worte Plorans ploravi in node . . .) nun mit 
den musikalischen Ausdrucksmitteln des 17. Jh. das 
Pathos einer Klage gewinnen. Damit riicken die L.en 
des 17. Jh. vielfach in die Nahe der -*■ Lamento-Ge- 
sange aus Oper, Oratorium und Kantate. - Fiir das 18. 
Jh. ist u. a. auf die L.en von Fr. Couperin (le grand), 
Delalande, Durante und J.-H. Fiocco hinzuweisen. Im 
20. Jh. ragen die Lamentatio Jeremiae Prophetae von 
Kfenek (1941/42) und die Threni von Strawinsky (1958) 
hervor. Beide Komponisten greifen hier bewuBt auf 
musikalische Stilmittel aus der Bliitezeit der L. zuriick 
und verbinden sie mit moderner Satzweise. 
Von den L.en im liturgischen Sinn sind die L.en zu un- 
terscheiden, die weder liturgisch noch Lektionen sind, 
und solche Kompositionen, denen zwar einzelne Verse 
aus den Threni zugrunde liegen, die aber keine Lektio- 
nen sind. Zur 1. Gruppe gehoren Klagegesange wie die 
einstimmigen deutschen und lateinischen L.en im Neu- 
markter Cantional (um 1480). Sie haben textlich nichts 
mit den Threni zu tun, iibernehmen aber von den li- 
turgischen L.en den charakteristischen Jerusalem- Vers. 
Zur 2. Gruppe zahlt Dufays Lamentatio Sanctae Matris 
Ecdesiae Constantinopolitanae, eine doppeltextige Mo- 
tette mit einem Threni-Text im Tenor. In Analogie 
zur Passionsmotette kann hier von einer L.s-Motette 
gesprochen werden. Auch Patres nostri peccaverunt von 
Cornago und O vos omnes von Compere vertreten die- 
sen Typus. 

Ausg. mehrst. L. (nur Sammelpublikationen) : G. E. Wat- 
kins, Three Books of Polyphonic L. of Jeremiah, 1549-64, 
Diss. Univ. of Rochester (N. Y.) 1954, maschr. ; Treize 
livres de motets parus chez P. Attaingnant en 1534 et 
1535, neu hrsg. v. A.T. Merrit, 10 e livre, Monaco (1962); 
Mehrst. L. aus d. 1. Halfte d. 16. Jh., hrsg. v. G. Massen- 
keil, = MMD VI, Mainz 1965. 

Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; A. E. Schroder, De meerst. muziek op de lamenta- 
ties van Jeremia tot het einde der 18e eeuw, Diss. Lowen 
1948; dies., Les origines des 1. polyphoniquesauXV e s. dans 
les Pays-Bas, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; G. Massenkeil, Zur 
Lamentationskomposition d. 15. Jh., AfMw XVIII, 1961 ; 
ders., Eine span. Choralmelodie in mehrst. Lamentations- 
kompositionen d. 16. Jh., AfMwXIX/XX, 1962/63. GMa 

Lamento (ital., Klage, Klagelied), Bezeichnung fiir 
eine Musik von klagendem Charakter. In der Oper des 
17./18. Jh. ist L. eine oft vor dem Umschwung der 
Handlung eingesetzte Klageszene. Das erste bekannte 
Beispiel der Gattung ist das L. a" Arianna von Monte- 
verdi (1608, gedruckt 1623; bearbeitet als 5st. Madri- 
gal 1614, als geistliche Kontrafaktur Pianto della Ma- 
donna 1641). Ein L. d'Otimpia wurde auBer von Mon- 
teverdi auch von D'India (1623) komponiert. Die L.- 
Kompositionen bilden eine der Wurzeln der Cantata 
(-»• Kantate). Bedeutende Lamenti schrieben in ihren 
Opern Cavalli (zuerst in Gli amori di Apollo e di Daf- 
ne, 1640; L. der Hecuba in Didone, 1. Akt) und Pur- 



503 



»Landinosche Sext« 



cell (Dido and Aeneas, 1691). Haufig liegt dem L. als 
BaC einPassacaglia-(Ciaccona-)BaB zugrundebzw. ein 
chromatischer Quartgang (-»■ Passus duriusculus; »L.- 
BaB«), so noch in J. S. Bachs Capriccio sopra la lontananza 
del suofratello dilettissimo. - Die Bezeichnung L. (auch 
frz. lamentation) gebraucht Froberger gleichbedeu- 
tend mit -»■ Tombeau und -*■ Plainte (- 2) : Allemanden 
L. sopra . . . Ferdinando IV, Lamentation faite sur la mort . . . 
de ... Ferdinand III. - Nach Walther (1732) ist L. ein 
trauriges Vor- und Zwischen-Spiel von Instrumenten, an 
statt einer Sonatae oder eines Ritornello; in diesem Sinne 
ist z. B. noch das Vorspiel zu Berlioz* Les Troy ens a 
Carthage (1863) als L. bezeichnet. - Den Titel L. di 
Tristano tragt eine textlose instrumentale -»■ Estampie 
aus dem 14. Jh. -> Threnos. 

Ausg. : CI. Monteverdi, L. d'Arianna, u. a. Schering 
Beisp. Nr 177; CI. Monteverdi, 12 composizioni vocali 
inedite profane e sacre, hrsg. v. W. Osthoff, Mailand 
(1958). 

Lit. : P. Epstein, Dichtung u. Musik in Monteverdis »L. 
d'Arianna«, ZfMw X, 1927/28 ; J. A. Westrup, Montever- 
di's »L. d'Arianna«, MR I, 1940; W. Osthoff, Montever- 
di-Funde, AfMw XIV, 1957. - M. Schneider, Klagelieder 
d. Volkes in d. Kunstmusik d. ital. Ars nova, AMI XXXIII, 
1961 ; W. Laade, Die Struktur d. korsischen L.-Melodik, 
= Slg mw. Abh. XLIII, StraBburg u. Baden-Baden 1 962. 

»Landinosche Sext«,»Landinoklausel«, ->Klau- 
sel. 

Langaus wurde an der Wende des 18./19. Jh. eine 
Ausfiihrung des -»■ Deutschen Tanzes genannt, bei der 
das Tanzerpaar mit groBen Schritten in sehr raschem 
Tempo und wenig Drehungen mehrmals den Tanz- 
saal durchmaB. Bei dem sehr schnellen Tempo der 
Musik kamen mehrere Zweitaktgruppen auf eine Um- 
drehung. Der L. gehort zu den direkten Vorformen 
des Walzers. 
Lit.: E. Schenk, Der L., Studia musicologica III, 1962. 

Langleik (norwegisch) -* Hummel. 
Laos -*■ Hinterindien. 
Lappland, 

Ausg. u. Lit.: A. Launis, Lappische Juoigos-Melodien, 
= Suomelais-ugrilaisen seuran, Toimituksia (Memoires de 
la Soc. finno-ougrienne) XXVI, Helsinki 1908; K. Tiren, 
Die lappische Volksmusik, = Acta lapponica III, Stock- 
holm 1942; E. Emsheimer, A Lapp Mus. Instr., Ethnos 
XII, 1947, auch in: Studia ethnologica eurasiatica, = Mu- 
sikhist. museets skrifter I, Stockholm 1964; ders., Lappi- 
scher Kultgesang, Kgr.-Ber. Liineburg 1950, auch ebenda; 
R. Graff, Music of Norwegian Lapland, Journal of the In- 
ternational Folk Music Council VI, 1954; W. Danckert, 
Tonmalerei u. Tonsymbolik in d. Musik d. Lappen, Mf IX, 
1956; Lapska singer, = Skrifter utg. genom Landsmals- 
och Folkminnesarkivet i Uppsala, Serie C. 2., Uppsala 
1958ff. 

Larga (erganze: nota oder figura, lat., die breite), in 
der -*■ Mensuralnotation des 14.-15. Jh. ein Noten- 
wert, der noch groBer ist als die ->• Maxima. J. Verulus 
de Anagnia bestimmt ihn mit 6-12 Breves. Die L. 
wird als sehr stark verbreiterte Longa geschrieben, 
wobei fur jeden Longawert eine Cauda notiert werden 
kann, z. B. : 

largando, auch slargando, allargando (ital., breiter 
werdend), in der Regel eine mit crescendo verbundene 
Vortragsbezeichnung, die einen durch ritenuto unter- 
stiitzten, pathetisch ausladenden Ausdruck f ordert. 

Larghetto (ital., Diminutiv von Largo, etwas breit). 
Vom gewichtigeren Largo unterscheidet sich das L. 
durch einen leichteren, flieBenderen Vortrag. Handel 
bezeichnet Sicilianoarien im 6/8- oder 12/8-Takt im 
allgemeinen als L. und verwendet die Vorschrift un 



poco 1. sogar fur ein Menuett (Concerto grosso op. 6 
Nr 5, 1739). Bei Mozart nahert sich das L. dem Andan- 
te; K.-V. 489 ist im Autograph als L., in Mozarts Ver- 
zeichnis seiner Werke als Andante bezeichnet. Beet- 
hoven kennt auBer dem ruhig flieBenden L. (op. 46) 
auch ein gewichtiges (op. 84, 2. Zwischenaktsmusik) 
und ein expressives (op. 95). 

Largo (ital., breit). Als Tempovorschrift ist L. seit 
dem friihen 17. Jh. nachweisbar. G. Caccini spricht von 
einer misura piu larga (1601), G. Frescobaldi von ei- 
nem tempo 1. (1615). Seit der Mitte des 17. Jh. ist L. 
die typische Tempovorschrift des ruhigen (nun nicht 
mehr als schnelle -*■ Tripla aufgefaBten) 3/2- oder 3/4- 
Taktes, vor allem des Sarabandenrhythmus (A. CoreUi), 
der abef nicht zerdehnt werden darf, derm mit der 
Vorschrift L. ist im 17. und friihen 18. Jh. kein sehr 
langsames Tempo, sondern eine geringe Modifikation 
des mittleren ZeitmaBes (Tempo ordinario) gemeint. 
Die Tempodifferenz zwischen L. und Adagio war bis 
zum Ende des 18. Jh. keiner festen Norm unterworfen. 
Zwar definieren Brossard (1703) und J. G. Walther 
(1732) das L. als sehr langsames ZeitmaB (fort lente- 
ment) und als gedehntes, doppeltes Adagio (adagio 
adagio). Wesentlicher als die Tempodifferenz aber 
scheint der Unterschied zwischen dem gewichtigeren 
Vortrag des L. und dem behutsameren des Adagio ge- 
wesen zu sein. Es ware sonst widersinnig, daB Handel 
L. ma non adagio (Anthem In the Lord put I my trust, 
GA XXXIV), Vivaldi L. ma piu tosto andante (Pin- 
cherle Nr 21 1) vorschreibt ; auch in Haydns Symphonie 
Hob. I, 88 fordert die Vorschrift L. weniger ein sehr 
langsames ZeitmaB als eine nachdrtickliche Akzentu- 
ierung. Mozart verwendet die Bezeichnung L. vor al- 
lem fur rhythmisch pointierte langsame Einleitungen. 
Bei Beethoven, der Introduktionen eher als Grave be- 
zeichnet, erscheint das L. als beschwertes Adagio. Zu- 
satze wie appassionato (op. 2), con gran espressione 
(op. 7) oder mesto (op. 10) bezeugen das Pathos, das 
Beethoven mit dem Begriff des L. verbindet. - L. assai 
und L. molto bedeuten sehr breit. Der Superlativ 
Larghissimo ist schon im 17. Jh. nachweisbar (A.Scar- 
latti, Clearco in Negroponte, 1686), wird aber selten ver- 
wendet. 

Laryngoskop, Kehlkopfspiegel, ->Gesangskunst, 

-*■ Stimme (-2). 

Lassu (ungarisch) -*■ Csardas. 

Lateinamerika. 

Lit. : E. Hague, Latinamerican Music, Santa Ana (Calif.) 
1934; Fr. C. Lange, Los estudios mus. de la Amdrica la- 
tina publicada ultimamente, Cambridge (Mass.) 1938; W. 
Berrien, Some Considerations Regarding Contemporary 
Latin American Music, in: Concerning Latin American 
Culture, hrsg. v. Ch. C. Griffin, NY 1939; G. Chase, A 
Guide to Latin American Music, Washington 1941, erwei- 
tert 2 1962; ders., A Bibliogr. of Latin American Folk Mu- 
sic, ebenda 1 942 ; M. J. Herskovits, El estudio de la miisica 
negra en el hemisferio occidental, Boletin latino-america- 
no de miisica V, 1941; G. Duran, Recordings of Latin 
American Songs and Dances, Washington 1942; Ch. See- 
ger, Music in Latin America, ebenda 1942; B. Grosbayne, 
The Music of Mexico, Central and South America, Brook- 
lyn (N. Y.) 1943; N. R. Ortiz Oderigo, Panorama de la 
miisica afro-americana, Buenos Aires 1944; ders., Miisica 
y miisicos de Am6rica, ebenda 1949, 2 1958 ; N. Slonimsky, 
Music of Latin America, NY 1945, 3 1949, span. Buenos 
Aires 1947; C. Vega, Miisica sudamericana, Buenos Aires 
1946 ; O. Mayer-Serra, Miisica y miisicos de Latinoameri- 
ca, 2 Bde, Mexiko 1947; D. Emrich, Folk Music of the 
United States and Latin America, Washington 1948; E. 
Martin, La miisica hispanoamericana del presente (1953), 
Habana 1953; J. Subira, Hist, de la miisica espafiola e 
hispanoamericana, Barcelona 1953, deutsche Bearb. v. 



504 



Laudes regiae 



A.-E. Cherbuliez als: Mg. v. Spanien, Portugal, L., Zurich 
u. Stuttgart 1957; J. Haskins, Panamericanism in Music, 
Notes II, 1 5, 1957/58 ; L. Lekis, Folk Dances of Latin Ame- 
rica, NY 1958; A. Pardo Tovar, Iberoamerica en su mu- 
sica, = Ediciones III, Montevideo 1958 ; D. Devoto, Pano- 
rama de la musicologia latinoamericana, AMI XXXI, 1959. 

Lauda (auch laude, ital.), ein von den Bruderschaften 
der Laudesi (Compagnie de' laudesi) gepflegter hym- 
nenartiger geistlicher Lobgesang mit italienischem (bis- 
weilen auch lateinischem) Text. Schwerpunkte seiner 
Verbreitung waren die Stadte Umbriens (zu gleicher 
Zeit ging von Perugia die GeiBlerbewegung aus), der 
Toskana (mit Florenz als der bedeutendsten Pflege- 
statte) und Norditaliens. Die Bliitezeit des L.-Singens 
falltin das 13.-16. Jh. ; doch finden sich noch im 20. Jh. 
spate Nachklange. - Die 1st. L. des 13.-14. Jh. ist in der 
Form der -»■ Ballata ahnlich; sie beginnt mit einer Ri- 
presa, die wahrscheinlich vom Chor nach jeder (soli- 
stisch vorgetragenen) Strophe wiederholt wurde. - Im 
Strophenbau iiberwiegt Vierzeiligkeit, doch gibt es 
auch Strophen mit bis zu 9 Zeilen. Kontrafakturen von 
Tanz- oder Volksmelodien sind nachgewiesen. Wich- 
tigste Quellen f iir die L. der friihen Zeit sind : Codex 
Magliabechiano ILL 122 der Biblioteca Nazionale in 
Florenz (14. Jh.) und Codex 91 der Biblioteca Comu- 
nale von Cortona (13. Jh.), beide in Quadratnotation. 
In Handschriften des 15. Jh. hat Damilano (1963) 92 
mehrstimmige Laude nachgewiesen. Als bekannteste 
Meister der mehrstimmigen L. um 1 500 gel ten B. Trom- 
boncino und M.Cara. 122 mehrstimmige Laude im 
4st. Satz Note gegen Note wurden 1508 von Petrucci in 
2 Biichern gedruckt (Unica in der Biblioteca Colombi- 
na, Sevilla: 12-1-4 und 12-1-28). In ihrem akkordli- 
chen, klanggesattigten Satz sind sie von der ->■ Frottola 
her bestimmt. Im Zeitalter der Gegenreformation gab 
der Dominikaner S. Razzi ein Buch l-4st. Laudi spiritua- 
li heraus (Venedig 1563, vielfach auf weltliche Melo- 
dien zuriickgehend). Die im Kreise des hi. F.Neri ge- 
pflegte L., darunter vor allem die dialogische L., stellt 
eine der Wurzeln des -*■ Oratoriums dar. 
Ausg.: Kn. Jeppesen (mit V. Breindal), Die mehrst. ital. 
Laude um 1500, Lpz. u. Kopenhagen 1935; F. Liuzzi, La 1. 
e i primordi della melodia ital., 2 Bde, Rom (1935). 
Lit.: D. Alaleona, Le laudi spirituali ital. nei s. XVI e 
XVII . . ., RMI XVI, 1909; A. Schering, Gesch. d. Ora- 
toriums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III, Lpz. 
1911, Nachdruck Hildesheim 1966; E. J. Dent, The Laudi 
spirituali in the XVI th and XVII "> Cent., Proc. Mus. Ass. 
XLIII, 1916/17; Kn. Jeppesen, Die mehrst. ital. L. d. 16. 
Jh., Kgr.-Ber. Luttich 1930; J. Handschin, t)ber d. Laude 
. . ., AMI X, 1938; J. Wolf, L'ltalia e la musica religiosa 
medievale, RMI XLII, 1938; F. Ghisi, Un processionale 
inedito . . ., RMI LV, 1953; ders., Strambotti e laude . . ., 
CHM I, 1953 ; ders., Gli aspetti mus. della 1. fra il XIV e il 
XV s., prima meta, in: Natalicia musicologica, Fs. Kn. 
Jeppesen, Kopenhagen 1962; P. Damilano, Giovenale 
Ancina, musicista filippino (1545-1604)* Florenz 1956; 
ders., Laudi lat. in un antifonario bobbiese del Trecento, 
CHM III, 1963 ; ders., Fonti mus. della 1. polifonica intor- 
no alia meta del s. XV, ebenda ; S. W. Kenney , In Praise of 
the L., in : Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. 
G.Reese, NY (1966). 

Lauda Sion (lat.), die Sequenz des Fronleichnams- 
festes, um 1263 vom hi. Thomas von Aquin nach dem 
Vorbild der Kreuzessequenz Laudes cruris attollamus 
(Analecta hymnica LIV) gedichtet. Der primar im tro- 
chaischen Metrum gehaltene Text mit dem Reimsche- 
ma a a b (Strophe) c c b (Gegenstrophe) ist durch eine 
gegen Ende des Stiickes vollzogene Ausweitung der 
Strophen von 3 auf 4 bzw. 5 Verse gekennzeichnet 
(aaab-cccb bzw. aaaab-ccccb). Beachtens- 
wert ist ferner die gleichfalls im Laudes cruris attollamus 
vorgegebene und vom Grundschema (a = 8 Silben, 



b = 7 Silben) abweichende Form der Verse Dies enim 
. . . recolitur und Vetustatem . . . lux eliminat. Nach den 
Forschungen D.Johners wurde auBer dem Textmodell 
vermutlich auch die Melodie der Kreuzessequenz fur 
das L. S. ubernommen (7. Kirchenton). Ihre Eigenart 
griindet sich auf eine Vielzahl von Motiven, verbunden 
mit einer starken Vereinheitlichung der SchluBverse. 
Das Anf angsmotiv entstammt dem Alleluia Duke lignum 
vom Fest Kreuzerhohung. - Die vorvatikanische Fas- 
sung der Melodiezeile zur 1. Doppelstrophe und zum 
Alleluia des L. S. wird von Hindemith im 6. Bild seiner 
Oper Mathis der Mater und im SchluBsatz der gleichna- 
migen Symphonie verarbeitet. 

Ausg.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in 
seinen Singweisen v. d. friihesten Zeiten bis gegen Ende d. 
17. Jh. I, Freiburg i. Br. 21886, Nachdruck Hildesheim 
1962; Analecta hymnica medii aevi L, hrsg. v. Cl. Blume 
SJ u. G. M. Dreves, Lpz. 1907 (Text d. L. S.). 
Lit.: D. Johner OSB, Zur Melodie d. Fronleichnams-Se- 
quenz, Benediktinische Monatsschrift XXI, 1939. 

Laudes (lat.) heiBt im -*■ Offizium der romisch-ka- 
tholischen Kirche das alte und eigentliche Morgenge- 
bet, welches heute im AnschluB an die Matutin den 
Ablauf der taglichen Horen eroffnet. Wenngleich eini- 
ge sehr friihe Quellen vom gemeinsamen Morgenlob 
der christlichen Gemeinden sprechen (z. B. Plinius der 
Jiingere, Epistola X, 96; Tertullian, De oratione XXV, 
23), so ist der genaue Verlauf seiner geschichtlichen 
Entfaltung jedoch nur schwer zu fassen, nicht zuletzt 
wegen der uneinheitlichen Terminologie. So nannte 
man das Morgenlob u. a. solemnitas matutina oder 
matutini (psalmi), wahrend der Name Matutin spa- 
ter auf das urspriinglich vigiliae genannte nachtliche 
Gebet uberging ; zum anderen war 1. die Bezeichnung 
der als Einheit aufgefafiten 3 (Lob-)Psalmen 148-150 
(Laudate Dominum de caelis, Cantate Domino canticum 
novum, Laudate Dominum in Sanctis eius), die bis zur 
Brevierreform Pius' X. einen festen Bestandteil dieser 
Hore bildeten und ihr den Namen gaben. Der Cha- 
rakter der L. als Morgenlob kommt deutlich im Inhalt 
der Textstiicke zum Ausdruck: die Psalmen sind nach 
den Motiven des Lichtes und des Lobens ausgewahlt; 
dasselbe gilt von den Antiphonen, Versikeln und Hym- 
nen, soweit sie nicht an hohen Festen den Texten der 
Tagesmesse entsprechen. - Im formalen Aufbau glei- 
chen die L. weithin der Vesper. Nach der romischen 
Fassung schliefien sich dem Einleitungsversikel 5 Anti- 
phonen (Osterzeit: eine Antiphon) mit 4 Psalmen und 
einem alttestamentlichen ->■ Canticum an (letzteres ein- 
geschoben zwischen 3. und 4. Psalm), auBerdem Capi- 
tulum, Hymnus, Versikel und das neutestamentliche 
Canticum Benedktus Dominus Deus Israel nebst Anti- 
phon, worauf die Tagesoration (teils mit vorausgehen- 
den Preces) und das Benedicamus Domino die Hore be- 
schlieBen. Demgegeniiber werden die L. des monasti- 
schen Offiziums nach dem Einleitungsversikel mit 
Psalm 66 {Deus miser eatur nostri) eroffnet. Auf ihn fol- 
gen an gewohnlichen Sonntagen 3 Psalmen zu einer 
1. Antiphon, ein alttestamentliches Canticum mit 2. 
Antiphon und die (ohne Gloria patri miteinander ver- 
bundenen) Psalmen 148-150 zur 3. Antiphon. Davon 
abweichend ist in den L. der Fest- und Werktage so- 
wie aller Sonntage der Advents-, Vorfasten- und Fa- 
stenzeit jedem der ersten 3 (samstags 2) Psalmen ei- 
ne eigene Antiphon zugeordnet (ausgenommen die 
Osterzeit, in der die genannten Psalmen nur eine ein- 
zelne Alleluiaantiphon erhalten). Uberdies findet sich 
in den monastischen L. nach dem Capitulum ein Re- 
sponsorium breve, ferner gehen der Tagesoration Kyrie 
eleison und Pater noster voraus. 

Laudes regiae (lat.) -*■ Akklamationen. 



505 



Laufzeitunterschied 



Laufzeitunterschied. Um eine besrimmte Entfer- 
nung zuriickzulegen, braucht der -> Schall infolge 
seiner endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit (etwa 
340 m/sec) eine gewisse Zeit (Laufzeit). Die bei der Aus- 
breitung eines Schallsignals an zwei nacheinander pas- 
sierten Punkten zu beobachtende zeitliche Differenz 
wird als L. bezeichnet. Besonders gut zu beobachten 
ist der L., wenn ein Schall infolge Reflexion den glei- 
chen Punkt nacheinander zweimal in einem bestimm- 
ten zeitlichen Mindestabstand (»kritischer L.«) passiert. 
Er macht sich dann als -> Echo (bei mehreren, dicht 
aufeinanderfolgenden Reflexionen als Flatterecho oder 
->• Nachhall) bemerkbar. Es ist ein besonderes Problem 
der ->• Raumakustik, die vorwiegend in groBeren 
Raumen durch L.e bei der Schallausbreitung auftreten- 
den Storungen zu vermeiden bzw. zu beseitigen. Dies 
kann u. a. durch Anbringen von Schallschluckstoffen 
geschehen, da der kritische L. wesentlich von der In- 
tensitat der Reflexionen abhangt. Auch bei der Sprach- 
und Musikiibertragung durch mehrere Lautsprecher 
wirkt der L. der beim Horer von den einzelnen Laut- 
sprechern eintreffenden Schallwellen unter Umstan- 
den storend. Abhilfe kann durch Lautsprecheranord- 
nung mit besonderer Richtwirkung oder durch Zwi- 
schenschalten einer kiinstlich schallverzogernden An- 
lage geschaffen werden. 

Lit. : H. Haas, Ober d. EinfluB eines Einfachechos auf d. 
Horsamkeit v. Sprache, Acustica 1, 1951 ; G. R. Schodder, 
F. K. Schroeder u. R. Thiele, Verbesserung d. Horsam- 
keit eines Theaters durch eine schallverzogernde Leise- 
sprechanlage, ebenda II, 1952; H. Petzoldt, Elektroaku- 
stik IV, Lpz. 1957; L. Cremer, Statistische Raumakustik, 
= Die wiss. Grundlagend. Raumakustik II, Stuttgart 1961. 

Laun£ddas, Lioneddas, Leuneddas, auch Henas, in 
Sardinien noch heute iibliches Blasinstrument unbe- 
kannten Ursprungs (agyptisch, etrurisch oder phoni- 
kisch), bestehend aus 3 Schilfrohren verschiedener 
Lange, von denen 2 (fur die linke Hand des Blasers) 
aneinander befestigt sind, das dritte, kleinste, fur die 
rechte Hand bestimmt ist. Das langste Rohr (tumbu) 
hat keine Tonlocher und gibt nur einen (Bordun-)Ton ; 
die beiden anderen Rohre haben 4 Tonlocher und er- 
moglichen je 5 Tone. Das Mundstiick hat bei alien 
drei Rohren eine einfache aufschlagende Zunge aus 
einem aus dem Pfeifenrohr herausgeschnittenen Blatt. 
Der Blaser nimmt alle 3 Mundstticke zugleich in den 
Mund und spielt zweistimmig in Terzen und Sexten 
iiber dem Bordun des Tumbu. 

Lit.: G. Fara, Su uno strumento mus. sardo, Turin 1913; 
ders., Sull'etimologia de »1.«, Turin 1918; ders., Le »1.« 
sarde, Rendiconti del Regio Istituto lombardo II, Bd 51, 
Mailand 1937; A. Voigt, Las 1., MMR LXVII, 1937; F. 
Karlinger, »L.«, Skizze eines Kultinstr., Musica sacra 
LXXVIII, (Koln) 1958. 

Lausanne. 

Lit. : A. Huguenin, Le theatre de L. des sa fondation en 
1871 jusqu'anos jours, L. 3 1933;H.Stierlin-Vallon, Mu- 
sique d'hier et aujourd'hui a L., L. 1940; P.-A. Gaillard, 
Esquisse hist, de la tradition mus. a L., SMZ XCV, 1955; 
H. Husmann, Zur Gesch. d. MeBliturgie v. Sitten u. iiber 
ihren Zusammenhang mit d. Liturgie v. Einsiedeln, L. u. 
Genf.AfMw XXII, 1965. 

Laute (von arabisch al-'tid; span, laud; ital. liuto; frz. 
luth; engl. lute). - 1) In der Systematik der Musikin- 
strumente sind L.n zusammengesetzte Saiteninstru- 
mente, bei denen die Saitenebene parallel zum Reso- 
nator liegt. Neben den Joch-L.n (f iir die die Bezeich- 
nung ->• Leier gelaufig ist) steht die groBe Gruppe der 
Stiel-L.n, bei denen die Saiten an einem durch das 
Corpus gespieBten oder vom Corpus abgesetzten Hals 
befestigt sind. Langhals-L.n sind zuerst im 2. Jahrtau- 



send v. Chr. im Zweistromland nachweisbar, wohin 
sie von wahrscheinlich nichtsemitischen Berg- und 
Reitervolkern (Chussiter) gebracht wurden. Auch nach 
Agypten, wo die Langhals-L. zuerst vereinzelt zur Zeit 
der XV.-XVII. Dynastie (18.-16. Jh. v. Chr.) nach- 
weisbar ist, wurde sie mit dem Hyksos-Einfall gebracht. 
Erst nach etwa 1500 v. Chr. wird sie auch in den Han- 
den einheimischer Berufsmusiker dargestellt; neben 
der grofien Langhals-L. gab es eine zierlichere f iir San- 
gerinnen. Zu den Langhals-L.n gehort der -*■ Tanbur, 
von dem wahrscheinlich ->■ Domra, -*■ Balalaika und 
-> Colascione abstammen. Langhals-L.n sind die mei- 
sten Streichinstrumente, die -*■ Kamanga und die 
abendlandische -> Fiedel (- 1 ; -»• Viola - 1) mit ihren 
Abkommlingen; gezupfte Fiedeln sind die -> Cistern. - 
Die Kurzhals-L. wird erst im 7. Jh. greifbar, einer- 
seits als arabischer -> 'Od, andererseits als ostasiati- 
sche -»■ P'i-p'a. Gegeniiber dem gebauchten Corpus des 
'Od hat die P'i-p'a Zargen, ebenso wie die ->■ Gitarre, 
deren Herkunft nicht geklart ist. - 2) Die abendlandi- 
sche L. (im engeren Sinn) hat sich im 13./14. Jh. in 
Spanien aus dem 'Ud entwickelt. Sie war in Europa im 
16.-17. Jh. ein hochgeschatztes und ahnlich universales 
Instrument wie das -»■ Klavier, das in mancher Hin- 
sicht das Erbe der L. antrat; der L. entspricht im 16.- 
17. Jh. in Spanien die -> Vihuela. Die europaische L. 
ist eine Kurzhals-L., meist mit vom Hals abgeknicktem 
Wirbelbrett, mit gebauchtem Corpus (ohne Zargen), 
das aus diinnen Holzspanen zusammengesetzt ist. Sie 
hat daher ein geringes Gewicht, einen delikaten Ton, 
ist aber anfallig, auch in der Stimmhaltung. In die 
Decke ist ein mit einer Rosette verziertes Schalloch 
eingelassen. Das breite Griffbrett hat Biinde. Der Be- 
zug besteht aus Darmsaiten; zunachst waren es 4, in 
Quarten wie der 'Ud oder, wohl zu Anfang des 15. 
Jh., in der Stimmung c f a d 1 . Die Normalstimmung 
der 6chorigen llsaitigen klassischen L. des 16. Jh. war 
A d g h e 1 a 1 oder G c f a di g 1 (Terz-Quart-Stimmung 
wie auf der -»■ Viola da gamba - 1). Die hochste Saite 
(nach moderner Zahlung die erste, bei Virdung 1511 
mit Quintsait bezeichnet; bei Lanfranco 1533 ital. can- 
to, cantino ; frz. -> chanterelle) war nur einfach bezo- 
gen, die tibrigen doppelt: die 2. (Kleinsangsaite; sotta- 
na, sottanelle) und die 3. (GroBsangsaite ; mezzana, 
mezzanelle) im Unisono, die 4.-6. (Klein-, Mittel- und 
GroBbrummer; tenori, bordoni, bassi) in Oktaven ge- 
stimmt. 7chorige 13saitige L.n gab es schon im friihen 
16. Jh. (Satze bei Gerle 1532), der 7. Chor steht eine 
Quarte oder einen Ganzton unter dem 6. Vom Ende 
des 16. bis um die Mitte des 17. Jh. wurden daneben 
8-llch6rige L.n verbreiteter. Ab 1638 (D.Gaultier) 
kam eine neue Stimmung (nouveau accord) auf in 
A d f a d 1 fi. Daneben gab es Scordatura, charakteri- 
stisch z. B. in Newsidlers Derjuden Tantz (1544). Das 
Spielgut bestand aus freien Stiicken (Praludien, Fan- 
tasien) und Tanzen der Zeit (u. a. Passamezzo, Pavane, 
Saltarello, Galliarde, Courante, Allemande) sowie aus 
vokalen Stiicken (Motetten, Liedsatzen), die in ->■ Lau- 
tentabulatur abgesetzt (intavoliert) wurden. Dabei 
wurde die Diskantstimme meist koloriert, so bereits 
in den ersten Drucken zu Anfang des 16. Jh. ; diese 
Praxis reicht wohl in das 15. Jh. zuriick. Die Laufe ver- 
langen eine ausgebildete Technik der linken Hand. Fur 
den Wechselschlag wurden dabei Daumen und Zeige- 
finger (u. a. Besard 1603), auch Zeige- und Mittelfin- 
ger gebraucht. Der Fingersatz wird zum Teil in der 
Tabulatur vorgeschrieben. Der kleine Finger, bei Ger- 
le 1532 noch der kleine und der Ringfmger, wird auf 
die Decke gestutzt. Akkorde werden entweder mit 
dem Daumen durchstrichen (schrumpsen), oder es 
werden mit dem Daumen der BaBton gegriffen und 



506 



Lautentabulatur 



mit dem Zeigefinger die ubrigen Tone des 4-6st. Ak- 
kordes angeschlagen. Der Quergriff (frz. barre; engl. 
crossed stop) wird mit Fingersatz u. a. bei Phalese 1545 
und Gerle 1552 angegeben. Das Lagenspiel ging in der 
Regel bis zum 6. Bund. Im 15. Jh. entstanden wahr- 
scheinlich die ersten L.n-Lieder, die in den Tabulaturen 
des friihen 16. Jh. zuerst in Italien (Frottole), dann in 
Deutschland (Tenorlieder, u. a. bei Schlick 1512), 
Frankreich (Chansons, spater im 3. Drittel des 16. Jh. 
Airs de cour), den Niederlanden und England (Songs 
und Ayrs, weitgehend an italienische Vorbilder wie 
Madrigale, Balletti ankniipfend) erschienen. Der Satz 
ist polyphon oder pseudomonodisch, der Superius wird 
fur Gesang in Mensuralnoten notiert, in 4st. Satzen 
wird der Contratenor altus auch ausgelassen. Stiicke 
fur 2 L.n (Diskant- und Tenor-L. im Abstand eines 
Ganztons, einer Quarte, Quinte oder Oktave) sind zu- 
erst bei Barberiis 1549 erhalten, fur 3 (Diskant-, Tenor- 
und BaB-L.) und 4 L.n zuerst bei Hadrianus 1584. Ne- 
ben dem solistischen Spiel und dem im Ensemble wur- 
den L.n viel im GeneralbaB verwendet, besonders die 
->■ Erzlauten (BaBlauten). Die theorbierte L. (ital. liuto 
attorbato) ist im Unterschied zur -> Theorbe etwas 
kleiner und hat doppelchorigen Bezug. - Moderne 
Schulen f iir L. schrieben F.J. Giesbert und H. Neemann. 
Um die Wiedererweckung der alten L.n-Musik mach- 
ten sich u. a. H.D.Bruger und W. Gerwig verdient. 
Ausg. : J. P. N. Land, Het luitbook van Thysius, Amster- 
dam 1889; Osterreichische Lautenmusik im 16. Jh., hrsg. 
v. A. Koczirz, = DTO XVIII, 2, Wien 1911; Chansons au 
luth et airs de cour frc. du 1 6 e s., hrsg. v. A. Mairy u. L. de 
La Laurencie, = Publications de la Soc. frc. de musicolo- 
gie I, 3/4, Paris 1934; Lautenmusik d. 17.-18. Jh., hrsg. v. 
H. Neemann, = RD XII, Lpz. 1939, Ffm. 21961 ; Les lu- 
thistes, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1957ff. 
Lit.: zu 1): E. M. v. Hornbostelu. C. Sachs, Systematik 
d. Musikinstr., Zs. f. Ethnologie XLVI, 1914, engl. v. A. 
Baines u. Kl. P. Wachsmann als: Classification of Mus. 
Instr., The Galpin Soc. Journal XIV, 1961 ; Fr. Behn, Die 
L. im Altertum u. fruhenMA, ZfMw I, 1918/19; C.Sachs, 
Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hil- 
versum 1965; W. Stauder, Zur Fruhgesch. d. L., Fs. H. 
Osthoff, Tutzing 1961. - zu 2): S. Virduno, Musica ge- 
tutscht, (Basel 1511), hrsg. v. R. Eitner, = PGf M, Jg. X, Bd 
XI, Bin 1882, dass., Faks. hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; 
R. Dowland, Varietie of Lute-Lessons (1610), Faks. hrsg. 
v. E. Hunt, London 1958; Praetorius Synt. II; M. Mer- 
senne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. 
Lesure, 3 Bde, Paris 1963; Th. Mace, Musick's Monu- 
ment, London 1676, Faks. Paris 1958 ; E. G. Baron, Hist.- 
Theoretische u. Practische Untersuchung d. Instr. d. L., 
Niirnberg 1727, Faks. Amsterdam 1965; A. Schubiger 
OSB, System d. L. aus einem Ms. v. Jahre 1532, Mf M VIII, 
1876; G. Branzoli, Ricerche sullo studio del liuto, Rom 
1889; E. Radecke, Das deutsche weltliche Lied in d. Lau- 
tenmusik d. XVI. Jh., VfMw VII, 1891 ; M. Brenet, Notes 
sur l'hist. du luth en France, RMI VI, 1899; O. Korte, L. 
u. Lautenmusik bis zur Mitted. 16. Jh., = BIMG 1, 3, Lpz. 
1901 ; O. Chilesotti, Note circa alcuni liutisti ital., RMI 
IX, 1902; W. L. v. Lutgendorff, Die Geigen- u. Lauten- 
macher v. MA bis zur Gegenwart, 2 Bde, Ffm. 1904, 
5-61922; J. Ecorcheville, Le luth et sa musique, SIMG 
IX, 1907/08; H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912, 
3 1921 ; E. Engel, Die Instrumentalformen in d. Lautenmu- 
sik d. 16. Jh., Diss. Bin 1915; L. Frati, Liutisti e liutai a 
Bologna, RMI XXVI, 1919; A. Toscanelli, II liuto, Mai- 
land 1921 ; J. Pulver, The Lute in England, Mus. Opinion 
LVII, 1 923 ; L. de La Laurencie, Les femmes et le luth en 
France aux XVI 8 et XVII e s., Correspondant CCLXIV, 
1925; ders., Les luthistes, = Les musiciens celebres, Paris 
1928 ; M. R. Brondi, II liuto e la chitarra : richerche storiche 
sulla loro origine, Turin 1926; H. Osthoff, Der Lautenist 
Santino Garsi da Parma, = Slg mw. Einzeldarstellungen 
VI, Lpz. 1926; J. Zuth, Hdb. d. L. u. Gitarre, Wien 1926- 
28 ; K. Geiringer, Vorgesch. u. Gesch. d. europaischen L., 
ZfMw X, 1927/28; K. Koletschka, E. ReuBner d. J. u. 
seine Bedeutung f. d. deutsche Lautenmusik d. 17. Jh., 



StMw XV, 1928 ; H. Neemann, J. S. Bachs Lautenkompo- 
sitionen, Bach-Jb. XXVIII, 1931; E. Magni-Dufflocq, 
Storia del liuto, Mailand 1931 ; R. Gabrielli, I liutai mar- 
chigiani, Note d'arch. XII, 1935; H.-P. Kosack, Gesch. 
d. L. u. Lautenmusik in PreuBen, = Konigsberger Studien 
zur Mw. XVII, Kassel 1935; G. Kinsky, Der Lautenma- 
cher H. Frei, AMI IX, 1937; W. Boetticher, Studien zur 
solistischen Lautenpraxis d. 16. u. 17. Jh., Habil.-Schrift 
Bin 1943, maschr. ; V. Denis, De muziekinstr. in de Neder- 
landen en in Italie naar hun afbeelding in de 1 5 e -eeuwsche 
kunst I, = Publicaties op het gebied d. geschiedenis en d. 
philologie III, 20, Lowen 1944; K. Dorfmuller, Studien 
zur Lautenmusik in d. 1. Halfte d. 16. Jh., Diss. Munchen 
1952, maschr.; D. Lumsden, De quelques elements etran- 
gers dans la musique anglaise pour le luth, in: La musique 
instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955 ; R. 
de Morcourt, Le livre de tablature de luth de D. Bianchini 
(1546), ebenda; Th. Dart, Miss Mary Burwell's Instruc- 
tion Book for the Lute, The Galpin Soc. Journal XI, 1958; 
Le luth et sa musique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958; 
ders., L'organisation internationale des recherches sur la 
musique pour luth et ses sources polonaises, Kgr.-Ber. 
Warschau 1960; ders., La musique pour luth, Kgr.-Ber. 
N Y 1 96 1 , Bd I ; D. Gill, The Elizabethan Lute, The Galpin 
Soc. Journal XII, 1959; D. Poulton, Notes on Some Dif- 
ferences Between the Lute and the Vihuela and Their Mu- 
sic, The Consort Nr 16, 1959; Wm. S. Casey, Printed Engl. 
Lute Instruction Books, 1586-1610, Diss. Univ. of Michi- 
gan 1960, maschr.; O. Peter-de Vallier, Die Musik in J. 
Fischarts Dichtungen, AfMw XVIII, 1961 ; D. Stevens, 
German Lute-Songs of the Early Sixteenth Cent., Fs. H. 
Besseler, Lpz. 1961 ; H. Radke, Beitr. zur Erforschung d. 
Lautentabulaturen d. 16.-18. Jh., Mf XVI, 1963; ders., 
Wodurch unterscheiden sich L. u. Theorbe ?, AMI XXXVII, 
1965. 

Lautenclavicymbel, ein von J. Chr. Fleischer kon- 
struiertes Cembalo mit Doppelsaiten aus Darm. Es 
klang nach Fleischers eigenen Worten vollkommen als 
3. Lauten an Force. Bereits Virdung (1511) erwahnt 
Klaviere mit Darmbesaitung. Auch J.S.Bach lieB um 
1740 ein L. bei Z.Hildebrand arbeiten mit 2 Choren 
Darmsaiten und einem 4' aus Messing, das eine kiirzere 
Mensur als die ordentlichen Clavicymbel hatte . . . Es klang 
nach Adlungs Bericht mehr der Theorbe als der Laute 
ahnlich; jedoch mit Lauten- und Cornetzug konnte man 
auch bey nahe Lautenisten von Profejiion damit betriigen. 
Lit.; S. Virdung, Musica getutscht, (Basel 1511), hrsg. v. 
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass., Faks. 
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Adlung Mus. mech. org. 

Lautentabulatur, eine Griffschrift, bei der durch 
Buchstaben, Ziffern und Zeichen die Grifistelle (Saite 
und Bund) der ->■ Laute (- 2), durch Rhythmuszeichen 
die zeitliche Aufeinanderfolge der Griffe sowie durch 
Zusatzzeichen Fingersatz und Verzierungen angege- 
ben werden. Den verschiedenen Arten der L. ist das 
Prinzip der Darstellung des Rhythmus gemeinsam: die 
rhythmischen Wertzeichen werden als Notenzeichen 
oder Notenhalse (I = Semibrevis, [ — Minima, usw.) 
iiber die Griffzeichen gesetzt, wobei haufig von einer 
Folge gleicher "Werte nur der erste angegeben ist (Bei- 
spiel 3) ; sie beziehen sich auf das Ganze des mehrstim- 
migen Satzes und konnen deshalb von jedem Ton bzw. 
Zusammenklang nur den Eintritt, nicht aber die Dauer 
angeben. Bei der Obertragung in Notenschrift kann 
entweder diese Eigenart der L. nachgeahmt werden 
(Beispiel la), oder es konnen die Tondauern entspre- 
chend der mehr oder weniger stimmigen Satzart ausge- 
schrieben werden (Beispiele lb, 2, 3). Zuweilen wird 
das Liegenbleiben von Griffen durch besondere Zei- 
chen in der Tabulatur gefordert (z. B. Schragstriche, 
Beispiel 3). - Die deutsche L. (Beispiel 1) ist im Hin- 
blick auf ein 5choriges Instrument entwickelt worden 
(M. Agricola schreibt 1529 ihre Erfindung C.Paumann 
zu). Ohne Verwendung von Linien fur die Saiten wird 
jede Grifistelle durch ein eigenes Zeichen angegeben. 



507 



Lautentabulatur 



Die leeren Saiten (Normalstimmung c f a di g 1 oder 
dghe 1 a 1 ) sind, von der tiefsten an gezahlt, mit 1-5 
bezeichnet, das 1. Bund mit a-e, das 2. mit f-k usw. ; 
vom 6. Bund an werden doppelte oder uberstrichene 
Buchstaben gesetzt. Fiir die Bunde des um 1500 hinzu- 
gefiigten 6. Chores (G bzw. A, »GroBbrummer«) wer- 
den in den Lautenbuchern verschiedene Zeichen ge- 
braucht (GroBbuchstaben, uberstrichene Ziffern oder 
Kleinbuchstaben). - Die italienische L. (Beispiel 2) ver- 
wendet 6 Linien, die die Saiten (Normalstimmung 
G c f a di g 1 oder A d g h e 1 ai) darstellen, die hochste 
Saite (cantino) liegt dabei unten, wie es der Haltung der 
Laute beim Spiel entspricht. Auf oder iiber den Linien 
wird durch die Ziffern 0-9 das Bund angezeigt (0 = lee- 
re Saite, 1 = 1. Bund, usw.). Die Prinzipien des italieni- 
schen Systems g'elten im allgemeinen auch fiir die spa- 
nische Tabulatur fiir -*■ Vihuela. - Die franzosische L. 
(Beispiel 3) hatte zunachst 5 Linien; seit Adriaensen 
1584 setzte sich das Sechsliniensystem durch. Die ober- 
ste Linie entspricht, umgekehrt wie bei der italienischen 
L., dem hochsten Chor (Normalstimmung wie bei der 



italienischen Lautenstimmung). Auf die Linien gesetzte 
Buchstaben geben das Bund an (a = leere Saite, b = 1. 
Bund, usw.); die nicht gegriffenen BaBsaiten werden 
unter dem Liniensystem durch den Buchstaben a und 
eine nach der Tiefe fortschreitende Zahl von iiberge- 
setzten Strichen bezeichnet. England entwickelte keine 
eigenstandige Form der Notation von Lautenmusik, 
sondern ubernahm die franzosische L. Diese verdrangte 
seit etwa 1600 allmahlich die anderen Systeme und er- 
hielt sich in der Form des nouveau ton von D. Gaultier 
(Stimmung der Hauptsaiten A d f a d 1 f 1 ) bis zumEnde 
des 18. Jh. in Gebrauch. 

Von den Handschriften in L. seien in Auswahl genannt 
(mit den zusatzlichenAbkurzungen: ONB = Osterrei- 
chische Nationalbibliothek, o. Sign. = ohne Signatur, 
StB = Staatsbibliothek, UB = Universitatsbibliothek) : 
a) in deutscher L. : L. des St.Craus aus Ebenfurt 
(Wien, ONB, Ms. 18688; 1. Halfte des 16. Jh.); 
Hirschberger L. (Breslau, Mus. Inst, bei der Univ., 
o. Sign. ; 1537-44) ; L. des Hans D. von Mentz (? ; Miin- 
chen, StB, Mus. Ms. 1512; um 1540); L. des H.H. 



Beispiel 1 

A. Schlick, Tabulaturen etlicher Lob- 

gesang, Mainz 1512, S. 79. 



ir f r r r r r 

iT'-r^wrrK* 

S3 8*1 f *°<l *s**+* f*f»s 



Beispiel 2 

O. Petrucci, Intabolatura de lauto,Libro b 
primo, Venedig 1507, S. 39 (Ubertra- 
gung nach Schering Beisp., S. 63). 



a 


I- J 




iffff £ \s$ Jrf fit!!? rr p i 










b 


.u 


u 


aJa^-ai j«j j.jju j 








wm 



***- 



xrm 



**- 



-e+ 



mm? 



Oi3y 7 07 l 0f7 



4W 



f nmm 



£ 



? 4 io 



»..MI 



10 10 



1= J 



l^l. a — 1 


' 


*- 




-' M0 — 


- 










v Jy^ 



















j 




J 




J 


J> J 


J 


J> J 


J 


J> 


J 


J> 


J 




a a 


e 


^ 


c 


A 


a 


a 


■* 






a 


A 


a 


tL 


c 


a 


a b *"» a 


b 


» 




c 


* * 


c 


a 


c 


e c e 


a 


cat, 


. 


c 


e a 


f 




C 


C ' 


a 


e 


• e 


— — 


c 




- 




-» 


e 


^*^ . c a 




a 


c.^* -o . 






^ 
















t 












Beispiel 3 R.Ballard, 'Premier livre, Paris 1611 (Tabulatur und Ubertragung nach der NA von A.Souris und 

S.Spycket, =Les luthistes V, Paris 1963, S. 1). 



508 



Lautsprecher 



Herwart (?; Miinchen, StB, Mus. Ms. 267; entstanden 
wahrscheinlich Augsburg um 1570; zum Teil in italie- 
nischer L.); Tabulatur des L.Iselin (Basel, UB, Ms. F 
IX 23; datiert 1575); das Lieder- und Lautenbuch des 
P. Fabricius (Kopenhagen, Kgl. Bibl., Ms. Thott 4° 841 ; 
vermutlich 1605-08 in Rostock angelegt); Tabulatur 
des J. Nauclerus (Berlin, StB, Mus. Ms. 40141; datiert 
1615). - b) in italienischer L. : V.Capirola um 1517 
(Chicago, Newberry Library, o. Sign.; die a'lteste L.- 
Hs. iiberhaupt) ; Lautenbuch des J. Fugger (Wien.ONB, 
Ms. 18790; 2. Halfte des 16. Jh.); Lautenbuch des O. 
Fugger (Wien, ONB, Ms. 18821; angelegt Bologna 
1562); J.Gorzanis 1567 (Munchen, StB, Mus. Ms. 
1511a); L. des H.H. Herwart (?; Munchen, StB, Mus. 
Ms. 266; entstanden wahrscheinlich Augsburg um 
1570); V.Galilei 1584 (Florenz, Bibl. Naz., Ms. An- 
teriori a Galileo VI) ; die L.en des Ph. Heinhofer (Wol- 
fenbuttel, Herzog August Bibl., Cod. Geielf. 18.7. und 
18. 8. ; 2 Bde, datiert 1604) ; L. des G. Rasponi (Florenz, 
Bibl. Naz., Ms. Magi. XIX.105; datiert 1635). - c) in 
franzosischer L. : L. des B.Amerbach (Basel, UB, Ms. 
F IX 56; um 1520); Wickhambrook Lute Manuscript 
(New Haven/Conn., Yale Univ. Library, Cod. Wick- 
hambrook; um 1570-1600, vielleicht von J.Johnson 
angelegt); L. des J.Thysius (Leiden, UB, o. Sign.; um 
1600) ; L. des Due de Croy et d'Arschot (Valenciennes, 
Bibl. Municipale, Ms. 429 = Mangeart Nr 409; um 
1600); L. des A.Dlugoraj (Leipzig, Stadtbibl., Ms. 
II. 6.15.; datiert 1619); Tabulatur des K.St.R.Dusiacki 
(Berlin, StB, Mus. Ms. 40. 159; datiert Padua 1620) ; L. 
des J. de Geer (Norrkoping, Stadtbibl., o. Sign. ; da- 
tiert Paris 1639) ; L. des J. Stobaeus (London, Brit. Mus., 
Ms. Sloane 1021 ; datiert 1640); L. des Lord Herbert of 
Cherbury (Cambridge, Fitzwilliam Museum, o. Sign. ; 
1. Halfte des 17. Jh.); D.Gaultier, La Rhetorique des 
dieux (Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 C 12 = Ha- 
milton 142; um 1655); L. der P.Ruthwen (Paris, Bibl. 
du Conservatoire, Ms. 24372; datiert 1656); Miss M. 
Burwell's Book (Cambridge, Fitzwilliam Museum, o. 
Sign.; um 1670); L. der M.Monin (Paris, Bibl. Nat., 
Ms. Vm' 6212; datiert 1664); J.G.Peyer um 1670 
(Wien, ONB, Ms. 18826); L. des S. de Brossard (Paris, 
Bibl. Nat., Ms. Vm 2658 reserve; begonnen Caen 
1672-73); L. des E.Vaudry de Saizenay (Besancon, 
Bibl. de la ville, o. Sign.; 2 Bde, datiert: I 1682-86, 

II begonnen 1699) ; Tabulatur des Graf en Wolkenstein- 
Rodenegg (Berlin, StB, Mus. Ms. 40149; datiert 1684- 
86); J.Th.Herold 1702 (Wien, ONB, Ms. 18760); 
S.L.Weifi um 1730-50 (Dresden, Landesbibl., Musi- 
ca2841 V.l). 

Die wichtigsten L.-Drucke sind: a) in deutscher L. : A. 
Schlick 1512; H.Judenkiinig o. J. (1515-19) und 1523; 
H.Gerle 1532, 1533, 1536 und 1552; H.Newsidler 
1536, 1540 und 1544; R. Wyssenbach 1550 und 1563; 
HJ.Wecker 1552 (fur 2 Lauten); B. de Drusina 1556 
und 1573;W.Heckel 1556; S.Ochsenkhun 1558; M. 
Newsidler 1566 und 1574; B.Jobin 1572 und 1573; M. 
Waissel 1573, 1591 und 1592. - b) in italienischer L.: 
F. Spinaccino 1507 und F. Bossinensis 1508 und 1511 
(als Buch I— II bzw. IV-V bei Petrucci erschienen; Buch 

III von J. A. Dalza ist verloren) ; B. Tromboncino o. J. ; 
A. Willaert 1536; Francesco da Milano 1536, 1546 und 
1547; G. Abondante 1546 und 1548; D.Bianchini 1546; 
J.M. da Crema 1546; M.-A. del Pifaro 1546; A.Rotta 
1546; M. de Barberiis 1546; S.Gintzler 1547; P. de 
Teghi 1547; G.P.Paladino ca. 1549, 1553 und 1560; V. 
Bakfark 1553; B.Balletti 1554; G.Gorzanis 1561, 1564, 
1570 und 1571; V.Galilei 1563, 1568 und 1584; G.C. 
Barbetta 1569, 1582, 1585 und 1603; S.Kargl 1574, 
1578 und 1586; G.Fallamero 1584; S.Verovio 1586, 
1589, 1591 und 1595; O.Vecchi 1590; G.Paolini 1591 



(fur 3 Lauten); G. A.Terzi 1593 und 1599; S.Molinaro 
1599; C.Negri 1602 und 1604; D.M.Melli 1602 und 
1609; P.P.Melli 1614 und 1616; J.RKapsberger 1610, 
1611 und 1612; spanische L.-Drucke: L.Milan 1535; 
L. de Narvaez 1538; A. de Mudarra 1546; A. de Val- 
derabano 1547; D.Pisador 1552; M. deFuenllana 1554; 
F.J.Bermudo 1555; Fr.Tomas de Sancta Maria 1565; 
E. Daza 1576. - c) in franzosischer L. : Attaingnant 1529 
und 1530; Phalese 1546, 1547, 1552, 1568, 1570 und 
1573; A. de Rippe 1552-62; J. Belin 1556; V.Bakfark 
1564; E.Adriaensen (Hadrianus) 1584 und 1592; A. 
Denss 1594; W.Barley 1596; J.Dowland 1597, 1600, 
1603 und 1605; Th.Morley 1597; M.Reymann 1598 
und 1613; J.Ruden 1598; A.Francisque 1600; J. v. d. 
Hove 1601, 1612 und 1616; J.-B.Besardus 1603, 1614 
und 1617; G.Bataille 1609-15; R.Dowland 1610; R. 
Ballard 1611 und 1614; G.L.Fuhrmann 1615; E.Mer- 
tel 1615; N.Vallet 1615-20; P.Ballard 1615-18; A. 
Boesset 1621-28; J. D.Mylius 1622; E.Moulinie 1624- 
35; A.Valerius 1626; G.B.Abbatessa 1627, 1635 und 
1652; P.Gaultier 1638; E.Reusner d. A. 1645; B.Gia- 
nocello 1650; E.Reusner d. J. 1667 und 1676; D.Gaul- 
tier um 1669 und 1672; J. Bitter 1682; J.Kremberg 
1689; J.Mouton o. J.; Ph.F.Le Sage de Richee 1695; 
J.G.Conradi 1724; A. Falkenhagen o. J. und 1740; 
D.Kellner 1747; F.Seidel 1757; J. Chr. Berger 1760; 
K.Kohaut 1761. 

Lit. : O. Korte, Laute u. Lautenmusik bis zur Mitte d. 16. 
Jh. Unter besonderer Beriicksichtigung d. deutschen L., 
= BIMG 1, 3,Lpz. 1901 ; WolfN ; H. Sommer, Lautentrak- 
tate d. 16. u. 17. Jh. im Rahmen d. deutschen u. frz. L., 
Diss. Bin 1923, maschr., Auszug in: Jb. d. Phil. Fakultat d. 
Univ. Bin 1 922/23; J. Dieckmann, Die in deutscher L. ttber- 
lieferten Tanze d. 16. Jh., Kassel 1931 ; O. Gombosi, Re- 
zension v. PaM II (L. Milan), ZfMw XIV, 1931/32; ders., 
Bemerkungen zur L.-Frage, ZfMw XVI, 1934; L. Schra- 
de, Das Problem d. L.-Ubertragung, ZfMw XIV, 1931/32; 
K. Dorfmuller, Studien zur Lautenmusik d. 1. Halfte d. 
16. Jh., Diss. Munchen 1952, maschr.; L. H. Moe, Dance 
Music in Printed Ital. Lute Tabulature from 1507 to 161 1, 
2 Bde, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1 956 ; Le luth et sa mu- 
sique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958 (darin u. a.: G. Thi- 
bault, Un ms. ital. . . . du XVI e s. ; W. Boetticher, Les oeu- 
vres de Roland de Lassus mises en tablature de luth; K. 
Dorfmuller, La tablature de luth allemande . . . ; M. Po- 
dolski, A la recherche d'une methode de transcription for- 
melle des tablatures de luth ; A. Souris, Tablature et syn- 
taxe); ApelN ; G. Birkner, La tablature de luth de Charles, 
Due de Croy et d'Arschot (1560-1612), Rev. de Musicol. 
XLIX, 1963 ; H. Radke, Beitr. zur Erf orschung d. L. d. 16.- 
18. Jh., Mf XVI, 1963 ; The Wickhambrook Lute Ms., iiber- 
tragen u. hrsg. v. D. E. R. Stephens, = Collegium Musi- 
cum Series IV, New Haven (Conn.) 1963. 

Lautsprecher sind elektroakustische Gerate, die, zu 
den sekundaren -*■ Schallwandlern gehorend, Wechsel- 
strbme in konforme Schallschwingungen umwandeln. 
Sie sollen moglichst alle Schwingungen des Horbe- 
reichs frequenz- una amplitudenge- 
treu wiedergeben; die nichtlinearen 
Verzerrungen sollen so gering wie 
moglich bleiben. Der elektrodyna- 
mische L. (bereits 1878 von W. v. 
Siemens entwickelt; die Abbildung 
stellt einen Schnitt durch einen elek- 
trodynamischen L. dar) hat sich fiir 
diese Zwecke besonders bewahrt. 
Nach dem Prinzip, daB auf einen 
stromdurchflossenen Leiter durch ein 
Magnetfeld Krafte ausgeiibt werden, 
welche zu einer Bewegung des Lei- 
' ters je nach Stromrichtung fiihren, 
werden bei diesem L. die Ausgangs- 
wechselstrome des Verstarkers einer 




509 



Lautstarke 



Schwingspule A zugefiihrt, die freischwingend und ge- 
federt im Ringspalt eines starken Permanentmagneten 
B angebracht ist. Die Spule wird in das Magnetfeld 
hineingezogen oder herausgetrieben, je nachdem in 
welcher Richtung der Strom flieBt, so daB die mit der 
Spule fest verbundene Konusmembran C entsprechen- 
de Bewegungen ausfiihrt. Um eine frequenzgetreue 
Ubertragung zu ermoglichen, wird das schwingende 
System so konstruiert, daB seine Resonanzfrequenz un- 
terhalb des zu iibertragenden Frequenzbereiches liegt. 
Die Membran, die sich beim Schwingen leicht unter- 
teilen wiirde, erhalt eine etwas gekriimmte Form. Am 
Rande wird sie weich eingespannt. Da ihre Abmessun- 
gen, zumal im unteren Frequenzbereich, klein gegen- 
iiber der Wellenlange sind (X = 3,4 m bei 100 Hz), wird 
das L.-System zweckmaBig in eine starke Schallwand 
oder in ein Gehause eingebaut, um zu vermeiden, daB 
sich die nach vorn und hinten (gegenphasig) abge- 
strahlten Schallwellen gegenseitig ausloschen. Eine 
gleichmaBige Schallverteilung wird durch Kombina- 
tion mehrerer L. erzielt. Fiir die Wiedergabe hoher 
Frequenzen werden auch Kondensator-L. (elektrostati- 
sche L.) oder Kristall-L. benutzt, die in geeigneter Zu- 
sammenstellung mit elektrodynamischen L.n kombi- 
niert werden. Zur Beschallung groBer Raume oder im 
Freien werden oft sogenannte L.-Zeilen eingesetzt, bei 
denen Ubereinander mehrere L.-Einzelsysteme ange- 
ordnet sind, die gleichphasig erregt werden und eine 
gerichtete Abstrahlung ermoglichen. 
Lit. : H. Rosters u. H. Harz, Ein neuer Gesichtspunkt f. 
d. Entwicklung v. L., Technische Hausmitt. d. NWDR III, 
1951 ; G. Buchmann, Fortschritte in d. Entwicklung v. L., 
Acustica IV, 1954; L.-Taschenbuch, bearb. v. H. Willi- 
ges, Bin (1962, 71965). WL 

Lautstarke. Zwischen der Starke einer Tonwahrneh- 
mung - der L. - und der -»■ Intensitat des auslosenden 
Schwingungsvorganges lassen sich innerhalb gewisser 
Grenzen bestimmte approximative GesetzmaBigkei- 
ten nachweisen. Die physikalisch-quantitative Deutung 
durch die Psychophysik, nach der eine eben merkbare 
Intensitatsanderung dem urspriinglichen Schallreiz 
proportional ist (Webersches Gesetz) bzw. nach der 
eine logarithmische Entsprechung zwischen Reiz- und 
sogenannten EmpfindungsgroBen besteht (Fechner- 
sches Gesetz), vermagjedoch nur die eine Erscheinungs- 
form der L. zu beleuchten, namlich die im unmittelba- 
ren Vergleich von Schallstarken erfaBbare, die L. als 
Empfindungsniveau. (Auf O.Fr.Rankes einschranken- 
de Formulierung sei hingewiesen.) Dagegen ist die L. 
als musikalische Gestaltqualitat nicht mehr rein quan- 
titativ, also anhand einer Intensitatsskala, darstellbar. 
Zwar fordern in der Musik Bezeichnungen wie £f, mf, 
p lediglich eine unterschiedlich intensive Tongebung, 
fur die Beurteilung der L. - z. B. eines Orchesterklan- 
ges - durch einen H6rer spielt jedoch die objektive 
Schallintensitat am Ohr des Horers nur noch eine un- 
tergeordnete Rolle. Vielmehr ist die gesamte Struktur 
des beurteilten Schallsignals - in erster Linie das Teil- 
frequenzspektrum und die zeitlichen Anderungen - 
fiir das Zustandekommen einer bestimmten L.-Wahr- 
nehmung verantwortlich. Der Begriff der Lautheits- 
konstanz spielt hier eine wesentliche Rolle. Kl. Mohr- 
manns Versuche mit verschiedenen Schallen ergaben 
eine deutliche Abhangigkeit der Lautheitsbeurteilung 
von der Sendeintensitat und von der visuellen Lokali- 
sierungsmoglichkeit der Schallquelle, wahrend die Ent- 
fernung zwischen Sender und Horer weitgehend ohne 
EinfluB bleibt. 

Als MaB fiir die subjektive L. im direkten Vergleich 
verschiedener Frequenzen wurde auf Vorschlag H. 
Barkhausens das Phon eingefiihrt. Laut Definition ist 



fiir die Bezugsfrequenz von 1000 Hz der Phonwert 
gleich dem Wert des Schalldruckpegels in dB (-v De- 
zibel). Fiir die iibrigen Frequenzen ist der Phonwert 
jeweils gleich dem der gleich laut gehorten Bezugs- 
frequenz. Auf Grand solcher Horvergleiche wurden 
zunachst von B.A.Kingsbury (1927), spater - wesent- 
lich genauer - von H.Fletcher und W.A.Munson 
(1933) und schlieBlich von D.W.Robinson und R.S. 
Dadson (1956) Kurven gleicher L. aufgenommen, de- 
ren untere (->• Horschwelle) und obere Kurve das 
-> Horf eld umschlieBen. 




Kurven gleicher L. 
(nach D. W. Robinson und R. S. Dadson). 
Diese Kurven geben allerdings keine Auskunft iiber 
die sogenannte Lautheit, d. h. dariiber, welche Inten- 
sitat (bei gleicher Frequenz) als z. B. doppelt oder halb 
so laut wie eine Bezugsintensitat empfunden wird. Da- 
her wurde das Sone als ZusatzmaB fiir die Lautheit ein- 
gefiihrt, wobei - willkurlich - 40 dB (bei 1000 Hz) 
= 1 sone entsprechen sollen; derjenige Schalldruckpe- 
gel (bei gleicher Frequenz), der als doppelt so laut emp- 
funden wird, entspricht 2 sone (im Mittel 48 dB) usw. 



sane 

10 ! 



10' 



















































































1 





















20 30 iO SO SO 



BO 90 100 dB 



Abhangigkeit der Lautheit vom Schalldruckpegel. 
Eine Unterscheidung zwischen L. und Lautheit ist je- 
doch wenig sinnvoll, da ihre MaBeinheiten Phon und 
Sone lediglich als einmal nichtlinearer, einmal linearer 
MaBstab der gleichen subjektiven GroBe L. dienen (E. 
Skudrzyk). 

Lit. : K. Scholl, Vom absoluten Eindruck bei Schallstar- 
kevergleichen, Zs. f . Psychologie LXXXI V, 1 920 ; H. Lach- 
mund, Ober d. Abhangigkeit d. scheinbaren Schallstarke 
v. d. subjektiven Lokalisation d. Schallquelle, . . ., ebenda 
LXXXVIII, 1922; H. Barkhausen, Ein neuer Schallmes- 
ser f. d. Praxis, Zs. f. technische Physik VII, 1926; B. A. 



510 



Lehrstiick 



Kingsbury, A Direct Comparison of the Loudness of Pure 
Tones, Physical Review II, 29, 1927; ders. u. U. Steudel, 
Die L. v. Gerauschen, in: HF-Technik u. Elektroakustik 
XLI, 1933; H. Fletcher u. W. A. Munson, Loudness, Its 
Definition, Measurement and Calculation, JASA V, 1932/ 
33; F. Aigner u. M. J. O. Strutt, Uber eine physiologi- 
sche Wirkung mehrerer Schallquellen auf d. Ohr . . . , Zs. f. 
technische Physik XV, 1934; E. Lubcke, Uber d. Zunahme 
d. L. bei mehreren Schallquellen, ebenda XVI, 1935; W. 
Burck, P. Kotowski u. H. Lichte, Die L. v. Knacken, Ge- 
rauschen u. Tonen, Elektrische Nachrichtentechnik XII, 
1935; St. Sm. Stevens u. H. Davis, Psychophysiological 
Acoustics : Pitch and Loudness, JASA VIII, 1 936/37 ; dies., 
Hearing, Its Psychology and Physiology, NY (1938), 51960; 
M. Kwiek, Uber L. u. Lautheit, Akustische Zs. II, 1937; 
Kl. Mohrmann, Lautheitskonstanz im Entfernungswech- 
sel, Zs. f. Psychologie CXLV, 1939; L. L. Beranek, J. L. 
Marshall, A. L. Cudworth u. A. P. G. Peterson, Calcu- 
lation and Measurement of the Loudness of Sounds, JASA 
XXIII, 1951; I. Pollack, On the Measurement of the Loud- 
ness of White Noise, ebenda; ders., On the Threshold and 
Loudness of Repeated Bursts of Noise, ebenda; W. R. 
Garner, An Informational Analysis of Absolute Judge- 
ments of Loudness, Experimental Psychology XLVI, 1953; 
G. Quietzsch, Zur Theorie d. L. u. Lautheit, Technische 
Hausmitt. d. NWDRV, 1953; ders., Objektiveu. subjekti- 
ve Lautstarkemessungen, Acustica V, 1955 ; O. Fr. Ranke, 
Physiologie d. Gehors, in: Lehrbuch d. Physiologie, hrsg. 
v. W. Trendelenburg u. E. Schiitz, Bin, Gottingen u. Hei- 
delberg 1953; H.-P. Reinecke, Uber d. doppelten Sinn d. 
Lautheitsbegriffes beim mus. Horen, Diss. Hbg 1953, 
maschr.; ders., Experimented Beitr. zur Psychologie d. 
mus. Horens, = Schriftenreihe d. mw. Inst. d. Univ. Ill, 
Hbg 1964; E. Skudrzyk, DieGrundlagend. Akustik, Wien 
1954; E. Zwicker u. R. Feldtkeller, Uberd. L. v. gleich- 
fdrmigen Gerauschen, Acustica V, 1955; R. Feldtkeller 
u. E. Zwicker, Das Ohr als Nachrichtenempfanger, = Mo- 
nographien d. elektrischen Nachrichtentechnik XIX, Stutt- 
gart 1956; D. W. Robinson u. R. S. Dadson, A Re-deter- 
mination of the Equal-Loudness Relations for Pure Tones, 
British Journal of Applied Physics VII, 1956; dies., Tresh- 
old of Hearing . .., JASA XXIX, 1957; P. R. Hofstatter, 
Gehorsinn, in: Psychologie, = Das Fischer Lexikon VI, 
Ffm. (1957); ders., Psychophysik, ebenda; D. W. Robin- 
son, The Subjective Loudness Scale, Acustica VII, 1957; 
E. Zwicker, Cber psychologische u. methodische Grund- 
lagen d. Lautheit, Acustica VIII, 1958. 

Leader (l'i:cb, engl., Fiihrer), - 1) bezeichnet in Eng- 
land den Konzertmeister (der in Nordamerika con- 
certmaster heiBt), in Nordamerika den Dirigenten (in 
England conductor genannt) ; - 2) englische Bezeich- 
nung fiir den -»■ Dux. 

Leere Saite (engl. open string ; frz. corde a vide, oder 
nur a vide; ital. corda vuota, einfach auch vuota; span. 
cuerda al aire), bei den Saiteninstrumenten mit Griff- 
brett Bezeichnung fiir das Erklingenlassen einer Saite 
in ihrer ganzen Lange, also ohne Fingerauf satz, zuwei- 
len durch eine Null iiber der Note gef ordert. Der Klang 
der l.n S. ist gegeniiber dem des gleichen gegriffenen 
Tones offener, weniger differenzierbar. Solange auf 
Darmsaiten und ohne Vibrato gespielt wurde, benutzte 
man die 1. S. haufig neben gegriffenen Tonen, was 
heute durch neue Fingersatztechnik vermieden wird, 
wenn nicht (wie z. B: am Beginn von A. Bergs Violin- 
konzert) besondere Absicht vorliegt. -> Bariolage. 

legato (ital., auch ligato) bedeutet, daB die Tone ge- 
bunden, verbunden, »angeschleift«, gezogen hervor- 
gebracht werden sollen; bezeichnet wird es durch 
-> Bogen (- 1). Das L. wird im Gesang erreicht, wenn, 
ohne abzusetzen, d. h. ohne den Atemstrom zu unter- 
brechen, der Spannungsgrad der Stimmbander veran- 
dert wird, so daB der erste in den zweiten Ton wirk- 
lich iibergeht. Ahnlich ist der Vorgang bei den Blas- 
instrumenten, wo ebenfalls der Atemstrom nicht un- 
terbrochen, sondern nur die Applikatur oder Lippen- 



spannung verandert wird. Auf den Streichinstrumen- 
ten bedeutet 1. die Bindung mehrerer Tone auf einem 
Bogenstrich. Auf Tasteninstrumenten werden Tone 
gebunden, indem man eine niedergedriickte Taste erst 
im Augenblick des Anschlagens eines anderen Tones 
freigibt, zuweilen sogar eine Nuance sparer. In der Kla- 
viermusik des 18. Jh. sind gebrochene Akkorde unter 
L.-Bogen oft legatissimo auszufiihren. - ben 1. heiBt 
gut gebunden; non 1. entspricht einer Artikulation 
zwischen portato und staccato. 

leggiero (ledd3'e:ro, ital.), auch leggieramente oder 
leggiadro, leicht, leger, das leicht perlende Spiel auf 
dem Klavier, eine Anschlagsart zwischen legato und 
staccato, von ersterem dadurch unterschieden, daB sie 
nur niicntiger Schlag und nicht nachhaltiger Druck ist; 
von mezzolegato unterscheidet sie sich durch nervigen 
Anschlag, vor allem durch loses Zuriickspringen der 
Finger. Das L. ist nur piano moglich und geht bei 
starkerem Anschlag in mezzolegato iiber. 

Lehrstiick, ein aus der Verbindung von »Gebrauchs- 
lyrik« und »Gebrauchsmusik« Ende der 1920er Jahre in 
Deutschland entstandener oratorienhafter Typus einer 
fiir altere Schiiler und Erwachsene gedachten -»■ Schul- 
oper mit zeitbedingten Stoffen auf illusionsloser Biih- 
ne. Der kurzen Bliitezeit des L.s setzte 1933 der Natio- 
nalsozialismus ein Ende. In der Gegenwart wird das L. 
noch in der DDR gepflegt. Der Schopfer dieser zu- 
nachst literarisch-dramatischen, auf die Anlage des 
mittelalterlichen Moralitatenspiels gestiitzten Sonder- 
form des Epischen Theaters ist B. -» Brecht. Typisches 
Beispiel fiir das musikalische L. ist Brechts Derja-Sager 
(1930) mit der Musik von Weill, der betont: Die pad- 
agogische Wirkung der Musik kann ndmlich darin bestehen, 
dafl der Schiiler sich auf dem Umweg iiber ein musikalisches 
Studium intensiv mit einer bestimmten Idee beschaftigt, die 
sich ihm durch die Musik plastischer darbietet und die sich 
starker in ihm festsetzt, als wenn er sie aus Biichern lernen 
mufite. Das L. soil im Sinne der »epischen« (und im Ge- 
gensatz zur »dramatischen«) Oper Stellung beziehen 
und auf das Verhalten wirken (vgl. Brecht, Schriften, 
S. 21). Neben smusikalische Dialoge« der Einzeldar- 
steller tritt der nicht agierende Chor (singend oder 
sprechend), der auBer seiner kommentierenden und 
erzahlenden Aufgabe in erster Linie als »Lehrchor« den 
»Lehrgedanken« iibermittelt ; dieser will das bei der 
Auffiihrung aktiv mitwirkende Publikum und die 
Darsteller selbst zu ernsthafter Diskussion iiber das auf- 
gezeigte Problem bewegen. Die einfach gehaltene, 
fiir Laien gedachte Musik verzichtet weitgehend auf 
eigengesetzliche Entfaltung. 1929 wurden in den Ba- 
den-Badener Musikwochen die ersten musikalischen 
L.e aufgefiihrt, darunter zwei Werke mit Texten von 
Brecht: Der Flug Lindberghs (Musik von Weill und 
Hindemith) und Badener L. vom Einverstdndnis (Hinde- 
mith). Das bedeutendste L. Brechts ist die 1930 durch 
den Arbeiterchor GroB-Berlin uraufgefiihrte Mafinah- 
me mit der Musik von Eisler. An weiteren L.en, die 
ganz unterschiedliche »Lehrabsichten« verfolgen, seien 
genannt: H.HeiB/E.MeiBner, L. vom Beruf (1930) und 
L. von der Berechtigung (1931); E.Toch/A.Doblin, Das 
Wasser; H. Reutter/R. Seitz, Der neue Hiob; W.Fort- 
ner/A.Zeitler, Cress ertrinkt (1930): P.Dessau/R.Seitz, 
Tadel der Unzuverlassigkeit (1932); E. Rabsch/W. Ger- 
hard, Die Brucke (1933). 

Lit. : H. Trede u. H. Boettcher, L., Musik u. Ges. 1, 1930/ 
31; H. Heiss, Das L. im Urteil d. schaffenden Musiker, 
ebenda; H. Mersmann, Die moderne Musik seit d. Ro- 
mantik, Biicken Hdb. ; S. Gunther, L. u. Schuloper, Melos 
X, 1931; K. Weill, Uber meine Schuloper »Der Jasager«, 
in: Das Volksspiel VIII, 1932, H. 4; B. Brecht, Schrif- 
ten zum Theater, hrsg. v. S. Unseld, = Bibl. Suhrkamp 



511 



Leich 



XLI, Bin u. Ffm. (1957); J. Willett, The Theatre of B. 
Brecht, London 1959, deutsch Hbg 1964; M. Esslin, 
Brecht, Ffm. u. Bonn 1962; H. Braun, Untersuchungen 
zur Typologie d. zeitgenossischen Schul- u. Jugendoper, 
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XXVII, Regensburg 
1963. 

Leich -> Lai. 

Leier (aus griech. Xiipa iiber lat. lyra; mhd. lire; frz. 
und engl. lyre) ist heute meist als systematischer Be- 
griff gebrauchlich. Man versteht darunter der antiken 
Lyra und Kithara ahnliche Zupfinstrumente mit scha- 
len- oder kastenformigem Schallkorper, zwei Jochar- 
men und einem an ihnen befestigten Joch, von dem aus 
die Saiten zum Schallkorper gespannt sind. Beim Spie- 
len werden die Saiten mit der rechten Hand gezupft 
oder mit -*■ Plektron zum Klingen gebracht; mit der 
linken Hand werden sie nicht verkiirzt, sondern nur 
gedampft. Die L.-Instrumente waren im alten Orient 
weit verbreitet, zuerst bei den Sumerern (groBe Stand- 
und kleinere Trag-L.n mit bis zu 11 Saiten), dann auch 
bei den Agyptern (im Mittleren Reich asymmetrische, 
im Neuen Reich auch symmetrische Kasten-L.n, dazu 
asiatische Riesen-L.n), Griechen (-> Phorminx, -> Ki- 
thara, -»• Lyra - 1, -*■ Barbitos), Juden (-»• Kinnor) u. a. 
Der Typ der Schalen-L. ist heute noch in Agypten, 
Athiopien, Nubien und Ostafrika zu finden (kerar, 
auch kissar, von griech. xi&dcpoc, genannt, als Riesen-L. 
bagana). Im nordlichen Europa sind L.n als Zupf- und 
als Streichinstrumente seit dem Friihmittelalter belegt 
(-> Crwth, -> Rotta - 2). - Der im mittelalterlichen 
Schrifttum begegnende Name lira (lire u. a.), aus dem 
im Deutschen L. hervorging, scheint zur Bezeichnung 
von verschiedenen Saiteninstrumenten gedient zu ha- 
ben, u. a. auch von Streichinstrumenten. Daher konnte 
die Vielle zum Namen Dreh-L. kommen. 
Lit.: H. Panum, Harfe u. Lyra im alten Nordeuropa, SIMG 

VII, 1905/06; C. Sachs, Geist u. Werden d. Musikinstr., 
Bin 1929, Nachdruck Hilversum 1965; ders., The Hist, of 
Mus. Instr., NY (1940); A. O. Vaisanen, Die L. d. ob- 
ugrischen Volker, Eurasia septentrionalis antiqua VI, 1 93 1 ; 
M. Wegner, Die Musikinstr. d. alten Orients, = Orbis an- 
tiquus II, Minister i. W. 1950; J. Werner, Harfe u. L. im 
germanischen Friih-MA, in: Aus Verfassungs- u. Landes- 
gesch., Fs. Th. Mayer I, Lindau u. Konstanz (1954); W. 
Stauder, Die Harfen u. L. d. Sumerer, Ffm. 1957; ders., 
Die Harfen u. L. Vorderasiens in babylonischer u. assyri- 
scher Zeit, Ffm. 1961 ; H. Hickmann, Artikel L., in: MGG 

VIII, 1960; O. Seewald, Die Lyrendarstellungen d. ostal- 
pinen Hallstattkultur, Fs. A. Orel, Wien u. Wiesbaden 
(I960); E. Emsheimer, Die Streichl. v. Danczk, STMf 
XLIII, 1961, auch in: Studia ethnologica eurasiatica, 
= Musikhist. museetsskrifter I, Stockholm 1964; B. Aion, 
Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen Raumes bis um 700 
v.Chr., Diss. Ffm. 1963. 

Leier kasten ->Drehorgel. 

Leipzig. 

Lit. : E. Rothe u. H. Heilemann, Bibliogr. zur Gesch. d. 
Stadt L., Sonderbd III, Die Kunst, = Schriften d. Hist. 
Kommission d. Sachsischen Akad. d. Wiss. XXXV, Wei- 
mar 1964. - A. Dorffel, Gesch. d. Gewandhauskonzerte 
zu L., L. 1884; P. Langer, Chronik d. L.er Singakad. 
1802-1902, L. 1902; R. Wustmann, Mg. L. I bis zur Mitte 
d. 17. Jh., L. u. Bin 1909, 21926, II (v. 1650-1723) u. Ill Das 
Zeitalter J. S. Bachs u. J. A. Hillers (v. 1723-1800) v. A. 
Schering, L. 1926-41 ; Fr. Schmidt, Das Musikleben d. 
burgerlichen Ges. L. im Vormarz (1815-48), = Mus. Ma- 
gazln XLVII, Langensalza 1912; G. Fr. Schmidt, Die al- 
teste deutsche Oper in L., Fs. A. Sandberger, Munchen 
1918; H. Hofmann, Gottesdienst- u. Kirchenmusik in d. 
Univ.-KirchezuSt. Pauliseitd. Reformation (1543-1918), 
Beitr. zur Sachsischen Kirchengesch. XXXII, 1919; P. 
Bennemann, Musik u. Musiker im alten L., L. 1920; A. 
Schering, Die L.er Ratsmusik v. 1650-1775, AfMw III, 
1921 ; Fr. Reuter, Die Gesch. d. deutschen Oper in L. 
(1693-1720), Diss. L. 1922, maschr.; M. Bigenwald, Die 



Anfange d. L.er AmZ, Diss. Freiburg i. Br. 1938; G. 
Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis 
zur Mitte d. 16. Jh.: L., AfMf III, 1938; O. Schafer, Der 
L.er Riedelver., in: Die Musikpflege IX, 1938; H. Schulz, 
Die Musikforschung in L., AMz XLV, 1938; H.-J. N6s- 
selt, Das Gewandhausorch., L. 1943 ; Fs. zum 175jahrigen 
Bestehen d. Gewandhauskonzerte 1781-1956, hrsg. v. H. 
Heyer, L. 1956; G. Hempel, Das Ende d. L.er Ratsmusik 
im 19. Jh., AfMw XV, 1958 ; ders., Die burgerliche Musik- 
kultur L. im Vormarz, Beitr. zur Mw. VI, 1964; Fr. Hen- 
nenberg, Das L.er Gewandhausorch., L. 1962. 

Leise, Bezeichnung fur alt- und mittelhochdeutsche 
sowie slawische volksttimliche Kirchenlieder, die von 
der ein- oder angefugten Akklamation Kyrie eleison 
(verdeutscht auch Kirleis; tschechisch Krles) herruhrt. 
Zu der Gruppe der liturgisch nicht gebundenen L.n 
(Schlachtrufe, Wallfahrts- und Kreuzzugslieder) ge- 
hort die alteste Aufzeichnung eines deutschen geistli- 
chen Liedes iiberhaupt, das Freisinger Petrus-Lied Un- 
sar trohtin licit farsalt aus dem 9. Jh. Die liturgischen L.n 
sind strophisch (2. und folgende Strophen erst seit dem 
15./16. Jh. hinzugedichtet), meist vierzeilig mit paari- 
gen Reimen, und gehen textlich und musikalisch meist 
auf altere Modelle zuriick, so auf Sequenzen, denen sie 
auch tropierend eingefiigt wurden. Die wichtigsten 
L.n sind: die Oster-L. Christ ist erstanden, zur Sequenz 
Victimae paschali laudes, aus dem 12. Jh.; die Pfingst-L. 
Nun bitten wit den heiligen Geist, zur Sequenz Veni sancte 
spiritus, wohl aus dem 12. Jh., belegt zuerst um 1250; 
die Fronleichnams-L. Gott seigehbet undgebenedeiet, zur 
Sequenz Lauda Sion; die Weihnachts-L. Gelobet seist 
du,Jesu Christ, zur Sequenz Grates nunc omnes; Mitten 
wir im Leben sind, zur Antiphon Media vita in morte 
sumus, vom Ende des 15. Jh. 

Lit. : W. Lipphardt, Die ma. L., Musik u. Altar XV, 1963 - 
XVI, 1964. 

Leistungsschutz ist ein dem ->- Urheberrecht ver- 
wandtes Schutzrecht. Es gilt in erster Linie fur die aus- 
ubenden Kunstler, die dadurch gegen Ausnutzung ih- 
rer Leistung z. B. durch Tontragerhersteller und Sen- 
deanstalten gesichert sind. Der L. wurde 1961 durch 
ein internationales Abkommen in Rom von 18 Staaten 
beschlossen. Diesem Abkommen ist die Bundesrepu- 
blik Deutschland 1965 beigetreten. Gleichzeitig hat sie 
in dem neuen Urheberrechtsgesetz den L. erstmalig ge- 
setzlich geregelt. - Neben dem L. fiir ausubende Kiinst- 
ler gibt es einen solchen fiir wissenschaf tliche Ausgaben 
urheberrechtlich nicht geschiitzter Werke sowie fiir 
Ausgaben nachgelassener Werke, ferner fiir Lichtbil- 
der, Tontragerhersteller, Sendeunternehmen und Film- 
hersteller. Die Schutzdauer fiir die genannten Kate- 
gorien ist verschieden. Die ausubenden Kunstler haben 
ihre L.-Rechte in der Gesellschaft zur Verwertung von 
L.-Rechten (GVX) vereinigt und zur Wahrnehmung 
der -> GEMA ubertragen (Kontrolle und Einzug der 
Gebiihren). 

Leitmotiv, Bezeichnung fiir eine pragnante musikali- 
sche Gestalt, die in wortgebundener oder programma- 
tischer Musik einem bestimmten dichterischen Mo- 
ment (einer Idee, Sache, Person u. a.) zugeordnet ist 
und im musikalischen Text immer dann erscheint, 
wenn dieses dramatisch-poetische Moment gemeint ist. 
Das L. kann dabei direkt auf das Geschehen hinweisen 
(z. B. eine auftretende Person ankiindigen) oder indi- 
rekt kommentierend - auch psychologisch motivierend 
oder analysierend - einbezogen werden (z. B. Wagner, 
Gotterdammerung, 1. Akt, 2. Szene: Hagen begruBt 
Siegfried auf die Tone des »Fluch-Motivs«). Die dem 
L. - iiber den immanent musikalischen Sinn hinaus - 
innewohnende Bedeutung, die sowohl seine konkrete 
musikalische Gestalt als auch etwaige Veranderungen 



512 



Leitton 



bestimmt, ergibt sich primar aus seinem ersten Auftre- 
ten in einer bestimmten dramatischen (programmati- 
schen) Situation oder zu bestimmten Worten; voll- 
standig erfassen laBt sie sich aber nur durch ein In-Be- 
ziehung-Setzen der verschiedenen Erscheinungsweisen 
des L.s. Dieses spiegelt Vergangenes und Zukiinftiges 
im je Gegenwartigen. Seine formale Intention ist daher 
epischer Natur; Th.Mann (1939) nennt es eine vor- 
und zuriickdeutende magische Formel, die das Mittel ist, 
einer inneren Gesamtheit injedetn Augenblick Prasenz zu 
verleihen. - Bevor H.v.Wolzogen (1876) den Begriff 
L. in seinen Wagner-Analysen anwendet, benutzt ihn 
schon Fr.W.Jahns (1871) fur das strenge Durchfuhren 
aller einzelnen Charactere in Opern C.M.v. Webers; er 
unterscheidet dabei L.e fiir Situationen und Personen. 
Gleichzeitig gibt G.Federlein (1871) Wagnerschen 
Motiven erstmals Namen (z. B. »Walhall-Motiv« u. a.). 
Wagner selbst spricht nicht von L.en, sondern von 
»melodischen Momenten«, »thematischen Motiven«, 
»Grundthemen«, »Ahnungsmotiven«, »Erinnerungs- 
motiven« u. a. - Die Technik des Erinnerungsmotivs, 
das einzelne Nummern einer Oper sinnf allig verbindet 
(so schon in Mozarts Zauberflote die Sarastro-Akkorde) 
und bei seinem Wiedererscheinen oft nur den Charakter 
einer absoluten Reminiszenz hat (Wagner IV, 324), ist 
seit dem spateren 18. Jh. verbreitet, vor allem in den 
Opern der franzosischen Schule nach Gluck (Gretry, 
Richard C<eur-de-Lion, 1784; Mehul, Ariodant, 1799; 
Catel, Se'miramis, 1801) ; ferner in der Gustavianischen 
Oper der 2. Halfte des 18. Jh. in Schweden (Joh. Gottl. 
Naumann u. a.) ; dann - zu Wagner hinf iihrend - in 
der deutschen romantischen Oper (Spohr, Faust, 1816; 
Hoffmann, Undine, 1816; Weber, Der Freischiitz, 1821, 
Euryanthe, 1823; Marschner, Der Vampyr, 1828); da- 
neben im Melodram (Reichardt, Ino, 1779) und in der 
Ballade (Loewe). Wagner selbst wendet sie in seinen 
friihen Werken an (Die Feen, 1833, Das Liebesverbot, 
1836, Derfliegende Hollander, 1841), aber auch im spa- 
ten 19. Jh. ist sie anzutreflen (u. a. bei Bizet, Lespicheurs 
deperles, 1862/63, und Verdi, Lafcrzadeldestino, 1862). 
Im Zuge der Auflosung der geschlossenen Opernfor- 
men erhob Wagner dieseTechnik zum tragenden musik- 
dramatischen Formungsprinzip. Er konnte dabei an Ten- 
denzen Marschners und Webers anknupfen, war aber 
auch von Berlioz, der das Erinnerungsmotiv in die 
Symphonik einfuhrte (->■ Idee fixe, -»• Programmusik), 
stark beeinfluBt. In der theoretischen Begriindung des 
Verfahrens ist die Durchfiihrungstechnik Beethovens 
das Vorbild fiir Wagner: die neue Form der dramatischen 
Musik soil die Einheit des Symphoniesatzes aufweisen . . . 
Diese Einheit gibt sich ... in einem das ganze Kunstwerk 
durchziehenden Cewebe von Grundthemen, welche sich, 
ahnlichwieim Symphoniesatze, gegeniiberstehen, erganzen, 
neu gestalten, trennen und verbinden: nur dafi hier die ... 
dramatische Handlung die Gesetze der Scheidungen und Ver- 
bindungen gibt (X, 185). Doch besteht zwischen der 
konstruktiv-thematischen Arbeit Beethovens und dem 
mehr assoziativen L.-Verfahren Wagners nur auBerli- 
che Analogic Geschlossenheit der kleinen und grofien 
Abschnitte hat Wagner durch Anordnung der L.e nach 
iibergeordneten Formprinzipien zu erreichen gesucht; 
als deren wichtigstes ist von A.Lorenz der -» Bar er- 
kannt worden. - Die Kritik an dem Wagnerschen Ver- 
fahren betont die Gefahr der VerauBerlichung zum 
Plakativen: das an seinem Ausdruckscharakter festhal- 
tende L., der Allegorie naher als dem Symbol, vermittelt 
als Zeichen geronnene Bedeutung (Adorno 1946, S. 44) 
und steht so im Widerspruch zum dynamischen musi- 
kalischen ProzeB. - In der Nachfolge Wagners wird 
die L.-Technik allgemein angewendet (u. a. von Cor- 
nelius, Humperdinck, Delius, Blech, Faure, Pfitzner, 



R. Strauss, auch Janacek, Kdtja Kabanovd, 1919-21) ; 
aber selbst bei intendierter Abkehr vom Musikdrama 
Wagners wird sie gelegentlich ubernommen (Debussy, 
Pellias et Melisande, 1902). Von den Komponisten der 
Neuen Musik nutzt vor allem A. Berg - in Weiterf iih- 
rung des Wagnerschen Verfahrens - die Moglichkeit, 
durch Leit- oder, besser gesagt, durch Erinnerungs-Motive 
Zusammenhdnge und Beziehungen herzustellen und damit 
wieder Einheitlichkeit zu erreichen (Berg, Wozzeck- Vor- 
trag, in: Redlich, S. 318). Im Wozzeck (1922) ist die 
Formung durch leitmotivische Techniken weitgehend 
identisch mit den absolut musikalischen Formen der 
einzelnen Szenen (z. B. 2. Akt, 2. Szene: Fuge iiber die 
3 L.e von Hauptmann, Doktor und Wozzeck). In 
Schonbergs nachgelassener Oper Moses und Ann sind 
- im Rahmen einer thematisch konzipierten Zwolf- 
tontechnik - den zentralen Ideen der Handlung the- 
matisch-motivische Gestalten zugeordnet, deren Inter- 
vallanordnung die Grundlage fiir situationsbedingt 
charakterisierte Varianten bildet. H. W.Henze verbin- 
det in Der Prinz von Homburg (1960) bestimmte Spha- 
ren durch verwandte Motivik. -Eine zum bloB Plakat- 
haften abgesunkene L.-Technik kennt die -> Filmmu- 
sik. - Bedeutend ist der EinfluB des Wagnerschen L.- 
Verfahrens auf die Literatur. Vor allem Th.Mann hat 
es in ausdriicklicher Ankniipfung an Wagner als Mittel 
epischer Gestaltung virtuos angewendet. 
Lit.: R. Wagner, Oper u. Drama (1851), Eine Mitt, an 
meine Freunde (1851), u. t)ber d. Anwendung d. Musik 
auf d. Drama (1879), in: Samtliche Schriften u. Dichtun- 
gen (Volksausg.) III/IV u. X, Lpz. (1912-14); G. Feder- 
LEiN,»Das Rheingold« v. R. Wagner. Versuch einermus. In- 
terpretation, Mus. Wochenblatt II, 1871 ; ders., »Die Wal- 
k(ire« . . . , ebenda III, 1 872 ; Fr. W. Jahns, C. M. v. Weber 
in seinen Werken, Bin 1 87 1 ; H . v. Wolzogen, Motive in R. 
Wagners »Siegfried«, Mus. Wochenblatt VII, 1876; ders., 
Thematischer Leitf aden durch d. Musik zu R. Wagners Fest- 
spiel »Der Ring d. Nibelungen«, Lpz. 1876; ders., Motive 
in Wagners »Gdtterdammerung«, Mus. Wochenblatt VIII, 
1 877 - X, 1 879; H. Abert, R. SchumannsGenoveva, ZIMG 
XI, 1909/10; E. Haraszti, Le probleme du L., RM IV, 
1923 ; E. Bucken, Der heroische Stil in d. Oper, = Veroff. 
d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg V, 1, 
Biickeburg u. Lpz. 1924; A. Lorenz, Das Geheimnis d. 
Form bei R. Wagner, 4 Bde, Bin 1924-33; G. Abraham, 
The L. Since Wagner, ML VI, 1925 ; K. Ph. Bernet Kem- 
pers, Leidmotieven, herinneringsmotieven en grondthe- 
mas, Paris u. Amsterdam 1929; A. Berg, Wozzeck-Vor- 
trag (1 929), in : H. F. Redlich, A. Berg. Versuch einer Wiir- 
digung, Wien u. Zurich 1957, engl. London u. NY 1957 ; K. 
Worner, Beitr. zur Gesch. d. L. in d. Oper, Diss. Bin 1931, 
maschr., Auszug in: ZfMw XIV, 1931/32; ders., Gottes- 
wort u. Magie. Die Oper »Moses u. Aron« v. A. Schon- 
berg, Heidelberg 1959; R. Englander, Zur Gesch. d. L., 
ZfMw XIV, 1931/32; M. Lamm, Beitr. zur Entwicklung d. 
mus. Motivs in d. Tondramen R. Wagners, Diss. Wien 
1932, maschr.; L. Sabanejew, Remarks on the L., ML XIII, 
1932; A. Schering, Beethoven u. d. Dichtung, =Neue 
deutsche Forschungen LXXVII, Abt. Mw. Ill, Bin 1936; 
Th. Mann, R. Wagner u. d. »Ring d. Nibelungen« (1937), 
in: R. Wagner u. unsere Zeit, Ffm. (1963); ders., Einfuh- 
rung in d. »Zauberberg« (1939), in: Der Zauberberg, Ffm. 
(1959); Th. W. Adorno, Versuch iiber Wagner, Bin u. 
Ffm. 1952, Miinchen u. Zurich 21964; D. de la Motte, 
H. W. Henze, Der Prinz v. Homburg, Mainz (1960); G. 
Knepler, Mg. d. 19. Jh. II, Bin 1961 ; ders., R. Wagners 
mus. Gestaltungsprinzipien, Beitr. zur Mw. V, 1963; J. 
Matter, La fonction psychologique du 1. wagnerien, SMZ 
CI, 1961 ; J. Mainka, Sonatenform, L. u. Charakterbeglei- 
tung, Beitr. zur Mw. V, 1963; H. Petri, Lit. u. Musik. 
Form- u. Strukturparallelen, = Schriften zur Lit. V, GSt- 
tingen (1964). RB 

Leitton (lat. subsemitonium; frz. note sensible; engl. 
leading note) heiBt ein zu einem anderen hinleitender, 
denselben in der Erwartung anregender Ton, der vor- 
zugsweise einen Halbton unter der Tonika liegt, z. B. 



33 



513 



Leittonwechselklang 

h in C dur. Der Schritt vom L. zum Zielton ist im- 
mer eine kleine Sekunde. Der L. kann natiirlich (leiter- 
eigen) oder kunstlich (eingesetzt), steigend oder fallend 
sein. Seine vorwartsgerichtete Tendenz ist melodisch 
durch die geringe Distanz zum folgenden Ton, har- 
monisch durch die Zugehorigkeit zu einem meist do- 
minantischen Klang zu begriinden. - Die Kirchentone 
des Mittelalters kennen, abgesehen vom 5. und 6. Mo- 
dus, den leitereigenen L. als Halbtonschritt von der 7. 
zur 8. Stufe nicht; die uberwiegende SchluBwendung 
von der 2. zur 1. Stufe ergibt nur im 3. und 4. Modus 
einen natiirlichen L. Dagegen tritt seit dem 13. Jh. der 
L. regelmaBig in den SchluBwendungen mehrstim- 
miger Satze au£. Die Regel, daB hierbei 2 Stimmen (im 
allgemeinen Tenor und Discantus) in der Folge groBe 
Sexte - Oktave (oder kleine Terz - Einklang, kleine 
Dezime - Oktave) zu setzen sind, ergibt in den meisten 
Fallen tiber der fallenden groBen Sekunde des Tenors 
einen steigenden L. des Discantus (mit Ausnahme der 
»clausula in mi«, bei der der Tenor einen fallenden lei- 
tereigenen L. ausfuhrt). Wo dieser L. nicht leitereigen 
ist, wird er als ->■ Subsemitonium modi nicht durch 
-*• Akzidentien vorgeschrieben, sondern muB von den 
Ausfiihrenden durch -»■ Alteration (- 2) hergestellt 
werden. Seitdem ist der L. ein grundlegendes Element 
der SchluBbildung geblieben, nicht nur im Verband 
der mehrstimmigen -> Klausel bis ins 16. Jh., sondern 
auch in der Folgezeit in der ->■ Kadenz (- 1) der Dur- 
Moll-Harmonik. Hier ist er als steigender (natiirlicher) 
L. der Halbtonschritt von der 7. zur 8. Stufe (z. B. 
in C dur h-c), harmonisch entweder Terz der Do- 
minante oder Quinte der Dominantparallele (->■ L.- 
Wechselklang). Als fallender (natiirlicher) L. ist er in 
Moll der Halbtonschritt von der 6. zur 5. Stufe (z. B. 
in A moll f-e), harmonisch entweder Terz der Subdo- 
minante, Quinte des Neapolitanischen Sextakkordes 
oder kleine None des Dominantseptnonakkordes. Der 
fallende (natiirliche) L. kann in Dur auch als Halbton- 
schritt von der 4. zur 3. Stufe in Erscheinung treten 
(z. B. f-e). In diesem Falle ist er entweder die Septime ei- 
nesDominantseptakkordes, oder, bei einem phrygischen 
SchluB, der Halbton iiber dem SchluBton. Jedes jj oder 
\>, welches einen leiterfremden Ton bringt, fiihrt einen 
Ton ein, der als L. wirkt und einen Halbtonschritt nach 
oben (jt) oder unten (\>) erwarten laBt. So wirkt z. B. 
fis als L. zu g, b als L. zu a. Die Einfuhrung leiterfrem- 
der Tone als kiinstliche Leittone ermdglicht eine Ver- 
bindung zwischen alien Klangen; jeder Klang kann 
durch Einsetzen von Leittonen (-» Alterierte Akkorde) 
zielenden, d. h. im erweiterten Sinne dominantischen 
Charakter bekommen und einen neuen Klang fordern. 
Indem die kunstlichen Leittone die Dur-Moll-Harmo- 
nik erweiterten, fiihrten sie zu deren Auflosung. 
Lit.: H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. 
neueren Musik, Lpz. 1927; L. H. Skrbensky, L. u. Altera- 
tion ind. abendlandischen Musik, Diss. Prag 1928, maschr.; 
J. Clough, The Leading Tone in Direct Chromaticism: 
From Renaissance to Baroque, Journal of Music Theory I, 
1957. 

Leittonwechselklang nennt H. Riemann den Klang, 
der in Dur durch Einsetzen des auf wartsf iihrenden Leit- 
tons zum Tonikagrundton (z. B. h-[c]-e-g; in Drei- 
klangslage: e-g-h) und in Moll durch Einsetzen des ab- 
wartsfiihrenden Leittons zur Tonikaquinte (z. B. 
a-c-[e]-f ; in Dreiklangslage : f-a-c) entsteht. Entspre- 
chend wird der L. zur Subdominante und zur Domi- 
nante gebildet. Die Dreiklange der 3. Stufe in Dur und 
der 6. Stufe in Moll stimmen je mit dem L. der Dur- 
bzw. der Molltonika iiberein; ihre Bedeutung als L. er- 
halten sie erst durch den musikalischenZusammenhang. 
Innerhalb der Kadenz gilt der L. als Stellvertreter der 



Tonika; in Moll ist er der eigentliche TrugschluBakkord. 
Riemann kennzeichnet den L. mit < fur den aufsteigen- 
den und > f iir den absteigenden Leitton (Dur : ■? ; Moll : 
:?). Der L. zahlt zu den ->■ Nebendreiklangen ; er wird 
auch als Gegenklang (Maler) oder Gegenparallele (Dist- 
ler) bezeichnet. Zu unterscheiden ist der L. vom -»■ Pa- 
rallelklang. 

Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. 9 1921 ; W. 
Maler, Beitr. zur Harmonielehre, 3 H., Lpz. 1931, neu- 
bearb. mit G. Bialas u. J. Driessler als: Beitr. zur durmoll- 
tonalen Harmonielehre, Miinchen u. Lpz. 3 1950, Miinchen 
u. Duisburg 4 1957; H. Distler, Funktionelle Harmonie- 
lehre, Kassel 1940; E. Seidel, Die Harmonielehre H. Rie- 
manns, in: Beitr. zur Musiktheorie d. 19. Jh., hrsg. v. M. 
Vogel, = Studien zur Mg. d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966. 

Lektionston -> Lesungen. 

Leningrad (bis 1914 St. Petersburg, 1914-24 Petro- 
grad). 

Lit. : E. Albrecht, AbriB d. Gesamttatigkeit d. Petersbur- 
ger Philharmonischen Ges., St. Petersburg 1884; M. Iwa- 
now, Perwoje desjatiletije postojannowo italjanskowo tea- 
tra w Petersburge w XIX. weku, lete 1 843-53 (»Das 1 . Jahr- 
zehnt d. standigen ital. Theaters in St. Petersburg im 19. Jh., 
1843-53«), ebenda 1893-94; ders., Proschloje italjanskogo 
teatra w Petersburge w XIX. weku w wtoroje desjatiletije, 
1853-63 (»Chronik d. ital. Theaters in St. Petersburg im 2. 
Jahrzehnt d. Theaters . . .«), ebenda 1893-94; N. Findei- 
sen, Gesch. d. St. Petersburger Sektion d. Kaiserlich Russ. 
Musikges. 1859-1909, ebenda 1909; P. N. Stolpjanskij, 
Stary Petersburg: musyka i musizirowanije (»Das alte Pe- 
tersburg: Musik u. Musizieren«), L. 1925; Wl. I. Bunimo- 
witsch (Pseudonym: Musalewskij), Starschejschi russki 
chor (»Der alteste russ. Chor: zur 225-Jahresfeier d. L.er 
akad. Kapelle«), L. 1938; Leningradski gossudarstwenny 
ordena Lenina akademitscheski teatr opery (»Das L.er 
staatl. akad. S. M. Kirow-Opern- u. Ballett-Theater«), 
hrsg. v. A. M. Brodskij, L. 1940; R.-A. Mooser, Operas, 
intermezzos, ballets, cantates, oratorios joues en Russie 
durant le XVIII e s., Genf 1945, 31964; ders., Annales de la 
musique et des musiciens en Russie au XVIII e s., 3 Bde, 
Genf 1948-51 ; Leningradskije kompository, hrsg. v. M. A. 
Gluch, Moskau 1950. 

lentement (latm'a, frz.), langsam; haufig Uberschrift 
des pathetischen Einleitungsteils in der franzosischen 
Ouvertiire des 17./18. Jh. -> Grave. 

Lento (ital., langsam, locker; frz. lent, lentement) ist 
als Tempovorschrift seit dem friihen 17. Jh. nachweis- 
bar (M. Praetorius, Polyhymnia caduceatrix, 1619), wird 
aber selten verwendet. Die Abgrenzung zu Largo und 
Adagio ist unsicher; doch scheint im 18. Jh., als sich 
die Norm durchsetzte, daB ein Largo langsamer als ein 
Adagio sei, mit L. ein Vortrag gemeint zu sein, der so 
langsam, wenn auch nicht so gewichtig wie der eines 
Largo ist. Nach J.-J. Rousseau (1767) ist Lent das fran- 
zbsische Analogon zu Largo; Haydns Vorschrift Adagio 
non 1. (Hob. Ill Nr 4) setzt voraus, daB ein L. langsamer 
als ein Adagio ist. L. assai (Beethoven, op. 135) bedeu- 
tet sehr langsam. 

Lesson (l'esn, engl. ; frz. lecon, Aufgabe, Lehrstiick), in 
England im 17.-18. Jh. eine Bezeichnung fur Instru- 
mentalstiicke (hauptsachlich fur Tasteninstrumente), 
die zum Unterricht im Instrumentalspiel herangezogen 
und oft auch fur diesen Zweck - z. B. mit besonderen 
technischen Schwierigkeiten - komponiert wurden. So 
wurden auch D. Scarlattis 30 Essercizi per gravkembah 
in der englischen Ausgabe von Th. Roseingrave (1738) 
als L.s bezeichnet. Daneben wurden Suitensatze, auch 
andere Stiicke oft L.s genannt, wie in Roseingraves 8 
Suits of l.s for the harpsicord or spinnet (um 1725). 

Lesungen (lat. lectiones) sind neben Gesang und Ge- 
bet Grundformen liturgischer Feier. In der Messe bil- 
den sie die Sinnmitte des Wortgottesdienstes (-> Epi- 



514 



Lexika 



stel, -*■ Evangelium). Im nichteucharistischen Gottes- 
dienst waren sie urspriinglich - zumindest im Gemein- 
deoffizium - das wichtigste Element, heute sind sie oft 
nur noch rudimentar vorhanden. Die wichtigste Quel- 
le der liturgischen L. ist die Bibel, daneben - im Stun- 
dengebet - Texte der Kirchenvater. Die Constitutio de 
sacra Liturgia (1963) ordnet einen mehrjahrigen Zyklus 
von Schriftlesungen an (Artikel 51) und gestattet den 
Gebrauch der Volkssprache (Artikel 36 und 54). - Das 
Bemiihen, den Vortrag der L. feierlich auszugestalten, 
fiihrte zur Entstehung eigener Lektionstone, d. h. rezi- 
tativischer Formeln, deren Ganz- und Teilschliisse durch 
Interpunktionszeichen angezeigt werden. ->■ Toni com- 
munes. 

Lit.: P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me- 
Iodien III, Lpz. 1921 , Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; G. Kunze, Die L., in: Leiturgia II, Kassel 1955; J. 
A. Jungmann SJ, Wortgottesdienst, Regensburg 1965. 

Lettland. 

Ausg. u. Lit.: J. Zalitis, Lettish Music, in: M. Edelberg, 
Latvija, Kopenhagen 1934; U. Katzenellenbogen, Anth. 
of Lithuanian and Latvian Folksongs, Chicago 1935; O. 
Loorits, Volkslieder d. Liven, = Verhandlungen d. Ge- 
lehrten Estnischen Ges. XXVIII, Reval 1936; J. Karklin, 
Deutsche Volksliedmotive im Liederschatz d. Letten u. 
Litauer, Diss. Heidelberg 1955, maschr.; L. Apkalns, Die 
lettische Volksmusik, Anthropos LIV, 1 959. 

Lexika geben in alphabetisch geordneten Artikeln 
Auskunft iiber musikalische Sachbegriffe (Gruppe A: 
Sach-L.) oder iiber Leben und Werke von Musikern 
und Musikgelehrten (Gruppe B: Biographische L.) 
oder iiber beide Gebiete (Gruppe C: Universale Mu- 
sik-L.). Einige L. beschranken sich auf Teilgebiete 
(Spezial-L.). - In der Antike setzt die gelehrte Lexiko- 
graphie - urspriinglich Glossarien zur Erklarung unge- 
wohnlicher Ausdriicke - im 3. Jh. v. Chr. (Alexan- 
drinerzeit) als Zweig der Grammatik ein. Die meisten 
mittelalterlichen Wortsammlungen (Vocabularia, Dic- 
tionaria, Alphabeta u. a.) fuBen auf den Etymologiae 
von -»• Isidorus von Sevilla (f 636), die enzyklopadisch 
das iiberlieferte Wissen der Spatantike und seine Ter- 
minologie, verbunden mit dem christlichen Gedan- 
kengut, nach Sachgruppen geordnet zusammenfassen. 
Ein Exzerpt aus Isidorus' Abschnitt De musica stellt das 
anonyme Vocabulariutn musicum aus dem 11. Jh. dar 
(NA von A. de Lafage 1864). Eine fiir den Schulun- 
terricht bestimmte Wortsammlung von Johannes de 
Garlandia ist der nach 1218 entstandene Dictionarius. 
Die Wortumschreibungen dieser mittelalterlichen 
Glossarien stehen an sachlicher und terminologischer 
Aussagekraft hinter den in den gleichzeitigen Musik- 
traktaten gegebenen Begriff serklarungen meist zuriick. 
Eines der ersten durch den Buchdruck verbreiteten 
Universal-L., der Vocabularius return von Wenzeslaus 
Brack (Augsburg 1478, bis 1509 etwa 12 Auflagen), 
ist noch stark von Isidorus abhangig. Er umschreibt 
etwa 80 lateinische musikalische Ausdriicke, zum Teil 
auf deutsch, z. B. Armonia j einhellig lieplich gesang. 
Ahnlich angelegt ist das Novum dktionarii genus von 
Erasmus Alberus (Frankfurt am Main 1540). Einzelne 
terminologische Auf schliisse geben die lateinisch-natio- 
nalsprachlichen Worterbiicher des 15. Jh. 
Geistiger Vorf ahr der neuzeitlichen musikalischen Sach- 
L. ist das Terminorum musicae diffinitorium von Johannes 
Tinctoris (gedruckt ohne Angabe von Druckort und 
-jahr; nach CS IV: zwischen 1471 und 1476 in Treviso, 
nach Van den Borren: um 1473/74, nach Alessi: um 
1495). Er erklart auBer den 22 Tonbenennungen (A LA 
MI RE usw.) und den 21 moglichen Hexachordmuta- 
tionen rund 250 musikalische Termini in prazisen De- 
finitionen (z. B. : Armonia est amoenitas quaedam ex con- 



venient! sono causata) und bietet erstmals in lexikalischer 
Anordnung sachliche und terminologische Auskiinfte 
(z. B. iiber Cantor, Compositor, Musicus, Res facta, 
Clausula), die eine selbstandige Erganzung zu den mu- 
siktheoretischen Schriften der Zeit bilden. In seiner 
Art blieb das Diffinitorium bis ins 18. Jh. eine isoliert 
dastehende Leistung. - Die Vokabularien und enzyklo- 
padischen Nachschlagewerke des 16. Jh., die auch mu- 
sikalische Termini enthalten, sind von Coover (1958) 
zusammengestellt; musikalische Fachwbrterbucher aus 
dem 16. Jh. sind nicht bekannt. - Das Aufkommen 
neuer italienischer Fachausdriicke rief im 17. Jh. die 
Gattung der alphabetisch geordneten Appendices her- 
vor, die nach dem Vorbild von M. Praetorius' Syntag- 
ma musicum III (1619) bis ins 18. Jh. vielen Schulbiichern 
der Musica practica beigegeben wurden (vgl. Bibliogr., 
Gruppe E). Aufgabenstellung und Wert dieser Appen- 
dices ahneln denen der mittelalterlichen Glossarien. 
Auch das fiir den »Anfahenden« bestimmte Kapitel 
XII: Von der Erklarung etlicher musicalischer Kunstwbrter, 
in Fr.E.Niedts Handleitung zur Variation II (Hamburg 
1706, 21721 bearbeitet von J. Mattheson) und die 270 
musikalischen termini nach dem Alphabet, die J. G.Wal- 
ther in den I. Teil seiner Praecepta der musicalischen Com- 
position (1708) einfiigte, gehorten ihrer urspriinglichen 
Bestimmung nach in den Bereich der musikalischen 
Elementarlehre, doch sind beide Arbeiten Vorstufen 
fiir Walthers Lexikon von 1732. - Eine Vereinigung 
der bis dahin streng geschiedenen Gattungen des alpha- 
betisch geordneten Diffinitoriums und des fortlaufen- 
den Musiktraktats, somit eine Zwischenstation zur mo- 
dernen Lexikographie, liegt vor in dem lateinischen 
Clavis ad Thesaurum magnae artis musicae des Prager 
Magisters und Organisten Th.B.Janowka (Prag 1701). 
Demgegeniiber erwuchs das Dictionaire de musique von 
S. de Brossard (Paris 1703) aus einer Erweiterung des 
kleinen musikalischen Glossars, das er seiner Solo- 
motettensammlung Elev ations (1695) vorangestellt hat- 
te. Bezeichnend fiir die moderne Grundhaltung seines 
Lexikons ist die Aufmerksamkeit, mit der er die neuen 
Affekt- und Tempobezeichnungen eingearbeitet hat. 
Der unausgefiihrte Plan eines bio-bibliographischen 
Lexikons (fiir das Brossards bibliophile Sammlertatig- 
keit Anregung und Grundlage ergab) fand seinen Nie- 
derschlag in dem 3. Appendix des Dictionaire mit ei- 
nem Katalog von iiber 900 Autoren. Die Fortfiihrung 
dieser letzteren Arbeit war fiir J. G. Walther der An- 
satzpunkt zu seinem 1732 erschienenen Musicalischen 
Lexicon (Vorabdruck des Buchstabens A 1728). DasEr- 
gebnis seiner umfassenden Bemuhungen machte Wal- 
ther zum Begriinder der musikbiographischen Lexi- 
kographie, die bis zu E.L. Gerbers biographischem 
Lexikon 1790/92 Bereicherung nur durch die Ehren- 
Pforte (1740) von J. Mattheson erfuhr. Auch in vielen 
Sachartikeln kniipft Walther an das Dictionaire von 
Brossard an, doch erweiterte er dessen Material erheb- 
lich. Sein Lexikon ist eine Synthese der traditionellen 
Gattungen: Etymologien, Glossar (Appendix), Diffi- 
nitorium und Traktat. Doch gemaB der noch in den 
Artes liberales und der Ars musica wurzelnden Grund- 
konzeption und entsprechend der umfangreichen ex- 
zerpierten Literatur zeigt Walthers Lexikon einen aus- 
gesprochen retrospektiven Zug. Seine Bedeutung liegt 
beschlossen in der (deutschsprachigen) lexikalischen 
Zusammenfassung des musikalischen Sachwissens der 
Barockzeit, das mit dem biographisch-bibliographi- 
schen Bericht verbunden ist. 

Schon in dem mit T. S. gezeichneten Beitrag zu einem 
musicalischen Worterbuch (1765) wurde von einem unbe- 
kannten Autor auf die nahe Verwandtschaft der maleri- 
schen Kunstworter mit denen musikalischen hingewiesen. 



33* 



515 



Lexika 



Die Ubertragung von Maximen der »Schonen Kun- 
ste« auf die Einzelkiinste und ihre Sachbegriffe ist 
dann einer der Hauptgedanken der AUgemeinen Theo- 
rie der Schonen Kiinste (Leipzig 1771-74) von J. G. Sulzer 
(angeregt von M. Lacombes Dictionaire portatif des 
beaux arts, Paris 1753), deren musikalische Artikel 
unter Mitarbeit von J.Ph.Kirnberger und J. A. P. 
Schulz entstanden. Kennzeichen fur die in Deutsch- 
land von Sulzer angeregte Richtung sind: 1) die Uber- 
setzung fremdsprachlicher Fachausdriicke in die Natio- 
nalsprachen, 2) das Schwinden des etymologischen 
Interesses (die verbliebenen fremdsprachlichen Termi- 
ni werden zu Chiffren fur Sachbegriffe), 3) die allge- 
meine Neuorientierung der musikalischen Termino- 
logie an dem asthetischen Regulativ der Schonen Kiin- 
ste. - Bezeichnend fur den neuen soziologischen Be- 
reich der musikalischen Lexikographie nach Walther 
sind die fiir den »Liebhaber« zugeschnittenen Worter- 
biicher, voran die schon 1737 von den Gebriidern Stb- 
Bel in Chemnitz fiir die Liebhaber musicalischer Wissen- 
schaften herausgegebene gekiirzte Bearbeitung von 
Walthers Lexikon sowie das fiir Anf anger in der Musik 
bestimmte Kurzgefafite musikalische Lexikon von G. Fr. 
Wolf (1787). In England entsprechen diesem Zweig 
das Lexikon von J.Hoyle (1771) und das kleine Sach- 
wbrterbuch von J.W.Calcott (1792), in Frankreich 
das Dictionaire von J.J. O. de Meude-Monpas (1787), 
die auf den vorher in beiden Landern entstandenen 
Fachworterbtichern fuBen: 1740 erschien in London, 
wohl als erstes englisches Musiklexikon, A Musical 
Dictionary of Terms vonJ.Grassineau, eine selbstandige 
Bearbeitung von Brossards Dictionaire, und 1768 in Pa- 
ris das urspriinglich fiir die franzosische Enzyklopadie 
entworfene Dictionaire de musique von J.-J. Rousseau. - 
Einen Hohepunkt unter den musikalischen Sach-L. 
bedeutete H.Chr.Kochs Musikalisches Lexikon von 
1802. Ohne die Verbindung zur Vergangenheit zu 16- 
sen, bietet es - speziell im AnschluB an Kochs Kompo- 
sitionslehre (1782-93) und namentlich in Artikeln wie 
Periodenbau, Satz, Absatz, Einschnitt - ein hochquali- 
fiziertes Begriffssystem zumal der vor- und friihklassi- 
schen Musik- und Satzlehre - in einigen Stiicken ein 
wichtiger Ankniipfungspunkt fiir H.Riemann. Eine 
gleichrangige Leistung ist das Tonkiinstler-Lexikon von 
E.L. Gerber (in 2 Banden, 1790-92; 4 Erganzungsban- 
de 1812-14), das den biographischen Teil vonWalthers 
Lexikon erganzen und f ortf iihren sollte. Die Biographie 
universelle des musiciens et bibliographic ginerale de la mu- 
sique (in 8 Banden 1835-44) des Belgiers Fr.J.Fetis ist 
gekennzeichnet durch das Bestreben, tiber die lexikali- 
sche Notiz hinaus zu einer historischen Gesamtschau 
vorzudringen. Die lexikographischen Schwachen die- 
ses Werkes, die aus der bewundernswerten Alleinautor- 
schaf t (zum Teil auch aus den ungeniigenden Kommu- 
nikationsmitteln seiner Zeit) herriihren, schmalern mit- 
unter seine Zuverlassigkeit, nicht jedoch seine Bedeu- 
tung. Ein bibliographisches Auskunf tsmittel (-*■ Biblio- 
graphic) mit dem neuartigen Ziel, speziell iiber musika- 
lische Quellen zu informieren, erstand in R.Eitners 
Biographisch-bibliographischem Quellenlexikon (10 Bande, 
1900-04, mitErganzungen). 

Das wachsende literarische Bedurfnis der Musiklieb- 
haber machte das Musiklexikon im 19. und 20. Jh. zu 
einem Hauptartikel des musikalischen Buchermarktes. 
Coover (1958) verzeichnet fiir die Zeit seit 1800 mehr 
als 400 Titel (darunter 130 Sach-L.), mit Neuaufla- 
gen und Ubersetzungen sogar fast 1200. Der durch 
die einsetzende historische Forschung angeschwolle- 
ne Stoff fiihrte einerseits zur vielbandigen Musiken- 
zyklopadie (Schilling, Mendel/ReiBmann, Grove, Hub- 
bard, Lavignac/de La Laurencie u. a.), andererseits zu 



Spezial-L., unter denen hervorzuheben sind die L. 
iiber Instrumente von Sachs, iiber (katholische) Kir- 
chenmusik von d'Ortigue und von WeiBenback, iiber 
Opem von Clement/Larousse. Fuhrend unter den Mu- 
sik-L., die Personen und Sachen umfassen, wurde das 
Musik-Lexikon von H.Riemann (seit 1882), das in sich 
verbindet die Bestimmung auch fiir den praktischen 
Musiker und den gebildeten Laien mit hochqualifizier- 
ter wissenschaf tlicher Information, die der umf assenden 
musikgeschichtlichen Arbeit und eigenstandigen Kon- 
zeption Riemanns entsprang. Die groBe Zahl der Neu- 
auflagen und Ubersetzungen bestatigte Riemanns 
Konzeption des wissenschaftlichen Handlexikons. - 
Bedeutende Leistungen der modernen musikalischen 
Lexikographie sind: das seit 1949 unter Mitarbeit in- 
und auslandischer Musikforscher von Fr. Blume her- 
ausgegebene enzyklopadische Werk Die Musik in Ge- 
schichte und Gegenwart; die Neubearbeitungen von 
Grove's Dictionary durch H. C. Colles (3. und 4. Aufla- 
ge in 5 Banden) und Eric Blom (5. Auflage 1954 in 9 
Banden, Erganzungsband 1961) ; das Harvard Dictionary 
of Music (seit 1944) von W.Apel und im spanischen 
Bereich das Diccionario de la musica Labor von H. Angles 
und J.Pena (1954). In Deutschland gewann Bedeutung 
als praktisches Nachschlagewerk H.J.Mosers Musik- 
Lexikon (seit 1933/35). Das Liebhaberlexikon erhielt in 
letzter Zeit neue Impulse durch Publikationen in en- 
zyklopadischen Taschenbuchreihen, z. B. von R.Illing 
(Penguin-Books) und von R. Stephan (mit C.Dahl- 
haus, Fischer-Biicherei). - Als ein Speziallexikon wur- 
de ein Handworterbuch der musikalischen -»■ Termi- 
nologie von W. Gurlitt seit 1950 geplant, dessen Durch- 
fiihrung im Rahmen der Musikgeschichtlichen Kom- 
mission der Akademie der Wissenschaften und der Li- 
teratur (Sitz Mainz) seit 1965 in den Handen von H. H. 
Eggebrechtliegt.EinUntemehmenzurErforschung'der 
lateinischen musikalischen Fachsprache des Mittelalters 
ist das auf Anregung von W. Bulst (Heidelberg) und 
Thr. G. Georgiades (Munchen) 1960 gegriindete Lexi- 
con Musicum Latinum der Musikhistorischen Kommis- 
sion der Bayerischen Akademie der "Wissenschaften, das 
das Musikschrifttum von der Spatantike bis ins 12. Jh. 
mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung auf- 
nimmt und auswertet (-> Dokumentation). Eines der 
grbBten lexikalischen Unternehmen iiberhaupt ist 
RISM, das von der Internationalen Gesellschaft fiir 
Musikwissenschaft und der Internationalen Vereini- 
gung der Musikbibhotheken herausgegebene Internatio- 
nale Quellenlexikon der Musik (erste Publikationen seit 
1960), das sich zur Aufgabe gemacht hat, samtliche 
musikalischen Quellen systematisch zu erfassen. 
Bibliogr. (chronologisch, bis 1800 vollstandig) : 
Gruppe A: Sach-L. (Glossare, Vokabularien u. terminolo- 
gische Appendices siehe Gruppe E) : J. Tinctoris, Termi- 
norum musicae diffinitorium, o. O., o. J., gedruckt in Tre- 
viso um 1471/76 (nach CS IV) oder um 1473/74 (nach Van 
den Borren) oder um 1495 (nach Alessi), Ms. Briissel mit 
Textvarianten, NA (nach d. Druck) v. J. N. Forkel, Allge- 
meine Litteratur d. Musik, Lpz. 1792, danach bei P. Lich- 
tenthal, Dizionario . . . Ill, Mailand 1826, auch im Anh. d. 
engl. Ausg. v. Hamilton's Celebrated Dictionary, NA mit 
deutscher Obers. u. Anm. v. H. Bellermann in: Jb. f. mus. 
Wiss. 1, 1863, NA (nach d. Ms. Briissel) v. E. de Coussema- 
ker, in: J. Tinctoris, Tractatus de musica, Lille 1875, u. in: 
CS IV, NA (nach Druck u. Ms.) mit frz. Obers. v. A. Ma- 
chabey, Paris 1951 ; Th. B. Janowka, Clavis ad Thesau- 
rum magnae artis musicae . . ., Prag 1701; S. de Bros- 
sard, Diction(n)aire de musique . . ., Paris 1703 (vgl. aber 
CooverNrl45),21705, 3 171 8, NachdruckmitZusatzen Am- 
sterdam (Roger) o. J., 2 o. J., ebenda (Mortier) o. J., Nach- 
druck d. Ausg. v. 1703, ebenda 1964; J. Grassineau, A 
Mus. Dictionary of Terms (nach Brossard), London 1740, 
hrsg. v. J. Robson mit Anh. aus Rousseaus Dictionnaire 



516 



Lexika 



21769, bearb. v. J. C. Heck, hrsg. v. T. Williams 3 1784; »T. 
S.«, Beitr. zu einem mus. Worterbuch, in : Berlinisches Ma- 
gazin I, 1765, Nachdruck in: J. A. Hiller, Wochentliche 
Nachrichten . . . II— III, Lpz. 1767-69; J.- J. Rousseau, 
Dictionnaire de musique, Genf 1767(7), Paris 1768, 1775, 
1791, 1801 u. 1825, Amsterdam 1768, 1769 u. 1772, Genf 
1781, audi in: GA London 1776 u. Zweibrucken 1782, 
engl. Obers. v. W. Waring, London 1770, 21779, d. I. Bd 
f. d. Encyclopedic methodique par ordre des matieres 
hrsg. v. P. L. Ginguenfi mit N. E. Framery, Paris 1791, 
d. II. Bd bearb. v. J. J. de Momigny, Paris 1818; J. Hoy- 
le, Dictionarium musica [sic!] ... (nach Grassineau), 
London 1771, 21790; J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie 
d. Schonen Kunste in einzeln, nach alphabetischer Ord- 
nung d. Kunstworter auf einander folgenden Artikeln ab- 
gehandelt, 2 Bde, Lpz. 1771-74, Nachdruck v. Heilmann, 
Biel 1777, Lpz. 21778-79 (2. verbesserte Auflage, mit kai- 
serlichem Privileg v. 13. April 1772), in 4 Bden als neue 
vermehrte Auflage mit bibliogr. Anm. hrsg. v. Fr. v. Blan- 
kenburg 3 1 786-87, als neue vermehrte 2. Auflage mit neuen 
Anm. 4 1 792-94, samtliche Zusatze auch separat als: Fr. 
v. Blankenburg, Litterarische Zusatze zu J. G. Sulzers 
allgemeiner Theorie d. schonen Kunste . . . , 3 Bde, Lpz. 
1796-98, ein literarisches Jb. ohne mus. Beitr. sind d. 
»Nachtrage« v. J. G. Dyk u. G. Schatz, Charaktere d. vor- 
nehmsten Dichter aller Nationen .... 8 Bde, Lpz. 1 792- 
1808; J. N. Forkel, Genauere Bestimmung einiger mus. 
Begriffe. Eine Einladungsschrift (enthalt d. Artikel: Mu- 
sik, Musikus, Direktion einer Musik, Concert), Gottingen 
1780, Nachdruck in: C. Fr. Cramer, Magazin f. Musik, I. 
Jg., Hbg 1 783, S. 1039-1072; J. G. L. Wilke, Mus. Handwor- 
terbuch, Weimar 1786; J. J. O. de Meude-Monpas, Dic- 
tionnaire de musique, Paris 1 787 ; J. W. Calcott, Explana- 
tion of the Notes, Marks, Words etc. Used in Music, Lon- 
don 1792; ders., Ms. eines (ungedruckten) Lexikons, 2 
Bde, 1798, London (Brit. Mus. Add. 27649-50); Kurzge- 
faBtes Handworterbuch iiber d. Schonen Kunste, Von ei- 
ner Ges. v. Gelehrten, 4 Bde, Lpz. 1795 (mus. Artikel v. Fr. 
A. Baumbach); J. Verschuere-Reynvaan, Muzykaal 
konst-woordenboek, I. Bd (A-M), Amsterdam 1 795 ; J. H. 
Knecht, Kleines alphabetisches Worterbuch d. vornehm- 
sten u. interessantesten Artikel aus d. mus. Theorie, Ulm 
1795; C. Envallson, Svensk mus. lexikon, Stockholm 
1802; H. Chr. Koch, Mus. Lexikon, 2 Bde, Ffm. 1802, 
Offenburg o. J., Heidelberg 1817, gekiirzte Bearb. als Kurz- 
gefaBtes Handworterbuch . . ., Lpz. 1807, Ulm 2 1828, eine 
2. durchaus umgearbeitete u. vermehrte Auflage (Verkur- 
zung d. Artikel, Vermehrung ihrer Zahl) unter d. Titel : A. 
v. Dommer, Mus. Lexicon auf Grundlage d. Lexicon's v. 
H. Chr. Koch, Heidelberg 1865 (in Lieferungen seit 1864); 
Fr.-H.-J. Castil-Blaze, Dictionnaire de musique mo- 
derne, 2 Bde, Paris 1821, 21825, verkurzter Nachdruck 
hrsg. v. J. H. Mees, Brussel 1 828 ; J. E. Hauser, Mus. Lexi- 
kon, MeiBen 1828.21833; C. Gollmick, Kritische Termi- 
nologie, Ffm. 1833, 21839; J. A. Hamilton, Dictionary of 
Mus. Terms, London 1839, als: A Dictionary of two thou- 
sand . . . terms .... NY 1842, als: Hamilton's Celebrated 
Dictionary . . . , hrsg. v. J. Bishop (im Anh. Tinctoris' Dif- 
finitorium), London 1 849, weitere Auflagen bis etwa 1 894 ; 
L. u. M. Escudier, Dictionnaire de musique d'apres les 
theoriciens, 2 Bde, Paris 1 844, 21 854, 5 1 872 ; P. Frank ( = C. 
W. Merseburger) vgl. Gruppe C; A. Barberi, Dizionario 
enciclopedico universale dei termini tecnici della musica 
antica e moderna . . ., 3 Bde, Mailand 1870-74; J. Stainer 
u. W. A. Barrett, A Dictionary of Mus. Terms, Boston u. 
NY 1876, London u. NY 51898; Fr. Niecks, A Concise 
Dictionary of Mus. Terms, London 1 884, 2 1 884 [sic !], 5 1 900; 
F. Pedrell, Diccionario tecnico de la musica, Barcelona 
1894; Th. Baker, A Dictionary of Mus. Terms, NY 1895, 
251939; J. Pulver, A Dictionary of Mus. Terms, London 
1913; H. J. Moser, Mus. Worterbuch, =Teubners kleine 
Fachworterbiicher XII, Lpz. u. Bin 1923; M. Brenet, Dic- 
tionnaire pratique et hist, de la musique, posthum hrsg. u. 
erganzt v. A. GastouS, Paris 1926, 2 1930, span. v. A. Bar- 
bera u. a. als : Diccionario de la musica hist, y tecnico, Bar- 
celona 1946; K. Gerstberger, Kleines Hdb. d. Musik, 
Kassel 1932, 31933, erweitert -11937, 5 1949; W. Apel, Har- 
vard Dictionary of Music, Cambridge (Mass.) 1 944, 7 1 9 5 1 , 
81953; R. Stephan (mit C. Dahlhaus), Musik, = Das Fi- 
scher Lexikon V, Ffm. 1957ff. ; E. Thiel, Sachworterbuch 
d. Musik, = Kroners Taschenausg. 210, Stuttgart 1962. 



Gruppe B: Biogr. L. (Auswahl-L., zeitlich oder nach Ge- 
bieten, siehe Gruppe D) : J. Mattheson, Grundlage einer 
Ehren-Pforte ..., Hbg 1740, NA v. M. Schneider, Bin 
1910; J. A. Hiller, Lebensbeschreibungen beruhmter Mu- 
sikgelehrter u. Tonkiinstler, Lpz. 1784; E. L.Gerber, Hist.- 
biogr. Lexikon d. Tonkunstler, 2 Bde, Lpz. 1 790-92, Nach- 
trage v. J. Fr. Reichardt in: Mus. Wochenblatt (1 792) u. in: 
Mus. Monatshefte (1793), v. E. Fl. Fr. Chladni in: H. Chr. 
Koch, Journal d. Tonkunst, H. 2 (1795), S. 191ff., v. Fr. 
S. Kandlerin: Ober Lebenu. Werked.G. P. da Palestrina, 
Lpz. 1834 (Anhang); ders., Neues hist.-biogr. Lexikon d. 
Tonkunstler, 4 Bde, Lpz. 1812-14, frz. Bearb. v. A. E. 
Choron u. Fr. J. M. Fayolle als: Dictionnaire hist, des 
musiciens, 2 Bde, Paris 1 8 1 0- 1 1 , 2 1 8 1 7, engl. London 1 824, 
21827; G. Bertini, Dizionario storico-critico degli scrit- 
tori di musica, 4 Bde, Palermo 1 8 1 4-1 5 ; Fr.-J. Fetis, Biogr. 
universelle des musiciens et bibliogr. generate de la musique, 
8 Bde, Brussel, Mainz u. Paris 1835^14, Mainz 2 1861, Paris 
21860-65, 31866-68, 2 Nachtragsbde v. A. Pougin, Paris 
1878-81, auch Paris Bd I 21883, II- VIII 21878, 2 Suppl.- 
Bde 21881, Nachdruck d. 2. u. letzten Auflage in 10 Bden, 
Brussel 1963, ital. v. E. Favilli als: 11 piccolo Fetis, Piacenza 
1925; P. Frank (=C. W. Merseburger) vgl. Gruppe C; 
C. Schmidl, Dizionario universale dei musicisti, Mailand 
1890, 21926-29, NA mit 3. (Suppl.-)Bd 1937-38; R. Eit- 
ner, Biogr.-bibliogr. Quellen-Lexikon, 10 Bde, Lpz. 1900- 
04, NA (mit alien Nachtragen) NY 1947, Graz 1959, Nach- 
trage: I. Beilage zu MfM XXXVI, 1904, H. 1 nach S. 16, 
II. Beilage im Anh. v. Bd X, III. Beilage zu MfM XXXVI, 

1904, H. 11, nach S. 194, IV. Beilage zu MfM XXXVII, 

1905, H. 1 nach S. 16 (S. 17-59 doppelt!), Miscellanea Mu- 
sicae Bio-bibliographica, hrsg. v. H. Springer, M. Schnei- 
der u. W. Wolff heim, Lpz. 1 91 3-1 6 (3 Jg., je 4 H.), R. Jauer- 
nig in : Mf VI, 1953 ; Th. Baker, Biogr. Dictionary of Mu- 
sicians, NY 1900, London 1901, NY 2 1905 (mit Suppl.), 
bearb. v. A. Remy 31919, hrsg. v. G. Reese "1940, bearb. v. 
N. Slonimsky '1958, <>1965; J. RicartMatas, Diccionario 
biogr. de la musica, Barcelona 1956; Musikkens Hvem 
Hvad Hvor, Biografier, 2 Bde, hrsg. v. L. E. Bramsen jr., 
Kopenhagen 1961. 

Gruppe C: Universal-L. : J. G. Walther, Musicalisches 
Lexicon . . ., Lpz. 1732, Faks. hrsg. v. R. Schaal, = DM1 1, 
3, 1953, verkurzter Nachdruck als: KurtzgefaBtes Musi- 
calisches Lexicon, hrsg. v. J. Chr u. J. Stossel, Chemnitz 
1737, 21749; G. Fr. Wolf, KurzgefaBtes mus. Lexikon 
(nach Walther u. Sulzer), Halle 1787, vermehrt 21792, ver- 
mehrt nach Koch 31806, Nachdruck d. 1. Auflage Wien 
1800,danisch Kopenhagen 1813; anon., Universal Dictio- 
nary of Music (Th. Busby u. K. Fr. Abel?), London 1786, 
nur wenige Lieferungen erschienen ; Th. Busby, A Comple- 
te Dictionary of Music, London 1801, bearb. v. J. A. Ha- 
milton 21810, 51823; P. Gianelli, Dizionario della musica 
sacra e profana, 3 Bde, Venedig 1801, in 7 Bden 21820, 
31830; P. Lichtenthal, Dizionario e bibliogr. della musi- 
ca, 4 Bde, Mailand 1826, frz. v. D. Mondo, Paris 1839; G. 
Schilling, Encyclopadie d. gesammten mus. Wiss., oder 
Universal-Lexicon d. Tonkunst, 6 Bde, Stuttgart 1835-38, 
NA mit Suppl.-Bd 1840-42, verkurzt in einem Bd hrsg. v. 
F. S. Gassner, Stuttgart 1849; J. F. G. Schuberth, Mus. 
Handbuchlein . . ., Hbg (31848), Lpz. ("1850), bearb. y. R. 
Musiol als: J. Schubert's mus. Conversations-Lexicon 
('"1877), bearb. v. E. Breslaur mit Suppl. v. B. Vogel 
(H1894), engl. Obers. nach d. 4. Auflage, Lpz. o. J. (vgl. 
Coover Nr 1031); J. W. Moore, Complete Encyclopedia 
of Music, Boston 1852, 31880; J. Schladebach (verlieB d. 
Unternehmen bereits 1855), Fr. Liszt, H. Marschner, C. G. 
Reissiger u. L. Spohr, Neues Universal-Lexikon d. Ton- 
kunst, Dresden, Bin, Wien 1855, ab Bd II hrsg. v. E. Berns- 
dorf, III Offenbach 1861, Suppl. 1865; P. Frank (= C. W. 
Merseburger), Taschenbuchlein d. Musikers, 2 Bde (I Sa- 
chen, II Kleines Tonkunstlerlexikon), Lpz. 1858-60, seit 
1926 bearb. v. W. Altmann, 1 31 1943, II Regensburgitl936, 
I nld. Obers. Groningen 1877, 2 1909; C. J. Melcior, Dic- 
cionario enciclopedico de la musica, Lerida 1859; J. L. 
Homer, Musik-Lexicon, Stockholm 1864, Suppl. 1867; J. 
Parada y Barretto, Diccionario tecnico, hist, y biogr. de 
la musica, Madrid 1868 ; A. Barberi u. G. B. Beretta (mit 
C. Malossi), Dizionario artistico-scientifico-tecnologico 
mus., 3 Bde, Mailand 1869-72; H. Mendel, Mus. Con- 
versations-Lexikon, 1 1 Bde (ab Bd VII hrsg. v. A. ReiB- 
mann), Bin u. NY 1870-79, 21880-82, Suppl. Bin 1883 ; O. 



517 



Lexika 



Paul, Handlexikon d. Tonkunst, 2 Bde, Lpz. 1870-73, 
2 1873 ; G. Grove, A Dictionary of Music and Musicians, 
4 Bde, London u. NY 1878-79, 1890 u. 6., Suppl. 1889 u. 
21904-10 in 5 Bden bearb. v. J. A. Fuller-Maitland, 31927 
u. "1940 (mit Suppl.-Bd) bearb. v. H. C. Colles, 51954 in 9 

Bden bearb. v. E. Blom, Suppl. 1961, American Suppl 

hrsg. v. W. S. Pratt, N Y 1 920, 2 1 928 ; H . A. Viotta, Lexicon 
d. toonkunst, 3 Bde, Amsterdam 1881-85; H. Riemann, 
Musik-Lexikon, Lpz. 1882, 21884 (beide Auflagen in d. Rei- 
he Meyer's Fachl.), 31887, "1894, =1900, <>1905, '1909, Bin 
81916, hrsg. v. A. Einstein '1919, n>1922, in 2 Bden bearb. 
v. A. Einstein 1 l 1 929, i*» 1939 hrsg. v. J. Muller-Blattau (nur 
3 Lieferungen erschienen, A-Bra), 121959-67 (3 Bde) hrsg. 
v. W. Gurlitt (Personenteil) u. H. H. Eggebrecht (Sachteil), 
engl. v. J. D. Shedlock, London 1 893-97, London u. Philadel- 
phia 1899, London 21 902, 3 1905, "1908, frz. v. G. Humbert, 
Paris 1 895-1 902, 21913, bearb. v. A. Schaeffner 31931, russ. 
Obers. u. Bearb. als: Musykalny slowar, ilbers. v. B. Jur- 
genson, hrsg. v. Y. D. Engel, Moskau 1901-04, danisch v. 
H. V. Schytte, als: Nordisk Musik-Lexikon, Kopenhagen 
1888-92, Suppl. 1906; J. D. Champlin u. W. F. Apthorn, 
Cyclopedia of Music and Musicians, 3 Bde, NY 1888-90; 
T. Norund, Allmant musiklexikon, 2 Bde, Stockholm 
1912-16, 21927-28; H. Panum u. W. Behrend, Ulustreret 
Musiklexikon, Kopenhagen 1924-26, 21929, 31940; W. S. 
Pratt, The New Encyclopedia of Music and Musicians, 
NY 1924, 21929; A. Della Corte u. G. M. Gatti, Dizio- 
nario di musica, Turin 1926, "1952, 71963; H. Abert (mit 
Fr. Blume, R. Gerber, H. Hoffmann u. Th. Schwartzkopff), 
Illustriertes Musik-Lexikon, Stuttgart 1927; A. A. Tor- 
rellas u. J. Pahissa, Diccionario de la musica ilustrado, 
2 Bde, Barcelona 1927-29, Neubearb. v. A. A. Torrellas 
als: Diccionario enciclopedico de la musica, 3 Bde, 1947-52; 
B Szabolsci u. A. v. Toth, Zenei lexikon, 2 Bde, Buda- 
pest 1930-31 ; H. J. Moser, Musik-Lexikon, Bin 1933-35, 
21943, Hbg 31951, Suppl. 1953, "1955 (2 Bde), Suppl. 1958, 
NA mit Suppl.-Bd 1963 ; P. A. Scholes, The Oxford Com- 
panion to Music, London u. NY 1938, 81954, 91955; O. 
Thompson, The International Cyclopedia of Music and 
Musicians, NY 1939, seit "1946 hrsg. v. N. Slonimsky, 
'1956, London u. NY «1964; E. Bucken, Worterbuch d. 
Musik, = Slg Dieterich XX, Lpz. 1941, bearb. v. Fr. Stege, 
Wiesbaden 21953; R. Tschierpe, Kleines Musiklexikon, 
Hbg 1946, 31949, "1951 ; E. Blom, Everyman's Dictionary 
of Music, London 1947, 21954 ; Die Musik in Gesch. u. Ge- 
genwart. Allgemeine Enzyklopadie d. Musik, hrsg. v. Fr. 
Blume, Kassel 1949ff. ; R. Illing, A Dictionary of Music, 
= Penguin Reference Books, London 1950, 21951, 31953; 
H. Angles u. J. Pena, Diccionario de la musica Labor, 2 
Bde, Barcelona 1954; H. Eppstein, Tonkonsten, 2 Bde, 
Stockholm 1955-57; N. Dufourcq, Larousse de la mu- 
sique, 2 Bde, Paris 1957 ; Fr. Michel, Fr. Lesure u. Vl. Fe- 
dorov, Encyclopedie de la musique, 3 Bde, Paris 1958-61 ; 
Cl.Sartori, Enciclopedia della musica, 4 Bde, Mailand 
1 963-64 ; La Musica, hrsg. v. G. M. Gatti u. A. Basso, Teil 
I (Enciclopedia stor.), 4 Bde, Teil II (Dizionario), 2 Bde, Tu- 
rin 1 966; H. Seeger, Musiklexikon, 2 Bde, Lpz. 1966. 
Gruppe D: Spezial-L. : L. Allacci, Drammaturgia ..., 
divisa in sette indici (Opern), Rom 1666, dass., . . . accre- 
sciuta e continuata fino all' 1755, Venedig 1755; M. H. 
Schacht, Musicus Danicus eller Danske Sangmester, Ms. 
Kopenhagen (KoniglicheBibl.) v. 1687, hrsg. v. G. Skjerne, 
Kopenhagen 1928 (im 1. Bd des 4bandigen Werks eine v. 
Gerber benutzte Liste danischer Musiker); G. Meusel, 
Teutsches Kiinstlerlexikon . . ., 2 Bde, Lemgo 1778-89; 
F. J. Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, Munchen 
1811 ; H. M. Berton, Traite complet sur 1'harmonie . . . 
par ordre d'un dictionnaire, Paris 1815; J. B. Dlabacz, 
Allgemeines hist. Kiinstler-Lexikon f. Bohmen u. zum 
Theil auch f. Mahren u. Schlesien, 3 Bde, Prag 1 8 1 5-1 8 ; C. 
Gardeton, Bibliogr. mus. de France et de Petranger, Paris 
1822; L.-Fr. Beffara: d. in vielen Bibliogr. zitierten viel- 
bandigen Lexikon-Mss. sind 1871 beim Brand d. Pariser 
Rathauses zerstort worden; G. Schilling, Das mus. Eu- 
ropa, Speyer 1842; K. Kossmaly, Schlesisches Tonkilnst- 
ler-Lexikon, 4 Bde, Breslau 1 846-47 ; J. L. d'Ortigue, Dic- 
tionnaire de plain-chant etde musique d'eglise, Petit-Mont- 
rouge 1853, als: Dictionnaire liturgique, hist, et theorique 
de plain-chant et de musique religieuse, Paris 1854, 21860; 
W. Sowinski, Les musiciens polonais et slaves, anciens et 
modernes, Paris 1857, polnisch u. erweitert als: Stownik 



muzykow polskich, dawnych i nowoczesnych . . . , Paris 1 874; 
C.v.LEDEBUR,Tonkiinstler-Lexikon Berlin's ..., Bin 1861, 
NA Tutzing 1965 ; E. G. J. Gregoir, Galerie biogr. des ar- 
tistes musiciens beiges du XVIIP et du XIX e s., Briissel 
1862, vermehrt als: Les artistes .... 1885, Suppl. 1887 u. 
1890; F. Clement u. P. Larousse, Dictionnaire lyrique, ou 
hist, des operas, Paris 1867 (mit 1. Suppl., 2.-4. Suppl. 
1873-80), 21882, 31897, "1905 (Suppl. bearb. v. A. Pougin); 
U. Kornmuller, Lexikon d. kirchlichen Tonkunst, Brixen 
1 870, erweitert in 2 Bden, Regensburg 1 89 1-95; J. S. Mayr, 
Biogr. di scrittori e artisti mus. bergamaschi nativi ed ori- 
undi . . ., hrsg. v. A. Alessandri, Bergamo 1875; A. F. W. 
Fischer, Kirchenlieder-Lexikon, 2 Bde (u. Suppl.), Gotha 
1878-86; H. Riemann, Opern-Hdb., Lpz. 1881-87, Suppl. 
I u. II 1887 u. 1893; P. de Wit, Internationales Hand- u. 
Adressbuch f . d. gesamte Musikinstrumentenbranche, Lpz. 
1883, ab 1890: Weltadressbuch d. gesamten Musikinstru- 
mentenindustrie, zuletzt in 2 Bden, I 1929/30, II 1926/27; 
S. Kummerle, Encyclopadie d. ev. Kirchenmusik, 4 Bde, 
Giitersloh 1888-95 (in Lieferungen ab 1883); A. S. Fa- 
mintzin, (Russ. Musiklexikon), unvollendetes Ms., Lenin- 
grad (Offentliche Bibl.) ; J. Julian, A Dictionary of Hym- 
nology, London 1891, 21907, 31925; F. Pedrell, Diccio- 
nario biogr. y bibliogr. de musicos y escritores de musica 
espafioles, Portugueses e hispano-americanos . . . , Barcelo- 
na 1894-97 (nur A-Ga); D. Baptie, Mus. Scotland, Past 
and Present, Being a Dictionary of Scottish Musicians, 
Paisley 1894; ders., Sketches of the Engl. Glee Composers 
(1735-1866), London 1895; G. Desrat, Dictionnaire de la 
danse, Paris 1 895 ; F. M. Padelford, Old Engl. Mus. Terms, 
= Bonner Beitr. zur Anglistik IV, Bonn 1899; E. Vieira, 
Diccionario biogr. de musicos portuguezes, 2 Bde, Lissabon 
1900; C. Dassori, Opere e operisti . . . (3628 autori, opere 
15406), Genua 1903; J. R. de Lihori, La musica en Valen- 
cia. Diccionario biogr. y critico, Valencia 1903; W. L. v. 
Lutgendorff, Gesch. d. Geigen- u. Lautenmacher .... 
Ffm. 1904,21913(2Bde),su.6i922 (Lexikon im 2. Bd); R. 
Eitner, Buch-u. Musikalien-Handler . . ., Beilagezu MfM 
XXXVI, 1904 -XXXVII, 1905,sowieNachtragslieferung; 
W. Neumann, Lexikon baltischer Tonkiinstler, Riga 1909; 
J. Poueigh, Musiciens frc. d'aujourd'hui, Paris 1910, 2 1921 ; 
J. H. Letzer, Muzikaal Nederland 1850 bis 1910, Utrecht 
1911, 21913; C. Sachs, Real-Lexikon d. Musikinstr., Bin 
1913, Nachdruck Hildesheim 1962 u. (= Olms Paperback 
HI) 1964; A. de Angelis, LTtalia mus. d'oggi. Dizionario 
dei musicisti, Rom 1918, 21922 (erweitert), 31928 (mit 
Suppl.); J. Pulver, A Dictionary of Old Engl. Music and 
Mus. Instr., London 1923; ders., A Biogr. Dictionary of 
Old Engl. Music, London 1927; H. Poidras, Dictionnaire 
des luthiers . . ., 2 Bde, Rouen 1924-29, 21932, engl. als: 
Critical and Documentary Dictionary of Violin Makers, 
Reading 1928 ; A. Eaglefield-Hull, A Dictionary of Mo- 
dern Music and Musicians, London 1924, deutsch v. A. 
Einstein als : Das neue Musiklexikpn, Bin 1926 ; H. u. O. O. 
Olsen, Svenska kyrkomusici, biografisk uppslagsbok, 
Stockholm 1928, 21936 (vermehrt); E. Refardt, Hist.- 
biogr. Musikerlexikon d. Schweiz, Lpz. u. Zurich 1928; 
ders., 2. Bd (Musikerlexikon) in: W. Schuh, Schweizer 
Musikbuch, Zurich 1939^10; M. H. Schacht (ed. G. Skjer- 
ne 1928), s. o. (1687); E. H. Muller (= E. H. Miiller v. 
Asow), Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929, neu- 
bearb. als: Kiirschners Deutscher Musiker-Kalender, Bin 
1954 ; W. W. Cobbett, Cyclopedic Survey of Chamber Mu- 
sic, 2 Bde, London 1929-30; R. Vannes, Essai d'un diction- 
naire universel des luthiers, Paris 1932, in 2 Bden Briissel 
21951-58; C. Elis, Orgelworterbuch, Kassel 1933, 21938, 
3 1949; R. D. Darrel, The Gramophone Shop Encyclo- 
pedia of Recorded Music, NY 1936, 31948; A. Weissen- 
bach Sacra musica. Lexikon d. kath. Kirchenmusik, Klo- 
sterneuburg 1937; G. CernuSak u. Vl. Helfert, Pazdir- 
kdv hudebni slovnlk naucny (»Universalhdb. d. tschechi- 
schen Musiklit.«), 2 Bde, Brunn 1937 (unvollendet) ; N. 
Slonimsky, Music Since 1900 (enthalt: Concise Biogr. 
Dictionary of Twentieth-Cent. Musicians u. Erganzungen 
zu d. L. v. Riemann, Eaglefield-Hull u. Moser), NY 1937, 
21938, 31949 (erweitert); A. Vodarsky-Shiraeff, Russian 
Composers and Musicians, NY 1940; Bio-Bibliogr. Index 
of Musicians in the United States Since Colonial Times, 
hrsg. v. H. B. Dillard, Washington (D. C.) 1941, 21956; 
O. Thompson, Great Modern Composers, NY 1941; A. 
Loewenberg, Annals of Opera 1597-1940, Cambridge u. 



518 



Libretto 



NY 1943, in 2 Bden hrsg. v. Fr. Walker, Genf 21955; Suo- 
men saveltajia (90 finnische Komponisten), Helsingfors 
1945; R. Vannes u. A. Souris, Dictionnaire des musiciens 
beiges, Briissel 1947; H. Barlow u. S. Morgenstern, A 
Dictionary of Mus. Themes, NY 1948, London 1949, NA 
London 1963; dies., A Dictionary of Vocal Themes, NY 
1950, London 1956, NA London 1963; G. Saleski, Fa- 
mous Musicians of Jewish Origin, NY 1949; A. Chybinski, 
Slownik muzykow dawnej Polski do roku 1800 (»Lexikon 
d. Musiker im alten Polen bis 1800«), in: Kwartalnik Mu- 
zyczny, N. F. VI, 1948 - VII, 1949, separat Krakau 1949; 
F. F. Clough u. G. J. Cuming, The World's Encyclopedia 
of Recorded Music, London 1953 (mit 1. Suppl. bis 1951), 
3. Suppl. 1957; C. Hopkinson, A Dictionary of Parisian 
Music Publishers 1700-1950, London 1954; Ch. Humph- 
ries u. W. C. Smith, Music Publishing in the British Isles 
from the Earliest Time to the Middle of the 1 9 th Cent., Lon- 
don 1954; Fr. J. Ewens, Lexikon d. Chorwesens, Mon- 
chengladbach 1954, erweitert 2 1960; Fr. J. Hirt, Meister- 
werke d. Klavierbaus. Gesch. d. Saitenkl. v. 1440 bis 1880 
(im V. Teil: Biogr. Notizen), Olten 1955; D. H. Boalch, 
Makers of the Harpsichord and Clavichord 1440 to 1840, 
London 1956; B. Schaffer, Almanach polskich kompozy- 
torow wspolczesnych oraz rzut oka na ich tworczosc (» Al- 
manach d. zeitgenossischen polnischen Komponisten . . .«), 
Krakau 1956; Leksykon kompozytorow XX wieku, hrsg. 
v. dems. u. a., 2 Bde, Krakau 1963-65; St. Longstreet u. 
A. M. Dauer, Knaurs Jazzlexikon, Munchen u. Zurich 
1957; Sowjetskie kompository, hrsg. v. G. Bernandt u. A. 
Dolschanskij, Moskau 1957; A. J. Balcar, Knaurs Bal- 
lettlexikon, Munchen u. Zurich 1958; K. Fr. Prieberg, 
Lexikon d. Neuen Musik, Freiburg i. Br. u. Munchen 1958 ; 
Cl. Sartori, Dizionario degli editori mus. ital., = Bibl. di 
bibliogr. ital. XXXII, Florenz 1958; Komponisten u. Mu- 
sikwissenschaf tier d. DD R, Bin 1 959 ; Internationales Quel- 
lenlexikon d. Musik (RISM), Munchen, Duisburg u. Kas- 
sel 1960ff.; H. H. Carter, A Dictionary of Middle Engl. 
Mus. Terms, = Indiana Univ. Humanities Series XLV, 
Bloomington (1961); Cesko slovensky hudebni slovnik, 
hrsg. v. Gr. CernuSak, B. Stedron u. Zd. Novacek, 2 
Bde, Prag 1963-65; H. Bennwitz, Interpretenlexikon d. 
Instrumentalmusik, = Slg Dalp XCIII, Bern u. Munchen 
1964; J. T. BtAszczYK, Dyrygenci polscy i obey w Polsce 
dzialajacy w XIX i XX wieku (»Polnische u. auslandische 
Dirigenten, die im 19. u. 20. Jh. in Polen wirkten«), Kra- 
kau (1964); Slownik muzykow polskich (»Lexikon d. pol- 
nischen Musiker«), hrsg. v. J. Chominski, Bd I, Krakau 
(1964); S. Marcuse, Mus. Instr., A Comprehensive Dic- 
tionary, Garden City (N. Y.) 1964; Compozitori si muzi- 
cologi romani, hrsg. v. V. Cosma, Bukarest 1965. 
Gruppe E: Glossare, Vokabularien u. terminologische 
Appendices (d. hier nicht angegebenen Titel sind unter d. 
Namen d. Verfassers im Personenteil zu finden): anon., 
Vocabularium musicum (11. Jh.), hrsg. v. A. de Lafage, 
Essais de diphterographie mus., Paris 1864, Bd I, Nr 57, 
Nachdruck Amsterdam 1964; J. de Garlandia, Dictio- 
narius (nach 1218), hrsg. v. A. Scheler, Lexicographie lat. 
du XII e et du XIII e s., Jb. f. romanische u. engl. Lit. VI, 
1865, separat Lpz. 1867, weitere Ed. vgl. E. Habel; E. Al- 
berus, Novum Dictionarii genus, Ffm. 1540; M. Praeto- 
rius 1619; N. Gengenbach 1626; Chr. Demantius (1602), 
81632; A. Profe 1641 ; J. A. Herbst 1642; J. M. Corvinus 
1646; N. Zerleder 1658; G. Falck 1688; J. C. Lange 
1688; J. G. Ahle 1690; J. S. Beyer 1703; J. Fr. E. Niedt 
1 706 ; J. G. Walther, Praecepta . . . , 1 708 ; anon., A short 
explication of such foreign words as are made use of in 
musick books, London 1 724 ; P. Prelleur 1 73 1 ; J. F. B. C. 
Majer 1732; M. Spiess 1746; W. Tans'ur, A New Mus. 
Grammar, London 1746, . . . and Dictionary 3 1756, 7 1829; 
L. Mozart 1756; J. L. Albrecht 1761 ; J. A. Hiller 1774 
u. 1792; Du Cange 1778; H. Gram (mit S. Holyoke u. O. 
Holden), The Massachusets Compiler of Theoretical and 
Practical Elements of Sacred Vocal Music, Together with 
a Mus. Dictionary, Boston 1795; Fetis 1830; G. Schil- 
ling, Mus. Konversationslexikon, 2 Bde, Augsburg 1 840, 
21844; J. Fr. G. Schuberth, vgl. Coover Nr 1035^7, 1025, 
1048-50 u. 1024; G. Schad, Musik u. Musikausdriicke in 
d. mittelengl. Lit., Diss. Gieflen 1910 (mit Verz. v. 248 
Wortern); R. Vannes, Essai de terminologie mus., Die-; 
tionnaire ... en huit langues, Paris 1925; F. Limenta, Di- 
zionario lessicografico mus. ital.-tedesco-ital Mai- 



land 1940; J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. 
Lullys, = Miinchner Veroff. zur Mw. VII, Tutzing 1961 
(Ann. : frz. mus. Termini d. 17. Jh.). 
Lit.: J.-Ph. Rameau, Erreurs sur la musique dans l'Ency- 
clopedie, Paris 1755; ders., Suite d'Erreurs . . . , Paris 1 756 ; 
J. N. Forkel, Allgemeine Litteratur d. Musik, Lpz. 1792, 
S. 204ff. ; K. F. Becker, Systematisch-chronologische Dar- 
stellung d. Musiklit., Lpz. 1836, Nachdruck Amsterdam 
1 964; A. ScHELER.Trois traites de lexicographie lat. du XII e 
et du XIII e s., Jb. f. Romanische u. Engl. Lit. VI, 1856, se- 
parat Lpz. 1867; K. J. Gross, Sulzers Allgemeine Theorie 
d. Schonen Kunste, Diss. Bin 1905; J. Leo, Zur Entste- 
hungsgesch. d. Allgemeinen Theorie d. Schonen Kunste 
J. G. Sulzers, Diss. Bin 1906; E. Habel, J. de Garlandia, 
ein Schulmann d. 13. Jh., Mitt. d. Ges. f. deutsche Erzie- 
hungs- u. Schulgesch. XVIII, 1908; C. Tolkiehn, Artikel 
»Lexikographie« in: Pauly-Wissowa RE; G. Alessi, II ti- 
pografo flamingo Gerardo de Lisa . . ., Treviso 1925 (zu 
Tinctoris); E. Magni-Dufflocq, Dizionarii di musica, 
Bollettino bibliogr. mus. VIII (1933) ; L. Uhl, Alberus u. d. 
Musik, = GieBener Beitr. zur deutschen Philologie XLVII, 
GieSen 1937; R. Schaal, Die Musik-L., in: Jb. d. Musik- 
welt 1949/50; J. B. Coover, Bibliogr. of Music Dictionaries, 
Denver (Colo.) 1952, als: Music Lexicography 2 1958; H. 
Becker, J. Matthesons hs. Einzeichnungen im »Musicali- 
schen Lexicon« J. G. Walthers, Mf V, 1952; H. H. Egge- 
brecht, Aus d. Werkstatt d. Terminologischen Handwor- 
terbuches, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Studien zur mus. 
Terminologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. 
geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; ders., Wal- 
thers mus. Lexikon in seinen terminologischen Partien, 
AMI XXIX, 1957; ders., Ein Musiklexikon v. Chr. De- 
mantius, Mf X, 1957; ders., Artikel L. d. Musik, in: MGG 
VIII, 1960; W. Gurlitt, Ein begriffsgesch. Worterbuch d. 
Musik, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; H. Albrecht, »Der neue 
Grove« u. d. gegenwartige Lage d. Musiklexikographie, 
Mf VIII, 1955; O. Wessely, Ein Musiklexikon v. Fr. Le 
Cocq, in : H. Albrecht in memoriam, Kassel 1 962. 

Liber usualis (lat.), ein von den Solesmer Monchen 
fur den praktischen gottesdienstlichen Gebrauch ein- 
gerichtetes Choralbuch, dessen Inhalt eine Verbindung 
von Teilen des ->■ Graduales (- 2) und des -> Anti- 
phonales sowie von Gebets- und Lesungstexten der 
Sonntage und wichtigeren Feiertage darstellt. Fur we- 
nige hohe Festtage ist auch die (sonst nur in Teilausga- 
ben fur Weihnachten, Kartage und Totenof fizium vor- 
liegende) Liturgie der Matutin aufgenommen. Der L. 
u. zahlt nicht zu den of fiziellen -> Liturgischen Biichern 
der romischen Kirche. 

Libretto (ital., kleines Buch, Diminutiv zu libro, 
Buch; entsprechend frz. livret zu livre) ist seit dem aus- 
gehenden 18. Jh. das in kleinem Format oder als Heft 
publizierte Textbuch zu musikalischen Buhnenwerken 
(Opern, Operetten, Singspielen), Oratorien, Kantaten, 
Serenate, im iibertragenen Sinn deren Text selbst, 
auch das Szenarium von Balletten und Pantomimen. - 
Das Begriffswort L. bezeichnet nicht eine literarische 
Gattung, sondern verweist auf die Bestimmung bzw. 
Verwendung eines Textes. Das schlieBt nicht aus, daB 
das L. im Hinblick auf seine Zugehorigkeit zu einer lite- 
rarischen Gattung und deren literarhistorischen Kri- 
terien angesprochen werden kann (z. B. als pastorales 
Drama, Tragodie, Komodie oder als Ode). Es ist je- 
doch unbillig, Libretti nach rein literarischen MaBsta- 
ben zu beurteilen. Ihre Qualitat erweist sich erst im 
kompositorischen ProzeB, durch welchen der Text 
zu der vom Librettisten und Komponisten (meist in 
engem gegenseitigem Kontakt) beabsichtigten Bestim- 
mung gelangt ; da ist es am besten wenn ein guter kompo- 
nist der das Theater versteht, und selbst etwas anzugeben 
im stande ist, und ein gescheidter Poet, ats ein wahrer Pho- 
nix, zusammen kommen (Mozart an seinen Vater, 13. 10. 
1781). So verlangt die Nummernoper als Typus u. a. 
abgeschlossene, oft strophisch gegliederte, den Hand- 



519 



Libretto 



lungsablauf unterbrechende Textpartien fiir solistischen 
Gesang, und der Librettist muB hierfiir dramaturgisch- 
poetologische Moglichkeiten ausfindig machen (z. B. 
den Reflexionsmonolog oder den lyrischen Monolog 
zur Bekundung der Gefuhle eines Helden), oft au£ Ko- 
sten des dramatisch-dialogischen Prinzips. 
Einer der ersten Opernlibrettisten, O. -> Rinuccini, 
Mitglied der -»■ Camerata, verwendete im AnschluB 
an das Hirtendrama Tassos und Guarinis (-»■ Pastorale) 
antik-mythologische Stoffe. Als hofische Darbietung 
hatten sie in einem harmonischen Ausklang (lieto fine) 
zu enden, ein Grundsatz, der bis zum Ende des 18. 
Jh. befolgt wurde. Rinuccinis Texte (La Dafne, 1598; 
L'Euridice, 1600; L'Arianna und II Narciso, 1608) zei- 
gen Deklamation in 7- und HSilblern, geschlossene 
Formen nur in Ansatzen (z. B. Chore in 8Silblern); 
Akt- und Szeneneinteilung sowie Biihnenanweisun- 
gen fehlen. Mit der Kommerzialisierung des Opern- 
theaters in Venedig (1637) wurden die Sujets publi- 
kumswirksamer. Seit -*■ Busenellos L'incoronazione 
di Poppea (1642) wurden auch historische Stoffe mit 
straffer Handlungsfiihrung gestaltet und gleichzei- 
tig komische Dienerfiguren (parti buffe) in das Sze- 
narium eingebaut. Das L. der romischen Oper zwi- 
schen etwa 1620 und 1660 zeigt neben Stoffen aus 
Mythologie, antiker Geschichte und Renaissanceepen 
2 L.-Typen, an deren Entwicklung der Kardinal -*■ Ro- 
spigliosi beteiligt war : der erste Typ behandelt religiose 
Themen (// Sant'Alessio, 1634; die Handlung bewegt 
sich um eine legendar-geschichtliche Hauptperson, die 
Nebenpersonen sind Typen aus dem romischen Leben 
jener Zeit) oder allegorische Stoffe in der Tradition der 
Rappresentazione di anima et di corpo (La vita umana, 
1656; vielleicht von Rospigliosis Neffen Jacopo, mit 
Personifikationen der Tugend, der Unschuld, der Ver- 
nunft, des Vergniigens usw.). Der zweite Typ legte 
den Grund zur komischen Oper (Chi soffre speri, 1639; 
Dal male il bene, 1653). - Unter demEindruck von Auf- 
fiihrungen italienischer Opern in Paris schrieb -> Per- 
rin die ersten franzosischen Libretti mit iiberwiegend 
pastoralem Charakter (La Pastorale und Ariane ou le ma- 
nage de Bacchus, 1659; Pomone, 1671). Das Vorbild der 
klassischen franzosischen Tragedie wurde bestimmend 
fiir das L. der von Ph. -> Quinault und J.-B.Lully be- 
griindeten -> Tragedie lyrique, der deklamierend-rezi- 
tierenden 5aktigen Oper mit Prolog. - Wahrend dieser 
L.-Typ auch im 18. Jh. fiir die franzosische Oper maB- 
gebend blieb, zerfiel das italienische L. im Laufe des 17. 
Jh. in eine mehr oder minder lose Abfolge von Arien. 
Nach dem Vorbild des franzosischen klassischen Thea- 
ters versuchte zunachst -*■ Zeno, vor allem aber -*■ Me- 
tastasio, dem L. wieder Geschlossenheit zu geben. Me- 
tastasios Dramen, dreiaktige schematische Intrigen- 
stiicke auf Sujets aus der antiken Geschichte, sollten 
durch die Darstellung tugendhafter und groBmiitiger 
Helden, die sich in schwierigen Situationen bewah- 
ren muBten, eine moralische Wirkung ausiiben. Cha- 
rakteristisch ist das periodische Abwechseln von Dia- 
log zur Fortf iihrung der Handlung (Rezitativ) und ei- 
nem eine Szene abschliefienden Ruhepunkt in meist 
kurzen Versen (Arie). Diesen L.-Typ, der die Opera 
seria des 18. Jh. beherrschte, iiberwanden -> Calzabigi 
und Gluck. BeeinfluBt von der franzosischen Oper, 
betonten sie den Vorrang menschlichen Empfindens 
und einer einfachen, psychologisch begriindeten 
Handlung; als Sujets bevorzugten sie mythologische 
Stoffe (Orfeo ed Euridice, 1762; Alceste, 1767; Paride ed 
Elena, i780). Ihre Grundsatze blieben fiir die italieni- 
sche Oper ohne Nachwirkung, beeinfluBten aber in 
Frankreich durch Glucks franzosische Umarbeitungen 
seiner Calzabigi-Opern (Orphee et Euridice, 1 774 ; Alceste, 



1776) und durch seine Spatwerke (Iphigenie en Aulide, 
1774; Iphigenie en Tauride, 1779) die nachfolgende Ge- 
neration. - Die komische Komponente, aus dem L. der 
Opera seria seit Zeno und Metastasio ausgeschieden 
und auch von Calzabigi und der Tragedie lyrique 
gemieden, verselbstandigte sich in Intermezzi (-»■ In- 
termedium) und in den anfanglich in neapolitanischem 
Dialekt gehaltenen Opere buffe mit einer auf Situations- 
komik (Verkleidungen, Verwechslungen) beruhenden, 
von den Typen der Commedia dell'arte bestimmten 
Handlung. C. -* Goldoni schuf das noch von Da Ponte 
bevorzugte L. des Dramma giocoso in musica, in dem 
den Buffogestalten ernste Rollen (parti serie) gegen- 
iibergestellt werden (// mondo della luna, 1750; Ilfilosofo 
di campagna, 1754) ; spater schrieb er unter dem EinfluB 
der Comedie larmoyante empfindsame Texte (La buona 
figluola, 1760). Die in Frankreich aus dem volkstiimli- 
chen -> Vaudeville und der Comedie melee d'ariettes 
unter dem AnstoB von Auffiihrungen italienischer In- 
termezzi in Paris (->■ Buffonistenstreit) entstandene 
Opera-comique wechselte zwischen gesprochenem 
Dialog und eingeschobenen Musikstucken. Ch. S. 
-*■ Favart und seine Nachfolger -»■ Sedaine und J. Fr. 
-> Marmontel nahmen in das L. Personen niederen 
Standes (Bauern, Burger) auf, die zu den hoheren, oft 
als lasterhaft gezeichneten Personen einen starken Ge- 
gensatz bildeten. Seit den 1760er Jahren verlagerte sich 
der Akzent der Texte auf das Riihrselig-Sentimentale; 
auch marchenhafte und exotische Stoffe fanden immer 
mehr Beachtung. Gegen Ende des 18. Jh. entstand im 
Rahmen der Opera-comique der die Zeitereignisse wi- 
derspiegelnde Typ der Revolutions- und Schreckens- 
oper. Sein Grundthema ist der von politischen Gewal- 
tigenbedrohte.inAngstundUnfreiheitlebendeMensch: 
Szenen zufriedenen, burgerlichen Familiengliicks bil- 
den den Kontrast; zum SchluB stellt gottliche Gerech- 
tigkeit die Ordnung wieder her. Im sogenannten Ret- 
tungsstiick muB der Erretter viele Schwierigkeiten 
uberwinden, um den (meist dem je anderen Geschlecht 
angehorenden) Gefangenen zu befreien. - Die Ab- 
kehr des franzosischen Theaters von der klassizistischen 
Klarheit und RegelmaBigkeit seit etwa 1800 war eine 
dem europaischen Theater gemeinsame Erscheinung. 
Das Buhnengeschehen wurde handlungsreicher, bloB 
sichtbare Vorgange konnten neben das Wort treten. 
Die Zahl der agierenden Personen war nicht mehr be- 
schrankt ; der bisher iiberwiegend das Geschehen kom- 
mentierende oder begleitende Chor konnte in die 
Handlung einbezogen werden. Stoffe tragischen Ge- 
halts (z. B. Shakespeares oder Schillers Dramen, Scotts 
Romane) wurden nunmehr haufig fiir die Librettistik 
herangezogen; in Analogie zum Sprechtheater waren 
nun auch tragische Ausgange moglich. In Frankreich 
schuf -»■ Scribe, der in der Opera-comique sich in tra- 
ditionellen Bahnen bewegte (La dame blanche, 1825 ; Fra 
Diavolo, 1 830) , den formal die Tradition der f iinf aktigen 
ernsten Oper fortsetzenden L.-Typ der groBen Oper. 
Stoffe mit geschichtlichem Hintergrund (La muette de 
Portici, 1828; Robert le diable, 1831 ; Gustave III ou le bal 
masque, 1833; Lajuive, 1835; Les Huguenots, 1836; Le 
prophete, 1849; Les vepres siciliennes, 1855; L'Africaine, 
1 865, posthum) entf al teten sich in auf wendigen Massen- 
szenen von stark SuBerlicherWirkung. Die immer wie- 
derkehrenden Theaterklischees (Trinklied, Liebesduett, 
Racheschwur, groBe Gebetsszene, Triumphzug, Na- 
turereignisse, das unschuldige Madchen, der Bose- 
wicht, Verstrickung in Schuld und Reue des Helden, 
SchluBeff ekte und -enthiillungen) wurden zu unerlaB- 
lichen Bestandteilen der Oper des 19. Jh. 
Die deutsche Librettistik, die in ihren Anf angen bis in die 
Friihzeit der Oper zuriickreicht (Martin Opitz, Dafne, 



520 



Libretto 



1627; Judith, 1637; G.Ph.Harsdorffer, Seelewig, 1644), 
hatte im 17. und 18. Jh. im Schatten der italienischen 
und franzosischen Oper gestanden. Die Werke der 
Hamburger Nationaloper sind zum Teil Ubersetzun- 
gen und Bearbeitungen italienischer Libretti oder 
fremdsprachiger Komodien, doch finden sich auch 
selbstandige Ansatze (Texte nach Stoffen der Bibel 
oder der deutschen Geschichte). Ein spezifisch deut- 
scher L.-Typ setzte sich erst im 18. Jh. mit dem -> Sing- 
spiel durch, in Norddeutschland unter dem EinfluB 
der -> Ballad opera, inWien durch Verarbeitung italie- 
nischer (Opera seria und buff a) und franzosischer (Ope- 
ra-comique) Einfliisse in urwiichsigen Volksstiicken. 
Charakteristisch ist eine ans Riihrselige grenzende 
Handlung mit Zauber- und Posseneinlagen. Auf dem 
Boden dieses Wiener Singspiels entstanden sowohl 
-»■ Schikaneders biihnenwirksames, Maschinenkomo- 
die und Zauberoper, Exotik, Hanswurstiade und Frei- 
maurerideen einbeziehendes Textbuch zur Zauberflote 
als auch - darauf fuBend - die Zauberstiicke Ferdinand 
Raimunds. Die iibrige deutscheLibrettistik in den ersten 
Jahrzehnten des 19. Jh. dagegen war haufig in den Fes- 
seln einer Handlung mit sentimentalen, naturhaften, 
iibernatiirlichen und damonischenElementen befangen 
(z. B. Fr.Kind, Der Freischiitz oder Die Rosen desEremi- 
ten, 1821), haufig verbunden mit einem historischen Mi- 
lieu (-> Chezy , Euryanthe, 1 823 ; W. A. Wohlbriick, Der 
Vampyr, 1828; Der Templer und die Jiidin, 1829). Ne- 
ben diesem romantisch-nationalen L.-Typ gab es das 
Elemente des Singspiels und der Opera-comique ver- 
schmelzende burgerlich-komische (biedermeierliche) 
L. des Dichterkomponisten A. -»■ Lortzing. 
Eine neue Orientierung erlangte die Librettistik seit 
den 1840er Jahren durch vier Personlichkeiten, die zu- 
gleich als Textdichter und als Komponisten hervorge- 
treten sind: Berlioz in Frankreich, R.Wagner in 
Deutschland, Boito in Italien und Mussorgsky in RuB- 
land. Berlioz, der im Vorwort zuLa damnation de Faust 
die Selbstandigkeit eines L.s gegeniiber seiner literari- 
schen Vorlage forderte, iibertrug die Elemente der 
Grand opera auf literarische Stoffe (La damnation de 
Faust, 1846; Les Troyens, 1856-59; Beatrice et Benedict, 
1862). Wagner, ausgehend vom L.-Typ der franzosi- 
schen GroBen Oper (Rienzi) und der deutschen roman- 
tisch-nationalen Oper (Tannhauser, Lohengrin), ent- 
nahm die Stoffe seiner Musikdramen dem germani- 
schen und keltischen Mythos. Es sind episch angelegte 
und zum Teil eigenwillig-altertiimlich versifizierte 
Dichtungen (-> Stabreim im Ring des Nibelungen). 
Boito schloB sich ganz der Tradition seines Landes an, 
doch ordnete er die Opernschablonen dem dramati- 
schen Ablauf unter. Bei der Neubearbeitung von Ver- 
dis Simone Boccanegra (1881) z. B. schuf er im Finale des 
1. Aktes den Angelpunkt des Geschehens: eine drama- 
tisch hochgespannte Staatsszene, aus der (metrisch 
durch 7Silbler abgehoben) ein groBes Ensemble heraus- 
ragt. Im Otello (1887) setzte er wirkungsvolle Szenen an 
exponierte Stellen (Sturm am Anfang, Racheduett 
Ende des 2. Aktes) und vereinfachte die Handlung (Ge- 
gensatz von lyrisch und dramatisch im letzten Akt); 
eigene Erfindungen wie das Liebesduett, das apodikti- 
sche Credo des Iago und das Ave Maria mit seinem 
katholischen Ambiente typisieren die Gestalten im 
Sinn und Geschmack des 19. Jh. Mussorgskijs Boris Go- 
dunow (1874, 2. Fassung) und Chowanschtschina (1886, 
unvollendet) - weniger geschlossene Werke als viel- 
mehr Abfolgen verschiedener Szenen - sind vom rus- 
sischen Volk und seiner Geschichte her konzipiert. 
Hauptakteur ist die Volksmasse, die sich in einzelnen 
Vertretern individualisiert. So stehen in der SchluB- 
szene des Boris ganz verschiedene Schichten unvermit- 



telt nebeneinander: das Volk, die entlaufenen Monche, 
die Jesuiten, die Kinder, der Blodsinnige ; der falsche, 
auf den Schild gehobene Dimitrij ist, wie auch Boris 
selbst, ein aus der Masse hervortretender Exponent, der 
fruher oder spacer untergeht. 

Fur das -> Musiktheater des 20. Jh. schreiben haufig 
namhafte Dichter (z. B. H. v. Hof mannsthal, St. Zweig, 
Ingeborg Bachmann) bzw. viele Komponisten selbst 
(z. B. Prokofjew, Hindemith, Kfenek, Egk, Orff) die 
Texte, die so verschieden auf ein bestimmtes Werk hin 
konzipiert sind, daB nur bedingt von L.-Typen gespro- 
chen werdenkann.Es lassen sichjedochfolgende Aspek- 
te herausstellen : 1 ) Abf assung eines L.s nachliterarischen 
Vorlagen (S. Prokofjew, Ljobow k trem apelsinam [»Die 
Liebe zu den drei Orangen«] nach Carlo Gozzi; L.Jana- 
cek, Z mrtveho domu [»Aus einem Totenhaus«] nach 
Dostojewskij ; St. Zweig, Die schweigsame Frau nach 
Ben Jonson; C.Orff, Der Mond und Die Kluge nach 
Grimmschen Marchen; W.Egk, Peer Gynt nach Hen- 
rik Ibsen, Die Verlobung von San Domingo nach der 
gleichnamigen Novelle von Heinrich v. Kleist; Heinz 
v.Cramer, II Re Cervo nach Gozzi; I. Bachmann, Der 
junge Lord nach einer Hauffschen Parabel) ; 2) die Uber- 
nahme eines unbearbeiteten, hochstens gekiirzten oder 
iibersetzten literarischen Werkes (Debussy, PelUas et 
Milisande von Maurice Maeterlinck; R.Strauss, Salome 
[= Salome] von Oscar Wilde, Elektra von H.v.Hof- 
mannsthal; A. Berg, Wozzeck [= Woyzeck] von Georg 
Biichner; O.Schoeck, Penthesilea von Kleist; C.Orff, 
Antigone und Kdnig Odipus von Sophokles in der deut- 
schen Obersetzung von Holderlin; W.Fortner, Blut- 
hochzeit von Garcia Lorca; B.Britten, Mid Summer 
Night's Dream von Shakespeare; G.Klebe, Die Rduber 
von Schiller und Jacobowsky und der Oberst von Franz 
Werfel) ; 3) Darbietung einzelner dramatischer Szenen 
oder literarischer Texte, zuweilen verbunden durch ei- 
nen Sprecher (Strawinskys Oedipus Rex, Orffs Trionfi) ; 
4) das artistische, auch altere Formen (z. B. Nummern- 
oper) iibernehmende L. (H. v. Hof mannsthal, Ariadne 
auf Naxos; Wystan Hugh Auden und Chester Kail- 
man, The Rake's Progress). 

Eine Schwierigkeit im Opernrepertoire ist die Auf- 
fiihrung fremdsprachiger Werke. Der Idealfall ihrer 
Darbietung in Originalgestalt ist bei bekannten Opern 
nur problematisch, wenn Anspielungen oder andere 
Details vom Publikum nicht mehr verstanden werden, 
bei unbekannten oder neuen Opern aber schwer durch- 
fiihrbar. Andererseits gehen durch Obersetzungen 
wichtige Einzelheiten (Silbenklang, Wortbedeutung, 
Syntax, Metrik usw.) verloren. Auf keinen Fall darf 
die musikalische Struktur angetastet werden, wie dies 
fruher oft bei der Obersetzung vor allem von italieni- 
schen und franzosischen Rezitativen oder bei sprach- 
lich dem Deutschen ferner stehenden Opern wie z. B. 
der »Verkauften Braut« von Smetana der Fall gewesen 
ist. Ein solcher Eingriff steht nur dem Autor selbst zu, 
der dabei seine Werke zum Teil wesentlich verandert, 
wie es z. B. Glucks franzosische Umarbeitung seiner 
italienischen Opern Alceste und Orfeo oder seine deut- 
sche »Iphigenie« nach seiner franzosischen Iphiginie en 
Tauride erweisen. 

Lit.: W. A. Mozart, Briefe, GA III (1780-86), Kassel 
1963 ; P. Lohmann, t)ber d. dramatischeDichtungmit Mu- 
sik, Lpz. 1861, als: Das Ideal d. Oper, 31886; J. Chr. Lobe, 
Lehrbuch d. mus. Composition IV, Lpz. 1 867, neu bearb. 
v. H. Kretzschmar 21887, frz. v. G. Sandr6 2 1897, russ. v. 
N. D. Kaschkin 1898 ; H. Zopff, Grundzuge einer Theorie 
d.Oper, Lpz. 1868; E.Schure, Le drame mus., 2Teile, Pa- 
ris 1875, 51902, 121914, deutsch v. H. v. Wolzogen als: R. 
Wagner u. d. mus. Drama, Hbg 1873, Lpz. M888; E. H. 
de Bricqueville, Le livret d'opera frc. de Lully a Gluck 
1672-1779, Mainr 1887; H. Bulthaupt, Dramaturgic d. 



521 



Licenza 



Oper, 2 Bde, Lpz. 1887, 31925 ; Fr. Lindemann, DieOpern- 
texte Ph. Quinaults, Diss. Lpz. 1904; H. Pfitzner, Zur 
Grundfrage d. Operndichtung, Siiddeutsche Monatshefte 
VIII, 1908; ders., Vom mus. Drama, Miinchen u. Lpz. 
1915; M. Ehrenhaus, Die Operndichtung d. deutschen 
Romantik, = Breslauer Beitr. zur Literaturgesch. XXIX, 
Breslau 1 9 1 1 ; M. Fehr, A. Zeno u. seine Reform d. Opern- 
textes, Diss. Zurich 1912; E. Istel, Das L., Bin u. Lpz. 
1914, 21915, umgearbeitet als: The Art of Writing Opera- 
L., ubers. v. Th. Baker, NY 1922; H. Cohen, Die dramati- 
sche Idee in Mozarts Operntexten, Bin 1915; A. Cceuroy, 
Etudes de musique et de lit. comparees, Paris 1 923 ; R. Ger- 
ber, Der Operntypus J. A. Hasses u. seine textlichen Grund- 
lagen, = Berliner Beitr. zur Mw. II, Lpz. 1 925 ; M. Kunath, 
Die Oper als literarische Form, Diss. Lpz. 1925, maschr.; 
Th. W. Werner, Artikel L. in: Merker-Stammler, Real- 
lexikon d. deutschen Literaturgesch. II, Bin 1926/28; H. 
Prunieres, I libretti dell'opera veneziana nel s. XVII, Rass. 
mus. Ill, 1930; M. Kraussold, Geist u. Stoff d. Opern- 
dichtung, Lpz. 1931; H. Laue, Die Operndichtung Lort- 
zings, = Mnemosyne VIII, Bonn 1932; G. Baruch, Verdi 
u. Schiller. Quellenkundliche Studien zum Librettopro- 
blem, Diss. Prag 1935, maschr.; I. Schreiber, Dichtung u. 
Musik d. deutschen Opernarien, 1680-1700, Wolfenbuttel 
1935; R. Guiet, L'evolution d'un genre: le livret d'op6ra 
enFrancedeGluckalaRevolution(1774-93), = Smith Col- 
lege Studies in Modern Languages XVIII, Northampton 
(Mass.) 1936-37 ; H. Chr. Wolff, Die Venezianische Oper 
in d. 2. Halfte d. 1 7. Jh., = Theater u. Drama VII, Bin 1937 ; 
ders., Die Barockoper in Hbg (1678-1738), I (Textbd), 
Wolfenbuttel 1957; L. Conrad, Mozarts Dramaturgie d. 
Oper, =Das Nationaltheater VIII, Wiirzburg 1943; A. 
Gebhardt, Das Rechtsverhaltnis zwischen Komponist u. 
Librettist, Diss. iur. Lpz. 1947, maschr. ; Fr. Trenner, Die 
Zusammenarbeit v. H. v. Hofmannsthal u.R. Strauss, Diss. 
Miinchen 1949, maschr.; A. Della Corte, La »poesia per 
musica« e il 1. d'opera, Turin 1950; ders., Dramma per 
musica dal Rinuccini alio Zeno, 2 Bde, =1 classici ital. 
LVII, Turin 1958 ; U. Rolandi, II I. per musica attraverso i 
tempi, Rom 1951 ; L. GschQpf, Die Dramen V. Hugo's in 
d. Operndichtung, Diss. Wien 1952, maschr.; E. Haun, 
The Libretti of the Restoration Opera in Engl., Diss. Univ. 
of Pennsylvania 1954, maschr.; A. Scherle, Das deutsche 
Opernl. v. Opitz bis Hofmannsthal, Diss. Miinchen 1954; 
H. Flobert, Lit. frc. et musique, Paris 1957; W. Huber, 
Das Textbuch d. fruhdeutschen Oper, Diss.. Miinchen 1957; 
W. Fortner, F. Lion u. H. v. Cramer, L. d. neuen Oper, 
in: Akzente IV, 1957; E. Dahnk-Baroffio, Zu d. Libretti 
d. Handelzeit, in: Fs. Die Gottinger Handel- Festspiele, 
Gottingen 1958; K. Honolka, Der Musik gehorsame 
Tochter, Stuttgart 1959; I. Bachmann, Entstehung eines 
L., Melos XXVII, 1960; K. Schumann, Die Emanzipation 
d. L., Literarische Tendenzen in d. modernen Oper, in: 
Lebt d. Oper?, = Musik d. Zeit, N. F. Ill, Bonn 1960; U. 
Weisstein, The L. as Lit., Books Abroad, Norman (Okla.) 
1961 ; Fr. Lippmann, Studien zu L., Arienform u. Melodik 
d. ital. opera seria zu Beginn d. 19. Jh., Diss. Kiel 1962, 
maschr. ; H. Wirth, C. Goldoni u. d. deutsche Oper, in : H. 
Albrecht in memoriam, Kassel 1962; R. Muller, Das 
Opernl. im 19. Jh., Winterthur 1966. - Zur Textiibers. ins 
Deutsche: R. Batka, Opernital. u. Operndeutsch, in: Der 
Merker I, 1909; G. Brecher, Operniibers., Bin 1911; H. 
Abert, Vom Opernubersetzen, Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 
1918; S. Anheisser, Fur d. deutschen Mozart, = Die 
Schaubuhne XXVI, Emsdetten i. W. 1938; G. Schune- 
mann, Mozart in deutscher Ubertragung, JbP XLVII, 
1940; H. Striehl, Deutsche Verdi-Ubers., Diss. Heidel- 
berg 1944, maschr.; W. W. Wodnansky, Die deutschen 
Ubers. d. Mozart-Daponte-Opern, Diss. Wien 1949, 
maschr. ; E. M. Kolerus, Moderne Opernbearb. nach Ver- 
di in textlicher u. dramaturgischer Hinsicht, Diss. Wien 
1954, maschr.; K. H. Oehl, Beitr. zur Gesch. d. deutschen 
Mozart-Ubers., Diss. Mainz 1954, maschr. - Kat., Verz., 
Hdb. usw. — ► Oper. 

Licenza (litf'Entsa, ital., Erlaubnis, Beurlaubung ; lat. 
licentia; engl. und frz. licence), - 1) im 17. und 18. Jh., 
ausgehend von der literarischen L., ein an das Publi- 
kum gewendeter -*■ Epilog in Biihnenwerken (Oper, 



Schauspiel), der als Huldigungskomposition eine hohe 
Personlichkeit, einen Patron u. a. feiert. Die L., be- 
stehend meist aus Rezitativ und Arie, teils auch mit ab- 
schlieBendem Chor, ist entweder locker angefiigter 
Teil des Werkes selbst (z. B. in der Festoper Costanza e 
Fortezza von J.J. Fux) oder wird eigens fur den festli- 
chen AnlaB hinzukomponiert. So sind die im Auto- 
graph als L. bezeichneten Rezitative und Arien K.-V. 
36 (1766) und K.-V. 70 (1769) W. A. Mozarts fur Schau- 
spielauffuhrungen zu Ehren des Erzbischofs von Salz- 
burg entstanden. - 2) Im Barock ist Licentia in Anleh- 
nung an die Rhetorik einer der Namen fur die satz- 
technische Figur, die somit als »Freiheit« gegeniiber 
dem regularen (kontrapunktischen) Satz verstanden 
ist; spater ist L. auch eine Kennzeichnung interpretato- 
rischer Freiheit. Beethoven nennt die SchluBfuge der 
Sonate op. 106 wegen ihrer freieren Setzweise eine 
fuga . . . con alcune licenze; Tschaikowskys 5. Sympho- 
nic op. 64 weist auf ein Andante cantabile, con alcuna I. 
- 3) -> Lizenz. 

Lit.: zu 1): P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 
2. Halfte d. 17. Jh., StMw VIII, 1921. 

Lichanos (g'riech.) -^Systemateleion. 

Lichttonverfahren ->• Schallauf zeichnung. 

Liebesfufl (frz. pavilion d'amour), ein birnenformiges 
Schallstiick mit nur kleiner Offnung. Durch einen L. 
wird der kraf tige Klang von Rohrblattinstrumenten ge- 
dampft, wie bei den im 18. Jh. beliebten Clarinetto 
d'amore, Fagotto d'amore, Oboe d'amore und Oboe 
da caccia und beim modernen -> Englisch Horn. 

Liebhaber -* Kenner undLiebhaber. 

Lied in seiner allgemeinsten Bedeutung ist ein gesun- 
genes bzw. fur Gesangsvortrag bestimmtes oder ein 
nach dem Vorbild gesungener L.er konzipiertes Ge- 
dicht aus mehreren Strophen gleicher Verszahl mit 
(mindestens annahernd) gleicher Silbenzahl. Begriff- 
lich und historisch besteht eine unlosbare Einheit zwi- 
schen dem literarischen L.-Gedicht und seiner musi- 
kalischen Darstellung. Letztere beruht auf dem Prinzip 
der Bildung von Zeilenmelodien innerhalb der Strophe 
und der (meist unveranderten) Ubertragung der Stro- 
phenmelodie als Ganzes auf die anderen Strophen des 
Gedichtes. Als eine der Grundf ormen sowohl sprachli- 
chen als auch musikalischen Gestaltens gewinnt der 
Begriff L. jedoch eine Vielschichtigkeit, die eine alle 
Teilaspekte umfassende Definition unmoglich macht; 
je nach den historischen Gegebenheiten ist der L.-Be- 
griff oft zu erweitern oder einzuengen. - Als Dichtung 
impliziert der Begriff L. die strukturellen Qualitaten 
der L.-Strophe: die relativ kleine Zahl der Verse, die 
haufige Vierhebigkeit, die meist gleiche Akzentlage 
und das - neben der Sprechmelodie - wichtigste klang- 
liche Element des L.-Gedichts, den Endreim. Hinsicht- 
lich Inhalt und Umfang der L.-Dichtung kann der 
literarhistorische Begriff L. - bedingt durch die Wort- 
geschichte - weniger eingeengt werden als der musi- 
kalische. Die Bedeutung Strophengedicht scheint das 
Wort L. (ahd. liod) auf dem Weg iiber den mittelhoch- 
deutschen Plural diu liet (die Strophenreihe) angenom- 
men zu haben. Althochdeutsche und mittelhochdeut- 
sche Versepen heiCen ebenso L.er (vgl. die SchluBzeile 
des Nibelungen-L.s diesze liet heizt diu klage) wie die 
L.er im Minne- und Meistersang. Dieser erweiterten 
Bedeutung entspricht die Bezeichnung der literari- 
schen wie der musikalischen Quellen als -> L.er-Bii- 
cher. - Der musikalische L.-Begriff ist einerseits viel 
enger und umrissen durch die Vorstellungen »Kunst- 
L.« (d. h. in erster Linie das L. Schuberts und die Ge- 



522 



Lied 



schichte des deutschen L.es) und »Volks-L.«, anderer- 
seits sehr weit, insofern er das »Liedhafte« und die 
mannigfachen Erscheinungsformen des L.es auBerhalb 
von Volks-L. und deutschem Kunst-L. mit umfaBt. L. 
als musikalischer Begriff impliziert die Qualitaten des 
vokalen Vortrags, der musikalischen L.-Gestaltung 
(Sangbarkeit, liedhafte Melodik) und damit indirekt 
die fiir den musikalischen Ausdruck maBgebenden in- 
haltlichen Qualitaten des L.-Gedichts. Auch die Be- 
dingung, daB das L. als abgeschlossenes musikalisches 
Vortragsstiick eine uberschaubare Ausdehnung nicht 
iiberschreiten sollte, wirkt sich auf den Inhalt des Ge- 
dichtes aus und macht das lyrische Genre besonders 
geeignet fiir die L.-Dichtung; die Erzahlung kleiner, 
oft bildhafter Begebenheiten ist jedoch nicht ausge- 
schlossen (z. B. Goethe, Heidenroslein). Hier kann die 
Grenze zwischen L. als musikalischer Gattung und 
-> Ballade (- 2) nicht scharf gezogen werden. Voraus- 
setzungen fiir die Sangbarkeit der L.-Melodie sind : ein 
auch mit nicht ausgebildeter Stimme beherrschbarer 
Ambitus, syllabische (melismenlose oder -arme) Verto- 
nung, eine in ihrer Grundsubstanz durch diatonische 
Schritte (auch durch Dreiklangszerlegungen) gekenn- 
zeichnete Melodie, melodisch geschlossene Teile (Zei- 
lenmelodien), schlichte Periodizitat, d. h. einfache Auf- 
stellungs- und Antwortverhaltnisse sowohl innerhalb 
der Zeilenmelodien als auch zwischen diesen, tonale 
Geschlossenheit des Ganzen bei einfachem Modula- 
tionsplan (-» L.-Form). Diese Qualitaten werden auch 
zusammenfassend mit dem Begriff »liedhaft« umschrie- 
ben ; Liedhaftigkeit, Periodizitat und Vierhebigkeit des 
Verses stehen in engem ursachlichem Zusammenhang. 
Andererseits bezieht sich liedhaft weder auf den Stro- 
phenbau noch auf die L.-Form. Besondere Einfachheit 
der musikalischen Struktur und damit eine ausgeprag- 
te Sangbarkeit, die ihre Bestatigung in der weitgehend 
miindlichenVerbreitung und Uberlief erung findet wie 
auch in der Moglichkeit des spontanen Mitvollzugs, 
kennzeichnen das -*■ Volks-L. (auch den -*■ Gassen- 
hauer und -> Schlager); sie sind auch eine Voraus- 
setzung fiir die Brauchbarkeit des L.es als Arbeits-, 
Tanz- und als Gemeinschafts-L. (z. B. Kirchen-L., 
Nationalhy mnen) . 

Das Kunst-L. bewegt sich in dem weiten Bereich zwi- 
schen Volkstiimlichkeit und auBerster kunstmafiiger 
Verfeinerung und Expressivitat; als Beispiele polarer 
Gegensatzlichkeit seien genannt: J.A.P.Schulz, Der 
Mond ist aufgegangen (1782), das an der Schwelle zum 
Volks-L. steht, und R.Strauss, Vier ktzte L.er (1949), 
die das L. in die Nahe symphonischer Dichtung riicken. 
Dieser Bereich ist gekennzeichnet durch die Span- 
nungsverhaltnisse zwischen vorgegebenem Vers- bzw. 
Sprachrhythmus und frei schaffender musikalisch- 
rhythmischer Gestaltung, zwischen sangbarer und aus- 
drucksbetonter Melodik und besonders zwischen der 
strophischen Struktur des Textes und den Erfordernis- 
sen einer den Textinhalt musikalisch ausdriickenden 
Komposition. Die unverandert wiederkehrende Stro- 
phenmelodie war seit altester Zeit oft Modell fiir ein 
metrisches Geriist, nach dem auBer den Strophen eines 
L.es auch weitere L.-Gedichte gesungen werden konn- 
ten. Diese Modellvorstellung, die auch dem »Ton« 
bzw. der »Weise« des Minne- und Meistersangs zu- 
grunde liegt, und die ein relativ lockeres VerhSltnis 
zwischen Text und Melodie voraussetzt, spielt eine be- 
deutende Rolle fiir -*■ Kontrafaktur (das Singen geist- 
hcher Texte auf weltliche Melodien) und ->■ Kirchen- 
L. (gemeinsame Melodien zu L.ern fiir verschiedene 
Zeiten und Gelegenheiten des Kirchenjahres). - Das 
Kunst-L. laBt den Text nicht nur auf eine passende und 
sangbare Melodie erklingen, sondern interpretiert ihn 



zugleich (auch Volkstumlichkeit und Volksliednahe 
sind Interpretationen des Textes, die Beherrschung der 
Kunstmittel voraussetzen). Prinzipiell geht die schop- 
ferische Auseinandersetzung mit dem L.-Gedanken 
von der strophischen Form aus; gleichwohl nimmt die 
Komposition in verschiedenartigster Weise Rucksicht 
auf den Sinn- und Ausdrucksgehalt des Textes, einer- 
seits durch die Interpretation des Textes bzw. der lyri- 
schen Stimmung mittels der -> Begleitung, anderer- 
seits durch vielfaltiges Abwandeln der strophischen 
Form (die zitierten Titel sind Beispiele aus Schuberts 
L'.ern): mitunter gehen Melodie und Begleitung auf 
einzelne Textstellen der spateren Strophen ein (Frtih- 
lingssehnsucht), oder der strophische Text wird ganz 
(Kriegers Ahnung) oder teilweise (Mignons Gesang) 
durchkomponiert. Dies geschieht besonders dort, wo 
sich die lyrische Stimmung im Verlaufe des Gedichts 
andert (Sehnsucht von Schiller) oder wo, wie in rhap- 
sodischen Gesangen, Umfang und Metrum der Stro- 
phen wechseln (Ganymed). Mit Gedichten wie Freud- 
voll und leidvoll (Klarchens L. aus Egmont), Uber alien 
Wipfeln ist Ruh (Wanderers Nachtlied I) oder Tiefe Stille 
herrscht im Wasser (Meeres Stille) hatte Goethe Textvor- 
lagen fiir musikalische Stimmungs- und Seelengemal- 
de geschaff en, in denen das strophische Element keine 
Rofie mehr spielt. In Schuberts Werk sind neben dem 
schlichten Strophen-L. (Ich denke dein) alle Arten von 
L.-Gedichten und liedahnlicher Dichtung, auch Ge- 
sange mit Ariencharakter (Die Allmacht, An die Leyer) 
und kantatenhafte Mischformen (Prometheus) gleicher- 
maBen unter dem Sammelbegriff L. vereinigt. Seitdem 
ist eine Tendenz spiirbar geworden, den musikalischen 
L.-Begriff standig zu erweitern. Einerseits zahlen zur 
Gattung L. nun auch Vertonungen nichtstrophischer 
Lyrik, die hinsichtlich Besetzung und kompositori- 
scher Faktur L.-Geprage zeigen, andererseits ist das 
Kunst-L., seit es (durch Schubert) zu einer Kompo- 
sitionsgattung mit Anspruch geworden ist, dem Diktat 
der Fortentwicklung des musikalischen Satzes unter- 
worfen und wird dadurch sowohl dem Bereich des 
Volkstiimlichen als auch dem des »Liedhaften« immer 
mehr entriickt. 

Welche Erscheinungen zur Geschichte der so wenig 
fest umrissenen Gattung L. zahlen, ist daher wesent- 
lich davon abhangig, wie weit oder wie eng der Be- 
griff L. gefaBt wird. Zuweilen heiBen uberlieferte ein- 
stimmige syllabische Versvertonungen L.er, unabhan- 
gig von einer strophischen Struktur des Textes (z. B. 
»Seikilos-L.«, l.Jh. n. Chr.), oderantike Strophendich- 
tung in quantitierendem Metrum, fiir die Gesangsvor- 
trag anzunehmen ist (z. B. die »Spott-L.er« des Archi- 
lochos, 7. Jh. v. Chr., oder die Strophendichtungen 
der Sappho, 7. Jh. v. Chr.). Im antiken ->• Melos kann 
eine dem abendlandischen L. gleichkommende oder 
ahnliche Erscheinung gesehen werden; doch die un- 
mittelbaren Vorganger des europaischen volkssprach- 
lichen L.es waren lateinische rhythmische Strophen- 
dichtungen des Mittelalters (meist geistlichen Inhalts) : 
-*■ Planctus, Reimsequenz (-> Sequenz - 1), -* Con- 
ductus (-> Cantio), — >■ Cantilena (- 1), vor allem je- 
doch der -*■ Hymnus, unter dessen EinfluB der End- 
reim als eine wichtige Voraussetzung fiir pragnante 
strophische Formen in die volkssprachliche Dichtung 
iibernommen wurde (Ansatze dazu z. B. im Althoch- 
deutschen bei Otfried, 9. Jh.). - In der Geschichte der 
abendlandischen Mehrstimmigkeit wurde liedhafte 
Melodik durch satztechnische Gegebenheiten in be- 
stimmten Epochen begiinstigt, in anderen weitgehend 
ausgeschlossen; z. B. weisen der durchimitierte Satz 
der klassischen Vokalpolyphonie (Motette seit dem 
15. Jh., Madrigal des 16. Jh.) sowie die der Musica 



523 



Lied 



poetica bzw. der ausdrucksbetonten italienischen Mo- 
nodie verpflichtete GeneralbaBmusik kaum liedhafte 
Struktur au£; dagegen kommen der klangliche Satz 
des 15./16. Jh. sowie vor allem der auf der harmoni- 
schen Kadenz basierende Satz des 18./19. Jh. dem Mo- 
ment des Liedhaften entgegen. Doch wahrend sich 
in Deutschland trotz Beeintrachtigung des Liedhaften 
durch die Wandlungen der Satztechnik eine weit- 
gehende Kontinuitat der L.-Geschichte (allerdings mit 
einem Einschnitt in der Zeit um 1700) feststellen laBt, 
gibt es in den iibrigen europaischen Landern keine 
der deutschen Entwicklung vergleichbare Geschichte 
des L.es; hier konzentriert sich die Liedhaftigkeit in 
folgenden nationalen, zeitlich meist begrenzten Er- 
scheinungen : -> Trobadors und Trouveres, -> Chan- 
son, -> Chanson de geste, -> Air, -> Vaudeville 
(-> Franzosische Musik); Cancion (-> Cancionero), 
-> Cantigas, ->■ Romanze (Spanische Musik) ; -> Kan- 
zone (- 1), ->• Frottola, -> Giustiniane, -> Canto carna- 
scialesco, -> Lauda, -»• Villota, -> Villanella, -»■ Kanzo- 
nette, ->■ Arie (-> Italienische Musik); Air und Song 
(-> Britische Musik) . -Die Geschichte des deutschen L.es 
laBt sich in 5 Epochen fassen: 1) das einstimmige bzw. 
einstimmig uberlieferte L. ; 2) das Tenor-L., a) mit in- 
strumentalen Begleitstimmen, b) im vokalen C. f .-Satz, 
c) im durchimitierten polyphonen Vokalsatz; 3) das 
GeneralbaB-L., a) im mehrstimmigen Vokalsatz, teil- 
weise mit Instrumenten, b) als Arien-L. mit GeneralbaB, 
c) das Solo-L. der 1. Halfte des 18. Jh.; 4) das volkstiim- 
Iiche Kunst-L. mit Klaviersatz seit der 1. Berliner L.er- 
Schule (1752) ; 5) das deutsche L. seit Schubert. 
Wahrend im Mittelalter das einstimmige bzw. ein- 
stimmig uberlieferte deutsche L. (mit seinen Formen 
Spruch, L. und Leich) dem -> Minnesang zugehort 
(und im -»■ Meistersang weiterhin gepflegt wurde), 
werden bei zwei nicht in der engeren Tradition des 
Minnesangs stehenden Meistern, Oswald von Wol- 
kenstein und dem Monch von Salzburg, erstmals im 
deutschen L. Ansatze zum mehrstimmigen Satz greif- 
bar (in der Mondsee-Wiener-L.er-Handschrift und in 
den ->• Quellen Loch und Sche). Einsetzend mit dem 
im Glogauer L.er-Buch (Qlo, um 1480) iiberlieferten 
Repertoire beginnt die Geschichte des Tenor-L.s, der 
ersten spezifisch deutschen Leistung im Bereich der eu- 
ropaischen weltlichen Mehrstimmigkeit. Nur wenige 
der Tenores sind urspriingliche Volks-L.er, die mei- 
sten sind hofische L.er oder auf den mehrstimmigen 
Satz hin geschaffen. Einen Nebenzweig bilden die 
-»■ Bergreihen. Im 3st. Kernweisensatz des Tenor-L.es 
wird der liedhafte Tenor in ein Stimmengeflecht ein- 
gebettet, das ihn als C. f. einerseits kostbar und be- 
deutsam, andererseits aber auch abhangig von den zu- 
gesetzten, durch Lage, Klauseln und Motivik eigen- 
standigen Stimmen erscheinen laBt. Die beiden wich- 
tigsten Satztypen sind der Satz Note gegen Note und 
der haufigere Diskantsatz mit melismatischen Begleit- 
stimmen, die zunachst instrumental, erst seit den 1 530er 
Jahren auch vokal gedacht sind. Wichtige L.er-Samm- 
Iungen dieser Zeit sind die von Oglin (1512), Schoffer, 
Aich, Ott, Egenolf, Apiarius, Formschneyder, Forster 
(1539-56), C. Othmayr (1549) und Kugelmann (1558). 
Die zumeist aus dem siidlichen deutschen Sprachraum 
stammenden Komponisten gehoren drei Generationen 
an : der ersten Finck, Isaac, Adam von Fulda, Hofhay- 
mer und Stoltzer, der zweiten - neben dem iiberragen- 
den Senfl - S.Dietrich, Arnold von Bruck, Lemlin 
und Greitter, der dritten G. Forster, J. von Brandt, Zir- 
ler und C. Othmayr. Nachdem schon bei Senfl durch- 
imitierte Satze aufgetreten waren und auch bei Forster 
und Othmayr die Bedeutung des C. f. zuriicktrat ge- 
geniiber der polyphon-kontrapunktischen Faktur des 



Satzes, begannen die Niederlander le Maistre und Las- 
sus im letzten Drittel des 16. Jh. den Kernweisensatz in 
eine in alien Stimmen durchimitierte L.-Motette um- 
zuformen. Doch fur die weitere Geschichte des L.es 
war der homophone Oberstimmensatz wegweisend, 
wie ihn - unter dem EinfluB von Villanella und Canzo- 
netta - zuerst Regnart, dann u. a. HaBler (1601), Lech- 
ner, Demantius und M. Franck gepflegt haben. 
Die erste Generation von L.-Komponisten des 17. Jh. 
stand stark unter dem EinfluB der italienischen Mon- 
odie und der Kanzonette: Schein (1609, 1621-28, auch 
5st. Chor-L.er 1624 und 1626), Nauwach (1623 und 
1627), Selle (1636) und H.Albert, dessen Arien (8 Teile 
1638-50) einen der wertvollsten Beitrage des 17. Jh. 
zum deutschen L. darstellen. In der zweiten Generation 
- um die Dichter Opitz, C.Homburg, Rist, Fleming, 
Dach, v. Zesen, Harsdorffer und P. Gerhardt - bildeten 
sich regionale Schulen in Hamburg (Schop, Pape, J. 
Praetorius, P. Meier, Th. Selle, C. Flor, G. Voigtlander, 
J.Schwieger, C.Stieler), Nordostdeutschland (C.Wer- 
ner, J. Weichmann, G.Weber), Sachsen (A.Hammer- 
schmidt, Chr.Dedekind, vor allem A.Krieger), Thii- 
ringen (G. Neumark, J. Loewe, J. Weiland, W. Fabri- 
cius, J. R. Ahle) und in Niirnberg (G. Staden, E. Kinder- 
mann, C. Armschwanger). Bei der letzten Generation 
liegt das Schwergewicht im Siiden. Wahrend Erie- 
bach seine L.er der Arie annaherte, zeigen anonyme 
Miinchner L.er-Handschriften gefallig-weiche Ziige 
in der Art der volkstumlichen L.er des Osterreichers 
v. Schniiffis. Doch wurde das L. im 17. Jh. nicht mehr 
als zentrale Gattung gesehen und erstrebt; die verschie- 
denen L.-Vertonungen entstehen ohne inneren Zu- 
sammenhang und abseits des eigentlichen Ganges der 
musikgeschichtlichen Entwicklung. Am ehesten ist um 
und nach 1700 der Grundtyp des L.es verwirklicht in 
der eine flieBend-weiche Jesus-Lyrik vertonenden 
geistlichen Aria (Vulpius, Criiger, Buxtehude, Bbhm, 
J. S.Bachs Schemelli-L.er), andererseits im geselligen 
mehrstimmigen Tanz- und Scherz-L. - In der 1. Halfte 
des 18. Jh. stand das L. im Schatten der Opernarie. Er- 
wahnenswert sind jedoch V.Rathgebers Augsburqcr 
Tafel-Confect (1733-46) und Sperontes' Singende Muse 
an derPleifie (1736-45), letztere eine Sammlung textier- 
ter Tanzsatze. Empfindsamkeit und neue Erlebnislyrik 
klingen an in den Dichtungen von Gellert, Hagedorn, 
Giinther u. a., die von Komponisten wie J. F. Graf e, 
Telemann, V. Gorner, A. K.Kunzen, J.E.Bach und V. 
Herbing vertont wurden (-> Galanter Stil). Erstmals in 
der -> Berliner Schule wurde das L. wieder zu einer 
wesentlichen Gattung; Reflexion iiber das L. und theo- 
retische Forderungen zu seiner dichterischen und mu- 
sikalischen Gestaltung (Chr. G.Krause 1753) gingen 
einher mit einem Aufschwung der Kompositions- und 
Publikationstatigkeit. Durch das -> Singspiel(J. A.Hil- 
ler) gelangte das L. in die Oper, wo es seither, beson- 
ders in der volkstumlichen und romantischen Oper des 
19. Jh., seinen festen Platz neben der Arie hat. Auf das 
romantische L. weisen die Klopstock-L.er Glucks 
(1785/86) und manche Balladen Zumsteegs voraus. 
Aus dem GeneralbaB war die Klavierbegleitung her- 
vorgegangen, die Singstimme wird nun meist auf ei- 
nem eigenen System notiert. Fur die Wiener Klassiker, 
die auBer der Sammlung von Steffan (1778-82) keine 
lokale L.-Tradition vorfanden, hatte das L. keine zen- 
trale Geltung, doch ist Beethovens An die feme Geliebte 
der erste bedeutende L.er-Zyklus. Der Weg zum L. 
der Romantik fiihrte iiber die Volkstiimlichkeit der 2. 
Berliner L.er-Schule; J. A. P. Schulz, Reichardt (-*L.er- 
Spiel), Zelter (-»- L.er-Tafel) ; von dem durch Herder 
inaugurierten Volksliedgedanken gingen bis weit ins 
19. Jh. entscheidende Impulse aus. Fur Schubert bil- 



524 



Liederbiicher 



den die vorausgegangenen Tendenzen der Geschichte 
des L.es eine ebenso wichtige Ausgangsposition wie 
seine Nahe zu den Klassikem und seine Bewunderung 
fiir sie. In Schuberts kompositorischem Schaffen ist das 
L. die zentrale Gattung (ca. 600 L.er auf Gedichte von 
Goethe, HSlty, M. Claudius, Klopstock, Ossian, Schil- 
ler, W.Miiller, Mayrhofer, W.Scott, Novalis, Riik- 
kert, Heine u. a.), daruber hinaus strahlt das L. seit 
Schubert aus in die Instrumentalmusik (->• Charakter- 
stiick, -*■ L. ohne Worte, -»■ Paraphrase). Die Volks- 
tiimlichkeit des L.es im 19. Jh. onenbart sich u. a. in 
der groBen Zahl von L.ern, die fiir den Dilettanten und 
seine Hausmusik (mit Klavier oder Gitarre) oder als 
Chor-L.er fiir die L.er-Tafeln und Gesangvereine ge- 
schrieben wurden, u. a. von C.M. v.Weber, Spohr, B. 
Klein, C.Kreutzer und Silcher. - Die Spaltung der 
deutschen Musik in zwei Richtungen ist auch in der L.- 
Komposition bis ins 20. Jh. hinein deutlich. Auf der Sei- 
te der Klassizisten stehen nach Schumann u. a. Mendels- 
sohn Bartholdy, R.Franz, A.Jensen und Brahms, wah- 
rend Liszt, Wagner, H.Wolf, Reger, Pfitzner und R. 
Strauss als Exponenten der Neudeutschen Schule das 
tonmalende, symbolisierende und psychologisch aus- 
deutende Moment der L.-Begleitung steigerten und 
melodisch (auch in Orchester-L.ern) der Deklamation 
und dem dramatischen Ausdruck zuneigten. Die L.- 
Tradition des 19. Jh. fuhrten in der Neuen Musik u. a. 
Hindemith, Reutter und Fortner weiter. Fiir die Kom- 
ponisten der Wiener Schule, namentlich Schonberg 
(George-L.er op. 15, 1908/09), Webern (ab op. 3, 
1908) und Berg (op. 2, 1908/09), bedeutete die L.- 
Komposition die intensive Auseinandersetzung mit den 
durch die atonale Melodik und Harmonik entstande- 
nen Problemen einer faBlich geformten Expressivitat. 
- Unter dem EinfluB des deutschen L.es entstanden in 
den anderen Landern seit dem internationalen Be- 
kanntwerden Schuberts ab etwa 1835 L.-Kompositio- 
nen mit Einschmelzung nationaler Tradition oder na- 
tionalen Kolorits, so in Frankreich (unter den Bezeich- 
nungen le lied oder melodie, romance und chanson) 
von Berlioz, Gounod, Bizet, Franck, Massenet, Du- 
parc, Faure, R.Hahn, Ravel, in RuBland von Tschai- 
kowsky, Mussorgsky und Glasunow, in England von 
Delius, Vaughan Williams und Britten, in den skandi- 
navischen Landern von Grieg, Sinding, Kilpinen, Si- 
belius und Nielsen, in Italien von G.B.Giordani und 
Malipiero sowie in Spanien von de Falla. 
Lit.: O. Lindner, Gesch. d. deutschen L. im 18. Jh., hrsg. 
v. L. Erk, Lpz. 1871 ; B. Seyfert, Das mus.-volkstiimliche 
L. v. 1770 bis 1800, VfMw X, 1894; M. Burkhardt, Beitr. 
zum Studium d. deutschen L., Diss. Lpz. 1897; M. Fried- 
laender, Das deutsche L. im 18. Jh., 2 Bde (3 Abt.), Stutt- 
gart 1902, Nachdruck Hildesheim 1962; H. Rietsch, Die 
deutsche Liedweise, Wien u. Lpz. 1904; H. Bischoff, Das 
deutsche L., = Die Musik XVI/XVII, Bin (1906); A. Nef, 
Das L. in d. deutschen Schweiz im letzten Drittel d. 18. Jh. 
u. am Anfang d. 19. Jh., = Schriften hrsg. v. d. Stiftung v. 
Schnyderv. Wartensee XV, Zurich 1909 ; H. Kretzschmar, 
Gesch. d. Neuen deutschen L. I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach 
Gattungen IV, Lpz. 1911, Nachdruck Hildesheim 1966; 
R. Schwartz, Zur Gesch. d. liederlosen Zeit in Deutsch- 
land, JbP XX, 1913; I. Pollak-Schlaffenberg, Die Wie- 
ner Liedmusik v. 1 770 bis 1 800, StM w V, 1 9 1 8 ; A. Schmitz, 
Monodien d. Kolner Jesuiten aus d. 1. Halfte d. 17. Jh., 
Zf Mw IV, 1921/22 ; O. Ursprung, Vier Studien zur Gesch. 
d. deutschen L., AfMw IV, 1922-VI, 1924;G. Frotscher, 
Zur Asthetik d. Berliner L., ZfMw VI, 1923/24; G. Mul- 
ler, Gesch. d. deutschen L. v. Zeitalter d. Barock bis zur 
Gegenwart, = Gesch. d. deutschen Lit. nach Gattungen 
III, Munchen 1925, Nachdruck Darmstadt 1959; A. Heus- 
ler, Deutsche Versgesch., in: GrundriB d. germanischen 
Philologie, hrsg. v. H. Paul, VIII, 1-3, Bin u. Lpz. 1925-29, 
Bin 2 1 956; W. Vetter, Wort u. Weise im deutschen Kunstl. 
d. 17. Jh., ZfMw X, 1927/28; ders., Das friihdeutsche L., 



2 Bde, = Universitas- Arch. VIII, Miinsteri.W. 1928;H.J. 
Moser, Das deutsche Chorl. zwischen Senfl u. Hassler, 
JbP XXXV, 1928 ; ders., Corydon, d. ist: Gesch. d. mehrst. 
GeneralbaBl., 2 Bde, Braunschweig 1933; ders., Das deut- 
sche L. seit Mozart, 2 Bde, Bin u. Zurich 1937, Tutzing 
21966; ders., Das deutsche Solol. u. d. Ballade, = Das Mu- 
sikwerk XIV, Koln (1957); H. Abert, Entstehung u. Wur- 
zeln d. begleiteten deutschen Solol., in : Gesammelte Schrif- 
ten u. Vortrage, Halle 1929; L. Nowak, Das deutsche Ge- 
sellschaftsl. in Osterreich v. 1480-1550, StMw XVII, 1930; 
H. H. Rosenwald, Gesch. d. deutschen L. zwischen Schu- 
bert u. Schumann, Bin 1930; H. Rosenberg, Untersuchun- 
gen iiber d. deutsche Liedweise im 15. Jh., Wolfenbiittel u. 
Bin 1931 ; Fr. Gennrich, GrundriB einer Formenlehre d. 
ma. L., Halle 1932; ders., Troubadours, Trouveres, Min- 
ne- u. Meistergesang, = Das Musikwerk II, Koln (1951, 
2 1960); E. Dahmen, Die Wandlungen d. weltlichen deut- 
schen Liedstils im Zeitraum d. 16. Jh., Diss. Konigsberg 
1 934 ; P. Nettl, Das Wiener L. im Zeitalter d. Barock, Wien 
u. Lpz. 1934; M. C. Pfleger, Untersuchungen am deut- 
schen geistlichen L. d. 13. bis 16. Jh., Diss. Bin 1937; H. 
Osthoff, Die Niederlander u. d. deutsche L. (1400-1640), 
= Neue deutsche Forschungen CXCVII, Abt. Mw. VII, 
Bin 1938; ders., Das deutsche Chorl. v. 16. Jh. bis zur Ge- 
genwart, = Das Musikwerk X, Koln (1955); E. Bucken, 
Das deutsche L., Hbg 1939; C. Ph. Reinhardt, Die Hei- 
delberger Liedmeister d. 16. Jh., = Heidelberger Studien 
zur Mw. VIII, Kassel 1939; K. Gudewill, Die Formstruk- 
turen d. deutschen Liedtenores d. 15. u. 16. Jh., Habil.- 
Schrift Kiel 1944, maschr., Teildruck: Zur Frage d. Form- 
strukturen deutscher Liedtenores, Mf I, 1948; ders., Be- 
ziehungen zwischen Modus u. Melodiebildung in deut- 
schen Liedtenores, AfMw XV, 1958; L. Hubsch-Pfleger, 
Das Niirnberger L. im deutschen Stilwandel um 1600, Diss. 
Heidelberg 1944, maschr.; H. Jung, Das geistliche Solol. 
im 19. Jh., Diss. Koln 1951, maschr. ; E.-Fr. Callenberg, 
Das obersachsische Barockl., Diss. Freiburg i. Br. 1952, 
maschr.; H. Engel, Das mehrst. L. d. 16. Jh. in Italien, 
Frankreich U.England, = DasMusikwerkIII,K61n(1952); 
J. Muller-Blattau, Das Verhaltnis v. Wort u. Ton in d. 
Gesch. d. Musik, (Stuttgart) 1952; ders., Zur Erforschung 
d. einst. deutschen L. im MA, Mf X, 1957; E. Zimmermann, 
Gestaltungsfragen in klass. u. romantischen Liederzyklen, 
Diss. Bonn 1952, maschr.; Fr. Noske, La melodie frc. de 
Berlioz a Duparc, Paris 1954; ders., Das auBerdeutsche 
Solol., =Das Musikwerk XVI, Koln (1958); Br. Stab- 
lein, Von d. Sequenz zum Strophenl., Mf VII, 1954; H. 

Bunke, Die Barform im romantischen Kunstl Diss. 

Bonn 1955, maschr.; Singweisen zur Liebeslyrik d. deut- 
schen Friihe, hrsg. v. U. Aarburg, in: H. Brinkmann, Lie- 
beslyrik d. deutschen Friihe, Diisseldorf 2 1956; E. Jam- 
mers, DeutscheL.um 1400, AMI XXVIII, 1956; W.Wiora, 
Elementare Melodietypen als Abschnitte ma. Liedweisen, 
in: Miscel&neaen homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958— 
61 ; ders., Ausgew. Kapitel zur Gesch. d. deutschen L., 
Wolf enbuttel(in Vorbereitung) ; D. Stevens, German Lute- 
Songs of the Early Sixteenth Cent., Fs. H. Besseler, Lpz. 
1961 ; A. Sydow, Das L., Gottingen 1962; H. W. Schwab, 
Sangbarkeit, Popularitat u. Kunstl., Studien zu L. u. Lied- 
asthetik d. mittleren Goethezeit 1770-1814, = Studien zur 
Mg. d. 19. Jh. Ill, Regensburg 1965. 

Liederbiicher, Liederhandschriften stellcn fiir 
Minne- und Meistersang sowie fiir das Volks- und Ge- 
sellschaftslied des 15./16. Jh. die bedeutendste Quelle 
dar; an mehrstimmigen handschriftlichen L.n sind die 
->■ Quellen Clog, Loch und Sche hervorzuheben. Wich- 
tige 1st. Liedersammlungen seit dem hohen Mittelalter 
(-> Carmina Burana, um 1300) im deutschen Sprach- 
raum sind (fiir Frankreich -> Chansonnier, fur die Nie- 
derlande -»■ Souterliedekens) : 

Jenaer Liederhandschrift (um 1350; aufbewahrt in der 
Universitatsbibl. Jena, Sigel J), mit 91 Melodien die 
wichtigste musikalische Quelle des mittelhochdeut- 
schen Liedes im Ubergang vom Minnesang zum Mei- 
stersang (Ausg. : von Fr. H. von der Hagen in Band IV 
der Minnesinger, Leipzig 1838, als diplomatischer Ab- 
druck; als photographische Reproduktion von K.K. 
Miiller, Jena 1896; originalgetreuer Abdruck mit 



525 



Liederbiicher 



Ubertragung der Melodien von Fr.Saran mit G.Holz 
und E. Bernoulli, 2 Bande, Leipzig 1901, Nachdruck 
Hildesheim 1966; Lit.: Fr.Saran, Zu den Liedem derje- 
naer Liederhandschrift, in: Beitrage zur Geschichte der 
deutschen Sprache und Literatur XXVII, 1902; K. 
Bartsch, Untersuchungen zur Jenaer Liederhandschrift, 

— Palaestra CXL, Leipzig 1923; E. Jammers, Untersu- 
chungen iiber die Rhythmik und Melodik der Melodien der 
Jenaer Liederhandschrift, ZfMw VII, 1924/25; C.G. 
Brandis, Zur Entstehung und Geschichte der Jenaer Lie- 
derhandschrift, in: Zeitschrift fur Biicherfreunde, N. F. 
XXI, 1929). 

Handschrift Wien 2701 (1. Halfte des 14. Jh.), Gesange 
von Frauenlob, Reinmar von Zweter und Meister 
Alexander (hrsg. von H.Rietsch, = DTO XX, 2, Band 
41, Wien 1913). 

Mondsee-Wiener Liederhandschrift (um 1400; Osterrei- 
chische Nationalbibl. Codex 2856, vorher Codex Lu- 
naelacensis f. 119), auch nach dem friiheren Besitzer 
Peter Sporls Liederbuch genannt, enthalt 83 numerierte 
Musikstiicke, darunter 56 weltliche Lieder, hauptsach- 
lich vom ->■ Monch von Salzburg (Ausg. von F.A. 
Mayer und H.Rietsch, in: Acta germanica III— IV, 
1894-96; Lit.: O.Ursprung, Vier Studien zur Geschichte 
des deutschen Liedes II, Die Mondseer Liederhandschrift 
von Hermann, dem Monch von Salzburg, AfMw V 
1923). 

Heidelberger Liederhandschrift (nach 1400; Codex Hei- 
delberg, Universitatsbibl., Pal. germ. 329 - nicht iden- 
tisch mit der Grofien Heidelberger Liederhandschrift, der 
sogenannten Manessischen Handschrift, Pal. germ. 848), 
im Auftrag H. von -* Montforts angefertigter Codex 
mit Weisen B.Mangolts (Ausg. : H. v. Montfort, Lieder, 
mit den Melodien des B.Mangolt, hrsg. von P.Runge, 
Leipzig 1906; Lit.: E. Jammers, H.v.Monforts Lieder- 
handschrift, Heidelberg 1957, Sonderdruck aus: Ruper- 
to-Carola IX, 1957, Band 21). 

Hohenfurter Liederbuch (im Zisterzienserkloster Hohen- 
furt nach 1450 entstanden; heute aufbewahrt in Boh- 
misch-Budweis), eine fur das spatmittelalterlicheVolks- 
lied reichhaltige Quelle, enthalt neben 79 Liedern 38 
Weisen (Ausg.: W.Baumker, Ein deutsches geistliches 
Liederbuch mit Melodien aus dem 15. Jh., Leipzig 1895; 
Lit.: R.Batka, Das Hohenfurter Liederbuch, in: Deutsche 
Arbeit I, 1901 ; W. Salmen, Das Erbe des ostdeutschen 
Volksgesanges, Wurzburg 1956). 
Wienhauser Liederbuch (1460; Klosterbibl. Wienhausen, 
Kreis Celle/Aller), bedeutendster Sammelband mittel- 
alterlicher Liedkunst in Niedersachsen mit 59 Lied- 
texten (17 lateinisch, 6 in lateinisch-niederdeutscher 
Wechselsprache und 36 niederdeutsch), einer Reim- 
prosa und 15 Melodien in gotischer Hufnagelnoten- 
schrift auf 4 Linien (Ausg. in Faksimile und Uber- 
tragung mit Kommentar von H. Sievers, 2 Bande, 
Wolfenbuttel 1954; Lit.: W.Irtenkauf, Einige Ergan- 
zungen zu den lateinischen Liedern des Wienhauser Lie- 
derbuchs, Mf X, 1957). 

Kolmarer Liederhandschrift (um 1460; Bayerische Staats- 
bibl. Miinchen, Handschrift cgm. 4997, Sigel K, auch 
C, in germanistischer Literatur auch t), bedeutende 
musikalische Quelle des Minne- und Meistersanges, 
105 Melodien meist geistlichen Inhalts (Ausg.: Die 
Sangesweisen der Colmarer Handschrift und die Lieder- 
handschrift Donaueschingen, hrsg. von P.Runge, Leip- 
zig 1896; Lit.: Fr.Eberth, Die Minne- und Meisterge- 
sangweisen der Kolmarer Liederhandschrift, Detmold 1935; 
H. O. Burger, Die Kunstauffassung der fruhen Meister- 
singer - Eine Untersuchung iiber die Kolmarer Handschrift, 

— Neue Deutsche Forschungen LXXV, Abteilung 
Deutsche Philologie II, Berlin 1936; R.Zitzmann, Die 
Melodien der Kolmarer Liederhandschrift, Wurzburg 1944; 



R. Genseke, Die Kolmarer Handschrift und ihre Bedeutung 
fur den deutschen Meistergesang, Diss. Tubingen 1955, 
maschr. ; H. Husmann, Aufbau und Entstehung des cgm 
4997, DVjs. XXXIV, 1960). 

Donaueschinger Liederhandschrift (2. Halfte des 15. Jh.; 
Donaueschingen, Furstlich Furstenbergische Hofbibl., 
ms. 120, Sigel D), vielleicht aus dem ElsaB stammende 
spate Quelle des Minnesangs, enthalt in dem von Mei- 
stersingern angelegten Musikteil (S. 205-322) 39 Texte 
mit 21 Tonen (allein 14 Tone Frauenlobs). Mit Ausnah- 
me der Salve regma-Paraphrase von Reinmar von Zwe- 
ter stehen alle Lieder auch in K, das wahrscheinlich auf 
der gleichen Vorlage beruht. (Ausg. : Die Sangesweisen 
der Colmarer Handschrift und die Liederhandschrift Donau- 
eschingen, hrsg. von P.Runge, Leipzig 1896). 
Rostocker Liederbuch (um 1470/80; Universitatsbibl. 
Rostock Mss. phil. 100/2), entstanden in einem Freun- 
deskreis der Rostocker Universitat, spiegelt in 29 ein- 
stimmigen und zwei 2st. Melodien die ins Biirgerliche 
abgewandelte hofische Tradition des Minne- und Ge- 
sellschaftsliedes des 15. Jh. wider (Ausg.: von B.Clau- 
fien und A. Thierfelder, Rostock 1919; Das Rostocker 
Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift, neu 
hrsg. von Fr.Ranke und J. Miiller-Blattau, = Schriften 
der Konigsberger Gelehrten Gesellschaft, Geisteswis- 
senschaftliche Klasse IV/5, Halle 1927; Lit. : J. Muller- 
Blattau, Wach auff, mein hort!, in: Studien zur Mu- 
sikgeschichte, Festschrift G.Adler, Wien und Leipzig 
1930; H.Rieschel, Die alten niederdeutschen Lieder des 
Rostocker Liederbuches, DMK III, 1938/39; Ostdeutscher 
MmneMng.hrsg.vonM.LangundW. Salmen,= Schrif- 
ten des Kopernikuskreises III, Lindau und Konstanz 
1958). 

Liederbuch der Anna von Koln (um 1500; seit 1863 in 
der damaligen Kgl. Bibl. Berlin, jetzt Stiftung Preu- 
Cischer Kulturbesitz Tubingen, Depot der Staatsbibl., 
Ms. germ. Oct. Nr 280), 24 zumeist 1st. Melodien 
geistlichen Inhalts im Stile des weltlichen Volksliedes, 
zum taglichen Gebrauch im Kloster geschrieben (Ausg.: 
Liederbuch der Anna von Koln, hrsg. von W. Salmen 
und J.Koepp, =Denkmaler rheinischer Musik IV, 
Koln 1953; vgl. auch W. Salmen in: KongreG-Bericht 
Utrecht 1952). 

Durch die Erfindung des Notendrucks wurden zu Be- 
ginn des 15. Jh. die Liedersammlungen haufiger und 
umfangreicher; sie en thalten jetzt alle mehrstimmige 
C. f.-Lieder (Tenor lieder), so z. B. die Liederbiicher 
des Arnt von ->- Aich, E. -> Oglin, H. -> Ott, G. 
-*■ Forster u. a. Ein spater Nachfahre der handschrift- 
lichen, als Quellen f iir das Volkslied wichtigen Lieder- 
biicher ist das Liederbuch des Studenten -*■ Clodius (1665- 
69). Sehr bekannt wurde um 1800 das Mildheimische 
Liederbuch, herausgegeben Gotha 1799 von R.Z.Bek- 
ker (mehrfach aufgelegt, zuletzt 1838 mit 800 Gedich- 
ten); die Melodien stammen von zeitgenossischen 
Komponisten wie J.Fr. Reichardt, J. A. P. Schulz, J. A. 
Hiller, Schubart, Neefe, Zelter, Nageli u. a. (vgl. M. 
Friedlaender, Das deutsche Lied im 18. Jh., 2 Bande, 3 
Abt., Stuttgart 1902, Nachdruck Hildesheim 1962). 

Liederkranz -> Liedertaf el. 

Liederspiel ist eine dem -»■ Singspiel nahestehende 
Gattung des musikalischen Theaters, die in gesproche- 
ne Dialoge volkstiimlich-schlichte Lieder einstreut. 
Unter dem EinfluB Goethes schuf J. Fr. Reichardt mit 
Lieb und Treue (erste offentliche Auffiihrung: Berlin 
1800) sein erstes als L. bezeichnetes Werk und auBerte 
sich dariiber in einem programmatischen Aufsatz 
(AmZ 1801, S. 709-717, zitiert in KochL): Ich nannte 
das Stuck L., well Lied und nichts als Lied den musikali- 
schen Inhalt des Stiickes ausmachte. Reichardt wollte mit 



526 



Lied ohne Worte 



dem L. ein deutsches, betont lyrisches Gegenstuck zum 
-> Vaudeville schaffen. Durch seine Nachahmer Fr. H. 
Himmel (Frohsinn und Schwarmerei, 1801 ; Fanchon das 
Leyermadchen, 1804),K.Eberwein(HolteisLenore, 1832) 
und viele andere erlangte das L. groBe Beliebtheit. Die 
Grenzen zu Singspiel, Operette, Vaudeville verwischten 
sich nun allerdings; oft suchte die Musik zu sehr die 
Nahe des Volkstiimlichen, und schon um 1830 war 
das aus einer poetisch-musikalischen Idee geborene L. 
weitgehend in den Bereich der Posse hiniibergewech- 
selt. Versuche Mendelssohns (Heimkehr aus der Fremde, 
1829) und Lortzings (Der Pole und sein Kind, 1832), das 
L. zu neuem kunstlerischem Leben zu erwecken, blie- 
ben isoliert. - Neben das szenische L. trat das konzert- 
maBige L. (ohne gesprochene Dialoge) fur mehrere 
Stimmen, meist Vokalquartett, eine lyrische Form mit 
leicht dramatischer Farbung. Bekannte Beispiele sind 
L.Bergers Die schone Mullerin (1816), R. Schumanns 
Spanisches L. (1849), die Zigeunerlieder und die Liebes- 
/ierfer- Walzer von Brahms, in neuerer Zeit das Deutsche 
Volks-L. von H. Zilcher und das Deutsche L. von H. v. 
Herzogenberg. - Die Bezeichnung L. wird auch heute 
noch bei Vokalwerken verwendet, zumeist Choren, 
die in lockerer zyklischer Form Texte eines Dichters 
vereinen, sowie bei kleinen, fiir die Schule bestimm- 
ten szenischen Kantaten. 

Lit.: L. Kraus, Das L. in d. Jahren 1800-30, Diss. Halle 
1921, maschr., Auszug in: Jb. d. philosophischen Fakultat 
Halle 1921/22. 

Liedertafel, ein von Zelter 1809 in Berlin gegriinde- 
ter Kreis von zunachst 24 mannlichen Mitgliedern 
(Sangern, Dichtern und Komponisten), die zum Teil 
auch der Singakademie verbunden waren. Die L. ent- 
stand in romantischer Erinnerung an die Tafelrunde 
der Artus-Sage. Sie gab sich feste Statuten und pflegte 
in einer von vaterlandischen Ideen getragenen Gesellig- 
keit vor allem das Chorlied fiir Mannerstimmen, fiir 
das Zelter zahlreiche eigene Kompositionen beisteuer- 
te. Zelters L. wurde zu einer wichtigen Keimzelle fiir 
den deutschen -»■ Mannerchor. Ihr Vorbild, aber auch 
ihre Exklusivitat, veranlaBten L.Berger und B.Klein 
1819 zur Griindung der jiingeren Berliner L. ; auBer- 
dem wurden nach dem Berliner Vorbild zahlreiche 
weitere L.n gegriindet, u. a. 1815 in Leipzig, 1818 in 
Magdeburg, 1823 in Hamburg, 1827 in Bremen, 1830 
in Hannover, 1839 in Dresden. - Im siiddeutschen 
Raum entstanden nach dem Vorbild des 1810 von H. 
G.Nageli in Zurich gegriindeten, vom humanistisch- 
sozialen Bildungsideal Pestalozzis gepragten Manner- 
gesangvereins volkstumliche, alien Schichten offen- 
stehende Liederkranze, so schon 1817 der Musikverein 
in Schwabisch Hall, 1818 der Singkranz in Heilbronn, 
1824 der Stuttgarter Liederkranz und 1825 der Lieder- 
kranz in Ulm (hier und in Memmingen wurde an 
noch bestehende Traditionen des Meistersangs ange- 
kniipft). - Die bestehenden Chorvereinigungen, so- 
wohl L.n als auch Liederkranze, schlossen sich im Lau- 
fe des 19. Jh. zu -*■ Sangerbiinden zusammen. 
Ausg. : Aus d. Liederschatz d. Zelterschen L., hrsg. v. H. 
Hoppe, Bin (1931). 

Lit.: H. Kuhlo, Gesch. d. Zelterschen L. v. 1809-1909, 
Bin 1909; H. Dietel, Beitr. zur Friihgesch. d. Mannerge- 
sanges, Diss. Bin 1938. 

Liedform, eine von A.B.Marx (1839) gepragte Be- 
zeichnung fiir 2- und 3teilige Formen geringen oder 
mittleren Umfangs. Der Name L. ist als asthetische 
Charakteristik zu verstehen; er soil die Einfachheit und 
Pragnanz der Formen bezeichnen, nicht deren Her- 
kunft, die ehcr in den Tanzsatzen des 16. und 17. Jh. als 
im Lied zu suchen ist. Eine Liedstrophe besteht aus 



Zeilen, die je zwei 4/4-Takte umfassen, wenn der Vers 
vierhebig ist; die Grundeinheit der L. jedoch ist der 
4taktige Satz, die 8taktige Periode oder der aus einem 
Vordersatz, einer sequenzierenden Fortspinnung und 
einem kadenzierenden Epilog zusammengesetzte »Fort- 
spinnungstypus« (W.Fischer 1915). - Die kleinste L. ist 
zweiteilig mit Wiederholung jedes der beiden Teile. 
Der 1 . Teil schlieBt mit einem HalbschluB in der Haupt- 
tonart oder einem GanzschluB in einer verwandten 
Tonart (Dominante in Dur, Tonikaparallele oder Do- 
minante in Moll) ; der 2. Teil f iihrt von der neuen Ton- 
art zur Haupttonart zuriick. Die Teile sind melodisch 
verschieden: |: a :||: b :|, oder durch Wiederkehr der 
Anfangs- oder SchluBpartie miteinander verbunden: 
|: ax :|[: ay :[ oder j: ax :||: bx :]. Seltener ist der ganze 
2. Teil eine Variante des ersten (A. Corelli, Kammerso- 
nate op. 4, V, Allemanda). - Als L. im engeren Sinne 
gilt die 3teilige L., deren Kennzeichen die Wiederkehr 
des Anfangs nach einem abweichenden Mittelteil ist: 
a b a ; die 3teilige Reihungsform a b c, in Tanzen des 16. 
Jh. : I:, a :||: b :||: c :|, wird nicht zu den L.en gezahlt. 
Der 1. Teil wird fiir sich wiederholt, der zweite und 
dritte werden zusammengef aBt : |: a :||: b a :|, so daB 
die 3teilige L. an den Reprisenbar des Mittelalters : 
|: a :||: b a :|, erinnert. Im 2. Teil, der in einer kon- 
trastierenden Tonart steht, werden nicht selten Motive 
des 1. Teils verarbeitet (A.Vivaldi, Kammersonate op. 
1, IV, Allemanda). Die 3teilige L. des friihen 18. Jh. bil- 
det, neben der Konzertform, eine der Voraussetzungen 
der Sonatensatzform. Andererseits wirkte in der Klas- 
sik die Sonatensatzform auf die L. der Menuett- oder 
Scherzosatze zuriick und fiihrte zu deren Erweiterung 
und Differenzierung (Mozart, Streichquartett K.-V. 
464, Menuetto). - Durch Potenzierung der 3teiligen L. 
entsteht die zusammengesetzte L. : A (|: a :||: b a :j) B 
(|: c :||: d c :|) A (j: a :||: b a :|), die z. B. durch das 
Menuett mit Trio reprasentiert wird. Eine Ausdehnung 
der Bezeichnung L. auf groBe, aber nicht durch Po- 
tenzierung entstandene Formen des Typus A B A, z. B. 
die Da-Capo-Arie, ware verwirrend. Als zusammen- 
fassenden Namen fiir samtliche Formen, die auf der 
Wiederkehr des Anfangs nach einem abweichenden 
Mittelteil beruhen, pragte A.Lorenz (1924) den Aus- 
druck »Bogenform«. CD 

Lied ohne Worte (frz. romance bzw. chanson sans 
paroles ; engl. song without words) ist von F. Mendels- 
sohn Bartholdy (8 Hefte mit je 6 L.ern o. W. fiir Kl. : 
op. 19, 1830-32; op. 30, 1833-34; op. 38, 1836-37; op. 
53, 1841; op. 62, 1842-44; op. 67, 1843-45; op. 85, 
1834-45; op. 102, 1842-45) bis A.Schonberg (6. Satz 
der Serenade op. 24, 1923) eine sehr gebrauchliche Be- 
zeichnung fiir kiirzere Instrumentalstiicke (-»• Charak- 
terstiick) nach Art der instrumental begleiteten Lieder 
jener Zeit; oft beginnt und beschlieBt bei Mendelssohn 
die »Begleitung« allein das Stuck. Die musikalischen 
Vorbilder fiir die L.er o. W. von Mendelssohn, auf den 
der Name zuriickgehen diirf te, sind in kantablen Kla- 
vieretuden des friihen 19. Jh. zu sehen, vor allem in den 
12 Etiiden op. 12 (1820) und den 15 Etiiden op. 22 (vor 

1830) von Mendelssohns Lehrer L.Berger, sowie in 
den Studien fiir Kl. op. 70 (1826) von I.Moscheles. 
Der unmittelbare EinfluB von W.Taubert (op. 16, 

1831) auf Mendelssohns L.er o. W. (W.Kahl) wird be- 
stritten. 

Lit. : W. Kahl, Zu Mendelssohns L. o. W., Zf Mw III, 1920/ 
21; ders., Aus d. Friihzeit d. lyrischen Klavierstilcks, 
ZfM LXXXIX, 1922; Ch. Wilkinson, How to Interpret 
Mendelssohn's »Songs Without Words«, London 1930; 
W. Georgii, Klaviermusik, Zurich 1941, Zurich u. Frei- 
burg i. Br. 4 1965 ; D. Siebenkas, Zur Vorgesch. d. L. o. W. 
v. Mendelssohn, Mf XV, 1962. 



527 



Liegnitz 

Liegnitz (Schlesien). 

Lit.: W. Scholz, Beitr. zur Mg. d. Stadt L L. 1941; 

H. Unverricht, Zur Gesch. d. Klavierbaues in L., Instru- 
mentenbau-Zs. IX, 1955. 

Ligatur (lat. ligatura, Verbindung), - 1) in der Modal- 

und Mensuralnotation das zwei oder mehr Noten 

graphisch zu einer Einheit zusammenf assende Zeichen 

(daher definiert als figura ligata oder figura compo- 

sita) im Unterschied zur Einzelnote (figura simplex), 

bisweilen aber auch zur 

-> Coniunctura, d. h. ei- S = Semibrevis 

ner nicht zusammenhan- L = Longa 

gend geschriebenen No- B = Brevis 

tenfolge (mit -> Curren- 

tes), die trotzdem nur ein 

einziges Zeichen bildet 

(z. B. Climacus ■♦J. Das binaria 

Wort ist in dieser Bedeu- . _ • 
ternana 



prietate (letzteres gilt stets fur die beiden ersten Tone 
gemeinsam) und am SchluB sine perfectione geschrie- 
ben sind. Die graphischen Mittel - Weglassen oder 
Hinzufiigen eines Striches (cauda, tractus) und schrage 
(l.a obliqua) statt rechtwinklige Schreibung (l.a recta) - 
waren fiir die absteigenden L.en anders als fur die auf- 
steigenden (gerechnet jeweils vom ersten zum zweiten 
Ton). Das Prinzip, nach dem die rhythmischen Werte 
ermittelt werden, zeigt folgende Zusammenstellung : 



descendens 



binaria 



ascendens 



ternana 



tung seit dem 13. Jh. be- 
legt (Discantus positio vul- 
garis, ed. Cserba, S. 190 
u. 6.). Die altesten L.en, 
also die der Modalnota- 
tion, sind im wesentlichen 
aus -*■ Neumen (-1) des 
nordf ranzosischen Schrif t- 
typus ubernommen: Pes = 3, Flexa = l, Scandicus = 3, 
Climacus = ^ (Variante der obigen Form), Torculus 
= A, Porrectus = J u. a. Ob diese Zeichen bereits vor 
der Ubernahme rhythmisch festgelegt waren (etwa 
im Sinne der durch Guido von Arezzo, Micrologus 
XV, CSM IV, 163, bezeugten mora ultimae vocis), 
ist umstritten. Im Unterschied zu den wohl noch nicht 
modalrhythmisch zu verstehenden melismatischen 
Partien beruhten die Discantuspartien des 2st. -*■ Or- 
ganum der Notre-Dame-Epoche in Rhythmus und 
Schrift schon auf dem modalen Prinzip, so daB man 
es hier oflenbar mit den Anfangen der L.en-Schrei- 
bung zu tun hat. Es scheint von vornherein als allge- 
meine Regel gegolten zu haben, daB jeweils die 
SchluBnote einer L. den relativ langsten Wert erhalt 
(entsprechend der spateren Longa). Damit waren 
aber zunachst nur die 2tonigen L.en (binariae) rhyth- 
misch festgelegt (etwa Brevis + Longa), die mehr- 
tonigen jedoch nicht. Immerhin war der Gebrauch 
3t6niger L.en (ternariae) so streng geregelt, daB 
trotz ihrer Mehrdeutigkeit aus der gewahlten L.en- 
Kombination im allgemeinen klar genug hervorging, 
in welchem Rhythmus die Ternaria jeweils gelesen 
werden muBte (-»■ Modus - 2). Wie aber die mehr 
als 3tonigen L.en rhythmisch aufzuf assen sind, laBt sich 
heute vielfach nicht mehr mit Sicherheit f eststellen. Im 
Zuge der alsbald notwendig gewordenen genaueren 
Festlegung des Rhythmus durch die Notenschrift 
{-*■ Mensuralnotation) wurde das mit festen rhythmi- 
schen Werten (Longa, Brevis, Semibrevis) rechnende 
L.en-System geschaffen, das, von geringfiigigen An- 
derungen abgesehen, bis ins 16. Jh. hinein in Geltung 
blieb. Bezeugt ist dieses System zuerst durch die Theo- 
rie (J. de Garlandia, ed. Cserba, S. 198ff., und CS I, 
178ff., etwas spater Franco von Koln, ed. Cserba, S. 
240ff.) ; in der Praxis scheint es erst allmahlich Verwen- 
dung gefunden zu haben (-> Ars antiqua). In ihrer 
rhythmischen Bedeutung konnen die L.en am Anfang 
(->• Proprietas) und am SchluB (-» Perfectio - 1) modi- 
fiziert werden. Von den aus der Modalnotation tiber- 
nommenen Grundformen (cum proprietate und cum 
perfectione) unterscheiden sich die neu hinzugekom- 
menen abgeleiteten Formen dadurch, daB sie am An- 
fang entweder sine proprietate oder cum opposita pro- 



cum proprietate 


sine proprietate 


cum opposita 
proprietate 


cum 
perfectione 


sine 
perfectione 


cum 
perfectione 


sine 
perfectione 


(Grundform) 


|N B B 
\BBB 


\ L L 
\ LBL 


S L B 
\LBB 


h.kss 

^ SSL 

^ SSB 


% B L 
\ BBL 


3 B L 
^ BBL 


J B B 

^BBB 


3 L L 
3 LBL 


f L B 

jPLBB 


> USS 
^3 SSL 
y SSB 





Bei mehrtonigen L.en haben die mittleren Tone den 
Wert von Breven gemaB der Regel: omnis media brevis, 
nisi per oppositam proprietatem semibrevietur (Franco von 
Koln, ed. Cserba, S. 243). Bis gegen Ende der Ars an- 
tiqua konnte die letzte Note einer L. durch Hinzufiigen 
eines senkrechten SchluBstrichs (nach unten oder nach 
oben) in eine -»• Plica umgewandelt werden; nach dem 
Verschwinden der Plica war der abwarts gerichtete 
SchluBstrich nur mehr Kennzeichen der SchluBlonga 
(z. B. j = J). Die farbige und die Hohlschreibung 
(-»■ Color - 1) haben am L.en-System im Prinzip nichts 
geandert. - 2) die seit dem 16. Jh. allmahlich in Ge- 
brauch gekommene Bindung (ital. legatura; frz. liai- 
son) von Einzelnoten durch einen -> Bogen (- 1) und 
speziell die auf guten Taktteil herubergebundene Note 
(->■ Synkope). 

Lit.: zu 1): W. Niemann, Uber d. abweichende Bedeutung 
d. L. in d. Mensuraltheorie d. Zeit vor J. de Garlandia, 
= BIMG I, 6, Lpz. 1902; H. Rietsch, Ein Gedachtnisbe- 
helf f. d. Ligaturenlesung, ZfMw VIII, 1925/26; O. Ur- 
sprung, Die L. ... , AMI XI, 1939. FZa 

Limma (griech.) -»-Apotome. 

Lingualpfeifen (auch 
Rohr-oderSchnarrwerk; 
engl. reed stops; frz. jeux 
d'anches) sind -*■ Regi- 
ster (- 1) der Orgel, bei 
denen der Luftstrom, 
ahnlich wie bei den Rohr- 
blattinstrumenten, von 
einem schwingenden 
Metallblatt (-»■ Zunge) 
periodisch unterbrochen 
wird. Die Zunge liegt auf 
einer Kehle. Mit einer 
Kriicke kann der schwin- 
gende Teil der Zunge 
verkiirzt oder verlangert 
werden, um die Tonhohe zu regulieren. Das 19. Jh. 
baute gerne auch durchschlagende Zungen. Die Klang- 
farbe der L. wird durch die Breite und Dicke der Zun- 
ge und von der Form des Schallbechers (-> Aufsatze) 
bestimmt. L. werden zu 16', 8' und 4', im Pedal auch 
zu 32' und 2' gebaut. 




Stimmkrucke 



Zunge 



Stiefet 



528 



Lira 



Liniensystem (auch kurz System), das Schema von 5 
parallelen Linien, auf und zwischen denen die Noten 
eingetragen werden. Diese Technik der Notation 
reicht in ihren Urspriingen bis ins 10. Jh. zuriick. In 
Analogie zur Richtlinie des Textes wurde bei diastema- 
tischer Notierung eine solche Richtlinie auch zur deut- 
licheren Hohenordnung der Neumen verwendet (vor- 
wiegend geritzt, nicht selten auch gefarbt), ohne daB 
zunachst der Linie eine bestimmte Tonhohe zugeord- 
net gewesen ware. Auch in Hucbalds De harmonica in- 
stitutione (GS I, 104ff.) haben die Linien keine primare 
Tonhohenbedeutung; sie sind hier als Abbilder von 
Saiten gedacht, deren Zwischenraume durch vorange- 
stelltes T(onus) oder S(emitonium) in ihren Abstanden 

ita^ 



T 


li"" 


in quo 


lus 




T 


Ec isra v / 


\ / 




no 


S 


"^ce / ""he' 


do' 




on 


T 


vere 






e 


T 








x est 




^_ 


_^ 






")■ »M . ••*'--"'*•"•* «,";. 



Ec-ce ve-re is-ra-he-li - ta in quo do 
fixiert sind (Beispiel nach Briissel, Bibl. Royale, 10078/ 
95, f. 87). 

Dieser Technik, bis zu 18 Linien ausgeweitet, bedient 
sich auch die Musica Enchiriadis {-*■ Dasia-Zeichen). 
Gesang nach Neumen auf Linien und in Zwischenrau- 
men wird zuerst 986 fiir das Kloster Corbie iiberlie- 
fert (Gerbert 1774, II, S. 61). Doch war es Guido von 
Arezzo (Regulae rhythmkae, um 1025, GS II, 30ff.), 
der gegeniiber der mancherorts geiibten Praxis, zwi- 
schen 2 Linien 2 oder 3 Zwischentone zu plazieren, mit 
dem Vorschlag nur eines Zwischentons (d. h. mit Ter- 
zenschichtung), mit -*■ Schliisseln und roter (spater ge- 
legentlich griiner) Farbung der F- und gelber (oder grii- 
ner) der C-Linie, fiir die Folgezeit maBgebend wurde. 
Seine Methode setzte sich im 11. und 12. Jh. in Italien, 
Frankreich, Spanien und England allgemein durch und 
verdrangte in Siidfrankreich die einfachere, iiberwie- 
gend mit nur einer Linie notierte Diastematie der aqui- 
tanischen Neumenschrift, in der auch die mehrstim- 
migen St.-Martial-Handschrif ten geschrieben sind 
(->• Quellen: SM). In Deutschland dauerte die Uber- 
gangszeit bis um 1300, doch hielten St. Gallen und eini- 
ge von ihm abhangige Kloster noch bis zum 15. Jh. an 
den linienlosen Neumen f est. Bei sehr hoher oder tief er 
Lage des zu notierenden Gesangs wurden die Tonorte 
von C bzw. f nicht selten auch durch in den Zwischen- 
raum eingefiigte kolorierte Linien markiert (Wagner 
21912, S. 289). Fur die einstimmige Musik setzte sich 
seit dem 12. Jh. dasnochheutein der -»■ Choralnotation 
gebrauchliche Vierliniensystem durch. In der mehr- 
stimmigen Musik wurde nach einer in den Anfangen 
schwankenden Linienzahl das Fiinfliniensystem je 
Stimme allgemein iibhch, wenn auch die itahenische 
Trecentomusik haufig 6 Linien verwendet und verein- 
zelt (vgl. etwa die -*■ Quellen BL und Tr 89) noch im 
15. Jh. 6 und 8 Linien zu linden sind. In der ->• Tabula 
compositoria werden noch im 16. Jh. 10 Linien in ein 
System zusammengezogen. - Wahrend die Lautenta- 
bulaturen die 6 Linien als Abbilder der Saiten des In- 
struments benutzen, greifen itahenische, franzosische 
und englische Tabulaturen fiir Tastehinstrumente zu- 
nachst auf die groBere Linienzahl partiturmaBiger Auf- 
zeichnungen zuriick, legen dann aber zu leichterem 
Uberblick die rechte und linke Hand in je einem eige- 
nen System auseinander, wobei entweder beide Syste- 
me die gleiche Linienzahl aufweisen (5, 6 oder 7) oder 
das L. der rechten Hand mit einer geringeren Zahl von 



Linien auskommt als das der linken (z. B. 5 zu 6, 6 zu 7, 
5 zu 8 oder 6 zu 8). - Die Zahlung der Linien erfolgt 
von unten nach oben. Hilfslinien, d. h. Linien oder Li- 
nienfragmente unter oder fiber dem System, die in den 
Slteren Notationen durch Schltisselwechsel vermieden 
wurden, werden heute gebraucht, wo die Stimmfiih- 
rung den Umfang des Systems iiberschreitet. 1st ihre 
Zahl auch theoretisch unbegrenzt, so beschrankt sich 
die moderne Notation im Hinblick auf groBere Uber- 
sichtlichkeit auf die Zahl von 5 Hilfslinien und bevor- 
zugt bei rascherem Tempo die Oktavierungszeichen 8va 
oder 8 va bassa (-»■ Abbreviaturen - 9). -> Tonsystem. 
Lit.: M. Gerbert OSB, De cantu et musica sacra II, St. 
Blasien 1774; P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregoriani- 
schen Melodien II, Lpz. 2 1912, Nachdruck 
Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders., Aus 
d. Friihzeit d. L., AfMw VIII, 1926; WolfN. 

Linos (griech. Mvoc;), eine uralte Weise, 
die (nach Herodot 2, 79) auBer bei den 
Griechen auch in Phonizien, in Agypten, 
auf Zypern und anderwarts heimisch ge- 
wesen sein soil. Der L. war urspriinglich 
wohl ein Trauergesang (moglicherweise 
lus non est von oder fiir L., einen mythischen San- 

ger), ist aber auch als Gesang bei der Weinlese bezeugt 
(Homer, Bias 18, 570). 

Linz an der Donau. 

Lit. : O. Wessely, L. u. d. Musik - Von d. Anfangen bis 
zum Beginn d. 19. Jh., Jb. d. Stadt L. 1950, L. 1951 ; ders., 
Die Musikinstr.-Slg d. Oberosterreichischen Landesmu- 
seums, = Kat. d. Oberosterreichischen Landesmuseums 
IX, L. (1952); ders., Das L.er Musikleben in d. 1. Halfted. 
19. Jh., Jb. d. Stadt L. 1953, L. 1954; K. M. Klier, L. im 
Liede, ebenda 1954 (Nachtrage ebenda 1960), L. 1955 ; H. 
Wimmer, Das L.er Landestheater 1803-1958, = Schriften 
d. Inst. f. Landeskunde v. Oberosterreich XI, L. 1958; W. 
Jerger, Von d. Musikvereinsschule zum Bruckner-Kon- 
servatorium 1823-1963, L. 1963. 

Lippenpfeifen -» Labialpfeifen. 

Liqueszens (von lat. liquescens, flieBend werdend), 
eine verschleifende Art des Vortrags, die in der Neu- 
menschrift (Neumen - -1) besonders gekennzeichnet 
wurde. Sie war durch die Aussprache gewisser Laute 
bedingt (SchluBlaute der Diphthonge ei, au, eu, Zwi- 
schenlaute zwischen Konsonanten wie ad-te, Beilaute 
der liquiden Konsonanten 1, m, n, r). Das Zeichen fiir 
die L., das aus dem Hyphen der antiken Prosodie abzu- 
leiten ist, ist ein runder Haken, der in einigen Schriften 
als Cephalicus, Epiphonus, Ancus mit dem Hauptzei- 
chen zusammengeschrieben, sonst aber hinzugesetzt 
wird (eine Sonderform ist das -*■ Quilisma). Aus ihm 
entwickelte sich spater die -> Plica, die zwar eine ahn- 
liche Bedeutung besitzt, jedoch nicht mehr an die Form 
des Lautes gebunden ist. 

Lira (ital., von griech. -*■ lyra), Name fiir ein in ver- 
schiedenen Dimensionen und Stimmungen gebautes 
Streichinstrument der Renaissance, dessen Grundtyp, 
die L. da braccio, ebenso wie die damals auch L. ge- 
nannte -*■ Viola, auf die mittelalterliche Fiedel zuriick- 
geht. Auf Bildwerken wird das vermeintlich antike 
Instrument in den Handen von Orpheus, Apoll, Ho- 
mer, Konig David und von Musen dargestellt. Liren 
konnten zu mehreren im Ensemble gespielt werden, 
wie z. B. aus einem Werk von Gombert hervorgeht: 
Musica quatuor vocum (vulgo Motecta nuncupatur), Lyris 
maioribus, ac Tibiis imparibus accomodata (1539), wurden 
aber meistens als Begleitinstrument zu Sologesangen 
(Schering Beisp. Nr 99) oder in gemischten Ensembles 
verwendet. Charakteristisch fiir die L. da braccio sind 
die abgespreizten Saiten (meist 2 von insgesamt 7), das 
fast immer bundlose breite Griffbrett, der herz- oder 



34 



529 



Lira organizzata 



blattformige Wirbelkasten mit vorderstandigen Wir- 
beln sowie der nur schwach gewolbte Steg, der mehr- 
stimmiges Spiel erleichtert. Eine abgespreizte, nicht 
iiber das Griffbrett laufende Saite kommt bereits bei 
Fiedeln des 13. Jh. vor. Das Titelblatt einer Epithome 
Plutarchi (Ferrara 1501) zeigt z. B. eine Fiedel mit 5 
Griffbrett- und 2 abgespreizten Saiten. Das Corpus der 
L. ist entweder nur schwach eingezogen (so noch auf 
einer Intarsie des 15. Jh. in Urbino), in 2 Biigeln ausge- 
bildet (B.Montagnas Madonna von 1499; V. Carpac- 
cios »Darstellung Jesu im Tempeh von 1510), oder es 
hat Ober-, Mittel- und Unterbugel und kommt da- 
mit der spateren Violine nahe (Holzschnitt in: Ovid, 
Metamorphoseos Vulgare, Venedig 1497; erhaltene L. 
von Joan Maria, wahrscheinlich Brescia um 1540 mit 
Boden- und Deckenwolbung). Stimmung und Na- 
men der Saiten sind nach Lanfranco (1533) : d d 1 (bassi), 
g g 1 (bordoni), d 1 a 1 e 2 (tenore, sottanella, canto). - Die 
L. da gamba (krone perfetto, arciviola da 1., auch arci- 
violata 1., accordo), das BaBinstrument der L.-Familie 
mit 9-16 Saiten und meist bebiindetem Griffbrett, 
hielt sich in Italien bis zur Mitte des 17. Jh. Auch bei der 
L. da gamba wird unterschieden zwischen den auBer- 
halb des Griffbretts sowie den ersten zwei iiber dem 
Griffbrett liegenden Saiten einerseits (beides sind je- 
weils in Oktaven gestimmte Chore) und alien iibrigen 
Saiten andererseits, die in Quinten gestimmt werden. 
Cerreto (1601) gibt als Stimmung an: G g (corde di 
fuor), c c 1 , g di, a el, h fis 1 , cisi (corde di dentro). Mer- 
senne (1636/37) beschreibt eine 15saitige, nach dem 
gleichen Prinzip gestimmte (BaB-)»Lyre«. 
Lit.: A. Haidecki, Die ital. L. da braccio, Mostar 1892; 
G. R. Hayes, Mus. Instr. and Their Music 1500-1750, 2 
Bde, London 1928-30; B. Disertori, L'arciviolata 1. in un 
quadro del Secento, RMI XLIV, 1940; ders., Pratica e 
tecnica della 1. da braccio, RMI XLV, 1941 ; E. Winter- 
nitz, Quattrocento-Intarsien als Quellen d. Mg., Kgr.- 
Ber. Koln 1958; ders., Artikel L. da braccio, in: MGG 
VIII, 1960. 

Lira organizzata, Lira tedesca (ital.), -*■ Dreh- 
leier. 

Lirone perfetto (ital.) ->- Lira. 

l'istesso tempo, lo stesso tempo, medesimo tempo 
(ital.), dasselbe (d. h. im gleichen) ZeitmaB. Tempo- 
vorschrift beim Wechsel vom geraden zum ungeraden 
Takt (und umgekehrt), welche die gleichbleibende 
Zeitdauer der Notenwerte (z. B. Viertel = Viertel, 
aber auch 2/4 J = 6/8 J.) oder der Takte (z. B. Ganz- 
takt = Ganztakt, 4/4 o = 3/4 J.) fordert. 

Litanei (griech. AiTaveta; lat. litania oder letania, 
spater litaniae), ein Bittgebet oder Bittgesang in Form 
von Anrufungen. Ihren fiir das 5. bis 7. Jh. in der ro- 
mischen Kirche nachweisbaren Urtyp stellt die aus der 
Ostkirche stammende Kyrie-L. (-> Leise) dar, bei der 
das Volk die von einem Vorbeter bzw. Vorsanger am 
Anfang der Messe oder am SchluB von Laudes und 
Vesper vorgetragenen Gebete jeweils mit der Bittfor- 
mel Kyrie eleison beantwortete. (Weitere Bittformeln: 
Amen; Te rogamus, audi nos; Ora pro nobis.) Wahrend 
des 7. Jh. entstand in Rom mit der Allerheiligen-L. die 
einzige seit dem Mittelalter liturgisch vollgiiltige Form 
(heutige Textfassung von Pius V.). Von den zahlrei- 
chen Neuschopfungen gestattete Clemens VIII. (1601) 
nur die volkstiimliche Lauretanische L. (zu Ehren 
Marias, genannt nach dem Wallfahrtsort Loreto). Ge- 
genwartig werden sechs approbierte L.en (vor allem 
bei Andachten) verwendet (Texte im Rituale Roma- 
num). In der offiziellen Liturgie wird jedoch nur die 
Allerheiligen-L. vorgetragen (z. B. wahrend der Oster- 
nachtsfeier, in den Weihe- und Benediktionsmessen, 



bei der Kirchweihe sowie bei der Prozession am Fest 
des hi. Markus und an den drei Bittagen vor Christi 
Himmelfahrt). Ihre Choralfassung ist u. a. im Gra- 
duale und im Antiphonale Romanum enthalten. - 
Seit dem 16. Jh. wurden die L.en - an erster Stelle die 
lauretanische - vielfach mehrstimmig vertont, oft als 
Falsobordonesatz (z. B. von Palestrina und Lassus), und 
in dieser Setzweise, mit englischen Texten versehen, 
auch in die anglikanische Kirche iibernommen. Als 
bedeutendste Sammlung alterer mehrstimmiger L.en 
erschien 1596 der Thesaurus litaniarum des Georgius 
Victorinus. - Unter Mozarts Werken befinden sich 4 
L.-Kompositionen (K.-V. 109, 125, 195, 243). 
Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Me- 
lodien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; K. G. Fellerer, Mozarts L., in: Ber. iiber d. mw. 
Tagung d. internationalen Stiftung Mozarteum in Salz- 
burg 1931, Lpz. 1932; Th. Thelen, L., in: Hdb. d. kath. 
Kirchenmusik, hrsg. v. H. Lemacher u. K. G. Fellerer, 
Essen 1949; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington 
(1958); J. Roth, Die mehrst. lat. Litaneikompositionen d. 
16. Jh., =K61ner Beitr. zur Musikforschung XIV, Re- 
gensburg 1959. 

Litauen. 

Ausg. u. Lit.: Chr. Bartsch, Dainii balsai. Melodien li- 
thauischer Volkslieder, 2 Bde, Heidelberg 1886-89; C. 
Sachs, Die litauischen Instr., Internationales Arch. f. Eth- 
nographic XXIII, 1915; J. Zilevicius, Native Lithuanian 
Mus. Instr., MQ XXI, 1935; U. Katzenellenbogen, Anth. 
of Lithuanian and Latvian Folksongs, Chicago 1935; Lie- 
tuvin liaudies melodijos (»Volkstiimliche litauische Me- 
lodien*), hrsg. v. J. Ciurlionyte, Kaunas 1938; Lietuviu. 
liaudies dainos (»Litauische Lieder«), hrsg. v. dems., Wil- 
na 1955; J. Balys, Lithuanian Narrative Folksongs, = A 
Treasury of Lithuanian Folklore IV, Washington 1954; 
Z. Ivinskis, Kirchengesang in L. im 16.-17. Jh., Jb. d. 
Baltischen Forschungsinst. I, 1954; A. Maceina, Das 
Volkslied als Ausdruck d. Volksseele. Geist u. Charakter 
d. litauischen Dainos, ebenda II, 1955; J. Karklin, Deut- 
sche Volksliedmotive im Liederschatz d. Letten u. Litauer, 
Diss. Heidelberg 1955, maschr. ; W. Banaitis, Kanonfor- 
men in d. litauischen Volksmusik, in: Pro Musica. Zs. f. 
Musik, 1958; G. Cetkauskaite, Principes du classement 
du folklore mus. lituanien, Studia musicologica VII, 1965. 

Lithophone (von griech. a&o?, Stein), Schlagidio- 
phone aus Stein; auBer nichtabgestimmten Klang- 
werkzeugen primitiver Kulturen (Steinklappern, -ras- 
seln) versteht man darunter zumeist plattenformige 
Klangsteine (Phonolithen), die durch Auswahl der 
Steinart, GroBe und Abschleifung auf eine bestimmte 
Tonhohe gebracht sind. Mehrere solcher Steine, die 
wie ein Gongspiel aufgehangt oder horizontal aufge- 
reiht sein konnen, stellen ein Steinspiel dar, das beson- 
ders in der Musikkultur Chinas bis in die jungste 
Zeit eine bedeutende Rolle spielte (-» K'ing) . Alteste Be- 
lege (um 1400 v. Chr.) sind schriftliche Erwahnungen 
in Dokumenten der Schang-Dynastie und ein jiingst 
ausgegrabener Klangstein aus derselben Epoche (in 
Anyang, China). Von China ausgehend wurden die 
L. im ganzen Fernen Osten bekannt (Turkestan, Korea, 
Japan, Indochina). Neuerdings glaubt man, auch in 
Afrika und Sudamerika L. entdeckt zu haben. Die mu- 
sikhistorische Bedeutung dieser L. liegt darin, daB der 
klingende Stein, sofern er unbeschadigt und von Alter 
und Witterung unbeeinfluBt ist, seine urspriingliche 
Stimmung behalt und deshalb Riickschliisse auf langst 
vergangene Tonsysteme zulafit. Lithophonahnliche 
(nicht massive) Instrumente sind die indische Ton- 
trommel (ghatam) und die persisch-indischen -*• Jal- 
tarang. - In Europa nahm C. Orff das Steinspiel, be- 
stehend aus 6 abgestimmten liegenden Steinplatten 
- dis 2 e 2 f 2 fis 2 (ges 2 ) g 2 a 2 -, in sein Schlagzeug auf (An- 
tigonae, Trionfo di Afrodite), nachdem das 19. Jh. nur ei- 
nige kuriose Versuche hervorgebracht hatte (Fr.We- 



530 



bers »Lithokymbalon« in Wien 1837; das Spiel der 
Briider Bozz auf Pflastersteinen in Berlin 1880). 
Lit. : A. Huth, Die Musikinstr. Ost-Turkistans bis zum 11. 
Jh. n. Chr., Diss. Bin 1 928 ; H. Simbrioer, Klangsteine . . . , 
in: Anthropos XXXII, 1937; A. Schaeffner, Une im- 
portante decouverte archeologique: le 1. de Ndut Lieng 
Krak (Vietnam), Rev. de Musicol. XXXIII, 1951 ; H. Hus- 
mann, Das neuentdeckte Steinzeitlithophon, Mf V.1952; 
Fr. A. Kuttner, Nochmals: d. Steinzeit-L. v. Annam,' 
Mf VI, 1953; B. Fagg, The Discovery of Multiple Rock- 
Gongs in Nigeria, in: African Music I, 3, 1956; R. Mauny, 
Nouvelles pierres sonores d'Afrique occidentale, Notes 
africaines LXXIX, 1958. 

Liturgie (griech. AeiTOUpyta; lat. liturgia). Leitur- 
gia bezeichnet im klassischen Griechisch ein im Inter- 
esse des Volkes unternommenes, offentliches Werk, in 
der griechischen Bibel den priesterlichen Kult. Im 
christlichen Osten (-»■ Byzantinischer Gesang) ist L. 
einf ach Name fur die Messe. (L. der Katechumenen ent- 
spricht dem Wortgottesdienst der romischen Messe, 
L. der Glaubigen der eigentlichen Eucharistiefeier.) Im 
Westen wird der Begriff erst seit dem 16. Jh. verwen- 
det, zunachst ebenfalls eingeengt auf die Messe, dann 
(in der kirchenamtlichen Sprache seit dem 19. Jh.) fiir 
die Gesamtheit des rechtlich geordneten Gottesdienstes. 
Ob nur die durch papstlich approbierte Biicher gere- 
gelten Handlungen L. sind (im Unterschied zu den pia 
exercitia bischof lichen Rechtes; vgl. die Instruktion 
iiber Kirchenmusik und L. vom 3. 9. 1958), oder ob L. 
»Gottesdienst der Kirche« bedeutet (Jungmann), bleibt 
diskutiert. Die Liturgiekonstitution des 2. Vatikani- 
schen Konzils vermeidet eine Definition der L., um- 
schreibt aber ihre wesentlichen Elemente: Verherrli- 
chung Gottes und Heiligung der Menschheit als »Voll- 
zug des Priesteramtes Christi« in der Kirche (Artikel 
5-13). - Die heutige Form der katholischen L. geht 
hauptsachlich auf die liturgischen Neuordnungen von 
Pius V. und Clemens VIII. zuriick (Breviarium Roma- 
num 1568, Missale Romanum 1570, Pontificale Romanum 
1596), doch sind seit Pius X. wichtige Reformen im 
Gange. - Untrennbar mit der Geschichte der L. ist die 
Entwicklung liturgischer Musik verbunden. Aus vor- 
christlichen (sowohljiidischen wie antik- griechischen) 
Elementen entstanden in Ost und West verschiedene 
Formen liturgischer Musik (->■ Gregorianischer Gesang, 
-*■ Ambrosianischer Gesang, -*■ Gallikanischer Gesang, 
->■ Mozarabischer Gesang, -*■ Messe). Das Verhaltnis 
von L. und Musik birgt Spannungselemente. So zeigte 
die Kirchenmusik seit dem Mittelalter immer wieder 
die Tendenz zu einer - von der Bindung an die L. mehr 
oder weniger gelosten - Eigenentwicklung. Demge- 
geniiber betonten kirchliche Erlasse stets die dienende 
Aufgabe der Musik im Ganzen der L. Marksteine die- 
ser Auseinandersetzung waren : Constitutio Johannes' 
XXII. Docta Sanctorum Patrum (1324/25); Sessio XXII 
des -> Tridentiner Konzils (1562) ; Motu proprio Pius' 
X. Tra le solkcitudini (1903) ; Enzyklika Pius' XII. Mu- 
sicae sacrae discipline! (1955). - Daneben ftihrte seit dem 
10. Jh. die Entwicklung der nur gelesenen Messe (an- 
stclle des gesungenen Amtes) und des privat vom ein- 
zelnen Priester rezitierten (anstatt von einer Gemein- 
schaft gesungenen) Stundengebets dazu, die Musik als 
bloB auBerliches Verfeierlichuhgselement abzuwerten. 
Die liturgische Erneuerung im 20. Jh. bewirkte wieder 
ein tieferes Verstandnis der L. und damit auch des rech- 
ten Ortes der Musik in ihr. Die Choralstudien der Be- 
nediktiner von Solesmes schufen im 19. Jh. die Voraus- 
setzungen fiir die musikalische Reform der liturgischen 
Biicher unter Pius X. (-»■ Kirchenmusik - 1). 
Im protestantischen Gottesdienst tritt die L. gegeniiber 
der Wortverkiindigung zuriick. Doch sind in der 
lutherischen und in der Hochkirche heute Bestrebun- 



Liturgisches Drama 

gen im Gange, dem seit Mitte des 18. Jh. eingetretenen 
Verfall der L. Einhalt zu gebieten, eine durchgeplante, 
auf die Verkiindigung bezogene Gestaltung der gottes- 
dienstlichen Formen zu erreichen und den Gottesdienst 
durch Wiedererwecken der alten Symbolwerte zu er- 
neuern. Der wichtigste Orientierungspunkt sind die 
liturgischen Bestimmungen und Gepflogenheiten des 
Reformationszeitalters. Die liturgische Bewegung der 
1920er/30er Jahre und die Reformen von -> Gesang- 
buch und -> Agende sind ein Zeugnis von diesen Be- 
strebungen und ihren Ergebnissen. Auch wird in neue- 
rer Zeit versucht, den Gregorianischen Gesang in den 
evangelischen Gottesdienst einzubeziehen (Alpirsba- 
cher Kreis). -»■ Kirchenmusik (-2). 
Lit.: Zur kath. L.: P. Wagner, Einfiihrung in die Grego- 
rianischen Melodien I, Lpz. 3 1 9 1 1, Nachdruck Hildesheim 
u. Wiesbaden 1962; L. Eisenhofer, Hdb. d. kath. Liturgik, 
2 Bde, Freiburg i. Br. 1932-33, M941 ; C. Vaoaggini, II 
senso teologico della liturgia, Rom 1957, deutsch als: Theo- 
logie d. L., Einsiedeln 1959; H. Schmidt SJ, Introductio 
in liturgiam occidentalem, Rom, Freiburg i. Br. u. Barce- 
lona 1960; L'eglise en priere, hrsg. v. A.-G. Martimort, 
Tournai 1961, deutsch als: Hdb. d. Liturgiewiss. I, Frei- 
burg i. Br., Basel u. Wien (1963); J. A. Jungmann SJ, Mis- 
sarum Sollemnia, 2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 
5 1962; H. Volk, Theologische Grundlagen d. L., Mainz 
(1964). - Zur ev. L. : G. Rietschel u. P. Graff, Lehrbuch 
d. Liturgik I, Gottingen 2 1951 ; Leiturgia. Hdb. d. ev. Got- 
tesdienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. Blankenburg, 
Kassel 1954ff.; L. Fendt, Einfiihrung in d. Liturgiewiss., 
Bin 1958; E. L. Brand, The Liturgical Function of Music, 
Diss, theol. Heidelberg 1959, maschr. ; Die Religion in 
Gesch. u. Gegenwart IV, Tubingen 3 1960, Sp. 401ff. 

Liturgische Biicher sind in der romischen Kirche of- 
fizielle, d. h. formlich approbierte und in einer Editio 
typica vorliegende Biicher mit den gottesdienstlichen 
Texten, Melodien und rituellen Anweisungen. Wie 
noch heute in den Ostkirchen, waren sie ursprunglich 
verschiedenen Tragern der liturgischen Handlung 
(Priester, Lektor, Kantor usw.) zugeordnet. Die L.n B. 
der romischen Kirche wurden nach dem -> Tridentiner 
Konzil neu herausgegeben und allgemein verpflich- 
tend vorgeschrieben (Ausnahmen: mailandische und 
altspanische Liturgie, Lyon, Braga urtd einige Orden). 
Unter ihnen sind zu nennen : ->■ Brevier (letzte of fizielle 
Ausgabe 1961), -* Missale (1962), -+ Pontificale (1962), 
-> Rituale (1952); fur den Gesang: -> Kyriale (1905), 
-» Graduale (- 2; 1908), -* Antiphonale (1912), Can- 
torinus (191 1). - Die Liturgiekonstitution des 2. -»■ Va- 
tikanischen Konzils (1963) sieht eine Revision aller L.n 
B. vor (Artikel 25). 

Liturgisches Drama und Mysterienspiele. Die 
bis ins spate Mittelalter lebendige Tradition von zu- 
nachst liturgischen (d. h. an die Liturgie angeschlos- 
senen, im Kirchenraum stattfindenden), dann geistli- 
chen Spielen (auBerhalb der Kirche) nahm ihren Aus- 
gang von dem seit dem 10. Jh. nachweisbaren Oster- 
tropiis Quern queritis in sepulcro mit seinem Dialog zwi- 
schen dem Engel und den heiligen Frauen, der Tuotilo 
von St. Gallcn zugeschrieben wird. Ursprunglich vor 
dem Introitus gesungen, wurde er schliefilich ins Of- 
fizium verlegt und fand seinen Platz entweder in der 
Vesper vor dem Magnificat oder in der Matutin vor 
dem Te Deum. Erst hier erfolgte seine Ausweitung, 
die mit der von drei (den drei Marien entsprechenden) 
Priestern verkundigten Botschaft von der Auferste- 
hung weitere Szenen der Auferstehungsgeschichte ver- 
bindet. Dazu gehoren u. a. des Petrus und Johannes 
Gang zum Grabe, Maria Magdalenens Begegnung mit 
dem auferstandenen Christus sowie die Riickkehr vom 
Grabe, die haufig mit Wipos Ostersequenz Victimae 
paschali laudes verbunden wurde. Die Ausgestaltung 



34* 



531 



Liturgisches Drama 



der Szenenfolge variierte in lokalen und regionalen 
Traditionen und erreichte ihren Hohepunkt wohl im 

13. Jh. Die Einfuhrung ahnlicher Szenen an anderen 
Kirchenfesten, wie Weihnacht, Epiphanie und Him- 
melf ahrt, bald auch an Marienfesten, erf olgte nach dem 
Vorbild des Osterspiels, wobei ebenfalls gern von ei- 
nem Tropus ausgegangen wurde. Diesen Zusammen- 
hang laBt am deutlichsten die Befragung der Hirten 
(Quern queritis in presepe) von Weihnachten erkennen, 
die ihrerseits mit anderen Szenen zusammentritt, so 
etwa mit dem zunachst selbstandigen Officium pasto- 
rum, dem Gang zur Krippe. Dieses Weihnaehtsspiel 
fand seinen Platz in der Matutin ebenso wie das Offi- 
cium stellae mit den Drei Konigen anEpiphanias. Uber- 
all sind dramatische Ansatze enthalten, deren nicht sel- 
ten sich auswachsende drastische Gestaltung dazu bei- 
getragen haben mag, daB die Spiele sich vom liturgi- 
schen Zusammenhang und vom Raum der Kirche 
losten und seit dem 13. Jh. vor das Kirchenportal oder 
auf den Kirchplatz verlegt wurden. Dieser Ortswechsel 
kennzeichnet gleichzeitig das Heraustreten der Spiele 
aus der Kloster- oder Kapitelgemeinschaft und den 
Beginn ihrer Wandlung zum geistlichen Volksschau- 
spiel. Damit parallel gent der wachsende Anteil schon 
frtiher eingefiihrter vulgarsprachlicher Texte (vgl. den 
»Sponsus« bei Gennrich) und gesprochener Partien. 
Spiele in den Volkssprachen sind seit dem Beginn des 

14. Jh. nachzuweisen und werden (anfanglich unter Lei- 
tung eines Geistlichen) von Laien ausgefiihrt. 

Die bildhaften und einpragsamen Darstellungen wur- 
den zuerst in Frankreich als mysteres bezeichnet, wo- 
bei mystere von ministerium (= officium und alter 
ordo) abzuleiten ist. Eine besondere Art der M. waren 
die gegen Ende des 14. Jh. aufgekommenen Moralita- 
ten, in denen abstrakte Eigenschaften personifiziert 
wurden. In den M.n, die im Gegensatz zu den Anfan- 
gen der Gattung iiberwiegend rezitierte, nicht mehr 
gesungene Texte aufweisen, nimmt die Musik den- 
noch einen groBen Raum ein durch Einfiigung von 
zum Teil lateinischen und liturgischen Gesangen (z. B. 
Hymnen) und Choren sowie Instrumentalspiel, nicht 
selten auch Tanzen. Wie weit solche Einschube sich 
vom eigentlichen Spiel entfernen konnten, zeigen die 
den Rappresentazioni sacre beigefiigten ->• Interme- 
dien. Zur Darstellung gelangten Geschehnisse des Alten 
und Neuen Testaments, aber auch Legenden- und Mi- 
rakelstoffe, die den Auffiihrungen noch grofiere Frei- 
heiten boten. Die mehrere Tage hindurch an den Vor- 
und Nachmittagen stattfindenden M., die als groBe 
Volksfeste (haufig mit Wagenumziigen) begangen 
wurden, konnten in ihrem Inhalt von der Erschaffung 
der Welt iiber das Leben Jesu bis zum letzten Gericht 
reichen. Weihnachts-, Passions- und Osterspiel und 
das Spiel vom Antichrist waren darin nur noch Teile 
eines das gesamte Weltgeschehen umfassenden Gan- 
zen, das mit dem immer starkeren Hervortreten welt- 
lichen Glanzes und auBeren Gepranges den EinfluB von 
Ideen rdmischer Rinascita und die Auflosung des mit- 
telalterlichen Weltbildes erkennen laBt. Hier liegt einer 
der wesentlichen Griinde fiir die Ablehnung der M. 
durch die Reformation und auch durch die Jesuiten, 
die die M. bei Ubernahme mancher ihrer Stoffe und 
Praktiken durch andere Formen des geistlichen Dra- 
mas (-»• Schuloper) ersetzten. Reste der mittelalter- 
lichen M. haben sich in gewissen Traditionen von 
geistlichen Volksschauspielen erhalten. Am bekannte- 
sten sind die Passionsspiele von Oberammergau, die 
(unter Verwendung alterer Vorlagen) 1634 erstmals 
aufgefuhrt wurden. Auch hier hat die Musik noch 
starken Anteil. Die gegenwartig verwendeten Kom- 
positionen von 1815 stammen von Rochus Dedler, der 



als Lehrer und Organist in Oberammergau tatig war. 
Vor dem geistigen Hintergrund bayerischer Spieltra- 
dition schuf C. Orff das Osterspiel Comoedia de Christi 
Resurrectione (1957) und das Weihnaehtsspiel Ludus de 
nato Infante mirificus (1960). 

Lit. : A. Schubiger OSB, Mus. Spicilegien, = PGf M, Jg. 
I V, 2, Bd V, Lpz. 1 876; P. Bohn, Marienklage u. Theophilus, 
MfM IX, 1877; L. Petit de Julleville, Les mysteres, 2 
Bde, Paris 1880; K. F. Kummer, Sechs altdeutsche My- 
sterien nach einer Hs. d. 1 5. Jh., Wien 1 882 ; F. Pedrell, La 
festa d'Elche, SIMG II, 1900/01 ; ders., La festa d'Elche ou 
le drame lyrique liturgique espagnol, Paris 1906; E. Roy, 
Le mystere de la passion en France du XIV e au XVI e s., 
Rev. bourguignonne XIII, 1903 -XIV, 1904, separat Dijon 
(1904); P. Wagner, Das Dreikonigsspiel zu Freiburg i. d. 
Schweiz, Freiburger Geschichts-Blatter X, 1903; ders., 
Ein rheinisches Osterspiel in einer Hs. d. 17. Jh., Zs. f. 
deutsches Altertum LVI, 1918; H. Diemer, Oberammer- 
gau u. seine Passionsspiele, Miinchen 2 1910; L. Witt- 
mann, Die Oberammergauer Passionsmusik, Oberammer- 
gau 1910; Ch. Maclean, Oberammergau, ZIMG XII, 
1910/11 ; M. J. Rudwin, A Hist, and Bibliogr. Survey of 
the German Religious Drama, Pittsburgh 1924; A. Orel, 
Die Weisen im »Wiener Passionsspiel«, Mitt. d. Ver. f. 
Gesch. d. Stadt Wien VI, 1926; F. Liuzzi, L'espressione 
mus. nel dramma liturgico, Studi medievali, N. S. II, 1929 ; 
G. Cohen, Le theatre en France au moyen age, 2 Bde, Pa- 
ris 1929-3 1 ; ders., Hist, de la mise en scene dans le theatre 
religieux frc. du moyen age, Paris (1952); Fr. Gennrich, 
GrundriB einer Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; K. 
Young, The Drama of the Medieval Church, 2 Bde, Ox- 
ford 1933,21951; W. Lipphardt, Studien zu d. Marienkla- 
gen: Marienklage u. germanische Totenklage, Beitr. zur 
Gesch. d. deutschenSpracheu.Lit.LVIII, 1934; ders., Die 
Weisend.lat.Osterspieled.l2.u. 13.Jh., = Mw.Arbeitenll, 
Kassel 1948; H. Sievers, Die lat. liturgischen Osterspiele d. 
Stiftskirche St. Blasienzu Braunschweig, = Kieler Beitr. zur 
Mw. II, Wolfenbuttel u. Bin 1936; E. Hartl, Das Drama d. 
MA,4Bde, = DeutscheLit.,ReiheDramad.MAI-IV,Lpz. 
u. Halle 1937-42; M. S. De Vito, L'origine del dramma li- 
turgico, in: Bibl. della Rassegna XXI, 1938; H. Osthoff, 
Deutsche Liedweisen u. Wechselgesange im ma. Drama, 
AfMf VII, 1942; J. Smitsvan Waesberghe SJ, Muziek en 
Drama in de Middeleeuwen, Amsterdam 1943, 2 1954; 
ders., A Dutch Easter Play, MD VII, 1953; ders.. Das 
Nurnberger Osterspiel, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957; 
W. L. Smoldon, The Easter Sepulchre Music-Drama, ML 
XXVII, 1946; ders., Liturgical Drama, in: The New Ox- 
ford Hist, of Music II, London 1 954; ders. , The Music of the 
Medieval Church Drama, MQ XLVIII, 1962; F. Michael, 
Die geistlichen Passionsspiele in Deutschland, Baltimore 
1947; A. A. Abert, Das Nachleben d. Minnesangs im li- 
turgischen Spiel, Mf I, 1948; K. Dreimuller, Die Musik 
im geistlichen Spiel d. spaten deutschen MA, KmJb 
XXXIV, 1950; N. C. Carpenter, Music in the Secunda 
Pastorum, Speculum XXVI, 1951; E. A. Schuler, Die 
Musik d. Osterfeiern, Osterspiele u. Passionen d. MA I, 
Kassel 1951 ; S. Corbin, Le ms. 201 d'Orleans. Drames li- 
turgiques dits de Fleury, Romania LXXIV, 1953; G. 
Frank, The Medieval French Drama, Oxford 1954; C. I. 
Stratman, Bibliogr. of Medieval Drama, Berkeley u. Los 
Angeles 1954; G. Vecchi, Uffici drammatici Padovani, 
in: Bibl. dell'Arch. Romanicum I, 41, 1954; J. Chailley, 
Le drame liturgique medieval a St-Martial, Rev. de la Soc. 
d'hist. du theatre VII, 1955; E. Krieg, Das lat. Osterspiel 
v. Tours, = Literarhist.-mw. Abh. XIII, Wurzburg 1956; 
H. Kindermann, Theatergesch. Europas I, Salzburg 
(1957); K. Langosch, Geistliche Spiele, Darmstadt 1957; 
J. Stevens, Music in the Medieval Drama, Proc. R. Mus. 
Ass. LXXXIV, 1957/58; R. B. Donovan, The Liturgical 
Drama in Medieval Spain, = Pontifical Inst, of Mediaeval 
Studies and Texts IV, Toronto 1958; W. Irtenkauf u. H- 
Eggers, Die Donaueschinger Marienklage . . . , Carinthia 
CXLVIII, 1958; Sacre rappresentazioni nel ms. 201 della 
Bibl. municipale di Orleans, Faks. u. Cbertragung hrsg. 
v. G. Tintori u. R. Monterosso, = Instituta et monumen- 
ta I, 2, Cremona 1958; O. Ursprung, Hildegards Drama 
»Ordo Virtutum«, Gesch. einer Seele, in: Miscelanea en 
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; E. A. Bow- 
les, The Role of the Mus. Instr. in Medieval Sacred Dra- 



532 



Lombardischer Rhythmus 



ma, MQ XLV, 1959; H. Craig, Engl. Religious Drama of 
the Middle Ages, Oxford (1961); M. M. McShane, The 
Music of the Medieval Liturgical Drama, Diss. Catholic 
Univ. of America (Washington/D. C.) 1961, maschr. ; W. 
Elders, Gregorianisches in liturgischen Dramen d. Hs. 
Orleans 201, AMI XXXVI, 1964; M. Bernard, L'officium 
stellae nivernais, Rev. de Musicol. LI, 1965. 

Lituus (lat., urspriinglich Krummstab der Auguren), 
war bei den Romern ein militarisches Signatinstrument 
mit konischer Rohre und Kesselmundstiick, das be- 
reits die Etrusker kannten. Im 16./17. Jh. war L. die 
lateinische Bezeichnung fur das Krummhorn, im 18. 
Jh. fiir den Zink. Die beiden Litui in Bachs Kantate O 
Jesu Christ, mein's Lebens Licht (BWV 118) waren tiefe 
(Tenor-)Trompeten in B. Als Orgelregister war L. im 
16.-18. jh. eine Zungenstimme. 
Lit.: Praetorius Synt.; WaltherL; Adlung Mus. mech. 
org.; C. Sachs, L. u. Karnyx, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 
1910; ders., Die Litui in Bachs Kantate »0 Jesu Christ«, 
Bach-Jb. XVIII, 1921 ; F. Leifer, Studien zum antiken 
Amterwesen I, Lpz. 1931 ; A. Voigt, Die Signalinstr. d. ro- 
mischen Heeres u. d. L., Deutsche Instrumentenbau-Zei- 
tung XXXIV, 1932. 

Liuto (ital.) -*■ Laute; arciliuto ->■ Erzlauten; 1. at- 
tiorbata (ital.), eine Laute, die zur -*■ Theorbe umge- 
baut ist (theorbierte Laute). Liutaio ist eigentlich Lau- 
tenmacher, dann aber allgemein der Verfertiger von 
lautenartigen und auch von Streichinstrumenten (wie 
-»■ Luthier). 

Lizenz (von lat. licentia, Erlaubnis, Befugnis), im 
-*■ Urheberrecht die Ubertragung eines Nutzungs- 
rechtes gegen eine L.-Gebuhr. Bei Tontragern erhal- 
ten Urheber und Verleger Gebiihren, die durch Ver- 
wertungsgesellschaften verwaltet werden (in der Bun- 
desrepublik ->- GEMA, fruher AMMRE). Bei Konzert- 
auffuhrungsrechten (sogenannten Kleinen Rechten, in 
der Bundesrepublik ebenfalls durch die GEMA verwal- 
tet) spricht man von Gebiihren, bei Buhnenrechten 
(GroBen Rechten, verwaltet durch die Verleger) von 
-> Tantiemen. Ubertragt ein Verlag auf einen anderen 
(Subverlag) das Recht zur Ausgabe eines Werkes (L.- 
Ausgabe), ist Vereinbarung einer L.-Gebiihr iiblich. - 
Unter Zwangs-L. versteht man die im Urheberrechts- 
gesetz verankerte Verpflichtung zur Genehmigung von 
Schallplattenaufnahmen an jeden anderen gegen ange- 
messene Vergiitung, sobald eine erste Aufnahme ge- 
nehmigt worden ist. -*■ Licenza. 

Lit.: E. Schulze, Urheberrecht in d. Musik u. d. deutsche 
Urheberrechtsges., Bin 1951, 21956; W. Bappert u. E. 
Wagner, Rechtsfragen d. Buchhandels, Ffm. 21958 ; H. D. 
Beck, Der Lizenzvertrag im Verlagswesen, = Urheber-. 
rechtliche Abh. d. Inst. f. auslandisches u. internationales 
Patent-, Urheber- u. Markenrecht d. Univ. Miinchen II, 
Munchen 1961; A. v. Hase, Der Musikverlagsvertrag, 
ebenda III, 1961 ; Stellungnahme d. Musikverleger v. 16. 4. 
1963 zur Regierungsvorlage eines Urheberrechtsgesetzes 
(Bundestags-Drucksache IV/270), Bonn 1963. 

Loa ist im Spanien des 16.-18. Jh. ein kurzes instru- 
mentalbegleitetes Vorspiel zu Theaterstiicken (autos 
sacramentales, comedias, zarzuelas). 
Lit.: E. Cotarelo y Mori, Coleccion de entremeses, 1., 
bailes, jacaras y mojigangas desde fines del s. XVI a media- 
dos del XVIII, Madrid 1911. 

Lobetanz -»■ Kuhreigen. 

Lochamer Liederbuch -»■ Liederbiicher; ->• Quel- 
len: Loch. 

loco (lat./ital., »an seinem Platz«), hebt ein vorausge- 
gangenes 8va (all'ottava) auf. In Violinkompositionen 
auch nach vorausgegangenem sul G, sul D oder4 me 
corde usw. Anweisung, wieder in gewohnlichen La- 
gen zu spielen. 



Logarithmus. Der L. einer Zahl z (log z) ist der Ex- 
ponent a derjenigen Grundzahl (Basis) «, die potenziert 
der Zahl z gleich ist; d. h. "log z = a, wenn n" = z 
(n > 1 oder 1 > n > 0). So ergibt sich fiir den L. zur Ba- 
sis 10, denBriggsschen oder dekadischen L. ( 10 log= lg) 
von 100 (lg 100) = 2, weil 10 2 = 100 ist. Da fur das Po- 
tenzrechnen die Regeln n"-nb= n a *>> und n":n>> = n"-b 
gelten, konnen durch Aufsuchen des L. die Multipli- 
kationen auf Additionen, die Divisionen auf Subtrak- 
tionen zuruckgefiihrt werden. Bei der logarithmischen 
Rechnung addiert bzw. subtrahiert man jedoch nicht 
mehr zahlbare GroBen wie cm, g, sec oder Energiewer- 
te, sondern stellt das Verhaltnis dieser GroBen zu zweck- 
maBig gewahlten GrundgroBen fest. Die Logarithmen 
zur Basis e (= 2,71828), die natiirlichen Logarithmen 
(''log = In), spielen hauptsachlich in Wissenschaft und 
Technik eine Rolle. Dieses Logarithmensystem ist z. B. 
in die Exponentialf ormel der -*■ Dampf ung von schwin- 
gungsfahigen Systemen eingegangen (-»■ Nachhall). 
Die logarithmische Intervallberechnung geschah zu- 
nachst mit dem dekadischen L., bei dem z. B. die Ok- 
tave 2:1 den Wert des lg 2 = 0,30103 hat. Euler be- 
riicksichtigte die besondere Stellung der Oktave ge- 
geniiber den anderen Intervallen und errechnete fiir 
sie den Wert >1<, indem er die Logarithmen auf die 
Basis 2 bezog (dyadischer L.). Mit dem dekadischen L. 
ist der dyadische durch die Beziehung 

2 log z = lg z : lg 2 = lg z : 0,30103 
verbunden. Multipliziert man die lOer- und 2er- 
Logarithmen mit 1000, so erhalt man fiir die Oktave 
301,03 -> Savarts bzw. 1000 -> Millioktaven. Bei der 
Rechnung in -> Cents, deren Logarithmen auf die 

1200 

Basis [/^bezogen sind, ist die Oktave gleich 1200 
gesetzt. 

Lokrisch-*- Sy sterna teleion. 

Lombardei (Italien). 

Lit.: L. Parigi, I pittori lombardi e la musica, Mailand 
1934; E. T. Ferand, The »Howling in Seconds« of the 
Lombards, MQ XXV, 1939; Cl. Sartori, Une pratique 
des musiciens lombards (1582-1639), in: La musique instr. 
de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955; G. 
Barblan, Le orch. in Lombardia all'epoca di Mozart, 
Kgr.-Ber. Wien 1956; Musicisti lombardi ed emiliani. Per 
la XV settimana mus., hrsg. v. A. Damerini u. G. Ron- 
caglia, Siena 1958. 

Lombardischer Rhythmus. Lombardischen Ge- 
schmack nennen Quantz (1752) und J.Fr.Agricola 
(1757) eine Schreibart, bei der man bisweilen, von zwo 
oder drey kurzen Noten, die anschlagende kurz machet, und 
hinter die durchgehende einen Punct setzet (Quantz Ver- 
such, XVIII, 58), z. B. in Vivaldis Violinkonzert F dur 
(Pincherle Nr 317), 1. Satz, Takt 21f. : 




L. Rh. ist bereits im 16. Jh. gelegentlich (z. B. Ganas- 
si 1535), seit dem Stilwandel um 1600 haufig nachzu- 
weisen (z. B. Caccini 1601, Frescobaldi 1614 im Vor- 
wort zum 1. Buch seiner Toccaten). Als Vortragsma- 
nier oder notiert ist er seit dem Ende des 17. Jh. auch in 
Frankreich anzutreffen; um die Mitte des 18. Jh. war 
er allgemein sehr beliebt. Fr. Couperin beschreibt ihn 
als Vortragsmanier in den Verzierungstabellen zu sei- 
nen Pieces de clavecin (1713) wie 



folgt: Coules, dont les points ^g a L f T p f f t 



marquent que la seconde notte i 
chaque terns doit itreplus appuyee. Diese fast immer durch 
Zeichen angedeutete oder in grofien Noten ausgeschrie- 
bene Figur, z. B. : 



533 



London 




J.S.Bach, Cembalokonzert D dur, BWV 1054, 
2. Satz, Takt 23f . 
erwahnt schon Loulie 1696 (Elements ou principes de nui- 
sique, S. 62) als eine Moglichkeit der Ausf uhrung 
gleichartig notierter Tonfolgen fur Noten mit dem 
halben Wert der Zahleinheit im ternaren Takt (z. B. 
Achtel im 3/4-Takt) und deutet sie f olgendermaBen an : 



m u^ \ >i ir [f^-u 



w 

Zur Ausfuhrung sagt Agricola (S. 68), daft bey dieser 
Figtir die erste Note starker und scharfer angegeben werden 
mufi, als wenn sie ein Vorschlag ware. Auch vom Rhyth- 
mus alia -> zoppa ist der L. Rh. zu unterscheiden. In 

volkstumlicher Musik ist der Rhythmus JJ-, auch 
Scotch snap oder Scotch catch genannt, charakteri- 
stisch fiir den schottischen Strathspey und die pseudo- 
schottischen Lieder des 18.-19. Jh. sowie fiir die Wei- 
sen der Ungarn, aber auch der Slowaken, Polen und 
WeiBrussen. 

Lit.: H. Goldschmidt, Die ital. Gesangsmethode im 17. 
Jh., Breslau 1890, 21892, S. 1 1 6fT. ; R. Lach, Studien zur 
Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913; 
C. Sachs, Rhythm and Tempo, NY 1953, S. 301ff. 

London. 

Lit.: J. Ward, The Lives of the Professors of Gresham 
College, L. 1740 (mit 12 Musikerbiogr.); anon. (J. Haw- 
kins), An Account of the Institution and Progress of the 
Acad, of Ancient Music, L. 1 770; W. Jackson, Observations 
on the Present State of Music in L., L. 1791 ; M. Kelly, 
Reminiscences of the King's Theatre, NY 1826, L. 21826, 
2 Bde; E. Taylor, Gresham College, L. 1838; G. Hogarth, 
The Philharmonic Soc. of L. ... (1813-62), L. 1862; Ch. 
Box, Church Music in the Metropolis, L. 1884; H. Klein, 
30 Years of Mus. Life in L., NY 1903; H. S. Wyndham, 
The Annals of Covent Garden Theatre, from 1732-1897, 
2 Bde, L. 1906; W. H. Gr. Flood, The Engl. Chapel Royal 
Under Henry V and VI, SIMG X, 1908/09; ders., The 
Beginnings of the Chapel Royal, ML V, 1924; H. C. de 
Lafontaine, The King's Musick . . . (1460-1700), L. 1909; 
C. W. Pearce, Notes on Old L. City Churches, L. 1909; 
M. B. Foster, Hist, of the Philharmonic Soc. of L., 1813- 
1912, L. 1912; W. H. Cummings, The Lord Chamberlain 
and Opera in L., Proc. Mus. Ass. XL, 1913/14; S. J. A. 
Fitz-Gerald, The Story of the Savoy Opera, L. 1924; E. 
St. Roper, The Chapels Royal and Their Music, Proc. 
Mus. Ass. LIV, 1927/28 ; E. J. Dent, Foundations of Engl. 
Opera, Cambridge 1928 ; ders., A Theatre for Everybody, 
The Story of the Old Vic. and Sadler's Wells, L. 1945 ; W. 
L. Sumner, A Hist, and Account of the Organs of St. Paul's 
Cathedral, L. 1 93 1 ; ders., Music in L. from the Restoration 
to Handel, in: Essays and Lectures, Oxford 1945; H. A. 
Scott, L. Earliest Public Concerts, MQ XXII, 1936; ders., 
L. Concerts from 1700 to 1750, MQ XXIV, 1938; R. El- 
kin, Queen's Hall, 1893-1941, L. 1944; ders., Royal Phil- 
harmonic. The Annals of the Royal Philharmonic Soc, L. 
1947; ders., The Old Concert Rooms of L., L. 1955; D. 
Sh awe-Taylor, Covent Garden, L. 1948; L. G. Lang- 
will, Two Rare Eighteenth-Cent. L. Directories, MLXXX, 
1 949; B. Neel, The Story of an Orch., L. 1 950; H. W. Shaw, 
Eighteenth Cent. Cathedral Music, L. 1 952; W. L. Wodfill, 
Musicians in Engl. Soc. from Elizabeth toCharlesI, = Prin- 
ceton Studies in Hist. IX, Princeton (N. J.) 1953; H. J. 
Foss u. N. Goodwin, L. Symphony. Portrait of an Orch., 
1904-54, L. 1954; J. Harley, Music and Musicians in 
Restoration L., MQ XL, 1954; E. Pine, The Westminster 
Abbey Singers, L. 1954; M. Stapleton, The Sadler's Wells 
Opera, L. 1 954 ; H. C. Baillie, A L. Church in Early Tudor 
Times, ML XXXVI, 1955; ders., A L. Gild of Musicians, 
Proc. R. Mus. Ass. LXXXII, 1955/56; ders., L. Churches, 
Their Music and Musicians, Diss. Cambridge 1957/58; 
ders., Some Biogr. Notes on L. Musicians, Proc. R. Mus. 



Ass. LXXXV, 1958/59; W. S. Scott, Green Retreats. The 
Story of Vauxhall Gardens, 1661-1859, L. 1955; W. C. 
Smith, The Ital. Opera and Contemporary Ballet in L. 
1789-1820, = The Soc. for Theatre Research, Annual Vol. 
Ill, 1953/54, L. 1955; M. Tilmouth, The Royal Acad, of 
1695, ML XXXVIII, 1957; ders., Some Early L. Concerts 
and Music Clubs, 1670-1 720, Proc. R. Mus. Ass. LXXXIV, 
1957/58; ders., A Calendar of References to Music in 
Newspapers Published in L. . . . (1660-1719), L. 1961 ; H. 
Rosenthal, Two Cent, of Opera at Covent Garden, L. 
1958; J. Merrill Knapp, A Forgotten Chapter in Eigh- 
teenth-Cent. Engl. Opera, ML XLII, 1961 ; Ph. Lord, The 
Engl.-Ital. Opera Companies 1732-33, MLXLV, 1964. 

Longa (erganze: nota oder figura; lat., die lange), No- 
tenwert der -*■ Mensuralnotation: m, seit dem 15. Jh.: 

t^, Pause: EE oder ~[~ . Als SchluBnote iibersteigt der 

Wert der L. oft den von 2 Breves. In moderner Nota- 
tion erscheint die L. nicht mehr quadratisch, sondern 
breitgezogen (ca). 

Longway (l'orjwei, engl.) -*■ Country dance. 

lo stesso tempo (ital.) -*■ l'istesso tempo. 

Lothringen. 

Ausg.: L. Pinck, Verklingende Weisen, 5 Bde, I-IV Hei- 
delberg 1926-39, V, hrsg. v. A. Merkelbach-Pinck mit J. 
Muller-Blattau, Kassel 1962. 

Lit.: A. Jacquot, La musique en Lorraine, Paris 2 1882; 
ders., Essai de repertoire des artistes lorrains, Paris 1904; 
ders., Les facteurs d'orgues et de clavecin lorrains, Paris 
1910; J.-J. Barbe, Dictionnaire des musiciens de la Mo- 
selle . . . , Metz 1929 ; L. Pinck, Das Odilienlied in L., Arch, 
f. Elsassische Kirchengesch. VIII, 1933; J.Brauner (mit L. 
Pinck), Kath. deutsche Kirchengesangbiicher in L., StraB- 
burg 1938 ; O. Druner, Die deutsche Volksballade in L., 
Beitr. zur Erforschung ihrer Weisen, = Schriften d. Wiss. 
Inst. d. ElsaB-Lothringer im Reich an d. Univ. Ffm., N. F. 
XXI, Ffm. 1939; H. Lepage, Etudes sur le theatre en Lor- 
raine, in: Memoires de la Soc. d'archeologie lorraine, 
Nancy 1948. 

Loure (lu:r, frz., von spatlat. lura, s. v. w. Luftsack, 
moglicherweise auch von altnordisch ludr, danisch 
luur, s. v. w. Alphorn), im spatmittelalterlichen Frank- 
' reich eine ->- Sackpfeife, deren Name und Gebrauch 
sich bis ins 20. Jh. besonders in der Normandie erhal- 
ten haben. - Auf die Spielweise der L. nimmt die Vor- 
tragsbezeichnung loure Bezug ; sie empfiehlt dem Aus- 
fiihrenden, von zwei gleichlangen Vierteln (oder Ach- 
teln) dem ersten un peu plus de temps et deforce zu geben 
(BrossardD), jedoch ohne den Effekt einer Punktierung, 
und untersagt ihm andererseits, die auf eine tatsachlich 
punktierte Note folgende abgestoBen zu spielen (loure, 
s. v. w. geschleift). - AuBer einem Instrument bezeich- 
net L. (wie ->■ Musette - 4) einen Tanz landlicher Her- 
kunf t, der im letzten Jahrzehnt des 17. Jh. hoffahig wur- 
de und Aufnahme in die Opern-, Ballett- und Konzert- 
musikfand. Nach Charpentier (Medee, 1694) und Cam- 
pra (Prologue de I 'Europe galante, 1697) gebrauchte Dela- 
lande seit 1698 die L. haufiger in seiner Intermedien- 
und Ballettmusik. Auf ihre Beliebtheit am Hof e zu Ver- 
sailles weisen Bemerkungen in zeitgenossischen Druk- 
ken, z. B. : L. dansee par le Roy und L. dansee par M. le 
Due de Chartres (Delalande, Lesfolies de Cardenio, 1720, 
und L'Inconnu, 1720). Mattheson (1739), der die meist 
im 6/4-, selten im 3/4-Takt stehende L. falschlich als 
eine Abart der -*■ Gigue bezeichnet, hebt sie von deren 
englischen und italienischen Formen als »spanisch« ab 
wegen ihrer steifen, gravitatischen Tanzfiguren und 
ihres langsamen ZeitmaBes. Fast ausnahmslos beginnt 
die L. mit dem charakteristischen Auf takt: 

f ^j i j- jj j- ;j i 



534 



Luren 



Entsprechend ihrer Herkunft aus der Vulgarmusik 
wurde die L. in Opern oft zur Charakterisierung na- 
turhafter Wesen eingesetzt (z. B. L. pour les Centaures 
in Pirithoiis von Mouret, 1723; L. im Ballett zu Zoro- 
astre von Rameau, 1749/56, wozu les peuples elemen- 
taires rendent hommages a Zoroastre). - Uber die Ballett- 
musik fand die L, Eingang in die franzosische -*■ Suite 
fiir Orchester und schlieBlich in die Kammer- bzw. 
Solosuite des Spatbarocks. Fr. Couperin reihte sie in ein 
Concert dans legout thiatral (= Les Gouts reunis Nr VIII) 
ein, Telemann in zahlreiche seiner Ouverturensuiten. 
J.S.Bach gab der L. die kunstvollste Pragung in der 3. 
Partita (BWV 1006) fur Solovioline und in der 5. Fran- 
zosischen Suite (BWV 816). Als Charakterstiick fiir 
Klavier hielt sich die L. - nach dem Untergang der 
franzosischen Ouvertiire - noch bis zur Wende des 
18./19. Jh. (vgl. Tiirk, Klavierschule, 1789, und KochL). 
Lit. : D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 1789, Faks. 
hrsg. v. E. R. Jacobi, = DM1 I, 23, 1962; P.-M. Masson, 
L'opera de Rameau, Paris 1930, 2 1943 ; N. Dufourcq, M.- 
R. Delalande, Paris 1957. RG 

Lucca. 

Lit.: L. Nerici, Storia della musica in L., = Memorie e 
documenti per servire alia storia di L. XII, L. 1880; L. 
Landucci, Per le tradizioni mus. lucchesi . . . , L. 1906 ; A. 
Bonaccorsi, Spettacoli mus. lucchesi: LeTasche, in: Boll, 
storico lucchese VII, 1935; ders., Cat. con notizie biogr. 
delle musiche dei maestri lucchesi ..., CHM II, Florenz 
1 956; U . Rolandi, Spettacoli per la f unzione delle »Tasche« 
in L., in: II libretto per musica attraverso i tempi, Rom 1951. 

Lii (chinesisch), die 12 durch Quintschritte auseinan- 
der entstehenden Tone des chinesischen Tonsystems. 
Nach dem Mythos hat ein Phonixpaar dem Minister 
Ling-Luh (um 2600 v. Chr.) die 12 Tone vorgesungen, 
der himmlische Phonixvogel sang 6 Tone, sein Weib- 
chen ebenfalls. Zu jedem Ton sol] Ling-Lun ein gleich- 
tonendes Rohr geschnitten haben (vgl. Pfrogner, S. 70). 
Historisch hat sich das System der mannlichen (yang) 
und weiblichen (yin) Tone wahrscheinlich in der 
Schang-Dynastie (1500-1050 v. Chr.) herausgebildet. 
In dieser Zeit wurden die Quinten durch Uberblasen 
oder Verkurzen des Rohrs gewonnen. Benutzt werden 
fiir die halbtonlose pentatonische Gebrauchsleiter die 
durch die ersten 5 Quintschritte vom Ton huang 
tschung aus gewonnenen Tone. Fiir das voile System 
der 12 Lii, das vor allem auf dem K'in durch Saitentei- 
lung erstellt werden kann, wurde im 16. Jh. auch eine 
Temperatur erfunden. 

Lit.: »Friihling u. Herbst d. Lii Wu Pe«, libers, u. hrsg. v. 
R. Wilhelm, Jena 1928; H. Pfrogner, Die Zwolfordnung 
d. Tone, Zurich, Lpz. u. Wien 1953; Fr. A. Kuttner, A 
»Pythagorean« Tone-System in China ..., Kgr.-Ber. 
Koln 1958 ; W. Kaufmann, Mus. Notations of the Orient, 
= Indiana Univ. Series XL, Bloomington 1967. 
Liibeck. 

Lit.: J. v. Magius, Bemerkungen uber d. Theater in L., L. 
1 804, Faks. L. 1938; C. v. Hahn-Neuhaus, Uber d. Theater 
in L., L. 1823; C. Stiehl, L.isches Tonkiinstlerlexikon, 
Lpz. 1887; ders., Mg. d. Stadt L., L. 1891 ; ders., Gesch. d. 
Theaters in L., L. 1902; W. Stahl, K. Ruetz (1708-55), 
ein l.ischer Zeit- u. Amtsgenosse J. S. Bachs, Fs. D. Fr. 
Scheurleer, 's-Gravenhage 1925; ders., Gesch. d. Kirchen- 
musik in L. bis zum Anfang d. 19. Jh., Kassel 1931 ; ders., 
Die »Totentanz«-Org. d. Marienkirche zu L., Mainz 1932, 
2 1942; ders., Die L.er Abendmusiken im 17. u. 18. Jh., 
L. 1937; ders., L. Org., L. 1939; ders., Mg. Beziehungen 
zwischen Gottorp, Husum u. L., in: L.er Blatter LXXXII, 
1939; ders. mit J. Hennings, Mg. L., 2 Bde, Kassel 1951- 
52 ; W. Jannasch, Gesch. d. lutherischen Gottesdienstes in 
L. v. d. Anfangen d. Reformation bis zum Ende d. Nieder- 
sachsischen als gottesdienstlicher Sprache . . . , Gotha 
1928 ; E. H. Fischer, L.er Theater u. Theaterleben in friihe- 
ster Zeit bis zur Mitte d. 1 8. Jh., L. 1932 ; H. Edelhoff, Die 
Abendmusiken in L., MuK VIII, 1936; Chr. Mettin, 200 



Jahre Stadttheater in d. Beckergrube, L. 1953; G. Kar- 
stadt, Die Slg alter Musikinstr. im St. Annen-Museum, 
= L.er Museumshefte II, (1955); ders., Die»extraordinai- 
ren« Abendmusiken D. Buxtehudes, =Veroff. d. Stadt- 
bibl. L., Neue Reihe V, L. 1962. 

Liineburg. 

Lit.: W. Junghans, J. S. Bach als Schiiler d. Partikular- 
schule zu St. Michaelis in L. . . . , Programm d. Johan- 
neums zu L. 1870; M. Seiffert, Die Chorbibl. d. St. Mi- 
chaelisschule in L. zu S. Bachs Zeit, SIMG IX, 1907/08; 
E. W. Bohme, 150 L.er Musiker-Namen (1532-1864) 
L. 1950, maschr. ; G. Fock, Der junge Bach in L., Hbg 
1950; Fr. Blume u. M. Ruhnke, Aus d. Mg. d. Stadt L., 
in: Aus L. tausendjahriger Vergangenheit, L. 1956; H. 
Sievers, Bach u. d. Musikleben welfischer Residenzen, in: 
Bach-Festbuch, L. 1956; Fr. Onkelbach, L. Lossius u. 
seine Musiklehre, = Kolner Beitr. zur Musikforschung 
XVII, Regensburg 1960; P. A. v. Magnus, Die Gesch. d. 
Theaters in L. bis zum Ende d. 18. Jh., L. 1961 ; H. Wal- 
ter, Beitr. zur Mg. d. Stadt L. im 17. u. beginnenden 18. 
Jh., Diss. Koln 1962, maschr. 

Liittich. 

Lit.: A. Auda, La musique et les musiciens de Pancien 
pays de Liege, L. (1930) ; J. Flament, Le theatre liegeois au 
XVIII e s., Brussel 1935; J. Smits van Waesberghe SJ, Some 
Music Treatises . . ., MD III, 1949; ders., Mus. Beziehun- 
gen zwischen Aachen, Koln, L. u. Maastricht v. 11.-13. 
Jh., = Beitr. zur rheinischen Mg. VI, Koln u. Krefeld 1 954 ; 
Les »Motets Wallons« du ms. de Turin, 2 Bde, hrsg. v. A. 
Auda, Brussel (1953) ; J. Quintin, Les maitres de chant de 
la cathedrale St-Lambert a Liege auxXV e etXVI e s., RBM 
VIII, 1954; ders., Les maitres de chant et la maitrise de la 
collegiale St-Denis, a Liege, au temps de Gretry, = Acad. 
Royale de Belgique.Classe des beaux-arts, Memoires, Col- 
lection in-8° II, 13, 3, Brussel 1964; J. Philippe, Glanes 
hist, sur les musiciens de l'ancien pays de Liege, L. 1 956 ; S. 
Clercx-Lejeune, Mille ans de tradition mus., in: Liege et 
l'occident, L. 1958. 

Luren (danisch Lur, Plural Lurer) sind kunstvoll in 
mehreren Teilen aus Bronze gegossene Blasinstrumen- 
te (Horner) der germanischen Vorzeit, S-formig ge- 
wunden und gedreht, wobei der untere und der obere 
Teil in einer zum Mittelteil senkrechten Ebene liegen. 
Die bis iiber 2 m langen, leicht konischen L. werden 
oben meist mit einem flachen Zierteller, oft mit Son- 
nenornamenten, abgeschlossen und haben konische 
oder kesselformige Mundstiicke. Ihr Klang ist dem 
der Posaune ahnlich. Seit 1797 fand man solche Instru- 
mente und nannte sie Lur (obwohl man von diesem 
in den nordischen Sagas erwahnten Kriegsinstrument 
der Wikingerzeit nichts Naheres wuBte). Die 49 be- 
kannten L. stammen zum groBeren Teil aus Danemark, 
zum kleineren aus Norddeutschland, Norwegen und 
Schweden. Das Nationalmuseum in Kopenhagen be- 
wahrt 19 zum Teil noch spielbare L. aus dem 16.-6. Jh. 
v. Chr., die meist als je zwei symmetrische gefunden 
wurden. Diese Form deutet wohl auf das Vorbild von 
Mammutzahnen oder Tierhornern. Die L. waren ger- 
manische Kultinstrumente. Das ergibt sich aus dem oft 
angebrachten Sonnenornament, aus den Fundorten 
und aus Felsbildern der Bronzezeit. Da je 2 L. gleich 
groB sind, wurden sie wohl paarweise benutzt. Ein 
heutiger Blaser erreicht zwar den 12. Oberton, aber 
die Hypothese einer Mehrstimmigkeit im iiblichen 
Sinne (O.Fleischer 1898 und 1915, W. Pastor 1910, 
K.Grunsky 1933) ist unhaltbar. Die Art des L.-Spiels 
erklarte R.v.Ficker 1929 durch den Hinweis auf eine 
uralte, in der Normandie fortlebende Hornermusik: 2 
oder mehrere Naturhorner derselben Stimmung um- 
kreisen immer den gleichen Vierklang oder Fiinfklang, 
als Abschattierung einer stets gleichen Klangqualitat, 
dem Glockengelaut einer Kirche vergleichbar. Wahr- 
scheinlich wurden also bei der Kultmusik der Germa- 
nen die L. im Sinne primarer Klangwirkung benutzt. 



535 



Luthier 



Lit. : A. Hammerich, Studier over bronzelurerne i Natio- 
nalmusaeet i KJ0benhavn, Aarboger for nordisk olkyn- 
dighed og hist. VIII, 1 893, deutsch in : Vf Mw X, 1 894, dazu 
K. Kromanin: Aarb0ger . . . XVIII, 1903-XIX, 1904; H. 
Schmidt u. Fr. Behn, Die L. v. Daberkow, Prahist. Zs. 
VII, 1915; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik I, 
Stuttgart u. Bin 1920, 5 1930; R. v. Ficker, Primare Klang- 
formen, JbP XXXVI, 1929; C. Sachs, Geist u. Werden d. 
Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hilversum 1965; A. Ol- 
deberg, A Contribution to the Hist, of the Scandinavian 
Bronze Lur in the Bronze and Iron Ages, Acta Archaeo- 
logica XVIII, 1947 ; H. Chr. Broholm, W. P. Larsen u. G. 
Skjerne, The Lures of the Bronze Age, Kopenhagen 1949 ; 
H. Chr. Broholm, Bronzelurerne i Nationalmusaeet, 
ebenda 1959. 

Luthier (liitj'e, frz.; ital. liutaio), Lautenmacher, auch 
Verfertiger von Zupf- und Streichinstrumenten oder 
iiberhaupt Musikinstrumentenmacher und -handler. 

Luzern. 

Lit. : F. J. Breitenbach, Die groBe Org. d. Hofkirche in L., 
1920; J. A. Saladin, Die Musikpflege am Stift St. Leode- 
gar in L., in: Der Geschichtsfreund C, 1948; J. B. Hilber, 
Die Musikpflege in d. Stadt L., = L. im Wandel d. Zeiten 
IX, L. 1958; R. Kaufmann, Das R.-Wagner-Museum in 
Tribschen in L., ebenda X, L. 1958. 

Lydisch -» Systema teleion. 

Lyon. 

Lit.: D. G. E. Monnais, De la musique a L. depuis 1713 
jusqu'a 1852, Rev. et Gazette mus. de Paris XX, 1953; J. 
PoTHiEROSB,Lechantdel'eglisedeL.duVIII e auXVIII e s., 
Rev. de l'art Chretien XXV, 1881 ; M. Reuchsel, La mu- 
sique a L., L. 2 1903; A. Salles, L'opera ital. et allemand a 
L. au XIX e s. (1805-22), L. 1907; L. Vallas, Un siecle de 
musique et de theatre a L., L. 1932; G. Vuillermoz, Cent 
ans d'opera a L. ... 1831-1931, L. 1932; S. Corbin, La 
notation mus. neumatique. Les quatre provinces lyon- 
naises, L., Rouen, Tours et Sens, Diss. Paris 1957, maschr. ; 
J. Tricou, Documents sur la musique a L. au XVI e s., Bull, 
de la Soc. hist, et archeologique de L. XXI, 1957/62; H. 
Glahn, Et fransk musikhandskrift . . . , Fund og forskning 
. . . V/VI, Kopenhagen 1958/59. 

Lyra (griech. Xupa, das Wort ist wohl nichtgriech. 
Herkunft), - 1) die antike »Schildkrotenleier«, ein dem 
Barbitos, der Kithara, der Phorminx ahnliches, von 
diesen aber schon im Altertum nicht immer klar unter- 
schiedenes Saiteninstrument, das bei den Griechen zu- 
mal in klassischer und nachklassischer Zeit weiteste 
Verbreitung fand. Der Name begegnet in den Quellen 
erstmals um 600 v. Chr. (im neugefundenen Sappho- 
Fragment 103 bei Lobel-Page und im homerischen 
Hermes-Hymnus, Vers 423). Als Schallkorper diente 
der Panzer einer Schildkrote, spater auch ein ahnlich 
geformtes Corpus aus Holz (ein bronzenes in Kertsch 
auf der Krim, dem antiken Pantikapaion, gehorte 
wahrscheinlich nicht zu einem wirklichen Instrument, 
sondern zu einer plastischen Nachbildung). Auf Vasen- 
bildern sind die Jocharme anfangs gerade dargestellt 
(Hydria aus Analatos, Anfang des 7. Jh. v. Chr.), spater 
in geschwungener Form, oft in der Art von Tierhor- 



nern. Die Erhohung der Saitenzahl von 5 auf 7 wird 
Terpandros (7. Jh. v. Chr.) zugeschrieben; der Ge- 
brauch des ->- Plektrons beim Spielen ist seit dem Her- 
mes-Hymnus bezeugt (Vers 53 u. 6.). Ober die Her- 
kunft des Instruments besteht keine Klarheit. Da der 
Typ der Schildkrotenleier im Orient unbekannt war, 
scheint es sich um eine griechische Erfindung zu han- 
deln. Darauf laBt auch der verhaltnismaBig junge, zum 
ersten Mai im Hermes-Hymnus erzahlte Mythos schlie- 
Ben, wonach Hermes das Instrument - es heiBt dort 
Phorminx, Chelys, L. und Kitharis - erfunden und 
seinem Bruder Apollon iibergeben habe. Im Unter- 
schied zur -> Kithara hat die L. die Entwicklung zum 
vielsaitigen Virtuoseninstrument offenbar nicht mit- 
gemacht. Sie gait in hellenistischer Zeit als das eigent- 
liche Instrument der Dichter und Sanger (damals kam 
die Bezeichnung »Lyrik« auf), doch laBt sich schwer 
entscheiden, wie weit der Begriff der L. hierbei gefaBt 
war. Die Romer unterschieden kaum noch zwischen 
L. und Kithara. Im f riihen Christentum traten weder das 
Instrument noch sein Name in Erscheinung. - 2) -»■ Li- 
ra. - 3) -»■ Leier. - 4) ein in Militarkapellen seit dem 19. 
Jh. gebrauchliches, dem -*■ Schellenbaum ahnliches 
Instrument (auch Stahlspiel oder Glockenspiel genannt), 
dessen aufeinander abgestimmte Stahlplatten auf einem 
lyrafbrmigen Rahmen lose angebracht sind und mit 
einem Hammerchen zum Klingen gebracht werden. 
- 5) lyraformiges Pedalgestell bei Klavierinstrumenten. 
Lit. : zu 1) : K. v. Jan, De fldibus Graecorum, Bin 1 859 ; W. 
Johnsen, Die L., Bin 1879; L. Deubner, Die viersaitige 
Leier, Mitt. d. Deutschen Archaologischen Inst., Atheni- 
sche Abt. LIV, 1929; T. Norlind, L. u. Kithara in d. An- 
tike, STMf XVI, 1934; O. Gombosi, Tonarten u. Stim- 
mungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck 
1950; C. Sachs, The Hist, of Mus. Instr., NY (1940); M. 
Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949; Fr. 
Behn, Musikleben im Altertum u. friihen MA, Stuttgart 
1954; Poetarum Lesbiorum Fragmenta, hrsg. v. E. Lobel 
u. D. Page, Oxford 1955 ; R. P. Winnington-Ingram, The 
Pentatonic Tuning of the Greek Lyre . . . , Classical Quar- 
terly L (= N. S. VI), 1956; B. Aign, Die Gesch. d. Musik- 
instr. d. agaischen Raumes, Diss. Ffm. 1963. FZa 

Lyra barberina, auch Amphichord, eine 1632 von 
G. B. -*■ Doni erdachte Leier mit drei, in einem Drei- 
eck angeordneten Jocharmen. Die drei Saitenbeziige 
sollten in Dorisch, Phrygisch und Ionisch gestimmt 
werden. 

Lyragitarre, in Lyraform gebaute, 6saitige Gitarre 
mit einem oder zwei Schallochern, im friihen 19. Jh. 
in dieser Gestalt beliebt. Das Vorbild der Form ist, an- 
tikisierenden Bestrebungen entsprechend, die Kithara. 
Griffbrett, Biinde und Bezug sind von der Gitarre 
iibernommen. Die unbequemer zu spielende L. klingt 
im Vergleich zur Gitarre lauter, jedoch dumpfer. Sie 
war besonders in Berlin hochgeschatzt und ist bis etwa 
1830 nachweisbar. 

Lit. : D. Fryklund, Studier over 1., STMf IX, 1927 ; ders., 
Une lyre-guitare d'Ory, Halsingborg 1957. 



536 



M 



M, Abk. : - 1) M. bzw. m. (in der Orgelmusik) = Ma- 
nual bzw. manualiter; - 2) m. (in der Klaviermusik) 
= mano (ital.) oder main (frz.), Hand; m. d. = mano 
destra (ital.) oder main droite (frz.), rechte Hand; m. s. 
= mano sinistra (ital.) bzw. m. g. = main gauche (frz.), 
linke Hand; - 3) m. = meno (ital.), weniger; - 4) m. 
-»■ mezzo. 

Maastricht. 

Lit. : J. Smitsvan Waesberohe SJ, Mus. Beziehungen zwi- 
schen Aachen, Koln, Liittich u. M. v. 1 1.-13. Jh., = Beitr. 
zur rheinischen Mg. VI, Koln u. Krefeld 1954; G. Quaed- 
vlieg, Preludium en fuga. Hist, overzicht van enige der be- 
langrijkste org. uit de stadt M., (M. 1957) ; ders., Klokken 
en klokkenspelen te M., in: Miscellanea Trajectensia, M. 
1962. 

Machicotage (mafikat'a.'j, frz.) ist die Bezeichnung 
fiir eine an der Kirche Notre-Dame zu Paris geubte 
Praxis der Ornamentierung des Gregorianischen Ge- 
sangs, die darin bestand, daB von einer 6 oder 7 Chora- 
listen umfassenden Gruppe (frz. machicots; lat. mace- 
conici, macicoti oder massicoti) Koloraturen, Laufe, 
Verzierungen, Fiorituren, auch Terzgange zwischen 
den Noten des Chorals gesungen wurden. Diese eigen- 
tiimliche Auffiihrungsweise laBt sich bis an das Ende 
des 14. Jh. zuruckverfolgen und hat sich bis ins friihe 
19. Jh. erhalten. Ihre Herkunft ist ebenso ungeklart wie 
die Etymologie ihrer Benennung. DaB die Institution 
der Macicotia (und dementsprechend vielleicht auch 
die geschilderte Gesangspraxis) nicht auf Frankreich 
beschrankt war, belegt die Existenz von Maceconici 
(ital. maceconchi) in Mailand und Genua (hier als Mas- 
saconici bezeichnet). 

Lit.: WaltherL; G. Menage, Dictionnaire etymologique 
de la langue frc. II, NA Paris 1750; Mus. Conversations- 
Lexikon VII, begrundet v. H. Mendel, fortgesetzt v. A. 
Reissmann, Bin 1877, Artikel Machicots. 

Madrid. 

Lit.: L. Carmena y Millan, Cronica de la opera ital. en 
M. desde el afio 1738 hasta nuestros dias, M. 1878, dazu 2 
Suppl., 1879u.l880;A. Pena y Goni, La opera espaflola y 
la musica dramatica en Espafia en el s. XIX, M. 1881 ; E. 
Cotarelo y Mori, Estudios sobre la hist, del arte escenico 
en Espafia, 3 Bde, M. 1896-1902; ders., Origenes y esta- 
blecimiento de la opera en Espafia hasta 1 800, M. 1917; J. 
SubirA, La musica en la casa del Duque de Alba, M. 1927 ; 
ders., La musica de cimara en la corte madrilena durante 
el s. XVIII y principios del XIX, AM I, 1946; ders., Hist, 
y anecdotario del Teatro Real, M. 1949; ders., El teatro 
del Real Palacio, M. 1950; ders., Sinfonismos madrilefios 
en el s. XIX, = Publicaciones del Inst, de estudios madri- 
lefios VII, M. 1954; ders., La musica en la capilla y mo- 
nasterio de las Descalzas Reales de M., AM XII, 1957; 
ders., Necrologias mus. madrilefias (Afios 1611-1808), 
AM XIII, 1958 ; ders., La musica en la Real Capilla madri- 
lefia y en el Colegio de Nifios Cantorcicos, AM XIV, 1959; 
A.M. Coe, Cat. bibliogr. y critico de las comedias anuncia- 
das en los periodicos de M. desde 1661 hasta 1819, Balti- 
more 1936;M. Munoz, Hist, del Teatro Real, M. 1946;A. 
MartInez Olmedilla, Los teatros de M., M. 1947; N. A. 



Solar-Quintes, Panorama mus. desde Felipe III a Carlos 
II, AM XII, 1957; ders., Nuevos documentos sobre mi- 
nistriles, trompetas, cantoricos, organistas y capilla real de 
Felipe II, in: Miscelanea en homenaje a H. Angles II, 
Barcelona 1958-61. 

Madrigal (ital. madrigale, auch madriale, gelegentlich 
mandriale), eine seit Anfang des 14. Jh. in Norditalien 
nachweisbare Bezeichnung fiir lyrisch-musikalische 
Formen italienischer Herkunft. Erstmals erwahnt um 
1313 von Francesco da Barberino in den Glossen zu den 
Documenti d'Amore, wird das M. theoretisch bereits von 
Antonio da Tempo in seinem Traktat Summa artis ryt- 
mici vulgaris dictaminis (entstanden 1332) behandelt. Die 
von da Tempo eingef iihrte Etymologie : ital. marigalis 
bzw. lat. mandrialis von lat. mandra (Herde), ist philo- 
logisch nicht haltbar. Man neigt vielmehr dazu, das be- 
reits von Pietro Bembo in seinen Prose della volgar lin- 
gua (1525) erwogene materiale als Etymon anzusetzen. 
Der von den Theoretikern betonte pastorale Charak- 
ter des M.s trifft fiir eine grofie Zahl der iiberlieferten 
M.-Texte des Trecentos zu, kann aber nicht als gat- 
tungstypisch bezeichnet werden. Zwar kniipft die M.- 
Dichtung haufig an ein Naturbild an und sammelt sich 
zur Erzahlung eines Liebeserlebnisses, entfernt sich 
aber von der leichtlebigeren Pastourelle, indem sie phi- 
losophisch kontemplativ auch ernst-didaktische, eroti- 
sche, satirische oder politische Inhalte (zuweilen in al- 
legorischer Einkleidung) aufnimmt. Zufolge der ihm 
eigentiimlichen Beweglichkeit des formalen Aufbaus 
gehorte das M. nicht zum hohen Stil der italienischen 
Dichtung ; der Ruf des Einfachen und Kunstlosen haf- 
tete ihm an. Erst um die Mitte des 14. Jh. wurde diese 
vornehmlich fiir Musik bestimmte Gedichtform mit 
den Dichtem Petrarca, N. Soldanieri und Fr. Sacchetti 
zur eigentlich literarischen Gattung. - Seinem Grund- 
typus nach besteht das M. aus zwei (oder mehr) Ter- 
zetti, auf die eine meist zweizeilige abschlieBende Cop- 
pia folgt. Die Verse sind 7- und HSilbler. Der lite- 
rarische Aufbau wird musikalisch in der Regel zwei- 
teilig wiedergegeben: Teil A fiir die einzelnen Terzetti, 
Teil B, Ritornello genannt, fiir die Coppia. Das M. er- 
scheint von vornherein als mehrstimmige solistische 
Gattung. Die alteste der -> Quellen, Codex Rossi (Rs), 
enthalt als altere Schicht anonyme 2st. M.e aus der 
Zeit von 1328-32. Das zunachst zwei-, spater dreistim- 
mige italienische ->• Trecento-M. entwickelte sich musi- 
kalisch wohl aus einer bodenstandigen organalen Zwei- 
stimmigkeit. Die Oberstimme ist reich melismatisch 
(besonders am Anfang und SchluB des Verses), flieBt in 
melodischer Rundung und sanfter Rhythmik, meist 
hoch ansetzend, dann tiefer gleitend, um am Ende der 
Verszeile mit der Unterstimme einen Oktav- oder 
Einklang zu bilden. Die Unterstimme, Tenor genannt, 
ist in der Bewegung ruhiger, nicht schematisch rhyth- 
misiert und dient als Klangtrager. Das spater auf treten- 
de kanonische M. mit imitatorischer Fiihrung der Stim- 
men weist auf die ->■ Caccia. Die hervorragendsten 



537 



Madrigal 

M.-Komponisten des 14. Jh. sind Giovanni da Cascia, 
Piero da Firenze, Jacopo da Bologna, Bartolino da Pa- 
dova, Gherardello da Firenze, Donato, Lorenzo, Ni- 
colo da Perugia, Francesco Landini, Paolo Tenorista 
und der Liitticher Johannes Ciconia. Im spateren 14. 
Jh. wurde das M. in der Gunst der Gesellschaft von 
der -> Ballata verdrangt und zur Gelegenheitsmusik 
bei besonderen Anlassen, zum Huldigungs-M. und zur 
-*■ Festmusik. 

Mit dem Trecento-M. hat das M. des 16. und friihen 
17. Jh. nicht viel mehr als den Namen gemeinsam, 
wenn auch die wenigen M.-Texte von Petrarca und 
Boccaccio als Vorbild dienten. Das M. neuer Pragung 
ist aus der Vereinigung von italienischer M.-Dichtung 
und niederlandisch-kontrapunktischer Satzart und nur 
indirekt aus der Frottola erwachsen. Die alteste Samm- 
lung mit dem Titel M.i de diversi musici, Libro primo 
de la Serena erschien 1530 in Rom. Die Texte sind zu- 
meist frei (nicht mehr strophisch) geformt und epi- 
grammatisch zugespitzt. Neben dem neuen M. im en- 
geren Sinn wurden auch Sonett, Kanzone und Stram- 
botto nach Art des M.s komponiert und vom M.-Be- 
griff mit umschlossen. Das M. spiegelt eine asthetisch 
orientierte Gesellschaftskunst, die in den literarischen 
Zirkeln, an den Fiirsten- und Adelshofen und in den 
Akademien der italienischen Stadtrepubliken bliihte. 
Es erstrebte Gleichberechtigung mit der herrschenden 
Motette der Niederlander und wurde zur eigentlichen 
Kammermusikform des 16. Jh. und zum Experimen- 
tierfeld fur alle Neuerungen auf dem Gebiet der Text- 
darstellung und der Harmonik. Die M.-Dichtung des 
friihen Cinquecentos wurde gepragt durch den spateren 
Kardinal Pietro Bembo und seinen humanistischen 
Kreis. In der Reaktion auf den Formschematismus der 
Frottolisten hatte sich Bembo um eine Hebung und 
Neuorientierung der Dichtkunst am Vorbild Petrarcas 
bemiiht, der im Petrarkismus zum stilbestimmenden 
Vorbild des Jahrhunderts wurde. Im M. als literarischer 
Gattung, die Bembo als Rime libere (d. h. ohne teste 
Verszahl und Reimbindung) charakterisiert, fand er 
eine freiere Form der dichterischen Aussage, in der das 
Einzelwort als Bedeutungstrager wie als Klangphano- 
men eine Neubewertung erfuhr. Vorbildhaft wurde er 
durch die in seinen philosophischen Dialog iiber die 
Liebe (Asolani, 1505) eingestreuten Gedichte und seine 
Rime (1530), schwerbliitige Lyrik der unerwiderten 
Liebe. - Die Geschichte des M.s von etwa 1530-1620 
laGt sich in 3 Phasen darstellen. Die Hauptmeister der 
1. Phase (bis 1550) sind der Franzose Ph. Verdelot, der 
Italiener C. Festa, spater die Niederlander J. Arcadelt, 
I. Gero und der Italiener A. della Viola. Ihre starkeWlr- 
kung zeigt sich z. B. darin, dafi Arcadelts erstes M.- 
Buch (1539) 31 Auflagen erfuhr (bis 1654). Die vor- 
wiegend 4st. Satze werden zuweilen von 2st. Partien 
unterbrochen. Mit Willaert und dessen Schuler und 
Amtserbe Cipriano de Rore folgt eine 2. Phase (bis 
1580), die Hochbliite des klassischen M.s mit seinem 
durch Chromatik gesattigten Ausdrucksstil. In de Ro- 
res etwa 125 M.en, davon etwa ein Viertel auf Texte 
von Petrarca, herrscht die Fiinf- und Sechsstimmigkeit 
vor. Willaert vereinigt in seinem Spatwerk mit dem 
programmatischen Titel Musica nova (1559) Motetten 
und M.e gleichen Stils. Seine M.e sind starker motet- 
tisch gebunden, wahrend de Rore die affektuose Seite 
des neuen Stils hervorhob. Madrigalisten von europai- 
scher Geltung sind Lassus, Palestrina, de Monte und A. 
Gabrieli. In dem MaCe wie das M. bildhaft (imitazione 
della natura), schildernd und wortausdeutend (imitar 
le parole) wird, riickt es zur herrschenden Gattung der 
neuen Kunst auf. In der 3. Phase (bis 1620) treten bei 
Marenzio, Gesualdo, Monteverdi u. a. jene Freiheiten 



auf, die das M. zum Versuchsfeld fur alle Wagnisse der 
Musica nova gemacht haben. Zudem wird bei Monte- 
verdi der dramatische Hintergrund des neuen M.s 
deutlich. In seinem 5. M.-Buch (1605), in dessen Vor- 
rede die Prima und -*■ Seconda pratica gegeneinander 
ausgespielt werden, kommen das M.e concertato und 
das Solo-M. mit GeneralbaB auf, wozu Anfange bei 
L.Luzzaschi (M.i per cantare et sonare, 1601) begegnen. 
Als Textdichter treten jetzt (neben Petrarca) Ariost, 
Guarini und Marino hervor. Es erbluhte die idyllische 
Schaferpoesie mit ihren M.i pastorali, und es entstand 
die -> M.-Komodie. Unter der Einwirkung der Ge- 
genreformation in Italien entstanden auch geistliche 
M.e (m.i spirituali), u. a. von Palestrina (1581 und 
1594), de Monte (5 Biicher 1581-93) und Lassus (Lagri- 
me di San Pietro, 1594, deren Texte durch strenge BuB- 
fertigkeit bestimmt sind). - Fur die franzosische Mu- 
sik gewann das italienische M. - trotz des verstark- 
ten italienischen Einflusses um 1570 und des Zuriick- 
tretens der -> Chanson am Ende des 16. Jh. - keine we- 
sentliche Bedeutung, doch fand es in England und 
Deutschland um so produktivere Aufnahme. Als Mu- 
sica Transalpina erschien die alteste Sammlung italieni- 
scher M.e mit Ubersetzung der Texte ins Englische, 
herausgegeben von N.Yonge (London 1588, 2. Band 
1597). Das Zeitalter Shakespeares brachte eine Bliite- 
zeit des englischen M.s (Byrd, Morley, Weelkes, Wil- 
bye, spater Gibbons, Ward, Tomkins). Morley und 
Weelkes veroffentlichten ihre ersten M.e 1594 und 
1597; im letzteren Jahr erschien The first set of English 
M.s von G.Kirbye. Morley veranstaltete 1601 eine 
Sammlung M.e zu 5-6 Stimmen von verschiedenen 
englischen Komponisten mit dem Titel The Triumphes 
of Oriana, in denen die Konigin Elisabeth unter dem 
Namen Oriana gefeiert wird. In England blieb dank 
der 1741 in London gegrundeten M.-Society der a cap- 
pella-Stil des M.s bis heute beliebt. Den vollstandigcn 
Bestand an altenglischen M.en gab E. H. Fellowes in 36 
Banden (London 1913-24) als English M. School heraus 
(->■ Denkmaler). - In Deutschland traten nicht nur 
zahlreiche italienische M.-Sammlungen im Druck her- 
vor, sondern es nahmen sich des M.s auch Meister an 
wie HaBler (italienische 5-8st. M.i und Neue Teutsche 
gesang nach art der welschen M.ien, beide 1596), H. 
Schutz mit seinem Erstlingswerk II primo libro de M.i 
(1611) und J. H. Schein mit seinen 6st. Diletti Pastorali, 
Hirten Lust, auff M.-manier (1624). Bemerkenswert ist 
die Schrift von Caspar Ziegler (H. Schutz nannte ihn 
seinen Schwager) von den M.en, einer schonen und zur 
Musik bequemsten Art Verse, wie sie nach der Italianer 
Manier in unserer deutschen Sprache auszuarbeiten (Leip- 
zig 1653, 2 1685). Sie behandelt das M. zum erstenmal 
in der deutschen Poetik und bereitete den Weg fur die 
m.ische Kantaten- und Operndichtung des 18. Jh. - 
Von deutschen zeitgenossischen Komponisten schrie- 
ben M.e u. a. Hindemith, W.Maler, K.Marx, Orff, 
E. Pepping, H.Reutter, K.Thomas, W. Weismann. 
Lit. : E. Vogel, Bibl. d. gedruckten weltlichen Vocalmusik 
Italiens. Aus d. Jahren 1500-1700, 2 Bde, Bin 1892, Nach- 
trage v. A. Einstein in: Notes II, 2, 1944/45 - 5, 1947/48, 
Nachdruck (mit d. Nachtragen) Hildesheim 1 962 ; P. Wag- 
ner, Das M. u. Palestrina, Vf Mw VIII, 1 892 ; R. Schwartz, 
H. L. HaBler unter d. EinfluB d. ital. Madrigalisten, Vf Mw 
IX, 1893; Ph. Spitta, Die Anfange m.ischer Dichtung in 
Deutschland, in: Mg. Aufsatze, Bin 1894; Th. Kroyer, 
Die Anfange d. Chromatik im ital. M. d. 16. Jh., = BIMG 
I, 4, Lpz. 1902; O. Kinkeldey, L. Luzzaschi's Solo-M., 
SIMG IX, 1907/08; G. Cesa-ri, Die Entstehung d. M. im 16. 
Jh., Cremona 1908, ital. in: RMI XIX, 1912; E. Schmitz, 
Zur Gesch. d. ital. Continuo-M. im 17. Jh., SIMG XI, 
1909/10; A. Schering, Das kolorierte Orgelm. d. Trecento, 
SIMG XIII, 1911/12; F. Keiner, Die M. Gesualdos v. 
Venosa, Diss. Lpz. 1914; E. H. Fellowes, The Engl. M. 



538 



Mannerchor 



Composers, Oxford 1921, (21948); E. Li Gotti, L'ars nova 
e il m., in: Atti della Reale Accad. di scienze, lettere e arti 
di Palermo IV/4, 2, 1944; ders., II m. nel Trecento, in: 
Poesia III/IV, 1946; J. Br. Trend, A Note on Span. M., 
Kgr.-Ber. Liittich 1930; H. Engel, Contributo alia storia 
del m., Rass. mus. V, 1931 ; ders., Die Entstehung d. ital. 
M. u. d. Niederlander, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., L. 
Marenzio, Florenz 1956; E. (Gerson-)Kiwi, Studien zur 
Gesch. d. ital. Liedm. im 16. Jh., Wiirzburg 1938; H. 
Schultz, Das M. als Formideal, = PaM X, Lpz. 1939; A. 
v. Konigslow, Die ital. Madrigalisten d. Trecento, Wiirz- 
burg 1940; N. Pirrotta, Per l'origine e la storia della 
»caccia«e del »m.« trecentesco, RMI XLVIII, 1 946 - XLIX, 
1 947 ; ders., Una arcaica descrizione trecentesca del m., Fs. 
H. Besseler, Lpz. 1961 ; A. Einstein, The Ital. M., 3 Bde, 
Princeton (N. J.) 1949 (Bd III mit 97 vollstandigen Beispie- 
len); A. Obertello, M. ital. in Inghilterra, Mailand 1951 ; 
K. v. Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen 
Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen Mu- 
sikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956); J. Kerman, The 
Elizabethan M., = American Musicological Soc, Studies 
and Documents IV, NY 1962; M. L. Martinez, Die Mu- 
sik d. friihen Trecento, = Munchner Veroff. zur Mg. IX, 
Tutzing 1963; Chanson and M. 1480-1530. Studies in 
Comparison and Contrast, hrsg. v. J. Haar, =Isham 
Library Papers II, Cambridge (Mass.) 1964. 

Madrigalkomodie, die neuere Bezeichnung fur ein 
als Madrigalzyklus oder in madrigalahnlichen Satzen 
vertontes Theaterstiick. Das bedeutendste Beispiel die- 
ser Gattung aus der Zeit der ersten Opernversuche ist 
L'Amfiparnaso (Commedia harmonica, aufgefiihrt in 
Modena 1594, gedruckt 1597) von O.Vecchi; er be- 
steht aus Prolog und 3 Akten (insgesamt vierzehn 5st. 
Szenen im Madrigalstil) mit Figuren der Commedia 
dell'arte (Pantalone, Dottore Gratiano usw.). Die M. 
ist das oberitalienische Gegenstiick zur Humanisten- 
oper in Florenz; sie liebt derbe und komischeWirkun- 
gen und bedient sich musikalisch des illustrativen Ma- 
drigals, der Kanzonen, Capricci und mehrstimmigen 
Liedsatze. M.n komponierten u. a. A. -> Banchieri, G. 
-> Croce, Gasparo -> Torelli. 

Lit.: E.J.Dent, The »Amfiparnaso« of O.Vecchi, MMR 
XXXVI, 1906; ders., Notes on the »Amfiparnaso« of O. 
Vecchi,SIMG XII, 1910/11; J. CHol, L'Amfiparnaso..., 
RMI XL, 1936; C. Perinello, L'Amfiparnaso, RMI XLI, 
1937; G. Camillucci, L'Amfiparnaso, RMI LIII, 1951 ; L. 
Ronga, Lettura storica dell' »Amfiparnaso« di O. Vecchi, 
Rass. mus. XXIII, 1953, auch in : Arte e gusto nella musica, 
Mailand u. Neapel 1956. 

Mahren ->■ Tschechoslowakei. 

Mannerchor, allgemein eine Vereinigung von im 
Chor, d. h. nicht solistisch singenden Mannern. In 
Deutschland bestehen zahlreiche, auf der Tradition des 
19. Jh. aufbauende M.-Vereine, so daB der M. heute 
eine der bedeutendsten Formen des Laiensingens dar- 
stellt. Auch ein f iir Mannerstimmen komponiertes oder 
bearbeitetes Werk heifit M. - Der M. hat, auch in 
auBereuropaischen Hochkulturen, seinen festen Platz 
im kultischen Bereich als Priester- oder Monchschor. 
Mannerstimmen waren die wichtigsten Trager der 
abendlandischen kirchlichen Mehrstimmigkeit. In der 
Vokalpolyphonie des 16. und 17. Jh. ist ->• Voces ae- 
quales eine Besetzungsangabe fiir Werke ohne Dis- 
kant, die nur von Mannerstimmen auszufiihren sind; 
chorische oder solistische Besetzung ist in jener Zeit, 
vor allem bei weltlichen Werken, freigestellt (->■ Quar- 
tett). Kompositionen fiir Voces aequales enthalten z. B. 
Forsters Frische Teutsche Liedlein (1539), Othmayrs 
Reutterische und Jegerische Liedlein (1549), M.Francks 
Musicalische Bergkreyen (1602) und Reuterliedlein (1603). 
Der M. begegnet seit dem 17. Jh. vor allem in der 
Oper (-> Opernchor). Er wird den Hauptpersonen zur 
Verdeutlichung ihrer sozialen Stellung zugeordnet 
(z. B. dem Feldherrn die Krieger, dem Konig das Ge- 



folge), auch dient er der Milieuschilderung (Chore der 
Gefangenen, Landleute, Jager, Soldaten, Matrosen, 
Priester) oder zur Kennzeichnung der mannlichen ge- 
geniiber der weiblichen Sphare (z. B. Wagner, Der 
Jliegende Hollander). Seit dem 17. Jh. pfiegten die eng- 
lischen -> Catch- und ->■ Glee-Clubs den Mannerge- 
sang. Gegen Ende des 18. Jh. waren es Mannerbiinde 
(Freimaurer, Studenten) und gesellige Mannerrunden, 
denen Lieder fiir M. ihre Entstehung verdanken, z. B. 
die Gesange fiir 4 Mannerstimmen von M.Haydn 
(1788). - Das 19. Jh. brachte dem M. einen Aufschwung 
durch die Zeltersche ->■ Liedertafel und die sich daran 
anschlieBenden Grundungen sowie durch die starker 
dem Volkslied verbundenen siiddeutschen Chorverei- 
ne (Liederkranze), in Frankreich seit 1836 durch die 
-»• Orpheons. 1849 wurde der Deutsche Sangerbund 
in Nordamerika gegriindet, 1862 in Coburg der Deut- 
sche Sangerbund (->■ Sangerbiinde). - Die eigentlich 
kunstmaBige Form des M.s hat Schubert begriindet; 
er schrieb zahlreiche Werke f iir M. , teils mit Klavierbe- 
gleitung, teils unbegleitet, einige mit Begleitung meh- 
rerer Instrumente (Schubert GA, Serie XVI, Nr 1-46). 
Fiir die weitere Entwicklung des Mannergesangs wa- 
ren sowohl das neuerwachte vaterlandische Empfinden 
(Th. Korner; M. v. Schenkendorf ; E. M. Arndt; C. M. v. 
Weber, Vaterlandische Gesange, 1812, Leyer und Schwert, 
1814) als auch die Wiedererweckung des Volkslieds von 
Bedeutung. So sammelte Silcher ab 1826 Volkslieder 
und setzte sie fiir 4 Mannerstimmen. Sehr nachhaltige 
Wirkung hatten die beiden auf Anregung Kaiser Wil- 
helms II. von der PreuBischen Volksliedkommission 
herausgegebenen Sammlungen (»Kaiserliederbiicher«), 
deren erste unter Leitung von R. v. Liliencron entstan- 
dene als Volksliederbuchfur M. (2 Bande, Leipzig 1906) 
bestimmt war. Es entstand eine reiche Literatur fiir M., 
u. a. von Abt, Brahms, Cornelius, Dvorak, Fr.E.Fesca, 
Grieg, Fr. Hegar (Chorballaden), E. T. A. Hoffmann, C. 
Kreutzer, Kuhlau, Lindpaintner, Loewe, Lortzing, H. 
Marschner, Mendelssohn Bartholdy, Albert und E. 
Methfessel, Pfitzner, R.Schumann, Spohr, R.Strauss, 
Thuille.Fr.Wullner.DurchKompositionenvonBruch, 
Bruckner, J.Haas, Hauptmann, Kaun, B.Klein, A.B. 
Marx, J. und Fr. Otto sowie Reger erlangte der M. auch 
in Kirchen- und Konzertmusik Bedeutung (Motetten, 
Oratorien, Kantaten). Unabhangig von der M.-Be- 
wegung bezogen Busoni, Cherubini, Dallapiccola, 
Debussy, Liszt, G.Fr.Malipiero, Milhaud, Schonberg 
und Strawinsky den M. in ihr Schaffen ein. Fiir M. a 
cappella schriebenu. a. Bartok, Distler.Janacek, Hinde- 
mith, Kodaly und Orff. Seit 1930 bemiihte sich die 
aus dem Bund der Mannerchore im Deutschnationa- 
len Handlungsgehilfenverband hervorgegangene Lo- 
beda-Bewegung unter C. Hannemann und F. Kelbetz, 
die Sangerbewegung aus dem Geist der musikalischen 
Jugendbewegung zu erneuern. Das Volkslied und sei- 
ne Bearbeitung wurden zum Ausgangspunkt einer 
neuen Literatur fiir M. (Knab, E.L.v.Knorr, H.Lang, 
K.Marx, Rein). Zu den Komponisten, die sich seit dem 
2. Weltkrieg um Werke fiir M. bemuhen, gehoren 
Biichtger, Desch, Erdlen, Geilsdorf, H.Hermann, 
Hansjakob Heuken, Knab, Lemacher, Lissmann, Qui- 
rin Rische, H. Schroeder, Sendt, Siegl, Strecke, Stiir- 
mer, Wittmer und Zoll. 

Lit.: H. G. Nageli, Gesangbildungslehre f. M., Zurich 
1817; Der Mannergesang, d. bisher f. ihn erschienenen 
Compositionen u. d. allgemeinen Mannergesangfeste zu 
Dresden 1842 u. 1843, Blatter d. Erinnerung, hrsg. v. M. L. 
Lowe, H. 1 , auch als : Der deutsche Mannergesang I, Dres- 
den 1844; O. Elben, Der volksthumliche deutsche Man- 
nergesang, Tubingen 1855; Fr. Chrysander, Statistik d. 
Gesangver. u. Concertinst. Deutschlands u. d. Schweiz, 
Jb: f. Mus. Wiss. 1, 1867; M. H. Schmidt, Ueber Manner- 

539 



maestoso 

gesang, Magdeburg 1867; R. Matz, Gesch. d. deutschen 
Mannergesangs, Langensalza 1881; B. Widmann, Die 
kunsthist. Entwicklung d. M., Lpz. 1884 ; J. Bautz, Gesch. 
d. deutschen Mannergesanges, Ffm. 1890; A. Ruthardt, 
Wegweiser durch d. Lit. d. Mannergesanges, Lpz. 1892; 
Ph. Spitta, Der deutsche Marinergesang, in : Mg. Auf satze, 
Bin 1894; E. Challier, GroBer Mannergesangs- Kat., 
GieBen 1900, 6. Nachtrag 1912; K. Friedrichs, Der deut- 
sche Mannergesang in Theorie u. Praxis, Lpz. 1903; G. 
Schade, Der deutsche Mannergesang, 2 Bde, Kassel 1903 ; 
A.K6NiG,DerdeutscheM.,Trierl906;A.HEUSS,DasVolks- 
liederbuch f. M., ZIMG VIII, 1906/07; H. Thierfelder, 
Vorgesch. u. Entwicklung d. deutschen Mannergesangs, 
Hildburghausen 1 923 ; Fvihrer durch d. gesamte a cappella- 
Mannerchorgesang-Lit., Zurich 1925, Nachtrag: Ftihrer 
durch d. Schweizer M.-Lit. 1933-47, Zurich 1947; G. Bott- 
cher, Die Aufgaben d. M.-Dirigenten, Lpz. 1926 ; R. Buck, 
Wegweiser durch d. M.-Lit., Dresden 1926; R.Kotzschke, 
Gesch. d. deutschen Mannergesangs, hauptsachlich d. Ver- 
einswesens, Dresden 1927; H. G. Schmidt, Das Manner- 
chorlied Fr. Schuberts, Hildburghausen 193 1 ; R. Thomann, 
Der Mannergesang, in: Der Chorgesang in d. Schweiz, 
hrsg. v. P. Budry, Zurich 1932; G. Gotsch u. F. Kelbetz, 
M. oder singende Mannschaft. M. in d. Entscheidung, Hbg 
1934; F. W. Kranzhoff, Die Entwicklung d. Mannerge- 
sanges in Westfalen im 19. Jh., Dortmund 1934; G. Schu- 
nemann, Fuhrer durch d. deutsche Chorlit., I: M., Wol- 
fenbuttel 1935; J. Jernek, Der osterreichische Manner- 
chorgesang im 19. Jh., Diss. Wien 1937, maschr.; H. Die- 
tel, Beitr. zur Fruhgesch. d. Mannergesanges, Diss. Bin 
1938; J. Herrmann, Die Entwicklung d. M. in Schlesien, 
Breslau 1939; W. Jerg, Hegar, ein Meister d. Manner- 
chorliedes, Diss. Zurich 1946; R. Werner, Der Manner- 
gesang in unserer Zeit, Neue Musikzs. IV, 1950; E. Va- 
lentin, Hdb. d. Chormusik, I Regensburg 1953, '1956, II 
mit H. Handerer, 1957 ; Chorkat. d. Deutschen Sangerbun- 
des, hrsg. v. Fr. J. Ewens, K61n 1958; H. Blommen, An- 
fange u. Entwicklung d. Mannerchorwesens am Nieder- 
rhein, = Beitr. zur rheinischen Mg. XLII, Koln 1960; E. 
Escofier, 100 Jahre Deutscher Sangerbund, Jb. d. Deut- 
schen Sangerbundes XVIII, 1962 ; H. Leister, C. Kreutzers 
Lieder f. M., Diss. Mainz 1963. - Zs. Der Chor, hrsg. v. 
Deutschen Allgemeinen Sangerbund, Mainz 1949, Ffm. 
1950ff. 

maestoso (auch maestuoso, ital.), Vortragsbezeich- 
nung (meist in Verbindung mit einer Tempovorschrif t, 
z. B. lento m., allegro m.) mit der Bedeutung maje- 
statisch, nach Walther (1732) ansehnlich und langsam, 
iedoch mit einer lebhaften Expression. 

Maestro, in Italien inoffizieller Titel fur Lehrer an 
Konservatorien, fiir Komponisten, Interpreten und Di- 
rigenten. Der Titel M. ist schon im 17. Jh. nachweisbar 
(so in der Uberschrift von Cerones El Melopeo y M., 
1613) und scheint von jungen Kunstlern so begierig 
und unbedenklich angenommen worden zu sein, dafi 
die meisten Maestri niemals Scholaren gewesen (Quantz 
1752, Einleitung, § 14). Dem M. al cembalo fiel im Or- 
chester des 17. bis friihen 19. Jh. zusammen mit dem 
-*■ Konzertmeister die Leitung der Musik zu (Doppel- 
direktion; -> Dirigieren). 

Magazinbalg heiBt in der Orgel (und in ahnlichen 
Instrumenten) ein ->■ Balg, der von den Schopfbalgen 
oder dem elektrisch betriebenen Schleudergeblase her 
gespeist wird und als Vorratsbehalter fiir den Wind 
und zur Druckregulierung dient. 

Magdeburg. 

Lit. : B. Engelke, Gesch. d. Musik im Dom v. d. altesten 
Zeiten bis 1631, Geschichtsblatter f. Stadt u. Land M. 
XLVIII, 1913; E. Brinkmann, Das M.isch Lied. Aus d. 
Stadtarch. Muhlhausen i. Th., M. 1931 ; E. Valentin, Mg. 
M., Geschichtsblatter f. Stadt u. Land M. LXVIII/LXIX, 
1933/34; O.Riemer, Musik u. Musiker in M., = M.erKul- 
tur- u. Wirtschaftsleben XIV, M. (1937). 

Maggiore (madd3'o:re, ital., groBer; frz. majeur), 
s. v. w. Durakkord (harmonia di terza m.), auch Dur- 



tonart. Die Bezeichnung M. in Trios von Marschen, 
Tanzen, Scherzi, in Rondos oder in Variationen deu- 
tet an, dafi der betreffende Teil in der Paralleltonart 
oder Variante derjenigen Molltonart steht, die Haupt- 
tonart des Stiickes ist; umgekehrt gibt M. nach einem 
mit -+ Minore bezeichneten Trio den Wiedereintritt 
der Haupttonart an, wenn diese eine Durtonart ist. 

Magnetophone- Schallaufzeichnung. 

Magnificat (lat.), der nach seinem Anfangswort be- 
nannte Lobgesang Maria (Canticum Beatae Mariae 
Virginis; Luk. 1, 46-55). Spatestens seit der Regel des 
hl.Benedictus (um 530) bildet das M. als eines der drei 
Cantica maiora im Of fizium der romischen Kirche den 
Hohepunkt der -»■ Vesper. Sein musikalischer Vortrag 
erfolgt nach einer der 8 Formeln der antiphonischen 
Offiziumspsalmodie, jedoch mit der Wiederholung 
des Initiums am Anfang jedes Verses. Fiir feierliche 
Gelegenheiten steht zusatzlich eine reichere Melodie- 
formel fiir die erste Vershalfte zur Verfiigung. AuBer 
im Evangelium von Visitatio (2. Juli) fmden sich ein- 
zelne M.-Verse auch innerhalb des Proprium missae 
und in Offiziumstexten. - Auf Grand seiner hervor- 
ragenden Stellung als Vespergesang gewann das M. 
seit Mitte des 15. Jh. auch innerhalb der mehrstimmi- 
gen Musik zunehmend an Bedeutung. Die altesten Be- 
lege (hauptsachlich englischer Provenienz) des grofien, 
bisher wenig erforschten Bestandes an M.-Kompo- 
sitionen sind groBtenteils anonym; bald traten nament- 
lich Dunstable, Dufay und Binchois hervor. Mit Aus- 
nahme der Choralintonation (1. Vers) ist gewohnlich 
der gesamte Text des Canticum vertont, meist drei- 
stimmig im Fauxbourdonsatz. Schon friih scheint sich 
jedoch im liturgischen Gebrauch der alternierende 
Vortrag von ein- und mehrstimmigen Versen durch- 
gesetzt zu haben; im 16. Jh. wurden im allgemeinen 
nur noch die geradzahligen Verse mehrstimmig gesetzt 
(Obrecht um 1510, P. de la Rue um 1515, Senfl 1537, 
Renner 1544, Palestrina um 1560 und 1591). Die selte- 
neren Vertonungen der ungeradzahligen Verse begin- 
nen nach der 1st. Intonation (M.) mit den Worten 
anima mea (Chr.Morales 1545, Ortiz 1565, Palestrina 
1591, Orfeo Vecchi 1603). Bis zum Anfang des 17. Jh. 
stellen die mehrstimmigen M. fast ausnahmslos Cho- 
ralbearbeitungen dar, welche die liturgischen Psalm- 
formeln entweder als C. f. oder als Grundlage einer 
motettischen Komposition verwenden. Bezeichnend 
ist daher die Hinzufiigung des jeweiligen Psalmtones 
im Titel (M. primi toni). Fiir die hturgische Praxis wur- 
den seit dem 16. Jh. auch M. in alien Kirchentonarten 
geschrieben und in den Drucken so angeordnet. - Zu- 
sammen mit der Vesper iibernahmen die Reformato- 
ren auch das M. in die protestantische Liturgie. In sei- 
ner lateinischen Form oder in der deutschen Uber- 
setzung von M. Luther (Meine Seek erhebt den Herrn ...), 
die fast immer auf den -> Tonus peregrinus gesungen 
wurde, erlangte es bald ebenso wie die englische Fas- 
sung im anglikanischen -> Service eine zentrale Stel- 
lung in der Musik der Ref ormationszeit. Neben den M. 
tiber gregorianische C. f. entstanden im 17. Jh., ver- 
mudich nach dem Vorbild von O. de Lassus (1573), Pa- 
rodie-M. iiber Madrigal- oder Motettenvorlagen (De- 
mantius 1602, M.Praetorius 1611; J.Stadlmayr 1614). 
Eine Sonderform in Deutschland ist das protestantische 
Weihnachts-M., bei dem der Text von deutschen und 
lateinischen Weihnachtsgesangen tropiert wurde. Noch 
die erste Fassung (1723) von J.S.Bachs M. wurde mit 
eingeschobenen Weihnachtschoralen ausgef iihrt. Nach 
den solistisch, bisweilen auch mehrchorig concertie- 
renden M. der Barockzeit (Monteverdi, Schiitz u. a.) 
verringert sich die Zahl der M.- Vertonungen. Als spa- 



540 



Maitrise 



tere Beispiele seien genannt die M. von W. A. Mozart 
und Mendelssohn Bartholdy und aus neuerer Zeit die 
M. von H. Schroeder und Pepping. 
Als selbstandiger Zweig entwickelte sich die M.-Bear- 
beitung fiir Orgel. Fur den liturgischen Gebrauch be- 
stimmt, bestand sie meist aus mehreren, -»■ Versett ge- 
nannten Teilen gleicher Tonart, die alternierend mit 
dem 1st. Choral vorgetragen wurden. Die C. f.-ge- 
bundenen Orgel-M. pragen seit den friihesten Beispie- 
len in Paumanns Fundamentum organisandi (1452) una im 
Buxheimer Orgelbuch (um 1470) diejeweils herrschen- 
de Kompositionsart der -> Choralbearbeitung (- 2) 
aus. Den ersten Zyklus von instrumentalen M. bietet 
ein Druck von P. Attaingnant (M. sur les huit tons . . . , 
1530). Es folgten im 16. Jh. G.Cavazzoni (1543) und 
A. de Cabezon (1578) mit seinen meist imitativ ange- 
legten M.-Versetten. Aus England sind, trotz der dor- 
tigen reichen Tradition an liturgischer Tastenmusik, 
keine instrumentalen M.-Vertonungen iiberliefert. Die 
M.-Zyklen des 17. Jh. (H. Praetorius, Scheidt, Scheide- 
mann) reihen haufig einzelne Versetten in verschiede- 
nen Techniken der C. f.-Bearbeitung (C. f.-Satz, Cho- 
ralricercar, Choralfantasie) aneinander. Doch schon in 
dieser Zeit zeigt sich die Neigung zur freieren Verset- 
tenkomposition, so in den Orgel-M. von Titelouze 
(1626), dessen ricercarartige Bearbeitungen teilweise 
ganz von den gregorianischen C. f.-Vorlagen abwei- 
chen. Die M.-Bearbeitungen in Kerlls Modulatio orga- 
nica (1686) und bei seinen Nachfolgern Speth (1693) 
und Miirschhauser (1696) sowie die M.-Fugen von J. 
Pachelbel weisen nur noch Anklange an die Psalmtone 
auf . In der Orgelmusik des 18. Jh. wurden die grego- 
rianischen C. f. des M. fast nur noch in Frankreich ver- 
tont (L. Marchand, M. Corrette der Altere, J. F. Dan- 
drieu u. a.); indessen erfreuten sich die C. f.-freien 
Versetten, haufig bereits nach Dur und Moll geordnet, 
zunehmender Beliebtheit. 

Lit. : Th. W. Werner, Die M.-Kompositionen A. Rener's, 
AfMw II, 1919/20; Fr. Dietrich, Gesch. d. deutschen Or- 
gelchorals im 17. Jh., = Heidelberger Studien zur Mw. I, 
Kassel 1932 ; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels u. d. Or- 
gelkomposition, 2 Bde, Bin 1935-36, 21959, NachdruckBln 
1966; C.-H. Illing, ZurTechnik d. M.-Kompositiond. 16. 
Jh., = Kieler Beitr. zur Mw. Ill, Wolfenbiittel u. Bin 1936; 
N. Dufourcq, La musique d'orgue frc. de J. Titelouze a J. 
Alain, Paris 1941, 2 1949; J. Meinholz, Untersuchungen 
zur M.-Komposition d. 15. Jh., Diss. Koln 1956; H. Ost- 
hoff, Das M. bei J. Desprez, AfMw XVI, 1959; G. Reese, 
The Polyphonic M. of the Renaissance as a Design in Tonal 
Centers, JAMS XIII, 1 960 ; H. Albrecht, Ein quodlibetar- 
tiges M. aus d. Zwickauer Ratsschulbibl., Fs. H. Besseler, 
Lpz. 1961 ; M. Geck, J. S. Bachs M. u. sein Traditionszu- 
sammenhang, MuK XXXI, 1961 ; W. Kirsch, Die Verbin- 
dung v. M. u. Weihnachtsliedern im 16. Jh., Fs. H. OsthofF, 
Tutzing 1961 ; G. Gruber, Beitr. zur Gesch. u. Komposi- 
tionstechnik d. Parodiem. in d. 2. Halfte d. 16. Jh., Diss. 
Graz 1964; E. R. Lerner, The Polyphonic M. in the 15" 1 
Cent. Italy, MQL, 1964. 

Mail and. 

Lit. : G. Chiappori, Serie cronologica della rappresentazio- 
ni . . . dei principali teatri di Milano dall'autunno 1776 sino 
all'intero autunno 1818, 4 Bde, M. 1818-25; L. Romani, 
Teatro della Scala, M. 1862; P. Cambiasi, Rappresentazio- 
ni date nei r. teatri di Milano 1778-1872, M. 21872; ders., 
La Scala. Note stor. e statistiche (1778-1889), M. "1889, 
Suppl. (1 888-98), M. 1 898 ; ders., La Scala (e Canobbiana) 
1778-1906, M. 51906; G. Martinazzi, Cenni stor. dell' Ac- 
cad, dei Filodrammatici di Milano (gia Teatro Patriottico), 
M. 1879 ; D. Muoni, Gli Antegnati organari insigni e serie 
dei maestri di cappella del duomo di Milano, Arch. stor. 
lombardo I, 10, 1883; E. Motta, Musici alia corte degli 
Sforza, ebenda II, 4, 1887; A. Paolicci-Brozzi, Contribu- 
te alia storia del teatro: II teatro a Milano nel s. XVII, M. 
1892; ders., II R. Ducal Teatro di Milano nel s. XVIII, M. 
1894; B. Gutierrez, II Teatro Carcano 1823-1914, M. 



1914; G. Cesari, Musica e musicisti alia corte sforzesca, 
RMI XXIX, 1922, dass. reich illustriert in: Fr. Malaguzzi- 
Valeris, La corte di Lodovico il Moro, M. 1923, 21929; G. 
M. Ciampelli, II primo lustro di vita mus. del Teatro del 
Popolo di Milano, M. 1927 ; ders., Ente concerti orchestra- 
li: sei anni di vita, Milano 1924-29, M. 1929; G. Macchi, 
La Scala, dalle origini all'ordinamento attuale, M. 1927; 
ders., G. M. Ciampelli u. B. Gutierrez, La Scala nel 1 830 
e nel 1930, M. 1930; V. Ramperti, Per la storia del teatro 
milanese, M. 1929 ; A. De Gani, I maestri cantori e la cap- 
pella mus. del duomo di Milano, 1395-1930, M. 1930; G. 
Morazzoni, I palchi del Teatro alia Scala, M. 1930; ders., 
La Scala (3. 8. 1778 - 1 1. 5. 1946), M. 1950; L. Parigi, La 
musica nelle gallerie di Milano, M. 1935; C A. Vianello, 
Teatri, spettacoli e musiche a Milano nel s. scorso, M. 1 941 ; 

F. Armani u. B. Bascape, La Scala 1778-1950, M. 1951 ; 

G. Cesari u. F. Fano, La cappella mus. del duomo di Mi- 
lano, = Istituzioni e monumenti dell'arte mus. ital., N. S. I, 
M. 1956; La Scala, hrsg. v. Fr. Amati, M. (1956); Cl. Sar- 
tori, Le musiche della cappella del duomo di Milano, Flo- 
renz 1958; ders., Casa Ricordi 1808-1958, M. 1958; Mu- 
seo (civico) di antichi strumenti mus. Milano, Kat. hrsg. v. 
N. u. Fr. Gallini, M. 1963. 

Mailandischer Gesang-*- Ambrosianischer Ge- 
sang. 

Mainz. 

Lit.: J. Peth, Gesch. d. Theaters u. d. Musik zu M., M. 
1 879, Nachtrag 1 883 ; B. Ziegler, ZurGesch. d. Privilegium 
exclusivum d. M.er Musikstechers B. Schott, Fs. G. Lei- 
dinger, Munchen 1930; P. A. Merbach, Fs. zum lOOjahri- 
gen Bestehen d. M.er Stadttheaters, M. 1933; K. Schwei- 
ckert, Die Musikpflege am Hof e d. Kurfursten v. M. im 1 7. 
u. 18. Jh., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt M. XI, M. 1937; G. 
Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis 
zur Mitte d. 16. Jh., AfMf VI, 1941 ; G. P. Kollner, Der 
Accentus Moguntinus, Diss. M. 1950, maschr. ; A. B. 
Gottron, Mozart u. M., M. (1951); ders., Gutenberg- 
Museum M., Tausend Jahre M.er Musik, M. 1957; ders., 
M.er Mg. v. 1500-1800, = Beitr. zur Gesch. d. Stadt M. 
XVIII, M. 1959; L. Strecker, R. Wagner als Verlagsge- 
fahrte, M. 1951; H. Reifenberg, Messe u. Missalien im 
Bistum M. seit d. Zeitalter d. Gotik, = Liturgiegeschicht- 
licheQuellen u. Forschungen XXXVII, Miinsteri. W. 1960; 
Th. H. Klein, Die Prozessionsgesange d. M.er Kirche aus 
d. 14. bis 18. Jh., Speyer 1962; H. Federhofer, Zwei M.er 
Slgen v. Musikerbriefen d. 19. Jh., M.er Zs. LX/LXI, 1965/ 
66; H. Unverricht, Musik im Spiegel d. sachsisch-thurin- 
gischen allgemeinen Zss. aus d. letzten Viertel d. 18. Jh., 
ebenda. 

Maitrise (metr'i:z, frz., Singschule), seit dem 15. Jh. 
in Frankreich und Belgien nachgewiesene Bezeichnung 
fiir die Gesamtheit der einer Kathedrale oder Kollegial- 
kirche dienenden Musiker, auch speziell fiir das Haus, 
in dem die Sangerknaben untergebracht waren, deren 
Unterricht einem Maitre des enfants oder dem Maitre 
de chapelle, in den auBermusikalischen Fachern vieler- 
orts auch einem eigenen Maitre de grammaire iibertra- 
gen war. Die M. war in der Art einer -»• Kapelle oder 
einer -*■ Kantorei aufgebaut. Seit dem 16. Jh. wurden 
in zunehmendem MaBe auch Instrumentalisten zu 
Auffuhrungen herangezogen und in die M. aufgenom- 
men. Bis ins 18. und 19. Jh. haben sich in den M.n alter- 
tiimliche Musizierweisen, wie der Chant sur le livre 
(super librum cantatio; -»■ Sortisatio), und die Beglei- 
tung des Choralgesangs mit Serpent oder Fagott erhal- 
ten. Nachdem in der Franzosischen Revolution die 
meisten M.n aufgelost worden waren, lebte die Pflege 
der Kirchenmusik in Frankreich im 19. Jh. in neuer 
Form wieder auf. Doch hat eine Reihe moderner Kir- 
chenchore wieder den Namen M. angenommen. 
Lit. : Ch. Gomart, Notes hist, sur la m. de St-Quentin, in: 
Etudes St-Quentinoises I, 1844/51; J. Houdoy, Hist, ar- 
tistique de la cathedrale de Cambrai, Memoires de la Soc. 
des sciences . . . de Lille IV, 7, Lille 1 880 ; A. R. Collette u. 
A. Bourdon, Hist, de la m. de Rouen, Rouen 1892; F. L. 
Chartier, L'ancien chapitre de Notre-Dame de Paris et sa 



541 




Malaguena 

m., Paris 1897; J.-M. Clerval, L'ancienne m. de Notre- 
Dame de Chartres du V e s. a la Revolution, Paris 1899 ; R. 
Garraud, Hist, de la m. de la cathedrale de Dijon, Dijon 
1 899 ; G. Van Doorslaer, Notes sur les jubds et m. des egli- 
ses . . . a Malines, Bull, du Cercle archeologique de Malines 
XIV, 1906; ders., Lam.de St-Rombaut a Malinesjusqu'en 
1580, Musica Sacra XLIII, 1936 (Brugge); M. Brenet, 
Les musiciens de la Ste-Chapelle du Palais, Paris 1910; E. 
Fyot, L'origine de la m. de la Ste-Chapelle a Dijon, Me- 
moires de l'Acad. de Dijon V, 2, 1917/19 ; ders., La m. de 
la Ste-Chapelle a Dijon, Rev. de Bourgogne X, 1920; F. 
Delcroix, La m. de Cambrai, Memoires de la Soc. d'emu- 
lation de Cambrai LXVIII, 1921 ; R. Wangermee, Le traite 
du chant sur le livre de P. L. Pollio, M61anges Ch. Van den 
Borren, Antwerpen 1945 ; G. Roussel, Les m. d'enfants et 
les offices liturgiques, Atti del Congresso internazionale di 
Musica Sacra Rom 1950; P. Pimsleur, The French M., 
The Mus. Times XCV, 1954 ; J. Prim, Chant sur le livre in 
French Churches in the 1 8 th Cent. , JAMS XIV, 1961. 

Malaguena (malag'ejia, span.), siidspanisches Tanz- 
lied (aus Malaga), eine Art des -> Fandangos. Kennzei- 
chen der M. ist ein harmonisches Geriist, das aus den 

Dreiklangen iiber den Q a J, , g(l|)|i 

Tonen des absteigenden 

Molltetrachords besteht 

und, ostinatoartig repetiert, als Grundlage fiir zumeist 

improvisierte Melodien dient. In der Konzertmusik 

gibt es die M. u. a. in Werken von Albeniz (Iberia IV) 

und Ravel (Rapsodie espagnole). 

Malaia ->• Hinterindien. 

Mambo, Modetanz aus der Familie der siidamerika- 
nisch-kubanischen Tanze. Unmittelbar nach dem 2. 
Weltkrieg fand der M. Eingang in den -> Afro-Cuban 
Jazz; dabei erhielt er seine charakteristische Auspra- 
gung unter demEinfluB des -*• Swing und der -*■ Rum- 
ba. Deren eigentiimliches Instrumentarium (u. a. 
Rumbakugeln) wurde in die Schlagzeuggruppe des 
Jazzorchesters aufgenommen ; zugleich iiberlagerte sich 
dem Rumbarhythmus derjenige des Foxtrotts nach 
dem Schema: 
Rumba: | J «QJ J I 

Foxtrott und M.: | JJJJJJJJ I 

Der seit 1955 auch in Europa verbreitete M. wird mit 
einem gestreckten und einem gebeugten Bein, bei fort- 
wahrender Bewegung der Hiiften, zu Paaren getanzt. 
Lit. : B. Taylor, M. and How to Play Them, NY 1950. 

mancando, mancante (ital.), abnehmend, wie -»■ ca- 
lando. 

Manchester. 

Lit.: G. Behrens, Sir Ch. Halle and After, M. 1926; The 
Halle Magazine 1-110, M. 1946-59; J. F. Russell, A Hist, 
of the Halle Concerts, 1 858-1939, M. 1948-56 ; C. B. Rees, 
100 Years of the Halle, London 1957; M. Kennedy, The 
Halle Tradition, M. 1960. 

Mandola (ital.) -»- Mandora, ->■ Mandoline. 

Mandoline (ital. mandolino, Diminutiv von mando- 
la; span, bandolin), Saiteninstrument aus der Familie 
der Lauten, mit kiirbisartig gewolbtem Schallkorper 
(tiefer gewolbt als bei den Lauten, aber kleiner). Es gibt 
zwei Haupttypen der M., deren erster, die Mailiindi- 
sche M., eine abgewandeltc ->■ Mandora mit seitenstan- 
digen Wirbeln und geschweiftem Wirbelkasten ist. 
(Die Abbildung zeigt ein Instrument des Mailanders 
Fr.Presber, 1773.) Der zweite Typ, heute hauptsach- 
lich in der Form der (4chorigen) Neapolitanischen M. 
verbreitet, kam wohl um 1650 zuerst in Florenz (als 
Florentinische M., 5chorig) auf. Die Herkunft dieses 
Typs aus der Mandora ist umstritten. Er unterscheidet 
sich von der Mandora durch die Form des Corpus (mit 




einem oder mehreren runden, of- 
fenen Schallochern) und durch 
die hinterstandigen Wirbel (heu- 
te mit Stellschraubvorrichtung). 
Dieser Typ wurde mit einigen 
Abwandlungen auch als Genue- 
sische M. (5-6chorig), Paduani- 
sche M. (5chorig), Romische M. 
(4chorig), SienesischeM. (4-6sai- 
tig) und Sizilianische M. (IchSrig 
zu 2 Saiten oder 3chorig zu je 3 
Saiten) gebaut. Daneben wurde 
aus der Neapolitanischen M. eine 
Grofiform (eine Oktave tiefer 
klingend) entwickelt, die den Na- 
men Mandola erhielt; dadurch 
sind Verwechslungen mit der 
Mandora moglich. Die M. wird 
mit einem Plektron aus Schild- 
patt (heute meist aus Kunststoff) 
im Tremolo gespielt, doch wird 
sie daneben auch gezupft. Die 
Saiten sind in der Zarge (bei der 
MailandischenM. an einem Quer- 
riegel) befestigt. Das Saitenma- 
terial der 4chorigen M. vor Einfiihrung der Stahlbe- 
saitung durch P. Vinaccia in der 1. Halfte des 19. Jh. 
war in der Regel (vom tiefsten zum hochsten Saiten- 
paar): Darm (auch umsponnen), Kupfer oder Messing, 
Stahl und wieder Darm. Der Bezug der Neapolitani- 
schen M. besteht aus 8 paarweise im Einklang gestimm- 
ten Saiten, die 4 Chore sind in Quinten (wie die Violi- 
ne) gestimmt : g d 1 a 1 e 2 . Die Mailandische M. hat 6 (zu- 
weilen auch 5) Saitenpaare und die Stimmung g h e 1 a 1 
d 2 e 2 bzw. g c 1 a 1 d 2 e 2 . Die M. erlebte ihre Hochblute 
um die Wende des 18. Jh. (P. Vimercati aus Mailand, B. 
Bartolazzi aus Venedig). Sie ist in Italien, besonders in 
Neapel, noch heute als Melodieinstrument in Gebrauch 
und wird durch die Gitarre begleitet; in Deutschland 
und Osterreich wird das M.n-Spiel wieder in Volks- 
musikgruppen und M.n-Orchestern gepflegt. In Eng- 
land war die M. bis 1713 unbekannt. Vivaldi kompo- 
nierte ein Konzert fiir M. und zwei fiir 2 M.n; Mozart 
verwendete die M. fiir das Standchen im Don Giovanni ; 
Beethoven schrieb um 1790 eine Sonatine und ein 
Adagio fiir M. und Cemb. ; bei Verdi begegnet die M. 
im Otello (1887). Im Orchester des 20. Jh. wird sie von 
Mahler (7. und 8. Symphonie), von Schonberg als 
-»■ Kurztoninstrument (Serenade op. 24, Moses und 
Aron), von Strawinsky (Agon), Webern undHenze vor- 
geschrieben. 

Lit. : B. Bortolazzi, Anweisung, d. M. selbst zu erlernen, 
Lpz. 1805 ; J. Zuth, Die Mandolinenhss. in d. Bibl. d. Ges. 
d. Musikfreunde in Wien, Zf Mw XIV, 193 1 /32 ; K. Wolki, 
Die Gesch. d. M., Bin 1940; G. de St.-Foix, Un fonds in- 
connu de compositions pour m. (XVII e s.), Rev. de Musi- 
col. XVII, 1933; A. Buchner, Beethovens Kompositionen 
f. M., Beethoven-Jb. Ill, 1957/58. - Zs. Die M., hrsg. v. J. 
Zuth, Wien 1924, 1925 vereinigtmitd.Zs. MusikimHaus. 

Mandolone, auch Arcimandola, im 18. Jh. eine italie- 
nische BaBmandoline, 7-8chorig (Doppelsaiten) in der 
Stimmung F (G) A d g h e 1 a 1 . 

Mandora (Mandola, Mandore), ein altes, der Laute 
ahnliches, ziemlich kleines Zupfinstrument orientali-: 
scher Herkunft, das zuerst 1235 in der Provence nach- 
weisbar ist. Bis ins 16. Jh. unterscheidet es sich von der 
Laute durch das flachere, unmittelbar in den Hals aus- 
laufende Corpus und den weniger stark abgeknickten, 
geschweif ten Wirbelkasten. Die M. ist wahrscheinlich 
identisch mit der Guitarra morisca des 12./13. Jh. und 
dem -> Qopuz. Virdung (1511) und Agricola (1528) 



542 



bilden sie unter der Bezeichnung Quinterne ab. Die 
alteste europaische Form der M. war 4(-5)saitig; um 
1450 hatte sie chorige Beziige (Doppelsaiten). Erst im 
16. Jh. kam es zu einer Annaherung an die Form der 
Laute (abgesetzter Hals, Rosette, Doppelbesaitung) , wo- 
bei die Vierzahl der Chore sowie der geschweifte Wir- 
belkasten blieben. Die 4 Chore waren zumeist c g c 1 gi 
(oder f 1 oder el) gestimmt. Praetorius (1619) nennt 
5chorige Mandoren (c g c 1 gi c 2 oder c f el f 1 c 2 ). Mer- 
senne zufolge (1636) ist das Instrument 1^2 FuB lang 
und hat 9 Biinde; wenn mehr als 4 Chore vorhanden 
sind, handelt es sich um eine Mandore luthee. Die 
fruhbarocken Bezeichnungen Mandiirchen, Mandu- 
rinchen, Pandurina weisen auf die kleinere Gestalt der 
M. im Vergleich zu den groCeren Lauten hin. Im 17. 
Jh. entstand die Mandurina (»Mailandische Mandoli- 
ne*) von schmalerer Bauart, mit (meist) offenem 
Schalloch und 6 Saitenchoren (im 18. Jh. 6 einfache 
Saiten aus Darm), deren tiefster, wie bei der -> Man- 
doline, auf g gestimmt ist. 

Lit. : A. Koczirz, Zur Gesch. d. Mandorlaute, in: Die Gi- 
tarre II, 1920/21 ; K. Geiringer, Der Instrumentenname 
»Quinterne« u. d. ma. Bezeichnungen d. Gitarre, Mandola 
u. d. Colascione, Af Mw VI, 1924. 

Manier (mittellat. maneria und maneries, Art, Ge- 
wohnheit, von man[u]arius, zur Hand gehorig, hand- 
lich; frz. maniere, Art und Weise; ital. maniera). 
- 1) Maneria oder Maneries ist ein Terminus der mit- 
telalterlichen Lehre von den Kirchentonen, der in den 
gegen 1150 entstandenen Choraltraktaten der Zister- 
zienser mafigeblich erlautert wird. Hiernach enthalt 
das diatonische System insgesamt 4 Maneriae, die 
sich auf der Grundlage verwandter Oktavgattungen 
durch verschiedene Abfolge der Ganz- und Halbton- 
intervalle voneinander unterscheiden : Prima [maneria] 
est, quae afinali ascendit per tonum et semitonium, et des- 
cends per tonum (= C-jD|-E-F . . . oder G-jaj-tr-c . . .). 
Secunda, quae afinali ascendit per semitonium et tonum, et 
descendit per tonum (= D-ffiUF-G . . . oder a-lN-c-d) 

usw. (GS II, 266a). Nach Ansicht der Zisterzienser 
werden in den Maneriae, die stets der Dispositio (dem 
charakteristischen Intervallgefiige) eines Gesanges zu- 
geordnct sind, die antiken Modi protus, deuterus, 
tritus und tetrardus greifbar, die dann erst von den 
»modemi« jeweils in einen authentischen und den 
dazugehorigen plagalen Kirchenton (modus) unter- 
teilt worden seien. - In der mittelalterlichen Musik- 
lehre ist Maneries auch, synonym mit -> Modus (- 2), 
Bezeichnung der rhythmischen Schemata: Modus vel 
maneries vel temporis consideratio est cognitio longitudinis 
et brevitatis meli sonique (Anonymus IV, CS I, 327b; 
weitere Belege CS I, 175a, und CS I, 279a). - 2) Die 
italienische Kunstlehre des 16. Jh. (Vasari) bezeichnet 
als Maniera die individuelle Gestaltungsweise eines 
Kiinstlers, sofern sie nicht auf die Grundprinzipien der 
Kunsttheorie zuruckzufiihren, sondern allein Ausdruck 
seiner Personlichkeit ist. Um 1600 wurde im italieni- 
schen Musikschrifttum die nobile maniera di cantare 
(Caccini 1601) zum Lehrgegenstand, vor allem als Vor- 
trag der -> Monodie mit den ihr gemaBen Gesangs- 
verzierungen. Deutsche Gesangschulen des 17. Jh. ver- 
festigten im AnschluB hieran das Wort M. zu einem 
Terminus: M. Praetorius lehrte das Singen vffjetzige 
Italianische M. (Synt. Ill im AnschluB an Bovicelli und 
Caccini) ; eine ausf iihrliche Lehre Von der Singe-Kunst 
oder M. legte Chr.Bernhard vor. Seit Ende des 17. Jh. 
umfaBt der Terminus M.en auch die ->■ Verzierungen 
der Instrumentalmusik. Fr. W. Marpurg unterscheidet 
in seiner Klavierschule (1755) zwischen Setz- und Spiel- 



Mannheimer Schule 

iM.en und versteht unter ersteren die ausgeschriebenen 
Figuren und Passagen, unter Spiel-M.en die improvi- 
sierten Verzierungen, deren Form den Setz-M.en ent- 
spricht. 

Lit.: zu 1): Domni Guidonis in Caroli-loco abbatis Re- 
gulae de arte musica, CS II, 150ff. ; Tonale S. Bernardi, GS 
II, 265ff. ; Praefatio seu Tractatus de cantu seu correctione 
Antiphonarii, in: Sancti Bernardi . . . Opera omnia, hrsg. 
v. J. Mabillon, Nova Ed., Bd 1, 2, Paris 1719, S. 701ff. ; G. 
Reese, Music in the Middle Ages, NY (1940), London 1941 ; 
K. W. Gumpel, Zur Interpretation d. Tonus-Definition d. 
Tonale Sancti Bernardi, Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, 
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1 959, Nr 2. - zu 2) : 
L. Schrade, Von d. »Maniera« d. Komposition in d. Mu- 
sikd. 16. Jh.,ZfMwXVI, 1934(umstritten). 

Mannheim. 

Lit. : A. Pichler, Chronik d. GroCherzogl. Hof- u. Natio- 
naltheaters in M., M. 1879; Fr. Walter, Gesch. d. Thea- 
ters u. d. Musik am Kurpfalzischen Hofe, = Forschungen 
zur Gesch. M. u. d. Pfalz I, Lpz. 1 898 ; ders., Arch. u. Bibl. 
d. GroBherzoglichen Hof- u. Nationaltheaters in M. 1779- 
1839, 2 Bde, Lpz. 1899; E. L. Stahl, Das M.er National- 
theater, 2 Bde, M., Bin u. Lpz. 1929-40; ders., Mozart am 
Oberrhein, StraBburg 1942; 175 JahreNationaltheater M., 
zusammengestellt v. H. Stubenrauch, W. Herrmann u. 
Cl. H. Drese, M. 1954; E. Schmitt, 100 Jahre Musica 
sacra in d. Kurpfalz, M.er H., Jg. 1959, H. 1 ; A. Ciechano- 
wiecki, M. K. Oginski u. sein Musenhof zu Slonim, = Beitr. 
zur Gesch. Osteuropas II, Koln u. Graz 1961 ; G. Hart, 
Die Holzblasinstrumentenmacher Eisenmenger. Ein Beitr. 
zur Gesch. d. M.er Musikinstrumentenbaues, M.er H., 
Jg. 1961, H. 2. 

Mannheimer Schule, der unter dem pf alzischen Kur- 
fiirsten Karl Theodor (1743-99) in Mannheim wirken- 
de Kreis von Komponisten, die in ihrer hervorragen- 
den Bedeutung fur die klassische Instrumentalmusik 
von H.Riemann wiederentdeckt wurden. Bedeutsam 
ist vor allem die altere, von dem Deutschbohmen J. 
Stamitz (f 1757) gefiihrte Gruppe (etwa 1745-60), be- 
sonders Fr. X. Richter (der aus Mahren stammt, ab 1747 
in Mannheim) und A.Filtz (wahrscheinlich aus Boh- 
men, ab 1754 in Mannheim) neben dem Wiener I. 
Holzbauer (ab 1753 in Mannheim), ferner der Italiener 
C. G. Toeschi (ab 1752 in Mannheim) und der nicht in 
Mannheim wirkende Stamitz-Schiiler Fr.Beck. Im 
neuen Stil der Mannheimer Instrumentalmusik, bereits 
in Stamitz' op. 1 epochemachend ausgepragt, ist der 
harmonische Verlauf nicht mehr vom BaB her konzi- 
piert (generalbaBmaBig notiert), sondern primar durch 
die Melodie bestimmt. Dieser melodischen Sinnfallig- 
keit des Satzes entspricht die Gliederung seiner har- 
monisch-melodischen Teile in Zwei-, Vier-, Achttakt- 
gruppen (Sinneinheiten), ein zur Wiener Klassik fiih- 
rendes Ordnungsprinzip, das die neuen dramatischen 
und expressiven Errungenschaften der Mannheimer 
musikalisch ermoglichte : die kompositorisch-substan- 
tiellen, klanglichen und dynamischen Kontraste auf 
engstem Raum, die betontere Anlage von zweitem 
Thema und Durchfuhrung, auch die zahlreichen, auf 
Effekt zielenden Mannheimer Manieren, so die typi- 
schen Crescendofiguren bei statischer Harmonie, die 
Tremoli, gebrochenen Akkorde, »Raketen«-, »Fun- 
ken«-, »Walzen«-Motivik, die Seufzer- und Vorhalts- 
melodik, die abrupten Generalpausen. Zu den bleiben- 
den Neuerungen gehoren die Verselbstandigung der 
Blaser, vor allem der Horner und Holzblaser (Klarinet- 
ten), und die psychologisch motivierte Eingliederung 
des Menuetts an die dritte Stelle des Sonaten-Satzzyk- 
lus sowie vor allem die von der dynamisch-expressiven 
Beweglichkeit des Satzes geforderte dirigentische Sub- 
tilitat der orchestralen Ausfiihrung. Die Instrumental- 
werke der Mannheimer erregten seit der Mitte des 18. 
Jh. besonders in Paris und London groBes Aufsehen; 



543 



Mantua 



sie wurden in Mengen und zum Teil in drei- und mehr- 
f achen Ausgaben, zumal in Paris, Amsterdam und Lon- 
don (-»■ periodique) , gedruckt, und zahlreiche bedeuten- 
de Komponisten, so der Augsburger J. Schobert (Kam- 
mermusik mit Klavier) und der Franzose Fr.-J. Gossec, 
standen nachweislich unter Mannheimer EinfluC. - 
Von den deutschen Zentren vorklassischer Instrumen- 
talmusik ist Berlin (C.Ph.E.Bach) gekennzeichnet 
durch die Bach-Tradition (->• Berliner Schule) und 
den norddeutschen »gearbeiteten« Stil (Graupner, Fasch, 
Graun, Hasse), Wien (Wagenseil, Monn, -> Wiener 
Schule - 1) durch den mehr evolutionaren Gang ei- 
ner groBen Musikkultur, die Nahe Italiens und Fuxens 
hohe Schule der »regulierten Komposition«, wahrend 
Mannheim, ebenfalls stark italienisch beeinfluBt, doch 
zugleich mitgepragt durch die volkstiimliche Ur- 
spriinglichkeit bohmischen Musikantentums und be- 
giinstigt durch den Ehrgeiz eines Kurf iirsten und das 
Genie eines Stamitz, in jener revolutionierenden Weise 
»original« wirkte, die dem norddeutschen Standpunkt 
als Unkultur erscheinen muBte. So kam es auch, daB 
die Mannheimer Musik in ihrer geschichtlichen Rol- 
le zeitlich begrenzt ist und im SchafEen einer spate- 
ren Gruppe unter der Fiihrung des Stamitz-Schulers 
und -Nachfolgers Chr. Cannabich (C. u. A. Stamitz, 
F. Franzl, E.Eichner, W. Cramer, Fr. Danzi u. a.) weit- 
gehend verflachte, wahrend sich das Schwergewicht 
der Entwicklung nach Wien verlagerte. Mannheim - 
eine herrliche Schule in der Ausfuhrung, aber nicht in der 
Erfindung. Monotonieherrschthierim Geschmack . . . (Schu- 
bart, Deutsche Chronik, 1775, S. 591), und in der Zeit 
der Ubersiedlung des Mannheimer Hofes nach Miin- 
chen sprach auch L.Mozart (Brief an den Sohn, 11. 12. 
1777) vom vermanierierten Mannheimer gout. 
Ausg.: Sinfonien d. pfalzbayerischen Schule, hrsg. v. H. 
Riemann, = DTB III, 1, 1902, VII, 2, 1906 u. VIII, 2, 1907 
(mit thematischem Kat. u. Vorw.); Mannheimer Kammer- 
musik d. 18. Jh., hrsg. v. dems., = DTB XV, 1914, u. XVI, 
1915 (mit thematischem Kat.). 

Lit. : G. J. Vogler, Churpfalzische Tonschule, Mannheim 
1778; ders., Betrachtungen d. Mannheimer Tonschule I- 
III, ebenda 1 778-8 1 ; A. Heuss, Zum Thema »Mannheimer 
Vorhalt«, ZIMG IX, 1907/08 ; ders., Uber d. Dynamik d. 
M. Sch., Fs. H. Riemann, Lpz. 1909, II. Teil in: ZfMw II, 
1919/20; L. Kamienski, Mannheim u. Italien, SIMG X, 
1908/09; H. Riemann, Beethoven u. d. Mannheimer, Mk 
VII, 1907/08; ders., Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 1913; W. 
Fischer, Zur Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, 
StMw III, 1915; R. Sondheimer, Die formate Entwick- 
lung d. vorklass. Sinfonie, AfMw IV, 1922; ders., Das eu- 
ropaische Mannheim, Mannheim 1940; Fr. Waldkirch, 
Die konzertanten Sinfonien d. Mannheimer im 18. Jh., 
Diss. Heidelberg 1931 ; H. Stephan, Der Mannheimer Stil 
u. seine deutsch-bohmischenVertreter, in : Der Ackermann 
aus Bohmen IV, Prag 1936; H. Boese, Die Klar. als Solo- 
instr. in d. Musik d. M. Sch., Dresden 1940; W. H. Reese, 
Grundsatze u. Entwicklung d. Instrumentation in d. vor- 
klass. u. klass. Sinfonie, Diss. Bin 1940; W. Senn, Vorw. 
zu: DTO LXXXVI, Wien 1949; G. Croll, Zur Vorgesch. 
d. »Mannheimer«, Kgr.-Ber. Koln 1958; J. P. Larsen, Zur 
Bedeutung d. »M. Sch.«, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 
1962; R. Fuhrmann, Mannheimer Kl.-Kammermusik, 
Diss. Marburg 1963. HHE 

Mantua. 

Lit. : A. Bertolotti, Musici alia corte dei Gonzaga . . . 
dal s. XV al XVIII, Mailand (1890), dazu E. Vogel in: 
VfMw VII, 1891, S. 278; A. D'Ancona, II teatro manto- 
vano nel s. XVI., Turin 2 1891 ; E. Lui u. A. Ottolenghi, I 
cento anni del Teatro Sociale di Mantova 1822-1922, M. 
1923; J. Pulver, Music in M. (1590-1610), MMR LXVI, 
1936; E. Schenk, Mozart in M„ StMw XXII, 1955; Cl. 
GALLico.La musica a Mantova all'epoca dTsabella d'Este 
e la tradizione mus. ital., Bolletino stor. mantovano III, 
1958; P. M. Taomann, Archivalische Studien zur Musik- 
pflege am Dom v. M., Diss. Bern 1965,maschr. 



Manual (von lat. manualis, zur Hand gehorend), bei 
Tasteninstrumenten die fur das Spiel der Hande be- 
stimmte Klaviatur. Seit dem 15. Jh. sind M.e mit kiir- 
zeren Ober- und langeren Untertasten nachweisbar. 
Die Regel, daB die Stammtone den Untertasten, die 
Akzidentien den Obertasten zugehoren, wurde im 16- 
18. Jh. vielfach durch die -» Kurze Oktave durchbro- 
chen. Der Umfang des M.s war um 1400 etwa 2 Ok- 
taven, um 1500 etwa 3 Oktaven (F-£). Im 16.-18. Jh. 
begann das M. meist mit C und reichte bis c3 oder &, 
an italienischen Cembali ohne 4' auch hoher. Die tief- 
ste Oktave war oft als Kurze Oktave angelegt; dar- 
iiber hinaus wurden haufig zur Tiefe hin einige Tone 
(aber keine vollstandige chromatische Skala) bis \G 
oder iF angefugt (ravalement). Orgeln in mitteltoniger 
Stimmung hatten fiir dis/es und gis/as mitunter eine 
geteilte Obertaste (Praetorius Synt. II, S. 186; Orgel des 
E.Compenius in Biickeburg). Mit dem Aufkommen 
des Pianofortes im 18. Jh. setzte sich die Orientierung 
auf F mit voller Chromatik auch fiir das Cembalo 
durch, wahrend Orgel und Clavichord weiterhin in 
der C-Orientierung verblieben. Bei modernen Orgeln 
reicht das M. von C bis f 3 oder a3, ausnahmsweise bis 
c*, in franzosischen Orgeln (Cavaille-Coll) bis g3. Auf 
dem Pianoforte wurde das M. nach 1800 auf jC-f 4 aus- 
gebaut, um 1825 auf iC-c5, nac h 1880 auf 2 A-a4 oder 
2A-c5. Die Breite der Tasten war Schwankungen un- 
terworfen; heute nehmen 21 Untertasten die Breite 
von 50 cm ein, in M.en des 18. Jh. nur 46-48 cm. Re- 
formen fiir das M. wurden mehrfach versucht: Vin- 
cent schlug 1874 ein chromatisches M. mit stetig ab- 
wechselnden Ober- und Untertasten vor mit Verzicht 
auf die charakteristische Gruppierung von 2+3 Ober- 
tasten in der Oktave von 7 Untertasten. Seine Idee 
wurde 1882 vonjanko aufgegriffen, bei dessen M. 2 
chromatische Tastenreihen (beginnend auf c bzw. cis) 
iibereinanderliegen. Jede Taste hat 3 Anschlagstellen 
und geringere Breite, so daB groBe Griffe spielbar sind 
und ein chromatisches Glissando in alien Tonarten er- 
moglicht wird. Ein Pianoforte a double clavier ren- 
verse mit 2 M.en - auf dem einen sind die Tone auf- 
steigend, auf dem anderen absteigend angeordnet - er- 
fand Mangeot 1876. Ein M. in Bogenform konstruier- 
te A. Schulz 1908, eines in Strahlenform Clutsam 1909. 
Mehrere M.e sind an der Orgel seit 980 (Orgel in 
Winchester), am Cembalo seit etwa 1530 nachweisbar. 
An der Orgel gibt es 2 bis 4, selten 5 oder mehr, am 
Cembalo bis zu 3 M.e. Bei 2 M.en liegt das Haupt-M. 
meist unten, bei dreien in der Mitte. - Am M.-Bild 
mit der Normalanordnung der Unter- und Obertasten 
sind auch Versuche zur Neugestaltung der Notenschrif t 
orientiert, wie die Zwolftonschrift von Hauer. 
Lit. : A. Kircher SJ, Musurgia universalis, 2 Bde, Rom 
1 650, 21 690 ; P. v. Jank6, Eine neue Klaviatur, Wien 1886; 
R. Hausmann, Das Janko-Kl. u. seine technische Vervoll- 
kommnung, ZIMG V, 1903/04; F. B. Boyes, Das Janko- 
Kl., Wien u. Lpz. 1904; T. Norlind, Systematik d. Saiten- 
instr. II, Gesch. d. Kl., Stockholm 1939, Hannover 21941 ; 
J. Handschin, Aus d. alten Musiktheorie V : Zur Instru- 
mentenkunde, AMI XVI/XVII, 1944/45; S. Marcuse, 
Transposing Keyboards on Extant Flemish Harpsichords, 
MQ XXXVIII, 1952; Fr. Ernst, Der Fliigel J. S. Bachs, 
Ffm., London u. NY 1955; K. W. Gumpel, Das Tasten- 
monochord Conrads v. Zabern, AfMw XII, 1955. 

manualiter (lat., Abk. : man., m.), in Orgelkompo- 
sitionen fiir Manual (d. h. ohne Pedal). 

Maqam (Plur. maqamat, arabisch, urspriinglich s. v. w. 
Versammlungsplatz fiir Vortrage, dann Standort des 
Singers vor dem Kalifen) ist der Name fiir die Melo- 
diemodelle in der arabischen, persischen und tiirki- 
schen Musik. Entsprechende regionale Bezeichnungen 



544 



Maqam 



sind in Agypten nagama (Melodie), in Tunesien tab' 
(Charakter), in Algerien sana'a (Arbeit, Handwerk, 
Kunst), persisch 'awaz (Gesang) mit den Nebenfor- 
men su'ab und sudiid sowie dastgah (aus dast, Hand, 
auch MaBeinheit, und gah, das in Zusammensetzun- 
gen Zeit oder Ort, Platz, heiBen kann). - Der orien- 
talische Musiker denkt nicht in Tonen, sondern in 
melodischen Gestalttypen, die als ungeteilt fortstro- 
mende Melodielinien ausgefiihrt werden. Solchem in 
der Intonation nicht festgelegten Musizieren entspricht 
die Schriftlosigkeit; an die Stelle der schriftlichen 
Festlegung tritt die zwischen Erklingen und Tonleiter 
stehende M.-Formel. Jeder M. hat seine eigene Art 
und Geschichte. Urspriinglich als Volksmelodien im 
Gebrauch, wurden einige von ihnen typisiert und so- 
mit lehr- und lernfahig. An ihre Herkunft erinnert das 
Kennwort des verschollenen Textes (mahur, sahnaz). 
In den feinen und endlos zahlreichen Unterschieden 
der Maqamat kommt die religiose, sprachliche, politi- 
sche und volksmaBige Zerrissenheit der arabisch-isla- 
mischen Kultur zum Ausdruck. Die friihe Ausbildung 
der M.-Technik ist im islamischen Zentrum Mesopo- 
tamiens zu suchen und erhielt durch die Beimischung 
des offenbar alteren Modellsystems Persiens eine theo- 
retische Grundlage. Die M.-Technik wurde charakte- 
ristisch f iir die stadtische Kunstmusik Arabiens, die sich 
mehr und mehr von den Altstilen der Nomaden- und 
Bauernmusik, auch der Frauenmusik trennte, die das 
M.-Prinzip nicht oder nur rudimentar annahmen. Mit 
der westlichen Expansion des Islams loste sich die arabi- 
sche Stadtmusik von den persischen Vorbildern (trotz 
Ubernahme eines guten Teils der Nomenklatur und 
praktischen Lehre) und zeigt heute kaum mehr ge- 
meinsame Ziige. Systematisiert und auf modale Lei- 
tern reduziert ist die M.-Lehre in einigen islamischen, 
doch stark hellenisierenden mittelalterlichen Traktaten 
dargestellt, so bei al-Kindi, Ibn Zaila (mit Darstellung 
der Ethoslehre der Maqamat und ihrer kosmischen 
Beziehungen), Ibn Sina (->■ Avicenna) und Safi-ad 
Din (dort erstmals die Nennung der 12 Maqamat und 
6 'Awazat). - Musikalisch ist ein M. gekennzeichnet 
durch seinen Grundton und eine Reihe von typischen 
Melodiewendungen. Die M.-Grundtone sind isolierte 
Klangeinheiten ; es gibt keine Oktavwiederholung in 
derBenennung: 



yakah 'usairan 'iraq last dukah slkah gahirkah 



nawa husaini 'aug mahur (kiidan) muhaiyir gawab 

Auf einem Grundton konnen mehrere Maqamat oder 
M.-Familien ihren Sitz haben: 



Verschiedenen Maqamat kann sogar die gleiche Ma- 
terialleiter zugrunde liegen, sofern sie verschiedene 
Melodiemodelle auspragen: 





bjgaz-kar 



Erst die Nebenmaqamat ergeben den vollen Umfang 
einer M.-Einheit. Einen glatten Ubergang zwischen 
den Maqamat zu erzielen, gehort zum kiinstlerischen 
Spiel. Modulieren heiBt hier nicht nur eine neue Mo- 
dalitat gewinnen, sondern auch die Melodieformeln 
entsprechend wandeln. Ein kleines Lied kann allenfalls 
»im Ton« eines M. stehen, zur vollen Ausbildung ist 
eine GroBform notig. Sie besteht aus dem takt- und 
textfreien Taqsim und dem metrisch geregelten Basrav. 
Es gibt verschiedene Taqsim-Formen, solistisch mit 
oder ohne Bordun, auch gesungen (Vokalisen auf ya 
laili, »o, meine Nacht«), auch im Zusammenspiel meh- 
rerer Instrumente, mit oder ohne »Ritornelle«. Im 
Basrav tritt eine Gruppe von Rhythmusinstrumenten 
hinzu mit eigenen rhythmischen Perioden ('iqa'), uber 
die die melodischen Perioden hinweggleiten. In der 
tiirkischen Musik ist der Rhythmus durch die Usui ge- 
regelt, von denen es etwa 60 gibt, so den Usui tiirk 
aksage (»tiirkischer Hinker«, 2+3) und den Aksak se- 
ma'I (»hinkender Dreher«, 3 + 2+2+3). Sie werden 
auf Schlaginstrumenten mit »dumpfen« und »klaren« 
Schlagen, schlicht oder auch verziert, angegeben. - 
Unter dem Druck westlicher Musik verdrangt der 
Leiterbegriff die alte orientalische Denkform in Melo- 
diemodellen; die reichen M.-Listen der mittelalterli- 
chen Diwane verlieren mehr und mehr ihren klingen- 
den Bezug. Die Zahl der in Gebrauch befindlichen 
Maqamat schwankt nach Ort und Bildungsstand: 
wahrend in Agypten etwa 8 in standigem Gebrauch 
sind (Berner), verfugen gute Bagdader Musiker uber 
etwa 20, persische auch bis zu 30 und mehr. In der tiir- 
kischen Musik waren jeweils etwa 100 Maqamat ge- 
brauchlich. Insgesamt lassen sich bisher 520 Maqamat 
nachweisen. 

Lit. : al-Kindi, Risala fl hubr ta'llf al-alhan (»Abh. uber d. 
innere Wissen bei d. Komposition v. Melodien«), hrsg. v. 
R. Lachmann u. M. el-Hefni, = Veroff. d. Ges. zur Erfor- 
schung d. Musik d. Orients I, Lpz. 1931 (mit deutscher 
Ubers.); Avicenna, Kitab aS-Sifa, NA Teheran 1895/96, 
Kap. XII f rz. in : Baron R. d'Erlanger, La musique arabell, 
Paris 1935; ders., Kitab an-Nagat, als: Ibn Sinas Musik- 
lehre, hrsg. v. M. el-Hefni, Bin 1 93 1 ; SafI-ad DIn, Kitab al- 
adwar.frz.ebendalll, 1938; ders., ar- Risala aS-Saraflya..., 
hrsg. v. Carra de Vaux als: Le traite des rapports mus. ou 
renitre a Scharaf ad-Din, Journal Asiatique VIII, 1891; A. 
Z. Idelsohn, Die M. d. arabischen Musik, SIMG XV, 1913/ 
14, auch in: Thesaurus IV, 1923; R. Lachmann, Musik d. 
Orients, Breslau 1929; A. Berner, Studien zur arabischen 
Musik ... in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f. 



35 



545 



Maracas 



Deutsche Musikforschung II, Lpz. 1937; C. Sachs, The 
Rise of Music in the Ancient World, NY (1943); H. G. 
Farmer, The Music of Islam, in : The New Oxford Hist, of 
Music I, London 1957; H. Hickmann u. Ch. Gr. Due de 
Mecklenbourg, Cat. d'enregistrements de musique folk- 
lorique egyptienne, = Slg mw. Abh. XXXVII, StraBburg 
u. Baden-Baden 1958; Khatschi Khatschi, Der Dastgah, 
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XIX, Regensburg 
1962; G. Oransay, Die traditionelle tiirkische Kunstmusik, 
= Ankaraner Beitr. zur Musikforschung I, Kii|-Veroff. 
Nr 3, Ankara 1964; ders., Chronologisches Verz. turki- 
scher Makamnamen, ebenda II, 1965; ders., Die melo- 
dische Linie u. d. Begriff Makam d. traditionellen tiirki- 
schen Kunstmusik v. 15. bis zum 19. Jh. (Diss. Miinchen 
1962), ebenda III, Nr 7, 1966. EGK 

Maracas, Rasselinstrument lateinamerikanisch-india- 
nischer Herkunf t (auf Grund der haufigen Verwendung 
in der Rumba auch Rumbakugeln genannt), bestehend 
aus einem Paar ausgehohlter Kalebassen, die mit 
Schrot, Samen- oder Sandkornern gef iillt und jeweils 
an einem Stiel befestigt sind. Jede Hand halt eine 
Maraca; das Spielen erfolgt entweder durch ruckarti- 
ges, in beiden Handen abwechselndes Schlagen oder 
durch anhaltendes Schiitteln (Wirbeln), auch in Kom- 
bination beider Spielarten. Der Klang der geschlage- 
nen M. ist kurz, scharf, schnalzend. Sie werden in fast 
alien lateinamerikanischen Tanzen verwendet und fan- 
den von dortEingang in das Schlagzeug des modernen 
Orchesters (Varese, Milhaud, Boulez). 

Marburg. 

Lit.: G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen 
Univ. . . ., AfMf VII, 1942; H. Engel, Die Musikpfleged. 
Philipps-Univ. zu M. seit 1527, M. 1957. 

marcato (ital., Abk. : marc), markiert, nachdriick- 
lich herausgehoben. 

Marching band (m'a:tfirj basnd, engl.), auch Brass 
band, Street band, Bezeichnung fur Kapellen der nord- 
amerikanischen Neger, die seit der 2. Half te des 19. Jh. 
Marschmusik der WeiBen nachzuahmen versuchten. 
Solche Kapellen spielten, vor allem in New Orleans, 
bei Begrabnissen, Hochzeiten, Wahlkampagnen und 
im Karneval (mardi gras). AuBer Marschen gehorten 
zu ihrem Repertoire Chorale, instrumental ausgefiihrte 
-> Blues und -*■ Negro spirituals. Durch die M. b.s er- 
gab sich - wohl auch unter dem EinfluB des -»■ Rag- 
time - zum ersten Male im instrumentalen Gruppen- 
musizieren eine Verbindung europaischer Marschmu- 
sik (4/4-Takt, funktionale Harmonik) mit der mu- 
sikalischen Negerfolklore Nordamerikas (-> Beat - 1 ; 
->• Off-beat; Blue notes; -»■ Dirty tones; ->■ Hot-In- 
tonation), die eine Vorstufe des ->- Jazz darstellt. 

Maria Laach (Rheinland), Benediktinerabtei, gegr. 

Lit.: J. Wegeler, Das Kloster L., Gesch. u. Urkunden- 
buch.Bonn 1854;Th.Bogler, M.L., Vergangenheitu. Ge- 
genwart, =Kunstfuhrer XII, Miinchen u. Zurich 41961. 

Marianische Antiphonen (lat. Antiphonae Beatae 
Mariae Virginis), die vier dem -»■ Offizium der ro- 
misch-katholischen Kirche zugehorenden (psalmlosen) 
Antiphonen -»- Alma redemptoris mater, -»■ Ave regi- 
na caelorum, ->- Regina caeli und -»■ Salve regina. Ihre 
wechselweise Verteilung auf das Kirchenjahr (als 
SchluBantiphonen der ->■ Komplet - 1) laBt sich erst- 
mals 1249 bei den Franziskanern, ab 1350 ebenfalls im 
Brevier der Kurie belegen. 1568 wurden sie von Pius V. 
im Rahmen des gemeinsam vollzogenen Stundenge- 
bets als AbschluB aller selbstandigen Horen angeord- 
net. Nach dem Generaldekret der Ritenkongregation 
vom 23. 3. 1955 werden die M.n A. im heutigen Offi- 
zium wiederum nur amEnde der Komplet vorgetragen. 

546 



Marimba (in Afrika auch balafo; engl. auch gourd 
piano) , af rikanisches und durch Negersklaven nach Mit- 
telamerika gelangtes xylophonartiges Schlaginstru- 
ment; es besteht aus Holzplatten verschiedener GroBe 
und Stimmung, die auf einem Rahmenunterbau befe- 
stigt sind und mit 2 Schlagstaben bearbeitet werden (zu- 
weilen von 2 Spielern). Unter den Platten befinden sich 
zumeist Resonanzkalebassen aus Kiirbis oder Zedern- 
holz. Der Zusammenhang der M. mit den sudasiati- 
schen und ozeanischen Xylophonen gilt seit den For- 
schungen v.Hornbostels als erwiesen. In Lateinameri- 
ka, besonders in Guatemala, wurde sie Volksinstru- 
ment. Von dort gelangte das Instrument in die Unter- 
haltungs- und Konzertmusik (Former, The Creation), 
meist in verbesserter Form, z. B. als Marimbaphon 
(mit Resonanzrohren aus Leichtmetall, Umfang c-c 4 , 
aber auch in tieferer Stimmung) oder als Mischform 
Xylorimba (ci-c5, ohne Resonanzrohren). Alle diese 
Arten unterscheiden sich vom trapezformigen (euro- 
paischen) -> Xylophon besonders durch die klaviatur- 
maBige Anordnung der Klangplatten. 
Lit.: S. F. Nadel, M.-Musik, = Sb. Wien CCXII, 3, 1931 ; 
F. Ortiz, La afroamericana »M.«, Anales de la Soc. de 
geografia e hist. (Guatemala) XXVII, 1953/54; D. Vela, 
Lam., Guatemala 1962. 

Marsch (frz. marche, im 17. Jh. das Signal zum Auf- 
bruch; ital. marcia; von lat. marcare, hammernd 
schreiten), eine Musik, deren Zweck es ist, die Bewe- 
gung, das Tempo, auch den Gleichschritt (-> Armee- 
marsche) einer schreitenden Gruppe zu regeln. Die M.- 
Musik ist daher oft lautstark und rhythmisch akzentu- 
iert. Mit dem Tanz beriihrt sie sich in den Gattungen 
der Schreittanze (Intrada, Pavane, Polonaise), doch ist 
beim M. gegeniiber dem Tanz mit seinen geregelten 
Touren die Periodik weniger ausgepragt, die Vielfalt 
der Metren und Rhythmen geringer (Marsche stehen 
iiberwiegend in geraden Taktarten C, (f, 2/4, »Reiter- 
marsche« in 6/8), die Tempounterschiede zwischen den 
Typen sind nicht ganz so groB. Gemeinsam ist dem 
Tanz und dem M. die Moglichkeit zu musikalischer 
Stilisierung. - Der Verschiedenheit der Anlasse fur M.- 
Musik entspricht die Vielfalt der Charaktere bis in die 
stilisierten Formen hinauf ; ausgepragt ist der Typ des 
Priester-M.es (Gluck, Alceste; Mozart, Die Zauber- 
flbte; Wagner, Parsifal), der Trauer-M. (Handel, Saul, 
entgegen der Gepflogenheit in Dur; Beethoven, 3. 
Symphonie, Sonate op. 26; Chopin, Sonate op. 35; 
Wagner, Gotterdammerung; Mahler, 5. Symphonie), 
der beschwingte Hochzeits-M. (Mendelssohn Barthol- 
dy, Sommernachtstraum; Wagner, Lohengrin). 
Wie der Tanz, so war auch der M. in der griechischen 
Antike vom Sprachrhythmus gepragt. Mit dem Aulos 
begleitete Marsche gab es beim Kriegszug, beim Um- 
zug im Komos, von wo er als Ein- und Auszugs-M. in 
die Komodie kam. - Auf der Tradition der spatmittel- 
alterlichen Prozessionsgesange, Kreuzfahrer- und 
Landsknechtslieder baut der neuere M. auf. Er ent- 
stand, als Trompeterfanfaren (Posten) in Liedform ge- 
bracht und als von den Querpfeifern Lieder zum Trom- 
melschlag gespielt wurden. Die Liedform des M.es seit 
dem 17. Jh. besteht aus zwei Teilen zu je 8-16 Takten. 
Nach dem Vorbild vor allem des Menuetts kam nach 
1750 ein melodioses Trio (oft in der Subdominante) 
hinzu. Der stilisierte M. findet sich fast iiberall in der 
Suitenmusik. Besonders weit getrieben ist die Stili- 
sierung (unregelmaBige Perioden) in der Klaviermu- 
sik (My Ladye Nevells Booke, 1591 ; Bach, Notenbiich- 
lein £iir Anna Magdalena; Beethoven, Sonate op. 101). 
Die Traditionen der franzosischen M.-Musik faBte im 
17. Jh. Lully zusammen, der Ballettmarsche auch im 
ungeraden Takt schrieb. Zum rhythmisch betonten 



Masque 



Glanz und Schwung des franzosischen M.es kontra- 
stiert im 18. Jh. der melodisch ausgepragte Opern-M. 
der f riihen Neapolitanischen Schule. Wahrend der Sui- 
ten-M. in Frankreich und dem nordlichen Deutsch- 
land im 18. Jh. franzosischen Vorbildern folgt (J.C.F. 
Fischer und Krieger 1704), verbindet der M. in ->■ Kas- 
sation, Divertimento und Serenade seit Fux italieni- 
sche und siiddeutsch-osterreichische Art. Von mitrei- 
Bendem Schwung ist der M. der ->• Janitscharenmusik. 
Die Marsche seit der Franzosischen Revolution sind ge- 
kennzeichnet durch vorwartstreibende punktierte 
Rhythmen, wie in den Revolutionshymnen und -mar- 
schen {Marseillaise) und in der Oper auBerhalb Frank- 
reichs, vor allem bei Spontini. Im 19. Jh. kamen neue, 
national gefarbte Marsche auf , darunter die slawischen 
und ungarischen. Wahrend die Thementypen und die 
Rhythmen der Marsche fast bei alien Komponisten 
episodisch auftreten, wird der M. selbst, oft als Huldi- 
gungs-M., zum Gelegenheitswerk (Wagner, Berlioz, 
Meyerbeer). In der Neuen Musik erscheint er dagegen 
haufig als karikierend oder grotesk (Hindemith, op. 41, 
Symphonia Serena, Septett; Prokofjew, Lord Berners). 
Glanzende Marsche der unterhaltsamen Musik schrieb 
u. a. Elgar in Pomp and Circumstance. Eine schopferische 
Neubelebung erf uhr der M. durch Hot-Spielweise und 
Swing im Two beat-Jazz. 

Ausg. : H. Spitta, Der M., = Mus. Formen in hist. Reihen 
VI, Bin (1931); H. Schmidt, Marsche u. Signale d. deut- 
schen Wehrmacht, ebenda XV, 1933; Hist. Blatter. Slg 
hist. Feld- u. Armeemusik, hrsg. v. Fr. Deisenroth, H. 
1-8, Bonnu. Wiesbaden 1961-(64). 
Lit. : Th. Arbeau, Orchfaographie, Langres (1588), NA v. 
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948; 
Mattheson Capellm. ; G. Thouret, Friedrich d. GroBe als 
Musikfreund u. Musiker, Lpz. 1898; E. Bucken, Der he- 
roische Stil in d. Oper, =Veroff. d. Furstlichen Inst. f. 
mw. Forschung zu Buckeburg V, 1, Lpz. 1924; K. Strom, 
Beitr. zur Entwicklungsgesch. d. M. in d. Kunstmusik bis 
Beethoven, Diss. Munchen 1926; R. Beling, Der M. bei 
Beethoven, Diss. Bonn 1960; R. Steglich, Cber Beetho- 
vens MSrsche, Fs. A. Orel, Wien u. Wiesbaden (1960). 

Marseillaise -> Nationalhymnen (Frankreich). 

martelement (martelm'a, frz.), »hammerartig«, auf 
der Harfe das wiederholte schneile, scharfe Anschlagen 
eines Tones, das »Hammern«, das auf der Doppelpedal- 
harfe auf zwei Saiten hervorgebracht wird. In der Kla- 
viermusik des 17. Jh. war martellement auch gleichbe- 
deutend mit -> Mordent. 

martellato (ital.), martele (frz.), »gehammert«; in 
der Klaviermusik (Liszt) und beim Streichinstrumen- 
tenspiel ein besonders kraftig ausgefiihrtes -»■ Staccato. 
In beiden Fallen umschreibt m. das klanglicheErgebnis. 

Masque (ma:sk, engl., auch mask), festliche Masken- 
spiele, die im 16. und 17. Jh. am englischen Hofe, zum 
Teil von den Adligen selbst, aufgefiihrt wurden. Die 
M. bestand aus allegorischen und mythologischen Sze- 
nen, in denen Musik, Tanz, Mimik und reiche Deko- 
ration zusammenwirkten. - Vorlaufer der M. sind im 
14. und 15. Jh. in England f olkloristische Umziige mas- 
kierter Gestalten, die Mummings und Disguisings. Sol- 
che Maskeraden gab es auch auf dem Festland, wo sie 
jedoch schon friih mit dem hofischen Leben verbunden 
waren. In Frankreich und Burgund gab es im 14. Jh. 
die Entremets als Maskenspieleinlagen in hofische Fe- 
ste, spater das Ballet, dessen Tanze zu Mummereyen 
und Vffziigen gemacht / welche zur Mascarada gespielet 
werden (Praetorius Synt. III). Ein solches Ballet bestand 
in der Regel aus der Intrada (Einzug der Vermumm- 
ten), den Figuren (das getanzte Spiel, meist als Morali- 
tat mit biblischen, allegorischen oder mythologischen 



35* 



Gestalten) und der Retrajecte (Abzug der Vermumm- 
ten). Bei den Tanzen handelt es sich um Branlen, Cou- 
ranten, Volten, Gagliarden usw. Als Hohepunkt dieser 
Gattung gilt das von -»■ Baltazarini inszenierte Balet 
comique de la Royne (1581), dem erstmalig eine einheit- 
liche Handlung zugrunde lag und wo in Rede und 
Wechselrede Gesange, Instrumentalmusik und Tanze 
eingeflochten waren und das damit die Reihe der -»■ Bal- 
lets de cour eroffnete. In der italienischen Mascherata 
oder Maschara erschienen Vermummte in Pancketen / 
vndfurnehmerPersonen Collationibus mit einer Music (Prae- 
torius Synt. Ill), die aus einer freien Folge gesungener 
oder gespielter Tanze bestand. - England ubernahm im 
16. Jh. das Maskenspiel als hofische Unterhaltung von 
Frankreich und Italien. Die M. entwickelte im 16. Jh. 
bis zu ihrer Bliitezeit unter dem Dichter Ben Jonson 
und dem Biihnenarchitekten Indigo Jones am Hofe 
Jacobs I. (1603-25) und Karls I. (1625-49) eine feste 
Grundform. In einem Prolog in Versen (presentation) 
wurde die Handlung (device) erlautert, auch Lobreden 
auf die anwesenden Adligen oder den Konig gehalten. 
Mit groBem Prunk erschienen dann die 8 bis 16 Dar- 
steller,meistAngeh6rigedesHofes,in ihrer Maskierung. 
Mehrere Musikgruppen begleiteten diesen Aufzug 
teils auf, teils hinter oder neben der Biihne, teils auch 
im Zuge der Masquers selbst. Es folgte das eigentliche 
Spiel mit gesprochenen Dialogen, zur Laute gesunge- 
nen Liedern (ay res), madrigalesken Choren, Tanzen 
und mimischen Gebarden. Bei dem anschlieBenden 
Main dance, dem festlichen Hohepunkt der M., ver- 
lieBen die Masquers die Biihne und wahlten noch in- 
cognito aus dem Publikum die ihnen standesgemaBen 
Partner zum Tanze aus. Das Fest schloB mit der De- 
maskierung auf der Biihne und dem SchluBtanz. Die- 
ses Grundschema erweiterte Ben Jonson 1609 in seiner 
M. of Queens um eine Antimasque, die als spectacle of 
strangeness in die Main masque eingeschoben oder ihr 
vorangestellt wurde und in scharfem Kontrast zu ihr 
stand. Die vom franzosischen Ballet de cour beeinfluB- 
ten schwierigen Tanze dieser grotesken und bald sehr 
beliebten Antimasque wurden stets von Berufsschau- 
spielern ausgefiihrt. - Die M. war mehr eine literari- 
sche als eine musikalische Gattung. Oberliefert sind 
vollstandige Texte oder gedruckte Programmzettel mit 
den Texten der Presentation und der Lieder, aber kei- 
ne zusammenhangende Buhnenmusik, die es fur die 
M. vielleicht nie gegeben hat. Komponisten wie Th. 
Campian, J. Coperario, A.Ferrabosco II, Robert John- 
son (f uml634) schrieben fur die M. Ay res, Chore und 
Tanze, die oft nur als Bearbeitung fur Laute oder Vir- 
ginal erhalten sind. N.Laniere f unite im 2. Jahrzehnt 
des 17. Jh. den italienischen Stile recitativo ein, der be- 
sonders von den Briidern H. und W. Lawes auf gegrif- 
fen wurde. Zur Zeit Cromwells, der das Sprechtheater 
verboten hatte, durf te die M. als musikalische Gattung 
weiter aufgefiihrt werden, wurde aber wahrend der 
Restauration durch die Oper verdrangt. Die M. lebte 
noch eine Zeitlang als Intermedium im Schauspiel und 
in der Oper fort, wahrend sie im ubrigen wieder zur 
folkloristischen Maskerade absank. In Biihnenmusiken 
von Purcell {The Fairy Queen, King Arthur, Dido and 
Aeneas) und Handel (Ballettmusik zu Alcina und Ario- 
dante) sind nochEinfliisse der M. spiirbar. 1738 kompo- 
nierte Th.A.Arne Musik zu Miltons beriihmter M. 
Comus aus dem Jahre 1634, deren ursprungliche Musik 
von H. Lawes groBtenteils verloren ist. Eine spate M. 
ist G. A. Macfarrens Freya's Gift zur Hochzeit von 
Eduard VII. (1863). 

Ausg.: Th. Campian, »M. for Lord Haye's Marriage« 
(1607), hrsg. v. G. Arkwright, = The Old Engl. Ed. I, Lon- 
don 1889; H. Lawes, Ayre »Sweet Echo« aus »Comus«, 

547 



Matassins 



Davison-Apel Anth. I ; Th. A. Arne, »Comus«, hrsg. v. J. 
Herbage, = Mus. Brit. Ill, London 1951 ; King James' 
Delight, hrsg. v. P. M. Young, London 1959; A. J. Sabol, 
Songs and Dances for the Stuart M., Providence (R.I.) 1959. 
Lit. : R. Brotanek, Die engl. Maskenspiele, = Beitr. zur 
engl. Philologie XV, Wien u. Lpz. 1902; P. Reyher, Les 
m. anglais, Paris 1909; W. J. Lawrence, Notes on a Col- 
lection of M. Music, ML III, 1922; M. S. Steele, Plays and 
M.atCourtDuringtheReignsof Elizabeth, James and Char- 
les, New Haven (Conn.) u. London 1 926 ; E. Welsford, The 
CourtM.,Cambridgel927;E. J.Dent, Foundationsof Engl. 
Opera, ebenda 1928 ; A. W. Green, The Inns of Court and 
Early Engl. Drama, New Haven (Conn.) u. London 1931 ; 
J. P. Cutts, Jacobean M. and Stage Music, ML XXXV, 
1954; ders., R. Johnson . .., ML XXXVI, 1955; ders., Le 
rdle de la musique dans les m. de Ben Jonson, in: Les fetes 
de la Renaissance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1956; ders., 
R. Johnson and the Court M., ML XLI, 1960; G. Wick- 
ham, Contribution de Ben Jonson et de Dekker aux fetes 
du couronnement de Jacques I er , in : Les f etes de la Renais- 
sance I, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1956; D. Heartz, A 
Span. »M. of Cupid«, MQ XLIX, 1963. UM 

Matassins (matas'e, frz., auch matasins, matachines, 
[von ital. mattacino, verriickt] oder les buffons, air des 
bouffons, -► Buffo), eine Art lebhafter Kriegstanze 
(->• Schwerttanz), beliebte Einlage in franzosischen 
Ballets des 16.-17. Jh. und auf englischen Biihnen in 
Elisabethanischer Zeit, beschrieben in Arbeaus Orche- 
sographie (Paris 1588, S. 97ff.). Der »Matachino« ist eine 
Harlequinfigur, die mit grotesken Spriingen auftritt. 
Vereinzelt begegnen M. auch als -> Totentanz mit ei- 
nem die Gestalt des Verstorbenen darstellenden Tanzer 
als Hauptfigur, z. B. in Italien (zwischen Toskana und 
Sizilien), wo diese Tanze mit dem uralten Motiv des 
Auferstehungszaubers zusammengehen. Ein Beispiel 
findet sich in A. Normigers Lautentabulatur (1598, wie- 
dergegebenbeiW.Merian: Mattasin oder Toden Tantz). 
Lit.: W.Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbu- 
chern.Lpz. 1927;P.NETTL,DieMoresca,AfMwXIV, 1957. 

Matutin (lat. matutinum, urspriinglich vigiliae, Nacht- 
wache), die erste Hore im Stundengebet der romisch- 
katholischen Kirche, das sogenannte Officium noctur- 
num. Nach der Regel des hi. Benedictus soil sie zur 8. 
Nachtstunde (etwa 2 Uhr) beginnen, doch wird sie seit 
altester Zeit meist schon am Vorabend oder in den 
friihen Morgenstunden des betreffenden Tages ge- 
feiert. Ihr Aufbau im heutigen romischen Brevier: 
2 einleitende Versikel (Domine, labia mea aperies und 
-> Deus in adiutorium meum intende), -> Invitatorium 
mit Ps. 94, Hymnus. Es folgen, dem liturgischen Rang 
des Tages entsprechend, eine oder 3 Noktumen: Of- 
ficium unius nocturni oder trium nocturnorum. Beide 
Formen enthalten insgesamt jeweils 9 Psalmen mit ih- 
ren Antiphonen; hinzu kommen pro Nokturn 3 Lek- 
tionen und 3 Responsorien. Als Uberleitung von den 
Psalmen zu den Lektionen finden sich in jeder Nok- 
turn ferner Versikel, Pater noster, Absolutio und Be- 
nedictio. Mit Ausnahme der Advents-, Vorfasten-, 
Fasten- und Passionszeit beschlieBt an alien Sonn- und 
Festtagen das -> Te Deum (anstelle des letzten Respon- 
soriums) die M., ebenso an den Ferialtagen der weih- 
nachtlichen und der osterlichen Zeit. - Abweichend 
vom romischen umfassen im monastischen Offizium 
Nokturn I und II jeweils 6 Psalmen mit Antiphonen so- 
wie 1, 3 oder 4 Lektionen mit Responsorien bzw. Ver- 
sikeln. Die an Sonn- und Festtagen hinzukommende III. 
Nokturn enthalt 3 alttestamentliche Cantica mit nur ei- 
ner Antiphon, desgleichen 4 Lektionen, gefolgt von je 
einem Responsorium. Am SchlufS dieser Nokturn ste- 
hen Te Deum, Evangelium, Hymnus Te decet laus, Ora- 
tion und -*■ Benedicamus Domino (letzteres entfallt, wenn 
die -> Laudes folgen). - Die Liturgiekonstitution des 2. 




-vVatikanischen Konzils sieht fur die M. im Rahmen 
der Neuordnung des Stundengebets weniger Psalmen 
und langere Lesungen vor (Artikel 89c). - Samtliche 
Texte der M. sind in den Brevierausgaben enthalten. 
Lit.: P. Rad6 OSB, Enchiridion Liturgicum I, Rom, Frei- 
burg i. Br. u. Barcelona 1961. 

Maultrommel (auch Brummeisen; schweizerisch 
Triimpi; frz. guimbarde; engl. Jew's harp; ital. scac- 
ciapensieri), Zupfidiophon, besteht aus einem Stahl- 
biigelinHufeisenform ( et- 
wa 5 cm) ; an seinem Scheitel - 
ist eine diinne Stahlzunge be-\, 
festigt, die frei zwischen den 

schnabelartig verlangerten 

Enden des Hufeisens in einen hochgebogenen Haken 
auslauft. Der Spieler fiihrt den Rahmen in die Mund- 
hohle, halt die auslauf enden Enden mit den Zahnen fest 
und zupft die aus dem Mund herausragende Stahlzunge 
mit dem Finger an. Die als Resonator dienende Mund- 
hohle laB t durch entsprechende Veranderung der Mund- 
stellungverschiedeneObertonederZungenschwingung 
einzeln horbar werden; so konnen einf ache Melodien auf 
dem sehr leisen Instrument gespielt werden. M.n aus 
Palmholz oder Bambus sind in Zentral- und Sudasien 
sowie in Ozeanien verbreitet (als K'api in Tibet, Geng- 
gong auf Bali), Nordasien und Europa kennen nur die 
metallene M. Das alteste europaische Instrument wur- 
de in den Ruinen der 1399 zerstorten Burg Tannen- 
berg in Hessen gefunden. Auf H.Burgkmairs Darstel- 
lung »Triumph Kaiser Maximilians « (1515) erscheint die 
M. als Instrument der Musica vulgaris oder irregularis 
(Volksmusik) auf dem Narrenwagen. Virdung nennt 
sie zu dieser Zeit (1511) trumpel, Fischart erwahnt in 
seinem Gargantua (1582) eine maultrumme. Das 17./ 
18. Jh. kennt sie auch unter den Bezeichnungen crem- 
balum und trombula. Um 1800 wurde sie fur kurze 
Zeit ein Virtuoseninstrument (Konzert fur M. und 
Mandora von J. Albrechtsberger) ; J. H. Scheibler faBte 
unter dem Namen Aura bis zu 10 M.n zu einem In- 
strument zusammen (1816). Im Volksbrauchtum der 
Alpenlander ist die M. das Instrument der Liebeswer- 
bung; dort war die Herstellung von M.n einer eigenen 
Zunft der M.-Macher vorbehalten (in Molln/Ober- 
osterreich Handwerksordnung von 1679). 
Lit.: C. Sachs, Die M., Zs. f. Ethnologie XLIX, 1917; M. 
Heyman, La guimbarde, RM IV, 1923; E. Emsheimer, 
Uber d. Vorkommen u. d. Anwendung d. M. in Sibirien u. 
Zentralasien, Ethnos VI, 1941, auch in : Studia ethnomusi- 
cologicaeurasiatica, = Musikhist.museetsskrifterl, Stock- 
holm 1964; L. Hwei, A Comparative Study of the Jew's 
Harp Among the Aborigines of Formosa and East Asia, 
Bull, of the Inst, of Ethnology of the Acad. Sinica I, 1956; 
K. M. Klier, Volkstiimliche Musikinstr. in d. Alpen, Kas- 
sel 1956; W. D. Scheepers, De mondharp, Mens en melo- 
die XII, 1957 ; E. Leipp, Etude acoustique de la guimbarde, 
Acustica XIII, 1963. 

Maxima (erganze: nota oder figura; lat., die grofite), 
Notenwert der -»■ Mensuralnotation des 14.-16. Jh., im 
13. Jh. Duplex longa genannt. Die M. gilt immer 2 
Longae und wird als Longa mit doppelt breitem Cor- 
pus geschrieben: ■, seit dem 15. Jh. : a, Pause: II 
oder II . 

Maxixe (maj'ija, port.), landlicher Tanz aus Brasilien 
(Rio de Janeiro) in synkopiertem 2/4-Takt und raschem 
Tempo. Der M. wurde um 1915 in Europa Modetanz. 

Mazedonien. 

Ausg. u. Lit. : E. Cuckov, Contenu ideologique et proces 
rythmique de la danse populaire macedonienne, Journal 
of the International Folk Music Council IV, 1952; 2. Fir- 



548 



Mechanik 



fov, Les caracteres metriques dans la musique populaire 
mac6donienne, ebenda; ders., Makedonski narodni pesni 
(»Mazedonische Volkslieder«), 4 Bde, Skopje 1953; ders. 
u. G. Pajtondziev, Makedonski narodni ora (»Mazedoni- 
sche Volkstanze«), Skopje 1953 ; B. A. Kremenliev, Bulga- 
rian-MacedonianFolk Music, Berkeley (Calif .) 1952; Y. Ar- 
batsky, Beating the Tupan in the Central Balkans, Chicago 
1953 ; V. Hadzi-Manov, Makedonski narodni pesni (»Ma- 
zedonische Volkslieder«), 4 Bde, Skopje 1953-56; ders., 
Makedonski borbeni narodni pesni (»Kampflieder d. ma- 
zedonischen Volkes«), Skopje 1960; M. A. Vasiuevic, Ju- 
goslovenski muzicki folklor II. Makedonija, Belgrad 1953. 

Mazur (m'azur, polnisch), ein aus Masowien stam- 
mender polnischer Sprung- und Drehtanz (auch Tanz- 
lied) im schnellen Dreiertakt (3/4 bzw. 3/8) und oft 
in punktiertem Rhythmus, mit wechselnder Betonung 
der schwachen Taktteile (2 und 3), in der SchluBphase 
auch mit Betonung des 1. Taktteils, z. B.: 

|J1J J |JJ J |J1JJ |J J | 
4 > > > > > 

Der M. wurde seit etwa 1600 auch in hoheren Kreisen 
der polnischen Gesellschaft getanzt. Seit der Mitte des 
18. Jh. verbreitete er sich in RuBland, Deutschland, 
England und Paris als Gesellschaftstanz, der noch bis 
Ende des 19. Jh. sehr beliebt war. Schon Nachtanze 
des 17. Jh. enthalten zuweilen M.-Rhythmen (z. B. bei 
J. A. Schmelzer). Der Name M. taucht in der Kunst- 
musik friih bei J.Riepel (1752), spater bei Marpurg 
und Kirnberger auf. Ebenfalls seit der Mitte des 18. Jh. 
wurden M.s in polnischen Opern, Balletten und selbst 
in polnischer Kirchenmusik (Messe, kirchliche Sym- 
phonic) verwendet. Bedeutende Ballett-M.s schrieb St. 
Moniuszko (auch in den Opern »Das GespensterschloB«, 
1865, und Halka, 1858). Die Mazurka, eine stilisierte 
Verschmelzung von M., -*■ Kujawiak und -»■ Oberek, 
gelangte durch Fr. Chopin, K. Szymanowski und H. 
Wieniawski in die Konzertmusik. 
Lit.; Ph. Gawlikowski, La mazurka, Paris 1857; F. 
Starczewski, Die polnischen Tanze, SIMG II, 1900/01; 
T. Norlind, Zur Gesch. d. polnischen Tanze, SIMG XII, 
1910/11; H. Windakiewicz, Wzory ludowej muzyki pol- 
skiej w mazurkach Fr. Chopina (»Vorbilder polnischer 
Volksmusik in d. Mazurken v. Chopin«), Krakau 1926; Z. 
KwaSnicowa, Polskie tarice ludowe. M., Warschau 1953; 
K. Horak, Die Mazurka als osterreichischer Volkstanz, 
Karntner Museumsschriften XIX, Tanz u. Brauch, Kla- 
genfurt 1959; D. Idaszak, Mazurek w polskiej muzyce 
XVIII wieku, Kgr.-Ber. Warschau 1960; Z. St^szewska u. 
J. Ste.szewski, Zur Genese u. Chronologie d. Mazurka- 
rhythmus in Polen, ebenda. 

Mazurka -> Mazur. 

Meane (mi:n, engl. ; mittelengl. mene; von lat. me- 
dius) heiBt in der mehrstimmigen englischen Vokal- 
und Instrumentalmusik des 14.-17. Jh. die heute in 
England alto oder contralto genannte Mittelstimme. 
Schon die Chronik des Robert Mannyng von 1338 
spricht in diesem Sinn von mene, treble and burdoun. 
Morley (A Plaine and Easy Introduction, 1597) setzt m. 
synonym mit alto. In den englischen Diskanttraktaten 
des 15. Jh. hat der M. einen eigenen — >• Sight; im sight 
of faburdun des Pseudo-Chilston tragt er den C. f. 
(->■ Faburden). Englische 3st. Orgelkompositionen des 
16. Jh. (z. B. J.Redford, O Lux with a m., Mus. Brit. I, 
S. 24) haben als satztechnische Eigenart einen zwischen 
verschiedenen Stimmlagen wechselnden, im Werktitel 
daher ausdriicklich genannten M., der wegen seines 
groBen Umfangs abwechselnd von der rechten und 
der linken Hand gespielt werden muB. Oft ist der M. 
dann in schwarzen Noten und seiner Lage entsprechend 
zwischen den Liniensystemen der Ober- und Unter- 
stimme wechselnd auf geschrieben (Beispiel : The Mul- 
liner Book, herausgegeben von D. Stevens, Mus. Brit. I, 



Faks. S. XIV). Redfords bekanntes Gedicht iiber den 
M. (Long have I been a singing man) bestatigt diesen 
Stimmcharakter : The mene in cumpas is so targe / That 
evry parte mustjoyne tlierto. Die Ausfiihrung des M. vom 
Manneralt belegen im 16. Jh. Vermerke in Stimmbii- 
chern wie This M. part is for men und Uberschriften zu 
MeBsatzen fiir Mannerstimmen wie Mass for a M. von 
Shepherd u. a. - M. viall ist in den Consorts of viols 
eine normalerweise die Mittelstimme spielende Vio- 
line. Heute werden in England die mittleren Saiten der 
Streichinstrumente small m. und great m. genannt. 

Mechanik (engl. action ; frz. mecanique ; ital. meccani- 
ca) wird der Apparat genannt, der bei Musikinstru- 
menten, besonders bei Saitenklavieren (bei der Orgel 
->■ Traktur), iiber eine Klaviatur in Gang gesetzt, die 
Tonbildung bewirkt. Die einfachste Klavier-M. ist die 
des Clavichords. Auf demEnde eines Tastenhebels sitzt 
eine ->■ Tangente, die gegen die Saite gedriickt wird. 



JL 



-Saite (Querschm'tt) 
-Tangente 



r *i 



1 



Bei der M. des Cembalos sitzt auf dem Hebelende eine 
Dockc (Springer; engl. jack; frz. sautereau; ital. sal- 
terello) mit einer beweglichen Zunge, aus der ein Kiel 
(Rabenfeder, Lederzunge, Kunststoffplektron) hervor- 
ragt. Wird die Taste gedriickt, so reiBt der Kiel beim 
Aufwartsgehen die Saite an, wird die Taste losgelas- 



"So*- 



^ 



g 



1 Springer 



sen, so weicht die Zunge beim 
Ruckfall aus, wahrend ein oben an 
der Docke befestigter einfacher 
Dampfer die Saite zur Ruhe bringt. 



Bei der Hammer-M. wird der Hammer gegen die Sai- 
te geschleudert, ist also auf dem letzten Teil seines We- 
ges nicht mehr in Kontakt mit Taste und Finger. Je 
nach der Geschwindigkeit, mit der der Hammer auf 
die Saite trifft, wird diese mehr oder weniger kraftig 
angeschlagen (-> Pianoforte). Eine sehr einfache Art 
der Hammer-M. hat bereits H.Arnault von Zwolle 
(um 1460) beschrieben. Die erste voll ausgcbildete 
Hammer-M. erfand Cristofori 1709 (beschrieben 1711 
von Maffei, deutsche Ubersetzung in Matthesons Criti- 
ca musica II, 1725). Bei dieser StoB-M. sitzt der Hammer 
mit einer Achse beweglich in einer Leiste. Ein StoBer 
hebt bei Anschlag den Treiber, der den Hammer gegen 
die Saite schnellt. Bevor der Hammer auf die Saite 
trifft, weicht die StoBzunge aus, so daB der Hammer 
zuriickfallen kann. 




Diese StoB-M. wurde aufgegriffen von Schroter 1717 
und G. Silbermann um 1731. Ober Zumpe kam sie in 
den englischen Klavierbau, wo sie 1772 von Backers 
und 1777 von Stodart verbessert wurde. Die letzte 
Ausformung erhielt sie bis 1821 von Erard und 1840 
von Herz: Der Hammer wird beim Ruckfall von ei- 
nem Repetierhebel abgefangen, so daB er noch vor 
dem Loslassen der Taste zu neuem Anschlag bereit ist 
(Repetitions-M. mit doppelter Auslosung). Eine auf- 
rechte StoB-M. fiir das Pianino erfand Wornum 1842 
(tape check-action). Ein Bandchen fiihrt hier den Ham- 
mer nach dem Anschlag zuruck. Eine Prell-M. wurde 
zuerst von G. Silbermann 1728 gebaut, 1773 von Stein 



549 



Mechanische Musik 

weiterentwickelt. Bei ihr ist der Hammcrstiel in einer 
Kapsel auf der Taste befestigt. Beim Niederdrticken der 
Taste hakt das Ende des Hammerstiels in die Auslo- 
sung ein. 




Prell-M.en hatten die Pianofortes der Wiener Schule, 
doch ging Streicher 1840 auf StoB-M. iiber, 1909 stell- 
te Bosendorfer die Herstellung von Pianofortes mit 
Prell-M. ein. - Neben diesen Grundtypen von Ham- 
mer-M.en gibt es zahlreiche Varianten (oberschlagige 
Zug-M. £iir Fliigel; Tangenten-M. mit Hammer). Ei- 
ne Sonderart ist die Streich-M. beim ->■ Bogenflugel. - 
Zur M. gehort beim Cembalo und Hammerklavier ei- 
ne Dampf ung, entweder eineEinzeldampf ung oder eine 
gemeinsame, die durch ein Pedal aufgehoben werden 
kann. Der Hammerkopf der Pianoforte-M. war zu- 
nachst mit Leder bezogen, mit Filz zuerst bei Pape 1826. 
Lit. : W. Pfeiffer, Die Verlangerung in d. Klavierm., Diss. 
Innsbruck 1923, maschr., gedruckt Bin 1949; ders., Taste 
u. Hebelglied, Lpz. 2 1931 ; ders., Vom Hammer, Stuttgart 
1948; ders., Uber Dampfer, Federn u. Spielart, Bin 1950; 
Der Piano- u. Flugelbau, hrsg. v. H. Junghanns u. a., 
= Bibl. d. gesamten Technik 396, Lpz. 1932, Bin 21952, 
Ffm. 31962, = Fachbuchreihe Das Musikinstr. IV; R. E. 
M. Harding, The Piano-forte, Cambridge 1933; Fr. J. 
Hirt, Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955; E. A. 
Bowles, On the Origin of the Keyboard Mechanism in the 
Late Middle Ages, Technology and Culture VII, 1966. 

Mechanische Musik wird durch mechanische Vor- 
richtungen wiedergegeben, wobei alles Subjektive der 
Wiedergabe (Interpretation) ausgeschaltet ist. Idee und 
praktische Versuche sind nicht neu. H. L. HaBler (1601), 
spater Haydn, Mozart und Beethoven haben Stiicke 
fur ->■ Mechanische Musikwerke geschrieben und sie, 
jedenfalls Haydn, zum Teil selbst auf die Walze ge- 
steckt. Zum Schlagwort wurde M. M. beim Donau- 
eschinger Musikfest von 1926, auf dem Hindemith mit 
seiner Musik zum Triadischen Ballett von O.Schlem- 
mer fur mechanische Org. und der Toccata f iir mecha- 
nisches Kl. sowie E. Toch mit Kompositionen f iir das 
Welte-Mignon-Kl. hervortraten. Ihre Vorziige pries 
Hindemith (1927) : Moglichkeit der absoluten Festkgung 
des Willens des Komponisten, Unabhangigkeit von der au- 
genblhklichen Disposition des Wiedergebenden, Enveite- 
rung der technischen und klanglichen Mdglichkeiten, Ein- 
dammung des liingst iiberreifen Konzertbetriebs und Perso- 
nenkults, wohlfeile Verbreitungsmoglichkeiten guter Musik. 
In mancher Hinsicht bedeutet die Elektronische Musik 
eine Weiterfiihrung solcher Ideen. 
Lit.: E. Felber, Entwicklungsmoglichkeiten d. M. M., Mk 
XIX, 1926/27; P. Bekker, Organische u. M. M., Stuttgart 
1928; E. Fr. Schmid, J. Haydn u. d. Flotenuhr, ZfMw 
XIV, 1931/32; ders., H. L. HaBler u. seine Bruder, Zs. d. 
Hist. Ver. f. Schwaben LIV, 1941, S. 141ff. (Haulers Or- 
gelautomat) ; H.-P. Schmitz, Die Tontechnik d. Pere En- 
gramelle, = Mw. Arbeiten VIII, Kassel 1953; P. Graden- 
witz, Wege zur Musik d. Gegenwart, = Urban Bucher 
LXX, Stuttgart (1963). 

Mechanische Musikwerke sind Apparate, die mit 
mechanischen Mitteln Tonstiicke wiedergeben kon- 
nen. Nach der Art, wie sie in Bewegung gesetzt wer- 
den, sind zu unterscheiden: M. M. mit Federkraft oder 
Gewichten (Spieluhren, -> Glockenspiel) und Werke 
mit einer Drehkurbel (->• Drehorgel, »Leierkasten«). 
Nach der Tonerzeugung gibt es M. M. mit Glocken, 
Stahlstabchen (Stahlkammen) oder Saiten und Werke 
mit Lippen- oder Zungenpfeifen (-> Flotenuhr). Al- 
len alteren M.n M.n gemeinsam ist die Stiftwalze. Bei 



den Glockenspielen (Carillons), den wohl altesten M.n 
M.n, werden durch die Stifte die Hammer angehoben, 
welche die Glocken schlagen, oder es wird eine Feder 
ausgelost, die den Hammeranschlag bewirkt. Bei klei- 
neren Spieldosen und Spieluhren reiBen die Stifte ver- 
schieden abgestimmte Zahne eines Metallkamms an. 
Bei den Drehorgeln ofmen die Stifte die Ventile zu den 
einzelnen Pfeifen; fur langere Tone werden Draht- 
klammern gebraucht, die entsprechend ihrer Lange die 
Ventile offenhalten. In der Drehorgel dreht sich die 
Walze viel langsamer als die Kurbel, die gleichzeitig 
das abwechselnde Aufziehen der beiden Schopfbalge 
zu besorgen hat. Seit Vaucanson (1738) gibt es Spiral- 
walzen, die auch bei kleinem Durchmesser langere Ton- 
stiicke aufnehmen konnen. Es gab mehrere Methoden, 
eine Komposition in einen Stiftplan zu iibertragen, nach 
dem der Walzenstecher die Walze »notierte«. Umge- 
kehrt lassen sich heute von erhaltenen Walzen Musik- 
werke ablesen, mit dem originalen Tempo, der Arti- 
kulation und den Verzierungen; Zu den bedeutendsten 
M.n M.n gehorte die Orgel im Pommerschen Kunst- 
schrank (1617; 1945 in Berlin zerstort). Fur M. M. 
komponierten u. a. H.L. HaBler, J.K.Kerll, Handel, 
W. Fr. und C. Ph. E.Bach, J. Haydn, W. A. Mozart (K.- 
V. 594, 608, 616) und Beethoven (Adagio assai F dur, 
2 Allegri, Scherzo; -> Orchestrion - 2). - In mechani- 
schen Klavieren vom Anfang des 20. Jh. ist die Walze 
oft ersetzt durch Scheiben mit eingestanzten Lochern 
(»Notenblatter«). Eine neuartigeErfindung, die als Vor- 
laufer der Schallplattenaufnahme gelten kann, weil sie 
nicht nur die mechanische Wiedergabe, sondern auch 
die Aufnahme von Musik gestattete, realisierte E. 
^-Weltedurchseinen»Welte-Mignon-Reproduktions- 
fliigel« (1904). Das gleiche System wurde auch fur die 
»Welte-Philharmonie-Orgel« (1913) angewendet. An 
die Stelle der Stiftwalze trat hier ein Papierband mit 
Schlitzen. Dieser Notenstreifen gleitet iiber eine Leiste, 
in der sich so viele kleine Offnungen befinden, wie das 
Klavier Tone hat. Von jeder dieser Offnungen fuhrt ei- 
ne Rohrenleitung zu der zugehorigen Klaviertaste. So- 
bald ein Schlitz im Notenblatt auf eine Offnung in der 
Leiste trifrt, wird durch Druckluft, ahnlich wie bei der 
Rohrenpneumatik der Orgel, die entsprechende Taste 
niedergedriickt. Eine Reihe von Hilfslochern im No- 
tenblatt wirkt auf die Pedale, andere bringen durch 
Regelung des Winddruckes den verschieden starken 
Anschlag derTastenhervor; bei Orgel oder Harmonium 
betatigen die Hilfslocher die Registrierung. Ein Elek- 
tromotor bewegt das Notenband und betreibt die Bla- 
sebalge. Die Notenblatter wurden von Hand' gezeich- 
net und dann gestanzt oder durch einen besonderen 
Aufnahmeapparat direkt wahrend des Spieles gelocht. 
Dieses Aufnahmeverfahren, das im Prinzip dem -> Me- 
lograph entspricht, hat u. a. das Spiel folgender Kiinst- 
ler auf Orgel oder Klavier festgehalten: mit eigenen 
Orgelkompositionen E. Bossi, Reger; mit eigenen Kla- 
vierkompositionen Debussy, G.Faure, Glasunow, E. 
Granados, Grieg, Humperdinck, Kienzl, Ljapunow, 
Mahler, Petyrek, Ravel, Reger, Saint-Saens, C.Scott, 
Skrjabin, R.Strauss; ferner das Klavierspiel von d' Al- 
bert, Busoni, Teresa Carreno, Anette Essipow, A. 
Griinfeld, Leschetizky, J.V. da Motta, Mottl, A.Ni- 
kisch, Pugno, C. Reinecke, Reisenauer, X. Scharwenka, 
Stavenhagen. Eine Auswahl hiervon, auf Schallplatten 
uberspielt, wurde 1957 von Telefunken herausge- 
bracht; einen spielfahigen Welte-Mignon-Fliigel be- 
sitzt z. B. das Deutsche Museum in Miinchen. - Eine 
Sonderstellung nehmen M. M. ein, bei denen Tempo, 
Tonstarke und Registrierung verandert werden kon- 
nen (Pianola, Phonola). Die motorische Kraft fur die 
Fortbewegung des Notenbandes und den Anschlag der 



550 



Tasten wird durch Pedaltreten aufgebracht; zur weite- 
ren Bedienung sind Hebel vorhanden. 
Lit. : S. deCaus, Les raisons des forces mouvantes avec di- 
verses machines ..., Ffm. 1615; A.Kircher SJ, Musurgia 
universalis, 2 Bde, Rom 1650, 21690; J. de Vaucanson, 
Mecanisme du fluteur automate . . ., Paris 1738, engl. als: 
An Account of the Mechanism of an Automaton . . . , Lon- 
don 1742; Fr. Bedos de Celles OSB, L'art du facteur 
d'orgues, 4 Teile in 3 Bden, Paris 1766-78, Faks. hrsg. v. 
Chr. Mahrenholz, Kassel 1936, dass. = DM1 I, 24-26, 
1964-65; M.-D.-J. Engramelle, La tonotechnie ou l'art 
de noter les cylindres . . . dans les instr. de concerts meca- 
niques, Paris 1775; Fr. M. Feldhaus, Die Technik d. An- 
tike u. d. MA, Potsdam 1930; E. Fr. Schmid, H. L. HaBler 
u. seine Briider, Zs. d. Hist. Ver. f. Schwaben LIV, 1941 
(S. 135-166 iiber HaBlers M. M.); A. Protz, Mechani- 
sche Musikinstr., Kassel 1943; J. E. T. Clark, Mus. 
Boxes, Birmingham 1948, erweitert London 3 1961; H. 
Matzke, Unser technisches Wissen v. d. Musik, Lindau 
(1949), Wien P1950); H.-P. Schmitz, Die Tontechnik d. 
Pere Engramelle, = Mw. Arbeiten VIII, Kassel 1953 ; A. 
Chapuis, Hist, de la boite a musique et de la musique me- 
canique, Lausanne 1955; A. Buchner, Vom Glocken- 
spiel zum Pianola, Prag (1959); E. Mainoot, Les automa- 
tes, Paris 1959 ; R. Quoika, Altosterreichische Hornwerke, 
Bin 1959; L. Misch, Zur Entstehungsgesch. v. Mozarts u. 
Beethovens Kompositionen f. d. Spieluhr, Mf XIII, 1960; 
E. Simon, Mechanische Musikinstr. fruherer Zeiten u. ihre 
Musik, Wiesbaden 1960; W. Krumbach, Zur Musik d. 
Pommerschen Kunstschranks (1617), Mf XIV, 1961. 

Mecheln. 

Lit. : G. Van Doorslaer, Les carillons et les carillonneurs 
de la tour Saint- Rombaut a Malines, Bull, du Cercle archeo- 
logique . . . de Malines IV, 1893; ders., Notes sur les fac- 
teurs d'orgues malinois, M. 1911; ders., Notes sur la mu- 
sique et les musiciens a Malines, M. 1934; R. Van Aerde, 
Menestrels communaux et instrumentistes divers etablis 
ou de passage a Malines de 1 3 1 1 a 1 790, Bull, du Cercle ar- 
cheologique . . . de Malines XXI, 1911 ; ders., Musicalia. 
Notes pour servir a l'hist. de la musique, du theatre et de la 
danse k Malines, XIV e et XV e s., M. 1921 ; ders., Les ventes 
de musique et d'instr. de musique a Malines de 1773 a 
1830, M. 1932; ders., A la recherche des ascendants de 
Beethoven, Rev. beige d'archeologie et d'hist. de l'art IX, 
1939. 

Mecklenburg. 

Lit.: Fr. Chrysander, Musik u. Theater in M., Arch. f. 
Landeskunde in d. GroBherzogtiimern M. V, 1855 ; ders., 
Neue Beitr. zur m.ischen Mg., ebenda VI, 1856; J. Bach- 
mann, Gesch. d. ev. Kirchen-Gesanges in M., Rostock 
1881; Cl. Meyer, Gesch. d. M.-Schweriner Hofkapelle, 
Schwerin 1913; ders., Gesch. d. Giistrower Hofkapelle 
(1552-1695), Jb. d. Ver. f. m.ische Gesch. u. Altertums- 
kunde LXXXIII, 1919; E. Schenk, Musik in M., M.ische 
Monatshefte X, 1934; W. Haacke, Die Entwicklungs- 
gesch. d. Orgelbaus im Lande M.-Schwerin (v. d. Anfan- 
gen bis ins ausgehende 18. Jh.), Wolfenbvittel 1935; H. 
Rentzow, Die m.ischen Liederkomponisten d. 18. Jh., 
= Niederdeutsche Musik II, Hannover 1938; H. Erd- 
mann, Schulmusik in M.-Schwerin, v. Pestalozzi bis zum 
Ende d. 19. Jh., = Rostocker Studien VIII, Rostock 1940; 
ders., Zur mus. Praxis d. m.ischen Volkstanzes, Deutsches 
Jb. f. Volkskunde II, 1956; ders., Erzgebirgische Bergmu- 
sikanten in M„ StMw XXV, 1962; H. Milenz, AbriB d. 
m.ischen Mg. bis zum Jahre 1933, Schwerin (1940). 

medesimo tempo (ital.) -> 1'istesso tempo. 

Mediante (lat. medius, in der Mitte liegend) heiBt seit 
Ch.Masson (1694) die 3. Stufe der Tonleiter wegen 
ihrer Lage zwischen Prime und Quinte. Die Bezeich- 
nung war im 18. Jh. weit verbreitet, gait doch die M. 
als der Ton qui determine le mode (Rousseau). Rameau 
gebraucht den Terminus - gleichgewichtig neben note 
tonique, dominante und note sensible - nur in seinem 
Traite" de I'harmonie (1722). Wahrend M. urspriinglich 
die 3. Stufe als Einzelton bezeichnete, wurde in neuerer 
Zeit der Terminus auch auf den iiber dicsem Ton auf- 
gebauten Dreiklang iibertragen und zugleich auf alle 



Mehrchorigkeit 

im Terzverhaltnis zu einer Hauptfunktion stehenden 
-> Nebendreiklange, die als Ober- und Untermedian- 
ten bezeichnet werden. 

Mediatio (lat.) -»-Psalmt6ne. 

Mediator (frz. mediator), s. v. w. -*■ Plektron. Die 
Anweisung »mit M.« gibt G.Mahler in seinem Lied von 
der Erde (VI. Der Abschied) fur die 1 . Harf e. 

Medicaea -> Editio Medicaea. 

Medium (lat., Mitte, Halfte); nach Tinctoris (CS IV, 
171a und 179b) heiBt »vulgariter« cantus ad m. oder per 
m. ein in Proportio dupla notiertes Stuck, da dessen 
Noten mit der Halfte ihres normalen Wertes gesungen 
werden. - M. ist im 16. Jh. auch ein Name fur Tenor 
(auch media vox). 

Medley (m'edli, engl., Gemisch) -»■ Fricassee. 

Mehrchorigkeit, Kompositionsart fiir 2, 3 oder mehr 
alternierende, ineinandergreifende und sich vereinen- 
de Chore. Sie ist die kirchliche -»■ Festmusik des Ba- 
rocks und eine der Hauptarten des ->■ Concertos, ge- 
kennzeichnet durch Klangf iille und dramatischen Kon- 
trast, Farbwirkungen, Raumeffekt und Bildlichkeit. - 
Franko-flamische Komponisten um 1500 (Mouton, 
Brumel, vor allem Josquin Desprez) gliederten bereits 
haufig den Chorsatz in vollstimmige (z. B.: S. A. T. B.) 
und teilchorig alternierende Partien (z. B.: S. A. T. - 
T. T. B.), eine Gruppierungsweise der Stimmen, die 
neben der eigentlichen M. fortbestand. Zeugnisse und 
Quellen fiir das Alternieren von Klanggruppen finden 
sich seit Mitte des 15. Jh. ; fiir die Zeit um 1550 ist na- 
mentlich fiir Oberitahen (Padua, Treviso, Bergamo) 
die dialogisierende Stimmengruppierung vielstimmi- 
ger akkordischer Satze bei volkstiimlichen Gattungen 
nachgewiesen. Sowohl in diesen Vor- und Friihfor- 
men der M. als auch speziell im alternierenden Vortrag 
antiphonaler Formen wurzeln die Salmi spezzati Wil- 
laerts (1550), der die 8st. Komposition nicht als erwei- 
terte Vierstimmigkeit oder (in Vervielfaltigung der 4 
Stimmlagen) als reale Achtstimmigkeit behandelt und 
willkiirlich wechselnd gruppiert, sondern sie nach Art 
des von Zarlino 1558 beschriebenen -*■ Coro spezzato 
von vornherein als Doppelchor, d. h. als zweimal 4st. 
Chorsatz, anlegt. Durch die getrennte Plazierung der 
Chore - begiinstigt durch 2 Orgelemporen im Zen- 
tralbau der Markuskirche zu Venedig - wird der Raum 
zu einem Faktor der Kompositionsart und der musi- 
kalischen Wirkung erhoben. M. und getrennte Auf- 
stellung der Chore bleiben, wie die literarischen Zeug- 
nisse bestatigen, auch im Barock wesensmaBig mitein- 
ander verbunden. 

Die von Willaert ausgehende M. der -> Venezianischen 
Schule (- 2) wurde von dessen Schijlern Zarlino und 
N. Vicentino (1555) theoretisch erortert und im Schaf- 
fen A. Gabrielis (Concerti, posthum 1587) und G. Ga- 
brielis (Drucke von 1597 und 1615) zu ihrem Hohe- 
punkt gef iihrt durch Einbeziehung der Gattungen Mo- 
tette, Magnificat und Messe, Steigerung bis zu 4 Cho- 
ren, Einsatz von Solopartien, Instrumenten und In- 
strumentalchoren und Komposition rein instrumenta- 
ler M. Kennzeichnend fiir die M. und ihre Entwick- 
lung ist die Bezogenheit des vielstimmigen Satzes auf 
den als ->■ Basis fungierenden BaB, der das musikali- 
sche Geschehen tragt und fiihrt. Der damit gebotenen 
Verstarkung des Basses (dessen Verdopplung Zarlino 
1589 eigens empfiehlt) dient der Basso pro organo 
(-» Basso seguente), womit prinzipiell das Instrument 
zu einem Faktor des Satzes erhoben ist. Die kontrastie- 
rcnden Hoch- und Tiefchore erfordern - infolge der 
Erweiterung des Klangraums - den Einsatz von Instru- 



551 



Mehrchorigkeit 



menten (A. Gabrieli) und Instrumentalchoren (G. Ga- 
brieli); daraus resultieren die Titel Symphonia, Con- 
certo und Sonata sowie (besonders in G. Gabrielis in- 
strumentaler M.) die Ausbildung eines spezifischen In- 
strumentalstils. Die Moglichkeit »orchestraler« Ver- 
dopplung der Stimmen in pleno Choro rechtfertigt Prae- 
torius (Synt. Ill, S. 91f.). Kontrastierend solistische Par- 
tien verbinden innerhalb der M. das chorische und 
das solistische Concertieren. - Nach 1580 verbreitete 
sich die M. rasch auch auBerhalb Venedigs (-»■ Romi- 
sche Schule; -> Benevoli) und jenseits Italiens. N6rd- 
lich der Alpen stellt - neben den mehrchorigen Chan- 
sons und (nichtliturgischen) Motetten von Lassus - das 
Opus musicum (1586-90) von J. -> Gallus eineformliche 
Schule des doppelchorigen Tonsatzes dar (H.Riemann). 
In Deutschland begegnet die M. namentlich im Werk 
der Gabrieli-Schtiler H.L.HaBler und H. Schiitz und 
im Schaffen von M.Praetorius. Letzterer in seinem 
Synt. Ill, Viadana in der Vorrede seiner Salmi a quattto 
chori per cantare, e concertare (1612) und Schiitz in der 
Vorrede seiner Psalmen Davids (1619) geben detaillierte 
Angaben iiber die Praxis der M. Die Capella kann auf- 
geteilt werden in: 1) Vokalchor, von G. Gabrieli Ca- 
pella, von Praetorius Capella (oder Chorus) vocalis, 
auch Chorus principalis (da er nicht ausgelassen wer- 
den kann), von Schiitz Coro Favorito genannt; kom- 
men in einer Komposition mehrere solcher Chore vor, 
denen nach Belieben auch Instruments beigeordnet wer- 
den konnen, werden sie meist nach Lage und Klangfar- 
be verschieden gruppiert und besetzt, z. B. : S. S. A. A. 
(mit Violenchor und Cembalo) neben T. T. B. B. (mit 
Posaunenchor und Orgel); 2) Instrumentalchor, Ca- 
pella (oder Chorus) instrumentalis, von Schiitz einfach 
Capella genannt; diese Chore dienen zum starcken 
Gethon vnnd zur Pracht (Schiitz) und konnen in einer 
oder alien Stimmen auch vokal besetzt oder auch ganz 
ausgelassen werden; 3) Chorus pro Capella, auch Ple- 
nus Chorus, Ripieni oder Tutti (Omnes), vokal und 
instrumental besetzt, dient allein zur erfiillung vnd be- 
sterckung der Music (Praetorius) ; 4) Concertatstimmen, 
die solistischen Stimmen der Chore, die zusammen 
wiederum einen Chor ergeben konnen; fur ihre Be- 
gleitung empfiehlt Praetorius die Capella fidicinia (ei- 
nen Chor aus besaiteten Instrumenten) oder ein ->■ Con- 
sort. Ober die Fiille der Arten, wie die Concert per 
Choros angeordnet werden konnen, handelt am aus- 
fiihrlichsten Praetorius (Synt. III). Ein schones Beispiel 
fur die abbildlich gemeinte Gruppierung der Chore 
in Haupt- (Nah-) und Fernchor gibt Schiitz im III. Teil 
seiner Musicalischen Exequien (1636). - Nicht nur wah- 
rend der Barockzeit (Lully, Te Deum fur 9st. Doppel- 
chor und Orch., 1677; Purcell, Anthem Behold now 
praise the Lord fur 7st. Doppelchor mit Orch. ; G. O. 
Pitoni, Messen fur drei bis neun 4st. Chore; J. S. Bachs 
Motetten fur 8st. Doppelchor, Matthauspassion), son- 
dern auch weiterhin ist die M. die Kompositionsart fur 
die kirchliche Festmusik geblieben, namentlich fur die 
Festmesse und -motette: W.A.Mozart, Messe in C 
moll, K.-V. 427; Mendelssohn, Herr Gott, dich loben 
wir fur 8st. Doppelchor und Orch. (1843); Berlioz, Te 
Deum f iir 3 Chore, Orch. und Org. op. 22 (1855); Bruck- 
ner, Messe E moll fur 8st. Doppelchor und Blasorch. 
(1866); Brahms, Triumphlied op. 55 und Fest- und Ge- 
denkspriiche op. 109; Verdi, TeDeum (1898); H.Distler, 
Motette Herzlich lieb hab ich Dich, o Herr op. 2 fiir 2 
Chore (1931). M. gibt es daneben auch etwa in der 
Oper (R.Wagner, Blumenmadchenszene mit 12st. 
Vierchorigkeit im 2. Akt des Parsifal) und in der Sym- 
phonic (G.Mahler, 8. Symphonie, 1907). 
Lit. : N. Vicentino, L'antica musica ridotta alia moderna 
prattica, Rom 1555, Faks. hrsg. v. E. E. Lowinsky, = DM1 



I, 17, 1959 (f. 85); Praetorius Synt. Ill; E. Hertzmann, 
Zur Frage d. M. in d. 1. Halfte d. 16. Jh., ZfMw XII, 1929/ 
30; H. Zenck.N. Vicentinos»L'anticamusica«(1555), Fs. 
Th. Kroyer, Regensburg 1933; L. Reitter, Doppelchor- 
technik bei H. Schiitz, Diss. Zurich 1937; R. Unger, Die 
mehrchorige Auffiihrungspraxis bei M. Praetorius . . . , 
Wolfenbiittel (1941); W. Gurlitt, Kirchenmusik u. Kir- 
chenraum, MuKXIX, 1949;G. d'Alessi, La cappella mus. 
del duomo di Treviso, 1300-1633, Vedelago 1954; W. 
Boetticher, Eine Friihfassung doppelchoriger Motetten 
O. di Lassos, AfMw XII, 1955; W. Ehmann, H. Schiitz: 
Die Psalmen Davids, 1619, in d. Auffiihrungspraxis, MuK 
XXVI, 1956; D. Arnold, Zur BaBfiihrung in d. mehrcho- 
rigen Werken A. Gabrielis, Mf XII, 1959; St. Kunze, Die 
Instrumentalmusik G. Gabrielis, = Munchner Veroff. zur 
Mg. VIII, Tutzing 1963 ; P. Winter, Der mehrchorige Stil, 
Ffm., London u. NY 1964. HHE 

Mehrklangsketten nennt H. Erpf Folgen von Mehr- 
klangsbildungen, die in ihrem Nacheinander keine ge- 
meinsame Grundbeziehung mehr, sondem nur noch aufge- 
reihte Beziehungen von Element zu Element enthalten. 
Lit. : H. Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. 
neueren Musik, Lpz. 1927. 

Mehrstimmigkeit -> Polyphonic 

Meiningen. 

Lit. : Chr. Muhlfeld, Die herzogliche Hofkapelle in M., 
= Neue Beitr. zur Gesch. d. deutschen Altertums XXIII, 
M. 1910; H. Poppen, 50 Jahre Meininger Mg., ebenda 
XXXIV, 1929; O. GOntzel, Vom Werden u. Wirken d. 
Meininger Landeskapelle, Fs. zum M. Reger-Fest 1937; 
ders., Das M.-Reger-Arch. in M., Fs. M. Reger, Lpz. 1953; 
H. Grabner, Reger u. d. Meininger Hofkapelle, Fs. Elsa 
Reger, = Veroff. d. M. Reger-Inst. II, Bonn 1950; G. Kraft, 
Mg. d. Stadt M., Weimar 1958. 

Meistersang, im engeren Sinne die Liedkunst der 
zunftmaBig geordneten biirgerlichen Singschulen in 
vielen deutschen Stadten des 15.-16. Jh. Im weiteren 
Sinne gehort zur Geschichte und Vorgeschichte des 
M.s auch die Kunst der an Furstenhofen wirkenden 
wandernden Sanger des spaten Mittelalters, die die 
Formen des hofisch-ritterlichen -> Minnesangs mit ei- 
ner neuen, realistischen Haltung erfiillten. Bereits die 
Meistersinger des 15.-16. Jh. sahen hier den Ursprung 
ihrer handwerklich iiberlieferten Dichtungs- und Mu- 
sizierweise und feierten ->• Frauenlob als Begriinder 
der altesten Singschule in Mainz, die um 1315 entstan- 
den sein soil. Das »alte goldene Buch von Mainz« scheint 
in der um 1470 abgeschlossenen Kolmarer Liederhand- 
schrift (->■ Liederbiicher) vorzuliegen (Stackmann 1959, 
S. XL VIII). Als Stifter des M.s gehort Frauenlob zu den 
»12 alten Meistern«: Walther von der Vogelweide, 
Wolfram von Eschenbach, Konrad Marner, Heinrich 
von Miigeln, Klingsor, der starke Boppe, Bartel Re- 
genbogen, Reinmar von Zweter, der Kanzler, Konrad 
von Wiirzburg und der alte Stolle. Singschulen bestan- 
den in alien bedeutenden Stadten, vornehmlich in den 
siiddeutschen Reichsstadten, z. B. in StraBburg, Schlett- 
stadt, Colmar, Freiburg im Breisgau, Worms, Augs- 
burg und nicht zuletzt in Nurnberg mit Hans Folz (aus 
Worms stammend, spatestens ab 1459 als Wundarzt in 
Nurnberg ansassig, wo er Anfang 1513 starb) und H. 
-> Sachs als einem der bedeutendsten Meistersinger. Im 
spaten 16. Jh. verfiel der M. ; seine letzten Spuren finden 
sich (in Ulm und Memmingen) noch im 19. Jh., wo die 
Tradition durch den Mannerchor im Liederkranz iiber- 
nommen wurde. - Als Vorbild dienten dem M. die Ge- 
sangschulen, Kalande und Bruderschaf ten der Kirchen 
und Kloster sowie die stadtische -> Zunf t. Durch stren- 
ge, auf Tafeln geschriebene Regelordnungen (Tabula- 
tur) waren die Meistersinger zunftmaBig zusammenge- 
schlossen. In schwarzem Gewand mit dem Barett traten 
sie regehnaBig in der Kirche zum Schulsingen zusam- 



552 



Melisma 



men, fur das ein geistliches Repertoire und wiirdiges 
Zeremoniell vorgeschrieben waren. Aufierdem f and das 
kurzweilige Zech-(Gesellschafts-)Singen statt. Der Sin- 

§er hatte seinen Platz auf dem Singestuhl, 3 oder 4 Mer- 
er saBen am Tisch im Gemerk, das mit Vorhangen ver- 
schlossen war. Jeder Merker hatte eine bestimmte Seite 
des Singens zu beurteilen: die Reinheit des Bibeltextes, 
das Bef olgen der-* Tabulatur (- 2) , dieWahl der Reime 
und der metrisch-musikalischen Strophenform (»Ton« 
oder »Weise«).Wer die Tabulatur noch nicht recht ver- 
stand, hieB Schiiler, wer mit ihr vertraut war, Schul- 
freund, wer den alten »T6nen« neue Texte unterzulegen 
wuBte, Tichter, wer einen neuen Ton erfand, Meister. 
Die bei einer Meisterfreiung gesungene Liedweise gait 
als Eigentum der Singschule, nicht des Meisters, der sie 
erfunden hatte. - Die fiir den M. verbindliche Form des 
Strophenbaus hieB -*■ Bar. Die Namen der »T6ne« rich- 
teten sich u. a. nach der Reimordnung (Kreuzton mit 
kreuzformiger Reimstellung) oder nach dem Stoff 
(Jungfrauenweis nach dem Gleichnis der klugen und 
torichten Jungfrauen) oder nach Stand und Herkunft 
des Meisters (der wilde Ton nach Bastian Wilde), oder 
die Tone erhielten poetische Namen (blauer Ton). Wie 
der Minnesang seine Melodie in Choralnoten auf- 
schrieb, so bediente sich auch der M. des 16. Jh., der 
vorgab, die Lieder der alten Meister weiterzugeben, 
derselben Notenform (trotz einiger an die Mensural- 
lehre erinnernder Formen); indessen gebrauchte er 
statt der gefiillten Noten (meist Semibreven) hohle 
Noten und nur fiir die Koloraturen (Blumen) die Mi- 
nimen. Eine Reihe von Handschriften des M.s enthalt 
gesondert die Texte, wahrend die Melodien in be- 
sonderen Notenfaszikeln zusammengefaBt sind. Eine 
der wertvollsten Handschriften mit Noten ist die des 
Magdeburger Meistersingers V.Voigt (1558), eine 
Prachthandschrift der Universitatsbibliothek Jena. Der 
Stoffkreis des M.s war vorwiegend geistlichen Inhalts 
mit dem Vorrang der Bibel (im 16. Jh. in der Uber- 
setzung Luthers) : Siindenf all, Erlosung, Trinitat, Maria 
Empfangnis, eschatologische Motive, allegorische Bil- 
der der Bibelexegese, und bis in die Reformationszeit 
mariologische Themen; dazu kamen die politischen 
und historischen Lieder, die Schul-, Straf- und Wett- 
kampflieder sowie oft derb-drastische Buhl- und 
Schwanklieder. Lehrhaf tigkeit ist ein Kennzeichen vie- 
ler Texte des M.s. Unter den Meistersingern ragen als 
Musiker H.Sachs (mit der Silberweise, textlich eine 
Paraphrase des Salve regina), H.Folz (mit dem Ketten- 
ton) und Konrad Nachtigall (mit dem geschiedenen 
Ton) hervor. An der Silberweise von H.Sachs wird 
die Nahe des M.s zum Kirchenlied Luthers und zur 
evangelischen Musikanschauung (J.Walter) deutlich. 
So ist es verstandlich, daB C. Spangenberg in seinem 
M.-Buch (1598) Martin Luther unter den Meistersin- 
gern mit auffiihrt. -Ein farbiges und lebensvolles, aber 
im Geist des 19. Jh. umgefarbtes Bild des M.s mit sei- 
nem Silbenzahlen und Reimeschmieden hat R. Wagner 
in seiner Oper Die Meister singer von Niirnberg (Urauf- 
fuhrung Miinchen 1868) entworfen und sich dabei in 
der Hauptsache auf die Darstellung des M.s von J. Chr. 
Wagenseil (1697) gestiitzt. 

Ausg.: Die Sangesweisen d. Colmarer Hs. u. d. Liederhs. 
Donaueschingen, hrsg. v. P. Runge, Lpz. 1896, Nachdruck 
Hildesheim 1965 ; Jenaer Liederhs., hrsg. v. Fr. Saran, G. 
Holz u. E. Bernoulli, 2 Bde, Lpz. 1901 ; Das Singebuch d. 
A. Puschmann, hrsg. v. G. Munzer, Lpz. 1906; Die Je- 
naer Liederhs., Faks. ihrer Melodien, hrsg. v. Fr. Genn- 
rich, = Surama musicae medii aevi XI, Langen 1963; 
ders., Troubadours, Trouveres, Minne- u. Meistergesang, 
= Das Musikwerk (II), Koln (1951, 21960). 
Lit. : J. Walter, Lob vnd preis d. loblichen Kunst Musica, 
Wittenberg 1538, hrsg. v. W. Gurlitt, Kassel 1938; A. 



Puschmann, Griindlicher Ber. d. deutschen Meisterge- 
sanges . . . , Gorlitz 1 571 , NA hrsg. v. R. Jonas, Halle 1 888 ; 
C, Spangenberg, Von d. edlen vnnd hochberiiembten 
Kunst d. Musica . . . (Ms. StraBburg 1598), = Bibl. d. li- 
terarischen Ver. in Stuttgart LXII, Stuttgart 1861, Nach- 
druck Tubingen 1966; J. Chr. Wagenseil, De Sacri Rom. 
Imperii Liberia Civitate Noribergensi Commentatio, Alt- 
dorf 1697 (darin: Buch v. d. Meister-Singer holdseliger 
Kunst . . .); E. Martin, Urkundliches iiber d. Meister- 
singer v. StraBburg, = StraBburger Studien I, StraBburg 
1882; O. Plate, Die Kunstausdriicke d. Meistersinger, 
ebenda III, 1888; C. Mey, Der Meistergesang in Gesch. 
u. Kunst, Karlsruhe 1892, Lpz. 21901; Niirnberger Mei- 
stersinger-Protokolle v. 1575-1689, 2 Bde, hrsg. v. R. Dre- 
scher, = Bibl. d. litterarischen Ver. in Stuttgart CCXIII- 
CCXIV, Stuttgart 1897-98, Nachdruck Tubingen 1961; 
P. Runge, G. Munzer, R. Staiger u. E. Bernoulli in : 
Kgr.-Ber. Basel 1906 (Ober d. Notation d. Meisterge- 
sangs); R. Staiger, Benedict v. Watt, = BIMG II, 13, 
Lpz. 1914; W. Stammler, Die Wurzeln d. Meisterge- 
sangs, DVjs. I, 1923; E. Jammers, Untersuchungen iiber 
d. Rhythmik u. Melodik d. Melodien d. Jenaer Lieder- 
hs., ZfMw VII, 1924/25; A. Heiberg, Zur Tabulatur d. 
Meistergesangs ..., Diss. Prag 1925, maschr., Auszug 
in: Jb. d. Phil. Fakultat d. deutschen Univ. in Prag III, 
1925/26; K. Unold, Zur Soziologie d. (ziinftigen) deut- 
schen Meistergesangs, Diss. Heidelberg 1932; Fr. Eberth, 
Die Minne- u. Meistergesangsweisen d. Kolmarer Lie- 
derhs., Detmold 1935; H. O. Burger, Die Kunstauf- 
fassung d. friihen Meistersinger, = Neue Deutsche For- 
schungen LXXV, Abt. Deutsche Philol. II, Bin 1936; A. 
Taylor (mit F. H. Ellis), A Bibliogr. of Meistergesang, 
= Indiana Univ. Studies CXIII, Bloomington 1936; 
ders., The Literary Hist, of Meistergesang, NY 1937; B. 
Nagel, C. Spangenbergs M.-Bild, Arch. f. Kulturgesch. 
XXXI, 1943; ders., Der deutsche M., Heidelberg 1952; 
ders., M., = Slg Metzler, Abt. D (Literaturgesch.), Stutt- 
gart 1962; R. Zitzmann, Die Melodien d. Kolmarer Lie- 
derhs = Literarhist.-mw. Abh.IX, Wiirzburgl944;K. 

Stackmann, Der Spruchdichter Heinrich v. Mugeln, Hei- 
delberg 1958; ders., Die kleineren Dichtungen Heinrichs 
v. Mugeln, = Deutsche Texte d. MA L, Bin 1959 ; H. Hus- 
mann, Aufbau u. Entstehung d. cgm 4997 (Kolmarer Lie- 
derhs.), DVjs. XXXIV, 1960; B. Kippenberg, Der Rhyth- 
mus im Minnesang, = Miinchner Texte u. Untersuchun- 
gen zur deutschen Lit. d. MA III, Miinchen 1962; H. Fi- 
scher, Zu Leben u. Schriften d. H. Folz, Zs. f. deutsches 
Altertum XLV, 1966 ; Chr. Petzsch, Zu d. sogenannten H. 
Folz zugeschriebenen Meistergesangsreform, in: Paul u. 
Braunes Beitr. zur Gesch. d. deutschen Sprache u. Lit. 
LXXXVIII, 1966; ders., Text-Form-Korrespondenzen im 
ma. Strophenlied, DVjs. XLI, 1967. 

Melanesien -s-Ozeanien. 

Melisma (griech., Gesang, Lied), - 1) Bezeichnung 
fiir Melodien oder Melodieteile, die nur auf eine Silbe 
gesungen werden; sie schliefit grundsatzlich auch Ko- 
loratur und Arten der Verzierung ein, doch bezeichnet 
der heutige Sprachgebrauch mit M. vor allem die Vo- 
kalisen in der mittelalterlichen Ein- und Mehrstimmig- 
keit (responsoriale Psalmodie, Organum) ; im mittelal- 
terlichen Musikschrifttum ist der Terminus nicht ge- 
laufig. Gegensatz zur melismatischen ist die syllabische 
Art, bei der jeder Silbe nur eine Note zugeordnet 
wird. Der in neuerer Zeit gepragte Ausdruck »neuma- 
tischer Stil«, der zwischen beiden vermitteln und fiir 
melismatische Bildungen mit nicht mehr als etwa 4 
Tonen ver wendet werden soil, zieht eine historisch will- 
kiirliche Grenze. - 2) Unter M. versteht die barocke 
Musikliteratur, wohl in Anlehnung an die urspriingli- 
che (griechische) Bedeutung des Wortes, auch eine 
iiber Verse gesetzte Composition (J. G.Walther, Praecepta, 
ed. Benary, S. 49), unter Stilus melismaticus einen na- 
turlkhen Styl, den alle Welt fast ohne Kunst singen kan 
(WaltherL; ahnlich Mattheson Capellm., S. 74, 90, 92). 
- 3) Die Melismatik ist eines der wichtigsten Elemente 
der orientalischen Melodik. In der mittel- und vorder- 



553 



Melodic section 



orientalischen Vokalmusik nimmt sie breiten Raum 
ein; speziell in der traditionellen indischen Kunstmu- 
sik wird der Text zur Nebensache und von Vokalisen 
iiberwuchert bzw. ganz von ihnen ersetzt. - Auch die 
Musik der Naturvolker kennt Melismatik, ebenso die 
Volksmusik Europas, hier besonders die orientalisch 
beeinfluBte: der Fado in Portugal, die Flamencolieder 
Siidspaniens, die Volkslieder des siidlichen Balkans. In 
der Melodik der nord- und zentraleuropaischen Volks- 
lieder ist sie seltener und weniger ausgedehnt. Es wird 
vermutet, daB die Melismatik in die abendlandische 
Vokalmusik des Mittelalters iiber die friihchristlichen 
Gesange aus dem hebraisch-orientalischen Kultgesang 
und in die weltliche Vokalmusik (Trobador- und Min- 
nesang) aus dem mittelalterlichen arabischen Kunstge- 
sang eingedrungen sind. 

Lit. : zu 3) : R. Lach, Studien zur Entwicklungsgesch. d. 
ornamentalen Melopoie, Lpz. 191 3 ; A. Z. Idelsohn, Paral- 
lelen zwischen gregorianischen u. hebraisch-orientalischen 
Gesangsweisen, ZfMw IV, 1921/22; R. v. Ficker, Primare 
Klangformen, JbP XXXVI, 1929; P. Collaer, La migra- 
tion du style melismatique oriental vers l'occident, Journal 
of the International Folk Music Council XVI, 1964. 

Melodic section (mil'sdik s'ekjsn, engl.) ->• Band. 

Melodie (griech. u,eA<p8ta, von [z£Xo<;, Lied, und 
4>8t), Gesang; als Wort belegt seit Platon, z. B. »Ge- 
setze« 790e) tritt in Erscheinung als in der Zeit sich ent- 
faltende selbstandige Tonbewegung. Gegeniiber we- 
niger selbstandigen Tonfolgen wie die von Neben-, 
Begleit-, Fiillstimmen zeichnet sie sich gewohnlich aus 
durch innere Folgerichtigkeit oder Gesanglichkeit oder 
leichtere FaBlichkeit oder durch Festigkeit und Ge- 
schlossenheit ihrer Gestalt. M. im engeren Sinne, als 
konkrete Erscheinung, enthalt auch das rhythmische 
Element in sich. Im weiteren Sinne kann sie als Urbild 
aller »horizontalen« oder »linearen« Tonbewegungen 
auf gef afit und daher als musikalisches Grundphanomen 
angesprochen werden, das in keiner Musik ganz fehlt. 
Unter Melodik versteht man eine bestimmte Art der 
M.-Bildung, ein bestimmtes melodisches Prinzip (z. B. 
Bachs Melodik; Treppenmelodik). Bisweilen wird je- 
doch die Bezeichnung Melos bevorzugt, vornehmlich 
bei einstimmiger oder harmonisch nicht gebundener 
Musik (Volksmusik, auBereuropaische, moderne Mu- 
sik)! - Was heute als M. bezeichnet wird, konnte in der 
Antike und im Mittelalter je nach dem Zusammenhang 
verschieden benannt werden, so etwa griech. dyXaog 
olfiog doidfjg (»strahlender Gang des Gesangs«, ho- 
merischer Hermes-Hymnus 451), uiXoi;, v6u,o<;, cJ>8y); 
lat. modus (modulatio, modulamen, modulus), can- 
tus, cantilena, cantio; ahd. sane, seit Notkers Martia- 
nus-Kommentar auch Weise, im Meistersang Ton, 
ahnlich engl. tune. - Die urspriingliche Bedeutung des 
Wortes M. zielte mehr auf die Ausfiihrung, das Singen, 
den Gesangsvortrag eines -> Melos. Wohl im Zusam- 
menhang mit der allmahlichen Festlegung und Kano- 
nisierung der liturgischen M.n im friihen Mittelalter 
wandelte sich der M.-Begriff und damit auch die Be- 
deutung des Wortes. Wahrend melos sich nur noch als 
gelehrtes Wort hielt, fand der im Mittellatein verhalt- 
nismaBig seltene Terminus melodia auf dem Weg iiber 
das Altfranzosische allmahlich Eingang in die Volks- 
sprachen. Aber erst um 1600, als sich die Musik nicht 
mehr dem Harmoniabegriff der klassischen Vokal- 
polyphonie unterordnete (vgl. Seconda prattica . . . in- 
tende che sia quella che versa intorno alia perfetione della 
melodia, cioe che considera Varmonia comandata, e non co- 
mandante, Dichiaratione in Monteverdis Scherzi musi- 
cali, 1607), riickte das Begriffswort M. allmahlich ganz 
in den Vordergrund (Monteverdi plante sogar eine 
eigene Abhandlung unter diesem Titel; -»- Melodie- 



lehre). Seither galten M. und Harmonie (iiber den 
von Rameaus Traiti de I'harmonie, 1722, ausgelosten 
Vorrangstreit hinweg) als die beiden komplementaren 
Halften der Musik. Die durch den geschichtlichen 
Wandel bedingte Verschiebung, Erweiterung, Verall- 
gemeinerung des M.-Begriffs einerseits und die mit der 
Anwendung auf altere geschichtliche Epochen sowie 
auf fremde Musikkulturen verbundene Ausdehnung 
und Zersplitterung des Begriffs andererseits kennzeich- 
nen den neuzeitlichen Gebrauch des Wortes. Die Be- 
trachtung fremder Musikkulturen unter dem Gesichts- 
punkt der M. hat als Gewinn u. a. auch neue Fragestel- 
lungen f iir die Erf orschung der alteren, im wesentlichen 
einseitig melodisch orientierten Musik Sudeuropas ein- 
gebracht (Griechische Musik, Byzantinische Musik, 
Gregorianischer Gesang). So etwa die Einsicht, daB fur 
die Musik des Vorderen Orients die Art, die Intensitat 
des Hervorbringens einer Tonbewegung offenbar viel 
wesentlicher ist als die Tonfolge an sich. Anders dage- 
gen im Abendland, wo alle Stimmen seit dem Auf- 
kommen der Mehrstimmigkeit als Bestandteile eines 
iibergeordneten Ganzen, namlich des rational bestimm- 
ten klanglich-harmonischen Gefiiges der Komposition 
verstanden wurden. - Im folgenden wird M. unter fiinf 
Gesichtspunkten zu fassen versucht. 
1) Grundlegende Bedeutung kommt zunachst dem 
aus der Psychologie stammenden und dort u. a. am 
Phanomen der M. herausgearbeiteten Begriff der Ge- 
stalt als einer selbstandigen Qualitat zu (Chr.v.Ehren- 
fels). Mit ihm werden zwei allgemeine Merkmale er- 
faBt: M. ist erstens nicht bloB die Summe aller in ihr 
enthaltenen Tone, sondern etwas diesen Elementen 
gegeniiber Neues, Ubergeordnetes, und zweitens ist M. 
von absoluten Reizwerten (von absoluter Tonhohe) 
unabhangig und somit transponierbar. Jede M. hat 
dariiber hinaus ihre eigene Gestalt, doch gilt es von 
vornherein zu scheiden zwischen verschiedenen Grund- 
haltungen. Im Orient beispielsweise ist der Verlauf 
einer M. im Prinzip nicht genau, nicht Ton fur Ton 
festgelegt. Die M. hat keine feste, »objektivierte«, vom 
jeweiligen Vortrag ablosbare Gestalt. Zu verbindlichen 
Normen auskristallisiert haben sich dort (und wahr- 
scheinlich auch in der Antike; -*■ Nomos) lediglich 
typische Gestaltungsweisen von M.n in Verbindung 
mit gewissen Modellvorstellungen (->■ Maqam, -> Ri- 
ga, ->■ Patet), und nicht die Einzelgestalten selbst. 
Daher lassen sich solche M.n in europaischer Noten- 
schrift nur schwer wiedergeben (was wir aufschreiben 
konnen, das ist nicht einmal wissenschaftlich das Wichtigste, 
Sachs 1930, 21959, S. 15). Strenges Unisono ist derarti- 
ger Musik fremd; beim Zusammenmusizieren ergibt 
sich vielmehr ein eigentiimliches Nebeneinander von 
ahnlich gestalteten melodischen Linien (->■ Heteropho- 
nie). Die Grundhaltung der abendlandischen Kirchen- 
und Kunstmusik zeichnet sich demgegenuber aus durch 
die Tendenz zum Festlegen, »Objektivieren« der M. 
als Gestalt bis in die einzelnen Tone, in einem spateren 
Stadium bis in die rhythmischen Werte hinein. Damit 
verbunden war die Ausschaltung des Irrationalen im 
Tonmaterial (darunter auch der fur das friihe Mittelal- 
ter vereinzelt bezeugten Vierteltone), in der Art der 
Bewegung und des Vortrags (z. B. -*■ Liqueszens, 
-> Plica). Die seit dem Aufkommen der Mehrstimmig- 
keit zur Regel gewordene eindeutige schriftliche Fest- 
legung von M.n erlaubte ihrerseits nun wieder die be- 
wuBte, geregelte Abweichung vom »normalen« Vor- 
trag (z. B. Zerdehnung der Cantustone wie im Orga- 
num der Notre-Dame-Epoche, Augmentation, Ver- 
kleinerung, Diminution, Verzierungen, im Falle der 
Kolorierung war sogar vollige Umgestaltung der zu- 
grunde liegenden M. moglich). Das europaische 



554 



Melodie 



->■ Volkslied hingegen laBt sich beziiglich der unter- 
schiedlichen Festigkeit der melodischen Gestalt ver- 
schiedenen Zwischenstufen zwischen den beiden ge- 
nannten Grundhaltungen zuordnen. 
2) Im Unterschied zur Sprach-M. bewegt sich die mu- 
sikalische M. auf deutlich gegeneinander abgesetzten 
Tonstufen (worauf bereits Aristoxenos, »Harmonik« 8, 
hinwies). Diese Tonstufen sind in der Regel als feste 
Tonhohen gemeint, auch wenn sie in der Praxis kleine- 
ren Schwankungen unterliegen (z. B. Differenz zwi- 
schen reiner und temperierter Stimmung, unsaubere 
Intonation; ->■ Dirty tones). Dagegen weisen Interval- 
le, die nicht nach dem Konsonanzprinzip ausgewahlt, 
sondern nach dem Prinzip der ->■ Distanz abgeschatzt 
werden (auBer bei Naturvolkern auch beim Vortrag 
des S&maveda in Indien, beim N6-Gesang in Japan 
u. a.), meist groBere Schwankungen auf (vgl. auch die 
Diskrepanz zwischen instrumentaler Stimmung und 
vokaler Intonation in manchen Musikkulturen, z. B. 
in Siidostasien). Es kommt aber auch der Fall vor, daB 
zwischen festen Tonstufen bewegliche eingeschaltet 
erscheinen (z. B. Pien als eine Art melodischer Uber- 
gangston in chinesischer Musik). Nach der Zahl der in 
einer Oktave enthaltenen Tonstufen werden haupt- 
sachlich pentatonische und heptatonische M.n unter- 
schieden, wobei die pentatonischen in halbtonlose (an- 
hemitonische) und halbtonhaltige (hemitonische) un- 
terteilt werden (-> Pentatonik). Innerhalb einer M. 
konnen die Tonstufen entweder unverandert beibe- 
halten oder nach bestimmten Regeln erhoht oder er- 
niedrigt werden (-> Metabole, -> B - 1, -*■ Musica 
ficta, melodisches ->- Moll, -*■ Alteration - 2). Die un- 
verandert beibehaltenen Tonstufen werden gewohnlich 
als »leitereigene« Tone bezeichnet. Unter Leiter ver- 
steht man dabei gleichartigen M.n zugrunde liegende 
und im engeren Sinne zu einer Tonart (t6vo?, ^)X°?> 
modus, Kirchenton) gehorige, systematisch geordnete 
Tone. Wechsel der Tonhohe auf einer Tonstufe kann 
entweder Systemwechsel (Modulation) bedeuten oder 
aber konstitutiv fur ein System sein (etwa wenn eine 
M. bei steigenderBewegung den hoheren, bei fallender 
den tieferen Ton benutzt, wie u. a. im melodischen 
Moll); doch lassen sich diese beiden Falle praktisch 
nicht immer klar auseinanderhalten. Die Unterschei- 
dung von Haupt- und Nebentonen spielt in fast alien 
Musikkulturen eine Rolle und tritt meist im Zusam- 
menhang mit anderen, fiir den jeweiligen M.-Typ be- 
zeichnenden Momenten auf (charakteristische melodi- 
sche Wendungen, typischer Tonumfang, oft schema- 
tischer oder von Modellvorstellungen geleiteter M.- 
Verlauf , Bindung an ein bestimmtes -> Ethos, an Stim- 
mungen und Gefiihle, an kosmologische oder magi- 
sche Vorstellungen). Der Tonartenbegriff scheint sich 
jedoch erst allmahlich aus solcher Unterscheidung ent- 
wickelt zu haben (dafiir, daB sich Tonart und Leiter 
nicht zu decken brauchten, ist etwa das Beispiel des auf 
der gleichen Leiter beruhenden 1. und 8. Kirchentons 
bezeichnend). In der Antike wurden zusatzlich drei 
Tongeschlechter (-> Genos) unterschieden (diatonisch, 
chromatisch, enharmonisch). Im Gregorianischen Ge- 
sang war es in erster Linie der durch seine Stellung (lo- 
cus) unter den benachbartenTonen (sociales) bestimmte 
SchluBton der M. (-> Finalis - 1), der als modaler 
Grundton empf unden wurde (was in der Antike und im 
friihen Christentum anscheinend noch nicht allgemein 
der Fall war) und zur Aufstellung von vier Tonarten 
fiihrte. Die spater im AnschluB an das byzantinische 
System des -> Oktoechos eingefiihrte weitere Unter- 
scheidung authentischer und plagaler Formen (daher 
acht -»■ Kirchentone) orientierte sich am zweiten Haupt- 
ton (-> Repercussa, Tenor) und am Tonumfang (Am- 



bitus). Damit waren zugleich auch zwei melodische Be- 
wegungstypen auseinandergehalten, schematisch dar- 
gestellt: 

authentisch plagal 




Finalis 



Die Praxis kannte jedoch zahlreiche M.n, die sich sol- 
cher Norm nicht fiigten (-» Tonus peregrinus, modu- 
Herende M.n, authentisch-plagale »Mischformen«). In 
der Mehrstimmigkeit kam das klanglich-harmonische, 
spater auch das rational-rhythmische Moment als mit- 
bestimmender und dadurch alles Melodische verwan- 
delnder Faktor hinzu. Erst in der Dur-Moll-Tonalitat 
erreichte die Musik als Ganzes wieder eine dem alten 
Tonartenbegriff vergleichbare einheitliche Orientie- 
rung im Klangraum (Harmonie als Komplementar- 
begriff zu M.). Die A tonalitat jedoch rechnet mit 12 
gleichberechtigten Tonstufen im Halbtonabstand wie- 
der ohne feste Orientierung. 

3) Der Zusammenhang von Sprache und Musik spie- 
gelt sich in der M. auf vielfaltige Weise (-»■ Deklama- 
tion). Epische, lyrische und dramatische, sakrale und 
profane, rhythmisch gebundene und ungebundene 
Texte etwa bringen von vornherein Differenzierungen 
des Melodischen mit sich. Doch kann die musikalische 
Komponente auch so sehr dominieren oder verselbstan- 
digt sein, daB der Text ihm gegemiber in den Hinter- 
grund tritt, ja belanglos erscheint (C. Sachs sieht in der 
»logogenen«, d. h. wortgezeugten, und in der »patho- 
genen«, d. h. rauschgezeugten Melodik zwei gegen- 
satzliche Urformen). Typische Arten aus alterer Zeit 
sind Rezitationsmelodik (so vermutlich der Rhapso- 
den- und Schauspielervortrag der Griechen, Vortrag 
von Prosatexten in der christlichen Kirche), relativ 
selbstandige syllabische Melodik (wahrscheinlich die 
Lyrik der Griechen, musikalisch einfachere Formen des 
Liedes u. a.) und melismatische Melodik (Alleluia, 
Graduale und andere MeBgesange; noch heute im 
Orient weithin vorherrschend). In der Regel zeichnen 
sich im melodischen Duktus gewisse Grundgegeben- 
heiten des Textes ab, wie Textgliederung (Vers- und 
Stropheneinteilung der Dichtung, Sinn- und Inter- 
punktionsgliederung der Prosa) und Sprachrhythmus 
(VersmaBe der Dichtung, Wort- und Satzakzente der 
Prosa). So bedient sich etwa die Rezitationsmelodik in 
der lateinischen Liturgie (Psalmodie, Oration, Prafa- 
tion, Lektion u. a.) typischer, den jeweiligen Akzent- 
verhaltnissen angepaBter Kadenzformeln zur Verdeut- 
lichung der Sinngliederung (Mediatio : Flexa, Metrum ; 
Terminatio: Differentia, Punctus), z. B. am SchluB der 
Lektion : 

Metrum 



-?—: = = 1 z 




■ 
















Tu au - tem 
Punctum 


Do - 


■ mi - ne 
Punctum 


mi ■ 


- se 


- 




















* " 




Ml " 


_ 




II 



re - re no - bis. 



V De - o 



gra - ti - as. 

Nach der zugrunde liegenden Lehre der Grammatiker 
werden Satz (periodus) und Satzteile (comma, colon) 
durch -> Distinctio, Media distinctio und Subdistinctio 
getrennt. Diesem Gliederungsprinzip folgen auch die 
iibrigen Gesangsarten. Melismatische Gesange weisen 
dariiber hinaus primar musikalisch zu verstehende Glie- 
derungen auf (ebenfalls Distinctio genannt), sei es nach 
selbstandigen Wortern oder innerhalb lingerer Melis- 
men, z. B. im 2. Weihnachtsgraduale : Benedictus / qui 
venit J in nomine / Domini: / Deus Dominus, / et illuxit 



555 



Melodic 



nobis I, wobei auf die letzte Silbe (-bis) ein dreigliedriges 
Melisma gesungen wird. Nicht selten scheinen durch 
langere Melismen besonders gewichtige Wbrter her- 
vorgehoben zu sein (Interpretationsmelisma). Nach 
ahnlichen Prinzipien verfuhr spater die Mehrstimmig- 
keit, die im iibrigen manche »VerstoBe« gegen die 
Sprache zulieB (falsche Betonung, Verweilen bei un- 
wichtigen Wbrtern u. a.). Die metrische und rhythmi- 
sche Beschaffenheit mittelalterlicher Texte mag eine 
geregelte Rhythmisierung der dazugehorigen M.n be- 
giinstigt haben (Hymnus, Tropus, Conductus, Tro- 
bador- und Trouveregesang, Minne- und Meistersang; 
vielleicht eine der Wurzeln der modalen Rhythmik). 
In der spatmittelalterlichen Musik und Melodik be- 
gannen u. a. Wortdeklamation (seit Dunstable) und 
»textgezeugte« Rhythmen (seit den Niederlandern), im 
16. Jh. dann derEinfluB antiker Metrik (humanistische 
->■ Odenkomposition) und Rhetorik an Bedeutung zu 
gewinnen (musikalisch-rhetorische -> Figuren, die na- 
mentlich der musikalischen Textausdeutung dienten). 
In der Vokalmusik verlagerte sich das Gewicht auf die 
Darstellung von Affekten (zumal in der Oper). Struk- 
turunterschiede der einzelnen Sprachen machten sich 
gegeniiber frtiher verstarkt bemerkbar (vgl. Luther, 
Wider die hitnmlischen Propheten, 1525: Es mus beyde text 
und notten, accent, weyse und geperde aus rechter mutter 
sprach und stymme komen, sonst ist alles eyn nachomen, wie 
die affen thun - eine Forderung, die im deutschen Sprach- 
gebiet erst Schiitz ganz erfullt hat). Aber auch in der 
Instrumentalmusik finden sich nunmehr Ziige, die oh- 
ne die Erfahrungen in der Vokalmusik nicht denkbar 
waren (quasi textgezeugte Rhythmen und Motive, die 
Artikulation, iiberhaupt das »Sprechende«, »Singen- 
de«). SchlieBlich war es R.Wagner, der sich gegen die 
Herrschaf t der mit dem Text nur noch auBerlich ver- 
bundenen (gleichsam instrumental konzipierten) abso- 
luten M. in der Oper wandte und seit dem Tristan seine 
Konzeption von der auf Wortwiederholungen ganz 
verzichtenden unendlichen M. verwirklichte (vgl. Ge- 
sammelte Schriften III, IV, VII) . 

4) In der Tanz- und Marschmusik hangen ausgeprag- 
ter Rhythmus und melodische oder iiberhaupt musi- 
kalische Responsion eng zusammen. Bereits in der 
griechischen Antike muB das melodische Moment 
(iiber das rhythmische hinaus) die auBere Responsion 
von (orchestisch gebundenen) Versen und Strophen 
verdeutlicht haben; das Uberhandnehmen des Musi- 
kalischen im neuen Dithyrambos fiihrte dann aller- 
dings zur Preisgabe der auBeren Responsion. Im Abend- 
land wirkte sich die Entstehung einer hypotaktischen 
Betonungsordnung (Takt) innerhalb des Tanzes dahin- 
gehend aus, daB sich der musikalische Ablauf zuneh- 
mend sy mmetrisch gliederte (2+2 oder 4+4 oder 8 + 8 
Takte; ->■ Metrum - 3, -> Periode, ->■ Symmetric). 
Wo ein fester BaB (Ostinato, so bei Folia, Ground, 
Chaconne, Passacaglia usw.) oder ein festes harmoni- 
sches Geriist (z. B. im Blues) diese tektonische Aufgabe 
iibernimmt, kann sich das Melodische jedoch wieder 
freier, improvisierend oder variierend entfalten, beson- 
ders bei instrumentaler Ausfiihrung. Von der Rhyth- 
misierung der Oberstimmen kann auch eine Intensi- 
vierung des Grundrhythmus ausgehen (Punktierung 
im Marsch, swing im Jazz u. a.) . 

5) Zahlreich sind die mehr immanent-musikalischen 
Fragen der M.-Bildung. Eine in der Musikethnologie 
entwickelte Typologie geht von der Bewegung im 
Detail aus: Treppen-, Sprung-, Sturz-, Pendel-, Gir- 
landen-, Fanfarenmelodik u. a. Die Bewegung im gan- 
zen ist dagegen in den drei Bewegungstypen des As- 
zendenz-, Schwebe- und Deszendenzmelos erfaBt (W. 
Danckert). Untcr den sich freier entfaltenden Gesan- 



gen der lateinischen Liturgie (Concentus) konnen drei 
Arten der M.-Bildung unterschieden werden : die erste 
hat es mit modellgebundenen, »typischen« M.n zu tun, 
die sich ganz verschiedenen Texten anpassen (nament- 
lich Antiphonen), die zweite mit M.n, die (nach P. 
Wagner) auf der Verwendung »wandernder« Melis- 
men und Wendungen beruhen (besonders Tractus und 
Gradualien; eine andere Deutung, mehr im Sinne der 
ersten Art, schlagt Br. Stablein in MGG V, Sp. 651, 
vor), und die dritte mit Original-M.n, die an bestimm- 
te Texte gebunden bleiben. In »primar klanglich« (R. v. 
Ficker) orientierter Musik herrscht Umspielungs-, Pen- 
del- oder Figurationsbewegung vor (z. B. pentatoni- 
sche Musrk, Gamelan; Mehrstimmigkeit des hohen 
Mittelalters, spater teilweise in der Instrumentalmu- 
sik) ; Stimmtausch, Kanon, Hoquetus, Sequenzen oder 
verwandte Erscheinungen sind haufig. Im Abendland 
haben sich die Zusatz- oder Begleitstimmen eines 
mehrstimmigen Satzes erst allmahlich zu innerer Selb- 
standigkeit und somit zu eigenen M.-Stimmen entwik- 
kelt. Wesentlichen Anteil daran hatte die zunehmen- 
de Beherrschung der unvollkommenen Konsonan- 
zen und der Dissonanzen (vgl. die Regelung der Syn- 
kopen-, Durchgangs-, Dreh-, Portamento-, Doppel- 
dissonanz sowie die Rolle der Klauseln), aber auch die 
Uberwindung der fiir die Werdezeit der Mehrstim- 
migkeit typischen formelhaften Rhythmik, wie sie 
etwa noch bei Machaut zu finden ist (Anfang der Mo- 
tette 20, nach Fr.Ludwig, Machaut-GA III) : 



Trop plus est_ be - le que_ biau - - - te 

Ausgewogenheit der melodischen Bewegung, Aus- 
gleich groBerer Spriinge durch (moglichst stufenweise 
gef iihrte) Gegenbewegung und Vermeidung von Wie- 
derholungen, Symmetrien und Sequenzen kennzeich- 
nen dagegen die Stufe der klassischen Vokalpolyphonie 
(Palestrina, Missa Papae Marcelli) : 



I 



rrr i rrrrrH.u 



^ 



Ky - rie e - lei 

Die seit dem 16. Jh. an Boden gewinnende Instrumen- 
talmusik stellte den typischen Gesangs-M.n (Lied, Arie, 
Deklamations-M. u. a.) alsbald mehr instrumental kon- 
zipierte M.n zur Seite (Dreiklangs-M.n, motivisch und 
thematisch gepragte M.n, Ranken-M.n, durch Figura- 
tionen und Spielfiguren getragene M.n), bis hin etwa 
zu J. S.Bach im Sinne kontinuierlicher Fortspinnung 
gestaltet, vielfach aber auch verschmolzen mit vokalen 
Elementen (Bach, H moll-Messe) : 



Ky-ri-e e-le i - son,Ky-ri-e 

Durch besondere Wendungen der M. werden die zur Voll- 
stdndigkeit der Modulation erforderlichen Tone so in einer 
einzigen Stimme vereinigt, dafi mitunter eine zweyte we- 
der nbthig noch moglich isf ( J. N. Forkel, J. S.Bach, 1802, 
S. 31; vgl. dazu H.Riemanns Begriff der »Mehrstim- 
migkeit durch Brechung« und E.Kurths Begriff des 
»linearen Kontrapunkts«). Fiir die M.-Bildung der Wie- 
ner Klassiker scheint besonders charakteristisch zu sein, 
daB das parataktisch anmutende Verf ahren der »Anein- 
anderreihung« von kleineren M.-Gliedern, Motiven, 
Wendungen, wie es von den Vorklassikern her bekannt 
ist, nunmehr auf der getrennten Handhabung von rhyth- 
misch-tonlicher Gestalt und metrischer Gewichtsverteilung 
beruht (Thr. G. Georgiades), so auch in der bekannten 
Haydn-M. (Quartett Hob. Ill, 77) : 



556 



Melodrama/Melodram 



Poco ada gio. C antabile 






p dolce 

Im 19. Jh. kam es dann immer mehr zu einer Schei- 
dung : auf der einen Seite die leicht eingangigen, zwi- 
schen Kunst (Verdi, Bizet) und Banalitat (Gassenhauer, 
spater Schlager) schwankenden M.n, auf der anderen 
Seite die in bewuBtem Gegenzug geschaffenen an- 
spruchsvollen und nicht ohne weiteres reproduzierba- 
ren M.n, etwa die von Wagner, zugespitzt in der Mo- 
dernen Musik (Zwolftonreihe als Metamorphose der 
M.; Schonbergs -*■ Klangfarben-M. ; vgl. auch die 
Kontro verse zwischen Pfitzner und Berg iiber die M.). 
Lit. : Chr. v. Ehrenfels, t)ber Gestaltqualitaten, Viertel- 
jahresschrift f. wiss. Philosophie XIV, 1890; S. Jadassohn, 
Das Wesen d. M. in d. Tonkunst, Lpz. 1899; Th. Lipps, 
Zur Theorie d. M., Zs. f. Psychologie u. Physiologie d. 
Sinnesorgane XXXII, 1901; F. Weinmann, Zur Struktur 
d. M„ ebenda XXXV, 1904; Th. Fr. Dunhill, The Evo- 
lution of Melody, Proc. Mus. Ass. XXXIV, 1907/08 ; E. M. 
v. Hornbostel, M. u. Skala, JbP XIX, 1912; R. Lach, 
Studien zur Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melo- 
poie, Lpz. 1913; H. Riemann, Folkloristische Tonalitats- 
studien I, Lpz. 1916; E. Kurth, Grundlagen d. linearen 
Kontrapunkts, Bern 1917, 51956; ders., Musikpsycholo- 
gie, Bin 1930, Bern 21947 ; A. Berg, Die mus. Impotenz d. 
»Neuen Asthetik« H. Pfitzners, Musikblatter d. Anbruch 
II, 1920, auch in: W. Reich, A. Berg, Zurich 1963 ; P. Wag- 
ner, Einfuhrung in d. Gregorianischen M. Ill, Lpz. 1921, 
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; E. Hoffmann, 
Das Wesen d. M., Bin 1924; Kn. Jeppesen, Der Palestrina- 
stil u. d. Dissonanz, Lpz. 1925, engl. Kopenhagen u. Lon- 
don 1927, 21946 ; P. Klebs, Von d. M. u. d. Aufbau d. mus. 
Formen, Kassel 1927; K. Roeseling, Beitr. zur Unter- 
suchung d. Grundhaltung romantischer Melodik, Diss. 
Kbln 1928; R. v. Ficker, Primare Klangformen, JbP 
XXXVI, 1929; R. Lachmann, Musik d. Orients, Breslau 
1929; C. Sachs, Vergleichende Mw., = Musikpadagogi- 
sche Bibl. VIII, Lpz. 1930, Heidelberg 21959; W. Dan- 
ckert, Ursymbole melodischer Gestaltung, Kassel 1932; 
ders., GrundriB d. Volksliedkunde, Bin 1939; ders., Me- 
lodische Tonalitat u. Tonverwandtschaft, Mk XXXIV, 
1941/42; ders., Melodische Funktionen, Fs. M. Schneider, 
Lpz. (1955); H. v. Zingerle, Zur Entwicklung d. Melodik 
v. Bach bis Mozart, Lpz. 1936; G. Ferchault, Introduc- 
tion a l'esthetique de la melodie, Gap 1 946 ; J. Handschin, 
Der Toncharakter, Zurich (1948); Fr. Metzler, Tonali- 
tat u. melodische Struktur d. alteren deutschen u. nordi- 
schen Volksweise mit besonderer Beriicksichtigung d. is- 
landischen Kleinmelodik, Diss. Tubingen 1950, maschr.; 
B. Szabolcsi, A melodia tortenete, Budapest 1950, 2 1957, 
deutsch als: Bausteine zu einer Gesch. d. M., Budapest 
1959; ders., Kleine Beitr. zur Mg. d. 18. Jh., StMw XXV, 
1962; Br. Stablein, Zur Entstehung d. gregorianischen 
M., KmJb XXXV, 1951 ; Thr. G. Georgiades, Musik u. 
Sprache . . . , = Verstandliche Wiss. L, Bin, Gottingen u. 
Heidelberg 1954; Fr. Noske, La melodie frc. de Berlioz a 
Duparc, Paris 1 954 ; W. Wiora, Alter als d. Pentatonik, in : 
Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956; ders., 
Elementare Melodietypen als Abschnitte ma. Liedweisen, 
in: Miscelanea en homenaje a H. Angles II, Barcelona 
1958-61 ; J. Chailley, Essai sur les structures melodiques, 
Rev. de Musicol. XLIII/XLIV, 1959; H. Chr. Wolff, Zur 
Melodiebildung J. S. Bachs, StMw XXV, 1962. FZa 

Melodielehre ist im engeren, eigentlichen Sinne Me- 
lodiebildungslehre, im weiteren Sinne auch eine melo- 
disch orientierte allgemeine oder propadeutische Mu- 
siklehre. Elemente einer mehr allgemeinen M. finden 
sich in der Antike (Lehre von den Tonarten, Tonge- 
schlechtern, von der -> Melopoie - 1 und Metabole), 
bei den Arabern, Indern, Chinesen u. a. EinfluB auf die 
Melodiebildung gewannen seit dem friihen Mittelalter 
die Lehren von den Kirchentbnen, Hexachorden (Sol- 
misarion), Redeteilen (-> Distinctio), in der Mehrstim- 
migkeit die Satzlehren (Fortschreitungs-, Stimmfuh- 



rungs-, Diminutions-, Verzierungsregeln) und hin- 
sichtlich der rhythmischen Gestaltung die Mensural- 
und Taktlehren. Haufig waren es miindlich iiberliefer- 
te Handwerksregeln, denen sich die Melodiebildung 
fiigte (Meistersang u. a.). Noch das 17. Jh. kannte, der 
damaligen mehr allgemeinen Bedeutung des Wortes 
Melodie entsprechend, keine eigentliche M. (die von 
Monteverdi im Brief vom 22. 10. 1633 angekiindigte 
Schrift Melodia ovvero seconda pratica muskale ist nicht 
erschienen ; erwahnt sei das allgemein gehaltene SchluB- 
kapitel Discorso sopra la perjettione delle melodie aus G.B. 
Donis Compendio del trattato de' generi e modi . . . , 1635). 
J.Matthesons Kern Melodischer Wifienschafft, bestehend 
in den auserlesensten Haupt- und Grund-Lehren der musi- 
calischen Setz-Kunst oder Composition . . . , 1737, darf 
somit als eine der ersten theoretisch-praktischen M.n 
angesprochen werden (hervorgehoben seien Cap. Ill 
Von der Kunst einegute Melodie zu machen, Cap. IV Vom 
Unterschied der Vocal- und Instrumental-Melodien, Cap. VI 
Von den Gattungen der Melodien und ihren besondem 
Abzeichen). Es folgen weitere einschlagige Veroffent- 
lichungen von Chr. Nichelmann (1755), J.Riepel (1755 
und 1 757) , E. G. Baron (1 756) , A. Reicha (1 814) , L. BuB- 
ler (1879), H. Riemann (1883, auch Grofie Kompositions- 
lehre I, 1902), E.Toch (1923), K.Blessinger (1930), J. 
Smits van Waesberghe (1950) u. a. Fragen der M. wer- 
den speziell in der Metrik (H. Riemann 1903), im iibri- 
gen meist in Harmonie-, Kontrapunkt- und Kompo- 
sitionslehren behandelt. 

Lit.: P. Benary, Die deutsche Kompositionslehre d. 18. 
Jh., =Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961; 
ders., Die Stellung d. M. in d. Musiktheorie d. 18. Jh. in 
Deutschland, Kgr.-Ber. Kassel 1962; K. G. Fellerer, Zur 
M. im 18. Jh., Studia Musicologica III, 1962. 

Melodik (nur im Deutschen gebrauchliche Analogie- 
bildung zu Harmonik, aus dem Anfang des 19. Jh. ; 
->■ Harmonie, im 19. Jh. gewohnlich s. v. w. -v Melo- 
dielehre, im 20. Jh. hingegen vielfach s. v. w. ->■ Melodie 
in allgemeiner Bedeutung (eine bestimmte Art der Me- 
lodiebildung oder ein bestimmtes melodischesPrinzip). 

Melodium, kleines Harmonium; etwa 1844 von dem 
franzosischen InstrumentenmacherJ. Alexandre ( * 1804, 
f 1876 zu Paris) gebaut, der ab 1829 als einer der ersten 
den Harmoniumbau betrieb. 

Melodrama/Melodram (griech.). Unter Melodra- 
ma ist das Buhnenmelodram, unter Melodram die 
Kombination Sprechen und Musik zu verstehen. Nach 
Vorf ormen in Rousseaus Scene lyrique Pygmalion (Lyon 
1770) ist das Melodrama seit Georg Bendas ->• Mono- 
dramen ein bestimmter Typ des musikalischen Schau- 
spiels, in welchem das gesprochene Wort und die 
Handlung von Musik begleitet, genauer durch im Aus- 
druck standig wechselnde Musik untermalt und erlau- 
tert werden. Nach dem Abklingen der Monodram- 
Mode (um 1780) wurden noch die Melodramen von 
I.v.Seyfried (z. B. Saul, 1810; Timur, 1822; Sintram, 
1823) und K.G.ReiBiger (Yelva, 1827) beachtet. In 
Frankreich suchte man nach Debussys Tod das Musik- 
drama durch (meist antikisierende) Melodramen (Bal- 
lette mit Rezitation) zuruckzudrangen. Die Haupt- 
werke dieser Richtung sind M.Emmanuels Salamine 
(1922), A.Roussels La Naissance de la lyre (1924), Ho- 
neggers Amphion und Semiramis (1931 und 1933, bei- 
de nach Dichtungen von P.Valery), Mille et une nuit 
(1937) und Strawinskys Persephone (1934, nach A. Gide). 
In Deutschland entstanden der Einakter Sanctissimum 
von W.Kienzl (1925) und die »Kurzoper fur Schau- 
spieler« Das Wundertheater von H.W.Henze (1948). - 
Das Zusammenwirken von gesprochenem Wort und 
Musikbegleitung wird seit dem ausgehenden 18. Jh. 



557 



Melodrama/Melodram 



Melodram (ital. melologo) genannt. Dieses Zusam- 
menwirken gibt es nicht nur in den ganz von ihm be- 
herrschten Biihnenwerken, sondern vielfach (und spa- 
ter sogar hauptsachlich) im Rahmen von Schauspiel- 
musiken (z. B. in Beethovens Musik zu Goethes Eg- 
mont) und Opern (z. B. Fidelio : Kerkerszene, Freischiitz : 
Wolfsschlucht). Der auBerordentliche Erfolg der Ben- 
daschen Monodrame lieB Konzertmelodrame ent- 
stehen - meist handelt es sich urn Balladen -, in denen 
die Deklamation von Musik (Klavier oder Orchester) 
begleitet wird. Obgleich gegen das Melodram (na- 
mentlich durch R.Wagner) asthetische Einwande er- 
hoben wurden, hat das Genre doch f ortbestanden und 
war zeitweilig - so um 1900 durch die Wirksamkeit 
der Rezitatoren Ernst v. Possart (1841-1921) und L. 
-> Wiillner - sogar sehr beliebt. Bekannt und zu ihrer 
Zeit geschitzt waren von J.R.Zumsteeg Tamira (1788) 
und Friihlingsfeier (1804), von B.A.Weber Gang nach 
dem Eisenhammer, von Schumann Zwei Balladen op. 122 
(1852), von Liszt u. a. Lenore (1858) und Der blinde San- 
ger (1875), von R. Strauss u. a. Enoch Arden op. 38 (1897), 
von M. Schillings u. a. das Hexenlied op. 15 (1904), fer- 
ner Werke von F. Hummel, J. Reiter, B.Siegwart und 
J.Pembaur. Bedeutend sind W.T.Waltons (stilistisch 
zwischen Strawinsky und Weill stehende) Komposi- 
tionen des Gedichtzyklus Facade von Edith Sitwell 
(1923). - In manchen der melodramatischen Kompo- 
sitionen, z. B. in der Musik zu Preziosa von C.M.v. 
Weber und in Milhauds Musik zu Claudels Orestie- 
Obersetzung (Les Choephores, 1916), erscheint der 
Rhythmus des zu sprechenden Textes dutch Noten 
fixiert. Mit Humperdincks Die Konigskinder (1. Fassung 
1897) entstand das »gebundene Melodram«, in dem ne- 
ben dem Rhythmus auch die Tonhohe der Sprechstim- 
me durch eine eigene Notenschrif t (J-J, J) -J)) 
festgelegt wird. Schonberg hat das gebundene Melo- 
dram seit den Gurre-Liedern (1 900-1 1 ) weiterentwickelt . 
In Pierrot lunaire (1912), einem Melodramenzyklus mit 
Kammermusikbegleitung mit abermals neuer Noten- 
schrif t (J-J, J)-/l)> differenzierte er den Sprech- 
vortrag durch Angaben wie »tonlos gefliistert«, oder 
»mit Ton gesprochen«, in dem Einakter Die gliickliche 
Hand (1910-13) komponierte er gesprochene Polypho- 
nie und Harmonik. In einigen der spateren Werke, 
etwa der Ode to Napoleon (1942), vereinfachte Schon- 
berg seine Anweisungen, indem er nicht mehr Ton- 
hohen, sondern mit Hilfe einer einzigen Notenlinie 
Distanzen (andeutungsweise) komponierte. A. Berg 
hat im Wozzeck alle bekannten Arten des Melodrams 
angewendet: sowohl jene Arten, die die Sprechstimme 
uberhaupt nicht (I, 350ff.) oder nur rhythmisch fixie- 
ren (II, 514ff.), als auch die neuere, gebundene Art (I, 
207ff. u. 6.) ; in der Lulu (Prolog, Monoritmica) reali- 
sierte er ein Kontinuum vom gewbhnlichen Sprechen 
bis zum Belcanto. An Schonberg und Berg haben dann 
Wl.Vogel (Drei Sprechlieder nach A. Stramm, 1925) 
und P.Boulez in seinen Kantaten (zuerst in Le visage 
nuptial, 1948) angekniipft. Vogel kultivierte, im An- 
schluB an Milhauds Les Choephores, in seinen Oratorien 
den Sprechchor (z. B. in Thyl Claes, 1942), worin ihm 
wieder andere, z. B. L.Nono (La Victoire de Guernica, 
1954), folgten. 

Lit.: R. Batka, Melodramatisches, in: Mus. Streifziige, 
Lpz. 1899; E. Istel, Die Entstehung d. deutschen Melo- 
dramas, Bin u. Lpz. 1906; P. Ginisty, Le m61odrame, Pa- 
ris 1910; R. Austen, Les premiers melodrames fr?., Paris 
1912; J. F. Mason, The Melodrama in France, Baltimore 
1912; M. Steinitzer, Zur Entwicklungsgesch. d. Melo- 
drams u. Mimodrams, = Die Musik XXXV, Lpz. (1919); 
E. C. Van Bellen, Les origines du mdlodrame, Utrecht 
1927; H. Martens, Das Melodram, = Mus. Formen in 



hist. Reihen XI, Bin (1932); L. Gramisch, Die Erschei- 
nungsformen d. melodramatischen Stils im 19. Jh., Diss. 
Wien 1936, maschr.; H. Sacher, Die Melodramatik u. d. 
romantische Drama in Frankreich, Lpz. 1936; H. Clesius, 
Zur Asthetik d. Melodramas, Diss. Bonn 1944, maschr.; 
M. W. Disher, Blood and Thunder. Mid-Victorian Melo- 
dramas and Its Origins, London 1949; J. Subira, El com- 
positor Iriarte y el cultivo espafiol del melologo, 2 Bde, 
Barcelona 1949-50; J. Van der Veen, Le melodrame mus. 
de Rousseau au Romantisme, 's-Gravenhage 1955; R. Ste- 
phan, Zur jungsten Gesch. d. Melodrams, AfMw XVII, 
1 960 ; G. Schuhmacher, Gesungenes u. gesprochenes Wort 
in d. Werken Wl. Vogels, AfMw XXIV, 1967. RSt 

Melograph (Pianograph, Eidomusicon), eine Vor- 
richtung an Klavieren, die alles, was darauf gespielt 
wird, in einer dechiffrierbaren Notierung zu Papier 
bringt, so daB auch Improvisationen damit fixiert wer- 
den konnen. Versuche, gute M.en herzustellen, sind in 
grofier Zahl untemommen worden, z. B. von Creed 
(um 1745)J. Fr. Unger (1752, 1774), Engramelle (1775), 
Stanhope (AMz VI, 1804, Sp. 751), B.-A.Bertini 
(1812), J. Ch. Clifton (1816), Eisenmenger (1838), Gue- 
rin (1844), J.-H.Pape, Schmeil (1850), J.-N.Adorno 
(1855), Careyre, J. Capentier (1880, elektrisch), Lau- 
renz Kromar (1905), Fr. A.E.Keller, Koppensteiner 
(1913), Van Elewyck, Witzels. ->■ Mechanische Mu- 
sik werke (Reproduktionsklaviere). 

Melophon-*- Concertina. 

Meloplast nannte P.Galin seine auf J.-J. Rousseaus 
Anregung zuriickgehende Methode fiir den musikali- 
schen Elementarunterricht, die im 19. Jh. durch Ver- 
offentlichungen von -> Cheve (mit A.Paris) in Frank- 
reich popular wurde. Ihr Hauptmerkmal ist die Ver- 
wendung der Ziffern 1-7 zur graphischen Darstellung 
der 7t6nigen Durskala ut re mi fa sol la si. Hohere 
und tiefere Oktave werden durch einen Punkt tiber 
oder unter der Ziffer gekennzeichnet; ein Punkt neben 
der Ziffer bewirkt die Verlangerung des Notenwertes. 
Die Ziffer steht fiir die Pause. Schrag durchgestriche- 
ne Ziffern bedeuten Alteration (z. B. 5 = gis, 5 = ges). 

Melopoie (griech. (jteXoTtoita, von [i€Xo^ undnoieiv, 
machen), - 1) in der griechischen Antike zunachst so- 
viel wie Herstellung eines -»■ Melos, im besonderen bei 
Platon (Symposion 187d) das Erfmden musikalischer 
Weisen, bei Aristoteles (»Poetik«, 1449b) diemelodische 
Kunst, welche die Verse erst zu voller Entfaltung 
bringt. In der griechischen Musiktheorie seit Aristo- 
xenos war die M. dann auch Gegenstand einer eigenen, 
im AnschluB an die harmonische Wissenschaft behan- 
delten Lehre. Wie die erhaltenen Abrisse dieser Lehre 
(Kleoneides § 14, Aristeides Quintilianus 28ff., dazu 
Bryennios 3, 10, Martianus Capella 9, 965 mit dem 
Kommentar des Remi d'Auxerre, GS I, 79f.) zeigen, 
ging es dabei primar um Fragen der systematischen 
Auf gliederung des Gebiets der M. und nicht um hand- 
werkliche Fragen der Melodiebildung. - 2) In der Zeit 
des Humanismus wurde die antike Lehre von der M. 
wieder auf gegriff en (sogar der Astronom J. Kepler be- 
faBte sich mit ihr, Harmonices mundi 3, 15), aber der 
Terminus M. kam auch losgelost von jener Lehre in 
Gebrauch (zuerst mit Titel von P. Tritonius' Odenver- 
tonungen, 1507) und bedeutete dann meist soviel wie 
Kompositionslehre oder Kunst der Melodiebildung (S. 
Calvisius, MeAonoda sive Melodiae condendae ratio, 1592; 
M. Praetorius kiindigte den nicht erschienenen IV. Band 
seines Syntagma musicum,der die Kompositionslehre von 
H.Baryphonus enthalten sollte, unter dem Titel De 
Melopoiia an; M.Mersenne, Harmonicorum libri XII, 
1635, definierte S. 144: Melopoiia nil aliud est quam Ars 
Melodiae, sen Cantilenae cuiuspiamfaciendae) . Daher wur- 



558 



Mensur 



den M. und -»■ Musica poetica haufig gleichgesetzt. 
Seit dem 18. Jh. wird das Wort seltener in einem auf 
neuere Musik iibertragenen Sinne gebraucht, in der 
Musikwissenschaft z. B. von R. Lach. 

Melos (griech. uiXoc;, Plur. jjl^ai); lat. auch melum), 
im Griechischen in zwei verschiedenartigen Bedeutun- 
gen belegt, einerseits als »Glied« (seit Homer), anderer- 
seits (nachhomerisch) als »Weise, Melodie, zum Ge- 
sangsvortrag bestimmtes lyrisches Gedicht«. Falls es 
sich etymologisch um dasselbe Wort handelt, laBt sich 
als musikalische Grundbedeutung etwa »gegliederte 
Weise« erschlieBen. In musikalischer Bedeutung be- 
gegnet das Wort seit Alkman (Mitte des 7. Jh. v. Chr.) 
. und bezeichnet sowohl die gesungene (fr. 39 Page 
= 92 Diehl) als auch die instrumentale Weise (fr. 126 
P = 97 D), seit Pindar dann auch das gesungene lyri- 
scheGedicht (»01ympien«9, 1) imUnterschiedzuEpos, 
Iambps, Elegie undEpigramm. Aus dieser Bedeutungs- 
breite erklart sich der unterschiedliche, teilweise wider- 
spriichlich erscheinende Wortgebrauch bei spateren 
Schrif tstellern. In der griechischen Musiktheorie wurde 
M. meist als gegeniiber dem Rhythmus selbstandige 
melodischeKomponente der Musik auf gef aBt. So konn- 
te die Wissenschaft vom M. (ij nEQi fieXovg iniaxr]fir\, 
Aristoxenos, »Harmonik« 1, 11), zu der vor allem 
die Lehren von der Harmonik (-> Harmonia) und 
von der -> Melopoie (- 1) gehorten, unabhangig von 
der Rhythmuslehre entwickelt werden. Aristoxenos 
hob das musikalische ausdriicklich vom sprachlichen 
M. ab (-»• Prosodie - 1). In der lateinisch geschriebenen 
Musiktheorie der Spatantike und des Mittelalters kehrt 
M. als verhaltnismaBig selten verwendeter Terminus 
wieder, der sich bedeutungsmaBig mit verwandten 
Ausdriicken (cantilena, cantus, melodia u. a.) beriihrt 
oder iiberschneidet. - In der Neuzeit ist das zunachst 
selten und nur im Zusammenhang mit der Antike ge- 
brauchte Wort wohl erst seit R.Wagner auf neuere 
Musik angewendet worden (z. B. das neue Beethoven- 
sche M., in: Uber das Dirigieren). Spater fand es auch 
Aufnahme in die wissenschaftliche Fachsprache (z. B. 
W. Danckerts Begriffe des Aszendenz-, Schwebe- und 
Deszendenz-M.). 

Lit. : Poetae melici Graeci, hrsg. v. D. Page, Oxford 1962; 
R. Westphal, Griech. Harmonik u. Melopoie, in: A. Ross- 
bach u. R. Westphal, Theorie d. musischen Kiinste d. Helle- 
nen II, Lpz. 3 1 886 ; W. Danckert, Ursymbole melodischer 
Gestaltung,Kassell932;H.KoLLER,M.,GlottaXLIII,1965. 

Membran. Die M. gehort zu den zweidimensionalen 
Schwingungssystemen und bildet in dieser Kategorie 
das Gegenstuck zur (eindimensional) schwingenden 
Saite. Beide werden durch eine kiinstlich erzeugte 
Spannung schwingungsfahig. Als M.en eignen sich 
weiche, nachgiebige Stoffe, wie Leder, Pergament, 
Kunststoff oder diinne Metallfolien. Die ideale M. be- 
sitzt (im Gegensatz zur schwingenden Platte) keine 
Elastizitat; an ihre Stelle tritt die kiinstlich durch dau- 
ernde auBere Kraf te erzeugte Spannung (p) . Ihr Schwin- 
gungsverhalten hangt auBer von der Spannung von 
der Dichte (q) des Materials ab, woraus sich fur eine 
allseitig unter gleicher Spannung stehende kreisformi- 
ge M. folgende Beziehung fiir die Ausbreitungsge- 
schwindigkeit (c) von Biegewellen auf ihrer Oberflache 

ergibt: c= ]/— . M.en verschiedener Formen (kreisfor- 

mig-, elliptisch-, quadratisch- oder rechteckig-ebene 
M.en und Konus-M.en) sind Bauelemente in -> Mi- 
krophon und -*■ Lautsprecher. - Kolben-M.en sind 
starre Scheiben, die als Ganzes quer zu ihrer Ebene 
schwingen, ohne sich zu deformieren; es handelt sich 
dabei also nicht um M.en im strengen Sinne. 



Lit.: A. Kalahne, Grundzuged. mathematisch-physikali- 
schen Akustik, 2 Bde, Lpz. u. Bin 1910-13; ders., Schall- 
erzeugung mit mechanischen Mitteln, in: Hdb. d. Physik 
VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. Scheel, Bin 1 927 ; H. Bouasse, 
Cordes et membranes, Paris 1926; F. Trendelenburg, 
Einfuhrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 
31961. 

Membranophone (Fellklinger, von lat. membrana, 
Haut, Pergament, Fell), eine 1880 von V. Ch. Mahillon 
(instruments membranophones) gepragte, von C. Sachs 
und E.M.v.Hornbostel (1913/14) iibernommene Be- 
zeichnung fiir solche Musikinstrumente, bei denen eine 
in Schwingung versetzte gespannte Membran als Ton- 
erzeuger dient. Die Membran kann geschlagen (Trom- 
mel, Pauke), gerieben (-> Reibtrommel) sowie ange- 
sungen werden (-> Mirliton). 

Menestrel (altfrz. auch menestrier, menetrier, von 
spatlat. ministerialis, Dienstmann; span, ministril; ital. 
menestrello; engl. minstrel), in Frankreich im 11. Jh. 
ein Dienstmann, in den f olgenden Jahrhunderten spe- 
ziell ein Musikant oder Sanger, meist niederer Her- 
kunft, der im Dienst eines Adligen stand und neben 
eigenen Liedern auch die seines Herrn vortrug. Durch 
ihre Bindung an ein Dienstverhaltnis unterscheiden 
sich die M.s von den anderen mittelalterlichen -> Spiel- 
leuten (- 1 ; ->• Vaganten, -»■ Jongleur), wenngleich ihre 
soziale Einstufung wie auch ihre Auf gaben nach Lan- 
dern und Zeiten verschieden waren. M.s gab es auch 
in Spanien, Italien, England und in den Niederlanden. 
Auch ihre Abgrenzung gegeniiber den Pfeifern und 
Trompetern ist generell nicht bestimmbar. Seit dem 
friihen 14. Jh. schlossen sich die M.s in groBeren 
Stadten zu gildenartigen Bruderschaften zusammen, 
so in Paris seit 1321 mit eigener Kirche (St-Julien des 
Menetriers), eigenem Spital und einem gewahlten Roi 
des menetriers (spater Roi des violons). In England kam 
cs um 1350 zur Griindung einer Bruderschaft in Lon- 
don und 1381 zur Errichtung eines eigenen Court of 
Minstrels in Tutbury (Staffordshire). Mit dem aus- 
gehenden 16. Jh. verloren sich die M.s in England und 
Schottland als eigener Stand und traten nur noch als 
Dorfmusikanten auf. 

Lit. : B. Bernhard, Recherches sur l'hist. de la corporation 
des menetriers ou joueurs d'instr. de la ville de Paris, in : 
Bibl. del'EcoledesChartes, SerieA.III, 1841/42; E. Van 
der Straeten, Les M. aux Pays-Bas . . ., Briissel 1878; A. 
Vidal, La Chapelle St-Julien-des-M6nestriers . . ., Paris 
1878; W. Grossmann, Fruhmittelengl. Zeugnisse uber 
Minstrels 1100-1400, Diss. Bin 1906; E. Duncan, The 
Story of Minstrelsy, London 1907; H. Angles, Cantors u. 
Ministrers in d. Diensten d. Konige v. Katalonien-Arago- 
nien im 14. Jh., Kgr.-Ber. Basel 1924; ders., Els cantors i 
organistes franco-flamencs . . . , Fs. D. F. Scheurleer, 
's-Gravenhage 1925; ders., La musica en la corte del 
Rey Don Alfonso V de Aragon, in : Span. Forschungen d. 
Gorresges. 1, 8, Miinsteri. W. 1939; ders., Mus. Beziehun- 
gen zwischen Deutschland u. Spanien . . . , Af Mw XVI, 
1959; Fr. Lesure, La communaute des »joueurs d'instr.« 
au XVI e s., Rev. hist, de droit fr?. et etranger XXXI, 1953 ; 
Fr. de P. Baldell6, La musica en la casa de los reyes de 
Aragdn, AM XI, 1956; N. A. Solar-Quintes, Panorama 
mus. desde Felipe III a Carlos II, AM XII, 1957; ders., 
Nuevos documentos sobre ministriles . . . , in : Miscelanea 
en homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; W. Sal- 
men, Der fahrende Musiker im europaischen MA, = Die 
Musik im alten u. neuen Europa IV, Kassel 1960; H. H. 
Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = In- 
diana Univ. Humanities Series XLV, Bloomington 1961. 

Mensur (lat. mensura, MaB; ital. misura; frz. mesure; 
engl. measure), - 1) die fiir ein Instrument charakte- 
ristischen, die Stimmung, den Klangcharakter und die 
Spielweise bestimmenden MaBe oder MaBverhaltnisse. 
Bei der Orgel bezeichnet M. das Verhaltnis der Weite 



559 



Mensuralmusik 

einer (Labial- oder Lingual-)Pfeife zu ihrer Lange, das 
zwischen 1:5 und 1:30 differieren kann und wobei 
zwischen weiter (z. B. Hohlflote), mittlerer (Prinzi- 
pal-) und enger (Gamben-)M. unterschieden wird 
(-> Register - 1). Weite M. ergibt einen weichen, enge 
M. einen scharfen, streichenden Ton, oder (nach 
Werckmeister) : Weite Pfeiffen machen einen pompichten 
volligen Klang j Enge einen lieblichen / und nicht so volli- 
gen Resonans (Erweiterte . . . Orgel-Probe, Quedlinburg 
1698, Register, Cap. 14). Bei besaiteten Klavieren be- 
zeichnet M. die MaBe der gesamten Saitenanlage, d. h. 
die Langen, Durchmesser und die Spannung der Sai- 
ten sowie die Anschlagstellen der Hammer; daneben 
werden als M.en auch die MaBe der Tasten (->■ Manual) 
angesprochen. Beim -> Monochord heiBen M.en die 
Teilungen der Sake; analog hierzu werden bei Saiten- 
instrumenten mit Griffbrett und Biinden als M.en die 
Stellungen der Bunde bezeichnet, bei alien Saitenin- 
strumenten auBerdem die Lange der schwingenden 
Saite vom Sattel bis zum Steg, daneben auch die MaBe 
des Corpus und die Lange desHalses(->Violine,->- Vio- 
loncello - 1, -> Viola -2). Bei Blasinstrumenten gelten 

- neben der M. als dem Verhaltnis der Lange zur Weite 
des Rohrs - auch die MaBe, die die Stellung der Griff- 
(bzw. Ton-)locher festlegen, als M.en. 

- 2) ein Grundbegriff der Mensuralmusik vom 13. bis 
ins 17. Jh., durch den die Geltung der einzelnen Noten- 
werte in der -*■ Mensuralnotation bestimmt wird. Die 
Definition lautet bei Franco von KSln: M.a est habi- 
tudo quantitatem, longitudinem et brevitatem cujuslibet can- 
tus mensurabilis manifestans (ed. Cserba, S. 231), bei 
Tinctoris: Mensura est notarum adaequatio quantum ad 
pronuntiationem (CS IV, 185a). Der Wert der einzelnen 
Note wird durch Beziehung auf die Teilung und Unter- 
teilung der Longa perfecta (->• Perfectio - 2) bestimmt, 
deren verschiedene Arten seit dem 14. Jh. durch M.- 
Zeichen vorgeschrieben werden. In der Hauptsache un- 
terschied man perfekte (3teilige) und impertekte (2tei- 
lige) M. Die M. der Longa hieB -*■ Modus (- 3), die der 
Brevis ->■ Tempus, die der Semibrevis -»■ Prolatio. Im 
Chorgesang wurde die M. auch durch eine sichtbare 
Schlagbewegung mit der Hand oder dem Stock ange- 
zeigt, namlich durch den ->■ Tactus (ital. battuta). Auch 
nach derEntstehung des modernen »Akzentstufentakts« 
(Besseler) um 1600 bleibt M. als Bezeichnung fur die 
Gruppierung der Notenwerte im Takt noch bis ins 
18. Jh. gebrauchlich und hat sich bis heute in franzo- 
sisch mesure (= Takt) erhalten. J. G. Walther erklart M. 
als: der Tact, oder vielmehr: die Ausmessung der Noten 
und Pausen (WaltherL). Mattheson unterscheidet la 
Mesure, die Maqfi, nehmlich der Zeit als dusserliche von 
le Mouvement, die Bewegung als der innerlichen Beschaf- 

fenheit der Zeitmaasse; erstere betrifft die gewohnlichen 
mathematischen Eintheilungen; durch die andre hergegen 
schreibt das Gehor, nach Erfordern der Gemuths-Bewegun- 
gen, gewisse ungewbhnliche Regeln vor, die nicht allemahl 
mit der mathematischen Richtigkeit iibereinkommen, son- 
dern mehr auf den guten Geschmack sehen (Mattheson 
Capellm., S. 171ff.). 

Lit. : zu 1) : Chr. Mahrenholz, Die Berechnung d. Orgel- 
pfeifen-M. . . . , Kassel 1938. - zu 2) : G. SchOnEmann, Zur 
Frage d. Taktschlagens . . ., SIMG X, 1908/09; C. Sachs, 
Rhythm and Tempo, NY 1953; W. Gurlitt, Form in d. 
Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, 
Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse 1954, Nr 13; H. H. 
Eogebrecht, Studien zur mus. Terminologie, ebenda 1955, 
Nr 10; H. Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. 
CIV, 6, 1959. 

Mensuralmusik, die in -»• Mensuralnotation aufge- 
zeichnete, zum Bereich der -> Musica mensurabilis ge- 
horende mehrstimmige Musik des 13.-16. Jh. 



Mensuralnotation (von lat. mensura, MaB, und no- 
ta, Zeichen), die im 13. Jh. ausgebildete Art der Musik- 
aufzeichnung mitUnterscheidung verschiedenerrhyth- 
mischer Werte der Noten durch ihre Form, im Unter- 
schied zur Choralnotation, welche nur die Tonhohe 
anzeigt, sowie zur Modalnotation der Notre-Dame- 
Epoche. Die M. wurde notwendig, als man in der Mo- 
tette des 13. Jh. begann, von dem gleichzeitigen Vor- 
trag derselben Textsilben durch alle Stimmen abzu- 
gehen; dementsprechend fiel - zuerst in den Oberstim- 
men - die Bindung an einen -> Modus (- 2), der in den 
friiheren Motetten nicht durch die Notation ausge- 
driickt, sondern durch den rhythmischen Text gege- 
ben war. Damit verschwanden auch die bei der No- 
tierung melismatischer Partien fur die Modalnotation 
charakteristischen Ketten von Ligaturen. Die M. in 
ihrem voll ausgebildeten Friihstadium wurde zuerst be- 
schrieben bei Franco von Koln (Ars cantus mensurabilis, 
um 1250), dessen Darstellung mit der M. im 7.-8. Fas- 
zikel der -> Quelle Mo iibereinstimmt; deren 2.-6. 
Faszikel, in einer weniger konsequenten (»vorfranco- 
nischen«) M. notiert, stehen der Lehre des Lambertus 
nahe. Die M. des 13. Jh. iibernimmt aus der alteren 
Notation die -> Ligaturen (- 1) sowie die -*■ Plica und 
die ->• Divisio modi (- 2). Franco kennt folgende No- 
ten (ed. Cserba, S. 234) : 

Bezeichnung: Note: Pause: 



Duplex longa 
Longa 
Brevis 
Semibrevis 



3E 



Alle Notenwerte sind auf die Longa perfecta bezogen, 
deren Dauer als -*■ Perfectio (- 2) bezeichnet wird. Die 
Duplex longa ist im Unterschied zu Longa und Brevis 
immer zweizeitig; sie gilt 2 Longae. Die Longa per- 
fecta gilt 3 Tempora; durch eine vor- oder nachgestell- 
te Brevis verliert sie ein Drittel ihres Werts und wird 
zur 2zeitigen Longa imperfecta (-> Imperfektion). Die 
Dauer der Brevis recta, ein Drittel einer Perfectio, be- 
zeichnet Franco auch als Tempus schlechthin (Unum 
tempus appellatur illud, quod est minimum in plenitudine 
vocis; ed. Cserba, S. 236). Sind fur eine Perfectio nur 2 
Breves notiert, so bleibt die erste als Brevis recta un- 
verandert; die zweite wird als Brevis altera im Wert 
verdoppelt (-> Alteration - 1) und gilt dann ebensoviel 
wie eine Longa imperfecta. Fur die Teilung der Brevis 
gelten (mit geringen Abweichungen) die gleichen Re- 
geln wie fur die der Longa: die Brevis besteht grund- 
satzlich aus 3 Semibreves; sind fur ein Tempus nur 2 
Semibreves notiert, so erhalt die erste (Semibrevis mi- 
nor) ein Drittel, die zweite (Semibrevis maior) 2 Drit- 
tel des Gesamtwerts; jedoch kann die Brevis nicht 
durch eine ihr folgende oder vorangehende Semibrevis 
imperfiziert werden. Es ist aber fraglich, ob dieser 
Rhythmus bei der Brevisteilung streng eingehalten 
wurde; neuere Ubertragungen schreiben vielfach die 
Brevis als Viertelnote mit Unterteilung in 3 triolierte 
Achtel oder 2 Achtel. Zweizeitige Teilung aller Noten 
wird angenommen fur die »englische M.« des spaten 
13. und friihen 14. Jh., die die Brevis als ♦, die Semi- 
brevis als /♦ schreibt; zu ihren ->• Quellen gehort ein 
Teil der Fragmente Wore sowie die erste Niederschrift 
des Sommerkanons; in der Musiklehre konnen nur ei- 
nige Hinweise bei Odington (nach dem Manuskript 
zitiert bei Handschin 1949, S. 76) und R. de Handlo 
(CS I, 388f.) auf sie bezogen werden. 



560 



Mensuralnotation 



In der Folge kam es, nicht zuletzt wegen der wieder- 
holten Tempoverbreiterung der Grundwerte, mehr- 
fach zu einer Erweiterung des Franconischen Systems 
durch Hinzufiigung kleinerer Notenwerte. Nachdem 
Petrus de Cruce (um 1300) Teilung der Brevis in bis zu 
9 Semibreves zugelassen hatte, begriindeten Ph. de Vi- 
try und J. de Muris um 1320 die M. der -> Ars nova. 
Sie kennt als kleinste Notenwerte die Minima und Se- 
miminima; die Minima ist - wie auch die Maxima 
(Francos duplex longa) - immer zweizeitig. Bei den 
iibrigen Noten stehen nunmehr 2- und 3zeitige Tei- 
lung gleichrangig nebeneinander. Zu Beginn eines 
Satzes oder Abschnitts zeigen -*■ Mensurzeichen die je- 
weils gewahlte Kombination von Zwei- und Dreizei- 
tigkeit in den 4 Gradus an: Maxima-Longa-Gruppen 
oder Folge von Maximae (modus maior perfectus oder 
imperfectus), 3- oder 2zeitige Longae (modus minor 
perfectus oder imperfectus), Breves (tempus perfec- 
tum oder imperfectum) unci Semibreves (prolatio ma- 
ior oder minor). Voriibergehender Wechsel von Zwei- 
zu Dreizeitigkeit oder umgekehrt wird durch rote 
(oder hohle) Noten angezeigt (-> Color - 1). Die italie- 
nische Musik des friihen Trecentos entwickelte ein eige- 
nes System der M. mit 8 verschiedenen -> Divisiones 
der Brevis, das bei Marchettus de Padua und Pr. de Bel- 
demandis beschrieben ist, aber bereits in den Quellen 
des spateren Trecentos der franzosischen M. weichen 
muBte. Diese war um 1400 gekennzeichnet durch das 
Eindringen einer groBen Zahl neuer Notenformen, die 
eine klare Lesung der durch die verschiedenen Arten der 
-*■ Proportion (- 2) und ->■ Imperfektion uniibersicht- 
lich gewordenen M. erleichtern sollten. Doch blieben 
diese Zeichen, wie z. B. das -> Dragma, vieldeutig; ihre 
Bedeutung muB fiir jede Quelle neu erschlossen wer- 
den. Im 15. Jh. kam es im Zusammenhang mit dem 
Ubergang von Pergament zu Papier als Beschreibstoff 
zum Ersatz der schwarzen gefiillten Noten durch hohle 
(»weiBe«) fiir die Minima und groBere Notenwerte. 
Die halbe Minima wurde fortan bis um 1550 entweder 
ebenf alls als hohle Note, und zwar mit Fahnchen (-> Fu- 
sa), geschrieben oder als schwarze gefiillte Minima ohne 
Fahnchen (-»• Semiminima). Entsprechend schwankt 
auch die Schreibung der kleineren Notenwerte; z. B. 
gibt Schanppecher 1501 folgende Noten- und Pau- 
senzeichen an (ed. Niemoller, S. 3 und 13) : 

Bezeichnung: Note: Pause: 



Maxima 



Longa 

Brevis 
Semibrevis 
Minima 
Semiminima 



Fusa 



Semifusa 



it 



=1 F 



Wie die Noten von der Semiminima an waren auch 
die Pausen von der Fusa abwarts'eine Zeitlang schwan- 
kend, bis endlich hier wie dort die an erster Stelle gege- 
benen Zeichen alleinherrschend wurden. Diese Zeichen 
entsprechen den noch heute iiblichen -»■ Noten und 
Pausen. Die Rundung der Noten war in der gewohn- 
lichen Schrift (jedoch nicht bei den Kalligraphen) 
schon im 15. Jh. iiblich; im Druck wurde sie - abge- 



sehen von vereinzelten Versuchen durch Carpentras 
(1532) und Granjon (1559) - erst gegen 1700 einge- 
fiihrt. Ist demnach die heutige Notenschrift eine Art 
der M., so ist doch die Epoche der M. im engeren Sinne 
um 1 600 mit dem Ubergang zur ausschliefilichen Zwei- 
zeitigkeit aller Notenwerte und zum modemen Takt- 
system abgeschlossen. 

Die M. des 13.-16. Jh., verbunden mit dem Prinzip der 
Einzelstimmennotierung, war zur Ausfiihrung durch 
Sanger oder durch Spieler von Melodieinstrumenten 
bestimmt. Ihr Geltungsbereich war jedoch einge- 
schrankt: Einstimmigkeit wurde teils in Neumen und 
Choralnotation geschrieben, teils zwar mit Zeichen 
der M., aber nur selten mit konsequent mensuraler 
Deutung dieser Zeichen. Fiir Akkordinstrumente gab es 
seit dem 14.-15. Jh. die -> Tabulatur (- 1), fiir Studien- 
zwecke und die Niederschrif t des Komponisten (jeden- 
falls des weniger geiibten) die bisher nur fiir das 16.- 
18. Jh. bflegte -> Tabula compositoria. Hier ermog- 
lichte die Eintragung aller Stimmen in ein Zehnlinien- 
system einen raschen Oberblick iiber die Klangfort- 
schreitungen ; die durchgezogenen Brevistaktstriche 
regten dazu an, groBe Notenwerte und Synkopen so 
aufzulosen, daB jeweils am Taktanfang der Zusam- 
menklang aller Stimmen deutlich sichtbar wurde. Trat 
in derEinzelstimmennotierung der harmonische Aspekt 
eines Satzes nicht zutage, so standen andererseits be- 
stimmte Merkmale der mehrstimmigen Komposition 
des 13.-16. Jh. - wie Mensurschichtung und -wechsel, 
die Anwendung von Proportion, Diminution, Aug- 
mentation, Kanon und Isorhythmie - in engem Zu- 
sammenhang mit der Notation jeder Stimme fiir sich. 
Die Lehre von der M. machte bis ins 15. Jh. den wich- 
tigsten Teil der Theorie der Mehrstimmigkeit aus. 
Daneben erschien die Lehre vom Kontrapunkt erst bei 
Tinctoris als ein Stoffgebiet gleichen Gewichts; im 16. 
Jh. wurde sic cndgiiltig zum Fundament der Kompo- 
sitionslehre, wahrend die Notationskunde, entspre- 
chend auch der zunehmenden Vereinfachung der M., 
zu einer Elementarlehre absank. 

Lit. : H. Bellermann, Die Mensuralnoten u. Taktzeichen 
d. XV. u. XVI. Jh., Bin 1858,.hrsg. v. H. Husmann +1963 
(grundlegend, mit reichem Ubungsmaterial) ; J. Wolf, 
Gesch. d. M. v. 1250-1460, 3 Bde, Lpz. 1904, Nachdruck 
in einem Bd Hildesheim u. Wiesbaden 1965, dazu Fr. Lud- 
wig in : SIMG VI, 1 904/05 ; WolfN ; ApelN. 
Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de musica, hrsg. 
v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw. II, 2, 
Regensburg 1935; Franco v. K6ln, Ars cantus mensura- 
bilis, Ausg. v. E. de Coussemaker nebst 2 hs. Fassungen, 
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl. XV/XVI, Darm- 
stadt 1957; Lambertus (Pseudo-Aristoteles), Tractatus de 
musica, CS I; H. Sowa, Ein anon, glossierter Mensural- 
traktat 1279, = Konigsberger Studien zur Mw. IX, Kassel 
1930; W. Odinoton OSB, De speculatione musices, CS I; 
R. de Handlo, Regulae, CS I; Ph. de Vitry, Ars nova, 
hrsg. v. G. Reaney, A. Gilles u. J. Maillard, = CSM VIII, 
Rom 1 964 ; J. de Muris, Ars novae musicae, GS HI, 294ff . ; 
Libellus practicae cantus mensurabilis secundum J. de Mu- 
ris, CS III; H. Angles, Dos tractats medievals de musica 
figurada, in: Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, Bin 1929; Anon, ex 
cod. vat. lat. 5129, hrsg. v. A. Seay, = CSM IX, Rom 
1964; Marchettus de Padua, Pomerium, hrsg. v. G. Vec- 
chi, ebenda VI, 1961 ; J. Wolf, L'arte del biscanto mi- 
surato secondo el maestro Jacopo da Bologna, Fs. Th. 
Kroyer, Regensburg 1933; anon., Notitia del valore delle 
note . . ., hrsg. v. A. Carapetyan, = CSM V, Rom 1957; 
Pr. de Beldemandis, Tractatus practice de musica men- 
surabili, u. : Tractatus practice de musica mensurabili ad 
modum Italicorum, CS III; Cl. Sartori, La notazione 
ital. del Trecento in una redazione inedita del »Tractatus 
practice cantus mensurabilis ad modum Italicorum« di Pr. 
de Beldemandis, Arch. Romanicum XX, 1936, separat 
Florenz 1938; Guilelmus Monachus, De preceptis artis 
musice . . . , CS III (verbesserte Lesarten bei M. F. Bukof- 



36 



561 



Mensurzeichen 



zer, Gesch. d. engl. Diskants . . ., = Slg mw. Abh. XXI, 
StraBburg 1936), neu hrsg. v. A. Seay, = CSM XI, Rom 
1965 ; J. Tinctoris, Tractatus de notis et pausis, Tractatus 
de regulari valore notarum, Liber imperfectionum nota- 
rum, Tractatus alterationum, Scriptum super punctis mu- 
sicalibus, Proportionale musices, alles in : CS IV ; B. Ra- 
mos de Pareja, Musica practica, Bologna 1482, neu hrsg. 
v. J. Wolf, = BIMG I, 2, Lpz. 1901 ; G. De Podio, Ars mu- 
sicorum, Valencia 1495; ders., In Enchiridion de princi- 
piis musicis . . ., Ms., Abschnitt iiber d. M. hrsg. in: H. 
Angles, La notation mus. espafiola de la segunda mitad del 
s. XV, AM II, 1947; Fr. Gaffori, Practica musice, Mai- 
land 1496, als: Musicae utriusque cantus practica, Brescia 
1497 u. 6.; M. Schanppecher, Musica figurativa (=N. 
Wollick, Opus aureum III-IV), Koln 1501, neu hrsg. v. Kl. 
W. Niemoller, = Beitr. zur rheinischen Mg. L, Koln 1961 ; 
S. Heyden, Musicae, id est Artis canendi libri duo, Niirn- 
berg 1537, als: De arte canendi 2 1540u. 6. ; H. Glareanus, 
Dodekachordon, Basel 1547, deutsch v. P. Bohn, = PGfM, 
Jg. XVI-XVIII, Bd XVI, Lpz. 1888-90. 
G. Jacobsthal, Die Mensuralnotenschrift d. 12. u. 13. Jh., 
Bin 1871 ; H. Riemann, Studien zur Gesch. d. Notenschrift, 
Lpz. 1878; Riemann MTh; A. Pirro, De la notation propor- 
tionelle, La Tribune de St-Gervais I, 1 895 ; E. Praetorius, 
Die Mensuraltheorie d. Fr. Gafurius . . . , = BIMG II, 2, 
Lpz. 1905; A. Chybinski, Teoria mensuralna . . . (»Die 
Mensuraltheorie in d. polnischen Musiklit. d. 1. Halfte d. 
16. Jh.«), Sb. Krakau 1910; W. Belian, Die Mensuraltheo- 
rie in Deutschland um d. Mitte d. 16. Jh., Diss. Bin 1919, 
maschr. ; A. Schering, Takt u. Sinngliederung in d. Musik 
d. 16. Jh., AfMw II, 1919/20; J. Handschin, Die altesten 
Denkmaler mensural notierter Musik in d. Schweiz, AfMw 
V, 1923; ders., The Summer Canon ... I, MD III, 1949; 
A. M. Michalitschke, Zur Frage d. Longa . . . , Zf Mw 
VIII, 1925/26; ders., Studien zur Entstehung . . . d. M., 
ZfMw XII, 1929/30; H. Birtner, Die Probleme d. spatma. 
M. . . ., ZfMw XI, 1928/29; M. F. Bukofzer, »Sumer is 
icumen in«. A Revision, = Univ. of California Publications 
in Music II, 2, Berkeley 1944; ders., Two Mensuration 
Canons, MD II, 1948; Mw. Studienbibl., hrsg. v. Fr. 
Gennrich, I-IV Nieder-Modau 1946-48, seit V/VI Darm- 
stadt u. Langen 1953ff.; A. Briner, Der Wandel d. Musik 
als Zeitkunst, Wien 1955 ; L. A. Dittmer, The Dating and 
the Notation of the Worcester Fragments, MD XI, 1957; 
C. Parrish, The Notation of Medieval Music, London 
1958; K. v. Fischer, Zur Entwicklung d. ital. Trecento- 
Notation, AfMw XVI, 1959; C. Dahlhaus, Zur Theorie 
d. Tactus im 16. Jh., AfMw XVII, 1960; ders., Zur Ent- 
stehung d. modernenTaktsystems im 17. Jh., Af Mw XVIII, 
1961 ; R. M. Hoppin, Notational Licences of G. de Ma- 
chaut, MD XIV, 1960; U. GOnther, Die Anwendung d. 
Diminution in d. Hs. Chantilly 1047, AfMw XVII, 1960; 
dies., Der Gebrauch d. tempus perfectum diminutum in d. 
Hs. Chantilly 1047, ebenda; dies., Die M. d. Ars nova . . . , 
AfMw XIX/XX, 1962/63 ; H. O. Hiekel, Der Madrigal- u. 
Motettentypus in d. Mensurallehre d. M. Praetorius, eben- 
da; S. Gullo, Das Tempo in d. Musik d. 13. u. 14. Jh., 
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden 
Ges. II, 10, Bern (1964). 

Mensurzeichen geben in der -»■ Mensuralnotation 
des 14.-16. Jh. das MaB bzw. den Teilungsmodus der 
Notenwerte an. Fur die Gruppierung der kleineren 
Notenwerte haben sie eine annliche Bedeutung wie 
die moderne Taktvorzeichnung, die sich aus den M. 
entwickelte. Im Unterschied zur modernen Taktvor- 
zeichnung geben die M. jedoch keine Grundlage fur 
die metrische Gliederung eines Satzes. Der Beginn ei- 
ner neuen Zahlzeit wird dadurch ausgezeichnet, daB er 
in der Regel konsonant sein soil. - Die M. erscheinen 
zuerst in Ph. de Vitrys Ars nova (CSM VIII, 24 und 27), 
werden in den Musikhandschrif ten jedoch erst seit Be- 
ginn des 15. Jh. regelmafiig verwendet. Ihre Entstehung 
hangt zusammen mit der Gleichberechtigung von 
Zwei- und Dreiteilung, die eine Neuerung der fran- 
zosischen Ars nova war. Die wichtigsten Zeichen sind 
der Kreis O fur das Tempus perfectum (Brevis = 3 Se- 
mibreves; -*■ Perfectio - 2, -»■ Tempus) und der Halb- 
kreis C fur das Tempus imperfectum (Brevis = 2 Se- 



mibreves). Die -*■ Prolatio wurde zunachst durch 3 
oder 2 Punkte im Tempuszeichen angezeigt (Ars per- 
fecta in musica magistri Ph. de Vitriaco, CS III, 33b) ; im 
15.-16. Jh. gilt der Brauch, die Prolatio maior (Semi- 
brevis = 3 Minimae) durch einen Punkt im Tempus- 
zeichen anzuzeigen, die Prolatio minor (Semibrevis 
= 2 Minimae) dagegen unbezeichnet zu lassen (vgl. Pr. 
de Beldemandis, CS III, 215a). Fur den Modus minor 
perfectus (Longa = 3 Breves) und imperfectus (Longa 



2 Breves) gibt Ph. de Vitry die M. 



und 



an; spater werden sie meist durch Pausen ersetzt, deren 
Gruppierung durch den Modus vorgeschrieben ist (3 
Pausae perfectae fur den Modus maior perfectus cum 
modo minori perfecto, 2 Pausae imperfectae fur den 
Modus maior imperfectus cum modo minori imper- 
fecto usw.). Die gebrauchlichsten M. waren: 

modus minor cum tempore cum prolatione 
03 perfectus perfecto maiori 

03 perfectus perfecto minori 

G3 perfectus imperfecto maiori 

C3 perfectus imperfecto minori 

02 imperfectus perfecto maiori 

02 imperfectus perfecto minori 

G2 imperfectus imperfecto maiori 

C2 imperfectus imperfecto minori 

Menuett (frz. menuet, von menu pas, kleiner Schritt), 
ein Tanz, der seine Urspriinge in einem Volkstanz der 
Provinz Poitou haben soil, als Hoftanz aber erst unter 
Ludwig XIV. eingefiihrt wurde. Das erste M. soil der 
Konig nach der Musik Lullys 1653 getanzt haben. Die- 
ser Paartanz, dessen Figuren hoch stilisiert waren, ver- 
breitete sich rasch una wurde, besonders in Deutsch- 
land, im 18. und beginnenden 19. Jh. am Anfang jedes 
Balles getanzt, nachdem das M. urspriinglich in der 
Nachbarschaft von Gavotte und Courante am SchluB 
stand. Einfache fur den Tanz bestimmte M.e schrieben 
fast alle Komponisten des 18. Jh., auch noch Beetho- 
ven (12 M.e fur einen Maskenball, 1799). Die Beliebt- 
heit des M.s spiegelt sich auch in zahlreichen »menuett- 
artigen« Liedern. - Musikalisch bestahd das M. aus 2 
Teilen im 3/4-Takt, die beide wiederholt wurden und 
je 4 oder 8 Takte umfaBten, eine Taktordnung, die 
(nach Riepel, 1752) unserer Natur . . . eingepflanzet ist. 
Fur die vorklassische und klassische Musik ist es be- 
zeichnend, daB die ->• Komposition im 18. Jh. weitge- 
hend an Hand des M.s gelehrt wurde (Notenbuch fur 
W.A.Mozart 1762; Mozarts Brief an den Vater vom 
14. 5. 1778). So auch exemplifizieren Mattheson (Ca- 
pellm.) die Methoden der Analyse, Riepel (De rhyth- 
mopoeia) die Anfangsgriinde zur musikalischen Setzkunst 
und H. Chr. Koch seine Anleitung zur Composition weit- 
gehend am M. ; nach der Jahrhundertmitte wurde die 
M.-Komposition auch zu einem musikalischen Spiel, 
zu dem u. a. Kirnberger (Der allezeit fertige Polonoisen- 
und Menuettenkomponist, 1757) eine Anweisung schrieb 
(-»■ Aleatorik). - Schon bald nach der mutmaBlichen 
Entstehung wurde das M. als stilisierter Tanz in die 
Suite aufgenommen (um 1670 durch Chambonnieres, 
in Deutschland durch J. H. Schmelzer). In den Klavier- 
suiten von Lebegue (1677) erhielt das M. seinen Platz 
am SchluB der Suite; in Muffats Florilegium (1695-98) 
ist es schon der haufigste Tanz, der auch paarweise auf- 
tritt; nach dem zweiten M. wird das erste wiederholt. 
Diese Anordnung wurde spater als M. und -*■ Trio 
(wegen der urspriinglich meist 3st. Faktur des zweiten 
M.s) zur Regel. Uber das Tempo des friihen M.s gibt 
es widersprechende Aussagen, doch scheint das stili- 
sierte M. langsamer als das Tanz-M. gespielt worden 
zu sein. Neben den Suiten enthalten Serenaden und 
Kassationen bis ins 19. Jh. (Brahms) meist mehrere M.e. 



562 



Messe 



In die -* Symphonie drang es iiber die dreiteilige nea- 
politanische Opernsinf onia (Scarlatti) ein, die miteinem 
tanzartigen,auchM.genanntenSatzim3/8-TaktschloB. 
Die Mannheimer (J. Stamitz) und die Wiener (Monn, 
J. Chr. Wagenseil) Vorklassiker schrieben 4satzige Sym- 
phonien mit langsamem M. ; die Berliner (C.Ph.E. 
Bach) lehnten dagegen den Tanzsatz in der Symphonie 
ab. In der franzosischen Orchestermusik des 18. Jh. fin- 
den sich 4sa'tzige Symphonien mit M. als einem der Mit- 
telsatze, 3satzige mit M. am SchluB oder in der Mitte 
oder ohne M., 2satzige mit oder ohne M. In Haydns 
4satzigen Symphonien und Quartetten bildet das M. 
den 3., seltener den 2. Satz. Mozart wechselt in seinen 
Symphonien zwischen dem 3satzigen Typ ohne M. 
und dem 4satzigen mit M. - Wahrend in der ersten 
Entwicklungsphase das M. in seiner musikalischen Fak- 
tur weitgehend der einfachen Tanzkomposition ver- 
pflichtet blieb, stilisierte Haydn es in Symphonien und 
Quartetten zum spezifisch symphonischen Satz. Bei 
ihm wurden die M.e schneller und gleichzeitig mit 
scherzohaften Elementen durchsetzt. Einige der M.- 
Satze in den 6 Quartetten Hob. Ill, 37-42, nannte 
Haydn -*■ Scherzo, in den Quartetten Hob. Ill, 31-36, 
aber noch M., obwohl sie teilweise (besonders das 
M.o alia zingarese in Hob. Ill, 34) von den Scherzi we- 
nig unterschieden sind. Beethoven bezeichnete den 3. 
Satz der 1. Symphonie noch als M., wenngleich er dem 
Charakter nach ein Scherzo ist. Eine geradlinige Ent- 
wicklung vom M. zum Scherzo ist nicht festzustellen. 
Haydn komponierte nach den Scherzi wieder tanz- 
hafte M.e; bei Beethoven ist schon in den Klaviertrios 
op. 1 der Typ des Scherzos voll ausgebildet, doch 
schrieb er spater wieder langsame M.e (op. 59 Nr 3). 
Mozart behielt in Symphonien und Serenaden weit- 
gehend den Ton des M.s bei; in seinen »Haydn-Quar- 
tetten« verwandelte er die M.e in kleine Sonatensatze 
(K.-V. 464). - Schubert schrieb bis in seine Spatzeit 
in Klaviersonaten und Quartetten M.e neben Scherzi, 
doch seine Tanzkompositionen bevorzugen Deutsche 
Tanze und Landler. Im Laufe des 19. Jh. trat das M. zu- 
riick, lebte aber in der verwandelten Form des lang- 
samen Tempo di Minuetto, das iiber Beethoven und 
die Violinkonzerte W.A.Mozarts bis zu J. Chr. Bachs 
Symphonien zuriickreicht, oder als quasi Minuetto 
(Brahms op. 51 Nr 2) weiter. An die Stelle des M.s tra- 
ten unbezeichnete scherzo- oder landlerartige Satze, 
auch Walzer (Tschaikowsky). Im 20. Jh. griff nicht al- 
lein der Neoklassizismus auf das M. zuriick (Ravel, Pro- 
kofjew), sondern auch Schonberg (Serenade op. 24, Kla- 
viersuite op. 25). 

Lit. : P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 2. Half- 
te d. 17. Jh., StMw VIII, 1921 ; W. Essner, Die Thematik 
d. M. in d. Streichquartetten J. Haydns, Diss. Erlangen 
1923, maschr.; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 
1933, engl. NY 1937 u. London 1938, frz. Paris 1938; M. 
Reimann, Untersuchungen zur Formgesch. d. frz. Kl.- 
Suite, = Kolner Beitr. zur Musikforschung III, Regens- 
burg 1940; H. Goldmann, Das M. in d. deutschen Mg. d. 
17. u. 18. Jh., Diss. Erlangen 1956; I. Herrmann-Benoen, 
Tempobezeichnungen, = Munchner Veroff. zur Mg. I, 
Tutzing 1959; G. Massenkeil, Untersuchungen zum Pro- 
blem d. Symmetrie in d. Instrumentalmusik W. A. Mo- 
zarts, Wiesbaden 1962. HK 

Mese (griech.) -> Systema teleion. 
Messa di voce (m'essa di v'o:tJe, ital.) ist die Be- 
zeichnung fiir eine dynamische Gesangsverzierung bei 
lang ausgehaltenen Noten, die in der Zeit des itaheni- 
schen Belcantos sehr beliebt war. Sie besteht aus einem 
allmahlichen Anschwellen des Tones vom zartesten 
Pianissimo bis zum starksten Fortissimo und aus einem 
entsprechenden Abschwellen bis zur Ausgangsla- 
ge (-=;:=—). Die Beherrschung der M. di v. (nicht 



zu verwechseln mit -*■ mezza voce) war ein Priifstein 
fiir gute Stimmbildung. Die M. di v. wurde auch auf 
Melodieinstrumente ubertragen und als solche von 
Quantz, Tartini u. a. beschrieben. Tartini halt die M. 
di v. fiir unvereinbar mit einem Vibrato, aber in Ver- 
bindung mit einem langen und allmahlich rascher wer- 
denden Triller empfiehlt er eine M. di v. semplice dal 
Piano, al Forte (nur anschwellend). Wohl als erster hat 
D.Mazzocchi (1638) die Bezeichnung M. di v. ver- 
wendet, allerdings nur fiir ein allmahliches Anschwel- 
len der Tonstarke in Verbindung mit einem -> Porta- 
mento bei bestimmten ansteigenden Halbtonschritten; 
er versieht diese Gesangsart mit einem besonderen Zei- 
chen: v . Heute wird das An- und Abschwellen des To- 
nes in der Gesangspadagogik als Grundlage des dyna- 
mischen Vortrags gelehrt. Die Bezeichnung Schwell- 
ton ist hierfiir zutreffender als M. di v., wenn auch 
- stimmtechnisch gesehen - kein groBer Unterschied 
bestehen mag. 

Messanza (ital.) — >- Quodlibet. 

Messe (lat. missa; ital. messa; frz. messe; span, misa; 
engl. mass) ist nach katholischer Lehre die in Gestalt 
eines Mahlopfers vollzogene, sakramentale Vergegen- 
wartigung des Erlosungswirkens Jesu Christi, vor al- 
lem seines Kreuzesopfers. - Das spatlateinische Wort 
missa (Entlassung) bezeichnet als Liturgieterminus nach 
dem Zeugnis Isidors von Sevilla die Entlassung der 
Katechumenen im Rahmen der f ruhchristlichen Opfer- 
feier: Missa tempore sacrificii est, quando catechumeni /oris 
mittuntur . . . (Etymologiae VI, 19, 4). Seit dem Ausgang 
des 4. Jh. - friihestens seit Ambrosius (Epistola XX: 
Migne, Patr. lat. XVI, 995) - findet es sich daneben be- 
reits im heutigen Sinne als Name fiir den MeBgottes- 
dienst. Die Frage, wie das Wort missa (Entlassung) 
zum Namen fiir die Eucharistiefeier wurde, ist noch 
nicht eindeutig geklart worden (vgl. hierzu die Deu- 
tungen von Jungmann und Maurice-Denis-Boulet). - 
Im Unterschied zum Westen blieb in den Kirchen des 
Ostens die liturgische Vielfalt der christlichen Friihzeit 
erhalten. So wird die M. nach byzantinischem Ritus in 
griechischer, slawischer (->- Altslawischer Kirchenge- 
sang) und in anderen Sprachen gefeiert. Wichtige Li- 
turgietypen des Ostens sind fernerhin die koptische 
(-> Koptische Musik), westsyrische und ostsyrische 
Liturgie. Demgegeniiber grundet sich die MeBfeier in 
der Kirche des Westens bis heute auf eine einheitliche 
Ordnung, wenn auch der allgemeinen Forderung des 
2. ->• Vatikanischen Konzils nach »berechtigter Vielfalt 
und Anpassung an die verschiedenen Gemeinschaften, 
Gegenden und V61ker« Rechnung getragen wird (Con- 
stitutio de sacra liturgia vom 4. 12. 1963, Artikel 38). 
Hierbei weicht die bisher fast ausschlieBlich verwende- 
te lateinische Kirchensprache in Messen mit dem Volk 
weithin der jeweiligen Muttersprache (Artikel 36 und 
54; vgl. dazu die Instructio ad exsecutionem constitutionis 
de sacra liturgia recte ordinandam vom 26. 9. 1964, Arti- 
kel 57-59). - Der Begriff M. findet zum Teil auch in 
den Kirchen der Reformation Verwendung. Soweit 
deren Gottesdienst nicht reiner Predigtgottesdienst ist, 
fuBt er in seinen auBeren Formen auf romisch-katholi- 
scher Tradition. 

Die M. ist ihrem Wesen nach eine Feier, welche seit 
alters her in Weiterfiihrung synagogaler Praxis den 
Gesang als integrierenden Bestandteil in sich schlieBt. 
Die nur gelesene M. stellt eine Schwundform der ge- 
schichtlich alteren, gesungenen M. dar. Nach dem 
Grad der Feierlichkeit unterscheidet man im romisch- 
katholischen Ritus (vgl. Instructio de musica sacra et sa- 
cra liturgia vom 3. 9. 1958, cap. I): 1) Missa in cantu: 
a) Missa solemnis = Hochamt (Levitenamt) eines Prie- 



36 » 



563 



Messe 



sters mit Assistenz von 2 oder einem Leviten (Diakon 
und Subdiakon oder nur Diakon), als Missa pontificalis 
das Hochamt (Pontifikalamt) des Bischofs, dem Dia- 
kon und Subdiakon, ein Presbyter assistens und 2 Ka- 
noniker als Ehrendiakone assistieren; b) Missa cantata: 
einf aches Amt ohne Assistenz; 2) Missa lecta (friiher 
audi Missa privata genannt): eine vom Priester nur 
gelesene M., die heute unterEinbeziehung volkssprach- 
licher Gesange und Gebete vielfach als Gemeinschafts- 
oder Betsingmesse gestaltet wird. - Die gesungenen 
Teile der romischen M. bestehen aus den Sologesangen 
des Priesters (oder seiner Assistenz, s. u.), dem Ordi- 
narium missae und dem Proprium missae. Das Ordi- 
narium - nach Ursprung und Funktion Gesang der 
Gemeinde - enthalt 5 feststehende, textlich gleichblei- 
bende Stiicke: -> Kyrie eleison, .-»■ Gloria in excelsis 
Deo, -> Credo in unum Deum, -> Sanctus (mit -> Be- 
nedictus qui venit) und -»■ Agnus Dei. Hingegen um- 
faBt das Proprium missae (unterteilt in ->■ Proprium de 
tempore und -*■ Proprium de Sanctis) die nach den 
Anlassen des Kirchenjahres von Tag zu Tag wechseln- 
den Gesange; sie beziehen sich auf den jeweils beson- 
deren Charakter der Sonn- und Festtage. Bei den 
Propriumsstiicken wird in den wechselweise von So- 
list(en) und Chor vorgetragenen responsorialen Gesan- 
gen eine altere Schicht greifbar. Hierzu gehoren das 
-*■ Graduale (- 1) und das Alleluia (2. und 3. Proprium- 
stiick). Letzteres wird an Tagen der Bufie und Trauer 
durch den ->■ Tractus ersetzt. In diesen Stiicken ist 
der Gesang selbst liturgische Handlung. Die jiingere 
Schicht umfaBt antiphonische, d. h. zwischen 2 Cho- 
ren oder Schola und Chor aufgeteilte Begleitgesange 
zu bestimmten liturgischen Handlungen : die Antipho- 
na ad Introitum mit Psalmvers(en) und kleiner Doxo- 
logie zumEinzug des Priesters (-*■ Introitus, 1. Propri- 
umstiick) ; die Antiphona ad Offertorium zur Gaben- 
bereitung bzw. zum Opfergang (-*■ Offertorium, 4. 
Propriumsstiick) ; die Antiphona ad Communionem, 
heute auch mit Psalmversen und Gloria patri, zum 
Kommuniongang der Glaubigen (-> Communio, 5. 
Propriumsstiick). Ordinarium und Proprium missae 
konnen in lateinischer Sprache sowie in approbierten 
Ubersetzungen gesungen werden. 
AuBerer Aufbau der M. : 1) Wortgottesdienst. Wah- 
rend der Zelebrant mit seiner Assistenz einzieht, tragt 
der Chor den Introitus vor, darauf die Gemeinde im 
Wechsel mit dem Chor (oder dieser allein) den Erbar- 
mensruf Kyrie eleison - Christe eleison - Kyrie eleison, 
anschlieBend (vom Priester intoniert) das Gloria in ex- 
celsis Deo. Der Priester singt die -> Oration (Tagesge- 
bet). Es folgen die Schrif tlesungen : ->■ Epistel (im 
Hochamt vom Subdiakon oder einem Lektor gesun- 
gen ; als Antwortgesang das Graduale mit Alleluia oder 
Tractus, Sequenz) und -»■ Evangelium (im Hochamt 
vom Diakon oder vom Priester selbst gesungen; wer- 
den die Lesungen beim Hochamt in der Muttersprache 
verkiindet, so kann der Vortrag auch ohne Gesang voll- 
zogen werden). Deutung des Schrif twortes ist die Pre- 
digt. Ihr schlieBt sich an Sonn- und Feiertagen das 
Credo an (Intonation durch den Zelebranten). Den 
AbschluB des Wortgottesdienstes bildet die Oratio 
communis (auch Oratio fidelium, im Deutschen meist 
Fiirbitten genannt). 2) Eucharistiefeier. Zur Gabenbe- 
reitung singt der Chor die Antiphona ad Offertorium. 
Hierauf erklingen als Gesang des Priesters die Oratio 
secreta seu super oblata (Gebet iiber die Opfergaben) 
und die -»■ Prafation (Beginn des Canon missae, Eu- 
charistisches Hochgebet), unmittelbar danach das 
Sanctus (Gemeinde oder Chor). Sodann spricht der 
Zelebrant leise die Fortsetzung des Canon missae, wel- 
cher mit der Wandlung (Transsubstantiation, Ver- 



wandlung des Brotes und Weines in das Fleisch und 
Blut Christi) seinen Hohepunkt findet. Das -> Pater 
noster (gesungen vom Priester oder von Gemeinde 
und Priester, auch in der Muttersprache) mit nachfol- 
gendem Gebet Libera nos, welches der Zelebrant (eben- 
so wie die dem Gebet des Herrn vorausgehende Ka- 
nonschluBdoxologie) singt oder laut spricht, leitet 
iiber zum Kommunionteil der M.: nach der Brot- 
brechung singt die Gemeinde bzw. der Chor das Ag- 
nus Dei; die Kommunionausteilung wird von der An- 
tiphona ad Communionem begleitet (Chor). Der Post- 
communio (SchluBgebet) des Priesters folgt die Ent- 
lassung der Gemeinde mit Ite missa est (im Hochamt : 
Diakon) und Segen. 

Die aufkommende Mehrstimmigkeit (->• Organum) 
bemachtigte sich zunachst nur (meist tropierter) Ein- 
zelteile des MeBpropriums und -ordinariums. So ent- 
halt der Mailander Organumtraktat (um 1100) eine 2st. 
Bearbeitung des Kyrietropus Cunctipotens genitor, eben- 
so der Codex Calixtinus (um 1150; -> Quellen). Die li- 
turgische Mehrstimmigkeit der Notre-Dame-Epoche 
konzentrierte sich hinsichtlich der M. wesentlich auf die 
solistischen Teile der responsorialen Gattungen Gra- 
duale und Alleluia, wahrend in der franzosischen Ars 
antiqua des 13. Jh. die MeB- hinter der Motettenkom- 
position ganz zuriicktrat, um dann im 14. Jh., wohl in 
Zusammenhang mit der Constitutio Docta Sanctorum 
(1324/25) des Papstes Johannes XXII. in Avignon, zu- 
nachst in Form mehrstimmiger Ordinariumsstiicke 
wieder hervorzutreten (34 Ordinariumssatze verzeich- 
net z. B. die Hs. Apt, -> Quellen). In England iiberlie- 
fert schon das Winchester-Tropar (WiTr, vor 1050?) 
zahlreiche zweistimmige und meist tropierte Kyrie-, 
Gloria-, (Oster-)Introitus-, Alleluia- und Tractusorga- 
na, und hier setzt sich die Tradition der mehrstimmigen 
Bearbeitung von MeBteilen fort, namentlich in den 2st. 
Ordinariumstropen und Propriumssatzen fiir Marien- 
messen im 11. Faszikel des Codex W\, ferner im Worc- 
Repertoire und im Codex OH (-> Quellen). Erst das 14. 
Jh. bringt Bearbeitungen des vollstandigen Ordina- 
riums: aus der erstenjahrhunderthalfte die 3st. M. von 
Tournai und 1364(?) die 4st. M. von Machaut mit so- 
wohl isorhy thmisch angelegten wie auch nichtisorhy th- 
mischen.vorwiegendsyllabischdeklamierendenSatzen, 
spater die M.n von Barcelona, Toulouse und Besanfon 
(Sorbonne-M.). Um 1400 lassen sich mehrere Typen 
mehrstimmigerOrdinariumssatzeunterscheiden: 1) mo- 
tettische Satze mit liturgischem Tenor-C. f . und zwei 
duettierenden Oberstimmen; 2) C. f .-lose (freie) homo- 
rhythmische Satze mit gleichem Text in alien Stim- 
men; 3) in England wie bei 2), aber mit liturgischem 
Bezug auf eine Choralmelodie; 4) Satze mit Diskant- 
lied-Technik (nach Art des -*■ Kantilenensatzes), frei 
erfunden oder mit Choralkolorierung im Diskant. In 
der 1. Halfte des 15. Jh. entstanden weiterhin zahlreiche 
Einzelsatze (so namentlich von Dufay zwischen etwa 
1420 und 1440), daneben auch Satzpaare (->■ Quellen: 
TuB, BL, Ao, Tr), in England 4teilige MeBordinarien 
(Gloria, Credo, Sanctus, Agnus, z. B. von Dunstable 
und Power). Seit den 1420er Jahren (Missa sine nomine) 
erarbeitete Dufay das vollstandige (5teilige) MeBor- 
dinarium als musikalischen Zyklus. Bahnbrechend war 
seine Missa Caput (wohl um 1440, Kyrie erganzt 1463) : 
der Satz wird nach dem Vorbild der 4st. Motetten- 
komposition durch Hinzufiigung eines Contratenor 
secundus in Tieflage zur Vierstimmigkeit ausgeweitet, 
und alle Satze werden zyklisch verbunden vor allem 
durch gemeinsamen C. f. geistlicher oder weltlicher 
Herkunft (wohl ein von den Englandern iibernom- 
menes Prinzip), daneben durch gemeinsames Anfangs- 
motiv der Oberstimmen. Die »Tenor-M.« wurde un- 



564 



Messe 



ter zunehmender Vokalisierung der Stimmen fortge- 
setzt von Ockeghem, Obrecht, Josquin, de la Rue, 
Isaac u. a., und es entfaltete sich nach 1450 jene neue 
Art, bei der die vorgegebene Tenormelodie audi die 
kontrapunktierenden Stimmen durchdringt (schon in 
Dufays spater Missa Ave regina caelorum) bis hin zu be- 
tonter Gleichberechtigung aller Stimmen, die in 
»durchimitierender« Art an der vorgegebenen Melo- 
diesubstanz teilhaben (Josquin, Missa Pange lingua). 
Isaacs Missa carminum, eine Lied-M., zeichnet sich 
durch Verwendung deutscher Liedweisen aus. Ein 
weiterer Schritt ist die freie polyphone M., die auf jeg- 
liche Verarbeitung vorgegebener Melodiesubstanz ver- 
zichtet (Ockeghems spate Missa Mi-mi). Die auf Jos- 
quin folgende MeBkomposition fiihrt im wesentlichen 
diese Typen weiter; im Mittelpunkt stehenjetzt die Te- 
nor-(C. f.-)M., zuweilen sechsstimmig mit vier freien 
Stimmen zum C. f.-Kanon, und die frei angelegte M. 
bei Mouton, Brumel, Senfl, A. Agricola, H. Finck, 
Richafort, Clemens non Papa, Gombert, Willaert, Pa- 
lestrina, Ph. de Monte, Lassus. Daneben entstand die 
->■ Parodie-M. Die gegenreformatorische Bewegung 
des -»■ Tridentiner Konzils (nach 1550) verbot M.n 
mit weltlichen Vorlagen, besonders die Tenor-M.n 
mit vulgarem C. f . - Seit dem ausgehenden Mittelalter 
ist die mehrstimmige Komposition des Proprium mis- 
sae geschichtlich von geringerer Bedeutung. In einem 
seiner fruhen Mefizyklen fafit Dufay Proprium und 
Ordinarium in einer Plenar-M. zusammen (Missa 
Sancti Jacobi, um 1427). Bedeutende mehrstimmige 
Proprien schuf H.Isaac mit seinem vom Konstanzer 
Domkapitel bestellten, 1507-09 geschriebenen 4st. 
Choralis Constantinus (gedruckt in 3 Banden, unter 
Hinzufiigung von Satzen Senfls, Niirnberg 1550-55); 
auf die anonyme Propriensammlung Contrapunctus . . . 
super piano cantu missarum solemnium totius anni (Lyon 
1528, 3 S'atze sind von Layolle) folgen 1538-45 drei 
Sammeldrucke Rhaws, in denen einzelne Propriums- 
satze verschiedener Meister zu Zyklen zusammenge- 
stellt sind. Weitere Propriumssammlungen von katho- 
lischen und protestantischen Komponisten sind bis um 
1600 nachzuweisen (Chr.Erbach, 1604-06). Dagegen 
setzte sich seit Palestrina und Lassus das Verf ahren durch, 
Vertonungen einzelner Propriumsstiicke (vor allem des 
Offertoriums und des Introitus) f iir das ganze Kirchen- 
jahr gesammelt zu veroffentlichen. 
G.Gabrieli iibertrug 1597 die venezianische Doppel- 
chorigkeit sowie den instrumental begleiteten Solo- 
gesang, mithin den concertierenden Stil, auf die M. Ab 
1600 lassen sich zwei Stilarten unterscheiden, einer- 
seits concertierende M.n, entweder fur Vokalsolisten 
mit GeneralbaBbegleitung oder im mehrchorigen Satz, 
auch in Kombination beider Satzarten und mit Instru- 
menten, andererseits die an der polyphonen Tradition 
orientierte M. im kontrapunktischen Stilus gravis 
fur die Capella (d. h. fur einen Sangerchor). AuBer- 
dem gibt es M.n im Stilus mixtus. Monteverdi kom- 
ponierte fiir seine Messa a 4 da capella (1641), die iiber 
den motettischen Stil hinaus von Errungenschaften des 
Madrigals durchdrungen ist, Ersatzstiicke in concertie- 
render Art. Das Nebeneinander von »altem« und 
»neuem« Stil laBt sich noch bis ins 18. Jh. verfolgen. 
Als erstes Werk der solistisch concertierenden M. gilt 
die Missa dominicalis von Viadana (II. Buch der Con- 
cetti ecclesiastici, 1607), doch blieb dieses relativ an- 
spruchslose Werk, das iiber die Choralmelodien fiir 
die gewohnlichen Sonntage komponiert ist, hinsicht- 
lich seiner Besetzung fiir Tenor-(= Bariton-)Solo und 
GeneralbaB innerhalb der MeBkomposition ein Einzel- 
fall. Der Terminus Missa concertata begegnet seit 1610 
fiir Werke mit mehreren solistisch behandelten Stim- 



men und Gb. Mehrchorige M.n kpmponierten nach 
G.Gabrieli vor allem A. Grandi (1636) und T.Merula; 
auch Carissimi schrieb meist mehrchorig, daneben 
aber auch Parodie-M.n und C. f.-M.n. M.n im Stilus 
mixtus komponierten Frescobaldi, A.Melani u. a. In 
Deutschland entstanden l-3chorige M.n (a cappella 
mit Gb. ad libitum) von J. Stadlmayer sowie dessen 
Missae concertatae. Im 17. Jh. begegnen zahlreiche hand- 
schriftliche und gedruckte Sammelwerke, in denen 
M.n im »alten« und »neuen« Stil nebeneinanderstehen. 
Fux (Gradus ad Parnassum, 1725) wiirdigt und gliedert 
den »gemischten Stil« je nach den Gewichtsverhaltnis- 
sen, die alter und neuer Stil einnehmen. Er komponier- 
te iiber 50 M.n (kontrapunktische Chor-M.n und kon- 
zertierende M.n). Hatte unter den musikalischen For- 
men um 1500 die mehrstimmige M. den ersten Rang 
eingenommen, so tritt sie seit dem Ende des 16. Jh., da 
der neue-Stil vorwiegend in Motette und Madrigal sich 
auspragte, in ihrer historischen Bedeutung zuriick, 
wahrend die mehrchorige M. zu gewaltigen AusmaBen 
sich steigerte (Benevolis Salzburger Domweih-M. von 
1628 zu 52 St., von der sogar eine 12chorige Fassung 
iiberliefert ist). Nebenher entstanden Kurz-M.n (schon 
bei Palestrina und G.Gabrieli) und Parodie-M.n iiber 
Weihnachtslieder; als Titel erscheint »Missa pastorale« 
zuerst bei G. Ziretti. »Pastoral«-M.n schrieben Durante, 
Pitoni, Zelenka, Abbe Vogler, M.Haydn und dessen 
Schiiler A. Diabelli. Der Neapolitaner A. Scarlatti f iihr- 
te die Arie in die M. ein; ihm folgten u. a. L.Vinci, 
Leo, Durante. Einwirkungen der Oper zeigen auch die 
M.n von Pergolesi, Jommelli, Lotti und Caldara (etwa 
60 M.n) ; ihnen folgten u. a. Holzbauer (23 M.n) und 
Tuma (53 M.n). - Von den Meistern der Wiener Klas- 
sik schrieb J.Haydn 14 Orchester-M.n, zudem die kan- 
tatenartige Caecilien-M. (1782); er fand zu einem 
eigenen Stil besonders in seinen 6 spaten M.n, in de- 
nen anstelle der Arie das Soloquartett tritt (Heilig-M., 
1796; Pauken-M., 1796; Nelson-M., 1798; Theresien- 
M., 1799; Schopfungs-M., 1801; Harmonie-M., 1802). 
- Von Mozart sind 19 M.n iiberliefert; er war in seiner 
Salzburger Zeit zur Komposition von Kurz-M.n ge- 
notigt, weil auf f iirstbischofliche Weisung hin die MeB- 
feier, auch beim Hochamt, 45 Minuten nicht iiber- 
schreiten durfte. Aus Mozarts Wiener Zeit stammen 
die groBangelegten M.n mit Choren Und Koloratur- 
arien, wie die Kronungs-M., K.-V. 317 (1779), und die 
M.n C dur, K.-V. 337 (1780), und C moll, K.-V. 427 
(1782). -Beethoven schrieb 2 grofie M.n; 1807 entstand 
die M. in C dur, 1819-23 die Missa solemnis fiir 4 Solo- 
St, Chor, Orch. und Org. in D dur. Dieses Spatwerk 
mit seinen ausladenden kontrapunktischen und breiten 
symphonischen Abschnitten, urspriinglich als -*■ Fest- 
musik bestimmt, sprengt den Rahmen der Liturgie und 
legt eine konzertmaBige Auffiihrung nahe. In Frank- 
reich schrieb Cherubini 11 musikalisch gewichtige 
symphonische M.n. C. M. v.Webers fiir Dresden ge- 
schriebene M.n Es dur (1802) und G dur (1819, Jubel- 
M. zum 50. Hochzeitstag des Konigs von Sachsen) zei- 
gen einen dramatischen Grundzug und haben Anre- 
gungen seines Lehrers Abbe Vogler aufgenommen. 
Von Schuberts 6 M.n sind die vier fruhen (F dur, D 105, 
1814; G dur, D 167, 1815; B dur, D 324, 1815; C dur, 
D452, 1816) fiir die Liechtentaler Kirche geschrieben; 
von groBer Bedeutung sind die beiden groBen M.n 
As dur (D 678, 1819-22) und Es dur (D 950, 1828). 
Liszt schrieb 3 symphonisch angelegte M.n, eine fiir 
Mannerchor (1848, 2. Fassung 1869), die musikalisch 
prunkvolle Graner M. (1855) und die M. zur Kronung 
von Franz Joseph II. zum ungarischen Konig (1867) ; 
seine Missa choralis (1865) bringt eine Ruckwendung 
zum schlichteren Satz, zuEinstimmigkeit und Orgelbe- 



565 



Messe 



gleitung. Liszt bekennt in spatromantischer Haltung, 
die Kirchenmusik sei weihevoll, stark und wirksam, 
sie vereinige in kolossalen Verhaltnissen Theater und 
Kirche, sie sei zugleich dramatisch und heilig, pracht- 
entfaltend und einfach (Uber zukiinftige Kirchenmusik, 
1834). In seinen friihen M.n verfahrt Bruckner traditio- 
nell (C dur, 1842; Choral-M. fiir vierstimmigen ge- 
mischten Chor und Org. auf den Griindonnerstag, 
1844; Missa sokmnis, 1854). Bruckners spate M.n sind 
ein Gipfel der symphonischen MeBkomposition, in- 
dem sie a cappella-Stil und Symphonik verschmelzen 
(D moll, 1864; E moll, 1866; F moll, 1868). Unter den 
groBen Musikern Frankreichs folgen Gounod (M. so- 
lennelle, 1855; M.funebre fiir 4 Singst. und Org., 1883), 
Saint-Saens (1856) und C.Franck (2 M.n fiir Solo-St. 
und Org., 1858 und 1860). Die vom Caecilienverein 
(->■ Caecilianismus) getragenen Bestrebungen zur Pfle- 
ge der kirchlichen a cappella-Musik des 16. Jh. standen 
der Instrumental-M. ablehnend gegeniiber. - Die Mefi- 
komposition der neueren Zeit, so besonders die unter 
dem Eindruck der M. von G. de Machaut von Stra- 
winsky (1948) komponierte M. fiir Chor und Blaser 
(nach dem Vorbild der ostlichen Kirchenmusik ohne 
Orgel), erstrebt, wenngleich ihrer Herkunft nach nicht 
liturgisch, mit artistischen Mitteln den Eindruck des 
Dogmatischen und Entpersonlichten. Aus dem 19. Jh. 
sind noch zu nennen Fr.Kiel mit seiner Missa solemnis 
(1867, komponiert 1865) sowie die Grofie M. von F. 
Draeseke (1891) und dessen a cappella-M. (1909). Ja- 
naceks »Glagolitische M.« (1926) gehort zu den be- 
deutenden Werken. Die jiingste Vergangenheit brach- 
te zahlreiche Versuche, auch in der gesungenen M. des 
katholischen Ritus wieder die Gemeinde zu Wort kom- 
men zu lassen: entweder durch die Wiederbelebung 
des Volkschorals (wahrend der Chor das Proprium 
missae mehrstimmig singt) oder durch Ordinariums- 
vertonungen, die im Wechsel von Chor und Gemein- 
de gesungen werden (alternatim-M.n, z. B. von H. 
Schroeder, E. Tittel, J. Gelineau) . 
Fiir die evangelische M. hat -*■ Luther 3 Losungen vor- 
geschlagen: die im Text von Opfer- und Werkheilig- 
keit gereinigte lateinische Missa (alternatim mit Or- 
gel), die deutscheLied-M. sowie die deutsche Ubertra- 
gung der lateinischen MeBgesange. Schon in den ersten 
Jahren der Reformation waren vereinzelte deutsche 
M.n entstanden, so in Niirnberg, Reutlingen, Pforz- 
heim, Wertheim, StraBburg. Luther, der diese M.n 
und vor allem die der »Schwarmer« Karlstadt (1521/22 
fiir Wittenberg) und Th.Miintzer (1524 fiir Alstedt) 
zum Teil nicht billigte, sah sich dadurch zur Ausarbei- 
tung seiner eigenen Formula missae (1525) und dem zu- 
sammen mit C. Rupsch und J. Walter ausgearbeiteten 
Entwurf einer Deudschen M. (Wittenberg 1526) veran- 
laBt. Doch begegnete er dieser Aufgabe mit Zuriick- 
haltung, zumal er seine Reformvorschlage nicht als 
bindende Form betrachtete. Er lieB alles fallen, was mit 
dem Opferakt des Priesters zusammenhing, vor allem 
den Canon missae. Andere Stiicke der M. ersetzte er 
durch Psalmlieder in der Muttersprache, wahrend das 
3malige griechische Kyrie allgemein beibehalten wur- 
de. Indem Luther das Sakrament nur als eine andere 
Form des Wortes Gottes ansah und deshalb mit der 
Predigt die Botschaf t des Evangeliums in den Mittel- 
punkt der M. riickte, wurde aus dem romischen Opfer- 
gottesdienst ein das Evangelium verkiindigender Pre- 
digtgottesdienst mit anscMieBender Abendmahlsfeier. 
- Das MeBrepertoire der mehrstimmigen evangeli- 
schen Kirchenmusik bestand aus Vertonungen des ro- 
mischen Ordinarium missae (lateinisch oder in deutscher 
Ubersetzung) und schloB auch Werke katholischer 
Komponisten ein. Das zeigt sich schon in den beiden 

566 



groBen Niirnberger Sammlungen von 1539 (Liber 
quindecim missarum, Petrejus; Missae tredecim, Form- 
schneyder) sowie dem Wittenberger Opus decern mis- 
sarum Rhaws von 1541, das Kurz- und Lied-M.n u. a. 
von Isaac und Senfl enthalt. Die groBen deutschen 
Meister standen von jeher der M. als GroBform relativ 
fern. Der lutherische Gottesdienst hielt zwar bis ins 
18. Jh. an der M. oder der aus Kyrie und Gloria be- 
stehenden Kurz-M. fest, doch fiihrte die Verlagerung 
des Schwergewichts auf die Predigt und die Verlesung 
von Epistel und Evangelium zur Bevorzugung anderer 
Kompositionsgattungen : der Motette (zumeist auf 
biblischen Text), spater des Geistlichen Konzerts und 
der predigthaften Kirchenkantate, die J.S.Bach als 
»Hauptmusic« im Gottesdienst bezeichnete. - Im 17. 
Jh. entstanden zahlreiche M.n von evangelischen Kom- 
ponisten im figuralen und im neuen concertierenden 
Stil, auch im Stilus mixtus, der Altes und Neues zu- 
sammenfafite. M. Praetorius schrieb eine Teutsche Mis- 
sa (in Polyhymnia caduceatrix et panegyrica, 1619, Nr 38) 
aus Ordinariumsliedern und concertierende M.n, Selle 
einige M.n alten Stils und eine 9st. Missa concertata. 
Weitere M.n sind iiberliefert z. B. von J.R. Ahle, Ca- 
pricornus, dem Schiitz-Schuler Bernhard, Kniipfer, 
Rosenmiiller, Theile (Missa juxta veterum contrapuncti 
stylum), Buxtehude, Pohle (iiber deutsche Kirchenlie- 
der), J.Ph.Krieger, Schieferdecker, Schelle, Thieme, 
Erlebach, Buttstedt, J. Fr. Fasch (1730), Stolzel und C. 
Fr.Fasch (16st. M.). Von J.S.Bach sind 4 Kurz-M.n, 4 
Sanctuskompositionen, eine Bearbeitung einer M. von 
Palestrina sowie seine spater so genannte Messe in H 
moll erhalten. Diese beriihmte M. setzt sich aus vier 
selbstandigen, auch handschriftlich gesondert iiberlie- 
ferten Werken zusammen, denen Bach keinen gemein- 
samen Titel gegeben hat: einer »Missa«, d. h. einer nur 
aus Kyrie und Gloria bestehenden evangelischen Kurz- 
M. (Missa brevis), einem Symbolum Nicaenum (Cre- 
do), einem Sanctus sowie einer Parodierung der Texte 
Osanna, Benedictus, Agnus Dei, Dona nobis pacem. 
Ihrer Form nach ist Bachs so genannte M. in H moll 
unromisch und innerhalb der katholischen Mefiliturgie 
nicht verwendbar (vgl. die grundlegende Untersuchung 
von Fr. Smend im Kritischen Bericht zur Neuen Aus- 
gabe samtlicher Werke Bachs, Serie 2, Bd I, 1956). - 
Stilistisch verschiedenartig sind die neueren M.n, die 
im Zeichen der Wiederbelebung der alten Chor-M.n 
stehen, u. a. von J. N. David, Moeschinger, Pepping, 
A.Brunner, Burkhard, K.Thomas, Borris, Collum. 
Neubelebungen der 1st. M. werden in der evangeli- 
schen Kirche von der Alpirsbacher Bewegung und von 
dem Kreis der Berneuchner unternommen. Eine ein- 
stimmige unbegleitete M. fiir Singstimmen schrieb H. 
Erpf (1926). Die altkatholische M., wie sie seit etwa 
80 Jahren in Deutschland und der Schweiz gefeiert 
wird, ist eine romische M. in deutscher Sprache. -Eine 
geschichtlich wichtige Sonderform der M. ist die 
-»■ Orgelmesse. 

Lit. : A. Schnerich, Der Messentypus v. Haydn bis Schu- 
bert, Wien 1 892, erweitert als : M. u. Requiem seit Haydn u. 
Mozart, Wien u. Lpz. 1909 ; ders., Zur Chronologie d. M. 
Haydns, ZfMw XVII, 1935; G. Eisenring, Zur Gesch. d. 
mehrst. Proprium Missae bis urn 1560, = Veroff. d. Gre- 
gorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz VII, Diissel- 
dorf (1913); P. Wagner, Gesch. d. M. I = Kleine Hdb. d. 
Mg. nach Gattungen XI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildes- 
heim 1963 ; G. Adler, Zur Gesch. d. Wiener Messenkom- 
position in d. 2. Halfte d. 17. Jh., StMw IV, 1916; Fr. Lud- 
wig, Die mehrst. M.d. 14.Jh.,AfMwVII, 1925;J.Schmidt- 
Gorg, 4 Parodie-M. d. 16. Jh., KmJb XXV, 1930; L. Ei- 
senhofer, Hdb. d. kath. Liturgik II, Freiburg i. Br. 1933, 
2 1941 ; H.-A. Sander, Ital. Messenkompositionen d. 17. Jh. 
aus d. Breslauer Slg d. D. Sartorius, Diss. Breslau 1934; 
E. Schild, Gesch. d. protestantischen Messenkompositio- 



Metronom 



nen d. 17. u. 18. Jh., Diss. GieBen 1934; K. G. Fellerer, 
Zur deutschen Singm. d. 18./19. Jh., KmJb XXXI, 1936 - 
XXXIII, 1938; ders., Die M. Ihreraus. Gestalt v. MA bis 
zur Gegenwart, Dortmund 195 1 ; W. Schulze, Die mehrst. 
M. im friihprotestantischen Gottesdienst, = Kieler Beitr. 
zur Mw. VIII, Wolfenbiittel 1940; A. A. Dimpfl, Die Pa- 
storalm., Diss. Erlangen 1945, maschr. ; A. Piovesan, La 
messa nella musica dalle origini al nostro tempo, Turin 
1949; A. Fortescue, The Mass . . ., NY 1950; R. B. Le- 
naerts, The 16 lll -Cent. Parody Mass in the Netherlands, 
MQ XXXVI, 1950; W. Lipphardt, Die Gesch. d. mehrst. 
Proprium Missae, Heidelberg 1950; H. Harder, Die M. v. 
Toulouse, MD VII, 1953; dies. (Stablein-Harder), Four- 
teenth-Cent. Mass Music in France, = MSD VII, Rom 
1962; Thr. G. Georoiades, Musik u. Sprache. Das Wer- 
den d. abendlandischen Musik, dargestellt an d. Vertonung 
d. M., = Verstandliche Wiss. L, Bin, Gottingen u. Heidel- 
berg 1954; L. Schrade, A 14 lll -Cent. Parody Mass, AMI 
XXVII, 1955 ; ders., The Cycle of the Ordinarium Missae, 
in: In memoriam J. Handschin, StraBburg 1962; R. Jack- 
son, Mus. Interrelations Between Fourteenth Cent. Mass 
Movements, AMI XXIX, 1 957 ; E. B. Warren, The Masses 
of Fayrfax, MD XII, 1958; J. A. Junomann SJ, Missarum 
Sollemnia, 2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962; 
A. Adrio, Die Komposition d. Ordinarium Missae in d. 
ev. Kirchenmusik d. Gegenwart, Fs. Fr. Blume, Kassel 
1963 ; N. Maurice-Denis-Boulet, Allgemeine Einfiihrung 
in d. Liturgie d. M., in: Hdb. d. Liturgiewiss. I, hrsg. v. 
A.-G. Martimort, Freiburg i. Br., Basel u. Wien (1963); 
E. Sparks, C. f. in the Mass and Motet, 1420-1 520, Berke- 
ley u. Los Angeles 1963 ; K. v. Fischer, Neue Quellen zum 
einst. Ordinariumszyklus d. 14. u. 15. Jh. aus Italien, in: 
Liber Amicorum, Fs. Ch. Van den Borren, Antwerpen 
1964; R. Hoppin, Reflections on the Origin of the Cyclic 
Mass, ebenda; Ph. Gossett, Techniques of Unification in 
Early Cyclic Masses and Mass Pairs, JAMS XIX, 1966. 

Metabasis (griech. ; lat. transgressio, das Oberschrei- 
ten), in der Kompositionslehre des 18. Jh. (Vogt 1719, 
SpieB 1745) eine musikalische Figur, die offenbar in 
Analogie zu ihrer Bedeutung in der Rhetorik (Wechsel 
der Anrede, des Gegenstandes, Themas) verstanden 
wird als das wechselseitige Sich-Ubersteigen zweier 
oder mehrerer Stimmen. 

Metabole (griech. uxrapoXr), Veranderung), in der 
griechischen Musiktheorie Bezeichnung des Wechsels, 
des Ubergangs. Rhythmisch wurden zwei Arten der 
M. unterschieden (Tempo, VersfuB), »harmonisch« 
vier (Tongeschlecht, System, Tonart, Melopoie; bis- 
weilen auch Stimmlage und Ethos). Martianus Capella 
iibersetzt m. mit transitus (§ 964) und Remi d'Auxerres 
verdeutlicht diese Ubersetzung durch permutatio, 
commutatio (GS I, 78b). -> Mutation (- 2). 
Lit. : W. Vetter, Artikel M. in : Pauly-Wissowa RE XXX, 
1932, Sp. 1313-16. 

Metalepsis (griech., Vertauschung), in der Kompo- 
sitionslehre des 17. Jh. eine auf die Musik ubertragene 
Bezeichnung einer rhetorischen Figur. Die rhetorische 
M. ist gegeben, wenn das Folgende nur in Verbindung 
mit dem Vorausgegangenen zu verstehen ist (oder um- 
gekehrt). In dem von Burmeister (Musica poetica, 1606) 
angefiihrten 5st. Beispiel (Lassus, GA VII, S. 38) wer- 
den zu Beginn die Worte De ore prudentis von nur 3 
Stimmen, anschlieBend die folgenden Worte procedit 
mel von alien Stimmen imitierend vorgetragen, so daB 
2 Stimmen textlich nur aus den vorausgegangenen 
anderen Stimmen zu verstehen sind. Burmeisters Er- 
klarung nimmt jedoch nicht auf die genannte Bedeu- 
tung der rhetorischen M. Bezug, sondern beschreibt 
sie als Fuga mit 2 Soggetti. 

Metallophon, - 1) instrumentenkundliche Gattungs- 
bezeichnung fur ein -> Idiophon aus Metall (z. B. 
Klappern, Becken, Gong, Triangel, Glocke, Celesta 
u. a.). M.e sind wesentlicher Bestandteil der verschie- 
denen indonesischen Gamelanarten (Bonang, Gender, 



Gong) ; - 2) im engeren Sinne Sammelbegriff f iir Me- 
tallstab- oder Stahl(platten)spiele, die in ihrer Form auf 
das xylophonahnliche Glockenspiel zuriickgehen. Im 
modernen Schlagzeug ist das M. ein in der Form dem 
Vibraphon ahnliches Instrument (mit Resonanzrohren, 
jedoch ohne Vibrato vorrichtung). 

Metamorphosen (griech., Verwandlungen), Titel 
eines Zyklus von Fabeln des romischen Dichters Ovid, 
deren Inhalt Dittersdorf 12 Symphonien (1785) als li- 
terarisches Programm zugrunde legte. Dagegen deu- 
tet Hindemith mit dem Titel Sinfonische M. tiber The- 
men von C. M. v. Weber (1943) an, daB er das themati- 
sche Material in »verwandelter« Gestalt ubemimmt, im 
Unterschied zur traditionellen Technik der Variation 
uber vorgegebene Themen. Ahnlich, auf die themati- 
sche Verarbeitung bezogen, gebraucht auch R. Strauss 
(1946) die Bezeichnung M. als Werktitel. 
Lit. : W. Brennecke, Die M.-Werke v. R. Strauss u. P. 
Hindemith, in : H. Albrecht in memoriam, Kassel 1962. 

Metrik (von griech. [texv?]] (/.erpixY) iiber lat. [ars] me- 
trica), - 1) Verslehre (-»■ Metrum - 1). - 2) Musikalische 
M. ist die Lehre vom ZusammenschluB gleichgroBer 
Zeitteile (Zahlzeiten, Takte) zu musikalisch relevanten 
Einheiten hoherer Ordnung (-> Takt, -*■ Metrum - 3). 

Metronom (Neubildung aus griech. uixpov, hier 
s. v. w. Takt, und v6u,oc;, Gesetz, Regel), als Wort und 
Sache belegt seit E. Loulie 1696, in der heute verbreite- 
ten Konstruktion ein 1816 von J.N. -»• Malzel (Metro- 
nom Malzel, Abk. : M. M.) in Paris zum. Patent ange- 
meldetes Uhrwerk, das ein aufrechtstehendes Pendel 
mit verschiebbarem Gewicht antreibt. Auf einer Skala 
kann das Pendel fur 40 bis 208 Schlage in der Minute 
eingestellt werden. Der Ausschlag ist sichtbar und hor- 
bar; das Gehause wirkt als Resonator. Manche M.e 
haben ein Lautewerk, das zu bestimmten Takten, dem 
2., 3. oder auch 6. und 8., einen Glockenschlag gibt. Das 
M. dient zur Festlegung des Tempos, in dem der Kom- 
ponist, Herausgeber oder Spieler das Werk ausgefiihrt 
wissen will, wobei angegeben wird, auf welchen No- 
tenwert sich die Angabebezieht (z. B. M.M. J = 120). 
Haufig wird das M. dazu verwendet, den Spieler zum 
genauen Einhalten des Tempos zu erziehen, wie es 
schon Mace 1676 mit einem Fadenpendel erreichen 
wollte. Angaben in M.M. gab als erster Beethoven in 
einigen seiner spaten Werke (Sonate op. 106, 9. Sym- 
phonic). Spater verwendeten das M. u. a. Schumann, 
Reger, Debussy, Ravel, Strawinsky. Brahms und 
Wagner sprachen sich gegen das M. aus. Reger (Fuge 
D dur op. 59; Fuge B-A-C-H op. 46) und Pepping 
(Toccata Mitten wir im Leben sind) haben versucht, mit 
M.-Zahlen Hinweise fur die Agogik zu geben. M.e 
verschiedener Konstruktion erfanden vor Malzel u. a. : 
J.Sauveur (1701), J. G. E. Stockel (1796), G.Weber 
(1813). Moderne Ausfuhrungen sind das Taschenuhr- 
M., das Blink-M. und elektrische M.e. Ein Musikchro- 
nometer, besonders f iir die Kombination von Biihnen- 
und Filmszenen, konstruierte 1926 C.R.Blum. 
Lit. : Th. Mace, Musick's Monument, London 1676, Faks. 
Paris 1958; E. Loulie, Elements ou principes de musique 
. . . , Paris 1696; G. Weber, Ueber chronometrische Tem- 
pobezeichnung, Mainz 1817; O. Baensch, Zur neunten 
Symphonie, Neues Beethoven-Jb. II, 1925; C. R. Blum, 
Das Musik-Chronometer . . ., Lpz. 1926; E. Borrel, Les 
indications metronomiques laissees par les auteurs frc. du 
XVIP et XVIII" s., Rev. de Musicol. XII, 1928; R. Kirk- 
patrick, Eighteenth-Cent. Metronomical Indications, 
Kgr.-Ber. NY 1938 ; H. Beck, Bemerkungen zu Beethovens 
Tempi, Beethoven-Jb. HI, 1955/56; W. Gerstenberg, Au- 
thentische Tempi f . Mozarts »Don Giovanni« ?, Mozart- 
Jb. 1960/61 ; D. Kamper, Zur Frage d. Metronombezeich- 
nungen R. Schumanns, AfMwXXI, 1964. 



567 



Metrum 



Metrum (latinisierte Form von griech. uiTpov, MaG). 
- 1) M. als Terminus der Verslehre wird in verschiede- 
nem Sinne gebraucht. Heute ist unter M. gewohnlich 
die einem Vers als ganzem zugrunde liegende Versf orm 
zu verstehen (-> VersmaBe). Die altesten, aus dem 5. Jh. 
v. Chr. stammenden metrischen Fachausdriicke (z. B. 
Hexameter, Trimeter) zeigen jedoch, daB die Wortbe- 
deutung urspriinglich spezieller und zugleich pragnan- 
ter war: M. meinte die sich durch innere Responsion 
(mehrfache Wiederkehr im Vers) als feste quantitats- 
rhythmische Gestalt heraushebende MaBeinheit (im He- 
xameter das daktylische M. -*-TO, im Trimeter das 
iambische M. v7 - ^ -) . Basis dieser Verskunst bildete die 
der griechischen Sprache eigentiimliche »musikalische« 
Beschaffenheit (->■ Griechische Musik, -*■ Quantitat, 
-»• Prosodie - 1 ) . Anfangs wurde nur eine bestimmte Art 
vonVersen, die heute Sprechverse heiBen, auf Metra zu- 
ruckgefiihrt (auBer den beiden genannten noch Penta- 
meter und Tetrameter), wahrend die meist komplizier- 
teren iibrigen Versarten, nach moderner Terminologie 
die Sing verse, zu den pu$-u.ot (Rhythmen) rechneten. 
Erst in hellenistischer Zeit kam es zur Einbeziehung der 
Singverse in die metrische Betrachtungsweise. Die von 
Aristoxenos eingefiihrte begrifEliche Scheidung zwi- 
schen Rhythmus und rhythmisiertem Stoff trug ihrer- 
seits dazu bei, daB sich eine von der Rhythmuslehre ge- 
trennte Verslehre, die Metrik, bildete. Im Zusammen- 
hang mit dem Versuch, vormals an Tanz gebundene 
Singverse zu zergliedern, wurde dann die Lehre von den 
VersfiiBen, die bei Aristoxenos (»Rhythmik-Fragmen- 
te«) bereits faBbar wird, systematisch ausgearbeitet. Den 
iiberlieferten metrischen Theorien gegeniiber (Hephai- 
stion mit Kommentaren, Aristeides Quintilianus I, 20- 
29, metrische Scholien zu Dichtertexten u. a.) ist jedoch 
Vorsicht geboten, da sie vielfach nicht auf der Einsicht 
in die urspriinglichen Sachverhalte beruhen. Wie die 
romischen Dichter im Versbau, so versuchten auch die 
romischenMetriker (u. a. M. Victorinus, CaesiusBassus, 
Terentianus Maurus, Augustinus mit De musica) in der 
Theorie weitgehend griechischen Vorbildern zu folgen 
(trotz der Andersartigkeit des Lateins; -> Akzent - 1). - 
Der Unterschied zwischen langen und kurzen Silben ist 
in der antiken Quantitatsmetrik auf das rationale Ver- 
haltnis von 2zeitiger Lange (-) und lzeitiger Kiirze (^) 
festgelegt (ausnahmsweise konnte die Lange auch an- 
derthalbzeitig sein). Die Abfolge dieser Elemente war 
streng geregelt, wobei in bestimmten Fallen Austausch 
der Elemente eintreten konnte (z. B.^w; oder elemen- 
tum anceps, notiert ^, ^ oder x). 
Von den 28 VersfiiBen der spatantiken Theorie seien als 
wichtigste genannt: 

3zeitig ^ - Iambus 

- y Trochaeus 
4zeitig w^ - Anapaest 

- ^ ^ Dactylus 

- Spondeus 
5zeitig ^ — Baccheus 

- ~ - Creticus 

6zeitig ^y — Ionicus (a minore) 

- ^ ^ - Choriambus 

AuBer Iambus, Trochaeus und Anapaest, diejeweils erst 
als DoppelfuB ein M. fiillen, kann jeder VersfuB als M. 
aufgefaBt werden. Fallt ein Verseinschnitt (Wortende) 
in das Innere eines VersfuBes, wird dies als Zasur be- 
zeichnet, trifft er hingegen mit dem Ende eines Vers- 
fuBes zusammen, wird von Diarese gesprochen. Ein 
VersmaB, das sich nicht ohne weiteres in VersfiiBe zer- 
legen lafit, wird seit spathellenistischer Zeit meist nach 
Dichtern benannt (z. B.-U-^v-u- hieB x6 rXoxco- 
vsiov, lat. m. Glyconeum oder [versus] Glyconeus, nach 
den VersmaBen eines Dichters Glykon). In der An- 



tike gab es zwei verschiedene Theorien der Metrik. 
Die eine ging von der Annahme einer begrenzten Zahl 
von Grundmetra aus (metra prototypa oder physica), 
wahrend die andere alle Metra vom Hexameter und 
vom iambischen Trimeter ableitete (Derivationstheo- 
rie). - Neben dem quantitierenden Versprinzip, das in 
der gelehrten Dichtung des Mittelalters und der Neuzeit 
weiterlebt, setzte sich, ausgehend von der christlichen 
Hymnendichtung, ein Versprinzip durch, das teils auf 
der Unterscheidung betonter und unbetonter Silben, 
teils auf der Silbenzahlung beruhte. Im Zusammenhang 
damit trat erstmals der -*■ Reim auf. Quantitierende 
Verse hieBen im Mittelalter metra, nichtquantitierende 
dagegen seit Beda (f 735) rythmi (volkssprachlich rime, 
rim ist seit dem 12. Jh. belegt), aber auch prosa. Im Mit- 
telalter finden sich lediglich Ansatze zu einer Lehre vom 
rhythmischen Versbau (z. B. Dante, De vulgari eloquen- 
tia, um 1308; A. da Tempo, Summa artis rytmici vulgaris 
dktaminis, 1332; E.Deschamps, L'art de dictier et defere 
chatifuns, 2. Halfte des 14. Jh.). Erst seit dem Humanis- 
mus, mit dem die Zeit volkssprachlicher Nachbildungen 
antiker Vers- und Strophenformen begann (u. a. Ode, 
Vers mesures) , kam es zur Ausbildung volkssprachlicher 
Verslehren, bis zum 19. Jh. allerdings in oft allzu enger 
Anlehnung an die antike Metrik. Von den aus dieser An- 
lehnung erwachsenen MiBverstandnissen sind beson- 
ders hervorzuheben: die falschliche Gleichsetzung von 
neuzeitlicher Versbetonung mit antiker Lange (darauf 
beruht einerseits die Umdeutung quantitierender in ak- 
zentuierende Vers- und Strophenformen, andererseits 
der akzentuierende Vortrag quantitierender Verse, und 
zwar nicht nach den Wort-, sondern nach den hypothe- 
tischen Versakzenten, den Versikten) sowie die unsach- 
gemaBe musikalische Auslegung antiker und neuzeit- 
licher Versrhythmen (im Fall der Antike durch Anwen- 
dung des neuzeitlichen Taktbegriff s, im Fall der Neuzeit 
durch einseitige Festlegung irrationaler sprachlicher auf 
rationale musikalische Rhythmen) . Die Umdeutung der 
metrischen Begriffe -> Arsis und Thesis geht auf die 
Spatantike zuriick. 

- 2) M. bezeichnet auch die als »Mittelkadenz« ge- 
brauchliche melodische Interpunktionsformel der latei- 
nischen liturgischen Rezitationsgesange (Psalmodie, 
Oration, Lektion, Praf ation ; -> Toni communes ; Bei- 
spiel: -> Melodie), als Terminus in dieser Bedeutung be- 
legt wohl seit Guy d'Eu (12. Jh., CS II, 179ff .). 

- 3) Innerhalb der auf dem Taktprinzip beruhenden Mu- 
sik versteht man unter M. im allgemeinen eine auf qua- 
litativer Abstufung gleichgroBer Zeitteile beruhende, 
musikalisch wirksame Ordnung oder MaBeinheit. Pro- 
totyp eines metrischen Ordnungsgef iiges ist der ->■ Takt 
als derZusammenschluB von2-4 wirklichenZahlzeiten. 
Dariiber hinaus konnen Unterteilungswerte von Zahl- 
zeiten oder auch Taktgruppen 2-, 3-(oder 4-)teilige 
metrische Ordnungen bilden. Die Frage nach den 
Grundlagen und Prinzipien solcher Ordnungsgefiige 
gehort zu den meist umstrittenen der Theorie und bildet ein 
Kernproblem der Analyse (G. Becking). Insbesondere 
besteht keine Einigung dariiber, ob und wie weit es 
sich um eine Akzent- (M. Hauptmann, Th. Wiehmayer 
u. a.) oder aber eine Gewichtsabstufung handelt (Rie- 
mann), und ob solche Abstufungen ideell oder effektiv 
aufzufassen sind. Die Art des Zusammenhangs metri- 
scher Bildungen mit anderen musikalischen Faktoren 
wie -> Rhythmus, -> Tempo, harmonischem und mo- 
tivisch-melodischem Verlauf, -> Dynamik (- 1) wird 
verschieden beurteilt. Dagegen ist ein EinfluB von sei- 
ten des Tanzes und von orchestischen Vorstellungen 
(Korrespondenz, Symmetrie) historisch nachweisbar 
(->■ Tanz). - Nachdem die Metrik in der Spatantike als 
Teilgebiet der Ars -> Musica aufgefaBt und auBer in 



568 



Metrum 



grammatischenauchinmusiktheoretischenSchriftenbe- 
handelt wurde (Aristeides Quintilianus, Augustinus) , hat 
die mittelalterliche Musiktheorie immer wieder auf die 
iiberlieferten metrischen Lehren zuriickgegriffen, um 
musikalische Sachverhalte zu verdeutlichen (u. a. Guido, 
Micrologus XV; auch die spate Modaltheorie, -> Mo- 
dus - 2). Metrische und musikalische Begriffe verban- 
den sich in der Renaissance in derWeise, daB die antiken 
VersfiiBe mit den an die Schlagzeit gebundenen rhyth- 
mischen Elementarbildungen der Musik koordiniert er- 
scheinen. So setzte etwa Fr. Salinas (1577) die VersfiiBe 
zu Arsis und Thesis im Sinne von Sublatio und Positio 
manus in Beziehung (andererseits gab es unter den me- 
trischen Odenkompositionen aber auch solche, die sich 
nicht ohne weiteres der Schlagzeit unterordnen lassen; 
ahnlich sind auch viele protestantische Kirchenlieder 
metrisch-rhythmisch »frei« gestaltet). RhythmischeEle- 
mentargebilde in der Musik wurden fortan haufig als 
Ton- bzw. KlangfuBe angesprochen, wahrend M. all- 
mahlich mit dem damaligen Begriff des Taktes gleich- 
gesetzt wurde (BrossardD, 1703: Metron. Terme Grec, 
en Latin Tactus, ou Mensura, en Italien Battuta, ou Tatto, 
en AUemand Tact, en Francois Mesure). In Richtung auf 
die qualitative Unterscheidung der Schlag- und Zahl- 
zeitenzielteiml7. undl8.Jh. der Begriff der Quantitas 
notarum intrinseca (quantitas accentualis), der bei Wal- 
therL damit erklart wird, daB sich auBerlich gleichwer- 
tige Noten innerlich durch ihre Stellung im Takt unter- 
scheiden, da der ungerade Tact-Theil lang, und der gerade 
Tact- Theil kurtz ist. Am Begriff der inner(lich)en Quan- 
titat hielt etwa noch J. A. P. Schulz fest (Artikel Tact in 
Sulzers Allgemeiner Theorie der Schonen Kiinste), doch 
prazisierte er, daB es sich um die Takttheile in Absicht 
ihres verschiedenen Gewichts und der darauf zu legenden 
Accente handelt, veranschaulicht u. a. durch folgendes 
Beispiel(4/4-Takt): 



'P P P P P P P P T 

Er, der al-les ord-net und er - halt. 

Bei H.Chr.Koch (1802) ist schlieBlich fur den Begriff 
des TonfuBes weniger das quantitative Verhaltnis der 
Tone zueinander als die Stellung zum M. (welches man 
auch das Taktgewicht nennet) entscheidend, wie zumal das 
letzte der 4 Trochausbeispiele zeigt: 

- \J — VJ — w 



J.Ph.Kirnberger hatte dariiber hinaus beobachtet, daB 
es im 2- wie im 3zeitigen Takt Melodien gibt, in denen 
offenbar ganze Tackte wechselweise von schwerem und leich- 
tem Gewichte sind, so dafi man einenganzen Tackt nur wie 
eine Zeitfiihlet; daher miissen nothwendig zwey Tackte zu- 
sammen genommen werden, um nur einen auszumachen, des- 
sen erster Theil lang, der andere kurz ist (Kunst des reinen 
Satzes II, 1774, S. 131). Doch seien solche zusammenge- 
setzten Tacktarten (z. B. 4/4 aus 2x2/4, oder 6/8 aus 
2 x 3/8) musikalisch nicht identisch mit den einfachen,ge- 
wdhnlichen gleicher Vorzeichnung, dajene mit der zwei- 
ten Takthalf te, diese aber mit dem Taktanf ang schlieBen. 
Nach G.Weber unterscheiden sich die Takte, riicksicht- 
lich ihres grofieren oder geringeren inneren Gewichtes, eben 
so von einander, wie die Takttheile unter sich ;d.h.es heben 
sich schwere Takte vor leichteren heraus (Theorie der Ton- 
setzkunstl,n&24,SA03). 

M. Hauptmann, der Begriinder der modernen musika- 
lischen Metrik, hat erstmals die Frage nach den Prinzi- 
pien metrischer Bildungen gestellt und zu beantworten 
versucht. Von der kleinsten metrischen Einheit, dem 
2teiligen M., in dem er eine Art metrischer Urform 



sieht, werden die grofieren dialektisch abgeleitet: im 
3teiligen M. tritt dem ersten ein zweites Paar gegeniiber 
(Antithese), im 4teiligen ist iiber die Antithese hinaus 
die hochste Bestimmtheit und zugleich Geschlossenheit 
erreicht (Synthese). Mehr als 4teilige Bildungen ent- 
stehen aus den 3 Gmndmetra entweder durch Multipli- 
kation mit den Zahlen 2 bis 4 (von 2 x 2 bis 4 x 4) oder 
aber durch bloBe Addition der Grundmetra (2+3, 3+4 
u. a.). Addierende Grundformen konnen jedoch auch 
metrische Einheiten hoherer Ordnung bilden, z. B. 
(2 + 3) x 4. Im 2teiligen M. hat das Erste gegen sein Zwei- 
tes die Energie des Anfangs und damit den metrischen Accent. 
Die Folge betont-unbetont wird als »metrisch-positiv« 
bezeichnet (durch Zahlen symbolisch ausgedriickt : 1-2), 
im Unterschied zur »metrisch-negativen« Folge unbe- 
tont-betont (2-1). Aus der Kombination der Akzente 
verschiedener Ordnungen ergeben sich qualitative Un- 
terschiede, etwa des doppelt-2zeitigen gegeniiber dem 

4zeitieen M. : 

° . 1-2 

r r f f " <^x5^> 

I I I I 1-21-2 




r r r r 



Hauptmann erkannte, daB eine »metrisch-positive« Rei- 
he (1-21-2.. .) von sich aus zu keinem Ende kommen 
kann, da die unbetonte Zeit (2) keine Schlufikraft be- 
sitzt ; in diesem Fall sei nur ein »rhythmischer Schlufi« 
moglich, der durch die rhythmische Zusammenfassung 
2-1 herbeigefiihrt wird: 

metrisch: 1-2 1-2 l[-2] 
rhythmisch: 2-1 2-1 
In einer »metrisch-negativen« Reihe (2-1 2-1 . . .) gibt 
es diese Schwierigkeit nicht. 

DaB H.Riemann die »metrisch-positive« Ordnung ver- 
warf und die »metrisch-negative« als die musikalisch 
einzig berechtigte ansah, erklart sich aus seiner umfas- 
senden, die Auftaktigkeit (-> Auftakt) zum musikali- 
schen Grundprinzip erhebenden Gesamtkonzeption (in 
welcher man heute allerdings gewisse zeitbedingte Ziige 
kaum verkennen wird, etwa die Abhangigkeit vom ein- 
seitig harmonischen Dynamismus in der deutschen spat- 
romantischen Musik). Die zugleich als Lehre von den 
Symmetrien (-> Symmetrie) und vom Periodenbau 
(->■ Periode) ausgebildete metrische Lehre Riemanns 
geht von der kleinsten metrischen (zugleich symmetri- 
schen) Einheit aus, dem nach dem Prinzip von Aufstel- 
lung und Antwort gebauten, aus der Folge leicht-schwer 
bestehenden auftaktigen Motiv (J | J). Nach dem glei- 
chen Prinzip sind die hbheren metrischen (symmetri- 
schen) Einheiten gebildet: Taktgruppe, Halbsatz und 
Periode. Jede dieser Einheiten hat eine feste metrische 
Ordnung, wobei sich die Gewichte mit zunehmender 
Ausdehnung potenzieren und dadurch eine Steigerung 
der SchluBkraf t bewirken. Die Gewichte haben zugleich 
gliedernde Bedeutung (->■ Phrasierung). Daher ergibt 
sich etwa folgendes Schema vom motivischen, metri- 
schen und symmetrischen Aufbau einer normalen 8tak- 
tigen Periode : 
Taktgruppe 

Jlj'j U"J U'J U^ U'J IJ'JU'JIJ 
(1)- (2)= (3)" (4)= (5)- (6)= (7)- (8) B 

Takt , ^_ 



Vordersatz 



Nachsatz 



Periode 



Jede Taktzahl hat hier eine bestimmte metrische Bedeu- 
tung. Abweichungen von diesem als »normatives 



569 



Metrum 



Grundschema« aller musikalischen Satzbildung aufge- 
faBten Periodenbegrifi versteht Riemann als Storungen 
des symmetrischen Aufbaus (die Kunst der Meister zeigt 
sich . . . gerade in der Durchbrechung soldier starren Regel- 
mafiigkeit durch motivierte und als solche sofort verstdndliche 
Abweichungen). Als solche sind besonders zu nennen: 
a) Anfang ex abrupto, wenn ein Stuck nicht mit dem 
ersten Takt des Grundschemas beginnt; b) zu Dehnun- 
gen des Schemas fiihrende Einschaltungen (gekenn- 
zeichnet durch Buchstaben hinter der Taktzahl, z. B. 
6a) ; c) zu Erweiterungen des Schemas fiihrende An- 
hange, entweder als Uberbietung der SchluBwirkung 
durch gesteigerte Nachbildung des letzten Gliedes der 
Symmetrie oder als SchluBbestatigung(en) (gekenn- 
zeichnet durch 8a, 8b, 8c usw.) ; d) Takttriolen (Triolen- 
bildung aus ganzen Takten, wobei zwei leichte Takte 
einander f olgen) ; e) Auslassungen, Elisionen als Uber- 
springen eines Taktes (meist des leichten ersten Taktes 
eines Halbsatzes; daher stoBen dann 2 schwere Takte 
auf einander) ; f) ein Sonderfall der Auslassung ist die 
-*■ Verschrankung von 2 Perioden (Umdeutung eines 
schweren Taktes zum leichten Takt, z. B. 8 = 1). Ferner 
geht auf Riemann der Begriff der ->• Polymetrik zuriick. 
Th.Wiehmayers Bemiihen war darauf gerichtet, von 
Riemanns Auftakttheorie loszukommen und eine Me- 
trik auf der Basis von Hauptmanns Grundthesen (»me- 
trisch-positive« Ordnung, Akzentabstufung) zu ent- 
wickeln. Gegen Riemanns und besonders E.Tetzels 
taktmetrische Umdeutung ganzer Stucke (Taktstrich- 
versetzung) wurde vielfachEinspruch erhoben; ein Son- 
derproblem ist Mozarts nachtragliche Taktstrichver- 
setzung im Autograph des Duetts Bei Mannern aus der 
Zauberflote (vgl. dazu schon M. Hauptmanns Briefe an 
Hauser II, 1871, S. 169). Aus der unterschiedlichen Nu- 
ancierung der taktmetrischen Gewichte bei verschiede- 
nen Meistern zieht G. Becking Riickschlusse auf typolo- 
gische Grundhaltungen (->■ Typologie). R. Steglich un- 
terscheidet innerhalb der reinen (absoluten) Taktquali- 
tat »gleichwellige« und »ungleichwellige« Gewichtsver- 
haltnisse. DieEigenart des antiken wie auch des neuzeit- 
lichen M.-Begriffs arbeitet Thr. G. Georgiades (1949) 
heraus durch Gegenuberstellung der Begriffe »erfiillte 
Zeit« und »leere Zeit«. Ausgehend von der Unterschei- 
dung zweierSatzstrukturen, einerharmonisch-metrisch 
schlieBenden und einer zumEnde metrischer Taktgrup- 
pen hin harmonisch fortgesetzt sich offnenden, halt 
Georgiades (1967) zwei einander gegensatzliche, als 
Periodenbau und Gerustbau bezeichnete Satzprinzipe 
auseinander. - AuBerhalb der taktgebundenen Musik 
werden die Termini M. und metrisch meist in weiterem 
Sinne verwendet, etwa zur Kennzeichnung von rhyth- 
mischen Ordnungsgef tigen, die nicht als Taktordnung 
bezeichnet werden konnen, z. B. in der Modal- und 
Mensuralmusik so wie im Jazz, aber auch sonst in auBer- 
europaischer Musik. 

Lit. : zu 3) : M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. 
Metrik, Lpz. 1853, 21873, engl. London 1888; ders., M., 
u.: Zur Metrik, in: Opuscula, Lpz. 1874; R. Westphal, 
Allgemeine Theorie d. mus. Rhythmik seit J. S. Bach, Lpz. 
1880; H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik. Lehrbuch 
d. mus. Phrasierung auf Grund einer Revision d. Lehre v. 
d. mus. Metrik u. Rhythmik, Hbg u. St. Petersburg 1884; 
ders., Die Elemente d. mus. Asthetik, Bin u. Stuttgart 1900, 
frz. Paris 1906; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik, 
Lpz. 1903; ders., Typische Bahnen u. Sonderphanomene 
d. Tonvorstellungen auf rhythmisch-metrischem Gebiete, 
JbP XIII, 1 9 1 6; Th. Wiehmayer, Mus. Rhythmik u. Metrik, 
Magdeburg 1917 ; ders., Uber d. Grundfragen d. mus. Me- 
trik, Kgr.-Ber. Lpz. 1925 ; ders., Die Auswirkung d. Theo- 
rie H. Riemanns, Magdeburg 1925; G. Becking, »H6- 
ren« u. »Analysieren«, ZfMw I, 1918/19; ders., Der mus. 
Rhythmus als Erkenntnisquelle, Augsburg 1928, Nach- 
druck Stuttgart 1958; A. Schering, Die metrisch-rhyth- 



mische Grundgestalt unserer Choralmelodien, Halle 1924, 
2 1927; ders., Betonungs- u. Gewichtsprinzip, Kgr.-Ber. 
Lpz. 1 925 ; ders., Metrische Studien zu Beethovens Liedern, 
Neues Beethoven-Jb. II, 1925 ; E. Tetzel, Das Motivleben 
u. sein EinfluB auf d. mus. Vortrag, ZfMw VI, 1923/24, da- 
zu R. Cahn-Speyer, H. Keller, Th. Wiehmayer in: ZfMw 
VII, 1924/25; ders., Rhythmus u. Vortrag, Bin 1926; F. 
Rosenthal, Problemed. mus. Metrik, ZfMw VII, 1924/25; 
ders., Auftakt u. Abtakt in d. Thematik Beethovens, in: 
Beethoven-Zentenarfeier, Kgr.-Ber. Wien 1927; ders., 
Uber mus. Metrik, Musikpadagogische Zs. XVII, 1927; H. 
Koltzsch, Metrische Analyse v. Schuberts »Gretchen am 
Spinnrade«, ZfMw VIII, 1925/26; I. Krohn, Die Form d. 
ersten Satzes d. Mondscheinsonate, in: Beethoven-Zente- 
narfeier, Kgr.-Ber. Wien 1927; R. Steglich, Uber Dualis- 
mus d. Taktqualitat im Sonatensatz, ebenda; Thr. G. Ge- 
orgiades, Der griech. Rhythmus, Hbg 1949; ders., Schu- 
bert. Musik u. Lyrik, Gottingen 1967; P. Benary, Mus. 
Werkbetrachtung in metrischer Sicht, Mf XIV, 1961 ; P. 
Rummenholler, M. Hauptmann als Theoretiker, Wiesba- 
den 1963; A. Feil, Mozarts Duett »Bei Mannern, welche 
Liebe fuhlen«, Fs. W. Gerstenberg, Wolfenbuttel u. Zurich 
(1964); ders., Studien zu Schuberts Rhythmik, Munchen 
1966; E. L. Waeltner, Metrik u. Rhythmik im Jazz, in: 
Terminologie d. Neuen Musik, hrsg. v. R. Stephan, = Ver- 
off. d. Inst. f. Neue Musik u. Musikerziehung Darmstadt V, 
Bin 1965. FZa 

Mexiko. 

Lit.: R. M. Campos, El folklore y la musica mexicana, M. 
1928; R. Lach, Die mus. Konstruktionsprinzipien d. alt- 
mexikanischen Tempelgesange, in: Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, 
Bin 1929; M. Manon, Hist, del Teatro Principal de Mexi- 
co, M. 1932; G. SaldIvar, Hist, de la musica de Mexico, 
M. 1934; V. T. Mendoza, El romance espafiol y el corrido 
mexicano, M. 1939; ders., La cancion chilena en Mexico, 
Santiago de Chile 1948 ; ders., Folklore y musica tradicio- 
nal de la Baja California, Anuario de la Soc. folklorica de 
Mexico X, 1955 ; ders., Panorama de la musica tradicional 
de Mexico, = Estudios y fuentes del arte en M6xico VII, 
M. 1956; ders., La cancion de aliento entrecortado en 
Mexico y en America es de origen hispano, in : Miscelanea 
en homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; ders., La 
cancion mexicana, M. 1961 ; O. Mayer-Serra, Panorama 
de la musica mexicana, M. 1941 ; ders., S. Revueltas and 
Mus. Nationalism in Mexico, MQ XXVII, 1941; L. M. 
Spell, Music in the Cathedral of Mexico in the Sixteenth 
Cent., Hispanic- American Hist. Review XXVI, 1964; St. 
Barwick, Sacred Vocal Polyphony in Early Colonial 
Mexico, 2 Bde, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1949, maschr. ; 
C. Chavez, La musica mexicana, M. 1949; I. Pope, Docu- 
mentos relacionados con la hist, de la musica en Mexico 
. . ., Nuestra Musica VI, 1951 ; R. Stevenson, Music in 
Mexico, NY (1952); ders., Sixteenth- and Seventeenth- 
Cent. Resources in Mexico, Fontes artis musicae I, 1954 - 
II, 1955; ders., La musica en la Catedralde Mexico: 1600- 
1750, Revista mus. chilena XIX, 1965; M. H. Stobaugh, 
La musica en la novela mexicana de 1810a 1910, M. 1952; 
A. Ray [Catalyne's] , The Double-Choir Music of J. de 
Padilla, 2 Bde, Diss. Univ. of Southern California 1953, 
maschr.; C. W. Gould, An Analysis of the Folk Music in 
the Oaxaca and Chiapas Areas of Mexico, Diss. North- 
western Univ. (111.) 1954, maschr.; K. Reinhard, Die Mu- 
sikd.mexikanischenFliegerspiels.Zs.f.EthnologieLXXIX, 
1954; Alt-aztekische Gesange (Cantares mexicanos), hrsg. 
v. G. Kutscher, Stuttgart 1957; E. Pulido, La mujer me- 
xicana en la musica, = Ediciones de la Revista bellas artes 
VII, M. 1958; S.Godoy, Mexican Music from 1920 to 1953, 
2 Bde, Diss. Radclift College (Mass.) 1961, maschr.; H. 
Yurchenco, Survivals of the Pre-Hispanic Music in New 
Mexico, Journal of the International Folk Music Council 
XV, 1963. 

mezza manica (m'eddza m'a:nika, ital., manica, 
Armel), in der Applikatur (->■ Fingersatz) der Streichin- 
strumente die verminderte erste, halbe Position (— >• La- 
ge - 3) der Hand. 

mezza voce (m'eddza v'o:tfe, ital., mit halberStim- 
me; Abk. : m. v.), Vortragsanweisung in Gesangs-, 
hauptsachlich Opernpartien, bedeutet: mit verhalte- 



570 



ner Stimme, in der Sprechtonstimme (nicht voll aus- 
gesungen) vorzutragen; damit ist eine mehr oder min- 
der starke Veranderung der Klangfarbe verbunden. 
Der Anweisung m. v. entspricht im Sprechtheater das 
»beiseite gesprochen«; m. v. ist daher nicht gleichbe- 
deutend mit piano und verlangt deutliche und ver- 
standliche Artikulation. - Die Vorschrift m. v. begeg- 
net auch fur Streichinstrumente (z. B. Haydn, Hob. Ill, 
26, 3. Satz) und ist, ahnlich wie ->■ sotto voce, eine An- 
weisung, mit gedampf tem Klang, aber ohne Dampfer 
zu spielen. 

mezzo (m'eddzo, ital.), in Zusammensetzungen s. v. w. 
halb-, mittel-; mezzoforte (Abk. : mf) ->• forte, mezzo- 
piano (Abk. : mp) -» piano. -*■ mezza manica, -> mezza 
voce (Abk. : m. v.), -»■ mezzolegato, -»■ Mezzosopran. 

mezzolegato (meddzoleg'a:to, ital., halbgebunden), 
brillante Anschlagsart beim Klavierspiel, wie ->■ leg- 
giero ein Herabschnellen der Finger ohne Druck, doch 
ohne das schnelle Zuruckspringen des leggiero-An- 
schlags, daher starker gebunden; m. wird in Italien 
auch legatostaccato genannt. 

Mezzosopran (von ital. mezzo soprano; frz. bas- 
dessus), eine weibliche Sopranstimme, die sich gegen- 
iiber dem -»■ Sopran (- 2) vor allem durch dunkleres 
Timbre, durch einen meist tieferen Stimmumfang (im 
allgemeinen etwa g-b 2 ) und durch einen weitergespann- 
ten Bereich des Brustregisters abhebt. Eine typische 
M.-Partie ist die Titelrolle in Carmen. In der Biih- 
nenpraxis ergeben sich jedoch je nach den vorhan- 
denen Kraften oft Uberschneidungen in der Vertei- 
lung der Rollenfacher zwischen dramatischem So- 
pran, M. und Alt (Eboli in Don Carlos, Octavian in 
Der Rosenkavalier). Besonders giinstig sind die Quali- 
taten der M.-Stimme fiir den Liedvortrag. - M.- 
Schliissel wird der c-Schliissel auf der 2. Linie (von un- 
ten) genannt. 

mf, Abk. fiir mezzoforte (-»■ forte). 

Mi, in der mittelalterlichen ->■ Solmisation die 3. Silbe 
des Hexachords (im Sinne von e, a oder h) ; in romani- 
schen Sprachen Name fiir E. Der Merksatz in der mit- 
telalterlichen Theorie, Mi contra Fa, diabolus in musica 
(»Mi gegen Fa, der Teufel in der Musik«), erklart sich 
aus der Zweideutigkeit der Tonstufe bfa/bmi, die im 
Zusammenhang mit dem Mi oder Fa eines anderen 
Hexachords nach der Aussage von Tinctoris (CS IV, 
146a) zu »falschen Konkordanzen«, meist zum -> Tri- 
tonus (bmi-f fa, emi-bfa) fiihrt. Nach J. de Muris (CS 
III, 71b) wurden diese Dissonanzen in der -»■ Musi- 
ca ficta durch Vorzeichnung von \> oder \ vermieden. 
- In der barocken Musiklehre bezeichnet Mi contra 
Fa die Relatio non harmonica, den unharmonischen 
-> Querstand. 

Mikrobar (Abk. : fib) ist die Einheit des ->■ Schall- 
drucks. 1 Bar entspricht etwa dem Druck einer At- 
mosphare (lAtm= 1,013 Bar); 1 |xb ist der millionste 
Teil von 1 Bar (1 ub = 0,000001 Bar). Im Vergleich zu 
der auf der Erdoberflache lastenden Luftmasse, deren 
Druck in Millibar gemessen wird (1 mb = '/looo Bar), 
reichen die Druckmessungen der Luftschwingungen, 
die vom menschlichen Ohr gerade noch wahrgenom- 
men werden, bis zu 0,0002 jib = 2- 10- 10 Bar. 

Mikronesien -> Ozeanien. 

Mikrophon ist als primarer -*■ Schallwandler ein Ge- 
rat zur Umwandlung von Schallschwingungen in kon- 
forme elektrische Wechselspannungen. Je nach ihrer 
prinzipiellen Bauweise werden elektrostatische, -dyna- 
mische, -magnetischc und piezoelektrische M.e unter- 



Mikrophon 

schieden. Zur Charakterisierung der Ubertragungsei- 
genschaften von M.en dient in erster Linie das Uber- 
tragungsmaB (Empfindlichkeit) it, das angibt, wieviel 
Spannung (in mV) ein M. bei dem Schalldruck von 
1 (j.b abgibt, sowie die Frequenzkurve, die das Ubertra- 
gungsmaB als Funktion der Frequenz darstellt, und die 
Richtcharakteristik.ElektrostatischeM.e(w fw 1 mV/(xb) 
bestehen im wesentlichen aus einem Kondensator, (les- 
sen eine Elektrode als straff gespannte diinne Kunst- 
stoffmembran mit aufgedampfter Metallflache ausge- 
bildet ist. In geringem Abstand von ihr befindet sich 
eine feste Elektrode, die iiber einen hochohmigen 
Widerstand auf etwa 100 Volt aufgeladen ist. Die 
->■ Membran biegt sich im Rhythmus der auftreffen- 
den Schallwellen mehr oder weniger durch und veran- 
dert damit die Kapazitat des Systems; dabei kommt es 
am Aufladewiderstand zu Spannungsanderungen, die 
in den angeschalteten Verstarkern vergroCert werden. 



IHh 



-ozum Gilter 
rfes I Ifcrs/a/tors 



Schaltung eines Kondensator-M.s. 
Da dieEigenfrequenz der Membran an die obere Gren- 
ze des Ubertragungsbereich.es gelegt wird und die 
-> Dampfung des Systems sehr hoch ist, ergibt sich ei- 
ne auBerordentlich gleichmaBige Ubertragung im Hor- 
bereich. Aus diesen Griinden eignet sich das Konden- 
sator-M. fiir hochwertige musikalische Ubertragun- 
gen. - Beim elektrodynamischen M. (ii m 0,1 rnV/^ib) 
ist an der elastisch gehalterten Empfangsmembran eine 
kleine Spule befestigt, die im Ringspalt eines kraftigen 
Magneten schwingt. Sie taucht bei Schalleinwirkung 
mehr oder weniger tief in das Magnetf eld ein, wodurch 
Wechselstrome induziert werden, die durch einen 
Ubertrager auf den Eingang des nachfolgenden Ver- 
starkers gegeben werden. Diese M.e werden wegen 
ihres widerstandsfahigen Aufbaus und der Moglich- 
keit, das M. direkt iiber lange Kabel an den Vorver- 
starker anzuschlieBen, zu Reportagen, auch im Freien, 
benutzt. -Elektromagnetische M.e werden seltener ge- 
braucht. Ihre Frequenzkurve hat meist nicht die Aus- 
geglichenheit der beiden obengenannten M.e. - Das 
Prinzip piezoelektrischer M.e (ii «* 0,2 rnV/jib) be- 
ruht auf der Eigenschaft mancher Kristalle, bei Ver- 
formung Spannung abzugeben. Meist werden zwei 
Zellen miteinander kombiniert und von einer Mem- 
bran gesteuert. Ihre Frequenzkurve kann iiber den 
ganzen Frequenzbereich ziemlich gleichmaBig ausge- 
bildet werden und zeigt nur einige geringe Maxima 
und Minima. 

M.e haben auf Grund ihrer Wirkungsweise die Eigen- 
schaft, die Intensitat eines Schalles richtungsabhangig 
zu registrieren. Grundsatzlich lassen sich zwei Typen 
unterscheiden : Druckempf anger und Schnelleempf an- 
ger. Im Druckempf anger wird die M.-Kapsel durch die 
Membran luftdicht abgeschlossen, so daB die Druck- 
schwankungen der umgebenden Luft registriert wer- 
den. Da Druckschwankungen ungerichtet sind, ist ein 
solches M. fiir jeden Schall, mit Ausnahme hoher Fre- 
quenz (Schattenwirkung), unabhangig von der Ein- 
fallsrichtung, etwa gleich empfindlich. Es besitzt »Ku- 
gel-Charakteristik«, d. h. alle Schallquellen gleicher In- 
tensitat, die im M. gleichstarke Wechselspannungen 
erzeugen, liegen auf einer Kugeloberflache um das 
M. (die folgenden Abbildungen nach H. Husmann): 



571 



Mikrophon 




Wird die Riickseite der M.-Kapsel durchlochert, ent- 
steht ein Schnelleempfanger, der nicht mehr Druck- 
schwankungen, sondern Druckdifferenzen der von 
vorn und hinten mit einer kleinen zeitlichen Verzo- 
gerung auftreffenden Schallwellen registriert. Diese 
Druckdifferenzen sind der Schallschnelle (->■ Schall) 
proportional. Da sich die Luftteilchen vorwiegend in 
der Ausbreitungsrichtung des Schalles hin und her be- 
wegen (-»■ Wellen), ist der Schnelleempfanger fur 
Schalle, die senkrecht von vorn oder hinten auf das M. 
treffen, am empfindlichsten. Schnelleempfanger haben 
»Achter-Charakteristik« : 



270° 



'/7 \^>> N 

// . v 

\ /' 

\\ ■ . // 

*\ .• s' 

//■'"' X\\ 

' /' " \ x 

I I i 

\ / ' 

i \ / * 

v '■-.. / 



90° 




mawJUi 



iso° 



Werden diese beiden M.-Typen zu einem Druck- 
Schnelle-Empfanger kombiniert, so weist dieser »Nie- 
ren-Charakteristik« auf : 



270° 



vis. ..-/,■ 




Lit. : L. L. Beranek, Acoustic Measurements, NY u. Lon- 
don (1949), 2 1950; H. Husmann, Einfuhrung in d. Mw., 
Heidelberg (1958); F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. 
Akustik, Bin, Gottingenu. Heidelberg 3 1961. 



Militarmusik (friiher: Feldmusik) umfaBt im Mili- 
tarwesen seit dem 17. Jh. erne Reihe musikalischer Gat- 
tungen, die sich im wechselseitigen Austausch mit der 
zweckfreien Kunstmusik gefestigt haben und in der 
Literatur des von Militarmusikern geschaffenen sym- 
phonischen Blasorchesters gipfeln. Ihr Zweck war zu- 
nachst die Sicherung militarischer Ordnungen durch 
-»■ Signale und durch -»■ Marsch-Musik (-» Armee- 
m'arsche), die Erweckung von Mut und Begeisterung 
(das Spiel von Musikkorps wahrend der Schlacht ge- 
horte noch im spaten 19. Jh. zu den Aufgaben der M.), 
daneben auch Werbung und Unterhaltung. In ver- 
gleichbarer Weise findet sich der Einsatz von Gesang 
und Schallgeraten bei den Natur- und Kulturvolkern 
aufierhalb Europas zur kultischen Vorbereitung und 
Begleitung des Kriegszuges. - Am Ausgang des abend- 
landischen Mittelalters fiihrten die Ritter Trompeten 
und Pauken, das FuCvolk der Landsknechte Pfeifen 
und Trommeln (->■ Spielleute - 2). Im 17. Jh. wurde im 
Zusammenhang mit einer neuzeitlichen Ausbildung 
des Militarwesens auch die M. neu organisiert und in- 
stitutionalisiert. Trager der M. wurden neben den 
Signalisten nunmehr die Musikkorps mit (4) Schal- 
meien, spater (6) Oboen (weswegen die deutschen Mi- 
litarmusiker bis 1918 auch Hautboisten genannt wur- 
den). Ihnen obliegt bis in die Gegenwart neben der re- 
gularen Marschmusik die Aufgabe, bei reprasentativen 
Anlassen (Paraden, Staatsempfangen, Festen) wie auch 
zur Unterhaltung (bei der Truppe in Feldquartier, La- 
ger, Kaserne und Kasino, vor der Bevolkerung bei 
Platz-, GroB- und Gartenkonzerten) aufzuspielen. Ab 
etwa 1750 hatten die Musikkorps Holz- und Blech- 
blaser (-> Harmoniemusik) sowie ab der Wende des 
18./19. Jh. Schlagzeug (->• Janitscharenmusik). Nach 
den Napoleonischen Kriegen gelangten mit der Ent- 
faltung der Konzertblasmusik die neuen Ventilinstru- 
mente Waldhorn und Trompete, die weitmensurier- 
ten Bugelhorner, in Frankreich (1845) die schlanke- 
ren Saxhorner in die Militarkapellen, sowie (1835) zur 
Losung des BaBproblems die BaBtuba, die Serpent 
und Ophikleide abloste. Die iiberkommene Vielfalt 
der Besetzungen wurde in PreuBen unter Wieprecht 
(1838-72, Direktor der Gardemusik) vereinheitlicht, 
in Osterreich unter Leonhardt (1851). In PreuBen 
schrieb das Wieprechtsche Normal-Instrumental Tableau 
(1860) fur jede Waffengattung eine bestimmte Be- 
setzung vor; zugleich wurde damit das Zusammen- 
spiel verschiedener Kapellen ermoglicht. Die Infante- 
rie erhielt eine Harmoniemusik, die Kavallerie und Ar- 
tillerie sowie die Jager eine ->■ Blechmusik mit vor- 
herrschendem Trompeten- bzw. Waldhornklang. In 
Frankreich setzte sich seit 1845 die Besetzung mit Saxo- 
phon durch, in England kam es zur Vereinheitlichung 
zur Zeit der Griindung der Royal Military School of 
Music (1857). In Italien erarbeitete 1865 in Neapel eine 
Kommission unter Mercadante eine Neubesetzung fiir 
Militarkapellen. Von den USA wurden als neuere BaB- 
tuben Sousaphone (ab 1908) in die M. eingefiihrt. Die 
Militarkapellen (auch Zivilkapellen der Verbande, 
Stadte und Vereine) der meisten Lander glichen sich in 
der Harmoniemusik der deutschen oder franzosischen 
Besetzung (mit Saxophonen, so in den Niederlanden, 
England, Spanien, den USA und der UdSSR) an. In 
Japan hatte die Infanterie die franzosische, die Marine 
die deutsche Besetzung. In Deutschland wurde die Be- 
setzung mit Saxophonen ab 1935 fiir die Luftwaffen- 
musik charakteristisch ; auf dieser Besetzung basiert die 
M. der Bundeswehr. - Nach 1871 verfiigte jede deut- 
sche Militarkapelle auch iiber eine komplette »Streich- 
musik« (Nebeninstrumente), so daB sie in der Lage war, 
auch symphonische Musik zu spielen, in Kirchenkon- 



572 



zerten mitzuwirken und in vielen Stadten das Theater- 
orchester zu stellen. Das Auftreten von Militarmusi- 
kern als Biihnenmusik in der Oper war schon im 18. 
Jh. haufig. - Das Repertoire der neuzeitlichen M. um- 
faCt neben Marschen zum groBen Teil Arrangements 
aus Opern und symphonischer Musik. Spontini, Mey- 
erbeer, Liszt, Wagner, R.Strauss, Pfitzner, Respighi 
u. a. haben Bearbeitungen ihrer Kompositionen au- 
torisiert. Im 19. Jh. wurden Bearbeitungen von Sym- 
phonien Beethovens u. a. von Biilow gutgeheiBen; 
fur Kompositionen der »Neutoner« (wie Liszt'' und 
Wagner) traten M.-Orchester ein. Neben anderen hat 
z. B. Rimskij-Korsakow Bearbeitungen fur M. selbst 
geschaffen, R. Strauss hat M.-Bearbeitungen seiner 
Symphonischen Dichtungen selbst dirigiert. Die iibliche 
Bestiickung der Militarkonzerte mit Potpourris, Fan- 
tasien und Charakterstucken wird in Deutschland seit 
den 1930er Jahren durch den Einsatz von Original- 
werken zeitgenossischer Komponisten erganzt (Blacher, 
Genzmer, Grabner, HeiB, Hindemith, Hoffer, H.Si- 
mon, Fried Walter u. a.). - Wahrend die ritterlichen 
Hof- und Feldtrompeter Offiziersrang hatten, gehor- 
ten die Militarmusiker im 18./19. Jh. dem Mann- 
schafts- oder Unteroffiziersstand an. Offiziersrang hat- 
ten in Deutschland seit 1938 die Militarkapellmei- 
ster vom Musikmeister (Leutnant) bis zum Obermu- 
sikinspizienten (Oberstleutnant). Militarkapellmeister 
waren zeitweise Sarrette, Gossec, Catel, C.Gurlitt, 
Komzak, Keler-Bela, Ziehrer, v.Reznicek, Ivanovici, 
Rimskij-Korsakow, Jones, Lehar und Fucik. Der Nach- 
wuchs der Militarmusiker wurde im 17.-19. Jh. in den 
Stadtpfeifereien ausgebildet, gelegentlich in eigenen 
M.-Schulen oder an Konservatorien. Die Musikmeister 
legten seit 1874 ihre Priifung an der Staatlichen Aka- 
demischen Hochschule fur Musik in Berlin ab, wo 
auch die M. als kunstlerisches Fach vertreten war. - 
Den etwa 600 deutschen Militarkapellen von 1913 
standen 1963 nur 21 (bei der Bundeswehr) gegeniiber. 
Lit.: Deutsche Militar-Musiker-Zeitung, Bin 1879ff. - L. 
Fronsperger, Fiinff Biicher v. Kriegsregiment, Ffm. 1555 ; 
H. Fr. v. Fleming, Der vollkommene teutsche Soldat, 
Lpz. 1726; J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur 
heroisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795, 
NA Dresden 1911, Nachdruck Amsterdam 1966; J. G. 
Kastner, Manuel general de musique militaire, Paris 1 848; 
A. Kalkbrenner, W. Wieprecht . . ., Bin 1882; ders., Die 
Organisation d. Militarmusikchore aller Lander, Hanno- 
ver 1884; J. H. Saro, Instrumentationslehre f. M., Bin 
1883 ; A. Dolleczek, Entwicklung d. militarischen Musik 
im osterreichischen Heere, in: Monographic d. k. u. k. 
osterreichisch-ungarischen blanken u. Hand-Feuerwaffen, 
Wien 1896; G. Pares, Traite d'instrumentation et d'or- 
chestration a l'usage des musiques militaires, Paris 1898; 
O. Fleischer, Musikinstr. d. deutschen Churzeit, Zflb 
XIX, 1 899 - XX, 1 900 u. XXXI, 1 9 1 1 ; H. Eichborn, Mili- 
tarismus u. Musik, Bin 1909; Fr. Behn, Musik im romi- 
schen Heere, Mainzer Zs. VII, 1912; H. G. Farmer, The 
Rise and Development of Military Music, London 1912; 
ders., Handel's Kettledrums and Other Papers on Military 
Music, London 1950, 21960, Nachdruck (1965); C. A. 
Laaser, Gedrangte theoretisch-praktisehe Instrumenta- 
tions-Tabelle f. Militar-Infanterie-Musik, Lpz. 3 1913; M. 
Brenet, La musique militaire, Paris 1917; E. Bucken, Der 
heroische Stil in d. Oper, = Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. 
mw. Forschung zu Buckeburg V, 1, Lpz. 1924; M. Chop, 
Gesch. d. deutschen M., Hannover (1926); J. Mackenzie- 
Rogan, Fifty Years of Army Music, London 1926; J. Ph. 
Sousa, Marching Along, Boston 1928; G. Kandler, Die 
kulturelle Bedeutung d. deutschen M. , Bin 1 93 1 ; ders., Zur 
Gesch. d. deutschen Soldatenmusik, in: Deutsche Solda- 
tenkunde, hrsg. v. B. Schwertfeger u. E. O. Volkmann, Bin 
1937; ders., M. - heute, in: Soldat im Volk VI, (Bonn) 
1957; H. Schmidt, M., in: Atlantisbuch d. Musik, Zurich 
1934; ders., M. u. Marschmusik, in: Hohe Schule d. Mu- 
sik IV, hrsg. v. J. M. Miiller-Blattau, Potsdam (1935); A. 



Minnesang 

Vessella, La banda dalle origini fino ai nostri giorni, Mai- 
land 1935; J. Reschke, Studie zur Gesch. d. brandenbur- 
gisch-preuBischen Heeresmusik, Diss. Bin 1936; Heeres- 
Dienstvorschrift 32. Bestimmungen f. Musik- u. Trompe- 
terkorps d. Heeres v. 1. 9. 1936, Bin 1936; O. Schreiber, 
Orch. u. Orchesterpraxis in Deutschland zwischen 1780 u. 
1850, = Neue deutsche Forschungen CLXXVII, Abt. Mw. 
VI, Bin 1938; N. P. Iwanow-Radkewitsch, Obschtschie 
osnowy instrumentowki dlja duchowych orkestrow (»A11- 
gemeine Grundlagen d. Instrumentation f. Blasorch.«), 
Moskau 21957; H. E. Adkins, Treatise on the Military 
Band, London 1958; M. Thomas, H. A. Neithardt, Diss. 
Bin 1959 (F. U.). GKa 

Millioktave (Abk. : mo) = Viooo Oktave, von F. W. 
Opitz 1834 eingefuhrtes.jedoch erst von A.v.Oettingen 

so benanntes IntervallmaB. Ein Frequenzverhaltnis -jr 

h 2 

wird nach der Formel 1000 • 2 log 7- umgerechnet, so 

J2 

daB sich die Oktave zu 1000- 2 log2= lOOOmo er- 
gibt. Dieses IntervallmaB ist heute weniger gebrauch- 
fich; bevorzugt wird das -> Cent. 

M}mesis (griech., Nachahmung), in der Komposi- 
tionslehre des 17.-18. Jh. eine in Anlehnung an die 
Rhetorik erklarte musikalischeFigur. Burmeister (1606) 
bezeichnet mit M. die Aufeinanderfolge zweier Noe- 
men (-»■ Noema), deren zweites im Unterschied zur 
-»- Analepsis in veranderter Stimmlage erscheint. J. 
Walther (1732) hingegen spricht (im AnschluB an 
Thuringus) von M. (oder Imitatio), wenn ein gewisses 
thema in einer Stimme iminer wiederholt wird. Bereits 
Stomius kennt den Begriff, bezeichnet aber damit die 
Fuge. Gemeinsam ist all diesen Definitionen das Mo- 
ment der Wiederholung. Dabei wird die ursprungliche 
rhetorische Figur der M. insofern verallgemeinert, als 
diese den speziellen Fall der (charakterisierenden oder 
auch verspottenden) Nachahmung der Redeweise ei- 
nes anderen meint. Vogt (1719) und SpieB (1745) ver- 
stehen die M. in dieser speziellen Bedeutung (cum ali- 
quis aherius vocem imitatur). 

Lit.: J. Stomius, Prima ad musicen instructio, Salzburg 
1536. 

Minima (zu erganzen : nota oder figura, lat., die klein- 
ste), Notenwert der ->• Mensuralnotation, geschrieben 
als Semibrevis mit Cauda: ♦, seit dem 15. Jh.: )>, Pau- 
se: ^ . Sie erscheint zuerst bei Ph. de Vitry (CSM VIII, 
23, 75, 85ff.) und Marchettus de Padua (CSM VI, 
143fL, 174fi.). Im 14. Jh. wurde die M. als eine Semi- 
brevis m. aufgefaBt; sie gilt nach Vitry i/g Brevis, im 
System der italienischen ->• Divisiones bei Marchet- 
tus 1/6. Vs °der 1/12, bei Pr. de Beldemandis (ed. Sartori, 
S. 41f.) 1/4 bis i/ 12 Brevis. Erst urn 1400 setzte sich die 
M. als eigenstandiger Notenwert durch, der je nach 
der Prolatio 1 J2 oder '/3 Semibrevis ausmacht. Auch 
die Schreibweise der M. wechselte im 14. Jh., ehe sich 

einheitlich ♦ durchsetzte. Aus der »weiBen« M. (i) ging 
die heutige Halbe Note (J) hervor, die noch jetzt ital. 
m., engl. minim heiBt. - Fuga sub minimam ist im 16. 
Jh. die Bezeichnung fiir einen Kanon, bei dem die 
nachahmende Stimme um eine M. spater einsetzt als 
die erste. 

Minnesang. Obwohl das Wort M., im Mittelalter 
sehr selten verwendet, zunachst nur die Liebeslyrik des 
adeligen Singers bezeichnet, kann unter ihm die ge- 
samte einstimmige weltliche mittelhochdeutsche Lyrik 
(einschlieBlich der deutschen Lieder in den -»■ Carmina 
Burana) bis zum Anfang des 15. Jh. verstanden werden. 
Dies entspricht dem Befund der Quellen, der eine Ab- 
sonderung gemaB jenem engeren Sinne des Wortes 
nicht aufweist. Die textliche Oberlieferung beginnt 
mit dem 13. Jh. ; ihre Hauptquelle ist die sogenannte 



573 



Minnesang 

Manesse-Handschrift (Heidelberg, CPgerm. 848, um 
1315-30). Die musikalische Uberlieferung setzt erst 
mit dem 14. Jh. ein. Die wichtigsten Quellen sind, ne- 
ben einem Blatt einer groBen Liederhandschxift im 
Staatsarchiv Miinster, die Liederhandschrif ten (-»■ Lie- 
derbiicher) Jena, Wien, Kolmar, Donaueschingen, 
Mondsee-Wien (Sporl) sowie Hugo von Montforts 
Codex (Heidelberg, CPgerm. 329), ferner Oswald von 
-> Wolkensteins Sammlungen seiner Lieder (Wien 2770 
und Innsbruck, Univ.-Bibl.), einige -> Neidhardt- 
Handschriften (Berlin, germ. 2° 779, Wien, s. n. 3344 
u. a.), Michel Behaims Handschriften (Heidelberg, 
CPgerm. 312 und 334, und Miinchen, Cgm 291), aus 
der Ubergangszeit ferner die Handschrif t Berlin, germ. 
2°922, und schlieBlich einige verspatete und zweifelhaf- 
te Aufzeichnungen in Meistersingerhandschriften (so 
Niimberg, Will. III. 784). Diese Quellen bezeugen die 
Verbreitung des M.s und weisen auf die Hofe und 
Stadte, wo er gepflegt worden ist, so auf die staufischen 
Hofe in den Herzogtumern Franken und Schwaben, 
den Babenberger Hof in Wien und Steiermark, den 
Habsburgischen in Osterreich oder in der Schweiz, die 
ostdeutschen Ftirstenhofe und die Stadte wie StraB- 
burg, Augsburg und vor allem Zurich. DieEntstehung 
des M.s im engeren Sinne - d. h. der »Liebeslyrik« des 
Adels in der eigentiimlichen Form der Entsagung oder 
des vorgetauschten Ehebruchs - ist ein schwieriges kul- 
turgeschichtliches Problem. Er wurzelt einerseits in 
einem »volkstiimlichen« Lied, das sich von kultischen 
Formen loste, dann aber auch im religiosen Lied sowie 
in fremden Vorbildern, franzosischen und provenzali- 
schen, die ihrerseits vielleicht von der arabischen Poesie 
beeinfluBt waren. Die Literarhistoriker unterscheiden 
etwa folgende Entwicklungsstufen: »Friihe Klange« 
um 1150 (davon nur weniges unter den Namen Kiiren- 
berg und Dietmar von Aist erhalten) ; »Der neue Sang« 
im letzten Drittel des 12. Jh. (M.s Friihling: Veldeke, 
Hausen, Reinmar, Morungen); »Weitung und Um- 
schwung« um 1200 (Walther von der Vogelweide, 
Neidhardt) ; »M.s Wende« etwa ab 1220 (Burkhart von 
Hohenfels, Neifen, Winterstetten usw.) und »Aus- 
klang«. Von diesen Entwicklungsstufen kommt f iir die 
Musikgeschichte fast nur die letzte, allenfalls noch die 
vorletzte, in Frage, entsprechend den spaten Nieder- 
schriften der Melodien. Fur den »neuen Sang« laBt sich 
jedoch die Moglichkeit nutzen, daB deutsche Lieder 
nach romanischen Weisen, zum Teil wohl fast unver- 
andert, gesungen wurden. Die Hochbliite des M.s ist 
also am diirftigsten iiberliefert. - Trager dieser deut- 
schen weltlichen Einstimmigkeit waren zunachst der 
Hochadel und noch mehr die Ministerialen, deren 
Stand damals aufstieg, dann spater der Stadtadel und 
angesehene Burger (Notare, Lehrer, Waffenschmiede 
usw.), daneben Berufsmusiker (landlose Ministerial- 
sohne oder Fahrende), die gegen Lohn sangen und oft 
in einem mehr oder minder festen Dienstverhaltnis zu 
den Fursten standen. 

Die iibliche Scheidung des M.s in die Gattungen Spruch, 
Lied und Leich wird seit einiger Zeit angegriffen ; vor 
allem einige Literarhistoriker versuchen, Spruch und 
Lied zusammenzufassen (Fr.Maurer, Hugo Moser); 
seitens der Musikforschung wird manche Form des 
Liedes und Spruches aus der Leichform abgeleitet, und 
damit werden diese Gattungen um ihre Selbstandig- 
keit gebracht (Gennrich). Man wirdjedoch gut tun, die 
alte Einteilung beizubehalten, vor allem im Bereich 
des Musikalischen. Der Spruch ist im wesentlichen re- 
zitativisch; seine Quellen sind ein einheimisches und 
das kirchliche Rezitativ. Fur den strophischen Aufbau 
hatte sich allerdings die Barform (A A B) durchgesetzt, 
wahrscheinlich wesentlich durch Walther, der den 



Spruch hoff ahig machte. Da der Spruch als Ubermitt- 
lung von Lehren und Weisheiten allmahlich nach einer 
ausgedehnteren Strophenform verlangte, wurde der 
Abgesang gern durch ein zweites Stollenpaar erweitert 
(A A B B C). Das Lied hingegen hat gebundene Me- 
lodik; es bevorzugt die Kanzonenform, d. h. es benutzt 
fast ausschlieBlich die Barform. Die Musik ermoglicht 
den Riickgriff auf den Anfang durch einen dritten Stol- 
len als AbschluB (A A B A). Kehrreime sind im Rah- 
men des iiberkommenen Bestandes selten. Gelegent- 
lich linden sich auch Rondellweisen. Nichtgegliederte 
Strophen sind in der Spatzeit nachweisbar, sie sind aber 
wohl Nachfahren alterer, nicht belegbarer Melodien. 
Die mannigfachen Unterschiede des Spruches oder 
Liedes, von denen der Literarhistoriker spricht und die 
auf dem verschiedenen Inhalt beruhen, lassen sich mu- 
sikalisch nicht oder nur selten feststellen. Nur fur das 
-> Tagelied oder Wachterlied ist eine Vorliebe fiir me- 
lismatische Gestaltung nachzuweisen. Anders steht es 
um dasTanzlied.Es verlangt einen ausgepragtenRhyth- 
mus, oft zuungunsten der Melodik. Dementsprechend 
hat es eine eigeneEntwicklung, die mit nichtgeglieder- 
ter Strophe und bestimmten rhythmischen und melo- 
dischen Formeln beginnt. Unter hofischem EinfluB hat 
auch das Tanzlied die Barform iibernommen. Der 
Leich schlieBlich ist, wie die kirchliche Sequenz, ein 
Lob- und Lehrgedicht, das aber dem Tanze nahesteht 
oder sogar tanzbar ist. Er ist nicht von der kirchlichen 
Sequenz abzuleiten, sondern beide gehen auf gemein- 
same, auBerliturgische Formen zuriick. Wahrend die 
klassische Sequenz der Kirche nur die Form mit Ver- 
dopplung der Binnenglieder kennt (Abbccdd ... Z), 
ist die volkssprachige Form vielfaltig und von Beispiel 
zu Beispiel verschieden gebaut, vor allem auf der 
Grundlage des doppelten oder mehrfachen Cursus 
(Abbccddbbccdd ... Z). 

Zu den Schwierigkeiten, die die diirftige und spate 
Uberlieferung dem musikalischen Verstandnis des M.s 
bereitet, kommen die Probleme des Vortrages der er- 
haltenen Melodien. Die Weisen sind in der Regel in 
Choralnotation iiberliefert; diese gibt keine Auskunft 
uber die Dauer der Tone, also auch nicht iiber den mu- 
sikalischen Rhythmus. Sie enthalt aber Zeichen wie die 
Liqueszenzen oder Pliken, deren Deutung hier Schwie- 
rigkeiten bereiten kann; bisweilen konnen auch die 
Formen der spaten Choralnoten miBdeutet werden 
(Kolmarer Handschrif t). Die Zeichen der Mensural- 
notation werden in spaten Handschriften benutzt, aber 
durchaus nicht immer mit einwandfreier Folgerichtig- 
keit (Sporlsche Handschrif t). Andere Handschriften 
(so Berlin, germ. 2° 922) bringen die Noten vor dem 
Text, was auf instrumentale Mitwirkung hinweist, auf 
jeden Fall aber die Zuweisung der Tone zu den Silben 
des Textes sehr erschwert, vor allem wenn die Zahl der 
Tone groBer oder geringer ist als die der Silben. Auch 
dieser etwaige UberschuB von Silben oder die Melis- 
matik mancher Lieder haben die Frage nach der Betei- 
ligung von Instrumenten beim Vortrag gestellt. Dazu 
kommt die gruhdsatzliche Frage, wieweit die iiberlie- 
ferten Melodien dem Original entsprechen oder ob 
man iiberhaupt von einem verpflichtenden »Original« 
sprechen darf. Aus all dem ergibt sich, daB Ubertra- 
gungen der Melodien aus den vorliegenden Notatio- 
nen in die heutige Notenschrift nur mit vielen Vorbe- 
halten gemacht werden konnen, ohne daB sie deswe- 
gen ihren Wert als Versuche verlieren, die die An- 
schauung des Obertragenden iiber die Musik des M.s 
durch das heutige Notenbild verdeutlichen. - Hinsicht- 
lich des Rhythmus stehen verschiedene Theorien ein- 
ander gegeniiber. Die modale Interpretation bestimmt 
den Rhythmus der Melodien unter Verwendung der 



574 



Minnesang 



6 Modi der Modallehre. Dabei wird meist - unter dem 
Einflufi der Regeln der Mehrstimmigkeit - ein Modus- 
wechsel streng verpont (Ludwig, Gennrich, anders 
Jammers). Die Verfechter der Vierhebigkeit ordnen 
die Melodien so, daB die Verse einen Raum von je 2, 
4 oder 6 Takten oder taktahnlichen Einheiten fiillen. 
Unter dem EinfluB von Germanisten, die bisweilen 
eine Abneigung gegen Modi mit langen »Senkungen« 
haben, werden hier die Melodien meist im geraden 
Rhythmus iibertragen (Riemann, Saran). Beide Ord- 
nungen, die modale oder die vierhebige, werden von 
solfhen Theoretikern, die einen Einflufi des Choral- 
rhythmus vermuten, bei den Melismen durchbrochen 
(Molitor, anders Jammers). Wahrscheinlich ist der 
Rhythmus ein Ergebnis mehrerer Komponenten, von 
Gattung zu Gattung, vielleicht sogar von Fall zu Fall 
verschieden, und sicherlich gewahrt er dem Vortra- 
genden in grofiem Mafie Freiheit. Das Instrument 
diirfte eine rein dienende Rolle gespielt haben und erst 
am Ende des M.s zu starkerer Beachtung gelangt sein, 
ebenso wie die Mehrstimmigkeit, von der Zeit des 
Ausklanges abgesehen, im Rahmen einfachster Formen 
und der Improvisation geblieben sein diirfte. Wo echte 
Mehrstimmigkeit vorliegt, sollte man trotz gelegent- 
licher Ubergange nicht von M. sprechen (->■ Lied). - 
Die Tonalitat des M.s ist verhaltnismaBig am leichtesten 
zu erkennen. Hier besteht aber die Frage, ob Lieder 
mit dem Grundton oder der Finalis C schlechthin als 
transponierte lydische Weisen, d. h. als Melodien im 
Rahmen des Systems der Kirchentone oder als Vorstu- 
fen moderner Durtonalitat zu verstehen sind. Wie 
aber die Melodik grundsatzlich von der echten Grego- 
rianik verschieden und ihrer Natur nach tonraumlich 
und nicht blofi rein bewegungsmaBig ist, also nur mit 
dem Tonsystem des »mittelalterlichen Chorals« zusam- 
mengebracht werden sollte, so kann auch die besondere 
Art vieler C-Lieder nicht ubersehen werden. 
Ausg. : Minnesinger, 5 Bde (Textausg.), hrsg. v. Fr. H. v. 
d. Hagen, Lpz. 1838-61, Neudruck 1926; Die Mondsee- 
Wiener-Liederhs. u. d. Monch v. Salzburg, hrsg. v. F. A. 
Mayer u. H. Rietsch, Acta germanica III-IV, 1894-96, 
separat Bin 1896; Die Sangesweisen d. Colmarer Hs. u. d. 
Liederhs. Donaueschingen, hrsg. v. P. Runge, Lpz. 1896, 
Nachdruck Hildesheim 1965; Die Jenaer Liederhs., hrsg. 
v. Fr. Saran, G. Holz u. E. Bernoulli, 2 Bde, Lpz. 1901, 
Nachdruck Hildesheim 1966;Gesangev. Frauenlob, Rein- 
mar v. Zweter u. Alexander, hrsg. v. H. Rietsch, = DTO 
XX, 2, Bd41 , Wien 1913; Lieder v. Neidhart (v. Reuenthal), 
hrsg. v. W. Schmieder, = DTO XXXVII, 1, Bd 71, Wien 
1930; M. Fruhling, hrsg. v. C. v. Kraus, Lpz. 1939 u. 6. 
(Textausg.); Zwischen M. u. Volkslied. Die Lieder d. Ber- 
liner Hs. germ. fol. 922, hrsg. v. M. Lang, d. Weisen bearb. 
v. J. Muller-Blattau, = Studien zur Volksliedforschung 
I, Bin 1941 ; Fr. Gennrich, Troubadours, Trouveres, Min- 
ne- u. Meistergesang, = Das Musikwerk II, Koln (1951, 
21960); Melodien altdeutscher Lieder, Faks., hrsg. v. 
DEMS., =Mw. Studienbibl. IX, Darmstadt 1954; Mhd. 
Liedkunst, Faks., hrsg. v. dems., ebenda X, 1 954; Neidhart- 
Lieder, hrsg. v. dems., Langen 1962; Trouveres et Minne- 
singer, I (Texte) hrsg. v. I. Frank, II (Weisen) hrsg. v. W. 
Muller-Blattau, = Schriftend.Univ. d. SaarlandesI-II, 
Saarbriicken 1952-56; M.d. 13. Jh., aus C.v. Kraus'»Deut- 
sche Liederdichter« ausgew. v. H. Kuhn, mit Ubertragung 
d. Melodien v. G. Reichert, Tubingen 1953; Die Lieder 
Walthers v. d. Vogelweide, hrsg. v. Fr. Maurer (d. Melo- 
dien hrsg. v. G. Birkner), 2 Bde, = Altdeutsche Textbibl. 
XLIII u. XLVII, Tubingen 1955-56, 21960-62; Singweisen 
zur Liebeslyrik d. deutschen Friihe, hrsg. v. U. Aarburg, 
in : H. Brinkmann, Liebeslyrik d. deutschen Friihe, Diissel- 
dorf 2 1956; The Songs of Neidhart v. Reuenthal, hrsg. v. 
A. T. Hatto u. R. J. Taylor, Manchester 1958; Ostdeut- 
scher M., hrsg. v. M. Lang, Melodien hrsg. v. W. Salmen, 
= Schriften d. Kopernikuskreises III, Lindau u. Konstanz 
1958; Neidharts Sangweisen, hrsg. v. E. Rohloff, 2 Bde, 
= Abh. d. Akad. d. Wiss. zu Lpz., Phil.-hist. Klasse, Bd 



LII, H. 3-4, Bin 1962; Ausgew. Melodien d. M., hrsg. v. E. 
Jammers, = Altdeutsche Textbibl., Erganzungsreihe I, Tu- 
bingen 1963 ; R. J. Taylor, Die Melodien d. weltlichen Lie- 
der d. MA, 2 Bde, (I Darstellungsbd, II Melodienbd), = Slg 
Metzler XXXIV-XXXV, Stuttgart 1964. 
Lit. : R. W. Linker, Music of the Minnesinger and Early 
Meistersinger. A Bibliogr., Chapel Hill (N. C.) 1962. - Fr, 
H. v. D. Hagen, Die Kolmarische Slg v. Minne- u. Meister- 
liedern, in : Museum f . altdeutsche Lit. u. Kunst II, 1811 
K. Bartsch, Zu Walthers Liedern, Germania VI, 1861 
ders., GrundriB zur Gesch. d. prov. Lit., Elberfeld 1872 
ders. u, W. Golther, Deutsche Liederdichter d. 12. bis 14. 
Jh., Bin "1901, 71914; Fr. X. Wober, Der Minne Regel v, 
Eberhardus Cersne aus Minden 1404, Wien 1861 ; K. Bur- 
dach, Das volkstiimliche deutsche Liebeslied, Zs. f. deut- 
sches Altertum XXVII, 1883; ders., tlber d. Ursprung d 
ma. M. . . .,Sb. d.PreuBischen Akad. d. Wiss., 1918; ders. 
Reinmar d. Alte u. Walther v. d. Vogelweide, Halle 21928 
R. Weissenfels, Der daktylische Rhythmus bei d. Minne- 
sangern, Halle 1886; R. v. Liliencron, Aus d. Grenzge- 
biet d. Lit. u. Musik II. Die Jenaer Minnesangerhs., Zs. f. 
vergleichende Literaturgesch., N. F. VII, 1894; H. Rie- 
mann, Die Melodik d. deutschen Minnesanger, Mus. Wo- 
chenblatt XXVHI, 1 897 ; ders. , Die Beck-Aubry'sche »mo- 
dale Interpretation« d. Troubadourmelodien, SIMG XI, 
1909/10; R. Gusinde, Ausd. SterzingerSammelhs.,in: Fs. 
d. germanischen Ver. in Breslau, Lpz. 1902; J. Mantuani, 
Gesch. d. Musik in Wien, = Gesch. d. Stadt Wien III, Wien 
1902; H. Rietsch, Die deutsche Liedweise, Wien u. Lpz. 
1904; ders., Einige Leitsatze f. d. altere deutsche einst. 
Lied, ZfMw VI, 1923/24; E. Wechssler, Das Kultur- 
problem d. M., Halle 1909; Fr. Ludwig, Zur »modalen 
Interpretation« v. Melodien d. 12. u. 13. Jh., ZIMG XI, 
1909/10; ders., Die geistliche nichtliturgische, weltliche 
einst. u. d. mehrst. Musik d. MA bis zum Anfang d. 15. Jh., 
Adler Hdb. ; R. Wustmann, Die Hofweise Walthers v. d. 
Vogelweide, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910; ders., Wal- 
thers Palastinalied, SI MG XIII, 1 9 1 1 / 1 2 ; R. Molitor, Die 
Lieder d. Miinsterschen Fragmente, SIMG XII, 1910/1 1 ; 
Fr. Jostes, Bruchstiicke einer Miinsterschen Minnesanger- 
hs. mit Noten, Zs. f. deutsches Altertum LIII, 1911; C. 
Sachs, Die Musikinstr. d. Minneregel, SIMG XIV, 1912/ 
13; WolfN; J. Wolf, Die Tanze d. MA, AfMw I, 1918/ 

19; ders., Altflamische Lieder d. 14.-15. Jh Kgr.- 

Ber. Basel 1924; Fr. Gennrich, Mw. u. romanische Phi- 
lologie, Halle 1918; ders., 7 Melodien zu mhd. Minne- 
liedern, ZfMw VII, 1924/25 ; ders., Der deutsche M. in sei- 
nem Verhaltnis zur Troubadour- u. Trouvere-Kunst, Zs. 
f. deutsche Bildung II, 1926; ders., Internationale ma. 
Melodien, ZfMw XI, 1928/29; ders., GrundriB einer For- 
menlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; ders., Liedkontra- 
faktur in mhd. u. ahd. Zeit, Zs. f. deutsches Altertum 
LXXXII, 1948, u. in: Der deutsche M., hrsg. v. H. Fromm, 
= Wege d. Forschung XV, Darmstadt 1961, Neudruck 
1963; ders., Ma. Lieder mit textloser Melodie, AfMw 
IX, 1952; ders., Zur Liedkunst Walthers v. d. Vogelwei- 
de, Zs. f. deutsches Altertum LXXXV, 1954; H. J. Mo- 
ser, Gesch. d. deutschen Musik I, Stuttgart u. Bin 1920, 
5 1930; ders., Mus. Probleme d. deutschen M., Kgr.-Ber. 
Basel 1924; ders., M. u. Volkslied, Lpz. 1925; ders., Zu 
Ventadorns Melodien, ZfMw XVI, 1934; O. Ursprung, 
Vier Studien zur Gesch. d. deutschen Liedes, AfMw IV, 
1922 - V, 1923; P. Stoy, Zu d. Tanzformen Neidharts v. 
Reuenthal, in : Jb. d. Phil. Fakultat Lpz. 1923 ; E. Jammers, 
Untersuchungen fiber d. Rhythmik u. Metrik d. Melodien 
d. Jenaer Liederhs., ZfMw VII, 1924/25; ders., Die Melo- 
dien Hugos v. Montfort, AfMw XIII, 1956; ders., Der 
Vers d. Trobadors u. Trouveres u. d. deutschen Kontra- 
fakten, in: Medium Aevum Vivum, Fs. W. Bulst, Heidel- 
berg 1960; ders., M. u. Choral, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; 
H. Angles, Les melodies del trobador G. Riquier, Estudis 
Universitaris Catalans XI, 2, 1926; H. Brinkmann, Ent- 
stehungsgesch. d. M., DVjs. VIII, 1926; A. Dolling, Die 
Lieder Wizlavs III. v. Riigen, Diss. Lpz. 1926, maschr. ; W. 
Schmieder, Zur Melodiebildung in Liedern v. Neidhart v. 
Reuental, StMw XVII, 1930; H. Loewenstein, Wort u. 
Ton bei Oswald v. Wolkenstein, = Konigsberger deutsche 
Forschungen XI, Konigsberg 1932; Fr. Eberth, Die Min- 
ne- u. Meistergesangweisen d. Kolmarer Liederhs., Det- 
mold 1935; J. Handschin, Die Modaltheorie u. C. Appels 
Ausg. d. Gesange v. Bernart de Ventadorn, Medium Aevum 



575 



Minore 



IV, 1935; C. Butzler, Untersuchungen zu d. Melodien 
Walthers v. d. Vogelweide, = Deutsche Arbeiten d. Univ. 
Koln XII, Jena 1940; U. Aarburg, Die Melodien B Ion- 
dels deNesle, Diss. Ffm. 1945, maschr.; dies., Melodienzum 
friihen deutschen M., Zs. f . deutsches Altertum LXXXVII, 
1956/57, u. in: Der deutsche M., hrsg. v. H. Fromm, = We- 
ge d. Forschung XV, Darmstadt 1 96 1 , Neudruck 1 963 ; dies., 
Muster f. d. Edition ma. Liedmelodien, Mf X, 1957; dies., 
Wort u. Weise im Wiener Hofton, Zs. f. deutsches Alter- 
tum LXXXVIII, 1957/58 ; dies., Ein Beispiel zur ma. Kom- 
positions-Technik, AfMw XV, 1958; dies., Materialien 
zur Gesch. u. mus. Uberlieferung d. Kolmarer Hs., Arch, 
ungedruckter wiss. Schriften bei d. Deutschen Bibl., Ffm. 
1958; dies., Walthers Goldene Weise, Mf XI, 1958; dies., 
Verz. d. im Kolmarer Liederkod. erhaltenen Tone u. Lei- 
che, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; A. A. Abert, Das Nach- 
leben d. M. im liturgischen Spiel, Mf I, 1948; A. Hahn, 
Bildhafte Elemente im deutschen MA, Diss. Bonn 1949, 
maschr. ; J. A. Huisman, Neue Wege zur dichterischen u. 
mus. Technik Walthers v. d. Vogelweide, = Studia litte- 
raria Rheno-Traiectina I, Utrecht 1950; A. Reich, Der 
vergessene Ton Frauenlobs, Mf III, 1950; H. Husmann, 
Das Prinzip d. Silbenzahlung im Lied d. zentralen MA, Mf 
VI, 1953; ders., Aufbau u. Entstehung d. cgm 4997 (Kol- 
marer Liederhs.), DVjs. XXXIV, 1960; W. Salmen, Wer- 
degang u. Lebensftille d. Oswald v. Wolkenstein, MD VII, 
1953; ders., Zur Melodik d. spathonsch-biirgerlichen M., 
Rheinisch-westfalische Zs. f. Volkskunde I, 1954; ders., 
European Song (1 300-1 540), in : The New Oxford Hist, of 
Music III, London 1960; W. Mohr, Zu Walthers »Hof- 
weise« u. »FeinemTon«, Zs. f . deutsches Altertum LXXXV, 
1954; R. Genseke, Die Kolmarer Hs. u. ihre Bedeutung f. 
d. deutschen Meistergesang, Diss. Tubingen 1955, maschr.; 
R. J. Taylor, Zur Ubertragung d. Melodien d. Minnesan- 
ger, Zs. f. deutsches Altertum LXXXVII, 1956; J. Mul- 
ler-Blattau, Zur Erforschung d. einst. deutschen Liedes 
im MA, Mf X, 1957; W. Irtenkauf u. H. Eggers, Die 
Donaueschinger Marienklage, Carinthia CXLVIII, 1958; 
K. H. Bertau, Neidharts Lieder mit ihren Melodien, Etu- 
des germaniques XV, 1960; ders. in: Anzeigerf. deutsches 
Altertum LXXII, 1960; W. MOller-Blattau, Melodie- 
typen bei Neidhart v. Reuenthal, Annales Univ. Saravien- 
sis (Phil. Fakultat) IX, 1960; Der deutsche M., Aufsatze 
zu seiner Erforschung, hrsg. v. H. Fromm, = Wege d. For- 
schung XV, Darmstadt 1961, Neudruck 1963; B. Kippen- 
berg, Der Rhythmus im M., Eirie Kritik d. literar- u. mu- 
sikhist. Forschung, mit einer Ubersicht uber d. mus. Quel- 
len, = Miinchener Texte u. Untersuchungen zur deutschen 
Lit. d. MA III, Miinchen 1 962 (dort weitere Ausg. u. Lit.) ; 
K. H. Bertau, Sangverslyrik, = Palaestra CCXL, Gottin- 
gen-1964; Fr. Neumann, Artikel M., in: Reallexikon d. 
deutschen Lit.-Gesch. II, neu bearb. u. hrsg. v. W. Kohl- 
schmidt u. W. Mohr, Bin 21965. EJ 

Minore (ital., kleiner; frz. mineur), s. v. w. Mollak- 
kord (armonia di terza m.), auch Molltonart. Oft tritt 
M. als Uberschrift eines Zwischensatzchens (Trio) in 
Marschen, Tanzen, Rondos usw. auf, wenn dieses in 
der Mollvariante der Durtonart des Hauptteils stent; 
auch eine in der Mollvariante stehende Variation eines 
Themas in Dur wird mit M. bezeichnet. Ebenso gibt 
M. nach einem mit ->■ Maggiore bezeichneten Trio in 
Dur das Wiedereinsetzen der Haupttonart an, wenn 
diese Moll ist. 

Minstrelsy, Negro minstrelsy (m'instialsi, engl.), 
in Amerika ab etwa 1800 umherziehende Truppen 
weiBer Schauspieler, Sanger und Tanzer, die in ihre 
Minstrel-shows die Lebensweise und das Milieu der 
amerikanischen Neger einbezogen. Die Darsteller tra- 
ten mit schwarz gefarbten Gesichtern in bunten Kostii- 
men auf und imitierten negerische Lieder und Tanze 
(cakewalk, coon songs, plantation songs), die auf dem 
Banjo oder auf primitiven Instrumenten begleitet wur- 
den. Bis etwa 1830 bestanden die Vorstellungen haupt- 
sachlich aus Auftritten einzelner Darsteller (extrava- 
ganzas), die teilweise - wie Jim Crow Rice - groBe Be- 
riihmtheit erlangten. Um 1850 bildete sich eine En- 
sembleform der M. heraus, deren Darbietungen nach 



einem festgelegten Showprogramm abliefen. Der 
Hohepunkt der M. fallt in die Zeit zwischen 1860-70. 
Die M. ist die fruheste Nachahmung negerischen Mu- 
sizierens durch WeiBe, hat in der amerikanischen Of- 
fentlichkeit das Interesse an Liedern und Tanzen der 
Neger geweckt und erlangte dadurch Bedeutung in 
der Vorgeschichte des Jazz. 

Mi-Re-Ut -> Kurze Oktave. 

Mjrliton (frz., Etymologie nicht gesichert; engl. 
kazoo), Membranophon, bestehend aus einer mit ab- 
schlieBender (Papier-) Membran versehenen Rohre; in 
die hineingesprochen oder -gesungen (bzw. -gesummt) 
wird, wobei die Membran die Stimme verfarbt und 
verstarkt. Dieses Prinzip der Stimmveranderung und 
-entstellung ist in Form der Gesichtsmaske bei rituellen 
Handlungen in primitiven Kulturen weit verbreitet. In 
Europa ist das M. als Kinderinstrument bekannt, im 
Mittelmeerraum auch als Instrument urtiimlicher 
Volksiiberlieferung (Sardinien, Aragon). Einige Be- 
deutung erlangte im 16./17. Jh. in Frankreich die Zwie- 
belflote (frz. flute a l'oignon) oder »Eunuchenflote« 
(flute eunuque, Mersenne, Harmonic universelk, 2291.), 
ein flotenformiges M., bei der eine Zwiebelhaut als 
Membran dient. Beispiele fiir sogenannte freie M.s, bei 
denen die Membran nicht in einer Rohre oder derglei- 
chen verschlossen ist, sind ein angesummtes Stuck 
Baumrinde (z. B. die Flatsche in Karnten) oder das Bla- 
sen auf dem Kamm, der ein Stuck Seidenpapier (als 
Membran) strafft (Schlick 1511 : durch ein strell). - Das 
Kazoo der amerikanischen Neger, ein R6hren-M., ist 
im Jazz neben Tub, Jug, Washboard u. a. ein haufig 
verwendetes Instrument in bluesbegleitenden Kombi- 
nationen. 

Miserere mei Deus (lat, Gott sei mir gnadig), Psalm 
50 (Vulgatazahlung), gehort inhaltlich zu den BuBpsal- 
men und wird in der romischen Liturgie heute u. a. bei 
den -> Exequien (wahrend der Uberf iihrung) verwen- 
det. Bis zur Neuordnung der Karwochenliturgie (1955) 
hatte das M. aufierdem seinen festen Platz im Offi- 
zium der drei letzten Kartage. Seit dem 16. Jh. be- 
vorzugter Gegenstand mehrstimmiger Vertonungen, 
bildete es in der Sixtinischen Kapelleden feierlichen 
AbschluB des sogenannten Tenebrae-Offiziums (Ma- 
tutin und Laudes vom Griindonnerstag, Karfreitag und 
Karsamstag). Eine fast legendare Beriihmtheit erlangte 
bei diesen Auffiihrungen das 1638 entstandene doppel- 
chorige M. von Gr. Allegri (im traditionellen -*■ Falso- 
bordone-Satz zu 4 und 6 Stimmen mit 9st. SchluBchor), 
das lange Zeit strengstens gehutet wurde (erste Druck- 
legung 1771) und sich bis 1870 im Repertoire der Six- 
tina halten konnte. AuBer ihm kam seit 1714 das M. 
von T.Baj zum Vortrag; 1821 fand auch die lOst. M.- 
Vertonung G. Bainis Aufnahme in das Repertoire. Die 
altesten mehrstimmigen Vertonungen stammen von 
Josquin Desprez (5st. Motette) und C. Festa (9st. Satz 
im Wechsel mit choralen Partien, komponiert 1517). - 
In Form von Umdichtungen lebt das M. fort in den 
deutschen Kirchenliedern Erbarm dich mein, o Herre 
Gott (1524) und O Herre Gott, begnade mich (1525). 

Missa (lat.) -> Messe. 

Miss ale (mittellat, MeBbuch) heiBt das in der romi- 
schen MeBliturgie fiir den zelebrierenden Priester be- 
stimmte Buch folgenden Inhalts: Einleitungsteil (Ka- 
lendarium, Rubriken, Gebete vor und nach dem MeB- 
opfer); Proprium de tempore (Formulare fiir die Sonn- 
tage und beweglichen Feste, ausgenommen Heiligen- 
feste) ; Ordo missae und Canon missae (unveranderliche 
Teile der Messe); Proprium de Sanctis und Commune 
Sanctorum (Formulare fiir die an ein Kalenderdatum 



576 



Mittelalter 



gebundenen Feste, meist Heiligenfeste, und fur das 
Kirchweihfest bzw. Heiligenfeste ohne eigenes For- 
mular); Votiv- und Totenmessen; Benediktionen so- 
wie Proprium Sanctorum und Commune Sanctorum pro 
aliquibus locis (Formulare lokal gefeierter Heiligen- 
feste). Die offizielle Ausgabe des M.s wurde 1570 von 
Pius V. eingefiihrt (letzte offizielle Ausgabe 1962). 
Nicht auf das M. Romanum verpflichtet wurden hier- 
bei alle Kirchen, die iiber einen eigenen, mindestens 
200 Jahre alten Ritus verfiigten. Noch heute benutzen 
die Kartauser, Dominikaner, Pramonstratenser, Zi- 
sterzienser und Karmeliten eigene Missalen, ebenso 
der mailandische und altspanische Liturgiekreis. Fiir 
den Laiengebrauch erschien das M. Romanum 1884 
in einer von dem Beuroner Benediktiner Anselm 
Schott besorgten deutschsprachigen Ausgabe, die seit- 
dem als »Schott«(-MeBbuch) die groBte Verbreitung 
fand. - An Melodien enthalt das M. : Gloria- und Cre- 
dointonationen, Prafationen, Pater noster und Entlas- 
sungsrufe, ferner bestimmte Gesange der Karwochen- 
liturgie u. a. - Als M. plenarium bezeichnete man im 
Mittelalter jene MeBbiicher, die auBer den Texten auch 
die Melodien aller Gesangstiicke enthielten. 
Lit. : W. H. J. Weale u. H. Bohatta, Cat. Missalium Ritus 
Lat. ab anno M.CCCC.LXXIV impressorum, London u. 
Lpz. 1928. 

Misticanza (ital., s. v. w. Mischmasch) -*■ Quod- 
libet. 

misurato (ital.), gemessen, im Takt, gleichbedeutend 
mit a -> battuta. 

Mittelalter. Im 19. Jh. wurde die Musik des MA 
meist unter dem Gesichtspunkt der Theorie behandelt, 
da nur auf diesem Gebiet durch M. Gerbert (1784) und 
E. de Coussemaker (1864-76) umfangreiches Material 
veroffentlicht worden war. Die ErschlieBung der ei- 
gentlichen Musikhandschriften erfolgte erst seit etwa 
1900, vor allem durch die Lebensarbeit Fr.Ludwigs. 
Er gab 1924 die erste giiltige Gesamtdarstellung (in 
Adler Hdb.), veroffentlichte die Kompositionen von 
G. de Machaut, beteiligte sich auch an der ersten syste- 
matischen Vorfiihrung mittelalterlicher Musik durch 
W. ->- Gurlitt 1922 in der Kunsthalle zu Karlsruhe. 
Seitdem sind neue Untersuchungen und Ausgaben er- 
f olgt, in besonders vielseitiger Form durch J. -> Hand- 
schin. - Das MA hat die Fuhrerstellung der europai- 
schen Musik begriindet, denn diese beruht auf dem 
damals geschaffenen System der Mehrstimmigkeit. 
Gesang und Instrumente wirkten dabei zusammen, 
wahrend die Theorie fiir das Richtige eine Begriindung 
gab. So erneuerte das MA den Zusammenhang von 
Musik und Theorie, wie er in der Antike bestanden 
hatte. Als Ausgangspunkt diente das spatlateinische 
Schrifttum von Boethius, Cassiodorus und Isidorus 
von Sevilla. Es iibermittelte neben technischen Dingen 
auch eine Musikanschauung, an deren Grundgedanken 
Europa bis ins 18. Jh. hinein festhielt. Ihr Kern war das 
Prinzip des Numerus, wonach die gesamte Weltord- 
nung auf der Zahl beruht. DaB auch in der Musik die 
Zahl maBgebend sei, war fiir die Theorie stets der ent- 
scheidende Gesichtspunkt. Schwierigkeiten ergaben 
sich aus der Obernahme des pythagoreischen Quinten- 
systems, so daB die Terz umstritten blieb. Das Wesen 
der Musik liegt in der ->■ Harmonia. Hierdurch war 
sie der nach dem Numerus geordneten Welt geheim- 
nisvoll verbunden. So bezeichnete man nach spatan- 
tiker Art als Musica mundana die Spharenharmonie, 
Musica humana den leibseelischen Mikrokosmos des 
Menschen, Musica instrumentalis vel sonora die real 
erklingende Musik. Fiir das Christentum erhob sich 
iiber diesen drei Bezirken noch Musica coelestis vel 



divina, die Musik der himmlischen Welt, da alles Seien- 
de als Schopfung Gottes theozentrisch geordnet war. 
So gait die Musik dem MA als Hinweis auf das Tran- 
szendente, ihre Ordnung als ein Symbol. - Fiir die Mu- 
sikpraxis war der Zusammenhang mit dem Christen- 
tum gleichfalls fundamental. Im Mittelpunkt stand 
die als Gregorianischer Gesang bezeichnete Form des 
romischen Kultgesanges, die das Frankenreich in den 
Jahrzehnten um 800 iibernahm. Ihr Melodiebestand 
war die unantastbare Grundlage, die man fur Jahrhun- 
derte ausgebaut, gleichzeitig aber auch durch neue 
Formen bereichert hat. Zunachst Interpolationen im 
Choralgesang, wurden Sequenz und Tropus oft selb- 
standig, womit der syllabische Vortrag Raum gewann. 
Hier also trat an die Stelle des auf Melismatik beruhen- 
den choralischen Stimmstromes eine Melodie mit iso- 
lierten Einzeltonen. Sie war auf Instrumenten spielbar 
und ist von ihnen wohl oft nach dem Prinzip der He- 
terophonie begleitet worden. Dazu kam schon im 9. 
Jh. die Mehrstimmigkeit, hauptsachlich mit Parallel- 
bewegung in der Quarte und Quinte. Ihre Bezeich- 
nung als Organum zeigt, daB Instrumente dabei eine 
Rolle spielten, vor allem die wohl aus Byzanz iiber- 
nommene, jetzt in Kirchen zugelassene Orgel. Die ent- 
scheidende Zeit war das 12. Jh. Damals wurde Epen- 
gesang in der Nationalsprache vom Rittertum bevor- 
zugt, wahrend sich das geistliche Drama reich entfal- 
tete. Nachdem Reim und Strophe bereits im Lateini- 
schen durchgedrungen waren, entstand mit dem pro- 
venzalischen Minnesang die Hauptform ritterlicher 
Lyrik. Alle diese Formen sind einstimmig. Das 2st. 
-*■ Organum pflegte man kunstvoll im Umkreis der 
Abtei St-Martial, wo die Organalstimme vereinzelt 
sogar ihren eigenen, den Tenor tropierenden Text 
erhielt. Die Aufzeichnung dieser Organa laBt noch 
kein Ordnungsprinzip des Rhythmus erkennen. So 
wurden sie schon in der 2. Half te des 12. Jh. vom Nor- 
den iiberfliigelt. 

Die Musik wandelte sich hierbei so grundlegend, daB 
um 1200 eine neue Ordnung sichtbar wird, die »mu- 
sikalische Gotik«. Ihr Schwerpunkt liegt in Nordfrank- 
reich, wenn auch im 13. Jh. offer Englander, Deut- 
sche, Spanier mitwirkten. Das gotische Zeitalter glie- 
dert sich in 3 Abschnitte: Notre-Dame-Epoche, Ars 
antiqua und Ars nova nebst Auslaufern. Fiir die Notre- 
Dame-Epoche ist charakteristisch, daB ein einheitli- 
cher Gesamtstil alle Bezirke der Musik durchdrang. Er 
hatte seinen Ursprung in der 1163-1235 erbauten Pa- 
riser Kathedrale, wo das Organum sy stematisch gepflegt 
wurde, zunachst unter Leoninus, dann unter Perotinus 
Magnus (denEhrentitel verliehen ihm die Nachfolger). 
Perotin ging im Organum zur Dreistimmigkeit mit 
festem Rhythmus iiber, um 1200 auch zur hochfeier- 
lichen Vierstimmigkeit. Grundlage war der einheitlich 
ablaufende Modalrhythmus, den die Theoretiker mit 
dem System der 6 Modi zu erfassen suchten. Durch 
diese Rhythmik war es moglich, dem Oberbau ge- 
wisser Organumabschnitte einen Text (frz. mot) zu 
unterlegen, womit die Form der -> Motette entstand. 
Fiir 2-4 Stimmen mit lateinischen, bald auch franzosi- 
schen Worten bearbeitet oder neu geschaffen, zeigt 
sie die Herkunft aus dem Organum durch einen Cho- 
raltenor, der als Grundlage dient. Ist Perotins Tatig- 
keit auf diesem Gebiet wahrscheinlich, so wird sie aus- 
drucklich bezeugt fiir den Conductus, die Hauptform 
der geselligen Musik mit lateinischem Text, die zu- 
nachst fiir Kleriker gedacht und oft nur einstimmig 
war. Die Melodie des 2-3st. Satzes ist stets frei er- 
funden, der Text iiberwiegend Note gegen Note ge- 
setzt, wahrend sich in den umrahmenden Melismen 
hohe Kunst entfalten kann. - Durchaus einstimmig 



37 



577 



Mittelalter 



ist der Bezirk des Minnesangs. Hier wirkte das Vorbild 
aus der Provence schon seit dem 12. Jh. auf die Deut- 
schen, formal die Kanzonenstrophe mit 2 Stollen und 
Abgesang. Der hohe Stil des Minnesangs gipfelt bei 
Walther von der Vogelweide, wahrend Neidhardt von 
Reuenthal den dorf lich-realistischen vertritt. Die nord- 
franzosischen Trouveres iibernahmen den Minnesang 
gleichzeitig mit den Deutschen. Sie gaben dem Spiel- 
mannselement mehr EinfluB, ebenso der Verbindung 
mit Notre-Dame, so daB hier bald die modale Rhyth- 
mik herrschte. Als der beriihmteste Trouvere gilt Thi- 
baut IV., Graf von Champagne. - In der Ars antiqua 
andert sich das Bild, da die bisherige Mannigfaltigkeit 
des Musizierens durch die Herrschaft einer einzigen 
Form abgelost wird. Organa und Conductus werden 
zwar aufgefiihrt, aber die Neukomposition gilt fast 
nur der Motette. Ihr Haupttypus ist die 3st. Doppel- 
motette mit 2 verschiedenen Texten, lateinisch oder 
franzosisch oder gemischt, wobei der Tenor meist 
noch dem Choral, oft jedoch der Profanmusik ent- 
stammt. Auch Tripelmotetten mit 3 verschiedenen 
Texten gibt es. Der gelegentlich vorkommende -> Ho- 
quetus spielt nur eine Nebenrolle. Seit etwa 1230 ent- 
wickelte sich die bisher modale Rhy thmik immer f reier, 
was zur Durchbildung der Mensuralnotation fiihrte. 
Um 1250 schrieb Franco von Koln das Lehrbuch, auf 
dem die "Weiterentwicklung beruht. Er hat vielleicht 
auch Motetten komponiert, ahnlich wie der Dichter- 
musiker Adam de la Halle aus Arras. Zur jiingeren 
Gruppe gehort der Kantor Petrus de Cruce aus Amiens, 
der 1298 fur den franzosischen Konig ein Offizium auf 
Konig Ludwig den Heiligen zu komponieren hatte, 
sonst aber durch Motetten mit ganz frei deklamieren- 
der Oberstimme bekannt ist. Soziologisch ist in der 
Ars antiqua der Typ eines Musikkollegiums mit Be- 
rufsmusikern und biirgerlichen Kennern (cantores et 
layci sapientes) bezeugt. Zum ersten Male erscheint 
hier das asthetisch eigenwertige Kunstwerk, das nur 
den Kennern verstandlich ist. Dies bestatigt Johannes 
de Grocheo, der um 1300 das Pariser Musikleben in 
seiner sozialen Schichtung beschrieb. Der neuzeitlich 
anmutende Realismus in seinem Traktat ist jedoch nur 
die eine Seite der Ars antiqua. Auf der anderen steht 
Jacobus von Liittich (Jacobus Leodiensis), fur den eben- 
falls der Eindruck der freien Kunst Petrus de Cruces 
entscheidend war. Sein Speculum musicae faBt den 
Universalismus des Mittelalters in einzigartiger Wei- 
se zusammen. 

Die Wendung zur Ars nova um 1320 ist verkniipft 
vor allem mit dem Sohn eines Hofbeamten in Paris 
und Begiinstigten des franzosischen Konigshauses, 
Philippe de Vitry. Sein Motettentyp verwendet nach 
wie vor 2 verschiedene Texte in Ober- und Mittel- 
stimme, auch ein Tenorfundament, das uberwiegend 
dem Choral entstammt. Neu ist jedoch, auf Grand 
mehrfacher rhythmischer Wiederkehr von 10-20 Tak- 
ten, eine »Isoperiodik« des Ganzen. Sie kann sich zur 
-*■ Isorhythmie verscharfen: zur genauen rhythmi- 
schen Wiederkehr bei verschiedenem Melos. Neu ist 
ferner die aus England stammende Betonung der Terz 
im Dreiklang, die Bereicherung solistischen Manner- 
singens durch Knabenstimmen und Instrument* und 
die nun haufig anzutreffende Vierstimmigkeit mit 
Contratenor. So ist die Motette nun eine farbenreiche, 
rein musikalische GroBform, die auf der Zahlordnung 
im Tenor beruht und die mittelalterliche Musikan- 
schauung eindrucksvoll verkorpert. Der historische 
Zusammenhang, in dem Vitry stand, ist klar erkenn- 
bar an der asthetischen Eigengesetzlichkeit seiner Mo- 
tette, weit iiber das MaB der Ars antiqua hinaus. Ge- 
gen diese Kunstauffassung erhob Papst Johannes XXII. 



1324/25 Bedenken hinsichtlich des kirchlichen Be- 
reichs. - Die Theorie der Ars nova, auBer durch Vitry 
besonders vom Pariser Astronomen Johannes de Muris 
dargestellt, erfaBt im Rahmen der Scientia musicae 
nunmehr das Kunstwerk. Zu ihm gehorte auBer der 
Motette sogleich das Kunstlied (lat. cantilena). Guil- 
laume de Machaut, als Sekretar Konig Johanns von 
Luxemburg auf Erneuerung des Minnesangs bedacht, 
pflegte auBer 1st. Liedformen vor allem den Sologe- 
sang fur eine Mannerstimme mit 1-3 Instrumenten. 
Zur Vertonung dienten eigene Balladen, Rondeaus 
und Virelais in der sseconde rhetorique« genannten 
Verskunst. Hier entstand durch freie, oft expressive 
Rhythmik und Intensivierung des Klanges der Typ des 
Kunstlieds im -> Kantilenensatz. Er gipfelt in Machauts 
3st. Balladen. Als Nebenform kennt Frankreich die 
Chasse mit 3 gleichen Stimmen im Kanon. Die italie- 
nische Caccia, unabhangig davon, entwickelte sich zur 
gleichen Zeit. Sie bildet, zusammen mit dem 2st. Ma- 
drigal, die Grundlage der Trecentomusik Italiens. Spa- 
ter kam die Ballata, auch die Vorliebe fiir den 3st. Satz 
hinzu; sie sind fiir Francesco Landini bereits charakte- 
ristisch. Zugleich verstarkte sich der franzosische Ein- 
fluB. Vergleicht man das Gesamtschaffen beider Lan- 
der, dann erweist sich als empfindlichste Liicke das 
Fehlen einer musikalischen GroBform in Italien. Die 
Trecentomusik hat kein Gegenstiick zur isorhythmi- 
schen Motette, die erst spat gelegentlich nachgeahmt 
wurde. Gerade diese Form gewann im Norden an Be- 
deutung, denn Machaut, der mit franzosischen Mo- 
tetten begonnen hatte, schuf in seiner Spatzeit groBar- 
tige lateinische Motetten und nach ihrem Muster ei- 
nen 4st. MeBzyklus (vermutlich 1364 zur Kronung des 
franzosischen Konigs in Reims). Die Kirchenmusik 
spielte seit der Ars nova eine bescheidene Nebenrolle 
und folgte meist weltlichen Vorbildern. Im Sinne der 
Kritik von Papst Johannes XXII. war man oft bemiiht, 
das Profane in der Kirche abzudampfen. Die franzosi- 
sche Spatzeit nach Machauts Tode 1377 bewahrte ne- 
ben dem Kantilenensatz, der immer komplizierter 
wurde im Sinne einer freien Kunst, auch die GroBform 
der Motette und mit ihr ein Hauptmittel zur Erneue- 
rung der Kirchenmusik im 15. Jh. 
Der Zusammenhang der nun sich anschlieBenden Zeit 
mit dem MA ist nicht zu bezweifeln. Im 15. Jh. ge- 
schah jedoch soviel Neues, daB schon damals von einer 
1430-40 einsetzenden Nova ars gesprochen wurde. Mit 
ihr begann die sniederlandische Epoche« der Musik, die 
auch das 16. Jh. umfaBt (->■ Niederlandische Musik). 
Sie beruht auf einem dem MA unbekannten »Singstil«; 
die Einzelstimme wurde gleichsam ein zu singender 
Stimmstrom, der Satz ein Zusammenklang solcher 
Strome im Wechsel von Konsonanz und Dissonanz, 
die Musik dem Wort angenahert und bald wortahn- 
lich. Hiermit erneuerte sich der eingangs erwahnte 
choralische Stimmstrom der Gregorianik, die nun oft 
polyphon bearbeitet wurde. Im Zusammenhang mit 
dem MA seien nur zwei Abschnitte der niederlandi- 
schen Epoche kurz behandelt : die Dufay-Zeit als erste 
Auspragung des Neuen und die Reformation wegen 
des gesteigerten deutschen Anteils. - In der Dufay- 
Zeit lag die Fiihrung zeitweilig bei England. Es iiber- 
mittelte dem Kontinent manches festgehaltene mittel- 
alterliche Gut, als eigenes den auf Terz und Sexte be- 
ruhenden Vollklang und den C. f . als Grundlage eines 
Ordinariumszyklus. Da Englands Schwache in der 
Profanmusik lag, und gerade hierin die Starke des 
Kontinents, ubernahm die Fiihrung bald der universale 
Musiker Guillaume Dufay. In Kantilenensatz und Mo- 
tette verwurzelt, liedmaBig empfindend, strebte er 
ahnlich den Notre-Dame-Musikern nach einem zeit- 



578 



Modalnotation 



gemaBen Gesamtstil mit EinschluB des Profanen. Es 
kennzeichnet die Epoche, daB man keine freie Kunst 
im Sinne Vitrys wiinschte, sondern eine dienende, und 
so steht nun der nach Motettenvorbild angelegte 5tei- 
lige Ordinariumszyklus als GroBform voran. Schon 
friih franzosische und italienische Volkslieder einbe- 
ziehend, entnahm Dufay als erster den Tenor der 
Messe auch franzosischen Chansons. Andere benutzten 
deutsche, italienische oder sonstige Vorlagen, und so 
war bald der profane Bereich voll einbezogen als Aus- 
druck eines christlich geweihten Abendlandes. 
Mit der Reformation wird der gesteigerte Anteil sicht- 
bar, mit dem Deutschland nun an der Musik beteiligt 
war. Als ihr Trager gesellte sich im 15. Jh. zu Fiir- 
stenhof, Kirche, Kloster und Schule das Biirgerhaus. 
Schon vor 1500 iibernahm man nach dem Zeugnis von 
Adam von Fulda den niederlandischen Singstil, wie 
auch der fiihrende Flame Heinrich Isaac durch seine 
Tatigkeit fiir Kaiser Maximilian I., Friedrich den Wei- 
sen und das Domkapitel von Konstanz, als Lehrer 
Senfls und als Komponist deutscher Liedsatze nach- 
haltig auf die deutsche Musik des 16. Jh. gewirkt hat. 
Zur Verbindung mit dem Italien der -*■ Renaissance 
kam die Anteilnahme von Humanisten (-»• Humanis- 
mus). In breiter Schicht wirksam wurde jedoch die 
Reformation, die durch Martin -» Luther mit der Mu- 
sik in positivster Form verbunden war. Die Schop- 
fung und Einfiihrung des Gemeindeliedes - satztech- 
nisch ein Gesellschaftslied - gab dem seit der Dufay- 
Zeit wirksamen Liedprinzip die zeitgemaBe, zukunfts- 
trachtige Gestalt. Ausgehend vom Singstil niederlan- 
discher Pragung, hat jedoch Luther die Musik iiber- 
haupt bejaht, als eine dem Wort ebenburtige Kraft im 
Gottesdienst zugelassen, auch das Profane an ihr als 
Gabe Gottes betrachtet. In Deutschland ging es nicht 
um freie, sondern um dienende Kunst. Auch der Kom- 
ponist, Musicus poeticus genannt (-»■ Musica poetica), 
blieb als Individualitat eingefiigt in die theozentrische 
Welt des Christentums, ein bis zur Zeit J. S. Bachs maB- 
gebender Vorgang. Die Reformation hat das theo- 
zentrische Weltbild des MA fiir die Musik mit nach- 
haltiger Wirkung erneuert. 

Lit. (Gesamtdarstellungen) : Fr. Ludwig, Die geistliche 
nichtliturgische, weltliche einst. u. d. mehrst. Musik d. MA 
bis zum Anfang d. 15. Jh., Adler Hdb.; H. Besseler, Die 
Musik d. MA u. d. Renaissance, Biicken Hdb. ; A. Pirro, 
Hist, de la musique de la fin du XIV e s. a la fin du XVI e , 
Paris 1940; G. Reese, Music in the Middle Ages, NY (1940), 
London 1941 ; ders., Music in the Renaissance, NY(1954), 
21959; J. Handschin, Mg. im Oberblick, Luzern (1948), 
21964; The New Oxford Hist, of Music, II Early Medieval 
Music up to 1300, hrsg. v. A. Hughes OSB, London 1954, 
21955, III Ars Nova and the Renaissance 1300-1540, hrsg. 
v. dems. u. G. Abraham, ebenda 1960. HB 

Mittelstimmen, im mehrstimmigen Satz die zwi- 
schen Ober- und Unterstimme liegenden Stimmen. 
Wahrend im polyphonen Satz die M. meist selbstan- 
dig gefuhrt sind, haben sie im homophonen Satz den 
Charakter von -> Fiillstimmen. 

Mittenwald (Oberbayern). 

Lit.: J. Macon, Die Entwicklung d. Geigenindustrie in 
M., Diss. Erlangen 1913; J. Reiter, 250 Jahre M.er Gei- 
genbau 1685-1935, M. (1936). 

Mittonen -»■ Resonanz. 

Mixolydisch -> Systema teleion, -> Kirchen- 
tbne. 

Mixtur (von lat. miscere, mischen, mixtura, Vermi- 
schung; frz. fourniture, Zubehor, auch plein jeu; engl. 
mixture; span, lleno) ist die gebrauchlichste aller ge- 
mischten Stimmen der Orgel, die deren Klang den 



orgeleigenen Glanz verleiht. Sie besteht aus mehreren 
(3 bis 8, vom 13.-16. Jh. bis zu 18, 22 und mehr) hoch- 
liegenden Pfeifenreihen (Choren), die mit Oktaven 
und Quinten, seltener auch Terzen besetzt sind. Er- 
klingen auf einer Taste 3 Pfeifen zugleich, so heiBt die 
M. dreichorig oder dreifach, bei 4 Pfeifen vierchorig 
oder vierfach usw. Angaben wie drei- bis fiinffach 
oder fiinf- bis achtfach besagen, daB die M. zur Hohe 
hin mehr (5 bzw. 8) Chore hat als in den tieferen La- 
gen. Die M. der alteren Orgel konnte auch mehrere 
gleich hohe, aber verschieden mensurierte Chore 
(Doppelchore) haben, deren schwebender Klang den 
Glanz der M. noch erhohte. Das Abbrechen hoher Cho- 
re, um mit einem tiefer liegenden Chor neu anzusetzen, 
heiBt Repetition {-*■ Formant). Die FuBtonbezeich- 
nung einer M. richtet sich nach dem tiefsten Chor auf 
der Taste C. Demnach disponiert M. dreifach 2' auf C: 
ci gi c2 (d. h. 2' 1 1/ 3 ' 1'). Eine 6- bis 8fache M. A. Schnit- 
gers hat beispielsweise folgenden Aufbau: 
C H/3' 1' 2 /3' V2' 1/3' V4' 
c 2' U/3' 1' 2/3' 1/2' V2' W 
g 2' H/3' 1' 1' 2/3' 2/3' i/ 2 ' 
c' 22/3' 2' 2' H/3' 1' 1' 2/3' 
g' 4' 22/3' 2' 2' H/3' 1' 1' 2/3' 
c" 4' 4' 22/3' 22/3' 2' 2' 11/3' 1' 
g" 4' 4' 22/3' 22/3' 2' 2' H/3' I1/3' 
In der Mannigf altigkeit der Zusammensetzung der M. 
zeigt sich die Kunst des Orgelbauers. Mehrchorigkeit 
und Repetition sind die beiden Hauptmerkmale der 
M., fiir die in der Zeit der romantischen Orchesteror- 
gel das Verstandnis schwand, um mit der Orgelbewe- 
gung neu gewonnen zu werden. Die M. gehbrt mit 
Hintersatz, Scharf, Cimbel, Cymbale u. a. zur Pleno- 
gruppe; sie ist nicht als Einzelregister zu verwenden, 
sondern - wie der franzosische Name fourniture (Zu- 
behor) sagt - als Klangkrone und -fiillung (mit Cym- 
bale) insbesondere dem Pleno zugehorig. Ihire Mensur 
ist nach Prinzipalart verhaltnismaBig eng, nach den 
hohen FuBtonlagen sich noch verjiingend, dadurch 
silbrig hell und nicht schreiend. Hierauf hat A. Schlick 
in seinem Spiegel der Orgelmacher und Organisten (1511, 
Cap. 6 und 7) mit folgenden kraftigen Worten hinge- 
wiesen: Es soil auch nit vbersetzt sein mit andern grossen 
pfeiffen / die dz werck ruch vnd grob / gut schweynisch ma- 
chen I als die seuw schreyen etc. Sonder von klein pfeiffen 
die selbigen recht proportioniert machent ein gut zart schnei- 
dent m. vnd wie woll in selben auch mbgen kleiner quint- 
lein sein I dock das sie nit gehort werden / scherpffen vnd 
stercken auch woll . . . auch die chor all gegen ein ander von 
vnden an bifi oben hinvfi recht proportioniert sein sollen / 
einand' nit vberschreyen . . . 

Mixtur-Trautonium ->-Trautonium. 

Mizmar (arabisch; auch zamr) ist allgemein eine Be- 
zeichnung fiir Holzblasinstrumente, speziell fiir Dop- 
pelrohrblasinstrumente. ->• Zurna. 

M. M., Abk. fiir -»■ Metronom Malzel. 

Modalnotation (moderne Analogiebildung zu Men- 
suralnotation). Geschaffen in der noch wenig aufge- 
hellten Friihzeit der ->■ Notre-Dame-Schule wohl im 
Zuge planmaBiger Einbeziehung modaler Rhythmen 
in die mehrstimmige Kunst, diente die M. bis zur all- 
mahlichen Auskristallisierung der ->■ Mensuralnotation 
(Mitte des 13. Jh.) der Aufzeichnung modalrhythmisch 
komponierter Teile und Stiicke innerhalb des Notre- 
Dame-Repertoires. Als solche sind zu nennen : ->• Dis- 
cantus-Partien (die in nichtmodal notierten 2st. Organa 
als modale Einschiibe erscheinen), ->■ Klauseln, 3- und 
4st. ->■ Organa, friihe -> Motetten, -*■ Conductus. Die 
aus der nordfranzosischen Neumenschrift in ihrer Aus- 



579 



Modalnotation 



pragung als »Quadratnotation« (Fr. Ludwig) gewonne- 
ne und mit ihr weiterhin verbunden gebliebene M. bil- 
det eine Zwischenstufe zwischen (rhythmisch indiffe- 
renter) Neumenschrift und (rhythmisch differenzie- 
render) Mensuralnotation. Charakteristisch fiir diese 
Zwischenstufe ist, dafi sie zwar weitgehend noch mit 
rhythmisch mehrdeutigen Schriftzeichen operiert (z. B. 
kann ein 3toniges Zeichen wenigstens 4 verschiedene 
Bedeutungen haben; siehe untenstehende Ubersicht), 
aber bereits zur genauen Festlegung unterschiedlicher 
rhythmischer Bewegungsablaufe tendiert. Drei Fakto- 
ren konnen dem einzelnen Zeichen rhythmische Be- 
stimmtheit verleihen: 1) die Unterscheidung nach der 
in einem Zeichen enthaltenen Anzahl von Tonen (1-, 
2-, 3-, 4tonige Neumenklassen: nota simplex, binaria, 
ternaria, quaternaria; eine wichtige Sonderstellung 
nimmt dabei die -*■ Plica ein), 2) die auf wenige und 
typische Falle beschrankte Kombination von Zeichen 
verschiedener Klassen (-> Cbniunctura), 3) die diesen 
Kombinationen zugeordneten verschiedenen modalen 
Rhythmen (-> Modus - 2). Kernstiick der M. waren 
die mehrtonigen Neumen, nunmehr -> Ligaturen (- 1) 
genannt. Aus den Angaben der erst spat einsetzenden 
und bereits auf dem Boden der Mensuraltheorie stehen- 
den Musiktraktate (Discantus positio vulgaris, Johannes 
de Garlandia, Anonymus IV und VII u. a.) ergibt sich 
etwa folgendes, das Prinzip veranschaulichende Bild 
(L = Longa, B = Brevis) : 



Modus 


Kombination 


Beispiel 


rhythmische ] 
mittelalterliche Theorie 


3edeutung 

heute 


1. 


322... 


|As^ 


LBL BL BL 


IAA1AIA 


2. 


...223 


%sr*' 


BL BL BLB 


jj jj jjj 


3. (oder 6.) 


133... 


h A \ 


L BBL BBL 


J. jjj. jjj. 


4. 


kommt offenbar 


sehr selten vor und ist umstritten 


5. 


111... 


hn 


LLL 


J. J. J. 


6. (oder 3.) 


433... 


\ A ra 


BBBB BBB BBB 


jjjj jjj jjj 



(Da Theorie und Praxis nicht immer ubereinstimmten, 
gehen die Auffassungen heute nicht selten erst recht 
auseinander.) Zur Kennzeichnung des Anfangs und des 
Endes einer Ligaturenkette dient ein senkrechtes Strich- 
lein, das zugleich die Bedeutung eines Gliederungs- 
oder eines Pausenstrichs erhielt (-»■ Divisio modi - 1 ; 
-> Suspirium). Die Anzahl der zwischen zwei Pausen- 
strichen stehenden regularen Ligaturen gibt AufschluB 
iiber den ->• Ordo des betreffenden Modus. Komplika- 
tionen und Unklarheiten ergeben sich haufig durch 
Abweichungen von der Norm : vor allem bei Tonwie- 
derholungen, durch Spaltung (fractio modi) oder Ver- 
schmelzung (extensio) von Normalwerten sowie durch 
syllabische Textunterlegung (bei Conductus und Mo- 
tette). Fiir die Rekonstruktion des urspriinglich ge- 
meinten Rhythmus erweist sich manchmal (aber nicht 
immer) die mensurale Umschrift eines modalrhyth- 
misch mehrdeutig notierten Stiicks als niitzlich. 
Lit.: Fr. Ludwig, Repertorium organorum ... 1, 1, Halle 
1910, S. 42ff., Nachdruck hrsg. v. L. A. Dittmer, NYu. Hil- 
desheim 1964; H. Husmann, Die dreist. Organa d. Notre- 
Dame-Schule mit besonderer Beriicksichtigung d. Hss. 
Wolfenbuttel u. Montpellier, Diss. Bin 1932, Teildruck 
Lpz. 1935; ApelN; R. v. Ficker, Probleme d. modalen 
Notation, AMI XVIII/XIX, 1946/47; W. G. Waite, The 
Rhythm of the Xll^-Cent. Polyphony, = Yale Studies in 
the Hist, of Music II, New Haven (Conn.) 1954; Fr. Za- 
miner, Der Vatikanische Organum-Traktat (Ottob. lat. 
3025), = Miinchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; H. 



Tischler, A propos the Notation of the Parisian Organa, 
JAMS XIV, 1961 ; E. Thurston, A Comparison of the St. 
Victor Clausulae with Their Motets, in: Aspects of Me- 
dieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966). 

FZa 
Modena (Emilia). 

Lit. : V. Tardini, I teatri di M., 2 Bde, M. 1899/1900-1902; 
E. Schenk, Osservazioni sulla scuola istrumentale mode- 
nese nel Seicento, Atti e memorie della Accad. di scienze, 
lettere e arti di M. V, 10, 1952; G. Roncaqlia, La scuola 
istrumentale modenese del s. XVII, Sonder-H. d. Accad. 
mus. chigiana, Siena 1956; ders., La cappella mus. del 
duomo di M., = Hist. Musicae Cultores Bibl. V, Florenz 
1957; ders., Gli Ambreville, musicisti modenesi, Atti e 
memorie della deputazione di storia patria per le antiche 
provincie modenesi VIII, 11, 1959. 

moderato (ital.), modere (frz.), Abk.: mod., ge- 
maBigt, eine Tempobezeichnung, die als Allegro m. 
zu verstehen ist. 

Modern Jazz (m'odan d3a:z, engl.), Sammelbezeich- 
nung fiir die seit etwa 1953 (-»• Cool Jazz) einsetzenden 
Versuche, den Jazz zu »modernisieren«, d. h. ihn durch 
harmonische, kontrapunktische, klangliche und f ormale 
Mittel im Sinne heutiger Kunstmusik zu verf einem. Die 
Entwicklung begann an derWestkiiste der USA (San 
Francisco, Los Angeles). In diesem West-Coast-Jazz, an 
dessen Ausbildung vor allem weiBe Musiker beteiligt 
waren (G.J. Mulligan, Shorty Rogers, Jimmy Giuffre), 
entstand eine elegant-kontrapunktische, fast spannungs- 

lose Musizierart, oft 
auf Grand raffinier- 
ter Arrangements. 
Ahnliche Versuche 
unternahm, in kam- 
mermusikalischem 
WoUen, Dave Bru- 
beck, ein Komposi- 
tionsschiiler von D. 
Milhaud. An der 
Ostkiiste mit dem 
Zentrum New York 
entwickelte sich der 
besonders von f arbi- 
gen Musikern be- 
stimmto East-Coast-Jazz. Riickgrifle auf den -»• Be-bop 
(Hard bop) und den -»■ Blues kennzeichnen diese mehr 
expressiv-vitale Richtung (Horace Silver, Art Blakey). 
- In kompositorischer Fixierung hat John Lewis (Mo- 
dern Jazz Quartet) eine neue Verbindung wesentlicher 
Momente des Jazz mit solchen der europaischen Kunst- 
musik (Riickgrifle auf formale und kontrapunktische 
Prinzipien der Barockmusik, Einbeziehung moderne- 
rer Harmonik) angestrebt. 

Modinha (moS'ijia, port., Modelled) war im 18./19. 
Jh. zunachst eine Art virtuoser Arie, komponiert von 
portugiesischen Komponisten nach dem Vorbild ita- 
lienischer Opernarien unter Verwendung einheimi- 
scher Melodien. Die M.s fanden auch in zeitgenossi- 
sche Singspiele Eingang. In schlichterer Gestalt waren 
sie in alien Volksschichten verbreitet. Nach der Kolo- 
nisation Brasiliens durch die Portugiesen wurde die M. 
hier, verquickt mit einheimischen Melodien, zu einem 
einf achen, auch trivialen Volkslied der niederen Schich- 
ten und gelangte so im 20. Jh. ins Ursprungsland zu- 
riick, wo sie heute in Strophenform, ein- bis zweistim- 
mig, zur Gitarre (oder mit Klavier) gesungen wird. - 
Von H. Villa-Lobos gibt es 2 Alben M.s e catifdes aus 
denjahren 1933-43. 

Ausg. u. Lit. : C. das Neves u. G. de Campos, Cancioneiro 
de musicas populares, 3 Bde, Porto 1893-98. - M. de An- 
drade, M. imperials, S5o Paulo 1930; J. B. Siqueira, M. 
do passado, Rio de Janeiro 1955. 



580 



Modulation 



Modulatio und modulari (lat., von modus, MaB) sind 
zentrale Begriffsworter in mittelalterlichen Musikde- 
finitionen, so bei Augustinus: Musica est scientia bene 
modulandi (erstmals belegt bei Censorinus, De die natali 
X, 3, tibernommen aus Varros Disciplinae VII), dann 
bei Cassiodorus (II, 5, 2; GS I, 16a) und Isidorus (II, 
15, 1; GS I, 20a) und vielerorts, bis hin zu Tinctoris: 
Musica est modulandi peritia, cantu sonoque consistens (Dif- 
jinitorium, 1473/74). Modulari ist hier das dem tonlichen 
und rhythmischen MaB (->■ Modus - 1) entsprechende, 
als solches von Numerus und Ratio abhangige, daher 
im Rang einer Scientia stehende musikalische Gestalten. 
Nach Augustinus (I, 3) kann das MaB (modus) nur in 
Vorgangen der Bewegung (motus) gestort werden, 
und nach ihm ist M. die »Kenntnis des Bewegens« (m. 
non incongrue dicitur movendi quaedam peritia) ; denn in 
reenter (ethisch wirksamer) Weise wird etwas nur 
dann bewegt, wenn es das MaB wahrt (Non enim pos- 
sumus dicere bene moveri aliquid, si modum non servat . . .). 
Indem der Begriff der M. das Prinzip der zahlhaft ge- 
ordneten musikalischen Bewegung benannte, die als 
harmonica m. alien Dingen zugrunde liegt, diente er 
zugleich der kosmologischen Sinngebung der ->■ Musi- 
ca (besonders ausf iihrlich bei Jacobus Leodiensis, Specu- 
lum musicae I und II, CSM III, I, 15f. und Ha, 12ff.). In 
Spatmittelalter und Renaissance verloren sich in den 
Musikdefinitionen der durch bene bezeichnete ethische 
und der kosmologische Begriffsinhalt von m., indem 
bene durch recte oder regulariter u. a. und modulari 
durch canere oder cantare ersetzt wurden. Unabhangig 
davon und nicht im Widerspruch zu Augustinus' Be- 
stimmung wurde m. (modulari, auch modulamen, 
modulator) im lateinischen Musikschrifttum des Mit- 
telalters oft teils gleichbedeutend mit componere, can- 
turn formare u. a. (-*■ Komposition), teils im Sinne der 
Ausfiihrung eines Gesanges (canere, decantare u. a.) 
gebraucht. Noch im 18. Jh. definiert J.G.Walther 
(1732) M. als die Fuhrung einer Melodie oder Sang- Weise 
und bezeichnet J.Mattheson (Capellm., S. 109) die 
Kunst zierlich zu singen und zu spielen als Modulatoria 
vocalis et instrumentalis. - Da Modus auch die Bedeu- 
tung von »Tonart« (tropus, tonus) hatte, bezeichnete 
M. speziell die der Tonart entsprechende Gestaltung 
und dies ebenfalls bis ins 18. Jh. : modulieren heiBt, den 
guten Regeln der Modorum folgen (WaltherL, Artikel 
Musica Modulatoria). In seiner heutigen Grundbedeu- 
tung hat sich -*■ Modulation (- 1) erst seit dem 18. Jh. 
allmahlich verfestigt als Bezeichnungsfragment fur den 
Ausdruck »Modulation [Tonfiihrung] von einer Ton- 
art zur anderen« (vgl. Eggebrecht, S. 114fl.). Der 
Wechsel der Tonart wurde in friiheren Zeiten -»■ Me- 
tabole, Transitus per tonum (Remi d'Auxerres, GS I, 
79a), Mutatio per modum vel tonum (-»• Mutation - 2) 
oder Alteratio modi (Chr. Bernhard, ed. Muller-Blat- 
tau, S. 79 und 108) genanrit. 

Lit.: E. Holzer, Varroniana, in: Ulmer Gymnasialpro- 
gramm 1890; H. Edelstein, Die Musikanschauung Au- 
gustins nach seiner Schrift »De musica«, Freiburg i. Br. 
1929 ; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, 
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. so- 
zialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10. HHE 

Modulation (von lat. -> modulatio). - 1) In der dur- 
moll-tonalen Musik bezeichnet M. den Ubergang aus 
einer Tonart in eine andere bzw. das Ubergehen der Be- 
deutung des Hauptklanges (Tonika) auf einen anderen 
Klang (Riemann). Jede M. setzt voraus, daB zunachst 
eine Ausgangstonart durch ihre wesentlichsten Akkor- 
de eindeutig dargestellt ist. Die eigentliche M. voll- 
zieht sich dann durch Umdeutung der Akkorde aus der 
Bedeutung, welche sie in der zum Ausgange genommenen 
Tonart haben, zu derjenigen, welche ihnen in einer ande- 



ren Tonart zukommt (Riemann). Mit dem eindeutigen 
SchluB in der Zieltonart ist die M. beendet. Das nur 
fliichtige Verlassen der alten Tonart, dem sofort die 
Ruckwendung folgt, heiBt Ausweichung und gilt noch 
nicht als M. Von der M. durch Umdeutung wird die 
harmonische Ruckung unterschieden, das unverbun- 
dene Nebeneinanderstellen von Satzteilen in verschie- 
denen Tonarten. Es ist jedoch zu beachten, daB in je- 
dem einheitlich gearbeiteten musikalischen Kunstwerk 
auch die Partien, die sich nicht in der Haupttonart be- 
wegen, dennoch in deren Banne stehen. Die durch M. 
eingefuhrten fremden Tonarten haben ihre eigentliche 
Bedeutung durchaus in ihrer Beziehung zur Hauptton- 
art, so daB M.en eines Tonstiicks als »>Tonalitatsschritte« 
einer ahnlichen Beurteilung unterliegen wie Klang- 
folgen als Harmonieschritte, worauf u. a. auch Hinde- 
mith hingewiesen hat. MaBgebend fiir die M. ist die 
Verwandtschaft der Tonarten, die nichts anderes ist als 
die VerwandtschaftderHauptklange (Toniken). Schrit- 
te zu Tonarten, die nicht direkt quint- oder terzver- 
wandt sind, erfordern ebenso eine Rechtfertigung (den 
vorherigen oder nachtraglichen Obergang zu direkt 
verwandten Tonarten) wie Folgen entfernt verwandter 
Klange. - Die Bezeichnung M. fiir den Ubergang der 
Tonikabedeutung auf einen anderen Klang hat sich im 
deutschen Sprachbereich erst im Laufe des 19. Jh. all- 
gemein durchgesetzt. In den deutschen Musiklehren 
des 18. Jh. wird der Tonartwechsel vielfach Auswei- 
chung genannt. Den Obergang von einer Tonart zur 
anderen unterscheidet noch G.Weber 1818 als »aus- 
weichende« M. von der »leitereigenen«, dem Verblei- 
ben in derselben Tonart. Bevorzugt waren im 18. Jh. 
im allgemeinen nur Ausweichungen in die benachbar- 
ten Tonarten der Haupttonart (die 5 »Nebentonarten«) : 
in Dur die »harten« Tonarten der Quinte und Quarte 
sowie die »weichen« der Sexte, Terz und Sekunde, in 
Moll die »weichen« Tonarten der Quinte und Quarte 
sowie die »harten« der Terz, Sexte und Septime. Accor- 
de, die auf einen anderen Ton oder Tonart ihr Absehen ha- 
ben . . . konnen nur zufalligerweise im Vorbeygehen be- 
rtihret werden (Marpurg 1762). Auch wurde die Anzahl 
der M.en vom Umfang der Stiicke abhangig gemacht. 
Haufige und rasche M.en sowie solche in entfernte 
Tonarten waren nur im Rezitativ und in der freien 
Fantasie erlaubt. Noch G.J.Vogler, dessen Lehren die 
Harmonik der f riihen deutschen Romantik - vor allem 
die seines Schiilers CM. v. Weber - entscheidend be- 
einfluBt haben, wollte 1776 die Anzahl der moglichen 
Ausweichungen auf 44 beschrankt wissen. Fiir die Auf- 
hebung dieser, besonders durch die Musik der Wiener 
Klassik bald iiberholten Vorschriften setzte sich als 
Theoretiker zuerst G. Weber ein. Fetis' Vorahnung von 
zunehmender Chromatik und Enharmonik in der Mu- 
sik (1844) wurde durch die musikalische Entwicklung 
im ausgehenden 19. Jh. weitgehend bestatigt. H. Rie- 
mann machte 1887 als erster die M.s-Lehre einer syste- 
matischen und erschopfenden Behandlung fahig, in- 
dem er die Akkorde, die umgedeutet werden, doppelt 
bezeichnete (z. B. T6 = S6). Die zunehmende chro- 
matisch-enharmonische Ausweitung der Tonalitat in 
der Spatphase der dur-moll-tonalen Musik fiihrt zu ei- 
nem Zuriickdrangen des Begriffs M. im Sinne eines 
selbstandigenEreignisses im tonalen Ablauf. Die inner- 
halb einer Komposition erreichten Tonarten werden 
nicht mehr als verschiedene »Tonalitaten« gedacht, 
sondern als Glieder eines tonalen Gesamtprozesses ver- 
standen, der als »Monotonalitat« (Schonberg, S. 19) be- 
grifflich definiert wird. Danach wird jede Abweichung 
von der Tonika als in der Tonart stattfxndend betrachtet, 
d. h. Monotonalitat begreift M. ein. Die Abweichungen 
von der Tonart gelten als Regionen innerhalb der Ton- 



581 



Modulus 



art, untergeoti.net der Zentralgewalt der Tonika. Aufdiese 
Weise wird ein Verstehen der harmonischen Einheit inner- 
halb eines Stiickes erreicht (Schonberg, S. 19). 
- 2) In der Akustik bezeichnet die M. die periodische 
Veranderung einer charakteristischen GroBe einer 
Schwingung. Verandert werden konnen die Amplitude 
(Amplituden-M., Abk. : AM), die Frequenz (Frequenz- 
M., Abk.: FM) sowie die Phase (Phasen-M.). Der Be- 
trag dieser periodischen Veranderung wird als M.s- 
Hub in Prozenten angegeben, ihre Haufigkeit pro sec als 
M.s-Frequenz in Hertz. AM und FM spielen vor allem 
in der Rundfunktechnik eine Rolle. In der musikali- 
schen Praxis sind sie als Tremolo bzw. Vibrato (oft 
kombiniert) zu beobachten. Haufig werden modulier- 
te Schallvorgange auch im -> Horversuch verwendet. 
Lit. : zu 1) : J. D. Heinichen, Der Gb. in d. Compo- 
sition, Dresden 1 728 ; Bach Versuch ; Fr. W. Mar- 1 .M. : 
purg, Hdb. bey d. Gb. u. d. Composition I, Bin 
2 1762; J. Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen 2.M.: 
Satzes in d. Musik I, Bin u. Konigsberg 1771 ; G. J. _ M 
Vogler, Tonwissenschaft u. Tonsetzkunst, Mann- ■'•M. : 
heim 1776; ders., Hdb. d. Harmonielehre u. f. d. . . . 
Gb., Prag 1 802 ; H. Chr. Koch, Versuch einer An- 4 - M - : 
leitungzur Composition II, Lpz. 1787; KochL;H. c v* . 
Chr. Koch, Mus. Lexikon, bearb. v. A. v. Dom- ' ' " 
mer, Heidelberg 1865; A. Reicha, Cours de com- ,- w . 
position mus. . . . , Paris 1818 ; G. Weber, Versuch ' ' ' 
einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst II, Mainz 1818 ; 
Fr.-J. Fetis, Traite complet de la theorie et de la pratique 
de l'harmonie, Paris 1844, 71861, "1879; H. Riemann, 
Systematische Modulationslehre als Grundlage d. mus. 
Formenlehre, Hbg 1887; ders., Hdb. d. Harmonielehre, 
Lpz. 31898; Riemann MTh; M. Reger, Beitr. zur Mo- 
dulationslehre, Lpz. 1903, 2*1952; H. Kurzmann, Die M. 
in d. Instrumentalwerken Mozarts, StMw XII, 1925; H. 
Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren 
Musik, Lpz. 1927; W. Maler, Beitr. zur Harmonielehre, 
3 H., Lpz. 1931, neu bearb. mit G. Bialas u. J. Driessler 
als: Beitr. zur durmolltonalen Harmonielehre, Milnchen 
u. Duisburg •'1957; J. Stephan, Der modulatorische Auf- 
bau in Bachs Gesangswerken, Diss. Innsbruck 1933, 
maschr.; G. Wilcke, Tonalitat u. M. im Streichquartett 
Mendelssohns u. Schumanns, Lpz. 1933; H. Schenker, 
Neue mus. Theorien u. Phantasien III : Der freie Satz, Wien 
1935, 2 1956; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, 
Mainz 1937, 21940, engl. als: Craft of Mus. Composition I, 
London 1942; A. Schonberg, Structural Functions of 
Harmony, hrsg. v. H. Searle, NY 1954, deutsch v. E. Stein 
als: Die formbildenden Tendenzen d. Harmonie, Mainz 
(1957); W. Keller, Hdb. d. Tonsatzlehre, 2 Bde, Regens- 
burg 1957-59; R. Woodham, The Meaning of M., MR 
XXI, 1960; E. Seidel, Die Enharmonik in d. harmoni- 
schen GroBformen Fr. Schuberts, Diss. Ffm. 1962; Beitr. 
zur Musiktheorie d. 19. Jh., hrsg. v. M. Vogel, = Studien 
zurMg.d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966. 

Modulus (lat., Diminutiv von -> modus), in der mit- 
telalterlichen Musiklehre eine der vielen Bezeichnun- 
gen fur eine Melodieformel (z. B. fiir die Tonartformel 
im Tonar), auch fur eine Stimme oder einen Stimm- 
abschnitt im mehrstimmigen Satz, besonders fiir die 
Melismen des Organum im 12.-13. Jh. Auch in der Be- 
deutung der (haufig instrumentalen) Verzierungsfigur 
(eines musicalischen Formelchen, WaltherL) kommt M. 
vor. - M. bezeichnet auch den verschiebbaren Steg des 
-»■ Monochords. 

Modus (lat., das einer Sache innewohnende MaB, dann 
auch Vorschrift, Regel, Art und Weise), - 1) in der la- 
teinischen Literatur zunachst belegt im Sinne von Ab- 
gemessenheit der Tonbewegung, Melodie, Weise 
(-> Modulatio). Boetbius (De institutione musica TV, 15) 
gebraucht dann die Benennung modi fiir die Tropi 
oder Toni, d. h. fiir die Oktavgattungen und Tonarten 
der griechischen Musiktheorie. Im friihen Mittelalter 
hat sich unter dem EinfluB der boethianischen Termi- 
nologie m. neben tonus und tropus als Bezeichnung 



der -> Kirchentone und spater der -*■ Tonarten einge- 
biirgert (vgl. ital. modo, frz. und engl. mode; Tonge- 
schlechter: frz. mode majeur und mineur, -> Genos). 
- 2) Als Terminus der zusammen mit der Rhythmik 
der -> Notre-Dame-Schule auf gekommenen, heute im 
einzelnen noch nicht ganz durchsichtigen Rhythmus- 
lehre ist M. erst verhaltnismaBig spat bezeugt (seit del 
Discantus positio vulgaris, ed. Cserba, S. 193, CS 1, 96b). 
Diese mit der -»• Modalnotation verbundene, in ihrei 
Entstehung noch wenig geklarte Lehre beruhte auf del 
Unterscheidung verschiedener dreizeitiger Rhythmen. 
In den altesten erreichbaren, aber schon ein fortge- 
schrittenes Stadium (friihe Mensuraltheorie) reprasen- 
tierenden Darstellungen der Lehre galten folgende Mo- 
di als Grundformen (L = Longa ■, B = Brevis ■) : 

LBLBL... VI"! (J J J J J) 

BLBLB... ■ V 1 " (Jd JJ J) 

LBBLBBL...^,.^..^ (J- J J J- J J J- 
BBLBBL... ■■^■■^ (JJJ-JJJ-) 
LLLL ... H 1 1 1 (J- J- J- J*) 

BBBB... ■■■■ (J J J J) 

Daneben gab es auch Modi irregulares, z. B. (CS 1, 97b, 
328a):LLBLLB... ^ ■ ^ ■ (J- J J J- J J; 
weitere solche Modi nennt Anonymus IV (CS 1, 361f.). 
Die Benennung der Modi nach antiken VersfiiBen 
(trochaeus, iambus, dactylus, anapaestus, molossus, tri- 
brachys) ist erst aus viel spaterer Zeit und nur in Ver- 
bindung mit der Bestimmung des -*■ Ordo bekannt 
(W.Odington, CS I, 238ff.). Das Verhaltnis der Modi 
zueinander, die Unterscheidung von primaren und 
sekundaren (abgeleiteten) Modi, war bereits im 13. Jh. 
umstritten (seit Garlandia). Die Betonung der modalen 
Rhythmen wird heute nicht ganz einheitlich beurteilt; 
z. B. unterscheiden einige Forscher zwei Betonungen 

des 2. M., J J J J und J a) Jo, wobei die letztere 
> > > > 

uneigentlich sei und den Rhythmus zu einem »auftakti- 

gen« 1. M. mache; der 3. M. wird meist als d- J d 

betont auf gef aBt. In Anlehnung an die modalen Rhyth- 
men werden heute mehrfach auch nichtmodal notierte 
Stiicke auBerhalb des Notre-Dame-Kreises rhythmisch 
gedeutet (-»■ Trobadors, -»■ St-Martial u. a.). - 3) Auf 
der Stufe der ->■ Mensuralnotation (-» Mensur - 2) er- 
hielt M . im 1 4. Jh . allmahlich eine von der Beziehung auf 
bestimmte Rhythmen unabhangige, abstrakte Bedeu- 
tung, die lediglich das Verhaltnis der groBten Noten- 
werte untereinander erf aBt: M. maior betrifft das Ver- 
haltnis von Longa zu Maxima, M. minor das von Bre- 
vis zu Longa. Der Zusatz perfectus besagt, dafi es sich 
um das Verhaltnis 1 : 3, imperfectus, daB es sich um das 
Verhaltnis 1:2 handelt. In der Praxis war eine beson- 
dere Vorzeichnung meist nicht iiblich. - 4) Als Be- 
zeichnungsfragment begegnet M. u. a. in den Bedeu- 
tungen Intervall (von m. consonantiarum) und Kom- 
positionsweise (z. B. m. fauxbourdon). 
Lit. : H. Huschen, Der M.-Begriflf in d. Musiktheorie d, 
MA u. d. Renaissance, Mittellat. Jb. II, 1965. - zu 2): G. 
Jacobsthal, Die Mensuralnotenschrift d. 12. u. 13. Jh., 
Bin 1871; Riemann MTh; Fr. Ludwig, Repertorium or- 
ganprum . . ., 1, 1, Halle 1910, S. 42Sf., Nachdruck hrsg. v. 
L. A. Dittmer, NY u. Hildesheim 1964; A. M. Micha- 
litschke, Theorie d. M., Regensburg 1923 ; J. Handschin, 
Zur Notre-Dame-Rhythmik, ZfMw VII, 1924/25; H. So- 
wa, Zur Weiterentwicklung d. modalen Rhythmik, ZfMw 
XV, 1932/33 ; J. Chailley, Quel est l'auteur de la »theorie 
modale« dite de Beck-Aubry ?, Af M w X, 1 953 ; L. A. Ditt- 



582 



Mongolei 



mer, Binary Rhythm, Mus. Theory and the Worcester 
Fragments, MD VII, 1953; H. Husmann, Das System d. 
modalen Rhythmik, AfMw XI, 1954; Fr. Gennrich, Wer 
ist d. Initiator d. »Modaltheorie« ?, Miscelanea en homena- 
je a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; ders., Streifziige 
durch d. erweiterte Modaltheorie, AfMw XVIII, 1961 ; E. 
H. Sanders, Duple Rhythm and Alternate Third Mode in 
the 13 th Cent., JAMS XV, 1962; Br. Stablein, Modale 
Rhythmen im St-Martial-Repertoire?, Fs. Fr. Blume, 
Kassel 1963; Fr. Reckow, Der Musiktraktat d. Anon. 4, 
= BzAfMw IV, Wiesbaden 1967; H. Vanderwerf, De- 
klamatorischer Rhythmus in d. Chansons d. Trouveres, 
Mf XX, 1 967. - zu 4) : H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. 
Terminologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. 
geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10. 

Moll (lat. mollis, weich, sanft, schlaff) bezeichnet das 
weiche Tongeschlecht mit kleiner Terz und kleiner 
Sexte, bildet mit -> Dur ein Begriffspaar und teilt des- 
sen Benennungs- und Bedeutungsgeschichte. Die all- 
mahliche Umwandlung der Kirchentone in die beiden 
neuzeitlichen Tongeschlechter endete jedoch fur M. 
weniger eindeutig als fur Dur. Noch heute werden in 
der Praxis 3 Formen der M.-Skala unterschieden: 



natiirliches M. 



melodisches M. 



harmonisches M. 



L^>- 



m 



Tonika Dominante 




Sie weichen im oberen Teil (6.-8. Stufe) voneinander 
ab. Die naturliche oder reine M.-Tonleiter, der von 
Glareanus als 9. (bzw. 10.) Ton den 8 ->■ Kirchentonen 
angegliederte aolische Modus, kommt ohne Erhohun- 
gen aus, findet aber in der dur-moll-tonalen Musik 
meist nur als absteigende melodische M.-Skala Ver- 
wendung, da die klassische und romantische Harmonik 
auch in M. nicht auf den Leitton verzichtet. Dessen 
Einfiihrung ins Aolische macht - zur Vermeidung der 
»unsanglichen« iibermaBigen Sekunde (f-gis) - auch 
dieErhohung der 6. Stufe zur groBen (dorischen) Sexte 
uber der 1 . Stufe notwendig, wodurch die auf steigende 
melodische M.-Tonleiter entsteht. Die harmonische 
M.-Skala kann als eine zur 
Leiter angeordnete Zu- 
sammenstellung der Tone 
angesehen werden, die in 
M. die vollstandige Ka- 
denz bilden (Beispiel in Subdominante 

A moll). Durch den harmonisch motivierten Gebrauch 
dieser Tonleiter findet der unsangliche Schritt von der 
6. zur 7. Stufe auch in die Melodik Eingang, wird als 
reizvoll empf unden und in der -> Zigeunertonleiter, ei- 
nem gleichsam lydisch gef arbten M. , sogar zweimal ver- 
wendet. - Dur- und M.-Dreiklang gelten seit Zarlino 
(1558) als die zwei Akkorde, auf denen alle Vielfalt to- 
naler Harmonie beruht. Beide unterscheiden sich durch 
die Einstimmung ihres mittleren Tones, der in M. eine 
kleine Terz zum Grundton bildet. Die unleugbare 
Tatsache des gleichen oder zumindest ahnlichen Kon- 
sonanzgrades, aber unterschiedlichen Klangcharakters 
beider Dreiklange hat die Musiktheorie vom 16. bis 
zum 20. Jh. beschaftigt, ohne daB eine allgemeinver- 
bindliche Erklarung dafiir gefunden werden konnte. 
Fiir Zarlino, der die Existenz der Partialtone noch nicht 
kannte, war der M.-Akkord weniger vollkommen als 
der Durakkord, da die Saitenlangen seiner Tone (nur) 
der arithmetischen und nicht wie beim Durdreiklang 
der harmonischen Proportion entsprechen. Rameau 
schwankte in der Beurteilung des M.-Dreiklangs. An- 



fanglich (1722) gegen Zarlino eingenommen, kommt 
er 1737 doch auf die arithmetische Proportion zuriick 
und gelangt zu einer quasi dualistischen M.-Erklarung. 
Deren akustischer Fragwiirdigkeit wird er sich in der 
Demonstration (1750) bewufit und nimmt fiir den M.- 
Akkord zwei Erzeugertone an, womit er H. v. Helm- 
holtz' Erklarung vorwegnimmt. Im Anhang seiner 
Spatschrift Code de musique (1760) benutzt er zur Ab- 
leitung des M.-Dreiklangs ausschlieBlich die Oberton- 
reihe (e2-g2-h2 = 10:12:15 uber C = 1). Die einseitige 
Betrachtung des M.-Akkords unter dem Aspekt der 
Partialtone vermag aber dessen Konsonanz nicht zu 
erklaren, da sich einerseits der Ton es des Dreiklangs 
c es g nicht unter den Obertonen von c befindet und 
andererseits der Grundton des M.-Dreiklangs, der in 
der Partialtonreihe vorkommt (e 2 -g 2 -h 2 ), nicht mit 
dem Grundton der Partialtonreihe (C) zusammenfallt. 
H.v.Helmholtz charakterisiert daher 1862 den M.- 
Dreiklang als »getriibte« Konsonanz und analysiert ihn 
als Kombination derElemente zweier Durklange, z. B. 
c-es-g als c-g (von C) + es (von Es). Mit dieser Auffas- 
sung verwandt ist die M.-Erklarung des »Monismus« 
(A.J. Polak, Uber Zeiteinheit in bezug auf Consonanz, 
Harmonie und Tonalitat, Leipzig 1900; G. -»■ Capellen 
1904), wonach der M.-Klang als »vermittelte« (»kom- 
binierte«) Konsonanz nicht unabhangig auf sich beruht, 
sondern stets von mehreren Dur-(Natur-)Klangen ab- 
geleitet ist. Der von Hauptmanns dialektischer Erkla- 
rung des Dur-M.-Gegensatzes ausgehende -> Dualis- 
mus A.v. Oettingens und Riemanns sucht dagegen das 
den M.-Dreiklang bildende Terz-Quint-Verhaltnis 
nicht oberhalb, sondern unterhalb des harmonischen 
Zentrums. Dur- und M.-Dreiklang sind hier zwar po- 
lar entgegengesetzte, aber gleichberechtigte Konso- 
nanzen. Kurth (1913) betrachtet Dur- und M.-Akkor- 
de gleicher Basis als entgegengesetzt gerichtete relativ 
schwachste Abweichungen vom (imaginaren) Fall ab- 
soluter Ruhe. Denn jede groBe Terz habe Leittonspan- 
nung nach oben, jede kleine nach unten. Die mangeln- 
de Eindeutigkeit des M.-Geschlechts gibt zwar der 
Musiktheorie Ratsel auf, hat aber das Komponieren 
ungemein befruchtet. M.-Harmonik schwankt zwi- 
schen gleichnamigem und parallelem Dur; sie wirkt 
daher im ganzen farbiger als die Durharmonik und 
wurde im 19. Jh. dem Dur vorgezogen. 
Lit. : —> Dur, — » Dualismus, — ► Harmonielehre. 

Moment musical (mom'a miizik'al, frz., musikali- 
scher Augenblick), instrumentales ->• Charakterstiick 
in einfacher Liedform und von intimer Haltung. Der 
Name M. m. taucht im Zusammenhang mit den 6 
Klavierstiicken op. 94 (D 780) von Fr. Schubert erst- 
mals auf, die 1828 unter dem Titel Momens musicals er- 
schienen. Der Titel in dieser Form stammt wahrschein- 
lich von dem Wiener Verleger Leidesdorf, der Jahre 
vorher eigene Momens melancholiques herausgebracht 
hatte. Moments musicaux fiir Orch. (op. 19, 1955) 
schrieb G.Klebe. 

Mongolei. 

Lit. : P. J. van Oost, La musique chez les Mongols des 
Urdus, Anthropos X, 1915 -XI, 1916; I. Krohn, Mongoli- 
sche Melodien, ZfMw III, 1920/21 ; E. Emsheimer, Uber d. 
Vorkommen u. d. Verwendung d. Maultrommel in Si- 
birien u. Zentralasien, Ethnos VI, 1941 ; ders., Preliminary 
Remarks on Mongolian Music and Instr., in: Reports 
from the Scientific Expedition ... of Sv. Hedin . . . , Publi- 
cation 21 , VIII, Ethnography 4, The Music of the Mongols 
I, Eastern Mongolia, Stockholm 1943 ; ders., Mongolische 
Musik, in : Studia ethnomusicologica eurasiatica, = Mu- 
sikhist. museets skrif ter I, ebenda 1 964; Ch. Takeda, Songs 
of the Mongols. Motations and Explanations, Journal of 
the Soc. for Research in Asiatic Music, H. 10/1 1, 1952; L. 



583 



Monochord 



Vass, A mongol zenerol (»t)ber mongolische Musik«), Uj 
zenei szemle VI, 1 955 ; L. Picken, The Music of Far-Eastern 
Asia, in: The New Oxford Hist, of Music I, London 1957. 

Monochord (griech., von [i6vo<;, einzig, und x°pStj> 
Sake; auch xavtov; lat. regula, norma) besteht aus ei- 
nem rechteckigen Resonanzkasten mit einer lings dar- 
iibergespannten Saite, die an zwei Punkten gesttttzt 
oder befestigt wird und durch einen verschiebbaren 
Steg (modulus, spater meist magadis oder magada, 
auch stephanus genannt) beliebig geteilt werden kann. 
Eine auf den Resonanzkasten gezeichnete Skala mar- 
kiert die einzelnen Teilungspunkte, so daB mit Hilfe 
des M.s jedes Intervall in akustischer Reinheit klingend 
dargestellt werden kann. Angeblich von Pythagoras 
erfunden, war es seit der Antike vor allem zur mathe- 
matischen Bestimmung und Erklarung der musikali- 
schen Tonverhaltnisse als Demonstrations- und Kon- 
trollwerkzeug von hervorragender Bedeutung (-* Ka- 
non - 1). Wahrend sich das friihe Mittelalter (Boethius), 
der antiken Praxis folgend, des M.s als eines Systems 
bediente und an ihm die der Musica zugrunde hegen- 
den Proportionen im Rahmen einer Theoria der Be- 
trachtung zuganglich machte, fand diese Aufgabe des 
M.s seit dem 10. Jh. eine grundlegende Erweiterung, 
indem das Instrument nunmehr auch als praktdsches 
Hilfsmittel fiir den Musikunterricht zur Demonstratio 
rudimentorum ad oculos und zum Erlernen von Ge- 
sangen herangezogen wurde. Dabei garantiert die nach 
der Mensura m.i vorgenommene Saitenteilung eine ab- 
solute mathematisch-akustische Exaktheit: quod enim 
bene mensuratum est, nunquam fallit (GS I, 253a). Die 
Tonstuf en werden durch Teilung der Saite in den Pro- 
portionen 2:1 (Oktave), 3:2 (Quince), 4:3 (Quarte) 
und 9:8 (Ganzton) gefunden; der Kommentar zu H. 
Spechtsharts Flores musicae spricht von Mensura bi- 
naria, ternaria, quaternaria und novenaria. Im Micro- 
logus (Cap. Ill) gibt Guido von Arezzo zwei Teilun- 
gen, von denen sich die erste leichter dem Gedachtnis 
einpragen und die zweite schneller zum Ziele fiihren 
soil. Im Gegensatz zu den M.-Mensuren, deren Uber- 
Ueferung einen wesentlichen Bestandteil der mittelal- 
teriichen Musiktraktate ausmacht (Odo von St. Maur, 
Guido von Arezzo, Johannes Affligemensis), sind kon- 
krete Angaben iiber den Bau des Instruments, seine 
GroBe und seine Saitenlange nur relativ selten zu fin- 
den. - Aus dem M. ist im spaten Mittelalter das Clavi- 
chord hervorgegangen, wobei das ebenfalls mono- 
chordum genannte Polychord eine Zwischenstufe bil- 
det (1434 erwahnt Georgius Anselmi ein mehrsaitiges 
Instrument mit Tasten, d. h. ein Tastenpolychord oder 
Clavichord; vgl. auch J. Gallicus, CS IV). Eine Sonder- 
art ist das Tasten-M. (Clavi-M.), wie es um 1460/70 im 
Novellus musicae artis tractatus des reformfreudigen Ma- 
gisters Conrad von Zabern beschrieben wird. Dieses 
entstand nach dem Vorbild des commune clavichor- 
dium, welches auf eine Saite beschrankt und mit einer 
dem Guidonischen System entsprechenden Tastenreihe 
versehen wurde (rut - ela, d. h. G-e 2 = 20 Tasten + 2 
den Claves hdurorum eingefiigte Claves bmollium). 
Eine wohldurchdachte Tastenbeschriftung (inscriptio) 
dient der Veranschaulichung der musikalischen Grund- 
begriffe. Sie enthalt die Tonbuchstaben (litterae oder 
claves), Solmisationssilben (syllabae oder voces) und 
Schliisselbuchstaben (F, c, g) sowie eine Markierung 
der Hexachordanfange. Uber die zahlreichen Verwen- 
dungsmoglichkeiten des Tasten-M.s berichtet Conrad 
ausfiihrlich in seinem Opusculum de monochordo (ge- 
druckt zwischen 1462 und 1474). Wertvolle Angaben 
iiber das M. linden sich gleichfalls in der Musica practica 
des Ramos de Pareja (hrsg. v. J. Wolf, =BIMG I, 2, 
Leipzig 1901). 



Lit. : Flores musice ... v. Hugo v. Reutlingen, hrsg. v. C. 
Beck, = Bibl. d. litterarischen Ver. in Stuttgart LXXXIX, 
Stuttgart 1868, Nachdruck Amsterdam o. J.; Die Musik- 
traktate Conrads v. Zabern, hrsg. v. K.. W.Gumpel, = Akad. 
d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. 
Klasse, Jg. 1956, Nr 4; Georgius Anselmi Parmensis, De 
musica, hrsg. v. G. Massera, = Hist. Musicae Cultores, 
Bibl. XIV, Florenz 1961 ; S. Wantzloeben, Das M. als 
Instr. u. als System, Halle 1911; J. Handschin, Aus d. al- 
ien Musiktheorie V: Zur Instrumentenkunde, AMI XVI/ 
XVII, 1944/45; W. Nef, The Polychord, The Galpin Soc. 
Journal IV, 1951 ; K. W. GOmpel, Das Tastenm. Conrads 
v. Zabern, AfMw XII, 1955; J. Chailley, Le monocorde 
et la theorie mus., in: Organicae voces, Fs. J. Smits van 
Waesberghe SJ, Amsterdam 1963. KWG 

Monodie (griech. u,ov<o8£a, Einzel-, Sologesang), in 
der griechischen Antike der wohl meist von einem mit- 
spielenden Instrument (Aulos, Kithara, Lyra) unter- 
stiitzte Gesang eines einzelnen (vgl. Pseudo-Aristote- 
les, Problemata XIX, 9 und 43). Bezeugt ist das Wort als 
Benennung einer bestimmten, fiir die Tragodien von 
Euripides charakteristischen Art von gesungenen, oft 
monologahnlichen Schauspielerpartien (zuerst durch 
Aristophanes, z. B. »Frosche« 849, 944, 1330, wo diese 
Art parodiert wird), spater auch allgemein als zusam- 
menfassende Bezeichnung fiir andere Arten von Ein- 
zelgesangen, etwa der Rhapsoden und Kitharoden 
(Platon, »Gesetze« 764d-e). Als Terminus hat sich M. 
anscheinend erst im Gefolge der alexandrinischen Phi- 
lologen allmahlich eingebiirgert (Tragodienkommen- 
tare, Lexika). Bei Aristoteles gehoren die Tragodien- 
M.n zu den za djio xfjg axtjvfjg (»Poetik« 1452b), ha- 
ben also noch keinen eigenen Namen. Eine scharf e Ab- 
grenzung gegen die im Drama sonst vorkommenden 
Schauspielergesange scheint deshalb kaum moglich. 
Was die M. auszeichnete, war offenbar die lyrisch- 
musikalische Nachahmung und Darstellung ((xtjxTjan;) 
des tiefsten Schmerzes, seltener auch der hochsten Freu- 
de (in den »Phoinikerinnen« von Euripides letzteres et- 
wa 301ff., ersteres dagegen 1485ff.). Bei Euripides kon- 
nen vom Rhythmus her drei verschiedene Typen von 
M.n unterschieden werden: a) die nichtstrophischen 
anapastischen Klagegesange (z. B. »Troerinnen« 98ff. ; 
vgl. auch Sophokles, »Elektra« 86ff.) ; b) strophisch ge- 
baute Gesange, haufig threnodischen Charakters (z. B. 
»Alkestis« 393fi. und 406ff.; -*■ Threnos), doch sind die 
respondierenden Strophen mitunter weit voneinander 
getrennt (so entspricht im »Hippolytos« der Chorpar- 
tie 362S . die solistische Partie 668ft .) ; c) in den Spat- 
werken die wohl unter dem EinfluB des jiingeren 
-> Dithyrambos entstandenen nichtstrophischen, rhyth- 
misch (und melodisch?) nunmehr ganz dem Sinn der 
Worte angepaBten Gesangspartien (z. B. der Bericht 
des atemlosen, dem Tode entronnenen phrygischen 
Sklaven im »Orestes« 1369-1502). Uber das Schicksal 
der Tragodien-M. nach Euripides' Tod (406 v. Chr.) 
ist wenig bekannt. Im 2. Jh. n. Chr. war sie noch im 
Theater zu horen (Lukianos, De saltatione, 27), doch 
scheint sich der Begriff damals oder schon vorher bis- 
weilen zu dem des Klagegesangs verengt zu haben (Phi- 
lostratos, Vita Apollonii IV, 21). Heute werden vielfach 
auch andere und verschiedenste Arten solistischer Ge- 
sange der Antike monodisch genannt, z. B . die der Chor- 
lyrik gegeniibergestellte solistische Lyrik der Sappho 
und des Alkaios oder die solistischen Gesangspartien in 
der altattischen und dann wieder in der romischen Ko- 
modie (lat. cantica, mutatis modis cantica). 
In Ruckbesinnung und als Wiederbelebung der antiken 
Musik, ihrer in Texten beschriebenen mirabili effetti, 
entstand gegen Ende des 16. Jh. in Italien die M. ge- 
nannte neue Art des instrumental begleiteten Sologe- 
sangs. Sie wurde zuerst in der Florentiner -> Camerata 



584 



Monodram 



erortert und erprobt und dann als Stile recitativo zu- 
sammen mit der Ausbildung des GeneralbaBsatzes zu 
kiinstlerisch vollgiiltiger Auspragung gefiihrt, nament- 
lich durch Caccini und Monteverdi in den Gattungen 
Oper, Arie und Solomadrigal. Eine Entwicklung von 
der Herrschaft des durchimitierenden Vokalsatzes in 
Richtung des begleiteten Sologesanges laBt sich aller- 
dings schon seit dem friiheren 16. Jh. verfolgen, sowohl 
im Hervortreten des Lautenliedes (L.Milan 1535; Airs 
de cour, herausgegeben von A. le Roy, 1571) als auch 
in der Praxis des Arrangierens mehrstimmiger Vokal- 
musik £iir eine (oft kunstvoll diminuiert vorgetragene) 
Singstimme mit Lauten- oder Klavier-(Orgel-)Beglei- 
tung, von Einstein »Vor- oder Pseudo'-M.« genannt. 
Die allgemeine Forderung jener Zeit, daB die Musik 
Dienerin des Textes sein solle, forderte eine die Ober- 
stimme als Melodietrager hervorkehrende homophone 
Satzweise und fiihrte vor allem in der Madrigalkunst 
zu jener Affektsteigerung seitens Deklamation und 
Harmonik, die in Abwehrstellung gegeniiber dem tra- 
dierten Kontrapunkt das Neuland der -> Seconda pra- 
tica erobern half. Doch die M. im eigentlichen Sinn ist 
jene grundsatzlich neue Art der Musik, die - im Un- 
terschied zum gleichzeitig aus der Motette entstehen- 
den solistischen -> Concerto - unter der antikisieren- 
den Leitidee des cantare con affetto originar als Solo- 
gesang mit Akkordbegleitung konzipiert ist. Nach 
Caccinis Vorwort zu Le nuove musiche (Florenz 1601), 
dem bedeutenden Manifest der M., ist diese neue ma- 
niera di cantare ein quasi in armoniafauellare, wobei Men- 
sur, Tempo und Tondauern sowie die improvisierten 
Verzierungen ganz vom Sinn- und Affektgehalt des 
Textes abhangig sind. Die M. ist Nachahmung des 
affektgeladenen, in seelischer Erregtheit fluktuierenden 
Sprechens der dafiir besonders geeigneten italienischen 
Sprache. Ihre Melodik zeichnet sich aus durch schnel- 
len Wechsel langer und kurzer Tone, groBen Ambitus 
und dissonante Spriinge. Der monodische (zur M. ge- 
horende) GeneralbaB, oft als liegender BaBton notiert, 















^ o_ 


Te-seo mi- o, Se tu sa-pes- 






°' == 




t 1. 

CI. Monteverdi, Lamento d'Arianna (1608). 
hat die Aufgabe, die Klange darzustellen, dencn die 
Melodietone zugehoren oder zu denen sie - wie zu 
»Klangpolen« - als Dissonanzen gespannt sind, oft frei 
einsetzend, nicht mehr kontrapunktisch (intervallisch), 
sondern als akkordbezogene Tone gemeint. Mehr als 
bei anderen Musikarten wird in der M. die Kompo- 
sition erst durch die -*■ Gesangskunst des Singers ver- 
vollstandigt und vollendet, der, vom Gehalt des Textes 
affiziert, die Empfindungen theatralisch zur Schau 



stellt, als ob sie ihn selbst ganz erfiillten. Eine Differen- 
zierung der M. in eine mehr rezitierende und eine mehr 
ariose Art ist schon in den Madrigalen und Arien von 
Caccinis Le nuove musiche festzustellen. Nach G.B.Do- 
ni (Compendio, 1635) ist die Musica monodica dement- 
sprechend entweder piu semplice, detta stile recitativo 
oder piu ariosa. In seinen Annotazioni (1640) gliedert 
Doni den stile monodico in den psalmodierenden stile 
narrativo, den mehr ariosen stile speciale recitativo und 
den hochststehenden, fur das Theater geeignetsten stile 
espressivo. Nicht nur auf Rezitativ und Arie, Oper und 
Kantate, sondern auf alle Arten und Gattungen der 
Musik hat die M. kompositorisch und vortragsmaBig 
ausgestrahlt. Sie bildet den Ausgangspunkt der gesamten 
modernen Musik (H.Riemann), wenngleich sie in rein- 
ster Form nur in den Jahrzehnten um 1600 in Italien 
bliihte und namentlich in Deutschland die Tradition 
des kontrapunktischen (motettischen) Satzes umbil- 
dend ihr entgegenwirkte (-»■ Figuren). - Der schon bei 
J. G. Walther (1732, Artikel Cantus monodicus) und 
heute oft sehr weit gefaBte Sprachgebrauch versteht 
M. falschlich einerseits als ein-(statt einzel-)stimmigen 
Gesang (z. B. Choral), andererseits als begleiteten So- 
logesang schlechthin (z. B. Liedarten, Geistliches Con- 
certo) und verunklart die Besonderheit der M. im 
historischen Sinne. 

Lit. : L. Torchi, Canzoni ... ad una voce nel s. XVII, 
RMI I, 1894; M. Kuhn, Die Verzierungs-Kunst in d. Ge- 
sangs-Musik d. 16. u. 17. Jh., = BIMG I, 7, Lpz. 1902; E. 
ScHMiTZ.ZurFriihgesch.d.lyrischen M. Italiens im 17. Jh., 
JbP XVIII, 191 1 ; A. Einstein, Ein unbekannter Druck aus 
d. Fruhzeit d. deutschen M., SIMG XIII, 1911/12; ders., 
Der »stile nuovo« auf d. Gebiet d. profanen Kammermu- 
sik, Adler Hdb.; ders., Firenze, prima della monodia, 
Rass. mus. VII, 1934; A. Schering, Zur Gesch. d. beglei- 
teten Sologesangs im 16. Jh., ZIMG XIII, 1911/12; P. 
Nettl, Uber ein hs. Sammelwerk v. Gesangen ital. Fruhm., 
ZfMw II, 1919/20; Ch. Spitz, Die Entwicklung d. »Stile 
Recitativo«, AfMw III, 1921; W. Krabbe, Die Lieder 
Georg Niege's v. Allendorf. Zur Gesch. d. M. im 16. Jh., 
AfMw IV, 1922 ; Fr. Blume, Das monodische Prinzip in d. 
protestantischen Kirchenmusik, Lpz. 1925 ; E. Katz, Die 
mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1926; F. 
Ghisi, Alle fonti della monodia, Mailand 1940; D. P. Wal- 
ker, Mus. Humanism in the .16 th and Early 17" 1 Cent., MR 
II, 1941 - III, 1942, deutsch als: Der mus. Humanismus im 
16. u. friihen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; H. 
H. Eggebrecht, Arten d. Gb. im friihen u. mittleren 17. 
Jh., AfMw XIV, 1957 ; ders., H. Schiitz, Musicus poeticus, 
= Kleine Vandenhoeck-Reihe LXXXIV, Gottingen 1959; 
Thr. G. Georgiades, Musik u. Rhythmus bei d. Griechen, 
= rde LXI, Hbg (1958); Cl. V. Palisca, V. Galilei and 
Some Links Between »Pseudo-Monody« and Monody, 
MQ XLVI, 1960; W. V. Porter, The Origins of the Ba- 
roque Solo Song, 2 Bde, Diss. Yale Univ. (Conn.) 1962, 
maschr. ; P. J. Willetts, A Neglected Source of Monody 
and Madrigal, ML XLIII, 1962; J. Racek, Die ital. beglei- 
tete M. u. d. Problem d. Entwicklung d. ital. Solokantate, 
in: Liber Amicorum, Fs. Ch. Van den Borren, Antwerpen 
1964; P. C. Aldrich, Rhythm in 17°>-Cent. Italian Mon- 
ody, NY 1966. HHE 

Monodram (griech.), das Biihnenmelodram des 18. 
Jh., eine Verbindung von gesprochenem Wort und er- 
lauternder Instrumentalmusik unter AusschluB des 
Gesanges (->■ Melodrama), mit nur einer handelnden 
Person und (zumeist) mit Chor. Es hat sich im An- 
schluB an Rousseaus Pygmalion (Lyon 1770) in Deutsch- 
land entwickelt, erreichte 1775 mit Georg Bendas 
Ariadne au/Naxos (Gotha, Text von Chr. Brandes) und 
Medea (Leipzig, Text von Fr. W. Gotter) sensationellen 
Erfolg und wurde als Beginn einer »neuen Gattung des 
Schauspiels« begriiBt. Es handelte sich dabei im wesent- 
lichen um deklamierte, empfindsame Monologe (rhy th- 
mische Prosa, Verse) der Heroine (zunachst Madame 
Brandes, Madame Seyler) mit gleichzeitiger, musikali- 



585 



Montenegro 



scher Untermalung durch das Orchester (Stilelemente 
des Opernaccompagnatos und des Balletts). Bald aber 
wurde versucht, das M., in dem antikisierende Texte 
vorherrschen, durch Einfiihrung von Nebenpersonen 
(Duodram) dramatisch zu erweitern und es zugleich 
musikalisch immer mehr zu festigen, wenn nicht gar 
der Oper zu nahern. Schon bald nach 1780 begann die 
Bewegung, die mit den Bemiihungen um eine deutsche 
Nationaloper eng zusammenhangt, wieder abzuflauen. 
Ariadne und Medea hielten sich jedoch noch lange dar- 
iiber hinaus im Repertoire der deutschen Theatertrup- 
pen. Wichtige Beitrage zum M. bzw. Duodram schrie- 
ben auBerdem Neefe (Sophonisbe, 1778, mit Chor), J. 
Fr.Reichardt (u. a. Ino, 1779, mit entwickelter Durch- 
f iihrung des Leitmotivs) , G. J. Vogler (Lampedo, 1 779) , P. 
v. Winter (u. a. Cora undAlonzo, 1778), Danzi (Kleopatra, 
1 780) u. a. Auch W. A. Mozart und J. G. Naumann (An- 
dromache-Text, 1777) planten M.-Kompositionen. Als 
bedeutendster M.-Text gilt heute die auf den Tod von 
Glucks Nichte Marianne gedichtete Proserpina (1776) 
von Goethe. Mit dem »Monodrame lyrique« Ulio er- 
ganzt und schlieBt Berlioz die szenische Auffiihrung 
seiner Symphonie fantastiaue (Episode de la vie d'un ar- 
tiste). Neuerdings verwendete A. Schonberg die Be- 
zeichnung M. fiir seine einaktige Oper Erwartung (op. 
17, 1909), weil in ihr nur eine einzige Person auftritt. 
Lit.: A. Koster, Das lyrische Drama d. 18. Jh., PreuBi- 
sches Jb. LXVIII, 1891 ; E. Istel, J.-J. Rousseau als Kom- 
ponist seiner lyrischen Szene Pygmalion, =BIMG I, 1, 
Lpz. 1901 ; Fr. Bruckner, G. Benda u. d. deutsche Sing- 
spiel, SIMGV, 1903/04. 

Montenegro. 

Lit. : F. Troi, O muzickoj osetlivosti Juznosrbijanaca, Su- 
madinaca i Crnogoraca (»t)ber d. mus. Empfinden d. 
Siidserben, d. Schumadiaer u. d. Montenegriner«), Skopje 
1931; G. Becking, Der mus. Bau d. montenegrinischen 
Volksepos, Arch. nSerlandaises de phonetique experi- 
mentale VIII/IX, 1932. 

Montserrat (K a t a 1 o n i e n) , Benediktinerkloster, 
gegr. Anfang 11. Jh. 
Ausg. : — » Denkmaler (Spanien 5). 

Lit. : B. Saldoni, Resefia hist, de la escolania . . . de M., 
Madrid 1856; D. Pujol, Compositors montserratins, Re- 
vista Mus. Catalana XXIX, 1932; A. Caralt, L'Esco- 
lania de M., M. 1955; H. Angles, El »Llibre Vermell« de 
M. ylos cantos y la danza sacra de los peregrinos durante 
el s. XIV, AM X, 1955; J. M. Madurell Marimon, Tres 
f undacions liturgiques montserratines, in : Miscelinea en 
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61. - Revista 
Montserratefia I-XI, 1907-17; Analecta Montserratensia 
I-VII, 1917-28. 

Mora (lat., Verzogerung) ->• Retardatio. 

Moralitaten ->• Liturgisches Drama undMyste- 
rienspiele. 

Mordent (»Bei6er«, frz. mordant, pince; engl. mor- 
dent, beat; ital. mordente), eine zur Familie der -*■ Tril- 
ler gehorende -+ Verzierung, die in einem ein- oder 
mehrfachen Wechsel zwischen einer Note und ihrer 
unteren diatonischen oder chromatischen Nebennote 
besteht, im kiirzesten Fall (auf Tasteninstrumenten) als 
»Zusammenschlag« (-»• Acciaccatura), wobei die Taste 
der Nebennote sofort nach dem Anschlag losgelassen 
wird. -Eine M. genannte und urspriinglich fiir die Mu- 
sik auf Tasteninstrumenten charakteristische Verzie- 
rung findet sich bereits in deutschen Orgelbuchem des 
15./16. Jh. dargestellt und mit besonderen Zeichen ver- 
sehen; H. Buchner beschreibt in seinem Fundamentum . . . 
(um 1520) eine der Acciaccatura ahnliche Form des 
M.s, wahrend E. N. Ammerbach etwa 50 Jahre spater 
einen Mordant definiert, der als Vorform des spateren 
Trillers anzusprechen ist. - Seine klassische Form er- 



hielt der M. im 17./18. Jh. als eine der haufigsten Ver- 
zierungen jeder Art von Instrumentalmusik. Manche 
Theoretiker, besonders im 17. Jh., verlangen fiir den 
M. ausschlieBlich die chromatische und nicht die dia- 
tonische Nebennote. Die Zahl der Wechselschlage (ob 
ein- oder mehr als einmal) richtet sich nach den mu- 
sikalischen Gegebenheiten und geht nicht aus dem 
Zeichen (*-) hervor. Im 18. Jh. kommt gelegentlich 
das Zeichen «♦* fiir den langeren M. vor (auch bei 
J.S.Bach), das leicht zu verwechseln ist mit A^vfiir 
den Triller mit Nachschlag. - Quantz 
kennt unter dem Namen M. nur eine 
aus dem Vorschlag von unten abge- 
leitete Verzierung, die groBe Ahnlichkeit hat mit der zu- 
sammengesetzten, vor allem bei den Franzosen seiner 
Zeit beliebten und verbrei- 




^rrircmr 



teten Verzierungsform des 

Pince et port de voix (Ra- 

meau 1706/1724) oder Cheute et pince bei d'Anglebert 

(1689, Beispiel a; die Umkehrung dieser Verzierung 

ergibt den Pralltriller, Beispiel b) : 



^PT i pLttf i j lL h\(m 



Dagegen lehrt Quantz bei springenden Noten die fol- 
genden beiden Arten von Battements: 



L.Mozart verwendet (Violinschule, 1756) die Bezeich- 
nung Mordant auch fiir Verzierungen, die ihrem No- 
tenbild zufolge identisch zu sein scheinen mit dem 
-> Anschlag (- 1) und mit dem ->■ Doppelschlag, sich 
aber durch ihren Vortrag von ihnen unterscheiden, in- 
dem sie nicht zum singbaren Vortrag gehoren (wie jene), 
sondern unveranderlkh . . . mit der grofiten Geschwindig- 
keit vorgetragen werden, wobei die Starke . . . allezeit auf 
die Hauptnote fallt. Auch hierin hat L.Mozart offen- 
sichtlich die Anschauungen G.Tartinis ubernommen 
(wie auch etwa im Falle des -> Vibratos), der in seinem 
Traite des agrements in ahnlicher Weise mit Mordente 
zunachst einen unbetonten und raschen Doppelschlag 
(auf den Schlag) bezeichnet und erst in zweiter Linie 
einen (ebenso auszufiihrenden).M.,Bei den franzosi- 
schen Geigern entsprach eine Martellement genannte 
Verzierung dem M. (L'Abbe le Fils 1761): 






(Fiir den Triller bei Melodieinstrumenten verwendeten 
die Franzosen in jener Zeit meistens das Zeichen +.) 
Turk (Klavierschule, 1789) scheint bei seinem Batte- 
ment teilweise auf Quantz zuriickzugreif en : 
Allegro Moderate 




Falls die Note mit einem M. an die vorangehende, um 
eine Sekunde tiefere Note angebunden ist, mufi diese 
iibergebunden und der M. erst nach dem Schlag (un- 
betont) genommen werden (J.S.Bach, Aria der Gold- 
berg-Variationen, BWV 988, Takt 1, 5, 9). - Der M. 
kann auch eine reine Haltef unktion einnehmen, als Pin- 
ce continu (vgl. Fr. Couperin, Verzierungstabelle). Be- 
reits im 18. Jh. wurde der Name M. haufig auch fiir ei- 
ne Art -> Schneller verwendet, J. W. Callcott (A Musi- 
cal Grammar, 1806) nennt . 
den Schneller auf stufen- 
weise absteigenden No- 



586 



Moskau 





ten M.e of the Italian School. Im 19. Jh. verschwand der 

M. als Verzierung allmahlich ganz. Es setzte eine all- 

gemeine Verwirrung und Verwechslung der Zeichen 

und Namen von M., Schneller und Pralltriller ein: 

J.N. Hummel (Klavierschu- 

le, 1828) kennt nur noch 

die Bezeichnung Schneller 

(Zeichen und Ausfiihrung 

siehe nebenstehendes Bei- 

spiel). L. Spohr (Violinschu- 

le, 1832) spricht von Pralltriller oder Schneller (*•) und 

von Doppelschlag oder M. (y jf-^ rt~ 

oder ~), wobei er die Ausfiih- Q — T'f'^z ^' 

rung des ersteren wie in neben- A L a=j- 

stehendem Beispiel angibt, aber 

gleichzeitig fiir die Verzierungen derfriihern Zeit, zum 

Behuf des Vortrages der damaligen Kompositionen auf L. 

Mozarts Violinschule verweist. G.Duprez erwahnt in 

seiner 1845 erschienenen Gesangschule (L'art du chant) 

keine einzige dieser Verzierungen mehr. 

Lit. : — > Verzierungen. ERJ/BB 

morendo (ital., ersterbend), smorzando, mancando, 
calando und deficiendo fordern aufterstes Diminuendo 
unter gleichzeitigem Ritardando. 

Moresca (ital.; span, morisca; engl. morris dance), ein 
in der Renaissance sehr beliebter Tanz, der 1427 in 
Burgund bezeugt ist (de Laborde II, S. 248 und 254) 
und seine Anfange im 14. Jh. haben diirfte. Die Her- 
kunf t der M. ist umstritten ; sie wird einerseits mit den 
Kampfen der Christen in Spanien gegen die Mauren in 
Verbindung gebracht (span, morisco, Mohr, Maure), 
andererseits mit Fruchtbarkeitstanzen. Die erstere Ab- 
leitung geschah im Blick auf die M. genannten Chor- 
tanze in Doppelfrontaufstellung, bei denen die eine 
Partei die Christen, die andere (mit geschwarzten Ge- 
sichtern) die Mauren im Kampf darstellten. Eine andere 
Erklarung (so schon Sachs) leitet das Wort M. von 
griech. u,<op6i; ab (lat. morio, der Narr im antiken 
Mimus). Im 15. Jh. ist die M. in Berichten fiber Ballette 
und gesellschaftliche Veranstaltungen der meistgenann- 
te Tanz, beschrieben als Gruppen- oder Solotanz mit 
dem Motiv des Schwerttanzes, ausgefuhrt von Perso- 
nen mit Masken oder geschwarzten Gesichtern und 
Schellenkleid. Arbeau z. B. beschreibt die M. als Solo- 
tanz, bei dessen Ausfiihrung der Tanzer Schellen an 
den Knocheln trug. Seit dem 15. Jh. bezeichnet M. 
allgemein Tanzspiele, besonders in der Zwischenakt- 
unterhaltung (Intermedium, Masque) von Komodien 
und Dramen. So fuhrte man 1519 in Rom vor Papst 
Leo X. die Suppositi von Ariost auf, die mit mehreren 
Intermedien durchsetzt waren : L' ultimo intermedio fu 
la m., che si rappresentd lafauola di Gorgon, et fu assai 
bella. Moresken finden sich auch in Cavalieris Rappre- 
sentazione di anima e di corpo und in der Oper, z. B. als 
SchluBballett in Monte verdis Orfeo (1607) und noch in 
den Balletten der beiden Schmelzer in Wien. Auch 
Drachen-, Hirten-, Narren- und Betrunkenenszenen 
wurden Moresken genannt. In Frankreich erscheinen 
Entrees de morisques haufig in den Balletten. Die als 
M. bezeichneten Melodien sind anfangs geradtaktig, erst 
seit dem 17. Jh. auch ungeradtaktig. Die vokale Mores- 
ke (u. a. Lasso 1555) hatte keine lange Lebensdauer. Im 
Volkstanz ist die M. bis heute lebendig. Sie hat im eng- 
lischen -*■ Morris dance eine eigene Tradition. 
Lit. : Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), NA v. 
L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948 ; L. E. 
S. J. de Laborde, Les dues de Bourgogne, 3 Bde, Paris 
1849-52; A. D'Ancona, Origini del teatro in Italia II, Tu- 
rin 1891, S. 90; Ph. M. Halm, Der Moriskentanz, in: Bay- 
rischer Heimatschutz XXIII, 1927; C. Sachs, Eine Welt- 
gesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 1938, 



frz. Paris 1938; P. Nettl, Ein osterreichisch-bohmisches 
Ms. volkstiimlicher Barockmusik, Mf V, 1952; ders., Die 
M., AfMw XIV, 1957; R. Wolfram, Neue Funde zu d. 
Morisken u. d. Morristanzen, Zs. f. Volkskunde L, 1953; D. 
Heartz, Un divertissement de palais pour Charles Quint 
a Binche, in: Fetes et ceremonies au temps de Charles 
Quint, = Les fetes de la Renaissance II, Paris 1960. 

Moritat -> Bankelsang. 

Morris dance (m'ajis dams, engl.), ein ehemals in 
England beliebter und weit verbreiteter Tanz, dessen 
Friihf ormen mit der festlandischen ->■ Moresca uberein- 
stimmen. Der M. d. entwickelte auf der britischen In- 
sel eine eigenstandige Tradition und blieb bis ins 19. 
Jh. eine typische Auspragung des englischen Volkstan- 
zes. Im Zuge der allgemeinen Besinnung auf Volks- 
kunst wurde er in der 2. Halfte des 19. Jh. wiederbe- 
lebt ; heute wird er hauptsachlich in den Mbrris-Gilden 
gepflegt. - Am M. d. nehmen bis auf vereinzelte Aus- 
nahmen ausschlieBlich Manner teil. Die Bezeichnung 
M. d. umfaBt landschaftlich sehr unterschiedliche Er- 
scheinungsformen, vom prozessionsartigen Umzug 
(etwa zu Maifeiern), bei dem die Teilnehmer mit Tier- 
fellen, Masken oder geschwarzten Gesichtern auftre- 
ten, bis hin zum hochentwickelten Tanz mit festge- 
legten Figuren (etwa dem ->■ Country dance vergleich- 
bar). Von letzterem ist eine Form besonders ausge- 
pragt, die von 6 Mannern in Kostfim und Maske mit 
einem Narren (einem weiblich verkleideten Mann) 
und einem weiteren Teilnehmer, der die Pappfigur 
eines Pferdes um die Hfiften tragt, ausgefuhrt wird. 
Der Tanz ist von kraftvoller Bewegung, an der auch 
die Arme beteiligt sind. Eine weitere unter dem Na- 
men Morris auftretende Form ist der Schwerttanz. 
Die Melodien sind geradtaktig, nur gelegentlich, be- 
sonders bei Sprungfiguren, ungeradtaktig. In das Re- 
pertoire wurden auch festlandische Moresken iiber- 
nommen, oft von Einhandflote und Trommelchen 
(pipe and tabor) begleitet; auch Melodien von Liedern 
und Opernarien des 17./18. Jh., nicht selten mit obszb- 
nen Texten unterlegt, wurden verwendet. 
Ausg. u. Lit. : C. J. Sharp, The Morris Book, 5 Teile, I— III 
mit H. C. Mac-Ilwaine, V mit G. Butterworth, London 
1907-13; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, 
engl. NY 1937u. London 1938, frz. Paris 1938; R. Wolfram, 
Neue Funde zu d. Morisken u. d. Morristanzen, Zs. f. 
Volkskunde L, 1 953 ; W. Kimber, M. d. Tunes . . . , Journal 
of the Engl. Folk Dance and Song Soc. VIII, 1959; L. 
Blake, The Morris in Wales, ebenda IX, 1960; D. Howi- 
son u. B. Bentley, The North-West-Morris, ebenda. - 
The Journal of the Engl. Folk Dance Soc., 1927-31 ; The 
Journal of the Engl. Folk Dance and Song Soc., 1932ff. 

Moskau. 

Lit. : N. Dimitrijew, »Die kaiserliche Opernbiihne in M.«, 
M. 1 898, russ.; N. Findeisen, Die Forderer d. russ. Kirchen- 
gesanges in M., ZIMG 1, 1899/1900; N. D. Kaschkin, Mos- 
kowskoje otdelenije russkowo musykalnowo obschtschest- 
wa 1860-1910(»DieM.er Abt.d.russ. Musikges. . . .«),M. 
1910; A. W. Nelidow, Teatralnaja Moskwa (»40 Jahre 
Theater inM.«), Bin u.Rigal931 ; A.Sawerdjan, Bolschoj 
teatr Sojusa SSR (»Das GroBe Theater d. Sowjetunion«), 
M. 1952; Wl. A. Natanson, Is musykalnowo proschlowo 
Moskowskowo Uniwersiteta (»Aus d. mus. Vergangenheit 
d. M.er Univ.«), M. 1955 ; Balet Gosudarstwennowo orde- 
na Lenina Akademitscheskowo Bolschowo Teatra SSSR 
(»Das Ballett d. Staatl. Akademischen GroBen Theaters d. 
UdSSR«), hrsg. v. A. I. Anisimowa, M. 1955; H. Bellew, 
Ballet in Moscow Today, London 1956; Teatry Moskwy. 
Sprawotschnik (»Die Theater M., Hdb.«), M. 1961 ; E. 
Groschewa, Bolschoj Teatr SSSR w proschlom i nasto- 
jaschtschem (»Das GroBe Theater d. UdSSR in Vergan- 
genheit u. Gegenwart«), M. 1962; G. Slonimsku, Balet 
Bolschowo Teatra. Sametki (»Das Ballett d. GroBen Thea- 
ters. Bemerkungen«), M. 1962; M. Goldstein, Das Sym- 
phonieorch. d. Bolschoi-Theaters . . . 1857, Das Orch. 
XIII, 1965. 



587 



Motette 



Motette (mittellat. motetus, auch motellus, mutetus, 
motecta u. a.; frz. und engl. motet; ital. motetto), seit 
ihrem Aufkommen wohl schon in der Bliitezeit der 
-*■ Notre-Dame-Epoche (mit Vorformen im Reper- 
toire von -*■ St-Martial) eine der zentralen Gattun- 
gen mehrstimmiger Vokalmusik, deren Merkmale je- 
doch im Laufe ihrer vom 13. Jh. bis heute sich er- 
streckenden Geschichte mehrfach wechselten, so daB 
sich eine einheitliche Definition nicht geben laBt. - Die 
Frage, wie die Gattung zu ihrem Namen kam, ist seit 
langem umstritten und noch nicht geklart. Vermutlich 
ist motetus die latinisierte Form des altfranzosischen 
Wortes motet, das als eine Ableitung von altf ranzosisch 
mot (Wort, diskutiert wird die Bedeutung Vers, Stro- 
phe) gilt. Der M. liegt in ihrem Ursprung das mittel- 
alterliche Verfahren des Tropierens zugrunde (-»• Tro- 
pus, ->• Sequenz - 1), d. h. die nachtragliche Textun- 
terlegung unter ein gegebenes Melisma bzw. das Zu- 
oder Einfiigen von Text, der einen gegebenen Text 
paraphrasiert. Dire Entstehung ist daher in der Friihzeit 
weniger ein musikalischer als vielmehr ein poetischer 
Vorgang: die Oberstimmen von -*■ Discantus-Partien 
(Klauseln) wurden nachtraglich syllabisch mit rhyth- 
mischen lateinischen (spater vorwiegend franzbsischen) 
Texten versehen. 30 der 102 Klauseln in den Klausel- 
faszikejn der Handschrift W\ (-»■ Quellen) lebten nach- 
weislich als M.n weiter; und etwa ein Drittel der rund 
70 M.n in der Handschrift F gehen auf Klauseln zu- 
riick, die ebenfalls in F uberliefert sind. Als Unterstim- 
me (Cantus, spater Tenor genannt) dient also weiterhin 
- wie bei den Klauseln - ein melismatischer Ausschnitt 
eines Mefi-(Gradual- oder Alleluia-), seltener eines Of- 
fiziumsgesangs. Die Texte der Oberstimmen, die sich 
dem Rhythmus und der Gliederung der praexistenten 
Oberstimmenmelismen anpassen, sind in der Regel 
auf die Worter oder Textsilben des Choralmelismas 
(bzw. auf den Textzusammenhang, den jene repra- 
sentieren) bezogen, sowohl inhaltlich als auch sprach- 
lich (vor allem durch Assonanz), z. B: Tenor: Ex se- 
mine, Oberstimme: Ex semine Abrahae divino modet ami- 
ne . . . Die textierte Oberstimme paraphrasiert hier al- 
so in »vertikaler« Richtung die Worte ex semine, in »ho- 
rizontaler« Richtung tropiert sie den gesamten Versus 
alleluiaticus. Soweit in den Oberstimmen derselbe Text 
syllabisch vorgetragen wird, weist der Oberstimmen- 
komplex Ahnlichkeit mit dem -»■ Conductus auf 
(»Conductus-M.«); dementsprechend sind die 6 »M.n« 
in der friihesten Notre-Dame-Handschrift {W\) unter 
die Conductus eingereiht (wobei der Rhythmus nun 
nicht mehr durch modale Aufzeichnung, sondern 
durch den Text bestimmt und in alien Fallen die Un- 
terstimme weggelassen ist). Der Zeitpunkt, an dem die 
textierte Klausel allgemein den Namen motetus er- 
hielt (vermutlich erst im AnschluB an die motet ge- 
nannte franzbsische Textierung), ist ungewiB. J. de 
Garlandias Erwahnung von moteti (CS I, 179b) be- 
zeugt, daB gegen 1240 der Terminus bekannt war; 
doch die motetus-Definition in der Discantus positio 
vulgaris kann Interpolation des Hieronymus de Mo- 
ravia sein (ed. Cserba, S. 193), der an der gleichen Stelle 
den im spaten 12. Jh. noch unbekannten Terminus 
firmus cantus gebraucht. Es ist anzunehmen, daB die 
textierte Klausel zunachst (auch) als Tropus fungierte, 
d. h. (so wie die untextierte) beliebig in die Choralbe- 
arbeitung eingesetzt wurde, bevor sie sich zur M. ver- 
selbstandigte. Als solche konnte sie dann aber auch neu 
komponiert werden, teils unter Benutzung weltlicher 
Tenores und Refrains. Als M. mit bevorzugt vulgar- 
sprachlichem, zuweilen satirischem und oft erotischem 
Text verlieB sie im Verlauf des 13. Jh. den kirchlichen 
Raum und den geistlichen Bereich und gewann ei- 



ne zunehmend artistische Auspragung. Die textierte 
Stimme iiber dem Cantus (Tenor) hieB nun nicht mehr 
-»- Duplum, sondern Motetus; die Bezeichnung wurde 
auf das ganze 2- bis 4st. Stiick iibertragen, f iir dessen 3. 
und 4. Stimme die alteren Bezeichnungen -*■ Triplum 
und -*■ Quadruplum beibehalten wurden. - In England 
hingegen blieb die M. des 13. und 14. Jh. (sofern der 
Name M. hier iiberhaupt zutreffend ist) ausschlieBlich 
geistlich-kirchliche, so auch nur lateinisch textierte 
Kunst. Nach Ausweis der Worcester-Fragmente 
(->■ Quellen: Wore) kannte die englische Musik die 
Plazierung des Choralbearbeitungstropus innerhalb 
der Choralbearbeitung (ed. Dittmer, Nr 81 : Alleluia. 
Natiuitas gloriosae; auch Nr 52) so wie das vollstandige 
Textieren der Bearbeitung einer ganzen Choralmelo- 
die (Nr 27: Alleluia. Pascna nostrum, ohne Haltetbne; 
auch Nr 2) und die Textierung der Oberstimmen eines 
frei ermndenen Tenors (-* Pes - 2) oder eines Choral- 
ausschnitts (z. B. Nr 37 und 72) , wobei diese Satzejedoch 
in keinem Fall auf eine Klausel zuruckgehen. - Auf 
dem Festland wurde die (nun vornehmlich weltliche) 
M. zur f iihrenden Gattung der ->■ Ars antiqua (wich- 
tigste -> Quellen: Mo, Hu und Ba, neben F, W% und 
Ma). Sowohl der Art des Discantussatzes, bei der jede 
der Oberstimmen fur sich primar auf die in grbBeren 
Notenwerten (vornehmlich im 3. oder 5. -*■ Modus - 2) 
rhythmisierte Unterstimme bezogen und durch eine 
neue Stimme ersetzbar ist, als auch der Idee des Tropie- 
rens entspricht das fur die Ars antiqua-M. bezeichnen- 
de Phanomen der Mehrtextigkeit (auch Mehrsprachig- 
keit) und des Umtextierens : jede Stimme kann, auch 
durch Ersatz eines Textes durch einen anderen und 
auch weiterhin in der Regel mit inhaltlichem Bezug 
auf den Tenor und auf die anderen Texte, einen je 
eigenen lateinischen oder franzbsischen Text vortra- 
gen, so daB die (auch zweisprachige) Doppel- und Tri- 
pel-M. entsteht. Franco von Koln bezeichnet die M. 
dementsprechend als discantus cum diversi litteris (mit 
verschiedenen Texten), wozu er auch die 2st. M. zahlt, 
quia tenor cuidam litterae aequipollet (ed. Cserba, S. 252). 
Der heterogenen Stimmendisposition der M., die 
durch die Wahl der den Tenor ausfiihrenden und die 
Oberstimme mitspielenden Instrumente unterstrichen 
werden kann, entspricht die meist stimmenmaBige 
Aufzeichnung: in der Regel sind iiber dem Tenor in 
Kolumnen das Triplum links und der Motetus rechts 
notiert, wodurch der Tenor auch im Schriftbild als 
-> Fundamentum relationis des Satzes und Bezugspunkt 
der Texte veranschaulicht ist. Noch vor 1300 schuf 
- nach Aussagen von Zeitgenossen (z. B. Jacobus Leo- 
diensis, CS II, 401f.) - Petrus de Cruce einen besonders 
in den Faszikeln 7 und 8 der Handschrift Mo zahlreich 
vertretenen neuen M.n-Typus, der sich durch grbBere 
Subtilitas des rhythmischen Verlaufs auszeichnet, in- 
dem fur eine Brevis auch mehr als 3 (bis zu 9) Semi- 
breven treten kbnnen (z. B. Lone tans me j Aucun ont 
trouve j y4NNUN[tiantes], Mo 7, 254, wo das Triplum 
zufolge der kleineren Notenwerte bei syllabischer 
Textunterlegung mehr als doppelt so viele Verse vor- 
tragt als der Motetus). - Die neue Formungsart der M. 
in der -*■ Ars nova ist die durch Fortbildung alterer 
Prinzipien derM.n-Komposition (Tenorwiederholung, 
strophische Disposition des Textes) von Philippe de 
Vitry ausgebildete ->■ Isorhythmie, die u. a. von J. de 
Muris erklart wurde und in den M.n Machauts vollen- 
dete Auspragung erfuhr. 

Die isorhythmische Anlage blieb noch fur die groBe 
spatgotische Reprasentations-M. kirchlich-politischer 
Pragung (z. B. bei Dufay ; -»■ Festmusik) und f iir einen 
groBen Teil der liturgischen bzw. geistlichen M.n von 
Dunstable verbindlich. Dabei erfolgte einerseits eine 



588 



Motette 



Vereinfachung der Isorhythmie . (Kongruenz von 
-> Color - 2 und -> Talea), andererseits wurde die 
Oberstimmenisorhythmie von Dufay durch eine iso- 
melische, d. h. einen festen Melodiekern paraphrasie- 
rende Technik ersetzt (z. B. in Dufays Florentiner 
Domweih-M. Nuper rosarum flores / Terribilis est locus 
iste von 1436, GA I, 2). Eine italienische Seitenlinie der 
isorhythmischen Ars nova-M. kam mit einem um 1400 
von Ciconia geschaffenen M.n-Typus auf. Der Tenor 
ist hier kein Cantus prius factus, sondern vom Kom- 
ponisten frei erfunden und stiitzt baBmafiig die beiden 
(nach dem Vorbild der 3st. -+ Caccia) kanonartig oder 
imitierend angelegten Oberstimmen. Spezifische BaB- 
schritte zeichnen diese, auf harmonisch-tonale Verf esti- 
gung des Satzgefiiges hin komponierten Tenores aus, 
die zuweilen mit fingierten Tenorkennwortern den 
Anschein echter Choralausschnitte zu erwecken su- 
chen und des ofteren auch isorhythmische Anlage auf- 
weisen. Als eine kleinere Form steht in der 1. Halfte 
des 15. Jh. neben der groBen isorhythmischen die drei- 
stimmige liedartige M. in der Faktur des -»■ Kantilenen- 
satzes, deren Discant gelegentlich die Kolorierung ei- 
ner Choralmelodie aufweist (vgl. Dufays Alma redemp- 
toris mater, DTO XXVII, 1). Als geistliche Mehrstim- 
migkeit vornehmlich mit Marien- und Gebetstexten 
in Tateinischer Sprache halt sie zwischen liturgischer 
und weltlicher Kunst die Mitte. Bei haufigem Ein- 
schub instrumentaler Vor-, Zwischen- oder Nachspiele 
steht hier dem vokalen, instrumental unterstiitzten 
Diskant eine instrumentale Begleitung von Contra(te- 
nor) und Tenor gegeniiber. Beispielhaft fiir C. f .-freie 
Stiicke dieser Art sind von Dufay Flosflorum (GA I, 3, 
und Chw. XIX) und, mit italienischem Text, Vergine 
bella (Chw. XIX), in England von L. Power Anima mea 
liquefacta est (Schering Beisp. 37). Vor allem in der 2. 
Halfte des 15. Jh. kommen gelegentlich M.n ahnlicher 
Art vor mit einem C. f.-Gerust im Tenor, z. B. bei L. 
Compere, O vos omnes (H.Besseler, Altniederlandische 
M.n, Kassel 1929), auch bei J.Touront, Obrecht und 
Agricola. Auch in England gibt es in der 1. Halfte des 
15. Jh. einen dreistimmigen C. f.-freien M.n-Typus 
von liedmaBigem Charakter in homorhythmischem 
Satz, z. B. Dunstables Quampukhra es. 
Die nach 1450 mit dem Anbruch der Niederlandischen 
Musik (Ockeghem, Obrecht) vollzogene Riickwen- 
dung der M. zur Sakralmusik und zum gregorianischen 
Choral sieht schon Tinctoris (um 1474) in den Texten 
cujusvis materiae, sed frequentius divinae (CS IV, 185b). 
Neben nicht liturgisch gebundenen Texten treten nun 
Propriumsstiicke, Sequenzen und Cantica in den Vor- 
dergrund; mit Josquin kommen die Psalm- und die 
Evangelien-M.n hinzu, die spater (lateinisch, ab etwa 
1550 haufig auch deutsch) vor allem im protestanti- 
schen Deutschland eine grofie Rolle spielten. Eine Son- 
dertradition, die wahrscheinlich mit der Ambrosiani- 
schen Liturgie verbunden ist, liegt in den Motetti mis- 
sales (»Vertretungsmessen«) des spaten 15. Jh. vor; be- 
kannt sind 8 Zyklen (Compere, Gaspar van Weerbeke, 
Gaffori und anonym) zu je 8 M.n, die (mit nicht litur- 
gisch gebundenen Texten) Ordinariums- und Propri- 
umsstiicke zyklisch zusammenfassen. Der mittelalter- 
liche Schichtenbau des M.n-Satzes wurde im spaten 
15. Jh. aufgelost zugunsten einer melodisch-rhythmi- 
schen Angleichung und klanglichen Verschmelzung 
der Stimmen; die mittelalterliche Mehrtextigkeit wich 
endgiiltig der gleichen Textlegung in alien Stimmen. 
Obwohl die M. am Anfang des 16. Jh. noch haufig lang- 
mensurierte C. f.-Geriiste und konstruktive Kanon- 
anlagen aufweist, steht nun, vornehmlich seit Josquin, 
die Beriicksichtigung des Textwortes im Vordergrund. 
Von den M.n-Komponisten neben Josquin sind vor al- 



lem Isaac, P. de la Rue und Brumel zu nennen. Die 
M.n zwischen Ockeghem und Josquin sind teils mit, 
teils ohne Choralsubstanz in den Stimmen gebildet und 
zeigen gelegentlich den homophonen Satzstil der mehr- 
stimmigen italienischen Lauda oder Frottola (z. B. 
Josquins Tu solus qui facts mirabilia, GA Nr 14). Die 
Vierstimmigkeit wurde noch im 15. Jh. und auch fiir 
Josquin zur Regel ; daneben entstanden 5- und 6st. M.n. 
Durch paarig-imitierende Bicinien und durch Ver- 
wendung der Durchimitation mit regelmaBigen Ein- 
satzabstanden erhielten die Kompositionen ein aufge- 
lichtetes und formklares Satzbild (z. B. Josquins 4st. M. 
Ave Maria, GA Nr 1). Josquins Beispiel war maBge- 
bend fiir viele seiner Zeitgenossen und Nachfolger 
(am deutlichsten bei J.Mouton, dem Lehrer Willaerts) 
und bleibt auch dort noch erkennbar, wo eine (seit 
Willaert haufig bis zur Doppelchorigkeit, -*■ Coro 
spezzato) erweiterte Stimmenzahl oder gewollt »asym- 
metrische« Imitationsanlage der klassischen Stilklarheit 
entgegenwirken (z. B. Isaac, Gombert). Parallel mit 
dem Ausscheiden instrumentaler Elemente und Wen- 
dungen (entsprechend der zuriickgehenden Bedeutung 
der Instrumente in der kirchlichen Auff iihrungspraxis) 
ging eine Homogenisierung des Satzes, die Herausbil- 
dung eines primar vokal gepragten »Stimmstroms« 
(-»■ Vokalmusik). Hochste Auspragung hat dieser Stil, 
die »Klassische Vokalpolyphonie«, im Werk Palestrinas 
erreicht (-»■ Kontrapunkt). Waren die bedeutendsten 
M.n-Komponisten vor Palestrina ihrer Herkunft nach 
meist Niederlander (->• Niederlandische Musik), so 
wurden seit der Jahrhundertmitte Rom und eine an Pa- 
lestrina orientierte Generation italienischer Kompo- 
nisten (Animuccia, Giovannelli, Marenzio, G.M.Na- 
nino, Suriano, daneben der Spanier Victoria) zu einem 
bedeutenden Orientierungspunkt der weiteren Ent- 
wicklung. Die Komponisten Oberitaliens bewahrten 
sich demgegemiber eine gewisse Eigenstandigkeit und 
schlossen sich nur teilweise den Tendenzen der beiden 
groBen Zentren Rom und Venedig an. - In Deutsch- 
land erfolgte die Ausbildung des polyphonen Vokal- 
satzes in der Josquin-Nachfolge (Senfl, J. Walter, J. 
Gallus und Lassus) ahnlich wie in Italien; die Reforma- 
tion iibte zunachst keinen entscheidenden EinfluB auf 
die M.n-Komposition aus. Deutschsprachige M.n gibt 
es seit dem spaten 16. Jh., wahrend in England um 
1560-80 von Tye und Tallis als spezielle Gattung der 
M. mit englischem Text das -»- Anthem ausgebildet 
wurde. Das etwa 1200 lateinische M.n umfassende 
Werk von Lassus ist stilistisch weniger einheitlich als 
das M.n- Werk Palestrinas; u. a. zeigt sich die Einwir- 
kung des italienischen Madrigals, wobei die Durch- 
imitation zusehends aufgelockert wird. Lassus ent- 
wickelte auch die neue Lied-M., in der - im Unter- 
schied zur alteren C. f.-(Tenor-)M. und zum homo- 
phonen Kantionalsatz - eine Liedweise oder mehrere 
miteinander verschmolzene Melodien das polyphone 
Gewebe durchsetzen. 

Das 17. Jh. ist gekennzeichnet durch einen Stilpluralis- 
mus; die bis dahin relativ einheitliche Gattung der M. 
verzweigte sich in verschiedenartigste Gestaltungen. 
Die polyphone Chor-M. wurde in Italien wie auch in 
Deutschland weiterhin gepflegt. In Rom, vor allem fiir 
die Sixtinische Kapelle, blieb der Palestrina-Stil als 
authentische kirchliche Kunst bis ins 19. Jh. verbind- 
lich und wurde durch mehrere papstliche Dekrete aus- 
driicklich gefordert, zugleich wurde er schon bald nach 
Palestrinas Tod satztechnisches Vorbild (besonders bei 
Cerone, Martini und Fux). In Deutschland wirkte zu- 
nachst noch die Bliitezeit der M. nach. Vor allem wur- 
den hier Lied-M. und Spruch-M. (letztere ohne Lied- 
substanz, doch mit strophischem Text) aufgegriffen 



589 



Motette 



und blieben bis 1620 vorbildlich. Beispiele dafiir sind 
L.Lechners Lied-M. Christ, der du bist der helle Tag (7 
Teile iiber 7 Liedstrophen, 1577; GA III) und als singu- 
lare Leistung auf dem Gebiet der Spruch-M. seine 15 
»Deutschen Spriiche von Leben und Tod« (1606 ; hrsg. 
v. W.Lipphardt, Kassel 1929). Die Lied-M. umfaBt et- 
wa zwei Drittel des GesamtschafEens von M. Praetorius, 
von der Zwei- und Dreistimmigkeit bis zur Mehrcho- 
rigkeit. Wichtige deutsche M.n-Sammlungen des 17. 
Jh. sind das von E. Bodenschatz herausgegebene Flori- 
legium selectissimarum cantionum (Leipzig 1603, 89 M.n; 
2 1618 unter dem Titel Florilegium Portense, 115 M.n, 
2. Teil 1621, 150 M.n) und das von Schadaeus und C. 
Vincentius zusammengestellte Protnptuarium musicum 
(4 Teile, StraBburg 1611-17, mit Gb.). Reprasentanten 
der deutschen Chor-M. des 17. Jh. sind Demantius, 
Schein, Scheidt und vor allem Schiitz (Geistliche Chor- 
Music, Dresden 1648). -Eine wichtige Neuerung, die 
nicht nur die Satztechnik der M. revolutionierte, son- 
dern auch auf andere Gattungen ausstrahlte, bedeute- 
ten die Cento concerti ecclesiastici (1602) von L. Viadana. 
Fortan bildeten ein- bis vierstimmige solistische M.n 
mit GeneralbaB (die Bezeichmmg — > Concerto bezieht 
sich hier auf das concertierende Element der Satztech- 
nik und die solistische Besetzung) einen Hauptzweig 
der Gattung. Ein ebenso wichtiger Ausgangspunkt f iir 
die M. des 17. Jh. wurden die aus der venezianischen 
Tradition hervorgegangenen mehrchorigen Concerti 
G. Gabrielis, groBe Fest-M.n, die meisten unter Hinzu- 
ziehung von Instrumenten. Traditioneller kontrapunk- 
tischer Satz, Soloconcerto und Mehrchorigkeit wurden 
vor allem in Deutschland auf vielfaltige Weise mitein- 
ander verbunden; in mehrsatzigen Kompositionen 
wechselten die verschiedenen Satzarten ab. Dieses Ver- 
binden und Abwechseln verschiedenartiger Elemente 
war eine der Voraussetzungen fur das Herauswachsen 
der deutschen geistlichen -> Kantate aus der M. Wich- 
tigen Anteil an dieser Entwicklung zwischen Schiitz 
und Bach hatten u. a. Weckmann, Rosenmiiller, Bux- 
tehude und Pachelbel. In evangelischen Kantoreien, 
vor allem Thiiringens, wurde daneben die Chor-M. 
weiterhin gepflegt (vgl. RD I, 1935, mit M.n von 
Joh., Joh.Mich. und Joh. Christoph Bach). J.S.Bachs 
anspruchsvolle 6 M.n (4 davon fur 8st. Doppelchor) 
folgen dieser Tradition. Das Mitgehen von Instrumen- 
ten (colla parte) war in der M. bis einschlieBlich J. S. 
Bach eine Selbstverstandlichkeit. Erst in der Roman- 
tik setzte sich unter Berufung auf die Aufftihrungs- 
praxis der Sixtinischen Kapelle das rein vokale Auf- 
fiihrungsideal (a cappella) durch. - Die franzosische 
M. des 17. und 18. Jh. ist entweder einstimmig soli- 
stisch mit GeneralbaB oder verbindet mehrstimmige, 
einstimmige und doppelchorige Abschnitte, zumeist 
unter Mitwirkung obligater Instrumentalstimmen, mit 
selbstandigen Instrumentalteilen, stets mit GeneralbaB, 
so z. B. bei Lully, M.-A. Charpentier, Delalande, Campra 
und Rameau. - Mit dem Niedergang der Kantoreien in 
Deutschland und dem Verschwinden der -> Maitrises 
in Frankreich trat die M. in den Hintergrund. Mozarts 
beruhmte M. Exsultate, jubilate (K.-V. 165), 1773 in 
Mailand fiir den Sopranisten Rauzzini geschrieben, 
kniipft bei der italienischen Solo-M. des Barocks an. 
Als geistliches oder weltliches Chorwerk mit ernsten, 
besinnlichen Texten aber hat sich die M. durch das 19. 
Jh. bis heute erhalten (Schumann, Mendelssohn, Gou- 
nod, C. Franck, Brahms, Saint-Saens, Dubois, d'Indy, 
Ch. Bordes, Bruckner, Reger, Kaminski, Perosi, Tinel). 
Mit den Bestrebungen der Jugendmusikbewegung, 
der kirchenmusikalischen Erneuerung und dem damit 
verbundenen Ankniipfen an die Chorkunst des 15.-17. 
Jh. hat' die M.n-Komposition seit dem 1. Weltkrieg 



wieder lebhaftes Interesse gefunden (Distler, Pepping, 
Brunner, J.N.David, Raphael, Thomas, Kfenek), wo- 
bei alte Techniken, vor allem die Verwendung kirchen- 
tonartlich gepragter Harmonik, mit neuen komposi- 
torischen Mitteln verbunden werden. 
Lit. : Fr. Ludwig, Die mehrst. Musik d. 14. Jh., SIMG IV, 
1902/03 ; ders., Uber d. Entstehungu. d. erste Entwicklung 
d. lat. u. frz. M. in mus. Beziehung, SIMG VII, 1905/06; 
ders., Repertorium organorum recentioris et motetorum 
vetustissimi stili, 1, 1, Halle 1910, Nachdruck hrsg. v. L. A. 
Dittmer, NY u. Hildesheim 1964, 1, 2 u. II (Anfang), hrsg. 
v. Fr. Gennrich, = Summa Musicae Medii Aevi VII-VIII, 
Langen 1961-62; ders., Die Quellen d. M. altesten Stils, 
AfMw V, 1923, Neudruck hrsg. v. Fr. Gennrich in : Summa 
Musicae Medii Aevi VII, Langen 1961; ders., Die geist- 
liche nichtliturgische, weltliche einst. u. d. mehrst. Musik 
d. MA bis zum Anfang d. 15. Jh., Adler Hdb.; H. Leich- 
tentritt, Gesch. d. M., = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gat- 
tungen II, Lpz. 1908, Nachdruck Hildesheim 1966; A. 
Orel, Einige Grundformen d. Motettkomposition im 15. 
Jh., StMw VII, 1920; J. Handschin, Ober d. Ursprung 
d. M., Kgr.-Ber. Basel 1924; ders., Zur Frage d. melo- 
dischen Paraphrasierung im MA, ZfMw X, 1927/28; H. 
Besseler, Studien zur Musik d. MA, AfMw VII, 1925 - 
VIII, 1926; ders., Die Musik d. MA u. d. Renaissance, 
Bucken Hdb.; Fr. Gennrich, Trouverelieder u. Motet- 
tenrepertoire, ZfMw IX, 1926/27; ders., Bibliogr. d. al- 
testen frz. u. lat. M., = Summa Musicae Medii Aevi II, 
Darmstadt 1957; Fr. Blume, Dieev. Kirchenmusik, Bucken 
Hdb., als: Gesch. d. ev. Kirchenmusik, Kassel 2 1965; 
O. Ursprung, Die kath. Kirchenmusik, Bucken Hdb.; 
M. F. Bukofzer, The First Motet with Engl. Words, ML 
XVII, 1936; ders., Studies in Medieval and Renaissance 
Music, NY 1950; H. Husmann, Die M. d. Madrider Hs. 
u. deren geschichtliche Stellung, AfMf II, 1937; ders., 
Die ma. Mehrstimmigkeit, = Das Musikwerk (IX), Koln 
(1955); W. Stephan, Die burgundisch-nld. M. zur Zeit 
Ockeghems, = Heidelberger Studien zur Mw. VI, Kassel 
1937; G. Kuhlmann, Die 2st. frz. M. d. Kod. Montpellier 
. . . , 2 Bde, = Literarhist.-mw. Abh. I— II, Wurzburg 1938 ; 
H. Nathan, The Function of Text in French 13 th -Cent. 
Motets, MQ XXVIII, 1942; H. Tischler, The Motet in 
13 lll -Cent. France, Diss. Yale Univ. (Conn.) 1 942, maschr. ; 
ders., Engl. Traits in the Early 13 tt -Cent. Motet, MQ 
XXX, 1944; ders., The Evolution of the Harmonic Style 
in the Notre-Dame Motet, AMI XXVIII, 1956 ; ders., The 
Evolution of Form in the Earliest Motets, AMI XXXI, 
1959; H. Gleason, Isorhythmic Tenors in the Three-Part 
Motets of the Roman de Fauvel, Bull, of the American 
Musicological Soc. VII, 1943; E. E. Lowinsky, Secret 
Chromatic Art in the Netherlands Motet, NY u. Oxford 
1946; Y. Rokseth, La polyphonie parisienne du XIII e s., 
in: Les cahiers techniques de l'art I, 2, 1947; K. J. Levy, 
New Material on the Early Motet in England, JAMS 
IV, 1951; G. Birkner, Zur M. iiber »Brumas est mors«, 
AfMwX, 1953; ders., Motetusu. M., AfMw XVIII, 1961 ; 
R. Dammann, Spatformen d. isorhythmischen M. im 16. 
Jh., AfMw X, 1953; ders., Gesch. d. Begriffsbestimmung 
»M.«, AfMw XVI, 1959; A. Rosenthal, Le Ms. de La 
ClayetteretrouvS, Ann. Mus. 1, 1953, dazu M. F. Bukofzer, 
ebenda IV, 1 956 ; W. Apel, Remarks About the Isorhythm- 
ic Motet, in: Les Colloques de Wdgimont II, 1955; L. Schra- 
de, Unknown Motets in a Recovered 13 th -Cent. Ms., Spe- 
culum XXX, 1955, dazu ders. in: Mf IX, 1956, S. 446; W. 
Morgan, The Chorale Motet Between 1650 and 1750, Diss. 
Univ. of Southern California 1956, maschr.; G. Reichert, 
Das Verhaltnis zwischen mus. u. textlicher Struktur in d. 
M. Machauts, AfMw XIII, 1956; ders., Wechselbeziehun- 
gen zwischen mus. u. textlicher Struktur in d. M. d. 1 3. Jh., 
in: In memoriam J. Handschin, StraBburg 1962; D. Lau- 
nay, Les motets a double chceur en France . . . , Rev. de 
Musicol. XXXIX/XL, 1957; dies., Anth. du motet lat. 
polyphonique en France (1609-61), = Publications de la 
Soc. frc. de musicologie I, 17, Paris 1963; U. Gunther, 
The 14 th -Cent. Motet and Its Development, MD XII, 1958 ; 
dies., Das Wort-Ton-Problem bei M. d. spaten 14. Jh., Fs. 
H. Besseler, Lpz. 1961 ; L. Finscher, L. Compere and His 
Works V, The Motetti Missales, MD XIV, 1960; S. E. 
Brown Jr., The Motets of Ciconia, Dunstable and Dufay, 
Diss. Indiana Univ. 1962, maschr.; H. H. Eggebrecht, 



590 



Mozarabischer Gesang 



Machauts M. Nr 9, AfMw XIX/XX, 1962/63; Th. L. 
Noblitt, The Motetti Missales . . ., Diss. Univ. of Texas 
1963, maschr. ; E. Sparks, C. f. in Mass and Motet, 1420- 
1520, Berkeley u. Los Angeles 1963; D. Harbinson, Imi- 
tation in the Early Motet, ML XLV, 1 964 ; E. Apfel, Beitr. 
zu einer Gesch. d. Satztechnik v. d. friihen M. bis Bach, 2 
Bde, Miinchen. 1964-65; F. Mathiassen, The Style of the 
Early Motet, = Studier og publikationer fra Musikvidens- 
kabeligt Inst. Aarhus Univ. I, Kopenhagen 1966. 

Motiv (spatlat. motivus, beweglich) bedeutet in der 
Musiklehre seit der 2. Halfte des 18. Jh. das kleinste 
Glied (Sinnttager) einer Komposition. Die ersten An- 
satze zu einer musikalischen M.-Lehre finden sich bei 
J. Mattheson (1737), der die Melodie in »Klang-FUBe« 
(Metren) zerlegt. j.Riepels Lehre (1752-68) von der 
»Rhy thmopoie« oder »Taktordnung« und H. Chr. Kochs 
Untersuchungen iiber die Satzglieder der Melodie 
(1782-93) gehen vom M. als Bauelement der Kom- 
position aus, ohne daB der deutschen Musiklehre des 
18. Jh. das Wort M. schon gelaufig war. Nach M. Fr. v. 
Grimm (Artikel Motif der Encyclopedie) war es italie- 
nische Gepflogenheit, den Hauptgedanken einer Arie 
(la principale pensee d'un air) m.o zu nennen ; dieses be- 
stimme deren Melos und Deklamation und erweise die 
Begabung des Komponisten (ahnlich J.-J. Rousseau 
1768). Die ersten Versuche einer Definition des Be- 
griffs M. finden sich in der 1. Halfte des 19. Jh. bei A. 
B.Marx (1837) und J. Chr. Lobe (1844). - H.Riemann 
definiert das M. als ein Melodiebmchstiick, . . . das fur sich 
eine kleinste Einheit von selbstandiger Ausdrucksbedeutung 
bildet (1903, S. 14). Das Verstehen einer Melodie hangt 
vom Erkennen der vom Komponisten gemeinten M.- 
Begrenzungen ab, die weitgehend durch die rhyth- 
misch-metrischen und harmonischen Verhaltnisse be- 
dingt sind. Nach Riemann beruht alles musikalische 
Werden und Wachsen darauf, daB einem Ersten ein 
Zweites (»symmetrisch«) gegeniibertritt, in der natiir- 
lichen Folge leicht-schwer (so schon Momigny. La 
musique marche du leue aufrappe et non dufrappe an leve). 

? J I J und nicht ? J J I ist nach Riemanns Auf- 

4 ^^ 4 ;;;—_ 

fassung die »Urzelle« aller Musik. Die Schwerpunkts- 
note muB jedoch nicht immer auch zugleich Endnote 
des M.s sein. Sie kann in eine -> Weibliche Endung ver- 
wandelt werden, z. B. : 



j J^ i Tr anstatt j«^ i r 



Intervalle zwischen den Grenztbnen zweier M.e (dem 
SchluBton des vorhergehenden und dem Anfangston 
des folgenden M.s) werden nicht melodisch aufgefaBt; 
Riemann nennt sie tote Intervalle. FUllt ein M. einen 
aus zwei oder drei Zahlzeiten bestehenden Takt, so daB 
sein Schwerpunkt jedesmal ein Taktschwerpunkt ist, 
so heiBt es Takt-M. ; f iillt es nur die Zeit einer Zahl- 
zeit, so heiBt es Unterteilungs- oder Figurations-M. 
Verwachsen mehrere M.e zu einer Sinneinheit, so ent- 
steht eine Phrase. Hier sind die Intervalle zwischen den 
M.n nicht tot, jedoch von untergeordneter Bedeutung 
im Vergleich zu den Intervallen, die die M.e bilden. 
Die dem -»■ Ausdruck des M.s entsprechende, selbst- 
verstandliche dynamische und agogische Vortragswei- 
se ist nach Riemann Steigerung bis zur Schwerpunkts- 
note und bei derEndigung diminuendo mit Dehnung: 




Anfang des Hauptthemas des 1. Satzes der 2. Sympho- 
nie von Brahms 

f olgendermaBen phrasiert wissen : 




Die ausschliefilich auftaktige M.-Auffassung Riemanns 
f iihrt bisweilen zu bedenklichen Konsequenzen, vor al- 
lem in seiner Phrasierungslehre. So wollte er 1895 den 



Dem aber steht die Verarbeitung dieser 4 Takte in der 
Durchfiihrung des Satzes entgegen (Takt 246fL). R. 
Westphal (1880) und Th. Wiehmayer (1917) leiten das 
M. aus den verschiedenen Klangf iiBen ab (Gleichsetzung 
von poetischer Metrik und musikalischer Rhythmik), 
wahrend Riemann im M. keineswegs ein nur rhyth- 
misches Gebilde sah, sondern vielmehr ein nach alien Sei- 
ten hin bestimmtes musikalisches Konkrete, an welchem Me- 
lodie, Harmonie, ja Dynamik und Klangfarbe usw. Anteil 
haben. Eine zukiinftige M.-Lehre hat diesen umfassen- 
deren Standpunkt zu wahren und Riemanns Warnung 
vor iibertriebener M.-Suche und »M.-Reiterei« zu be- 
achten. Sie muB aber auch beriicksichtigen, daB nicht 
alle Dimensionen dieses »musikalisch Konkreten« je- 
weils gleich wichtig sind. So wird z. B. die motivische 
Quartenfolge in Schonbergs 1. Kammersymphonie 
op. 9 zunachst als Tonhohenkonstellation wahrgenom- 
men ; was in den iibrigen Dimensionen gleichzeitig ge- 
schieht, ist nur akzidentiell und vom M. her nicht ty- 
pisch. Ob diese notwendige neue M.-Lehre jedoch 
mehr als nur retrospektive Bedeutung erlangen wiirde, 
erscheint angesichts der jtingsten, von -*■ Thema und 
M. fortstrebenden musikalischen Entwicklung fraglich. 
Lit.: BrossardD, Artikel Motivo; J. Mattheson, Kern 
Melodischer Wiss., Hbg 1737; Mattheson Capellm.; J. 
Riepel, Anfangsgriinde zur mus. Setzkunst . . . , Augsburg 
1752, Regensburg 21754; Encyclopedie ou Dictionnaire 
raisonne des sciences, des arts et des metiers, hrsg. v. D. Di- 
derot u. J. d'Alembert, Bd X, Neuchatel 1765, Artikel 
Motif; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 
1767(?), Paris 1768, Artikel Motif; H. Chr. Koch, Versuch 
einer Anleitung zur Composition, I Rudolstadt 1782, II— III 
Lpz. 1787-93; J.-J. DEMoMiGNY,Courscompletd'harmonie 
et de composition . . ., 3 Bde, Paris 1 806; A. Reicha, Traite 
de melodie . . ..Paris 1814,21832, H1911 ; A. B. Marx, Die 
Lehre v. d. mus. Komposition I, Lpz. 1837, neubearb. v. 
H. Riemann '1887; J. Chr. Lobe, Compositionslehre oder 
umfassende Lehre v. d. thematischen Arbeit, Lpz. 1844; 
R. Westphal, Allgemeine Theorie d. mus. Rhythmik seit 
J. S. Bach, Lpz. 1880; L. Wolff, Geschichtliche Studien 
iiber d. mus. M. u. seine Durchfiihrung, Diss. Lpz. 1890; 
H. Riemann, Was ist ein M.?, in: Praludien u. Studien I, 
Heilbronn 1895; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me- 
trik, Lpz. 1903; Th. Wiehmayer, Mus. Rhythmik u. Me- 
trik, Magdeburg 1917; E. Schwarzmaier, Die Takt- u. 
Tonordnung J. Riepels . . ., Wolfenbiittel 1936; A. Feil, 
Satztechnische Fragen in d. Kompositionslehren v. Fr. E. 
Niedt, J. Riepel u. H. Chr. Koch, Diss. Heidelberg 1955; 
H. Keller, Phrasierung u. Artikulation, Kassel 1955; E. 
Jammers, Takt u. M., AfMw XIX/XX, 1962/63. 

Motus (lat., Bewegung), bei der Stimmfiihrung bzw. 
Themenbildung ist M. contrarius -*■ Gegenbewegung 
oder -*■ Umkehrung ; M. obliquus ->■ Seitenbewegung ; 
M. rectus -> Parallelbewegung, auch Bezeichnung fiir 
denEintritt eines Fugenthemas in seiner originalen Ge- 
stalt (in motu recto) im Unterschied zur Umkehrung 
(in motu contrario) ; M. retrogradus -> Krebsgang. 

Mozarabischer Gesang ist der Gesang der spani- 
schen Christen unter arabischer Herrschaft (musta'rib). 
Er stammt aber aus alterer Zeit, wie alle lateinischen 
Choralarten, ist in der westgotischen Zeit geformt 
worden und gehort (ahnlich dem -»■ Ambrosianischen 
Gesang) zur Gruppe des -*■ Gallikanischen Gesangs (im 



591 



Mozarabischer Gesang 



weiteren Sinne). Das zeigt die Ordnung der MeBge- 
sange, die zum Teil die gleichen Namen haben wie die 
der gallikanischen Liturgie. Doch ist die gemeinsame 
Urform, wie sie sich auch in der Gregorianik erhalten 
hat, nicht zu iibersehen. Die MeBgesange sind: Anti- 
phona ad praelegendum (gallikanisch, heute Offizium; 
romisch Introitus), Gloria (selten), Trisagion ("Ayiog 6 
&e6g, gallikanisch), Benedictus es (gallikanisch), Psallen- 
dum (romisch Graduale), Clamor (nur im mozarabi- 
schen Ritus), Threnos, Laudes (romisch Alleluia), Sacri- 
ficium (romisch Offertorium), Preces (gallikanisch), 
Agios, Agios Dominus Deus (romisch Sanctus), Anti- 
phona ad pacem, Antiphona ad conf ractionem (romisch 
Agnus Dei), Antiphona ad accedentes (gallikanisch 
Trecanum; romisch Communio). - Die an die Ostkir- 
chen erinnernde Vorliebe fur die Hymnenkomposition 
vermochte sich bei einander widerstreitenden Synoden- 
beschliissen nicht entscheidend durchzusetzen. Doch 
wurden auBerhalb der Messe Hymnen und Sequen- 
zen gepflegt. Im Gegensatz zu Rom war man sich der 
Verfasserschaft mehrerer Komponisten bei der Ent- 
stehung des Chorals wohl bewuBt. - Der M.e G. wur- 
de im 11. Jh. durch die Gregorianik fast restlos besei- 
tigt; nur wenige, sehr einfache Gesange haben sich er- 
halten, so da8 nur beschrankte Aussagen mit vielen 
Vorbehalten mSglich sind. Mit dem Gesang wurde 
auch die mozarabische Neumenschrift verdrangt. Sie 
hat ihre nachsten Verwandten in italienischen, nicht in 
gallikanischen Neumen. Wichtigstes Neumendoku- 
ment ist das Antiphonar von Leon (10. Jh.). Da aber 
auch die mozarabischen Neumen keine Angaben ttber 
Tonhohe oder Intervalle machen, lassen sich die Me- 
lodien der Quellen nicht lesen. So ist der M.e G. fur 
uns tot. Sein konservativer Charakter wird aber deut- 
lich sichtbar. Fur einige Gesangsarten wurde das ganze 
Jahr hindurch nur ein Text verwendet, so fur die Anti- 
phona ad accedentes der uralte Communiotext Gustate 
et videte. Ahnlich der gallikanischen Messe war die Be- 
teiligung des Volkes groBer als in der romischen (papst- 
lichen) Liturgie; beim Pater noster z. B. erfolgte nach 
jeder Bitte eine Akklamation des Volkes: Amen oder 
Quia Deus es, und der Clamor hat seinen Namen an- 
scheinend von den in ihm enthaltenen Akklamationen. 
Der Tonus currens war gleichf alls der altere, namlich a, 
und noch nicht verdrangt von dem subsemitonalen c. 
Verwendet wurde die gallikanische Repetitionsweise: 
nach den Versen wird nur der SchluBteil des Respon- 
sum wiederholt. Selbstverstandlich kennt der M.e G. 
auch sehr ausgedehnte Melismen mit mehr als 200 T6- 
nen; ihre Kompositionstechnik, etwa beim Alleluia, 
erinnert an die ambrosianische. 

Ausg.: Antifonario visigotico mozarabe de la Catedral de 
Leon, I Faks., II Text, hrsg. v. L. Brou OSB u. J. Vives, 
= Monumenta Hispaniae Sacra, Series liturgica V, 1-2, 
Madrid, Barcelona u. Leon 1953-59. 
Lit.: G. Prado OSB, Mozarabic Melodies, Speculum III, 
1928; ders., Estado actual de los estudios sobre la musica 
mozarabe, in: Estudios sobre la liturgia mozarabe, = Pu- 
blication del Inst, provincial de investigaciones y estudios 
toledanos III, 1, Toledo 1965; P. Wagner, Der mozarabi- 
sche Kirchengesang u. seine Uberlieferung, in : Span. For- 
schungen d. Gorresges. 1, 1 , Munster i. W. 1928 ; ders., Un- 
tersuchungen zu d. Gesangstexten u. zur responsorialen 
Psalmodie d. altspan. Liturgie, ebenda I, 2, 1930; C. Roio 
OSB u. G. Prado OSB, El canto mozarabe, Barcelona 
1929 ; L. Brou OSB, L'antiphonaire visigothique et l'anti- 
phonaire gregorien au debut du VIII e s., AM V, 1950, u. 
in : Atti del Congresso Internazionale di Musica Sacra Rom 
1950, Tournai 1952; ders., L' Alleluia dans la liturgie moz- 
arabe, AM VI, 1951; ders., Sequences et tropes dans la 
liturgie mozarabe, Hispania sacra IV, 1 95 1 /52 ; H. Angles, 
Lat. Chant Before St. Gregory, in: The New Oxford Hist, 
of Music II, London 1954, 2 1965 ; ders., Die Sequenz u. d. 



Verbeta im ma. Spanien, StMf XLIII, 1961 ; E. Werner, 
Eine neuentdeckte mozarabische Hs. mit Neumen, in : Mis- 
celanea en homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61. 

»Mozartquinten« ->ParalIelen. 

mp, Abk. fur mezzopiano, -*■ piano. 

Muhlhausen (Thiiringen). 

Lit.: R. Jordan, Aus d. Gesch. d. Musik in M., =Zur 
Gesch. d. Stadt M. in Th. V, M. 1905; E. Brinkmann, 
Neue Beitr. zur M.er Mg., Muhlhauser Geschichtsblatter 
XXIX, 1928/29; ders., Neue Forschungen zum Leben d. 
groCen M.er Musiker . . . Joachim a Burgk, J. Eccard, J. R. 
Ahle, J. G. Ahle, J. S. Bach, Fs. A. Tille, Weimar 1930; 
ders., Die Musikerfamilie Bach in M., M. 1950. 

Miinchen. 

Lit. : L. Westenrieder, Zustand d. Musik in M. in d. letz- 
ten Jahrzehnten d. 18. Jh., Jb. d. Menschengesch. in Bayern 
I, M. 1783 ; Fr. M. Rudhart, Gesch. d. Oper am Hofe zu 
M.I, Freising 1 865 ; Fr. Grandaur, Chronik d. Kgl. Hof- 
u. Nationaltheaters in M., M. 1878; Fr. X. Haberl, Ar- 
chivalische Excerpte uber d. herzogliche Hofkapelle in M., 
KmJb IX, 1894 - XI, 1896; A. Sandberger, Beitr. zur 
Gesch. d. bayerischen Hofkapelle unter Orlando di Lasso, 
I u. Ill, Lpz. 1 894-95 ; ders., Ausgew. AufsStze zur Mg. I, 
M. 1921, revidiert NY 1948; L. Schiedermair, Die Anfan- 
ge d. M.er Oper, SIMG V, 1903/04; Br. Hirzel, A. Goss- 
win . . . Ein Beitr. zur Gesch. d. Hofkapellen in M. u. Frei- 
sing, M. 1909 ; E. Bucken, M. als Musikstadt, Lpz. (1923) ; 
M. Zenger, Gesch. d. M.er Oper, hrsg. v. Th. Kroyer, M. 
1923 ; O. Ursprung, Mg. M., M. 1927; ders., M. mus. Ver- 
gangenheit, v. d. Fruhzeit bis zu R. Wagner, M. 1927 ; P. L. 
Sohner, Die Musik im M.er Pom Unserer Lieben Frau 
M. 1934; Fr. Ihlau, Die Entwicklung d. Musikberichter- 
stattung in d. M.er »Neuesten Nachrichten« ... bis zum 
Jahre 1860, Diss. M. 1935; P. Beckers, Die nachwag- 
ner'sche Oper bis zum Ausgang d. 19. Jh. im Spiegel d. M.er 
Presse, Diss. M. 1936; Cl. Neumann, Die Harmonik d. 
M.er Schule um 1900, M. 1939; I. Grassl, M.er Brauchtum 
u. Leben im 18. Jh., Diss. M. 1940; W. Eichner, M. Ent- 
wicklung als Musikstadt, Diss. M. 1 95 1 , maschr. ; F. Lepel, 
Die ital. Opera u. Opernauffuhrungen am kurfurstlichen 
Hofe zu M. (1654-1787), Bin 1953 ; W. Zentner, 60 Jahre 
M.er Philharmoniker, Fs., M. 1953 ; J. M. Lutz, Die M.er 
Volkssanger, M. 1956; H. Wagner, 200 Jahre M.er Thea- 
terchronik 1750-1950, M. (1958); K. H. Ruppel, Musica 
Viva, M. 1959; Fs. 200 Jahre Residenz-Theater in Wort 
•u. Bild, hrsg. v. A. Lippl, M. 1961 ; W. Frei, Die bayerische 
Hofkapelle unter Orlando di Lasso, Mf XV, 1962; H. 
Friess, Festspieled. Operzu M., M. 1962; W. Boetticher, 
Aus O. di Lassos Wirkurigskreis. Neue archivalische Stu- 
dien zur M.er Mg., Kassel 1963; H. Bolongaro-Crevenna, 
L'Arpa Festante. Die M.er Oper 1651-1825, M. (1963); R. 
Eras, Zur Deutung v. Mielichs Bild d. bayerischen Hof- 
kapelle, Mf XVI, 1963; Nationaltheater M., Fs. d. Baye- 
rischen Staatsoper zur Eroffnung d. wiederaufgebauten 
Hauses, hrsg. v. H. Friess u. R. Goldschmit, M. 1963. 

Munster (Westfalen). 

Lit.: K. G. Fellerer, Schulgesange aus M. Humanisten- 
zeit, ZfMw XIII, 1930/31 ; ders., Zu d. Cantus ecclesiastici 
missae d. Kolner u. M.ischen Tradition im 19. Jh., in: Der 
kultische Gesang d. abendlandischen Kirche, Fs. D. Joh- 
ner OSB, Koln 1950; ders., Zur Gesch. d. Org. im Dom zu 
M. im 17. Jh., KmJb XXXIV, 1950; H. Schorer, Das 
Theaterleben in M. in d. 2. Halfte d. 19. Jh., = Die Schau- 
buhne X, Emsdetten i. W. 1935; W. Wormann, Aite Pro- 
zessionsgesSnge d. Diozese M., Diss. M. 1949, maschr. 

Multiplicatio (lat., Vervielfaltigung), in der Kompo- 
sitionslehre des 17. und 18. Jh. als musikalische Figur 
die Aufteilung einer Note (bei Bernhard und Walther 
1708 : einer Dissonanz) in mehrere kleinere Notenwer- 
te (Beispiel nach Bernhard) : 

statt: so: 




592 



Mundstuck 



Mit ihr verbindet sich oft die Extensio (lat., Ausdeh- 
nung), die Verlangerung einer Dissonanz iiber ihre 
regulare Dauer (Beispiel nach Bernhard) : 



" 7 



Mundharmonika (frz. harmonica a bouche; engl. 
mouth harmonica oder mouth organ) ist eine Bezeich- 
nung fiir Instrumente mit durchschlagenden Zungen, 
die durch den menschlichen Atem in beiden Richtun- 
gen (Aus- und Einatmen) zum Schwingen gebracht 
werden. Bei den heute gebrauchlichen M.s ist zwi- 
schen diatonischen und chromatischen Modellen zu un- 
terscheiden, zu denen noch BaB-M., Akkordbegleit- 
instrumente und Spezialinstrumente kommen. Die dia- 
tonischen und die chromatischen M.s sind durchweg 
wechseltonig, d. h. jeder Tonkanal enthalt 2 Zungen, 
von denen eine auf Blasen, die andere auf Ziehen an- 
spricht. Bei den diatonischen Richter-Modellen enthal- 
ten also die lOkanaligen Instrumente 20 Tone (3 Okta- 
ven, untere und obere Oktave unvollstandig), die 12ka- 
naligen verfiigen iiber 3 vollstandige Oktaven. Die 
Richter-Modelle sind in alien Dur- und Molltonarten 
als Melodieinstrumente gebrauchlich. Beim Spiel wer- 
den die nicht benotigten Tonkanale mit der Zunge ab- 
gedeckt. Die Knittlinger M.s sind Oktav- bzw. Dop- 
peloktavinstrumente. In Tonaufbau und -anordnung 
entsprechen sie der lOkanaligen Richter-M. ; sie unter- 
scheiden sich von ihr dadurch, dafi jeder Ton durch 2 
Stimmzungen im Abstand von einer oder zwei Okta- 
ven hervorgebracht wird. Die M.s des Wiener Systems 
kommen als Oktavinstrumente oder als Tremolo-M. 
(mit Schwebetonreihe zur Grundreihe) vor. Sie unter- 
scheiden sich in der Tonanordnung wesentlich von den 
Richter-Modellen und kennen keine genormte Grofie. 
Es sind Soloinstrumente, die meist zweistimmig (mit 
zugespitztem Mund) geblasen werden. - Die chroma- 
tischen M.s lassen irh Rahmen ihres Tonumfangs das 
Spiel aller Stammtone und abgeleiteten Tone zu. Die 
als Familie gebaute Educator-M. (S., A., T. und B.) 
folgt in der Tonanordnung dem Aufbau der Klavier- 
tastatur. Die Chromonica ist eine Kombination zweier 
um einen Halbton verschiedener diatonischer Richter- 
Instrumente (C dur und Cis dur) ; ein von Hand beta- 
tigter Kanzellenschieber verschlieBt auf Wunsch die 
eine oder die andere Tonreihe. - Das in den 1920er 
Jahren aufgekommene Gruppenmusizieren mit M.s 
erf orderte Spezialinstrumente fiir den BaB und die har- 
monische Begleitung. Die Bafl-M.s (als einfache und 
als Oktavbasse gebrauchlich) sind 2teilige, durch Schar- 
niere beweglich miteinander verbundene Instrumente, 
die unten die C dur-, oben die Fis dur-Tonleiter geben 
und so das Spiel chromatischer Tonfolgen gestatten. 
Die Akkordbegleitinstrumente sind ebenfalls 2teilig; 
sie geben oben auf Blasen die Durdreiklange, auf 
Ziehen die gleichnamigen Dominantseptakkorde, un- 
ten auf Blasen die gleichnamigen Molldreiklange und 
auf Ziehen in wechselnder Folge UbermaBige Drei- 
klange und verminderte Septakkorde. - Zu den M.- 
Spezialinstrumenten gehoren die pentatonische M. und 
Instrumente mit ' auBereuropaischen Tonfolgen, aber 
auch neuartige Kombinationen von Melodie- und Be- 
gleitinstrumenten, die sich - wie die Harmonetta - ei- 
ner Tastatur sowohl fiir das Einzelton- als auch fiir das 
Akkordspiel bedienen. Die Weiterentwicklung der M. 
in unseren Tagen fiihrte zur Melodica, einem Bias- 
instrument mit durchschlagenden Zungen (nur auf 
Blasen erklingend) und mit einer kleiner mensurierten 



Klaviertastatur (h-c3 bzw. f-g 2 ) oder mit 4eckigen 
Knopf tasten in gleicher Anordnung (&-& bzw. f-e 2 ). 
- Abgesehen vom Gruppenmusizieren, beginnt die Ge- 
schichte der M.-Literatur erst nach dem 2. Weltkrieg 
(Konzerte von A.Benjamin, H.Herrmann, Milhaud, 
M. Spivakovski, G.Whettam). Die Bedeutung der M. 
liegt jedoch mehr auf dem Gebiet der elementaren Mu- 
sikerziehung. Das M.-Spiel ist iiberall in der Welt ver- 
breitet, wird im Ausland aber vor allem solistisch vir- 
tuos gepflegt. 

Lit. : A. Fett, 30 Jahre Neue Musik f . Harmonika 1927-57, 
Trossingen (1957, 4 1964); ders., Die Melodica, = Kleine 
Bucherei d. Harmonika-Freundes XVI, Trossingen 1966; 
ders. , Die M. , Kleine Instrumentenkunde, ebenda IV, 1966; 
H. Herrmann, Einfiihrung in d. Satztechnik f. M. -Instru- 
mente, Trossingen (1958). • AWF 

Mundorgel, ein Blasinstrument, bestehend aus einer 
Windkammer mit einem vorragenden Mundstuck und 
einer Anzahl senkrecht stehender, im Kreis angeord- 
neter Bambus- oder Holzpfeifen von verschiedener 
Lange mit durchschlagenden Zungen aus Metall. Jede 
Pfeif e hat direkt iiber dem Socket und unterhalb der 
Zunge ein Griffloch; wird es geschlossen, so erklingt 
die Pfeife. In Indochina wird die M. noch heute als ein- 
faches volkstiimliches Instrument (mit einer Wind- 
kammer aus Kurbisschale) allein oder zum Gesang ge- 
spielt. Beim Solospiel kann neben den charakteristi- 
schen lang ausgehaltenen Zusammenklangen (mit bis 
zu 6 TSnen) eine Melodie gespielt werden. Die alteste 
erhaltene chinesische M. (sheng) stammt aus dem 6. 
Jh. Von China kam sie spatestens im 9. Jh. nach Japan. 
Die japanische M. (sho) mit 17 Pfeif en gehort zum In- 
strumentarium der chinesischen Richtung Togaku in- 
nerhalb der Kunstmusik. Der Bau der -> Harmonika- 
Instrumente mit durchschlagenden Zungen um 1800 
war zum Teil durch die Kenntnis der ostasiatischen In- 
strumente angeregt. 

Lit. : A. Schaeffer, Origine des instr. de musique, Paris 
1936; L. C. Goodrich, The Chinese Sheng and Western 
Mus. Instr., China Magazin XVII, 1941; L. Traynor u. 
Sh. Kishibe, The Four Unknown Pipes of the Sho . . . , 
Journal of the Soc. for Research in Asiatic Music IX, 195 1 . 

Mundstuck (frz. embouchure; engl. mouthpiece) ist 
bei Blasinstrumenten die Anblasvorrichtung; ein ei- 
gentliches M. f ehlt der Querflote, es kann auch bei (pri- 
miti ven) Horninstrumenten f ehlen. Bei den abendlandi- 
schen Blockfloten und Klarinetten ist das M. in Schna- 
belform ausgebildet, bei Doppelrohrblattinstrumenten 
ist das Rohr M. (beim Windkapselansatz erganzt durch 
eine trichter- oder kreiselformige Pirouette oder eine 
Lippenscheibe als Stiitze fiir die Lippen). Horninstru- 
mente, besonders die aus Metall (Blechblasinstrumen- 
te), haben schon seit der Antike M.e. Die Bauart der 



I 




M.e von Waldhorn, Trompete und BaBtuba. 
M.e variiert zwischen der des Waldhorns in Form ei- 
nes Trichters und der der Trompete in Form eines 
bauchigen Kessels; die Zinken hatten M.e mit beson- 
ders enger Bohrung und scharfem Rand. M.e an BaB- 
instrumenten sind groBer als an hohen Instrumenten, 
weil eine groBere Masse der schwingenden Lippen er- 
forderlich ist. Ein enges, tiefes M. erleichtert die An- 



38 



593 



Muneira 



sprache der hohen Tone, ein weites, flaches die der 
tiefen Tone. 

Lit.: V. Bach, Embouchure and Mouthpiece Manual, 
Mount Vernon/N. Y. (1954). 

Muneira (mun'eira, span. ; galicisch muineira, Miille- 
rin), ein spanischer Volkstanz aus den Nordprovinzen 
Galicien und Asturien, der in maBig bewegtem 6/8- 
Takt gleich der galicischen Alborada zu Gaita, Pandero 
und Tamboril gesungen und getanzt wird. 

Murkys, in Deutschland (oft abwertend) gebrauchte 
Bezeichnung unbekannter Herkunft f iir die als dilettan- 
tisch geltenden fortlaufenden gebrochenen Oktavbasse 



^ U,\T\T\ 



(Murkybasse, auch als -> Brillenbasse notiert) zur Be- 
gleitung einer Melodie in Kompositionen fiir Tasten- 
instrumente, seltener in Orchesterwerken. Auch leicht 
eingangige Stiicke mit Verwendung dieser Art des 
Basses wurden im 18. Jh. so genannt, z. B. 11 Num- 
mern bei Sperontes (Singende Muse an der Pleifie, 1 736ff .) . 

Musette (miiz'et, frz.), - 1) in Frankreich im 17.-18. 
Jh. eine Sackpfeife mit einem kleinen Blasebalg. Die 
Spielpfeife war zylindrisch mit Doppelrohrblatt und 
hatte 7 offene Grifflocher sowie 4 Tonlocher mit ge- 
schlossenen Klappen (Umfang fi-a 3 oder c3). Um 1650 
fiigte J.Hotteterre eine zweite kleine Spielpfeife fiir die 
hochsten Tone (bis d 3 ) hinzu. Der Bordun war wie ein 
Rankett gebohrt, jedoch mit 4 Doppelrohrblattern so- 
wie mit Schiebern (frz. layettes) versehen, durch die 
die Lange der Kanale abgeteilt und damit die Hohe der 
Borduntone verandert werden konnte. In Frankreich 
war die M. zusammen mit der Drehleier (vielle) das 
Favoritinstrument bei den Schaf erspielen der aristokra- 
tischen Gesellschaft. Sie wurde in prachtiger Ausstat- 
tung hergestellt, mit Brokatiiberzug des Balgs, Pfei- 
fen aus Ebenholz und Elfenbein. Beruhmte Spieler der 
M. waren u. a. die Briider -> Chedeville, H. Baton, J. 
-> Aubert sowie Mitglieder der Familien Philidor und 
Hotteterre. - 2) alter Name fiir die windsacklose Schal- 
mei; auch M. de Poitou oder Hautbois de Poitou ge- 
nannt. - 3) In franzosischen Orgeln ist M. ein 8'- 
oder 4'-Rohrwerk mit konischen Bechern, von zart 
naselndem Klang, in neueren deutschen Orgeln dage- 
gen gelegentlich mit trichterformigen Bechern und 
schnarrend-hellem Klang. - 4) ein Tanz im 2/4-, 3/4- 
oder 6/8-Takt, in maBigem Tempo; charakteristisch 
ist der Bordun. Der Tanz, wohl urspriinglich von dem 
Instrument M. begleitet, war sehr beliebt am Hofe Lud- 
wigs XIV. und Ludwigs XV. Die M. findet sich unter 
den Tanzen der franzosischen Ballette des 18. Jh. (De- 
lalande), in der Oper, z. B. in Destouches' Callirhoe 
(1712) und in Handels Alcina (1736), in der Klavier- 
musik von Fr.Couperin, J.-Ph.Rameau und J. S.Bach 
(Englische Suite Nr 3, Gavotte ou la M., BWV 808), in 
Schonbergs Suite fiir Kl. op. 25. - Der im 19. Jh. volks- 
tiimliche Bal champfitre wurde nach dem bei ihm ver- 
wendeten Instrument auch als Bal m. bezeichnet. Als 
Begleitinstrument trat am Ende des 19. Jh. das Ak- 
kordeon hervor, das zur Erzielung charakteristischer 
Effekte oft leicht verstimmt wurde (accordeon m.). 
Noch heute ist der Valse m. dieser Klangcharakter ei- 
gen; hinzu kommt eine spezifische Melodiefuhrung, 
deren besinnlich-heitere Melancholie in Film- und Un- 
terhaltungsmusik mit der Vorstellung des »vieux Paris« 
verbunden wird. 

Lit.: zu 1): M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 
1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; Ch.-E. 
Borjon de Scellery, Traite de la m., Lyon 1 672 ; J. Hotte- 



terre, Methode pour la m. , Paris 1 737 ; E. H. de Bricque- 
ville, Les m., Paris 1894; E. Thoinan (= A.-E. Roquet), 
Les Hotteterre et les Chideville, Paris 1 894 ; J. Eppelsheim, 
Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Munchner Veroff. 
zur Mg. VII, Tutzing 1961. 

Musica (lat., von griech. [aouctixtj, -*■ Griechische 
Musik), wie fiouciixr) urspriinglich Adjektiv, schon in 
der Antike, alsBezeichnungsfragment von Arsm. (jxou- 
(jixt) t£x v ?]) °der M.scientia ((xouaix'fj ^Tucrr/jfiir)), hau- 
figsubstantivischgebraucht.-DenmittelalterlichenBe- 
griffsbestimmungen von M. liegen die Schriften von 
Augustinus, Martianus Capella, Cassiodorus, Boethius 
und Isidorus von Sevilla zugrunde, die einerseits grie- 
chischen Traditionen vornehmlich pythagoreisch-pla- 
tonischer Pragung verpflichtet sind und andererseits 
teilweise bereits christliches Gedankengut vermitteln. 
Obwohl unter dem EinfluB sich wandelnder philoso- 
phisch-theologischer Fragestellungen die traditionellen 
M.-Definitionen und -Klassifikationen vielfach gean- 
dert, auch abgelehnt wurden, bleibt dennoch eine bis in 
die Neuzeit hinein kontinuierliche (wenn auch seit dem 
Spatmittelalter immer mehr zum Topos erstarrende) 
Grundkonzeption erkennbar, die sich in zwei haufig 
miteinander verschrankten Bedeutungsbereichen mit 
jeweils eigenen Unterteilungen manifestiert. 

1) M. ist die scientia bene modulandi (-»■ Modulatio), im 
weiteren Sinne das auf harmonischen Zahlenverhalt- 
nissen beruhende musische Tun in Sprache, Musik und 
Tanz. Diesem umf assenden Begrifl gemaB widmet sich 
Augustinus in seiner Schrift De musica eingehend der 
Metrik ; nach Aurelianus Reomensis (entsprechend Boe- 
thius 1, 34) ist nur derjenige ein -»■ Musicus, der auch die 
Facultas de poetarum carminibus . . . sine errore iudicandi 
besitzt (GS I, 34a). al-Farabi (De ortu scientiarum, ed. 
Baeumker, S. 19) und R.Bacon (Opus tertium, ed. Bre- 
wer, S. 232) beriicksichtigen in ihren M.-Klassifikatio- 
nen ausdriicklich auch den Tanz (gestus) ; Bacon teilt die 
M. circa vocem humanam in M. in cantu (= M. melica) 
und M. in sermone ein (ebenda, S. 230). Eustache Des- 
champs (L'art de dictier, ed. Raynaud, S. 269f.) versteht 
unter musique naturelle die Dichtkunst, unter musiquc 
artificielle die eigentliche Musik. 

2) M. ist jene disciplina quae de numeris loquitur, qui ad 
aliquid sunt his qui inveniuntur in sonis (Cassiodorus II, 5, 
4) : eine »Mathematische Wissenschaft« noch in der Ba- 
rockzeit (Werckmeister, Musicae mathematicae Hodegus 
curiosus, S. 9f.) und Romantik (Novalis, Fragmente IV, 
227: Aller Genufi ist musikalisch, mithin mathematisch), 
mitunter auch die Lehrschrif t iiber die M. selbst; ihr Stoff 
wurde im Rahmen des Quadriviums gelehrt (-»■ Ars 
m.). Ferner ist M. (als Aquivalent zu -* Harmonia) das 
auf Zahlenproportionen beruhende Ordnungsprinzip, 
nach dem alles Sein gestaltet ist (Jacobus Leodiensis, 
CSM III, 1, 11 : M. enim genet aliter sumpta obiective quasi 
ad omnia se extendit), sowie die hieraus resultierende 
Geordnetheit (Harmonie) des Seins. Diese M. ist von 
Boethius in Anlehnung an griechische Traditionen auf- 
gegliedertwordenindieBereicheM.mundana(ap(xovta 
x6ct(xou), M. humana (apfiovta i^ux*)?) und M., quae in 
quibusdam constituta est instrumentis (spater: M. instru- 
mentalisbzw. M. sonora; -f) Iv opyavon; (xouoixrj). M. 
(auch harmonia, compositio) mundana ist die Harmonie 
des Makrokosmos, die sich einerseits in der Bewegung 
der Spharen (-»• Spharenharmonie), andererseits in der 
regelmaBigen Abf olge der Jahreszeiten, der Zusammen- 
ordnung der Elemente zeigt; bei Regino von Priim 
(GS I, 235a) und Pseudo-Beda (Migne Patr. lat. XC, 
911) heiBtsie M. coelestis. Egidius Zamorensis (GS II, 
376b ff.) unterscheidet zwischen M. mundana als der 
M. in terris vel in temporibus und M. coelestis als der M., 
durch welche ipsum coelum volvitur. NicolausWollick 



594 



Musica 



(ed. Niemoller, S. 12) setzt beide einander gleich. M. 
humana ist die Harmonie des menschlichen Mikrokos- 
mos, die sich im Wirken der Temperamente, Glieder 
und Organe, im Verhaltnis zwischen Seele und Leib 
wie zwischen geistigen und seelischen Kraften auBert, 
erkennbar beispielsweise am einwandfreien ethischen 
Verhalten (Cassiodorus II, 5, 2). Da die Seele nach py- 
thagoreisch-platonischer Auffassung aus konsonieren- 
den Zahlen zusammengefiigt ist, kann die erklingende 
Musik EinfluB auf sie nehmen (-> Ethos). M. instru- 
mentalis ist jene Harmonie, die in den Proportionen 
und Intervallen der durch Klangwerkzeuge (mensch- 
liche Stimme, Instrumente) hervorgebrachten, per sen- 
sum wahrnehmbaren Tone waltet; nach einer Legende 
ist sie von Pythagoras inventa ex malleorum sonitu (Cas- 
siodorus II, 5, 1, nach Gaudentios, in: Jan, Scriptores, 
340). Auf den gleichen Voraussetzungen beruht die 
Einteilung in M. naturalis (in der Regel M. mundana 
und M. humana umfassend) und M. artificialis (in der 
Regel der M. instrumentalis entsprechend) ; sie ist erst- 
mals bei Regino von Priim (GS 1, 232a ff.) nachweisbar 
und wurde seit dem spaten Mittelalter von der (hin- 
sichtlich der Abgrenzung der Bereiche analogen, be- 
reits in der Antike gelaufigen) Klassifizierung in M. 
theor(et)ica (speculativa) und M. practica (activa) 
verdrangt. 

Die Musik (in der Regel als cantus, cantilena, erst seit 
dem spateren Mittelalter haufiger als m. bezeichnet) hat 
innerhalb beider Bedeutungsbereiche ihren Platz. Dem 
BewuBtsein einer »inneren Identitat« (Handschin, Die 
Spharenharmonie, S. 366) zwischen Universum und sich 
auf harmonische Proportionen griindender Musik ent- 
spricht die strenge Scheidung zwischen dieser und allem 
nur naturwiichsig Erklingenden. Zwar erwahnt schon 
Regino von Priim (GS I, 233b und 236a), dafi nonnulli 
auch den Gesang der irrationabilis creatura (z. B. der V6- 
gel) in den Begriff der M. (naturalis) einbezogen, doch 
gilt im allgemeinen bis ins spate Mittelalter (das seinen 
M.-Begriff nun vielfach auf alles Erklingende ausdehnt) 
der Satz des Johannes Affligemensis, daB solus . . . discre- 
tus (scilicet: sonus) ...ad musicam pertinet (CSM I, 58). 
Das Musizieren in diesem Sinne heiBt beim Anonymus 
A. de Lafage (Ann. Mus. V, 1957, S. 13) naturaliter per 
musicam canere ; die gleiche Vorstellung wirkt noch nach 
in der humanistisch-geschraubten Umschreibung von 
»komponieren« etwa mit musicis numeris accomodate (G. 
Otto 1610). - Nach den Mitteln der Tonerzeugung 
wird die klangreale M. von Isidorus (III, 19-22) einge- 
teilt in M. harmonica (menschliche Stimme), M. orga- 
nica (Blasinstrumente) und M. rhythmica (Schlag- und 
Saiteninstrumente). In dem MaBe, in dem dieEntwick- 
lung der -> Komposition eine terminologische Diffe- 
renzierung zwischen bestimmten Techniken und Setz- 
weisen nahelegte, wurden (besonders seit dem 13. Jh.) 
neue Einteilungen dieser M. geschaffen. Sie betrefien 
vor allem die Unterscheidung zwischen (einstimmi- 
gem) Choral und Mehrstimmigkeit in Begriffspaaren 
wie M. plana (M. Gregoriana, M. armonica simplex) 
und -> M. mensurabilis (M. mensuralis, M. armonica 
multiplex). Johannes de Grocheo (ed. Rohlofi, S. 47ff.) 
unterscheidet zwischen M. simplex vel civilis, quam 
vulgarem musicam appellamus (weltlicheEinstimmigkeit) 
und M. composita vel regularis vel canonica, quam 
appellant musicam mensuratam (Mehrstimmigkeit), de- 
nen er als dritte Kategorie das genus ecclesiasticum an- 
fiigt. Die seit Adam von Fulda (GS III, 333b) obligato- 
rische Scheidung zwischen M. usualis (Wollick, S. 13: 
M. vulgaris sive usualis) und M. regulata scheint hier 
bereits im Ansatz greifbar. Die M. regulata ihrerseits 
teilt sich in die Bereiche von M. vera (recta) und ->■ M. 
ficta (falsa). 



Die Obernahme des antik-philosophischen M.-Begriff s, 
speziell in seiner unter 2) erfaBten Bedeutungsrichtung, 
in die christliche Vorstellung von der Schopfungsord- 
nung wird durch Liber Sapientiae 11, 21 (Omnia in nume- 
ro et mensura et pondere disposuisti) weitgehend gerecht- 
fertigt. Neben diese abstrakt-numerusbestimmte M.- 
Auffassung trat in friihester Zeit der Gedanke an den 
klingenden Lobpreis, den Spharen (Hiob 38, 7) und 
Engel, daneben die ganze belebte und unbelebte Natur 
dem Schopfer darbringen. Als Abglanz und zugleich 
Teil solch universaler Liturgie wurde die irdische Litur- 
gie zur eigentlichen Auf gabe des Frommen. Die Pflege 
des »enzyklopadischen Bildungsideals« der Antike, das 
der M. einen zentralen Platz innerhalb der philosophi- 
schen Propadeutik zugewiesen hatte, wurde in den 
irischen und angelsachsischen Raum zuriickgedrangt 
und f and erst wieder seit dem 8. Jh. dank der karolin- 
gischen kulturellen Bestrebungen Eingang in einige 
frankische Klosterschulen. Statt dessen entstand in der 
monastischen, vom »asketischen Bildungsideal« (beide 
Ausdriicke nach Pietzsch) gepragten Sphare in An- 
schluB an die Facher Grammatica und Computus eine 
ganz auf die liturgische Praxis ausgerichtete Musiklehre. 
Diese brachte bei der Neubildung einer die musikalische 
Form (Comma, Colon, Periodus; Punctus, Clausula; 
Distinctio) und Kompositionstechnik (Color, Talea, 
Flores) urnfassenden Terminologie erstmals die (spater 
in der -*■ M. poetica nochmals intensiv durchdachten) 
Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Sprache syste- 
matisch zum Ausdruck; sie eignete sich auch die fiir die 
Monochordmessung und Berechnung der Mensura 
fistularum unentbehrlichen mathematischen Grund- 
lagen an und verstand es, die irrationale »Jubilus-Gesin- 
nung« (Hammerstein, S. 121) der christlichen Frtihzeit 
in die hochst rationale Lehre von den Tonarten und der 
Mehrstimmigkeit zu integrieren. Dagegen verzichtete 
die das enzyklopadische Ideal vertretende Literatur 
(Walther von Speyer, Alanus ab Insulis) weitgehend 
auf den AnschluB an die kompositorische Entwicklung 
und stagnierte schlieBlich, je mehr der Komponist selbst 
in seinem Werk theoretische MaBstabe setzte. 
Seit dem Bekanntwerden der Aristoteles-Schriften im 
13. Jh. konzentrierte sich das Interesse zunehmend auf 
die empirisch fafibare, konkrete Musik. Der Verzicht 
auf die Behandlung der spekulativen Zweige der M. 
wird von einigen Autoren nicht nur programmatisch 
hervorgehoben (Engelbert von Admont, GS II, 289a), 
sondern sogar mit ironischen Worten begriindet (Jo- 
hannes de Grocheo, S. 46). R.Bacon (S. 230) lafit als M. 
nur noch cantus und sonus instrumentorum gelten. Zu 
Beginn des 14. Jh. versuchte Jacobus Leodiensis zwar, 
noch einmal die Boethianische Konzeption zu restau- 
rieren und zugleich mit der christlich-theologischen 
Auffassung zu vereinen, indem er, als hochste Stufe 
eines urnfassenden Systems, der M. mundana, humana 
und instrumentalis die M. coelestis vel divina anfiigte 
(die sowohl den abstrakten Ordnungs- und Proportions- 
zusammenhang der himmlischen Dinge als auch die 
Liturgie derEcclesia triumphans einschlieBt; CSM III, 
1, 37), doch zeigen gleichzeitige Umdeutungen der Be- 
griffe von M. humana und M. instrumentalis zu »Vo- 
kal-« und »Instrumentalmusik« (Summa musicae, GS III, 
199a ff.; Nicolaus von Capua, ed. A. de Lafage, S. 311) 
und das Ersetzen der M. mundana durch M. angelica 
(Engelsmusik; Nicolaus von Capua, ebenda), in wel- 
chem MaBe sich die rein empirische Konzeption bereits 
durchgesetzt hatte. Je mehr schlieBlich die auf der kos- 
mologischen Abbildlichkeit der Musik (nach Boethius 
1, 20, ist die M. instrumentalis imitatio der M. mundana) 
beruhende, spezifisch mittelalterliche Anonymitat des 
Werkes (Eggebrecht, Kgr.-Ber. New York 1961 , Bd I, 



38* 



595 



Musica 



S. 198) angesichts der Erwartung einer durch stetige 
Novitas ausgezeichneten individuellen kiinstlerischen 
Leistung des Practicus (-»• M. reservata) verlorenging, 
desto mehr sank auch die M. theorica zur blofien Lehre 
von Tonsystem und Intervallproportionen, zum prak- 
tisch-(nicht mehr spekulativ-)mathematischen »Hin- 
tergrund« jener Komposition ab, die das Ingenium 
ihres Schbpfers beweist und seinen Ruhm begriindet. 
Fiir die italienische Renaissance ist sie speculazione . . . 
senzafrutto, wenn sie nicht auf ihren letzten Zweck zu- 
riickgefiihrt wird, che consiste nell'essercitio de naturali, 
& artificial! istrumenti . . . (Zarlino, Istituzioni harmo- 
niche, 1558, 1, 11). 

Im 17. Jh. kam die M. theorica (im kosmologisch-um- 
fassenden Sinne) besonders in Deutschland nochmals zu 
hohem Ansehen. Die Moglichkeit, nun mit naturwissen- 
schaftlichen Methoden etwa im Bereich der Akustik 
(Galilei, Mersenne, Sauveur) und der Astronomie (Kep- 
ler) zu beweisen, was dem Mittelalter Axiom war, f iihrte 
zu einer neuerlichen Konstatierung universaler ->• Har- 
monia und somit auch zu einer Restauration des antik- 
mittelalterlichen M.-Begriffs (Fludd, Werckmeister). 
Aber es ist nicht nur der Unterschied zwischen fraglos- 
staunendem Betrachten (das auch die reformatorische 
Musikanschauung noch charakterisiert) und bohrendem 
Fragen hach Sinn und Bedeutung dieser Harmonia, der 
Mittelalter und Neuzeit trennt, sondern auch in der (fiir 
das Mittelalter undenkbaren, weil hochst pleonasti- 
schen) Benennung M. mathematica zeigt sich der in- 
zwischen vollzogene Wandel : mit dem Begriff von M. 
allein ist gemeinhin nur noch der Bereich der Praxis an- 
gesprochen. M. bezeichnet nun z. B. auch ein Corpo oder 
Versammlung von Musicis (WaltherL, Artikel M.) ; mu- 
sique ist sogar in der eingeschrankten Bedeutung von 
»Vokalmusik« oder »Figuralmusik« anzutreffen. Nicht 
erstEinteilungen wie la musique se divise aujourd'hui plus 
simplement en melodic ou en harmonie (Framery, Gingue- 
ne, De Momigny, Encyclopedic methodique. Musique, 
Paris 1818, Artikel Musique) dokumentieren das Ende 
des universalen M.-Begriffs. Schon Mattheson hatte es 
mit aller Scharfe konstatiert, wenn er den Titel der 
Schrift Ut Mi Sol Re Fa La, Tola M. et Harmonia Aeterna 
seines traditionsverbundenen Kontrahenten Buttstedt 
mit den Worten parodierte: Todte (nicht tota) M. (Das 
Beschiitzte Orchestre, Titelblatt). 
Lit.: W. Grossmann, Die einleitenden Kap. d. Speculum 
Musicae v. Johannes de Muris (Jacobus Leodiensis), = Slg 
mw. Einzeldarstellungen III, Lpz. 1924; H. Besseler, Mu- 
sik d. MA in d. Hamburger Musikhalle 1.-8. April 1924, 
ZfMw VII, 1924/25 ; ders., Die Musik d. MA u. d. Renais- 
sance, Biicken Hdb. ; H. G. Farmer, The Arabian Influence 
on Mus. Theory, London 1925 ; J. Handschin, Die Musik- 
anschauung d. Johannes Scotus (Eriugena), DVjs. V, 1927 ; 
ders., Die Spharenharmonie in d. Geistesgesch., Neue Ziir- 
cher Zeitung Nr 2435, 1929, Neudruck in: Gedenkschrift 
J. Handschin, Bern u. Stuttgart 1957; P. Rajna, Le deno- 
minazioni di Trivium e Quadrivium, Studi Medievali I, 
1928; H. Zenck, S. Dietrich. Ein Beitr. zur Musik u. Mu- 
sikanschauung im Zeitalter d. Reformation, = PaM III, 2, 
Abh. I, Lpz. 1928; ders., Studien zu A. Willaert. Unter- 
suchungen zur Musik u. Musikanschauung im Zeitalter d. 
Renaissance, Habil.-Schrift Lpz. 1929, Teilveroff. in: 
ZfMw XII, 1 929/30; ders., Grundf ormen deutscher Musik- 
anschauung, Jb. d. Akad. d. Wiss. in Gottingen f. 1941/ 
42, Neudruck in : H. Zenck, Numerus u. Affectus, hrsg. v. 
W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel 1959; G. 
Pietzsch, Die Klassifikation d. Musik v. Boetius bis Vgo- 
lino v. Orvieto, = Studien zur Gesch. d. Musiktheorie im 
MA I, Halle 1929, dazu L. Schrade in: ZfMw XIII, 1930/ 
3 1 ; ders., S. Calvisius u. J. Kepler, Die Musikpflege I, 
1930; ders., Die Musik im Erziehungs- u. Bildungsideal 
d. ausgehenden Altertums u. friihen MA, = Studien zur 
Gesch. d. Musiktheorie im MA II, Halle 1932, dazu Th. 
Gerold in: Rev. de Musicol. XVI, 1932; E. Beichert, Die 



Wiss. d. Musik bei al-Farabi. Ein Beitr. zur ma. Musik- 
theorie, Diss. Freiburg i. Br. 1 930 ; H. Birtner, Studien zur 
nld.-humanistischen Musikanschauung, Heidelberg 1930; 
L. Schrade, Das propSdeutische Ethos in d. Musikan- 
schauung d. Boethius, Zs. f. Gesch. d. Erziehung u. d. 
Unterrichts VII, 1930; ders., Die Stellung d. Musik in d. 
Philosophie d. Boethius, Arch. f. Gesch. d. Philosophie 
XLI, 1932; ders., Music in the Philosophy of Boethius, 
MQ XXXIII, 1947; Th. Gerold, Les peres de l'eglise et la 
musique, Paris 1931 ; R. Schafke, Aristeides Quintilianus, 
Vond. Musik, Bin 1937 ; W. Gurlitt, Die Musik in Raffaels 
Heiliger Caecilia, JbP XLV, 1938; ders., Der Begriff d. 
sortisatio in d. deutschen Kompositionslehre d. 16. Jh., 
TVer XVI, 1942; ders., Die Kompositionslehre d. deut- 
schen 16. u. 17. Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953 (Neudruck 
aller zitierten Arbeiten Gurlitts in: Mg. u. Gegenwart I, 
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966); M. F. Bukofzer, Specu- 
lative Thinking in Medieval Music, Speculum XVII, 1942; 
E. Rohloff, Studien zum Musiktraktat d. Johannes de 
Grocheo, = Media Latinitas M. I, Lpz. 1 943 ; E. de Bruyne, 
Etudes d*esth6tique m£di6vale, 3 Bde, Brugge 1946; ders., 
L'esthetique du moyen age, = Essais philosophiques III, 
Lowen 1947; E. T. Ferand, »Sodaine and Unexpected« 
Music in the Renaissance, MQ XXXVII, 1951; R. Dam- 
mann, Zur Musiklehre d. A. Werckmeister, AfMw XI, 
1954; ders., Der Musikbegriff im deutschen Barock, Koln 
1967; H. Huschen, Untersuchungen zu d. Textkonkordan- 
zen im Musikschrifttum d. MA, Habil.-Schrift Koln 1955, 
maschr. ; ders., Der EinfluB Isidors v. Sevilla auf d. Musik- 
anschauung d. MA, Miscelanea en homenaje a H. Angles I, 
Barcelona 1958-61; H. Roller, 'EykukXioc; itat6eia,Glot- 
ta XXXIV, 1955; J.Lohmann, Diegriech. Musik als mathe- 
matische Form, AfMw XIV, 1957; ders., Der Ursprung d. 
Musik, AfMw XVI, 1959; Thr. G. Georoiades, Musik u. , 
Rhythmus bei d. Griechen, = rde LXI.Hbg ( 1 958); L. Rich- 
ter, Die Aufgaben d. Musiklehre nach Aristoxenos u. Kl. 
Ptolemaios, AfMw XV, 1958; ders., Zur Wissenschafts- 
lehre v. d. Musik bei Platon u. Aristoteles, = Deutsche 
Akad. d. Wiss. zu Bin, Schriften d. Sektion f. Altertums- 
wiss. XXIII, Bin 1961 ; ders., Griech. Traditionen im Mu- 
sikschrifttum d. Romer, AfMw XXII, 1965 ; C. MacClin- 
tock, Molinet, Music, and Medieval Rhetoric, MD XIII, 
1959; Ch. H. Haskins, Studies in the Hist, of Mediaeval 
Science, NY («1960); H. H. Eggebrecht, Der Begriff d. 
»Neuen« in d. Musik v. d. Ars nova bis zur Gegenwart, 
Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; ders., Musik als Tonsprache, 
AfMw XVIII, 1961 ; O. Sohngen, Theologische Grundla- 
gen d. Kirchenmusik, in : Leiturgia IV, hrsg. v. K. F. Muller 
u. W. Blankenburg, Kassel 1961; ders., Die Musikauf- 
fassung d. jungen Luther, in : Gemeinde Gottes in dieser 
Welt, Fs. Fr.-W. Krummacher, Bin 1961; R. Hammer- 
stein, Die Musik d. Engel, Bern u. Miinchen (1962); P. 
Vossen, Der Libellus Scolasticus d. Walther v. Speyer. Ein 
Schulber. aus d. Jahre 984, Bin 1962; F. A. Gallo, La de- 
finizione e la classificazione della m. nella »Summula« di 
Henricus Helene, in: Jucunda Laudatio I, 1963. FrR 

Musica coelestis, Musica divina (lat.)-»Musica. 

Musica Enchirjadis (lat.) -> Dasia-Zeichen, 
-> Organum. 

Musica ficta (Musica falsa, lat.), eine vom 13. bis zum 
16. Jh. gebrauchliche Bezeichnung fiir die Bildung 
hexachordfremder Tone oder transponierter Hexa- 
chorde mittels -> Akzidentien, mitunter auch fiir diese 
Tone oder Hexachorde bzw. fiir die verwendeten Ak- 
zidentien selbst. Vielfach begegnen in entsprechender 
Bedeutung auch die Ausdriicke synemmenon und des- 
sen lateinische Ubersetzung coniuncta. Bei der Be- 
griffsbildung liegt die mittelalterliche Vorstellung von 
der prinzipiellen Vollkommenheit der ->■ Hexachord- 
Gliederung des Tonsystems zugrunde, in dem die Auf- 
spaltung einer Tonstufe in ihre Halbtone nur am Ort 
des b (brotundum, bquadratum) vorgesehen ist. Infol- 
gedessen findet sich jede andere um einen Halbton er- 
hohte oder erniedrigte Tonstufe extra manum (Tincto- 
ris, CS IV, 37b) ; sie ist contra regularem vocum in gam- 
mate (hexachordale Grundskala) dispositionem gebildet 



596 



Musica ficta 



(Jacobus Leodiensis, CS II, 293b) und steht dort, ubi 
non esse videtur (Prosdocimus, CS III, 198a); sie kann 
deshalb nur als ficta (kiinstlich gebildet) oder gar als 
falsa bezeichnet werden. Diese im Namen ausgespro- 
chene negative Beurteilung konnte um so weniger auf- 
rechterhalten werden, je regelmaBiger und selbstver- 
standlicher sich schon seit dem spateren 13. Jh. die 
mehrstimmige Komposition der M. f. bediente. So 
finden sich in den Traktaten sehr bald Abschwachun- 
gen wie non tamen falsa musica, sed inusitata ( Anonymus 
II, CS 1, 310b), und seit dem 14. Jh. wird immer haufi- 
ger betont, daB es sich bei der M.f sive falsa ganz im 
Gegenteil um eine Musica vera et necessaria handle (Phi- 
lippe de Vitry, CS III, 18b), die iiberall dort niitzlich 
sei und causa adiutorii (Petrus dictus palma ociosa, SIMG 
XV, 513) Anwendung finde, wo es gelte, causa. necessi- 
tatis et causa pulchritudinis cantus per se (Anonymus II, 
CS 1, 312a) dissonante Melodieschritte und diskordante 
Zusammenklange, besonders den Tritonus, zu vermei- 
den. Konzentrierte sich also der Gebrauch der M. f . auf 
die mehrstimmige Komposition, so war er doch im 
1st. Choral nicht ohne Bedeutung (Jacobus Leodien- 
sis, CS II, 293a ft.), wenngleich umstritten (als friihe- 
ster greifbarer Beleg fur die Einfiihrung hexachord- 
fremder Halbtone gilt bereits Odos Musica, GS I, 274, 
in der f reilich von M. f. noch nicht die Rede ist) . - Z wei 
Moglichkeiten der praktischen Verwirklichung von 
M. f. werden gelehrt: entweder bezieht sich das Akzi- 
dens nur auf die unmittelbar nachfolgende Note und 
lost diese (als mi bzw. fa) einzeln aus dem Zusammen- 
hang der ->■ Solmisation, oder die Akzidentiensetzung 
bewirkt die Transposition des ganzen Hexachordes auf 
eine beliebige andere Stufe (deshalb wird die M. f . hau- 
fig auch falsa mutatio genannt) : dort also nur »akzi- 
dentelle«, hier »leitereigene Bedeutung« fiir die mit 
Akzidentien versehenen Tone (R.v.Ficker; die Schei- 
dung zwischen Musica falsa und M. f. als spezielleren 
Bezeichnungen fiir die erstere bzw. letztere Methode 
ist jedoch - wenn iiberhaupt - friihestens seit dem 
15. Jh. zutreffend). Wahrend nach der ersten Methode 
theoretisch von Anfang an auch entlegenere Halbtone 
verwendet werden konnten, erreichte die Entwicklung 
des Hexachordsystems erst bei J. Hothby jenes Stadium, 
in dem auf jedem Ton der Leiter Hexachordbildung 
moglich war; doch geniigten den praktischen Bediirf- 
nissen zumeist die wohl schon seit dem spateren 13. Jh. 
bekannten transponierten Hexachorde auf A, B, D und 
E. Am Anfang des 15. Jh. stellte Prosdocimus eine 
vollstandige chromatische Leiter zusammen. Fiir In- 
strumente, besonders fiir die Orgel, bezeugen bereits 
zu Beginn des 14. Jh. Philippe de Vitry (CS III, 26a-b) 
und Jacobus Leodiensis (CS II, 294a-b) das Vorhan- 
densein aller Halbtone. - In den praktischen Denkma- 
lern fallen beim Vergleich verschiedener handschrift- 
licher Fassungen der gleichen Komposition immer 
wieder erhebliche Abweichungen in Anwendungs- 
weise und Haufigkeit der Akzidentien auf, und mit- 
unter scheinen sich diese Fassungen, zumal in den Quel- 
len des 14. Jh., sogar zu widersprechen. Die Frage, in- 
wieweit Akzidentien zu erganzen oder zu berichtigen 
seien, konnte bisher noch nicht endgiiltig gelost wer- 
den: die Forderungen der Stimmfuhrungsregeln sind 
nur im 2st. Satz {consequent erfiillbar, die weniger 
konkret formulierten Faustregeln, das Subsemitonium 
und die »una nota supra la« betrefiend, vermogen nur 
einen Teil der strittigen Falle zu klaren. Sie sind iiberdies 
noch tonartlich eingeschrankt, wahrend sich die mehr- 
stimmige Musik gerade des 14. Jh. oft weit von der Kir- 
chentonalitat zu entfernen scheint. Angesichts des all- 
mahlichen Obergangs zur Dur-Moll-Tonalitat (schon 
seit dem 14. Jh.) fallt die Entscheidung oft schwer 



zwischen den Moglichkeiten, die Akzidentien im Sinne 
traditioneller Kirchentonalitat oder im Sinne moderner 
dominantischer Harmonik zu erganzen. In vielen Fal- 
len bewirkt iiberhaupt jede Systematik eine Minde- 
rung jener charakteristischen Spannung zwischen noch 
nicht ganzlich abgestreifter kirchentonartlicher Bin- 
dung und neuem klanglichem Wollen, die die Musik 
dieser Epoche auszeichnet. Und selbst bei der Aufhe- 
bung diskordanter Zusammenklange mit Hilfe von 
M. f. ist Vorsicht geboten, da sich gewisse Diskordan- 
zen diesem Eingriff entziehen (z. B. die nicht seltenen 
Sekund- und Septzusammenklange auf Mensurschwer- 
punkten) und die Theoretiker schon seit dem 13. Jh. auf 
den besonderen kompositorischen Reiz der Diskordan- 
zen hinweisen. Die vielen vorliegenden Einzelunter- 
suchungen haben gezeigt, daB Entstehungszeit und 
-ort, Schul tradition und Zugehorigkeit zum geistlichen 
oder weltlichen Repertoire und viele weitere Faktoren 
bestimmenden EinfluB auch auf Art und Umfang des 
Gebrauchs von M. f. genommen haben und daB ge- 
wisse UnregelmaBigkeiten wie die »b-h-Schwankung«, 
das gelegentliche Ausbleiben der Leittonerhohung in 
Klauseln oder ungewohnliche harmonische Harten ge- 
radezu bezeichnend fiir das Klangempfinden jener 
Epoche sind. Auch auf viele abweichende Fassungen 
gleicher Kompositionen muB diese positive Beurtei- 
lung im Sinne der Gleichwertigkeit der Fassungen aus- 
gedehnt werden. - Die Musiklehre des Humanismus 
sah in den Voces fictae ein wichtiges Mittel der harmo- 
nischen Verzierung und Abwechslung, begann aber zu- 
gleich, der immer komplizierteren Mutationsvorgange 
uberdriissig, fiir die Voces fictae eigene Solmisations- 
silben zu erfinden (in Anlehnung an die Bestrebungen, 
die Zahl der Solmisationssilben den Tonen der Oktave 
anzugleichen). S.Calvisius fiihrte 1600 innerhalb seines 
-> Bocedisations-Systems eigene Silben fiir b und h 
so wie fiir fis ein, aber erst das von D. Hitzler entwickel- 
te System der -*■ Bebisation machte jegliche Mutation 
beim Vortrag der Voces fictae unnotig (1623). Als Be- 
zeichnung fiir einen Gesang, welcher in der Vorzeichnung 
viele \jp oder jjjj hat, und dadurch denen Clavibus andere 
Benennungen andichtet (J. G. Walther 1708), wurde der 
Ausdruck Cantus fictus gelegentlich noch im 18. Jh. 
verwendet. Die deutsche Obertragung fiir M. f., »er- 
tichte musica«, findet sich schon um 1543 bei G. Donat. 
Lit.: R. Hirschfeld, Notizen zur ma. Mg., MfM XVII, 
1885 ; A. Einstein, CI. Merulos Ausg. d. Madrigale d. Ver- 
delot, SIMG VIII, 1906/07; H. Riemann, Verloren gegan- 
gene Selbstverstandlichkeiten in d. Musik d. 15.-16. Jh., 
Die M. f., = Mus. Magazin XVII, Langensalza 1907; Rie- 
mann MTh; A. Aber, Das mus. Studienheft d. Wittenber- 
ger Studenten Georg Donat (um 1543), SIMG XV, 1913/ 
14; R. v. Ficker, Beitr. zur Chromatik d. 14.-16. Jh., StMw 
II, 1914; K. Dezes, Prinzipielle Fragen auf d. Gebiet d. fin- 
gierten Musik, Diss. Bin 1922, maschr. ; M. Cauchie, La 
puretd des modes dans la musique vocale franco-beige au 
debut du XVI C s., Fs. Th. Kroyer, Regensburg 1933; J. 
Handschin, Rezension d. Fs. J. Wolf (Bin 1929) in: Zf Mw 
XVI, 1934, S. 120f. ; L. Balmer, Tonsystem u. Kirchentone 
bei J. Tinctoris, = Berner Veroff. zur Musikforschung II, 
Bern u. Lpz. 1935; J. S. Levitan, Ockeghem's Clefless Com- 
positions, MQ XXIII, 1937, dazu C. Dahlhaus, Ockeghems 
»Fuga trium vocum«, Mf XIII, 1960; ders., A. Willaert's 
Famous Duo . . . , Quidnam ebrietas, TVer XV, 1939, dazu 
E. E. Lowinsky in: TMw XVIII, 1956; Ll. Hibberd, M. f. 
andlnstr. Music c. 1250-c. 1350, MQ XXVIII, 1942; E. E. 
Lowinsky, Secret Chromatic Art in the Netherlands Mo- 
tet, = Columbia Univ. Studies in Musicology VI, NY 1946; 
ders., M. Greiter's Fortuna: An Experiment in Chromati- 
cism and in Mus. Iconography, MQ XLII, 1956 - XLIII, 
1957; H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; 
G. Reaney, Fourteenth Cent. Harmony ..., MD VII, 
1953 ; ders., The Ballades, Rondeaux, and Virelais of G. de 
Machaut .... AMI XXVII, 1955; ders., Modes in the 



597 



Musica figurata 



Fourteenth Cent., in Particular in the Music of G. de 
Machaut, in: Organicae voces, Fs. J. Smits van Waes- 
berghe SJ, Amsterdam 1963, dazu C. Dahlhaus, Der »Mo- 
dus duodecimae« d. Nicolaus v. Capua, Mf XVI, 1963; S. 
Clercx-Lejeune, J. Ciconia theoricien, Ann. Mus. Ill, 
1955 ; C. Dahlhaus, Die Termini Dur u. Moll, Af Mw XII, 
1955; M. Ruhnke, J. Burmeister, = Schriften d. Landes- 
inst. f . Musikf orschung Kiel V, Kassel 1 955; R. L. Crocker, 
Discant, Counterpoint, and Harmony, JAMS XV, 1962; 
B. Stellfeld, Prosdocimus de Beldemandis als Erneue- 
rer d. Musikbetrachtung, in: Natalicia Musicologica, Fs. 
Kn. Jeppesen, Kopenhagen 1962; A. Seay, The 15 th -Cent. 
Coniuncta, in: Aspects of Medieval and Renaissance Mu- 
sic, Fs. G. Reese, NY (1966). FrR 

Musica figurata (lat.) -> Cantus f iguratus. 

Musical (mj'u : zikal), Kurzform von engl. m. comedy, 
m. play, heute international gebrauchliche Bezeich- 
nung fiir eine amerikanische Gattung des musikalischen 
Unterhaltungstheaters, ein (meist reich ausgestattetes) 
Biihnenstiick mit gesprochenem Dialog, Gesang 
(Songs, Ensembles, Chore) und Tanz. Es ist, meist in 
2 Akte geteilt, frei von jeder Schematik der Handlung 
und Besetzung. Das heutige amerikanische M., ein auf 
Serienauffuhrungen gerichtetes, typisches Produkt der 
Theater am Broadway in New York, verwendet oft 
auf die Gegenwart bezogene, vorwiegend heitere Su- 
jets. In neuerer Zeit werden haufig Stoffe der Welt- 
literatur (Romane, Schauspiele) sowie zeitgenossische 
dramatische und epische Werke herangezogen, z. B. : 
R. -»■ Rodgers, The Boys from Syracuse (1938, nach 
Shakespeares Comedy of Errors) und Carousel (1945, 
nach Molnars Liliom), C. -»■ Porter, Kiss me, Kate (1948, 
nach Shakespeares The Taming of the Shrew), Frederick 
Loewe (* 1904), My Fair Lady (1956, nach G.B.Shaws 
Pygmalion; ein Welterfolg, der mit allein 2717 Vor- 
stellungen am Broadway alle Auffuhrungsrekorde 
brach), Bob Merill, New Girl in Town (1957, nach 
O'Neills Drama Anna Christie). - Amerikanische Thea- 
terhistoriker (C.Smith, D.Ewen) verfolgen die Ent- 
wicklung des M.s zuriick bis zu dem Schaustiick The 
Black Crook (New York 1866), einer sogenannten Ex- 
travaganza mit einer bunt zusammengewurfelten 
Handlung, Liedern, Choren, Balletten und sensationel- 
len Biihneneffekten. Die eigentliche Entwicklung des 
M.s begann ab etwa 1900. Nach und nach wurden 
- zunachst ohne durchgehende Handlung - Grundzii- 
ge verschiedener Arten musikalisch-theatralischer Un- 
terhaltung vereinigt : Minstrel show, Burlesque, Extra- 
vaganza, Vaudeville, Operette, Pantomime, Ballett und 
die nach dem Vorbild der Pariser Revue entstandene 
Ausstattungsshow (Fl. -> Ziegfield). Unter Hebung des 
literarischen und musikalischen Niveaus gelang es, eine 
eigenstandige Gattung zu entwickeln. 
Es lassen sichheute zweiHauptlinien unterscheiden (vgl. 
Schmidt-Joos, S. 15): Eine »europaische«, beginnend 
mit Werken von Komponisten, die aus der englischen 
und mitteleuropaischen Operettentradition kamen: 
Victor Herbert (1859-1914), Gustav Kerker (1857- 
1923), Ludwig Englander (1859-1914), Gustave Lu- 
ders (1866-1913), Karl Hoschna (1877-1911), R. 
-*■ Friml, S. -> Romberg; diese Linie fiihrt iiber J. 
-> Kern (Show Boat, 1927), Rodgers (in seinen M.s mit 
dem Buchautor O. -»• Hammerstein II) zu Loewes My 
Fair Lady. Typisch sind: exotische oder historische 
Sujets (Liebesgeschichte als Hauptthema), Neigung zu 
»romantisch«-sentimentalen Melodien und eine der 
europaischen Operette entsprechende Instrumentation. 
Eine »amerikanische« Linie des M.s stellt sich in be- 
wufiten Gegensatz zur europaischen Operette: sie setzte 
mit den musikalischen Komodien von George M. 
Cohan (1878-1942) ein (Little Johnny Jones, 1904; The 
Royal Vagabond, 1919) und f iihrte zunachst zu -»■ Gersh- 



win, der (ausgehend von Strike up the Band, 1930, und 
Of Thee I Sing, 1931) mit Porgy and Bess (1935) zum 
Schopfer einer amerikanischen Volksoper wurde. Die 
weitere Entwicklung dieser amerikanischen Linie f iihr- 
te zu Rodgers (mit dem Buchautor Lorenz Hart, 1898- 
1943), C.Porter, Frank Loesser (* 1910; Guys and Dolls 
und How to Succeed Business, 1961) und zu Meredith 
Willson (* 1902; The Music Man, 1957). Werke dieser 
Richtung haben meist ausgesprochen amerikanische, 
oft groBstadtische Sujets, satirische oder parodistische 
Ziige, pragnant gestaltete Melodien und verwenden 
Mittel der modernen amerikanischen Unterhaltungs- 
musik und des Jazz. Um 1940/41 begann die Zeit des 
sogenannten M. play, das die Handlungsthematik er- 
weiterte, z. B. durch Aufnahme der Negerfolklore 
(Cabin in the Sky, 1940, von Vernon Duke, -> Dukel- 
sky) und Stellungnahme zu sozialen und gesellschaftli- 
chen Problemen: Zuhalter als negativer Held (Pal 
Joey, 1940, von Rodgers), psychoanalytische Heilung 
einer Frau (Lady in the Dark, 1942, von K. -> Weill), 
Gleichheit aller Menschen (Finians Rainbow, 1947, von 
Buston Lane), 2. Weltkrieg und Rassenprobleme (South 
Pacific, 1949, von Rodgers). - Kennzeichnend fiir das 
neuere M. ist seine Entstehung und Produktion in en- 
ger Gemeinschaftsarbeit von Produzent, Buchautor, 
Songtexter, Komponist, Arrangeur, Ausstatter, Re- 
gisseur, Choreograph und Dirigent. Das moderne M. 
ist fiir Darsteller gedacht, die gleich gut als Schauspieler, 
Sanger und Tanzer sind. - Seit den 1930er Jahren war 
fiir die Entwicklung des M.s die Mitarbeit bekannter 
Choreographen bedeutend, die eine Verschmelzung 
von Ballett und Tanz mit der Handlung zum Ziel hat- 
te; bezeichnend hierfiir war die Choreographie von 
G.Balanchine zu Rodgers' On Your Toes (1936), von 
Agnes de Mille zu Rodgers' Oklahoma (1943) und von 
Jerome Robbins zu L. -> Bernsteins West Side Story 
(1957). In den 1960er Jahren zeichnen sich einerseits ei- 
ne weitere Integrierung der M.-Elemente und eine zu- 
nehmende Perfektionierung des Auffiihrungsstils ab 
(Rodgers, Do I Hear a Waltz, 1965), wahrend anderer- 
seits eine Stilisierung und Uberwindung des realisti- 
schen Darstellungsstils angestrebt wird (Jerry Bock, 
Fiddler on the Roof 1964). An erfolgreichen amerikani- 
schen M.s seien noch angefiihrt: Richard Adler, The 
Pajama Game (1954), Damn Yankees (1955); Harold 
Aden (* 1905), der von alien modernen M.-Kompo- 
nisten die engste Beziehung zum Jazz hat, schrieb fiir 
Negerensemble St. Louis Woman (1946), Jamaica (1957), 
und griff in Bloomer Girl (1944) und Saratoga (1959) 
Negerprobleme auf; I. -*■ Berlin, Annie Get Your Gun 
(1946), Call Me Madam (1950) ; Bernstein, On the Town 
(1944), Wonderful Town (1953); M. -* Blitzstein, No 
for an Answer (1940) Jerry Herman, Hello Dolly (1964) ; 
B.Lane, On a Clear Day You Can See Forever (1965); 
Loesser, The Most Happy Fella (1956) ; Loewe, Camelot 
(1960); Merrill, Funny Girl (1964); Porter, Anything 
Goes (1934), Jubilee (1935), Can Can (1953), Silk Stock- 
ings (1955); Rodgers mit Hart: The Connecticut Yankee 
(1927, Neufassung 1943), Babes in Arms (1937), / 
Married an Angel (1938), By Jupiter (1942), mit Ham- 
merstein: The King and I (1951), Flower Drum Song 
(1958), The Sound of Music (1959) ; Harold Rome, Fanny 
(1954) ; Stephan Sondheim, A Funny Thing Happened 
on the Way to the Forum (1962) ; Charles Strouse, Golden 
Boy (1964); Jule Styne, Gypsy (1959), Funny Girl (1964); 
James Van Heusen, Skyscraper (1965) ; V. -> Youmans, 
No, No, Nanette (1925, der erste international M.- 
Erfolg uberhaupt). - Das amerikanische M. wurde vor 
allem in England beliebt, wo sich bald eine eigene M.- 
Tradition herausbildete. Hohepunkt des leichten, der 
Show nahestehenden englischen M.s ist Salad Day 



598 



Musica poetica 



(1954) von Julian Slade. Meist weisen die modernen 
englischen M.s stark realistische Ziige auf. An Kompo- 
nisten seien genannt: Lionel Bart (Oliver, 1960; Maggie 
May, 1964), David Heneker (Haifa Sixpence, 1963), 
Anthony Newley (The Roar of the Greasepaint, the 
Small of the Crowd, 1965), Cyril Ornadel (Pickwick). 
Das M. in Frankreich ist intimer, mehr auf Einzelper- 
sonen zuge'schnitten als auf singendes und tanzendes 
Ensemble. In der Musik hat das franzosische Chanson 
den Vorrang gegeniiber dem amerikanischen Song. 
Hervorzuheben ist das M. Irma la Douce (1956) mit der 
Musik von Marguerite Monnot. In Deutschland schrie- 
ben M.s u. a.: Dostal (So macht man Karriere, 1961), 
Kreuder (Bel Ami, 1960), Lothar Olias (Prarie-Saloon, 
1958; Heimweh nach St. Pauli, 1962), Mischa Spoliansky 
(Katharina Knie, 1957, nach C.Zuckmayer). 
Lit.: J. W. McSpadden, Operas and M. Comedies, NY 
1946, erweitertNY 1951 u. 1954; C. Smith, M. Comedy in 
America, NY (1 950) ; J. Burton, The Blue Book of Broad- 
way M., NY 1952; D. Taylor, Some Enchanted Evenings, 
NY 1953; L. Bernstein, The Joy of Music, NY 1954, 61959, 
deutsch Stuttgart 1961 ; J.T. Howard, Our American Mu- 
sic, NY "1954; G. Chase, America's Music . . ., NY 1955, 
deutsch Bin u. Wunsiedel (1958); L. Engel, Planning and 
Producing the M. Show, NY 1957; D. Ewen, Complete 
Book of the American M. Theatre, NY (1958); E. Helm, 
Vom Wesen d. amerikanischen M., NZfM CXX, 1959; St. 
Green, The World of M. Comedy, NY 1960; H. Koegler, 
Ballet international. Bin (1960); B. Grun, Kulturgesch. d. 
Operette, Munchen (1961); S. Schmidt- Joos, Das M., 
Miinchen 1965 (mit Diskographie, Verz. v. Songs u. wei- 
terer Lit.). - The Best Plays, NY, Jg. 1899/1909, 1909/19, 
1919/20ff. 



Musical comedy (mj'u : ziksl k'amidi, engl.) - 
rette, -> Musical. 



-Ope- 



Musica mensurabilis (lat., mefibare Musik), auch 
Cantus mensurabilis (seit dem 15. Jh. auch -> Cantus 
figuratus), hieB im Mittelalter, besonders seit Franco 
von Koln (Mensurabilis musica est cantus longis brevi- 
busque temporibus mensuratus, ed. Cserba, S. 231), die 
rhythmisch geregelte mehrstimmige Musik im Unter- 
schied zum (nichtmensuralen) 1st. Kirchengesang (Mu- 
sica plana, -*■ Cantus planus). Der rhythmische Be- 
griff der Mensura, der seit der 2. Halfte des 13. Jh. 
zentrale Bedeutung gewann (-> Mensuralnotation), 
beruhte auf den musikalischen und notationstechni- 
schen Erfahrungen der Notre-Dame-Epoche (-> Mo- 
dalnotation). Noch innerhalbjenerEpoche wurde der 
Begriff mensurabilis eingefuhrt (Discantus positio vul- 
garis, ed. Cserba, S. 190: Mensurabile est quod mensura 
unius temporis vel plurium mensuratur) ; er umfaBte zu- 
nachst aber nur den einzeitigen (Brevis) und zweizeiti- 
gen Notenwert (Longa) ; kiirzere und langere Noten- 
werte galten als ultra mensuram. Seine fiir die Folgezeit 
gultige Pragung erhielt der Begriff dann durch die 
Mensurallehre Francos, die als rationale Notenwerte 
Duplex longa, Longa, Brevis und teilweise Semibrevis 
umf aike ; spater kamen kleinere Werte hinzu. Eine fiir 
die Zeit des Ubergangs von vormensuralen Formen 
der Mehrstimmigkeit zur M. m. typische Erscheinung 
war das -> Organum duplum mit dem Wechsel von 
rhythmisch strengen und freieren Abschnitten, daher 
von Franco auch musica partim mensurabilis genannt. 

Musica mundana, Musica humana, Musica in- 
strumentalis (lat.) -+ Musica. 

Musica plana (lat.) -> Cantus planus. 

Musica poetica hieB seit Mitte des 16. Jh. bis zum Be- 
ginn des 18. Jh. in Deutschland die Kompositionslehre 
(auch Melopoetica und Melopoiia, -*■ Melopoie — 2 ge- 
nannt), welche die Kunst des Musicus poeticus (Melo- 



poeta) lehrt; ihr Ziel ist (nach Listenius) »das nach dem 
Tode des Kiinstlers fortbestehende, vollendete Werk« 
(-*■ Opus); sie ist ars ipsafingendi musicum carmen (Fa- 
ber) ; sie lehrt, wie man . . . einen neuen Gesang . . . 
machen soil (Herbst). Der Name M. p. entstand wohl 
nach 1530 in Erweiterung der spatantiken und mittel- 
alterlichen Einteilung der Musik in Musica theoretica 
und practica und im Riickgriff auf den Begriff der 
Poiesis des Aristoteles sowie auf seine Dreigliederung 
des Tuns in geistiges Betrachten (Sidvoux &e(OQrfiixr)), 
praktische Uberlegung (- jiQaxrucr]) und schopferi- 
sches Hervorbringen (- TiotrjTixtf). Diese Dreigliede- 
rung, die vor allem durch Quintilianus' Lehrbuch der 
Rhetorik verbreitet wurde, ist im Blick auf die Musik 
in den tria . . . genera . . ., quae circa artem musicam ver- 
santur, bei Boethius iiberliefert (De institutione musica I, 
34: das »genus poetarum« fingit carmina; . . . naturali 
quodam instinctufertur ad carmen). Wohl von daher im 
16. Jh. ubernommen, findet sich die Dreiteilung der 
Musik in Musica theoretica, practica und poetica nebst 
dem neuen Begriff des Musicus poeticus erstmals in 
der lateinischen Musica des Magisters N. Listenius 
(Wittenberg 1 537) , die aus dem Kreis der Wittenberger 
Reformatoren hervorgegangen ist. Humanistisch ist 
die Betonung des Schopferischen, auch die des Ruhms 
und Nachruhms im Begriff des 7roieTv und die zugleich 
in diesem Begriff enthaltene Verbindung der Kompo- 
sitionslehre mit der Poetik und Rhetorik, auch Gram- 
matik, also mit den sprachlichen Artes (-* Ars musica), 
wie es die seit Faber und DreBler sich immer mehr aus- 
bildende Lehrweise und Terminologie der M. p. (pe- 
riodus »Satz«, incisiones »Satzglieder«; inventio[-> In- 
ventionj-dispositio-elaboratio/decoratio ; exordium- 
medium-finis; flosculi, flores, colores, figurae, licen- 
tiae usw.), noch mehr aber die Kompositionsart des 
Musicus poeticus selbst anzeigen. Lutherisch ist die 
Vorstellung, daB der Musicus poeticus das »neue Werk« 
besonders auch.im Bereich der Kirchenmusik schafft - 
gegeniiber dem seit etwa 1600 datierenden Dualismus 
von Musiche secolari und Musiche ecclesiastiche in 
Italien. Der Haltung der deutschen Kantoren entspricht 
die Verbindung und Verbindungsfahigkeit der M. p. 
mit dem spekulativen Moment der Musica theoretica, 
wie es oben in der Dreiteilung der Musik zum Aus- 
druck kommt. Auf Grund ihres sachlichen Zusammen- 
hanges besonders mit der Arithmetik und Poetik steht 
die Musik auch als Kunst des Musicus poeticus noch 
immer inmitten der Freien Kunste wie die Sonne unter 
den Sieben Planeten (H.Schutz, 7. 3. 1641). Im 16. Jh. 
hat die M. p. verschiedentlich Eingang in den Unter- 
richt der Lateinschulen gefunden: in Hof z. B. soil sie 
bis 1570 nach Faber gelehrt worden sein, in Magde- 
burg trug DreBler seine M. p. zunachst (1559 und 1561) 
jedes zweite Jahr (abwechselnd mit der Musica practi- 
ca), ab 1563 dann auBerhalb des offiziellen Unterrichts 
vor. - Die M. p. , die an die Lehrwerke des N. Wollick, J. 
Cochlaeus, H. Glareanus, J. Galliculus, A. P. Coclico, G. 
Zarlino u. a. ankniipf t, wird (letztmalig bei J. A. Herbst) 
eingeteilt in -> Sortisatio, die usuelle Stegreifausfiih- 
rung der Mehrstimmigkeit, die jedoch schon bei Faber 
als Lehrgegenstand ausgeklammert wird, und Compo- 
sitio auf der Grundlage des Kontrapunkts (secundum 
veram rationem). In der Tat bleibt der regulare kontra- 
punktische Satz fiir den deutschen Musicus poeticus 
des 17. Jh. das Fundament alien Komponierens, und die 
schmuckenden oder den Text darstellenden und aus- 
deutenden -+ Figuren gelten als das Besondere gegen- 
iiber jenem Regularen. Gegenstand der M. p. ist die 
Vokalmusik, doch schlieBt dann J. G. Walther (1708) 
auch die Instrumentalmusik mit ein. Im ausgebildeten 
Status des 17. Jh. ist ihr Inhalt in der Regel folgender: 



599 



Musica reservata 



Lehre von den Tonen und Intervallen, von den Inter- 
vallverbindungen und der Dissonanzbehandlung, Be- 
schreibung der Lagenstimmen, Lehre von den Klau- 
seln und Tonarten, von den Satzteilen und der Text- 
applikation und die Lehre vom Ausdruck des Textes; 
diese durchzieht das gesamte Lehrbuch und gipfelt in 
der Figurenlehre, die erstmals durch J.Burmeister 
(1606) systematisch ausgebaut wurde. Charakteristisch 
ist der stetige Hinweis auf dieExempla der Meister, be- 
sonders auf Lassus, aber z. B. auch auf Josquin Desprez, 
Isaac und Senfl (so bei Faber) oder auf de Monte, Ma- 
renzio, H.L.HaBler u. a. (so bei J.A.Herbst). - Lehr- 
werke: H. Faber, M. p. (hs. Braunschweig 1548); G. 
DreBler, Praeceptamusicaepoeticae (hs. Magdeburg 1563, 
hrsg. von B.Engelke, in: Geschichtsblatter f iir Stadt und 
Land Magdeburg XLIX/L, 1914/15); S.Calvisius, Me- 
lopoeia . . . quam vulgo Musicam poeticam vocant (Erfurt 
1592) ; J. Burmeister, Hypomnematum musicae poeticae . . . 
synopsis (Rostock 1599) und M. p. (Rostock 1606; Faks. 
hrsg. von M.Ruhnke, =DM1 1, 10, 1955); J.Nucius, 
Musices poeticae . . . praeceptiones (NeiCe 1613); J. Thu- 
ringus, Opusculum bipartitum (Berlin 1625) ; J. A. Herbst, 
M. p. (Niirnberg 1643); Chr.Bernhard, Tractatus com- 
positionis augmentatus und Ausfiihrlicher Bericht vom Ge- 
brauche der Con- und Dissonantien (NA unter dem Titel 
Die Kompositionslehre H. Schiitzens . . . , hrsg. von J. 
Miiller-Blattau, Leipzig 1926, 21963); J.G.Walther, 
Praecepta der Musicalischen Composition (hs. Weimar 
1708, NA von P. Benary, = Jenaer Beitrage zur Musik- 
forschung II, Leipzig 1955). 

Lit.: N. Listenius, Musica, Wittenberg 1537, Faks. nach 
d. Auflage v. 1549 hrsg. v. G. Schunemann, — Veroff. d. 
Musik-Bibl. P. Hirsch VIII, Bin 1927 ; J. A. Scheibe, Com- 
pendium musices theoretico-practicum . . . , um 1730, hrsg. 
v. P. Benary, in: Die deutsche Kompositionslehre d. 18. Jh., 
= Jenaer Beitr. zur Musikforschung III, Lpz. 1961 ; H. 
Zenck, Grundformen deutscher Musikanschauung, Jb. d. 
Akad. d. Wiss. in Gottingen f. 1941/42, auch in: H. Zenck, 
Numerus u. Affectus. Studien zur Mg., hrsg. v. W. Gersten- 
berg, = Mw. Arbeiten XVI, Kassel 1959; W. M. Luther, 
G. Dressier, = Gottinger mw. Arbeiten I, Kassel 1942; W. 
Gurlitt, Musik u. Rhetorik ..., Helicon V, 1944, Neu- 
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 
1966;ders., Die Kompositionslehre d.deutschen 16. u. 17. 
Jh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953, Neudruck ebenda; A. 
Schmitz, Die Bildlichkeit d. wortgebundenen Musik J. S. 
Bachs, =Neue Studien zur Mw. I, Mainz (1950); ders., 
Die Figurenlehre in d. theoretischen Werken J. G. Walthers, 
AfMw IX, 1952; ders., Musicus poeticus, in: Universitas, 
Fs. A. Stohr, Bd II, Mainz 1960; M. Ruhnke, J. Burmeister, 
= Schriften d. Landesinst. f . Musikforschung Kiel V, Kas- 
sel 1955 ; Kl. W. Niemoller, Ars musica - ars poetica - m. 
p., Kgr.-Ber. Hbg 1956; Fr. Feldmann, Das »Opusculum 
bipartitum« d. J. Thuringus (1625) . . ., AfMw XV, 1958; 
H. H. Eggebrecht, Zum Figur-Begriff d. M. p., AfMw 
XVI, 1959; ders., H. Schiitz, Musicus poeticus, = Kleine 
Vandenhoeck-ReiheLXXXIV, Gottingen 1 959 ; W. Wiora, 
M. p. u. mus. Kunstwerk, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 
1962; C. Dahlhaus, M. p. u. mus. Poesie, AfMw XXIII, 
1966; Chr. Stroux, Die M. p. d. Magisters H. Faber, Diss. 
Freiburg i. Br. 1966, maschr. HHE 

Musica reservata, abgekiirzt Reservata genannt, 
laBt sich als verschieden definierter Begriff, aber auch 
ohne nahere Kennzeichnung, in bisher etwa 10 Druk- 
ken, Brief en und Aktenstiicken der Zeit von 1552 bis 
1625 nachweisen. Die friiheste Belegstelle bietet A. P. 
Coclico, die spateste J. Thuringus, der sie von E.Hoff- 
mann (1582) ubemimmt. Der Begriff wird im weite- 
ren und engeren Sinne verwendet. Der am Miinchner 
Hof nachweisbare niederlandische Humanist S.Qui- 
ckelberg (1560) erblickt die M. r. im Ausdrucksstil von 
Lassus' BuBpsalmen, und der weitgereiste J.Taisnier 
(1559), der u. a. am Hof Kaiser Karls V. als Musiker 
wirkte, identifiziert sie mit der (von ihm abgelehnten) 



Musica nova seiner Zeit schlechthin, so daB von hier 
aus der Begriff ganz allgemein fortschrittliche Vokal- 
musik des Renaissancezeitalters bedeutet. Dagegen 
charakterisieren M. r. im engeren Sinne der Anonymus 
von Besancon (1571) durch das Vermeiden von Ka- 
denzen (fuggir la cadenza) und E. Hoffmann (1582) 
durch die Verwendung von Chromatik in Vokalmu- 
sik. Da der Terminus ohne nahere Erklarung von dem 
GrazerHofmusikerR.Ballestranoch 1610/11 gebraucht 
wird (musicalische Symphonien und Harmonien aufier et- 
licher reservata) und artahnliche Bezeichnungen wie Re- 
gole piu riservate e recondite und Musico riservato um 
dieselbe Zeit begegnen, ist seine Einengung auf Re- 
naissancemusik in dieser oder jener Form jedoch frag- 
wiirdig. Andererseits gestatten die bisher bekannt ge- 
wordenen Quellen keine Identifizierung mit Monodie 
oder Seconda pratica. Der in seiner Bedeutung viel- 
fach iiberschatzte Terminus diirfte ein modisches 
Schlagwort gewesen sein, das verschiedene Aspekte 
und Auslegungen zulaBt, im Grunde aber weniger die 
Satztechnik, als vielmehr den soziologischen Ort der so 
bezeichneten Musik betrifft. In diesem Sinne umfaGt 
M. r. die fur hofische oder patrizische Kreise zumindest 
der Niederlande, Deutschlands und Italiens »reservier- 
te« geistliche und weltliche Kammermusik der Renais- 
sance und des Friihbarocks, soweit sich diese durch 
Verwendung ungewohnlicher Mittel, durch auffallen- 
de Tonartenwechsel, gehaufte Chromatik, Enharmo- 
nik, Musica ficta, gesucht kiinstliche Kontrapunktik 
oder manieristische und exzentrische Ziige auszeichnet. 
Lit.: M. van Crevel, A. P. Coclico, Den Haag 1940 (mit 
alterer Lit.); W. Clark, A Contribution to Sources Of M. 
R., RBM XI, 1957; H. Federhofer, Monodie u. m. r., 
Deutsches Jb. d. Mw. II (= JbP XLIX), 1957; A. P. Cocli- 
co, M. R. Consolationes piae ex psalmis Davidicis, hrsg. 
v. M. Ruhnke, = EDM XLII, Abt. Motette u. Messe V, 
Lippstadt 1958; B. Meier, Reservata-Probleme, AMI 
XXX, 1958 ; Cl. V. Palisca, A Clarification of »M. R.« in 
J. Taisnier's »Astrologiae«, 1559, AMI XXXI, 1959; H. 
Hucke, Das Problem d. Manierismus in d. Musik, Litera- 
turwiss. Jb. ... d. Gorres-Ges., N. F. II, 1961. HF 

Music box (mj'u:zik boks, engl., auch juke box), ein 
Schallplattenautomat in offentlichen Lokalen, der 
durch Geldeinwurf in Tatigkeit gesetzt wird. Je nach 
GroBe bestehen bis zu 400 Wahlmoglichkeiten (200 
Platten, hauptsachlich Schlager). Ruhebedurftige Gaste 
konnen gegen Geldeinwurf eine stumme Platte (Silent) 
wahlen. NeUere Gerate verfiigen iiber einen Populari- 
tatsmesser, mit dem festgestellt werden kann, wie oft 
jede einzelne Plattenseite gewahlt wurde. - Das Ge- 
schaft mit Rieseneinnahmen durch Aufstellen von M. 
b.es in offentlichen Lokalen begann Mitte der 1930er 
Jahre in den USA; bereits 20 Jahre spater hatte die Zahl 
der dort aufgestellten Automaten 500000 weit iiber- 
schritten. In der Bundesrepublik wurden 1966 von 
4000 Aufstellern uber 60000 M. b.es betrieben. Die 
Aufsteller bezahlen dem Wirt eine Platzmiete oder be- 
teiligen ihn (allgemein mit 20%) an den Einnahmen 
und sorgen f iir einen regelmaBigen Austausch der Plat- 
ten (4-5 pro Monat). Abgaben wie Umsatzsteuer, Ver- 
gniigungssteuer und an die -> GEMA sowie ein modi- 
scher und technischer VerschleiB der Gerate sind wei- 
tere wesentliche Unkosten. Die GEMA kassiert jahr- 
lich etwa 4 Millionen DM an Pauschalen von den Auf- 
stellern (dariiber hinaus noch 0,32 DM pro Platte von 
den Plattenherstellern). An Umsatzsteuern flieBen dem 
Staat jahrlich etwa 4,3 Millionen DM aus dieser Bran- 
che zu. Neben dem Aufstellergewerbe entwickelte sich 
in Deutschland nach dem ersten Auf tauchen amerika- 
nischer Modelle (um 1951) auch bald eine eigene M. 
b.es-Produktion, deren Export heute hinter dem der 
USA an 2. Stelle steht. 



600 



Musik 



Musicologie (muzikala3'i, frz.), Musicologia (mu- 
zikolod3'i: a, ital.),Mu s i c o 1 o g y (mju : zik'atad3i, engl.) 
-*■ Musikwissenschaft. 

Musicus, im klassischen Latein als Lehnwort dem grie- 
chischen (xou<tix6i; nahestehend, bezeichnet zunachst 
den altgriechischen Dichtermusiker (z. B. Orpheus, Pin- 
dar), dann auch den Musikgelehrten (z. B. Aristoxenos; 
vgl. Quintilianus, Institutio oratoria 1, 10, 9 und 22), spa- 
ter den in den Artes, speziell in der Ars musica kundi- 
gen Musiker. Daher gait als M. (im Unterschied zum 
-*■ Kantor), qui ratione perpensa canendi scientiam non ser- 
vitio operis sed imperio speculations adsumpsit und auf 
Grand dieses Wissens Musik zu beurteilen vermag 
(Boethius, De institutione musica 1, 34) . Indem er das Wal- 
ten der Zahl und der Zahlenverhdltnisse als des gestalterisch 
unsinnlichen Prinzips in der sinnlichen Wirklichkeit aus- 
weist, iibt er Wahrheitsschau unter dem Gesichtspunkt der 
musica (Gurlitt). - Schon im friihen Mittelalter erhielt 
das Wort M. kennzeichnende Beiworter: der M. artifi- 
cialis, der reine Theoretiker, unterscheidet sich vom 
unwissenden Sanger und Spieler (M. naturalis); dem 
M. theoreticus oder speculativus tritt der Poeta oder 
M. practicus gegeniiber. Vom M., der auch als Lehrer 
der -> Ars musica in der Universitat wirkte, wurden 
neben wissenschaftlich gegriindeter Urteilsfahigkeit 
auch praktische Fahigkeiten gefordert, vor allem die 
Beherrschung des Gesangs. Diese Annaherung von 
Theorie und Praxis gipfelte in dem Idealbild eines Ge- 
sangskunst und Theorie beherrschenden M. perfectior 
(Jacobus Leodiensis, Speculum musicae I, 3) und fiihrte 
zur Auf wertung des praktischen Musikertums wahrend 
des 15. und 16. Jh. Ausiibende und schopferische Mu- 
siker wurden nun dem Musikgelehrten gleichberechtigt 
an die Seite gestellt, und auch ausiibende Musiker, vor 
allem Komponisten, wurden Musici genannt. C. Festa 
wird 1545 in den Tagebuchern der Sixtinischen Kapelle 
als M. eccelentissimus bezeichnet; Luther nennt in den 
Tischreden Josquin, de la Rue und Heinrich Finck ȣeine 
musici«. Doch bis hin zu J. A. Scheibes Der Critische M. 
(1737-40) blieben theoretische Ausbildung und ge- 
lehrtes Fachwissen ein Kennzeichen des M. - Das Zu- 
sammentreffen von Fachlehre und Schopfertum im 
Komponisten spiegelt im 16. und 17. Jh. dessen Be- 
zeichnung als M. poeticus (-> Musica poetica). Bei 
Zarlino (Istitutioni harmoniche, 1558, I, 11) gipfelt das 
Idealbild im Begriff des musico perfetto, des Musik- 
gelehrten, der sich in Gesang und Instrumentenspiel 
auskennt; denn das Ziel der speculatio sei die klang- 
liche Ausfiihrung. Aber auch der musico prattico als 
compositore, cantore (Sanger) oder sonatore (Instru- 
mentalist) kann musico perfetto genannt werden, wenn 
er die theoretischen Grundlagen seiner Tatigkeit be- 
herrscht. - Schon 1497 heifk es in einem Reformplan 
der papstlichen Musik: joculatores, istriones, tibicines, 
ceteri musici . . . a palacio eiciantur. In den Tagebuchern 
der Sixtinischen Kapelle werden am Anfang des 16. 
Jh. die Kapellsanger Musici secreti genannt. Wie im 
Italienischen musico, so bezeichnet im Deutschen M. 
in der Folgezeit das Mitglied einer hofischen oder 
stadtischen Kapelle (Hof- und Cammermusici; Rats- 
oder Stadtmusici). Nachdem im 18. Jh. die Bedeutung 
von M. als ausiibendem Musiker vorherrschend ge- 
worden war, begann im 19. Jh. eine Bedeutungsver- 
. flachung, oflenbar unter Einwirkung der untergeord- 
neten Stellung des Hof-M. 1810 schrieb Beethoven an 
I. v. Gleichenstein, um sich gegen die Rolle eines Mu- 
siklieferanten zu wehren : Bin ich denn gar nichts als Dein 
Musikus . . .? Der Begriff des M. ist heute ganzlich auf 
die Ebene des sozial niedrigstehenden, bohemehaften 
Unterhaltungsspielers abgesunken, wie es Schlager- 



texte zeigen (Es war einmal ein M., der spielte im Cafe"). 
- Die Wortform Musikant hat im 18. Jh. einen ahnli- 
chen Bedeutungswandel erfahren. Im 16. und 17. Jh. 
bezeichnete sie, ahnlich M., alle Musiktreibenden. Be- 
reits 1740 schrankte J.Mattheson (Grundlagen einer 
Ehrenpforte XXXIII, § 49/50) die Benennung Musikant, 
dawieder sich einige heute so sehr spreutzen und sperren, auf 
Sanger und Instrumentalisten ein. Seit der Wende zum 
19. Jh. wird unter Musikant der biirgerliche und bauer- 
liche Gelegenheitsspieler, vor allem der fahrende Mu- 
siker verstanden: ein armerLump (Eichendorffs Gedicht 
Der wandernde Musikant). In der ->• Jugendbewegung 
wurde das Wort zur Bedeutung des ungekiinstelt 
(-> musikantisch), spielmannisch in Gemeinschaft Mu- 
sizierenden wieder aufgewertet (Jodes Zeitschrift Die 
Musikantengilde, 1919-23, und Sammlung Der Musi- 
kant, 1925). - Als Musiker wurden bis ins 18. Jh. Mu- 
siktreibende aller Art bezeichnet. Noch 1758 faBte Ad- 
lung (Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit) Kom- 
ponisten, Theoretiker und Instrumentalisten unter die- 
sem Wort zusammen. Erst seit dem 19. Jh. ist Musiker 
meist der die Musik berufsmafiig Ausiibende. 
Lit. : Fr. X. Haberl, Die romische »Schola cantorum« u. 
d. pSpstlichen Kapellsanger bis zur Mitte d. 16. Jh., Vf Mw 
III, 1 887, auch separat als : Bausteine f . Mg. Ill, Lpz. 1 888 ; 
J. Sittard, Zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters am Wurt- 
tembergischen Hofe I, Stuttgart 1890; H. Zenck, Zarlinos 
»Istitutioni harmoniche« als Quelle zur Musikanschauung 
d. ital. Renaissance, ZfMw XII, 1929/30; P. R. Coleman- 
Norton, Cicero M., JAMS 1, 1948 ; W. Gurlitt, Zur Be- 
deutungsgesch. v. m. u. cantor bei Isidor v. Sevilla, = Akad. 
d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. 
Klasse, Jg. 1950, Nr 7, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, 
= BzAfMw I, Wiesbaden 1966; W. Stahl (mit J. Hen- 
nings), Mg. Liibecks I, Kassel 1951 ; M. Ruhnke, Beitr. zu 
einer Gesch. d. deutschen Hofmusikkollegien im 16. Jh., 
Bin 1963. 

Musik (ital. musica; span, und port, musica; frz. musi- 
que ; rumanisch muzica ; schwedisch und danisch musik ; 
norwegisch musikk; nld. muziek; afrikaans musiek; 
engl. music ; polnisch muzyka ; russ. und ukrainisch mu- 
syka; bulgarisch musika; tschechisch muzika; serbo- 
kroatisch muzsika; ungarisch muzsika; finnisch mu- 
siikki) ist - im Geltungsbereich dieses Wortes: im 
Abendland - die kunstlerische Gestaltung des Klingen- 
den, das als Natur- und Emotionslaut die Welt und die 
Seele im Reich des Horens in begriffsloser Konkretheit 
bedeutet, und das als Kunst in solchem Bedeuten ver- 
geistigt »zur Sprache« gelangt kraf t einer durch Wissen- 
schaft (Theorie) reflektierten und geordneten, daher 
auch in sich selbst sinnvollen und sinnstiftenden Mate- 
rialitat. Denn das Element der M., der Ton, ist einerseits 
(vormusikalisch) Sinntrager als horbares In-Erschei- 
nung-Treten der Innerlichkeit seines Erzeugers, ande- 
rerseits (innermusikalisch) Sinntrager als Nutzniefier ei- 
ner Gesetzgebung (Tonordnung), die den Ton dem 
spezifisch musikalischen Gestalten, Bedeuten und Ver- 
stehen verfiigbar macht und die dabei zugleich, indem 
sie der Naturgegebenheit des Klingenden Rechnung 
tragt, Naturgesetzlichkeit ins Spiel bringt. Und auch das 
musikalische Gestalten der Tone orientiert sich (vormu- 
sikalisch) an Prinzipien, die dem horbaren Erscheinen 
und Sich-AuGern des Seienden iiberhaupt zugrunde lie- 
gen (hoch-tief, laut-leise, lang-kurz, schnell-langsam, 
ruhig-bewegt, »dicht«-»locker« usw.), transf ormiert sie 
jedoch in ein System spezifisch musikalischer Gestal- 
tungsweisen, die somit zugleich horbarer Inbegriff und 
auslegende Verwirklichung von Prinzipien des Seien- 
den sind. Die Sinngebung und -deutung der M. bewegt 
sich seit je zwischen diesen beiden Polen : dem vor-(oder 
auBer-) musikalischen Bedeuten des Tons und seiner Ge- 
staltungsart einerseits und der Eigengesetzlichkeit der 



601 



Musik 



M. als Kunst andererseits. Doch der Ausdruck einer In- 
nerlichkeit ist jedem Klingenden inharent, und selektive 
Gesetzgebung ist fur jede musikalische Gestaltung not- 
wendig. Einer M. , die so konkret sein will, wie die Natur 
des Horbaren selbst, mangelt es an Kunst, wahrend die 
M., die ihre Gesetzgebung in »absoluter« Freiheit zu er- 
finden trachtet, in der Gefahx stent, die Verbindlichkeit 
und Verstehbarkeit einzubuBen, da in ihrer Materialitat 
nichts Objektives mehr zur Sprache kommt. - Die 
»Sprachfahigkeit« der M. beruht auf der Geistfahigkeit 
der seit der griechischen Antike vom und als Logos er- 
schlossenen Physis des tonenden Materials (-> Musik- 
wissenschaft, -»• Harmonia) und begriindet die Ge- 
schichtsfahigkeit (-> Geschichte) der M. In der Verfii- 
gungskraft und als Trager des Geistes ist die M. stets 
Teil und Zeugnis einer sozial-, religions-, kunst- und 
wissenschaftsgeschichtlich gepragten geistig-geschicht- 
lichen Situation, die auch musikalisch nach eigenem 
Ausdruck verlangt und (z. B. als AnlaB zurEntstehung 
von Gattungen und Stilen) die »autonome«Entwicklung 
der M. durchkreuzt. Dennoch hat jedes musikalisch 
Giiltige Bedeutung auch in einem immanent musikge- 
schichtlichen (seit dem spateren Mittelalter speziell kom- 
positionsgeschichtlichen) ProzeB. Dabei ist es als es selbst 
unwiederholbar in seiner Art der Schonheit und Aus- 
sage und gleichwohl ein Reprasentant jenes Immerwah- 
renden, Grundsatzlichen, das »die« M. definiert. Dieses 
Immerwahrende besteht nicht in der Art wie (jeweils), 
sondern in der Tatsache, dafi (uberhaupt) die M. aus der 
vormusikalischen Natur des Klingenden Objektbezo- 
genheit und Vorpragung ihres Sinnes bezieht; daB sie 
wesenhaf t mit Sprache und Tanz verbunden ist ; daB sie 
auf ->■ Theorie basiert und theoriefahig ist; daB sie ein 
System des musikalisch Geltenden benotigt; daB alles 
Bedeuten ihrer Faktur immanent oder mit ihr sinnfallig 
verbunden ist; daB sie, um faBlich zu sein, melodische, 
rhythmische und harmonische Grundprinzipien, phy- 
siologische und psychologische Grundbedingungen des 
Gestaltens und Formens erf iillt ; daB sie zwischen den als 
vokal (-> Vokal-M.) und instrumental (-> Instrumen- 
tal-M.) und als -»• Improvisation (Stegreifausfiihrung), 
Schrif t (-»■ Notenschrif t, -»■ Komposition) und -*■ Inter- 
pretation anzusprechenden Polen zur Wirklichkeit ge- 
langt ; daB sie »an sich« nichts begrifflich Konkretes, son- 
dern nur Gesetze und Prinzipien der Dinge, das »Formak 
vonEreignissem (H. Lotze), darstellenundbedeutenkann; 
daB sie sich in ihren autonomen Moglichkeiten gleich- 
wohl mit Sprache und Bild, mit »Inhalten« auseinander- 
setzt (-> Tonmalerei, ->■ Figuren, -> Programm-M.) 
und Zwecken zu dienen vermag (z. B. als Tanz und 
Marsch, oder als -> Fest-M., -*■ Salon-M., -»■ Unterhal- 
tungs-M. und -> Schlager) ; daB sie insgesamt stets einge- 
spannt ist zwischen Natur und Kunst, Theorie und 
Praxis, usueller Dienstbarkeit und artifizieller Freiheit, 
Tradition und Neuerung, immerwahrenden Prinzipien 
und geschichtlichem Wandel. Die Frage, was »die« M. 
ist (die Wesensfrage, Gegenstand der in der neueren 
Musikwissenschaft so genannten Musikphilosophie), 
fiihrt durch die Erfahrung und Bewaltigung der ge- 
schichtlichen Wirklichkeit hindurch zu einer Abstrak- 
tion, die jedoch, als Verstehen der Wirklichkeit, selbst 
nur geschichtlich sein kann und sich mit jeder Neuen M. 
verwandelt und bereichert, wahrend die Frage nach 
Schonheit und Aussage eines musikalisch Wirklichen 
von aller Abstraktion notwendig in die Geschichte zu- 
riickf iihrt, auch wo sie die Neue M. betrifft, die als solche 
Altes voraussetzt. 

Fiir die Begriffe Gesang (singen) und (religioses) Fest 
wurde im Sumerischen das gleiche Keilschriftzeichen, 
das stilisierte Bild eines Stufentempels, verwendet, das 
somit beide Begriffe als sinnverwandt auswies. Das ak- 



kadische Wort negiitu, »M«. , Freude, wird aus dem Ver- 
bum negu, sich f reuen hergeleitet. Im Chinesischen wer- 
den die Worter y oh (y iieh ; mittelchinesisch ngik) , »M«. , 
und loh (mittelchinesisch lak) , Freude, wegen ihrer Laut- 
ahnlichkeit (die vielleicht auf einen etymologischen Zu- 
sammenhang deutet) mit dem gleichen Schriftzeichen 
geschrieben (dem Zeichen fiir dasihnennrsprunglich 
lautahnliche Wort Eiche, das stilisierte Bild eines Bau- 
mes mit Fruchten). Die Lautahnlichkeit zwischen »M.« 
und Freude, die im Altchinesischen noch groBer gewe- 
sen sein mag, wurde stets als Ausdruck semantischen Zu- 
sammenhanges empfunden. Im Sanskrit heiBt Gesang 
gandharvavidya, s. v. w. die Kunst (das Wissen) der 
Gandharven (Genien, hohere Wesen) oder samglta- 
vidya, Lehre vom Gesang; in christlicher Zeit hat 
sich das Wort marga als Bezeichnung der seriosen »M.« 
durchgesetzt (-> Indische Musik) . In f riihmittelalterliche 
arabische Ubersetzungen wurde griechisch |iouauc?j (in 
der Form mflslql) tibernommen, da im Arabischen (wie 
im Lateinischen) ein vergleichbares Begriffswort fehlte. 
In den slawischen Sprachen sind (mangels schriftlicher 
Uberlieferung vor dem 9. Jh.) nur aus dem Griechischen 
stammende Lehnworter nachweisbar. Das tschechische 
Wort hudba (aus der Wurzel + gud-, klingen) und das 
sudslawische Wort glazba (von glas, Stimme) sind - 
moglicher weise als Neuschopf ungen - erst im Zuge eines 
nationalen Sprachpurismus am Anfang des 19. Jh. an die 
Stelle des Lehnwortes fiir M. getreten. - Insgesamt 
fehlt es jedoch an Vorarbeiten, um die Frage beantwor- 
ten zu konnen, inwieweit in auBereuropaischen Kultu- 
ren die je eigenstandigen Benennungen der Gestaltung 
des Klingenden eine gegeniiber dem europaischen Be- 
griffswort M. je anders- und eigenartige Auffassung er- 
kennen lassen. 

Die Wortprdgung »M.« ist so unnachahmlich griechisch wie 
Mythos und Logos (Gurlitt 1950, S. 9). Sie fiihrt zuriick 
auf den Begriff Musike der -> Griechischen M. Nach 
dem Mythos (vgl. Hesiod, »Theogonie«, 94ff.) ist die 
M. - Inbegriff musischen Vermogens - Apollons und 
der ->• Musen Geschenk an den Menschen, der durch 
ihre Gunst zu musischem Werk berufen und befahigt 
wird. Neben dem Mythos vom gottlichen Ursprung 
der M., der - ihr den Namen gebend - eine praktisch 
wirksame leibseelische Begabung zur Wesensbestim- 
mung der M. erhebt, steht die Legende von der Erfin- 
dung der M. durch Pythagoras (Iamblichos, De vita Py- 
thagorica, 115ff. ; Boethius 1, 10), die besagt, daB auch die 
theoretischeErkundung des Klingenden Voraussetzung 
der M. ist. Das musische und das py thagoreische Prinzip, 
die in ihrem Zusammenwirken die abendlandische Idee 
derM.bestimmen,verhaltensichzueinanderwiedasVer- 
mogen der Seele und dasjenige des Verstandes, wie die 
Schopfung des Dichtersangers (den der Gott begabt, 
zuschaffenwieein Gott) unddieErfindung desDenkers, 
wie der Ton alsEmpfindungslaut (der ein Inneres kund- 
tut) und der Ton als Naturgesetz (den das Monochord 
beweist) : wie Mythos und Logos, Dichten und Denken, 
Kunst und Wissenschaft, Praxis und Theorie. - Neben 
die antike Sinngebung der M. trat zu Beginn des euro- 
paischen Mittelalters die biblische Rechtfertigung. Sie 
pragt sich aus in der Ableitung des Wortes M. von 
agyptisch moys im Sinne von Wasser (als Lebensspen- 
der) oder im Hinblick auf lat. Moyses (Moses, als Lob- 
sanger Gottes ; Exodus 15, 1), ferner in der Legende von 
derErfindung der M. durch die biblischenErzvater Thu- 
bal (Jubal) und Thubalkain (Genesis 4, 21f.) und in der 
Erklarung der zahlhaft-kosmologischen Bedeutungs- 
kraft der M. durch Hinweis auf Liber sapientiae 11, 22 
(Sed omnia in mensura, numero et pondere disposuisti) . Das 
Ineinandergreifen antiker und christlicher Sinngebung 
der M. kennzeichnet speziell jenen iiber einjahrtausend 



602 



Musik 



wahrenden Zeitraum, in dem die Klassifikationen und 
Definitionen der -> Musica Geltung und Geschichte 
hatten. 

Neben der deutschen Wortform music (entsprechend 
musica mit Betonung auf der ersten Silbe, so noch z. B. 
in Rathgebers Tafel-Confectl, 1733: Dernichtdie Mtisik 
liebt. . .) begann sich seit dem 17. Jh. unterEinfluB des 
franzosischen musique die Betonung auf der letzten Sil- 
be durchzusetzen (hierzu Gurlitt 1950, S. 10). Dieser 
Betonungswechsel des Wortes M. markiert den endgiil- 
tigen, stark von Frankreich inaugurierten Durchbruch 
der neuzeitlichen Grundauffassung der M., die deren 
sinnliche und praktische Seite, ihre naturwissenschaft- 
liche Begriindung und psychologische Wirkung in den 
Vordergrund riickte. An die Stelle der musica scilicet ars 
(WaltherL; -*■ Ars musica) trat die M. als Tonkunst 
(Tonsprache), die - nach den Einteilungsgriinden des 
materialen Verfahrens und des sinnlichen Wirkens - als 
fur das Ohr bestimmte Zeitkunst ins System der »Scho- 
nen Kunste« eingereiht wurde. Die Frage nach ihrem 
Ursprung wurde hinf ort wissenschaftlich zu beantwor- 
ten versucht in Theorien iiber die Entstehung der M. aus 
der Sprache (Rousseau, Herder, Spencer), der Zucht- 
wahl (Darwin), dem Arbeitsrhythmus (Biicher), der 
Evolution von der Ein- zur Mehrtonigkeit (Lach). In 
ihren elementaren Grundlagen wurde sie Gegenstand 
der -*■ Akustik, der seit dem 19. Jh. die Tonpsychologie 
(-*■ Horpsychologie), seit dem 20. Jh. die -> Musikpsy- 
chologie zur Seite traten. In ihrer kiinstlerischen Seins- 
und Wirkensweise trat sie ins Blickfeld der -> Asthetik. 
Ihre ->■ Theorie verlor das Spekulative und wurde zur 
Logik eines spezifisch kompositorischen Denkens, aus 
dessen praktischem Ergebnis das Theorem in der Re- 
gel nachtraglich extrahiert wird. Ihre technische Unter- 
weisung gipfelte im Ausbau der Kompositionslehre 
(-> Komposition). Ihr Traditions- und Entwicklungs- 
prozeB wurde als Wissenschaft ihrer Geschichte reflek- 
tiert. Ihr Wesen wurde begriffen als das in Ton und 
Klang sinnliche Erscheinen der Idee oder der Innerlich- 
keit, das sich als Kunst Gesetze gibt zwischen den Polen 
des Bedeutens als -*■ Ausdruck und der Reinheit der M. 
in sich selbst (->■ Absolute M.). - Das tonkiinstlerische 
Gestalten ist in erster Linie subjektiver Ausdruck seelischen 
Erlebens . . . ; in zweiter Linie ein Formen, Bilden, das dem 
Kunstler selbst als ein aus seinem Innern entaufiertes Objek- 
tives gegeniibertritt . . . ; erst in dritter Linie kann es auch 
gewollte Nachbildung eines objektiv Gegebenen sein, das 
. . . durch Subjektivieren, Durchtranken mit individuellem 
Empfinden . . ., als ein neues Objektives Kunstwert erhalt 
(Riemann 1908, Einleitung). 

Die Definitionen der M. im Zeitraum vom spateren 18. 
bis aim 20. Jh. betonen den Empfindungs-(Gefiihls-) 
Gehalt der M. : sie ist Natur in Sprache der Leidenschaft 
und Zaubersprache der Empfindung (Herder); sie entstand 
als Tonleidenschaftlicher Ausdruck eines Gefiihls und ist eine 
wahre Empfindungsrede (Forkel) ; sie ist die Kunst durch 
Tone Empfindungen auszudrucken (KochL) ; sie ist verkor- 
pertefafibare Wesenheit des Gefiihls [ . . . ohne Hilfe der Re- 
flexion. . . Hauch von Mundzu Mund, stromendes Blut in 
den Adern desLebens!] (Liszt). Oder die Begriffsbestim- 
mungen betonen die Eigengesetzlichkeit der M. : sie ist 
das kunstliche Spiel der Empfindungen des Gehors (Kant) ; 
Spiel [Formenspiel] ist ihr Wesen (Nagcli) ; sic ist tonend 
bewegteForm (Hanslick). Andere Definitionen bestimm- 
ten das Wesen der M. als sinnliche Vergegenwartigung 
des Prinzips der Welt : sie ist in Tonen ausgesprochene Sans- 
krita der Natur (E. T.A.Hoffmann); ihre Hauptaufgabe 
besteht darin, die Art und Weise wiedererklingen zu lassen, 
in welcher das inner ste Selbst seiner Subjektivitat und ideellen 
Seek nach in sich bewegt ist (Hegel) ; sie ist Abbild des Wil- 
lens selbst ...; die anderen Kiinste reden nur vom Schatten, 



sie aber vom Wesen (Schopenhauer) ; sie ist Darstellung der 
Natura naturans (Lotze) ; sie ist eine Dynamik von Willens- 
regungen (E.Kurth); ... wenn das beweglich Farbige ver- 
schwindet, tritt das Bewegende im Klang hervor (Hildegard 
Jone in : A. Webern, II. Kantate op. 31). Oder die Defi- 
nitionen f ormulieren die kosmologische Bedeutsamkeit 
der M. : sie ist Nachklang aus einer entlegenen harmonischen 
Welt (Jean Paul) ; sie ist nichts anderes als der vernommene 
Rhythmus und die Harmonie des sichtbaren Universums 
selbst (Schelling) ; sie ist ein Teil des schwingenden Weltalls 
(Busoni) ; ihr Zweck ist, eine Ordnung zwischen den Din- 
gen herzustellen, und sie erscheint als ein Element, das eine 
Vereinigung mit unserem Nachsten schafft - und mit dem 
hochsten Wesen (Strawinsky). Trotz der zum Teil gegen- 
satzlichen Positionen und dogmatischen Perspektiven 
haben die Definitionen gemeinsam die Gebundenheit 
an die musikgeschichtliche Situation der Neuzeit, er- 
sichtlich an der verbreiteten »Gefiihls«-Betontheit und 
an dem Dualismus von Form und Gehalt, auch am Ver- 
standnis der Welt, die in der M. sich abbildet (als »Wille« 
oder »Dynamik«) und an der oft wenig konkreten und 
subjektivistischen Art der kosmologischen Deutung. 
Gleichwohl bezeugen auch die neuzeitlichen Bestim- 
mungen der M. das Immerwahrende ihres Wesens : die 
Innerlichkeit des Sinntragers, die begriff slose Konkret- 
heit des Bedeutens, die sinnstiftende Kraft der Tonord- 
nung und der Formungsgesetze und deren Geltung als 
Inbegriff des Seienden im Reich des Horbaren. Wie aber 
die angefiihrten Definitionen nur eine bestimmte (die 
neuzeitliche) Situation in der Geschichte des M.-Ver- 
standnisses umreifien und im Zeitraum zweier Jahrhun- 
derte zugleich einen Wandel der Wesensbestimmung 
skizzieren, der - als Reflex musikalischer Wirklichkeiten 
- von der Gefuhlsbezogenheit zur Formbetontheit und 
weiter zum Suchen eines neuen Prinzips und Begriff s der 
Ordnung fiihrt, so iiberhaupt gelangt »die« M. nur im 
ProzeB der Geschichte zu konkreter Wirklichkeit. Da- 
her ist das Sich-Erinnern an die Geschichte der M., sei es 
in Form musikalischer Traditionen oder in der Arbeit 
musikgeschichtlicher Reflexion, die Voraussetzung zum 
Erkennen dessen, was M. ist. Das Interesse an der Ge- 
schichte entziindet sich an der Wesensfrage, deren Be- 
an twortung die Geschichte zu iiberwinden (oder »auf zu- 
heben«) vermag, indem sie sie zu bewaltigen sucht. 
Doch auch die eingangs gegebene und in diesem Artikel 
interpretierte Definition der M. ist zeitgebunden. Indem 
sie das »Bedeuten« und die »Eigengesetzlichkeit« der M. 
wieder zu vereinen versucht, hat sie geschichtlichjenen 
Dualismus der Perspektiven zur Voraussetzung, der die 
musikasthetische oder -philosophische Besinnung seit 
dem beginnenden 19. Jh. als Reflexion der M. der Wie- 
ner Klassik ausweist. In der Klassik war die Fahigkeit der 
M., Geistiges oder Empfundenes rein musikalisch zu 
versinnlichen, Poiesis und Mimesis ineinander auf gehen 
zu lassen, das sich selbst Bedeutende und damit auch sich selber 
Deutende zu sein (Hegel), vollkommen verwirklicht 
(-»■ Komposition). Seitdem ist jede Wesensbestim- 
mung der M. (meist unbewufit) mitgepragt nicht nur 
durch die Erf ahrung und den Versuch des begrifflichen 
Erfassens dieser Art von Einheit und Vollkommenheit, 
sondern noch mehr durch den Dualismus von Gehalt 
und Formung, der ihr Widerpart ist. 
Lit.: Etymologie, Ursprung: C. Stumpf, Betrachtungen 
fiber d. Herleitung d. M. aus d. Sprache. . ..VfMwI, 1885; 
ders., Die Anfange d. M., Lpz. 1911 ; J. Combarieu, La 
musique et la magie, Paris 1909; C. S. Myers, The Begin- 
nings of Music, Fs. W. Ridgeway, Cambridge 1913; C. 
Vega, Teorias del origin de la musica, in : Sintesis II, 1 929 ; 
S. Nadel, The Origins of Music, MQ XVI, 1930; K. 
Wulff, »M.« u. »Freude« im Chinesischen, Det Kgl. Dan- 
ske Videnskabernes Selskab, Hist.-filologiske meddedelser 
XXI, 2, Kopenhagen 1935; G. Revesz, Der Ursprung d. 



603 



Musik 



M., Internationales Arch. f. Ethnographie XL, 1941 ; M. 
Schneider, El origen mus. de los animales-simboles en la 
mitologia y la escultura antiguas, Barcelona 1946; ders., 
Vom urspriinglichen Sinn d. M., Kgr.-Ber. Basel 1949; 
ders., Les fondements intellectuels et psychologiques du 
chant magique, in: Les Colloques de Wegimont I, 1956; 
A. Van der Linden, Gloses sur l'etymologie du mot »mu- 
sique«, in: Miscellanea Gessleriana, Antwerpen 1948; E. 
Seemann, Mythen v. Ursprung d. M., Kgr.-Ber. Lfineburg 
1950; W. F. Otto, Die Musen u. d. gottliche Ursprung d. 
Singens u. Sagens, Dfisseldorf 1954, Darmstadt 21956 ; W. 
Danckert, Wesen u. Ursprung d. Tonkunst im Mythos, 
Af Mw XII, 1955 ; W. Schrammek, Uber Ursprung u. An- 
fange d. M., Lpz. 1957; J. Lohmann, Der Ursprung d. M., 
AfMw XVI, 1959. 

Gesch.d.Wesensbestimmungen(— >GriechischeM.,— »Har- 
monia, — » Musica, — * Geschichte d. M.): H. Huschen, 
Artikel M., B: Begriffs- u. geistesgeschichtlich, in: MGG 
IX, 1 961 . - P. Moos, Die Philosophie d. M. v. Kant bis E. v. 
Hartmann, Stuttgart, Bin u. Lpz. 1901, 21922; H. Abert, 
Antike Musikerlegenden, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910; 
E. Bucken, Geist u. Form im mus. kunstwerk, Wildpark- 
Potsdam (1929); K. Meyer, Bedeutung u. Wesen d. M. I, 
= Slg mw. Abh. V, StraBburg (1932); T. S. Favara, La 
filosofia della musica dall'antichita greca al Cartesianismo, 
Mailand 1940; H. Zenck, Grundformen deutscher Musik- 
anschauung, Jb. d. Akad. d. Wiss. in Gottingen 1941/42, 
Neudruck in : H. Zenck, Numerus u. Affectus. Studien zur 
Mg., hrsg. v. W. Gerstenberg, = Mw. Arbeiten XVI, Kas- 
sel 1959; K. G. Fellerer, Die M. im Wandel d. Zeiten u. 
Kulturen, Miinster i. W. 1948; P. Hissarlian-Lagoutte, 
Philosophie et esthetique de Part mus., Lausanne 1949; E. 
Kickton, Die Beziehungen d. Tonkunst zur Philosophie, 
Kgr.-Ber. Basel 1949 ; A. Schering, Vom mus. Kunstwerk, 
hrsg. v. Fr. Blume, Lpz. 1949, 21951 ; W. Gurlitt, Zur Be- 
deutungsgesch. v. musicus u. cantor bei Isidor v. Sevilla, 
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. so- 
zialwiss. Klasse, Jg. 1950, Nr 7, Neudruck in: Mg. u. Ge- 
genwart I, = BzAf Mw I, Wiesbaden 1966 ; H. Koller, Die 
Mimesis in d. Antike, = Dissertationes Bernenses 1, 5, Bern 
1954; ders., Musik u. Dichtung im alten Griechenland, 
Bern u. Munchen (1963); H. Pfrogner, M., Gesch. ihrer 
Deutung, = Orbis academicus 1, 4, Freiburg i. Br. u. Mun- 
chen 1954; A. v. Lange, Mensch, M. u. Kosmos, Freiburg 
i. Br. 1956; H. Huschen, Friihere u. heutige Begriffe v. We- 
sen u. Grenzen d. Musik, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; H. H. 
Eggebrecht, M. als Tonsprache, AfMw XVIII, 1961. 
Wesensbestimmungen in neuerer Zeit: H. Rjemann, Grund- 
riB d. Mw., = Wiss. u. Bildung XXXIV, Lpz. 1908, er- 
weitert 31919, hrsg. v. J. Wolf "1928; E. Bloch, Geist d. 
Utopie, Munchen 1918, 2. Fassung Bin 1923, neu bearb. 
= GA HI, (Ffm. 1964); H. Mersmann, Versuch einer 
Phanomenologie d. M., ZfMw V, 1922/23 ; H. Fleischer, 
Philosophische Grundanschauungen in d. gegenwartigen 
Musikasthetik, Diss. Bin 1930; M. Schoen, The Meaning 
of Music as Art, MQ XXVIII, 1942; H. Scherchen, Vom 
Wesen d. M., Winterthur 1946; Th. W. Adorno, Philoso- 
phie d. neuen M., Tubingen 1949, Ffm. 21958 ; Fr. Brenn, 
Das Wesensgef iige d. M., Kgr.-Ber. Basel 1949 ; H. Engel, 
Sinn u. Wesen d. M., Mf III, 1950 ; W. Lowera, The Back- 
ground of Music, London 1952; N.-E. Ringbom, Uber d. 
Deutbarkeit d. Tonkunst, Helsinki 1955; Z. Lissa, O spe- 
cyfice muzyki, in: Studia muzykologiczne II, 1953, separat 
Krakau 1954, deutsch als : Uber d. Spezifische in d. M., Bin 
1957; L. Saminsky, Physics and Metaphysics of Music, 
Den Haag 1957 ; Fr. Blume, Was ist M. ?, = Mus. Zeitfra- 
gen V, Kassel 1959, auch in: Syntagma Musicologicum, 
Kassel 1963, dazu P. Boulez u. a. in: Melos XXVI, 1959; 
W. F. Korte, De Musica. Monolog fiber d. heutige Situa- 
tion d. Musik, Tutzing 1966. 

Perspektiven (— » Asthetik, — > Affektenlehre, — » Interpre- 
tation; — > Typologie, — ► Musikpsychologie, — > Musik- 
ethnologie; — » Ausdruck, — > Absolute M., — » Programm- 
musik, — * Tonmalerei, — ► Symbol; — > Melodie, — » Harmo- 
nie, — > Rhythmus) : K. Bucher, Arbeit u, Rhythmus, Lpz. 
1896 u. 6.; E. M. v. Hornbostel, Arbeit u. M., ZIMG 
XIII, 191 1/12; M. Weber, Die rationalen u. soziologischen 
Grundlagen d. M., hrsg. v. Th. Kroyer, Munchen 1921; 
Ch. Koechlin, Le temps et la musique, RM VII, 1926 ; Fr. 
Dietrich, M. u. Zeit, Kassel 1933; B. de Schloezer, Le 



temps du drama et le temps de la musique, in : Polyphonie I, 
1948; G. Brelet, Le temps mus., 2 Bde, Paris 1949; W. 
Gurlitt, Form in d. M. als Zeitgestaltung, = Akad. d. 
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, 
Jg. 1954, Nr 13; A. Briner, Versuch fiber d. mus. Zeitge- 
stalt, Diss. Zurich 1955; W. Wiora, M. als Zeitkunst, Mf 
X, 1957; Fr. Klugmann, Die Kategorie d. Zeit in d. Mu- 
sik, Diss. Bonn 1961 ; M. Rotharmel, Der mus. Zeitbegriff 
seit M. Hauptmann, = Kolner Beitr. zur Musikforschung 
XXV, Regensburg 1963 ; K.Stockhausen, Texte zur elek- 
tronischenu. instr. M. I, Koln (1963); W. Danckert, Ton- 
reich u. Symbolzahl, = Abh. zur Kunst-, M.- u. Literatur- 
wiss. XXXV, Bonn 1966. HHE 

Musikasthetik -> Asthetik. 

Musikalienhandel halt eine Auswahl der von den 
Musikverlagenjeweils angebotenen Erzeugnisse (auch 
Musikbiicher) in seinem Ladengeschaft zum Verkauf 
bereit und besorgt das nicht am Lager Befindliche. Ne- 
ben Verlag und Sortimentsgeschaft gibt es das GroB- 
sortiment, das dem Sortimenter die Moglichkeit bietet, 
Musikalien samtlicher Verleger aus einer Hand zu be- 
ziehen. Die Tatigkeit des ausgebildeten Sortimenters, 
der auf Grund seiner eingehenden Kenntnisse den Kun- 
den berat, ist fur den geregelten Absatz der Verlags- 
werke, vor allem fiir das rasche Bekanntwerden von 
Neuerscheinungen, von ausschlaggebender Bedeutung. 
Die iiberwiegende Zahl der Musikalienhandlungen ist 
auch auf den Verkauf von Schallplatten und Musik- 
instrumenten eingestellt bzw. angewiesen. Die Ge- 
schichte des M.s ist eng mit der Entwicklung der 
-»■ Musikverlage verbunden. Eine fiir den M. wichtige 
Voraussetzung ist der einheitliche Ladenpreis fiir Mu- 
sikalien und Musikbiicher, un dessen Fortbestand ge- 
genwartig gekampft wird. Grundlage des Geschafts- 
verkehrs in der Bundesrepublik ist eine Verkaufsord- 
nung, die auf einer Vereinbarung zwischen dem Deut- 
schen Musikverleger-Verband und dem Sortimenter- 
verband (Deutscher Musikalienwirtschaf tsverband, zur 
Zeit in Bonn) beruht. Diese Verkaufsordnung ist eine 
Parallele zu der buchhandlerischen Verkaufsordnung. 
Lit. : K. A. Gohler, Die MeBkat. im Dienste d. mus. Ge- 
schichtsforschung, SIMG III, 1901/02; ders., Verz. d. in 
d. Frankfurter u. Lpz.er MeBkat. d. Jahre 1564-1759 an- 
gezeigten Musikalien, 4 Teile, Lpz. 1902, Nachdruck Am- 
sterdam 1964; R. Eitner, Buch- u.. Musikalien-Handler, 
Buch- u. Musikatiendrucker nebst Notenstecher, Beilage 
zu MfM XXXVI, 1904 - XXXVII, 1905; W. Mensing, 
Lehrbuch f. d. deutschen M., Lpz. (1921) ; E. Koster, Der 
deutsche M., Diss. Jena 1923, maschr.; M. Schumann, 
Zur Gesch. d. deutschen M. seit d. Griindung d. Ver. d. 
Deutschen Musikalienhandler 1829-1929, Lpz. 1929; B. 
Siegel, Lehrbuch f. d. deutschen M., Lpz. 1930; A. Wil- 
berg, Den svenska musikhandels hist., Stockholm 1955; 
A. Weinmann, Wiener Musikverleger u. Musikalienhand- 
ler v. Mozarts Zeit bis gegen 1860, Sb. Wien CCXXX, 4, 
H. 2, 1956; H. Gericke, Der Wiener M. v. 1700 bis 1778, 
= Wiener mw. Beitr. V, Graz u. Koln 1 960 ; U. Lachmann, 
Die Struktur d. deutschen Musikmarkts, Diss. iur. Tubin- 
gen 1960, maschr.; H.-M. Plesske, Zur Gesch. d. M., 
Borsenblatt VI, 1960; R. Schaal, G. Willers Augsburger 
Musikalien-Lagerkat. v. 1622, Mf XVI, 1963; R. Elvers, 
Musikdrucker, Musikalienhandler u. Musikverleger in 
Bin 1750-1850, Fs. W. Gerstenberg, Wolfenbfittel u. Zfi- 
rich 1964. - Zss.: Musikhandel, Bonn seit 1949/50; An- 
zeiger d. osterreichischen Buch-, Kunst- u. M., Wien seit 
1860; Mus. Opinion and Music Trade Review, London 
seit 1877; Music Trade's Review, NY seit 1873, The Music 
Trades, NY seit 1890. 

Musikalitat -> Begabung. 

musikantisch heiBt (umgangssprachlich) ein Musi- 
zieren und Komponieren, das sich natur- und sinnen- 
froh auBert, z. B. durch besondere rhythmische Verve, 
oder durch Anlehnung an Elemente der Volksmusik. 
Die Bedeutung von m. weicht von der des Wortes 



604 



Musikerziehung 



Musikant teilweise ab (-> Musicus). Ah Charakterisie- 
rung von musikalischen Leistungen und Personlichkei- 
ten ist m. als Positivum gemeint, soweit das m.e Ele- 
ment nicht den Geist verneint oder iiberwuchert. M.e 
Zuge sind den meisten groBen Musikern eigen und 
machen einen Teil ihres Erfolges beim Publikum aus. 

Musikautomaten -> Mechanische Musikwer- 
ke, -*■ Music box. 

Musikbogen (engl. musical bow; frz. arc musical), das 
einf achste Saiteninstrument aus der Familie der -> Zi- 
ther (- 1 ; Stabzither). Der M. besteht aus einem elasti- 
schen gekriimmten Stab, der eine an beiden Enden be- 
f estigte Sehne oder Saite, seltener2-3 Saiten, spannt. Aus 
einem starren (geraden) Stab besteht das in der Horn- 
bostel-Sachsschen Sy stematik zur Unterscheidung vom 
M. als Musikstab bezeichnete Instrument, bei dem die 
Saite liber einen Steg lauft. Die Lange des M.s liegt ge- 
wohnlich zwischen 80 und 120 cm, iibergroBe Instru- 
mente sind bis zu 3 m lang (Ostafrika). Das Spiel erfolgt 
durch Anschlag der Saite mit einem Stockchen oder 
durch Streichen (Schrapen) mit einem angerauhten 
Stabchen, seltener auch durch AnreiBen mit dem Finger. 
Durch Veranderung der Bogenkriimmung (und somit 
der Saitenspannung) mit Hilf e einer vom Bogen iiber die 
Saite gelegten Stimmschlinge, durch die die Saite an den 
Bogenherangezogenwird,oderauchdurch(Flageolett-) 
Griffe mit dem Finger konnen einfache Tonfolgen er- 
zeugt werden. Als naturlicher Resonator zur Verstar- 
kung des Saiten-(Grund-) Tones und zur Hervorhebung 
von Obertonen kann die Mundhohle dienen (ahnlich 
wie beim Spiel der ->■ Maultrommel) ; auch aus Kale- 
bassen (ausgehohlten Kiirbissen) bestehende Resonato- 
ren finden haufig Verwendung. Die hauptsachlichen 
Verbreitungsgebiete des M.s sind Siidafrika, Siidameri- 
ka und Ozeanien. Wie die af rikanische -> Sansa wird der 
M. nicht im Gruppen- sondern nur im Einzelspiel ver- 
wendet; das einstimmige Spiel (auch bordunierendes 
Mitklingen des Grundtons der Saite) wird gelegentlich 
mit Gesang verbunden (M.-Lieder) .Die Fragen, ob (und 
auf welcher Kulturstufe) der M. aus dem SchieBbogen 
entstanden ist und ob der M. in der Geschichte der Mu- 
sikinstrumente isoliert steht oder als Vorstufe zu den 
Friihf ormen der Harf e gelten kann, sind noch nicht ein- 
deutig beantwortet. 

Lit. : O. T. Mason, Geographical Distribution of the Mus. 
Bow, The American Anthropologist X, 1897 (vgl. auch 
ebenda XI, 1898, S. 93ff. u. 187) ; M. H. Saville, The Mus. 
Bow in Ancient Mexico, ebenda X, 1897 - XI, 1898; H. 
Balfour, The Natural Hist, of the Mus. Bow, Oxford 1 899 ; 
R. Lehmann-Nitsche, Patagonische GesSnge u. M., An- 
throposIII, 1908 ; C.Sachs, Geist u. Werden d. Musikinstr., 
Bin 1929, Nachdruck Hilversum 1965; E. M. v. Horn- 
bostel, The Ethnology of African Sound-Instr., Africa VI, 
1933; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native Races 
of South Africa, London 1934, Johannesburg 21953 ; K. G. 
Izncowrrz, Mus. and Other Sound Instr. of the South 
American Indians, = Goteborgs Kungl. Vetenskaps- och 
Vitterhets-Samhalles Handlingar V, Serie A, V/ 1 , Goteborg 
1935 ; A. Schaeffner, Origine des instr. de musique, Paris 
1936; Ch. W.Camp u. Br.Nettl, The Mus. Bow in South- 
ern Africa, Anthropos L, 1955 ; H. H. Wangler, t)ber siid- 
westafrikanische Bogenlieder, Afrika u. tJbersee XXXIX, 
1955 - XL, 1956; H. Fischer, Schallgerate in Ozeanien, 
= Slg mw. Abh. XXXVI, StraBburg u. Baden-Baden 1958; 
R. Brandel, The Music of Central Africa, Den Haag 1 961 ; 
H. Hickmann, Artikel M., in: MGG IX, 1961 ; G. List, 
The Playing of the Mus. Bow in Palenque, Columbia, Jour- 
nal of the International Folk Music Council XVIII, 1966. 

Musikdiktat, ein der Gehorbildung dienender Zweig 
des Musikunterrichts, dessen Bedeutung Nageli und 
C.G.Hering erkannten. Seine Aufgabe besteht in der 
Schulung der musikalischen Auffassungsfahigkeit. Der 



Lehrer singt oder spielt kurze Musikbeispiele, die der 
Schiiler in Notenschrift umzudenken und zu forieren 
hat. Stufenweise wird von einfachen melodischen, har- 
monischen und rhythmischen Bauelementen bis zu 
komplizierten musikalischen Gestalten fortgeschritten, 
u. a. auch zur Fixierung eines Harmonieverlaufs in 
Akkordsigeln, zumErfassen der Modulationswege, der 
Besetzung eines Stiickes und der Instrumentation. 
Lit. : H. G. Nageli, VollstSndige u. ausfiihrliche Gesang- 
schule I, Zurich 1810; A. J. A. Lavignac, Cours complet 
theorique et pratique de dictee mus., Paris u. Brussel 1882; 
H. Riemann, Katechismus d. M., = Hesse's Illustrierte 
Katechismen XI, Lpz. 1889, 21904; B. Sekles, M., Mainz 
1901 u. 6.; M. Battke, Neue Formen d. M., Bin 1913; A. 
Gedalge, L'enseignement de la musique par l'education 
methodique de 1'oreille, 2 Bde, Paris 1921-23; Fr. M. 
Dickey u. E. French, Melody Writing and Ear Training, 
Boston 1926; Fr. Reuter, Zur Methodik d. Gehoriibun- 
gen u. d. M., Lpz. 1927; H. Martens, M., =Beitr. zur 
Schulmusik I, Lahr 1930, Wolfenbuttel 21958; G. Wald- 
mann, 1080 Diktatezur Musiklehre,~Bln 1931 ; G. Selz, 50 
dictates mus., Paris 1934; E. Willems, L'oreille mus. I, 
Genf 1940; H. Grabner, Neue Gehorubung, Bin 1950; P. 
Schenk, Schule d. mus. Gehorbildung, 8 H., Trossingen 
1951 ; ders., Schule d. mus. Horens I, Lpz. u. Bin 1958; J. 
Jersild, Lehrbuch d. Gehorbildung, Rhythmus, Kopen- 
hagen 1956. 

Musikdirektor (lat. director musices), urspriinglich 
der oberste beamtete Musiker in einer Stadt (wie J. S. 
Bach in Leipzig, G.Ph.Telemann und C.Ph.E.Bach 
in Hamburg). Seine musikalischen und organisatori- 
schen Pflichten entsprachen denen des hofischen -> Ka- 
pellmeisters. Seit dem 19. Jh. ist M. ein allgemein iib- 
licher Titel fur Leiter von musikalischen Institutionen, 
besonders Gesangvereinen. Im Orchester trug wah- 
rend des 19. Jh. gewohnlich der ->• Konzertmeister die- 
sen Titel. Bis ins 20. Jh. wurden von Regierungen die 
offiziellen Titel Koniglicher, GroBherzoglicher, Her- 
zoglicher und Fiirstlicher M. verliehen. Die heute von 
Kommunalbehorden, Universitaten und den evange- 
lischen Landeskirchen an die Leiter der ihnen zugeord- 
neten musikalischen Einrichtungen vergebenen Titel 
sind Stadtischer M., vielfach zum Generalmusikdirek- 
tor (GMD) gesteigert (erstmals 1819 in Berlin fur Spon- 
tini), Universitats-M. und Kirchen-M. 

Musikdrama, eine von Theodor Mundt gebildete 
Bezeichnung fiir die Oper als Einheit von Dichtkunst 
und Tonkunst, im Unterschied zum musikalischen Dra- 
ma, in welchem die Musik nur ah Intermezzo mitspielte. 
Spater (und bis heute) wurde das Begriffswort M. vor 
allem mit den Bestrebungen R.Wagners und seiner 
Nachfolger (-+ Oper) verbunden, obwohl Wagner 
selbst den Begriff M. ausdriicklich abgelehnt hat. 
Lit.: Th. Mundt, Kritische Walder, Lpz. 1833; R. Wag- 
ner, tJber d. Benennung »M.«, in : SSmtliche Schrif ten u. 
Dichtungen IX, Lpz. (5 1 9 1 1). 

Musike -> Griechische Musik. 

Musikerziehung hat die Entf altung und Lenkung der 
musikahschen Anlagen im Menschen zum Ziel. Musik 
ist einerseits ein Medium der erzieherischen EinfluB- 
nahme auf den jugendlichen Menschen, andererseits 
ein Sachgebiet derErziehung, auf dem Fahigkeiten und 
Kenntnisse aus dem Gebiet der Musik vermittelt wer- 
den. Nur die Einheit der beiden Auf gabenstellungen, 
Erziehung durch Musik und Erziehung zur Musik, ver- 
biirgt Berechtigung und Erf olg der M. - Voraussetzung 
fiir eine Erziehung durch Musik sind die seit der An- 
tike erorterten Krafte und Wirkungen der Musik. M. 
kann zur seelischen Gelostheit, zur Kontaktfreudigkeit 
und Ausbildung der Ausdrucksfahigkeit ebenso beitra- 
gen wie zur Schulung der Konzentrationsfahigkeit, zur 



605 



Musikerziehung 



Weckung von Phantasiekraften und zur Selbstbesin- 
nung. Im Sonderf all vermag sie bei der Heilung korper- 
lich oder seelisch Gehemmter mitzuwirken (-»■ Musik- 
therapie). Die Vokalmusik kann auch als Tragerin reli- 
gioser, ethischer oder gemiitsbildender Inhalte (Chora- 
le, Lehrgedichte, Volkslieder) erzieherisch wirken. Eine 
zeitgemafie M. wird auch der Massenbeeinflussung 
durch Musik (politisches Kampflied, rhythmische Ent- 
hemmung im Sho wgeschaf t) entgegenarbeiten konnen. 
Eine der wichtigsten Auf gaben der M. ist die Entwick- 
lung der Fahigkeit, das Schone zu erleben und den 
Menschen zur Anerkennung, womoglich auch zur Er- 
kenntnis asthetischer Werte zu fiihren. - Erziehung 
durch Musik fiihrt nur dann zu Ergebnissen, wenn die 
padagogische Absicht hinter die Bemuhung um prak- 
tisch-musikalische Ausbildung zuriicktritt. Der allge- 
mein-padagogische Grundsatz, daB der zu Erziehende 
zu eigener Betatigung angeleitet werden miisse, gilt 
nirgends so uneingeschrankt wie hier. Die M. be- 
schrankt sich daher nicht auf die Ausbildung eines 
kiinftigen Fachmusikerstandes, sondern hat jedem Ju- 
gendlichen gegenuber eine praktisch-erzieherische 
Aufgabe. Erstrebt wird eine vom friihesten Kindesal- 
ter iiber die ganze Jugendzeit bis zur Erwachsenenbil- 
dung fuhrende, sorgfaltig abgestufte musikalische Aus- 
bildung, die geeignet ist, dem Fachmusiker als allge- 
meine Grundlage zu dienen, dem Laienmusiker das 
Riistzeug ftir die -»■ Hausmusik mitzugeben und mog- 
lichst viele der Musik auf geschlossene Menschen heran- 
zubilden. Nur auf der Grundlage einer weit verbrei- 
teten Musikpflege kann eine hohe Musikkultur auf die 
Dauer gedeihen. 

Friihzeitige Begegnung und aktive Auseinandersetzung 
mit der Musik sind spater schwer und oft nur unvoll- 
standig zu ersetzen. Die M. beginnt daher schon beim 
Kleinkind mit dem Vorsingen von Kinder- und Wie- 
genliedern und regt den erwachenden kindlichen Nach- 
ahmungstrieb an; wechselseitiges Vor- und Nachsin- 
gen f ordert die geistige und - in Verbindung mit Tanz- 
und Bewegungsspielen - auch die korperliche Ent- 
wicklung des Kindes. Aktive Musikausiibung im Kreis 
der Familie bleibt fiir die M. des Heranwachsenden 
wichtigste Voraussetzung. Im Kindergarten und im 
Schulunterricht wird die M. der jeweiligen Altersstufe 
angepaBt. Angesichts der grundlegenden Bedeutung 
der Musik fiir die Charakter- und Personlichkeitsbil- 
dung hat jedes Kind Anspruch auf einen angemessenen 
Anteil der M. innerhalb der Gesamtausbildung. Zur 
Aktivierung und bestmoglichen Forderung der musi- 
kalischen Begabung reicht der Musikunterricht der 
Schule oft nicht aus. Als Folge der durchschnittlich zu 
groBen Schiilerzahl in den einzelnen Klassen entstehen 
starke und zur Opposition geneigte Gruppen von we- 
niger Begabten, die eine musikerzieherische Arbeit 
empfindlich beeintrachtigen konnen und ein Abstel- 
len der Unterrichtsforderungen auf ein zu niedriges 
DurchschnittsmaB erzwingen. Auswahlchor und Schul- 
orchester konnen die zu geringe Intensitat der schuli- 
schen M. wenigstens teilweise ausgleichen. Eine wert- 
volle Erganzung der M. in der Schule bietet der Grup- 
penunterricht der stadtischen Jugendmusikschulen, in 
denen Kestenbergs Idee der »Volks-Musikschulen« 
Gestalt gewann und die heute als moderne soziale Ein- 
richtung neben den bewahrten Konservatorien be- 
stehen. Daneben gibt es den Weg der -> Privatmusik- 
crziehung ; in Bayern und Osterreich erteilen die Mu- 
siklehrer der Oberschulen Begabten unentgeltlich In- 
strumentalunterricht. - Ein Zeitpunkt fur den Beginn 
des Instrumentalunterrichts kann nicht allgemeinver- 
bindlich festgelegt werden; friiher Beginn ist vorteil- 
haft, doch wird man bei Kindern unter fiinf Jahren 



selten Erf olge erzielen. In diesem Alter ist rhythmische 
Gymnastik eine gute Vorschulung. Je nach Veranla- 
gung ware der Eintritt in ein Kinderballett denkbar. 
Dem jugendlichen Anfanger sollte auf alien Gebieten 
der Musik prinzipiell die Moglichkeit der spateren Be- 
rufsausiibung offenstehen. Das bedeutet, daB im Un- 
terricht von jedem Schuler und von jedem Lehrer stets 
die voile Leistung zu fordern ist. Oft wird der Wert 
der musikalischen Begabung des Kindes zu gering ge- 
schatzt, z. B. wenn die Eltern bei der Wahl des Lehrers 
leichtfertig verfahren oder an den Ausbildungskosten 
sparen, oder wenn der musikalischen Betatigung durch 
falsche Auswahl der Instrumente der Zugang zur gro- 
Ben Kunstmusik verbaut wird und die musikalische 
Ausbildung (mit der Begriindung, daB der Musiker- 
beruf nicht in Frage komme) auf das Niveau einer 
falsch verstandenen Hausmusik beschrankt bleibt. An- 
dererseits sind Rundfunk- und Schallplattendarbietun- 
gen nicht durchwegs geeignet, das hausliche Musizie- 
ren zu fordern, insofern sie die Musik fertig anbieten 
und dadurch lihmend auf die kindliche Aktivitat ein- 
wirken. DerErfolg der M. ist abhangig von einem aus- 
gewogenen Verhaltnis zwischen dem Auf nehmen bzw. 
Erkennen der musikalischen Leistungen anderer und 
der eigenen, aktiven Auseinandersetzung mit dem mu- 
sikalischen Kunstwerk. Neben der rein technischen 
Ausbildung des Schiilers ist auch einer iiber die bloB 
formale und harmonische Analyse hinausgehenden 
Werkbetrachtung Beachtung zu schenken. 
Anreiz zu intensiver und zielstrebiger Beschaftigung 
mit dem Instrument bieten die Klavierspielwettbewer- 
be fiir Kinder verschiedener Altersstufen; der »Tag der 
Hausmusik« und die jahrlichen Jugendwettbewerbe 
(z. B. »Jugend musiziert«) geben dariiber hinaus Ge- 
legenheit zur Bewahrung auf dem Podium (die Preis- 
trager erhalten Gutscheine fiir Unterrichtsbeihilfe und 
Instrumentenkauf). Gesangunterricht wird heute meist 
im Hinblick auf eine Biihnenlaufbahn genommen (und 
setzt dann auch systematisches Klavierstudium voraus), 
nur noch selten von stimmbegabten Laien, die sich 
meist mit der Mitwirkung in Choren und Kantoreien 
begniigen. Das eigentliche Musikstudium erfolgt an 
einer Musikhochschule bzw. Akademie (-»• Konserva- 
torium). Eine besondere Ausbildung ist fiir die Schul- 
musiker erforderlich (-> Schulmusik). - Der musikali- 
sche Nachwuchs mifk sich bei den groBen internationa- 
len Wettbewerben (->• Preise und Wettbewerbe). Die 
nationalen Musikerzieherverbande sind zusammenge- 
schlossen in der International Society for Music Educa- 
tion (ISME). In der Bundesrepublik Deutschland sind 
die wichtigsten Verbande, die die Forderung der M. zu 
ihren Aufgaben zahlen: Arbeitsgemeinschaft fiir M. 
und Musikpflege (Hamburg), Genossenschaft deutscher 
Biihnen-Angehorigen in der Gewerkschaft Kunst des 
DGB (Hamburg) , Institut fiir Neue Musik und M. e. V. 
(Darmstadt), Internationales Institut fiir Jugend- und 
Vokalmusik e. V. (Trossingen), Kulturkreis im Bundes- 
verband der Deutschen Industrie e. V. (Koln), Tonika- 
Do-Bund, Musikalische Jugend Deutschlands e. V. 
(Miinchen), Arbeitskreis fiir musikalische Erziehung 
(Hannover), Verband deutscher Schulmusiker e. V. 
(Koln-Klettenberg), Verband deutscher Musikerzieher 
und konzertierender Kiinstler e. V. (VDMK, Miinchen; 
hervorgegangen aus dem Verband deutscher Tonkiinst- 
ler und Musiklehrer e. V., VDTM, Berlin). 
Lit. : E. Kraus, Internationale Bibliogr. d. musikpadagogi- 
schen Schrifttums, Wolfenbuttel 1959. - A. Reissmann, 
Die Hausmusik, Bin 1884; St. Macpherson, Mus. Edu- 
cation of the Child, London 1915; Fr. Jode, Musik. Ein 
padagogischerVersuch, Wolfenbuttel 1919,NAin: Musiku. 
Erziehung, ebenda 2 1932; L. Kestenberg, M. u. Musikpfle- 
ge, Lpz. 1921, 2 1927; ders., Wege zur Entwicklung d. M., 



606 



Musikethnologie 



Mk XX, 1927/28; Musikpadagogische Bibl., hrsg. v. dems., 
Lpz. 1 929ff. , f ortgef tthrt v. E. Preussner, Heidelberg 1 959ff. ; 
S. N. Coleman, Creative Music for Children: A Plan of 
Training, Based on the Natural Evolution of Music, In- 
cluding the Making and Playing of Instr., NY 1922; dies., 
A Children's Symphony, NY 1931 ; W. Howard, Die Leh- 
re v. Lernen, Wolfenbiittel 1925; ders., Auf d. Wege zur 
Musik, 29 H„ Bin 1926-27 ; ders., Probleme d. Musikpad- 
agogik, Bin 1936; ders., La musique et l'enf ant, Paris 1952; 
Fr. Reuter, Musikpadagogik in Grundziigen, Lpz. 1926; 
ders., Grundlagen d. M., Wiss. Zs. d. M.-Luther-Univ. 
Halle- Wittenberg, Ges.- u. sprachwiss. Reihe IV, 1954/55 ; 
E. Preussner, Allgemeine Padagogik u. Musikpadagogik, 
= Musikpadagogische Bibl. I, Lpz. 1929, als: Allgemeine 
Musikpadagogik, Heidelberg 2J959 ; G. Schunemann, M., 
Bd I : Die Musik in Kindheit u. Jugend, Lpz. 1930 ; Hdb. d. 
M., hrsg. v. E. Bucken, Potsdam (1931); Hohe Schule d. 
Musik, hrsg. v. J. Muller-Blattau, 4 Bde, ebenda (1934- 
37) ; W. P. Larson, Bibliogr. of Research in Music Educa- 
tion 1932-48, Chicago 1949 ; H. J. Moser, Lebensvolle M., 
Wien 1952; H. Erpf, Neue Weged. M., Stuttgart 1953 ; Zur 
Notlage d. M. u. Musikpflege, Denkschrift hrsg. v. d. Ar- 
beitsgemeinschaft f . M. u. Musikpflege, Kassel 1953; Hdb. 
d. M., hrsg. v. H. Fischer, 2 Bde, Bin 1954-58 ; Th. War- 
ner, Musische Erziehung zwischen Kult u. Kunst, = Beitr. 
zur M. Ill, Bin u. Darmstadt 1954; H.-I. Marrou, Gesch. 
d. Erziehung im Klass. Altertum, hrsg. v. R. Harder, Frei- 
burg i. Br. u. Munchen 1957; R. Ludeke, Zur Gesch. d. M. 
in d. 1. Halfte d. 19. Jh. in Deutschland, Beitr. zur Mw. II, 
1960; I. Benzing-Vogt, Methodik d. elementaren M., 
Zurich 1966. HHa 

Musikethnologie (engl. ethnomusicology), musikali- 
sche Volkerkunde, ist die seit etwa 1940 gebrauchliche 
Bezeichnung fur die Wissenschaft von der Musik der 
auBereuropaischen Volker. Sie gilt als ein Teilgebiet 
der Musikwissenschaft, ist jedoch ebenso auch ein 
Forschungszweig der Ethnologie, Anthropologic, So- 
ziologie und Vblkerpsychologie. In Europa wird sie 
meist von ethnologisch geschulten Musikwissenschaft- 
lem, in den USA wurde sie anfangs von musikwissen- 
schaftlich gebildeten Anthropologen betrieben. Eine 
strenge Aufteilung des Fachgebiets in die Musik der 
Kulturvolker (besonders Asiens) und die der Natur- 
volker ist heute nur noch mit Vorbehalten moglich, da 
Umfang und Formenreichtum des Kulturbesitzes nicht 
im Sinne einer solchen Aufteilung gewertet werden 
konnen. Der Vergleich mit der abendlandischen Musik 
und ihrer -*- Geschichte kann nur fruchtbar werden, 
wenn er im vollen Verstandnis der Eigenart des Frem- 
den erfolgt. Wahrend die ->• Vergleichende Musik- 
wissenschaft ihre Untersuchungen in der Hauptsache 
auf einzelne Elemente der Musikkultur beschrankte, ist 
die moderne M. bestrebt, die Musik und Musikan- 
schauung fremder Volker als geschlossenes Ganzes und 
in engem Zusammenhang mit der geistigen undma- 
teriellen Kultur zu sehen. - Die Erforschung histori- 
scher Zusammenhange ist eine wesentliche Aufgabe 
der M., eine weitere die Abgrenzung regionaler Ver- 
breitungsgebiete bestimmter Formen, Stile, Instrumen- 
te, Musizierpraktiken, religioser und sozialer Gegeben- 
heiten und Anschauungen. Die Musik der asiatischen 
Kulturvolker z. B. ist, nicht anders als die alteuropai- 
sche, vielfach geschichtet; neben der Kunstmusik der 
Oberschicht mit ihrer Geschichte und ihrem theoreti- 
schen Fundament steht die Musikiibung der unteren 
Schichten sowie die Musik eingesprengter nationaler 
Minderheiten und absorbiertcr Fremdvolker, wobei 
zwischen alien Schichten mannigfache Wechselbe- 
ziehungen bestehen. Die kartographische und strati- 
graphische Arbeitsweise der M. schlieBt die Musik 
Europas nicht nur »vergleichend« in ihre Betrachtung 
ein, sondern befaBt sich auch mit der Angleichung und 
Aneignung europaischer Faktoren in der Musik der 
auBereuropaischen Volker, so sehr die M. auch darauf 



bedacht bleibt, den Zustand vor der Beriihrung mit 
der abendlandischen Musikkultur festzuhalten. - Fiir 
die Erforschung der Musikgeschichte der Volker kon- 
nen die miindlichen Stammesuberlieferungen bei den 
schriftlosen Volkern, archaologische Funde, bildliche 
Darstellungen und schriftliche Aufzeichnungen bei 
den Kulturvolkern als Quellen dienen. Die Erschlie- 
Bung musiktheoretischer Quellen wird heute weit- 
gehend von Angehorigen der betreSenden Nationen 
selbst als nationale Musikgeschichte und Musikwissen- 
schaft betrieben. Die meisten Staaten verfiigen heute 
iiber eigene nationale Forschungsinstitute und Archive. 
Die Fiille des Stoffes, der Probleme und Forschungs- 
richtungen erzwingt eine Spezialisierung in regionaler 
und sachlicher Hinsicht. 

Die Anfange der M. reichen bis ins 17. Jh. zuriick 
(Mersenne 1636; A.Kircher SJ, Musurgia, 1650, und 
Oedipus Aegyptiacus, 1652), als im Zeitalter der Ent- 
deckungen das Interesse an Leben und Kunst fremder 
Volker zu erwachen begann. 1768 brachte J.-J. Rous- 
seau in seinem Dictionnaire de musique im Anhang 4 
Beispiele Exotischer Musik, und 1779 erschien in Paris 
die erste wissenschaftliche Monographic: Mimoire sur 
la musique des Chinois, tant anciens que modernes von J.J. 
M.Amiot SJ. 1792 folgte W. Jones' On the Musical 
Modes of the Hindus und 1842 als erste deutsche Studie 
Die Musik der Araber von R. G. Kiesewetter. Die erste 
zusammenfassende musikethnologische Darstellung 
enthalt der 1869 erschienene Band I der Histoire ginhale 
de la musique von -*■ Fetis. Die Kenntnis der Musik der 
auBereuropaischen Volker blieb jedoch noch lange 
luckenhaft und das wissenschaftliche Interesse daran 
auf die Erorterung der von der abendlandischen Mu- 
sik abweichenden Tatbestande gerichtet. Mit dem in 
Amerika erfundenenPhonographen machteW. Fewkes 
1889 die ersten Phonogramme von Indianermelodien, 
die von B.I. Gilman analysiert und nach einem beson- 
deren Notationsverfahren 1891 publiziert wurden. 
Tonhbhenmessungen an Melodien und Instrumenten, 
akustische und tonpsychologische Untersuchungen 
standen im Mittelpunkt der jungen europaischen Schu- 
le der Vergleichenden Musikwissenschaft, als deren 
erstes wichtiges Ergebnis der Nachweis der siebenstufig 
temperierten Skala der Siamesen durch Stumpf (1901) 
gelten kann. Durch seinen Mitarbeiter E.M.v.Horn- 
bostel erfuhr das neue Forschungsgebiet eine Erweite- 
rung nach der Seite der Musikwissenschaft und Eth- 
nologie; er entwickelte die grundlegenden Methoden 
der M., als deren bedeutendster Vertreter er Weltgel- 
tung errang. Der Berliner Schule sind seine Mitarbei- 
ter O.Abraham, C.Sachs, R.Lachmann und seine 
Schiiler G.Herzog,- M.Kolinski, Fr.Bose, H.Hick- 
mann, ferner Marius Schneider, W.Wiora, H.Hus- 
mann und J. Kunst zuzurechnen. Als Anreger und 
Lehrer war er das Vorbild einer ganzen Generation von 
Wissenschaftlern (B.Bartok, I.Krohn, A. O. Vaisanen, 
E.Emsheimer, K. G. Izikowitz.Z.Estreicher.E. Gerson- 
Kiwi). Auch die Wiener Schule, von R.Lach (1874- 
1958) begriindet, hat seine Methoden groBenteils iiber- 
nommen, besonders Lachs Schiiler L.Hajek, A.Z.Idel- 
sohn, S.Nadel, W.Graf. Eigene Wege gingen in Eu- 
ropa E.Beck und seine Schiiler, darunter namentlich 
W. Danckert und W. Heinitz. Die amerikanische Schu- 
le der M., von Th.Bakcr, B.I. Gilman und A.Fletcher 
ausgehend.fandin dem Anthropologen Fr.Boas(Haupt- 
werke 1884-88) ihren eigentlichen Begriinder, in Fr. 
Densmore, H.H.Roberts und G.Herzog ihre bedeu- 
tendsten Vertreter. Letzterer fuhrte die Methode der 
Berliner Schule in Amerika ein und verschmolz sie 
mit der von Boas entwickelten Arbeitsweise, wonach 
die Musik einzelner Stamme moglichst aus der unmit- 



607 



Musikfeste 



telbaren Anschauung und in ihrer Einbettung in das 
soziale und religiose Stammesleben zu erforschen sei. 
Durch ihn und seinen Schiiler Br.Nettl gewann die 
Musikwissenschaft wieder starkeren EinfluB auf die 
amerikanische M., so daB sich heute die Arbeitsweisen 
in der Alten und Neuen Welt nahezu decken. Auch die 
europaischen Forscher sind heute mehr und mehr zur 
»Feldarbeit« iibergegangen, wie es etwa die neueren 
Arbeiten der Berliner Schule, z. B. K.Reinhard und 
sein Schiilerkreis, zeigen. 

Lit.: Journal of the International Folk Music Council, 
seit 1949; Ethnomusicology, seit 1953; Jb. f. mus. Volks- 
u. Volkerkunde, seit 1962. - R. Lachmann, Die Musik d. 
auBereuropaischen Natur- u. Kulturvolker, Biicken Hdb. ; 
ders., Musik d. Orients, Breslau 1929; ders., Musiksyste- 
me u. Musikauff assung, Zs. f . vergleichende Mw. Ill, 1935 ; 
G. Herzoo, Speech-Melody and Primitive Music, MQ 
XX, 1934; M. Schneider, Ethnologische Musikforschung, 
in: Lehrbuch d. Volkerkunde, hrsg. v. K. Th. PreuB, Stutt- 
gart 1 937 ; ders., Die Musik d. Naturvolker, in : dass., hrsg. 
v. L. Adam u. H. Trimborn, ebenda 3 1 958 ; Fr. Bose, Klang- 
stile als Rassenmerkmale, Zs. f. Rassenkunde XIV, 1943/ 
44; ders., MeBbare Rassenunterschiede in d. Musik, Ho- 
mo II, 1952; ders., Mus. Volkerkunde, Freiburg i. Br. 1 953; 
ders., Musikgeschichtliche Aspekte d. M., AfMw XXIII, 
1 966; J. Handschin, Exotische Musik, in: Musica aeterna I, 
Zurich 1 948 ; J. Kunst, Ethnomusicology, Den Haag 1955, 
3 1959 (mit Suppl.) ; A. P. Merriam, The Use of Music in the 
Study of a Problem of Acculturation, The American An- 
thropologist LVH, 1955; ders., Ethnomusicology - Dis- 
cussion and Definition of the Field, Ethnomusicology IV, 
1960; ders., The Anthropology of Music, (Chicago) 1964; 
K. Dittmer, Ethnologie u. M., Kgr.-Ber. Hbg 1956; Br. 
Nettl, Music in Primitive Culture, Cambridge (Mass.) 
1956; C. Brailoiu, L'ethnomusicologie, in: Precis de Mu- 
sicologie, hrsg. v. J. Chailley, Paris 1958; ders., Musicolo- 
gie et ethnomusicologie aujourd'hui, Kgr.-Ber. Koln 1958; 
M. Karpeles, The Collecting of Folk Music and Other 
Ethnomusicological Material, London 1958; R. Katza- 
rova-Koukoudova, L'ethnomusicologie en Bulgarie de 
1945 a nos jours (1959), AMI XXXII, 1960; Cl. Marcel- 
Dubois, Ethnomusicologie de la France 1945-59, ebenda; 
Les Colloques de Wegimont I, 1954, Briissel 1956; dass. 
Ill, 1956, Ethnomusicologie II, = Bibl. de la faculte de 
philosophie et lettres de l'Univ. de Liege CLVII, Paris 1 960; 
Fr. Gillis u. A. P. Merriam, Ethnomusicology and Folk 
Music: An International Bibliogr. of Dissertations and 
Theses, = Special Series in Ethnomusicology I, Middle- 
town/Conn. (1966). FB 

Musikfeste -»• Festspiele. 
Musikgeschichte -> Geschichte der Musik. 

Musikkritik beurteilt in periodischen Veroffentli- 
chungen sowohl das musikalische Kunstwerk selbst als 
auch dessen Wiedergabe und berichtet in wertender 
Stellungnahme iiber aktuelle Erscheinungen des Mu- 
siklebens, z. B. iiber kulturpolitische Fragen der Mu- 
sikpraxis, Programmbildung in Konzerten, Repertoire 
von Opernhausern. In dieser Form besteht die M. seit 
dem 18. jh. namentlich in Deutschland (Mattheson, 
Scheibe, Fr. W. Marpurg, J. N. Forkel, J. A. Hiller, J. Fr. 
Reichardt) und Frankreich (Fr. M. Grimm, J.-J. Rous- 
seau). Sie war zunachst uberwiegend auf Geschmacks- 
und Stilfragen, Komposition und Satztechnik gerich- 
tet. Als Veroffentlichungsorgane dienten die in dieser 
Zeit entstehenden musikalischen ->• Zeitschriften. Mit 
Ch. Avisons Essay on Musical Expression (1752) und den 
Reiseberichten Ch.Burneys (1771-73) trat England in 
den Kreis der Lander, die zu den Grundlagen der mo- 
dernen M. beitrugen. Dagegen begannen in Italien erst 
in den 1830er Jahren die Tageszeitungen Opernfeuille- 
tons (Appendici) zu drucken. - Als standige Einrich- 
tung der Tagespresse trat die M. zuerst in Berlin auf, 
wo 1788-1813 Fr.Rellstab, ab 1826 sein Sohn L.Rell- 
stab in der Vossischen Zeitung schrieben. Mit der tagli- 
chen Berichterstattung in Tageszeitungen wurde die 



darstellende Leistung der Musiker in Oper und Kon- 
zert zum Hauptgegenstand. Dadurch gewann die Kri- 
tik EinfluB auf das Musikleben, das auch wirtschaftlich 
von ihr abhangig zu werden begann. Das 19. Jh. wurde 
so zu der Epoche, in der sich musikalischer Journalis- 
mus zu einem wichtigen musiksoziologischen Faktor 
entwickelte. Gleichzeitig traten neben die hauptberuf- 
lichen Kritiker schopferische Musiker, die zeitweise 
ihre Feder in den Dienst der Tagespresse stellten, teils 
aus wirtschaftlichen Griinden, teils um fur ihre astheti- 
schen Oberzeugungen eintreten zu konnen. E.T.A. 
Hoffmann, CM. v. Weber, R.Schumann, R.Wagner 
und Hugo Wolf in Deutschland, Fr.-J.Fetis und H. 
Berlioz in Frankreich, A. N. Serow in RuBland wirkten 
als bekennende Rezensenten und gaben der M. ein Ge- 
wicht, von dem alle Angehorigen des Kritikerstandes 
Nutzen hatten. Das Beispiel H.Heines, der als nicht- 
geschulter Musiker 1836-47 M.er fiir die Augsburger 
Allgemeine Zeitung in Paris war, machte Schule nicht nur 
in Deutschland und Osterreich. In den Kampf um 
Wagner griff en in Paris Nichtmusiker wie Th. Gautier 
und Ch. Baudelaire begeistert ein. Der moderne Feuille- 
tonismus, Heine weitgehend verpflichtet, gab durch 
seinen Glanz und die Suggestivitat seiner Sprache auch 
der M. eine Macht, die sich am wirksamsten in E. 
->• Hanslick, fiir den englischen Sprachbereich in G.B. 
->• Shaw verkorperte. Hanslick beherrschte von Wien 
aus mehr als ein halbes Jahrhundert lang (1 848-1 900) Ge- 
schmack und MusikbewuBtsein von Generationen. 
Seiner kritischen Haltung Wagner und Bruckner, aber 
auch Verdi und Tschaikowsky gegenuber, seiner ent- 
schiedenen Parteinahme fiir Brahms entsprach die 
uberwiegend konservative englische Kritik der Briider 
->■ Davison. Erst seit Shaws Tatigkeit in The Star und 
in The World 1889-94 fand die Partei der Wagner- 
Feinde eine uberlegene Gegenfront. - Als Prophet 
Wagners, Berlioz' und Liszts, aber auch der national- 
russischen Oper, trat ab 1851 in RuBland A.N. Serow 
in die Arena. Sein Gegenspieler und einstiger Jugend- 
freund S. Stassow vertrat den russischen Nationalismus, 
kampf te fiir die »Fiinf« (namentlich fiir Mussorgsky), 
aber auch fiir Tschaikowsky und gegen Wagner. Ihm 
stand der noch radikalere Nationalist C.Cui geistig 
nahe. - Auch in Italien entwickelte sich die moderne 
M. im Kampf um Wagner. F. -*■ Filippi (ab 1859 an 
der Mailander Perseueranza), der Marchese d'Arcais als 
Vorkampfer italienischer Symphonik und A.Boito 
schufen in den 60-70er Jahren des 19. Jh. eine Tradition, 
die der Nichtmusiker G.d'Annunzio als leidenschaft- 
licher Wagnerianer fortsetzte. Seit den 1880er Jahren 
gab es eine sachkundige, kultivierte und einfluBreiche 
M. in der nordamerikanischen Presse. Ihre Vertreter 
H.E. Krehbiel, H. T. Finck, W. J. Henderson, R. Aldrich 
und J.G.Huneker entwickelten sich, vom Wagner- 
Erlebnis ausgehend, zu virtuosen Chronisten der nach- 
wagnerischen Moderne. - Die Stilwandlungen im spa- 
ten 19. und im 20. Jh. haben Typus und Funktion der 
M. verandert. Ihre Aufgabe in einem Musikleben, das 
vorwiegend der Pflege zeitgenossischer Produktion 
gait (wie im 18. und friihen 19. Jh.), war konservierend. 
In einer Praxis aber, die selbst zunehmend konserva- 
tiv wurde, wie vor allem seit 1900, muBte sie sich fiir 
die Forderung von Neuem einsetzen. So stehen im 
20. Jh. die fiihrenden M.er vielfach in einer Front mit 
den modernen Komponisten und zugleich haufig in 
Opposition zu Mehrheit, Macht und Markt. In Berlin, 
das nach Hanslicks Riicktritt 1895 zum europaischen 
Zentrum der M. wurde, hatteW.Tappert eine moder- 
nistische Richtung geschaffen. Ihr schlossen sich O.Bie 
und A.WeiBmann, spater W.Schrenk, A.Einstein, H. 



608 



Strobel und H. H. S tuckenschmidt an. In ahnlichem Sinn 
wirkten in Frankfurt P. Bekker und K. Holl. 
Wahrend Englands fiihrender Kritiker E.Newman 
1905-58 mehr die Sache Wagners und Wolfs als die 
der Zeitgenossen vertrat, waren E.J. Dent und E.Evans 
Vorkampfer der internationalen Moderne. CI. Debussy 
als Komponist, R. Rolland als Musikforscher gaben zu 
Anfang des 20. Jh. der franzosischen M. mehr Ansehen 
als die ModegroBen der Tagespresse. In Wien stand 
neben dem einfluBreichenJ. Korngold, Hanslicks Nach- 
folger an der Neuen Freien Presse, eine Phalanx fort- 
schrittlicher Manner wie M.Graf und P.Stefan. Seit 
den 1930er Jahren haben autoritare Staatsformen, fa- 
schistische wie kommunistische, versucht, den Kriti- 
kern offizielle Meinungen aufzuzwingen. Dadurch 
wird Kritik in ihrem Kern zerstort, die geistige Inte- 
gritat des Kritikers beseitigt. Konsequenterweise ersetz- 
te 1936 eine deutsche Regierungsverordnung M. durch 
»Musik-Betrachtung«. In der sowjetrussischen Presse 
konnte bis zu Stalins Tod auch in der M. keine andere 
als die offizielle Asthetik vertreten werden. Nach 1945 
ist die M. in Mitteleuropa unter modernistischer Fiih- 
rung wieder zu einer Macht geworden, die in Nord- 
amerika ein starkes Gegengewicht findet. Uber die 
Tagespresse hinaus stehen dem modernen Kritiker in 
Rundfunk und Fernsehen neue Medien der Meinungs- 
bildung zu Gebote. Der ungemein gesteigerte Konsum 
von Musik hat Tatigkeit und Aufgabenbereich der M. 
ebenso erweitert wie ihren EinfluB. Noch mehr als im 
19. Jh. tritt die reproduktive Leistung in den Vorder- 
grund des Musiklebens. Da gleichzeitig aber die Tech- 
niken und Stilgrundlagen der Komposition sich uber 
die Tradition hinaus entwickeln, steht die M. zwischen 
zwei einander widersprechenden Verpflichtungen. Sie 
muB Chronik und Urteil der Praxis, des »Betriebs«, 
sein, der sich an die groBe Mehrheit der Horer wendet, 
und sie muB sich und ihre Leser an der Auseinander- 
setzung uber die kompositorische Lage beteiligt halten. 
Nach der Auffassung Remy de Gourmonts und T. S. 
Eliots sind Vergleich und Analyse die Werkzeuge der 
Kritik. Ihr Ziel ist die Deutung von Werken sowie die 
Messung von Auffiihrungen an den Forderungen des 
Werkes. Entscheidend fur Wert und Wirkung seiner 
Arbeit sind Bildungsgrad, Sachkenntnis, Erlebnis- und 
Sprachkraft des Kritikers. BewuBt urteilt er immer sub- 
jektiv; deshalb waren Versuche wie die kollektive 
Dreimannerkritik problematisch, die 1930 in der Zeit- 
schrift Melos durchgef iihrt wurde. - 1913 griindeten P. 
Bekker, A.HeuBundH. Springer den Verbanddeutscher 
M.er, der bis zur Aufldsung 1933 etwa 150 Mitglieder 
zahlte. Ahnliche Standesorganisationen befinden sich in 
Frankreich, England und den USA. Eine Fachgruppe 
M. besteht seit 1952 im Verband der deutschen Kritiker. 
Lit. : G. Cucuel, La critique mus. dans les rev. du XVIII e s., 
Annee mus. II, 1913 ; A. Schering, Aus d. Gesch. d. mus. 
Kritik in Deutschland, JbP XXXV, 1928; M. Faixer, J. 
Fr. Reichardt u. d. Anfange d. mus. Journalistik, = K6- 
nigsberger Studien zur Mw. VII, Kassel 1929; K. Varges, 
H. Wolf als M.er, Magdeburg 1934; M. C. Boyd, Compo- 
ser and Critic: 200 Years of Mus. Criticism, NY 1946; A. 
Machabey, Traite de la critique mus., Paris 1947; A. R. 
Oliver, The Encyclopedists as Critics of Music, NY 1947; 
Fr. Roh, Der verkannte Kunstler, Munchen 1948; H. H. 
Stuckenschmidt, Zur Problematik d. M., Af Mw IX, 1 952; 
ders., Glanz u. Elend d. M., = Hesses kleine Biicher 1, 
Bin 1957 ; Fr. Baake, G. B. Shaw als M.er, Af Mw X, 1953 ; 
A. Sychra, Parteiliche M. als Mitschopferin einer neuen 
Musik, Bin 1953; C. Lachner, Die M. (Versuch einer 
Grundlegung), Diss. Munchen 1955, maschr.; H. Kirch- 
meyer, I. Strawinsky. Zeitgesch. im Personlichkeitsbild, 
= Kolner Beitr. zur MusikforschungX, Regensburg 1958; 
A. Della Corte, La critica mus. e i critici, Turin 1961 ; 
G. B. Shaw, How to Become a Mus. Critic, hrsg. v. D. H. 



Musikpsychologie 

Laurence, NY u. London 1961 ; U. Backer, Frankreichs 
Moderne v. CI. Debussy bis P. Boulez, = Kolner Beitr. zur 
Musikforschung XXI, Regensburg 1962; dies., Frank- 
reichs Musik zwischen Romantik u. Moderne, = Studien 
zur Mg. d. 1 9. Jh. II, Regensburg 1 965 ; Beitr. zur Gesch. d. 
M., hrsg. v. H. Becker, ebenda V, 1 966. HHS 

Musikpsychologie ist eine nach unsystematischenVor- 
laufern 1931 von E. Kurth begriindeteeigeneDisziplin, 
in der die Tonpsychologie (jetzt -*■ Hor- oder Genor- 
psychologie genannt) fortgefuhrt wird unter dem kul- 
turpsychologischen Aspekt der Analyse der objektiv- 
geistigen Struktur »Musik« und ihrer Auffassung, Nach- 
gestaltung und Neuschopfung wie auch der Musikalitat 
(-> Begabung), die in alledem vorausgesetzt ist. Nach 
Kurth bildet die Ton-(oder Gehor-)Psychologie den 
Unterbau einer M. von der analytischen Seite her durch 
isolierende Einzelbetrachtung ihrer Voraussetzungen. 
Gehorpsychologie ist mehr auf das Sinnesgebiet der Musik 
als aufdiese selbst gerichtet, greift in die Physiologie und 
in die physikalische Akustik uber, will neben Analyse 
und Vergleich stets auch auf die Ursachen oder Korrelate 
zuriickleiten (dies in der heute so genannten Psycho- 
akustik). Das Gebiet der M. im eigentlichen Sinne wird 
f olglich durch AusschlieBung danach bestimmt, was die 
Gehorpsychologie UbriglaBt, d. h. was sich dieser, als 
einer schlichten Sinnespsychologie, entzieht. Nach der 
entgegengesetzten Richtung hin - gewissermaBen nach 
oben - hebt sich die M. von der Musikasthetik ab, die 
gleichwohl von ihr wissenschaf tlich f undiert wird. Nach 
Kurth wird der Musikasthetik die Behandlung des 
Kunstwerks als solchem und seiner »Inhalte«, vor allem 
natiirlich die Wertung (Musikkritik), dann aber auch die 
Psychologie des musikalischen Schaffens und die Frage 
der gefiihlsauslosenden Wirkung der Musik vorbehal- 
ten. Letzteres hat sich schon aus rein definitorischen 
Griinden nicht durchgesetzt. Gerade die Gefiihls- und 
Ausdruckswirkung der Musik als eine Spezialfrage der 
allgemeinen Gefuhlspsychologie und die Psychologie 
des Schaffensvorgangs werden in der M. als zwei ihrer 
Kernf ragen behandelt und moglichst nach ihrer Klarung 
auf Grund psy chologischer Kriterien an die Musikasthe- 
tik vermittelt. Aber auch die Musiksoziologie ist eine 
von der M. teils begriindete, teils ihr nebengeordnete 
Sonderdisziplin, zumal als Sozialpsychologie der Musik, 
die vor allem die Frage nach der Stil- und Geschmacks- 
entstehung stellt wie auch nach der Rezeption von Mu- 
sik. Fiir die historische Musikwissenschaft ist die M. nur 
im hier definierten engeren Sinne unmittelbar von Be- 
deutung, die Ton- oder Gehorpsychologie nur auf dem 
Umwege iiber diese, d. h. soweit sie als Voraussetzungs- 
disziplin in die eigentliche M. eingeht. 
In Kurths M. wird mit physikalischen Analogien ope- 
riert. Er unterscheidet am Tonmaterial »Kraft, Raum, 
Materie« und untersucht die Erscheinungsformen der 
»Klangmaterie« und des »Bewegungsablaufs«. In einer 
Theorie des musikalischen Raumes unterscheidet er ton- 
psychologischen von musikpsychologischem Raum, 
ersteren als mehr oder minder klar dimensioniert, letz- 
teren als einen »Gefiihlsraum« von komplexer, nicht 
nachmeBbarer, anmutungshaf ter Erlebnisqualitat. Die- 
ser Ansatz wurde von Wellek auf die Dimension der 
musikalischen Zeit iibertragen. »Gelebte Zeit« ist nicht 
chronometrisch meBbar, und Symmetrie der Metrik ist 
nicht identisch mit gleichen Taktzahlen (wie auch schon 
Kurth gefunden hat). Schon der Einzelton oder -klang 
ist musikpsychologisch gesehen reichhaltiger als gehor- 
psychologisch. Durch seine Stellung im erlebten Musik- 
system wachsen ihm qualitative Dimensioncn zu, vor 
allem die der ->■ Tonigkeit, die ihm rein als einem »Ein- 
zelphanomen fiir das Ohr« nicht zukamen. Aus der 
qualitativen Mehrseitigkeit der sogenannten -*■ Ton- 



39 



609 



Musikpsychologie 



hohe erwachsen mehrseitige qualitative Aspekte der 
Tonzwei- und -mehrheiten, zunachst einerseits unter 
dem »linearen« Aspekt der Hohe im Wortsinne und der 
Helligkeit, andererseits unter dem »zyklischen« der To- 
nigkeit. An der Melodie (der sukzessiven Tonmehrheit) 
stellt sich das erstere als Profil oder Relief, das letztere als 
Melodiefarbe und Meloscharakter dar, z. B. stufig oder 
sprunghaf t im Profil, stimmig in der Farbe bei Kantilene 
(sangbar), sperrig bei Wagnerschem Sprechgesang (un- 
sangbar). 

Entsprechendes gilt fur die Akkordfolge, zunachst den 
»Akkordschritt«. Dieser zeigt »linear« (der Hohe und 
Helligkeit nach) GroBe und Richtung nebst Stimmbe- 
wegung, »zyklisch« (den Tonigkeiten nach) Akkord- 
schrittfarbe und Harmoniecharakter, »stimmig« bei 
»Riickung« (ohne harmonischen Funktionswechsel) 
oder bei SchluB, »unstimmig« bis »sperrig« bei Altera- 
tionen und harmonischen Spriingen. Das harmonische 
und auch das kontrapunktische Horen, wie uberhaupt 
das Musikhoren, ist Zeitgestaltung und als solche als ein 
bestandiges Vorweggestalten und Ganz-Setzen von 
Teilganzen zu verstehen. Es wird in seiner deutenden 
Tatigkeit bei der Vieldeutigkeit musikalischer Zusam- 
menhange nur moglich dadurch, daB ein »Gesetz der 
Parsimonie«, ein Okonomieprinzip (hier : der einf ach- 
sten Deutung), waltet. Etwa im System der temperier- 
ten Stimmung, das enharmonisch verschiedene Tone 
nicht tatsachlich in ihrer Frequenz unterscheidet, gleich- 
wohl aber harmonisch wie melodisch mit diesen Unter- 
schieden genau so arbeitet wie jede reingestimmte Mu- 
sik, gilt, daB stets die einf achere, naherliegende Deutung 
als das Gegebene hinzunehmen ist, solange der Horer 
nicht gezwungen ist, da von abzugehen. Der Harmonie- 
charakter der einzelnen Akkordschritte erhalt ein neues 
Gesicht vom Ganzen her, in das er sich einfiigt. So er- 
klaren sich Scheinkonsonanz und -v Auffassungsdisso- 
nanz im Sinne von Riemann, d, h, die Tatsache, daB ein 
in sich konsonanter Akkord (Dreiklang) im Zusammen- 
hang den Charakter des Unstabilen, Nichtendgiiltigen, 
Auflosungsbediirftigen annehmen kann. Im Zusam- 
menbauen mehrerer »Satze« zu groBeren musikalischen 
Formgebilden stellen sich jeweils weitere, immer kom- 
plexere Gesamtqualitaten ein, abermals mit Stimmig- 
keits- und Unstimmigkeitscharakter, je nach Art und 
Grad der angewandten Kontrastwirkungen. Im kon- 
kreten Musikhoren nimmt der ProzeB von hier seinen 
Ausgang, verlauft von »oben« herab. Zunachst und im- 
mer sind die »hochsten« der Ganzqualitaten als werdend 
begriffen in ihrer f ortschreitenden »Aktualgenese« ; und 
was sich an ihnen an Teilkomplexqualitaten mehr oder 
minder abgehoben herausstellt, hangt jeweils sehr weit 
vonEinstellung, Typ, Schulung usw., also vom »Struk- 
turellen«, im Horer ab. Die ubergreifenden Komplex- 
qualitaten groBerer musikalischer Zusammenhange 
saugen die der Glieder in sich auf . Im allgemeinen wird 
gelten, daB die musikalisch belangvollsten Qualitaten 
der Glieder, wie z. B. die Sonanz desEinzelakkords, sich 
am weitesten »als solche« erhalten werden, wenn auch 
natiirlich nie imbeeinfluBt von den ubergreifenden 
Ganzqualitaten. Besonders auch sind es Rhythmus, 
Tempo, Akzente, die fur das Heraustreten solcher Ein- 
zelzugejeweilsbestimmendsind: Bedingungen, die der 
Komponist, wo es ihm an solchen Einzelziigen liegt, 
stets sorgfaltig in Rechnung stellt. So hangen denn auch 
die Gefuhlswirkungen und, aus ihnen wachsend, die 
komplexen Raumwirkungen von Musik, uberhaupt 
alles Physiognomische an ihr, wesentlich an den uber- 
greifenden Ganzen. 

Am Rhythmischen ist Tempo und Takt (Agogik) von 
der eigentlichen rhythmischen Erf iillung zu unterschei- 
den. Temposteigerungen entsprechen im Klanglichen 



einer Zunahme an Helligkeit, gekreuzte Rhythmen ein- 
fachen Konsonanzen und Dissonanzen. Zum eigentlich 
Rhythmischen haben Menschen von verschiedenem 
motorischem Typ oder Bewegungstyp ein unterschied- 
liches Verhaltnis, wie E. Sievers und G. Becking zuerst 
gef unden haben (-> Typologie) . Desgleichen ist das Ver- 
haltnis zum Klangmaterial, nach den Befunden von 
Wellek, typologisch gebunden : beim »linearen« Musi- 
kalitatstyp durch eine vorwiegende Orientierung an den 
»linearen« Ton- und Klangeigenschaften, beim »pola- 
ren« oder »zyklischen« durch vorwiegende Orientierung 
an den »zyklischen«. Dem linearen Typ gemaB ist das 
»lineare«, kontrapunktische Denken und Musizieren, 
dem »polaren« oder »zyklischen« das harmonisch-klang- 
farbliche. Ersterer Typ ist, wie Wellek fand, iiberwie- 
gend in Norddeutschland, letzterer in Siiddeutschland 
einschlieBlich Osterreich beheimatet. Dem entspricht, 
daB historisch die Wiege der polyphonen Musik im 
Norden, die der homophonen im Siiden Europas zu 
suchen ist. Auch bestimmte Ziige im Musikschaff en ein- 
zelner zumal romantischer Meister lassen sich aus ihrer 
Neigung zu einem der beiden Musikalitatstypen ver- 
stehen (nicht : »erklaren«), z. B. auch (technisch) das not- 
gedrungene Komponieren am Klavier beim extrem 
Zyklischen. Die Auffassung, daB Musikalitat uberhaupt 
und grundsatzlich ein Merkmal eines bestimmten Per- 
sonlichkeitstyps sei, muB hiernach als widerlegt ange- 
sehen werden. Ein weiterer, besonderer Typ des Musik- 
horens ist durch seine Eigenart f iir die Entstehung von 
-> Tonmalerei und ->■ Programmusik von Bedeutung. 
Es ist dies der Synasthetiker oder (spezieller) der Far- 
benhorer (->• Farbenhoren) , der nicht nur einzelne Tone 
mit einzelnen Farben, sondern ebensowohl ganze Mu- 
sikstiicke mit ganzen vor Augen gesehenen Gemalden 
verbinden kann (Bilderhoren) und zurEntwicklung ei- 
ner -»• Farbenmusik als eines optischen Aquiyalents f iir 
Musik oder auch als einer optisch-akustischen Kunstsyn- 
these tendiert. Ein Problem der M. ist auch die -*■ Mu- 
siktherapie, die neuerdings in der zumal nach C. G.Jung 
ausgerichteten Psychotherapie eifrige Vorkampfer ge- 
funden hat. Die durchaus glaubhaften Erfolge einer 
Musiktherapie sind indes vermutlich groBenteils nicht 
spezifisch, d. h. sie konnten durch andere Mittel der 
Konzentration, Beruhigung und Entspannung ebenso 
gut erreicht werden, z. B. durch andere asthetische An- 
gebote wie Farben und Gemalde. Dies spricht zwar nicht 
grundsatzlich gegen den pragmatischen Wert einer ge- 
zielten Musiktherapie, nimmt ihr aber doch den Eigen- 
charakter und laBt das ganze Thema f raglich erscheinen. 
Lit. : M. Pilo, Psicologia mus., Mailand 1903, deutsch Lpz. 
1906; G. Becking, Der mus. Rhythmus als Erkenntnis- 
quelle, Augsburg 1928, Nachdruck Stuttgart 1958; E. 
Kurth, M., Bin 1930, Bern 21947; R. Wallaschek, Psy- 
chologische Aesthetik, hrsg. v. O. Katann, Wien 1930; R. 
Muller-Freienfels, Psychologie d. Musik, Bin 1 936 ; J. S. 
Mursell, Psychology of Music, NY 1937 ; C. E. Seashore, 
Psychology of Music, NY 21938 ; M. Schoen, The Psycho- 
logy of Music, NY 1940; G. Revesz, Inleiding tot de mu- 
ziekpsychologie, Amsterdam 1944, 2 1946, deutsch Bern 
1946, engl. London u. NY 1953, ital. Florenz 1954; J. 
Handschin, Der Toncharakter. Eine Einfiihrung in d. 
Tonpsychologie, Zurich (1948); E. Roiha, Johdatus mu- 
siikkipsykologiaan, Jyvaskyla 1949; R. W. Lundin, An Ob- 
jective Psychology of Music, NY 1953; R. Frances, La 
perception de la musique, Paris 1958; A. Wellek, M. u. 
Musikasthetik. GrundriB d. systematischen Mw., Ffm. 
1963; J. Guilhot (mit J. Jpst u. M. A. Guilhot), Musique, 
psychologie et psychotherapie, Paris (1964). AW 

Musiksoziologie -> Soziologie. 

Musiktheater erf aBt besser als die uberkommeiie Gat- 
tungsbezeichnung -*■ Oper die Vielgestalt aller Verbin- 
dungen von Wort, Szene und Musik im 20. Jh. und wird 



610 



Musiktheater 



von manchen als iibergeordnete Bezeichnung f iir solche 
Verbindungen iiberhaupt verstanden. Der Begriff, in 
Deutschland bereits seit mehreren Jahrzehnten iiblich, 
wird auch solchen Werken gerecht, die von den Kom- 
ponisten zwar noch als Opern bezeichnet werden, es im 
geschichtlichen Sinne aber nicht mehr sind. Er schlieBt 
in sich echte Opern wie Bergs Wozzeck (1917-21, ur- 
aufgefiihrt 1925), Dallapiccolas Volo di notte (1940) und 
Henzes Prinz von Homburg (1960), aber auch episches 
Theater wie Strawinskys Histoire du soldat (1918), 
Brecht-Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 
(1930) und Claudel-MilhaudsC/imtop/ie Co/om& (1930), 
vertontes Schauspiel wie Milhauds Orestie (1913-22, 
Urauffiihrung des Gesamtwerkes erst 1963) und Orffs 
Antigonae ( 1 949) , aber auch Funk- und Femsehopern wie 
BlachersF/wf (1947), Henzes Landarzt (1. Fassung 1951), 
Menottis Amahl and the Night Visitors (1951) und Stra- 
winskys Flood (1963), Mischungen aus Oper und Orato- 
rium wie Strawinskys Oedipus rex (szenische Urauffiih- 
rung 1928) und Honegger-Claudels/eanne d'Arc au bu- 
cher (1938), aber auch aus Oper und Ballett wie Blachers 
Preuflisches Marchen (1950) und Henzes Boulevard Soli- 
tude (1952), Schulopern wie Hindemiths Wir bauen eine 
Stadt (1930) und-> Lehrstucke wie Weilhjasager (1930), 
aber auch absurdes Theater wie Stockhausens Originale 
(1961) und Kagels Sur Scene (1963). Bis in die 30er Jahre 
des 20. Jh. ist iiberall da, wo modernes M. aufkam, ein 
Unbehagen an den um 1900 herrschenden Opern typen 
zu spiiren, das sich oft zum Protest gegen die Oper als 
Gattung steigerte. Bei der Auseinandersetzung um die 
Allgemeinverbindlichkeit und Lebensfahigkeit der 
Oper ging es nicht allein um die Musik und um deren 
Verhaltnis zum Text, sondern ebenso um die Wahl der 
Stoffe, ihre sprachliche wie szenische Realisation. Doch 
wurde die Rolle der Musik zunachst entscheidend auf- 
gewertet. In der spatromantischen nachwagnerschen 
wie in der veristischen Oper hatte ihre Auf gabe oft bloB 
noch darin bestanden, das nachzuzeichnen, was explizit 
oder implizit bereits im Text angelegt war. 
1909 entstand Schonbergs Erwartung (1924 uraufge- 
f iihrt) ; das Werk gehort seiner mittleren Schaffenspe- 
riode an. Deren aphoristischer Stil, in diesem zum M. 
ausgeweiteten Monodrama angewendet, gibt der Mu- 
sik eine eigene Bedeutung und ermoglicht zugleich, den 
seelischenEmotionen mit der Genauigkeit eines Seismo- 
graphen zu folgen (Adorno). In seinem anderen ex- 
pressionistischen Einakter, dem »Drama mit Musik« 
Diegiiickliche Hand (1910-13, uraufgefuhrt 1924), treten 
genau vorgeschriebene Beleuchtungseff ekte und panto- 
mimische Darstellung gleichberechtigt neben die weni- 
gen, teils gesungenen, teils gesprochenen Worte. Stra- 
winskys Histoire du soldat wird gelesen, gespielt und ge- 
tanzt, jedoch nicht gesungen. Die Befreiung des Dar- 
stellers von der Musik starkt - wenn auch anders als bei 
Schonberg - die Autonomic der Musik, die, in knappe 
geschlossene Nummern gegliedert, auch konzertant 
auf f iihrbar ist. Ihre kleine Besetzung, ein Ensemble von 
nur 7 Musikern, markiert schon auBerlich die Distanz 
zur Oper. Zweifel an den als verbraucht empfundenen 
WirkungenderpsychologisierendenszenischenBegleit- 
musik des Musikdramas spricht auch aus Busonis Doktor 
Faust (1914-24, uraufgefuhrt 1925), worin entscheiden- 
den Szenen instrumentale Formen zugrunde liegen. Der 
hier eingeschlagene Weg fand seine Fortsetzung im 
Biihnenschaffen Hindemiths, vor allem in dessen Car- 
dillac (1. Fassung 1926), dem Prototyp der »Musizier- 
oper« (Stuckenschmidt) mit ihrer Spaltung von Text 
bzw. Handlung und Musik (z. B. die nur von einem 
konzertanten Flotenduett begleitete Liebesszene am En- 
de des 1 . Aktes) . Mit Busonis Verf ahren verwandt , wenn 
auch von ihm unbeeinfluBt, ist Bergs Kompositions- 



weise im Wozzeck. Das Werk, eine echte Oper, ist 
gleichzeitig von instrumentalen Formen her kompo- 
niert; so sind die 5 Szenen des 2. Aktes eine Sympho- 
nic in 5 Satzen. Mit der Wahl eines bedeutenden lite- 
rarischen Werkes als Libretto beschritt Berg einen 
Weg, den vor ihm schon Debussy und Strauss gegan- 
gen waren. Von der revolutionaren Dramaturgic W. 
Meyerholds beeinfluBt ist Ljubow k trem apelsinam 
(»Die Liebe zu den drei Orangen«, nach Gozzi, 1921) 
von Prokofjew. Mit diesem Werk, aber auch mit Stra- 
winskys Mavra (1922) und spater mit Nos (»Die Nase«, 
1930) von Schostakowitsch trat die Groteske in die 
Musikkomodie. 

Tendenzen zur Entromantisierung und zur Aktualisie- 
rung der Stoffe fiihrten in den 20er Jahren zur »Zeit- 
oper« (Stuckenschmidt) ; z. B.Jonny spielt auf (1927) von 
Kfenek oder Neues vom Tage (1929) von Hindemith. 
Durch die Zusammenarbeit Weills mit Brecht erfuhr 
die Zeitoper ihre sozialkritisch aggressi vste Ausf ormung 
(Dreigroschenoper, 1928 ; Aufstieg und Fall der Stadt Maha- 
gonny, 1930). Das asthetische Ideal der »neuen Sachlich- 
keit« bewirkte musikalische Vereinfachung. Elemente 
des Jazz und der Vulgarmusik drangen ins M. ein. Dabei 
gelang Weill ein neuer Vokalstil (»Songstil«), der mehr 
des singenden Schauspielers als des S angers bedarf . Nicht 
zuletzt in den Buhnenwerken P. Dessaus (Das Verhor des 
Lukullus, 1949) wirkte er bis in die Jahrhundertmitte 
nach. Milhauds verkiirzte dramatische Formen gegen 
Ende der 20er Jahre (z. B. V enlevement d'Europe, 1927) - 
er gebraucht daf iir den Begriff »opera-minute« - lassen 
sich nicht mit den seit Anf ang des 20. Jh. so zahlreichen 
Einaktern z. B. von Schonberg, Bartok (Herzog Blau- 
bartsBurg, 1911), Hindemith (Nusch-Nuschi, 1921) oder 
Kfenek (Der Diktator, 1928), aber auch von R.Strauss 
und Puccini auf einen Nenner bringen. Sie sind vielmehr 
Zeugnisse f iir die Behandlungs weise antiker Stoffe durch 
die Groupe des Six und deren Wortfiihrer J.Cocteau; 
hierher gehort auch Honegger-Cocteaus Antigone 
(1927), ein Versuch, de photographier la Grece en aero- 
plane (Cocteau). Aus der gleichen geistigen Umgebung 
stammt Strawinskys Opernoratorium Oedipus rex. 
Der lateinisch gesungene Text (Cocteau und J.Da- 
nielou), der auf Sophokles' Drama aufbaut, wird vor 
jeder Szene durch einen Sprecher erlautert, damit sich 
der Horer allein auf die Musik konzentriere. Diese, 
neoklassizistisch gebunden wie in Milhauds Kurzopern, 
hatjedoch einen ausgesprochen archaisierenden Grund- 
ton, den das Statuarische der Szene unterstreicht. Er 
wirkt in Strawinskys Persephone (1934, Text von A. 
Gide)i einer Mischung aus Melodram, Oratorium, 
Pantomime und Oper, ja noch in seiner spaten, 12toni- 
gen Fernsehoper The Flood weiter. Dagegen kniipft 
Kfeneks Aktualisierung der Orestie (Leben des Orest, 
1930) - in Gestalt einer groBen Oper - musikalisch an 
Neuromantik und Jazz an. Als christliches Gegenstiick 
zu Brecht-Weills epischem M. mag Christophe Colomb 
von Claudel und Milhaud gelten. Der menrschichtig 
ablaufenden Handlung (mitErzahler, einer zum Teil in 
mehrere Personen aufgespaltenen Titelfigur und filmi- 
schen Einblendungen) sekundiert eine polytonale Mu- 
sik, die Einf aches mit Kompliziertem mischt und Melo- 
dram, Rezitativ, Arie, oratorische Chore und Ballett- 
pantomime vereinigt. Nach 1930 verebbte die Flut ex- 
perimenteller Werke des M.s. Mathis der Maler (entstan- 
den 1 934-35) , im Schaff en Hindemiths der Wendepunkt 
zu einem gemaBigteren musikalischen Stil, tendiert zur 
Bekenntnisoper, wie sie Pfitzner im Palestrina schuf. 
Kfeneks Buch zu seinem ersten 12tonigen Biihnenwerk 
Karl V. (komponiert 1930-33) erinnert in mancher Hin- 
sicht an Claudels Christophe Colomb. Die klanglich 
auBerordentlich harte Musik scheint jedoch der Tradi- 



39* 



611 



Musiktheater 



tion der symphonischen Oper verpflichtet. G. Fr. Ma- 
lipieros Versuchen, die italienische Musikbiihne durch 
Riickbesinnung auf die italienische Oper vor allem des 
17. Jh. (Monteverdi) dem Bannkreis Verdis und Pucci- 
nis zu entziehen (u. a. Lafavola delfiglio cambiato, nach 
Pirandello, 1933), blieb der Erfolg versagt. Honeggers 
Jeanne a" Arc au bucher, ein szenisches Oratorium, ver- 
zichtet zwar im Unterschied zu Strawinskys Oedipus 
auf die Arie, gibt sich aber im ganzen volkstiimlicher. 
Mit Porgy and Bess (1935) gelang Gershwin eine Wieder- 
belebung der Volksoper aus der amerikanischen Neger- 
folklore. 

Die politische Situation der 30er Jahre in Mitteleuropa 
wie in RuBland, von dem nach 1917 entscheidende Im- 
pulse zur Emeuerung des Theaters ausgegangen waren 
(Meyerhold), war einer kontinuierlichen Entwicklung 
des modernen M.s nicht giinstig. Mathis und Karl V. 
konnten nur auBerhalb Deutschlands und Osterreichs 
zur Urauffiihrung gelangen (1938 in Zurich bzw. in 
Prag), ebenso Bergs als Torso hinterlassene Lulu (Zu- 
rich 1937). DieerzwungeneEmigration hinderte Schon- 
berg an der Beendigung seines umfangreichsten Biih- 
nenwerkes, der (symphonischen) Oper Moses und Ann. 
Schostakowitschs Oper Lady Macbeth Mzenskowo ujesda 
(»Lady Macbeth des Mzensker Kreises«, 1934) erfolg- 
reich in Leningrad uraufgefuhrt, wurde 1936 in der 
Sowjetunion zwangsweise vom Spielplan abgesetzt und 
durfte erst 1963 in einer veranderten Fassung unter dem 
Titel Katerina Ismailowa wieder erscheinen. In Deutsch- 
land gelang es W.Egk (Peer Gynt, 1938), H. Reutter (Dr. 
Johannes Faust, 1936) und R.Wagner-Regeny (Der 
Giinstling, 1935), sich trotz Verwendung gemaBigt mo- 
derner Mittel der kiinstlerischen Gleichschaltung im 
Dritten Reich zu entziehen und ein eigenes Profil zu be- 
wahren. In der inneren Emigration entstand K. A. Hart- 
manns musikalisch sehr personlicher Beitrag zum epi- 
schen M., Simplicius Simplicissimus (1934, Urauffiihrung 
erst 1949). Zur kulturellen Generallinie der Hitler-Zeit 
in Opposition stand auch C. Orff , dessen CarminaBurana 
1937 uraufgefuhrt wurden. Das gesamte dramatische 
CEuvre Orffs - Marchen wie Die Kluge (1943), bairi- 
sches Welttheater wie Die Bernauerin (1947), Astutuli 
(1953) oder das Osterspiel Comoedia de Christi Resurrec- 
tione (1957), antike Tragodien wie Antigonae (1949) und 
Oedipus der Tyrann (1959) sowie die 1953 mit den Car- 
mina Burana zu einem Tritticco teatrale vereinigten Ca- 
tulli Carmina (1943) und Trionfo di Afrodite (1953) - halt 
weitesten Abstand zur Oper. Mit der immer wieder be- 
tonten Nahe zum epischen M. der 20er Jahre durfte der 
besondere Standort des Orffschen M.s allerdings nicht 
hinreichend bestimmt sein. Auch der Hinweis auf die 
uniiberhorbaren Anklange der musikalischen »Arche- 
typen« Orffs an Strawinsky (besonders an LesNoces) be- 
sagt wenig. Orffs dramatische Konzeption zielt viel- 
mehr auf die Unterordnung aller am Biihnenwerk be- 
teiligten Kiinste - also auch der Musik - unter den Pri- 
mat des Theatralischen. 

Die Weiterentwicklung des M.s nach dem 2. Weltkrieg 
ist dadurch gekennzeichnet, daB viele Komponisten 
wieder zur Oper zuriickstreben. Jedoch beziehen sie die 
durch die Reform werke der 1. Jahrhunderthalfte ge- 
schaffenen neuen musikalischen wie dramaturgischen 
Mittel mit ein. So werden nach dem Vorbild Bergs oft 
ganze Szenen auf Instrumentalformen aufgebaut, z. B. 
die aus drei Ricercari bestehende 3. Szene des Einakters 
II Prigioniero (1950) von Dallapiccola. Auffallig ist je- 
doch, daB sich gerade das Streben zuriick zur Oper so 
gern mit der Neigung verbindet, die verschiedensten 
musikalischen Stile miteinander zu vermischen. Die mu- 
sikalischen Stilmerkmale der Opern Brittens - u. a. Peter 
Grimes (1945), The Rape ofLucretia (1946), Albert Herring 



(1947), The Turn of the Screw (1954) - verweisen auf den 
italienischen Verismo, auf Mahler und Berg, Debussy 
und Strawinsky. Auch Henze schreibt nach experimen- 
tellen Anfangen (die »Oper f iir Schauspieler« Das Wun- 
dertheater, 1 . Fassung 1949, und Funkopern) , die er spater 
der Oper wieder annaherte, nur noch Opern, z. B. Konig 
Hirsch (1. Fassung 1956, 2. Fassung 1958, gekiirzt als: 
II Re Cervo oder die Irrfahrten der Wahrheit, 1963), Elegie 
fur junge Liebende (1961), Der junge Lord (1965) und Die 
Bassariden (1966). Ihr stilistischer Rahmen reicht von 
Puccini und Strauss bis zur Seriellen Musik. Doch ge- 
lang es Henze wie Britten, die heterogensten Stilele- 
mente zu einer Einheit zu verschmelzen. Strawinsky 
beschwort in seiner Oper The Rake's Progress (1951) 
Opernstile vor allem des italienischen 18. und friihen 
19. Jh. Sich scheinbar polemisch gegen alle (auch seine 
eigenen) experimentellen Biihnenwerke der 20er Jahre 
stellend, spielt jedoch der Meister hier mit ungeglaub- 
ten Konventionen (Adorno). Tatsachlich wirken, wie 
das Beispiel Menottis lehrt (Der Konsul, 1950), Wie- 
deranknupfungsversuche an iiberkommene Opernty- 
pen problematisch, wenn sie das Gefiihl fur historische 
Distanz vermissen lassen. Andererseits wenden sich 
die vielen Komponisten, die heute fur die Musikbiih- 
ne schreiben, an ein Publikum, das auf die klassischen 
Werke der Operngattung von Mozart bis Strauss und 
Puccini eingeschworen ist. Einer gewissen Drastik der 
Wirkungen, wie sie der Oper eigen ist, kann daher 
auch das moderne M. nicht entraten, soil es beim 
Publikum Erfolg haben. Dies gilt selbst fur die dem 
epischen Theater nahestehende -> Funkoper. Es zeigt 
sich aber vor allem an der fiir das gesamte 20. Jh. so 
typischen Tendenz zur Literarisierung der Libretti. Hier 
besteht die Gefahr, entweder das literarische Werk, das 
man fiir das M. adaptiert, zu verfalschen oder aber die 
Musik zugunsten der Dichtung zu vernachlassigen. An- 
scheinend hindert diese Gefahr die Komponisten nicht 
daran, sich ihr immer wieder auszusetzen. So entstanden 
»Dramenopern« nach Biichner (G. v. Einem, Dantons 
Tod, 1947), Gogol (Egk, Der Revisor, 1957), G. Kaiser 
(Blacher, Rosamunde Floris, 1960), Kleist (Henze, Der 
Prinz von Homburg, 1960), Lenz (B.A.Zimmermann, 
Die Soldaten, 1965), Lorca (Fortner, Die Bluthochzeit, 
1957), Schiller (Klebe, Die Rduber, 1957), Shakespeare 
(Sutermeister, Romeo und Julia, 1940, und Frank Martin, 
Der Sturm, 1956). Vielfach ist es der Mangel an fahigen 
Librettisten - H. Strobel gehort zu den Ausnahmen -, 
der die Komponisten dazu zwingt, sich an bewahrte 
Dramen der Weltliteratur zu halten. Nur wenige (Hin- 
demith, Kfenek, Egk und Orff) wagen es, Textbiicher 
selbst zu verf assen. Auch findet sich - abgesehen von W. 
H. Auden (mitE. Ch. Kallman), der fiir Strawinsky und 
Henze, I. Bachmann, die fiir Henze, H. v. Cramer, der 
fiir Henze und Blacher schreibt - nach Brecht und Clau- 
del selten ein Dichter, der dazu bereit ist, mit einem 
Komponisten zusammenzuarbeiten. Vielleicht ist die - 
im Unterschied zur »Zeitoper« der 20er Jahre - auff allige 
Abkehr des M.s der Jahrhundertmitte von aktuellen 
Stoffen damit zu erklaren. Leonore 40/45 von Lieber- 
mann und Strobel (1952), Aniara von K.B.Blomdahl 
(1959) und Intolleranza von Nono (1961) bestatigen als 
Ausnahmen die Regel. Dafiir entwickelt sich seit 1960 
ein musikalischer Seitenzweig des absurden Theaters, 
z. B.: J. Cage (Theatre Piece, 1960), M.Kagel (Tremens, 
1966), P.Schat (Labyrinth, 1966), H.Pousseur und M. 
Butor (Votre Faust, 1967). 

Lit. : Th. W. Adorno, Philosophie d. neuen Musik, Tubin- 
gen 1949, Ffm. 21958; ders., Burgerliche Oper, in: Klang- 
figuren, =Mus. Schriften I, Ffm. 1959; ders., Oper, in: 
Einleitung in d. Musiksoziologie, Ffm. 1962; Oper im 20. 
Jh., = Musik d. Zeit VI, hrsg. v. H. Lindlar, Bonn (1954) ; 



612 



Musiktherapie 



B. Britten, Das Opernwerk, ebenda XI, (1955); B. Brechts 
Dreigroschenbuch, Ffm. 1960; Lebt d. Oper?, = Musik d. 
Zeit, hrsg. v. H. Lindlar u. R. Schubert, N. F. Ill, Bonn 
(1960); R. Schubert, Strawinsky u. d. mus. Theater, in: 
I. Strawinsky. Eine Sendereihe d. WDR zum 80. Geburts- 
tag, hrsg. v. O. Tomek, Koln 1963 ; K. Stockhausen, Ori- 
ginate, mus. Theater, in: Texte II, Koln (1964); H. H. 
Stuckenschmidt, Oper in dieser Zeit, Velber b. Hannover 
1964; Die moderne Oper: Autoren, Theater, Publikum 
(Round Table), in : Kgr.-Ber. Salzburg 1 964 ; W. Panofsky, 
Protest in d. Oper, Miinchen 1966. ESe 

Musiktheorie -> Theorie der Musik. 
Musiktherapie (engl. music therapy) wurde in den 
letzten Jahrzehnten in Zusammenarbeit von praktischen 
Arzten, Physiologen, Psychologen, Heilpadagogen, 
Musikern und Musik- bzw. Beschaftigungstherapeuten 
als eine eigenstandige medizinisch-psychologische The- 
rapieform (auch im Hinblick auf einen medizinischen 
Gesamtbehandlungsplan) entwickelt. Die in Deutsch- 
land und zahlreichen anderen (auch ost-)europaischen 
Staaten und in den USA gewonnenen Erfahrungen ha- 
ben die kathartische, ordnende und aktivierende Wir- 
kung der M. bestatigt. Experimentelle Untersuchungen 
erwiesen den EinfluB der Musik auf vegetative Ablauf e 
wie Blutdruck, Pulsschlag, Atmung und Muskelspan- 
nung. Fur die Ausubung der M. gibt es jedoch noch 
keine einheitlichen Richtlinien, da die M. sich noch 
im Stadium wissenschaftlicher Erprobung befindet 
(-»■ Musikpsychologie) . - »Behandelt « werden vor allem 
Gemiits- und Geisteskranke, zerebral geschadigte, gei- 
stig zuriickgebliebene, bewegungsbehinderte, blinde 
oder gehorlose (vgl. Katz und Revesz 1926) Kinder 
in Nervenheilanstalten, Krankenhausern, Privatpraxen 
oder Sonderschulen. Bei der aktiven M. gestalten die 
Patienten unter Leitung einer Fachkraft Melodie und 
Rhythmus selber (Orffsches Instrumentarium, Streich-, 
Zupfinstrumente, Handglocken), bei der passiven M. 
horen sie Musikaufnahmen (vorwiegend Bach, Haydn, 
Mozart, auch Programmusik wie Smetanas »Moldau«, 
keinesfalls dynamisch ausgepragte, emotionell-roman- 
tische Werke, moderne Musik oder Jazz). Aufierdem 
kann M. in Verbindung mit (tanzerischer) Gruppen- 
gymnastik, Schlaftherapie, autogenem Training oder 
Hypnose angewandt werden. In den USA hat die M. 
seit langerer Zeit nennenswerte Erf olge zu verzeichnen. 
An der Wiener Akademie fiir Musik und darstellende 
Kunst wird M. seit 1959 gelehrt und gleichzeitig in Spi- 
talern und Krankenhausern ausgeiibt. 
Nach einem unter den Naturvolkern verbreiteten Glau- 
ben werden Krankheiten durch Damonen oder bose 
Geister erregt. Diese zu vertreiben und den Kranken 
durch Reinheits- und Suhnevorschrif ten bzw. -riten ih- 
rem verderblichen EinfluB zu entziehen, ist seit jeher 
Auf gabe der Zauberpriester, Medizinmanner und Be- 
schworer. Gesang und Tanz spielen dabei allgemein 
eine wesentliche Rolle, vor allem aber der Rhythmus. 
In den alten Kulturen hielten sich, selbst lange nach dem 
Aufkommen des Gotterglaubens, Uberreste primitiver 
Heilpraktiken. In Griechenland hingen sie aufs engste 
mit dem umf assenden Phanomen der Kathartik zusam- 
men (Rohde 1894). Eine verbreitete Praxis war die mit 
singender Stimme vorgenommene »Besprechung« 
(JraxoiSr), incj>8i)), durch die u. a. Still ung desBlutes (Ho- 
mer, Odyssee XIX, 457f.), Heilung vonEpilepsie (Hip- 
pokrates, De morbo sacro 352ff., hier allerdings als Aber- 
glaube hingestellt), auch Erleichterung bei der Entbin- 
dung (Platon, Theatet 149d) erzielt werden sollte. Den 
vom Korybantiasmus, einer Art des religiosen Wahn- 
sinns, Besessenen wurde statt der bloB in ihrer Einbil- 
dung existierenden Aulosweisen (Platon, Kriton 54d) 
anscheinend eine bestimmte Weise (Platon, Symposion 
215c-e) in der Absicht vorgespielt, ihre Tanzwut anzu- 



stacheln und sie durch Entladung der Affekte zu heilen 
(Platon, »Gesetze« 790f ., Aristoteles, Politeia 1342a) ; ei- 
ne Parallele zum antiken Korybantiasmus scheint der seit 
dem Mittelalter in Siiditalien auftretende Tarantismus 
(-»■ Tarantella) zu sein. Bei den Pythagoreern verband 
sich die kathartische Auffassung von der Musike mit 
der therapeutischen (Iamblichos, Vita Pythagorica 64ff., 
llOff.). Aus dem Alten Testament ist die Heilung Sauls 
durch Davids Saitenspiel zu nennen (1. Sam. 16, 14ff.). 
In der Neuzeit ist die heilende Wirkung der Musik auf 
Kranke nicht unbeachtet geblieben. A. Kircher schreibt 
(1673, deutsch 1684) : Die Musik offnet die Luftlocher des 
Korpers, aus denendie bosen Geister ausziehen konnen; Tis- 
sot erklart (1766), daB Musik zwar nicht »die Ursache 
des Ubels wegnehmen kann«, jedoch »die Empfindung 
desselben suspendiert«. Seit dem 18. Jh. gibt es Versuche 
zusammenf assender Darstellungen zur M. von A. Bren- 
del, P. Lichtenthal, P.J. Schneider u. a.; innerhalb der im 
19. Jh. entstehenden naturwissenschaftlichen Medizin 
(Nervenheilkunde) wiesen u. a. C. Lange (1887) und 
W.James (1890) auf den Zusammenhang zwischen M. 
und Korperfunktionen hin. 

Lit. : A. Kircher, Phonurgia nova, Kempten 1673, deutsch 
v. A. Cario, als: Neue Hall- u. Thon-Kunst, Nordlingen 
1684; S. A. A. D. Tissot, Versuch wegen Veranderung d. 
St., Anhangzu: Praktische Vertheidigung d. Einpfropfens 
d. Pocken, Halle 1756 (aus d. Frz.); ders., Sermo inaugu- 
rate devaletudinelitteratorum, Lausanne 1766,frz.als: Avis 
aux gens des lettres et aux personnes sedentaires sur leur 
sante, Paris 1767; P. van Swieten, Musicae in medicinam 
influxus atque utilitatis . . ., Rotterdam 1773; P. Lichten- 
thal, Der Mus. Arzt oder : Abh. v. d. Einflusse d. Musik 
auf d. Korper . . ., Wien 1807; P. J. Schneider, System 
einer medizinischen Musik, 2 Bde, Bonn 1835 ; F. G. Wel- 
cker, Epoden oder d. Besprechen, in: Kleine Schriften 
III, Bonn 1850; C. Lange, Uber Gemiithsbewegungen, 
Lpz. 1 887 ; E. Rohde, Psyche, Bd II, Freiburg 1 894, Tubin- 
gen 4 1907; Th. Heller, GrundriB d. Heilpadagogik, Lpz. 
1 904, 2 1 9 1 2 ; A. Savill, Music and Medicine, ML IV, 1 923 ; 
D. Katz u. G. Revesz, MusikgenuB bei Gehorlosen, Lpz. 
1926; M. Schoen, The Effects of Music, London 1927; 
K. Singer, Heilwirkung d. Musik, = Kleine Schriften zur 
Seelenforschung XVI, Stuttgart 1927; E. Kurth, Musik- 
psychologie, Bin 1930, Bern 21947; H. K. Polter, Musik 
als Heilmittel, Diisseldorf 1934; H. Sohler, Beitr. zur 
Gesch. d. Heilmusik, Jena 1936; A. Naerebout u. B. 
Stokvis, Experimenteel onderzoek over de invloed van 
muziek op de ononderbroken geregistreerde bloeddruk, 
psychogalvanische reflex en polsf requentie, in : Nederlands 
tijdschrift voor de psychologie VI, 1938 ; G. Revesz, Inlei- 
ding tot de muziekpsychologie, Amsterdam 1944, 2 1946, 
deutsch Bern 1946, engl. London u. NY 1953, ital. Florenz 
1954; I. M. Altshuler, The Past, Present and Future of 
Mus. Therapy, Education Music Magazine XXIV, 1945; 
S. H. Licht, Music in Medicine, Boston 1946; A. Pontvik, 
Grundgedanken zur psychischen Heilwirkung d. Musik, 
Zurich 1948; ders., Heilen durch Musik, ebenda (1955); 
Music arid Medicine, hrsg. v. D. M. Schullian u. M. 
Schoen, NY (1948), mit ausfuhrlicher Bibliogr.; F. A. 
Fengler, Die systematische spezielle M. im Dienste d. 
Sprachheilarbeit . . . , Das Deutsche Gesundheitswesen V, 
1950; W. Katner, Musik u. Medizin im Zeitalter d. Ba- 
rock, Diss. Lpz. 1950, maschr., Auszug in: Wiss. Zs. d. 
Univ. Lpz. II, 1952/53; ders., Das Ratsel d. Tarantismus, 
= Nova Acta Leopoldina, N. F. XVIII, Nr 124, Lpz. 1956 ; 
H. Sutermeister, M., Universitas III, 1951; H. Hansel- 
mann, Kind u. Musik, Zurich 1952; A. Machabey, La 
musique et la m6decine, Paris 1952; P. Fraisse, G. Oleron 
u. J. Paillard, Les effets dynamogeniques de la musique, 
Annee psychologique LIII, 1953; B. Fields, Music as an 
Adjunct in the Treatment of Brain-Damaged Patients, 
American Journal of Physical Medicine XXXIII, 1954; A. 
Graefe, Wesen u. Grenzen rhythmisch-mus. Bildung d. 
Hilfschulkindes, Zs. f. Heilpadagogik V, 1954; E. Podol- 
sky, Music Therapy, NY 1954; H. Weihs, Die Beeinflus- 
sung d. vegetativen Tonuslage durch komplexe akustische 
Reizfolgen, Folia phoniatrica XIX, 1954; W.-D. Keidel, 



613 



Musikverlag 



Vibrationsreception, =Erlanger Forschungen, Reihe B, 
II, Erlangen 1956; H. G. Jaedicke, t)ber M., Hippokra- 
tes XXVII, 1957; B. Boehm, Heilende Musik im griech. 
Altertum, Zs. f. Psychotherapie u. medizinische Psycholo- 
gie VIII, 1958; Thr. G. Georgiades, Musik u. Rhythmus 
bei d. Griechen, = rde LXI, Hbg (1958); Musik in d. Me- 
dizin. Beitr. zur M., hrsg. v. H. R. Teirich, Stuttgart 1958, 
dazu E. Wiesenhutter in: Jb. f. Psychologie, Psychothera- 
pie u. medizinische Anthropologic VII, 1960, S. 191f.; G. 
R. Heyer, Musische, speziell M., in: Hdb. d. Neurosen u. 
Psychotherapie, hrsg. v. E. Frankl u. a., Bd IV, Bern u. 
Miinchen 1959; G. Bandmann, Melancholie u. Musik, = 
Wiss. Abh. d. Arbeitsgemeinschaft f . Forschung d. Landes 
Nordrhein-Westfalen XII, Koln u. Opladen (1960), dazu 
C. Dahlhaus in : Mf XV, 1962, S. 388f . ; M. Brunner-Orne 
u. F. Orne, Die Entwicklung d. National Ass. for Music 
Therapy u. ihr EinfluB auf d. M. in Amerika, Die Heil- 
kunst LXXIII, 1960; S. Haddenbrock u. S. Mederer, 
Tanzerische Gruppenausdrucksgymnastik in d. Psychose- 
behandlung, Zs. f. Psychotherapie u. medizinische Psy- 
chologie VI, 1950; O. Gillert, Musik in d. Behandlung 
antriebsloser Patienten, Die Heilkunst LXXIV, 1961; A. 
Kundig, Das Musikerlebnis in psychologischer u. psy- 
chotherapeutischer Sicht . . . , Winterthur 1961 ; G. Wille, 
Cl. Thomas, K. HoFMARKSRiCHTERin: Orff-Inst. . . . Salz- 
burg, Jb. 1962; G. Gollnitz u. Tr. Wulf, Orff-Schul- 
werk . . . u.HeilerziehunghirngeschSdigter Kinder, ebenda 
1963 ; J. Guilhot (mit J. Jost u. M. A. Guilhot), Musique, 
psychologie et psychotherapie, Paris (1964); F. Reed, The 
Therapeutic Value of Music, Journal of the American Inst, 
of Homeopathy LVII, 1964; Die rhythmisch-mus. Er- 
ziehung in d. HeilpSdagogik, hrsg. v. H. Tauscher, Bin 
1964; I. Aiatn, Music for the Handicapped Child, Oxford 
1965; P. Nordhoff u. C. Robbins, Music Therapy for 
Handicapped Children, Blanvelt (N. Y.) 1 965 ; H. Oswald, 
Musiktherapeutische Erf ahrungen bei chronischen Schizo- 
phrenen, Wiener Zs. f. Nervenheilkunde XXII, 1965; E. 
Pieroen-Roodvoets, Muziektherapie, Mens en melodie 
XX, 1 965 ; E. Willems, La sonotherapie, SMZ CVII, 1 967. 

- Zahlreiche Abh. in : Music Therapy, hrsg. v. d. National 
Ass. for Music Therapy, Chicago 1951ff. 

Musikverlag ist ein Unternehmen zum gewerblichen 
Herstellen und Vertreiben von Musikalien. Diese tra- 
ditionelle Definition gilt sowohl fiir die durch den 
Verlag von Komponisten zur Herausgabe erworbenen 
Werke, wie fiir alle sonstigen aus eigener oder fremder 
Initiative entstandenen Veroffentlichungen (Alte Mu- 
sik, Unterrichtsmusik, Volksmusik; inEinzelausgaben, 
Banden, Sammlungen usw.). Als Geschaftstatigkeit 
und -bestandteil ist ferner die vor allem von den Ver- 
lagen Ernster Musik in neuerer Zeit geschaffene Ein- 
richtung der »Leihgebuhren« zu erwahnen. Sie bedeu- 
tet das entgeltliche Verleihen (juristisch richtig: Ver- 
mieten) von Auffiihrungsmaterialien (bis zu Biihnen- 
werken) an Interessenten statt des in friiheren Zeiten 
iiblichen Verkaufes. Dariiber hinaus erstreckt sich die 
Tatigkeit des heutigen Musikverlegers auf die immer 
wichtiger und verantwortungsvoller werdende Inter- 
nationale Verwaltung von Rechten (->• Urheberrecht, 
-*■ Verlagsrecht). Fiir den Erfolg sind, neben der be- 
ruflichen Leistung, die Initiative, das Ansehen und die 
Ausstrahlung des Unternehmens wichtige Faktoren. 

- Der M. entwickelte sich aus handwerklichen Leistun- 
gen. Schon im ausgehenden Mittelalter gab es unter 
den Handel treibenden Besitzern von Schreibstuben 
Musikverleger en miniature. Die friihen Drucker wa- 
ren meist zugleich auch Verleger; sogenannte »Buch- 
fiihrer« vertraten die Verlage auBerhalb der Geschafts- 
orte. M. und -> Musikalienhandel waren hier noch 
nicht getrennt. FUhrendes Land war bis ins 17. Jh. zu- 
nachst Italien mit dem Zentrum Venedig (O.Petrucci, 
der 1501 den Notentypendruck einfiihrte, u. a.) ; da- 
neben errang im 16. Jh. Frankreich mit Lyon und Pa- 
ris (P.Attaingnant, R. und A.Ballard) Weltgeltung. 
GroBe Belebung erfuhr der franzosische Musikalien- 



handel im 18. Jh. durch die nach englischem Vorbild 
von den Verlegern eingefiihrten Abonnementsreihen 
periodisch in Lieferungen erscheinender Musikalien 
(-> periodique). Friihe deutsche Druckerverleger wa- 
ren u. a. in Augsburg E.Oeglin (1505-18) und S. 
Grimm (1517-27), in Mainz P. Schoffer der Jiingere 
(1509-23); der Nurnberger H.Ott (ab 1533) war be- 
reits reiner Verleger. Zentrale Bedeutung fiir den in- 
ternationalen Musikalienhandel gewannen die seit dem 
16. Jh. jahrlich je zweimal stattfindenden Messen in 
Frankfurt am Main (1. MeBkatalog 1564) und Leipzig 
(1 . MeBkatalog 1594). Das Tauschwesen (Bogen gegen 
Bogen) war hier die vorherrschende Handelsform; es 
wurde erst im 18. Jh. (im Zusammenhang mit der all- 
mahlichen Trennung von Verlag und Sortiment und 
der Einfiihrung des Kommissionswesens) durch das 
Bar- oder Konditionsgeschaft abgelost. - Im 19. Jh. 
begann die eigentliche wirtschaftliche Bedeutung des 
Notengeschaftes auf Grund von zwei Faktoren. Zu- 
nachst entstand aus der Salon- und Virtuosenmusik, 
von Frankreich ausgehend, eine neue Art unterhalten- 
der Musik fiir einen immer groBer werdenden Abneh- 
merkreis. Sodann fielen in die gleiche Zeitspanne Er- 
findung (um 1800) und Ausbreitung der Lithographie 
mit ihrer bahnbrechenden Bedeutung fiir den -*■ No- 
tendruck. Sie ermoglichte es, die stark ansteigende 
Nachfrage preiswert zu bedienen (beliebige Auflagen- 
hohe). Denn die bis dahin ubliche Stichplatte hatte nur 
eine beschrankte Auflage von Handabziigen zugelas- 
sen. Auch die »klassische« Musik begann jetzt ein Ob- 
jekt fiir preiswerte Ausgaben zu werden, aus denen 
spater die groBenEditionen in Banden entstanden (z. B. 
Collection Litolff seit 1864; Edition Peters seit 1867). 
Eine besondere Bedeutung in wirtschaftlicher Be- 
ziehung kam, von Italien und Frankreich ausgehend, 
der Opernmusik zu. Die Biihne war am meisten ge- 
eignet, Musik zu popularisieren. Volkstiimlich gewor- 
dene Melodien, vor allem beliebte Opernmelodien, er- 
schienen in zahlloseh Bearbeitungen fiir alle Instrumen- 
te und Besetzungen. Die damaligen Gesetze verboten 
derartige »Bearbeitungen« noch nicht und schutzten 
Urheber und Verleger nur gegen »wortgetreue« Nach- 
drucke. Die Folge war eine Flut von Potpourris, Fanta- 
sien und Paraphrasen jeder Art, die fiir die Nichtorigi- 
nalverleger zu einem guten Geschaft wurden. - Viele 
Griinder von M.en sind Musiker oder Komponisten 
gewesen, die als Selbstverleger begannen; manche 
Unternehmen entstanden im AnschluB an Buchverla- 
ge oder Musikalienhandlungen. Daneben vergroBerten 
sich nun fiir die musikverlegerische Betatigung die 
wirtschaftlichen Lockungen und die Zahl der Interes- 
senten. Erst jetzt gewann der M. den Charakter eines 
Gewerbes. Die Entwicklung der Unterhaltungsmusik 
bedeutete fiir den M. nicht nur eine Erweiterung, son- 
dern eine zusatzliche Basis (Operette: Paris, Wien; 
Revue: Berlin). - Ab etwa 1900 begann, hervorgerufen 
durch die sich iibersturzende Entwicklung von Schall- 
platte, Tonfilm, Rundfunk, Tonband und Fernsehen 
eine neue Art der Popularisierung der Musik und ein 
gesteigertes Bediirfnis nach Unterhaltung. Eine neue 
Gattung von Verlegern ubemahm die Betreuung der 
Unterhaltungsmusik (U-Musik), besonders der Tanz- 
und Schlagermusik. Die Technisierung der Musikdar- 
bietung brachte Autoren und Verlegern neue Rechte, 
die den Verkaufsriickgang bzw. -fortfall der Musik- 
noten mehr als ausglichen (-> GEMA). Mit der steigen- 
den Konkurrenz sind fiir eine erfolgreiche Propagie- 
rung kenntnisreiche und besonders aktive Verleger 
auch fiir die U-Musik notwendig, deren Kurzlebigkeit 
ununterbrochene Neuproduktion erfordert. Die U- 
Musik steht nunmehr der Ernsten Musik (E-Musik) 



614 



Musikwissenschaft 



quantitativ iiberlegen gegeniiber. Dies spiegelt sich 
wider fur die deutschen Verlage in der folgenden Auf- 
stellung (M.e in der Bundesrepublik Deutschland und in 
West-Berlin, Bonn 1965): von den zur Zeit 179 Mit- 
gliedern des Verlegerverbandes sind nur etwa 43 als 
aktive Verlage von E-Musik zu bezeichnen. Von die- 
sen stammen 5 noch aus der Zeit vor 1800, 10 vor 1850, 
10 vor 1900, 6 vor 1945 und 3 nach 1945. In den ande- 
ren Landern bestehen ahnliche Verhaltnisse. - Als »Sub- 
verleger« werden, vor allem auf dem U-Sektor, die 
Verleger mit Bezug auf solche Werke bezeichnet, die 
sie aus dem Ausland fur ein begrenztes eigenes Ver- 
wertungsgebiet erworben haben. - Die deutschen 
Musikverleger sind organisiert im Deutschen Musik- 
verleger-Verband (D. M. V. e. V.), dessen Sitz zur Zeit 
in Bonn ist. 

Lit.: A. Goovaerts, Hist, et bibliogr. de la typographie 
mus. dans les Pays-Bas, = Memoires de l'Acad. XIX, Ant- 
werpen 1880, Nachdruck Amsterdam 1962; Fr. Kidson, 
British Music Publishers, Printers and Engravers . . . , Lon- 
don 1900; R. Eitner, Buch- u. Musikalien-Handler, Buch- 
u. Musikaliendrucker nebst Notenstecher, = Beilage zu 
MfM XXXVI, 1904-XXXVII, 1 905 ; H. S. Talbot, Guide 
to Music Publishing, Chicago 1907; P. Bertrand, Les 
editeurs de musique, Paris 1 928 ; G. Dunn, Method of Mu- 
sic Publishing, London 1931 ; W. A. Fisher, 150 Years of 
Music Publishing in the United States, Boston 1934; O. E. 
Deutsch, Music Publisher'sNumbers, London 1946,2. ver- 
besserte u. 1 . deutsche Auf lage als : Musikverlagsnummern, 
Bin 1961 ; H. W. Heinsheimer, Menagerie in F sharp, NY 
1947, deutsch v. W. Reich als: Menagerie in Fis-Dur, Zu- 
rich 1953 ; L. Hoffmann-Erbrecht, Der Nurnberger Mu- 
sikverleger J. U. Haffner, AMI XXVI, 1954 - XXVII, 
1955 u. XXXIV, 1962; C. Hopkinson, A Dictionary of 
Parisian Music Publishers, 1700-1950, London 1954; 
ders., Notes on Russian Music Publishers, London 1959; 
Ch. Humphries u. W. C. Smith, Music Publishing in the 
British Isles from the Earliest Time to the Middle of the 
19 th Cent., London 1954; A. Weinmann, Wiener Musik- 
verleger u. Musikalienhandler v. Mozarts Zeit bis gegen 
1 860, Sb. Wien CCXXX, 4, H. 2, 1956 ; ders., Zur Bibliogr. 
d. Alt- Wiener M., Fs. O. E. Deutsch, Kassel 1963; ders., 
A. Bruckner u. seine Verleger, in : Bruckner-Studien, Fs. L. 
Nowak, Wien 1964; Cl. Sartori, Dizionario degli editori 
mus. ital., = Bibl. di bibliogr. ital. XXXII, Florenz 1958; 
R. Elvers, Altberliner Musikverleger, Bin 1961 ; ders., 
R. Werckmeister. Ein Berliner Musikverleger 1802-09, 
Kgr.-Ber. Kassel 1962; ders., Datierte Verlagsnummern 
Berliner Musikverleger, Fs. O. E. Deutsch, Kassel 1963; 
ders., Musikdrucker, Musikalienhandler u. Musikverleger 
in Bin 1750-1850, Fs. W. Gerstenberg, Wolfenbuttel u. 
Zurich (1964); H.-W. Plesske, Leipzigs M. einst u. jetzt, 
Jb. d. Deutschen Biicherei I, 1965; ders., Namhafte Kom- 
ponisten d. 19. Jh. u. ihre Lpz.er Verleger, Beitr. zur Gesch. 
d. Buchwesens 1, 1 965 ; ders., Das Schrif ttum zur Gesch. d. 
Musikverlagswesens in Deutschland, Osterreich u. d. 
Schweiz (in Vorbereitung) ; Fr. W. Riedel, Die Arbeitsge- 
meinschaftf. Gesch. d. Musikpublikation, Mf XVIII, 1965; 
Th: Wohnhaas, J. Dumler, ein Nurnberger Verleger im 
DreiBigjahrigen Krieg, Arch. f. Gesch. d. Buchwesens VI, 
1965; ders., Die Nurnberger Gesangbuchdrucker u. -ver- 
leger d. 17. Jh., Fs. Br. Stablein (in Vorbereitung) ; M. ind. 
Bundesrepublik Deutschland u. in West-Bin, hrsg. v. Deut- 
schen Musikverleger Verband, Bonn 1965. 
Kat. u. Verz. : Deutscher Musikerkalender, Lpz. 1885ff. 
Musique- Adresses, Paris 191 3ff. (bis 1928); A. Weinmann, 
Verz. d. Verlagswerke d. Mus. Magazins in Wien 1784- 
1 802. L. Kozeluch, = Beitr. zur Gesch. d. Alt- Wiener M. II, 
1, Wien (1950); ders., Vollstandiges Verlagsverz. Artaria 
& Comp., ebenda II, 2, (1952); ders., Vollstandiges Ver- 
lagsverz. d. Musikalien d. Kunst- u. Industrie-Comptoirs 
in Wien 1801-19, StMw XXII, 1955; ders., Verz. d. Mu- 
sikalien d. Verlages J. Traeg in Wien, 1794-1818, StMw 
XXIII, 1 956, Erganzungen u. Berichtigungen, StM wXXVI, 
1964; ders., Verz. d. Musikalien aus d. K. K. Hoftheater- 
Musik-Verlag, = Beitr. zur Gesch. d. Alt- Wiener M. II, 6, 
Wien (1961); ders., Kat. A. Huberty (Wien) u. Chr. Torri- 
cella, ebenda II, 7, (1962) ; ders., Die Wiener Verlagswerke 



v. Fr. A. Hoffmeister, ebenda II, 8, (1964); ders., Verlags- 
verz. Tr. Mollo, ebenda II, IX, (1964); C. Johansson, 
French Music Publisher's Cat. of the Second Half of the 
1 8 th Cent., = Publikationer utgivna av Kungl. Mus. Akad. 
Bibl. II, Stockholm 1955. 

Musikwissenschaft (frz. musicologie; ital. musicolo- 
gia; engl. musicology) konstituiert sich sub specie der 
Frage: was ist das, indem sie diese Frage sowohl an 
die Natur des Klingenden im Blick auf Musik (und um- 
gekehrt), als auch an die Musik als Praxis im Blick auf 
Theorie (und umgekehrt) stellt. Dabei strebt das Wis- 
sen nach einem umfassenden System objektiv giiltiger, 
nach Prinzipien geordneterErkenntnisse, die gleichwohl 
doppelt determiniert sind : einmal durch die Individuali- 
tat des befragten Gegenstandes Musik in seiner Eigenart 
als Sinntrager, zum anderen durch die subjektive Be- 
dingtheit des Wissenwollens. Demzuf olge ist die Mw. 
wesentlich Wissenschaft von der Musik in ihrer Ge- 
schichtlichkeit und hat dabei unausweichlich selbst Ge- 
schichte. Ihre Erkenntnisse gewinnen Giiltigkeit als 
intersubjektiv verbindliche Antwort auf gultig moti- 
vierte Fragen und Bereicherung in Relation zur ge- 
schichtlichen Erfahrung. Bis in die Neuzeit (genauer: 
bis zum spateren 19. Jh., als der Begriff Mw. entstand) 
ist die musikalische Wissenschaft noch keine eigenstan- 
dige Disziplin, sondern als theoretische Behandlung 
musikalischer Fragen ein Teilgebiet iibergeordneter 
Wissenschaftsgebiete (das - unter diesem Vorbehalt - 
im folgenden ebenfalls Mw. genannt ist). - Die Anfange 
der Mw. liegen, wie die der abendlandischen Wissen- 
schaft uberhaupt, in der griechischen Naturphilosophie 
des 6. Jh. v. Chr. Die Leistung der Pythagoreer, die 
altere Anregungen vor allem aus dem kleinasiatischen 
Raum und aus Agypten verarbeiteten, bestand darin, 
daB sie die Zahl als das Prinzip der zur Musik f ahigen Be- 
schaffenheit des Klingenden erkannten, dessen Elemente 
sie als ->■ Ton (t6vo<;) und -»• Intervall (StdoT7)(xa) der 
wissenschaftlichen (mathematischen) Untersuchung zu- 
ganglich machten. Die dadurch begriindete Harmonik 
(-»■ Harmonia) bietet als Wissenschaft von den Zahlen- 
verhaltnissen, die auch dem Makrokosmos (der Welten- 
harmonie) und dem Mikrokosmos (der leib-seelischen 
Natur des Menschen) zugrunde liegen und die im Klang 
zur unmittelbaren Anschauung gelangen, zugleich die 
Erkenntnis der Fahigkeit des Klingenden, Sinntrager zu 
sein. Auf der pythagoreischen Lehre beruht somit der 
fur die abendlandische Musik in ihrer Geschichte als 
Musike (-> Griechische Musik), -*■ Musica und -*■ Mu- 
sik grundlegende Zusammenhang zwischen Mw. und 
praktischer Musikiibung sowie die Bedeutungsfiille, 
Wirkungs- undErziehungskraft der Musik, deren para- 
digmatischer Rang als Erkenntnisquelle die hohe Ein- 
stufung der Mw. in den Verband der Wissenschaften 
zur Folge hatte. 

Als [iouawd) 47riCTT)fj(i.7] stand die altgriechische Musik- 
lehre seit dem 4. Jh. v. Chr. im System der bpwyXwtz 
rax iSe (a, die als Vorbereitung zum Studium der Philoso- 
phic oder Rhetorik diente. Ihre bevorzugten Gegen- 
stande waren: Harmonik (->■ Harmonia), Rhythmik 
(-*■ Griechische Musik, -»■ Rhythmus) und die Lehre 
vom -> Ethos. Dabei wurden f ast alle Zweige der abend- 
landischen Mw. vorgebildet, auch z. B. die Instrumen- 
tenkunde (6pyavtxT) •9'Etop ta), Notenschrif t (-*■ Buchsta- 
ben-Tonschrift), »Akustik« (bei Aristeides Quintilianus: 
y.£po<z 9uctix6v), ferner die fur die musikalische Kunst- 
theorie zentrale Nachahmungs- und Affektenlehre und 
die Musikgeschichtsschreibung (-> Plutarchos). Das 
Verfahren der griechischen Mw. geriet in das Span- 
nungsfeld zwischen der spekulativen (pythagoreischen) 
und einer empirischen (aristotelischen) Betrachtungs- 
weise (->■ Harmoniker) sowie zwischen der ethischen 



615 



Musikwissenschaft 



(Damon, Platon ; Plotin) und einer neueren, »f ormalisti- 
schen« Auffassung der Musik (Hibeh-Rede; Philode- 
mos). - Als -> Ars musica (musica disciplina, musi- 
ca scientia) gehorte die mittelalterliche Mw. zu den 
Septem artes liberales, die das fur alle Wissenschafts- 
zweige obligatorische Grundstudium bildeten. Ihre 
wichtigsten Forschungs- und Lehrgebiete waren, ent- 
sprechend den Klassifikationen der -> Musica, die Be- 
trachtung der musikalischen Zahlengesetzlichkeit und 
die Sachkunde der Musikpraxis. Ihre Zielsetzung wan- 
delte sich in Westeuropa von der Zusammenfassung 
antiken Wissens (Martianus Capella, Cassiodorus, Boe- 
thius) und dessen Verbindung mit dem christlichen 
Weltbild (Augustinus, Isidorus) zur Durchdringung, 
Umbildung und Neuformung der Praxis des Kirchen- 
gesanges in karolingischer Zeit (Aurelianus Reomensis, 
Regino vonPriim, Hucbald). Seitdem riicktejene neue 
Art theoretischer Arbeit in den Vordergrund, durch 
welche die in Notenschrift, Komposition und Ausfiih- 
rungsart schnell voranschreitende Praxis sich das Be- 
wufitsein ihrer selbst erhalt (Musica Enchiriadis, Guido 
von Arezzo, Franco von Koln). Dabei stand das Ver- 
fahren der Mw. zunehmend in der fruchtbaren Span- 
nung zwischen Tradition und Neuerung, »antiqui« und 
»moderni«, mathematisch, philosophised und theolo- 
gisch fundierter Zusammenfassung des Wissens (Jaco- 
bus Leodiensis) und gegenwartsbezogener Fortschritt- 
liehkeit (Johannes de Grocheo, Philippe de Vitry), die 
einer in alien Teilen »praktischen Mw.« das Feld ebnete. 
Die Pfiegestatten der Mw. waren bis ins 13. Jh. neben 
den im 10. Jh. aufbliihenden Kathedral- und Domschu- 
len vor allem die Kloster (Reichenau mit Berno und 
Hermannus contractus; die Abtei Pomposa und die 
Kathedralschule in Arezzo mit Guido von Arezzo; 
Affligem in Flandern mit Johannes Affligemensis ; St- 
Jacques in Paris mit Hieronymus de Moravia). Danach 
traten die Universitaten in den Vordergrund, vor allem 
Paris. Das Studium der Musica speculativa des an der 
Sorbonne lehrenden J. de Muris gehorte bis ins 16. Jh. 
an vielen Universitaten zu den Voraussetzungen f iir die 
Erwerbung -*■ Akademischer Grade. 
Im 1 5. und 1 6. Jh. stand die Mw. - ausgehend von Italien 
(Tinctoris, Gaffori) - im Zeichen des -> Humanismus. 
Zwar wurde sie bei der Neuordnung der Universitaten 
als eigenes Lehrfach ausgeschlossen (und blieb es bis 
Ende des 18. Jh.), da einerseits die mathematische Zah- 
lenlehre nicht mehr im Blick auf Musik behandelt 
wurde, andererseits der vielerorts iibliche Musikunter- 
richt vorwiegend praktische Ziele verf olgte und nur in 
Ausnahmefallen auch die Kompositionslehre einschloB 
(z. B. in Wittenberg um 1550 mit H. Faber, A. P. Coclico 
und Hermann Finck). Doch entwickelte die Mw. nun, 
teils in Verbindung mit Universitaten (z. B. in Koln ab 
etwa 1500) oder im Rahmen anderer Universitatsdiszi- 
plinen (Rhetorik, Poetik; -> Celtis), besonders aber in 
den Gelehrtenkreisen der Hofe und ->■ Akademien 
Grundziige der neuzeitlichen mw. Fragestellung und 
Methode: RUckgriff auf die antike Mw. als Grundlage 
der Wesenserkenntnis der Musik und der Erneuerung 
musikalischer Praxis (Glareanus; -> Camerata); philo- 
logische Textkritik und -interpretation (Johannes Gal- 
licus, Gaffori, Gogava, Mei) ; Experiment (-> Chroma- 
tik; ->■ Archicembalo) ; Zielrichtung aller mw. Frage- 
stellung auf Verwirklichung im Erklingen, sowohl in 
den Grundlagen (Tonsystem, Tongeschlecht, Tempe- 
ratur) als auch im Hinblick auf das Schaffen (-»■ Kom- 
position; -¥■ Musica poetica) und Ausfuhren der Musik 
und auf ihre Wirkungen; Textbehandlung nach den 
Kategorien der Metrik (-> Odenkomposition ; -*■ Vers 
mesures) und der Inhaltlichkeit (explicatio textus; imitar 
delle parole) ; Orientierung an derDichtkunst als Muster 



der Poiesis (des Herstellens von Werken). - In fortdau- 
ernder Verbindung mit den Artes liberales und zugleich 
in immer ausschlieBlicherer Blickrichtung auf die Pra- 
xis, in Fortf iihrung humanistischer Ansa tze und zugleich 
im Aufgreifen neuer Forschungsrichtungen wurde die 
Mw. im 17. und beginnenden 18. Jh. enzyklopadisch 
ausgebaut (M.Praetorius, M.Mersenne, A.Kircher, J. 
Mattheson). Dabei ist sie gekennzeichnet einerseits 
durch einen erneuten Auf schwung der mathematischen 
Musiktheorie im Dienste des Erf orschens der -> Har- 
monia des Kosmos (Kepler, Mersenne) und des Erken- 
nens des abbildlichen Ranges der -*■ Musica (Werck- 
meister), andererseits durch die zunehmende Orientie- 
rung an der erstarkenden Naturwissenschaft (-» Aku- 
stik; -*■ Naturklangtheorie; -*■ Harmonielehre) und 
durch Ansatze zur Psychologie (-> Affektenlehre). Da- 
neben wurde in Anlehnung an die Poetik die Lehre von 
den -»■ Stilen und den musikalisch-rhetorischen -* Figu- 
ren systematisch ausgebaut und die Organographia (In- 
strumentenkunde), Musica modulatoria (Ausfiihrungs- 
lehre), Terminologie (Praetorius Synt. Ill; ->■ Lexika) 
und Musica historica (Lehre vom Ursprung und Fort- 
gang der Musik) ins System mw. Forschung und Lehre 
einbezogen. 

Seit Mitte des 18. Jh. stand die Mw. zunehmend einer- 
seits auf dem Boden der exakten Wissenschaften, der Mathe- 
matik und Mechanik, andererseits aber auch auf dem der 
reinen Geisteswissenschaften, der Philosophie, Logik und 
Asthetik. Dabei wurde die Musikgeschichte. . . der Mw. 
bester Teil (Riemann 1908). Dennje nachdriicklicher das 
Fortschrittsstreben und die Fortschrittserwartung nach 
Rechtfertigung und nach Erinnerung an das Wesen der 
Musik verlangten, und je intensiver die Musik als Sinn- 
trager des Geistes in seiner Geschichtlichkeit und in ihrer 
je historisch bedingten Schonheit als Muster und Be- 
reicherung Geltung gewann, desto mehr fiel der Mw. 
die Auf gabe zu, die Grundlagen der gegenwartigen Mu- 
sik in der ->■ Geschichte der Musik aufzuweisen. Die 
Mw. im modernen Sinne hat hier ihren Ursprung und 
fand hier ihre entscheidende Sinngebung und Recht- 
fertigung. Dabei geriet sie zunehmend in das Spannungs- 
feld zwischen Geschichte und Systematik, Geistes- und 
Naturwissenschaft, normativer Asthetik und geschicht- 
lichem Sinngehalt, europaischer Musik und auBereuro- 
paischer Klanggestaltung und begann danach zu stre- 
ben, im Sich-Wandelnden und weithin Divergierenden 
durch eine Kategorien-, Prinzipien- oder Grundlagen- 
forschung erneut das Immerwahrende zu erkennen. - 
Einen Zugang an die deutschen Universitaten hatte die 
Mw. seit dem 18. Jh. zunachst durch die Berufung von 
Universitatsmusikdirektoren erlangt (1779 Forkel in 
Gottingen, schon ab 1772 Privatvorlesungen iiber Mu- 
sik; 1822 Breidenstein in Bonn, ab 1826 Professor fur 
Musik; 1832 A.B.Marx in Berlin, schon ab 1830 Pro- 
fessor fur Musik). Musikforscher wie der Jurist C.v. 
Winterfeld und der Beamte am Hofkriegsrat R. G. Kie- 
sewetter betrieben die Mw. in MuBestunden. Nach der 
Mitte des 19. Jh. vergroBerte sich die Zahl der mw. Uni- 
versitatsprofessuren (1861 Hanslick in Wien, sein Nach- 
folger wurde 1898 G. Adler; 1866 Bellermann in Berlin 
als Nachfolger von A.B.Marx; 1869 Ambros in Prag; 
1875 Jacobsthal in StraBburg). Mw. als akademische 
Disziplin im Rahmen der Philosophischen Fakultat wur- 
de zunachst als Theorie der Musikpraxis und vor allem 
als Wissenschaft der Musikgeschichte aufgefaBt. (H.v. 
->- Helmholtz veroffentlichte sein grundlegendes Buch 
iiber Die Lehre von den Tonempfindungen 1863 als Profes- 
sor der Physiologie in Heidelberg.) Gleichzeitig mit der 
Etablierung des Begriffsworts »Mw.« (auch Musikfor- 
schung) vor allem durch die Griindung der Vierteljahrs- 
schriftfiir Mw. 1885 (bzw. der Gesellschaft fur Musik- 



616 



Musikwissenschaft 



forschung 1868) begannen sich die verschiedenen For- 
schungsrichtungen (physikalische, physiologische und 
psychologische Akustik, Instrumentenkunde, Asthetik, 
Palaographie, Musikgeschichte, musikalische Volks- 
und Volkerkunde oder Vergleichende Mw.) unter die- 
sen Begriff zu subsumieren. Seitdem ist die akademische 
Mw. als eine zum BewuBtsein ihrer Eigenstandigkeit 
gelangte Disziplin und in Erfiillung der seitens der Wis- 
senschaf ten und der Kultur an sie gestellten Auf gaben in 
bestandigem Wachstum begriffen, ablesbar an ihrer 
Ausbreitung als Universitatsdisziplin auch in den nicht 
deutschsprachigen Landern (in Deutschland nach 1900 
auch an Technischen Hochschulen), ihren (nach Lan- 
dern verschiedenen) Ausbildungsgangen zur Errei- 
chung -»■ Akademischer Grade und ihrer Institutionali- 
sierung durch nationale und internationale ->■ Gesell- 
schaften, Fachorgane (-»• Zeitschriften, -> Jahrbiicher), 
Kongresse und Kolloquien, ->• Akademien und For- 
schungsinstitute. Neue Aufgaben und Berufsmoglich- 
keiten erwuchsen ihr in: Publikationswesen (Denkma- 
ler, Gesamtausgaben, Bibliographien, Lexika usw.), 
Verlagswesen, Musikalienhandel, Archiven, Bibliothe- 
ken,Phonotheken,Instrumentensammlungenund-mu- 
seen, Instrumentenbau, Musikhochschulen, Rundfunk, 
Kritik, Kulturbehorden (Konzertwesen, Festspiele). 
- Die vielfaltige Verzweigung der Mw. des 20. Jh. 
zeigt die folgende Aufstellung nach Drager (1955): 

1) Musikgeschichte 

a) Notationskunde (— ► Notenschrift) 

b) Geschichte der Musiktheorie (— > Theorie) 

c) Philologie des Musikschrifttums (Bereitstellen und 
Interpretieren der Literatur iiber Musik) 

d) Instrumentenkunde (— > Instrument) 

e) Musikalische Bildkunde (— > Ikonographie) 

f) — » Auffiihrungspraxis 

2) Systematische Musikwissenschaft 

a) Musikalische — ► Akustik 
a) — » Tonsysteme 

P) Physik der Instrumental- und Vokalklange(— >For- 
mant, — > Frequenz, — ► Klangfarbe -2,—* Schwe- 
bungen usw.) 

y) — » Raumakustik 

8) Schallaufnahme und -wiedergabe (— > Mikrophon, 
— » Lautsprecher) 

e) — > Schallaufzeichnung und -messung 

b) Physiologie der Musikerzeugung und -wahrnehmung 
a) Stimmphysiologie (— ► Stimme - 2) 

8) — » Physiologie des Instrumentenspiels 
Y) Physiologie des menschlichen Gehors (— > Gehor- 
physiologie) 

c) Ton-(Gehor-)Psychologie (— > Hdrpsychologie) 

d) — > Musikpsychologie 

e) Musikasthetik (— ► Asthetik) 

f) Musikphilosophie (— > Musik) 

3) Musikalische Volks- und Volkerkunde (— > Musikethno- . 
logie, — » Volkslied) 

4) Musiksoziologie (— » Soziologie) 

5) Angewandte Musikwissenschaft 

a) Musikpadagogik (— » Musikerziehung) 

b) — > Musikkritik 

c) Musikalische Technologie (— > Instrumentenbau) 
Gegeniiber einer solchen Aufgliederung, die der Ber- 
liner Schule der Systematischen Mw. E.M.v.Horn- 
bostels und C. Sachs' entstammt, ist geltend zu machen, 
daB eine derartige Abgrenzung der Musikgeschichte 
sich als problematisch erweisen muB. Denn z. B. auch 
Tonsysteme sind weitgehend geschichtliche Phanome- 
ne, und Akustik und Asthetik sind schon als Benennung 
von Wissenschaftsfragen zeitlich bedingt; die Musik- 
soziologie ist auf Sozialgeschichte angewiesen, die Mu- 
sikphilosophie wird sich auch in der abstraktesten For- 
mulierung heute geschichtlich verstehen, und in der 
»Angewandten Mw.« stellen sich alle genannten Glieder 
zunachst primar als historische Prozesse dar. Die Mw. 
heute ist dadurch gekennzeichnet, daB einerseits in einer 



Entflechtung musikalisch-europaischer und musiketh- 
nologischer Fragestellungen die klanglichen AuBe- 
rungen auBereuropaischer Volker nicht mehr unmittel- 
bar mit europaischer Musik »verglichen«, sondern zu- 
nachst im Zusammenhang der eigenen Voraussetzungen 
betrachtet und gedeutet werden (vielfach freilich noch 
immer mit den dafiir wenig geeigneten Mitteln abend- 
landischer Musikterminologie und Notenschrift), und 
daB andererseits die naturwissenschaftlich orientierten, 
physiologischen und psychologischen Fragestellungen 
und das BewuBtsein der Geschichtlichkeit aller Musik 
nach einer Basis des »Vergleichens«, d. h. nach Klarheit 
iiber das Verbindende und Trennende, zu suchen be- 
ginnen. Hingegen weicht eine voreilig geistesgeschicht- 
liche Ineinssetzung musikgeschichtlicher Sachverhalte 
und allgemein kunst- und kulturgeschichtlicher Er- 
scheinungen dem Suchen nach Konkretisierung und Be- 
weisbarkeit. Fur eine noch immer verbreitete Reform- 
bediirftigkeit heutiger Mw. ist es jedoch bezeichnend, 
daB im oben mitgeteilten System ihrer Arbeitsgebiete 
das Kunstwerk selbst ganzlich fehlt. In der Musik seit 
dem 12. Jh. stellt jedoch das musikalische Kunstwerk 
den Anspruch, vor dem Hintergrund der Wissenschaft 
von der Geschichte der -*■ Komposition (und ->■ Impro- 
visation) und im ArbeitsprozeB der -*■ Interpretation in 
den Mittelpunkt der mw. Arbeit gestellt zu werden. 
Insof era es sich hierbei um das beschreibende, erklarende 
und deutende »Ansprechen« der Musik handelt, muB 
die ->■ Terminologie zu einer Grundvoraussetzung mw. 
Arbeit erhoben werden. Dabei ist die Skepsis zu iiber- 
winden gegeniiber der Moglichkeit, die Musik der Ge- 
genwart wissenschaftlich zu behandeln. Denn Neue 
Musik ist einerseits geeignet, den Begriff der Musik zu 
bereichern und zu vertief en und neue Fragen an die Ge- 
schichte zu formulieren; andererseits sucht sie in der 
Vergangenheit nach MaBstaben und Kritik, Rechtf erti- 
gung und Bestatigung. 

Lit. : allgemein : Fr. Chrysander, Vorwort u. Einleitung 
zu : Jb. f. mus. Wiss. 1, 1863 ; G. Adler, Umfang, Methode 
u. Ziel d. Mw., VfMw 1, 1885 ; ders., Musik u. Mw., JbP V, 
1898; H. Riemann, Die Aufgaben d. Musikphilologie, in: 
M. Hesses Musiker-Kalender f. 1902; ders., GrundriB d. 
Mw., =Wiss. u. Bildung XXXIV, Lpz. 1908, erweitert 
31919, hrsg. v. J. Wolf 4 1928; C. Sachs, Kunstgeschicht- 
liche Wege zur Mw., AfMw I, 1918/19; ders., Die Musik 
im Rahmen d. allgemeinen Kunstgesch., AfMw VI, 1924; 
ders., The Commonwealth of Art, NY (1946); A. Sche- 
ring, Mw. u. Kunst d. Gegenwart, Kgr.-Ber. Lpz. 1925; 
W. Vetter, Der humanistische Bildungsgedanke in Musik 
u. Mw., Langensalza 1928; W. Wiora, Das mus. Kunst- 
werk u. d. systematische Mw., 2. Internationaler KongreB 
f. Asthetik u. allgemeine Kunstwiss., Paris 1937; ders., 
Hist. u. systematische Musikforschung, Mf I, 1948; Ch. 
Seeger, Systematic and Hist. Orientations in Musicology, 
AMI XI, 1939; ders., Systematic Musicology . . . , Methods, 
JAMS IV, 1951 ; Gl. Haydon, Introduction to Musicolo- 
gy, NY 1941, 41950, Neudruck Chapel Hill (N. Car.) 1959; 
K. G. Fellerer, Einf iihrung in d. Mw., Bin (1942, 21953), 
Neudruck Hbg 1956; ders., Mw., in: Aufgaben deutscher 
Forschung I, hrsg. v. L. Brandt, Koln 21956; A. Wellek, 
Begriff, Aufbau u. Bedeutung einer systematischen Mw., 
Mf I, 1948; J. Handschin, Musicologie et musique, Kgr.- 
Ber. Basel 1949; ders. in: Gedenkschrift J. Handschin, 
Bern u. Stuttgart 1957; L. Ronga, Musicologia e filologia 
mus., Rass. mus. XX, 1950; P.-M. Masson, Les taches in- 
ternationales de la musicologie, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; 
Fr. Blume, Musikforschung u. Musikleben, Kgr.-Ber. 
Bamberg 1953; H.-H. Drager, Mw., in: Universitas litte- 
rarum. Hdb. d. Wissenschaftskunde, hrsg. v. W. Schuder, 
Bin 1955; A. Mendel, C. Sachs u. C. C. Pratt, Some 
Aspects of Musicology, NY (1957); A. M. Garrett, An 
Introduction to Research in Music, Washington 1958; H. 
Husmann, Einfiihrung in d. Mw., Heidelberg (1958), dazu 
W.Kortein: MfXIII, I960; Precis de musicologie, hrsg. v. 
J. Chailley, Paris (1958) ; J. L. Broeckx, Methode van de 



617 



Musikwissenschaft 



muziekgeschiedenis, Antwerpen 1959; A. Machabey, La 
musicologie, Paris 1962; Die Natur d. Musik als Problem 
d. Wiss., = Mus. ZeitfragenX, Kassel 1962; Fr. Ll. Har- 
rison, M. Hood u. Cl. V. Palisca, Musicology, Engle- 
wood Cliffs (N. J.) 1963; W. S. Collins, A New Tool for 
Musicology, ML XLVI, 1965 ; W. Gurlitt, Mg. u. Gegen- 
wart II, = BzAfMw II, Wiesbaden 1966; L. Treibler, On 
Hist. Criticism, MQ LIII, 1967; R. Watanabe, Introduc- 
tion to Music Research, Englewood Cliffs (N. J.) 1967. 
Gesch. d. Mw.: P. Wagner, Zur Mg. d. Univ., AfMw III, 
1 921 ; W. Fischer, Gesch. d. Mw., Adler Hdb.; G. Pietzsch, 
Die Musik im Erziehungs- u. Bildungsideal d. ausgehenden 
Altertums u. friihen MA, = Studien zur Gesch. d. Musik- 
theorie im MA II, Halle 1932; ders., Zur Pflege d. Musik 
and. deutschen Univ. bis zur Mitted. 16. Jh., AfMf 1, 1936, 
III, 1938 u. V, 1940 - VII, 1942 ; ders., Der Unterricht in d. 
Dom- u. Klosterschulen vor d. Jahrtausendwende, AM X, 
1955; H. Edelhoff, J. N. Forkel, Diss. Freiburg i. Br. 1934; 
K. G. Fellerer, Zur Erforschung d. antiken Musik im 1 6.- 
1 8. Jh., JbP XLII, 1935 ; K. Ph. Bernet Kempers, Muziek- 
wetenschap in den loop der tijden, Rotterdam 1938; W. 
Gurlitt, Zur Bedeutungsgesch. v. »musicus« u. »cantor« 
beilsidor v. Sevilla, = Akad. d.Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. 
d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1950, Nr 7, Neudruck 
in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 1966; 
H. Koller, 'Eykukaioc 7iai8eia, Glotta XXXIV, 1955; 
L. Richter, Platons Stellung zur praktischen u. speku- 
lativen Musiktheorie ..., Kgr.-Ber. Hbg 1956; ders., 
Die Aufgaben d. Musiklehre nach Aristoxenos u. Kl. 
Ptolemaios, AfMw XV, 1958; ders., Zur Wissenschafts- 
lehre v. d. Musik bei Platon u. Aristoteles, = Deutsche 
Akad. d. Wiss. zu Bin, Schriften d. Sektion f. Altertums- 
wiss. XXIII, Bin 1961 ; ders., Antike Uberlieferungen in d. 
byzantinischen Musiktheorie, Deutsches Jb. d. Mw. VI 
(= JbP LIII), 1961; O. Becker, Frilhgriech. Mathematik 
u. Musiklehre, AfMw XIV, 1 957 ; N. C. Carpenter, Music 
in the Medieval and Renaissance Univ., Norman/Okla. 
(1958) ; M. Fuhrmann, Das systematische Lehrbuch, Got- 
tingen 1960 (zur Antike); Fr^ Kuhnert, Allgemeinbil- 
dung u. Fachbildung in d. Antike, = Deutsche Akad. d. 
Wiss. zu Bin, Schriften d. Sektion f. Altertumswiss. XXX, 
Bin 1961, dazu H. J. Mette in: Deutsche Literaturzeitung 
LXXXIV, 1963; W. Burkert, Weisheit u. Wiss., Studien 
zu Pythagoras, Philolaos u. Platon, = Erlanger Beitr. zur 
Sprach- u. Kunstwiss. X, Nurnberg 1962; H. Fuchs, Ar- 
tikel Enkyklios Paideia u. Enzyklopadie, in : Reallexikon 
f. Antike u. Christentum V, Stuttgart 1962; Cl. V. Palis- 
ca, Scientific Empirism in Mus. Thought, in : Seventeenth 
Cent. Science and the Art, hrsg. v. H. H. Rhys, Princeton 
(N. J.) 1962. 

Einzelne Lander (Gegenwart) : Comptes rendus relatif s a 
la musicologie, BUM I, 1921 -VI, 1926; O. Strunk, State 
and Resources of Musicology in the United States, Wa- 
shington 1932; ders., Sources and Problems for Graduate 
Study in Musicology, in: Papers and Proceedings of the 
Music Teachers' National Ass. XXVIII, 1933; ders., The 
Hist. Aspect of Musicology, ebenda XXXI, 1936; D. v. 
Bartha, Die neue mw. Forschung in Ungarn, AfMf II, 
1937; ders., Die ungarische Musikforschung d. letzten 
Jahrzehnts, Kgr.-Ber. Wien 1956; C.-A. Moberg, Die neue 
mw. Forschung in Schweden, AfMf II, 1937; A. Smijers, 
Die Mw. in Holland u. Flandern 1930-36, ebenda; O. M. 
Sandvik, Uber d. norwegische Musikforschung, AfMf III, 
1938; W. Gurlitt, Der gegenwartige Stand d. deutschen 
Mw., DVjs. XVII, 1939 ; T. Haapanen, Die mw. Forschung 
in Finnland, AfMf IV, 1939; Fr. Gennrich, Die StraB- 
burger Schule f. Mw., = Kleine deutsche Musikbiicherei 
III, Wiirzburg (1940); A. Geering, Vom speziellen Beitr. 
d. Schweiz zur allgemeinen Musikforschung, Mf III, 1950; 
Fr. Bose, Sudamerikanische Musikforschung, AMI XXIX, 
1957 ; M. F. Bukofzer, The Place of Musicology in Ameri- 
can Institutions of Higher Learning, NY (1957); Z. Lissa, 
Die Mw. in Volkspolen (1945-56), Mf X, 1957; O. Wesse- 
ly, Die Osterreichische Musikforschung nach d. zweiten 
Weltkrieg, AMI XXIX, 1957; S. Clercx-Lejeune, La mu- 
sicologie en Belgique depuis 1945, AMI XXX, 1958; E. 
Gerson-Kiwi, Musicology in Israel, ebenda; Fr. Lesure, 
La musicologie frc. depuis 1945, ebenda; H. Rosenberg, 
Mw. Bestrebungen in Danemark, Norwegen u. Schweden 
in d. letzten ca. 15 Jahren, ebenda; H. P. Schanzlin, Mw. 
in d. Schweiz (1938-58), ebenda; R. Allorto u. Cl. Sar- 



tori, La musicologia ital. dal 1945 a oggi, AMI XXXI, 
1959; Dr. Cvetko, Les formes et les resultats des efforts 
musicologiques yougoslaves, ebenda; D. Devoto, Panora- 
ma de la musicologia latinoamericana, ebenda ; N.-E. Ring- 
bom, Die Musikforschung in Finnland seit 1940, ebenda; 
M. S. Kastner, Veinte aiios de musicologia en Portugal 
(1940-60), AMI XXXII, 1960; E. Reeser, Mw. in Holland, 
ebenda; Sc. Goldthwaite, The Growth and Influence of 
Musicology in the United States, AMI XXXIII, 1961 ; Fr. 
Y. Nomura, Musicology in Japan Since 1945, AMI XXXIV, 
1962; J. Kerman, A Profile for American Musicology, 
JAMS XVIII, 1965, dazu E. E. Lowinsky, ebenda; D. M. 
McCorkle, Finding a Place for American Studies in Amer- 
ican Musicology, JAMS XIX, 1966. HHE 

Musique concrete (miiz'ik kokr'ett, frz.). Versuche 
P. Schaeffers mit Gerauschen brachten ihn 1948 auf den 
Gedanken, auf Schallplatte oder Tonband aufgenom- 
mene Klange zu verandern. Dies war der Ausgangs- 
punkt fur die ersten Versuche mit M. c. Wahrend die 
traditionelle Musik die Klange der abendlandischen 
Instrumente verwendet und die -*■ Elektronische Musik 
mit ausschliefilich elektrisch erzeugten Klangen arbei- 
tet, schopft die M. c ihr Material aus alien Bereichen 
des Horbaren: Musikinstrumente Europas oder frem- 
der Volker, auBermusikalische Schallquellen, Natur- 
laute, elektrisch erzeugte Gerausche oder Klange. Nach 
der Schallplatten- oder Tonbandaufnahme werden 
Klangfragmente ausgewahlt und mit Hilfe von Appa- 
raten (z. B. dem Phonogene von J.Poullin und F. Cou- 
pigny) neu zusammengesetzt und gemischt. Die Me- 
thode der M. c. geht von dem Gedanken aus, daB der 
musikalische Wert der Elemente und der so gewonne- 
nen, neu zusammengesetzten Klange von deren Her- 
kunft ganz unabhangig und nur an die Kriterien der 
horenden Wahrnehmung selbst gebunden ist. MaB- 
gebend ist ferner, daB von diesen Kriterien die drei 
Parameter Tonhohe, Intensitat und Dauer, die von der 
Elektronischen Musik in den Vordergrund geriickt 
wurden, nur eine beschrankte Anzahl von Klangen zu 
charakterisieren vermogen, gegeniiber der tatsachli- 
chen Vielfalt des sconcret sonore« im Hinblick auf Far- 
be, Dichte, Dynamik und andere Eigenschaften. - Die 
Werke, die die Anfange der M. c. (1948-53) reprasen- 
tieren, sind gekennzeichnet durch das Verfahren, vo- 
kale und instrumentale Klange, mehr oder weniger 
transformiert, als Material fiir neue musikalische Struk- 
turen zu benutzen. Die Entwicklung fiihrte von Stu- 
dien wie Schaeffers Concert de bruits von 1948 (Etudes 
aux tourniquets, Etudes aux chemins de fer, Etudes 
pour piano, Etude pathetique) zu surrealistischen Wer- 
ken wie der Symphonie pour un homme seul, die einige 
Jahre spater M. Bejart zu einem Ballett inspirierte. Mit 
der Bildung der Groupe de M. C. kam es zu einer Zu- 
sammenarbeit Schaeffers mit P.Henry. Studien und 
Versuche unternahmen zwischen 1951 und 1953 auch 
O.Messiaen (Timbres-Dure'es), P.Boulez (Etude I und 
II), A.Hodeir, Ph.Arthuys, M. Philippot, J. Barraque, 
D.Milhaud in Zusammenarbeit mit J.E.Marie. 1953 
stieB die Urauffiihrung von P. Schaeffers und P. Henrys 
Spectacle lyrique Orphee 53 bei den Donaueschinger 
Musiktagen auf heftigen Widerstand. - Die M. c. fand 
schnell Anklang, aber auch Widerspruch in der ganzen 
Welt.WahrenddieMHSic/orTa^evonW.Ussachewsky 
und die Experimente von J. Cage (-»• Prepared piano) 
von ahnlichen Voraussetzungen ausgingen und Honeg- 
ger, Milhaud, Messiaen, Sauguet, Scherchen und Va- 
rese eigene Versuche unternahmen, sich der M. c. zu 
nahern, kam Boulez seit 1953 wieder von ihr ab. Doch 
trotz der (nach Methode und geistiger Haltung) ver- 
schiedenartigen Richtungen experimenteller Musik 
begann die M. c. international auszustrahlen. Zahlrei- 
che junge franzosische und auslandische Komponisten 



618 



Mutierung 



wurden nach Paris eingeladen, urn dort zu arbeiten 
(Malec, Mireille Chamass, Canton, Tamba, Miroglio, 
Boucouretchliev, Mache, Ferrari, Vandelle, Bayle u. a.), 
und immer haufiger wird M. c. in Rundfunk, Theater, 
Ballett, Film und Fernsehen verweftdet. Ein reger in- 
ternationaler Austausch von Informationen und Band- 
aufnahmen fand statt. Die RTF sendete im Juni 1953 
Werke verschiedener Richtungen im Laufe einer Pre- 
miere decade de musique experimentale. 1958 defi- 
nierte Schaeffer die Aufgaben seiner Arbeitsgruppe 
neu, die seither als Groupe de recherches musicales der 
ORTF weitergefiihrt wird. Wenngleich ein von dieser 
Gruppe aufgestelltes Repertoire international des stu- 
dios et des oeuvres gezeigt hat, daB die verschiedenen 
Arten experimenteller Musik sich allmahlich einander 
genahert haben, hat doch die Pariser Gruppe ihre Ei- 
genart bewahrt. Die Prinzipien ihrer Arbeit konnen 
wie folgt charakterisiert werden: Wenn Musik dazu 
da ist, gehort zu werden, so muB auch experimentelle 
Musik konkret bleiben in dem Sinne, daB die Erfor- 
schung der musikalischen Klangeigenschaf ten sich nicht 
mit dem begniigen kann, was in der Notenschrift 
oder als akustischer Parameter dargestellt wird. Unter 
unzahligen »klingenden Objekten«, die auf verschie- 
dene Weise entstanden sind, wahlt der Komponist Ma- 
terialien aus, die ihm als »musikalische Objekte«, als Be- 
standteile einer musikalischen Sprache geeignet erschei- 
nen. Der elektrisch erzeugte Klang der Elektronischen 
Musik gehort zu diesen Materialien, kann aber die iib- 
rigen wegen seines Mangels an Lebendigkeit nicht 
ganzlich verdrangen und ersetzen. - Das Studium der 
Objekte und ihrer Beziehungen gilt iiberdies als eine 
Vorbedingung zu einer universalen Erforschung der 
Strukturen der verschiedenen musikalischen Sprachen. 
Lit. : P. Schaeffer, A la recherche d'une m. c, Paris 1952 ; 
ders., Zur Situation d. Versuche elektroakustischer Klang- 
gestaltung, in: Gravesano, hrsg. v. W. Meyer- Eppler, 
Mainz 1955; Vers une musique experimentale, hrsg. v. 
dems., =RM Nr 236, 1957; Exp6riences mus., hrsg. v. 
dems., ebenda 244, 1959; ders., M. c. et connaissance de 
l'objet mus., RBM XIII, 1959 ; ders., Traite des objets mu- 
sicaux, Paris 1967; ders. u. P. Boulez, Artikel Concrete, 
in: Encyclopidie de la musique I, Paris 1958 ; M. Scriabine, 
P. Boulez et la m. c, RM Nr 215, 1952; G.-W. Baruch, 
Was ist M. c.?, Melos XX, 1953; W. Keller, Elektroni- 
sche Musik u. M. c, in : Merkur IX, 1 955 ; J. Poullin, M. c, 
in : Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin 1955 ; 
C. Casini, L'impiego nella colonna sonora della musica 
elettronica e della musica concreta, in : Musica e film 1959; 
Fr. K. Prieberg, Musica ex machina, Bin, Ffm. u. Wien 
(1960) ; Fr. C. Judd, Electronic Music and M. C., London 
1961 ; K. Stockhausen, Arbeitsber. 1952/53 : Orientierung, 
in: Texte zur elektronischen u. instr. Musik I, Koln 1963. 

PSch 

Musique mesur£e (miiz'ik maziir'e, frz.) -»• Vers 
mesures. 

Musiquette (miizik'et, frz.), s. v. w. leichte, unterhal- 
tende Musik. M. nannte A. Pougin die Musik zu klei- 
nen (burlesken oder satirischen) Theaterstiicken von 
-> Herve (z. B. Don Quichotte et Sancho Pansa, 1848). 
M. bezeichnete dann auch kleine singspiel- oder ope- 
rettenartige Werke im Stil Offenbachs (-»■ Operette). 

muta (lat.) -> Mutation (- 4). 

Mutanza (ital., von span, mudansa, Veranderung), im 
ausgehenden 16. Jh. choreographisch die kleine Solo- 
tour der Dame oder des Herrn im Gesellschaftstanz (so 
bei Caroso 1581); daneben auch musikalisch eine mit 
Parte und Modo gleichbedeutende Bezeichnung fur 
die instrumentale Tanzvariation (z. B. bei A. Valente, 
1576 : Tenore de Passo e mezo con sei mutanze). 
Lit.: V. Junk, Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930; F. Torre- 
franca, Documenti definitivi sulla partita, Kgr.-Ber. Bam- 



berg 1953; H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkomposition 
um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr. 

Mutation (lat. mutatio, Veranderung; frz. und engl. 
mutation; span, mutacion bzw. mutanca; ital. muta- 
zione, mutanza). - 1) M. bezeichnet innerhalb der 
-> Solmisation den beim Hexachordwechsel vollzo- 
genen Obergang (transitus) bzw. die Veranderung 
(variatio) einer Solmisationssilbe (vox) in eine andere: 
Mutatio est sub una clavi et eadem unisona transitio uocis 
in vocem (Hieronymus de Moravia, ed. Cserba, S. 49). 
Da dieser Vorgang regular auf gleicher Tonstufe (cla- 
vis) stattfindet, umschreibt M. in engerem Sinn den Be- 
nennungswechsel eines Tones : Denique mutatio cuiuslibet 
vocis non est soni, sei nominis ipsius (Tinctoris, CS IV, 
13a). Die Musiklehre unterscheidet hauptsachlich zwei 
Arten von M. (hier in der Terminologie Conrads von 
Zabern) : a) Mutatio ratione vocum. Sie ist notwendig, 
wenn eine Melodie in ihrem Verlauf die Grenzen des 
Hexachords iiberschreitet, z. B. : 
ACDDFGacha 
re fa sol sol re fa mi re (Hexachordum durum) 

+ + 

re fa sol la (Hexachordum naturale) 

b) Mutatio ratione signi. Sie wird verursacht durch den 
Gebrauch von bmolle (= b) nach vorausgegangenem 
bdurum (= h) oder umgekehrt, da beide verschiedenen 
Hexachorden zugehoren. Der Vollzug dieser M. ist 
stets an die Silben ut-re, re-mi, fa-sol oder sol-la ge- 
bunden, z. B. : • Hexachordum 



Hexachordum molle 



(a-la-)mi— re 



durum 




Demgegeniiber werden groBere Intervalle, die iiber 
den Umfang eines Hexachords hinausgehen, sprung- 
weise erreicht (z. B. die Oktave A-a = re-re, die Quin- 
te E-h = mi-mi; vgl. hierzu vor allem die Traktate aus 
dem 16. Jh.). - 2) In der Kompositionslehre des 17./18. 
Jh. ersetzt Mutatio das griechische Wort -*■ Metabole 
und bezeichnet die Veranderung einer anf angs gewahl- 
ten musikalischen Ordnung: den Wechsel des Klang- 
geschlechts (mutatio per genus), der Tonlage (mutatio 
per systema), der Tonart (mutatio per modum vel to- 
num) oder der Manier (mutatio per melopoeiam). 
- 3) Wahrend des 16. Jh. findet sich die italienische 
Wortform mutanza f iir Variation. - 4) Bei Instrumen- 
ten heiBt muta: »verandere« die Stimmung, z. B. der 
Pauken oder der Horner (durch Einsetzen eines Stimm- 
bogens); bei Streichinstrumenten ist M. der Lagen- 
wechsel, bei Posaunen der Positionswechsel des Zuges; 
allgemein fordert die Bezeichnung M. einen Instru- 
mentenwechsel, z. B. Flauto muta in piccolo. Das M.s- 
Register der Orgel verandert (verstarkt) einen Partial- 
ton des Grundregisters. - 5) M. in bezug auf die Sing- 
stimme: -»• Mutierung. 

Lit. : L. Balmer, Tonsystem u. KirchentSne bei J. Tincto- 
ris, = Berner Veroff. zur Musikforschung II, Bern u. Lpz. 
1935 ; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, 
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. so- 
zialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; Die Musiktraktate Con- 
rads v. Zabern, hrsg. v. K. W. Gumpel, ebenda 1 956, Nr 4 ; 
Kl. W. Niemoller, N. Wollick . . . u. sein Musiktraktat, 
= Beitr. zur rheinischen Mg. XIII, Kbln 1956. 

Mutierung (Stimmwechsel, Mutation, von lat. mu- 
tatio, Anderung). Mit Beginn der Pubertat tritt eine 
Wandlung in der bis dahin unterschiedslosen Sprech- 
stimmlage von Knaben und Madchen ein. Durch 
schnelles Wachsen des mannlichen Kehlkopfes sinkt 
die Knabenstimme um etwa eine Oktave, die weibliche 
kann in ihrer Lage bleiben oder bis zur Terz absinken, 



619 



da der weibliche Kehlkopf nur gering wachst. Etwa 
ein Drittel aller Rnabenstimmen entwickelt sich zum 
Tenor, zwei Drittel zum Bariton oder Ba6. Erschei- 
nungen wie Tremolieren, Umschlagen der Stimme, 
Einengung des Stimmumfangs werden als Stimmbruch 
bezeichnet. Gewohnlich ist die M. im 16. Lebensjahr 
abgeschlossen. Der Kehlkopf wachst jedoch nach Ab- 
scbluB der M.s-Periode noch weiter; zunachst ist nur 
die Sprechstimme gefestigt, wahrend die Singstimme 
erst sehr viel spater (etwa im 25.-30. Lebensjahr) voll 
entwickelt ist. Selten wahrt die Unsicherheit der Stim- 
me iiber die eigentliche M.s-Zeit hinaus (persistierende 
M.s-Stimme). Bei diesem verlangerten Stimmwechsel 
fehlt die Bruststimme manchmal ganz. Eine weitere 
Abweichung ist die verfriihte M., hervorgerufen durch 
Verfriihung der Pubertat. Die Beanspruchung der 
-»■ Stimme (- 2), besonders beim Singen, hat sich den 
Erscheinungen der M. im einzelnen anzupassen. 
Lit.: L. Hess, Die Behandlung d. St. . . ., Marburg 1927; 
O. Brill, Die Kinderst., Bin 1930; P. Nitsche, Die Pflege 
d. Kinderst., = Bausteine f. Musikerziehung IV, Mainz 
1952; M. Sparber, Stimmbildnerische Aufgaben wahrend 
d. Mutationszeit, Musikerziehung XV, (Wien) 1961/62; 
dies., Probleme d. Mutation, Musica Sacra LXXXII, 
(Koln) 1962; Kl. Lang, Die mannliche St. vor u. nach d. 
Mutation, Diss. Bin (F. U.) 1966. 

m. v., Abk. fur ->• mezza voce. 

Mysterienspiele ->• Liturgisches Drama und 
Mysterienspiele. 

Mystischer Akkord ist die theosophisch verklarte 
Bezeichnung fiir A. Skrjabins Quartenakkord, wie er 
besonders durch sein Orchesterwerk 



Promethee (Le Poeme dufeu) op. 60 (1911) 
beriihmt wurde, daherauch »Promethei- 
scher Akkord« genannt. Der Komponist 
sah in ihm eine - zufolge der gleich- 
schwebend-temperierten Stimmung zwar unvollkom- 
mene - Widerspiegelung der Obertone 8-14 (c d e 



i 



i 



9fci 




"fis [g] + as _ b; »Synthetischer Akkord«). Bei Skrjabin 
kommt allerdings der M. A. schon im 1. Satz der 4. 

Klaviersonate op. 30 
(1903) vor (vgl. u. a. 
die Takte 18 und 22) ; 
dann auch in op. 46 
(siehe nebenstehendes 
Beispiel). Hier enthiillt 
er sich als Dominant- 
septnonenakkord mit doppeltem Vorhalt (fis 1 und ai) 
zur Quinte (gi). Das Auf sehen, das er in Skrjabins Wer- 
ken um und nach op. 60 hervorrief, beruht auf einer 
Verwendung, die seine »funktionelle« Herkunft ne- 
giert. In den 9 SchluBtakten der 7. Klaviersonate op. 64 
(1911/12) setzt sich das Tonmaterial ausschlieBlich aus 
den 6 TSnen des nach fis transponierten M.n A.s zu- 
sammen (fis-his-e^-ais'-disi-gis 1 ), dessen sowohl hori- 
zontale als auch vertikale Verwendung wie eine Vor- 
wegnahme der Z wolf tontechnik wirkt. Doch bestimmt 
bei Skrjabin die Intervallstruktur eines Akkordes die 
horizontalen und vertikalen Tonkombinationen, wah- 
rend bei Schonberg die Intervallstruktur einer -> Reihe 
diese Auf gabe ubernimmt. In seiner spateren Zeit ver- 
wendete Skrjabin iiberdies noch andere »synthetische 
Akkorde«. 

Lit.: B. de Schloezer, A. Scriabine, RM II, 1921; A. J. 
Swan, Scriabin, London 1923; L. Ssabanejew, A. N. 
Skrjabin, Melos IV, 1924/25; ders., Prometheus v. Skrja- 
bin, in: Der blaue Reiter, hrsg. v. W. Kandinsky u. Fr. 
Marc, Munchen 1912, NA v. K. Lankheit, ebenda 1965; 
Z. Lissa, O harmonice A. N. Skrjabina, Kwartalnik mu- 
zyczny II, 1930; dies., Geschichtliche Vorform d. Zwolf- 
tontechnik, AMI VII, 1935; P. Dickenmann, Die Ent- 
wicklung d. Harmonik bei A. Skrjabin, = Berner Veroff. 
zur Musikforschung IV, Bern 1935 ; H. Boegner, Die Har- 
monik d. spSten Klavierwerke A. Skrjabins, Diss. Mun- 
chen 1955, maschr.; C. Dahlhaus, A. Skrjabin, Deutsche 
Universitatszeitung XII, 1957; Cl.-Chr. v. Gleich, Die 
sinfonischen Werke v. A. Skrjabin, = Utrechtse bijdrage 
tot de muziekwetenschap III, Bilthoven 1963. 



620 



N 



Nacaire (nak'err, altfrz., von arabisch naqqarat zu 
altspan. nacara; latinisiert anacaria; altital. naccherone; 
altengl. nakers), eine um 1300 belegte kleine Hand- 
pauke, die orientalischer (sarazenischer) Herkunft ist 
und meist paarig als Reiterinstrument benutzt wurde. 
Im Italienischen wird 1303 bei Ciriffo Calvaneo ein 
naccherone erwahnt; der Chronist Ludwigs des Heili- 
gen, Joinville, bringt (Histoire de Saint Louis, 1309) die 
franzosische Form N. (Lorsfist sonner les tabours que Von 
appelle n.s). Es handelt sich hier um friihe sua- und 
westeuropaische Belege der Pauke. 
Lit.: SachsL; Sachs Hdb.; Fr. Dick, Bezeichnungen f. 
Saiten- u. Schlaginstr. in d. altfrz. Lit., = GieBener Beitr. 
zur Romanischen Philologie XXV, GieBen 1932. 

Nachahmung, - 1) im satztechnischen Sinne -*■ Imi- 
tation; - 2) im kunsttheoretischen Sinne -> Affekten- 
lehre, -*■ Ausdruck, -> Figuren (besonders -*■ Hypo- 
typosis) ; -»■ Tonmalerei. 

Nachhall (engl. reverberation) kommt in einem Raum 
mit reflektierenden Wanden dadurch zustande, daB 
nach Aufhoren der Zufuhr von Schallenergie der allge- 
meine Schallpegel absinkt.Entsprechend der Geschwin- 
digkeit, mit der dies geschieht, bezeichnet man den 
Raum als mehr oder weniger stark gedampft. Als 
MaBeinheit fur das Abklingen des Schalles im Raum 
gilt die Nachhallzeit (T). Hierbei handelt es sich nicht 
um die Dauer, in der das Abklingen wahrzunehmen 
ist ; vielmehr wird als T die Zeitspanne definiert, in der 
die Schallenergie auf den millionsten Teil, der Schall- 
druck entsprechend auf den tausendsten Teil seines 
Ausgangswertes abgesunken ist. T hangt in starkem 
MaB von der Frequenz ab, mit der der Raum angeregt 
wird. Daher dienen zur naheren Charakterisierung ei- 
nes Raumes die bei verschiedenen Frequenzen gemesse- 
nen T-Werte. Aus den einzelnen MeBpunkten ergibt 
sich die N.-Kurve; ihre Charakteristik - bei groBen 
Raumen an verschiedenen Orten gemessen - laBt Rtick- 
schliisse auf die GleichmaBigkeit der Verteilung von 
Schallenergie im Raum (-> Difmsitat) zu. -*■ Raum- 
akustik. 

Lit. : P. V. Bruel, Sound Insulation and Room Acoustics, 
London 1951 ; E. Skudrzyk, Die Grundlagen d. Akustik, 
Wien 1954; W. Furrer, Raum- u. Bauakustik f. Architek- 
ten, Basel u. Stuttgart 1956, 21961 als: Raum- u. Bauaku- 
stik - Larmabwehr; Fr. Winckel, Raumakustisches Kri- 
terium hervorragender Konzertsale, Frequenz XII, 1958; 
G.VENZKE.DieRaumakustikd.KirchenverschiedenerBau- 
stilepochen, Acustica IX, 1959; W. Lottermoser, tlber d. 
Akustik d. Raumes u. d. Org. in d. Frauenkirche zu Dres- 
den, AfMw XVII, 1960; L. Cremer, Statistische Raum- 
akustik, = Die wiss. Grundlagen d. Raumakustik II, Stutt- 
gart 1961; H.-P. Reinecke, Stereo-Akustik, Koln 1966. 

Nachsatz -> Metrum (- 3), -> Periode, -*■ Satz. 

Nachschlag, - 1) eine oder mehrere Verzierungs- 
noten, die an die vorangehende Hauptnote angebun- 
den sind und deren Wert entsprechend verkurzen; 
-*■ Vorschlag (durchgehender Vorschlag) ; -2) -> Triller. 



Nachspiel (lat. postludium) nennt man gewohnlich 
das Orgelstiick nach dem AbschluB des Gottesdien- 
stes. - Auch ein lingerer vom Begleitinstrument ausge- 
fiihrter SchluBteil von Liedern und Liederzyklen wird 
als N. bezeichnet, z. B. das Adagio am Ende von R. 
Schumanns Frauenliebe und -leben op. 42. Als noten- 
getreues Spiegelbild des Praeludiums beschlieBt ein 
Postludium den Fugenzyklus Ludus tonalis fur Kl. 
(1942) von Hindemith. 

Nachtanz ist der Gegenbegriff zu (Vor-)Tanz bei der 
paarweisen Zusammenstellung von Tanzen, bei der in 
der Regel einem ruhigen, geradtaktigen Schreittanz ein 
lebhafter.ungeradtaktigerSpringtanzfolgt.DieseTanz- 
folge ist fur die abendlandische Tanzgeschichte vom 
Mictelalter bis ins 17. Jh. von grundlegender Bedeu- 
tung und bildet im 16. Jh. den Keim zur -> Suite. Ober 
die Gemeinsamkeit der Tonart hinaus sind Tanz und 
N. oft melodisch und harmonisch miteinander ver- 
wandt; haufig kann der N. nach Austausch des Men- 
surzeichens aus dem Tanz abgelesen werden (z. B. bei 
Attaingnant 1530). In deutschen Quellen finden sich ge- 
legentlich nur die neutralen Benennungen Dantz und 
Nach dantz (so bei B.Jobin 1573), fiir gewohnlich tra- 
gen Tanz und N. jedoch die Namen bestimmter Tan- 
ze. Neben den wichtigen Paaren Pavane und Galliarde 
sowie Allemande und Courante sind noch zahlreiche 
andere Zusammenstellungen belegt: als (Vor-)Tanz 
werden u. a. Passamezzo und Basse danse verwendet, als 
N. Saltarello (Italien), Pas de Breban, Tourdion (Frank- 
reich), Aha danza (Spanien) , Hupf auf , Proportz, Sprung, 
Tripla (Deutschland). 

Lit. : H. Riemann, Tanze d. 16. Jh. a double emploi, Mk 
VI, 1906/07. 

Nachthorn ist in der Orgel eine sehr weite, offene, 
zylindrische oder leicht konische Labialstimme, oft aus 
Metall (auch eng holzgedackt, rohrgedackt und sogar 
als Lingualstimme bezeugt). Es kommt meist als 2', 
manchmal als 4' oder 1' vor, selten als 8' und 16'. Das 
Wort N. ist moglicherweise eine Kontamination aus 
-> Nasat und -> Gemshorn. Die 2'-Lage ist in Frank- 
reich schon in der Mitte des 16. Jh. als Quarte du nazard 
(Quarte zum Nasard 2 2 / 3 ') belegt und hieB bei A. 
Schlick und A. Schnitger Gemshorn. Der Klang ist tra- 
gend und weich. Cavaille-Colls Cor de nuit entspricht 
etwa dem Gedacktpommer. 

Nachtstiick -^-Nocturne. 

Nagelgeige, auch Eisenvioline, Stiftspiel (ital. violino 
di ferro; frz. harmonie a clous de fer, violon de fer; 
engl. nail violin), ein von dem deutschen Violinisten J. 
Wilde 1744 konstruiertes Instrument, bei dem 12-24 
Drahtstif te verschiedener Lange auf einem halbmond- 
formigen Resonanzkorper angebracht sind und mit 
einem mit Harz eingeriebenen derben Bogen seitlich 
angestrichen werden. Die Anzahl der Drahtstifte wur- 
de spater wesentlich vermehrt. Verbesserungen des In- 



621 



Nasat 



strumous erfanden Senal in Wien 1780 (15-16 mit- 
schwingende Sympathiesaiten) und Trager in Bern- 
burg 1791, der das Instrument mit einer KJaviatur ver- 
sah (Nagelklavier) und den Bogen durch ein rotieren- 
des, die Nagel anreibendes Band ersetzte; durch Nieder- 
druck der "fasten wird das Band gegen die entsprechen- 
den Eisenstifte gedriickt. Dieses Instrument wurde als 
Nagelharmonika im spaten 18. Jh. im Konzert gespielt. 

Nasat (von nld. nazaat, Nachsatz; frz. nasard oder 
nazard), labiale Quintstimme der Orgel, 2 2 /3' oder 
\ l jz'. Urspriinglich auch Oktavreihen zu 4' und 2' be- 
zeichnend, ist N. schon vor 1600 zur Benennung einer 
Quintstimme geworden. Der Klang ist zart und na- 
selnd, weswegen der Friihbarock den Namen von »na- 
seln« ableitete (z. B. Praetorius Synt. II, S. 134). N.- 
Register werden zylindrisch, haufiger konisch offen, 
mittelweit oder weit, auch gedeckt und teilgedeckt 
gebaut. In Frankreich ist Nasard immer Quint 22/3', 
Petit Nasard (oder Larigot) Quint l 1 / 3 ', Gros Nasard 
Quint 51/3'. Manchmal findet sich GroB-N. IO2/3' im 
Pedal, der zusammen mit dem 16' akustisch einen 32' 
ergibt. Der spanische Orgelbau kennt Nasardos als 
mehrchorige gemischte Stimmen, auch als Oktavre- 
gister (Octavanazarda). 

Nationalhymne (engl. national anthem) bezeichnet 
seitEnde des 18. Jh. ein Musikstiick, das bei staatlichen, 
sportlichen und anderen Anlassen zum Protokoll ge- 
hort. Die Geschichte der Grundungen und Umgestal- 
tungen von Staaten sowie das jeweilige nationale 
Selbstverstandnis spiegeln sich in den N.n wider, zu 
denen Konigshymnen, patriotische Volkslieder, Stiicke 
aus Biihnenwerken mit nationalen Stoffen, Militar- 
marsche, religiose Hymnen sowie Freiheits- und Re- 
volutionshymnen erhoben wurden. N.n der jungen 
Volker Asiens und Afrikas sind oft Bearbeitungen ein- 
heimischer Lieder oder Neukompositionen im abend- 
landischen Tonsystem, wahrend die N.n der Staaten 
Europas der jeweiligen Musikkultur entstammen. Ein 
GroBteil der N.n Europas und vor allem Amerikas ist 
in Text und Melodie dem volkstiimlichen Lied, vor 
allem dem Chorlied des 19. Jh., verpflichtet. Da N.n 
in der Regel sangbare Musik mit obligatorischen Tex- 
ten sind, ergeben sich in mehrsprachigen Staaten (Bel- 
gien, Kanada u. a.) Probleme, die durch Einsetzen 
mehrerer N.n oder durch zusatzliche Anerkennung in- 
offizieller Hymnen der Minderheiten gelost werden. 
Umgekehrt war aber der Mazurek Dabrowskiego 
(Jeszcze Polska nie zginela, »Noch ist Polen nicht ver- 
loren«, eine altpolnische Volksweise, die J.Wybicki 
wahrscheinlich seinem 1797 geschriebenen Text ange- 
paBt hat) im 19. Jh. Melodie mehrerer panslawistischer 
Lieder und ist heute auch Melodie der jugoslawischen N. 
-Einer deraltestenpatriotischenGesangeistdieHussiten- 
hymne Kdoz iste Bozi bojonlci aus dem 15. Jh., die von 
Smetana in Tabor und Blanik aus dem Zyklus Ma vlast 
bearbeitet wurde. 

Der Text der N. der Niederlande (seit 1932) wird 
Ph.Marnix van St.Aldegonde zugeschrieben (Wilhel- 
mus van Nassowe ben ick van Duytschen bloet, veroffent- 
licht in Een Nieu Geusen Lieden Boecxken, 1581), die 
Melodie ist anonym in Valerius' Lautentabulaturwerk 
Nederlandtsche Gedenck-Clanck (1625) erschienen. - Die 
Melodie der N. GroBbritanniens, zuerst veroffent- 
licht im Thesaurus musicus (1744), scheint zu Beginn des 
17. Jh. schon sehr bekannt gewesen zu sein, denn sie 
tritt als Thema einer Fantasia auf, die in der Orgelta- 
bulatur Lynar Al und durch Kitchiner (1823) iiberlie- 
fert ist und Sweelinck bzw. J.Bull (1619) zugeschrieben 
wird, ferner als Thema einer Fuga (Nr 23) der Tabula- 
tur Liineburg KN 208 1 . Satze fur sie schrieben Th. A. 



Arne und Ch.Burney (1745). Auf die gleiche Melodie 
wurden zeitweilig N.n u. a. Deutschlands und der 
Schweiz gesungen; sie ist heute noch die Melodie der 
N. Liechtensteins. Sie wird zitiert u. a. von CM. v. 
Weber in der Jubelouvertiire; Variationen tiber die Me- 
lodie komponierte Beethoven (WoO 78). Daneben 
wird seit 1740 inoffiziell Rule Britannia (Th. A. Arne -J. 
Thomson und D. Mallet) gesungen, das ebenfalls von 
Beethoven als Variationsthema (WoO 79) benutzt 
wurde. - Als N.n Deutschlands galten in der 2. 
Halfte des 19. Jh. das Deutschlandlied (Text von A.H. 
Hoffmann v. Fallersleben, 1841, auf die Melodie von 
J.Haydns Kaiserhymne; vgl. Osterreich), ab etwa 1855 
Was ist des Deutschen Vaterland sowie besonders nach 
1870 Die Wacht am Rhein (Melodie von C. ->- Wilhelm, 
1854). Die Kaiserhymne des 2. Reiches war das preuBi- 
sche Heil dir im Siegerkranz (auf die Melodie der engli- 
schen Konigshymne). Das Deutschlandlied wurde 1922 
offiziell N.; wahrend des 3. Reiches kam das Horst- 
Wessel-Lied (Die Fahne hoch) hinzu. Fur die Bundes- 
republik wurde 1950 das Lied der Deutschen (Land des 
Glaubens, von H.Reutter und R.A.Schroder) vorge- 
schlagen, seit 1952 aber wird die 3. Strophe des Deutsch- 
landliedes gesungen. In der Deutschen Demokratischen 
Republik wird seit 1949 Auferstanden aus Ruinen (von 
H.Eisler und J. R. Becher) gesungen. - Als N. Oster- 
reichs gait J.Haydns Gott erhalte Franz, den Kaiser, das 
er wahrend der Komposition der Schopfung schrieb 
(1. Auffiihrung am Geburtstag Franz I., 1797) ; die Me- 
lodie verwandte Haydn als Thema zu Variationen im 
Streichquartett op. 76 Nr 3 (Hob. Ill, 77; 1797). Seit 
1946 wird die Bundeshymne Land der Berge mit dem 
Text von P.Preradovic auf die Melodie des SchluBge- 
sangs (Lafit uns mit geschlungenen Handen) aus Mozarts 
Eine kleine Freymaurer-Kantate K.-V. 623 (1791) gesun- 
gen. - Text und Melodie fur Frankreichs N. (seit 
1795) stammen von CI. J. -> Rouget de lisle (La Mar- 
seillaise, \T¥l, als »Chant de guerre de l'armee du Rhin«) . 
tiber die Grenzen Frankreichs hinaus gait die Mar- 
seillaise - allenfalls darin vergleichbar der 1871 eben- 
falls in Frankreich entstandenen »Internationalen« - als 
Revolutionshymne schlechthin und wurde so ver- 
schiedentlich in Kompositionen zitiert (u. a. R.Wag- 
ner, Les deux grenadiers; R. Schumann, Faschingsschwank 
aus Wien op. 23, Zwei Grenadiere; Tschaikowsky, Ou- 
verture 1812). - Die N. der US A (The Star-Spangled 
Banner, seit 1916, bestatigt 1931) dichtete Fr. Scott Key 
wahrend des englisch-amerikanischen Krieges 1814 auf 
die Melodie des Liedes To Anacreon in Heaven von J. St. 
Smith. Puccini verwendete die Melodie in seiner Oper 
Madama Butterfly. - In RuBland wurde die 1833 kom- 
ponierte Zarenhymne Bosche zarja chrani nach der Re- 
volution durch die »Internationale« ersetzt. Seit 1944 
ist die offizielle N. der UdSSR die von A. W. ->- Ale- 
xandrow komponierte und von S. W.Michalkow und 
Elj-Registan gedichtete Hymne Sojus neruschimyj respu- 
blik swobodnych (»Ein ewiges Bundnis von Volksrepu- 
bliken«). - Melodien aus Opern und Singspielen sind 
die N.n in Danemark (aus J.E.Hartmann, »Die Fi- 
schers, 1778) und in der Tschechoslowakei (Kde 
domov muj aus Fr. -> Skroup, FidlovaHka, 1834). - Auf 
einen schon im 18. Jh. gespielten Militarmarsch geht 
die N. Spaniens (seit 1937), die Marcha real, zuriick. 
Der heute gebrauchliche Text wurde 1928 von J. Maria 
y Pemartin gedichtet. Eine (von G. Gabelli 1834 kom- 
ponierte) Marcia reale vertrat auch in Italien die N. 
Wahrend des Faschismus trat die Faschistenhymne Su, 
compagni inforti schieri daneben. 1946 wurde sie durch 
den 1847 von M.Novaro komponierten und von G. 
Mameli gedichteten oCanto degli Italiani« (Fratelli 
d'ltalia) ersetzt. - Seit 1890 ist Japans N. ein Text aus 



622 



Naturtone 



der Sammlung Kokin-Waka-Shu (9. Jh.) mit der Me- 
lodie von Hayashi Hironokami (1880), bearbeitet 1890 
von Fr.Eckert. - Indiens N. ist seit 1950 die von 
Gandhi so bezeichnete Andachtshymne von R. Tagore. 
Ausg. : S. A. Rousseau, Les chants nationaux de tous les 
pays, Paris 1901 ; A. Granville, The Most Popular Songs 
of Patriotism, London 1906; L. Gautier, Patriotic Airs of 
All Nations, London (1914); 57 Hymnen d. Volker, hrsg. 
v. L. Weniger, Lpz. 1936; National Anthems of the United 
Nations, hrsg. v. B. Treharne, Boston 1943; Himnos 
nacionales de las repiiblicas americanas, Washington 1949 ; 
N., hrsg. v. FDGB, Bin 1951 ; Die N. d. Erde, hrsg. v. Inst, 
f. Auslandsbeziehungen, Munchen 1958, Suppl. 1965; M. 
Shaw u. H. Coleman, National Anthems of the World, 
London 1960. 

Lit.: allgemein: R. Michels, Die Soziologie d. National- 
liedes, Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpolitik LV, 1926; H. 
Kohn, The Idea of Nationalism, NY 1 945, deutsch als : Die 
Idee d. Nationalismus, Heidelberg 1950; E. Lemberg, 
Gesch. d. Nationalismus in Europa, Stuttgart 1950; R. 
Wittram, Das Nationale als europaisches Problem, G6t- 
tingen 1954; H. L. Koppelmann, Nation, Sprache u. Na- 
tionalismus, Leiden 1956. - H. Abert, Eine N.-Slg, ZIMG 
II, 1900/01 ; E. Bohn, Die N. d. europaischen Volker, Bres- 
lau 1 908 ; P. Nettl, National Anthems, NY 1 952. - zu Nie- 
derlande: Loman, J. C. M. v. Riemsdijk, I. P. N. Land, 
J.W.ENSCHEDEu.FL.VANDuYSEin:TVerV, 1901 u.VIII, 
1904; Fl. Van Duyse, Het oude nederlandse lied II, Den 
Haag u. Antwerpen, 1905.-zuGroBbritannien: R.Clark, 
An Account of the National Anthem Entitled God Save 
the King, London 1822; W. Kitchiner, The Loyal and 
National Songs of England, London 1823; Fr. Chrysan- 
der, H. Carey u. d. Ursprung d. engl. Konigsgesanges, 
Jb. f. mus. Wiss. I, 1867; W. H. Cummings, God Save 
the King, London 1902; P. A. Scholes, God Save the 
Queen, London, NY u. Toronto 1954. - zu Deutschland: 
O. Boehm, Die Volks-Hymnen aller Staaten d. deutschen 
Reiches, Wismar 1901 ; Ch. Petzet, Die Bliitezeit d. deut- 
schen politischen Lyrik v. 1 840 bis 1 8 50, Munchen 1 902 ; U. 
Gunther, . . . iiber alles in d. Welt?, Studien zur Gesch. 
d. deutschen N., Neuwied u. Bin (1966). - zu Osterreich: 
A. Heuss, Haydn's Kaiserhymne, ZfMw I, 1918/19; A. 
Schnerich, Zur Vorgesch. v. Haydns Kaiserhymne, eben- 
da; J. Reindl, Zur Entstehung d. Refrains d. Kaiserhym- 
ne J. Haydns, StMw XXV, 1962. - zu Frankreich: C 
Pierre, La Marseillaise, comparaison des differentes ver- 
sions . . . , Paris 1 887 ; ders., Les hymnes et chansons de la 
Revolution, Paris 1 904 ; J. Tiersot, Hist, de la Marseillaise, 
Paris 1915; R. Brancour, La Marseillaise et le chant du 
depart, Paris 1916; L. Fiaux, La Marseillaise. Son hist, 
dans l'hist. des Francais depuis 1792, Paris 1918; Vl. Hel- 
fert, Contributo alia storia della Marseillaise, RMI 
XXIX, 1922; E. Istel, Is the Marseillaise a German Com- 
position?, MQ VIII, 1922; D. Fryklund, La Marseillaise 
dans les pays scandinaves, Halsingborg 1936; ders., La 
Marseillaise en Allemagne, ebenda 1936; ders., Marselja- 
sen, ebenda 1942; ders., Exposition de la Marseillaise, 
ebenda; H. Wendel, Die Marseillaise, Zurich 1936; St. 
Zweig, Das GenieeinerNacht, in: Sternstunden d. Mensch- 
heit, Ff m. 1 95 1 ; J. Klingenbeck, I. Pleyel u. d. Marseillaise, 
StMw XXIV, 1960. - zu USA: O. Sonneck, Report on 
»The Star-Spangled Banner«, »Hail Columbia«, »America 
Yankee Doodle«, Washington 1909, 2 1914. - zu sonstigen 
LSndern : L. Canepa, Hist, del himno nacional argentino, 
Buenos Aires 1944. - P. Gradenwitz, The Music of Is- 
rael, NY 1949; C. Curvin, »Ja, vi elsker dette landet«, 
StMf XLIV, 1 96 1 . - D. Wawrzykowska-Wierciochowa, 
Problem autorstwa »Mazurka D^browskiego« (»Das 
Problem d. Autorschaft d. Dqbrowski-Mazurka«), Muzy- 
ka IX, 1964. 

Naturhorn, Naturtrompete sind Instrumente ohne 
Klappen oder Ventile; auf ihnen konnen nur die -*■ Na- 
turtone hervorgebracht werden. 

Naturklangtheorie ist die Vorstellung, daB die Par- 
tialtonreihe (oder, sofern der Grundton nicht mitge- 
zahlt wird, Obertonreihe) das von Natur gegebene 
Vorbild der musikalischen Tonbeziehungen sei. Aus 
der von M.Mersenne (1636) entdeckten und von J. 



Sauveur (1700) prazise formulierten Tatsache, daB eine 
Saite nicht nur als Ganzes, sondern auch in ihren ali- 
quoten Teilen (1/2, V3, J /4 usw.) schwingt, zog J.-Ph. 
Rameau die musiktheoretische Konsequenz, daB we- 
sentliche Merkmale der tonalen Harmonik auf das Na- 
turvorbild der Partialtonreihe zuriickzufiihren seien: 
der Durdreiklang, die fundierende Bedeutung des 
Grundtons im Dreiklang und die Tendenz des Quint- 
tons (Dominante), zum Grundton (Tonika) zuriickzu- 
kehren. AuBer dem Durdreiklang sind von manchen 
Theoretikern (L.Euler, J.Ph.Kirnberger, G.Capellen) 
auch die Septime (7. Partialton) des Dominantsept- 
akkords und die None (9. Partialton) des Dominant- 
nonenakkords als Abbilder des Naturklangs erklart 
worden. P.Hindemith leitete sogar die chromatische 
Skala von der Partialtonreihe ab. Die geschichtliche 
Tatsache, daB zunachst nur die Oktave und die Quinte 
und erst sparer auch die Terzen als Konsonanzen gal- 
ten, wurde als »Fortschreiten« in der Partialtonreihe 
interpretiert; und nach A. Schbnberg ist sogar die 
»Emanzipation der Dissonanz« in der Partialtonreihe 
vorgezeichnet, also in der Natur begriindet. Dem Ein- 
wand gegen die N., daB sie den Molldreiklang nicht 
zu erklaren vermoge, begegnete Riemann mit der Hy- 
pothese, daB der Obertonreihe eine Untertonreihe 
(c3 c 2 f 1 el as f usw.) entspreche; doch hat sich die Un- 
tertonreihe als Fiktion erwiesen (-> Moll). J.Handschin 
verwarf die N. als »Physikalismus« : DaB ein Bukett von 
Obertbnen zu einem Toneindruck verschmilzt, kann 
nicht als Erklarung dafiir dienen, daB Tone uns als ver- 
wandt erscheinen. Andererseits ist die N. dem Ein wand 
ausgesetzt, daB die tonale Harmonik ein geschichtlich 
begriindetes Phanomen sei und sich nicht auf ein akusti- 
sches Faktum reduzieren lasse. 

Lit. : J. Ph. Kirnberger, Construktion d. gleichschweben- 
den Temperatur, Bin (1760); J.-Ph. Rameau, Code de mu- 
sique pratique . . ., Paris 1760; G. Capellen, Fortschritt- 
liche Harmonie- u. Melodielehre, Lpz. 1908; A. Schon- 
berg, Harmonielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; 
J. Achtelik, Der Naturklang als Wurzel aller Harmonien, 
2 Teile, Lpz. 1922-28; P. Hindemith, Unterweisung im 
Tonsatz I, Mainz 1937, 2 1940, engl. als: Craft of Mus. 
Composition I, London 1942; J. Handschin, Der Ton- 
charakter, Zurich (1948); J. Rohwer, Tonale Instruktio- 
nen u. Beitr. zur Kompositionslehre, Wolfenbuttel (1949- 
51); E. Bindel, Die Zahlengrundlagen d. Musik im Wan- 
del d. Zeiten, 3 Bde, Stuttgart 1950-53; M. Vogel, Die 
Zahl Sieben in d. spekulativen Musiktheorie, Diss. Bonn 
1955, maschr. CD 

Naturtone heiBen die Tone, die auf einem Blasinstru- 
ment ohne Verkiirzung oder Verlangerung der Schall- 
rohre nur durch Veranderung der Art des Anblasens 
hervorgebracht werden konnen. Der 1 . Naturton erit- 
spricht dem Grundton der Rohre; seine Schwingungs- 
zahl (-» Frequenz) ist grundsatzlich abhangig von der 
Lange der schwingenden Luftsaule, auBerdem von der 
lichten Weite (Innendurchmesser) der Rohre (-> Men- 
sur - 1) und von der Dichte des schwingenden Me- 
diums (d. h. von Luftdruck und -temperatur). Durch 
-»■ Uberblasen entstehen Obertone des Grundtons; der 
1. Oberton (die Oktave des Grundtons) ist der 2. Na- 
turton, der 2. Oberton (die Duodezime des Grundtons) 
der 3. Naturton usw. Die N. sind als real erklingende 
Tone zu unterscheiden von den aus einem erklingen- 
den Ton (-* Klang) herauszuhorenden -*■ Teiltonen. 
Im allgemeinen wird vorausgesetzt, daB sich die N. 
verschiedener Ordnung zueinander wie reine Intervalle 
verhalten, d. h., daB ihre Schwingungszahlen ganzzah- 
lige Verhaltnisse zueinander bilden (-> Interyall-Ta- 
belle). In Wirklichkeit entsprechen die beim Oberbla- 
sen entstehenden Uberblastone den N.n nur annahernd 
(->■ Blasquinte), u. a. weil sich fiir jede Teilschwingung 



623 



Nauba 



einer Luftsaule die Mensur im gleichen Verhaltnis wie 
die Schwingungszahl andert. Bei den meisten Blech- 
blasinstrumenten werden nur N. hoherer Ordnung 
musikalisch verwendet, wahrend sich die Grundtone 
wegen zu enger Mensur oft nicht hervorbringen lassen. 

Nauba (arabisch, Plur. naubat), Kunstform der ara- 
bisch-islamischen Musik ; urspriinglich bedeutete N. ei- 
ne Truppe von Ausfiihrenden, spater eine Folge von 
Stiicken oder ein Solostiick. Die N. der Kammermusik, 
friiher eine zentrale Kunstform, heute fast ganz auBer 
Gebrauch, kann instrumental wie vokal ausgefiihrt 
werden; einem Vorspiel (taqsim) folgen eine Einlei- 
tung (basrav) und verschiedene Vokal- und Instrumen- 
talsatze. Die N. der islamischen Militarmusik wurde in 
den Tabl gana oder N. gana an den Furstenhofen ge- 
pflegt; zum Instrumentarium dieser Kapellen gehorten 
bis zum 10. Jh. Kesselpauken, Trompeten, Horner und 
Rohrfloten. 

Nay (nej, persisch), eine Langsflote (bis iiber 100 cm 
Lange), die schon im pharaonischen Agypten bekannt 
war und im ganzen Vorderen Orient verbreitet ist. Sie 
hat 5-8 Grifflocher und wird beim Spielen schrag seit- 
lich gehalten. 

Lit.: H. G. Farmer, Studies in Oriental Mus. Instr. I, 
London 1931; A. Berner, Studien zur arabischen Musik 
... in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f. deut- 
sche Musikforschung II, Lpz. 1937. 

Neapel. 

Lit.: E. Taddei, Del R. Teatro di S. Carlo, N. 1817; Fr. 
Florimo, Cenno stor. sulla scuola mus. di Napoli, 2 Bde, 
N. 1869-71, 2. Ausg. als: La scuola mus. di Napoli e i 
suoi conservatorii, 4 Bde, N. 1880-82; A. Alberti, Qua- 
rant'anni d'istoria del Teatro dei Fiorentini in Napoli, 2 
Bde, N. 1878; B. Croce, I teatri di Napoli . ... N. 1891, 
Bari ''1947 ; S. Di Giacomo, Cronaca del Teatro S. Carlino 
(1738-1884), N. 1891, 21895; ders., Teatri popolari na- 
poletani. II S. Ferdinando, in : Ars et labor . . . LXIII, 1908 ; 
ders., Maestri di cappella, musici e istromenti al tesoro di 
S. Gennaro nei s. XVII e XVIII, in: Napoli nobilissima, 
N. F. 1, 1920; ders., I quattro antichi conservatorii mus. di 
Napoli, 2 Bde, Palermo 1924-28; G. Ceci, II piu antico 
teatro di Napoli (Teatro dei Fiorentini), in : Napoli nobi- 
lissima II, 1893 ; ders., Maestri organari a Napoli, N. 1931 ; 
G. Pannain, Musica e musicisti in Napoli nei s. XIX e XX, 
Rom 1923 ; ders., Saggio su la musica a Napoli nei s. XIX, 
RMI XXXV, 1928 - XXXIX, 1932; ders., L'oratorio dei 
Filippini e la scuola mus. di Napoli, = Istituzioni e monu- 
menti dell'arte mus. ital. V, Mailand 1934; ders., La mu- 
sica a Napoli nei settecento, in : Settecento, Turin 1 963 ; U. 
Prota-Giurleo, La prima calcografia mus. a Napoli, N. 
1923; ders., Breve storia del Teatro di Corte e della mu- 
sica a Napoli nei s. XVII-XVHI, in: II Teatro di Corte del 
Palazzo Reale di Napoli, N. 1952; ders., G. M. Trabaci e 
gli organisti della Real Cappella di Palazzo di Napoli, 
L'organo I, 1960; ders., Organari napoletani nei s. XVII 
e XVIII, ebenda II, 1961 ; ders., I teatri a Napoli nei 1600, 
N. 1962; C. Caravaolios, Voci e gridi di venditori in 
Napoli, Catania 1931 ; E. Santagata, II Museo stor. mus. 
di »S. Pietro a Majella«, N. 1931 ; W. Apel, Neapolitan 
Links Between Cabezon and Frescobaldi, MQ XXIV, 
1938 ; S. Di Massa, La canzone napoletana e i suoi rappor- 
ti col canto popolare, N. 1939 ; ders., Storia della canzone 
napoletana dal 1400 al 1900, N. 1961 ; Cento anni di vita 
del Teatro di S. Carlo, N. 1948; P. Elia, La canzone na- 
poletana, Rom 1952, 21954; Mostra stor. della canzone 
napoletana, hrsg. v. dems., Rom 1955 ; N. Pirrotta, Scuole 
polif oniche ital. durante il s. XIV : Di una pretesa scuola 
napoletana, CHM I, 1953; Mostra stor. della canzone na- 
poletana, Cat., hrsg. v. A. Mammalella u. E. De Mura,N. 
1954; I. Pope, La musique espagnole a la cour de Naples 
dans la seconde moitie du XV e s., in : Musique et poesie au 
XVI e s., = Colloques internationaux du Centre National 
de la recherche scientifique, Sciences humaines V, Paris 
1954; A. Venci, La canzone napolitana, N. 1955; V. Pa- 
liotti, Storia della canzone napoletana, Mailand 1958 ; G. 



Tintori, L'opera napoletana, = Piccola bibl. Ricordi VII, 
ebenda 1958; H. R. Edwall, Ferdinand IV and Haydn's 
Concertos for the Lira organizzata, MQ XLVIII, 1962; N. 
Bridoman, La vie mus. au Quattrocento . . . , (Paris 1964). 

Neapolitanische Schule, eine Gruppe von Kompo- 
nisten, die zwischen etwa 1650 und 1750 in Neapel ta- 
tig waren oder ausgebildet wurden und deren Opern- 
stil in der 1. Halfte des 18. Jh. in Europa vorbildlich 
war. Seit 1651 fanden in Neapel regelmaBig Opern- 
auffiihrungen statt. Als Begriinder der N.n Sch. gilt 
Fr. Provenzale (1653 erste nachweisbare Auffuhrung), 
bedeutend wegen seiner instrumental begleiteten Arien 
und kurzen Ensemblesatze, die gegeniiber der romi- 
schen und venezianischen Tradition Neuheiten dar- 
stellen. A.Scarlatti begriindete die Weltgeltung der 
N.n Sch. Die klare Trennung von Rezitativ und Arie, 
die Kiirzung des Rezitativs, die fast ausschlieBliche Be- 
schrankung auf die Da-Capo-Form in der Arie, die 
sitalienische Ouverture« und die weitere Ausbildung 
der von Streichern, seltener von Blasern begleiteten 
Arie gehen auf Scarlatti zuriick, wenn diese Entwick- 
lung sich auch nicht auf seine in Neapel entstandenen 
Werke beschrankt. Im Vergleich zur oberitalienischen 
Operntradition war der neue Stil homophon und ent- 
wickelte den Sologesang in Anlehnung an instrumen- 
tale Spielpraxis zu hochster Virtuositat. Beides gilt 
auch fur die neapolitanische Kammerkantate. Zur 
friihen N.n Sch. (bis etwa zum Tode Scarlattis 1725) 
gehoren ferner N.Fago, D.Sarro, Fr.Mancini; stark 
von ihr beeinfluBt ist G.Fr. Handel nach seiner Begeg- 
nung mit Scarlatti 1708/09 in Neapel. Neben der neuen 
Oper entwickelte sich die dialektsprachige komische 
Oper (commedia musicale), deren Auffuhrung seit 
1674 (Provenzale) fur Adelspalaste, seit 1709 fur die 
offentliche Biihne belegt ist. Bald beteiligten sich ne- 
ben A. Orefice auch andere, bedeutendere Komponi- 
sten an dieser Gattung. Ab 1724 bestanden 3 Komo- 
dienbiihnen. Als im Zuge der Opernreform Metasta- 
ses in den 1720er Jahren ernste und heitere Opernstoffe 
voneinander geschieden wurden, gab es bis um 1740 
als eine zweite Art der heiteren Oper die meist mit nur 
2 Personen besetzten, hohe virtuose Anspriiche stellen- 
den Intermezzi der Opere serie (-> Intermedium). Mit 
den Werken G.B.Pergolesis, des fuhrenden Meisters 
dieser Gattung, beginnt die Geschichte der Opera buff a. 
Deren Hauptmeister waren nach ihm P.Auletta, G. 
Latilla, N.Logroscino, spater Rinaldo da Capua, D. 
Fischietti, P.Anfossi, N.Piccinni, D.Cimarosa und G. 
Paisiello (f 1816), der letzte Buffakomponist neapoli- 
tanischer Tradition. Seit den 1720er Jahren breitete 
sich der neapolitanische Opernstil durch das Wirken 
zahlreicher Musiker in ganz Europa aus. Auch die Aus- 
bildungsmethoden der Konservatorien Neapels wurden 
beispielhaft. Das -> Libretto der Opera seria nach Me- 
tastasios Reform unterliegt in Versgestalt und Reim- 
schema der Arien sowie im Gesamtaufbau einer festen 
Regelung. Die 3 Akte bestehen hauptsachlich in Folgen 
von Rezitativ und Arie mit typischem Affektgehalt. 
Den Gang der Handlung bestimmen in erster Linie die 
Konventionen des Opernbetriebs, durch die Zahl und 
Stellung, zum Teil auch Affektgehalt der Arien jedes 
Mitwirkenden weitgehend festgelegt sind. Die Verto- 
nung der Da-Capo- Arie wird freier, vor allem imWie- 
derholungsteil ; virtuose Koloraturen und Kadenzen ma- 
chen sie zur Bravourarie. Eine Steigerung der Aussage- 
kraft bedeutet die Ausbildung des Accompagnatorezi- 
tativs. Friihe Meister des metastasianischen Operntyps 
sind L.Vinci, L.Leo, J.A.Hasse (ein Schiiler A. Scar- 
lattis in dessen letzten Lebensjahren und Freund Meta- 
stasios), N.Porpora und Fr.Feo. Die beiden einfluB- 
reichsten Lehrer, L. Leo und Fr. Durante, haben fast al- 



624 



Negermusik 



le folgenden Komponisten der N.n Sch. ausgebildet: 
N.Jommelli, T.Traetta, D.Perez, D.Terradellas, J. 
Myslivecek, Fr. di Majo, P.Guglielmi, E.R.Duni, A. 
Sacchini u. a. Um 1760 unternahmen Jommelli und 
Traetta eine Reform der Opera seria, bei der vor allem 
die Bedeutung von Chor und Orchester gesteigert 
wurde. Von der N.n Sch. beeinflufit sind auch die 
Opern J. Chr. Bachs, Glucks und W. A. Mozarts, des- 
sen La clemenza di Tito (1791) ein spates Beispiel der 
Opera seria ist. 

Lit. : Fr. Florimo, La scuola mus. di Napoli e i suoi con- 
servatorii, 4 Bde, Neapel 1880-82; N. d'Arienzo, Origini 
dell'operacomica, RMI II, 1895, IV, 1897, VI, 1899 u. VII, 
1900, deutsch v. F. Lugscheider als: Die Entstehung d. 
komischen Oper, = Mus. Studien X, Lpz. 1902; Ph. Spit- 
ta, Rinaldo da Capua, VfMw III, 1887; R. Rolland, Les 
origines du theatre lyrique moderne. Hist, de l'op6ra en 
Europe avant Lully et Scarlatti, Paris 1895, 4 1936; E. J. 
Dent, A. Scarlatti, London 1905, Neudruck 1960; H. 
Abert, N. Jommelli als Opernkomponist, Halle 1908; G. 
Pannain, Le origini della scuola mus. napoletana, Neapel 
1914; M. Scherillo, L'opera buffa napoletana durante il 
settecento, Palermo ( 2 1 9 1 8); Ch. Van den Borren, A. Scar- 
latti et l'esthdtique de l'opera napolitain, Paris u. Briissel 
1921 ; A. Della Corte, L'opera comica ital. del settecento, 
2 Bde, Bari 1923, span. Buenos Aires 1928 ; R. Gerber, Der 
Operntypus J. A. Hasses u. seine textlichen Grundlagen, 
= Berliner Beitr. zur Mw. II, Lpz. 1925; A. O. Lorenz, A. 
Scarlatti's Jugendoper, 2 Bde, Augsburg 1927; U. Prota- 
Giurleo, La musica a Napoli nel Seicento, Benevent 1928; 
G. Radiciotti, G. B. Pergolesi, Mailand 2 1935, deutsch 
v. A. E. Cherbuliez, Zurich u. Stuttgart 1954; R.-A. 
Mooser, Annales de la musique et des musiciens en Russie 
au XVIII e s., 3 Bde, Genf 1948-51; N. Pirrotta, Corn- 
media delParte and Opera, MQ XLI, 1955; G. Tintori, 
L'opera napoletana, = Piccola bibl. Ricordi VII, Mailand 
1958 ; H. Hucke, Die neapolitanische Tradition in d. Oper 
d. 18. Jh„ Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; E. Downes, The 
Neapolitan Tradition in Opera, ebenda. 

Neapolitanische Sexte heifit die kleine Obersexte 
der Subdominante in Moll. Tritt das Intervall im Moll- 
subdominantdreiklang an die Stelle der Quinte, so ent- 
steht ein Scheinsextakkord, genannt neapolitanischer 
Sextakkord oder kurz »Neapolitaner«. Seine Funktions- 
bezeichnung ist nach H. Rie- 
mann, der ihn als Leitton- 
wechselklang der Subdomi- 
nante erklart, S (Beispiel in 
A moll). Die Bezeichnung 
nach Klangstufen versteht 
ihn als 1. Umkehrung des 
(Dur-)Dreiklangs der tiefalterierten 2. Stufe in Moll: 
II 6 . Der neapolitanische Sextakkord war fur die Musik 
der neapolitanischen Operntradition des 18. Jh. typisch. 
Die kleine Sexte als Vorhalt vor der Quinte laBt sich 
allerdings schon in der 1. Halfte des 16. Jh. nachweisen. 
SeitEndedesl7.Jh. (Purcell, King Arthur, »Frostszene«) 
wird die Auflosung haufig iibergangen. Beim Weiter- 
gehen zur Dominante ergeben sich dann ein vermin- 
derter Terzschritt (z. B. b-gis in A moll) und ein quer- 
standiger Eintritt der Dominantquinte, was beides hier 
durchaus selbstverstandlich wirkt. In der dur-moll- 
tonalen Musik war der neapolitanische Sextakkord 
auBerdem ein beliebtes, wenn auch zuletzt recht abge- 
griffenes Modulationsmittel. 

Nebendreiklange heiBen in der dur-moll-tonalen 
Harmonielehre die Dreiklange auf der 2., 3., 6. und 7. 
Stufe der Tonleiter. Sie sind auf der 2., 3. und 6. Stufe 
in Dur sowie auf der 2. Stufe im (aufsteigenden) melo- 
dischen Moll Molldreiklange, auf der 3. und 6. Stufe 
im reinen Moll Durdreiklange. Die Dreiklange auf der 
7. Stufe in Dur und im harmonischen Moll sowie auf 
der 2. Stufe im reinen und auf der 6. Stufe im (aufstei- 




genden) melodischen Moll sind vermindert, der Drei- 
klang auf der 3. Stufe im harmonischen Moll ist iiber- 
mafiig. Im Kadenzzusammenhang werden die Funk- 
tionen der N. von denen der Hauptdreiklange auf der 
1., 4. und 5. Stufe abgeleitet, als deren Vertreter die N. 
gelten. Riemann defmiert jeden der Dur- und Moll-N. 
je nach Zusammenhang entweder als ->• Leittonwech- 
selklang oder als ->■ Parallelklang eines Hauptdrei- 
klangs. Grabner u. a. bezeichnen Dur- und Moll-N. als 
Ober- oder Unterterzklange (Ober- oder Unterme- 
dianten) der Hauptdreiklange. Die verminderten Drei- 
klange haben je nach Zusammenhang entweder Do- 
minant- oder Subdominantfunktion. Der ubermaBige 
Dreiklang hat Dominantfunktion. Dur- und Moll-N. 
konnen durch ->• Zwischendominanten starker hervor- 
gehoben werden, verbleiben aber dennoch im Kadenz- 
zusammenhang, der sich als iibergeordnete harmoni- 
sche Bestimmung geltend macht. 

Nebennoten (auch Nebentone) heiBen bei Verzierun- 
gen (Triller, Mordent usw.) die obere und untere (gro- 
Be und kleine) Sekunde des zu verzierenden Tones, der 
-> Hauptton (- 2) genannt wird. Auch diatonische und 
chromatische Nachbartone, die den regularen Satz be- 
reichern und von der Harmonielehre als harmonie- 
oder akkordfremde Tone beschrieben werden, heiBen 
N., so bei -> Vorhalt, -> Durchgang, -> Wechselnote 
und -»■ Antizipation (- 3). 

Nebentonarten heiBen die in einem Musikstiick ne- 
ben der Haupttonart mehr oder minder deutlich aus- 
gepragten Tonarten. Als N. eignen sich vor allem die 
quint-, kleinterz- und grofiterzverwandten Tonarten, 
auBerdem die kleinterz- und grofiterzverwandten Ton- 
arten der quintverwandten Tonarten der Haupttonart. 
Im 19. Jh. wurden als N. bisweilen alle Dur- und Moll- 
tonarten bezeichnet aufier C dur und A moll, die als 
die Normal- oder Stammtonarten galten. 

Negermusik. Von den 3 Hauptrassen der Menschheit 
ist die negroide die entwicklungsgeschichtlich jiingste. 
Sie ist auf der siidlichen Halbkugel beheimatet. Beim 
Eindringen in den afrikanischen Kontinent im Neo- 
lithikum stieB sie auf altere Bewohner, die wohl der 
europaiden Rasse angehort haben (-> Afrikanische 
Musik). Die heutigen Negervolker Afrikas gingen aus 
Vermischungen der negroiden niit anderen alteren und 
jiingeren Rassen und Volkern hervor. Den kulturellen 
Unterschieden der Negervolker entsprechen sehr ver- 
schiedenartige musikalische Stile, die dennoch einige 
gemeinsame Merkmale aufweisen. Das auffalligste ist 
die starke Bevorzugung des rhythmischen Elements. 
Bei konstanten Metren werden die Rhythmen in vo- 
kaler wie instrumentaler Musik kunstvoll und vielfal- 
tig variiert, wobei oft divergierende rhythmische Ge- 
stalten gleichzeitig miteinander verwoben werden. 
Wesentlich fiir die N. ist auch die Tatsache, daB sie ei- 
ne Gemeinschaftskunst ist. Nur in seltenen Ausnahme- 
fallen kommt es vor, daB ein Neger fiir sich allein singt 
oder musiziert ; normalerweise tut er es fiir andere und 
mit anderen. Das Singen vollzieht sich in der Form des 
Wechsels von Rede und Gegenrede; auch das Spielen 
mehrtoniger Instrumente wird ahnlich praktiziert. Wo 
Zuhorer vorhanden sind, greifen sie in das musikali- 
sche Geschehen ein, indem sie - zumeist in Form eines 
Refrains - mitsingen oder einen Rhythmus zur vokalen 
oder instrumentalen Musik der Solisten oder des En- 
sembles klatschen, stampfen oder rasseln. Die gesellige 
Komponente der N. ist die Ursache fiir die in ihr stets, 
wenn auch in manchen Stilen und Arten nur latent 
wirksame Mehrstimmigkeit, die besonders in West- 
afrika entwickelt ist (Parallelsingen, Bordun- und Osti- 



625 



Negermusik 



natotechnik). Einstimmiges Singen erhalt durch die 
begleitenden Trommeln oder das Handeklatschen und 
Stampfen der tanzenden FiiBe einen rhythmischen Ge- 
genpart. Da viele Rhythmusinstrumente auch verschie- 
dene Tonhohen zu erzeugen vermogen, bilden sie zu- 
gleich auch melodische Gegenstimmen. Das Instru- 
mentarium der Neger ist vielseitig und reichhaltig. 
Neben den urspriinglich einheimischen gibt es viele 
Musikinstrumente, die aus nahen und fernen Hochkul- 
turen entlehnt sind. Nur einige wenige, schwach to- 
nende Instrumente werden fur sich allein gebraucht, 
z. B. der -> Musikbogen und die ->■ Sansa. Sonst treten 
die Instrumente meist in Gruppen oder in Verbindung 
mit Gesang und Tanz auf . Eine Reihe von Instrumen- 
ten findet sich in paarigem Gebrauch, wie Floten und, 
seltener, die Sansen, oder es betatigen sich zwei Musi- 
kanten an einem Instrument (Xylophon, Harfe). Viele 
Instrumente werden nur bei kultischen Zeremonien ge- 
braucht. Sie verkorpem Damonen, ihr Klang hat Zau- 
berkraft, da er die Stimme der Gottheit ist. Andere 
werden lediglich als Klangwerkzeuge geachtet und 
sind frei von magischen Vorstellungen und Tabus. 
Rasseln verstarken den Rhythmus der stampfenden 
FiiBe, Schlagholzer das Handeklatschen. GefaBrasseln, 
Klappern, Schraper, Schwirrholzer, Glocken aus Holz 
und Metall, Xylophone vom einfachen Schenkelxylo- 
phon bis zur vieltonigen Marimba mit Resonatoren, 
Schlitz- und Baumtrommeln aller Grofien, Felltrom- 
meln und Kesselpauken sind die wichtigsten Typen der 
Rhythmusinstrumente. An Saiteninstrumenten linden 
sich neben dem Musikbogen Zithern, Leiern und Har- 
fen sowie die Streichlaute, an Blasinstrumenten Mu- 
schel- und Tierhorn, Panpfeifen, Kerb- und Spaltflo- 
ten, Nasenfloten, Holz- und Rindentrompeten und 
Rohrblattinstrumente mit einfachem und doppeltem 
Blatt. Metalltrompeten und -tuben konnen orientali- 
sche oder europaische Entlehnungen sein. Die gleich- 
zeitige Verwendung klanglich und funktionell hetero- 
gener Instrumententypen in den afrikanischen »Orche- 
stern« gibt diesen ihren eigenen Reiz. 
Negersklaven waren im alten Agypten, im Vorderen 
Orient und im antiken Rom nicht nur als Arbeiter, 
sondern auch als Sanger, Instrumentalisten und Tanzer 
beschaftigt. Die Sklaventransporte, die im Mittelalter 
in die Lander des Nahen Orients gingen, wurden nach 
der Kolonisierung Amerikas auch dorthin geleitet. 
Daher leben heute Neger auch in der Neuen Welt, 
im Siiden der USA und in Mexiko, auf den westindi- 
schen Inseln, in Mittelamerika und im Norden Siid- 
amerikas. Obwohl es auch vereinzelt Gebiete mit iiber- 
wiegender Negerbevolkerung gibt, haben die ameri- 
kanischen Neger weitgehend Sprache, Religion und 
Kultur der WeiBen angenommen. Die Musik dieser 
Neger ist nicht die ihrer afrikanischen Vorfahren, ob- 
wohl sie manche Elemente davon bewahrt. Fallt es 
schon schwer, in der Vielfalt der Stile der Neger Afrikas 
die gemeinsamen Ziige zu fmden, so wird dies fiir die 
Stile der mehr oder weniger europaisierten Neger Ame- 
rikas zu einer fast unlosbaren Aufgabe. Nur wo die Ne- 
ger in geschlossenen Populationen auftreten, haben sie 
eine Reihe afrikanischer Uberlieferungen bewahren 
konnen wie in Dorf- und Stammesgemeinschaften in 
Westindien und Guayana. Oft nur oberflachlich zivili- 
siert und christianisiert, pflegen sie dort noch, zum Teil 
in Geheimbunden nach af rikanischem Vorbild (Vodoo), 
magische Kulte und Zeremonien mit dem zugehori- 
gen Bestand an Liedern, Tanzen und Musikinstrumen- 
ten. Wo Neger aber, wie in den USA, ohne Familien- 
und Stammesverband inmitten der weiBcn Bevolke- 
rung leben, haben sie kaum mehr als Anklange an die 
afrikanischen Musikstile bewahrt. Ihre Musik ist aus 



Stilelementen der musikalischen Folklore der weiBen 
Amerikaner unter Beibehaltung einiger negroider Zii- 
ge entstanden. Ihre Volkslieder, besonders die -*■ Ne- 
gro spirituals, waren anfanglich Nachbildungen oder 
Adaptierungen der methodistischen Erweckungshym- 
nen, die seit Beginn des 19. Jh. von Wanderpredigern 
verbreitet wurden. Um die Mitte des 19. Jh. begannen 
sich die weiBen Amerikaner fiir diese Negerhymnen 
zu interessieren. 1862 wurde das erste Spiritual Roll, 
Jordan, roll von Lucy McKim in Philadelphia veroff ent- 
licht, 1867 eine erste Sammlung Slave Songs of the 
United States durch die United States Educational Mis- 
sion. Ist diese Sammlung noch um Objektivitat in der 
Wiedergabe jener Negergesange bemiiht, so handelt es 
sich bei den folgenden meist um Versuche, die Primi- 
tivitat und Regelwidrigkeit dieser Spirituals zu glatten 
und in die Form und Technik des abendlandischen 
Kunstliedes zu gieBen. Neue Spirituals wurden von 
WeiBen komponiert, die dann wieder von Negerge- 
meinden zersungen wurden. - Auch das weltliche 
Volkslied der weiBen Amerikaner wurde von den Ne- 
gern aufgegriffen und abgewandelt. Es tauchte um die 
Mitte des 19. Jh. auch im Konzertsaal auf, wo es von 
weiBen Sangern, die als Neger kostiimiert waren 
(-*■ Minstrelsy), zum Banjo gesungen wurde. Manche 
Minstrelsongs wurden zu Volksliedern der weiBen und 
schwarzen Amerikaner, wie Old Folks at Home und 
My Old Kentucky Home von Stephen Foster. - Dage- 
gen ist der ->• Blues, eine der Wurzeln des -»• Jazz, zu- 
nachst ohne weiBe Vorbilder entstanden. 
Die amerikanische Negervolksmusik aus der afrikani- 
schen herzuleiten, wurde erst in neuerer Zeit versucht. 
Wahrend Fr. Bose das Gemeinsame und damit Rassen- 
bedingte beider Stilarten im Stimmklang und Vor- 
tragsstil nachwies, fanden R. A. Waterman, G.Herzog 
und M. Kolinski dariiber hinaus auch in f ormalen Zii- 
gen Ubereinstimmung. Die N. Afrikas zeigt Vorherr- 
schen kurzer Strophen aus Ketten von Kurzmotiven; 
3- und 2teiliger Aufbau sind haufig ineinander ver- 
flochten. Das Metrum ist stets zweiteilig und gerad- 
taktig. Dagegen ist die rhythmische Unterteilung viel- 
gestaltig und kompliziert. Das Melos ist engstufig und 
vorwiegend fallend, Sekunden- und Terzschritte herr- 
schen gegeniiber groBeren Intervallen vor, von denen 
Septime und Quarte relativ selten gebraucht werden. 
Die kurzen Motive werden variiert wiederholt oder in 
Sequenzen fortgefiihrt. Diatonik mit Durcharakter, bei 
oft fehlender Septime und Quarte pentatonisch betont, 
ist die herrschende Tonalitat. Das Tempo ist meist 
rasch und stets konstant. Die Dynamik ist durch den 
Wechsel von Solo und Chor kontrastreich; der einzel- 
ne singt und spielt meist so laut er kann. 
Ausg. : W. F. Allen, Ch. P. Ware u. L. McKim Garri- 
son, Slave Songs of the United States, NY 1867, NA 1952 ; 
H. E. Krehbiel, Afro-American Folksongs, NY u. Lon- 
don 1914, 21959 ; N. Burlin (= N. Curtis), Hampton Series 
of Negro-Folk-Songs, 4 Folgen, NY (1919-20); dies., 
Songs and Talks from the Dark Continent, NY 1920; D. 
Scarborough, On the Trail of Negro Folks Songs, Cam- 
bridge (Mass.) 1925; W. Chr. Handy, A Treasury of the 
Blues, NY 1926 ; N. I. White, American Negro-Folksongs, 
Cambridge (Mass.) 1928. 

Lit. : J. Maes, Les tam-tams du Congo beige, Lowen 1912; 
St. Chauvet, La musique negre, Paris 1929; J. Tiersot, 
Chansons negres, Paris 1933; H. T. Tracey, Songs from 
the Kraals of Southern Rhodesia, Salisbury 1933; A. N. 
Tucker, Tribal Music and Dancing in the Southern Su- 
dan, London (1933); M. C. Hare, Negro Musicians and 
Their Music, Washington (1936); M. Kolinski in: J. M. 
u. Fr. S. Herskovits, Suriname Folk-Lore, = Columbia 
Univ. Contributions to Anthropology XXVII, NY 1936; 
A.L.Locke, The Negro and His Music, Washington 1936; 
M. Schneider, Gesange aus Uganda, AfMf II, 1937; Fr. 



626 



Neo-Bechstein-Fliigel 



Bose, Klangstile als Rassenmerkmale, Zs. f. Rassenkunde 
. . . XIV, 1943/44; ders., MeBbare Rassenunterschiede in 
d. Musik, Homo II, 1952; N. R. Ortiz Oderigo, Panora- 
ma de la musica afro-americana, = Bibl. mus. IV, Buenos 
Aires (1944) ; H. Groger, Die Musikinstr. im Kult d. Afri- 
kaner, Diss. Wien 1946, maschr.; A. Schaeffner, La mu- 
sique noire d'Afrique, in : La musique des origines a nos 
jours, hrsg. v. N. Dufourcq, Paris (1946); F. Ortiz, Los 
bailes y el teatro de los negros en el folklore de Cuba, Haba- 
na 1951 ; ders., La africania de la musica folkldrica de Cu- 
ba, ebenda 1952; ders., Los instromentos de la musica 
afro-cubana, 5 Bde, ebenda 1952-55; R. A. Waterman, 
African Influence on the Music of the Americas, in : Inter- 
national Congress of Americanists 1949, Chicago 1952; A. 
W. Berry, L'avenir de musique negre, in: Pens6e, N. S. 
Nr 50, 1953; M. M. Fisher, Negro Slave Songs in the 
United States, Ithaca (N. Y.) 1953; H. H. Flanders u. 
M. Olney, Ballads Migrant in New England, NY 1953 ; E. 
Phillips, Yoruba Music, Johannisburg 1953; Th. van 
Dam, The Influence of the Westafrican Songs of Derision 
in the New World, African Music I, Nr 1 , 1 954; H.-H. Wang- 
ler, Uber siidwestafrikanische Bogenlieder, in: Afrika u. 
Ubersee XXXIX, 1955 - XL, 1956; Kl. P. Wachsmann, 
Harp Songs from Uganda, Journal of the International 
Folk Music Council VIII, 1 956; A. P. Merriam, Songs of the 
KetuCultof Bahia,AfricanMusicI,Nr3, 1956-Nr4, 1957; 
ders., Songs of the Gege and Jesha Cults of Bahia, Brazil, 
Jb. f. mus. Volks- u. Volkerkunde I, 1963 ; H. Courlan- 
der, The Drum and the Hoe, Berkeley u. Los Angeles 1 960 ; 
ders., Negro folk music, U.S.A., NY 1963; J. De Hen, 
Beitr. zur Kenntnis d. Musikinstr. aus Belgisch-Kongo u. 
Rwanda-Urundi, Diss. Koln 1960; R. Gunther, Musik in 
Rwanda, = Koninklijk Museen voor Midden-Afrika . . . , 
Annalen . . . L, (Tervueren) 1964; A. M. Jones, Africa and 
Indonesia, Leiden 1964; G. Rouget, Tons de la langue en 
Gun (Dahomey) et tons du tambour, Rev. de Musicol. L, 
1964. FB 

Negro minstrelsy (n'i:giou m'instralsi, engl.) -*■ 
Minstrelsy. 

Negro spiritual (n'i:gjou sp'iiitjusl, engl.), eine Gat- 
tung religioser Lieder amerikanischer Neger in den 
Siidstaaten (-»■ Negermusik) ; sie wurde nach der Skla- 
venbefreiung (1865) auch in den Nordstaaten und in 
England bekannt, vor allem durch Studentenchore. 
Die iiberwiegend religiose Grundhaltung der N. sp.s 
entspricht in ihrer Art dem sentimental-religiosen Ver- 
haltnis der Negersklaven zum Christentum und zu 
dessen Kultformen. Der (oder das) N. sp. entstand 
als aufierliturgischer religioser Gesang. Er wurde bei- 
spielsweise nach dem Gemeindegottesdienst iiber Stun- 
den hin gesungen und durch eine Art Reigentanz, 
durch Handeklatschen und lebhaftes FuBstampfen be- 
gleitet. Urspriinglich war er einstimmig und bestand 
aus einer Grundmelodie, die die einzelnen Sanger im- 
provisierend und auszierend vortrugen. Er steht durch- 
weg in geradem Takt, moglicherweise wegen der wie- 
genden Bewegung der Korper und des begleitenden 
FuBstampfens. Wesentliches musikalisches Merkmal 
ist der -*■ Off-beat-Rhythmus mit stark expressivem 
Charakter wie beim spateren Ragtime und Jazz. Die 
Chorarrangements der N. sp.s, die unter amerikanisch- 
europaischem EinfluB des spaten 19. Jh. entstanden, 
wie auch die kunstliedhaften Umformungen fur Solo- 
gesang mit Klavierbegleitung, z. B. von H.T.Bur- 
leigh, unterscheiden sich wesentlich von dem ursprling- 
lichen, einstimmigen, responsorialen Spiritual. Aber 
durch die Spiritualinterpretationen der groBen Neger- 
sanger Burleigh, Marian Anderson, Roland Hayes, W. 
Warfield, Mahalia Jackson, Leontyne Price u. a. ent- 
stand zugleich ein neuer, ausdrucksvoll kultivierter, 
religioser Liedtyp der amerikanischen Neger. Die mo- 
derne konzertante Bearbeitung der N. sp.s fiir Chor 
hingegen ist eine vollige Entfremdung vom ehemals 
improvisierten Singen der Sudstaatenneger. Als Wech- 



selgesang ohne Instrumentalbegleitung gibt es den N. 
sp. heute noch in meist landlichen Baptisten- und Ne- 
gergemeinden. Der Diakon beginnt melismatisch die 
erste Textsilbe, die Gemeinde Mit mit der zweiten Sil- 
be ein und singt improvisierend den Text weiter. 
-> Gospelsong; -> Jubilee. 

Ausg.: W. F. Allen, Ch. P. Ware u. L. McKim Garri- 
son, Slave Songs of the United States, NY 1867, NA 1952; 
Th. F. Seward u. G. L. White, Jubilee Songs as Sung by 
the Fisk Jubilee Singers, NY 1872; M. W. Taylor, A 
Collection of Revival Hymns and Plantation Melodies, 
Cincinnati 1883; H. E. Krehbiel, Afro-American Folk- 
songs, NY u. London 1914, 21959; N. Ballanta, St. He- 
lena. Island Spirituals, NY 1925; H. W. Odum u. G. B. 
Jonson, The Negro and His Songs, Chapel Hill (N. Car.) 
1925; W. A. Fisher, 70 N. Sp., Boston 1926; R. N. Dett, 
Religious Folk-Songs of the Negro, Hampton (Va.) 1927; 
Cl. C. White, 40 N. Sp., Philadelphia 1927; L. Y. Cohen, 
Lost Spirituals, NY 1928; N. I. White, American Negro 
Folksongs, Cambridge (Mass.) 1928; D. G. Bolton u. H. 
T. Burleigh, Old Songs Hymnal, NY 1929; E. McIl- 
henny, Befo' de War Spirituals, Boston 1933; J. W. John- 
son, The Book of American Spirituals, NY 1940; J. W. 
Work, American Negro Songs, NY 1940; G. P. Jackson, 
White and N. Sp., NY 1944; R. Hayes, My Songs. Afro- 
american Religious Folk-Songs, Boston 1948; W. A. 
Logan, Road to Heaven. 28 N. Sp., Alabama 1955; C. 
Bohlander, 40 Songs u. Spirituals, Mainz(1962). 
Lit.: G. Pike, The Jubilee Singers, London 1873; M. F. 
Armstrong u. H. W. Ludlow, Hampton and Its Stu- 
dents . . ., NY 1874; J. B. T. Marsh, The Story of the Ju- 
bilee Singers (mit Songs), Boston 1880; D. Scarborough, 
On the Trail of Negro Folk Song, Cambridge (Mass.) 1 925 ; 
M. A. Grissom, The Negro Sings a New Heaven, Chapel 
Hill (N. Car.) 1930; G. B. Johnson, The N. Sp., The 
American Anthropologist XXXIII, 1931 ; G. P. Jackson, 
The Genesis of the N. Sp., American Mercury XXVI, 1932; 
M. Ley, Spirituals. Ein Beitr. zur Analyse d. religiosen 
Liedschopfung bei d. nordamerikanischen Negern in d. 
Zeit d. Sktaverei, Diss. Miinchen 1954, maschr. ; D. Yoder, 
Pennsylvania Spirituals, Lancaster (Pa.) 1961. WHR 

Nenia (lat., seltener naenia, Leichengesang), Trauer-, 
Klage- oder Preislied aus der Zeit des friihen antiken 
Roms, das von den weiblichen Angehorigen eines Ver- 
storbenen oder von gemieteten Klageweibern bei den 
Begrabnisfeierlichkeiten, teilweise mit Begleitung einer 
Tibia (manchmal auch Leier), gesungen wurde. Eine 
originale N. ist nicht erhalten; die indirekten Zeug- 
nisse lassen darauf schlieBen, daB es sich um traditionell 
feststehende Text- und Melodieformeln handelte. 
Doch wurde die Bezeichnung seit dem 1. Jh. v. Chr. 
auch auf solche Trauergesange und -dichtungen ange- 
wendet, die nach dem Vorbild des griechischen -> Thre- 
nos kunstvoll ausgearbeitet waren. - Schillers Nanie ist 
als Chorwerk u. a. von H.Gotz (op. 10, 1874), J. 
Brahms (op. 82, 1881) und C.Orff (1956) vertont 
worden. 

Lit.: J. Wehr, De Romanorum n. commentatio, Fs. E. 
Curtius, Gottingen 1868; M. Schanz, Gesch. d. romi- 
schen Lit. I, bearb. v. C. Hosius, = Hdb. d. Altertumswiss. 
VIII, 1, Miinchen "1927, Neudruck 1959; W. Kroll, Ar- 
tikel N., in: Pauly-Wissowa RE XVI, 2 (32. Halb-Bd), 
Stuttgart 1935; J. L. Heller, Festus on N., in: Trans- 
actions and Proceedings of the American Philological 
Association LXX, 1939; ders., N. natyviov, ebenda 
LXXIV, 1943 ; G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom, = Mg. 
in Bildern II, 5, Lpz. (1964), Abb. 4 u. 24. 

Neo-Bechstein-Fliigel ist die Bezeichnung fiir ein 
->• Elektrophon, dessen Saitenschwingungen durch Mi- 
krophonsysteme abgenommen und iiber Verstarker im 
Lautsprecher horbar gemacht werden. DieseErfindung 
des Physikers W. Nernst sollte dem BaB wie auch dem 
hochsten Diskant des Klaviers mehr Volumen geben. 
Je 5 Saiten bzw. Saitenchore werden unter einem elek- 
tromagnetischen System strahlenformig zusammenge- 



40* 



627 



Nete 



fiihrt. Sogenannte Mikrohammer ergeben einen leich- 
teren Anschlag als normale Klavierhammer. Damit 
werden die Gefahr von Verzerrungen und das klopfen- 
de Anschlaggerausch gemindert. Die geringere Schwin- 
gungsenergie der Saiten wird durch den nachgeschal- 
teten Verstarker ausgeglichen; ein Resonanzboden ist 
iiberfliissig. Das Instrument wurde 1932 erstmals 6f- 
fentlich vorgefiihrt, konnte sich aber nicht durchsetzen, 
da der Originalklavierklang verandert wird. Eine Par- 
allelentwicklung ist das -> Elektrochord. 
Lit. : E. Meyer u. G. Buchmann, Die Klangspektren d. 
Musikinstr., Sb. Bin 1931 ; Fr. Winckel, Das Radio-Kl. v. 
Bechstein-Siemens-Nernst, Die Umschau XXXV, 1931 ; O. 
Vierlino, Das elektroakustische Kl., Bin 1936. 

Nete (griech.) -> Systema teleion. 

Neuburg a. d. Donau. 

Lit. : A. Einstein, Ital. Musiker am Hofe d. N.er Wittels- 
bacher 1614-1716, SIMG IX, 1907/08; N.er Musikpflege, 
Acta Mozartiana I, 1954ff.; P. Winter, Musikpflege am 
Pfalz-N.er Hof, in: N., d. junge Pfalz u. ihre Fiirsten, N. 

1955; S. Hermelink, Ein Musikalienverz in: Ott- 

heinrich Gedenkschrift . . . , Heidelberg 1956; G. Pietzsch, 
Musik u. Musikpflege zur Zeit Ottheinrichs, Pfalzische 
Heimatblatter IV, 1956; ders., Quellen d. Forschungen 
zur Gesch. d. Musik am kurpfalzischen Hof zu Heidelberg 
bis 1622, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- 
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1963, Nr 6; A. Layer, Pfalzgraf 
Ottheinrich u. d. Musik, AfMw XV, 1958; ders., O. di 
Lasso in N., N.er Kollektaneenblatt CXI, 1958. 

Neudeutsche Schule nannten sich seit 1859 die Ver- 
treter einer musikalischen »Fortschrittspartei« unter Fiih- 
rung Liszts in Opposition zu der durch Mendelssohn 
Bartholdy, R.Schumann und Brahms reprasentierten 
Gruppe, die sich dem Stil der Wiener Klassiker ver- 
pflichtet f iihlte. Liszt sammelte wahrend seines Weima- 
rer Aufenthaltes (1849-61) bedeutende Mitglieder der 
Gruppe um sich (darunter H. v. Biilow, P. Cornelius, J. 
Raff) und verhalf durch Auffiihrungen derWerke von 
Berlioz, Wagner und seiner eigenen Kompositionen 
den von den Neuerern publizistisch und komposito- 
risch geforderten musikalischen Gattungen (Musik- 
drama und Programmsymphonie) zu Erfolg und Ver- 
breitung. Wahrend der 1. Tonkiinstlerversammlung, 
die 1859 in Leipzig stattfand, nahmen die »Zukunfts- 
musiker« (das Wort -> Zukunftsmusik war eine pole- 
mische Pragung der Gegner) offiziell den Beinamen 
N. Sch. an (kritische Stellungnahme der »konservativen« 
Partei in der von L.Bischoff geleiteten Niederrheini- 
schen Musikzeitung VII, 1859) und konstituierten den 
1861 definitiv gegriindeten Allgemeinen Deutschen 
Musikverein. Vereinsorgan war bis 1892 die ehemals 
von Schumann geleitete Neue Zeitschrift fur Musik. In 
ihr fiihrten vor allem R.Pohl, K.Fr.Weitzmann, der 
Redakteur Fr.Brendel und die Komponisten J. Raff 
und F.Draeseke einen schriftstellerischen Feldzug ge- 
gen die »Konservativen«. Zu den aktivsten Vorkamp- 
fern der N.n Sch. gehorten auch H.Porges in Wien 
und K.Tausig in Miinchen. Die Gegenangriffe der 
»Konservativen« blieben mangels zusammengefaBter 
StoBkraft meist wirkungslos, so die 1860 in der Berliner 
Zeitschrift Echo durch eine Indiskretion verfruht ver- 
offentlichte Erklarung, in der die Unterzeichneten 
(Brahms, J. Joachim, Scholz, J.O.Grimm) feststellten, 
daB sie die Produkte der Fiihrer und Schiiler der sogenann- 
ten »N.n« Sch. . . . als dem innersten Wesen der Musik zu- 
wider, nur beklagen oder verdammen konnten. Die Schroff- 
heit des Parteiengegensatzes nahm seit den 1860er 
Jahren jedoch ab, und viele »Neudeutsche« - Ausnah- 
men bildeten A. Ritter und J. Huber - wurden auch 
den Interessen der Gegenpartei gerecht. Die Brahms- 
Verehrung H. v.Bulows ist dafiir beispielhaft. 



Lit. : A. W. Ambros, Die mus. Ref ormbewegvmgen d. Neu- 
zeit II : Die neu-deutsche Schule, in : Culturhist. Bilder aus 
d. Musikleben d. Gegenwart, Lpz. 1860; H. Riemann, 
Gesch. d. Musik seit Beethoven 1800-1900, Bin 1901, Kap. 
XI, § 4; M. Kalbeck, J. Brahms, Bd 1, 2, Bin 31912. 

Neue Musik, im 20. Jh. eine Bezeichnung fiir die bald 
nach 1900 aus Obersteigerung des romantischen Es- 
pressivo, dann in bewuBtem Gegensatz dazu entstan- 
denen Richtungen und Stile der zeitgenossischen Mu- 
sik. 1920 traten die durch Schonberg und Strawinsky 
reprasentierten Hauptrichtungen in das Stadium der 
Antithese: dort -> Atonalitat in der Bindung durch 
Zwolftonigkeit (-»■ Zwolftontechnik), hier neoarchai- 
stischer Klassizismus mit wechselnden Stilmodellen. 
Beiden gemeinsam sind polyphone Struktur und eine 
Ideenwelt, die von grimassierender Ironie bis zu reli- 
gioser Ergriffenheit reicht. Tonale Wendungen bei 
Schonberg (ab 1934), Reihenkonstruktion bei Stra- 
winsky (seit 1948, zwolftonig seit 1955) wandelten die 
Antithese zur Synthese. Nun erscheinen Atonalitat und 
Polytonalitat, Komplementarharmonik und Hinde- 
miths »Harmonisches Gef alle«, Panchromatik und Pan- 
diatonik, Gleichberechtigung der »Dissonanz« und des 
»schwachen Taktteils« als koordinierte Erscheinungen. 
- Unter der Fuhrung O.Messiaens entstand ab 1930 in 
Frankreich eine Reaktion gegen die heitere Spielasthe- 
tik Saties, Cocteaus und der »Six«, verbunden mit Ein- 
fliissen exotischer Musik, religiosem Pathos und Zah- 
lenmystik, die bis in die Konstruktion von Tonleitern 
und Rhythmen hineinwirken. Nach 1950 treten neo- 
archaische Tendenzen hinter den EinfluB Weberns zu- 
riick (Boulez, Nono, Stockhausen). Indifferenz gegen 
harmonische Probleme verbindet sich mit »total pra- 
determinierter Komposition« (Kfenek). Nicht nur die 
melodische Tonfolge, auch Rhythmus, Dynamik und 
Klangfarbe werden in der -> Seriellen Musik dem Ge- 
setz von ->■ Reihen unterworfen. Gegen den Zwang 
serieller Ordnung wenden sich in zwei getrennten 
Richtungen Tendenzen, die dem Zufall und dem In- 
terpreten die Anordnungen von Formpartikeln iiber- 
lassen, so Stockhausen in Klavierstuck XI, Boulez in 
der 3. Klaviersonate, wahrend J. Cage Unbestimmt- 
heit und Zufall der Komposition vorangehen lafit 
(-> Aleatorik und Indeterminacy). Rhythmus und Me- 
trum entwickeln sich iiber den schwebenden Zustand 
bei Bartok und Strawinsky hinaus autonom (Messiaen; 
Blachers ->■ Variable Metren) und schaffen ein neues 
musikalisches ZeitbewuBtsein. Um 1950 wurden in 
Paris ersteErgebnisse einer experimentellen, mit Schall- 
platte und Tonband montierten -> Musique concrete 
gezeigt. Kurz danach iiberwand die Kolner Schule 
Eimerts mit -*■ Elektronischer Musik das Stadium des 
Experiments. Komposition geschieht hier direkt auf 
Tonband; die Abstufungen von Klang, Oktavteilung, 
Polymetrik und Dynamik sind unbegrenzt. - Bei den 
auf Massenkultur bedachten totalitaren Staaten ist N. 
M. verfemt; im Deutschland Hitlers waren ihre Auto- 
ren und Werke als »entartet«, im RuBland Stalins als 
»westlich dekadent« diffamiert. Seit 1955 hat der Wi- 
derstand auch im sowjetischen Bereich nachgelassen. 
Lit.: P. Stefan, N. M. u. Wien, Wien 1 92 1 ; E. Bucken, Fiih- 
reru. Probleme d. n. M., Koln 1924; H. Mersmann, Diemo- 
derne Musik seit d. Romantik, Bucken Hdb. ; ders., N. M. 
in d. Stromungen unserer Zeit, Bayreuth 1 949 ; H. Tiessen, 
Zur Gesch. d.jungsten Musik (1913-28), Mainz (1928); K. 
Westphal, Die moderne Musik, = Aus Natur u. Geistes- 
welt Bd 1007, Bin 1928; R. Dumesnil, La musique con- 
temporaine en France, 2 Bde, Paris 1930, 2 1949-50; E. 
Krenek, t)ber n. M., Wien 1937, engl. als : Music Here and 
Now, NY 1939; N. Slonimsky, Music Since 1900, NY 
1937, 31949; A. Copland, Our New Music, NY 1941, 
deutsch Miinchen 1947, Wien 1948 ; W. Schuh, Zeitgenos- 



628 



Neumen 



sische Musik, Zurich u. Freiburg i. Br. 1947; S. Borris, 
Ober Wesen u. Werden d. N. M. in Deutschland, Bin 1948 ; 
R. F. Brauner, Osterreichs N. M., Wien 1948; Th. W. 
Adorno, Philosophie d. n. M., Tubingen 1949, Ffm. 21958; 
H. Erpf, Vom Wesen d. N. M., Stuttgart 1949, japanisch 
Tokio 1955; H. H. Stuckenschmidt, N. M., = Zwischen 
d. beiden Kriegen II, Bin u. Ffm. 1951, frz. Paris 1956; 
ders., Schopfer d. N. M., Ffm. 1958 ; A. Golea, Esthdtique 
de la musique contemporaine, Paris 1954, deutsch als : Mu- 
sik unserer Zeit, Munchen 1955; Fr. Herzfeld, Musica 
nova, Bin 1954; O. Gurvin, Ny musik in Norden, Stock- 
holm 1954; L. Roononi, Espressionismo e dodecafonia, 
Turin 1954; K. H. Worner, N. M. in d. Entscheidung, 
Mainz (1954, 2 1956); P. Wolff, La musique contempo- 
raine, Paris 1954; P. Collaer, Musique moderne, Briissel 
1955, deutsch Stuttgart 1963; R. Vlad, Modernita e tra- 
dizione nella musica contemporanea, Turin (1955);G. For- 
neberg, Der Geist d. N. M., = Literarhist.-mw. Abh. XV, 
Wiirzburg 1957 ; G. Nestler, Der Stil in d. n. M., Freiburg 
i. Br. u. Zurich (1958); Fr. K. Prieberg, Lexikon d. N. M., 
Freiburg i. Br. u. Miinchen 1958; B. Schaffer, Nowa mu- 
zyka .... Krakau 1 958 ; R. Stephan, N. M., = Kleine Van- 
denhoeck-Reihe II, Gottingen 1958; J. A. Berendt u. J. 
Uhde, Prisma d. gegenwartigen Musik, Hbg 1959; B. de 
Schloezer (mit M. Scriabine), Problemes de la musique 
moderne, Paris 1959; R. Wangermee, La musique beige 
contemporaine, Briissel 1959; K. H. Ruppel, Musik in un- 
serer Zeit, Munchen 1960; P. Gradenwitz, Wege zur Mu- 
sik d. Gegenwart, = Urban-Biicher LXX, Stuttgart (1963) ; 
D. Mitchell, The Language of Modern Music, London 
1963 ; W. Zillig, Die N. M., Linien u. Portrats, Munchen 
1963; J. Rohwer, Neueste Musik, Stuttgart 1964; U. Di- 
belius, Moderne Musik 1945-65, Munchen (1966). — > Zeit- 
schriften. HHS 

Neuguinea. 

Lit. : J. Kunst, A Study on Papuan Music, Bandung 1930; 
ders., De inheemse muziek in westelijk Nieuw-Guinea, 
in: C. C. F. M. Le Roux, De Bergpapoea's van Nieuw- 
Guinea en hun woongebied II, Leiden 1 950 ; W. Graf, Die 
mw. Phonogramme R. Pochs v. d. Nordkviste N., = R. 
Pochs NachlaB, Serie B, II, Wien 1950; P. Wirz, t)ber 
sakrale Floten u. Pfeifen d. Sepik-Gebietes, N., Verhand- 
lungen d. Naturforschenden Ges. Basel LXV, 1954; D. 
Christensen, Die Musik d. Kate u. Sialum. Beitr. zur Eth- 
nographie N., Diss. Bin (F. U.) 1957; A. P. Elkin, Au- 
stralian and New Guinea Mus. Records, Oceania XXVII, 
1957. 

Neumen (griech. veufia, Wink), - 1) die Zeichen der 
kirchlicheh Notenschrift vor Entstehung der auf Li- 
niensystem aufbauenden abendlandischen und der neo- 
(mittel-)byzantinischen Notenschrift (-> Byzantini- 
scher Gesang). Sie sind hervorgegangen aus den aufs 
engste zusammengehorigen cheironomischen Zeichen 
der fruhchristlichen Musiker und den Akzent- oder 
Prosodiezeichen der spatantiken Grammatiker (-> Ak- 
zent - 1 ; -> Prosodie - 1). Verwandte Zeichen lassen 
sich bis nach Agypten und Indien und den Ausstrah- 
lungsgebieten dieser Lander nachweisen. Aufgabe der 
N. ist es, als Gedachtnisstutze fur die Kantoren den 
Vortrag der kultischen Gesange zu erleichtern. Nach 
Art der Gesange gliedern sie sich in Lektionszeichen 
oder -»■ ekphonetische N., welche die Rezitationsfor- 
meln anzeigen, und in die N. im eigentlichen Sinne fiir 
den Concentus (-> Akzent - 2). Entsprechend der rei- 
cheren Melodik des Concentus bezeichnen letztere die 
auf die einzelnen Silben entfallenden Einzeltone oder 
Tongruppen. 

Die N. sind einzuteilen nach Art der Akzente. Da- 
bei ist unter Akzent nicht die*heutige Hervorhebung 
einzelner Silben oder Tone durch die Starke zu ver- 
stehen, sondern einerseits im antiken Sinn die Verande- 
rung des Silbentons, d. h. die Aufwartsbewegung der 
Stimme (Acutus, als Neume Virga), die Abwartsbewe- 
gung oder das Verharren in der Tiefe (Gravis, als Neu- 
me Punctum, Tractulus), das Auf- und Abwarts (Cir- 



cumflexus, als Neume Flexa oder Clinis, Clivis) sowie 
die anderen zusammengesetzten Tonhohenverande- 
rungen (siehe N.-Tafel S. 631) ; andererseits, gemafi der 
antiken Akzendehre, die lange oder kurze Aussprache 
(die Zeichen der Metriker: Longa und Brevis, als N. 
nur in sogenannten rhythmischen Schriften verwen- 
det: — und •) sowie Spiritus, Apostropha, Hyphen, 
Diastole (zufolge E. Jammers als N. in den Sonder-N. 
oder, wie P. Wagner sie nennt, in den Haken-N. fort- 
lebend). Die N. fiir die Tonhohe geben dabei nicht den 
Tonort, sondern seine Anderung, d. h. die Richtung 
der Tonbewegung an. Wann aus der -»■ Cheironomie 
als Versinnbildlichung des Gesanges durch Handbe- 
wegung eine Schrift auf dem Pergament als Vorschrift 
oder Hilf e fiir die Ausf iihrung der Melodien geworden 
ist, laBt sich nicht genau bestimmen. Das Bediirfnis er- 
gab sich im Westen vielleicht bei der Entstehung di- 
vergierender Vortragsarten fiir den Gregorianischen 
Gesang bei gleichen Texten oder bei der Verdrangung 
des -*■ Gallikanischen Gesanges durch diesen unter den 
Karolingern. Altestes zur Zeit bekanntes Dokument 
ist der Miinchner Codex 9543 aus Oberaltaich mit der 
Prosula Psalle modulamina, notiert von dem Schreiber 
Engyldeo (zwischen 817 und 834). 
Die Arten der N.-Schriften ergeben sich aus ihrer Ver- 
bindung mit der Liturgie. Man unterscheidet armeni- 
sche, byzantinische, russische (von den friihbyzantini- 
schen abhangig) und andere Schriften im Osten sowie 
die lateinischen N. im Westen, bei diesen wiederum 
im Bereich der romischen Liturgie die beneventani- 
sche, mittelitalische, anglonormannische, nordfranzo- 
sische (im Gebiet der ehemaligen Gallia Lugdunensis) 
und die deutsche Schrift, die nach einem ihrer wich- 
tigsten Orte auch St. Galler Schrift genannt wird. Die 
ambrosianische Schrift in Oberitahen ist weitgehend 
durch fremde Schriften verdrangt worden. Die moz- 
arabische Schrift (Spanien) starb im 11. Th. aus. Alle 
diese Schriften (zu den wichtigsten friihen Quellen 
-> Ambrosianischer Gesang, ->- Mozarabischer Gesang, 
-> Gregorianischer Gesang, Ausg. und Lit.) verwenden 
die Virga als einen Hauptbestandteil. 

—" s S * M - +'" - *ss m * if 
Confirm*, hoc -oeuT quod. open, tuf 



pto -mo quodefc tnhteru. HXem 

St. Galler Schrift 
(St.Gallen, Stiftsbibl., Cod. 339; 10. Jh.). 



l£mtttfne*< »iii» kft m«>f tnf nan at 



cfwhicem mime Ctifn tC Jomitrf 

Beneventanische Schrift 
(Rom, Bibl. Vat., Ms. lat. 10673; 11. Jh.). 



i r r i 






&i ,. ,„„ 

Nordfranzosische Schrift 
(Mont-Renaud, Privatbibl.; 10. Jh.). 



629 



Neumen 



Abseits stehen einige Schriften Frankreichs, die aqui- 
tanische im Siiden, fast ohne Virga, indem sie nahezu 
ausschlieBlich Punkte oder waagerechte Tractuli be- 
nutzt (sogenannte neumes-points), ferner die palaofran- 
kische urn St-Amand, die bretonische im Nordwesten 
und die Metzer oder Lothringer im Nordosten und in 
Belgien, doch auch steljenweise in Deutschland. Die 3 
zuletzt genannten sind Ubergange oder Mischschriften 
der aquitanischen und nordfranzosischen Schrift, mit 
starkerer Verwendung der zusammengesetzten Ton- 
hohezeichen. Die Ansichten iiber die geschichtliche 
Einordnung dieser Schriften gehen auseinander. 



A 



■A' 



«• 

« • 



^LU^UtJk. 



J 






. /- 



. arc-aft 

Aquitanische Schrift 



(Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 903; 11. Jh.). 



A 






• a. 

y . . • M 

• ' /).' - . • 

-1% ./. 1 VI 

«*#•* new- xrrx 

Palaofrankische Schrift 
(Diisseldorf, Landes-und Stadtbibl., Ms. D 1 ; 10. Jh.). 

num Q£ JL^y omxntr dtufulu 

; ,,1*1,4 : -' *' 1 M'*/' 



Metzer Schrift 
(Laon, Ms. 239; 9./10.Jh.). 
Beinahe gleichzeitig mit der Entstehung der N.- 
Schrift als Vorschrift fiir die Auffiihrung der Gesange, ' 
d. h. schon im 9. Jh., beginnen die Klagen iiber die Un- 
sicherheit hinsichtlich der Tonhohe und setzen die er- 
sten Versuche ein, ihr abzuhelfen. So schrieb man - je- 
doch fast ausschlieBlich in Theorie- oder Schulwerken - 
zu den N. die Tonbuchstaben, oder man erganzte die 
N. durch Intervallzeichen (Hermannus contractus). Als 
Zusatzzeichen fiir einen melodisch und rhythmisch 
differenzierten Gesangsvortrag der N. begegnen die 
-»■ Romanus-Buchstaben und das sogenannte Episema 



(letzteres in Form eines leicht geschwungenen waage- 
rechten Strichs am oberen Ende vor allem von Flexa 
und Virga). Zu erwahnen ist ferner als echte Tonort- 
schrift die aquitanische N.-Schrift. Auch hier bestehen 
Meinungsverschiedenheiten : als Tonortschrif t von An- 
fang an wird sie von Jammers betrachtet, Handschin 
leitet sie aus einer Mischung von Tonort- und Tonbe- 
wegungszeichen (d. h. aus der palaofrankischen Schrift) 
ab, Solesmer Autoren dagegen unmittelbar aus der iib- 
lichen Schrift der Tonbewegungen. - Die eigentliche 
Entwicklung der N.-Schrift zur abendlandischen Ton- 
ortschrif t erf olgte durch die Heranbildung des -»■ Linien- 
systems. Dem Guidonischen Liniensystem kamen die 
einzelnen Schriftarten mit verschiedener Bereitwillig- 
keit entgegen. Keine Schwierigkeiten bestanden bei 
der aquitanischen Schrift mit ihrem fast ausschlieBli- 
chen Gebrauch von Punkten oder waagerechten Strich- 
lein; die beneventanische Schrift bevorzugte die Punk- 
te vor den Virgen. Trotzdem wurde die nordfranzosi- 
sche Schrift besonders wichtig fiir die Gestalt der 
abendlandischen. Hier erhielt die Virga an der Spitze 
eine Verdickung; diese wurde nun Zeichen des Ton- 
ortes, wahrend der eigentliche Virgastrich unwesent- 
liche Verzierung oder aber Zeichen der Tondauer wur- 
de (-> Longa). Punkt oder Verdickung gewannen qua- 
dratische Form; es entstand die quadratische oder ro- 
mische -> Choralnotation. 



teftaaAcs meter mile cudro 



»; '-r 



: promem- - mdefot 

Romische Choralnotation 
(Arezzo, Bibl. Communale, Graduale; 1476). 
In Deutschland, wo die Mehrstimmigkeit weniger ge- 
pflegt wurde und das Verlangen nach exakter Angabe 
der Tonhohe daher geringer war, hielt sich die linien- 
lose N.-Schrift langer. Aus einer ahnlichen Verdickung 
der Virga und anderen Entartungen der N. entstand 
hier die Hufnagelschrift (deutsche oder gotische Cho- 
ralnotation). 




* j»fr x r ft ~IN 






tl(6 fitlCS tt 



-rt 



rz$: 



Ot t wrttrt tubttatc it o 



Deutsche Choralnotation 
(Karlsruhe, BadischeLandesbibl., Ms. Pm 16; 15. Jh.). 
- 2) In der mittelalterlichen Musiktheorie umfaBte der 
Terminus neuma mehrere Bedeutungen. Nach Anony- 
mus I (CS II, 470a) und den Quatuor principalia musicae 
(CS IV, 233b) verstand man unter neuma: 1) den Ein- 
zelton (simplex phtongus, id est sonus) ; 2) die aus ei- 
nem oder mehreren Tonen zusammengesetzte Silbe 
eines Gesanges (cantus syllaba) ; 3) einen ganzen Gesang 
(totus cantus) ; 4) jenen Cantus, qui est post antiphonam, 
ut in cathedralibus et quampluribus aliis ecclesiis. In letztge- 
nanntem Sinn hieBen neumae die vom 9. bis ins spate 
16. Jh. nachweisbaren Melodie- oder Memorierfor- 
melii: Vokalisen, welche den Antiphonen und Respon- 
sorien auf dem SchluBvokal angehangt werden konn- 



630 



Neumen 





St.Gallen 


Benevent 


Nordfran- 
zosisch 


Aquita- 
nisch 


PalSo- 
frankisch 


Metz 


Romische 
Choral- 
notation 


Deutsche 
Choral- 
notation 


Punctum 


•N 


# 


• 


• 


• 


• 


■ 


+ 


Tractulus 


— 


- 




- 


— 


A 






Virga 


, / r 


\ 


1 


r/3t 






1 


r 


Pes(Podatus) 


j j 


J 


J 


./ 


s-: 


y/ 


3 


4 


Flexa(Clivis) 


n 


11 


r 


\ •-■ 


\ :■ 


71 P 


1* 


fit 


Climacus 


A A 


♦ 
t 


i-(P) 


: 


\ 




!♦♦ 


K 


Scandicus 


// 


J 


I 


/ 


/ 


/ 


J 


^t 


Torculus 


/S- 


A 


s 


.A. 


ns\ .> 


P 


A 


-r> 


Porrectus 


N 


\y 


r> 


./ 


V 


y 


s 


*t 


Pes subbipunctis 


J- J* 


>i 


j-. 


_/ 


(-0) 


A 


3% 


-fc 


Climacus 
resupinus . 


/./ 


♦ 




.> 


V 


p"^ 


IV 


N 


Oriscus 


1 


['] 


*W 


* 






■ 


5 


Pressusver- 
bindungen 


r Af 


1 




«(-) 




1 


Ct) 




Salicus 


1 


J 


/ ; 


(.*')(/) 


7 ^ 


> 

• to 


(J) 


-t 


Strophicus 


» >» 


mr a*v 


„ (..) 


(") 


• •• 


... 


■■■ 


»>» 


Quilisma 


«/ 


JJ 


(-) 


T 


/— -~ 


/ 






Liquescens, beson- 
ders Cephalicus 


/ 


t 


(P) n 


J 


r> 





u 


f 


Epiphonus 


u 


s 


v7 ? 




VJ 


j 


j 





ten, wobei jeder der 8 Kirchentone iiber ein eigenes 
Neuma verfugte. 

Ausg. : zu 1): Paleographie mus. 1/1-17 u. II/1-2, Solesmes 
1889ff., dazu: La notation mus. des chants hturgiques lat., 
Solesmes (1963); Monuments de la notation ekphonetique 
et neumatique de l'eglise lat., hrsg. v. J.-B. Thibaut OSB, 
St. Petersburg 1912; Monumenti vaticani di paleografia- 
mus. lat., 2 Bde, hrsg. v. H. M. Bannister, = Cod. vaticani 
selecti phototypice expressi XII, Lpz. 1913 ; Die Komposi- 
tionen d. hi. Hildegard . . . , Faks. hrsg. v. J. Gmelch, Diis- 
seldorf 1913; Das Graduate d. St. Thomaskirche zu Lpz. 
. . . , 2 Bde, hrsg. v. P. Wagner, = PaM V u. VII, Lpz. 1930- 
32; E. Jammers, Die Essener Neumenhss. d. Landes- u. 
Stadtbibl. Dusseldorf, Ratingen 1952 ; Tafeln zur Neumen- 
schrift, hrsg. v. dems., Tutzing 1965; G. Vecchi, Atlante 
paleografico mus., Bologna 1951; Troparium sequentia- 
rum nonantulanum, hrsg. v. dems., = Monumenta lyrica 
medii aevi italica 1, 1, Florenz 1955 ; Antifonario visigtftico 
mozarabe de la Catedral de Le6n, I: Faks., II: Text, hrsg. 
v. L. Brou OSB u. J. Vives, = Monumenta Hispaniae 
Sacra, Series liturgica V, 1 u. 2, Madrid, Barcelona u. Le6n 
1953 u. 1959; Monumenta Musicae Sacrae, hrsg. v. R.-J. 
Hesbert OSB, Macon 1952ff. ; Le Graduel Romain. Ed. 
critique par les moines de Solesmes, bisher erschienen : II 
(Les sources), IV, 1 u. 2 (Les textes neumatiques), Solesmes 
1957, 1960 u. 1962; Codex Albensis, ein Antiphonar aus d. 



12. Jh., hrsg. v. Z. Falvy u. L. Mezey, = Monumenta 
Hungariae Musicae I, Budapest u. Graz 1963. 
Lit.: zu 1): O. Fleischer, Neumenstudien, I u. II Lpz. 
1895-97, III Bin 1904; P. Wagner, Einf tinning in d. Gre- 
gorianischen Melodien II: Neumenkunde, Lpz. 21912, 
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders., Ein be- 
deutsamer Fund zur Neumengesch., AfMw I, 1918/19; 
Gr. Sunyol OSB, Introducci6 a la paleografla mus. gre- 
goriana, Montserrat 1925, erweitert frz. Paris 1935 (mit 
Bibliogr.). - E. Omlin OSB, Die St.-Gallischen Tonar- 
buchstaben, = Veroff. d. gregorianischen Akad. zu Frei- 
burg i. d. Schweiz XVIII, Regensburg 1934; E. Jammers, 
Zur Entwicklung d. Neumenschrift im Karolingerreich, 
Fs. O. Glauning, Lpz. 1936; ders., Die palaofrankische 
Neumenschrift, Scriptorium VII, 1953; ders., Die mate- 
riellen u. geistigen Voraussetzungen f. d. Entstehung d. 
Neumenschrift, DVjs. XXXII, 1958; ders., StudienzuNeu- 
menschriften, Neumenhss. u. neumierter Musik, Bibl. u. 
Wiss. II, 1965; J. Smits van Waesberghe SJ, Muziekge- 
schiedenis d. middeleeuwen II, Tilburg 1939-47; J. Hand- 
schin, Eine alte Neumenschrift, AMI XXII, 1 950 ; L. Agus- 
toni, Notation neumatique et interpretation, Rev. gre- 
gorienne XXX, 1951 ; J. Hourlier, Le domaine de la no- 
tation messine, ebenda ; S. Corbin, Les notations neuma- 
tiques a l'epoque carolingienne, Rev. d'hist. de l'Eglise de 
France XLIII (= Bd 38), 1952; dies., La notation mus. neu- 



631 



Neuseeland 



matique. Les quatre provinces lyonnaises: Lyon, Rouen, 
Tours et Sens, Diss. Paris 1957, maschr. ; G. Vecchi, La no- 
tazione neumatica di Nonantola, Atti e memorie della De- 
putazionedistoriapatriadiModenaIX,5,1953;M.HuGLO, 
Les noms des neumes et leur origine, Etudes gregoriennes I, 
1954; ders., Le domaine de la notation bretonne, AMI 
XXXV, 1963; G. Benoit-Castelli OSB u. M. Huglo, 
L'origine bretonne du GraduelNr 47 de la bibl.de Chartres, 
Etudes gregoriennes I, 1954; M. Huglo, L. Agustoni, E. 
Cardine OSB u. E. Moneta Caglio, Fonti e paleografia 
del canto ambrosiano, = Arch. Ambrosiano VII, Mailand 
1956; E. Cardine OSB, Neumes et rythme, Etudes gre- 
goriennes III, 1959; ders., Preuves paleographiques du 
principe des »coupures« dans les neumes, ebenda IV, 1961; 
L. Kunz OSB, Antike Elemente in d. fruhma. Neumen- 
schrift, KmJb XLVI, 1962. - zu 2) : R. Molitor OSB, Die 
Nach-Tridentinische Choral-Reform zu Rom I, Lpz. 1 901 ; 
P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melodien, 
II Lpz. 21912, HI Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; K. W. Gumpel, Zur Interpretation d. 
Tonus-Definition d. Tonale Sancti Bernardi, = Akad. d. 
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klas- 
se, Jg. 1959, Nr 2; A.-M. Bautier-Regnier, Notes du lexi- 
cographie mus. : A propos des sens de neuma et de nota en 
lat. medieval, RBM XVIII, 1964. EJ 

Neuseeland. 

Lit.: Cl. Elktn, Maori Melodies, Sydney 1923; K. Ken- 
nedy, The Ancient Four-Note Scale of the Maoris, Man- 
kind I, 1931 ; J. C. Andersen, Maori Music With its Poly- 
nesian Background, New Plymouth 1934; M. Hurst, 
Music and the Stage in New Zealand, Wellington 1944; 
Gr. Carrit, New Zealand Composers, MMR LXXXI, 
1951 ; M. E. McLean, Oral Transmission in Maori Music, 
Journal of the International Folk Music Council XIII, 1 961 . 

Newel, Nebel (hebraisch) ist die im Alten Testament 
mehrfach genannte Bogenharfe, das wichtigste Saiten- 
instrument neben dem Kinnor. Nach der Zeit Davids 
wurde es im Tempel bei freudigen Anlassen gespielt. 
-> Psalterium. 

New Orleans (La., USA). 

Lit.: J. G. Baroncelli, L'operafrc. de la Nouvelle Orleans, 
N. O. 1914; G. P. Bumstead u. L. Panzer!, Louisiana 
Composers, N. O. 1935; L. Gafford, Hist, of the St. 
Charles Theater in N. O., Diss. Univ. of Chicago 1938; J. 
Sm. Kendall, The Golden Age of the N. O. Theatre, Baton 
Rouge (La.) 1952; G. S. McPeek, N. O. as an Opera Center, 
Mus. America LXXIV, 1 954 ; O. Keepnews u. W. Grauer, 
Pictorial Hist, of Jazz, People and Places from N. O. to 
Modern Jazz, NY 1955. 

New-Orleans-Jazz (nju: 'o:lianz d3aez), der in Tanz- 
hallen und im Vergniigungsviertel (Storyville) von 
New Orleans entstandene friiheste -> Jazz. Die ersten 
Tanz- und Unterhaltungskapellen der nordamerika- 
nischen Neger (->- Band), deren Musizieren u. a. von 
dem damals schon weitverbreiteten ->■ Ragtime beein- 
flufit war, sind als Verkleinerungen der -> Marching 
bands anzusehen. Sie sind in New Orleans seit etwa 
1890 nachweisbar; eine der ersten namentlich bekann- 
ten ist die des Kornettisten und Trompeters Buddy 
Bolden (seit 1893). Diese Bands bestanden - wie auch 
jede spatere Jazzband - aus einer Melodie- und einer 
Rhythmusgruppe, wobei sich sehr bald die N.-O.-J- 
Standardbesetzung herausbildete mit der Melodiegrup- 
pe Kornett oder Trompete, Klarinette und Posaune 
(->• Tail gate) und der Rhythmusgruppe Schlagzeug, 
KontrabaB (anfangs Tuba), Banjo oder Gitarre, spater 
auch Piano. - Der N.-O.-j. war urspriinglich kollek- 
tives Stegreifmusizieren iiber einem ->• Chorus ohne 
hervorstechende solistische Beteiligung. Als Chorus 
dienten vor allem Popular songs, Schlager, Blues und 
Marsche. Die fiihrende Melodiestimme (lead) iiber- 
nahmen das Kornett oder die Trompete, die sich beim 
ersten Durchspielen des Chorus noch moglichst eng 
der Originalmelodie anschlossen, ihn aber bei seinen 



Wiederholungen durch Auszierungen und Kolorie- 
rungen immer abwechslungsreicher darboten. Die 
Posaune bildete die tiefe Gegenstimme, und die Klari- 
nette umspielte die beiden anderen Melodieinstrumen- 
te. Auf Grund dieser freien Umspielungen des Chorus 
durch die Melodieinstrumente ergab sich ein scheinbar 
polyphones Klangbild, das haufig falsch mit der Poly- 
phonie der Barockmusik verglichen worden ist. Die 
Rhythmusgruppe lieferte nicht nur die harmonische 
Grundlage, indem sie das Harmonieschema des Chorus 
beibehielt , sondernsorgteauch durch den ->- Beat (- 1 ) f iir 
das metrische Fundament (two beat), das der Melodie- 
gruppe Off-beat-Akzentuierungen ermoglichte und so 
den -> swing herbeifiihrte. Die Neger iibertrugen ihre 
Gesangsvorstellung auf das Spielen der Instrumente 
(singing horns), woraus sich die fur den N.-O.-J. typi- 
sche -*■ Hot-Intonation entwickelte, die ihrerseits eng 
mit der Verwendung von -> Dirty tones, -»• Shouting 
und Blue notes in Zusammenhang steht. - Die heutige 
Kenntnis des alten N.-O.-J. vermitteln Schallplatten. 
Diese Aufnahmen entstandenjedoch erst in den Jahren 
1922-28 in Chicago und reprasentieren die kultivierte- 
ste und virtuoseste Stufe des N.-O.-J., die von den be- 
deutendsten Bands aus New Orleans erreicht worden 
ist: King Oliver's Creole Jazz Band (mit Louis Arm- 
strong, Aufnahmen seit 1923), Louis Armstrong and 
His Hot Five (1925), ebenso seine Hot Seven (1927) 
und Jelly Roll Morton's Red Hot Peppers (seit 1926). 
In den Aufnahmen dieser Bands gewannen - auch auf 
Grund der Begegnung mit dem ->• Chicago-Jazz - das 
solistische Hervortreten einzelner Musiker (Armstrong) 
das durch Head-Arrangements (->■ Arrangement) fest- 
gelegte ausgewogene Zusammenspiel der ganzen Grup- 
pe (Morton), so wie Perfektion und Prazision in der 
Darbietung eines geschlossenen Jazzstiicks immer mehr 
Bedeutung. Sie stellen den Hohepunkt des N.-O.-J. 
dar. Seit dem Auftreten der Big bands in der -> Swing- 
Ara wurde der N.-O.-J. immer starker in den Hinter- 
grund gedrangt, bis er schlieBlich durch die sogenann- 
te New Orleans Renaissance (seit 1939), teilweise unter 
Heranziehung alter Musiker (Bunk Johnson), der Ver- 
gessenheit entrissen wurde und seitdem wieder als un- 
befangenste und vitalste Spielart des Jazz gilt. EWa 

New York. 

Lit.: Th. Hastings, The Hist, of Forty Choirs, NY 1854; 
H. E. Krehbiel, Review of the NY Mus. Season 1885-90, 
5 Bde, NY 1886-90; H. Mosenthal, Gesch. d. Ver. Deut- 
scher Liederkranz in NY, NY 1897; A. H. Messiter, A 
Hist, of the Choir and Music of Trinity Church, NY 1906 ; 
An Hist. Sketch of 37 Seasons of the Oratorio Soc. of NY 
1873/74-1908/09, hrsg. v. d. Oratorio Soc. NY, NY 1909; 
H. Klein, Unmus. NY, NY u. London 1910; J. G. Hune- 
ker, The Philharmonic Soc. of NY and Its 75 th Anniver- 
sary, NY 1 9 1 7 ; J. M attfeld, A 1 00 Years of Grand Opera 
in NY, 1825-1925, NY 1927; G. C. D. Odell, Annals of 
the NY Stage, 1 5 Bde, NY 1 927-49 ; F. A. H. Leuchs, The 
Early German Theatre in NY, 1840-72, Columbia 1929; 
F. O. Noethinger, 75 Years of Helvetia Maennerchor NY, 
1858-1933, NY 1933; Fr. Damrosch, Inst, of Mus. Art, 
1905-26, NY 1936; I. Kolodin, The Metropolitan Opera 
1883-1935, NY 1936, 1883-1950, NY 1953; P. Sanborn, 
u. E. Hilb, The Metropolitan Book of the Opera, NY 1937, 
21942; R. Aldrich, Concert Life in NY 1902-23, NY 1941 ; 
H. Dike, Stories from the Great Metropolitan Operas, NY 
1943; J. Erskine, The Philharmonic-Symphony Soc. of 
NY, 1917^12, NY 1943; A. C. Minor, Piano Concerts in 
NY City 1849-65, Diss. Univ. of Michigan 1947, maschr. ; 
M. E. Peltz, Behind the Gold Curtain. The Story of the 
Metropolitan Opera, 1883-1950, NY 1950; J. Burton, 
The Blue Book of Broadway Musicals, NY 1952; Metro- 
politan Opera House, 70" 1 Anniversary 1883-1953, Spon- 
sored by the National Council of the Metropolitan Opera 
Ass., NY 1953; A. Holde, Vom Werden eines Instr.-Mu- 
seums (Metropolitan Museum), Das Musikleben VII, 



632 



Niederlandische Musik 



1954; ders., Metropolitan Opera, = Rembrandt-Reihe 
XXXVI, Bin 1961 ; H. Noble, Life with the Met, NY 1954; 
Qu. Eaton, Adventures of the Metropolitan on Tour, 
1883-1956, London 1957; Metropolitan Opera Annals, 
I. Suppl. 1947-57, hrsg. v. W. H. Seltsam, NY 1957; R. 
Schickel, The World of Carnegie Hall, NY 1960. 

Nicaragua. 

Lit. : L. A. Deloadillo, La musica indigena y colonial en 
N., Estudios mus. I, 1950; S. Ibarra Mayorga, Mono- 
graffa del himno nacional de N., Managua 1955. 

Njcolo (ital.) ->■ Bomhart. 

Niederlandische Musik. Fur die altere Zeit ist die 
Bezeichnung miBverstandlich, weil nicht das heutige 
Holland allein gemeint ist, sondern das Konigreich der 
Vereinigten Niederlande 1815-30. Hier fiihlte man 
sich im Sinne der Romantik als Erbe der historischen 
»Niederlande« mit flamisch-wallonisch-franzosischer 
Bevolkerung und stellte 1824 die Preisfrage nach ihren 
musikalischen Verdiensten im 1 4.-1 6. Jh., die 1 829 durch 
R. G. Kiesewetter und Fr.-J.Fetis beantwortet wurde. 
Dabei erkannte Kiesewetter zunachst, dafi jene Gebiete 
nicht zu Frankreich gehorten, das erst 1659 kleine Teile 
davon erobert hat. Die Musiker waren nicht Franzosen 
im Sinne der Ars nova-Tradition. Man kann sie als 
»franko-flamisch« bezeichnen (->■ Franko-flamische 
Schule), doch ist auch »niederlandisch« angebracht, 
weil das inzwischen durch »Holland« + »Belgien« ver- 
drangte Wort »Niederlande« heute am besten jene alte 
politische Einheit umschreibt, deren Geschichte lange 
vor Fr. v. Schiller erforscht wurde. Ihre Zusammenge- 
horigkeit geht auf das Herzogtum Burgund im 15. Jh. 
zuriick (->■ Burgundische Musik), denn Herzog Philipp 
der Gute trieb nicht mehr die Politik eines franzosi- 
schen Vasallen, sondern setzte nach langem Kampf 
1435 im Friedensvertrag von Arras seine Unabhangig- 
keit vom franzosischen Konig durch. Diese im Biind- 
nis mit England errungene staatliche Souveranitat hat 
ihr Gegenstiick in der musikalischen Verselbstandigung 
durch Aufnahme englischer Grundlagen. Der Dichter 
Martin le Franc sprach 1441/42 von contenance Angloyse 
und der Nachfolge Dunstables. Nur die in jenen Jah- 
ren geschaffene Nova ars gait als horenswert, alles Vor- 
angehende als veraltet, wie Tinctoris 1477 darlegte. 
Die heutige Forschung fiihrte zur Erkenntnis einer 
Ubergangszeit, in der sich einzelne Stilmittel heraus- 
bildeten. Besonderen EinfluB hatte der um 1400 fiir 
Padua wirkende J. Ciconia, gewifi ein jiingeres Mit- 
glied der gleichnamigen Musikerfamilie in Luttich. - 
Die franko-flamischen (niederlandischen) Musiker des 
15./16. Jh. schufen den damals furEuropa giiltigen Stil, 
von dem der Stil der Zeit nach 1600 charakteristisch 
abweicht. Es war ein auf dem Gesang und auf dem 
Wort beruhender »Singstil«, der zuerst in der liturgi- 
schen Musik hervortrat, nachtraglich auf andere Ge- 
biete iibertragen wurde. Am unabhangigsten davon 
blieb im 16. Jh. die Pariser Chansonkunst, wahrend in 
Italien das Madrigal vom Singstil gepragt war. Es gab 
keine rein musikalische Form, denn auch die Instru- 
mentisten folgten dem Vorbild der Vokalpolyphonie. 
Dort richtete sich die Komposition nach dem Text, 
der meist Prosa ist oder wie Prosa behandelt wird. Die 
daraus hervorgehende »Prosamelodik« bringt immer 
neue Motive, vermeidet Wiederholung und Sym- 
metric Die Einzelstimmen sind vom Singen erfiillt 
und ergeben den Klangstrom einer primar gesanglichen 
Mehrstimmigkeit; demgemaB hatten instrumental die 
Blaser den Vorrang. Der ernste Ton des Singstils er- 
klart sich aus seinem Dienst an der Liturgie und seiner 
Verwandtschaft mit dem gregorianischen Choral. Der 
Choral war es, den Dufay um 1430-40 nach englischem 
Vorbild in die Mehrstimmigkeit aufnahm, als erste 



Stufe der Stilpragung. Da es von Binchois keine Te- 
normesse gibt, war er nur sekundar ein Mitschopfer 
des Neuen, wahrend der universale Dufay den Sing- 
stil auch auf die Motette und die Gesellschaftsmusik 
wirken lieB, nach dem erhaltenen Werkbestand bis 
iiber 1460 hinaus. Im Zeitalter der niederlandischen 
Devotio moderna, der Reformation und Gegenrefor- 
mation lag die Fuhrung auf musikalischem Gebiet beim 
MeBzyklus und bei der Motette. Der hier gepragte 
Singstil hat immer wieder andere Formen beeinfluBt, 
die franzbsische Chanson und das deutsche Lied ebenso 
wie zuletzt noch das Madrigal. Dagegen blieb die 
Tanzmusik im 15.-16. Jh. ohne irgendwelchen EinfluB, 
sie paBte sich vielmehr bei polyphoner Ausfiihrung 
bald dem Singstil an (->• Tanz). - Die zweite Stufe der 
Stilpragung vertrat seit 1460 Ockeghem, der nicht 
Schuler Dufays war und langsam seine eigene Sprache 
fand. Er gab dem polyphonen Klangstrom, meist mit 
einem C. f., durch unregelmaBige Rhythmik und Zu- 
riickdrangen der Kadenzgliederung eine neue Aus- 
druckskraft. Zugleich bevorzugte er die Messe fast bis 
zur AusschlieBlichkeit. Der stark auch der Chanson 
zuneigende Busnois hatte geringeren EinfluB. Der Vor- 
rang des MeBzyklus, im Diffinitorium musices von Tinc- 
toris als cantus magnus bezeichnet, entsprach wohl 
dem Wunsch der Zeitgenossen. Mit seinen 5 Satzen 
war er die GroBform der niederlandischen Epoche, an 
Bedeutung der Symphonie vergleichbar. Der litur- 
gisch begriindete Vorrang der Messe blieb bestehen, 
auch als die Schopferkraft sich auf andere Gebiete ver- 
lagerte. Das geschah allmahlich zugunsten der Motette, 
die fiir Tinctoris nur als cantus mediocris gait, im 16. 
Jh. jedoch die Fuhrung hatte, zuletzt in Italien sogar 
hinter dem Madrigal als Vertreter des cantus parvus 
zuriickblieb. 

Die um 1500 zur Herrschaft gelangte Generation er- 
hielt durch die Renaissance in Italien Anregungen. 
Wahrend fiir Dufay die Auseinandersetzung mit der 
italienischen Fruhrenaissance fruchtbar war, riB die- 
ser Zusammenhang bei Ockeghem ab. Die junge Ge- 
neration suchte nun wieder Kontakte, wie Gaspar van 
Weerbeke, Compere, Brume], und zuletzt, wenigstens 
mittelbar, der vielseitige Mouton. Fast unbeeinfluBt 
von Italien blieb Pierre de la Rue, als starkster Ver- 
treter der Kanonkiinste zugleich Komponist eines 
recht ungleichartigen Werkes. Der Nordniederlander 
Obrecht weilte nur wenige Jahre im Suden, mit dessen 
Kunst er sich jedoch fruchtbar auseinandersetzte. Der 
Flame Isaac, seit 1497 Hofkomponist Kaiser Maximi- 
lians I., hatte sich den Ton der italienischen Frottola 
ebenso angeeignet wie den des deutschen Liedes. Am 
intensivsten war die Auseinandersetzung bei Josquin 
Desprez, der schon als Jiingling 1459 nach Italien kam, 
jedoch in der Heimat starb. Er gab dem Singstil durch 
Imitation und Wortausdeutung sowohl in der Gesell- 
schaftsmusik als auch in der von ihm bevorzugten Mo- 
tette eine Gestalt von starker kompositionsgeschicht- 
licher Auswirkung. Dabei handelte es sich aber nie um 
freie, sondern nach wie vor um dienende Kunst, wie 
sie fiir die N. M. auch in der ->■ Renaissance charakte- 
ristisch blieb. - Die franko-flamischen Musiker hatten 
in fast alien Landern Europas die Fuhrung, weil sie 
unter der Herrschaft des Singstils die beste Gesangs- 
schulung betrieben; als"Leiter von Kapellen waren sie 
konkurrenzlos und begehrt. - Den Singstil seit 1530 
vertrat Gombert, der in der Motette als dem neuen 
Schwerpunkt statt eines C. f. die Durchimitation stets 
neuer Motive und den 5-6st. Satz bevorzugte. Bei der 
Messe iiberwog nun die Parodietechnik, wobei nach 
wie vor auch Chansons als Vorlage dienten. Fiir Wil- 
laert gilt ahnliches, doch pflegte er die geselligen For- 



633 



Niederlandische Musik 



men ebenso stark; bald wandte er sich nach Italien und 
seit 1527 wirkte er schulbildend in Venedig. Ein Er- 
gebnis des Einwirkens der N.n M. auf Italien war vor 
allem das Madrigal, das nach dem Vorbild der Motette 
den Singstil verkorperte und im Siiden allmahlich an 
die Spitze trat. Clemens non Papa, bezeugt in Ypern 
und Brugge, lieB als neue Gattung 1556/57 3st. Psalter- 
lieder drucken. Hellinck bekundete seine Neigung zur 
Reformation durch die Komposition von Kirchenlie- 
dern fiir Wittenberg. M. Le Maistre, 1554 der Nach- 
folger J.Walters in Dresden, brach als Lutheraner mit 
der Heimat. In den Niederlanden wurde der Wille zur 
Glaubensreform immer scharfer unterdriickt, seit 1567 
durch Alba mit brutaler Gewalt. Das fiihrte zu Auf- 
standen und zur Spaltung der Niederlande, da der re- 
formierte Norden sich 1585 von Spanien trennte und 
politisch wie kulturell bald die Fiihrung tibernahm. - 
Von den Zeugen dieser Ereignisse blieben nur wenige 
franko-flamische Musiker in der Heimat, wie Pever- 
nage und spater Verdonck, wahrend die meisten ab- 
wanderten, vor allem Lassus und Ph. de Monte, zwei 
Hauptmeister der neuen Musica reservata. Lassus, seit 
1556 am bayerischen Hof in Munchen, beherrschte 
souveran alle Gebiete und erweiterte die Sprache des 
Singstils bis zur Aff ektendarstellung. Sein Riickhalt war 
dabei die Motette, an der er, mit schulbildender Kraft, 
bis zuletzt festhielt. Der zweite Exponent der neuen 
Art, Ph. de Monte, war ab 1568 Kapellmeister am Kai- 
serhof in Wien und Prag. Er wandte sich vor allem 
dem Madrigal zu und geriet zunehmend in den Bann 
Italiens. Das gilt noch mehr fiir die in Italien seBhaften 
Niederlander, wie den Willaert-Schuler Cyprian de 
Rore und den etwas jungeren Giaches de Wert. Selb- 
standiger blieben J. de Kerle, der neben Lassus tatige 
Ivo de Vento und die Kapellmeister an den Habsbur- 
gerhofen in Wien, Prag, Innsbruck und Graz: Hollan- 
der, Vaet und sein schon genannter Amtsnachfolger 
de Monte, ferner de Cleve, Utendal, dann die jtingere 
Gruppe mit Jakob Regnart, dem bekanntesten von 
4 Briidern, Lambert de Sayve und Luyton. Jean de 
Macque befaBte sich als einer der jiingsten der Franko- 
Flamen in Italien nicht nur mit dem Madrigal, sondern 
als Organist auch mit instrumentalen Canzoni; von 
Zeitgenossen wie Luyton gibt es ebenfalls Orgelmu- 
sik. - Am entschiedensten vertrat das Neue, mit Druk- 
ken seit 1584, der Nordniederlander und Berufsorga- 
nist J. P. Sweelinck. Er hinterlieB als vokalmusikali- 
sches Hauptwerk die Vertonung des Hugenottenpsal- 
ters in franzosischer Sprache (ab 1604). Da es sich nicht 
mehr um Prosa, sondern um franzosische Verse han- 
delte, gab Sweelinck beim C. f.-Satz ebenso wie bei 
freien Chorwerken den Singstil preis, arbeitete viel- 
mehr mit Motivwiederholung und dem neuzeitlichen 
Taktrhythmus. Dieser Obergang zum Barock vollzog 
siah vor allem in der von England angeregten Orgel- 
musik Sweelincks, die zwar in der ref ormierten Kirche 
Hollands keinen Platz hatte, dafur aber um so starker 
auf die deutschen Lutheraner gewirkt hat. So erhielt 
die N. M. als Orgelmusik durch Sweelinck eine neu- 
zeitliche, die Zukunft bestimmende Gestalt. 
Lit. : R. G. Kiesewetter, Die Verdienste d. Niederlaender 
um d. Tonkunst . . . , in : Verhandelingen over de vraag . . . , 
Amsterdam 1829; E. Van der Straeten, La musique aux 
Pays-Bas avant le 19 e s., 8 Bde, Brussel 1867-88; A. W. 
Ambros, Gesch. d. Musik III, Breslau 1868, 31891, Nach- 
druck Hildesheim 1967; A. Goovaerts, Hist, et bibliogr. 
de la typographie mus. dans les Pays-Bas, = Memoires de 
l'Acad. XXIX, Antwerpen 1880, Nachdruck Amsterdam 
1962; H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920; 
H. Leichtentritt, Gesch. d. Motette, = Kleine Hdb. d. 
Mg. nach Gattungen II, Lpz. 1908, Nachdruck Hildesheim 
1966; R. v. Ficker, Die fruhen Messenkompositionen d. 



Trienter Codices, StMw XI, 1924; W. Gurlitt, Burgundi- 
sche Chanson- u. deutsche Liedkunst d. 15. Jh., Kgr.- 
Ber. Basel 1924; ders., Musik u. Rhetorik . . ., Helicon 
V, 1944, Neudruck in: Mg. u. Gegehwart I, = BzAfMw I, 
Wiesbaden 1966; H. Besseler, Die Musik d. MA u. d. 
Renaissance, Bucken Hdb. ; ders., Von Dufay bis Josquin, 
ZfMw XI, 1928/29; ders., Bourdon u. Fauxbourdon, 
Lpz. 1950; ders., Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. 
CIV, 6, 1959; H. Birtner, Studien zur nld.-humanistischen 
Musikanschauung, Habil.-Schrift Marburg 1928, Teil- 
druck Heidelberg 1 930 ; D. Bartha, Probleme d. Chanson- 
gesch. im 16. Jh., ZfMw XIII, 1930/31 ; K. Ph. Bernet 
Kempers, Die wallonische u. frz. Chanson in d. 1. HSlfte 
d. 16. Jh., Kgr.-Ber. Liittich 1930; R. Haas, Auffuhrungs- 
praxis d. Musik, Bucken Hdb.; A. Scherino, Auffiih- 
rungspraxis alter Musik, = Musikpadagogische Bibl. X, 
Lpz. 1931; R. B. Lenaerts, Het Nederlands polifonies 
lied in de zestiende eeuw, Mecheln u. Amsterdam 1933; 
ders., The 16">-Cent. Parody Mass in the Netherlands, 
MQ XXXVI, 1950; L. Schrade, Von d. »Maniera« d. 
Komposition in d. Musik d. 16. Jh., ZfMw XVI, 1934; 
L. K. J. Feininger, Die Friihgesch. d. Kanons bis Josquin 
des Prez (um 1500), Emsdetten i. W. 1937; W. Stephan, 
Die burgundisch-nld. Motette zur Zeit Ockeghems, = Hei- 
delberger Studien zur Mw. VI, Kassel 1937; H. Osthoff, 
Die Niederlander u. d. deutsche Lied (1400-1640), = Neue 
deutsche Forschungen CXCVII, Abt. Mw. VII, Bin 1938; 
K. G. Fellerer, Gesch. d. kath. Kirchenmusik, = Veroff. 
d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz XXI, 
Diisseldorf 1939, 21949; J. Marix, Hist, de la musique 
et des musiciens de la cour de Bourgogne sous le regne de 
Philippe le Bon (1420-67), = Slg mw. Abh. XXVIII, StraB- 
burg 1 939 ; A. Pirro, Hist, de la musique de la fin du XIV e s. 
a la fin du XVI e , Paris 1940; Ch. Van den Borren, Etudes 
sur le XV e s. mus., Antwerpen 1941 ; ders., Geschiedenis 
van den muziek in de Nederlanden I, Amsterdam u. Ant- 
werpen 1948 ; V. Denis, De muziekinstr. in d. Nederlanden 
en in Italie naar hun af beelding in de 1 5 e -eeuwsche kunst I, 
= Publicaties op het gebied d. geschiedenis en d. philologie 
III, 20, Lowen 1944; E. E. Lowinsky, Secret Chromatic 
Art in the Netherlands Motet, = Columbia Univ. Studies 
in Musicology VI, NY 1946; ders., Early Scores in Ms., 
JAMS XIII, 1960; A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 Bde, 
Princeton (N. J.) 1949; G. Reichert, Kirchentonart als 
Formf aktor, Mf IV, 195 1 ; H. Federhofer, Eine neue Quel- 
le d. musica reservata, AMI XXIV, 1952; B. Meier, Die 
Harmonik im c. f.-haltigen Satz d. 1 5. Jh., Af Mw IX, 1952 ; 
ders., Reservata-Probleme, AMI XXX, 1958; ders., Mu- 
sikgeschichtliche Vorstellungen d. Nld. Zeitalters, Fs. W. 
Gerstenberg, Wolfenbiittel u. Zurich (1964); R. Dammann, 
Spatformen d. isorhythmischen Motette im 16. Jh., Af Mw 
X, 1953 ; Fr. Feldmann, Untersuchungen zum Wort-Ton- 
Verhaltnis in d. Gloria-Credo-Satzen v. Dufay bis Josquin, 
MD VIII, 1954; ders., Numerorum mysteria, AfMw XIV, 
1957; Thr. G. Georgiades, Musik u. Sprache . . . , = Ver- 
standliche Wiss. L, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1954; G. 
Reese, Music in the Renaissance, NY (1954), 2 1959; S. 
Clercx, D'une ardoise aux partitions du XVI e s., in : Me- 
langes d'hist. et d'esthetique mus. offerts a P.-M. Masson I, 
Paris 1955; dies., J. Ciconia, Un musicien liegeois et son 
temps, 2 Bde, = Acad, royale de Belgique, Classe des beaux- 
arts, Memoires, Serie II, 10, Fasc. la, Brussel 1960; S. Her- 
melink, Zur Chiavettenfrage, Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., 
Die Tabula compositoria, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961; H. 
Chr. Wolff, Die Musik d. alten Niederlander, Lpz. 1956; 
H. Engel, Das Madrigal, Kgr.-Ber. Koln 1958; M. A. 
Vente, Die Brabanter Org., Amsterdam 1958; Ars nova 
and the Renaissance, 1300-1540, hrsg. v. A. Hughes OSB 
u. G. Abraham, = The New Oxford Hist, of Music III, 
London, NY u. Toronto 1960; P. Gulke, Das Volkslied in 
d. burgundischen Polyphonie d. 15. Jh., Fs. H. Besseler, 
Lpz. 1961. HB 

Niederlande. 

Ausg. : — > Denkmaler. 

Lit. : Ch. Burney, The Present State of Music in Germany, 
the Netherlands and United Provinces, 2 Bde, London 
1773, 21775; E. G. J. Gregoir, Biogr. des artistes-musi- 
ciens neerlandais des XVIII e et XIX e s. et des artistes 
etrangers residant ou ayant reside en Neerlande a la meme 
epoque, Antwerpen 1864; D. de Lange, De muziek in een 



634 



Nocturne 



halve eeuw, 1848-98, Amsterdam 1898; Fl. Van Duyse, 
De melodie van het Nederlandsche lied en hare rhythmi- 
sche vormen, Den Haag 1 902 ; F. M. Moller, Het muziek- 
leven in Nederland in de 18 e eeuw, 2 Bde, ebenda 1909; 
D. Fr. Scheurleer, Het muziekleven in Nederland in de 
tweede helft der 18 e eeuw in verband met Mozart's verblijf 
aldaar, ebenda 1909; J. D. C. Van Dokkum, Nederland- 
sche muziek in de 19 e eeuw, Amsterdam 1913; ders., 
Honderd jaar muziekleven in Nederland, ebenda 1929; 
J. H. Letzer, Muzikaal Nederland 1850-1910, Utrecht 
1913; S. Dresden, Het muziekleven in Nederland sinds 
1 880, 1: De componisten, Amsterdam 1923 ; P. F. Sanders, 
Moderne Nederlandsche Componisten, Den Haag 1930; 
H. Badings, De hedendaagsche Nederlandsche muziek, 
Amsterdam 1936; D. J. Balfoort, Het muziekleven in 
Nederland in de 17 c en 18 e eeuw, ebenda 1938; E. H. 
Meyer, Die Vorherrschaft d. Instrumentalmusik im nld. 
Barock, TVer XV, 1939; W. Paap, Moderne kerkmuziek 
in Nederland, Bilthoven 1941; C. Backers, Nederland- 
sche componisten van 1400 tot op onzen tijd, Den Haag 
1942, 2 1949; K. de Schrijver, Zuidnederlandsche muziek 
in de baroktijd, Vlaamsch Jb. voor muziekgeschiedenis IV, 
1 942 ; E. Reeser, De Vereeniging voor Nederlandsche Mu- 
ziekgeschiedenis, 1863-1943, Amsterdam 1943 ; ders., Een 
eeuw Nederlandsche muziek, ebenda 1950; ders., Mw. in 
Holland, AMI XXXII, 1960; ders., Stijlproeven van Ne- 
derlandse muziek, 1890-1960, Amsterdam 1963; ders. u. 
W. Paap, Contemporary Music from Holland, fibers, v. 
W. Van Maanen u. E. Sh. Swing, ebenda 1953; ders., W. 
Paap, J. Woutersu. J. Daniskas, Music in Holland, ebenda 
1959; J. Daniskas, Nederlandsche componisten van de 
XIX e enXX e eeuw, = Nederland's muziekleven III, 's-Gra- 
venhage 1944; S. A. M. Bottenheim, De opera in Neder- 
land, Amsterdam 1946; ders., Geschiedenis van het Con- 
certgebouw, 3 Bde, ebenda 1948-50; Ch. Van den Bor- 
ren, Geschiedenis van de muziek in de Nederlanden, 2 
Bde, ebenda u. Antwerpen 1948-51 ; Th. Dart, Engl. Mu- 
sic and Musicians in 17 th Cent. Holland, Kgr.-Ber. Ut- 
recht 1952; K. G. Fellerer, Mus. Beziehungen zwischen 
d. N. u. Deutschland im 17. Jh., ebenda; A. Van der Lin- 
den, La place de la Hollande dans 1'AmZ (1798-1848), 
ebenda; H. J. Moser, Die N. in d. Musikgeographie Eu- 
ropas, ebenda; P. Cronheim, 125 jaar toonkunst, Amster- 
dam 1956; Het toonkunstenaarsboek van Nederland 1956, 
hrsg. v. J. Smits van Waesberohe SJ, ebenda 1956; M. A. 
Vente, Uberblick fiber d. seit 1931 erschienene Lit. zur 
Gesch. d. nld. Orgelbaus, AMI XXX, 1958. 

Niederosterreich. 

Lit.: A. Schnerich, Gesch. d. Musik in Wien u. N., Wien 
1921 ; D. Hummel, Bibliogr. d. weltlichen Volksliedes in 
N., Jb. f. Landeskunde v. N. XIV, 1931 ; M. Kummer, D. 
G. Corners »GroB catholisch Gesahgbuch«, Diss. Wien 
1931, maschr. ; R. Zoder u. K. M . Klier, Volkslieder aus 
N., 2 H., Wien 1932; L. Schmidt, Volkslied-Landschaft 
N., Sfidostdeutsche Forschungen II, 1937; ders., N.ische 
Flugblattlieder, Jb. f. Volksliedforschung VI, 1939; ders., 
Vorbereitungsarten v. Volkslied, Volkstanzu. Volksschau- 
spiel f. N., Jb. d. osterreichischen Volksliederwerkes VIII, 
1959; L. Nowak, Studienzur MusiktopograpHie v. N., Jb. 
f. Landeskunde v. N. XXIX, 1944/48 ; Fr. W. Riedel, Mu- 
sikpflege im Benediktinerstift Gottweig . . . urn 1600, 
KmJb XLVI, 1962. 

Niedersachsen. 

Lit.: A. Schutte, Gesch. d. oldenburgischen Kirchenge- 
sangs, Diss. Munster i. W. 1924, maschr. ; A. Kappelhoff, 
Die Musikprlege am ostfriesischen Hofe, Jb. d. Ges. f. bil- 
dende Kunst . . . zu Emden XXIV, 1936; W. Merten, Die 
Psalmodia d. L. Lossius. Ein Beitr. zur reformatorischen 
Mg. in N. (Liineburg), Diss. Gottingeri 1951, maschr.; H. 
Sievers, Bach u. d. Musikleben wclfischcr Residenzen, in : 
Bach-Festbuch, Luneburg 1956; V. u. S. Rihse u. G. Seg- 
germann, Klingende Schatze. Orgelland zwischen Elbe u. 
Weser, Cuxhaven 1957. 

No (japanisch, Fertigkeit, Kunst), lyrisches Chordrama 
der Japaner, das Rede, Gesang, Tanz, Bewegung in fest 
umrissener Form vereinigt. Es entwickelte sich aus den 
Sarugaku, artistisch-musikalischen Darbietungen, die 
etwa im 7. Jh. von China ubemommen wurden. Seine 



feste Gestalt erhielt das No durch den Shintopriester 
und Tanzer Kwanami Kiyotsugu (1333-84) una dessen 
Sohn, den Schauspieler, Tanzer und Kunstphilosophen 
Zeami Moto-Kiyo (1363 - um 1445), der iiber 100 
N6-Spiele und eine Reihe theoretischer Schriften iiber 
das No verfalke. - Keimzelle des No ist ein stilisierter, 
symbolhafter Tanz. Die einfache Handlung der Spiele 
beruht meist auf alten Legenden, auf Episoden aus klas- 
sischen Literaturwerken oder auf Tempeltraditionen. 
In einem No-Spiel wirken nur mannliche Schauspieler 
mit, ein Chor von in der Regel 8 Sangern und eine In- 
strumentalgruppe, bestehend aus einer Flote, zwei Ar- 
ten von Tsuzumi (zweifellige, sanduhrformige Trom- 
meln unbestimmter Tonhohe) vind einer Taiko (FaB- 
trommel). Hauptdarsteller im No ist der Shite; er tragt 
gewohnlich eine Maske, stellt oft ubernaturliche We- 
sen dar, rezitiert, singt und tanzt. Der Waki, der den 
Zuschauer auf der Biihne versinnbildlicht, tragt keine 
Maske; er bringt das Spiel durch Fragen an den Shite 
in Bewegung, stellt meist einen Wanderer dar oder ist 
dramatischer Gegenspieler, wenn der Shite eine reale 
Gestalt verkorpert. In untergeordneten Rollen konnen 
mehrere Tsure-Spieler hinzutreten. Das Ordnungs- 
prinzip des No ist das Jo-Ha-Kyu (Anf ang-Entwick- 
lung-Ende). Es regelt den zeitlichen Ablaut durch im- 
mer neue Unterteilungen in kleinere Jo-Ha-Kyu und 
reicht bis in die kleinste Zeitstruktur, z. B. die Aus- 
sprache eines Wortes. Die Musik ist integrierender 
Bestandteil des No. Die Instrumentalisten werden so- 
listisch oder als Ensemble (hayashi) eingesetzt. Die 
Texte werden stets einstimmig gesungen oder in einer 
feierlichen Sprechweise (kotoba) rezitiert. Die Gesangs- 
teile wie auch die Flotenmusik werden durch melodi- 
sche Muster bestimmt, die in jedem No-Spiel wieder- 
kehren und sich nur in der Folge ihrer Aneinanderfii- 
gung andern. Der Rhythmus der Vokalpartien ist 
durch die Silbenzahl des Textes bestimmt: 12 Silben 
in der Anordnung 7+5 oder 5+7 (bei moglichen Un- 
terteilungen der 7 Silben in 5+2, 2+5, der 5 Silben 
in 3+2, 2+3) gehen durch Silbendehnung oderein- 
gefugte Pausen in einem Taktschema von 8 Schlagen 
(yabyoshi) auf. Zwischenrufe der Trommler wahrend 
ihres Spiels, wohl aus dem Auftakt zum Schlag ent- 
standen, liegen, fiir die einzelnen Instrumente uriter- 
schiedlich, fest. - Die Intensitat der Darstellung im No, 
bedingt durch sparsame Gestik und strenge Symbolik 
der Bewegungen, sowie die Vermeidung jeder An- 
naherung an das Alltagliche machen das No zu ei- 
ner der feinsinnigsten Formen der japanischen Kul- 
tur. Seine asthetische Grundforderung richtet sich auf 
das Gleichgewicht der akustischen und visuellen Ele- 
mente und das voile Erfiillen undErlebenjedes Augen- 
blicks im Spiel. Im Lauf der Jahrhunderte hat das No, 
das bis ins 17. Jh. als bevorzugte Kunst der japanischen 
Ritter (bushi) gait, fast keine Veranderungen erfahren 
und wird noch heute in bestimmten japanischen Schu- 
len gelehrt. 

Lit.: R. Lachmann, Musik u. Tonschrift d. N6, Kgr.- 
Ber. Lpz. 1925; H. Eckardt, Das N6 v. lyrischen Chor- 
drama d. Japaner, MusicaVI, 1952;T. Ninagawa, Japan- 
ese Noh Music, JAMS X, 1957 ; K. Fukushima, No-Thea- 
ter u. japanische Musik, in: Darmstadter Beitr. zur Neuen 
Musik IV, Mainz (1962) ; H. Kanze, Le N6 comme theatre 
mus., in: La musique et ses problemes contemporains 
1 953-63, Teil II, = Cahiers de la Compagnie M. Renaud - 
J.-L. Barrault XLI, Paris 1963 ; K. Toda, Notes sur la mu- 
sique de N6, ebenda. 

Nocturne (nokt'urn, frz. ; ital. notturno ; deutsch Nok- 
turne bzw. Nachtstiick), unter der italienischen Be- 
zeichnung im 18., auch noch im 19. Jh. s. v. w. ->■ Sere- 
nade oder -> Kassation, ein mehrsatziges -»• Diverti- 
mento (- 1) beliebiger Besetzung, das auch fiir Auf- 



635 



Noel 



fiihrungen im Freien bestimmt war. Kompositionen 
dieser Art schrieben u. a. W.A.Mozart (z. B. Nottur- 
no fiir 4 Orch. - Streicher und 2 Horner - D dur, 
K.-V. 286), GJ. Vogler (Nbtturno fur Kl. und Streich- 
trio, 1778) und J. Haydn (8 Notturni fiir 2 Lire or- 
ganizzate, 2 V., B., 2 Klar. und 2 Horner, Hob. II, 
25*-32*). Gleichzeitig gab es das Notturno oder N. 
auch als einsatziges Stiick standchenhaften Charakters 
fiir eine oder mehrere Singstimmen mit und ohne Be- 
gleitung, z. B. von Mozart (K.-V. 436, 437, 438, 439, 
346, 549) und von Verdi (1839). Eine groBe Anzahl sol- 
dier (meist unbegleiteter oder doch unbegleitet ausf iihr- 
barer) N.s schrieben B.Asioli und G.Blangini. In der 
1. Halfte des 19. Jh. wurden auch Stiicke in Opernsze- 
nen, die zur Nachtzeit spielen, N.s genannt. Das Not- 
turno betitelte Orchesterstiick aus der Musik zu Shake- 
speares »Sommernachtstraum« von F. Mendelssohn 
Bartholdy (1842) kann hierzu gerechnet werden. N. 
hieB ferner eine gewisse Art von Instrumentaldialogen 
in Form eines Air varie (z. B. A. Stamitz, N.s ou Airs 
vane's pour violon et violoncelle, 1782). Seit den 17 (oder 
20) N.s fiir Kl. von J. Field ging die franzosische Be- 
zeichnung mehr unci mehr auf kurzere, traumerische 
oder elegische Klavierstiicke (-*- Charakterstiick) mit 
expressiv gestalteter Melodie iiber, haufig in 3teiliger 
Liedform (Chopin, 21 N.s: op. 9, 15, 27, 32, 37, 48, 55, 
62, 72; 2 N.s ohne Opuszahl C moll und Cis moll). Die 
drei 1899 beendeten Orchesterstiicke Nuages, Fetes, 
Sirenes (letzteres mit Frauenchor ohne Text) von De- 
bussy erhielten den Titel N.s wohl in Anlehnung an 
gleichnamige Bilder von J. A. Whistler (1834-1903). 
Die deutsche Bezeichnung Nachtstiick, die auf R. 
Schumann zuriickgeht (Nachtstiicke op. 23, 1839), ist 
von E. T.A.Hoffmann angeregt. Ohne Bezug auf den 
Dichter begegnet sie im 20. Jh. bei Reger (in : 4 Klavier- 
stiicke ohne Opuszahl, 1903), Hindemith (in: Suite 
»1922« fiir Kl. op. 26 und in der Kammermusik op. 36 
Nr 3, 1925) sowie bei Henze (Nachtstiicke und Arien fiir 
S. und Orch., 1957). ESe 

Nofil (na'sl, frz., Weihnachten, Weihnachtslied), ver- 
breitete Form des Weihnachtsliedes in Frankreich, das 
urspriinglich auf liturgische Melodien (vorwiegend 
Benedicamustropen), seit Ende des 15. Jh. auch auf 
Chansonmelodien gesungen wurde. Das N. ist stro- 
phisch angelegt, gelegentlich mit Refrain, und behan- 
delt meist die Hirtenerlebnisse aus der Weihnachtsge- 
schichte. Es wird zur Adventszeit im hauslichen Kreise 
gesungen und fand auch Eingang in die Christnacht- 
gottesdienste. Nach fruhesten Belegen aus dem 13. Jh. 
stammen die ersten Aufzeichnungen vomEnde des 15. 
Jh. (z. B. Paris, Bibl. Nat., Ms. frc. 2368 und 2506, so- 
wie Arsenal, Ms. 3653). Drucke kommen seit dem 16. 
Jh. vor (Bible de n.s). Notenaufzeichnungen begegnen 
erst in Sammlungen des 17. Jh., als auch instrumentale 
Bearbeitungen gebrauchlich wurden. Seitdem werden 
N.-Dichtungen haufig auf Volksliedmelodien gesun- 
gen. Daneben gab es, vor allem im 16. Jh., auch eigens 
komponierte N.s, vereinzelt ebenfalls schon seit dem 
13. Jh., so A. de la Halles 3st. Rondeau Dieus soit en 
cheste maison. Volkstiimliche N.s in schlichten Bearbei- 
tungen (u. a. Variationen) verofEentlichten in ihren Or- 
gelbiichern die franzosischen Klaviermeister des 17./18. 
Jh. (Raison, Dandrieu, Daquin, Corrette, Charpentier, 
Balbastre u. a.). Im 19. Jh. wurden N.s auch als Ro- 
manzen oder Arien (A. Adam) komponiert. 
Lit. : J. Tiersot, Hist, de la chanson populaire en France, 
Paris 1889; N. Herve, Les n. frc., Niort 1905; P. de Beau- 
repaire-Froment, Bibliogr. des chants populaires frc., 
Paris 1906, 31911; Fr. Hellouin, Le n. mus. frc., Paris 
1906; A. Gastoue, Le cantique populaire en France . . ., 
Lyon 1924; ders., Sur l'origine du genre »n.«, in: Le guide 



du concert XXII, Nr 12-14, 1935/36; H. Bachelin, Les 
n. frc., Paris 1927 ; J. R. A. de Smidt, Les n. et la tradition 
populaire, Amsterdam 1932; P. Coirault, Notre chanson 
folklorique, Paris 1942 ; H. Poulaille, Bible des n. anciens, 
des origines au 16 e s., Paris (1958). 

Noema (griech., Gedanke), in der Kompositionslehre 
des 17. und 18. Jh. die aus der Rhetorik entnommene 
Bezeichnung fiir eine musikalische Figur, die als Kom- 
positionsmittel bis ins 14. Jh. zuriickgeht: Hervorhe- 
bung eines Texthohepunktes durch einen homopho- 
nen, nur aus Konsonanzen bestehenden Abschnitt in- 
nerhalb einer polyphonen Komposition. Burmeister 
(1606) charakterisiert das N. als: aures, imo et pectora 
suaviter afficiens et mirifice demolcens, si tempestive intro- 
ducitur, und leitet aus dem N. weitere Figuren ab: 
-*■ Analepsis, -> Mimesis, -*■ Anadiplosis, -*■ Anaploke. 
Von den rhetorischen Bedeutungen des N. steht die 
einer Sentenz, deren Bedeutung aus dem Gesamtsinn 
erschlossen werden muB (Lossius), der musikalischen 
Bedeutung am nachsten. 

Nordlingen. 

Lit. : Fr. W. Trautner, Zur Gesch. d. ev. Liturgie u. Kir- 
chenmusik in N., N. 1913 ; P. Nettl, Beitr. zur Gesch. d. 
deutschen Singballetts, sowie zur Oettinger u. Nordlinger 
Mg., ZfMw VI, 1923/24; W. Salmen, Quellen zur Gesch. 
»fromder Spillute« in N., Mf XII, 1959 ; Fr. Krautwurst, 
K. Paumann in N., Fs. H. Besseler, Lpz. 1 96 1 . 

Noire (nii'a:r, frz., schwarze), Viertelnote. 

Nokturn -> Matutin. 

Nola (Kurzform von mittellat. campanola [Diminutiv 
von -> campana], Glocke, Glockchen). Die Bezeich- 
nung n., oft auch synonym mit ->■ cymbala gebraucht 
(si vis scire mensuram nolarum, quas nos cimbala vocamus, 
Wien, Ms. Cpv 2502, f. 25), umschreibt WaltherL als 
ein Glockgen, eine Schelle. Die Ableitung des Wortes n. 
von der gleichnamigen italienischen Stadt (in Kam- 
panien), in der noch heute zu Ehren des hi. Paulinus das 
»Fest der tanzenden Glockenturme« gefeiert wird, ist 
umstritten. In der Form nolae, seltener musae (harum 
igitur nolarum sive musarum . . . , Erfurt, Ampl. 94, f . 35' ; 
vgl. auch Leiden, B.P.L. 194, f. 41'), wird das Wort 
auch synonym fiir -*- tintinnabula (GS II, 282a, 392a) 
verwendet. 

Nomos (griech. v6u.oc;, von v^jxeiv, zuteilen; Grund- 
bedeutung etwa »die einer Gruppe von Lebewesen zu- 
geteilte Ordnung«, dann auch Gesetz, Sitte). Der von 
den Griechen friihzeitig auf das Gebiet von Dichtung 
und Musik iibertragene Begriff ist in seiner Bedeutung 
noch nicht ganz geklart. Heute wird N. meist als mu- 
sikalische Weise, Melodie oder als Melodietyp, Melo- 
diemodell (ahnlich wie -> Maqam, -* Patet, ->• Riga) 
gedeutet. Der N., anfangs nur in Verbindung mit dem 
Apollonkult bezeugt, war fiir solistischen Vortrag be- 
stimmt (im Unterschied etwa zum ->■ Paan). Auf 
Grund einiger Quellen wird angenommen, daB es sich 
um eine musikahsche Art des Rhapsodenvortrags han- 
delt, die von der sonst iiblichen rezitierenden Art ab- 
weicht. Begleitinstrument war die Kithara, seltener der 
Aulos. Eine gewisse inhaltliche und formale Gliede- 
rung scheint fiir den N. bezeichnend gewesen zu sein. 
In der Antike wurden unterschieden : a) die zum Teil 
auf Terpandros (7. Jh. v. Chr.) zuriickgehenden kitha- 
rodischen Nomoi, fiir die siebenteiliger Aufbau be- 
zeugt ist; b) die in der Zeit nach Terpandros von Klo- 
nas und Polymnestos eingefiihrten aulodischen Nomoi, 
die jedoch bald in den Hintergrund traten (von der le- 
gendaren Gestalt des Olympos, dem ebenfalls die Er- 
findung solcher Nomoi zugeschrieben wird, sei hier 
abgesehen); c) der mit dem Namen des Sakadas, des 
beruhmtesten Aulosspielers der Antike, verbundene 



636 



Noten 



Pythische N. (586 v. Chr.) : ein Stiick fur Aulos allein 
(daher auch auletischer N. genannt), das in fiinf Teilen 
den Kampf Apollons mit dem Drachen Python dar- 
stellte; die Deutung dieses Stiicks als Programmusik 
findet in antiken Quellen keine feste Stiitze. - Im 5. Jh. 
v. Chr. erfuhr der kitharodische N. durch Phrynis und 
seinen Schiiler Timotheos (dessen N. »Die Perser« zum 
Teil erhalten ist) eine griindliche Umgestaltung. Wohl 
unter dem EinfluB des neuen -*■ Dithyrambos wurde die 
Strophenresponsion aufgegeben. Einzelne Partien wur- 
den wahrscheinlich chorisch vorgetragen. Die helleni- 
stische Zeit kannte auch Nomoi auf Athene, Zeus und 
Ares. 

Lit. : H. Guhrauer, Der Pythische N., Jb. f . klass. Philolo- 
gie, Suppl.-Bd VIII, 1875/76; H. Reimann, Studien zur 
griech. Mg. I, Ratibor 1882 ; O. Crusius, Zur Nomosfrage, 
Verhandlungen d. 39. Versammlung deutscher Philologen 
u. Schulm3nner in Zurich, Lpz. 1888; J. Juthner, Terpan- 
ders Nomengliederung, Wiener Studien XIV, 1892; Timo- 
theos, Die Perser, hrsg. v. U. v. Wilamowitz-Mollen- 
dorff, Lpz. 1903; H. Grieser, N., Ein Beitr. zur griech. Mg., 
= Quellen u. Studien zur Gesch. u. Kultur d. Altertums u. 
d. MA V, Heidelberg 1937; W. Vetter, Mus. Sinndeutung 
d. antiken N., in: Mythos - Melos - Musica I, Lpz. 1957; 
Thr. G. Georgiades, Musik u. Rhythmus . . . , = rde LXI, 
Hbg (1958); D. Kolk, Der pythische Apollonhymnus als 
aitiologische Dichtung, Meisenheim a. Gl. 1963. FZa 

Non (lat. hora nona) -> Terz, Sext, Non. 

None (lat. nona, neunte), die -> Sekunde iiber der 
Oktave. 

Nonenakkord nennt die an den GeneralbaB anknup- 
fende altere Akkordlehre jeden aus 4 Terzen bestehen- 
den Akkord. Urspriinglich ist die None Durchgang 
zwischen Dezime und Oktave bzw. Vorhalt vor der 
Oktave; die so entstehenden N.e haben keine eigene 
Akkordfunktion. Sie werden erst dann zu selbstandi- 
gen Akkorddissonanzen, wenn mit der Auf losung auch 
das Fundament wechselt. Von alien N.en dieser letzten 
Art ist der Dominant-N. (D 9 ) mit groBer Terz und 
kleiner Septime in der dur-moll-tonalen Harmonik 
am wichtigsten. DaB er annahernd dem Verhaltnis der 
Obertone 4:5:6:7:9 (in C dur z. B. g-h-di-fi-ai) 
entspricht, erklart weder seine Entstehung noch seine 
Wirkung. Im Dominant-N. vermischen sich Domi- 
nant- und Subdominantdreiklang zu fast gleichen Tei- 
len. Die None als zusatzliche Dissonanz zum Domi- 
nantseptakkord erhoht dessen Dominantwirkung. Im 
4st. Satz kann am ehesten die Quinte entbehrt werden, 
weniger die Septime oder die Terz. Der Dominant-N. 
mit ausgelassenem Grundton (in C dur z. B. h-dt-f i-a 1 ) 
heiBt verkiirzter Dominant-N. (EP). Seine Mollvarian- 
te, der verkiirzte Dominant-N. mit kleiner None (nach 
Riemann E>9>, aber auch SK<, nach W.Maler DV; 
z. B. h-di-f '-as 1 ), ist als »verminderter Septakkord« be- 
kannt. Mit seinen 5 verschiedenen Tonen laBt sich der 
Dominant-N. viermal umkehren, doch wurde die 4. 
Umkehrung (mit der None im Bafi) erst gegen Ende 
der dur-moll-tonalen Epoche verwendet, z. B. in A. 
Schonbergs Streichsextett Verklarte Nacht op. 4 (1899), 
Takt 42 u. 6. 

Nonett (ital. nonetto; engl. nonet), im weitesten Sinne 
eine Komposition fur 9 solistisch konzertierende In- 
strumente, seltener fiir 9 Singstimmen. Im engeren 
Sinne bezeichnet N. - eine zu Anfang des 19. Jh. in 
Analogie zu Quartett entstandene Wortbildung - eine 
Instrumentalkomposition (in der Regel fiir gemischte 
Streicher-Blaser-Besetzung), die das Repertoire der 
Kammermusik durch Einbeziehung der Serenadenbe- 
setzung erweiterte. Eines der friihesten N.e ist op. 31 
(1813) von L.Spohr fur V., Va, Vc, Kb., Fl., Ob., 
Klar., Fag. und Horn. Aufierdem seien genannt die 



N.e von Fr.Lachner (1875), J.Rheinberger (op. 139, 
1885), Ch. Stanford (op. 95, urn 1906) und A.Haba 
(op. 40/41, 1931, und op. 82, 1953). 

Nordhausen (Th tiring en). 

Lit. : J. Schafer, Nordhauser Orgelchronik, = Beitr. zur 
Musikforschung V, Halle u. Bin 1939; W. Lidke, Der 
Streit um d. Nordhauser Gesangbuch v. 1735, Jb. f. Litur- 
gik u. Hymnologie III, 1957. 

Normalton-* Stimmton. 

Norwegen. 

Ausg. : L. M. Lindeman, Aeldre og nyere Fjeldmelodier, 
3 Bde, Oslo 1853-67, Erganzungsbd 1907; O. Sande, 
Norske tonar, 4 Bde, Leikanger 1904-10; C. Elling, Reli- 
gi0se folketoner, Oslo 1907-18; ders., Norske folkemelo- 
dier, 4 Bde, Oslo 191 1 ; A. Bjorndal, Norske slattar, 5 Bde, 
Oslo 1908-11; ders., Gamle slattar, 5 Bde, Oslo 1929; 
Norsk folkemusikk, Serie I: Hardingfeleslattar, 3 Bde, 
Oslo 1958-60; Norske religiose folketoner, hrsg. v. O. M. 
Sandvik, I Oslo 1960, II 1964. 

Lit. : (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Os- 
lo): C. Elling, Vore folkemelodier, in: Videnskabssel- 
skabet i Christiania, Skrifter II, 1909; ders., Vore kjaempe- 
viser, 1913; ders., Norsk folkemusikk, 1922; ders., Vore 
religiose folketoner, 1927; A. Lindhjem, Norges orgler og 
organister, Skien 1916, Erganzungsbd. 1924; O.M. Sand- 
vik, Norsk kirkemusikk, 1918; ders., Norsk folkemusikk, 
1921 ; ders., Norsk koralhist., 1930; ders., Osterdalsmu- 
sikken, 1 943; ders., Folkemusikki Gudbrandsdalen, 2 1 948 ; 
ders., Setesdalsmelodier, 1952; ders. u. G. Schjelderup, 
Norges musikhist., 2 Bde, 1921 ; I. Kindem, Den norske 
operas hist., 1941; H. J. Hurum, Musikken under okku- 
pasjonen, 1946; 0. Gaukstad, Norsk folkemusikk (Bib- 
liogr.), 1951; A. Bjorndal, Norsk folkemusikk, Bergen 
1952; A. Hermes, Impuls og tradisjon i norsk musikk 
1500-1800, 1952; E. Dal, Nordisk folkeviseforskning 
siden 1800, Kopenhagen 1956; L. Greni, fjber d. Vokal- 
tradition in norwegischer Volksmusik, Les Colloques de 
Wegimont III, 1956; Kr. Lange u. A. Ostvedt, Norwegian 
Music, London 1958; G. M. Cartford, Music in the Nor- 
wegian Lutheran Church, Diss. Univ. of Minnesota 1961, 
maschr.; J. Horton, Scandinavian Music, London 1963; 
O. Gurvin, Uber Beziehungen zwischen deutscher u. nor- 
wegischer Musik, in: Norddeutsche u. nordeuropaische 
Musik, = Kieler Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965. 

Noten (von lat. nota, Zeichen) sind konventionelle 
Zeichen fiir die schriftliche Wiedergabe musikalischer 
Tone ; das Wort nota im Sinne von N. gebraucht schon 
Quintilianus (I, 12, 14) im 2. Jh. n. Chr. Er bezeichnet 
damit wie noch Boethius (III, 3f.) die griechische 
->■ Buchstaben-Tonschrift. Spater ging der Name auf 
die Neumenschrift (nota romana; -> Neumen - 1), um 
1200 auf die -> Choralnotation (nota quadrata) so wie 
->■ Modal- und ->• Mensuralnotation fiber. Die heuti- 
gen N. sind rhythmische Wertzeichen (Tondauerzei- 
chen), hervorgegangen aus den Zeichen der Mensural- 
notation; ihnen entsprechen Zeichen fiir die -»■ Pause 
gleicher Dauer: 

Bezeichnung: Note: Pause: 

Ganze Note o -m- 

J 



Halbe Note 
Viertelnote 
Achtelnote 
Sechzehntelnote 



J 



I 



ZweiunddreiBigstelnote 



7 

Vierundsechzigstelnote Jt 7 

Gelegentlich, vor allem als SchluB-N. in Neuausgaben 
alterer Musik, werden heute auch die Longa e=| und 
Brevis ea (oder w), seltener die ihnen entsprechenden 
Pausenzeichen der Mensuralnotation verwendet. Zu- 



637 



Notendruck und -stich 



sammengehorige Gruppen kleinerer N.-Werte wer- 
den mit Balken (statt der Fahnchen) versehen, z. B.: 

J J J Jd. Eine Note wird durch einen rechts ne- 
ben sie gesetzten Punkt um die Halfte, durch 2 Punkte 
um drei Viertel, durch 3 Punkte um sieben Achtel ihres 
Wertes verlangert (-> Punkt - 1). Pausen werden im 
allgemeinen nicht punktiert, doch ist ihre Punktierung 
vor allem in Taktarten mit 3teiliger Zahlzeit zulassig. 
Soil eine Note iiber den Taktstrich hinweg verlangert 
werden, so werden 2 N. durch Bindebdgen (->■ Liga- 
tur - 2) verbunden, z. B. : aJj^J. Neuerdings wird fiir 
Tone, die weiterklingen sollen, auch nur der Bindebo- 
gen (in diesem Falle auch »Klangbogen« genannt) no- 
tiert, z. B. : J^. Die N. bezeichnen rhythmische Ver- 
haltnisse ; zur genauen Bestimmung der Tondauer miis- 
sen auch Tempoangabe und Taktvorzeichnung be- 
riicksichtigt werden. Die Tonhohe ist an Liniensy- 
stem, -> Schliissel und Vorzeichnung abzulesen. - No- 
ta cattiva (ital., sschlechte Note«) heifit eine auf den 
»schlechten«, nicht akzentuierten Taktteil f allende Note, 
nota ->■ cambiata die Wechselnote. -> Notenschrift, 
-> Tabulatur (- 1). 

Notendruck und -stich (engl. music printing and en- 
graving ; f rz. impression et gravure musicale ; ital. stam- 
pa e incisione musicale). 

1) Notendruck. Anfange: Bald nach Erfindung des 
Buchdrucks durch Gutenberg (um 1450) begann auch 
der Musiknotendruck, zunachst mit liturgischen Bii- 
chern. Zuerst wurde nur der Text gedruckt, Linien 
(rot) und Noten (schwarz) wurden in den dafiir ausge- 
sparten Raum geschrieben (altestes Beispiel : Psalterium, 
Mainz 1457, J. Fust und P.Schoffer). In den Noten- 
beispielen von G. De Podios Ars musicorum (Valencia 
1495, P.Hagenbach und L.Hutz) sowie denen der die 
Musica figurativa behandelnden Biicher III— IV von N. 
Wollicks und M. Schanppechers Opus aureum (Koln 
1501, H.Quentel) sind Text und Liniensystem ge- 
druckt, jedoch die Noten von Hand eingetragen. J. Ch. 
de Gersons Collectorium super Magnificat in der Ausgabe 
EBlingen 1473 (K.Fyner) enthSlt das alteste datierte 
Beispiel von Notendruck mit beweglichen Typen ohne 
Linien; als Notenkopfe wurden unterlegte Gevierte 
oder wahrscheinlicher blockierte, d. h. umgekehrte 
Versalien verwendet. Um 1475-80 wird ein Graduate 
Romanum (wahrscheinlich Augsburg, G.Zainer) da- 
tiert, das einen Doppeltypendruck mit schwarzen Li- 
nien und schwarzen Noten aufweist. Gegossene Men- 
suralnoten ohne Linien erscheinen zuerst in der Brevis 
Grammatica von Fr. Niger (Venedig 1480, J.L. Sandrit- 
ter und Theodorus von Wiirzburg). - Patronendruck : 
Bei diesem Verfahren wurden vermutlich die Noten in 
das vorgedruckte Liniensystem durch die Hand mittels 
Stempel eingetragen. - Blockdruck: Seit 1487 wurde 
der Blockdruck entwickelt, der groBe Bedeutung er- 
langte. Meist wurden die Noten und Linien aus Holz 
en relief herausgeschnitten, z. B. : 



lem fiir musiktheoretische Werke verwendet (N.Bur- 
tius, Musices opusculum, Bologna 1487, U. de Rugerijs; 
Fr.Gaffori, Theorica musicae, Mailand 1492, Ph.Man- 
tegatius), ferner fiir literarische Werke, denen einzelne 
Gesange beigegeben waren (C.Verardus, Drama Hi- 
storia Baetica, Rom 1493, E.Silber; J.Locher, Drama 
Historia de regefrancie, Freiburg i. Br. 1495, F.Riederer; 
J. Reuchlin, Schuldrama Scenica progymnasmata, Basel 
1498, J.Bergmann von Olpe). Sehr selten erschienen 
in Blockdruck liturgische Gesangbucher; nachgewie- 
sen sind nur ein Obsequiale Augustense (Augsburg 1487, 
E.Ratdolt) und ein Missale Romanum (Venedig 1493, 
J.Emmerich von Speyer). Der Blockdruck trat ab 1516 
(Liber quindecim missarum) durch A: de Antiquis in Rom 
- wahrscheinlich nicht mehr oder nicht ausschlieBlich 
als Holzschnitt, sondern als Metallschnitt - mit Pe- 
truccis Typendrucken ernstlich in Konkurrenz, und 
zwar nicht nur fiir den Druck von Chorbiichern mit 
Riesennoten, sondern (um 1536) auch fiir kleinere, 
zierliche Notenformen. In Metallschnitt druckte z. B. 
P. Sambonetti die Canzone sonetti strambotti etfrottole I 
(Siena 1515). Der Blockdruck war noch im 17. Jh. iib- 
lich. - Notendruck mit beweglichen Typen als Druck 
in zwei Arbeitsgangen (2facher Typendruck, erst Li- 
nien, dann Noten): A) Choralnotation. a) Romisch: 
zuerst in einem Missale Romanum (Zweifarbendruck: 
Linien rot, Noten schwarz) : 



ILouaineiKdftto 

c a y i "* ■ ' 




Missale Romanum, Rom 1476, U.Hahn. 
Es folgte (mit kleinen, gediegenen Typen) O.Scotto 
mit einem Missale Romanum (Venedig 1481 ; Linien 
rot, Noten schwarz). b) Gotisch (in Deutschland) : zu- 
erst in einem Missale Herbipolense (Zweifarbendruck: 
Linien rot, Noten schwarz) : 



D 



f . rr f rff pETX 
<£r omnia feoila fcailo2um 



K 



UfU..* 'AbJE B K _ v t r , f 7 fj " s'^t 



tdleifito ewnettwWcnwm&ifoa&i 

Hugo Spechtshart von Reutlingen, Flores 
musicae, StraBburg 1488, J.PryB, Vers 605. 
Seltener wurde das Notenbild in die Lindenholztafeln 
eingegraben, wobei sich im Druck ein Negativ ergab. 
Der Blockdruck war fiir die Wiedergabe kurzer No- 
tenbeispiele geeigneter und rentabler als der Noten- 
druck mit beweglichen Typen. Er wurde daher vor al- 



Ooimnttt'sobifflim jSurfum co:&a 

Missale Herbipolense, Wiirzburg 8. 11. 1481, 
J.Reyser. 
Als Typendruck in zwei Arbeitsgangen erschien eine 
groBe Anzahl von MeBbiichern, woraus hervorgeht, 
daB sich der Druck liturgischer Gesangbucher noch 
vor 1500 zu einem eintraglichen Geschaftszweig ent- 
wickelt hatte (u. a. St. Planck, Rom ab 1485 ; J. Sensen- 



638 



Notendruck und -stich 



schmidt, Bamberg ab 1485; L.Pachel, Mailand ab 
1486; J.Hammann, Venedig ab 1488; M.Wenssler, 
Basel 1488; J.Higman, Paris ab 1489; W.Hopyl, Paris 
ab 1489; E.Ratdolt, Augsburg ab 1489; J.Petri, Passau 
ab 1490; G.Stuchs, Nurnberg ab 1491; J.Emmerich 
von Speyer, Venedig ab 1493). -B) Mensuralnoten. 
Der erste, der Mensuralnoten mit beweglichen Typen 
druckte (doppelter oder gar 3facher Typendruck), war 
O.Petrucci, privilegiert vom Rat zu Venedig 1498 
(altestes Beispiel : Harmonice Musices Odhecaton A, 15. 5. 
1501; es folgten 1502 Missae Josquin, mit 3fachem 
schwarzem Typendruck: zuerst Text und Initialen, 
dann Linien und zuletzt Noten) : 



aann uruen una zuietzt rsoten;: i 

yottuiu 



I. de Pinarol, Fortuna desperata, 4st., in: Canti C 
Centocinquanta, Venedig 1504, O.Petrucci. 
Seine Drucke waren von hochster Vollkommenheit, 
die Typen zierlich geformt und die Noten prazis auf 
die Linien gedruckt, was spateren Nachahmern (z. B. 
Junta in Rom) nicht immer gluckte. Nur die Drucke 
P. Schoffers des Jiingeren (Sofin von Gutenbergs Schii- 
ler) vom Jahre 1512 stehen auf gleicher Hohe. In 
Deutschland f olgte dem Vorbild Petruccis als erster E. 
Oglin (Augsburg) 1507 mit P.Tritonius' Melopoiae sive 
Harmoniae tetracentkae. - C) Tabulaturen. Die alte- 
sten Tabulaturen mit beweglichen Typen druckte 
ebenfalls Petrucci (Intabolatura de lauto I— III, Venedig 
1507, IV 1508): 



Ifff 



*»*H 



Step 



fffl 



^4-9 * 



orot 



* 



« 



t 



*— ** 



ttt 



•*«•*- 



C 



3 Ol 



Fr. Spinaccino, Recercare, in: Intabolatura 
de lauto I, Venedig 1507, O.Petrucci. 
In Basel erschien 1511 (vermutlich bei Furter) S.Vir- 
dungs Musica getutscht; P. Schoffer der Jiingere druckte 
1512 in Mainz A. Schlicks Tabulaturen Etlicher lobge- 
sang und lidlein, und P. Attaingnant veroffentlichte 1529 
in Paris Dixhuit basses dances (Lautentabulatur). Ein- 
typendruck: In Frankreich wurde durch P.Haultin 
(Paris) der einfache Typendruck erfunden und durch 
die Firmen Attaingnant und spater Ballard verwertet; 
jede Type gibt eine Note und ein Stuck Liniensystem. 
Dabei handelt es sich, wie die Tabulaturdrucke At- 
taingnants von 1530 erweisen, zunachst nicht um ein 
durchgehendes Stiick Liniensystem, sondern - schon 
ganz ahnlich wie 200 Jahre spater bei den Typen J. G.I. 
Breitkopfs - nur um Linienteilchen, so daB bereits 
bis zu 3 Noten iibereinander auf dasselbe System ge- 
bracht werden konnten (vgl. die Faksimileausgabe von 
4 Drucken Attaingnants von 1530 als: Chansons und 
Tanze. Pariser Tabulaturdrucke, hrsg. von E. Bernoulli, 5 
Hef te, = Seltenheiten aus siiddeutschen Bibliotheken III, 
Miinchen 1914). Alteste Beispiele in Mensuralnotation : 
Chansons nouvelles en musique a quatre parties, 17 Biicher, 
Paris 1528ff.,P. Attaingnant(siehefolgende Abbildung). 
Ebenfalls bei Attaingnant erschienen ab 1534 19 Biicher 
4-6st. Motetten und ab 1529 Lautentabulaturen mit 
Tanzen; es folgten: 1532J.Moderne (Lyon), 1532 Chr. 
Egenolf (Frankfurt am Main), 1532 H. Formschneyder 
(Nurnberg), 1533 N.Faber (Leipzig), 1536 J.Petrejus 
(Nurnberg), 1538 G.Rhaw (Wittenberg), 1538 A. 




Prilude aus einer Orgeltabulatur von 
Attaingnant, 1531. 
Gardane und 1539 H.Scotus (Venedig), 1543 T. Susato 
(Antwerpen) u. a. Doch war der Satz mit solchen Ty- 
pen zu zeitraubend und kostspielig und verschwand 
(jedoch nicht ganz; er hielt sich z. B. bis hin zu S. Ve- 
rovio in den italienischen Tabulaturen fur Tastenin- 
strumente) zugunsten des Satzes mit anderen Typen, 
von denen jede einen Ausschnitt des Liniensystems mit 
einer einzigen Note gibt: 



JE&gjzgpijgEj; 



tsf ter I'aurord cbe ft dolce faura 

G.P.Palestrina, La ver V aurora, in: Madrigali a 
quattro voci I, Venedig 6 1587, R. Amadino. 
Carpentras' Versuch (1532), die in der Kursivnoten- 
schrift allmahlich durchdringende runde Notenform 
start der eckigen auch in den Notendruck einzuf tihren, 
fand vorerst nur wenig Nachf olger (-> Briard, -*■ Gran- 
jon; P.Ballard verwendete 1617 runde Notenformen 
von Ph. d'Anfries; im 17. Jh. erschienen sie gelegentlich 
auch in Deutschland). Allgemein bewahrten die Druk- 
ker das ganze 16. und 17. Jh. die eckigen Formen, die Bal- 
lards sogar bis nach 1750. Fur den Typendruck ergab 
sich, nachdem er fast 250 Jahre hindurch keine wesent- 
liche Veranderung erfahren hatte, die Aufgabe, ihn 
auch fiir Orgel- und Klaviermusik, iiberhaupt fiir die 
Einfiigung beliebig vieler Stimmen in ein Liniensy- 
stem nach Art der Attaingnantschen Tabulaturdrucke 
unbeschrankt verwendbar zu machen. Dieses Problem 
wurde von J. G. I. Breitkopf 1755 gelost (-»■ Breitkopf 
& Hartel). Seine beweglichen und zerlegbaren Typen 
(etwa 400 Typenteile) unterscheiden sich von den f riihe- 
ren, auch beweglich (caratteri mobili) genannten, da- 
durch, da8 z. B. an einer Achtelnote der Kopf, die 
Cauda und das Fahnchen besondere Typen sind •D 
und die Linienteilchen noch extra angesetzt werden. 
Der Satz mit diesen Typen ist freilich sehr muhselig 
und kostspielig, vermag sich aber doch mit dem Stich 
bei unkomplizierten Notenbildern im Aussehen zu 
messen. Im groBen und ganzen ist der Typendruck 
heute auf Notenbeispiele in Biichern beschrankt. 
2) Notenstich. Im letzten Viertel des 16. Jh. wurde 
der Kupferstich fiir die Vervielfaltigung von Orgel- 
und Klaviermusik aufgenommen. Vorbild fiir dieses 
Verf ahren waren die Kupf erstiche, auf denen, besonders 
in der 2. Halfte des 16. Jh., des ofteren Notenfragmente 
in das Bildganze eingefugt sind. S. Verovio lernte diese 
Technik bei den niederlandischen Kupferstechern ken- 
nen und wandte sie ab 1586 in Rom auf den Notenstich 
an. Dem Blockdruck (Hochdruck) entgegengesetzt, 
bei dem die erhabenen Stellen auf das Papier gedruckt 
sind, werden beim Kupferstich die Vertiefungen des 
eingravierten Notenbildes mit Druckerschwarze aus- 
gefullt und auf das Papier ubertragen (Stichabziige 

639 



Notendruck und -stich 



= Tiefdruckprinzip). In England gibt es den Kupfer- 
stich ab etwa 1611 (Parthenia, London um 1611, W. 
Hold), in Italien nach Verovio u. a. bei N.Borboni 
(Rom ab 1615, Tabulaturen), in Deutschland ab 1615 
(L.Kilian, Augsburg), in Frankreich vom spaten 17. 
Jh. an (Paris, Ballard, ab 1713 auch Du Plessy) : 




G. Frescobaldi, Toccata prima, in: II secondo libro di 
toccate, canzone . . ., Rom 2 1 637, N.Borboni. 
Der Notenstich wurde durch Anwendung vonWerk- 
zeugen verbessert, die den Notenkopf en gleichmafiige- 
re Gestalt gaben und die Gravierarbeit erleichterten, 
bis nach Einfiihrung der Pewter-Platten (Zinn-Blei- 
Legierung, England ab 1724) dazu ubergegangen wer- 
den konnte, die Notenkopfe, Schliissel, Vorzeichen, 
Pausen, Texte und alle unveranderlichen Zeichen mit 
Stempeln einzuschlagen (zuerst bei J.Cluer und J. 
Walsh in London um 1730). Seitdem teilt sich der Ar- 
beitsvorgang in »Schlagen« und »Stechen«. Unter letz- 
terem versteht man das Gravieren von allem, was nach 
Form, Lange oder Verlauf eine spezielle Zeichnung 
erfordert, wie Bogen, Balken, Notenhalse, Taktstriche 
sowie Crescendo und ahnliche Zeichen. In jiingerer 
Zeit hat es nicht an Bemiihungen gefehlt, das Noten- 
stechen maschinell zu ersetzen. Hierfiir wurden ver- 
schiedene Arten von Schreibmaschinen konstruiert und 
andere Systeme entwickelt, wobei die Arbeit des No- 
tenstechers weitgehend mechanisiert wurde, so durch 
Verwendung vorgefertigter Zeichen (Metallfolien, 
Klebefolien). Fiir einfache Notenbilder mogen diese 
Verfahren ausreichen, bei komplizierten aber (z. B. 
Partituren) wird das Ergebnis entweder ungenugend 
oder der Arbeitsvorgang so umstandlich und damit so 
teuer, dafi der Stich trotz seiner kostspieligen Handar- 
beit konkurrieren kann und auf alle Falle im Ergebnis 
besser ist. Heute ist als Plattenmaterial eine Blei-Zinn- 
Antimon-Legierung iiblich. Von beruflichen Noten- 
schreibern werden Musiknoten fiir Vervielfaltigungs- 
zwecke auch gezeichnet »wie gestochen«, teilweise un- 
ter Verwendung von Stempeln. Fiir Laien ist der Un- 
terschied gegeniiber dem Stich nur bei aufmerksamer 
Betrachtung erkenntlich, auch dann meist nur im 
Buchstabentext. Die Vervollkommnung dieses Schreib- 
verf ahrens ist noch nicht abgeschlossen ; die Weiterver- 
vielfaltigung erfolgt photomechanisch. 
Autographie (griech., Selbstschreibung) ist als Vor- 
stufe des lithographischen Notendrucks analog dem 
Stich oder dem Notensatz die erste Phase der Verviel- 
faltigung. Die mit der Hand und einer speziellen Tin- 
te oder Tusche geschriebenen Noten werden direkt 
oder durch Umdruck auf den Drucktrager (Stein bzw. 
Druckblech oder -folie) iibertragen. Die Autographie 
ist ein Ersatz fiir Stich- oder Stempelverfahren aus 
wirtschaftlichen Griinden. - Photomechanisches Ver- 
fahren: Die Photomechanik (und Photochemie) dient 
vor allem zur Vorbereitung des eigentlichen Druckes. 
Durch sie wird im Notendruck das Notenbild (das ge- 
stochene, gestempelte oder autographierte) auf licht- 
empfindlich praparierte Druckbleche iibertragen, mit 
denen die Vervielfaltigung (Druck) bis zu den grofiten 
Auflagen erfolgen kann. Bei Kleinstauflagen wird das 
nicht durch Stich, sondern durch Schrift auf Transpa- 
rentpapier hergestellte Notenbild im Lichtpausverfah- 
ren vervielfaltigt. 



3) Lithographie (Steinschrift, von griech. XUta£, 
Stein). IhreErfindung 1796 durch A. -> Senefelder be- 
deutete fiir den Notendruck eine Umwalzung. Nach 
vielen Versuchen gelang Senefelder die Autographie, 
und er gewann damit zugleich die Grundlage der Litho- 
graphic Mit der Verwendung des Solnhofener Kalk- 
steins und derEntwicklung des »chemischen Steindruk- 
kes« (Atzung der Steinplatte mit Scheidewasser) war die 
Erfindung endgiiltig gelungen (1798/99). Der Druck 
von dem polierten Stein, der wie Papier bezeichnet, 
beschrieben und bedruckt werden kann, erfolgt nach 
dem Prinzip des sich gegenseitigen AbstoCens von Fett 
und Wasser. Beim Notendruck kann eigentlich erst 
von diesem Zeitpunkt an von Druck gesprochen wer- 
den (gegeniiber den bisherigen Handabzugen von der 
gestochenen Platte, und zwar von jeweils nur einer 
Seite, wie bei jeder Gravur). Die Stichabzuge (Ab- 
drucke) waren daher relativ teuer und in der Zahl be- 
schrankt infolge schneller Abnutzung der Stichplatten. 
Jetzt aber konnten die Abziige von den Stichplatten auf 
Stein iibertragen (Uberdruck) und von entsprechend 
groBen Steinen, 4 bis 16 Seiten in einem Arbeitsgang, in 
beliebig hoher Auflage gedruckt werden. Der »Flach- 
druck« war erfunden, so benannt im Gegensatz zum 
»Tiefdruck« (Plattenabziige mit ihren charakteristi- 
schen Plattenrandern) und zum »Hochdruck« (Buch- 
und Notendruck mit gesetzten Typen). Bald erfolgte 
die Konstruktion einer Steindruck-(Flachdruck-)Presse 
analog der Buchdruckpresse. - Der Weg zu einer ent- 
scheidenden Weiterentwicklung war frei, als die An- 
wendung des Verfahrens auf biegsame diinne Bleche 
(Aluminium, Zink) erfunden wurde, die die schwer 
handlichen, bis zu 10 cm dicken Solnhofener Steine er- 
setzten. Erst diese Bleche ermoglichten den heute allge- 
mein iiblichen Rotationsdruck. Eine weitere technische 
Verbesserung ist nach 1900 durch den in den USA ent- 
wickelten und heute allgemein verwendeten »Offset- 
druck« (Gummiklatschdruck) erfolgt, der aber keineAn- 
derung des lithographischen Druckprinzips bedeutet. 
Lit.: P. S. Fournier Le Jeune, Traits hist, et critique sur 
l'origine et le progres des caracteres de fonte pour l'im- 
pression de la musique . . . , Paris 1765 ; J. G. Meusel, Bey- 
trag zur Litterargesch. d. ersten Drucke mit mus. Noten, 
in: Hist.-litterarisch-bibliogr. Magazin II, Zurich 1790; J. 
H. Krunitz, Artikel Notendruck, in: Okonomisch-tech- 
nologische Encyklopadie CII, Bin 1806; A. Senefelder, 
Vollstandiges Lehrbuch d. Steindruckerey, Munchen 1818, 
neubearb. 1821 u. 1827, Nachdrucke d. Auflage v. 1821, 
Bin 1901, 1921 u. 1925; A. Schmid, O. dei Petrucci da Fos- 
sombrone, Wien 1845; Th. Bottcher, Musiknoten auf 
Kupferstichen, MfM VIII, 1876; Fr. Chrysander, AbriB 
einer Gesch. d. Musikdrucks v. 15. bis zum 19. Jh., AmZ 
XIV, 1879 (zuvor in: The Mus. Times XVIII, 1877); A. 
Goovaerts, Hist, et bibliogr. de la typographic mus. dans 
les Pays-Bas, = Memoires de l'Acad. XXIX, Antwerpen 
1880, Nachdruck Amsterdam 1962; A. Thurlings, Der 
Musikdruck mit beweglichen Metalltypen im 16. Jh. . . ., 
VfMw VIII, 1892; E. Vogel, Der erste mit beweglichen 
Metalltypen hergestellte Notendruck f . Figuralmusik, JbP 
II, 1895 ; H. Riemann, Notenschrift u. Notendruck, Fs. d. 
Firma C. G. Roder, Lpz. 1896, mit 28 Faks.; ders., U. 
Hahn, d. Erfinder d. Notentypendruckes, Mus. Wochen- 
blatt XXXII, 1901 ; W. B. Squire, Notes on Early Music 
Printing, in : Bibliografica III, 1 897 ; R. Eitner, Der Musik- 
notendruck u. seine Entwicklung, Zs. f. Bucherfreunde I, 
2, 1898; H. Springer, Zur Musiktypographie in d. In- 
kunabelzeit, in : Beitr. zur Biicherkunde u. Philologie, Fs. 
A. Wilmanns, Lpz. 1903; ders., Die mus. Blockdrucke d. 
15. u. 16. Jh., Kgr.-Ber. Basel 1906; R. Steele, The Earliest 
Engl. Music Printing, = Illustrated Monographs Issued 
by the Bibliogr. Soc. XI, London 1903, Nachdruck 1965; 
R. Molitor OSB, Deutsche Choral-Wiegendrucke, Re- 
gensburg 1904; ders., Der Werdegang d. Musiknoten, 
Lpz. 1928; H. Bohatta, Liturgische Bibliogr. d. XV. Jh., 
Wien 1911, Nachdruck Hildesheim 1960; B. A. Wallner, 



640 



Notenschrift 



Mus. Denkmaler d. Steinatzkunst d. 16. u. 17. Jh., Miin- 
chen 1912; WolfN; F. Bischoff, Steiermarkischer No- 
tendruck im 16. Jh., Zs. d. hist. Ver. f. Steiennark XIV, 
1916; M. Seiffert, Bildzeugnisse d. 16. Jh. fiir . . . d. Ur- 
sprung d. Musikkupferstiches, AfMw I, 1918/19; K. 
Schottenloher, Die liturgischen Druckwerke E. Rat- 
dolts, Mainz 1922; P. Cohen, Die Nurnberger Musik- 
drucker im 16. Jh., Diss. Erlangen 1927, dazu R. Wagner 
in: Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Niirnberg XXX, 1931 ; 
M. Audin, Les origines de la typographic mus., in: Le 
bibliophile 1, 1 93 1 ; O. Kinkeldey, Music and Music Print- 
ing in Incunabula, Papers of the Bibliogr. Soc. of America 
XXVI, 1932; B. Guegan, Hist, de l'impression de la mu- 
sique. La typographic mus. en France, in: Arts et metiers 
graphiques, 1933/34, H. 37 u. 39 ; K. Meyer u. E. J. O'Mea- 
ra, The Printing of Music 1473-1934, in: The Dolphin II, 
(NY) 1935; A. Pfister, Vom friihesten Musikdruck in d. 
Schweiz, Fs. G. Binz, Basel 1935; B. Pattison, Notes on 
Early Music Printing, in : The Library IV, 1939 ; K. Meyer- 
Baer, New Facts on the Printing of Music Incunabula, 
PAMS LXVI, 1940; dies., Liturgical Music Incunabula. 
A Descriptive Cat., London 1962; A. Davidsson, Musik- 
bibliogr. Beitr., = Uppsala Univ. Arsskrift IX, Uppsala 
u. Wiesbaden 1954; K. Hader, Aus d. Werkstatt eines 
Notenstechers, Wien 1954; E. Laaff, Music mit fleiB ge- 
drukket-Grundziiged. Entwicklung d. Musiknotendruk- 
kes, = Burgver. Eltville, Sonderdruck IX, 1956, mit 12 
Abb.; C. Johansson, Zur Reproduktion d. frz. Musik- 
drucker-Kat. d. 18. Jh., Mf XI, 1958; Cl. Sartori, Dizio- 
nario degli editori mus. ital., = Bibl. di bibliogr. ital. 
XXXII, Florenz 1958; W. M. Luther, Die nichtliturgi- 
schen Musikinkunabeln d. Gottinger Bibl., in: Libris et 
Litteris, Fs. H. Tiemann, Hbg 1959; W. Weber, Saxa lo- 
quuntur - Steine reden. Gesch. d. Lithographie, Heidel- 
berg u. Bin (1961). 

Notenschrift. Es liegt im Wesen der abendlandischen 
Musik, daB sie zur Schrift gebracht wird. Die N. er- 
scheint zuerst in primar theoretischer Bestimmung und 
hat in ihrer Geschichte stets zwischen Theorie und 
Praxis vermittelt. N. fixiert zwar die als wesentlich 
geltenden Eigenschaften einer Musik, gibt aber kein 
vollstandiges Bild ihrer Klangwirklichkeit; zu deren 
Kenntnis ist auch dieErforschung des originalen Klang- 
bilds und der -> Auffiihrungspraxis notwendig. Hin- 
weise hierauf geben in den meisten N.en zusatzliche 
Zeichen und Anweisungen. Anderungen einer N. zei- 
gen meist Anderungen der Musik an. Daher ist eine 
Ubertragung alterer Musik in die moderne N. immer 
zugleich Interpretation (-> Editionstechnik). Bei Tran- 
skriptionen auBereuropaischer Musik nach Tonaufnah- 
men ist zu beachten, daB die moderne abendlandische 
N. die musikalischen Elemente in einer Systematik und 
Rangordnung darstellt, die auBerhalb des europaischen 
Kulturkreises nicht ohne weiteres gilt. - DieErfindung 
der N. hat einen geschichtlichen Zusammenhang der 
Musik als -> Komposition erst begriindet. Derm N. 
trennt einen Bereich, der der freien Verfiigung des 
Ausfiihrenden iiberlassen bleibt, von dem, was in jeder 
Verwirklichung gegenwartig sein muB; sie grenzt die 
Konstanz des Werkes ab gegen die Jeweiligkeit der 
Auffiihrung. Die Improvisation entzieht sich diesem 
Zusammenhang nur scheinbar; sie vermittelt die Illu- 
sion eines spontan entstehenden Werkes, ist aber ein 
Spiel mit gangigen (Kompositions-)Mitteln eines Stil- 
bereichs, das die Kenntnis der Musiklehre und der in 
N. festgehaltenen Werke voraussetzt. Die N. als zu- 
gleich theoretische und anschauliche Darstellung von 
Musik beruht auf der Vereinbarung, daB Niederschrift 
und Auffiihrung nur als zwei Seiten eines Werkes gel- 
ten, dessen kompositorische Konzeption auch beim 
Horen oder Lesen erst im reflektierenden Verstehen zu 
erfassen ist. 

MutmaBungen iiber eine N. der alten Babylonier 
(Sachs) oder Agypter (Hickmann) haben keine zuver- 
lassigen Ergebnisse gezeitigt, so daB die friiheste sicher 



bezeugte N. die -> Buchstaben-Tonschrift der antiken 
Griechischen Musik bleibt. Aus dem Erbe der spatanti- 
ken Kultur des Mittelmeerraums sind 3 N.en fiir litur- 
gischen Gesang hervorgegangen, deren Zeichen alle aus 
Akzenten entwickelt wurden: 1) Nach vereinzelten 
Versuchen in Palastina und Babylonien entstanden um 
900 in Tiberias die masoretischen Zeichen fiir die bibli- 
sche ->• Kantillation der Jiidischen Musik. 2) Im -> By- 
zantinischen Gesang wurden seit dem 10. Jh. die litur- 
gischen Lektionen mit Zeichen fiir den ->• ekphoneti- 
schen Vortrag versehen. Diese Schrift war eine Grund- 
lage der byzantinischen N., deren anderer Grundzug 
in der Verdeutlichung der beim chorischen Gesang not- 
wendigen -> Cheironomie besteht. Eine selbstandige 
Weiterentwicklung der palaobyzantinischen N. des 
9.-12. Jh. bildet seit dem 11. Jh. die russische -*■ Krjuki- 
N., die neben der im 17. Jh. aus Westeuropa iibernom- 
menen Choralnotation bis ins 20. Jh. gepflegt wurde. 
3) Auch die -> Neumen (- 1) des lateinischen Kirchen- 
gesangs, seit dem 9. Jh. bezeugt, gehen auf Akzentsy- 
stem und Cheironomie zuriick. Sie wurden im 13. Jh. 
zur bis heute ublichen -> Choralnotation umgebildet, 
die auch fiir die Aufzeichnung der Trobador- und 
Trouveremelodien sowie der mehrstimmigen Musik 
herangezogen wurde. Mit dieser ist die besondere Ent- 
wicklung der N. Westeuropas verbunden: Zur Zeit 
des friihen Organum begriindete Guido von Arezzo 
das -> Liniensystem mit Terzabstand der Notenlinien 
und vorgezeichneten Tonbuchstaben, die spater zu 
-*■ Schliisseln wurden. Die Notre-Dame-Zeit schuf die 
-*■ Modalnotation, die Ars antiqua die -*■ Mensuralno- 
tation. Die Musik des Trecentos notierte zunachst nach 
eigenen Regeln (-»■ Divisiones), iibernahm jedoch zu 
Ende des 14. Jh. die franzosische N. der Ars nova. Nach 
anfanglicher Schreibung mehrstimmiger Satze in einer 
der ->■ Parti tur ahnlichen Anordnung tendierte die Men- 
suralnotation seit den Motettenmanuskripten der Ars 
antiqua dahin, die Verschiedenartigkeit der Stimmen 
durch Trennung innerhalb eines Lesef elds von zunachst 
einer, spater zwei Seiten, im 15.-16. Jh. auch durch 
Trennung in einzelne Stimmbucher, hervorzukehren. 
Doch ging dieser Aufzeichnung fiir die Ausfiihrenden, 
wie wenigstens fiir das 16.-17. Jh. nachgewiesen wur- 
de, eine partiturmaBige Niederschrift des Komponisten 
voraus, meist in der -*■ Tabula compositoria. Zur Auf- 
zeichnung der Musik fiir Tasten- und Zupfinstrumente 
benutzte man im 14. Jh. vereinzelt, im 15.-18. Jh. iiber- 
wiegend die -> Tabulatur (- 1). Die neuere N., eine ver- 
einfachteWeiterbildung der Mensuralnotation, ist ganz 
auf Partiturschreibung angelegt; auch einzeln aufge- 
zeichnete Stimmen werden so notiert, daB sie ohne 
Anderung in eine Partitur eingetragen werden konnen. 
Diesem Zweck dienen Vereinheitlichung der Noten- 
werte durch Zweiteilung aller Noten, Abschaffung der 
Ligaturen und Einfiihrung des Taktstrichs. Seit Ende 
des 19. Jh. gibt es Versuche zur Vereinfachung des Par- 
titurbildes durch nichttransponierte Notierung der 
Stimmen transponierender Instrumente (Reformparti- 
tur) bzw. durch Beschrankung auf den G-Schliissel 
(Einheitspartitur). 

Die heute gebrauchliche N. veranschaulicht Ton- und 
Zeitbeziehungen : die rhythmischen durch die Form 
der ->• Noten, die intervallischen durch das Liniensy- 
stem. Zur genaueren Bestimmung von Tondauer und 
metrischem Gewicht dienen Takt- und Tempovor- 
zeichnung, seit Anfang des 19. Jh. auch Metronom- 
angabe und seit Bartok Anzeige der Auffuhrungsdauer 
in Minuten und Sekunden. Schliissel und Vorzeichen 
(beides aus Buchstaben entstanden) lassen Tonhohe 
und Tonart erkennen. Fiir Verzierungen und die ste- 
reotypen Wendungen wurden besondere Zeichen er- 



41 



641 



Notenschrift 



funden (-> Abbreviaturen, ->• Doppelschlag, -> Mor- 
dent usw.), ferner als -»• Vortragsbezeichnungen eine 
Fiille von Zeichen (->• Arpeggio, -» crescendo, -*■ Tre- 
molo, usw.) und (meist italienischen) Wortern (-> af- 
fettuoso, -*■ amabile usw.). Von diesen werden die hau- 
figsten dynamischen Bezeichnungen nur durch die An- 
fangsbuchstaben angezeigt (/, p usw.). Schonberg und 
A. Berg brachten neue Zeichen hinzu f iir die f uhrenden 
Stimmen (IT 1= Hauptstimme, N~ 1 = Nebenstimme; 
RH" = Hauptrhythmus), fiir verschiedene Arten des 
Sprechgesangs (-»• Melodrama) und zur Vorzeichnung 
des Dirigierschlags (U, £ ,bei Boulez[j, A, usw.). 
Standige Zunahme der Vortragsbezeichnungen cha- 
rakterisiert das 19. Jh. Gait in der fruheren Musik, daB 
einer Satzweise eine bestimmte Vortragsweise zu- 
geordnet war, die der erfahrene Musiker ohne viele 
zusatzliche Anweisungen aus der N. ablesen konnte, so 
ging nun mehr und mehr die Verbindung von Satz- 
und Vortragsweise in die freie Verfiigung des Kom- 
ponisten Ciber und wurde ein Teil der kompositorischen 
Erfindung. Um 1900 soil die Fiille der Vortragsbezeich- 
nungen eine in Tempo, Rhythmus und Dynamik le- 
bendig nuancierte Auffiihrung garantieren. Seit 1950 
treten zwei neue Tendenzen hervor : 1 ) In der -*■ Seriel- 
len Musik ftihrt die Auf stellung von Reihen oder Modi 
fiir alle Klangeigenschaften zu einem so komplizierten 
Notenbild, daB mit traditionellen Mitteln nur eine un- 
gefahre, freie Wiedergabe moglich ist (vgl. die Reihe 
von 12 dynamischen Werten in Messiaens Mode de 
valeurs et d'intensites, Stockhausens Klavierstiick I usw.) . 
Den Extremf all solcher Notierungsweise stellt die Auf- 
zeichnung -»■ Elektronischer Musik dar, in der die mu- 
sikalische Verwirklichung mit den Mitteln einer tech- 
nischen Konstruktionszeichnung in alien Einzelheiten 
festgehalten ist (vgl. Stockhausens Studie II). 2) Auf 
der anderen Seite erscheinen viele neue Vortragszei- 
chen ; zugleich werden das traditionelle System der N. 
und die einzelnen Notenformen oft so weit reduziert, 
daB auch sie die Verwirklichung nicht mehr regulieren, 
sondern nur noch auslosen. Die meisten derartigen 
neuen Zeichen erlangen keine allgemeine Geltung, 
sondern wechseln von Komponist zu Komponist, zu- 
weilen von Werk zu Werk (vgl. Karkoschka 1966). 
Den Extremfall solcher N. bildet die freie Zeichnung 
(»Musikalische Graphik«; vgl. Kagel, Transition I; Bu- 
sotti, Klavierstiicke). 

Lit.: H. Riemann, Studien zur Gesch. d. N., Lpz. 1878; 
ders., N. u. Notendruck, Fs. C. G. Roder, Lpz. 1896; 
DERS.,Kompendiumd.Notenschriftkunde, = SlgKirchen- 
musik IV/V, Regensburg 1910; J. Wolf, Gesch. d. Men- 
sural-Notation v. 1250-1460, 3 Bde, Lpz. 1904, Nachdruck 
in 1 Bd Hildesheim u. Wiesbaden 1965, dazu Fr. Ludwig 
in: SIMG VI, 1904/05; ders., Die Tonschriften, Breslau 
1924; Mus. Schrifttafeln, hrsg. v. dems., 10 H., = Veroff. 
d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung Buckeburg II, 2, 
Lpz. 1922-23, Buckeburg u. Lpz. 21927; WolfN ; O. Abra- 
ham u. E. M. v. Hornbostel, Vorschlage f. d. Transkrip- 
tion exotischer Melodien, SIMG XI, 1909/10; L. M. Vau- 
zanges, L'ecriture des musiciens celebres, Paris 1913; 
ApelN ; C. Sachs, The Rise of Music in the Ancient World, 
East and West, NY (1943), span. Buenos Aires 1946; B. Di 
Salvo, La notazione paleobizantina e la sua trascrizione, 
Boll, della Badia Greca di Grottaferrata, N. S. IV, 1950; 
ders., La trascrizione della notazione paleobizantina I— II, 
ebenda V, 1951 ; J. Smits van Waesberohe SJ, The Mus. 
Notation of Guido d'Arezzo, MD V, 1951; Mus. Auto- 
graphs from Monteverdi to Hindemith, hrsg. v. E. Win- 
ternitz, 2 Bde, Princeton (N. J.) 1955 ; Thr. G. Georgia- 
des, Zur Lasso-GA, Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., Sprache, 
Musik, schriftliche Musikdarstellung, AfMw XIV, 1957; 
ders., Musik u. Schrift, Munchen (1962); E. Jammers, In- 
terpretationsfragen ma. Musik, AfMw XIV, 1957 ; A. Ma- 
chabey, Notations mus. non modales des XII e et XIIP s., 
Paris 1957, 3 1959; C. Parrish, The Notation of Medieval 

642 



Music, London u. NY 1957; E. Werner, The Sacred 
Bridge, ebenda 1959; ders., Die Bedeutung d. Totenmeer- 
rollen f. d. Mg., Studia musicologica IV, 1963; H. Hick- 
mann, Ein neuentdecktes Dokument zum Problem d. alt- 
agyptischen Notation, AMI XXXIII, 1961; W. Osthoff, 
Per la notazione originate nelle pubblicazioni di musiche 
antiche e specialmente nella nuova ed. Monteverdi, AMI 
XXXIV, 1962; K. Stockhausen, Texte zur elektronischen 
u. instr. Musik I, Koln (1963); Notation Neuer Musik, 
hrsg. v. E. Thomas, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Mu- 
sik IX, Mainz (1965); E. Karkoschka, Das Schriftbild d. 
Neuen Musik, Celle (1966); W. Kaufmann, Mus. Nota- 
tions of the Orient, = Indiana Univ. Series LX, Blooming- 
ton 1967. 

Note sensible (not sas'i:bl, frz.) -*■ Leitton. 

Notes in£gales (not ineg'al, frz., ungleiche Noten), 
rhythmische Verzierung des franzosischen Barocks, die 
infolge des groBen Einflusses f ranzosischer Musik auch 
in Deutschland, den Niederlanden und England ver- 
breitet war. Diese nicht durch Zeichen, kleinere Noten 
oder Worte angedeutete Gesangs- und Spielmanier be- 
steht in der paarweisen Gruppierung rascher und meist 
stufenweise verlaufender, gleichmaBig notierter Ton- 
folgen, so daB jeweils die erste, betonte Note verlan- 
gert, die zweite, unbetonte verkiirzt wird, ohne aber 
den Gesamtwert eines Notenpaares dadurch zu veran- 
dern. Der umgekehrte Fall ergibt eine Art des -> Lom- 
bardischen Rhythmus. DaB es sich bei den N. i. um ei- 
ne alte, auch auBerhalb Frankreichs vorhandene Tra- 
dition handelt, beweisen padagogische Traktate des 16. 
und friihen 17. Jh., so die Abhandlungen von L.Bour- 
geois (1550), Fr. T. de Santa Maria (1 565) und G. Cacci- 
ni (1601). Ab Mitte des 17. bisEnde des 18. Jh. werden 
die N. i. oft erwahnt, wobei sowohl der Grad der Ver- 
langerung als auch die Haufigkeit der Anwendung vom 
Charakter des Stiickes und vom Geschmack des Aus- 
f uhrenden abhangig gemacht werden. Ein gleichmaBig 

notierter Rhythmus J J J J kann wie folgt inegalisiert 

werden: J 3J j (= Verhaltnis 2:1), J-3J-3 (3:1), 

sogar J- 3 J- J (7 : 1), sowie in alien moglichen, darun- 
ter oder dazwischen liegenden Verhaltnissen, die dem 
Sanger oder Spieler iiberlassen werden (3:2, 5:3, 7:5, 
9:7). Man muB sich im vorliegenden Fall vor starrer 
Anwendung bestimmter Vorschriften ebenso huten 
wie vor mathematisch genauer Wiedergabe punktier- 
ter Notenbeispiele, die immer nur als Andeutung und 
im Zusammenhang mit den zugehorigen Erlauterun- 
gen verstanden werden durfen. Da die N. i. vor allem 
ein Mittel des Ausdrucks sind, spielt bei ihrer Anwen- 
dung auch die Gattung der jeweils benutzten Instru- 
mente eine Rolle; so vertragen Cembalo oder Orgel oft 
eine starkere Inegalisierung als Streich- oder Blasinstru- 
mente. Als Faustregel fiir die Anwendung von N. i. 
mag gelten : im allgemeinen konnen die nachst kleine- 
ren Notenwerte, von der Zahleinheit des Taktes aus 
gerechnet, inegalisiert werden. Ausnahmen sind die C- 
und 2/4-Takte, in denen die Ungleichheit nicht auf die 
Achtel, sondern auf die Sechzehntel fallt. Schema: 
Takt: N. i.: 

3/1 Halbe Noten 

3/2 Viertelnoten 

2, 3, 3/4, 6/4, 9/4, 12/4, 
mit 2 Zahlzeiten 
C, $ mit 4 Zahlzeiten, 2/4, 
3/8, 4/8, 6/8, 9/8, 12/8 
3/16, 4/16, 6/16, 9/16, 12/16 ZweiunddreiBigstel-N. 
Wahrend im franzosischen Barock die Ungleichheit 
im allgemeinen nicht notationsmaflig angedeutet oder 



Achtelnoten 



Sechzehntelnoten 



Notre-Dame 



bezeichnet wurde, schrieb man gleichmaBige Ausfiih- 
rung in Zweifelsfallen entweder durch Punkte iiber 
den einzelnen Noten vor (M. Marais 1701) oder durch 
Bezeichnungen wie notes egales, croches egales. Die 
Anwendung der N. i. in der franzosischen Musik jener 
Zeit gait als derart selbstverstandlich, daB eine beson- 
dere Bezeichnung fiir gleichmaBige Ausfiihrung not- 
wendig war, wenn der Komponist eine solche abwei- 
chend vom allgemeinen Brauch verlangte. Ein Beispiel 
hierfiir findet sich im 1. Teil der 16. von J.S.Bachs 
Goldberg-Variationen, Takt 8/9; ohne die von Bach 
ausdriicklich notierten Punkte miiBten die Sechzehntel 
als N. i. gespielt werden. Im Gegensatz zur Musik im 
franzosischen Stil kannte die italienische Musik keine 
N. i. - AuBerhalb Frankreichs machte vor allem der 
Lully-Schiiler Georg Muffat durch die Vorreden zu sei- 
nen Suiten fiir Streichorchester mit den N. i. und an- 
deren Eigentumlichkeiten des franzosischen Musizier- 
stils bekannt. J. G. Walther (1732) erwahnt die N. i. un- 
ter demStichwortQuantitasNotarum extrinseca, & in- 
trinseca und erklart diese Begriffe ausfiihrlich in seinen 
Praecepta . . . (1708, 1. Teil, Kap. 3, §§ 23-26), vor al- 
lem die Behandlungsweise der innerlkhen quantitaet derer 
Noten. Vor ihm hatte bereits W. C. Printz (Phrynis My- 
tilenaeus, NA 1696, 2. Teil, 11. Kap., § 36) dargestellt, 
wie alle darzu geschickte Figuren konnen gescharffet und 
gehemmet werden j durch hinzuthun ernes Puncts zu denen 
Notis Quantitate Intrinseca longis, und Halbirung der drauff 
folgenden. Nach J. S. Bachs Tode beziehen im deutschen 
Sprachbereich vor allem J.J. Quantz (XI, 12 und XVII, 
2, 12) und L.Mozart (XII, 9-10) die N. i. in ihre Lehr- 
werke ein. Zu gleicher Zeit faBt J.-J. Rousseau die iiber- 
lieferten N. i. im franzosischen Stil in knapper Form 
zusammen. -J.Chailley zufolge ist die Moglichkeit ei- 
nes Zusammenhangs zwischen dem Rhythmus der 
franzosischen Sprachdeklamation und der Art und An- 
wendung von N. i. nicht von der Hand zu weisen (siehe : 
Fr. David, Methodes nouvelles ..., Paris 1737, S. 139). 
Im deutschen Sprachbereich findet sich diese Hypothese 
in der Clavier-Schule von G. S.Lohlein (1765, 9. Kap.) 
bekraftigt, der den Geschmack beim Spielen in unmit- 
telbaren Zusammenhang mit dem innerlkhen Werthe 
der Noten bringt, den er wiederum von den Silbenlan- 
gen der Worte herleitet. Ahnlich hatte in der Vokal- 
musik bereits Fr.W.Marpurg zwischen dufJerlichem 
und innerlichem Wehrt oder Verhalt von gleichmaBig no- 
tierten Tonfolgen unterschieden, wobei ersterer von 
der Figur einer Note, der zweite von deren Ausmessung 
bestimmt wird (Kritische Briefe iiber die Tonkunst, Ber- 
lin 1760, Bd I, S. 99). - Beispiele fiir ausgeschriebene 
N. i. finden sich u. a. in Transkriptionen von Werken 
Rameaus und Handels (GA, Bd XL VIII, mit zeitgenbs- 
sischen Cembalotranskriptionen von Teilen der Oper 
II pastor fido, 1712, die punktierte Rhythmen an sol- 
chen Stellen enthalten, die im Original gleichmaBig 
notiert sind). Rameau hat bei der Orchestrierung z. B. 
seines Cembalostiickes Musette en rondeau (1724) im 3. 
Akt (7. Szene) seiner Ballettoper Les fetes d'Hebe (1739) 
gleichmaBig notierte Achtelfolgen des Cembalos als 
punktierte Rhythmen fiir das Orchester notiert, dage- 
gen die urspriingliche Notation fiir die Gesangspartien 
beibehalten. In alien derartigen Fallen sollten die Ge- 
sangspartien weder gleichmaBig noch sklavisch genau 
im Verhaltnis 3 : 1 punktiert, sondern inegalisiert vorge- 
tragen werden, in Anlehnung an den Sprachrhythmus 
der betreffenden Textworte, dem sich dann auch die In- 
strumente anzupassen haben. - Eine akustisch realisier- 
bare Darstellung der Art und Anwendung von N. i. bei 
verschiedenen Kompositionen findet sich in den Anga- 
ben J. Engramelles zur Herstellung von Stif twalzen fiir 
mechanische Musikwerke (1775, 1778). 



Lit. u. Ausg. : L. Bourgeois, Le Droict Chetnin de Mu- 
sique, Genf 1550, Faks. hrsg. v. P.-A. Gaillard, = DM1 1, 
6, 1954; Fr. T. de Santa MarIa OP, Libro llamado arte de 
tafler fantasia . . ., Valladolid 1565, auszugsweise tjbers. 
v. E. Harich-Schneider u. R. Boadella, Lpz. 1937; G. 
Caccini, Le nuove musiche, Florenz 1601 u. 6., Faks. 
hrsg. v. F. Mantica, Rom 1930, u. hrsg. v. Fr. Vatielli, Rom 
1934, engl. fibers, in: O. Strunk, Source Readings in Mu- 
sic Hist., NY 1950; B. de Bacilly, Remarques curieuses 
. . ., Paris 1668, (31679), engl. Obers. mit Kommentarv. A. 
B. Caswell jr. als: The Development of H'X-Cent. French 
Vocal Ornamentation and Its Influence upon Late Baroque 
Ornamentation Practice, Diss. Univ. of Minnesota 1964, 
maschr.; M. l'Affilard, Principes tres-faciles . . ., Paris 

1694, 21717 ; Georg Muffat, Florilegium, I Augsburg 

1695, II Passau 1698, = DTO I, 2 u. II, 2, Bd 2 u. 4, Wien 
1 894-95 ; E. Loulie, Elements ou principes de musique 
Paris 1696, Amsterdam 1698; M. Marais, Second livre de 
pieces de viole, Paris 1701; M. de Saint-Lambert, Les 
principes du clavecin, Paris 1 702 ; J. M. Hotteterre, Prin- 
cipes de la flute traversiere . . . , Paris 1707, Faks. u. deut- 
sche Ubers. hrsg. v. H. J. Hellwig, Kassel 1942, 21958; J. 
Wilson, R. North on Music (um 1710), London 1959; Fr. 
Couperin, L'art de toucher le clavecin, Paris 1716, 2 1 717, 
hrsg. v. M. Cauchie, Paris 1933 (GA), dass., Faks. mit deut- 
scher u. engl. Ubers. hrsg. v. A. Linde, Lpz. 1933; anon. 
(= Borin), La musique th6orique et pratique dans son 
ordrenaturel, Paris 1722; M. P. de Monteclair, Principes 
de musique, Paris 1736; Quantz Versuch; Mozart Ver- 
such; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 
1767(7), Paris 1768, Artikel lourer u. pointer (Umarbei- 
tung seiner Artikel aus d. Encyclop6die, Paris 175 Iff.); J. 
Lacassagne, Traite g6n6ral des eldments du chant, Paris 
1766 ; M.-D.-J. Engramelle, La tonotechnie ou l'art de 
noter les cylindres, Paris 1775, dazu H.-P. Schmitz, Die 
Tontechnik d. Pere Engramelle, =Mw. Arbeiten VIII, 
Kassel 1953; Fr. Bedos de Celles OSB, L'art du facteur 
d'orgues, Paris 1778 (IV, 2: De la tonotechnie ou notage 
des cylindres, redigiert v. J. Engramelle), Faks. hrsg. v. 
Chr. Mahrenholz, Kassel 1936, dass., = DM1 1, 26, 1965. - 
A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music of the 
XVII"> and XVIII" Cent., London (1916, 21946); J. Ar- 
ger, Les agrements et le rythme . . . , Paris 1 9 1 7; E. Borrel, 
Contribution a Interpretation de la musique fr?. au 
XVIII e s., Paris 1914; ders., Les n. i. dans l'ancienne mu- 
sique fr?., Rev. de Musicol. XV, 1931 ; ders., L'interpre- 
tation de la musique frc., Paris 1934; ders., A propos des 
»N. i.«, Rev. de Musicol. XLI/XLII, 1958, dazu J. Chailley, 
A propos des n. i., ebenda XLV/XLVI, 1960; S. Babitz, A 
Problem of Rhythm in Baroque Music, MQ XXXVIII, 
1952, deutsche Zusammenfassung in: Musica XVI, 1962; 
N. W. Powell, Rhythmic Freedom in the Performance of 
French Music from 1650 to 1735, Diss. Stanford Univ. 
(Calif.) 1958, maschr. ; R. Donington, The Interpretation 
of Early Music, London 1963, erweitert 21965; A. Geof- 
froy-Dechaume, Les secrets de la musique ancienne, Pa- 
ris 1964; Fr. Neumann, The French In6gales,Quantz,and 
Bach, JAMS XVIII, 1965, dazu R. Donington, Fr. Neu- 
mann u. G. Prout in: JAMS XIX, 1966; ders., External 
Evidence and Uneven Notes, MQ LII, 1966. ERJ 

Notre-Dame, die Kathedralkirche Beatae Mariae 
Virginis in Paris, gab ihren Namen einer der bedeu- 
tendsten Schulen der Musikgeschichte und einer Epo- 
che, die wohl um 1160/80-1230/50 anzusetzen ist. Die 
weit iiber dieErrungenschaften der Schule von ->■ Saint- 
Martial hinausgehende, bis zur Drei- und Vierstimmig- 
keit vordringende N.-D.-Schule war ein Zentrum fiir 
die Pflege des ->■ Conductus und wurde entscheidend 
fiir die Spatbliite der -*■ Organum genanhten Kurist 
(mit -> Discantus und ->• Klausel) und fiir die Friihzeit 
der -> Motette. UngewiB ist, ob bereits der im Codex 
Calixtinus mit einem mehrstimmigen Versus vertrete- 
ne Magister Albertus Parisiensis mit dem 1140-77 an 
N.-D. tatigen Cantor Albertus identisch ist und als ein 
friiher Vertreter dieser Schule angesehen werden kann. 
Der nach 1272 verfaBte Traktat des Anonymus IV 
(CS 1, 342a) nennt die Namen der beiden Hauptmeister, 
von denen -»■ Leoninus als optimus organista, -»- Pero- 



41* 



643 



Nottumo 



tinus als optimus discantor bezeichnet wird. Der Be- 
ginn der Tatigkeit von Leoninus diirfte nach dem 
1163 begonnenen Bau der heutigen Kathedrale anzu- 
setzen sein, wahrend man den Hohepunkt des Schaffens 
von Perotinus um 1200 vermuten darf. Der Magnus 
liber organi degradali et antiphonario, der die 2st. Organa 
des N.-D .-Repertoires enthielt, soil von Perotinus um- 
gestaltet und erweitert worden sein; doch ist die Frage 
der am heute vorhandenen Bestand (-»• Quellen : W\, F, 
W2, Ma) beteiligten Organistae und Discantores noch 
weitgehend ungeklart. Und was lange als geschlos- 
senes N.-D.-Repertoire angesehen wurde, erscheint 
neuerdings eher als spatere Zusammenstellung, in der 
neben Teilen des eigentlichen N.-D.-Repertoires auch 
Kompositionen aus anderen Pariser Kirchen (vor allem 
der zeitweiligen Hofkirche St-Germain-rAuxerrois 
und der Augustiner-Abtei Ste-Genevieve-du-Mont) 
und anderen Orten (z. B. Beauvais, Sens) Aufnahme 
gefunden haben. Als Dichter von Conductus- und 
Motettentexten ist der Theologe -*■ Philippe le Chan- 
celier nachgewiesen. Die fiir die Notierung der N.-D.- 
Musik eigens geschaffene -* Modalnotation bildet die 
Grundlage der -> Mensuralnotation (-*■ Ars antiqua). 
Lit. : F. L. Chartier, L'ancien chapitre de N.-D. de Paris 
et sa maitrise, Paris 1897; J. Handschin, Zur Gesch. v. 
N.-D., AMI IV, 1932; Fr. Zaminer, Der Vatikanische Or- 
ganum-Traktat (Ottob. lat. 3025), = Munchner Veroff. 
zur Mg. II, Tutzing 1959; G. Birkner, N.-D.-Cantoren u. 
-Succentorenv. Ended. 10. bis zum Beginn d. 14. Jh.,in:In 
memoriam J. Handschin, StraBburg 1962; H. Husmann, 
St. Germain u. N.-D., in: Natalicia Musicologica, Fs. Kn. 
Jeppesen, Kopenhagen 1962 ; ders., The Origin and Desti- 
nation of the Magnus Liber Organi, MQ XLIX, 1963; 
ders., The Enlargement of the Magnus Liber Organi and 
the Paris Church St. Germain l'Auxerrois and Ste. Gene- 
vieve-du-Mont, JAMS XVI, 1963; ders., N.-D. u. St-Vic- 
tor, AMI XXXVI, 1964; ders., Ein Faszikel N.-D.-Kom- 
positionen auf Texte d. Pariser Kanzlers Philipp in einer 
Dominikanerhs. (Rom, Santa Sabina XIV L 3), AfMw 

XXIV, 1967 ; H. Tischler, Perotinus Revisited, in : Aspects 
of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY 
(1966);DERS.,The Early CantorsofN.D., JAMS XIX, 1966. 

Notturno (ital.) ->■ Nocturne. 

Novara. 

Lit.: G. Imazio, Teatri e circoli, N. 1877; G. Bustico, Gli 
spettacoli mus. al »Teatro Novo« di N., 1779-1873, RMI 

XXV, 1918; ders., Nuovo contributo sugli spettacoli mus. 
al »Teatro Novo« di N, RMI XXVI, 1919; ders., S. Mer- 
cadante a N., RMI XXVIII, 1921; V. Fedeli, Musicisti 
novaresi del s. XVII, Bollettino stor. per la provincia di N. 
XVIII, 1924; ders., Le cappelle mus. di N. dal s. XVI ai 
primordi dell'ottocento, = Istituzioniemonumentidell'ar- 
te mus. ital. Ill, Mailand 1933. 

Novelette, eine zuerst von R.Schumann (8 N.n fiir 
Kl. op. 21, 1838) gebrauchte Bezeichnung fiir ein 
-*■ Charakterstiick f reier Gestaltung mit einer groBeren 
Anzahl von Themen. Der Komponist charakterisiert 
diese Klavierstiicke als grofiere, zusammenhangende aben- 
teuerliche Geschichten und als Spafihaftes, Egmontgeschich- 
ten, Familienscenen mit Vdtern, eine Hochzeit, kurz aufierst 
Liebenswiirdiges, . . . innig zusammenhangend und mit 
grojier Lust geschrieben, im Durchschnitt heiter und obenhin, 
bis auf einzelnes, wo ich auf den Grund gekommen. Das 
Wort N. will Schumann jedoch nicht von Novelle ab- 
geleitet wissen; vielmehr pragte er es - als versteckte 
Huldigung an Clara Wieck - nach dem Namen der 
von ihm bewunderten englischen Sangerin Clara No- 
vello, weil diese denselben Vornamen tragt wie seine 
Braut und »Wiecketten« nicht gut genug klingt (Brief an 
Clara vom 6. 2. 1838; abgedruckt bei B.Litzmann I, 
S. 178). Die Bezeichnung findet sich spater bei einigen 
Komponisten der skandinavischen una deutschen Men- 
delssohn-Schumann-Nachfolge, u. a. bei N. Gade (N.r 



fiirKl.-Trio op. 29), J.P.E.Hartmann (N. op. 55b »in 
6 kleinen Stiicken« mit Texten von H.Chr. Ander- 
sen; Studier og N.r op. 65), Th.Kirchner (N.n fiir KL- 
Trio op. 59) und C.Reinecke (N. op. 226), ferner bei 
einigen slawischen Komponisten, u. a. bei M.Bala- 
kirew (N. fiir Kl.), A. Glasunow (5 N.n fiir Streichquar- 
tett op. 15), A. Ljadow (N. Nowinka fiir Kl. op. 20) und 
Zd.Fibich (N.n op. 44, 33 Stiicke), sowie im 20. Jh. bei 
Fr.Bridge (N.n fiir Streichquartett, 1904), Fr.Poulenc 
(Deux n.s fiir Kl.) und A. Tscherepnin (2 N.n fiir Kl.). 
In alien diesen Fallen hat der Titel N. mit dem urspriing- 
lichen AnlaB seiner Entstehung nichts mehr zu tun; er 
betont bier lediglich die erzahlende (»novellistische«) 
Art jener Stiicke und ist - wie die meisten Titel von 
Charakterstiicken - formal unverbindlich. 
Lit.: R. Schumann, Briefe, N. F., hrsg. v. F. G. Jansen, 
Lpz. 1886, 21904; B. Litzmann, CI. Schumann. Ein Kunst- 
lerleben nach Tagebuchem u. Brief en I, Lpz. 1902, 81925; 
K. H. Worner, R. Schumann, Zurich 1949. 

Niirnberg. 

Lit. : Fr. Krautwurst, Das Schrifttum zur Mg. d. Stadt 
N., = Veroff. d. Stadtbibl. N. VII, N. 1964; O. Wessely, 
Erganzungen zur Bibliogr. d. Schrifttums zur N.er Mg., Mf 
XIX, 1966. - J. Neudorfer, Nachrichten v. Kiinstlern u. 
Werkleuten . . . aus d. Jahre 1547 nebst d. Fortsetzung d. 
A. Gulden, hrsg. v. G. W. K. Lochner, = Quellenschriften 
f. Kunstgesch. u. Kunsttechnik d. MA u. d. RenaissanceX, 
Wien 1875; J. Chr. Wagenseil, De sacri Rom. Imp. libera 
civitate Noribergensi commentatio. Accedit de Germaniae 
phonascorum origine . . . , Altdorf 1697 ; Fr. E. Hysel, Das 
Theater in N. v. 1612 bis 1863, N. 1863, N.er Meistersin- 
ger-Protokolle v. 1575-1689, 2 Bde, hrsg. v. R. Drescher, 
= Bibl. d. litterarischen Ver. Stuttgart CCXIII-CCXIV, 
Tubingen 1897-98, Nachdruck Tubingen 1961 ; P. Cohen, 
Die N.er Musikdrucker im 16. Jh., Diss. Erlangen 1927; 
R. Wagner, Die Gesch. d. Org. in d. Spitalkirche zu N., 
Zs. f. ev. Kirchenmusik V, 1927 - VI, 1928 ; ders., Die Or- 
ganisten d. Kirche zum HI. Geist in N., ZfMw XII, 1929/ 
30; ders., Nachtrage zur Gesch. d. N.er Musikdrucker im 
16. Jh., Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt N. XXX, 1931 ; H. 
Weninger, Das alte Stadttheater in N. 1833-1905, Wurz- 
burg 1932; A. Fuchs, Die Musikdarstellungen am Sebal- 
dusgrab P. Vischers . . . , = Erlanger Beitr. zur Mw. II, 
Kassel 1935; S. Braungart, Die Verbreitung d. reforma- 
torischen Liedes in N. in d. Zeit v. 1525-70, Diss. Erlangen 
1939; E. v. Rumohr, Der N.ische Tasteninstrumentalstil 
im 17. Jh., Diss. Munster i. W. 1939; H. Zirnbauer, Der 
Notenbestand d. reichsstadtisch N.ischen Ratsmusik, u. 
Th. Wohnhaas, Leistungen d. Reichsstadt zur Ratsmusik, 
in: N.er Ratsmusik, = Veroff. d. Stadtbibl. N. I, N. 1959; 
H. E. Samuel, The Cantata in Nuremberg During the 17 a 
Cent., Diss. Cornell Univ. (N. Y.) 1963, maschr. ; J. H. van 
der Meer, Sweelinck u. N., TVer XX, 1964/65. 

Null (0), - 1) in der GeneralbaBschrift tasto solo, d. h. 
Anweisung, keine Akkorde zu greifen, sondern nur 
die BaBstimme unisono oder in Oktaven mitzuspielen; 
- 2) in G.Webers Harmoniebezeichnung bei einem 
kleinen Buchstaben die Signatur des verminderten 
Dreiklangs, z. B. °c = c-es-ges; - 3) In der Oettingen- 
Riemannschen Harmoniebezeichnung fordert den 
Mollakkord mit groBer Terz und Quinte unter dem 
Hauptton, z. B. °e = e-c-A (»Moll unter«). Mit Riick- 
sicht auf die traditionelle Auffassung des Molldrei- 
klangs mit dem tiefsten Ton als Hauptton wird jedoch 
die N. beim Klangbuchstaben auch fiir den Molldrei- 
klang uber dem genannten Ton verwendet, z. B. 
°a = A-c-e. Beim Funktionszeichen (°T, "S, °D) zeigt 
die N. einfach das Tongeschlecht als Moll an. - 4) In 
der Fingersatzbezeichnung fiir Streichinstrumente be- 
deutet 0, daB der Ton durch eine ->■ Leere Saite hervor- 
zubringen ist. Durch iiber einem Fingersatz (^) oder 
einer Note wird aber auch das (natiirliche) ->■ Flageo- 
lett (- 3) verlangt. 

Nyckelharpa (schwedisch) -> Schliisselfiedel. 



644 



o 



O, - 1) lat. die Interjektion O, mit der einige gregoria- 
nische Gesange, speziell die Magnificatantiphonen im 
Offizium der letzten 7 Tage vor der Vigil von Weih- 
nachten, beginnen (Antiphonae maiores, O-Antipho- 
nen) ; - 2) in mittelalterlichen Tonaren der Buchstabe 
zur Bezeichnung des 4. Kirchentons; - 3) ital. : oder, 
z. B. Violino o flauto; - 4) in Form eines Kxeises (O) 
das Zeichen des ->■ Tempus perfectum; - 5) ->■ Null. 
Lit. : zu 1) : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen 
Melodien III, Lpz. 1921, Nachdmck Hildesheim u. Wies- 
baden 1962. - zu 2): E. Omlin OSB, Die St. Gallischen 
Tonarbuchstaben, = Verdff. d. gregorianischen Akad. zu 
Freiburg i. d. Schweiz XVIII, Regensburg 1934. 

Oberek, Obertas (poln., von obrot, das Herumdre- 
hen), feuriger polnischer Drehtanz im 3/8-Takt mit den 
gleichen rhythmischen Akzentverschiebungen wie in 
->- Mazur und -> Kujawiak. Nach M. Sobieski (MGG 
DC, 1961, Artikel Oberek, Obertas) sind Obertas und 
Oberek wiefolgtzuunterscheiden:DerObertas,bezeugt 
im 17.-19. Jh., heute nicht mehr gebrauchlich, war ur- 
spriinglich die Wiederholung eines Kujawiak in 
schneflerem Tempo. Eigenstandige Obertasmelodien 
(Tempo etwa J) = M.M. 160-180) des 19. Jh. weisen 
kirchentonartliche Wendungen sowie starke Verwen- 
dung von Triolen und punktierten Rhythmen auf . Der 
Obertas ist textiert im Gegensatz zum neuen (seit dem 
19. Jh. belegten) Oberek, den die Tanzer nur mit gele- 
gentlichen Zuruf en begleiten. Die Melodik des Oberek 
ist wegen des noch schnelleren Tempos (etwa J) = M. 
M. 180-240) rhythmisch einfach; dies sowie die Hau- 
figkeit von Akkordfigurierung und groBen Spriingen 
(bis zur None) bezeugen ihren originar instrumentalen 
Charakter. Oft werden mehrere Obereks zu einer Fol- 
ge verbunden, meist ohne Modulation; doch kann ein 
4taktiges Vorspiel mit Wiederholung des gleichen 
Tons (Tonika oder Dominante der folgenden Melo- 
die) in Tonart und Rhythmus einen neuen Oberek ein- 
leiten. Kompositionen dieses Tanzes finden sich bei: 
Chopin, Klavierkonzert F moll op. 21 (1829), 3. Satz, 
Takt 141ff.; H. Wieniawski, Obertass fur V. und Kl. 
op. 19 Nr 1 (1860) ; A.Boito, Mefistofele (1868), 1. Akt; 
A.Tansman, Quatre danses polonaises fur Orch. (1931). 

Oberbsterreich 

Lit. : L. Kaff, Das Welser Passionsspiel, Wels 195 1 ; ders., 
Die Cornu-Fragmente v. Ovilaba, Jahresh. d. Osterreichi- 
schen Archaologischen Inst. XXXIX, 1952; ders., Ma. 
Oster- u. Passionsspiele aus O., = Schriftenreihe d. Inst. f. 
Landeskunde O. IX, Linz 1956; O. Wessely, Musik in O., 
ebenda III, 1951 ; ders., Lauten- u. Geigenmacher in Linz 
u. O., Senftenegger Monatsblatt f. Genealogie u. Heraldik 
III, 1955/56; ders., Zur Musik im ev. O., Jb. f. Liturgik 
u. Hymnologie II, 1956 ; F. Linninger, Org. u. Organisten 
im Stift St. Florian, O.ische Heimatblatter IX, 1955; W. 
Graf, Musikethnologische Notizen zum Orpheus v. Enns- 
Lorch, Anthropos LI, 1956; A. Kellner OSB, Mg. d. 
Stiftes Kremsmunster, Kassel 1956; W. Suppan, Geistli- 
che Volkslieder aus d. Karpato-Ukraine. Eine Quelle f. d. 
Liedgut u. d. Singstil im Salzkammergut d. 18. Jh., Jb. d. 
O.ischen Musealver., 1963. 



Oberstimme, seit dem 17. Jh. nachgewiesen als deut- 
sche Bezeichnung des Discantus (suprema vox, -*■ Dis- 
kant). In homophonen Satzen bilden die beiden Au- 
Benstimmen (O., auch Melodiestimme, und -»• Unter- 
stimme) das klangliche Geriist, bei dem die -> Mittel- 
stimmen in der Regel nur zur Ausf iillung dienen 
(-»■ Fiillstimmen). 
Obertas -> Oberek. 
Obertone -*■ Teiltone. 

Obligates Akkompagnement, eine Form der -*■ Be- 
gleitung, die vom Komponisten festgelegt und damit 
der improvisatorischen Ausfiihrung ganz entzogen ist. 
Seit G. Adler wird das O. A. als charakteristisch fur das 
instrumentale Satzgefiige der Wiener klassischen Schu- 
le bezeichnet. Es entwickelte sich am Ende des General- 
baBzeitakers, als man (start zu beziffern) den Klaviersatz 
auszuschreiben begann (Schobert 1767). Dies bedingte 
eine reichhaltigere Anlage der Mittelstimmen, eine 
kompositorische Durchformung und Belebung der 
vorher wesentlich nur harmoniefiillenden Akkorde. 
Ein analoger ProzeB fuhrte in der Kammer- und Or- 
chestermusik zur Emanzipation der Bratsche und der 
Blaser. Der homophone Satz des -> Galanten Stils 
wurde dichter und kunstvoller, wesentlich bedingt 
auch durch die Wiederaufnahme der kontrapunkti- 
schen Tradition (seit etwa 1770), die gerade in Wien 
ihre Wirksamkeit nie ganz verloren hatte. In dem 
neuen, differenzierteren und reicherer Ausdrucksnuan- 
cen fahigen Instrumentalstil, in dem die scharfe Tren- 
nvmg zwischen Melodie und Begleitung aufgehoben 
ist, kann die Hauptstimme iiberall im Satz liegen und 
wird oft auf verschiedene Stimmen verteilt (-> Durch- 
brochene Arbeit) ; jede Partikel des Satzes kann zu ei- 
nem obligaten, d. h. unerlaBlichen, auch thematisch 
bezogenen Bestandteil des Ganzen werden. Das O. A. 
war um 1780 voll ausgebildet (J.Haydn, Streichquar- 
tette op. 33, Hob. Ill, 37-42; W.A.Mozart, die 6 
Haydn gewidmeten Streichquartette, K.-V. 387, 421 , 
428, 458, 464, 465). Als satztechnische Forderung blieb 
es im 19. Jh. bestimmend, bis kompositorische Ten- 
denzen der Neuen Musik Begriff und Sache der »Be- 
gleitung« zugunsten einer gleichgewichtigen Durch- 
organisation aller Stimmung iiberhaupt inFrage stellten. 
Lit.: G. Adler, Der Stil in d. Musik I, Lpz. 1911, 21929; 
ders., Die Wiener klass. Schule, Adler Hdb.; E. Stilz, 
Uber harmonische Ausfiillung in d. Klaviermusik d. Ro- 
koko, ZfMw XIII, 1930/31 ; E. BOcken, Die Musik d. Ro- 
kokos u. d. Klassik, Biicken Hdb. ; J. Saam, Zur Gesch. d. 
Klavierquartetts, = Slg mw. Abh. IX, StraBburg 1933 ; Fr. 
Oberdorffer, Der Gb. in d. Instrumentalmusik d. aus- 
gehenden 18. Jh., Kassel 1939. 

Obligato (ital., von lat. obligatus, verbindlich; frz. 
oblige), - 1) s. v. w. -*■ Ostinato; - 2) ein Instrumental- 
part, der bey der execution nicht wegbleiben . . . kann, 
sondern nothwendig ist (WaltherL), vorgeschrieben z. B. 
als Violino o. (auch Violino concertato oder Violino 
principale), im Unterschied zu -*■ ad libitum, -»■ Ri- 



645 



Oboe 



pieno (-> Fiillstimmen) ; im 18. Jh. auch der (concertie- 
rend) ausgearbeitete GeneralbaBpart (Cembalo o.). 
-> Obligates Akkompagnement. 

Oboe (von frz. hautbois, altere Aussprache obo'e, ab 
Beginn des 19. Jh. obii'a; -> haut), - 1) ein Doppel- 
rohrblattinstrument von enger, leicht konischer Boh- 
rung; das Corpus, in der Regel aus Hartholz, ist 3tei- 
lig mitkleiner Stiirze. Die Ob. hat sich ausdemDiskant- 
bomhart entwickelt, doch ist der direkte Vorganger 
wahrscheinlich die Melodiepfeife der -> Musette (- 2), 
die, ,wie u. a. Mersenne (1636) berichtet, auch losge- 
lost von der Sackpfeife direkt angeblasen wurde. Der 
entscheidende Unterschied zwischen der Spieltechnik 
von Bomhart und Ob. liegt im Ansatz. Das Blatt der 
Ob. wird mit den Lippen gefaBt; die Pirouette als 
Lippenstiitze entfallt deshalb. Damit wird der Ton be- 
einfluBbar, und die Uberblastechnik kann entwickelt 
werden. Wahrscheinlich schon gegen Ende des 17. Jh. 
wurde in das 3. Register Uberblasen, obwohl ein Uber- 
blas-(Oktav-)Loch regelmaBig erst an Ob.n vom Ende 
des 18. Jh. vorhanden ist. Als Erfinder der Ob. gelten 
Jean Hotteterre und Michel Philidor, die die Ob. nach 
1 654 in Paris bauten und spielten. Spatestens ab 1664 (Les 
plaisirs de Visle enchantee) verwendete J.-B. Lully die Ob. 
im Orchester, entweder im 3st. Blasersatz (2 Ob.n und 
Fagott) oder im 5st. Streichersatz colla parte mit den 
Violinen. 1671 wurden Ob.n in Camberts Pomone ge- 
spielt, 1678 gab es Ob.n in englischer Militarmusik. 
Das neue Instrument wurde in England 1688 von R. 
Holme beschrieben, um 1695 auch von J.Talbot. Pur- 
cell verwendete die Ob. ab 1690. Das Ob.n-Spiel in den 
Kapellen ubernahmen zunachst Flotisten; so enthalten 
Hotteterres Principes de la flute (1707) auch eine Unter- 
weisung im Spiel der Ob. Seit dem Beginn des 18. Jh. 
und bis in die 1820er Jahre hatte die Ob. 7 Grifflocher 
(das 3. und 4. als Doppelloch) und 2 Klappen (c 1 und 
es*); der Umfang war ci-c3. Die Komponisten des 18. 
Jh., u. a. Telemann, Handel und Vivaldi, setzten die 
Ob. in Konzerten, Sonaten und Suiten solistisch ein, 
auch konzertierend in Arien (J. S. Bach seit den Kanta- 
ten der Weimarer Zeit). Im Mannheimer und im klas- 
sischen Orchester gehorten 2 Ob.n zum Holzblaser- 
satz. In der 1. Halfte des 19. Jh. begannen die Versuche, 
die Zahl der Grifflocher zu vermehren, um alle chro- 
matischen Tone ohne -> Gabelgriffe zu erreichen. Zu- 
nachst waren Ob.n mit 4-13 Klappen nebeneinander 
in Gebrauch. Die Ob. Sellners (Theoretisch-praktische 
Ob.n-Schule, 1825) mit 13 Klappen blieb, verbessert, 
bis in die neueste Zeit das Instrument der osterreichi- 
schen und deutschen Blaser. Ab 1840 entwickelte Trie- 
bert den franzosischen Typ der Ob. mit zylindrischer, 
enger Bohrung, neuer Lage der Locher und schmale- 
rem Blatt. Bis um 1880 wurden von ihm und seinen 
Sohnen 6 Systeme erfunden. Ab 1841 iibertrug A. Buf- 
fet das Bohmsche System der Bohrung und der Ring- 
klappen auf die Ob., wo es sich jedoch nicht durch- 
setzte. Bis heute blieb der Ton der franzosischen Ob. 
kleiner, scharf er, delikater, der der deutschen ist groBer 
und warmer. Der naselnde, sich im Orchester leicht 
durchsetzende Ton der Ob. macht sie zu einem Instru- 
ment mehr der Kantilene als der virtuosen Figuration; 
wegen des geringen Luftverbrauchs konnen sehr lange 
Phrasen geblasen werden. Die moderne Ob. hat 16-22 
Locher (darunter 1-3 Oktavlocher), von denen 6 mit 
den Fingern, die ubrigen mit Klappen gedeckt werden. 
Der Umfang ist (b)h-f3(a3). Konzerte fur Ob. schrie- 
ben u. a. Vivaldi, A.Marcello (das lange Zeit seinem 
Bruder Benedetto zugeschriebene Konzert, erschienen 
in J. Rogers Sammeldruck Concetti a cinque I, Amster- 
dam um 1717, wurde von J. S.Bach als Cembalokon- 



zert, BWV 974, bearbeitet), W.A.Mozart und R. 
Strauss. Bekannte Virtuosen altererundneuererZeitsind 
J.E.Galliard, die Besozzi, J. Chr. Fischer, die Barth, 
L. A. Lebrun, J. Fr. Braun, J.-F. Gamier, A. Barratt, A.J. 
Lavigne, L.Goossens, H. Winschermann, H.Holliger. 
- Die Ob.n der tieferen Lagen sind durchweg mit 
-> LiebesfuB versehen. In Alt- und Tenorlage stehen 
die Ob. d'amore (hautbois d'amour, Liebes-Ob.), ein 
ohngefehr an. 1720 bekannt gewordenes Instrument (Wal- 
therL, Artikel Hautbois d' Amour) in A mit dem Um- 
fang gis-cis3(d3), sowie die ebenfalls in der 1. Halfte 
des 18. Jh. bekannt gewordene Ob. da caccia und das 
moderne ->■ Englisch Horn; eine Bariton-Ob. ist das 
-> Heckelphon. - 2) eine 8'-Zungenstimme der Orgel 
mit engem, zumeist leicht trichterformigem Becher 
und mit einem offenen, teilgedeckten oder gedeckten 
Trichteraufsatz, letzterer mit seitlichen Lochern. Auch 
•Doppelkegelaufsatze wurden gebaut (K.J.Riepp). 
Lit.: zu 1): WaltherL; Quantz Versuch; L. Bechler u. 
B. Rahm, Die Ob. u. d. ihrverwandtenInstr.,Lpz. 1914; J. 
Wlach, Die Ob. bei Beethoven, StMw XIV, 1927 ; Ch. St. 
Terry, Bach's Orch., London 1932, Nachdruck 1958; A. 
Baines, J. Talbot's Ms. I, The Galpin Soc. Journal 1, 1948 ; 
E. Halfpenny, The Engl. 2- and 3-Keyed Hautboy, ebenda 
II, 1949; ders., A 17 th Cent. Tutor for the Hautboy, ML 
XXX, 1949; ders., The Tenor Hoboy, The Galpin Soc. 
Journal V, 1952; ders., The French Hautboy, ebenda VI, 
1953 u. VIII, 1955 ; J. Marx, The Tone of the Baroque Ob., 
ebenda IV, 1951 u. V, 1952; Ph. Bate, The Ob., London 
(1956, 21962); H. Kunitz, Die Instrumentation III, Ob., 
Lpz. 1956; J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. 
Lullys, =Munchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961. 

Obstinat -> Ostinato. 

Octobasse (frz.), ein 4 m hohes Streichinstrument mit 
3 Saiten (iC iG C), die durch eine Pedalhebelvorrich- 
tung verkiirzt wurden. Sein Erfinder war J.-B. Vuil- 
laume (Paris 1849). Vorlaufer hatte dieser MonstrebaB 
schon 1830 in Wien und 1834 in Paris (Dubois); der 
Deutschamerikaner John Gey er iiberbot das Vuillaume- 
sche Instrument 1889 durch ein 41/2 m groBes. 

Ode (griech. (j)8^, altere Form aoi&f)), bei den Grie- 
chen das Singen, der Gesang, dann auch das Gesungene 
(das Lied), doch ist im Unterschied zum -> Melos 
mehr das Erklingen, die Ausfuhrung, der Vortrag ge- 
meint. Daher bezeichnete O. keine spezielle Gattung, 
sondern die Gesamtheit dessen, was gesungen wurde 
(vgl. die aus dem 5./4. Jh. v. Chr. stammenden Wort- 
zusammensetzungen : Komodie, Tragodie; Aulodie, 
Kitharodie, Melodie, Monodie, Parodie, Prosodie, 
Rhapsodie, Threnodie u. a.). Perikles lieB fur die von 
ihm in Athen neu geordneten musischen Wettkampfe 
einen Bau errichten, der Odeion genannt wurde ( Ando- 
kides 1, 38; Plutarch, »Perikles« 13, 11) und der spate- 
ren gleichnamigen Bauten als Vorbild diente. Uber die 
Beschaffenheit der in Paulus-Briefen (Eph. 5, 19; Kol. 
3,16) neben Psalmen und Hymnen genannten cJ>Sai 
7Wsu(j.aTtxat (lat. cantica spiritualia) ist nichts be- 
kannt. Auf Grund anderer Bibelstellen bekam das 
Wort im Griechischen eine spezielle Nebenbedeutung. 
Die schon friih in die griechische Liturgie aufgenom- 
menen neun O.n (2 Mos. 15, 1-19; 5 Mos. 32, 1-43; 
1 Sam. 2, 1-10; Hab. 3, 2-19; Jes. 26, 9-20; Jona 2, 
3-10; Dan. 3, 26-45 und 52-88; Luk. 1, 46-55 und 
68-79 ; -* Canticum) bildeten die Grundlage fiir die im 
7./8. Jh. geschaffene Gattung des -> Kanons (- 2), des- 
sen neun oder acht Teile (ebenfalls O.n genannt) Para- 
phrasen der biblischen O.n sind. Anders als in Byzanz, 
wo O. als musikalischer Begriff lebendig blieb (auch 
auf die urspriinglich gesungenen Werke altgriechi- 
scher Lyrik angewendet wurde, etwa auf die Sapphos 
und Pindars; -*■ Melos, ->- Chor), bahnte sich bei den 



646 



Odenkomp osition 



Romern eine Verschiebung des Wortbegriffs an; seit 
dem Horaz-Kommentar des Porphyrio (3. Jh. n. Chr.) 
begegnet ode, oda als Name einer lyrischen Gattung, 
die bis dahin gewohnlich carmen genannt wurde, so 
auch im Mittelalter. In der Renaissance bezeichnete O. 
allgemein die gesungene oder singbare strophische 
Dichtung (als Vorbild gait meist Horaz, seltener Pin- 
dar) und f and auch musikalisch haufig Verwendung, 
ohne sich jedoch zu einem musikalischen Terminus zu 
verfestigen. Um 1500 gab der deutsche Humanist C. 
Celtis die Anregung, antike Verse metrisch zu verto- 
nen (-»■ Odenkomposition) ; seit derselben Zeit kom- 
men allenthalben Kompositionen unter dem Namen 
O. vor, nicht nur zu antiken, sondern auch zu neula- 
teinischen und volkssprachlichen, geistlichen und welt- 
lichen Texten (z. B. in Petruccis Frottolensammlung, 
4. und 6. Buch von 1505/06; katholische Kirchenlieder 
wie die von G.Witzel 1541 herausgegebenen Odae 
Christianae; die von Joachim a Burck, J.Eccard u. a. 
vertonten O.n des protestantischen Dichters L. Helm- 
bold). Im 17. und 18. Jh. wurden geistliche und weltli- 
che O.n-Texte teils als Chorwerke (Purcell), teils in 
der Art von Kantaten (Handel, J.S.Bach) und teils 
- besonders in Deutschland - als generalbaBbegleitete 
Lieder vertont (Sperontes, Mizler, Mattheson, Tele- 
mann, Marpurg, C.Ph.E.Bach, Kirnberger, Neefe, 
Reichardt, Gluck u. a.). Beethovens 9. Symphonie mit 
dem SchluBchor iiber Schillers O. An die Freude laBt 
sich in diesen Zusammenhang nur auBerlich einfiigen. 
Im 19. und 20. Jh. veroffentlichten u. a. Cherubini, 
Felicien David (zwei Ode-symphonies), Liszt, Bizet, 
Schonberg, Strawinsky und Prokofjew Kompositio- 
nen unter dem Titel O. 

Lit. : K. Vietor, Gesch. d. deutschen O., = Gesch. d. deut- 
schen Lit. nach Gattungen I, Munchen 1923, Darmstadt 
21961. FZa 

Odenkomposition, metrische. Versuche, die anti- 
ken lyrischen Metra mit strenger Wiedergabe der Sil— 
benquantitaten musikalisch neu zu beleben, kamen in 
der Zeit des Humanismus auf , nachdem bereits im Mit- 
telalter gelegentlich Horaz-Oden zu Fiedel, Harfe oder 
Rotta gesungen wurden. Die Zweckbestimmung der 
m.n O. fiir den Universitats- oder Schulunterricht 
brachte es mit sich, daB in der Regel nicht ein bestimm- 
ter Text vertont wurde, sondern alle Oden gleicher 
Strophenform zu derselben Musik gesungen werden 
sollten. Einstimmige Odenvertonungen sind nur in ge- 
ringer Zahl iiberliefert; bei den mehrstimmigen Satzen 
resultiert aus der Beachtung des Metrums in alien Stim- 
men Homorhythmie (contrapunctus simplex). Zeigen 
ein anonymer 4st. Satz iiber Horaz' Tu tie quaesieris in 
der -> Quelle Tr 89 (2. Drittel des 15. Jh. ; NA in DTO 
VII, Band 14/15, S. 89) sowie einige Odensatze in Pe- 
truccis Frottoledrucken (Venedig ab 1504) Homo- 
rhythmie ohne Befolgung des Metrums, so ist doch die 
allgemeine Verbreitung der m.n O. zuEnde des 15. Jh. 
mehrfach bezeugt: In Italien erschienen 2st. Satze in 
Gafforis De Harmonia Muskorum Instrumentorum Opus 
(geschrieben 1500; gedruckt Mailand 1518), aus Frank- 
reich stammt eine von Glareanus (s. u.) veroffendichte 
1st. Odenrrielodie des Humanisten R.Gaguin (f 1501), 
in Deutschland bilden das fruheste gedruckte Beispiel 
zwei 3st. Satze in J. Lochers Drama Historia de regefrancie 
(Freiburg im Breisgau 1495). Locher war in Ingolstadt 
Schuler von C. Celtis gewesen, der fiir seine Poetikvor- 
lesungen an der dortigen Universitat (1492-95) durch 
einen anderen seiner Schuler, P.Tritonius, 4st. Satze zu 
alien Horazischen »genera carminum« komponieren 
lieB. Sie erschienen (zusammen mit 3 Satzen anderer 
Komponisten zu nichthorazischen Odenformen) als: 
Melopoiae sive harmoniae tetracenticae super XXII. genera 



carminum . . . secundum naturas & tempora syllabarum et 
pedum compositae et regulatae, ductu Ch.Celtisfeliciter im- 
pressae (1. und 2. Ausgabe Augsburg 1507, Neudruck 
Frankfurt am Main 1532 und in dem von P.Nigidius 
herausgegebenen Sammeldruck Ceminae Undeviginti 
Odarum Horatii melodiae, Frankfurt am Main 1551/52). 
Einer Obertragung des Prinzips der m.n O. auf christ- 
liche Texte ebnete Celtis dadurch den Weg, daB er den 
Melopoiae ein Verzeichnis soldier geistlichen Hymnen 
beigab, die zu Tritonius' Satzen gesungen werden 
konnten. Auch die spateren (in der Regel 4st.) Samm- 
lungen beriicksichtigten sowohl antike als auch christ- 
liche Oden. Genannt seien: W.Grefinger, Aurelii Pru- 
dentii Cathemerinon (Wien 1515); Melodiae prudentianae 
et in Virgilium (Leipzig 1533, mit Satzen von L.Hor- 
disch, S. Forster, J. Cochlaeus und anon.) ; L. Senfl, Varia 
carminum genera (Niirnberg 1534; Senfl iibernahm in 19 
von 30 Satzen die Tenores des Tritonius und legte sie 
als C. f. seinen Satzen besonders im Altus oder Cantus 
II zugrunde); B.Ducis, Harmoniae in odas P. Horatii 
Flacci (Ulm 1539; nicht erhalten, doch finden sich 6 
Satze von Ducis in dem genannten Sammeldruck von 
1551/52); P.Hofhaymer, Harmoniae poeticae (Niirn- 
berg 1539, darin auch neue Satze von Senfl und Gr. 
Peschin) ; M. Collinus, Harmoniae univocae in odas Ho- 
ratianas (Wittenberg 1555); M.Agricola, Melodiae 
scholasticae (Magdeburg 1557); L.Lossius, Melodiae sex 
generum carminum usitatiorum (Niirnberg 1563, selbstan- 
dig oder als Anhang zu Lossius' Erotemata musicae 
practicae; samtliche Satze sind dem genannten Sammel- 
druck von 1551/52 entnommen); Joachim a Burck, 
Odae sacrae (2 Biicher, Muhlhausen 1572-78); Cre- 
pundia sacra (Muhlhausen 1578, Dichtungen von L. 
Helmbold, Satze von J.Eccard, Joachim a Burck, J. 
Hermann) ; J. Crusius, Isagoge ad artem musicam . . ■ Item 
Harmonia carminum usitatiorum (Niirnberg 1592); S. 
Calvisius, Hymni Sacri Latini et Germanici . . . Accesse- 
runt Harmoniae, generibus Carminum apud Horatium, 
&Buchananum usurpatis, accommodatae (Erfurt 1594, be- 
arbeitet von E. Bodenschatz als : Florilegium selectissim- 
orum hymnorum, Leipzig 1606, letzte Ausgabe 1777); 
W. Figulus, Hymni sacri et scholastici cum melodiis et nu- 
meris musicis, aus dem NachlaB herausgegeben von Fr. 
Birck (Leipzig 1594, erhalten nur in der Auflage 1604, 
enthalt auch Satze von M. Agricola) ; B. Gesius, Hymni 
scholastici (Frankfurt an der Oder 1597, erweitert als: 
Melodiae scholasticae 21609, 41621); L. Stiphelius, Li- 
bellus scholasticus (Jena 1607, 21612); G.Tranoscius 
(-> Tranovsky), Odarum sacrarum sive Hymnorum . . . 
libri tres (Brieg 1629; insgesamt 150 Oden mit 20 4st. 
Satzen, von denen 10 bereits in alteren Sammlungen 
nachgewiesen sind). Auch lateinische metrische Ober- 
setzungen deutscher evangelischer Kirchenlieder be- 
gegnen, z. B. : W. Ammon, Libri tres odarum ecclesiasti- 
carum (Frankfurt am Main 1578); S.Steier, Hymnorum 
oeconomicorum . . . libri duo (Niirnberg 1583, lateinisch 
und deutsch). Besondere Verbreitung fand G.Bucha- 
nans Psalmorum Davidis paraphrasis Poetica (zuerst Ant- 
werpen, Paris und StraBburg 1566) in der Ausgabe von 
N. Chytraeus (Herborn und Frankfurt am Main 1585, 
171664) mit 39 von Statius Olthof teils komponierten, 
teils gesammelten 4st. Satzen. Auch entstanden neu- 
lateinische Oden fiir die evangelischen Lateinschulen, 
wo das tagliche Singen ernes genus Carminis . . . Horatii 
(oder defi glekhen) eintrechtig mit vier stymmen (Schul- 
ordnung Zwickau 1523, nach Schiinemann, S. 68) iib- 
lich war. Ferner bildeten O.en die Aktschliisse vieler 
lateinischer oder deutscher Schuldramen; hier war die 
Ausfuhrung zuweilen mit Tanz verbunden. - Nach- 
dem bereits Gaffori und Cochlaeus (Tetrachordum mu- 
sices, Niirnberg, in den Auflagen ab 1512) Muster der 



647 



Osterreich 



m.nO. vorgelegtundbesprochenhatten, gab Glareanus 
im zweiten Band seines Dodekachordon (Basel 1547) aus- 
fiihrliche Anweisungen uber die Komposition und 
Ausfiihrung der Horaz-Oden. Ihm zufolge sollten die 
musikalischen Satze stets einstimmig und nur fur eine 
Ode bestimmt sein. Femer verlangt er von den Sangern 
eine Abwandlung des Vortrags durch die einzelnen 
Strophen hindurch (vermutlich auch mit Einfiihrung 
von Diminutionen) und unterbricht in seinen Melodien 
stellenweise das Metrum zugunsten affektbetonter Me- 
lismatik. Zeugnisse fur die Pflege der m.n O. auBer- 
halb Deutschlands sind sparlich. Genannt sei CI. Goudi- 
mels nicht erhaltene Sammlung Q.Horatii Flacci . . . 
odae omnes quotquot carminum generibus differunt ad rhyth- 
mos musicos redactae (Paris 1555), die vermutlich ebenso 
wie Goudimels homorhythmische Bearbeitung der 
Genfer Psalmen zu den Vorbildern gehorte, an die J.-A. 
Baif mit seinen ->- Vers mesures a l'antique ankniipfte. 
Ausg. u. Lit. : L. Senfl, Samtliche Werke VI, hrsg. v. A. 
Geering u. W. Altwegg, Wolfenbiittel 1961. - R. v. Liuen- 
cron, Die Horazischen Metren in deutschen Kompositio- 
nen d. 16. Jh., VfMw III, 1887, separat Lpz. 1887; ders., 
Die Chorgesange d. lat.-deutschen Schuldramas im XVI. 
Jh., VfMw VI, 1890; ders. in: VfMw IX, 1893, S. 246f.; B. 
Widmann, Die Kompositionen d. Psalmen v. St. Olthof, 
VfMw V, 1889 ; A. Prufer, Untersuchungen uber d. auBer- 
kirchlichen Kunstgesang ..., Diss. Lpz. 1890; P. Eick- 
hoff, Eine aus d. MA iiberlieferte Melodie zu Horatius 
III, 9 . .. , VfMw VII, 1891 ; Fr. Sannemann, Die Musik als 
Unterrichtsgegenstand . . . , = Mw. Studien IV, Bin u. Lpz. 
1904; P.-M. Masson, Horace en musique, RM VI, 1906; 
H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik I, Stuttgart u. Bin 
1920, 51930; ders., P. Hofhaimer, 2 Bde, ebenda 1929; E. 
Schenk, G. A. Paganelli, Salzburg 1928 ; G. Schunemann, 
Gesch. d. deutschen Schulmusik I, Lpz. 21931 ; W. Kahl, 
Studien zur Kolner Mg. d. 16. u. 17. Jh., = Beitr. zur rhei- 
nischen Mg. Ill, Koln u. Krefeld 1953; H. Chr. Wolff, 
Die geistlichen Oden d. G. Tranoscius . . ., Mf VI, 1953 - 
VII, 1954; B. Meier, H. Loriti Glareanus als Musiktheore- 
tiker, in : Beitr. zur Freiburger Wiss.- u. Universitatsgesch. 
XXII, hrsg. v. J. Vincke, Freiburg i. Br. 1960; Fr. Onkel- 
bach, L. Lossius u. seine Musiklehre, = Kolner Beitr. zur 
Musikforschung XVII, Regensburg 1960; G. Vecchi, 
Dalle »Melopoiae . . .« di Tritonio (1507) alle »Geminae 
undeviginti odarum Horatii melodiae« (1551), in: Me- 
morie della Accad. delle scienze di Bologna, Classe di 
scienzemorali VIII, 1960; B. Szabolcsi, Oberd. Fortleben 
antiker Metren in d. ungarischen Lied- u. Tanzmusik, Fs. 
H. Besseler, Lpz. 1961 ; K.-G. Hartmann, N. Borbonius 
in d. Oden- u. Motettenkomposition d. 16. Jh., in: H. 
Albrecht in memoriam, Kassel 1962. 

Osterreich. 

Ausg. : — > Denkmaler. 

Lit. : Ch. Burney, The Present State of Music in Germa- 
ny ... I, London 1773, 21775, deutsch v. C. D. Ebeling u. J. 
J. Chr. Bode als: Ch. Burney's ... Tagebuch seiner Mus. 
Reisen II, Hbg 1773, Faks. in: Ch. Burney, Tagebuch ei- 
ner mus. Reise, hrsg. v. R. Schaal, = DM1 1, 19, 1959 ; M. v. 
Millenkovich-Morold, Die o.ische Tonkunst, =0.ische 
Biicherei X, Wien u. Lpz. (1918); Die Musikstatten 0., 
hrsg. v. A. Fischer, Wien 1928; G. Adler, Musik in 0., 
StMw XVI, 1929; M. Haager, Die instr. Volksmusik im 
Salzkammergut, Diss. Wien 1931, maschr. ; A. Orel, 
O.isches Wesen in o.ischer Musik, O.ische Rundschau II, 
1935 ; L. Nowak, Die Musik in 0., in : 0., Erbe u. Sendung 
im deutschen Raum, hrsg. v. J. Nadler u. H. v. Sbrik, 
Salzburg u. Lpz. 1936; ders., Vom Werden o.ischer Mu- 
sik, Jb. »Die Furche«, Wien 1947; J. Jernek, Der o.ische 
Mannerchorgesang im 19. Jh., Diss. Wien 1937, maschr.; 
R. Lach, Das Osterreichertum in d. Musik, AMz LXV, 
1938; E. Schenk, 950 Jahre Musik in 0., Wien (1946); 
R. Zoder, O.ische Volkstanze, 2 Bde, Wien 1946-48; 
ders., Volkslied, Volkstanz u. Volksbrauch in 0., Wien 
(1950); Volkskundliches aus 0. u. Siidtirol, hrsg. v. A. 
D6rrer u. L. Schmidt, Wien 1947; R. Fr. Brauner, 0. 
Neue Musik, Wien 1948; J. Gregor, Gesch. d. o.ischen 
Theaters, Wien 1948; I. Nachtnebel, M. Denis u. d. 



o.ische Kirchenlied d. 18. Jh., Diss. Wien 1948, maschr.; 
L. Schmidt, Die kulturgeschichtlichen Grundlagen d. 
Volksgesanges in 0., Schweizer Arch, f . Volkskunde XLV, 
1948; W. Kolneder, Die vokale Mehrstimmigkeit in d. 
Volksmusik d. o.ischen AlpenlSnder, Diss. Innsbruck 1949, 
maschr. ; A. Liess, Das o.ische Musikbuch v. 1946 bis 1950, 
Mf IV, 1951; R. Wolfram, Die Volkstanze in 0. u. ver- 
wandte Tanze in Europa, Salzburg (1 95 1) ; O. Wessely, Die 
Entwicklung d. Musikerziehung in 0., Musikerziehung 

VI, 1952/53; ders., Alte Musiklehrbiicher aus O., ebenda 

VII, 1953/54; ders., Die o.ische Musikforschung nach d. 
2. Weltkrieg, AMI XXIX, 1957; R. Quoika, Die alto.ischen 
Org. . . ., Kassel 1953; ders., Alto.ische Hornwerke, Bin 
1959 ; H. J. Moser, Die Musik im friihev. 0., Kassel 1954; 
Fr. Zagiba, Die altesten mus. Denkmaler zu Ehren d. hi. 
Leopold . . ., Zurich, Lpz. u. Wien (1954); O. Eberstal- 
ler, Org. u. Orgelbauer in 0., Graz u. Koln 1955; H. Fe- 
derhofer, Die Niederlander an d. Habsburgerhofen in 0., 
Anzeiger d. O.ischen Akad. d. Wiss. XCIII, 1956; ders., 
Monodie u. musica reservata, Deutsches Jb. d. Mw. II 
(= JbP XLIX), 1957; ders., Der Musikerstand in 0. v. ca. 
1200 bis 1520, ebenda III (= JbP L), 1958; ders., Zur hs. 
Uberlieferung d. Musiktheorie in 0. in d. 2. Halfte d. 17. 
Jh., Mf XI, 1958 ; K. M. Klier, Volkstumliche Musikinstr. 
in d. Alpen, Kassel 1956 ; ders., Hist. Volkslieder d. 1 8. Jh. 
aus 0., Jb. d. o.ischen Volksliedwerkes VIII, 1959 ; O. See- 
wald, Die Lyrendarstellung d. ostalpinen Hallstattkultur, 
Fs. A. Orel, Wien u. Wiesbaden (1960); ders., Hallstatt- 
zeitliche Floteninstr. in 0., Obero.ische Heimatblatter 
XIV, 1960; Z. Falvy, Zur Frage v. Differenzen d. Psalm- 
odie, StMw XXV, 1962; H. Feicht, Mus. Beziehungen 
zwischen Wien u. Warschau zur Zeit d. Wiener Klassiker, 
ebenda; H. Angles, Mus. Beziehungen zwischen 0. u. 
Spanien in d. Zeit v. 14. bis zum 1 8. Jh., ebenda; C. Schoen- 
baum, Die bohmischen Musiker in d. Mg. Wiens, ebenda; 
W. Suppan, Zur Melodiegesch. d. alpenlandischen Volks- 
liedes, Musikerziehung XVII, 1963/64. - Musikbuch aus 
0., 10 Bde, Wien 1904-13; Jb. d. o.ischen Volksliedwer- 
kes, Wien seit 1952. 

Off-beat ('Dibi:t, engl., weg vom Schlag, neben dem 
Schlag) bezeichnet die fur den -> Jazz typischen, gegen 
das gleichbleibende Grundschlagen (->- Beat - 1) der 
Rhythmusgruppe gesetzten freieren Akzentuierungen 
der Melodiegruppe, die mit Hilfe der Notenschrift 
nicht fixierbar sind. Der O.-b. ist, wie der Beat, nicht 
nur ein Merkmal des Jazz, sondern auch der gesamten 
musikalischen Negerfolklore der USA und hat sich 
dort als ein Uberrest afrikanischen Musizierens be- 
hauptet. 

Lit. : A. M. Dauer, Der Jazz, Kassel (1958) ; ders., Jazz - 
die magische Musik, Bremen 1961 ; E. L. Waeltner, Me- 
trik u. Rhythmik im Jazz, in : Terminologie d. Neuen Mu- 
sik, hrsg. v. R. Stephan, = Veroff. d. Inst, f . Neue Musik u. 
Musikerziehung Darmstadt V, Bin 1965. 

Offertorium (lat.), genauer: Antiphona ad O., der 
Gesang zur Gabendarbringung wahrend der Mefifeier 
(4. Stuck des Proprium missae), ursprunglich auch 
Offerenda genannt. Die Verbindung des Namens O., 
der zunachst nur die Niederlegung von Opfergaben 
bezeichnet, mit dem entsprechenden Begleitgesang 
findet sich bei Isidorus von Sevilla (De ecclesiasticis offi- 
ciis I, 14, Migne Patr. lat. LXXXIII, 751). Erste Nach- 
richten uber eine Einfiihrung von Psalmengesang im 
Rahmen der Opferhandlung stammen aus Nordafrika 
(Karthago und Hippo) zur Zeit des hl.Augustinus, 
wahrend man in Rom wohl seit dem 6. Jh. uber ein 
eigenes Repertoire an OfEertorien verfiigte, dessen 
Kernbestand vor seiner Erweiterung durch Gregor den 
GroBen auch nach Mailand gelangte. In seiner alteren 
Form umfaBte das O. einen wechselchorig gesungenen 
Psalm mit Antiphon. Doch wurde die antiphonische 
Anlage schon wenig spater zugunsten der responsori- 
schen aufgegeben und diese seit dem 7. Jh. aus einem 
Rahmenstiick unterschiedlicher Lange (dem Hauptteil 
mit -> Repetenda) und 1-4 melodisch reichgegliederten 



648 



Offizium 



Soloversen (vermutlich ohne Gloria patri) gebildet. Die 
weitere Entwicklung brachte im 11./12. Jh. als Folge 
der riicklaufigen Beteiligung des Volkes am Opfergang 
den Fortfall der Verse, womit zugleich jene Form er- 
reicht war, wie sie audi in das Missale Pius' V. (1570) 
und in das Vatikanische Graduale Eingang f and (einzi- 
ge Ausnahme: O. Domine Jesu Christe mit Versus 
Hostias et preces aus dem -»■ Requiem). Dagegen blieb 
in der altspanischen Liturgie (wo dem O. das soge- 
nannte Sacrificium entspricht), zum Teil auch in der 
mailandischen Liturgie, die Verkniipfung mit dem 
Versus erhalten. Nach dem Vorbild der alteren liturgi- 
schen Praxis darf der Opferungsgesang beim romi- 
schen MeBgottesdienst seit 1958 wieder mit Psalmver- 
sen, auch in der alten Melodiefassung, gesungen wer- 
den (Instructio der Ritenkongregation vom 3. 9. 1958, 
Artikel 27b). - Die melodische Struktur von Rahmen- 
stiick und Versen verleiht den gregorianischen Offer- 
torien den Rang eines primar eigenstandigen Typus, 
dessen wesentliche Merkmale sich aus der reichen Viel- 
falt seines neumatisch-melismatischen Stils herleiten. 
Neben der meist sehr engen musikalischen Beziehung 
zwischen Hauptteil und Versen (mit teils gemeinsamen 
SchluBbildungen, Phrasen- und Motivrepetitionen 
usw.) ist als besondere Eigenart die in einigen Melodien 
durchgefuhrte (ein- oder mehrfache) Wiederholung 
von Worten oder Wortgruppen zu nennen (Beispiel : 
O. Precatus est Moyses vom 12. Sonntag nach Pfing- 
sten). - Innerhalb der mehrstimmigen Musik fand das 
O. erst seit dem 16. Jh. weitere Verbreitung, nachdem 
der Schritt von der C. f.-gebundenen Bearbeitung 
(fruhe Beispiele im 11. Faszikel der Notre-Dame-Hs. 
W\, -> Quellen) zur C. f.-freien O.s-Motette vollzo- 
gen war. Als bedeutendste Leistungen auf diesem Ge- 
biet gelten Palestrinas Offertoria totius anni (1593) sowie 
die 5-4st. Offertorien von Lassus (Sacrae Cantiones von 
1582 und 1585 u. a.). Wahrend der beiden folgenden 
Jahrhunderte zum glanzvollen Mittelpunkt des Pro- 
prium missae erhoben, gelangte das O. beim Gottes- 
dienst auch in Form eines Orgelstucks oder als kon- 
zertante Einlage mit Begleitung von Instrumenten 
zum Vortrag: eine Entwicklung, die erst im 19. Jh. 
durch die kirchenmusikalische Restauration (->• Cae- 
cilianismus) aufgefangen wurde. 

Ausg. v. O.-Versen : Offertoriale sive versus offertoriorum 
cantus gregoriani, hrsg. v. C. Ott, Tournai 1935, nach Hs. 
Montpellier H 159, 11. Jh. (weitgehend unbrauchbar, vgl. 
U. Bomm OSB in: Arch. f. Liturgiewiss. 1, 1950). 
Lit. : P. Wagner, Einf Uhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I u. Ill, Lpz. 3191 1 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; L. David OSB, Les versets d'offertoire, 
Rev. du chant gregorien XXXIX, 1935; O. Heiming OSB, 
Vorgregorianisch-romische O. in d. mailandischen Litur- 
gie, Liturgisches Leben V, 1938; H. Sidler OMCap., Stu- 
dien zu d. alten O. mh ihren Versen, Freiburg i. d. Schweiz 
1939; W. Lipphardt, Die Gesch. d. mehrst. Proprium 
Missae, Heidelberg 1950; W. Apel, Gregorian Chant, 
Bloomington/Ind. (1958); J. A. Jongmann SJ, Missarum 
Sollemnia II, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 51962; R.-J. 
Hesbert OSB, Un antique offertoire de la Pentecote: »Fac- 
tus est repente«, in: Organicae voces, Fs. J. Smits van 
Waesberghe SJ, Amsterdam 1963 ; G. Baroffio, Die O. d. 
Ambrosianischen Kirche, Diss. Koln 1964; R. Steiner, 
Some Questions About the Gregorian Offertories and 
Their Verses, JAMS XIX, 1966. KWG 

Offizium (lat. officium divinum), das kirchliche Stun- 
dengebet, haufig auch als Breviergebet bezeichnet (al- 
tere Namen : opus Dei, opus divinum, horae canonicae 
u. a.). Seiner liturgischen Aufgabe und seiner Anlage 
nach der Heiligung des vollstandigen Ablaufs von Tag 
und Nacht dienend, ist es offentliches Gebet der Kirche 
und wird innerhalb des romischen Ritus - den jeweili- 
gen Verhaltnissen gemaB - entweder in der feierliche- 



ren Form des gemeinsamen Chorgebets oder als Pri- 
vatrezitation vollzogen. Durch das kanonische Recht 
ist die Verpflichtung zum Stundengebet den Klerikern 
hoherer Weihegrade (vom Subdiakonat an) und alien 
Ordensleuten mit feierlichen Geliibden auferlegt. Dar- 
iiber hinaus sind nach der Liturgiekonstitution des 2. 
-»■ Vatikanischen Konzils auch jene Glaubigen, die das O . 
zusammen mit den Priestern, unter sich oder allein in 
einer approbierten Form verrichten, rechtmafiige Tr'a- 
ger dieses Gebetes (vgl. Artikel 84 und 100). Der Cur- 
sus des romischen und des monastischen O.s umfaBt 
folgende an die Einheit eines natiirlichen Tages gebun- 
denen Stunden(gottesdienste; horae), wobei im ein- 
zelnen zwischen den groBen Horen (horae maiores, im 
folgenden mit * gekennzeichnet) und den kleinen Ho- 
ren (horae minores), heute ferner zwischen einem 
Nacht- und einem Tages-O. (officium nocturnum und 
officium diurnum) unterschieden wird: -> Matutin* 
(Nacht-O.), -> Laudes*, -*■ Prim, -> Terz, Sext, Non, 
-> Vesper*, ->■ Komplet (- 1 ; Tages-O.). HShere Feste 
(seit 1960 auch die Sonntage) haben bereits am Vor- 
tag eine 1. Vesper. - Wahrend die Verrichtung ge- 
meinsamer Gebetsgottesdienste in den ersten Jahr- 
hunderten der christlichen Kirche eine Angelegenheit 
der ortlichen Gemeinden unter Leitung ihrer Ober- 
hirten und ohne festgesetzte Ordnung war, brachte 
das 4. Jh. im AnschluB an den Konstantinischen Frie- 
den (313) und die hierdurch ermoglichte Verbindung 
der Einzelkirchen den Obergang zum liturgischen 
Stundengebet als dem Gebet der Gesamtkirche. Im 
einzelnen vollzog sich dieser ProzeB iiber die Gemein- 
de- oder Bischofskirchen (O. der Kathedralen) und die 
vornehmlich im Orient neu entstandenen Monchsge- 
meinschaften (O. der Monche). Als Grundlage beider 
Traditionsstrome erscheint das Morgengebet (solemni- 
tas matutina oder agenda matutina, auch laudes matu- 
tini oder matutini [psalmi] genannt) und das Abendge- 
bet (lucernarium, bis zum 4. Jh. dem Dank fur den Se- 
gen des Lichtes gewidmet), die beide vermutlich aus 
jiidischer Uberlieferung stammen und sich schon in al- 
tester Zeit nachweisen lassen (Plinius der Jungere, Ter- 
tullian u. a.). In ihnen werden die Friihformen der spa- 
ter als Laudes und Vesper bezeichneten Horae maiores 
greifbar. Eine ebenfalls in den Kathedralkirchen zu 
Ostern und offenbar auch an einigen anderen Festtagen 
abgehaltene Vigilfeier wurde von Monchen besorgt. 
Daneben pflegte man in den Klostern selbst das (ur- 
spriinglich private) Gebet zur Mitternacht (die spatere 
Matutin), ebenso - mit Ausnahme der agyptischen 
Monche - die Terz, Sext und Non. Im Zuge der schon 
bald darauf folgenden Vorverlegung von Laudes und 
Vesper wurde der bisherige Zyklus durch Prim und 
Komplet erganzt, so daB sich das monastische O. allge- 
mein durch groBere Vielfalt auszeichnete (vgl. Salmon, 
S. 342f.), die fiir die Fortentwicklung der orientali- 
schen Liturgieformen maBgebend blieb. Demgegen- 
iiber vollzog sich im Raum der abendlandischen Kirche 
bis zur Mitte des 6. Jh. ein Zusammenwachsen beider 
Traditionen, bei dem das Kathedral-O. weitgehend 
von der Ordnung des monastischen Stundengebets 
durchdrungen wurde. Auch die Basiliken Roms, an de- 
nen Monche vielfach die liturgischen Horen feierten, 
erhielten auf diesem Wege den gesamten Cursus. Als 
dem altesten Zeugnis eines durchorganisierten vollstan- 
digen und taglichen O.s kommt der um 530 verfaBten 
Regula monasteriorum des Benedictus von Nursia zen- 
trale Bedeutung zu. Der hier beschriebene Typus des 
(noch heute bei den Benediktinern, Zisterziensern und 
Kartausern lebendigen) Stundengebets stellt eine Ober- 
nahme und Erweiterung des damals an den romischen 
Basiliken gebrauchlichen O.s dar. Durch karolingi- 



649 



Offizium 



sche Ref ormbestrebungen unterstiitzt, gelangte er auch 
nach England und dem frankisch-germanischen Reich. 
Dem Vorbild des romisch-benediktinischen O.s schloB 
sich ebenfalls die einfluBreiche junge Kanonikerbewe- 
gung an (Regel Ghrodegangs von Metz, 766). Ent- 
scheidende Forderung fand das Bemiihen um litur- 
gische Einheit durch Amalar von Metz (f um 850), 
dessen Antiphonarneuf assung f iir weiteste Bereiche der 
romischen Liturgie vorbildkch wurde. Leider fiihrte 
die standige Aufnahme zusatzlicher Teile (z. B. der 
Gradual- und BuBpsalmen, zahlreicher Heiligenf ormu- 
lare und des Toten-O.s) allmahlich zu einer UbermaBi- 
gen Belastung der einzelnen Horen. Dem stellte der 
papstliche Stuhl nach mehrfachen Ansatzen unter In- 
nozenz III. (1198-1215) mit dem Breviarium secundum 
consuetudinem Curiae Romanae eine erheblich gekiirzte 
Form des Kurien-O.s entgegen. Dank dem Wirken der 
Franziskaner, die ihr Stundengebet nach der »Ordnung 
der heiligen romischen Kirche« verrichteten (Regel aus 
dem Jahre 1223), verbreitete sich dieses neue O. in der 
1 243/44 uberarbeiteten Fassung Hay mos von Faversham 
iiber den gesamten lateinischen Liturgiebereich mit 
Ausnahme der alteren Monchsorden und einiger Son- 
derriten. Die fernere Entwicklung (deren Fakten der 
Geschichte des -> Breviers zugehoren) anderte trotz 
mannigfacher Reformen nichts mehr an der Grund- 
struktur des O.s, sondern betraf nur die verschiedenen 
Elemente der Gebetsstunden (z. B. Anzahl und Vertei- 
lung der Psalmen, Textfassung der Hymnen usw.). 
Erst die gegenwartige Liturgiereform geht dariiber hin- 
aus, indem sie die durch Jahrhunderte iiberlieferte Fol- 
ge der Horen sowie deren Bestandteile einer tiefgrei- 
fenden Neuordnung bzw. Neugestaltung unterzieht 
(vgl. Artikel 87ff. der Constitutio de sacra liturgia vom 
4. 12. 1963). - In der faszinierenden Vielgestaltigkeit 
seines Aufbaus wird das O. hauptsachlich von folgen- 
den Grundelementen getragen: den Psalmen (und 
Cantica) mit ihren Antiphonen, den Responsorien, 
Hymnen und Lesungen. Mit ihnen verbindet sich zu- 
gleich der ganze Reichtum des einstimmigen liturgi- 
schen Gesanges, angefangen vom Rezitativ der Lektio- 
nen iiber die modellgebundenen (eigenen) Formen der 
Psalmodie (-> Psalmtone) und den Typus der O.s-An- 
tiphon bis zu den auBerst kunstvollen Responsoria pro- 
lixa der Matutin u. a. (-* Responsorium, -> Hymnus - 1 , 
-> Versikel). Der Melodienbestand ist im -*■ Antipho- 
nale enthalten, dessen moderne Ausgaben jedoch nur 
das Tages-O. umfassen. Den vollstandigen Text bringt 
das -> Brevier. - In mittelalterlichen Quellen spani- 
scher, englischer und gallikanischer Herkunft bezeich- 
net das Wort officium den -+ Introitus der Messe (so 
noch heute im mozarabischen Ritus, bei den Kartau- 
sern, Karmeliten und Dominikanern). AuBerdem wur- 
dees-seitdeml4.Jh.nachweisbar-inpolyphonenMeB- 
kompositionen alsName fiir das ganze Proprium missae 
verwendet (Abtei Engelberg, Ms. 314, f. 18: Officium 
id est Introitus, Graduate, Offertorium et Communio . . .), 
aber auch als Bezeichnung des Ordinarium missae. 
Ausg.: Corpus antiphonalium officii, hrsg. v. R.-J. Hes- 
bert OSB, Bd I— II, Mss. »Cursus Romanus« u. Mss. »Cur- 
sus Monasticus«, = Rerum Ecclesiasticarum Documenta, 
Series Maior, Fontes VII-VIH, Rom 1963-65; Amalarii 
Episcopi opera liturgica omnia, hrsg. v. J. M. Hanssens 
S J, Bd III (darin : Liber de ordine antiphonarii), Rom 1 950. 
Lit.: S. Baumer OSB, Gesch. d. Breviers, Freiburg i. Br. 
1 895, erweitert frz. v. R. Biron als : Hist, du breviaire, 2 
Bde, Paris 1905, Nachdruck Freiburg i. Br. 1967; P. Wag- 
ner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, 
Lpz. 3 191 1 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; ders., Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach 
GattungenXI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963; 
J. Pascher, Das Stundengebet d. romischen Kirche, Miin- 



chen (1954) ; J. A. Junomann SJ, Der Gottesdienst d. Kir- 
che, Innsbruck, Wien u. Munchen 1955, 31962; ders., Li- 
turgisches Erbe u. pastorale Gegenwart, ebenda 1960; P. 
Salmon, Das Stundengebet, in: Hdb. d. Liturgiewiss. II, 
hrsg. v. A.-G. Martimort, Freiburg i. Br., Basel u. Wien 
(1965). KWG 

Ohr. Das menschliche Hororgan besteht aus auBerem 
O., Mittel- und Innen-O. Die O.-Muschel miindet in 
den etwa 3 cm langen Gehorgang, dessen Ende durch 

duOeresQ. MitM-0. fonen-0. 

Hammer AmbaBiSteigbuoet I 




Eustochische Rdhre 



das Trommelfell verschlossen ist. Dieses besteht aus 
einer annahernd ovalen Membran (groBer Durchmes- 
ser etwa 10 mm), die straff iiber einen knochernen Rah- 
men gespannt und nach innen konisch gewolbt ist. Am 
Trommelfell greift die GehorknSchelkette des Mittel- 
O.es an (Hammer, AmboB und Steigbiigel). Bei Schall- 
einwirkung iibertragt sie die entstehenden Vibrationen 
des Trommelfells auf das Innen-O. Die FuBplatte des 
Steigbiigels sitzt auf dem »ovalen Fenster« und erregt 
die Innenohrfliissigkeit (Lymphe). Da etwa 55 mm 2 
des Trommelfells als wirksame Flache anzusehen sind 
und die SteigbiigelfuBplatte nur eine Grundflache von 
3,2 mm 2 hat, ist (da Kraft gleich Druck mal Flache) 
der auf die Perilymphe einwirkende Druck rund 
20mal so groB wie der auBere Uberdruck auf das Trom- 
melfell. Experimentelle Beobachtungen (G. v.Bekesy) 
lassen vermuten, daB die Knochelkette in eine andere 
Schwingungsform iibergehen kann, wenn niedrige 
Frequenzen groBer Amplitude einwirken (z. B. Don- 
ner), wodurch sie vor Beschadigung geschutzt wird. 
Das spiralenformige Innen-O. (Schnecke) ist mit 21/2 
Windungen etwas mehr als 3 cm lang. Der Hohlraum 
der Schnecke wird der Lange nach durch eine Trenn- 
wand geteilt, die teils knochern, teils membranos (Ba- 
silarmembran) ausgebildet ist. An ihrem auBeren Ende 



Beissncrsche Membran 



Cortisches Organ 
'mit Sinneszetten 



Basitormembran 



ist die Trennwand unterbrochen (Helicotrema), so daB 
eine Verbindung zwischen der Flussigkeit des oberen 
und des unteren Hohlraums besteht. Das den unteren 
Hohlraum mit einer Membran verschlieBende »runde 
Fenster«, das dicht neben dem ovalen liegt, sorgt fiir 
den Druckausgleich. Auf der Basilarmembran, die an 
den Fenstern ca. 16 mm und am Helicotrema 0,5 mm 




650 



Oktave 



breit ist, befindet sich das Cortische Organ; es besteht 
aus mehreren Reihen von je ca. 3500 Sinneszellen. Sie 
sind mit der entsprechenden Zahl von Nervenfasern 
verbunden, welche zusammengefaBt als Hornerv zum 
Horzentrum des Gehirns fiihren. - Bei Schalleinwir- 
kung laufen Wellen durch die Lymphe der Schnecke 
und fiihren zu lokalenErregungen derBasilarmembran. 
Trifft eine Sinusschwingung auf das Trommelfell, so 
kann man mit Hilfe einer hochentwickelten operativen 
Mikroskoptechnik (Abbildung nach G.v.Bekesy) auf 
der Basilarmembran Stellen maximaler Erregung fest- 
stellen, die mit wachsender Frequenz vom Helicotrema 
zu den Fenstern riicken. 



3 
2 

i 

o 

3 
2 

1 


3 - 
2 - 
I - 

- 
3 

2 

1 - 


3 

2 - 
I 



3 l 
2 



+—^ 
3 - 

2 - h 

1 - 

o 4— == 




Die Breite dieser erregten Stellen und die Dampfung 
der Basilarmembran sind allerdings so groB, daB sich 
zwar die kurze Tonkennzeit, nicht aber die hohe Se- 
lektivitat beziiglich des Tonhohen-Unterscheidungs- 
vermogens erklaren laBt (->■ Hortheorie). Die Nerven- 
zellen senden bei Erregung elektrische Impulse aus, die 
im Hornerv nachweisbar sind. Je intensiver die Reizung 
ist, um so mehr Nervenzellen werden erregt. Die 
Uberlagerung aller Impulse zeigt eine Synchronisation 
mit der Frequenz. - Die Empfindlichkeit des Gehors ist 
stark frequenzabhangig. Bei etwa 1000 Hz erreicht sie 
ihr Maximum und nimmt bei tiefen und hohen Fre- 
quenzen stark ab (-> Horschwelle). Auf Druckschwan- 
kungen unter ca. 10 Hz spricht das Gehor nicht an. Die 
obere Frequenzgrenze liegt bei jungen Menschen etwa 
um 20000 Hz. Mit zunehmendem Alter verschiebt sie 
sich nach tieferen. Frequenzen (50 Jahre ca. 12000 Hz, 
70 Jahre ca. 5000 Hz). Diese Veranderungen gehen auf 
den Schwund von nervosen Elementen im Innen-O. 
und im Gehirn zuriick; sie sind individuell verschie- 
den. Bei diesen und ahnlichen Storungen kann heute 
Besserung meist durch elektroakustische Horhilfen ge- 
bracht werden. Bei Storung der Schallzuleitung durch 
Verwachsung und Defekte des Schallzuleitungsappa- 
rates ist operative Hilfe mSglich. 
Lit. : G. v. Bekesy, Zur Physik d. Mittelo. u. iiber d. Horen 
bei fehlerhaftem Trommelfell, Akustische Zs. I, 1936; 
ders. u. W. A. Rosenbuth, Mechanical Properties of the 
Ear, in: Hdb. of Experimental Psychology, hrsg. v. St. Sm. 
Stevens, NY 1951 ; O. Fr. Ranke, Physiologie d. Gehors, 
in: Lehrbuch d. Physiologic hrsg. v. W. Trendelenburg u. 



3E 



E. Schutz, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1953; F. J. Mei- 
ster, Akustische MeBtechnik d. Gehorpriifung, = Wiss. 
Bucherei . . . d. MeBtechnik, Abt. 7 D 3, Karlsruhe 1954; 
R. Feldtkeller u. E. Zwicker, Das O. als Nachrichten- 
empfanger, = Monographien d. elektrischen Nachrichten- 
technik XIX, Stuttgart 1956; F. Trendelenburg, Einfuh- 
rung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1961. 

Okarjna (von ital. oca, Gans), eine zuerst um 1860/80 
von dem Italiener G. Donati in Budrio gebaute Gef aB- 
flote aus Ton. Die O. hat die Gestalt etwa einer ge- 
schlossenen Muschel, eines Eis oder eines Vogels. Sie 
hat eine Reihe (meist 8-10) Grifflocher, einen Schnabel 
zum Anblasen und gelegentlich Klappen oder Stimm- 
ziige. Ihr Ton ist sanft und stumpf, etwa dem einer ge- 
dackten Orgelpfeife ahnlich. Die O. ist als Karnevals- 
pfeife in Italien, als Kinderspielzeug in vielen Landern 
bekannt. 

Oktave (lat. octava, achte), die 8. Stufe in diatonischer 
Folge, die mit demselben Tonbuchstaben bezeichnet 
wird wie der Ausgangston. Die musi- i 
kalische Praxis kennt die O. als rein, (fa 
vermindert und ubermaBig. In der al- *^ ^ " 
testen Theorie der Griechischen Musik (bei Philolaos) 
heiBt die O. -> Harmonia, erst spater ->■ Diapason (- 1). 
Die Saitenteilung demonstriert die O. als einfachste 
Proportion (1:2); physikalisch ist die O. der 1. Ober- 
ton. Im Tonsystem der abendlandischen Musik gilt, 
daB Tone im Oktavabstand, wie schon durch deren 
gleiche Benennung ausgedriickt wird, als Tonquali- 
taten identisch sind und sich nur in der Tonhohe un- 
terscheiden. Dem entspricht die Wertung der O. als 
Konsonanz mit dem hochsten Verschmelzungsgrad. 
Oktavverdopplung einer Stimme begriindet keine 
Mehrstimmigkeit, sondern dient zur Verstarkung oder 
Farbung des Klanges; im mehrstimmigen Satz gelten 
Oktavparallelen als besonders schwerer Fehler. Der 
Sonderstellung der O. (und Doppel-O.) trug Ptole- 
maios (1, 7) dadurch Rechnung, daB er sie als homopho- 
nes Intervall (-> Homophonie) von den symphonen 
(Quinte und Quarte) unterschied. Im 18. jh. war die 
Identitat der Tone des Oktavintervalls Gegenstand des 
Streites zwischen L.Euler (der sie in seiner mathema- 
tischen, auf der kontrapunktischen Intervallehre basie- 
renden Theorie negierte) und J.-Ph. Rameau (der sie in 
seiner auf der Entdeckung des Dreiklangs als principe 
de l'harmonie beruhenden Theorie behauptete) . Wenn- 
gleich seit der griechischen Antike die Darstellung des 
Tonsystems im allgemeinen von der O. ausgeht und 
die Intervalle durch Oktavteilung, die Tonarten durch 
Systematisierung der Oktavgattungen gewonnen wer- 
den, ist doch diese Vorrangstellung der O. nicht iiber- 
all gegeben. Die HSrpsychologie hat nachgewiesen, 
daB die Wahrnehmung der O. durch Veranderung der 
Lautstarke beeinfluBt werden kann und an den Grenzen 
des Horbereichs unscharf wird. Skalen und Tonsyste- 
me, in denen die O. keine konstituierende Bedeutung 
hat, gibt es nicht nur in der auBereuropaischen Musik, 
sondern auch im Byzantinischen Gesang (Pentachord- 
und Tetrachordsystem), im Russischen Kirchengesang 
(Trichordsystem) sowie in der westeuropaischen Mu- 
sik des Mittelalters (Tetrachordsystem der Musica En- 
chiriadis, -> Dasia-Zeichen). - In der modernen Praxis 
bedeutet O. auch die Gesamtheit der innerhalb eines 
Oktavintervalls (mit C als Grenzpunkt) liegenden To- 
ne. Zur Bezeichnung der absoluten Tonhohe sind der 
Tonbuchstabe und die Angabe des betreffenden Ok- 
tavbereichs notwendig, z. B. GroBes A. Nach der heute 
gebrauchlichen Schreibweise der Tonbuchstaben 
(->■ Buchstaben-Tonschrift) heiBen die Oktavbereiche : 
Subkontra-(oderDoppelkontra-)0., Kontra-O., groBe 
O., kleine O., eingestrichene O. usw. Sie werden durch 



651 



Oktavhorn 



groBe oder kleine Buchstaben und dvirch beigefiigte 
Striche oder Zahlen gekennzeichnet (z. B. Subkontra-A 
als 2 A, A oder „A ; dreigestrichenes C als c3,"coder c'" ; 
-*■ Tonsystem). 

In der Orgel heiBen O. ->■ Prinzipal-Register mit hohe- 
ren -»■ FuBtonzahlen in Oktavabstanden iiber dem ba- 
sierenden Prinzipal des Werkes, auf Prinzipal 8' also 
in 4'-, 2'- und l'-Lage, im Pedal als OktavbaB 8' ge- 
baut. Der 4' heiBtfrz. prestant (praestant), span, octava 
(clara und general), ital. octava. Der 2', die Super-O., 
heiBt span, quincena, ital. quinta decima (vom 8' aus 
gerechnet), frz. doublette, was darauf hinweist, daB 
Doublette friiher ein doppelchoriges Register war. Da- 
her nennt Dom Bedos die einchorige O. 2' auch Dou- 
blette simple. In der l'-Lage heiBt O. auch Oktavlein. 
Oktavbetonte Mischregister sind Oktavmixtur, Ok- 
tavzimbel, Oktavkornett. 

Oktavhorn (ital. cor alto), Oktavwaldhorn, ein nach 
Planen von H.Eichborn durch E. C. Heidrich (Breslau 
1883) gebautes kleineres Horn (hoch F). Es unterschei- 
det sich vom gewohnlichen Waldhorn auBer durch 
hohere Stimmung durch groBere Stiirze und ein wenig 
weitere Mensur; ferner ist ein 4. Ventil (Quartventil) 
angebracht, damit die Tone zwischen dem 1. und 2. 
Naturton hervorgebracht werden konnen. 

Oktett (ital. ottetto; frz. octette, octuor; engl. octet), 
eine Komposition fur 8 solistisch konzertierende In- 
strumente; seltener sind O.e fur solistisch besetztes 8st. 
Vokalensemble; auBerdem heiBt O. eine Vereinigung 
von 8 Instrumentalsolisten. Vom Doppelquartett 
(-»• Streichquartett) unterscheidet sich das O. dadurch, 
daB nicht 2 Quartettgruppen sich gegeniiberstehen, 
sondern die Instrumente frei kombiniert werden kon- 
nen. Die Komponisten der 2. Halfte des 18. Jh., auch 
J. Haydn, W.A.Mozart und der junge Beethoven (op. 
103, erst 1830 posthum veroffcntlicht als Grand Octuor), 
schrieben Werke fur 8st. Blaserensemble (-* Harmo- 
niemusik), die noch in die Gattungen Divertimento 
bzw. -> Serenade einzuordnen sind; der von der Zahl 
der Mitwirkenden abgeleitete Werktitel O. wird erst 
im 19. Jh. allgemein tiblich. Das bedeutendste dieser als 
Kammermusik mit groBer Besetzung konzipierten 
Werke ist Schuberts op. 166 (2 V., Va, Vc, Kb., Klar., 
Horn, Fag.) ; reine Streicherbesetzung weisen Mendels- 
sohns op. 20 und Schostakowitschs op. 11 auf (je 4 V., 
2 Va, 2 Vc). Aus neuerer Zeit sind auBerdem zu nennen 
Strawinskys Octuor (Fl., Klar., 2 Fag., 2 Trp., 2 Pos.), 
Vareses Octandre (Fl., Klar., Ob., Fag., Horn, Trp., Pos., 
Kb.) und Hindemiths O. (Klar., Fag., Horn, V., 2 Va, 
Vc, Kb.). 

Oktoechos (System der »acht Tonarten«) heiBt das 
Tonsystem des Byzantinischen Gesangs. In ubertrage- 
ner Bedeutung bezeichnet O. auch ein liturgisches 
Buch (GroBer O. oder Parakletike), das die Gesange fiir 
die Sonn- und Werktage enthalt. Denn der byzan- 
tinische Ritus kennt neben dem Jahreskalender mit 
beweglichen und fixierten Festen auch einen Zyklus 
von 8 Wochen, der zu Ostern beginnt und mit der 
Zahl der Tonarten verbunden ist, so daB dieses Buch 
aus 8 Teilen besteht (fiir je eine Woche) und nach der 
8. Woche, deren Gesange in der IV. plagalen Tonart 
stehen, wieder mit der 1. Woche und in der I. authenti- 
schen Tonart begonnen wird. Jeder Tag derWoche hat 
seine eigene Bestimmung : der Sonntag ist der Feier der 
Auferstehung Jesu Christi geweiht, der Montag den 
Engeln, der Dienstag Johannes dem Taufer, Mittwoch 
und Freitag der Kreuzigung Jesu Christi, der Donners- 
tag den Aposteln und dem hl.Nikolaus, der Samstag 
dem Gedachtnis der Heiligen und der Toten. Die Ge- 



sange dieses Buches (mit Ausnahme derjenigen zum 
Sonntag und einiger anonymer zu den Wochentagen) 
stammen von Joseph dem Hymnographen (um 816-86) 
und von Theophanes (778-845), die Kanones triadikoi 
des Mesonyktikon am Sonntag von Metrophanes (9. 
Jh.). Die Zusammenstellung der Parakletike, die in die- 
ser Anordnung noch heute gedruckt wird, geht also 
auf das 9. Jh. zuriick; nur das Sonntagsoffizium ist al- 
ter: seine Kanones anastasimoi verfaBte Johannes von 
Damaskus (um 650 - um 750), die Stauroanastasimoi 
teils derselbe, teils Kosmas von Maiuma (8. Jh.), teils 
vielleicht ein anderer Hymnograph jener Zeit. Die Ka- 
nones theotokioi sind - mit einer Ausnahme - anonym. 
Unter den Stichera zur Vesper und zu Matutin und Lau- 
des bilden die »alten« Stichera anastasima mit den Dog- 
matika und dem ersten Apostichos den urspriinglichen 
Kern, aus dem der Sonntagsteil des O. entstand. Hierzu 
gehoren auch die Stichera anatolika, deren Zuschrei- 
bung und Entstehung noch umstritten sind, und die 
Aposticha mit einem alphabetischen Akrostichon sowie 
die Theotokia, die mit Sicherheit Johannes von Damas- 
kus zuzuschreiben sind. - Das Tonsystem des O. besitzt 8 
charakteristische Tonarten, 4 authentische (»herrschen- 
de«) und 4 plagale (»seitliche«, weil sie nach den Theo- 
retikern von den authentischen abgeleitet sind). Be- 
zeichnet werden sie mit den 4 ersten Buchstaben des 
griechischen Alphabets; fiir die plagalen Tonarten 
wird 7tX. (Abk. fiir 7rXayi.o?) vorangestellt. Die Reihen- 
folge der Tonarten ist: ^)x°? a' (I. authentische), 9jxo? |3' 
(II. authentische), ^x ? Y (HI- authentische), 3JX ? 8' 
(IV. authentische), 9)x°S rcX. a' (I. plagale), 9jxo? ttX. (3' 
(II. plagale), ^x°? P a P"? (tiefe), 9jx°C tX. 8 (IV. 
plagale). Die III. plagale Tonart heiBt allgemein »tie- 
fe«. In Analogie zu den Tonarten des griechischen Al- 
tertums erhielten sie die Namen: Stopio? (dorisch), Xu- 
Sio? (lydisch), <ppiiyto? (phrygisch), (it^oXuStoi; (mixo- 
lydisch), u7toStopio<; (hypodorisch), iotoXuSioi; (hy- 
polydisch), uraxppuyto? (hypophrygisch), utcojxi^oXu- 
8io? (hypomixolydisch). Die Frage des Zusammen- 
hangs von mittelalterlichem und antikem Tonsystem 
ist im byzantinischen Kirchengesang ebenso schwierig 
wie im Gregorianischen Gesang und bildet den Ge- 
genstand zahlreicher Untersuchungen. In der Theo- 
rie erschopft sich das System nicht in den 8 Hauptton- 
arten. Es gibt weitere 8 Tonarten, die [jtlaoi (mittle- 
ren), 4 authentische und 4 plagale, deren Grundtone 
samtlich im Tetrachord fl-h 1 liegen, wogegen bei den 
charakteristischen Tonarten des O. die plagalen Grund- 
tone das Tetrachord d'-g 1 , die authentischen das Tetra- 
chord ai-d 2 einnehmen. Zu jeder authentischen Haupt- 
tonart gehort eine mittlere plagale Tonart, deren 
Grundton die Terz zwischen den Grundtonen der au- 
thentischen und der zugehorigen plagalen Haupttonart 
ist. Demgegeniiber haben die plagalen Haupttonarten 
eine mittlere authentische Tonart mit derselben Terz 
als Grundton. Der Grundton ist also der mittleren au- 
thentischen und der zugehorigen mittleren plagalen 
Tonart gemeinsam. Dieses Zusammentreffen ist da- 
durch zu erklaren, daB man im byzantinischen Gesang 
von einem gegebenen Ton aus den Grundton einer ver- 
wandten Tonart durch aufsteigende (von der plagalen 
zur authentischen) oder absteigende Bewegung (von 
der authentischen zur plagalen Tonart) erreicht. Zur I. 
authentischen Tonart gehort als mittlere die »tiefe« 
(Grundton f 1 ), zur I. plagalen die III. authentische (f 1 ), 
zur II. authentischen die IV. plagale (gl), zur II. plagalen 
die IV. authentische (gl), zur III. authentischen die I. 
plagale (a 1 ), zur »tiefen« die I. authentische (a 1 ), zur IV. 
authentischen die II. plagale (h 1 ) und zur IV. plagalen 
die II. authentische (h 1 ). Somit ergeben sich 16 Tonar- 
ten, denen spater noch 2 weitere hinzugefiigt wurden, 



652 



Ombra-Szene 



der A^ye-roc; und der vevavti, so daB eine Gesamt- 
zahl von 18 Tonarten erreicht wurde. Von den mittle- 
ren Tonarten sind jedoch in den Handschriften bisher 
nur die II. und die IV. nachgewiesen. Die IV. mittlere 
Tonart hat vorzugsweise den Grundton c 2 . 
Wenn in die heutige Notenschrift mit a ah Ausgangs- 
punkt iibertragen und die Doppeloktave a-a 2 zugrunde 
gelegt wird, so sind die Grundtone der Haupttonar- 
ten (foot): 

tiefes Tetrachord authentisch 

I n m IV 




hohes Tetrachord 

Das Beispiel zeigt, daB die plagalen Grundtone eine 
Quinte unter den authentischen liegen und die Oktave 
dadurch in 2 unverbundene Tetrachorde di-gi und 
ai-d 2 geteilt wird. 

Das Studium der altesten Gesange, die aus charakteri- 
stischen musikalischen Formeln zusammengesetzt sind, 
fiihrt zu dem SchluB, daB verschiedene Tonsysteme im 
Gebrauch waren: das Oktavsystem (tgSv SiaTcacrtov) 
und das Pentachordsystem (tpoy6i;, »Rad«). Im Ok- 
tavsystem besteht jede Tonart aus einem Pentachord 
und einem Tetrachord, wobei in den authentischen 
Tonarten das Tetrachord iiber, in den plagalen dage- 
gen unter dem Pentachord steht: 




plagale 
Tonarten 



Das zweite System besteht aus einer ununterbrochenen 
Folge verbundener Pentachorde, deren Ausgangspunkt 
und Muster das Pentachord d'-a 1 ist. Infolgedessen be- 
ginnt (bei Obertragung in westliche Notation) das Sy- 
stem mit g, und es ergibt sich in der unteren Oktave b 
(statt h), in der oberen fis 2 (statt f 2 ) : 
Musterpentachord 




Nach dem gegenwartigen Stand der Forschung findet 
sich in den altesten Handschriften ausschliefilich das 
diatonische Tongeschlecht. Ob das chromatische und 
das enharmonische Tongeschlecht in den Gesangen der 
kukuzelischen Epoche verwendet wurden, ist noch 
nicht erwiesen. - Auch im modernen Byzantinischen 
Gesang sind 8 Haupttonarten gebrauchlich, dazu der 
X£yetoc;, der zu einer Variante der IV. authentischen 
Tonart geworden ist (wogegen er im letzten Stadium 
der kukuzelischen Epoche eine andere Erscheinungsart 
der II. authentischen Tonart war). Die vsvavw-Tonart 
ist eine chromatische II. plagale Tonart mit dem 
Grundton g 1 . Die Grundtone der verschiedenen Ton- 
arten sind zum Teil anders als die in den alteren Ge- 
sangen und Handschriften ublichen (wie sie oben dar- 
gestellt sind). An Tonsystemen nennen die Theoretiker 
das Oktavsystem mit der Oktave d'-d 2 als Ausgangs- 
punkt, das Pentachordsystem (»Rad«) mit dem Penta- 
chord d'-ai und das Tetrachordsystem mit dem Tetra- 
chord c'-f 1 als Ausgangspunkt. Diese drei gelten fur 
das diatonische Tongeschlecht; im chromatischen und 
im - wenigstens theoretisch moglichen - enharmoni- 
schen Tongeschlecht sind einige andere Tonsysteme 



zugelassen. - Es ist nicht bekannt, wer das System des 
O. aufgestellt hat. Die alten Handschriften iiberliefern 
die rationale Ausarbeitung eines zuvor in mundlicher 
Uberlieferung verbreiteten Systems. Der Zeitpunkt 
dieser Ausarbeitung darf nicht lange vor der Lebenszeit 
des Johannes von Damaskus angesetzt werden, den die 
Tradition als Erfinder des Systems nennt; doch fehlt es 
noch an geniigend sicheren Argumenten zur Losung 
der Frage, wem das System zuzuschreiben ist. 
Ausg.: (aus d. »GroBen 0.«): The Hymns of the O., hrsg. 
v. H. J. W. Tillyard, = Monumenta Musicae Byzantinae, 
Transcripta III u. V, {Copenhagen 1940-49. 
Lit.: (zum Tonsystem): Chrysanthos v. Madytos, 6ew- 
pnxiKdv ueya xf\<; uouctikt!?, Triest 1832; H. Gaisser 
OSB, Le systeme mus. de l'eglise grecque . . . , Rev. b6ne- 
dictineXVI, 1899 -XVIII, 1901, separat Rom 1901 ; ders., 
L'origine du »tonus peregrinus«, Kgr.-Ber. Hist, de la 
musique, Paris 1900; ders., L'origine et la vraie nature 
du mode dit »chromatique oriental«, ebenda; J.-B. Thi- 
baut OSB, Assimilation des »Echoi« byzantins et des mo- 
des lat. avec les anciens tropes grecques, ebenda; ders., Le 
systeme tonal de l'eglise grecque, Rev. d'hist. et de critique 
mus. II, 1902 ; H. J. W. Tillyard, The Modes in Byzantine 
Music, in: Annual of the British School at Athens XXII, 
1916-18 ; E. Wellesz, Die Struktur d. serbischen O..ZfMw 
II, 1919/20; C. Hoeg, La theorie de la musique byzantine, 
Rev. des etudes grecques XXXV, 1922; C. Maltezos, Sur 
les gammes diatoniques . . . , Praktika de l'Acad. d' Athenes 
VI, 1 929 ; A. Gastoue, fjber d. acht Tone ... , KmJb XXV, 
1930; K. Papademetriou, Ot xp6itoi xfl? puCavxivfl? 
uoumKfjc;, Athen 1933; M. Merlier, Etude de musique 
byzantine, = Bibl. mus. du musee Guimet . . ., Serie II, 2, 
Paris (1937); O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d. 
fruhen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; L. Tardo, L'antica 
melurgia bizantina, Grottaferrata 1938; ders., L'ottoeco 
nei mss. melurgici, ebenda 1955 ; O. Tiby, La musica bizan- 
tina, = Letteratura mus. XIII, Mailand 1938; O. Strunk, 
The Tonal System of Byzantine Music, MQ XXVIII, 1942; 
E. Werner, The Origin of the Eight Modes of Music (O.), 
Hebrew Union College Annual XXI, 1948; ders., The 
Sacred Bridge, London u. NY 1959; B. Di Salvo, Lo 
sviluppo dei modi della musica bizantina . . . , Atti dell' 
VIII Congresso internazionale di Studi bizantini, Bd VIII, 
2, Rom 1953. BDS 

Oldenburg i. O. 

Lit. : J. Wolfram, Gesch. d. O.er Singver. v. 1821-96 nebst 
einem einleitenden Beitr. zur Gesch. d. Musik in O. ... 
(1603-1821), 0. 1896; C. Sachs, Archivalische Studien zur 
norddeutschen Mg. , 1 . Die O.er Hof kapelle, Zf Mw 1, 1 9 1 8/ 
19; G. Linnemann, Mg. d. Stadt O., = O.er Forschungen 
VIII, O. 1956; W. Kaufmann, Die Org. d. alten Herzog- 
tums O., ebenda XV, 1962; W. Braun, Musik am Hof d. 
Grafen Anton Gtinther v. O. (1603-67), O.er Balkenschild 
Nr 18/20, 1963. 

Old Hall-Codex -» Quellen: OH. 

Olifant (eigentlichElefant), ein aus dem Orient stam- 
mendes, im 10./1 1 . Jh. im Abendland gebrauchtes stark- 
tonendes Signalhorn aus Elfenbein, das zu den Wert- 
stiicken des Ritters zahlte. Der O. war meist von kan- 
tiger Gestalt und reich mit Schnitzereien versehen. 
Lit.: Fr. Brucker, Die Blasinstr. in d. altfrz. Lit., = Gie- 
Dener Beitr. zur romanischen Philologie XIX, GieBen 1 926; 
E. Closson, L'o., La Rev. beige III, 4, 1926. 

Olmiitz (Olomouc, Tschechoslowakei). 
Lit. : A. Neumann, Pfispevky k dejinam hudby a zpevu pfi 
olomouck6 katedrale (»Beitr. zur Gesch. d. Musik u. d. 
Gesangs d. O.er Kathedrale«), Briinn 1940; R. Quoika, 
Die Org. zu St. Mauritius in O., = Org.-Monographien 
XXIX, Mainz 1948; V. Gregor, Hudebni vlastiveda olo- 
mouckeho kraje (»Die mus. Heimatkunde d. O.er Krei- 
ses«), O. 1956. 

Ombra-Szene (ital. ombra, Schatten), eine in sich 
geschlossene, dramatische Gesangsszene, in der Schat- 
ten- und Geisterbeschworungen, Unterwelt, Friedhof , 
Begrabnis dargestellt werden. Die O.-Sz. basiert auf 



653 



ondeggiando 



dem -* Accompagnato, das um 1640 von den Vene- 
zianern in die Oper eingefiihrt wurde und neue Aus- 
drucksmoglichkeiten erschloB. Als erste O.-Sz. gilt die 
Medea-Szene in Cavallis Giasone (1649). Dreiklangs- 
melodik (meistens Es dur), Generalpausen und tiefe 
Streicherklange (Tremolo) wurden zu typischen Mit- 
teln zur Erregung des Schauers. Charakteristisch wird 
die Fuhrung der Singstimme, die sich gem in abgerissenen 
Exklamationen ergeht und die sich fast regelmafiig bei dem 
Eintritt des Wortes wmbra« mit seinen stereotypen Pradika- 
ten (pallida, sanguinosa, cara, diletta usw.) auf langgezo- 
gene Noten festsetzt (H.Abert, S. 137). Besondere 
Klangeffekte werden durch exponiert eingesetzte Blas- 
instrumente erreicht (Oboe, Trompete, Flote, Fagott; 
letzteres z. B. bei Hasse, Handel und in der O.-Sz. Si 
aspetta, o cara ombra in Glucks Orfeo, 3. Akt). Besonders 
Jommelli (Astianatte, 1740) und ebenso Traetta haben 
die Ausdruckskunst der O.-Sz.n gesteigert. Mozart 
schrieb O.-Sz.n in Mitridate xm&Lucio Silla. Mit der O.- 
Sz. verwandt ist das -> Lamento ; bei Hasse (Artaserse, 
2. Akt) kommt es zur Verschmelzung beider Typen. 
Auch die Ombra-Arien (z. B. bei Handel Radamistos 
Ombra cara, Rodelindas Ombre, piante, Alcinas Ombre 
pallide) zeichnen sich oft durch neuartige melodische 
und harmonische Wendungen aus. Vielfach werden 
Klarinetten und Horner (z. B. in Mozarts Idomeneo, 
Arie Nr 6) sowie Posaunen (auch sordiniert) verwendet. 
Lit. : H. Abert, N. Jommelli als Opernkomponist, Halle 
1908; H. Goerges, Das Klangsymbol d. Todes im drama- 
tischen Werk Mozarts, = Kieler Beitr. zur Mw. V, Wol- 
fenbiittel 1937. 

ondeggiando (ondedd3'ando, ital., auch ondeggia- 
mento, ondeggiare; frz. ondule, gewellt) bezeichnet 
beim Streichinstrumentenspiel im allgemeinen das 
durch periodische Druckverstarkungen und -vermin- 
derungen mit dem Bogen (ohne Strichwechsel) er- 
zeugte An- und Absc hwelle n des Tones, gefordert 
durch eine Wellenlinie JWJJ (die Tonwiederholungen 
bedeuten kein Absetzen, sondern markieren den Rhy th- 
mus der Tonverstarkungen), doch auch, ahnlich wie 
-> portato, durch Punkte und Bogen (vgl. Schenk). Be- 
schrieben ist diese Vortragsart, teilweise unter anderen 
Bezeichnungen, u. a. von C. Farina (Spielanweisung zu 
seinem Capriccio stravagante, 1627), BrossardD (Artikel 
Tremolo; danach Mattheson 1739 sowie Rousseau 
1768, Artikel Tremblement), L.Mozart (ohne fixierte 
Benennung). J.S.Petri (1767) und KochL (Ondeggia- 
mento ist gleichgesetzt mit Tremolo und Bebung), 
Dard (1769: Tremblement d'orgue) und von Bail- 
lot (1834; unter dem auch das Vibrato und die Kom- 
bination von O. und Vibrato umfassenden Begriff der 
Ondolation). J. G.Kastner (Traite general d' instrumen- 
tation, Paris 1837) beschreibt o. unter der Bezeich- 
nung Les sons ondules als Druckverstarkungen mit dem 
Bogen, auf jeder Zahlzeit ein- oder zweimal (vgl. Car- 
se, mit Beispiel). In Kompositionen ist o. als Vortrags- 
anweisung seit den Sonate concertate in stile moderno 
(1621-44) von D.Castello haufig zu belegen, z. B. bei 
B.Montalbano (Sinfonie ..., 1629), J.-B.Lully (Isis, 
1677), Chr. Cannabich (Ballett Renaud et Armide, 1769), 
J. Stamitz (op. 1 Nr 3). - Bei J.J. Walther steht die An- 
weisung o. unmittelbar neben einer mit -» Bariolage 
zu spielenden Stelle (Beispiel aus 
Walthers Scherzi da violino solo, Nr 8, 
1676) und deutet offenbar Saiten- 
wechsel an durch wellenartige Be- 
wegung des Bogens ohne Absetzen oder Strichwechsel. 
Auch bei Torelli bezieht sich o. auf die wellenformige 
Bewegung des Bogens (beim ->- Arpeggio; vgl. Boy- 
den). Telemann uberschreibt zwei Satze in seinen Me- 




thodischen Sonaten (1728, Nr 5; 1732, Nr 2) mit o. bzw. 

0. ma non adagio. - BrossardD und nach ihm WaltherL 
verstehen unter ondeggiare die Dirigierbewegung zwi- 
schen Nieder- und Aufschlag, die bei mehr als 2zeitigen 
Taktarten die zwischen erster und letzter Zahlzeit lie- 
genden Zahlzeiten markiert. 

Lit. : K. Gerhartz, Die Violinschule u. ihre mg. Entwick- 
lung bis L. Mozart, ZfMw VII; 1924/25; A. Carse, The 
Orch. in the XVIII" 1 Cent., Cambridge 1940, Nachdruck 
1950; E. Schenk, Zur Auffuhrungspraxis d. Tremolo bei 
Gluck, Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962); D. D. Boyden, 
The Hist, of V. Playing, London 1965. 

Ondes musicales oder Ondes Martenot (frz. onde, 
Welle), ein von dem franzosischen Musikpadagogen 
und Radiotechniker ->• Martenot konstruiertes elektro- 
nisches Tasteninstrument, das nur fiir einstimmiges 
Spiel geeignet ist, sich jedoch durch die Variabilitat der 
KJangfarbe auszeichnet. Dem Instrument liegt das 
Prinzip des Rohrengenerators zugrunde. Hinter einen 
fest abgestimmten und einen variablen ->- Generator 
hochfrequenter Wechselspannungen (/i bzw. f%) ist 
eine nichtlinear verzerrende Rohrenstufe geschaltet; 
dadurch entsteht eine tonfrequente Differenzfrequenz 
(Ji-fi), die als Grundlage fiir den musikalischen Ton 
dient. Die HF-Schwingung/2 wird iiber eine Klaviatur 
variiert, indem mit Hilfe eines Seiles die Kapazitat des 
Schwingkreiskondensators verandert werden kann. 
Die variable Wechselspannung der Differenzfrequenz 
wird verstarkt und durch Lautsprecher wiedergegeben. 
Erstmals wurde dieses Instrument am 20. 4. 1928 im 
Saal der Pariser Opera der Offentlichkeit vorgestellt; 
inzwischen sind vielfache Verbesserungen vorgenom- 
men worden. Die O. m. finden vor allem in der Biih- 
nenmusik an franzosischen Theatern Verwendung. 
Fiir O. m. komponierten u. a. A.Honegger (in: Jeanne 
d'Arc au bucher, 1938) und A. Jolivet (Konzert fiir Ondes 
Martenot und Orch., 1947). 

Lit.: B. Disertori, Le Onde Martenot, RMI XLIII, 1939; 
L. E. Gratia, La musique des ondes 6th6rees, Le Mene- 
strel, 30. Nov. 1928 ; C. Hourst, Les instr. mus. electriques. 
Le Martenot, in : L'Ingenieur constructeur VII, 1929; M. 
Martenot, Methode pour l'enseignement des O. m., Paris 
(1931); Fr. K. Prieberg, Musica ex machina, Bin, Ffm.u. 
Wien (1960); F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Aku- 
stik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961. 

Onestep ('wAnstep, engl., Einschritt), ein sehr schnel- 
ler, marschartiger Gesellschaftstanz ( J = M. M. 138) im 
2/4-(seltener 6/8-)Takt mit sehr einfacher Schrittfolge, 
der um 1910 aus den USA nach Europa kam. Vor dem 

1. Weltkrieg gab es verschiedene kurzlebige Varianten 
des O. : Turkey Trot, Grizzly Bear, Bunny Hug, Judy 
Walk, die - wie auch die Spielformen Castle Walk 
und Fish Walk - mehr dem Schautanz dienten. Der O. 
gehort zu den Vorlaufern des Foxtrotts. 

Oper. Die Verwendung des Wortes O. (von ital. 
opera) ist jiinger als die Musikgattung, die es bezeich- 
net. Es ist in Italien seit 1639 nachweisbar, in Frank- 
reich und England seit dem spaten 17., in Deutschland 
seit dem friihen 18. Jh., setzte sich auch dann noch nicht 
einheitlich durch, sondern kursierte neben anderen Be- 
zeichnungen, so in Italien anf angs —*■ Dramma per mu- 
sica (commedia in musica und dramma giocoso fiir 
das heitere Genre), in Frankreich ->■ Tragedie lyrique 
und -> Comedie, in Deutschland -> Singspiel (im wei- 
testen Sinne fiir O.n mit deutschem Text schlechthin). 
Vorherrschend wurde die Bezeichnung O. (ital. u. 
engl. opera; frz. opera) in England schon im 18., in 
Frankreich und Deutschland seit dem 19. Jh. ; seltener 
bleibt der Name »musikalisches Drama« (ital. dramma 
musicale; engl. musical drama; frz. -> drame lyrique). 
Um den Begriff O. zu bestimmen, geniigt es nicht zu 



654 



Oper 



sagen, O. sei eine Verbindung von Biihnendichtung 
mit Musik. Damit ist O. gegeniiber einem Drama mit 
musikalischen Einlagen {-*■ Biihnenmusik) und man- 
chen anderen Verbindungen von szenischen Darstel- 
lungen mit Vokal- oder Instrumentalmusik, wie sie 
auch in auBereuropaischen Landern und Kulturen vor- 
kommen, noch nicht abgegrenzt. Eine O. kommt erst 
zustande, wenn die Musik eigene Mittel zum Ausdruck 
derRede und Gebarde im szenischen Dialog und Mono- 
log einsetzt und die dramatische Aktion verdeutlicht. 
In jeder echten und guten O. befinden sich Drama und 
Musik in einer dialektischen Spannung, was bei jedem 
Versuch einer Asthetik der O. zu beachten ist. Dieses 
Verhaltnis ist viel zu kompliziert, und die musikalischen 
Mittel als Wirkungsfaktoren des Dramatischen sind zu 
mannigfaltig, als daB mit der Unterscheidung Musik- 
drama (Primat des Dramas) und O. im engeren Sinne 
(Primat der Musik) auszukommen ware. Die Antithese, 
Gluck und Wagner seien Musikdramatiker, Mozart 
und Verdi O.n-Komponisten, ist eine falsche Simplifi- 
zierung. Man tut gut daran, den Terminus O. als allge- 
meine Gattungsbezeichnung festzuhalten und Musik- 
drama nicht als ein hoheres Gebilde anzusprechen. - Aus 
der allgemeinenErwagung der Bedingungen, unter de- 
nen eine O. zustande kommt, ergibt sich, daB die antike 
Tragodie, die geistlichen und weltlichen Spiele des 
Mittelalters, die Schuldramen mit Choren aus dem 16. 
Jh., aber auch die italienischen Trionfi, Mascherate, 
Balletti, Intermedien, die franzosischen Ballets und die 
englischen Masques dieser Zeit nicht in Bausch und 
Bogen als geschichtliche Vorlaufer der O. angesehen 
werden konnen, obwohl Balletti und Intermedien An- 
regungen gegeben haben zur buhnenmaBigen Aus- 
stattung der O., zur Aufnahme von Choren, Tanz- und 
Instrumentalmusik und die Beschaftigung mit dem an- 
tiken Drama in italienischen Akademien des 16. Jh. die 
O.n-Geschichte nachhaltig beeinfluBte. Auch das Mo- 
nodrama Rousseauscher Pragung (Pygmalion) und das 
Melodrama G.Bendas und seiner Nachfolger (18. Jh.) 
mit tonmalerischer oder affektausdriickender Instru- 
mentalmusik zum gesprochenen Text oder zu panto- 
mimischen Szenen sind keine O.n, sondern eine Gat- 
tung fur sich. 

Die Geschichte der O. begann erst, als die -»■ Monodie 
der Florentiner -*■ Camerata, der Stile recitativo, auf 
langere Buhnenstiicke iibertragen wurde und hier die 
Reden der handelnden Personen mit Hervorhebung 
von Prosodie, Diktion und Emotion ermoglichte (Peris 
und Caccinis Euridice, auf gefiihrt am Florentiner Hof 
1600; Peris Dafne, 1598, ist nur fragmentarisch erhal- 
ten). Der erste groBe Erfolg gelang CI. Monteverdi mit 
Orfeo (Text von Alessandrino Striggio, Mantua 1607). 
Die rezitativische Vortragsweise der Dialoge und Mo- 
nologe verdichtet sich in diesem Werk mittels affekti- 
scher Ausdrucksfiguren in Melodie und Harmonie zum 
biihnenmafiigen Darstellungsstil (stile rappresentativo); 
in seiner Pragung ist er mit der rednerischen Gestik (die 
zugleich die theatralische ist) eng verbunden. Gegen- 
iiber der friihen Florentiner O. sind die Formen der ge- 
schlossenen Musikstiicke mannigfaltiger, die Chorsatze 
kunstvoller angelegt, ist die Orchesterbesetzung groB- 
ziigiger, die Instrumentation differenzierter, nimmt das 
Klangkolorit charakterisierend Bezug auf die Szene, 
bestimmen Refrainchore, iiberhaupt Refrainbildungen 
und die Wiederkehr von Instrumentalsatzen (Sinf onia, 
Ritornello) starker den Bau der Szenen und Akte. In 
der Zusammenf uhrung heterogener Kiinste, poetischer 
und musikalischer Gattungen, musikalischer Formen 
und Stilarten bekundet Monteverdis Orfeo, daB die O. 
eine originale Schopfung des Barocks ist, vielleicht sei- 
ne charakteristischste. 



In Mantua entstand auch Monteverdis L'Arianna (1 608; 
von der Musik ist nur das Lamento d'Arianna erhalten). 
Gleichwohl gehorte Mantua nicht zu den Hauptorten 
der italienischen O.n-Pflege. Die starksten Impulse 
gingen im 17. Jh. von Rom und Venedig, im 18. Jh. 
von Neapel aus. - In Rom gab es nebeneinander welt- 
liche una geistliche O.n. Von den weltlichen O.n seien 
genannt: St.Landis La morte d'Orfeo (1619), F.Vitalis 
L'Aretusa (1620), D.Mazzocchis La catena d'Adone 
(1626), M.A.Rossis Erminia sul Giordano (1633); die 
Spezies der Pastoral-O. (favola pastorale) ist noch 1639 
mit La Galatea von Vittori vertreten. Das Hauptwerk 
der romischen geistlichen O. war II Sant'Alessio, Musik 
von St.Landi (1632). Es ist nicht immer leicht, geist- 
liche O.n von szenisch aufgefiihrten Oratorien stili- 
stisch zu unterscheiden. Oratorien wurden offentlich 
aufgefiihrt, geistliche wie weltliche O.n aber in Adels- 
und Kardinalspalasten. Erst seit 1652 gab es in Rom ein 
offentliches Theater. Merkmale der romischen O. sind : 
groBer Aufwand in der Ausstattung, Prachtstil con- 
certierender Chore wie auch subtilere Chorlyrik, 
schmiegsamer FluB des Rezitativs, Ausbildung des 
gleichzeitigen Singens mehrerer Personen im Rezi- 
tativ, Anwachsen der geschlossenen Formen im Solo- 
gesang. Die spatere romische O. zeigt eine Tendenz 
zur Komodie. 

In Venedig eroffneten 1637 zwei Romer, der Dichter- 
komponist B.Ferrari und der Musiker Manelli, ein 
O.n-Haus. Die O., bisher ausschliefilich eine festliche 
Veranstaltung an den Hofen residierender Fursten, in 
Adelspalasten und Akademien, wurde nun Geschafts- 
unternehmen, beruhend auf Pachtvertrag. Damit war 
ein Wandel in der Auffassung der Texte verbunden; 
Stofie aus der Mythologie und die Pastoral-O. traten 
zuriick, Stofie aus der antiken Heldensage, der griechi- 
schen und romischen Geschichte wurden bevorzugt. 
Es fehlt nicht an aktuellen, politischen und gesellschaf t- 
lichen Anspielungen. Intrigen, Verwechslungen und 
Verkleidungen machen die Handlung verwickelt. Der 
EinfluB des nach Italien vordringenden spanischen Dra- 
mas ist zu spiiren, besonders an den komischen und 
grotesken Dienerrollen (parti buffe). Librettisten waren 
u. a. Busenello und Cicognini, hervorragende Kompo- 
nisten Cavalli, M.A.Cesti, Sacrati, Grossi, C.Pallavici- 
ni, P. A. und M. A.Ziani, Legrenzi, C.Fr.Pollarolo, G. 
B. und A.M.Bononcini, Caldara, Albinoni, Stradella, 
G. Porta, Vivaldi, Fr. Gasparini. Entscheidend fur die 
melodische Intensivierung im Gesangsstil waren die 
Spatwerke des in Venedig wirkenden CI. Monteverdi: 
II ritorno d'Ulisse in patria (1641) und L'incoronazione di 
Poppea (1642). Charakteristisch fur die Venezianer sind 
die Fiille der geschlossenen Sologesangsformen (Stro- 
phenlieder, Arien, Duette, seltener Terzette und Quar- 
tette) und der -> Belcanto. Die Arien haben oft einen 
Basso ostinato, wobei der stuf enweise f allende Quarten- 
ostinato und der BaBostinato mit chromatischem Stu- 
fenfall haufig sind (-»■ Lamento). Auch die Da-Capo- 
Form bestimmt, von Cesti sehr gefordert, die Anlage 
der venezianischen Arie, zuerst in knappen, dann in 
groBeren AusmaBen. Die Venezianer schrieben sowohl 
(nur vom B. c. begleitete) Continuoarien, als auch or- 
chesterbegleitete Arien, daneben Arien mit einem oder 
sogar mehreren concertierenden Soloinstrumenten 
(darunter auch Trompete). Die Tendenz zur melodi- 
schen Intensivierung der O. schwachte nicht die dra- 
matische Ausdruckskraft zugunsten des musikalischen 
Genusses ab, vielmehr erwuchsen durch sie der vene- 
zianischen O. auch neue dramatische Ausdrucksmittel, 
z. B. im orchesterbegleiteten Rezitativ (->• Accom- 
pagnato). Schon bei Cavalli und Cesti weisen Accom- 
pagnati auf dramatische Hohe- und Wendepunkte hin, 



655 



Oper 



und bei den Spatvenezianern erscheint das Accom- 
pagnato mit starkem Affektausdruck scharf abgesetzt 
von dem nur vom GeneralbaB begleiteten, fliichtigen 
(Secco-)Rezitativ. Der zunehmenden Komplizierung 
der dramatischen Handlung wirkte der Librettist Ze- 
no, der Vorlaufer Metastasios, mit Erfolg entgegen 
durch Straffung nnd Vereinfachung der Gesamtanlage, 
deren Geriist Rezitativ und Arie bilden. 
In der neapolitanischen O. (-> Neapolitanische Schu- 
le), deren Begriinder Provenzale und deren hervorra- 
gender Meister A. Scarlatti waren, wurde der Instrumen- 
talpart reicher und die Kantilene breiter, schwungvol- 
ler, sinnf alliger. Wahrend die nun haufig angewandten 
Vergleichs- und -y Devisen-Arien auch bei Ober- 
italienern vorkommen, sogar die Aria detta la Siciliana 
mit dem Sicilianorhythmus nicht ausschlieBlich Eigen- 
tum der Neapolitaner ist, geht die Einfiihrung der so- 
genannten italienischen O.n-Sinfonie mit der Satzfolge 
schnell-langsam-schnell auf Scarlatti zuriick, ebenso 
die Ausgestaltung der Affekttypen in der Arie und deren 
Satzcharaktere (aria cantabile, parlante, di bravura, di 
mezzo carattere). In seinen fur Neapel geschriebenen 
O.n sind die Parti buffe nicht grundsatzlich ausgeschal- 
tet, vielmehr zum Teil mit besonderer Finesse behan- 
delt. Bei L.Vinci und L.Leo beginnt die Barock-O. 
den Stil des Rokokos anzunehmen. Der musikalische 
Satz, auf homophoner Grundlage, wird kleingliedrig 
und symmetrisch in der Anordnung der Taktgruppen, 
galant, grazios und empfindsam im Ausdruck. Die 
virtuosen Partien, beriihmten Sangern zugedacht, er- 
scheinen manchmal, besonders bei Porpora und seinen 
Nachfolgern, uberbetont. Fiir Reprisen in Da-Capo- 
Arien, die schon bei Venezianern im 17. Jh. von den 
Sangern auskoloriert wurden, war bei den Neapolita- 
nern dieser Vortrag bei der Arie die Regel; er wurde 
als zum Gesamthabitus der O. gehorend empfunden. 
Fuhrender italienischer Librettist war Metastasio bis 
weit ins 18. Jh. hinein - noch Mozart hat Texte von 
ihm vertont. Eine besondere Kraft des dramatischen 
Ausdrucks zeigen Jommelli und T.Traetta, beide der 
franzosischen O. verbunden. Der Neapolitaner G.Fr. 
de Majo gehort zu den Exponenten des weichen Stils. 
Bei den geschlossenen Gesangsformen kamen im spate- 
ren 18. Jh. neben der Da-Capo-Arie u. a. rondoartige 
oder 2teilige Gebilde mit langsamer Einleitung auf. In- 
des war die bedeutendste Neuerung, die von den Nea- 
politanern ausging, die komische O. (opera buffa, nun 
im Gegensatz zu opera seria, der ernsten O.). Ihre ge- 
schichtlichen Wurzeln sind: die Parti buffe der vene- 
zianischen O. sowie die zwischen die Akte ernster O.n 
eingeschobenen Intermezzi (-»- Intermedium) und die 
volkstumliche neapolitanische musikalische Dialekt- 
komodie (commedia musicale napoletana). Stoffe und 
Handlung sind dem Leben des Alltags entnommen, 
gehen auf die Stegreifkomodie (commedia dell'arte) 
zuriick und parodieren gelegentlich die Seria. Charak- 
teristisch fiir den Buffostil sind das plappernde Secco- 
rezitativ, das schnelle Parlando auch in Arien und das 
hartnackige Wiederholen kurzer Melodiephasen und 
springender Intervalle. Aber schon die erste Bufla von 
hohem Rang, Pergolesis La serva padrona (1733, Text 
nach Gennaro Antonio Federico), selbst noch als Buffo- 
intermezzo verwendet, zeigt mit ihrem Wirbel iiber- 
raschender rhythmischer und melodischer Impulse, im 
krassen Gegensatz zu den kleingliedrigen Syrhmetrien 
der zeitgenossischen Seria, das eigentlich Neue: die in- 
nere und direkte Teilhabe der Musik an der Aktion. 
Die Aufmerksatnkeit wird musikalisch auf den Darsteller als 
handelnde Person gelenkt. Man macht musikalisch seine 
Aktion mit . . . (Georgiades 1950, S. 76ff.). Weiter ent- 
wickelt wurde die Buffa im 18. Jh. hauptsachlich durch 



Galuppi, N. Piccinni, Anfossi, P. A. Guglielmi, Paisiello 
und Cimarosa. Hauptform fiir die Arie wurde die 
2teilige Form mit Stretta. Solistische Ensembles berei- 
cherten das Klangbild; am Ende der Akte wurden Fi- 
nali durch Zusammenfiihrung der handelnden Perso- 
nen im Ensemble gebildet. Das Genre blieb nicht rein 
komisch. Die Dichter Goldoni, Giambattista Lorenzi 
und Giovan Battista Casti gaben ihren Libretti mar- 
chenhafte, empfindsame und sentimentale Ziige. Es 
entstanden nun in der Buffa Parti serie, wie auch umge- 
kehrt in die Seria Elemente des Buffostils eindrangen 
(z. B. bei Majo, Piccinni, Guglielmi) und die Seria 
durch die Einfiihrung komischer oder heiterer Szenen 
zur Semiseria werden konnte. Die italienische O. drang 
im 17. und 18. Jh. in fast alle europaischen Lander 
vor, in einem Umkreis von Spanien, Portugal bis nach 
RuBland, aber in dieser Zeit kamen nur wenige Lander 
mit ins Spiel der groBen Krafte, wobei Frankreich 
stark mit Italien konkurrierte, schwacher England und 
Deutschland. 

Am Pariser Hof wurde die italienische O. seit den 40er 
Jahren des 17. Jh. eingefuhrt, auf Betreiben des Kardi- 
nals Mazarin, mit Werken romischer und veneziani- 
scher Meister (Marazzoli, L.Rossi, Sacrati, Cavalli). 
Bald regten sich einheimische Krafte. Camberts Po- 
mone (1671) kann als originale franzosische O. ange- 
sehen werden. Aber nicht Cambert, sondern J.-B. 
Lully, dessen Wirken im Dienste Ludwigs XIV. stand, 
verschaffte der franzosischen O. und ihrer Pflegestatte, 
der Academie Royale de Musique, hochstes Ansehen. 
Uber seine Arbeiten am -*■ Ballet de cour und an der 
-> Comedie-ballet (in Verbindung mit Moliere) kam 
er zur -> Tragedie lyrique und pragte sie in einer Reihe 
von Werken, deren Entstehung zwischen 1673 und 
1686 fallt, und deren Texte fast durchweg Ph. Quinault 
schrieb (u. a. Cadmus et Hermione; Alceste; Thisie; Atys; 
Persie; Roland; Armide et Renaud). Das Vorbild des klas- 
sischen franzosischen Theaters zeigt sich nicht nur im 
Libretto (Stofiwahl, 5aktiger Aufbau der Handlung, 
beherrschende Stellung des Alexandriners im Versbau), 
sondern auch in der Musik, und hier besonders im rhe- 
torisch-deklamierenden, mit haufigem Taktwechsel 
aufgezeichneten Rezitativ, in das die solistischen Airs 
(kleine Liedformen) eingebaut sind. Aufierst sparsam 
wird von der Koloratur Gebrauch gemacht. Die Ver- 
wendung der Chore dagegen geht selbst uber das in der 
romischen O. iiblich gewesene MaB hinaus. Dieser 
Chorreichtum erklart sich zum Teil aus der engen Ver- 
kniipfung mit dem hofisch reprasentativen Ballet de 
cour. Darauf sind auch die Tanzsatze, Marsche, die 
Pracht der Aufziige, kurz all das, was unter den Sam- 
melbegriff der -> Divertissements fallt, in der O.Lullys 
zuruckzufiihren. Auch der von ihm begriindete Typus 
der sogenannten franzosischen O.n-Ouvertiire (punk- 
tiertes Grave - fugiertes Allegro - SchluB mit Riick- 
griff auf den Rhythmus des Anfangs) kommt zuerst in 
seinen Ballettkompositionen vor. Insgesamt ist die 
Lullysche O. eine eigenartige Mischung von musikali- 
scher Dramatik und hofischer Reprasentation. - Bei 
den Nachfolgern Lullys (Desmarets, Campra, A.C. 
Destouches u. a.) kam neben der Tragedie lyrique das 
-*■ Opera-ballet, ausgehend von Lullys Les Jestes de 
V Amour et de Bacchus (1672), zur Geltung. Hier vollzog 
sich eine deutliche Annaherung an die italienische O. 
(weicheres, kan tables Rezitativ, Aufnahme der Da- 
Capo-Arie und der Bravourarie). Tonmalereien, fran- 
zosischen Musikern besonders vertraut, in der Pastoral- 
O. gern gepflegt, auch von Lully keineswegs gemie- 
den, wurden auch von seinen Nachfolgern in der Tra- 
gedie lyrique oft schablonenhaft verwendet (als Sturm- 
und Gewittermusik: Tempete, Tonnere, Orage und 



656 



Oper 



dergleichen) ; sie wirken bei zarterer Tonung spiele- 
risch und galant. Die Tragedie lyrique erreichte musi- 
kalisch ihren Hohepunkt bei J.-Ph.Rameau (Hippolyte 
et Aricie, 1733; Castor et Pollux, 1737; Dardanus, 1739; 
Zoroastre, 1749). Alle Musiker der Lully-Nachfolge, 
auch Lully selbst, iibertriff t er in seiner Harmonik und 
Instrumentationskunst, in der Bestimmtheit, Kraft und 
Biegsamkeit des dramatischen und affektuosen Aus- 
drucks und in der Situationscharakteristik. 
Zwischen den Parteigangern der franzosischen und der 
italienischen O. kam es nach der Aufnahme der Buffa 
in Paris (zweite dortige Auffuhrung von Pergolesis La 
serva padrona 1752) zum -> Buffonistenstreit, der sich 
noch in den 1770er Jahren nach Glucks franzosischen 
Reform-O.n in Paris in der Fehde zwischen den Gluck- 
isten und den Piccinnisten (den Anhangern Piccinnis) 
fortsetzte. Noch zu Lebzeiten Rameaus entstand eine 
eigene franzosische komische O. (opera-comique). An- 
geregt wurde sie einerseits durch die Pariser Vorstadt- 
komodie mitEinlagen gassenhauerartiger Gesange (co- 
medie en vaudevilles) oder gehobener Art (comedie 
mSlee d'ariettes), andererseits durch die Buffa, von 
der die Opera-comique einige aufierliche Ziige iiber- 
nahm. Das ist bei J.-J. Rousseau in Le devin du village 
(1752) erkennbar, noch deutlicher bei den Mitbegrun- 
dem der Opera-comique Duni (Italiener), Fr.A.Phili- 
dor und Monsigny. Die Vorherrschaft des gesproche- 
nen Dialogs statt der Rezitative bekundet noch lange 
den urspriinglichen Zusammenhang mit der Comedie- 
vaudeville. Die Opera-comique ist im Gegensatz zur 
hofischen Tragedie lyrique die burgerliche O. Frank- 
reichs am Ende des Ancien regime. Ihr Stoffgebiet ist 
weit: Komik, Scherz, Satire, Tragisches und Idyllisches 
mischen sich. Chore, Couplets, Airs, Chansons, Ro- 
manzen, Instrumentalsatze, Ensembles und Finali be- 
stimmen ihre musikalische Faktur (z. B. Gretry, Richard 
Coeur-de-Lion, 1784) und dfters auch den szenischen 
Aufbau. Der Opera-comique entwuchs die franzosi- 
sche Revolutions-O., deren Texte haufig von den 
Schrecken der Revolution erfiillt sind (Schreckens-O.) 
oder mit einer wunderbaren Rettung enden (Rettungs- 
stiick) ; Zeit und Ort der Handlung sind variabel. So 
sind le Sueurs La caverne (1793) eine Schreckens-O., 
Cherubinis Lodoiska (1791) undLes deuxjournees (1801, 
deutsch »Der Wassertrager«) Rettungsstiicke. Jedoch 
gehen Rettungsstuck una Schreckensstuck oft ineinan- 
der. Mit der Gebrauchsmusik, die le Sueur und Che- 
rubini zu den nationalen Festen schrieben (Hymnen, 
Kantaten, Ouvertiiren u. a.), stimmen in ihren O.n 
der Elan terrible der Rhythmen, eine explosive Dyna- 
mik und der Eclat triomphale der Chorrufe, Signal- 
und Fanfarenklange iiberein. Im Ausdruck des Schauer 
erregenden Pathos folgten diese Musiker Gluck, doch 
durfte es nicht korrekt sein, bei ihnen von einer fran- 
zosischen Gluck-Schule zu sprechen. Bedeutsamer war 
die Rezeption der neuen motivischen Arbeit und des 
obligaten Akkompagnements J.Haydns, namentlich 
bei Cherubini. Ansatze zur leitmotivischen Technik 
finden sich in Mehuls Ariodant (1799) und auch bei 
Cherubini. 

In England naherte man sich der O. im 17. Jh. sehr be- 
hutsam. Einerseits wurden in die hofischen Masken- 
spiele (-> Masque) das neuitalienische Rezitativ und 
der Stile rappresentativo eingefiihrt (Laniere, H. und 
W.Lawes, H.Cooke, Chr. Gibbons, Locke, Blow). 
Andererseits halten sich Bearbeitungen Shakespeare- 
scher Dramen und anderer Biihnenstiicke (D'Avenant, 
Thomas Shadwell, Dryden u. a.) auf der Grenze zwi- 
schen Schauspiel mit Musikeinlagen und O. Diese Art 
einer freien Verbindung zwischen gesprochenem Dra- 
ma und Musik bezeichnete M. Locke, der die Musik zu 



Shadwells Byde (nach Quinault) schrieb (1673), als The 
English opera. In H.Purcells Dido and Aeneas (1689) ist 
bei Wanning englischer Grundziige der AnschluB an 
die O. des Festlandes vollgiiltig erreicht. Venezianische 
Einfliisse, Anregungen von Lully, Bestandteile der Mas- 
kenspiele, englischer Chorsatz vereinigten sich - in den 
Rezitativen, Orchesterritornellen und Intermezzi - 
zu einem an eigenen Ziigen reichen, kraftvoll durchge- 
formten Ganzen. - Die Aufnahme der italienischen O. 
mit italienischer Sprache 1710 in England ist verkniipft 
mit den Namen italienischer Musiker wie G. B. Bonon- 
cini (1720 nach London berufen), aufs engste aber mit 
dem Namen Handels. Sein Rinaldo wurde 1711 im 
Londoner Queen's Theatre (Haymarket) aufgefiihrt. 
1719 wurde Handel von Konig Georg I. mit der Griin- 
dung und Leitung des O.n-Unternehmens Royal Aca- 
demy of Music beauftragt. Die in den Jahren 1720-28 
in London komponierten eigenen O.n, besonders Giulio 
Cesare, Tamerlano, Rodelinda (Texte von Haym), bilden 
den Hohepunkt seines O.n-Schaffens, zugleich den 
Hohepunkt der Barock-O. uberhaupt. Unvergleich- 
lich, um nur einen charakteristischen Zug zu nennen, 
ist die Darstellung des Affektausbruchs und der Affekt- 
beruhigung in der Accompagnatoszene des Grimaldo 
(Rodelinda, 3. Akt, 6. Szene). Das Ende der Handel- 
schen O.n-Akademie 1728 wurde mitverursacht durch 
den schlagenden Erfolg eines die italienische O. ver- 
spottenden Stiicks : The Beggar's Opera, eine Politik und 
Gesellschaft kritisierende satirische Komodie von J. 
Gay, unter Mitarbeit von Pepusch mit volkstiimlichen 
Gesangen gemischt und gewiirzt. The Beggar's Opera 
war der Anfang der ->■ Ballad opera. Ansatze zu einer 
englischen komischen O. (mit Kompositionen von Th. 
A.Arne, S.Arnold, William Shield, St. Storace u. a.) 
entwickelten sich nicht zu einem der Opera buffa oder 
der Opera-comique gleichrangigen Gebilde. 
In Deutschland steht im 17. und 18. Jh. die ernste italie- 
nische O. im Vordergrund, mit italienischen Hofkom- 
ponisten (zum Teil auch Hof dichtern) und Sangern vor 
allem an den Hofbuhnen in Wien, Miinchen, Hanno- 
ver, Dresden und Stuttgart, verbreitet im 18. Jh. viel- 
fach auch durch -» Operntruppen. So wirkten, um nur 
einige Namen zu nennen, M.A.Cesti (ab 1665), A. 
Draghi und Caldara am Kaiserhof in Wien, Steffani in 
Miinchen und ab 1688 in Hannover, Pallavicini seit 
1687 in Dresden und Jommelli ab 1753 in Stuttgart. 
Deutsche Musiker von Rang schrieben italienische O.n, 
so Fux in Wien, C. H. Graun in Berlin, J. A. Hasse, einer 
der iiberzeugtesten Mitarbeiter Metastasios, in Dres- 
den, Holzbauer in Mannheim, und schliefilich stehen in 
dieser Reihe auch Gluck, J.Haydn und W.A.Mozart. 
Die Geschichte der deutschen O. (mit deutschem Text) 
beganne mit der Dafne (1627) von H. Schiitz (Text von 
Martin Opitz nach Rinuccini), wenn die Musik nicht 
verloren gegangen ware. Als die alteste erhaltene deut- 
sche O. wird S.Th. Stadens Vertonung des allegori- 
schen Schaferspiels Seelewig (1644) von G.Ph.Hars- 
dorffer bezeichnet, was nicht unbedenklich ist. Die Ver- 
suche in der 2. Halfte des 17. Jh., zu einer durchkompo- 
nierten deutschen O. zu gelangen, blieben in ordichen 
Erfolgen stecken. Die Hamburger O., orientiert an 
italienischen und franzosischen Vorbildern, hebt sich 
um die Wende des 17./18. Jh. ab durch die Tatigkeit 
Reisers, G.Ph.Telemanns, Matthesons und des jungen 
Handel, der allerdings 1706 Hamburg verlieB und nach 
Italien ging. Nicht viel Erfolg hatten die »teutschen« 
O.n von Anton Schweitzer (Alceste, Weimar 1773, Ro- 
samunde, Mannheim 1780, beidenachTexten Wielands) 
und Holzbauer (Giinther von Schwarzburg, Mannheim 
1 776). Auch die Bemiihungen J. Fr. Reichardts, P. Win- 
ters und Danzis um eine durchkomponierte deutsche 



42 



657 



Oper 



O. blieben hinter dem inzwischen aufgekommenen 
deutschen ->• Singspiel zuriick, das zur O.n-Geschichte 
gehort. - Wie die Geschichte der O. in England im 17. 
und 18. Jh. ohne Purcell und Handel gegeniiber Italien 
und Frankreich blaB bliebe, so auch die deutsche O.n- 
Geschichte bis 1800 ohne Gluck und Mozart. Gluck 
ging aus von der Seria und der ->• Serenata teatrale 
Metastasianisch-Hassescher Pragung. Seine sogenannte 
O.n-Reform zeigt sich, um nur die Hauptwerke zu 
nennen, in Orfeo edEuridice (1762), Akeste (1767), Pa- 
ride ed Elena (1770) und in Iphigenie en Aulide (1774), 
Armide (1777), Iphigenie en Tauride (1779) sowie den 
franzosischen Bearbeitungen von Orfeo (als Orphee et 
Euridice, 1774) und Akeste (1776). Heifer waren haupt- 
sachlich die Librettisten Calzabigi (bei den italienisch 
textierten) und Le Blanc Du Roullet (bei den franzo- 
sisch textierten O.n dieser Reihe). Seine kiinstlerischen 
Ziele hat Gluck selbst in den Vorreden zu Akeste und 
Paride ed Elena (Drucke 1769 bzw. 1770) asthetisch an- 
gedeutet. Die Reform richtete sich gegen den Schema- 
tismus der Metastasianischen O. und gegen die Erstar- 
rung der Tragedie lyrique bei den Lully-Nachfolgern 
und in der Zeit nach dem Auftreten Rameaus, aber 
nicht gegen die Seria und die Tragedie lyrique schlecht- 
hin, die vielmehr von Gluck in glucklichster Weise 
miteinander verbunden wurden. Durchweg wird das 
Rezitativ vom Orchester begleitet. Das Stationare der 
Barock-O. ist in Glucks Reform-O.n noch nicht ganz 
abgestreif t, soviel inneres Leben die einzelnen Stationen 
auch erfiillt, so bewunderungswiirdig der Affektaus- 
druck und die Pragnanz der dramatischen Charakteri- 
stik auch sind. Altes und Neues - das Neue z. B. in der 
Arbeit mit scharfsten Kontrasten und in einer freien 
Szenengestaltung - wirken ineinander. Das Pathos der 
GroBe und Erhabenheit, eine durch hochste Kunst ge- 
wonnene Einfachheit und Eindringlichkeit der Ton- 
sprache bleiben unverkennbare Merkmale der O.n sei- 
ner Meisterjahre. Einfliisse Glucks zeigen sich nicht nur 
in der franzosischen Revolutions-O. (Cherubini), son- 
dern auch bei Spontini und vorher schon bei J. Chr. 
Vogel, Salieri und J. G. Naumann. - W.A.Mozart hat 
die Mittel der Seria, Buffa, Semiseria, Comique und 
des deutschen Singspiels verwendet, nicht um diese 
auch fur ihn schon beinahe historisch gewordenen Gat- 
tungen erneut zu bestatigen, sondern um ihre persona- 
len Typen zu individualisieren und ihnen, frei von al- 
lem Moralisieren, die Individualist und Wiirde der 
menschlichen Person zu geben. Bei dieser inneren Ver- 
wandlung kam es - vom ldomeneo ab fortschreitend -, 
ohne daB die figiirliche Tonsprache (z. B. die Kolora- 
tur) ganz aufgegeben wurde, zur Individualisierung der 
Melodie, was sich zumal in den Liebesarien aller Gat- 
tungen, aber auch in den beiden Sarastro-Arien der 
Zauberfiote besonders deutlich bekundet. Zum anderen 
bereicherte Mozart, weit iiber die traditionelle Buffa 
hinausgreifend, die Ausdrucksmittel der Aktion in der 
O. Dies ist vor allem in den groBen Finali zu erkennen, 
wo zur Verdichtung und Steigerung der Aktion die 
Gruppentechnik und die Durchf iihrungsarbeit der klas- 
sischen Symphonie mit herangezogen werden (z. B. 
Le Nozze di Figaro, Finale 2. Akt). 
Einen Schliissel zum Verstandnis der O.n-Geschichte 
des 19. Jh. bietet die GroBe O., deren Mittelpunkt Paris 
war. Ihr Wegbereiter war Spontini, der representative 
O.n-Komponist des Empires; La Vestale (1807), Fer- 
nand Cortez (1809) und spaterhin noch Olympie (1819) 
verleugnen nicht, trotz ihrer Steigerung ins GroBartige 
und der Verwendung von Massenszenen, den Zusam- 
menhang mit der italienischen Seria. Begriindet wurde 
die GroBe O. von Auber mit La muette de Portia (1828), 
stark gefordert durch Rossinis Guittaume Tell (1829) 



und vollendet von Meyerbeer mit Robert le diable 
(1831), Les Huguenots (1836), Le prophete (1849) und 
L'Africaine (1865, posthum), nach Texten von Scribe; 
daneben ist Fr.Halevys Lajuive (1835) ein charakte- 
ristischer Beitrag. Die Komponisten der GroBen O. 
verfugen iiber Ballett- und Chorszenen aller Art, En- 
sembles und Soli, Airs declames, Kavatinen, Roman- 
zen sowie Balladen; sie haben einen geschickten Griff 
fur Buhneneffekte, lieben Massenszenen, verkniipfen 
und ordnen Szenen mit Hilfe des instrumentalen Parts, 
benutzen das Klangkolorit und die Instrumentierungs- 
kunst zur Charakteristik des Ausdrucks und der Situa- 
tion. An der fortschreitenden Bereicherung und Ver- 
f einerung der Instrumentierungskunst zu diesem Zweck 
haben Rossini, Meyerbeer und Berlioz groBen, vorher 
schon S.Mayr und Spontini keinen geringen Anteil. 
Berlioz nimmt in der Geschichte der O. zwar eine 
eigene Stellung ein, steht aber doch besonders mit Les 
Troyens (1856-59) der GroBen O. nahe. Neben dieser 
wurde die Opera-comique weitergepflegt; zu nennen 
sind besonders Fr.-A.Boi'eldieu (La dame blanche, 1825), 
Auber (Fra Diavolo, 1830), Herold (Zampa, 1831) und 
A. Adam (Le postilion de Longjumeau, 1836). - In der 2. 
Halfte des 19. Jh. blieb u. a. L.Maillard mit Les dragons 
de Villars (1856 ; deutsch »Das Glockchen desEremiten«) 
bei der Comique, aber haufig verwischen sich nun ihre 
Konturen, wie auch die der GroBen O. Zwischen bei- 
den steht dielyrisch-dramatischeO. (-»- Drame lyrique). 
Ihr Prototyp mit sentimentaler Tonung ist Gounods 
Faust (1859). Dem Faust folgte 1866 Mignon von A. 
Thomas. Bis heute ist international bekannt und wird 
iiberall gespielt Bizets Carmen (1875), ein Werk mit 
scharfstem national-franzosischem Profil und realisti- 
scher Tonung ; es iiberschattete eine andere, nicht un- 
bedeutende O. dieses Meisters, Les phheurs de perles 
(1863). Massenet (Manon, 1884; Werther, 1892) ist der 
spate Reprasentant des sentimentalen Drame lyrique. 
Saint-Saens' Samson et Dalila (1877) tragt sowohl Zuge 
des Drame lyrique wie der GroBen O. Herve begriin- 
dete die -> Operette, Offenbach machte sie mit Orphee 
aux enfers (1858) zum eigentlichen Gegenstiick der 
GroBen O. 

Geschichtlich nimmt die GroBe O. auch insofern eine 
Schliisselstellung ein, als mit ihr die beiden groBten Mei- 
ster der dramatischenKompositioniml9.Jh., Verdi und 
Wagner, in enge Beriihrung kamen. Verdi hat fiir die 
Grofie O. Les vepres siciliennes (1 855) und den Don Carlos 
(1867) geschrieben ;Wagners Rienzi (1842) ist eine Gro- 
Be O. der Richtung Meyerbeers, und ihre Spuren sind 
nochinderPariserBearbeitung des Tannhauser (Baccha- 
nale), im Feuerzauber der Walkiire und auch noch an an- 
deren Stellen zu erkennen. Indes ist Verdi nicht von der 
GroBen O. ausgegangen, sondern von der italienischen 
O. der sogenannten »Rossinisten«: Rossini (L'ltaliana in 
Algeri, 1813; II barbiere di Siviglia, 1816; Otello, 1816; 
Scmiramide, 1823), Mercadante (Elisa e Claudia, 1821; 
J Normanni a Parigi, 1832; II giuramento, 1837), Doni- 
zetti (L'elisir d'amore, 1832; Lucrezia Borgia, 1833; Lucia 
di Lammermoor, 1835; Don Pasquale, 1843) und Bellini 
(La sonnambula, 1831; Norma, 1831; I Puritani, 1835). 
Die O.n dieser Gruppe spiegeln in Melodik und Rhyth- 
mik italienisches Musikgefiihl wie kaum je zuvor, mag 
man nun mehr an die von Verdi bewunderten »langen« 
Melodien Bellinis denken, an die volkstumlichen Do- 
nizettis, an die koloraturgesattigten Rossinis oder an 
dessen groteske Arien mit diisterem Hintergrund vom 
Typus der Verleumdungsarie im »Barbier«. Aber auch 
die Teilhabe des -» Bekantos an der dramatischen Ak- 
tion, selbst dort, wo das Orchester nur wie eine »Rie- 
senguitarre« (R.Wagner) begleitet, kennzeichnet diese 
Gruppe. Die Scena ed aria mit ihrer Auflockerung der 



658 



Oper 



Arienteile, ihren wechselnden Rhythmen, mit voran- 
gestellten und eingeschobenen rezitativischen Partien, 
ihrem bald nur akkordisch stiitzenden, bald kolori- 
stisch reicher behandelten Orchester, ist bei den »Ros- 
sinisten« die Grundform der Teilhabe der Musik an der 
Aktion. Alle diese Ziige seiner unmittelbar italienischen 
Vorganger hat Verdi aufgenommen und nach dem 
schlichteren, kraftvolleren und gedrungeneren Stil sei- 
ner Musik (K.Holl) reguliert. Die gegensatzlichen Po- 
sitionen Verdis und Wagners konnen nicht scharf ge- 
nug betont werden. Auch der spatere Verdi, der tiber 
eine reiche Farbenpalette im illustrierenden und charak- 
terisierenden Orchesterpart und einen sehr differen- 
zierten »sprechenden« instrumentalen Ausdruck ver- 
fiigt, schwenkt nicht zur symphonischen O. Wagners 
uber, sondern bleibt bei der italienischen Sing-O. Auch 
in den letzten kiinstlerischen Zielen sind die beiden 
Meister Antagonisten. Verdi verlangte nie wie Wag- 
ner die Darstellung des mythisch verstandenen »Rein- 
Menschlichen«, sondern immer die Wahrhaftigkeit in 
der Darstellung wirklicher Menschen. 
Das erste groBe Werk der deutschen O.n-Geschichte 
des 19. Jh. ist Beethovens Fidelio (3 Fassungen, 1805, 
1806, 1814, in den beiden ersteren als Leonore). Stofflich 
gehprt Fidelio als Schreckens- und Rettungsstiick zur 
franzosischen Revolutions-O., die Beethoven aber mu- 
sikalisch und religios-ethisch transzendiert hat; mehr 
noch als die Verherrlichung der Humanitatsidee, der 
politischen und personlichen Freiheit, und als der Lob- 
preis der Gattentreue ist der Fidelio das Hohelied der 
Hoffnung (vgl. die zentrale Stellung derHoffnungsarie). 
- Der Begriff der »romantischen« O. und das Verhaltnis 
der deutschen romantischen Musiker (Fr. Schubert, 
E. T.A.Hoffmann, C.M.v.Weber, Mendelssohn Bar- 
tholdy, R. Schumann) zur O. sind problematisch. Schu- 
bert {Alfonso und Estrella, 1821-22; Fierabras, 1823), 
Mendelssohn Bartholdy (Die Hochzeit des Camacho, 
1827) und Schumann (Genoveva, 1850) haben sich als 
O.n-Komponisten nicht durchsetzen konnen. E.T.A. 
Hoffmanns Undine (1816), zwischen denEinfluBspharen 
Mozarts und Cherubinis hin und her schweifend, hat 
musikalisch zu wenig Profil, um bezeugen zu konnen, 
was romantische O. ist. Es bleibt in dieser Reihe allein 
Weber (Der Freischiitz, 1821 ; Euryanthe, 1823; Oberon, 
1826). Diese Hauptwerke Webers bekunden musika- 
lisch deutsche Romantik: Schwung, Jubel, Innigkeit, 
unruhige Bewegung, kontinuierliche Veranderung, 
Drangen und Streben (Becking), den ins Weite hin- 
ausklingenden Ton wie in Oberon, das Durchforschen 
der Wunderwelt des Klangs (Kurth und Becking) in 
Harmonik und Instrumentation, iiber aller Kunst des 
Illustrierens und Charakterisierens das poetische Flui- 
dum. Das folkloristische Element und die nationale 
Absicht und Wirkung (Freischiitz) kommen hinzu. 
Man wird Webers Lehrer G.J. Vogler oder Danzi nicht 
zu den Romantikern zahlen diirfen. Schon naher steht 
ihnen Spohr mit Faust (1816) und Jessonda (1823). Am 
nachsten an Weber heran kommt H.Marschner (Der 
Vampyr, 1828; Der Tempter und die Jiidin, 1829, und 
Hans Heiling, 1833). Bei Marschner spielen das -* Leit- 
motiv und das Erinnerungsmotiv eine bemerkenswer- 
te Rolle, freilich nicht zum ersten Mai in der O.n-Ge- 
schichte. In Beriihrung mit Weber, aber auch mit der 
franzosischen Comique seiner Zeit kam Lortzing (Zar 
und Zitnmermann, 1837; Der Wildschiitz, 1842; Der 
Waffenschmied, 1846), gewiB kein Romantiker, sondern 
neben dem blasseren C.Kreutzer (Das Nachtlager von 
Granada, 1834) als Librettist und Komponist ein hand- 
fester Vertreter des deutschen Biedermeiers. Fr. v. Flo- 
tow (Alessandro Stradella, 1844; Martha, 1847) orien- 
tierte sich stark an der franzosischen O. seiner Zeit und 



O.Nicolai (Die lustigen Weiber von Windsor, 1849) an 
den Italienern und ihrer spaten Buffa. In der romanti- 
schen O. und ihrer Umgebung gibt es vielfach Ansatze 
zur Aufhebung der Nummern-O., nicht nur in den 
Finali, sondern auch in Szenen, die nach Art der italie- 
nischen Scena ed aria gestaltet sind (z. B. im Freischiitz, 
Nr 8, Szene der Agathe). An groBen dramatischen Sze- 
nen ist Marschner besonders reich. Im Werk Wagners 
ist erst seit dem Lohengrin die Nummern-O. vollstan- 
dig beseitigt. 

Wagner hat sich, ahnlich wie mit der GroBen O., mit 
der romantischen Webers und Marschners auseinan- 
dergesetzt, was sich noch im Fliegenden Hollander, im 
Tannhauser und im Lohengrin beobachten laBt. Aber ob 
das gesamte Werk noch als romantisch (»spatroman- 
tisch«) bezeichnet werden darf, bleibt hochst zweifel- 
haft. Die untrennbare Verbindung und wechselseitige 
Durchdringung von Wort und Ton, Drama und Mu- 
sik, Gestik, Aktion und Klangbewegung - in diesem 
Sinne Wagners »Gesamtkunstwerk« - ist bis heute eine 
einmalige Erscheinung in der O.n-Geschichte, nicht zu 
verwechseln mit der Verbindung der Kiinste zu einer 
einheitlichen Gesamtwirkung in der Barock-O.; sie 
ist auch mehr als dieErfullung unverbindlicher Speku- 
lationen und poetischer Schwarmereien romantischer 
Dichter, Schriftsteller und Musiker uber die Idee des 
Gesamtkunstwerks. Es bleibt unfruchtbar, bei Wagner 
nach dem Primat des Dramas oder der Musik zu fragen, 
mag auch der Schriftsteller Wagner AnlaB zu dieser 
Frage gegeben haben. Unter den musikalischen Fakto- 
ren ist die Rolle des Orchesters dominierend. Die Ex- 
position derThemen (Leitmotive) im Orchesterpart und 
ihre Veranderung, Kombination und Ausweitung zu 
Perioden mit fliefienden LJbergangen entsprechen kom- 
positorisch der Abwandlung, die das Gruppenprinzip 
der klassischen Symphonie im 19. Jh. besonders in der 
Gattung der Symphonischen Dichtung erfuhr. Die 
symphonische O. ist Wagners Schopfung, trotz man- 
cher Ansatze schon bei Mozart, und zeigt sich in Tristan 
und Isolde, in den Meistersingern von Niirnberg, im Ring 
des Nibelungen und im Parsifal auf dem Hohepunkt. 
Wagners Stil und Pathos ahmten manche Komponisten 
nach, deren O.n schon lange nicht mehr auf einem 
Spielplan zu finden sind (u. a. J.Huber, H. Sommer, 
Max Zenger, Bungert, Klughardt, Kistler, H. Zollner, 
selbstandiger waren K. Goldmark und Draeseke). 
In den ersten Dezennien des 20. Jh. blieb die deutsche 
O. der symphonischen O. Wagners auch bei starkster 
Eigenpragung verpflichtet. Ihre hervorragendsten Mei- 
ster in dieser Zeit waren R. Strauss und Pfitzner. Hohe- 
punkte des Schaffens von Strauss sind Salome (1905), 
Elektra (1909), Der Rosenkavalier (1911), Ariadne auf 
Naxos (2. Fassung 1916) und Die Frau ohne Schatten 
(1919). Zum Prinzip der »symphonischen Einheit« in 
der O. hat sich Strauss selbst bekannt (Brief an H.v. 
Hofmannsthal vom 4. 5. 1909). Die fur ihn bezeich- 
nende Abwandlung der symphonischen Technik, Mo- 
tiverfindung und Gruppengestaltung ist bereits in sei- 
nen symphonischen Dichtungen der 1890er Jahre er- 
kennbar. Ebenfalls einen hohen Rang nimmt in der 
O.n-Geschichte sein Antipode Pfitzner mit Palcstrina 
(1917) ein. »Symphonisten« waren auch P.Graener, M. 
v. Schillings, E.N. v.Reznicek, Fr. Schmidt, E.W. 
Korngold und Schreker (besonders mit den O.n Der 
feme Klang, 1912; Die Gezeichneten, 1918; Der Schatz- 
graber, 1920), wahrend sich Busoni mit seinen O.n Die 
Brautwahl (1912), Arlecchino (1917) und Turandot (1917) 
nicht so leicht einordnen und gewiB nicht von der 
italienischen O. seiner Zeit her verstehen lSBt. - Eine 
Sicherung gegen die iibermachtigenEinfliisse Wagners 
boten schon vom StofI her die komische, die volkstiim- 



42 » 



659 



Oper 



liche und die Marchen-O. Die deutsche komische O., 
die zwar einzelne beriihmte Werke, doch nicht gerade 
eine ruhmvolle Geschichte auf zuweisen hat, wurde be- 
reichert durch den Barbier von Bagdad (1858) von Cor- 
nelius, Der Widerspenstigen Zdhmung (1874) von H. 
Gotz, den Corregidor (1896) von H. Wolf, Die Abreise 
(1898) von d' Albert (stilistisch viel markanter als 
d" Alberts Publikumserfolg Tiefland, 1903, im ernsten 
Genre), »Die neugierigen Frauen« (1903) und »Susannes 
Geheimnis« (1909) von Wolf-Ferrari. Die volkstiimli- 
che O. ist vertreten durch Kienzl (Der Evangelimann, 
1895), die Marchen-O. besonders durch Humperdinck 
(Hansel und Cretel, 1893; Konigskinder, 1910). 
Der EinfluB Wagners war in Frankreich auf die Litera- 
tur groBer als auf die Musik und speziell die O. E. Lalos 
(Le roi d'Ys, 1879) hielt sich unabhangig, und auch 
Chabriers Gwendoline (1886) ist dem EinfluB Wagners 
nicht eriegen. Starker zeigt er sich bei Magnard, d'Indy 
und Chausson. Die Hauptstromungen der franzosi- 
schen O. am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jh. be- 
gegnen sich mit dem Naturalismus und Symbolismus 
in der franzosischen Literatur. Bruneau vertonte Li- 
bretti nach und von Zola, und auch G. Charpentier 
schloB sich der naturalistischen Richtung an. Von den 
Theorien des dichterischen Symbolismus lieBen sich 
Debussy, Dukas, Faure und Ravel mitbestimmen. De- 
bussy s PelUas et Milisande (1902, Text von Maeterlinck) 
ist die hervorragendste O. dieser Zeit, das musikdra- 
matische Hauptwerk des franzosischen Impressionis- 
mus, der Gegenpol zur O.n-Kunst des Bayreuther Mei- 
sters; doch sind impressionistische Ansatzebei Wagner 
selbst, im Tristan, im Ring und im Parsifal, nicht abzu- 
streiten. Debussy folgten Ravel (L'heure espagnole, 1907, 
die Ballett-O. L 'enfant et les sortileges, 1925) und Dukas 
(Ariane et Barbe-Bleu, 1907, Text von Maeterlinck), 
mehr oder weniger auch G. Dupont, H. Rabaud, Bache- 
let, wahrend Roussel, Ibert, Milhaud, A.Honegger, 
Poulenc eigene Wege gingen. - Von einer Befreun- 
dung mit dem Musikdrama Wagners in Italien kann 
in erster Linie im Hinblick auf den Mefistofele (1868) 
Boitos, des Librettisten von Verdis Spatwerken, ge- 
sprochen werden, Als Gegenstromung gegen Wagner- 
Epigonen und »Symphonismus« setzte sich der -*■ Veris- 
mo durch, schon bei Mascagni (Cavalleria rusticana, 
1890) und Leoncavallo (Pagliacci [»DerBajazzo«], 1892), 
stellenweise auch bei Puccini (La Boheme, 1896; Tosca, 
1900; MadamaButterfly, 1904;LafanciulladelWest, 1910); 
in den spateren Werken, im Triptychon II tabarro, Suor 
Angelica, Gianni Schicchi (1918) und in der unvollende- 
ten Turandot (1926), tastet Puccini nach verschiedenen 
Zielen, z.B. in Gianni Schicchi nachErrieuerung derBuf- 
fa. Das italienische O.n-Schaffen der 1920er und -30er 
Jahre bestimmen Pizzetti und O. Respighi mit. 
Ein allgemeines geistiges Kennzeichen des 19. Jh., die 
Erweckung der Vblker zum Eigenleben und SelbsibewuJSt- 
sein (Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jh. I, 
Freiburg im Breisgau 41948, S. 131), tritt in der O.n- 
Geschichte nirgendwo deutlicher hervor als in RuB- 
land. Hier war um die Mitte des 18. Jh. die italienische 
O. eingedrungen, zunachst die Seria, bald auch die 
Buffa. Gegen Ende des 18. Jh. machte ihr die franzosi- 
sche Comique, zu der sich auch Bortnjanskij als Kom- 
ponist eigener O.n bekannte, den Rang streitig. An- 
satze zu einem russischen Singspiel mit Darstellungen 
aus dem Volksleben (z. B. Fomin, Jamschtschiki na pod- 
stawe [»Die Kutscher auf der Poststation«], 1787) zeig- 
ten sich in der Provinz starker als am Hof. Dawydow 
und Werstowskij (Pan Twardowski, 1828) konnen als 
Vorbereiter der russischen National-O. angesehen wer- 
den, ihr eigentlicher Begriinder aber ist Glinka (Schisn 
sa Zarja [»Das Leben fur den Zaren«], 1836, urspriing- 



licher Titel Iwan Sussanin; »Ruslan und Ljudmila«, 
1842). Ihm folgten Dargomyschskij (Russalka, 1856; 
Kamennyj Gost [»Der steinerne Gast«], 1872) und die 
»Novatoren« Mussorgsky (Boris Godunow, 2. Fassung 
1874; Chowanschtschina, 1886, unvollendet, begonnen 
1872, beendet von N.Rimskij-Korsakow), Borodin 
(Knjas Igor [»Furst Igor«], 1890, begonnen 1869, be- 
endet von Rimskij-Korsakow und Glasunow) und 
Rimskij-Korsakow (Sadko, 1898). Grundziige der rus- 
sischen National-O. sind: bevorzugte Stoffwahl aus 
der russischen Geschichte oder Sage mit zum Teil para- 
digmatischer Bedeutung fur die Gegenwart, enge Ver- 
bindung zur russischen Dichtung des 19. Jh. (besonders 
zu Puschkin und Gogol), starke Anregungen durch das 
russische Volkslied und den Volkstanz, zum Teil auch 
durch die russische Kultmusik, ein eigenes Rezitativ, 
nach dem Tonfall, der Rhythmik und Metrik der russi- 
schen Sprache geformt (Dargomyschskij, Mussorgsky), 
eine dem russischen Melos und seiner Tonalitat ange- 
paBte Harmonik. Mussorgsky bewahrt die russische 
Eigenart am starksten. Nicht zu den Novatoren gehort 
Tschaikowsky; gleichwohl hat auch er mit Jewgenij 
Onegin (1879) undPikowajaDama (»Pique Dame«, 1890) 
die Weltgeltung der russischen O. bestatigt. 
In den anderen osteuropaischen Landern entstanden 
ebenfalls O.n mit nationalen bzw. folkloristischen 
Ziigen. Die polnische O., vorbereitet durch vaude- 
villeartige Stiicke (M.Kamieiiski, Nedza uszczesliwiona 
[»Gliick im Ungluck«], 1778), gefordert im friihen 
19. Jh. durch die musikalischen Biihnenwerke Eisners 
und Kurpiiiskis, fand ihren ersten iiberragenden Mei- 
ster in Moniuszko (Halka, 1. Fassung 1848; Hrabina, 
1860; Straszny dw6r [»Das GespensterschloB«], 1865). - 
In Bohmen und Mahren begann sich das tschechische 
VolksbewuBtsein bei Fr. Skroup (teils tschechische, teils 
deutsche O.n) im O.n-Schaffen auszuwirken. Smetana 
mit Prodand nevfcta (»Die verkaufte Braut«, 1866), Da- 
libor (1868), Hubicka (»Der KuB«, 1876), Libuh (»Li- 
bussa«, 1881), Dvorak mit Krai a uhlif (»K6nig und 
K6hler«, 2. Fassung 1874), Vanda (1876), Dimitrij (1882), 
Rusatka (»Nixe«, 1901) und Janacek mit Jejl pastorkyna 
(»Ihre Ziehtochter« [»Jenufa«], 1894-1903, aufgefuhrt 
1904), Osud (»Schicksal«, beendet 1904), Kdtja Kabanovd 
(1919-21, aufgefuhrt 1921), P'rihody Lilky BystrouSky 
(»Das listige Fiichslein«, 1921-23, aufgefuhrt 1924), 
Vic Makropulos (1923-25, aufgefuhrt 1926), Z mrtveho 
domu (»Aus einem Totenhause«, nach Dostojewskij, 
beendet 1928, aufgefuhrt 1930 posthum) haben die 
tschechische O. gepragt und sind Hauptrager einer 
Entwicklung, die bei alien Unterschieden eine gewisse 
Ahnlichkeit mit der Entwicklung der russischen O. 
hat. Dies erklart sich aus dem Verhaltnis zur Folklore, 
die slawische Musiker im Griff haben, auch wenn sie 
nicht Volkslieder und -tanze zitieren. National weniger 
profiliert sind die O.n Fibichs. - In Ungarn reprasen- 
tiert im 19. Jh. vor allem F.Erkel die nationale O. 
(Hunyadi LdszlS, 1844; Bank ban, 1861). Unter den 
Volksgruppen, die das heutige Jugoslawien bilden, 
sind der Sfowene Risto Savin, die Kroaten Dobronic 
und Gotovac und die Serben Krsti£, Konjovid und 
Hristid zu nennen. Fiir die rumanische O. ist Enesco 
(Oedipe, 1916-33, aufgefuhrt 1936) bemerkenswert. In 
Bulgarien bestimmen Atanassoff, Wladigeroff und 
Wesselin Stojanoff die nationale Richtung. Die grie- 
chische O., im 19. Jh. mit der italienischen eng verbun- 
den (Spyros Samaras, Flora mirabilis, 1886), nahm erst 
seit etwa 1900 folkloristische Ziige an (bei Kalomiris) 
und offnete sich vor allem dem EinfluB des franzosi- 
schen Impressionismus (Riadis, Lavrangas). 
Eine so ausgepragte Folklore wie in der russischen und 
tschechischen O. gibt es in den skandinavischen Lan- 



660 



Oper 



dern nicht. Immerhin sollte man die Schweden Hall- 
strom und Hallen, die Danen J. P.E.Hartmann und 
Lange-Miiller und den Norweger Sinding nicht auBer 
acht lassen; Hallen und Lange-Miiller standen unter 
Wagners EinfluB. - In England gab es bei J. Barnett ei- 
nen Ansatz zur romantischen O. (The Mountain Sylph, 
1834). Sullivan hatte 1891 seine groBe O. Ivanhoe ge- 
schrieben, und in Zusammenarbeit mit W.S.Gilbert 
setzte er die englische Tradition der aus der Ballad 
opera stammenden komischen O. fort. Delius (Koanga, 
1904; »Romeo und Julia auf dem Dorfe«, Text nach 
Gottfried Keller, 1907; Fennimore and Gerda, 1919) 
wurde als O.n-Komponist besonders in Deutschland 
bekannt. - In Holland kann von einer eigenen O. nicht 
gesprochen werden. Die belgische O. lehnte sich bis 
nach 1870 an die franzosische Comique an, bei Lim- 
mander de Nieuwenhove auch an die groBe O. Aubers 
und Meyerbeers. Wagners EinfluB machte sich im 
letzten Drittel des 19. und zu Beginn des 20. Jh. be- 
merkbar, besonders bei Gilson (Prinses Zonneschijn, 
1903) und Du Bois (Edinie, 1912). Dem italienischen 
Verismo steht J.B. van denEeden (Rhena, 1912) nahe, 
dem franzosischen Impressionismus die Kammer-O. 
La jeune fille a lafenetre (1904) von Eugene Samuel- 
Holeman. Benoit und J.Blockx sind die bedeutendsten 
Meister der flamischen O. - Die hervorragendsten O.n- 
Komponisten der Schweiz in dieser Zeit sind H.Huber 
und Doret. - Spanien hat seit Calderon ein eigenes 
Schaustiick mit Musik und gesprochenem Dialog, die 
-*■ Zarzuela. Der O. nahert sich die sogenannte Zarzue- 
la grande (Bezeichnung in der neueren Literatur fur 
die 3aktige Zarzuela, deren Schopfer Fr.Barbieri ist). 
Sonst trat Spanien mit eigenen O.n verhaltnismaBig 
selten hervor. Aus dem 18. Jh. kann man etwa de 
Nebra und den beriihmten Gitarristen Sor nennen, 
obwohl die O. nicht das Hauptgebiet ihres Schaffens 
war, aus dem 19. Jh. und der neueren Zeit den mit Fr. 
Barbieri gleichaltrigen Arrieta y Corera, weiter Pedrell, 
Breton, Chapi y Lorente und I.Albeniz, wenngleich 
auch diese Musiker in der Zarzuela Bedeutenderes lei- 
steten als in der O., vornehmlich Chapi. Der iiberra- 
gende Meister der spanischen O. ist de Falla mit La 
vida breve (1913), El retablo de Maese Pedro (nach Cer- 
vantes, 1923); ein O.n-Oratorium Atldntida blieb un- 
vollendet. - Portugiesische O.n-Komponisten verharr- 
ten, von Fr. A. d'Almeidas Buffa La pacienza di Socrate 
(1733) angefangen bis ins 19. Jh. hinein, noch unselb- 
standiger als spanische im Gef olge der Italiener. 
In der Neuen Welt wurde 1735 in Charleston zum er- 
sten Mai eine O. aufgefiihrt. Im 18. Jh. war hauptsach- 
lich die englische Ballad opera verbreitet. Im Laufe des 
19. Jh. fand in den USA die O. aus fast alien europai- 
schen Landern Aufnahme und Pflege. Dem Glanz der 
1883 eroffneten Metropolitan Opera in New York 
ging der Ruhm der sudamerikanischen O.n-Metropo- 
le, des Teatro Colon in Buenos Aires, das schon 1857 
erbaut worden war, voran. Zu den fruhesten US- 
amerikanischen O.n-Komponisten gehoren Fry (Leo- 
nora, Philadelphia 1845, Notre-Dame of Paris, Phila- 
delphia 1864) und Bristow (Rip van Winkle, 1855). Um 
die Wende des 19./20. Jh. trat die sogenannte Bostoner 
oder Neuengland-Gruppe auch mit O.n starker her- 
vor : Chadwick, Converse und H. Parker. Den Stilarten 
des 19. Jh. verhaf tet blieben auch H. K. Hadley , D. Tay- 
lor, Cadman und W.Damrosch. Vorsichtig nahmen 
eine neue Satz- und Klangtechnik Hanson, D.Moore 
und V.Thomson an. 

Etwa seit 1920 erscheint die O. als musikalische Gat- 
tung in Frage gestellt, was etwas anderes bedeutet als 
die zu alien Zeiten anzutreff ende asthetische Ablehnung 
der O. als sinnvolles Kunstgebilde iiberhaupt; jetzt 



handelt es sich um den Zweifel an der stiltragenden 
Kraft und gesellschaftlichen Gebundenheit dieser Gat- 
tung. Dies bezeichnet die Situation bis zur Gegenwart. 
Vieles, was unter dem Namen O. in Erscheinung tritt, 
fiihrt nicht geradlinig und selbstverstandlich eine Tra- 
dition weiter, sondern macht nach freier kiinstlerischer 
Wahl, oft auch im planmaBigen Versuch, Anle'ihen bei 
benachbarten Gattungen wie Ballett, Oratorium, Kan- 
tate, beim Schaustiick mit Musik, beim Film usw. und 
sucht zum Teil auch Verwendung als Horspiel, jiingst 
auch als Fernsehspiel. Fiir diese Situation bietet sich ei- 
ne neue Sammelbezeichnung an, die sich fast schon 
eingeburgert hat: -> Musiktheater. Die Ablosung von 
O. durch Musiktheater besagt freilich nicht, daB man 
nach 1920 ganz aufgehort habe, O.n im traditionellen 
Sinne zu schreiben und zu verstehen. 
Lit. (Abk. O. gilt im folgenden auch f. d. engl., frz., ital. u. 
span. Form d. Stichwortes O.): 

Kat., Verz., Hdb. usw.: F. Clement u. P. Larousse, Dic- 
tionnaire lyrique ou hist, des o., Paris (1867) mit 1. Suppl., 
2.-4. Suppl. (1873-80), (21882, 31897), "1905 (Suppl. be- 
arb. v. A. Pougin); Th. de Lajarte, Bibl. mus. du Theatre 
de l'O., Cat., 2 Bde, Paris 1876, 21878; H. Riemann, O.- 
Hdb., Repertorium d. dramatisch-mus. Lit, Lpz. (1887, 
21893 mit Suppl.); A. Wotquenne, Alphabetisches Verz. 
d. Stiicke in Versen aus d. dramatischen Werken v. Zeno, 
Metastasio u. Goldoni, Lpz. 1905; C. Dassori, Opere e 
operisti, dizionario lirico universale (1541-1905), Genua 
21906 (mit Suppl.); O. G. Th. Sonneck, Dramatic Music 
(Class M 1500, 1510, 1520). Cat. of Full Scores, Washing- 
ton 1908; ders., Cat. of O. Scores, ebenda 1908, 21912; 
ders., Cat. of O. Librettos Printed Before 1800, 2 Bde, 
ebenda 1914; ders., Cat. of 19°> Cent. Librettos, ebenda 
1914; J. Towers, Dictionary-Cat. of O. and Operettas 
Which Have Been Performed on the Public Stage, Morgan- 
town (Virg.) 1910; W. Altmann, Cat. delle o. mus. sino ai 
primi decenni del s. XIX , Parma 1910/11 ; ders., Ur- u. 
Erstauffiihrungen v. Opernwerken auf deutschen Buhnen 
. . . 1899/1900-1924/25, in: Jb. Universal-Ed. Wien 1926; 
ders., Kat. d. seit 1861 in d. Handel gekommenen theatra- 
lischen Musik, 5 H., Wolfenbuttel 1935-39; F. J. Car- 
mody, Le repertoire de l'o.-comique en vaudevilles de 1708 
a 1764, Berkeley (Calif.) 1933 ; S. Farber, Verz. d. vollstan- 
digen O., Melodramen . . . d. Fiirstlich Thurn u. Taxischen 
Hofbibl. Regensburg, Verhandlungen d. Hist. Ver. v. 
Oberpfalz u. Regensburg LXXXVL 1936; L. H. Correa 
de Azevedo, Relacao das 6. de autores brasileiros, Rio de 
Janeiro 1938; A. Loewenberg, Annals of O. 1597-1940, 
Cambridge u. NY 1943, in 2 Bden neu hrsg. v. Fr. Walker, 
Genf 1955; R.-A. Mooser, O., intermezzos, ballets, can- 
tates, oratorios joues en Russie durant le XVIII e s., Genf 
1945, 3 1964; J. Jirouschek, Internationales Opernlexikon, 
Wien 1948; Hdb. d. O.-Repertoires, hrsg. v. G. E. Les- 
sing, Bonn u. London 1952; U. Manferrari, Dizionario 
universale delle o. melodrammatiche, 3 Bde, Florenz 1954- 
55; K. Michaiowski, Opery polskie (»Polnische 0.«, 
1788-1953), = Materiary do bibliogr. muzyki polskiej I, 
Krakau 1954; O. Annual, hrsg. v. H. Rosenthal, London 
seit 1954; A. Bauer, O. u. Operetten in Wien, Verz. ihrer 
Erstauffuhrungen in d. Zeit v. 1629 bis zur Gegenwart, 
= Wiener mw. Beitr. II, Graz u. Koln 1955; T. Sivert, 
Bibliogr. opery polskiej (»Bibliogr. d. polnischen 0.«), 
Muzyka VI, 1955; R. Schaal, Die vor 1801 gedruckten 
Libretti d. Theatermuseums Miinchen, Kassel (1957-61); 
The O. Directory, hrsg. v. A. Ross, Bin u. Wiesbaden 1961 ; 
R. Brockpahler, Hdb. zur Gesch. d. Barocko. in Deutsch- 
land, = DieSchaubflhneLXII.Emsdetteni.W. (1964). 
Gesamtdarstellungen: E. Arte aga, Le ri voluzioni del teatro 
mus. ital., 2 Bde, Bologna 1783-85, in 3 Bden Venedig 
21785, II u. Ill mit Zusatzen Bologna 1785-88, deutsch v. 
J. N. Forkel, 2 Bde, Lpz. 1789; Fr.-H.-J. Castil-Blaze, 
De To. en France, 2 Bde, Paris 1820, 21826; ders., Theatres 
lyriques de Paris, 3 Bde, Paris 1 855-56 ; Ch. Th. Malherbe 
(mit A. Soubies), Hist, de L'O.-Comique, 2 Bde, Paris 
1892-93; F. Pedrell, Teatro lirico espafiol anterior al s. 
XIX, 5 Bde., La Coruna 1897-98; R. Mitjana, Hist, du 
deveioppement du theatre dramatique et mus. en Espagne, 
Uppsala 1906 ; L. Aubin, Le drame lyrique, Tours 1 908 ; O. 



661 



Oper 



Bie, Die 0.,Bln 1913, 8-101923; H. Kretzschmar, Gesch. 
d. O., = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen VI, Lpz. 
1919; J.-G. Prod'homme, L'O., 1669-1925, Paris 1925; 
E. E. Hipsher, American O. and Its Composers, Phila- 
delphia 1927; A. Bonaventura, L'o. ital., Florenz (1928); 
K. Ph. Bernet Kempers, De ital. O. van Peri tot Puccini, 
Paris u. Amsterdam 1929; ders. u. M. G. Bakkev, Ital. O., 
London 1949; Ch. Bouvet, L'o., Paris 1929; R. Capell, 
O., London 1930, erweiterte NA 1948 ; G. Cecil, The Hist, 
of O. in England, London 1930; L. Schiedermair, Die 
deutsche O., Lpz. 1930, M943; A. Capri, II melodramma 
dalle origini ai nostri giorni, Modena 1938; A. Della 
Corte, Tre s. di o. ital., Turin (1938); E. J. Dent., O., NY 
(1940); W. Brockway u. H. Weinstock, The O., A Hist, 
of Its Creation and Performance: 1600-1941, NY (1941), 
neubearb. als: The World of O., London 1963 ; J. Gregor, 
Kulturgesch. d. O., Wien 1941, Zurich (1944), Wien u. 
Zurich ( 2 1950); I. E. Kindem, Den norske o. hist., Oslo 
1941 ; E. Croziev, O. in Engl., Lane 1945; J. Subira, Hist. 
de la imisica teatral en Espafia, Barcelona 1945 ; ders., La 
6. en los teatros de Barcelona, 2 Bde, Barcelona 1946; S. A. 
M. Bottenheim, De o. in Nederland, Amsterdam 1946 ; R. 
Dumesnil, L'o. et l'o.-comique, Paris 1947; ders., Hist, 
illustree du theatre lyrique, Paris (1953), span. Barcelona 
1957; Fr. Farga, Die Wiener O. v. ihren Anfangen bis 
1938, Wien 1947; D. J. Grout, A Short Hist, of O., NY 
1947, London 1948, in 2 Bden NY u. London 21965; N. 
Jacob u. J. C. Robertson, O. in Italy, London 1948; M. 
Cooper, O. Comique, NY (1949) ; ders., Russ. O., London 
(1951); J. M. Glowacki, The Hist, of Polish O., Diss. 
Boston Univ. 1952, maschr.; Fr. Toye, Ital. O., London 
1 952 ; A. A. Abert, Die O. v. d. Anfangen bis zum Beginn 
d. 19. Jh., =Das Musikwerk V, Koln (1953); dies., H. 
Ehinger u. W. Pfannkuch, Artikel O., in : MGG X, 1 962 ; 
M. Grinberg u. N. Polykowa, Sowjetskaja opera, Mos- 
kau 1953; St. Hoza, Opera na Slovensku (»Die O. in d. 
Slowakei«), 2 Bde, Martin 1953-54; D. de Paoli, L'o. ital. 
dalle origini all'o. verista, Rom 1954; R. Bauer, Die O., 
Bin, Darmstadt u. Wien (1955, 21959); L. Sip, Die O. in d. 
Tschechoslowakei, Prag 1955 (deutsch); R. Leibowitz, 
Hist, de l'o. . . . , Paris (1 957) ; G. Tintori, L'o. napoletana, 
= Piccola bibl. Ricordi VII, Mailand (1958); N. Demuth, 
French O., Its Development to the Revolution, Sussex 
1963; H. Schmidt-Garre, O., Koln (1963). 
Bis 1750: A. Pougin, Les vrais crdateurs de l'o. fr?., Paris 
1881; ders., Les origines de l'o. frc., Cambert et Lully, 
Rev. d'art dramatique VI (= Bd XXI), 1891 ; N. d'Arien- 
zo, Origini dell'o. comica, RMI II, 1895, IV, 1897, VI 
1899 - VII, 1900, deutsch v. F. Lugscheider als: Die Ent- 
stehung d. komischen O., = Mus. Studien X, Lpz. 1902; 
R. Rolland, Les origines du theatre lyrique moderne. 
Hist, de l'o. en Europe avant Lully et Scarlatti, Paris 1895, 
4 1936; H. Kretzschmar, Das erste Jh. d. deutschen O., 
S1MG III, 1901/02; H. Goldschmidt, Studien zur Gesch. 
d. ital. O. im 17. Jh., 2 Bde, Lpz. 1901-04; A. Solerti, Le 
origini del melodramma, Turin 1903; ders., Gli albori del 
melodramma, 3 Bde, Mailand (1904-05); ders., Musica, 
ballo e drammatica alia corte medicea dal 1600 al 1637, 
Florenz 1905; H. Prunieres, L'o. ital. en France avant 
Lully, Paris 1913; L. de La Laurencie, Les crdateurs de 
l'o. fr?., Paris 1921, 21930; G. Fr. Schmidt, Zur Gesch., 
Dramaturgic u. Statistik d. frfihdeutschen O. (1627-1750), 
ZfMw V, 1922/23 - VI, 1923/24; A. Sandberger, Zur ve- 
netianischen O., JbP XXXI, 1924 - XXXII, 1925; E. J. 
dent, Foundations of Engl. O., Cambridge 1928; W. 
Flemming, Die O., = Deutsche Lit. XIII, 5, Lpz. 1933; 
H. Chr. Wolff, Die venezianische O. in d. 2. Halfte d. 17. 
Jh., = Theater u. Drama VII, Bin 1937; ders., Die Ba- 
rocko. in Hbg (1678-1738), 2 Bde, Wolfenbuttel 1957; W. 
Schulze, Die Quellen d. Hamburger O. (1678-1738), 
= Mitt, aus d. Bibl. d. Hansestadt Hbg, N. F. IV, Hbg u. 
Oldenburg 1938; D. J. Grout, The Origin of the O.-Co- 
mique, 5 Bde, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1939, maschr.; 
L. Schrade, Monteverdi, NY (1950), London 1951 ; ders., 
La representation d'Edipo Tiranno au Teatro Olimpico 
(Vicenza 1585), Paris 1960; N. Demuth, Perrin, Cambert 
e l'inizio dell'o. francese, = Les cahiers d'information mus. 
XIII/XIV, Paris 1954 ; W. S. Towneley, Venetian O. in the 
17 th Cent., Oxford 1954; S. T. Worsthorne, Venetian O. 
in the 17 tt Cent., Oxford 1954; G. Tintori, L'o. napoleta- 
na, = Piccola bibl. Ricordi VII, Mailand 1958; W. Ost- 



hoff, Monteverdistudien I: Das dramatische Spatwerk 
CI. Monteverdis, = MfinchnerVeroff. zurMg. III.Tutzing 
1960; ders., Der darstellende Charakter d. Musik u. d. 
Gesange d. ital. Renaissancetheaters, Habil.-Schrift Mun- 
chen 1965, maschr.; ders., Maske u. Musik. Die Gestalt- 
werdung d. O. in Venedig, in: Castrum Peregrini LXV, 
1964, ital. in : Nuova Rivista Mus. Ital. 1, 1967. 

18. Jh.: M. Dietz, Gesch. d. mus. Dramas in Frankreich 
wahrend d. Revolution bis zum Directorium (1787-95), 
Wien u. Lpz. 1885, 21893; E. Hirschberg, Die Encyclo- 
padistenu. d.frz. O. im 18. Jh., =BIMG 1, 10, Lpz. 1903; 
H. Abert, N. Jommelli als Opernkomponist, Halle 1908; 
ders., W. A. Mozart, 2 Bde, Lpz. 1919-21, (71955-56); 
M. Achenwall, Studien fiber d. komische O. in Frank- 
reich im 18. Jh. u. ihre Beziehungen zu Moliere, Diss. Lpz. 
1912; G. Cucuel, Les createurs de l'o.-comique frc., Paris 
1914; ders., Sources et documents pour servir a l'hist. de 
l'o.-comique en France, = Les maitres de la musique, hrsg. 
v. J. Chantavoine, Paris 1914; O. G. Th. Sonneck, Early 
O. in America, NY u. Boston (1915), Nachdruck NY 
(1963); M. Scherillo, L'o. buffa napoletana durante il 
settecento. Storia letteraria, Palermo ( 2 1918); R. Englan- 
der, Dresden u. d. deutsche O. im letzten Drittel d. 18. Jh., 
ZfMw III, 1920/21 ; ders., Die Gustavianische O., AfMw 
XVI, 1959; A. Della Corte, L'o. comica ital. nel '700, 2 
Bde, Bari 1923, span. Buenos Aires 1928; R.-A. Mooser, 
Contribution a l'hist. de la musique russe. L'o.-comique 
frc. en Russie au XVIII 6 s., Genf 1932, 21954; A. Einstein, 
Mozart, engl. NY 1945, London 1946, deutsch Stockholm 
1947, Zfirich 31956, ital. Mailand 1952, frz. Paris 1947; 
Thr. G. Georgiades, Aus d. Musiksprache d. Mozart- 
Theaters, Mozart- Jb. 1950; ders., Mozart u. d. Theater, in: 
Mozart, seine Welt u. seine Wirkung, Augsburg (1956) ; D. 
Lehmann, RuBlands O. u. Singstil in d. 2. Halfte d. 18. Jh., 
Lpz. 1958 ; D. J. Grout, The O. Comique and the Theatre 
Ital., 1715 to 1762, in: Miscelanea en homenaje a H. 
Angles I, Barcelona 1958-61 ; W. Vetter, Deutschland u. 
d. Formgefuhl Italiens. Betrachtungen fiber d. Metastasia- 
nische O., Deutsches Jb. d. Mw. IV (= JbP LI), 1959; H. 
Wirth, C. Goldoni u. d. deutsche O., in: H. Albrecht in 
memoriam, Kassel 1962; A. S. G Arlington, »Le Mer- 
veilleux« and Operatic Reform in lS'^-Cent. French O., 
MQ XLIX, 1963. 

Um 1800: A. Pougin, L'o. comique pendant la revolution, 
Paris 1891 ; L. Schiedermair, Beitr. zur Gesch. d. O. um d. 
Wende d. 18. u. 19. Jh., 2 Bde, Lpz. 1907-10; M. Stomne, 
The French O. of L. Cherubini, Diss. Yale Univ. (Conn.) 
1952, maschr.; W. Hess, Beethovens O. Fidelio u. ihre 
drei Fassungen, Zurich (1953). 

19. Jh.: F. Pfohl, Die moderne O., Lpz. 1894; A. Sou- 
bies, Hist, du Theatre lyrique, 1851-70, Paris 1899; G. 
Becking, Zur mus. Romantik, DVjs. II, 1924; S. Goslich, 
Beitr. zur Gesch. d. deutschen romantischen O., = Schrif- 
tenreihe d. Staatl. Inst, f . Deutsche Musikforschung I, Lpz. 
1937 ; G. Engler, Verdis Anschauung v. Wesen d. O., Diss. 
Breslau 1938; K. Holl, Verdi, Bin (1939), Lindau (M947), 
Neudruck Zurich 1948; A. Einstein, Music in the Ro- 
mantic Era, NY (1947), deutsch als: Die Romantik in d. 
Musik, Miinchen (1950), ital. Florenz (1952); W. L. 
Crosten, French Grand O., NY 1948; C. v. Westernha- 
gen, R. Wagner, Zfirich (1956); ders., Vom Hollander 
zum Parsifal, Freiburg i. Br. u. Zurich 1962; H. Becker, 
Der Fall Heine-Meyerbeer, Bin 1958; G. Meyerbeer, 
Briefwechsel u. Tagebficher, hrsg. u. kommentiert v. H. 
Becker, Bd I (bis 1824), Bin (1960) ; J. M. Stein, R. Wagner 
and the Synthesis of the Arts, Detroit 1960; H. v. Stein, 
Dichtung u. Musik im Werk R. Wagners, Bin 1962; E. 
Wulf, Untersuchungen zum Operneinakter in d. Mitte d. 
19. Jh., Diss. Koln 1962, maschr. ; Fr. Blume, Artikel Ro- 
mantik, in: MGG XI, 1963; H. Gal, R. Wagner, = Fischer 
Bucherei Bd 506, Ffm. u. Hbg (1963); B. Szabolcsi, Die 
Anfange d. nationalen O. im 19. Jh., Kgr.-Ber. Salzburg 
1964, Bd I ; H. Weinstock, Donizetti and the World of O. 
in Italy, Paris and Vienna in the First Half of the 1 9 th Cent. , 
NY (1963), London (1964). 

Seit Mitte 19. Jh.: E. Istel, Die moderne O. . . . (1883- 
1923), =Aus Natur u. Geisteswelt, Bd 495, Lpz. 1915, 
21923; J. Kapp, Die O. d. Gegenwart, = M. Hesses Hdb. 
LVI, Bin (1922) ; A. Dandelot, L'evolution de la musique 
de theatre depuis Meyerbeer jusqu'anos jours, Paris (1927); 
H. Mersmann, Die moderne Musik seit d. Romantik, 



662 



Operette 



Biicken Hdb. ; W. Bitter, Die deutsche komische O. d. 
Gegenwart, Lpz. 1932; G. Troeger, Mussorgsky u. Rim- 
skij-Korssakoff ..., = Breslauer Studien zur Mw. II, 
Breslau 1941 ; C. Niessen, Die deutsche O. d. Gegenwart, 
Regensburg 1944; R. Hofmann, Un s. d'o. russe. De Glin- 
ka a Stravinsky, Paris 1946; O. im 20. Jh., = Musik d. Zeit 
VI, Bonn 1954; H. H. Stuckenschmidt, O. in dieser Zeit, 
Velber b. Hannover (1964). 

Einzelprobleme: C. H. Bitter, Vergessene O., in: Ge- 
sammelte Schriften, Lpz. u. Bin 1885; E. Hanslick, Die 
moderne O., Kritiken u. Studien, 9 Bde, Bin 1875-1900, 
Neuauflage 1911; H. Bulthaupt, Dramaturgie d. O., 
Lpz. 1887, in 2 Bden 31905; L. Schmidt, Zur Gesch. d. 
Marcheno., Halle 1895; H. Kretzschmar, Fur u. gegen d. 
O., JbP XX, 1913 ; R. Haas, Geschichtliche Opernbezeich- 
nungen, Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; Th. Kroyer, Die 
circumpolare O., JbP XXVI, 1919; F. Busoni, Von d. Zu- 
kunft d. O., in: Von d. Einheit d. Musik. Gesammelte 
Aufsatze, Bin (1922), NA hrsg. v. J. Herrmann, = Hesses 
Hdb. d. Musik LXXVI, Bin (1956); E. BOcken, Der heroi- 
sche Stil in d. O., = Veroff. d. Fiirstlichen Inst. f. mw. For- 
schung zu Buckeburg V, 1, Lpz. 1924; H. Abert, Grund- 
probleme d. Operngesch., Lpz. 1926; G. Becking, Der 
mus. Rhythmus als Erkenntnisquelle, Ausgburg 1928, 
Nachdruck Darmstadt 1958; P. Bekker, Wandlungen d. 
O., Zurich u. Lpz. (1934); L. F. Schiedermair, Die Gestal- 
tung weltanschaulicher Ideen in d. Vokalmusik Beetho- 
vens, = Veroff. d. Beethoven-Hauses in Bonn X, Lpz. 1934; 
G. Kinsky, Beruhmte O., Ihre Hss. u. Erstdrucke, in: Phi- 
lobiblon VIII, 1935 ; P. H. Lang, The Literary Aspects of 
the Hist, of the O. in France, Diss. Cornell Univ. (N. Y.) 
1935, maschr.; S. Skraup, Die O. als lebendiges Theater, 
= Das Nationaltheater X, Wurzburg 1942, Emsdetten 
i. W. 21951 =Die Schaubuhne XXXIX, auch Bin 1956; 
H. D. Albright, Mus. Drama as a Union of All the Arts, 
in: Studies in Speech and Drama, Fs. A. M. Drummond, 
Ithaka (N. Y.) 1944; E. Wellesz, Essays on O., London 
(1950); M. Druskin, Woprossy musykalnoj dramaturgii 
opery na materiale klassitscheskowo nasledija (»Fragen d. 
mus. Operndramaturgie, dargestellt an Hand d. klass. Er- 
bes«), Leningrad 1952; B. M. Jarustorskij, Dramaturgija 
russkoj opernoj klassiki. Rabota russkich kompositorow- 
klassikow nad opernoj (»Die Dramaturgie d. klass. russ. 
O. Die Arbeit d. klass. russ. Komponisten an d. 0.«), Mos- 
kau 1953, deutsch Bin 1957; G. Gavazzeni, Lamusicaeil 
teatro, = Saggi di varia umanita X, Pisa (1954); F. J. 
Gomez, Los problemas de la 6. espafiola, = Discurso de 
ingreso en la Real Acad, de bellas artes de San Fernando, 
Madrid 1956; G. Fr. Malipiero, Del teatro mus., Rass. 
mus. XXVII, 1957; T. Serafin u. A. Toni, Stile, tradizio- 
ni e convenzioni del melodramma ital. del settecento e 
dell'ottocento, 2 Bde, Mailand (1958-64) ; M. K. Whaples, 
Exoticism in Dramatic Musik, 1600-1800, Diss. Indiana 
Univ. 1958, maschr.; J. N. McKee, The Symphonic Ele- 
ment in O., MR XXI, 1960; W. Vetter, Zur Stilproble- 
matik d. ital. O. d. 17. u. 18. Jh., StMw XXV, 1962; L. 
Schrade, Tragedy in the Art of Music, Cambridge (Mass.) 
1964; Thr. G. Georgiades, Das mus. Theater, Munchen 
1965. AS 

Opera (ital., Werk) ->• Oper, -> Opus. 

Opera-ballet (aper'a bal'e), eine prunkvoll ausge- 
stattete Ballettoper, die gegen Ende des 17. Jh. in Pa- 
ris entstand unci in der 1. Halfte des 18. Jh. neben der 
Tragedie lyrique von den Komponisten der Lully- 
Nachfolge gepflegt wurde. Campra, Destouches u. a. 
gewahrten in ihren Tragedies lyriques den -> Diver- 
tissements (aus dem Ballet de cour hervorgegangene 
Tanz- und Gesangseinlagen in Biihnenwerken) immer 
breiteren Raum, so daB die groBen Ballettszenen mit 
eingefiigten Arien, Rezitativen und Choren das Uber- 
gewicht iiber das dramatische Moment der Oper ge- 
wannen. Die Divertissements wurden schlieBlich zu 
O.s-b.s verselbstandigt. Im Unterschied zur Tragedie 
lyrique, deren (in der Regel) 5 Akte eine durchlaufende 
Handlung aufweisen, stellt im O.-b. jeder der meist 3 
oder 2 Akte (Akt hier gleichbedeutend mit Entree) mit 
je einem Divertissement jeweils ein eigenes, unabhan- 



giges Sujet vor, bald mehr tragischen, bald mehr ko- 
mischen Inhalts. Die Akte sind nur lose durch eine 
Rahmenidee verbunden. O.s-b.s und Pastoralen mit 
ihrer »antiheroischen« und »antibarocken« Schaferwelt 
bedeuteten den ersten Durchbruch des leichten Rokokoge- 
schmackes durch dasfeierliche Pathos des'Lullyschen Barocks 
(Biicken, S. 53). Die Zeitgenossen beurteilten das 1697 
aufgefiihrte O.-b. L' Europe galante von A. Campra (3 
Arien hierfur komponierte Destouches) als le premier 
des nos ouvrages lyriques (Cahusac). Vorgebildet war das 
O.-b. schon in Ballets wie Lullys Triomphe de Vamour 
(1681) und Colasses Les saisons (1695). Zu den bedeu- 
tenden O.-b.s zahlen Les Muses (1703), Les fetes vini- 
tiennes (1710) und Les amours de Venus et de Mars (1712) 
von Campra, Lesfestes ou le triomphe de Thalie (1714) von 
Mouret, Lesfestes de I'M (1716) von Monteclair, Les 
eUments (1721) von M.-R. Delalande und Destouches, 
Les festes grecques et romaines (1723) von Cloin de Bla- 
mont, Les stratagemes de Vamour (1726) von Destouches. 
Einen Hohepunkt der Gattung stellen die O.s-b.s von 
J.-Ph.Rameau dar; sie zeichnen sich aus durch phan- 
tasievolle Situationscharakteristik, melodischen und 
harmonischen Reichtum, kunstvolle Instrumentation, 
kraftvoll-lebendigen Rhythmus und affektuosen Aus- 
druck. Neben Les fetes a" Hebe ou les talents lyriques (1739) 
und Le temple de la gloire (1745) ist vor allem Les Indes 
galantes (1735) zu nennen, womit ausdriicklich la belle 
nature pour modcle erhoben war. Schon fruh wurde die 
Bedeutung dieses Werkes erkannt. Nach Noverre 
(1760) verursachte es dans la danse la mime revolution que 
dans notre musique. 

Lit. : L. de Cahusac, La danse ancienne et moderne, Den 
Haag 1754; J. G. Noverre, Lettres sur la danse, et sur les 
ballets, Stuttgart u. Lyon 1760, Wien 1767, London u. Pa- 
ris 1783, NA Paris 1952, deutsch v. G. E. Lessing u. J. J. 
Chr. Bode als: Briefe iiber d. Tanzkunst . . ., Hbg u. Bre- 
men 1769; J. Ecorcheville, De Lulli a Rameau (1690- 
1730), Paris 1906; E. BOcken, Die Musik d. Rokokos u. d. 
Klassik, Biicken Hdb.; P.-M. Masson, L'opera de Rameau, 
Paris 1930, 21943; J. Gregor, Kulturgesch. d. Balletts, 
Zurich u. Wien 1946; J. R. Anthony, The O.-B. of A. 
Campra, Diss. Univ. of Southern California 1964, maschr.; 
ders., The French O.-B. in the Early 18 th Cent., JAMS 
XVIII, 1965 ; ders., Thematic Repetition in the O.-B. of A. 
Campra, MQ LII, 1966. 

Opera-comique (oper'a kam'ik, frz.) -*■ Oper, 
-> Vaudeville, -> Libretto. 

Operette (ital. operetta, Werkchen; frz. operette), ein 
Biihnenstuck vorwiegend heiteren Charakters mit ge- 
sprochenem Dialog, Gesang und Tanz. Die Szenenfol- 
ge findet ihre Hohepunkte in den jeweils aktuellen 
Tanzen der Zeit : bei J. Offenbach sind es Cancan und 
Galopp, bei J. StrauB (Sohn) Walzer, Polka und Mazur- 
ka, bei P. Lincke der Marsch, bei E. Kalman der Csardas 
und bei J. Gilbert der Foxtrott, durch die die musikali- 
sche Substanz der O.n wesentlich bestimmt wird. Die 
Art von Buhnenstucken, die heute O. genannt werden, 
nahm ihren Ausgang um die Mitte des 19. Jh. in Paris 
und war in der 2. Halfte des 19. Jh. besonders dort und 
in Wien beheimatet; vor dem 1. Weltkrieg erlebte sie 
eine Bliite in Berlin, auBerdem in New York, von wo 
aus sie - spatestens seit den 20er Jahren - eine Wand- 
lung zum Musical erfuhr. - L. Allacci verwendete in sei- 
ner Drammaturgia (1666, Neubearbeitung 1755) die Be- 
zeichnung operetta fur Buhnenwerke kleineren Um- 
f angs (operetta spintuale, - morale, - drammatica usw.) . 
AuBerhalb Italiens findet sich der Begriff 1664 in Wien 
fur ein musikaliscb.es Biihnenstuck (Pazzo amor von A. 
Bertali) angewendet. Zwischen 1681 und 1745 sind 
etwa 30 Auffiihrungen von »0.n« an kleineren deut- 
schenFiirstenhofenfeststellbar(vgl. Brockpahlerl964). 
Bei Rohr (1729) heiBt es allgemein: Wenn aufden Thea- 



663 



Operette 



tris . . . nur kleine Piecen vorgestellt werden, so nennet man 
dieses O.n; WaltherL definiert O. ah kurtzes musicali- 
sches Schauspiel, wahrend Mattheson Capellm. schreibt: 
O.n sind kleine Opem, weiter nichts. Fur deutsche Bear- 
beitungen italienischer Opere buffe und Intermezzi ist 
in Wien seit 1730 die Bezeichnung O. nachweisbar. 
Urn die Mitte des 18. Jh. wurde der Name O. auch auf 
Ubersetzungen franzosischer Biihnenstiicke der Gat- 
tungen Vaudeville und Opera-comique und von daher 
(vor allem im siid- und mitteldeutschen Sprachraum) 
auch auf das deutsche -*■ Singspiel iibertragen (Chr. F. 
WeiBe, Goethe). In diesen Bezeichnungen spiegelt sich 
der Sprachgebrauch; die mit O. bezeichneten Werke 
zeigen zwar schon einzelne Charakteristika der O., sind 
aber bestenf alls als Vorlauf er der Gattung O. anzusehen. 
Als O. »in Einem Aufzuge« ist Chr.G.Neefes Sing- 
spiel Amors Guckkasten (1772) bezeichnet, ein Schafer- 
spiel im Sinne der Anakreontik des 18. Jh., dessen Text 
bereits eine Gotterparodie im Stile Ofienbachs vorweg- 
nimmt. Diese Linie wird fortgesetzt von Dittersdorf 
(Orpheus der Zweite, 1787, »Parodie-0.«), F.Kauer (Der 
travestierte Telemach, 1805, 3aktige »Karikatur-0.«) 
und Wenzel Miiller (Die Entfiihrung der Prinzessin Eu- 
ropa, 1816, »mythologische Karikatur-0.« mit dem be- 
zeichnenden Untertitel : Sogeht es im Olymp zu!). Auch 
durch Parodien auf populare Opern wurde das Reper- 
toire des zur O. hinfuhrenden Singspieltheaters er- 
ganzt: auf Meyerbeers Robert le diable erschienen 1833 
die Parodie-O.n Robert der Wau Wau von Scutta (Pseu- 
donym?) und Robert der Teuxel von A. Miiller. - Eine 
ahnliche Entwicklung vollzog sich in Frankreich, aus- 
gehend vom Vaudeville und der Opera-comique. A. 
Piron fiihrte die Gotterpersiflage auf dem. Pariser 
Theater ein und A. R. Lesage die Opernparodie. Zum 
eigentlichen Begriinder der franzosischen O.'wurde Fl. 
Herve durch seine komisch-parodistischen Stiicke, fiir 
die sich zunachst der Begriff Musiquette einbiirgerte. 
In La Perle d' Alsace (1854) taucht neben dem Walzer 
auch schon der -> Cancan auf; Herves Mam'zelle Ni- 
touche (1883) wird heute noch gelegentlich aufgefiihrt. 
Mit 3aktigen Werken (operas bouffes) und mit Ein- 
aktern (bouffoneries) trat J. -> Offenbach 1855 als 
O.n-Komponist hervor; die Gotterparodie Orphie aux 
enfers (1858) und die Parodie auf die Pariser Gesell- 
schaftLo belle He~lene (1864) wurden seine bekanntesten 
und noch heute musikalisch iiberzeugendsten Werke. 
Im Vordergrund stehen bei Offenbach das brillante 
Couplet und die Tanzrhythmen von Galopp, Marsch, 
Cancan, Bolero, Fandango, Tyrolienne, Quadrille und 
Walzer. Seine Hauptlibrettisten waren H.Meilhac und 
L. Halevy. Durch seine EinfluBnahme auf Thema und 
Gestaltung der Textbiicher erzielte Offenbach die fiir 
das Genre wichtige Obereinstimmung von Text und 
Musik. Den Begriff O. verwendete Offenbach erstmals 
1856 fiir seine Musiquette La Rose de St-Flour. Vom 
Friihjahr des gleichen Jahres an wurden die Werke Of- 
fenbachs auch in Wien aufgefiihrt; es liegt daher nahe, 
dan ihm die Bezeichnung O. von Wien her bekannt 
wurde. - Franzosische O.n-Komponisten neben und 
nach Offenbach waren A. Ch. Lecocq (Girofli - Girofla, 
1874), E.Audran (Lapoupie, 1890), R.Planquette (Us 
cloches de Corneville, 1877) und A.Messager (Les p'tites 
Michus, 1897). 

Nach Offenbachs Vorbild schrieb Fr. v. Suppe das als 
erste Wiener O. (im modernen Sinn) geltende Werk 
Das Pensionat (1860), in das gleichwohl der germitlich- 
heitere, leicht sentimentale Ton des Alt- Wiener Volks- 
theaters eingegangen ist, wie er auch in der Folge fiir 
die Wiener O. bezeichnend bleiben sollte. Suppes 
Hauptwerke sind: Die schone Galathee (1865), Fatinitza 
(1876) und Boccaccio (1879). Neben Suppe wurde C. 



Millocker in seinen Friihwerken - ebenf alls mit typisch 
wienerischen Melodien und Sujets - zum Wegbereiter 
fiir J. StrauB (Sohn). Seine groBen Erfolge erzielte Mil- 
locker allerdings erst 1882 mit Der Bettelstudent und 
1884 mit Gasparone. Seine Madame Dubarry (1882) leb- 
te in der Bearbeitung von Th.Mackeben 1931 noch 
einmal auf. J. StrauB, der als »Walzerkonig« schon Be- 
riihmtheit besaB, ehe er sich 1871 der O. zuwandte, 
verhalf der Wiener O. vor allem mit seinen beiden 
Hauptwerken Die Fledermaus (1874) und Der Zigeuner- 
baron (1885) zum endgiiltigen Durchbruch und zum 
Sieg iiber Offenbach. StrauB verbindet wienerische 
Tanzmusik und wienerisches Theater (dessen Sujets 
nun allerdings nicht mehr dem Volkstheater, sondern 
»gehobeneren« Milieus entstammen) zu Werken von 
unubertroffenem und zeitlosem Charme. Die Libretti 
fiir Suppe und StrauB schrieben vor allem F. Zell und 
R. Genee. Suppe, Millocker und StrauB sind die groBen 
Drei der Wiener »klassischen« O. Ihre (unmittelbare) 
Nachfolge traten K. Zeller (Der Vogelhandler, 1891 , und 
Der Obersteiger, 1894), R.Meuberger (Der Opernball, 
1899) und C.M.Ziehrer (DerLandstreicher, 1899) an. - 
Eine neue Phase der Wiener O. ist durch das Wirken 
von Fr.Lehar (mit den Textdichtern V.Leon, L. Stein 
u. a.) gekennzeichnet. Bedeutsam wurde nun die Ein- 
heit von Gesangsnummer und nachfolgendem Tanz 
(Nachtanz). Die bezeichnendsten Werke Lehars sind 
Die lustige Witwe (1905), Der Graf von Luxemburg (1909) 
und Das Land desLachelns (1929). Zeitgenossen Lehars 
waren u. a. E.Eysler (Bruder Straubinger, 1903, und Der 
unsterbliche Lump, 1910), L.Fall (Derfidele Bauer, 1907, 
und Die Dollarprinzessin, 1907) und O. Straus (Walzer- 
traum, 1907, und Utzter Walzer, 1920), der noch 1952 

- 82jahrig - seine letzte O. Bozena herausbrachte. E. 
Kalman hat mit Der Zigeunerprimas (i912) den Typ der 
»ungarischen 0.« geschaffen, deren Kolorit durch Csar- 
dasmelodien gepragt wird. G.Jarno begriindete (u. a. 
duichDieForsterchristel, 1907) das Genre der »biographi- 
schen 0.«, in deren Handlung eine bekannte histori- 
sche Personlichkeit eingebaut ist. Dazu gehoren Lehars 
Paganini (1925), Der Zarewitsch (1927) und Friederike 
(1928) ebenso wie Br. Granichstadtens Auf Befehl der 
Kaiserin (1915) und L.Falls Madame Pompadour (1922). 

- Eine epigonale Generation von O.n-Komponisten 
versuchte, einerseits durch Ubernahme neuer amerika- 
nischer Rhythmen (z. B. W.Bromme, Die Dame im 
Frack und Maskottchen, beide 1919) oder Einbeziehung 
von Jazzelementen (vor allem von Jazzrhythmen) die 
O. der neuen Zeit anzupassen (Granichstadten brachte 
in Orlow, 1928, eine Jazzband auf die Biihne und ver- 
suchte sich 1930 mit Reklame an einerJazz-O.), anderer- 
seits durch bewuBte Pflege der wienerischen Tradition 
(R.Stolz, R.Kattnigg, N.Dostal, Fr.Kreisler) die O. 
alten Stils am Leben zu erhalten. Der Zug zu einer 
kaum mehr zu ubertreffenden Verflachung der Hand- 
lung und die Neigung zur Bearbeitung fremder (H. 
Berte 1916) oder eigener Melodien (Fr. Raymond 1927, 
Fr.Kreisler 1932) sind nicht zu iibersehende Merkmale 
des Epigonalen. 

In Berlin, wo es - ahnlich wie in Wien das Singspiel - 
im 19. Jh. ein bodenstandiges Volkstheater gab in Form 
der Lokalposse mit Gesangseinlagen (Musik u. a. von 
A.Conradi), fanden im letzten Drittel des 19. Jh. die 
O.n vor allem Offenbachs, aber auch Wiener O.n ein 
aufnahmebereites Publikum. Eine Riickbesinnung auf 
das spezifisch Berlinerische und damit zugleich eine 
neue Richtung innerhalb der Geschichte der O. bedeu- 
tete aber erst die 1899 mit Frau Luna einsetzende Er- 
folgsserie der Werke von P. Lincke (Texte von Bolten- 
Baeckers). Linckes Musik, deren Starke im Marsch und 
in den geradtaktigen Tarizen liegt (seine Walzer wirken 



664 



Opemchor 



leicht sentimental), ist gekennzeichnet durch bewuBte 
Hinwendung zum rhythmisch Pragnanten und zum 
Schlager. Die Berliner O. vereinigt Elemente der Lo- 
kalposse, des Schwanks, der Parodie mit denen der 
-»■ Revue, die dem Geschmack (auch dem wirtschaft- 
lichen Status) der Vorweltkriegszeit besonders entge- 
genkam und die seit Ende der 1920er Jahre noch mehr- 
mals auflebte (z. B. in Benatzkys Casanova, 1928, und 
Raymonds Maske in Blau, 1937). Andererseits entstand 
in Berlin auch das »Musikalische Lustspiel«, das sich 
durch Hinwendung zum Komodiantischen und durch 
intimer gehaltene musikalische Faktur von der Revue- 
O. distanzierte (z. B. Benatzky, Meine Schwester und ich, 
1930). Zur Berliner (bzw. zur deutschen) O.n-Schule 
zahlen der schon 1888 mit Carmonisella hervorgetretene 
V.Hollaender sowie J. Gilbert, W.Kollo, R.Nelson, L. 
Jessel, W. W.Goetze und E.Kunnecke, auBerdem die 
gebiirtigen Osterreicher R. Benatzky und Fr. Raymond 
und der Ungar P.Abraham. Das Wirken von E.Nick, 
L. Schmidseder und Fr. Schroder fallt bereits in das 
letzte Jahrzehnt vor dem 2. Weltkrieg. Das O.n-Thea- 
ter der Nachkriegszeit sucht den Erf olg im schon Be- 
kannten, teils durch das Ankniipfen an klassische Er- 
folgsstiicke (durch deren Wiederaufnahme, »zeitge- 
maBe« Arrangements oder Nachahmung), teils durch 
Versuche, in den USA erprobte Erfolgsrezepte auf 
Europa zu iibertragen. Zwischen 1948 und 1965 wur- 
den in Deutschland und Osterreich mehr als 130 neue 
Werke (uberwiegend von schon vor dem Krieg be- 
kannten Komponisten) herausgebracht, die - als O., 
Musikalisches Lustspiel oder auch als Musical bezeich- 
net - musikalisch meist in irgendeiner Weise den 
Rhythmen oder dem Sound des Jazz bzw. der moder- 
nen Tanz- und Unterhaltungsmusik verpflichtet sind. 
Zwar ist, nicht zuletzt durch die Konkurrenz von Film 
und Fernsehen, die groBe Zeit der O. als musikalisches 
Volkstheater vorbei, doch vermag die uberragende 
Einzelleistung (als Komposition wie auch als Auffiih- 
rung) auch heute noch einen uberdurchschnittlichen 
Publikumserfolg zu erringen. 

Durch Auffuhrungen von Offenbachs O.n in London 
wurde auch in England im letzten Viertel des 19. Jh. 
eine Abart der O., die satirische Comic opera angeregt, 
deren Hauptmeister A. Sullivan wurde (Texte von W. 
S.Gilbert, besondere Erfolge wurden Trial by Jury, 
1875, und vor allem The Mikado, 1885). Urn die Mitte 
der 90er Jahre wurde die Comic opera von der Musical 
comedy abgelost (S.Jones, The Geisha, 1896; I.Caryll, 
The Earl and the Girl, 1903 ; L. Monckton, Quacker Girl, 
1910; N. Coward, Bitter Sweet, 1929; I.Novello, Gla- 
mouros Night, 1935, und King's Rhapsody, 1951). -In den 
US A hatte die O. verschiedene Vorlauf er, zunachst in der 
Minstrel show (->■ Minstrelsy) seit 1843 (die erst urn 
1900 ihre Anziehungskraft verlor) und in der Extra- 
vaganza, die - bei prunkhafter Ausstattung - zunachst 
aus einer Kompilation popularer Musikstiicke bestand. 
1874 erhielt die Extravaganza Evangeline in der Neu- 
komposition von E.E.Rice die (damit erstmals belegte) 
Bezeichnung Musical comedy. Indessen feierten Sulli- 
vans O.n auf den New Yorker Btihnen Triumphe und 
hatten auch amerikanische Kompositionen von Comic 
operas zur Folge, u. a. von R. de Koven (Robin Hood, 
1890, und The Highwayman, 1897), J. Ph. Sousa (El Ca- 
pitan, 1896) und G. M. Cohan (Littlejohnnyjones, 1904). 
V.Herbert gab der amerikanischen O. neue Impulse, 
indem er an die formale Anlage und inhaltliche Kon- 
zeption der O.n von J. StrauB ankniipfte. Die Serie sei- 
ner Erfolge reichte von Serenade (1897) bis zu Eileen 
(1917). Neben Herbert wirkten einige deutsche und 
osterreichische Komponisten fur die amerikanische O., 
u. a. R.Friml (Rose Marie, 1924) und S. Romberg (The 



Desert Song, 1926). Auf dieser Grundlage bauten I. Ber- 
lin, J. Kern und G. Gershwin weiter, deren Werke ei- 
nen Ausgangspunkt f iir das moderne -*■ Musical bilden. 
Lit. : L. Allacci, Drammaturgia . . . , divisi in sette in- 

dici, Rom 1666, dass accresciuta e continuata fino 

all'1755, Venedig 1755, Faks. d. Ausg. v. 1755 hrsg. v. Fr. 
Bernadelli, Turin 1961; F. M. v. Rohr, Einleitung zur 
Ceremonielwiss. II, o. O. 1729; Fr. W. Marpurg, Hist.- 
Kritische Beytrage zur Aufnahme d. Musik IV, 5. Stuck, 
Bin 1759, u. V, 4. Stuck, Bin 1762; J. N. Forkel, Mus.- 
Kritische Bibl. II, Gotha 1778; H. M. Schletterer, Zur 
Gesch. dramatischer Musik in Paris u. Deutschland I, Das 
deutsche Singspiel v. seinen ersten Anfangen bis auf d. 
neueste Zeit, Augsburg 1 863 ; A. Font, Favart, L'opera- 
comique et la comedie-vaudeville aux XVIP et XVIII e s., 
Paris 1894; E. Urban, Die Wiedergeburt d. O., Mk III, 
1903/04; R. Haas, Geschichtliche Opernbezeichnungen, 
Fs. H. Kretzschmar, Lpz. 1918; E. Rieger, Offenbach u. 
seine Wiener Schule, = Theater u. Kultur IV, Wien 1920; 
Vl. Helfert, Zur Gesch. d. Wiener Singspiels, ZfMw V, 
1922/23; A. Neisser, Vom Wesen u. Wert d. O., = Die 
Musik XLIX/L, Lpz. (1923); O. Guttmann, Moderne O., 
Bin 1925 ; O. Keller, Die O. in ihrer geschichtlichen Ent- 
wicklung, Lpz., Wien u. NY 1926; M. St. MacKinlay, 
Origin and Development of Light Opera, London 1927; 
Fr. Mayr, Die mundartlichen Klostero. v. M. Lindemayr 
( 1 723-83) u. seinen Zeitgenossen, Diss. Wien 1930, maschr.; 
L. Schiedermair, Die deutsche Oper, Lpz. 1930, Bonn u. 
Bin 31943; K. Westermeyer, Die O. im Wandel d. Zeit- 
geistes, Miinchen 1931 ; Ch. Altmann, Der frz. EinfluB 
auf d. Textbucher d. klass. Wiener O., Diss. Wien 1935, 
maschr.; St. Czech, Das Operettenbuch, Dresden 1935, 
neubearb. Stuttgart (31950, 41960); Fr. Hadamowsky u. 
H. Otte, Die Wiener O., Wien 1947 ; S. Spaeth, A Hist, of 
Popular Music in America, NY 1948 ; D. Ewen, Men of Po- 
pular Music, Englewood Cliffs (N. J.) 1 949 ; ders. , Panorama 
of American Popular Music, ebenda 1 957; ders., Complete 
Book of the American Mus. Theatre, NY (1958) ; M. Kell- 
ner, Die O. in ihrer Entwicklung u. Darstellung, Diss. 
Wien 1950, maschr. ; C. Smith, Mus. Comedy in America, 
NY (1950); S. Dorffeldt, Die mus. Parodie bei Offen- 
bach, Diss. Ffm. 1954, maschr.; E. Nick, Vom Wiener 
Walzer zur Wiener O., Hbg (1954); L. A. Paris, Men and 
Melodies, NY 1 954; A. Bauer, Opern u. O. in Wien, = Wie- 
ner mw. Beitr. II, Graz u. Koln 1955; H. Kaubisch, O., 
Bin 1955; O. Schneidereit, Operettenbuch, Bin 1-31955, 
4 1956; K. Laux, Die geschichtliche Entwicklung d. O., in: 
Erster Lehrgang fur O.-Spielleiter (Vortragsreihe), Bin 
1956; H. Kindermann, Theatergesch. Europas, Salzburg 
1957ff. ; B. Grun, Kulturgesch. d. O., Miinchen (1961) ; R. 
Brockpahler, Hdb. zur Gesch. d. Barockoper in Deutsch- 
land, = Die Schaubuhne LXII, Emsdetten i. W. (1964). 

Operettenfiihrer. 

W. Lackowitz, Der O., Bin 1 894, Lpz. 2 1 898 ; J. Scholtze, 
Vollstandiger O., Bin (1906, 21912); L. Melitz, Fuhrer 
durch d. Operetten, Bin 1907 ; E. E. F. Kuhn, Fuhrer durch 
d. Operetten d. alteren u. neueren Zeit, Bin 1925; O., hrsg. 
v. A. O. Paul, = Miniatur-Bibl. Nr 1 501-21 , Lpz. o. J. ; R. 
Kastner, Fuhrer durch d. Operetten . . ., Bin 1933; St. 
Czech, Das Operettenbuch, Dresden 1935, neubearb. 
Stuttgart (31950, "I960); W. Mnilk, Reclams O., Lpz. 
1937, bearb. v. G. R. Kruse 31941, neu v. A. Wurz, Stutt- 
gart ("1951, 81958); F. Dietz, Operettenbuch, Regensburg 
1948; L. Oster, Les operettes du repertoire courant . . .', 
Paris 1953 ; O. Schneidereit, Operettenbuch, Bin 1-31955, 
4 1956; H. Steger u. K. Howe, O. v. Offenbach bis zum 
Musical, = Fischer Biicherei CCXXV, Ffm. u. Hbg 1958 ; 
H. Renner, Neuer Opern- u. O., Miinchen 1963. 

Opernchor, ein an einem Operntheater fest angestell- 
ter gemischter Chor; ihm stent- ein Chordirektor vor. 
Bei groBen Chorszenen (z. B. Festwiese in Wagners 
Oper Die Meister singer) wird der O. durch einen (meist 
aus Laiensangern bestehenden) Extra- oder Aushilfs- 
chor verstarkt. - Schon vor der Entstehung der Oper 
gab es den Chor auf der Biihne, im 15. und 16. Jh. in 
geistlichen Spielen und weltlichen Dramen, in der 2. 
Halfte des 16. Jh. in Tragodien (Edipo tiranno, 1588, mit 
der Musik von A.Gabrieli), Komodien, Pastoralen, 



665 



Opemchor 



Balletten und Intermedien. Die -*■ Madrigalkomodie 
wird vom Chor allein (ohne gesprochenen Dialog) 
ausgefiihrt. In der Florentiner Oper, besonders bei Peri 
(Dafne, 1598; Euridice, 1600), wirkt der Chor nach Art 
des antiken griechischen Chors am Drama mit, reflek- 
tierend, klagend, jubelnd oder am Geschick der Pro- 
tagonisten Anteil nehmend. Er greift jedoch nicht in 
die Handlung ein; durch Unterbrechung des Dialoges 
belebt und gliedert er das Geschehen. Diese Art der 
Verwendung des Chors wirkte fort in den friihen 
Opern Monteverdis (Choro di Ninfe e Pastori und Choro 
di Spiriti infernali im Orfeo, 1607) und in der romischen 
Oper (Zyklopenchor in La catena d'Adone von D.Maz- 
zocchi, 1626; Doppelchor zur Verherrlichung des Hei- 
ligen in II Sant'Akssio von St.Landi, 1632; Jager- und 
Soldatenchor in Erminia sul Giordano von M. A. Rossi, 
1637). Die auf Biihneneffekte abzielende und vom Soli- 
sten beherrschte venezianische Oper des 17. Jh. raumte 
demChoroftnurkurzeZwischenrufeeinundverwende- 
te ihn haufig als Reprasentanten der Menge (z. B. der 
den Paride begleitende, aber nicht singende Choro di suoi 
servi in II pomo d'oro, 2. Akt, 8. Szene, von M. A. Cesti, 
1667). In Frankreich, ausgehend vom Ballet de cour, 
und in England, beeinfluBt von der Masque und der 
franzosischen Oper, bildete der Chor einen der Grund- 
pfeiler der Oper (z. B. Unterwelt-, Beschworungs- und 
Finalszenen bei Lully undJ.-Ph. Rameau, die Hexensze- 
nen in Dido and Aeneas von Purcell, 1689). - Erste Au- 
Berungen iiber dramaturgische Fragen der Chorver- 
wendung in Deutschland finden sich bei Verf assern von 
Singspieltexten: Ph.Harsdorffer verlangt den Chor / 
oder die Music / dienend dergestalt j dafi zwischen jeder 
Handlung (Actus) ein Lied gesungen werden sol (Poetischer 
Trichter, Niirnberg 1648-53, S. 73f.). Nach Sigmund 
v. Birk sind die Chore Zwischen Lieder, die gemeinlich 
von den Tugenden oder Lastern J welche die vorhergehende 
Spiel Personen an sichgehabt, reden (Teutsche Rede- und 
Dkht-Kunst, Niirnberg 1679, S. 326f.). B.Feind sagt in 
seinen Gedancken von der Opera (Deutsche Gedichte . . . , 1 . 
Teil, Stade 1708, S. 102f.) zur Chorverwendung, man 
miisse sich der Gelegenheit der Chore undEntrden bedienen, 
insonderheit bey neuen Zeitungen von Siegen, Friede, bey 
Opferungen, Schlachten, Zaubereien, Trauer-Bezeigungen, 
und Freudenmahlen etc. In der 1. Halfte des 18. Jh. auBer- 
ten sich iiber Probleme des O.s (Kompositionsweise, 
Chorbesetzung, -erziehung und -verwendung) u. a. J. 
Mattheson, J. A. Scheibe, Fr. W. Marpurg, J.J. Quantz. 
- Bis 1750 waren in Deutschland Mitglieder der Hof- 
kapellen und Kantoreien, Schiiler, Studenten, Schau- 
spieler bzw. Sanger, manchmal auch Liebhaber die 
Sanger des Chors bei Auffiihrungen theatralischer 
Werke. Die Mindestbesetzung dieser Gelegenheits- 
chore lag etwa bei 8 Personen. Der Ubergang zum 
stehenden Berufschor vollzog sich zwischen 1750 und 
1850, in erster Linie an den Biihnen der Residenzstadte 
(Berlin, Dresden, Weimar, Stuttgart und Mannheim), 
vor allem wegen der wachsenden musikalischen S ch wie- 
rigkeiten der Chorpartien, der Forderung nach dar- 
stellerischen Fahigkeiten und der Ausdehnung der 
Spielzeit. Die soziale Lage der O.-Sanger festigte sich, 
vornehmlich unter dem Einflufi der »Chorbewegung« 
(Singakademien, Singkreise, Liedertafeln, Liederkran- 
ze). Die Stellung des Berufschors wird erst heute durch 
soziale und wirtschaftliche MaBnahmen (Tarifvertrage 
fiir Mitglieder des O.s) gesichert. Der Nachwuchs fiir 
den O. wird in eigenen Klassen (O.-Schule) der Kon- 
servatorien und Musikhochschulen ausgebildet. - Gro- 
Be Chorpartien im Opernrepertoire enthalten u. a. 
Verdis Macbeth, La sforza del destino, Aida, Otello, Wag- 
ners Tannhauser und Lohengrin, Bizets Carmen, Boro- 
dins Knjas Igor (»Fiirst Igor«), Mussorgsky's Boris Go- 



dunow, Puccinis Turandot, Honeggers Jeanne d'Arc au 
bucher und Orffs Trionfi. 

Lit. : E. Neumeister, Die Allerneueste Art zur reinen u. ga- 
lanten Poesie zu gelangen, (Hbg 1707); Mattheson Ca- 
pellm.; J. A. Scheibe, Der critische Musicus, Hbg 2 1745; 
Fr. W. Marpuro, Der Critische Musicus a. d. Spree, Bin 
1749-50; Quantz Versuch; W. Galluser, Der Chor u. d. 
Oper, Bellinzona 1947; H. Haertl, Die Funktionen d. 
Chores in d. Oper, Diss. Wien 1950, maschr. ; P.-A. Gail- 
lard, Le r61e du choeur dans l'oeuvre de Wagner, SMZ 
XCIX, 1959 ; Chr.-H. Mahlino, Studien zur Gesch. d. O., 
Trossingenu.Wolfenbuttel 1962; D.J. Grout, The Chorus 
in Early Opera, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963. 
Opernfuhrer. 

Ch. Annesley, The Standard-Operaglass . . . , London u. 
Reichenberg 1888, London u. Dresden 2 "1910, verbesserte 
Auflage NY 1920, Dresden 1921 ; O. Neitzel, Der Fiihrer 
durch d. Oper d. Theaters d. Gegenwart ... I, 1-2, Lpz. 
1890, Stuttgart "1908, 1, 3, Lpz. 1893, neubearb. als: Fiih- 
rer durch d. deutsche Oper, 2 Bde, Stuttgart u. Bin 1920; 
W. Lackowitz, Der O., Lpz. 1892, 61899; L. Melitz, 
»Liliput« O., Bin 1895, verbesserte Auflage als: Fiihrer 
durch d. Opern, Bin 1906; K. Storck, Das Opernbuch, 
Stuttgart 1899, 21901, neu hrsg. v. P. Schwers 1931, neu 
hrsg. v. H. Eimert 37-381937, 45-461949; Hoursch's O., 
hrsg. v. W. Schlano, P. Thiel, K. Wolff, 40 H., Koln 
1902-03; J. Scholtze, Vollstandiger O. ..., Bin 1904, 
Lpz. "1935; F. v. Strantz, O, Bin 1907,fortgefiihrtv. W. 
Heichen 1929, bearb. v. W. Abendroth 1935, neu bearb. v. 
A. Stauch, Hildesheim u. Bin 1950; Fr. Dittmar, O., Lpz. 
1919, 21924; E. Istel, Das Buch d. Oper I, = Hesses illu- 
strierte Hdb. LIV, Bin 1919, 21920; G. Kobbe, The Com- 
plete Opera Book . . ., London 1919, neu hrsg. v. Earl of 
Harewood, London 1954; A. Eisenmann, Das groBe 
Opernbuch, Stuttgart u. Bin 1922, 2 1923; J. Kapp, Das 
Opernbuch, Lpz. 1922, neu bearb. 1941 ; H. Lebede, Im 
Opernhaus, Bin 1922; W. Rieck, Opera Plots: an Index to 
the Stories of Operas, Operettas, etc., NY 1927 ; O, hrsg. v . 
A. O. Paul, = Miniatur-Bibl. Nr 1522-48, Lpz. o. J.; 
Reclams O., hrsg. v. G. R. Kruse, Lpz. (1928, H1940), 
fortgefuhrt v. W. Zentner u. A. Wiirz als : Reclams Opern- 
u. Operettenfuhrer, Stuttgart "1951, 221961; H. Wich- 
mann, Der neue O., Bin 1930, '1938; F. Welter, Fiihrer 
durch d. Opera, = Lehrmeister-Biicherei Nr 916-923, 
Lpz. 1937; E. Schwarz-Reiflingen, Musik-ABC. Fiihrer 
durch Oper, Operette u. Konzertmusik, Stuttgart (1938), 
als : ABC d. Musik, Munchen (5 1 960) ; O. Thompson, Plots 
of the Operas, NY 1940, 21946 ; M. Conrad, Neuer Fiihrer 
durch Oper u. Operette, Zurich 1 945, 2 1 947 ; J. W. McSpad- 
den, Operas and Mus. Comedies, NY 1946, erweitert NY 
1951 u. 1954; M. Senechaud, Le repertoire lyrique 
Paris 1946-48, 21952; A. Funk, The Stories of the Operas, 
Wien 1947; Fr. C. Lange, Das Mus. Theater, Linz 1947; F. 
Dietz, Opernbuch, Regensburg 1948; J. Jirouschek, In- 
ternationales Opernlexikon, Wien 1948 ; G. Wolf u. E. L. 
Waeltner, Opernlexikon, Heidelberg 1948, 2 1951; A. 
Veinus u. H. Simon, The Pocket Book of Great Operas, 
NY 1949; G. Hausswald, Das neue Opernbuch, Dresden 
1951, erweitert Bin 1953, «1957; R. Kloiber, Taschenbuch 
d. Oper, Regensburg 1951, «1961 als: Hdb. d. Oper; L. 
Oster, Les opdras du repertoire courant . . ., Paris 1951 ; 
G. v. Westerman, Knaurs O., Munchen u. Zurich 1951, 
1 ' 1 958, verbesserte Auflage 1 960 ; O. Schumann, Opern- u. 
Operettenfuhrer, Wilhelmshaven 1 952; H. Bauer, Taschen- 
lexikon f. Opern, Operetten u. Ballette, = Humboldt-Ta- 
schenbiicher XXVII, Ffm. 1954; H. Stegeru. K. Howe, O, 
Von Monteverdi bis Hindemith, = Fischer BiichereiXLIX, 
Ffm. u. Hbg 1954; I.Balassa u. G.S.Gal, Operakalauz, 
Budapest 1958; P. Czerny, Opernbuch, Bln 2 1958; R. Fell- 
ner, Opera Themes and Plots, NY 1958 ; R. Bauer, Oper u. 
Operette, Bin (1959); C R. Bulla, Stories of Favorite 
Operas, NY 1959; A. Hostomska, Opera, Prag 41959; H. 
Koeltzsch, Der neue O., Stuttgart (1959); G. Schepelern, 
Operaboken, Oslo 1959; L. Riemens, Elseviers groot 
operaboek, Amsterdam 1959 ; K. Stromenger, Przewodnik 
operowy, Warschau 1959; Q. Eaton, Opera Production, 
Minneapolis (1961); E. Krause, Oper v. A-Z, Lpz. 1961 ; 
G. Martin, The Opera Companion, London 1962; H. 
Renner, Opern- u. Operettenfuhrer d. Biichergilde, Ffm. 
1962; H. J. Winkler, Oper u. Ballett, Munchen (1964). 



666 



Opernton 



Opernregisseur. Die Aufgabe des O.s ist es, das in 
der Opernpartitur von den Autoren (Librettist und 
Komponist) fixierte Werk im Einklang mit der musi- 
kalischen Interpretation des Dirigenten durch die dem 
Theater zur Verf iigung stehenden Kraf te und Mittel auf 
der Biihne zu realisieren. Die Arbeit des O.s gliedert 
sich in 2 Abschnitte: 1) die im umfassenderen Begriff 
der Inszenierung einbeschlossene Festlegung und Aus- 
arbeitung des Auffiihrungsstils. Dieser ist nicht iden- 
tisch mit dem Werkstil, sondern ihm analog, da das 
Theater als zeitbedingt und zeitverhaftet das die Zei- 
ten uberdauernde Werk in den jeweils zeitgemaBen 
Formen auf die Biihne stellt - jedoch ohne Eingriff in 
dessen Geist und Substanz. Voraussetzung fur eine 
werkgerechte Interpretation ist die Analyse des Werks, 
die zurErkenntnis des Werkstils fiihren soil; auf dessen 
Grundlage ist der Auff iihrungsstil zu bilden. Die wich- 
tigsten Faktoren der Theatertechnik, die dem O. bei 
der Inszenierung zur Verf iigung stehen, sind: Biihnen- 
bild, Beleuchtung, Kostiim und Maske. 2) die Personal- 
regie, die Ubertragung des Auffiihrungsstils auf So- 
listen, Chor, Ballett und Statisterie, die den Ablauf der 
dramatisch-musikalischen Handlung und die Beziehun- 
gen der dramatischen Pers'onen in Bewegungen, Hal- 
tung und Ausdruck zur Darstellung gelangen laBt. 
Anders als der Regisseur des Sprechtheaters ist der O. 
viel starker an una durch das Werk gebunden: vor al- 
lem das Tempo, die Bewegungsablaufe und -rhythmen 
sind durch die Musik vorbestimmt. - Der O. war im 
17. und 18. Jh. lediglich Arrangeur und Choreograph 
des dekorativ einzufiigenden Chores oder Balletts. Die 
Biihnenarchitekten und -ingenieure des Barocks schu- 
fen kiinstlerisch eigenstandige Dekorationen, vor und 
in denen die Sanger nach eigenem Ermessen und nur 
der Biihnentradition verpflichtet ihre Arien und Solo- 
szenen sangen, schauspielerisch andeuteten und in En- 
sembleszenen sich nach hofisch-barockem Zeremoniell 
bewegten. In der 2. Halfte des 18. Jh. ergab sich die 
Notwendigkeit der in einer Hand zusammengefaBten 
Opernregie, je mehr der strenge Schematismus der 
Opera seria verlassen wurde. Die Forderung nach sze- 
nischer Gestaltung stellte sich von seiten der Autoren 
und durch den Anspruch der Werke auf jeder Stufe 
der Operngeschichte (Gluck, Mozart, Weber, Wagner 
und Verdi) auf neue Weise. Seit Wagner, der den 
Inszenator bezeichnend »Dirigent der Szene« nennt, ist 
die Verantwortlichkeit des O.s fur die geistig-kiinstle- 
rische Einheit der Szene allgemein anerkannt. Die wis- 
senschaftliche Opernregie, begriindet von C.Hage- 
mann, E. Lert una H. Graf, wird in Theorie und Praxis 
heute von den meisten O.en vertreten. Inszenierung 
und Regie sind Leistungen des O.s, die kunstlerische 
Interpretationsfahigkeit voraussetzen, doch wird der 
Anspruch, die Inszenierung als eigenschopferische 
Kunstleistung gelten zu lassen, nur von einigen Befiir- 
wortern einer subjektiv-individuellen Opernregie ge- 
stellt. Die Reform der Opernregie, die den O. als 
gleichberechtigten Interpreten neben den Dirigenten 
stellte, blieb jedoch auf die Musiktheater des deutschen 
Sprachraumes beschrankt. 

Lit.: A. Ingegneri, Delia poesia rappresentativa et del 
modo di rappresentare le favole sceniche, Ferrara 1598, 
Neudruck Florenz 1734; A. Appia, La raise en scene du 
drame wagnerien, Paris 1895, deutsch als: Die Musik u. d. 
Inscenierung, Miinchen 1899; C. Haoemann, Moderne 
Biihnenkunst, 1 Regie, Kunst d. szenischen Darstellung, 
II Der Mime, Kunst d. Schauspielers u. Opernsangers, Bin 
1902, 51918-19, II «1921 ; E. Lert, Mozart auf d. Theater, 
Bin 1918, 41921; H.Graf, Opernregie als Wiss.,Mk XVIII, 
1925/26; ders., Producing Opera for America, Zurich u. 
NY 1961 ; P. Bekker, Die Opernszene, in: Klang u. Eros, 
= Gesammelte Schriften II, Stuttgart u. Bin 1922; ders., 



Das Operntheater, = Musikpadagogische Bibl. IX, Lpz. 
1931; H. Pfitzner, Gesammelte Schriften II, Augsburg 
1926; O. Erhardt, Vom Wesen d. Opernregie, = Das 
Nationaltheater I, 1 , Bin 1928 ; A. d'Arnals, Der Opern- 
darsteller, Bin 1932; Fr. Tutenberg, Munteres Handbuch- 
lein d. O., Regensburg 1933, 21950; ders., Werktreue bei d . 
Opernregie, Fs. Fr. Stein, Braunschweig 1939; M.-A. 
Allevy, La mise en scene en France dans la premiere 
moitie du dix-neuvieme s., Paris 1938 ; G. Hellberg-Kup- 
fer, R. Wagner als Regisseur, = Schriften d. Ges. f. Thea- 
tergesch. LIV, Bin 1942; S. Skraup, Die Oper als lebendi- 
ges Theater, = Das Nationaltheater X, Wurzburg 1942, 
Emsdetten i. W. 21951 = Die Schaubuhne XXXIX, auch 
Bin 1956; H. Arnold, Fragen d. Opernregie, Musica II, 
1948; W. Felsenstein, Bekenntnisse zum Musiktheater, 
NZfM CXIX, 1958; J. Gregor, Die Theaterregie in d. 
Welt unseres Jh., = Schriftenreihe d. Osterreichischen 
UNESCO-Kommission, Wien (1958) ; K. R. Pietschmann, 
H. Gregor als O., Diss. Gottingen 1958, maschr.; Chr. 
Bitter, Wandlungen in d. Inszenierungsformen d. »Don 
Giovanni«, = Forschungsbeitr. zur Mw. X, Regensburg 
1961 ; W. Felsenstein u. S. Melchinger, Musiktheater, 
Bremen 1961 ; W. E. Schafer, G. Rennert als Regisseur in 
dieser Zeit, Bremen 1 962; O. Fr. Schuh u. Fr. Willnauer, 
Biihne als geistiger Raum, Bremen 1963 ; W. Panofsky, W. 
Wagner, Bremen 1964; J. D. Steinbeck, Inszenierungsfor- 
men d. »Tannhauser«, = Forschungsbeitr. zur Mw. XIV, 
Regensburg 1964. HA 

Opernton (frz. ton d'opera; engl. opera pitch) heiBt 
der -> Stimmton, der durch die Begrenzung der Sing- 
stimmen bestimmt ist. Tatsachlich haben sich die San- 
ger immer wieder gegen das Hohertreiben der Orche- 
ster wehren miissen. Georg Muff at berichtet 1698 iiber 
die Stimmhohe zur Zeit Lullys : Der Thon nach welchem 
die Lullisten ihre Instrumenta stimmen, ist ins gemein umb 
einen gantzen, ja in Teatralischen Sachen umb anderthalb 
Thon niedriger als unser Teutscher. J. Sauveur berechnete 
1700, daB der franzosische O. (umgerechnet) 404 Hz 
betrug. J.-J. Rousseau schreibt 1768 : II y a, pour la Mtt- 
sique, Ton de Chapelle & Ton d'Opera. Ce dernier n'a rien 
de fixe; mais en France il est ordinairement plus bas que 
V autre. Auch Dom Bedos spricht 1778 vom tiefen fran- 
zosischen O., und H.Berlioz stellt 1858 fest, daB in der 
Zeit, in derJ.-Ph.Rameau, Monsigny, Gretry, Piccinni 
und Sacchini ihre Opern f iir das Pariser Theater kom- 
ponierten, das Orchester um etwa einen Ganzton defer 
eingestimmt habe ; bei der in der Mitte des 19. Jh. iibli- 
chen Stimmung entstehe der Eindruck, die von Gluck 
furBassistengeschriebenenRollenseienfurBaritonstim- 
men gedacht. Wahrend die Dresdener Oper zu Webers 
Zeit auf 423 Hz einstimmte und auch die Pariser Oper 
Anfang des 19. Jh. nach Ausweis der Tenorpartien in 
Boieldieus Opern noch einen tiefen Stimmton beniitz- 
te, setzte nach 1820 ein allmahliches J-Iohertreiben ein. 
Fur Paris wurden f estgestellt : 1823 431,3 Hz, 1830 
435,75 Hz, 1858 449 Hz ; fur London 1826 433 Hz, 1854 
452 Hz, 1874 455 Hz; fur die Mailander Scala 1845 
446,8 Hz, 1856 451 Hz; in Berlin 1858 452 Hz; in Wien 
1859 456 Hz. 1859 setzte die Pariser Academie de mu- 
sique 435 Hz als Stimmton fest. Verdi sprach sich bei 
einer Umfrage vor der Wiener Stimmtonkonferenz, 
bei der 435 Hz international angenommen wurde, 1884 
fiir die tiefere Stimmung von 432 Hz aus. Wagner be- 
klagte bei seinem Londoner Gastspiel 1877 die iiber- 
hohte Stimmung und auBerte ebenso 1882 bei den 
Proben zum Parsifal in Bayreuth Kritik an der hohen 
Orchesterstimmung. 1908 verlangte E.Caruso beim 
Auftreten in Wien unter G. Mahler die Herabsetzung 
der erneut gestiegenen Stimmhohe. 1939 einigte man 
sich auf der Stimmtonkonferenz in London auf den 
KompromiB von 440 Hz. - In der Praxis des Opern- 
betriebs sind zwei Verfahren iiblich, Sangern, die 
Spitzentone einer Partie nicht erreichen, zu helfen: in 
der Nummernoper wird das betreffende Stuck tiefer 



667 



Operntruppen 



gespielt, in der durchkomponierten (gelegentlich auch 
in der Nummemoper) wird die Singstimme punktiert, 
d. h. die unbequemen Tone werden durch harmonisch 
passende, tieferliegende ersetzt. 
Lit. : G. Muffat, Vorrede zu Florilegium secundum, Pas- 
sau 1698; J.- J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 
1767(7), Paris 1768; Fr. Bedos de Celles OSB, L'art du 
facteur d'orgues IV, Paris 1778, Faks. hrsg. v. Chr. Mah- 
renholz, Kassel 1936, dass., = DM1 1, 26, 1965; H. Ber- 
lioz, Le diapason, in: A travers chants, Paris 1862 u. 6., 
deutsch v. E. Elles in: Literarische Werke VI, Lpz. 1912; 
A. J. Ellis, The Hist, of Mus. Pitch, Journal of the Soc. of 
Arts 1880, separat London 1881, dazu G. Adler in: VfMw 
IV, 1888, beides in Nachdruck Amsterdam 1963; Fr. Ha- 
mel, Die Schwankungen d. Stimmtons, DMK IX, 1944; O. 
Tiby in: Ricordi-Nachrichten, Marz-H. 1954. RW 

Operntruppen, Vereinigungen von Sangern und 
(meist musikalisch versierten) Schauspielern, die nicht 
einer stehenden Biihne angeschlossen sind (-»- Ensem- 
ble). Seit dem 16. Jh. kamen die beispielgebenden »eng- 
lischen Komodianten« aufs Festland, doch bildeten sich 
hier erst im Laufe des 17. Jh. feste Wandertruppen, die 
auf Marktplatzen oder in offentlichen Salen spielten; 
das Repertoire bestand meist aus musikalisch umrahm- 
ten Stiicken oder -»■ Singspielen. Bedeutende Prinzi- 
pale waren im deutschen Sprachraum u. a.: J.Velten 
(1640-92), J.Stranitzky (1676-1726), Fr.C.Neuber 
(1697-1760), H. G.Koch (1703-75, -» StandfuB), J.Fr. 
Schonemann (1704-82), K.E.Ackermann (1712-71), 
A.Seyler (1730-1800), E. Schikaneder und die vor al- 
lem durch Opernauffiihrungen (Neefe, Adelheid von 
Veltheim; Holzbauer, Giinther von Schwarzburg; Mo- 
zart, Entfuhrung) bekannt gewordenen J. Seconda und 
J. Bohm aus Briinn. Um 1882 reiste der Operndirektor 
A.Neumann mit einer Truppe, die Wagner-Opern 
auffiihrte, durch Deutschland und Italien. In Italien, 
wo die Oper noch heute meist an begrenzte Spielzeiten 
(-> Stagione) gebunden ist, sind vor allem die Briider 
7> Mingotti als O.-Prinzipale, die auch Deutschland, 
Osterreich, Danemark bereisten, hervorgetreten. In 
Frankreich wurden die O. schon im 17. Jh. seBhaft (Pa- 
ris), ohne aber die Bespielung auswartiger Platze aufzu- 
geben, z. B. die Comedie-Italienne, von D.Locatelli 
(1613-71), und die Opera-Comique, spater von Ch. S. 
Favart geleitet. In England wirkten bis ins 18. Jh. die 
Duke's-O. und die King's Company (Griinder W. 
D'Avenant bzw. Th.Killigrew). O. gab es auch in 
RuBland, Polen, Spanien, Amerika und der Schweiz. 
Unter den heute bestehenden O. sind zu nennen die 
Deutsche Gastspieloper e. V. in Berlin (seit 1960, zuerst 
Frankfurt am Main), in England die von C. Rosa (K. 
->- Rose) 1875 gegriindete Gesellschaft und in den USA 
die Everyman Opera Inc. (seit 1960), die mit ihrer 
Porgy and Bess-Tournee Weltruhm erlangte. 
Lit.: J. Bolte, Die Singspiele d. engl. Komodianten u. 
ihrer Nachfolger in Deutschland, Holland u. Skandinavien, 
= Theatergeschichtliche Forschungen VII, Hbg 1893; 
Chr. H. Schmid, Chronologie d. deutschen Theaters, neu 
hrsg. v. P. Legband, = Schriften d. Ges. f . Theatergesch. I, 
Bin 1902; E. H. Muller, Die Mingottischen Opernunter- 
nehmungen 1732-56, Diss. Lpz. 1915; O. G. Th. Sonneck, 
Early Opera in America, NY u. Boston (1915), Nachdruck 
NY (1963); H. Meissner, Wandertheater, Ffm. 1926; H. 
G. Fellmann, Die Bohmsche Theatertruppe u. ihre Zeit, 
= Theatergeschichtliche Forschungen XXXVIII, Lpz. 
1928; H. Junkers, Niederlandische Schauspieler . . . im 
17. u. 18. Jh. in Deutschland, Den Haag 1936; M. Fuchs, 
Lexique des troupes de comediens au XVIII e s., = Bibl. de 
la Soc. des historiens du theatre XIX, Paris 1944; R.-A. 
Mooser, Annates de la musique et des musiciens en Russie 
au XVIII 6 s., 3 Bde, Genf 1 948-5 1 ; M. Fehr, Die wandern- 
den Theatertruppen in d. Schweiz, in: Schweizer Theater- 
Almanach VI, Einsiedeln 1949; S. M. Rosenfeld, Foreign 
Theatrical Companies in Great Britain in the 17 th and 

668 



18" Cent., London 1955; H. Eichhorn, K. E. Ackermann 
u. d. Ackermannische Ges. deutscher Schauspieler, Diss. 
Bin 1957, maschr. ; H. Kindermann, Theatergesch. Euro- 
pas II-IV, Salzburg (1959-61). 

Ophikleide (zusammengestuckt aus griech. 8qjt<;, 
Schlange, und xXeTSsj;, Klappen), ein zur Familie 
der Bugelhorner mit Klappen gehorendes chromati- 
sches Blechblasinstrument mit fagottartig geknickter 
Rohre, das 1817 von J.Halary in Paris (durch Umbau 
von Frichots -»■ BaBhorn oder nach einem 1810 pa- 
tentierten englischen Vorbild) in verschiedenen Gro- 
Ben und Stimmungen gebaut wurde: als BaB-O. in C, 
B und As, Umfang 3 Oktaven + 1 Halbton (z. B. die 
O. in C: iH-ci), mit 8-9 Klappen; als Alt-O. (auch 
Quinti-clave, Quinti-tube) in F (Umfang E-c 2 ) und Es 
(Umfang D-b 2 ), in Frankreich auch in As (eigentlich 
schon Diskant-O.), mit 9-10, ab 1822 mit 12 Klappen; 
als KontrabaB- oder Riesen-O. (ophicleide monstre) in 
F und Es, Umfang nur 2i/ 2 Oktaven, eine Oktave de- 
fer als die Alt-O., 1821 patentiert. Die KontrabaB-O. 
wurde durch Einsetzen von Ventilen zur BaBtuba um- 
gebaut (J.Halary). - Die BaB-O. war in Militarkapel- 
len und im Opernorchester (Spontini, Olympic, 1819) 
in Gebrauch, bis sie durch die -> Tuba (- 2) ersetzt 
wurde, in Frankreich, England und Italien allgemein 
erst um 1880-90. Danacn wurde sie in Frankreich, 
Italien und in Siidamerika noch gelegentlich in der 
Kirchenmusik verwendet. 

Opus (lat., Werk; ital. opera; frz. ceuvre; Abk. : op.; 
op. posth. = opus posthumum, nachgelassenes Werk, 
das vom Komponisten selbst nicht mehr mit einer Op.- 
Zahl versehen wurde). Das Wort wurde auf musikali- 
sche Kompositionen zuerst im Zeitalter des Humanis- 
mus angewendet. So verweist Tinctoris im Prologus 
seines Liber de arte contrapuncti (1477; CS IV, 77b) auf 
die opera der groBen Komponisten seiner Zeit als Ge- 
genstand der folgenden Abhandlung. Listenius (1537) 
definiert die Kompositionslehre als -> Musica poetica, 
qui post se . . . opus perfectum et absolutum relinquat; da- 
mit ist gemeint (vgl. Quintilianus II, 18), daB das schrift- 
lich fixierte Werk auBerhalb der Sphare der Theorie 
und unabhangig von seiner praktischen Verwirkli- 
chung besteht und seinen Wert in sich selbst hat. Um 
1500 tragen auch einige Musiktraktate den Titel Op. 
(->■ Gaffori 1480, 1508 und 1518; ->■ Wollickf-Schanp- 
pecher] 1501). Im Bereich des Notendrucks erscheint 
die Bezeichnung bei umfassenden Sammlungen kirch- 
licher Musik in Deutschland, so z. B. bei dem Sammel- 
druck Novum et insigne op. musicum (2 Bande Motetten, 
Nurnberg 1537-38, Ott) und bei dem Magnum op. mu- 
sicum, der posthumen Sammlung von 516 Motetten O. 
de Lassus' (Miinchen 1604). Seit Beginn des 17. Jh. be- 
gegnet das Wort in Verbindung mit einer Zahl zur 
Bezeichnung der chronologischen Folge von Kompo- 
sitionen eines Autors in der Reihenfolge ihres Drucks. 
Friihe Op.-Zahlungen finden sich u. a. bei Viadana 
(erstmalig bei den Motectafestorum ... op. 10, Venedig 
1597), Banchieri {La Barca da Venezia ... op. 12, Vene- 
dig 1605), C. -+ Antegnati (op. 16), Cifra (Motecta . . . 
IV op. 8, Rom 1609), E. -s- Porta (op. 3). Unabhangig 
von ihrem Erscheinungsort fortlaufend gezahlt sind 
die Werke von B. -*■ Marini (wobei sich aus den feh- 
lenden Op.-Zahlen die Menge der verlorengegangenen 
Drucke erschlieBen laBt). Nachtraglich gezahlt nach 
Op.-Zahlen hat Schiitz seine grofieren Sammlungen 
und Werke in einer Specification, die auf der letzten 
Seite des Bassus pro Violone seines Op. Decimum (Sym- 
phoniae sacrae II, 1647) abgedruckt ist. Vom Ende des 
17. bis zum Ende des 18. Jh. bleibt die Op.-Zahlung 
haufig auf Instrumentalwerke beschrankt. Da die Op.- 



Oratorium 



Zahlen in der Regel von den Verlegern eingesetzt wur- 
den, erscheinen oft die gleichen Werke in verschiede- 
nen Verlagen unter verschiedenen Op.-Zahlen und 
umgekehrt verschiedene Werke mit der gleichen Op.- 
Zahl (so z. B. bei Corelli, Vivaldi, Clementi). Auch 
gibt es Drucke, die Werke verschiedener Autoren un- 
ter einer Op.-Zahl vereinigen, wie: Six symphonies a 
quatre parties obligies . . . de diffirents auteurs op. 5 (Pa- 
ris 1760, Nr 1-3 von J. Stamitz, dazu je eine Symphonie 
von Beck, Wagenseil, Richter). Erst seit Beethoven 
geben viele Komponisten der Mehrzahl ihrer Werke 
bei der Veroffentlichung oder bereits bei der Nieder- 
schrift eine Op.-Zahl ; doch bleiben einerseits Biihnen- 
werke, andererseits kleinere Stiicke (wie Variationen, 
Tanze, Gelegenheitskompositionen) oft ohne Op.- 
Zahl. Komponisten, die ihr op. 1 sehr friih veroffent- 
lichten (z. B. R. Strauss mit 12, F. Mendelssohn Barthol- 
dy mit 13 Jahren), haben von ihren friihen Kompo- 
sitionen oft nur einen kleinen Teil mit Op.-Zahl ver- 
sehen. Bei Mendelssohn sind op. 1-72 zu Lebzeiten, 
op. 73-121 posthum veroffentlicht; ferner existieren 
etwa 200 Jugend- und Studienwerke im Manuskript 
ohne Op.-Zahl. R. Strauss schloB die Reihe seiner Wer- 
ke mit Op.-Zahl mit der Oper Capriccio op. 85 (1942), 
obgleich ihr noch einige beachtenswerte Werke folg- 
ten. Dagegen veroffentlichten z. B. Beethoven und 
A. Webern ihr op. 1 mit 25 Jahren; von beiden liegen 
zahlreiche Werke aus friiherer Zeit ohne Op.-Zahl vor 
(Brahms' Werke vor op. 1, ebenfalls zahlreich, sind 
zerstort). Spiegeln in den genannten Fallen die Op.- 
Zahlen ziemlich genau die Folge, in der die Werke ent- 
standen, so geben sie z. B. bei Schubert keinen Anhalts- 
punkt hierfiir. Sein op. 1 ist Der Erlkonig (komponiert 
1815, gedruckt 1821, D 328). Fur eine vollstandige 
Ubersicht iiber das Schaffen eines Komponisten sind 
in jedem Falle -> Thematische Kataloge erforderlich. 

Oration (von lat. oratio, Gebet) heifk in der romi- 
schen Liturgie jene Form des Gebets, durch die der 
Priester als amtlicher Sprecher das Beten der Gemeinde 
»zusammenfaBt« (daher auch Collecta genannt) und in 
einem kurzen und pragnant formulierten Text vor- 
tragt. Eingeleitet wird die O. mit Oremus, am Ende 
stent das bestatigende Amen der Gemeinde. Die O. bil- 
det jeweils den AbschluB eines liturgischen Aktes : in 
der -»■ Messe den SchluB des Eroffnungsritus (O. im 
engeren Sinn), des Wortgottesdienstes (Oratio fide- 
lium), der Gabenbereitung (Oratio super oblata, bisher 
auch Secreta genannt) und der Kommunion (Postcom- 
munio, friiher ebenfalls als Oratio ad complendam be- 
zeichnet), ebenso den AbschluB der Horen des -> Of- 
fiziums und anderer liturgischer Anlasse. - Die unter 
den Toni communes von Graduale und Antiphonale 
auf gef iihrten Orationstbne bieten das Modell eines ein- 
fachen Sprechgesangs (Accentus, -> Akzent - 2), dessen 
musikalische Gliederung durch zwei Kadenzen (Flexa 
und Metrum) analog den im Text vorgegebenen In- 
terpunktionszeichen erfolgt. Mit Ausnahme der feier- 
lichen Gebetsformen (-> Prafation, -*■ Pater noster) 
bleiben die O.en in den liturgischen Biichern ohne 
Noten. 

Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien II u. Ill, Lpz. 21912 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962. 

Oratorium (lat.). Im Sprachgebrauch der romisch- 
katholischen Kirche bedeutet O. (ital. oratorio; frz. 
oratoire; engl. oratory) geweihter Raum, Kapelle, 
Betzimmer oder Betsaal, auch ZusammenschluB von 
Weltpriestern. Als musikalischer Gattungsbegriff kann 
O. (ital., frz., engl. oratorio) nicht eindeutig und er- 
schopfend definiert werden. Im allgemeinen versteht 



man unter O. die zu auBerliturgischer und nichtszeni- 
scher Auffiihrung bestimmte Vertonung eines meist 
umfangreichen geistlichen Textes, der auf mehrere 
Personen oder Personengruppen verteilt ist. Im einzel- 
nen ist jedoch zu beriicksichtigen, daB es einerseits Ora- 
torien gibt, die nicht alle genannten Merkmale aufwei- 
sen (z. B. szenisches O., weltliches O.), und daB ande- 
rerseits Werke zur Gattung gehoren, die nicht aus- 
driicklich als O. bezeichnet sind. Gleichbedeutend mit 
O. wurden Begriffe wie Historia, Melodramma sacro, 
Componimento sacro u. a. verwendet. Der Terminus 
O. erscheint zum erstenmal 1640/41 bei P. della Valle, 
bleibt zunachst vereinzelt und wird Ende des 17. Jh. 
gebrauchlich. - Die doppelte Verwendung des Wortes 
O. (geweihter Raum und musikalische Gattung) spie- 
gelt den Sachverhalt wider, daB in der Friihzeit der 
Gattung die Oratorien ausschlieBlich in jenen Betsalen 
aufgefiihrt wurden, in denen nach dem Vorbild des 
romischen O.s von S.Girolamo della Carita - einer 
Griindung des hi. Filippo -> Neri - Vereinigungen von 
Priestern und Laien (Congregazioni, Bruderschaften) 
geistliche Ubungen abhielten. Wie vorher seit dem 16. 
Jh. die ->■ Lauden, so bildeten ab Mitte des 17. Jh. die 
Oratorien den musikalischen Teil dieser Esercitii spiri- 
tuali. Wie die Lauden entstanden die Oratorien aus 
dem seelsorgerischen Bediirf nis derPhilippinischen Bru- 
derschaften, die Kraft der Musik den Zielen der geist- 
lichen Ubungen dienstbar zu machen. Die musikalische 
Vorstellung tugendhafter Handlungen und abschrek- 
kender Beispiele sollte dazu beitragen, die Glaubigen zu 
bessern und sie f iir die Werke der BuBe und Nachsten- 
liebe bereit zu machen. Insofern ist das O. eine charak- 
teristische Schopfung der Gegenreformation. - Das O. 
entstand in Italien in zwei Spielarten: mit italienischem 
Text (oratorio volgare, im folgenden als ital. O. be- 
zeichnet) und mit lateinischem Text (oratorio latino, 
lat. O.). Beide Arten wurden zunachst gleichermaBen 
von den Bruderschaften getragen, haben jedoch eine 
unterschiedliche Vorgeschichte. Die Entstehung des 
ital. O.s wird bestimmt durch -> Lauda und geistliches 
-»■ Madrigal; mit beiden Gattungen hat das ital. O. den 
poetisch geformten Text gemeinsam. Auch Cavalieris 
Rappresentazione (1600 im O. S.Maria in Vallicella zu 
Rom aufgefiihrt) spielt in die Vorgeschichte herein, 
denn hier wurde zum erstenmal das neuitalienische 
Rezitativ, das spater eines der Charakteristika des O.s 
werden sollte, im Bereich der volkssprachlichen geist- 
lichen Musik verwendet. Die Hauptwurzeln des lat. 
O.s liegen im liturgischen -> Dialog des friihen 17. Jh. ; 
in der sprachlichen Form und in der Gliederung des 
Stories laBt sich auch ein spater EinfluB des liturgischen 
Dramas des Mittelalters erkennen. Ital. und lat. O. be- 
einfluBten sich wahrend des 17. Jh. gegenseitig, zeigen 
aber jeweils fur sich eine eigene Entwicklung. 
Die Geschichte des lat. O.s beginnt um 1640 mit dem 
Schaffen Carissimis. Seine Oratorien waren in erster 
Linie fur das romische O. San Marcello bestimmt und 
wurden dort an den Sonntagen der Fastenzeit aufge- 
fiihrt. Die Stoffe dieser Werke entstammen vorwie- 
gend dem Alten Testament (z. B.Jephte; Balthazar), sel- 
tener dem Neuen Testament (z. B. Dives malus; Judi- 
cium extremum). Die Texte sind teils wortlich, teils in 
freier Anlehnung der Vulgata entnommen, und sie 
weisen oft neugedichtete Einschube (Poesie oder Pro- 
sa) auf; meist ist ein Erzahler (Historicus) der Trager 
der Handlung. Die musikalische Gestaltung bedient 
sich der verschiedenen Stilarten der Monodie, die nicht 
nur die solistischen Partien, sondern auch die durchweg 
homorhythmisch gehaltenenChorsatze pragen. Carissi- 
mis Oratorienkunst zielt stets auf die Verstandlichkeit 
und Kraft des Wortes und dessen unmittelbare Wir- 



669 



Oratorium 



kung auf den Horer. Seine Werke bilden einen ersten 
HShepunkt in der Geschichte des O.s und wirkten hin 
bis zu Handel. Unmittelbar beeinfluBte Carissimi die 
romischen Komponisten lat. Oratorien wie Graziani, 
Fr. und A.Foggia; insbesondere wurde er Vorbild fiir 
M. A. Charpentier, der das lat. O. in Paris einfiihrte. In 
Charpentiers Oratorien verbindet sich die Tonsprache 
Carissimis mit Merkmalen der f ranzosischen Oper und 
Motette. Charpentier war der letzte Meister des lat. 
O.s, wie iiberhaupt auBer ihm und nach ihm bis zum 
19. Jh. franzosische Komponisten keinen nennenswer- 
ten Beitrag zur Geschichte dieser Gattung geleistet 
haben. 

Ungleich umf assender und verzweigter ist die Geschich- 
te des ital. O.s. Es spiegelt von seinen Anfangen an bis 
ins 18. Jh. die gleichzeitige Entwicklung der italieni- 
schen Oper und nimmt an ihrer europaischen Geltung 
teil. Die wichtigsten Zentren des Schaffens und der Pfle- 
ge des O.s im 17. Jh. waren Rom, Bologna, Modena 
und Florenz, auBerhalb Italiens vor allem Wien. In 
Rom war schon 1619 mit G. Fr. Anerios Teatro armonico 
spirituale, einer Sammlung von generalbaBbegleiteten 
geistlichen Madrigalen, eine Vorstufe des ital. O.s ent- 
standen. Die Hauptmeister der Gattung waren hier in 
der 1. Halfte des 17. Jh. L.Rossi, Marazzoli und P. della 
Valle, in der 2. Halfte ragt Pasquini hervor. Umfang- 
reich ist in den Oratorien dieser Komponisten die Rolle 
des Erzahlers (-»■ Testo) ; dem Chor kommt groBe Be- 
deutung zu, der Sologesang wird ahnlich wie bei Ca- 
rissimi durch den Wechsel von rezitati vischer und ario- 
ser Melodik bestimmt. Die romischen Oratorien in der 
Mitte des 17. Jh. sind zweiteilig und weisen damit ein 
Merkmal auf, das die Gattung bis zum 18. Jh. hin kenn- 
zeichnet. Von Rom aus empfing die Entwicklung des 
O.s auch starke Impulse durch die Oratorientexte von 
A. Spagna, der sich nachdrucklich fiir die Abschaffung 
der Testopartie einsetzte, um so das O. der Oper anzu- 
gleichen. In den Vorreden zu seinen Librettosammlun- 
gen (Oratorii overo Melodrammi sacri con un discorso dog- 
matico intorno I'istessa materia, 1706) erweist sich Spagna 
als der friiheste Historiker des O.s. In Bologna und Mo- 
dena - beide Stadte waren kiinstlerisch eng verbun- 
den - bezeugen die reichen Bestande an erhaltenen 
Quellen eine intensive Pflege des O.s im 17. Jh. Die 
einfluBreichsten und fruchtbarsten Komponisten waren 
Cazzati, G.P.Colonna und Perti, ferner neben vielen 
anderen G. B. Bononcini, P. d'Albergati und Vitali. Die 
Bedeutung von Florenz in der Geschichte des O.s laBt 
sich nur unscharf erkennen : die erhaltenen Textbiicher 
beweisen aber eine groBe Zahl von Oratorienauffiih- 
rungen. Beliebt waren hier Oratorienpasticcios. Im 
Vergleich zu anderen oberitalienischen Stadten wurde 
in Venedig das O. auffallend wenig gepflegt. Bis zum 
Ende des 17. Jh. schrieb von den fiihrenden Opernkom- 
ponisten der Venezianischen Schule nur G.Legrenzi 
Oratorien, diejedoch nicht in Venedig auf gefiihrt wur- 
den. Gleichwohl war der in dieser Stadt geschaffene 
Opernstil (->• Oper) von maBgeblichem Einflufi auf 
das O. in der 2. Halfte des 17. Jh. Zur gleichen Zeit 
und in gleichem MaBe wie in der Oper bildete sich 
auch im O. die Trennung von Secco- und Accom- 
pagnatorezitativ heraus, zeichnete sich die Gegeniiber- 
stellung von Rezitativ und Arie ab, wurde die Beteili- 
gung des Orchesters an der Begleitung der Gesangspar- 
tien immer starker. Wegweisend war hierin von den 
Meistern der Venezianischen Schule Stradella, der in 
seinem O. S.Giovanni Battista (1676) zum erstenmal 
die Concerto grosso-Besetzung verwendete. - In Wien 
wurde das ital. O. in der 2. Halfte des 17. Jh. tatkraftig 
gefordert durch Kaiser Leopold I., der selbst zahlreiche 
Oratorien schrieb. Von den vielen in Wien tatigen ita- 

670 



lienischen Meistern darf A.Draghi als der fruchtbar- 
ste und kiinstlerisch gewichtigste Oratorienkomponist 
gel ten. In Wien wurden die Oratorien ausschlieBlich 
am kaiserlichen Hof und nur in der Fastenzeit auf ge- 
fiihrt. Fiir die Feier des »Santo Sepolcro« in der Kar- 
woche entstand in Wien eine Sonderart des O.s, das so- 
genannte Sepolcro-O., das sich mit der fiir den gleichen 
Zweck bestimmten -> Azione sacra beriihrte. 
Die Sujets der ital. Oratorien zeigen trotz aller Man- 
nigfaltigkeit starke Ubereinstimmung. Bevorzugt wa- 
ren zunachst Stoffe aus dem Alten Testament (z. B. 
Samson, David, Judith, Esther, Jephtha) und allegori- 
sche Themen; seit Mitte des Jahrhunderts griff en Text- 
dichter und Komponisten auch immer mehr zu Stoffen 
aus der Heiligenlegende. In der Regel wurden die Texte 
in Versen abgefaBt. - Um die Wende des 17. zum 18. 
Jh. vollzog sich wie in der Oper, so auch im O. der 
Ubergang vom venezianischen zum neapolitanischen 
Stil (->- Neapolitanische Schule). Dessen charakteristi- 
sche Stilmittel (-> Oper) lassen sich in gleicher Weise 
in beiden Gattungen beobachten. Der erste groBe Mei- 
ster der neapolitanischen Oper, A. Scarlatti, war auch 
der Schopfer des neapolitanischen O.s, das im 18. Jh. 
zum beherrschenden Typus in den meisten europai- 
schen Landern wurde. 

Die wichtigsten Komponisten des ital. O.s im 18. Jh. 
lassen sich in drei zeitlich aufeinanderfolgenden Grup- 
pen zusammenfassen. Zu einer ersten Gruppe (ca. 1700- 
50) gehoren hauptsachlich neapolitanische Meister: L. 
Vinci, Leo, Pergolesi, Jommelli, Porpora; von ober- 
italienischen Komponisten ist besonders Padre Martini 
zu nennen. In diesem Zusammenhang steht auch Han- 
del. Er begann sein Oratorienschaffen 1708 mit italie- 
nischen Werken (z. B. La Resurrezione) und wurde spa- 
ter in London der Schopfer des O.s in englischer Spra- 
che. Das friiheste englische Werk Handels war Esther 
(1732), das bedeutendste und zugleich ein HShepunkt 
in der Geschichte des O.s Messiah (1742). Meisterhaft 
verbindet Handel den hier ausschlieBlich verwendeten 
Bibeltext mit den neapolitanischen Formen der Da- 
Capo-Arie und des Accompagnatorezitativs. In den 
Chorsatzen erhalten besonders die textlichen Akklama- 
tionen (z. B. »Halleluja«) einen fiir Handel eigentiimli- 
chen musikalischen Ausdruck, der die Grenzen des nea- 
politanischen Stils sprengte. In Deutschland war in der 
1 . Halfte des 18. Jh. J. A. Hasse ein iiberaus einfluBreicher 
Komponist der neapolitanischen Richtung. Seine fiir 
Dresden geschriebenen ital. Oratorien galten in ganz 
Europa als Meisterwerke. In Wien stand die Gattung in 
hohem Ansehen durch die Tatigkeit von Caldara, Fux 
und Lotti, die zum Teil noch die venezianische Tradition 
weiterfuhrten. Von Wien aus wurde die Entwicklung 
des O.s auch entscheidend beeinfluBt durch die Dich- 
tungen Zenos und Metastasios. Sie griffen in der Stoff- 
wahl wieder mehr auf die Bibel als auf die Heiligen- 
legenden zuriick und glichen in Gesamtaufbau und 
sprachlicher Gestaltung den Oratorientext weitgehend 
dem Opernlibretto an, so daB Zeitgenossen das O. zu- 
weilen als eine geistliche Opera (WaltherL) erscheinen 
konnte. Eine zweite Gruppe von Komponisten, die das 
O. im neapolitanischen Stil pflegten, war in der Zeit 
von ca. 1740-80 am Werk. Hier sind zu nennen : Piccin- 
ni, Majo, Galuppi, Anfossi, Sacchini, Bertoni. In der 
gleichen Zeit beteiligten sich nun auch deutsche Meister 
in groBerer Zahl an der Pflege des O.s: GaBmann, 
Holzbauer, J. G.Naumann sowie J.Haydn und W.A. 
Mozart mit ihren ital. Oratorien. In das 19. Jh. schlieB- 
lich reichte das Schaff en einer dritten Gruppe von Ora- 
torienkomponisten: Cimarosa, Paisiello, Salieri, Dit- 
tersdorf , Weigl, S. Mayr. In ihren Werken endete nach 
200 Jahren die Geschichte des ital. O.s. 



Oratorium 



Die Beteiligung deutscher Komponisten an der Ent- 
wicklung des O.s beschrankte sich nicht au£ Werke in 
italienischer Sprache. Vielmehr entstand kurz nach 
1700 im Bereich der protestantischen Kirchenmusik 
als eigener Typus das O. in deutscher Sprache (deut- 
sches O.). Sein Vorbild war das ital. O., seine Vorge- 
schichte wird jedoch mitbestimmt von der (liturgi- 
schen) deutschen -> Passion und der -> Historia des 17. 
Jh. ; als unmittelbare Vorlaufer kommen ferner die 
(auBerliturgischen) Dialoge in Betracht, wie sie etwa 
in Hamburg Weckmann und Bernhard pflegten. Wah- 
rend diesen Gattungen der Bibeltext in seinem genauen 
Wortlaut zugrunde lag, war es fiir das deutschc O. zur 
Zeit seiner Entstehung charakteristisch, daB hier der 
Bibeltext in gebundener Rede neugefaBt wurde, wo- 
bei freie Dichtungen und Chorale hinzugef iigt werden 
konnten. Die maBgeblichen Textdichter des friihen 
deutschen O.s waren Menantes, der sich ausdriicklich 
auf das ital. O. beruft (im Vorwort zu Der blutige und 
sterbende Jesus, 1704, komponiert von Keiser), und vor 
allem Brockes. Dessen Oratorientext Der fiir die Siinden 
dicser Welt gemarterte und sterbende Jesus (1712) wurde 
haufig vertont, so von Keiser, Telemann und Handel. 
Zur Terminologie ist zu bemerken, daB die Bezeich- 
nung O. im weiteren Verlauf des 18. Jh. auch f iir solche 
Werke gait, die auf dem wortlichen Bibeltext beruhen 
und dazu Chorale und neugedichtete Einschiibe auf- 
weisen (vgl.J. S.Bachseigens so genanntes Weihnachts- 
O., BWV 248). In der Stoffwahl unterschied sich das 
deutsche O. der ersten Jahrhunderthalfte nicht erheb- 
lich vom ital. O. Die Pflege der Gattung konzentrierte 
sich besonders auf Hamburg, wo sich Mattheson und 
Telemann der Auffiihrung und Komposition deutscher 
Oratorien widmeten. Telemann begriindete auch eine 
lebendige Oratorientradition in Frankfurt am Main. 
Von geringerer Bedeutung waren Liibeck, Magdeburg 
und andere Orte. Im katholischen Raum nahm Salz- 
burg eine gegeniiber dem protestantischen Norden ge- 
sonderte Stellung ein. Die hier aufgefuhrten Oratorien 
von J.E.Eberlin verraten die unmittelbare Beriihrung 
mit dem Wiener ital. O. 

Die Zeit der Empfindsamkeit und der Aufklarung fand 
in der 2. Halfte des 18. Jh. auch im deutschen O. einen 
bezeichnenden Niederschlag. Besonders die Kunst- und 
Religionsauff assung Klopstocks und die weltweite Wir- 
kung seines Messias hinterlieBen deudiche Spuren und 
fiihrten in Deutschland zu einem neuen Typus des O.s. 
Seine Stoffe waren nun nicht mehr in erster Linie die 
biblischen Berichte ; jetzt stand allgemein das mensch- 
liche Empfinden bei der Meditation iiber Bibel und 
Religion im Vordergrund. Vorzugsweise behandelten 
die Textdichter die Gestalt des Messias, die letzten Din- 
ge, Zeit und Ewigkeit, Gott in der Natur. Im Zusam- 
menhang damit entwickelte sich eine spezielle Vorliebe 
fiir die Idylle. Den allmahlichen Ubergang von dem 
mehr biblisch-historisch ausgerichteten zum »empfind- 
samen« O. verkorperte das Schaffen Telemanns. Der 
bcruhmteste Dichter der neuen Richtung war C.W. 
Ramler. Sein Werk Der Todjesu (1756) entsprach in 
der Vertonung von C.H.Graun so sehr dem kunstleri- 
schen und religiosen Geschmack in Deutschland, daB 
es bis in die 2. Halfte des 19. Jh. regelmaBig in der Kar- 
woche in Berlin aufgefiihrt wurde. Ramlersche Texte 
vertonte auch C.Ph.E.Bach (u. a. Die Auferstehung und 
Himmelfahrt Jesu, 1787). - Im ausgehenden 18. Jh. be- 
deuten die deutschen Oratorien J. Hay dns einen neuen 
Hohepunkt in der Geschichte der Gattung. Die Schop- 
fung (1798) beruht in den Seccorezitativen, anders als 
die meisten Oratorien des 18. Jh., auf dem wortlichen 
Bibeltext (Genesis), wahrend zumal in den Arien und 
Accompagnatorezitativen die religiosen Empfindun- 



gen der Zeit und die Vorliebe fiir Naturschilderungen 
zum Ausdruck kommen. Haydn nahm Die Schopfung 
zum Muster fiir Die Jahreszeiten (1801). Die musik- 
geschichtliche GroBe beider Werke besteht vor allem 
in der engen Verschmelzung lied- und opernmaBiger 
Ausdrucksmittel mit den Elementen des klassischen 
Instrumentalstils. 

In der 1. Halfte des 19. Jh. war Deutschland im Orato- 
rienschaffen fiihrend. Hier bestimmten hauptsachlich 
zwei Stoffkreise die weitere Entwicklung des O.s: der 
biblische Bereich mit den alt- und neutestamentlichen 
Historien, in zunehmendem MaBe auch mit apokalyp- 
tischen Themen, und der profan-historische Bereich 
unter starker Betonung desHeroischen. Biblische Stoffe 
benutzten u. a. Spohr (z. B. Dasjiingste Gericht, 1812), 
Fr. Schneider (z. B. Das Weltgericht, 1819), vor allem 
aber Mendelssohn Bartholdy (am bekanntesten wur- 
den Paulus, 1836, und Elias, 1846). Mendelssohn orien- 
tierte seinen Oratorienstil an dem Vorbild Handels, 
besonders in den Chorsatzen, die manchmal geradezu 
als Stilkopie erscheinen, und in den eindrucksvollen So- 
logesangen, die das romantische Lied mit der Handel- 
schen Accompagnatotechnik verbinden. Beispiele fiir 
das O. mit historischem Sujet bieten die Werke von K. 
Loewe (z. B. Gutenberg, 1835). Vereinzelt blieben welt- 
liche Oratorien mit Marchenstoffen wie R. Schumanns 
Das Paradies und die Peri (1843) und Der Rose Pilgerfahrt 
(1851). - In der 2. Halfte des Jahrhunderts kommt auf 
dem Gebiet des O.s vornehmlich Liszt ein besonderer 
Rang zu. Seine Legende von der heiligen Elisabeth (1862) 
steht noch in lebendiger Beziehung zu dem alteren Le- 
genden-O. und zum O. Mendelssohns. Dagegen zeigt 
sich in Christus (1872) eine eigene Konzeption des O.s. 
Liszt benutzt hier ausschlieBlich lateinische Texte und 
erprobte in den selbstandigen Orchestersatzen die Tech- 
nik der Symphonischen Dichtung an religiosen The- 
men. Erfolgreiche Oratorienkomponisten waren in 
dieser Zeit auch Fr.Kiel (Christus, 1872), Bruch (Odys- 
seus, 1872) und Raff (Weltende, Gericht, neue Welt, 1880). 
- In Frankreich, wo seit dem ausgehenden 17. Jh. 
keine nennenswerten Oratorien mehr entstanden wa- 
ren, erlebte die Gattung erst Anfang des 19. Jh. einen 
neuen Aufschwung. Den Beginn bildeten die Orato- 
rien von le Sueur, die lateinischen Text haben und im 
Rahmen der Liturgie aufgefiihrt wurden; so war z. B. 
ein Oratorio pour le couronnement in die Messe zur Kro- 
nung Napoleons I. (1804) eingebaut. Musikalisch stehen 
die Oratorien le Sueurs der franzosischen Revolutions- 
musik nahe, in der Gesamtkonzeption greifen sie auf 
Merkmale der Mysterienspiele und liturgischen Dra- 
men des Mittelalters zuriick. Beliebt wurden nun in 
Frankreich Bezeichnungen wie mystere, drame sacre 
fiir O. Als franzosische Oratorienkomponisten des 19. 
Jh. sind vor allem zu nennen: Berlioz (L'enfance du 
Christ, 1854), Saint-Saens (Oratorio de Noel, 1863), Mas- 
senet (Eve, 1875), C. Franck (Les beatitudes, 1869-79) und 
Gounod (La redemption, 1881). - In den anderen euro- 
paischen Landern und in Amerika kam es wahrend des 
19. Jh. kaum zu einer eigenstandigen Entwicklung des 
O.s. Insgesamt sind in diesem Jahrhundert keine so evi- 
denten Hohepunkte der Gattung zu verzeichnen wie in 
den beiden vorangehenden Jahrhunderten. 
Die Wege des O.s im 20. Jh. gehen, soweit heute schon 
zu beurteilen, in verschiedene Richtungen. In der alte- 
ren deutschen Tradition stehen einerseits die geistlichen 
und weltlichen Oratorien von J.Haas (z. B. Die Heilige 
Elisabeth, 1931; Das Jahr im Lied, 1952), andererseits 
in Verbindung mit der Erneuerungsbewegung in der 
protestantischen Kirchenmusik so profilierte Werke 
wie das Weihnachts- und das Auferstehungs-O. von K. 
Thomas (1930). Allgemein erweist sich seit den ersten 



671 



Oratorium 



Dezennien des 20. Jh. die Komposition von Oratorien 
als ein Problem, mit dem sich bislang fast jeder Kom- 
ponist von Rang auseinandergesetzt hat, um individuel- 
le Losungen zu erproben. Starke Impulse sind ausge- 
gangen von Honegger, der noch mehr als franzosische 
Komponisten des 19. Jh. mit Kunstmitteln des mittelal- 
terlichen Mysterienspiels arbeitet (Le Roi David, 1921 ; 
Jeanne a" Arc au bucher, 1938). Auch andere Schweizer 
Komponisten verzeichnen ein reiches Oratorienschaf- 
fen : C. Beck (O. nach A. Silesius 1936, Der Tod zu Ba- 
sel, 1952), W.Burkhard (Das Geskhtjesajas, 1935) und 
Fr. Martin (Le v in herbe, 1938-41 ; Le mystere de la Nati- 
vity, 1959). Jeweils individuelle Losungen des Orato- 
rienproblems finden sich ferner bei Strawinsky (Oedi- 
pus Rex, 1927), Hindemith (Das Unaufhorliche, 1931), 
Schonberg (»Ein Uberlebender aus Warschau«, 1947), 
Orff (Comoedia de Christi Resurrectione, 1957), L.Nono 
(II canto di sospeso, 1956) und Kf enek (Pfingst-O. Spiritus 
intelligentiae, sanctus, 1956). Als spezielle Begabung auf 
dem Gebiet des O.s erwies sich in letzter Zeit J.Driess- 
ler (Dein Reich komme, 1950; Der Lebendige, 1954-56). 
Lit. : Instituta Congregationis Oratorii S. Mariae in Valli- 
cella de Urbe a B. Philippo Nerio fundatae, Rom 1612; A. 
Maugars, Responce faite a un curieux sur le sentiment de 
la musique d'ltalie, escrite a Rome le l er Octobre 1639, 
Nachdruck in : E. Thoinan, Maugars, celebre joueur de 
viole, Paris 1865; G. Marciano, Memorie hist, della Con- 
gregazione dell'Oratorio I, Neapel 1693 ; A. Spagna, Vor- 
reden (zu Oratorii overo Melodrammi sacri I u. II, Rom 
1 706, u. zu I Fasti sacri, Rom 1 720), Neudruck in : A. Sche- 
ring, Neue Beitr. zur Gesch. d. ital. O. im 17. Jh., SIMG 
VIII, 1906/07; Indice ossia nota degli oratorij posti in mu- 
sica da diversi auttori [1659-1743], Bologna, Museo civico 
bibliogr. mus., Ms. H/6; anon., An Examination of the 
Oratorios . . ., London 1769; J. A. P. Schulz, Artikel O., 
in : J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie d. Schonen Kiinste, 2 
Bde, Lpz. 1771-74 u. 6. ; C. H. Bitter, Beitr. zur Gesch. d. 
O., Bin 1872; Fr. Chrysander, fiber d. Molltonart in d. 
Volksgesangen u. fiber d. O., Bin 2 1872; ders., Die O. v. G. 
Carissimi, AmZ XI, 1 876 ; O. Wangemann, Gesch. d. O. v. 
d. ersten Anfangen bis zur Gegenwart, Heilbronn ( 2 1881); 
H. Kretzschmar, Fiihrer durch d. Konzertsaal II, 2. O. 
u. weltliche Chorwerke, Lpz. 1 890, neubearb. v. H. Schnoor 
5 1939; M. Brenet, Les »oratorios« de Carissimi, RMI 
IV, 1897; R. Schwartz, Das erste deutsche O., JbP V, 
1898; Fr. X. Haberl, Beitr. zur ital. Lit. d. O. im 17. u. 
18. Jh., KmJb XVI, 1901 ; A. Solerti, Lettere inedite sulla 
musica di P. della Valle a G. B. Doni, RMI XII, 1 905 ; J. R. 
Carreras y Bulbena, El oratorio mus., Barcelona 1906; 
G. Pasquetti, L'oratorio mus. in Italia, Florenz 1906, 
2 1914; D. Alaleona, Studii sulla storia deH'oratorio mus. 
in Italia, Turin 1908, Neudruck Mailand 1945; A. Sche- 
ring, Gesch. d. O., = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen 
III, Lpz. 1911, Nachdruck Hildesheim 1966(grundlegend); 
E. Wellesz, Die Opern u. O. in Wien v. 1660-1708, StMw 

VI, 1919; Fr. B. Pratella, G. Carissimi ed i suoi oratori, 
RMI XXVII, 1920; K. G. Meyer(-Baer), Das Offizium u. 
seine Beziehung zum O., AfMw III, 1921 ; H. Schnoor, 
Das O. . . . , Adler Hdb. ; H. Vogl, Zur Gesch. d. O. in 
Wien v. 1725 bis 1740, StMw XIV, 1927; E. Vogl, Die 
Oratorientechnik Carissimis, Diss. Prag 1928, maschr.; K. 
Nef, Das Petruso. v. M. A. Charpentier u. d. Passion, JbP 
XXXVII, 1930; M. A.Zorzi, Saggio di bibliogr. sugli orato- 
ri sacri eseguiti aVenezia, Accad. e bibl. d'ltalia IV, 1930- 

VII, 1933; H. J. Moser, Die mehrst. Vertonung d. Evan- 
geliums I, = Veroff. d. Staatl. Akad. f. Kirchen- u. Schul- 
musik Bin II, Lpz. (1931); E. Dagnino, Quanti sono gli 
oratorii di B. Pasquini?, Note d'arch. IX, 1932; ders., 
Ancora degli oratorii di B. Pasquini, ebenda XI, 1934; G. 
Pannain, L'oratorio dei Filippini e la scuola mus. di Na- 
poli, = Istituzioni e monumenti dell'arte mus. ital. V, 
Mailand 1934; R. C. Casimiri, Oratorio del Marini, Ber- 
nabei, Melani, Di Pio, Pasquini e Stradella in Roma, 
nelPAnno Santo 1675, Note d'arch. XIII, 1936 ; R. Lustig, 
Saggio bibliogr. degli oratorii stampati a Firenze dal 1690 
al 1725, ebenda XIV, 1937, dazu U. Rolandi, ebenda 
XVI, 1939; G. Massenkeil, Die oratorische Kunst in d. 
lat. Historien u. O. G. Carissimis, Diss. Mainz 1952, 



maschr.; ders., Die Wiederholungsfiguren in d. O. G. Ca- 
rissimis, AfMw XIII, 1956; A. Damerini, L'oratorio mus. 
nel seicento dopo Carissimi, RMI LV, 1953; ders., Le due 
»Maddalene« di G. Bononcini, in: CHM II, 1956; C. Gas- 
barri, L'oratorio Filippino (1552-1952), Rom 1957; A. 
Liess, Die Slg d. Oratorienlibretti (1679-1725) u. d. restli- 
che Musikbestand d. Fondo San Marcello d. Bibl. Vatica- 
na in Rom, AMI XXXI, 1959. GMa 

Orchester (von griech. opx^orpa, der halbrunde 
Tanzplatz des Chores vor der Szene des antiken Thea- 
ters). Die Bezeichnung Orch. wurde im 17. und friihen 
18. Jh. primar fur den Platz vor der Biihne (Moliere, 
La Princesse d'Eiide, 1664; WaltherL), sekundar fur das 
Instrumentistenensemble der Oper gebraucht (Rague- 
net 1702). Mattheson (1713) verwendet den Ausdruck 
Orch. auch f iir die Instrumentalgruppen der Kirchen- 
und Kammermusik, und Quantz (1752) deutet, wenn 
er einem zahlreichen Orch. eine kleine Kammermusik ge- 
geniiberstellt, die Differenzierung der Instrumentalmu- 
sik in Orch.- und Kammermusik an, die der moderne 
Begriff des Orch.s voraussetzt. - Das Orch. ist ein Be- 
setzungstypus; man spricht von einem Orch., wenn 
mehrere Stimmen, vor allem die der Streicher, chorisch 
besetzt sind oder wenn ein Ensemble eine groBe Anzahl 
von Spielern umfaBt. Die Grenze zwischen Kammer- 
und Orch.-Besetzung ist allerdings fliefiend; so ist 
Milhauds Kammersymphonie V ein Dixtuor, doch 
Schonbergs 1. Kammersinfonie fur 15 Soloinstr. op. 9 
zahlt zur Orch.-Musik. Vom vollen, aus Streichern 
und Blasern zusammengesetzten Orch. wurde die Be- 
zeichnung auf das reine Streich- oder Blasorch. (-> Har- 
moniemusik) iibertragen. Unter einem Kammerorch. 
wird entweder ein Orch. mit solistischer statt chori- 
scher Besetzung der Stimmen verstanden, oder, im 
Unterschied zum groBen Symphonieorch., ein kleines 
Orch., das sich den Besetzungsnormen des 18. Jh. an- 
gleicht. - Instrumentistengruppen wurden im 17. Jh. 
als Chorus instrumentalis (M. Praetorius 1619), Sym- 
phonie ( J.-B . Lully) .Concerto oder Consort bezeichnet. 
Bei starkerer Besetzung sprach man von einem Con- 
certo grosso (H. Bottrigari 1594) oder einem Grand 
choeur (Georg Muff at 1701); die musikalischen Werke 
aber entziehen sich vor der Mitte des 18. Jh. einer 
eindeutigen Klassifizierung in -*■ Kammermusik und 
Orch.-Musik. Die Besetzung war weniger abhangig 
von der Struktur der Musik als von den zufallig ver- 
fugbaren Mitteln und von der GroBe des Raumes, in 
dem ein Werk auf gef iihrt wurde. Noch J. Stamitz laBt 
in op. 1 (1 755) die Wahl zwischen solistischer und chori- 
scher Besetzung offen (ou a trois ou avec toutes [sic!] Vor- 
chestre). Verliert demnach der Begriff des Orch.s bei 
der Anwendung auf Instrumentistenensembles des 16./ 
17. Jh. seine festen Umrisse, so ist es noch fragwurdi- 
ger, ihn auf Musikergruppen oder -genossenschaften 
auBereuropaischer und archaischer Kulturen zu iiber- 
tragen, auf eine Instrumentalpraxis, in der Varianten- 
heterophonie in gemischter Besetzung als Norm er- 
scheint, Unisonospiel in chorischer Besetzung hingegen 
als seltene Ausnahme. 

Einen festen Typus des »Renaissanceorch.s« gab es 
nicht. Der Verbindung von Instrumenten der gleichen 
Familie (engl. whole consort) stand im 16. und friihen 
17. Jh. das Ensemble in gemischter Besetzung (broken 
consort) gegeniiber. Die Instrumentisten traten bei 
Hoffesten und in Intermedien zwar manchmal in gro- 
Ber Anzahl auf, gruppierten sich aber zu kleinen, in der 
Besetzung wechselnden Ensembles. (Der groBe Instru- 
mentalapparat in Monteverdis Orfeo folgt einer Tra- 
dition des 16. Jh.; die Verwendung der Posaunen zur 
Charakteristik der Unterwelt ist in C. Malvezzis Inter- 
medien von 1591 vorgebildet.) Zur Verdoppelung von 



672 



Orchester 



Stimmen stellte man im allgemeinen Instrumente ver- 
schiedener Typen zusammen (M. Praetorius 1619). 
Chorische Besetzung war eine Ausnahme. 1594 erwahnt 
H.Bottrigari ein Ensemble mit einer groBen Anzahl 
von Violen (una gran quantity de viuole . . . d'uno medesi- 
mo corpo) ; um 1610 ging aus den Pariser Musikergenos- 
senschaften, den Menetriers de St-Julien, das Streich- 
orch. des franzosischen Konigs (Vingt-quatre violons 
du Roy) hervor. - Das »Barockorch.« war um den 
reich und vielfarbig besetzten GeneralbaB (Cembalo 
oder Orgel, StreichbaB, Theorbe, Chitarrone, Harfe) 
gruppiert. »Zufallsbesetzungen« herrschten vor; das 
Orch. mit chorisch besetzten Streichern bildete keine 
Norm, sondern eine Moglichkeit neben anderen. Zwar 
fiihrte A.Corelli (nach Georg Muffat 1682) seine Con- 
certi grossi in sehr starker Besetzung auf , und Karl II. 
von England ahmte mit der Griindung des Orch.s der 
Four-and-twenty fiddlers das franzosische Vorbild der 
Vingt-quatre violons du Roy nach. Doch ist anderer- 
seits die Entstehungsgeschichte des modernen Orch.s 
kaum zu trennen von der Entwicklung eines spezifi- 
schen Orch.-Satzes : von der Bedingung, daB Kompo- 
nisten in Durchbrochener Arbeit fiir Orch. schreiben, 
statt einen abstrakt realstimmigen Satz mit Instrumen- 
ten zu »besetzen«; einem abstrakten Satz entspricht eine 
zufallige Besetzung. Noch J.-B.Lully aber schrieb fiir 
die Vingt-quatre violons du Roy streng realstimmig; 
die AuBenstimmen des Streichersatzes, der im Unter- 
schied zur italienischen Praxis (A. Corelli) nicht vier-, 
sondern funfstimmig ist (dessus, haute-contre, taille, 
quinte, basse), verstarkte er durch Oboen und Fagotte, 
die er andererseits als Blasertrio dem Tutti gegeniiber- 
stellte. Ansatze zu Durchbrochener Arbeit zeigen sich 
bei A.Vivaldi. - Im »klassischen Orch.« des spaten 18. 
Jh. bildet ein chorisch besetztes Streicherensemble die 
Grundlage, von der sich Blaserstimmen als charakteri- 
stische Farben abheben. Die Besetzung der Blasergrup- 
pe mit je 2 Floten, Oboen, Klarinetten und Hornern 
ist entweder in Mannheim oder in Paris (Fr.-J. Gossec, 
Symphonie chasse, 1776) entwickelt worden. Mozart 
riihmte sie 1778 am Mannheimer Orch. und verwen- 
dete sie im selben Jahr in der Pariser Symphonie, K.-V. 
297. Die Erganzung durch 2 Trompeten und Pauken 
war im Symphonieorch. zunachst eine Ausnahme ; zur 
Norm wurde sie erst in Haydns Londoner Sympho- 
nien und bei Beethoven. Die Besetzung der Orch. im 
18. Jh. war nach heutigen Begriffen schwach. Ein gro- 
Bes Orch. wie die Berliner Hofkapelle umfaBte 1787 
ungefahr 60 Instrumentisten; Haydn verfiigte 1783 
in Esterhaz iiber 23 Musiker. - Versucht man, die Ent- 
wicklung des Orch.s in eine Formel zu fassen, so ist zu 
sagen, daB im 18. Jh. primar die Holzblaserbesetzung, 
im 19. die Blechblasergruppe und im 20. das Schlag- 
zeug erweitert und differenziert worden ist. Beethoven 
schreibt im Finale der 5. Symphonie 3 Posaunen, Kon- 
traf agott und Piccoloflote vor, Berlioz erganzte den Po- 
saunensatz durch Tuben, Wagner erhohte die Anzahl 
der Trompeten auf drei (Lohengrin) oder vier (Der Ring 
des Nibelungen). Andererseits darf nicht iibersehen wer- 
den, daB die scheinbar feststehenden Teile des Orch.s 
auf die veranderlichen bezogen, also gleichfalls einer 
Entwicklung unterworf en waren ; die vielf ache Teilung 
der Geigen oder Violoncelli ist mit der Erhohung der 
Blaseranzahl vergleichbar. Neigungen zum Massen- 
orch. als bloBer Summierung gab es im 18. wie im 19. 
Jh. (Handel-Feste seit 1785). Die Erweiterung des 
Orch.s bei R.Wagner, G.Mahler, R.Strauss (Elektra), 
A. Schonberg (Gurre-Lieder) und O.Messiaen (Turan- 
galila-Symphonie, 1948) aber ist nicht als bloBe Tendenz 
zum Masseneffekt zu verstehen. Der VergroBerung 
des Apparats entspricht eine Differenzierung der Tech- 



nik, und daB sich in den letzten Jahrzehnten eine Nei- 
gung zu kleineren, keiner Norm unterworfenen Be- 
setzungen zeigt, bedeutet zwar auBerlich einen Um- 
schlag ins entgegengesetzte Extrem, instrumentations- 
technisch aber eine Konsequenz der vorangegangenen 
Entwicklung. 

Die Sitzordnung des Orch.s folgte im friihen 18. Jh. 
dem Prinzip der Gruppentrennung ; spater zeichnete 
sich immer deutlicher die Tendenz zur Klangver- 
schmelzung ab. Solange die Orch.-Musik durch einen 
GeneralbaB fundiert war, bildeten der Cembalist und 
der neben ihm stehende Anf iihrer der Violinen (Kon- 
zertmeister) das Zentrum, um das sich die ubrigen In- 
strumente versammelten. Streicher und Blaser wurden 
in getrennten Gruppen rechts und links vom Cembalo 
angeordnet (Quantz 1752). Manche Opernorch. hiel- 
ten noch im 19. Jh. an der Gruppentrennung fest, ge- 
gen die R.Wagner in den Erinnerungen an Spontini 
polemisiert. Doch fiihrte schon J. Fr. Reichardt in Ber- 
lin 1775 das Prinzip ein, die 1. und 2. Violinen links 
und rechts vom Dirigeriten zu plazieren und die Holz- 
blaser im Hintergrund aufzureihen. Als Prazisierung 
der Reichardtschen Anordnung erscheint die Norm, 
die sich im 19. Jh., vor allem in Deutschland, durch- 
setzte: links vom Dirigenten sind die 1., rechts die 2. 
Violinen plaziert, hinter den 1. Violinen die Violon- 
celli, hinter den 2. die Bratschen (diese Gruppen unge- 
fahr in Kreissegmenten mit der Spitze auf den Dirigen- 
ten weisend) im Hintergrund die Blaser, und zwar ent- 
weder die Holzblaser links und die Blechblaser rechts 
(Opernorch.) oder in zwei Reihen die Blechblaser hin- 
ter den Holzblasern (Symphonieorch.). In der soge- 
nannten amerikanischen Sitzordnung (L. Stokowski), 
die nach 1945 auch von vielen deutschen Orch.n iiber- 
nommen wurde, tauschen die 2. Violinen ihre Platze 
mit den Violoncelli. 

Lit.: F. S. Gassner, Dirigent u. Ripienist, Karlsruhe 1844; 
H. Lavoix fils, Hist, de T'instrumentation ..., Paris 1878; 
W. Kxeefeld, Das Orch. d. Hamburger Oper 1678-1738, 
SIMG I, 1899/1900; H. Goldschmidt, Das Orch. d. ital. 
Oper im 17. Jh., SIMG II, 1900/01 ; H. Leichtentritt, 
Was lehren uns d. Bildwerke d. 14.-17. Jh. iiber d. Instru- 
mentalmusik ihrer Zeit?, SIMG VII, 1905/06; R. Haas, 
Zur Frage d. Orchesterbesetzung in d. 2. Halfte d. 18. Jh., 
Kgr.-Ber. Wien 1909; ders., Auffuhrungspraxis d. Musik, 
Biicken Hdb.; H. Quittard, L'orch. des concerts de 
chambre au XVIP s., ZIMG XI, 1909/10; Fr. Volbach, 
Das moderne Orch., = Aus Natur u. Geisteswelt, Bd 308, 
Lpz. 1910, 21921 als: Das moderne Orch. II, Das Zusam- 
menspiel d. Instr. ..., ebenda 715; ders., Die Instr. 
d. Orch., ebenda 384, 1913,21919 als: Das moderne Orch. 
I, Die Instr. d. Orch., ebenda 714; H. Prunieres, La 
musique de la chambre et de Pecurie sous le regne 
de Francois I, L'Annee mus. I, 1911; W. Adam, Zur Be- 
setzung d. Bach-Orch., Mk XII, 1912/13; G. Cucuel, 
Etudes sur un orch. au XVIH e s., Paris 1913 ; G. Schune- 
mann, Gesch. d. Dirigierens, = Kleine Hdb. d. Mg. nach 
Gattungen X, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1965; A. 
Jemnitz, Gegen d. versenkte Orch., Mk XIV, 1914/15; G. 
Fr. Malipiero, Orch. eorchestrazione, RMI XXIII, 1916— 
XXIV, 1917; P. Marsop, Das unsichtbare Orch. vor d. 
Szene, Neue Musikzeitung XXXIX, 1918; A. Schering, 
Auffuhrungspraxis alter Musik, = Musikpadagogische 
Bibl. X, Lpz. 1931 ; Ch. St. Terry, Bach's Orch., London 
1932, Nachdruck 1958 ; E. Preussner, Die biirgerliche Mu- 
sikkultur, Hbg 1935, Kassel 21950; P. Bekker, The Story 
of the Orch., NY 1936, Neuauflage als: The Orch., NY 
1963; O. Schreiber, Orch. u. Orchesterpraxis in Deutsch- 
land zwischen 1780 u. 1850, = Neue deutsche Forschun- 
gen CLXXVII, Abt. Mw. VI, Bin 1938; A. Carse, The 
Orch. in the XVIII" 1 Cent., Cambridge 1940, Nachdruck 
1950; ders., The Orch. from Beethoven to Berlioz, ebenda 
1948; J. A. Westrup, Monteverdi and the Orch., ML XXI, 
1940; Fr. Howes, Full Orch., London 1942; P. Collaer, 
L'orch. di CI. Monteverdi, Musica II, (Florenz) 1943; C. 



43 



673 



Orchester (Belgien) 



Sachs, The Rise of Music in the Ancient World, East and 
West, NY (1943) ; M. Pincherle, L'orch. de chambre, Pa- 
ris 1949; M. Kingdon-Ward, Orchestral Balance, MMR 
LXXI, 1951; R. Hughes, The Haydn Orch., The Mus. 
Times XCIII, 1952; Fr. Lesure, Die »Terpsichore« v. M. 
Praetorius . . ., Mf V, 1952; ders., Les orch. populaires a 
Paris vers la fin duXVPs., Rev. deMusicol. XXXVI, 1954; 
H. Creuzburg, Die neue Sitzordnung d. Sinfonie-Orch., 
Das Musikleben VI, 1953; H. F. Redlich, Monteverdi e 
l'orch., in: L'orch., Florenz 1954; C. Haensel, Das Orch. 
im Urheberrecht, in: Musik u. Dichtung, Jg. 1955, Nr 6; 
G. Barblan, Le orch. in Lombardia all'epoca di Mozart, 
Kgr.-Ber. Wien 1956; D. Arnold, Brass Instr. in the 
Ital. Church Music of the XVI th and Early XVII th Cent., 
Brass Quarterly 1, 1957/58; ders., »Con ogni sorte di stro- 
menti«, ebenda II, 1958/59 ; W. Kolneder, Der Raum in d. 
Musik d. 17. u. 18. Jh., Musica XIII, 1959; N. Broder, 
The Beginnings of the Orch., JAMS XIII, 1960; H. Engel, 
Musik u. Ges., Bin u. Wunsiedel (I960); J. Eppelsheim, 
Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Miinchner Veroff. 
zur Mg. VII, Tutzing 1961 ; A. Cohen, A Study of Instr. 
Ensemble Practice in XVII th Cent. France, The Galpin Soc. 
Journal XV, 1962; F. Ghisi, L'orch. in Monteverdi, Fs. K. 
G. Fellerer, Regensburg 1962; H. Becker, Artikel Orch., in: 
MGG X, 1962; ders., Gesch. d. Instrumentation, = Das 
Musikwerk XXIV, Koln (1964); P. Fuhrmann, Untersu- 
chungenzurKlangdifferenzierungimmodernenO., = K61- 
ner Beitr. zur Musikforschung XL, Regensburg 1966; B. 
Paumgartner, Das instr. Ensemble, Zurich 1966. CD 
In der folgenden Aufstellung erscheint eine Auswahl euro- 
paischer und nordarherikanischer Orch. mit Namen, Griin- 
dungsjahr und Griinder; die ursprunglichen Namen und 
die Daten der erfolgten Umwandlungen stehen in (); es 
folgen die Namen von bekannten bzw. gegenwartigen mu- 
sikalischen Leitern mit Wirkungsdaten. Orch. ohne den 
Vermerk privat (priv.) sind staatlich bzw. stadtisch, was 
teils auch aus dem Titel (Stadtisch bzw. Staatl.) hervor- 
geht. Rundfunkorch. sind, wenn nicht anders vermerkt, 
(Gemeinniitzige) Anstalten des offentlichen Rechts. Wer- 
den fiir eine Stadt zwei oder mehr Orch. angefuhrt, so rich- 
tet sich ihre Reihenfolge nach dem Grundungsdatum. 
Fremdsprachliche Formen des Wortes Orch. sind im fol- 
genden mit Orch., Ork. oder Orqu. abgekiirzt. 

Belgien. 

Antwerpen, De Philharmonia van A., 1955. St. Candael 

(1955-59), E. Flipse (1959-). 

Brussel, Orch. National de Belgique (priv.), 1936 v. D. 

Defauw. Ohne standigen Dirigenten (1936-58), A. Cluy- 

tens (1960-67). 

Bulgarien. 

Sofia, Sofioter Staatl. Philharmonie, 1928 v. S. Popov 

(Akademisches Sinfonisches Orch. -1935, Konigliches Sin- 

fonisches Militarorch. -1944, Staatl. Sinfonieorch. an d. 

Rundfunkdirektion -1947). Ders. (1928-56), K. Iliew 

(1956-). 

Danemark. 

Kopenhagen, Det Kongelige Kapel (Orch. d. danischen 
Nationaltheaters seit 1770), 1448 unter Konig Christian I. 
CI. Schall (1817-35), Fr. J. Glaser (1842-61), H. S. Paulli 
(1863-83), J. Svendsen (1883-1908), C. Nielsen (1908-14), 
J. Hye-Knudsen (1925-30), J. Frandsen (1956-). Lit.: 
-» Kopenhagen. - Tivoli-Ork., 1843. H. C. Lumbye (1 843- 
72), Th. Jensen (1936-48), Sv. Chr. Felumb (1948-). - Dan- 
marks Radio-Symfoniork., 1926 v. E. Holm (Radio-ork. 
-1931, Radio-Symfoniork. -1948, Statsradiofoniens Sym- 
foniork. -1960). Ders. (1925-38), L. Grondahl (1926-55), 
E. Reesen (1927-35), Fr. Mahler (1930-35), E. Tuxen 
(1936-57), Fr. Busch (Gastdirigent 1932-51), P. Gram 
(1938-51), Ph. Jensen (1952-). 

Deutschland. 

Aachen, Stadtisches Orch. A., 1852. Fr. Wullner (1858- 
65), Fr. Busch (1912-19), P. Raabe (1920-33), H. v. Kara- 
jan (1934-41), P. van Kempen (1942^14), F. Raabe (1946- 
53), W. Sawallisch (1953-58), H. W. Kampfel (1958-62), 
W. Trommer (1962-). - Augsburg, Stadtisches Orch. A., 
1863. W. Sawallisch (1947-53), H. Wallberg (1953-54), H. 
W. Kampfel (1954-57), I. Kertesz (1958-63), H. Zanotelli 
(1963-). 



Baden-Baden, Symphonie- u. Kurorch. B.-B., 1872. C. A. 
Vogt(1953-).-SWF-Orch., 1946. G. E. Lessing (1946-48), 
H. Rosbaud (1948-62), E. Bour (1964-). - Bamberg, B.er 
Symphoniker (priv.), 1946 (ehemalige Prager Deutsche 
Philharmonie, 1939-45). J. Keilberth (1940-45, 1949-), H. 
Albert (1947-48), G. L. Jochum (1948^19). Lit.: -* Bam- 
berg. - Bayreuth, Das Festspielorch. d. B.er Festspiele 
(priv.), 1876 v. R. Wagner. H. Richter, F. Mottl, H. Levi, S. 
Wagner, K. Muck, Fr. v. Hoesslin, K. Elmendorff, A- Tosca- 
nini, W. Furtwangler, R. Strauss, H. Tietjen, V. de Sabata, J. 
Keilberth, H. Knappertsbusch, E. Jochum, Cl.Krauss, A. 
Cluytens, W. Sawallisch, R. Kempe, K. Bohm, P. Boulez 
u. a. Lit. : -> Bayreuth. - Berlin, Staatskapelle Bin (Unter 
d. Linden), 1735 (Hofkapelle d. Kronprinzen Friedrich zu 
Rheinsberg -1741, Kgl. PreuBische Hofkapelle -1918), 
PreuBische Staatskapelle -1945; v. 1924-31 spielte d. 
Staatskapelle auch in d. Krolloper). F. v. Weingartner 
(1891-1907),K.Muck(1892-1912),R.Strauss(1898-1918), 
L. Blech (1906-23, 1926-37), E. Paur (1912-13), M. v. 
Schillings (1919-25), W. Furtwangler (1920-22, 1933-34), 
H. Abendroth (1922-23), E. Kleiber (1923-34), O. Klem- 
perer (1 927-33, Krolloper), R. Heger (1933-45), CI. Krauss 
(1935-36), K. Elmendorff (1938-52), H. v. Karajan (1941- 
45), P. v. Kempen (1940-42), J. Keilberth (194.8-51), Fr. 
Konwitschny (1955-62), O. Suitner (1964-). - Berliner 
Philharmonisches Orch., 1882. L. v. Brenner (1882), H. v. 
Bulow (1887-93), A. Nikisch (1895-1922), W. Furtwang- 
ler (1922-54, mit 2 Unterbrechungen 1934/35 u. 1945-47), 
L. Borchard (1945), S. Celibidache (1945^17), H. v. Kara- 
jan (1955-). Lit. : 75 Jahre Berliner Philharmonisches Orch. 
1882-1957, Bin (1957). - Orch. d. Deutschen Oper Bin 
(Charlottenburg), 1912 (wechselnd als Orch. d. Stadtischen 
Oper Bin, d. Deutschen Opernhauses Bin [Reichsoper] 
-1945, Orch. d. Stadtischen Oper Bin -1961). W. Furt- 
wangler u. a. (1920-22, 1933-34), Br. Walter (1925-30), E. 
Jochum (1932-34), A. Rother (1938-58), R. Heger (1945- 
49), F. Fricsay (1949-52, 1961-63), L. Maazel (1965-). Lit. : 
-► Berlin. - Berliner Rundfunk Sinfonie-Orch., 1925 (Gro- 
Bes Funkorch. Bin -1946). S. Celibidache (1945-46), A. 
Rother (1947-50), H. Abendroth (1954-56), R. Kleinert 
(1959-). - Berliner Kammerorch. (priv.) 1939 v. H. v. Ben- 
da (vorher Kammerorch. H. v. Benda 1932-36, Neugriin- 
dung 1953). H. v. Benda (1939-). - Radio-Symphonie- 
Orch. Bin (GmbH), 1946 (RIAS-Symphonie-Orch. -1953). 
F. Fricsay (1949-52, 1960-63), L. Maazel (1965-). - Orch. 
d. Komischen Oper Bin, 1947. O. Klemperer, A. Gruber 
(1951-55), M. v. Zallinger (1953-56), V. Neumann (1956- 
59), K. Masur (1960-64), G. Bahner (1964-67), Zd. Kosler 
(1967-). - Stadtisches Berliner Sinfonie-Orch., 1952. H. 
Hildebrandt (1952-59), P. Dorrie (1957-60), K. Sanderling 
(I960-). - Bielefeld, Stadtisches Orch. B., 1901 (vorher 
Stadtkapelle 1860-1901). B. Conz (1951-). - Bochum, 
Orch. d. Stadt B., 1919. Fr. P. Decker (1956-64), Y. Baar- 
spul (1965-). - Bonn, Orch. d. Beethovenhalle B., 1783 
(Hofkapelle -1791; Stadtisches Orch. 1906-63). V. Wan- 
genheim (1957-). Lit. : — > Bonn. - Braunschweig, Staats- 
kapelle Br., 1571 v. Herzog v. Br.-Wolfenbuttel (Herzog- 
liche Hofkapelle -1918, Br.ische Landestheaterkapelle 
-1938). H. Schutz (1655-67), H. Esser (1962-). Lit.: 
—* Braunschweig. - Bremen, Philharmonisches Staatsorch. 
Br., 1792 (Opern- u. Theaterorch. -1820, Bremer Concert- 
Orch. -1892, Stadtisches Orch. -1933). P. van Kempen 
(1953-55), H. Wallberg (1955-61), H. W. Kampfel (1961- 
64), H. Wallat (1966-). Lit. : -> Bremen. 
Chemnitz, Stadtisches Orch. Karl-Marx-Stadt, 1832. R. 
Kempe (1946-48), G. Bahner (1962-64), G. R. Bauer 
(1964-). - Coburg, Orch. d. Landestheaters C, 1827 v. 
Herzog Ernst I. v. Sachsen-C.-Gotha (herzogliche Hof- 
theater-Kapelle -1918). O. Wirthensohn (1962-64), H. 
Wessel-Therhorn (1965-67), H. Pape (1967-). 
Darmstadt, Hessisches Landestheater-Orch., Ende 16. 
Jh. unter Landgraf Ludwig V. v. Hessen (Hofkapellmusik 
zu D., GroBherzogliche Hofkapelle -1919). E. Kleiber 
(1912-19), F. v. Weingartner (1914-18), G. Szell (1921-22), 
K. Bohm (1927-31), K. M. Zwissler (1929-31, 1937-38), 
H.Schmidt-Isserstedt(1931-33),H.Zanotelli(1957-63),H. 
Drewanz (1963-). Lit.: — > Darmstadt. - Dessau, Orch. d. 
Landestheaters D., 1766 (Herzogliche Hofkapelle -1919, 
Orch. d. Friedrich-Theaters D. -1949, Orch. d. Anhalti- 
schen Landestheaters -1950). H. Knappertsbusch (1919— 
22), Fr. v. Hoesslin (1923-27), A. Rother (1927-34), H. 



674 



Orchester (Deutschland) 



Rottger (1954—). Lit.: — » Dessau. - Detmold, Landes- 
theater-Orch. (e. V.), (Stadtisches Orch. D. -1949). P. Sixt 
(1951-64), N. Aeschbacher (1965-). - Dortmund, Stadti- 
sches Orch. D., 1887 v. G.Hiittner(Orch.-Ver.Hiittner'sche 
Kapelle -1920). Ders. (1887-1919), W. Sieben (1920-51), 
R. Agop (1952-62), W. Schiichter (1962-). - Dresden, 
Staatskapelle Dr., 1548 v. Kurfiirst Moritz v. Sachsen 
(Kantorei; Hofkapelle -1918). C. M. v. Weber (1816-26), 
H. Marschner (1824-26), K. G. ReiBiger (1826-59), R. 
Wagner (1843^9), Fr. Wiillner (1877-82), E. v. Schuch 
(1879-1914), Fr. Reiner (1914-22), Fr. Busch (1922-33), 
K. Bohm (1934-43), K. Elmendorff(1943^t5), J. Keilberth 
(1945-49), R. Kempe (1949-52), Fr. Konwitschny (1953- 
55), L. v. Matacic (1957-58), O. Suitner (1960-64), K, San- 
derling (1964—). Lit.: — > Dresden. - Dresdner Philharmo- 
nic, 1870 (Gewerbehausorch. -1915, Dresdner Philharmo- 
nisches Orch. -1923). H. Mannfeldt (1871-85), E. Lindner 
(1915-23), I. Dobrowen (1923), E. Moricke (1924-29), P. 
Scheinpflug (1929-32), P. van Kempen (1934-44), G. Wie- 
senhiitter (1945-46), H. Bongartz (1947-64), H. Forster 
(1964-). Lit.: — » Dresden. - Dusseldorf, D.er Symphoni- 
ker, 1864 (Stadtisches Orch. -1960). J. Buths (1890-1908), 
K. Panzer (1909-23), H. Weisbach (1926-32), H. Balzer 
(1933-45), H. Hollreiser (1945-52), E. Szenkar (1952-60), 
J. Martinon (1960-64), R. Fruhbeck de Burgos (1966-). - 
Duisburo, Stadtisches Symphonie-Orch. D., 1889. G. L. 
Jochum (1946-), G. Wich (1965-). 
Eisenach, Landeskapelle E., 19 1 9 (Stadtisches Orch. -1 946, 
danach ZusammenschluB mit d. nach E. iibergewechselten 
Breslauer Philharmonikern). W. Armbrust (1922-41), P. 
Schmitz (1946-49), H. Forster (1950-55), H. Gahlenbeck 
(1955-). - Erfurt, Stadtisches Orch. E. U. Nissen (1957-). 

- Essen, Stadtisches Orch. E., 1899. G. H. Witte (1899- 
1911), H. Abendroth (1911-16), M. Fiedler (1916-33), J. 
Schuler (1933-36), A. Bittner (1936-43), G. K6nig(1943-). 
Flensburg, Zweckverband Nordmark-Sinfonie-Orch., 
1950. H. Steiner (1950-). - Frankfurt am Main, Stadti- 
sches Opernhaus- u. Museumsorch., Ende 18. Jh. (vorher 
Stadtische Kapelle). L. Rottenberg (1 893-1 926), CI. Krauss 
(1924-29), W.Steinberg(1929-33),B.Wetzelsberger(1933- 
38), K. M. Zwissler (1933-36), Fr. Konwitschny (1938^15), 
Br. Vondenhoff (1945-55), G. Solti (1952-61), L. v. Ma- 
tacic (1961-66), Th. Bloomfield (1966-). Lit. : -* Frankfurt 
am Main. - Sinfonie-Orch. d. Hessischen Rundfunks, 1927 
(GroBes Orch. d. Siidwestdeutschen Rundfunks -1945, 
Sinfonie-Orch. v. Radio Fr. -1948). R. Merten (1927-29), 
H. Rosbaud (1928-38), C. Schuricht (1943^5), K. Schro- 
der u. W. Zillig (1947-55), O. Matzerath (1955-61), D. 
Dixon (1961—). - Freiburg i. Br., Philharmonisches Orch. 
d. Stadt Fr./Br., 1887. Fr. Konwitschny (1933-38), Br. 
Vondenhoff (1938^14), H. Dressel (1951-57), H. Gierster 
(1957-65), L. Hager (1965-). 

Gelsenkirchen, Stadtisches Orch. G., 1943. R. Heime 
(1945-). - Giessen, Orch. d. Stadttheaters (GmbH), 1933 
(Stadtisches Orch. G. -1954). W. Czernik (1948-54), W. D. 
v. Winterfeld (1957-63), G. Heidger (1966-). - Gorlitz- 
Zittau, Orch. d. Gerhart-Hauptmann-Theaters G.-Z., 
1 781 (G.er Stadtkapelle bzw. -orch. -1920). A. Schonfelder 
(1955-). -Gottingen, Gottinger Symphonie-Orch. (e. V.), 
1 889 (Stadtisches Orch. G. -1951). O. M. F. Maga (1963-). 

- Gotha, Staatl. Sinfonieorch. Thiiringen, 1951 (Landes- 
kapelle G. -1951, Landessinfonieorch. Thiiringen -1956). 
Fr.Miiller(1951-). 

Hagen, Stadtisches Orch. H„ 1907. B. Lehmann (1949-). - 
Halle/Saale, Staatl. Sinfonieorch. H., 1946 (Hallisches 
Sinfonieorch. -1949, Landes-Volksorch. Sachsen- Anhalt 
-1950, Landes-Sinfonieorch.-1955). H. Forster (1956-64), 
H.-T. Margraf (1964-). - Hamburg, Philharmonisches 
Staatsorch. (auch Orch. d. Hamburgischen Staatsoper), 
1828 (Philharmonische Ges. -1934). Fr. W. Grund, Mitbe- 
grunder (1829-63), J. Stockhausen (1863-67), R. Barth u. 
M. Fiedler (1894— 19ip), S. v. Hausegger u. G. v. Keussler 
(1910-22), K. Muck u. E. Pabst (1922-34), E. Jochum 
(1934-49), J. Keilberth (1949-59), L. Ludwig (1950-, GMD 
d. Hamburger Staatsoper), W. Sawallisch (1959-). Lit.: 
— ► Hamburg. - NDR Sinfonieorch., 1945 v. H. Schmidt- 
Isserstedt. Ders. (1945-). - Hamburger Rundfunk-Orch., 
1946. R. Miiller-Lampertz (1951—). - Hannover, Opern- 
hausorch. d. Landestheaters H., Orch. d. Landestheaters 
GmbH, 1 636 v. Herzog Georg v. Calenberg (H.sche Hof- 
kapelle -1921, Opernhausorch. d. Stadtischen Biihnen 



-1950). H. Marschner (1831-61), H. v. Biilow (1877-79), 
Fr. Konwitschny (1945^*9), J. Schuler (1949-60), G. Wich 
(1961-65), G. A. Albrecht (1 966-). Lit.: -► Hannover. - 
Niedersachsisch.es Symphonie-Orch. GmbH, 1938 (e. V. v. 
1948-61). H. Thierfelder (1938^14, 1949-66). - Rundfunk- 
orch. H., 1950 (Niedersachsisches Sinfonieorch. H. -1950, 
Orch. d. Senders H. -1957). W. Steiner (1950-). - Heidel- 
berg, Stadtisches Orch. H., 1889 v. Ph. Wolfrum (vorher 
H.er Stadtorch. 1865-89). K. Brass (1961-). - Herford, 
Nordwestdeutsche Philharmonie (e. V.), 1950. R. Agop 
(1950-52), E. Pabst (1952-53), W. Schiichter (1953-54), 
A. Grimes (1955-56), K. Brass (1956-61), H. Scherchen 
(1959-60), H. Hildebrand (1961-63), R. Kraus (1963-). 

- Hilchenbach, Siegerland-Orch. e. V., Deutsches Nach- 
wuchs-Sinfonieorch., 1957. R. Agop (1962-). - Hof/Saa- 
le, Hofer Symphoniker e. V., 1946. W. Richter-Reichhelm 
(1955-). 

Jena, Sinfonieorch. J., 1934 (Stadtisches Sinfonieorch. J. 
-1951). H. H. Schmitz (1959-). 

Kaiserslautern, Orch. d. Pfalztheaters, 1887 (Stadtorch. 
-1922). R. Moralt (1923-28, 1932-34), C. Gorvin (1959-). 

- Karlsruhe, Badische Staatskapelle, 17. Jh. v. Markgraf 
v. Baden-Durlach (Hofkapelle -1919, Badisches Landes- 
theater-Orch. -1933). Jos. Straufi (1824-63), H. Levi (1864- 
72), O. Dessoff (1875-80), F. Mottl (1880-1904), L. Reich- 
wein (1909-13), J. Krips (1926-33), J. Keilberth (1931-40), 
O. Matzerath (1940-55), A. Krannhals (1955-61), A. Grii- 
ber (1962-). Lit.: -> Karlsruhe. - KASSEL.Orch. d. Staats- 
theaters K., 1502 v. Landgraf Wilhelm II. v. Hessen (Hof- 
kapelle, mehrfach umgewandelt -1919, Staatskapelle 
-1956). R. Heger (1935-45), K. Elmendorff (1948-51), P. 
Schmitz (1951-62), Chr. v. Dohnanyi (1963-66), G. Al- 
brecht (1966-). Lit.: — > Kassel. - Kiel, Stadtisches Orch. 
K., 1907 (Orch. d. Ver. d. Musikfreunde-1920). E. Jochum 
(1926-29), P. Ronnefeld (1963-65), G. Mandl (1966-). - 
Koblenz, Rheinische Philharmonie e. V., 1945. O. Wink- 
ler (1946-58), H. Charlier (1959-64), S. Albertini (1965-). - 
Koln, Gurzenich-Orch. d. Stadt K. (auch Orch. d. K.er 
Opernhauses), 1888. G. Wand (1939-44, 1946-), W. Sawal- 
lisch (1960-63, GMD d. Oper), I. Kertesz(1965- GMD d. 
Oper). Lit.: — ► Koln. - K.er Rundfunk-Sinfonie-Orch., 
1946 (K.er Rundfunk-Orch. -1949). Gastdirigenten (1946- 
64), Chr. v. Dohnanyi (1964-67), C. Cremer (1967-). - 
Cappella Coloniensis, 1954. M. Couraud, E. Kruttge, F. 
Leitner, P. Sacher, A. Wenzinger. - Krefeld u. Monchen- 
gladbach, Orch. d. Stadte Kr. u. M., 1950 (Stadtisches 
Kr.er Orch. 1854-1950, Stadtisches Orch. M. 1905-50). R. 
Hubertus (1950-). 

Leipzig, Gewandhausorch., 1763 v. J. A. Hiller (»GroBes 
Konzert«ab 1763 ; im Gewandhaus seit 1781). Ders. (1763- 
85), F. Mendelssohn Bartholdy (1835^7), N. W. Gade 
(1844-48), J. Rietz (1848-60), C. Reinecke (1860-95), A. 
Nikisch (1895-1922), W. Furtwangler (1922-28), Br. Wal- 
ter (1929-33), H. Abendroth (1934-35), H. Albert (1946- 
48), Fr. Konwitschny (1949-62), H. Bongartz (1964-), V. 
Neumann (1964-). Lit.: -> Leipzig. - Rundfunk-Sinfonie- 
Orch. Lpz., 1923 (Leipziger Sinfonie-Orch. -1924, als Orch. 
d. Mitteldeutschen Rundfunks, GmbH, -1941, Reichs- 
rundfunkorch. -1945, Leipziger Sinfonieorch. -1946). Fr. 
v. Hoesslin, H. Scherchen u. a. (1923-31), C. Schuricht 
(1932-34), H. Weisbach (1934-39), G. Wiesenhiitter (1946- 
48), H. Abendroth u. G. Pfluger (1949-56), H. Kegel 
(1958-). - Ludwigshafen, Philharmonisches Orch. d. 
Pfalz, 1919 v. pfalzischen Stadten (Pfalzorch. L. -1967). 
Chr. Stepp (1966-). - Lubeck, Stadtisches Orch. L„ 1897 
(Stadtkapelle vor 1897, Orch. d. Ver. d. Musikfreunde 
-1922). H. Abendroth (1905-11), W. Furtwangler (1911- 
15), Fr. v. Hoesslin (1919-20), E. Jochum (1928-30), G. 
Albrecht (1963-66), B. Klee (1966-). Lit. : -* Lubeck. 
Magdeburg, Stadtisches Orch. M., 1897 (vorher Stadtka- 
pelle um 1752-1897). G. Schwiers (1952-). - Mainz, Stadti- 
sches Orch. M., 1876 (vorher Kurfurstlich Maynzische 
Hof- u. Kammermusik 1 7. Jh. - 1 803, M.er Theaterkapelle 
1832-76). E. Steinbach (1877-1910), A. Gorter (1910-25), 
P. Breisach (1925-30), H. Schwieger (1932-33), K. Fischer 
(1933-36), K. M. Zwissler (1936-67), H. Wessel-Therhorn 
(1967-). - M.er Kammerorch. (priv.), 1955 v. G. Kehr. 
Ders. (1955-). - Mannheim, Nationaltheater-Orch. M., 
1720 (Kurpfalzische Hofkapelle -1778, Hof- u. National- 
theater-Orch. -1919). J. Stamitz (1745-53), I. Holzbauer 
(1753-78), I. Franzl (1778-1804), Fr. Lachner (1834-36), 



43* 



675 



Orchester (Deutschland) 



V. Lachner (1836-72), E. Paur (1880-89), F. v. Weingart- 
ner (1889-91), E. N. v. Reznicek (1896-99), W. Furtwang- 
ler (1915-20), Fr. v. Hoesslin (1920-22), E. Kleiber (1922- 
23), Ph. Wiist (1933-36), K. Elmendorff (1936-42), Fr. Rie- 
ger (1947-49), E. Szenkar (1950-52), H. Albert (1952-63), 
H. Stein (1963-). Lit.: -» Mannheim. - Marl i. W., Phil- 
harmonia Hungarica (e. V.), 1957 in Wien v. Z. Rosznyai. 
M. Caridis (1957-67). - Meiningen, Orch. d. Meininger 
Theaters, 1702 v. Herzog Bernhard I. (Herzogliche Hof- 
kapelle M. -1918, Landeskapelle -1945). H. v. Biilow 
(1880-85), R.Strauss(1885-86),Fr.Steinbach(1886-1903), 
M. Reger (1911-14), H. Bongartz (1926-30), O. Koch 
(1961—). Lit.: — > Meiningen. - Munchen, Bayerisches 
Staatsorch. (auch Orch. d. Bayerischen Staatsoper), 1778 
als Fortfuhrung d. nach M. verlegten Mannheimer Hof- 
kapelle v. Kurf iirst Karl Theodof (M .er Hof kapelle - 1 806, 
Konigliches Hoforch. M. -1918). Chr. Cannabich (1778- 
98), P. Winter (1798-1825), F. Franzl (1806-24), Fr. Lach- 
ner (1836-65), H. v. Biilow (1867-68), H. Richter (1869- 
70), H. Levi (1872-96), F. Mottl (1907-11), Br. Walter 
(1913-22), H.Knappertsbusch(1922-35), CI. Krauss(1936- 
44), G. Solti (1945-51), R. Kempe (1952-54), F. Fricsay 
(1956-59), J. Keilberth (1959-). Lit.: -► Munchen. - 
Bayerische Staatstheater, Orch. d. Theaters am Gartner- 
platz, 1865. K. Eichhorn (1946-67), W. Rennert (1968-). - 
Miinchner Orch.-Ver. »Wilde Gung'l« (priv. Liebhaber- 
orch.), 1864 v. E. v. Rutz. Ders. (1864-72), Fr. Strauss 
(1875-96), H. Abendroth (1903-05), H. Knappe (1924-56), 
C. Eberhardt (1965-). - Miinchner Philharmoniker, Orch. 
d. Stadt M., 1893 v. Fr. Kaim (Philharmonisches Orch. 
-1894, Kaim-Orch. -1908, Konzertver.-Orch. -1924). H. 
Winderstein (1893-95), H. Zumpe (1895-97), F. Lowe 
(1897-98, 1908-14), F. v. Weingartner (1898-1905), G. 
Schneevoigt (1905-08), H. Pfitzner (1919-20), S. v. Haus- 
egger (1920-38), O. Kabasta (1938-45), H. Rosbaud(1945- 
48), Fr. Rieger (1949-66), R. Kempe (1967-). - Rund- 
funk-Orch. d. Bayerischen Rundfunks M., 1924. W. 
Schmidt-Boelcke (1950-67), K. Eichhorn (1967-). - Sym- 
phonie-Orch. Graunke (priv.), 1945 v. K. Graunke. Ders. 
(1945-). - Symphonie-Orch. d. Bayerischen Rundfunks, 
1949 (GroBes Rundfunkorch. -1952). E. Jochum (1949- 
60), R. Kubelik (1961—). — Miinchner Kammerorch.{e. V.), 
1950. Chr. Stepp (1950-56), H. Stadlmair (1956-). - Mun- 
ster I. W., Orch. d. Provinzialhauptstadt, 1919 v. Fr. Vol- 
bach. Ders. (1919-24), G. L. Jochum (1930-33), E. Pabst 
(1933-37), H. Rosbaud (1937-41), R. Peters (1961-). 
Nurnberg, Stadtisches Orch. N., 1922 (Verschmelzung d. 
Philharmonischen u. d. Stadttheater-Orch.). B. Wetzels- 
berger (1925-32), A. Dressel (1932-45, 1947-55), E. Riede 
(1956-66), H. Gierster (1966—). - N.er Symphoniker, Fran- 
kisches Landesorch. e. V., 1946 Neugrundung (vorher 
Nordbayerisches Landesorch.). E. Kloss (1949-67). 
Oberhausen, Stadtisches Orch. O., 1947 Neugrundung 
(vorher Rheinisch-Westfalisches Symphonie-Orch. 1926- 
39, Stadtisches Orch.-1945). K. Kohler (1951-65), K. Rich- 
ter (1966-). - Oldenburg, O.isches Staatsorch., 1832 
(GroBherzogliche Hofkapelle -1918, O.er Symphonie- 
Orch. -1919, O.er Landesorch. -1938). K. Randolf (1955- 
67), Fr. Janota (1967-). Lit. : — » Oldenburg. - Osnabruck, 
O.er Symphonieorch., 1919. Br. Hegmann (1947-65), H. 
Finger (1966-). 

Pforzheim, Stadtisches Orch. Pf., 1930 (Sinfonieorch. Pf. 
-1940). H. Finger (1957-66), O. Siebert (1967-). - Siid- 
westdeutsches Kammerorch. Pf. (e. V.), 1950 v. Fr. Tile- 
gant. Ders. (1950-). 

Recklinghausen, Westfalisches Sinfonieorch. (e. V.), 
1955 (vorher Stadtisches Orch. R. u. Kreisorch. Unna). H. 
Herwig (1955-58), H. Reichert (1958-). - Regensburg, 
Stadttheater-Orch. R., 1859 (vorher Hofmusikkapelle 
-1806). R. Kloiber (1935^15), A. Paulmiiller (1945-58), 
O. Winkler (1958-65), Th. Ungar (1967-). Lit. :-> Regens- 
burg. - Remscheid, Orch. d. Stadt R., 1925. O. Suitner 
(1952-57), S.Goslich (1958-61), Th. Ungar (1961-66), A. 
Rumpf (1967-). - Reutlingen, Schwabisches Symphonie- 
Orch. R. (e. V.), 1945. H. Grischkat (1945-50), R. Kloiber 
(1951-59), H.-J. Walther (1959-). - Rudolstadt, Orch. d. 
Theaters R., urn 1666 (Fiirstliche Hofkapelle R. -1919, 
Landeskapelle R.-1952). M. Eberwein (1817-31), H. Hes- 
selbarth (1854-93), H. Koppen (1949-59), R. Stadler 
(1961-). Lit. : -+ Rudolstadt. 
Saarbrucken, Stadtisches Orch., 1912 (Ges. d. Musik- 



freunde-1919,Schauspielhaus-Orch.-1922, Gemeinnutzi- 
ge Theater- u. Musikges. GmbH -1936). V. Cormann 
(1912-18), H. Tietjen (1921-22), F. Lederer (1922-35), H. 
Bongartz(1937-44), Ph. Wiist (1 946-64), S. Kohler (1 965-). 
-Sinfonie-Orch. d. Saarlandischen Rundfunks, 1936 (Gro- 
Bes Orch. Reichssender S. -1946). R. Michl (1946-). - 
Kammerorch. d. Saarlandischen Rundfunks, 1953 v. K. 
Ristenpart (Saarlandisches Kammerorch. -1960). Ders. 
(1953—). - Schwerin, Mecklenburgische Staatskapelle 
Schw., 1563 v. Herzog Johann Albrecht I. (Mecklenburg- 
Schw.er Hofkapelle -1918, Orch. d. Mecklenburgischen 
Landestheaters-1926). H. Zumpe (1897-1901), W. Kaeh- 
ler (1906-31), Fr. Mechlenburg (1933-38), H. Gahlenbeck 
(1938-44, 1948-50), K. Masur (1958-60), H. Fricke (1960- 
62), K. Tennstedt (1962-). Lit.: -*■ Mecklenburg. - So- 
lingen, Stadtisches Orch. S., 1929 (Symphonie-Orch. S., 
Bergisches Landesorch. Remscheid-S. -1939). W. B. Tueb- 
ben (1962-). - Stuttgart, Wiirttembergisches Staats- 
orch.(auch Orch.d.Wurttembergischen Staatstheater), An- 
f ang 1 6. Jh. unterd. Herzogen Eberhard II. u. Ulrich (Hof ka- 
pelle -1 9 1 8 , Wiirttembergisches Landestheaterorch .-1933, 
Orch.d. WurttembergischenStaatstheaters-1945). I. Holz- 
bauer (1750-53), N. Jomelli (1753-68), J. R. Zumsteeg 
(1793-1802), Fr. Danzi (1807-12), C. Kreutzer (1812-16), 
J. N. Hummel (1816-18), P. v. Lindpaintner (1819-56), K. 
Eckert (1860-67), H. Zumpe (1891-95), M. v. Schillings 
(1908-18), Fr. Busch (1918-22), H. Albert (1937-44), F. 
Leitner (1947-). Lit. : -> Stuttgart. - St.er Philharmoniker 
e.V., 1924 (Philharmonisches Orch. St. -1933, Landesorch. 
Gau Wurttemberg-Hohenzollern -1 945, Philharmonisches 
Orch. St. -1948). L. Blech (1924), W. Steffen (1946), H. 
Hildebrandt (1947-48), W. van Hoogstraten (1949-55), A. 
Paulmuller (1964-). - Siidfunk-Sinfonie-Orch., 1945 Neu- 
griindung v. G. Koslik. H. Muller-Kray (1948-). - St.er 
Kammerorch. (e. V.), 1945 v. K. Munchinger. Ders. 
(1945-). - Klassische Philharmonie St. (priv.), 1966 v. K. 
Munchinger. Ders. (1966-). 

Trier, Stadtisches Orch. Tr., 1919 durch H. Tietjen (vor- 
her Orch. d. Philharmonischen Ges. Tr.). R. Reinhardt 
(1959-). 

Ulm, Orch. d. Stadt U., 1919 (Philharmonisches Orch. U. 
-1921). G. Meyer (1919-20), H. v. Karajan (1930-34), K. 
Hauff(1937^2),W.Seegelken(1942-44),Fr.Janota(1963- 
66), P. Angerer (1966-). 

Weimar, W.ische Staatskapelle, um 1565 (GroBherzogli- 
che Hofkapelle -1919). J. N. Hummel (1819-37), Fr. Liszt 
(1824-59), R. Strauss (1889-94), E. d'Albert (1895), P. 
Raabe (1907-20), E. Praetorius (1924-33), P. Sixt (1933- 
45), H. Abendroth (1945-56), R. Kempe (1948-49), G. 
Pfluger (1957-). Lit.: -> Weimar. - Wiesbaden, Orch. d. 
Hessischen Staatstheaters W. (Orch. d. Koniglichen Schau- 
spiele W. -1920, Orch. d. PreuBischen Staatstheaters W. 
-1945). O. Klemperer (1924-27), K. Elmendorff (1930- 
35), W. Sawallisch (1958-61), H. Wallberg (1961-), - Sym- 
phonie-Orch. d. Stadt W., 1873-1958; dann Ubernahmein 
das Orch. d. Hessischen Staatstheaters W. K. Miiller-Berg- 
haus (1873-74), L. Lustner (1874-1905), C. Schuricht 
(1912-44), O. Schmidtgen (1942-51). - Wurzburg, Stadti- 
sches Philharmonisches Orch., 1840 (vorher Hochfiirstli- 
che Hofkapelle). O. Matzerath (1939-40), W. Schuchter 
(1940-41), E. Riede (1966-). Lit.: -> Wurzburg. - Wup- 
pertal, Stadtisches Orch. W., 1862 (Stadtisches Orch. Bar- 
men u. Elberfeld -1919, Vereinigte Stadtische Orch. Bar- 
men-Elberfeld -1929). H. Haym (1906-20), H. Knapperts- 
busch (1913-14), E. Kleiber u. O. Klemperer (1920-24), 
Fr. v. Hoesslin (1925-31), Fr. Lehmann (1938-43, 1945- 
47), H. Weisbach (1947-55), H. G. Ratjen (1955-59), M. 
Stephani (1959-63), J. Kulka (1964-). 
Zwickau, Orch. d. Buhnen d. Stadt Zw. (Stadtkapelle 
-19. Jh., Ver. Zw.er Musiker -1922, Stadtisches Orch. 
-1958). W. Schoniger (1946-50), H. H. Schmitz (1950-54), 
H. Storck (1954-). 

Finnland. 

Helsinki, Helsingin Kaupunginork. / Helsingfors Stads- 
ork., 1882 v. R. Kajanus (Helsingin Orkesteriyhdistys 
-1894, Helsingin Filharmooninen Ork. -1914, im selben 
Jahr Fusion mit d. 1912 v. G. Schneevoigt gegr. Helsingin 
Sinfoniaork.). Ders. (1882-1932), G. Schneevoigt (1914- 
16, 1932-41), M. Simila (1947-50), T. Hannikainen (1951- 
63). Lit.:-* Helsinki. 



676 



Orchester (Osterreich) 



Frankreich. 

Paris, Orch. du Theatre National de l'Opera, 1669 durch 
konigliches Privileg v. P.Perrin u. R.Cambert. J.-B. Lully 
(1672-87), R. Kreutzer (1817-27), Fr. A. Habeneck(1824- 
46), E. M. E. Deldevez (1873-77), Ch. Lamoureux (1878- 
81), CI. P. Taffanel (1892-1908), P. Dervaux (1956-). Lit.: 
— » Paris. - Orch. du Theatre de l'Opera Comique, 1780. A. 
Messager (1898-1903, 1919-20), G. Cloez (1922-46), J. 
Fournet (1944-), G. Sebastian (1946-), A. Cluytens (1946- 
67). - Orch. de la Soc. des Concerts du Conservatoire, 1 828 
v. Fr. A. Habeneck. Ders. (1828-49), N. Girard (1847- 
60), Fr. G. Hainl (1863-72), E. M. E. Deldevez (1872-85), 
CI. P. Taffanel (1890-1903), A. Messager (1908-19), Ph. 
Gaubert (1919-38), Ch. Munch (1938-46), A. Cluytens 
(1949-60). - Association des Concerts Pasdeloup (priv.), 
1861 v. J.-E. Pasdeloup (Concerts populaires de musique 
classique -1887). Ders. (1861-87). Neugriindung 1918 
durch Rhene-Baton. Ders. (1918-32), D.-E. Inghelbrecht 
(1929-33), A. Wolff (1934-40), P. Dervaux (1948-52). - 
Association Artistique des Concerts Colonne (priv.), 1873 
v. E. Colonne (Concert national -1874, Association Ar- 
tistique des Concerts du Chatelet -ca. 1882). Ders. (1873- 
1910), G. Pierne (1910-32), P. Paray (1932-55), Ch. Munch 
(1956-58), P. Dervaux (1958-). - Orch. Fernand Oubra- 
dous (Association des Concerts de Chambre de P.), 1879 
v. CI. P. Taffanell (Soc. des Instr. a Vent -1940). F. Oubra- 
dous (1939-). - Association des Concerts Lamoureux 
(priv.), 1881 v. Ch. Lamoureux. Ders. (1881-97), C. Che- 
villard (1897-23), P. Paray (1923-28), A. Wolff (1928-35), 
E. Bigot (1935-50), J. Martinon (1951-57), I. Markevitch 
(1957-61), J.-B. Mari (1962-). - Orch. National de la RTF 
(Radiodiffusion-Television Fr?.), 1934 v. D.-E. Inghel- 
brecht. Ders, (1943-65). 

Griechenland. 

Athen, Kratiki orch. Athinon (Staatl. Orch. A.), 1893 
(Studentenorch. d. Odeon Athinon d. Konservatoriums A. 
-1911, Symphoniki orch. tou Odiou Athinon -1942, Sym- 
phoniki orch. Athinon -1943). G. Nazos (1893-1908), A. 
Marsick (1908-22), D. Mitropoulos (1925-39), Ph. Oiko- 
nomidis (1939-57), Th. Vavayannis (1942-), G. Lykoudis 
(1942-55), A. Paridis (1951—). - Symphoniki orch. tou 
Ethnikou Idrymatos Radiophonias (Symphonie-Orch. d. 
National-Rundfunks), 1938. A. Evangelatos (1938-), Ph. 
Oikonomidis (1938^15), G. Lykoudis (1938-45), Th. Va- 
vayannis (1945-), A. Paridis (1951-), B. Kolarsis (1956-). 



GroBbritannien 

Liverpool, Royal L. Philharmonic Orch., 1840. Z. Her- 
mann (1843-65), J. Benedict (1867-80), M. Bruch (1880- 
83), Fr. Cowen (1896-1913), M. Sargent (1942-47), H. 
Rignold (1948-54), J. Pritchard (1956-63), Ch. Groves 
(1963-). - London, L. Symphony Orch. (priv.), 1904. Th. 
Beecham (1928-32), J. Krips (1950-54), P. Monteux (1961- 
65). Lit.: -> London. - The BBC Symphony Orch., 1930. 
A. Boult (1930-50), M. Sargent (1950-57), R. Schwarz 
(1957-62), A. Dorati (1963-66), C. Davis (1967-). - L. 
Philharmonic Orch. (priv.), 1932 v. Th. Beecham. Ders. 
(1932-39), A. Fistoulari (1943-46), E. van Beinum (1949- 
50), A. Boult (1951-57), W. Steinberg (1958-59), J. Prit- 
chard (1962-67), B. Haitink (1967-). - New Philharmonia 
Orch. (priv.), 1945 v. W. Legge (Philharmonia Orch. L. 
-1964). O. Klemperer (1959-).- Royal Philharmonic Orch. 
(priv.), 1946 v. Th. Beecham. Ders. (1946-61), R. Kempe 
(1961-). Lit. : -> London. - Engl. Chamber Orch. and Mu- 
sic Soc. (priv.), 1961. Gastdirigenten. 
Manchester, Halle Orch. (priv.), 1858 v. Ch. Halle. Ders. 
(1858-95), H. Richter (1899-1911), H. Harty (1920-33), J. 
Barbirolli (1943-). Lit. : -> Manchester. 

Italien. 

Mailand, Orch. della Scala, 1875 (hervorgegangen aus d. 
Orch. del Teatro d'opera). Fr. Faccio, L. Mancinelli, G. 
Bolzoni u. G. Martucci (1875-95), V. M. Vanzo, A. Tosca- 
nini, P. Mascagni, A. Guarnieri u. T. Serafin (1905-15), A. 
Toscanini, E. Panizza u. V. Gui (1921-29), V. de Sabata, 
G. Marinuzzi u. A. Votto (1930-42), T. Serafin (1946-48), 
Fr. Capuana (1948-50), V. de Sabata (1950-54), C. M. 
Giulini (1954-55), G. Cantelli (1955-56), G. Gavazzeni, A. 
Votto u. N. Sanzogno (1956-62), N. Sanzogno (1962-). 
Lit. : — » Mailand. 



Palermo, Orch. Stabile del Teatro Massimo, 1960. Ohne 
festen Chefdirigenten. 

Rom, Orch. Stabile dell'Accad. Nazionale di Santa Cecilia, 
1895 v. E. Di San Martino. B. Molinari (1912-44), F. Previ- 
tali (1953-). -Orch. Sinfonica della RAI di Roma. 
Venedig, Orch. del Teatro La Fenice, 1938. N. Sanzogno 
(1938^10), E. Gracis (1959-). 

Jugoslawien. 

Belgrad, B.er Philharmonie, 1923. G. Zdravkovitch 
(1961-). - Opernorch. d. Nationaltheaters B., 1919/20. 
St. Binicki (1919-23), St. Hristic (1923-35), I. Brezovsek 
(1936-38), L. v. Matacic(1938-41), O. Danon(1945-). 
Laibach, Ork. Opere Slovenskega narodnega gledalisca 
v Ljubljani, 1919/20. N. Stritof (1919-44), D. Svara (1927- 
63), S. Hubad (1943-57), C. Cvetko (1957-63, 1963-). - 
Slovenska filharmonija, 1948 (vorher Acad. Philharmoni- 
corum Labacensis 1 701-94, »Philharmonische Ges.«-1 9 1 8, 
Filharmonidna druzba -1946). J. Cipci (1948-56), L. v. 
Matacic (1956-58), S. Hubad u. B. Leskovic (1948-). Lit. : 
E. Bock, Die Philharmonische Ges. in L. 1702-1902, L. 
1902; Dr. Cvetko, Acad, philharmonicorum Labacensis, 
L. 1962. 

Zagreb, Zagrebacka filharmonija (Z.er Philharmonie), 
1919. Kr. Baranovic (1929-45), L. v. Matacid (1932-38), 
M. Horvat (1946-), Gastdirigenten. - Zagrebacki Solisti, 
1954 v. Radio-Television. A. Janigro(1954-). - Symphonie- 
Orch. d. Radio-televizija Z., 1956. A. Janigro (1956-), P. 
DeSpalj (1956-). 

Kanada. 

Montreal, Orch. Symphonique de M., 1935. Fr. P. 

Decker (1968-). 

Toronto, T. Symphony Orch., 1906. W. Susskind (1955-). 

Luxemburg. 

Luxembourg, Orch. Symphonique de Radio-Tele-L. 
(priv.), 1932v. H. Pensis. Ders. (1932-58), C. Melles(1958- 
60), L. de Froment (1958-). 

Monte Carlo. 

Monte Carlo, Orch. National de l'Opdra de M. C, 1863 
v. E. Lucas (Orch. du Casino de M. C. -1953). Ders. (1 863- 
76), P. Paray (1928^4), L. Fremaux (1956-). 

Niederlande. 

Amsterdam, Concertgebouwork. (priv.), 1888 v. Concertge- 
bouwN.V.W.Kes (1888-95), W.Mengelberg(1895-1945), 
G. Kogel (1908-10), K. Muck (1921-25), P. Monteux 
(1925-34), Br. Walter (1934-39), E. van Beinum (1938-59), 
G. Szell (1957-59), B. Haitink u. E. Jochum (1961-). Lit. : 
— » Amsterdam. - Ork. van de »Stichting De Nederlandse 
Opera«, 1946 (hervorgegangen aus d. Ork. van het Ge- 
meentelijk Theaterbedrijf). P. Pella (1946-51), Ch. Bruck 
(1951-53), A. Krannhals (1953-56), A. Eykman (1957-59), 
P. Maag (1959-60), Fr. Bauer-Theussl (1962-). 
Den Haag, Residentie-Ork., 1904 v. H. Viotta. Ders. 
(1904-17), P. v. Anrooy (1917-35), Gastdirigenten (1935- 
38), Fr. Schuurman (1938-49), W. van Otterloo (1949-). 
Hilversum, Radio Filharmonisch Ork., 1945. A. v. Raalte 
(1945-52), P. van Kempen (1945-55), J. Fournet (1961), 
W. van Otterloo (1962-). 

Rotterdam, R.s Philharmonisch Ork., 1918. E. Flipse 
(1927-), Fr.P. Decker (1962-68), J. Fournet (1968-). 
Utrecht, U.s Stedelijk Ork., 1894. W. Hutschenruyter 
(1894-1917), J. van Gilse (1917-22), E. Cornells (1922- 
31), H. van Goudoever (1932-37), C. Schuricht (1937-41 
Gastdirigent), W. van Otterloo (1937-49), P. Hupperts 
(1949-). 

Norwegen. 

Oslo, Filharmonisk Selskaps Ork. (priv.), 1871 v. E. Grieg 
u. J. Svendsen (Musikforeningen -1919). E. Grieg (1872- 
74), J. Svendsen (1873-77, 1880-83), O. Olsen (1877-80), 
J. Selmer (1883-86), I. Holter (1886-1911), K. Nissen 
(1913-18), G. Schneevoigt (1919-27), I. Dobrowen (1927- 
30), O. Kielland (1931-44), O. Gruner-Hegge (1931-33, 
1945-61), 0. Fjelstad u. H. Blomstedt (1962-). 

Osterreich. 

Graz, G.er Philharmonisches Orch., 1950 neu organisiert, 
hervorgegangen aus d. um 1736 gegr. Orch. d. Steirischen 
Landstande. Gastdirigenten, B. Klobuczar (1961-). Lit.: 
— > Graz. 



677 



Orchester (Polen) 



Linz, Orch. d. Landestheaters L. (priv. -1956). L. Mayer 
(1956-), K. Woss (1961-), L. Hager (1962-65). Lit.: 
— » Linz. 

Salzburg, Mozarteum-Orch., 1880 aus d. Musikschule 
Mozarteum hervorgegangen, seit 1958 staatl. J. Fr. Hum- 
mel (1880-1908), J. Reiter (1908-11), P. Graener (1910- 
13), R. Hirschfeld (1913/14), P. Paumgartner (1917-59), 
Ml. Basic (1959-). 

Wien, W.er Philharmoniker (priv. Ver.), 1842 v. O. Nicolai 
zusammen mit d. damaligen Mitgliedern d. k. u. k. Hof- 
opernorch.; staatl. engagiert als W.er Staatsopernorch. 

0. Nicolai (1842-47), G. Hellmesberger (1847-54), K. 
Eckert (1854-60), O. Desoff (1860-75), H. Richter(1875- 
98), G. Mahler (1898-1901), J. Hellmesberger (1901-03), 
Fr. Schalk, E. v. Schuch, K. Muck, F. Mottl, R. Strauss u. 
Br. Walter (1903-08), F. v. Weingartner (1908-27), W. 
Furtwangler (1927-30), CI. Krauss u. R. Strauss (1930-33), 
seit 1933 Gastdirigenten: W. Furtwangler, Br. Walter, H. 
Knappertsbusch, A. Toscanini, V. de Sabata, O. Klem- 
perer, K. Bohm, C. Schuricht, H. v. Karajan, Fr. Reiner, 
L. Bernstein u. a. Lit. : — > Wien. - W.er Symphoniker 
(priv.), 1900 v. F. Lowe (urspriinglich W.er Konzertver., 
im 1 . Weltkrieg ZusammenschluB mit Ver. W.er Tonkiinst- 
lerorch., 1907). Ders. (1900-23), O. Nedbal (1907-20), W. 
Furtwangler (1918-23), H. Knappertsbusch (1922-36), Fr. 
v. Hoesslin (1922-28), P. v. Klenau (1923-30), R. Heger 
(1925-), H. Abendroth (1928-31), O. Kabasta (1934-39), 
V. Andreae (1935-60), K. Bohm (1935-), H. v. Karajan 
(1949-), W. Sawallisch (I960-). - W.er Kammerorch. 
(priv.), 1945 (Kammerorch. d. W.er Konzerthausges. 
-1962). Gastdirigenten. - Orch. d. Osterreichischen Rund- 
funks, Radio W., 1945. Gastdirigenten. - Volksopern- 
Orch., 1945. O. Ackermann (1947-52), P. Maag (1965-). 

Polen. 

Breslau (Wroclaw), Panstwowa Filharmonia we Wro- 
clawiu, 1954 (Wroclawska Ork. Symfoniczna -1958). A. 
Kopycinski (1954-61), K. Wilkomirski (1962-). - Brom- 
bero (Bydgoszcz), Panstwowa Filharmonia Pomorska im. 

1. Paderewskiego, 1946. A. Rezler (1946-55), Zb. Chwed- 
czuk (1958-). 

Danzig (Gdansk), Panstwowa Opera i Filharmonia Bat- 
tycka w Gdarisku, 1945 (Filharmonia Battycka -1953). 
Zb. Turski (1945-46), B. Wodiczko (1946-50), J. Katle- 
wicz (1961-). 

Kattowitz (Katowice), Wielka Ork. Symfoniczna Polskie- 
go Radia, 1945 Neugrundung (vorher Ork. Symfoniczna 
Polskiego Radia w Warszawie 1934-39). Grz. Fitelberg 
(1936-39, 1947-53), W. Rowicki (1945-47), J. Krenz 
(1953-). - Panstwowa Filharmonia Slaska Katowice, 1945 
v. J. Niwinski. Ders. (1945-47), St. Skrowaczewski (1949- 
53), K. Stryja (1953-). - Krakau (Krakow), Panstwowa 
Filharmonia im. K. Szymanowskiego w Krakowie, 1945. 
W. Bierdiajew (1945-49), A. Markowski (1959-65), H. 
Czyz (1965-). 

Lodz (Lodz), Panstwowa Filharmonia w Lodzi, 1915 
(todzka Ork. Symfoniczna -1921, todzka Ork. Filhar- 
moniczna -1939). T. Mazurkiewicz (1915-16), B. Szulc 
(1916-22), Z. Gorzynski (1945^18), B. Wodiczko (1950- 
51), St. Marczyk (I960-). -Lublin, Panstwowa Filharmo- 
nia im. H. Wieniawskiego w Lublinie, 1946. R. Satanowski 
(1951-53), M. Lewandowski (1964-). 
Posen (Poznan), Panstwowa Filharmonia w Poznaniu, 
1947. St. Wistocki (1947-58), J. Katlewicz (1958-61), R. 
Satanowski (1961-63), W. Krzemienski (1963-66). 
Stettin (Szczecin), Panstwowa Filharmonia im. M. Karlo- 
wicza, 1948. J. Wilkomirski (1957-). 
Warschau (Warszawa), Ork. Teatru Wielkiego w War- 
szawie (Orch. d. GroBen Theaters in W.), 1833 (Staats- 
opernorch. W. -1961). J. X. Eisner (1833-54), B. Wodiczko 
GMD (1962-).-FilharmoniaNarodowa, 1 899 v. A. Rajch- 
man (Filharmonia Warszawska -1955). E. Mrynarski 
(1901-05, 1921-23), E. N. v. Reznicek (1905-08), Grz. 
Fitelberg (1908-11, 1923-34), Zdz. Birnbaum (1911-14, 
1916-21), W. Rowicki (1950-55, 1958-), B. Wodiczko 
(1955-58). Lit. : -> Warschau. 

Portugal. 

Lissabon, Orqu. Sinfonica da Emissora Nacional, 1934. 
P. de Freitas Branco (1934-63). - Orqu. Filharmonica de 
Lisboa, 1936 v. I. Cruz. Ders. (1936-). 



Rumanien. 

Bukarest, Philharmonie d'Etat »Georges Enesco«, 1868 
v. E. Wachmann (Soc. Philharmonique Roumaine -1906, 
Orch. Symphonique du Ministere de l'Instruction Pu- 
blique -1920). Ders. (1868-1906), D. Dinicu (1906-20), 
G. Georgescu (1920-64), M. Basarab (1964-). 

Schweden, 

Stockholm, St.s Filharmoniska Ork. (priv.), 1914 (her- 
vorgegangen aus d. Konsertforeningen, gegr. 1902 v. T. 
Aulin, Konsertforeningens Ork. -1957). G. Schneevoigt 
(1915-24), V. Talich (1926-36), Fr. Busch (1937^*0), C. 
Garaguly (1942-53), H. Schmidt-Isserstedt (1955-64), H. 
Blomstedt (1964-). Lit. : -» Stockholm. 

Schweiz. 

Basel, Orch. d. Basler Orch.-Ges. (priv., Symphonie- u. 
Opernorch. v. B., seit 1921 selbstandig u. v. d. Allgemeinen 
Musik-Ges., AMG, f. Symphoniekonzerte engagiert), 18. 
Jh. (Orch. d. Collegiummusicum-1826, Konzertver.-1855, 
Capellver. -1876, AMG -1921). A. Volkland (1876-1902), 
H.Suter (1902-25), F. v. Weingartner (1927-35), A. Krann- 
hals (1934-53), H. Munch (1935-), S. Varviso (1954-62), 
H. Lowlein (1965-). Lit. : W. Morikofer, Die Konzerte d. 
AMG in B. in d. Jahren 1876-1926, B. 1926; Fr. Morel, 
Die Konzerte d. AMG in B. in d. Jahren 1 926-5 1 , B. 1 95 1 . - 
Basler Kammerorch. (priv.), 1926 v. P. Sacher. Ders. 
(1926-). Lit. :-> Basel. 

Genf, L'Orch. de la Suisse Romande (priv.), 1918 v. E. An- 
sermet. Ders. (1918-), P. Klecki (1966-). - Orch. de Cham- 
bre de Geneve (priv.), 1 950 v. P. Colombo. Ders. (1 950-). 
Zurich, Tonhalle- u. Theaterorch. (priv.), 1868 v. d. Ton- 
halle-Ges. durch Fr. Hegar (hervorgegangen aus d. Orch. 
d. Allgemeinen Musikges.). Ders. (1868-1906), V. An- 
dreae (1906^*9), H. Rosbaud (1950-62), R. Kempe (1965-). 
-Zurcher Kammerorch. (priv.), 1946 v. E. deStoutz (Haus- 
orch.-Vereinigung-1951). Ders. (1946-). 

Spanien. 

Barcelona, Orqu. Municipal deB., 1943. E.Toldra(1943- 

61), R. Ferrer (1961-). 

Madrid, Orqu. Sinfonica de M. (priv.), 1904 v. E. F; Ar- 

bos. Ders. (1904-39), Gastdirigenten. - Orqu. Nacional, 

1940. B. P. Casas (1944-56), A. Argenta (1946-58), R. 

Fruhbeck de Burgos (1962-66). 

Tschechoslowakei. 

Brunn, Statni filharmonie Brno, laureat statni ceny Kl. 
Gottwalda, 1956. Bf. Bakala (1956-58), O. Trhlik (1956- 
62), J. Vogel (1958-62), M. Turnocsky (1960-62), J. Wald- 
hans (1962-). 

Prag, Narodny Divadlo-Orch., 1 88 1 . K. Kovafovic (1900- 
20), O. Ostrcil (1920-35), V. Talich (1935-45, 1947-48), O. 
JeremiaS (1945-47, 1948-49), J. Krombholc (1963-). - 
Ceska Filharmonie (Tschechische Philharmonie), 1896 v. 
d. Mitgliedern d. Nationaltheaters (seit 1901 selbstandig). 
A. Dvorak (1896), O. Nedbal (1896-1906), L. V. Celansky 
(1901), V. Zemanek (1902-06), V. Talich (1919-35), R. Ku- 
belik (1936-48), K. Ancerl (1951-). Lit.: -» Prag. - Sinfo- 
nieorch. d. Tschechoslowakischen Rundfunks Pr., 1926. - 
Symfonicky orch. klavniho mesta Prahy FOK, 1934 v. R. 
Pekarek (Symfonicky orch. FOK -1952). V. Smetacek 
(1942-), V. Neumann (1956-63). - Ceska Komorni Orch. 
(Tschechisches Kammerorch.; priv.), 1957 v. J. Vlach. 
Ders. (1957-). - Pressburg, Slovenska Filharmonia (Slo- 
wakische Philharmonie), 1949 v. V. Talich. Ders. (1949- 
52), L. Rajter (1952-61), L. Slovak (1961-). 

UdSSR. 

Kiew, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Ukrains- 
koj SSR (»Staatl. Ukrainisches Symphonieorch.«), 1923. 
H. Adler (1932-37), N. Rachlin (1937-63), St. Turtschak 
(1963-). 

Leningrad, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Le- 
ningradskoj filarmonii (»Staatl. Symphonieorch. d. L.er 
Philharmonie«), 1882 unter d. Bezeichnung Imperator- 
skij pridwornyj ork. (»Zaristisches Hoforch.«) v. Baron 
K. v. Stackelberg. M. Frank (1882-88), G. Fliege (1888- 
1907), H. Warlich (1907-17), S. Kussewitzky (1917-20), E. 
Cooper (1921-23), W. Berdjajew (1924-25), N. Malko 
(1925-32), Fr. Stiedry (1933-37), J. Mrawinskij (1938-). 
Lit.: Dessjat let simfonitscheskoj musyki (»10 Jahre sym- 



678 



Orchestration 



phonische Musik«) 1917-27, hrsg. v. d. Staatl. akademi- 
schen Philharmonie L., L. 1928. 

Minsk, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Beloruss- 
kpj SSR (»Staatl. WeiBruss. Symphonieorch.«), 1930 v. 
I. Gitgarz u. A. Bessmertnyj beim WeiBruss. Rundfunk- 
zentrum. I. Gitgarz (1930-34), L. Steinberg (1934-36), A. 
Orlow (1934-36), I. Mussin (1937^1), M. Schneiderman 
(1947-52), B. Afanassjew (1952-56), V. Dubrowskij 
(1956-). Lit.: D. Schurawlew, Gossudarstwennyj sim- 
fonitscheskij ork. Belorusskoj SSR (»Staatl. WeiBruss. 
Symphonieorch.«), M. 1 96 I.-Moskau, Gossudarstwennyj 
simfonitscheskij ork. Moskowskoj filarmonii (»Staatl. phil- 
harmonisches Symphonieorch. M.«), 1928 v. L. Stein- 
berg. E. Szenkar (1934-37), S. Samossud (1953-57), K. 
Kondraschin (I960-). - Bolschoj simfonitscheskij ork. 
Wsesojusnowo radio i telewidenija (»GroBes Allunions- 
Rundfunk- u. Fernsehsymphonieorch. d. UdSSR«), 1930 
v. A. Orlow. Ders. (1930-37), N. Golowanow (1937-53), 
A. Gauk (1953-61), G. Roschdestwenskij (1961-). - Gos- 
sudarstwennyj simfonitscheskij ork. SSSR (»Staatl. Sym- 
phonieorch. d. UdSSR«), 1936, A; Gauk (1936-41), N. 
Rachlin (1941^13), K. Iwanow (1946-65), J. Swetlanow 
(1965-). 

Wilna, Gossudarstwennyj simfonitscheskij ork. Litows- 
koj SSR (»Staatl. Symphonieorch. d. Litauischen SSR«), 
1 940 v. B. Dvarionas, 1944 neu gebildet, 1945 v. Rundfunk 
iibernommen. Seit 1957 gehort d. Orch. zur Litauischen 
Philharmonie. B. Dvarionas (1941—). Lit.: J. Gaudrimas, 
Musykalnaja kultura sowjetskoj Litwy (»Musikkultur d. 
sowjetischen Litauens«), 1940-60, Leningrad 1961. 

Ungarn. 

Budapest, B.i Filharmoniai Tarsasag, 1853 v. F. Erkel, 
A. Fr. u. K. Doppler (gebildet aus Mitgliedern d. Ungari- 
schen Staatsoper u. d. Orch. d. Staatl. Opernhauses im Er- 
kel-Theater). F. Erkel (1853-71), H. Richter (1871-75), S. 
Erkel (1875-1900), St: Kerner (1900-19), E. v. Dohnanyi 
(1919-44), O. Klemperer (1947-50), J. Ferencsik (1961-). 
Lit. : — > Budapest. 

USA. 

Boston, B. Symphony Orch. (priv.), 1881 v. H. L. Hig- 
ginson. G. Henschel (1881-84), W. Gericke (1884-89 u. 
1898-1906), A. Nikisch (1889-93), E. Paur (1893-98), K. 
Muck (1906-08 u. 1912-18), M. Fiedler (1908-12), H. 
Rabaud (1918-19), P. Monteux (1919-24), S. Kussewitz- 
ky (1924^19), Ch. Munch (1949-62), E. Leinsdorf (1962-). 
Lit. : — » Boston. 

Chicago, Ch. Symphony Orch. (priv.), 1891 v. Th. Tho- 
mas (Th. Thomas Orch. -1905, Ch. Orch. -1913). Ders. 
(1891-1905), Fr. Stock (1905-42), D. Defauw (1943-47), 
A. Rodzinski (1947-48), R. Kubelik (1950-53), Fr. Reiner 
(1953-62), J. Martinon (1963-). Lit. : -> Chicago. - Cleve- 
land, CI. Orch. (priv.), 1918 v. A. Pr. Hughes. N. Sokoloff 
(1918-33), A. Rodzinski (1933-43), E. Leinsdorf (1943- 
46), G. Szell (1946-). 

Detroit, D. Symphony Orch. (priv.), 1914 v. W. Gales. 
Ders. (1914-18), O. Gabrilowitsch (1918-36), K. Krueger 
(1943-49), P. Paray (1951-63), S. Ehrling (1963-). 
Los Angeles, L. A. Philharmonic Orch. (priv.), 1919 v. W. 
A. Clark jr. W. H. Rothwell (1919-27), G. Schndevoigt 
(1927-29), A. Rodzinski (1929-33), O. Klemperer (1933- 
39), A. Wallerstein (1943-56), E. van Beinum (1956-59), 
Z. Mehta (1962-). 

Minneapolis, M. Symphony Orch. (priv.), 1903 v. E. L. 
Carpenter. E. Oberhoffer (1903-22), H. Ven Bruggen 
(1923-31), E. Ormandy (1931-36), D. Mitropoulos (1936- 
49), A. Dorati (1949-60), St. Skrowaczewski (I960-). 
New York, N. Y. Philharmonic (priv.), 1842 v. U. C. Hill 
(1921 Obernahme d. National Symphony Orch., 1919 
gegr., 1928 Ubernahme d. N. Y. Symphony Orch., 1878 v. 
L. Damrosch gegr.). Ders. (1842-48), Th. Eisfeld (1852- 
58), C. Bergmann (1855-59, 1865-76), Th. Thomas (1877- 
91), A. Seidl (1 89 1-98), E. Paur (1 898-1902), W. Damrosch 
(1902-03), W. I. Safonoff (1906-09), G. Mahler (1909-11), 
J. Stransky (1911-23), W. Mengelberg (1922-30), W. van 
Hoogstraten (1923-25), W. Furtwangler (1925-27), A. 
Toscanini (1927-33, v. 1933-36 GMD), B. Molinari (1929- 
31), E. Kleiber (1930-32), Br. Walter (1931-33, 1947-49), 
Br. Walter, O. Klemperer, A. Rodzinski u. W. Janssen 
(1933-36, neben A. Toscanini als GMD), J. Barbirolli 



(1936-43), A. Rodzinski (1944-47), L. Stokowski (1949- 
50), D. Mitropoulos (1949-58), L. Bernstein (1958-69). 
Lit. :-> New York. 

Philadelphia, Ph. Orch. (priv.), 1900 v. Fr. Scheel. Ders. 
(1900-07), C. Pohlig (1907-12), L. Stokowski (1912-38), E. 
Ormandy (1938-). Lit.: — > Philadelphia. - Pittsburgh, P. 
Symphony Orch. (priv.), 1896 (1912 aufgelost, Neugrun- 
dung 1926). Fr. Archer (1896-98), V. Herbert (1898-1904), 
E. Paur (1904-10), O. Klemperer (1937), Fr. Reiner (1938- 
48), V. de Sabata, L. Bernstein u. P. Paray (1948-52), W. 
Steinberg (1952-). 

San Francisco, S. Fr. Symphony Orch. (priv.), 1911 v. 
H. Hadley. Ders. (1911-15), A. Hertz (1915-29), B. Ca- 
meron u. I. Dobrowen (1929-34), 1934 aufgelost, P. Mon- 
teux (1936-52), L. Stokowski, F. Fricsay, G. Solti, E. Jor- 
da, W. Steinberg u. Br. Walter (1952-54), E. Jorda (1954- 
61), J. Krips (1963-64). Lit. : -> San Francisco. 

Orchestration, Ausarbeitung eines Kkvier-(Orgel-) 
oder Kammermusikwerks, auch einer Liedkomposi- 
tion, fur Orchester (-> Instrumentation). O.en eigener 
Werke besorgten u. a. Beethoven, Trauermarsch der 
Klaviersonate op. 26; R.Schumann, Klavierkonzert 
A moll, zuerst fur 2 Kl. konzipiert; Liszt, 2 Legenden 
und die Ungarischen Rhapsodien Nr (der Klavierfas- 
sungen) 14, 12, 6, 2, 5, 9 (zusammen mit Fr. Doppler); 
Brahms, Ungarische Tanze 1, 3, 10; Grieg v Norwegi- 
sche Tanze op. 35, Holbergsuite op. 40, Lyrische Suite; 
Pfitzner, Symphonie Cis moll op. 36a nach dem Streich- 
quartett op. 36; Reger, Beethoven- Variationen op. 86 
(1915; 1904 fur 2 Kl.); Ravel, Klavierwerke: Pavane 
pour une infante defunte; Une barque sur V ocean und Al- 
borada delgracioso aus Miroirs; Prelude, Forlane, Rigaudon 
und Menuet aus Le tombeau de Couperin. - Aus der Viel- 
zahl von O.en bekannter Originalwerke durch andere 
Komponisten (Fremdbearbeitungen) seien angefiihrt: 
J. S. Bach: 3 Choralvorspiele durch O.Respighi, Cho- 
ralvorspiele BWV 654 und 667 und Praeludium und 
FugeEs dur (BWV 552) durch Schonberg; Fantasieurid 
Fuge G moll (BWV 542) und Toccata und Fuge D moll 
(BWV 565) durch Stokowski; Fantasie und Fuge C moll 
(BWV 562) durch Elgar; Passacaglia C moll (BWV 
582) durch O.Respighi und durch Stokowski; Cha- 
conne D moll (aus BWV 1004) durch J. Raff und durch 
A.Casella; Ricercare a 6 aus dem Musicalischen Opfer 
durch A.v.Webern; das Musicalische Opfer, die Kunst 
der Fuge und die Canonischen Verdnderungen (BWV 769) 
durch R.Vuataz; die Goldberg-Variationen (BWV 
988) durch J.Koffler fur kleines Orch. Beethoven: 
Sonate pathetique op. 13 (1. Satz) durch Bruckner; 
Sonate op. 106 durch Weingartner; Streichquartett 
C dur op. 59 Nr 3 durch J.Lehnert; Streichquartett 
F moll op. 95 durch Alexander Friedrich v. Hessen; 
Liederkreis An die feme Geliebte op. 98 und 3 weitere 
Lieder durch Weingartner. C.M.v.Weber: Aufforde- 
rung zum Tanz op. 65 durch Berlioz und durch Wein- 
gartner; Perpetuum mobile durch G. Szell; Polacca bril- 
lante op. 72 fiir Kl. und Orch. durch Liszt, mit dem 
Largo aus der Grande polonaise op. 21 als Einleitung. 
Fr. Schubert: Arpeggionesonate als Violoncellokon- 
zert A moll durch G. Cassado ; Wanderer-Phantasie fiir 
Kl. und Orch. durch Liszt ; Deutsche Tanze durch A. v. 
Webern; Erlkonig und andere Gesange durch M. Re- 
ger. R. Schumann: Camaval durch Ravel und K. Kon- 
stantinoff ; 8 Frauenchore durch Pfitzner. C h o p i n : Kla- 
vierstiicke als Ballettmusiken (z. B. Les Sylphides durch 
R.Douglas). Liszt: Legende St. Francois d'Assise, La 
predication mix oiseaux durch Mottl; Csdrdds macabre 
durch FLSearle; Concerto pathhique durch E.ReuB. R. 
Wagner: 5 Wesendonk-Lieder durch Mottl. Brahms : 
Handel- Variationen durch R.Rubbra; 11 Choralvor- 
spiele durch V.Thomson; Klavierquartett G moll op. 
25 durch Schonberg. Mussorgsky :»Bilder einer Aus- 



679 



Orchestrion 



stellung« durch L.Funtek und dutch Ravel. H.Wol f : 
2 Lieder durch Joseph Marx. - Orchesterwerke, die 
sich durch harmonische Neuerungen und sonstige tie- 
fere Eingriff e in die Originalkomposition von der Vor- 
lage unterscheiden, sind -»■ Bearbeitungen (- 2). 

Orchestrion, - 1) Abbe Voglers tragbare Konzert- 
orgel, bei der auf den 4 (oder 5) Manualen und dem 
Pedal (je in 2 Halften geteilt) viele Registerziige als 
Teilziige aus den voll ausgebauten Registerstimmen 
disponiert waren; sie hatte einen Jalousieschweller fiir 
die ganze Orgel. - Das 1791 von Th. A.Kunz konstru- 
ierte O. war ein -> Orgelklavier. - 2) 1800 von Malzel 
wohl in Kenntnis von Voglers O. gebautes -»■ Mecha- 
nisches Musikwerk mit durchschlagenden Zungen und 
Schlagwerk. Mit Hilf e verschieden gef ormter Auf satze 
aus Blech wurde versucht, den Klang der Blasinstru- 
mente des Orchesters nachzuahmen. 1803 erf and Malzel 
ein groBeres Modell; fiir dieses Panharmonicon schrieb 
Beethoven 1813 den 1. Teil der Symphonie Wellingtons 
Sieg oder Die Schkcht bei Vittoria op. 91. In der 2. Halfte 
des 19. jh. wurde das O. von Fr.Th.Kaufmann in 
Dresden und vor allem von der O.-Industrie im badi- 
schen Schwarzwald (Vohrenbach) hergestellt und bis 
urn 1920 verkauft. Seit den 1950er Jahren wird es auf 
den Jahrmarkten durch Lautsprecheranlagen verdrangt. 
Lit.: zu 1): KochL; K. Fr. E. v. Schafhautl, Abt G. J. 
Vogler, Augsburg 1888 ; H. Kelletat, Zur Gesch. d. deut- 
schen Orgelmusik in d. Friihklassik, = Konigsberger Stu- 
dien zur Mw. XVI, Kassel 1933. -zu 2) : H. Matzke, Unser 
technisches Wissen v. d. Musik, Lindau (1949), Wien 
(21950); E. Simon, Mechanische Musikinstr. friiherer Zei- 
tenu. ihre Musik, Wiesbaden 1960. 

Ordinarium missae (lat.) -* Messe, -*■ Gradua- 
le(-2). 

Ordo (lat., Ordnung), in der Musiklehre des 13. Jh. als 
Klassifizierungsbegriff verwendet (J. de Garlandia, ed. 
Cserba, S. 196, Anonymus IV, CS I, 328ff.). Er diente 
zur exakten Bestimmung des Umfangs der an einen 
bestimmten ->■ Modus (- 2) gebundenen und jeweils 
durch Pause (-> Divisio modi — 1 , -> Suspirium) be- 
grenzten Tonf olgen, z. B. im ersten Modus (L = Longa, 
B = Brevis): |LBL| = 1. Ordo, |LBLBL| = 2. Ordo, 
|LBL BL BL| = 3. Ordo usw. (die Gruppen sind im 
Notenbild normalerweise durch entsprechende Liga- 
turen dargestellt). 

Ordre (ardr, frz., Ordnung, Reihe), bei Fr.Couperin 
Bezeichnung fur -> Suite (27 O.s in 4 Biichern, 1713- 
30). 

Organistrum (lat.) ->Drehleier. 

Organ o di legno ('argano di l'e:jio, ital., Orgel aus 
Holz), Orgel mit Holzpfeifen, Flotenwerk. 

Organologie, auch Organographie (von griech. 8p- 
yavov, Werkzeug, Instrument), Musikinstrumenten- 
kunde (-> Instrument). 

Organ o pleno (lat., mit vollem Werk, auch Plenum; 
ital. ripieno; frz. plein jeu; engl. full organ) umfaBt in 
der Orgelmusik des Barocks, anders als das Tutti des 
19. Jh., eine groBe, aber nicht wahllose Anzahl von 
Stimmen, vor allem der Prinzipale mit Mixturen und 
deren Stellvertreter in Aequallagen (Quintade, Bour- 
don, Pommer u. a.). Langbechrige Rohrwerke (Trom- 
peten, Posaunen u. a.) gehoren ebenfalls zu dieser 
Gruppe, werden aber nicht zum Plein jeu, sondern nur 
zum -> Grand jeu gezogen. Terzen, Septimen und 
Nonen gehoren nicht zum klassischen O. pi. Das Ple- 
num des Barocks ist bei aller silbernen Helligkeit be- 
seelt, nicht grell und stechend. 

Lit. : W. Lottermoser, Klangeinsatze d. Plenums auf Org. 
mit Ton- u. Registerkanzelle, AfMw X, 1953. 



Organum (lat., von griech. Spyavov) heifit allge- 
mein Werkzeug, besonders Musikinstrument und 
speziell -» Orgel. Wie dieses Wort zum Namen der 
friihen Mehrstimmigkeit wurde, ist noch ungeklart. 
Moglicherweise liegt in ihm beschlossen, daB der 
»Klang«, auch in gesungener Darstellung, nach Her- 
kunft und Wesen »instrumental« ist gegeniiber dem 
wesenhaft »Vokalen« des 1st. Cantus. Erstmalig in 
naherer Beschreibung erwahnt der an der Pariser 
Schola palatina lehrende Ire Johannes Erigena (Sco- 
tus) in seiner Schrift De divisione naturae (866) das or- 
ganicum melos; er charakterisiert es als Zusammen- 
passung verschiedener Tonqualitaten nach den Regeln 
der Ars musica (secundum certas rationabilesque artis mu- 
sicae regulas) gemaB den Tonarten und sieht in ihm das 
Wesen der concordia universitatis abgebildet, das er 
erklaren will. Ob mit organicum melos hier wirklich 
Mehrstimmigkeit gemeint ist, wird neuestens (durch 
E.L. Waeltner) bestritten. - Die Entstehung der mehr- 
stimmigen Musik des Abendlandes, deren alteste Stufe 
im 9. Jh. faBbar ist, kann gedeutet werden als Leistung 
der Ars musica (superficies quaedam artis musicae . . . , 
Musica Enchiriadis, GS 1, 171b) beim Zusammentreffen 
primar melischer Uberlieferung des Siidens und natur- 
wiichsiger Klangpraktiken des Nordens unter den po- 
litischen, liturgie- und choralgeschichtlicheri Bedin- 
gungen der karolingischen Zeit. - In der altesten O.- 
Lehre, der Musica Enchiriadis (vor 900), werden das 
parallele Quinten-O. und ein nicht durchlaufend pa- 
rallels Quarten-O. (beide auch -»■ Diaphonia genannt) 
in Form von Descriptiones schriftmaBig erfaBt, und 
zwar mit Hilfe der Tonordnung der -> Dasia-Zeichen 
derart, daB beim Quarten-O. die stets unterhalb des 
Cantus erklingende Vox organalis, urn die Inconso- 
nantia des Tri tonus zu vermeiden, je nach Lage der 
Vox principalis den (Hexachord-)Grenzton C bzw. G 
(bzw. F) nicht unterschreiten darf und beide Voces am 
SchluB, gegebenenfalls auch zu Beginn einer Melodie- 
zeile zusammenkommen: 



a 
G 

< F s 

D 
C 
B 
A 

r 



i 



^tris sempiternus' T" 



_y_ es N li. 

10 ^trls sempiternus' \ us 



vox principalis 
(cantus) 



z£ 



fi li 



77- 



nx organalis 
(organum) 



TU 



O.-Descriptio eines Abschnitts des Te Deum in 
der Musica Enchiriadis (Cap. XIII und XVIII) nach 
der Hs. Paris, Bibl. Nat., lat. 7210, S. 10 und 17. 
In diesem Stadium, der Zeit des »alten« O. (9.-11. Jh.), 
wird die Mehrstimmigkeit zum Schmuck kirchlicher 
Gesange (besonders Sequenzen) noch aus dem Stegreif 
ausgefuhrt, wohl in der Regel mit Oktavierungen der 
Voces und Hinzuziehung von Instrumenten, und noch 
lange ist bei dieser »Mehrstimmigkeit« die Vorstellung 
wirksam, daB der Cantus von der Vox organalis nur 
noch einmal zugleich vorgetragen wird, wobei aber 
die so sich ereignende Realisierung des Klanges an der 
Zeilendarstellung beteiligt ist: Text-, Melodie- und 
Klangzeile entsprechen sich. Guido von Arezzo lehnt 
in seiner O.-Lehre (Micrologus, um 1025) die Tetra- 
chord-Tonordnung der Musica Enchiriadis zugunsten 
der (Quint-) Oktaven-Ordnung ab und erfaBt die hexa- 
chordalen Grenztone (Klangraume) sowie das Zusam- 
menkommen der Voces, d. h. den »Gegenlauf « der Or- 
ganalis, durch Regeln fiir die SchluBbildung (occursus- 
Lehre); er laBt als o. suspensvun die Moglichkeit zu, 
daB die Voces sich kreuzen, genauer, daB die Organalis 
auf ihrem Grenzton verharrt, wenn dieser vom Cantus 



680 



Organum 



nur voriibergehend unterschritten wird. Die erste er- 
haltene Aufzeichnung mehrstimmiger Musik fur den 
praktischen Gebrauch iiberliefert der Winchester-Tro- 
par (-> Quellen: WiTr; vor 1050?) mit seinen iiber 150 
2st. Organa, hauptsachlich iiber MeB- und Offiziums- 
responsorien, Kyrie-, Gloria- und Introitustropen und 
Sequenzen, deren Lesung jedoch dadurch sehr er- 
schwert ist, daB die Voces organales (melliflua organo- 
rum modulamina) gesondert und in linienlosen Neumen 
notiert sind. In manchen Chroniken, Stiftungsurkun- 
den, kirchlichen Ordines damaliger Zeit wird, oft frei- 
lich mehrdeutig, von O. gesprochen (cantare cum or- 
gano; organa solita; ars organandi). AufschluBreich 
sind seine zahlreichen Erwahnungen in den Sequenz- 
texten (Prosen) ; sie bestatigen, daB sich vor allem im 
Bereich textierter Melismen, den Tropen im weitesten 
Sinne, die friihe Mehrstimmigkeit entfaltete, die selbst 
der mittelalterlichen Idee des Tropierens insofern ent- 
spricht, als sie zum melodisch Gegebenen eine zweite 
Vox und die Dimension des Kknges hinzufiigt. Wie 
ein groBer Bestand an Musikaufzeichnungen aus spa- 
terer Zeit zeigt (und wie es u. a. die hohe Zahl und das 
spate Datum der Musica Enchiriadis-Abschiiiten in 
Handschriften des deutschen Sprachgebiets bestatigen), 
bleiben jenes »alte« O. und von ihm abhangige Arten 
triiher Mehrstimmigkeit (z. B. als -»■ Quintieren - 1) 
am Rande der musikgeschichtlichen Entwicklung und 
zumal in der deutschen kirchlichen Musikiibung bis ins 
15./16.Jh.lebendig. 

Das »neue« O. wird greifbar seit Ende des 11. Jh. in 
vereinzelten, meist fragmentarisch erhaltenen Nieder- 
schriften franzosischer Herkunft, so u. a. in den im 2. 
Weltkrieg vernichteten Manuskripten 109 und 130 der 
Bibliotheque Municipale in Chartres (Beispiel a). In 
seinen Prinzipien erfaBt, begegnet es - wohl unabhan- 
gig von der O.-Lehre des Johannes Affligemensis (De 
musica, Cap. XXIII; nach 1100) - in dem aus Frank- 
reich stammenden anonymen Traktat der Hs. Mailand, 
Biblioteca Ambrosiana, M 17 sup. (Beispiel b). 




vo - bis i 

AD ORGANUM FACIENDUM 



Ubertragungen: a) Teilstiick aus Chartres 109, 
f . 75'; b) Mailander O.-Traktat, f . 56' (Uberleitung 
von den vorangestellten Exempla zum Text des 
Traktats). o = Cantus; • = Vox organalis. 
Merkmale dieses neuen O. sind der Qualitatswechsel 
der Klange (konjunkt : Einklang und Oktave, disjunkt : 
Quinte und Quarte) in Verbindung mit Gegenbewe- 
gung und Kreuzung der Stimmen, wobei das O. die 
Lage oberhalb des Cantus zu bevorzugen beginnt. 
Ubernimmt somit der Cantus die Rolle einer Kon- 
struktionsbasis des musikalischen Satzes (womit grund- 
satzlich das Hinzuerfmden von Voces zur musikali- 
schen Hauptsache erhoben wird), so gewinnt nun die 
Vox organalis mehr und mehr die Qualitat eines zwei- 
ten Cantus, einer Gegenstimme, so daB das O. dann fol- 
gerichtig auch als -*■ Discantus, buchstablich »Auseinan- 
der«-Gesang zweier Cantus, bezeichnet wird (-> Dia- 
phonia). Die Klangstruktur in ihren Abschnitten und 
Unterteilungen richtet sich weiterhin nach der Text- 
gliederung, sie dient der textlich-melodischen Sinn- 



falligkeit der Silben, Worter und Wortgruppen; die 
Ausfuhrung ist solistisch; Kolorierung (multiplicatio, 
fractio vocis) ist Usus; an schriftliche Ausarbeitung 
(Komposition) ist das Zustandekommen dieses O. of- 
fenbar noch nicht gebunden, jedoch auf dem Wege 
dorthin. - Das O. als komponierte Mehrstimmigkeit 
tritt seit der 1. Halfte des 12. Jh. voll hervor in der 
Gruppe der St-Martial-Handschriften (->• Quellen: 
SM 1, 2, 3, LoSM), die ein Repertoire von iiber 90 2st. 
Satzen, meist lateinische Strophenlieder (-»■ Versus - 6), 
besonders Benedicamus Domino-Tropen iiberliefern, 
als deren zentrale Pflegestatte das Kloster ->■ St-Mar- 
tial zu Limoges in Siidfrankreich zu gelten hat. Doch 
beweisen die 20 Organa im Anhang des Liber Sancti 
Jacobi (-> Quellen : Calixtinus-Kodex) des spanischen 
Wallfahrtsortes Santiago de Compostela, daB Mehr- 
stimmigkeit dieser Art nicht auf St-Martial beschrankt 
war. Die Notation in Neumen auf geschlusselten 
Linien (Ausnahme: SM 1) bei Untereinanderschrei- 
bung der Stimmen ist nach Tonhohen eindeutig, rhy th- 
misch jedoch noch weitgehend indifferent. Da es 
sich meist um rhy thmische Texte handelt, wird wohl 
zumindest beim syllabischen Note-gegen-Note-Satz 
das Textmetrum maBgebend sein. Zugrunde liegen 
dem mehrstimmigen Satz weiterhin die Konkordan- 
zen (Oktave, Einklang, Quinte, Quarte); doch nun 
riickt der Usus des Kolorierens in die Komposition ein, 
und es bilden sich - teils als Vorstufen zu den Notre- 
Dame-Organa - unter dem Oberbegriff o. (generale) 
verschiedene Arten des Satzes aus, die bereits in dem 
zuerst von A. de Lafage (zuletzt 1957 von A. Seay) edier- 




Paris, Bibl. Nat., lat. 3549, f. 152: SchluB eines 
Tropus zum Weihnachtsgraduale Viderunt omnes 
fines (Ubertragung). 
ten Traktat klar als Species discantus und o. unterschie- 
den werden: 1) Das o. (speciale) mit rhythmisch freiem 
Melisma der Vox organalis iiber dementsprechend ge- 
dehntem Cantuston (siehe den SchluB des Beispiels, der 
hier als modulus organi [cauda] des Tropus gilt). 2) Der 
discantus a) als Note gegen Note syllabisch, cum littera 
nach spaterer Terminologie (wie zu Beginn des Bei- 
spiels), wo die Textbetonung vermutlich den Rhyth- 
mus bestimmt; b) als Note gegen Note melismatisch, 
Melisma gegen Melisma, sine littera (wie im Beispiel 
auf der Silbe »ci«), wo es auBer dem Problem des 
Rhythmus auch das des klanglichen Zusammenpassens 
der Tone gibt, wenn die in Cantus und O. miteinander 
korrespondierenden Melismen verschieden viele Tone 
haben (wie gegen SchluB des Beispiels). Diese verschie- 
denen Satzarten konnen im Dienst der Formbildung, 
Varietas und SchluBsteigerung in ein und derselben 
Komposition abwechseln, doch nur so, daB dabei (vor 
allem rhythmisch) der »Lied«-Charakter des Cantus 
vernehmbar bleibt. 

Im Mittelpunkt der organalen Kunst der -> Notre- 
Dame-Epoche, in der Zeit nach dem Baubeginn der 
f riihgotischen Pariser Kathedrale (1 1 63) bis gegen Mitte 



681 



Organum 

des 13. Jh., stehen nicht mehr liedhafte Cantus, sondern 
die solistischen Teile der responsorialen Gattungen des 
Chorals. Mit dem gewaltigen Aufschwung der Mehr- 
stimmigkeit untrennbar verbunden ist die grofie theo- 
retisch-praktische Leistung dieser Epoche: die Erfin- 
dung der -*■ Modalnotation, gleichbedeutend mit dem 
Entstehen der zwar nach dem Muster der Liedrhyth- 
mik gebildeten, nun aber von alien textrhythmischen 
Riicksichten freien und in diesem Sinne »absolut« mu- 
sikalischen Rhythmik. Wichtige Traktate auf dieser 
Stufe der Mehrstimmigkeit sind der O.-Traktat der 
Vatikanischen Bibliothek (Ottob. lat. 3025; geschrie- 
ben Anfang des 13. Jh., friiher verfaBt?), Johannes de 
Garlandias De musica mensurabili positio (vor 1250) und 
die Abhandlung des englischen Anonymus IV (CS I; 
urn 1275). Die erste Generation der Notre-Dame-Schu- 
le vertritt (nach dem Bericht des Anonymus IV) der 
optimus organista Magister Leoninus. Hier ist die Cho- 
ralbearbeitungnochzweistimmig (o. duplum, o. purum, 
o. per se; die organale Gegenstimme heiBt jetzt -> Du- 
plum), und es richtet sich alle Kunst auf die Gestaltung 
der im speziellen Sinne organalen Faktur: 



war, erreicht in der schriftlichen Ausarbeitung der 
Komposition eine neue, nach Grofie und Kunst der 
gleichzeitigen Kathedralarchitektur ebenburtige Stufe. 
Mit Hilfe der nun voll ausgebildeten Modalnotation 
mit ihren 6 Modi gelangt das organale Schaffen bis 
zur Drei- und Vierstimmigkeit (Organa tripla und 
quadrupla; die Stimmbezeichnungen sind -> Duplum, 
-> Triplum und -> Quadruplum), unter zunehmender 
Bevorzugung des Discantus und der neuen Gattung 
des Choralbearbeitungstropus (-»• Motette). Eine neue 
Spezies des O. ist die -> Copula, die nach Notations- 
und Kompositionsart zwischen Discantus und O. spe- 
ciale steht (Garlandia, CS 1, 114) und durch schnelles 
Tempo und gestrafften Rhythmus eine Schlufisteige- 
rung einzelner O.-Abschnitte bildet: 



S 



a^r: 



Naa^amr^n 



S 



J ^ 3 ' a 1hl l ll 1 !^ 




» b J rrf rr ] H rr r r r 




Ubertragung aus dem O. duplum Alleluya. Posui 
adiutorium des Magnus liber organi in der Fassung des 
Kodex Wolfenbuttel 677, f. 47 (-► Quellen: Wi). 
Uber meist syllabisch textierten Haltetonen (organici 
punctus) werden kunstvolle, nach Typen klassifizier- 
bare Melismen komponiert, die nach ihrer vormodalen 
Notationsart und entsprechend dem Wesen solistischer 
Zweistimmigkeit wohl noch freirhythmisch gemeint 
sind; doch zeigen sich schon hier, wenn man die Kon- 
kordanzen langt, Ansatze zum 1. Modus (J J). Im 
Wechsel mit diesen organalen Partien des O. stehen die 
Discantuspartien (beide als clausulae sive puncta bezeich- 
net), bei denen dem Choralmelisma ein organales Me- 
lisma respondiert, und zwar Note gegen Note in ter- 
narer Messung, dabei mit Vorliebe - gemaB dem Lan- 
genanspruch der Konkordanz - im 1. Modus (im Bei- 
spiel die Silbe »to«). Der beriihmte Pariser Magnus liber 
organi degradali et antiphonario pro servitio divino multipli- 
cando, dessen Schopfer (nach Anonymus IV) Leoninus 
ist, besteht aus einem Zyklus von Organa dupla iiber 
responsoriale MeB- und Offiziumsgesange (Graduale, 
Alleluia in der Messe; Responsorium in der Matutin 
bzw. Vesper und bei der Prozession) und ist in einem je 
verschiedenen Stadium als magnum volumen (d. h. mit 
den spateren, systematisch angeordneten Zusatzen) in 
3 Handschriften iiberliefert (->■ Quellen: W\, F und 
W2). - Die folgende Generation, deren Haupt der ge- 
niale optimus discantor Magister Perotinus Magnus 

682 



Aus dem O. triplum Virgo, SchluB einer organalen 
Partie mit anschliefiender Copula non ligata (Ab- 
schrift und Ubertragung der Hs. F, i. 33'). 
Im Mittelpunkt des Schaffens steht jetzt die Umarbei- 
tung des Magnus liber. Sie erstreckt sich auf die Erwei- 
terung des Repertoires und auf das Hinzukomponieren 
3- und 4st. Organa, von denen mehrere Perotinus zuge- 
schrieben werden, f erner auf die Anderung (meist Kiir- 
zung) der melismatischen Organum duplum-Partien 
und auf deren Ersatz durch Discantuspartien (clausulae). 
AuBerdem wurde ein groBer Bestand an Ersatzklauseln 
geschaffen, die wahlweise zur Verfiigung stehen. Diese 
konnten auch, syllabisch mit rhythmischem lateini- 
schem Text versehen, als Musica cum littera die Cho- 
ralbearbeitung tropieren und sich zugleich auch ver- 
selbstandigen ; in sehr vielen Fallen lassen sie sich als 
musikalische Quellen franzosischer Motetten nachwei- 
sen. Indessen wurde das O. duplum, zumal die sein 
Wesen bestimmende O. speciale-Faktur, unmodern. 
In den 3- und 4st. Organa sind auch die organalen Par- 
tien in Wirklichkeit Discantussatze iiber Haltetonen. 
Letztmalig iiberliefert der 1. Faszikel des groBen Mo- 
tettenkodex Montpellier (-»• Quellen: Mo) einige der 
beriihmtesten Organa tripla. Wahrscheinlich hat auch 
Jacobus Leodiensis um diese Zeit in Paris noch Organa 
gehort; doch beklagt er dann um 1330 (Speculum musi- 



Orgel 



cae, CS II, 394), daB die moderni cantores die cantus an- 
tiquos organicos verschmahen. 

Ausg. : — > Quellen : WiTr, Calixtinus-Kodex, MuA, LoA, 
Wi, F, W2, Ma, Hu. - Perotinus : O. quadruplum»Sederunt 
principes«, hrsg. v. R. v. Ficker, Wien u. Lpz. 1930; Die 
3-u.4st.Notre-Dame-Organa,hrsg.v.H.HusMANN, = PaM 
XI, Lpz. 1940; ders., Die ma. Mehrstimmigkeit, = Das 
Musikwerk (IX), Koln (1955); Fr. Gennrich, Perotinus 
Magnus. Das O. Alleluya Nativitas . . . u. seine Sippe, 
= Mw. Studienbibl. XII, Darmstadt 1955. 
Lit.: Riemann MTh; H. E. Wooldridge, The Polyphonic 
Period I, in: The Oxford Hist, of Music I, Oxford 1901, 
London 2 1929; Fr. Ludwiq, Die mehrst. Musik d. 11. u. 
12. Jh., Kgr.-Ber. Wien 1909; ders., Die liturgischen Or- 
gana Leonins u. Perotins, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; 
ders., Repertorium organorum recentioris et motetorum 
vetustissimi stili I, 1, Halle 1910, Neudruck hrsg. v. L. A. 
Dittmer, NY u. Hildesheim 1964, I, 2 u. II, hrsg. v. Fr. 
Gennrich, = Summa Musicae Medii Aevi VII-VIII, Lan- 
gen 1961-62; ders., Perotinus Magnus, AfMw III, 1921; 
ders., Musik d. MA in d. Badischen Kunsthalle Karlsruhe, 
Zf Mw V, 1922/23 ; ders., Uber d. Entstehungsort d. groBen 
Notre-Dame Hss., in : Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien 
u. Lpz. 1930; J. Handschin, Was brachte d. Notre-Dame- 
Schule Neues?, ZfMw VI, 1923/24; ders., Zur Notre- 
Dame-Rhythmik, ZfMw VII, 1924/25; ders., Zum Cruci- 
fixum in carne, AfMw VII, 1925 ; ders., Zur Gesch. d. Leh- 
re v. O., ZfMw VIII, 1925/26; ders., Die Musikanschau- 
ung d. Johannes Scotus (Erigena), DVjs. V, 1927; ders., 
Angelomontana polyphonica, SJbMw III, 1 928; ders., Der 
O.-Traktat v. Montpellier, in: Studien zur Mg., Fs. G. Ad- 
ler, Wien u. Lpz. 1930; ders., Zur Leonin-Perotin-Frage, 
ZfMw XIV, 1931/32;ders., A Monument of Engl. Medie- 
val Polyphony : The Ms. Wolf enbuttel 677, The Mus. Times 
LXXIII, 1932 - LXXIV, 1933 ; ders., Zur Gesch. v. Notre- 
Dame, AMI IV, 1 932 ; ders., The Two Winchester Tropers, 
The Journal for Theological Studies XXXVII, 1936; ders., 
L'o. a l'eglise . . . , Rev. du chant gregorien XXXIX/XL, 
1936/37; ders., Aus d. alten Musiktheorie II, Org. u. O., 
AMI XIV, 1942; ders. in: AMI XV, 1943; ders., Mg. im 
Uberblick, Luzern (1948), ^1964; P. Wagner, Zu d. litur- 
gischen Organa, AfMw VI, 1924; H. Besseler, Die Musik 
d. MAu. d. Renaissance, BuckenHdb.; R.v. Ficker, Pri- 
mare Klangformen, JbP XXXVI, 1929; ders., Polyphonic 
Music of the Gothic Period, MQ XV, 1929; ders., Der Or- 
ganumtraktat d. Vatikanischen Bibl. (Ottob. 3025), KmJb 
XXVII, 1932; H. Schmidt(-Garre), Zur Melodiebildung 
Leonins u. Perotins, ZfMw XIV, 1931/32; ders., Die 3- u. 
4st. Organa, Kassel 1933; Fr. Feldmann, Ein Quinteno. 
aus einer Breslauer Hs. d. friihen 16. Jh., KmJb XXVII, 
1932; H. Husmann, Die 3st. Organa d. Notre-Dame-Schu- 
le mit besonderer Berucksichtigung d. Hss. Wolfenbiittel 
u. Montpellier, Diss. Bin 1932, Teildruck Lpz. 1935 ; ders., 
Die Offiziumsorgana d. Notre-Dame-Zeit, JbP XLII, 1935; 
ders., St. Germain u. Notre-Dame, in : Natalicia Musico- 
logica, Fs. Kn. Jeppesen, Kopenhagen 1962; ders., The 
Origin and Destination of the Magnus Liber Organi, MQ 
XLIX, 1963 ; ders., The Enlargement of the Magnus Liber 
Organi . . ..JAMS XVI, 1963; ders., Ein 3st. O. aus Sens 
. . ., Fs. Fr. Blume, Kassel 1963; ders., Das O. vor u. au- 
Berhalb d. Notre-Dame-Schule, Kgr.-Ber. Salzburg 1964; 
H. Angles, La musica a Catalunya fins al s. XIII, = Publi- 
caci6nes del Departamento de musica de la Bibl. de Cata- 
lunya X, Barcelona 1935; ders., Die Mehrstimmigkeit d. 
Calixtinus v. Compostela u. seine Rhythmik, Fs. H. Besse- 
ler, Lpz. 1961; M. Schneider, Gesch. d. Mehrstimmig- 
keit II, Bin 1935, Rom 21964; Y. Rokseth, La polyphonie 
parisienne du XHP s., in : Les cahiers techniques de l'art I, 
2, 1947 ; L. B. Spiess, An Introduction to the Pre-St.Martial 
Sources of Early Polyphony, Speculum XXII, 1947; H. 
Federhofer, Eine neue Quelle zur Organumpraxis d. spa- 
ten MA, AMI XX, 1948; ders., Archaistische Mehrstim- 
migkeit im Spatmittelalter, SMZ LXXXVIII, 1948; W. 
Apel, From St. Martial to Notre-Dame, JAMS II, 1949; 
ders., The Earliest Polyphonic Composition and Its Theo- 
retical Background, RBM X, 1956 ; ders., Bemerkungen zu 
d. Organa v. St. Martial, in : Miscelanea en homenaje a H. 
Angles I, Barcelona 1 958-61 ; R. Stephan, Einige Hinweise 
auf d. Pflege d. Mehrstimmigkeit im f ruhen MA in Deutsch- 
land, Kgr.-Ber. Liineburg 1950; H. Tischler, New Hist. 



Aspects of the Parisian Organa, Speculum XXV, 1950; 
ders., A Propos the Notation of the Parisian Organa, 
JAMS XIV, 1961 ; F. Spreitzer, Studien zum Formaufbau 
d. dreist. Organumkompositionen d. sog. Notre Dame- 
Repertoires, Diss. Freiburg i. Br. 1951, maschr.; A. Gee- 
ring, Die Organa u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deut- 
schen Sprachgebietes v. 13.-16. Jh., = Publikationen d. 
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952); 
ders., Retrospektive mehrst. Musik in frz. Hss. d. MA, 
Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; 
Thr. G. Georgiades, Musik u. Sprache . . . , = Verstand- 
liche Wiss. L, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1954; ders., 
Sprache, Musik, schriftliche Musikdarstellung, AfMw 
XIV, 1957; A. Hughes OSB in: The New Oxford Hist, of 
Music II, London 1954, 21955 ; W. G. Waite, The Rhythm 
of XII lh -Cent. Polyphony, Its Theory and Practice, = Yale 
Studies in the Hist, of Music II, New Haven (Conn.) 1954, 
dazu H. Tischler in: JAMS XIV, 1 96 1 ; E. Jammers, Anf ange 
d. abendlandischen Musik, = Slg mw. Abh. XXXI, StraB- 
burg u. Kehl 1955; ders., Musik in Byzanz, im papstlichen 
Rom u. im Frankenreich, = Abh. d. Heidelberger Akad. 
d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1962, Nr 1 ; E. L. Waelt- 
ner, Das O. bis zur Mitte d. 1 1. Jh., Diss. Heidelberg 1955, 
maschr. ; ders., Der Bamberger Dialog uber d. O., AfMw 
XIV, 1957; A. Seay, An Anon. Treatise from St. Mar- 
tial, Ann. Mus. V, 1957; C. Dahlhaus, Zur Theoried. frii- 
hen O., KmJb XLII, 1958; ders., Zur Theorie d. O. im 
12. Jh., KmJb XLVIII, 1964; H. Schmid, Die Kolner Hs. 
d. Musica Enchiriadis, Kgr.-Ber. Koln 1958; Fr. Blum, 
Another Look at the Montpellier O. Treatise, MD XIII, 
1959; Fr. Zaminer, Der Vatikanische O.-Traktat (Ottob. 
lat. 3025), = Miinchner Veroff. zur Mg. II, Tutzing 1959; 
K. v. Fischer, Die Rolle d. Mehrstimmigkeit am Dome v. 
Siena zu Beginn d. 13. Jh., AfMw XVIII, 1961 ; Th. Goll- 
ner, Formen friiher Mehrstimmigkeit in deutschen Hss. d. 
spaten MA, ebenda VI, 1961 ; ders., Die mehrst. liturgi- 
schen Lesungen, Habil.-Schr. Munchen 1967, maschr.; A. 
Machabey, Remarques sur le Winchester Troper, Fs. H. 
Besseler, Lpz. 1961; B. Rajeczky, Spatma. Organalkunst 
in Ungarn, Studia musicologica I, 1961 ; J. M. Marshall, 
Hidden Polyphony in a Ms. from St. Martial de Limoges, 
JAMS XV, 1962; I. Milveden, Die schriftliche Fixierung 
eines Quinten-O., STMf XLV, 1962; L. Schrade, Ein 
neuer Fund friiher Mehrstimmigkeit, AfMw XIX/XX, 
1962/63; E. H. Sanders, Peripheral Polyphony of the 
1 3"> Cent., JAMS XVII, 1964 ; L. Treitler, The Polyphony 
of St. Martial, ebenda; Th. Karp, Towards a Critical Ed. 
of Notre Dame Organa Dupla, MQ LII, 1 966 ; N. E. Smith, 
Tenor Repetition in the Notre Dame Organa, JAMS 
XIX, 1966; Fr. Reckow, Der Musiktraktat d. Anon. 4, 
= BzAfMw IV, Wiesbaden 1967. HHE 

Orgel (von griech. Bpyavov, Werkzeug; lat. orga- 
num, organa; engl. organ; frz. orgue), ein Aerophon, 
das den Klang durch -> Labialpfeifen und ->■ Lingual- 
pfeif en (Rohrwerke) erzeugt. Sie wird von einem Spiel- 
tisch oder -schrank aus gespielt, der eine oder mehrere 
-»■ Klaviaturen fiir die Hande (-> Manual) und eine, sehr 
selten zwei Klaviaturen fiir die FiiBe (->• Pedal - 1) hat. 
Durch ->■ Trakturen wird die Verbindung von den Ta- 
sten und Registerziigen im Spieltisch zu den -> Wind- 
laden hergestellt, auf welchen die Pfeifen uber Ton- 
oder Registerkanzellen angeordnet sind, in denen zu- 
stromender Wind zum Anblasen der Pfeifen bereit- 
steht. Der Wind wird durch ->■ Balg oder Ventilator in 
den -> Magazinbalg geschopft und dort auf bestimm- 
tem Winddruck gespeichert. Der Dichtigkeitsgrad 
(Winddruck in geschlossenem System) liegt heute je 
Werk und RaumgroBe zwischen 40 und 90 mm Was- 
serwaage, in gotischen Org.n weit hoher, bei -»■ Hoch- 
druckregistern geht er uber 300 mm hinaus. Die An- 
zahl der Pfeifen richtet sich nach Art und Zahl der Re- 
gister der Org. Eine Org. mit 25 Registern hat etwa 
1 900 Pfeifen ; die zu ihrer Zeit groBte europaische Kon- 
zertorg. in der Jahrhunderthalle in Breslau (W. -»• Sauer) 
hatte 1936 nach ihrem Umbau 222 Register mit 16706 
Pfeifen. Die groBten Pfeifen (C 32' = 2 Q haben bei 
uber 10 m Lange einen Durchmesser von ca. 550 mm, 



683 



Orgel 



die kleinsten einen solchen von ca. 2,3 mm. In der 
-+ Disposition sind, funktional aufeinander bezogen, 
die verschiedenen -> Register (- 1) ausgewahlt und in 
den Werken (-*■ Hauptwerk, ->• Riickpositiv, ->■ Brust- 
werk, Oberwerk, Pedal u. a.) angeordnet. Die Register 
werden als Aequalregister, Obertonregister (-> Ali- 
quotstimmen) und als mehrchorige Obertonmischre- 
gister (-»• Mixtur, -> Scharf, -»■ Zimbel - 2, u. a.) ge- 
baut. In der Frontseite der Org. stehen die Prospektre- 
gister, die zumeist der -*■ Prinzipal-Familie angehoren. 
Aus architektonischen Griinden haben sie manchmal 
Uberlangen, zeigen auch hie und da Felder mit kleine- 
ren stummen Pfeifen, bestehen aber nach klassischem 
Brauch zumeist aus klingenden Pfeifen. Der Prospekt 
ist oft symmetrisch in die ganztonigen Pfeifenreihen 
der C- und Cis-Seite gegliedert, aber auch der chro- 
matischen Anordnung der Pfeifen folgend oder un- 
symmetrisch frei gestaltet. Der optimalen Klangab- 
strahlung wegen werden die einzelnen Werke gern in ei- 
nem Gehause untergebracht und neben- und uberein- 
ander, seltener hintereinander auf gestellt. Der spanische 
Prospekt zeigt mit Vorliebe in den Raum hineinragen- 
de liegende Lingualpfeifen (z. B. Trompeten). 
Die alteste bisher bekannte Form eines orgelahnlichen 
Blasinstruments ist die altchinesische -> Mundorg. 
(sheng, japanisch sho), mit Abarten bis Hinterindien 
und Indonesien verbreitet. Sie hat zumeist 1 7 Pfeifen mit 
durchschlagenden Zungen und Windkessel; das Mund- 
stiick wird nicht angeblasen, sondern angesaugt. Die 
Zungenpfeifen erklingen, wenn sie nicht durch Aufle- 
gen des Fingers auf das Luftloch ausgeschaltet sind. Die 
Mundorg. ist auch mehrstimmig zu spielen und fand 
in den Riten der chinesischen Religionen Anwendung. 
Ihr EinfluB auf die abendlandische Org.-Entwicklung 
diirfte friihestens durch einen Nachbau der durch- 
schlagenden Zungen durch den Org.-Bauer Kirsnik 
(18. Jh.) anzusetzen sein. - Haufig wurde versucht, die 
morgen- und abendlandische Org. aus der Syrinx ab- 
zuleiten. Wahrscheinlicher ist, daB sie sich aus der so- 
genannten pneumatischen Org. entwickelt hat, die Le- 
dersacke als Windladen, aber noch keine Trakturvor- 
richtungen kannte. Andeutungen solcher Org.n sind 
f iir das 4., 5. und 6. Jh. n. Chr. belegt. Cassiodorus (f um 
580) riihmte ihren Klang als grandissima et suavissima. 
Diesem Org.-Typ gegeniiber stellt die -> Hydraulis 
eine friihere, dabei hoher entwickelte und weiter ver- 
breitete Form der Org. dar. Die talmudischen Schriften 
erwahnen eine magrefa, ein kleines tragbares Instru- 
ment mit Blasebalg; in ihm wurde eine Kleinorg. ver- 
mutet, die in der synagogalen Musik Verwendung fand 
(H. G. Farmer). - Im Abendland entwickelte sich als 
Kleinform der Org. das tragbare -»■ Portativ (im 14. Jh.: 
organetto). Es hatte anfangs 6-12 Pfeifen, in seiner Blii- 
tezeit 2 Reihen von je 14 Pfeifen, hochstens insgesamt 
40. Im 16. Jh. wurde es von dem groBeren -*■ Positiv 
verdrangt. Eine Kleinstform des Portativs ist das -*■ Re- 
gal (-1), das nur aufschlagende Zungen mit sehr kurzen 
Bechern, aber schon einen Kastendeckel fur p- und f- 
Wirkung kannte. 

In die abendlandische Kirche fand die Org. - abge- 
sehen von Hinweisen Polydors auf das 7. Jh. - spate- 
stens im 8. Jh. Eingang. Pippin lieB die ihm vom by- 
zantinischen Kaiser Konstantin Kopronymos geschenk- 
te Org. (um 757) auf seinem Landsitz in Compiegne 
aufstellen. 824 berichtet W. Strabo von einer Org. im 
MUnster zu Aachen mit konstanten Weitenmensuren. 
Um 826 erhielt Ludwig der Fromme eine von Ge- 
orgius Veneticus nachgebildete Hydraulis. Auch der 
Utrechter Psalter (9. Jh.) zeigt eine Kleinorg. Weitere 
Kirchenorg.n sind im 9. Jh. fur Freising, St. Savin und 
Strafiburg belegt, im 10. Jh. fur Koln, Canterbury, 



Rom und Winchester. Beschreibungen der Org.n des 
10. Jh. beweisen das friihe organale Prinzip: auf einer 
Taste werden der Grundton mit Oktaven, sparer auch 
Quinten und deren Oktaven in mehrfach chorischer 
Anordnung vereint. Im 11. und 12. Jh. finden sich wei- 
tere Org.n in Halberstadt, Erfurt, Magdeburg, Kon- 
stanz, Paris, Rouen, Utrecht, im 13. Jh. in Brugge, 
Exeter, Florenz, Liibeck, Mainz, Prag, Salzburg, West- 
minster. Erbauer waren oft Geistliche und Organisten. 
Im 14. und 15. Jh. sind Org.n zahlreich in den abend- 
landischen Kirchen zu finden, wahrend der griechisch- 
orthodoxe Kult die Org. nicht aufnahm. Nachweis- 
lich im 14. Jh. wurde dem Hauptwerk ein angehangtes 
-»• Pedal (-1) hinzugefiigt (Sundre auf Gotland 1370; 
Florenz, S.Maria Novella 1379), das spater einige Bor- 
dunpfeifen erhielt und Mitte bisEnde des 15. Jh. (Niirn- 
berg 1447, Erfurt 1483, Dresden 1489) durch mehrere 
eigene Register selbstandig wurde. Die unter Nikolaus 
Faber 1359-61 erbaute Org. im Dom zu Halberstadt, 
das zu seiner Zeit meistgeriihmte Werk, hatte schon 3 
Manuale mit handbreiten Tasten, ein oberes Diskant- 
klavier mit 22 Tasten (H-a 1 ohne gis 1 ), 2 Prinzipalrei- 
hen Praestant 16' und -»■ Hintersatz 32-43-56fach, ein 
gleichgroBes unteres Diskantklavier mit 2 Prinzipalen 
8', ein BaBklavier (12 Tasten iH-H; H = wahrschein- 
lich B) mit Prinzipalbordunen 32' in den Seitentiirmen 
und ein Pedal (mit ebenfalls 12 Tbnen) mit fester Kopp- 
lung zum BaBklavier und einem Hintersatz 16-20- 
24fach. Die Org. wurde mit den Handen, wahrschein- 
lich auch mit den Ellenbogen und mit den FiiBen ge- 
spielt. Ihr Klang war durch den hohen Winddruck 
machtig, in den doppelchorigen Prinzipalen voll-sin- 
gend, durch die diskantbetonten iibergroBen Hinter- 
satzmixturen iiberraschend stark und durch die weit- 
gespannten FuBtonhohen vom dunklen 32' bis zum 
silberhellen 1' rauschend-fiillend. Die so im Hinter- 
satzblock zusammengefaBten groBen Chore konnten 
erst mit der Erfindung der Springlade um 1400 und 
der Schleiflade im 15. Jh. (M. Agricola 1442 in Grii- 
ningen, Martinskirche) in Einzelregister und kleinere 
Mixturen zerlegt werden. Dadurch war es nun auch 
moglich, andere Registerarten und Klangfarben als die 
blockbildenden Prinzipale zu entwickeln, wie weit- 
mensurierte offene, konische und gedeckte Register, 
auch Zungenwerke. Tugi aus Basel kannte das Horn- 
lein; Hans SuB (Niirnberg-Koln) propagierte Schal- 
mei, Schwegel und Schallenpfeife (151 1) ; H. v. Koblenz 
fiihrte in Alkmaar -> Gemshorn (- 2) und -» Hohl- 
flote ein. In A. -> Schlick erstand ein Meister der Klang- 
und Registrierungskunst, der Zahl und Farben der 
neuen Register zu ordnen wufite. Die brabantische 
Schule iibemahm und entwickelte den Registerzu- 
wachs weiter, belieB aber die Prinzipalblockwerke lin- 
ger als der italienische Org.-Bau im Hauptwerk. Im 
15. Jh. kam das Riickpositiv, das schon 1386 in Rouen 
erwahnt wird, mit kleinerem Blockwerk, Floten und 
Zungen hinzu, bald danach das Brust- und Oberwerk, 
die beide mit dem Hauptwerk und Pedal in einem Ge- 
hause untergebracht wurden, wahrend das Riickposi- 
tiv als Gegenwerk ein eigenes Gehause erhielt. Somit 
war 1540 der Typ der niederlandischen Renaissance- 
Org. mit seinem differenzierten Klangaufbau der ein- 
zelnen Werke geschaffen. Meister dieser Zeit sind 
Daniel van der Distelen (f 1510) und H. -> Niehoff. 
Der siidniederlandische Org.-Bau hingegen beschrank- 
te sich weiter auf 1-2 Manuale und angehangtes Pedal. 
Seine Vorliebe gait den Plenumgruppen und dem la- 
bialen -»■ Kornett (- 2). Von ihm wurden besonders der 
spanische und franzosische Typ beeinflufit. Meister der 
friihen franzosischen Org.-Kunst, die vor 1500 schon 
3manualige Werke kannten, sind Jean Bondifer (um 



684 



Orgel 



1550) und Francisque des Oliviers, der 1531 die Kathe- 
dralorg. in Beauvais erbaute. Von 1650-1770 erlebte 
die franzosische Org. ihre Bliitezeit (Fr.-H. -*■ Clicquot, 
die Theoretiker M. -> Mersenne una Dom Fr. -*■ Bedos 
de Celles). - Spanien ragte im 16. Jh. durch die Org., 
die Kaiser Karl V. von spanischen Meistern (G. Hernan- 
dez und Juan Gaytan) in der Kathedrale zu Toledo er- 
bauen lieB, hervor, wahrend zwei Brabanter Meister 
(Brebos) im Escorial 1579-84 eine groBe Org. schufen. 
Die Pracht der Zungenchore zeichnet die spanischen 
Org.n aus (Trompeta 32' bis 2', Viejos, Viejas, Violetas, 
Orlos, Bajoncillo, Serpeton, Chirimia u. a.). Die sen 
chamade« waagerecht nerausragenden Rohrwerke er- 
hielten die Org.n im 17. Jh. Wahrend das Plenum in 
enger Mensur mit sehr niedrigen Aufschnitten silbern 
strahlte, waren die weiten Nasard- und Kornettregister 
kantabel und warm, nicht aggressiv. Bemerkenswert 
sind femer das oft nur 12tonige Pedal, die BaB-Dis- 
kant-Teilung in den Manualen (ci/cis 1 ) und von der 
Mitte des 18. Jh. an ein Schwellwerk unter dem Haupt- 
werk. Das barocke Klangideal, in den Kathedralorg.n 
in Toledo (die Evangelienorg. von 1758 und die Epi- 
stelorg. von 1791, erbaut von Jose Verdalonga) ver- 
wirklicht, hielt sich in Spanien bis gegen Ende des 19. 
Jh. - Italien verharrte vorwiegend bei der einmanuali- 
gen Org. der Friihgotik, deren Prinzipalblockwerk 
und Mixturen hier schon sehr friih in Einzelregister 
zerlegt wurden. Wenige weite Floten traten Ende des 
15. Jh. hinzu. -*■ Gedackte und Terzen konnten sich 
nur langsam durchsetzen. Fiihrend waren im 15. Jh. die 
toskanische und venezianische Schule (Lorenzo di Gia- 
como da Prato, Erbauer der Org. in S. Petronio zu Bo- 
logna 1417, und Fra Urbano, der 1490 in San Marco zu 
Venedig eine weithin beriihmte 9registrige Org. bau- 
te) ; ein Meisterwerk ist auch Graziado Antegnatis Org. 
fur S.Giuseppe zu Brescia (1581) - Werke von homo- 
gener Klangfarbe, aber silberner Klarheit, deren Prinzi- 
palreihen verhaltnismaBig eng sind und einen »Anflug 
von Scharfe« (R.Lunelli) haben. - GroBeren Register- 
reichtum zeigt dagegen die friihe Org. in Osterreich: 
1496 in Maria Saal, 1498 in St. Wolfgang (M.Khall), 
1513 in Innsbruck. Einen Hohepunkt der vielgliedrigen 
Renaissanceorg. mit 5 Werken stellt die groBe Org. in 
der Dom- und SchloBkirche zu Prag dar (1553 von 
Fr. -> Pfannmiiller begonnen, um 1565 von J. und A. 
Rudner vollendet.) - In England bluhte die Org.- 
Kunst, vom Puritanismus verachtet, erst mit der Re- 
stauration 1660 wieder auf. R.Harris erbaute groBere 
Werke in Bristol, Winchester, Salisbury (50 Register), 
Father Bernard Smith, ein Deutscher, Org.n in der St. 
Pauls Cathedral in London, Canterbury u. a. Schon 
1670 gelang es Th.Mace, durch -> Jalousieschweller 
den Org.-Ton crescendieren zu lassen, eine Erfindung, 
die von 1 71 2 an immer mehr den englischen Geschmack 
bestimmte. 

Norddeutschland nahm im 16. Jh. vielfaltige Anre- 
gung besonders vom brabantischen Org.-Bau auf (H. 
Niehoff, St. Petri in Hamburg 1548-51). Seine eigen- 
standigen Schopfer fand es in der Org.-Bauer-Familie 
Scherer sowie in Dirck Hoyer und Nikolaus Maas, der 
1599 von Stralsund nach Kopenhagen ging. Die nord- 
deutsche Prospektgestaltung mit den beiden seitlichen 
Pedaltiirmen machte weithin Schule. G. -*■ Fritzsche, 
Scherers Enkelschiiler aus MeiBen, mit M.Praetorius 
und H. Schiitz befreundet, kam 1629 iiber Wolfenbiit- 
tel nach Hamburg, wo er mit seinem Sohn Scherers 
Werk in einem 5klavierigen Org.-Typ vollendete. 
Sein Schiiler und Schwiegersohn Fr. Stellwagen (Ham- 
burg und Liibeck) baute in St.Marien zu Stralsund ei- 
nes der besten Werke norddeutscher Org.-Bau-Kunst, 
mit 51 Registern, klassisch ausgewogener Verteilung 



aller Registertypen auf die einzelnen Werke und einem 
klar gegliederten Prospektaufbau mit iiber 20 m Hohe. 
Beider EinfluB auf A. -*■ Schnitger ist unverkennbar. 
Die Registergruppen erfuhren bei ihm hochste Vollen- 
dung, sowohl die engere, sich verjungende Prinzipal- 
gruppe (pleno), der sogenannte Weitchor (electo), der 
eine raumhaft-hintergriindige Farbigkeit entwickelt, 
als auch die kurz- und langbechrigen Rohrwerke. Der 
Werkcharakter der Manuale ist vollendet durchgebil- 
det. Das Gehause ist nicht nur grandiose Fassade, son- 
dern mitschwingender Schallabstrahler. t)ber 160 
Org.n, die Schnitger weit iiber Norddeutschland hin- 
aus, auch in Holland, RuBland, Spanien und den skan- 
dinavischen Landern erbaute, zeugen von seiner Mei- 
sterschaft. Seine Sbhne, Hans Jiirgen und Franz Cas- 
par, lieBen sich in Holland nieder. Der skandinavische 
Org.-Bau erhielt durch Schnitger und andere Org.- 
Bauer aus Norddeutschland ebenfalls vielfaltige Anre- 
gungen (J.Lorentz, G. Fritzsche, J. Richborn, Christian 
Rudiger aus Stettin und H.H.Cahmann, der sich in 
Schweden ansiedelte). - Nicht minder bedeutend sind 
vom Friihbarock an die Org.n im ostdeutschen Raum, 
so unter vielen J.A.Frieses 51registrige Org. in der 
Danziger Marienkirche (1549) und J.J.Mosengels Ko- 
nigsberger Domorg. (1721). Bemerkenswert fur die 
Org. dieser Zeit sind Nebenziige, wie Hiimmelchen, 
Fuchsschwanz, -> Vogelgesang (- 3), Zimbelstern, 
zwei fliegende Adler, die sich bewegen, alles natur- 
offene und symbolische Zutaten, die sich iiberall, wie 
auch anf anglich in der Gotik, groBer Beliebtheit erfreu- 
ten. Aus der reichen Org.-Landschaft Mitteldeutsch- 
lands sind zu nennen: D. -*■ Beck (SchloBkirchenorg. 
in Groningen), Chr. -*■ Forner, Matthias Schurig und 
die Familie -> Compenius, die Org.n u. a. in Magde- 
burg, Bitterfeld, Halle, Biickeburg erbauten. Esaias 
Compenius, der geniale Schopfer der heute im Fre- 
deriksborger SchloB stehenden, vollstandig erhaltenen 
2manualigen Org., die nur Holzpfeifen hat, war ein 
Freund und Berater des M.Praetorius. Italienischer 
EinfluB kam durch E. -> Casparini, der 1700 die Son- 
nenorg. in Gorlitz erbaute, nach Deutschland. Weitere 
Meister des 18. Jh. sind: G. -*■ Silbermann, Z. ->■ Hil- 
debrandt, die Familien Herbst und -> Stumm und J.J. 
-»■ Wagner. Letztere reduzierten die extremen Farb- 
register und FuBtonlagen, die uberblasenden Register 
und kurzbechrigen Rohrwerke und suchten in ihrem 
Klang eine Mitte, die die Farbextreme ausschaltete. 
Klassisch ausgewogen entfalteten sie den homogenen 
»argentinischen« Klang des Plenums. G. Silbermann 
formulierte sein Ideal bei dem Kontraktentwurf der 
Freiberger Domorg. : Das Hauptmanual soil einen gravi- 
tatischen Klang bekommen, das Oberwerk scharfund etwas 
spitzig, das Brustwerk recht delikat und lieblich sein. Be- 
merkenswert ist bei seinen Org.n das Fehlen eines 
Ruckpositivs. Andreas, G. Silbermanns Bruder und 
Lehrmeister, nahm vielfaltig franzosische Anregungen 
auf (Fr. -> Thierry). Seine bekannteste Org. ist die des 
StraBburger Miinsters (1714-16). Starken EinfluB hatte 
er auf K.J.Riepp, der sich in Dijon niederlieB, mach- 
te aber auch Schule bis nach Amerika (I. G.Klemm, 
1690-1762). - Der siiddeutsche Org.-Bau, der ein glan- 
zendes Beispiel groBer Farbigkeit in der Konzilskirche 
Santa Maria Maggiore in Trient (1536, umgebaut von 
E. Casparini) aufweist, entfaltete seine vokale Klang- 
vorstellung in den Org.n von Chr. ->■ Egedacher, J. 
-*■ Gabler, K.J. -> Riepp und J.N. -*■ Holzhay. Riepps 
1757-66 in der Abtei Ottobeuren erbauten Org.n - die 
groBe Dreifaltigkeitsorg. auf der Epistelseite und die 
kleinere Hl.-Geist-Org. auf derEvangelienseite - geho- 
ren zu den groBartigsten Dokumenten siiddeutscher 
Org.-Bau-Kunst. FranzosischeEinfliisse sind hier unver- 



685 



Orgel 

kennbar;dieaffektbetonteKlanglichkeitdesorchestralen 
Vorbildes zeigt sich besonders in den Streichern. Fiille- 
betonte Register nehmen zu, wie iiberhaupt alles zum 
satten Klang hin (Terzmixturen) ausgerichtet ist. 
Den Weg, der von dem organalen Werkprinzip und 
seinen Funktionsgruppen fortfiihrte, beschritt von der 
Mannheimer Schule aus Abbe -*■ Vogler mit seinem 
->• Orchestrion (- 1) und dem Simplifikationssystem, 
das die Manuale in reine Farbelemente aufteilte, die Ali- 
quote zur akustischenErzeugung von Aequaltonen ein- 
setzte und die ganze Org. zurErhohung der Ausdrucks- 
moglichkeiten in einen Schweller stellte. Die Tenden- 
zen, die sich von hier aus ins 19. Jh. ausbreiteten, wa- 
ren: eine Mensurveranderung, die die polyphone Klar- 
heit aufgab, Auflosung des Werkcharakters der Ma- 
nuale hin zu moglichst liickenlosen, orchestralen Laut- 
starkeiibergangen und starke Harmoniebetonung. Die 
Register wurden fortan nach der Einordnung in die 
Lautstarkeskala befragt, statt sie nach ihrer Klangf unk- 
tion einzuordnen. AuBere technische Erweiterungen 
(Kombinationsziige, Crescendowalze, Hochdruckre- 
gister) wurden jiiberschatzt. Ein neues Ladensystem 
(Kegellade und Taschenlade) verdrangte die Schleif- 
lade. DaB aber immer noch in diesem Rahmen bestes 
Kunsthandwerk, verbunden mit gediegener Kenntnis 
historischer Org.n geiibt wurde, beweisen Fr. ->• Lade- 
gast, ein Gegner der Kegellade, fur dessen Merseburger 
Domorg. Liszt 1855 seine Komposition iiber BACH 
schrieb und auf dessen Wiener Org. A.Bruckner im- 
provisierte, sowie die Org.-Bauer-Familien ->• Schulze 
und -»■ Buchholz und der Org.-Bauer W. -*■ Sauer, ein 
Schiiler Cavaille-Colls, der u. a., die Org.n im Berliner 
Dom und in der Leipziger Thomaskirche erbaute. Bei 
ihnen kommen die mensurtheoretischen Vorstellungen 
J. G. -» Topfers und Dom -»■ Bedos' zur Auswirkung. 
Auch E.Fr. -»- Walcker verband diese romantischen 
Ihtentionen mit Tradition und groBem Konnen, aller- 
dings auch teilweise auf Vogler eingehend. In Frank- 
reich hielt -> Cavaille-Coll an der historischen Schleif- 
lade fest, verwendete bei seinen groBen Org.n den Bar- 
kerhebel, disponierte viele Zungen, auch noch Aliquot- 
register und gestaltete so die franzosische Org. des 19. 
Jh., der Tradition wie einigen romantischen Intentio- 
nen aufgeschlossen. Ahnlich wirkten in Frankreich 
-> Merklin und -*■ Gonzalez, in England A. -»- Harri- 
son, wahrend sonst, insbesondere in Deutschland, die 
Absichten Voglers das genuin OrgelmaBige, die in sich 
geschlossenen Klangebenen der einzelnen Werke, 
durch Vorstellungen eines Orchestrions ersetzen woll- 
ten, ein Vorgang, der der sogenannten Fabrikorg., die 
von einer Raumintonation absehen konnte, entgegen- 
kam. Eine groBe Umwandlung des Org.-Klangs ging 
hiervon aus: eine Mensurveranderung zugunsten einer 
Melodiebetonung des Diskants sowie die Vorliebe fur 
Charakter- und Streichregister (Bellgambe, Vox coe- 
lestis) und fur Hochdruckregister ; der akkordischen 
Vollgriffigkeit kamen die neuen Kegel- und Taschen- 
laden entgegen. Kernstiche loschten die fremdartigen 
Vorlaufertone aus, die beim Anlaut der Lippenpfeifen 
als hohere Tone auBerhalb der Partialtonreihe kurz 
horbar werden und die dem LinienfluB mehr als der 
satten Akkordik dienen. Oberhaupt gait fur diese Zeit 
eine Oberschatzung von Masse und Technik. Das eu- 
ropaische Org.-Bau-Handwerk unterlag nicht uberall 
diesen Intentionen, hatte aber, soweit traditionsver- 
bunden, einen schweren Stand gegenuber der billigen 
Fabrikorg. Erst mit dem zunehmenden Interesse an der 
Org.-Literatur friiherer Jahrhunderte und mit derEnt- 
deckung der musikalischenBedeutung alter Instrumen- 
te erwachte die Frage nach den historischen Klangstilen. 
Hier setzte die -»- Org.-Bewegung ein. 



In der »Klangf unktionslehre« (E. K. RoBler) werden die 
unterschiedlichen Klangtypen beschrieben. Sie wertet 
die vom Ohr vernommenen Klangspektren der Instru- 
mente musikalisch, indem sie derenjeweiligeEigenart 
alsEignung f iir adaquate Satzstruktur (Polyphonie, Ho- 
mophonie) beschreibt. Dadurch wird die »Klangfunk- 
tionslehre« nicht zum Schrittmacher des Historismus, 
sondern steht als Disziplin zwischen Instrumentenkun- 
de und Kompositionslehre. Als »raumlinienstark« wird 
der Klangtyp bezeichnet, der linienfuhrende Satzstruk- 
tur in alien Lagen und Stimmen klar und unverdeckt 
wiedergibt; Liniengewebe (auch punktuelle Struktu- 
ren) erklingen raumtief, plastisch, deutlich profiliert 
und durchhorbar (Schering nennt diese Klangart 
»Spaltklang«). Die Klarheit dieses Klangtyps hangt we- 
sentlich vom Obertonspektrum des Instruments ab; 
auch Stereomontage kann sie nicht erzeugen. Der Ge- 
genpol ist der »harmoniestarke« Klangtyp, der linearer 
Struktur nur geringe plastische Deutlichkeit verleihen 
kann, dafiir aber jeden Satz vertikal harmonisch betont 
und damit das Fioren uberwiegend auf die harmoni- 
schen Beziehungen lenkt; dabei wird die polygene 
Gleichwertigkeit der Tonhohenschichten aufgehoben. 
Epochen vorwiegend homophonen Schaffens wahlten 
Org. und Instrumentarium mit groBer Harmoniestar- 
ke, Zeiten genuiner Polyphonie solche mit hoher 
Raumlinienstarke ; andere stehen in der Mitte (General- 
baBzeit). - Weitere Kontakteigenschaften der Raum- 
linienstarke sind groBeKonzentrizitat, Langenkraft und 
Dissonanzstarke. Hohe Konzentrizitat des Klanges ver- 
bindet sowohl hohenmaBig weit auseinanderhegende 
Stimmlinien, groBe Intervallspriinge als auch starke 
Farbkontraste (z. B. Sordun/Pommernach thorn), so daB 
sie nicht abgespalten, getrennt, sondern in innerer Ko- 
harenz verbunden empfunden werden. In dem Ma- 
Be abnehmcnder Raumlinienstarke, d. h. zunehmen- 
der Harmoniestarke, wandelt sich die Konzentrizitat in 
Klangparallelitat. Diese erscheint als Hohenparallelitat 
bei hohenmaBig weit auseinanderliegenden Stimmen, 
wie groBen Intervallsprungen, die klanglich auseinan- 
derfallen, und als Farbparallelitat, wenn sich ihre kon- 
traststarken Klangfarben nicht mehr aufeinander be- 
ziehen. Was fur die Beziehung weiter Intervallspriinge 
gilt, trifft auch fiir die Verbindung weit entfernter FuB- 
tonlagen zu. Korizentrische Register verbinden sich in 
groBer Weite, verschmelzen also zu einer neuen Ein- 
heit, z. B. Gedacktflote 8' + Gemsquinte IV3', Rohr- 
krummhorn 16' + Septade 2'; klangparallele Register 
hingegen verschmelzen nicht, z. B. Aeoline 8' + Fla- 
geolet 1', Horn 8' + Quinte 11/3'. Sie brauchen deshalb 
zur Verbindung Englagen und Fiillungen, z. B. Bor- 
dun 8' + Gambe 8' + Salicional 4' + Flote 4'. Disso- 
nante Ballungen lafit raumlinienstarker Klang gleich- 
sam wie in einem weiten Raum auseinanderlagern. Das 
Ohr folgt hier williger dem LinienfluB, als daB es bei 
den Vertikalkonstellationen verharrt. Auch verbraucht 
sich der Klang hoher Raumlinienstarke nicht so schnell 
wie der der Harmoniestarke. Er hat mehr Langenkraft 
durch Changieren und Differenzieren im Partialtonauf- 
bau. Mit dem Zuwachs raumlinienstarker Klange in 
neu hinzugekommenen Registern wird der Ausdrucks- 
bereich des Org.-Klanges iiber die historischen Vorbil- 
der hinaus erweitert. 

Lit.: Heron v. Alexandria, Pneumatica, Kap. 42, mit 
Obers. hrsg. v. W. Schmidt, Lpz. 1899; Hucbald, De 
mensuris organicarum fistularum, GS 1, 147f . ; Kl. Weiler, 
»De mensura fistularum«, ein Gladbacher Orgeltraktat aus 
d. Jahre 1037, KmJb XL, 1956; A. Schlick, Spiegel d. Or- 
gelmacher u. Organisten, Speyer 1511, NA in: MfM I, 
1869, dass. in modernes Deutsch ubertragen v. E. Flade, 
Mainz 1932 u. Kassel 1951, dass., Faks. u. Obertragung 
hrsg. v. P. Smets, Mainz 1959; Praetorius Synt. II; M 



686 



Orgelbewegung 



Praetorius u. E. Compenius, Org. verdingnis, hrsg. v. Fr. 
Blume, = Kieler Beitr. zur Mw. IV, Wolfenbfittel u. Bin 
1936; A. Werckmeister, Orgelprobe, Ffm. u. Lpz. 1681, 
als: Erweiterte u. verbesserte Org.-Probe, Quedlinburg 
1698, Faks. Kassel 1927; Fr. Bedos de Celles OSB, L'art 
du facteur d'org., 4 Teile in 3 Bden, Paris 1766-78, Faks. 
hrsg. v. Chr. Mahrenholz, Kassel 1936, dass., = DM1 1, 24- 
26, 1964-65 ; Adluno Mus. mech. org. ; J. U. Sponsel, Or- 
gelhist. , Niirnberg 1 77 1 , N A im Auszug v. P. Smets, Kassel 
1931; J. Hess, Dispositien d. merkwaarigste kerk-org., 
Gouda 1774, NA Utrecht 1945 ; J. G. Topfer, Lehrbuch d. 
Orgelbaukunst, 4 Bde u. 1 Atlas, Weimar 1855, 2. umgear- 
beitete Auf lage hrsg. v. M . Allihn als : Die Theorie u. Praxis 
d. Orgelbaues, 1 Bd u. Atlas, Weimar 1888, 3. umgearbeite- 
te Auflage hrsg. v. P. Smets, 3 Bde, Mainz 1934-39; H. 
Riemann, Katechismus d. Org., Lpz. 1888, 21901 ; ders., 
Orgelbau im frfihen MA, in: Praludien u. Studien II, Lpz. 
1900; H. Degering, Die Org., ihre Erfindung u. ihre 
Gesch. bis zur Karolingerzeit, Minister i. W. 1905; A. 
Schweitzer, Deutsche u. frz. Orgelbaukunst u. Orgel- 
kunst, Lpz. 1906, 21927; Beitr. zur Organistentagung Hbg- 
Liibeck, Klecken 1925; R. Lunelli, Scritti di storia or- 
ganaria, Trient 1925 ; Ber. iiber d. Freiburger Tagung f. 
deutsche Orgelkunst, hrsg. v. W. Gurlitt, Augsburg 1 926 ; 
Ber. fiber d. 3. Tagung f . deutsche Orgelkunst in Freiberg 
i. Sa. 1927; R. Fallou u. N. Dufourcq, Essai d'une 
bibliogr. de l'hist. de l'org. en France, Paris 1 929 ; E. Rupp, 
Die Entwicklungsgesch. d. Orgelbaukunst, Einsiedeln 
1929; H. G. Farmer, The Org. of the Ancients from 
Eastern Sources, London 1930; Chr. Mahrenholz, Die 
Orgelregister, ihre Gesch. u. ihr Bau, Kassel 1930, 2 1944; 
ders., Die Berechnung d. Orgelpfeifen-Mensuren, Kassel 
1938; G. Fock, Hamburgs Anteil am Orgelbau im nie- 
derdeutschen Kulturgebiet, Diss. Kiel 1931, auch in: Zs. d. 
Ver. f. Hamburgische Gesch. XXXVIII, 1944; H. Klotz, 
Uber d. Orgelkunst d. Gotik, d. Renaissance u. d. Barock, 
Kassel 1934; ders., Das Buch v. d. Org., Kassel 1938,61960; 
N. Dufourcq, Documents inedits relatifs a l'org. frc. 
(XIV-XVIIIo), 2 Bde, Paris 1934-35 ; P. Smets, Die Orgel- 
register, Mainz 1934, ^1948, 81957; W. Eixerhorst, 
Hdb. d. Orgelkunde, Einsiedeln 1936; A. Bouman, Org. in 
Nederland, Amsterdam 1944, '1956; ders. u. A. P. Ooster- 
hof, Orgelbouwkunde, Leiden 1956; J. M. Madurell, 
Documentos para la hist, del org. en Espafla, AM II, 
1947; B. HambrAeus, E. K. RoBler och »Raumlinienstar- 
ke«-teorin, in: Kyrkomusikernas Tidning 1952; E. K. 
Rossler, Klangfunktion u. Registrierung, Kassel 1952; H. 
Danzer u. W. Muller, Zur physikalischen Theorie d. Or- 
gelspiels, Annalen d. Physik XIII, 1953; R. Quoika, Die 
altosterreichischen Org. d. spaten Gotik, d. Renaissance u. 
d. Barock, Kassel 1953; ders., Vom Blockwerk zur Regi- 
sterorg., Kassel 1966; F. Videro, Klangfunktion og re- 
gistrering, in: Organist-Bladet, Kopenhagen 1953; W. Ade- 
lung, Einffihrung in d. Orgelbau, Lpz. 1 955 ; H. Grabner, 
Die Kunst d. Orgelbaues, = M. Hesses Hdb. d. Musik CVI, 
Bin u. Wunsiedel 1958 ; M. A. Vente, Die Brabanter Org., 
Amsterdam 1958; Fr. Bosken, Beitr. zur Orgelgesch. d. 
Mittelrheins bis zum Beginn d. 16. Jh., KmJb XLV, 1961 ; 
C. Clutton u. A. Niland, The British Org., London 
( 1 963) ; J. Perrot, L'org. de ses origines hellenistiques a la 
fin du XIII e s., Paris 1965 ; K. Bormann, Die gotische Org. 
v. Halberstadt, = Veroff. d. Ges. d. Orgelfreunde XXVII, 
Bin (1966); P. Hardouin, De l'orgue de Pepin a l'orgue 
medieval, Rev. de Musicol. XLVII, 1966; W. Lottermo- 
ser u. J. Meyer, Orgelakustik in Einzeldarstellungen, 
= Fachbuchreihe Das Musikinstr. XVI, Ffm. 1966; J. 
Salvini, Les orgues du moyen age a Saint-Hilaire de Poi- 
tiers, in: Melanges offerts a R. Crozet, Poitiers 1966; P. 
Williams, The European Organ 1450-1850, London 1966. 

Orgelbewegung. Die O. hat ihren Ausgang von der 
nach 1900 einsetzenden Besinnung auf die Werte des 
alten Orgelbaus genommen. A. Schweitzer, E. Rupp 
und Fr. X.Matthias tadelten an den deutschen Orgeln 
des spaten 19. Jh. die mangelnde Eignung f iir die Wie- 
dergabe polyphoner Musik und sahen in dem Orgel- 
typ der Familie Silbermann und im Orgelbau Cavaille- 
Colls den Ansatz zu weiterfiihrender Erneuerung. Die 
Verwerfung der »Orchesterorgel« und der »Fabrikor- 
gel« durch die elsassische Orgelreform kennzeichnet die 



Abkehr von der im Orgelbau des 19. Jh. herrschen- 
den orchestralen Klangpragung, deren empfindsame 
Dynamik sich mit dem von Natur aus stationaren 
Klang der Orgel nicht oder nur unter Zuhilfenahme 
einer technischen Apparatur (Hochdruck- und Sausel- 
stimme, Rollschweller, Jalousieschweller, Spielhilfen 
u. a. m.) in Einklang bringen lieB. Das Wirken Regers, 
der der Orgelkomposition zu neuem Ansehen verhalf, 
und Straubes, der die Orgelliteratur der Zeit vor Bach 
in Konzert und Unterricht erschloB, gab den AnlaB zu 
einer zunachst vorwiegend historisch orientierten Be- 
schaftigung mit Bau und Klang der »alten Orgel«. 1921 
wurde in Freiburg im Breisgau von O.Walcker nach 
den Angaben von W. Gurlitt eine Orgel nach einer von 
M. Praetorius 1619 veroffentlichten Disposition gebaut 
(zerstort 1944, Neubau 1954/55). Die Orgeltagungen 
in Hamburg 1925 (gelegentlich der durch H.H.Jahnn 
und E. Kemper restaurierten Orgel A. Schnitgers in St. 
Jakobi, an der Straubes neue Ausgabe Alte Meister des 
Orgehpiels orientiert ist), Freiburg im Breisgau 1926 
(W. Gurlitt) und Freiberg in Sachsen 1927 fiihrten 
Wissenschaftler, Organisten und Orgelbauer zusam- 
men und gaben der O. entscheidende Impulse. Inzwi- 
schen hatte 1925 Chr. Mahrenholz die Marienorgel zu 
Gottingen als erstes an historischen Vorbildern orien- 
tiertes Werk der O. erbauen lassen. Es entwickelten 
sich, nicht ohne gelegentliche Ruckfalle in historisie- 
rendes Kopieren und gegen den Widerstand der der 
spatromantischen Orgeltradition verhafteten Kreise, 
die fiir die O. geltenden Grundziige des Orgelbaus: 
a) die am architektonisch-polyphonen Wesen des sta- 
tionaren Orgelklangs orientierte -»■ Disposition, die die 
konzertierende Gegensatzlichkeit des Werkprinzips 
herausstellt und damit eine giinstige Intensitatsvertei- 
lung des Klanges schafft (Folgen auch fiir den Aufbau 
der Werke, z. B. Riickpositiv) ; b) natiirliche und der 
Funktion des Registers im Gesamtrahmen der Disposi- 
tion entsprechende Klanggebung der verschieden men- 
surierten Pfeifenreihen (Winddruck, Schleifladen, me- 
chanische Traktur, Tonansatz, Intonation u. a.). Dieses 
Teilgebiet der O. ist durch die neuere wissenschaftliche 
Akustik (Thienhaus, Lottermoser, K. Th. Kiihn) ent- 
scheidend gefordert worden. Die 1953 von W. Supper 
u. a. gegriindete Gesellschaft der Orgelfreunde sieht 
sich berufen, das Erbe der O. fortzufiihren. - AnlaBlich 
der Orgeltagung 1967 in Freiburg im Breisgau lehnte 
H. H.Eggebrecht die Giiltigkeit des Begriffs der O. mit 
ihren fixierten Wertsetzungen fiir die heutige Zeit ab 
im Gedanken an die Notwendigkeit einer allseitig offe- 
nen Fragestellung, auch gegeniiber dem Orgelbau des 
19. Jh. und besonders im Blick auf die Klangvorstellun- 
gen heutiger Komponisten. 

Lit. : Ber. fiber d. Freiburger Tagung f . deutsche Orgel- 
kunst 1926, hrsg. v. W. Gurlitt, Augsburg 1926; Ber. 
fiber d. dritte Tagung f. deutsche Orgelkunst in Freiberg 
i. Sa. 1927, hrsg. v. Chr. Mahrenholz, Kassel 1928; Ber. 
fiber d. zweite Freiburger Tagung f. deutsche Orgelkunst 
1938, hrsg. v. J. Muller-Blattau, Kassel 1939. - A. 
Schweitzer, Deutsche u. frz. Orgelbaukunst u. Orgel- 
kunst, Lpz. 1906, 2 1927; W. Gurlitt, Zur gegenwartigen 
Orgelerneuerungsbewegung in Deutschland, MuK 1, 1929, 
Neudruck in : Mg. u. Gegenwart II, = BzAf Mw II, Wies- 
baden 1966; ders., K. Straube als Vorlaufer d. neueren O., 
Fs. K. Straube, Lpz. 1943, Neudruck ebenda; H. Birtner, 
Die Probleme d. O., Theologische Rundschau, N. F. IV, 
1932; Chr. Mahrenholz, 15 Jahre O., MuK X, 1938, 
auch in: Musicologica et Liturgica, Kassel (1960) ; E. K. 
Rossler, Orgelfragen heute, MuK XVII, 1947 - XVIII, 
1948 ; H. Schulze, Eine neue Aufgabe f . d. Orgelbau unse- 
rer Zeit, Bin 1947; O. Walcker, Erinnerungen eines Or- 
gelbauers, Kassel (1948); O. u. Historismus, hrsg. v. W. 
Supper, = Veroff. d. Ges. d. Orgelfreunde XIV, Bin 1958 ; 
Kl. M. Fruth, Die deutsche O. u. ihre Einflusse auf d. heu- 



687 



Orgelchoral 



tige Orgelklangwelt, Ludwigsburg (1964); H. H. Egge- 
brecht, Die 0., (Druck in Vorbereitung). 

Orgelchoral -+ Choralbearbeitung (- 2). 

Orgelklavier, Orgelklavizimbel (lat. claviorganum; 
ital. und span, claviorgano; frz. clavecin organise; engl. 
organo piano), eine Kombination aus einem Saiten- 
und einem Pfeifenwerk, nachweisbar bereits im 15., be- 
liebt im 16. Jh. In der 2. Halfte des 18. Jh. traten solche 
Bastard instrumente wieder starker hervor. Bekannt 
war die Melodica des Augsburger Klavier- und Orgel- 
machers J. A. Stein (1728-92), die ein Hammerklavier 
mit einem Flotenwerk verkoppelte. Nach Steins Be- 
schreibung dieses als »Verbesserung« der Orgel gedach- 
ten »Affecten-Instrumentes« wurde mit der rechten 
Hand die »riihrende« Melodie auf dem Flotenwerk, mit 
der linken die Begleitung auf dem Pianoforte gespielt. 
Lit. : J. A. Stein, Beschreibung meiner Melodica, eines neu- 
erfundenen Clavierinstr., Augsburg 1772; J. Schlosser, 
Die SIg alter Musikinstr., = Kunsthist. Museum in Wien, 
Publikationen aus d. Slgen f. Plastik u. Kunstgewerbe III, 
Wien 1920, S. 73ff.; R.-A. Mooser, L'orch.-instr. d'A. 
Mooser, in: Dissonances VII, 1934; E. Hertz, J. A. Stein 
(1728-92). Ein Beitr. zur Gesch. d. Klavierbaues, Wolfen- 
biittel u. Bin 1937; E. Winternitz, Alcune rappresenta- 
zioni di antiche strumenti ital. a tastiera, CHM II, 1956. 

Orgelmesse, Zusammenstellung von Orgelversetten 
zur alternatim-Ausfiihrung der Ordinariumsstucke der 
Messe (meist ohne Credo, in manchen Fallen mit Of- 
fertorium). Die Praxis des alternierenden Orgelspiels in 
der Messe ist seit dem spaten 14. Jh. bezeugt. Die Uber- 
lieferung von Kompositionen setzt am Anfang des 15. 
Jh. ein (-> Quellen: Fa) ; seitdem bildet die O . einen wich- 
tigen Zweig in der Geschichte der -^- Choralbearbei- 
tung (- 2). Neben den vorherrschenden choralgebun- 
denen O.n finden sich auch solche (namentlich in den 
franzosischen Orgelbiichern des 17. Jh.), die ganz oder 
in einzelnen Satzen die C. f.-Bindung aufgeben. In der 
Orgelmusik fiir den evangelisch-lutherischen Gottes- 
dienst begegnen MeBsatze nur vereinzelt (z. B. im III. 
Teil von Scheidts Tabulatura nova) ; doch kniipf en an 
die Tradition der O. zahlreiche Satze iiber Ordina- 
riumslieder an, zu denen auchJ.S.Bachs (freilich nicht 
mehr fiir den alternatim-Gebrauch bestimmte) Bear- 
beitungen von Kyrie-, Gloria- und Credolied in der 
Clavier-Ubung, III. Teil, zahlen. - A. Schering verwen- 
dete den Terminus 0. 1912 auch fiir die von ihm ange- 
nommene Praxis der Josquin-Zeit, wonach in C. f.- 
Messen im wesentlichen nur der Tenor vokal, die iibri- 
gen Stimmen auf der Orgel auszufiihren waren. Doch 
konnte sich diese Hypothese, die die Rolle des Tenors 
als Nachfolger des ebenfalls instrumentalen Motettentenor 
des 13. und 14. Jh. (P.Wagner, S. 85) nicht berucksich- 
tigte und eine zu scharfe Grenze zwischen vokal und 
instrumental zog, nicht durchsetzen. 
Lit.: G. Rietschel, Die Aufgabe d. Org. im ev. Gottes- 
dienste bis in d. 18. Jh., Lpz. 1893; A. Schering, Die nld. 
O. im Zeitalter d. Josquin, Lpz. 1912; ders., Auffuhrungs- 
praxis alter Musik, = Musikpadagogische Bibl. X, Lpz. 
1931; ders., Zur Alternatim-O., ZfMw XVII, 1935; P. 
Wagner, Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach 
Gattungen XI, 1, Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963; 
L. Schrade, Die Messe in d. Orgelmusik d. 1 5. Jh., Af Mf I, 
1936; ders.. The Organ in the Mass of the 15 ,b Cent., MQ 
XXVIII, 1942. 

Orgelmusik. Das Spielen auf den verschiedenen Ta- 
steninstrumenten und die dafiir bestimmten Komposi- 
tionen bildeten bis ins 18. Jh. als Clavierkunst (Adlung 
1758) eine Einheit, deren Aufgliederung nach den ein- 
zelnen Instrumententypen vielfach problematisch ist. 
Deshalb kann das Gesamtrepertoire der fiir Saitenkla- 
viere und Orgel bestimmten Musik bis zu dieser Zeit 
als -> Klaviermusik im weiteren Sinne zusammenge- 



faBt werden. - Bis zum spaten 16. Jh. la'Bt sich eine 
Spezialisierung fur Pfeifen- oder Saitenklavier in der 
Kompositionsart nirgends nachweisen. Hauptsachlich 
fiir Orgel bestimmt ist in dieser Zeit wohl die Gattung 
der ->■ Choralbearbeitung (- 2) auf Grund ihrer liturgi- 
schen Bindung ; auch in Angaben iiber den Gebrauch 
des -> Pedals (- 1), z. B. bei Ileborgh 1448, im Buxhei- 
mer Orgelbuch und bei Schlick 1520, liegt ein Hinweis 
auf vorwiegende Orgelausfiihrung, da -»• Pedalklaviere 
weitaus seltener als Orgeln mit Pedal gebaut wurden. 
Erst ab etwa 1600 begann - als ein Teil der in der Ba- 
rockzeit allgemein sich herausbildenden Idiomatik der 
Instrumente - die Entwicklung von Satztechniken, die 
eng mit der klanglich-spieltechnischen Eigenart eines 
bestimmten Tasteninstrumenttypus verbunden sind. 
Um diese Zeit kommt auch in Werktiteln die Zuwei- 
sung an ein bestimmtes Instrument allmahlich haufiger 
zum Ausdruck, so z. B. in Intavolatura di cimbalo (Va- 
lente 1576), Parthenia ...for the Virginalls (1611), Toc- 
cate e partite d' intavolatura di cimbalo (Frescobaldi 1615), 
Partitura per sonare nella spinetta (Cazzati 1662), Pieces de 
clavessin (Chambonnieres 1670, Lebegue 1677, d'Angle- 
bert 1689, J. K.F.Fischer 1696), Intonationi d' organo (A. 
und G.Gabrieli 1593), . . . pour toucher sur I'orgue (Ti- 
telouze 1623, 1626), Livre d'orgue (Nivers 1665-76, Le- 
begue 1676-85 usw.), wenngleich daneben noch lange 
Zeit Formulierungen wie Ricercari per ogni sorte di stro- 
menti da tasti (A. Gabrieli 1595), Toccate e partite d'intavo- 
latura di cimbalo et organo (Frescobaldi 1637) und Hexa- 
chordum Apollinis . . . Organo pneumatico, vel clavato 
cymbalo (J.Pachelbel 1699) begegnen. Eine eindeutige 
Bindung der Kompositionstechnik an die Orgel zeigt 
sich zunachst seit dem friihen 17. Jh. in Norddeutsch- 
land, wo die Sweelinck-Schiiler J. Praetorius, M. Schildt 
und H. Scheidemann die in mehrere Klangebenen auf- 
gespaltene Ausfiihrung von C. f.-Satzen die (Scheidt 
1624 als ad libitum-Praxis lehrt) zum notwendigen Be- 
standteil der Satzart des monodisch-kolorierten Orgel- 
chorals und der Form der Choralfantasie erhoben. Ne- 
ben diese Choralbearbeitungstypen traten in Nord- 
deutschland in der 2. Jahrhunderthalf te als orgeleigene 
Formen die groBen, vielteiligen Praeludien und Tocca- 
ten von Buxtehude, Bohm u. a. ; sie erhalten - formal 
an Vorbildern der italienisch-siiddeutschen Klaviermu- 
sik orientiert - ihr klangliches Geprage von der Virtuo- 
sitat mit Gravitat vereinenden Fiihrung der Pedalstim- 
me (entsprechend der reichen Pedaldisposition der 
norddeutschen Orgel dieser Zeit). In Mitteldeutsch- 
land blieben bis zum Ende des 17. Jh., in Siiddeutsch- 
land noch linger, auch diejenigen Tastenmusiksamm- 
lungen, die auf Grund ihrer liturgischen Bestimmung 
primar als O. gelten konnen, ihrer Kompositionsart 
nach weitgehend auch der Ausfiihrung auf dem Saiten- 
klavier zuganglich, so z. B. J.E. Kindermanns Harmonia 
organica (1645),J.K.Kerlls Modulatio organica (1686), Fr. 
X. Murschhausers Octo-Tonium (1696) und Prototypon 
(1703-07), J.Pachelbels Magnificatfugen (handschrift- 
lich), J. K.F.Fischers Ariadne musica (1702) und Musica- 
lischer Blumen-Strauft (nach 1732) und Gottlieb Muffats 
12 Versetlsamt 12 Toccaten (1726). Obligates Pedalspiel 
wurde nur selten gefordert, hauptsachlich in den Kom- 
positionstypen der Orgelpunkttoccata (J.K.Kerll, A. 
Scherer, J.Pachelbel, Fr.X.Murschhauser) und des Or- 
gelchorals mit planem C. f. im BaB (J.Pachelbel). In 
England wurde als orgeleigener Typus im 17. Jh. von 
J.Lugge, Chr. Gibbons, J. Blow, H.Purcell u. a. das 
Voluntary for double organ gepflegt, dessen Entwick- 
lung parallel mit der Verbreitung der 2manualigen Or- 
gel in England verlief . In Frankreich erschien zuerst in 
den Sammlungen liturgischer O. von G. Nivers (1666- 
75), N.Lebegue (1676-85), N.Gigault (1682-85), Fr. 



688 



Couperin (1690), N. de Grigny (1699) u. a. ein Reper- 
toire, das durch detaillierte Werk- und Registeranga- 
ben, denen jeweils bestimmte Satztypen entsprechen, 
eindeutig auf die Orgel bezogen ist, speziell auf den 
mehrmanualigen und an Solostimmen reichen franzo- 
sischen Orgeltypus dieser Zeit. Die mit diesen Verof- 
fentlichungen eingeleitete Bliitezeit von Orgelspiel und 
-komposition in Frankreich dauerte das ganze 18. Jh. 
hindurch fort und brachte eine Fulle von (groBenteils 
liturgisch gebundener) O. hervor, in der verstarkt die 
schon im 17. Jh. vorhandene Neigung zu lied- und 
tanzmaBiger Schreibweise sowie die Obertragung des 
Galanten Stils auf die Orgel zu beobachten sind; unter 
denKomponisten sindL. Marchand, L. N. Clerambault, 
P. du Mage, J. Fr. Dandrieu, M. Corrette, J. J. undJ.-M. 
Beauvarlet-Charpentier hervorzuheben. Die Orgel- 
werke der italienischen Komponisten des 17. und 18. 
Jh. (unter den Meistem nach Frescobaldi seien genannt: 
M.Rossi, G.B.Fasolo, B.Pasquini, A.Scarlatti, A.B. 
Delia Ciaja, D. Zipoli, G. B. Martini und F. Feroci) blei- 
ben fast durchweg auch der Ausf tihrung auf dem Cem- 
balo zuganglich. Siekniipfen zunachst an die alteren ita- 
lienischen Typen Ricercar, Canzona, Capriccio, Tocca- 
ta und an die liturgische Versettenkomposition an, spa- 
ter wird dazu die mehrsatzige Sonate gepflegt. 
Unter den pedaliter auszuftihrenden Tasteninstrument- 
werken J. S. Bachs sind die 6 Triosonaten und die Passa- 
caglia in ihrer Bestimmung fur Orgel oder Pedalcem- 
balo nicht festgelegt. Folgt man den Hinweisen, die 
sich aus originalen Titeln (Orgel-Buchlein; Dritter Theil 
der Clavier-Ubung . . . vor die Orgel; . . . pro Organo pie- 
no; Praeludium pro organo cumpedale obligate usw.), gele- 
gentlichen Registerangaben (BWV 596, 600, 720) so- 
wie der Beriicksichtigung der Klaviaturumfange der 
jeweils zur Verfiigung stehenden Orgel ergeben, so 
sind als fur die Orgel bestimmt hauptsachlich die pe- 
daliter-Choralbearbeitungen und die groBen Praeludien 
(Fantasien, Toccaten) und Fugen mit obligatem Pedal 
anzusehen. In der Behandlung des Instruments kniipf t 
Bach vor allem an die norddeutsche O. an, in Form 
und Satztechnik auBerdem an mittel- und siiddeutsche, 
italienische und franzosische Vorbilder. Strenge Stim- 
migkeit und Gravitat des Satzes lieBen Bachs O. spate- 
ren Zeiten als der Natur des Instruments und seiner [kirch- 
lichen] Bestimmung angemessen, als Ausdruck der Andacht, 
Feyerlichkeit und Wiirde (Forkel, Kap. IV) erscheinen. 
Jedoch verdankt sie andererseits Formenreichtum und 
Ausdruckskraft in hohem MaBe der Offenheit gegen- 
iiber dem »weltlichen« Bereich der Tastenmusik und 
dariiber hinaus der vielf altigen Verbindung mit ande- 
ren Formen der Instrumental- und Vokalmusik ; so zei- 
gen sichEinfliisse aus der Liedvariation (Choralbearbei- 
tungstypus des Orgel-Biichleins), aus Tanztypen (z. B. Al- 
lemande: BWV 658, vgl. BWV 813; Sarabande: BWV 
654, Praeludium BWV 548), der franzosischen Ouver- 
ture (BWV 552), derKonzertform (mehrere der groBen 
Praeludien und Fugen), der Triosonate (BWV 655, 664, 
676) und der Da-Capo- Arie (BWV 537). 
Der Stilwandel um die Mitte des 18. Jh. und die Ver- 
drangung von Cembalo und Clavichord durch das 
Hammerklavier hatten die fast ganzliche Trennung von 
Klavier- und Orgelmusik zur Folge. Wahrend das 
Hammerklavier, vor allem dank seiner Fahigkeit zu 
dynamischer Schattierung, in der Musik der Klassik 
und Romantik eine wichtige Rolle spielte, sank die O. 
f iir lange Zeit zu qualitativer und musikgeschichtlicher 
Bedeutungslosigkeit herab. Erst seit den 1830er Jahren, 
zugleich mit dem neuerwachten Interesse an alterer O., 
die in Ausgaben von K.F.Becker, A.G.Ritter, G.W. 
Korner und Fr. C. Griepenkerl (»Kritisch-korrekte Ge- 
samtausgabe« von Bachs Orgelwerken ab 1844) zu- 



Orgelmusik 

ganglich gemacht wurde, wandten sich wieder bedeu- 
tende Komponisten, wenn auch nur mit vereinzelten 
Beitragen, der O. zu. In den Orgelwerken von Men- 
delssohn Bartholdy, R. Schumann und Brahms ist vor 
allem derEinfluB Bachs wirksam, wahrend in Liszts O. 
das virtuose Element im Vordergrund steht. Frank- 
reichs gewichtigster Beitrag zur O. im 19. Jh. sind die 
ab 1858 entstandenen Orgelwerke von C.Franck (am 
bedeutendsten die 1890 geschriebenen Trois chorales pour 
grand orgue). In der Einwirkung, die das brgelmaBige 
Denken auf den Stil der fur andere Besetzung geschrie- 
benen Werke hat, ist Franck mit A.Bruckner zu ver- 
gleichen, der ein glanzender Orgelspieler und -impro- 
visator war, aber (abgesehen von einigen Jugendwer- 
ken) keine Orgelkompositionen schrieb. In Deutsch- 
land nimmt erst im Schaffen Regers die O. wieder ei- 
nen zentralen Platz ein. Von der Polyphonie Bachs und 
der Harmonik Wagners, aber auch von dem virtuosen 
Klavierstil Liszts gingen Einfliisse auf seine Orgelwerke 
aus, unter denen die 7 zyklischen Phantasien iiber pro- 
testantische Kirchenlieder, 2 Sonaten, die Fantasien und 
Fugenop.46(iiberBACH),op.57undop.l35bsowiedie 
Variationen und Fuge op. 73 hervorragen. In der deut- 
schen O. nach 1920 (J. N. David, E. Pepping, J. Ahrens, 
H. Schroeder, S. Reda, H. Bornefeld u. a.) ist im Gefolge 
der -»- Orgelbewegung und im Zusammenhang mit 
dem Streben nach erneuter Bindung an die Liturgie die 
Tendenz zur Ankniipfung an Formen und Satztech- 
niken der O. vor Bach, verbunden mit zuriickhalten- 
dem Gebrauch von Kompositionsmitteln der Moderne, 
zu beobachten. Unter den einzelnen Beitragen zur O. 
von deutschen Komponisten, die der Orgelbewegung 
fernstehen, seien die drei Sonaten von P.Hindemith 
(1937-40) und A. Schonbergs Variationen iiber ein Rezi- 
tativ op. 40 (1941) hervorgehoben. Seit den 1950er Jah- 
ren gewinnen Zwolftontechnik und serielle Kompo- 
sitionsweise an EinfluB (David, Ahrens u. a.). AuBer- 
halb Deutschlands entstand im 20. Jh. vor allem in 
Frankreich in Fortsetzung der Tradition des spaten 19. 
Jh. (A. Guilmant, Ch.-M. Widor) eine bedeutende Li- 
teratur fur Orgel. Als Komponisten sind Ch.Tour- 
nemire, L. Vierne, M. Dupre, J. Alain und vor allem O . 
Messiaen zu nennen, in dessen mystisch-programmati- 
schen Stiicken die virtuos-farbenprachtige Instrument- 
behandlung der franzosischen Tradition mit einer ganz 
personlich gepragten konstruktiven Kompositionstech- 
nik verbunden ist. - Die Zukunft der O. wird sich heu- 
te wohl weniger aus Ruckbesinnungen auf Orgelbau 
und Orgelspiel des Barocks und des 19. Jh. entscheiden, 
als vielmehr aus der Neubesinnung auf die MSglichkei- 
ten, die die Orgel - ihren (in der Geschichte entfalteten) 
Prinzipien nach - der neuen Musik fur Kirche und 
Konzert anzubieten vermag, sowie aus dem Formulie- 
ren und Erf ullen der Forderungen, die heutige Kompo- 
nisten in Verantwortung gegeniiber Kirchenmusik und 
Konzertwesen an den Orgelbau zu stellen haben. 
Ausg.: — > Choralbearbeitung (- 2), — » Klaviermusik. - 
Arch, des maitres de l'orgue des XVI e , XVII e et XVIII C s., 
10 Bde, hrsg. v. A. Guilmant (mit A. Pirro), Paris u. Mainz 
(1898-1914); Composizioni per organo o cemb., s. XVI, 
XVII e XVIII, =Torchi III; Alte Meister. Eine Slg deut- 
scher Orgelkompositionen aus d. XVII. u. XVIII. Jh., f. d. 
praktischen Gebrauch bearb. v. K. Straube, Lpz. 1904; 
Alte Meister d. Orgelspiels, N. F. I— II, hrsg. v. dems., Lpz. 
1929 ; Ant. di organistas ctesicos espafloles (s. XVI, XVII y 
XVIII), hrsg. v. F. Pedrell, 2 Bde, Madrid 1905-08; Alte 
Meister aus d. Friihzeit d. Orgelspiels, hrsg. v. A. Sche- 
ring, Lpz. 1913; Organum IV, 1-22; Deux livres d 'orgue 
parus chez P. Attaingnant, hrsg. v. Y. Rokseth, = Publi- 
cations de la Soc. frc. de musicologie 1, 1, Paris 1925 ; Treize 
motets et un prelude pour orgue parus chez P. Attaingnant 
en 1531, hrsg. v. ders., ebenda I, 5, 1930; Ausgew. Orgel- 
stucked. 17. Jh.,hrsg. v. K. Matthaei, = Notenbeilage zu : 



44 



689 



Orgelmusik 



Ber. iiber d. Freiburger Tagungf . deutsche Orgelkunst 1 926, 
hrsg. v. W. Gurlitt, Augsburg 1926; Orgelmeister d. 17. u. 
1 8. Jh., hrsg. v. dems., Kassel 1933; Lesgrandsorganistesfrc. 
des XVII e et XVIII* s., hrsg. v. G. Jacob, 3 Bde, Paris (1928) ; 
Fruhmeister deutscher Orgelkunst, = Veroff. d. Staatl. 
Akad. f. Kirchen- u. Schulmusik Bin I, hrsg. v. H. J. Moser 
(mit Fr. Heitmann), Lpz. 1930; Liber Organi, 9 Bde, Mainz 
(1931-54) ; Oudnederlandse meesters voor het orgel, 3 Bde, 
hrsg. v. Fl. Peeters, Paris u. Briissel 1938-48; Early Engl. 
Organ Music (1 6 th Cent.) I, hrsg. v. M. Glyn, London 1 939 ; 
The MullinerBook, hrsg. v.D.Stevens, = Mus. Brit. I, Lon- 
don 1951, 21959; Altengl. O., hrsg. v. dems., Kassel 1953; 
Choralbearb. u. f reie Orgelstiicke d. deutschen Sweelinck- 
Schule, hrsg. v. H. J. Moser u. Tr. Fedtke, 2 Bde, Kassel 
1954-55; Das Buxheimer Orgelbuch, Faks. hrsg. v. B. A. 
Wallner, = DM1 II, 1, 1955, dass., hrsg. v. ders., = EDM 
XXXVII-XXXIX, Kassel 1958-59; L'orgue parisien sous 
le regne de Louis XIV, 25 pieces, hrsg. v. N. Dufourcq, 
Kopenhagen 1957; Die Liineburger Orgeltabulatur KN 
2081, hrsg. v. M. Reimann, =EDM XXXVI, Ffm. 1957; 
Die Org., Reihe I : Werke d. 20. Jh., Reihe II : Werke alter 
Meister, Lippstadt 1957ff.; Cantantibus Organis. Slg v. 
Orgelstucken alter Meister, hrsg. v. E. Kraus, Regensburg 
(1958ff.). 

Lit.: — » Choralbearbeitung (- 2), — > Klaviermusik. - A. 
Schlick, Spiegel d. Orgelmacher u. Organisten, Speyer 
1511, NA in: MfM I, 1869, dass. in modernes Deutsch 
iibertragen v. E. Flade, Mainz 1932 u. Kassel 1951, dass. 
Faks. u. Obertragung hrsg. v. P. Smets, Mainz 1959; G. Di- 
ruta, II Transilvano, Venedig 1593, 41625; C. Antegnati, 
L'arte organica, Brescia 1608, Neudruck mit deutscher 
Obers. v. P. Smets, hrsg. v. R. Lunelli, Mainz 1938; Joh. 
Kortkamp, Sogenannte Organistenchronik (Ms. im Staats- 
arch. Hbg), hrsg. v. L. Kriiger in: Zs. d. Ver. f. Hamburgi- 
sche Gesch. XXXIII, 1933; J. Adlung, Anleitung zu d. 
mus. Gelahrtheit, Erfurt 1758, Faks. d. 1. Auflage hrsg. v. 
H. J. Moser, = DM1 1, 4, 1953 ; D. G. Turk, Von d. wich- 
tigsten Pflichten eines Organisten, Halle 1787, Faks. hrsg. 
v. B. Billeter, Hilversum 1966; J. N. Forkel, Ueber J. S. 
Bachs Leben . . ., Lpz." 1802, hrsg. v. J. Muller-Blattau, 
Augsburg 1925, KasseH1950; A. G. Ritter, Zur Gesch. d. 
Orgelspiels, vornehmlich d. deutschen, im 14. bis zum An- 
fange d. 18. Jh., 2 Bde, Lpz. 1884; M. Seiffert, J. P. Swee- 
linck . . ., VfMw VII, 1891 ; ders., Das Mylauer Tabula- 
turbuch, Af Mw 1, 1 918/19 ; ders., Das Plauener Orgelbuch 
v. 1708, AfMw II, 1919/20; G. Rietschel, Die Aufgabe 
d. Org. im Gottesdienste bis in d. 18. Jh., Lpz. 1893; O. 
Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., Lpz. 1910; A. 
Schering, Studien zur Mg. d. Fruhrenaissance, = Studien 
zur Mg. II, Lpz. 1914; ders., Zur Frage d. Orgelmitwir- 
kung in d. Kirchenmusik d. 16. Jh., in: Ber. iiber d. Freibur- 
ger Tagung f . deutsche Orgelkunst 1 926, hrsg. v. W. Gurlitt, 
Augsburg 1926; H. Schnoor, Das Buxheimer Orgelbuch, 
Diss. Lpz. 1919, maschr.,Teildruckin: ZfMwIV, 1921/22; 
W. Gurlitt, Die Wandlungen d. Klangideals d. Org. im 
Lichte d. Mg., in: Ber. iiber d. Freiburger Tagung f. deut- 
sche Orgelkunst, Augsburg 1926, Neudruck in : Mg. u. Ge- 
genwart II, = BzAfMw II, Wiesbaden 1966; H. Keller, 
Die deutsche O. nach Reger, in: Ber. iiber d. Freiburger 
Tagung f. deutsche Orgelkunst, hrsg. v. W. Gurlitt, Augs- 
burg 1926; A. Pirro, L'art des organistes, in: A. Lavignac 
u. L. de la Laurencie, Encyclopedic de la musique et 
dictionnaire du Conservatoire II, 2, Paris 1926; Fr. Blu- 
me, Die Orgelbegleitung in d. Musik d. 17. Jh., in : Ber. iiber 
d. dritte Tagung f. deutsche Orgelkunst in Freiberg i. Sa. 
1927; H. J. Moser, tjber deutsche Orgelkunst 1450-1500, 
ebenda; K. G. Fellerer, Org. u. O., ihre Gesch., Augsburg 
1929; ders., Zur Gesch. d. O. nach Bach, KmJb XXVII, 
1932; ders., Studien zur O. d. ausgehenden 18. u.friihen 19. 
Jh., = Miinsterische Beitr. zur Mw. Ill, Kassel 1932 ; ders., 
Zur ital. O. d. 17./18. Jh., JbP XLV, 1938; Y. Rokseth, La 
musique d'orgue au XV e s. et au debut du XVI e , Paris 1930; 
G. Kittler, Gesch. d. protestantischen Orgelchorals . . . , 
Uckermiinde 1931; Fr. Dietrich, Gesch. d. deutschen 
Orgelchorals im 17. Jh., = Heidelberger Studien zur Mw.I, 
Kassel 1932; H. Kelletat, Zur Gesch. d. deutschen O. 
in d. Friihklassik, = Konigsberger Studien zur Mw. XVI, 
Kassel 1933; H. Klotz, Uber d. Orgelkunst d. Gotik, d. 
Renaissance u. d. Barock, Kassel 1934; G. Frotscher, 
Gesch. d. Orgelspiels u. d. Orgelkomposition, 2 Bde, Bin 
1935-36, 21959, Nachdruck Bin 1966; R. Sietz, Die Or- 



gelkompositionen d. Schiilerkreises um J. S. Bach, Bach- 
Jb. XXXII, 1935 ; O. Voss, Die sachsische O. in d. 2. Half- 
te d. 17. Jh., Diss. Bin 1936; H.-J. Wagner, Die O. in 
Thuringen in d. Zeit zwischen 1 830 u. 1 860, Diss. Bin 1 937 ; 
E. E. Lowinsky, Engl. Organ Music of the Renaissance, 
MQ XXXIX, 1939; N. Dufourcq, La musique d'orgue 
f re. de J. Titelouze a J. Alain, Paris 1 94 1 , 2 1 949 ; ders. , Mu- 
sica organistica ed arte organica a Parigi verso il 1600-75, 
L'organo I, 1960; Kn. Jeppesen, Die ital. O. am Anfang d. 
Cinquecento, 2 Bde, Kopenhagen 1943, 21960; S. Jeans, 
Gesch. u. Entwicklung d. Voluntary for Double Organ in 
d. engl. O. d. 17. Jh., Kgr.-Ber. Hbg 1956; W. Stockmeier, 
Die deutsche Orgelsonate d. Gegenwart, Diss. Koln 1958; 
E. Bruggaier, Studien zur Gesch. d. Orgelpedalspiels in 
Deutschland bis zur Zeit J. S. Bachs, Diss. Ffm. 1959; Fr. 
W. Riedel, Quellenkundliche Beitr. zur Gesch. d. Musik 
f. Tasteninstr. in d. 2. Halfte d. 17. Jh. (vornehmlich in 
Deutschland), = Schriften d. Landesinst. f. Musikfor- 
schung Kiel X, Kassel 1960; ders., Strenger u. freier Stil in 
d. nord- u. siiddeutschen Musik f . Tasteninstr. d. 17. Jh., 
in: Norddeutsche u. nordeuropaische Musik, =Kieler 
Schriften zur Mw. XVI, Kassel 1965 ; L. Schierning, Die 
Uberlieferung d. deutschen Org.- u. Klaviermusik aus d. 1 . 
Halfte d. 17. Jh., ebenda XII, 1961 ; O. Mischiati, L'inta- 
volatura d'organo tedesca della Bibl. Nazionale di Torino, 
Cat. ragionato, L'Organo IV, 1963; P. Schnebel, Ber. v. 
neuer O., Fs. W. Gerstenberg, Wolfenbuttel u. Zurich 
(1964); H. R. Zobeley, Die Musik d. Buxheimer Orgelbu- 
ches, = .Munchner Verbff. zur Mg. X, Tutzing 1964; W. 
Breig, Uber d. Verhaltnis v. Komposition u. Ausfuhrung 
in d. norddeutschen Org.-Choralbearb. d. 1 7. Jh., in : Nord- 
deutsche u. nordeuropaische Musik, = Kieler Schriften zur 
Mw. XVI, Kassel 1965; W. Apel, Die Celler Orgeltabula- 
tur v. 1601, Mf XIX, 1966. WBr 

Orgelpunkt (frz. pedale inferieure; ital. pedale d'ar- 
monia; engl. pedal point) ist ein lang ausgehaltener 
Ton in der BaBstimme, zu dem die anderen Stimmen 
zwischen den tonartlich festgelegten Anfangs- und 
Endpunkten zeitweilig durch Ausweichen in entfernte- 
re Tonarten ein Spannungsverhaltnis schaffen konnen. 
Seine Aufgabe reicht vom harmonisch problemlosen 
tonalen Fundieren (-> Bordun; auch z. B. in Pastoral- 
satzen) bis zum geradezu gewaltsamen Aufrechterhal- 
ten der Tonart einer Komposition gegeniiber harmo- 
nisch weiterdrangenden Oberstimmen (J. S. Bach, Ein- 
leitungschor der Matthauspassion), wobei der O. Bil- 
dungen der -> Polytonalitat vorausnimmt. Als Mittel 
des harmonischen Auffangens, Hinhaltens, aber auch 
Steigerns begegnet der O. haufig vor einer entscheiden- 
den Wende (z. B. als Zusammenfassung und tonale 
Festigung auf der Dominante vor der Reprise) oder am 
SchluB einer Komposition. An die Stelle des ausgehal- 
tenen Einzeltones kann auch (besonders seit der spatro- 
mantischen Musik) ein liegender Akkord treten. Mit- 
unter ebenfalls als O. bezeichnet werden liegende Tone 
in einer Mittelstimme (frz. pedale interieure bzw. me- 
diaire; ital. pedale; engl. internal pedal) oder in der 
Oberstimme (frz. pedale superieure; ital. pedale; engl. 
inverted pedal). DieWirkung des liegenden Tones kann 
in alien Stimmen auch durch eine Folge regelmaBig 
wiederkehrender gleicher Tone oder Figuren erzielt 
werden, z. B. durch Albertische Basse oder Ostinati. - 
Den Terminus organicus punctus verwendet bereits 
Franco von Koln (ed. Cserba, S. 255) : Notandum, quod 
. . . inspicienda est aequipollentia . . . usque ad paenulti- 
mam, ubi non attenditur talis mensura, sed magis est organi- 
cus ibi punctus. Er bezeichnet damit einen melismati- 
schen, rhythmisch freieren Abschnitt iiber dem unmen- 
suriert gedehnten vorletzten Cantuston des Discantus- 
satzes {punctus hier im Sinne von punctus sive clausula, 
Abschnitt im ->• Organum, oder punctus sive notula in 
der Bedeutung unmensurierte Tenomote; -> Punc- 
tus - 1) . O. im neuzeitlichen Sprachgebrauch diirf te eine 
Obertragung jenes alteren Terminus sein, die einen di- 
rekten Flinweis auf die besondere Eignung der Orgel 



690 



Orgeltabulatur 



(PedalbaB; »0.-Toccata«) zu seiner Ausfiihrung ein- 
schlieBt. - Der franzosische Terminus point d'orgue ist 
fast nur in deutschen Texten (J.Mattheson, C.Ph.E. 
Bach) in der Bedeutung des O.s (als modische tJber- 
tragung) anzutreffen; im Franzosischen bezeichnet er 
einerseits die solistische, meist improvisierte Kadenz 
(J.-J. Rousseau 1768), andererseits (und vorwiegend) die 
-*■ Fermate. Die friihesten greifbaren Belege fur den 
letzteren Sprachgebrauch finden sich bei Tinctoris: 
punctus morae generalis (^) werde uulgariter functus or- 
gani genannt (CS IV, 75b f. und 187a). Allerdings ist 
gerade bei Tinctoris ein sachlicher Zusammenhang 
zwischen Organumhalteton und Fermate nur schwer 
zu erkennen. Wahrend namlich die spatere franzosische 
Musiklehre sich bei point d'orgue ausdriicklich auch 
auf das Aushalten einer einzelnen Note gegeniiber sich 
weiterbewegenden Stimmen bezieht und somit zu- 
gleich die Wirkung des O.s anspricht (z. B. BrossardD, 
Artikel Punto : . . . ilfaut continuer le Son de la Notte, sur 
laquelle, il [le point d'orgue] estjusqu'a ce que les autres 
Parties soient venues a leur conclusion), hat punctus organi 
bei Tinctoris ausschlieBlich die Bedeutung des gleich- 
zeitigen Verweilens aller Stimmen. FrR 

Orgeltabulatur, Klaviertabulatur, Bezeichnung 
fiir verschiedene Formen der Notierung von Musik 
fur Tasteninstrumente. Die Arten der O. werden be- 
nannt nach dem Land ihrer Herkunf t oder ihrer haupt- 
sachlichen Verbreitung. - In der deutschen O. werden 
die Tonstufen durch Buchstaben bezeichnet, die Ok- 
tavlage durch GroB- und Kleinschreibung sowie durch 
Oberstreichung. Die rhythmischen Werte werden 
durch Mensuralnoten oder von ihnen abgeleitete Zei- 
chen iiber jeder der partiturartig untereinandergesetz- 
ten Stimmen angegeben. Die »altere« deutsche O. gibt 
die Oberstimme auf einem Liniensystem in Noten- 
schrift wieder: 



Fundamentbuch von H.Buchner (Basel, Univ.-Bibl., 
Ms. F I 8a, und Zurich, Zentralbibl., Ms. S 284, in den 
vorliegenden Fassungen nach 1524); die Tabulatur- 
biicher vonH.Kotter (Basel, Univ.-Bibl, Ms. F DC 22; 




Buxheimer Orgelbuch, f. 22' (Cristus surrexit). 
Dagegen werden in der »neueren« deutschen O. alle 
Stimmen in Buchstaben notiert (siehe folgendes Bei- 
spiel). Die wichtigsten in der alteren deutschen O. no- 
tierten Quellen sind: der Robertsbridge Codex (London, 
Brit. Mus., Add. 28550, f. 42-44', 1. Halfte des 14. Jh.; 
Ausg. : Keyboard Music of the Fourteenth and Fifteenth 
Centuries, hrsg. von W. Apel, = Corpus of Early Key- 
board Music I, Rom 1963); die Tabulator von A.Ile- 
borgh (Philadelphia, Curtis Institute of Music, 1448; 
Ausg.: s. o. Robertsbridge Codex); das Fundamentum or- 
ganisandi von C. Paumann (-*■ Fundamentbuch; Ausg.: 
s. o. Robertsbridge Codex) ; das Buxheimer Orgelbuch 
(->■ Quellen: Bux); A.Schlicks Tabulaturen etlicherLob- 
gesang, Mainz 1512 (friihester Tabulaturdruck) ; das 




Turin, Bibl. Naz., Ms. Giordano 5, f. 28 (H.L. 
HaBler, Magnificat II. toni, Versus secundus). 
begonnen 1513), L. Kleber (Berlin, Deutsche Staatsbibl., 
Mus. ms. 40026; 1524), Fr.Sicher (St.Gallen, Stifts- 
bibl., Cod. 530; 1503-31) und Jan von Lublin (Krakau, 
Akad. der Wiss., Ms. 1716; 1537-48). Unter den in der 
neueren deutschen O. notierten Quellen sind hervorzu- 
heben die Tabulaturdrucke von N.Ammerbach (seit 
1571), B.Schmidt dem Alteren (1577), J.Paix (1583, 
1589), B. Schmidt dem Jiingeren (1607) J. Woltz (1607), 
die hs. Tabulaturbucher von Chr. Loeffelholtz (Berlin, 
Deutsche Staatsbibl., Mus. ms. 40034; 1585) und A. 
Normiger (Berlin, Deutsche Staatsbibl., Mus. ms. 
40083; 1598); auBerdem folgende Sammelhss. : Liib- 
benau, Spreewaldmuseum (jetzt Berlin, Deutsche 
Staatsbibl.), Ly B 1-10, Ly C (ca. 1620-40); Pelplin, 
Bibl. des Priesterseminars (jetzt Warschau, Bibl. Na- 
rodowa), Sign. 304-308a (ca. 1620-30, Nachtrag aus der 
2. Halfte des 17. Jh.); Turin, Bibl. Naz., Foa 1-8 und 
Giordano 1-8 (ca. 1637-40); Liineburg, Ratsbiicherei, 
KN 146, 148, 149, 207-210 (ca. 1640-65; Ausg.: Die 
Liineburger O. KN2081, hrsg. von M. Reimann, = EDM 
XXXVI, Ffm.1957); Clausthal-Zellerfeld, Calvorsche 
Bibl. (jetztBibl. derBergakademie), Zel und Ze 2 (ca. 
1635-68). 

In der spanischen O. werden die Untertasten von f bis 
e 1 durch die Ziffern 1-7 dargestellt; andere Oktavlagen 
werden durch beigef iigte Striche, Punkte oder Hakchen 
bezeichnet, Erhohung und Erniedrigung durch Ver- 
setzungszeichen. Die Stimmen sind partiturmaBig ge- 
trennt angeordnet; iiber der Oberstimme steht in 
Mensuralnoten die fiir alle Stimmen geltende Rhyth- 
musbezeichnung nach dem abgekiirzten Notierungs- 
prinzip der -*■ Lautentabulatur : 




A. de Cabezon, Obras de mtisica, Madrid 1578, S. 37 
(Versillos del sexto tono, Nr 6). 
Diese Notation ist angewendet in den Tasteninstru- 
mentdrucken von L. Venegas de Henestrosa (1557), A. 
de Cabezon (1578) und F.Correa de Arrauxo (1626). 
Von zwei anderen Arten der Zifferntabulatur, die Ber- 
mudo (1555) angibt, fand diejenige mit durchgehender 
Zahlung samtlicher Tasten (einschlieBlich der Ober- 
tasten) keine praktische Verwendung, wahrend die an- 



44* 



691 



Orgue expressif 



dere Art mit durchgehender Zahlung der Untertasten 
von A. Valente (1576) benutzt wurde. 
Die italienische, englisch-niederlandische und franzosi- 
sche O. bedienen sich der Notenschrift und fassen die 
Stimmen entsprechend dem Spielanteil der Hande auf 
zwei Liniensystemen zusammen; sie unterscheiden sich 
nur durch die Anzahl der Linien der Systeme. - Die 
italienische O. hat meist im unteren System mehr Li- 
nien (6-8) als im oberen (5-6), doch zeigen friihe Quel- 
len wie z. B. Codex Faenza (-»■ Quellen: Fa; wegen 
der Zweistimmigkeit des Repertoires allerdings auch 
als Partitur zu betrachten) und Antiquis' Frottole intabu- 
late (1517) zwei Sechsliniensysteme. - Die englisch- 
niederlandische O. hat in der Regel 2 Sechsliniensyste- 
me. Sie erscheint in England erstmals um 1520 (Lon- 
don, Brit. Mus., Roy. App. 58), dann vor allem ca. 
1530-60 in zahlreichen Handschriften mit liturgischer 
Orgelmusik und in den Virginal Books um 1600, in 
Holland bei H. Speuy (1610) und A. van Noordt (1659; 
hier mit gesonderter Buchstabennotierung des Basses) 
sowie vereinzelt in Deutschland (Lubbenau, Ly A 1 und 
A 2; Liineburg, KN 147; New Haven, Library of the 
Yale Music School, Ma. 21 H 59). - Die franzosische 
O. mit 2 Fiinf liniensystemen wurde in Frankreich seit 
Attaingnants Drucken (um 1530) ausschlieBlich ver- 
wendet und setzte sich seit etwa 1700 auch auBerhalb 
Frankreichs durch; auf sie geht die heute noch iibliche 
Notierungsweise von Klaviermusik zuriick. - Auch die 
Notation von Musik fiir Tasteninstrumente in -> Parti- 
tur wurde gelegentlich als Tabulatur bezeichnet (Scheidt 
1624, Klemm 1631); sie wurde seit der Partiturausgabe 
von C. de Rores Madrigali . . . accomodati per sonar 
d'ogni sorte d'istromento perfetto & per qualunque studiosi 
di contrapunti (1577), besonders aber seit Frescobaldis 
Fantasien (1608) und seinen Fiori muskali (1635) bis zu 
J. S.Bachs Kunst der Fuge (1750) bevorzugt fiir streng 
kontrapunktische und zugleich als Lehrbiicher be- 
stimmte Tasteninstrumentwerke verwendet. 
Lit.: WolfN; E. Frerichs, Die Accidentien in O., ZfMw 
VII, 1924/25 ; W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabu- 
laturbiichern, Lpz. 1927; L. Schrade, Die altesten Denk- 
maler d. Orgelmusik . . ., Minister i. W. (1928); ders., Die 
hs. Uberlieferung d. altesten Instrumentalmusik, Lahr 
1931 ; O. A. Baumann, Das deutsche Lied u. seine Bearb. 
in d. friihen O., Kassel 1934; W. Schrammek, Das deut- 
sche Lied in d. deutschen O. d. 15. Jh. unter besonderer 
Beriicksichtigung d. Buxheimer Orgelbuchs, Diss. Jena 
1956, maschr. ; J. Pontius, Eine anon. Kurpfalzische O., 
Diss. Saarbrucken 1960, maschr., Auszug als: Zur Datie- 
rung einer anon. Tabulatur aus d. Bipontina, Annales Univ. 
Saraviensis, Phil. Fakultat, IX, 1, 1960; Fr. W. Riedel, 
Quellenkundliche Beitr. zur Gesch. d. Musik f . Tasteninstr. 
in d. 2. Halfte d. 17. Jh., = Schriften d. Landesinst. f. Mu- 
sikforschung Kiel X, Kassel 1960; Th. Gollner, Formen 
fruher Mehrstimmigkeit in deutschen Hss. d. spaten MA, 
= Miinchner Veroff. zur Mg. VI, Tutzing 1961 ; ders., No- 
tationsfragmente aus einer Organistenwerkstatt d. 15. Jh. 
AfMw XXIV, 1967; L. Schierning, Die Uberlieferung d 
deutschen Org.- u. Klaviermusik aus d. 1. Halfte d. 17. Jh. 
ebenda XII, 1961; A. Sutkowski u. O. Mischiati, Una 
preziosa fonte ms. di musica stromentale: l'intavolatura di 
Pelplin, L'Organo II, 1961 ; ApelN; W. Young, Keyboard 
Music up to 1600, MD XVI, 1962 - XVII, 1963; O. Mi- 
schiati, L'intavolatura d'org. tedesca della Bibl. Naz. di To- 
rino, Cat. ragionato, L'Organo IV, 1963 ; A. Sutkowski u: 
A. Osotowicz-Sutkowska, The Pelplin Tablature, = An- 
tiquitates musicae in Polonia I, Warschau u. Graz 1963; 
H. R. Zobeley, Die Musik d. Buxheimer Orgelbuchs, 
= Miinchner Veroff. zur Mg. X, Tutzing 1964. 



Orgue expressif (arg ekspres'if, frz.) 
nium. 

Oriscus (lat.) -> Neumen (- 1). 



Harmo- 



Ornamente (frz. ornements; engl. ornaments) -> Ver- 
zierungen. 

Ornamentinstrumente -> Fundamentinstru- 
mente. 

Orpheon (orf e'a, frz. von Orphee, Orpheus) , musikali- 
sche Laienbewegung in Frankreich, die im 19. Jh. vor 
allem auf dem Gebiet des Chorgesangs zu groBer Be- 
deutung gelangte. Das O. geht zuriick auf musikalische 
Elementarkurse, die G.L. -> Wilhem seit 1819 an Pa- 
riser Volksschulen einfuhrte. 1829, als seine Unterrichts- 
methode (enseignement mutuel) offiziell vorgeschrie- 
ben wurde (1830 war sie bereits an 9 Pariser Schulen 
eingefuhrt), begann Wilhem, seine Schuler aus mehre- 
ren Schulen zu gemeinsamem Chorsingen zusammen- 
zufassen. Daraus gingen um 1833 die Ecoles populaires 
de chant zur Pflege des a cappella-Gesangs hervor, de- 
nen Wilhem den Namen O. gab. 1 836 schloB er Abend- 
kurse fiir Erwachsene an. Nach dem Vorbild dieser, 
vori musikpadagogischen Ideen getragenen Gesangs- 
bewegung konstituierten sich in ganz Frankreich unter 
dem Namen O. Gesangvereine (societes chorales). 
Dem Pariser O. oblag die Verwaltung nicht nur der 
Gesangvereine, sondern auch der musikerzieherischen 
Arbeit an den Schulen; seine ersten Direktoren wa- 
ren Wilhem, J.Hubert, Gounod und Bazin. Offent- 
liche Konzerte der O.s fanden in Paris seit 1834 statt, 
Wettbewerbe fiir O.s in verschiedenen Stadten seit 
1849. An einem englisch-franzosischen Chorfestival 
1860 in London nahmen 137 Vereine mit 3000 Sangern 
teil; andere Sangertreffen der O.s vereinigten bis zu 
8000 Mitwirkende. Das Repertoire der O.s umfaBte 
neben weniger anspruchsvollen Werken und Opern- 
choren auch eigens fiir die O.s komponierte Werke 
von Adam, Gounod, Berlioz, Meyerbeer u. a. Unter 
den Zeitschriften, die die Arbeit der O.s unterstiitzten, 
sind hervorzuheben: La France orpheonique, L'Echo des 
O.s und L'O. - Im AnschluB an die Gesangvereine 
wurdenBlasorchester (harmonies und fanfares) gegriin- 
det, auch einzelne Laiensymphonieorchester. 
Lit. : H. Marechal u. G. Pares, Monographie universelle 
del'O., Paris 1910. 

Orpheoreon (engl. orpharion), ein cisterartiges Zupf- 
instrument (-> Cister) des 16./17. Jh. mit birnenformi- 
gem, leicht geschweiftem Corpus, - an der proportion, 
wie ein Bandoer [-> Pandora] / doch etwas kleiner j von 
Messings- vnd Sttilenen Saitten; wird wie eine haute im 
Cammer-Thon / . . . gestimmet (Praetorius Synt. II, S. 54, 
vgl. dazu die Abb. Tafel XVII, Figur 3, nicht, wie dort 
versehentlich angegeben, Figur 2). Das O. ist kleiner 
(Gesamtlange etwa 120 cm, Breite des Corpus etwa 
45 cm) als das ganz ahnlich gebaute -*■ Penorcon; es hat 
acht 2fache Saitenchore aus Darm mit der Stimmung 
CC FF GG cc ff aa did* gig* oder DD GG AA dd gg 
hh eiei aiai. Die Saiten sind an einem schrag auf der 
Decke angebrachten Querriegel befestigt und laufen 
in den geringfugig nach hinten gebogenen, dann 
schwungvoll nach vorn gezogenen und mit einem ge- 
schnitzten Zierkopf abschlieBenden Saitenhalter mit 
Flankenwirbeln. 

Qrphika, ein 1795 von C.L. -»■ Rollig konstruiertes 
Hammerklavierchen mit einem harfenformigen Rah- 
men und einer Klaviatur von 2-4 Oktaven Umfang. 
Die O. wurde wie eine Gitarre an einem Tragband um 
den Hals getragen und mit einer Hand gespielt. 

Orthographic musikalische, ist die Summe der 
Konventionen bei der Notierung von Musik. Rich- 
tig ist eine Notation, die sinnvoll, verstandlich und re- 
produzierbar bleibt, d. h. den Sonderfall auf jeweils 
als giiltig anerkannte Regeln zuriickfiihrt. O. ist auch 



692 



Ostinato 



in der Musik zeitgebunden; z. B. wurde die Tonfolge 



E aus A.Pflegers Passions- 



musik (Takt lOff.) in deutscher Buchstabentabulatur 
(-> Orgeltabulatur) um 1700 folgendermaBen iiber- 

liefert: $ gig&gf &li (zulesen als g gis g gis g f dis d). 

Beide Schreibarten sind orthographisch korrekt, denn 
die Tabulatur kennt fiir jede Taste nur einen Namen 
(wie noch heute im Orgelbau: alle Obertasten werden 
als Stammtonerhohungen benannt, ausgenommen b). 
In der Notenschrif t hingegen findet mit der Plazierung 
und Benennung der Note eine Bewertung des notierten 
Tones statt. Verstofie gegen die O. sind meist die Folge 
davon, daB der Ton f alsch oder gar nicht bewertet wird. 
DaB Fragen der O. oft nicht eindeutig zu beantworten 
sind, erklart sich aus dem Zwiespalt, der seit Einf uhrung 
der -> Temperatur zwischen Klangerscheinung und 
Tonvorstellung besteht. Die Logik der Stimmfiihrung 
muB mit der der Akkordstruktur in Einklang gebracht 
werden ; hinzu kommt die Forderung nach Lesbarkeit : 
die O. soil nicht nur horizontal und vertikal folgerich- 
tig sein, sondern auch ein faBbares Notenbild ergeben. 
Die Problematik dieser entgegengesetzten Forderun- 
gen sei an den f olgenden Beispielen (aus Klaviersonaten 
von Mozart) demonstriert. 1) Die Regel, daB chroma- 
tische Tone bei steigender Melodie als Stammtoner- 
hohungen, bei fallender als Stammtonerniedrigungen 
zunotieren sind: 




Sonate D dur, K.-V. 311, 3. Satz, Takt 173. 




Sonate F dur, K.-V. 533 und 494, 2. Satz, Takt 108. 
kann durchbrochen werden, wenn der vertikale Zu- 
sammenhang eine andere Lesart nahelegt : 



Sonate G dur, K.-V. 283, 3. Satz, Takt 168f. 

b - - tr Jr a, . 




Sonate D dur, K.-V. 284, 3. Satz, Variation X, 
Takt lOf. 
Bei a) bewirkt der harmonische Kontext eine Bevor- 
zugung der dem G moll entsprechenden Akzidentien, 
bei b) erzwingt die Harmonisierung der f allenden chro- 
matischen Skala eine der Regel widersprechende Be- 
wertung der Tone, ais statt b, gis statt as. 
2) Einige UnregelmaBigkeiten in der O. leiten sich von 
Notations- und Benennungspraktiken des Mittelalters 
her; sie betreffen die 7. Stufe (mixolydische Septime) 
und die 4. Stufe (lydische Quarte) einer Durskala, die 
wie in der Orgeltabulatur meist in nur einer Richtung 
alteriert werden. Es heiBt also in C dur auch dann b und 
fis, wenn ais und ges zu erwarten waren. Die 3. und 6. 
Stufe werden gelegentlich analog behandelt ; so heiBt es: 

jWW.f^ wfrfft 

statt 





Sonate C dur, K.-V. 330, 3. Satz, Takt 135f. 



obwohl die Schreibung rechts melodisch naher lage und 
die Harmonik nicht dagegen stiinde. - In der Musik des 
20. Jh., vor allem der atonalen, die zwischen gis und as, 
cis und des nicht unterscheidet, ist O. solcher Art viel- 
fach gegenstandslos geworden. Analoges gilt fiir die 
Rhythmusnotation. Der Zeichenvorrat unserer No- 
tenschrift ist auf eine Rhythmik zugeschnitten, die der 
regelmaBigen Wiederkehr der Taktschwerpunkte und 
unter den denkbaren Relationen rhythmischer Werte 
denjenigen den Vorzug gibt, die auf den Zahlen 2 und 
3 beruhen. Die Regel, daB die graphische Aufteilung 
der Werte das Taktschema zu verdeutlichen habe, dul- 
det gleichwohl durch Praxis und Konvention legiti- 
mierte Ausnahmen; ein Beispiel fiir die Unzulanglich- 
keit der Rhythmuszeichen ist die graphische Uberein- 
stimmung von Synkope und -»■ Hemiole. In den Ver- 
suchen, bei Neuausgaben alter Musik den Bedeutungs- 
unterschied sichtbar zu machen, tritt die Problematik 
rhythmischer O. offen zutage, manchmal sogar drasti- 
scher als in den Notationsschwierigkeiten neuer Mu- 
sik. -> Punktierter Rhythmus. 

Lit.: H. Riemann, Studien zur Gesch. d. Notenschrif t, 
Lpz. 1878; WolfN; Mus. Schrifttafeln, 10. H., hrsg. v. J. 
Wolf, =Veroff. d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung 
Buckeburg II, 2, Lpz. 1922-23, Buckeburg u. Lpz. 21927; 
Notation Neuer Musik, hrsg. v. E.Thomas, = Darmstadter 
Beitr. zur Neuen Musik IX, Mainz (1965); M. Collins, 
The Performance of Triplets in the 17" 1 and 18 th Cent., 
JAMS XIX, 1966. LA 

Osnabruck. 

Lit.: L. Bate, O.er Theater im 18. Jh., O. 1930; Fr. Bos- 
ken, Mg. d. Stadt O., = Freiburger Studien zur Mw. V, 
Regensburg 1937; E.Bosken, M. B.Veltmann (1763-1844) 
u. d. Begrundung d. offentlichen Musikpflege in O., Mitt, 
d. Ver. f. Gesch. u. Landeskunde LXII, 1947; K. Kuh- 
ling, Theater in O., O. 1959. 

ossia (ital., oder), Hinweis auf eine andere Lesart oder 
Fassung im Notentext. 

Ostinato (ital., von lat. obstinatus, hartnackig; frz. 
obstine; engl. obstinate; deutsch auch obstinat; frz. 
auch contraint, gezwungen; ital. auch pertinace, hart- 
nackig, perfidiato, treulos; im heutigen Sprachgebrauch 
auch substantiviert: O. s. v. w. das hartnackig Beibe- 
haltene). Das Wort O. wurde um 1700 musiktermino- 
logisch fixiert und war anfangs noch synonym mit 
Obligato. WaltherL bietet im AnschluB an BrossardD 
als Stichworter Basso continuo obligato (-> Basso con- 
tinuo - 2), Fuga ligata oder obligata, bei der auch das 
Kontrasubjekt beibehalten wird, Contrapunto obligato 
(o.) oder perfidiato, der melodisch oder rhythmisch bei 
der einmahl angefangenen Art bestdndig verbleibet (hierzu 
A. Berardi, Documenti armonki 1, 1687, S. 22f., auch Ar- 
tikel Perfidia in WaltherL und BrossardD ; f erner Zar- 
lino, Istitutioni harmoniche, 1558, HI, 55: Far contrapunto 
con obligo). - O. heiBt im weiteren Sinne: dasjenige, so 
man einmahl angefangen hat, bestdndig fortsetzen, und nicht 
davon ablassen (WaltherL), im eingeengten Sinne: die 
fortgesetzte Wiederkehr eines Themas mit immer verdnder- 
ter Kontrapunktierung (H. Riemann). Das O.-Verfahren 
(im weiteren Sinne) bedeutet Formung durch bestan- 
diges sinnfalliges Wiederholen einer klar umgrenzten 
rhythmischen oder melodischen (auch melodisch- 
rhythmischen) oder harmonischen (auch harmonisch- 
metrischen) Substanz, die das Klanggeschehen gliedert 
und als (variable) Konstante die Glieder verbindet und 
die als konstruktives Element melodisch zumeist in der 
strukturell wichtigsten Stimme des Satzes (Tenor, BaB) 
erscheint; mit dem Wiederholen verbindet sich das 
Verandern (Variieren) der Zusatze, auch des zu Wie- 
derholenden selbst, oft und ursprtinglich als Stegreif- 
ausfiihrung und verbunden mit geregeltenBewegungs- 



693 



Ostinato 



arten, besonders mit Tanz. Kompositorisch bedeutet 
der O. (seit Monteverdi) starkste Bindung an eine blei- 
bende Instanz, die als solche (im Hintergrund) bestan- 
dig den Sinn der Bildungen klarstellt und damit (im 
Vordergrund) satztechnisch die groBte Freiheit, Neu- 
heit und Ausdruckskraft ermoglicht. Darin beriihrt 
sich der O. mit den liegenden Tonen (Bordun, Orgel- 
punkt) oder Klangen, die als eine Art Steigerung der 
Obstinatheit bis zur letzten Konsequenz (Riemann 1910, 
S. 193) verstanden werden konnen. A. Weberns giiltig- 
stes tonales Werk ist eine Passacaglia (op. 1), wahrend 
er das Problem der atonalen Form zunachst durch den 
bleibenden Klang gelost hat (z. B. op. 4 Nr 1). 
In der europaischen und auBereuropaischen onatur- 
wiichsigen«, wesenhaft schrifdosen Gestaltung des 
Klingenden ist das verandernde Wiederholen variabler 
Konstanten, z. B. einer rhythmischen oder melodischen 
Formel als »Hintergrund« oder eines Modells (z. B. 
-»■ Riga) als Grundlage der Gestaltung nicht als O.- 
Technik, sondern als Prinzip der Klangformung zu 
verstehen. Dies gilt auch f iir strukturbildende oder f or- 
melhaf te Elemente im -> Jazz, die letztlich aus der Ne- 
gerfolklore der USA herzuleiten sind (->- Boogie- 
Woogie, -> Riff, -> Stomp). - Auch im Bereich kom- 
ponierter Musik kann von O.-Technik im eigentlichen, 
strengen Sinne nur. dort gesprochen werden, wo das 
Moment des »hartnackigen« Sich-Bindens an das ein- 
mal Begonnene einen Sonderfall darstellt gegeniiber 
anderen (freien) Bildungen und wo das bestandige Wie- 
derholen nicht das Grundprinzip der Musik betrifft. 
Den Satz prinzipiell konstituierende Momente sind in 
der mittelalterlichen Musik z. B. das Beibehalten von 
Rhythmen in der modal notierten Musik (deren No- 
tationsprinzip auf Wiederholung eines ->■ Modus - 2 
beruht) oder die als -*■ Color (-2; repetitio vocis) be- 
griffene und oft als Stimmtausch (->■ Rondellus) er- 
scheinende Wiederholung von Stimmpartikeln in Or- 
ganum und Discantus, speziell das Wiederholen von 
oft gleichrhythmisierten Choralausschnitten in Mo- 
tettentenores, das in bezug auf Ausdehnung und To- 
nalitat den kompositorischen Kontext ermoglicht und 
in der -»■ Isorhythmie Strophenformen ausbildet. Hier 
ist zwar oft die Erscheinung, jedoch nicht die Denkart 
des O.s gegeben - ebensowenig wie etwa in festen 
rhythmischen Formeln derTanzmusik.indurchgehend 
einheidicher Charakterfiguration romantischer Kla- 
vierstiicke, in Steigerungspartien der Symphonik 
Bruckners oder Mahlers oder in der (die Zwolf tontech- 
nik konstituierenden) bestandigen Wiederholung einer 
Reihe. Doch zeichnen sich seit dem 13. Jh. vor dem 
Hintergrund vonGrundprinzipien spatmittelalterlicher 
Kompositionsart auch echte O.-Bildungen ab, die be- 
wuBt die fortdauernde Wiederkehr des Gleichen als 
Tenor-O. zur konstruktiven Basis des Satzes erheben. 
Genarmt seien ausEngland der 2st. -*■ Pes (- 2) des »Som- 
mer-Kanons«, ferner das 4st. Stiick Campanis cum cym- 
balis (Mf X, 1957, S. 36) und die Satze mit bestandig 
wiederholtem kurzem Pes im Worcester-Repertoire 
(-> Quellen: Wore; z. B. Nr 10 und 12 in: MSD II) und 
in festlandischen Quellen die Motettentenores in Ba, 
Nr 37 und 70, und zahlreich in den Faszikeln 7 und 8 
der Hs. Mo, als ausgepragteste Belege Nr 267 und 328. 
- In der polyphonen Vokalmusik des 15. und 16. Jh. 
lassen sich mannigfache Arten des O.s unterscheiden, 
der hinsichdich Tonstufe und Rhythmisierung unver- 
andert bleiben oder wechseln sowie in nur einer oder in 
mehreren Stimmen auftreten kann. Hier gibt es einer- 
seits O.-Bildungen »nachahmenden« Charakters (z. B. 
Dufay, Tenor und Contratenor des Gloria ad modum 
tubae; Gaffori, Missa Trombetta; Senn, Das Glaut zu 
Speyer; hierzu auch W.Byrd, The Bells, im Fitzwilliam 



Virginal Book, Nr 69), andererseits in Fortentwicklung 
mittelalterlicherKompositionsprinzipien ostinate C. f.- 
Partikel in Motetten, besonders von Lassus (z. B. Ex- 
sultet coelum, mit auf zwei Stufen abwechseinder O.- 
Formel Quis audivit talia im Tenor, GA III, Nr 195), in 
Messensatzen, besonders von Josquin (z. B. Missa Fai- 
sant regretz, deren gesamter Tenor aus einem viertoni- 
gen O. besteht, der nach Tonstufe und Rhythmisierung 
wechselt, streckenweise auch von anderen Stimmen 
ubernommen wird), iiber Solmisationssilben (z. B. 
Josquin, Missa La sol fa re mi), daneben auch - nach Art 
des bis ins 18. Jh. beschriebenen Contrapunto o. - die 
ostinate Gegenstimme (z. B. Obrecht, Missa. Ave regina 
coelorum, O. auf gleicher Stufe im Bassus des Et resur- 
rexit) oder deren mehrere (z. B. Josquin, Christe der 
Missa Hercules Dux Ferrariae). 

Der Basso o. (engl. -*■ ground, ground bass; frz. basse 
contrainte) ist nur eine, wenn auch die musikgeschicht- 
lich wichtigste Form des O.s. Sein Aufkommen im 16. 
Jh. hangt zusammen einerseits mit der neuen Role des 
-> Basses (- 1) als Fundamentstimme des Satzes (wobei 
auchTenor-[C. L-]Techniken des Spatmittelalters nach- 
wirkten), andererseits mit dem Emdringen der uber 
BaBmodellen improvisierten Tanz-, Spiel- und Ge- 
sangsmusik in den Bereich der Komposition (wobei 
die nicht als O. gedachten Prinzipien einer Praxis nun 
zu einem Sonderfall der Komposition wurden). Greif- 
bar sind diese Improvisationspraktiken in ihrer Bedeu- 
rung fiir die Basso o.-Komposition zuerst in der spani- 
schen Lauten- und Tastenmusik mit ihren Fantasias und 
Dif erencias iiber Tanze und Lieder und Passos f orcados 
(z. B. bei -*■ Valderrabano 1547), besonders in den 9 
Muster-Recercados von D.Ortiz (Tratado, 1553) iiber 
lied- und tanzartige Cantos llanos que en Italia comun- 
mente llaman Tenores, unter ihnen die (teilweise mitein- 
ander verwandten) Modelle des -> Passamezzo (antico 
und moderno), der -> Folia, -*■ Romanesca und des 
-*■ Ruggiero, auch etwa in A. de Cabezons Diferencias 
sobre la Gallarde Milanesa und sobre las vacas (Obras de 
mtisica, 1578) und in Fr. Salinas' haufiger Nennung des 
Quartmotivs (De musica libri septem . . . , 1577, hierzu 
W.Osthoff, S. 79), ferner im Aufkommen und O.- 
Gebrauch anderer Lied- und Tanzmodelle in -> Pa- 
vane, -*■ Pavaniglia, -*■ Villancico, -> Bergamasca, 
->• Malaguefia, ->• Chaconne und ->• Passacaglia. Einige 
dieser Modelle spielen eine Rolle auch in der Friihge- 
schichte der Aria (-»■ Arie; -»■ Ruggiero), die zur Aria 
und Cantata (-»■ Kantate) mit konstantem StrophenbaB 
fiihrte und in enger Beziehung stand zur Entwicklung 
der instrurnental-musikalischen Variation iiber Bassi 
ostinati. Voile kompositorische Auspragung erfuhr das 
Musizieren uber einem Basso o. zuerst durch Monte- 
verdi (besonders Amor, = Lamento delta Ninfa, 8. Ma- 
drigalbuch, 1638, und Zefiro torna, 9. Madrigalbuch, 
1651), wobei der ostinate GeneralbaB als Fundament 
eines repetierten Klanggeriistes in jedem Augenblick 
den Klangverlauf klarstellt (vergleichbar den »liegen- 
den Bassen« der -*■ Monodie) imd damit - im Dienst 
des Ausdrucks - der Oberstimmenf iihrung und Disso- 
nanzbehandlung ein HochstmaB an Freiheit gewahrt 
(hierzu Haack 1964). Als Kompositionstechnik, die in 
dieser Weise stimmliches (kontrapunktisches) und 
klangliches (akkordisches) Denken aufeinander bezieht 
imd unter den Bedingungen des GeneralbaBsatzes die 
Freiheit der Stimmfiihrung durch die Gebundenheit 
der Klangfolge vergroBert, erlebte der Basso o. seine 
Bliitezeit im GeneralbaBzeitalter. Zur kompositori- 
schen Eigenart des Basso o. gehort, daB Tonschritt-O. 
und Klangfolge-(Satzmodell-)0. nicht immer eindeu- 
tig gegeneinander abzugrenzen sind und daB der Ton- 
schritt-O. selbst variiert, wechselnd harmonisiert und 



694 



Oszillogramm 



(besonders beim Ground) auch transponiert und in an- 
dere Stimmen verlegt werden kann. Zu unterscheiden 
(aber bis gegen Mitte des 17. Jh. nicht immer klar zu 
trennen) sind einerseits der Strophen- oder Variatio- 
nenbaB als Konstante fur variierende Repetition einer 
geschlossenen Form, oft gekoppelt mit zu variierender 
Melodiekonstante (-»- Variation), andererseits derwirk- 
liche O. innerhalb einer Form (O.-KurzbaB innerhalb 
einer Arie, eines Concertosatzes usw.), der oft als 
Quartgang (-> Quarte), auch chromatischer Quart- 
gang (-»■ Passus duriusculus, -*• Lamento) gebildet ist. 
Basso quasi o. nannte H. Riemann (im AnscMuB an Ph. 
SpittaJ. S.Bach I, S. 204f.) jene Partikel, die den Form- 
verlauf zwar beherrschen, jedoch substantiell veran- 
dert werden und nicht immer durchgangig erscheinen 
(Beispiel: G.Bohm, Orgelchoralbearbeitung Herrjesu 
Christ, Dich zu uns wend, GA II, Nr 10, Versus 2). Im 
Werk J. S. Bachs ist der Binnen-O. zuweilen auch in 
abbildlicher Bedeutung gemeint, im Sinne von »unbe- 
irrt« (IVirglauben all' an einen Gott, III. Teil derClavier- 
Ubung, BWV 680), auch emphatisch, uberschwenglich 
(In dir ist Freude, Orgel-Bikhlein, BWV 615). Aber auch 
das »andauernde« Festhalten an einem bestimmten Be- 
wegungsimpuls (Es ist der alte Bund, Kantate BWV 106) 
oder einem ausgepragten Motiv (Meine Seek wartet auf 
den Herrn, Kantate BWV 131) kann im Sinne der Ge-, 
neraldefmition Walthers (1732) als O. angesprochen 
werden und bildlich gemeint sein, - wenngleich in 
Bachs Musik weithin das stetige Durchfuhren eines 
motivischen Impulses zu einem den Satz prinzipiell 
konstituierenden Moment erhoben ist. 
Der Grund fur die Tatsache, daB bei Haydn und Mo- 
zart die O.-Technik ganz zuriicktritt, mag darin zu 
suchen sein, daB die klassische Harmonik und Melodik 
aus sich heraus formbildend genug sind und der O. so- 
mit als kiinstlich (»unnaturlich«) gelten muBte. (In 
Mozarts Kirchenmusik erscheint z. B. im Qui tollis der 
Missa K.-V. 427 der rhythmische O., tonlich ein 
Quasi-O., als barockes Relikt; vgl. auch das Credo 
der gleichen Messe.) Erst nach 1800 (Beethoven, Finale 
der 3. Symphonie, 1804; 32 Variationen, WoO 80, 
1806; Streichquartett F dur op. 135, 1826, 2. Satz) wur- 
de der O. wieder zu einem Formungsmittel. Und je 
weiter die Auf losung der funktionalen Harmonik f ort- 
schritt, desto haufiger trat - auch in Riickerinnerung an 
die Musik des Barocks - die O.-Komposition wieder 
in Erscheinung, als Objektivierung des Ausdrucks, als 
SchluBsteigerung in zyklischen Werken, als elementa- 
res, »motorisches« Moment, vor allem jedoch als ein 
Mittel, das neue Klange und Klangfolgen ermoglicht. 
Als Beispiele seien genannt (->■ Passacaglia, -> Cha- 
conne, -*■ Berceuse) : Brahms, Finale der 4. Symphonie 
(1885), SchluBsatz der Haydn-Variationen op. 56a 
(1873) ; Reger, B. o.-Satze in den Orgelkompositionen 
op. 69 (1903), op. 92 (1906), op. 129 (1913) ; Strawinsky, 
Le sacre du printemps (1913, Danses des adolescentes) und 
Cinq pikes faciles (1916, Andante, Balalaika); Bartok, 
Suite fur Kl. op. 14 (1916, 3. Satz) und im Mikrokosmos 
(1926-37); Hindemith, Suite »1922« op. 26 (Nachtmu- 
sik); Ravel, Bolero (1928), A.Berg, Lulu (1. Akt, 2. 
Szene : Monoritmica ; Zwischenmusik nach dem 1 . Akt) ; 
Blacher, Concertante Musik op. 10 (1937, Moderato), 
Orff (fast in alien Werken) ; Former, Sieben Elegien f . 
Kl. (1950, Nr VII). 

Lit.: H. Riemann, GroBe Kompositionslehre II, Bin u. 
Stuttgart 1903; ders., Basso o. u. Basso quasi o., Fs. R. v. 
Liliencron, Lpz. 1910; ders., Der »Basso o.« u. d. Anfange 
d. Kantate, SIMG XIII, 191 1/12; ders., Hdb. d. Mg. II, 2, 
Lpz.1912; P. Nettl, Zwei span. Ostinatothemen, ZfMw I, 
1918/19 ; L. Propper, Der Basso o. als technisches u. form- 
bildendes Prinzip, Diss. Bin 1926; A. Lorenz, A. Scarlat- 
ti's Jugendoper I, Augsburg 1927; R. Litterscheid, Zur 



Gesch. d. Basso o.,Diss. Marburg 1928 ; L. Nowak, Grund- 
ziige einer Gesch. d. Basso o. in d. abendlandischen Musik, 
Wien 1932; O. Gombosi, Italia: patria del basso o., Rass. 
mus. VII, 1934; W. Meinardus. Die Technik d. Basso o. 
bei H. Purcell, Diss. Koln 1939, maschr. ; L. Walther, Die 
O.-Technik ind. Chaconne- u. Arienformen d. 17. u. 18. 
Jh., = Schriftenreihe d. mw. Seminars d. Univ. Munchen 
VI, Wflrzburg 1940; W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs O.- 
Technik, Ber. flber d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950, Neu- 
druck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 
1966; A. Elston, Some Rhythmic Practices in Contempo- 
rary Music, MQXLII, 1956;W.OsTHOFF,Dasdramatische 
Spatwerk CI. Monteverdis, = Mflnchner Veroff. zur Mg. 
Ill, Tutzing 1960; E. Apfel, O. u. Kompositionstechnik 
bei d. engl. Virginalisten d. elisabethanischen Zeit, AfMw 
XIX/XX, 1962/63; H. Haack, Anfange d. GeneralbaB- 
satzes in d. Cento Concerti Ecclesiastici (1 602). v. L. Viada- 
na, Diss. Munchen 1964, maschr. HHE 

Ostpreufien. 

Lit. : G. Doring, Zur Gesch. d. Musik in PreuBen, Elbing 
1852; E. A. Hagen, Gesch. d. Theaters in PreuBen, K6- 
nigsberg 1854; J. M. Muller-Blattau, Die Erforschung 
d. Mg. O., AltpreuBische Forschungen III, 1926; ders., 
Gesch. d. Musik in Ost- u. WestpreuBen v. d. Ordenszeit 
bis zur Gegenwart, Konigsberg 1931; ders., Zur Erfor- 
schung d. ostpreuBischen Volksliedes, = Schriften d. K6- 
nigsberger Gelehrten Ges., Geisteswiss. Klasse XI, 2, Hal- 
le 1935; PreuBische Festlieder, hrsg. v. dems., =LD O. 
u. Danzig 1, 1939 ; ders., Ost- u. westpreuBische Musik zur 
Zeit d. Barock, Jb. d. Albertus-Univ. zu Konigsberg II, 
1 952 ; ders., Ost- u. westpreuBische Musik im 1 8. Jh., eben- 
da IV, 1954; ders., Ost- u. westpreuBische Musik u. Mu- 
sikpfiege im 19. Jh., ebenda V, 1955 ; H.-P. Kosack, Gesch. 
d. Laute u. Lautenmusik in PreuBen, = Konigsberger Stu- 
dien zur Mw. XVII, Kassel 1935; P. Gennrich, Die ost- 
preuBischen Kirchenliederdichter, = Welt d. Gesangbuchs 
XIX, Lpz. u. Hbg 1938 ; H. Runge, Die Melodien ostpreu- 
Bischer Volkslieder, Diss. Konigsberg 1939, maschr.; O. 
Leitner, Lob an alien Orten. OstpreuBischer Beitr. zum 
Kirchenlied, Munchen 1953; W. Salmen, Die Schichtung 
d. ma. Musikkultur in d. ostdeutschen Grenzlage, = Die 
Musik im alten u. neuen Europa II, Kassel 1954. 
Oszillogramm ist die Aufzeichnung von Schwin- 
gungsvorgangen. O.e geben z. B. den Schalldruckver- 
lauf von einfachen und zusammengesetzten Schwin- 
gungen wieder. Wahrend bei a) und b) deutlich eine 

1 




■WV^ 




a) Sinusschwingung, b) periodischer Schwingungs- 
vorgang, c) unperiodischer Schwingungsvorgang. 
Periodizitat zu erkennen ist, fehlt diese bei c). Je zacken- 
reicher eine solche Kurve ist, um so mehr Oberschwin- 
gungen enthalt der untersuchte Schwingungsvorgang. 
Seine Frequenzzusammensetzung laBt sich durch die 
-*■ Fourieranalyse ermittelh. O.e haben sich vor allem 
ftir die Analyse von -»■ Ausgleichsvorgangen bewahrt. 
Sie werden heute fast ausschlieBlich mit Hilfe von Ka- 
thodenstrahlbszillographen hergestellt, wahrend den 
alteren Schleifenoszillographen kaum noch eine Bedeu- 
tung zukommt. Besonders £iir akustische Untersuchun- 
gen geeignet ist der Blauschreiberoszillograph. Er be- 
sitzt einen Spezialschirm, dessen Schicht das O. nach der 
Aufnahme in blauer Schrift fixiert, so daB es beliebig 
lange betrachtet und photographiert werden kann. 



695 



Ottava 



Lit. : Fr. Eichler u. W. Gaarz, Der neue Siemens-Uni- 
versaloszillograph, Siemens-Zs. X, 1930; P. E. Klein, 
Kathodenstrahloszillographen, Bin u. Ffm. 1948 ; J.Czech, 
OszillographenmeBtechnik, Bin 1959. 

Ottava (ital.), Oktave; die Abk. 8va mit folgender 
(punktierter) Linie bedeutet Oktavversetzung (all'o.), 
iiber den Noten stehend die hohere Oktave (o. alta, o. 
sopra), unter den Noten die tiefere (o. basso, o. sotto). 
->■ Abbreviaturen (- 9). 

Ottavino (ital.) -*■ Piccolo; auch eine Bezeichnung fiir 
das Oktavspinett (Spinettino). 

Ottobeuren (Schwaben), Benediktinerkloster, gegr. 
764. 

Lit.: H. Tilsen, Eine Musikhs. d. Benediktiner-Klosters 
O. aus d. Jahre 1695, Diss. Miinchen 1922, maschr.; J. 
Worsching, Die beriihmten Orgelwerke d. Abtei O., er- 
baut 1754-66, Mainz 1941 ; R. Quoika, Die Marienorg. v. 
O., Musica XI, 1957 ; H. Schwarzmaier, Ma. Hss. d. Klo- 
sters O., in : 0. 764-1964. Beitr. zur Gesch. d. Abtei, = Son- 
derbd d. Studien u. Mitt, zur Gesch. d. Benediktinerordens 
u. seiner Zweige, LXXIII, Augsburg (1964); W. Pfander, 
Das Musikleben d. Abtei O. v. 16. Jh. bis zur Sakularisa- 
tion, ebenda; W. Irtenkauf, Zur ma. Liturgie- u. Mg. O., 
in: O., Fs. zur 1 200- Jahrfeier d. Abtei, hrsg. v. A. Kolb 
OSB u. H. Tiichle, ebenda 1964. 

Ottoni (ital., von ottone, Messing), die Blechblasin- 
strumente (das »Blech«) des Orchesters. 

ouvert (uv'e:r, frz., often) -> Klausel; accord a l'ou. 
heiBt ein auf leeren Saiten der Streichinstrumente her- 
vorgebrachter Akkord. 

Ouverture (frz. ouverture, Eroffnung; ital. sinfonia; 
-> Symphonie) ist eine Instrumentalkomposition, die 
als Einleitungsstiick zu Biihnenwerken (Oper, Ballett, 
Schauspiel) und groBeren Vokalwerken (Kantate, Ora- 
torium) dient, im 19. Jh. aber auch als selbstandige 
Komposition (Konzert-Ou.) konzipiert wurde. AuBer- 
dem heiBt Ou. nicht nur der Eroffnungssatz der »fran- 
zosischen« ->■ Suite, sondern nach ihm auch die ganze 
Ou.n-Suite. - Eroffnung ist eine der zentralen Auf- 
gaben der -»■ Instrumentalmusik. Seit Ende des 16. Jh. 
wurden als Einleitung zu Biihnenwerken (auch Inter- 
medien) verschiedenartige, auch urspriinglich separat 
entstandene Satze fiir vollstimmiges Instrumentalen- 
semble gespielt, deren Bezeichnungen (Toccata, Can- 
zona, Sonata, Sinfonia) ebenso wechseln wieihreForm. 
Das Balet comique de la Royne (1581) wurde (laut Erst- 
druck) mit einer Blasermusik eroffnet. Blaserfanfaren 
in der Art der -> Toccata zu Monteverdis Orfeo (1607) 
begegnen spater nicht mehr. DieEinleitungssinfonia zu 
dem Dialogo musicale Giudizio d'amore von B.Donato 
(NA bei Botstiber 1913) ist ein friiher Beleg fiir eine Ou. 
mit der Gegeniiberstellung von langsamem und schnel- 
lem ZeitmaB. Die instrumentalen Einleitungen der ro- 
mischen und venezianischen Opern im friihen 17. Jh. 
stehen der -> Kanzone (- 2; z. B. St. Landi, II Sant'Akssio, 
1634) und der Sonata (->- Sonate) nahe. Bei Cavalli 
und Cesti beginnt die Sinfonia meist mit einem Ab- 
schnitt in gemessen-feierlichem ZeitmaB, der in einen 
bewegteren, oft imitatorischen Abschnitt (oder selb- 
standigen Teil) iibergeht; gelegentlich folgt ein 3. Teil 
mit Wiederauf nahme des Beginns oder der Imitationen 
iiber neue Themen. - In Frankreich ist die Bezeichnung 
Ou. zuerst belegt fiir das vor dem 1. Auftritt gespielte 
-> Entree (- 1) im Ballet de Mademoiselle (1641). Wohl 
in enger Wechselbeziehung mit der venezianischen 
Opernsinf onia entstand - zunachst als Ballettvorspiel - 
der Typus der franzosischen Ou. : langsamer Teil in 
-»■ Punktiertem Rhythmus (SchluB auf der Dominan- 
te), 2. Teil in lebhaftem Tempo (haufig in ungeradem 
Takt), der seit J.-B.Lullys Alcidiane (1658) oft imitato- 



risch gearbeitet ist (im 18. Jh. meist als regulare oder frei 
konzertante Fuge angelegt). Danach kann als abschlie- 
Bender 3. Teil das langsame Tempo - oft mit Anleh- 
nung an die Themen des 1. Teils - wieder aufgenom- 
men werden. Dieser Ou.n-Typus, den Lully entschei- 
dend gepragt hat, zeigt sich voll ausgebildet in dessen 
Ou. fiir die Pariser Auffiihrung des Serse von Cavalli 
(1660). - Die Ou. und einzelne Instrumental- bzw. 
Tanzsatze aus Opern und Balletten wurden (erstmals 
von J. S.Kusser 1682) zu Suiten zusammengestellt und 
als selbstandige Orchester- bzw. Kammermusik publi- 
ziert, dann auch als solche neu komponiert; diese neue 
Gattung wurde zuerst von d'Anglebert 1689 (in 
Deutschland von G.Bohm) auf das Klavier iibertragen. 
Vor allem in Deutschland wurde die Ou.n-Suite zur 
beherrschenden Gattung der Orchestermusik in der 1. 
Halfte des 18. Jh. (Georg Muffat, J. K. F. Fischer, Tele- 
mann, J. S.Bach und Handel). - Zu einem der franzo- 
sischen Ou. vergleichbaren, festen Typus verfestigte 
sich die italienische Opernsinf onia erst in der neapolita- 
nischen Oper Ende des 17. Jh., vor allem durch A. Scar- 
latti. Von ihren 3 Satzen tragt der erste (Allegro-) Satz 
haufig konzertante, der zweite (langsame) kantable Zii- 
ge, der dritte Satz (Allegro oder Presto) zeigt oft Tanz- 
charakter. Bis um 1760, als die franzbsische Ou. als ver- 
altet verschwand, bestanden beide Typen als Opemein- 
leitung nebeneinander. Nicht selten wurden franzbsi- 
sche gegen italienische Ou.n (oder umgekehrt) und 
noch bis ins 19. Jh. Ou.n verschiedener Opern ausge- 
tauscht: Gluck verwendete (teilweise bearbeitet) die 
Ou. zu Ezio fiir La demenza di Tito, die Ou. zu L'inno- 
cenza giustificata fiir Antigono ; Rossini nahm die Ou. 
der Opera semiseria Elisabetta fiir den »Barbier von 
Sevilla«. 

DaB die Ou. auf den Charakter der Oper vorbereiten, 
zumindest auf den Affekt der 1 . Szene hinleiten sollte, 
wurde u. a, von Mattheson 1713 und 1739, Scheibe 
1738, Quantz 1752, Rousseau 1768 und Gluck 1769 
und 1770 (Vorreden zu den Ausgaben von Alceste 
und Paride e Elena) gefordert, aufierdem von Lessing 
(Hamburgische Dramaturgic, 26.-27. Stiick, 1767). Uber- 
leitung (Cavalli, Muzio Scevola, 1665) oder thematische 
Beziige zur 1. Szene (Cesti, II porno d'oro, 1667) sind im 
17. Jh. selten. Im 18. Jh. schuf zuerst J.-Ph.Rameau en- 
gereWechselbeziehungen zwischen Ou. und Oper, in- 
dent er in der Ou. Themen der Oper vorbereitete (Castor 
et Pollux, 1737; Platee, 1745) bzw. die Ou., die den In- 
halt der 1 . Szene musikalisch schildert, in diese iibergehen 
lieB {Nats, 1749). Ihm folgte Gluck seit Alceste (1767); die 
Ou. zu seiner Iphigenie en Aulide ist als ouverture descrip- 
tive bezeichnet. In Anlehnung an den Terminus Pro- 
grammusik wird diese Art der Ou. heute programma- 
tische oder Programm-Ou. genannt. Ahnliche Bestre- 
bungen gab es auch bei der italienischen Sinfonia (Traet- 
ta, Jomelli). W. A. Mozart, der zunachst an die italieni- 
sche Tradition ankniipfte und in der Ou. zu Idomeneo 
(1 781 ) Gluckschen Ideen huldigte, komponierte fiir seine 
groBen Opern einsatzige Ou.n in Sonatensatzform, die 
in je individueller Gestaltung vielfaltigen Bezug auf 
das dramatische Geschehen nehmen (in der Ou. zur 
Entfiihrung z. B. ist die Sonatensatzform modifiziert 
durch Einfugung eines langsamen Mittelsatzes statt der 
Durchfiihrung, der mit der 1. Arie in Verbindung 
steht). Beethoven, dessen programmatische Schauspiel- 
Ou.n (Egmont, Coriolan) bald im Konzertsaal heimisch 
wurden, fand (nach 3 Ansatzen in den Leonoren-Ou.n 
1-3) erst in der Abkehr vom Programmatischen die 
endgultige Konzeption der Ou. zu seiner Oper Fidelio. 
- In der Romantik entwickelte sich die Ou., die nun oft 
von vornherein im Hinblick auf den Konzertsaal konzi- 
piert wurde, zur eigengesetzlichen Natur- (Weber, 



696 



Ozeanien 



Mendelssohn Bartholdy) und Seelenschilderung (R. 
Schumann, Manfred; Tschaikowsky, Hamlet) ; Berlioz 
verbindet beides (Le Roi Lear), ebenso Wagner (Eine 
Faustouverture). Liszt nannte folgerichtig seine Ou.n 
-*■ Symphonische Dichtungen. Demgegeniiber sind 
Kompositionen wie Brahms' Tragische Ou. und Aka- 
demische Fest-Ou. sowie Regers und Busonis Lustspiel- 
Ou.n durch ihre Titel von der romantischenProgramm- 
musik distanziert (Reger verwendete fur op. 108 die 
Oberschrift -*■ Prolog). -Einen anderen Typus der Ou. 
im 19. Jh. bilden die Potpourri-Ou.n, die in der italie- 
nischen und franzosischen Komischen Oper (Bellini, 
Donizetti, Auber) sowie von Lortzing bevorzugt wur- 
den. In ihnen sind nach dem Prinzip von Kontrast und 
Steigerung die zugkraftigsten Nummern der Oper an- 
einandergereiht. - Wahrend z. B. Halevy und teilweise 
auch Meyerbeer in ihren Ou.n noch einmal auBerlich- 
dramatische Wirkungen anstrebten, riickten R.Wag- 
ner und Verdi (nachdem beide ihren friiheren Werken 
noch Ou.n im romantisch-traditionellen Sinne voran- 
gestellt hatten) in ihren Hauptwerken von der thema- 
tisch abgeschlossenen Ou.n-Form ab und leiteten das 
BUhnengeschehen stattdessen mit einem -»■ Vorspiel 
ein. Die weitere Entwicklung f iihrte teilweise zu einer 
volligen Verdrangung der Ou. bzw. des Vorspiels 
(Verdi in Otello und Falstaff; Puccini), teilweise auch 
zum Ankniipfen an altere Traditionen und Vorbilder 
(R.Strauss, Hindemith). Als eine Ubertragung der 
Programmusik in das leichte Genre lebt die Ou. in der 
Unterhaltungsmusik fort. 

Lit.: R. Wagner, t)ber d. Ou., in: Gesammelte Schriften 
u. Dichtungen I , Lpz. 1 87 1 u. 6. ; H. Riemann, Die f rz. Ou. 
in d. 1. Halfte d. 18. Jh., Mus. Wochenblatt XXX, 1899; 
ders., Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912, 31921, darin 2 Ou. 
v. Landi; H. Goldschmidt, Studien zur Gesch. d. ital. 
Oper im 17. Jh., 2 Bde, Lpz. 1901-04; A. Heuss, Die ve- 
netianischen Opern-Sinfonien, SIMG IV, 1902/03; H. 
Prunieres, Notes sur l'origine de l'ouverture frc., SIMG 
XII, 1910/1 1 ; H. Botstiber, Gesch. d. Ou. u. d. freien Or- 
chesterfonnen, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen IX, 
Lpz. 1913; R. Tenschert, Die Ou. Mozarts, Mozart- Jb. 
II, 1924;W.ALTMANN,Orch.-Lit.-Kat.IV:Ou.,Lpz. 1926; 
J. Braunstein, Beethovens Leonore-Ou., = Slg mw. Ein- 
zeldarstellungen V, Lpz. 1927 ; H. Halbig, Die Ou.,= Mus. 



Formen in hist. Reihen XVI, Bin (1930); P.-M. Masson, 
L'opira de Rameau. Les ouvertures, Paris 1930, 2 1943; G. 
Fr. Schmidt, Die friihdeutsche Oper ... II, Regensburg 
1934; P. Listl, C. M. v. Weber als Ouverturenkomponist, 
Wiirzburg 1936; C. Dahlhaus, Bachs konzertante Fugen, 
Bach-Jb. XLII, 1955 ; N. Schiorring, Allemande ogfransk 
overture, in: Fs. udgivet af Kjabenhavns Univ., Kopen- 
hagen 1957; C. Floros, Das »Programm« in Mozarts 
Meisterou., StMw XXVI, 1964; G. Th. Sandford, The 
Ouvertures of H. Berlioz: A Study in Mus. Style, Toron- 
to 1964. 

Oxford. 

Lit.: Chr. A. Williams, A Short Hist. Account of the 
Degrees in Music at O. and Cambridge, 2 Bde, London u. 
NY (1894); J. Stainer, Early Bodleian Music . . . (1185- 
1505), 2 Bde, London 1898; R. Ponsonby u. R. Kent, The 
O. Univ. Opera Club: A Short Hist., 1925-50, O. 1950; N. 
C. Carpenter, The Study of Music at the Univ. of O. in the 
Renaissance, 1450-1600, MQ XLI, 1955; ders., Music in 
the Medieval and Renaissance Univ., Norman/Okla. 
(1958); W. G. Hiscock, H. Aldrich of Christ Church, 
1648-1710, 0. 1960; W. K. Ford, The O. Music School in 
the Late \V Cent., JAMS XVII, 1964. 

Ozeanien. 

Lit. : E. M. v. Hornbostel, Uber d. Tonsystem u. d. Musik 
d. Melanesier, Kgr.-Ber. Basel 1906; W. Heinitz, Lieder 
aus Ost-Neumecklenburg, ZfMw VII, 1924/25; M. Ko- 
linski, Die Musik d. Primitivstamme auf Malakka . . . , 
Anthropos XXV, 1 930 ; J. C. Andersen, Maori Music With 
Its Polynesian Background, New Plymouth (N. Z.) 1 934; H. 
Hubner, Die Musik im Bismarck-Archipel, = Schriften 
zur Volksliedkunde u. volkerkundlichen Mw. I, Bin 1938; 
O. Johnson, Mus. Instr. of Ancient Hawaii, MQ XXV, 
1939; E. G. Burrows, Polynesian Music and Dancing, 
Journal of the Polynesian Soc. XLIX, 1940; S. Wolf, 
Zum Problem d. Nasenflote, Abh. Volkerkunde-Museum 
Dresden, N. F. I, Lpz. 1941; E. Hermann, Schallsignal- 
sprachen in Melanesien u. Afrika, = Nachrichten d. Akad. 
d. Wiss. in Gqttingen, phil.-hist. Klasse, Jg. 1943, Nr 5; W. 
Danckert, Alteste Musikstile u. Kulturschichten in O. 
u. Indonesien, Zs. f. Ethnologie LXXVII, 1952; H. Fi- 
scher, Schallgerate in O., = Slg mw. Abh. XXXVI, Strafi- 
burg u. Baden-Baden 1958; B. B. Smith, Folk Music in 
Hawaii, Journal of the International Folk Music Council 
XI, 1959 ; D. Christensen u. G. Koch, Die Musik d. Ellice- 
Inseln, = Verdff. d. Museums f. Volkerkunde, N. F. V, 
Blnl964;P.CoLLAER,0., = Mg.inBildernI, l,Lpz.(1965). 



697 



P (p)> - 1) Abk. fur piano, piu oder poco; - 2) Abk. 
(selten) f iir pars bzw. parte ; - 3) Abk. f iir Pedal ; - 4) pp : 
Abk. fur pianissimo (oder piu piano). 
Padoana (ital., auch Padovana, Paduana), seit Anfang 
des 16. Jh. gleichbedeutend mit -> Pavane, bezeichnet 
j edoch ab Mitte bis Ende des 1 6. Jh. auch einen im Un- 
terschied zur Pavane schnellen Tanz im Dreiertakt. Er' 
kommt in den Lautentabulaturen von D. Bianchini, A. 
Rotta, G. Gorzanis in Zusammenstellungen wie Pass'e 
mezzo - P. - Saltarello vor, wobei die beiden letzten 
Tanze meist rhy thmische Varianten des Vortanzes sind. 
In anderen Tabulaturen ist die P. auch alleinstehend zu 
finden. Im Sprachgebrauch der genannten Zeit, beson- 
ders in Deutschland, wurden jedoch die Bezeichnungen 
P. und Pavane nicht eindeutig unterschieden: haufig 
wurden auch 3zeitige Tanze Pavane und 2zeitige Tanze 
P. genannt. 

Lit.: L. Moe, Dance Music in Printed Ital. Lute Tabula- 
tures, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1956, maschr.; ders., 
Le probleme des barres de mesure, in: Le luth et sa mu- 
sique, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1958; ders., Artikel P.- 
Padovana-Paduana, in : MGG X, 1962. 

Padua. 

Lit. : T. Zacco, Cenni biogr. di scrittori e compositori di 
musica padovani, P. 1840; N. Pietrucci, Biogr. degli ar- 
tisti padovani, P. 1858; A. Pallerotti, Spettacoli melo- 
dramatici ... nei Teatri Obizzi, Nuovo e del Prato della 
Valle dal 1751 al 1892, P. 1892; Br. Brunelli, I teatri di 
Padova dalle origini alia fine del s. XIX., P. 1921 ; ders., 
II centenario di un teatro padovano, P. 1934; S. Travaglia, 
Musicisti padovani, P. 1930; E. Riooni, Organari ital. e 
tedeschi a Padova nel quattrocento, Note d'arch. XIII, 
1936; R. Casimiri, Musica e musicisti nella cattedrale di 
Padova nei s. XIV, XV, XVI, ebenda XVIII, 1941 - XIX, 
1942; A. Garbelotto, Cod. mus. della bibl. capitolare di 
Padova, RMI LIII, 1951 - LIV, 1952; ders., Un cap. di 
storia mus. presso la cattedrale padovana nel '600, in: Atti 
dell'Accad. Patavina di scienze, lettere ed arti, N. F. LXIV, 
1952 ; ders., Organi e organari nel '500 al Santo di Padova, 
Rom 1953; Uffici drammatici padovani, hrsg. v. G. 
Vecchi, = Bibl. delFArch. romanicum 1, 41 , Florenz 1954. 

Paan (griech. roxtdcv, roxic&v, im Epos toxiyjcov), bei 
den Griechen der Beiname Apollons als Heilgott.auch 
der chorische Kultgesang fiir Apollon, der oft mit der 
Anrufungsformel iij Ilaidv angestimmt wurde. Der P. 
ist bezeugt als Dankgesang nach iiberstandener Seuche 
(Homer, Mas 1, 473), als Siegeslied nach dem Kampf 
(Mas 22, 391), als Bittgesang um Beistand im Kampf 
(z. B. der zweite P. von Pindaros), als Gesang beim ri- 
tuellen Spendopfer vor Festmahlern (z. B. Aischylos, 
Agamemnon 247; vgl. Platon, Symposion 176a). Spater 
konnte der P. auch an Zeus, Poseidon, Dionysos, As- 
klepios und in hellenischer Zeit (als eine Art Hymnus) 
sogar an einzelne Menschen gerichtet sein. Ein P.-Frag- 
ment mit Musiknoten ist auf einem Berliner Papyrus 
iiberliefert (->■ Griechische Musik). 
Lit.: A. Fairbanks, A Study of the Greek P., = Cornell 
Studies in Classical Philology XII, (NY 1900); L. Deub- 
ner, Der P., Neue Jb. f. d. klass. Altertum XXII, 1919. 



P&dagogik -»■ Gehorbildung, -»■ Musikerzie- 
hung, -»■ Privatmusikerziehung, -»- Schulmu- 
sik. 

Paenultima (erganze: vox, lat., vorletzter Ton), in 
der mittelalterlichen Musiklehre Bezeichnung fiir den 
Ton vor dem letzten Ton (ultima [vox]) einer Ligatur 
oder einer -> Klausel. Die P. ist als »vorletzter Ort« der 
-> SchluB-Bildung oft besonders ausgestaltet, z. B. als 
Organicus punctus (->• Orgelpunkt) in der Mehrstim- 
migkeit des 13. Jh. 

Paleographie musicale (frz.) -> Denkmaler 

(Frankreich 2). 

Palermo. 

Lit.: G. Sorge, I teatri di P. nei s. XVI, XVII, XVIII, P. 
1926; I. Ciotti, La vita artistica del Teatro Massimo di P. 
(1897-1937), P. 1938; ders. u. O. Tiby, I cinquanfanni 
del Teatro Massimo di P., P. 1947 ; O. Tiby, La musica nella 
Real Cappella Palatina di P., AM VII, 1952; ders., II Real 
Teatro Carolino e 1'ottocento mus. palermitano, = Hist, 
musicae cultores, Bibl. IX, Florenz 1957. 

»Palestrina-Stil«-»-Kontrapunkt,->-R6mische 
Schule. 

Palillogja (griech., Wiederholung eines Wortes), in 
derKompositionslehredesl7./18.Jh.eineinAnlehnung 
an die Rhetorik erklarte musikalische Figur: Wieder- 
holung eines Melodieabschnitts oder dessen Anfangs in 
derselben Stimme und in der gleichen Tonhohe. 

Palotas (p'atata: J, ungarisch), ein mafiig langsamer 
mehrsatziger ungarischer Tanz, der wahrscheinlich bis 
ins 15. Jh. zuriickreicht. Er stent im 2/4- oder im 4/8- 
Takt und schlieBt mit einer »Figura«, einer verzierten 
Coda iiber der Dominante und Tonika. 
Panama. 

Lit.: Fr. Densmore, Music of the Tule Indians of P., 
= Smithsonian Miscellaneous Collections LXXVII, Nr 1 1, 
Washington 1926; N. Garay, Tradiciones y can tares de 
P., P.u.Brussell930. 

Pander o (span.), die ->• Schellentrommel der spani- 
schen Volksmusik, die vor allem bei der Begleitung der 
Tanze (z. B. der -»• Muiieira) Verwendung findet. Be- 
sondere apotropaische Bedeutung kommt dem P. in 
den spanischen Karnevalsbrauchen zu, wo es zusammen 
mit der Zambomba (-+ Reibtrommel) und anderen 
Larminstrumenten gebraucht wird. In Laurent Vitals 
Chronik (Voyage des souverains des Pays-Bas III, S. 116) 
iiber die Reise Karls V. nach Spanien (1517) wird das 
Spiel von Instrumenten (unter der Bezeichnung tam- 
boril ; -»■ Tamburin), die nur mit Fell bespannt und mit 
vielen Metallplattchen versehen seien, zum Tanz der 
Frauen beschrieben, ebenso im Recueil et discours . . . 
(1571) iiber die Reise Karls IX. nach Spanien (1564). 

Pandora, auch Bandoer, ein im 16. und friihen 17. Jh. 
gebrauchliches Zupf instrument in BaBlage wie die Erz- 
cister (-> Cister), doch mit birnenformigem, leicht ge- 
schweif tem Corpus wie -> Orpheoreon und -> Penor- 



698 



Pantomime 



con, mit einer Rosette in der Decke und einem Quer- 
riegel zur Befestigung der Saiten. Die P. hat 5-7 Me- 
tallchoreund 15 Bunde (Praetorius Synt. II, Tafel XVII); 
die Sthnmung ist 1G1G CC DD GG cc ee aa oder CC 
DD GG cc ff aa d J di. Nach Praetorius ist die P. in Eng- 
land erfunden worden; in London wurde sie urn 1566 
von John Rose eingefiihrt, in der Berliner Hofkapelle 
war sie noch 1667 in Gebrauch. 

Pandura -*■ T a n b u r. 

Panflote, Panpf eife (Attribut Pans; griech. -»■ Sy- 
rinx; weitere Namen u. a. altfrz. frestel, ital. fregamu- 
soni, firlinfoeu, rumanisch naiu, chinesisch p'ai hsiao; 
in Siidamerika u. a. rontador, antaras, huayra-puhura), 
ein Blasinstrument, das aus mehreren gebundelten, in 
der Regel unten geschlossenen Rohren besteht, die 
meist direkt am glatten oder (wie im Fernen Osten) 
gekerbten oberen Rand, seltener fiber einen Schnabel 
angeblasen werden. Die P.n in den verschiedenen Lan- 
dern der Erde weichen voneinander ab hinsichtlich des 
Materials (Schilf, Bambus, Holz, Ton, Stein) und der 
Bauweise (flofiartig oder rund gebundelt, verschniirt 
oder mit Wachs verklebt, auch aus einem Stuck gear- 
beitet). Bei den Cuna-Indianern in Panama werden 2 
P.n (mannliches und weibliches Instrument) von einem 
Spieler gespielt, anderwarts (Melanesien, Polynesien) 
auch mehrere P.n im Ensemble. Im Abendland ist die 
P. seit dem Mittelalter nachweisbar; als volkstiimliches 
Instrument ist sie vor allem in Italien und Rumanien 
heimisch. - Da P.n bei vielen Volkern vorkommen 
und die Tone der einzelnen Rohren sich gut messen 
lassen, kniipfen sich an das Instrument mehrere musik- 
ethnologische Theorien iiber Tonsysteme (-»■ Blas- 
quinte), Melodik und Mehrstimmigkeit. 
Lit. : E. M. v. Hornbostel, Ober einige Panpfeifen aus 
Nordwest-Brasilien, in: Th. Koch-Grunberg, Zwei Jahre 
unter d. Indianern II, Bin 1910; A. H. Fox Strangways, 
The Pipes of Pan, ML X, 1929; K. G. Izikowitz, Mus. and 
Other Sound Instr. of the South American Indians, = G6- 
teborgs Kungl. Vetenskabs- och Vitterhets-Samhalles 
Handlingar V, Serie A, V/l, Goteborg 1935; H. Hick- 
mann, Das Portativ, Kassel 1936 ; W. K. Steschenko-Kuf- 
tina, Drewnejsche instr. osnowy grusinskoj narodnoj mu- 
syki I. Flejta pana (»Die altesten Instr. d. georgischen 
Volksmusik I. Die P.«), Tiflis 1936; M. Schneider, Be- 
merkungen iiber sudamerikanische Panpfeifen, AfMf II, 
1937; P. H. Buck, Panpipes in Polynesia, Journal of the 
Polynesian Soc. L, 1941 ; Fr. Zagiba, Funde zur vorge- 
schichtlichen Musik in Osterreich . . . , Anzeiger d. phil.- 
hist. Klasse d. Osterreichischen Akad. d. Wiss. XCI, 1954; ' 
S. Mart!, Instr. mus. precortesianos, Mexiko 1955; H. Fi- 
scher, Schallgerate in Ozeanien, = Slgmw. Abh. XXXVI, 
StraBburg u. Baden-Baden 1958. 

Pange lingua (tat-), um 569 von Venantius Fortunatus 
gedichteter und vertonter Kreuzeshymnus (P. I. gloriosi 
proelium certaminis), seit dem 9./10.Jh. zunehmend fester 
Bestandteil im Offizium der Passionszeit (heute in der 
Matutin vom 1. Passionssonntag bis zum Mittwoch 
der Karwoche), der Feste Kreuzerhohung (14. Septem- 
ber) und Kreuzauffindung (3. Mai; 1960 abgeschafft) 
und zur feierlichen Kreuzverehrung am Karfreitag. 
Sein Text umfaBt 10 Strophen mit jeweils 3 Versen, 
deren Grundlage 2 trochaische Dimeter bilden. Die in 
der romischen Liturgie allgemein gebrauchliche Fas- 
sung P. 1. gloriosi lauream certaminis datiert aus der Zeit 
der Brevierreform Papst Urbans VIII. (beendet 1631). 
Wahrend das Vatikanische Graduale (1908) den Text 
nur in seiner originalen Form bietet, bringen spatere 
Ausgaben beide Fassungen. Von den etwa 100 nach 
dem Vorbild dieses Hymnus entstandenen Neuschop- 
fungen behauptet sich das P. I. gloriosi corporis mysterium 
Thomas von Aquins(?) bis zur Gegenwart als Vesper- 
und Prozessionshymnus vom Fronleichnamsf est, ferner 



als Prozessionshymnus vom Griindonnerstag. Der 
Brauch, die beiden SchluBstrophen Tantum ergo und 
Genitori Genitoque vor dem eucharistischen Segen zu 
singen, ist schon im 15. Jh. nachzuweisen. Aus dem An- 
fang jenes Jahrhunderts stammt eine friihe deutsche 
Obersetzung des Fronleichnamshymnus (Lobt all czun- 
gen des ernreichen gotes leichnambs wirdikait), der dann 
auch in die protestantischen Gesangbiicher der Refor- 
mationszeit Eingang fand (Mein zung erklyng). - Die 
iiberragende Bedeutung des P. 1. fiir das kirchlich- 
religiose Leben spiegelt sich nicht zuletzt in zahlrei- 
chen uberlief erten Melodien. So enthalten die mittelal- 
terlichenQuellen mindestens 10 verschiedeneMelodien, 
darunter vor allem die heute zum Text P. I. gloriosi 
corporis mysterium gesungene urspriingliche Weise in 3 
kirchentonalen Versionen (auf d, e und a), von denen 
die phrygische als Originalmelodie gelten darf (Monu- 
menta monodica medii aevi I, Nr 56/2). Im Unterschied 
hierzu besitzt der Prozessionshymnus P. I. gloriosi lau- 
ream [proelium] certaminis vom Karfreitag eine eigene 
Melodie (dorisch, mit ubereinstimmender 2. und 3. 
Zeile; Monumenta monodica . . . I, Nr 1007). Er wird zu- 
sammen mit dem Kehrvers Crux fidelis vorgetragen, 
der neben dem metrischen Textbau auch die Melodie 
des P. 1. aufweist. 

Ausg. : Analecta hymnica medii aevi L, hrsg. v. Cl. Blume 
SJ u. G. M. Dreves, Lpz. 1907 (Text) ; Monumenta mono- 
dica medii aevi I, hrsg. v. Br. Stablein, Kassel 1956. 
Lit. : Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied ... II, 
Lpz. 1 867 ; W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in 
seinen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck 
Hildesheim 1962; J. Zahn, Die Melodien d. deutschen ev. 
Kirchenlieder II, Gutersloh 1890, Munchen 21946, Nr 
3682a; U. Chevalier, Repertorium hymnologicum II, L6- 
wen 1897; Br. Stablein, Zur Gesch. d. choralen P.-l.-Me- 
lodie, in : Der kultische Gesang d. abendlandischen Kirche, 
Fs. D. Johner OSB, Koln 1950; C.-A. Moberg, Zur Melo- 
diegesch. d. P.-l.-Hymnus, Jb. f . Liturgik u. Hymnologie V, 
1960; J. SzoviRFFY, Die Annalen d. lat. Hymnendichtung 
I, Bin (1964). 

Pantaleon (frz. pantalon), ein grofies -*■ Hackbrett 
mit einem Tonumfang von 5-51/2 Oktaven, Resonanz- 
boden und vollstandigen Saitenbeziigen auf beiden 
Seiten. Durch Umwenden des Instruments konnte 
wechselweise entweder auf den sanf ter tonenden Darm- 
saiten oder auf den scharfer klingenden Metallsaiten 
gespielt werden, wobei die Saiten des nach unten ge- 
kehrten Bezugs jeweils als ->■ Aliquotsaiten wirkten. 
Der Anschlag erfolgte (wie beim Hackbrett und auch 
beim -»• Cimbalom) mit Kloppeln. Es gab allerdings 
auch Instrumente mit nur einem Resonanzboden, der 
dann nur mit Darmsaiten bezogen war. Ludwig XTV. 
benannte das Instrument nach Pantaleon -> Heben- 
streit, der es seit den 1690er Jahren auf Konzertreisen in 
ganz Europa vorfuhrte. In der 2. Half te des 18. Jh. kam 
das P. wieder aus der Mode. - Urspriinglich wohl zur 
Nachahmung des Nachklingens und Ineinandertonens 
der P.-Saiten entstand der P.-Zug am Pianoforte, der 
im Fortepedal (Dampferhebung) des modernen Kla- 
viers weiterlebt. Andere Vorrichtungen, die an Kla- 
vieren um 1800 vereinzelt begegnen und die durch 
Einschieben eines Blechstreifens iiber die Saiten an der 
Anschlagstelle der Hammer oder durch Einschalten ei- 
ner zweiten, unbelederten Hammerreihe den Klang- 
charakter des Pianofortes in Richtung des P.s verander- 
ten, wurden ebenfalls P.-Zug genannt. 
Lit.: J. Mattheson, Critica Musica II, Hbg 1725, Faks. 
Amsterdam 1964. 

Pantomime (griech., alles nachahmend), als Gattung 
schwer bestimmbare, mit den Formen des Theaters, 
mit Mimik, Tanz, Akrobatik, Marionettenspiel ver- 
wandte Kunst des korperlichen Ausdrucks. - Bereits in 



699 



Papadike 



hellenistischer Zeit in Griechenland, Kleinasien und 
Agypten verbreitet, wurde die P. im Augusteischen 
Rom (-> Romische Musik) durch Pylades (Tragodien- 
P.) land Bathyllus (Komodien-P.) zur Mode: eine von 
Chor- und Instrumentalmusik begleitete Theaterdar- 
bietung, bei der sich ein stumm (mit Maske) agierender 
Schauspieler oder Tanzer allein durch Gebardenspiel 
und Tanz verstandlich machte. Nachdem die P.n-Auf- 
fiihrung wegen AnstoBigkeit mehrfach verboten wor- 
den war, wurde sie 526 n. Chr. endgiiltig abgeschafft. 
In Byzanz lebte eine Sonderform der P. als Bestandteil 
des Kaiserzeremoniells weiter. - P.n allegorischen In- 
halts mit Musik, wie sie seit der Renaissance (von Italien 
ausgehend) in den Intermedien hofischer Feste, in den 
Trionfi, in den Intermedien des geistlichen und weltli- 
chen Theaters zur Geltung kamen, gehoren zu den 
Vorstufen von Oper und Ballett; im Barock wurden 
Apparat und AusmaBe noch gesteigert (Waffenturnier, 
RoBballett). Im 18. Jh. hatte J.G. -► Noverre durch 
seine im pantomimischen ->■ Ballett verwirklichten 
Reformideen bedeutende Erfolge. Eine andere, volks- 
tiimliche Entwicklung der P. laBt sich von den mit- 
telalterlichen Mysterien iiber Wanderbiilme, Corn- 
media dell'arte, Jahrmarkttheater bis ins 19. Jh. verfol- 
gen. Das zunehmend gesellschaftskritische, bei zeitwei- 
ligem Redeverbot auf die stumme P. angewiesene Mi- 
mustheater Harlekins erlebte im 19. Jh. einen letzten 
Hohepunkt (J.G.Deburau) und zugleich Verfall. Ele- 
mente der Harlekinade fanden Eingang in Zirkus, Va- 
riete, Stumm- (Charlie Chaplin) und Musikfilm (Fred 
Astaire, Gene Kelly). Eine neue, von dem Charles 
Dullin-Schuler Etienne Decroux kanonisierte, von 
Jean-Louis Barrault, Marcel Marceau, Jean Soubeyran 
u. a. realisierte und erweiterte Form derP. stellt mensch- 
liche Zustande und Handlungen (analytisch) dar, deren 
jeweils Typisches im reinen Gebardenspiel derart stili- 
siert und »sprechend« erscheint, daB Wort, Musik, Re- 
quisiten nur als Akzent verwendet oder ganzlich ent- 
behrlich werden. Bei Samy Molcho gewinnt neuer- 
dings die (dramatische) Darstellung seelischer Konliik- 
te Vorrang. Der Bewegungsstil der von Decroux in- 
augurierten P.n hat auf das moderne Ballett (Maurice 
Bejart) zuriickgewirkt. In der Vereinfachung und 
Symbolisierung beriihrt sich dieser P.n-Typ mit dem 
Bewegungsritus des fernostlichen Theaters (-»■ No; 
-> Chinesische Musik). - P. findet sich in der neueren 
Musik als Satziiberschrift u. a. bei Ravel (Daphnis et 
Chhi, 1912) und A.Honegger (Suite archaique, 1951). 
Schreker komponierte 1908 die P. Der Geburtstag der 
Infantin. Bartoks Ballett »Der wunderbare Mandarin« 
(1918/19) wird auch als P. bezeichnet. Die 6. Szene in 
Hindemiths Cardillac (1952) ist eine P. 
Lit.: R. J. Broadbent, A Hist, of P., NY 1901, 21964; L. 
Friedlander, Darsteliungen aus d. Sittengesch. Roms, 4 
Bde, Lpz. 101921-23; T. T. Krogh, Forudsaedninger for 
den Casorti'ske P., = Studier fra Sprog- og Oldtidsforsk- 
ning CLXXI, {Copenhagen 1936; Pauly-Wissowa RE, 
Bd XVIII, 3, 1949, Artikel Pantomimus; H. Kindermann, 
Theatergesch. Europas, Salzburg 1957ff.; J. Larson, Mi- 
me, London 1957; V. Rotolo, II pantomimo, = Quaderni 
delFInst. di filologia greca della Univ. di Palermo I, Paler- 
mo 1957; M. Bonaria, Artikel Pantomimo, in: Enciclopedia 
dello spettacolo VII, Rom (1960); K. G. Simon, P., Mun- 
chen (1960); M. Marceau u. H. Ihering, Die Weltkunst d. 
P., Zurich 1961; J. Dorcyu. M. jAC0T,P.,Lausanne(1963); 
J. Soubeyran, Die wortlose Sprache, = Theater heute IV, 
Velber (1963) ; D. Mehl, Die P. im Drama d. Shakespeare- 
zeit, = Schriftenreihe d. Deutschen Shakespeare Ges. 
West, N. F. X, Heidelberg 1964. 

Papadike (griech., von nana.^, Vater, Weltgeistli- 
cher), in der Byzantinischen Liturgie das Buch des Prie- 
sters (roxrraSix-}) (3£|3Xo<;) oder die Lehre vom Kirchen- 



gesang (wx7ta8ua) T^xvr))- In der ersten Bedeutung be- 
zeichnet P. ein zuerst im 14. Jh. nachweisbares litur- 
gisches Buch; sein Repertoire umfaBte Gesange, die in 
der unmittelbar vorausgehenden Zeit dem Asmatikon 
und dem Psaltikon angehort hatten (->• Byzantinischer 
Gesang). Im Laufe der Zeit wurden die aus der neo- 
byzantinischen Epoche iiberlieferten Melodien allmah- 
lich verandert oder durch Neukompositionen der Mai- 
stores (nouaTtope?) ersetzt. So entstand ein besonderer 
Stil, der noch heute Genos papadikon heiBt. Oft ent- 
hielt die P. - meist zu Anfang - auch eine Elementar- 
lehre des Byzantinischen Gesangs. Daher bezeichnet 
das Wort in der zweiten Bedeutung alle jene Elemen- 
tarlehren, die das System der musikalischen Zeichen, 
deren Deutung nach den Regeln der Cheironomie so- 
wie die Grundlagen des Tonartensystems behandeln. 
Ausg. u. Lit.: Techne psaltike, GS III, 397f.; W. Christ, 
Beitr. zur kirchlichen Lit. d. Byzantiner, Sb. Munchen 
1870; V. Gardthausen, Beitr. zur griech. Paleographie 
VI: Zur Notenschrift d. griech. Kirche, Sb. Lpz. 1880; 
M. Paranikas, T6 7i6Xaiov atia-cnua 'tflC feKKXnaiaaxi- 
Kfj? uouaucfjc;, in: 'EXXnvuc&c; OiXoXoyucdc; SuXXoyoc; 
XXI, 1891; J.-B. Thibaut OSB, Traites de musique 
byzantine, Rev. de l'Orient chrttien VI, 1901 ; Monuments 
de la notation ekphonetique . . . , hrsg. v. dems., St. Peters- 
burg 1913; O. Fleischer, Die spatgriech. Tonschrift, 
= Neumen-Studien III, Bin 1 904 ; J.-B. Rebours, Quelques 
mss. de musique byzantine, Rev. de TOrient chr6tien IX, 
1904 - X, 1905; L. Tardo, L'antica melurgia bizantina, 
Grottaferrata 1938; B. Di Salvo, Qualche appunto sulla 
chironomia . . . , Orientalia Christiana periodica XXIII, 
1957; R. Schlotterer, Aufgaben u. Probleme bei d. Er- 
f orschung d. byzantinischen Musiktheorie, Actes du X e con- 
gres international des etudes byzantines, Istanbul (1957). 

Paraguay. 

Lit. : I. D. Strelnikov, La musica y la danza de las tribus 
indias Kaa-Ihwua (Guarani) y Botocudo, Proceedings of 
the 23 rt International Congress of Americanists at NY 
1928, NY 1930; J. M. Boettner, Musica y musicos del P., 
Asuncion 1956. 

Parakusis (von griech. rcapdcxouati;), Falschhoren, ne- 
ben eingebildeten Horwahrnehmungen wie Ohren- 
klingen besonders die -*■ Diplakusis. 

Parallelbewegung, auch gerade Bewegung genannt 
(lat. motus rectus), eine der Grundmoglichkeiten der 
-> Stimmfiihrung: das Fortschreiten zweier oder meh- 
rerer Stimmen in gleicher Richtung (steigend oder 
fallend). 

Parallelen, das auf- oder abwartsfiihrende Fortschrei- 
ten von zwei oder mehr Stimmen in gleicher Richtung 
bei gleichbleibender Distanz. Wahrend in naturwuch- 
siger, in usueller (so moglicherweise bei der ->■ Pa- 
raphonia) und in der artifiziellen Mehrstimmigkeit 
(-> Organum) die Bewegung in P. eines der Prinzipien 
bzw. einen Ausgangspunkt der Klanggestaltung bildet, 
hat die Musiklehre seit dem 14. Jh. fur diese Art des 
Fortschreitens Regeln aufgestellt, wonach grundsatz- 
lich - unter Berufung auf die gefahrdete Selbstandig- 
keit der Stimmen - offene Oktaven- und Quinten- 
P. verboten sind. Im 14./15. Jh. begegnen Quinten-P. 
zwischen Stimmen (Cantus und Contra tenor), die 
nicht aufeinander, sondern auf eine dritte Stimme (Te- 
nor) bezogen sind. Manche Theoretiker (Zarlino 1558) 
untersagten, mit Hinweis auf den Tritonus (-v Quer- 
stand), auch P. groBer Terzen. In den Vokalkompo- 
sitionen des 16./ 17. Jh. ist -*■ Stimmkreuzung ein be- 
liebtes Mittel, um offene P. virtuell zu umgehen. Ei- 
nen besonderen Fall von erlaubten Quinten-P. stellen 
die sogenannten Mozartquinten dar; sie entstehen bei 
der Auflosung des UbermaBigen Quint- 
sextakkordes (Doppeldominante mit: 
kleiner None und tiefalterierter Quin- 



700 



Parameter 



te) in den Dominantdreiklang. Das P.-Verbot wurde 
im 17. und 18. Jh. um verschiedene Einzelverbote er- 
weitert; deren wichtigste beziehen sich auf : 



Akzent-P.: 



verdeckte P. : 



Anti-P.: 
















V "--»■ 


•«• 



Diese Verbote sind jedoch stets mehr oder weniger um- 
stritten gewesen; in der kompositorischen Praxis gal- 
ten sie vor allem fur die AuBenstimmen im strengen 
Satz. Im freien Satz sind Akzent-P. haufig zu finden, 
zumeist bedingt durch bestimmte Figurationsmotive 
(z. B. J.Brahms, 3. Symphonie F dur op. 90, 1. Satz, 
Takt 77f., zwischen Va/Vc. und V. II). Das Verbot von 
verdeckten P. wird damit 
begriindet, daB sich der 
Horer den Sprung der 
einen Stimme durch Stufenschritte ausgefiillt vorstellt, 
so daB in der Vorstellung offene P. entstehen. Verdeckte 
P. sind durchweg gestattet in Mittel- 
stimmen sowie als Hornquinten - so 
genannt in Analogie zu der durch die 
Naturtone bedingten Parallelbewegung im 2st. Horn- 
satz. Anti-P., deren Ausgangs- und Zielpunkt unter 
Ausklammerung der Bewegungsrichtung offenen P. 
entsprechen, sind nur im strengen Satz verboten; in 
SchluBwendungen treten sie sonst oft in Erscheinung. 
Parallelgef iihrte Oktavierungen von Stimmen, vor al- 
lem in der Instrumentalmusik, und die haufigen Quin- 
ten- und Oktaven-P. in der neueren Musik (Puccini, 
Debussy, Strawinsky u. a.) fallen nicht in den Bereich 
des P.-Verbots, sondern sind als mixturartige Verdop- 
pelungen einer einzigen Stimme zu verstehen (Prae- 
torius Synt. Ill, S. 91fi.). Ahnliches gilt fur den Ge- 
brauch von P. als eines volkstiimlichen bzw. altertum- 
lichen Stilmittels (z. B. J.Regnart, Warm ichgedenck der 
stund; G.Verdi, Requiem). 

Lit. : G. Weber, Versuch einer geordneten Theorie d. Ton- 
setzkunst IV, Mainz 21824, 31 832 ; Th. Uhlig, Die gesunde 
Vernunft u. d. Verbot d. Fortschreitung in Quinten, 1853, 
in : Mus. Schrif ten, hrsg. v. L. Frankenstein, = Deutsche 
Musikbucherei XIV, Regensburg (1914); A. W. Ambros, 
Zur Lehre v. Quintenverbote, Lpz. 1859; W. Tappert, 
Das Verbot d. Quinten-P., Lpz. 1869; M. Hauptmann, 
Zum Quintenverbot, in: Opuscula, hrsg. v. E. G. Haupt- 
mann, Lpz. 1874, S. 62-64; W. A. Rischbieter, Die ver- 
deckten Quinten, Hildburghausen 1882; H. Riemann, 
Von verdeckten Quinten u. Oktaven, in: PrSludien u. Stu- 
dien II, Lpz. 1900; H. Schenker, Neue mus. Theorien u. 
Phantasien II, 1, Stuttgart 1910, u. II, 2, Wien 1922; A. 
Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1960, engl. NY 
1947; R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Stuttgart 
4 1913; J. Brahms, Oktaven- u. Quintenstudien aus d. Nach- 
laB, hrsg. u. erlautert v. H. Schenker, Wien 1934; H. Le- 
macher, t)ber d. Verbot v. P., ZfM CIV, 1937 ; A. Ehren- 
bero, Das Quinten- u. Oktavenparallelenverbot in syste- 
matischer Darstellung, Breslau 1938 ; R. H. Robbins, Beitr. 
zur Gesch. d. Kontrapunkts v. Zarlino bis Schiitz, Diss. 
Bin 1938. 

Parallelklang ist jeder Dreiklang, der mit einem an- 
deren Dreiklang gegenteiligen Geschlechts das Intervall 
der groBen Terz gemeinsam hat und dessen Grundton 
zum Grundton des anderen im Kleinterzverhaltnis steht, 
z.B.: g 

e 



kleine 



Terz { 



groBe Terz 



Nach der dualistischen Theorie H. Riemanns stehen die 
Haupttone beider Dreiklange (e von a-c-e und c von 
c-e-g) im GroBterzverhaltnis zueinander. Da zwischen 
beiden Dreiklangen ein Wechsel des Klanggeschlechts 
stattfindet, nennt Riemann den P. auch Terzwechsel- 
klang. Das P.-Verhaltnis ist umkehrbar: jeder Drei- 
klang ist der P. seines P.s. In der dur-moll-tonalen Har- 
monielehre entsprechen die Parallelklange der Haupt- 
dreiklange auf der 1., 4. und 5. Stufe der Tonart in 
Dur den Molldreiklangen auf der 6., 2. und 3. Stufe, 
im reinen Moll den Durdreiklangen auf der 3., 6. und 
7. Stufe. Es sind samtlich -> Nebendreiklange. Dure 
funktionelle Abhangigkeit von den Hauptdreiklangen, 
deren haufigste Steflvertreter sie sind, erfaBt Riemann 

durch die Funktionsbezeichnungen Tp, _g 

Sp und Dp bzw. °Tp, °Sp und °Dp. In Ge- A .. 
stalt des Sextakkordes gilt der P. als Sub- ™ -8 S : 
stitutklang (Grabner) einer Hauptfunk- T* ' 5 
tion, in der anstelle der Quinte die Sexte gesetzt ist. 
Lit. : H. Riemann, Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. »1921 ; H. 
Grabner, Hdb. d. Harmonielehre, Bin u. Wunsiedel 1944. 

Paralleltonarten heiBen diejenigen Paare von Dur- 
und Molltonarten, die gleiche Vorzeichen haben; so 
ist A moll die Paralleltonart von C dur bzw. C dur die 
Paralleltonart von A moll. In der Funktionsharmonik 
konnen sich die P. gegenseitig vertreten (->• Parallel- 
klang; -»■ Mediante). 

Param?se,Paranete, Parhypjte (griech.) -> Sy- 
stema teleion. 

Parameter (von griech. Ttapa(xeTp£to, s. v. w. an et- 
was messen, vergleichen), allgemeine mathematische 
Bezeichnung fiir Kennwerte, die eine Funktion be- 
stunmen. In der mathematischen -> Statistik werden 
Kennwerte, die aus einer Stichprobe gewonnen wur- 
den (z. B. die Haufigkeiten bestimmter Notenwerte in 
einem Musikstiick), als MaBzahlen bezeichnet, solche 
dagegen, die einer Grundgesamtheit (Population) ent- 
stammen, heiBen P., so etwa die Altersverteilung der 
Weltbevolkerung. Grundgesamtheiten, deren Eigen- 
schaften die mathematische Statistik zu erfassen sucht, 
lassen sich in der Regel durch eine begrenzte Anzahl 
von P.n in ihren wesentlichen Ziigen beschreiben. Eine 
der wichtigsten Aufgaben besteht fiir die Statistik ne- 
ben der Prufung von Hypothesen darin, von einer be- 
stimmten Stichprobe auf die P. der Grundgesamtheit 
zu schlieBen (Schatzen der P.). So werden Tests immer 
an den MaBzahlen einer begrenzten Zahl von Ver- 
suchspersonen vorgenommen, von denen man anneh- 
men kann, daB sie eine fiir die jeweilige Fragestellung 
representative Auswahl darstellen. Die -> Informa- 
tionstheorie kennt den Begriff des Signal-P.s. Sofern 
sich ubermittelte Signale durch eine (skalare oder vek- 
torielle) Funktion darstellen lassen - wie es etwa bei 
akustischen Schwingungen der Fall ist, die durch eine 
Sinusfunktion darstellbar sind -, wird jeder durch 
eine mathematische Vorschrift behebiger Art aus ei- 
ner bestimmten Funktion ableitbare numerische Wert 
als P. dieser Funktion bezeichnet. Kann die Signal- 
funktion aus ihren P.n rekonstruiert werden, so ist 
die P.-Darstellung reversibel; ist dies nicht oder nur 
zum Teil moglich, so gilt sie als mehr oder minder 
irreversibel. Die Anzahl der einer Signalfunktion von 
endlicher raumzeitlicher Ausdehnung bei begrenzten 
Amplituden zuzuordnenden P. ist ebenfalls endlich 
und gleich der Anzahl der Freiheitsgrade der Signal- 
funktion. - Die exakte Beschreibung der Struktur des 
sogenannten Wahrnehmungsraumes, d. h. aller Di- 
mensionen, die am Zustandekommen von Wahrneh- 
mungen beteiligt sind, ist in analoger Weise daran ge- 
kniipft, daB Beobachtungsdaten planmaBig in bezug 



701 



Paraphonia 



auf mathematisch erfaBbare Eigenschaften (P.) variiert 
werden konnen und nicht auf Eigenschaften, die erst aus 
den Wahmehmungen und Empfindungen abzuleiten sind 
(Meyer-Eppler). Auch bei der Horwahrnehmung muB 
daher streng unterschieden werden zwischen den (ob- 
jektiv erfaBbaren) P.n des physikalischen Schallvorgan- 
ges wie Frequenz, Amplitude, spektrale Zusammen- 
setzung, Dauer usw. und andererseits den aus Wahr- 
nehmung und Vorstellung abgeleiteten Eigenschaften 
wie Tonhohe (Tonqualitat), Klangfarbe, Lautstarke 
usw. DaB auch subjektive Dimensionen - vor allem bei 
der Darstellung theoretischer Probleme zeitgenossi- 
scher Musik (-»■ Serielle Musik) - mit dem Begriff P. 
belegt werden, hat seinen Grund vor allem in einem 
Konzept, das sich bewufit an das der modernen Mathe- 
matik anlehnt und deren Kategorien auf die Musik zu 
ubertragen sucht. 

Lit. : J. P. Guilford, Fundamental Statistics in Psycho- 
logy and Education, NY, Toronto u. London 31956; W. 
Meyer-Eppler, Grundlagen u. Anwendungen d. Inf orma- 
tionstheorie, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1959 ; G. A. Lie- 
nert, Verteilungsf reie Methoden in d. Biostatistik, Meisen- 
heim a. Gl. 1 962 ; A. Linder, Statistische Methodenf . Natur- 
wissenschaf tier, Mediziner u. Ingenieure, Basel u. Stuttgart 
4 1964; H. Meschkowski, Mathematisches Begriffsworter- 
buch I, = Hochschultaschenbucher XCIX/XCIXa, Mann- 
heim 1965; P. R. Hofstatter u. D. Wendt, Quantitative 
Methoden d. Psychologie, Munchen 2 1966. HPR 

Paraphonia (lat., von griech. roxpocipcovta). In der 
spatantiken und byzantinischen Intervallehre sind die 
Symphonien (Konsonanzen) gegliedert in antiphone 
(im Tonsystem korrespondierende Tone: Oktave und 
Doppeloktave) und paraphone (»nebenstimmige«, ne- 
bengeordnete: Quinte und Quarte), so im 1. und 2. Jh. 
n. Chr. bei Thrasyllus, Pseudo-Longinus und Theo 
Smyrnaeus, auch bei den Byzantinern M.Psellos und 
M.Bryennios (11. und 14. Jh.). - Die Ordines Romani 
I-HI (Migne Patr. lat. LXXVHI, 940ff.) aus dem 7./8. 
Jh. nennen von den 7 Mitgliedern der -> Schola can- 
torum die ersten drei Prior [Primicerius], Secundus [Se- 
cundicerius], Tertius scholae, den 4. Sanger Archipara- 
phonista und den 5. bis 7. Paraphonistae, dazu die Kna- 
ben (Infantes). A.Gastoue bezog die Kennzeichnung 
para- im Sinne von »danebenstehend« auf die in den 
Ordines beschriebene Aufstellung der Sanger: je 2 Pa- 
raphonisten flankieren die 2 Reihen der Knaben. J. 
Handschin verstand hier para- als »untergeordnet«: 
Paraphonista, »Chorsanger«, als graezisierende Para- 
phrase zu lateinisch Succentor (= Subcantor, urspriing- 
lich der untergeordnete Sanger, der im Chor fungiert), 
was die auf responsoriale Gesangsart bezogenen Anwei- 
sungen der Ordines nahelegen. Am wahrscheinlichsten 
ist, wie P. Wagner und nach ihm C.-A. Moberg es deu- 
ten, daB Paraphonisten diejenigen Sanger hieBen, die 
in paraphonen Intervallen, Quinte oder Quarte, san- 
gen, womit das Parallelsingen in diesen Intervallen fin- 
den romischen Kirchengesang des 7./8. Jh. beurkundet 
ware. P. galte somit analog der ebenfalls in der Spat- 
antike bezeugten Bedeutung von Antiphonie (^Iao? 
<4vrl<pcovov), dem beim Singen von Knaben oder 
Frauen und Mannern sich ergebenden Oktavengesang. 
Wie u. a. einige Sequenztexte des 10./11. Jh. bezeugen, 
begegnen die Paraphonisten auch im karolingischen 
Norden (Analecta Hymnica VII, Nr 98: ... Die, para- 
phonista, cum mera symphonia . . .; auch in Nr 164 und 
Nr 173: ... paraphonistarum turba . . .). Vermutlich 
handelt es sich bei der P. stets um die selbstverstandli- 
che, d. h. keiner Theorie bediirf tige Praxis des gleichzei- 
tigenCantusvortragsaufverschiedenenTonstufen.nicht 
aber um den Beginn der Mehrstimmigkeit (->■ Dia- 
phonia), die erst in den »diaphonia vel organum «-Trak- 
taten vor und um 900 mit dem Beschreiben und schrif t- 

702 



mafiigen Erfassen des nicht durchlaufend parallelen 
Quartenorganum (-»■ Organum) musikalischfaBbarund 
geschichtlich bedeutsam wurde. 
Lit.: P. Wagner, Etnfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I, Freiburg i. d. Schweiz 1895, 21901, Lpz. M911, 
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders., Uber d. 
Anfange d. mehrst. Gesanges, Zf Mw IX, 1926/27, dazu K. 
Meyer, J. Handschin u. P. Wagner, ebenda, S. 123, 316 u. 
384; ders., La paraphonie, Rev. de Musicol. XII, 1928 ; A. 
Gastoue, Paraphonie et paraphonistes, ebenda, dazu P. 
Wagner, ebenda XIII, 1929, S. 4; C.-A. Moberg, Eine ver- 
gessene Pseudo-Longinus-Stelle iiber d. Musik, Zf Mw XII, 
1929/30; J. Handschin, Mg. im Uberblick, Luzern (1948), 
21 964 ; E. L. Waeltner, Das Organum bis zur Mitte d. 1 1 . 
Jh.,Diss.Heidelbergl955,maschr. HHE 

Paraphrase (von griech. 7tapdc<ppacuc;, Umschrei- 
bung) ist in der Literatur eine Bearbeitung, vor allem 
die Umsetzung eines bestehenden Werkes in einen an- 
deren Stilbereich (z. B. von Vers in Prosa oder umge- 
kehrt), wie sie Quintilianus (1, 9, 2) als Gegenstand der 
rhetorischen Ausbildung beschreibt. Eine iiberragende 
Rolle spielt die P. in der geistlichen Dichtung, da sie als 
Mittel dient, die uberlieferten Texte im Lichte der ei- 
genen Erf ahrung neu zu deuten (vgl. Luthers Kirchen- 
Eeder). So bestehen die gottesdienstlichen Lieder der 
reformierten Kirchen textlich (zunachst) ausschlieBlich 
aus volkssprachUchen P.n der Psalmen und einiger an- 
derer Bibelabschnitte. Auch die lutherischen Lieder des 
16./17. Jh. sind vielfach P.n biblischer oder altkirchli- 
cher Texte. Sie konnen auch ihrerseits paraphrasiert 
werden; so sind die Texte der Rezitative und Arien in 
J.S.Bachs Kantate Aus tiefer Not (BWV 38) P.n der 
Strophen 2-4 von Luthers Lied (Evangelisches Kirchen- 
gesangbuch 195), einer P. von Psalm 130. - In der vir- 
tuosen Musik des 19. Jh. bezeichnet P. (neben Benen- 
nungen wie Variation, Impromptu, Illustration, Re- 
miniscence) die Konzertfantasie iiber beliebte Melo- 
dien, meist Lieder oder Opernstiicke, die bei der Um- 
setzung auf ein anderes Instrument (meist Klavier) oft 
stark verandert und in einen neuen Formzusammen- 
hang gestellt werden. Die P.n des 19. Jh. sind im allge- 
meinen der -»■ Salonmusik zuzurechnen. Ktinstlerische 
Bedeutung haben vor allem die P.n Liszts (3 P.n iiber 
Schweizer Melodien im Album d'un voyageur, 1835/36; 
P.n iiber eine Mazurka von Aljabjew, 1842; das Gau- 
deamus igitur, 1843, und einen Marsch von Giuseppe 
Donizetti, 1847; P.n iiber Verdis Ernani und Rigoletto, 
1860, sowie Totentanz. P. iiber »Dies irae« fur KL und 
Orch., 1849). Liszt fiihrte als zusammenfassende Be- 
zeichnung fiir die ganze Gattung das (ebenfalls in der 
Literatur gelaufige) Wort ->■ Transkription ein und be- 
tonte damit seinen Willen, die virtuosen Zutaten der 
Bearbeitung hinter die dargebotenen Melodien zuriick- 
treten zu lassen. - Ankniipfend an H.Riemann (1907) 
und Schering (1914) benutzt Handschin (1927/28) die 
Bezeichnung P. beim ->■ Tropus sowie - anstelle von 
-»■ Kolorierung - fiir die Verarbeitung (meist im Dis- 
cantus) von Choralweisen in mehrstimmigen Werken 
des 13.-16. Jh., bei der das Melodieoriginal nicht immer 
nur auszierend ertveitert, sondern manchmal auch zusam- 
mengezogen wird und der Kern auch auf ein blofi ideelles 
Dasein beschrankt sein kann (S. 513f.). Im AnschluB hier- 
an bezeichnet Reese Messen, in denen der Choral in 
dieser Art verarbeitet wird, als »p. massess (R. v. Ficker: 
Diskantmessen). 

Lit. zur Text-P. : J. S. Bach, Samtliche Kantatentexte, hrsg. 
v. W. Neumann, Lpz. 1956; L. F. Tagliavini, Studi sui 
testi delle cantate sacre di J. S. Bach, = Univ. di Padova. 
Pubblicazioni della Facolta di lettere e filosofia XXXI, Pa- 
dua 1956, besonders S. 244ff.; R. K6hler, Die biblischen 
Quellen d. Lieder, = Hdb. zum Ev. Kirchengesangbuch I, 
2, Gottingen 1965. - zur virtuosen P. d. 19. Jh.: E. Fried- 
lander, Wagner, Liszt u. d. Kunst d. Klavierbearb., Det- 



Parlando 



mold 1922; R. Koppel, Die P., Diss. Wien 1936, maschr.; 
D. Presser, Studien zu d. Opern- u. Liedbearb. Fr. Liszts, 
Diss. Koln 1953, maschr.; ders., Die Opernbearb. d. 19. 
Jh., AfMw XII, 1955. - zur melodischen Paraphrasierung: 
H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920, S. 109ff. ; 
A. Schering, Studien zur Mg. d. Friihrenaissance, = Stu- 
dien zur Mg. II, Lpz. 1914, S. 31ff.; J. Handschin, Zur 
Frage d. melodischen Paraphrasierung im MA, ZfMw 
X, 1927/28; ders., Mus. Miscellen, Philologus LXXXVI 
(=N. F. XL), 1931; ders., Mg. im Uberblick, Luzern 
(1948), 21964; G. Reese, Music in the Renaissance, NY 
(1954), 21959; R. L. Marshall, The P. Technique of Pa- 
lestrina . . ..JAMS XVI, 1963. 

Parembole (griech., Einfiigung), eine musikalisch- 
rhetorische Figur in der Kompositionslehre des 17. Jh. 
In der Rhetorik ist P. ein Satz oder Satzteil, der ohne 
Gefahrdung von Sinn und Zusammenhang der Rede 
weggelassen werden kann. Burmeister (1599) definiert 
die musikalische P. als Einfiigung, die im Verband an- 
derer thematischer Stimmen nichts zur Fuga beitragt 
(inter jectio nihil ad fugam conferens), sondern (so 1606 
prazisiert) nur die zwischen den anderen Stimmen frei- 
gebliebenenKonkordanzplatzeausfullt (sedtantum vacua 
concordantiarum loca inter Mas voces . . . replens) ; er zeigt 
die P. u. a. am Beispiel von Lassos 5st. Surrexit pastor 
bonus (GA V, S. 57; Anfang der Quinta vox). Durch 
eine solche »Fullstimme« werden Klange vermieden, in 
denen Dreiklangstone fehlen. 

Paris. 

Lit.: G. Corrozet, La fleur des antiquitez ... de P., P. 
1532; H. Sauval, Hist, et recherches des antiquites de la 
ville de P., P. 1724; P.-Fr. G. de Beauchamps, Recherches 
sur les theatres de France depuis l'annee 1161 jusques a 
present, 3 Bde, P. 1735; ders., Bibl. des theatres, P. 1746; 
Fr. u. Cl. Parfaict, Dictionnaire des theatres de P., 7 Bde, 
P. 1756; dies., Hist, de l'Acad. royale de musique (bis 1750 
reichend), Ms. d. Bibl. Nat. ; L. Travenol u. J.-B. Durey 
deNoinville, Hist, du theatre de l'Acad. royale de musique 
en France . . .,2Bde,P. 2 1757;A.DELERis,Dictionnairepor- 
tatif hist, et litteraire des thiatres de P., P. 21763 ; Cl.-Ph. 
Coqueau, Entretiens sur l'etat actuel de l'Opera de P., 
Amsterdam u. P. 1779 ; J. Fr. Reichardt, Vertraute Brief e 
aus P. (1802/03), 3 Teile, Hbg 1804-05; Ch.-S. Favart, 
Memoires et correspondance litteraires . . . , hrsg. v. A.-H.- 
P.-C. Favart, 3 Bde, P. 1808; Fr.-H.-J. Castil-Blaze, De 
l'opera en France, 2 Bde, P. 1820, 21826; ders., Memorial 
du Grand-Opera de 1645 a 1847, P. 1847; ders., Theatres 
lyriques de P., 3 Bde, P. 1855-56; ders., L'Acad. imperiale 
de musique, 2 Bde, P. 1855 ; N. Desarbres, Deux s. a l'Ope- 
ra (1669-1868), P. 1868; A.-G. Chouquet, Hist, de la mu- 
sique dramatique en France . . ., P. 1873; A. Jullien, La 
comedie a la cour de Louis XVI, P. 1873 ; ders., Les Gran- 
des Nuits de Sceaux: le theatre de la duchesse du Maine, P. 
1876; ders., La cour et l'opera sous Louis XVI, P. 1878; 
ders., L'opera secret au XVIIP s. (1 770-90), P. 1 880; ders., 
P. dilettante au commencement du s., P. 1884; J. Bonnas- 
sies, La musique a la Comedie Frc., P. 1874; Ch. L. E. 
Nuitter, Le nouvel Op6ra, P. 1875; ders. u. E. Thoinan, 
Les origines de l'opdra fr?., P. 1886; A. Royer, Hist, de 
l'Opera, P. 1 875 ; Th. de Lajarte, Bibl. mus. du theatre de 
l'Opera, Cat., 2 Bde, P. 1876, 21878; E. Campardon, Les 
spectacles de la f oire . . . depuis 1 595-1 79 1 , 2 Bde, P. 1 877 ; 
ders., L'Acad. royale de musique au XVIII C s., 2 Bde, P. 
1 884; E. d' Auriac, Theatre de la f oire; Recueil de pieces re- 
presentees aux Foires St-Germain et St-Laurent, P. 1878; 
ders., La corporation des menestriers . . ., P. 1880; Ezvar 
du Fayl, Theatres lyriques de P. (1671-77), P. 1878 ; E. G. 
J. Gregoir, Des gloires de l'Opera et la musique a P., 3 Bde, 
Briissel 1878-81 ; A. Vidal, La chapelle St-Julien-des-Me- 
nestriers et les menestrels a P., P. 1878; O. Fouque, Hist, 
du Theatre- Ventadour (1829-79), P. 1881 ; E. Despois, Le 
theatre frc. sous Louis XIV, P. 1882 ; A. Ademollo, I primi 
fasti della musica ital. a Parigij 1 645-62, Mailandl884;CH. 
Th. Malherbe (mit A. Soubies), Hist, de l'Opera-Comique, 
2 Bde, P. 1892-93; G. Robert, La musique a P., P. 1895 
(-1901); J. Martin, L'opera a P., Mouvement mus. de 
1830, P. 1896; C. Pierre, Notes inedites sur la musique de 



la Chapelle royale 1532-1790, P. 1899 ; ders., Musique des 
fetes et ceremonies de la Revolution frc., P. 1899; M. Al- 
bert, Les theatres de la foire (1660-1789), P. 1900; ders., 
Les theatres des boulevards (1789-1848), P. 1902; M. Bre- 
net, Les concerts en France sous l'Ancien Regime, P. 1900 ; 
dies., Les musiciens de la Ste-Chapelle du Palais, P. 1910; 
dies., Musique et musiciens de la vieille France, P. 1911 ; 
M. N. Bernardin, La comedie ital. en France et les thea- 
tres de la foire et du boulevard (1570-1791), P. 1902; A. 
Gastoue, Hist du chant liturgique a P., P. 1904; L. H. 
Lecomte, Hist, des theatres de P., P. 1905; ders., Hist, 
des theatres de P.: le Theatre National, le Theatre de 
l'Egalite, 1793-94, P. 1907; ders., Hist, des theatres de P.: 
les Folies nouvelles, 1854-80, P. 1909; ders., Hist, des 
theatres de P. : le Theatre de la Cite, 1792-1807, P. 1910; 
ders., Les Fantaisies parisiennes, L'Athenee, Le Theatre 
Scribe, L'Athenee comique, 1865-1911, P. 1912; G. Cain, 
Anciens theatres de P. : Les theatres du boulevard, le Bou- 
levard du Temple, P. 1906; A. Franklin, Dictionnaire 
hist, des arts, metiers et professions exerces dans P. depuis 
le XIII e s., P. 1906; J. Ecorcheville, Actes d'etat-civil de 
musiciens insinues au Chatelet de P. 1539-1650.P. 1907; J. 
Tiersot, Les tetes et les chants de la Revolution frc., P. 
1908; A. Pougin, Madame Favart. Etude theatrale, P. 
1912; G. Cucuel, La Poupeliniere et la musique de 
chambre au XVIII e s., P. 1913; ders., Les createurs de 
l'opera-comique frc., P. 1914; H. Prunieres, L'opera ital. 
en France avant Lully, P. 1913 ; ders., Le ballet de cour en 
France avant Benserade et Lully, P. 1914; E. Genest, 
L'Opera connu et inconnu, P. 1920; ders., L'Opera-Co- 
mique connu et inconnu, P. 1925; J.-G. Prod'homme, 
L'Opera, 1669-1925, P. 1925 ; V. dTndy, La Schola Canto- 
rum, P. 1927 ; F. Raugel, Les grandes orgues des eglises de 
P. et du departement de la Seine, P. 1927 ; V. Leroquais, Le 
breviaire de Philippe le Bon, breviaire parisien du XV e s., 
Briissel 1929; A. Pirro, La musique a P. sous le regne de 
Charles VI (1380-1422), = Slgmw.Abh.I, StraBburg 1930, 
21958, engl. in: MQ XXI, 1935; Y. Rokseth, La musique 
d'orgue au XV e s P. 1 930 ; Th. Gautter, The Roman- 
tic Ballet: as Seen by Th. G., Being His Notices of All the 
Principal Performances of Ballet Given at P. During the 
Years 1837-48, London 1932; M. Pagnon, Les Strangers 
dans les divertissements de la cour de Beaujoyeux a Moliere, 
1581-1673, Lflttich 1932; P. Champion, La vie de P. au 
moyen age, 2 Bde, P. 1933-34 ; P. Perdrizet, Le calendrier 
parisien a la fin du moyen age d'apres le breviaire et les 
livres d'heures, P. (1934) ; P. Melese, Repertoire analytique 
des documents contemporains d'information et de critique 
concernant le theatre a P P. 1934; ders., Le thea- 
tre et le public a P. sous Louis XIV, 1659-1715, P. 1934; 
S. Siaud, La Comedie-Frc., son hist. - son statut, P. 1936 ; 
N. Dufourcq, Le grand orgue et les organistes de Saint- 
Merry de P., P. 1947 ; L. Vaillat, La dance a l'opdra de P., 
P. 1951; C. Hopkinson, A Dictionary of Parisian Music 
Publishers 1700-1950, London 1954; Fr. Lesure, La fac- 
ture instr. a P. au XVI e s., The Galpin Soc. Journal VII, 
1954; ders., Les orch. populaires 4 P. vers la fin du XVI e s., 
Rev. de Musicol. XXXVI, 1954; E. Borrel, L'orch. du 
Concert Spirituel et celui de l'Opera de P., de 1751 a 1800, 
d'apres »Les spectacles de P.«, in: Melanges . . . offerts a 
P.-M. Masson II, P. (1955); C. Johansson, French Music 
Publishers' Cat. of the Second Half of the Eighteenth Cent., 
= Publikationer utgivna av Kungl. Mus. Akad. Bibl. II, 
Stockholm 1955; A. Lejeune u. St. Wolff, Les quinze 
salles de l'Opera de P., 1669-1955, P. (1955); N. C. Car- 
penter, Music in the Medieval and Renaissance Univ., 
Norman/Okla. (1958); S. W. Deierkauf-Holsboer, Le 
Theatre du Marais II. Le Berceau de l'Opera et de la Co- 
medie-Frc., 1648-73, P. 1958; R. W. Lowe, Les represen- 
tations en musique au College Louis-Le-Grand, Rev. 
d'hist. du theatre X, 1958 -XI, 1959; D. E. Schmidt, Chan- 
son de P., = Rembrandt-Reihe XXXIV, Bin 1961 ; St. 
Wolff, L'opera au Palais Gamier (1875-1961), P. 1962; 
L. de Laborde, Musiciens de P., 1535-1792, hrsg. v. Y. de 
Brossard, = La vie mus. en France sous les rois bourbons 
XI, P. 1965. 

Parlando (sprachlich gleichbedeutend mit parlante, 
von ital. parlare, sprechen), eine das schnelle Sprechen 
nachahmende Vertonungs- und Vortragsweise (mit 
Wort- und Tonwiederholungen) vor allem der italie- 



703 



Parma 



nischen Opera buffa im 18. und 19. Jh., in Ansatzen 
schon bei A. Scarlatti, vor allem aber bei Paisiello, Ci- 
marosa und Rossini. Vom Seccorezitativ - im Gegen- 
satz zum Accompagnato manchmal auch Recitativo 
parlante genannt - unterscheidet sich das P. grundle-r 
gend, da es nur in geschlossenen Musikstucken, in 
Arien und Ensembles vorkommt. Aria parlante bzw. 
agitata heifit im 18. Jh. ein italienischer Arientypus, der 
durch schnelles Tempo (oft (f), abgehackten und atem- 
los-hastigen Sprachvortragbestimmtist. Ineinemneuen 
Sinn hat R. Strauss von einem in der Ausfiihrung dem 
Secco anzunahernden »Lustspiel-P.« gesprochen, um 
den musikalischen Dialogstil von Intermezzo (1924) und 
Caprkcio (1942) zu kennzeichnen. Diese der natiirlichen 
Rede abgelauschte Sprachvertonung tritt als Struktur- 
prinzip jeweils verschieden ausgepragt bei Mussorgsky 
(Boris Godunow, 1874; Lieder), Verdi (Falstaff, 1893) 
und Puccini (Gianni Schicchi, 1924) auf. - In fast entge- 
gengesetzterBedeutung, als Bezeichnungf iir sprechend- 
ausdrucksvollen Vortrag, findet sich p. oder parlante 
gelegentlich auch in Instrumentalwerken, z. B. in 
Beethovens Bagatelle op. 33 Nr 6 (Allegretto quasi an- 
dante. Con una certa espressione parlante) und in R. Schu- 
manns Thema und Variationen iiber den Namen ABEGG 
op. 1 (2. Variation) als basso p. 

Lit.: N. d'Arienzo, Origini dell'opera comica, RMI II, 
1 895, IV, 1 897, VI, 1 899 - VII, 1 900, deutsch v. F. Lugschei- 
der als: Die Entstehung d. komischen Oper, = Mus. Stu- 
dien X, Lpz. 1902, S. 63ff. ; Cl. Krauss- R. Strauss, Brief- 
wechsel, Munchen 1963, S. 232, Vorrede zu »Intermezzo«. 

Parma (Emilia). 

Lit. : P. Donati, Descrizione del gran Teatro Farnesiano 
di P. e notizie stor. sul medesimo, P. 1817; P. E. Ferrari, 
Spettacoli drammatico-mus. e coreografici in P. (1628- 
1883), P. 1884; H. Osthoff, S. Garsi da P., Ein Beitr. zur 
Mg. P. . . ., Diss. Bin 1922, gedruckt als: Der Lautenist S. 
Garsi da P., = Slg mw. Einzeldarstellungen VI, Lpz. 1926; 
C. Alcari, P. nella musica, P. 1931 ; N. Pelicelli, Musi- 
cisti a P. . . ., Note d'arch. VIII, 1931 - XIII, 1936; M. 
Ferrarrini, P. teatrale ottocentesca, P. 1946; M. Corra- 
di-Cervi, Cronologia del Teatro Regio di P. (1928-48), P. 
1955; L. Parigi, Una »Schola Cantorum« quattro-cinque 
centesca nelduomodiP.,Rass.mus.XXV,1955;F. Born, 
PaganinieP., P. 1961. 

Parodie (griech. 7rap6>8fca, Neben- oder Gegenge- 
sang) bezeichnet in der Musik spatestens seit 1573 (J. 
Paix, [Missa] Parodia Motettae Domine da nobis auxilium 
Th.Crequilonis) die Umformung eines Tonsatzes zu ei- 
nem neuen Werk. Wie -»■ Arrangement, -»- Kontra- 
faktur und -»- Paraphrase bildet die P. eine spezielle 
Form der Bearbeitung. Wahrend das Arrangieren eine 
Komposition besonderen auffiihrungspraktischen Ge- 
gebenheiten anpaBt, stellt die P. eine erneute schopfe- 
rische Leistung dar. Ihre jedoch relativ enge Bindung 
an eine Vorlage unterscheidet sie von der Paraphrase. 
Der urspriinglichen Bedeutung des Wortes P. entspre- 
chend ist der Begriff zunachst in der Vokalmusik be- 
heimatet. Neuerdings wurden jedoch auch Instrumen- 
talsatze des 16. und 17. Jh. P.n genannt, die alle oder 
wesentliche Teile eines vokalen Werkes zitieren und in 
veranderter Gestalt durchfuhren (J.Ward 1952). Auch 
fur das Arbeiten mit vorgef ormtem Material in Prae- 
ludien, Toccaten und Variationen wurde die Bezeich- 
nung P. gewahlt (M.Reimann 1955). Im Unterschied 
zum primar dichterischen, einen Text nachahmenden 
Vorgang der Kontrafaktur bedeutet das Parodieren (oft 
in Verbindung mit einer Umtextierung) einen Eingriff 
in die Komposition, um sie einem neuen Zweck zuzu- 
fiihren oder einer anderen Klangvorstellung anzupas- 
sen. Mittel der P. sind u. a. Zufiigen oder Weglassen 
von Stimmen, Ersetzen homophoner Teile durch poly- 
phone oder umgekehrt, Andern der Rhythmik, Melo- 



dik und Harmonik, Erweitern durch Einfiigung neu- 
komponierter Abschnitte oder Kiirzen. Im Bereich der 
protestantischen Kirchenmusik des 17. Jh. tritt dasWort 
Parodia bei Kompositionen auf, die das ihnen zugrunde 
liegende Modell an , Ausdehnung oder Stimmenzahl 
iibertreffen und bei denen die Umtextierung keine 
oder eine nur geringe Rolle spielte, so in G. Scheidts 8st. 
Bearbeitung einer 5st. Motette von M. Vulpius (1620), 
in Th. Schuchardts 8st. Verdeutschung einer 5st. lateini- 
schen Komposition von M. Franck (hs. um 1 650) und in 
S.Ranisius' um 3 Instrumentalstimmen vermehrter 
deutscher Fassung eines 4st. lateinischen geistlichen Kon- 
zerts von G.Rovetta(l 652). S.Calvisius bezeichnet alsP. 
seine modernisierende Umgestaltung der Motette Proc- 
ter rerum seriem von Josquin (Parode adjosquini, in: E. Bo- 
dtnschitz,Florilegiumselectissimarum . . . cantionum, ^ Leip- 
zig 1603). Bei M.Praetorius heiBen 1610 drei Kirchen- 
liedbearbeitungen P.n (darunter die 3st. Parodia veteris 
Harmoniae a 5: Joseph, lieber Joseph mein). Diesen P.n ent- 
sprechen zahlreiche unbezeichnete Mehrfassungen aus 
friiheren oder spateren Zeiten: auBer Motetten auch 
Chanson- und Liedsatze, Vokalkonzerte und Kantaten. 
Neutextierungen wurden notwendig bei der Uberf iih- 
rung von Kompositionen aus der weltlichen in die 
geistliche Sphare oder von einer Gattung in eine ande- 
re, z. B. bei der Umwandlung von Madrigalen oder 
Motetten zu Messen. Aber auch in den P.-Messen stand 
die musikalisch-kompositorische Arbeit im Vorder- 
grund. Erst allmahlich, vielleicht unter dem EinfluB von 
Liedkontrafakturen, gewannen bei der Definition des 
Wortes P. die textlichen Merkmale an Gewicht. - Die 
in Kompositionslehren seit dem beginnenden 16. Jh. 
immer wieder empfohlene und von G. Quitschreiber 
(De IlaQaidia, Jena 1611) gesondert behandelte »Nach- 
ahmung beriihmter Autoren« diente dem Studium von 
Satztechniken und modernen Stilmitteln. Auch z. B. 
H. Schiitz ist in seiner Symphonia sacra Es steh' Gott auf 
(1647) zwei Scherzi musicali von Monteverdi (1632) in 
etwas weniges nachgegangen und hat sich dabei mit Neue- 
rungen der italienischen weltlichen Musik (Stile con- 
citato und Ciaconaform) auseinandergesetzt. Der Be- 
zug auf Bekanntes erleichterte zudem die Aufnahme 
und Verbreitung neuer Werke. S. Scheidts P.-Konzerte 
z. B. bezogen sich auf das alteingefiihrte hallische figu- 
rale Repertoire. Selbst-P.n verweisen dagegen auf das 
Prinzip der Arbeitsokonomie. Sie wurden vor allem 
im 18. Jh. wichtig. 

Zwischen etwa 1450 und 1630 ist das P.-Verfahren un- 
ter Uberschrif ten wie ad imitationem . . . oder super ... 
besonders in der liturgischen Musik haufig. Die mei- 
sten MeBordinarien dieser Zeit gehen auf praexistente 
geistliche oder weltliche Vokalmusik zuriick. Ahnlich 
wie in der Kontrafaktur verweisen haufig Zitate am 
Anfang der Satze auf die benutzte Vorlage. Im Friih- 
stadium der P.-Messe, bei W.Frye, Barbireau und J. 
Obrecht, bestand das Parodieren hauptsachlich im Zu- 
fiigen neuer Stimmen zu ein-, seltener zwei- und drei- 
stimmigen Ausschnitten aus anderen Kompositionen. 
Spater, u. a. bei Lupus und Palestrina, wurde die Durch- 
imitierung entliehener Motive angestrebt. J.Gallus 
wiederholt 1580 Bestandteile aus dem Anfang, der 
Mitte und dem SchluB seiner Modelle durchschnittlich 
achtmal pro Messe notengetreu, in neuer kontrapunk- 
tischer Anordnung oder in sonst variierter Form und 
im Wechsel mit freien Einschiiben. Die Vorlagen fiir 
die Messen deutscher Protestanten im 17. Jh. (u. a. H. 
Grimm 1628, G. Vintzius 1630) stammen uberwiegend 
aus dem geistlichen Bereich. Um 1575 wurde die P.- 
Technik durch O. de Lassus auch auf das -*■ Magnificat 
angewandt. Er bevorzugte dabei Madrigale und Chan- 
sons als Modelle. Im protestantischen Deutschland nah- 



704 



Parodie 



men besonders Chr.Demantius (1602) undM.Praeto- 
rius (1611) seine Anregungen auf. Die durch O. de Las- 
sus und seinen Sohn Rudolph belegte Anwendung des 
P.-Verfahrens auch bei mehrstimmigen Vertonungen 
des Cantus Simeonis Nunc dimittis seruum tuum erscheint 
demgegeniiber von nur peripherer Bedeutung. 
Seit etwa 1620 kommt der Ausdruck P. bei geistlichen 
Veranderungen weltlicher Lieder vor (u. a. bei P. Lau- 
ridsen 1617, G.Wegener 1668). In Analogie zu den Pa- 
riser P.s bacchiques (ab 1695; Trinkgesange auf der 
Grundlage von Instrumentalstiicken aus Opern von J.- 
B.Lully, Collasse, Desmarets, M.-A.Charpentier u. a.) 
und zu Les nouvelles p.s (ab 1730; textierte Klaviermu- 
sik von J.-Ph.Rameau, Fr. Couperin, J. F. Rebel u. a.) 
laBt er sich auch auf Textierungen von Tanzen in 
Deutschland anwenden (Rist, Voigtlander, Sperontes). 
J. Mattheson nennt P.n geistliche Verwandlungen von 
Opernarien (Der musicalische Patriot, 1728). Aus einem 
Brief T.GWalthers von 1729 (Mf III, 1954) geht her- 
vor, daB auch Umdichtungen von Kantaten so heiBen 
konnten. Dieses Verfahren ist durch die Erforschung 
der Werke J.S.Bachs naher bekannt geworden, der 
seine Gelegenheitskompositionen ganz oder in Teilen 
neu textiert hat, um sie fiir andere Gelegenheiten wie- 
der zu verwenden (die Musik der urspriinglich zum 
Geburtstag des Herzogs von WeiBenfels bestimmten 
Kantate BWV 208 benutzte er zu vier verschiedenen 
weltlichen Anlassen) oder um ihr als Musik im Kirchen- 
jahr andauernden Bestand zu sichern. Fiir mehrere im 
Original verlorene Gelegenheitsarbeiten Bachs, zumal 
aus seiner Kothener Zeit, bieten solche P.n heute die ein- 
zigen musikalischen Quellen. Der P.-Weg weltlich- 
geistlich, der nach alten Uberzeugungen nicht umkehr- 
bar war, gewann fiir Bachs »Oratorien« groBe Bedeu- 
tung. Das Osteroratorium (BWV 249) fuBt im wesent- 
lichen auf der Schaferkantate (BWV 249a) ; dem Weih- 
nachtsoratorium (BWV 248) liegt in seinen madrigali- 
schen Partien vor allem das Dramma per musica BWV 
213 zugrunde. Bei der Komposition von Messen griff 
Bach dagegen oft auf seine Kirchenkantaten zuriick. 
Abweichend von f riiheren Praktiken der Missa parodia 
und von seinen weltlichen P.n begniigte sich Bach da- 
bei haufig nicht mit der Verarbeitung einer einzigen 
Vorlage; in seiner sogenannten H moll-Messe (BWV 
232) stehen Modelle aus mindestens sieben verschiede- 
nen Werken neben Neukomponiertem. Eine Parallele 
zu den franzosischen P.n bildet Bachs (zum Teil tex- 
tierte) Eingliederung von Einzelsatzen aus seinen In- 
strumentalkonzerten und Sonaten in seine Kantaten. 
Die Gratulationsmusik BWV 207 enthalt z. B. den 3. 
Satz des 1 . Brandenburgischen Konzerts als Eingangs- 
chor und das 2. Trio als Ritornello. Zu den Voraus- 
setzungen der P.n Bachs gehorten die umfassende Stil- 
einheit der damaligen Musik, ihr groBer, iiber einzel- 
nes hinwegfuhrender Bewegungszug und die Variabi- 
litat bestimmter Ausdruckstypen (Affekte) und musi- 
kalischer Figuren. Die hohe Qualitat der Bachschen 
Tonsprache erlaubte den Austausch heterogener Dich- 
tungen (BWV 248, 4. Satz - BWV 213, 9. Satz). Rezi- 
tative wurden in der Regel neu komponiert. Nicht sel- 
ten erforderte ein anderer Zusammenhang Transpo- 
sitionen, Anderungen der Besetzung und Modifikatio- 
nen des musikalischen Verlaufs, z. B. Vereinfachungen 
und zusatzliche Takte (BWV 207, 2. Satz). In besonde- 
ren Fallen wandte Bach kompliziertere P.-Techniken 
an, z. B. Stimmenvermehrung, Anderung des Stim- 
mengewebes und VergroBerungen der Notenwerte 
(BWV 232, Nr 20, Et expecto). - Dem P.- Verfahren 
Bachs ahnelt dasjenige von Handel in mancher Hin- 
sicht. Auch er stellte neutextierte Satze in einen anderen 
Zusammenhang (z. B. Auswertung von zwei Stiicken 



des Utrechter Te Deum im Anthem Have mercy upon 
me), komponierte bei der Ubernahme groBer Werktei- 
le die Rezitative neu (in der Umformung der Schau- 
spielmusik fiir Alceste zu The Choice of Hercules) und 
benutzte fiir vokale und instrumentale Satze die gleiche 
Musik (Imeneo, Arie der Clomiri E si vaga del tuo bene - 
Concerto grosso op. 6 Nr 4, SchluBsatz). Allerdings 
hat er im Gegensatz zu Bach bestimmte musikalische 
Satztypen bei der P. auff allig bevorzugt. Ein Standard- 
model! Handels war z. B. jene fugierte Bildung mit 
beibehaltenem Kontrapunkt, die im Concerto grosso 
op. 3 Nr 3, 2. Satz, in der Geburtstagsode fiir Konigin 
Anna ( The day that gave great Anna birth), in der Brockes- 
Passion (Einjeder sei ihm untertanig), im Chandos Anthem 
(My song shall be alway) und im Eroff nungschor von De- 
borah (O grant a leader to our host) nachgewiesen ist. 
Noch im ausgehenden 18. Jh. bedeutete der Begriff P. 
soviel wie Neutextierung, u. a. bei J. A. Hiller und Fr. 
A.RoBler. Im 19. Jh. bezog er sich dagegen iiberwie- 
gend auf eine Darstellungsweise, welche eine seriose 
Musik mit einem banalen, absichtlich verdorbenen 
oder sonst unpassenden Text vereinigt, so daB eine ko- 
misch-satirische Wirkung entstand (vgl. u. a. Koch- 
Dommer 2 1865). Auch die Umkehrung des Verfah- 
rens, die Travestie, ist hierzu gerechnet worden. Persi- 
flierende Musik findet sich jedoch schon sehr friih, be- 
sonders in Frottola, Chanson, Villanella und Canzo- 
netta, Madrigalkomodie und Quodlibet. Spater offne- 
ten sich Oper, Singspiel (-> Operette) und die Orche- 
ster- und Kammermusik (z. B. W. A.Mozarts »Ein mu- 
sikalischer SpaB«, K.-V. 522) der satirischen P. Mit den 
Mitteln stilistischer Ubertreibung, des Zitierens in un- 
passenden Zusammenhangen und der wohlberechne- 
ten Diskrepanz zwischen Text und Musik wendet sie 
bestimmte Gattungen, Stile und Techniken (z. B. den 
liturgischen Gesang, das Madrigal, die Opera seria; die 
Virtuositat der Kastraten, primitive oder einfallslose 
Musik), ausschnitthaft auch einzelne Werke ins Komi- 
sche. Diese Art der P. blieb bis zur Gegenwart lebendig. 
Strawinskys Suite Nr 2 fiir kleines Orch. (1921 ; nach 
4handigen Klavierstiicken von 1915/16) bringt gut- 
biirgerliche Tanze in grotesker Verzerrung. Die komi- 
sche P. charakterisiert aber nur eine Seite von Strawin- 
skys Schaff en. Die erweiternden Aneignungen von al- 
terer und alter Musik, z. B. in dem Tschaikowsky-Bal- 
lett Le baiser de la fee (1 928) , in den Pergolesi-Imitationen 
(u. a. das Ballett Pulcinella, 1920) und in den Gesualdo- 
Bearbeitungen (Tres Sacrae Cantiones, 1957-59; Monu- 
mentum pro Gesualdo di Venosa, 1960) erinnern wieder 
mehr an das alte, umfassende P.- Verfahren. 
Lit. : Ph. Spitta, Sperontes' Singende Muse an d. PleiBe, 
VfMw 1, 1885; P. Pisk, Das Parodieverfahren in d. Messen 
d. J. Gallus, StMw V, 1 9 1 8 ; A. Einstein, Die P. in d. Villa- 
nella, ZfMw II, 1919/20; P. A. Merbach, P. u. Nachwir- 
kungen v. Webers Freischiitz, ZfMw II, 1919/20; A. Sche- 
ring, t)ber Bachs Parodieverfahren, Bach-Jb. XVIII, 1921; 
G. Cucuel, Les operas de Gluck dans les p. du XVIH e s., 
RM III, 1922; R. Haas, Wiener deutsche P.-Opern um 
1730, ZfMw VIII, 1925/26; H. Grellmann, Artikel P., in: 
Reallexikon d. deutschen Literaturgesch. II, hrsg. v. P. 
Merker u. W. Stammler, Bin 1926/27; J. Schmidt-Gorg, 
Vier Messen aus d. XVI. Jh. uber d. Motette »Panis quem 
ego dabo« d. L. Hellinck, KmJb XXV, 1930; ders., Die 
»Introites de taverne«. Eine frz. Introiten-P. d. 16. Jh., 
KmJb XXX, 1935; V. B. Grannis, Dramatic Parody in 
18 th Cent. France, NY 1931 ; M. Buhrmann, J. N. Nestroys 
P., Diss. Kiel 1933; W. Steinecke, Das Parodieverfahren 
in d. Musik, = Kieler Beitr. zur Mw. I, Wolfenbiittel 1934; 
Ch. Van den Borren, De quelques aspects de la P. mus., 
Bull, de la Classe des Beaux-arts de l'Acad. royale de Bel- 
gique 1938; W. H. Rubsamen, Some First Elaborations of 
Masses from Motets, Bull, of the American Musicological 
Soc. IV, 1939; D. J. Grout, n^-Cent. Parody of French 
Opera, MQ XXVII, 1941; Fr. Smend, Neue Bachfunde, 



45 



705 



Paronomasia 



AfMf VII, 1942; ders., J. S. Bach, Kirchen-Kantaten V, 
Bin 1948, M966; ders., Bach in Kothen, Bin (1951); ders., 
Kritischer Bericht zu Missa . . . , J. S. Bach, Neue Ausg. 
sSmtlicher Werke II, 1, Kassel 1956; J. Daniskas, Een bij- 
drage tot de geschiedenis d. parodietechniek, TMw XVII, 
1948/55; R. B. Lenaerts, The W-Cent. Parodymass in 
the Netherlands, MQ XXXVI, 1950; ders., Parodia, Re- 
servata-kunstenmuzikaalsymbolisme, in: Liber amicorum, 
Fs. Ch. Van den Borren, Antwerpen 1964; N. Pirotta, 
Considerazioni sui primi esempi di missa parodia, Kgr.- 
Ber. Rom 1950; F. Ghisi, L'ordinarium missae nel XV. s. 
ed il primordi della parodia, ebenda; M. Antonowytsch, 
Die Motette Benedicta es v. Josquin des Prez u. d. Messen 
super Benedicta es v. Willaert, Palestrina, de la Hele u. de 
Monte, Utrecht 1951 ; ders., Renaissance-Tendenzen in d. 
Fortuna-desperata- Messen v. Josquin u. Obrecht, Mf IX, 
1956; F. H. Denker, A Study of the Transition from the 
C. f.-Mass to the Parody-Mass, Diss. Univ. of Rochester 
(N. Y.) 1951, maschr. ; G. Schneider, Mehrfassungen bei 
Handel, Diss. Koln 1952, maschr.; J. Ward, Borrowed 
Material in the 16">-Cent. Instr. Music, JAMS V, 1952; 
M. F. Bukofzer, Interrelations Between Conductus and 
Clausula, Ann. Mus. I, 1953; S. Dorffelt, Die mus. P. 
bei Offenbach, Diss. Ffm. 1954, maschr.; M. Reimann, 
Pasticcios u. P. in norddeutschen Klaviertabulaturen, Mf 
VIII, 1955; L. Schrade, A 14 th -Cent. Parody Mass, AMI 
XXVII, 1955 ; ders., Strawinsky, d. Synthese einer Epoche, 
in: I. Strawinsky. Eine Sendereihe d. WDR, (K61n 1963); 
A. Durr, Gedanken zu J. S. Bachs Umarbeitungen eigener 
Werke, Bach-Jb. XLIII, 1956, u. Kgr.-Ber. Hbg 1956; M. 
Heise, Zum Wesen u. Begriff d. Parodiemesse d. 16. Jh., 
Diss. Innsbruck 1956, maschr.; K. v. Fischer, Kontrafak- 
turen u. P. ital. Werke d. Trecento u. friihen Quattrocento, 
Ann. Mus. V, 1957; W. Braun, Th. Schuchardt u. d. Ei- 
senacher Musikkultur im 17. Jh., AfMw XV, 1958; ders., 
Zur P. im 17. Jh., Kgr.-Ber. Kassel 1962; ders., S. Scheidts 
Bearb. alter Motetten, AfMw XIX/XX, 1962/63; E. T. 
Ferand, Embellished »Parody Cantatas« in the Early 1 8">- 
Cent., MQ XLIV, 1958; H. Chr. Wolff, Die asthetische 
Auffassung d. Parodiemesse d. 16. Jh., in: Miscelanea en 
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; S. Clercx- 
Lejeune, Les debuts de la messe unitaire et de la »Missa 
Parodia« au XIV e s. et principalement dans l'oeuvre de C. 
Ciconia, in: L'Ars Nova ital. del Trecento, Kgr.-Ber. Cer- 
taldo 1959; L. Richter, Das Parodieverfahren im Berliner 
Gassenlied, Deutsches Jb. d. Mw. IV (= JbP LI), 1959; 
W. Boetticher, Zum Parodieproblem bei Orlando di Las- 
so, Kgr.-Ber. N Y, Bd I; W. Blankenburg, Das Parodiever- 
fahren im Weihnachtsoratorium J. S. Bachs, MuK XXXII, 
1962; H. Brown, The Chanson spirituelle, J. Buus and 
Parody-Technique, JAMS XV, 1962; R. C. Davis, Self 
Parody Among the Cantatas of J. S. Bach, Diss. Boston 
Univ. 1962, maschr.; A. Clarkson, The Rationale and 
Technique of Borrowing in Franco-Flemish Parody-Com- 
positions of the High Renaissance, Diss. Columbia Univ. 
1963, maschr.; G. Gruber, Beitr. zur Gesch. u. Kompo- 
sitionstechnik d. Parodienmagniflcat in d. 2. Halfte d. 16. 
Jh., Diss. Graz 1964, maschr.; L. Lockwood, A View of 
the Early Sixteenth-Cent. Parody Mass, in: Queens Col- 
lege of the City-Univ. of NY, Department of Music, 25 th 
Anniversary Fs. (1937-62), hrsg. v. A. Mell, NY 1964; 
ders., On »Parody« as Term and Concept in the 16 tb -Cent. 
Music, in : Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. 
G. Reese, NY (1966) ; W. Neumann, Uber AusmaB u. We- 
sen d. Bachschen Parodieverfahrens, Bach-Jb. LI, 1965 ; K. 
Hortschansky, P. u. Entlehnung im Schaffen Chr. W. 
Glucks, Diss. Kiel 1966, maschr.; M. See, Opernp. u. Pa- 
rodieoper, NZfM CXXVII, 1966; W. Elders, P. en decla- 
matie-techniek in de 16e eeuw, TVer XX, 1966. WB 

Paronomasia (griech., s. v. w. abweichende Benen- 
nung ; lat. agnominatio) , eine in der Kompositionslehre 
des 18. Jh. im AnschluB an die rhetorische P. erklarte 
musikalische Figur. Die antike Rhetorik verstand unter 
P. allgemein die Verwendung von zwei klangahnli- 
chen, aber bedeutungsverschiedenen Wortern (z. B. 
»mit Rat und Tat«); spater (z. B. bei Gottsched 1751) 
bezeichnet P. auch die Wiederholung eines Wortes 
oder Satzteils mit einem Zusatze, der noch einen besonde- 
ren Nachdruck verursacht, etwa »Ein Baum war's, nur ein 



Baum«. Forkel (1788; vor ihm schon Scheibe 1745) er- 
klart die P. als eine Figur, die einen Satz nicht bios so, wie 
er schon da gewesen, sondern mit neuen kraftigen Zusatzen 
wiederholt. Diese Zusatze konnen theils einzelne Tone be- 
treffen, theils aber auch durch einen starkeren oder verminder- 
ten Vortrag bewerkstelligt werden. Diese Wiederholung ei- 
nes Melodieteils mit nachdriicklichem (emphatischem) 
Zusatz (») findet sich bei J. S. Bach (Matthauspassion : O 
Mensch, bewein dein Sunde grqfi, 3. Choralzeile; ferner 
zeigt das Beispiel eine Katabasis 

-> Katabasis und einen 
-> Passus duriusculus) : 



Passus 
duriusculus 



au-Bert und kam auf 
Paronomasia 




- den, au-Bert und kam auf Er - - den, 

Parrhesia (griech., Redefreiheit), eine musikalisch- 
rhetorische Figur der Kompositionslehre des 17./18. Jh. 
In der Rhetorik bedeutet P. nach Gottsched, daB man 
eine verhafite Sache zwarfrey heraus saget, aber dock auf 
eine ertragliche Art vortrdgt. Musikalisch definiert ist die 
P. erstmals bei Burmeister (1599). Harmonisch und me- 
lodiseh besteht sie im Gebrauch verminderter oder iiber- 
maBiger Inter valle (relationes non harmonicae; ->■ Quer- 
stand), die jedoch so zu geschehen hat, dafl es keinen 
Ubellaut verursachet (WaltherL). Die P. wird meist zur 
Darstellung des Verderbten, Schwankenden, Widrigen 
und Siindhaften verwendet, z. B. im SchluBchoral von 
J. S. Bachs Kantate BWV 60, wo die doppelte P. den 
Grund fiir das Kommen Jesu zum Ausdruck bringt 
(. . . mein grqfier Jammer bleibt darnieden . . .): 
melodisdie P. 




harmonische P. 
Lit. : J. Chr. Gottsched, Ausfuhrliche Redekunst, Han- 
nover 1728, zitiert nach: Lpz. 4 1750, S. 314. 

Parte (ital.), Teil; Stimme (Part); -> colla p.; -> 
Stimmbiicher. 

Partialtone -*■ Teiltone. 

Particella (partitf'ella, ital., Teilchen; deutsch Parti- 
cell) heiBt der ausfuhrliche Kompositionsentwurf auf 
2, 3 oder (je nach Kompliziertheit des betreffenden 
Werkes) auch auf mehreren Fiinf liniensystemen in Par- 
tituranordnung, der beim Komponieren als Vorstufe 
der endgultigen Ausarbeitung vor allem zur Kontrolle 
des harmonischen Verlaufs dienen kann. Dabei werden 
mehrere Stimmen auf einem System zusammengezo- 
gen, jedoch Blaser, Streicher und Basse meist getrennt 
notiert. Ob auch auf der -*■ Tabula compositoria viel- 
stimmige Kompositionen nach Art der P. skizziert und 
seit warm vollstandige Werke in P. auf gewohnlichem 
Notenpapier niedergeschrieben wurden, ist ungeklart. 
Weder ist erforscht, welche Komponisten sofort in 
Partitur komponierten (wie man es z. B. von W.A. 
Mozart weifi), noch ist der Bestand uberlieferter P.- 
Entwiirfe systematisch erfaBt. Solche Entwurfe sind 
z. B. von Schubert (H moll-Symphonie und eine nicht 
ausgearbeitete D dur-Symphonie) und von R.Wagner 
erhalten. Debussy ubergab die P. des Prelude a Vaprh- 
midi d'unfaune an G.Dupont als Abschiedsgeschenk. 



706 



Partitur 



Erstmals hat Schonberg ein Werk (Vier Lieder op. 22 
fur Gesang und Orch.) in Form der P. veroffentlicht 
(J.Rufer 1959). Der 3. Akt der Oper Lulu von A. Berg 
ist nur als autographe P. iiberliefert. - Der Klavieraus- 
zug nahert sich bisweilen der P., wenn (vor allem bei 
Werken des 20. Jh.) einzelne Stimmen, die aus Griin- 
den der Spielbarkeit oder Obersichtlichkeit nicht in 
den Klaviersatz aufgenommen werden konnten, die 
aber fur den musikalischen Zusammenhang wichtig 
sind, in einem oder zwei kleingestochenen Systemen 
iiber den Klavierpart gesetzt sind. 
Ausg.: Cl. Debussy, Prelude a l'apres-midi d'un faune, 
Faks. d. autographen P., hrsg. v. Roland- Manuel, Wash- 
ington (D. C.) 1963. 
Lit. : J. Rufer, Das Werk A. Schonbergs, Kassel 1959. 

Partimento (ital., Teilung), die Skizze eines polypho- 
nen Satzes in einer fortlaufenden Stimme, die bei hau- 
figem Schliisselwechsel teils aus bezifferten Gb.-Par- 
tien, teils aus thematischen Linienziigen besteht und als 
Vorlage fur eine weitgehend improvisatorische Aus- 
fiihrung des skizzierten Satzes auf dem Tasteninstru- 
ment diente. Das P.-Spiel, das vor allem im friihen 18. 
Jh. und bei siiditalienischen Musikern verbreitet gewe- 
sen sein soil, behauptet eine singulare Stellung zwi- 
schen Gb.-Praxis und freier Improvisationskunst und 
ist kompositionstechnisch und bezuglich seiner Stel- 
lung in der Auffiihrungspraxis nur schwer einzuord- 
nen. Im Vordergrund steht offenbar eine didaktische 
Absicht (Fr. Durante: Partimenti diversi e studio per cem- 
balo; Partimenti . . . per studio usw.), die den Spieler in 
seiner Beherrschung der Gb.- und gleichzeitig auch 
Improvisationspraxis fordern soil. Fiir Obungsstiicke 
eines Bach-Schulers hielt Spitta (I, 715) die 62 Parti- 
menti, die in einer Hs. der Deutschen Staatsbibl. Berlin, 
Mus. Ms. Bach P 296 (Praeludia et Fugen j del signor j 
Johann Sebastian / Bach. / Possessor j A. W.Langloz / An- 
no 1763), erhalten sind. Zwei dieser Partimenti (BWV 
709 und 908) sind in die alte Bach-Gesamtausgabe (XLII, 
268 und 272) unter der Bezeichnung Fantasie und Fughet- 
ta aufgenommen, wobei allerdings die originale No- 
tierung falschlich auf 2 Systeme aufgeteilt wurde. 
Lit. : K. G. Fellerer, Das Partimentospiel, Kgr.-Ber. Lut- 
tich 1930; ders., Gebundene Improvisation, Mk XXXI, 
1938/39; ders., Der Partimentospieler, Lpz. (1940), dazu 
AfMf VII, 1942, S. 176ff. 

Part}ta (ital., von partire, teilen), ab Ende des 16. bis 
Anfang des 18. Jh. eine der Bezeichnungen fiir den ein- 
zelnen Teil einer Variationsreihe; der Plur. partite er- 
scheint oft als Werkiiberschrift (z. B. Partite sopra VAria 
delta Romanesca). Die friihesten Belege finden sich ei- 
nerseits in der Tanzbeschreibung (partite et passeggi di 
Gagliarda, bei Pr.Lutij, 1589), andererseits in der In- 
strumentalmusik (Partite strumentali von Gesualdo, um 
1590). Ob P. und die wohl etwas alteren, im 16./17. Jh. 
mit P. synonym verwendeten Bezeichnungen Parte 
und -»■ Mutanza dem Sprachgebrauch der Choreogra- 
phic (im Sinn von »Tour«) entstammen, ist noch nicht 
erwiesen. Die Zahlung der einzelnen Partite beginnt 
stets mit dem ersten Teil, der demnach nicht wie in den 
Variationszyklen seit dem 18. Jh. als vorangestelltes 
»Thema« von den »Variationen« gesondert wird. Seit 
dem 17. Jh. wurde P. (oder Partia; Plur. Partie, Partien, 
Partyen) auch allgemein fiir Instrumentalstiick (Fro- 
berger, Diverse . . . Partite, di Toccate, Canzone, Ricer- 
cate, Alemande, Correnti, Sarabande, e Gigue, 1693) oder 
fiir Satzfolgen im Sinne der -*■ Suite verwendet (Kuh- 
nau, Neuer Clavier Ubung Erster Theil, Bestehend in Sie- 
ben Partien . . ., Lpz. 1689; J.S.Bachs Werkefiir Solo- 
violine BWV 1002, 1004, 1006). 
Lit.: V. Junk, Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930; F. Torre- 
franca, Origine e significato di repicco, p., ricercare, 



sprezzatura, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Documenti 
deflnitivi sulla p., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; H. Spohr, 
Studien zur ital. Tanzkomposition um 1 600, Diss. Freiburg 
i. Br. 1956, maschr. 

Partitino (ital., »kleine Partitur«) heiBt eine Partitur 
von Instrumental-(meist Blechblaser- und Pauken-) 
Stimmen, die aus (vorerst noch nicht greifbaren) no- 
tations- oder auffiihrungstechnischen Griinden (so vor 
allem im 17./18. Jh.) oder, weil die betreffenden Stim- 
men oder Instrumente nachtraglich hinzugefiigt sind, 
nicht in das Hauptexemplar der Partitur eines Instru- 
mental- oder Biihnenwerks aufgenommen, sondern 
auf losen Blattern oder im Anhang beigef iigt sind. Dies 
betriff t z. B . Paukenstimmen aus Werken vonJ.-B . Lully , 
Trompeten- und Paukenstimmen noch in friihen Par- 
titurausgaben von Symphonien J. Haydns und W. A. 
Mozarts, die Janitscharenmusik in Mozarts Autograph 
der Entfiihrung, die Posaunenstimmen im Autograph 
des Don Giovanni (2. Finale, Auftritt des Commenda- 
tore), das Schlagzeug in Beethovens 9. Symphonic In 
der Originalpartitur von R. Wagners Rheingold sind die 
Stimmen von 6 Harfen im Anhang als P. beigef iigt. Al- 
le Biihnenmusiken Verdis sind in einem P. gesondert von 
der Dirigierpartitur gedruckt, die ihrerseits nur einen 
Klavierauszug des Biihnenorchesters (Banda) enthalt. 

Partitur (ital. partitura; frz. partition [d'orchestre] ; 
engl. score) ist eine notenschriftliche Aufzeichnung 
mehrstimmiger Musik, in der die einzelnen Stimmen 
so iibereinarider angeordnet und mit senkrecht durch- 
laufenden oder unterbrochenen Ordnungsstrichen 
(-> Taktstrich) verbunden sind, daB der Verlauf der 
Einzelstimmen, ihre Koordination und die Zusammen- 
klange abgelesen werden konnen. Die P. dient in erster 
Linie der Niederschrift der Komposition durch den 
Komponisten, in zweiter Linie dem Studium und der 
Auffiihrung. Heute besitzt die P. zentrale Bedeutung 
fiir das Komponieren, Uberliefern und Auffuhren 
mehrstimmiger Musik, doch waren in der Zeit vor 
1600 andere Arten der Aufzeichnung von Musik vor- 
herrschend, und fiir musikalische Auffuhrungen gait 
die P. noch bis um 1800 nicht als gemeinhin unent- 
behrlich. 

Das Prinzip, gleichzeitig Erklingendes untereinander 
zu notieren, ist zuerst in den Descriptiones des friihen 
-> Organum (Musica Enchiriadis) greifbar. Das der P. 
ahnliche Notenbild der spSteren Organummanuskripte 
wird zuweilen falschlich als »friihe P.« (oder als »P.- 
Notation«) bezeichnet, obwohl es den graphischen 
Darstellungen der Mehrstimmigkeit in der Musica En- 
chiriadis prinzipiell nahersteht als der aus der Vereini- 
gung von selbstandigen Stimmen hervorgegangenen 
P. Von der Notation des Organum fiihrt kein direkter 
Weg zur modernen P. Die -> Motette ist - im Unter- 
schied auch zum mehrstimmigen ->■ Conductus (»Con- 
ductusnotation«) und zum -»• Rondeau (- 1) des 13. Jh. 
- fast nur in raumlich getrennter Niederschrift der Stim- 
men iiberliefert; Kriterium fiir diese Aufzeichnungsart 
ist (im 13./14. Jh.) die Mehrtextigkeit. Das Obereinan- 
derschreiben der Stimmen blieb auch in den das Reper- 
toire des spaten Mittelalters iiberliefernden Handschrif- 
ten an bestimmte Erscheinungsf ormen von Mehrstim- 
migkeit mit textgleichen Stimmen bzw. Oberstimmen 
gebunden (vgl. Apfel 1961). Welcher Mittel man sich 
bis zum 15. Jh. zur Klarung von Intervallaufbau und 
Klangfolge beim Komponieren der nur in Stimmen- 
notation iiberlieferten Werke bedient hat, ist noch un- 
geklart. Wenig Wahrscheinlichkeit spricht dafiir, dafi 
die teilweise sehr komplizierten Satzstrukturen dieser 
Zeit sofort in Einzelstimmen niedergeschrieben wor- 
den sind; doch erst seit etwa 1500 ist die -*■ Tabula 
compositoria nachweisbar, die als Einteilung entweder 



45 • 



707 



Partitur 



ein Zehnliniensystem oder die P.-Anordnung aufweist 
(Lampadius 1537). - Urspriinglich bezeichnet partire 
nur das (nachtragliche) Einteilen der Einzelstimmen ei- 
ner in -> Chorbuch-Aufzeichnung oder in -*■ Stimm- 
biichern vorliegenden Komposition in Breviseinheiten 
(Vicentino 1555, IV, 41), spater auch das Einteilen des 
unbeschriebenen Notenpapiers fiir eine P. (Diruta 1609, 
S. 1). Die iiberlieferten Zeugnisse der im 16. Jh. in 
Italien aufkommenden P.-Notation sind zunachst aus- 
schlieBlich Spielvorlagen fiir Tasteninstrumente (Or- 
gel-P.en, ->■ Orgeltabulatur) und sind nachtraglich aus 
den Stimmen hergestellt (-> spartire) ; auch der friiheste 
P.-Druck (Musica de diversi autori . . . partite in caselle, 
Venedig 21577) hat diese Bestimmung. Der Untertitel 
eines zweiten P.-Drucks von 1577 (Tutti i Madrigali di 
Cipriano di Rore a 4 voci, spartiti et accommodati per sonar 
d'ogni sorte d'Istrumento perfetto, & per qualunque studioso 
di Contrapunti) gibt einen Anhalt dafiir, daB die P.- 
Notation in der 2. Halfte des 16. Jh. fiir die Darstellung 
und Komposition des kontrapunktischen Satzes unent- 
behrlich geworden war. Auch in Kontrapunktlehrwer- 
ken setzt sich um 1600 die P.-Notation fiir die Beispiele 
durch (erstmals bei Morley 1594). Da das Wort (s)par- 
tito nur auf die Besonderheit der in Taktfacher (ital. 
caselle) eingeteilten Notation und nicht auf eine An- 
ordnung von Stimmen iibereinander hinwies, konnten 
auch die friihen B. c.-Stimmbiicher als (s)partitura be- 
zeichnet werden (G.Croce 1594). S.Scheidt fiihrte die 
Orgel-P. als Tabulatura nova \ii2A in Deutschland ein, 
in Frankreich hielt sie sich bis um 1700. J. S. Bach griff 
die Orgel-P. fiir seine kontrapunktischen Spatwerke 
(Canonische Veranderungen, Kunst der Fuge) wieder auf .- 
Ein anderer Entwicklungszweig der modernen P. geht 
aus von der Notation fiir Sologesang und Begleitung. 
P.en aus Singstimme (mit Taktstrichen) und Lauten- 
tabulatur kommen seit Anfang des 16. Jh. haufig vor. 
Der aus dieser Notation abgeleitete P.-Typ mit Sing- 
stimme und beziffertem GeneralbaB, von Peri (Dafne, 
1598) fiir die Oper und von Caccini (Le nuove musiche, 
1601) auch fiir den weltlichen Sologesang (Arie, Kan- 
tate) eingefiihrt, war in erster Linie fiir den Begleiter 
bestimmt, der wegen der freien Temponahme der San- 
ger im Stile recitativo nicht (wie in der geistlichen Mu- 
sik) den GeneralbaB ohne Kenntnis der Oberstimme 
nur aus dem Stimmbuch spielen konnte. Dariiber hin- 
aus stellt die Opern-P. in ihrer Vereinigung aller fiir 
eine Auffiihrung notwendigen Angaben, vor allem 
auchdurchdieP.-Notierungderlnstrumentalensembles, 
ein friihes Stadium der Direktions-P. dar. Dirigieren 
und P.-Gebrauch stehen in engem Wechselverhalt- 
nis. In der Kirchenmusik wurde, auch bei stark besetz- 
ten Werken, noch lange Zeit der Takt nach dem als 
Direktionsstimme besonders geeigneten B. c.-Stimm- 
buch gescblagen (Praetorius Synt. Ill, S. 125; Viadana, 
Vorrede zu Salmi a 4 chori, 1612). In Deutschland, be- 
sonders im Norden, blieb bis ins 18. Jh. die Buchstaben- 
tabulatur anstelle der P. in Gebrauch. Im Orchester 
spielte zwar der Kapellmeister bei der im 18. Jh. iibli- 
chen Klavierdirektion den GeneralbaB aus der P., um 
den Executoribus (so sie etwafehlen wollen) daraus zu recht 
zu helffen (WaltherL), doch der Konzertmeister (z. B. 
noch Fr.A.Habeneck) bediente sich beim Dirigieren 
nur der 1. Violinstimme, die allerdings meist Hinweise 
auf die Einsatze der iibrigen Stimmen enthielt und Di- 
rektionsstimme hieB. Noch bis Anfang des 19. Jh. wur- 
den die meisten Kompositionen in Stimmen veroffent- 
licht (z. B. die Werke Beethovens bis op. 84) ; erst durch 
das Berufsdirigententum wurde die P. zum unentbehr- 
lichen Auff uhrungsmaterial. Heute wird die meiste Mu- 
sik in P. veroffentlicht. Neue P.-Typen entstanden seit 
dem 19. Jh. : die ->■ Denkmaler-Ausgaben verstarkten 



das Ansehen der P. als vollgiiltiger Uberlieferungsform 
von Musik; die Studien-P. (A. -> Payne und E. -> Eu- 
lenburg) fiihrte weite Kreise der Konzertbesucher zur 
P. Die moderne -> Editionstechnik steht vor dem Pro- 
blem, P.en von Musik herzustellen, die in Mensural- 
notation aufgezeichnet und vorher niemals in P. notiert 
worden ist. Als Ausweg bietet sich die Ubertragung in 
moderne Notenschrift und P. an oder die Herstellung 
einer Schein-P. ohne Ordnungsstriche. Die Chor-P. 
des 20. Jh., in der der »Mensurstrich« die senkrecht 
durchlaufenden Ordnungsstriche ersetzen soil, ist streng 
genommen eine Schein-P. 

Bei der Anordnung der Stimmen innerhalb der P. 
herrscht das Prinzip, die hoher klingenden Stimmen 
iiber die tieferen zu setzen. Bei zwei- und mehrchori- 
gen Werken wurden die Chore zusammengefaBt; bei 
vokal-instrumental gemischten Besetzungen wurden 
schon im 17. Jh. die Instrument* stets iiber den Sing- 
stimmen angeordnet, die nicht vom GeneralbaB ge- 
trennt wurden. In der Orchester-P. der 1. Halfte des 
18. Jh. waren alle unisono spielenden Stimmen nur ein- 
mal notiert; die P. gab nur den musikalischen Satz 
wieder. Obligate Blaserstimmen wurden gewohnlich 
oberhalb der 1. Violine notiert, doch begegnet noch 
bei Mozart, Schubert u. a. die Anordnung der 1. Vio- 
line als oberste Stimme (Fetis 1829, S. Iff.). In den P.en 
der vorklassischen Symphonien wurden sehr oft auch 
Pauken, Trompeten una Horner zuoberst gestellt (mit- 
unter aber gar nicht in die P. auf genommen; -> Parti- 
tino). Fiir den P.-Druck setzte sich schlieBlich (etwa 
seit CM. v.Weber) das Prinzip durch, Instruments 
gleicher Gattung in Gruppen zusammenzufassen, und 
zwar in der Reihenf olge (von oben nach unten) : Holz- 
blasinstrumente, Blechblas- und Schlaginstrumente, 
Streichorchester. Innerhalb der Holzblaser gilt die Fol- 
ge: Floten, Oboen, Klarinetten, Fagotte. Bei den Blech- 
blasern werden die Horner, die haufig (zu 4) einen 
Chor fiir sich bilden oder aber in Verbindung mit den 
Fagotten gebraucht werden, zuoberst, d. h. den Fagot- 
ten zunachst gestellt (nur bei R. Wagner zwischen Kla- 
rinetten und Fagotte). Es folgen Trompeten, Posaunen 
und Tuben. Die Schlaginstrumente werden den Blech- 
blasern unten angefiigt: Pauken, Triangel, Becken, 
Trommel usw. Treten Singstimmen zum Orchester hin- 
zu, so werden sie mitunter oberhalb der 1. Violinen 
notiert, meist jedoch (wie seit jeher) iiber den Bafi ge- 
gesetzt, im Streichorchester also zwischen Bratschen 
und Violoncelli, die Solisten wiederum oberhalb des 
Chores. Die Orgel findet ihre Stelle unter dem Kontra- 
baB, wo ehedem der bezifferte GeneralbaB stand. Die 
Harfe wird gewohnlich zwischen Schlaginstrumente 
und 1. Violinen eingeschoben, ebenso die Solostimme 
von Konzerten fiir Soloinstrument und Orchester. Die 
im spatromantischen und modernen Orchester hinzu- 
gekommenen Instrumente wurden sinngemaB in diese 
P.-Anordnung eingefiigt. In Kammermusik-P.en steht 
der Klavierpart gewohnlich zuunterst, die iibrigen In- 
strumente werden je nach der Beschaffenheit des Satzes 
entweder in Gruppen (wie in der Orchester-P.) oder 
ihrer Tonlage nach angeordnet. -Eckige und geschwun- 
gene Klammern (-> Akkolade) und durchlaufende 
Taktstriche verbinden zwecks besserer Ubersicht die 
Instrumentengruppen der modernen Orchester-P. Als 
Lesehilfe dienen dem Dirigenten indirekt auch die ab- 
weichenden Vorzeichen der -»• Transponierenden In- 
strumente und die verschiedenen Schliissel. DieseBeson- 
derheiten, die auch die moderne P. als Vereinigung von 
Einzelstimmen ausweisen, wollten die Verfechter der 
Reform-P. (M. v. Schillings, F. Weingartner, U.Gior- 
dano) und der Einheits-P. (F.Dubitzky, H. Stephani, 
Fr.Muller-Rehrmann) eliminieren. Doch erlangte nur 



708 



Passacaglia 



die Reform-P. (Notation aller Instrumente in C) be- 
grenzte Bedeutung (vor allem in der Schonberg-Nach- 
folge) ; die Einheits-P. (alle Stimmen im G-Schliissel 
mit Oktavversetzung) blieb theoretische Forderung. - 
P.-Spiel (Darstellung des Orchestersatzes auf dem Kla- 
vier) wird als Pflichtfach fur Dirigenten und Schulmu- 
siker an den Musikhochschulen gelehrt; methodische 
Schulwerke verfaBten u. a. H. Riemann (Anleitung zum 
Partiturspiel, Berlin 1902) und H. Creuzburg (Partitur- 
spiel. Ein Ubungsbuch, 4 Bande, Mainz 1956-60). 
Lit. : Fr.-J. Fetis, Traits de l'accompagnement de la par- 
tition sur le piano ou l'orgue, Paris 1829; R. Eitner, Notiz 
zur Partiturausg. Cyprians de Rore, MfM V, 1873, S. 30; 
O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 16. Jh., Lpz. 1910, 
S. 187ff.; R. Schwartz, Zur P. im 16. Jh., AfMwII, 1919/ 
20; L. Ellinwood, The Conductus, MQ XXVII, 1941 ; G. 
Kinsky, Eine friihe P.-Ausg. v. Symphonien Haydns, Mo- 
zarts u. Beethovens, AMI XIII, 1941 ; F. Wrobel, Partytu- 
ra na tie wspolczesnej techniki orkiestracyjnej- (»P. auf 
Grund d. modernen Orchestrationstechnik«), Krakau 
(1954); S. Clercx-Lejeune, D'une ardoise aux partitions 
du XVI e s., in: Melanges . . . offerts a P.-M. Masson I, Pa- 
ris (1955); Th. Jakobi, Die KUnst d. Partiturspiels, Bin 
1957; E. E. Lowinsky, Early Use of Scores in Ms., JAMS 
XIII, 1960; E. Apfel, tlber einige Zusammenhange zwi- 
schen Text u. Musik im MA, besonders in England, AMI 
XXXIII, 1961 ; Kn. Jeppesen, Et par notationstekniske 
problemer . . ., STMf XLIII, 1961 ; H. G. Hoke, Studien 
zur Gesch. d. »Kunst d. Fuge« v. J. S. Bach. Zur allgemei- 
nen Problematik d. Notationsprinzips P., Beitr. zur Mw. 
IV, 1962. HHa 

Pasamano (span.) -* Aurresku. 

Paso doble (span., Doppelschritt; ital. passo doppio), 
— 1) ein in seinen Schritten unkomplizierter spanischer 
Paartanz im 2/4- oder 3/4-Takt von lebhaftem, jedoch 
nicht iiberstiirztem Tempo. Zwei Hauptteilen ist eine 
kurzeEinleitung vorangestellt, die entweder aus Varia- 
tionen iiber das in der spanischen Volksmusik beliebte 
absteigende Molltetrachord besteht (z. B. in A moll: 
a g f e) und demnach stets auf der Dominante endet 
oder sich allgemein im Dominantbereich bewegt. Steht 
der erste Hauptteil in Dur, so der zweite, auch Trio ge- 
nannte Hauptteil in der Subdominante; steht dagegen 
der erste in Moll, so der zweite in der gleichnamigen 
Durtonart. Von verschiedenen Komponisten wurde 
der P. d. in die Zarzuela eingefiigt. - 2) ein lebhafter 
Infanteriemarsch im 6/8-Takt (M. M. = 120), in Frank- 
reich ab 1790 auch als Pas redouble bekannt, da das 
Tempo von urspriinglich 60-70 Pas ordinaires auf 120- 
140 Pas redoubles in der Minute verdoppelt wurde 
(-*■ Armeemarsche). 

Passacaglia (passak'a:Aa, ital., im 17. Jh. iiberwie- 
gend passacaglio; frz. passacaille; span, pasacalle, von 
pasar una calle, durch eine StraBe gehen, in Spanien 
verstanden als Gang einer Kapelle durch die StraBen, 
wobei Paso dobles oder marschartige Stiicke gespielt 
werden; dies entspricht der urspriinglichen musikali- 
schen Bedeutung des deutschen Wortes -*■ Gassen- 
hauer). Die P. ist ein im 16. Jh. auf dem Wege der Chi- 
tarramusik nach Italien gelangter spanischer Tanz. Der 
alteste Beleg fiir die P. findet sich in Italien bei Monte- 
sardo (Chitarratabulatur, 1606): eine iiber die Tone 
F B C F gearbeitete Periode von 3-4 Takten, die iiber 
20mal variiert wird. Diese Stufenfolge im ungeraden 
Takt sowie die ostinate Struktur bleiben charakteri- 
stisch fiir die friihe P. Dem Titel gemaB finden sich bei 
Montesardo Passacaglie d ritornelli, die als Vor-, Zwi- 
schen- und Nachspiele in Arien oder Tanzen, aber auch 
in der instrumentalen Buhnenmusik als Begleitung von 
Entrees verwendet wurden. So ist bei Peri (Le uarie 
musiche, 1609) eine 4strophige Aria zweifhal mit der- 
artigen P.-Einlagen versehen iiber dem BaB : 



Stufen: I IV V-I 

der auch in der Aria selbst mehrmals transponiert wie- 
derkehrt. Die P. ist in diesem Zusammenhang oft nicht 
vollstandig notiert, sondern zu improvisieren. Der ent- 
sprechende Hinweis lautet »Passacaglie« oder »ritornel- 
lo«. Bei Frescobaldi (Arie musicali, 1630) findet sich eine 
P. als Ritornell, auch als ein die ganze Arienstrophe stiit- 
zender OstinatobaB. Zudem kommt P. im Zusammen- 
hang mit Tanzstiicken vor, z. B. bei Pensori (Balletto 
mit // suo passacaglio, 1648) und Granata (Sarabanda con 
passacagli, 1651). Die Chitarratabulaturen bringen bis 
1660 (Pellegrini) Passacagli als Ketten gleichgebauter 
Modelle in alien Tonarten, z. B. Passacagli per tutte le 
lettere dell'alfabeto. Der Spieler hatte ein solches aus 3 
oder 4 Takten bestehendes P.-Modell in alle Tonarten 
abzuwandeln. Die in Frankreich schon in der 1. Halfte 
des 17. Jh. in der Gitarrenmusik verbiirgte P. war am 
Hof Lud wigs XIV. als langsamer Solotanz bekannt. Fiir 
die gesungene und getanzte P. findet sich ein Beispiel 
im 3. Akt von J.-B. Lullys Acis et Galatee (1686). Bis ins 
spate 17. Jh. wurden der Passacaglio semplice und der 
kunstvollere Passacaglio passagiato oder diminuto un- 
terschieden. Neben der P. als Vor-, Zwischen- oder 
Nachspiel zu Arien bzw. Tanzen bliihte die P. in Gestalt 
selbstandiger Ostinatoreihen. Sie kann auftreten mit 
geschlossenen Perioden I-IV-V-I I-IV-V-I usw. oder 

i 1 

in rundlaufiger Anlage I-IV-V-I -IV-V-I usw., die im 

17. Jh. vorherrschend wurde. FriiheBeispielefiirdieP. als 
selbstandiges Instrumentalstiick bieten G.A. Colonna 
(Chitarratabulatur, 1620) und Valdambrini (1647). Zu 
einer groBeren Ausweitung der Form kam es erst nach 
1650, so etwa 1655 bei B.Marini, spater bei Pachelbel, 
Buxtehude, J. S.Bach, Handel u. a. Als selbstandiger 
SchluBsatz wurde die P. auch in die Suite eingefiigt, 
z. B. von Frescobaldi (letzte Auflage der Toccate e par- 
tite I, 1637), Bartolotti (1640), Bottazzari (1641), Lau- 
renti (1691), Roncalli (1692), ebenso in die Triosonate 
(Laurenzi 1641, Falconieri 1650, Cazzati 1660, Vitali 
1682, u. a.). In der 2. Halfte des 17. Jh. kam das vom 
Grundton aus absteigende Tetrachord als P.-BaB auf. 
Beruhmt ist die P. C moll fur Org. vonj. S. Bach (BWV 
582) mit einem BaBthema, dessen erste Halfte einem 
Christe-Satz von A.Rai- *): , l> , g 1 Eg m I p F 



son entnommen wurde: 



Lockerer im Auf bau, mit f reien Zwischenspielen durch- 
setzt, ist die P. fiir Cemb. von Fr.Couperin (8. Ordre, 
H moll). Mattheson (1739) zufolge lassen sich -> Cha- 
conne und P. u. a. darin unterscheiden, daB die P. die 
Moll-, die Chaconne die Durtonarten bevorzugt. Zur 
Tempounterscheidung der beiden Formen gilt entge- 
gen Mattheson allgemein, daB die P. ordinairement lang- 
samer als die Chaconne gehet (Walther 1732). Auf die 
nicht immer eindeutige Abgrenzung deuten Bezeich- 
nungen wie Chaconne ou Passacaille (L. Couperin) oder 
Passacaille ou Chaconne (Fr.Couperin 1728). Mit dem 
Ende des GeneralbaBzeitalters f and auch die Geschichte 
der P. in der Kunstmusik einen AbschluB. In neuerer 
Zeit wurde die -> Ostinato-Technik der P. vielfach 
wieder aufgegriffen. Genannt seien: Reger (u. a. in op. 
16, 33, 63, 96, 127); C.Franck, 2. Choral fur Org. 
(1890) ; Webern, P. fur Orch. op. 1 (1908) ; Schonberg, 
Pierrot Lundire (1912), Teil II, Nr 8; Ravel, Klaviertrio 
A moll (1914); A.Berg, 5 Orchesterlieder op. 4 (1912), 
Nr 5, Wozzeck, 1. Akt, 4. Szene (auch 3. Akt, 3. Szene) , 
Hindemith, Das Marienleben op. 27 (1922/23, Die Dar- 



709 



Passage 



stellung Maria im Tempel), weiterhin in: Streichquartett 
op. 32 (1923), Nobilissima Visione (1938), Symphonic in 
Es (1940), Harmonie der Welt (1957); P. Holler, P. und 
Fuge fur Orch. op. 25 (1939). 

Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 1912; L. Nowak, 
Grundziige einer Gesch. d. Basso ostinato in d. abendlan- 
dischen Musik, Wien 1932; L. Walther, Die Ostinato- 
technik in d. Chaconne- u. Arien-Formen d. 17. u. 18. Jh., 
= Schriftenreihe d. mw. Seminars d. Univ. Miinchen VI, 
Wiirzburg 1940; A. Machabey, Les origines de la' chacon- 
ne et de la passacaille, Rev. de Musicol. XXVIII, 1 946; M. F. 
Bukofzer, Music in the Baroque Era, NY (1947); H. L. 
Schilling, Hindemiths Passacagliathemen in d. beiden 
Marienleben, Af M w XI, 1 954 ; K. v. Fischer, Chaconne u. 
P., RBM XII, 1958; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich- 
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959, S. 
98ff. ; W. Osthoff, Die fruhesten Erscheinungsformen d. 
P. in d. ital. Musik d. 17. Jh., Kgr.-Ber. Musica Mediterra- 
nea Palermo 1954, Palermo 1959; L. Stein, The P. in the 
Twentieth Cent., ML XL, 1959; M. Schuler, Zur Friih- 
gesch.d. P., MfXVI, 1963. 

Passage (pas'a:3, frz. ; ital. passaggio, Gang). Passag- 
gio bezeichnet in Lehrbiichern des Gesangs und Instru- 
mentalspiels ab Mitte des 16. Jh. eine zur Verzierung 
und Ubung bestimmte Art der ->- Diminution (- 2; z. B. 
Passaggi per potersi essercitare nel Diminuire terminatamen- 
te con ogni sorte d'instromento. Et anco diversi passaggi per la 
semplice voce humana von Rognoni Taeggio, 1592). Prae- 
torius Synt. Ill (S. 240) beschreibt Passaggi zhgeschwin- 
deLauffe / welche beydes Gradatim vnd auch Saltuatim durch 
alle Intervalla, so wol ascendendo alft descendendo, vber den 
Noten so etwas gelten j gesetzet vnd gemacht werden. Bei 
Chr.Bernhard (Tractatus . . .) ist Passaggio mit der Fi- 
gur der Variatio identisch. - Die P. als Steckenpferd der 
Concertspieler (KochL) ist Hauptbestandteil spezieller 
Kompositionsarten wie -> Etude und Bravourstiick. 
Sie kann definiert werden als eine rasche, meist an ei- 
nem Motiv festhaltende Tonfolge unterschiedlicher 
Ausdehnung, wobei u. a. zwischen Akkord-P.n (-> Ar- 
peggio) und Tonleiter-P.n zu unterscheiden ist. 

Passamezzo (wohl aus ital. pass'e mezzo, ein Schritt 
und ein halber), geradtaktiger italienischer Tanz des 
16./17. Jh., in der Fruhgeschichte verflochten mit der 
-*■ Pavane (Gleichsetzung beider Namen u. a. bei Sa- 
linas 1577, S. 356: Pauana Milanesa, siue Passoemezo 
vulgd vocatur); noch 1588 ist er als Gebrauchstanz be- 
zeugt, war zugleich aber auch in stilisierten Formen 
verbreitet. Seit etwa 1540 liegen dem P. Satzmodelle 
zugrunde, von denen zwei seit etwa 1600 die P. ge- 
nannten Stiicke fast ausschlieBlich beherrschen: P. an- 
tico (oder per B molle), der -*■ Folia verwandt, und 
P. moderno (per B quadro oder duro), letzterer mit 
dem Modell : 




Dem P. ist eigentumlich, daB sich die Klange des Mo- 
dells in gleichen metrischen Abstanden (8 oder 16 
Zahlzeiten) iiber den meist ausfigurierten Satz ver- 
teilen. Kompositionen iiber P.-Modelle sind schon 
in H.Newsidlers Lautenbuchern zu finden (P. anti- 
co 1536: ein welscher tantz Wascha mesa; P. moderno 
1540: Passa mesa. Ein Welscher tantz). Die Mehrzahl der 
iiberlieferten P.-Kompositionen aus der 2. Halfte des 
16. Jh. ist fur Laute, eine Reihe von Werken fur Ta- 
steninstrumente bestimmt; doch bestatigen Sammlun- 
gen u. a. von Fr. Bendusi (1553) und G. Mainerio (1578, 
a quatro voci . . . per cantar et sonar d'ogni sorte d'lstro- 
menti) auch eine vokale und beliebig instrumentierte 



Ausfiihrung. Durch die im 16. Jh. des ofteren ange- 
fiigte Ripresa, vor allem aber durch ZusammenschluB 
mehrerer P.-Verarbeitungen in suiten- oder variations- 
artiger Folge, entstanden gelegentlich sehr umfang- 
reiche Stiicke. G. Gorzanis schuf in einer handschrif t- 
lich erhaltenen Sammlung (1567) auf jeder der 12 Ton- 
stufen (von G aus chromatisch aufwarts) einen P. an- 
tico mit anschlieBendem Saltarello (in Moll) sowie 
einen P. moderno mit Saltarello (in Dur) und nutzte 
damit schon in friiher Zeit die Gesamtheit der Ton- 
arten fiir ein zyklisches Werk aus. In der 1. Halfte des 
17. Jh. war der P. in Tanzsammlungen fiir Chitarra 
verbreitet, als Komposition fiir Tasteninstrumente trat 
er zuriick. Im Gegensatz zu anderen Tanzen mit Satz- 
modellen wurde der P. offenbar nicht in die monodi- 
sche Aria iibernommen. Der P. von Scheidt (Tabulatu- 
ra nova 1, 1621) ist eines der bekanntesten Werke des Ty- 
pus; den letzten Beleg bieten die Varie partite delpasseme- 
zo fur 2 V., Violone oder Spinett von G. B. Vitali (1682). 
Lit. : W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbu- 
chern, Lpz. 1927 ; J. Dieckmann, Die in deutscher Lauten- 
tabulatur uberlieferten Tanze d. 16. Jh., Kassel 1931 ; H. 
Halbig, Eine hs. Lautentabulatur d. G. Gorzanis, Fs. Th. 
Kroyer, Regensburg 1933 ; G. Reichert, Der P., Kgr.-Ber. 
Luneburg 1950; H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkomposi- 
tion um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.; W. Apel, 
Tanze u. Arien f. Kl. aus d. Jahre 1588, AfMw XVII, 1960. 

Passau. 

Lit.: F. Lehrndorfer, Die Musik in d. furstlichen Residenz- 
stadt P., in: Die Ostbairischen Grenzmarken XIX, 1930; 
W. M. Schmid, Zur P.er Mg., ZfMw XIII, 1930/31; H. 
Bauer, J. Friebert (1723-99) u. seine Stellung in d. Mg. d. 
Stadt P., Diss. Miinchen 1952, maschr.; E. Federl, Die 
P.er Caecilienbruderschaft im 18. Jh., KmJb XLIV, 1960; 
E. Krems, P. Musikkultur v. d. Anfangen bis zur Auflo- 
sung d. geistlichen Furstentums (1803), in: Ostbairische 
Grenzmarken IV, 1960-V, 1961. 

Passepied (paspi'e, frz.; engl. paspy), alter franzosi- 
scher Rundtanz, der Tradition nach in der nordlichen 
Bretagne beheimatet. Er wird 1548 zum erstenmal ge- 
nannt von N. Du Fail; 1565 wurde er auf einem bei 
Bayonne von der Konigin Katharina von Medici ver- 
anstalteten Fest von Bretoninnen getanzt, und 1567 
begab sich der franzosische Konig Karl IX. nach Blois, 
in der Absicht, dort den P. de Bretagne zu erlernen. 
Nach M.Praetorius {Terpsichore, 1612) soil der Name 
dadurch entstanden sein, daB man in solchem Dantz einen 
Fufi vber den andern schlagen vnd setzen mufi. Der Hof- 
tanz P. steht in ungeradem Takt (3/4 oder 3/8 mit Ach- 
telauftakt), wobei in den Doppeltakten oft ein Schwan- 
ken zwischen 2x3/4 und 3x2/4 entsteht; BrossardD 
charakterisiert ihn als Menuet dont le Mouvement est 
fort-vite & fort gay. Um die Mitte des 18. Jh. verschwand 
er aus den Bailsmen. In der Instrumentalsuite fand der 
P. seine Stelle unter den Tanzen, die nicht zu den festen 
Teilen der Suite gehorten und gewohnlich zwischen 




J. C. F. Fischer, Les pieces de clavessin, 
Schlackenwert 1696. 
Sarabande und Gigue eingeschoben wurden, so bei 
J. C.F.Fischer, Couperin, Telemann, J.S.Bach. In der 
Oper gibt es den P. bei Campra, J.-Ph. Rameau, Gluck. 
Lit. : Vingt suites d'orch. du XVII e s. f re. (1 640-70), 2 Bde, 
hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906 ; C. Sachs, Eine 
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 
1938, frz. Paris 1938. 



710 



Passion 



Passion (lat. Passio Domini nostrijesu Christi . . .), die 
Leidensgeschichte Christi nach dem Bericht der Evan- 
gelisten. Sie wird in der romischen MeBliturgie an 4 
Tagen der Karwoche gelesen oder gesungen (seit 1955 
mit Textkiirzungen) : am Palmsonntag nach Matthaus, 
am Dienstag nach Markus, am Mittwoch nach Lukas, 
am Freitag nach Johannes. Fur den Choralvortrag gilt 
heute der 1917 in einer Editio typica veroffentlichte 
P.s-Ton als verbindlich (Cantus Passionis Domini nostri 
Jesu Christi ..., offizielle NA 1957 unter dem Titel 
Cantus historiae Passionis . . . iuxta Ordinem hebdomadae 
sanctae instauratum). Gegenuber alien anderen -> Lesun- 
gen ist die P. durch eine besondere Vortragsweise aus- 
gezeichnet: der erzahlende Text (Evangelist), dieWor- 
te Christi und der iibrigen Personen (Soliloquenten : 
Petrus, Pilatus, Judas usw.) und der Personengruppen 
(Turbae: Jiinger, Juden und weitere Gruppen) werden 
jeweils in eigener Tonlage gesungen, wobei folgende 
Rezitationstone verwendet werden: f (Christus), c 1 
(Evangelist) und f 1 (Soliloquenten und Turbae). Den 
Interpunktionsstellen des Textes entsprechen bestimm- 
te Melodiewendungen (Kadenzen). Die Verteilung der 
Textpartien auf 3 Sanger bzw. Lektoren ist seit dem 
14. Jh. nachweisbar. 

Die friiheste bisher bekannte Quelle fiir mehrstimmige 
Vertonung der P. ist ein Traktat aus Fiissen (um 1450, 
ehemals als Maihinger Fragment bezeichnet), der Bei- 
spiele fiir einfachsten dreistimmig improvisierten Ge- 
sang der Turbasatze bietet. Weitere Quellen aus der 
Zeit um 1480 stammen aus England (anonyme Lukas- 
und Matthaus-P. mit Turba- und Soliloquentensatzen 
im dreistimmigen englischen Diskantstil) und Italien 
(anonyme Matthaus- und Johannes-P. : Turbae sechs- 
bis achtstimmig, Soliloquenten dreistimmig im Faux- 
bourdonstil). Ein umfangreiches Quellenmaterial ist 
erst ab 1500 iiberliefert, hauptsachlich aus Italien und 
Deutschland. Komponisten aus anderen Landern schrie- 
ben nur gelegendich P.en. - Die Entwicklung der P. 
bis zum Ende des 17. Jh. ist durch ihren Charakter 
einer liturgischen Lectio gepragt, wobei es sich hier um 
den langsten zusammenhangenden liturgischen Text 
handelt. Dies verlangte von den Komponisten eine Be- 
schrankung in der Auswahl der musikalischen Mittel, 
um den liturgischen Rahmen - auch im Hinblick auf 
die Auffiihrungsdauer - nicht zu sprengen. So ist es er- 
klarlich, daB eine bestimmte Art der P.s-Vertonung 
wahrend des 16. und beginnenden 17. Jh. vorherr- 
schend wurde, die fiir die Worte des Evangelisten den 
einstimmigen choralen Vortrag wahlt und bei den an- 
deren Partien entweder nur die Worte der Turbae oder 
die der Soliloquenten und Turbae oder alle direkten Re- 
den mehrstimmig setzt. Diese Art, die in differenzier- 
ter Weise das Prinzip der Rollenverteilung der chora- 
len P. wahrte und zudem den Komponisten die Mog- 
lichkeit bot, ortlichen liturgischen Verhaltnissen ge- 
recht zu werden, wird heute allgemein (nach v. Fischer) 
als responsoriale P. bezeichnet (friiher auch als drama- 
tische P.). Dieser Typus, herausgewachsen aus der Li- 
turgie der romisch-katholischen Kirche, wurde das 
Vorbild auch fiir einen grofien Teil protestantischer 
P.en in deutscher Sprache, die heute meist als Choral- 
P.en bezeichnet werden. - Lateinische responsoriale 
P.en schrieben bis zum Beginn des 17. Jh. u. a. Ruffo: 
Matthaus- und Lukas-P., um 1575; Lassus: Markus- 
und Lukas-P., 1582; Victoria: Matthaus-P., 1585; 
Byrd: Johannes-P., 1607 (samtlich nur Turbae mehr- 
stimmig); CI. de Sermisy: Matthaus-P., 1534; Contino: 
P.en, 1561; Lassus: Matthaus- und Johannes-P., 1575; 
Asola: Matthaus-, Markus- und Lukas-P., um 1580; 
Guerrero: Matthaus- und Johannes-P., 1585 (samtlich 
Soliloquenten und Turbae mehrstimmig) ; Jachet von 



Mantua: Matthaus-P., um 1540; G. de Albertis: Mat- 
thaus-P. und Johannes-P.en, vor 1541; P. Aretino: Jo- 
hannes-P., vor 1570; Asola: Johannes-P., 1583; Suria- 
no: P.en nach den vier Evangelisten, 1619 (alle direk- 
ten Reden mehrstimmig). Die lateinischen responsoria- 
len P.en verlangen in den 1st. Partien den romischen 
P.s-Ton, der als C. f. in strenger oder freierer Behand- 
lung auch in den mehrstimmigen Satzen benutzt wird. 
Diese zeigen fast durchweg eine homorhythmische, ge- 
legendich falsobordonartige Gestaltung, die gleicher- 
weise Verstandlichkeit des Textes und kurze Auffiih- 
rungsdauer zur Folge hat. Die Bindung an den choralen 
P.s-Ton fiihrt bei den meisten Werken der genannten 
Art zur Wahl des F-Modus als Haupttonart. - Die 
friiheste Ubernahme des responsorialen P.s-Typus in 
den Bereich der protestantischen Kirchenmusik ge- 
schah durch J. Walter (Matthaus- und Johannes-P., um 
1530). Walter benutzte in seinem P.s-»Rezitativ«, das 
alle Partien mit Ausnahme der Turbae umf aBt, die kon- 
stituierenden Elemente des lateinischen P.s-Tons und 
wahrte damit den Lektionscharakter der P. ; er paBte 
jedoch die Interpunktionsformeln in ihrem Wechsel- 
spiel mit den Rezitationstonen geschmeidig der deut- 
schen Sprache an und schuf somit einen einstimmigen 
deutschen P.s-Ton. Die Turbasatze in seirien P.en sind 
falsobordonartig auskomponierte Lektionsformeln. 
Walters P.en waren wahrend des 16./17. Jh. in ver- 
schiedenen Fassungen und Bearbeitungen weit verbrei- 
tet. Einzelne Komponisten verwendeten Walters 1st. 
Partien oder veranderten sie leicht und schrieben neue 
Turbasatze, die sich nun immer mehr von der Bindung 
an einen C. f. losten und auf einen starkeren Ausdruck 
des Textes abzielten (P.en von Meiland, 1567-70; Man- 
cinus, 1602, sogenannte Celler P. ; besonders Vulpius, 
1613). Damit entfernte sich in den mehrstimmigen 
Satzen die P. von einer liturgischen Lectio. Der gleiche 
Vorgang ist auch bei jener anderen Gruppe deutscher 
P.en zu beobachten, in denen nach dem Vorbild latei- 
nischer Werke oberitalienischer Provenienz nur die 
Evangelistenpartie einstimmig blieb und alle iibrigen 
Partien mehrstimmig gesetzt sind. Hierher gehoren die 
Johannes-P.en von Scandello (1561) und Gesius (1588) 
und die Markus-P. von Beber (1610). 
Neben der responsorialen P. entstand im 16. Jh. im 
Rahmen der katholischen Kirchenmusik ein anderer 
Typus, der als durchkomponierte P. (v. Fischer) be- 
zeichnet werden kann, da hier eine durchgehend mehr- 
stimmige Satzweise gegeben ist. Dabei sind zu unter- 
scheiden einmal jene P.en, die sich von den responsoria- 
len P.en lediglich dadurch abheben, daB in ihnen auch 
der Evangelistenbericht mehrstimmig gesetzt ist; Wer- 
ke dieser Art komponierten G.Nasco (= Maistre Jhan): 
Matthaus-P., um 1550; C. de Rore: Johannes-P., um 
1550; Ruffo: Matthaus-und Johannes-P., um 1580. 
Zum anderen gehort zum Typus der durchkompo- 
nierten P. eine Gruppe von Werken, denen die ver- 
kiirzte Fassung einer der vier P.en oder (haufiger) eine 
Kompilation der Leidensgeschichte aus den vier Evan- 
gelien (Summapassionis.P.s-Harmonie) zugrundeliegt. 
Das friiheste Beispiel hierfiir ist eine P., die in den 
Quellen unter dem Namen sowohl von Obrecht als 
auch von Longaval erscheint (sogenannte Obrecht- 
Longaval-P., um 1500). Innerhalb ihrer drei Teile sind 
die Worte des Evangelisten und die der redenden Per- 
sonen unter Verwendung des romischen P.s-Tons zu- 
sammenhangend vertont, jedoch meist klanglich ge- 
geneinander abgesetzt. Die Disposition des Textes ge- 
schieht wie bei der Motette, so daB hier die Bezeichnung 
motettische P. berechtigt ist (nach Kade). Wohl aus li- 
turgischen Griinden findet sich die motettische gegen- 
iiber der responsorialen P. bei katholischen Kompo- 



711 



Passion 



nisten des 16. Jh. sehr selten. Zu erwahnen sind vor al- 
lem J. Regnart (Johannes-P., vor 1583) und Jac. Gallus 
(3 P.en, 1587). - Im protestantischen Raum spielte der 
Typus der motettischen P. eine sehr viel bedeutendere 
Rolle, und zwar meist in direkter Anlehnung an den 
Text der Obrecht-Longaval-P., dessen lateinische Fas- 
sung Galliculus (1538), Daser (1578), P. Bucenus (1578) 
und noch Gesius (1613) vertonten. Wie J.Walter die 
responsoriale Art der P.s-Komposition, so fiihrte Joa- 
chim a Burck die motettische Art in den deutschspra- 
chigen protestantischen Gottesdienst ein (1568). Das 
wichtigste Werk dieser Richtung war die Johannes-P. 
von Lechner (1593), die eine meisterhafte Verwendung 
musikalischer Ausdrucksmittel zeigt. Die starke Bin- 
dung an den choralen P.s-Ton, die bei Burck und Lech- 
ner vorhanden ist, lockerte sich spater bei Demantius 
(Johannes-P., 1631). - Die Entwicklung der responso- 
rialen und der motettischen P. war in der 1 . Halfte des 
17. Jh. im wesentlichen abgeschlossen. Im Rahmen der 
katholischen Liturgie wurden seitdem hauptsachlich 
P.en von Meistern des 16. Jh. weiterhin aufgefiihrt. 
Daneben schrieben in Italien viele Komponisten, unter 
denen sich keine nennenswerten Meister finden, Turba- 
satze in knappsten Dimensionen (punti della passione). 
Die mangelnde Ergiebigkeit auf diesem Gebiet erklart 
sich vor allem aus der Tatsache, daB der monodische 
Stil aus liturgischen Griinden (Verbot von Instrumen- 
tenspiel in der Karwoche) keinen EinfluB auf die Kom- 
position von P.en gewinnen konnte. Ein Werk wie die 
dem lateinischen Oratorium des 17. Jh. nahestehende 
Johannes-P. von A.Scarlatti (urn 1700) blieb in seiner 
Art vereinzelt. Im protestantischen Bereich bestimmten 
die Stilmittel des Oratoriums die P.s-Vertonungen, so- 
weit hier nicht responsoriale P.en des 16. Jh. weiter auf- 
gefuhrt oder Werke dieser Art neukomponiert wur- 
den. Eine Sonderstellung nimmt Schiitz ein mit seinen 
3 P.en (nach Matthaus, Markus undjohannes, 1665-66). 
Auffiihrungspraktisch gehoren sie zum Typus der re- 
sponsorialen P. von der Art J. Walters, da in ihnen nur 
die Turbae mehrstimmig, die anderen Partien einstim- 
mig sind. In diesen Partien verschmilzt Schiitz Ele- 
mente lateinischer und deutsch-protestantischer Lek- 
tionsweisen mit Gestaltungsprinzipien der Monodie 
zu einer musikalischen Sprache sui generis, die von der 
Formelhaftigkeit der Lektionstone genauso weit ent- 
fernt ist wie von dem oratorischen Ausdruck des neu- 
italienischen Rezitativs. 

Die fur das 17. Jh. charakteristische Art der protestanti- 
schen P.s-Vertonung stellen jene in reicher Zahl iiber- 
lieferten Werke dar, die den biblischen Text der Lei- 
densgeschichte mit den musikalischen Mitteln des Ora- 
toriums vertonen und fur die sich heute der Begriff 
»oratorische P.« eingebiirgert hat. Dieser P.s-Typus 
entstand aus dem Streben, vor allem die 1st. P.s-Lectio 
dem neuen Stil des 17. Jh. anzupassen und die respon- 
soriale P. zu modernisieren. So versuchte man zunachst, 
den choralen P.s-Ton beizubehalten, ihn aber mit Ge- 
neralbaBbegleitung zu versehen (P.en von Selle, 1641- 
43), um dann diese Bindung zugunsten neugestalteter 
Rezitative aufzugeben. Insgesamt spiegelt sich in der 
Satz- und Ausdruckskunst der oratorischen P. des 17. 
und 18. Jh. die Entwicklung des lateinischen und italie- 
nischen Oratoriums wider. Dies gilt auch fur die Ein- 
beziehung von Arien, Accompagnatorezitativen und 
selbstandigen Instrumentalsatzen. Verschieden gegen- 
iiber dem Oratorium (besonders dem italienischen) 
war in der oratorischen P. vor allem die wortliche Bei- 
behaltung des Bibeltextes und die Einschaltung von 
Choralen, bei denen gelegentlich auch die Gemeinde 
beteiligt wurde. Als wichtigste Komponisten von ora- 
torischen P.en bis 1700 verdienen hier genannt zu wer- 



den (unter Beriicksichtigung der bisher vorliegenden 
Neuausgaben) : Sebastiani (Matthaus-P., 1663), Flor 
(Matthaus-P., 1667), Theile (Matthaus-P., 1673), F. 
Funcke (Matthaus-P. , vor 1680), J. G. Kuhnhausen (Mat- 
thaus-P., um 1700). - Diese Werke und alle anderen 
oratorischen P.en im protestantischen Deutschland ent- 
standen ausschlieBlich im engsten Zusammenhang mit 
der Liturgie. Demgegenuber zeigte sich im 17. Jh. in 
Italien (und davon ausgehend auch in Wien) eine ganz 
andere Entwicklung. Im gleichen MaBe, wie hier die P. 
als liturgische Gattung an Bedeutung verlor (s. o.), ge- 
wann der P.s-Stoff an Interesse bei den Komponisten 
des italienischen Oratoriums und wurde somit auf dem 
Gebiet der auBerliturgischen Musik heimisch, jetzt aber 
in freier Nachdichtung des Bibeltextes. Solche P.s- 
Oratorien entstanden kurz nach 1700 auch in Deutsch- 
land mit deutschem Text und verdrangten im Laufe 
des 18. Jh. die oratorische P. immer mehr, die bis dahin 
in der Tradition des 17. Jh. weitergepflegt worden war. 
Oratorische P.en schrieben in der 1. Halfte des 18. Jh. 
G.Bohm (von ihm stammt nach neueren Forschungen 
wahrscheinlich die bisher Handel zugeschriebene Jo- 
hannes-P. von 1704), Keiser (Markus-P., um 1712) und 
Telemann (zahlreiche P.en 1723-65). Die reiche Pro- 
duktion von Werken dieser Art iiberragen jedoch die 
beiden P.en nach Johannes und Matthaus von J. S. Bach 
(1723 und 1729). Wie kein anderer Meister seiner Zeit 
hat Bach sein voiles Konnen, seine Beherrschung aller 
Satz- und Ausdrucksmittel der wortgebundenen Mu- 
sik in den Dienst der Aufgabe gestellt, die Leidensge- 
schichte Christi dem glaubigen Horer nahezubringen. 
- Wo in Deutschland und in anderen Landern ab Mitte 
des 18. bis zum 19. Jh. Komponisten das P.s-Geschehen 
vertonten, geschah es in erster Linie in der Form des 
Oratoriums, ohne daB freilich Werke von Belang ent- 
standen waren. Erst in der 1 . Halfte des 20. Jh. begannen 
sich, vornehmlich im Rahmen der protestantischen 
Kirchenmusik, einzelne Komponisten auf die P. als eine 
ursprunglich liturgische Gattung zu besinnen und die 
alten Formen und Gestaltungskrafte der responsorialen 
und motettischen P. aufzugreifen. Bedeutende Werke 
der ersten Art stammen von Distler (Choral-P., 1933), 
der zweiten Art von K.Thomas (Markus-P., 1927) und 
Pepping (Passionsbericht des Matthaus, 1951). Kiinstle- 
rische Geltung erreichten innerhalb der katholischen 
Kirchenmusik die (deutschen) responsorialen P.en nach 
Johannes (1964) und Matthaus (1965) von H.Schroe- 
der. Vorerst vereinzelt in ihrer Art blieb die Lukas-P. 
von Penderecki (1966) ; hier wird unter Verwendung 
modemster musikalischer Mittel der (teils gesungene, 
teils gesprochene lateinische) P.s-Text verbunden mit 
Psalmen und anderen liturgischen Texten. 
Ausg. mehrst. P. (nur Sammelpublikationen) : O. Kade, 
Die altere Passionskomposition bis zum Jahre 1631, Gii- 
tersloh 1893 ; Hdb. d. deutschen ev. Kirchenmusik, hrsg. v. 
K. Ameln, Chr. Mahrenholzu. W. Thomas, GottingenI, 
3, 1937-38 u. I, 4, 1937-39; Oberital. Figuralp. d. 16. Jh., 
hrsg. v. A. Schmitz, = MMD I, Mainz (1955). 
Lit.: O. Kade (siehe Ausg.); W. Lott, Zur Gesch. d. Pas- 
sionskomposition v. 1650-1800, AfMw III, 1921 ; P. Wag- 
ner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melodien III : Gre- 
gorianische Formenlehre, Lpz. 1921, Nachdruck Hildes- 
heim u. Wiesbaden 1962; P. Epstein, Zur Gesch. d. deut- 
schen Choralp., JbP XXXVI, 1929; R. Gerber, Das Pas- 
sionsrezitativ bei H. Schiitz u. seine stilgeschichtlichen 
Grundlagen, Giitersloh 1929; ders., Die deutsche P. v. 
Luther bis Bach, Luther-Jb. XIII, 1931 ; H. J. Moser, Die 
mehrst. Vertonung d. Evangeliums I, = Veroff. d. Staatl. 
Akad. f. Kirchen- u. Schulmusik Bin II, Lpz. (1931); K. 
Nef, Schweizerische Passionsmusiken, SJbMw V, 1931; 
ders., Beitr. zur Gesch. d. P. in Italien, ZfMw XVII, 1935; 
A. Schmitz, Ital. Quellen zur Figuralp. d. 16. Jh., Fs. M. 
Schneider, Halle 1935; ders., Zur motettischen P. d. 16. 



712 



Pastorale 



Jh., AfMw XVI, 1959; A. Smijers, De Mattheus-Passie 
van J. Obrecht, TVer XIV, 1935; W. Blankenburg, Die 
deutsche Liedp., MuK IX, 1937; K. Ameln, Die altesten 
Passionsmusiken, MuK XI, 1939; ders. u. C. Gerhardt, 
J. Walter u. d. altesten deutschen Passionskompositionen, 
MGkK XLIV, 1939; B. Schofield u. M. Bukofzer, A 
Newly Discovered 15 tb -Cent. Ms. of the Engl. Chapel 
Royal, MQ XXXII, 1946 - XXXIII, 1947 ; K. v. Fischer, 
Zur Gesch. d. Passionskomposition d. 16. Jh. in Italien, 
AfMw XI, 1954; ders., Neues zur Passionskomposition d. 
16. Jh., Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Ein singularer Typus 
port. P. d. 16. Jh., AfMw XIX/XX, 1962/63 ; J. Birke, Die 
Passionsmusiken v. Th. Selle, Diss. Hbg 1957, maschr.; P. 
Robertson, A Critical Survey of the Motet P., Diss. London 
1957, maschr. ; W. Braun, Die mitteldeutsche Choralp. im 
1 8. Jh., Bin (1960); G. Schmidt, Grundsatzliche Bemerkun- 
gen zur Gesch. d. Passionshistorie, AfMw XVII, 1 960. GM a 

Passus duriusculus (lat., ein etwas harter Gang), in 
der Kompositionslehre von Chr.Bernhard eine musi- 
kalische Figur: ein unnatiirlicher Gang, entweder in ei- 
ner Stimmegegen sich selbst, odergegen eine andere betrachtet 
(-* Querstand). Der erste Fall tritt ein, wenn eine Stitn- 
me ein Semitonium minus steiget, oder fillet (Beispiel: 
-*■ Paronomasia; folgendes Beispiel nach Bernhard): 



- oder wenn in einer Stimme iibermaBige Sekunde, 
verminderte Terz oder (sekundmaBig ausgefiillt) ver- 
minderte und iibermaBige Quarte und Quinte vor- 
kommen. Die haufigste Form des P. d. ist der chroma- 
tische Quartgang; in ihm verbinden sich das eigentlich 
Regelwidrige und zugleich Affektvolle (-»■ Pathopoiia) 
der Halbtonschritte mit melodischer Pragnanz (Quart- 
rahmen) und harmonischer Intensivierung zu einer der 
ausdrucksstarksten Figuren der Musica poetica. Cha- 
rakteristische Beispiele seiner Verwendung sind: Schiitz, 
Wann unsre Augen schlqfen ein (Kleine Geistliche Concede 
II) ; Schein, Die mit Tranen saen (Fontana d' Israel) ; Bach, 
Eingangschor der Kantate Weinen, Klagen, Sorgen, Za- 
jf»(BWV 12) und als Parodie davon das Crucifixus der 
H moll-Messe. - Verwandt mit dem P. d. ist der Saltus 
duriusculus (lat, ein etwas harter Sprung), ein Melo- 
diesprung iiber eine Sexte, Septime oder ein vermin- 
dertes oder iibermaBiges Intervall (*), fur den Bernhard 
folgendes Beispiel gibt : 




und dein Hertz falsch, falsch ge-we-sen ist. 

Lit. : W. Gurlitt, Zu J. S. Bachs Ostinato-Technik, Ber. 
iiber d. wiss. Bachtagung Lpz. 1950, Neudruck in: Mg. u. 
Gegenwart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 1966; H. H. Eoge- 
brecht, Zum Figur-Begriff d. Musica poetica, AfMw 
XVI, 1959. 

Pasticcio (past'ittjo, ital., Pastete) ist die Bezeichnung 
fur die im Opernbetrieb des 18./19. Jh. sehr beliebten 
»Flickopern«, PseudonOvitaten, zusammengestellt aus 
bekannten Arien, Duetten oder groBeren Werkteilen 
eines oder verschiedener Komponisten, die einem neuen 
Libretto angepaBt wurden. So schrieb J. Chr. Pepusch 
die Rezitative und bearbeitete Arien von A. Scarlatti, 
G.Bononcini, Steffani, Gasparini und Albinoni fur 
Thomyris, Queen ofScythia (London 1707, Libretto von 
P.A.Motteux). Von diesem P. im engeren Sinne zu 
unterscheiden sind: 1) Auffuhrungen, bei denen meh- 
rere selbstandige Werke unter einem Gesamttitel zu- 
sammengefaBt sind, z. B. Der Beschluss des Carnevals 
(Hamburg 1724), bestehend aus der Entree La Turquie 
aus Campras V Europe galante (1697), der Komodie 
(ohne Musik) Lafille capitaine von Montfleury sowie 
der neu komponierten deutschen komischen »operette« 



II capitano von Telemann; 2) Werke, bei denen von 
Anfang an mehrere Komponisten zusammenarbeiten. 
Hierher gehort z. B. II Muzio Scevola (London 1721, je 
ein Akt von F. Mattei, G.Bononcini und Handel), in 
neuerer Zeit etwa J. Cocteaus Ballett Les maries de la 
Tour Eiffel (Paris 1921) mit Musik von den -> Six. Die- 
se Form der Zusammenarbeit findet sich gelegentlich 
audi bei geistlichen Werken, z. B. in dem Oratorium 
Die Schuldigkeit des ersten Gebots (Salzburg 1766/67, 
Musik von Adlgasser, M.Haydn und W.A.Mozart, 
K.-V. 35), haufiger in Instrumentalkompositionen wie 
der FAE-Sonate fur V. und Kl., die R.Schumann (2 
Satze), J.Brahms und A. Dietrich (je ein Satz) 1853 fur 
J.Joachim schrieben. Wird schon in diesen Fallen die 
Bezeichnung P. besser vermieden, so ist ihre Ubertra- 
gung auf die Klaviermusik des 16.-18. Jh. vollends 
fragwiirdig, zumal weitgehend ungeklart ist, wie dort 
die Variationsreihen mit Satzen verschiedener Verfas- 
ser entstanden sind. 

Lit.: O. G. Th. Sonneck, Miscellaneous Studies in the 
Hist, of Music, NY 1921 ; M. Reimann, P. u. Parodien in 
norddeutschen Klaviertabulaturen, Mf VIII, 1955; dies., 
Ein ital. P. v. 1609, Mf XIX, 1966; J. W. Grubbs, Ein Pas- 
sions-P. d. 18. Jh., Bach-Jb. LI, 1965. 

Pastorale (ital.), Hirtenstiick, Schaferspiel. Idyllische 
Szenen mit landlichem Kolorit schrieb in der antiken 
Dichtung zuerst Theokrit (um 270 v. Chr.). Die zehn 
Eklogen, in denen Vergil (j 19 v. Chr.) das Hirtenle- 
ben idealisierte und zum Gegenbild der ihn umgeben- 
den aristokratisch-grofistadtischen Gesellschaft erhebt, 
wurden Vorbild fur die Eklogen und Bucolica Petrar- 
cas, Boccaccios (Ninfale d'Ameto, 1348), J.Sannazaros 
(Arcadia, 1481). Bei den Trobadors und Trouveres wei- 
sen die Bezeichnungen Pastorita und -> Pastourelle auf 
den Textinhalt der Lieder, nicht aber auf ihre musikali- 
sche Form. Vielfaltig sind die bukolischen Motive in 
festlichen Spielen und Aufziigen, in der ->■ Frottola, 
der -> Villanella und im -> Madrigal, das im England 
der Elisabethanischen Zeit von Byrd noch Pastoral 
(Sonnets and Pastorals, 1588) und erst von Morley 1594 
Madrigal genannt wurde. Mit Tassos Aminta (1573) be- 
gann das schaferliche Sprechdrama, das groBenEinfluB 
auf das -> Libretto der italienischen Pastoraloper ge- 
wann. In den Anfangen der italienischen Oper traten 
zu den Schafern und Nymphen des Pastoraldramas 
mythologische Figuren der altgriechischen Sage. Diese 
Stoffe, vor allem »Daphne« und »Euridike« wurden bis 
ins 20. Jh. wiederholt vertont, so »Daphne« von Peri und 
Caccini (1 598) , M. da Gagliano (1 608) , Schiitz (1 627) , Fr. 
Cavalli (1640), P.Fr.Valentini (1654), Fux (1719), J.- 
Ph. Rameau (1753), F. le Borne (1885), R. Strauss (1938) 
u. a. Daneben entstand eine Fiille weiterer Pastoral- 
opern, zu denen auch II Re pastore von Gluck (1756) 
und die gleichnamige Oper von Mozart (1775) geho- 
ren. - Auch in Frankreich, wo Themen aus dem Stoff- 
kreis der Hirtendichtung bereits in Chansons und Bal- 
letten (Ballet des quatre saisons, 1603) zu finden sind, 
setzten friihe Opernversuche beim Pastoraldrama ein 
(Dassoucy, Lieder f iir Les amours d'Apollon et de Daphne, 
1650; R.Cambert, La p. d'Issy, 1659). Pastoralopern 
schrieben u. a. J.-B.Lully und J.-Ph. Rameau. Rous- 
seaus landliches Singspiel Le devin du village (1752) 
wurde von Mozart 1768 als Bastien und Bastienne ver- 
tont. - Im Deutschland des 17. Jh. regte die Schafer- 
poesie zu zahlreichen weltlichen (J. H. Schein, Waldlie- 
derhin, 1621 ; Th. Selle, Deliciae pastorum Arcadiae, 1624, 
wit amoureusischen Textlein gezierte Pastorellen; A.Krie- 
ger, P.Meier u. a.) und geistlichen (Laurentius von 
Schniif fis) Madrigal- und Liedkompositionen an. Auch 
eine Reihe von Opern pastoralen Charakters entstand 
nach der Dafne (1627) von Schiitz, u. a. G. Ph. Hars- 



713 



Pastorale 



dorffers Das geistliche Waldgedicht, oder Freudenspiel, ge- 
nant Seelewig (1644) mit der Musik von S.Th.Staden, 
J.Ph.Kriegers Der kgl. Schdfer oder Basilius in Arcadien 
(1696), Handels II pastor fido (1712, nach Guarini). Im 
deutschen Sololied finden sich Pastorellen z. B. bei J. 
Haydn (An Thyrsis), W.A.Mozart (vDaphne, deine Ro- 
senwangen«, K.-V. 52; Das Veilchen, K.-V. 476), auch 
bei Schubert und Wolf. - Die P. der Instrumentalmu- 
sik (ebenso die Pastoralmesse) hat ihren Ursprung im 
weihnachtlichen Musizieren der Pifferari (-»• Piffero). 
Ein friihes Beispiel fur die Verwendung einer solchen 
Hirtenweise bietet Marenzio (1581). Merkmale dieser 
P., die ahnlich auch in der Sonata p. von F.Fiamengo 
und in vielen anderen P.n zu finden sind, sind Terzen- 
melodik, BordunbaB und Sicilianorhythmus. Concerti 
grossi um die Wende des 16./17. Jh. schheBen vielfach 
mit Satzen, die auf das Weihnachtsfest abgestimmt und 
oft als P. bezeichnet sind (Corelli, Locatelli, Manfredi- 
ni, Schiassi, Torelli u. a.). Die vielen P.n in Weihnachts- 
konzerten und die Verwendung von Weihnachts- und 
Hirtenliedern als Grundlage von P.n (D.Bollius, P. nel 
nascimento di Christo supra Joseph Heber Joseph mein, vor 
1628) zeigen deutlich die Herkunft der instrumentalen 
P. vom weihnachtlichen Musizieren. Daneben stehen 
instrumentale P.n, die auf das galante Schaferwesen 
Bezug nehmen, z. B. das Concerto p. von J. Chr. Petz so- 
wie das Concerto La Pastorella und II pastor fido (6 Sona- 
ten, gedruckt Paris 1737) von Vivaldi. P.n fur Tasten- 
instrumente komponierten u. a. D. Scarlatti, Fr. Coupe- 
rin (Pastourelle, 1713), Frescobaldi, Kerll (im Capric- 
cio Der steyrische Hirt), Gottlieb Muff at, V.Rathgeber 
und J.S.Bach (P. F dur fur Orgel, BWV 590). - Das 
Vorkommen von P.n in Oratorium und Messe kon- 
zentriert sich auf Kompositionen fur die Weihnachts- 
zeit und veranschaulicht, zumeist in instrumentalen 
Satzen, das Musizieren der Hirten zu Bethlehem, z. B. 
in den Weihnachtsoratorien von Schiitz und Bach und 
in den weihnachtlichen Pastoralmessen (Abbe Vogler, 
Diabelli usw.). Geistliche Chore und Arien pastoralen 
Charakters, in denen Christus als der gute Hirte darge- 
stellt wird, gibt es auch in Kantaten (J. S. Bach, Du Hir- 
te Israel, BWV 104) und Oratorien (Handel, Messiah). 
- Symphonische Werke oder Einzelsatze p.n Charak- 
ters finden sich u. a. bei Gossec (Suites de Noel), Chr. 
Cannabich, I.v.Beecke, Toeschi, Berlioz (Seine aux 
champs aus der Symphonie fantastique), Honegger (P. 
d'hi, 1920), Vaughan Williams (Pastoral Symphony, 
1922). Beethovens Sinfoniap. op. 68 (auf f. 2 des Lon- 
doner Skizzenbuchs bezeichnet als: Sinfonia caracteri- 
stica oder Erinnerung an das Landleben) steht in der Tra- 
dition ahnlicher Pastoralsymphonien, die z. B. J.H. 
Knechts Programmsymphonie Le portrait musical de la 
nature ou grande simphonie (um 1784) belegt. -> Pro- 
grammusik. 

Lit. : J. Marsal, La p. dramatique en France a la fin du 
XVI e et au commencement du XVIP s., Paris 1906; L. de 
La Laurencie, Les p. en musique au XVII e s. en France 
avant Lully et leur influence sur l'opera, Kgr.-Ber. London 
1911; A. Sandberger, Zu d. geschichtlichen Vorausset- 
zungen d. Pastoralsinfonie, in: Ausgew. Aufsatze zur Mg. 
II, Munchen 1924; M. Delbouille, Les origines de la 
pastourelle, = Memoires publics par l'Acad. royale de 
Belgique, Classedes lettres ... II, 20, Brussel 1926; E. Pi- 
guet, L'evolution de la pastourelle du XII e s. a nosjours, 
= Schriften d. Schweizerischen Ges. f. Volkskunde XIX, 
Basel 1927; W. Powell Jones, The Pastourelle, Cam- 
bridge (Mass.) 1931 ; H. Engel, Das Instrumentalkonzert, 
= Fuhrer durch d. Konzertsaal III, Die Orchestermusik I, 
3, Lpz. 71932 ; E. G. Carnap, Das Schaferwesen in d. deut- 
schen Lit. d. 17. Jh., Wurzburg 1939 ; G. Fr. Schmidt, Die 
fruhdeutsche Oper u. d. mus. Kunst G. C. Schurmanns II: 
Die Pastoral-Opern, Regensburg 1943; H. W. Hamann, 
Zu Beethovens Pastoral-Sinfonie, Mf XIV, 1961 ; Beetho- 



ven, Ein Skizzenbuch zur Pastoralsymphonie op. 68 . . . , 
hrsg. v. D. Weise, = Veroff. d. Beethovenhauses in Bonn, 
N. F., 1. Reihe, 2 Bde, Bonn 1961. 

Pastourelle (pastur'el, frz. ; prov. pastorela, pastorita), 
eine der dialogischen Formen der Trouverelyrik, in 
der der meist ritterliche Dichter um die Liebe einer 
landlichen Schonen wirbt. Der Ursprung der P. geht 
ins 11. Jh. zuriick; sie wurde auch von den Trobadors 
gepflegt. ->■ Pastorale. 

Lit.: M. Delbouille, Les origines de la p., = Memoires 
publics par l'Acad. royale de Belgique, Classe des lettres . . . 
II, 20, Brussel 1 926 ; E. Piguet, L'evolution de la p. du XIP 
s. a nosjours, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f. Volks- 
kunde XIX, Basel 1927. 

Pater noster (lat., Vater unser), das Gebet des Herrn 
(Oratio Dominica). Seine in alien christlichen Litur- 
gien gebrauchliche Textgestalt beruht auf Matth. 6, 
9-13 (kurzere Fassung bei Luk. 11, 2-4). Zunachst als 
privates Gebet der Glaubigen bezeugt, laBt sich das P. 
n. seit dem ausgehenden 4. Jh. auch im offentlichen 
Gottesdienst der Kirche nachweisen. Innerhalb der ro- 
mischen MeBfeier erhielt es durch Gregor den GroBen 
seinen liturgischen Ort zwischen Kanon und Kommu- 
nion. Im romischen und mailandischen MeBritus ist 
ihm eine - mit dem P. n.-Gesang melodisch verkniipf- 
te - kurze Einleitungsf ormel des Priesters vorangestellt. 
Wahrend das P. n. in fast alien orientalischen Kirchen 
und im altgallikanischen Ritus vom Volk gesungen 
oder laut rezitiert wurde, oblag der'Vortrag in den 
abendlandischen Liturgien dem zelebrierenden Prie- 
ster, wobei die Gemeinde die SchluBbitte ausfiihrte 
(romisch-frankischer Bereich) oder die einzelnen Bit- 
ten durch (Amen-)Akklamation bestatigte (altspani- 
sche Liturgie). Um seine Bedeutung als Gebet der gan- 
zen Gemeinde sinnfallig zu machen, darf das P. n. neu- 
erdings wahrend der romischen MeBfeier auBer in der 
bisher ublichen Form gemeinsam von Priester und 
Volk (auch in der Muttersprache) rezitiert oder gesun- 
gen werden (Melodien fiir den lateinischen Text im 
Kyriale simplex, Editio typica 1965). Ebenso wird der 
nachf olgende Embolismus (Weiterf iihrung der letzten 
Vaterunser-Bitte) in Anlehnung an die - im mailandi- 
schen und altspanischen Ritus stets bewahrte - altere 
Praxis wieder laut durch den Priester vorgetragen (To- 
nus Embolismi siehe in: Cantus qui in Missali Romano 
desiderantur iuxta Instructionem . . . ordinandam, Editio 
typica 1965). - Im Unterschied zur altspanischen und 
mailandischen P. n.-Singweise (abgedrucktbeiP. Wag- 
ner III, 58ff.), deren sehr einfache psalmodische Struk- 
tur sich auf eine 2teilige Melodieformel mit Tenor a, 
eigener Mittel- und SchluBkadenz griindet (zu denen 
im mailandischen P. n. als weiteres Merkmal das In- 
itium f-g kommt), sind die romischen Melodien weit- 
aus reicher entwickelt, weil offensichtlich fiir den Solo- 
gesang des Priesters bestimmt. Ihre Gestalt wird durch 
die Verwendung von 2 Tenores charakterisiert; da- 
bei bleibt der hohere Tenorton prinzipiell an die erste 
Melodieperiode gebunden. Die lesbare Aufzeichnung 
romischer P. n.-Singweisen setzt im 11. Jh. ein (mit 
Siiditalien als Schwerpunkt). - Dem traditionellen 
Strom zahlreicher Quellen folgend bietet auch das Mis- 
sale Romanum eine feierliche und eine f eriale Melodie. 
Letztere stellt (nach Stablein) eine vereinfachte Fassung 
der alteren feierlichen Singweise dar und findet sich 
erstmals um die Mitte des 12. Jh. im Kartauserorden. - 
Im romischen Stundengebet wurde das P. n., abge- 
sehen von -*■ Matutin und -> Prim, durch die Brevier- 
reform von 1955 auf die Fiirbitten (Preces) von Laudes 
und Vesper bestimmter Wochentage in Advent, Qua- 
dragesima und Quatember beschrankt, wogegen das 
monastische Offizium es in alien Horen beibehalten hat. 



714 



Pauke 



Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; J. A. Jungmann SJ, Beitr. zur Struktur d. Stunden- 
gebetes, in: Liturgisches Erbe u. pastorale Gegenwart, 
Innsbruck, Wien u. Munchen 1960; ders., Missarum Sol- 
lemnia II, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; Br. Stab- 
lein, Artikel P. n., in : MGG X, 1962. KWG 

Patet, in der javanischen Musik melodische Modi, die 
bestimmt sind durch die Zugehorigkeit zu einer Ton- 
leiter (-* Slendro oder -> Pelog) sowie durch melodi- 
sche Grundformeln, die im -*• Gamelan von den Ba- 
lungan-Instrumenten gespielt werden. In Pelog und 
Slendro sind je 3 P. nachgewiesen; jeder von ihnen ist 
bestimmten Stunden des Tages und der Nacht zuge- 
ordnet sowie einer der 3 Abschnitte der Wayang- 
Nacht mit ihren Puppenspielen, die am friihen Abend 
beginnen und bis zum Morgengrauen dauern. Slendro 
wird fiir die dem hindu-javanischen Sagenkreis ent- 
stammenden Stoffe Mahabharata und Rdmdyana ver- 
wendet, die mit flachen Lederpuppen gespielt werden 
(wayang purwa). Pelog ist dem bodenstandigen java- 
nischen Pandji-Zyklus zugehorig, der mit flachen hol- 
zernen Puppen (wayang gedok) gespielt wird. Uber- 
gange von einem P. zu einem anderen sind in Slendro 
moglich, seltener in Pelog; moglich sind auch Uber- 
gange von Slendro zu Pelog, kaum jedoch umgekehrt. 
Die Definitionen einheimischer Musiker fiir P. sind 
nicht einheitlich; so heiBt es, P. sei »das Bett der Melo- 
dies oder in anderer Definition: alle Lei tern, die den- 
selben Zentralton haben, bilden zusammen ein P.; 
oder: P. sei das Praludieren auf einem Instrument nach 
gewissen Regeln, wonach die Art des zu spielenden 
Stuckes deutlich werde. 

Lit. : M. Hood, The Nuclear Theme as a Determinant of P. 
in Javanese Music, Groningen u. Djakarta 1954. 

pathetique (patet'ik, frz.), patetico (ital.), leiden- 
schaftlich, scharf rhythmisiert und mit starken Akzen- 
ten vorzutragen (-> Grave). Beethovens Klaviersona- 
te C moll op. 13 (komponiert 1798-99) heiBt in der 
Originalausgabe (Herbst 1799, das Autograph ist ver- 
schollen) Grande Sonate p. . . . ; Liszt schrieb 1856 ein 
Concert p. fiir 2 Kl., Tschaikowsky nannte (auf Anre- 
gung seines Bruders) seine 6. Symphonie op. 74 (1893) 
Symphoniep. Sinnverwandt ist -»■ appassionato. 

Pathopoija,Pathopoeia (griech.,Erregung derLei- 
denschaften), in der Kompositionslehre des 17. Jh. die 
aus der Rhetorik entnommene Bezeichnung fiir eine 
musikalische Figur: die Einfuhrung von Halbtonen, 
die nicht zur Tonart des Stuckes gehoren. In der Rhe- 
torik ist die P. affectuum varietas, quae a circumstantiis, 
sexu, tempore, locis, personis et aetatibus petitur (Lossius). 
Die musikalische Figur der P. nennt Burmeister (1606) 
apta ad affectus creandos und gibt als Beispiele fiir ihre 
Verwendung Textstellen an, bei denen Worter wie 
»miserere«, »dolor«, »flebant« hervorgehoben werden. 
- Bernhard bezeichnet die gleiche musikalische Er- 
scheinung als -»■ Passus duriusculus. 

Pauke (mhd. puke; ital. timpano, von griech. tuu-tox- 
vov; frz. timbale; span, timbal; engl. kettledrum), das 
wicha'gste Schlaginstrument im Orchester, ein Mem- 
branophon, das aus einem Kessel von annanernd halb- 
kugeliger (heute meist parabolischer) Form, einer iiber 
die Offnung des Kessels gespannten Membran und ei- 
ner Spannvorrichtung besteht. Durch Veranderung der 
Spannung kann die P. auf verschiedene Tone einge- 
stimmt werden. Der als Resonator dienende Kessel be- 
steht fast immer aus Kupferblech; der Grund fiir dessen 
Bevorzugung war zunichst, daB es sich leicht hammern 
laBt. Doch haben sich Kessel aus Messing, Stahl, Alu- 
minium, Holz oder Plexiglas aus klanglichen Griinden 



ebensowenig bewahrt wie die kessellosen P.n von A. 
Sax (Patent 1862). In der Mitte des Kesselbodens befin- 
det sich ein Schalloch von ca. 3 cm . Die Membran 
besteht meist aus gegerbtem Kalbfell (nach der Bear- 
beitungsmethode werden Glasfell und Kalkfell unter- 
schieden) ; Membranen aus Plastik oder Nylon, die ge- 
geniiber Witterungseinfliissen unempfindlicher sind, 
haben die klanglichen Vorziige der Tierfelle nicht er- 
reichen konnen. Die Membran ist auf dem Fellwickel- 
reif en bef estigt. Die Spannvorrichtung besteht aus dem 
iiber den Fellwickelreifen gelegten Felldruckreif en und 
aus (je nach der GroBe der Membran) 6 oder 8 Spann- 
schrauben. Die Schraubenmechanik, die altere Schniir- 
Spannvorrichtungen ersetzte, laBt sich in deutschen 
Quellen bis Anfang des 16. Jh. (Virdung 1511) zu- 
riickverfolgen. Fruner wurden die Spannschrauben 
mittels eines Stimmschliissels (Paukenspanner) gedreht; 
heute ist entweder an den Spannschrauben ein Flii- 
gelgriff (Knebel) angebracht, oder die Spannung wird 
bei festsitzenden Spannschrauben durch Fliigelmuttern 
reguliert. Im Orchester wird die Schrauben-P. meist 
durch P.n mit zentraler Umstimmvorrichtung (Ma- 
schinen-P.) ersetzt. Nach der Konstruktion der Stimm- 
mechanik sind folgende Typen der Maschinen-P. zu 
unterscheiden: 1) Kurbel- oder Hebel-P., bei der die 
Spannung des Fells durch eine Hauptschraube iiber 
einen Hebelmechanismus verandert wird (1812 von 
dem Miinchner Hofpauker G.Kramer konstruiert) ; 

2) Dreh-P., die zum Umstimmen im ganzen auf einer 
Zentralschraube gedreht werden muB (J. C. N. Stumpff 
1821 in Amsterdam); der Drehmechanismus kann sich 
sowohl im Innern der P. als auch auBerhalb befinden; 

3) Pedal-P., deren Umstimmung durch ein Pedal in 
kiirzester Zeit erfolgen kann. Von dem Pedal, das in 
festgelegte Stellungen einrastet, wird die Kraft auf den 
Felldruckreifen durch ein System von Zugstangen 
iibertragen, die auBen oder im Innern der P. verlau- 
fen; auBerdem kann die Stimmung durch eine Fein- 
einstellung (Handrad) korrigiert werden. Der von den 
Instrumentenbauern Gautrot in Paris (1855) und C. 
Pittrich in Dresden (um 1872) konstruierte Pedalme- 
chanismus hat einen Vorlaufer in der Timbale chro- 
matique (Henri Brod, Anfang des 19. Jh. in Paris), ei- 
ner P., die auf einem rechteckigen Holzkasten mit 7 
Harfenpedalen zum Umstimmen montiert war. 

Der Tonumf ang der P. umfaBt etwa eine Sexte, doch 
wird er nicht ausgenutzt, da sich die Umf ange der ein- 
zelnen P.n iiberschneiden. Im Orchester werden heute 
folgende P.n-Typen verwendet (der angegebene Ton- 
umfang laBt die nur bedingt brauchbaren Randtone 
unberucksichtigt) : BaB-P. (0 75-80 cm), D-H; GroBe 
oder G-P. (0 65-70 cm), E-c ; Kleine oder C-P. (0 60- 
65 cm), A-fis; Hohe oder F-P. (0 55-60 cm), c-gis; 
H-P. (0 45-50 cm), g-ci; Sopran-P. (0 20-30 cm), 
a!-d2. F-, G- und H-P. werden nach dem mittleren Ton 
ihres Tonumf angs benannt..Die P.n in C und G wur- 
den bis etwa 1800 wie -> Transponierende Instrumente 
notiert (z. B. bei Bach, Haydn und Mozart; bei J.-B. 
Lully und Handel dagegen sind die real erklingenden 
Tone notiert). Die klangreale Notation, die vor 1800 
auBerdem bei Verwendung von drei und mehr P.n iib- 
lich war, hat sich seitdem durchgesetzt. - Die P. wird 
durch Anschlagen der Membran mit einem oder zwei 
Schlageln zum Klingen gebracht; die Anschlagstellen, 
Schlagflecken genannt, wechseln je nach P.n-Typ und 
Klangerfordernissen, jedoch liegt der beste Schlagfleck 
etwa eine Handbreit vom Rand des Fells entfernt. Der 
P.n-Ton setzt sich aus Anschlag- und Resonanzton 
(Nachklang) zusammen. Durch den Anschlag wird die 
eingeschlossene Luft des Kessels plotzlich in Schwin- 
gung versetzt. Die genaue Fixierung des Schwingungs- 



715 



Pauke 



beginns ermoglicht die Verwendving der P. als rhyth- 
misches und akzentgebendes Instrument. Werden viele 
Schlage schnell hintereinander ausgefiihrt (Wirbel), so 
entsteht ein fortdauernder Ton durch konstante Reso- 
nanzschwingung im Kessel. Die Intensitat der einzel- 
nen Wirbelschlage kann dabei so reduziert werden, 
dafi das Schlaggerausch bis auf ein Minimum be- 
schrankt ist und der Resonanzton iiberwiegt. 
Von den zahlreichen Spielmanieren und -techniken des 
17.-19. Jh. (einfacher und doppelter Kreuzschlag, ge- 
schleppte und halbe Zunge, Miihlschlag, einfacher bis 
funffacher Schlag) sind heute im Orchester nur noch 
die folgenden von Bedeutung, wobei der P.r im we- 
sentlichen mit 5 verschiedenen -> Schlagel-Arten aus- 
kommt: 1) EinzelschlSge; 2) einfache Kreuzschlage 
rechts (r) und links (1), in moderner Spiel technik nur bei 
Triolenbewegung angewendet; der Ausdruck bezieht 
sich auf das Kreuzen der Arme, wenn die rechtsstehen- 
de GroBe P. mit der linken Hand geschlagen wird und 
umgekehrt; 3) Wirbel in alien dynamischen Abstufun- 
gen (falschlich als tr~~ notiert, da eigentlich ein Tre- 
molo gespielt wird) ; 4) Wirbel auf 2 P.n, Doppelwirbel 
genannt (im 19. Jh. auch fiir die Schlagfolge rrllrrll . . . 
gebrauchlich) ; 5) Paradiddle, onomatopoetische Be- 
zeichnung fiir eine von der amerikanisch-englischen 
Trommeltechnik iibernommene Schlagmanier, die ge- 
gebenenfalls Kreuzschlage erspart; die Abfolge der 
Schlage ist dann etwa lrll rlrr . . . ; 6) Ubergangswirbel: 
Wirbelkette auf zwei und mehr P.n, bei der das Uber- 
springen von einem Ton zum anderen moglichst ohne 
Unterbrechung auszufiihren ist; 7) Abschlag: ein kur- 
zer und betonter Schlag am Ende eines Wirbels, der 
mit der Hand abgedampft wird; 8) verschiedene Arten 
der Vor- und Doppelschlage; 9) DSmpfen der P. er- 
folgt mit Hilfe eines Tuches, das etwa die Halfte des 
P.n-Fells bedeckt (->■ coperto) ; der Schlagfleck bleibt 
in jedem Fall frei. Der Klang wird dunkel und dumpf. 
Die Aufhebung der Dampfung wird durch scoperto 
gefordert. Im Unterschied zur Dampfung bedeutet Ab- 
dampfen, daB nach einem kurzen Schlag die Schwin- 
gungen des vibrierenden Fells mit den gespreizten Fin- 
gern der Hand unterbrochen werden (-»- etouffe); 
10) Glissando: eine besondere Spielmanier, die nur auf 
der Pedal-P. ausfiihrbar ist, und zwar als Nachklang- 
glissando (die P. wird unmittelbar nach dem Anschlag 
umgestimmt) und als Wirbelglissando (die P. wird 
wahrend eines Wirbels umgestimmt; dabei ist rhyth- 
mische Gliederung moglich). Voraussetzung fiir das 
Glissando ist vollige dynamische und rhythmische 
Gleichheit der Schlage. 

Die P. ist orientalisch-asiatischer Herkunft und kam 
durch die Kreuzziige spatestens im 13. Jh. ins Abend- 
land, zunachst unter verschiedenen, an arabische In- 
strumentennamen angelehnte Bezeichnungen; z. B. 
wurde arabisch atbal (oder tubul ; Plur. von -* tabl) zu 
altspan. atabal und altfrz. atabale (davon beeinflufk frz. 
timbale). Zu Anfang des 14. Jh. begegnet in Italien 
naccherone (von arabisch naqqara) und in Frankreich 
-> nacaire als Name fiir die P. 1384 ist die P. in der her- 
zoglichen Kapelle Philipps des Kiihnen von Bergamo 
nachgewiesen. Die mittelalterlichen Instrumente waren 
bedeutend kleiner (0 der Membran um 30 cm) und 
leichter als die moderne P., so daB sie am Giirtel getra- 
gen werden konnten; aufierdem wurde die Fellspan- 
nung durch Schniirung bewirkt. Die groBe Form der 
Kessel-P. ist zum erstenmal 1457 gelegentlich einer un- 
garischen Gesandtschaft Konig Ladislaus' an Karl VII. 
in Nancy nachweisbar und erregte Bewunderung und 
Erstaunen. In Deutschland wurde die groBe Kessel-P. 
erst um 1500 bekannt, die - meist von einem Reiter ge- 
spielt - vorwiegend im militarischen Bereich zur An- 



wendung kam (meist als Tympanum oder Heer-P. be- 
zeichnet ; vgl . Virdung 1511, nach ihm auch Praetorius 
Synt. II, S. 77). Der groBere Durchmesser bedingte ei- 
ne starkere Spannung der Membran und das Aufkom- 
men der Schraubenmechanik. Die Kupferstichfolge 
Kayser Maximilians I. Triumph (1518 von Jorg Kolderer, 
Hans Burgkmaier u. a.) dokumentiert die Zuordnung 
der Trompeter und P.r zum Ritterstand (im Unter- 
schied zu den Trommlern und Pfeifern der Lands- 
knechte; ->■ Spielleute - 2). Auch Bilddarstellungen 
vom Anfang des 16. Jh. (L. Cranach, Holzschnitt eines 
Turniers, 1509; A. Diirer, Ehrenpforte Maximilians, 1515) 
bestatigen diese gehobene soziale Stellung der P.r 
(vgl. auch J. Amman, Eygentliche Beschreibung alter Stan- 
deaufErden, Frankfurt am Main 1568; H.Holbein d.J., 
Totentanz, um 1525). Die Mitglieder der -> Zunft der 
Trompeter und P.r waren im Rang einem Offizier 
gleichgestellt; u. a. war festgelegt, an wie vielen Feld- 
ziigen die Zunf tmitglieder teilgenommen haben muB- 
ten. Durch die Freiheitsbriefe und Konfirmationen der 
deutschen Kaiser in ihren Privilegien immer wieder be- 
statigt, verbreiteten sichim 16. Jh. die Ziinfte der Trom- 
peter und P.r uber ganz Europa; 1810 wurde eine der 
letzten noch bestehenden Ziinfte (Kameradschaften) in 
PreuBen aufgelost (vgl. G. Avgerinos 1964). Eine nahe- 
zu akrobatische Schlagtechnik war fiir die P.r des 17./ 
18. Jh. bezeichnend. In der Hauptsache wirkten sie bei 
den -»■ Signalen und Feldstiicken mit, stets zusammen 
mit den Trompeten. Eine zusammenfassende Darstel- 
lung der gesamten P.r-Kunst und ihrer Ziinfte gab 
1795 J.E.Altenburg, der Sohn eines Hoftrompeters. 
Ihre Stellung als wichtiges Instrument der -> Militar- 
musik, bevorzugt vor allem von der Kavallerie, be- 
hielt die P. bis ins 20. Jh. 

Noch zu Anfang des 17. Jh. waren die P.n (wie alle 
Schlaginstrumente) von untergeordneter Bedeutung 
fiir die Orchestermusik. Was sie zu spielen hatten, wur- 
de nicht notiert, sondern in kurzen, allgemeinen An- 
weisungen niedergelegt (vgl. Praetorius Synt. Ill, S. 
171 ; eine Ausnahme ist die fixierte P.n-Stimme in der 
53st. Salzburger Festmesse von Benevoli). Erst in den 
Werken J.-B.Lullys, H.Purcells, J.S.Bachs und Han- 
dels wurden sie mit wichtigen, durch die Notation fest- 
gelegten Aufgaben betraut und damit in die Instru- 
mentation einbezogen. Sie waren zunachst meist ein- 
fach, in wenigen Fallen auch schon doppelt (d. h. mit 
4 P.n) besetzt und verblieben noch in der traditionellen 
Bindung an die Trompeten (Mannheim, Salzburg, 
Wien; vgl. Carse 1940). - Bis zu Beethoven wurden 
die P.n gewohnlich paarweise in der Stimmung Toni- 
ka-Dominante gebraucht. Einige friihe Beispiele fiir 
die Verwendung von mehr als 2 P.n bieten die Or- 
chesterwerke Chr. Graupners (z. B. eine Sinfonia mit 6 
obligaten P.n, 1747). Im 19. Jh. wurden haufiger 3 
(Meyerbeer, Robert le diable, 1831 ; Tschaikowsky, »Ro- 
meo und Julia«, 1869) und 4 P.n gefordert (Berlioz, 
Symphonie fantastique, 1830; R.Wagner, Der Ring des 
Nibelungen, 1853-74; Mahler, 7. Symphonie). Die 16 
P.n des Tuba mirum aus der Grande messe des morts (1837) 
von Berlioz bilden eine Ausnahme. - Veranderungen 
der Grundstimmung forderte zuerst Beethoven: A-es 
(Fidelio), A-f (8. Symphonie), F-f (8. und 9. Sympho- 
nie). Ihm schlossen sich in der Folge fast alle Kompo- 
nisten an, so Wagner im Vorspiel zum 2. Akt des Sieg- 
fried (Fis-c), CM. v.Weber im Freischiitz (A-c). Die 
Erfindung der Ventile an den Blechblasinstrumenten 
und die damit verfiigbaren Moglichkeiten der Modu- 
lation in entferntere Tonarten verlangte auch vom P.r 
schnelleres Umstimmen, was erleichtert wurde durch 
die Erfindung der Maschinen-P.n (Hebel-P., Dreh- 
kessel-P.). Doch erst mit der Pedal-P. waren die tech- 



716 



Pause 



nischen Voraussetzungen geschaffen, daB auch schwie- 
rigste Partien gemeistert werden konnten (Mahler, 7. 
Symphonie, 1905, Finale; Ravel, Rapsodie espagnole, 
1907; Wellesz, Alkestis, 1924; Bartok, Musikfiir Sai- 
teninstrumente, SchlagzeugundCelesta, 1936; Orff, Trion- 
fo di Afrodite, 1953). Ebenso wurde dadurch die thema- 
tische Verwendung der P.n (R. Strauss, Salome, 1903) 
wie auch ihr Einsatz als Soloinstrument moglich (O. 
Gerster, Capriccietto fur 4 P.n und Streichorch., 1936; 
Franco Donatoni, Concertino fiir Streicher, Blechblaser 
und P.n solo, 1952; Werner Tharichen, Paukenkonzert 
op. 34, 1954; A. Tscherepnin, Sonatina fiir P. und Kl.). 
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), hrsg. v: 
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass., Faks. 
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; M. Mersenne, Harmonie 
universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Pa- 
ris 1963 ; J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur 
heroisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795, 
NA Dresden 1911, Nachdruck Bilthoven 1966; C. A. Bo- 
racchi, Manuale del timpanista, Mailand 1842; G. Kast- 
ner, Methode complete et raisonnee de timbales, Paris 
(1845);E. Pfundt, Die P., Eine Anleitung ...,Lpz. 1849, 
2 1880 hrsg. v. F. Hentschel, erweitert v. H. Schmidt 31894; 
C. Fr. Reinhardt, Der Paukenschlag. Eine Anleitung . . . , 
Erfurt 1849; G. Fechner, Die P. u. Trommeln in ihren 
neueren u. vorzuglicherenKonstruktionen, = Neuer Schau- 
platz d. Kunste u. Handwerke CXL, Weimar 1862; A. 
Deutsch, Pauken-Schule . . . , Lpz. (1 895) ; G. Schad, Mu- 
sik u. Musikausdriicke in d. mittelengl. Lit., Diss. GieBen 
1910; ders., Zur Gesch. d. Schlaginstr. auf germanischen 
Sprachgebiet bis zum Beginn d. Neuzeit, in: Worter u. 
Sachen VIII, 1923; H. Knauer, Schlaginstr., in: E. Teu- 
chert, Musik-Instrumentenkunde in Wort u. Bild III, Lpz. 
1911 ; ders., Paukenschule, neubearb. v. G. Behsing, Lpz. 
1955; C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indonesiens, 
Bin 1915; ders., The Hist, of Mus.Instr.,NY(1940); Sachs 
Hdb. ; J. Baggers, Les timbales, le tambour et les instr. a 
percussion, in: A. Lavignac u. L. de La Laurencie, Encyclo- 
pedic de la musique II, 3, Paris 1926; P. R. Kirby, The 
Kettle-Drums: An Hist. Survey, ML IX 1928; ders., The 
Kettle-Drums. A Book for Composers and Kettle-Drum- 
mers, Oxford 1930; P. Th. Wille, Lehrgang d. Pauken- 
schlagens, Augsburg u. Wien 1930 ; Fr. Dick, Bezeichnun- 
gen f. Saiten- u. Schlaginstr. in d. altfrz. Lit., = GieBener 
Beitr. zur romanischen Philologie XV, GieBen 1932; S. 
Goodman, Modern Method for Tympani, NY 1948; A. 
Carse, The Orch. in the XVIII th Cent., Cambridge 1940, 
Nachdruck 1950; H. G. Farmer, Handel's Kettledrums 
and Other Papers on Military Music, London 1950, Nach- 
druck 1965; C. Titcomb, The Kettledrums in Western Eu- 
rope: Their Hist. Outside the Orch., Diss. Harvard Univ. 
(Mass.) 1952, maschr. ; ders., Baroque Court and Military 
Trumpets and Kettledrums: Technique and Music, The 
Galpin Soc. Journal IX, 1956 ; L. Torrebruno, II timpano 
. . . , Mailand (1954) ; A. A. Shivas, The Art of Tympanist 
and Drummer, London 1957; H. Taylor, The Art and 
Scienceof theTimpani.London 1957; J.Montagu, Wooden 
Timpani, The Galpin Soc. Journal XII, 1959; H. Kunitz, 
Die Instrumentation X, Schlaginstr., Lpz. 1960; J. Bla- 
des, Orchestral Percussion Technique, London 1961 ; N. H. 
Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, = In- 
diana Univ. Humanities Series XLV, Bloomington (1961); 
J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, 
= Munchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961 ; E. B. 
Ganoware, The Hist, and Use of Percussion Instr. in Or- 
chestration, Diss. Northwestern Univ. (111.) 1962, maschr. ; 
V. Firth, The Solo Timpanist, NY 1963; Wt. Kotonski, 
Instr. perkusyjne . . ., Krakau (1963), deutsch als: Schlag- 
instr. im modernen Orch., Mainz (1967); G. Avgerinos, 
Lexikon d. P., = Fachbuchreihe Das Musikinstr. XII, 
Ffm. (1964); H. Tobischek, Die P., Ihre spiel- u. bautech- 
nische Entwicklung in d. Neuzeit, 2 Bde, Diss. Wien 1965, 
maschr. — ► Instrumentation. 

Pause (von griech. ■Ka.&sa&a.i, aufhoren; lat. silentium 
oder pausa; ital. pausa; frz. silence oder p.; engl. si- 
lence oder rest), das zeitweilige Schweigen einzelner 
oder aller Stimmen eines Satzes. - In der antiken Me- 
trik konnten unregelmaBige Verse durch Annahme 



von P.n als Sonderform eines langeren regelmaBigen 
VersmaBes erklart werden. Einzelne Andeutungen die- 
ser Lehre finden sich bei Aristeides Quintilianus (I, 18) 
und dem Anonymus Bellermann (97ff.) ; beide kennen 
als Zeichen fiir die P. (xevo£ XP^ V0< ?> leere Zeit) das 
Limma A (mit Zusatzzeichen fiir P.n 2-4f acher Lange). 
Eine ausf iihrliche Behandlung des Silentiums in der Me- 
trik und seiner Beriicksichtigung beim Vortrag bringt 
Augustinus (De musica III, 8, 16ff., und IV, 13, 16ff.), 
der auch P.n zulaBt, die nicht durch das Metrum vorge- 
zeichnet sind (silentia vohntaria; IV, 15, 29). Die Neu- 
menschrift und die Choralnotation haben keine Zei- 
chen fiir die P. ; doch kennt die spatere Choralnotation 
Teilstriche zur Markierung von Hauptabschnitten der 
Melodie. Die mehrstimmige Musik iibernahm zu- 
nachst diescn Teilstrich (->- Suspirium) als Zeichen fiir 
eine kurze P. unbestimmter Lange. In der Mensural- 
notation ergab sich dann die Notwendigkeit, das Prin- 
zip der Zeitmessung auch auf die P. zu iibertragen. 
Dementsprechend erklart Franco von Koln die P. als 
vox amissa (im Gegensatz zur vox prolata, dem gesun- 
genen Ton) und bringt Zeichen fiir 6 P.n, namlich die 
5 durch Noten darstellbaren Zeitwerte und das^iMU 
punctorum (ed. Cserba, S. 231 und 244ff.) : 

a b c d e f a ) pausa perfecta = longa perfecta 
: (3 Spatia) ; b) pausa imperfecta = 
; longa imperfecta oder brevis al- 
tera (2 Spatia) ;c) pausa brevis= brevisrecta(l Spatium); 
d) pausa maior semibrevis = semibrevis maior ( 2 / 3 
Spatium); e) pausa minor semibrevis = semibrevis 
minor (1/3 Spatium) ; f) finis punctorum = »immensu- 
rabilis«, bewirkt Dehnung der vorletzten (und letzten) 
Note (4 Spatia). 

Im 14. Jh. wurden die P.n fiir Semibrevis und Minima 
so unterschieden, daB die Semibrevis-P. an einer Linie 
hangend, die Minima-P. auf einer Linie aufsitzend no- 
tiert wurde. Die spater hinzukommenden Zeichen fiir 
kleinere Notenwerte wurden der Tabulatur entnom- 
men. Damit ergab sich im 1 6. Jh. : 
g n i i g) pausa semibrevis; h) pausa minima; 
' 1 r F i) pausa semiminima oder fusa = su- 
spirium; j) pausa semifusa. 

Beim Obergang zur weiBen Mensuralnotation mit der 
Unterscheidung von Sernirninirna und Fusa wurde so 
verfahren, daB die Pausa semiminima weiter mit nach 
rechts gerichtetem, die Pausa fusa nunmehr mit einem 
nach links gerichteten Fahnchen notiert wurde; damit 
war fiir die Fusa und die kleineren Notenwerte er- 
reicht, daB bei Note und P. jeweils die gleiche Zahl 
von Fahnchen geschrieben wurde. Die seit dem 16. Jh. 
im wesentlichen unverandert gebliebenen Zeichen fiir 
die P.n sind die f olgenden : 

altere heutige Noten . 

P.n-Form: P.n-Form: 1Noten - 



Bezeichnung : 

Ganze P. ~*~ w 

Halbe P. ZU «. 
Viertel-P. r (?) £ 

Achtel-P. i 7 

Sechzehntel-P. =1 7* 

ZweiunddreiBigstel-P. ^ 7 

Vierundsechzigstel-P. ^ 7 

Die Ganze P. gilt auch im Dreivierteltakt einen Takt 
(also nur drei Viertel). Fiir eine P. von 2 Takten wird 
noch die Brevis-P. der Mensuralnotation gebraucht 
(1 Spatium), fiir eine P. von 2 Takten die Longa-P. 
(2 Spatia). P.n fiir eine grofiere Anzahl von Takten 



J 
J 



717 



Pavatie 



6 



6 



oder 



bder *? 



werden durch eine Folge dieser Zeichen, meist aber 
durch Zahlen iiber Quer- oder Schragbalken angezeigt, 
jedoch geteilt, sobald Taktart oder Tempo wechseln 
(etwa wie im nebenstehenden Allegro 

Beispiel). Bei groBer besetz- 5 10 

ten Werken wird die -> Gene- g j - I I 3 | ssp 
ral-P. zusatzlich durch die " * ' 

Buchstaben G. P. bezeichnet. - Der Begriff der P. setzt 
Zeitmessung voraus; daher ist die kompositorische 
Verwendung der musikalischen (nicht im Text vorge- 
gebenen) P. zuerst in der Mensuralmusik des 13. Jh. zu 
beobachten, vor allem im ->■ Hoquetus. Dient die P. in 
der Mehrstimmigkeit des 15./16. Jh. noch vorwiegend 
der melodischen Gliederung einer Stimme, so wird sie 
seit dem 17. Jh. in vielfaltiger Weise zur Aftektdarstel- 
lung eingesetzt. Die Lehre von den musikalisch-rheto- 
rischen Figuren im 17./18. Jh. erklart verschiedene Ar- 
ten der P. als ->■ Abruptio, ->■ Apokope, -> Aposiope- 
sis, -> Ellipsis, ->• Homoioteleuton, -»■ Suspiratio, 
->■ Tmesis. - Fiir die Musik des spaten 18. und des 19. 
Jh. gilt H.Riemanns Feststellung (1903, S. 130f.), daB 
in der Metrik P.n nicht Nullwerte, sondern vielmehr Mi- 
nuswerte sind, denen je nach der Bedeutung der positiven 
Werte, welche sie negieren, eine gar sehr verschiedene Wir- 
kung eignet . . . Das Auftreten einer P. innerhalb des Mo- 
tivs bedeutetfiir die Auffassung von dessen immanenter dy- 
namischer Potenz nichts geringeres als fiir die Dauer der P. 
ein Eintreten des negativen Wertes statt des ausgefallenen 
positiven ... In F. Mendelssoh n Barth oldys Ouvertiire 




T (D) Sp (S) S 

Die Hebriden op. 26 (Takt 47ff.) ist die erste P. noch der 
vorausgehenden Endung zuzurechnen, also eine »Ver- 
kiirzungs-P.«, bei der zweiten dagegen zwingt die auf- 
fallige Einfiihrung der zweiten Subdominante (c + ), die Vier- 
telpause der Melodie bereits in das neue Motiv zu nehmen 
(Riemann 1903, S. 133) ; sie ist also eine »Zahl-P.«. Auch 
am Ende eines Motivs kann die P. statt der Endnote 
selbst stehen, z. B. in Beethovens Klaviersonate Fis dur 
op. 78, 1. Satz, Takt 36ff., wo der immer aufdie P. gerade 
wieder in den Grundton cis laufende Bafi allein den in den 
Oberstimmen unterdriickten Cis-dur-Akkord vorstellen mufi 
(ebenda S. 142). Folgerichtig erkennt Riemann auch 
Innen-P.n im Motiv an. 

Lit. : H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbg u. St. 
Petersburg 1884; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me- 
trik, Lpz. 1903 ; F. Rosenthal, Probleme d. mus. Metrik, 
ZfMw VIII, 1925/26; Z. Lissa, Die asthetischen Funktio- 
nen d. Stille u. P. in d. Musik, StMw XXV, 1962. 

Pavane (ital. pavana, padovana, -*■ padoana, paduana ; 
frz. p., pavenne; engl. pavan, paven, pavin), ein meist 
geradtaktiger hofischer Schreittanz, der im 1. Viertel 
des 16. Jh. die Basse danse abloste und dessen Bliitezeit 
ins 16./17. Jh. fallt. Der Name wurde friiher (u. a. schon 
von Walther 1732) von span, pavo, der Pfau, abge- 
leitet und der Tanz als ursprunglich in Spanien behei- 
matet angesehen. Demgegeniiber setzte sich in jiing- 
ster Zeit die Annahme durch, P. sei von Pava als idio- 
matischer Form von Padova abzuleiten (alia pavana, 
in der Art von Padua). Die altesten Belege der P. finden 
sich in dem Lautenbuch von Dalza (Petrucci 1508), in 
dem 5 P. alia venetiana und 4 P. allaferrarese enthalten 
sind, die auf dem Titelblatt als Padoane diverse angekiin- 
digt werden. Als nachste bekannte Belege folgen meh- 
rere Padoanen im Manuskript von Capirola (urn 1517), 



P.n in den Drucken von Attaingnant (ab 1529), bei Ju- 
denkiinig (1523), bei Milan (1535). Die P. hat meisten- 
theils 3. repetitiones, derenjede 8. 12. oder 16. tact, weniger 
aber nicht haben mufi J wegen der 4. Tritt oder Passuum so 
darinnen observirt werden miissen (Praetorius Synt. Ill, 
S. 24), also gewohnlich das Formschema aa bb cc. 



yJ^L fa .. "T A.'j 




v r pr r 
d J j y- 


r r «r " 


Ml. ii O » 9r— 

izuo — i r r r- 






P. La Garde, in: P.Phalese, Liber primus 
leviorum carminum . . ., 1571. 
Allgemein wird die P. als feierlich-gravitatisch charak- 
terisiert, auch in den choreographischen Darstellungen 
(Caroso, Arbeau), denen zufolge sie mit zwei Einzel- 
schritten und einem Doppelschritt vorwarts (nach Be- 
lieben auch ruckwarts) ausgefiihrt werden konnte. 
Zahlreiche P.n, in anderen Quellen teils auch als -*■ Pas- 
samezzo bezeichnet, sind iiber einem Klanggeriist wie 
dem des Passamezzos oder dem der Romanesca auf ge- 
baut. Fiir die europaische Verzweigung der P. ist es be- 
zeichnend, daB eine von A. de Cabezon (Madrid) als 
pavana italiana bearbeitete -> Pavaniglia durch J. Bull 
(London) als Spanish paven ubernommen und von 
Sweelinck (Amsterdam) und Scheidt (Halle/Saale) als 
paduana hispanica mit neuen Variationen versehen wor- 
den ist. Die P. wurde gewohnlich mit einem oder meh- 
reren anderen Tanzen zusammengestellt, meist mit 
Saltarello. In der Tabulatur von Dalza steht die Folge 
P.-Saltarello-Piva, wobei die beiden letzteren die ih- 
rem Tanzcharakter entsprechenden Varianten des er- 
sten sind. Um die Mitte des 16. Jh. wurde das Tanz- 
paar P.-Saltarello abgelost von der Folge P.-Galliarde. 
Zu besonderer Bedeutung gelangte die P. kurz nach 
1600 als Einleitungssatz in der Tanzsuite der deutschen 
Komponisten (und ist dann oft mit Paduana oder Pa- 
douana iiberschrieben), so bei Schein, Peuerl, Rosen- 
muller u. a.Wahrend in der franzosischen -*■ Suite die 
P. von der Allemande verdrangt wurde, trat in der 
italienischen Sonata da camera um 1650 eine Sinfonia 
oder Sonata an die Stelle der P. - M. Ravel schrieb eine 
P. pour une Infante defunte fiir Kl. (1899). 
Lit. : M. F. Caroso, II ballerino, Venedig 1581, Nachdruck 
Rom 1630; Th. Arbeau, Orchesographie, Langres (1588), 
NA v. L. Fonta, Paris 1888, engl. v. M. St. Evans, NY 1948 ; 
WaltherL; T. Norlind, Zur Gesch. d. Suite, SIMG VII, 
1905/06; C. Sachs, Eine Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, 
engl. NY 1937 u. London 1938, frz. Paris 1938; L. Messe- 
daglia, La pavana, danza non spagnuola, ma padovana, 
in: Atti e memorie delFAccad. d'agricoltura, scienze, lette- 
re, arti e commercio di Verona V,41,1942/43;A. Michel, 
Origin of the Gagliarda and the P., Dance Observer XIII, 
1946; O. Gombosi, Compositione di Meser V. Capirola, 



718 



Pedal 



= Publications de la Soc. de musique d'autref ois I, Neuilly- 
sur-Seine 1955; L. H. Moe, Dance Music in Printed Ital. 
Lute Tabulature from 1507 to 1611, Diss. Harvard Univ. 
(Mass.) 1956, maschr.; H. Spohr, Studien zur ital. Tanz- 
komposition um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr. ; 
B. Deixi, P. u. Galliarde, Diss. Bin (F. U.) 1957, maschr. 

Pavaniglia (pavan'i:Aa, ital.; wahrscheinlich Dimi- 
nutiv von Pavana), spanisch-italienischer Tanz zwi- 
schen 1580 und 1660, dem haufig ein der -*- Folia ahn- 
liches Satzmodell zugrunde liegt; im Gegensatz zu die- 
ser tritt die P. jedoch nur geradtaktig auf . Das Modell 
besteht meist aus 8 Takten (gelegentlich 16 mit je 2 
Takten auf jedem der 8 Geriistklange). Die P. begegnet 
in Lautentabulaturen u. a. bei Caroso (1581), wo sie 
choreographisch und musikalisch, bei C.Negri (Nuove 
inventioni di balli, Mailand 1604), wo sie choreogra- 
phisch beschrieben wird; in Chitarratabulaturen ist sie 
von 1606 (Montesardo) bis 1661 (Millioni) nachweis- 
bar. Als 4st. Instrumentalsatz findet sie sich schon bei 
Gesualdo (Ms. Neapel, Bibl. del Conservatorio, um 
1590); Bearbeitungen fiir Tasteninstrumente kommen 
um 1600 vor. Verschiedene italienische Benennungen 
konnten spanische Herkunft andeuten: P. di Spagna 
(Ms. Berlin, Deutsche Staatsbibl., Mus. ms. 40032, 2. 
Halfte 16. Jh.), P.: balletto spagnole (Ms. Anon. Florenz, 
Bibl. Naz. Centrale, Magi. XLX, 115, um 1600). DaB 
nicht alle Stiicke mit dem Satzmodell der P. als solche 
bezeichnet sind, erweisen u. a. die Pavana hispanica von 
J.-B. Besard (1603), SpanishpavenvonJ. Bull (Fitzwilliam 
Virginal Book) und Pavana italiana von A. de Cabezon. 
Lit.: H. Spohr, Studien zur ital. Tanzkomposition um 
1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr. 

Pedal (zu lat. pes, FuB; Abk.: P., Ped.; frz. pedale; 
ital. pedale), Fufiklaviatur oder -hebel bei Tastenin- 
strumenten, der Harfe sowie der Pauke. - 1) Das P. der 
Orgel ist eine fiir das Spiel der FUBe bestimmte Klavia- 
tur. Wahrscheinlich geht das Orgel-P. auf das Glocken- 
spiel zuriick ; als sein »Erfinder« gilt der Brabanter Glok- 
kenspieler Louis van Valbeke (f 1318). Urspriinglich 
unselbstandig, war das P. durch Seilschlingen an die 
tiefsten Tasten des Manuals angehangt; es uinfaBte nur 
3-5 Tone. Nach der Ileborgh-Tabulatur mit Doppel- 
pedalfiihrung (1448) verlangt A. Schlick 1511 ein selb- 
standiges P. im Umfang F-c 1 (mit alien Halbtonen) 
und die Tasten in einem Abstand, daB jeweils 2 Lagen- 
stimmen mit einem FuB gespielt werden konnen; er 
kennt auch das mehrstimmige solistische P.-Spiel (ohne 
Manual). Die Kunst des obligaten P.-Spiels blieb bis 
zum Abbau des Werkcharakters der Orgel am Aus- 
gang der Barockzeit eine Sonderheit vor allem der 
deutschen Organisten (-> Orgelmusik). AuBerhalb 
Deutschlands sind die technische -> Disposition des 
P.s und das P.-Spiel, zum Teil (wie in Frankreich) aus 
einer anderen Einstellung zur Polyphonie heraus, erst 
relativ spat entwickelt worden. Aus alterer Zeit stammt 
die -» Kurze Oktave des P.s. 

Das P. dient nicht nur zum Spiel des Basses, sondern 
wird auch zur Darstellung des C. f . in alien Lagen (So- 
pran, Alt, Tenor, BaB) eines mehrstimmigen Satzes ge- 
braucht, meist in der Besetzung mit Zungenstimmen 
16' bis 2 . Die Zusammensetzung der FuBtonlagen der 
P.-Register gibt Auskunft, ob sie nur als BaBfunda- 
ment oder auch zur Fuhrung von Alt- und Sopranlagen 
disponiert sind. Unter der Leitung von S. Scheidt be- 
setzte H. Compenius das P. der Moritzkirche zu Halle 
mit 16' 16' 8' 4' 2' 1'. J.Fr.Wender baute unter J. S. 
Bachs Anleitung im P. (Miilhausen): 32' 16' 16' 16' 8' 
8' 4' 2' 1' und Mixtur. G. Silbermann besetzte das P. 
der Hofkirche zu Dresden mit 32' 16' 16' 8' 8' 4' 4' und 
Mixtur. U. a. haben einige altspanische Orgeln zwei 
iibereinanderliegende P.e. Heute hat das P. meist einen 



Umfang von C-f 1 , im Barock bis c 1 und d 1 . - »Ped.« 
bedeutet in der Orgelmusik die Anweisung fiir den 
Pedaleinsatz. - 2) Nur selten wird das -> P .-Klavier ge- 
baut, dessen P. ahnlich wie bei der Orgel als Klaviatur 
ausgebildet ist, Beim Klavier (Clavichord, Cembalo, 
Pianoforte) heiBen P. in der Regel einzelne durch die 
FiiBe zu bedienende Hebel, die der Registrierung, Far- 
bung oder Dampfung des Klanges dienen. Im Clavi- 
chord- und Cembalobau herrschten bis um 1750 Hand- 
zugregister oder Kniehebel vor. Der spate Cembalo- 
bau setzte P.e iiberwiegend zusatzlich zu den Handzug- 
registern fiir neu erfundene Spielhilfen ein, z. B. Tschu- 
di und Broadwood um 1770-80 als »Machine« zum 
Ausschalten von Registern sowie fur den Jalousie- 
schweller. Beim Hammerklavier war vor 1830 die An- 
zahl der P.e nicht festgelegt; sie konnte 8 erreichen 
(z. B. Pantalonzug, jeu de buffle, Oktavkoppel). Doch 
waren zur Zeit Haydns und Mozarts auch Instrumente 
ohne P. nicht selten. Sehr haufig waren um 1800-30 
Hammerfliigel mit 4 P.en: Verschiebung, zweiter Pia- 
nozug, aufgehobene Dampfung, Lautenzug. Solche 
Instrumente besaBen u. a. Beethoven (1803-16), Che- 
rubini, CM. v. Weber und noch Clara Schumann (ab 
1840). Um die Mitte des 19. Jh. setzte sich allgemein 
die Beschrankung auf 2 P.e durch, von denen das 
rechte (GroB-P., Fortezug) die Dampfer von den Sai- 
ten abhebt und nicht nur ein Nachklingen der ange- 
schlagenen Tone bewirkt, sondern auch eine Verstar- 
kung durch Mittonen, verlangt durch senza sordini 
oder %&., 2 aufgehoben durch 5&, •$• (letzteres Zei- 
chen nicht mehr gebrauchlich). Es wird vor allem an- 
gewandt zur Klangbereicherung (Klang-P., Harmo- 
nie-P.) und zum Binden von Tonen, wo ein Legato 
sonst nicht moglich ist (Bindungs-P.). Dabei ist nur 
im Tomantischen Klavierstil von der Vorstellung der 
durchweg gehobenen Dampfung auszugehen (R. Schu- 
mann, Sonate op. 11,1. Satz). Das linke P. ist im mo- 
dernen Klavier die Verschidbung. Sie riickt die Kla- 
viatur und Mechanik ein wenig nach rechts, wodurch 
der Hammer jeweils eine Saite des Chores weniger 
trifft (verlangt durch una corda, due corde, aufge- 
hoben durch tutte le corde). Der Hauptreiz der Ver- 
schiebung, die grundsatzlich in alien Starkegraden an- 
gewandt werden kann, besteht in einer Veranderung 
der Klangfarbe. Bei Pianinos dagegen vermindert das 
linke P. den Neigungswinkel der Hammer und nahert 
sie mehr den Saiten. Dadurch wird eine mechanische 
Abschwachung der Hebelkraft bewirkt und das leise 
Spiel ohne Klangfarbenveranderung erleichtert. Neue- 
re Konstruktionen sind das -> Tonhaltungs-P., ferner 
ein 3. P. mit verstarkter Dampfung (durch einen Filz- 
streifen, der zwischen Saite und Hammer geschoben 
wird, fiir Ubungszwecke) sowie E.Zacharias Kunst-P. 
Bei letzterem kann durch 4 P.e die Dampfung nach 
Belieben von 8 Teilen der Besaitung entfernt werden: 
2 A-E, F-H, c-e, f-a, b-d», esi-gi, asi-<;2, dis2-e3. 
- 3) Bei der Harfe fiihrte um 1720 der Augsburger 
Hochbrucker in Donauworth zunachst 5, dann 7 P.e ein, 
mit deren Betatigung jeweils alle gleichnamigen Saiten 
des Instruments um einen Halb ton erhojit werden konn- 
ten. Die von ->■ Erard 1810 in Paris geschaffene Dop- 
pel-P.-Harfe ermoglichte mit der stufenweisen Er- 
hohung der Saiten um jeweils 2 Halbtone die Verwen- 
dung des Instruments in alien Tonarten. - 4) -»• Pauke. 
Lit.: zu 1): W. Apel, Die Tabulator d. Adam Ileborgh, 
ZfMw XVI, 1934; G. Frotscher, Gesch. d. Orgelspiels u. 
d. Orgelkomposition I, Bin 1935, 21959, Nachdruck Bin 
1966; E. Bruggaier, Studien zur Gesch. d. Orgelpedal- 
spiels in Deutschland bis zur Zeit J. S. Bachs, Diss. Ffm. 
1959. - zu 2): L. Kohler, Systematische Lehrmethode f. 
Klavierspiel u. Musik, 3 Bde, Lpz. 1857-58, 31882 revi- 
diert v. H. Riemann; ders., Der Klavierpedalzug, Bin 



719 



Pedale 



1882; H. Schmitt, Das P. d. Kl., Wien 1875; H. Riemann, 
Vergleichende theoretisch-praktische Klavierschule, Hbg 
u. St. Petersburg 1883, 21890; A. J. A. Lavignac, Ecole de 
la pedale, Paris 1889, Neudruck 1927; G. Falckenberg, 
Les pedales du piano, Paris 1895; A. Rubinstein, Leitfaden 
zum richtigen Gebrauch d. Pf te-P., Lpz. 1 896 ; L. Riemann, 
Das Wesen d. Klavierklanges, Lpz. 1911 ; F. Boghen (mit 
G. Sgambati), Appunti ed esempi per l'uso dei pedali del 
pfte, Mailand 1915, Neudruck 1941; L. Kreutzer, Das 
normale Klavierp., Lpz. 1915, 21928; R. E. M. Harding, 
The Piano-forte, Cambridge 1933; Y. Bowen, Pedalling 
the Modern Pfte, London 1936; K. Leimer (mit W. Giese- 
king), Rhythmik, Dynamik, P., Mainz (1938) u. 6., Neu- 
druck (1965), engl. Philadelphia 1938 ; H. Socnik, Lehre v. 
Klavierp. I: Das P. bei Mozart, in: Schriften d. Gaumusik- 
schule Danzig-WestpreuBen II, 1944; W. Gieseking, Mo- 
zart auf d. Kl. - mit oder ohne P., Das Musikleben 1, 1948 ; 
Fr. J. Hirt, Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955. 

P£dale (frz.) ->■ Pedal; -> Orgelpunkt. 

Pedalklavier, ein besaitetes Tasteninstrument mit 
-v Manual und -> Pedal (- 1), als Pedalclavichord schon 
im 15. Jh. nachweisbar, im 18. Jh. (auch alsPedalcemba- 
lo) als Ubungsinstrument der Organisten verbreitet. Das 
Pedal war zunachst nur an die tiefsten Tasten des Ma- 
nuals angehangt oder hatte eine -> Kurze Oktave. Ob 
J.S.Bachs Orgeltriosonaten (a 2 Clav. e Pedale, BWV 
525-530) fur P. geschrieben sind, ist umstritten. Im 18. 
und 19. Jh. wurden Hammerklaviere als P.e gebaut 
(Pedal jD-d) ; der Saitenbezug war im Manual zwei- 
chorig, im Pedal dreichorig. Stiicke fiir P. schrieben R. 
Schumann (op. 56, 58, 60), Alkan (op. 64, 66, 69, 72) 
und Gounod (Fantaisie sur Vhymne nationale msse; Suite 
concertante mit Orch.). Separate Pedaluntersatze in Flii- 
gelf orm fiir Cembali werden heute wieder angefertigt. 
Lit. : Adlung Mus. mech. org. ; Fr. K. Griepenkerl, Vor- 
rede zur 1 . Aufl. v. J. S. Bach's Kompositionen f . Org., Bd 
I, Lpz. 1844; J.Handschin, DasP.,ZfMwXVII, 1935; W. 
Schrammek, Die mg. Stellung d. Orgeltriosonaten v. J. S. 
Bach, Bach-Jb. XLI, 1954; Fr. J. Hirt, Meisterwerke d. 
Klavierbaus, Olten 1955. 

Peitsche (engl. whip; frz. fouet; ital. frusta), ein Ge- 
rauschinstrument, bestehend aus 2 durch Scharniere 
verbundenen, an einem Griff befestigten langlichen 
Hartholzbrettchen, die mit einer ruckartigen Bewe- 
gung gegeneinandergeschlagen werden; dadurch wird 
das Gerausch des Peitschenknalls nachgeahmt. Die P. 
wird z. B. von Mascagni in Cavalleria rusticana (Auf- 
tritt des Alfio) verwendet. 

P£log, die javanische Bezeichnung fiir die neben 
-y Slendro vorhandene Letter der javanischen und ba- 
linesischen Musik (-> Patet). P. ist eine 7stufige Leiter 
(Intervalle z. B. urn 120," 150, 270, 130, 115, 165, 250 
Cent), von der aber nur jeweils 5 Tone gebraucht wer- 
den; durch Austausch von Tonen entstehen neben den 
Hauptleitern Hilfsmodi. Auf Java gilt P. als weibliche, 
traurige Tonart. 

Lit. : M. F. Bukofzer, The Evolution of Javanese Tone- 
Systems, Kgr.-Ber. NY 1939; J. Kunst, Music in Java I, 
Den Haag 1949; M. Hood, The Nuclear Theme as a De- 
terminant of Patet in Javanese Music, Groningen u. Dja- 
karta 1954; H. Husmann, Grundlagen d. antiken u. orien- 
talischen Musikkultur, Bin 1961. 

Penillion (pen'iljan, engl., von walisisch penn, Kopf) 
ist Oberbegriff fiir alte, auf die Musizierpraxis der kelti- 
schen ->• Barden zuriickgehende Gesange, die gewohn- 
lich auf Stegreifverse improvisierend zur Harfe gesun- 
gen wurden, wobei der Harfner eine bekannte Volks- 
liedmelodie spielte. Der freie Vortrag der Sanger wur- 
de oft in Wettbewerben (-> Eisteddfod) erprobt. Die 
friiheste gedruckte Sammlung mit fiir das P. Singing 
geeigneten Harfenliedern ist J. Parry s und E.Williams' 
Antient British Music (London 1742). 



Penorcon, ein Zupfinstrument des 16./17. Jh. nach Art 
der -> Cister mit birnenformigem, leicht geschweif- 
tem Corpus und schragem Querriegel. Es unterschei- 
det sich von der -> Pandora durch eine um weniges ge- 
ringere Gesamtlange und groBere Breite des Corpus 
und des Griffbretts. Die 9 (2fachen) Saitenchore haben 
die Stimmung idG jAiA CC DD GG cc ee aa didi. 
Das bei Praetorius (Synt. II, Tafel XVII, Figur 2, nicht, 
wie dort angegeben, 3) abgebildete P. zahlt 14 Biinde. 

Pentatonik (fiinfstufige Tonreihe) gehort fraglos sehr 
alten Kulturschichten an. Vielfach scheint sie den Be- 
ginn klar ausgepragter Tonordnung (der spateren Lei- 
terbildung) darzustellen, beruhend auf einer Quint- 
Quart-Kette, z. B. c^-gW-a'-e 1 , die iiber den 5. Ton 
nicht hinausgeht, Halbtonbildung also vermeidet (an- 
hemitonische P.). Nach neueren Forschungen kann P. 
jedoch auch durch Auffiillung naturwiichsiger Drei- 
klangsmusik oder vom Dreiklang getragener Vierto- 
nigkeit (Tetratonik, z. B. c 1 e 1 g 1 at c 2 ) entstehen. Als 
Uberbleibsel alter Pflanzerkultur gibt es die P. vielfach 
noch in alteren Hochkulturen (China, Japan, Hinter- 
indien, Indonesien, Vorderindien, Peru, hellenische 
Antike, wahrscheinlich auch Altagypten und Sumer- 
Babylon). Eines ihrer alten Keimgebiete war anschei- 
nend das vorgeschichtliche Mittel- und Ostasien (Tibet 
und al testes China). Von dort strahlte sie aus nach Hin- 
ter- und Vorderindien, Indo-, Mela- und Mikronesien 
sowie nach Westpolynesien. Ein zweiter alter Aus- 
strahlungskreis war das Mittelmeergebiet : Uberbleib- 
sel findet man noch in der Berbermusik, in suditalieni- 
scher und sardischer Volksmusik und im Lied der In- 
selkelten. Nubische und abessinische Leiern zeigen 
noch heute 5stufige Grundstimmungen, die ebenso bei 
vorderasiatischen, agyptischen und antiken Leiern vor- 
ausgesetzt werden diirfen. Pentatonische Musik ist 
auch bei afrikanischen Pflanzern (u. a. Bantu) sowie bei 
indianischen Bodenbauern (hier neben einfacheren 
Vorformen von Konsonanzmelos) vielfach vertreten. 
DaB sie auch zu Jager- und Hirtenvolkern recht unter- 
schiedlicher Stufe drang (z. B. zu Lappen, Ugro-Fin- 
nen, Turkstammen und Mongolen, auch zu den Kup- 
fereskimos, zu zentralkalifornischen Sammlern und 
niederen Jagern Mittelaustraliens) und dabei besondere 
Abwandlungen erfuhr, ist sicherlich auf sekundare 
Ausbreitung durch Kulturberiihrung zuruckzufiihren. 
Primares, d. h. pflanzerisches pentatonisches Melos ver- 
bindet sich auff allend haufig mit gerundeten Melodie- 
bogen und Melismatik. Ein fast uniibersehbar reiches 
Netz von Symbolvorstellungen begleitet die Fiinfzahl 
(iibrigens auch die Vierzahl). Sie ist vor allem die Zahl 
der dunklen, weiblichen Erdkraft, Ischtar-Venus-De- 
meter-Zahl, auch (gynandrisch gedacht) Mond-, Pla- 
neten-, Elementen- und Vegetationszahl. Diese uralte 
Heiligkeit der Fiinfzahl forderte in verschiedenen Kul- 
turen (z. B. in Japan, Indonesien, bei Berbern und wohl 
auch in Hellas) die Entstehung von »kiinstlicher« oder 
Halbton-Fiinfstufigkeit, z. B. e 2 c 2 hi at f 1 el (japanisch 
zogugaku-sempo). In solchen Lei tern, die auch als 
ditonische Fiinfstufigkeit bezeichnet wurden, weil sie 
den Doppelganzton als GroBschritt enthalten, ist das 
Schwebende, Naturhafte der alteren Fiinfstufenarten 
preisgegeben zugunsten des scharf seinen Zielton an- 
peilenden Halbtonschritts. - Fiinfstufig gestimmt sind 
vielfach alte (teils primitive, teils Hochkulturen zuge- 
horige) Melodieinstrumente wie Panpfeife, Mundor- 
gel, Holz-, Stein-, Metallstab- und Gongspiel, Harfe, 
Leier, ostasiatische Zither, lappische Schalmei. - DaB 
selbst noch im heutigen musikuberschwemmten Eu- 
ropa etwa f unfjahrige musikalisch begabte Kinder ohne 
Vorbild halbtonfreie 5stufige Melodien improvisieren, 



720 



Periode 



wirft ein Licht auf die naturhaften seelischen Quel- 
lengriinde, denen diese Tonordnungen entsprangen. 
Lit. : A. Launis, Die P. in d. Melodien d. Lappen, Kgr.- 
Ber. Wien 1909; H. Riemann, Folkloristische Tonalitats- 
studien I: P. u. tetrachordale Melodik, Lpz. 1916; Z. Ko- 
dAly, Otfoku hangsor a magyar nepzeneben (»Die funf- 
stufige Tonleiter in d. ungarischen Volksmusik«), Zenei 
Szemle I, 1917; J. Kunst, De toonkunst van Java, 2 Bde, 
Den Haag 1934, engl. als: Music in Java, 2 Bde, ebenda 
1949; B. Szabolcsi, Egyetemes muvelddestortenet es 6t- 
fokii hangsorok (»Die Verbreitung d. P. u. ihre Bedeutung 
f. d. Kulturgesch.«), Budapest 1937; ders., Five-Tone 
Scales and Civilization, AMI XV, 1943 ; ders., About Five- 
Tone Scales in the Early Hebrew Melodies, Budapest 1 948 ; 
W. Danckert, Das europaische Volkslied, Bin 1939; 
ders., GrundriB d. Volksliedkunde, Bin 1939; ders., A 
felhangn61kuli pentatonia eredete (»Der Ursprung d. halb- 
tonlosen P.«), Melanges offerts a Z. Kodaly, Budapest 
1 943 ; ders., Hirtenmusik, AfMw XIII, 1956; W. Wiora, 
Alter als d. P., in : Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Buda- 
pest 1956; R. P. Winnington-Ingram, The Pentatonic 
Tuning of the Greek Lyre . . . , Classical Quarterly L (= N. 
S. VI), 1956; H. Husmann, Einfiihrungin d. Mw., Heidel- 
berg (1958) ; ders., Grundlagen d. antiken u. orientalischen 
Musikkultur, Bin 1961 ; K. Reinhard, On the Problem of 
Pre-Pentatonic Scales . . . , Journal of the International 
Folk Music Council X, 1958; Yangyin-liu, Zur gleichzei- 
tigen Existenz pentatonischer u. heptatonischer Leitern in 
d. chinesischen Musik, Beitr. zur Mw. VI, 1 964. WD 

perdendosi (ital.), sich verlierend (auBerstes pianissi- 
mo) ; perdendo, (an Lautstarke) nachlassend, gefordert 
z. B. in Beethovens Violinkonzert op. 61. ->■ morendo. 

Perfectio (lat, Vollendung, Vollkommenheit), - 1) in 
der -> Mensuralnotation die der »normal« geschriebe- 
nen SchluBnote einer -> Ligatur (-1) zukommende 
normale rhy thmische Bedeutung . Den bereits in derMo- 
dalnotation ausgebildeten Verhaltnissen entsprechend, 
gait als normaler Wert der SchluBnote die Longa, im 
Unterschied zu den gewohnlich als Breven geltenden 
vorhergehenden Noten derselben Ligatur (darunter 
auch der Anfangsnote, -*■ Proprietas). MaBgebend fiir 
die Normalschreibung der SchluBnote waren die in 
der Modalnotation iiblichen Formen, z. B. bei tieferer 
vorletzter Note 3, (J (nach Verschwinden der ->• Plica 
jedoch ^, J) und hoherer vorletzter Note A. Die 
ausdriickliche Festlegung der Norm (cum perfectione) 
erlaubte nun auch die bewuBte Abweichung (sine per- 
fectione), die darin bestand, daB die als Longa geltende 
normale SchluBnote weggelassen und so ein neuer Typ 
von »unvollstandigen« Ligaturen gewonnen wurde, 
der mit der als Brevis geltenden vorletzten Note ende- 
te, z. B. H und m. - 2) in der Lehre der Mensuralmu- 
sik seit Franco von Koln die drei Tempora (-v Tempus) 
umfassende Mensureinheit (tria tempora . . . unam per- 
fectionem constituunt, ed. Cserba, S. 237). Die Bezeich- 
nung P. erklart sich aus der Ableitung der Dreizeitig- 
keit von der Zahl Drei als der vollkommensten Zahl 
(ternarius numerus inter numeros perfectissimus est pro eo, 
quod a summa trinitate, quae vera est et pura p., nomen 
sumpsit, Franco, ed. Cserba, S. 234). Die diese Mensur- 
einheit ausfiillende Longa hieB Longa perfecta; doch 
gab es daneben auch eine nur zwei Zeiten umfassende 
Longa imperfecta. Da beide Longen durch das gleiche 
Notenzeichen dargestellt wurden, fuhrte man als dia- 
kritisches Zeichen fiir bestimmte Falle ein Signum per- 
f ectionis ein : zunachst dargestellt als senkrechtes Strich- 
lein (tractulus) hinter der Longa (->■ Divisio modi - 1), 
seit dem 14. Jh. als Punkt hinter der Longa (Punctus 
divisionis; ->• Punctus - 2), die dadurch als dreizeitig 
gekennzeichnet war. Etwa seit der Mitte des 14. Jh. 
fanden die Begriffe perfectus und imperfectus auch auf 
andere Notenwertverhaltnisse Anwendung (-> Mo- 
dus - 3, -*■ Tempus, ->• Prolatio). 



Perigourdine (perigurd'in, frz., auch perijourdine), 
alterer, nach der Landschaft Perigord benannter fran- 
zosischer Tanz im Tripeltakt (3/8, 6/8), von rascher Be- 
wegung, ahnlich dem Passepied. Gelegentlich wurde 
zu diesem Tanz auch gesungen. Ein bekanntes Beispiel 
findet sich im 1. Akt (3. Szene) von Verdis Rigoletto. 

Periode (griech. rop£o8o£, Herumgehen, Kreislauf, 
regelmaBige Wiederkehr, grammatischer Satz). Unter 
einer P. verstehen Stilistik und Rhetorik einen durch 
Neben-, Uber- und Unterordnung der Teile kunstvoll 
gegliederten, in unselbstandige (x6u.u.a, caesum) und 
selbstandige Teile (x<oaov, membrum) zerlegbaren 
Satz, einen »Gedanken, der an und fiir sich genommen 
Anfang und Ende hat und einen gut iiberschaubaren 
Umfang« (Aristoteles). Der Ausdruck wurde um 1100 
von Johannes Affligemensis (CSM I, 79f.), im 17. Jh. 
vonj.Burmeister (Muskapoetica, 1606, S. 35ff.) undim 
18. Jh. von Mattheson (1739), Kirnberger (1771), For- 
kel (1788) und H.Chr.Koch als Bezeichnung fiir eine 
durch Zasuren gegliederte Melodie in die Musiklehre 
ubernommen: ein HalbschluB markiert das Kolon, ein 
GanzschluB die P. Die Moglichkeiten des Perioden- 
baus, die Unterschiede in der Anzahl, Art und Lange 
der Teile, werden von Koch ausfuhrlich erortert. - 
Seit dem friihen 19. Jh. (A.B.Marx) gilt auBer der 
Gliederung durch Halb- und Ganzschliisse auch die 
-*■ Symmetrie der Melodieteile, die Korrespondenz 
zwischen einem Vorder- und einem Nachsatz, die in der 
Regel je 4 Takte umfassen, als definierendes Merkmal 
der P.; 2 Takte bilden eine Phrase, 2 Phrasen einen 
Halbsatz, 2 Halbsatze eine P. (->■ Satz). DaB die »natiir- 
lichste« Melodiestruktur durch Multiplikation von 
Takten (2x2x2x2) entstehe, wurde im 17. Jh. von 
Descartes (1618) und im 18. Jh. vonJ.Riepel (1752) be- 
tont, aber nicht mit dem Begriff der P., der sich auf die 
Gliederung durch Kadenzen bezog, in Zusammenhang 
gebracht. Derm 4,8,16 und wohl auch 32 Tacte sind die- 
jenigen, welche unserer Natur dergestalt eingepflanzet, daft 
es uns schwer scheinet, eine andere Ordnung (mit Vergnii- 
gen) anzuhoren (Riepel). - Der Begriff der P. schlieBt 
als drittes Moment neben der Differenzierung der Ka- 
denzen und der Symmetrie der Teile die Vorstellung 
einer Gewichtsabstufung der Takte ein. Die Unter- 
scheidung zwischen schweren und leichten Zeiten 
wurde im 19. Jh. (G. Weber, Hauptmann) von der Be- 
ziehung zwischen Zahlzeiten auf das Verhaltnis zwi- 
schen Takten und Taktgruppen iibertragen. Haupt- 
mann und Wiehmayer gliedern metrisch primar nie- 
dertaktig (| J J | J J |) und deuten den ersten Takt als 

akzentuiert (Akzentabstufung einer P. : 1 2 3 4 5 6 7 8). 
H. Riemann phrasiert prinzipiell auf taktig (| J J | J J |) 

und deutet den ersten Takt als leicht, den zweiten als 
schwer (Schema einer P. : 1 2 3 4 5 6 7 8). Hauptmann 

und Wiehmayer betrachten die metrischen Bildungen 
als »leeren Takt« (Thr. G. Georgiades), unabhangig von 
der rhythmischen Ausfiillung; Riemanns Ausgangs- 
punkt ist das aus »Aufstellung« und »Antwort« beste- 
hende auftaktige Motiv, und der SchluBtakt einer 
Phrase, eines Halbsatzes oder einer P. soil als schwer 
gelten, weil er vom Horer als Ziel und Zusammen- 
fassung des Vorausgegangenen verstanden wird. - Die 
aus 8 »Normaltakten« (4 »groBen« oder 16 »kleinen« 
Takten) bestehende P., deren Gliederung durch die um 
Tonika und Dominante zentrierte Harmonik unter- 
strichen wird, ist nach Riemann das »normative Grund- 
schema« eines musikalischen Satzes; Abweichungen von 
der Norm werden als Anhange, Einschaltungen, Eli- 
sionen oder Verschrankungen erklart (-> Metrum - 3). 
DaB die 8taktige P., die »Quadratur der Tonsatz-Kon- 



46 



721 



Periodica 



struktion« (R.Wagner), in Liedern und Tanzen und 
seit der Mitte des 18. Jh. auch in der artifiziellen Musik 
ein »Grundschema« bildet, ist unverkennbar. Doch 
schlieBt einerseits die Symmetrie der Teile im 17. und 
friihen 18. Jh. noch keine Gewichtsabstufung der Tak- 
te und Taktgruppen ein; und andererseits ist es in Wer- 
ken des 18. und 19. Jh. oft ungewiB, ob Gruppen von 
3 oder 5 Takten als originare, nicht reduzierbare Bil- 
dungen zu verstehen sind oder ob sie eine Zuriickf iih- 
rung auf geradzahlige Phrasen oder Halbsatze zulassen 
(W.A.Mozart, Menuett der G moll-Symphonie). Ge- 
orgiades betont die Notwendigkeit einer Spezifizierung 
und zugleich Einschrankung des P.n-Begriffs gegen- 
iiber einem andersartigen, als Geriistbau bezeichneten 
Satzprinzip, in dem genuin unsymmetrische Bildun- 
gen auftreten konnen. -* Formenlehre. 
Lit. : H. Chr. Koch, Versuch einer Anleitung zur Compo- 
sition, I Rudolstadt 1782, II-III Lpz. 1787-93; G. Weber, 
Versuch einer geordneten Theorie d. Tonsetzkunst, 3 Bde, 
Mainz 1817-21, 4 Bde, Mainz 2 1824, 3 1830-32; A. B.Marx, 
Die Lehre v. d. mus. Komposition, 4 Bde, Lpz. 1837-47 u. 
6., neubearb. v. H. Rieraann, I '1887, II '1890, IV 51888; 
M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Metrik, 
Lpz. 1853, 21873; H. Riemann, H. Chr. Koch als Erlauterer 
unregelmaBigen Themenaufbaues, in: Praludien u. Stu- 
dien II, Lpz. 1900; ders., GroBe Kompositionslehre I, Bin 
u. Stuttgart 1902; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me- 
trik, Lpz. 1903 ; ders., Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Ton- 
vorstellungen, JbP XXIII, 1916; W. Fischer, Zur Ent- 
wicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMw III, 1 9 1 5 ; Th. 
Wiehmayer, Mus. Rhythmik u. Metrik, Magdeburg 1917; 
L. G. Ratner, Harmonic Aspects of Classic Form, JAMS 
II, 1949; ders., Eighteenth Cent. Theories of Mus. Period 
Structure, MQ XLH, 1956, u. Kgr.-Ber. Wien 1956; Thr. 
G. Georgiades, Aus d. Musiksprache d. Mozart-Theaters, 
Mozart- Jb. 1950; ders., Zur Musiksprache d. Wiener Klas- 
siker, Mozart-Jb. 1951 ; ders., Schubert. Musik u. Lyrik, 
Gottingen 1967 ; H. Heckmann, Der Takt in d. Musiklehre 
d. 17. Jh., AfMw X, 1953 ; A. Feil, Satztechnische Fragen 
in d. Kompositionslehren v. F. E. Niedt, J. Riepel u. H. 
Chr. Koch, Diss. Heidelberg 1955; P. Benary, Zum perio- 
dischen Prinzip bei J. S. Bach, Bach-Jb. XLV, 1958; H. 
Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. CIV, 6, 
1959; G. Massenkeil, Untersuchungen zum Problem d. 
Symmetrie in d. Instrumentalmusik W. A. Mozarts, Wies- 
baden 1962, dazu C. Dahlhaus in: NZfM CXXIV, 1963; 
C. Dahlhaus, Wagners Begriff d. »dichterisch-mus. P.«, 
in: Beitr.\zur Gesch. d. Musikanschauung im 19. Jh., hrsg. 
v. W. Salmen, = Studien zur Mg. d. 19. Jh. I, Regensburg 
1965. CD 

Periodica ->Jahrbucher,->p^riodique,->-Zeit- 
schriften. 

periodique (perjad'ik, frz., periodisch; engl. periodi- 
cal) bezeichnet seit etwa Mitte des 18. Jh. in Frankreich 
und England in Sammeltiteln musikalischer Werk- 
reihen eine von Musikverlegern in Paris (Huberty, 
Boyer, Bayard, de la Chevardiere) und London (Brem- 
ner) praktizierte neue Art der Auslieferung musikali- 
scher Werke. Statt der bis dahin ublichen Zusammen- 
f assung von meist 6 Werken eines Komponisten in ei- 
ner Ausgabe, erschienen nun auch Einzelausgaben in 
Stimmen von Werken verschiedener Komponisten, 
pour faciliter le choix de Mrss. les Amateurs de la Musique 
(de la Chevardiere). Die Lieferung erfolgte wochent- 
lich oder monatlich, auch unter Abonnementsbedin- 
gungen. Als wichtigste Veroffentlichungen seien ge- 
nannt: Simphonie p. (z. B. de la Chevardiere, Paris, ab 
1760, mit Werken u. a. von Chr. Cannabich, Filtz, 
Holzbauer, J.Stamitz, Fr.X.Richter, G.B.Toeschi) 
und Periodical Overture in 8 parts (Bremner, London; 
Opera seconda, 1764, mit Werken von J. Chr. Canna- 
bich, Filtz, J.Stamitz). Das Gedeihen dieser Sammel- 
reihen beruhte wesentlich auf denErfolgen der Mann- 
heimer Schule, deren Kompositionen auf diese Weise 



rasche Verbreitung fanden. Vorlaufer dieser Editions- 
weise finden sich schon friiher in England, z. B. The 
Monthly Mask of Vocal Music ... (I. Walsh und I. Hare, 
London 1702-12 und 1717-24). Die literarischen Beiga- 
ben, Nachrichten und Besprechungen, die spater diesen 
periodischen Ausgaben beigegeben wurden, f iihrten in 
England zur Herausbildung der musikalischen -»- Zeit- 
schrif ten. - Beispiel f iir periodische Lief erungsweise von 
Musikalien in der Gegenwart ist die Zeitschriftfiir Spiel- 
musik, die seit 1932 monatlich Ausgaben alter und 
neuer Musik f iir das »Musizieren in Spielkreisen« bietet. 
Lit.: H. Riemann, Einleitung zu DTB III, 1, Lpz. 1902, S. 
XXXIII; C. Johansson, French Music Publishers' Cat. of 
the Second Half of the Eighteenth Cent., = Publications of 
the Library of the Royal Swedish Acad, of Music II, Stock- 
holm 1955 ; B. S. Brook, La symphonie frc. dans la seconde 
moitid du XVIII e s. II, Paris 1962. 

Perkussionsinstrumente -> Schlaginstrumente. 

Permutation (lat. permutatio), - 1) nach Marchettus 
de Padua (Lucidarium, GS III, 89 a f .) jener Sonderf all von 
-*■ Mutation - 1), bei dem nicht nur die Solmisations- 
silbe wechselt, sondern auch die Tonhohe verandert 
wird. Dies geschieht beim Wechsel zwischen Fa und 
Mi, d. h. bei der Bildung des Semitonium diatoni- 
cum (b-h bzw. h-b, angezeigt durch die Akzidentien 
fc| bzw. b) und des Semitonium chromaticum (c-cis, 
f-fis usw., angezeigt durch das falsa musica genannte, 
mitunter mit deml] verwechselte Akzidens ){(). In den 
Bereich der -*■ Musica ficta fallt nur die Bildung des 
Semitonium chromaticum, das vier der fiinf den Ganz- 
tonschritt ausmachenden Diesen umfaBt; der Wechsel 
zwischen b und h vollzieht sich innerhalb der diatoni- 
schen Grundskala (Ubergang vom Hexachordum mol- 
le zum Hexachordum durum und umgekehrt). Im An- 
schluB an Marchettus erlautert auch Gaffori den Be- 
griff der P. (Practica musice, lib. I, cap. IV). - 2) In der 
Mehrstimmigkeit ist P. ein -> Stimmtausch, bei dem 
die Stimmen eines Satzes dergestalt im mehrfachen 
Kontrapunkt ausgetauscht werden, daB im Verlauf des 
Stiickes alle Kombinationsmoglichkeiten Verwendung 
finden. Erfolgt der Stimmtausch nach jener festen Ord- 
nung, die Kennzeichen der -*■ Permutationsfuge ist, so 
liegt regelmafiige P. vor. Bei unregelmaBiger P., die 
in mehrthematischen Fugen seit dem 17. Jh. anzutreffen 
ist, treten die Kombinationen in freier Reihenfolge 
auf. - 3) Im Bereich der -> Seriellen Musik ist P. das 
Vertauschen von musikalischen Elementen (z. B. von 
Tonen) auf dem Hintergrund einer verbindlichen Ord- 
nung (z. B. einer -> Reihe). Die kompositorisch ange- 
wandten Verfahrensweisen erstrecken sich von einfa- 
cher Rotation (Umstellung) einzelner Elemente oder 
Elementgruppen innerhalb eines Reihenablaufs oder 
einer Komposition bis zu komplizierten Operationen, 
welche die Reihenelemente durch Zahlen substituieren 
und diese nach seriellen oder auch mathematischen 
Gesichtspunkten permutieren. Definiert man das ein- 
zelne Element als fest umrissene, punktuelle GroBe im 
Reihenablauf , dann lassen sich Ableitungen wie Trans- 
position, Krebs usw. als P.en einer Grundreihe beschrei- 
ben. Bereits Schonberg (z. B. op. 31) und in noch star- 
kerem MaBe A. Berg (z. B. Lulu) verwenden zur Ab- 
leitung und Umwandlung von Reihen spezifische Ver- 
fahren, die als P. bezeichnet werden konnen; grund- 
satzlich bleiben jedoch die derart abgeleiteten Reihen 
immer direkt oder indirekt an die Intervallstruktur 
der Grundreihe gebunden. 

Lit.: zu 1): S. Clercx-Lejeune, J. Ciconia I, = Acad, 
royale de Belgique, Classe des beaux-arts, M6moires II, 10, 
Fasc. la, Briissel 1960. -zu 3): M. Babitt, The Function of 
Set Structure in the Twelve-Tone System, Princeton Univ. 
(N. J.), Department of Music, 1946, maschr.; ders., Twelve- 



722 



Pfalz 



Tone Invariants as Compositional Determinants, MQ 
XLVI, 1960, S. 246ff., audi in: Problems of Modern Mu- 
sic, hrsg. v. P. H. Lang, NY 1962; H. Eimert, Grundlagen 
d. mus. Reihentechnik, Wien (1964); E. Klemm, Studien 
zur Theorie d. mus. P., Diss. Lpz. 1966, maschr. 

Permutationsfuge, ein vorwiegend von J.S.Bach 
gepragter, dem Wesen nach vokaler Typ der Fuge un- 
ter Verwendung von Stimmtansch in regelmaBiger 
->■ Permutation (- 2): die Kontrapunkte (im Beispiel: 
b, c und d) werden beibehalten und schlieBen sich in 
einer feststehenden Reihenfolge an das Thema (a) an 
(Beispielskizze: J.S.Bach, Himmelskonig, sei willkom- 
men, BWV 182, Chor, Takte 1-9) : 

Sopran abcdabcd 

Alt abcdabcd 

Tenor a b c d a b c 

BaB a b c d a b 

Die P. besteht in der Regel aus mehreren Durchfuh- 

rungen, die dem Prinzip zufolge einander sehr ahneln; 

zuweilen folgen zwei Durchfuhrungen ohne Zwi- 

schenspiel aui einander (so im Beispiel). Die Technik 

der P. findet sich z. B. auch bei Haydn (Streichquartett 

C dur, Hob. Ill, 32, Fuga a 4"> Soggetti, Takte 1-18) und 

Mozart (Symphonie C dur, K.-V. 551, Finale, Takte 

369-403). 

Lit. ; W. Neumann, J. S. Bachs Chorfuge, = Schriftenreihe 
d. Staatl. Inst. f. Deutsche Musikforschung IV, Lpz. 1938, 
als: Bach-Studien III, 31953; C. Dahlhaus, Zur Gesch. d. 
P., Bach-Jb. XLVI, 1959. 

Perpetuum mobile (lat., dauernd beweglich; ital. 
moto perpetuo), seit dem 19. Jh. ein (nicht als -*■ Cha- 
rakterstiick anzusprechender) Typ von raschen Instru- 
mentalsatzen mit ununterbrochener, gleichmafiiger 
und schneller Bewegung in der Melodiestimme. Be- 
kannte Stiicke dieses Namens sind Mendelssohn Bar- 
tholdys op. 119 in C dur fur Kl., Paganinis op. 11 fur 
V. und Orch. und Regers P. m. Cis moll fiir Kl.; hier- 
her kann auch CM. v. Webers Rondo aus der Klavier- 
sonate op. 24 C dur (1812) gezahlt werden, das, von 
Weber L'infatigable genannt, in spateren Einzelausga- 
ben unter dem Namen P. m. erschien. 

Persien. 

Lit. : al-Farabi, Kitab al-muslqi al-kabir, frz. als: Grand 
traite de la musique, in : Baron R. d'Erlanger, La musique 
arabe I, Paris 1930; Avicenna (Ibn SIna), »Ober Musik«, 
in: Kitab as-Site, frz. ebenda II, 1935; H. G. Farmer, The 
Old Persian Mus. Modes, Journal of the Royal Asiatic Soc, 
1926 ; ders., Studies in Oriental Mus. Instr., I London 193 1, 
II Glasgow 1939; ders., The Minstrelsy of the Arabian 
Nights, Bearsden 1945; Ph. Ackerman, The Character of 
Persian Music, in : A Survey of Persian Art III, hrsg. v. A. 
U. Pope, London u. NY 1939; M. Barkechli, L'art sassa- 
nide, base de la musique arabe, Teheran 1947; ders., La 
gamme persane et ses rapports avec la gamine occidentale, 
Olympia I, 1950; ders., Ancient and Modern Iranian Mu- 
sic in Relation to Popular Tradition, ebenda; ders., Les 
rythmes caracteristiques de la musique iranienne, Kgr.- 
Ber. Koln 1958; ders., La musique traditionelle de FIran, 
Teheran 1964; A. Patmagrian, The Music of Iran, Iran 
Review II, London 1950; Z. Ter-Hacobian, Quelques 
aspects hist, et esthetiques de la musique persane, Diss. 
StraBburg 1954, maschr.; P. Mahmoud, A Theory of Per- 
sian Music and Its Relation to Western Practice, Diss. In- 
diana Univ. 1956, maschr.; Kh. Khatschi, Der Dastgah. 
Studien zur neuen persischen Musik, = Kolner Beitr. zur 
Musikforschung XIX, Regensburg 1962; E. Zonis, Con- 
temporary Art Music in Persia, MQ LI, 1965 ; N. Caron, 
Dariouche Safvate, Iran. Les traditions mus., Paris 1966. 

Peru. 

Lit. : St. Ryden, Notes on Some Archaeological Whistling 
Arrowheads from P., = Comparative Ethnographical Stu- 
dies IX, Goteborg 1930; W. Sargeant u. J. Lahiri, Types 
of Quechua Melody, MQ XX, 1934; A. Sas Orchassal, 
Apercu sur la musique inca, AMI VI, 1934 ; C. Vega, Ton- 



leitern mit Halbtonen in d. Musik d. alten Peruaner, AMI 
IX, 1937; J. Castro, Sistema pentafonico en la miisica pre- 
colonial de P., Boletin latino-americano de miisica IV, 
1938 ; G. Mazzini, Etnofonia sud-americana (del Cili e del 
P.), RMI XLVII, 1943; C. Raygada, Esquema hist, de la 
miisica en el P., Lima 1952; ders., Hist, critica del Himno 
Nacional, 2 Bde, Lima 1954; M. U. del Solar, L'6ducation 
mus. dans les etablissements scolaires du Perou, in : La Mu- 
sique dans Feducation, Brussel 1953, hrsg. v. A. Colin, Pa- 
ris 1955; R. u. M. d'Harcourt, Les formes du tambour a 
membrane dans Fancien Perou, Journal de la Soc. des 
Am6ricanistes, N. F. XLIII, 1954; S. L. Moreno, La miisi- 
ca de los Incas, Quito 1957; C. A. Angeles Caballero, 
Bibliogr. del folklore peruano I, Lima 1958 ; J. M. Argue- 
das, The Singing Mountainers. Songs and Tales of the 
Quechua People, hrsg. v. R. Stephan, Edinburgh u. Lon- 
don 1 958 ; R. Stevenson, The Music of P., 2 Bde, Washing- 
ton (1959-60). 

Pes (lat., FuB), - 1) synonym mit Podatus (-> Neu- 
men - 1) ; - 2) in der mittelalterlichen mehrstimmigen 
Musik Englands, vor allem in den Worcester-Frag- 
menten (-> Quellen: Wore), die gelaufigste Bezeich- 
nung der textlosen (wohl instrumentalen) Fundament- 
stimme, die ihre nahere Benennung vom Text der 
Oberstimme(n) erhalt (z. B. P. de Pro beati Pauli . . . , 
MSD II, Nr 70; haufig auch in der Formulierung P. 
super . . . ) und sehr oft - jedoch durchaus nicht immer - 
aus vielfachen Wiederholungen eines einzigen oder 
einiger Motive besteht, deren Umfang von wenigen 
Longamensuren (z. B. im »Sommerkanon«) bis zur re- 
gularen Ausdehnung kontinentaler Motettentenores 
der gleichen Zeit reicht. Die Bezeichnung P. findet 
sich gelegentlich auch bei einer Stimme, die tiber der 
untersten Stimme liegt; in den Quellen sind sie dann 
meist als Primus p. (Fundamentstimme) und Secundus 
p. benannt. Im Unterschied zu den kontinentalen Mo- 
tettentenores ist eine liturgische Herkunft der P.-Stim- 
men nur selten nachzuweisen; in der Regel scheinen sie 
frei erf unden zu sein. - 3) in den Mensuraltraktaten seit 
dem 13. Jh. eine Bezeichnung fiir die von modalen 
Rhythmusmodellen ausgefullte -»■ Perfectio (- 2; z. B. 
im sechsten Modus: tres breves pro pede, Anonymus IV, 
um 1275, CS 1, 334b), mit der die Analogie zu den Vers- 
fiiBen betont werden soil. Bei W. Odington (nach 1300) 
findet sich eine umf angreiche Zusammenstellung der- 
artiger rhythmisch-metrischer Entsprechungen {qui 
pedes quibus modis aptandi sunt, CS I, 238b ft.), die sich 
vielleicht auf Moglichkeiten der Textadaptation be- 
ziehen; Fr. Salinas widmet dem gleichen Thema das V. 
bis VII. Buch seiner Musica (1577), und noch die spat- 
barocke Musiklehre bedient sich der entsprechenden 
Bezeichnung: Von der Ldnge und Kiirtze des Klanges, 
oder von der Verfertigung der Klang-Fiisse (Mattheson 
Capellm., S. 160). -> Metrum (- 3). 
Lit. : zu 1) : W. Lipphardt, Punctum u. P. im Cod. Laon 
239, KmJb XXXIX, 1955. - zu 2) : M. F. Bukofzer, »Su- 
mer is icumen in«. A Revision, in: Univ. of California 
Publications in Music II, 2, Berkeley u. Los Angeles 1944; 
J. Handschin, The Summer Canon and Its Background, 
MD III, 1949 u. V, 1951 ; L. A. Dittmer, The Worcester 
Music Fragments, Diss. Basel 1952, maschr., Teildruck 
Basel 1955; ders., Beitr. zum Studium d. Worcester-Frag- 
mente, Mf X, 1957; E. Apfel, Studien zur Satztechnik d. 
ma. engl. Musik, 2 Bde, = Abh. d. Heidelberger Akad. d. 
Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1959, Nr 5. FrR 

pesante (ital.), wuchtig, gewichtig. 

pf, Abk. fiir poco forte oder piu forte; -> forte. 

Pfalz. 

Ausg.: Volkslieder aus d. Rheinpf., hrsg. v. G. Heeger u. 
W. WtiST, 2 Bde, Kaiserslautern 1909, neubearb. u. in 1 Bd 
hrsg. v. J. Muller-Blattau (mit Fr. Heeger) als: Pfalzi- 
sche Volkslieder, = Veroff. d. Pfalzischen Ges. zur Forde- 
rung d. Wiss. XLIV, Mainz 1963. 



46* 



723 



Pfeifen 



Lit. : Th. Levin, Beitr. zur Gesch. d. Kunstbestrebungen in 
d. Hause Pf.-Neuburg, Beitr. zur Gesch. d. Niederrheins 
XIX, 1905, XX, 1906 u. XXIII, 1911 ; J. Muller-Blattau, 
Zur Mg. d. Stadt Kaiserslautern, in: Kaiserslautern 1276— 
1951, hrsg. v. O. Munch, Kaiserslautern 1951 ; G.Pietzsch, 
Gedanken zu einer pfalzischen Mg., Pfalzer Heimat VII, 
1956; E. Schmitt, Die kurpfalzische Kirchenmusik im 18. 
Jh., Diss. Heidelberg 1958, maschr.; H. Braun, Studien 
zum pfalzischen Volkslied, = Forschungsbeitr. zur Mw. 
XVI, Regensburg 1964. 

Pfeifen -» Flote, -*■ Labial-P£., -*■ Lingual-Pf. 
Pfeiferkonig -> Zunf t. 

Phagotum (von ital. fagotto, Bundel), ein von Afra- 
nio degli Albonesi (* urn 1480 zu Pavia) 1515 konstru- 
iertes und mindestens zweimal verbessertes Instrument. 
Es bestand aus zwei miteinander verbundenen, etwa 
45 cm langen Pfeifen aus Buchsbaum (in der erwei- 
terten Konstruktion kam eine Bordunpfeife hinzu) 
mit aufschlagenden Zungen (meist aus Silber) und hat- 
te 6 bzw. 9 Grimocher, die mit den Fingern sowie mit 
mehreren offenen und geschlossenen Klappen gedeckt 
wurden. Das Instrument wurde vom Spieler aufrecht 
auf den SchoB genommen; unter den rechten Ober- 
arm wurde ein Blasebalg, unter den linken ein Wind- 
sack geschnallt. Der Tonumfang der um eine Quarte 
gegeneinander versetzten Pfeifen war zusammen G-e 1 . 
Ein sehr spater Bericht (1621) besagt, daB Afranio das 
Ph. 1532 bei einem Bankett gespielt habe. -+ Fagott. 
Lit. : Theseus Ambrosius, Introductio in Chaldaicam lin- 
guam . . . Et descriptio ac simulacrum Phagoti Afranij, 
Pavia 1539; M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 
1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; ders., 
Harmonicorum libri XII, 2 Bde, Paris 2 1648; Le traite des 
instr. de musique de P. Trichet, hrsg. v. Fr. Lesure, Ann. 
Mus. Ill, 1955 - IV, 1956; L.-Fr. Valdrighi, II Phagotus 
d' Afranio, Musurgiana Nr 4, Modena 1881, dass. in: No- 
mocheliurgografia antica e moderna, ebenda 1884; ders., 
Sincrono documento intorno al metodo per suonare il 
»Phagotus« d'Afranio, Musurgiana, Serie II, Nr 2, ebenda 
1 895; C. Forsyth, The Phagotus of Afranio, in : Orchestra- 
tion, London 2 1936 ; Fr. W. Galpin, The Romance of the 
Ph., Proc. Mus. Ass. LXVII, 1940/41 ; A. Reimann, Stu- 
dien zur Gesch. d. Fag. I : Das »Ph.« d. Afranius Albonesi 
. . . , Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr. 

Phantasie oder Einbildungskraft ist im weiteren Sin- 
ne das gesamte Vorstellungsleben des Menschen, wobei 
zwischen bloB reproduktiver oder Erinnerungsvorstel- 
lung und eigentlicher, produktiver Ph.-Vorstellung 
unterschieden wird. Wahrend die erstere einmal Wahr- 
genommenes mehr oder minder getreu (niemals streng 
abbildlich) wiederholt oder wieder hervorbringt, ge- 
langt die letztere zu schopferischen Neubildungen, so 
gewifi diese ebenfalls grundsatzlich ein einmal Wahr- 
genommenes voraussetzen. Schon Christian Wolff 
faBte beides - die reproduktive und die produktive 
Vorstellung - unter dem Begriff »Phantasma« zusam- 
men, und Goethe forderte gegen Tetens und Kant, ne- 
ben den angenommenen drei Grundvermogen der See- 
le (Denken, Fiihlen, Wollen) die Ph. als ein viertes an- 
zuerkennen. Die Empiristen bestritten und bestreiten 
bis heute, daB es im strengen Sinne Neuschopfungen 
der Ph. geben konne, die iiber eine neuartige Kombi- 
nation oder Umgruppierung des durch die Sinne Er- 
fahrenen hinausgehen. Indes lehrt gerade die denkeri- 
sche, logische und zumal mathematische Ph., erst recht 
naturlich die kunstlerische, daB dieser Vorbehalt zum 
mindesten in Extremf alien nicht stichhalt und auf einem 
elementen- und assoziationspsychologischen Vorurteil 
beruht. Z. B. die konstruktive Vorstellung des Mathe- 
matikers von mehr als dreidimensionalen Raumen und 
dergleichen ist aus anschaulichen Raumvorstellungen, 
wie sie aus der sinnlichen Erfahrung gewonnen sind, 
allein nicht abzuleiten. Ein Gleiches gilt in gesteigertem 



MaBe in den Kiinsten, und hier ganz besonders in der 
Musik. Derm diese lehnt sich iiberhaupt nur in Aus- 
nahmefallen an Vorbilder aus der Wirklichkeit der 
Natur- und Sinnenwelt an, namlich in der -> Tonma- 
lerei und -> Programmusik; als -> Absolute Musik je- 
doch verfolgt sie nicht das Ziel, sinnliche Erfahrung zu 
verwerten und zu kombinieren. In Schopenhauers Mu- 
sikphilosophie wird dies auf die Formel gebracht, daB 
die Musik als einzige unter den Kiinsten das Reich der 
Ideen, d. h. der Anschauung im weiteren Sinn, iiber- 
springt und unmittelbar das Wesen der Welt, den »Wil- 
len«, ausdriickt oder ausspricht. 
Die kunstlerische Ph. ist hiernach die freie oder auch 
mehr oder minder gelenkte erfinderische Vorstellung, 
die auch die Ph. des Alltagslebens aus- und kennzeich- 
net; dabei ist ein spielerischer Zug nicht selten. Die Ph. 
induziert und steuert alle kiinstlerischen Leistungen, in 
gewissem MaBe auch die Rezeption des Kunstwerks, 
die von den Ph.-Erwartungen des Horers oder Betrach- 
ters mit getragen wird, wodurch Ausdruck zum Ein- 
druck wird. Schon hier bedarf es der »Einf iihlung« (nach 
Fr. Th. Vischer, Th.Lipps u. a.) und der Leitgefuhle 
sowie einer »Gefuhlsfuhrung« (nach A.Wellek 1939 
und 1963), die nicht allein eine Leistung des Gefiihls, 
sondern eben des phantasievollen Nachvollzugs ist. 
Noch mehr und in pragnanterer Weise gilt ein Gleiches 
fur die kunstlerische Nachgestaltung, zumal fiir das In- 
strumentenspiel und Dirigieren, dessen aufs feinste ab- 
gestimmte Bewegungsvollziige ohne eine spezifische 
Bewegungs-Ph. und zugehorige Gefuhlssteuerung 
nicht moglich waren. Die Krone der Ph.-Leistung ist 
freilich die eigenschopferische Erfindung und Neuge- 
staltung. Auf hoherem gestalterischem Niveau wird 
die Ph. in diesem Sinne als schopferisch bezeichnet und 
als die eigentliche Grundlage der Genialitat angesehen. 
Hier stellt sich das Problem, daB die kunstlerische Ph. 
zugleich unwillkurlich und »teleologisch« (ziel- und 
zweckgerichtet) sein kann. Das gilt im besonderen auch 
von Einfall und Eingebung, kiinstlerischer Inspiration 
und Intuition. Um diese Begriffe entstand zumal zwi- 
schen den Verfechtern einer romantischen und spatro- 
mantischen Kunstauffassung und denjenigen einer 
»neuen Sachlichkeit« ein viel beredeter Streit. In den 
seinerzeit aufsehenerregenden Polemiken zwischen 
Pfitzner und P.Bekker (und spater J. Bahle) zeigte sich 
die Gefahr, daB durch eine gegeniiber der landlaufigen 
Auffassung andere Auslegung des Begriffs der »Arbeit« 
an denen vorbeigeredet wird, die die »Inspiration« ge- 
gen die » Arbeit« hochhalten. Gemeint ist doch offenbar, 
daB »Arbeit« in hohem MaBe erst das Konnen sicher- 
stellt, d. h. den Boden schafft, aus dem der Ph.-Einfall 
in kiinstlerisch gestalteter oder gestaltbarer Form er- 
wachst. Diese vorstrukturierendeBedeutung der Arbeit 
kann auch von jenen nicht geleugnet werden, die im 
konkreten Schaffen von einer »Eingebung«, d. h. von 
einem nicht bewuBt erarbeiteten »Einf all « ausgehen oder 
auszugehen glauben. Zweifellos gibt es hier sehr be- 
trachtliche personale Verschiedenheiten, auch z. B. 
Verschiedenheiten der Werkgattung. Eine »Improvi- 
sation«, eben eine musikalische »Ph.« (-> Fantasie), ein 
Lied, ein Epigramm oder dergleichen kann groBenteils 
auch »ganz« gleichsam »vom Himmel gefallen« kom- 
men und wenig bewuBte Arbeit erfordem; nicht so 
eine Symphonie oder Oper. Diesen verwickelten Ver- 
haltnissen wird man nicht gerecht, wenn man mit Bahle 
im Hinblick auf das musikalische Schaffen einfach ei- 
nen »Inspirationstyp« mit einem »Arbeitstyp« konfron- 
tiert. Zum mindesten die eigentlich romantischen Va- 
rianten werden hier iibersehen, iiberhaupt diejenige 
Form des Kunstlertums, fiir die der Schaffensakt gar 
nichts irgendwie Beschauliches und Uberlegtes hat, 



724 



Phon 



sondern als ein Leiden oder Befallensein erlebt wird 
oder als eine Depersonalisation vor einem Transindivi- 
duellen (A. Wellek 1963). Andererseits kann der Kiinst- 
ler ebenso wie der Philosoph oder Mathematiker sehr 
wohl audi bewuBt, ja methodisch auf den Einfall hin- 
arbeiten, ihn suchen, ja beschworen, wenn er etwa an 
einem »Problem«, sei es ein theoretisches oder ein kunst- 
lerisch-gestalterisches, »arbeitet«, mit dem Problem 
»ringt«, es knetet, aufbereitet und schlieBlich (im giin- 
stigen Falle) im plotzlich aufleuchtenden »Gedanken- 
blitz«oderPh.-Einfallbezwingt(A.Wellekl966). 
Nicht mit der eigentlichen gestaltungskraftigen Ph., die 
auch als »Bildkraft« bezeichnet wird, zu verwechseln 
ist Phantastik. Auf sie ist das Xenion von Goethe- 
Schiller gemiinzt, wenn es zwar »Ph.« betitelt ist, aber 
sagt: Schaffen wohl kann sie den Stqff, dock die wilde[\] 
kann nicht gestalten . . . Der Unterschied zwischen ei- 
gentlicher Ph. (Bildkraft) und Phantastik wird zuwei- 
len darin gesucht, daB in letzterer das BewuBtsein der 
Irrealitat der vorgestellten Gebilde verlorengeht. Das 
ist nicht notwendig der Fall: auch eine phantastische 
Vorstellung kann der Phantasierende als »phantastisch«, 
d. h. als wirklichkeitswidrig beurteilen, so etwa Berlioz 
im Programm seiner ausdriicklich so betitelten Sym- 
pkonie fantastique. AuBer in diesen programmusikali- 
schen Zusammenhangen ist jedoch der Wirklichkeits- 
bezug fiir die musikalische Ph. irrelevant. Phantastik 
ist, im Gegensatz zu Bildkraft, vital aber untief, ange- 
trieben, dranghaft, daher traumhaft, sprunghaft, ver- 
worren, wild (wie im Xenion), zerblasen. Als phanta- 
stisch kann die musikalische Ph. eines Berlioz von der 
Sache her gelten, mehr noch die moderner Autoren 
wie zuweilen Schonberg oder A. Berg. Typologisch 
zahlt Wellek die musikalische, ebenso wie die lyrische 
Ph. zur introvertierten Auspragungsform im Sinne der 
»Ausdruckskraft«, auf dem Gegenpol zur Darstellungs- 
Ph. in Tanz- und Schauspielkunst. 
Die im AnschluB an Hanslick zuweilen vorgetragene 
Meinung, daB nicht das Gefiihl, sondern die Ph. »die 
asthetische Instanz« der Musik als Kunst sei, setzt eine 
inzwischen uberholte Vorstellung vom Wesen der Ge- 
fiihle und der Ph. voraus, die beide nicht nur nicht un- 
vereinbar, sondern, wie oben angegeben, ineinander 
verwoben sind, wobei das Gefiihl die Ph. f undiert, nicht 
umgekehrt. Eine richtige (weite) Fassung des Gefiihls- 
begriffs vorausgesetzt, die »Kopfgefuhle« (nach Klages) 
mit einschlieBt, gilt das auch von der schon von Goethe 
angenommenen »exakten« Ph., die auch als konstruk- 
tive Ph. auftreten kann und sowohl in den Wissen- 
schaften wie auch in den Kiinsten ihren Ort hat, in der 
Musik iiberall dort, wo das ausdrucksasthetische Kon- 
zept verlassen, der reine Artismus, Formalismus und 
eben Konstruktivismus auf die Fahne geschrieben wird. 
Als »H6hen-Ph.« bezeichnet J. Volkelt (1905) die sich 
aufsckwingende, von der Wirklickkeit loslosende Ph. als Be- 
gleiterin der nackbildenden Pk. und sieht in dieser Hohen- 
Ph. die Bedingung der asthetischen Einfiihlung. In der 
Musik, die mit den erwahnten Ausnahmen der Wirk- 
lichkeit insgesamt entriickt ist, ist solche H6hen-Ph. 
auch dann am Werk, wenn sie den Weg der konstruk- 
tiven Ph. einschlagt. 

Lit.: Th. Lipps, Asthetik, 2 Bde, Hbg u. Lpz. 1903-06, I 
31923; J. Volkelt, System d. Asthetik, 3 Bde, Munchen 
1905-14, 21925-27; H. Riemann, Spontane Phantasieta- 
tigkeit u. verstandesmafiige Arbeit in d. tonkiinstlerischen 
Produktion, JbP XVI, 1909; J. Bahle, Der mus. Schaffens- 
prozeB, Lpz. 1936, Neudruck Konstanz 1947; L. Klages, 
Grundlegung d. Wiss. v. Ausdruck, Lpz. 1936, 7 1950; A. 
Wellek, Gefiihl u.. Kunst, Neue Psychologische Studien 
XIV, 1939; ders., Musikpsychologie u. Musikasthetik, 
Ffm. 1963; ders., Die Polaritat im Aufbau d. Charakters. 
System d. Konkreten Charakterkunde, Bern u. Munchen 



1950, '1966; R. Wellek, A Hist, of Modern Criticism, 4 
Bde, New Haven (Conn.) 1955-65, Bd I als: Gesch. d. Li- 
teraturkritik, Darmstadt (1959). AW 

Phase (griech., Stufe oder Abschnitt einer Entwick- 
lung), in der Schwingungs- und Wellenlehre jene Zeit 
(Bruchteil der Periode), in der ein bestimmter Schwin- 
gungszustand (Elongation bzw. Schnelle) erreicht 
wird. Sie charakterisiert den Schwingungszustand einer 
-*■ Welle an einem bestimmten Ort bzw. den einer 
-> Schwingung zu einer bestimmten Zeit. Die Ph.n- 
Differenz gibt den Unterschied an (in Winkelgraden), 
um den 2 Schwingungszustande gegeneinander ver- 
schoben sind. Sie bestimmt die Art der -» Interferenz, 
d. h. die Form der resultierenden Schwingung. Die 




Uberlagerung von Grund- und Oktavschwingung 
mit einer Phasendifferenz von 0° bzw. 270°. 
Ph.n-Lage von Teilschwingungen hat groBe Bedeu- 
tung fiir das Zustandekommen der -> Residualton- 
hohe; auch das Richtungshoren wird durch die an bei- 
denOhrenauftretendenPh.n-Differenzenmitbestimmt. 
Bei Schwingungen ungleicher, aber dicht benachbar- 
ter Frequenz entstehen durch quasi standig sich veran- 
dernde Ph.n-Differenzen periodische Interferenzen, 
-> Schwebungen genannt. 

Philadelphia (Pennsylvania, USA). 
Lit. : R. R. Drummond, Early German Music in Ph., NY 
1910 ; A. A. Parker, Church Music and Mus. Life in Penn- 
sylvania in the 18 th Cent., 3 Bde, Ph. 1926-47; Th. C. Pol- 
lock, The Ph. Theatre in 18 th Cent., London u. Ph. 1933 ; 
A. H. Wilson, A Hist, of the Ph. Theatre 1835 to 1855, Ph. 
1935 ; R. A. Gerson, Music in Ph., Ph. 1940. 

Philippinen. 

Lit.: A. Schadenbero, Musik-Instr. d. Ph.-Stamme, Zs. f. 
Ethnologie XVIII, 1886; M. Walls y Merino, La musica 
popular de Filipinas, Madrid 1892; R. Banas y Castillo, 
The Music and Theatre of the Philipino People, Manila 
1924; N. Romualdez, Filipino Mus. Instr. and Airs of 
Long Ago, in: Encyclopedia of the Philippines, hrsg. v. Z. 
M. Galang, Bd IV, Manila 1935; S. Wolf, Zum Problem 
d. Nasenflote, Abh. Volkerkunde-Museum Dresden, N. F. 
1, 1941 ; M. Schneider, Musica en las Philipinas, AM VI, 
1951; J. Maceda, Philippine Music and Contemporary 
Aesthetics, in: H. Passin, Cultural Freedom in Asia, Rut- 
land (Vt.) 1956; ders., Chants from Sagada Mountain 
Province Philippines, Ethnomusicology II, 1958; Fr. San- 
tiago, The Development of Music in the Philippine Islands, 
Quezon City 1957. 

Phon -> Lautstarke. 



725 



Phonascus 



Phonascus (lat., von griech. <p<ovaax6i;, Gesangleh- 
rer), im Rom der Kaiserzeit ein Fachmann auf dem 
Gebiet der Stimmbildung, in der friihchristlichen Kir- 
che der auch -»- Praecentor genannte Vorsanger. Gla- 
reanus (1547, II, cap. XXXVIII) nennt Ph. denErfinder 
einer Melodie (tenor, thema, vox oder cantus simplex, 
z. B. Pange lingua), im Unterschied zum ->• Sympho- 
neta. Er achtet den Ph. keineswegs geringer als den 
Symphoneta, zumal die Erfindung des Tenors dem 
Hinzufiigen von Stimmen (z. B. in einer Messe) vor- 
ausgeht. Der Titel Ph. wird auch von einem Music- 
Directore und Capellmeister manchmahl gebraucht (Wal- 
therL) ; z. B. werden Gaffori als Leiter der Kantorei am 
Mailander Dom (Theorka musicae, 1492, Widmung), 
Guerrero als Kapellmeister in Sevilla (im Messendruck 
von Du Chemin, Paris 1566) und Baryphonus als Kan- 
tor der Quedlinburger Stadtkirche (Praetorius Synt. 
Ill, Vorrede) Ph. genannt. In dieser Bedeutung tritt die 
Bezeichnung Ph. noch 1742 und 1750 in Antwerpen 
auf (RBM VIII, 1954, S. 327). 

Phonetik (Lautlehre; von griech. <p<ovY), Laut), ein 
Wissensgebiet, das sich seit dem spaten 19. Jh. als eige- 
ne Disziplin entwickelte, herausgewachsen und seither 
in steter Wechselbeziehung stehend zu einzelnen Ge- 
bieten der Physik, Medizin, Psychologie, Sprachwis- 
senschaft (Linguistik) sowie zu Bereichen der Praxis 
(Singen) und Theorie der Musik. Die Experimental- 
Ph. gibt durch die Erforschung des Phonationsvor- 
gangs die wissenschaf tlichen Grundlagen zur Regelung 
und Transkription der -* Aussprache und zur Praxis 
der -»- Stimmbildung und -hygiene. Vorlaufer der ex- 
perimentellen Ph. waren W. v. Kempelen und Chr. Th. 
Kratzenstein (um 1760-80) mit ihren Versuchen, mit 
Hilfe einer Sprechmaschine das Sprechen kiinstlich 
nachzuahmen, gestutzt auf Kenntnisse der Musikin- 
strumente und der -> Mechanischen Musikwerke. Seit 
der Erfindung des Laryngoskops (Kehlkopfspiegels) 
durch den Gesanglehrer M. -»■ Garcia (nach 1855) trat 
die Untersuchung der Anatomie und Physiologie der 
->■ Stimme (- 2) in den Vordergrund, gegen Ende des 

19. Jh. diejenige der Akustik des Sprechens (H. v. Helm- 
holtz, Stumpf). Neue Methoden der Untersuchung 
und Synthetisierung des Sprachklangs ergaben sich im 

20. Jh. durch den Einsatz elektrischer Apparaturen 
(->■ Visible Speech, -»- Voder). Mit ihnen lassen sich 
auch groBere Zusammenhange des Sprechaktes wie 
Tempo, Dynamik, Farbung sowie die Sprechmelodie 
exakt erfassen. Beobachtungen iiber Sprechmelodie lie- 
gen seit dem spaten 18. Jh. vor (Steele 1775); sie sind 
durch die zeitgenossische Problematik der Deklama- 
tion angeregt, ebenso wie die spateren Theorien von 
Ausdruckshaltung und Typenauspragung beim Spre- 
chen und Singen (Schallanalyse von E. -»■ Sievers und 
O. ->■ Rutz, auf Bereiche der Musik iibertragen von 
G. Becking und W.Danckert; -*■ Typenlehre) und die 
Analyse von Musik und Sprache mit Hilfe der -*■ In- 
formationstheorie. 

Lit. : J. Steele, An Essay Towards Establishing the Melody 
and Measure of Speech to be Expressed and Perpetuated 
by Peculiar Symbols, London 1775, dazu P. Martens in: 
Sprechmelodie als Ausdrucksgestaltung, = Hamburger 
Phonetische Beitr. I, Hbg 1952; Chr. G. Kratzenstein in : 
Acta Acad. Petropolitanae pro anno 1780; W. v. Kempe- 
len, Mechanismus d. menschlichen Sprache nebst d. Be- 
schreibung seiner sprechenden Maschine, Wien 1791 (auch 
frz.); M. GARcfA, Memoire sur la voix humaine, Paris 1 840, 
21904, deutsch Wien 1878; L. Kohler, Die Melodie d. 
Sprache, Lpz. 1853; E. Sievers, Grundziige d. Ph., Lpz. 
1876, 51901; ders., Rhythmisch-melodische Studien, 
= Germanische Bibl. II, 5, Heidelberg 1912; F. Krue- 
oer, Beziehungen d. experimentellen Ph. zur Psycholo- 
gie, Lpz. 1907; R. Lach, Das Phonationsproblem in d. 



vergleichenden Mw., Wiener Medizinische Wochenschrift 
LXX, 1920; ders., Das Problem d. Sprachmelos, ebenda 
LXXII, 1922; ders., Mg. im Lichted. Ph., ebenda LXXIII, 
1923; ders., Sprach- u. Gesangsmelos im Engl., Fs. K. 
Luick, Wien 1925; R. Scharnke, Die Entwicklung d. 
Sprechmaschine, Magdeburg 1 923; C. Stumpf, Die Sprach- 
laute, Bin 1926; G. Panconcelli-Calzia, Quellenatlas 
zur Gesch. d. Ph., Hbg 1940; ders., Geschichtszahlen d. 
Ph., Hbg 1941; Sprechmelodie als Ausdrucksgestaltung, 
= Hamburger Phonetische Beitr. I, hrsg. v. O. v. Essen, 
Hbg 1952; ders., Allgemeine u. angewandte Ph., Bin 
1953, 41966; H.-H. Wangler, GrundriB einer Ph..d. Deut- 
schen, Marburg 1960. - Zs.: Vox, Internationales Zentral- 
blatt f. experimentelle Ph., Bin I, 1891 - XXXII, 1922 (ab 
1912 als: Medizinisch-padagogische Monatsschrift f. d. 
gesamte Sprachheilkunde) ; Vox (Mitt. d. phonetischen 
Labors d. Univ. Hbg), Hbg I, 1925 - XXII, 1936, fortge- 
setzt als : Arch. f. vergleichende Ph. ; Arch, f . d. gesamte Ph. 
(I. Abt.: Arch. f. vergleichende Ph.; II. Abt. : Arch. f. 
Sprach- u. Stimmphysiologie u. Sprach- u. Stimmheilkun- 
de), Bin I, 1937ff. 

Phonogrammarchiv, von C. Stumpf 1900 in Berlin 
begonnene, von O.Abraham und E.M.v.Hornbostel 
weitergefiihrte Sammlung phonographischer Aufnah- 
men der Musik auBereuropaischer Kulturen. Dieses 
Archiv wurde die Zentralstelle der Forschungen zur 
Musikethnologie. 1934 dem Berliner Museum fur 
Volkerkunde angegliedert und im 2. Weltkrieg zu 
90% zerstort, wird es seit 1951 von K.Reinhard neu 
aufgebaut und geleitet. Weitere derartige Archive be- 
stehen in Wien (Ph. der Akademie der Wissenschaf- 
ten), in Paris (Musee de l'Homme), Budapest, Lenin- 
grad und in den USA (Library of Congress in Wash- 
ington, Columbia University in New York). Ph.e wer- 
den heute verstanden als eine Sonderform der -»• Pho- 
nothek. 

Lit. : E. M. v. Hornbostel, Das Berliner Ph., Zs. f . verglei- 
chende Mw. 1, 1933 ; M. Schneider, Theoretisches u. Prak- 
tisches zur »Katalogisierung d. Ph.«, AfMf I, 1936; G. 
Schunemann, Die Ph. in Bukarest u. Zagreb, ebenda; K. 
Reinhard, Das Berliner Phonogramm-Arch., Mf VI, 1953; 
ders. in: Baessler-Arch., N. F. IX (= Bd XXXIV), 1961, 
S. 83-94; W. Graf, Das Ph. d. Osterreichischen Akad. d. 
Wiss., in : Musikerziehung XII, 1959 ; J. Kunst, Ethnomu- 
sicology, Den Haag 3 1959. 

Phonograph-*- Schallaufzeichnung. 

Phonola -*■ Mechanische Musikwerke. 

Phonothek (engl. record library), Bezeichnung fur 
eine Sammlung von Tontragern, die nicht nur Schall- 
platten (Diskothek), sondern auch Tonbander, Walzen 
und Folien (-»■ Schallplatte) umfaBt. Rundfunk-Ph.en 
(1929 Griindung des Schallarchivs der Reichs-Rund- 
funk-Gesellschaft in Berlin, seit 1952 in Frankfurt am 
Main als Lautarchiv des deutschen Rundfunks, 1963 
umbenannt in Deutsches Rundfunkarchiv), Ph.en an 
Universitaten und Forschungsinstituten (Deutsches 
Volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau, Institut fiir 
Lautforschung Berlin) sowie Ph.en als besondere Ab- 
teilungen von musikwissenschaftlichen Bibliotheken 
und offentlichen Musikbiichereien sind von groBer 
dokumentarischer und wissenschaftlicher Bedeutung. 
Ein Vorlaufer der heutigen Ph. ist das -»■ Phonogramm- 
archiv. Zentrale Ph.en, die die gesamte nationale Schall- 
plattenproduktion und andere wertvolle Schallaufnah- 
men erfassen, sind in Paris die Phonotheque Nationale, 
in Rom die Discoteca di Stato, in London das British 
Institute of Recorded Sound, in Briissel die Disco- 
theque Nationale de Belgique, in Stockholm die Natio- 
nal-Fonothek, in Couvet (Kanton Neufchatel) die 
Phonotheque Nationale Suisse und in Washington ei- 
ne Abteilung der Library of Congress. Deutschland 
besitzt seit 1961 als ahnliche Einrichtung die Deutsche 
Musik-Ph. in Berlin. Innerhalb der Internationalen 



726 



Phrasierung 



Vereinigung der Musikbibliotheken (AIBM) bemiiht 
sich die 1953 gegriindete Arbeitsgruppe Internationale 
Kommission der Tontragerarchive um die Organisa- 
tion des Ph.-Wesens und die Aufstellung einer inter- 
nationalen Bibliographic von Tonaufnahmen als einer 
Teilaufgabe der -> Dokumentation (->■ Diskographie). 
Lit.: A. Schaeffner, Les taches scientifiques et pedago- 
giques des phonotheques mus., Fontes artis musicae III, 
1956; P. Saul, The British .Inst, of Recorded Sound, eben- 
da; Code for Cataloguing Music and Phonorecords, hrsg. 
v. d. Music Library Association u. d. American Library 
Association, Chicago 1958; Recensement international 
provisoire des phonotheques et discotheques, hrsg. v. d. 
Commission internationale des phonotheques, Fontes artis 
musicae VI, 1959 (Weltverz. d. Ph.); A. G. Pickett u. M. 
M. Lemcoe, Preservation and Storage of Sound Record- 
ings, Washington 1959; K.-H. Kohler, Zur Problematik 
d. Schallplatten-Katalogisierung, in : Music, Libraries and 
Inst., = Hinrichsen's 1 1 "> Music Book 1961 ; K. Reinhard, 
Probleme u. Erfahrungen in einem musik-ethnologischen 
Schallarch., ebenda; R. Schaal, Aufbau, Einrichtung 
u. Verwaltung einer Deutschen Ph., Instrumentenbau-Zs. 
XV, 1961 ; G. Soffke, Anlage u. Verwaltung v. Schallplat- 
tenslgen in wiss. Bibl., = Veroff. d. Bibliothekar-Lehrinst. 
d. Landes Nordrhein-Westfalen XIX, Koln 1961 ; Report 
on the Preservation of Authentic Folk Music . . . , Journal 
of the International Folk Music Council XIII, 1961; J. 
Chailley u. a., Le catalogage des documents ethnomusico- 
logiques sonores . . . de l'Inst. de musicologic de Paris, 
Fontes artis musicae IX, 1962; M. Prokopowicz, Le cat. 
des documents sonores, ebenda X, 1963 ; Gramophone Re- 
cord Libraries, Their Organization and Practice, hrsg. v. 
H. J. C. Curall, London 1963 ; Mitt. d. Deutschen Musik- 
Ph., Bin, H. 1, 1965; H. Schermaix, Die deutsche Musik- 
Ph., Musica XXI, 1967. 

Phorbeia (griech., Halfter), in der Antike die beim 

Spielen des Doppelaulos (-> Aulos) haufig als Hilfe be- 

nutzte lederne Mundbinde (wohl ausnahmsweise auch 

beim Spielen der -> Salpinx); seit etwa 700 v. Chr. 

nachgewiesen. 

Lit.: M. Wegner, Artikel Ph., in: Pauly-Wissowa RE 

XXXIX, 1941. 

Phorminx (griech. 96pu.iyl;),zurFamilieder-»-Leier 
gehoriges altgriechisches Zupfinstrument, das seit Ho- 
mer namentlich genannt wird und auf Abbildungen 
seit dem 9. Jh. v. Chr. vor- 
kommt. Der Schallkorper wird 
meist sichel- oder annahernd 
halbkreisformig dargestellt. Die 
zwei geraden oder gebogenen 
Arme sind oben dutch ein Joch 
gekoppelt, von dem aus die Sai- 
ten (3-4, gelegentlich 5) zum 
Schallkorper laufen. Seit dem 
6. Jh. v. Chr. scheint die Ph. 
durch -*■ Kithara und -*■ Ly- 
ra (- 1), von denen sie dem Namen nach nicht immer 
scharf unterschieden wurde, allmahlich verdrangt wor- 
den zu sein; der Name Ph. verschwand im 5. Jh. v. 
Chr. Das Instrument konnte mit oder ohne ->• Plektron 
gespielt werden. Bruchstiicke von Elfenbeinoriginalen 
wurden in Menidi und Mykenae gefunden. 
Lit.: M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949; 
Fr. Behn, Musikleben im Altertum u. friihen MA, Stutt- 
gart 1954; B. Aign, Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen 
Raumes bis um 700 v. Chr., Diss. Ffm. 1963. 

Photogrammarchiv ->- Autograph. 

Phrasierung umfaBt analysierendes Aufsuchen, mit- 
teilendes Bezeichnen und interpretierendes Verdeutli- 
chen musikalischer Sinnglieder. Als Ergebnis dieser un- 
trennbaren Einzelvorgange kann die Phr. sowohl in. 
analytischer Auseinandersetzung mit der Komposition 
entstehen als auch bei dem die Sinnglieder iiberwie- 




gend intuitiv erfassenden und gleichzeitig zusammen- 
f assend darstellenden musikalischen Vortrag. Beide Ver- 
fahrensweisen zielen auf musikalische Interpretation, 
die eine Synthese rationaler und kiinstlerisch-astheti- 
scher Entscheidungen erf ordert. Wahrend das Ergebnis 
einer auf Phr. gerichteten Analyse schriftlich oder gra- 
phisch (in Form von Phr.s-Bezeichnungen) niederge- 
legt wird, kann eine allein im Erklingen realisierte Sinn- 
gliederung nur als individuelle Auffassung eines Inter- 
preten greifbar werden. - Die Phr. wurde als Lehre von 
H. -> Riemann systematisch vor allem im Hinblick auf 
padagogische Unterweisung im Klavierspiel und in der 
Komposition entwickelt. Dabei lag der Schwerpunkt 
iiberwiegend in der analytisch-rationalen Auseinander- 
setzung, in der Feststellung der Phrasengrenzen und der 
Isolierung einzelner Sinnglieder. Heute sind wissen- 
schaftliche Erorterungen iiber Phr. selten. Das Aufsu- 
chen der richtigen Phr. wird meist dem subjektiven 
Einf uhlungsvermogen des ausubenden Kiinstlers iiber- 
lassen, w5hrend sich die Musikwissenschaft weithin 
darauf beschrankt, von alien Zusatzen freie Urtextaus- 
gaben bereitzustellen. Indessen ist das Problem der Phr. 
heute ebenso aktuell wie zu Riemanns Zeit. Wenn auch 
berechtigte Einwande gegen viele Ergebnisse von Rie- 
manns Phr.s-Methode bestehen, wird gleichwohl jede 
wissenschaftliche und praktische Beschaftigung mit 
Problemen der Phr. und des musikalischen Vortrags 
sich mit den Leistungen Riemanns auf diesem Gebiet 
kritisch auseinandersetzen miissen. - Wesentliche Vor- 
aussetzung fur Riemanns Phr.s-Lehre war seine an J.J. 
de ->• Momigny ankniipfende, die Auftaktigkeit zum 
Prinzip erhebende Konzeption (->■ Auftakt, -»■ Me- 
trum - 3), durch die er einen standig auf den nachsten 
metrischen Schwerpunkt hinzielenden Vortrag errei- 
chen wollte. Damit wandte er sich gegen einen einsei- 
tig abtaktig akzentuierenden Vortragsstil, als dessen 
bedeutendste Exponenten er M. Hauptmann und H. v. 
Btilow ansah. Riemanns auftaktige Deutung aller mu- 
sikalischen Bildungen stieB auf starksten Widerspruch. 
Derm einerseits bedarf eine Vortragshaltung, die, auch 
bei abtaktigen Bildungen den jeweils nachsten Schwer- 
punkt ins Auge f assend, auf ihn hindrangt, keiner Recht- 
fertigung durch auftaktige Deutung der Komposition, 
andererseits ist die Auftakthypothese besonders dort 
problematisch, wo Auftakt und Abtakt - wie oft in 
der Musik der Wiener Klassik - bewufit einander kon- 
frontiert sind. 

Analysierendes Aufsuchen musikalischer Sinnglieder 
war fur Riemann gleichbedeutend mit ihrer Zuriick- 
f iihrung auf normative, rhy thmisch-metrische Modell- 
einheiten: Die Glieder, aus welchen musikalische Gedan- 
ken bestehen, sind: a) Taktmotive, d. h. Gebilde, die nur 
eine schwere Zahlzeit enthalten (mit oder ohne vorausge- 
hende und nachfolgende leichte) und die ihren Schwerpunkt 
in dieser schweren Zahlzeit finden; b) Taktgruppen von 
zwei solchen zur Einheit zusammengefafiten Taktmotiven, 
deren Schwerpunkt der schwere Takt bildet;c)Halb sat ze 
von vier Taktmotiven, deren Schwerpunkt der schwere Takt 
der zweiten Gruppe ist; d) Perioden, aus Vordersatz und 
Nachsatz bestehend. . . . Dazu kommen noch als kleinste 
Bildungen die Unterteilungsmotive, deren Schwer- 
punkt nur eine Zahlzeit bildet, so dafi ihrer im Takt so viele 
moglich sind, als der Takt Zdhlzeiten enthalt. Phr as en 
nennt man nun diejenigen Taktmotive, Taktgruppen und 
Halbsatze, welche als selbstandige Glieder von Symmetrien 
einander gegenubergestellt . . . werden. Beim Beginn des Auf- 
baues musikalischer Themen sind meist die beiden ersten 
Phrasen nur Taktmotive, wahrend die weiter folgenden die 
doppelte,ja vierfache Ausdehnung (2 Takte, 4 Takte) an- 
nehmen (Musik-Lexikon, 8 1916). Ob die Sinnglieder in 
der Musik der Klassik (an der Riemanns System vor 



727 



Phrasierung 



allem orientiert ist) in jedem Falle aus solchen Modell- 
einheiten ableitbar sind, ist fraglich. So kann z. B. 
-> Symmetrie auch durch kompositorische Bildungen 
ungerader Taktzahl entstehen, die sich nicht auf ge- 
radzahlige zuriiekfiihren lassen, und es kann der Kom- 
position iiberhaupt ein anderes Bauprinzip als das der 
-»- Periode zugrunde liegen. 

Die genaue Abgrenzung der Phrasen gegeneinander sowie 
ihre innere Gliederung, d. h. die Bestimmung der Grenzen 
der Taktmotive und Unterteilungsmotive stofSt oftmals auf 
erhebliche Schwierigkeiten, weil nur selten die Meister die 
genaue Begrenzung auch der kleineren Gebilde angezeigt 
haben. Die wesentlichen Anhaltspunkte fiir die Motivbe- 
grenzungen sind folgende: 1) Langen auf dem schweren 
Taktteil (jeder Ordnung) wirken als Ende, wenn nicht har- 
monische Verhaltnisse die Auffassung in diesem Sinne un- 
mbglich machen (Musik-Lexikon, 8 1916), d. h., wenn 
nicht Weibliche Endung vorliegt (vgl. 5). Die Lange 
erweist sich im Gegensatz zu vorausgegangenen Kiirzen 
als . . . Stillstand, als ein Ende; . . . auch eine ein Thema 
beginnende Lange macht in gleicher Weise einen Ein- 
schnitt (Vademecum, 1900, S. 25) : 



Beethoven, Sonate op. 49 Nr 2, 
2. Satz, Tempo di Menuetto. 




Beethoven, Symphonie Nr 1 op. 21, 

1. Satz, Takt 13ff., Allegro con brio. 

Zweifelhaft wird die Anwendung dieser These jedoch 

u. a. bei dem im Vademecum (1900, S. 26) gegebenen 

Beispiel : 

n 




W.A.Mozart, Sonate C dur, K.-V. 545, 
1. Satz, Allegro. 
2) Pausen nach der auf den schweren Taktteil fallenden 
Note wirken ebenfalls, ja in hoherem Grade gliedernd . . . 
(Musik-Lexikon, 8 1916). Pausen auf dem leichten Takt- 
teil interpretiert Riemann zuweilen als zwischen Auf takt 
und Phrasenschwerpunkt eingeschaltete »Innenpausen« 
(z. B. 1918, S. 231ff. ; Original im 6/8-Takt) : 




Beethoven, Sonate op. 7, 
1. Satz, Allegro molto e con brio. 
Ahnlich faBt Riemann auch das Thema des 2. Satzes 
(Largo) derselben Sonate auftaktig auf: 




Auch hier gilt es wieder den stbrrischen Phantasus iiber die 
Hinderttisse der Innenpausen hiniiberzubringen. Andern- 
falls zerbrockelt das Kopfthema in zusammenhangslose 
Fetzen. Gerade so wie im Adagio von op. 2 111 kommt alles 
darauf an, die volltaktige Leseweise zu vermeiden und die 
beiden ersten Takte zu einer einheitlichen Phrase zu verbin- 
den, hier also durch Hiniiberbeziehung der zweiten Notefi 
als Auftakt zum zweiten Taktmotiv (1918, S. 249; vgl. 
1884, S. 147fL, und Vademecum, 1900, S. 66ff.). 
3) Alle Figuration hat zundchst und vor allem den Sinn, 
von einem Schwerpunkt (jeder Ordnung) zum ndchsten 
(derselben Ordnung) hinuberzufuhren, d. h. veranlafit neue 



Anfange, Auftaktbildungen (Musik-Lexikon, 81916). Die- 
se Regel, die von Riemann auch auf die -> Sequenz (- 2) 
angewendet wird (1884, S. 190f.), fiihrt dort zu MiB- 
deutungen, wo der Figuration Diminution zugrunde 
liegt. Im folgenden Beispiel sind die Sechzehntel nicht 
nur auftaktige Uberleitung, sondern zugleich Dimi- 
nution einer Weiblichen Endung, die der Nachsatz in 
nicht ornamentierter, abschlie- _rt ^-. ' 



Bender Fassung zeigt: 




Mozart, Sonate G dur, K.-V. 283, 

2. Satz, Andante. 

Riemanns Phr. dieser Stelle (Vademecum, 1900, S. 56) 

versucht die Sechzehntelkette in Weibliche Endung 

und auftaktige Figuration zu zerlegen : 




Ausnahmen hinsichtlich der Auftaktigkeit der Figura- 
tion ergeben sich durch Unterbrechungen des melodi- 
schen Anschlusses (vgl. 6). 

4) Anfange mit der schweren Zeit (jeder Ordnung) 
sind mbglich und wiederholen sich haufig bei Bildungen, die 
zueinander in Symmetrie treten (Phrasen); fiir die Unter- 
gliederungen erwachst daraus aber keinerlei Abweichung 
von dem unter 3 aufgewiesenen Gesetz (Musik-Lexikon, 
8 1916), daB alle Figuration zum nachsten Schwerpunkt 
hinfiihrt. Die LosreiBung der ersten Note (vgl. vori- 
ges Beispiel) ist Riemann oft zum Vorwurf gemacht 
worden (u. a. von Fr.Kullak 1898, S. 56; vgl. Vademe- 
cum, 1900, S. 25f.). 

5) -*■ Weibliche Endung liegt da vor, wo a) die auf den 
Schwerpunkt folgende Note eine zum Abschlufi unentbehr- 
liche Dissonanzlosung bringt, b) der Komponist durch Pau- 
sen, spezielle dynamische Vorschriften (Anfangsakzent) 
oder andcre Hilfsmittel der Notierung (Balkenbrechung, 
Legatobogen, Diminuendozeichen) die Auffassung nach 
dieser Richtung bestimmt (Musik-Lexikon, 81916). Im 
Unterschied zu den oben (unter 3) zitierten Beispielen, 
wo er die auf den Schwerpunkt folgende Note auftak- 
tig deutete, obwohl zwischen ihr und dem darauffol- 
genden Schwerpunkt Pausen (»Innenpausen«) einge- 
schaltet sind, deutet Riemann auch Satzanfange als 
Weibliche Endungen (Vademecum, 1900, S. 29) : 



Beethoven, Symphonie Nr 7 op. 92, 
3. Satz (Scherzo), Presto, Anfang des Trios. 
6) Unterbrechungen des melodischen Anschlusses durch 
Spriinge, Anderung der Richtung oder durch Tonre- 
petition geben in vielen Fallen Anhaltspunkte fiir die 
Gliederung (vgL Vademecum, 1900, S. 30ff.). 
Die von Riemann gegebenen Regeln der Phr. konnen 
zwar oft wertvolle Hinweise fiir die Sinngliederung 
vermitteln, sind jedoch weder durchwegs anwendbar, 
noch erfassen sie vollstandig alle im Satz vorkommen- 
den rhythmisch-metrischen Probleme. Riemann selbst 
urteilte iiber seine Phr.s-Lehre: Unmoglich kann es das 
Ziel meincr Darstellung sein, iiberall zweifellose Entschei- 
dungen iiber die rechte Art der Phrasenbestimmung zu eru- 
iren ... Ich bezweckte aber vielmehr nur, das metrisch- 
rhythmische Auffassungsvermogen derart fortzuentwickeln, 
dafi ihm eine bestimmte Phrasirung Bediirfnissache wird 
. . . (1884, S. 263). 



728 



Phrasierung 



Fur das Bezeichnen der Phr. entwickelte Riemann, teil- 
weise in Zusammenarbeit mit C.Fuchs und aufbauend 
auf Versuchen und Vorschlagen von Fr. Couperin, J. 
A.P.Schulz, D.G.Turk, J. K.Eschmann, H.v.Bulow 
u. a. ein System von Phr.s-Bezeichnungen, das um 
1900 (im Vademecum der Phr.) voll ausgebildet erscheint. 
Die Phr.s-Bezeichnungen konnen mehrere Noten und 
Notengruppen zur Phrase zusammenfassen (Phr.s-Bo- 
gen; Crescendo- bzw. Diminuendovorschrift und 
-zeichen), die Trennungsstelle der Phrasen markieren 
(Lesezeichen; Balkenbrechung bei Achtelnoten oder 
kleineren Werten), die metrischen Verhaltnisse aufzei- 
gen (Kennzeichnung des metrischen Gewichts der Tak- 
te durch eingeklammerte Zahlen; Einsetzen neuer 
Taktstriche vor metrischen Schwerpunkten, die vom 
Taktschema abweichen) oder einzelne Noten durch 
-> Akzent (- 3) hervorheben (Agogischer Akzent — ; 
dynamischer Akzent > oder qf ). - Der Bogen als Mittel 
der Phr.s-Bezeichnung war von Riemann zunachst 
wegen der moglichen Verwechslung mit dem Halte- 
(Binde-)Bogen und dem Legatobogen abgelehnt wor- 
den (Musik-Lexikon, 1882). Doch bereits 1886 (Prak- 
tische Anleitung zum Phrasieren, S. 8f.) auBerten sich 
Riemann und C.Fuchs im entgegengesetzten Sinne: 
Die Anwendung des Bogens zur Bezeichnung des Legato- 
vortrags ist gdnzlich aufgegeben . . . Es ist aber angenom- 
tnen, dafi die unter demselben Bogen zusammengefajlten 
Noten legato gespielt werden sollen, sofern nicht staccato- 
Zeichen das Gegenteil verlangen . . . Der neue Zweck des 
Bogens ist nun, die Gliederung der musikalischen Gedanken 
. . . anzuzeigen. Die Einwande Biilows gegen die An- 
wendung des Bogens als Phr.s-Bezeichnung gaben den 
Anstofi, zeitweilig . . . nur da die Bogen anzuwenden, wo 
legato gemeint war . . . Der teilweise Verzicht auf die Bo- 
gen bedingte iibrigens keinen Unter schied als eine reichliche- 
re Heranziehung der iibrigen Mittel der Kenntlichmachung 
der Motivgrenzen. Da sich die Beschrdnkung als nicht 
zweckmafiig erwies, wurde sie bald wieder aufgegeben {Va- 
demecum, 1900, S. 2f.). Da ein Bezeichnen der Phr. 
ohne zusammenfassendes Zeichen nicht moglich ist, 
wurde nach Riemann (u. a. von H.Keller 1925) fast 

ausschliefilich die eckige Klammer i 1 angewendet 

(Riemann gebraucht Bogen und Klammer in gleicher 
Bedeutung nebeneinander im Vademecum, 1900; vgl. 
S. 52, 57 u. 6. ; -> Bogen - 1). In eine Spitze zusammen- 
lauf ende Bogen: ^^ (BogenanschluB) setzte Rie- 
mann als Zeichen des fortgehenden Legatospiels iiber 
die Phrasengrenze hinweg. Eine Kreuzung zweier Phr. s- 

Bogen: x deutet an, daB Anfang und Ende 

zweier Phrasen ineinanderlaufen (-*■ Verschrankung). 
Als Abbrechen der Phrase vor dem Ende und nochma- 
liges Ausholen zu neuem Schlusse interpretiert Rie- 
mann zahlreiche Stellen, vor allem bei Mozart, und 
zeigt sie an durch Wegschneiden des Bogenendes (Va- 
demecum, 1900, S. 2) : 




(8=5) (61 

W.A.Mozart, Sonate C dur, K.-V. 309, 

1. Satz, Allegro con spirito, Takt 17/18. 

Ein -*■ AnschluB-Motiv wird durch zwei sich iiberla- 

gernde Bogen bezeichnet (Praktische Anleitung zum 

Phrasieren, Anhang in 21890, S. 100) : 




Auch die Crescendo- und Diminuendovorschrift bzw. 
die Zeichen -==c und ^=— erhielten in Riemanns Sy- 
stem den Sinn einer zusammenfassenden Phr.s-Bezeich- 
nung. Die auf den jeweiligen Schwerpunkt ausgerich- 

tete Dynamik der Taktmotive J I J, J I J J, \\ J J 

sowie der Taktgruppen, Halbsatze und Perioden ord- 
net sich einer einheitlichen Dynamik der Phrase unter 
(1884, S. 97). Soweit Crescendo und Diminuendo vom 
Komponisten vorgeschrieben sind, hat sich die Phr. 
danach einzurichten (Der Komponist deutet die Ausdeh- 
nung der Phrasen ungefahr durch die dynamischen Vorschrif- 
ten an; Musik-Lexikon, 81916). In alien anderen Fallen 
ergibt sich die Dynamik aus dem nach anderen Ge- 
sichtspunkten festgestellten Aufbau der Phrasen; z. B. 
stellte Riemann fest (1884, S. 176f.), daB der dynamische 
Schwerpunkt der Phrasen meistens da liegt, wo die Melo- 
die wendet: 




f 

W. A. Mozart, Sonate fiir Klavier zu 4 Handen 
D dur, K.-V. 381, 1. Satz, Allegro, Takt 6f. 



Beethoven, Sonate op. 2 Nr 1, 
1. Satz, Allegro, Takt If. und 21f. 
Die Gliederung im Kleinen wurde im Anschlufi an einen 
schon im vorigen [18.]Jahrhundert bestehenden Usus durch 
kleine Striche, dieLesezeichen angezeigt ( ' und zur Un- 
ter scheidung von Haupt- und Nebengliederungen il ).In Fal- 
len, wo ein Lesezeichen auf einen Taktstrich traf, wurde es 
schrdg gelegt (Vademecum, 1900, S. 3). - Bei Figuratio- 
nen in Achtel- oder kleineren Noten konnen die 
Trennungsstellen der Motive oder auftaktige Bildun- 
gen innerhalb der Figuration durch Balkenbrechung 
(Unterteilung der dur chlau f enden Balke n) angezeigt 

werden , z. B . wird J553 J553 I J772 notiert als 

JiJ53 J555 I «hJ53 Eingeklammerte Zahlen von 1-8 
(->• Metrum - 3) zeigen in Riemanns Analysen und in 
manchen Phr.s-Angaben verschiedenes metrisches Ge- 
wicht der Takte an; fiir die Phr. konnen sie bedeutsam 
sein, wenn in (oder nach) einem mit (2), (4) oder (8) ge- 
kennzeichneten »schweren« Takt verschieden abgestuf te 
Einschnitte bzw. Phrasengrenzen anzusetzen sind, ent- 
sprechend Riemanns Theorie vom Aufbau der Kompo- 
sitionenausTaktmotiven,Taktgruppen,Halbsatzenund 
Perioden. In einigen friihen Phr.s-Ausgaben (ca. 1885- 
90) undindei Praktischen Anleitung zum Phrasieren (1886) 
sind die schweren Takte eines groBen, 2 oder 3 Takte 
umfassenden Metrums noch mit einem v (Riemann: 
»Gabel«) gekennzeichnet ; eingeschriebene Zahlen (z. B . 
v) geben an, in welchen Abstanden die schweren Takte 
einander folgen. Eine Gabel in eckigen Klammern [v] 
zeigt auch in spateren Phr.s-Ausgaben die Umdeutung 
eines schweren Taktes (2., 4., 6., 8.) zu einem leichten an 
(Vademecum, 1900, S. 4). Riemann nennt die zuverlassi- 
ge Feststellung des metrischen Gewichts . . ■ die allerwich- 
tigste Aufgabe der gesamten Phrasierungstheorie . . . (Vade- 
mecum, 1900, S. 53; vgl. S. 41). Jedoch iiberschreitet 
Riemann da, wo er bei Kompositionen in zusammen- 
gesetzten Taktarten (z. B. bei Beethoven, Sonate op. 27 
Nr 1,1. Satz, Andante-Allegro, und bei Mozart, Sonate 
A dur, K.-V. 331, 1. Satz Andante grazioso) unkorrekte 
rhythmische Notiemng bzw : falsch gesetzte Taktstriche an- 
nimmt und durch deren Zurechtriicken eine mit seiner 
Auftakttheorie zu vereinende Phr. zu ermoglichen 
sucht, die Grenze einer die Originalnotation und das 
Werk erlauternden Phr.s-Bezeichnung. 
Interpretierendes Verdeutlichen der musikalischen 
Sinngliederung heifit die Einschnitte markieren und die 
Phrasen als Sinneinheiten zur Wirkung bringen. In der 
Praxis sind diese beiden theoretisch unterscheidbaren 



729 



Phrasierung 



Aufgaben nicht zu trennen; sie umreiBen insgesamt die 
aus der Aussage- und Bedeutungsfahigkeit der Kom- 
position abzuleitende Fordenmg nach Ausdruck beim 
musikalischen Vortrag. Die dabei anzuwendenden Aus- 
drucksmittel sind (neben Veranderungen der Tonfar- 
bung von Stimme und Instrument) in der Hauptsache 
stahdige dynamische und agogische Veranderungen 
(-»■ Agogik, -*- Ausdruck, ->■ Motiv). Hinsichtlich der 
agogischen Mittel ist zu unterscheiden zwischen den 
die Einschnitte oder bestimmte wichtige Noten mar- 
kierenden Dehnungen einzelner Taktzeiten und der 
geringen Modifikation des Tempos innerhalb der 
Phrase. Riemann erkannte, da6 eine Trennung derEin- 
zelglieder nur durch -> Artikulation (d. h. mittels Ver- 
kiirzung der letzten Note eines Glieds durch Staccato 
oder Portato) bei vollig gleichmafiig durchlaufendem 
Takt nicht moglich ist, sonst wiirdeja eine durchaus stac- 
cato durchgefuhrte Melodie iiberhaupt nur aus Einzeltonen 
bestehen und fur sie von Motiven, Phrasen nicht gesprochen 
werden konnen {Musik-Lexikon, 81916, Artikel Artiku- 
lation). Er stellte die These auf (1884, S. 8), daB sich 
zwischen die einzelnen Gruppen . . . ein sehr kleiner Zeit- 
verlust schiebt, eine minimale Verzogerung, die den 
Eindruck der TaktregelmaBigkeit nicht stort. Der er- 
wahnte Zeitverlust findet aber nicht absichtlich, sondern 
wider Wissen und Willen des Ausfiihrenden statt . . . (Uber 
musikalische Phr., 1883). Ahnliche Beobachtungen 
machte bereits A.L.Crelle (1823, S. 54): Zwischen den 
einzelnen Figuren findet ein kleiner, zum Theilfast un- 
merklicher Zwischen-Raum Statt. E.Tetzel (1926) ver- 
suchte die unregelmaBige Zeitdauer unbetonter und 
betonter TaktzShlzeiten mit Hilfe einer Morsetaste 
nachzuweisen, doch blieb das Experiment wegen star- 
ker Streuung der Werte ungenugend. H.Keller (1925 
und 1955) betonte vor allem den Anteil der Artikula- 
tion am Zustandekommen des Gliederungseindrucks 
(Gruppenbildung durch Artikulation). Er beriicksichtigte 
j edoch nicht die stets auf tretenden UnregelmaBigkeiten 
bei der Ausfiihrung einer theoretisch gleichbleibenden 
Schlagzeit. Der EinfluB sinnvoller Verzerrungen des 
Zeitgefiiges auf die Phr., die Diskrepanzen zwischen 
der bewuBten Intention zur TaktregelmaBigkeit und 
der unbewuBt-gezielten Abweichung davon sind noch 
nicht systematisch untersucht. Vor der Negierung ago- 
gischer Ausdrucksmittel warnte Riemann nachdriick- 
lich: Das wirklich genaue im Taktspielen (z. B. nach dent 
Metronom) ist ohne lebendigen Ausdruck, maschinenmdfiig, 
unmusikalisch (1884, S. 12). Die von Th.Wiehmayer 
(1917) und von Keller (1925 und 1955) erhobene For- 
derung nach klarer Trennung zwischen Phr. und Arti- 
kulation besteht zu recht, doch kann sich eine solche 
Trennung nicht erschopf en in der Unterscheidung zwi- 
schen Phr.s- und Legatobogen bzw. in der Eliminie- 
rung des ersteren. Es muB vor allem der prinzipielle 
Unterschied der angewendeten Ausdrucksmittel ins 
Auge gefaBt werden. Nur wenn sich die praktische 
Ausfiihrung der Phr. mit der Artikulation nicht be- 
riihrt, konnen beide nebeneinander bestehen und un- 
abhangig voneinander durchgefuhrt werden. Das be- 
deutet z. B. fur die von Keller (1925, S. 52) als »Phra- 
senverschleifung« interpretierte Stelle aus dem Finale 
von Beethovens Klaviersonate D moll op. 31 Nr 2, 
daB trotz der die Phrasen verbindenden Artikulations- 
vorschrift eine deutliche Trennung der Phrasen durch 
eine kaum merkliche Verlangerung des PhrasenschluB- 
tons (a 1 ) herbeigefiihrt werden kann: 



Riemann ging davon aus, daB die Einzeltone einer 
Phrase im Normalfall durch Legatovortrag zu verbin- 



den seien (nur das Gegenteil sei durch besondere Arti- 
kulationsvorschriften anzuzeigen) und daB die Phra- 
sengrenzen auBer durch eine geringe agogische Verzo- 
gerung meist auch durch Artikulation (non legato, 
portato, staccato usw.) markiert wiirden. DaB durch 
seine Phr.s-Bogen in vielen Fallen die originalen Arti- 
kulationsanweisungen der Komponisten verlorengin- 
gen bzw. verfalscht wurden, war fur Riemann kein 
wichtiger Gesichtspunkt, da im 19. Jh. der Bogen nicht 
als zu den vom Komponisten endgultig festgelegten 
Einzelheiten des Notenbildes gehorig betrachtet wur- 
de. Verfalschungen der Bogensetzung sind daher in 
Ausgaben klassischer Musik seit dem friihen 19. Jh. die 
Regel. In dieser Praxis ist die historische Wurzel von 
Riemanns Phr.s-Bogen, in der herrschenden Willkiir 
der Bogensetzung und in der daraus folgenden Vor- 
tragswillkiir der eigentliche AnlaB zu seiner Phr.s-Leh- 
re zu sehen. AuBerdem liefien die teilweise sehr sorg- 
faltigen Vortragsbezeichnungen der Komponisten des 



espresstvo 




poco sf 

H.Berlioz, Symphonie fantastique (1830), 1. Satz, 
Allegro agitato e appassionato assai, Takt 9-16. 
19. Jh. das Bediirfnis entstehen, auch die Musik der 
Klassik (die ja trotz fehlender Vortragsbezeichnungen 
nicht ohne Ausdruck zu spielen war) in Neuausgaben 
mit den »fehlenden« Bezeichnungen zu versehen. Die- 
sem Bediirfnis entsprachen die »Instruktiven Ausgaben« 
von Fr. Liszt, H. v.Biilow, Lebert, FaiBt und vielen an- 
deren, zu denen auch Riemanns Phr.s- Ausgaben (Ver- 
zeichnis in: Riemann-Festschrift, 1909) zu zahlen sind. 
Riemann schrieb am 3. November 1883 an C.Fuchs 
(Fuchs 1884, S. 23) : Ohne Btilow waren wir alle nicht auf 
die Idee gekommen, phrasieren zu wollen . . . 
Fr.Couperin wendete in seiner Klaviermusik neben 
sorgfaltigen Artikulationsvorschriften nach 1722 zur 
Verdeudichung rhythmischer Bildungen (Weiblicher 
Endungen, Wechsel von abtaktiger zu auftaktiger The- 
matik) oder auf den ersten Blick nicht erkennbarer Ein- 
schnitte auch ein Komma als Lese-(Phr.s-)Zeichen an. 

- In der Vokalmusik ist der melodische FluB gewohn- 
lich durch Pausen in Sinneinheiten zerlegt; wo Pausen 
fehlen oder absichtlich vermieden werden, sind verein- 
zelt kleine Striche als Atemzeichen und als Bezeichnung 
des Zeilenschlusses angewendet worden (Cavalieri 
1600; Schiitz 1628 und 1636); eine ahnliche Bedeutung 
erhielten durch den jeweiligen Zusammenhang viel- 
fach die -> Divisio modi (-1) und die Fermate (z. B. 
im Kirchenlied). Von den Ab- undEinschnitten der Klang- 
rede und ihren Entsprechungen zur Interpunktion der 
Sprache handelt J. Mattheson (1739; ahnlich schon 1737) 
ausfiihrlich, doch wandte er sich damit an den Kom- 
ponisten (vor allem von Vokalmusik), nicht an den 
Vortragenden. Auch fiir J.-J. Rousseau (1768) waren 
ponctuer und phrase Termini der Kompositionslehre. 

- GroBe Bedeutung maB Riemann den Bemerkungen 
von J.Riepel (1752) und H.Chr.Koch (1793) uber 
Symmetric und Periode bei und leitete daraus die Be- 
rechtigung zur Zuriickf iihrung »unregelmaBiger« Phra- 
sen (von 3, 5, 7 usw. Takten) auf ihnen zugrunde lie- 
gende regelmaBige (2-, 4- und 8taktige) ab (H.Chr. 
Koch als Erlauterer unregelmafiigen Themenaufbaues, in : 
Praludien und Studien II, 1900). Entscheidend fiir Rie- 
manns Grundauffassungen wurde die Begegnung mit 
den Theorien von J. J. de Momigny (1806). Bemerkens- 
wert ist z. B. Momignys DeUtung des 1 . Satzes aus dem 
Streichquartett D moll, K.-V. 421, von W.A.Mozart 
(vgl. A. Palm 1964); doch obwohl diesc Deutung durch 



730 



Phrasierung 



Textunterlegung einer Phr. prinzipiell gleichkommt, 
gibt Momigny keine allgemeinen Hinweise fur den 
Vortrag. - In erster Linie iiber metrische Theorien und 
den Rhythmus als ein Element der Komposition han- 
deln M.Hauptmann (1853) und R.Westphal (1880), 
doch gewann Riemann aus diesen Arbeiten, die er we- 
gen ihrer den Anf angsakzent betonenden Tendenz ab- 
lehnte, wichtige Gesichtspunkte fur den Vortrag und 
seine Phr.s-Lehre. 

Das Problem der Sinngliederung beim Vortrag, das 
durch die Musik der Vorklassiker auf eine neue Weise 
relevant geworden war, wurde erstmals von J. A. P. 
Schulz (1774) angesprochen. Ihm folgte Tiirk (1789), 
der die praktische Ausfiihrung der Phr. als ein abge- 
stuf tes dynamisches Akzentuieren beschreibt (S. 336) : 
Jeder Anfangston einer Periode muft einen noch merklkhem 
Nachdruck erhalten, als ein gewohnlicher guter Takttheil. 
Genau genommen sollten selbst diese Anfangstone mehr 
oder weniger accentuirt werden, je nachdem sich mit ihnen 
ein grofierer oder kleinerer Theil des Ganzen anfangt . . . 
Doch kennt Tiirk auch den agogischen Akzent (S. 338). 
- Eine durchgehende dynamische und agogische Ge- 
staltung der Phrasen forderte erstmals A. L. Crelle 
(1823). Er stellte die Regel auf, dass das Bedeutende und 
Wichtige nicht eilt. Die Wirkung eines Tons ist alsdann am 
starksten, wenn die Aufmerksamkeit zuvor darauf durch 
Verweilen gespannt wird (S. 46). Daraus folgt: Die erste 
Note einer Figur (d. h. einer Phrase) ertont nie zuft'uh, und 
bekommt ein verhaltnismdssig stdrkeres Gewicht als die iibri- 
gen. Die Mitte der Figur hat eine gemessene Bewegung und 
das Ende derselben nimmt an Kraft ab, an Zeitmaass zu (S. 
54). Damit manifestiert sich bei Crelle jene Vortrags- 
haltung, die Riemann ablehnte, weil sie nach seiner 
Meinurig die Musik zu einem bestandigen Absterben macht 
(Vademecum, 1900, S. 47f.), die aber schon deshalb star- 
kere Beachtung verdiente, weil sie in grofierer zeitli- 
cher Nahe zu den Klassikern steht. - Neben der Phr.s- 
Lehre Riemanns sind die Arbeiten von M. Lussy fast un- 
beachtet geblieben. Lussy bemiihte sich, den jeweiligen 
Einzelf all zu wiirdigen und versuchte nicht, die Vielfalt 
der moglichen Vortragsnuancen einem Prinzip zu un- 
terwerfen (das trug ihm den Vorwurf Riemanns ein, 
unsystematisch zu sein). Die erste Note eines »Rhyth- 
mus« (s. v. w. Phrase) wird nach Lussy (1873) stets mit 
einem Akzent (rhythmischer Akzent) markiert, unab- 
hangig vom metrischen Akzent, der die guten Takt- 
zeiten markiert. Der »pathetische Akzent« hebt demge- 
gemiber alle rhythmisch, melodisch oder harmonisch 
ungewohnlichen Noten hervor. In he rhythme musical 
(1883) wendet Lussy sich gegen eine einseitige und 
strikt durchgefiihrte auf- oder abtaktige Interpretation 
von Kompositionen, die in Wirklichkeit aus dem 
Wechsel von Auf- und Abtakt leben. - Der Pianist C. 
Fuchs verschrieb sich ganz der Riemannschen Phr.s- 
Lehre und nahm auch Fr. Nietzsche dafiir ein (durch 
den Brief vom 31. August 1888, veroffentlicht bei Gur- 
litt 1950). Neben seinen eigenen, die Lehre Riemanns 
propagierenden Veroffentlichungen (1884 und 1885) 
wirkte Fuchs mit an der Ausarbeitung der Phr.s-Be- 
zeichnungen und an der Praktischen Anleitung zum 
Phrasieren (1886). - Fr.Kullakunterzog 1898 die AuBe- 
rungen und Lehrmeinungen iiber den musikalischen 
Vortrag von A. Schindler, H. v. Biilow, R. Wagner und 
H. Riemann einer eingehenden und in zahlreichen 
Punkten zutreffenden Kritik. Dabei offenbart sich eine 
Animositat gegen Riemanns Auftakttheorie und ihre 
Konsequenzen, die nicht nur Kullak, sondern einer 
Generation von Musikern und Musikerziehern die Rie- 
mann'schen Phrasierungsausgaben absolut ungeniefibar 
machte (Riemann antwortete Kullak mit dem Traktat 
De cantufractibiliyin: Praludien und Studien III, S. 185ff.). 



- Th.Wiehmayer (1917) versuchte vor allem durch 
Neuf ormulierung der metrischen Theorie die Auf takt- 
hypothese Riemanns zu uberwinden; in seinen Phr.s- 
Ausgaben reduzierte Wiehmayer die Phr.s-Bezeich- 
nungen auf das nur in den notwendigsten Fallen ge- 
setzte Lesezeichen. - H. -*■ Schenker (Weg mit dem 
Phrasierungsbogen, 1925) betonte, daft die Schreibart der 
Meister die vollendetste Einheit von innerer und aufierer 
Gestalt, von Gehalt und Zeichen vorstellt. Er trat daher 
fur die -»- Urtext-Ausgabe ein. - Einen von Riemann 
und anderen Autoren weitgehend unbeachtet gelasse- 
nen Gesichtspunkt stellte H.J.Moser fest (1933-35, Ar- 
tikel Phr.) : daft in einer hochgeistigen Musik nicht immer 
nur eine Phr. herrscht, sondern sich oft mehr ere organi- 
sche Zusammenhange iibereinanderbauen, sich gegenseitig 
iiberschneiden und in spannungsreichem Gleichgewicht hal- 
ten. Daraus folgt, dafi jede Phr. die Vielfaltigkeit der 
Sinnbeziehungen zwischen den Satzgliedern zu beriick- 
sichtigen hat (dies gilt besonders auch £iir die Falle von 
-> Verschrankung). 

H. Riemann betrachtete die Phr. als die letzte und hochste 
Aufgabe der Musikwissenschaft (Musik-Lexikon, 6 1905, 
Artikel Musikwissenschaft) und glaubte voraussagen 
zu konnen: je mehr die junge Wissenschaft der Syntaxis 
. . . sich entwickeln wird, aesto breiteren Raum werden 
Kontroversen und Spezialuntersuchungen iiber die Deutung 
einzelner Stellen in den Werken der Meister einnehmen 
(Vademecum, 1900, S. 53f.). Bisher hat jedoch die Dis- 
kussion iiber Riemanns Phr.s-Lehre breiteren Raum 
eingenommen als wissenschaftliche Untersuchungen 
iiber Probleme der Phr. 

Lit. : Fr. Couperin, Vorwort zum Troisieme livre de pieces 
de clavecin, Paris 1722, GA IV, hrsg. v. M. Cauchie, Paris 
(1932); J. Mattheson, Kern Melodischer Wiss. . . ., Hbg 
1 737 ; Mattheson Capellm. ; J.-J. Rousseau, Dictionnaire 
demusique, Genf 1767(7), Paris 1768 u. 6.; J. A. P. Schulz, 
Artikel Vortrag, in: J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie d. 
Schonen Kiinste II, Lpz. 1774 u. 6., Ausziige in: H. Rie- 
mann, Vademecum d. Phr., Lpz. 1900, S. 7ff. ; D. G. Turk, 
Klavierschule . . . nebst 12 Handstucken, Lpz. u. Halle 
1787, 21802, Faks.hrsg. v. E. R. Jacobi, = DM1 1, 23, 1962; 
H. Chr. Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition 
III, Lpz. 1 793 ; J. J. de Momigny, Cours complet d'harmo- 
nie et de composition . . . , 3 Bde, Paris 1 806 ; A. L. Crelle, 
Einiges iiber musicalischen Ausdruck u. Vortrag. Fur Pfte- 
Spieler, zum Teil auch f . andere ausiibende Musiker, Bin 
1823; A. Kullak, Aesthetik d. Klavierspiels, Bin 1860, 
hrsg. v. H. Bischoff 21876, 31889, hrsg. v. W. Niemann 
4 1906, 7-81920; M. Lussy, Trait6 de l'expression, Paris 
1 873, 8 1904, engl. v. E. v. Glehn als : Mus. Expression, Lon- 
don 1885, deutsche Bearb. v. F. Vogt als: Die Kunst d. 
mus. Vortrags, Lpz. 1886, russ. v. W. A. Tschetschar, St. 
Petersburg 1888; ders., Le rythme mus., son origine, sa 
fonction et son accentuation, Paris 1883, 41911; ders., 
L'anacrouse dans la musique moderne, Paris 1903, 21928 ; 
R. Westphal, Allgemeine Theorie d. mus. Rhythmik seit J. 
S. Bach, Lpz. 1 880; H. Riemann, Musik-Lfexikon, Lpz. 1882, 
31887, 41894, 51900, <*1905, Bln»1916 (verschiedene Fassun- 
gen d. Artikels Phr.); ders., Uber mus. Phr., Mus. Wochen- 
blatt XIV, 1883, auch in: C. Fuchs, Die Zukunft d. mus. 
Vortrags II, Danzig 1884; ders., Der Ausdruck in d. Mu- 
sik, = Mus. Vortrage L, Lpz. 1883 ; ders., Mus. Dynamik 
u. Agogik. Lehrbuch d. mus. Phrasirung auf Grund einer 
Revision d. Lehre v. d. mus. Metrik u. Rhythmik, Hbg, 
Lpz. u. St. Petersburg 1884; ders. u. C. Fuchs, Praktische 
Anleitung zum Phrasieren, Lpz. 1886, NA (mit Anh.) als: 
Katechismus d. Phr., = M. Hesse's illustrierte Katechis- 
men XVI, Lpz. (1 890); ders., Katechismus d. Klavierspiels, 
ebenda VI, Lpz. 1888, 31905, als: Hdb. d. Klavierspiels, 
Bin 7 1922; ders., Katechismus d. Kompositionslehre, 2 
Bde, ebenda VIII-IX, Lpz. 1 889, als : GrundriB d. Kompo- 
sitionslehre, '1905, 7 -81922; ders., Praludien u. Studien. 
Gesammelte AufsStze . . . , 3 Bde (darin besonders : I, S. 
67ff„ 88ff., 112ff., 126ff., 150ff., 165ff.; II, S. 56ff., 88ff., 
109ff., 140ff., 180ff. ; III, S. 69ff., 83ff., 185ff.), I Ffm(1895), 
II-III Lpz. (1900-01), I-III Lpz. (2o. J.), Nachdruck in 1 



731 



Phrygisch 



Bd Hildesheim 1967; ders., Die Elemente d. mus. Aesthe- 
tik, Bin u. Stuttgart (1900); ders., Vademecum d. Phr., 
= M. Hesse's illustrierte Katechismen XVI, Lpz. 1900, 
(M912), als: Hdb. d. Phr. »o. J.; ders., Die Aufgaben d. 
Musikphilologie, in: M. Hesse's Deutscher Musiker-Ka- 
lender f. 1902, Lpz. 1901 ; ders., Beethovens Streichquar- 
tette, = Schlesinger'sche Musik-Bibl., Meisterfiihrer XII, 
Bin 1903 ; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik, Lpz. 
1903; ders., L. van Beethovens samtliche Klavier-Solo- 
sonaten. Asthetische u. f ormal-technische Analyse . . . , 
3 Bde, = M. Hesses illustrierte Hdb. LI-LIII, Bin 1918-19, 
1 11920, II M920, III 21920; ders., Die Phr. im Lichte einer 
Lehre v. d. Tonvorstellungen, ZfMw I, 1918/19; Riemann 
Beisp. ; O. Klauwell, Der Vortrag in d. Musik, Bin 1 883, 
engl. 1 892 ; C. Fuchs, Die Zukunf t d. mus. Vortrags, 2 Bde, 
Danzig 1884; ders., Die Freiheit d. mus. Vortrags, Danzig 
1885; A. Fr. Christiani, The Principles of Mus. Expres- 
sion . . ., NY 1886, deutsch v. H. Riemann als: Das Ver- 
stSndnis im Klavierspiel, Lpz. 1886; O. Tiersch, Rhyth- 
mik, Dynamik u. Phrasierungslehre d. homophonen Mu- 
sik, Bin 1 886 ; Fr. Nietzsche, Der Fall Wagner. Ein Musi- 
kanten-Problem, Lpz. 1888, Neudruck in : Samtliche Wer- 
ke VIII, Stuttgart 1964; A. Carpe, Grouping, Articulating 
and Phrasing in Mus. Interpretation, Boston 1898, deutsch 
als : Der Rhythmus. Sein Wesen in d. Kunst u. seine Bedeu- 
tung im mus. Vortrage, Lpz. (1900) ; Fr. Kullak, Der Vor- 
trag in d. Musik am Ende d. 19. Jh., Lpz. 1898 ; Th. Wieh- 
mayer, Mus. Rhythmik u. Metrik, Magdeburg 1917, dazu: 
Aufgabenbuch ..., ebenda 1919, Schliissel ..., ebenda 
1919; ders., Die Auswirkungen d. Theorie H. Riemanns, 
Magdeburg 1925; ders., Mus. Formenlehre in Analysen, 
ebenda 1927; G. Becking, »H6ren«u. »Analysieren«. Zu 
H. Riemanns Analyse v. Beethovens Klaviersonaten, ZfMw 
1, 1918/19; H. Keller, Die mus. Artikulation, insbesonde- 
re bei J. S. Bach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. Tubin- 
gen II, Stuttgart 1925, neu bearb. als: Phr. u. Artikulation, 
Kassel 1955; H. Schenker, Wegmit d. Phrasierungsbogen, 
in : Das Meisterwerk in d. Musik I, Miinchen, Wien u. Bin 
1 925; F. Rosenthal, Probleme d. mus. Metrik, ZfMw VIII, 
1925/26; E. Tetzel, Rhythmus u. Vortrag, Bin 1926; A. H. 
Fox Strangways, Phrasing, ML IX, 1928; H. J. Moser, 
Musik-Lexikon, Bin 1933-35, in 2 Bden "1955; \y. Gur- 
u-it, H. Riemann (1849-1919), = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. 
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1950, Nr 
25 ; E. Blom, Phrase Lengths, The Mus. Times XCV, 1 954 ; 
Thr. G. Georgiades, Musik u. Sprache . . ., = Verstand- 
liche Wiss. L, Bin, Gottingen u. Heidelberg 1954; ders., 
Schubert. Musik u. Lyrik, Gottingen 1967; H. Chr. Wolff, 
H. Riemann, d. Begrunder d. systematischen Musikbe- 
trachtung, Fs. M. Schneider, Lpz. (1955); E. Fischer, L. 
van Beethovens Klaviersonaten, Wiesbaden 1956, = Insel- 
Biicherei Nr 853, ebenda 1966; H. H. Eggebrecht, Musik 
als Tonsprache, AfMw XVIII, 1961; A. Palm, Mozarts 
Streichquartett d-moll, KV 421, in d. Interpretation Mo- 
mignys, Mozart-Jb. 1962/63. 

Phrygisch -> Systema teleion,->-Kirchent6ne. 

Physharmonika->-Harmonium,->-Register(-l). 

Physiologie des Instrumentenspiels, die Lehre von 
der Tatigkeit des Muskel- und Nervensystems beim 
Instrumentenspiel. Ihre Erkenntnisse konnen zur wis- 
senschaftlichen Grundlage des Instrumentalunterrichts 
beitragen. Ferner erbringt sie Kriterien fur die beruf- 
liche Eignung zum Musiker sowie fur die Ursachen 
typischer Musikerkrankheiten. Fur die Instrumenten- 
kunde ist die Untersuchung der Korrespondenz zwi- 
schen der Konstruktion eines Instruments und den An- 
forderungen an die korperliche Leistung des Spielers 
wichtig; von dieser hangt z. B. bei der Trompete der 
Tonumfang ab. Die Erfassung dieser Zusammenhange 
kann besonders auch fur die Musikethnologie frucht- 
bar werden. 

Lit. : F. A. Steinhausen, Die Physiologie d. Bogenfiihrung 
. . ., Lpz. 1903, hrsg. v. A. Schering 41920, hrsg. v. Fl. v. 
Reutern 5 1928; ders., Uber d. physiologischen Fehler u. d. 
Umgestaltung d. Klaviertechnik, Lpz. 1905, bearb. v. L. 
Riemann 21 91 3, 31929 ; E. Caland, Das kiinstlerische Kla- 
vierspiel ..., Stuttgart 1910, 21919; J. Flesch, Berufs- 



krankheiten d. Musikers, Celle 1925 ; W. Trendelenburg, 
Dienaturlichen Grundlagen d. Kunst d. Streichinstrumen- 
tenspiels, Bin 1925; A. Loewy u. H. Schroetter, Uber d. 
Energieverbrauch bei mus. Betatigung, in : Pfliigers Arch, 
f. d. gesamte Physiologie CCXI, 1926; K. Singer, Berufs- 
krankheiten d. Musikers, Bin 1926; K. Johnen, Neue We- 
ge zur Energetik d. Klavierspiels, Diss. Bin 1 927, als : Wege 
zur Energetik d. Klavierspiels, Halle 1951; C. A. Mar- 
tienssen, Die individuelle Klaviertechnik . . . , = Veroff. d. 
Kirchenmus. Inst. d. Ev.-luth. Landeskirchein Sachsen . . . 

II, Lpz. 1930; A. Mette, Zahnerkrankungen d. Holzblaser, 
Deutsche MusikerzeitungLXIII, 1932; ders., Zahnerkran- 
kungen d. Blechblaser, ebenda; K. Schlenger, Eignung 
zum Blasinstrumentenspiel. Beitr. zur Physiologie u. P3d- 
agogik d. Blasinstrumentenspiels, = Schriften zur prakti- 
schen Psychologie II, Dresden 1935; H.-H. Drager, Prin- 
zip einer Systematik d. Musikinstr., = Mw. Arbeiten III, 
Kassel (1948); A. Jahn, Methodik d. Violinspiels, Lpz. 
1948, 2 1951 ; L. Nouneberg, L'organisation scientifique de 

la pedagogie instr Paris 1948; Z. Felinski u. H. 

Gaertner, Fizjologia gry skrzypcowej (»Physiologie d. 
Violinspiels«), 2 Bde, Krakau 1952, 2 1956 als: Zasady gry 
skrzypcowej na podlozu fizjologii (»Grundlagen d. Violin- 
spiels auf physiologischer Basis«); H.-P. Schmitz, Quer- 
flote u. Querflotenspiel in Deutschland wahrend d. Barock- 
zeitalters, Kassel (1952); J. C. Hall, A Radiographic, 
Spectographic, and Photographic Study of the Nonlabial 
Physical Changes Which Occur in the Transition from 
Middle to Low and Middle to High Registers During 
Trumpet Performance, Diss. Indiana Univ. 1955, maschr. ; 
W. Rosenthal, Die Identifizierung d. Gebeine J. S. Bachs, 
Mit Bemerkungen iiber d. »Organistenkrankheit«, in: 
Leopoldina, Mitt. d. Deutschen Akad. d. Naturforscher 

III, 1962/63; E. Stadler u. O. Szende, Geigenspiel u. At- 
mung I, Internationale Zs. f . angewandte Physiologie XX, 
1963 ; H. Schmale, Ober d. physikalische Belastung v. Or- 
chestermusikern, Mainz (1965). 

Piacenza. 

Lit.: E. De Giovanni, La cappella mus. Giovannea, P. 
1922 ; ders., Studi sull'ottocento mus. piacentino, P. 1928 ; 
C. Anguissola, Musicisti piacentini, P. 1935; A. Rapetti, 
II Teatro ducale della Cittadella e il Teatro ducale di Palaz- 
zo gotico, Bolletino stor. piacentino XLVI, 1951; Fr. Bussi, 
Panorama mus. piacentino, P. 1955; ders., Alcuni maestri 
di cappella e organisti della cattedrale di P., P. 1956. 

Pianino (ital., Diminutiv von Piano), von C.Pleyel 
eingefiihrte Bezeichnung fur ein aufrechtes rechtecki- 
ges Pianoforte mit vertikal oder schrag (auch kreuzsai- 
tig) lauf enden Saiten. Im Unterschied zu friiheren auf- 
rechten Fliigeln, wie der Pyramide von Chr.E.Frie- 
derici (Gera 1745), dem Schrankfliigel von W.Stodart 
(London 1795) und dem aufrechten Tafelklavier von 
W. Southwell (London 1798), beginnt der Resonanz- 
kasten beim P. nicht in der Hohe der Klaviatur, son- 
dern wenige Zentimeter iiber dem Boden. Die ersten 
eigentlichen P.s waren die Ditanaklasis von M.Muller 
(Wien um 1800, Hohe 146 cm) und das Portable grand 
pianoforte von J. I. Hawkins (Philadelphia 1800). Nied- 
riger waren das Cottage piano (1811) und das Piccolo 
pianoforte (um 1826-30, Hohe 114 cm) von R.Wor- 
num in London, dessen auf rechte StoBzungenmechanik 
vom spateren P.-Bau allgemein ubernommen wurde. 
Wornums Erfindungen wurden zunachst von C. Pleyel 
in Paris weiterentwickelt. Ein besonders niedriges Pia- 
no console (100 cm) mit kreuzsaitigem Bezug konstru- 
ierte 1828 H.Pape in Paris. In Deutschland wurden erst 
seit Mitte des 19. Jh. P.s gebaut, bald aber in groBer 
Zahl. Der Bau extrem niedriger P.s wurde seit Beginn 
der 1930er Jahre betrieben. 
Lit. : O. Hildebrand, Das P., Donauworth 1905. 

piano (ital.), Abk.: p, sanft, still, leise, als Vortragsbe- 
zeichnung der dynamische Gegenpol zu -> forte; pia- 
nissimo, Abk. : pp, von piu piano oder pian(o) piano, 
altere Abk.: p mo , sehr leise; mezzopiano, Abk.: mp, 
»mittelleise«, zwischen p und pp ; f ortepiano, Abk. : fp, 



732 



Pianoforte 



stark und sofort wieder leise; im Englischen auch soft, 
Abk.: so, und loud, Abk.: lo (z. B. Th.Mace 1676). 
Piano und forte treten zuerst bei G. Gabrieli (1597) und 
Banchieri (1601 , 1 608) auf . Bald danach erscheinen auch 
die Abbreviaturen. Zur weiteren Modifizierung wer- 
den vor allem seit dem 18. Jh. Beiworter wie meno, 
molto, poco, quasi und possibile gebraucht. In der 
Musik seit der Mehrchorigkeit und dem concertieren- 
den Stil bedeuten piano und -» Echo oft dasselbe 
(Mazzocchi 1638; Praetorius Synt. Ill, S. 112; Wal- 
therL, Artikel Echo : Das Wort Ecco wird auch manch- 
mahl an statt piano gebraucht) ; pp und ppp konnen dem- 
entsprechend 2. bzw. 3. Echo bedeuten. In der Klavier- 
musik konnen durch p und f verschiedene Manuale 
(»Terrassendynamik«) gefordert werden. Durch p und 
f kann auch ein Crescendo oder Decrescendo bezeich- 
net werden (f-p-pp bei Mazzocchi; loud-soft-softer 
bei M.Locke). Die Romantik brachte eine Steigerung 
des p bis zum pppppp (Tschaikowsky, op. 74) ; fur den 
leisesten Grad finden sich auch Zusatze wie quasi niente. 

Pianoforte, Fortepiano (ital., s. v. w. ein Tastenin- 
strument, auf dem laut und leise gespielt werden kann; 
im 18. Jh. auch gravicembalo col piano e forte, cemba- 
lo a martelli; Hammerklavier; engl., frz. und deutsche 
Kurzform: Piano), ein -> Klavier, bei dem der Ton er- 
zeugt wird, indem Hammer gegen die Saiten geschleu- 
dert werden. Eine ahnliche ->■ Mechanik kannte schon 
H. Arnault von Zwolle (um 1460) ; in Italien scheint mit 
ihr im 16. Jh. experimentiert worden zu sein. Das erste 
entwicklungsfahige Modell eines Pftes konstruierte, 
nach Versuchen ab etwa 1690, -*■ Cristofori um 1709 in 
Florenz, der bis 1731 etwa 20 Instrumente baute. Un- 
abhangig da von entwickelte in Frankreich J. -> Marius 
ein Instrument mit Hammermechanik, ebenso in 
Deutschland Chr. G. -»■ Schroter, der hierzu vielleicht 
durch das -» Pantaleon angeregt war. G. Silbermann in 
Freiberg, der wahrscheinlich Instrumente von Cristo- 
fori, mindestens aber die Beschreibung ihrer Mechanik 
(Critica Musica II, 1725) kannte, arbeitete an der Ent- 
wicklung von Pftes seit etwa 1730. J. S. Bach hat Silber- 
manns Instrumente spatestens 1747 in Potsdam kennen- 
gelernt. Der Ton des Hammerflugels war zunachst 
noch schwach und wenig modulationsf ahig ; noch lan- 
ge Zeit wurde das Clavichord vorgezogen, das ein aus- 
drucksvolleres Spiel erlaubte. Erst die verbesserte Prell- 
mechanik der siiddeutschen und die verbesserte StoB- 
mechanik der englischen -> Klavierbau-Schule schu- 
fen in der 2. Halfte des 18. Jh. die Voraussetzungen ei- 
ner auf die Qualitaten des Pftes aufbauenden -> Kla- 
viermusik. Noch bis nach der Jahrhundertmitte wur- 
den Hammerfliigel durch Umbau von Cembali (Kiel- 
fliigeln) bzw. -> Tafelklaviere durch Umbau von Cla- 
vichorden gewonnen. Wahrend Cristoforis Mechanik 
neben einer Art von doppelter Auslbsung bereits Ein- 
zeldampfung jeder Saite aufwies, wurden in Deutsch- 
land noch nach 1750 teilweise recht einfache Instrumen- 
te gebaut, die lediglich eine mit Handziigen (geteilt f iir 
Diskant und BaB) zu bedienende Gesamtdampf ung be- 
saBen. Die im spaten 18. Jh. durchwegs vorhandene 
Einzeldampfung konnte durch Kniehebel aufgehoben 
werden, am Tafelklavier ab etwa 1775, am Fliigel etwas 
spater auch durch -> Pedale (- 2). Nach dem Vorbild 
des spaten Cembalos wurde in das Pf te der Wende vom 
18./19. Jh. eine Reihe von -> Registern (- 2) zur Veran- 
derung des Klanges eingebaut. Die letzte epochema- 
chende Erfindung an der -> Mechanik ist die doppelte 
Auslbsung von Erard 1821. Als verbreitetste Form des 
Pftes setzte sich, neben dem -> Fliigel, etwa ab 1820 
das aufrechte -*■ Pianino gegeniiber dem Tafelklavier 
durch, dasEnde des 19. Jh. verschwand; biedermeier- 



liche Formen wie -> Giraflenklavier, Pyramidenklavier 
und -> Orphika waren nur kurzlebig. Seit den letzten 
Jahrzehnten des 18. Jh. und besonders im friihen 19. 
Jh. wurden die Pftes zunehmend massiver, bedingt 
durch das Streben nach groBerem, auch grundtonige- 
rem Klang. Die leichten Lederhammer wurden durch 
Filzhammer (allgemein iiblich seit den 1840er Jahren) 
abgelost, und der Umfang des Instruments wurde in 
der Hohe und der Tiefe bedeutend erweitert. Dickere 
Saiten verlangten hohere Spannungen (die gesamte 
Zugkraft stieg von 4000 kg auf 12-18000 kg im mo- 
dernen Pfte). Diese Spannung kann nicht mehr allein 
von einem hblzernen Rast (mit meist 3-4 Spreizen, 
auch in Sternform) ausgehalten werden. Auf ihn wird 
allerdings aus akustischen Griinden auch im modernen 
Pfte nicht verzichtet. Nachdem Streicher bereits den 
Aufhangestock mit einer Eisenblechauflage verstarkt 
hatte, kam der GuBeisenrahmen um 1825 auf, zuerst in 
den USA, einige Jahre spater auch in Verbindung mit 
kreuzsaitigem Bezug. Die akustische Qualitat eines Pftes 
wird vornehmlich durch das Verhaltnis zwischen Lan- 
ge, Durchmesser und Spannung der Saiten (->• Men- 
sur - 1), die Saitenteilung (Aufteilung des Saitenbezugs 
in blanke und umsponnene Saiten), die Anschlagstellen 
der Hammer und den Resonanzboden (meist Bergfich- 
te) bestimmt und durch -> Intonation (- 2) reguliert. 
Lit. : Les traites d'H.-A. de Zwolle . . . , hrsg. v. G. Le Cerf 
u. E.-R. Labande als: Instr. de musique du XV e s., Paris 
1932; Ch. Kutzing, Das Wissenschaftliche d. Fortepiano- 
Baukunst, Bern 1844; H. Welcker v. Gontershausen, 
Der Fliigel Oder d. Beschaffenheit d. Pianos in alien For- 
men, Ffm. 1853, 21856; ders., Der Klavierbau in seiner 
Theorie, Technik u. Gesch., Ffm. 1855, «1870; E. Fr. Rim- 
bault, The Pfte, London 1860; O. Paul, Gesch. d. Kl., 
Lpz. 1868; J. Bluthner (mit H. Gretschel), Lehrbuch d. 
Pianofortebaues, Weimar 1872, Lpz. 41920, als: Der Piano- 
f ortebau, Lpz. 1952 ; S. Hansing, Das Pfte in seinen akusti- 
schen Anlagen, Schwerin 1 888, 21908, Nachdruck Stuttgart 
1950; D. Spillane, The Hist, of the American Pfte, NY 
1890; A. J. Hipkins, A Description and Hist, of the Pfte 
and of the Older Keyboard Stringed Instr., London u. NY 
1896, 21898; A. Dolge, Pianos and Their Makers, Covina 
(Calif.) 191 1 ; S. Wolfenden, A Treatise on the Art of Pfte 
Construction, London 1916; W. Pfeiffer, Taste u. Hebel- 
glied, Lpz. 1920, 21931; C. Sachs, Das KL, Bin 1923; J. 
Goebel, Grundziige d. modernen Klavierbaues, =Die 
Werkstatt LXVII, Lpz. 31925, "1952; L. M. Nalder, The 
Modern Piano, London 1927; Wiirttembergisches Landes- 
museum. Die Slg d. Musikinstr., hrsg. v. H. H. Josten, 
Stuttgart 1928 ; R. E. M. Harding, Experimental Pftes and 
the Music Written for Them, Proc. Mus. Ass. LVII, 1930/ 
3 1 ; dies., The Pfte. Its Hist. Traced to the Great Exhibition 
of 1851, Cambridge 1933; H. Junghanns, Der Piano- u. 
Flugelbau, = Bibl. d. gesamten Technik Bd 396, Lpz. 1932, 
Bin 21952, Ffm. 31962, = Fachbuchreihe Das Musikinstr. 
IV; H. Brunner, Das Klavierklangideal Mozarts u. d. Kl. 
seiner Zeit, Augsburg 1933; O. Vierling, Das elektro- 
akustische Kl., Bin 1936 ; M. Grutzmacher u. W. Lotter- 
moser, Elektro-akustische Untersuchungen an KL, Zflb 
LVII, 1937 ; E. Hertz, J. A. Stein (1728-92). Ein Beitr. zur 
Gesch. d. Klavierbaues, Wolfenbuttel u. Bin 1937; R. 
Steglich, Mozarts Fliigel klingt wieder, Niirnberg u. Salz- 
burg 1937; ders., Studien an Mozarts Hammerfliigel, 
Neues Mozart-Jb. I, 1941 ; Th. P. Fielden, The Influence 
of the Pfte on the Progress of Music, Proc. Mus. Ass. LXV, 
1 938/39; Th. Norlind, Systematik d. Saiteninstr. II, Gesch. 
d. KL, Stockholm 1939, Hannover 21941 ; O. Funke, Das 
Kl. u. seine Pflege, Dresden 1940, Radebeul 21946, Ffm. 
31962, = Schriftenreihe Das Musikinstr. II; F. Trende- 
lenburg, E. Thienhaus u. E. Franz, Zur Klangwirkung 
v. Clavichord, Cemb. u. Fliigel, Akustische Zs. V, 1940; E. 
Closson, Hist, du piano, Briissel 1944; B. v. Essen, Bouw 
en geschiedenis van het kl., Rotterdam 1948; P. Locard, 
Le piano, Paris 1948; K. Hahn, t)ber d. Zusammenhange 
v. Klavierbau u. Klavierstil, Diss. Bin 1952, maschr. ; A. G. 
Hess, The Transition from Harpsichord to Piano, The Gal- 
pin Soc. Journal VI, 1953 ; Fr. J. Hirt, Meisterwerke d. 



733 



Pianola 



Klavierbaus, Olten 1955; R. Benton, The Early Piano in 
the United States, NY 1961 ; Fr. Ernst, Bach u. d. Pfte, 
Bach-Jb. XLVIII, 1961, auch = Schriftenreihe Das Musik- 
instr. VI, Ffm. 1962. 

Pianola -> Mechanische Musikwerke. 

Piatti (ital, Platten) -»■ Becken; senza p. (in der Stim- 
me der groBen Trommel) bedeutet: groBe Trommel 
allein, ohne Becken. Die Bezeichnung p. loste die in 
Italien bis zu Beginn des 18, Jh. iibliche Bezeichnung 
cembalo (»Zimbel«) ab. 

Pibgorn, Pibcorn (engl. von galisch piob, pib, Pfeife, 
und gorn, corn, Horn; -»■ Hornpipe - 1), in Wales ein 
Blasinstrument mit aufschlagender Zunge, 6 vorder- 
standigen Grifflochern und einem Daumenloch. An 
den Tubus aus Holz oder Knochen sind ein Anblas- 
trichter und ein Schallstiick aus tierischem Horn oder 
Huf angesetzt. 

Pibroch (p'i:biax, engl., von galisch piobaireachd, 
s. v. w. Pfeifenmelodie), in den Highlands Variationen 
fur Sackpfeife (mit zu hoher Quarte und zu tiefer Sep- 
time) iiber ein Thema (urlar). Die Melodie, durch Vor- 
schlage, Doppelvorsdilage usw. reich verziert, wird 
zur letzten Variation (creanluidh) hin immer beweg- 
ter; sie ist oft von martialischem Charakter. P.s sind 
seit dem 17. Jh. iiberliefert. 

Lit. : J. Grant, Piobaireachd. Its Origin and Construction, 
Edinburgh 1915. 

Picardische Terz (frz. tierce de Picardie; engl. Picar- 
dy third), eine von J.-J. Rousseau (1768) bezeugte iro- 
nische Bezeichnung der Musiker seiner Zeit fur die als 
veraltet empfundene groBe Terz in SchluBklangen von 
Stiicken, die in einer Molltonart stehen. Rousseau gibt 
die (wissenschaf tlich nicht erwiesene) Begriindung, die- 
se SchluBterz werde tierce de Picardie genannt, weil 
sich ihr Gebrauch in der Kirchenmusik linger als in der 
weltlichen Musik gehalten habe »und folglich auch in 
der Picardie, wo es in einer groBen Zahl von Kathedra- 
len und anderen Kirchen Musik gibt«. - Seitdem im 16. 
Jh. oder friiher die Terz in den SchluBklang eingefuhrt 
wurde, hat man wegen ihres hoheren Konsonanzgra- 
des stets die groBe Terz bevorzugt (-»■ Alteration - 2). 
Auch in der GeneralbaBlehre des 17. Jh. scheint diese 
Regel selbstverstandlich gewesen zu sein; W.Ebner in 
seinen (lateinisch abgefaBten) GeneralbaBregeln, die 
von J. A. Herbst (1653) ins Deutsche ubersetzt zitiert 
werden, und Fr.E. Niedt (1700) nehmen darauf Bezug. 
Niedt gibt zugleich einen Hinweis darauf, daB man in 
Frankreich friiher als in Deutschland den Mollakkord 
als SchluBklang einfiihrte (Musicalische Handleitung I, 
Cap. VIII, Regel 6). 

Lit. : Fr. Th. Arnold, The Art of Accompaniment from a 
Thorough-Bass as Practised in the 1 7 "^ and 1 8 ^ Cent. , Lon- 
don 1931,21961. 

Piccolo (ital., klein) bezeichnet in Zusammensetzun- 
gen die jeweils kleinste und hochstliegende Ausfiihrung 
eines Instruments, wie -> Violino p., Violoncello p. 
(-»■ Viola pomposa). Das P.-Kornett in hoch B wurde 
zuerst von Cerveny 1862 in Prag gebaut. Auch das 
Kornettino in Es wird P. genannt, das Instrument in 
hoch B daher zur Unterscheidung auch Piccolino. - P. 
ist heute meist die Kurzbezeichnung fiir Flauto p. (Klei- 
ne Flote, Pickelflote, Oktavflote; ital. auch Ottavino), 
eine -*■ Querflote mit Klappen in C (Umfang dZ-c 5 ), 
Des oder Es, die zylindrisch oder konisch gebaut und 
im Violinschliissel eine Oktave tiefer als klingend no- 
tiert wird. Sie wird im Orchester seit Beethoven und 
Rossini gefordert, vor allem in Tuttistellen im hohen 
Register. Mit der Angabe Flauto p. in Partituren des 
18. Jh. ist meist ein -> Flageolett (-1) gemeint. 



Pien, bian, chinesische Bezeichnung der Halbton- 
schritte in der 7stufigen Tonleiter. Die -»• Chinesische 
Musik war und ist im Prinzip halbtonf rei pentatonisch. 
Die altere Musiktheorie bis zur Dschou-Zeit (1050- 
256 v. Chr.) kannte nur Fiinftonleitern: 

gung schang djiio - dsche yii - gung 
do re mi - sol la - do 
Als aber spatestens mit Beginn der Sui-Dynastie (560- 
618 n. Chr.) westliche Musik, die sich in heptatoni- 
schen Leitern bewegte, aus Turkestan, Tibet und Indien 
nach China eindrang, ergab sich die Notwendigkeit, 
zwei Halbtonschritte einzubeziehen, die die Fiinf ton- 
leiter zur Siebentonleiter erganzten. Eine Anderung des 
Tonsystems war dazu nicht erforderlich, da es mogli- 
cherweise schon vor der Dschou-Zeit als ein durch 12 
Quintfortschreitungen gewonnener Tonvorrat von 12 
Halbtonen in der Oktave, den 12 ->- Lii, konstruiert 
worden war. DaB diese Halbtonschritte, die in der alt- 
chinesischen Musikpraxis nicht verwendet worden 
waren, niemals gleichrangig mit den pentatonischen 
Intervallen behandelt wurden, zeigt sich darin, daB sie 
keine eigenen Stufennamen erhielten. Sie wurden als 
Durchgangstone in die Abstande vor dsche und gung 
eingefiigt und nach diesen bian-dsche und bian-gung 
benannt. 

Pjffero (piffaro, ital.), eine -> Schalmei (- 1). Pifferari 
und Zampognari (->• Zampogna) heiBen die zwischen 
dem 1. Advent und Weihnachten meist aus den Abruz- 
zen und aus Kalabrien nach Rom kommenden Hirten, 
die zur Erinnerung an die Hirten von Bethlehem vor 
den Madonnenbildern spielen und singen. Meist musi- 
zieren ein Pifferaro (zugleich Sanger) und ein Zampo- 
gnaro zusammen. Die Weisen dieser Gesange sind seit 
Frescobaldi und Kerll mehrfach in Pastoralsatzen iiber- 
nommen worden, so auch in der Pifa aus Handels 
Messiah. 

Lit.: H. Geller, »I Pifferari«. Musizierende Hirten in 
Rom, Lpz. (1954). 

Pince' (pes'e, frz.) -*■ Mordent; p. renverse -»■ Schnel- 
ler; p. etouffe -> Acciaccatura. 

P'i-p'a (chinesisch, p'i s. v. w. die Hand vorwarts 
schieben, p'a s. v. w. die Hand zuruckziehen) ist eine 
Kurzhalslaute, literarisch zuerst um 200, ikonogra- 
phisch aus dem 5. Jh. belegt. Sie soil aus dem Norden 
oder Westen nach China gekommen sein. Die P'i-p'a 
hat ein rundes Corpus ohne Schallocher, 4 Saiten, 
Querriegel und lange seitenstandige Wirbel sowie 12 
Biinde auf dem Hals und dem Corpus. Die langlich- 
ovale, leicht bauchige Form mit etwas abgewinkeltem 
Wirbelkasten ist wahrscheinlichjunger (6. Jh.). Das In- 
strument wurde mit einem holzernen Plektron ge- 
spielt; Spiel mit den Fingern wird im 7. Jh. erwahnt. 
Charakteristisch ist der Klang der gegen die Biinde 
schlagenden Saiten. Die P'i-p'a kam im 8. Jh. nach Ja- 
pan, wo sie biwa heiBt und in mehreren GroBen vertre- 
ten ist. Zum Schutze des Corpus gegen die Schlage mit 
dem Plektron ist oft ein Leder- oder Lackstreifen quer 
iiber das Instrument gelegt. Die BaBlaute Bugaku biwa 
gehort noch heute zum japanischen »Hoforchester«. 
Lit.: R. H.v. Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokio 
1940, Addenda u. Corrigenda Tokio 1951 ; L. Picken, The 
Origin of the Short Lute, The Galpin Soc. Journal VIII, 
1955. 

Pisa. 

Lit. : A. Segre, II Teatro Pubblico di P. nel seicento e nel 
settecento, P. 1902; A. Gentili, Cinquant'anni dopo . . . 
II Teatro Verdi ne' suoi ricordi, P. 1915; P. Pecchiai, Al- 
cune notizie suU'arch. mus. del duomo di P., P. 1930; A. 
Puccianti, Di un opusculo contenente la descrizione 
dell'organo di A. Delia Ciaja nella chiesa dei Cavalieri in 
P., RMI LII, 1950. 



734 



Plagiat 



Pistoia. 

Lit. : G. C. Rospigliosi, Notizie dei maestri ed artisti di 
musica pistoiesi, P. 1878; A. Chiappelli, Storia del teatro 
in P. dalle origini alia fine del s. XVIII, P. 1913 ; A. Chiti, 
Organi ed organari in P., Bollettino stor. pistoiese XVIII, 
1916; A. Damerini, P., in: La nuova musica, Florenz 1917; 
ders., Un musicista pistoiese del Trecento, ebenda 1925; 
Cat. delle opere mus. deU'arch. capitolare della cattedrale 
di P., Parma 1937. 

Piston (pist'5, frz., Pumpventil) ist die iibliche Kurz- 
bezeichnung f iir das Cornet a p. (Ventilkornett, -* Kor- 
nett - 1). 

piu (ital., Abk. : p), mehr; piu forte, starker; piu al- 
legro, schneller; piu tosto, ener, z. B. adagio piu tosto 
andante, eher Andante als Adagio. 

Piva (ital.), - 1) eine Schalmei oder -*■ Sackpfeife; 

- 2) in italienischen Tanzbeschreibungen des 15. Jh. 
eine Schrittfolge, doppelt so schnell wie die der Bassa 
danza (-»• Basse danse) und damit die schnellste jener 
Zeit. Im 16. Jh. ein Tanz im 12/8-Takt, hauptsachlich 
iiberliefert in der Intabolatura de Lauto Libro quarto von 
Petrucci (I. A.Dalza, Venedig 1508), die siebenmal die 
Folge Pavana-Saltarello-P. in variationsmaBiger Ver- 
bindung enthalt. Die Notation in der Proportio dupla 
deutet darauf bin, daB auch die P. des 16. Jh. doppelt so 
schnell wie der normale Grundschlag (vielleicht der 
Pavane) verlief. - Mit einer Pifa im Rhythmus des 
-*■ Siciliano (12/8) iiber einer Art DudelsackbaB schil- 
dert Handel im Messiah in Anlehnung an die romischen 
Pifferari (-»■ Piffero) die weihnachtliche Hirtenszene. 

pizzicato (ital., gezwickt, Abk.: pizz.), Anweisung, 
die Saiten von Streichinstrumenten (oder auch des Kla- 
viers) mit den Fingern zu zupfen; wieder aufgehoben 
durch (col) -> arco. Die alteste bekannte Vorschrift des 
P.s findet sich 1638 in Monteverdis Combattimento di 
Tancredi e Clorinda. Paganini verwendete als erster das 
von der linken Hand ausgefiihrte P. bei gleichzeitigem 
Bogenspiel, das den Effekt eines Duettierens ergibt 

- ein Kunststiick, das schwieriger aussieht, als es tat- 
sachlich ist (Duo Merveille von Paganini, Zigeunerwei- 
sen von Sarasate). Bekannte P.-Satze sind: der 3. Satz 
der 4. Symphonie von Tschaikowsky, die Pizzikato- 
Polka von Joh. StrauB (Sohn) und Jos. StrauB und das P. 
aus Sylvia von Delibes. 

Lit. : Jk (= C. L. Junker), Etwas v. p., Mus. Real-Zeitung 
1789; A. Schering, Die Symbolik d. P. bis Beethoven, 
AfMf II, 1937. 

plagal (von griech. TzK&yioe,, lat. plagalis, plagius, 
plagis oder plaga, seitlich, hergeleitet, im Unterschied 
zu -*■ authentisch), - 1) seit dem Mittelalter gebrauch- 
liche Bezeichnung fur den 2., 4., 6. und 8. Kirchenton 
(alteste Belege im 9. Jh. : GS I, 27a f . und 40a). Die pla- 
galen Modi unterscheiden sich von den authentischen 
innerhalb des Systems der -> Kirchentone durch ihre 
jeweils um eine Quarte tieferliegenden Skalen; - 2) die 
-> Kadenz (- 1) S-T, auch »KirchenschluB« genannt. 

Plagiat (von lat. plagium, Menschenraub). Zuerst von 
Martial (1 . Jh. n. Chr.) auf die Aneignung eines f rem- 
den Kunstwerks iibertragen, wurde das Wort in Frank- 
reich seit dem 8. Jh. in diesem Sirme allgemein ge- 
brauchlich und in der Folge in andere Sprachen iiber- 
nommen. Auch als Rechtsbegriff setzt sich PI. immer 
mehr durch, obwohl es mit diesem Wort in Gesetzes- 
texten nicht vorkommt. Es bedeutet: jede unerlaubte 
Verwendung eines f remden, urheberrechtlich geschiitz- 
ten Werkes oder Werkteils - gleich ob verandert oder 
nicht - unter AnmaBung der eigenen Urheberschaft. 
Fur das bewufit begangene PL ist nach den Gesetzen 
nahezu aller Lander Entschadigungspflicht festgesetzt, 
wenn nicht Strafe. Die unbewuBte Verwendung frem- 



den Gedankenguts (unbewuBte Erinnerung) gilt nicht 
als PI. ; sie ist schwer beweisbar. Bei MiBbrauch urhe- 
berrechtlich freier Werke spricht man im allgemeinen 
nicht von PI. Gesetzlich aber kann hier ein Tatbestand 
des Betruges erfiillt sein. - In der Musik entstand im 
Unterschied zur Literatur erst spat ein Urheberan- 
spruch, dessen Nichtbeachtung den Vorwurf des Pl.s 
zur Folge haben konnte. Erst mit dem Aufkommen 
des Notendrucks (Anfang des 16. Jh.) wurde es all- 
gemein iiblich, den Komponistennamen bei der Ver- 
vielf altigung eines Werkes (und bei dessen Auff iihrung) 
anzugeben. Diese Ubung erstarkte allmahlich zu ei- 
nem schlieBlich auch gesetzlich anerkannten Recht des 
Urhebers auf Anerkennung seiner Urheberschaft. Die 
Verletzung dieses Urheberrechts ist das Wesensmerk- 
mal des Pl.s. Ganz-Pl. liegt vor bei Verwendung eines 
vollstandigen, mehr oder minder unveranderten frem- 
den Werkes. Historische Falle von Ganz-Pl.en sind 
u. a. diejenigen von G. B. Bononcini, der 1731 in Lon- 
don der Academy of Ancient Music A.Lottis Madri- 
gal In una siepe ombrosa als eigenes Werk einreichte, 
von W.Fr.Bach, der J.S.Bachs Autograph der Or- 
gelbearbeitung von A.Vivaldis Konzert D moll fiir 
2 V. und Orch. (BWV 596) mit der Aufschrift ver- 
sah di W.F.Bach, manu mei Patris descriptum, in der 
neueren Zeit von einem Schiiler M. Regers an seinem 
Lehrer und von Fritz Hahn in etwa einem Dutzend 
Fallen an J.Rheinberger (1907). - Mit der starkeren 
Bedeutung des melodischen Moments auch im mehr- 
stimmigen MusikschafEen des 18. Jh. wurde u. a. von 
Printz, Kuhnau, Mattheson, Marpurg und Scheibe 
auch die Benutzung von Teilen fremder Kompositio- 
nen als PI. angesehen, zumal wenn die Quelle nicht an- 
gegeben war. 1757 ruhmte sich Fr.W.Zacharias als 
erster des Vorschlags einer Quellenangabe bei fremden 
Melodien. Wahrend man noch zu Bachs und Handels 
Zeiten fremden Anleihen tolerant gegeniiberstand, hat- 
te die hohere Bewertung der Melodie gegen Ende des 
18. Jh. eine zum Teil ubertriebene »Reminiszenzen- 
jagd« und »P1.-Schniiffelei« zur Folge; hierbei wurden 
zu Unrecht auch Zufallsahnlichkeiten, z. B. Verwen- 
dung einer in der Zeit ublichen Melodieformel, ange- 
prangert. Im 20. Jh. spielt das PL fast nur noch auf dem 
Gebiet der Unterhaltungsmusik eine Rolle, und zwar 
eine zunehmend groBe, weil heute schon einige wenige 
besonders erf olgreiche Takte einen hohen Vermogens- 
wert darstellen und deshalb zum Diebstahl verlocken. 
Gegen solche Teil-Pl.e ist der im Gesetz vorgesehene 
Melodienschutz eine groBe Sicherheit. Demnach darf 
eine geschiitzte Melodie nicht erkennbar entnommen und 
einem neuen Werk zugrunde gelegt u/erden. Die Frage, 
warm die Melodie nur noch als urheberrechtlich nicht 
geschiitztes Motiv bezeichnet werden kann, ist fallwei- 
se zu entscheiden. Hier kann der geschadigte Urheber 
unter Umstanden wegen unlauteren Wettbewerbs vor- 
gehen. - Bei Pl.s-Prozessen werden meistens Sachver- 
standige gehort. Da exakte Merkmale selten vorliegen, 
machen die notwendig subjektiven Ergebnisse solcher 
Priifungen Pl.s-Prozesse unsicher und gefiirchtet. 
Lit: W. Tappert, Wandernde Melodien, Lpz. 21890; L. 
KarpaTh, Der Plagiator Fr. Hahn, Signale f . d. mus. Welt 
LXVI, 1908; Fr. Kuhn, Der Gegenstand d. Melodie- 
schutzes nach § 13 Abs. 2 d. Gesetzes v. 19. Juni 1901 be- 
treffend d. Urheberrecht an Werken d. Lit. u. Tonkunst, 
Diss. iur. Lpz. 1909; H. Nitze, Das Recht an d. Melodie, 
Munchen u. Lpz. 1912; A. Moser, Mus. Criminalia, Mk 
XV, 1922/23 ; K. Englander, Gedanken fiber Begriff u. 
Erscheinungsformen d. mus. PL, Arch. f. Urheber-, Film- 
u. Theaterrecht III, 1930; R. Englander, Das mus. PL als 
asthetisches Problem, ebenda; J. Landeroin, Du pi. mus., 
Paris 1933; H. G. Hein, Das PL in d. Tonkunst, Diss, 
iur. Koln 1935; K. Baumann, Das Urheberrecht an d. 



735 



Plainte 



Melodie u. ihre freie Benutzung, =Ziircher Beitr. zur 
Rechtswiss., N. F. LXXVI, Aarau 1940; W. Becker- 
Bender, Das Urheberpersonlichkeitsrecht im mus. Ur- 
heberrecht, = Heidelberger rechtswiss. Abh. XXV, Hei- 
delberg 1940; F. R. Wolpert, Der Schutz d. Melodie im 
deutschen Recht, Diss. iur. Miinchen 1953; A. H. King, 
Mozart in Retrospect, London (1955, 21956); H. v. Rau- 
scher auf Weeg, Das mus. Urheberrecht u. d. Schutz v. 
Werkteilen, Diss. iur. Heidelberg 1955; D. Ewen, Panora- 
ma of American Popular Music, Englewood Cliffs/N. J. 
(1957); E. Schulze u. a., PL, = Schriftenreihe Internatio- 
nale Ges. f. Urheberrecht e. V. XIV, Bin u. Ffm. 1959; 
»Zum Melodieschutz«, Gutachten, GEMA-Nachrichten 
Nr 48, 1960; H. Pohlmann, Die Friihgesch. d. mus. Urhe- 
berrechts, = Mw. Arbeiten XX, Kassel 1962; G. v. Noe, 
Das mus. PI., NZfM CXXIV, 1963. 

Plainte (ple:t, frz. Klage), - 1) -> Planctus; - 2) im 
17./18. Jh. eine Bezeichnung fiir Stiicke von klagen- 
dem Charakter ahnlich wie -»■ Lamento und -> Tom- 
beau. Pl.s schrieben u. a. Froberger (Allemande Pl.faite 
a Londres pour passer la Milancholie, vermutlich 1662), 
J. C. F. Fischer (Journal du Printetns, 1695, Les Pieces de 
Clavessin, 1696) und Fr. Couperin (10. Konzert) ; -3) ei- 
ne Bezeichnung fiir verschiedene Verzierungen, so fiir 
-> Vibrato (de Machy, Pieces de viole, 1685; M.Marais, 
Pieces de viole, 1686) oder ->■ Vorschlag (accent plaintif ; 
Mersenne 1636, J.-J. Rousseau 1768). 

Plaisanterie (plszatr'i, frz., SpaB, Spott), Satzbe- 
zeichnung in Suiten vornehmlich fiir Soloinstrumente 
(Klavier) der 1. Halfte des 18. Jh., die scherzoartigen 
Charakter haben, mit damnter gemischten Tanzmelodien 
(KochL). 

Planctus (lat. von plangere, laut trauern; prov. plane, 
planh; frz. complainte, plainte; ital. pianto, auch ->• la- 
mento), im Mittelalter ein Klagelied auf den Tod eines 
Gonners oder Fiirsten, von nicht festgelegter Form, 
zum Teil Sequenz- oder Laiform (Abalard) oder Re- 
frainformen. Beruhmt sind die PI. Fortz cauza des Gau- 
celm Faidit auf den Tod Richard Lowenherz' (1199) 
und Pies de tristor von Guiraut Riquier (2. Halfte 13. Jh.). 
In die Gattung gehoren auch die Liebes- und Marien- 
klagen des italienischen 13. Jh., so Jacopone da Todis 
Lauda Pianto della Madonna. 

Ausg. u. Lit. : A. Medin, Lamenti del s. XIV, Florenz 1883; 
ders. u. L. Frati, Lamenti storici dei s. XIV, XV, XVI, 3 
Bde, Bologna 1887, Bd 4 Padua u. Venedig 1894; W. Meyer 
u. W. Brambach, P. Abaelardi pi. virginum Israel, Miin- 
chen 1885; W. Meyer, P. Abaelardi pi. I-VI, Romanische 
Forschungen V, 1890, separat Erlangen 1890; ders., Ge- 
sammelte Abh. zur mittellat. Rhythmik I, Bin 1905; H. 
Springer, Das altprov. Klagelied, = Berliner Beitr. zur 
germanischen u. romanischenPhilologie, Romanische Abt. 
II, Bin 1895 ; Br. Stablein, Die Schwanenklage. Zum Pro- 
blem Lai-Pl.-Sequenz, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 
1962. 

Plantation song (pla;nt e:Jan sarj, engl., Plantagen- 
gesang), Sammelbezeichmmg fiir die Arbeitslieder 
(work songs) und andere Gesange der schwarzen Land- 
arbeiter in den USA, vor allem im 19. Jh. Manche die- 
ser Lieder, die zusammen mit den Bluesgesangen als 
Vorstufendesjazz gelten, sindwissenschaftlichbeschrie- 
ben und in abendlandischer Notenschrift aufgezeichnet 
worden. 

Ausg.: M. W. Taylor, A Collection of Revival Hymns 
and Plantation Melodies, Cincinnati 1883 ; W. E. Barton, 
Old Plantation Hymns, Boston u. NY 1899; E. Hallow- 
ell, Calhoun PI. S., Boston (1901), Suppl. (1905). 

Platerspiel, Platerpfeife (mhd. blaterpfife, »Blasen- 
pfeife«), Doppelrohrblattinstrumente, bei denen der 
Wind durch ein Anblasrohr zunachst in einen kleinen 
kugeligen Windbehalter (aus einer Tierblase herge- 
stellt) geleitet wird und von dort in die gerade (Plater- 



HS 




pfeife) oder unten umgebogene 
(Platerspiel) Spielrohre tritt. Zwei 
K^J^J Spielrohren, wie sie bei manchen 
Sackpfeifen auftreten, sind selten. 
Virdungs Platerspiel (siehe Abbil- 
dung) hat 6 Grifflocher (wie das Te- 
norkrummhorn, Umfang c-d 1 ). Ei- 
ne der Platerpfeife verwandte Form 
wird in der indischen Kurbisschal- 
mei gesehen. In Europa sind Plater- 
spiel und Platerpfeife vom Hoch- 
mittelalter bis Anfang des 17. Jh. so- 
wohl literarisch (Helbling, um 1290 
inNiederosterreich; Hugo von Trim- 
berg 1310; The Complaynt of Scotlande, 1549) als auch 
bildlich belegt (z. B. in Miniaturen der -»■ Cantigas- 
Handschrift Codex Escorial T.j.l, vgl. Kinsky 1925; 
auBerdem Ribera 1922, Abb. XXIII und XXV nach 
S. 152). 

Lit. : The Complaynt of Scotlande . . . , hrsg. v. J. A. H. 
Murray, London 1 872 ; J. Ribera y Tarrag6, La miisica 
delascantigas, = Cantigas de Santa Maria . . . Ill, Madrid 
1922; G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Windkapsel, 
AfMw VII, 1925 (dort Einzelnachweise). 

Plauen (Vogtland). 

Lit.: R. Helmrich, PI. Theatergesch. bis zur Weihe d. 
Stadttheaters im Jahre 1898, Jahresschrift d. Altertumver. 
zu PI. i. V. 1908 ; M. Seiffert, Das Pl.er Orgelbuch v. 1708, 
AfMw II, 1919/20; E. Flade, Der Chorus Musicus zu PI. 
i. V., Zs. f. KirchenmusikerXIX, 1937. 

Playback- Verfahren, ein in der Film- und Fernseh- 
technik angewandtes Verfahren, das als eine Umkeh- 
rung des Synchronisationsverfahrens (Hinzufiigung ei- 
ner synchronisierten Ton- zu einer vorproduzierten 
Bildaufnahme) angesprochen werden kann. Beim PL- 
V. wird die Ton-(vor allem die Musik-)Aufnahme mit 
optimaler Qualitat im Tonstudio vorproduziert und 
wahrend der eigentlichen Filmauf nahme oder der Fern- 
sehsendung (bzw. -aufzeichnung) iiber Lautsprecher 
dem Schauspieler oder Sanger zugespielt, der synchron 
Sprechen oder Singen markiert. Mit Hilfe des Pl.-V.s 
lassen sich die bei Film- und Fernsehaufnahmen oft un- 
vermeidbaren Storgerausche ausschalten. Ein weiterer 
Vorteil ist die Unabhangigkeit von den unterschiedli- 
chen akustischen Qualitaten der Aufnahmestudios. Au- 
Berdem bietet das Pl.-V. z. B. dem Regisseur von Fern- 
sehopern die - in ihrer Legitimitat allerdings umstrit- 
tene - Moglichkeit, Schauspielern die Stimme von gu- 
ten Sangern zu »leihen«, deren darstellerisches Vermo- 
gen oder auBere Erscheinung den Anf orderungen einer 
bestimmten Rolle nicht entspricht. - Playback (bzw. 
Multiplayback) heiBt auch das vor allem in der Unter- 
haltungsmusik angewandte Tonaufnahmeverfahren, 
bei dem von einem einzelnen Sanger oder Instrumen- 
talisten zwei (oder mehr) Tonbandaufnahmen nachein- 
ander gemacht und gleichzeitig mit den vorhergehen- 
den Aumahmen zusammengemischt werden. Bekannt 
wurden durch dieses Verfahren u. a. der amerikanische 
Gitarrist Les Paul und seine Frau Mary Ford (Gesang). 

Plein jeu (pis 30, frz., voiles Spiel), allgemein s. v. w. 
-> Organo pleno; auch gleichbedeutend mit -*■ Grand 
chceur (- 2). Charakteristisch fiir das PI. j. in der fran- 
zosischen Orgel, das auf den Prinzipalstimmen (Montre 
8', auch 16', Prestant 4', Doublette 2') und Mixturen 
(->■ Fourniture und Cymbale; -*■ Zimbel - 2) des 
Hauptwerkes basiert, sind vollbecherige Zungenstim- 
men (Trompette 8' und 4', auch 16') im Pedal, das Hin- 
zutreten weiterer Grundstimmen (Bourdon) im Haupt- 
werk und das Fehlen terzhaltiger Mixturen. Der Begriff 
PL j. bezeichnet manchmal auch nur die ->■ Mixtur. 



736 



Polen 



Plektron (griech.), auch Plektrum, ein Stabchen oder 
Blattchen aus Holz, Horn, Elfenbein, Federkiel, heute 
auch aus Kunststoffen, zum AnreiBen von Saiten. Die 
Saiteninstrumente des klassischen Altertums (-»■ Kitha- 
ra) wurden sowohl mit als auch ohne PI. gespielt. Auch 
bei den meisten neuzeitlichen Saiteninstrumenten 
wechselt der Gebrauch zeitlich und ortlich; immer mit 
PI. gespielt werden Mandoline und Zither. - PI. hieBen 
im Mittelalter auch Reibstabe, Tangenten (z. B. der 
Drehleier), spater noch die Kloppel des Hackbretts. 
-> Stimmschliissel. 

Plenum (lat.) -*■ Organo pleno. 

Pleonasmus (griech., UberfluC), in der Rhetorik die 
Uberbestimmung einer Sache durch ein in deren Be- 
griff schonEnthaltenes (z. B. nasser Regen, einen Traum 
traumen). Als musikalisch-rhetorische Figur ist PI. bei 
Burmeister (1606) die Ausweitung einer Klausel mittels 
dissonierender Durchgangsnoten (-»■ Commissura) 
und Synkopierungen (-> Syncopatio). Burmeister 
nennt als Beispiel den SchluB (restat amort dolor) von 
Lassus' 5st. Motette Heu quantus dolor (GA XI). 

Plica (mittellat., Falte), als Bezeichnung in der Notre- 
Dame-Epoche aufgekommen, belegt seit der Discantus 
positio vulgaris (ed. Cserba, S. 189). Unter PI. versteht 
man die in der Modal- und friihen Mensuralnotation 
(etwa bis hin zum Roman de Fauvel, -*■ Quellen: Fauv) ge- 
brauchlichen, aus den beiden liqueszierenden Neumen 
(->• Liqueszens) Cephalicus /* und Epiphonus^/ 
hervorgegangenen Noten, deren Grundformen die PI. 
descendens n und die PI. ascendens U sind. Die schon 
auf der vormodalen Stufe der Mehrstimmigkeit f iir die 
Niederschrift von Melismen herangezogenen beiden 
Zeichen erhielten in der -> Modalnotation offenbar die 
Bedeutung einer zweitonigen Folge aus einem festen 
Haupt- und einem beweglichen Nebenton (meist im 
Sekundabstand ; die Richtung der Tonf olge wird durch 
Stellung des Zeichens angezeigt). Aus den Quellen der 
Notre-Dame-Epoche ergibt sich aber, daB der Neben- 
ton sowohl melodisch als auch rhythmisch vielfach 
schon rational in den musikalischen Zusammenhang 
eingeordnet war. Friihmensural sind: PI. longa des- 
cendens ■, PI. brevis descendens «, PI. longa ascendens 

U oder a, PI. brevis ascendens b (auch k) sowie die mit 
PI. endenden -> Ligaturen (- 1), die sich von gewohnli- 
chen Ligaturen durch einen nach unten oder nach oben 
gerichteten vertikalen SchluBstrich (cauda, tractus) un- 
terscheiden (cum perfectione z. B. fL, ju, sine perfec- 

tione z. B. im, ml). Die Deutung dieser Pl.-Zeichen 
(in modernen Ubertragungen meist als Hauptnote 
mit angehangter Nebennote wiedergegeben, z. B. : 
Jjl oder jjt) stiitzt sich einerseits auf Angaben der Theo- 
retiker (ausfiihrlich etwa im anonymen Mensuraltrak- 
tat von 1279), andererseits auf Beobachtungen iiber 
mensurale Auflosungen der PI. in jiingeren Hand- 
schriften. 

Lit. : P. Bohn, Die PI. im gregorianischen Gesange u. im 
Mensuralgesange, MfM XXVII, 1895 ; H. Sowa, Ein ano- 
nymer glossierter Mensuraltraktat 1279, = Konigsberger 
Studien zur Mw. IX, Kassel 1930; H. Angles, Die Bedeu- 
tung d. PI. in d. ma. Musik, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 
1962. 

Pochette (psj'et, frz., kleine Tasche; engl. kit, von 
griech. kithara, zuerst belegt 1519; auch ital. sordino; 
frz. sourdine), eine Geige mit sehr kleinem Corpus, die 
leicht in der Rocktasche unterzubringen war und an 
manchen Orten bis ins 19. Jh. gerne von den Tanz- 
meistern beim Unterricht gebraucht wurde (»Tanz- 
meistergeige«). Im 16./17. Jh. hatte sie die vom -> Re- 



bec bekannte Bootsform (daher bei Kircher 1650 lin- 
terculus genannt); so wird sie auch von Praetorius 
(Synt. II) abgebildet (Klein Geig, Posche genant; Stim- 
mung g 1 d 2 a 2 oder a 1 e 2 h 2 ). Im 18. Jh. wurde die P. 
auch mit Violincorpus und sehr langem Hals, auch 
4saitig gebaut. 

Lit.: D. Fryklund, Studien uber d. P., Sundsvall 1917; 
ders., En p. d'amour afTh. Edlinger, ebenda 1918. 

poco (ital., Abk. [selten] : p), ein wenig (p. largo, p. for- 
te), aber auch wenig, nicht sehr (z. B. p. forte) ; p. a p., 
nach und nach ; un pochettino, ein klein wenig. 

Podatus (lat.) -> Pes (- 1), -» Neumen (- 1). 

Point d'orgue (pue d'arg, frz.) -> Orgelpunkt, 
-*■ Fermate. 

Polacca -*■ Polonaise. 

Polen. 

Ausg. : Piesni ludu polskiego (»Lieder d. polnischen Vol- 
kes«), hrsg. v. O. Kolberg, Warschau 1857, ab Serie II als: 
Lud, jego zwyczaje, . . . piejni, muzyka i tahce (»Das Volk, 
seine Sitten, . . . Lieder, seine Musik u. seine Tanze«), hrsg. 
v. dems., Serie II-IV, Warschau 1865-67, Serie V-XXIII, 
Krakau 1871-90, Nachdruck in: O. Kolberg, Dziela wszy- 
stkie, hrsg. v. J. Krzyzanowski u. a., Krakau u. Warschau 
seit 1961 ; Monumenta musices sacrae in Polonia, hrsg. v. 
J. Surzynski, 4 Bde, Posen 1 885-96; Wydawnictwo dawnej 
muzyki polskiej (»Ausg. alter polnischer Musik«), hrsg. v. 
A. Chybinski (Bd 1-22), H. Feicht (Bd 23-50), ab Bd 51 v. 
H. Feicht u. Z. M. Szweykowski, Warschau 1928-38, 
Krakau seit 1947; Muzyka polskiego odrodzenia (»Die 
Musik d. polnischen Renaissance«), hrsg. v. Z. Lissa u. J. 
M. Chominski, Krakau 1953, 2 1954, 31956, engl. 1955; 
Zrddta do historii muzyki polskiej (»Quellen zur polnischen 
Mg.«), hrsg. v. Z. M. Szweykowski, Krakau seit 1960; An- 
tiquitates musicae inPolonia, hrsg. v. H. Feicht, Warschau 
u. Grazseit 1962; Monumenta musicae in Polonia, hrsg. v. 
J. M. Chominski, Krakau seit 1964. 
Lit.: E. Oloff, Polnische Liedergesch., Danzig 1744; A. 
Sowinski, Les musiciens polonais et slaves, anciens et mo- 
dernes, Paris 1857, erweitert polnisch als: Slownik muzy- 
kow polskich, dawnych i nowoczesnych (»Lexikon d. alten 
u. gegenwartigen polnischen Musiker«), Paris 1874; M. 
Karasowski, Rys historyczny opery polskiej, . . . (»UmriB 
d. Gesch. d. polnischen Oper, . . .«), Warschau 1859; J. 
Surzynski, Muzyka figuralna w kosciofach polskich od 
XV do XVill wieku (»Figuralmusik in d. polnischen Kir- 
chen v. XV. bis XVIII. Jh.«), Posen 1889; A. Polinski, 
Dzieje muzyki polskiej w zarysie (»Gesch. d. polnischen 
Musik imUmriB«), = NaukaisztukaVII,Lemberg(1907); 
A. Chybinski, Stosunek muzyki polskiej do zachodniej 
w XV i XVI wieku (»Beziehungen d. polnischen Musik 
zu d. d. Westens im XV. u. XVI. Jh.«), Krakau 1909; 
ders., Teoria mensuralna w polskiej literaturze muzycznej 
pierwszej polowy XVI w. (»Mensuraltheorie in d. pol- 
nischen Musiklit. d. 1. Halite d. 16. Jh.«), Krakau 1911; 
ders., Polnische Musik u. Musikkultur d. 16. Jh. in ih- 
ren Beziehungen zu Deutschland, SIMG XIII, 1911/12; 
ders., Slownik muzykow dawnej Polski do roku 1800 
(»Lexikon d. Musiker im alten P. bis 1 800«), Krakau 1 949 ; 
A. Simon, Polnische Elemente in d. deutschen Musik bis 
zur Zeit d. Wiener Klassiker, Zurich 1916; H. Opienski, 
Lamusique polonaise, Paris 1918, 2 1929; W. Gieburowski, 
Choral gregorianski w Polsce od XV do XVII wieku (»Der 
gregorianische Choral in P. v. 15. bis zum 17. Jh.«), Po- 
sen 1922 ; L. Bernacki, Teatr, dramat i muzyka za Stanis- 
lawa Augusta (»Theater, Drama u. Musik zur Zeit d. Sta- 
nislaus Augustus«), 2 Bde, Lemberg 1925; H. Windakie- 
wiczowa, Pentatonika w muzyce polskiej ludowej (»Pen- 
tatonik in d. polnischen Volksmusik«), Warschau 1933 ; T. 
Wieczorkowski, Wczesnosredniowieczne instrumenty 
muzyczne kultury staropolskiej . . . (»Fruhma. Musikinstr. 
d. altpolnischen Kultur . . .«), Wiadomofci archeologiczne 
VII, 1939, separat 2 1948; J. Wt. Reiss, Polskie skrzypce 
i polscy skrzypkowie (»Polnische Geigen u. polnische Violi- 
nisten«), Warschau 1946; ders., Polska muzyka taneczna 
XIX w. (»Polnische Tanzmusik d. 19. Jh.«), Muzyka IV, 
1953; Zdz. Jachimecki, Muzykologia i piSmiennictwo 



47 



737 



Polka 



muzyczne w Polsce (»Mw. u. Musikschriftstellerei in P.«), 
Krakau 1948; ders., Muzyka polska w rozwoju historycz- 
nym . . . (»Die polnische Musik in hist. Entwicklung . . .«), 
2 Bde, Krakau 1948-51 ; Zdz. Szulc, Slownik lutnikow 
polskich (»Lexikon d. polnischen Geigenbauer«), Posen 
1953; K. Michalowski, Opery polskie(»PolnischeOpern«, 
1788-1953), = Materialy do bibliogr. muzyki polskiej I, 
Krakau 1954; ders., Bibliogr. polskiego pismiennictwamu- 
zvcznego (»Bibliogr. d. polnischen Musikschrifttums«), 
ebenda III, Krakau 1955, Suppl. f. 1955-63, 1964; T. 
STRUMitto, Szkicez polskiego zycia muzycznego 19 wieku 
(»Skizzen aus d. polnischen Musikleben d. 19. Jh.«), Krakau 
1954 ; ders., Zrodta i poczatki romantyzmu w muzyce pol- 
skiej (»Wurzeln u. Anfange d. Romantik in d. polnischen 
Musik«), Krakau 1956; St. Jarocinski, Antologia pol- 
skiej krytyki muzycznej 19 i 20 w. (»Anth. d. polnischen 
Musikkritik d. 19. u. 20. Jh.«), Krakau 1955 ; ders., Polskie 
czasopiSmiennictwo muzyczne w XIX i XX w. (do 1939 r.) 
(»Die polnischen Musikzss. im 19. u. 20. Jh. bis 1939«), Mu- 
zyka IV, 1959; Polish Music, hrsg. v. dems., Warschau 1965; 
W. Salmen, Przyczynek do historii polskich szpilmanow 
w poznym sredniowieczu (»Beitr. zur Gesch. d. polnischen 
Spielleute im spaten MA«), Muzyka II, 1957; Kultura 
muzyczna Polski Ludowej (»Die Musikkultur Volksp.«), 
hrsg. v. Z. Lissa u. J. M. ChomiSiski, Krakau 1957; A. 
Ciechanowiecki, Przyczynki do dziejow kultury mu- 
zycznej w Polsce XVII i XVIII w. (»Beitr. zur Gesch. d. 
polnischen Musikkultur im 17. u. 18. Jh.«), in: Ruch mu- 
zyczny II, 1958; Z dziejow polskiej kultury muzycznej I 
(»Aus d. Gesch. d. polnischen Musikkultur«), hrsg. v. St. 
Lobaczewska, Krakau 1958; J. GabryS u. J. Cybulska, 
Zdziejow polskiej piesni solowej (»Zur Gesch. d. polnischen 
Sololiedes«), Krakau 1960; Wl. KamiSiski, Wczesnosred- 
nio wieczne instrumenty muzyczne na terenie Polski (»Friih- 
ma. Musikinstr. auf polnischem Gebiet«), Kgr.-Ber. War- 
schau 1960; J. Woronczak, E. Ostrowska u. H. Feicht, 
Bogurodzica, Breslau, Warschau u. Krakau 1962; H. 
Feicht, Podstawowe zagadnienia polskiej kultury mu- 
zycznej wiekow srednich (»Grundprobleme d. polnischen 
Musikkultur im MA«), in: Hist, kultury sredniowiecz- 
nej w Polsce (»Gesch. d. ma. Kultur in P.«), Warschau 
1963; ders., Dzieje polskiej muzyki religijnej w zarysie 
(»Gesch. d. polnischen geistlichen Musik im UmriB«), in : 
Roczniki teologiczno kanoniczne (»Theologisch-kanoni- 
sche Jahrbiicher«) XII, 4, Lublin 1965; ders., Les proble- 
mes de l'hist. de la musique polonaise, Acta historiae po- 
lonica XIII, 1966; ders., Muzyka staropolska (»Altpolni- 
sche Musik«), Krakau 1966; L. Finscher, Deutsch-polni- 
sche Beziehungen in d. Mg. d. 16. Jh., in: Musik d. Ostens 
II, Kassel 1963; M. Perz, Die Vor- u. Friihgesch. d. Par- 
titur in P., in : Fs. d. Akad. f. Musik ... in Graz, Graz 1963 ; 
ders., Hs. Nr 1361 d. Offentlichen Stadtischen Raczynski- 
Bibl. in Poznan als neue Quelle zur Gesch. d. polnischen 
Musik in d. II. Halfte d. XV. Jh., in: The Book of the 1. 
IMC, Warschau 1963 ; L. T. Blaszczyk, Dyrygenci polscy 
i obey w Polsce dzialaj acy w XIX i XX w. (»Polnische u. aus- 
landische Dirigenten, die im 19. u. 20. Jh. in P. wirkten«), 
Krakau (1964); Slownik muzykow polskich (»Lexikon d. 
polnischen Musiker), hrsg. v. J. Chomt&ski, Bd I, Krakau 
(1964); Th. Gollner, Eine mehrst. tropierte Weihnachts- 
lektion in P., AMI XXXVII, 1965 ; Musica medii aevi, hrsg. 
v. J. Morawski, I, Krakau 1965; Z. Rozanow, Muzyka 
w miniaturze polskiej (»Musik in d. polnischen Miniature), 
Krakau 1 965 ; P. Podejko, Nieznani muzycy polscy : kom- 
pozytorzy, dyrygenci, instrumentalisci i wokalisci 1585- 
1 820 (»Unbekannte polnische Musiker : Komponisten, Di- 
rigenten, Instrumentalisten u. Vokalisten 1585-1820«), 
Bydgoszcz 1966; A. Sutkowski, Les sujets mus. dans les 
miniatures medievales en Pologne, in : Melanges offerts a 
R. Crozet II, Poitiers 1966; Studia H. Feicht septuagenario 
dedicata, Fs. Krakau 1967. - Bibliogr.: VR P. 1945-65, 
= Beitr. zur Mw., Sonderreihe II, Bin 1966. 

Polka (tschechisch, Etymologie umstritten, wohl von 
p., kleine Polin), Paartanz in lebhaftem 2/4-Takt, trotz 
seines auf Polen verweisenden Namens von tschechi- 
scher Herkunft. Wenn auch zum polnischen -»■ Kra- 
kowiak und zur -> Ecossaise Parallelen bestehen, sind 
schnelle Volkstanze in geradem Takt in Bohmen schon 
vor dem urn 1830 zu datierenden Aufkommen der P. 



bekannt und verbreitet. Bei wesentlich langsamerem 
Tempo ist die P. dem -> Galopp durch den beiden 
Tanzen gemeinsamen Wechselschritt verbunden. In- 
nerhalb weniger Jahre breitete sich die P. in Bohmen 
(1837 in Prag) und bis nach Osterreich (1839 in Wien, 
im gleichen Jahr in St. Petersburg) aus, kam 1837 erst- 
mals zum Druck (M.Berra, Prager Lieblings-Galoppen), 
wurde aber von Paris aus, wohin 1840 der Tanzlehrer 
J.Raab sie gebracht hatte, schlagartig zum alles Uber- 
treffenden Modetanz. Schon damals sah man die P. als 
polnischen Tanz an, was ihr - wie z. B. auch der -*■ Po- 
lonaise - bei der seit der polnischen Revolution herr- 
schenden Polenbegeisterung nur forderlich gewesen 
sein kann. In ihrer Stilisierung verlor sie die Verbin- 
dung zum urspriinglichen Volkstanz und bildete eine 
Reihe von zum Teil schnell wechselnden Sonderfor- 
men aus (z. B. Kreuz-P.), die aber den fur die P. cha- 

rakteristischen Rhythmus * Jj J-3 I id J I weitge- 

hend beibehalten haben. Aus einer Unzahl von Stiik- 
ken sind in Deutschland noch heute mehrere P.s von 
J. StrauB Vater und Sohn (u. a. Annen-P., Pizzikato- 
P.) allgemein bekannt. Mit dem Vordringen siid- und 
nordamerikanischer Tanze nach 1945 kam die P. als 
Tanz fast vollig auBer Gebrauch und ging in den Be- 
reich der Unterhaltungsmusik iiber. Als stilisiertes Bei- 
spiel tschechischer Nationalmusik kann die P. in Sme- 
tanas »Verkaufter Braut« (1866) gelten: 




Die P. fand Eingang in die Kammermusik durch Fi- 
bichs Streichquartett A dur (1874) und Smetanas 
Streichquartett »Aus meinem Leben« (1876). Fur ein 
amerikanisches Elefantenballett schrieb Strawinsky 
1942 eine Circus-P. 

Lit. : A. Waldau, Bohmische Nationaltanze, 2 Bde, Prag 
1859/60; Zd. Nejedly, B. Smetana, II, Prag 1925; A. Mi- 
chel, P., the Czech, in: A. Chujoy, The Dance Encyclo- 
pedia, NY 1949; R. C. Halski, The Polish Origin of the 
P., Kgr.-Ber. Warschau 1960. 

Polo (span.), - 1) ein sudspanischer (andalusischer) 
Tanz, begleitet von Kastagnetten, Handeklatschen und 
Schuhgeklapper; - 2) andalusischer Volksgesang, in 
Moll und im 3/8-Takt, der durch die Zigeuner ver- 
breitet wurde (p. gitano, Zigeuner-P.). Er besteht aus 
2 Teilen: der 1. Teil ist ein Gitarrenvorspiel (solida), 
der 2. Teil wird gesungen und ist mit einem oder eini- 
gen langen ay- oder ole-Rufen durchsetzt. In der 
Kunstmusik findet sich ein beriihrnter P. als letzter der 
Siete canciones populates espaiiolas von de Falla. 

Polonaise (pak>n'e:z, frz. ; polnisch polonez; ital. po- 
lacca) bezeichnet sowohl einen noch heute gebrauch- 
lichen ruhigen Schreittanz polnischer Herkunft als auch 
ein von ihm abgeleitetes (nicht getanztes) Instrumental- 
stuck, dessen Ausbildung sich allerdings zum grofiten 
Teil auBerhalb Polens vollzogen hat. - Der paarweise 
Schreittanz im (iiberwiegend) geraden Takt und von 
maBiger Bewegung findet sich bis heute in Polen unter 
den verschiedensten Namen (z. B. Chodzony, der Ge- 
gangene, Pieszy, der Geschrittene) und ist, wie die 
meisten Formen der Volksmusik, in seinen Urspriingen 
kaum zu fassen. Nichts widerspricht der Annahme sei- 
ner Existenz schon im 16. Jh., so daBdie (f riiher f alsch- 
lich als Ausgangspunkt der P. angesehene) Defiliercour 
des polnischen Adels vor Heinrich von Valois (1574) 
durchaus seiner Geschichte zugerechnet werden konn- 



738 



Polynesien 



te. Die weite Verbreitung der mit ihm verbundenen 
Tanzlieder erweisen die nach Hunderten zahlenden P.n 
in der von O. Kolberg edierten Volksmusiksammlung 
(->• Polen). Neben der Verwendung dieses Schreittan- 
zes im heute noch gepflegten polnischen Brauchtum 
(vor allem bei Hochzeiten) lark sich mindestens bis ins 
17. Jh. eine iiber Polen hinausgehende hofische Form 
feststellen, die bis zur Gegenwart als Eroffnung von 
Tanzveranstaltungen lebendig blieb. Wahrend sich das 
Brauchtum weitgehend auf ein Umschreiten des Tanz- 
platzes beschrankt, weitete sich z. B. in Deutschland die 
P. (vor allem in privatem Rahmen) haufig zu einem 
von Marschmusik oder Liedern begieiteten Zug durch 
das ganze Haus aus, zur frohlichen Einstimmung der 
versammelten Gesellschaft. - Die P. als nicht getanztes 
Instrumentalstuck ist mit Sicherheit bis ins 17. Jh. zu- 
riickzuverfolgen. Ihre deutliche Scheidung von nur 
allgemein mit »polnisch Dantz« oder ahnlich bezeich- 
neten Stiicken (-»■ Polska) ist im 17. Jh. und in noch 
friiherer Zeit (z. B. bei Ammerbach) haufig schwierig. 
Sie erscheint, ihrer Herkunft vom Schreittanz entspre- 
chend, zunachst als geradtaktiges Stiick; zuerst verein- 
zelt, dann haufiger wird ein Nachtanz (Proporz) ange- 
fiigt, der sich am Anfang des 18. Jh. als P. im Dreier- 
takt mit dem typischen stark akzen tuierten vollen 

Taktbeginn und dem Rhythmus J)J2j J J J verselb- 
standigt. Der SchluBtakt mit einer charakteristischen 
Aufteilung des ersten Viertels weist allgemein Bildun- 
gen auf wie J553J W 1 oder JJQJjy. Die Entwicklung 
dieser instrumentalen P. vollzog sich auBerhalb Po- 
lens, vorwiegend in Schweden und Deutschland sowie 
Frankreich, von wo sie im 18. Jh. wieder nach Polen 
zuriickkehrte. Ein be- 
kanntes Beispiel ist die 
P. aus J. S.Bachs Fran- 
zosischer Suite E dur 
(BWV817): 




Die P. findet sich u. a. auch bei Couperin, Telemann, 
Handel, Sperontes, Guillemain, W.Fr.Bach, Kirnber- 
ger und Schobert. Zu besonderer Bliite gelangte sie am 
Ende des 18. Jh., wozu die in ganz Europa beruhmten 
iiber 20 Kompositionen fur Klavier (darunter einige 
vierhandig) von M. Kl. Ogiriski mit programmatischen 
Titeln und melancholischem, sentimentalem Charak- 
ter (Les adieux; Toten-P. usw.) wesentlich beigetragen 
haben. Von anderen Komponisten dieser Zeit ist vor 
allem J. Kozlowski zu nennen, der neben P.n fur Kl. 
etwa 70 fiir Orch. schrieb, daneben andere fiir Chor 
und Orchester, unter ihnen Grom pobiedy rozdawajsia 
(bis 1833 die russische Staatshymne). Beethoven ver- 
wendet die P. mehrmals (Serenade op. 8, Finale des'Tri- 
pelkonzerts op. 56, P. op. 89), ebenso C.M.v.Weber 
(op. 21, 1808; Polacca brillante op. 72, 1819, spater von 
Liszt fiir Kl. und Orch. bearbeitet) und Schubert (4 P.n 
op. 75, D 599, urn 1818; 6 P.n op. 61, D 824, urn 1825, 
alle fiir Kl. zu 4 Handen). Fiir Chopin waren die P.n 
von Oginski mindestens ebenso bedeutsam wie diejeni- 
gen seiner Lehrer Zywny und Eisner. Seine Werke 
fuhrten das Instrumentalstuck P. zum Hohepunkt sei- 
ner Geschichte ; zu ihrem Erf olg hat im westlichen Eu- 
ropa auch die nach den Ereignissen von 1830/31 auf- 
brechende romantische Polenbegeisterung beigetragen. 
Schumann (8 P.n, 1828, vierhandig) und Liszt (2 P.n, 



1 851 ; Fest-P. , 1 876 ; Bearbeitung der P. aus Tschaikow- 
skys »Eugen Onegin« fiir Kl.), auch R.Wagner (Kl.-P. 
op. 2) leisteten Beitrage zu dieser hochstehenden und 
das Musizieren des 19. Jh. weithin beherrschenden 
-*■ Salonmusik. 

Lit. : W. Gostomski, Polonez i menuet, Warschau 1891 ; T. 
Norlind, Zur Gesch. d. polnischen Tanze, SIMG XII, 
1910/11; A. Chybinski, Die deutschen Musiktheoretiker 
im 16.-18. Jh. u. d. polnische Musik, ZIMG XIII, 191 1/12; 
L. Kamienski, Neue Beitr. zur Entwicklung d. P. bis Beet- 
hoven, Kgr.-Ber. Wien 1927; ders., O polonezie staro- 
polskim (»t)ber d. altpolnischen P.«), Muzyka V, 1928 ; H. 
Opienski, Przyczynek do dziejow poloneza . . . (»Beitr. zur 
Gesch. d. P. in Polen im 18. Jh.«), Kwartalnik muzyczny 
VI, 1933 ; H. Martens, P. u. Mazurka, = Mus. Formen in 
hist. Reihen XIX, Bin (1937); H. Dorabialska, Polonez 
przed Chopinem (»Die P. vor Chopin«), Warschau 1938; 
J. Miketta, Polonezy, = Analizy i objaSnienia dziel wszy- 
stkich Fr. Chopina II, Warschau 1949 ; J. Wt. Reiss, Polo- 
nez, jego pochodzenie i rozwoj (»Die P., ihre Herkunft u. 
Entwicklung«), Poradnik muzyczny XL, 1950-XLI, 1951 ; 
A. Slawinski, Rytm a harmonia w polonezach Chopina 
(»Rhythmus u. Harmonik in d. P. Chopins«), Kgr.-Ber. 
Warschau 1960; ders., Metrorytmika a forma polonez6w 
Chopina (»Metro-Rhythmik u. Form d. P. Chopins«), 
= Prace Inst. Muzykologii Universytetu Warszawskiego, 
Warschau 1960; Z. Steszewska, Z zagadnien hist, polo- 
neza (»Zum Problem d. Gesch. d. P.«), Muzyka V, 1960. 

Polska, polske dans, ein mit der Geschichte der 
-* Polonaise in Zusammenhang stehendes schwedisches 
Tanzlied im 3/4-Takt, rhythmisch der Mazurka ahn- 
lich. Der polnische Tanz kam im Zuge seiner Verbrei- 
tung iiber ganz Europa im spaten 16. Jh. nach Schwe- 
den und bildete dort eine eigene Tradition im Bereich 
der Volksmusik aus. Als eine der bekanntesten Polsken 
gilt die Nackens p. : 



Lit. : T. Norlind, Zur Gesch. d. polnischen Tanze, SIMG 
XII, 1910/11, S. 522ff.; ders., Den svenska polskans hist., 
in : Studier i svensk folklore V, 1 9 1 1 ; ders. , Svensk f olkmu- 
sik och folksdans, Stockholm 1930; E. Klein, Om polske- 
danser, Svensk kulturbilder, N. F. X, 1937; E. Ala-Koen- 
ni, Die P.-Tanze in Finnland. Eine ethno-musikologische 
Untersuchung, Helsinki 1956. 

Polymetrik nannte H.Riemann 1884 (spater jedoch 
nicht mehr) die erste der drei von ihm unterschiedenen 
Arten der -*■ Polyrhy thmik. Eine klare Abgrenzung der 
Begriffe Polyrhythmik und P. ist bisher nicht moglich. 
Je nach der gemeinten Bedeutung von -*■ Metrum (- 3) 
kann P. in verschiedenem Sinne aufgefaBt werden, wo- 
bei besonders zwei Bedeutungen auseinanderzuhalten 
sind: entweder handelt es sich um konkurrierende 
selbstandige Bewegungen innerhalb einer gemeinsa- 
men Taktordnung, oder um solche mit inkongruenten 
Schwerpunkten, Akzenten, Taktstrichsetzungen. Die 
erste Art darf als typisch fiir die Musik der Wiener 
Klassiker gelten: dafi vor einem konstruktiven Hinter- 
grund mehrere metrische Gebilde gleichzeitig bestehen kon- 
nen, ist (nach Georgiades) ein Lebensquell des klassischen 
Satzes. Die zweite Art findet sich haufig in der Neuen 
Musik des 20. Jh., im Notenbild gewohnlich an der 
unterschiedlichen Akzentsetzung in den Stimmen oder 
an der Balkenschreibung iiber die Taktstriche oder, sel- 
tener vorkommend, an der Vorzeichnung verschiede- 
ner Taktarten zu erkennen (singular fiir die altere Zeit 
ist die Kombination von drei gleichzeitig ausgefiihrten 
Tanzen verschiedener Taktart in Mozarts Don Gio- 
vanni, Ballszene im 1. Finale). 

Lit. : H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbg u. St. Pe- 
tersburg 1884; Thr. G. Georgiades, Aus d. Musiksprache 
d. Mozart-Theaters, Mozart-Jb. 1950. 

Polynesien -»-Ozeanien. 



47* 



739 



Polyphonie 



Polyphonie (polyphon) heiBt Mehrstimmigkeit 
(mehrstimmig) schlechthin, im besonderen jedoch je- 
ne Art der Mehr-»Stimmigkeit« im buchstablichen 
Sinn, bei der die Stimmen (als Cantus, Melodien, Li- 
nien) melodisch-rhythmischeEigenstandigkeit aufwei- 
sen, im Unterschied zum Akkord- und Melodiesatz der 
-*■ Homophonie. Dementsprechend kennzeichnet P. 
einerseits speziell das Kompositionsprinzip der -> Imi- 
tation (Kanon, Fuge), andererseits geschichtlich beson- 
ders die Bliitezeit der kontrapunktischen Kunst im 16. 
Jh., den »durchimitierenden Stil« (H.Riemann), die 
»klassische Vokalpolyphonie« (Jeppesen), in deren Mit- 
telpunkt Palestrina (->■ Kontrapunkt) und Lassus ste- 
hen. - In der Antike benennt TOXuipovta (iroX^qxavoc;, 
von rcoXui;, vie], und <p&>VY), Laut, Ton, Stimme), sel- 
ten in musikalischem Sinn gebraucht, den groBen Ton- 
vorrat, die »Vieltonigkeit« (des Vogelgezwitschers), 
auch das geschwatzige, redselige oder ausdrucksreiche 
Sprechen, bei Plutarch (Ilegl fiovaixrjs, 1141c) die 
»Tonvielfalt« des Aulos. Zur Benennung mehrstimmi- 
ger Musik ist das Wort polyphonia urn 1300 in der 
Summa musicae (GS III, 239ff.) verwendet worden, 
wahrscheinlich im Gedanken an dyaphonia (->■ Dia- 
phonia ; die Bezeichnung Discantus f ehlt, und von men- 
suraler Aufzeichnung ist in diesem Traktat nicht die 
Rede) : der Einstimmigkeit (cantus simplex) steht ge- 
geniiber die polyphonia (modus canendi a pluribus di- 
ver sam observantibus melodiam) ; sie umf aBt die 3 Spezies 
dyaphonia, triphonia und tetraphonia, deren jede (in 
nicht eindeutiger Beschreibung) unterteilt ist in basilica 
(Mehrstimmigkeit iiber Haltetonen) und organica (in 
Gegenbewegung). Auch ein Abschnitt eines anonymen 
Briisseler Traktats (geschrieben im 15. Jh.; RISM, The 
Theory of Music I, S. 61) handelt De poliphonia (. . . est 
unio plurium inter se vocum suaui mixtione . . .), und in 
grazisierender Terminologie betitelte im 16. Jh. der 
Humanist Luscinius in seiner Musurgia (1536, S. 61ff.) 
die Notations- und Kompositionslehre der mehrstim- 
migen Musik : De concentus polyphoni ratione. Bis in die 
Bach-Zeit blieb das Wort P. jedoch selten und termi- 
nologisch wenig fbciert. J. G. Walther (1732) verzeich- 
nete lediglich Polyphonium . . . eine vielstimmige Com- 
position. Erst seit dem Vordringen des funktionalhar- 
monischen Melodie- und Akkordsatzes in der Vor- 
klassik und der Spaltung der Satzlehre in Harmonie- 
und Kontrapunktlehre datiert die Gegeniiberstellung 
von Homophonie und P., letztere in dem Sinne ver- 
standen, daB mehrere Stimmen den Charakter einer Haupt- 
stimme behaupten (KochL). Die im 19. Jh. erfolgte 
Gleichsetzung von P. und Kontrapunkt entspricht dem 
Begriff des Kontrapunkts, der beim Gegeneinander- 
setzen der Tone auf die Selbstandigkeit der Stimmen 
abzielt. P. ist somit das Ergebnis des Kontrapunkts, das 
in dessen Prinzip selbst schon enthalten und im Begriff 
P. nun eigens angesprochen wird. Um die »echte Li- 
nien-P.«, die melodisch-polyphone (kontrapunktische) 
Schreibweise gegeniiber der akkordisch-vertikal gerichte- 
ten Einstellung intensiv zu benennen, sprach E.Kurth 
(1917) von »linearemKontrapunkt«(pflra/mearerSc/ireit- 
art, S. 100), »melodischer P.«. - Der gemeinhin ganz 
unreflektiert gebrauchte Begriff »Mehrstimmigkeit« 
ist gleichwohl - auch wenn kein anderes Wort zur Ver- 
fiigung zu stehen scheint - oft problematisch als Be- 
zeichnung auBereuropaischer und archaischer Klang- 
gestaltung, die weithin nicht von der Vorstellung einer 
Gleichzeitigkeit mehrerer Stimmen ausgeht (-»■ Hete- 
rophonie). Auch in der abendlandischen Musik vermag 
das Begriffspaar homophon-polyphon den Reichtum 
des Verhaltnisses von Stimme und Zusammenklang 
nicht zu erfassen, z. B. nicht das -> Organum, nicht den 
-> Discantus (z. B. als Conductus oder Rondellus, ob- 



wohl beide als eine Zusammenfiigung mehrerer Cantus 
beschrieben wurden), nicht den -*■ Kantilenensatz (ob- 
wohl er ein Melodiesatz zu sein scheint), nicht den Ge- 
neralbaBsatz, sofern hier die Stimmfuhrung nicht mehr 
allein vom Prinzip des Kontrapunkts und die Klang- 
folge noch nicht primar von Akkordfunktionen be- 
stimmt werden, sondern ein in die Rechnung einge- 
stellter klanglicher Hintergrund fiir die im Vordergrund 
stehenden . . . Stimmen maBgebend ist (Handschin, Mu- 
sikgeschichte, S. 274f.). Auch der Satz der Wiener Klas- 
siker widersetzt sich oft der alternativen Benennung 
P. /Homophonie, z. B. in den kompositorischen Er- 
scheinungen des -> Obligaten Akkompagnements und 
der -> Durchbrochenen Arbeit. - Im Hinblick auf die 
Musik des 20. Jh. ist die Gleichsetzung von P. und 
Kontrapunkt f ragwurdig geworden : denn wahrend im 
Kontrapunkt aus Bedingungen des Zusammenklangs 
ein Gefiige selbstandiger Stimmen entsteht, dient nun 
die Eigenstandigkeit der Stimmen oft primar der Bil- 
dung (Rechtfertigung) neuer Klange (Rechtfertigung 
durchs Melodische allein!, Schonberg, Harmonielehre, 
Neufassung 1922, S. 466). Vollends jenseits des eigent- 
lichen Begriffes P. stehen atonale Kompositionen, de- 
nen nicht mehr die Vorstellung der »Stimmigkeit« 
(Stimmfuhrung) zugrunde liegt und bei denen auch 
die (heute oft so genannte) »P. der Reihe« (z. B. We- 
bern, Symphonie op. 21) jenseits realer »Stimmen« ver- 
lauft. - In neuerer Zeit wurden analog zu P. die Be- 
griffsworter -> Polyrhythmik, ->• Polymetrik und 
->• Polytonalitat gebildet. HHE 

Polyptoton (griech., mit vielen Fallen [Casus]), in 
der Kompositionslehre des 18. Jh. eine im AnschluB 
an die Rhetorik erklarte musikalische Figur. In der 
Rhetorik ist das P. die Wiederholung eines Wortes in 
verschiedenen Flexionsf ormen ; Vogt (1719) erklart die 
Figur musikalisch als Wiederholung einer Melodie- 
wendung auf anderer Tonhohe und mit veranderter 
Fortfiihrung. 

Polyrhythmik (Wortpragung des 19. Jh.; engl. auch 
cross-rhythm) wird die gleichzeitige Realisierung ver- 
schiedener Rhythmen genannt. H.Riemann unter- 
schied als hauptsachliche Arten der P. die gleichzeitige 
Bewegung in Werten verschiedener Ordnung mit ge- 
meinsamen Hauptschwerpunkten, z. B. in Halben, 
Vierteln und Achteln (von Riemann auch Polymetrik 
genannt) ; komplementare Rhythmen, z. B. mit Ton- 

gebungen auf jedes Achtel in Fallen wie jj » » oder 

J- Jl.J. j\ " * 

J m » IS ; Konfliktrhythmen, bei denen in 

den einzelnen Stimmen Rhythmen einander gegen- 
ubergestellt sind, die verschiedenen Teilungsweisen 
derselben Ordnung entstammen, z. B. Triolen gegen 
Quartolen oder gegen punktierten Rhythmus. Dieser 
im Hinblick auf Musik des 18. und 19. Jh. gewonnene 
Begriff der P. wird seither vielfach auch auf andere Mu- 
sik angewendet. So spricht man von polyrhythmischen 
Bildungen etwa in der Musik des 1 4. und 1 5 . Jh. (->• Pro- 
portion - 2), vor allem aber in der Neuen Musik des 
20. Jh., dariiber hinaus auch in auBereuropaischer Mu- 
sik sowie im Jazz. 

Lit. : H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbg u. St. 
Petersburg 1884; ders., System d. mus. Rhythmik u. Me- 
trik, Lpz. 1903. 

Polysyndeton (griech. ; lat. acervatio iuncta : Reihung 
synonymer Glieder mittels Konjunktionen), eine in 
der Musiklehre des 17.-18. Jh. im AnschluB an die Rhe- 
torik erklarte musikalische Figur: emphatische Wie- 
derholung von einander ahnlichen Gliedern eines Me- 
lodieabschnitts. Das rhetorische P. (z. B. Und es wallet 



740 



Portamento 



und siedet und brauset und zischt) erlautert Gottsched als 
die Haufung der Bindeworter, die ohne Not zwischen alle 
Haupt- oder Zeitworter eingeschaltet werden; weil der Re- 
dende im Affekt ist, und nicht weifi, welches das letzte sein 
wird. In der Musiklehre bedeutet P. das Wiederholen 
einer Melodiefloskel auf j), |> 
derselben Stufe zur Stei- 

gerung einer Aussage oder v kon-nenTra- - nen 
eines Affekts (Beispiel aus J.S.Bach, Matthauspassion, 
Arie Konnen Trdnen meiner Wangeri). 

Polytonalitat (s. v. w. Mehrtonartlichkeit), eine er- 
weiterte Form der Tonalitat; sie entsteht, wenn meh- 
rere Tonarten gleichzeitig gegeneinander gestellt wer- 
den. In der reinen Form der P. muB jede der Tonarten 
deutlich als solche erkennbar, d. h. kadenziell gefestigt 
sein. Polytonale Gebilde entstehen primar durch Auf- 
spalten einer Tonart in mehrere selbstandige Funk- 
tionsablaufe, sekundar durch Zusammensetzen bzw. 
Ubereinanderstellen verschiedener Tonarten. Insofern 
die Klanglichkeit polytonaler Musik Ergebnis einer 
linearen Fiihrung verschiedener Tonarten ist, kann die 
P. als ein dem Kontrapunkt nahestehendes Kunstmittel 
angesehen werden. Selten beherrscht sie eine ganze 
Komposition; zumeist kommt sie nur in einem kiirze- 
ren oder langeren Abschnitt zur Geltung. Die haufigste 
Art der P. ist die Bitonalitat, das gleichzeitigeErklingen 
zweier Tonarten. Zur P. im erweiterten Sinne sind 
auch die Klange und Klangfolgen zu rechnen, die aus 
einer Vermischung zweier oder mehrerer deutlich un- 
terschiedener Klange bestehen, wobei die Struktur der 
einzelnen Klange je auf eine bestimmte Tonart verweist 
(z. B. c-e-g, fis-ais-cis). Klange dieser Art werden 
kompositorisch haufig als Mixturen behandelt. - Die 
Musikgeschichte bietet schon friih Beispiele polytona- 
ler Bildungen, die indessen durchweg im Sinne kon- 
kreter Bedeutung oder eines bestimmten musikalischen 
Effekts gemeint sind (z. B. H.Newsidler, Der Juden- 
tantz; W. A. Mozart, Ein musikalischer Spafi, K.-V. 522). 
Die historisch wohl alteste Art, zwei funktionell ver- 
schiedene Ablaufe gleichzeitig darzustellen (somit 
schon auf die P. deutend), ist der Orgelpunkt, der hau- 
fig aus einer Koordination von Tonikagrundton und 
Dominant- bzw. Subdominantklangen besteht. Doch 
erst mit der Erweiterung der Tonalitat seit dem begin- 
nenden 19. Jh. erscheinen, zunachst vereinzelt, harmo- 
nische Komplexe, die im eigentlichen Sinne als poly- 
tonal anzusprechen sind. Durchweg bestehen sie aus 
einer Verkoppelung zweier verschiedener Funktionen, 
wie Tonika und Dominante ; das zeitliche Nacheinan- 
der des Funktionsablaufs verschrankt sich in ein zu- 
standliches Ineinander. Beispiele dieser Art finden sich 
bei Beethoven iml. SatzderSonateLciyWiewxop. 81a 
(ab Takt 230) und im 1. Satz der 3. Symphonie op. 55 
(ab Takt 394) sowie bei R.Wagner zu Beginn des 2. 
Aktes der Oper Tristan und Isolde (ab Takt 87). In der 
1. Halfte des 20. Jh. wurde die P. mit ihren vielfaltigen 
Erscheinungsformen von vielen Komponisten bewuBt 
zum Prinzip kompositorischer Gestaltung erhoben, um 
der als verbraucht empfundenen Tonalitat neue klang- 
licheDimensionen zu erschlieBen (so u. a. R. Strauss, Sa- 
lome, Elektra; Debussy, Preludes II, 3; Ravel, 1. Klavier- 
konzert; Busoni, Sonatina Seconda; Strawinsky, Petrouch- 
ka; Milhaud, Le bceuf sur le toit). Haufig werden weit 
entfernt stehende Tonarten (z. B. im Kleinsekund- oder 
Tritonusabstand) miteinander verbunden. Die klang- 
lichen Resultate dieser Verkoppelungen erinnern in ih- 
rer Vielschichtigkeit bereits stark an atonale Bildungen, 
zumal wenn mehr als zwei Tonarten vermischt wer- 
den. So ergibt z. B. das Ubereinanderschichten von 
drei verminderten Vierklangen (c-es-ges-a ; cis-e-g-b ; 



d-f-as-ces) einen Zwolf tonklang. Die Gruppe der »Six« 
um Milhaud baute die P. im AnschluB an Strawinsky 
zum System aus, zugleich wurde die polytonale Tech- 
nik auf melodische und rhythmische Gebiete ubertra- 
gen durch Obereinanderschichtung verschiedener me- 
lodischer und rhythmischer Gestalten (z. B. Milhaud, 
Kammersymphonien). Fiir diese Komponisten war die 
P. weniger ein Ausdrucks- als ein Stilmittel, um eine 
»reine, unbildliche« Musik im Sinne eines musikali- 
schen Neoklassizismus zu erreichen. 
Lit.: J. Deroux, La musique polytonale, RM II, 1921 ; D. 
Milhaud, Polytonalit6 et atonalite, RM IV, 1923; H. 
Erpf, Studien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren 
Musik, Lpz. 1927 ; H. Mersmann, Die moderne Musik seit 
d. Romantik, Biicken Hdb. ; ders., Musiklehre, Bin 1929; 
A. Machabey, Dissonance, polytonalite et atonalite, RM 
XII, 1931 ; E. v. D. Null, Moderne Harmonik, Lpz. 1932; 
P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, Mainz 1937, 
2 1940, engl. als: Craft of Mus. Composition I, London 
1942; R. Klein, Zur Definition d. Bitonalitat, Osterreichi- 
sche Musikzs. VI, 1951. EB 

Pommer^Bomhart. 

Pommern. 

Ausg. : Denkmaler d. Musik in P., Pommersche Meister d. 
16.-18. Jh., 5 H., Kassel 1930-36. 

Lit. : Musik in P., Mitteilungsblatt, hrsg. v. Ver. zur Pflege 
Pommerscher Musik, I-IX, Greifswald 1932-42; P. Klein, 
Volkslied u. Volkstanz in P., = Vorarbeiten zum Pommer- 
schen Worterbuch VI, ebenda 1935; G. Kittler, Die Mu- 
sikpflege in P. zur Herzogszeit, in : Baltische Studien, N. F. 
XXXIX, 1937; P. Podejko, Dawna muzyka polska na 
terenie dzisiejszego wojewodztwa bydgoskiego i Pomorza 
Gdanskiego (»Die alte polnische Musik im Gebiet d. 
heutigen Bromberger Woiwodschaft u. d. Danziger P.«), 
= Z dziejowmuzyki polskiej I, Bromberg 1960; K. Ameln, 
Ein Kantorenbuch aus P., Jb. f. Liturgik u. Hymnologie 
VII, 1962. 

Ponticello (pontitj'ello, ital.) -> Steg, -> sul p. 

Pontificate (lat.), eines der ->- Liturgischen Biicher 
der katholischen Kirche. Es enthalt die Formulare und 
rituellen Anweisungen aller dem Bischof vorbehalte- 
nen Sakramente, Sakramentalien und weiteren gottes- 
dienstlichen Akte (Firmung, Priester- und Bischofs- 
weihe, Kirchweihe usw.) . Alteste Versuche dieses Buch- 
typs stammen aus dem 9. Jh. Das P. Romanum in sei- 
ner heutigen Form erschien 1596, zuletzt 1962 (iiberar- 
beitete Fassung). Im Gefolge der Liturgiereform des 
2. -> Vatikanischen Konzils ist eine Neuausgabe vor- 
gesehen. An musikalischen Stiicken enthalt das P. u. a. 
Antiphonen, Hymnen, Responsorien, Prafationen und 
die Allerheiligenlitanei. 

Porrectus (lat.) -»■ Neumen (- 1). 

Portamento (di voce, ital., auch portar la voce; frz. 
seit ca. 1800: port de voix, Tragen der Stimme) be- 
zeichnet urspriinglich bei den Italienem den guten Ge- 
brauch der Stimme . . ., das Aneinanderhangen der Tone, 
sowohl in der Fortschreitung, die stufenweise, als die durch 
Spriingegeschieht . . . (J. A.Hillerl780,2.Kap.,sichstut- 
zend auf G.Mancini 1777, Artikel 8). Das Wesentliche 
des P.s bestand nach Hiller darin, dass man in der Fort- 
schreitung von einem Tone zum andern keine Liicke oder 
Absatz, auch kein unangenehmes SMeifen oder Ziehen 
durch kleinere Intervalle gewahr wird. Der Ausdruck P. 
scheint um die Mitte des 18. Jh. aufgekommen zu sein. 
Wahrend G.Tartini ihn im Traite des agreements (Re- 
gole per le Arcate) gebraucht, verwenden P.Fr.Tosi 
(1723) undJ.Fr.Agricola (1757) ihn noch nicht. Agri- 
cola spricht jedoch bei bestimmten auf steigenden Halb- 
tonschritten von einer immer hbher werdenden Ziehung 
der Stimme, wobei man die Stimme nach und nach, durch 
so viele kleinere Untereintheilungen eines halben Tones, als 



741 



portar la voce 



jedem anzugeben moglich sind, gleichsam unvermerckt, nach 
der Hohe zu, durchgehen lasst (bei Tosi: passare con una 
messa di voce crescente). Ahnlich definiert bereits D. Maz- 
zocchi (1638) diese schon zur Zeit der Entstehung des 
Sologesangs bekannte Gesangsart (L.Zacconi: strasci- 
nare; G.B.Doni: straseino) und versieht sie sogar mit 
einem besonderen Zeichen (v). Die heutige Bedeutung 
von P. entspricht genau der von Agricola beschriebe- 
nen Ziehung der Stimme, allerdings auch bei anderen In- 
tervallen und in jeder Richtung. Auf Streichinstrumen- 
ten wird der horbare Lagenwechsel mittels eines P.s 
ausgefiihrt, das in der Violinschule von J. Joachim und 
A.Moser (1905, Bd II) als eines der wichtigsten Aus- 
drucksmittel der linken Hand bezeichnet wird. Im Un- 
terschied zum -»■ Glissando, der vom Komponisten no- 
tierten kontinuierlichen Ausfiillung eines (groBeren) 
Intervalls durch diatonische oder chromatische Ton- 
leiterpassagen oder durch »gleitende« Tonbewegung, 
ist das P. ein im allgemeinen nicht durch den Kompo- 
nisten festgelegtes und daher im Belieben des Vortra- 
genden stehendes Ansingen (oder Anspielen) bestimm- 
ter Tone bzw. die mehr oder weniger gleitende Aus- 
fiihrung von Intervallschritten. Nicht zu verwechseln 
ist das P. mit der ebenfalls ->■ Port de voix genannten 
franzosischen Verzierung des 17./18. Jh. (->• Vorschlag 
von unten), die in gewissen Fallen mit einem starken 
oder schwachen P. verbunden sein konnte. - Das P. 
spielt in mehreren auBereuropaischen Musikkulturen 
eine bedeutende Rolle, z. B. im Sologesang des Vorde- 
ren Orients. - Zu Beginn der neueren Zeit wird ein 
dem P. entsprechendes Hinauf- und Herabziehen der 
Tone von Conrad von Zabern (1474) geriigt (vgl. 
Artikel Gesangspadagogik, in: MGG IV, 1955, Sp. 
1913). - Ebenso spielt das P. bei den differenzierten 
Arten des Textvortrags im modernen Melodram (A. 
Schonberg, A. Berg) eine wichtige Rolle. - Im Jazz 
(-» Tail gate), in der volkstiimlichen und der Unter- 
haltungsmusik (vor allem beim solistischen Zitherspiel, 
in der Schrammelmusik und im Wiener Walzer) ist das 
P. wesentliches Stilelement des Musizierens. ERJ/BB 

portar la voce (port'a:r la v'o:tfe, ital.) ->■ Porta- 
mento. 

Portativ (von lat. portare, tragen; ital. organo porta- 
tivo, im 14. Jh. organetto), kleine tragbare Orgel mit 
Lippenpfeifen (im Unterschied zum Bibelregal; -> Re- 
gal - 1). Es ist im Abendland seit dem 12. Jh. nachge- 
wiesen und fand seine groBte Verbreitung im 15. Jh. 
Die (etwa 6-28) Pf eif en sind in zwei, seltener einer oder 
drei Reihen meist der GroBe nach angeordnet und ha- 
ben links manchmal Bordunpfeifen (Bordunturm). 
Der tiefste Ton liegt zumeist zwischen ci und fi. Die 
rechte Hand spielt auf den Tasten, die linke bedient 
den Blasebalg. Die Weite der Mensuren war fiir alle 
Pfeifen konstant, wodurch sich ein Changieren des 
Klanges vom Obertonreichen bis zum Flotenhaft- 
Weicheren ergab. Daher wurde sein Klang oft auch als 
hauchig, still und suB beschrieben. Das P. war kein So- 
loinstrument, sondern wurde mit anderen Instrumen- 
ten zusammen gespielt, auch zum Tanz. Im 16./17. Jh. 
trat an seine Stelle das -> Positiv. 
Lit.: H. Hickmann, Das P., Kassel 1936. 
portato (ital. ; f rz. auch loure), eine Artikulationsart, no- 
tiert J J J J oder J J J J , im Unterschied zu -> le- 
gato und -»■ staccato eine friiher mit »Tragen der T6ne« 
bezeichnete Vortragsweise, insbesondere in Stiicken mit 
langsamen Tempi, wobei die einzelnen Tone mit leich- 
tem Nachdruck vorgetragen werden (bei Streichin- 
strumenten ohne Absetzen des Bogens). Die Bezeich- 
nung p. scheint bis zum Beginn des 19. Jh. (P. Lichten- 



thal, 1826, frz. 1839 mit porte iibersetzt) noch unbe- 
kannt gewesen zu sein, aber die entsprechende Artiku- 
lationsart wird im 18. Jh. fiir die Violine von Quantz 
(Versuch, S. 193 und S. 201f.), L. Mozart (Versuch) und 
J. A.Hiller (1792) beschrieben, fiir das Clavichord von 
C.Ph.E.Bach (Versuch), Fr.W.Marpurg (1755) und 
D.G.Turk (1789, S. 354), der auch den Ausdruck ap- 
poggiato anstelle der Artikulationszeichen anfiihrt, so- 
wie von J. F. Agricola (1757) fiir den Gesang. In sehr 
charakteristischer und schoner Weise hat Beethoven in 
seinem Streichquartett op. 131 im Adagio, ma non trop- 
po e semplice das P. fiir alle vier Instrumente verwendet. 
Manchmal wird die Bezeichnung -»■ ondeggiando als 
Synonym fiir p. verwendet, doch darf p. nicht mit 
-* Portamento oder mit-* Tenuto verwechselt werden. 

Port de voix (po : r da vfla, frz.), ->• Vorschlag von un- 
ten, haufig mit einem -> Mordent (pince) verbunden; 
p. de v. double ->- Schleifer (auch -> Anschlag - 1). Spa- 
ter wurde P. de v. mifiverstandlich mit Coule gleich- 
gesetzt. Seit etwa 1800 ist P. de v. die franzosische Be- 
zeichnung fiir ->• Portamento. 

Portugal. 

Lit.: J. de Vasconcellos, Os miisicos port., 2 Bde, Porto 
1870; F. Pedrell, Diccionario biogr. y bibliogr. de miisi- 
cos y escritores de musica espafloles, port, e hispano-ameri- 
canos antiguos y modernos I, Barcelona 1 894-97 ; A. Sou- 
bies, Hist, de la musique en P., Paris 1 898 ; E. Vieira, Dicio- 
nario biogr. de miisicos port., 2 Bde, Lissabon 1900; S. 
Viterbo, Subsidios para a hist, da musica em P., ebenda 
1911,Coimbra 1932; A. Pinto, La musica moderna port., 
Lissabon 1930; P. Batalha Reis, Da origem da musica 
trovadoresca em P. , ebenda 1 93 1 ; R. Gallop, The Develop- 
ment of Folksong in P. and the Basque Country, Proc. Mus. 
Ass. LXI, 1934/35 ; F. Lopes Graca, A musica port, no s. 
XIX, Rivista brasileira de musica II, 1 936 ; ders., A musica 
port, e os seus problemas, I Porto 1944, II Lissabon 1959 ; 
ders., A cancao popular port., Lissabon 1953, 2 1956; J. E. 
dos Santos, A polifonia classica port., ebenda 1937; E. 
Amorim, Dicionario biogr. de miisicos do Norte de P., 
Porto 1941; G. Chase, The Music of Spain, NY 1941, 
21959, span. v. J. Pahissa, Buenos Aires 1943, darin 2 Ab- 
schnitte v. A. T. Luper uber P.; M. S. Kastner, Contri- 
bucion al estudio de la musica espafiola y port., Lissabon 
1941 ; ders., Veinte afios de musicologia en P. (1940-60), 
AMI XXXII, 1960 ; K. Schindler, Folk Music and Poetry 
of Spain and P., NY 1941 ; J. Mazza, Dicionario biogr. de 
miisicos port., hrsg. v. P. J. A. Alegria, Lissabon 1944-45; 
P. Le Gentil, La po&ie lyrique espagnole et port, a la fin 
du moyen Sge, 2 Bde, Rennes 1949-52; A. T. Luper, Port. 
Polyphony in the 16 th - and Early 17 th -Cent., JAMS III, 
1950; S. Corbin, Essai sur la musique religieuse port, au 
moyen age, = Collection port. VIII, Paris 1952; J. Subira, 
Hist, de la musica espaflola e hispano-americana, Barcelo- 
na 1953, deutsche Bearb. v. A.-E. Cherbuliez, Zurich u. 
Stuttgart(1957);M. A. deLima Cruz, Hist, damiisica port., 
Lissabon 1955; J. de Freitas Branco, Hist, da musica 
port., ebenda 1959 ; ders., Alguns aspectos da musica port, 
contemporanea, ebenda 1960; K. v. Fischer, Ein singu- 
larer Typus port. Passionen d. 16. Jh., AfMw XIX/XX, 
1962/63; Fr. J. Perkins, Music in P. Today, MQ LI, 1965. 

Posaune (von lat. ->■ bucina; im 13. Jh. busune, nhd. 
busaune, pusaune; ital. trombone von tromba, groBe 
Trompete), - 1) Blechblasinstrument mit iiberwiegend 
zyhndrischem Rohrverlauf, Kesselmundstiick und U- 
formiger Zugvorrichtung, mit der die Schallrohre in 
beliebig groBen Stufen verlangert werden kann. Auf 
der Pos. hat daher der Spieler die Reinheit der Intona- 
tion vollig in der Gewalt, auch ->■ glissando und -> Por- 
tamento sind moglich (-> Tail gate). BesondereEffekte 
werden mit -> Dampfer erzielt. Die Ventilpos. (seit 
1839) hat sich nicht allgemein durchgesetzt. - Die Pos. 
ist wohl aus der -»■ Zugtrompete hervorgegangen; 
der U-formige Zug ist wahrscheinlich nach 1434 in 
Burgund aufgekommen. Bei Tinctoris (um 1484) ist 



742 



Potpourri 



die Pos. als tuba, trombone und -> sacqueboute be- 
kannt. Dire Entstehung hangt zusammen mit der Aus- 
dehnung des Tonbereichs zur Tiefe hin (Ockeghem 
verlangt bisweilen D und C). Das 16. Jh. hat einen gan- 
zen Chor (-»■ Akkord - 3) von Pos.n hervorgebracht: 
Diskant- und Altpos., Gemeine rechte Pos. (Umfang 
nach Praetorius 1619 mindestens E-f 1 ), Quart- und 
Quintpos. sowie Oktavpos. (Doppelpos.). In der fol- 
genden Zeit wurde die Zahl der Typen mehr und mehr 
eingeschrankt; das Standardinstrument ist heute die 
Tenorpos. in B. Das Orchester rechnet seit dem Ende 
des 18. Jh. mit dem Pos.n-Trio (Altpos. in Es oder F, 
Tenor-, BaBpos. in F; 2 Tenorpos.n und BaBpos.; 3 
Tenorpos.n), doch ist z. B. in der Messe K.-V. 427 von 
Mozart ein Pos.n-Quartett vorgeschrieben. Fiir die 
Verwendung der Altpos. im Orchester setzten sich 
nach R. Schumann (4. Symphonie) Mahler und Schon- 
berg ein. Wagner schrieb auch eine KontrabaBpos. vor. 
- Die Pos. wird nichttransponierend im Alt-, Tenor- 
oder BaBschliissel notiert. Die moderne Tenorpos. er- 
gibt bei geschlossenem Zug B (als 1. Oberton); durch 
Ausziehen des Zuges (1.-6. Position) wird ein Um- 
fang vonE-h 2 oder hoher erreicht (Altpos. A-es 2 , BaB- 
pos. iH-fi). Die Grundtone (Pedaltone) sprechen sehr 
schwer an. Der Klang der Pos. ist weich, fiillend und 
verschmilzt gut mit anderen Instrumenten (Zink, Schal- 
mei, Bomhart im 15./16. Jh. ; Blechblaser und Streicher 
im modernen Orchester) sowie mit den Singstimmen, 
weswegen Pos.n in feierlichen Chorsatzen gerne colla 
parte gefiihrt werden. Eine reichhaltige Literatur fiir 
Pos. allein oder mit anderen Blasinstrumenten (-> Po- 
saunenchor) liegt in den -> Turmmusiken zum -> Ab- 
blasen vor. Von nachbarocker Musik fiir Pos.n allein 
seien die Equate fiir 4 Pos.n (2 Alt-, Tenor-, BaBpos.) 
von Beethoven (WoO 30) genannt. Im -*■ Jazz war die 
Pos. zunachst BaBinstrument, ist jedoch seit Kid -*■ Ory 
und J. ->■ Teagarden meist Trager der Gegenmelodie 
zu Klarinette und Trompete. - 2) In der Orgel ist Pos. 
die grSBte und am starksten intonierte Zungenstimme 
(zu 16' und 32' im Pedal, auch 8' im Manual). 
Lit.: zu 1): Fr. Jahn, Die Niirnberger Trp.- u. Posaunen- 
macher im 16. Jh., AfMw VII, 1925 ; W. F. H. Blandford, 
Handel's Horn and Trombone Parts, The Mus. Times 
LXXX, 1939; E. Elsenaar, De Trombone, Hilversum 
1947; H. Besseler, Die Entstehung d. Pos., AMI XXII, 
1950; W. Ehmann, Tibilustrium. Das geistliche Blasen, 
Kassel 1950; W. Worthmuller, Die Niirnberger Trp.- u. 
Posaunenmacher d. 17. u. 18. Jh., Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. 
Stadt Nurnberg XLV, 1954; ders., Die Instr. d. Nurnber- 
ger Trp.- u. Posaunenmacher, ebenda XLVI, 1955; R. 
Gray, The Trombone in Contemporary Chamber Music, 
Brass Quarterly I, 1957/58. 

Posaunenchor, im modernen Sprachgebrauch ein 
Blechblaserensemble, wie es in der neubelebten 
-*■ Turmmusik, auch in der Singbewegung und in der 
Choralpflege der evangelischen Gemeinden gebraucht 
wird. Moderne Posaunenchore sind nur zum Teil nach 
dem Vorbild des 16./17. Jh. Stimmwerke von -»■ Po- 
saunen (- 1). Der weiche Klang moderner weitmensu- 
rierter Instrumente (es gibt sogar »Posaunenchore« nur 
aus Trompeten und Fliigelhornern) erlaubt die Bildung 
groBer Ensembles bei Massenveranstaltungen. - Schu- 
len und Literatur fiir P. gaben heraus u. a. J. Kuhlo (Ju- 
bilate! Posaunenbuchfurjiinglingsvereine, Seminare, hohe- 
re Lehranstalten und Kirchenchore, 4 Bde, Bethel bei Bie- 
lefeld 181914, Gutersloh«1946ff.) sowie E.Voigt (Schu- 
lefiir Posaunenchore, bearbeitet von A. Mtiller, Dresden 
51927). 

Lit. : A. Muller, Unsere Posaunenchore u. d. Kirchenmu- 
sik, Dresden (1 905) ; K. Utz, Grundsatzliches zur Lit.-Fra- 
ge d. ev. P., MuK IX, 1 937 ; W. Ehmann, Tibilustrium. Das 
geistliche Blasen, Kassel 1950; ders., Neue Blechblasinstr. 



nach alten Modellen, Hausmusik XXII, 1958; K. Hone- 
meyer, Die P. im Gottesdienst, Giitersloh 1951 ; B. Husted, 
The Brass Ensemble, Diss. Univ. of Rochester (N. Y.) 
1955, maschr. 

Posen. 

Lit.: H. Ehrenberg, Gesch. d. Theaters in P., P. 1889; T. 
Panienska, O ruchu muzycznym w Poznaniu od roku 
1800-30 (»Uber d. Musik in P. v. 1800-30«), in: Przeglad 
muzyczny 1910-13; H. Sommer, Das mus. Leben in P. am 
Anfang d. 19. Jh., Hist. Monatsblatter f. d. Provinz P. 
XVIII, 1917; Wl.Kaminski, Muzykado r. 1793, in: Dzie- 
sied wiekdw Poznania II, P. u. Warschau 1956 ; ders., Mu- 
zyka w latach 1793-1870, ebenda; Gw. Chmarzynski u. T. 
Szulc, Muzyka w latach 1870-1918, ebenda; Z. Sitowski, 
Muzyka w Polsce Ludowej, ebenda; Cz. Sikorski, Z histo- 
rii kultury muzycznej Poznania (»Aus d. Gesch. d. Musik- 
kultur in P.«), in: Zycie spiewacze 1960-61 u. 1963. 

Positiv (von lat. ponere, stellen; frz. positif ; ital. po- 
sitivo, auch organo piccolo ; engl. positive organ) ist im 
Unterschied zum tragbaren -> Portativ eine Standor- 
gel. Das P. hat ein Manual, wenige Register und kein 
Pedal. Es besitzt, im Unterschied zum -> Regal (- 1), 
zumeist nur Labialstimmen, der Raumersparnis wegen 
in der 8'- und 4'-Lage oft Gedackte. Auf dem P. kann 
der GeneralbaB ausgefiihrt werden; doch auch als 
Kammer- und Haus-P. war es im Gebrauch. Die Ge- 
schichte des P.s reicht vom Anfang des 15. Jh. bis in die 
Mitte des 1 8. Jh. In jiingerer Zeit werden wieder haufig 
Kleinorgeln gebaut. -> Riick-P. 
Lit.: H. Bornefeld, Das P., Kassel 1941, 21948; R. Quoi- 
ka, Das P. in Gesch. u. Gegenwart, Kassel 1957, dazu Fr. 
W. Riedel in: Mf XIII, 1960. 

Posten -*■ Feldmusik. 

Posthorn, eines der kleinsten Blechblasinstrumente, 
im 2'- oder 4'-Ton; es war als Naturinstrument (ohne 
Ventile) seit dem 16. Jh. das Signalhorn der Postillione. 
J. S.Bach ahmt es in seinem Capriccio sopra la lontanan- 
za delsuofratello dilettissimo (BWV 992) nach. Urn 1830 
loste die Trompetenform die alte kreisformige Form 
ab. Durch Anbringen von Ventilen wurde das P. zum 
->- Kornett (- 1). 

Lit. : K. Thieme, Zur Gesch. d. P., in: F. Gumbert, P.-Schu- 
le, Lpz. (1903); Fr. Krekeler, Anleitung zum Blasen d. 
Signal-P., hrsg. v. L. PlaB, Lpz. 1905. 

Potpourri (frz.), eine bunte Folge von Melodien oder 
Melodiefragmenten. Die Bezeichnung findet sich auch 
im literarischen Bereich im 17. Jh. (Potpoury burlesque, 
Paris 1649), scheint aber erst am Anfang des 18. Jh. in 
die Musik iibernommen worden zu sein. Das in der 3. 
Sammlung von Ballards Brunettes (1711) so bezeichnete 
Stuck ist ein aus Incipits landlaufiger Chansons zusam- 
mengesetztes -> Quodlibet. Wegen der zusammen- 
hangslosen Textbruchstiicke scheint bier das Hauptge- 
wicht noch auf der Verbindung der Melodiefragmente 
zu liegen, doch wurde das P. bald als eine Art szeni- 
scher Schilderung beliebt. Auf eine Folge von ganzen 
Melodien bekannter Chansons wurde dabei ein thema- 
tisch gebundener, strophischer und allgemein stark ge- 
wiirzter Text vorgetragen. Eines der friihesten Bei- 
spiele daf iir ist das P. auf die »Orgie« in der Pariser Oper 
(1731). Auf einer ahnlichen Linie liegt das P. La Ten- 
tation de Saint-Antoine von Sedaine (1765), dessen Me- 
lodien von W.Egk in seinem gleichnamigen Werk fiir 
A. und Streichquartett (1947) wieder aufgenommen 
wurden. Mindestens seit Mitte des 18. Jh. wurden in 
Frankreich auch instrumentale Melodienfolgen als P. 
bezeichnet. Die weiteste Verbreitung erfuhr die als 
Pot-Pourry francais in mehreren Folgen erschienene 
Sammlung des Pariser Verlegers Bouin, die kurz vor 
der Revolution von Frere (Paris) in neuen Zusammen- 
stellungen nachgedruckt und wesentlich erweitert wur- 



743 



pousse 



de. Bei Bouiin ist das P. eine suitenartige Folge ur- 
spriinglich voneinander unabhangiger kleiner Tanz- 
satze (contredanses, mit Angabe der Tanzfiguren), die 
bei Ho£e gebraucht wurden, aber auch den Hauptteil 
des Tanzmeisterrepertoires darstellten. In einem noch 
allgemeinen Sinn erscheint die Bezeichnung P. wohl 
noch im 18. Jh. in einem Druck von Breitkopf (Musi- 
kalischer Pot-Pourri oder Sammlung neuer Klavier-Sona- 
ten . . . , Sinfonien, kleinen Cantaten, Arien, Liedern und 
andern kleinen Klavierstiicken . . . von verschiedenen be- 
liebten Componisten). Seit Beginn des 19. Jh. kam in 
Deutschland das P. mit Arrangements von beliebten 
Opern- und Operettenmelodien in Mode und schopfte 
fur Salon- und Unterhaltungsmusik bald auch aus an- 
deren in der Gunst des Publikums stehenden Reper- 
toires (Walzer-P., Marsch-P. usw.). Noch heute be- 
hauptet das P. seinen festen Platz in der Unterhaltungs- 
musik von Rundfunk, Kurkapellen und Kaffeehaus- 
ensembles. 

Lit.: Pot-pourry frc., Tanzmeister-Weisen d. 18. Jh., hrsg. 
v. G. Birkner, Mainz (1967). 

pouss£ (pus'e, frz., gestoBen), Vorschrift fiir Auf- 
strich (-> Bogenfiihrung) bei Streichinstrumenten; der 
-> Abstrich heiBt tire (gezogen). 

Praeambulum (spatlat., s. v. w. vorangehend) oder 
Praeambel, seit A.Ileborgh (1448), C.Paumann (1452) 
und dem Buxheimer Orgelbuch (um 1470) bezeugt 
als Uberschrift von einleitenden Stiicken fiir Tasten- 
instrumente, spater auch fiir Laute, z. B. Newsidler 
1536. Noch J. S. Bach nannte Pr. u. a. die spater Inventio 
(-»■ Invention) betitelten Stiicke im Clavier-Buchlein 
fiir W.Fr.Bach und das Eroffnungsstiick der 5. Partita 
aus dem 1. Teil der Clavier-Ubung (1730). ->• Praelu- 
dium, -> Priamel. 

Praecentor (lat., Vorsanger), im Mittelalter gleich- 
bedeutend mit -> Kantor, spater allgemein der Leiter 
von Schulchoren. Im protestantischen Gottesdienst vor 
der Einfiihrung der Orgelbegleitung zum Gemeinde- 
gesang und spater noch bei Nebengottesdiensten ohne 
Orgel war der Pr. der Stimmfuhrer des Chores, der die 
Chorale anzustimmen und mitzusingen hatte; dem 
entspricht die Amtsbezeichnung Pr. (cantor choralis) 
an der Leipziger Universitatskirche im 18. Jh. 

Prafation (lat. praefatio), in der romischen und mai- 
landischen MeBliturgie das vom zelebrierenden Prie- 
ster am Anf ang des Canon missae (-> Messe) vorgetra- 
gene feierliche Dankgebet. Es wird eingeleitet mit ei- 
nem Dialog (Priester und Gemeinde), dessen Inhalt in 
der Aufforderung zum Danksagen seinen Hohepunkt 
findet (Gratias agamus Domino, Deo nostro; Dialogtext 
fast wortlich schon im 3. Jh. bei Hippolyt von Rom, 
vgl. Jungmann I, S. 38). Der seit dem 4./5. Jh. sehr 
reiche Bestand an Pr.en in der romischen Liturgie wur- 
de bald auf eine - zunachst im Gregorianischen Sakra- 
mentar (Aachener Urfassung, Ende 8. Jh.) greifbare - 
kleinere Anzahl reduziert. Seit 1095 bildeten insgesamt 
11 Pr.en den offiziellen Zyklus, ab 1919 fanden weitere 
5 Pr.en Eingang in das Missale (als letzte 1955 eine Ei- 
gen-Pr. fiir die Olmesse vom Griindonnerstag) . Die 
einzelnen Texte sind bestimmten MeBf ormularen oder 
Zeiten des Kirchenjahres vorbehalten; ihr Grundsche- 
ma ist in der Praefatio communis (fiir Messen ohneEigen- 
oder De tempore-Pr.) gegeben. - Das Modell der feier- 
lichen sowie der (aus dem Umkreis des Zisterzienser- 
und Kartauserordens stammenden) ferialen Pr.s-Weise 
verbindet zwei einander zugeordnete Melodieperioden, 
deren erste an den Tenor c (Initium a) gebunden ist 
und meist mehrere Male erklingt, bevor die in ihrem 
Tenor (h) um einen Halbton darunter liegende zweite 



Periode (mit Akzentton c) folgt. Beide Abschnitte 
schlieBen regelmaBig mit einer eigenen Kadenz. Der 
einleitende Wechselgesang ist melodisch selbstandig. 
Eine zusatzliche Singweise in tono sollemniore (ad libi- 
tum) wird im Anhang zum Missale Romanum geboten. 
Ausg. (Text) : A. Dold OSB, Sursum Corda. Hochgebete 
aus alten lat. Liturgien, = Wort u. Antwort IX, Salzburg 
(1954). 

Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; B. Opfermann, Die heutigen liturgischen Sonderpr., 
in: Theologie u. Glaube XLVI, 1956; J. A. Jungmann SJ, 
Missarum Sollemnia, 2 Bde, Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 
51962. 

Praefectus chori (lat., Vorgesetzter des Chores), der 
dem Kantor, gegebenenfalls auch dem Succentor un- 
terstellte Chorleiter. Fiir Schulchore wurden oft meh- 
rere Prafekten unter den alteren Schiilern ausgewahlt 
(unter J. S. Bach in Leipzig waren es 1730 drei, spater 
vier). Sie hatten in den Nebenkirchen und in Vertre- 
tung des Kantors auch in der Hauptkirche den Chor zu 
dirigieren, auBerdem den Kurrendegesang einzuiiben 
und zu leiten. 

Praeludium (spatmittellat., von lat. praeludere, vor- 
her, zur Probe spielen; frz. prelude; ital. preludio; 
engl. auch prelude; deutsch auch iibersetzt als -> Vor- 
spiel) ist seit den Anfangen im 15. und 16. Jh. in erster 
Linie das Vorspiel auf einem einzelnen Instrument (na- 
mentlich Tasteninstrument oder Laute). Der seit 1448 
(A.Ileborgh) belegte lateinische Terminus hat sich im 
Deutschen fest, imEnglischen vorubergehend (bei Vir- 
ginaKsten) eingebiirgert. Die volkssprachlichen Wort- 
f ormen prelude (in Notendrucken seit P. Attaingnant 
1529) und preludio (seit G. A.Terzi 1599) dienten zeit- 
weilig auch zur Bezeichnung von Vorspielen fiir meh- 
rere Instrumente oder fiir Orchester, besonders in der 
2. Halfte des 17. Jh. (im Rahmen der franzosischen Oper 
und der Suite) ; prelude und preluder wurden seit dem 
18. Jh., ausgehend von der Bedeutung Einstimmen und 
-spielen (BrossardD), auch auf das Einsingen des Sin- 
gers bezogen (vgl. Diderot, Encyclopedic XIII, 1765, 
Artikel Preluder). Der uneinheitliche Wortgebrauch 
und die flieBende Wortbedeutung machen eine allge- 
meine Definition des Begriffs unmoglich. So wurde 
z. B. der Terminus ->■ Praeambulum bis zum 17. Jh., 
spater auch Pr., ohne Unterschied auf Vor- und Zwi- 
schenspiele im Gottesdienst angewendet (vgl. Prae- 
torius Synt. Ill, S. 112; nach J.S.Bachs Notiz iiber die 
Leipziger Ordnung des Gottesdienstes am 1. Advent 
1714 wurde an 6 Stellen Prdludiret; Spitta, Bach II, S. 
95f.)..- Das Pr. trat zuerst in der Friihzeit der schriftli- 
chen Fixierung von Instrumentalmusik auf, gehbrt 
aber nach Ursprung und Haltung vor allem auf die 
Seite der -»• Improvisation. Sein Element war die f reie 
Entfaltung, die sich mehr auf die Entdeckung neuer 
Spielmoglichkeiten richtete als auf die Ausbildung 
fester Formtypen. DaB in der Praxis das Pr. vorwie- 
gend improvisiert wurde, spiegelt sich u. a. in der ver- 
balen Ausdrucksweise : preambulizare (Gollner, S. 175), 
praambulieren (Praetorius Synt. Ill, S. 152), nach 1660 
preluder, wenig spater praludieren. Der in der gegen- 
satzlichen Haltung von Improvisation und Komposi- 
tion begriindete Unterschied zwischen Pr. und unmit- 
telbar folgendem Stuck (lateinischer oder protestanti- 
scher Choral, Motette, Madrigal u. a., auch Tanzsatze 
u. a.) hat sich allerdings im Laufe der Zeit immer wie- 
der verwischt. Im aufgeschriebenen Pr. ist das spontane 
Element zugunsten des kunstgerecht gearbeiteten 
Satzes bisweilen ganz zuriickgedrangt (z. B. Frescobal- 
di, Toccata di durezze e ligatura, 1637). Letztlich war es 
wohl erst J. S.Bach, der dem Schwanken zwischen den 



744 



Praeludium 



beiden Haltungen innerhalb des Pr.s ein Ende machte, 
indem er ab etwa 1721 das Prinzip der freien Entfal- 
tung nunmehr dem Pr. vorbehielt und durch die be- 
tonte Gegeniiberstellung von Pr. und Fuge fest veran- 
kerte. - Zu den Aufgaben des Pr.s gehort seit jeher die 
Kennzeichnung der Tonart des f olgenden Stiicks (-> In- 
tonation - 1). So tragen bereits in Ileborghs Orgeltabu- 
laturbuch (1448) die preludia diversarum notarum Ober- 
schriften vom Typus Preambulum in . . . (folgt Tonus- 
angabe) bzw. Preambulum super . . . (folgt Angabe ei- 
ner Tonfolge). Oft ergab sich die zusatzliche Aufgabe 
fiir Tasteninstrumentspieler, durch geeignete Ton- 
oder Akkordfolgen das Einstimmen der mitwirkenden 
Instrumente zu ermoglichen und zugleich zu verdek- 
ken (Praetorius Synt. Ill, S. 151), die Aufmerksamkeit 
der Anwesenden auf das folgende Stuck zu lenkcn 
oder es musikalisch vorzubereiten (Praetorius, ebenda; 
Mattheson Capellm., S. 472), zugleich aber audi das 
Instrument auszuprobieren und sich einzuspielen (Bros- 
sardD, Artikel Tastatura; Couperin, L'art it toucher le 
clavecin, 1716 : ... a dinouer les doigts; et souvent a eprouver 
des claviers ...). In den Wort- und Begriffserklarungen 
wird das Pr. einerseits primar als improvisiertes, frei 
gestaltetes solistisches Vorspiel aufgefaBt (Mattheson 
Capellm., S. 478, als der hochste practische Gipffel der 
Music charakterisiert) ; andererseits ist es die Wortbe- 
deutung als solche, die den Begriff des Pr.s bestimmt 
und daher alle Arten von Vorspielen umfaBt. So unter- 
scheidet Praetorius (Synt. Ill, S. 21ff.) zwischen Prae- 
ludiis vor sich selbst (Fantasia und Capriccio, Fuga und 
Ricercar, Sinfonia, Sonata), Praeludiis zum Tantze (In- 
traden) und Praeludiis zur Motetten oder Madrigalien 
(Toccaten, Praeambula). In BrossardD werden, ent- 
sprechend der Praxis (vgl. Partituren von J.-B.Lully), 
nun auch Opernvorspiele Prelude genannt (Ouverture, 
Intrada, Introduktion, Ritornell). 
Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der kirch- 
lichen -> alternatim-Praxis des spaten Mittelalters wur- 
de die Ton- oder Tonartenangabe auf der Orgel zu- 
nachst nach Art der in den Cantus- und Liedbear- 
beitungen handwerksmaBig geiibten Kolorierungs- 
praxis ausgefuhrt (die fruhesten Beispiele sind in deut- 
schen Quellen iiberliefert: A.Ileborgh, C.Paumann, 
Buxheimer Orgelbuch u. a.). Der durch Intavolie- 
rungen mehrstimmiger Vokalmusik geforderte Auf- 
schwung des Klavier-, Orgel- und Lautenspiels trug im 

16. Jh. zur Verbreitung des Pr.s nun auch in Italien, 
Frankreich, Spanien und England bei (die meisten ein- 
schlagigen Quellen aus den genannten Landern enthal- 
ten Beispiele ; -> Orgelmusik, ->• Klaviermusik, -*■ Lau- 
tentabulatur). Zwei grundlegende Gestaltungsprin- 
zipien beginnen sich erstmals abzuzeichnen : einerseits 
freies, improvisierendes Akkordspiel, vielfach verbun- 
den mit Kolorierungen, Diminutionen, Passagen, an- 
dererseits Imitation und polyphone Stimmfiihrung 
nach Art der Vokalmusik. Der uneinheitliche Gebrauch 
der Uberschriften (->• Praeambulum, -+ Ricercar, Ta- 
star de corde, -*■ Fantasie, -*■ Tiento, Taiier, -*■ Fuga, 
-> Capriccio, -*• Toccata, Intonazione, -*• Intrada, In- 
troitus, aber auch seltene wie -*■ Anabole, -> Prooe- 
mium u. a.) legt die Vermutung nahe, daB im 16. Jh. 
mit den Satzuberschriften bestimmte Formen der Instru- 
mentalstiicke nicht gemeint sein konnten und dap siefiir ein 
terminologisches Ordnungssystem nicht oder nur bedingt in 
Frage kommen (Eggebrecht). Oberdies dienten einige 
dieser Termini auch zur Bezeichnung von Nachspielen 
(Ricercar, Fantasia, Toccata u. a.). An der Wende zum 

17. Jh. erreichte das Pr. bei A. und G. Gabrieli, Merulo, 
Sweelinck, Frescobaldi kompositorisch eine hohere 
Stufe. Hier begann jene Konzentration auf einpragsa- 
me Wendungen und charakteristische Spielfiguren, die 



allmahlich zur Selbstandigkeit der instrumentalen The- 
menbildung, zur Einheitlichkeit in der Gestaltung von 
Abschnitten und dabei zugleich zur inneren Gliederung 
des Ablaufs fiihrte. AuBer den meist kiirzeren einteili- 
gen Praeludien gab es nun auch langere mehrteilige 
Stiicke, vorzugsweise als -> Toccata (z. B. freier Ein- 
leitungs-, fugierter Mittel- und freier SchluBteil). Auf 
Frankreich beschrankt blieb ein ohne Notenwerte auf- 
gezeichneter, rhythmisch frei vorzutragender Typ des 
Prelude (L. Couperin, d' Anglebert u. a.). Dagegen fand 
der franzosische Stile brise (Akkordbrechungen mit 
liegenbleibenden Tonen und scheinpolyphoner Fort- 
schreitung) iiber Froberger in Deutschland allgemeine 
Verbreitung. Seit der Mitte des 17. Jh. wurden den 
-> Suiten haufig freie Einleitungssatze vorangestellt, 
die zuweilen als Pr. bezeichnet sind. Die in Fr.Cou- 
perins Ordres nicht aufgenommenen Einleitungsstiicke 
hatte der Spieler zu improvisieren (Ersatzstiicke in 
Couperins L'art de toucher). Bei J.S.Bach treten Pr. 
(Toccata, Fantasia) und Fuge einander selbstandig und 
ebenbiirtig gegeniiber, erstmals zu einem festen Paar 
verbunden. Gleichwohl bleibt die seit W. -* Werker 
diskutierte Frage ihres inneren Zusammenhangs strittig. 
Die von Spitta ausgehende Riickiibertragung des Be- 
griffspaares auf Werke alterer Meister (Buxtehude, 
Bohm u. a.) ist heute nicht mehr haltbar. Nur ein klei- 
ner Teil der Bachschen Praeludien fiir Orgel, Klavier, 
Violine, Violoncello u. a. laBt sich formal klassifizie- 
ren: auBer verschiedenen Toccata ty pen gibt es z. B. 
den Klangflachen- (vgl. Hermelink), Arpeggien- (auch 
bei Handel zu finden), Inventionen-, Sonatensatz- (be- 
sonders in spaten Klavierwerken), Concerto grosso- 
und Ouvertiire-Typ. GroBe Orgelpraeludien konnten 
in Leipzig nur am Anf ang und Ende des Gottesdienstes, 
allenfalls auch bei der Sonnabendmotette der Thoma- 
ner erklingen (in Liibeck gab es ->■ Abendmusiken, 
in Holland schon friiher von Organisten bestrittene 
Andachtsmusiken). Eine Sonderentwicklung nahm das 
Choral vorspiel (-»• Choralbearbeitung - 2). - Nach 
Bachs Tod trat das Pr. als fester Bestandteil der Musik 
fiir Tasteninstrumente allmahlich in den Hintergrund. 
Bachs Vorbild jedoch wirkte weiter u. a. bei Clementi, 
Mozart, Beethoven, Mendelssohn Bartholdy, Schu- 
mann, Brahms, C.Franck, Reger, Faure, Hindemith 
und Schostakowitsch. Hervorgehoben seien Chopins 
24 Preludes (op. 28), die zu seinen bedeutendsten Wer- 
ken gehoren und musikalisch wohl als Zyklus von Cha- 
rakterstiicken aufzufassen sind (ihm folgten u. a. De- 
bussy, Skrjabin, Rachmaninow). Der Titel von Liszts 
symphonischer Dichtung Les Preludes erklart sich aus 
einem Gedicht von A.Lamartine. Schonbergs Prelude 
op. 44 ist fiir gemischten Chor, Strawinskys Prelude 
fiir eine Tanzband geschrieben. 

Lit. : G. Rietschel, Die Aufgabe d. Org. im Gottesdienst 
bis in d. 1 8. Jh., Lpz. 1 893 ; R. Steglich, Das c-moll-Pr. aus 
d. I. Teil d. Wohltemperierten Kl., Bach-Jb. XX, 1923 ; L. 
Schrade, Die hs. t)berlieferung d. altesten Instrumental- 
musik, Lahr 1931; Fr. Dietrich, Analogieformen in Bachs 
Tokkaten u. Praludien f. d. Org., Bach-Jb. XXVIII, 1931 ; 
A. Einstein, Mozart's Four String Trio Prtludes to Fugues 
of Bach, The Mus. Times LXXVII, 1936; S. Hermelink, 
Das Pr. in Bachs Klaviermusik, Diss. Heidelberg 1945, 
maschr.; ders., Bemerkungen zum ersten Pr. aus Bachs 
Wohltemperiertem Kl., Fs. J. M. Miiller-Blattau, = Saar- 
briicker Studien zur Mw. I, Kassel 1966; J. M. Chominski, 
Preludia, = Analizy i objasnienia »Dziel Wszystkich« Fr. 
Chopina IX, Krakau 1950; W. Gerstenberg, Zur Ver- 
bindung v. Pr. u. Fuge bei J. S. Bach, Kgr.-Ber. Liine- 
burg 1950; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Termi- 
nologie, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- 
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; W. Apel, Der An- 
fang d. Pr. in Deutschland u. Polen, Kgr.-Ber. Warschau 
1960; Th. Gollner, Formen friiher Mehrstimmigkeit in 



745 



Prastant 



deutschen Hss. d. spaten MA, = Miinchner Veroff. zur 
Mg. VI, Tutzing 1961 ; H. Keller, Das Wohltemperierte 
Kl. v. J. S. Bach, Kassel 1965. FZa 

Prastant (ital. prestante; frz. prestant) -* Prinzipal. 

Prag. 

Lit. : O. Teuber, Gesch. d. Pr.er deutschen Theaters, 3 Bde, 
Pr. 1883-87; R. v. Prochazka, Mozart in Pr., Pr. 1892, 
21899, 31900, hrsg. v. P. Nettl als: Mozart in Bohmen, 
••1938, 51955, tschechisch als: Mozart v Gechach, 1939; 
ders., Das roraantische Musik-Pr., Saaz 1914; R. Batka, 
Gesch. d. Musik in Bohmen I, Pr. 1 906 ; P. Nettl, Die erste 
komische Oper in Pr., in: Der Auftakt II, 1922; ders., Zur 
Gesch. d. Konzertwesens in Pr., ZfMw V, 1922/23; ders., 
Pr. im Studentenlied, = Schriftenreihe d. Sudetendeut- 
schen VI, Miinchen 1964; E. Steinhard, Zur Gesch. d. 
Pr.er Oper 1885-1923, Pr.er Theaterbuch 1924; R. Perlik, 
Kdejinamhudby azpevunaStrahove(»Zur Gesch. d. Musik 
u. d. Gesanges im Kloster Strahov«), Pr. 1925 ; O. Kamper, 
Hudebni Praha v XVIII. veku (»Das mus. Pr. im 18. Jh.«), 
Pr. 1935 ; Zd. Nejedly, Opera Narodniho divadla do roku 
1900 (»Die Oper d. Nationaltheaters bis zum Jahre 1900«), 
Pr. 1935 ; ders., Opera Narodniho divadla od roku 1900 do 
pfevratu (»Die Oper ... bis zum Umsturz«), Pr. 1936; G. 
Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis 
zur Mitte d. 16. Jh. I: Die Univ. Pr. u. ihre Vorbilder, 
= Mitt. d. Ver. f . Gesch. d. Deutschen in Bohmen LXXIII, 
Pr. 1935 u. AfMf I, 1936; L. NovAk, Opera a balet stare 
gardy Narodniho divadla (»Oper u. Ballett d. alten Garde 
d. Nationaltheaters«), Pr. 1938 ; R. Rosenheim, Die Gesch. 
d. deutschen Biihnen in Pr. 1883-1918. Mit einem Riick- 
blick 1783-1883, Pr. 1938; Vl. Nemec, Prazsk6 varhany 
(»Pr.erOrg.«), Pr. 1944; R. Quoika, Die Org. d. Pr.er Tein- 
kirche, Mainz 1948; ders., Die Pr.er Kaiserorg., KmJb 
XXXVI, 1952; ders., Das Pr.er Provinzialkonzil 1860 u. d. 
Kirchenmusik, KmJb XXXVIII, 1954; ders., Zur Gesch. 
d. Musikkapelle d. St. Veitsdomes in Pr. (1619-1860), 
KmJb XLV, 1961 ; ders., Die Pr.er Orgelschule, KmJb 
XLVI, 1962; L. Sfp, Mozart in Pr., Pr. 1956; T. Volek, 
Hudebnici Stareho a Noveho mesta prazskeho v roce 1770 
(»Die Musiker d. Pr.er Altstadt u. Neustadt im Jahre 1 770«), 
Miscellanea musicologica I, 1956; A. Buchner, Mozart 
a Praha, Pr. 1957, deutsch als: Mozart u. Pr., Pr. 1957; 
Patnact Prafckych jar 1946-60 (»15mal Pr.er Fruhling«), 
Pr. 1961 ; Stopadesat let Prazske konservatofe (»150. Jah- 
restag d. Pr.er Konservatoriums«), hrsg. v. V. Holz- 
knecht, Pr. 1961 ; Vl. Muller, Vypraveni o Narodnim di- 
vadle (»Geschichten um d. Nationaltheater«), Pr. 1963. 

Pralltriller -»■ Triller; in neuerer Zeit haufig ver- 
wechselt mit dem -*■ Mordent oder mit dem Schneller. 

Preces (lat., Bitten), im heutigen -s- Offizium der 
katholischen Kirche eine aus Kyrie eleison, Pater noster 
und mehreren Versikeln bestehende Art Litanei vor 
der SchluBoration von -> Laudes und ->■ Vesper an Ta- 
gen mit BuBcharakter. Der gesungene Vortrag erfolgt 
im Versikelton (mit Tenor c und Terzfall am Schlufi). 
Lit. : B. Fischer, Litania ad Laudes et Vesperas, Liturgi- 
schesJb.1, 1951. 

Preise und Wettbewerbe (frz. prix, concours; engl. 
prices, competitions). Pr. werden als Stipendien (For- 
derungs-Pr. fiir Studien oder Studienreisen), alsEhren- 
gaben oder als Pramien fiir Leistungen in W.n verge- 
ben und in der Regel aus den Zinsertragen von Stiftun- 
gen finanziert. Die W. sind fiir Amateure oder fiir 
(meist angehende) Berufsmusiker bestimmt; die Teil- 
nahme ist an Zulassungsbedingungen (Alter, Staatsan- 
gehorigkeit, Studienort, -richtung, -dauer) gebunden. 
Ein AusschuB von Sachverstandigen (Kuratorium, Jury) 
entscheidet iiber die Vergabe der ausgeschriebenen Pr. - 
Im 19. Jh. entstanden viele bedeutende Stiftungen, aus 
deren Fonds regelmaBig Studienstipendien verliehen 
oder Unterstiitzungsbeitrage an minderbemittelte be- 
gabte Studierende gezahlt wurden. Die Mozartstiftung 
(Frankfurt am Main) wurde aus Uberschiissen des 1838 
vom Frankfurter Liederkranz veranstalteten Musik- 



festes gegriindet. Die Zinsen ihres Fonds wurden je- 
weils fur 4 Jahre an minderbemittelte junge Kompo- 
nisten vergeben (seit 1921 als Freistelle am Hoch'schen 
Konservatorium mit jahrlichem GeldzuschuB) ; Sti- 
pendiaten waren u. a. M. Bruch und E. Humperdinck. 
Gleichen oder ahnlichen Zwecken dienten die Mendels- 
sohn-Stiftung (Leipzig), die Zweite Michael Beersche- 
Stiftung (Berlin), die aus Staatsgeldern finanzierten, 
durch Mittel einer Stif tung der Familie Mendelssohns 
erganzten Felix Mendelssohn-Bartholdy-Staats-Stipendien 
der Berliner Hochschule fiir Musik, die Joseph Joachim- 
Stiftung (Charlottenburg), der Beethoven-Preis (Preu- 
Ben), die Beethoven-Stiftung (Rheinland), die Ludwig 
Theodor Gouvy-Stiftung (Berlin), die Felix v. Rath-Stif- 
tung (Miinchen), die Rheinbergerstiftung (Miinchen), die 
Stiftung der Stadt Charlottenburg, die Carl-Haase-Stiftung 
(Berlin), die Sangerbund-Stiftung (Niirnberg) , Stipendien- 
fonds und Freiplatz-Stijiung (Miinchen), die Richard- 
Wagner-Stipendien-Stifiung, die Hugo-Riemann-Stiftung 
(Leipzig). Der (1912 gestiftete) Gustav-Mahler-Preis 
wurde 1913 an Schonberg verliehen (Kuratorium: R. 
Strauss, F.Busoni, Br. Walter). - Die 1887 durch die 
Furstin Hohenlohe-Schillingsfurst gegriindete Franz 
Liszt-Stiftung verlieh Pr. als reineEhrengaben an bereits 
anerkannte junge Komponisten und Klaviervirtuosen; 
auch die Beethoven-Stiftung, 1871 zur Erinnerung an die 
Beethoven-Sakularf eier gegriindet und vom Allgemei- 
nen Deutschen Musik- Verein Berlin verwaltet, verlieh 
Ehrengaben an anerkannte Musiker. Der sPreis der 
Stadt Paris« (seit 1877) ist als Ehrengabe fiir eine Sym- 
phonic mit Chor oder fiir eine Oper bestimmt (ver- 
liehen 1887 an V. d'Indy fiir sein Chorwerk Le chant de 
la cloche). - Eine Stiftung, deren Pr. nach dem Vorbild 
des Grand Prix de Rome fiir die beste Leistung inner- 
halb von W.n verliehen wurden, war die Meyerbeer- 
Stiftung (testamentarisches Legat von 30000 Reichs- 
mark, Nebenfonds 38000 Reichsmark), deren Zinsen 
alle 2 Jahre fiir einen Studienaufenthalt von 6 Monaten 
in Italien, Paris oder Wien-Miinchen-Dresden verge- 
ben wurden. Die Bewerbung erfolgte durch die Kom- 
position einer achtstimmigen, doppelchorigen Vokal- 
fuge, deren Text und Thema gestellt wurden, einer 
Ouverture fiir groBes Orchester und einer dreistimmi- 
gen dramatischen Kantate mit Orchester iiber gegebe- 
nem Text. Weitere Pr., die innerhalb eines Wettbe- 
werbs verliehen wurden, waren der Beethoven-Preis 
(Wien), der Rubinstein-Preis (Petersburg), der Paderew- 
ski-Preis (Boston), der Kompositionspreis der k. k. Gesell- 
schaft der Musikfreunde Wien. - Eine bedeutende Insti- 
tution ist der Grand Prix de Rome, der als groBer fran- 
zosischer Staatspreis seit 1803 von der Academie des 
Beaux Arts jahrlich (ebenso wie fiir Architektur, jun- 
ge Bildhauer, Maler und Dichter) fiir Schiiler der 
Kompositionsklassen des Pariser Conservatoire ausge- 
schrieben wurde und heute im Auftrag des Institut de 
France verliehen wird. Der 1. Preis (ursprunglich fiir 
die Komposition einer Kantate, heute fiir eine einakti- 
ge Oper- das Libretto wird ebenfalls pramiiert) besteht 
in einem 4jahrigen Studienaufenthalt in der Villa Me- 
dici in Rom, der 2. Preis ist eine Goldmedaille. Der 
Aufenthalt in Rom ist fiir den Preistrager bbligatorisch. 
Zum Nachweis der dortigen kiinstlerischen Betatigung 
miissen mehrere »envois« (in Rom geschriebene Kom- 
positionen) nach Paris gesandt und von der zustandigen 
Institution gebilligt werden. Namhafte Preistrager wa- 
ren: Herold (1812), Berlioz (1830), A.Thomas (1832), 
Gounod (1839), Bizet (1857), Massenet (1863), De- 
bussy (1884), G. Charpentier (1887), Florent Schmitt 
(1900), P.Paray (1911), M.Dupre (1914), Ibert (1919), 
Dutilleux (1938). Die Gesamtliste der Preistrager (vgl. 
Grove, Artikel Prix de Rome) zeigt die Problematik 



746 



Preise und Wettbewerbe 



der Kompositions-Pr. : viele Namen sind ganz unbe- 
kannt geblieben ; bedeutende Komponisten fehlen (z. B. 
Saint-Saens, d'Indy, Faure, C.Franck), die sich nicht 
bewarben, weil sie nicht Studierehde des Pariser Kon- 
servatoriums waren (das fast ausschlieBlich f iir die Pari- 
ser Oper ausbildete), oder deren Kompositionen nicht 
demjeweiligen Zeitgeschmack entsprachen; so kamen 
z. B. Ravel und Dukas nie iiber den 2. Preis hinaus. - 
Die deutschen Pr. wurden durch die Inflation (1919-23) 
entwertet. Erst nach 1948 wurden wieder Stiftungen 
gegriindet und W. veranstaltet. Von zahlreichen Pr.n u. 
W.n (teilweise fiir sehr spezielle Bereiche der Musik, 
z. B. fiir die Komposition einer Fernsehoper im Stil ei- 
ner Kammeroper, Opernpreis Salzburg) , die in Deutsch- 
land und im Ausland besonders in den letztenjahrzehn- 
ten entstanden, werden hier nur die bedeutendsten 
(nach Landern und in derReihenf olge ihrerEntstehung) 
aufgezahlt. Die Hohe der Pr. bezieht sich auf den Stand 
der Jahre 1965/66 (Angabe in der Landeswahrung). Die 
mit * gekennzeichneten W. gehoren der Federation des 
concours internationaux de musique an (Sitz: Konser- 
vatorium der Stadt Genf, Prasident: H.Gagnebin). 
Deutschland: Wettbewerb junger Solisten, Hessischer 
Rundfunk, seit 1947 jahrlich, Kl., V., Vc, Gesang, seit 
1949 auch Fl. u. Ob. ; d. Preis besteht im Vortrag innerhalb 
einer honorierten Sendung. - Berliner Kunstpreis, seit 1948 
jahrlich, »dient d. Anerkennung einer hervorragenden 
kunstlerischen Einzelleistung oder eines bedeutenden 
kiinstlerischen Lebenswerkes«; Einzelpreis Musik DM 
10000 (daneben Pr. f. andere Kiinste); Preistrager f. Mu- 
sik 1 965 E. Grummer. - Bach-Preis, 1 950 v. Senat u. d. Biir- 
gerschaft d. Freien u. Hansestadt Hbg gestif tet ; »als Preis- 
trager kommen deutsche Komponisten in Frage, deren 
Werke als Schopf ungen echter Kunst einer Verbindung mit 
d. Namen Johann Sebastian Bachs wiirdig sind«; DM 
20000, davon DM 15000 f. d. Preistrager, DM 5000 f. Sti- 
pendienanNachwuchskrafte; 1951 Hindemith, 1960 Fort- 
ner, 1966 Kfenek. - Hansischer Goethe-Preis, Hbg, 1950 
v. Freiherr v. Stein gestiftet, anfangs jahrlich, seit 1959 alle 
2 Jahre f. Internationale humanitare Leistungen, DM 
25000; 1961 Britten. - *Internationaler Musikwettbewerb 
d. Rundfunkanstalten Deutschlands, jahrlich seit 1952 in 
Munchen, Gesang, Kl., Org., Streich- u. Blasinstr., DM 
5000, DM 3000, DM 2000 (f. Gesang u. Einzelinstr.) ; Ge- 
winner erster Pr. erhalten d. Zusicherung, innerhalb eines 
Jahres v. mindestens 3 Rundfunkanstalten zu Konzerten 
oder Bandaufnahmen eingeladen zu werden. - Kranich- 
steiner Musikpreis, Darmstadt, seit 1952, 1966 zum 2 1 . Mai, 
Gesangs- u. Instrumentalinterpretation zeitgenossischer 
Musik, DM 1000 u. Stipendium f . d. nachstjahrigen Ferien- 
kurse d. Kranichsteiner Musiktage. - GroBer Kunstpreis 
d. Landes Nordrhein-Westfalen, 1953 v. d. Landesregie- 
rung gestiftet, jahrlich 5 Einzelpr. f. Malerei, Bildhauerei, 
Baukunst, Musik, Lit., je DM 25000 f. ein kiinstlerisches 
Werk, d. als wesentlicher Beitr. zur deutschen Kultur zu 
bewerten ist. - Ludwig Spohr-Preis, Braunschweig, seit 
1953 alle 3 Jahre, Komposition, DM 5000; 1964 Dallapic- 
cola. - Lit.- u. Musikpreis d. Stadt Koln, 1954 v. d. Stadt 
gestiftet, nur bei besonderen Anlassen f . iiberragende Lei- 
stungen auf literarischem oder mus. Gebiet, je DM 10000. 
- Musikpreis d. Philharmonischen Ges. Bremen, 1955 ge- 
stiftet, alle 3 Jahre, DM 5000; erstmalig 1956 an Orff; statt 
eines Preises kann auch ein Kompositionsauftrag verge- 
ben werden. - Beethovenpreis d. Stadt Bonn, 1959 v. d. 
Stadt gestiftet, alle 2 Jahre in d. Regel zu d. Beethovenfesten 
»furein neu geschaffenes Musikwerk«, DM 5000. 
Belgien: *Concours musical international Reine Elisabeth 
de Belgique, Brussel, erstmalig 1951, jahrlich wechselnd f. 
Kl., V., Komposition; Gesamtsumme d. 12 Pr. 925 000 bfrs, 
1. Preis (200000 bfrs; Goldmedaille) : »Grand Prix inter- 
national de Reine ...«; f. Komposition keine Alters- 
grenze, sonst 17-30 Jahre. - 'Concours international de 
quatuor, Liittich, 1966 zum 6. Mai, wechselnd f. Kom- 
position, Interpretation, Instrumentenbau, Gesamtsumme 
d. Pr. 100000 Mrs. - *Concours international de chant de 
Belgique, Brussel, 1962 gegr., Veranstalter »Les amis de 
Mozart«, Lied, Oratorium, Oper; Gesamtsumme d. Pr. 



100000 bfrs, Mozartpreis f . d. besten Mozartgesang 50000 
bfrs; Altersgrenzen 20-35 Jahre. 

Frankreich: *Concours international de jeunes chefs 
d'orch., Besancon, 1965 zum 15. Mai, f. Nichtprofessio- 
nelle Prix Emile Vuillermoz 2000 NF, f. Professionelle 
2000 NF, weitere Geldpr. ; Altersgrenze 30 Jahre. - •Con- 
cours international de chant, Toulouse, 1965 zum 12. Mai, 
5000 NF u. 2000 NF, Medaillen, Altersgrenzen 18-33 Jah- 
re. - *Concours international de piano et violon Marguerite 
Long - Jacques Thibaud, Paris, seit 1943, unter d. Protek- 
torat d. Prasidenten d. frz. Republik; f. beide Facher Pr. 
zwischen 1000 u. 10000NF; Altersgrenzen 15-32 Jahre. 
Holland : *»InternationalerGesangswettbewerb«, 's-Her- 
togenbosch, seit 1953 jahrlich, Lied, Oratorium, Oper, 
Geldpr., Konzert- u. Rundfunkengagements, Stipendien; 
Altersgrenze 33 Jahre. 

Italien: *Concorso internazionale di piano »Ferruccio 
Busoni«, Bozen, jahrlich seit 1949, seit 1954 auch f. Kom- 
position, Premio Busoni 500000 L., weitere Geldpr. u. 
Konzertengagements; Altersgrenzen 15-32 Jahre. - *Con- 
corso internazionale di violino »Nicolo Paganini«, Genua, 
1964 zum 11. Mai, 2000000 L., Spiel auf d. Geige Pagani- 
nis beim SchluBkonzert, weitere Geldpr. u. Verdienstur- 
kunden; Altersgrenze 35 Jahre. - *Concorso internazio- 
nale di musica e di ballo »G. B. Viotti«, Vercelli, 1965 zum 
16. Mai, wechselnd f. Gesang, Kl., Komposition; Gesamt- 
summe d. Pr. 5000000 L.; Altersgrenze 32 Jahre auBer f. 
Komposition. - Concorso internazionale di composizione, 
Triest, 1965 zum 12. Mai; Premio Citta di Trieste 2000000 
L. u. Auffuhrung d. Werkes, 2. Preis 750000 L. und Auf- 
fuhrung d. Werkes, 3. Preis Auffuhrung d. Werkes. - 'Con- 
corso internazionale di direzione d'orch. dell'accad. nazio- 
nale di Santa Cecilia, Rom, 1965 zum 4. Mai ; 2000000 L. 
u. ein Engagement, weitere Geldpr. ; Altersgrenze 40 Jahre. 
Osterreich: 'Internationaler Musikwettbewerb Wien, 
vor d. 2. Weltkrieg gegr., 1959 als internationaler Haydn- 
Schubert- Wettbewerbwiederaufgenommen, 1960 Gesangs- 
wettbewerb aus AnlaB d. 150. Geburtstages R. Schumanns 
u. d. 100. Geburtstages H. Wolfs, 1961 Klavierwerk Beet- 
hovens, 1963 Vokalwerk Mozarts, 1965 Klavierwerk Beet- 
hovens; Gesamtsumme d. Pr. 65000 S. 
Polen: *»Internationaler Wieniawski-Violinwettbewerb«, 
erstmalig Warschau 1935, seit 1952 alle 5 Jahre in Posen; 
Altersgrenze f . V. 30 Jahre ; Gesamtsumme d. 6 Pr. 140000 
Zl.; seit 1957 auch f. Komposition (10000 Zl.) u. Geigen- 
bau (70000 Zl.). - *»Internationaler Fr.-Chopin-Klavier- 
wettbewerb«, Warschau, erstmalig 1927, seit 1955 alle 5 
Jahre; Altersgrenze 30 Jahre; Gesamtsumme d. 6 Pr. 
140000 Zl. 

Rumanien: *»Internationaler Wettbewerb Georges Enes- 
cu«, Bukarest, erstmalig 1958, 1967 zum 4. Mai; Kl., V., 
Gesang, je Fach 25000 1 u. Goldmedaille, weitere Geldpr., 
Medaillen, Diplome; Altersgrenze 33 Jahre. 
Schweiz: 'Concours international d'execution mus., 
Genf, 1938 gegr., erstmalig 1939, wahrend d. Krieges auf 
nationaler Basis, seit 1964 wieder international, wechselnd 
f. Gesang, Kl., V., Vc, Streichquartett, Fl., Ob., Klar., 
Fag., Horn, Pos., Gitarre; Gesamtsumme d. Pr. 41500 
sfrs; Altersgrenzen 15-30 Jahre. - 'Prix de composition 
mus. Reine Marie Jose, Merlinge-Genf, seit 1960 alle 2 
Jahre; 10000 sfrs; Altersgrenze 50 Jahre. - 'Concours in- 
ternational de musique de ballet, Genf, seit 1962/63 alle 2 
Jahre, organisiert v. d. Stadt Genf u. d. Direction des emis- 
sions mus. de la Radio Suisse Romande ; 10000 sfrs (1 . Pr. ; 
2. u. 3. Pr. moglich). 

Spanien: 'Concorso internacional Maria Canals, Barce- 
lona, 1967 zum 13. Mai; Kl. (15-32 Jahre), Gesang (18-32 
Jahre), Violine (15-32 Jahre); je Fach 30000 Pta li. Kon- 
zertengagements, weitere Geldpr., Medaillen, Diplome, 
Spezialpr. 

Tschechoslowakei: *»Internationaler Musikwettbewerb 
d. Prager Fruhlings«, Prag, 1963 zum 16. Mai; wechselnd 
f. Kl. u. V.; 3 Geldpr. zwischen 2000-10000 Kcs; Alters- 
grenzen 18-30 Jahre. 

UdSSR: Konkurs imeni P. I. Tschaikowskowo (»Tschai- 
kowski-Wettbewerb«), Moskau, 1956 gegr., erstmalig 
1958, alle4 Jahre; 1958 f. V. u. Kl., 1962f. V., Kl., Vc, 1966 
f. V., Kl., Vc, Gesang; Altersgrenze f. Instr. 16-30 Jahre, 
f. Gesang 20-33 Jahre ; 8 Pr. u. 4 Diplome f. V., Kl. u. Vc, 



747 



Prelude 



6 Pr. u. 2 Diplome f. Gesang; 1. Preis 2500 Rbl u. Gold- 
medaille, 2. Preis 2000 Rbl u. Silbermedaille, 3. Preis 1500 
Rbl u. Bronzemedaille; weitere Pr. v. 1200-500 Rbl. 
Ungarn: *»Internationaler Musikwettbewerb Budapest«, 
1965 zum 8. Mai, 1963 Kammermusikwettbewerb »inme- 
moriam Leo Weiner« u. Vc.-Wettbewerb »Hommage a 
Pablo Casals«, 1965 Gesangswettbewerb u. Wettbewerb f. 
Blasinstr., 1966 Kl.-Wettbewerb »Liszt-Bartok« ; 4 Geldpr. 
zwischen 10000-30000 Ft., Konzertengagements. 
USA: »Georges Gershwin-Preis«, gestiftet v. d. Georges 
Gershwin-Gedenkstiftung, jahrlich seit 1945 f. d. beste 
Komposition eines jungen amerikanischen Komponisten.- 
»Preis d. Philadelphia-Orch.«, Philadelphia, jahrlich f. d. 
erfolgreichste Werk eines zeitgenossischen Komponisten 
u. f . d. am besten interpretierte Werk. - Johann Sebastian 
Bach International Competition, Washington, 1966 zum 
6. Mai, Interpretation d. Kl.-Werks Bachs; 1. Preis $ 1000, 
2. Preis $500, 3. Preis $250. 

Prelude (prel'iid, frz.), s. v. w. -> Praeludium; als 
Terminus dariiber hinaus auch gebrauchlich als Be- 
zeichnung fur Ouverture, Introduktion, Ritornell in 
der alteren franzosischen Oper (z. B. J.-B.Lully) sowie 
fiir den durch Chopin gepragten Typus des vorspiel- 
artigen Charakterstiicks. 

Prepared piano (piip'esd pi'aenou, engl.), ein Piano- 
forte, bei dem Gegenstande aus verschiedenem Ma- 
terial (Schrauben, Radiergummis, Eierloffel, Holz- 
stiicke usw.) an bestimmten Stellen auf oder zwischen 
den Saiten angebracht sind. Der Klang des Pianofortes 
soil dadurch verfremdet und zugleich sollen neue 
Klangfarben gewonnen werden. Kompositionen mit 
Pr. p. fiihrte -> Cage seit der Mitte der 1930er Jahre in 
den USA, seit den 1950erjahren auch inEuropa vor. 
Er erweiterte die Klangmoglichkeiten des Klaviers zu- 
gleich durch direktes Angreifen der Saiten sowie durch 
Benutzung des Klaviergehauses als Hohlidiophon. 
Wahrend diese (in der ->• Klaviermusik schon fruher 
angewendeten) Praktiken seit den 1950er Jahren von 
verschiedenen Komponisten auf gegriff en werden, blieb 
das Pr. p. ohne weitreichende Auswirkung. 

pres de la table (pre dla ta:bl, frz.; ital. presso la ta- 
vola), Anzupfart auf der Harfe nahe am Corpus, wo- 
durch der Klang harter, metallischer wirkt, der Gi- 
tarre oder dem Banjo ahnlich. 

Pressus, die ->■ Neume (-1) fiir einen wiederholten 
Ton. Er bedeutet eine neue Intonation (Anhauchen) 
dieses Tones. Der Pr. ist aus dem Spiritus oder Hauch- 
zeichen der antiken -> Prosodie (-1) entstanden und 
hat Bogen- oder Hakenform. Die neue Intonation be- 
deutete eine kleine Triibung des Tones; so konnte das 
Pneuma Daseion als Zeichen fiir den Viertelton der 
Antike verwendet werden und lebte in der frtihmittel- 
alterlichen Musiklehre (u. a. in den Dasia-Zeichen) 
fort. Der Pr. wurde teils mit dem zu wiederholenden 
Ton zusammengeschrieben (wobei sich verschiedene 
Formen und Namen der Kombination ergaben), teils 
als Einzelzeichen (Oriscus) notiert. Doch schon im 11. 
Jh. verlor er in den meisten Choralhandschriften seine 
besondere Bedeutung und wurde durch den Punkt er- 
setzt. Der heutige Vortrag besteht in einer einfachen 
Tonverlangerung. 

Presto (ital., schnell; frz. vite) ist neben Allegro und 
Adagio eine der friihesten Tempobezeichnungen (A. 
Banchieri, La Battaglia, 1611; M. Praetorius, Polyhym- 
nia caduceatrix, 1619). Ein Unterschied zwischen Pr. 
und Allegro bestand im 17. Jh. noch nicht oder nur in 
schwachen Ansatzen; A. Corelli schreibt bei manchen 
Allemanden Pr., bei anderen Allegro vor, ohne daB im 
rhythmischen Charakter der Satze eine Differenz er- 
kennbar ware. Erst im 18. Jh. setzte sich die Regel 
durch, daB Pr. ein schnelles und Allegro ein zwar heiter 



bewegtes, aber nicht hastiges ZeitmaB sei (BrossardD; 
J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 1767[?], Pa- 
ris 1768). Wenn J. S. Bach, Vivaldi und Handel Allegro 
ma non pr. vorschreiben, setzen sie voraus, daB ein Pr. 
rascher als ein Allegro ist. Die Bezeichnung Pr. ist im 
18. Jh. oft mit dem Allabrevetakt (0) verbunden; doch 
ist nicht die Schlagzeit (J), sondern die Viertelnote ei- 
nes Pr.s schneller als die Schlagzeit (J) eines Allegros. 
Ein zweiter Typus des Pr.s ist die Contredanse im 2/4- 
Takt, deren Charakter und Tempo sich auch in den 
SchluBsatzen mancher Symphonien auspragen (Mo- 
zart, K.-V. 425 und 504; Haydn, Hob. I, 85 und 92). - 
Pr. assai und Molto pr. bedeuten sehr schnell, Pr. ma 
non tanto und Pr. ma non troppo nicht zu schnell. Der 
Superlativ Prestissimo ist seit dem 17. Jh. nachweisbar 
(J.Vierdanck 1637; H. Schiitz, Johannespassion, 1665). 
Im 19. Jh. wird er im allgemeinen bei SchluBsteigerun- 
gen schneller Satze (Beethoven, 9. Symphonie), selte- 
ner als Oberschrift eines Satzes verwendet (Beethoven, 
op. 104). 

Priamel (aus Praeambel) , gleichbedeutend mit -*■ Prae- 
ambulum, in musikalischer Bedeutung erstmals 1482 
belegt (macht ein harfer ein pr. oder vorlouf, daz er die luit 
im uffzu merken beweg, zitiert nach Grimm, Deutsches 
Worterbuch), spater vereinzelt als Uberschrift von ein- 
leitenden Stucken in friihen deutschen Lautentabula- 
turen (z. B. H.Judenkunig 1523). 

Prim (lat. hora prima), nach dem traditionellen Auf- 
bau des ->■ Offiziums der romischen Kirche die erste 
der kleinen Horen, heute nicht mehr allgemein ver- 
pflichtend vorgeschrieben (Liturgiekonstitution des 
2. -»■ Vatikanischen Konzils, Artikel 89d, ferner Arti- 
kel 78 und 84 der Instructio vom 26. 9. 1964). Sie be- 
steht aus 2 Teilen, deren erster in seiner Gliederung den 
iibrigen Horae minores (->■ Terz, Sext, Non ; mit Hym- 
nus lam lucis orto sidere) entspricht, wahrend der zweite 
(das »Officium capitulk) folgende Stiicke umfaBt: 

a) Lesung aus dem Martyrologium mit Versikel Pretio- 
sa in conspectu und Oration Sancta Maria et omnes Sancti; 

b) Deus in adiutorium meum intende (dreimal), gefolgt 
von Kyrie eleison, Pater noster, Versikel Respice in servos 
(mit Gloria patri) und Oration Dirigere et sanctificare; 

c) die Absolutio capituli : Jube domne benedicere, darauf 
Benediktion Dies et actus, Lectio brevis, Versikel Adiu- 
torium und Benedicite sowie Benediktion Dominus nos 
benedicat. 

Primadonna (ital., s. v. w. Erste Sangerin), seit dem 
17. Jh. im italienischen Operntheater Bezeichnung fiir 
die Sangerin, der die groBte Partie zukommt. Seit Be- 
ginn des 18. Jh. liebte die italienische Oper die Gegen- 
iiberstellung von zwei Prime donne; die bedeutendere 
Sangerin wurde dann Pr. assoluta (e sola) genarint ge- 
geniiber der Seconda donna oder Pr. altra. Mit der 
Entwicklung und Verbreitung virtuoser Gesangskunst 
wurde die Bezeichnung Pr. immer mehr fiir eine er- 
folggewohnte Sangerin extravaganten Charakters an- 
gewandt. Oft hat diese auch schopferischen EinfluB auf 
die Oper und die Komponisten genommen, wie z. B. 
Giuditta -> Pasta auf Bellini. Zu den beriihmtesten 
Primadonnen zahlen u. a. : Francesca ->• Cuzzoni, Fau- 
stina -*■ Hasse-Bordoni, Gertrud Elisabeth -> Mara, 
Wilhelmine -*■ Schroder-Devrient, Jenny -»■ Lind, 
Adelina -> Patti, heute z. B. Maria Callas (-> Meneghi- 
ni Callas). Seit demEnde des 18. Jh. ist die Bezeichnung 
Pr. synonym mit Diva (ital., s. v. w. »gottliche Sange- 
rin*). Den Typus der Operettendiva vertrat zuerst 
Hortense Schneider (ca. 1830-1920), die 1855 in Offen- 
bachs Le Violoneux debutierte. 

Lit. : H. S. Edwards, The Prima Donna . . . , 2 Bde, Lon- 
don 1888; A. Ehrlich, Beruhmte Sangerinnen d. Vergan- 



748 



Privatmusikerziehung 



genheit u. Gegenwart, Lpz. 1896; H. Ch. Lahee, Famous 
Singers, Boston 1898, 2 1936; A. Kohut, Die Gesangsko- 
niginnen in d. letzten 3 Jh., Bin 1906; A. Weissmann, Die 
Pr., Bin 1920; G. Monaldi, Cantanti celebri: 1829-1929, 
Rom 1929; M. Hogg, Die Gesangskunst d. F. Hasse u. d. 
Sangerinnenwesen ihrer Zeit in Deutschland, Diss. Bin 
1931 ; A. Lancelotti, Le voci d'oro, Rom '1953 ; H. Ul- 
rich, Famous Woman Singers, NY 1953; H. Kuhner, 
GroBe Sangerinnen d. Klassik u. Romantik, Stuttgart 
(1954); K. Honolka, Die groBen Primadonnen, Stuttgart 
1960; Fr. Herzfeld, Magie d. Stimme, Bin, Ffm. u. Wien 
(1961) ; A. Natan, Pr., Basel u. Stuttgart (1962). 

Prima pratica (ital., erste Kompositionsart), eine 
Bezeichnung, die zuerst in der von G.C.Monteverdi 
verfaBten Vorrede zu CI. Monte verdis Scherzi musicali 
(1607) verwendet wird fiir den in den Istitutioni harmo- 
niche G.Zarlinos (1558) kodifizierten strengen Kontra- 
punkt, den »alten Stil« (im Gegensatz zur -> Seconda 
pratica). Als Komponisten der Pr. pr. werden genannt : 
Gckeghem, Josquin, de la Rue, Mouton, Crecquillon, 
Gombert, Clemens non Papa und Willaert. 

prima vista, a prima vista (ital., auf den ersten Blick; 
engl. sight reading), eine Komposition ohne vorange- 
gangenes Uben oder Proben »vom Blatt« spielen oder 
singen. 

Prime (lat. prima, erste), die 1. Stufe einer diatoni- 
schen Folge. Die aus der Kontrapunktlehre des 14./15. 
Jh. stammende Bezeichnung gait urspriinglich nur fiir 
das Zusammentreffen zweier Stimmen im gleichen 
Ton. Wahrend sonst ein -*■ Intervall auch eine diaste- 
matische Differenz bedeutet, kennzeichnet gerade das 
Fehlen einer solchen die Pr. (1 : 1). Das Melodieintervall 
Pr. ist als Tonwiederholung, das Simultanintervall Pr. 
als Einklang zu beschreiben. Ob der Einklang (-> Uni- 
sono) zu den Intervallen gehort, ist daher in der alteren 
Musiktheorie strittig. Gleichwohl sind Pr. und Uniso- 
nus nicht identisch, da die neuere Intervallehre chro- 
matische Tone als Veranderungen eines diatonischen 
Stammtons benennt. So gibt es neben der 
Pr. auch die Uberma- 
Bige (chromatischer 
-*■ Halbton) und die 
doppelt UbermaBige Pr. Das Fortschreiten zweier oder 
mehrerer Stimmen in reinen Pr.n oder Oktaven wird 
Unisono genannt. 

Primicerius (lat. primus in cera, der erste auf der 
Wachstafel, dem Verzeichnis), urspriinglich der erste 
Sanger und der Leiter der romischen -*■ Schola can- 
torum, zur Unterscheidung von anderen als Pr. betitel- 
ten Klerikern auch Prior scholae oder Magister capellae 
genannt. Wohl spatestens im 14. Jh. wurden nur noch 
der Titel und die daran gebundenen Benefizien eines 
Pr. verliehen, wahrend die Chorleitung der Magister 
capellae innehatte. Um 1400 kam die Bezeichnung Pr. 
aufier Gebrauch. 

primo (ital.), Abk.: 1*"°, der erste; tempo Im°, das 
erste Tempo ; bei KlavierstUcken zu 4 Handen ist pr. 
der Spieler des Diskantparts. - Prima volta (Ima, T_ ^) 
ist bei Wiederholung eines Teils der Komposition die 
Stelle, die zum Anfang des Teils zuriickleitet und nach 
der Wiederholung ersetzt wird durch eine entsprechen- 
de, mit seconda volta (H da , ^ *) bezeichnete Stelle, 
die zum 2. Teil (seconda parte) Uberleitet. Wird ohne 
Wiederholung zum nachsten Teil Ubergegangen, mufl 
die mit I ma bezeichnete Stelle iibersprungen werden. 

Primo uomo (ital.) ist im italienischen Opernwesen 
des 17. und 18. Jh. die Bezeichnung fiir den ersten San- 
ger einer Biihne (Tenor oder Kastrat). ->■ Primadonna. 

principale (printjip'a:le, ital., Abk.: princ, pr., fiih- 
rend, vorherrschend), Zusatz zur Kennzeichnung einer 



ia--^- 
ierj#E 
lie «T^ 



► jt-e- !»«■§■« 



oder der solistisch hervortretenden (konzertierenden) 
Instrumentalstimme (z. B. Violino pr.) als Hauptpartie 
in Orchesterwerken, oft synonym verwendet mit 
-»- Solo und -*■ Obligato (- 2). Pr. ist auch der ital. Aus- 
druck fiir -> Prinzipal. 

Prinzipal (engl. open diapason; frz. montre, von en 
montre, im Prospekt; ital. principale; span, flautado), 
die Hauptstimme der Orgel (vox principalis), eine 
offene -> Labialpfeife von mittelweiter Mensur (im 8' 
auf C etwa 148-155,7 mm), zylindrischer Form und 
kraftiger Intonation. Das Pr. kommt in alien FuBlagen 
vor, im Pedal auch zu 32', im Manual bis zum 1' (in den 
Oktavlagen heiBt es Oktave und Superoktave). Men- 
sur und Intonation des Pr.s schwanken ortlich und ge- 
schichtlich: in alten Orgeln ist es oft flotenartig bei hel- 
ler Klangfarbe, ohne UbermaBige Lautstarke, da das 
Register bis in die Zeit G. Silbermanns ohne -*■ Barte 
gebaut wurde, wahrend in Norddeutschland und den 
Niederlanden ein herberer Klang bevorzugt wurde. 
Die Pr .-Basis ist im -> Hauptwerk 8', im -> RUckposi- 
tiv 4', im -> Brustwerk 2'. GroBe Orgeln mit Pr.-Basis 
zu 16' im Hauptwerk haben auch in den anderen Wer- 
ken, mit Ausnahme des Brustwerkes, das Pr. 8'. Das 
Material des Pr.s ist zumeist hochprozentiges Zinn, 
auch Kupfer, wodurch der Prospekt iiberdies ein scho- 
nes Aussehen gewinnt. Die tiefsten Pfeifen des Pr.s (16' 
und 32' im Pedal) werden oft aus Holz gefertigt. - Pr. 
und Praestant (von lat. praestare, voranstehen) sind ur- 
spriinglich Bezeichnungen im Hinblick auf die Stel- 
lung der Pfeifenreihe (vorn, im Prospekt) ; spacer er- 
hielten sie die Bedeutung von fiihrender Stimme, 
Hauptstimme. Im franzosischen Orgelbau ist Prestant 
stets 4' (nach Bedos de Celles weist dieser Name auf die 
Mittellage, zwischen H6he und Tiefe disponiert). - 
Das Pr. ist aus der Flote hervorgegangen. Noch Schlick 
sagt 1511 etlich nennen das Pr. koppeln oderfleytten. Bei 
Praetorius (Synt. II) ist die Flotengruppe weiter men- 
suriert und dem enger gebauten Pr. gegeniibergestellt. 
Er kennt GroB Subprincipal BaB 32', GroB Principal 
16', Aequalprincipal 8', Klein Principal oder Octaven 
Principal 4' bis zu Superoctavlein 1'. -> Disposition, 
-> Organo pleno, ->■ Register (-1). 

Prinzipalblasen, Prinzipaltrompete -»- Trom- 
pete(-l). 

Privatmusikerziehung, Einzelunterricht im Instru- 
mentalspiel oder Gesang, der nicht an einer off entlichen 
Musikunterrichtsstatte (Jugendmusikschule, Musik- 
hochschule, Konservatorium), sondern in den Privat- 
raumen des Lehrers oder Schiilers stattfindet und privat 
honoriert wird. Fiir die ->■ Musikerziehung musikalisch 
begabter Kinder ist der instrumentale Einzelunterricht 
besonders wertvoll, wahrend das Singen leichter in 
Gemeinschaft erlernt wird (-> Schulmusik). - Bis ins 
18. Jh. behielt der Instrumentalunterricht weithin den 
Charakter einer Handwerkslehre : die Schuler wohn- 
ten wahrend der zunftmaBigen Lehrzeit beim Meister 
(->■ Stadtpfeifer). Nur die Ausbildung der Organisten 
stand in engerer Verbindung zur Vokalmusik, zur Mu- 
siktheorie und Kompositionslehre. Einen vom Instru- 
mentalunterricht unabhangigen Entwicklungsgang 
weisen bis heute die Gesangsmethoden auf (-*■ Stimm- 
bildung). Ein grundlegender Wandel der instrumenta- 
len Unterweisung bahnte sich im 18. Jh. an: der seit 
dem 16. Jh. standig gewachsenen Bedeutung der In- 
strumentalmusik muBte auch die Ausbildung Rech- 
nung tragen. Dieser Wandel fand seinen Niederschlag 
in der Art, dem Ansehen und der Verbreitung der 
Lehrbucher von C.Ph.E.Bach, Quantz, L.Mozart und 
Turk. Auch gab der an vornehme Musikdilettanten er- 
teilte Unterricht den AnstoB zu einer neuen Einschat- 



749 



Privilegium 



zung der Pr. Das 19. Jh. war die Bliitezeit der Pr. sowie 
der -*■ Hausmusik. Das Klavier riickte in den Mittel- 
punkt hauslicher Musikausiibung; besonders fur Mad- 
chen wurde Klavierunterricht Teil der biirgerlich- 
standesgemaBen Ausbildung. Die Unterweisung in der 
Spieltechnik verselbstandigte sich (-»■ Etiide), teilwei- 
se zuungunsten der allgemein-musikalischen Ausbil- 
dung. Der Stand des Privatmusikerziehers wuchs her- 
an; schon 1834 wurde eine Kabinettsordre von K6nig 
Friedrich Wilhelm III. von PreuBen notwendig, die die 
Pr. unter staatliche Auf sicht stellte zum Schutz der Ju- 
gend vor Ausbeutung durch unfahige oder sittlich f rag- 
wiirdige Personen. 1844 erfolgte die Griindung des 
Berliner Tonkiinstlervereins, der sich 1903 mit ande- 
ren Verbanden zum Zentralverband Deutscher Ton- 
kiinstler zusammenschloB; die noch abseits stehenden 
Gruppen stieBen 1922 hinzu bei der Griindung des 
Reichsverbandes Deutscher Tonkiinstler und Musik- 
lehrer. 1947 schlossen sich die neuerstandenen Landes- 
verbande zum Verband Deutscher Tonkiinstler und 
Musiklehrer zusammen (VDTM, Umbenennung 1964 
in Verband Deutscher Musikerzieher und Konzertie- 
render Kiinstler, VDMK). Seit 1945 herrscht in der Pr. 
wieder Gewerbefreiheit (nur in Siidbaden wurde 1950 
die Erteilung von Pr. ohne Zulassung verboten). Das 
Staatliche Privatmusiklehrerexamen, mit dem die Be- 
rufsausbildung an den Privatmusiklehrerseminaren der 
Konservatorien und Musikhochschulen abschlieBt, ist 
nur fur eine Anstellung an offentlichen Ausbildungs- 
statten unerlaBlich. Die Ausiibung des Beruf s eines Pri- 
vatmusikerziehers als einzige Einnahmequelle ist heute 
kaum noch moglich. Die offentlichen Musikunter- 
richtsstatten, die eine umfassendere Ausbildung mit 
geringeren Kosten als die Pr. bieten, drangten die Pr. 
zuriick. Der von Leo -> Kestenberg erstrebte Auslese- 
prozeB hat dazu gefiihrt, daB der Privatlehrer heute 
den AnschluB an eine Musikschule als wirtschaftlichen 
Hintergrund und f iir die Altersversorgung erstrebt und 
daB Pr. meist von fest angestellten (oder beamteten) 
Musikern und Musikpadagogen nebenher erteilt wird. 
Lit. : P. Bekker, Das deutsche Musikleben, Stuttgart u. 
Bin 1 9 1 6 ; J. Petschull, Die sociale Lage d. deutschen Mu- 
siklehrkrafte, Diss. GieBen 1924, maschr. ; A. Ebel, Privat- 
unterricht in d. Musik, Bin 1925; ders., Pr., in: Hdb. d. 
Musikerziehung, hrsg. v. H. Fischer, Bin 1954; L. Kesten- 
berg, Der Privatunterricht in d. Musik (Amtliche Bestim- 
mungen), Bin 1925, 51932; Musikpadagogische Gegen- 
wartsfragen, hrsg. v. dems., Lpz. 1928; M. Lovinson, Der 
Privatmusikunterrichtin PreuBen (Denkschrift), Bin 1926; 
H. Ullrich, Die rechtliche Regelung d. privaten Musik- 
unterrichts in PreuBen . . ., Diss. iur. Heidelberg 1930; H. 
BXuerle, Das Musikseminar, Stuttgart 1931; H. Mers- 
mann, Das Musikseminar, = Musikpadagogische Bibl. 
XI, Lpz. 1931 ; H. W. v. Waltershausen, in: Mk XXV, 
1932/33, S. 15ff.; Musikstudium in Deutschland. Studien- 
ftthrer, hrsg. v. K. Hahn, Mainz (1960, 21963). - Zss. : Mu- 
sikpadagogische Blatter, hrsg. v. E. Breslaur, Bin 1878- 
1922; Deutsche Tonkiinstlerzeitung, hrsg. v. A. Ebel, Bin 
1903/04-1937/38; Schweizer Musikpadagogische Blatter, 
Basel 1912-59 ; Der Musikerzieher, hrsg. v. H. Just, Mainz 
1938^»2/43. HHa 

Privilegium (lat.) -*■ Verlagsrecht. 

Processionale, Processionarius oder Processionarium 
(lat.), ein im romischen Liturgiebereich verwendetes 
Buch mit Texten, Gesangen und rituellen Anweisun- 
gen f iir die Prozessionen. Auf Grand der eif rigen Pflege 
von Prozessionen und ihrer besonderen Bedeutung f iir 
das lokale kirchliche Leben entstanden in alterer Zeit 
zahlreiche Diozesan- und Ordensausgaben dieses Bu- 
ches, das - praktischen Erfordernissen entsprechend - 
viele urspriinglich im -> Graduale (- 2), -»• Missale und 
anderswo aufgezeichnete Texte und Melodien verein- 



te. Heute linden sich Teile des Pr.s unter Titel X (De 
processionibus; friiher Titel IX) in der 1952 erschienenen 
Neuausgabe des romischen -*■ Rituales. 
Ausg.: Pr. Romanum, Regensburg 1873, 5191 1 ; Pr. Mona- 
sticum ad usum Congregationis Gallicae Ordinis S. Bene- 
dicti, Solesmes 1893. Weitere Ausg. siehe im General Cat. 
of Printed Books d. Brit. Mus., Bd 1 39, London 1962, Spal- 
te 488ff., sowie in: H. Bohatta, Liturgische Bibliogr. d. 
XV. Jh., Wien 1911, Nachdruck Hildesheim (1960). 

Programmusik (frz. musique a programme; ital. 
musica a programma; engl. programme music) ist In- 
strumentalmusik, die als geschlossenes Werk oder gan- 
zes Stiick mit der Darstellung oder Andeutung eines 
begrifflich faBbaren Sujets verbunden ist, auf das der 
Komponist in der Regel selbst hinweist, sei es durch ei- 
ne Inhaltsangabe oder nur durch eine Uberschrif t (oder 
AuBerung). Das zur Musik geeignete Sujet vermag die 
Phantasie des Komponisten anzuregen, die komposi- 
torische Formung zu motivieren, die Auffiihrungsart 
zu prazisieren und die Auffassung des Horers in be- 
stimmte Bahnen zu lenken. - Vorlaufer der Pr. des 19. 
Jh. bieten die -> Battaglia, das -»■ Capriccio und die 
-> Pastorale, ferner Programmstiicke der Virginalisten 
(J.Byrd, J.Munday, G.Farnaby u. a.) und Clavecini- 
sten (z. B. J.-Ph. Rameau, La boiteuse, Lapoule; Fr. Cou- 
perin, Les abeilles, Les lis naissants), in Deutschland die 
Lamentos, Plaintes, Tombeaux von Froberger und die 
Biblischen Historien (1700) von Kuhnau, in Italien Vival- 
dis Concerti iiber die »Vier Jahreszeiten« (mit je einem 
vorangestellten Sonetto dimostrativo), iiber La tempesta di 
mare, La notte, La caccia u. a. Bis ins 18. Jh. blieb die Pr. 
Gelegenheitsarbeit im Sinnc des Experiments, des un- 
terhaltsamen lusus ingenii (Kuhnau), des »Witzes«, des 
Wunderlichen und AuBerordentlichen im Stylus phan- 
tasticus. Hierher gehoren z. B. auch noch der Instru- 
mental-Calender (1748) von Gr. J. Werner und die ton- 
malerischen Orgelimprovisationen des Abbe -»• Vog- 
ler. Doch kiindigt sich in den Pastoral-, Tempesta- und 
Cacciasymphonien (oder -symphoniesatzen) des spate- 
ren 18. Jh. bereits jener »romantische« Ton erlebter 
Natur an, der die -> Tonmalerei verinnerlichte und der 
dann in Durchdringung der »absoluten« Tonsprache 
der Wiener Klassiker die symphonische Pr. als hohe 
Kunstgattung entstehen liefi, wie sie erstmals in Beet- 
hovens Pastoralsymphonie (1807/08) vorliegt. 
Um 1800 wurde in Paris das Begriffswort symphonie a 
programme gebildet (hierzu Sandberger, S. 206; in 
SchillingE als Malende Sinfonie verdeutscht), und zwar 
im Hinblick auf Symphonien z. B. von Rosetti (= Fr. 
A. RoBler), J.Haydn (z. B. die »Tageszeiten«-Sympho- 
nien 1761, Hob. I, 6-8) und Dittersdorf (12 Sympho- 
nien exprimant . . . mitamorphoses d'Ovide; -*■ Meta- 
morphosen). Als Programmsymphonien konnen auch 
bezeichnet werden Spohrs »malende« Symphonien 
(besonders Nr IV: Die Weihe der Tone, 1832, nach 
einem Gedicht von K.Pfeiffer) und vor allem Berlioz' 
epochemachende Symphonie fantastique (1830; ->• Idee 
fixe) und Harold en Italie (1834). Zur Hauptgattung der 
Pr. im 19. Jh. wurde neben der mehrsatzigen Pro- 
grammsymphonie die einsatzige -»■ Symphonische 
Dichtung (aber auch z. B. Liszts mehrsatzige Faust- 
Symphonie gilt als Symphonische Dichtung, und an- 
dererseits nannte Hanslick alle derartigen Werke Liszts 
Programm-Symphonien; Vom Musikalisch-Schonen, Vor- 
wort zur 2. Auflage 1858). Das bevorzugte Mittel der 
Pr. ist die -> Tonmalerei. Doch die besonders durch 
Berlioz und die -> Neudeutsche Schule entwickelte 
Kunst der Instrumentation, der Motivvariation, des 
-*• Leitmotivs, der neuartigen Harmonik und phanta- 
siehaf ten Formung steigerte allgemein die deskriptiven, 
expressiven, assoziativen, symbolischen und synasthe- 



750 



Progressionsschweller 



tischen Fahigkeiten der Musik, die andererseits wesent- 
lich im Zusammenhang mit Pr. ausgebildet worden 
sind. Indessen ist die Grenze zwischen ausgesprochener 
Pr. und anderen Werkgruppen (Mottokompositionen; 
-»■ Charakterstiick) im 19. Jh. so schwer zu ziehen wie 
die zwischen Tonmalerei und »reiner« Musik. R. Schu- 
mann hat sich im Sinne seines Verstandnisses des »Poe- 
tischen« in der Musik gegenuber jeder Mitteilung eines 
Programms stets ablehnend ausgesprochen, wahrend 
Liszt, der das Poetische in einem mehr literarischen 
Sinne verstand, Schumann als den Komponisten be- 
zeichnet, der in seiner Klaviermusik die Bedeutung des 
Programms am vollstandigsten erfafit habe (IV, S. 184). 
Und innerhalb der inhaltlich motivierten Musik hat 
Mahler zwei entgegengesetzte Positionen gekennzeich- 
net, wenn er bestatigt, daB seine Musik schliefilich zum 
Programm als letzter ideeller Verdeuttichung gelangt, 
wahrenddem bei Straufi das Programm alsgegebenes Pensum 
daliegt (Briefe, S. 228). In diesem Sinne gibt es fur Mah- 
ler von Beethoven angefangen keine moderne Musik, die 
nicht ihr inneres Programm hat (Briefe, S. 296). 
Das Programm (also irgend ein der rein-instrumentalen 
Musik in verstandlicher Sprache beigefiigtes Vorwort; Liszt, 

IV, S. 21) hat nach Liszts AuBerungen die Aufgabe, an- 
deutend oder ausfiihrend die unbestimmten Eindriicke der 
Seek im Sinne von Gedanken und Bildern . . . zu be- 
stimmten Eindriicken zu erheben. Mit dem Programm 
bezweckt der Komponist, die Zuhorer vor der Willkur 
poetischer Auslegung zu bewahren, und gibt den Gesichts- 
punkt an, von dem aus er sein Sujet erfafit: die poetische 
Idee, die geistige Skizze seines Werkes, den poetischen 
oder philosophischen Faden (Liszt, II, S. 130; IV, S. 21,69; 

V, S. 204). Erst wenn diese inhaltlich-»geistigen« Mo- 
mente der Musik innewohnen, wenn ihr die Ideate des 
wissenschaftlichen, des Denk- und Thatmenschen nicht 

fremd bleiben, wird das grofie Wort der y>Zukunftsmusik« 
erreicht sein (Liszt, V, S. 204). - Das Programm der Pr. 
kann vom Komponisten selbst erdacht (erlebt) sein 
(Berlioz, Symphonie fantastique, 1830; Smetana, II. 
Streichquartett E moll »Aus meinem Leben«, 1876; R. 
Strauss, Symphonia domestica, 1903) ; es kann entnom- 
men sein aus der Literatur (Liszt, Die Ideale, 1857, nach 
Schiller; Strauss, Macbeth, 1886/91, nach Shakespeare) 
oder aus der bildenden Kunst (Mussorgsky, »Bilder ei- 
ner Ausstellung«, 1874, nach Bildern von V. Hartmann ; 
Reger, Vier Tondichtungen nach A.Bocklin, 1913); es 
kann sich auf eine Landschaft (Smetana, »Die Moldau«, 
in: »Mein Vaterland«, 1874-79; Strauss, Eine Alpen- 
symphonie, 1915; Respighi, IPini di Roma, 1924) oder 
z. B. auf Technik beziehen (Honegger, Pacific 231, 
1923). A. Schering glaubte, in Werken Beethovens und 
Schuberts ein inneres Programm, die tonende Verge- 
genstandlichung eines poetischen Sinnes nachweisen 
zu konnen. Das erst nachtragliche Hinzusetzen einer 
Uberschrif t durch den Komponisten (von R. Schumann 
6fter betont) ist ebenso zu belegen wie das erst nach- 
tragliche Formulieren eines Programms (Liszt, Les 
Preludes; Strauss, Tod und Verklarung). Auch das Zu- 
riickziehen und das Austauschen des Programms bzw. 
der Uberschriften kommen vor (Schumann, Fantasie 
C dur fur Kl. op. 17, urspriinglich als Obulus auf Beet- 
hovens Monument mit den Satztiteln Ruinen, Trophaen, 
Palmen; Schonberg, Orchesterstuck op. 16 Nr 3: Far- 
ben, in der Version von 1949 : Morning by a Lake) . Nicht 
selten wurde ein Werk zum Zwecke leichterer Ver- 
standlichkeit nur voriibergehend mit einem Programm 
oder mit Titeln versehen (Bruckners VII. Symphonie 
durch J. Schalk, von Bruckner abgelehnt; Mahler, 1. 
Symphonie, Briefe S. 185; Schonberg, Fiinf Orche- 
sterstiicke op. 16, Verlegerwunsch). Die Problematik 
programmhafter Deutung eines Werkes erweist der 



erste Klang in Mahlers 1. Symphonie, der Adorno 
(Mahler . . ., 1960, S. 10) an einen pfeifenden Laut er- 
innert, wie ihn altmodische Dampfmaschinen ausstiefien, 
wahrend er (im Blick auf Mahlers Zusatz Wie ein Na- 
turlaut) vielleicht eher als »flimmernde Luft« gedeutet 
werden konnte. 

Als »auBermusikalisch« motivierte Instrumentalmusik 
stand die Pr. im 19. Jh. im Mittelpunkt des Parteien- 
streits iiber die Wesensbestimmung der Tonkunst als 
einer durch beabsichtigten -> Ausdruck gebundenen 
oder einer eigengesetzlich geformten -> Absoluten 
Musik. Indessen hat die Pr. nicht nur wesentlich zur 
historisch geforderten Neuerung der symphonischen 
Musik beigetragen (denn nach Beethoven schien Maafi 
undZiel erschbpft; Schumann, S. 70), sondern auch auf 
Grund der »inhaltlich« motivierten kompositorischen 
Entdeckungen entscheidend die Ausbildung einer wie- 
derum neuen Autonomic der -»- Komposition bewirkt. 
Denn im Unterschied zur sogenannten klassischen Musik 
waren in der Pr. Wiederkehr, Wechsel, Veranderung und 
Modulation der Motive durch ihre Beziehung zu einem 
poetischen Gedanken bedingt (Liszt IV, S. 69), und auch 
fur R.Strauss war das Programm: nichts weiter als der 
Formen bildende Anlafi zum Ausdruck und zur rein musi- 
kalischen Entwicklung meiner Empfindungen (Brief an R. 
Rolland vom 5. 7. 1905). 

Lit. : R. Schumann, Sinfonie v. H. Berlioz, in : Gesammelte 
Schriften ... II, Lpz. 5 1914; Fr. Liszt, Gesammelte Schrif- 
ten, hrsg. v. L. Ramann, Lpz. 1880-83 ; G. Mahler, Briefe, 
hrsg. v. A. M. Mahler, Bin, Wien u. Lpz. 1 925. - R. Hohen- 
emser, Ober d. Pr., SIMG 1, 1899/1900; H. Leichtentritt, 
Vorlauferu. Anfanged. Pr., AMZXXX, 1903; W. Klatte, 
Zur Gesch. d. Programm-Musik, = Die Musik VII, Lpz. 
(1905); Fr. Niecks, Programme Music in the Last Four 
Cent., London 1907; M. D. Calvocoressi, Esquisse d'une 
esth&iquede la musique a programme, SIMG IX, 1907/08; 
O.KLAUWELL,Gesch.d.Pr. . . .,Lpz. 19 10; A. Heuss.L. Mo- 
zart als Programmusiker, Neue Zs. f. Musik LXXIX, 1912; 
W. Hirschberg, Ober d. Grenzen d. Pr., Mk XII, 1912/13 ; 
A. Sandberger, »Mehr Ausdruck d. Empfindung als Ma- 
lerei«, in: Ausgew. Aufsatzezur Mg. II, Miinchen 1924; A. 
Wellek, Doppelempfinden u. Pr., Diss. Wien 1928, 
maschr.; K. Schubert, Die Pr., = Mus. Formen in hist. 
Reihen XIII, Bin (1934); A. Schering, Beethoven u. d. 
Dichtung =Neue deutsche Forschungen LXXVII, Abt. 
Mw. Ill, Bin 1936; ders., Bemerkungen zu J. Haydns Pro- 
grammsinfonien, JbP XLVI, 1939; ders., Fr. Schuberts 
Symphonie in H-moll u. ihr Geheimnis, Wurzburg (1939); 
R. Raffalt, Ober d. Problematik d. Pr., Diss. Tubingen 
1949; K.-W. Gumpel, Zum Problem d. Pr. bei R. Schu- 
mann, Musikerziehung VI, 1952; H. Unverricht, Horba- 
re Vorbilder in d. Instrumentalmusik bis 1 750, 2 Bde, Diss. 
Bin 1954, maschr. ; A. Sychra, Die Einheit v. »absoluter« 
Musik u. Pr., Beitr. zur Mw. 1, 1959; Fr. W. Riedel, Quel- 
lenkundliche Beitr. zur Gesch. d. Musik f. Tasteninstr., 
= Schriften d. Landesinst. f . Musikforschung Kiel X, Kas- 
sel 1960, S. 157ff. ; H. Berner, Untersuchungen zur Be- 
griffsbestimmung u. zu einigen Fragen d. Rezeption v. Pr., 
Diss. Lpz. 1964, maschr. - HHE 

Progressio harmonica (frz. progression harmo- 
nique) ist in der Orgel eine nicht repetierende gemisch- 
te Stimme, die von Chr. Fr. G. Wilke 1 839 erf unden und 
vor allem im 19. Jh. gebaut wurde. Die Pr. h. beginnt 
in der Tiefe 2ch6rig (auf C mit H/3' und 1', auch 22/3') 
und nimmt in der Hohe, um den Diskant zu betonen, 
progressiv an Choren zu (auf c mit 2', 13/j' und 1'; c 1 
4ch6rig, c 2 5ch6rig usw.). 

Lit. : Chr. Fr. G. Wilke, Ober Wichtigkeit u. Unentbehr- 
lichkeit d. Orgelmixturen, Bin 1839. 

Progressionsschweller ist eine Art Crescendoein- 
richtung fur die Orgel, die Abbe Vogler ersann, eine 
durch Hinzutreten oder Wegfall von -> Aliquotstim- 
men bewirkte Verstarkung oder Abschwachung des 
Tones. 



751 



Progressive Jazz 



Progressive Jazz (pjagi'esiv c^aez, engl.), in den 
1940er Jahren aus dem -»• Big band-Musizieren der 
->• Swing- Ara unterEinfluB des -> Be-bop entstandene 
Art des sogenannten symphonischen Jazz. Der Pr. J. ist 
proklamiert und bekannt geworden durch den Band- 
leader Stan Kenton, in dessen impressionistischen, havi- 
ng der Programmusik verpflichteten Kompositionen 
harmonische Mittel der modernen Kunstmusik (De- 
bussy, Strawinsky, Hindemith) und rhythmische Ele- 
mente der afrokubanischen Musik einbezogen sind. 
Die effektvollen Arrangements fiir die Big band von 
Stan Kenton schrieb Pete Rugolo, ein Kompositions- 
schiiler von Darius Milhaud. Bezeichnend fiir den Pr. 
J. ist die Verwendung scharf dissonierender, teilweise 
polytonaler Klange, extremer Register von Trompe- 
ten, Saxophonen und Posaunen, scharfer dynamischer 
Kontraste und die Ubernahme afrokubanischer Rhyth- 
musinstrumente (-> Afro-Cuban Jazz). Der Pr. J., den 
Stan Kenton urn 1950 unter dem anspruchsvollen Mot- 
to »Innovations in Modern Music« in noch starkerem 
AusmaBe der modernen Kunstmusik anzugleichen ver- 
suchte, hatte zusammen mit dem Be-bop entscheiden- 
den EinfluB auf die Entwicklung des ->■ Modern Jazz. 

Prolatio (lat., von proferre, hervorholen, im Mittel- 
alter auch: erklingen lassen, vortragen). In der Lehre 
der Mensuralmusik des 13. Jh. wird proferre (erklingen 
lassen) haufig benutzt, so bei Franco von Koln: vox 
prolata (= vox recta), das wirklich Erklingende, im 
Gegensatz zur vox amissa, der Pause (ed. Cserba, S. 
231), und proferre im Gegensatz zu notare (ebenda, 
S. 255). Von daher leitet sich die allgemeinere Bedeu- 
tung von Pr. ab, etwa »Art und Weise des Erklingens 
in rhythmischer Hinsicht«, Mensur. So bedeutet partes 
prolationis s. v. w. Notenwerte, d. h. Maxima, Longa 
usw. (z. B.J. de Muris, CS III, 46a), signa prolationum 
s. v. w. Mensurzeichen (Anon. XII, CS III, 492b). Die 
speziellere Bedcutung des Wortes pr. geht anscheinend 
auf Ph. de Vitry (Ars nova) zuruck, der mit dem bei ihm 
haufig vorkommenden Ausdruck pr. temporis die 
rhythmische Realisierung des -»■ Tempus, d. h. die Art 
und Weise der Unterteilung der Brevis in kleine und 
kleinste (minimae) Notenwerte umschreibt. In seiner 
Nachfolge wurde dieser Pr.-Begriff dann als Analogon 
zu tempus, d. h. als Verhaltnisbegriff aufgefaBt, und 
zwar zur Bezeichnung des Verhaltnisses von Semi- 
brevis zu Minima. Je nachdem, ob die Semibrevis in 
3 oder 2 Minimen unterteilt wurde (♦ = ♦♦♦ oder 
♦ = ♦ ♦), sprach man von pr. maior (perfecta) oder pr. 
minor (imperfecta). Als Mensurzeichen fiir die pr. 
maior verwendete man einen Punkt im Tempuszei- 
chen: O = tempus perfectum, pr. maior; G = tempus 
imperfectum, pr. maior; O = tempus perfectum, pr. 
minor; C = tempus imperfectum, pr. minor. 
Lit. : R. Bockholdt, Semibrevis minima u. Pr. temporis, 
MfXVI, 1963. 

Prolog (griech. 7rp6Xoyo<;, Vorrede), Einleitung, oft 
in allegorischer Form, zu dramatischen Dichtungen, 
Opern, Balletten, um Zweck und Inhalt des Stiickes 
anzukiindigen, die Zuschauer zu begriiBen oder anwe- 
sende Personen zu ehren. Pr.e haben z. B. Caccinis und 
Peris Euridice (1600) und Monteverdis Orfeo (1607). Fiir 
die franzosische Ballettoper und Tragedie lyrique wur- 
de der von Italien ubernommene Pr. bis in die 2. Halfte 
des 18. Jh. verbindlich; vor und nach ihm wurde die 
Ouvertiire gespielt. Seine Musik soil sglanzvoll, voll- 
tonend und eher imposant als zart und pathetisch sein«, 
ohne aber »die groBen Bewegungen, die man im Stiick 
erregen will«, vorwegzunehmen (J.-J. Rousseau 1768). 
Da der Pr. inhaltlich oft in keinem Zusammenhang mit 
dem folgenden Werk steht, konnte z. B. der Pr. zu 



Rameaus Platie (1745) auch allein oder mit Stucken an- 
derer Komponisten aufgefuhrt werden. In manchen 
Fallen ist der Pr. zu einem kleinen Spiel erweitert und 
besteht aus mehreren Nummern (Pr. zu Lullys Phaeton, 
1683). Ab etwa Mitte des 18. Jh. wurde auf die einlei- 
tenden Pr.e verzichtet und die Pr.e der alteren Werke 
wurden nicht mehr aufgefuhrt, sofern sie nicht eng mit 
dem Inhalt des folgenden Stiickes zusammenhingen 
(so der Pr. zu Salieris Tar are, 1787). Seit dem spaten 
19. Jh. wurde die Idee des in die Oper einfiihrenden 
Pr.s vereinzelt wieder aufgegriffen (Leoncavallo, Pag- 
liacci, 1892; A.Berg, Lulu). - Die Bezeichnung Pr. 
wurde im 20. Jh. auch auf Instrumentalmusik iibertra- 
gen und im Sinne von Konzertouvertiire oder Intro- 
duktion als Uberschrift verwendet (z. B. Reger, Sym- 
phonischer Pr. zu einer Tragodie op. 108, 1908; W.Lu- 
toslawski fiir den 1. Satz seiner Musique funebre pour 
orch. a cordes, 1958). 

Prolongement (prolo3m'a, frz.) -*■ Tonhaltungs- 
pedal, -> Harmonium. 

Prooemium (lat., von griech. TCpoottuov), Einleitung, 
instrumentales Vorspiel, Vorrede; in der griechischen 
Kitharodie der Gotterhymnus, der einen epischen Ge- 
sang einleitete; im 16. Jh. eine humanistische Bezeich- 
nung fiir ein frei praludierendes Instrumentalstiick, so 
die beiden Prohoemia in re von Kotter. 
Lit. : H. Koller, Das kitharodische Prooimion, Philolo- 
gus C, 1956. 

Proportion (lat. proportio), das Verhaltnis zweier 
Zahlen. - 1) Die Theorie der antiken ->• Griechischen 
Musik erkannte das Wesen der -*■ Intervalle in den zu- 
grunde liegenden Zahlen-Pr.en. Die Untersuchung der 
Pr.en und Intervalle, die sich innerhalb der Oktave 
konstruieren lassen, bildet seit den Pythagoreern den 
Gegenstand der Lehre von der ->■ Harmonia. Als ei- 
gentlich harmonische Pr. wurde die Proportio super- 
particularis (lmLi6pto<; X6yo?, Uberteiligkeit) be- 
stimmt; in ihr ubertrifrt die groBere Zahl immer die 

kleinere um eins (,—■). Durch Harmonische Teilung 
werden aus der Oktave die iibrigen Intervalle gewon- 
nen : 2 : 1 (Oktave) = 3:2 (Quinte) x 4 : 3 (Quarte) usw. 
Die einzelnen Arten der Proportio superparticularis 
heiBen: proportio dupla (2:1), sesquialtera oder hemi- 
olia (3:2, -» Sesquialtera - 1), sesquitertia oder epitrita 
(4:3), sesquioctava oder epogdoa (9:8) usw. 
- 2) In der -> Mensuralnotation des 15./16. Jh. zeigt die 
Pr. eine Wertanderung der folgenden Noten an; da- 
bei wird ein Normalwert (-> integer valor notarum) 
vorausgesetzt. Sie erscheint in der Form von Briichen, 
wobei die unechten Briiche eine Wertverkiirzung 
(-> Diminution - 1), die selteneren echten Briiche eine 
WertvergroBerung (-> Augmentation - 2) bezeichnen ; 
z. B. besagt \, daB im folgenden 2 Semibreves ebenso 
lang sind wie zuvor eine. Am haufigsten gebraucht wur- 
den die Proportio dupla (j, auch <$ , O, C 2, 2), tripla ( t , 
auch 3) und sesquialtera (j, auch 3) . Folgt ein z weites Pr.s- 
Zeichen, so wird die erste Pr. als Ausgangspunkt ge- 
nommen. Aufhebung einer Pr. erfolgt durch das um- 
gekehrte Zeichen (j wird durch \ aufgehoben) oder 
durch ein Mensurzeichen wie im folgenden Beispiel: 




Fr. Gaffori, Practica musice, Mailand 1496, Buch IV. 



752 



Proprium de tempore 



Die friiheste Anwendung der Pr. ist in der Tenorbe- 
handlung und -notierung der -» Isorhythmie des 14. 
Jh. zu beobachten. Noch im 16. Jh. werden Tenores oft 
so angelegt, daB die Melodie nur einmal notiert wer- 
den muB ; ihre Wiederholung in einer anderen Mensur 
wird durch zusatzliche Mensurzeichen vorgeschrieben. 
Doch gibt Petrucci in seinen Drucken solchen Stim- 
men oft eine »Resolutio« bei, in der die ganze Stimme 
in einheitlicher Mensur ausgeschrieben ist (vgl. ApelN, 
S. 200 und 202). Im Pr.s-Kanon (->■ Kanon - 3) wer- 
den aus einer notierten Stimme mehrere gesungene 
Stimmen so abgeleitet, daB die aufgezeichneten Noten 
von jeder Stimme nach einem anderen Mensurzeichen 
ausgefiihrt werden; z. B. wird im Agnus II aus Josquins 
Missa L'homme armi super voces musicales die einzige no- 
tierte Stimme vom Tenor im Integer valor, vom Su- 
perius in Proportio tripla, vom Bassus in Proportio 
dupla (diminutio) gesungen (Faks. nach Glareanus' 
Dodekachordon, Basel 1547, S. 442, bei ApelN, S. 196; 
vgl. Neue Josquin-GA I, 1, Amsterdam 1957, S. 30). 
Komplizierte Pr.en erscheinen haufig in den -> Quel- 
len des friihen 15. Jh.(7wB, Ca 6, Ca 11, O, OH), oft 
(polyrhythmisch) mit Synkopationsbildungen verbun- 
den. Solche komplizierten Pr.s-Bildungen wurden je- 
doch bei den Komponisten und Theoretikern der Zeit 
nicht einheitlich dargestellt und haben zu vielen Pole- 
miken AnlaB gegeben. Pr.s-Vorzeichnung in alien 
Stimmen eines Satzes diente wahrscheinlich dazu, die 
Notierung in sehr kleinen oder sehr groBen Noten- 
werten zu vermeiden. Vor allem erlaubte sie es, die in 
der friiheren Mensuralnotation nur bei Longa, Brevis 
und Semibrevis mogliche Dreiteilung auch auf kiirzere 
Noten werte zu iibertragen. Dem entspricht, daB im 16. 
Jh. proportio schlechthin die Proportio tripla und den 
im Dreiertakt stehenden -> Nachtanz (Proportz) be- 
zeichnete. Die Bedeutung der Pr.en nahm im spateren 
16. Jh. im Zusammenhang mit dem Ubergang zum 
modernen Taktsystem ab. Doch finden sich noch um 
1700 in den Opern A.Steffanis Pr.s-Bestimmungen 
I, f 2 und sogar 3 '/ 2 . Im 18./19. Jh. lebte die Pr. in der 
-»■ Triole und in verwandten Bildungen fort; ihre im 
Laufe des 19. und friihen 20. Jh. zunehmende Verwen- 
dung erreichte einen Hohepunkt in der Neuen Musik 
der 1950er Jahre. Z. B. wird im ersten Takt von K. 
Stockhausens Klavierstuck I (1952) das GrundmaB 4 
durch zweimalige Anwendung der Pr. (1 1 : 10 und 7 : 5) 
so kompliziert, daB sich als kleinster gemeinsamer 
Nenner aller Notenwerte dieses Taktes 770 ergibt : 

r 11 : 10 i 

( 7:5 r-, 



Si 



5 mf m f 

Awmrvr — 7:5 



m 




2 "'* 2 * 

K. Stockhausen, Klavierstuck I (1952), Takt 1. 
Fur die Ausfiihrung ist vorgeschrieben, daB nach Er- 
mittlung des Tempos (So schnell, wie moglich) . . . alle 
komplizierten Zeitproportionen in Klammern . . . durch 
Tempowechsel ersetzt werden konnen. 
Lit. : zu 2) : CS III, 95ff. (Ars discantus secundum J. de Mu- 
ris) u. 218b (Pr. de Beldemandis) ; Guilelmus Monachus, 
De preceptis artis musicae . . . , nrsg. v. A. Seay, = CSM 
XI, (Rom) 1965; J. Tinctoris, Proportionale musices, CS 
IV, engl. v. A. Seay in: Journal of Music Theory I, 1957; 
Fr. Gaffori, Practica musice, Mailand 1496, als: Musicae 



utriusque cantus practica, Brescia 1497 u. 6. ; G. Spataro, 
Tractato di musica . . ., Venedig 1531 ; S. Heyden, Mu- 
sicae, id est, Artis canendi libri duo, Niirnberg 1 53 7, als: De 
artecanendi, 2 1540; H. Glareanus, Dodekachordon, Ba- 
sel 1547, deutsch v. P. Bohn, = PGfM, Jg. XVI-XVIII, Bd 
XVI, Lpz. 1888-90. - E. Praetorius, Die Mensuraltheorie 
d. Fr. Gafurius . . ., = BIMG II, 2, Lpz. 1905; WolfN I; 
ApelN; C. Sachs, Rhythm and Tempo, NY 1953; H. Hew- 
itt, A Study in Pr., in: Essays on Music, Fs. A. Th. Da- 
vison, Cambridge (Mass.) 1957; C. Dahlhaus, Zur Theo- 
rie d. Tactus im 16. Jh., AfMw XVII, 1960; H. Beck, Die 
Pr. d. Beethovenschen Tempi, Fs. W. Gerstenberg, Wol- 
fenbuttel u. Zurich (1964); A. Hughes OSB, Mensuration 
and Pr. in Early Fifteenth Cent., AMI XXXVII, 1965. 

Proportz (von proportio -> tripla), ein ->■ Nachtanz, 
im allgemeinen die tripeltaktige Variante des Vortanzes. 

Proposta (ital., Vordersatz), der thematische Vorwurf 
zu Beginn eines kontrapunktischen Werkes, besonders 
des Kanons und der Fuge (-> Dux); Gegenbegriff zu 
-> Risposta (- 1). 

Proprietas (lat., Eigentumlichkeit), in der Ligaturen- 
lehre der -> Mensuralnotation die der »normal« ge- 
schriebenen Anfangsnote einer ->■ Ligatur (- 1) zu- 
kommende »normale« Bedeutung. Normal geschrie- 
ben war diese Note, wenn sie die in der -> Modalno- 
tation ubliche Form hatte, d. h. bei absteigender Li- 
gatur mit dem charakteristischen Anfangsstrich von 
unten her ^ und nS, bei aufsteigender Ligatur ohne 
Anfangsstrich 3 und A. Unter normaler Bedeutung 
der Anfangsnote ist, wie meist schon in der Modalno- 
tation (dort freilich noch ohne teste Regelung), der 
rhythmische Wert der Brevis zu verstehen, im Unter- 
schied zu der fur die Schlufinote normalen Dauer der 
Longa (-> Perfectio - 1). Indent somit der Begriff Pr. 
(der aus der Universalienlehre der Scholastik iibemom- 
men ist) ausdriicklich die Norm in Schrift und Bedeu- 
tung festhielt, erlaubte er nunmehr auch die bewufite 
Abweichung. Zur normalen (cum proprietate) kamen 
zwei abweichende Arten der Schreibung mit jeweils 
verschiedenen Bedeutungen hinzu: sine proprietate 
■ , ^ (absteigend ohne Anfangsstrich), J, A (auf- 
steigend mit Anfangsstrich) in der Bedeutung einer 
Longa, oder aber cum opposita proprietate 1%, ^ und 
^, ^ (mit Anfangsstrich von oben her), wobei be- 
sonders zu beachten ist, daB an die Stelle der normalen 
Anfangsnote (im Werte einer Brevis) hier 2 Noten im 
Werte von je einer Semibrevis treten. 
Lit.: Fr. Reckow, Pr. u. perfectio, AMI XXXIX, 1967. 

Proprium de Sanctis oder Proprium Sanctorum 
(lat.) heiBt in den heute gebrauchlichen liturgischen 
Buchern der katholischen Kirche (Brevier, Antipho- 
nale, Graduale, Missale) der Teil, in dem die wechseln- 
den Texte und Gesange f iir alle auf ein bestimmtes Ka- 
lenderdatum festgelegten (vor allem Heiligen-)Feste 
mit Ausnahme der Zeit zwischen Weihnachten und 
Epiphanie stehen. Die Reihe beginnt mit dem 29. No- 
vember (entsprechend dem Anfang des Kirchenjahres 
am 1 . Adventssonntag) und schlieBt am 26. November. 
Eine Erganzung zum Pr. de S. bildet das Commune 
Sanctorum. Es enthalt die Texte und Gesange fur Heili- 
genf este ohne vollstandiges Eigenformular und £tir das 
Kirchweihfest (in DedicationeEcclesiae). 

Proprium de tempore (lat.) bezeichnet im Unter- 
schied zum -»■ Proprium de Sanctis den Teil der litur- 
gischen Bucher, der die jeweils eigenen Gesangs-, Ge- 
bets- und Lesungsstiicke von Messe und Offizium aller 
Sonntage und beweglichen Feste umfafit. Obwohl im 
Offizium auch den Wochentagen jeweils eigene Le- 
sungen zugeordnet werden, verf iigen hier jedoch nur 



48 



753 



Proprium missae 



bevorzugte Ferialtage - besonders die der Fastenzeit 
sowie die Quatember- und Vigiltage - iiber eigene Ge- 
bete und Gesange. In seiner Ordnung folgt das Pr. de t. 
dem Ablauf des Kirchenjahres vom 1. Adventssonntag 
bis zum letzten Sonntag nach Pfingsten. Die zwischen 
Weihnachten und Epiphanie stehenden Heiligenfeste 
stellen einen Rest der urspriinglichen Reihenfolge mit 
ihrer Vermischung von De tempore- und Hefligen- 
festen dar. 

Proprium missae (lat.) ->• Messe. 

Prosa (spatlat.), - 1) in Westfranken im Mittelalter 
Bezeichnung der -*■ Sequenz (- 1), naherhin die tex- 
tierte Form eines erweiterten Alleluiajubilus, d. h. der 
Sequentia im urspriinglichen Sinn. - 2) Der Begriff 
»musikalische Pr.« nahm in der Musikanschauung seit 
dem friihen 19. Jh. und bis hin zu Reger und Schon- 
berg eine wichtige Stellung ein. Nach der Definition 
Schonbergs (S. 72) beruht musikalische Pr. auf der 
Fahigkeit der musikalischen Sprache, einen »Gedan- 
ken« ohne stiitzende Korrespondenzen als in sich sinn- 
voll darzustellen; ihr primares Kennzeichen ist das Ab- 
weichen von Normen klassischer musikalischer Metrik 
durch asymmetrische Gliederung bzw. unregelmaBige 
Gewichtsabstufungen. In diesem Sinn beschrieb schon 
R. Schumann 1835 die Symphonie fantastique von Berlioz 
(-> Komposition). R.Wagner orientierte seine auf eine 
musikalische Pr. zielende Argumentation in Oper und 
Drama (1851) an den wechselnden Akzentordnungen 
der ungebundenen Rede (die durch den -> Stabreim 
sinnfallig gemacht werden sollen): denn nichts andres 
als eine musikalische Pr. blieb von der Melodie iibrig, die 
nur den rhetorischen Akzent eines zur Pr. aufgelosten Verses 
durch den Ausdruck des Tones verstarkte (IV, 114). - In H. 
Besselers Konzeption der europaischen Musikgeschich- 
te sind die gegensatzlichen Begriffe Pr.- und Korre- 
spondenzmelodik zentrale Kategorien. Pr.-Melodik ist 
hier zweimal einem »Singstil« zugeordnet: der Gre- 
gorianik (zusammen mit dem Begriff Stimmstrom; 
-> Mittelalter) und der -> Niederlandischen Musik (zu- 
sammen mit den Kennzeichnungen Klangstrom und 
Varietas).KorrespondenzmelodikbestimmtedieMehr- 
stimmigkeit des 12./13. Jh. und dann besonders seit 
dem 17. Jh. die Entwicklung bis hin zum reinen »In- 
strumentalstil« der Wiener Klassik. 
Lit. : zu 2) : Fr. Stein, M. Reger, = Die groBen Meister d. 
Musik, Potsdam (1939); A. Schonberg, Brahms the Pro- 
gressiv, in: Style and Idea, NY 1950; H. Besseler, Singstil u. 
Instrumentalstil in d. europaischen Musik, Kgr.- Ber. Bam- 
berg 1953; C. Dahlhaus, Mus. Pr., NZfM CXXV, 1964. 

Proslambanomenos (griech.), im griechisch-antiken 
->■ Sy sterna teleion der tiefste Ton (A), der dem unter- 
sten Tetrachord unten angef iigt wurde. 

Prosodie (griech. npoacoSta, von 7rp6?, dazu, und 
4>Stj, Gesang), - 1) urspriinglich die im Altgriechischen 
mit den sprachlichen Lauten verbundenen »gesangli- 
chen« Momente. Als solche galten a) die als sprachliches 
-»■ Melos in Erscheinung tretende melodische Stimm- 
bewegung, durch die jeweils die akzenttragende Silbe 
eines Wortes hervorgehoben wurde (musikalischer im 
Unterschied zu dem in europaischen Sprachen sonst 
herrschenden dynamischen Akzent), und b) die unter- 
schiedliche Silbendauer (-»■ Quantitat). Da diese Mo- 
mente in nachklassischer Zeit aus der griechischen Um- 
gangssprache allmahlich zu schwinden begannen, wur- 
de die Unterscheidung der Akzentarten und die der 
Quantitaten zunehmend zu einer Angelegenheit der 
Gelehrsamkeit und des Schulwissens. Die bei Aristote- 
les (»Poetik« 1456b, 1461a) in Ansatzen faBbare Lehre 
von der Pr. bildete seit der Zeit der alexandrinischen 
Philologen (2. Jh. v. Chr.), nunmehr erganzt durch 



prosodische Zeichen, einen f esten Bestandteil der Gram- 
matik. Von den ausfuhrlichen Darstellungen dieser 
Lehre, etwa der »Allgemeinen Pr.« des Aelius Herodia- 
nos (2. Jh. n. Chr.), sind nur Ausziige erhalten. Laut 
Dionysios von Halikarnass (1. Jh. n. Chr.) soil sich das 
sprachliche Melos im Tonraum einer Quinte bewegt 
haben (De compositione verborum, Kap. 11). Die wenigen 
bisher bekannten hellenistisch-spatgriechischen Musik- 
fragmente scheinen zu bezeugen, daB die alten musi- 
kalischen Akzente in der gehobenen Sprache der Dich- 
ter selbst zu jener Zeit ihre Wirksamkeit noch nicht 
ganz eingebuBt hatten, obwohl sich in der Umgangs- 
sprache der dynamische Akzent wahrscheinlich durch- 
zusetzen begann. Nach der schulmaBigen Darstellung 
wurden zehn prosodische Zeichen unterschieden, und 
zwar primar drei fiir die Akzente (t6voi) und zwei fiir 
die Quantitaten (xp6voi), daneben aber auch die nicht 
mehr zur Pr. im eigentlichen Sinne gehorigen, als 
bloBe Lesehilfen verwendeten Zeichen fiir die beiden 
Hauchlaute (7tv£U|xaTa) und fiir drei an der Wort- 
grenze vorkommende Besonderheiten (tox&t)), Diese 
schematisierte Lehre iibernahmen die spatromischen 
Grammatiker (-* Akzent - 1). Die erst ab dem 9. Jh. in 
die griechischen Texte konsequent eingetragenen Ak- 
zentzeichen waren Vorlaufer der byzantinischen No- 
tenschrif t. - 2) Seit dem Humanismus versteht man un- 
ter Pr. in erster Linie die Silbendauer. Soweit es sich da- 
bei um die antiken Sprachen handelt, wird sie in den 
Werken iiber antike Metrik erortert. Dagegen ist die 
Anwendung des Pr.-Begriffes auf neuere Sprachen sehr 
umstritten, weil die Silbendauer hier nicht als selbstan- 
diger, vom dynamischen Akzent prinzipiell unabhan- 
giger Faktor erscheint. 

Lit. : zu 1) : Herodiani technici reliquae I, hrsg. v. A. Lentz, 
Lpz. 1867; H. Steinthal, Gesch. d. Sprachwiss. bei d. 
Griechen u. Romern, 2 Bde, Bin 2 1890, Nachdruck Hildes- 
heim 1961 ; E. Schwyzer, Griech. Grammatik, = Hdb. d. 
Altertumswiss. II, 1, I, Munchen 1939, 21953; E. Pohl- 
mann, Griech. Musikfragmente, =Erlanger Beitr. zur 
Sprach- u. Kulturwiss. VIII, Nurnberg 1960. FZa 

Prospektpfeifen sind die in der Fassade stehenden 
Pfeifen der Orgel, die fast immer den -> Prinzipal- 
Registern angehoren. Das 19. Jh. baute auch stumme, 
aus nichtklingenden Pfeifen bestehende Prospekte. Pr. 
haben aus optischem Grunde manchmal Uberlangen 
und besonders im Barock auch Verzierungen. 

Protus (lat, von griech. rcpcoToc;) -*■ Kirchentone. 

Provence. 

Ausg. : M. Provence, Le folklore provencal, 4 Bde, Aix-en- 
Pr. 1937-39 ; C. Dubrana-Laf argue, Le tresor des danses 
provencales I, Avignon 1955; G. Delrieu, Anth. de la 
chanson nicoise (Comt6 de Nice): Chansons, rondes, 
danses . . . , Nizza (1960). 

Lit. : A. Gastoue, La musique a Avignon et dans le Com- 
tat du XIV e au XVIII e s., RMI XI, 1904; E. v. Jan, Zur 
Gesch. d. prov. Volksliedes, Wiss. Zs. d. Fr.-Schiller-Univ. 
Jena II, 1952/53 ; F. Raugel, La maitrise et les orgues de la 
primatiale St-Trophime d'Arles, in : Recherches sur la mu- 
sique frc. classiquell, Paris 1961/62. 

PRS, The Performing Right Society Ltd. (GroBbri- 
tannien), -> Verwertungsgesellschaft, Mitglied der 

->■ CISAC. 

Psalm (griech. <\iaX[i6<;, von (JuxXaw, eine Saite zup- 
fen; hebraisch mizmor; lat. psalmus; ital. salmo; frz. 
psaume). Unter Ps.en werden in erster Linie die im 
->• Psalter (- 1) des Alten Testaments gesammelten 150 
Gesange verstanden (seltener auch andere, z. B. Ps.en 
Salomons). Der Ps. im engeren Sinne besteht aus einer 
Folge von Versen, die sich, weitgehend dem Prinzip 
des Parallelismus membrorum folgend, aus zwei, ver- 
einzelt auch aus drei Gliedern zusammensetzen. Ps. und 



754 



Psalm 



Psalmodie, urspriinglich wichtige Bestandteile des jii- 
dischen Gottesdienstes (->-JudischeMusik), wurden von 
den Christen iibernommen und gehorten bereits in apo- 
stolischer Zeit neben Lesung und Gebet zu den Bestand- 
teilen der Katechumenenmesse. Nach dem Edikt von 
Mailand (313) konnteEusebiusvonCaesarea (f339) fest- 
stellen, daB »das Gebot, dem Namen des Herrn Ps.en zu 
singen, von alien iiberall bef olgt« wurde; um 350bezeugt 
Basilius der GroBe die Psalmodie bei den Thebaern, Li- 
byern, Syrern, Phoniziern und Arabem, desgleichen in 
Palastina und am Euphrat. Zunachst wurden die Ps.en 
von der ganzen Gemeinde gesungen, vor allem in den 
Vigilien, doch kam es 375 zu einem Verbot der Beteili- 
gung von Frauen am Ps.en-Gesang. Entgegen urspriing- 
fichen Bestrebungen, alle Ps.en im Laufe eines oder 
zweier Tage zu beten, setzte sich die von Benedikt von 
Nursia fur das Offizium festgelegte Regelung des 
»psalterium per hebdomadam, scriptura per annum« all- 
gemein durch. Die vollstandige Kenntnis der Ps.en war 
Voraussetzung f iir die Weihe zum Bischof , wurde aber 
auch von den Klerikern geringeren Ranges gefordert. 
Gesungen wurden die Ps.en im Offizium, bei Trauer- 
feierlichkeiten und beim hauslichen Gebet. Im mittel- 
alterlichen MeBgottesdienst erfolgte Ps.-Vortrag u. a. 
beim Einzug des Klerus (->- Introitus), nach der ersten 
Lesung (-»■ Graduale - 1, -*■ Alleluia, -»■ Tractus), bei 
der Opferdarbringung (-»■ Offertorium) und bei der 
Kommunion (-»• Communio). Charakteristisch fiir die 
christliche Kirchenmusik war der reine Vokalvortrag 
unter AusschluB von Instrumenten (im Unterschied 
zum jiidischen Gottesdienst) ; in Privatandachten wa- 
ren Instrumente zugelassen. Der Ps.en-Gesang wurde 
vom jiidischen in den christlichen Kultus in mehreren 
-»• Psalmodie-Typen iibernommen. Heute unterschei- 
det man den eigentlichen Ps.-Gesang (ganze Ps.en im 
Offizium) und die nur noch auf einzelne Verse redu- 
zierten Antiphonen, Gradualien, Tractus und Alleluia- 
gesange. Die urspriingliche Gesangsweise der Ps.en er- 
scheint fiir den Vortrag ganzer Ps.en oder groBerer 
Teile derselben im Offizium in Gestalt einer f ormelhaf- 
ten Rezitation, dem im engeren Sinne so genannten 
»Psalmodieren« (-» Psalmtone). 
Die Mehrstimmigkeit, die sich in den ersten Jahrhun- 
derten ihrer Geschichte als akzidenteller Schmuck kirch- 
licher Hochfeste auf kiirzere Textpartien beschrankte, 
iibernahm umf angreichere Texte erst mit dem vollstan- 
digen Ordinariumszyklus der Messe und seit dem 15. 
Jh. auch die Texte der Ps.en. Die in den friihen mehr- 
stimmigen Messen ubliche Behandlung der textreichen 
Satze (Gloria und Credo) syllabisch nota contra notam 
wurde auch in die mehrstimmige Ps.-Vertonung iiber- 
nommen; dies hatte auBerdem die Vorziige besserer 
Textverstandlichkeit und einer Wirkung von gehobe- 
ner Eindringlichkeit und Feierlichkeit. Die Sonderstel- 
lung dieser Mehrstimmigkeit kommt mitunter (wie 
z. B. bei Rhaw, Vesperarum precum officia, 1540) in der 
choralen statt mensuralen Notation zum Ausdruck. 
Wahrend italienische Kompositionen den fiir Italien 
charakteristischen schlichten homophonen Satz boten, 
scheint aus der burgundischen Schule (Binchois) die Ps.- 
Komposition im -*■ Fauxbourdon-Satz hervorgegan- 
gen zu sein, die in den romanischen Landern iiber 3 
Jahrhunderte lang eine Rolle spielen sollte (-»• Falsobor- 
done). Noch in der 2. Halfte des 18. Jh. (Lacombe im 
AnschluB an Brossard) gait in Frankreich der Fauxbour- 
don (allgemein nur noch als homophoner Satz verstan- 
den) als typische Technik mehrstimmigen Ps.-Gesangs. 
Die in der Anlage der Ps.-Texte mit Vers und Gegenvers 
gebotenen Moglichkeiten wurden im alternierenden 
Vortrag zweier Chorhalften oder im Wechsel von Solo 
(choral) und Chor genutzt. Bei den akkordischen 



Satzen wurden offenbar nicht selten Instrumente (z. B. 
Orgel oder Lauten) zur Klangverstarkung herangezo- 
gen, vor allem wohl dort, wo nur kleinere Vokalen- 
sembles zur Verfugung standen (vgl. Rev. de Musicol. 
XLDC, 1963, S. 39). Haufig wurde der streng homo- 
phone Satz durch die Ubernahme von Elementen der 
polyphonen Chortechnik leicht aufgelockert. Um 1500 
setzte die rein polyphone Durchkomposition ganzer 
Ps.-Texte ein, die in iiber 20 meist 4st. Kompositionen 
vonjosquin, dem vielleicht friihesten Komponisten von 
polyphonen Ps.-Motetten, sofort eine vollendete Aus- 
pragung erfahren hat. Bis zum 17. Jh. war Josquins 
Vorbild von groBem EinfluB, im deutschen Sprachge- 
biet vor allem auf Stoltzer und Senfl, aber auch auf die 
protestantischen Komponisten, die sich - nach Stoltzers 
Beispiel (4 Ps.en in der Luther-Obersetzung, 1524-26) 
- nun der deutschen Ps.-Motette zuwandten (->- Motet- 
te). Fiir ihre Stellung in Deutschland waren dabei ne- 
ben anderen Sammelwerken vor allem die Sammlun- 
gen der Drucker Petrejus (1538-42) und Berg-Neuber 
(1553/54) von Bedeutung. Im Zuge der sich seit dem 
ausgehenden 15. Jh. vergrSBernden Stimmenzahl und 
des Strebens nach Klangsteigerung liegt die reale 
-*■ Mehrchorigkeit des aus paarigen Imitationen und 
kontrastierenden Klanggruppen der polyphonen Mo- 
tette hervorgegangenen -»■ Coro spezzato in der Ps.- 
Komposition (Salmi spezzati). Die vielfaltige Einbe- 
ziehung der Instrumente in zum Teil schon obligaten 
Besetzungen (G. Gabrieli) wurde am Beginn des 17. Jh. 
weiter ausgebildet und eroffnete der Ps.-Komposition 
alle Techniken des neuen concertierenden Stils (Salmi 
concertati). Der italienische EinfluB (Gabrieli, Monte- 
verdi) war gleichermaBen bedeutsam fiir die katholi- 
sche und protestantische Kirchenmusik in Deutschland, 
wogegen Frankreich seit der 2. Halfte des 17. Jh. in den 
von Versailles ausgehenden Motetten einen eigenen 
reprasentativen Typus der Ps.-Vertonung schuf, der 
durch Verzicht auf artistische Elemente italienischer 
Herkunft zugunsten der Textdarstellung charakteri- 
siert ist (Ps.-Vertonungen in England: -> Anthem). 
Die in der Folgezeit angewandten Kompositionstech- 
niken entsprechen iiberall den bei Messe, Motette und 
Kantate dargestellten jeweiligen Tendenzen der Kir- 
chenmusik. Zu den Hohepunkten der mehrstimmigen 
Ps.-Vertonung zahlen Kompositionen u. a. von Pa- 
lestrina, Lassus (Ps.i poenitentiales), Schiitz (Becker'scher 
Psalter), J. S.Bach (Motetten), B.Marcello (Estro poetico 
armonico), Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Liszt, 
Brahms, Reger, Strawinsky, Schonberg. 
Lit. : A. Buchler, Zur Gesch. d. Tempelmusik u. d. Tem- 
pelps., Zs. f. d. alttestamentarische Wiss. XIX, 1899 - XX, 
1900; S. Mowinckel, Psalmenstudien, I-VI, Kristiania 
1921-24; ders., Offersang og sangoffer, Oslo 1951; A. 
Gastoue, Chant juif et chant gr^gorien, Rev. du chant 
grtgorien XXXV, 1931; G. d'Alessi, Precursors of A. 
Willaert in the Practice of Coro Spezzato, JAMS V, 1952; 
H. Avenary, Formal Structure of Ps. and Canticles in 
Early Jewish and Christian Chant, MD VII, 1953 ; C. Gin- 
dele OSB, Doppelchor u. Psalmvortrag im Friihmittelal- 
ter, Mf VI, 1953; K. Ph. Bernet Kempers, Meerstemmig 
psalmgezang in de Hervormde Kerk van Nederland, TVer 
XVII, 1955; D. Stevens, Processional Ps. in Faburden, 
MD IX, 1955; E. Gerson-Kiwi, Artikel Musique (dans la 
Bible), in: Dictionnaire de la Bible, Suppl. V, Paris 1957; 
Chr. Engelbrecht, Die Psalmsatze d. Jenaer Chorbuchs 
34, Kgr.-Ber. Koln 1958; dies., Die Psalmvertonung im 
20. Jh., in: Gestalt u. Glaube, Fs. O. Sohngen, Witten 
u. Bin I960; H. J. Kraus, Ps., 2 Bde, Neukirchen 1960, 
21962; L. Kunz OSB, Untersuchungen zur Textstruktur 
solistischer Ps., KmJb XLV, 1961 ; L. Finscher, Zur C. f.- 
Behandlung in d. Ps.-Motette d. Josquinzeit, in: H. AU 
brecht in memoriam, Kassel 1962; G. Birkner, Psaume 
h6braique et sequence lat., Journal of the International 
Folk Music Council XVI, 1964. 



48* 



755 



Psalmodie 



Psalmodie (griech. (J'^M-vSia; lat. psalmodia) ist 
sowohl der Psalmengesang in den modellartigen Sing- 
weisen der -> Psalmtone als auch der Kirchengesang in 
den aus den Psalmen und Psalmtonen hervorgegange- 
nen Gesangsformen. »Psalmodieren« wird daneben in 
weiterem Sinn zur Charakterisierung rezitativischen 
Singens (z. B. im Volksgesang) verwendet. - Die christ- 
liche Kirche folgte zunachst dem jiidischen Kultus mit 
seinen verschiedenen Arten von Ps. als Sologesang des 
Kantors (mit oder ohne Chorantwort des Volkes) und 
als Gemeindegesang. Im 4. Jh. bildeten sich zugleich 
mit der Ausgestaltung der gottesdienstlichen Formen 
drei psalmodische Haupttypen heraus, die auch heute 
noch im liturgischen Gesang iiblich sind: responsoriale 
und antiphonale Ps. sowie der Psalmus in directum. - 
Die responsoriale Ps. war bereits in den ersten christ- 
lichen Jahrhunderten verbreitet und hatte ihren Platz 
hauptsachlich im AnschluB an die Lesungen. Der Kan- 
tor begann mit der Psalmiiberschrift und mit den 
Psalmversen, dazwischen erfolgte Vers um Vers als 
gleichbleibender Refrain die Antwort des Volkes (das 
schon bald durch die Schola vertreten wurde). Belege 
fiir die responsoriale Ps. finden sich fiir die Kirche in 
Jerusalem in der 2. Halfte des 4. Jh. (Pilger in Aetheria, 
gegen 400), fiir die romische Kirche bei Tertullian, fiir 
die mailandische bei Augustinus; auch Isidor von Se- 
villa ist sie nicht unbekannt. Als im f riihchristlichen Got- 
tesdienst am haufigsten gebrauchte Form des Psalmen- 
gesangs wandelte sich die responsoriale Ps. durch Ver- 
lagerung des Schwergewichts vom Vortrag der Psalm- 
verse (die schliefilich auf einen einzigen reduziert wur- 
den) auf den musikalisch reich gestalteten Kehrvers, das 
-> Responsorium oder Responsum. - Die antiphonale 
Ps. ging ebenfalls aus der synagogalen Praxis hervor 
und basiert auf dem Wechselgesang zweier Chore. Im 
Orient (nach Basileios dem GroBen) um 375 allgemein 
bekannt, war sic, von syrischen Klostern ausgehend, 
durch die Monche Flavian und Diodor um 350 in An- 
tiochien verbreitet worden und gelangte von hier weiter 
ins Abendland, wo sie ihre erste Ausstrahlung von Mai- 
land aus durch den hi. Ambrosius (um 386) fand. Die 
antiphonale Ps. wurde wahrscheinlich durch einen kur- 
zen (Solo-)Gesang eingeleitet (seit dem 4. Jh. schon 
-> Antiphon - 2 genannt), der als Einschub zunachst 
wohl zwischen alien Versen, sparer unregelmaBiger und 
schliefilich nur am Beginn und Ende des Psalms er- 
klang. In der MeB-Ps. wurde der Psalmvortrag allmah- 
lich auf einen Vers reduziert (-* Introitus) oder (wie in 
der -> Communio) vollig auf gegeben. - Der Psalmus 
in directum (auch als Cantus in directum, Psalmus oder 
Cantus directaneus bezeichnet) weist einen durchge- 
henden Vortrag vom ersten bis zum letzten Psalmvers 
ohne responsoriale oder antiphonale Bereicherungen 
auf. Die Ausfiihrung dieser Ps. obliegt dem ganzen 
Chor, scheint aber auf den urspriinglichen und durch- 
laufenden Vortrag ganzer Psalmen durch einzelne 
Monche zuriickzugehen, so daB der zunachst eben- 
falls solistische -»■ Tractus der Messe als wohl Slteste 
MeB-Ps. dieser Tradition angeschlossen werden kann. 
In der abendlandischen Kirche findet sich der friiheste 
sichere Beleg fiir diesen Ps.-Typus um 530 in der Regel 
des hi. Benedikt von Nursia, derzuf olge in den Laudes 
am Sonntag Psalm 66 »in directum«, ohne Antiphon 
gesungen werden soil (Kap. 12) ; in der gleichen Weise 
soil die Ps. der Terz, Sext und Non in kleineren Klo- 
stern ausgefiihrt werden (Kap. 17) ; auch im ambrosia- 
nischen Brevier ist dieser Typus gef ordert (beide Chore 
simultan). Ein noch ungesicherter Beleg bei Basileios 
dem GroBen (um 375) scheint eine friihe Kenntnis die- 
ses Ps. -Typus im Osten zu bezeugen, wo er spater im- 
mer wieder genannt wird. - Die Wahl eines schlichte- 



ren oder melodisch reicheren Typus erfolgte nach 
MaBgabe der liturgischen Stellung des vorzutragenden 
Psalms. In der romischen Kirche wurden durch Gregor 
den GroBen (f 604) die drei psalmodischen Typen zu- 
sammen mit der liturgischen Ordnung endgiiltig fest- 
gelegt. Neben ihnen ist das nur zu Beginn der Matutin 
gesungene -> Invitatorium zu nennen, dessen Ps. mit 
ihrem f ortlaufenden Wechsel von Psalmvers und An- 
tiphon noch die urspriingliche Form des Psalmvortrags 
beibehalten hat. - Das ganze Mittelalter hindurch wa- 
ren die gregorianischen Melodien in ihrer psalmodisch- 
typischen Eigenart und ihrem melodischen Bestand er- 
halten und gepflegt worden. In der nachhumanistischen 
Zeit wurden durch den Reformchoral die Melodien 
systemlos beschnitten und damit grundlegende Stilun- 
terschiede der psalmodischen Typen groBtenteils ver- 
wischt. Die Restauration des traditionellen Chorals un- 
ter Pius X. brachte nicht nur die alten Melodien, son- 
dern auch den psalmodischen Aufbau des Chorals wie- 
der zu voller Geltung. 

Lit.: J. Garbaonati, Ricerche sull'antica salmodia am- 
brosiana, Rassegna Gregoriana X, 191 1 ; P. Wagner, Ein- 
f iihrung in d. Gregorianischen Melodien I u. Ill, Lpz. 3 1 9 1 1 
u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1962; ders., 
Untersuchungen zu d. Gesangstexten u. zur responsorialen 
Ps. d. altspan. Liturgie, in : Span. Forschungen d. Gorres- 
Ges. I, 1, Munster i. W. 1930; E. Jammers, Der Rhythmus 
d. Ps., KmJb XXXI, 1936 -XXXIII, 1938; A. Dohmes, La 
ps. du peuple dans la liturgie eucharistique des premiers s., 
Rev. du chant gr6gorien XLII, 1938 - XLIII, 1939; E. 
Cardine OSB, La ps. des Introits, Rev. grdgorienne XXVI, 
1947 - XXVII, 1948; H. Hucke, Ps. als melodisches Ge- 
staltungsprinzip, Musik u. Altar V, 1952/53; E. Werner, 
Die Ursprunge d. Ps., Kgr.-Ber. v. 2. Internationalen Kon- 
greB f. kath. Kirchenmusik, Wien 1954; ders., The Origin 
of Psalmody, Hebrew Union College Annual XXV, 1954; 
N. H. F. Muller, Die liturgische Vergegenwartigung d. 
Psalmen, Diss. Lpz. 1957; W. Apel, Gregorian Chant, 
Bloomington/Ind. (1958); H. Avenary, Studies in the 
Hebrew, Syrian and Greek Liturgical Recitative, Tel Aviv 
(1963); J. Claire OSB, La ps. responsoriale antique, Rev. 
gregorienne XLI, 1963. 

Psalmtone, die Singweisen der Psalmen. Sie entstan- 
den aus der melodischen Formung eines gehobenen Le- 
setons und haben im allgemeinen eine dem Parallelis- 
mus membrorum ihrer Texte entsprechende 2teilige 
Anlage. »Ton« ist hier nicht ausschlieBlich als Tonart, 
sondern im alten Sinne auch als Melodie zu verstehen, 
so daB mit einem Kirchenton mehrere Ps. verbunden 
sein konnen. Die Ps. sind modellartige Singweisen mit 
dem Grundgeriist Initium, Tenor (-»■ Tuba - 5, = Re- 
zitationston), Mediatio (Mediante, Pausa, = Mittelka- 
denz), Tenor und Terminatio (Punctum, = SchluBka- 
denz). Ihre Ordnung ist dem System der 8 -> Kir- 
chentone angeschlossen. Uberdies besitzt jeder der Ps. 
einen bestimmten Rezitationston, der etwa seit dem 11. 
Jh. in den authentischen Modi die Oberquinte (1 . , 5. und 
7. Modus) oder die Obersexte (3. Modus), in den pla- 
galen die Oberterz (2. und 6. Modus) oder die Ober- 
quarte (4. und 8. Modus) der Finalis ist (urspriingliche 
Ordnung: authentische Modi mit Oberquinte, plagale 
Modi mit Oberterz als regelmafiigem Rezitationston). 
Die deutliche Scheidung der Ps. setzt also das System 
des ->■ Oktoechos voraus, ohne daB dabei schon ihre 
Anlage in alien Einzelheiten festgelegt worden ware. 
Noch fiir das 10. Jh. belegen die Commemoratio brevis 
und der -*■ Tonar im Antiphonar von Hartker (St. 
Gallen, Cod. 390/91) eine weitgehend freie Praxis, ge- 
gen die sich der Verfasser der Instituta patrum de modo 
psallendi sive cantandi (GS I, 5a-8b) wendet. Mit der 
Vorherrschaft festgelegter musikalischer Formeln im 
Bereich der Psalmodie gewannen die Ps. jene Ausge- 
staltung, die seit dem 11. Jh. nicht mehr wesentlich um- 



756 



Psalterium 



gebildet wurde. - In der antiphonischen Offiziums- 
psalmodie wird jedem Kirchenton ein Psalmton zuge- 
wiesen. Doch kannte das Mittelalter auch eine Reihe 
von Nebentonen, die zum groBten Teil nur beschrank- 
te Verbreitung f anden und vor allem in den Musiktrak- 
taten des Karolingischen Kreises festzustellen sind. Die 
modernen Choralbiicher verwenden von ihnen u. a. 
noch den ->- Tonus peregrinus. Bei der antiphonischen 
Offiziumspsalmodie leitet das Initium in Form einer 
einfachen Tonfigur vom SchluBton der vorausgehen- 
den Antiphon zum Tenor des Psalmtons iiber. Mit der 
Mediatio findet die 1. Vershalfte ihren melodischen 
AbschluB (Mittelkadenz). Die nach erneuter Tenorre- 
zitation (ohne Binnenmelisma) am Versende stehende 
Terminatio weist in den einzelnen Ps.n gewohnlich 
mehrere Melodieformeln (-> Differenzen) auf, wobei 
die Wahl der Differenz vom Beginn der Antiphon ab- 
hangt, da mit ihrer Hilfe der Ubergang vom Psalmte- 
nor zum Anfangston der Antiphon erleichtert werden 
soil. Auch dem gesungenen Vortrag von -> Magnificat 
und -> Benedictus Dominus Deus Israel liegen die For- 
meln der antiphonischen Offiziumspsalmodie zugrun- 
de, allerdings mit reicherer Ausgestaltung besonders 
der Mediatio. - Die Ps. der antiphonischen Mefipsal- 
modie kommen beim -> Introitus zur Anwendung, 
neuerdings auch wieder bei der ->■ Communio und 
beim -»• Offertorium, sofern diese mit Psalmengesang 
verbunden werden. Ihre Melodieformeln sind hinsicht- 
lich Initium, Mediatio und Terminatio gegeniiber der 
antiphonischen Offiziumspsalmodie etwas erweitert. 
Besonders hervorzuheben ist, daB auch die 2. Vershalf- 
te ein Initium enthalt. - Die mit Psalm 94 (Venite, exsul- 
temus Domino) verbundenen Ps. zum ->• Invitatorium 
besitzen 3teilige Anlage, die durch Einschaltung einer 
zweiten Mediatio hervorgerufen ist. Alle Abschnitte 
beginnen mit einem Initium, die Terminatio bleibt 
ohne DifEerenzen. In den mittelalterlichen Quellen 
wechselt die Zahl dieser Ps. erheblich (z. B. 15 im St. 
Galler Cod. 390/91) ; im allgemeinen umfaBt sie 10 (so 
auch in der heutigen Praxis), doch verfugen 1. und 
8. Kirchenton iiber keinen eigenen Psalmton. Eine For- 
mel zum 1 . Modus wird nur von den Zisterziensern be- 
nutzt. Die Singweisen der Invitatoriumspsalmodie sind 
melodisch noch reicher als die der antiphonischen MeB- 
psalmodie. Aus der sehr freien Verwendung des Te- 
nors und dem Fehlen von Formeln zum 1 . und 8. Mo- 
dus darf geschlossen werden, daB ihre Ausbildung noch 
vor der Anerkennung des Oktoechos als Ordnungssy- 
stem des Kirchengesangs erfolgte. - Die Ps. zu den Ver- 
sen der Responsoria prolixa zeigen gegeniiber den an- 
tiphonischen Ps.n eine im Gegensatz von Solo- und 
Chorgesang begriindete andere und reichere Form. Ih- 
re Eigenart besteht in der melismatischen Ausschmiik- 
kung des Initium und (noch starker) der Terminatio, 
im Wechsel des Tenors von einer Vershalfte zur ande- 
ren (Ausnahme: 5. Kirchenton mit nur einem Tenor) 
sowie bei langeren Texten in 2maligem Einschub einer 
Mediatio. Die im Mittelalter haufigen Neukompositio- 
nen von Responsorien (zum Teil mit metrischen Tex- 
ten) lassen eine deutliche Abwendung von den Ps.n zu- 
gunsten melodisch freierer Gestaltung erkennen. - Im 
Unterschied zu den Responsoria prolixa sind die Re- 
sponsoria brevia in ihrer Melodie und im Umfang 
ihrer Texte weniger entwickelt, was zur Folge hat, daB 
bei einer Reihe von ihnen die Formeln der Ps. nicht nur 
den (hierfiir zu kurzen) Vers, sondern auch das Re- 
sponsorium umfassen und auf solche Weise zur iibli- 
chen Zweiteilung gelangen. Eine groBere Zahl von 
Responsoria brevia gehorte urspriinglich zu den Re- 
sponsoria prolixa und verwendete daher deren Ps. Die 
zum Teil weitgehenden Freiheiten in der Ausbildung 



der Ps. zu den Responsoria brevia deuten auf geschicht- 
liche Stadien, die von der Forschung noch nicht ge- 
klart sind. 

Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 
1962; A. Auda, Les modes et les tons de la musique, Briis- 
sel 1 9 30 ; G. Murray, The Primitive Psalm-Tones, Liturgy 
XVI, 1946; J. Smitsvan Waesberohe SJ, L'evolution des 
tons psalmodiques au moyen age, in: Atti del Congresso 
internazionale di Musica Sacra (Rom 1950), Tournai 1952 ; 
Z. Falvy, Zur Frage v. Differenzen d. Psalmodie, StMw 
XXV, 1962; H. Berger, Untersuchungen zu d. Psalm- 
differenzen, = KolnerBeitr.zurMusikforschungXXXVII, 
Regensburg 1966. 

Psalter (von lat. -> psalterium), - 1) das Buch der 
Psalmen, in dem 150 Gesange (Rundzahl) verschiede- 
ner Herkunft und Gattungen gesammelt sind und 
das zu den Schriften des Bibelkanons zahlt. Der Ab- 
schluB dieser Sammlung erfolgte vermutlich im 3. 
Jh. v. Chr. Die christliche Kirche machte den Ps. 
von Anfang an zu ihrem Gebet- bzw. Gesangbuch. 
Nach alteren lateinischen Ubersetzungen revidier- 
te der hi. Hieronymus um 382 im Auftrag Dama- 
sus' I. den Text. Diese Fassung soil nach vorherr- 
schender Meinung (bestritten durch D. de Bruyne 
in: Revue benedictine XLII, 1930) mit dem Psalterium 
Romanum identisch sein, das noch heute in der Peters- 
kirche zu Rom verwendet wird und in den Antiphonen 
und Responsorien von Missale und Brevier erhalten 
blieb. Die zweite, von Hieronymus wahrscheinlich 386 
in Bethlehem erstellte Textrevision fand iiber Gallien 
allgemeine Verbreitung (daher Psalterium Gallicanum) 
und wurde durch Pius V. zur offiziellen Fassung der 
romischen Liturgie erhoben. Seit 1945 trat eine neue, 
von Pius XII. gutgeheiBene Bearbeitung in den Vor- 
dergrund. - Im Unterschied zum hebraischen (maso- 
retischen) Bibeltext, dem auch Luther prinzipiell f olgt, 
weist die griechisch-lateinische Tradition (Septuaginta, 
Vulgata) eine fast durchgehend abweichende Zahlung 
der Psalmen auf, da hier die hebraischen Psalmen 9 und 
10 sowie 114 und 115 als eine Nummer gezahlt, ande- 
rerseits aber die Psalmen 116 und 1 47 in jeweils 2 Stiicke 
unterteilt werden. Daraus ergibt sich folgende Gegen- 
iiberstellung : Psalm 1-8 (hebraischer Text, Luther-Bi- 
bel) = 1-8 (Septuaginta, Vulgata); 9-10 = 9; 11-113 
= 10-112; 114-115 = 113; 116 = 114-115; 117-146 
= 116-145; 147 = 146-147; 148-150 = 148-150. 
- 2) Rhythmischer Ps., eine im 13.-16. Jh. lebhaft ge- 
pflegte Form geistlicher Dichtung, die urspriinglich in 
jeder ihrer 150 Reimstrophen zum entsprechenden Bi- 
belpsalm in Beziehung stand und hauptsachlich der 
Christus- und Marienverehrung diente. Bei festgehal- 
tener Strophenzahl wurde in spaterer Zeit die Verbin- 
dung zum Ps. der Bibel gelockert oder ganz auf gegeben 
(vgl. Analecta hymnica XXXV und XXXVI). 
Ausg. : zu 1) : Liber psalmorum cum canticis Breviarii Ro- 
mani, Rom 1945 ; Biblia Sacra iuxta Lat. Vulgatam versio- 
nem (X) : Liber psalmorum ex recensione Sancti Hierony- 
mi, Rom 1953; Le Psautier Romain, hrsg. v. R. Weber 
OSB, = Collectanea Biblica Lat. X, Rom 1953. 

Psalterium (lat.; griech. ^exX-t - /) p tov. von <\ioM,bi, 
eine Saite zupfen; ahd. psaltari, saltari, mhd. psalter; 
ital. salterio; frz. auch canon; span, canon, -> Ka- 
non - 1), eine Rahmen- oder Brettzither, deren Saiten 
im Unterschied zum ->■ Hackbrett mit den bloBen Fin- 
gern oder einem Plektron gezupft werden. Bevor sich 
fur das Hackbrett (ital. salterio tedesco) die gekreuzte 
Fuhrung der Saiten iiber 2 erhohte Stege durchsetzte, 
ist oft nicht eindeutig zwischen Ps. unci Hackbrett zu 
unterscheiden, zumal neben den Plektra zum Zupfen 
mitunter auch Kloppel als Plektra bezeichnet werden 
und die Spielweise auf Bilddarstellungen nicht immer 



757 



Psalterium 



klar erkennbar ist. - Das Wort tyatlrripiov ist zuerst 
mehrfach in Obersetzungen der Septuaginta als Uber- 
setzungswort f iir die hebraische Harfe -»■ Newel belegt. 
Vom Griechischen herzuleiten ist das aramaische 
p(e)santerin, das im 2. Jh. v. Chr. in der Beschreibung 
des Orchesters Nebukadnezars (Daniel 3, 5ff.) genannt 
wird. Es kann sich hier um eine Zither handeln, denn 2 
viereckige Zithern sind auf einem phonizischen Elfen- 
beinkasten aus dem 8. Jh. v. Chr. (British Museum) dar- 
gestellt. Im abendlandischen Mittelalter sind seit dem 
9. Jh. dreieckige (deltaformige; -*■ Rotta - 1) und vier- 
eckige (trapezformige) Psalterien belegt; sie werden 
beschrieben und allegorisiert in dem unechten Brief des 
Hieronymus an Dardanus. Erste Spuren des Inhalts die- 
ses Briefes sind bei Hrabanus Maurus um 843 zu finden ; 
die Tradition der Instrumenta Hieronymi reicht iiber 
Virdung (1511) bis Praetorius (Synt. II). Im Mittelalter 
wird oft David mit Ps. dargestellt, nicht selten aber 
auch mit Instrumenten, die Merkmale sowohl von der 
Leier und der Harfe als auch vom Ps. vereinigen. Auch 
der -> Psalter (-1) ist nach dem Instrument Ps. benannt. 




Seit dem 14. Jh. sind Psalterien in »Schweinskopf- 
Form« nachweisbar, so um 1490 von Hans Memling 
(»Christus mit musizierenden Engeln«), von Praetorius 
(Synt. II) als Istromento di porco abgebildet. Daneben 
ist seit dem 14. Jh. der Halbpsalter (span, medio canon; 
frz. micanon) belegt, der durch Halbierung eines Ps.s 
entsteht. Paulus Paulirinus nennt um 1460 das 3seitige 
Ps. ala integra, den entsprechenden Halbpsalter ala 
media. Durch die Halbierung des Schweinskopf-Ps.s 
entstand der Typ des Ps.s in Fliigelform. In der 2. Half- 
te des 16. Jh. wurde das Ps. voriibergehend als Mode- 
instrument bei Frauen . . . sehr gemein, wie der Strafi- 
burger Maler Tobias Stimmer berichtet. Im Instru- 
mentenbestand der Stuttgarter Hofkapelle von 1589 
wird es als Fastnachtsartikel eingestuft. 
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), Faks. 
hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass., 
Faks. hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; Praetorius Synt. I 
u. II ; J. Reis, Pauli Paulirini de Praga Tractatus de musica, 
ZfMw VII, 1924/25; H. G. Farmer, Studies in Oriental 
Mus. Instr. I, London 1931; V. Denis, De muziekinstr. 
in de Nederlanden en in Italie naar hun afbeelding in 
de 1 5 e -eeuwsche kunst I, = Publicaties op het gebied d. 
geschiedenis en d. philologie III, 20, Lowen 1944; E. Ko- 
lari, Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten Testament, 
Helsinki 1 947 ; Le traits des instr. de musique de P. Trichet, 
hrsg. v. Fr. Lesure, Ann. Mus. Ill, 1955 - IV, 1956; R. 



Hammerstein, Instrumenta Hieronymi, Af Mw XVI, 1959 ; 
H. Avenary, Hieronymus' Epistel iiber d. Musikinstr. u. 
ihre altostlichen Quellen, AM XVI, 1961 ; H. Steger, Da- 
vid rex et propheta, =Erlanger Beitr. zur Sprach- u. 
Kunstwiss. VI, Nurnberg 1961. 

Pseudonym (griech., s. v. w. falsch benannt; frz. pseu- 
donyme, nom de plume), ein angenommener Name, 
der die Identitat des Verfassers verbirgt (zu unterschie- 
den von -> Anonym). Der deutsche Gesetzestext spricht 
nur von Deckname. - Verschiedentlich haben Musiker 
literarische (A.Banchieri) oder journalistische Arbeiten 
(R. Schumann, R.Wagner) unter Ps.en herausgegeben, 
besonders aber Streitschriften (Artusi). In neuerer Zeit 
veroffentlichte Marie ->• Lipsius ihre Schrif ten unter dem 
Ps. La Mara, M.Bobillier schrieb unter dem Ps. Michel 
-> Brenet. Heute spielt das Ps. vor allem bei Kompo- 
nisten und Textdichtern der Unterhaltungsmusik eine 
Rolle. Besonders produktive und erfolgreiche unter 
ihnen schreiben auch unter mehreren Ps.en (ein Name 
ist z. B. durch eine bestimmte Gattung festgelegt oder 
verliert seine Zugkraft). - Wenn der wahre Name eines 
Ps.-Tragers bekannt ist, geniefit das ps.e Werk den nor- 
malen Urheberrechtsscnutz; als »bekannt« im Sinne 
des Gesetzes gilt ein Ps. schon, wenn es z. B. in der Mit- 
gliederliste der GEMA angefuhrt ist. Andernfalls er- 
lischt die Schutzfrist f iir ein ps.es Werk 70 Jahre nach 
dessen Veroffentlichung, es sei denn, das Ps. war in die 
beim Patentamt gefiihrte Urheberrolle eingetragen. - 
Die Humanistennamen, die einen volkssprachlichen 
Personen- oder Ortsnamen ins Lateinische oder Grie- 
chische iibertragen und ihn damit auf die Ebene der 
Literatursprache heben (z. B. -»■ Cochlaeus, -»■ Trito- 
nius, ->■ Luscinius, -*■ Calvisius, M. -*■ Praetorius), zah- 
len nicht zu den Ps.en, ebensowenig die sogenannten 
»Kunstlernamen« (in neuerer Zeit z. B. Nelly -* Melba, 
Bruno -> Walter). Von letzteren spricht man in der 
Musik nur bei Interpreten, die einen solchen Namen 
anstelle ihres »biirgerlichen« fiihren. 
Lit. : M. Holzmann u. H. Bohatta, Deutsches Ps.-Lexi- 
kon.Wienu. Lpz. 1906. 

Psychologie der Musik -»■ Musikpsy chologie. 

Puerto Rico. 

Lit.: R. A. Waterman, Folk Music of P. R., Washington 
1947; M. C. de Martinez, La hist, danza de P. R. en el 
s. XVI y sus evoluciones, Revista mus. chilena VI, 1950; 
M. Deliz, Renadio del cantar folklorico de P. R., Madrid 
21952; R. A. Fouche, Transitional Qualities in P. Rican 
Folk Music, JAMS IX, 1956. 

Punctus, auch Punctum (lat., Strich, Punkt, kleiner 
Abschnitt in der Rede), - 1) im Friihmittelalter das Le- 
sezeichen fiir die Distinctiones (-*■ Distinctio) eines 
Textes. Die verschiedenen Distinktionsgrade (media 
distinctio, subdistinctio und plena distinctio) wurden 
zunachst durch einen dem SchluBbuchstaben in wech- 
selnden Stellungen beigefiigten Punkt angezeigt. Mit 
zunehmend musikalischem Charakter der liturgischen 
Lektionen in Messe und Offizium wurden die Inter- 
punktionspunkte (wohl seit dem 9. Jh.) durch -*■ Neu- 
men (- 1) erganzt, welche das Heben oder Senken der 
Stimme bei der jeweiligen Distinktion andeuten. Es er- 
gaben sich (nach dem von P.Bohn edierten Traktat) 
folgende als P. bezeichnete Arten: 

P. circumflexus (P. und Flexa) : 7 

P. elevatus (P. und Podatus) : J 

P. versus (P. und Apostropha) : j 

P. interrogativus (P. und Quilisma) : / 
Der P. circumflexus zeigte die Media distinctio (Kom- 
ma) mit der melodischen Formel la-fa an, der P. eleva- 
tus die Subdistinctio (Kolon) mit la-sol-fa-la, der P. 



758 



Punktierter Rhythmus 



versus die Plena distinctio (Periodus) mit la-sol-sol-re; 
die Sonderform des P. interrogativus ergab sich bei der 
Frage mit la-sol-fa-sol-la. Unter Einwirkung dieser 
Interpunktionspraxis, auch als punctatio oder mit punc- 
tare bezeichnet, entwickelte sich die vollausgebildete 
Neumennotation, in der P. zum Grundzeichen und 
zum Namen der (gegeniiber der Virga tieferliegenden) 
Einzelnote wurde. Im 13. Jh. nahm P. in der Quadrat- 
notation das - noch in heutiger Choralschrif t gebrauch- 
liche - Zeichen ■ an, auch p. quadratus vel nota quadrata 
(z. B. CS 1, 303a) bzw. seit dem 13. Jh. in der Mensural- 
notation Brevis genannt. Vielfach wurde die Bezeich- 
nung P. fur Note (nota) schlechthin verwendet, z. B. 
gait die Aequalitas punctorum (Gleichzahl der Noten 
in verschiedenen Stimmen) als ein Kennzeichen des 
friihen -> Discantus gegeniiber dem Organum. Aller- 
dings trat P. auch im Sinn von »Abschnitt« auf. An- 
onymus IV (CS I, 342) setzt P. mit clausula gleich 
(->■ Klausel). Im Traktat des Johannes de Grocheo wer- 
den die Teile von Ductia und Stantipes (-> Estampie) 
puncta genannt. Ob der von Franco erwahnte organi- 
cus p. (ed. Cserba, S. 255; -> Orgelpunkt) auf P. im 
Sinn von Note oder von Abschnitt zuriickgeht, ist un- 
geklart; moglicherweise wirkten beide Bedeutungen 
zusammen. P. contra punctum und der daraus entstan- 
dene Begriff -> Kontrapunkt sind von der Sache her 
wie auf Grund zahlreicher Worterklarungen (z. B. id est 
nota contra notam, CS III, 12 u. 6.; contranota im Traktat 
London, Brit. Mus., Add. 21455, f. 11) auf P. im Sinn 
von Note zu beziehen, selbst wenn Contrapunctus als 
Name der Gegenstimme zum Cantus, also nicht als 
Satzprinzip, wohl auch eine Deutung als »Gegen-Ab- 
schnitt« zulassen konnte. — 2) In der — »■ Mensuralnotation 
werden seit dem 14. Jh. mehrere Arten von P. als Hilf szei- 
chen verwendet. In dreizeitiger Messung trennt der P. 
divisionis, der seit Petrus de Cruce das Strichlein der 
-»• Divisio modi (- 1) ersetzt, zwei perfekte Notengrup- 
pen (-> Perfectio - 2). Speziellere Bedeutung haben die 
folgenden P. : der P. perfectionis soil in Zweifelsfallen 
sicherstellen, daB eine Note perfekt gelesen wird; der 
P. imperfectionis wird zwischen 2 Noten gleicher Ge- 
stalt gesetzt, um anzuzeigen, daB diese nicht zusammen 
eine dreizeitige Gruppe bilden, sondern jede von ihnen 
die jeweils benachbarte langere Note imperfiziert 
(-*• Imperfektion) ; der P. alterationis bedeutet, daB von 

2 folgenden Noten gleicher Gestalt die zweite mit 
->■ Alteration (-1) gelesen werden muB. In zweizeiti- 
ger Messung bedeutet der P. additionis (oder p. aug- 
mentationis; ->• Augmentation - 1) Verlangerung ei- 
ner Note um die Halfte ihres Wertes. Der Verdeut- 
lichung zusammengehoriger Noten in den oft schwer 
zu iiberschauenden Synkopationsbildungen des 14.- 
15. Jh. dient der P. demonstrationis (oder p. reductio- 
nis, p. syncopationis; -> Synkope). Die Notation des 
italienischen Trecentos verwendet den P. nur zur Tren- 
nung von Breviseinheiten im System der -> Divisio- 
nes. - Der in das Tempuszeichen (Kreis oder Halbkreis) 
gesetzte P. prolationis bedeutet ->- Prolatio maior, d. h. 
Unterteilung der Semibrevis in 3 Minimen. 

Lit. : zu 1) : Der Musiktraktat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. 
Rohloff, = Media Latinitas Musica II, Lpz. 1943. - P. 
Bohn, Das liturgischc Rezitativ u. dessen Bezeichnung in d. 
liturgischen Buchern d. MA, Mf M XIX, 1 887 ; P. Waoner, 
Einfuhrung in d. Gregorianischen Melodien, II Neumen- 
kunde, Lpz. 1905, 21912, Nachdruck Hildesheim u. Wies- 
baden 1962, S. 88f., S. 117; E. Rohloff, Studienzum Mu- 
siktraktat d. J. de Grocheo, = Media Latinitas Musica I, 
Lpz. 1930. - zu 2): J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation, 

3 Bde, Lpz. 1904, Nachdruck in 1 Bd Hildesheim u. Wies- 
baden 1965. KJS 

Punkt. - 1) In der modernen Notenschrift wird eine 
Note durch einen rechts neben sie gesetzten P. um die 



Halfte, durch 2 P.e um drei Viertel, durch 3 P.e um 
sieben Achtel ihres Wertes veriangert. Pausen werden 
im allgemeinen nicht punktiert; jedoch ist Punktierung 
bei der Viertelpause und den kleineren Werten zulas- 
sig. Der Verlangerungs-P. ist als Punctus additionis 
(-> Punctus - 2) in der Mensuralnotation seit dem 14. 
Jh. bekannt. -> Punktierter Rhythmus. - 2) Ein P. iiber 
oder unter der Note ist Vortragsbezeichnung fiir 
-»■ staccato, in Verbindung mit einem Bogen fiir 
-* portato. - 3) Drucke des 16. Jh. fiir Tasteninstru- 
mente bezeichnen chromatische -*■ Alteration (- 2) ei- 
ner Note durch einen dariibergesetzten P. 

Punktieren heiBt im Sprachgebrauch der Buhne die 
Versetzung der hochsten oder tief sten Noten einer Ge- 
sangspartie um eine Oktave (oder um ein kleineres ak- 
kordeigenes Intervall) nach unten bzw. nach oben. Die- 
ses unter Umstanden kiinstlerisch anfechtbare Verfah- 
ren wird in der Theaterpraxis notwendig, wenn einzel- 
ne Partien mit Sangern besetzt werden miissen, denen 
der geforderte Stimmumfang nicht zur Verfugung 
steht. Vor allem bei Charakterpartien, bei denen die 
darstellerische Eignung von besonderer Wichtigkeit 
ist, wild an Theatern mit nur einfacher Besetzung der 
verschiedenen Facher ein P. der fraglichen Partien oft 
unvermeidlich. So ist z. B. das P. der Partie der Carmen 
(Bizet) haufig, auch tiefliegende Altpartien zwingen 
oft zu solchen Zugestandnissen. 

Punktierter Rhythmus. Der Punkt hinter einer No- 
te (-> Punkt - 1) bedeutet seit Anfang des 19. Jh. stets 
eine Verlangerung des Notenwertes um die Halfte; in 
der Notation der Barockzeit konnte er den Notenwert 
in bestimmten Fallen auch um mehr oder um weniger 
als die Halfte verlangern. Die modernen Zeichen fiir 
diese Falle rhythmischer Notation waren noch weit- 
gehend unbekannt. In der Taktlehre des Barocks wa- 
ren Gesichtspunkte des Affekts und Ausdrucks sowie 
der Prosodie, Rhetorik und Poetik (u. a. Kirnberger II, 
1, 1776, 4. Abschnitt) fiir die Taktwahl entscheidender 
als eine im modernen Sinne bequemere Notationswei- 
se. Zur Aufrechterhaltung der Tradition in der Aus- 
fiihrung geniigte noch die miindliche Unterweisung. 
3 s 

Triolen im eigentlichen Sinne (z. B. eine Achteltriole 
in einem 3/4-Takt) sind zu unterscheiden von Dreier- 
gruppen in einem zusammengesetzten ungeraden Takt 
(z. B. 3 Achtel in einem 9/8-Takt), obwohl in beiden 
Fallen ein P. Rh. gegen die 3 Noten gesetzt werden 
kann. Die Triole wird in Lehrbiichern aus der Mitte 
des 18. Jh. noch als eine ziemlich neue Rhythmus- 
form bezeichnet; die abgeleitete unregelmaBige Triole 
T' 3 3 

J J\) J 7 J , J JjJ (oder ahnlich) findet sich in ih- 
rer erst spater entwickelten Notationsform bis um 1750 
nur auBerst selten (z. B. bei J.S.Bach in BWV 608). 
Man wahlte zu ihrer Darstellung die nachstliegenden 
Notenwerte, z. B. das punktierte Achtel mit Sechzehn- 

tel JTj anstelle unseres heutigen J J^, wenn der Takt 
aus den obenerwahnten Griinden nicht geandert wer- 
den durfte. Zwingend im Sinne angleichender Spiel- 
art sind z. B. in Rameaus Dardanus (Erstausgabe), 5. 
Akt, 3. Szene, die Takte 90/91 der Chaconne : 



1) P. Rh. gegen Triolen: 




Basses 



759 



Punktierter Rhythmus 



(Weitere Beispiele: J.S.Bach, Kantate BWV 70 Nr 3 
und Toccata BWV 915, Takte 9, 17, 26, 42, 97 der Fu- 
ge.) Ebenso sind vor allem in polyphonen raschen 
Satzen fast imrner Punktierungen den Triolen oder den 
Dreiergruppen im zusammengesetzten ungeraden Takt 
anzugleichen (J.S.Bach, Kantaten BWV 23 Nr 1 und 
130 Nr 3; 110 Nr 1 und 147 Nr 6). In den padagogi- 
schen Werken der 2. Halfte des 18. Jh. wird versucht, 
sowohl die Tradition der Barockzeit zu erhalten als 
auch dem neuen Stil gerecht zu werden. So empfiehlt 
Quantz fiir die Flote (in mehr homophonen Satzen) ei- 
ne Verlangerung der punktierten und eine Verkiirzung 
der ihr folgenden Note, damit der Ausdruck brillant 
undprdchtig werde. C.Ph.E.Bach und Marpurg treten 
in ihren Klavierschulen generell fiir die Angleichung 
des P.n Rh. an die Triole ein. Lohlein hatte noch 1765 
ebenfalls bedingungslos die angeglichene Spielweise 
verlangt, diese Vorschrift aber in der 2. Auflage seines 
Lehrbuchs 1773 auf Grund einer Rezension J. Fr. Agri- 
colas - der sich auf die Unterrichtspraxis von J. S. Bach 
und Quantz bezog - insofern gelockert, als er nunmehr 
die Angleichung des P.n Rh. an Triolen auf Stiicke in 
raschem Tempo beschrankte (der ganze Absatz ist in 
der 6. Auflage, 1804, gestrichen). Noch Turk lafit 1789 
(unverandert 1802) beide Moglichkeiten gelten, und 
noch 1806 stellte Callcott die Frage nach der korrekten 
Wiedergabe einer in P.m Rh. notierten Gesangspartie, 
die von gebrochenen Akkorden in Triolen begleitet 
wird. 

2) Oberpunktierung:/~3 = J- 3 
Im Gegensatz zur Abschwachung des P.n Rh. durch 
seine Anpassung an Dreiergruppen konnte in jener 
Zeit auch eine Verscharfung im Sinne einer Dehnung 
der punktierten und entsprechenden Verkiirzung der 
kurzen Note (Uberpunktieren) stattfinden, mit und 
ohne dazwischengeschobene Pause, etwa: 

oder etwa 7"Jl| J - 1" j\\ J sowie auch dann, wenn 
nach der punktierten Note oder Pause nicht nur eine, 
sondern mehrere kurze Noten standen, wie es u. a. hau- 
fig in den langsamen Teilen der Franzosischen Ouver- 
tiire zu finden ist (J. S.Bachs Overture nach Franzosischer 
Art in H moll, BWV 831 , mit der rhythmisch gleich ge- 
meinten, aber ungenauer notierten friiheren Fassung in 
C moll). Die damalige Zeit kannte den doppelten oder 
gar den 3f achen Verlangerungspunkt nicht. Als Einzel- 
f all ist bemerkenswert, daB M. Marais in seinem Second 
liure de pieces de viole (1701) den doppelten Verlange- 
rungspunkt verwendet hat, wobei er den zweitenPunkt 
halb so groB wie den ersten machte. Erst Marpurg 1755 
(I, 3, § 4), L.Mozart 1756 (I, 3, § 11) undJ.F. Agricola 
1757 (Anleitung zur Singkunst, Faks. hrsg. v. E.R.Ja- 
cobi, Celle 1966, II) benutzen den doppelten Verlan- 
gerungspunkt im heutigen Sinne sowie C.Ph.E.Bach 
in der veranderten 3. Auflage seines Versuchs. Turk gibt 
die bis dahin difierenziertesten Vorschriften fiir doppelt 
punktierte Noten und Pausen (I, 3, §§ 47 und 50) so- 
wie fiir den Vortrag des P .n Rh. entsprechend dem Cha- 
rakter eines Stuckes (VI, 3, § 48); der P.e Rh. J.jJ. j 
kann wie folgt wiedergegeben werden: 

Sin oder J^J"|3 oder 1^11^1 

wobei er ausdriicklich bemerkt: Alle moglichen Fiille 
sind nicht zu bestimmen. Beachtenswert ist Turks Vor- 
schrift: Hin und wieder verlangert man bey mehrstimmigen 
Stellen die punktirten Noten nur in Einer Stimme, und spielt 
die kurzen Noten beyder Stimmen zu gleicher Zeit, damit 
das Ganze mehr iiberein stimme: 



$ifi ijfiy i ndmiuhs ° : iiprSP 



trr 



Beispiele dazu sind J. S.Bach, Partita BWV 827, Alle- 
mande, Takt 2 (Beispiel a) sowie Partita BWV 829, 
Sarabande, Takt 13 (Beispiel b), wo in der vom Kom- 
ponisten selber veroffentlichten Ausgabe die Noten 
deutlich wie folgt untereinandergesetzt sind: 




Erst die spateren Gesamt- und Urtextausgaben schaff- 
ten durch Plazierung der Noten an ihre »korrekte« Stel- 
le ein Ausf uhrungsproblem, das friiher nicht bestanden 
hatte. 

Lit. : Quantz Versuch ; Bach Versuch ; Fr. W. Marpurg, 
Anleitung zum Clavierspielen, Bin 1755, 2 1765; Mozart 
Versuch; G. S. Lohlein, Clavierschule, Lpz. u. Ziillichau 
1765, 21773; D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 
1789, 21802, Faks. hrsg. v. E. R. Jacobi, = DM1 1, 23, 1962. 
- A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music of the 
XVII tl 'andXVIII tl 'Cent.,London(1916,2l946); G.Horn, 
La note pointde dans les ceuvres pour clavecin de J.-S. Bach, 
Rev. de Musicol. XIX, 1935; Chr. Dobereiner, Zur Re- 
naissance Alter Musik, = Hesses Hdb. d. Musik CI, Bin 
1950, 21960; S. Babitz, A Problem of Rhythm in Baroque 
Music, MQ XXXVIII, 1952, deutsche Zusammenfassung 
in: Musica XVI, 1962; J. Ponte, Problems in the Per- 
formance of J. S. Bach's Clavierubung, Diss. Harvard 
Univ. (Mass.) 1952, maschr. ; F. Rothschild, The Lost 
Tradition in Music . . ., London 1953, deutsch als: Ver- 
gessene Traditionen d. Musik, Zurich 1964; Th. Dart, 
The Interpretation of Music, London 1954, 3 1958, deutsch 
als : Practica musica, = Slg Dalp XXIX, Bern u. Munchen 
(1959); E. Harich-Schneider, Uber d. Angleichung nach- 
schlagender Sechzehntel an Triolen, Mf XII, 1959, dazu 
E. R. Jacobi in: Mf XIII, 1960; E. Bodky, The Interpre- 
tation of Bach's Keyboard Works, Cambridge (Mass.) 
1960 ; R. Donington, Tempo and Rhythm in Bach's Organ 
Music, London 1960; ders., The Interpretation of Early 
Music, London 1963, erweitert 2 1965; E. R. Jacobi, Neues 
zur Frage »Punktierte Rhythmen gegen Triolen . . . «, Bach- 
Jb. XLIX, 1 962 ; A. Geoffroy-Dechaume, Les »secrets« de 
la musique ancienne, Paris 1964; Fr. Neumann, La note 
pointee et la soi-disant »maniere frc.«, Rev. de Musicol. LI, 
1965 ; M. Collins, The Performance of Triplets in the 17 th 
and 18'" Cent., JAMS XIX, 1966. ERJ 

punteado (span.) -*-Gitarre. 

Puy (pfli, frz., altfrz. pui; Etymologie umstritten, viel- 
leicht aus lat. podium) bezeichnet seit dem 11. Jh. eine 
Biirgervereinigung in nordfranzosischen Stadten, die 
vor allem Dichter- und Sangerwettstreite (->■ Jeu parti) 
veranstaltete, aber auch den Marienkult und geistliche 
und weltliche Spiele pflegte. P.s hat es nachweislich z. B. 
in den Stadten Abbeville, Arras (hier war Adam de la 
Halle Mitglied), Amiens, Caen, Cambrai, Douai, Le 
Mans, Lille, Rouen, Tournai, Valenciennes gegeben. 
Noch im 16. und 17. Jh. wurdenP.s gegriindet; zu den 
Preistragern des bedeutenden P. von Evreux (1570- 



760 



1790) gehorte u. a. O. de Lassus mit seiner Motette 
Cantantibus organis (1575). - Das Motiv des Sanger- 
wettstreits vor einem P. hat R.Wagner im Tannhauser 
gestaltet. 

Lit. : Th. Bornin u. A. Chassant, P. de musique, 6rig6 a 
Evreux, en l'honneur de Madame Sainte-Cecile, Evreux 
1 837; A. Bottle de Toulmon, De p. de Palinodes au moyen 
age en gen6ral, et de p. de musique en particulier, Rev. frc., 
N. S., Jg. 1838; A. de Lafage, Sainte-Cecile, patronne des 
musiciens. Le p. de musique a Evreux, Rev. et gazette mus. 
de Paris XIV, 1 847; J. A. Carlez, Le p. de musique de Caen 
(1 671-85), in : Bull, de la Soc. des beaux-arts de Caen 1 886 ; 
H. M. Schletterer, Mus. Wettstreite u. Musikfesteim 16. 
Jh., MfM XXII, 1890; M. de Themines, Ste-Cecile et le p. 
de musique, L' Art mus. XV, 1 896 ; H. Guy, Essai sur la vie 
du trouvere Adame de la Halle, Paris 1898; M. Brenet, 
Les concerts en France sous l'Ancien Regime, Paris 1900. 

Pyknon (griech., dicht), in der Theorie der Griechi- 
schen Musik Bezeichnung der Folge von zwei Halb- 
oder Vierteltonen im chromatischen und enharmoni- 
schen -> Tetrachord. 

Pyramidenfliigel -> Giraffenklavier. 

Pyramidon (pij'semidn, engl.), eine in der Orgel 
Mitte des 19. Jh. in England nur vereinzelt gebaute 
Labialstimme zu 16' (oder 32') im Pedal, erfunden von 
Sir Fr. A.G. -> Ouseley und gebaut von B. Flight. Die 
Pfeifen sind trichterformig offen, sehr weit und kurz; 
der Klang ist dunkel. 

Pyrophpn (griech., zusammengesetzt aus 7cup und 
ipcovr), s. v. w. singendes Feuer, Flammenorgel), von G. 
Fr.E. -*■ Kastner 1875 erfundenes Instrument, bei dem 
Gasflammen in Rohren verschiedener Lange brannten 
und Tone in verschiedener Hohe hervorbrachten. Das 



Pythische Spiele 

Instrument wurde mit einer Klaviatur gespielt; die 
Flammen wurden mittels elektrischer Leitungen direkt 
durch das Herabdriicken der Tasten angeziindet und 
reguliert. Der Tonumfang reichte von C bis c 2 . - W. 
-*■ WeiBheimer schrieb Fiinf Geistliche Sonnette fiir 

Singst., FL, Ob., Klar., P. und Kl. 

/ 
Pythagoreisches Komma -*■ Komma (- 1), -*■ In- 
tervall (Tabelle). 

Pythische Spiele, antike Wettkampfspiele primar 
musikalischer Art in Delphi, in denen Apollon als Sie- 
ger iiber den Drachen Python gefeiert wurde. Im Un- 
terschied zu den lokal begrenzten musischen Agone in 
Sparta (Karneenfest, bezeugt seit dem 7. Jh. v. Chr.) 
und A then (Panathenaenfest, Dionysosfest), hatten die 
P.n Sp. - ahnlich wie die sportlichen Wettkampfspiele 
in Olympia, Isthmia und Nemea - panhellenischen 
Charakter. Den urspriinglich allein iiblichen, mit 
-»■ Kithara begleiteten Apollonhymnus (fifivog ig rdv 
■fredv, Pausanias X, 7, 2) wurden 586 v. Chr. im Zuge 
der Neuorientierung der P.n Sp. auch Aulodie (Gesang 
mit Begleitung des -> Aulos) und Auletik (solistisches 
Aulosspiel, ohne Gesang) hinzugef iigt. Doch wurde die 
Aulodie bald wieder abgeschafft, weil sie nicht fiir 
wohllautende Musik gehalten wurde (Pausanias X, 7, 
5f.). Bald fand auch die Kitharistik (solistisches Kithara- 
spiel, ohne Gesang) Aufnahme in den Wettspielkanon. 
Als Sieger in der Auletik wurde Sakadas beriihmt 
durch seinen Pythischen -»■ Nomos. Fiir Midas von 
Akragas, den Sieger in der Auletik der P.n Sp. von 
490 v. Chr., schuf Pindar seine 12. Pythische Ode. 
Lit. : D. Kolk, Der pythische Apollonhymnus als aitiolo- 
gische Dichtung, Meisenheim a. Gl. 1963. 



761 



Q 



Qanun (arabisch seit dem 13. Jh., bei al-Farabi ma'azif 
und sunug; von griech. -*■ Kanon - 1), eine im Vorde- 
ren Orient gebrauchliche, dem abendlandischen-*- Psal- 
terium vergleichbare Brettzither. Das Q. ist in der neue- 
ren Zeit fur das virtuose Spiel beliebter als der -*■ 'Ud. 
Es hat in der Regel 26 dreisaitige Chore und wird im 
Unterschied zum mit Kloppeln geschlagenen -*■ Santiir 
gezupft oder mit Plektron angerissen. Wird es mit bei- 
den Handen gespielt, so wird die Melodie oktaviert; 
daneben kommt die Spielart vor, bei der die linke Hand 
einzelne Saiten verkiirzt. In der Regel jedoch wird auf 
dem Q. nicht gegrifien, sondern es muB fiir jeden 
->■ Maqam umgestimmt werden. 
Lit. : al-FarabI, Kitab al-musiqi al-kablr, frz. als: Grand 
trait6 de la miisique, in: Baron R. d'Erlanger, La musique 
arabe I, Paris 1930; H. G. Farmer, The Canon and Escha- 
quiel of the Arabs, The Journal of the Royal Asiatic Soc. of 
Great Britain and Ireland 1926; ders., Studies in Oriental 
Mus. Instr. I, London 1931 ; A. Berner, Studien zur arabi- 
schen Musik auf Grund d. gegenwartigen Theorie u. Praxis 
in Agypten, = Schriftenreihe d. Staatl. Inst. f. Deutsche 
Musikforschung II, Lpz. 1937 ; E. Gerson-Kiwi, Zur Vor- 
gesch. d. Klavierinstr., Die Harfen, Q.- u. Santurinstr. d. 
Vorderen Orients, Tel Aviv 1958 (hebraisch). 

Qopuz (turkisch und arabisch; russ. kobza; in weite- 
ren Formen wie koboz auch in den Balkansprachen), 
eine Kurzhalslaute mit seitenstandigen Wirbeln, die 
iiber Byzanz um 800 bei den Slawen bekannt wurde. 
In Deutschland nennt Heinrich von Neustadt (Gotes 
zuokunft, Anfang des 14. Jh.) neben der Laute die 
kobus, womit aber wahrscheinlich eine Mandora ge- 
meint ist. 
Lit.: M. R. Gazimihal, Kopuz, Ankara 1960. 

Quadrille (kadr'i:j, frz.), eine gegenEnde des 18. Jh. 
in Paris aufgekommene und am Hofe Napoleons I. be- 
liebte Art der ->■ Contredanse, die von wenigstens 4 
Paaren im Carre getanzt wurde. Die Qu. bestand zu- 
erst aus 5, dann aus 6 Touren: Nr 1 Le Pantalon, Nr 2 
L'Ete, Nr 3 La Poule, Nr 4 La Trenis (von dem Tanz- 
meister Trenitz eingefiigt), Nr 5 La Pastourelle, Nr 6 
La Finale. Die Musik der einzelnen Touren aus jeweils 
32 Takten im 2/4- oder 6/8-Takt ist potpourriartig aus 
beliebten Musikstiicken, Opern und Operetten zusam- 
mengestellt. Die Qu. des 19. Jh. weist viele Abarten 
auf, z. B. die Walzer-Qu., die mit einem Walzer endet; 
die Qu.-Mignon, bestehend aus Les Rondes, Les Croi- 
sees, Les Promenades und La Finale; die Lach-Qu., die 
Kegel- und die Kul3-Qu. Eine besondere Abart ist die 
Qu. a la Cour (Qu. des Lanciers), die 1856 durch den 
Pariser Tanzmeister Laborde erf unden worden sein soil 
und in Berlin durch das konigliche Hofballett eingef iihrt 
wurde; doch scheint sie bereits um 1817 in Dublin ge- 
tanzt worden zu sein. Jede ihrer 5 Touren (Les Tiroirs, 
Les Lignes, Moulinet, Les Visites, Les Lanciers) hat 24 
Takte, mit Ausnahme der dritten mit nur 16 Takten. - 
Der Name Qu. wurde im 18. Jh. zunachst fiir die kreuz- 
formige Turnieraufstellung kleinerer Reitergruppen 

762 



verwendet. - Qu.n komponierten im 19. Jh. u. a. J. B.J. 
Tolbecque, Musard und Offenbach; Joh.StrauB (Sohn) 
hat etwa 70 Qu.n geschrieben. 

Quadrupelfuge (lat. fuga quadruplex, 4fache Fuge), 
die selten vorkommende Art der Fuge, bei der 4 The- 
men durchgefuhrt werden. Als Qu. bezeichnet ist S. 
Scheidts Fantasia . . . super Io sonferito lasso Fuga qua- 
druplici (Tabulatura nova 1, 1624). Fiir J. S. Bachs unvoll- 
endete Fuge aus der Kunst der Fuge (BWV 1080 Nr 19) 
gilt als erwiesen, daB sie als Qu. geplant war und daB in 
ihr das Grundthema des gesamten Werkes als viertes 
und letztes Thema auftreten sollte. 

Quadrupelkonzert ist ein Werk fiir 4 Soloinstrumen- 
te und Orchester (A.Vivaldi, op. 3 Nr 10, danach J.S. 
Bach, BWV 1065; L.Spohr, op. 131 ; E.Elgar, op. 47; 
J.Francaix, 1935, u. a.). Die Qu.e der 2. Halfte des 18. 
Jh. (von C.Stamitz, Fr.Danzi, G.G.Cambini, I.Pleyel, 
auch W. A. Mozart, K.-V. Anh. 9) sind als ->• Sympho- 
nic concertante bezeichnet. Zu den Qu.en gehoren 
auch das Concerto grosso (um 1777) von J.Schmitt und 
die Concertante (Hob. 1, 105*) von J. Haydn. 

Quadruplum (lat. ; engl. quatreble) heiBt im 4st. Or- 
ganum (organum qu.) und im 4st. Discantus der Mo- 
tette, des Conductus, Hoquetus usw. die vierte und 
oberste Gegenstimme zum Cantus (Tenor). ->■ Duplum 
(bzw. Motetus), ->■ Triplum. 

Quantitat der Silben (in der Antike griech. xP^voi; 
lat. tempora, spatia syllabarum), seit dem 17. Jh. neben 
GroBe der Silben (Opitz), SilbenmaB (Klopstock) u. a. 
gebrauchter Ausdruck, der die unterschiedliche Silben- 
dauer bezeichnet. Auf der Unterscheidung langer und 
kurzer Silben beruhte die altgriechische und klassische 
lateinische Verskunst (quantitierendes, messendes Vers- 
prinzip). Die Qu.s-Verhaltnisse in der antiken Dich- 
tung werden seit hellenistischer Zeit unter drei Ge- 
sichtspunkten behandelt: die Lehre von der -> Proso- 
die (- 1) stellt fest, welche Silben als lang, kurz oder an- 
ceps galten, die Metrik zeigt, welche Qu.en-Folgen den 
einzelnen Versen zugrunde lagen (-»• Metrum - 1), und 
die Rhythmuslehre befaBt sich mit der zeitlichen Re- 
lation der beiden Qu.en beim (musikalischen) Vortrag 
(Lange : Kiirze =2:1, doch gab es Abweichungen von 
dieser Norm; -> Rhythmus). Das allmahliche Schwin- 
den der Qu. und der Wandel vom musikalischen zum 
dynamischen ->■ Akzent (-1) bildeten die Voraus- 
setzung fiir die in der Spatantike (christlicher -*■ Hym- 
nus - 1) beginnende Neuorientierung der Verstechnik 
nach betonten und unbetonten Silben (akzentuieren- 
des, wagendes Versprinzip). Auf diesemjiingeren Prin- 
zip beruht im wesentlichen die mittelalterliche und 
neuzeitliche Dichtung (-> VersmaBe). Der in einigen 
neueren Sprachen wie etwa im Deutschen vorhandene 
Unterschied zwischen langeren und kiirzeren Voka- 
len ist im Verhaltnis zum Akzent von untergeordneter 
Bedeutung. 



Quartsextakkord 



Quart- ... in Zusammensetzung mit Instrumenten- 
namen bezeichnet Instrumente, die eine Quarte tiefer 
(Qu.-Posaune, Qu.-Fagott) oder hoher (Qu.-Geige, 
Qu.-F16te) als die gewohnlichen Instrumente stehen. 

Quarte (lat. quarta, vierte; griech. 8ii Teacriipojv), die 
4. Stufe in diatonischer Folge. Die musikalische Praxis 
kennt die Qu. als rein, vermindert und . 
iibermaBig (-»• Tritonus). Die musika- 
lische Akustik kennt die reine Qu. als 
natiirlich (3:4) und gleichschwebend temperiert ( 5 /i2 
der Oktave). - In der Theorie der antiken Griechischen 
Musik gilt die Qu. (Diatessaron, -*■ Syllabe) neben Dia- 
pason und Diapente als Symphonia (->■ Concordantia, 
-> Konsonanz - 1). Sie wird als nicht zusammenge- 
setzte Einheit gehort und bildet zugleich (als kleinste 
der Symphoniai) den fur die Melodik grundlegenden 
feststehenden Rahmen, der im Durchgang durch 2 je 
nach Tongeschlecht und -art in Lage und GroBe ver- 
schiedene (»bewegliche«) Intervalle ausgefiillt wird 
(->• Tetrachord). Auch in den Tonsystemen des Mittel- 
alters, vor allem in der Lehre von den -> Kirchento- 
nen und in der Theorie des friihen -*■ Organum und 
des -*■ Discantus, kommt der als Concordantia (per- 
fekte Konsonanz) aufgefaBten Qu. grundlegende Be- 
deutung zu. Seit dem 12. Jh., als sich der musikalische 
Satz harmonisch an der tiefsten Stimme zu orientieren 
begann, wurden jedoch nurmehr Oktave und Quinte 
als »vollkommene« Konsonanzen behandelt. Die Qu. 
wurde nun als (wenigstens teilweise) dissonant aufge- 
faBt und als Intervall zwischen der untersten Stimme 
und einer Oberstimme vermieden bzw. »auflosungs«- 
bedtirf tig. Jedoch erscheint sie weiterhin regelmaBig als 
Intervall zwischen 2 Oberstimmen, z. B. im Terz-Sext- 
und im Quint-Oktav-Klang, deren Aufeinanderfol- 
ge vor allem anEinschnitten oder am SchluB gebrauch- 
lich waren. Die im -> Fauxbourdon und -> Faburden 
des 15. Jh. zum Prinzip erhobene Vorrangstellung die- 
ser Klange sowie die neue Disposition des Satzes mit 
dem Tenor als Mittelstimme fiihrten auch in der Mu- 
siktheorie zu einer neuen Bewertung der Qu., die nun 
wieder als konsonant gait, sofern sie durch eine dar- 
unterliegende Quinte oder Terz gestiitzt wird. In der 
Dreiklangsharmonik der spateren Zeit lebt die konso- 
nante Auffassung der Qu. in ihrer Erklarung als Um- 
kehrung der -*■ Quinte fort, die dissonante in den be- 
sonderen Regeln f iir den -> Quartsextakkord. - In der 
Melodik der europaischen Musik gilt die Qu. stets als 
grundlegendes konsonantes Intervall. Seit dem 16. Jh. 
findet sie sich besonders haufig in deutschen Liedern 
am Anfang einer Melodie oder Zeile, in der Regel mit 
Auftaktwirkung. Besondere Bedeutung erlangten im 
16.-18. Jh. BaSmelodien, die stufenweise absteigend 
eine Qu. ausfiillen, als Ostinato oder BaBthema, diato- 
nisch z. B. in J.S.Bachs Goldberg- Variationen (BWV 
988), chromatisch z. B. im Abschiedsgesang der Dido 
in Purcells Dido and Aeneas (-> Lamento; -*■ Passus du- 
riusculus), sehr haufig auch in der Instrumentalmusik, 
so noch in Beethovens 32 Variationen C moll fiir Kl. 
(WoO 80). - Qu.n-Akkorde gehoren zu den wichtig- 
sten Elementen der Harmonik des 20. Jh. Sie sind ge- 
legentlich bereits bei Chopin und Liszt nachzuweisen. 
Systematisch wurden sie zuerst in A. Schonbergs I. 
Kammersymphonie op. 9 (1906) verwendet, im Zu- 
sartimenhang mit dem durch 5 aufeinanderfolgende 
aufsteigende Qu.en fiihrenden Qu.n-Thema. Nach 
Schonberg haben u. a. Skrjabin (-»■ Mystischer Ak- 
kord), Busoni, Strawinsky, Bartok und Hindemith den 
Qu.n-Akkord iibernommen. Schonberg (1911, S. 
446ff.) stellt die Qu.n-Akkorde als Alterationen von 
Terzklangen dar. Einen Schritt weiter geht Webern, 




dem die Qu.-Akkorde Norm 
fiir die Ableitung neuer Klange 
sind (nebenstehendes Beispiel 
aus op. 3 Nr 1, Takt 3) : Durch 
Alteration werden die Quarten- 
Qu.n-Akkord alteriert akkorde zunochniegehortenHar- 
monien, diefrei von jeder tonalen Beziehung sind (1912, 
S. 37). 

Lit.: A. Schonberg, Harmonielehre, Lpz. u. Wien 1911, 
5 1960, engl. NY 1947; A. v. Webern, Schonbergs Musik, 
in: A. Schonberg, Munchen 1912; H. Erpf, Studien zur 
Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 1927. 

Quartenakkorde -> Quarte. 

Quartett (ital. quartetto; frz. quatuor; engl. quartet) 
ist eine Komposition fiir 4 Instrumente oder 4 Sing- 
stimmen, auch ein Ensemble von 4 Instrumental- oder 
Vokalsolisten. Bis ins 19. Jh. wurde in Deutschland 
fiir das instrumentale Qu. die Bezeichnung Quatuor 
bevorzugt; im 17./18. jh. begegnet auch ->■ Quatri- 
cinium. 2 Violinen, Viola una Violoncello bilden das 
->• Streichquartett. Andere Standardbesetzungen sind 
das Klavier-Qu. (Kl., V., Va, Vc.) und das Blaser- 
Qu. (Fl., Ob., Klar., Fag. oder Fl., Klar., Horn und 
Fag.), auBerdem gibt es Qu.e fiir 4 gleiche Instrumente 
(z. B. fiir 4 Horner) und gemischte Qu.e (meist fiir Fl. 
oder Ob., V., Va und Vc). Konzerte fiir 4 Soloinstru- 
mente und Qrchester heiBen ->- Quadrupelkonzerte. 
Im Bereich der Vokalmusik besteht ein gemischtes Qu. 
aus4SangernverschiedenerStimmlagen(S.,A.,T.,B.). 
Zur Literatur fiir (unbegleitetes) Vokal-Qu. konnen 
alle 4st. Madrigale, Kanzonetten usw. zahlen; Vokal- 
Qu.e mit Klavierbegleitung schrieben u. a. J.Haydn 
und Schubert. Manner-Qu.e (2 T. und 2 B.) werden 
oft chorisch ausgefuhrt, ebenso Qu.e fiir Frauenstim- 
men (2 S. und 2 A.). Im 1. Drittel des 20. Jh. waren (so- 
listische) Manner-Qu.e in der Unterhaltungsmusik be- 
liebt; sehr bekannt waren die Comedian Harmonists 
(Griinder Robert Biberti). - In der Oper ist Qu. eine 
Ensembleszene von 4 handelnden Personen beliebiger 
Stimmlage mit Orchesterbegleitung. Ein Solo-Qu. 
(S., A., T., B.) tritt in groBen Vokalwerken fiir Kon- 
zert oder Kirche neben Chor und Orchester (z. B. 
Beethoven, Finale der 9. Symphonie; Missa solemnis). 
Lit. : J. Saam, Zur Gesch. d. Kl.-Qu. bis in d. Romantik, 
= Slg mw. Abh. IX, Lpz. 1933 ; W. Altmann, Hdb. f . Kl.- 
Quartettspieler, Wolfenbiittel 1937. 

Quartgeige -»■ Violino piccolo. 

Quartole (Vierer; ital. quartina; frz. quartolet; engl. 
quadruplet), eine fiir 3 oder 6 Noten eintretende Figur 
von 4 Noten gleicher Form. Vertritt eine Qu. 6 Noten, 
so kann sie als doppelte -> Duole aufgefaBt und mit 
Notenzeichen der nachstgroBeren Gattung geschrie- 
ben werden. 

Quartsextakkord, in der GeneralbaBlehre die mit 4 
gef orderte Quarte und Sexte iiber dem BaBton nach den 
Vorzeichen der Tonart (in C dur also auch f-h-dl), in 
der dur-moll-tonalen Harmonielehre die 2. -> Umkeh- 
rung des Dur- bzw. Mollakkords in folgender Verwen- 
dung (*) : als Teil einer harmonisierten Dreiklangsbre- 
chung (Umkehrungs-Qu. ; Beispiel a), als konsonanter 
Durchgangsakkord (Durchgangs-Qu.) oder als Harmo- 
nisierung einer Wechselnote (Wechsel-Qu.; Beispiel b) 



fl a 


i * 




_. 


b * i 






*fe-a — 












fJ- 

















763 



Quatreble 



Pf 



hk 



m 



du 



und als auffassungsdissonanter Vorhalts- 

akkord (Vorhalts-Qu.) mit doppelter 

Vorhaltsdissonanz (Quarte und Sexte vor 

Terz und Quinte; Beispiel c). In neuerer 

Zeit erscheint der Qu. gelegentlich auch 

als SchluBakkord, z. B. in Strawinskys Histoire 

soldat (GroBer Choral) und Cantata. 

Quatreble (kw'otjebl, engl.; von lat. quadruplum) 
-* Sight. 

Quatricinium ist ein Satz zu 4 Stimmen. Die Be- 
zeichnung Qu., eine nachtragliche und wenig verbrei- 
tete Analogiebildung zu Bicinium und Tricinium, wur- 
de in der Musiklehre des 17. und 18. Jh. (J.Theile; J. 
Mattheson 1739, S. 357) fur Kontrapunktexempla, in 
der gleichzeitigen Stadtpfeiferpraxis fur Blaserstiicke 
(->■ Turmmusik) verwendet. . 

Quaver (kw'e:va, engl.), Achtelnote; semiqu., Sech- 
zehntelnote; demisemiqu., ZweiunddreiBigstelnote; 
hemidemisemiqu. , Vierundsechzigstelnote. 

Quellen. Die wichtigsten Qu. der Musikgeschichte des 
europaischen Mittelalters sind seit dem 9. Jh. (-»■ Gre- 
gorianischer Gesang) bzw. seit dem 12. Jh. (jiingeres 
-*■ Organum) die Musikhandschriften. Ihr Vorrang ge- 
geniiber den erganzenden Zeugnissen iiber altere Mu- 
sizierweisen beruht darauf, daB in der europaischen 
Musik (und nur in ihr) seither die einstimmige und 
mehrstimmige Musik als ->• Komposition untrennbar 
verbunden ist mit ihrer Darstellung in Notenschrift. 
Aus der Zeit vor 1500 ist jedoch kein Autograph nach- 
gewiesen. Die erhaltenen Musikhandschriften sind 
wohl ausnahmslos Ergebnis einer Sammeltatigkeit ; die 
Qu. und die in ihnen iiberlieferten Werke sind nach 
Entstehungszeit und -ort oft weit voneinander entfernt. 
In der Regel miissen mindestens 2 Niederschrif ten vor- 
ausgegangen sein: diejenige des Komponisten sowie die 
fur Ausfuhrung und Weitergabe bestimmte Aufzeich- 
nung auf einem einzelnen Blatt oder in einem ->■ Rotu- 
lus oder Heft. Da der Text eines Stiicks bei der Zusam- 
menstellung einer Sammelhandschrift Veranderungen 
erfahren konnte, ist es zuweilen schwierig, nachtragli- 
che Eingriffe und die Arbeit des Komponisten gegen- 
einander abzugrenzen (ein Beispiel bieten die beiden 
Fassungen von Binchois' 3st. Chanson Jamais tant, die 
vermutlich altere in PR im Tempus imperfectum cum 
prolatione maiori, die vermutlich jiingere in O im 
Tempus perfectum cum prolatione minori). Mit Riick- 
sicht auf solche Falle ist die musikwissenschaf tliche Edi- 
tionspraxis dazu iibergegangen, neben den Ausgaben 
von Werken eines bestimmten Komponisten auch 
Sammelhandschriften als selbstandige Qu. geschlossen 
herauszugeben (z. B. Mo, Ba, Hu, Sq, TuB, Apt, Apel- 
Kodex). 

Nachfolgend ist eine Auswahl der handschriftlichen 
Qu. der mehrstimmigen Musik des Mittelalters bis um 
1500 verzeichnet. Weitere Qu. zur mehrstimmigen 
Musik: -*■ Cancionero, -*■ Chansonnier, ->■ Chorbuch, 
-*■ Liederbiicher, -*■ Rotulus; zur Instrumentalmusik: 
->• Lautentabulatur, -> Orgeltabulatur; zur einstimmi- 
gen nichtliturgischen Musik: -> Cantigas, -*■ Carmina 
Burana, -»• Chansonnier, -> Lauda, -> Liederbiicher, 
->• Meistersang, ->■ Minnesang; zur einstimmigen litur- 
gischen Musik: ->■ Byzantinischer Gesang (Ausg.), 
-*■ Gregorianischer Gesang (Ausg. u. Lit.), -> Tonar. - 
Die Auswahl ist nach Sigeki alphabetisch geordnet. Die 
Beschreibungen nennen Signatur, Material, Format, 
Umfang und Foliierung, Entstehungszeit und -ort des 
Manuskripts und seines Repertoires; die Autoren, de- 
nen diese sowie ebenfalls zitierte abweichende Anga- 
ben entnommen sind, werden genannt. Auf eine kurze 



Charakterisierung der Handschrift folgt die Angabe 
von Inhalt, Ausgaben und Literatur, letztere mit Be- 
vorzugung von Inhaltsverzeichnissen und neuerer 
Spezialliteratur. 

Zusa' tzliche Abkurzungen in diesem Artikel : StB = Staats- 
bibliothek, StUB = Staats- und Universitatsbibliothek, 
UB = Universitatsbibliothek. In den Literaturangaben 
werden folgende Kurzbezeichnungen benutzt: 
BesselerBuF = H. Besseler, Bourdon u. Fauxbourdon, 
Lpz. 1950; BESSELERSt = ders., Studien zur Musik d. MA 
I u. II, AfMw VII, 1925 - VIII, 1926 ; vFiscHERSt = K. v. 
Fischer, Studien zur ital. Musik d. Trecento u. friihen 
Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen Musik- 
forschenden Ges. II, 5, Bern (1956); vFiscHERTr = ders., 
Trecentomusik - Trecentoprobleme, AMI XXX, 1958; 
LudwigQu = Fr. Ludwig, Die Qu. d. Motetten altesten 
Stils, AfMw V, 1 923 ; LudwigR = ders., Repertorium or- 
ganorum recentioris et motetorum vetustissimi stili, I, 1, 
Halle 1910, Nachdruck hrsg. v. L. A. Dittmer, NY u. Hil- 
desheim 1964, 1, 2 hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa musicae 
medii aevi VII, Langen 1961 ; ReaneyM = G. Reaney, 
Mss. of Polyphonic Music, 1 l th -Early 14 th Cent., = RISM 
B IV 1 , Munchen u. Duisburg 1966. 

Ao, Aosta, Bibl. del Seminario maggiore (ohne Signa- 
tur); Papier, 272:202; 281 f. (neu) = 25 Fasz., 3 Teile 
spater zusammengebunden u. durch 4. Teil erganzt; 
nicht vor 1440, Norditalien: kaiserliche Kapelle (Besse- 
ler); Repertoire: 1400^10 mit Schwerpunkt 1420-30; 
Hauptquelle d. mehrst. geistlichen Musik dieser Zeit; 
ca. 200 Stiicke: 1. Teil (Fasz. 2-4), begonnene Slg v. 
MeBsatzen, 2. Teil (Fasz. 5-13), vollstandige Slg v. 
MeBsatzen, 3. Teil (Fasz. 14-21 u. 1), verschiedene 
Gattungen planlos, 4. Teil (Fasz. 22-25), Motetten 
(meist f. aktuellen politischen AnlaB); u. a. 129 Ordi- 
nariumssatze (auch Satzpaare), 18 Motetten, Antipho- 
nen, Introitus, Hymnen, Magnificat. 
Lit. : G. de Van, A Recently Discovered Source of Early 
15 th -Cent. Music, MD II, 1948 (mit Verz. u. Faks.) ; Besse- 
lerBuF. 

Apel-Kod. (Feldmann; Birtner: L), Mensuralcod. d. 
Magisters N. Apel, Lpz., UB, Ms. 1494 (seit 1945 nur 
als Fotokopie); Papier, 315(305): 210; 260 f. (arabisch 
= neu) = 22 Fasz.; zwischen 1492-1504, Lpz.; erster 
Besitzer: N. Apel; Repertoire: ca. 1475-1500; wichtige 
Quelle d. deutschen, besonders geistlichen Musik; ca. 
188 Nrn (korrekturbedurftig), meist 3-5st.; Fasz. 1-4; 
47 Hymnen; im iibrigen ungeordnet: Messen, Magni- 
ficat, Sequenzen, Introitus, Hymnen, geistliche u. welt- 
liche Lieder (lat., selten deutsch, oft untextiert), u. a. v. 
Adam v. Fulda, Aulen, H.Finck, H.Isaac. 
Ausg. : Der Mensuralkod. d. N. Apel I— II, hrsg. v. R. Ger- 
ber, = EDM XXXII-XXXIII, Abt. MA IV-V, Kassel 
1956-60. 

Lit.: H. Riemann, Der Mensural-Cod. d. Magister N. 
Apel, KmJb XII, 1 897 (mit Verz.); ders., Hdb.d.Mg. II, 1, 
Lpz. 1907, 21920; W. Niemann, Studien zur deutschen Mg. 
d. XV. Jh., KmJb XVII, 1902 ; R. Gerber, Die Hymnen d. 
Apelschen Kod., Fs. A. Schering, Bin 1937. 

Apt, Apt (Provence), Basilique St. Anne, Cod. 16bis; 
Pergament u. Papier, 270(-290) : 193(-210) ; 45 f . (neu) 
= 6 Fasz.; 1. Viertel 15. Jh. (Besseler), um 1400-17 
(Stablein-Harder), Avignon; Repertoire: Ende 14. Jh. 
bis ca. 1420; Hauptquelle d. mehrst. geistlichen Musik 
d. 14. Jh.; ca. 50 Stucke: u. a. 10 3st. Hymnen u. 34 
meist 3st. Ordinariumssatze. 

Ausg. : A. Gastoue, Le ms. de musique du tresor d'Apt, 
= Publications de la Soc. fr?. de musicologie I, 10, Paris 
1936, dazu G. de Van in : AMI XII, 1 940 ; Fourteenth-Cent. 
Mass Music in France, hrsg. v. H. Stablein-Harder, 
= CMM XXIX, (Rom) 1962, dazu dies., Critical Text, 
= MSD VII, (Rom) 1962. 

Lit.: BESSELERSt I (mit Verz.); A. Elling, Die Messen, 
Hymnen u. Motetten d. Hs. Apt, Diss. Gottingen 1924, 
maschr. ; Fr. Ludwig, Die mehrst. Messe d. 14. Jh., AfMw 
VII, 1925. 



764 



Quellen: Calixtinus 



As, Assisi, Bibl. Comunale, Ms. 695; Pergament, 
212:151; 242 f. (arabisch= neu),r6misch (= alt) ab £. 56, 
beginnend mit I, mit Liicken (unvollstandiger Bd) ; um 
1280, Paris oder Reims; 6 mehrst. Stiicke: 2 2st. Tro- 
pen (f. 2 u. 52'), 1 3st. Kyrietropus (f. 15), 3 2st. Ma- 
riensequenzen (f. Ill = LVI, f. 236 = CLXXXIX, 
f. 238' = IICC). 

Lit. : A. Seay, Le ms. 695 de la Bibl. Comunale d' Assise, 
Rev. de Musicol. XXXIX, 1957 (mit Verz.); ReaneyM 
(mit Verz.). 

B-*Ba. 

B-+ Berlin 40021. 

Ba (Aubry: B), Bamberg, StB, Ms. lit. 115 (olim Ed. 

IV. 6) ; Pergament, 263 : 186 ; 80 f . ; um 1300 Nordfrank- 

reich; Repertoire: 2. Drittel 13. Jh. ; bedeutendste Mo- 

tetten-Hs. d. Ars antiqua neben Mo; I. Teil (f . 1-64'): 108 

Stiicke: 100 Motetten, davon 99 3st. u. 1 4st. (44 lat., 

47 frz., 9 gemischt), in alphabetischer Ordnung nach 

Incipits d. Motetustexte, Anhang: 1 Conductus u. 7 

textlose Hoqueti; II. Teil (£. 65-80'): Traktat Practka 

artis musice v. ->- Amerus u. 2 2st. lat. Motetten. 

Ausg. : P. Aubry, Cent motets du XIII e s 3 Bde, Paris 

1908 (Faks., Ubertragung u. Kommentar). 

Lit. : LudwigQu; BesselerSI II ; J. Handschin, Erforden- 

sia I, AMI VI, 1934; ReaneyM. 

Berlin 40021 (Feldmann; Birtner: B), Bin, StB, Mus. 
ms. 40021 (olim Z 21) ; Papier, ca. 300 : 200 ; 265 f . ; um 
1500, Halberstadt; Repertoire: ca. 1475-1500; Haupt- 
quelle d. deutschen, besonders geistlichen Musik; ca. 
159 Nrn (korrekturbediirftig), meist 4st., haufig 3st., 
selten 5st.: u. a. ca. 13 Messen, 11 Magnificat, Motet- 
ten, Hymnen, geistliche u. weltliche Lieder (lat., selten 
deutsch), u. a. v. Adam v. Fulda, A.Agricola, Aulen, 
H. Finck, Hofhaymer, Isaac. 

Lit. : R. Eitner, Cod. Mus. Ms. Z 21 d. Kgl. Bibl. zu Bin, 
Mf M XXI, 1 889 (mit Verz.) ; W. Ehmann, Adam v. Fulda, 
= Neue deutsehe Forschungen XCIV, Abt. Mw. II, Bin 
1936; R. Gerber, Die Sebaldus-Kompositionen d. Berli- 
ner Hs. 40021, Mf II, 1949. 

Bes, Besancon, Bibl. Municipale, Ms. 1.716; erhalten nur 
d. Inhaltsverz. ; Repertoire: 13. Jh.; 57 Stiicke: (nach d. 
iiberlieferten Anfangen vermutlich) 53 Doppel- u. 4 
Tripelmotetten (ca. 23 lat. u. 34 frz. Texte). 
Lit. : LudwigQu ; BesselerSI II ; Y. Rokseth, Polyphonies 
du XIII* s., Bd IV, Paris 1939. 

BL, Bologna, Civico Museo bibliogr. mus. (olim Li- 
ceo mus.), ms. Q 15 (olim 37); Papier u. Pergament, 
280:200; 312 f. (kombiniert rbmisch = alt, arabisch = 
neu) + Einschiibe f. I-XX u. f. AI-AXIH = 29 Fasz.; 
vor 1440, Oberitalien; Repertoire: ca. 1400-35; Haupt- 
quelle d. Dufay-Zeit; ca. 325 Stiicke: 143 3-4st. Or- 
dinariumssatze (Satzpaare u. vollstandige Zyklen), 
2-5st. Motetten, 3st. Hymnen, Magnificat, Rondeaus, 
Balladen. 

Ausg. : S. Clercx-Lejeune, J. Ciconia, = Acad. Royale de 
Belgique, Classe des beaux-arts, Memoires II, 10, la-b, 
Brussel 1960 (Faks. u. Ubertragung) ; G. Dufay, GA, hrsg. 
v. G. de Van u. H. Besseler, = CMM I, (Rom) 1947ff. 
Lit.: G. de Van, Inventory of Ms. BL, MD II, 1948. - 
BESSELERSt I ; BesselerBuF. 
Br -y Brux 5557. 

Breslau 2016, Breslau, Univ., Mus. Inst., Mf. 2016 (seit 
1945 verschollen); Papier, 330:230; 157 f. (neu) = 13 
Lagen; um 1500, sicher vor 1510, Grenzgebiet Boh- 
men-Schlesien; Repertoire: ca. 1475-1500; wichtige 
Quelle d. deutschen, besonders geistlichen Musik; ca. 
95 Nrn, meist 3- u. 4st., selten 2- oder 5st. : 6 Messen, 
u. a. v. Aulen, Weerbeke, Isaac, ca. 60 Motetten, Hym- 
nen, Magnificat, 12 textlose Stiicke, 4 weltliche Stiicke. 
Lit.: Fr. Feldmann, Zwei weltliche Stiicke d. Breslauer 
Cod. Mf. 2016, ZfMw XIII, 1930/31 ; ders., Der Cod. Mf. 



2016 . . . , 2 Bde, = Schriften d. Mus. Inst, bei d. Univ. Bres- 
lau II, 1-2, Breslau 1932 (Verz. u. Kommentar, Ubertra- 
gung v. 26 Stiicken); ders., Musik u. Musikpflege im ma. 
Schlesien, = Darstellungen u. Qu. zur schlesischen Gesch. 
XXXVII, Breslau 1938; ders., Alte u. neue Probleme um 
Cod. 2016 d. Mus. Inst, bei d. Univ. Breslau, Fs. M. Schnei- 
der, Lpz. (1955). 

Brux 5557 (Kenney: BR 5557), Brussel, Bibl. Royale, 
ms. 5557; Papierchorbuch, 370:276; 136 f. = 12 La- 
gen; 2. Halfte 15. Jh., Hofkapelle v. Burgund; Reper- 
toire : geistliche Musik zwischen 1450-75 ; Hauptquelle 
f. Busnois u. Frye; 21 Nrn: 11 Messen, 7 Motetten, 2 
Magnificat, 1 Hymne; meist 3- u. 4st., selten 2st., u. a. 
v. Busnois (7 Motetten), Cockx, Dufay, Frye (3 Mes- 
sen), Heyns, Ockeghem, Regis. 

Ausg. : W. Frye, GA, hrsg. v. S. W. Kenney, = CMM XIX, 
(Rom) 1960. 

Lit. : Ch. Van den Borren in : AMI V, 1933 ; ders., Etudes 
sur le XV e s. mus., Antwerpen 1941 ; S. W. Kenney, Ori- 
gins and Chronology of the Brussels Ms. 5557 . . ., RBM 
VI, 1952; E. H. Sparks, The Motets of A. Busnois, JAMS 
VI, 1953. 

BU, Bologna, Bibl. Universitaria, 2216; Chorbuch, 
Papier, 400:290; 57 f. (alte Zahlung: S. 1-114); nach 
1423, kirchliche Gebrauchs-Hs., vermutlich Brescia; 
Repertoire: Anfang 15. Jh.; Hauptquelle d. Dufay- 
Zeit neben BL; 92 Stiicke, davon 21 2st. u. 66 3-4st. in 
IV Teilen nach urspriinglichem Plan : I (f . 1-16), Kyrie - 
Gloria, II (f. 17-32), Credo - Sanctus - Agnus Dei, III 
(f. 33-48), Motetten, IV (f. 49-57), weltliche Stucke, 
durchweg zahlreiche Nachtrage. 
Lit. : H. Besseler, The Ms. Bologna Bibl. Univ. 2216, MD 
VI, 1952. 

Bux, Buxheimer Orgelbuch, Munchen, StB, Cim 352b 
(olim Ms. mus. 3725); Papier, 310:215; 167 f . = 9 Fasz. 
(vermutlich spater zusammengebunden); 1460-70, siid- 
deutscher Raum (Besseler), Munchen (Wallner); Re- 
pertoire: 15. Jh. (alt u. jung gemischt); groBte Hs. mit 
Musik d. 15. Jh. f. Tasteninstr. ; 256 Nrn = ca. 250 
Stucke: 109 deutsehe Liedbearb., ca. 55 frz., 7 ital., 51 
lat. Stucke, 27 freie Instrumentalstucke, alle zumeist 
3st., ofter 2st., selten 4st. ; ferner 4 Fundamenta. 
Ausg.: Das Buxheimer Orgelbuch, hrsg. v. B. A. Wall- 
ner, = DM1 II, 1, 1955 (Faks.); Das Buxheimer Orgelbuch, 
hrsg. v. ders. (u. R. Blume), = EDM XXXVII-XXXIX, 
Abt. MA VII-IX, Kassel 1958-59, dazu M. Schulerin: Mf 
XVI, 1963. 

Lit. : H. Schnoor, Das Buxheimer Orgelbuch, Diss. Lpz. 
1919, maschr., Auszugin: ZfMw IV, 1921/22; L. Schra- 
de, Die hs. Uberlieferung d. altesten Instrumentalmusik, 
Lahr 1931 ; W. Schrammek, Das deutsehe Lied in d. deut- 
schen Orgeltabulaturen d. 15. Jh. ..., Diss. Jena 1956, 
maschr.; ders., Zur Numerierung im Buxheimer Orgel- 
buch, Mf IX, 1956; E. Southern, An Index to Das Bux- 
heimer Orgelbuch, Notes II, 19, 1961/62; dies., The Bux- 
heim Organ Book, = Musicological Studies VI, Brooklyn/ 
N. Y. (1963); dies., Basse-Dance Music in Some German 
Mss. . . ., in: Aspects of Medieval and Renaissance Mu- 
sic, Fs. G. Reese, NY (1966) ; H. R. Zobeley, Die Musik d. 
Buxheimer Orgelbuches, = Miinchner Veroff. zur Mg. X, 
Tutzing 1964. 

Cadu.Call, Cambrai, Bibl. Municipale, Ms. 6 u. 11 ; 
Chorbucher, Pergament, 510:335 u. 490:350; 38 f. u. 
51 f.; um 1435, Cambrai; Repertoire: um 1430-35; 
wichtige Quelle d. Dufay-Zeit; Ca 6: 22 Stucke, da- 
von 6 1st., 13 3-4st. Ordinariumssatze (auch Gloria- 
Credo-Paare), 3 3st. Hymnen; Ca 11: 26 Stucke, da- 
von 7 1st., 19 3-4st. Ordinariumssatze (in Gruppen v. 5 
Kyrie, 7 Gloria u. 7 Credo). Zahlreiche gemeinsame 
Stucke. 

Lit. : BESSELERSt I; BesselerBuF. 

Calixtinus-Kod. (Reaney: Compostela), Santiago de 
Compostela, Arch, de la Catedral, Liber Sancti Jacobi; 
Sammel-Hs., Pergament, 295:210; 196 f. + 29 Blatter 



765 



Qudlen:Cf>473 



(= Chronik Pseudo-Turpins) ohne Zahlung zwischen 
f. 162 u. 162'; urn 1140 (Ludwig, Handschin, P.Wag- 
ner, Angles), nach 1173 (Reaney), Frankreich (P.Wag- 
ner, Stablein), Flandern (Angles); Repertoire: 12. Jh.; 
mus. Teil : Liber I (£. 1-65) : l-2st. Stiicke zur Jacobus- 
Li turgie; Anhang (f. 185-196'): 20 mehrst. u. einige 
1st. Stucke. 

Ausg. : Die GesSnge d. Jakobusliturgie . . . , hrsg. u. kom- 
mentiert v. P. Wagner, Freiburg i. d. Schweiz 1931 ; Liber 
Beati (Sancti) Jacobi, Cod. Calixtinus, 3 Bde, hrsg. v. W. 
M. Whitehill, G. Prado OSB u. J. Carro GarcIa, San- 
tiago de Compostela 1944 (Text, Faks., Ubertragung u. 
Kommentar). 

Lit. : Fr. Ludwig, Studien fiber d. Gesch. d. mehrst. Musik 
im MA II : Ein mehrst. StJakobs-Offiziumd. 12.Jh.,KmJb 
XIX, 1 905 ; A. Hamel, Uberlief erung u. Bedeutung d. Liber 
Sancti Jacobi u. d. Pseudo-Turpin, in: Sb. Miinchen 1950, 
H. 2; H. Angles, Die Mehrstimmigkeit d. Calixtinus . . ., 
Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 (dort weitere Lit.) ; Br. Stablein, 
Modale Rhythmen im St-Martial-Repertoire ?, Fs. Fr. Blu- 
me, Kassel 1963 ; J. Schubert, Zum Organum d. Cod. Ca- 
lixtinus, Mf XVIII, 1965, vgl. dazu: Mf XIX, 1966, S. 

180ff.;REANEYM. 

Cb 473 -»■ WiTr. 

Ch, Chantilly, Musee Conde, Ms. 564 (olim 1047); 

Pergament, 387:286; 77 f. (ursprunglich 72 f., wovon 

12 f. verlorengingen, Zusatze im 15. Jh.); ital. Kopie, 
Anfang d. 15. Jh., vermutlich Florenz, nach frz. Vor- 
lage um 1390-1400, vermutlich Foix oder Aragon (Rea- 
ney) ; Repertoire: fast nur weltliche Musik v. 2. Drittel 
d. 14. Jh. - ca. 1420 (Nachtrag: Cordier); wichtige 
Quelle d. frz. Musik d. 2. Halfte d. 14. Jh.; 113 Stucke 
(1 doppelt), meist 3- u. 4st., frz. u. lat. : 70 Balladen, 14 
Rondeaus, 3 Rondeaurefrains, 12 Virelais, 1 Chanson, 

13 isorhythmische Motetten. 

Ausg.: French Secular Music of the Late 14 th Cent., hrsg. 
v. W. Apel, = The Mediaeval Acad, of America Publica- 
tion LV, Cambridge (Mass.) 1950; Zehn datierbare Kom- 
positionen d. Ars nova, hrsg. v. U. Gunther, = Schriften- 
reihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg II, Hbg 1959; The Motets 
of the Mss. Chantilly . . . and Modena . . ., hrsg. v. ders., 
= CMM XXXIX, (Rom) 1965. 

Lit. : G. Reaney, The Ms. Chantilly, Musee Conde 1047, 
MD VIII, 1954 (mit Verz.); S. Clercx-Lejeune in: RBM 
X, 1956; dies, in: L'Ars nova, = Les Colloques de Wegi- 
mont II, 1955, Paris 1959, S. 75-81; U. Gunther, Der mus. 
Stilwandel d. frz. Liedkunst in d. 2. Halfte d. 14. Jh., Diss. 
Hbg 1957, maschr.; dies., Die Anwendung d. Diminution 
in d. Hs. Chantilly 1047, AfMw XVII, 1960; dies., Der Ge- 
brauch d. tempus perfectum diminutum in d. Hs. Chantilly 
1047, ebenda; dies., Das Ende d. ars nova, Mf XVI, 1963. 
Chi, Chigi-Kod., Rom, Bibl. Vaticana, Chigiano C. 
VIII.234; Chorbuch, Pergament, 370:278; 289 f. (ara- 
bisch= neu);Endel5.Jh. (Besseler), 1498-1503, Nach- 
trage nach 1514 in Spanien (Kellmann), Flandern; 
erster Besitzer: Van der Hoyen (Besseler), Philipp der 
Schone (Kellmann); Repertoire: geistliche Musik d. 
Niederlander; Hauptquelle f. Ockeghem; 41 Nrn: 
u. a. 13 Messen (3 unvollstandig) u. 2 Motetten v. 
Ockeghem, weitere 7 Messen u. 18 Motetten v. seinen 
Zeitgenossen. 

Ausg. : J. Ockeghem, GA I-II, hrsg. v. Dr. Plamenac, Lpz. 
1927 u. NY 1947. 

Lit. : H. Kellmann, The Origin of the Chigi Cod. . . . , 
JAMS XI, 1 958 (mit Verz.). - Dr. Plamenac, J. Ockeghem 
als Motetten- u. Chansonkomponist, Diss. Wien 1925, 
maschr.; H. Besseler, Von Dufay bis Josquin, ZfMw XI, 
1928/29; W. Stephan, Die burgundisch-nld. Motette zur 
Zeit Ockeghems, = Heidelberger Studien zur Mw. VI, 
Kassel 1937. 

CI (Rosenthal: CL), Ms. de La Clayette, Paris, Bibl. 
Nat., n. a. frc. 13521; Pergament, 262:184; mus. Teil: 
£. 369-390' (neu) = f . 729-772' (alt) = 1 Fasz. ; 2. Halfte 
13. Jh., He de France; Repertoire: ca. 1225-50; wichti- 
ge Motetten-Hs. d. Ars antiqua; 55 Motetten, da von 7 



lat. (6 3st., 1 4st.), 35 frz. (26 3st., 7 4st., 2 2st.) u. 13 ge- 
mischt (8 3st., 5 4st.). 

Ausg. : Ein altfrz. Motettenkod., Faks. d. Hs. La Clayette, 
hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa musicae medii aevi VI, 
Darmstadt 1958; Paris 13521 . . ., hrsg. v. L. A. Dittmer, 
= Publications of Mediaeval Mus. Mss. IV, Brooklyn/ 
N. Y. (1959; Faks. u. Ubertragung). 
Lit. : A. Rosenthal, Le Ms. de la Clayette retrouve, Ann. 
Mus. I, 1953 (mit Verz.); S. Solente, Le grand recueil La 
Clayette a la BN, Scriptorium VII, 1953 ; L. Schrade, Un- 
known Motets in a Recovered B^-Cent. Ms., Speculum 
XXX, 1955; M. F. Bukofzer, The Unidentified Tenors in 
the Ms. La Clayette, Ann. Mus. IV, 1956 ; ReaneyM. 
Compostela ->• Calixtinus-Kodex. 
CS 14 u. CS 15, Rom, Bibl. Vaticana, Cappella Sistina 
14 u. 15; Chorbucher, Papier, beide 550:420; CS 14: 
1 69f . ; nach 1481 , altestes Chorbuch d. Cappella Sist. ; Re- 
pertoire: 2. u. 3. Viertel d. 15. Jh,; wichtige Messen-Hs.; 
Messen (»L'homme arme«) u. MeBteile, u. a. v. Dufay, 
Busnois, Regis, Caron, Ockeghem, Eloy ; CS 15: 265 f . ; 
um 1500, wahrscheinlich unter Papst Julius II.; Reper- 
toire: 2. u. 3. Drittel d. 15. Jh.; groBte u. reichhaltigste 
Hymnen-Slg d. Zeit; 28 Hymnen (f. 1-70), 13 Magni- 
ficat, 41 Motetten, u. a. v. Dufay, de Orto, Josquin, 
Compere, Gaspar. 

Lit. : Fr. X. Haberl, W. du Fay, = Bausteine f . Mg. I, 
Lpz. 1885, S. 72ff.; R. Gerber, Romische Hymnenzyklen 
d. spaten 15. Jh., AfMw XII, 1955. 

Da, Darmstadt, Hessische Landes- u. Hochschulbibl., 
Hs. 3471 (Teile friiher auch unter d. Signatur 3317 u. 
3472); Pergament, 205:150; insgesamt 13 f. = Frag- 
mente einer Motetten-Hs. ; vermutlich Anfang d. 14. 
Jh., Nordfrankreich, Nachtrage im Dominikanerklo- 
ster Wimpfen/Neckar, um 1470 zerschnitten u. als 
Einbindematerial verwendet; Repertoire: 13. Jh. ; Reste 
einer bedeutenden Quelle geistlicher Musik d. Ars an- 
tiqua; 23 Stucke: 5 3st. Doppelmotetten, Fragmente v. 
10 3st. Doppelmotetten, 5 3st. Conductus, je ein 2st. 
Organum, 2st. u. 1st. Conductus. 
Ausg. : Die Wimpfener Fragmente . . . , hrsg. v. Fr. Genn- 
rich, = Summa musicae medii aevi V, Darmstadt 1958 
(Faks. u. Rekonstruktion). 

Lit.: LudwigQu; Fr. Gennrich, Bibliogr. d. altesten frz. 
u. lat. Motetten, = Summa musicae medii aevi II, Darm- 
stadt 1957. 

Di(Dij), Dijon, Bibl. de la Ville, ms. 517, -> Chanson- 
nier. 

Egerton 3307 (Bukofzer: LoM), London, Brit. Mus., 
Egerton 3307; Pergament, 292:222; 88 f. = 12 Lagen 
(unvollstandiger Bd); vor 1450, St. George's Chapel, 
Windsor (Schofield, Mc Peek), Abbey of Meaux, York- 
shire (Bukofzer); Repertoire: ca. 1425-40; wichtige 
Quelle d. engl. Musik in d. 1. Halfte d. 15. Jh.; 53 
l-3st. Stucke: u. a. 1 Messe, 2 Passionen, Carols. 
Ausg. : Gw. S. Me Peek, The Brit. Mus. Ms. Egerton 3307, 
London 1963 (mit Verz. u. Kommentar), dazu Fr. LI. Har- 
rison in: ML XLV, 1964; J. Stevens, Mediaeval Carols, 
= Mus. Brit. IV, London 1952. 

Lit.: B. Schofield, A Newly Discovered ^'"-Cent. Ms. 
. . ., MQ XXXII, 1946; M. F. Bukofzer, A Newly Dis- 
covered lSU'-Cent. Ms. ..., MQ XXXIII, 1947; ders., 
Studies in Medieval and Renaissance Music, NY (1950); 
Gw. S. Mc Peek, Dating the Windsor Ms., JAMS III, 1 950; 
R. L. Green, Two Medieval Mus. Mss. ..., JAMS VII, 
1954. 

Em (MtiEtn), Miinchen, StB, Cod. lat. 14274 (zeitweise 
auch Mus. Ms. 3232a); Papier, ca. 290:210; 158 f. (f. 
37-38 fehlen) = 13 Fasz.; Sammel-Hs. aus d. 2. Drittel d. 
15. Jh.; Repertoire: letztes Viertel d. 14. Jh. bis 1430/40; 
periphere Quelle d. franko-flamischen u. friihen deut- 
schen Mehrstimmigkeit; 277 Nrn, meist 2-4st. geist- 
lich u. weltlich, u. a. v. Dufay, Binchois, Dunstable. 
Lit. : K. Dezes, Der Mensuralkod. d. Benediktinerklosters 



766 



Quellen: Hu 



Sancti Emmerami ..., ZfMw X, 1927/28 (mit Verz.); 
BESSELBRSt. I ; BesselerBuF. 

EscA, El Escorial, Bibl., ms. V. III. 24, -*■ Chansonnier. 
EscB, El Escorial, Bibl., ms. IV. a. 24, -> Chansonnier. 
F-*-FP. 

F, Florenz, Bibl. Mediceo-Laurenziana, plut. 29,1; 
Pergament, 232: 157; 440 f. = f. 1-355 (romisch = alt) 
mit Lucken 4- f. 356-476 (arabisch = neu; unvollstan- 
diger Bd) = 11 Fasz. (27 Lagen); Ende 13. Jh., Frank- 
reich; Repertoire: 2. Halite 12. Jh. - 1. Halfte 13. Jh. ; 
reichhaltigsteHs. d. Notre-Dame-Schule, Sammel-Hs.; 
1043 Stticke: u. a. Fasz. 1: 4st. Organa u. Conductus, 
3st. Klauseln, Fasz. 2: 3st. Organa, Fasz. 3-4: Magnus 
liber (zweitalteste u. umfangreichste Fassung), Fasz. 5 : 
Ersatzklauseln, Fasz. 6: 3st. Conductus, 4- u. 3st. Mo- 
tetten, Fasz. 7: 2st. Conductus, Fasz. 8: 3st. Motetten, 
Fasz. 9: 2st. Motetten, 3st. Doppelmotetten, Fasz. 10- 
11 : 1st. Conductus u. Rondelli. 

Ausg.: Faks. I, hrsg. v. L. A. Dittmer, = Publications of 
Mediaeval Mus. Mss. X, 1, Brooklyn/N. Y. (1966); Die 3- 
u. 4st. Notre-Dame-Organa, hrsg. v. H. Husmann, = PaM 
XI, Lpz. 1940. 

Lit. : LudwigR I, 1 (mit Verz.) ; J. E. Knapp, The Poly- 
phonic »conductus« in the Notre-Dame Epoch : A Study of 
the 6 th and 7 th Fasc. of the Ms. F, 4 Bde (mit Ubertragun- 
gen), Diss. Yale Univ. (Conn.) 1961; R. Steiner, Some 
Monophonic Songs of the 10 1 " Fasc. of the Ms. F, Diss. 
Catholic Univ. of America (Washington/D. C.) 1963, 
maschr. ; ReaneyM. 

Fa, Cod. Bonadies, Faenza, Bibl. Comunale, ms. 117 
(olim F. 1. 39-n. 1024); Pergament; 1. Schicht (f. 2-5, 
35-37, 47-92') urn 1420; 2. Schicht (insgesamt 39 f.) v. 
Bonadies 1473-74; Repertoire: 1. Schicht Ende 14. Jh. 
u. Anfang 15. Jh.; 2. Schicht um 1470, ausgenommen 
Musiktraktate; 1. Schicht Hauptquelle d. frtihen Mu- 
sik f . Tasteninstr. (Orgelmessen) ; Bearb. v. Vokalwer- 
ken v. Bartolino, Jacopo, Landini, Machaut, Zacaro da 
Teramo u. a.; 2. Schicht wichtige Quelle f. Ciconia u. 
seine Zeitgenossen. 

Ausg.: An Early ^'"-Cent. Ital. Source of Keyboard Mu- 
sic, The Cod. Faenza . . ., hrsg. v. A. Carapetyan, MD 
XIII, 1959 - XV, 1961, separat = MSD X, (Rom) 1961 
(Faks.). 

Lit.: Ch. Van den Borren, Le Cod. de J. Bonadies . . ., 
Rev. beige d'archeologie et d'hist. de 1'art X, 1940; Dr. 
Plamenac, Keyboard Music of the 14 th Cent, in Cod. Fa, 
JAMS IV, 1951 ; ders., New Light on the Cod. Fa, Kgr.- 
Ber. Utrecht 1952; ders., Artikel Faenza, Cod. 117, in: 
MGG III, 1954; ders., A Note on the Rearrangement of 
Fa, JAMS XVII, 1964; N. Pirrotta, Note su un cod. di 
antiche musiche per tastiera, RMI LVI, 1954; W. Young, 
Keyboard Music to 1600,1, MDXVI, 1962. 
Fauv (Langfors: E), Roman de Fauvel-Hs. mit mus. 
Einlagen, Paris, Bibl. Nat., ms. frc. 146 (olim 6812); 
Pergament, 462:330; f. A +B (alter Index) + 45 £. (ro- 
misch = alt; Roman), Einschub: f. 28bis-28ter + 43 f. 
(mus. Einlagen); um 1316; Repertoire: 12. Jh. - um 
1300; wichtige Quelle d. Ars nova; 96 1st. (davon 52 
geistliche) u. 34 mehrst. Stiicke; insgesamt 106 lat., 21 
frz., 3 gemischte Kompositionen, zusammengestellt 
nach Erfordernissen d. Dichtung; u. a. friiheste iso- 
rhythmische Motetten v. Ph. de Vitry. 
Ausg. : Le Roman de Fauvel, Faks., hrsg. v. P. Aubry, Pa- 
ris 1907 ; The Roman de Fauvel, in : Polyphonic Music of 
the 14 th Cent. I, hrsg. v. L. Schrade, Monaco 1956 (mit 
Kommentar). 

Lit. : A. LAngfors, Le Roman de Fauvel par G. du Bus, 
Paris 1914-19; BESSELERSt II; Ph. A. Becker, Fauvel u. 
Fauvelliana, Sb. Lpz. LXXXVIII, 2, 1936; H. Spanke, Zu 
d. mus. Einlagen im Fauvelroman, Neuphilologische Mitt. 
XXXVII, 1939; L. Schrade, Ph. de Vitry: Some New Dis- 
coveries, MQ XLII, 1 956; Gr. A. Harrison Jr., The Mono- 
phonic Music in the Roman de Fauvel, Diss. Stanford 
Univ. (Calif.) 1963, maschr. 



FL -> Sq. 

FM, Florenz, Bibl. Naz., ms. Magi. XIX. 112 bi »; Pa- 
pier, 290:205; 80 f. (neu), davon 61'-80' ohne Nota- 
tion; letztes Drittel 15. Jh.; Repertoire: 2. Halfte 15. 
Jh.; periphere Quelle d. Dufay-Epoche; 51 Nrn (un- 
geordnet) : 35 3st. u. 4 4st. geistliche Werke (Motetten, 
Hymnen u. a.), 9 3st. Magnificat, 1 4st. Doppelkanon 
(instr.), u. a. v. Dunstable, Power, Binchois, Dufay u. 
Anonymi. 

Lit. : BESSELERSt I (mit Verz.) ; B. Becherini, Cat. dei mss. 
mus. della Bibl. Naz. di Firenze, Kassel 1959 (Verz.). 

FN-+FP. 

FP (Ellinwood : F, Marrocco: FN), Florenz.Bibl. Naz., 
ms. Panciatichi 26 ; Papier, 295 : 220 ; 5 f . (arabisch, alter 
Index) + 110 f. (romisch = alt); Anfang 15. Jh.; Re- 
pertoire: 2. Drittel 14. Jh. - 1. Drittel 15. Jh. (Nachtra- 
ge) ; alteste Trecento-Hs. aus Florenz, u. a. mit systema- 
tisch geordnetem Landini-Repertoire; ca. 185 Stiicke, 
davon Landini: 1. Abt. (f. I-XX): 2st. Ballate (f. XV- 
XX: nachgetragene Werke anderer Autoren), 2. Abt. 
(f. XXI-XL) : 3st. Ballate (1 2st.), 3. Abt. (f. XLI-XC) : 
4st. u. 3st. Madrigale, 1 Caccia, altere Werke nach 
Komponisten geordnet, Nachtrage v. 2- u. 3st. Ballate 
Landinis; 4. Abt. (f. XCI-C): 3st. Madrigale u. Caccie 
v. Giovanni u. a. ; Nachtrage : u. a. Machaut (5) ; 5. Abt. 
(f. C-CX) : frz. Balladen u. Virelais (ca. 1420-40). 
Ausg. : The Works of Fr. Landini, hrsg. v. L. Ellinwood, 
= The Mediaeval Acad, of America, Studies and Docu- 
ments III, Cambridge (Mass.) 1939; The Music of Jacopo 
da Bologna, hrsg. v. W. Th. Marrocco, = Univ. of Cali- 
fornia Publications in Music V, Berkeley u. Los Angeles 
1954; The Works of Fr. Landini, hrsg. v. L. Schrade, 
= Polyphonic Music of the 14 th Cent. IV, Monaco 1958; 
The Music of 14" 1 Cent. Italy Iff., hrsg. v. N. Pirrotta, 
= CMM VIII, (Rom) 1954ff. 

Lit. : B. Becherini, Cat. dei mss. mus. della Bibl. Naz. di 
Firenze, Kassel 1959 (Verz.). - vFiscHERSt; vFiscHERTr. 

Clog, Glogauer Liederbuch, Berlin, StB, Mus. ms. 
40098 (olim Z 98); Papier, Queroktav; 3 Stimmbu- 
cher, Discantus: 155f.,Tenores: 163 f., Contratenores: 
173 f. ; um 1480, Domkirche zu Glogau (Schlesien); 
Repertoire: um 1480; Hauptquelle d. deutschen Mu- 
sik dieser Zeit; 294 Stiicke, meist 3st. : 158 lat. Gesange, 
70 deutsche Lieder, 3 Quodlibets, je 1 ital. u. slawisches 
Lied, 61 instr. Stiicke, u. a. v. Busnois, Dufay, H.v. 
Gizeghem, Ockeghem, Tinctoris. 
Ausg.: Das Glogauer Liederbuch, I Deutsche Lieder u. 
Spielstiicke, II Ausgew. lat. Satze, hrsg. v. H. Ringmannu. J. 
Klapper, = RDIVu. VIII, Abt. MAI-II,Kassell936-37. 
Lit. : H. Ringmann, Das Glogauer Liederbuch, ZfMw XV, 
1932/33 (mit Verz.). -A. Freitag, Die Herkunf t d. Berliner 
Liederbuches, AfMwII, 1919/20; K. Gudewill, Vokaleu. 
instr. Stilmomente in textlosen Kompositionen d. Glo- 
gauer Liederbuches, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; Dr. Pla- 
menac in: Ann. Mus. IV, 1956, S. 263; R. Stephan, Drei 
Fragen zum Glogauer Liederbuch, Mf IX, 1956. 

Hu, Burgos, Monasterio de Las Huelgas, Stiftsbibl. 
(ohne Signatur) ; Pergament, 260 : 180 ; 170 f . (neu) =19 
Lagen (unvollstandiger Bd); Anfang 14. Jh., Zisterzien- 
serinnenkloster Las Huelgas; Repertoire: spates 13. 
Jh. - Anfang 14. Jh.; spate Quelle d. Notre-Dame- 
Schule u. d. Ars antiqua; 186 Stiicke: 40 2st. u. 12 3st. 
Organa (1 Fragment), 11 2st. u. 20 1st. Prosen, 1 4st., 
36 3st., 19 2st. Motetten (3 unvollstandig) 2 3st, 15 
2st. u. 15 1st. Conductus. 

Ausg. : El cod. mus. de Las Huelgas, hrsg. v. H. Angles, 
3 Bde, = Bibl. de Catalunya, Publicacions del Departa- 
ment de musica VI, 1-3, Barcelona 1931 (Einleitung, Faks. 
u. Ubertragung). 

Lit.: J. Handschin, The Summer Canon and Its Back- 
ground, MD V, 1951; ders., Conductus-Spicilegien, AfMw 
IX, 1 952 ; H. Angles, La musica de las cantigas de S. Maria 
del Rey Alfonso el Sabio, Bd III, 1, = Publicaciones de la 



767 



Quellen: Iv 

Bibl. Central de Barcelona, Section de miisica XVIII, 1, 
Barcelona 1958; ReaneyM. 

Iv, Ivrea, Bibl. Capitolare (ohne Signatur) ; Pergament, 
320:225; 64 f. (neu) = 6 Fasz.; nach 1356 abgeschlos- 
sen, Avignon (Besseler), urn 1360 (Reaney); Reper- 
toire: Jh.-Mitte; Hauptquelle f. Vitry; ca. 80 Stiicke: 
u. a. 37 Doppelmotetten (21 lat., 14 frz., 2 gemischt), 
25 Ordinariumssatze, 4 Chasses, 9 weltliche Stiicke. 
Ausg. : M. J. Johnson, The 37 Motets of the Cod. Iv, 2 Bde, 
Diss. Indiana Univ. 1955, maschr. (Bd II Ubertragungen); 
L. Schrade, The Polyphonic Music of the 14'" Cent. I, 
Monaco 1956. 

Lit.: LudwigQu; BesselerSI I-II; L. Schrade, Ph. de 
Vitry : Some New Discoveries, MQ XLII, 1956. 

L -+ Apel-Kod. 

Lab, Chansonnier Laborde, Washington, Library of 
Congress, ms. M. 2. 1. L 25 Case, -> Chansonnier. 
Lo (B, L), London, Brit. Mus., ms. Add. 29987; Perga- 
ment, 260: 195; 88 f. ; ca. 1400, Florenz (Reaney), 1400- 
10, Perugia (v. Fischer), um 1425 (Pirrotta); Reper- 
toire: 2. Halite 14. Jh.; periphere Quelle d. -> Trecento- 
Musik mit ca. 29 Unica; 116 Stiicke (3 doppelt notiert): 
u. a. 35 Madrigale, 45 Ballate, 8 Caccie, 3 Virelais, 1 
Motette, 1 Gloria, 1 Credo, 1 untextiertes Stuck (meist 
2-, selten 3st.), u. a. v. Landini, Nicolo, Jacopo, Gio- 
vanni, Bartolino; dazu 8 1st. Estampien, 7 weitere 1st. 
Tanze u. ca. 12 1st. geistliche Stiicke. 
Lit. : G. Reaney, The Ms. London, Brit. Mus., Add. 29 987, 
MD XII, 1958 (mit Verz.). - N. Pirrotta in : MD V, 1 951 ; 
vFiscHERSt ; vFiscHERTr. 

LoA, London, Brit. Mus., ms. Egerton 2615; Perga- 
ment, 218:140; 110 f. (neu, nicht mitgezahlt d. leere 
f . 78bis) = 3 Teile ; 1 . Teil um 1227-34, 2. Teil etwas spa- 
ter, 3. Teil etwas friiher, alle Beauvais (Ludwig) ; 1 . Teil 
(f. l-78bis, urspriinglich 11 Fasz., von denen Fasz. 6 
zwischen f . 40 und 41 fehlt): Neujahrsoffizium v. Beau- 
vais, darin 1 3st. Conductus (f. 43'), im Anh. f. 69-78 
3 3st. u. 1 2st. Organum, 2 3st. Motetten, 1 3st. Hym- 
nus; 2. Teil (f. 79-94 = 2 Fasz.) : 1 4st. u. 3 3st. Organa, 
5 3st. Conductus, 3 3st. Motetten, meist aus d. Notre- 
Dame-Repertoire; 3. Teil (f . 95-1 10 = 2 Fasz.) : Daniel- 
Spiel u. 2 Lektionen, alles 1st. 

Ausg. : Die drei- u. vierst. Notre-Dame-Organa, hrsg. v. H. 
Husmann, = PaM XI, Lpz. 1940 ; The Play of Daniel, hrsg. 
v. N. Greenberg, R. Weakland OSB u. E. A. Bowles, 
NY 1959, dass., hrsg. v. W. L. Smoldon, London 1960. 
Lit. : LudwigR 1, 1 ; LudwigQu ; ReaneyM. 

LoB (Lb, Le, F), London, Brit. Mus., ms. Egerton 274; 
Pergament, 150:107; 160 f. (neu) = 6 Fasz., urspriing- 
lich nicht zusammengehorend; Hauptcorpus Ende d. 
13. Jh. mit Repertoire d. friihen 13. Jh., Uberarbeitun- 
gen u. Nachtrage 14.-15. Jh., Frankreich, Belgien oder 
England (Ludwig) ; Fasz. 1 (f . 3-57) : wichtige Quelle f . 
vertonte Dichtungen v. -> Philippe le Chancelier, ent- 
halt auch eine 3st. u. 4 2st. Motetten ; Fasz. 4 (f . 99-1 18) : 
urspriinglich Lieder-Hs. eines Jongleurs, zum Teil mit 
Noten; Fasz. 6 (f. 131-160) : lat. 1st. Gesange, zum Teil 
Palimpsest; unter d. ausradierten Stiicken ist f. 131 ein 
Trouverelied (Nachtrag zu Fasz. 4), f. 137' ein 2st. 
Benedicamus Domino zu erkennen. 
Lit. : P. Aubry, Cent motets du XIJI e s. Ill, Paris 1908 (mit 
2 Faks.); ders., Refrains et rondeaux du XIII e s., Fs. H. 
Riemann.Lpz. 1909; LudwigR 1, 1 (mit Verz.) ;Fr. Genn- 
rich, Die altfrz. Liederhs. London, Brit. Mus., Egerton 
274, Zs. f. romanische Philologie XLV, 1926. 

Loch, Lochamer Liederbuch, Bin, StB, Mus. ms. 40613 
(olim Wernigerode, Kod. Zb. 14); Papier, 215:160; 
92 S. (neu) = 4 Lagen (S. 1-44 = Lage 1-2 = Loch; 
S. 45-92 = Lage 3-4 = C. Paumann, Fundamentwn or- 
ganisandi); 1452-53, Nachtrage bis 1460, Nurnberg; 
Besitzer um 1500: W. v. Lochamer; Repertoire Loch: 



iiberwiegend 1. Halite 15. Jh. ; Hauptquelle d. biirger- 
lichen Liedkunst in Deutschland; 42 deutsche Lieder, 
31 1st., 2 2st., 6 3st., 1 1- u. 3st., 2 ohne Noten, ferner 
S. 44-45 3 1st. lat. geistliche Kontrafakturen. 
Ausg.: Locheimer Liederbuch u. Fundamentum organi- 
sandi d. C. Paumann, Faks. hrsg. v. K. Ameln, Bin 1925. - 
Das Locheimer Liederbuch nebst d. Ars organisandi v. C. 
Paumann, hrsg. v. Fr. W. Arnold (u. H. Bellermann), Jb. 
f. mus. Wiss. II, 1867, dazu O. Kade in: MfM IV, 1872; 
Locheimer Liederbuch, bearb. v. K. Escher u. W. Lott, 
Lpz. 1926. 

Lit. : O. Ursprung, Vier Studien zur Gesch. d. deutschen 
Liedes III, Af Mw V, 1923 ; H. Rosenberg, Ubertragungen 
einiger bisher nicht aufgeloster Melodienotierungen d. 
Locheimer Liederbuchs, ZfMw XIV, 1931/32; H. Besse- 
ler, Das Lochamer Liederbuch aus Nurnberg, Mf 1, 1948 ; 
W. Salmen, Das Lochamer Liederbuch, = Slg mw. Einzel- 
darstellungen XVIII, Lpz. 1951 ; E. Rohloff, Mit ganzem 
Willen wiinsch ich dir, AfMw XIII, 1956; Chr. Petzsch, 
Weiterdichten u. Umformen. Grundsatzliches zur NA d. 
Lochamer-Liederbuches, Jb. f. Volksliedforschung X, 
1965 ; ders., Zur hebraischen Widmung im Lochamer-Lie- 
derbuch, Mf XVIII, 1965; ders., Die Niirnberger Familie 
v. Lochaim, Zs. f. bayerische Landesgesch. XXIX, 1966; 
ders., Zur Gesch. d. Hs. d. Lochamer-Liederbuchs, Jb. f. 
Volksliedforschung XI, 1966. 

LoM-> Egerton 3307. 

LoSM, London, Brit. Mus., ms. Add. 36881, -> SM. 
Luc -> Man. 

Ma, Madrid, Bibl. Nac, ms. 20486 (olim Hh 167); 
Pergament, 166:115; 142 f. (neu; unvollstandiger Bd) ; 
Ende 13. Jh.; wahrscheinlich Spanien; Repertoire: 2. 
Half te 12. Jh. - Mitte 13. Jh. ; Hs. mit unvollstandigem 
Notre-Dame-Bestandin besondererAnordnung; wahr- 
scheinlich jiinger als F, alter als Wi\ ca. 100 Stiicke: 
1. Abt. (f. 1-4) : 3 Stiicke ohne Beziehung zum ubrigen 
Inhalt; 2. Abt. (f. 5-24): 2 4st. Motetten (Unica) u. 3 
4st. Organa; 3. Abt. (f. 25-65): 22 2st. Conductus; 4. 
Abt. (f. 66-106): 20 2st. Conductus u. 8 Motetten; 5. 
Abt. (f. 107-122): 10 2st. Conductus u. 1 Motette, 3st. 
Hoquetus In seculum; 6. Abt. (f. 123-142): ca. 30 ge- 
mischte 2- u. 1st. Conductus u. Motetten mit u. ohne 
Tenores, zum Teil ohne Verbindung mit d. Bestand d. 
3 anderen Notre-Dame-Hss. 

Ausg. : Faks.-Ausg. d. Hs. Madrid 20486, hrsg. v. L. A. 
Dittmer, = Publications of Mediaeval Mus. Mss. I, Brook- 
lyn/N.Y.(1957). 

Lit.: LudwigR I, 1 (mit Verz.); Fr. Ludwig in: Adler 
Hdb. I, 21930, S. 220; H. Husmann, Die Motetten d. Ma- 
drider Hs. . . . , Af Mf II, 1937 ; ReaneyM. 

Mach, Sigel f. d. Gesamtbestand an Machaut-Hss. G. de 
Machaut ist einer d. wenigen Komponisten d. MA, 
dessen poetisch-mus. Werke in eigens f . sie vorbehal- 
tenen Hss. iiberliefert sind; als wichtigste sind zu nen- 
nen: Paris, Bibl. Nat., ms. frc. 22545 = F; 22546 = G, 
1564 (olim 7609) = A; 1585 = B; 1586 = C; 9221 = E; 
NY, Gallery Wildenstein (olim Marquis de Vogue, 
Paris) = Vg. 

Ausg.: G. de Machaut, Mus. Werke I— III, hrsg. v. Fr. 
Ludwig (Bd II: Kommentar), =PaM I, 1, III, 1, IV, 2, 
Lpz. 1926-29, IV, hrsg. v. H. Besseler, Lpz. 1943, I-IV 
21954; Polyphonic Music of the 14 th Cent. II— III, hrsg. v. 
L. Schrade, Monaco 1956-57 (mit Kommentaren). 
Man (Luc, Mn u. MnP) Mancini-(Lucca-)Kod., Lucca, 
Arch, di Stato, Cod. 29, u. Perugia, Bibl. Comunale 
(ohne Signatur); Pergament, 220:145-55 u. 220-30: 
ca. 160; 18 u. 3 f., Fragmente eines Kod. ; 1. Drittel 15. 
Jh., vermutlich Lucca; Repertoire: spateres 14. Jh. - 1. 
Drittel 15. Jh. ; Hauptquelle zwischen Trecento u. 
Quattrocento; 76 Stiicke (davon 51 Unica) : 50 Ballate, 
11 Madrigale, 10 Rondeaus, 3 Virelais, 1 Ballade (Bin- 
chois), 1 Kanon, u. a. v. Ciconia, Bartolino, Antonio 
Zacara da Teramo, Antonello Marot da Caserta. 



768 



Quellen: OH 



Lit.: N. Pirrotta, II Cod. di Lucca, MD III, 1949 u. V, 
1951 (mit Verz.). - F. Grasi, Bruchstiicke einer neuen Hs. d. 
ital. Ars-Nova, AfMw VII, 1942;vFisCHERSt;vFiscHERTr. 

Mo, Montpellier, Bibl. de la Faculte de Medecine, ms. 
H 196; Pergament, 192:136; 397 f. (f. 303 u. 308 feh- 
len - nicht gezahlt sind 5 Blatter mit d. originalen In- 
dex) = 8 Fasz. ; 14. Jh. , Paris ; Repertoire : »altes Corpus« 
(Fasz. 1-6) um 1280, »neues Corpus« (Fasz. 7-8) um 
1300 u. friihes 14. Jh.; groBte Motetten-Hs. d. Ars an- 
tiqua; ca. 330 Stiicke: 2-4st. lat., frz. u. gemischte Mo- 
tetten (Fasz. 1 : u. a. 3-4st. Organa, Klauseln). 
Ausg. : Y. Rokseth, Polyphonies du XIH e s., 4 Bde, Paris 
1935-39. 

Lit. : Fr. Ludwig, Die 50 Beisp. Coussemakers aus d. Hs. 
Mo, SIMG V, 1903/04; LudwigR I, 2; LudwigQu; Bes- 
SELERSt II ; H. Husmann, Die 3st. Organa d. Notre-Dame- 
Schule . . ., Diss. Bin 1935; G. Kuhlmann, Die 2st. frz. 
Motetten d. Kod. Mo, 2 Bde, = Literarhist.-mw. Abh. I— II, 
Wurzburg 1938 ; L. A. Dittmer, The Ligatures of the Ms. 
Mo, MD IX, 1955; F. Mathiassen, The Style of the Early 
Motet (c. 1200-50). An Investigation of the Old Corpus of 
the Montpellier Ms., {Copenhagen 1966; ReaneyM. 

ModA, Modena, Bibl. Estense, ms. a.M.5,24 (olim 
lat. 568); Pergament, 280:198; 1 + 51 f. = 5 Fasz.; um 
1425-50 (Apel); wichtige Quelle d. Trecentos u. d. ital. 
Musik d. friihen 15. Jh.; 104 Stiicke: 73 3st., 20 2st., 6 
1st. u. 5 4st. geistliche u. weltliche Werke, u. a. v. An- 
tonellus da Caserta, Matheus da Perusio, Magister Za- 
charias, Bartolinus da Padua, Ciconia u. Machaut. 
Ausg. : 44 Stiicke in : French Secular Music of the Late 14 th 
Cent., hrsg. v. W. Apel, = The Mediaeval Acad, of Ameri- 
ca, Publication LV, Cambridge (Mass.) 1950; 29 Stiicke u. 
Verz. (S. 1 12ff.) in : G. Cesari u. F. Fano, La cappella mus. 
del duomo di Milano I, = Istituzioni e monumenti dell'arte 
mus. ital., N. S. I, Mailarid (1956); The Motets of the Mss. 
Chantilly . . . and Modena . . . , hrsg. v. U. Gunther, 
= CMM XXXIX, (Rom) 1965. 

Lit.: J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation I, Lpz. 1904, 
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1965 (Verz.); Fr. 
Ludwig in: G. de Machaut, Mus. Werke II, = PaM III, 1, 
Lpz. 1928, S. 30f.; vFiscHERSt; U. Gunther, Zur Datie- 
rung d. Ms. Modena, Bibl. Estense, a. M. 5, 24 (olim lat. 
568), Kgr.-Ber. Lpz. 1966. 

ModB, Modena, Bibl. Estense, ms. a. X. 1,11 (olim lat. 
471); Papier, 408:290; 136 f.; 16. Jh.; Repertoire: 15. 
Jh.; Hauptquelle d. Dufay-Epoche u. d. engl. Mehr- 
stimmigkeit; ca. 135 Stiicke: 1. Abt.: 37 (u. 5 + 18 
Nachtrage) Hymnen u. Magnificat; 2. Abt. (alter In- 
dex: hie incipiunt motetti): 74 Motetten, davon 2. Teil: 
52 engl. Motetten, u. a. v. Benet, Dunstable, Forest, 
Power, Binchois, Dufay. 

Lit. : P. Lodi, Cat. delle opere mus. . . . Citta di Modena, 
R. Bibl. Estense, = Boll. deU'Associazione dei musicologi 
ital. VIII, Parma 1916; BESSELERSt I; BesselerBuF. 

ModC u. ModD, Modena, Bibl. Estense, mss. M. 1, 
11-12 (olim lat. 454-455); Pergament, 564:402; 2. 
Halfte d. 15. Jh. ; Repertoire : 15. Jh. ; Doppelchorbuch, 
friiheste Quelle d. fur d. zeilenweise alternierenden 
Vortrag d. Stiicke durch 2 Chore eingerichtet ist; 3st. 
Psalmen, Hymnen, Magnificat u. Antiphonen f. d. 
Offiziumsgottesdienste, eine 3-8st. Passion; viele Satze 
in strenger u. freierer Fauxbourdontechnik; alle Stiicke 
anon. 

Lit. : P. Lodi, Cat. delle opere mus. . . . Citta di Modena, 
R. Bibl. Estense, = Boll. deU'Associazione dei musicologi 
ital. VIII, Parma 1916; BesselerBuF; M. F. Bukofzer, 
Studies in Medieval and Renaissance Music, NY (1950), 
S. 18 Iff. (darin ein Psalm). 

MiiA, Miinchen, StB, Cod. gall. 42 (olim Mus. Ms. 
4775) ; Pergament, 155 : 100; 4 f., Fragment eines Kod., 
dem weitere 13 f. (meist in Streifen) aus d. Privatbibl. 
v.J. Wolf zugehoren (verschollen, heute nur in Photo- 
kopien in Paris, Bibl. Nat., Departement de la musique, 
Vma 1446, zuganglich); 13. Jh., Frankreich; Reper- 



toire: 2. Halfte 12. Jh. - 1. Drittel 13. Jh.; zentrale, 
wahrscheinlich al teste Quelle d. Notre-Dame-Epoche; 
erhalten sind ca. 45 Stiicke: 3 2st. Organa, 36 2- u. 3st. 
lat. u. frz. Motetten, 2 1st. u. 1 mehrst. Conductus, 
3 1st. weltliche Lieder. 

Ausg. u. Lit. : L. A. Dittmer, A Central Source of Notre- 
Dame Polyphony, Facs., Reconstruction . . ., = Publica- 
tions of Mediaeval Mus. Mss. HI, Brooklyn/N. Y. (1959); 

ders., The Lost Fragments of a Notre Dame Ms in: 

Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, 
NY (1966); ReaneyM. 

MiiEm ->■ Em. 

MuM, Miinchen, StB, Cod. gall. 902 (olim Mus. Ms. 
3192), -> Chansonnier. 

Miinchen 3154, Miinchen, StB, Mus. Ms. 3154; Papier, 
314:220; 1. Abt.: f. 20-200, 2. Abt.: f. 1-297 (mit 
Liicken) = 473 f. (alt); nach 1500, erster Besitzer: Ni- 
kolaus Leopold v. Innsbruck (dort nachgewiesen 151 1); 
Repertoire: ca. 1475-1500; wichtige Quelle deutscher 
u. oberital., besonders geistlicher Musik; ca. 190 Nrn 
(korrekturbedurftig) u. 7 Fragmente, meist 3-5st., sel- 
ten bis 8st. : Messen, Motetten, Magnificat, Hymnen, 
Sequenzen, deutsche Lieder, zahlreiche untextierte 
Stiicke, u. a. v. Aulen, Busnois, Compere, Dufay, 
Fevin, H. Finck, Isaac, Josquin, Obrecht. 
Lit. : J. J. Maier, Die mus. Hss. d. K. Hof- u. Staatsbibl. in 
Miinchen I, = Cat. cod. mss. bibl. regiae Monacensis VIII, 
1, Miinchen 1879; W. Stephan, Die burgundisch-nld. Mo- 
tette zur Zeit Ockeghems, =■ Heidelberger Studien zur Mw. 
VI, Kassel 1937; W. Senn, Musik u. Theater am Hof zu 
Innsbruck, Innsbruck 1954. 

O, Oxford, Bodleian Library, Ms. Can. Misc. 213; 
Papier, 298:215; 4 f. (unvollstandiger Index) + 140 f. 
= 10 Fasz.; um 1420-35, Oberitatien (Besseler); um 
1420-40, vermutlich Venedig (Reaney); um 1450 
(Apel); 3. Viertel d. 15. Jh. nach Vorlage um 1440, 
Venedig nach Vorlage aus Mailand, d. vermutlich zum 
Teil auf v. Dufay kollationierten Mss. beruhte (Ni- 
cholson); Repertoire: Ende d. 14. u. 1. Halfte d. 15. 
Jh. ; wichtige Quelle d. ital. u. franko-flamischen Mu- 
sik d. friihen Dufay-Zeit; ca. 325 Stiicke, davon 263 
mit Autorenvermerk, 277 Unica: u. a. 187 Rondeaus 
u. Rondeaurefrains, 38 Ballades, 22 Ballate, 21 Mefi- 
satze, 19 nicht isorhythmische u. 17 isorhythmische 
Motetten, 10 Virelais. 

Ausg.: Early 1 5 ""-Cent. Music, hrsg. v. G. Reaney, = CMM 
XI, (Rom) 1955ff. ; Polyphonia sacra, hrsg. v. Ch. Van den 
Borren, Burnham 1932; Dufay and His Contemporaries, 
hrsg. v. J., J. F. R. u. C. Stainer u. E. W. B. Nicholson, 
London u. NY 1898; Les musiciens de la cour de Bour- 
gogne . . ., hrsg. v: J. Marix, Paris 1937; Pieces polypho- 
niques profanes .... hrsg. v. Ch. Van den Borren, = Flo- 
res mus. belgicae I, Brussel 1950 (A. u. H. de Lantins, 30 
Satze aus O). 

Lit. : G. Reaney, The Ms. Oxford, Bodleian Library, Ca- 
nonici Misc. 213, MD IX, 1955 (mit Verz.); BesselerSI I; 
BesselerBuF; ApelN; Ch. Van den Borren, The Cod. 
Canonici 213..., Proc. R. Mus. Ass. LXXIII, 1946/47. 

OH, Old Hall near Ware, St. Edmund's College; Per- 
gament, 416:276; 112 f., altere u. jiingere Abt.; erste 
Besitzer: Kanonikus Thomas Damett u. Sturgeon; ca. 
1430-54, Windsor (Collins, Hughes); vor 1413 - um 
1440, Royal Household Chapel (Harrison) ; Repertoire: 
1360-1440; friiheste fast volfstandig erhaltene Quelle d. 
engl. Mehrstimmigkeit; ca. 150 Stiicke, meist 3-5st.: 
MeBsatze in Gruppen geordnet (38 Gloria, 34 Credo, 
27 Sanctus, 15 Agnus Dei), Motetten, Antiphonen, 
u. a. v. Dunstable, Forest, L. Power, Roy Henry (= Hein- 
rich IV.). 

Ausg.: The Old Hall Ms., hrsg. v. A. Ramsbotham, H. B. 
Collins u. A. Hughes OSB, 3 Bde, Burnham u. London 
1933-38. 



49 



769 



Quellen: OS 



Lit. : W. B. Squire, Notes on an Undescribed Collection of 
Engl. 15"^Cent. Music, S1MG II, 1900/01 ; G. Reese, Mu- 
sic in the Middle Ages, NY (1940), London 1941 ; A. 
Hughes OSB, The Background to the Roy Henry Music, 
MQ XXVII, 1941 ; ders., Mass Pairs in the Old Hall and 
Other Engl. Mss., RBM XIX, 1965; M. F. Bukofzer, Mu- 
sic of the OH Ms., MQ XXXIV, 1948 - XXXV, 1949 ; Br. 
Trowell, A 14 th -Cent. Ceremonial Motet and Its Com- 
poser, AMI XXIX, 1 957 ; Fr. Ll. Harrison, Music in Me- 
dieval Britain, London (1958); Andrew Hughes, Conti- 
nuity, Tradition and Change in Engl. Music up to 1600, 
ML XLVII, 1965 ; ders., Mass Pairs in the OH and Other 
Engl. Mss., RBM XIX, 1965 ; ders., Mensuration and Pro- 
portion in Early Fifteenth Cent. Engl. Music, AMI 
XXXVII, 1965; ders., Mensural Polyphony for Choir in 
^"-Cent. England, JAMS XIX, 1966; ders. u. M. Bent, 
The OH Ms., MD XXI, 1967 (mit Verz.). 

OS, Oxford, Bodleian Library, Ms. Arch. Selden B 26; 
Pergament u. Papier, 256: 180; 135 f., Musikteil: f. 3- 
33'; 1450 (Reese), vermutlich Windsor (Schofield); 
Repertoire: ca. 1425-40; wichtige Quelle d. engl. Mu- 
sik neben Egerton 3307; 52 Stiicke, lat. u. engl., meist 
2-3st., auch 4st. : u. a. Cantilenae, Hymnen, Carols, 
u. a. v. Dunstable u. Power. 

Ausg. : Early Bodleian Music, hrsg. v. J., J. F. R. u. C. 
Stainer, I (Faks.) u. II (Obertragungen), London 1901 ; J. 
Stevens, Mediaeval Carols, = Mus. Brit. IV, London 1952, 
21958. 

Lit.: A. Hughes OSB, Medieval Polyphony in the Bod- 
leian Library, Oxford 1951 (Verz.). - B. Schofield, A New- 
ly Discovered lS^-Cent. Ms. . . ., MQ XXXII, 1946, S. 
524; M. F. Bukofzer in: JAMS V, 1952, S. 56; Fr. Ll. 
Harrison, Music in Medieval Britain, London (1958). 

P -> Pit. 

Pav, Pavia, UB, ms. Aldini 362, ->■ Chansonnier. 
PC (Par), Paris, Bibl. Nat., ms. n. a. fr. 4379, -» Chan- 
sonnier. 

Pic, Paris, Bibl. Nat., Collection de Picardie 67; Sam- 
mel-Hs. ; f . 67 : Rotulusfragment, Pergament, 435 :213 ; 
14. Jh.; Repertoire: 1300-50; Quelle mit Motetten 
zwischen Fauv u. Iv; 6 2-3st. Stiicke: 2 lat. u. 2 frz. 
Doppelmotetten, 2 Kanons; f. 68: Pergament, 270: 180; 
13. Jh. ; 2 3st. Rondeaus. 

Lit.: J. Wolf, Gesch. d. Mensuralnotation I, Lpz. 1904, 
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1965; P. Meyer in: 
Bull, de la Soc. des anciens textes fr?. XXXIV, 1908, dazu 
P. Aubry, ebenda, u. A. Guesnon, Le moyen age XXV 
(= II, 16), 1912; BESSELERSt I; R. Hoppin, Some Remarks 
a propos of Pic, RBM X, 1956. 

Pit (Ellinwood, Marrocco; Pirrotta: P), Paris, Bibl. 
Nat., ms. ital. 568 (olim Suppl. fr. 535); Pergament, 
257 : 175 ; f . A-I (alter Index) u. f . 1-141 (romisch = alt) ; 
Hauptteil um 1405, Fasz. 6 u. 8 um 1410 (v. Fischer), 
um 1400 (Ludwig, Apel, Reaney), um 1430 (Pirrotta); 
Toscana (Ludwig), Florenz (Reaney); Repertoire: 14. 
Jh. ; Hauptquelle d. Musik d. -v Trecentos; 201 Stiicke 
(2 doppelt notiert) : 45 Madrigale, 5 Caccie (Fasz. 1-6), 
113 Ballate (Fasz. 7-12), 1 1 Rondeaus, 10 Balladen, 8 Vi- 
relais, 1 isorhythmisches Rondeau, 1 Rondeaurefrain 
(Fasz. 13 u. freigebliebener Raum), 1 Messe ohne Kyrie 
(Fasz. 14); Hauptmeister Landini (Fasz. 2, 7, 9-12) u. 
Paolo (Fasz. 4, 6, 8 u. 9). 

Lit. : G. Reaney, The Ms. Paris, BN fonds ital. 568 (Pit), 
MD XIV, 1960; U. Gunther, Die »anon.« Kompositio- 
nen d. Ms. Paris, B. N., fonds it. 568, AfMw XXIII, 1966; 
dies., Zur Entstehung d. Ms. Paris, B. N., fonds it. 568, 
ebenda ; dies., Zur Datierung d. Madrigals »Godi, Firenze« 
u. d. Hs. Paris, B.N., fonds it. 568 (Pit), AfMw XXIV, 1967; 
vFiscHERSt ; vFiscHERTr. 

Pix, Chansonnier Pixerecourt, Paris, Bibl. Nat., ms. 
fr. 15123, -*■ Chansonnier. 

Pot, Porto, Bibl. Publia Municipal, ms. 714; Papier; 
79 L, davon 50 f. anon. Musiktraktat; Mitte 15. Jh.; 
Repertoire: ca. 1430-50; periphere Quelle d. Dufay- 



Zeit; 19 Stiicke: 17 3st. u. 2 2st., 13 frz. u. 6 ital. welt- 
liche Lieder, u. a. v. Dufay u. Bedingham. 
Lit. : BesselerBuF ; B. Meier, Die Hs. Porto 714 als Quelle 
zurTonartenlehre . . ., MD VII, 1953;vFiscHERSt. 

PR I-III (Apel: Rei, Ellinwood: R), Reina-Kod., Pa- 
ris, Bibl. Nat., ms. n. a. fr. 6771; Papier, 271:213; 
122 f. + 4 f. = 9 Fasz.; ca. 1390-1440, Nordostitalien, 
moglicherweise Venedig (v. Fischer); Repertoire: 14.- 
15. Jh.; wichtige Quelle d. -»• Trecentos u. Quattro- 
centos; PR I (f. 1-52'): Stiicke mit ital. Notation u. 
Text; PR II (f. 53-85'): Stiicke mit frz. Notation u. 
Text; beide Teile spateres 14. Jh. ; PR III (f. 89-119) : 
frz. Werke d. Dufay-Epoche; 220 Stiicke (davon 90 
Unica) : u. a. 40 Madrigale, 64 Ballate, 30 Virelais, 43 
Ballades, 32 Rondeaus, 8 Rondeaurefrains. 
Lit. : K. v. Fischer, The Ms. Paris, Bibl. Nat. nouv. acq. 
frc. 6771, MD XI, 1957 (Verz.);vFiscHERTr; N. Wilkins, 
The Cod. Reina: A Revised Description . . ., MD XVII, 
1963, dazu K. v. Fischer, ebenda; U. Gunther, Bemer- 
kungen zum alteren frz. Repertoire d. Cod. Reina (PR), 
AfMw XXIV, 1967. 

R^-PR I-III. 
Rei -> PR I-III. 

Rs, Rom, Bibl. Vaticana, ms. Rossi 215 (olim VIII. 154), 
dazu gehorig ein Fragment in Ostiglia (Provinz Man- 
tua), Fondazione Greggiati (ohne Signatur); Perga- 
ment, 226-232:158-172; Fragment: erhalten f. I-VIII 
u. XVIII-XXIII (Rom), XXV-XXVI u. XXXI- 
XXXII (Ostiglia) ; um 1350, Venetien, vielleicht Vero- 
na oder Padua; Repertoire: 2 Schichten = 1328-37 u. 
1340-45; friiheste Quelle d. ->■ Trecento-Musik; 37 
Stiicke : 30 2st. Madrigale, 1 2st. Rondello, 1 3st. Caccia, 
5 1st. Ballate, u. a. v. Giovanni da Cascia, Maestro Piero 
(= P. di Firenze). 

Ausg.: Faks., hrsg. v. G. Vecchi, Bologna 1966 (mit d. 
Fragment Ostiglia). - The Music of W'-Cent. Italy I— II, 
hrsg. v. N. Pirrotta, = CMM VIII, 1-2, (Rom) 1954-60. 
Lit.: BESSELERSt I— II; F. Liuzzi, Musica e poesia del Tre- 
cento nel Cod. Vaticano Rossiano 21 5, in : Atti della Ponti- 
ficia Accad. Romana di archeologia HI, 1 3, 1937 ; J. Wolf, 
Die Rossi-Hs. 21 5 . . . , JbP XLV, 1938 ; E. Li Gotti, Poesie 
mus. ital. del s. XIV, in: Atti della R. Accad. di scienze, 
lettere ed arti di Palermo IV, 4, 2, 1942-44 (mit Ausg. d. 
Texte d. Fragments Rom) ; vFiscHERSt ; M. L. Martinez, 
Die Musik d. friihen Trecento, = Munchner Veroff. zur 
Mg. IX, Tutzing 1963 ; K. Toguchi, Studio sul Cod. Ros- 
siano 215, in: Annuario dell'Istituto Giapponese di Cul- 
tura I, Rom 1963; O. Mischiati, Uno sconosciuto fram- 
mento . . . , Rivista ital. di musicologia 1, 1966 (mit Faks. v. 
f. XXXI u. Ausg. d. Texte d. Fragments Ostiglia); W. Th. 
Marrocco, The Newly-Discovered Ostiglia-Pages of the 
Vatican Rossi Codex 215, AMI XXXIX, 1967. 

S-> Sq. 

Sche, Schedelsches Liederbuch, Miinchen, StB, Mus. 
Ms. 3232 (olim Cgm 810); Papier, 150:105; 170 f.; 
Hauptteil: 1460-62, Nachtrage: um 1466/67 u. spater, 
Lpz., Niirnberg; Schreiber u. erster Besitzer: Hart- 
mann Schedel (1440-1514); Repertoire: Mitte d. 15. 
Jh. ; Hauptquelle d. deiitschen biirgerlichen Musik; 150 
Nrn, meist 3st., davon 23 ohne Text : u. a. 15 lat. Stiicke 
(Motetten u. 1 Magnificat), geistliche Kontrafakturen, 
deutsche Lieder, frz. Chansons, Instrumentalcarmina, 
u. a. v. Berbigant, Busnois, Ockeghem, Paumann. 
Ausg.: Das Schedelsche Liederbuch, Ausw. hrsg. v. H. 
Rosenberg, Kassel 1933. 

Lit. : J. J. Maier, Die mus. Hss. d. K. Hof- u. Staatsbibl. in 
Miinchen I = Cat. cod. mss. bibl. regiae Monacensis VIII, 
1 , Miinchen 1 879 ; H. Rosenberg, Untersuchungen fiber d. 
deutsche Liedweise im 15. Jh., Wolfenbuttel 1931; W. 
Salmen, Das Lochamer Liederbuch, = Slg mw. Einzeldar- 
stellungen XVIII, Lpz. 195 1 . 

Segovia, Catedral, Arch. Mus. (ohne Signatur) ; Papier, 
291(-270):215(-175); 228 f. (alt = romisch: CCXXIII 



770 



Quellen: Toul 



f.), unvollstandiger Bd; urn 1500, Alcazar Real, Se- 
govia; Repertoire: 15. Jh.; periphere Quelle d. nld. 
Musik; 204 Stiicke: u. a. Messen, Magnificat, Motet- 
ten, Hymnen u. Chansons, meist 3- u. 4st., selten 2- 
oder 5st., u. a. v. A. Agricola, Brumel, Barbireau, Bus- 
nois, Compare, A. de Fevin, Isaac, Josquin, Obrecht, 
Pipelare u. Tinctoris; ab f. 207: Anhang mit 38 kastili- 
schen Liedern, alle anon. 

Lit. : H. Angles, Un ms. inconnu avec polyphonie du XV e 
s. . . . , AMI VIII, 1936 (Verz.) ; ders., La miisica en la corte 
de los reyes catdlicos I, = MMEsp I, Madrid 1941, M960; 
BesselerBuF. 

SM 1, 2, 3, LoSM, Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 1139, 3549, 
3719 u. London, Brit. Mus., ms. Add. 36881 ; Sammel- 
Hss., Pergament, SM 1-3 aus d. Bibl. d. Benediktiner- 
abtei ->■ Saint-Martial in Limoges (ob originar f iir diese 
Abtei geschrieben, ist ungeklart); SM 1: 183:140, er- 
halten 235 f., im Hauptcorpus f. 32-118', entstanden 
vor 1100 (Stablein), um 1100 (Handschin), zwischen 
1096 u. 1099 (Chailley), bis etwa 1120 (Spanke) in Siid- 
frankreich, 38 1st. u. 13 2st. Stucke; SM 2: 195:140, 
erhalten 169 f., mus. Teil f. 149-169, entstanden zwi- 
schen 1098 u. 1205 (Chailley), 12. Jh. (Handschin, Stab- 
lein) in Siidfrankreich; 9 1st. u. 19 2st. Stucke; SM 3: 
153:104, erhalten 115 f.; 12. Jh. (Handschin, Stablein); 
38 1st. u. 33 2st. Stucke. -LoSM: 160:105, erhalten 
27 f.; Ende 12. Jh. (Handschin), friihes 13. Jh. (Stab- 
lein), vielleicht Apt oder Katalonien (Stablein); 7 1st., 
darunter ein Rondellus aus der Hs. -»■ F, u. 29 2st. 
Stucke. Bei den 2st. Stiicken aller 4 Hss. handelt es sich 
um Versus, iiberwiegend Benedicamustropen, dane- 
ben Sequenzen, untropierte Benedicamus, Lektionen, 
Tropen zu Ordinariumsgesangen u. a. 
Lit. : J. Handschin, Uber d. mehrst. Musik d. St.-Martial- 
Epoche . . ., Habil.-Schrift Basel 1924, maschr.; H. Span- 
ke, Die Londoner St. Martial-Conductushs., u. H. Angles, 
La miisica del Ms. de Londres, BM Add. 36 88 1 , in : Butlle- 
ti de la Bibl. de Catalunya VIII, 1928-32, separat Barcelona 
1935 ; H. Spanke, St. Martial-Studien, Zs. f . frz. Sprache u. 
Lit. LIV, 1930/31 u. LVI, 1932 (mit unzuverlassigen Verz. 
v. SM 1-3); W. Apel, Bemerkungen zu d. Organa v. St. 
Martial, Miscelanea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 
1958-61 ; J. Chailley, L'ecole mus. de St. Martial de Li- 
moges, Paris (I960); J. M. Marshall, Hidden Polyphony 
in a Ms. from St. Martial de Limoges, JAMS XV, 1962 (zu 
SM 1); G. Schmidt, Strukturprobleme d. Mehrstimmig- 
keit im Repertoire v. St.-Martial, Mf XV, 1962; Br. Stab- 
lein, Modale Rhythmen im St.-Martial- Repertoire?, Fs. 
Fr. Blume, Kassel 1963 (mit weiterer Lit.); L. Treitler, 
The Polyphony of St. Martial, JAMS XVII, 1964; Rea- 
neyM. 

SPB 80, Rom, Bibl. Vaticana, Arch, di S.Pietro B 80; 
Chorbuch, Pergament, 356 : 256 ; 249 f . = 25 Lagen ; um 
1460-70 (Hamm), kirchliche Gebrauchs-Hs., Italien; 
Repertoire: 1430-70; wichtige Quelle d. nld. Musik 
(in d. Nahe v. Cambrai) ; ca. 85 Stucke, meist 3-4st. : 
II. Abt. (= f. 38-181): 13 Messen, III. Abt. (= f. 181'- 
191) : 21 Hymnen, IV. Abt. (= f. 191-228') : 14 Magni- 
ficat, V. Abt. (= f. 229-239): 19 Antiphonen, I. Abt. 
(= f. 1-38) : Nachtrage (auch in d. Hs. verstreut), u. a. 
v. Barbigant, Binchois, Compere, Dufay, Dunstable, 
Josquin. 

Lit. : Ch. Hamm, The Ms. San Pietro B 80, RBM XIV, 1960 
(mit Verz.). 

Sq (Marrocco, Pirrotta: FL, Ellinwood: S), Squarcia- 
lupi-Kod., Florenz, Bibl. Mediceo-Laurenziana, Palat. 
87; Pergament (Sammel-Hs.), 405:285; 218 f.; 1415- 
20 (v. Fischer), nicht vor 1440 (Pirrotta), erster Besitzer 
(laut Vermerk): A. Squarcialupi; Repertoire: 14. Jh.; um- 
fangreichste u. jiingste Quelle d. -*■ Trecento-Musik; 
354 weltliche Stiicke (2 doppelt notiert) : 114 Madriga- 
le, 12 Caccie, 226 Ballate; geordnet nach Komponisten 
in chronologischer Reihenfolge. 



Ausg. : Der Squarcialupi-Cod. . . . , hrsg. v. J. Wolf u. H. 
Albrecht, Lippstadt 1955, dazu K. v. Fischer in: Mf IX, 
1956, u.L.Schradein: Notes II, 13, 1955/56, S.683ff.; The 
Works of Fr. Landini, hrsg. v. L. Ellinwood, = The Me- 
dieval Acad, of America, Studies and Documents III, Cam- 
bridge (Mass.) 1939; The Music of the 14">-Cent. Italy, 
hrsg. v. N. Pirrotta, =CMM VIII, (Rom) 1954ff.; The 
Music of Jacopo da Bologna, hrsg. v. W. Th. Marrocco, 
= Univ. of California Publications in Music V, Berkeley 
u. Los Angeles 1954; The Works of Fr. Landini, hrsg. v. L. 
Schrade, = Polyphonic Music of the 14 th Cent. IV, Mo- 
naco 1958. 

Lit.:vFiscHERSt.;vFisCHERTr.; B.Becherini, A. Squarcia- 
lupi e il Cod. Mediceo-Palatino 87, in: L'Ars Nova ital. 
del Trecento, Kgr.-Ber. Certaldo 1959. 

St-Martial -> SM. 

StV, Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 15139 (olim fonds St- 
Victor 813); Sammel-Hs., Pergament, 180 : 102; f . 176- 
305, davon mus. Teil: f. 255-293, = »Liber cantualis«; 
2. Halfte 13. Jh.; Repertoire: 1. u. 2. Drittel d. 13. Jh.; 
72 meist 2st., zuweilen 3st. oder 1st. Stucke: u. a. 10 
Organa, 10 Conductus u. 40 »Melismen« (mit Margi- 
nalverweisen auf frz. Motetten) ; nach Ludwig: Vorla- 
gen frz. Motetten, nach Rokseth: reduzierte Motetten 
als Bauschemata f. Kontrafakturen; f. 269-275: 2 Mu- 
siktraktate (Quiconques veut deschanter u. Quando due no- 
te sunt in uno sono) als Marginalien zur Conductus-Slg. 
Ausg.: The Music in the St. Victor Ms. Paris lat. 15 139. 
Polyphony of the 13" 1 Cent., hrsg. v. E. Thurston, = Pon- 
tifical Inst, of Medieval Studies, Studies and Texts V, To- 
ronto 1959 (Einleitung u. Faks.); St. Viktor Clausulae u. 
ihre Motetten, hrsg. v. Fr. Gennrich, = Mw. Studienbibl. 
V-VI, Darmstadt 1953 ; d. beiden Traktate in: E. de Cous- 
semaker, Hist, de l'harmonie au moyen age, Paris 1852, 
Nachdruck Hildesheim 1 966, S. 244ff. u. 259ff. 
Lit. : LudwigR 1, 1 (mit Verz.) ; J. Handschin, Eine wenig 
beachtete Stilrichtung innerhalb d. ma. Mehrstimmigkeit, 
SJbMw 1, 1924; ders., Die Rolle d. Nationen in d. ma. Mg., 
SJbMw V, 1931 ; Y. Rokseth, Polyphonies duXIII e s., Bd 
IV, Paris 1939, S. 70f. ; H. Husmann, Das Organum vor u. 
auCerhalb d. Notre-Dame-Schule, Kgr.-Ber. Salzburg 
1964; ReaneyM; E. Thurston, A Comparison of the St. 
Victor Clausulae with Their Motets, in : Aspects of Medie- 
val and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966). 

Tou (Gennrich: Tourn), Toumai, Bibl. de la Cathedra- 
le, ms. Voisin IV; Pergament, 335:215; 40 f., davon 
f. 1-27 u. 34-40 1st., f. 28-33: »Messe v. Tournai«; 14. 
Jh.; Repertoire: 14. Jh., vermutlich Avignon; Quelle 
eines d. friihestenMeBzyklen: 3st. Kyrie, Gloria, Credo, 
Sanctus-Benedictus, Agnus, Motette He missa est, anon, 
v. verschiedenen Autoren. 

Ausg.: Messe du XIH e s., hrsg. v. E. de Coussemaker, Pa- 
ris u. Lille 1861 ; Missa Tornacensis, hrsg. v. Ch. Van den 
Borren, = CMM XIII, (Rom) 1957 ; French Cycles of the 
Ordinarium Missae, in: Polyphonic Music of the Four- 
teenth Cent. I, hrsg. v. L. Schrade, Monaco 1956 (mit 
Kommentar). 

Lit.: LudwigQu, S. 220f. u. 282; BESSELERSt I, S. 194; H. 
Angles, Una nueva version de el credo de Tournai, RBM 
VIII, 1954; A. Machabey, La Messe de Tournai, RM 
CCXLIII, 1958; H. Stablein-Harder, Fourteenth Cent. 
Mass Music in France. Critical Text, = MSD VII, (Rom) 
1962. 

Toul, Toulouse, Bibl. Municipale, ms. 94; Pergament, 
286:200; 342 f. (neu), Missale Romanum, enthaltend 
d. 3st. »Messe v. Toulouse«; f. 145' u. 147: Kyrie, f. 1 : 
(1st.) Credo (nur Fragment d. Tenors), f. 225'-226: 
Sanctus, Benedictus, f. 226: Agnus, f. 147': Motetus 
super Ite missa est, um 1400; Repertoire: Mitte 14. Jh. 
(Credo) - Ende 14. Jh. ; Quelle eines friihen polypho- 
nen MeBzyklus, v. verschiedenen Autoren. 
Ausg. : French Cycles of the Ordinarium Missae, in: Poly- 
phonic Music of the Fourteenth Cent. I, hrsg. v. L. Schra- 
de, Monaco 1956 (mit Kommentar); Fourteenth Cent. 
Mass Music in France, hrsg. v. H. Stablein-Harder, 



49* 



771 



Quellen:Tr87-A3 



= CMM XXIX, (Rom) 1962, dazu dies., Critical Text, 
= MSD VII, (Rom) 1962. 

Lit. : H. Harder, Die Messe v. Toulouse, MD VII, 1953 ; 
L. Schrade, The Mass of Toulouse, RBM VIII, 1954. 

Tr 87-93, Trienter Kodizes, Trient, Domkapitel, Mss. 
87-92, u. Archivio Capitolare (ohne Signatur, = Tr 
93); Papier, Kleinfolio; 87: 265 f., 88: 422 f., 89: 425 f., 
90: 465 f., 91 : 259 f., 92: 239 f., 93: 382 f. ; 1. Gruppe: 
81 u. 92, um 1440, Oberitalien; Repertoire: 1420-40; 
2. Gruppe: 88-90,93u. altererTeilSi, 1444-65, Trient, 
Repertoire: 2. Drittel d. 15. Jh.; 3. Gruppe: jiingerer 
Teil 91, um 1480, Trient, Repertoire: 1460-80; peri- 
phere Quelle d. Dufay-Zeit; insgesamt 1864 Stiicke: 
alle Gattungen, meist 3-4st., u. a. v. Binchois, Dufay, 
Dunstable, Power. 

Ausg.: Sechs (Sieben) Trienter Cod. Geistliche u. weltli- 
che Kompositionen d. 15. Jh., hrsg. v. G. Adler, O. Rol- 
ler, A. Orel u. R. v. Ficker, = DTO VII (= Bd 14/15), 
XI, 1 (22), XIX, 1 (38), XXVII, 1 (53), XXXI (61), XL (76), 
Wien 1900-33. 

Tu, Turin, Bibl. Reale, vari 42; Pergament, 230:162; 

45 f. = A-E (ohne f.) + 40 f. (romisch) ; um 1350 (Au- 

da), Luttich; Repertoire: letztes Viertel d. 13. Jh. (Bes- 

seler) ; wichtige Quelle d. Ars antiqua neben Mo, Fasz. 

7; 34 Stiicke: 3 3st. lat. Conductus, 31 3st. Motetten 

(24 frz., 1 lat., 6 Doppelmotetten). 

Ausg. : A. Auda, Les »Motets Wallons« du ms. de Turin, 

2 Bde, Briissel (1953). 

Lit. : LudwigQu ; BesselerSI II ; ReaneyM. 

TuB, Turin, Bibl. Naz., J. II. 9 (olim D. VI. 14); Per- 
gament, urspriinglich 390 : 283, Rander versengt ; 159 £. 
(neu); nach 1413, Hof v. Zypern; Repertoire: Anfang 
15. Jh. ; wichtige, aber periphere Quelle d. frz. Musik; 
226 Nrn: I. Abt. (f. 1-27) : 1st. MeBordinarien u. -offi- 
zien; II. Abt. (£. 29-57): 7 3- u. 4st. Gloria-Credo- 
Paare, 3 Gloria; III. Abt. (f. 59-97): 33 meist 4st. lat. 
Motetten, 8 frz. Motetten (40 isorhy thmisch) ; IV. Abt. 
(f. 98-139') : 102 Balladen; Nachtrag (f. 139'-141') : 3st. 
MeBzyklus; V. Abt. (f. 143-158') : 64 meist 3st. weltli- 
che Stiicke (21 Virelais, 43 Rondeaus) ; alle Nrn anon. 
Ausg. : The Cypriot-French Repertory of the Ms. Turin . . . , 
hrsg. v. R. H. Hoppin, 4 Bde, = CMM XXI, (Rom) 1960-63. 
Lit. : BESSELERSt I (mit Verz.) ; R. H. Hoppin, The Cypriot- 
French Repertory of the Ms. Turin .... MD XI, 1957. 

W\, Wolf enbuttel, Herzog August Bibl., Cod. Helmst. 
628 (etiam 677); Pergament, 215:150; 197 f. (neu; 
Husmann) = 214 f. (alt; Ludwig, Handschin) mit Liik- 
ken (unvollstandiger Bd) =11 Fasz. (26 Lagen); Mitte 
13. Jh. (Apel, Hughes), spates 13. Jh. (Handschin), 14. 
Jh. (Ludwig), Fasz. 1-10: Frankreich, Fasz. 11: wahr- 
scheinlich England; Besitzervermerk (f. 64): St. An- 
drews, Schottland; Repertoire: 2. Halfte 12. Jh., 11. 
Fasz. alter (Ludwig), jiinger (Handschin); zentrale Hs. 
d. Notre-Dame-Schule (erste erhaltene Fassung d. Ma- 
gnus liber); 328 Stiicke: u. a. Fasz. 1 : 4st. Organa, Fasz. 
2: 3st. Organa u. Conductus, Fasz. 3-4: Magnus liber, 
Fasz. 5-6: Ersatzklauseln, Fasz. 7-8: 3st. Organa, Mo- 
tetten, Conductus, Fasz. 9: 2st. Conductus, Tropen, 
Organa, Motetten, Fasz, 10: 1st. Conductus, Fasz. 11 : 
2st. Organa. 

Ausg. : An Old St. Andrews Music Book, Faks. hrsg. v. J. 
H. Baxter, = St. Andrews Univ. Publications XXX, Lon- 
don 1931, dazu A. Hughes OSB, Index to the Facs. Ed. of 
Ms. Wi, Edinburgh u. London 1939 ; Die 3- u. 4st. Notre- 
Dame-Organa, krit. GA, hrsg. v. H. Husmann, = PaM XI, 
Lpz. 1940, dazu R. v. Ficker, Probleme d. modalen No- 
tation, AMI XVIII/XIX, 1946/47. 

Lit. : LudwigR 1, 1 (mit Verz.) ; Fr. Ludwig, Uber d. Ent- 
stehungsort d. groBen Notre-Dame-Hss., in: Studien zur 
Mg., Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; J. Handschin, A 
Monument of Engl. Mediaeval Polyphony, The Mus. Times 
LXXIII, 1932 - LXXIV, 1933 ; ders., The Summer Canon 
... II, MD V, 1951 ; H. Husmann, Die 3st. Organa d. 



Notre-Dame-Schule . . ..Diss. Bin 1935; ders., Zur Frage 
d. Herkunft d. Notre-Dame Hs. Wi, Fs. W. Vetter, Bin 
1961 ; ders., The Enlargement of the Magnus liber organi 
. . . , JAMS XVI, 1963 ; W. G. Waite, The Rhythm of 12 th 
Cent. Polyphony, = Yale Studies in the Hist, of Music II, 
New Haven (Conn;) u. London 1954; N. E. Smith, The 
Clausulae of the Notre-Dame School: A Repertorial Study, 
3 Bde (mit Ubertragungen d. Klauselslg in Wi), Diss. Yale 
Univ. (Conn.) 1964; ReaneyM. 

W 2 , Wolf enbuttel, Herzog August Bibl., Cod. Helmst. 
1099 (etiam 1206); Pergament, 175:130; 253 f. (neu; 
unvollstandiger Bd) = 10 Fasz.; Mitte 13. Jh., Frank- 
reich; Repertoire: 2. Halfte 12. Jh. - Mitte 13. Jh.; 
jiingste erhaltene Fassung d. Magnus liber, wichtigste 
Quelle d. altesten frz. Motetten; ca. 300 Stiicke: u. a. 
Fasz. 1: 4st. Organa, Fasz. 2: 3st. Organa, Fasz. 3: 3st. 
Conductus, Fasz. 4-5 : Magnus liber, Fasz. 6 : 2st. Con- 
ductus, Fasz. 7: 3st. lat. u. frz. Motetten u. Conductus, 
Fasz. 8 : 2st. lat. Motetten (mit Marginalverweisen auf 
entsprechende frz. Motetten), Fasz. 9: 3st. Doppel- u. 
Tripelmotetten, Fasz. 10: 2st. frz. Motetten. 
Ausg.: Faks.-Ausg. d. Hs. Wolfenbiittel 1099 (1206), hrsg. 
v. L. A. Dittmer, = Publications of Mediaeval Mus. Mss. 
II,Brooklyn/N.Y.(1960). 

Lit. : LudwigR I, 1 (mit Verz.) ; E. Thurston, The Con- 
ductus Compositions in Ms. W2, 2 Bde, Diss. NY Univ. 
1954, maschr. (mit Ubertragungen); ReaneyM. 

WiTr (Reaney: Cb 473), Winchester-Tropar, Cam- 
bridge, Corpus Christi College, Ms. 473; Pergament, 
146:90; 199 f. (neu); 1. Halfte 11. Jh. (Harrison), Ende 
11. Jh. (Ludwig), England; Repertoire: Anfang 11. Jh., 
in linienlosen Neumen, daher bis heute uniibertragbar; 
friiheste vollstandig erhaltene Quelle d. engl. mehrst. 
Musik; 158 2st. Stiicke: 3 Invitatorien, 19 Tractus, 51 
Responsorien, 53 Alleluja, 7 Sequelae, 3 tropierte In- 
troitus, 12 Kyrie, 10 Gloria. Von einigen 2st. Stiicken 
enthalt WiTr nur d. Vox organalis; d. Cantus liegt vor 
in einem anderen Winchester Tropar, Oxford, Bod- 
leian Library, Ms. Bodley 775. 

Ausg.: The Winchester Troper, hrsg. v. W. H. Frere, 
= Publications of the H. Bradshaw Soc. VII, London 1 894 ; 
Early Engl. Harmony I, hrsg. v. H. E. Wooldridge, Lon- 
don 1897. 

Lit.: LudwigR I, 1, S. 268f.; J. Handschin, The Two 
Winchester Tropers, The Journal of Theological Studies 
XXXVII, 1963; A. Hughes OSB in: The New Oxford Hist, 
of Music II, London 1954, S. 280f.; Fr. Ll. Harrison, 
Music in Medieval Britain, London (1958); ApelN, S. 
226ff. ; A. Machabey, Remarques sur le Winchester Tro- 
per, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; ReaneyM. 

Wol, Wolfenbiittel, Herzog August Bibl, ms. 287 
extra vag., -*■ Chansonnier. 

Wore, Worcester-Fragmente, Reste eines Ms.-Bestan- 
des d. Kathedrale v. Worcester, heute (soweit aufge- 
funden) an 3 Orten gesammelt: 1) Oxford, Bodleian 
Library, ms. Lat. liturg. d 20; 39 f. (neu) ; 2) Worcester, 
Chapter Library, ms. add. 68; Fragmente I-XXXV; 
3) London, Brit. Mus., ms. add. 25031; f. 1, 2a-c, 3; 
alle Pergament, verschiedene Formate; 13.-14. Jh. ; 
Repertoire: Anfang 13. Jh. - um 1350; wichtige Quelle 
d. ma. engl. Musik; neben zahlreichen 1st. Stiicken 
mehrst. Motetten (54), Organa (23), Mefisatze (10), 
Conductus (9) , Sequenzen (9) , Rondelli (7) , Hy mnen (4) . 
Ausg. u. Lit. : The Worcester Fragments. A Cat. Raisonn6 
and Transcriptions, hrsg. v. L. A. Dittmer, = MSD II, 
(Rom) 1957; Worcester Add. 68 . . ., u. Oxford, Lat. Li- 
turgical D 20, London, Add. Ms. 25031 . . .,hrsg. v. dems., 
= Publications of Mediaeval Mus. Mss. V u. VI, Brooklyn/ 
N. Y. (1959-60), Faks. u. Einleitung; ReaneyM. 

Querelle des bouffons (kar'el de buf'5, frz.) -> Buf- 
fonistenstreit. 

QuerflSte (ital. flauto tra verso, flauto tedesco; frz. 
flute traversifere, flute allemande; engl. German flute), 



772 



Querflote 



seit dem Ende des 18. Jh. und in Nachf olge der Block- 
flote auch »F16te« schlechthin genannt, das beweglich- 
ste, gleichwohl im Hinblick auf die Tonerzeugung das 
einfachste unter den Holzblasinstrumenten. Das durch 
die Lippen des Blasers geformte Luftband bricht sich 
an der Kante des im Kopfstiick der Qu. seitlich ge- 
bohrten Mundlochs, so daB (im Unterschied zu Rohr- 
blatt- und Blechblasinstrumenten) die Lippen frei be- 
weglich den Ansatz bilden. Daher kommt kein ande- 
res Blasinstrument der Virtuositat so entgegen wie die 
Qu., auf der die groBten Spriinge in schnellem Tempo 
ausfiihrbar sind. 

Von ihrer Vorlauferin, der -> Querpfeife, ist die Qu. 
seit der 1. Halfte des 17. Jh. unterscheidbar. Praetorius 
(Synt. II) unterscheidet in Qu. (bei ihm noch synonym 
mit Querpfeife) und Schweitzer- oder Feldpfeiff; er 
gibt als unterscheidendes Merkmal nur die Verschie- 
denheit der Griff e an. Nach Mersenne (1636) unter- 
scheidet sich die fifre (Querpfeife) von der fluste d'Al- 
lemand durch lauteren und scharferen Klang, hohe- 
re Stimmung und engere Mensur. Bildzeugnisse fiir 
eine Verwendung der Qu. (oder der Querpfeife) in 
der Kunstmusik sind schon aus dem 16. Jh. iiberlie- 
fert: Auf einem Bild eines unbekannten franzosischen 
Malers werden 3 Edelfrauen dargestellt, die eine 1531 
bei Attaingnant gedruckte Chanson von Sermisy mit 
Singstimme, Laute und Qu. musizieren. Auf dem 
Bild der bayrischen Hofkapelle in H. Mielichs Kodex 
der BuBpsalmen von Lassus (um 1570) ist auch ein 
Qu.n-Spieler zu sehen. Das Inventar der Stuttgarter 
Hofkapelle von 1576 verzeichnet 35 Qu.n. - Ein neu- 
artiger Typus der Qu. trat nach 1650 in Frankreich her- 
vor. Das Kopfstiick war zylindrisch geblieben, das iib- 
rige Corpus verkehrt konisch gebohrt. Diese Bohrung, 
verbunden mit betrachtlicher Wandstarke (bis 5 mm), 
ergab mit dem kleinen, scharf geschnittenenMundstiick 
jenen hellen, nuancenreichen Klang, der den am Hofe 
Ludwigs XIV. und XV. entstandenen Flotenkompo- 
sitionen entspricht (la Barre, Hotteterre le Romain, M. 
Blavet, G. Guillemain). Quantz (1752, S. 41) nennt den 
Klang seiner Instrumente hell, schneidend und mann- 
lich. Erst nach der Mitte des 18. Jh. wurde die Mensur 
enger und die Wandstarke verringert, um die Hohe 
uber das von Hotteterre und nach ihm von Quantz ge- 
nannte e3-a3 zu erweitern. J. S. Bach verlangt in denFlo- 
tenpartien der Kantate Durchlaucht'ster Leopold (BWV 
173a) noch als obere Grenze des Umfangs d3, wahrend 
seine Flotensonaten und vor allem die Suite A moll 
(BWV 1013) fur Qu. solo bis zum a3 gefiihrt werden. 
- Die Bliitezeit der Qu. war das 18. Jh., die empfind- 
same und galante Zeit, in der franzosische Sprache 
und Kultur in Mitteleuropa vorbildlich waren. Es kam 
darauf an, das Instrument . . . in traurigen Arien auf eine 
so riihrende Art wissen winsein und in . . . zartlichen Arien 
auf das verliebteste wissen saufzen zu lassen . . . (Fr. Ra- 
guenet in : Marpurg, Kritische Briefe uber die Tonkunst I, 
S. 69). Neben einem umfangreichen Repertoire von 
Kammermusikwerken mit Qu. entstanden im 18. Jh. 
zahlreiche Solokonzerte, u. a. von Vivaldi, Telemann, 
QuantzJ.A.HasseJ.G.Graun, Friedrich II., C.Ph.E. 
Bach, J. Chr. Bach, Boccherini, C. Stamitz, Cimarosa 
(fiir 2 Qu.n), W.A.Mozart und Danzi. - Das Material 
der Qu. wird erstmals von Mersenne 1636 ausfiihrlich 
beschrieben: man verwende Holz vom Pflaumenbaum 
oder andere Holzarten, die leicht gebohrt werden kon- 
nen, im allgemeinen Buchsbaum; auch Kristall oder 
Glas fanden Verwendung. Im 18. Jh. verarbeitete man 
auch Elf enbein. Nach Quantz (1752, S. 29) sei am dauer- 
haf testen Buchsbaum ; schonster und hellster Ton kom- 
me durch Ebenholz zustande, dagegen werde der Ton 
durch eine Messingfiitterung kreischend, rauh und un- 



angenehm. Seit Th.Bohm sind Silberfloten verbreitet. 
- Bis um 1650 bestand die Qu. aus einer unteilbaren, zy- 
lindrisch gebohrten Rohre (Ph.Jambe de Fer). Die Zer- 
legung der Qu. in mehrere Telle mit auswechselbaren 
FuBstiicken von verschiedener Lange (cis-h-FuB) kam 
in Frankreich im Zusammenhang mit der konischen 
Bohrung in der 2. Halfte des 17. Jh. auf; aus dem 17. Jh. 
sind auch italienische Qu.n (klappenlos, 6 Grifflocher, 
zylindrisch) bekannt, die in 3 Teile zerlegbar sind 
(Kopf, Mittelteil und langes FuBstiick). Die Griinde 
fiir die Zerlegung sind verschieden : eine genauere Boh- 
rung wird ermoglicht, die Abstimmung kann praziser 
erfolgen und das Instrument kann bequemer verwahrt 
werden. Quantz (1752, S. 25f.) berichtet uber die Zer- 
legung und die damit verbundene bessere Stimmungs- 
moglichkeit: um 1720 habe es 2 Mittelstiicke gegeben; 
fiir das obere hatten die Flotisten bis zu 6 auswechselba- 
re Ersatzmittelstiicke, derenjedes, von dem andern, in der 
Stimmung, nicht mehr als um ein Komma, oder ein Neun- 
theil eines ganzen Tones, unterschieden ist. - Bis ins spate 
17. Jh. war die Form der Qu. meist glatt und unverziert. 
Zu Anfang des 18. Jh. kam das Prachtprofil auf, wie es 
auch Hotteterre abbildet. Nach 1740 ist die Gestalt 
der Qu. jedoch schon wieder ganz glatt; in Deutsch- 
land haben sich Prachtprofile etwas langer gehalten. - 
Bis in die 2. Halfte des 17. Jh. waren 6 Grifflocher ub- 
lich. Die ersten -> Klappen begegnen (von einzelnen 
' Ausnahmen abgesehen, z. B. 1589, Stuttgarter Hofka- 
pelle: 1 Klappe) in Frankreich nach 1650. Zuerst wur- 
de die Kleinnngerklappe (dis-Klappe, geschlossen) an- 
gebracht. Daneben brachte Quantz (nach eigenem 
Zeugnis) 1726 die enharmonische es-Klappe an. In der 
2. Halfte des 18. Jh. kamen je eine Klappe fiir fi, gisi, 
b 1 , c 2 und eine 2. fiir f 1 hinzu, letztere mit einem Lang- 
hebel fiir den 5. Finger. Von 1785 an sind in der Regel 
diese Klappen samtlich vorhanden, daneben hielt sich 
die Qu. mit nur einer oder mit wenigen Klappen noch 
lange. Um 1790 unterschied man die »StraBburger« 
Bauweise mit 1-3 Klappen von der englischen mit 4. 
Um 1820 wurde von dem Schweizer Gordon das f- 
Loch mit Ringklappe versehen. An der Entwicklung 
der modernen Qu. waren auBer Quantz auch J.G. 
Tromlitz (8 Klappen) und besonders Th. -> Bohm be- 
teiligt. Bohm baute 1832 eine konische Flote mit Ton- 
lochern fiir jeden chromatischen Ton und ubernahm 
das Ringklappensystem; 1847 konstruierte er die zy- 
lindrische Qu. mit parabolischem Kopfstiick. Dieses 
Instrument mit ganz neuem Klangcharakter wurde 
von franzosischen und englischen Spielern sehr bald, 
von den deutschen nur zogernd aufgegriffen. Eine 
Riickkehr zur konischen Flote wurde von Kruspe und 
Schwedler versucht (1885, Reformflote 1912). - Das 
Kopfstiickende wurde schon friih durch einen Kork 
verschlossen. Mersenne zufolge war dieser Pfropfen 
17 mm vom Mundloch (wahrscheinlich Mundloch- 
mitte gemeint) entfernt. War der Kork anfangs fest- 
sitzend, so war eine Verschiebbarkeit geboten, als die 
Zerlegung der Mittelstiicke aufkam (nach 1720). Bei 
Gebrauch eines langeren Mitteleinsatzes wurde der 
Pfropfen naher an das Mundloch herangeschoben, bei 
kiirzeremMitteleinsatz wurde sein Abstand zum Mund- 
loch vergroBert. In der Zeit Quantz' kam die bis heute 
iibliche Pfropfenschraube auf. - Das Mundloch war in 
der 1. Halfte des 18. Jh. rund und klein. Der Ton war 
kleiner, aber scharfer (obertonreicher) im Vergleich zu 
dem Flotenton, der mit dem rundovalen oder ovalen 
Mundloch hervorgebracht wurde (ab Ende des 18. Jh.) ; 
danach setzte sich die rechteckig-abgerundete Mund- 
lochform Bohms durch. 

Die Qu. mit di als unterster Tongrenze war bis um 
1800 dominierend. Agricola (1529) kennt ein Stimm- 



773 



Querflote 



werk von 4 Schweitzer Pfeiffen (Querpfeifen). Bei 
Praetorius (1619) hat das Stimmwerk der zylindrischen 
Traversa, Querpfeiff oder Querflott 3 Arten : BaB auf 
g, Tenor- Alt auf d 1 (die wichtigste Lage, auch als Dis- 
kant zu gebrauchen) sowie Diskant auf a 1 . Der Umfang 
ist wie beim Zink vind der Dolzflote 15-19 Tone. Mer- 
senne erklart 1636 nur einen Typus, verweist jedoch 
auf 4 verschiedene Stimmlagen; Hotteterre kennt nur 
die Alt-Tenor-Lage (70,5 cm). Um 1750 gab es neben 
dieser NormalgroBe (d 1 oder ci) die groBe Quartflote 
(g oder a), die Flute d'amour (h oder a), die kleine 
Quartflote (fi oder gi) und die BaBflote (f). Letztere 
wird z. B. bei Handel als Traversa bassa 1727 im Ric- 
cardo verlangt. J.G.Tromlitz (1791) kennt Oktavflote 
(c 2 ), Quartflote (fi), GroBe Flote (el), Flute d'amour (a) 
und BaBflote (c). Um 1900 sind folgende Qu.n-GroBen 
iiblich: Kleine Floten (c 2 , des 2 , es 2 , -> Piccolo), GroBe 
Floten (a', b, h, el, desi, esi), Altfloten (es, f, g), BaBflote 
(c, des, -> Albisiphon). Der Umfang der heutigen Qu. 
reicht chromatisch von c 1 bzw. h bis normal c 4 oder d 4 , 
spielbar ist noch f 4 . Heute ist neben der »groBen« Flote 
und der Piccoloflote in Frankreich und Belgien gele- 
gendich das -*- Flageolett (- 1) in Gebrauch. Die Altnote 
mit gekropftem Kopf stiick wird in neuerer Zeit nur ge- 
legentlich verlangt (u. a. von Rimskij-Korsakow, »Die 
Sage von der unsichtbaren Stadt Kitesch . . . «; Pfitzner, 
Palestrina; Ravel, Daphnis et Chloi; Strawinsky, Le 
Sacre du Printemps; Scnostakowitsch, VII. Symphonie; 
B.Britten, Albert Herring; H. W.Henze, Der Prinz von 
Homburg). - Die wichtigsten Schulen fur Qu. schrie- 
ben: Hotteterre (1707), Quantz (1752), Tromlitz (2 
Teile, 1791-1800), Devienne (1795), Hugot und Wun- 
derlich (1804, eingefuhrt am Conservatoire), Berbi- 
guier (1820), Furstenau (1828 und 1834), Tulou (1835), 
P.Taffanel und Ph.Gaubert (1923), G.Scheck (1936), 
H.Zanke (1949), H.P. Schmitz (1955). Etiiden fur Qu. 
veroffendichten u. a. Furstenau, Th. Bohm, P. Camus, 
L. de Lorenzo, S.Karg-Elert, M.Moyse und H.Genz- 
mer. In neuerer Zeit komponierten Ibert (1934), Joli vet 
(1949), Genzmer (1954, 1955) und Petrassi (I960) Solo- 
konzerte fiir Qu. 

Lit. : M. Agricola, Musica instrumentalis deudsch, Wit- 
tenberg 1529 u. "1545, hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, Jg. 
XXIV, Bd XX, Lpz. 1896; Ph. Jambe de Fer, Epitome 

mus Lyon 1556; Praetorius Synt. II ; M. Mersenne, 

Harmonieuniverselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 
3 Bde, Paris 1963 ; J. M. Hotteterre, Principes de la flute 
traversifcre ou flute d'Allemagne . . ., Paris 1707, Faks. u. 
deutsche ttbers. hrsg. v. H. J. Hellwig, Kassel 1942, 21958; 
WaltherL; Quantz Versuch; J. G. Tromlitz, Kurze 
Abh. v. Flotespielen, Lpz. 1786; ders., Ausfuhrucher u. 
griindlicher Unterricht d. FI. zu spielen, Lpz. 1791, II.Teil: 
Uber d. FI. mit mehreren Klappen, Lpz. 1800; Huoot u. 
Wunderlich, Mithode de flute du Conservatoire, Paris 
1804, deutsch v. Kiihnel, Lpz. o. J.; Th. Bohm, t)ber d. 
Flotenbau u. d. neuesten Verbesserungen derselben, Mainz 
1 847 ; ders., Die FI. u. d. Flotenspiel . . . , Munchen (1871), 
NA Lpz. u. Bin o. J., Wien o. J., engl. v. D. C. Miller, NY 
2 1960; R. S. Rockstro, A Treatise on the Construction, 
the Hist., and the Practice of the Flute, London 1890, 
2 1928; A. Schwedler, Katechismus d. FI. u. d. Floten- 
spiels, = Weber's illustrierte Katechismen Nr 159, Lpz. 
1897, als: FI. u. Flotenspiel '1923; P. Wetzoer, Die FI., 
Heilbronn (1905); A. Goldberg, Biogr. u. Portraitslg her- 
vorragender Flotenvirtuosen, Lpz. 1906; H. M. Frrz- 
gibbon, Story of the Flute, London 1 9 1 4, ( 2 1 929) ; L. Fleu- 
ry, The Flute and Flutists in the French Art of the 1 7 th and 
1 8 th Cent., MQ IX, 1923 ; H. Halbig, Die Gesch. d. Klappe 
an FI. u. Rohrblattinstr., AfMw VI, 1924; K. Schlenger, 
Uber Verwendung u. Notation d. Holzblasinstr. in d. 
fruhen Kantaten J. S. Bachs, Bach-Jb. XXVIII, 1931 ; G. 
Scheck, J. J. Quantz' Flotenschule (1752), Deutsche Ton- 
kiinstlerzeitung XXIII, 1937; ders., Die Qu., in: Hohe 
Schule d. Musik IV, hrsg. v. J. M. Muller-Blattau, Potsdam 
(1938); H. Kolbel, Von d. FI., = Musica instrumentalis 



III, (Koln u. Krefeld 1951), mit Bibliogr. ; L. de Lorenzo, 
My Complete Story of the Flute, NY 1951 ; H. P. Schmitz, 
Qu. u. Querflotenspiel in Deutschland wahrend d. Barock- 
zeitalters, Kassel (1952) ; ders., Flotenlehre, 2 Teile, Kassel 
1955; ders., t)ber d. Verwendung v. Qu. d. 18. Jh. in un- 
serer Zeit, Fs. M. Schneider, Lpz. (1955); W. Haseke, Un- 
tersuchungen zur Flotenspielpraxis d. 18./19. Jh., Diss. 
Koln 1954, maschr.; G. Muller, Die Kunst d. Floten- 
spiels, 2 Teile, Lpz. u. Bin 1954; F. Demmler, J. G. Trom- 
litz, Diss. Bin 1961 ; H. Kunitz, Die FI. (= Die Instrumen- 
tation II), Lpz. 1961 ; K. Ventzke, Die Boehmfl., = Fach- 
buchreihe Das Musikinstr. XV, Ffm. 1966. 

Querpfeife (Zwerchpfeife, Schweizerpfeife, Feldpfei- 
fe, auch -> Schwegel - 1), eine kleine Querflote mit 6 
Grifflochern und enger Bohrung. Vom 15. Jh. an war 
sie (neben der -*■ Einhandflote) wegen ihres lauten, 
scharfen Klanges, begleitet von der Trommel, das be- 
vorzugte Instrument der -»- SpieUeute (- 1). Agricola 
(1525) kennt ein Stimmwerk von 4 Schweizerpfeifen. 
Praetorius (Synt. II) nennt neben dem Stimmwerk der 
Traversfloten 2 Schweizerpfeifen (di-a 2 und g'-c 2 ). 
Mersenne (1636) unterscheidet die grelltonende fifre 
(Qu.) von der sanf teren fluste d' Allemand (->■ Querflote) . 
Im 19. Jh. erhielt die Qu. konische Bohrung und ein 
Kleinfingerloch fiir den Ton es. Die in der Militarmu- 
sik verwendete deutsche Infanterie-Qu. stand in hoch 
B. In der Volksmusik der Alpenlander blieb die Qu. 
bis in die Neuzeit lebendig (eine erfolgreiche Wieder- 
belebung ging von K.M.Klier aus); vor allem in der 
Schweiz hat sich die traditionelle Zusammenstellung 
von Pfeifem und Trommlern erhalten. 
Lit.: WaltherL, Artikel Fiffaro, Flauto traverso, Schweit- 
zer-Flote; K. M. Klier, Die volkstiimliche Qu., Das 
deutsche Volkslied XXV, 1923, auch separat Wien 1923; 
ders., Volkstiimliche Querfloten u. d. Maultrommel . . ., 
Kgr.-Ber. Wien 1927; ders., Neue Anleitung zum Schwe- 
geln, Wien 1931; ders., Volkstiimliche Musikinstr. in d. 
Alpen, Kassel 1956. 

Querstand (lat. relatio non harmonica) heiBt eine auf 
2 Stimmen verteilte Halbton- bzw. Tritonusfolge, der 
Widerspruch zwischen 2 To- . 
nen in diagonaler Position (sie- 
he Beispiel). Chr.Bernhard ' 
zahlt in seiner Kompositionslehre auch den -> Passus 
duriusculus zu den falschen Relationen. Da dem Qu. 
entweder ein nichtleitereigener Ton (z. B. chroma- 
tischer Nebenton) oder ein Tritonusschritt zugrunde 
liegt und diese den eindeutigen Ablauf einer Har- 
moniefolge zu storen scheinen, wird er von der Mu- 
siklehre im allgemeinen verboten. Dieses Verbot gilt 
jedoch einzig im Bereich des strengen Kontrapunkts 
als verbindlich. Die Musiklehre der Barockzeit, die 
den Tritonus-Qu. in Anlehnung an die Hexachord- 
lehre als ->■ Mi contra Fa bezeichnet, klassifiziert die ver- 
schiedenen Arten der Relationes non harmonicae be- 
reits in tolerabiles mid intolerabiles (WaltherL). Erstere 
werden als spezifischer Ausdruck eines Aff ekts empf oh- 
len, da sie gleichsam mit Gewalt zu einem annehmlichen / 
verliebt oder andachtigen Trauren zwingen (Printz, Phry- 
nis Mitilenaeus, 1696). Eine exakte Definition fiir er- 
laubte und unerlaubte Relationes wird im Hinblick auf 
die Kompositionen jedoch nicht gegeben, weil die Auc- 
tores so wohl, als dergoAt der Zuhorer hierinnen nicht einig 
sind (WaltherL). Wahrend im kompositorischen Be- 
reich das Verbot des Qu.s zu keiner Zeit prinzipiell be- 
achtet wurde, laBt sich die Unsicherheit in der theore- 
tischen Beurteilung dieses Verbots bis in die Neuzeit 
verfolgen: es lassen sich keine bestimmte Regeln geben, in 
welchen Fallen solche Fortschreitungen verwerflich, und in 
welchen sie zulafiig sind (KochL). In der Musik des 19. 
Jh. wurde der Qu. endgiiltig zu einer Selbstverstand- 
lichkeit; seine spezifisch klanglich-koloristische Eigen- 



774 



Quintenzirkel 



art wurde zu einem Stilcharakteristikum (so bei Schu- 
bert). In der nicht mehr tonal gebundenen Musik ver- 
lor der Qu. als Name und Sache seinen Sinn. 

Quickstep (engl.) -»• Foxtrott. 

Quilisma (mittellat., von griech. xuXlvSetvoderxuXt- 
etv, walzen, drehen), eine der Zierneumen (-»- Neu- 
men - 1). Das Qu. tritt meist an der Stelle des Halbtons 
(e-f oder h-c) auf und scheint eine besondere, bisher 
jedoch noch nicht ganz geklarte Vortragsweise anzu- 
zeigen (Kiirzung des Qu.-Tons, Verschleifung, Triller 
oder ahnlich). 

Lit. : C. Vivell OSB, Das Qu., Gregorianische Rundschau 
IV, 1905; W. Wiesli, Das Qu. im Cod. 359 d. Stiftsbibl. St. 
Gallen, Immensee (1966). 

Qulntaden (von mittellat. quintadenare, quintieren), 
auch Quintade, Quintaton, ein engmensuriertes, zy- 
lindrisch gedecktes Orgelregister zu 16', 8' und 4'. Die 
Metallpfeifen haben einen niedrigen Aufschnitt; da- 
durch tritt der 3. Teilton (Duodezime) charakteristisch 
hervor. Das Qu. wird auch als rohrgedecktes Register 
gebaut (Rohr-Qu.). Die P£eifen werden oft mit Ka- 
stenbSrten versehen, um die Ansprache zu erleichtern. 

Quintdezime (lat. quinta decima, funfzehnte), die 
Doppeloktave. 

Quinte (lat. quinta, fiinfte; griech. Sianbm), die 5. 
Stufe in diatonischer Folge, zusammen mit der gro- 
Ben oder kleinen Terz das den -*■ Dreiklang konstituie- 
rende Intervall. Die musikalische Praxis- " 
kenntdieQu. als rein, vermindert (-»-Tri-3 
tonus) und ubermaBig. Die musikali- 
sche Akustik kennt die reine Qu. als natiirlich (2:3) 
und gleichschwebend temperiert ( 7 /i2 der Oktave). 
- In der Theorie der antiken Griechischen Musik gilt 
die Qu. (Diapente) neben -*■ Diapason (- 1) und Dia- 
tessaron als Symphonia, im Mittelalter als -*- Con- 
cordantia (-*■ Konsonanz - 1). Seit den Pythagoreern 
ist Quintverwandtschaft das Prinzip fur den Aufbau 
des -> Tonsystems; im 16. Jh. wurde die Quintreihe 
durch eine Quint-Terz-Reihe abgelost. Obgleich die 
Dreiklangsharmonik der spateren Zeit die Terzver- 
wandtschaft immer starker betonte, wurde doch in der 
tonalen Musik die grundlegende Bedeutung der Quint- 
verwandtschaft von Tonen, Tonarten und Dreiklangen 
niemals in Frage gestellt. Sie kommt vor allem in der 
Lehre von den 3 Grundfunktionen der tonalen Har- 
monik zum Ausdruck, in der die besondere Bedeutung 
der Dominante und Subdominante von deren Quint- 
verwandtschaft mit der Tonika abgeleitet wird. Die 
in reiner Stimmung unendliche Folge von Qu.n wird 
seit Einfiihrung der gleichschwebenden Temperatur 
im 17. Jh. als -+ Quintenzirkel dargestellt. 

Quintenzirkel heifk der Rundgang durch die 12 
Quinten des temperierten Systems: c(his) g(fisis,asas) 
d(cisis.eses) a(gisis.heses) e(fes) h(ces) fis(ges) cis(des) 
gis(as) dis(es) ais(b) eis(f) his(c). Da der Qu. stets zu sei- 
nem Ausgangston zuriickkehrt, zwingt er irgendwo zu 
einer enharmonischen Verwechslung, d. h. zur schreib- 
technischen Auswechslung von jt, 1) und \>. Die enhar- 
monische Umdeutung dagegen, die durch den tonalen 
Zusammenhang erzwungene Anderung der Auf f assung 
von temperiert identischen Tonen, erfolgt konsequen- 
terweise erst dort, wo die Tonart erreicht ist, die mit 
der Ausgangstonart enharmonisch identisch ist, d. h. 
amEnde des Qu.s {-*■ Enharmonik). Auf ahnliche Wei- 
se entsteht der Quartenzirkel. BereitsJ.J.Froberger soil 
(nach A.Werckmeister, Hypomnemata musica, 1697) 
Qu. und Quartenzirkel in einer (heute verschollenen) 
Kanzone angewendet haben. Angeregt durch Werck- 



meisters Arbeiten (Musicalische Temperatur, 1686/87) 
und auf Grund von J. G. Neidhardts endgiiltiger Reali- 
sierung der zwolf stufigen gleichschwebenden Tempe- 
ratur (Sectio canonis harmonici, 1724), entstanden ab 1700 
zahlreiche experimentelle Stiicke, die durch den ganzen 
Qu. bzw. Quartenzirkel modulieren, z. B.J. Mattheson, 
Exemplarische Organisten-Probe (1719, 10. Probstiick) 
undJ.D.Heinichen, Der General-Baft in der Composition 
(1728, darin die lange Zeit J.S.Bach zugeschriebene 
Fantasia durch alle Tonarten gehend, vgl. BWV Anh. 
179). Nach dem Qu. angeordnet ist die Clavieriibung 
aus 24 Praeludia durch den ganzen Circulum Modorum 
von G. A. Sorge (1730). Nach Heinichen soil der Zirkel 
die naturliche Ordnung, Verwandtschaft und Ausschweifung 
aller Modorum musicorum zeigen. Doch handelt es sich 
dabei nicht immer um einen ausgesprochenen Qu. Der 
Zirkel Heinichens wie auch der z. B. in J.Matthesons 
Kleiner General-Baft-Schule (1735) ist ein Terzen-Qu. 




(G. A. Sorge 1747) 
Sein regelmaBiger Wechsel von Terz- und Quintstu- 
fen entsteht durch das unmittelbare Nebeneinander- 
riicken von je zwei Dur- und Molltonarten, wodurch 
sich die Verwandtschaftsverhaltnisse der 24 Tonarten 
von denjenigen des eigentlichen Qu.s als verschieden 
erweisen. Sorge, der Heinichens Zirkel deswegen kri- 



775 



Quinteme 



tisiert (Vorgemach der musicalischen Composition III, 1 747) , 
gibt in Tabelle XL ein Gegenbeispiel dutch den Circkel 
aufeine neue Art (siehe Abbildung auf vorhergehender 
Seite). Der Terzen-Qu. ist jedoch ein Schlussel zur Er- 
kenntnis mancher Modulationsplane um 1700, beson- 
ders im Werk J.S.Bachs. Das spatere 18. Jh. kannte 
noch andere Zirkel. So bringt G.J. Vogler (Tonwissen- 
schaft und Tonsezkunst, 1776) folgende Harmonisierung 
der »vermischten Leiter« : 




Es handelt sich um einen chromatisch ausgestuften 
Kleinterzenzirkel. Das Gebilde ist insofern bemerkens- 
wert, als es - wenn auch nicht immer vollstandig - in 
manchen Werken des spateren 18. und friihen 19. Jh. 
wiederkehrt; so z. B. in der Fantasia II in C dur aus der 
5. Sammlung der Klaviersonaten . . . fur Kenner und 
Liebhaber von C. Ph.E. Bach, im 1 . Satz der 2. Sympho- 
nic von Beethoven (Takt 326ff.) und im Wegweiser aus 
Schuberts Winterreise (Takt 57fL). Eine Modulation 
durch den ganzen Qu. bzw. Quartenzirkel, von der H. 
Chr. Koch meint, sie kame in den Tonstiicken niemals 
vor (Handbuch bey dem Studium der Harmonie, 1811), 
findet sich noch bei Beethoven im zweiten seiner Zwei 
Praeludien durch alle Dur-Tonarten op. 39 (1789). Jedoch 
benutzen die Komponisten des 18. Jh. bei enharmoni- 
schen Modulationen im allgemeinen nur Ausschnitte 
aus dem Qu. bzw. Quartenzirkel (vgl. J. S.Bach, Fan- 
tasie G moll, BWV 542, Takt 32ff., und W. A. Mozart, 
Finale des ersten der J. Haydn gewidmeten Streichquar- 
tette, K.-V. 387, 4. Satz, Takt 124fL). Fur enharmoni- 
sche Modulationen in der Musik des 19. und friihen 20. 
Jh. haben die Terzenzirkel groBere Bedeutung. 
Lit. : W. Dupont, Gesch. d. mus. Temperatur, Kassel 1935, 
S. 72ff.; M. F. Bukofzer, Music in the Baroque Era, NY 
(1947), S. 384f . ; M. Frisch, G. A. Sorge u. seine Lehre v. d. 
mus. Harmonie, Diss. Lpz. 1954, maschr. ; E. Seidel, Ein 
chromatisches Harmonisierungsmodell in Schuberts »Win- 
terreise«, Kgr.-Ber. Lpz. 1966. ESe 

Quinteme, im 16. Jh. in Deutschland eine Bezeich- 
nung fiir die -> Mandora. Im 17. Jh. war Qu. eine 
->■ Gitarre (bei Praetorius Synt. II mit geschweiftem 
Wirbelkasten). 

Quintett (ital. quintetto; frz. quintette, quintuor; engl. 
quintet), eine Komposition fiir 5 Instrumente oder 5 
Singstimmen, auch ein Ensemble von 5 Instrumental- 
oder Vokalsolisten. Das instrumentale Qu. hieB bis ins 
19. Jh. meist Quintuor. - Haufig ist das Streich-Qu., 
das die Streichquartettbesetzung (2 V., Va, Vc.) ent- 
weder um ein zwei tes Violoncello (so vor allem bei 



Boccherini, auf den das Streich-Qu. zuriickgehf, auch 
in Schuberts op. 163) oder um eine zweite Viola erwei- 
tert (so bei Mozart, K.-V. 515, 516, 593 und 614, au- 
Berdem in Bruckners Qu. F dur). Wahrend der 5st. 
Streichersatz gegeniiber dem -» Streichquartett nicht 
nur groBere Klangf iille bedeutet, sondern auch im Um- 
gehen mit 5 gleichrangigen Stimmen subtilere kom- 
positorische Arbeit verlangt, bringt das Hinzutreten 
eines anderen Instruments, vor allem des Klaviers, ein 
konzertierendes Element in das Qu. Von der Norm ab- 
weichend besetzt ist das Forellen-Qu. von Schubert (V. , 
Va, Vc, Kb. undKl.). In der Regel wird das Klavier mit 
Streichquartett kombiniert (2 V., Va, Vc. und Kl.; 
z. B. Schumann, op. 44), daneben mit Blasern (Mozart, 
K.-V. 452; Beethoven, op. 16). Den besonderen klang- 
lichen Reiz, der sich aus der Verbindung der Klarinette 
mit Streichern ergibt, entdeckte Mozart in seinem be- 
deutenden Klarinetten-Qu. K.-V. 581 ; spater huldig- 
ten ihm Brahms (op. 115) und Reger (op. 146). Andere 
gemischte Besetzungen blieben vereinzelt (Prokofjews 
Qu. op. 39: V., Va, Kb., Ob., Klar.). Das Blaser-Qu. 
erweitert die Besetzung des (Holz-)Blaserquartetts um 
das Horn. - In der Oper ist Qu. eine Ensembleszene 
von 5 handelnden Personen mit Orchesterbegleitung. 

quintieren, - 1) eine die altere Art der Mehrstimmig- 
keit (-> Organum, -> Dechant) fortf iihrende bzw. eine 
originar volkstiimliche Stegreifpraxis, die vornehm- 
lich auf der Quinte beruht. Bei Gaultier de Coinci 
(1177/78-1236) ist belegt: deschanter ou quintoier (Mi- 
racles de Nostre Dame, Ms. Soissons, f. 176'), ahnlich 
bei J. de Conde (1. Halfte des 14. Jh.): quintier, doubter 
[et] descanter (Li Dis dou levrier, 80). Praziser sind die 
Angaben bei Jacobus Leodiensis (Speculum musicae VII, 
CS II, 394b), der dyapentizare vel quinthiare (qui amplius 
. . . et quasi a domino utitur quintis) und quartare sive dya- 
tesseronizare (si amplius quartis utatur) als Arten der Dia- 
phonia (sive discantus) erwahnt. Weitere Belege fin- 
den sich u. a. bei O. v. Wolkenstein (21, II: Wie wol der 
gauch von hals nit schon quientieret, und derfranzoisch hof- 
lich discantieret), im Liederbuch der Clara HStzlerin von 
1471, in S. Brants Narrenschiff von 1494 (73, 21f. : Wis- 
sen als vil von kyrchregyeren / Alls mullers esel kan qwintye- 
ren) undMittedeslo.Jh. bei J. Skelton (They finger ther 
fidles and cry in quinibles, ed. Dyce, II, 434a). L.Zacconi 
(1592) charakterisiert die haufigen Quintparallelen der 
Villanelle als Nachahmung baurischen Singens. In 
Randgebieten (Island, Alpenlander, Portugal, Adria- 
Inseln) hat sich das Qu. teilweise bis in die Neuzeit er- 
halten. - 2) bei Blasinstrumenten (Klarinette, -> Quin- 
taden) das ->■ Uberblasen in den 3. Naturton (Duo- 
dezime). 

Lit. : zu 1) : W. Bachmann, Die Verbreitung d. Qu. im euro- 
paischen Volksgesang d. spaten MA, Fs. M. Schneider, 
Lpz. (1955). 

Quintole (Fiinfer; ital. quintina; frz. quintolet; engl. 
quintuplet), eine fiir 3, 4 oder 6 Noten eintretende Fi- 
gur von 5 Noten gleicher Form. Entsprechend der 
->- Triole wird die Qu. durch Zusammenfassung mit 
eckiger Klammer oder mit Bogen und Beifiigung der 
Zahl 5 kenntlich gemacht. 

Quinton (kst'5, frz.), eine Diskantviola, die auch als 
Mischf orm zwischen Viola und Violine gebaut wurde, 
mit 5 Saiten in der Stimmung g d 1 al d 2 g 2 . Auf dem 
Qu. wurde in Frankreich im 18. Jh. im 5st. Geigenen- 
semble die hochste Stimme gespielt. Sonaten fiir Qu. 
veroffentlichte u. a. J. -> Aubert. 

Lit.: J.-J. Rousseau, Dictionnaire de musique, Genf 
1767(7), Paris 1768, Artikel Quinte; SachsL; J. Eppels- 
heim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Munchner 
Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961. 



776 



Quodlibet 



Quintsextakkord -> Septimenakkord. 

Quintus (lat. der Fiinfte; auch quinta vox, fiinfte Stim- 
me; ital. quinto) bezeichnet in fiinf- und mehrstimmi- 
gen Vokal- oder Instrumentalwerken des 16. und 17. 
Jh. die 5. Stimme, die in der Regel keine neue Stimm- 
lage zu den herkommlichen 4 -*■ Lagenstimmen hinzu- 
fiigt, sondern einen 2. Sopran (Diskant), Alt, Tenor 
oder BaB darstellt (Ausnahmen sind Satze, in denen zu 
einem normal geschliisselten Diskant ein zweiter im 
Mezzosopranschliissel oder zu einem BaB eine zwei- 
te, hohere BaBstimme im Baritonschliissel hinzutritt). 
Qu. ist - ebenso wie Sextus (sexta vox), septima vox 
usw. - primar eine Bezeichnung fiir ->• Stimmbiicher, 
in denen jeweils die eine der im Satz zweifach vertrete- 
nen Lagenstimmen der funf-(sechs-, sieben-)stimmigen 
Kompositionen aufgezeichnet ist. Andere Bezeichnun- 
gen fiir die 5. Stimme sind -> Vagans und -> Concor- 
dant. Zweifach vorhandene Lagenstimmen werden oft 
als Primus und Secundus unterschieden; die zwischen 
Tenor und BaB liegende 5. Stimme wird auch als Ba- 
rytonus (-> Bariton - 2) bezeichnet. Im 5st. Streicher- 
satz im Frankreich des 17. Jh. (z. B. J.-B. Lully) verfestig- 
te sich Qu. (frz. quinte) zu einer Bezeichnung fiir die 
zwischen -*■ Taille und Basse eingeordnete Lagenstim- 
me (quinte de violon; -> Viola tenore - 1) ; doch konn- 
te nach Mersenne (1636, IV, S. 189) quinte auch die 2. 
Stimme von oben (zwischen dessus und haut-contre) 
bezeichnen. - Nicht von Qu. herzuleiten ist -> Quinton. 

Quodlibet (lat., was beliebt), die Verbindung vorge- 
gebener vollstandiger oder f ragmentarischer Melodien 
und Texte in einer meist humoristisch gemeinten Kom- 
position oder improvisatorischen Darbietung. Der Na- 
me Qu., vielleicht auch die Anregung fiir das scherz- 
hafte musikalische Qu., geht (nach Rogge 1965) zu- 
riick auf die an deutschen Universitaten in der 1. Halfte 
des 16. Jh. zu Scherzdisputationen abgesunkenen Dis- 
putationes de quolibet, Stegreif disputationen urspriing- 
lich ernsten Inhalts nach dem Vorbild der Pariser Sor- 
bonne, wo sie vor allem Anfang des 14. Jh. an der theo- 
logischen Fakultat iiblich waren. Die ersten mehrstim- 
migen Vokalkompositionen, die dutch absichtlich un- 
zusammenhangende Reihung von Text- und Melodie- 
bruchstiicken spaBhaf te Wirkung hervorbringen woll- 
ten, wie auch die Bezeichnung Qu. dafiir, erschienen 
1544 in W. Schmeltzls Guter, seltzamer, und kiinstreicher 
teutscher Gesang, sonderlich ettliche kiinstliche Qu. - Inso- 
fern im Qu. vorgegebene Melodien und Texte neu 
kombiniert werden, ist das satztechnische Verfahren 
des Qu.s allerdings alter. Aus zahlreichen qu.-artigen 
Stiicken des Codex Montpellier (-> Quellen: Mo) hebt 
sich als besonders kunstvolles Beispiel solcher Kombi- 
nationstechnik die 2st. Motette La bele m'ocit - In saecu- 
lum heraus, in deren Motetus 13 Refrains aus Trouvere- 
melodien zitiert werden. Ahnlich angelegt sind 3 Stiik- 
ke des Glogauer Liederbuchs (Glo), bei denen der Su- 
perius von Dunstables O rosa bella mit einem aus Lied- 
zitaten bestehenden Tenor und einem frei kompo- 
nierten Contratenor kombiniert ist (weitere Beispiele 
nennt Maniates 1965). Zum Qu. im weiteren Sinne 
konnen auch die Tenorliedsatze mit 2 C. f . (und Hin- 
zufiigung freier Gegenstimmen) gezahlt werden, die 
vor allem bei Senfl, auBerdem u. a. bei Arnold von 
Bruck, Othmayr und Le Maistre vorkommen. Als eine 
kunstvolle Variante dieser Satzart ist das polyphone 
Qu. anzusehen, das durch kontrapunktische Verbin- 
dung mehrerer vollstandiger Liedmelodien (ohne wei- 
tere Gegenstimmen) entsteht. Es ist bei Schmeltzl (1 544) 
mit nur einem Beispiel vertreten; Praetorius (Synt. Ill) 
nennt ein aus 5 Choralmelodien kombiniertes Qu. von 
J. Goldel, ein ahnliches Stuck ist von Kindermann iiber- 



Iiefert (Drifache Fuga Uber 3 Chorale, 1645, in: DTB 
XXI-XXIV); auch J. Christenius veroffentlichte 1624 
ein Kirchen-Quotlibet. Von den alteren Beispielen der 
Qu.-Technik wie auch vom Tenorlied-Qu. und dem 
polyphonen Qu. geht im allgemeinen keine eigentlich 
humoristische Wirkung aus, ihr Sinn und Reiz liegen 
vielmehr im artifiziell-satztechnischen Moment. Das 
scherzhafte Qu. - oft weitaus kunstloser - beschrankt 
sich nicht auf die Kombination von Liedmelodien oder 
-fragmenten, sondern reiht auch beliebige Texte: Zi- 
tate (Sprichworter, Trinkspriiche, grammatische Re- 
geln), frei erfundene (Wortspiele, Reimscherze) oder 
onomatopoetische Texte (mehrsprachigen Misch- 
masch, Buchstabierscherze), auch Solmisationssilben. 
In der Wahl lautmalerischer Texte und Marktrufe riickt 
bisweilen die Chanson (z. B. bei Janequin) in die Nahe 
des Qu.s. -W. Schmeltzl beschreibt (1544, Vorrede) 4 
Arten des Qu.s: die Aufzahlung von vielerlei Dingen 
(dabei ist der Text in alien Stimmen gleich), die Anein- 
anderreihung von kurzen Liedzitaten (-»• Cento) mit 
gleichem Text oder mit verschiedenen Zitaten und Tex- 
ten in den Stimmen, auBerdem das polyphoneQu.Schon 
vor Schmeltzl erschienen einige scherzhafte, dem Qu. 
ahnliche Stiicke in Forsters Sammlung Frische teutsche 
Liedlein II (1540). Einzelne Qu.s sind uberliefert von 
Lassus (»Nasenlied«), J.Reiner undEccard; vonJ.Vaet 
stammt das singulare Beispiel einer Missa quodlibetica 
(Ms. von 1573). - Im 16. Jh. zeigen sich auch auBerhalb 
Deutschlands dem Qu. verwandteErscheinungen, so in 
der franzosischen -*■ Fricassee, der spanischen -> En- 
salada, in Italien im Centone (vgl. Jeppesen 1939), in 
der Incatenatura da villota (bzw. villota d'incatenatura, 
zur Unterscheidung vgl. Torrefranca) und Misticanza 
(bzw. Messanza). - Im 17. Jh. gelangt das mehrstim- 
mige Qu. vor allem im Schafien von M.Franck zu 
neuer Bliite (Musicalischer Grillenvertreiber, 1622). Ne- 
ben einzelnen Beitragen von Ghro (ein 4st. Qu. Bettler 
Mantel, 1606), Zangius (Ich will zu Land ausreiten, in: 
Musicalischer Zeitvertreiber, 11609), A.Rauch (1627), J. 
Banwart (1652), Theile (1667), Capricornus (1670), 
Briegel (1672), J.K.Horn, Gletle (1674 und 1685) und 
J.M.Caesar (1688) sind die drei (unter Pseudonymen 
erschienenen) Qu.-Sammlungen (1685-88) von D. 
Speer zu nennen. Dabei werden eine Abkehr vom Lied- 
bzw. Volkslied-Qu. spurbar (entsprechend der zuriick- 
gehenden Bedeutung des Lieds im 17. Jh.) und eine 
Tendenz zu einem vornehmlich auf lustigen Texten 
und Textkombinationen beruhenden Qu., das dann 
den Hauptteil der Qu.s von V.Rathgeber ausmacht 
(Ohren-vergniigendes und Gemuth-ergotzendes Tafel-Con- 
Ject, 3 Teile, 1733-37, 4. Teil von J. C. Seyfert). - Das in 
einer 1707 datiertenReinschrift von der HandJ. S. Bachs 
uberlieferte Hochzeits-Qu. (BWV 524) ist wahrschein- 
hch singularer Zeuge einer improvisatorischen Qu.- 
Praxis und steht damit ebenso auBerhalb der durch ge- 
druckte Zeugnisse greifbaren Qu.-Tradition wie das 
Qu., das Bach als 32. Variation der Goldberg- Variatio- 
nen komponierte (immerhin ist eine der beiden darin 
verarbeiteten Volksliedmelodien auch in Rathgebers 
Tafel-Confect, 2. Tracht Nr 7, enthalten). AuBer diesem, 
satztechnisch an das Tenorlied-Qu. des 16. Jh. an- 
kniipfenden kontrapunktischen Kunststiick Bachs sind 
instrumentale Qu.s selten (C. Farina, Capriccio strava- 
gante fiir Solovioline und 3 begleitende Streicher, in: 
Ander Theil Newer Paduanen . . ., 1627; J.Vierdanck, 
Capriccio auf Quodlibetische Art, 1641). Qu.s nach Art 
Rathgebers enthalt die wahrscheinlich Mitte des 18. Jh. 
entstandene Ostracher Liederhandschrif t (Stuttgart, M. 
Mus. 4°, vgl. Kretzschmar) ; G.J.Werner schrieb Zwey 
neue und extra lustige musicalische Tafel-Stucke: Der 
Wiennerische Tandlmarckt und die Bauren-Richters-Wahl 



777 



Quodlibet 



(1750), die nach Art der Quotlibete eingerichtet sind. Mo- 
zart schrieb neben dem ausdriicklich als Qu. bezeichne- 
ten Galimathias musicum (K.-V. 32) in seinem »Bandel- 
Terzett« {Das Bandel, K.-V. 441) ein echtes, spaBig- 
willkiirliches Qu.; auch einige seiner Scherzkanons 
konnen als Qu.s angesprochen werden. - Aufklarung 
und Romantik brachten dem Qu. wenig Verstandnis 
entgegen. Das Wort Qu. wurde im 19. Jh. oft gleich- 
gesetzt mit -*■ Potpourri und bezeichnete daneben auch 
humoristische (karikierende) Opernparodien. Die Ju- 
gendbewegung entdeckte das Qu. wieder als eine Form 
des geselligen Musizierens. Dabei wurde - neben der 
einstimmigen Reihung von Liedfragmenten und Reim- 
scherzen - auch eine neue Art des Qu.s entwickelt; 
Liedmelodien mit gleichem harmonischem Verlauf 
werden (mit oder ohne Begleitung) gleichzeitig ge- 
sungen, z. B.: 




ImFruh-tau zu Ber - ge wir ziehn,fa-le-ra, es 



Es hat sidi einTromm-lein ge - ruh - ret mit 



Jf |_ /j^- 


** *- £ 








wa 


- ren 1 


>ei-de mein, 


ja m 


ein, 










grii 


- nen die Wal - der, die Hoh'n, 


f« 


i - le-ra, 







Tsching-da - ras - sa - bum, 

Ausg.: Das deutsche Lied d. XV. u. XVI. Jh., hrsg. v. R. 
Eitner, = Beilage zu MfM VIII, 1876 u. XII, 1880; G. 
Forster, Der ander theil, kurtzweiliger guter frischer teut- 



scher Liedlein (1540), hrsg. v. R. Eitner, =PGfM, Jg. 
XXXIII, Bd XXIX, Lpz. 1905; Ergotzliche Lieder u. Qu. 
aus d. 16. u. 17. Jh., hrsg. v. E. Fr. Schmid, Kassel 1928, 
21953; Die Singstunde, hrsg. v. Fr. Jode, Wolfenbuttel 
(1928-38 u. o.); V. Rathgeberu. J. C. Seyfert, Ohrenver- 
gniigendes u. Gemiithergotzendes Tafel-Confect, hrsg. v. 
H. J. Moser u. M. Seiffert, = RD XIX, Abt. Oper u. Solo- 
gesang II, Mainz 1942; M. Franck, 3 Qu., hrsg. v. K. Gu- 
dewill, = Chw. LIII, 1956. 

Lit. : J. Fischart, Geschichtsklitterung. Synoptischer Ab- 
druck d. Bearb. v. 1575, 1582 u. 1590, hrsg. v. A. Alsleben, 
Halle 1891; Praetorius Synt. Ill; M. Fuhrmann, Mus. 
Trichter, Bin 1706; WaltherL, Artikel Quolibet, Messan- 
za; O. Lindner, Gesch. d. deutschen Liedes im 18. Jh., 
hrsg. v. L. Erk, Lpz. 1871 ; W. Uhl, Die deutsche Priamel 
. . ., Lpz. 1897; A. Raphael, Uber einige Qu. mit d. C. f. 
»0 rosa bella« . . ., MfM XXXI, 1899; E. Bienenfeld, W. 
Schmeltzls Liederbuch u. d. Qu. d. 16. Jh., SIMG VI, 1904/ 
05; H. Kretzschmar, Gesch. d. Neuen deutschen Liedes 
I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen IV, 1, Lpz. 1911, 
Nachdruck Hildesheim 1966; P. Glorieux, La lit. quod- 
libetique de 1 260 a 1 320, 2 Bde, = Bibl. Thomiste V u. XXI, 
Paris 1925-35; Fr. Feldmann, Zwei weltliche Stiicke d. 
Breslauer Cod. Mf 2016, ZfMw XIII, 1930/31 ; A. Quell- 
malz, Die Weise v. Elslein, Diss. Freiburg i. Br. 1932, 
maschr.; H. J. Moser, Corydon, d. ist: Gesch. d. mehrst. 
GeneralbaBliedes u. d. Qu. im deutschen Barock, 2 Bde, 
Braunschweig 1933, Nachdruck Hildesheim 1966; Kn. 
Jeppesen, Venetian Folk-Songs of the Renaissance, Kgr.- 
Ber. NY 1939; F. Torrefranca, II segreto del Quattro- 
cento, Mailand 1939; A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 
Bde, Princeton (N. J.) 1949; Dr. Plamenac, A Recon- 
struction of the French Chansonnier in the Bibl. Colom- 
bia, Seville, MQ XXXVII, 1951 - XXXVIII, 1'952; B. 
Becherini, Tre incatenature del Cod. Fiorentino Magi. 
XIX 164-65-66-67, CHM I, 1953; G. Kraft, Zur Ent- 
stehungsgesch. d. »Hochzeitsqu.« (BWV 524), Bach-Jb. 
XLIII, 1956; K. Petermann, Das Qu. - eine Volkslied- 
quelle?, Diss. Lpz. 1960, maschr.; W. Rogge, Studien zu 
d. Qu. v. M. Franck u. ihrer Vorgesch., Diss. Kiel 1960, 
maschr., gedruckt als: Das Qu. in Deutschland bis M. 
Franck, Wolfenbuttel u. Zurich 1965; H. Albrecht, Ein 
quodlibetartiges Magnificat aus d. Zwickauer Ratsschul- 
bibl., Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; K. Gudewill, Ursprunge 
u. nationale Aspekte d. Qu., Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I (vgl. 
dazu d. Diskussion in Bd II, S. 53ff.); M. R. Maniates, 
Combinative Techniques in Franco-Flemish Polyphony, 
Diss. Columbia Univ. (N- Y.) 1965, maschr.; dies., Qu. 
Revisum, AMI XXXVIII, 1966. 



778 



R 



R, Abk. fiir: -y Recit (- 2), Responsorium (meist S), 
-*■ Ripieno. 

Rabab (arabisch, auch rebab), Bezeichnung fur ver- 
schiedene arabisch-islamische Streichlauten. al-Farabi 
(1. Halfte des 10. Jh.) beschreibt die R. als Streichinstru- 
ment, das dem Tunbur von Horasan (-»■ Tanbur) ahn- 
lich ist. Diese R. ist bundlos und hat 1-2 einfache oder 
doppelchorige Saiten; als Stimmung setzte sich diejeni- 
ge in Quarten oder Quinten nach dem Vorbild des 
-*■ 'Od durch. Durch die Araber kam die R. im Hoch- 
mittelalter nach Sizilien und Spanien; ein europaischer 
Abkommling ist wahrscheinlich das -*■ Rebec. Mit der 
islamischen Kultur wurde die R. in Indien (wo sie mit 
Plektron gezupft wird) und zu Beginn des 15. Jh. auf 
Java (wo sie zum -*■ Gamelan gehort) bekannt. Fiir die 
l-2saitige R. in Nordwestafrika ist charakteristisch ein 
schmales, gebauchtes Corpus aus Holz, das sich verjiin- 
gend ohne Absatz in den am Ende abgeknickten Wir- 
belkasten f ortsetzt. Die agyptische, meist 2saitige R. hat 
ein trapezformiges holzernes Corpus mit einer Perga- 
mentdecke, einen FuB ausEisen und einen Hals aus Holz. 
Lit. : al-FarabI, Kitab al-muslql al-kabir, frz. als: Grand 
traite de la musique, in: Baron R. d'Erlanger, La musique 
arabe I, Paris 1930; W. Bachmann, Die AnfSnge d. Streich- 
instrumentenspiels, = Mw. in Einzeldarstellungen III, Lpz. 
1964. 

Rabel, rab£ (altspan.) -> Rebec. 

Race records (ie:s i'eko:ds, engl.), Bezeichnung fiir 
Jazzschallplatten (meist Bluesaufnahmen), die in den 
USA von der Industrie seit den 1920er Jahren speziell 
fiir die Negerbevolkerung (race market) hergestellt 
wurden. Haufig sind dabei zur Begleitung des ->• Blues 
auch primitive Instrumente verwendet worden (z. B. 
von Ma Rainey die Tub-Jug-Washboard-Band). Die 
R. r. sind wichtig fiir die Erforschung des friihen Jazz. 

Rackett -> Rankett. 

Radel (deutsche Bezeichnung fiir -> Rota bzw. rotu- 
lum), ein Kanon, der in seinen Anfang zuriickleitet und 
beliebig oft wiederholbar ist. Der alteste Beleg findet 
sich in der Lambacher Liederhandschrift (2. Halfte 14. 
Jh.; Wien, Nat.-Bibl., Cod. 4696, f. 170': Martein liber 
Herre. Ain r. von drein stymmen). Die Bezeichnung R. 
wurde in der deutschen Singbewegung wieder auf ge- 
griffen. 

Lit.: H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, S. 94f.; 
H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik I, Stuttgart u. 
Bin 1920, S. 341f. 

Radleier -»■ Drehleier. 

Raga (Sanskrit s. v. w. Farbe, Leidenschaft), tonal- 
melodisches Skalenmodell fiir »improvisatorische« Ge- 
staltungen in der -*■ Indischen Musik. Der Begriff R., 
den Matanga (9. Jh. n. Chr.) noch im Sinne der modalen 
Leitern(jlti) gebraucht, nahm im 13. Jh. die noch heute 
giiltige Bedeutung an. Bereits Shirngadeva raumte die 



Moglichkeit ein, injedem der 1 8Jatis verschiedeneMelo- 
diegestalten mit unterschiedlicher Bedeutung (Funk- 
tion) der Leitertone und verschiedenem Stimmungsge- 
halt zu bilden; er nennt sie R. und Ragini und charakteri- 
siert erstere als mannlich, letztere als weiblich. Bei Dlo- 
dara (17. Jh.) ist das System voll ausgebildet. Um die- 
selbe Zeit erscheinen auch die ersten personifizierten 
Darstellungen der R.s und Raginis in den indischen 
Miniaturen. - R. ist eine Tonskala, die dem Material 
eines der 18 Jatis oder, nach dem System des Venkata- 
makhin (17. Jh.), einer der 72 als Melakartas bezeichne- 
ten Grundtonreihen entnommen ist. Der einzelne Ton 
dieser Skalenauswahl kann unterschiedliche melodi- 
sche Geltung haben: bei gleichem Tonvorrat kann er 
Anfangs- oder SchluBton, Zentralton, Binnenkadenz, 
oberer oder unterer Grenzton sein. Hinzu kommen 
melodisch-thematische Kennzeichen wie das Steigen 
und Fallen der Melodie, die Anzahl der melodischen 
Formeln und der insgesamt verwendeten Tone. We- 
sentlich ist die Zuordnung des R. oder Ragini zu Ge- 
fuhlsinhalten: Zorn und Trauer, Einsamkeit und Freu- 
de, Mut undErwartung und alle Schattierungen mensch- 
licher Empfindungen sollen durch sie dargestellt und 
ausgelost werden. Dariiber hinaus sind die R.s bestimm- 
ten Tages- und Jahreszeiten zugeordnet und stehen zu 
den zahlreichen Gottergestalten des Hinduglaubens in 
Beziehung. Um dem Horer die spezifischen Kennzei- 
chen des R. bewuBt zu machen, stellt der Musiker zu- 
nachst in einem unbegleiteten Vorspiel (alapa) den R. 
vor, indem er in haufig wiederholten und variierten 
Melodiefloskeln die wesentlichen Leitertone und ihre 
melodische Geltung herausstellt. Dieser Teil einer R.- 
Auffiihrung ist ein Priifstein fiir das Konnen des Mu- 
sikers; seine Ausfiihrung ist nach Art einer Improvisa- 
tion ganz in das Ermessen des Kiinstlers gestellt. Eine 
solche Allpa-Fantasie kann bis zu einer Stunde ausge- 
dehnt werden. Dann folgt, gesungen oder gespielt, in 
festem Rhythmusschema (tlla) und mindestens von 
Trommeln begleitet, das eigentliche Stiick, das stets 
mehrere Satze wechselnder Lange hat. (In Siidindien 
hat auch das Vorspiel eine rhythmisch feste Gestalt.) 
Bei ausgedehnterer, vielsatziger Darbietung kann der 
R. wechseln. Die RSginls dienen oft zu solcher Erwei- 
terung und Belebung des gewahlten R., kommen aber 
auch selbstandig vor. Zu den iiberlieferten R.s werden 
von grofien Meistem auch immer wieder neue geschaf- 
fen. Unter demselben Namen sind in den einzelnen 
Landesteilen oft recht verschiedene R.s gemeint. Von 
den mehr als 10000 im Laufe der indischen Musikge- 
schichte bekannt gewordenen R.s sind noch einige 
hundert im Gebrauch. 

Lit. : B. Breloer, Die Grundelemente d. altindischen Mu- 
sik ... , Diss. Bonn 1922; R. Lachmann, Musik d. Orients, 
Breslau 1929; Fr. Bose, Musik d. auBereuropaischen V61- 
ker, in: Atlantisbuch d. Musik, Bin 1934, Zurich u. Frei- 
burg i. Br. '1959 ; ders., Mus. Volkerkunde, Freiburg i. Br. 
1953 ; S. P. Bandopadhyaya, The Origin of R., Delhi 1946 ; 



779 



Ragtime 

A. K. Gangopadhyaya, R. and Raginis, Bombay 1948 ; A. 
Danielou, Northern Indian Music, 2 Bde, I Calcutta 
(1950), II London (1954); C. S. Ayar, The Grammar of 
South Indian (Karnatic) Music, Madras 1951. FB 

Ragtime (j'sgtaim, engl., ragged time, zerrissene 
Schlagzeit), um 1895 aufgekommene Bezeichnung fiir 
eine seit etwa 1870 in den USA praktizierte Klavier- 
spiel weise zur Unterhaltung in Kneipen, Tanzhallen und 
Bordellen (->■ Barrel-house style). Der R. ist als wesent- 
licher Ausgangspunkt fiir den Jazz anzusehen, hat die- 
sen in entscheidender Weise mitgepragt und sich in ihm 
bis in die 1920er Jahre gehalten. - Er ist die Ubertra- 
gung einer unter WeiBen und Negern der USA volks- 
tiimlichen Banjospielweise (Banjo-R.) auf das Piano. 
An der Ausbildung des virtuosen Piano-R. (seit etwa 
1880), der dann zwischen 1900 und 1910 seinen Hohe- 
punkt erreichte, sind neben vorwiegend farbigen Mu- 
sikern (Scott Joplin, James Scott, Jelly Roll Morton) 
auch weiBe Pianisten (Joseph Lamb) beteiligt. Sie alle 
haben Musikunterricht genossen und waren mit der 
europaischen Salon- und Unterhaltungsmusik vertraut. 
Ihre R.s sind daher - im Gegensatz zum friihen -> New- 
Orleans-Jazz - meist komponierte Stucke, in denen rein 
tonale Harmonik und Melodik vorherrschen. Die For- 
men des Piano-R. gehen zuriick auf die der europai- 
schen Tanz- und Unterhaltungsmusik: u. a. Marsch, 
Polka, Quadrille. Seine charakteristischen Merkmale 
jedoch, denen der R. auch die weltweite Verbreitung 
verdankte, beruhen auf zwei rhythmischen Phanome- 
nen, die auf die musikalische Negerf olklore der USA zu- 
riickzufiihren sind: die Einbeziehung des durchlauf en- 
den -> Beat (- 1) in den 2/4-Takt (linke Hand) und 
die Umbildung und Stilisierung des -*■ Off-beat zu ei- 
ner nachschlagenden melodischen Achtelsynkopierung 
(syncopated music), die als wesentlichstes Moment 
auch in der Bezeichnung R. fiir die ganze Musizierwei- 
se hervorgehoben ist. - Die R.-Pianisten spielten haufig 
ihre R.s auf Walzen fiir mechanische Klaviere ein (player 
rolls), die teilweise erhalten blieben und auf Schallplat- 
ten iiberspielt wurden. Um 1900 begannen weiBe und 
schwarze Unterhaltungskapellen den R. auch als Band- 
praxis auszuiiben (R.-Bands). Auf diesem Wege ergab 
sich derEinfluB des R. auf das Musizieren der -*• March- 
ing bands in New Orleans und auf den -»• Jazz, der 
bis etwa 1915 groBtenteils ebenfalls als R. bezeichnet 
worden ist. 

Lit. : R. Blesh u. H. Janis, They All Played R., NY (1950, 
21959). 

rallentando (ital., nachlassend, schlaff werdend; Abk.: 
rallent., rail.) fordert ein Nachlassen des Tempos, oft als 
weicher Ubergang von einem schnelleren zu einem 
langsameren Tempo. -> ritardando, -»■ ritenuto. 

Rankett (mhd. ranc, Kriimmung; auch Rackett, Ra- 
ket, auf ital. rocchetta, Spinnrocken, zuriickgehend; 
auch »Wurstfagott« nachfrz. cervelat, cervellet; ital. cer- 
vello von lat. cerebellum, kleines Gehirn), Doppelrohr- 
blattinstrument, dessen Corpus aus einem relativ kur- 
zen (12-36 cm) und dicken (5-11 cm) Holz- oder El- 
fenbeinzylinder besteht, in den (in Langsrichtung) 6-9 
parallel verlaufende, zylindrische Bohrungen getrieben 
sind und der auf beiden Seiten durch Deckel abgeschlos- 
sen ist. Miteinander verbunden, ergeben die Bohrungen 
den 5-8fach geknickten Windkanal. Uber den ganzen 
auBeren Umfang des Corpus verteilt sind 11 Grifflo- 
cher und einige zusatzliche Tonlocher (meist 5). Ein 
Uberblasen ist kaum moglich. Das Rohr wird uber ei- 
ne trichterformige Pirouette (Lippenstiitze) oder (nach 
Mersenne) auch direkt angeblasen. Zu einem Stimm- 
werk gehoren nach Praetorius (Synt. II, S.13) 7 Instru- 
mente: 1 GroBbaB (iD-A oder iC-G; damit trotz sei- 



ner Kleinheit damals neben der Orgel das Instrument 
mit den tiefsten verfiigbaren Tonen), 1 BaB (iF-c), 3 
Tenor- Alt (C-g) und 2 Diskant (G-d). Das Stimm- 
werk zusammen sei jedoch nicht gut zu gebrauchen, 
besser klinge ein R., besonders als BaB, mit anderen In- 
strumenten. Am Resonantz seynd sie gar stille I fast wie 
man durch einen Kam bldset. Um die Mitte des 16. Jh. er- 
funden, erreichte das R. um 1600 besonders im oster- 
reichisch-siiddeutschen Raum gewisse Verbreitung; 
doch schon um 1630/40 wurde es kaum noch gespielt 
und wie die anderen zylindrisch gebohrten Doppel- 
rohrblattinstrumente (-> Kortholt, -> Sordun - 1) vom 
Fagott verdrangt. - Nach 1680 entwickelte Denner ein 
R., das uber ein S-formiges Anblasrohr direkt angebla- 
sen wurde (daher R.-Fagott, auch Stockfagott, Faust- 
fagott; frz. basson a serpentine) und 10 leicht konische, 
offene oder halbgedackte Kanale hatte. Sein Tonum- 
f ang betrug mit Uberblastonen 21/2 Oktaven. In Frank- 
reich wurde es auch mit Klappen gebaut. 
Lit.: M. Mersenne, Harmonie universale, Paris 1636, 
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; ders., Harmo- 
nicorum libri XII, 2 Bde, Paris 21648; J. G. Doppelmayr, 
Hist. Nachricht v. d. Nurnbergischen Mathematicis u. 
Kunstlern, Niirnberg 1730; G. Kinsky, Doppelrohrblatt- 
Instr. mit Windkapsel, AfMw VII, 1925; H. Seidl, Das 
Rackett, Diss. Lpz. 1959, maschr. 

Ranzdes vaches (ra de vaj", frz.) -> Kuhreigen. 

Rappresentazione sacra, auch Sacra rappresenta- 
zione (ital., s. v. w. geistliche Darstellung), bezeichnete 
im 15. und 16. Jh. das geistliche aufierliturgische Schau- 
spiel in italienischer Sprache, das seine Hauptpflege- 
statte in Florenz hatte. Die Stoff e entstammen der Bibel 
oder der Heiligenlegende, wurden aber mit weltlichen 
Episoden ausgestattet. Die Mitwirkenden, meist Kin- 
der und Jugendliche, stellten in Kostiimen und vor Ku- 
lissen die Personen der Handlung dar, ohne allerdings 
wirklich zu agieren. Den musikalischen Anteil der R. s. 
bildeten hauptsachlich Kanzonen und Lauden. Insge- 
samt war die R. s. eine typische Schopfung der Renais- 
sance und charakteristisch fiir das prunkvolle kiinstle- 
rische Leben in Florenz. Dessen hervorragender Re- 
prasentant, Lorenzo dei Medici, war auch der bedeu- 
tendste Textdichter der Rappresentazioni (San Giovan- 
ni e Paolo, 1491). Nachdem die Beliebtheit der Gattung 
in der 2. Halfte des 16. Jh. nachgelassen hatte, erfuhr sie 
eine einmalige Wiederbelebung in der Rappresentazione 
di anima e di corpo von -*■ Cavalieri (1600), die die Vor- 
geschichte des -> Oratoriums beeinfluBte. - Die Be- 
nennung R. s. erscheint, ohne daB eine kontinuierliche 
Verwendung dieser Bezeichnung nachweisbar ist, Ende 
des 17. Jh. als Untertitel der Wiener Sepolcri, und zwar 
neben- und gleichbedeutend mit der Bezeichnung 
-+ Azione sacra. 

Lit. : A. D'Ancona, Le s. r. dei s. XIV, XV e XVI, 3 Bde, 
Florenz 1872; ders., Origini del teatro ital., 2 Bde, Turin 
1891; G. Pasquetti, L'oratorio mus. in Italia, Florenz 
1906 ; D. Alaleona, Studi sulla storia deH'oratorio mus. in 
Italia, Turin 1908, 21945; A. Schering, Gesch. d. Oratori- 
ums, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen III, Lpz. 1911, 
Nachdruck Hildesheim 1966; A. Bonfantini, Le s. r. ital., 
Mailand 1939; B. Becherim, La musica nelle s. r. fioren- 
tine, RMILIII, 1951. 

rasgueado (span.) -*■ Gitarre. 

Raspa, ein seit 1950 in Europa bekannter siidamerika- 
nisch-kubanischer Gesellschaftstanz im bewegten 6/8- 
Takt, wahrscheinlich mexikanischer, vielleicht auch 
spanischer Herkunf t. 

Rassel (frz. hochet; engl. rattle; ital. raganella), ein 
durch Schuttelbewegung zum Klingen gebrachtes 
Schlagidiophon in GefaB-, Reihen- oder Rahmenform, 



780 



Raumakustik 



oft falschlich als Klapper oder ->■ Ratsche bezeichnet - 
eine genaue Abgrenzung aller in diesem Zusammen- 
hang gebrauchlichen Termini ist bislang nicht mog- 
lich. Das Instrument 'besteht aus einem runden oder 
ovalen (seltener spindelformigen), geschlossenen Kor- 
per, in den im Unterschied zu den -*■ Schellen, die nur 
einen Klangkorper haben, eine Anzahl R.-K6rper ein- 
geschlossen ist. Als Material zur Herstellung des Cor- 
pus werden Holz, Metall, Ton, jedoch auch Fruchte 
(Kiirbis), Vogeleier oder geflochtene Behalter verwen- 
det. Als R.-K6rper nimmt man Samenkorner, Schnek- 
kengehause, kleine Steine, Fruchtschalen u. a. Die 
R.n werden entweder von dem Spieler in die Hand ge- 
nommen und geschiittelt oder als R.-Schmuck um den 
Korper gehangt (z. B. Tanz-R. der Bantus); Hand- 
Stab-R.n wie ->■ Maracas und -> Sistrum sind mit ei- 
nem Stiel versehen. Die R. kommt in nahezu alien Kul- 
turkreisen derErde vor. Friihe Belege stammen aus der 
Induskultur, aus Agypten sowie aus der europaischen 
Bronzezeit und der romisch-griechischen Antike. Sie 
alle zeigen eine enge Verbindung zu Magie, kultischen 
Handlungen und Tanzen. - Als Gerauschinstrument 
findet die R. in der modernen Tanz- und Unterhal- 
tungsmusik haufig Verwendung. Mit dem Instrument 
kann kein exakter Rhythmus erzeugt werden, da die 
R.-K6rper nicht zusammen an die Innenwand schla- 
gen una auch das Zuriickfallen der Korper als Zwi- 
schengerausch horbar wird. - Sonderformen der R. 
sind das -> Angklung Indonesiens und die R.-Trom- 
mel (->■ Trommel). 

Lit. : C. Sachs, Die Musikinstr. d. alten Agyptens, = Staat- 
liche Museen zu Bin, Mitt, aus d. agyptischen Slg III, Bin 
1921 ; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native Races of 
South Africa, London 1934, Johannesburg 21953; O. See- 
wald, Beitr. zur Kenntnis steinzeitlicher Musikinstr. Eu- 
ropas, = Biicher zur Ur- u. Friihgesch. II, Wien 1934; K. 
G. Izikowitz, Mus. and Other Sound Instr. of the South 
American Indians, = Goteborgs Kungl. Vetenskaps- och 
Vitterhets-Samhalles Handlingar V, Serie A/V, 1, Gote- 
borg 1935; H. Hickmann, Cat. general des antiquites 
Sgyptiennes du Musee du Caire . . . , Instr. de musique, 
Kairo 1949; ders., Die altagyptische R., Zs. f. agyptische 
Sprache u. Altertumskunde LXXIX, 1954; ders., Agyp- 
ten, = Musikgesch. in Bildern II, 1, Lpz. (1961); H. E. 
Driver u. S. H. Riesenberg, Hoof Rattles and Girl's 
Puberty Rites in North and South America, = Memoir of 
the International Journal of American Linguistics IV, Bal- 
timore 1950; O. Zerries, Kiirbisr. u. Kopfgeister in Siid- 
amerika, Paideuma V, 1950/54; F. Ortiz, Los instr. de la 
miisica afrocubana I, Havanna 1952; G. Tornberg, Afro- 
Cuban Rattles, Fs. F. Ortiz II, Habana 1956 ; Fr. Bose, Die 
Musik d. Chibcha u. ihrer heutigen Nachkommen, Inter- 
nationales Arch. f. Ethnographie XLVIII, 1958; G. P. 
Kurath, The Sena'asom Rattle of the Yaqui Indian Pas- 
colas, Ethnomusicology IV, 1960. 

Rastral(e) (von lat. rastrum, Harke, Rechen), Gerat 
zum Ziehen der Notenliniensysteme. 

Ratsche (engl. ratchet; frz. crecelle; ital. raganella), 
Knarre, Gerauschinstrument, bestehend aus einem 
Holzstiel mit Zahnrad, iiber das bei Schwenkbewegung 
eine in einem Rahmen befestigte Holzzunge schrapt, 
so daB ein hell-knarrendes Gerausch entsteht. Wie die 
->• Klapper kommt sie im Brauchtum vor. R.Strauss 
verwendet die R. in Till Eulenspiegel und Don Quixote. 

Ratsmusiker -> Stadtpfeifer. 

Raumakustik ist als Lehre von den Schallvorgangen 
und deren Wahrnehmungsbedingungen in umgrenz- 
ten Raumen ein wichtiges Teilgebiet der Akustik. Sie 
entstand vor allem auf Grund der steigenden Ansprii- 
che, die hinsichtlich musikalischerEignung und Sprach- 
verstandlichkeit an -*■ Konzertsale, Vortragssale, Kir- 
chen, Rundf unkstudios u. a. gestellt wurden. Das Kon- 



zept der R. beruht im Kern auf dem Gedanken, die 
physikalischen Gegebenheiten des Schalles im Raum zu 
erkennen und nutzbar zu machen. Raumakustische 
Uberlegungen basieren daher sowohl auf praktischen 
Erkenntnissen und Erfahrungen als auch auf naturwis- 
senschaftlich-technischen Erwagungen. Wichtige Gro- 
Ben wurden allerdingsauch von allgemeinenhorpsycho- 
logischen Erscheinungen hergeleitet. - Die Erkenntnis, 
daB Schallwellen sich in homogenen Medien geradlinig 
(als »Strahlen«) ausbreiten, daB sie an Wandflachen nach 
bestimmten Gesetzen analog der Optik geschluckt, ge- 
brochen bzw. reflektiert werden, hat zunachst zu einer 
an die klassische Optik angelehnten geometrischen Be- 
handlung des Wellenverhaltens im Raum gef iihrt (»geo- 
metrische R.«). Die begrenzte Schallgeschwindigkeit in 
der Luft (ca. 340 m/sec) fiihrt auBerdem zu hbrbaren 
-*■ Laufzeitunterschieden des gleichen Schallsignals auf 
zwei oder mehr Wegen (z. B. direkt und reflektiert), 
woraus zum Teil storende Echos oder sogar Flatter- 
echos resultieren konnen, die zu vermeiden zu den ele- 
mentaren Aufgaben der R. gehort. Im Zusammenhang 
mit dem ->■ Nachhall steht eine der meistverwendeten 
raumakustischen BeschreibungsgroBen, die Nachhall- 
zeit. Ihre Definition entspringt den Uberlegungen der 
»statistischen R.« iiber die mittlere Schallenergieabnah- 
me im Rauminf olge ihrer Umwandlung durch Reibung 
in Warme. Sie geht auf den amerikanischen Physiker 
W. CI. Sabine zuriick und legt die exponentielle Ver- 
minderung (in gleichen Zeitintervallen sinkt der Pegel 
immer auf den gleichen Bruchteil des jeweiligen Aus- 
gangswertes) zugrunde. Die in der R. verwendete Sa- 
binesche Nachhallzeit (T) driickt die Zeit aus, in der die 
Schallenergie auf den 10- 6 ten Teil abgesunken ist. Die 
Nachhallzeit eines Raumes hangt sowohl mit den geo- 
metrischen Gegebenheiten zusammen als auch vor al- 
lem mit seinem Volumen (V), der GroBe seiner Be- 
grenzungsflachen (S) sowie deren Absorptionsgrad (a). 
Letzterer wird durch das Verhaltnis des an einer Be- 
grenzungsflache nicht reflektierten Schallenergieanteils 
zur auftreffenden Gesamtschallenergie ausgedriickt. 
Da Raumbegrenzungen zumeist aus Teilflachen (Sk) 
mit unterschiedlichem Absorptionsgrad (at) bestehen, 
wird die gesamte Absorptionsflache (Ages) zusammen- 
gefaBt: Aga= ZakSk. Fiir die Nachhallzeit (T) ergibt 

sich die auf Sabine zuriickgehende Beziehung (als Sa- 
binesche Formel bezeichnet): T= 0,163 K/Sa^S^. Sie 
erlaubt auf rechnerischem Wege eine verhaltnisma- 
Big genaue Vorhersage der Nachhallzeiten von Rau- 
men schon im Stadium der Planung; auBerdem kon- 
nen mit ihrer Hilfe aus gemessenen Nachhallzeiten 
Absorptionsflachen und -grade beliebiger Wand- und 
FuBbodenmaterialien, auch von Einrichtungsgegen- 
standen, bestimmt werden. - Die Abbildung (nach E. 
Meyer und H.Kuttruf) demonstriert die Nachhallzei- 



Musikvereins- Co Kertgebou* 
saal Wien OAnslerdam 



OGewandhaus 
Leipzig 



GlaSow ° *>. ton 



781 



Raumakustdk 



ten einiger Konzertsale im besetzten Zustand; die kraf- 
tige Linie stellt die optimale Nachhallzeit dar (nach 
V.O.Knudsen und C.M.Harris). - Bei der Wahrneh- 
mung von Schallereignissen im Raum kommt den zu- 
erst am Ohr eintrefienden Schallsignalen ein besonde- 
res Gewicht zu. Dieser Sachverhalt wird vor allem 
durch die Beobachtung bestatigt, daB z. B. im Kon- 
zertsaal die Musik in den hinteren Reihen im allgemei- 
nen leiser empfunden wird als in mittleren oder vorde- 
ren Reihen, obwohl der Schallpegel etwa gleich hoch 
ist. Der Grand liegt darin, daB der Anteil des direkten 
Schalles gegeniiber dem reflektierten stark reduzieit ist. 
Vor allem fur die elektroakustische Aufnahmetechnik, 
die im allgemeinen direkten und reflektierten Schall im 
Aufnahmeraum gleichrangig behandelt, ist es wichtig, 
die Grenzlinie (den »Hallradius«) zu kennen, an der die 
Energiedichten von direktem und reflektiertem Schall- 
pegel ausgeglichen sind. Dieser Bereich ist im allgemei- 
nen erstaunlich klein. In einem Saal von 20000 m 3 und 
einer Nachhallzeit von 2 sec z. B. betragt der Hallra- 
dius nur 5,7 m. - Mit der Wirkung zeitlich verschobe- 
ner Schallsignale hangen Storungen zusammen, die 
durch eine ungleichm3Bige Gewichtung von Schallre- 
flektionen aus verschiedenen Richtungen verursacht 
sein konnen. Schallbiindelungen etwa durch hohlspie- 
gelartige Reflektionsflachen (z. B. Gewblbe) konnen 
zu Uberlagerung und teilweiser Verdeckung des direk- 
ten Schalles und damit zur Beeintrachtigung von Sprach- 
verstandlichkeit oder musikalischer Eignung fiihren. 
Daher gilt als ein weiteres raumakustisches Charakteri- 
stikum das AusmaB der Gleichverteilung reflektierter 
Schallenergie verschiedener Richtung, das als Rich- 
tungsdifEusitat (d) oder allgemein -»■ Diffusitat bezeich- 
net wird. Es hat sich gezeigt, daB eine ausgeglichenere 
Richtungsdiffusitat das geringste AusmaB an Stoning 
durch indirekte Schallanteile verursacht. - Die Tatsa- 
che, daB durch Schall angeregte Raume - vor allem von 
kleinen Abmessungen - charakteristische Resonanzen 
aufweisen, legt »wellentheoretische« Uberlegungen im 
Rahmen der R. nahe. Sie gehen vor allem davon aus, 
den Raum als schwingungsfahiges Gebilde anzusehen. 
Entsprechend wird das phy sikalische Verhalten von Ab- 
sorptionsmaterialien an Hand der innerhalb der »wel- 
lentheoretischen R. « erkannten Beziehungen untersucht 
und gedeutet. Raumakustische Oberlegungen haben 
bis heute ihren Schwerpunkt im physikalischen Be- 
reich. Trotzdem zeigt sich immer wieder, daB zwischen 
den GroBen der Physik einerseits und psychologischen 
oder gar asthetischen MaBstaben andererseits bei der 
Einschatzung von Raumen kein ein-eindeutiger Zu- 
sammenhang (one-to-one-Relation) nachzuweisen ist. 
Wohl konnen offensichtliche Fehler (z. B. zu lange 
Nachhallzeit, extrem unausgeghchene Nachhallkurve, 
Drohnen usw.) vermieden werden, doch gelang es bis- 
her nicht in groBerem Umfang, subjektive Wertkri- 
terien der Raumeinschatzung iiberzeugend auf physi- 
kalisch-raumakustischeMaBstabe zuruckzufuhren. Un- 
tersuchungen, die auf Korrelationen zwischen objekti- 
ven und subjektiven Dimensionen abzielen, stehen bis- 
lang noch in den Anfangen. 

Lit. : W. Cl. Sabine, Collected Papers on Acoustics, Cam- 
bridge (Mass.) 1922; V. O. Knudsen, Architectural Acou- 
stics, NYu. London 1932; ders. u. C. M. Harris, Acousti- 
cal Designing in Architecture, NY 1950; L. Cremer, Die 
wiss. Grundlagen d. R., I Geometrische R., Stuttgart 1948, 
II Statistische R., ebenda 1961, III Wellentheoretische R., 
Lpz. 1950; ders., Akustische Charakterisierung eines Rau- 
mes, Proceedings of the Third International Congress on 
Acoustics, Stuttgart 1959; W. Furrer u. A. Lauber, Die 
Diffusion in d. R., Acustica II, 1952; W. Kuhl, Versuche 
zur Ermittlung d. gfinstigsten Nachhallzeit groBer Musik- 
studios, ebenda IV, 1954; ders., Optimal Acoustical De- 



sign of Rooms for Performing, Listening and Recording, 
Proceedings of the Second International Congress on 
Acoustics, Cambridge (Mass.) 1956; Fr. Winckel, Die 
besten Konzertsale d. Welt, in: Baukunst u. Werkfonn 
VIII, 1955; E. Meyer u. R. Thiele, Raumakustische Un- 
tersuchungen in zahlreichen Konzertsalen u. Rundfunk- 
studios unter Anwendung neuer Meflverfahren, Acustica 
VI, 1956; E. Thienhaus, Prinoipal Considerations on the 
Artistic Qualities of Mus. Sound, Proceedings of the Se- 
cond International Congress on Acoustics, Cambridge 
(Mass.) 1956;T.Somervilleu. C. L. Gilford, Acoustics of 
Large Orchestral Studios and Concert Halls, Proceedings 
of the Institution of Electrical Engineering CIV, 1957; 
G. Venzke, Die R. d. Kirchen verschiedener Epochen, 
Acustica IX, 1959; W. Lottermoser, Uber d. Akustik d. 
Raumes u. d. Org. in d. Frauenkirche zu Dresden, Af Mw 
XVII, 1960; L. L. Beranek, Music, Acoustics and Architec- 
ture, NY 1962; E. G. Richardson u. E. Meyer, Technical 
Aspectsof Sound, Amsterdamu. NY 1962 (Kap. 5: E. Meyer 
u. H. Kuttruf , Progress in Architectural Acoustics) . HPR 

Raumklang-v Stereophonic 

Rauschen-v Gerausch. 

Rauschpfeife, - 1) im Mittelalter allgemeine Bezeich- 
nung fiir Rohrblattinstrumente. Das Wort hat nichts 
mit »rauschen« zu tun, hangt vielmehr zusammen mit 
gotisch raus, mhd. rusche, riusche, nld. ruyschijp, ruis- 
piip, Binse, Schilfrohr, Rohrpfeife, auch Sackpfeife 
(Dudelsack). - 2) ab etwa 1500 ein zumeist als zylindri- 
sche Rohre mit Windkapsel gebautes Rohrblattinstru- 
ment. Wahrend die alten R.n in Deutschland im 17. Jh. 
bereits aufier Gebrauch gekommen und durch den 
->■ Kortholt ersetzt worden waren, bheben sie in Frank- 
reich unter dem Namen hautbois de Poitou noch lan- 
ger geschatzt. Mersenne (1636) teilt eine fiir ein R.n- 
Ensemble bestimmte 3st. Chanson mit (abgedruckt 
in: AfMw VTI, 1925, S. 286). Ein Stimmwerk von 6 
R.n in der Berliner Instrumentensammlung besteht aus 
2 Diskant-, 2 Alt-Tenor-Instrumenten und 1 BaBin- 
strument. Die R.n wurden durch Oboe und Fagott 
verdrangt. - 3) in der Orgel eine nicht repetierende, 
mittelweit mensurierte gemischte Stimme, 2-, 3-, 4f ach 
(selten mehr als 4fach) in Quinten und Oktaven auf 
51/3', 4', 22/3' oder 2' aufgebaut ; in Quartlage (22/3' +2') 
auch Quartian genannt. Als RuBpipe, Rauschquinte 
oder Rauschflote ist sie zumeist 2fach (Oktave 2' und 
Quinte 11/3'). Hoher Uegende R.n-Zimbeln bediirfen 
einer Repetition. 

Lit.: zu 2): G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Wind- 
kapsel, AfMw VII, 1925. 

Rauschquinte -> Rauschpfeife (- 3). 

Ravalement (ravalm'a, frz.) ->- Manual. 

Ravenna. 

Lit : L. Miserocchi, Musica e teatro in R. dal 1 800 al 1920, 
R. 1921 ; R. Calamosca, Musicisti ravennati nei s. scorsi, 
R. 1935; R. Casadio, La cappella mus. della cattedrale di 
R. nel s. XVI, Note d'arch. XVI, 1939. 

Re, in der mittelalterlichen -> Solmisation die 2. Silbe 
des Hexachords (im Sinne von d, g oder a) ; in romani- 
schen Sprachen Name fiir den Ton D. 

Rebec (lat. rubeba, rubella; span, rabel, rabe), ein klei- 
neres Streichinstrument mit birnen- oder bootsformi- 
gem Corpus, das sich ohne Absatz zum Wirbelkasten 
hin verjiingt. Es ist wahrscheinlich im Hochmittelalter 
iiber Spanien oder Byzanz (-> Rabab) nach Mitteleu- 
ropa gekommen. Hieronymus de Moravia erwahnt 
(nach 1270) eine Rubeba mit zwei im Quintabstand ge- 
stimmten Saiten. In den Miniaturen der nach 1279 ab- 
geschlossenen Handschriften der -»■ Cantigas de Santa 
Marfa sind R.s abgebildet (2 R.s sowie R. und Laute im 
Zusammenspiel). Das R. des 16./17. Jh. in Mitteleuropa 



782 



Regal 



ist bundlos mit 2-3 Saiten im Quintabstand (Virdung 
1511 nennt es chin Geigen); es wird von Spielleuten 
zum Tanz gespielt. Der Ton ist fein und eigentiimlich 
schnurrend. Ein sehr kleiner R.-Typ lebte als -»■ Pochet- 
te noch bis ins 18. Jh. fort. 

Lit. : Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de musica, 
hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien zur Mw. II, 

2, Regensburg 1935; WaltherL; D. J. Rittmeyer-Iselin, 
Das R., Fs. K. Nef, Zurich u. Lpz. 1933 ; V. Denis, De mu- 
ziekinstr. in de Nederlanden en in Italie naar hun afbeel- 
ding in de 15 c -eeuwsche kunst I, = Publicaties op het ge- 
bied d. geschiedenis en d. philologie III, 20, Ldwen 1944. 

Recit (res'i, frz.), - 1) seit dem 17. Jh. in Frankreich 
Bezeichnung fiir den instrumental begleiteten Sologe- 
sang, seit Ende des 17. Jh. auch fiir solistischen instru- 
mentalen Vortrag. - Im -> Ballet de cour gibt es - ne- 
ben den zum Tanz gesungenen Chansons - R.s, die die 
Handlung tragen und kommentieren. Es sind strophi- 
sche oder nichtstrophische Gesange, die anf angs »nichts 
weiter als die losgeloste Stimme eines polyphonen Ma- 
drigals* (Prunieres) darstelltenund sich spater zum Air 
oder Rezitativ entwickelten. In den Motetten des spa- 
ten 17. und friihen 18. Jh. hieBen die solistischen Ge- 
sangspartien uberwiegend R. (gegeniiber choeur). Da- 
neben nahm R. in Gegenuberstellung zu Symphonie 
auch die Bedeutung von solistischer instrumentaler Be- 
setzung an (z. B. r. de violon). R. oder recital (frz. und 
engl.) ist seit dem 19. Jh. (Liszt urn 1840) eine Bezeich- 
nung fiir Solovortrage oder -konzertveranstaltungen 
(r. oder recital de piano, s. v. w. Klavierabend). - 2) R., 
clavier de r., ist in der franzosischen Orgel seit dem spa- 
ten 16. Jh. das Soloklavier, das zunachst nur im Diskant 
mit Kornett, spater iiber den ganzen Umfang des Ma- 
nuals auch mit Zungenstimmen, besonders Cromorne 
8', besetzt wurde. Das moderne R. (expressif) ist ein 
reich mit Zungenstimmen, Streichern und Floten be- 
setztes Soloklavier; das Werk steht meist in einem 
Schwellkasten. 

Lit. : zu 1) : H. Prunieres, Le ballet de cour en France avant 
Benserade et Lully, Paris 1914; J. Eppelsheim, Das Orch. 
in d. Werken J.-B. Lullys, = Munchner Veroff. zur Mg. 
VII, Tutzing 1961. 

Recorder (jik'a:da, engl.) -*- Blockflote. 

Reco-reco -»- Guiro. 

Redowa, ein um 1840 in Paris aufgekommener Ge- 
sellschaftstanz (im 3/4- oder 3/8-Takt), der Mazurka 
ahnlich. Er ist aus dem tschechischen Volkstanz -» Rej- 
dovak hervorgegangen, von dem sich auch der Name 
R. herleitet. 

Reed section (xi:d s'ekfan, engl.) -»■ Big band. 

Reel (ji : 1, altengl. , Kette) , alter englischer Tanz, wahr- 
scheinlich keltischer Herkunft, der sich von England 
aus auch in Schottland und Skandinavien verbreitete. 
Er steht in geradem Takt (4/4, 6/4, 2/4) und ist von 
schneller, lebhaf ter Bewegung. In England wird er von 

3, in Schottland von 2 Paaren getanzt. -*■ Strathspey. 

Refrain (altfrz. refrait von vulgarlat. ref ractum, s. v. w. 
immer wiederkehrendes »Bruchstiick«, von lat. refrin- 
gere, zerbrechen; ital. ripresa, ritornello; engl. auch 
burden, chorus; span, estribillo; im Deutschen seit G. 
A. Burger auch mit Kehrreim bezeichnet), ein im Ver- 
laufe eines Gedichtes mehrfach, meist am Ende von 
-> Strophen, in der Regel unverandert auftretendes 
Glied, das aus einem oder mehreren Versen, auch aus 
einem einzelnen Wort bestehen kann. Der R. stellt ein 
konstitutives Element vor allem in Liedgattungen des 
12.-16. Jh. dar, besonders in den franzosischen Formen 
-»■ Rotrouenge, -»■ Ballade (- 1), -> Rondeau (-1), 
-*■ Virelai, auch in der italienischen -*■ Ballata, -> Villa- 



nella und Barzeletta (->• Frottola) und im spanischen 
-*■ Villancico. Auch ->■ Laude und -*■ Cantigas verwen- 
den R.s. Bekannte R.-Verse wurden im 13. Jh. als lite- 
rarisches und (oder) musikalisches Zitat in Motetten 
eingearbeitet, z. B. im Codex Montpellier (-> Quellen: 
Mo), Nr 228-231. Verarbeitung von R.s gibt es auch im 
-»■ Quodlibet. Im 17. Jh. ist der R. in der italienischen 
Solokantate haufig. Im Lied ist der R. bis ins 19. Jh. 
hinein weit verbreitet (Schubert, Viet R.-Lieder op. 95, 
D 866), auch in liedmaBigen Nummern der Oper (be- 
sonders der Opera-comique und des Singspiels). - Der 
Volksmusik und auBereuropaischen Musik ist das Prin- 
zip des R.s vertraut als regelmaBig wiederkehrendes 
Einf alien des Chores in den solistischen Vortrag (auch 
in Verbindung mit Tanz). Imjazz spielt der R. (-»■ Cho- 
rus) eine wesentliche Rolle. In der Unterhaltungsmusik, 
vor allem im Schlager, ist der zum allgemeinen Mitsin- 
gen geeignete R. oft die Hauptsache der Komposition 
und gibt ihr den Namen (z. B. Wer kann das bezahlen). - 
Dem Prinzip des R.s folgt im kirchlichen Bereich der 
(meist mit Prozession verbundene) Litaneivortrag; aus 
ihm entstanden volkssprachliche Kirchenlieder, deren 
Strophen refrainartig in kurze Rufe wie Kyrieleison 
(z. B. im Freisinger Petrus-Lied) u. a. auslaufen. In der 
Antike stellen refrainahnliche Wiederholungen kurzer 
Ausrufe (£ipii|xviov) wie auch ganzer Verse (lat. versus 
intercalares) des Chores bei Festgesangen (Hymnen) 
etwasEntsprechendes dar. Lateinische Prozessionshym- 
nen weisen haufig einen R. auf. Im weiteren Sinne re- 
frainartig sind das -*■ Responsorium und der Einschub 
der Antiphon zwischen die Psalmverse, der in der heu- 
tigen Praxis noch beim -*■ Invitatorium begegnet. - Bei 
den instrumentalen Formen entsprechen einem R. das 
Thema des -> Rondos und das Tutti im italienischen 
-* Concerto. In einem weiteren Sinne refrainartig 
(mehrfach) wiederkehrende, Vokalmusik gliedernde 
Instrumentalsatze werden dagegen mit dem nicht 
scharf begrenzten Begrifi -> Ritornell (- 2) bezeichnet. 
Lit.: F. Stark, Der Kehrreim in d. deutschen Lit., Diss. 
Gottingen 1886; H. Mersmann, Mus. Werte d. Kehrreims, 
Jb. f. Volksliedforschung I, 1928; Fr. Gennrich, Grund- 
riB einer Formenlehre d. ma.Liedes, Halle 1932. WoD 

Regal, - 1) ein kleines, bisher friihestens ab 11./12. Jh. 
nachweisbares, im 15.-17. Jh. unter diesem Namen be- 
kanntes Tasteninstrument. Im Unterschied zum -»■ Po- 
sitiv, das anf anglich nur Labialstimnien aufwies, ist das 
R. ausschlieBhch mit offenen oder gedeckten Zungen- 
pfeifen aus Metall oder Holz besetzt (auBer der 8'- 
Reihe mitunter auch mit 4' und 16'), mit mehr oder 
weniger stark verkiirzten Schallbechern. Das R. be- 
steht aus einem schmalen Kasten, der die Windlade mit 
den Zungenpfeifen enthalt; davor sind eine Klaviatur 
und dahiiter 2 Keilbalge angebracht, die nicht vom 
Spieler, sondern von einer zweiten Person bedient wer- 
den. Es wurde zum Spielen auf einen Tisch gesetzt und 
war in der Kirchenmusik ebenso beliebt wie bei der 
Theater-, Tafel-, Tanz- und Hausmusik, im 17. Jh. 
auch als GeneralbaBinstrument. Als xCharakterinstru- 
ment« forderte Monteverdi das R. im Orfeo (1607). Ein 
zusammenklappbares R., das die Gestalt eines groBen 
Buches hatte, hieB Bibel-R. Im 18. Jh., als der oberto- 
nige, schnarrende Klang des R.s nicht mehr geschatzt 
wurde, starb es aus. - 2) Seit dem 16. Jh. wurden auch 
R.-Werke in die Orgel eingebaut, die allerdings zu- 
nachst nur fiir sich gespielt wurden. Von daher wurde 
R. zur allgemeinen Bezeichnung der kurzbecherigen 
Zungenstimmen (-> Register - 1) in der Orgel, die je 
nach den verschiedenen Formen ihres Schallbechers be- 
nannt sind: das vollkugelformige Apfel-R., das Prae- 
torius (Synt. II, S. 148) zufolge wie ein Apffel vffm Stiel 
stehet und dessen Klang fein schneidend, daher aber (auf 



783 



Regensburg 



Grund der Kugeldeckung) auch zart und rund ist; das 
kugelf brmig abgeplattete oder in der Form zweier ein- 
ander zugekehrter Trichter gebaute Knop£-(auch 
Knopflin-) oder Kugel-R. Ein sehr kleines offenes R. zu 
4' hieB Jungfrauen-R. (oder Jungfrauen-BaB), weil es \ 
wenns zu andern Stimmen vnd Floitwercken im Pedal ge- 
braucht wirdlgleich einerjungfrawenstimme \ die einen Baft 
singen wolte / gehoret wird (Praetorius Synt. II, S. 145). In 
neuerer Zeit werden R.e wieder gem gebaut, meist un- 
ter den Namen Harfen-, Holz-, Dulzian-, Kopf- 
Trompeten-, Kornett- oder Geigen-, Krummhorn-, 
Schalmeien- oder Trichter-R. und Singend R. 

Regensburg. 

Lit. : D . METTENLErraR, Mg. d. Stadt R., R. 1 866 ; H. Nest- 
ler, Der R.er Domchor, R. 1928; K. Weinmann, R. als 
Kirchenmusikstadt, R. 1928 ; G. Huber, Kunst am Hofe v. 
Thurn u. Taxis, in: Musik u. Theater V, 1930; ders., Aus 
alten Arch., Die Musik bei d. Fiirsten v. Thurn u. Taxis, 
ZfM CXIII, 1952; B. Bischoff, Literarisches u. kunstleri- 
sches Leben in St. Emmeram warirend d. friihen u. hohen 
M A, in : Studien u. Mitt, zur Gesch. d. Benediktinerordens 
... LI, 1933 ; S. Farber, Das R.er Fiirstlich Thurn u. Ta- 
xissche Hoftheater u. seine Oper, 1760-86, Verhandlungen 
d. Hist. Ver. v. Oberpfalz u. R. LXXXVI, 1936; Br. Stab- 
le™, R., d. Bild einer bayrischen Musikstadt, Munchen 
1948; F. A. Stein, Der Welt alteste KM.-Schule, Caeci- 
lienver.-Organ LXXXI, 1961 ; A. Scharnagl, Zur Gesch. 
d. R.er Domchors, in: Musicus-Magister, Fs. Th. Schrems, 
R. (1963). 

Regens chori (lat.), Bezeichnung fiir den Chorleiter 
in katholischen Institutionen wie Seminaren, Interna- 
ten usw. Sie wird haufig auch fiir den katholischen 
Kirchenkapellmeister verwendet. 

Regina caeli (lat.), Marianische Antiphon aus dem 
Offizium der katholischen Kirche, textlich erstmals um 
1200 als Magnificatantiphon der Ostervesper, 1249 je- 
doch bereits im Stundengebet der Franziskaner zusam- 
men mit dem -*■ Alma redemptoris mater, -> Ave re- 
gina caelorum und -> Salve regina als SchluBantiphon 
der Komplet bezeugt. Hieran ankniipfend gelangt sie 
im heutigen Offizium vom Karsamstag bis zum Frei- 
tag der Pfingstoktav als abschlieBender Gesang der 
Komplet zum Vortrag. Die analog zu dem kurzen und 
pragnant formulierten Text in 4 Zeilen gegliederte al- 
tere Melodie des R. c. (6. Modus mit regelmaBigem 
bmolle) zeichnet sich durch reiche Melismenbildungen 
aus (darunter die Melismen vonportare und dem SchluB- 
alleluia, deren Mehrteiligkeit auf dem Prinzip der Wie- 
derholung beruht). Demgegeniiber liegt in der gleich- 
falls verwendeten Melodie in cantu simplici (17. Jh. 
oder spater) eine ihrer Melismatik entkleidete syllabi- 
sche Fassung der urspriinglichen Weise vor. - Abge- 
sehen vom Angeluslauten zur Osterzeit (hier seit 1742 
als Gebet eingefiigt), findet sich das R. c. wahrend die- 
ses Festkreises auch als Benedictus- und Magnificatanti- 
phon im Officium B. Mariae Virginis in Sabbato, mit ei- 
gener Melodie im 1. Modus, gekennzeichnet durch ei- 
ne starke Vereinheitlichung der einzelnen Abschnitte. 
Ausg.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in 
seinen Singweisen II, Freiburg i. Br. 1883, Nachdruck Hil- 
desheim 1962 (Kirchenlied-Fassungen d. R. c). 
Lit. : A. Weissenbach, R. c. laetare, Musica divina XVI, 
1928; H. Thurston, Familiar Prayers, London 1953. 

Register. - 1) In der Orgel heiBt R. (ital. registro; 
engl. organ stop; frz. jeu d'orgue) eine Reihe vonklang- 
lich gleichartigen Pfeif en (-»• Labialpf eifen oder -*■ Lin- 
gualpfeifen) verschiedener Tonhohe, die von einem 
-»■ Manual oder vom -*■ Pedal (-1) aus gespielt werden 
und mit einem mechanischen, pneumatischen oder 
elektrischen R.-Zug (frz. registre) gemeinsam ein- und 
ausgeschaltet werden konnen. R. heiBen ferner alle an- 



deren Spieleinrichtungen der Orgel, die durch R.-Ziige 
betatigt oder ein- und ausgeschaltet werden : a) -> Kop- 
peln, -*■ Kombinationen, Windabsperrungen (Sperr- 
ventile), Windauslasse (»noli me tangere«), Kalkanten- 
glockchen (»sine me nihil«; -> Kalkant), -> Tremu- 
lant; b) besondere, zeitweilig in Orgeln eingebaute 
Tonerzeuger wie -> Kuckucksruf , -> Vogelgesang (- 3) , 
-»■ Zimbelstern, -> Glockenspiel (lat. -> campana; frz. 
clochettes; span, campanilla), Holzstabspiele (Xylo- 
phon), Stahlstabspiele (Celesta, »Harfe«) und mit FuB- 
hebeln zu bedienende Pauken; c) mechanische R., die 
Figuren bewegen (fliegende Adler; Engel). 
Die klingenden R. der Orgel, mitunter auch als (Or- 
gel-) Stimmen bezeichnet, stehen auf -»■ Windladen 
und unterscheiden sich.hinsichtlich ihres Klanges, der 
Tonhohe (-> FuBtonzahl) und ihrer Lautstarke. Sie ent- 
halten eine oder mehrere Pfeif en fiir jede Taste einer 
Klaviatur (voll ausgebaute R.), mitunter aber auch nur 
dem BaB oder -*■ Diskant eines Manuals zugeordne- 
te Pfeifen. Die R. werden in ihren unterschiedlichen 
Klangeigenschaf ten durch die jeweils angesetzten Men- 
suren (Verhaltnis von Lange und Durchmesser bzw. 
Form der Pfeifen, Labiumbreite, Aufschnitthohe bzw. 
Zungen- und BechermaBe), die Winddruckhohe und 
die Intonation mit ihrer im Raum abgehorten Feinar- 
beit am Klang der Pfeife (Modifizierung der Wind- 
menge und des Verhaltnisses von Kernspaltquerschnitt 
zum FuBofmungs- bzw. Stockbohrungsquerschnitt 
u. a.) bestimmt. Auch das Material der Pfeifen beein- 
fluBt den Klang der R. : hochprozentige Zinnlegierun- 
gen fordern die strahlende Obertonhelligkeit der Prin- 
zipale; fiir Floten und Gedackte hingegen bevorzugt 
man starker bleihaltige'Mischungen, wodurch diese R. 
weicher und render klingen. Auch Kupfer, Bronze, 
Messing, Zink, Elektrolytzink, Silber (fiir hofische 
Kammerpositive), verschiedene Holzer, Elfenbein, 
Ton, Hartpapier, Porzellan und (fiir 32'-Lagen) Beton 
werden verwendet. Mitunter ist der Name der R. durch 
das Material bestimmt (Holzgedackt, Kupferflote, Blei- 
gedackt), mitunter durch den mit Mensur und Into- 
nation gegebenen Klangcharakter (still, sanft, lieblich, 
zart, dolce, douce, eng, weit, streichend, hell, grob, 
scharf). Echo heiBt ein R. im Schwellkasten. - Zahlrei- 
che R. tragen den Namen von Instrumenten: ->■ Flote 
(-* Fistula), Fagott, Pommer, Viola, -»■ Violon (- 3), 
deren Klang sie (bei mitunter wechselnder Bauart) 
nachahmen. Einzelheiten der Bauf ormen werden durch 
Zusatze bezeichnet wie (Tibia) angusta = enge, bifa- 
ris = doppeltlabierte, clausa = gedeckte Flote. Trom- 
pettes en chamade heiBen liegend herausragende Trom- 
peten. Auch die -> FuBtonzahl kann den R.-Namen 
pragen, so : Quincena (span.) = Superoktave = Okta- 
ve 2'. Flauto in quinta decima (ital.) bezeichnet die 4'- 
Lage, in ottava die 8'-Lage - vom 16' aus gerechnet. 
Nicht alle R.-Namen legen eindeutig Klang und Bau- 
weise fest. Mitunter wurden nach Bauart und Klang 
vollig verschiedene R. mit dem gleichen Namen be- 
nannt, so : -»■ Nachthorn, das ein enges gedecktes, ein 
zylindrisch weites offenes und ein weites leicht koni- 
sches, schmallabiertes, sogar ein rohrgedacktes R. be- 
zeichnen kann. Stilepoche, Landschaf t und Orgelbauer- 
familien miissen beriicksichtigt werden, wenn aus ei- 
nem R.-Namen Riickschliisse auf Bauart und Klang 
gezogen werden sollen. Salizional ist in der Danziger 
Pfarrkirchenorgel (1585) nur 2-3 Halbtone enger als 
der Prinzipal, spater hingegen ein stilles, streichendes 
R. Aeoline und -*■ Vox angelica konnen sowohl Labial- 
wie Lingual-R. bezeichnen. Auch Contras im spani- 
schen Orgelbau ist mehrdeutig. Altere Namen sincl mit- 
unter nicht mehr eindeutig nach Klang und Bauweise 
zu beschreiben (Dunecken, Hiilzern Glachter). 



784 



Register 



6 



I 



d 



a b c d e f 

a) Prinzipal 8'; b) offene Hohlflote 8'; c) zylin- 
drische Gambe 8' ; d) Holzgedackt 8' ; e) Quinta- 
den 8' ; f) Rohrpommer 8'. 
Der Chor der -> Prinzipale (engl. open -> diapason - 2) 
mit ihren Oktaven und Superoktaven, vom 32' bis 1/2', 
zahlt zum -> Organo pleno. Die Reihe der ->- Ge- 
mischten Stimmen in Prinzipalmensur reicht vom mas- 
siven -*■ Hintersatz der alten Orgeln iiber -» Mixtur, 
-> Fourniture (grosse und grande), -» Scharf, -> Zim- 
bel (- 2), -> Rauschpfeife (- 3), Rauschquinte, Quartian 
(22/3' und 2'), Larigot, -* Schryari (- 2) und den oktav- 
hellen Faberton bis hin zur -> Progressio harmonica 
des 19. Jh. Terzhaltige gemischte Stimmen in Prinzipal- 
mensur sind -> Tertian, die enge -> Sesquialtera (- 3 ; 
in alteren Aufzeichnungen auch Zink genannt), Terz- 
glockenton und das weiter mensurierte labiale -> Kor- 
nett (- 2). Abwandlungen des Prinzipalcharakters zei- 
gen R., die zumeist nicht ins Hauptwerk disponiert 
werden, wie : -> Geigenprinzipal, die engeren und wei- 
cher intonierten Floten- und Hornprinzipale (Keraulo- 
phon, Suavial, Tibia maior; Praetorius Synt. II, S. 190: 
Holtzern Principal, gar enger Mensur, lieblich), der noch 
stillere Harfenprinzipal und die weiter mensurierte, 
streichend-singende Bleioktave (8' und 4') sowie im 
Pedal der zylindrisch offene ChoralbaB und der engere, 
sonore ->■ Violon (- 3) in offener Bauweise. 
Die andere Gruppe der Labial-R., die nicht wie die 
Prinzipal-R. in gleich gebauten Choren zusammenge- 
zogen, sondern nach Bauart und FuBtonzahl gegen- 
satzlich, auswahlweise (organo electo) registriert wer- 
den sollen, sind nach Bauart und Klang sehr verschie- 
den. Diese R., manchmal (ungenau) als weibliche oder 
Weitchor-R. bezeichnet, werden hinsichtlich ihrer 
Bauart in f olgende Gruppen eingeteilt : 
1) Zylindrisch offene R. Wat mensuriert sind -> Nacht- 
horn, ->■ Hohlflote und Hohlquinte, mittelweit Kop- 
pel, Offenflote, -> Nasat, breit labierte Starkflote und 
OffenbaB (Basso aperto), im Pedal Choralflote (Bas- 
settl 4', HornbaB) und -> Bauernflote. Nicht so weit 
sind: Jula, Baarpijp (Baarpfeife), Piffaro, -> Schwe- 
gel (- 2), Hellflote, Klarflote und -> Jubalflote (Tu- 
balflote), Kiitzialflote, ->• Flageolett (- 2) und (enge) 
Feldflote und ->■ Sifflote. Uberblasende R. (-» Ober- 
blasen) sind Querflote (Flute traversiere), Querpfeife 
und Basse de viole, noch enger ist Flute octaviante und 
offene -> Schweizerpfeife (- 2). Recht eng ist die stille 
uberblasende Dulzflote (-*■ Dulzian - 2). Je enger die 
Pfeifen mensuriert sind, um so stiller und obertonrei- 
cher wird ihr Klang in liickenlosem Aufbau der Partial- 
tonreihe, um so mehr werden sie zu ->■ Streichenden 
Stimmen. Hierher gehoren die -> Dolzflote (- 2; auch 



leicht konisch gebaut), -> Fugara, -> Dolce (- 2), -> Sa- 
lizional und Salizetina, die zylindrische -*■ Viola da 
gamba (- 2), die Bellgambe mit Trichteraufsatz, Viola, 
Violet, Violflote, Quintviolen (scharfer), im Pedal das 
kraftiger klingende -> Violoncello (- 2). Noch enger 
sind Violin 1- und 2chorig, Zartgeige, Cremona, Viola 
d'amore. Am engsten sind Vox coelestis (frz. voix 
celeste) und -> Aeoline, R., die in der »romantischen« 
Orgel besonders beliebt waren, sich aber ungern mit 
-> Aliquotstimmen verbinden. Bis ins 18. Jh. wurden 
auch enge R. (Violen) noch so weit mensuriert, daB sie 
Aliquotverbindungen (z. B. 8' + l 1 /3 / ) aufnehmen und 
zu einer Synthese verschmelzen konnten. Da das 19. 
Jh. bei den Streichenden Stimmen Intonation und Men- 
suren so gestaltete, daB sie keine Aliquote auf der 8'- 
Basis ertrugen, registrierte man sie in gleichen FuBton- 
lagen mit anderen R.n verbunden (z. B. Gambe 8' + Sa- 
lizional 8' + liebliche Flote 8'), eine der Linearzeich- 
nung abtragliche Klanggestaltung. 

2) Zylindrisch gedeckte R. tragen als Familiennamen 
die Bezeichnung -> Gedackt. Sehr weit mensuriert und 
eng labiert ist die gedeckte Schellenflote, weit mensu- 
riert ist Weitgedackt, im Pedal -»■ SubbaB und der ge- 
deckte ->■ Untersatz (-1). Weit bis mittelweit sind ge- 
deckte Koppelflote, -> Hohlflote, -> Nasat und Barem 
(friiher auch off en gebaut). Mittelweit sind: Musizier- 
gedackt (das in barocken Orgeln oft ein Gedackt im 
Kammerton war), Grobgedackt (mit breitem Labium, 
starker intoniert), in Spanien Violon und Tapadillo. Et- 
was enger ist -»■ Bordun, Gedacktflote und Lieblichge- 
dackt. Je enger die Mensur wird, um so starker treten 
die ungeradzahligen Teiltone hervor, so bei Gedackt- 
pommer und -> Quintaden. Uberblasend sind Querflo- 
te und Schweizerpfeifengedackt (etwas enger). 

3) Teilgedeckte Pfeifen haben meist ein nach auBen 
oder innen weisendes, in den Hut (Deckel) eingelasse- 
nes Rohr. Ihr Klang ist dadurch heller und etwas un- 
ruhiger als der der vollgedeckten R. Sehr weit men- 
suriert ist die Rohrtraverse (»durchsatz-klar«), mittel- 
weit sind -> Rohrflote, Rohrgedackt (frz. Bourdon) 
und die Rohrpfeife (auch als Flute allemande bezeich- 
net). Hohlfloten wurden friiher mitunter rohrgedackt 
gebaut, ebenso das -> Nasat. Eng mensuriert und da- 
durch obertonstarker sind Rohrquintade, Rohrpom- 
mer und Rohrschelle. Uberblasende Formen sind rohr- 
gedackte Schweizerpfeife und uberblasende Doppel- 
rohrflote mit 2 Rohren. Teilgedeckte R. ohne Rohr 
heiBen Lochflote (engl. clarionet-flute). 



4 



6 



d 



sc 



a b c d e 

a) Singend Nachthorn 4' ; b) Gemshorn 8' ; c) Kop- 
pelflote 4' ; d) labialer Dulzian 8' ; e) Septade 8' ; 
f) Seraphon doppelt labiert 8'. 



f 



50 



785 



Register 



4) Konisch offene, sehr weit mensurierte Pfeifen hat 
Singend Nachthorn, dessen Klang glockig-hell und 
zugleich weich-singend ist. Weitmensuriert sind auch 
-»■ Blockflote und ->• Nasat, mittelweit -> Spitzflote, 
Pyramidflote, -*■ Gemshorn (-2; auch Bartpfeife; cor- 
no acutum), labiales Alphorn, Jula und -*■ Waldflote. 
Etwas enger mensuriert und dadurch heller im Klang 
sind Flachflote und Spitzoktave. Stiller im Charakter 
sind Flute douce, Dulzflote (-»■ Dulzian - 2) und Still— 
note. Noch enger mit »Violenresonanz« ist die konische 
->■ Viola da gamba (- 2). Uberblasende Formen heiBen 
(konische) Quernote, Flute allemande oder Travers- 
flote, uberblasende Gemspfeife und Gemsquinte. Ko- 
nische R. haben je nach der Konusverjiingung einen 
verhalten-nasalen, hornartigen Klang, zeichnen da- 
durch charaktervoll die Linien und gehen gute Klang- 
synthesen ein, auch in Weitlagen wie Gedackt 8' + uber- 
blasende Gemsquinte li/ 3 '. 

5) Konisch gedeckte R., seltener zu finden, heiBen 
Spitzgedackt, auch Lieblich GroBgedackt, Spitzfloten- 
gedackt und Spitzpfeifen (Scherer). 

6) Trichterformig offene Pfeifen sind seit dem 12. Jh. 
zu belegen, aber nicht haufig disponiert worden. Mit- 
telweit heiBen sie labialer -*■ Dulzian (- 2) , offene Trich- 
terflote, Portunalflote, starker intoniert Dolkan und 
Tolkan, stark intoniert Tromba. Enger mensuriert und 
scharfer intoniert heiBt das R. labiale Schalmei, wei- 
cher und stiller intoniert Corno dolce oder Viola da 
gamba. In hoheren FuBtonlagen tragt es auch den Na- 
men Waldflote. Flute a pavilion ist nochmals mit Trich- 
teraufsatz versehen. Noch enger neigt der Klang sich 
zu den -> Streichenden Stimmen: Salizet, Dulziana, 
Scharfgeige. Auch mehrchorig als Dolce Kornett 
kommt diese Bauart vor. Einen sehr weiten, kurzen 
Trichter hat das -> Pyramidon. 

7) Trichterformig gedeckte Pfeifen in mittelweiter 
Mensur bilden das R. Trichtergedackt. Weit bis sehr 
weit mensuriert entwickelte RoBler die Formen der 
Sextade und Septade, deren Klang fluktuierend leben- 
dig, auBerst klar zeichnend und »dissonanzstark« ist. 

8) Besondere Bauformen: Zylindrisch weit mit kur- 
zem konischem Aufsatz ist die Koppelflote gebaut, et- 
was enger mit langerem konischem Aufsatz die Spill- 
pfeife, auch Spillflote genannt. Kugelflote, Flaschen- 
flote, Tonnenflote und Sonarklarinette sind auBerst 
selten. Auch Pfeifen mit 2 Labien werden gebaut, z. B. 
Seraphon (in Prinzipalmensur), -> Doppelflote als Dop- 
pelgedackt, ->- Jubalflote, offene Bifara. Bei der offenen 
Bifara setzt das zweite Labium ein wenig hoher an und 
erzeugt dadurch Schwebungen (-> Tremulant). R. 
mit dreifachem Labium und aus Holz heiBen Dreiecks- 
flote, Driflote. 

9) R., deren Pfeifen bei verschiedener Lange gleich- 
bleibenden Durchmesser aufweisen, wechseln vom 
BaB zum Diskant hin ihren Klangcharakter: im BaB 
besitzen sie Streicherklang, in der Mittellage den eines 
Prinzipals und im Diskant Flotenart, alles in stetigem 
Ubergang. Auch in der Mensur stark changierende R. 
wurden gebaut. Unter der Bezeichnung Diaphone 
wurden (in den USA) R. gebaut, bei denen durch ge- 
federte Ventile ein changierender Klang erzeugt wird, 
der durch verschiedene Becheraufsatze nuanciert wer- 
den kann. ->• Hochdruck-R. zeichnen sich in der Haupt- 
sache durch UbergroBe Lautstarke aus. 

10) Gemischte Stimmen auBerhalb der Mixturform 
versuchen, andere Instrumente nachzuahmen, eine be- 
sondere Klangfarbe oder die Wirkung eines Tremulan- 
ten zu erzeugen. Piffaro - insbesondere in Siiddeutsch- 
land beliebt - verbindet zwei oder mehr meist gleich- 
fiifiige R. verschiedener Bauweise (Viola 4' + Quinta- 
den 4' oder Salizional 8' + Weitflote 8';J.Gablers Pif- 



faro in Weingarten hat 5-7 Chore auf dem 8'-Funda- 
ment). Harmonia aetherea ist eine gemischte Stimme 
mit zarten Streicherstimmen besetzt. Namen wie Ca- 
rillon, Campanelli oder Glockenton (Terzglockenton) 
konnen auch Labial-R. von glockenartigem Klang be- 
zeichnen; auch ein mit Unharmonischen (-> Teiltone) 
besetztes Labial-R. unter der Bezeichnung Xylophon 
wurde zuweilen gebaut. - Schwebend gestimmte R. 
sind z. B. Unda maris, die italienische schwebende la- 
biale Voce umana (-> Vox humana), -»■ Vox angelica, 
die Geigenschwebung, Flotenschwebung u. a. 



fl n 




abcdefgh 
a) Trompete 8'; b) Schalmei 8'; c) Dulzian 8'; 
d) Holzkrummhorn 8' ; e) Musette 8' ; f) Barpfei- 
fe 16'; g) Oboe 8' (nach Gabler); h) Rankett 8'. 
Zungen-R., Zungenstimmen, auch Rohrwerk und 
Schnarrwerk genannt, sind mit Lingualpfeifen besetzt 
und werden von 32' bis 2' gebaut (bei den 2'-Zungen- 
R.n werden jedoch im hohen Diskant Labialpfeifen 
verwendet). Im abendlandischen Orgelbau sind Zun- 
gen-R. (Chalmoni, -*■ Chalumeau - 2) fur das 13. Jh. 
in Frankreich zu belegen; im allgemeinen blieben je- 
doch die Lingualpfeifen bis ins 16. Jh. auf das seit dem 
11./12. Jh. nachweisbare -> Regal (- 1) beschrankt. Im 
16./17. Jh. wurde der Klang der Orgel durch eine groBe 
Anzahl kurzbechriger und zumeist zylindrischer Zun- 
gen-R. bereichert. - Namen und Klang iibernahmen 
die Zungen-R. zumeist von Blasinstrumenten. Durch 
Weite, Lange und Form der Becher (-»■ Aufsatze) wird 
im wesentlichen die Klangfarbe der Zungen-R. be- 
stimmt. Zungenstimmen mit aufschlagender ->■ Zunge 
sind im Orgelbau die dominierende Form; die durch- 
schlagende Zunge mit ihrer weicheren Ansprache und 
Tongebung war besonders im 19. Jh. beliebt. Die Be- 
cherlange der vollbechrigen Zungen-R. erreicht nicht 
ganz die Lange einer offenen Labialpfeife gleicher FuB- 
tonlage; sie betragt z. B. fiir die 8'-Lage nur 6'-7'. Die 
Form der Aufsatze ist noch weniger als bei den Labial- 
R.n durch den R.-Namen festgelegt. 
Vollbechrige konische Zungen-R. sind: -> Trompe- 
te (- 2), die schmetternd helle Feldtrompete, ->■ Clai- 
ron (- 2) und -»■ Kornett (- 2). In der 32'- und 16'-Lage 
dominieren, etwas weiter mensuriert und lautstarker, 
die Posaunen mit ihren Abarten, der Still- und Lieblich 
Posaune (zum Teil mit kiirzeren Bechern). Etwas en- 
ger mensuriert sind die -> Bombarden. Auch das Fa- 
gott (16'-8') - span, bajon, bajoncillo 4' - ist zuriick- 
haltender im Klang. Das Kontrafagott 32' hat oft kiir- 
zere Becher. Lautstarker hinwieder sind -*• Tuba (- 4) 
und das oft auch als Hochdruck-R. gebaute Helikon. 
Weicher und fiilliger ist das Horn (Schweizerhorn, 
Cornopean-auchhalbgedeckt).AndereBecherformen, 
auch verschiedene Aufsatze, haben die Klarinette, die 
auf die alte Chalumeau zuriickgeht, das Bassetthorn 
mit zylindrischem oder Doppelkegelaufsatz, das Saxo- 
phon und die -> Musette (- 3). Etwas stiller (zwischen 
Trompete und Krummhorn) und naselnd im Klang 



786 



Register 



sind Schalmei, Schalmeioboe und Bassonschalmei 
(meist mit verkiirzten Bechern), -> Oboe (- 2), Eng- 
lisch Horn und Oboe d'amore mit einer Erweiterung 
in Doppelkegelform an der Mundung des Bechers oder 
auch mit halbgedecktem Becher. 
Bis ins 18. Jh. waren von den engeren, stilleren Zun- 
gen-R.n besonders -> Krummhorn (- 2 ; f rz. cromorne ; 
span, violetta) und -> Dulzian (- 2) beliebt, wie iiber- 
haupt die Zungenstimmen mit verkiirzten Bechern und 
dadurch obertonreicherem, farbig erregtem Klang aus 
der groBen Familie der -> Regale (- 2; span, orlos, 
gaitas, serpenton). Die ->- Vox humana ist mit zahlrei- 
chen, sehr verschiedenen Becherformen gebaut wor- 
den. Die Barpfeifen, nur in 8' und 16' gebaut - sonst 
verlieren sie ihren rechten namen und klang; Den sie viel- 
leicht von eines Beeren stillen Brummen haben (Praetorius 
Synt. II, S. 147) -, waren im 17. Jh. sehr beliebt ; ihr Na- 
me durfte jedoch eher von dem rohrflotenartigen Be- 
cher (Baarpfeife) abzuleiten sein. Auch Dreikegelregale 
werden als Barpfeifen bezeichnet. Gedeckte, sehr kurze 
und weite Becher mit Seitenlochern hat das Rankett 
(Rackett). Sein Klang ist gedeckt-verhalten und durch- 
sichtig zugleich. Auch ein Rohrrankett, dessen Becher 
ein Rohr tragt, wurde in alterer Zeit gebaut. Der Sor- 
dun (32', 16') hat ebenfalls einen gedeckten kurzen und 
weiten Becher aus Metall oder Holz ; er klingt ebenfalls 
sehr lieblich undstille (Praetorius Synt. II, S. 146). Die in 
Frederiksborg erhaltene Compenius-Orgel hat noch 
original klingende friihbarocke Zungen-R. wie Ran- 
kett 16', Krummhorn 8', Geigend-Regal 4', SordunbaB 
16', DolzianbaB 8', JungfrauenregalbaB 4'. Seltener ge- 
baut wurden Bassanello und Zungentheorbe. Als der 
Grundsatz klarer Linearzeichnung (z. B. des C. f. in 
alien Lagen) nicht mehr oberste Forderung an die 
Zungenstimmen war, lief auch die Zeit der f arbreichen 
Zungen-R. des Barocks vorerst ab (heute jedoch sind 
sie wieder sehr beliebt). Im 19. Jh. sollten Zungen-R. 
harmoniumhaft-akkordisch wirken. Dies wurde mit 
durchschlagenden Zungen erreicht, denen das silberne 
Rasseln der barocken Schnarrwerke f ehlt. R. mit durch- 
schlagenden Zungen sind die linguale Aeoline, das 
Aeolidikon, die Aeolika mit sehr engen Bechern, das 
-*■ Euphonium (- 2), die klarinettenartige Ophikleide 
und die Physharmonika mit kurzen Bechern und sanf- 
ter Intonation, die das gleichnamige Tasteninstrument 
(-»■ Harmonium) klanglich nachahmen sollte. Auch 
Hochdruck-R. und langbechrige Zungen-R. wurden 
mitunter mit durchschlagenden Zungen gebaut, um 
das Schnarrwerkartige des Zungenklanges und die ex- 
tremen Farben zu mildern. 

- 2) Vorrichtungen an besaiteten Tasteninstrumenten 
zur Veranderung der Klangfarbe und der Lautstarke 
heiBen ebenfalls R. Sie sind vor allem am -> Cembalo 
seit Ende des 16. Jh. ublich geworden. Zu unterschei- 
den sind R., die eine Veranderung der Klangfarbe und 
Lautstarke eines Saitenchores bewirken und R., bei de- 
nen zwei oder mehr Saitenchore zur Modifizierung 
des Gesamtklangs herangezogen werden. - Das ein- 
fachste R. ist der Lautenzug : die Saiten werden durch 
einen Filzstreifen oder (besser) durch einzelne, seitlich 
an die Saite gedriickte Filzstiickchen nahe am Steg 
leicht gedampft. Leder als Dampfungsmaterial ergibt 
einen harfenahnlichen Klang. Der Pianozug bewirkt 
eine geringfiigige Verschiebung der Springer-(Dok- 
ken-)Reihe, so daB die Saiten nur mit den Spitzen der 
Kiele angerissen werden. Ein Saitenchor kann auch 
durch zwei wechselweise einschaltbare Springerreihen 
(auch mit verschiedener Bekielung, z. B. mit Feder- 
und Lederkielen) an verschiedenen Stellen angerissen 
werden. Eine Springerreihe, die die Saiten sehr nahe 
am Steg anreiBt, erzeugt einen obertonreichen, lau- 



tenartigen Klang (Lauten-R. ; bei 2manualigen Cem- 
bali im oberen Manual). - Mehrere Saitenchore wer- 
den wie in der Orgel mit FuBtonzahlen bezeichnet: 8' 
die normal gestimmten, 4' die eine Oktave hoher und 
16' die eine Oktave tiefer gestimmten Saitenchore. 16'- 
R. waren in alten Cembali auBerst selten und begegnen 
nur in einigen deutschen Prachtinstrumenten des 18. 
Jh. (in das angebliche Bach-Cembalo in Berlin wie 
auch in andere Cembali des 18. Jh. wurde der ^'-Sai- 
tenchor jedoch nachtraglich eingebaut). Ein 4'-R. trat 
meist zu zwei vorhandenen, klanglich verschiedenen 
8'-R.n hinzu und war bei 2manualigen Instrumenten in 
der Regel nur vom unteren (Haupt-)Manual aus spiel- 
bar. In modernen Cembali ist der 4' oft im oberen 
Manual disponiert und wird durch Koppeln auch im 
unteren spielbar gemacht. Der Hamburger Klavier- 
bauer Hieronymus Hass baute vereinzelt Cembali mit 
2'-R. - Die Bedienung der R. erf olgte meist durch seit- 
lich oder vorn am Instrument angebrachte Zugknopfe 
oder Hebel ; auch Kniehebel sind vereinzelt schon friih 
verwendet worden. Dagegen kam die R.-Betatigung 
durch -+ Pedal (- 2) erst in der 2. Halfte des 18. Jh. auf ; 
sie hat sich bei den modernen Cembali durchgesetzt. 
Manualkoppeln nach dem Vorbild der Orgel, friiher 
meist durch geringes Einschieben eines Manuals, heute 
ebenfalls durch Pedale zu betatigen, erweitern die Mog- 
lichkeiten der Registrierung betrachtlich. Bis ins 19. Jh. 
hinein wurden auch am -*■ Pianoforte R. zur Verande- 
rung der Klangfarbe angebracht: Lautenzug (leichte 
Dampfung), Fagott- und Trompetenzug (lose auf die 
Saiten gelegte Papier- oder Blechstreifen, die ein 
schnarrendes Gerausch abgeben) , Pantaleonzug (-»■ Pan- 
taleon) und ahnliche Veranderungen. Heute werden 
vereinzelt Pianinos mit Cembalozug (ein diinner Blech- 
streifen wird zwischen Hammer und Saite eingescho- 
ben) gebaut, der dem Pantaleonzug nahekommt. 
- 3) R. sind bei der menschlichen Stimme eine Reihe 
aufeinanderfolgender, auf Grand von gleichbleibenden 
und zusammenwirkenden physiologischen Vorgangen 
ahnlich gefarbter Tone. Die Differenzierung in Brust- 
R. (Bruststimme) und Kopf-R. (Kopfstimme) sowie 
Zwischen-R. (-»■ Voix mixte) resultiert aus der unter- 
schiedlichen -*■ Resonanz von Brustwand und Schadel- 
knochen. Wahrend tiefe Frequenzen groBe Amplitu- 
den der Brustwandschwingungen ausbilden, entstehen 
bei hohen Frequenzen am Schadel groBere Amplitu- 
den. Beim Brust-R. schwingen die Stimmlippen in 
ihrer gesamten Breite, beim Kopf-R. nur am mittleren 
Rand. Wenn die mannliche hauchige Kopfstimme 
(Fistelstimme) durch Brustresonanz verstarkt wird, 
entsteht das besonders von Tenoren verwendete Fal- 
sett mit seinen hohen, iiber die normale Reichweite 
hinausgehenden Tonen. Als ein weiteres R. ist das 
Pfeif-R. anzusehen, das vom Koloratursopran bei ex- 
trem hohen Tonen benutzt und durch eine ringf ormige 
Offnung in der Mitte der sonst geschlossenen Stimm- 
lippen erzeugt wird. Im Kunstgesang wird ein weitest- 
moglicher Ausgleich zwischen den R.n angestrebt in 
der Art, daB nicht nur die Ubergange zwischen den 
R.n ohne Bruch verlaufen, sondern auch noch im tie- 
fen Grenzraum das Brust-R. durch einen Rest Kopf- 
resonanz aufgehellt wird und im Bereich des Kopf-R.s 
ein Rest Brustresonanz erhalten bleibt. Auf absichtli- 
chem Umschlagen zwischen Brust- und Kopf-R. 
(mit gleichzeitigem -> Glottis-Schlag) beruht das 
-> Jodeln. - Entsprechend den Stimm-R.n nennt 
man auch einzelne Lagen von Instrumenten R. oder 
Stimme (-> Trompete - 1 und -*■ Clarino, -»■ Klari- 
nette, -> Chalumeau - 1). 

Lit. : zu 1) : Chr. Mahrenholz, Die Orgelr., ihre Gesch. u. 
ihr Bau, Kassel 1930, 21944; H. Klotz, Das Buch v. d. 



50* 



787 



Regok dell'ottava 



Org., Kassel 1938, «1960; S. Irwin, Dictionary of Pipe Or- 
gan Stops, NY 1962. - zu 2) : R. E. M. Harding, The Pfte 
. . ., Cambridge 1933; W. Kahl, Friihe Lehrwerke f. d. 
Hammerkl., AfMwIX, 1952; R. Russell, The Harpsichord 
and Clavichord, London 1959. -zu 3): P. Bruns-Molar, 
Die R.-Frage, I: Das Problem d. Kontraaltstimme, Bin 
1906, 21930, II: Bariton oder Tenor, Bin 1910; M. Na- 
doleczny, Untersuchungen iiber d. Kunstgesang, Bin 
1923; W. Trendelenburg, Untersuchungen zur Kenntnis 
d. Registerbruchstellen beim Gesang, Sb. Bin, Phys.- 
mathem. Klasse, 1938; R. Luchsinger, Physiologie d. 
Stimme, Folia Phoniatrica V, 1953 ; H. J. Moser, Technik 
d. deutschen Gesangskunst, = Slg Goschen Bd 576/576a, 
Bin 3 1954; Fr. Martienssen-Lohmann, Der wissende San- 
ger, Zurich u. Freiburg i. Br. 1956. 

Regola dell'ottava (ital., Regel der Oktave) hieB die 
knappe Fassung der Lehre des a vista-Akkompagne- 
ments auf Grund nichtbezifferter Basse, wie sie in der 
italienischen GeneralbaBpraxis des 18., vielleicht schon 
des spaten 17. Jh., entwickelt wurde. Sie stellt als die 
»natiirlichen« Harmonien der Tonleiter auf: 




Die R. dell'o. war urspriinglich eine bloBe Merkregel 
fur Anfanger. Als solche erscheint sie, auf die 6 Stufen 
von c bis a beschrankt und ohne namentlich genannt 
zu werden, in den Beispielen zu Gasparinis L'armonico 
prattico al cimbalo (1708). In Frankreich wurde sie durch 
Fr. Campion 1716 formuliert; sie bildete eine der Vor- 
aussetzungen fur die Lehre von den Akkordumkeh- 
rungen und der -> Basse f ondamentale von Rameau. 
Lit. : Fr. Campion, Traite d'accompagnement . . . , Paris 
u. Amsterdam 1716; J.-Ph. Rameau, Traite de l'harmonie 
. . ., Paris 1722; ders., Dissertation sur les differentes me- 
thodes d'accompagnement pour le clavecin ou pour l'orgue 
..., Paris 1732; J.-J. Rousseau, Dictionnaire de mus., 
Genf 1767(?), Paris 1768, Artikel R.; M. Brenet, Regie 
d'octave, Guide mus. v. 27. 9. 1888 ; Riemann MTh. 

Reibtrommel (auch Rummelpott, Brummtopf ; engl. 
friction-drum; frz. tambour a friction; nld. rommel- 
pot), ein Friktionsinstrument mit einem topfformigen, 
einseitig mit einer Membran bespannten Resonanzkor- 
per, der meist aus Metall, Ton oder Schilf gefertigt ist. 
Durch die Mitte der Membran ist ein Holzpflock ge- 
bohrt, der mit nassen Fingern gerieben oder hin und 
her bewegt wird, damit die Membran zum Schwingen 
kommt. Durch Auf- und Abbewegung des Holzes und 
durch Beruhren der Membran laBt sich die Tonhohe 
so verandern, daB auch einfache Tonfolgen auszufiih- 
ren sind. - Die R. ist in nahezu alien europaischen und 
auBereuropaischen Landern heimisch. In Spanien wird 
das Instrument zambomba genannt und ist zusammen 
mit -> Pandero und Schellen im Karneval gebrauch- 
lich. Bezeichnungen fur R.-Arten sind in der Provence 
frignato, in Italien caccarello (Neapel) und cupacupa 
(Apulien). Bildbelege (vgl. Kupferstiche von Jacob de 
Dheyn, urn 1600; Mahillon, Catalogue . . . , S. 165-168; 
J.M.Molenaer, Dreijunge Musiker, 1629) zeigen die R. 
in den Hauptformen Stab-, Faden- und Schwung-R. 
Die Stab-R. ist die verbreitetste Art des Instruments. 
Anstelle eines Stockes konnen auch Strohhalme die 
Membran zum Schwingen bringen. Die Faden-R. 
(frz. cri de la belle-mere; span, chicharra) verwendet 
statt des Stockes einen oder mehrere Faden, die im 
Mittelloch der Membran verknotet sind. Die Schwung- 
R. (volkstiimlich auch Waldteufel; engl. pasteboard 
rattle; frz. bourdon) wird an einem Faden, der hinter 
der Membran verknotet und am anderen Ende mit ei- 
nem Holzgriff versehen ist, in der Luf t gedreht. 



Lit. : H. Balfour, The Friction Drum, The Journal of the 
Royal Anthropological Inst, of Great Britain and Ireland 
XXXVII, 1907; V. Ch. Mahillon, Cat. descriptif et analy- 
tique du Musee Instr. du Conservatoire Royale de Mu- 
sique de Bruxelles IV, Gent 1912; M. Schneider, Zam- 
bomba u. Pandero . . ., in: Span. Forschungen d. Gorres- 
ges. I, 9, Munster i. W. 1934; P. Collaer, Le tambour a 
friction (Rommelpott) en Flandre, in: Les Colloques de 
Wegimont I, 1954; ders., Le tambour a friction (II) et 
idiophones frottes, ebenda III, 1956. 

Reichenau (Bo den see), Benediktinerkloster, gegr. 
724. 

Lit.: W. Brambach, Die Musiklit. d. MA bis zur Blute d. 
R.er Sangerschule, Karlsruhe 1 883; ders. , Theorie u. Praxis 
d. R.er Sangerschule, ebenda 1888; P. v. Winterfeld, Die 
Dichterschule St. Gallens u. d. R. unter d. Karolingern u. 
Ottonen, Neue Jb. f. d. klass. Altertum, Gesch. u. deutsche 
Lit. Ill, 1900; A. Holder, Die R.er Hss. I-III, = Die Hss. 
d. groBherzoglichen Badischen Landesbibl. I-VII, Lpz. 
1906-18; R. Molitor OSB, Die Musik in d. R., in: Die 
Kultur d. Abtei R. II, hrsg. v. K. Beyerle, Munchen 1925; 
R. Stephan, Aus d. alten Abtei R., AfMw XIII, 1956; H. 
Oesch, Berno u. Hermann v. R. als Musiktheoretiker, 
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden 
Ges., II, 9, Bern (1961). 

Reihe (engl. series; frz. serie; ital. seria) bezeichnet als 
Terminus der ->■ Zwolftontechnik eine fiir jede Kom- 
position erneute Anordnung aller 12 Tone des gleich- 
schwebend temperierten Systems. Sie stellt in ihrer spe- 
zifischen Eigenart eine Vorformung des Tonmaterials 
unter dem Gesichtspunkt der Intervallproportion im 
Hinblick auf die jeweilige Komposition dar. Aufgabe 
einer R. ist es, die Tonbeziehungen (Tonqualitaten) in- 
nerhalb einer Komposition zu regulieren, nicht jedoch 
die Tonhohen bzw. Tondauern f estzulegen. Sie ist dem- 
nach mehr als bloBes Material, zugleich aber weniger 
als Thema oder Motiv. Jede R. kann in 4 verschiedenen 
Erscheinungsformen, auch Modi genannt, auftreten: in 
ihrer Original- oder Grundgestalt (R bzw. G), im 
Krebs (K), in ihrer Umkehrung (U) und im Krebs der 
Umkehrung (KU). Die Umwandlungen der Original- 
gestalt einer R., die auch als deren vertikale und hori- 
zontale Spiegelung bezeichnet werden, verandern zwar 
den Tonverlauf, jedoch nicht die einmal gewahlten In- 
tervallproportionen. Schonbergs Oper Moses und Axon 
liegt folgende R. zugrunde: 

i«< G > . ■ i , 




1" 8° !,„ \* bo H» ^ <t " ^ bo H» I 



,KU 



Jede Erscheinungsform einer R. kann elfmal transpo- 
niert werden; somit stehen fiir eine reihengebundene 
Komposition 48 R.n-Formen zur Verf iigung, ohne daB 
jedoch alle Verwendung finden miissen. Vier weitere 
Erscheinungsformen hat H.Eimert (1952, S. 29) vor- 
geschlagen, indem er die horizontale und vertikale 
Spiegelung um die Spiegelung im Winkelder Quarte und 
Quinte erweitert. Ableitungen dieser Art werden als 
-> Permutation (- 3) bezeichnet. Mit den 12 verfiig- 
baren Tonen lassen sich theoretisch 479001600 ver- 
schiedene Grundgestalten bilden. Grundsatzlich unter- 
scheiden sich alle R.n durch ihre Intervallstruktur. Da 
eine R. als Einfall in Verbindung mit dem intuitiv vorge- 



788 



Reihe 



stellten ganzen Werk (Webern, S. 58) gilt, bekundet sie 
den Charakter der jeweiligen Komposition sowie die 
Eigenart des Komponisten. - Schonberg und Berg be- 
vorzugen R.n, die durch motivische Gruppenbildung 
sowie durch Zerlegung tonaler Akkordbildungen aus- 
gezeichnet sind. Dem Blaserquintett op. 26 von Schon- 
berg liegt eine in 2 korrespondierende Teile sich glie- 
dernde R. zugrunde, wobei die 2. R.n-Halfte eine 
Quin transposition der ersten darstellt; beide R.n-Ab- 
schnitte stehen gleichsam in einem dominantischen 
Vorder- und Nachsatzverhaltnis. Die R. zu Bergs Vio- 
linkonzert besteht aus einer alternierenden Kette von 
Moll- und Durdreiklangen sowie einer abschlieBenden 
Ganztonfolge; die R. ermoglicht tonale Akkordschich- 
tungen, auch Fortschreitungen im Sinne harmonischer 
Funktionalitat. Weberns R.n sind durch ihre spezifi- 
sche Binnenstruktur gekennzeichnet. Aus zumeist klei- 
nen Intervallschritten gebildete Tonfolgen schlieBen 
sich zu Gruppen bzw. chromatischen Feldern zusam- 
men, die ihrerseits innerhalb der R. unter dem Aspekt 
horizontaler und vertikaler Spiegelung angeordnet 
sind, z. B. in der R. von op. 24 : 




G KU K U 

Das Verfahren der Gliederung und Binnenspiegelung 
reicht bei Webern von einfacher Addition der Glieder 
bis zu komplizierten Uberschneidungen und findet sei- 
ne konzentrierteste Form in symmetrisch um eine In- 
tervallachse strukturierten R.n, die identisch sind mit 
ihrer Krebsgestalt (z. B. op. 21) oder ihrer Krebsum- 
kehrung (z. B. op. 30), wodurch sich die Anzahl der 
Transpositionen jeweils um 24 verringert. Als Son- 
derfall gelten die symmetrischen oder asymmetrischen 
Allintervall-R.n, in denen neben den 12 Tonen alle 11 
im temperierten System moglichen Intervalle vorkom- 
men (z. B. Berg, zweites Storm-Lied, 1925, und Lyri- 
sche Suite). - In den Kompositionen Schonbergs und 
Bergs ist die R. durchweg noch Grundlage fur Motiv- 
und Themenbildung im traditionellen Sinne, d. h. zwi- 
schen R. und Thema wird eindeutig unterschieden. 
Bergs genanntem Storm-Lied liegt ebenso wie der Ly- 
rischen Suite folgende von Fr. H. Klein auf gestellte sym- 
metrisch-krebsgleiche Allintervall-R. zugrunde: 




12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 
Die beiden ersten Verszeilen des Gedichts sind als Vor- 
der- und Nachsatz thematisch geschlossen komponiert, 
wobei der Nachsatz die R.n-T6ne 1, 2 und 3 der sich 
anschliefienden R.n-Wiederholung thematisch einbe- 
greift; thematische Entwicklung und R. sind nicht 
kongruent: 




12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 
Webern dagegen fiihrt Thema und R. in geschlossener 
Gestalt zusammen; er entthematisiert die R., indem er 
die R.n-Struktur selbst zum kompositorisch-themati- 
schen Regulativ erhebt. Seine Symphonie op. 21 ba- 
siert auf einer symmetrisch-krebsgleichen R. : 




Terz transponierten R. ; zugleich ist das Thema formal, 
rhythmisch, dynamisch und in seiner Spielweise analog 
der symmetrischen n PP P, 

R.n-Struktur 
zipiert: 




Das Thema des 2. Satzes, der ein Variationensatz ist, 
entspricht in seiner melodischen Gestalt der um eine 



Das in der R. als Keim gegebene Prinzip symmetrisch- 
riicklaufiger Formbildung iibertragt Webern auf jede 
der Variationen und dariiber hinaus auf den ganzen 2. 
Satz, der ab Mitte der IV. Variation in sich rucklaufig 
ist. Die R. ist integrierendes Moment der gesamten 
Komposition ; moglichst viele Zusammenhange sollen ge- 
schaffen werden (Webern, S. 60). In ahnlichem Sinne, 
jedoch auf dem Hintergrund unterschiedlicher kom- 
positorischer Verwirklichung nennt Schonberg die R. 
a unifying idea which produced not only all the other ideas 
but regulated also their accompaniment and the chords »the 
harmonies^ (zitiert bei Slonimsky, S. 680). Die Vorstel- 
lung der horizontalen und vertikalen Identitat einer R. 
begriindet Schonberg mit derEinheit des musikalischen 
Raums; the two-or-more-dimensional space in which mu- 
sical ideas are presented is a unit (Schonberg, Style and 
Idea, S. 109), d. h. dieZeit wird als Raumgesehen (Schon- 
berg, zitiert bei Rufer, S. 50). Schonberg interpretiert 
die R. als ein raumliches, auBerhalb der Zeit stehendes 
Gebilde, das in seiner musikalischen Verwirklichung 
gleichsam aus verschiedenen Richtungen komposito- 
risch betrachtet wird. - Die Wurzeln der R.n-Kompo- 
sition liegen im 19. Jh. ; sie sind in der Thematischen 
Arbeit der Sonatensatz-Durchf uhrung, in der Variation 
und in der chromatisch durchsetzten Alterationshar- 
monik zu suchen. Bereits bei Beethoven dringt das 
Variationsprinzip in die Durchfuhrung ein, wahrend 
in zunehmendem MaBe die Variation selbst sich dem 
Durchfiihrungsprinzip nahert. Gemeinsam ist Variation 
und Durchfuhrung die Deduktion des gesamten moti- 
vischen Materials aus einem thematischen Hauptge- 
danken, d. h. der ZusammenschluB aller motivischen 
Elemente auf der Basis der Intervallbeziehung. Parallel 
zur motivischen Durchartikulation der Komposition 
verlauft die chromatische Erweiterung der tonalen 
Harmonik, die, indem sie das einzelne harmonische Er- 
eignis funktionell vieldeutig gestaltet, den f unktionalen 
Bereich sprengt und sich als »Chromatik« schlieBlich 
zugunsten der Gleichrangigkeit aller 12 Tone aufhebt. 
Die Harmonik emanzipiert sich vom qualitativ ordnen- 
den Tonalitatsprinzip ; die Begriffe Konsonanz/Disso- 
nanz verlieren ihren Sinn (-»■ Atonalitat). Die Logik 
der harmonischen Fortschreitung besteht, statt im 
funktionalen Bezug, in der spezifischen Art der Ver- 
kniipfung, des In-Beziehung-Setzens von Tonen bzw. 
Intervallen. Motivische Integration und Harmonik be- 
riihren sich im Prinzip der Intervallbeziehungen, ihre 
Kongruenz finden sie in der R., die in der Einheit des 
horizontalen und vertikalen musikalischen Raums Mo- 
tivik und Harmonik als identisch aufeinander bezieht. - 
Ausgehend von der qualitativen Gleichwertigkeit von 
Ton, Motiv und Harmonie auf dem Hintergrund der 
alles integrierenden R. wurden die R.n-Kompositionen 
der —> Wiener Schule (- 2) zur Ausgangsbasis fur die 
nach 1950 einsetzenden Bestrebungen, alle Parameter 
des Tones reihenmaBig, d. h. seriell (-»• Serielle Musik) 
zu erfassen. 

Lit. : E. Stein, Neue Formprinzipien, in : Der Anbruch VI, 
1924, auch in: Von neuer Musik, Koln 1925, u. in: H. H. 
Stuckenschmidt, Neue Musik, = Zwischen d. beiden Krie- 
gen II, Bin u. Ffm. 1951, frz. Paris 1956; ders., Einige Be- 



789 



Reim 



merkungen zu Schonbergs Zwolftonr,, in: Der Anbmch 
VIII, 1926; Z. Lissa, Geschichtliche Vorformen d. Zwolf- 
tontechnik, AMI VII, 1935; N. Slonimsky, Music Since 
1900, NY 31949 ; A. Sch6nberg, Style and Idea, NY 1950 ; 
H. EiMert, Lehrbuchd. Zwolftontechnik, Wiesbaden 1952, 
«1963; ders., Grundlagen d. mus. Reihentechnik, Wien 
1964; J. Rufer, Die Komposition mit zwdlf Tonen, Bin u. 
Wunsiedel 1952, Kassel 21966; M. Babbit, Some Aspects 
of Twelve-Tone Composition, The Score XII, 1955 ;-ders., 
Twelve-Tone Invariants as Compositional Determinants, 
MQ XLVI, 1960, auch in: Problems of Modern Music, 
hrsg. v. P. H. Lang, NY 1962 ; L. Nono, Die Entwicklungd. 
Reihentechnik, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik I, 
Mainz (1958); Th. W. Adorno, Zur Vorgesch. d. Reihen- 
komposition, in: Klangfiguren, = Mus. Schriften I, Ffm. 
1959; A. Webern, Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. v. W. 
Reich, Wien 1960; P. Boulez, Artikel serie, in: Encyclo- 
pedic de la musique II, hrsg. v. Fr. Michel, Paris 1961 ; H. 
Jelinek, Die krebsgleichen Allintervallr., AfMw XVIII, 
1961 ; G. Perle, Serial Composition and Atonality : An In- 
troduction to the Music of Schoenberg, Berg and Webern, 
Berkeley (Calif.) 1962; E. Klemm, Zur Theorie eiriiger R.- 
Kombinationen, AfMw XXIII, 1966 ; ders., Zur Theoried. 
Reihenstruktur u. Reihendisposition in Schonbergs 4. 
Streichquartett, Beitr. zur Mw. VIII, 1 966. EB 

Reim, als mhd. rim belegt seit Ende des 12. Jh. ( bedeu- 
tet zunachst s. v. w. Verszeile; noch heute so verwen- 
det in den Wortern Kinder-R., Kehr-R. Erst sparer 
(seit Opitz) versteht man (mit Ausnahme des Begriffs- 
wortes -»■ Stabreim) unter R. den Gleichklang von 
Wortern, im allgemeinen vom letzten betonten Vokal 
an. R. tritt vor allem am Versende (End-R.) auf. - Die 
Herkunft des abendlandischen R.s ist umstritten. Ara- 
bische, persische, indische und chinesische Lyrik kennen 
den R. als Kunstmittel. In der lateinischen Sprache ver- 
wendeten ihn zuerst die christlichen Schriftsteller hau- 
figer und konsequenter, vor allem in der Hymnendich- 
tung. Das Auftreten des End-R.s steht in Zusammen- 
hang mit der Umorientierung vom quantitierenden 
zum akzentuierenden Versprinzip (->■ VersmaBe) ; der 
R. wurde neue Form der Bindung einzelner Verse, un- 
tereinander wie auch der Abgrenzung der Verse ge- 
geneinander. Im Hochmittelalter war er allgemein ge- 
brauchlich; aus der mittellateinischen Dichtung iiber- 
nahmen ihft die Volkssprachen. Besonders in romani- 
schen Versen, in denen das Versinnere rhythmisch frei 
gegliedert wird, spielt der R. eine wichtige Rolle. In 
deutschen Versen jedoch hat der End-R., der meist auf 
der letzten betonten Silbe einsetzt, ein groBeres inhalt- 
liches Gewicht, da im Deutschen die Betonung regel- 
maBig auf die bedeutungstragende Silbe fallt. - R.- 
Geschlechter (die Bezeichnungen rime masculine, rime 
feminine kamen im 15. Jh. auf) wurden zuerst in der 
franzosischen Verslehre unterschieden; sie sind in Ana- 
logic zu Wortbildungen zu verstehen, bei denen die 
weibliche Form eine zusatzliche, unbetonte Endsilbe 
aufweist (wie mannlich^ik, weiblich/iHe). Der mannli- 
che (stumpfe) R. umfaBt eine Silbe (deutsch Nacht - 
Wacht; franzosisch cheval - egat); der weibliche (klin- 
gende) zwei Silben: auf die tontragende Silbe folgt ei- 
ne unbetonte (deutsch Feuer - teuer; franzosisch^brte - 
porte). Alternierender Gebrauch von Versen mit mann- 
lichem und weiblichemEnd-R. ist haufig. Bei 3silbigem 
R. (gleitendem R.; im Franzosischen nicht moglich; 
italienisch rima sdrucciola) folgen der letzten betonten 
Silbe zwei unbetonte (deutsch schimmernde -fiimmernde; 
italienisch benevok - piacevole). - Die Bezeichnungen 
fur die Arten der »Reimfulle« werden besonders im 
Franzosischen nicht eindeutig verwendet. Beim reinen 
R. (rime suffisante), der Normalform des R.s, herrscht 
Gleichklang vom letzten betonten Vokal an (deutsch 
geben - leben; franzosisch your - cow). Beim Halb-R. 
reimen wenigerElemente : beimkonsonantischenHalb- 



R. (unreiner R.) stimmen die Tonvokale nur annahernd 
iiberein (deutsch trubt - liebt); der vokalische Halb-R. 
(Assonanz) hingegen besteht lediglich im Gleichklang 
der betonten Vokale und beriicksichtigt nicht die nach- 
folgenden Konsonanten (deutsch trank - schafft). Die 
Assonanz ist die friiheste Form des End-R.s und spielt 
in mittelalterlichen lateinischen Tropen, Sequenzen 
(wegen ihrer Herkunft vom Allelui-a haufig Assonanz 
auf -a) und Motetten eine Rolle, auch in der fruhen 
volkssprachlichen Dichtung (z. B. in der Chanson de 
geste). Im Franzosischen heiBt Gleichklang der Tonvo- 
kale mit verschiedener konsonantischer Endung rime 
f aible oder rime pauvre (don - nom) und gilt als echter R. 
Andererseits konnen auch die vor der letzten tontra- 
genden Silbe stehendenElemente in den R. einbezogen 
werden. Im riihrenden R. (rime riche) ist auch der dem 
Tonvokal der reimenden Silbe vorangehende Konso- 
nant am Gleichklang beteiligt (deutsch Haute - heute; 
franzosisch pere - prospere) ; er wird im Deutschen seit 
Opitz vermieden. Erweiterter (mehrsilbiger) R. (rime 
superflue, rime leonine) bezieht eine oder mehrere vor 
der Hebung (dem Tonvokal) stehende Silben in den R. 
ein. Von den orientalischen Literaturen abgesehen, 
pflegte besonders das spatere franzosische Mittelalter bis 
zu Marot die mehrsilbigen R.e (z. B. Machaut, Rondeau 
Nr 7). - In bezug auf die Stellung des R.-Wortes im 
Vers sind zu unterscheiden: 1) Stellung am Versanfang. 
Anfangsreim heiBt der R. der jeweils ersten Worter 
zweier aufeinanderf olgender Verse, Schlag-R. hingegen 
derR. zweier im selben Vers auf einanderf olgender Wor- 
ter. 2) Stellung am Versende (End-R.). Die gebrauch- 
lichsten Gruppierungen endgereimter Verse sind: Ge- 
haufter R. (rime continue) aaaa . . . bbbb . . . ; Paar- 
R. (rimes plates) aabb; Kreuz-R. (rimes croisees) abab; 
umarmender R. (rimes embrassees) abba; Schweif- 
R. aab ccb. Die Anordnung derEnd-R.e ist ein wich- 
tiges Kennzeichen der Strophen- und Gedichtformen 
(-+ Strophe). 3) Zu den Sonderiormen gehort der Bin- 
nen-R. : R. des Versendes mit einem Wort des Versin- 
neren (Bei stiller Nacht zur ersten Wacht / Ein Stimm be- 
gundzu klagen; Fr.v.Spee). Der Binnen-R. wird beim 
Hexameter und Pentameter leoninischer R. (nicht zu 
verwechseln mit der franzosischen Bezeichnung rime 
leonine) genannt (Tangendo chordas dulces reddit nimis 
odas; Ruodlieb); er ist im Mittellateinischen weit ver- 
breitet. Beim Pausen-R. reimen die ersten und letzten 
Worte eines Verses, eines Strophenabschnittes oder ei- 
ner Strophe im Minne- und Meistersang (wo I vierzec 
jar hob ich gesungen oder mi / von minnen und als ietnen 
sol; Walther von der Vogelweide). tjbergehender R. 
(rime enchainee) heiBt der R. des letzten Wortes eines 
Verses mit dem ersten des folgenden (Douce dame, vo 
manierejolie j Lie en amours mon cuer . . . ; G. de Machaut) . 
Lit. : -► VersmaBe. WoD 

Reimoffizium, das ->■ Offizium eines Tages als ge- 
schlossene Gestalt mit metrischen (bzw. rhythmischen) 
und gereimten Texten fur Hymnen, Antiphonen und 
Responsorien. Grundlegende Voraussetzung fiir die 
Entstehung des R.s war der Verzicht auf biblische Tex- 
te bei den Antiphonen und Responsorien des Stunden- 
gebets. So konnten fiir einzelne Gesange oder auch fiir 
ein ganzes Offizium (mit Ausnahme der Psalmen, Lek- 
tionen und Orationen) anlaBlich eines neuen Festes oder 
als Ersatz fiir alte Texte neue und zusammenhangende 
Texte geschaffen werden, deren Form der neuen Zeit 
mehr zusagte. Die ubliche Bezeichnung war -*■ Hi- 
storia, da es sich zumeist um die Leidens- und Wunder- 
geschichten von Heiligen oder um das Wissen iiber 
Festgeheimnisse handelte. Die Historien waren zu- 
nachst in Prosa geschrieben. Seit dem 9./10. Jh. nahmen 



790 



Relatives Gehor 



sie poetische Form an und wurden als Reimprosa oder 
als metrische, spater rhythmische (auch gereimte) Verse 
verfafit. Mit der Entfernung vom biblischen Text ge- 
wannen diese Gesange auBerdem einen neuen musika- 
lischen Stil. - Die Anf ange des R.s sind noch unbekannt, 
da die Offizien in Prosa oder in Reimprosa bisher nur 
ansatzweise erforscht wurden. Eines der altesten Reim- 
offizien ist das Dreif altigkeitsof fizium (St. Gallen, Cod. 
390-391 ; Paleographie muskale II, 1), das Stephan von 
Luttich (•)■ 920) zugeschrieben wird und noch heute im 
romischen und im monastischen Brevier enthalten ist. 
Auch Hucbald von Saint-Amand verfaBte Offizien mit 
teilweise metrischen Texten. Eine erste Epoche bis et- 
wa 1200 erlaubte bei den Antiphonen, Responsorien 
oder sogar bei einzelnen Abschnitten der Responsorien 
Selbstandigkeit in der Wahl der Form. Wahrend der 
nachfolgenden Epoche, vertreten vor allem durch die 
Franziskus- und Antonius-Offizien Julians von Speyer 
(f urn 1250), wurde dagegen ein einheitliches VersmaB 
zur Regel. Das Tridentiner Konzil verbot die Reimof- 
fizien fast ausnahmslos (einige Beispiele finden sich noch 
im Brevier der Franziskaner und Dominikaner). - In 
musikalischer Hinsicht fallt zunachst die geregelte Fol- 
ge der ->■ Kirchentone als Zeichen einheitlicher Kom- 
position auf : der Nummer der Antiphon oder des Re- 
sponsoriums entspricht die Nummer des Kirchentons 
(z. B. im Dreif altigkeitsof fizium: 1. Antiphon Gloria 
tibi Trinitas = 1. Modus; 2. Antiphon Laus et perennis 
gloria = 2. Modus ; 3. Antiphon Gloria laudis resonet = 3. 
Modus; usw.). Das Vorbild hierfiir ist vermutlich in der 
byzantinischen Kanonkomposition zu suchen. Als mu- 
sikalisch weitaus wichtiger erweist sich indessen der Stil 
des mittelalterlichen Chorals : die psalmodische Grund- 
f orm des alten Chorals, insbesondere der Tonus currens, 
wurde aufgegeben. Gleichwohl blieb die antiphonale 
und responsoriale Kompositionstechnik mit ihren Un- 
terschieden erhalten. Die Melodik der Reimoffizien 
schmiegt sich, trotz aller Bindung an die Versform, 
streng an die durch die syntaktische Ordnung gegebene 
Sprachmelodie an, die sie allerdings in wechselndem 
MaBe verziert. Erst in der Spatzeit, nach Julian von 
Speyer, verschwindet diese Anpassung an den Text: 
die Versordnung einiger Musterof fizien wird nunmehr 
- zusammen mit den Melodien - fur Nachbildungen 
ubernommen. Der Rhythmus der Reimoffizien wahrt 
den VersfluB, geht aber im wesentlichen von der glei- 
chen Dauer der Tone aus. Ebenso bewegt sich die Me- 
lodie vorzugsweise in Stufenschritten; doch ist die To- 
nalitat gekennzeichnet durch kriftige Auspragung der 
Tonraume Prime-Quinte, Quinte-Oktave, Unter- 
quarte-Prime. Die Uberlieferung erfolgt durch das An- 
tiphonar oder seine Abarten, wo die Reimoffizien zwi- 
schen den Offizien des alten Chorals stehen, vollstan- 
dig oder stiickweise, wie es die Bediirfnisse der ortli- 
chen und wenig iiberpruften Praxis mit sich brachten. 
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi, Bd V, XIII, XVII, 
XVIII, XXIV-XXVI, XXVIII, XLIa, XLVa, Lpz. 1889- 
1904. 

Lit. : E. Ranke, Chorgesange zum Preise d. hi. Elisabeth 
aus ma. Antiphonarien, Lpz. 1884; W. Brambach, Die 
verloren geglaubte »Historia de sancta Afra Martyre« u. d. 
»Salve Regina« d. Hermannus Contractus, Karlsruhe 1 892; 
Cl. Blume SJ, Zur Poesie d. kirehlichen Stundengebetes 
im MA, in: Stimmen aus Maria-Laach LV, Freiburg i. Br. 
1898 ; J. E. Weis, Julian v. Speier, = Veroff. aus d. Kirchen- 
hist. Seminar Munchen HI, 1900; ders., Die Chorale Ju- 
lians v. Speier, ebenda VI, 1901; H. Felder, Die liturgi- 
schen Reimoffizien auf d. fill. Franziskus u. Antonius . . . 
v. Fr. Julian v. Speier, Freiberg 1901 ; P. Wagner, Zur ma. 
Offiziumskomposition, KmJb XXI, 1908; J. Gmelch, Die 
Kompositionen d. hi. Hildegard, Diisseldorf 1914; L. Bro- 
narski, Die Lieder d. hi. Hildegard, = Veroff. d. Gregoria- 
nischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz IX, Lpz. 1921 ; A. 



Auda, L'ecole liegoise au X e s. Etienne de Liege, = Acad. 
Royale de Belgique, Classe des beaux arts II, 1, Brussel 
1923 ; P. Bayart, Les offices de S. Winnoc et de S. Oswald 
d'apres le Ms. 14 de la Bibl. de Bergues, Annates du Co- 
mity Flamand de France XXXV, 1926; E. Jammers, Die 
Antiphonen d. rheinischen R., Ephemerides Liturgicae 
XLIII, 1929 - XLIV, 1930; ders., Das Karlsoffizium »Re- 
gali natus«, = Slg mw. Abh. XIV, StraBburg 1934; ders., 
Wort u. Ton bei Julian v. Speier, in: Der kultische Gesang 
d. abendlandischen Kirche, Fs. D. Johner OSB, Koln 1950; 
H. Villetard, Office de S. Savinien et de S. Potentien, 
= Bibl. musicologique V, Paris 1956. 

Reims. 

Lit. : Ch. Cerf, La musique dans l'eglise de R., R. 1890; B.- 
E. Kalas, La musique a R., R. 1910; J. Leflon, H. Har- 
douin et la musique du chapitre deR.au XVIII e s., R. 1 935 ; 
J. Worsching, Die Orgelwerke d. Kathedrale zu R., Mainz 
1946; A. Machabey, G. de Machault, 2 Bde, Paris 1955. 

Reina-Codex -y Quellen: PR. 

Reine Stimmung wird der Versuch genannt, auBer 
den Oktaven auch samtliche Quinten und Terzen des 
Tonsystems harmonisch-rein, also nach den Proportio- 
nen 2:3 (Quinte), 4:5 (groBe Terz) und 5:6 (kleine 
Terz) zu intonieren. Da die harmonisch-reine groBe 
Terz und die durch 4 Quintschritte erreichte groBe 
Terz (64 : 81) um das syntonische Komma (80 : 81) diffe- 
rieren, zwingt die R. St. zur Vervielfachung der Ton- 
hohenbestimmung der Stufen (also bei Tasteninstru- 
menten zur Aufspaltung der Tasten). Bereits in der 
C dur-Skala, in der die Terztone a, e und h das Quin- 
tengeriist f-c-g-d ausf iillen, muB der Ton d verdoppelt 
werden (8 : 9 und 9:10 bezogen auf c), um einerseits als 
Quinte iiber g, andererseits als Quinte unter a fungie- 
ren zu konnen; und mit dem Umfang des Tonsystems 
wachsen die Schwierigkeiten. (Im 31tonigen System 
ware der Ton d zu verfiinffachen.) Die durch ->■ Tem- 
peratur geregelte musikalische Praxis weifl von dem zwei- 
erlei d in C dur nichts (H.Riemann). 
Lit.: M. Hauptmann, Die Natur d. Harmonik u. d. Me- 
trik, Lpz. 1853, 21873, engl. London 1888; G. Engel, Das 
mathematische Harmonium, Bin 1881 ; Sh. Tanaka, Stu- 
dien im Gebiet d. r. S., VfMw VI, 1890; K. Eitz, Das ma- 
thematisch-reine Tonsystem, Lpz. 1891; M. Planck, Die 
natiirliche Stimmung in d. modernen Vokalmusik, VfMw 
IX, 1893; H. Riemann, Das chrom'atische Tonsystem, in: 
Praludien u. Studien I, Heilbronn 1895; ders., Ideen zu ei- 
ner Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP XXI, 1914 - XXII, 
1915; ders., Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Tonvorstellun- 
gen, JbP XXIII, 1916; A. v. Oettingen, Das duale Har- 
moniesystem, Lpz. 2 1913 ; J. M. Barbour, Just Intonation 
Confuted, ML XIX, 1938; H. Stephani, Zur Psychologie 
d. mus. Horens, = Forschungsbeitr. zur Mw. IV, Regens- 
burg 1956. 

Rejdovak (von tschechisch rej, Reigen), ein tschechi- 
scher Volkstanz im 3/4-Takt; ihm folgt als Nachtanz 
im 2/4-Takt die Rejdovacka. Aus dem R. ging die 
-*- Redowa hervor. 

Rejouissance (rejuis'a:s, frz., Frohlichkeit) bezeich- 
net in Suiten des 18. Jh. einen schnellen, scherzoartigen 
Satz (z. B. J.S.Bach, 4. Orchestersuite, BWV 1069, 
letzter Satz). 



Relatio non harmonica (lat.) 

-*■ Passus duriusculus. 



Querstand; 



Relatives Gehor ist die zusammenfassende Bezeich- 
nung fur zwei verwandte, aber verschiedene Funktio- 
nen der musikalischen Auffassung: den Intervallsinn 
und den Harmoniesinn, d. h. die Erfassung der Tonbe- 
ziehungen und Tonkomplexe (zusammengef aBt : der 
Tongestalten) als solchen, einmal in der Aufeinander- 
folge, ein andermal im Zusammenklang. Beides wurde 
friiher zu eng als der Sinn fiir die »relative Tonhohe« 
definiert im Unterschied zum -> Absoluten Gehor als 



791 



Relatives Gehor 



dem Sinn fur absolute Tonhohe. Noch G. Revesz setzt 
1946 das R. G. mit dem Intervallsinn gleich, als die 
Fdhigkeit, eingegebenes Intervall richtig zu bezeichnen oder 
gesanglich zu transponieren bzw. frei wiederzugeben. 
Aber das Harmoniegehor ist nicht bloB eine Anwen- 
dung des Intervallgehors auf den Zusammenklang. In 
diesem, als einer Ganzheit, gehen vielmehr die beteilig- 
ten Zweiklange meist mehr oder minder auf. Akkorde 
werden ganzheitlich erfaBt und unmittelbar erkannt, 
auch ohne (subjektive) Zerlegung, etwa Dur und Moli 
ohne Analyse der Terzenzusammensetzung, auch als 
Tongeschlecht im Ganzen eines Musikstiickes. Das 
gleiche gilt von den Relationen der Zwei- und Mehr- 
klange im harmonischen Satz: der PlagalschluB oder 
auch der TrugschluB z. B.imponieren unmittelbar als 
solche, noch ehe GroBe und Richtung der BaBfort- 
schreitung analytisch herausgefaBt sind. Eine Leistung 
des R.n G.s als Harmoniegehor ist demnach auch die 
Erfassung der Harmonieschritte im einzelnen, der 
Schliisse, Kadenzen, Riickungen, Modulationen usw. 
Eigentlich gilt hier »R. G.« nur durch das Fehlen oder 
Nichtbeteiligtsein des Absoluten Gehors; es muB nicht 
jede einzelne Relation analytisch erfaBt sein. Ein ein- 
f acher Sinn f iir die relative Tonhohe ist das R. G. schon 
deshalb nicht, weil es nicht allein an der Hohe imWort- 
sinne orientiert ist und weil die reinen Hohenunter- 
schiede oder Distanzen von den musikalischen Inter- 
vallen abweichende GroBenverhaltnisse ergeben, wie 
schon C. Lorenz und C. Stumpf gezeigt haben. Zudem 
haben die typologischen Befunde von A.Wellek erge- 
ben, daB auch die musikalischen IntervallgroBen nicht 
immer, sondern nur bei einem Typ des R.n G.s, dem 
»linearen«, dem Urteil iiber Intervalle zugrunde liegen. 
Ware das R. G. ein Sinn fur den Tonhohenunterschied, 
wie lange angenommen wurde, dann miiBte es in erster 
Linie dazu tendieren, im Zweifelsfall ein Intervall mit 
dem nachstgroBeren und -kleineren zu verwechseln. 
Das trifft aber nur auf den linearen Gehortyp zu. Der 
mindestens ebenso haufige, an den -> Tonigkeiten ori- 
entierte »polare« oder »zyklische« Typ verwechselt In- 
tervalle wie auch Akkorde ohne Rucksicht auf ihre 
GroBe oder Breite iiberwiegend bis ausschlieBlich dann, 
wenn sie von ahnlichem Konsonanzgrad, d. h. von 
ahnlicher Gesamtfarbung sind oder es waren, wofern 
sie nicht in der Sukzession, sondern im Zusammen- 
klang geboten wiirden. Hier werden demnach ver- 
wechselt: Terzen mit Sexten, Tritonus mit Septimen, 
Oktave mit Quinte und Quarte, Molldreiklang mit 
Septakkorden. Verwechslungen in einem GroBenver- 
haltnis von 1:3 (z. B. kleine Terz - groBe Sext) sind 
hier keine Seltenheit. Entsprechend fallt diesem Typ 
die Beurteilung der Besetzung (Breite) der Akkorde 
schwer, wobei auch mindestens GroBenverhaltnisse 
von 1:2 betroffen sind. - Unabhangig von typologi- 
schen Verschiedenheiten sind absteigende Tonschritte 
schwerer zu beurteilen als aufsteigende, wie schon C. v. 
Maltzew fand. Die Beurteilung von Zweiklangen ist 
wiederum schwieriger als die von Tonschritten beider- 
lei Richtung. Von Unmusikalischen werden Zweiklan- 
ge leicht mit demEinklang verwechselt; beim Oktav- 
zweiklang unterlauft dies auch dem Musikalischen sehr 
leicht. Dieser Tatbestand war f iir Stumpf der Ausgangs- 
punkt fiir seine Theorie von der »Verschmelzung« als 
der Grundlage der ->- Konsonanz (- 2). 
Unter das R. G. als Intervallsinn fallt auch die Unter- 
schiedsempfindlichkeit fiir Frequenzen, da diese sich im 
Sinne des Fechnerschen Gesetzes alseine Intervallschwel- 
le darstellt und die Annahme einer absoluten Schwel- 
lenkonstanz (bei Wundt und Stumpf) sich als irrtiim- 
lich erwiesen hat. Im Durchschnitt ist der »ebenmerk- 
liche« Frequenzunterschied in giinstigen (mittleren) La- 



gen von beachtlicher Feinheit (0,3-0,5%), zeigt jedoch 
sehr groBe individuelle Schwankungen. In der Regel ist 
der Sinn fiir die Helligkeiten-(Hohen-)UnterSchiede 
feiner als fiir den Unterschied der Tonigkeiten. Es gibt 
jedoch auch den umgekehrten Fall (»inverse Schwel- 
lenlage«) bei dem auf die Tonigkeit ausgerichteten »po- 
laren« Gehortyp (nach Wellek). Die Ubbarkeit der 
Frequenzen-Unterschiedsempfindlichkeit ist sehr be- 
grenzt. Sie nimmt nach einer mehrf ach bestatigten Ent- 
wicklungsgesetzlichkeit bis zum 19. Lebensjahr stetig 
zu, mit einem einstellungsbedingten Riickschlag in der 
Vorpubertat. Zwischen Frequenzen-Unterschiedsemp- 
findlichkeit und Musikalitat besteht eine maBig hohe, 
aber vielfaltig belegte Korrelation. Jedoch spielt der 
»ebenmerkliche« Unterschied im konkreten Musikho- 
ren wenig oder gar keine Rolle, wiirde hier auch erheb- 
lich hoher liegen, also grober sein. Hier geht es viel- 
mehr um den »eben unverkennbaren Unterschied« 
(nach Wellek). Revesz betont, daB die Unterscheidungs- 
fdhigkeitfiir Tonhohen nicht zum musikalischen Gehor ge- 
rech.net werden darf, sie sei nur die notwendige Voraus- 
setzung dafiir. Nach Wellek sind Grob- und Feinschwel- 
ligkeit auch typologisch gebunden; die letztere gehort 
dem linearen Gehortyp zu, die erstere dem polaren, zu- 
mal bei »inverser Schwellenlage«. - Allgemein gilt, daB 
das R. G. in seinen beiden Zweigen des Intervall- und 
des Harmoniegehors fiir den Musiker und die Musi- 
kalitat entscheidend ist, wahrend auf das Absolute Ge- 
hor verzichtet werden kann. Ein gewisses MindestmaB 
an Musikalitat vorausgesetzt, ist R. G. Sache der Ubung 
und daher auch jedem Absoluthorer auf dem Weg der 
Ubung erreichbar. Der oft beobachtete Antagonismus 
zwischen Absolutem und R.m G. beruht nicht auf ei- 
ner strukturellen Notwendigkeit, sondern ist nur Aus- 
druck der abweichenden Haltung, mit der der Absolut- 
horer, dank seiner Sondergabe, an das »musikalische 
Materiak heranzugehen pflegt (Wellek 1939). Vom- 
Blatt-Singen und Musikdiktat bcruhcn (beim Nicht- 
absoluthorer) auf dem R.n G., doch ist dieses auch bei 
anerkannten Komponisten zuweilen weit entfernt von 
Perfektion, so daB sie beim Komponieren auf das Kla- 
vier angewiesen bleiben. So bekennt z. B. Fr.Klose, 
daB er es im Musikdiktat nie zur Unterscheidung von 
Terz- und Sextzweiklangen gebracht habe, ein Sym- 
ptom eines einseitig »polaren« Gehortyps. 
Lit.: C. Stumpf, Tonpsychologie, 2 Bde, Lpz. 1883-90, 
Nachdruck Hilversum u. Amsterdam 1965; C. Lorenz, 
Untersuchungen iiber d. Auffassung v. Tondistanzen, 
Wundts Philosophische Studien VI, 1891 ; C. v. Maltzew, 
Das Erkennen sukzessiv gegebener mus. Intervalle in d. 
auBeren Tonregionen, Zs. f . Psychologie LXIV, 19 1 3 ; C. E. 
Seashore, The Psychology of Mus. Talent, Boston u. NY 
1919; O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Zur Psycholo- 
gie d. Tondistanz, Zs. f. Psychologie XCVIII, 1926; A. 
Wellek, Typologie d. Musikbegabung im deutschen Vol- 
ke, = Arbeiten zur Entwicklungspsychologie XX, Mun- 
chen 1939; ders., Musikpsychologie u. Musikasthetik, 
Ffm. 1963 ; G. Revesz, Inleiding tot de muziekpsychologie, 
Amsterdam 1944, 2 1946, deutsch Bern 1946, engl. London 
u. NY 1953, ital. Florenz 1954; J. Zosel, Die Unterschieds- 
empfindlichkeit f . »Tonhohen« (Frequenzen) als entwick- 
lungspsychologisches Kriterium, Diss. Mainz 1963, auch 
in : Arch, f . d. gesamte Psychologie CXIX, 1967. AW 

Renaissance (ranes'a:s, frz., Wiedergeburt) bezeich- 
net die Kulturepoche etwa zwischen 1350 und 1600. 
DaB das franzbsische Wort, nicht das italienische Wort 
Rinascimento, zum Epochenbegriff geworden ist, er- 
klart sich aus der spat einsetzenden Erforschung dieses 
Zeitalters, die von Frankreich ausging (P. L. Ginguene, 
Histoire Htteraire d'ltalie, 1811ff.). Erst Jules Michelet 
(Histoire de France au XVI' siecle, 1855) und besonders 
Jacob Burckhardt (Die Kultur der R. in Italien, 1860) 
haben den BegrifE R. eingebiirgert. Mit Burckhardts 



792 



Renaissance 



Wort von der »Entdeckung der Welt und des Men- 
schen« war als Hauptverdienst die Auspragung der 
Personlichkeit gemeint; dies wurde in den Jahrzehnten 
nach ihm als Individualismus iiberbetont. Andere er- 
kannten, daB die R. allzuscharf vom Mittelalter getrennt 
worden war. So wurde der Begriff immer inhaltsrei- 
cher und zugleich widerspruchsvoll. Die »Wiederge- 
burt« in Italien um 1350, reprasentiert durch Cola di 
Rienzi und Fr.Petrarca, erhielt ihre Sonderart dadurch, 
daB eine Umgestaltung des mittelalterlichen Lebens 
nach antikem Vorbild begann und in immer neuen Stu- 
fen voranschritt. Als das wirtschaftlich fiihrende Land, 
mit einem leistungsfahigen GroBbiirgertum und he- 
roisch-tatkraftigem Adel, wurde Italien, das erst seit 
der Reformation ebenbiirtige Partner erhielt, zum Vor- 
bild fiirEuropa. In der bildenden Kunst begann die Ab- 
kehr von der Gotik erst im 1 5. Jh. in Florenz, wo um 
1420 der Architekt Brunelleschi und der Maler Ma- 
saccio die Friih-R. vertraten, gefolgt von dem Theore- 
tiker L. B. Alberti. Das Gotische bewies jedoch eine sol- 
che Starke der Tradition, daB die Auseinandersetzung 
zwischen Alt und Neu das Jahrhundert erfiillte. Durch- 
gesetzt hat sich damals die Individualitat des Kiinstlers, 
die von G. Vasari in seiner Kiinstlergeschichte Le vite de 
piit eccellenti, pittori et scultori italiani 1550 riickschauend 
beschriebeh wurde. Das Ergebnis der geistigen Bewe- 
gung seit 1350 war allerdings kein Sieg der Antike, 
nicht einmal ihre voile Gleichberechtigung mit dem 
Christentum, wie es z. B. aus dem Schaffen Leonardo 
da Vincis (1452-1519) und Raffaelo Santis (1483-1520) 
ersichtlich ist. Die ungebrochene Macht des religiosen 
Denkens veranschaulichen das Werk Michelangelo 
Buonarrottis (1475-1564) und der um 1520 auch bei an- 
deren einsetzende GegenstoB des Manierismus gegen 
das oft als »heidnisch« empfundene Neue. Von Diirers 
Graphik angeregt, schuf der Manierismus in Italien den 
fur das 16. Jh. charakteristischen Stil, der auch von an- 
deren Landern aufgenommen wurde und bis zum 
Durchbruch des Barocks um 1590/1600 bestimmend 
blieb. So ist der anfangs zu einseitig aufgefaBte Begriff 
R. als Epochenbezeichnung problematisch geworden. 
Voiles Recht hat er nur fiir Italien von etwa 1350 bis 
ins 16. Jh. hinein. 

Auf die Musik ist der Begriff R. schon deshalb schwie- 
rig anzuwenden, weil auf diesem Gebiet im 14.-16. Jh. 
nicht Italiener die Fiihrung hatten, sondern Kiinstler 
im oder aus dem Norden. Ph. de Vitry, der Freund Pe- 
trarcas, entfaltete sich als ausgepragte Individualitat und 
schuf mit der isorhythmischen Motette zum ersten Ma- 
le das auf sich selbst gestellte, freie Kunstwerk (-* Mit- 
telalter). Zu ihm gesellte sich G. de Machaut, der mit 
Liedern im Kantilenensatz eine fast noch wirksamere 
Kunstform erreichte. Beide Personlichkeiten und der 
nun vorhandene Rang des freien, eigengesetzlichen 
Kunstwerks waren wohl mit dem R.-Begriff in Zu- 
sammenhang zu bringen. Der Unterschied zu Italien 
liegt jedoch darin, daB die Moglichkeiten der franzosi- 
schen Ars nova nicht in derselben Richtung f ortgef iihrt 
wurden. Aus der freien wurde bald wieder eine dienen- 
de Kunst, im Rahmen der Geselligkeit, dann vor allem 
im Dienst des kirchlichen Kultes. Fiir den niederlandi- 
schen Singstil seit 1430/40 war die Erneuerung der Kir- 
chenmusik die Hauptaufgabe (-»■ Niederlandische Mu- 
sik). Die Hohenlage der freien Kunst blieb freilich fiir 
die Hauptmeister unantastbar. Wenn etwa J. Ciconia 
oder G. Duf ay in Motetten ihren eigenen Namen ge- 
nannt und vertont haben, wie einst Vitry, so war das 
nicht italienischer R.-EinfluB, sondern vor allem ein 
Weiterwirken des SelbstbewuBtseins, das die groBen 
Individualitaten der franzosischen Ars nova erf iillt hat- 
te. Von dort fiihrte ein Weg zu dem Ausspruch des J. 



Tinctoris am Ausgang des 15. Jh. : Musica peritos in ea 
glorificat (CSW, 199b). 

In der Musik des 16. jh. blieb der Tanz fast bis zuletzt 
ohne stilbildende Kraft; auch das Heiter-Profane be- 
schrankte sich auf Nebenf ormen wie f ranzosische Chan- 
sons oder Villanellen. Die Geltungszeit der Frottola 
war nur kurz. Ihre Ablosung durch das vom Singstil 
gepragte Madrigal nach 1530 zeigt, daB man einen 
ernsten Ton wiinschte, wie er in Motetten und Messen 
ausgebildet war. Als Ars perfecta sollte die Musik des 
16. Jh. nicht bezeichnet werden; denn damit meinte H. 
Glareanus die Kunst von Josquin Desprez, und er stellte 
1547 ausdriicklich fest, daB der Stil sich seitdem gean- 
dert habe. Mit dem Wort Singstil wird jene Epoche, 
in der Messe, Motette und Madrigal den Vorrang hat- 
ten, am besten gegen die Neuzeit seit 1600 abgegrenzt. 
Alle diese Formen wurden keinem Konzertpublikum 
vorgefuhrt (das es noch nicht gab), sondern waren 
dienende Kunst fiir Kirche und Geselligkeit. Beim Ma- 
drigal musizierten die professionellen Musiker im ge- 
selligen Kreis gemeinsam mit den Zuhorern. DaB in 
den italienischen Akademien das Madrigal den Vorzug 
hatte, veranschaulicht am starksten den EinfluB des 
Singstils, der in seinen Grundziigen vom Norden, von 
den »01tramontani«, ubernommen worden war. Es 
gab keine eigengesetzliche, primar musikalische Form 
wie einst die isorhythmische Motette. Der aus Witten- 
berg stammende Begriff eines Opus perfectum et ab- 
solutum (-> Opus) darf nicht im Sinne der Neuzeit 
verstanden werden. Italien kannte die Musik unter der 
Herrschaft des niederlandischen Singstils nicht als au- 
tonome, sondern nur als dienende Kunst. Auch hierge- 
gen richtete sich im Ausgang des 16. Jh. der Kampf. - 
Greifbarer als es unter dem Stichwort R. darzustellen 
ist, hat die mit ihr entstandene Bildungsform, der 
->■ Humanismus, durch Ruck- und Neubesinnung auf 
die Grundlagen der Musik die Musiklehre und Kom- 
positionskunst durchdrungen. 

Lit.: J. Burckhardt, Die Kultur d. R. in Italien, Basel 
1860, C1952), NA in: GA V, Stuttgart 1930; H. Thode, 
Franz v. Assisi u. d. Anfange d. Kunst d. R. in Italien, Bin 
1885, 4 1934; Vom MA zur Reformation, hrsg. v. K. Bur- 
dach, 11 Bde, Halle u. Bin 1893-1939; H. Wolfflin, Die 
klass. Kunst. Eine Einfiihrung in d. ital. R., Miinchen 1 899, 
7 1924; E. Troeltsch, R. u. Reformation, Hist. Zs. CX, 
1913, u. Gesammelte Schriften IV, Tubingen 1925 ; E. Cas- 
sirer, Individuum u. Kosmos in d. Philosophic d. R., Lpz. 
u. Bin 1927. - H. Hefele, Der Begriff d. R., Hist. Jb. XLIX, 
1929; J. Huizinga, Wege d. Kulturgesch., Miinchen 1930, 
Amsterdaml941 = Mededelingend.Nld.Akad.vanWeten- 
schappen, N. F. IV, 3 ; H. W. Eppelsheimer, Das R.-Pro- 
blem, DVjs XI, 1933; W. K. Ferguson, The R. in Hist. 
Thought, Boston 1948; D. Frey, Kunst u. Weltbild d. R., 
Studium generale VI, 1953; P. O. Kristeller, Die ital. 
Univ. d. R., = Schriften u. Vortrage d. Petrarca-Inst. Koln 
I, Krefeld (1953) ; ders., The Classics and R. Thought, Ox- 
ford 1956; W. Paatz, Die Kunst d. R. in Italien, = Urban- 
Bucher I, Stuttgart (1953); E. Hassinoer, Das Werden d. 
neuzeitlichenEuropa, 1300-1 600, Braunschweig(1959). 
A. W. Ambros, Gesch. d. Musik III, Breslau 1868, 31891, 
Nachdruck Hildesheim 1967 ; H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 
1, Das Zeitalter d. R. (bis 1600), Lpz. 1907, 21920; H. Bes- 
seler, Die Musik d. MA u. d. R., Biicken Hdb. ; G. Reese, 
Music in the R., NY 1954 ; Ars nova and the R., 1 300-1 540, 
= The New Oxford Hist, of Music III, hrsg. v. A. Hughes 
OSB u. G. Abraham, London, NY u. Toronto 1960. - H. 
Zenck, Zarlinos »Istitutioni harmoniche« als Quelle zur 
Musikanschauungd.ital. R.,ZfMwXII, 1929/30; W.Gur- 
litt, Die Musik in Raffaels Heiliger Caecilia, JbP XLV, 
1938, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw I, 
Wiesbaden 1967; E. E. Lowinskv, The Concept of Physi- 
cal and Mus. Space in the R., PAMS, Annual Meeting 1 94 1 ; 
ders., Music in the Culture of the R., Journal of the Hist, of 
Ideas XV, 1954; L. Schrade, R., The Hist. Conception of 
an Epoch, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; H. Besseler, Singstil u. 



793 



Repercussa 



Instrumentalstil in d. europaischen Musik, Kgr.-Ber. Bam- 
berg 1953 ; ders., Umgangsmusik u. Darbietungsmusik im 
16. Jh., AfMw XVI, 1959 ; ders., Das mus. Horen d. Neu- 
zeit, Sb. Lpz. CIV, 6, 1959; ders., Das Renaissancepro- 
blem in d. Musik, AfMw XXIII, 1966. HB 

Repercussa (lat., von vox r., wiederholt erklingender 
Ton), in der Lehre von den ->■ Kirchentonen die Be- 
zeichnung eines oberhalb der ->■ Finalis (- 1) gelegenen 
und mit dieser durch die ->■ Repercussio (- 2) verbun- 
denen Geriisttons, der als bevorzugter Ton neben der 
Finalis in Erscheinung tritt; er ist besonders in den mo- 
dellartigen Singweisen der Psalmodie als Rezitations- 
ton (Tenor) greifbar (-> Psalmtone). 

Repercussio (lat., Zuriickprallen, Wiederertonen), 

- 1) der beim Vortrag bestimmter Neumen (z. B. Bi- 
und Trivirga, Bi- und Tristropha) notwendige wie- 
derholte Stimmansatz auf gleicher Tonhohe. Dieser be- 
steht nach den Regeln der heutigen Choralpraxis in ei- 
nem erneuten Ansingen des Vokals, wobei entspre- 
chend der Form des Notenzeichens bzw. seiner Grup- 
penzugehorigkeit verschiedene Differenzierungen vor- 
genommen werden. Ein frtiher Beleg zur Ausfuhrung 
der R. innerhalb der Tristropha findet sich bereits urn 
850 bei Aurelianus Reomensis (GS I, 56a und 57a f .) ; 

- 2) in der Lehre von den -*■ Kirchentonen die Verbin- 
dung zwischen -> Finalis (- 1) und -> Repercussa, eines 
der wichtigsten Merkmale fiir die kirchentonale Ein- 
ordnung mittelalterlicher Gesange an Hand typischer 
Melodiewendungen. Zu den einzelnen Modi gehoren 
folgende Reperkussionsintervalle: 1. Modus d-a, 2. 
d-f, 3. e-ci, 4. e-a, 5. f-ci, 6. f-a, 7. g-di, 8. g-ci. Aus- 
fiihrliches Interesse fanden die Reperkussionen in der 
Musiklehre des 16. Jh. - R. begegnet auch als Name fiir 
den Tenor (im Sinne der Repercussa). - 3) In der Fu- 
genlehre des 18. Jh. fiihrte die Bedeutung der R. (- 2) 
fiir den Beginn, den Ambitus und die ->■ Beantwortung 
eines Themas zur Obernahme der Bezeichnung R. (oft 
auch Wiederschlag genannt). Sie ist dasjenige interval- 
lum, welches in einer Fuge der Dux und Comes, dem Modo 
gemdfi, gegen einander formiren (WaltherL), der Process, 
die Folge der Stimmen zu ordnen (J. A. Scheibe, urn 1730, 
ed. Benary, S. 45) und somit das Fundament der Fugen 
(Walther 1708, ed. Benary, S. 163); R. ist schlieBlich 
auch synonym mit Comes. - Marpurg (1753, ed. Dehn 
I, S. 65) nennt R. auch die Aufwartsauf- 



\ l ,j .. I I 



losung der dissonanten Sexte im Quint 

sextakkord: Dieses Verfahren heisst das 

Zuriickprallen (r.), weil die Sexte, nachdem 

sie mit der Quinte zusammengestossen ist, 

. . . zuriickzuweichen verbunden ist; und 

da diess nicht abwarts geschehen kann, so steigt sie eine 

Stufe iiber sich. 

Lit.: zu 1): L. Agustoni, Gregorianischer Choral ..., 

Freiburg i. Br., Basel u. Wien (1963). - zu 2): P. Wagner, 

Elemente d. gregorianischen Gesanges, = Slg Kirchenmu- 

sik II, Regensburgu. Rom 21917; B. Meier, Die Hs. Porto 

714 als Quelle zur Tonartenlehre d. 15. Jh., MD VII, 1953 ; 

ders., H. Loriti Glareanus als Musiktheoretiker, in: Beitr. 

zur Freiburger Wiss.- u. Universitatsgesch. XXII, 1960. 

Repetenda (lat.) heiBt in den verschiedenen Formen 
des -»• Responsoriums der zweite, bisweilen selbst noch- 
mals in zwei oder mehrere Repetendae gegliederte Teil 
des Rahmenstucks (Responsum, Responsorium) ; z. B. 
Sana animam meam, (R.) Quiapeccavi tibi, oder: Aspici- 
ens a longe, ecce video Dei potentiam venientem, et nebulam 
totam terram tegentem. (R. 1) Ite obviam ei, et dicite: (R. 2) 
Nuntia nobis si tu es ipse, (R. 3) Qui regnaturus es inpopulo 
Israel. Entsprechend ihrer praktischen Bestimmung als 
Teilwiederholung des Rahmenstucks wird die R. (im 
Unterschied zur vollstandigen Wiederholung, der Re- 
sponsio a capite) auch Responsio a latere genannt. 



Repetition -»■ Mixtur. 

Repetitionsmechanik -> M e c h a n i k , -»■ E r a r d. 

Replica (ital.), Wiederholung (eines Themas); senza 
r., ohne Wiederholung, haufige Vorschrift fiir das Da- 
capo des Menuetts nach dem Trio. 

Reprise (frz., Wiederaufnahme, Wiederholung; ital. 
ripresa), die mehr oder minder getreue Wiederkehr ei- 
nes Satzteils innerhalb einer Komposition, urspriinglich 
Bezeichnung fiir die als Abbreviaturen gebrauchlichen 

— i I - altere Schreib- 



Wiederholungszeichen: I 
a _■ is ' 

— ; I . Diese Zeichen verlangen (ebenso 



wie -»■ da capo und -> dal segno) die -> Wiederholung 
des zwischen ihnen stehenden Abschnitts und hieBen im 
18. Jh. (wie auch der wiederholte Abschnitt selbst) R. 
grande. Zeichen, die nur die Wiederholung einzelner 
Takte verlangen, hieBen R. petite, ebenso die Wieder- 
holung der letzten Takte aus der R. grande. In 2teiligen 
Tanz-(Suiten-)Satzen des 17./18. Jh. heiBt R. auch der 
Eintritt des 2. Teils mit dem (meist in die Dominant- 
tonart transponierten) Themenkopf des 1. Teils nach 
der (auch variierten oder verzierten) Wiederholung des 
1 . Teils. In C. Ph.E. Bachs Sonaten . . . mit veranderten R.n 
(1760) sind die zu wiederholenden Teile in variierter 
Form ausgeschrieben. - In der -> Sonatensatzf orm ist die 
R. derjenige Abschnitt der 2. Satzhalfte, der nach der 
-> Durchfiihrung als (meist modifizierte) Wiederkehr 
der ->• Exposition eine formale Beziehung zur 1. Satz- 
halfte herstellt. Da das thematische Geschehen in der R. 
einheitlich in der Grundtonart verlauf t (Duraufhellung 
des Seitensatzes in Mollsatzen ist moglich), wird hier 
der fiir die Exposition charakteristische Dualismus 
zweier tonartlicher Ebenen auf gehoben und der dyna- 
misch angelegten und formal wie tonartlich sich frei 
entwickelnden Durchfiihrung ein die (3teilige) Form 
abrundender und die Grundtonart bestatigender Teil 
gegeniibergestellt. Schon die Beschrankung auf die 
Grundtonart macht Anderungen in den Uberleitungs- 
partien zwischen -> Hauptsatz und -*■ Seitensatz gegen- 
iiber der Exposition notig. Vollstandige R.n enthalten 
den Haupt- und Seitensatz der Exposition; die Uber- 
leitungspartien, seltener der Epilog, konnen dabei ge- 
kiirzt sein. Unvollstandige R.n setzen in der Mitte des 
Hauptsatzes oder erst mit dem Seitensatz ein (R. Schu- 
mann, 4. Symphonie, Finale). Auch die Umstellung 
von Haupt- und Seitensatz kommt vereinzelt vor (J. 
Haydn, Streichquartett Hob. Ill, 81, 1. Satz); seltener 
wird der Seitensatz ausgelassen, was beiHaydn (Streich- 
quartett Hob. Ill, 46, Finale) meist bedingt ist durch 
die Ahnlichkeit von Haupt- und Seitenthema. In der R. 
kann, besonders im Seitensatz, zusatzlich neues thema- 
tisches Material auftreten, z. B. in Form von kontra- 
punktischen Zusatzen, oder die Seitenthemen der Ex- 
position konnen durch neue ersetzt werden (Mozart, 
Serenade Es dur, K.-V. 375, 1. Satz). Reminiszenzen an 
die Durchfiihrung oder erneute Durcbfuhrungsarbeit 
konnen die R. unterbrechen (Mozart, Streichquartett 
C dur, K.-V. 515, 1. Satz). Vielfaltig sind die Gestal- 
tungsmoglichkeiten des R.n-Eintritts: er kann vorberei- 
tet sein (nach einer knappen Ruckleitung zur Grundton- 
art) oder uberraschend erf olgen, z. B . indem er an eine be- 
nachbarte Tonart unmittelbar anschlieBt (so an die 
Obermediante in Haydns Symphonie Hob. 1, 95, Fina- 
le). Im 1. Satz von Mozarts Symphonie G moll, K.-V. 
550, verschrankt ein Orgelpunkt auf der Dominante 
der Grundtonart die beiden Satzteile; im Streichquar- 
tett op. Ill von Brahms beginnt die R. auf dem Quart- 
sextakkord der Tonika. Einen weiteren Schritt zur Ver- 



794 



schleierung des R.n-Eintritts bedeutet es, wenn die R. 
in einer fremden Tonart einsetzt und erst im weiteren 
Verlauf die Grundtonart erreicht wird (Beethoven, 
Klaviersonate op. 10 Nr 2, 1 . Satz). Steht der Hauptsatz 
der R. in der Subdominante der (Dur-) Grundtonart 
(Mozart, Klaviersonate C dur, K.-V. 545, 1. Satz), so 
kann der modulierende Ubergang zum Seitensatz ana- 
log der Exposition gebildet werden. Im Instrumental- 
konzert hat die -> Kadenz (- 2) des Solisten in der Re- 
gel vor den letzten Takten der R. ihren Platz. 
Lit.: E. H. Beurmann, Die Reprisensonaten C. Ph. E. 
Bachs, AfMw XIII, 1956; H. Schwartino, Ungewohnliche 
Repriseneintritte in Haydns spaterer Instrumentalmusik, 
AfMw XVII, 1960; M. Just, Musik u. Dichtung in Bogen- 
form u. Reprisenbar, Fs. W. Gerstenberg, Wolf enbuttel u. 
Zurich (1964). 

Requiem (lat.), von den Eingangsworten des Introitus 
R. aeternam (»Ewige Ruhe . . . «) hergeleitete Bezeich- 
nung fiir die Totenmesse der romischen Kirche (Missa 
defunctorum, Missa pro defunctis), desgleichen fiir die 
mehrstimmige zyklische Vertonung aller zugehorigen 
Ordinariums- und Propriumsstucke, deren heutige 
Form in dem 1570 von Pius V. dekretierten romischen 
Missale verbindlich festgelegt wurde: Introitus R. aeter- 
nam (ohne Gloria patri nach dem Psalmvers), Kyrie elei- 
son, Graduale R. aeternam, Tractus Absolve Domine, 
Sequenz -> Dies irae, Offertorium Domine Jesu Christe, 
Sanctus, Agnus Dei (Bittruf : Dona eis r. sempitemam), 
und Communio Lux aeterna (mit Versus R. aeternam; 
->■ Communio). Der Entlassungsruf des Priesters lautet 
Requiescant in pace (Amen). Mit der Einfiihrung dieses 
Formulars wurden zahlreiche Eigentraditionen (Texte 
und Melodien) aufgegeben, denen zum Teil noch die 
vor dem Tridentiner Konzil entstandenen mehrstim- 
migen R.-Vertonungen folgten. - Das mehrstimmige 
R. entstand nicht nur als liturgische Musik oder als 
prunkvolle Auftragsmusik (-> Festmusik), sondern 
wuchs vielfach iiber den gegebenen AnlaB hinaus zu ei- 
ner demiitigen Vorbereitung eines Komponisten auf 
den Tod (Dufay und Fr.Cavalli), einer Huldigung fiir 
eine verehrungswiirdige Personlichkeit (Verdi fiir 
Manzoni) oder zu einem artistischen Auskosten der 
prunkhaft-dusteren Weltgerichtsstimmung des Textes 
(Berlioz). Daher wurde keine andere musikalische Gat- 
tung mit einem grofieren Nimbus umgeben als das R. 
(Legenden urn Mozarts R.). - Die altesten mehrstimmi- 
gen R.- Satze sind in der Hs. Florenz, Bibl. Naz., Pancia- 
tichi 27 (Ende des 15. Jh.) iiberliefert; der erste vollstan- 
dig erhaltene Zyklus stammt von Ockeghem (R.-Kom- 
positionen von Dufay undjosquin sind verschollen) . Da- 
nach haben bis zum Ende des 16. Jh. fast alle Kompo- 
nisten, die Messen schufen, auch den Text des R.s ver- 
tont: von denbedeutenderen Brumel.Certon, Clemens 
non Papa, J. de Kerle, Lassus, Ph. de Monte, Morales, 
Palestrina, P. de la Rue und Vecchi, von den weniger 
bekannten Anerio, der Anonymus von Valladolid, Aso- 
la, Belli, de Bonef ont, Brudieu, E. du Caurroy, Clereau, 
Fevin, Guerrero, Mauduit, Porta, Prions, Pujol, Richa- 
fort, Ruffo, Sermisy, Vaet und Vittorio. Bemerkens- 
wert ist die extrem tiefe Schliisselung im R. des P. de la 
Rue. - In der Folgezeit steht das R. bis in die Generation 
der "Wiener Klassik im Zeichen des concertierenden, oft 
mehrchorigen Messenstils der Italiener. Monteverdis 
R., 1621 zusammen mit G.B. Grillo und Usper zum 
Tode des GroBherzogs der Toscana Cosimo II. kom- 
poniert, ist verschollen. Einen besonderen Hohepunkt 
in der Geschichte der R.-Vertonungen im 17. Jh. bildet 
das 8st. R. von Fr.Cavalli; in Italien entstanden ferner- 
hin die R.s von G.P.Colonna, G.B.Bassani (dessen 
Messa per li defonti 1698 gedruckt wurde) und im 18. 
Jh. von Pitoni, Lotti, A. Scarlatti und Fr. Durante. In 



Requiem 

Deutschland sind zu nennen Biber, Kerll (1669 und 
1689), N.Jommelli, J.A.Hasse und Fr.A.RoBler (des- 
sen R. 1791 in Prag zum Gedenken W. A. Mozarts auf- 
gefiihrt wurde), in Frankreich die R.s von M.-A. Char- 
pentier, J. Gilles und Fr.-J. Gossec. In der Wiener Mes- 
sentradition des spateren 18. Jh. stehen die Gattungsbe- 
lege von Fr. Tuma, G. von Pasterwiz, Fl. GaBmann uhd 
M.Haydn (2 R., das zweite unvollendet), wahrend C. 
Fr. Faschs 8st. R. bereits als Vorbote der beginnenden 
Palestrina-Renaissance gelten kann. Hohepunkt der R.- 
Vertonung des 18. Jh. ist Mozarts (unvollendetes) R. In 
ihm vereinen sich freimaurerisch-humanitares Ethos 
und katholische Frommigkeit zu einem Bach und Han- 
del verpflichteten Reifestil, dessen Aussagekraft das 19. 
Jh. mit seiner stetig wachsenden Orchestertheatralik 
nicht zu uberbieten vermochte. Aus dem 19. Jh. ragen 
3 R.-Vertonungen hervor: Cherubinis Messe de R. in 
C moll von 1816 (eine weitere in D moll 1836), Berlioz' 
Grande Messe des Morts von 1837 und Verdis Messa da R. 
von 1874. Jeder dieser Meister gibt in seinem R. etwas 
von seinem eigensten Wesen: Cherubini den noblen, 
auf Theatralik verzichtenden, im Erlebnis der Liturgie 
vergeistigten Belcanto; Berlioz die ekstatisch-theatrali- 
sche, aufwendig orchestrierte (4 Blasorch. und 16 Pau- 
ken'im Tuba mirum), unmittelbar packende Dramatik; 
Verdi die durch wehmiitige Glaubigkeit verklarte Sinn- 
lichkeit der italienischen Oper. Die weitere gattungsge- 
schichtliche Entwicklung des R.s vollzog sich weithin 
unberiihrt vom hohen kiinstlerischen Anspruch dieser 
drei Werke. In der 1. Halfte des 19. Jh. spaltete sie sich 
in eine katholische und eine protestantische Richtung, 
die beide Kompromisse zwischen dem traditionellen 
konzertanten MeBstil des 18. Jh. und dem neu aufkom- 
menden a cappella-Ideal schlieBen. Dabei steht die oster- 
reichisch-siiddeutsche kathohsche Schule (Salieri, Eyb- 
ler, Stadler, Vogler, Sechter, Fr.Lachner, Morlacchi, 
S.Mayr, Gansbacher, Tomasek, J.Drechsler, Moralt, 
Hiittenbrenner, Neukomm, G. Weber) mehr in der al- 
ten Tradition, die nordwestdeutsche protestantische 
Schule (E. T.A.Hoffmann, Hellwig, Drobisch, Haser) 
mehr im Zeichen der Palestrina-Renaissance und deren 
a cappella-Ideals. Die protestantischen R.-Komposi- 
tionen zeigen f erner vorwiegend einf achen Gebrauchs- 
charakter; letzteres gilt auch fiir die R.-Vertonungen 
fiir Mannerchor und Orgel von Bruckner und Liszt, 
wahrend Schumanns R. op. 148 (1852) in die Reihe 
seiner oft als problematisch angesehenen Spatwerke 
gehort. In der 2. Halfte des 19. Jh. traten die protestan- 
tischen Komponisten starker in den Vordergrund: 
Grell, Kiel, Scholz und Draeseke (R. op. 22, mit Ver- 
arbeitung des Chorals Jesus, meine Zuversicht). AuBer- 
halb Deutschlands sind zu nennen: Dvorak, Saint-Saens, 
Faure, Sgambati; im 20. Jh. in Deutschland Winds- 
perger, in Frankreich Durufle und in Italien Pizzetti. - 
DieprotestantischeTraditioneinesaufBibeltextengriin- 
denden deutschen R.s fiihrte von den Musicalischen Exe- 
quien von Schiitz zu dem Deutschen R. von Brahms und 
weiter zu Wetz, Micheelsen und Reda. - Seit dem 19. 
Jh. sind in zunehmendem MaBe auch Instrumentalwer- 
ke als R. konzipiert und aufgefaBt worden; so ist der 2. 
Satz in Bruckners 7. Symphonie dem Andenken Wag- 
ners gewidmet, Ravels he tombeau de Couperin dem Ge- 
dachtnis gef allener Freunde, Bergs Violinkonzert derEr- 
innerung anManon Gropius, K. A. Hartmanns Musik der 
Trauer seinem gefallenen Sohn. Brittens Sinfonia da R. 
fuBt auf Teilen des liturgischen Chorals des Totenamts. 
Ausg.: Drei R. f. Soli, Chor, Orch. aus d. 17. Jh., hrsg. v. 
G. Adler, = DTO XXX, 1, Bd 59, Wien 1923. 
Lit.: Ph. Spitta, Mus. Seelenmessen, in: Zur Musik, Bin 
1 892 ; H. Kretzschmar, Fuhrer durch d. Konzertsaal II, 1 , 
Lpz. 3 1905 ; A. Schnerich, Messe u. R. seit Haydn u. Mo- 



795 



Reservata 



zart, Wien u. Lpz. 1909 ; V. Goller, Der Gesang bei d. To- 
tenmesse, = Volksliturgische Andachten u. Texte LHI, 
Klosterneuburg 1930; L. Eisenhofer, Hdb. d. kath. Litur- 
gik II, Freiburg i. Br. 1933; Ch. W. Fox, The Polyphonic 
R. Before About 1615, Bull, of the American Musicolo- 
gical Soc. VII, 1943 ; R. J. Schaffer, A Comparative Study 
of Seven Polyphonic R. Masses, Diss. NY Univ. 1953, 
maschr. ; Cl. Gay, Formulaires anciens pour la Messe des 
defunts, Etudes gregoriennes II, 1957; H. T. Luce, The R. 
Mass from its Plain Song Beginnings to 1 600, Diss. Florida 
State Univ. 1958, maschr. MG 

Reservata -> Musi ca reservata. 

Res facta (lat.), eine Bezeichnung, deren friiheste Be- 
lege von Tinctoris stammen: im Liber de arte contra- 
puncti (1477; CS IV, 129 u. 6.) wird der schriftlich fi- 
xierte Contrapunctus (qui scriptofit) »gemeinhin« R. f., 
die »(kunstvoll) gearbeitete Sache«, genannt, im Unter- 
schied zur Stegreifausfiihrung des Contrapunctus (quern 
mentaliter conficimus . . . ; et hunc quifaciunt super librum 
cantare vulgariter dicuntur). Im Diffinitorium des Tincto- 
ris (um 1473/74; CS IV, 179, 187) ist R. f. gleichgesetzt 
mit cantus compositus, mehrstimmigem Gesang, »der 
durch die Beziehung der Noten einer Stimme zu einer 
anderen auf mannigfache Weise hervorgebracht ist« 
(qui per relationem notarum unius partis ad alteram multi- 
pliciter est editus) und volkssprachlich (vulgariter) R. f. 
heifk, was P.Cannuzzi (Regule florum musices, Florenz 
1510) iibernimmt. N.Wollick (Liber V des Enchiridion 
musices, Paris 1509) identifiziert R. f. mit musicafigurati- 
va (quae et return factarum nominatur). G.Guerson stellt 
R. f . in Gegensatz zu contrapunctus simplex, wie schon 
der Traktattitel Utilissime musicales regule necessarie pla- 
ni cantus, simplicis contrapuncti, rerum factarum . . . (Paris, 
um 1500) zeigt, unterscheidet aber nicht hinsichtlich 
schriftlicher Vorlage und improvisierter Ausfiihrung; 
wohl in Verwechslung mit cantus jractus heifit es im Ti- 
tel der Ausgabe von 1550 rerumfractarum. - Moglicher- 
weise geht R. f . zuriick auf den Ausdruck »chose f aite«, 
der in der Umgangssprache der franko-flamischen Mu- 
siker gebrauchlich gewesen sein konnte, sich jedoch erst 
um 1500 nachweisen lafit: eine Randnotiz (Hs. Paris, 
Bibl. Nat., ms. fr. 24332, f. 227') zu einem geistlichen 
Spiel des Andre de la Vigne von 1496 erwahnte Engel, 
die en chosesfaites singen. Nach einem Zeugnis von 1511 
(Hs. Nancy, M. et Mos., B 1016, Blatt 102) spielten 
Oboisten Ludwigs XII. de chose faicte. Die Registres des 
deliberations du bureau de la ville de Paris verzeichnen am 
20. 12. 1530 bei einem f eierlichen Einzug in Notre-Da- 
me ein Te Deum en choses faictes, also mehrstimmig, 
nicht choraliter gesungen. Die franzosischen Traktate 
von M. Guilliaud (Rudiments de musique practique, Paris 
1554) und Cl. Martin (Institution musicale, Paris 1556) 
belegen chose faite als Vulgarbezeichnung fur Figural- 
musik (musique . . . figuree, que le vulgaire appelle chose 
faite). Spatere franzosische Ausgaben von Calvins In- 
stitution de la religion Chrestienne (Genf 1554ff.) nennen 
bei der Erwahnung der fur den Gottesdienst ungeeig- 
neten Gesange in einem exemplifizierenden Zusatz mu- 
sique roinpue (wohl Ubersetzung von cantus fractus) et 
chose faite et chants a quatre parties. 

Lit. : E. T. Ferand, »Sodaine and Unexpected« Music in 
the Renaissance, MQ XXXVII, 1951 ; ders., What is ,r. f .' ?, 
JAMS X, 1957. - Ferner Hinweise in: A. Jubinal, Mysteres 
inedites ... I, Paris 1837, S. XLVIII; A. W. Ambros, 
Gesch. d. Musik II, Breslau 1864 (S. 388ff.), Lpz. 31892, 
Nachdruck Hildesheim 1967; Fr.-J. Fetis, Hist, generate 
de la musique V, Paris 1 876, S. 302ff. ; M. Kuhn, Die Ver- 
zierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d. 16. u. 17. Jh., 
= BIMG I, 7, Lpz. 1902, S. 24f. ; M. Brenet, Dictionnaire 
... de la musique, Paris 1926, S. 76 u. 388; R. Schafke, 
Gesch. d. Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934, Tutzing 
2 1964, S. 267; A. Pirro, Hist, de la musique de la fin du 
XIV e s. a la fin du XVI C , Paris 1940, S. 125; W. Gurlitt, 



DerBegriffd. sortisatio . . .,TVerXVI, 1942,Neudruckin: 
Mg. u. Gegenwart I, =BzAfMw I, Wiesbaden 1966; B. 
Trowell, Faburden and Fauxbourdon, MD XIII, 1959. 

Residualtonhohe. Die eine Tonhohenwahrnehmung 
auslosende Grundschwingung im harmonischen Spek- 
trum hat meist geringere Intensitat als die Teilschwin- 
gungen hoherer Ordnung. Beim Telephon, das alle 
Schwingungen unterhalb 300 Hz abschneidet, fehlt sie 
zumeist ganz. Trotzdem wird keine Veranderung der 
Tonhohe wahrgenommen. Eine hypothetische Erkla- 
rung dieser Erscheinung gab zunachst das Phanomen 
der nichtlinearen -> Verzerrung. Schouten (1940) - auf 
den der Begriff R. zuriickgeht - gelang jedoch der 
Nachweis, daB neben der Grundfrequenz eine zweite 
Komponente den Tonhoheneindruck auslost (-> Hor- 
theorie). An einer optischen Sirene konnte er beobach- 
ten, wie nachEntzug der Grundfrequenz und einer An- 
zahl niedriger Teilfrequenzen eines Spektrums aus- 
schlieBlich ein Rest (Residuum) hoherer Harmonischer 
den Tonhoheneindruck aufrecht erhalt, der dann lang- 
sam schwindet, wenn die Teilfrequenzen des Residu- 
ums nacheinander ausgefiltert werden. Die Erklarung 
der R. sieht Schouten in der Periodizitat der Gesamt- 
schwingungsform der hohen Teilfrequenzen, die in den 
meisten Fallen gleich jener der Grundfrequenz ist. 
Lit. : J. F. Schouten, Die Tonhohenempfindung, Philip's 
Technische Rundschau V, 1940; W. Meyer-Eppler, Die 
dreifache Tonhohenqualitat, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 
1957. 

Resonanz (von lat. resonare, widerhallen) bezeichnet 
das Mitschwingen eines schwingungsfahigen Systems 
(Luftsaule, Saite, elektrischer Schwingkreis usw.) bei 
der Einwirkung einer periodischen Kraft, deren Fre- 
quenz (R.-Frequenz) gleich oder nahezu gleich der Ei- 
genfrequenz des Systems ist. Die Starke der R. hangt 
von der ->■ Dampfung und dem Grad der Kopplung 
ab. Ist die Dampfung gering (z. B. bei der Stimmgabel), 
dann schwingt das System mit groBer Amplitude, aber 
nur, wenn R.-Frequenz und Eigenfrequenz (fo) genau 
iibereinstimmen - wenn sie »in R.« sind. Ist die Damp- 
fung jedoch groB, dann erf olgt ein Mitschwingen in ei- 
nem grSBeren Frequenzbereich, aber mit kleinerer 
Amplitude (Abbildung nach W. H. Westphal, Physik, 
Berlin, Gottingen und Heidelberg [1928], 16-171953): 




Frequenz 



Fur die Klangwirkung der Musikinstrumente und der 
menschlichen Stimme ist die R. von groBer Bedeu- 
tung. So beruht die Bildung von ->■ Formanten bei 
Instrumentenklangen und Vokalen auf R.-Wirkung 



796 



Responsorium 



(-»■ Klangfarbe - 2). Ein schwingungsfahiges Gebilde 
laBt sich aufier in der Grundfrequenz auch in seinen 
Teilfrequenzen durch R. zum Schwingen anregen, was 
am Klavier beobachtet werden kann: Wird eine Taste, 
etwa c 2 , stumm niedergedriickt und dann c 1 kurz und 
kraftig angeschlagen, so hort man c 2 lange nachklingen ; 
ebenfalls klingt c 2 nach, wenn ci festgehalten und c 2 
kurz angeschlagen wird. Die Kopplung erfolgt iiber 
den Resonanzboden. DieserEffekt, Mittonen oder auch 
»Mitnahme« genannt, findet gelegentlich in der Kla- 
viermusik Verwendung, so im ersten der Drei Klavier- 
stiicke (op. 11) von A. Schonberg. 

Die Tasten tonlos niederdrucken ! 

langsamer 




ohnePed. 



^);i;-^== 




— r fr ■ h~jH~ 




r 7? 


*U 




*y i^&s.inr'" 






Mjd 1 


«J n ^i^fl^- 




1 [ ¥ ! 



ohnePed. .... 

Resonanzboden (frz. table d'harmonie; engl. sound 
board) -> Resonator. 

Resonanzsaiten -> Aliquo tsaiten. 

Resonator, schwingungsfahiges Gebilde mit beson- 
ders geringer Dampfung, das z. B. zur verstarkten 
Schallabstrahlung Verwendung findet. Der einfachste 
R. ist die luftgefiillte Hohlkugel, die jeweils nur in ei- 
ner bestimmten Frequenz zum Schwingen gebracht 
werden kann (-»■ Resonanz). Ihre Eigenfrequenz/o er- 

rechnet sich nach der Gleichung/o = -£z I/tt. wobei 

c die Schallgeschwindigkeit ist, fiir R der Radius der 
Off nung und fiir V das Volumen des Hohlraumes ein- 
gesetzt wird. H. v. Helmholtz benutzte eine Reihe sol- 
dier abgestimmter R.en, um die Teilschwingungen zu- 
sammengesetzter Schwingungsvorgange einzeln hor- 
bar zu rnachen und in ihrer Intensitat vergleichen zu 
konnen. Die Schallabstrahlung fast samtlicher Musik- 
instrumente wie auch der menschlichen Stimme erfolgt 
iiber R.en, die an die Schwingungserzeuger (Platten, 
Zungen, Stimmlippen, Saiten usw.) gekoppelt sind. Die 
verschiedenen Formen sind der Hohlraum-R. mit un- 
veranderlicher (Vibraphon) und veranderlicher (Wind- 
kanal der Blasinstrumente; Mundhohle) Resonanzfre- 
quenz, ferner die im gesamten Frequenzbereich mehr 
oder weniger gleichmafiig mitschwingenden und ab- 
strahlenden Resonanzboden der Saiteninstrumente. 

Responsoriale (lat.), im engeren Sinne das liturgische 
Buch mit den Offiziumsresponsorien (als solches im 
9. Jh. fiir den romischen Liturgiebereich bezeugt durch 
Amalar von Metz, Prologus de ordine antiphonarii, ed. 
Hanssens I, S. 363), im weiteren Sinne der Teil des 
->■ Antiphonales, der die Gesange aus dem Nachtoffl- 
zium (-> Matutin) enthalt. Wahrend samtliche Texte 
des Officium nocturnum in den ~> Brevier-Ausgaben 
vorliegen, ist bislang noch keine Gesamtedition mit den 
dazugehorigen Melodien erschienen. Zur Verfiigung 
steht fiir die Melodien - neben Teilausgaben fiir Weih- 



nachten, Karwoche und Totenoffizium - der Liber re- 
sponsorialis (Solesmes 1895, groBere Teilausgabe nach 
monastischem Ritus). Aus diesem Band wurde die Ma- 
tutin von Pfingsten und Fronleichnam zusammen mit 
den genannten romischen Teilausgaben in den ->• Liber 
usualis aufgenommen. 

Ausg.: J. M. Tomasi, Responsorialia et antiphonaria Ro- 
manae Ecclesiae a S. Gregorio Magno disposita, Rom 
1 686, auch in: Opera omnia IV, hrsg. v. A. F. Vezzosi, Rom 
1749 (Texte). - Moderne Teilausg. mit Melodien: — ► Anti- 
phonarium, Antiphonale. - Quellen: Amalarii episcopi 
Opera liturgica omnia I, hrsg. v. J. M. Hanssens SJ, = Stu- 
di e testi CXXXVIII, Rom 1948. 

Responsorium (mittellat.), ein auf dem Prinzip des 
Kehrverses (Refrain) beruhender liturgischer Gesang, 
bestehend aus dem R. (Chorteil) und einem (verein- 
zelt mehreren) solistisch vorgetragenen Versus. Die Be- 
zeichnung der Gesangsart als Cantus responsorius und 
des in ihr vorgetragenen Psalms als Psalmus respon- 
sorius ist von der ursprunglich dem Volk zugewiesenen 
Antwort (responsio) auf den solistischen Gesang abgelei- 
tet. Der responsoriale Gesang unterscheidet sich somit in 
seiner Ausfiihrung vom antiphonalen Gesang, der im 
"Wechselgesang von 2 Choren (oder Chorhalften) be- 
steht. Nach dem Vorbild der jiidischen Liturgie gebil- 
det, findet sich der Responsorialgesang schon im Got- 
tesdienst der apostolischenZeit. In Jerusalem ist er durch 
den Reisebericht der Pilgerin Aetheria um 400 belegt 
(Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum XXXIX, 80). 
Die Antwort des Volkes erfolgte Vers um Vers, haufi- 
ger aber mit einem gleichbleibenden Refrain, wobei in 
der Friihzeit Amen, Alleluia oder die kleine Doxologie 
nicht selten verwendet wurden (vgl. als Vorbild Psalm 
135, dessen Verse regelmaBig mit dem Refrain quoniam 
in aeternutn misericordia eius schliefien). Die lateinische 
Kirche kannte den responsorialen Gesang wahrschein- 
lich schon seit ihren Anf angen; in Italien war er lange vor 
dem antiphonalen Gesang bekannt, wie Tertullian (An- 
fang 3. Jh. ; Corpus Christianorum I, 273) annehmen laBt 
und Isidorus von Sevilla (Migne, Patr. lat. LXXXIII, 
744) bestatigt. Weitere Zeugnisse responsorialer Ge- 
sangspraxis finden sich u. a. bei Ambrosius und Augu- 
stinus. - Der Cantus responsorius wird vor allem an Le- 
sungen angeschlossen (vgl. die Apostolischen Konstitutio- 
nen II, 57, 6). So wurden auch in die ursprunglich gro- 
Bere Zahl von Lektionen der Messe zwei responsoriale 
Gesange, das R. -*■ graduale (- 1) und das -> Alleluia 
(bzw. der -*■ Tractus), eingefiigt, die sich im Gebrauch 
so festsetzten, daB sie auch nach der zahlenmaBigen Re- 
duzierung der Lesungen beibehalten wurden. Die beim 
Gradual-R. nachweisbare Beschrankung des Psalms 
auf einen einzigen Vers dttrfte mit der wahrscheinlich 
zwischen 450 und Anfang des 7. Jh. vollzogenen Ein- 
fiihrung eines melismatisch reicheren Melodiestils in 
den Gradualgesang (das Alleluia war schon friiher mit 
reicher Melismatik versehen) in Zusammenhang ste- 
hen. Nimmt man jedoch melismatische Gestaltung 
schon friih fiir den solistischen Teil an, so diirfte eine 
groBere melodische Ausschmiickung und damit eine 
Ausdehnung des Chorteils in der Ubernahme des 
Kehrverses durch die aus geschulten Kirchensangern 
gebildete Schola begriindet sein. Der Psalmus respon- 
sorius wird auf diese Weise verkiirzt zum Gesang des 
Responsum, R.s oder Responsorius. - Wie in der Messe 
findet das R. auch im Offizium seinen Platz im An- 
schluB an die Lesungen und nimmt eine hervorragende 
Stellung in den Nokturnen, dem altesten Teil des Of- 
fiziums, ein. Die anderen Stundengottesdienste bildeten 
sich erst zu einer Zeit aus, da antiphonales Singen in 
groBerer Gunst stand, so daB in ihnen dem R. nur eine 
untergeordnete Rolle zugewiesen wurde. Die fiir die 



797 



Responsorium 



Messe vermerkte Reduzierung des Psalmus responso- 
rius zum R. mit nur einem Vers findet im R. des nacht- 
lichen Stundengebets ihre Parallele und diirfte eben- 
f alls im Vorgang melismatischer Anreicherung begriin- 
det sein. Die formale Trennung in R. prolixum (oder 
modulatum) und R. breve (oder Responsoriolum) be- 
zeichnet mit dem ersteren die groBen Responsorien der 
-»■ Matutin, mit dem anderen die im romischen Of- 
fizium in der Prim, Terz, Sext, Non und Komplet, im 
monastischen Offizium in Laudes und Vesper an die 
kleinen Lesungen (Capitula) sich anschlieBenden klei- 
nen Responsorien. Wahrend das R. prolixum mit zum 
Teil langeren Melismen reich verziert ist, besteht das R. 
breve im allgemeinen nur aus einem kurzen Text mit 
schlichter, vorwiegendsyllabischer Melodic Seiner von 
Solisten und Chor bestrittenen Ausfuhrung nach ist das 
R. breve durchaus ein Cantus responsorius. - Nur selten 
ist in den alteren Quellen zum Offizium einem R. mehr 
als nur ein Vers beigegeben. Die im 12./13. Jh. aufkom- 
mende Tendenz zur Hervorhebung gewisser Feste oder 
zur Ausdehnung des Nachtoffiziums fiihrte dazu, dafi 
eine Reihe von Responsorien mit mehreren Versen ver- 
sehen wurde. Bald erfolgte aber wieder eine Reduzie- 
rung auf nur einen Vers, was auch das Tridentiner Kon- 
zil schlieBlich als verbindlich erklarte. - Amalarius von 
Metz (ed. Hanssens III, = Studi e testi CXL, S. 55) 
schildert fur das 9. Jh. in Rom den Responsorialgesang 
des Offiziums mit der Wiederholung des ganzen R.s 
durch den Chor vor dem Vers (heute nur im R. breve) : 
R. (Solist), R. (Chor), Vers (Solist), R. (Chor), Gloria 
patri (Solist), Repetenda (Chor), R. (Solist), R. (Chor). 
Im f rankischen Bereich dagegen wurde nach dem Vers 
nur die -»■ Repetenda gesungen, die selbst wieder in ei- 
ne der Zahl der Verse entsprechende Zahl von Repe- 
tendae unterteilt ist. Mindestens seit dem 6. Jh. laBt sich 
der Brauch nachweisen, an das letzte R. jeder Nokturn 
die kleine Doxologie anzuhangen. Das ausgehende 
Mittelalter ubernahm diese Obung wie die Verbin- 
dung des Gloriapatri mit alien Responsoria (auBer denen 
der Passionszeit), doch blieben der Ausfuhrung weit- 
gehende Freiheiten, die bei zeitlich und lokal auseinan- 
derliegenden Traditionen zu zahlreichen Differenzie- 
rungen in der Vortragsweise fiihrten. Grundform der 
Vortragsweise im R. prolixum ist heute die Folge: R. 
(Chor), Vers (Solist) und Repetenda (Chor), woran sich 
noch eine Wiederholung des R.s anschlieBen kann. Bei 
angehangtem Gloria patri, das vom Solisten vorgetra- 
gen wird, kann der Chor mit dem R. oder der Repe- 
tenda antworten (vgl. damit den Wechsel von Anti- 
phon und Versus im -»■ Invitatorium). Das R. breve da- 
gegen wird allgemein wie folgt vorgetragen: R. (So- 
list), R. (Chor), Vers (Solist), Repetenda (Chor), Gloria 
patri (Solist), R. (Chor). Zu beachten ist, daB in beiden 
Formen des R.s immer nur der 1. Teil der kleinen 
Doxologie (Gloria patri ohne Shut erat) erklingt. - Ne- 
ben den Psalmen werden weitere biblische, aber auch 
nichtbiblische (im Mittelalter zum Teil gereimte) Texte 
zum R. herangezogen. Trotz der melismatischen Me- 
lodik wird die gesamte Gliederung von der Textstruk- 
tur bestimmt. Starker als bei den Antiphonen, die eine 
haufige Wiederverwendung derselben Melodie bei 
verschiedenen Texten zeigen, ist bei den Responsorien 
des Offiziums das Prinzip der Variation ausgebildet. 
So ist mit jedem der 8 Kirchentone, von denen der 1. 
und 8. zahlenmaBig am starksten vertreten sind, eine 
typische Singweise verbunden, die sich als Grundme- 
lodie jeweils in mehreren Responsorien erkennen laBt 
(-»■ Psalmtone). 
Ausg. : — » Responsoriale. 

Lit. : P. Wagner, Einfiihrung in d. Gregorianischen Me- 
lodien I, Lpz. 31911 u. Ill, 1921, Nachdruck Hildesheim 



u. Wiesbaden 1962; P. Alfonzo, I responsori biblici 
dell'Ufficio Romano, in: Lateranum, N. S. II, 1, 1936; E. 
Moneta Caglio, I responsori ,cum infantibus' nella li- 
turgia Ambrosiana, Fs. C. Castiglioni, Mailand 1957; W. 
Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind. (1958); W. 
Kremp, Quellen u. Studien zum R. prolixum in d. t)berlie- 
ferung d. Euskirchener Offiziumsantiphonare, =Beitr. 
zur rheinischen Mg. XXX, Koln 1958 ; H.-J. Holman, The 
responsoria prolixa of the Cod. Worcester F 160, Diss. 
Indiana Univ. 1961, maschr. ; ders., Melismatic Tropes in 
the Responsories for Matins, JAMS XVI, 1963. 

Restrictio (lat.), Bezeichnung fur -> Engfiihrung. 

Retardatio (lat., Verzogerung, Aufhaltung), in der 
Kompositionslehre des 17. und 18. Jh. eine musikalische 
Figur, die spater unter dem Begriff des ->■ Vorhalts ge- 
fafit wird. Erstmals beschreibt sie Chr.Bernhard (im 
Tractatus unter dem Namen Mora) als Auflosung einer 
betonten Dissonanz in die obere Sekunde. Die Abwei- 
chung von den Regeln des strengen Satzes kann entwe- 
der in der Auflosungsrichtung gesehen werden (Bern- 
hard, ebenda: Mora ist eine umgekehrte Syncopatio) oder, 
dem Namen entsprechend, im verspateten Weiter- 
schreiten zum konsonanten Intervall (Bemhard, Aus- 
fiihrlicher Bericht: . . . wenn nehmlich eine Note eine Se- 
cunda steigen solte und sich zu lange vor dem Steigen auff- 
halt; SpieB 1745: . . . ist der Anticipation schnur-gerad zu- 
wider in deme, dafi, wiejene zufriihe, diese zu spath in ihr 
gebiihrendes Intervallum einfalkt). Walther (1732) kennt 
die R. auBerdem in der Bedeutung der Resolutio me- 
diata, bei der zwischen Dissonanz und Auflosung an- 
dere Tone eingeschoben sind. 

Retrogradus oder motus r. ->• Krebsgang. 

Reveille (reve:j, von frz. reveil, Erwachen, Wecken), 
das Signal »Wecken«, an besonderen Tagen »GroBes 
Wecken«, verbunden mit einem langsamen Marsch im 
Pas ordinaire, dem langsamen Schritt friderizianischer 
Grenadiere. Die Fest-R. von J. Golde enthalt als C. f . den 
Choral Nun danket alle Gott. Das GroBe Wecken ist nie- 
mals zu solchem Ausbau gekommen wie der GroBe 
-> Zapfenstreich; es wurde jedoch noch vor dem 2. 
Weltkrieg am Neujahrsmorgen beim Wache-Auf- 
ziehen durchgef iihrt, of tmals nach der Weise Freut euch 
des Lebens. 

Revue (rav'ii, frz., Uberschau, Ruckschau), im Thea- 
terwesen der 1830er bis 1930er Jahre die Verbindung 
von Sprech- und Gesangsszenen, Ballett- und Solo- 
tanzen, Chansons, Couplets und Varieteartistik zu ei- 
nem effektvoll ausgestatteten Unterhaltungsstiick, ein 
typisches Weltstadtprodukt, das ohne eigentlichen dra- 
matischen Zusammenhang, aber meist nach einer the- 
matischen Leitidee in einer Folge von Bildern aktuelle 
Zeitereignisse kritisch-satirisch »Revue passieren« lieB. 
Mit groBem Aufwand an Dekorationen, Kostiimen und 
mit alien Moglichkeiten der Buhnentechnik wandte 
sich die in Serienauff iihrungen (en suite) gespielte R. in 
erster Linie an das Auge. Die im Auftrag komponierte 
Musik war eine den anderen Elementen der R. neben- 
geordnete Helferin. Einzelne Nummern konnten sich 
als Schlager, Tanz- oder Unterhaltungsmusik behaup- 
ten, wenn die R. langst abgespielt war. Operetten wur- 
den durch Einlagen von Schaunummern usw. zu R.- 
Operetten umgestaltet, wobei der eigentliche Sinn der 
R., namlich Glossator des Zeitgeschehens zu sein, ver- 
lorenging und nur die Tendenz zu billiger Unterhal- 
tung bei teurer Ausstattung blieb. - Die R. (r. de fin 
d'annee) kam im Frankreich Louis-Philippes (1830-48) 
in Mode. Im Theatre de la Porte-Saint-Martin in Paris 
wurde damals mit der R. Van 1841 et Van 1941 der 
Wandel der Zeiten durch die neuen Errungenschaften 
parodiert. Eine Hochflut von R.n begann 1848/49 (La 



798 



Rezitativ 



foire aux idles; La propriiti c'est le vol). Auch das 2. Kai- 
serreich liebte die R., die sich in den 1880er Jahren zur 
R. a grand spectacle wandelte; ihre bekanntesten Pari- 
ser Pflegestatten hiefien Moulin Rouge, Chat Noir und 
Folies-Bergere. Die erste groBe Ausstattungs-R. (Place 
aux jeunes) wurde 1886 in den Folies-Bergere aufge- 
fiihrt. Die R. fand auch in Belgien, Holland und Eng- 
land Aufnahme. In Berlin brachte das Metropoltheater 
seit 1898 (Parodies der Frauen) alljahrlich eine R. heraus 
(GroBe humoristisch-satirische Ausstattungs-R. mit Ge- 
sang und Ballett): Berlin lacht (1899), Neuestes Allerneue- 
stes (1904), Aufins Metropol (1905), Donnerwetter-tadellos 
(1908), Hallo! Die grofie R. (1909), Hurra! Wir leben noch! 
(1910), DieNacht vonBerlin (191 \),Berlin ist Mode (1927). 
Bekannte Komponisten waren V. Hollaender, P. Lincke 
und H. Hirsch. Zu den R.-S tars zahlten Fritzi Massary, Jo- 
sef Giampietro und Guido Tielscher. Auch im Berliner 
GroBen Schauspielhaus, im Admiralspalast und in der 
Komischen Oper wurden in den 1920er und 30er Jah- 
ren R.n und R.-Operetten gegeben. Im Berliner We- 
sten erschienen politisch-literarische Kabarett-R.n, als 
deren Komponisten Rudolf Nelson (1878-1960) mit 
Der rote Faden und Mischa Spoliansky (*28. 12. 1898 
zu Bialystok) mit Es liegt in der Luft (1928) und Zwei 
Krawatten (1929) genannt seien. Amerika kopierte den 
Typus der Ausstattungs-R. in der Show (->■ Musical), 
in der eine besondere Attraktion der Girltanz war, 
ein von einer Gruppe von Tanzerinnen aufgefiihrtes 
Ballett mit bewuBter Betonung der Prazision der Be- 
wegungen, des Rhythmisch-Gymnastischen. Als be- 
kannter Manager fungierte Fl.Ziegfeld (Ziegfeld Fol- 
lies). Beliebte Komponisten amerikanischer Shows wa- 
ren u. a. R.Friml, I.Berlin und J.Kern. Nach dem 2. 
Weltkrieg erlebte der R.-Film eine kurze Bliitezeit. 
Die Bezeichnungen R. und Show verwendet auch das 
Fernsehen (ohne spezielle Abgrenzung der Begriffe) 
fur entsprechende Sendungen. 

Rezitativ (ital. recitativo, von ital. recitare, vortra- 
gen, auffiihren) heiBt der nach 1600 in Italien entstan- 
dene Typus des solistischen, instrumental begleiteten 
Sprechgesangs, der die gesprochene Rede musikalisch- 
deklamatorisch zu verwirklichen sucht. Seine Ent- 
stehung hangt eng zusammen mit den Anfangen der 
-*■ Oper; man glaubte im »recitare cantando« die zwi- 
schen Gesang und Rede stehende Vortragsweise der 
Schauspielerpartien des antiken Dramas wiederentdeckt 
zu haben. Seinen geschichtlichen Ursprung hat das R. in 
der am affektbetonten Sprechen orientierten -> Mon- 
odie. In der Friihzeit der Oper sind R. und Monodie 
noch nicht eindeutig geschieden; die artificiosa maniera 
di recitare cantando (Gagliano, Vorwort zu Dafne, 1608) 
gilt vielmehr als bestimmte Spielart der Monodie. Der 
monodische Stil wird von G.B.Doni (Trattato della 
musica scenica, 1635-39) unter kompositorischen und 
asthetischen Gesichtspunkten gegliedert in den (eigent- 
lichen) stile recitativo (z. B. der Prolog zu LEuridice 
von Peri), der als canto con certa sprezzatura engen An- 
schluB an die gesprochene Rede sucht, den mehr pathe- 
tischen und abwechslungsreicheren stile rappresentati- 
vo (z. B. Monteverdis Lamento d'Arianna) und den we- 
niger selbstandigen, zumeist der Botenerzahlung vor- 
behaltenen stile narrativo (z. B. der Bericht der Bo- 
tin in Peris L'Euridice). Wahrend die friihen Opern 
durch das Uberwiegen des dem Text prosodisch fol- 
genden Sprechgesangs gekennzeichnet sind, der durch 
Choreinschube dramatisch unterbrochen wird, weisen 
vor allem die venezianischen Opern Monteverdis ab- 
geschlossene kurze, melodisch und rhythmisch durch- 
geformte Abschnitte auf , die sich deutlich vom eigent- 
lichen Sprechgesang abheben (-> Arioso - 1). Im Ver- 



laufe des friihen 17. Jh. vertiefte sich diese im Dramati- 
schen griindende Trennung: der Sprechgesang ent- 
wickelte sich kompositorisch und stilistisch zum eigen- 
standigen Typus des R.s; die eingeschobenen ariosen 
(oft auch durch Wechsel in den Tripeltakt hervorge- 
hobenen) Abschnitte wurden Grundlage fiir die stro- 
phisch gegliederte und nach primar musikalischen Ge- 
sichtspunkten gestaltete -*■ Arie. An der Ausbildung 
dieses Gegensatzes war entscheidend die auf dem Wech- 
sel von Erzahlung und Betrachtung aufgebaute italie- 
nische Cantata des friihen 17. Jh. (besonders B.Ferrari; 
-> Kantate) beteiligt; im Bereich der Oper bevorzugte, 
nach Ansatzen in der romischen Opernschule (Cava- 
lieri, Landi, Mazzocchi), vor allem die Venezianische 
Opernschule seit etwa 1640 (Cavalli, Cesti) im An- 
schluB an die Spatwerke Monteverdis eine klare Schei- 
dung von R. und Arie. 

Bis zum ausgehenden 18. Jh. war das R. Gegenstand 
haufiger und eingehender theoretischer und astheti- 
scherErorterungen, die von grundsatzlicher Ablehnung 
bis zu emphatischer Anerkennung reichen; nationale 
Unterschiede verscharften die Diskussion. Die gegen- 
satzlichen Anschauungen spiegeln sich in den Dennitio- 
nen, die bald starkeres Gewicht auf die Sprachdarstel- 
lung, bald auf den gesungenen Textvortrag oder auf 
das Moment des Ausdrucks legen. Z. B. wird das R. 
bestimmt: als singende Rede, die in der nachdriicklichsten 
und genauesten Nachahmung der Rede des Menschen be- 
stehtQ. A. Scheibe, Abhandlung vom Recitativ, in: Dercriti- 
sche Musicus, Leipzig 21745), oder als eine Art zu singen, 
die einer Declamation, offentlichen Rede oder Erzehlung 
fast so ahnlich ist, alseinem Gesange (Mattheson Capellm.), 
oder als eine Art des leidenschaftlichen Vortrags der Rede, 
die zwischen dem eigentlichen Gesang, und der gemeinen 
Declamation das Mittel halt (Sulzer, Allgemeine Theorie 
der Schonen Kiinste, Leipzig 1771/74). Als Typus steht 
das R. in eindeutigem Kontrast zur musikalisch fest 
konturierten Arie ; dies erklart sich aus den unterschied- 
lichen dramatischen Auf gaben.von R. und Arie. Das R. 
ist Trager der Handlung (erzahlende und erklarende 
Abschnitte, Berichte, Dialoge usw.) und bereitet damit 
die in der Arie dargestellten Reflexionen und Affekte 
vor: Die Arien exprimieren den starksten Affect, die R.e 
erkldren denselben (G.E. Scheibel, Zufallige Gedanken 
Von der Kirchen-Music, Frankfurt und Leipzig 1721). 
Die wichtigsten, stilistisch nach Gattungen unterschie- 
denen Arten des R.s sind das Kirchen-R., das theatrali- 
sche R. und das Kammer-R. Das Kirchen-R. wird so 
vorgetragen, wie es der Heiligkeit des Ortes gemdfi ist. Es 
leidet nicht das Scherzhafte einer freyern Schreibart. Esfo- 
dert [sic !] vielmehr . . . eine bestdndig unterhaltene edle 
Ernsthaftigkeit. Bei affektbetonten Stellen laBt es den 
Sangern mehr Freyheit als die andern beyden. Das thea- 
tralische R. ist mit der Action des Sangers unzertrennlich 
verbunden; es ist durch eine der Natur gemdfien Nachah- 
mung ausgezeichnet und vermeidet jegliche Art von 
Auszierungen, urn der natiirlichen Erzahlkunst nichts in den 
Weg zu legen. Das Kammer-R. hat nicht alle die Ernst- 
haftigkeit des erstern, und begnugt sich, mehr mit dem zwey- 
ten gemein zu haben. Es fordert eine besondere Kunst in 
Ansehung der Worte, denn es macht die natiirlichen Emp- 
findungen des menschlichen Herzensfiihlbar. Da in ihm die 
Leidenschaft redet, . . . mussen Triller und Passagien schwei- 
gen (Agricola/Tosi, Anleitung zur Singkunst, 1757). 
Im allgemeinen ist das R. in seiner f ormalen Anlage re- 
lativ ungebunden; es wird gefordert, daB es ohne alle 
Repetition sei, denn wer diese darin anstellet, der macht eo 
ipso ein Arioso daraus (Mattheson, Critica Musica II, 1 725) . 
Der formalen Ungebundenheit entspricht eine vollige 
Freiheit der Modulation, die bey dem ordentlichen Ge- 
sange nicht stattfindet (H.Chr.Koch, Versuch einer An- 



799 



Rezitativ 



leitung III, 1793). Ahnlich verhalt es sich mit dem Takt; 
das R. hat wol einen Tact; braucht ihn aber nicht: d. i. der 
Sanger darffsich nicht daran binden (Mattheson Capellm.). 
Formale, metrische und tonartliche Ungebundenheit 
ermoglichen ein flexibles Anpassen an den Handlungs- 
vorgang, zumal an das plotzliche Auftreten der Perso- 
nen innerhalb einer Szene. - Die Geschichte des R.s ist 
gekennzeichnet durch die Ausbildung feststehender 
Formeln und Konventionen. Seit dem Ende des 17. Jh. 
ist es tiblich, das R. vor dem Einsatz der Gesangsstim- 
me mit einem |-Akkord instrumental zu eroffnen ; am 
SchluB des R.s treten Gesangsstimme und Begleitung 
meist auseinander, indem die Gesangsstimme bereits 
vor der instrumentalen SchluBkadenz endet. Zur Kon- 
vention gehort es, daB der Sanger an gewissen Stellen 
(z. B. bei Einschnitten) einen Vorhalt singt (-> Vor- 
schlag). In der Regel werden innerhalb des R.s impro- 
visatorische Verzierungen vermieden, doch sind sie 
nicht grundsatzlich ausgeschlossen (man mufi nicht alle- 
zeitfordern, dafi der Sanger, zumal bey gleichgiiltigen Stel- 
len, just die vorgeschriebenen Noten, und keine anderen sin- 
gen soil; Bach Versuch). Fur die Begleitung wird ge- 
fordert, daB vom Cembalisten die Akkorde in beiden 
Handen vollgenommen werden, . . ■ Alles lauf-werk und alle 
manierchens mussen beym recitatif-spielen nachbleiben (G. 
Ph.Telemann, Singe- und Generalbafi-Ubungen, Ham- 
burg 1733-34). Erlaubt sind schnelle oder langsame 
Arpeggien, doch diirfen sie den Sanger nicht in Ver- 
wirrung bringen; die Begleitung soil ihn vielmehr 
stiitzen, wenn notig auch durch Vorgabe einzelner To- 
ne. Zur Konvention des R.s gehoren ferner bestimmte 
harmonische und melodische Formeln sowie das Re- 
pertoire der musikalisch rhetorischen Figuren, z. B. 
gilt die phrygische Kadenz (harmonisch und melo- 
disch) als musikalische Darstellung der Frage. R. und 
Arie werden ha'ufigdadurchverkniipft, 
daB der Schlufiakkord des R.s im 
Dominantverhaltnis zum Arienbe- 
ginn steht. 

Nachdem vor 1650 in Italien die Tren- 
nung von R. und Arie bzw. ariosen 
Partien vollzogen war, entwickelte sich 
das R. in seinem Ursprungsland zu ei- 
nem Typus, der durch einen der italie- 
nischen Sprache gemaBen Parlando- 
charakter ausgezeichnet ist. Die Beglei- 
tung des R.s, die als GeneralbaB notiert 
ist, bildet die harmonische Grundlage, 
auf der sich der rezitativische Gesang 
melodisch und rhythmisch deklamie- 
rend bewegt. In den Anfangen wurde 
das R. von einem oder mehreren -> Fundamentin- 
strumenten begleitet; erst im Verlaufe des 17. Jh. 
wurden das Cembalo (in der Kirchenmusik die Or- 
gel) und die Viola da gamba oder das Violoncello 
die eigentlichen Begleitinstrumente. Mit dem Auf- 
kommen der Opera buffa (Vinci, Leo, Pergolesi) wan- 
delte sich der Parlandocharakter des R.s in einen fliis- 
sigen Konversationsstil, der von einer einfachen B. c- 
Begleitung getragen wird und auf jegliche Art mu- 
sikalischer Eigenstandigkeit verzichtet. Demgegen- 
iiber erfuhr das R. in der Opera seria (A. Scarlatti, Stra- 
della, Jommelli, Traetta) eine musikalische Differen- 
zierung und Bereicherung durch starkere Darstellung 
des dramatischen Ausdrucks in der Singstimme und 
durch die Heranziehung des Orchesters nicht nur zur 
Begleitung in ausgehaltenen Akkorden, sondern auch 
zur Schilderung der Emotionen der handelnden Per- 
sonen und von Naturstimmungen. Daraus entstand der 
Typus des Recitativo accompagnato (-> Accompagna- 



to). Das einfache R. bezeichnete man seitdem als Reci- 
tativo secco (ital., trocken) oder semplice (ital., ein- 
fach). Die Zusammenstellung von secco und accom- 
pagnato ermoglichte ein relativ bruchloses Verknup- 
fen von R. und Arie und damit eine kontinuierliche 
Darstellung der Handlung. 

Ausgehend von Italien verbreitete sich im Verlaufe des 
17. Jh. das R. als typischer Bestandteil der Oper, des 
Oratoriums und der Kantate zunachst in Frankreich 
und gegenEnde des 17. Jh. in Deutschland; erst mit Be- 
ginn des 18. Jh. setzte sich auch in England der italieni- 
sche Typ der Volloper mit rezitativischem Dialog durch 
(Neumann, S. 18). - In Frankreich loste sich das »Reci- 
tatif« von Anfang an vom italienischen EinfluB und 
trat, vor allem in der Oper, als national eigenstandiger 
Typus auf. Er wurde von Cambert aus spezifisch fran- 
zosischen Elementen geformt, die in den -»- Vers me- 
sures und der Musique mesuree a l'antique sowie im 
-> Reck (- 1) des Ballet de cour vorgegeben waren. J.- 
B.Lully nahm sich die pathetische Rhetorik des National- 
dramas zum Muster, er ubertrug die feierliche Deklamation 
der Racineschen Tragodie voll in die Musik (Haas, Musik 
des'Barock, S. 223) und bildete damit die fur die ->■ Tra- 
gedie lyrique typische Vortragsweise aus. Das Recitatif 
versucht als declamation en musique, dans laquelle le mu- 
sicien doit imiter, autant qu'il est possible, les inflexions de 
declamateur (Rousseau, Encyclopedie methodique, Paris 
1818, Artikel Recitatif), den Tonfall der franzosischen 
Sprache und die Prinzipien der franzosischen Prosodie 
musikalisch nachzuzeichnen. Die Eigenart der franzo- 
sischen Diktion (Silbenzahl, Tonfall, Sprachakzent) 
und der Affektgehalt der dramatischen Situation haben 
neben der rhythmischen und melodischen Differenzie- 
rung auch zur Folge, daB Schwerpunkte unregelmaBig 
und in verschiedenen Abstanden wiederkehren und ei- 
nen Wechsel in der Taktvorzeichnung bedingen. 

(I) 



Ad-me-te a-voit mon coeur des ma plus ten-dre en - fan-ce,- 




J.-B.Lully, Alceste, II. Akt, 2. Szene. 
Die haufige Heranziehung des Orchesters zur Beglei- 
tung sowie die Konzentration auf die Deklamation der 
Sprache und den dramatischen Verlauf der Dichtung 
fiihrten zugleich dazu, daB der Kontrast von R. und 
Arie weniger stark als in der italienischen Musik ausge- 
pragt war. Im AnschluB an das franzosische R. und an 
die italienische Form des Accompagnatos riickte Gluck 
das orchesterbegleitete R. in den Mittelpunkt seiner Re- 
formbestrebungen. Er reduzierte einerseits die aus Ver- 
zierungen und Koloraturen bestehende Virtuosenarie, 
ohne jedoch die Arie selbst abzuschaffen, andererseits 
mied er das einfache Secco-R. zugunsten eines diffe- 
renzierten, orchesterbegleiteten R.s; gleichzeitig glich 
er den Kontrast von R. und Arie aus durch die Einf tin- 
ning rezitativischerElemente in die Arie. 
In Deutschland kam es erst gegen Ende des 17. Jh. zur 
Entwicklung einer deutschen Oper (Franck, Kusser, 
Keiser u. a.) und damit zur Ausbildung des R.s; doch 



800 



Rhapsodie 



kann die nach italienischem Vorbild im Stile recitativo 
komponierte Evangelistenpartie der Weihnachts-Hi- 
storie (1664) von Schiitz, die nur nach der Mensur einer 
vemehmlichen Rede abgesungen werden moge (Vorwort), 
als Vorlaufer des deutschen R.s angesehen werden. Das 
italienische R. wurde in seinen typischen Grundziigen 
vom deutschen R. nachgezeichnetjedoch auf demHin- 
tergrund einer der deutschen Sprache eigenen Akzent- 
setzung. Um 1700 fuhrteE.Neumeister (wahrschein- 
lich einer Anregung J. Ph. Kriegers f olgend) durch sei- 
ne geistlichen Dichtungen das R. in die Kirchenmusik 
ein (-*■ Kantate) ; nach ihm siehet eine Cantata nicht an- 
ders aus als ein Stuck aus einer Opera, von Stylo Recitativo 
und Arien zusammen gesetzt (Neumeister, Geistliche 
Cantaten statt einer Kirchen-Music, WeiBenfels 21704). 
J. S. Bach entwickelte die im Secco- und Accompagna- 
to-R. beschlossen liegenden Moglichkeiten in vorher 
nicht gekannter Weise, indem er Text und Musik als 
eine sich wechselseitig interpretierende Einheit zusam- 
menfaBte. - Im Verlaufe des 18. und 19. Jh. blieb das 
R. wesentlicher Bestandteil der Oper; im Accompag- 
nato erfuhr der Anteil des Orchesters zunehmend Er- 
weiterung. Diese Entwicklung gipfelte in den Opern 
Wagners, der das Secco-R. grundsatzlich ausschloB 
und das Accompagnato-R. als eine den gesamten Hand- 
lungsverlauf integrierende unendliche Melodie zur mu- 
sikalischen Norm der Oper erhob. Das Secco-R. lebte 
einzig in der komischen Oper fort. Die R.-Modelle in 
der Ariadne (1911/12) von R.Strauss und in The Rake's 
Progress (1949-51) von Strawinsky stehen im Bereich 
einer historisierenden Tendenz, die bewuBt an barocke 
Opemtypen ankniipft. 

Ausgehend von den zur Konvention erstarrten Formeln, 
wurde das R. als absolut aufgefaBtes musikalisches Ge- 
bilde in die Instrumentalmusik iibernommen. Wohl 
erstmals erscheint diese Ubertragung um 1715 in den 
Concerti a quattro op. 11 von Bonporti. Freie instrumen- 
tale Nachahmungen des R.s finden sich in spaterer Zeit 
u. a. in J. S. Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge, der 
PreuBischen Sonate Nr 1 (1742) von C.Ph.E.Bach, in 
der Symphonie Nr 7 Le midi (1761) von J.Haydn, in 
der Klaviersonate op. 31 Nr 2 (1802) und im Finale der 
9. Symphonie von L. v. Beethoven. Zur musikalischen 
Darstellung eines Programms oder einer poetischen 
Idee dienen in der Instrumentalmusik des 19. Jh. haufig 
rezitativische Partien (z. B. R. Schumann, Kinderscenen 
op. 15: Der Dichter spricht). Schonbergs fiinftes Stuck 
aus den Orchesterstiicken op. 16 (1909), das er das obli- 
gate R. nennt, sowie seine Variationen iiber ein R. op. 40 
(1941) verwirklichen im musikalischen Bereich die 
Vorstellung einer musikalischen -> Prosa (- 2). 
Als liturgiscb.es R. werden in der Choralforschung heu- 
te ferner die mit einer Melodieformel (-»• Toni com- 
munes) verbundenen Gesange bezeichnet (alterer Na- 
me: accentus, -»• Akzent - 2). Dabei handelt es sich um 
den eigentlichen Kernbestand der kirchlichen Einstim- 
migkeit, vorab um alle Formen der Lektion (-> Lesun- 
gen, -»-Epistel, -> Evangelium) und -> Oration (-> Pa- 
ter noster, -»■ Prafation) sowie die verschiedenen Sing- 
weisen der Psalmen (-> Psalmtone). Die melodische 
Struktur des in seiner Gesamtanlage meist zweiteiligen 
liturgischen R.s wird vom Rezitationston (-> Reper- 
cussa, Tuba) und den am Ende eines Satzes oder Satz- 
gliedes gebildeten Melodiewendungen (Kadenzen) be- 
stimmt. In den entwickelteren Formen kommt als drit- 
tes Bauelement das -> Initium (- 1) hinzu. Eine Erwei- 
terung des »traditionellen« Bildes vom liturgischen R. 
bietet neuerdings E. Jammers (1965). 
Lit. : P. Bohn, Das liturgische R. d. M A, Mf M XIX, 1887; 
A. Heuss, Bachs R.-Behandlung, Bach-Jb. 1, 1904; B. Zel- 
ler, Das Recitativo accompagnato in d. Opern J. H. Has- 



ses, Diss. Halle 191 1 ; H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 2, Lpz. 
1912; M. Schneider, Die Begleitung d. Secco-R. um 1750, 
Gluck-Jb. Ill, 1917; R. Meyer, Die Behandlung d. R. in 
Glucks ital. Reformopern, ebenda IV, 1918; Ch. Spitz, 
Die Entwicklung d. stile recitativo, AfMw III, 1921; P. 
Mies, tJber d. Behandlung d. Frage im 17. u. 1 8. Jh., Zf Mw 
IV, 1921/22; R. Haas, Musik d. Barock, Biicken Hdb.; 
ders., Auffuhrungspraxis d. Musik, ebenda; R. Gerber, 
Das Passionsr. bei H. Schiitz u. seine stilgeschichtlichen 
Grundlagen, Gutersloh 1929; K. Pahlen, Das R. bei Mo- 
zart, Diss. Wien 1929, maschr.; E. Borrel, L'interpretation 
de l'ancien recitatif f re. , RM XII, 1 93 1 ; L. Spinner, Das R. 
in d. romantischen Oper bis Wagner, Diss. Wien 1931, 
maschr. ; A. Einstein, Concerning Some R. in Don Gio- 
vanni, ML XIX, 1938; F. Graupner, Die R. d. Evangeli- 
sten in d. Matthauspassion v. J. S. Bach, Diss, theol. 
Greifswald 1947, maschr.; J. A. Westrup, The Nature of 
R., Proceedings of the British Acad.XLII, 1956 ; ders., The 
Cadence in Baroque R., in: Natalicia Musicologica, Fs. 
Kn. Jeppesen, Kopenhagen 1962; H. Melchert, Das R. d. 
Kirchenkantaten J. S. Bachs, Diss. Ffm. 1958; J. Kramarz, 
Das R. im Liedschaffen Fr. Schuberts, Diss. Bin 1959; E. 
O. D. Downes, Secco R. in Early Classical Opera Seria 
(1720-80), JAMS XIV, 1961 ; Fr. H.Neumann, Die Asthe- 
tik d. R., = Slg mw. Abh. XIV, Strafiburg u. Baden-Baden 
1962 (mit Bibliogr. d. alteren Lit.); J. Claire OSB, devo- 
lution modale dans les recitatifs liturgiques, Rev. grego- 
rienne XLI, 1963; H. Chr. Wolff, Die Sprachmelodie im 
alten Opernr., Handel- Jb. IX, 1963 ; E. Jammers, Der Cho- 
ral als R., AfMw XXII, 1965. 

rf, rfz, rinf., Abk. fur ->■ rinforzando. 

Rhapsodie (von griech. pomza, nahen, flicken, und 
4>8t], Gesang), - 1) in nachhomerischer Zeit der rezitie- 
rende Eposvortrag (besonders aus Homer) durch »fah- 
rende Sanger« (Rhapsoden), namentlich bei Festver- 
sammlungen; als Eirdeitung zu Feiern bis ins spate Al- 
tertum nachweisbar; - 2) seit Ende des 18. Jh. Vokal- 
oder Instrumentalkompositionen ohne feste Form, 
denen (im Gedanken an den Vortrag der antiken 
Rhapsoden) die Vorstellung von einem epischen, quasi 
improvisatorischen Vortrag und der Bruchstuckhaf- 
tigkeit des Vorgetragenen zugrunde liegt. Der als Im- 
provisator (vor allem durch seine Rezitationen aus 
Klopstock) bekannte Chr.F.D. Schubart veroffentlich- 
te seine wahrend der Festungshaft entstandenen Lieder, 
auch einzelne Klavierkompositionen, in 3 Heften als 
Musikalische Rh.n (1786, mit ausfiihrlichen Vorreden). 
Rh. nannte J. Fr. Reichardt ein Fragment aus Goethes 
Harzreise im Winter (1777) in der Vertonung fur Singst. 
und Kl. (1792 u. 6.), ebenso Brahms seine Komposition 
desselben Textes (fur A., Mannerchor und Orch. op. 
53, 1870). - Als zukunftstrachtig erwies sich die Cber- 
tragung der Vorstellungen des Rhapsodischen und der 
Rh. auf Instrumentalmusik. Das erste Klavierstuck un- 
ter dem Titel Rh. schrieb 1802 in Wien W. R. Graf v. 
Gallenberg (op. 3). V.J. Tomasek, dernebenderRh. (op. 
40 und 41, 1813/14; op. 110, 1840) auch Ekloge und 
Dithyrambus als poetische Dichtungsarten in das toni- 
sche Gebiet verpflanzen und damit einer Verflachung 
des Klavierstils durch Stiicke entgegenwirken wollte, 
in denen Ernst mit Kraft und Energie gepaart ist, wurde da- 
mit zum eigentlichen Begriinder des romantischen 
-> Charakterstiicks. Unter seinen Schiilern und Nach- 
ahmern sind als Komponisten von Rh.n zu nennen: 
VoHsek (12 Rh.n op. 1, die er 1814 Beethoven vorleg- 
te), LSeyfried (1822), Fr. und C. Grillparzer und N. 
Burgmuller (1840). Naher an Tomasek als an Liszt 
stehen auch die Rh.n op. 79 und op. 119 von Brahms 
(op. 79 hieB ursprunglich Capriccio). Liszt wollte seine 
Ungarischen Rh.n (ab 1840, ursprunglich fur Kl. zwei- 
handig, potpourriartige Zusammenstellungen von 
Csardasmelodien) als Fragmente eines zigeunerischen 
Epos verstanden wissen. Vor allem in der Form der 



51 



801 



Rheinlander 



Orchesterbearbeitung wurden sie Vorbild fur eine 
rasch wachsende Literatur national charakterisierender 
Stiicke fiir Orchester, z. B. von Dvorak, Glasunow, E. 
Lalo, Enescu, Ravel und Gershwin. 
Lit. : zu 1) : H. Patzer, PATQIAOZ, Hermes LXXX, 1952; 
G. F. Else, The Origin of TPAmiAIA, ebenda LXXXV, 
1957. - zu 2): W. Kahl, Das lyrische Klavierstiick Schu- 
berts u. seiner Vorganger seit 1810, AfMw III, 1921 ; Vl. 
Jankelevitch, La rh., verve et improvisation mus., Paris 
1955; W. Salmen, Gesch. d. Rh., Zurich u. Freiburg 
i. Br. (1966). 

Rheinlander, ein um 1840 aufgekommener Paartanz 
in ruhigem 2/4-Takt, der sich aus der Polka und ver- 
mutlich aus der sogenannten Hopsanglaise entwickelte. 
Er wird auch Bayerische Polka und auBerhalb Deutsch- 
lands in der Regel »Schottisch« genannt. Die Schritt- 
folge des Rh.s kennt seitwarts gerichtete »Hopser« und 
triolenmaBig ausgef iihrte Walzerdrehungen. Gelegent- 
lich wird der Rh. (z. B. Im Grunewald ist Holzauktion) 
noch heute getanzt. 

Rheinland. 

Ausg. : Denkmaler rheinischer Musik, hrsg. v. d. Arbeits- 
gemeinschaft f. rheinische Mg., I u. Illff., Dusseldorf 
1951ff., II Kolnu. Krefeld 1951. 

Lit. : A. J. Becher, Das niederrheinische Musikf est, aesthe- 
tisch u. hist, betrachtet, Koln 1836; O. R. Redlich, Mu- 
sikpflege amNeuburg-DusseldorferHofe, Beitr. zur Gesch. 
d. Niederrheins XXIV, Dusseldorf 1911; W. Hoixweg, 
Gesch. d. ev. Gesangbucher v. Niederrhein im 16;-18. Jh., 
= Publikationen d. Ges. d. Rheinischen Geschichtskunde 
XL, Gutersloh 1923; W. Kahl, Musik u. Musikleben im 
Rh., in: II. Rheinische Lit.- u. Buchwoche, Koln 1923; 
ders., Soziologisches zur neueren rheinischen Mg., ZfM 
CVI, 1939; W. Kurthen, Zur Renaissancebewegung d. 19. 
Jh. im Rh., Kgr.-Ber. Lpz. 1925; P. Mies, Musik, Musiker 
u. Musikleben in d. Landern am Rhein, in: Rheinlandkun- 
de II, Dusseldorf 1926; Kl. Weber, Die Heischelieder an 
Fastnacht im Rh., Diss. Koln 1933 ; W. C. Hambach, Das 
rheinische Wallfahrtslied, Diss. Bonn 1934; J. Schmidt- 
Gorq, Das rheinische Volkslied, Dusseldorf 1934; L. 
Schiedermair, Rheinische Musiku. Musikforschung, AMz 
LXV, 1938; ders., Musik am Rheinstrom, Koln 1947; H. 
Nelsbach, 2000jahriges Musikland am Rhein. DenkmSler 
zur Musikpflege im Rh. zur Zeit d. Romerherrschaft, Mk 
XXXI, 1938/39 ; J. Alf, Gesch. u. Bedeutung d. niederrhei- 
nischen Musikf este in d. 1. Halfte d. 19. Jh., Dusseldorf er 
Jb. XLII, 1940-XLIII, 1941 ;E.Klusen, Das Volkslied im 
niederrheinischen Dorf, = Veroff. d. Niederrheinischen 
Volksliedarch. Viersen, Wiss. Reihe I, Potsdam 1941 ; K. 
G. Fellerer, Das Erbe rheinischer Musik, Jb. Niederrhei- 
nisches Musikfest CIX, Wuppertal 1955; G. Pietzsch, Or- 
ganisten, Orgelbauer u. Orgelmusik am Niederrhein vor d. 
Reformation, Der Niederrhein XXIV, 1957. - Beitr. zur 
rheinischen Mg., hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft f. rheini- 
sche Mg. I-III, V-VI, VIII-IX, XI, Koln u. Krefeld 1952- 
55, IV, Koln 1953, X, Xllff., Koln 1955ff., VII, Bad Godes- 
berg 1953, XVII, Essen 1960; Mitt. d. Arbeitsgemeinschaft 
f. rheinische Mg. e. V., (Koln) 1955ff. ; Mitt. d. Arbeitsge- 
meinschaft f. mittelrheinische Mg. e. V., (Mainz) 1961ff.; 
Beitr. zur Mittelrheinischen Mg., hrsg. v. d. Arbeitsgemein- 
schaft f. mittelrheinische Mg., I, Amsterdam 1962, lift"., 
Mainz 1962ff. 

Rhythm and blues (ri3m send blu : s, engl.), Bezeich- 
nung fiir das in den 1930er Jahren unter EinfluB des 
-> Swing in Harlem (Negerviertel von New York) 
entstandene und seither unter der Negerbevolkerung 
der USA volkstiimlich gewordene Jazzmusizieren in 
kleinen Gruppen (meist mit Gesang). Ausgangspunkt 
fiir den Rh. and bl. ist der sogenannte Harlem-jump 
mit seinem betont f edernden Rhy thmus. Dem Harlem- 
jump, dessen Ubergange zum Rh. and bl. so flieBend 
sind, daB beide Bezeichnungen teilweise gleichbedeu- 
tend gebraucht werden, liegt als -> Chorus ein harmo- 
nisch einfacher 12taktiger ->- Blues zugrunde. Er wird 
haufig - wie ein Schlagerrefrain - mit einer Vorstro- 

802 



phe versehen und, in der Art des -»■ Boogie- Woogie 
begleitet, in schnellem Tempo vorgetragen. Scharfe 
Akzentuierungen auf einem durchlaufenden harten 
->- Beat (- 1) und eine gleichzeitige, besonders hervor- 
tretende -*■ Off-beat-Phrasierung im melodischen Be- 
reich verleihen diesem Musizieren ein solch hohes MaB 
an -*■ swing, daB sich beim Tanzen der Rhythmus in 
wiegenden und sprungartigen Bewegungen realisiert 
(daher Jump, Sprung, genannt). Eine von der Schlager- 
industrie in den 1950er Jahren kommerzialisierte mo- 
dische Form des Rh. and bl. war der Rock and Roll 
(s. v. w. wiegen und schaukeln). 

Rhythmlk (von griech. ^u&fjtWTQ [t^/vt)] ; lat. rhyth- 
mica, bei Martianus Capella auch rhythmice; frz. 
la rythmique), bis zum 19. Jh. s. v. w. Lehre vom 
-> Rhythmus, zu der als Teilgebiet auch die Lehre von 
der Rhythmusbildung (Rhythmopoie) gehorte, im 20. 
Jh. vielfach auch eine bestimmte Art des Rhythmus 
(z. B. Quantitats-, Takt-, Mensural-Rh., auch z. B. 
»Bachs Rh.«). 

Rhythmische Erziehung ist eine zuerst von E. 
->- Jaques-Dalcroze entwickelte neuartige Methode der 
-*■ Musikerziehung, die dem Schuler Musik, Sprache, 
Tanz und gestische Darstellung vor allem iiber das 
rhythmische Element vermitteln will. Korperliche und 
geistige Formung gehen Hand in Hand mit der An- 
leitung zu eigenschopferischer AuBerung in musika- 
lischer und darstellender Improvisation. Jaques-Dal- 
croze ging von der Einsicht aus, daB Musik als Melo- 
die, Rhythmus, Dynamik und Ausdruck unmittelbare 
Entsprechungen im Korperlichen (als raumliche Bewe- 
gung) besitzt und daB diese Entsprechungen durch die 
Verfeinerung des musikalischen Horens und durch be- 
wuBte Lenkung der Bewegungsimpulse vertief t und er- 
weitert werden konnen. Diese Methode, die er »Rhyth- 
mische Gymnastik« nannte und erstmals 1905 in Solo- 
thurn vorf iihrte, machte er vor dem 1. Weltkrieg auf 
Reisen weitbekannt; seine erste feste Schule entstand 
1910 als sBildungsanstalt fiir Musik und Rhythmus« in 
Hellerau bei Dresden. Von hier gingen auch seine Schii- 
ler R. -*■ Bode (der sich allerdings spater in Gegensatz 
zu Jaques-Dalcroze stellte) und H. -v Medau aus. Mit 
denErlassenzurNeuordnungderPrivatmusikerziehung 
in PreuBen durch Kestenberg (1925) wurde auch die 
rhythmisch-musikalische Erziehung als Priifungsfach 
anerkannt. Fachseminare sind heute verschiedenen Mu- 
sik(hoch)schulen angegliedert; die Absolventen arbei- 
ten vornehmlich in Jugendmusikschulen, in der Leh- 
rerbildung und in der Heilpadagogik. R. Steiner fiihrte 
1912 fiir die Bewegungskunst (GleichmaB in Wort, 
Musik und Korperbewegung) in der Anthroposophie 
die Bezeichnung Eurhythmie ein. Von den grundlegen- 
den Beziehungen zwischen Musik und Bewegung ging 
auch C. -> Orft in seinem seit den 1920er Jahren ent- 
wickelten System der musikalisch-rhythmischen Ele- 
mentarerziehung aus (Orff-Schulwerk, 5 Bande, Mainz 
1930-35, neu bearbeitet 1950-54, mit G.Keetman), das 
von alien Methoden der Rh.n E. die groBte Verbrei- 
tung gefunden hat. Eine Zentralstelle mit Seminar fiir 
Orff-Schulwerk wurde 1961 am Mozarteum in Salz- 
burg gegriindet. 

Lit. : E. Jaques-Dalcroze, La rythmique, 2 Bde, frz. u. 
deutsch, Lausanne 1907; ders., Le rythme, la musique et 
l'education, auch engl. u. deutsch, Basel 1922; R. Bode, 
Aufgaben u. Ziele d. rhythmischen Gymnastik, Munchen 
(1913); ders., Der Rhythmus u. seine Bedeutung f. d. Er- 
ziehung, Jena 1920; ders., Musik u. Bewegung, Kassel 
1930, Bin 21942; K. Keil, Leitfaden f. d. rhythmischen 
Unterricht (Methode Jaques-Dalcroze), Lpz. 1916;H. Me- 
dau, Rhythmische Gymnastik als tagliche Kraftquelle, 
Stuttgart (1928); E. Feudel, Rhythmisch-mus. Erziehung, 



Wolfenbuttel 1939, 31956; dies., Durchbruch zum Rhyth- 
mischen in d. Erziehung, = Erziehungswiss. Bucherei, Rei- 
he IV, Stuttgart 1 949 ; T. Pfisterer, Moglichkeiten d. mus.- 
rhythmischen Erziehung in d. Schule, Zurich 1948; H. 
Tauscher, Praxis d. rhythmisch-mus. Erziehung, Bin u. 
Darmstadt 1952, 21960; A. Epping, ABC d. Improvisation, 
= Hesses Hdb. d. Musik CIV, Bin (1954); Fr. Reusch, 
Grundlagen u. Ziele d. Orff-Schulwerks, Mainz (1954); R. 
Steiner, Eurhythmie als sichtbarer Gesang, Dornach 1956; 
E. Willems, Les bases psychologiques de l'^ducation mus., 
Paris 1956; E. Werdin, Rhythmisch mus. Erziehung, 
= Beitr. zur Schulmusik IV, Wolfenbuttel 1959; I. Manns, 
Die rhythmisch-mus. Erziehung in d. Schule, in: Hdb. d. 
Schulmusik, hrsg. v. E. Valentin, Regensburg (1962); W. 
Keller, Einfuhrung in Musik f. Kinder, Mainz (1963). 

Rhythm section (ridm s'ekfan, engl.) -> Band. 

Rhythmus (griech. £u&[x6<;;lat. numerus, daneben seit 
Varro als Lehnwort auch r[h]ythmus; ital. und span, 
ritmo; frz. rythme; engl. rhythm) ist in Tanz, Musik, 
Versdichtung wirksam als eigenstandig zeidiches, im 
jeweiligen Gesamtphanomen integriertes Ordnungs- 
und Gestaltungsprinzip. Im Begriff der Ordnung ist 
dabei das Moment der RegelmaBigkeit (Gleichfor- 
migkeit, Bezug zu einem festen ZeitmaB), im Begriff 
der Gestaltung das Moment der Spontaneitat enthalten 
(Gruppierung, Gliederung, Abwechslung). Vom all- 
gemeinen Begriff des Rh., iiber dessen Bestimmung 
die Meinungen weit auseinandergehen, unterscheidet 
sich dieser engere Rh.-Begriff durch das Moment der 
Intentionalitat (Hoenigswald, S. 53: Ein Rh. mufi, um 
iiberhaupt zu »sein«, »gemeint« sein). Entsprechend ist der 
vom Menschen hervorgebrachte und ihn unmittelbar 
affizierende Rh., fur den Tiere nachweislich nicht ei- 
gentlich empfanglich sind, hier nicht bloB allgemein 
als Pulsieren, als gleichformiges Auf und Ab einer Be- 
wegung, als Wiederkehr von Ahnlichem in ahnlichen 
Fristen (L.Klages) usw. zu charakterisieren, sondern 
dariiber hinaus als Element des Vollbringens von sinn- 
f allig Gestaltetem, somit auch als Element des Zusam- 
menfassens, Begrenzens, Verdeutlichens. Die Art, wie 
der Rh. wirksam wird oder in Erscheinung txitt, hangt 
im iibrigen weitgehend von der besonderen Beschaf- 
fenheit des jeweiligen Mediums ab. Als elementare, 
gemeinschaftsstiftende Macht hat er u. a. fur kultische 
Begehungen und Feste, fur Arbeit und Spiel, fur Er- 
ziehung und Heilung (-*- Musiktherapie) fundamen- 
tal Bedeutung. 

Herkunf t und Grundbedeucung des griechischen Wor- 
tes sind umstritten (hierzu: Hj. Frisk, Griechisches ety- 
mologisches Worterbuch II, Heidelberg 1961ff., S. 664f.). 
Neben der herkommlichen Ableitung von (te tv (flieBen) 
findet die schon in antikenEcymologica angenommene 
und vom Archaologen E.Petersen erstmals wieder zur 
DiskussiongestellteVerwandtschaftmit epiieiv (ziehen) 
zunehmend Beachtung; moglich erscheint ferner eine 
Verwandtschaft mit gpua-&ai (abwehren, schutzen). 
Eine Anzahl f rtiher Wortbelege ( Archilochos, it. 67a 7 ; 
Herodot V, 58, 1; Aristoteles, »Metaphysik« 985b) 
legt die Vermutung nahe, daB die Grundvorstellung 
nicht FluB, FlieBen war, sondern der eine Gestalt be- 
stimmende einheicliche »Zug« (Petersen) oder gerade- 
zu das, was der Bewegung, dem Flufi die Schranke, das Feste 
auferlegt (W.Jaeger, Paideia I, 1933, S. 174f.). Es han- 
delt sich demnach nicht um eine bildliche Ubertra- 
gung vom Musikalischen her, wenn die Griechen vom 
Rh. eines Baus oder einer Statue reden (noch der Mu- 
siktheoretiker Aristeides Quintihanus fuhrte 1, 13 diese 
»raumliche« Bedeutung vor der »zeitlichen« an). Seit der 
klassischen Zeit des Griechentums begann jedoch die 
in der Anwendung des Wortes auf Tanz, Musik, Dich- 
tung sich herausbildende Bedeutung in den Vorder- 
grund zu treten. Platon kennzeichnete den Rh. von der 



Rhythmus 

anschaulichen Seite her als Ordnung der Bewegung 
(»Gesetze« 665a), der Aristoteles-Schiiler Aristoxenos 
hingegen bereits abstrakt als Ordnung von Zeitteilen 
(xpovtov t6£,i$, Rhythmka I, fr. 1, ed. Westphal). Um 
einer Verwechslung mit dem Metrumbegriff vorzu- 
beugen, wurde Rh. dahingehend charakterisiert, daB er 
keine normative Begrenzung im Sinne der mit festen 
(Vers-)MaBen rechnenden Metrik haben muB und 
auBerdem keine normative Folge von Kiirzen und 
Langen zu enthalten braucht. Mit der Bestimmung 
omne metrum rh., non omnis rh. etiatn metrum est resiimier- 
te Augustinus (De musica III, 2) die seit hellenistischer 
Zeit giiltige Auffassung. Der Wandel von der quanti- 
tierenden zur akzentuierenden Dichtung (vgl. auch die 
Begrenzung der Musica ry thmica auf Zupf- und Schlag- 
instrumente bei Isidor von Sevilla, Etymologiae HI, 22) 
und das Bedurfnis nach Unterscheidung von synony- 
men Ausdriicken bereiteten eine Begriffsverschiebung 
vor: wahrend numerus weiterhin die Bedeutung von 
Rh. beibehielt, hieBen ry thmi (ritmi, ritimi) im Mittel- 
alter die akzentuierenden lateinischen sowie die volks- 
sprachlichen Verse (im Unterschied zu den metra ge- 
nannten quantitierenden lateinischen Versen). In der 
Renaissance biirgerte sich dann das griechische Lehn- 
wort - unter humanistischem EinfluB nun wieder in der 
antiken »zeitlichen« Bedeutung - in den Volkssprachen 
ein. In der Epoche der friihen Romantik und des deut- 
schen Idealismus erhielt der Wortbegriff eine univer- 
sale Geltung, auf Grand deren er auf die verschieden- 
sten Gebiete iibertragen wurde (z. B. fiihrte ihn K. 
Schnaase 1834 in die Kunstgeschichte ein). Der daraus 
resultierenden Zersplitterung tritt die neuere Forschung 
entgegen, indem sie zwischen ubertragenem und ei- 
gentlichem Wortgebrauch zu scheiden und die dem 
letzteren zugrunde liegende Vorstellung begrifflich her- 
auszuarbeiten versucht (z. B.J. Trier : Rh. ist die Ordnung 
im Verlauf gegliederter Gestalten, die darauf angelegt ist, 
durch regelmafiige Wiederkehr wesentlicher Ziige ein Ein- 
schwingungsstreben zu erwecken und zu befriedigen) . 
Der Vielschichtigkeit der rhythmischen Erscheinungen 
entspricht die relative Vieldeutigkeit des Wortes. Auf 
dem Gebiet der Musik kann Rh. bald mehr die vor- 
dergriindige Abf olge rhythmischer Elemente (z. B. be- 
stimmter Notenwerte) und bald mehr die konstante 
Grundbewegung meinen (z. B. Grund-Rh. eines Tan- 
zes wie im Falle des Sarabanden-Rh., aber auch 2zeiti- 
ger Rh., Dreier-Rh., 6/8-Takt-Rh. usw.). Auf tiefere 
Schichten beziehen sich die Auffassungen vom Rh. als 
immanente Dynamik (H.Riemann), typologisch be- 
dingte Motorik (G. Becking), musikalischer Kraftver- 
lauf (R.Steglich), als urspriinglich korperliche Bewe- 
gungsempfindung (E.Kurth, Grundlagen des linearen 
Kontrapunkts, Bern 1917) usw. SchlieBlich wird Rh. 
auch als Stil- und Epochenbegriff (Modal- Mensural-, 
Schlagzeit-, Takt-Rh.) verwendet, ja als Grundbegriff, 
der iiber das Musikalische hinaus Wesensziige einer 
Kultur erfafit (Quantitats-, Akzent-Rh.). - In psycho- 
logischer Sicht ist der musikalische Rh. zunachst ein 
Gestaltphanomen, speziell eine Zeitgestalt. Seine Ei- 
genstandigkeit grundet sich auf Gestalteigenschaften, 
die ihn von der Bindung an bestimmte »fundierende 
Elemente« frei machen. Die gleiche rhythmische Ge- 
stalt kann daher in verschiedenem Tonmaterial oder 
auch als bloBes Gerausch (Klopfen, Trommeln) reali- 
siert werden. Ein Orientierungsphanomen wie das des 
Taktes wird durch den psycholoeischen Begriff des 
Bezugssystems beleuchtet. Der Takt ist die Struktur des 
Bezugssystems, des Zeitgeriistes; der in Erscheinung tre- 
tende Rh. hingegen ist die Struktur des konkreten In- 
halts, der dieses Geriist erfullt, und zwar in ihrem Verhalt- 
nis zu der Struktur des Geriistes. Eine musikalische Ge- 



51* 



803 



Rhythmus 



stalt, deren Rh. in ein Taktsystem eingespannt ist, ver- 
f iigt daher iiber wichtige neue Eigenschaften (Funktions- 
eigenschaften und vor allem dynamische Qualitaten), die 
jedem auf einformigem Zeitgrund verlaufenden Rh. fehlen 
(W.Metzger, Psychologie, Darmstadt 31963). Mit die- 
ser Scheidung von Geriist und Ausf iillung hangt es zu- 
sammen, daB der Bewegungscharakter eines Stiickes 
durch die Dichte der Tongebungen noch nicht be- 
stimmt ist, sondern sich erst aus der Dichte des Zeitge- 
rttstes ergibt. Zwischen Bewegungsintensitat im abso- 
luten Sinne und -*■ Tempo wird deshalb scharf unter- 
schieden. Ein markanter Zug des musikalischen Rh. 
laBt sich mit dem psychologischen Begriff der Pra- 
gnanz erfassen. Eine Tonbewegung erscheint erst dann 
rhythmisch, wenn sie in der zeitlichen Dimension die 
Stufe eines ausgezeichneten, pragnanten Gefiiges er- 
reicht, auf der sie ihre Bewegungsintention am rein- 
sten, zwingendsten verwirklicht. Dies bedeutet ge- 
wohnlich, daB die Zeitintervalle zwischen den einzel- 
nen Tongebungen einfachen arithmetischen GroBen- 
verhaltnissen entsprechen (1 : 1, 1 : 2, 1 : 3 als Grundpro- 
portionen, auf die auch kompliziertere Bildungen zu- 
ruckgefiihrt werden konnen). Der Pragnanzbegriff 
umschlieBt aber noch andere Falle, in denen die Zeit- 
intervalle von vornherein nicht im Sinne rational meB- 
barer Verhaltnisse zu verstehen sind und dennoch einer 
bestimmten Pragnanzvorstellung entsprechen (z. B. im 
Falle der unten zu nennenden »irrationalen« Rhyth- 
men; hierher gehoren auch die allmahliche Tempo- 
veranderung, agogische Verschiebungen innerhalb des 
Taktes u. a. ; -> Agogik). Die Schwierigkeit, exotische 
Rhythmen zu erfassen, beruht wesentlich darauf, daB 
ihnen andere Pragnanzvorstellungen als die dem Abend- 
lander vertrauten zugrunde liegen. Deshalb ist die 
Wiedergabe solcher Rhythmen in moderner Noten- 
schrift oft unzureichend oder irrefiihrend. Dies gilt zu- 
mal fur Falle, in denen Gesang, instrumentales Spiel 
und Tanz eine noch ungeschiedene Einheit bilden oder 
in denen die Identitat eines Stiicks mehr durch den 
Text und eine bestimmte Vortragsweise als durch ge- 
nau fixierte Tonfolgen gewahrt wird. So hat sich im 
Orient eine Art des Singens herausgebildet, die sich 
weder melodisch noch rhythmisch rational fassen laBt 
(-> Maqam, -»■ Raga). Wie die Melodie, so wird hier auch 
der Rh. von Mai zu Mai neu geschaffen; doch muB man 
sich hiiten, in solchem freien Rh. nichts weiter zu sehen 
als einen aufier Rand und Band geratenen festen Rh. (R. 
Lachmann, Musik des Orients, Breslau 1929, S. 65f.). 
Eine rhythmisch freie und dennoch mit gewissen (heu- 
te schwer zu rekonstruierenden) Pragnanzvorstellun- 
gen verbundene Art des Gesangs scheint auch in der 
byzantinischen Musik und in der dem Vortrag von 
Bibel- und anderen liturgischen Prosatexten dienenden 
westlichenEinstimmigkeit des 1. Jahrtausends lebendig 
gewesen zu sein (iiber den Gesangsvortrag rhythmi- 
scher Texte s. u.). Auslaufer finden sich noch heute in 
der Musik der Ostkirchen ; im Westen hingegen wurde 
diese Art des freirhythmischen Gesangs seit dem Auf- 
kommen der Mehrstimmigkeit, in der sie ein letztes 
Mai in der melismatischen Kolorierungskunst der f riihen 
Notre-Dame-Epoche hervortrat (-> Organum), all- 
mahlich im Sinne des Cantus planus (-> Cantus - 2) 
rhythmisch eingeebnet. - Im folgenden wird der schar- 
fer faBbare Begriff des festen Rh. anhand zweier gegen- 
satzlicher Auspragungen zu umreiBen versucht. 
1) Das Prinzip des additiven Rh. beruht auf der Unter- 
scheidung von zwei festen rhythmischen Elementen, 
entweder einem kurzen und einem langen oder (bei 
gleicher Lange) einem unbetonten und einem betonten. 
Charakteristisch fur diese Art des Rh. ist weitgehende 
Freiheit in der Abfolge der Elemente, wobei die Vor- 



stellung des Alternierens (z. B. lang-kurz oder lang- 
kurz-kurz) als Normvorstellung meist gegenwartig 
bleibt. In der griecbischen Antike war dieses aus der 
Einheit von Gesang und Tanz hervorgegangene Prin- 
zip ausgepragt als Quantitats-Rh. (->■ Griechische Mu- 
sik). Die in der griechischen Sprache vorgegebenen 
Quantitaten der Silben (-> Quantitat) galten proso- 
disch als kurz und lang (-> Prosodie - 1), metrisch als 
Kiirze und Lange (-+ Metrum - 1), sie standen musi- 
kalisch-rhythmisch im Verhaltnis 1 : 2 und verbanden 
sich orchestisch mit der Hebung und Senkung des 
FuBes (-»■ Arsis und Thesis). Die unterschiedlichen 
Rhythmengeschlechter kamen mit den verschiedenen 
poetischen Gattungen auf und wurden sparer, als sich 
die Gattungsunterschiede teilweise verwischten, im 
Sinne bestimmter Haltungen aufgefaBt (-»■ Ethos). Fiir 
die Friihzeit (Epos, Elegie, Iambos) sind Reihenrhyth- 
men, fiir das Zeitalter der Lyrik beschaulich-vielge- 
staltige Strophenrhythmen charakteristisch. Auf der 
letzten und hochsten Stufe, im attischen Drama, bilden 
Sprache und musikalischer Rh. eine unauf hebbare inne- 
re Einheit, in der sie einander wechselseitig durchdrin- 
gen (hauptsachlich in den Chorpartien) und die schlieB- 
lich zur Preisgabe der Vers- und Strophenresponsion 
fiihrte (-> Monodie). Die Auflosung jener urspriingli- 
chen Einheit von Gesang und Tanz ging gleichzeitig 
mit der Verselbstandigung der Musik vor sich. Aristo- 
xenossetzte, indem er Rh. und rhythmisierten Stoff be- 
grifflich trennte, die der Kiirze entsprechende Zeit- 
dauer als lzeitiges GrundmaB fest (-*■ Chronos pro- 
tos), bestimmte danach die normale Lange als 2zeitig 
und die u. a. im ^opeto^ SXoyoi;, einem Reigentanz, vor- 
kommende Lange als »irrational« (etwa l^zeitig). Die 
seit hellenistischer Zeit bezeugten 3-, 4- und 5zeitigen 

Uberlangen (bezeichnet L, I !, LU) so wie die inzwi- 

schen auf gekommene Pausenlehre {-*■ Pause) lassen auf 
einen tief greif enden Wandel des Quantitats-Rh. schlie- 
Ben, moglicherweise in Richtung eines musikalisch-zeit- 
messenden Rh. (s. u.). - Dem antiken Quantitats-Rh. 
ahnliche Bildungen, die zum Teil antiken Ursprungs 
zu sein scheinen (z. B. im Falle des neugriechischen 
Reigentanzes Syrtos Kalamatianos, dessen Grund-Rh. 
J. J J dem antiken »irrationalen« Reigen-Rh. ent- 
sprichf, hierzu Georgiades, Der griechische Rh., S. 98ff.), 
finden sich im heutigen Griechenland und weit dariiber 
hinaus auf dem Balkan und in Kleinasien. Doch spielt 
bei dieser Art der additiven Rhythmik vielfach, beson- 
ders in slawischen oder slawisch beeinfluBten Gebieten, 
das der antiken Quantitatsrhythmik fremde Moment 
der Betonung eine wichtige Rolle. So ist etwa die in 
bulgarischen Rhythmen konstitutive sirrationale Lan- 
ge« (J.) stets betont, die »Kurze« hingegen (J) je nach 
der festen Betonungsbrdnung des betreffenden Rh. 
bald unbetont und bald betont (z. B. lautet der Grund- 
Rh. im Raceniza-Tanz: J J J. ). Im Unterschied zum 

betonungsfreien, als statisch empfundenen Quantitats- 
Rh. der Antike macht sich hier ein dynamischer Zug 
geltend. - Betonungsfrei war urspriinglich auch der 
quantitierende altindische Rh. Erst in einer jiingeren 
Epoche kamen Rhythmen mit fester Betonungsord- 
nung auf, worauf schon ihre Bezeichnung als Tala hin- 
weist (im Sanskrit s. v. w. Handflache, rhythmisehes 
Klatschen). Beschreibungen bieten Bharata, Sharn- 
gadeva u. a. -Eine musikalisch-zeitmessende.vielleicht 
ins Altertum zuriickreichende (vgl. die oben genannten 
Uberlangen) Art der additiven Rhythmik ist im Orient 
weit verbreitet (-> Arabisch-islamische Musik). 
2) Das Prinzip des multiplikativen (und zugleich divi- 
siven) Rh. beruht auf der Scheidung von zeitlichem 
Geriist und musikalisch-rhythmischer Ausf iillung, wo- 



804 



Rhythmus 



bei sich beide wechselseitig bedingen und beleuchten. 
Im Gegensatz zum additiven Prinzip wird bier nicht an 
den rhythmischen Elementen, sondern an einem rhyth- 
misch relevanten Zeitgeriist festgehalten (vgl. hierzu 
die Gegeniiberstellung der Begriffe »erfullte Zeit« und 
»leere Zeit« bei Georgiades 1949). Dem Geriist liegt in 
der Regel die einem rhythmischen Mittelwert entspre- 
chende Zeiteinheit als festes MaB zugrunde (»Zahl- 
zeit«, Schlagzeit). Bei musikalisch-rhythmisch kon- 
stant durchgefuhrter Gliederung der Hauptzeiten er- 
geben sich zunachst 2- und 3zeitige Formationen 
(•••••••• und •••••••••), im Taktprinzip dann auch 

hohere Einheiten (z. B. 4/4-Takt, »GroBtakt« aus ei- 
nem Taktpaar). In der Mensuralmusik kommen je- 
doch auch einander ablosende 2- und 3zeitige Forma- 
tionen vor, z. B. ••••••••••..•; es konnen aber auch 

verschiedene Formationen einander iiberlagern, z. B. 
• •'•*•*. * °der I '.' I . - Im Abendland hat sich das auf 
dem Boden geregelter Mehrstimmigkeit zunachst in 
unterschiedlichen Spielarten herausbildende rhythmi- 
sche Prinzip mit dem Aufkommen des »Akzentstufen- 
takts« (H.Besseler) um 1600 immer mehr zu einem ein- 
heitlich zentrierten Gewichts- und Betonungs-Rh. ent- 
wickelt. In der einfachsten Form, als Reihen-Rh., kam 
er in der friihen Mehrstimmigkeit musikalisch erstma- 
lig dadurch zur Geltung, daB er einen Ausgleich zwi- 
schen den gegensatzlichen Kraften des Vertikal-Klang- 
lichen und des Horizontal-Melodischen begriindete: 
die Ordnung von konsonanzgebundenen Haupt- und 
von klanglich ungebundenen Nebenzeiten. Zu den 
Voraussetzungen gehorte auf der Seite des Klanglichen 
die vom Vorrang der Konsonanzen bestimmte streng 
konsonante Satzbildung (nachguidonisches Organum), 
die von nun an mit rhythmisch geregelten Zwischen- 
klangen rechnete, und auf der Seite des Rhythmischen 
die von der qualitativen Abstufung der Elemente aus- 
gehende Bildung hypotaktischer Reihenrhythmen (so 
offenbar schon in der akzentuierenden lateinischen Ge- 
sangsdichtung, etwa in Hymnus, Tropus, Sequenz, 
Conductus; -»■ VersmaBe), die nun mit der qualitativen 
Unterscheidung der Klange kombiniert wurde. Spate- 
stens in den Anfangen der Notre-Dame-Epoche war 
die Synthese bereits vollzogen und damit zum ersten- 
mal eine der strengen vertikalen Ordnung vergleich- 
bare strenge horizontale Ordnung durchgefiihrt. Fiir 
die abendlandische Musik grundlegend und richtung- 
weisend war dieser Rh. in seiner Eigenschaft als von 2 
oder mehr Stimmen getragener kommensurabler 
Schichten-Rh. und zugleich als in ein konsonantes 
Satzgeriist eingespannter Unterteilungs-Rh. Bezeich- 
nenderweise wurden auf der Fruhstufe symmetrische 
(halbierende) Unterteilungsarten gemieden und statt 
dessen asymmetrische (drittelnde) gewahlt, da diese 
die klanglich-rhythmischen Ordnungsverhaltnisse am 
sinnfalligsten klarstellten (->- Modus - 2; -»■ Modalno- 
tation - 1), anfangs wohl mit bloBer Nebenordnung 
der Hauptzeiten, spater in Ansatzen auch mit Unter- 
ordnung: anfangs spSter 

Zusatzstimme: J J J J J J d- Jd d- Jd d- 
Cantus: f f f f f f f f 

Hauptzeiten: • • • • . • . • 
Akzentuierung der Hauptzeiten (vgl. jedoch tria tem- 
pora tarn uno accentu quam diversis prolata . . . , Franco, 
Ars cantus mensurabilis, ed. Cserba, S. 237), von straffer 
rhy thmischer Stimmenbewegung durchwirkte »stehen- 
de« und »pendelnde« Klange (oft in Verbindung mit 
Stimmtausch, seltener als Kanon), ->■ Sequenz (- 2), 
Rhythmuswechsel (Moduswechsel) in groBeren Ab- 
standen, rhythmische Verwendung der -> Pause (-> Ho- 
quetus), schlieBlich zur Auflosung der Modi fiihrende 



Unterteilungen und Zusammenziehungen regularer 
modaler Werte kennzeichnen die Stufe der Modal- 
rhythmik. Die allmahliche analytisch-rationale Durch- 
dringung des musikalischen Satzes brachte es mit sich, 
daB in der Notenschrift eine sukzessive Verlagerung 
von den groBen zu immer kleineren Notenwerten 
stattfand und so die im 13. Jh. aufgekommene ->• Men- 
suralnotation durch fortgesetzte Teilung ausgebaut 
wurde. Dabei wiederholte sich mehrmals der Vorgang, 
daB die jeweiligen Unterteilungswerte (Spaltwerte) 
mit ihrer Einbeziehung und Eingliederung in das feste 
Satzgefiige eigenes Gewicht erhielten und nun nicht 
mehr als Neben-, sondern als Hauptzeiten empfunden 
wurden. Die zunehmende Beweglichkeit una rhyth- 
misch-melodische Selbstandigkeit der Stimmen (zumal 
der Oberstimmen) lieB das Moment der Akzentuierung 
zuriicktreten. Neben der als Norm weiterhin anerkann- 
ten Dreizeitigkeit (Dreiteiligkeit; -»• Perfectio - 2) kam 
an der Wende zum 14. Jh. nach und nach die Zweizei- 
tigkeit (Zweiteiligkeit) auf (Stellen wie Longa autem 
apud priores organistas duo tantum habuit tempora bei 
Odington, CS I, 235b, werden heute nicht mehr als 
Beweis fiir die Prioritat der Zweizeitigkeit angesehen, 
sondern mit dem hoheren Alter der beiden ersten 
rhythmischen Modi in Verbindung gebracht). Perfekte 
(3zeitige) und imperfekte (2zeitige) ->• Mensuren (- 2) 
konnten nun einander ablosen oder iiberlagern (s. o.), 
und zwar in den verschiedenen GroBenverhaltoissen 
(->■ Modus - 3, -> Tempus, -> Prolatio; ->• Propor- 
tion - 2), wodurch die Gleichformigkeit des rhythmi- 
schen Ablaufs zugunsten einer wechselnden und viel- 
gestaltigen Schichtenrhythmik in den Hintergrund ge- 
drangt wurde. Bei der zugleich eine Aufspaltung des 
rhythmischen Duktus bewirkenden Uberlagerung von 
inkongruenten Mensuren ergaben sich haufig rhyth- 
mische Verschiebungen (-»■ Synkope, -»■ Trayn, poly- 
rhythmische Bildungen, die jedoch alle nicht im mo- 
dernen Sinn als Akzentverschiebungen zu verstehen 
sind, sondern als Divergenzen zwischen ungleichen Be- 
wegungen) .Die Unterschiedlichkeit der Mensuren und 
Proportionen implizierte unterschiedliche Bewegungs- 
arten im Sinne des Tempobegriffs, vielfach aber auch 
unterschiedliche Satzarten (z. B. gleichbleibende Dich- 
te des Satzes im Tempus imperfectum [C ] gegeniiber 
der veranderlichen Dichte im Tempus imperfectum di- 
minutum [<(]; vgl. R.Bockholdt, Dieftuhen Messen- 
kompositionen von G.Dufay, =Miinchner Veroffent- 
lichungen zur Musikgeschichte V, Tutzing 1 960) . In der 
franzosischen Ars nova und daruber hinaus wurde der 
Rh. auch als streng konstruktives Satzgeriist (-> Talea) 
im Sinne der bereits im 13. Jh. vorgebildeten ->• Iso- 
rhythmie verwendet. Die mit rhythmischen Floskeln 
durchsetzte Stimmengestaltung war in der Ars nova 
noch weithin iiblich, machte aber allmahlich einer freie- 
ren Art der Melodiebildung Platz (-> Melodie), wie 
sie sich seit dem italienischen Trecento und in England 
seit Dunstable durchzusetzen begann. Am langsten 
hielten sich rhythmische Floskeln in der Schlufibildung 
(-»■ Klausel). 

Seit dem spaten Mittelalter wurden vor allem drei Fak- 
toren fiir die Rhythmik mehr und mehr bestimmend : 
Sprachtext, instrumentales Spiel und Tanz. Textdekla- 
mation und »textgezeugte« Rhythmen (H.Riemann) 
begannen seit Dunstable und den Niederlandern, mu- 
sikalische Textausdeutung (u. a. als Darstellung von 
Affekt und SprachgebSrde) im 16. Jh. an Bedeutung zu 
gewinnen. Fiir die Deklamationsrhythmik der Vokal- 
polyphonie ist die sich iiber die satztechnisch veranker- 
te Schwerpunktordnung und iiber die Schlagzeit 
(->■ Tactus) voriibergehend erhebende selbstandige 
Gliederung charakteristisch, z. B. im folgenden Teil der 



805 



Rhythmus 

Altstimme aus dem Offertorium Reges Tarsis von Pa- 
lestrina (alte GA DC, S. 37; vgl. Fellerer 1928, S. 21): 




om - nes gen-tes ser - vi-ent 
Schwerpunktordnung: • « « 

Schlagzeit: I t 'I t I t 

Deklamations-Rh. : i_I '_j i ' • i ^ '_j , T 



Metrische Odcnkomposition und protestantisches Kir- 
chenlied folgten rhythmischen Gestaltungsarten, die 
teils an quantitierenden antiken VersmaBen und teils an 
der Mensurenrhythmik orientiert sind. Die unter- 
schiedliche Struktur der Sprachen machte sich seit dem 
Ende des 16. Jh. in Textvertonungen verstarkt bemerk- 
bar (vgl. die sich in den Vertonungen eines Monte- 
verdi, Schiitz und Lully auch rhy thmisch auspragenden 
unterschiedlichen Sprachhaltungen). Instrumentales 
Spiel und -»■ Tanz brachten starke neue Impulse. Zu- 
sammen mit den »Instrumentalismen« (H.Riemann) 
fanden rhythmisch eigenwillige Akkordzerlegungen, 
Spielfiguren, Spiel- und Vortragsmanieren (u. a. Tre- 
molo) Eingang in die Kunstmusik. Tanze, Tanzrhyth- 
men und iiberhaupt feste Rhythmen (z. B. in Strophen- 
baB und Basso ostinato) wurden allenthalben verwen- 
det. Dadurch gewann auch das Prinzip der -> Sym- 
metrie EinfluB auf die Satzbildung (Wiederholung 
oder Korrespondenz, wobei Gruppen von 1+1, 2+2, 
4+4 oder 8+8 Takten entstanden). Im 17. Jh. setzte 
sich allmahlich eine Einheitlichkeit und Geschlossen- 
heit des musikalischen Bewegungsablaufs durch, die 
nicht nur die rhythmische, sondern auch die harmoni- 
sche Seite des Satzgefiiges umfaBte. Taktrhythmik und 
harmonische Tonalitat begannen sich zu konsolidieren 
- wie es scheint, in wechselseitiger Abhangigkeit von- 
einander. Das alte Proportionssystem blieb zwar noch 
lange wirksam, verlor aber an unmittelbarer Bedeu- 
tung in dem MaBe, als -> Takt (mesure, ZeitmaB) und 
-> Tempo (mouvement, Bewegung) auseinandertra- 
ten und als selbstandige GroBen erfaBt wurden. Die 
Ausarbeitung der fur die GeneralbaBepoche typischen 
Taktrhythmik ging wesentlich vom Detail aus (durch 
Unterscheidung zwischen kleingliedrigen Wendun- 
gen, die sich auf die Zahlzeit, und groBeren, die sich 
auf den halben oder den ganzen Takt beziehen). Be- 
zeichnend ist das Festhalten an einer durchlaufenden 
Grundbewegung mit Tongebung auf jede Zahlzeit 
(im Tripeltakt mit -> Hemiole zur Verdeutlichung des 
Schlusses), haufig sogar mit durchlaufender Untertei- 
lungsbewegung. Dies bedeutet, daB die 1. Zahlzeit ge- 
geniiber den anderen noch nicht entschieden hervor- 
trat - bis tief ins 18. Jh. hinein galten die 1. und die 3. 
Zahlzeit in Vierertakten als gleichwertig hinsichtlich 
ihres Gewichts - und daB die Unterteilungswerte er- 
sten Grades den Charakter des Bewegungsstroms we- 
sentlich mitbestimmten (vgl. den Unterteilungs-Rh. 
z. B. im Eingangschor der Matthauspassion von J. S. 
Bach). Entsprechend hatte die Synkope jeweils nur so- 
viel Gewicht wie die durch sie vorweggenommene 
Hauptnote und war wie diese nicht eigens akzentuiert. 
(Neuerdings werden die Haupt- und sogar die Unter- 
teilungswerte im AnschluB an ahnliche Tendenzen in 
der Musik des 20. Jh. durch einseitige Hervorkehrung 
des Motorischen oft eingeebnet, so daB der eigentiim- 
lich federnde Grundzug dabei verlorengeht.) Besonde- 
re Aufmerksamkeit erfordern die der Ausfiihrungsebe- 
ne angehorige Rhythmisierung durch -> Artikulation 
und der nicht einheitlich geregelte -> Punktierte Rhyth- 
mus (vgl. auch -»■ Lombardischer Rhythmus). 
Die scharfste Auspragung erfuhr die Taktrhythmik in 
der Musik der Wiener Klassiker. Takt und Dur-Moll- 
Tonalitat sind hier zu absoluten Ordnungen geworden. 



Im Takt liegt das Hauptgewicht nun eindeutig auf der 
1. Zahlzeit, die als solche stark zentralisierend wirkt, 
zugleich aber auch eine scharfere Trennung oder Ge- 
geniiberstellung der Taktinhalte zulaBt. (Zur Kompo- 
sitionsweise vgl. auch das Verfahren, mit Wiirfeln zu 
komponieren; -> Aleatorik.) Fiir den musikalischen 
Aufbau hat demgemaB das Taktmotiv (->■ Motiv) zen- 
trale Bedeutung, wobei zwischen auftaiktigen und ab- 
taktigen Bildungen nicht nur ein Unterschied, son- 
dern oft sogar ein Gegensatz bestand (vgl. die Gegen- 
iiberstellung im letzten Satz von Beethovens Streich- 
quartett F dur, op. 135). Das aus mehreren Takten be- 
stehende -*■ Thema vereinigt in sich haufig disparat er- 
scheinende harmoiiisch-rhythmische Taktglieder, die 
indessen gerade in ihrer »Gegensatzlichkeit« (nach dem 
Prinzip von Aufstellung und Antwort) eine hohere 
Form der Einheit und Geschlossenheit verkorpern, 
z. B. im Falle des Allegrothemas des 1. Satzes aus der 
Serenade fiir 13 Blaser von Mozart, K.-V. 361 : 

«-j Tutti 




' ' f 

Die strenge Taktordnung bedingte weitere Eigentiim- 
lichkeiten, die zum Te2 eine strenge Regelung des 
harmonischen Ablaufs implizierten (-»■ Metrum - 3, 
-> Periode; im -> Marsch verbunden mit scharfer 
Punktierung) und die die Einbeziehung der ->■ Dyna- 
mik (- 1) in die Komposition begriindeten. Auf der 
einen Seite wurden Abweichungen von der Norm 
haufig (hervortretende Synkopen, synkopische Ak- 
zente, die Taktstruktur verschleiernde Synkopenket- 
ten ; »negativer« -> Akzent - 3 ; ->■ Imbroglio ; Zweier- 
gruppierungen im Dreiertakt, etwa im ->• Scherzo - 2; 
Dreiergruppierungen jeweils unter einer Zahlzeit zu- 
sammengefaBter ganzer Takte, beim spaten Beetho- 
ven mit Ritmo di tre battute bezeichnet; komplemen- 
tare Rhythmen, -> Polyrhythmik), auf der anderen 
Seite hingegen Bildungen, die die Ordnung wieder- 
herstellen und bestatigen (Akzente auf guten Takt- 
tcil, Bestatigungen besonders am -> SchluB). Die Ver- 
deutlichung der musikalischen Sinngliederung ge- 
schieht primar durch die -> Phrasierung. In der Ro- 
mantik verlor der Takt als Gewichtsordnung und als 
tektonisches Moment an Bedeutung (vgl. Schuberts 

federnd-ausgleichenden Rh. I JdJ J^l aus Moment mu- 
sical op. 94 Nr 4; im -»■ Walzer aber dominierte die 
1. Zahlzeit so entschieden, daB sie ohne EinbuBe der 
Wirkung auchpausieren konnte) . Bruckner und Brahms 
machten von ->■ Triolen als Unterteilungsmodus hal- 
ber Takte Gebrauch. Mit Chopin, Wagner, Tschai- 
kowsky kamen kompliziertere Taktarten in die Kunst- 
musik (-> Takt). Der musikalische Rh. naherte sich 
in der Haltung vielfach der -> Prosa (- 2; vgl. Nietz- 
sches Ausspruch: In der bisherigen dlteren Musik mufite 
man . . . tanzen; kiinstlerische Absicht der Wagnerischen 
Musik hingegen sei, man soil schwimmen; Menschli- 
ches, Allzumenschliches II, S. 65). Die Notierung in 
Takten wurde in der Musik des 20. Jh. weithin zu einer 
bloBen Konvention, zumal seit der Preisgabe der To- 
nalitat. Tatsachlich handelt es sich hier um keine Ge- 
wichtsordnung mehr, sondern um regelmaBige oder 
um wechselnde Betonungen, letztere nicht selten in 
Annaherung an additive Rhythmen der Folklore (Bar- 
tok, Strawinsky u. a.), auch als -> Variable Metren. 
-> Beat (- 1) und -> Off-beat sowie -> swing sind typi- 



806 



Rhythmus 



sche Rh.-Phanomene des Jazz. Durch die Modetanze 
kam eine Fiille von fremdartigen Rhythmen nach 
Europa. 

Schon Berlioz hatte die Einfiihrung einer Klasse fur 
Rh. am Konservatorium befiirwortet (»Memoiren«, 
§ 66), doch setzte sich die -> Rhythmische Erziehung 
erst im 20. Jh. langsam durch. 

Im Gegensatz zu R. Westphal, der die poetische Metrik 
der Antike mit der musikalischen Rhythmik der Neu- 
zeit verquickte, betonte H.Riemann die Notwendig- 
keit einer scharf en Sonderung der musikalischen Rhyth- 
mik; in diesem Sinne entwickelte er ein umfassendes 
System der Rhythmik und Metrik, das, auf seiner heute 
, nicht mehr allgemein anerkannten Auf takttheorie ba- 
sierend, auch die Lehre von der Phrasierung, von der 
Dynamik und Agogik mitumfaBt. Eine von der Auf- 
takttheorie freie Rh.-Lehre bot Th.Wiehmayer. Zu 
einem Sonderzweig entwickelte sich die rhythmische 
-»• Typologie. 

Lit. : A. F. Lwow, O swobodnom ili nesimmetritschnom 
ritme (»t)ber d. freien oder unsymmetrischen Rh.«), St. 
Petersburg 1858, deutsch Lpz. 1859; R. Westphal, Die 
Fragmente u. d. Lehrsatze d. griech. Rhythmiker, Lpz. 
1861; ders., Allgemeine Theorie d. mus. Rhythmik seit 
J. S. Bach, Lpz. 1880; M. Lussy, Le rythme mus., Paris 
1 883 ; ders., Die Correlation zwischen Takt u. Rh., Vf Mw 
1, 1885; H. Riemann, Mus. Dynamik u. Agogik, Hbgu. St. 
Petersburg 1 884 ; ders., Wurzelt d. mus. Rh. im Sprachrh. ?, 
VfMw II, 1886, auch in: Praludien u. Studien I, Ffm. 
1895; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik, Lpz. 
1903; E. Meumann, Untersuchungen zur Psychologie 
u. Asthetik d. Rh., Philosophische Studien X, 1894; K. 
BtiCHER, Arbeit u. Rh., Lpz. 1897, «1924 (hierzu: E. M. v. 
Hornbostel, Arbeit u. Musik, ZIMG XIII, 1911/12); J. 
Combarieu, Theorie du rythme dans la composition mo- 
derne d'apres la doctrine antique, Paris 1897; G. Mari, I 
trattati medioevali di ritmica lat., in: Memorie del R. Isti- 
tuto lombardo di Scienze e Lettere, Classe di Lettere . . . , 
Seria III, vol. XX/XXI, Mailand 1899; Ch. S. Mijers, A 
Study of Rhythm in Primitive Music, British Journal of 
Psychology I, 1905; K. Koffka, Experimental-Untersu- 
chung zur Lehre v. Rh., Zs. f. Psychologie LII, 1909; H. 
Wetzel, Zur psychologischen Begriindung d. Rh. u. d. 
aus ihr flieBende Bestimmung d. Begriffe Takt u. Motiv, 
Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; A. Halm, Rhythmik u. Vor- 
tragsdynamik, in: ders., Von Grenzen u. Landern d. Mu- 
sik, Munchen 1916; E. Petersen, Rh., in: Abh. d. Kgl. 
Ges. d. Wiss. zu Gottingen, Phil.-hist. Klasse, N. F. XVI, 
Nr 5, Bin 1917 (hierzu: O. Schroeder, 'Pu3u6c, Hermes 
LIII, 19 1 8, u. Th. Pliiss in : Berliner philologische Wochen- 
schrift XXXVII, 1920); Th. Wiehmayer, Mus. Rhythmik 
u. Metrik, Magdeburg 1917; O. L. Forel, Le rythme, Lpz. 
1920; R. Dumesnil, Le rythme mus., Paris 1921; J. G. 
Schmidt, Haupttexte d. gregorianischen Autoren betref- 
fend Rh., Diisseldorf 1921 ; A. Orel, Zur Frage d. rhyth- 
mischen Qualitat in Tonsatzen d. 15. Jh., ZfMw VI, 1923/ 
24; A. Schering, Die metrisch-rhythmische Grundgestalt 
unserer Choralmelodien, Halle 1924, 21927; ders., Beto- 
nungs- u. Gewichtsprinzip, Kgr.-Ber. Lpz. 1925; R. Hoe- 
nigswald, Vom Problem d. Rh., Lpz. 1926; W. Bund, 
Einige strittige Probleme d. mus. Rhythmik u. Metrik, 
Diss. Wien 1927, maschr.; Zs. f. Asthetik u. allgemeine 
Kunstwiss. XXI, 1 927 (mit zahlreichen Beitr. zum Problem- 
kreis d. Rh.) ; G. Becking, Der mus. Rh. als Erkenntnis- 
quelle, Augsburg 1928, Nachdruck Stuttgart 1958; K. G. 
Fellerer, Die Deklamationsrhythmik in d. vokalen Poly- 
phonie d. 16. Jh., Diisseldorf (1928) (hierzu: A. Schering, 
Mus. Organismus oder Deklamationsrhythmik?, ZfMw 
XI, 1928/29); E. Norden, Logos u. Rh., Bin 1928, auch in: 
ders., Kleine Schriften zum klass. Altertum, Bin 1966; O. 
Gombosi, Zur Deutung gewisser rhythmischer Figuren d. 
16. Jh., ZfMw XII, 1929/30; R. Steglich, Die elementare 
Dynamik d. mus. Rh., Lpz. 1930; ders., tJber den Rh. 
Beethovens, Studium Generale III, 1950 ; ders., »Rhythmi- 
scheVerwechslung?«, Mf XII, 1959; P. F. Radcliffe, The 
Relation of Rhythm and Tonality in the 16 th Cent., Proc. 
Mus. Ass. LVH, 1930/31 ; L. Klages, Vom Wesen d. Rh., 
Kampen auf Sylt 1934, Zurich u.Wien 2 1944; E. Lowtnsky, 



Zur Frage d. Deklamationsrhythmik in d. a cappella-Mu- 
sik d. 16. Jh., AMI VII, 1935 ; ders., On Mozart's Rhythm, 
MQ XLI, 1956; G. Flik, Die Morphologie d. Rh., Diss. 
Bin 1936 ; E. Jammers, Die Barockmusik u. ihre Stellung in 
d. Entwicklungsgesch. d. Rh., Fs. M. Bollert, Dresden 
1936; ders., Der gregorianische Rh., StraBburg 1937; 
ders., Rhythmische u. tonale Studien zur Musik d. Antike 
u. d. MA, AfMf VI, 1941 - VIII, 1943 ; ders., Takt u. Mo- 
tiv. Zur neuzeitlichen mus. Rhythmik, AfMw XIX, 1962 - 
XX, 1963 ; G. Langer, Die Rhythmik d. J. S. Bachschen 
Praludien u. Fugen f . d. Org. , Dresden 1937; A. Arnholtz, 
Studier i poetisk og musikalsk rytmik, Kopenhagen 1938; 
E. Schmidt, tJber d. Aufbau rhythmischer Gestalten, 
Munchen 1939 ; H. Chr. Wolff, Das Problem d. Rh. in d. 
neuesten Lit., Arch. f. Sprach- u. Stimmphysiologie IV, 
1941 ; ders., Der Rh. bei J. S. Bach, Bach-Jb. 1940-48; A. 
Einstein, Narrative rhythm in the Madrigal, MQ XXIX, 
1943; E. Wolf, Die Bedeutung v. pu9u6c in d. griech. 
Lit., Diss. Innsbruck 1947, maschr. ; E. A. Leemans, Ryth- 
me et puSu6c, L'Antiquite classique XVII, 1948; Poly- 
phonie II, 1948 (mit mehreren Beitr. zum Rh.) ; G. Brelet, 
Le temps mus., 2 Bde, Paris 1949; Thr. G. Georgiades, 
Der griech. Rh., Hbg 1949; ders., Musik u. Rh. bei d. 
Griechen, rde LXI, Hbg 1958; ders., Sprache als Rh., in: 
Die Sprache, hrsg. v. d. Bayerischen Akad. d. Schonen 
Kiinste, Munchen (1959); Studium Generale II, 1949 (mit 
Beitr. zum Rh. v. W. Heinitz, J. Trier, R. Steglich u. a.) ; J. 
Kunst, Metre, Rhythm and Multipart Music, Leyden 1 950; 
C Alette, Theories of Rhythm, Diss. Rochester (N. Y.) 

1951, maschr. ; L. Schrade, Das Ratsel d. Rh. in d. Musik, 
Melos XVIII, 1951 ; ders., Sulla natura del ritmo barocco, 
RMI LVI, 1954; S. Babitz, A Problem of Rhythm in 
Baroque Music, MQ XXXVIII, 1952; H. Heckmann, W. 
C. Printz u. seine Rhythmuslehre, Diss. Freiburg i. Br. 

1952, maschr.; ders., Influence de la musique instr. du 
XVl e s. sur la rythmique moderne du XVII e s., in: La mu- 
sique instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 
1955; C. Howeler, Het rhythme in vers en muziek, Den 
Haag 1952; ders., Zur internationalen Uniformitat d. Be- 
griffe Metrum u. Rh., Kgr.-Ber. Bamberg 1953; W. Eber- 
hardt, Das Prinzip d. Metrik Beethovens, Diss. Bin (Ost) 

1953, maschr.; C. Sachs, Rhythm and Tempo, NY 1953; 
A. M. Jones, African Rhythm, Africa XXIV, 1954; W. C. 
Waite, The Rhythm of Twelfth-Cent. Polyphony, New 
Haven (Conn.) 1954; E. Willems, Le rythme mus., Paris 
1954; H. Zingerle, Zur Entwicklung d. Rhythmik u. 
Textbehandlung in d. Chanson v. ca. 1470-1530, Innsbruck 
1 954 ; F.-J. Machatius, Uber mensurale u. spielma nnische 
Reduktion, Mf VIII, 1955; I. M. Bruce, A Note on Mo- 
zart's Bar-Rhythms, MR XVII, 1956; M. C. Burton, 
Changing Concepts of Rhythm in Engl. Mus. Writings, 
1500-1740, Diss. Rochester (N. Y.) 1956, maschr.; W. 
Durr, Studien zu Rh. u. Metrum im ital. Madrigal, ins- 
besondere bei L. Marenzio, Diss. Tubingen 1956, maschr. ; 
ders., Zum Verhaltnis v. Wort u. Ton im Rh. d. Cinque- 
cento-Madrigals, AfMw XV, 1958; ders. u. W. Gersten- 
berg, Artikel »Rh., Metrum, Takt«, in : MGG XI, 1963 ; P. 
Fraisse, Les structures rythmiques, Lowen 1 956 ; J. LaRue, 
Harmonic Rhythm in the Beethoven Symphonies, MR 
XVIII, 1957; ders., Harmonic Rhythm as an Indicator of 
Rhythmic Function, Kgr.-Ber. Koln 1958; K. Stockhau- 
sen, .. . wiedieZeitvergeht.. .,dieReiheIII,Wienl957;R. 
L. Crocker, Musica rhythmica and Musica metrica in An- 
tique and Medieval Theory, Journal of Music Theory II, 
1958; C. Dahlhaus, Zur Rhythmik d. Mensuralmusik, 
MuK XXIX, 1958; ders., Probleme d. Rh. in d. Neuen 
Musik, in : ZurTerminologie d. Neuen Musik, Bin 1965; K. 
Hlawiczka, Die rhythmische Verwechslung, Mf XI, 1958; 
Generalthema I. Kategorien d. mus. Rh. in europaischer 
u. auBereuropaischer Musik, Kgr.-Ber. Koln 1958 (darin: 
W. Gerstenberg, Grundfragen d. Rhythmusforschung; M. 
Schneider, Prolegomena zu einer Theorie d. Rh.); M. 
Schneider, Studien zur Rhythmik im »Cancionero de Pa- 
lacio«, in: Miscelanea en homenaje a H. Angles, 2 Bde, 
Barcelona 1958-61 ; S. Hermelink, Rhythmische Struktur 
in d. Musik v. H. Schutz, AfMw XVI, 1959 ; F. Neumann, 
Die Zeitgestalt. Eine Lehre v. mus. Rh. in 2 Bden, Wien 
1959; ders., Die Zeitgestalt als Grundbegriffd. mus. Rhyth- 
mik, Kgr.-Ber. Kassel 1962; N. W. Powell, Rhythmic 
Freedom in the Performance of French Music from 1650 
to 1735, Diss. Stanford (Calif.) 1959, maschr. ; G. W. Coo- 



807 



Ribattuta (di gola) 

per u. L. B. Meyer, The Rhythmic Structure of Music, 
Chicago 1960; S. Goldthwaite, Rhythmic Patterns and 
Formal Symmetry in the 15 th -Cent. Chanson, 2 Bde, Diss. 
Harvard Univ. (Mass.) 1960, maschr.; H. E. Smither, 
Theories of Rhythm in the 19 th and 20'" Cent., With a 
Contribution to the Theory of Rhythm for the Study 
of 20 tll -Cent. Music, Diss. Cornell Univ. (N. Y.) 1960, 
maschr. ; I. Benotsson, On Relationship Between Tonal 
and Rhythmic Structure inWestern Multipart Music, STMf 
XLIII, 1961 ; F. Klugmann, Die Kategorie d. Zeit in d. 
Musik, Diss. Bonn 1961; M. L. Perkins, Changing Con- 
cepts of Rhythm in the Romantic Era, Diss. Univ. of 
Southern California 1961 ; J. Rayburn, Gregorian Chant 
Rhythm. A Hist, of the Controversy Concerning Its Inter- 
pretation, NY 1961 ; Werner Durr, Untersuchungen zur 
poetischen u. mus. Metrik, Diss. Tubingen 1962; E. Kar- 
koschka, Zur rhythmischen Struktur in d. Musik v. heute, 
Kgr.-Ber. Kassel 1962; B. Kippenberg, Der Rh. im Min- 
nesang. Eine Kritik d. literar- u. musikhist. Forschung, 
= Munchener Texte u. Untersuchungen zur deutschen 
Lit. d. MA III, Munchen 1962; M. Rotharmel, Der mus. 
Zeitbegriff seit M. Hauptmann, = Kolner Beitr. zur Mu- 
sikforschung XXV, Regensburg 1963 ; K. v. Fischer, Das 
Zeitproblem in d. Musik, in: Das Zeitproblem im 20. Jh., 
hrsg. v. R. W. Meyer, Bern u. Munchen (1964); Sh. Davis, 
Harmonic Rhythm in the Mozart's Sonata Form, MR 
XXVII, 1966; A. Feil, Studien zu Schuberts Rhythmik, 
Munchen 1966. FZa 

Ribattuta (di gola) (ital.), Zuriickschlag (der Kehle), 
eine urspriinglich italienische Gesangsmanier, die in ei- 
nem trillerartigen Wechsel zwischen einer Note und 
ihrer oberen Nebennote mit un- Q — 

gleichemRhythmusbesteht(Bei- (ft » T' pT =p^ 
spiel aus G. Caccini, Le nuove mu- v 
siche, 1601). J. A.Herbst beschreibt (Musica Practica, 
1642) verschiedene Formen der R. di g., darunter eine 
R. di g. doppia und eine Esclamatione con R. di g., 
wobei in alien Fallen das Tempo der Wechselschlage 
zunehmend beschleunigt werden kann: 
R. di gola 



R. di gola doppia 



«U. JJ.JJ II I V I J= = 



Im 18. Jh. wird die R. di g. als Spielmanier mit der ein- 
fachen Bezeichnung R. auch fiir Streich- und Tasten- 
instrumente iibernommen. Mattheson (Capellm.) f iihrt 
sie in Verbindung mit ei- * Tenuta 
ner Tenuta zur Einleitung 
eines langen Trillers an: 
R. 



In der gleichen Art wird sie in den Lehrbuchern von 
G.Tartini, C.Ph.E.Bach, L.Mozart und D.G.Turk 
aufgefiihrt, haufig zur Einleitung eines Trillers einer 
SchluBkadenz, auf der unteren Nebennote beginnend. 



jrPciE/fflf ^ 



Bach Versuch, Tabelle IV, Figur XXXVII. 

Ricercar (ritjerk'a : r, ital., auch recerc[h]ar, ricercata, 
von ricercare, suchen, ausfindigmachen; frz. recherche; 
span, recercada, auch ->• tiento), eine der altesten selb- 
standigen Arten von Instrumcntalstiicken, belegt zu- 
nachst als Lauten-R. seit 1507 (Fr. Spinaccino, in: Inta- 
bulatura de lauto I von Petrucci). In der Friihzeit meint 
R. das Einstimmen des (Lauten-)Instruments, namlich 
das praeambelartige »Aufsuchen« und Uberpriifen der 
Saitenstimmung und damit - im Sinne von Intonation - 



das Anstimmen (»Aufsuchen«) der Tonart eines folgen- 
den Stuckes. Auf urspriingliches Stegreifspiel des R.s 
weist Sp. Speroni (1500-88) hin: R. nenne man gewohn- 
lich freie Tonfolgen (sworn licenziosi), die nach Belieben 
der Spieler ohne irgendwelche Kunstregeln (senza arte al- 
cuna) gemacht werden. B. Segni vergleicht 1549 dasR. in 
der Musik mit dem Probmium einer Rede und dem Pro- 
log in der Poesie. V. Galilei berichtet 1 581 : »Zuerst mach- 
te er ein schemes R. mit den Fingern (unabellaR icercata con 
le dita) und begann daraufhin zu singen.« Entsprechend 
dem urspriinglichen Wortsinn sowie der Auf gabe des 
Intonierens und der Technik des Lautenspiels bestand 
das friihe R. aus Laufwerk und Akkordgriffen, gleich- 
sam improvisatorisch gebildet, und erscheint als R. del 
. . . tono, R. sopra li toni meist nach Tonarten geord- 
net, so die Lauten-R.e von J.A.Dalza 1508, Fr.Bossi- 
nensis 1509, Fr. da Milano 1536 und V. Galilei 1563 und 
1568. Das Orgel-R. begegnet zuerst 1523 bei M. A. Ca- 
vazzoni. Erst gegen Mitte des 16. Jh. und vorwiegend 
in der Orgelmusik (G.Cavazzoni 1542) und fiir En- 
semblespiel wurde die Kompositionsart der abschnitts- 
weise durchimitierenden Motette vom R. aufgegriffen, 
das nun als Imitations-R. erscheint, in der Regel in 
Stimmbuchern (nach 1600 auch in Partitur) gedruckt, 
so die R.e in Sammlungen von J.Buus 1547 und 1549, 
A.Willaert 1551, A.Padovano 1556, Cl.Merulo seit 
1567, A. und G.Gabrieli 1589 und 1595, Frescobaldi 
1626 und 1645, H.L.HaBler, Chr.Erbach u. a. Dabei 
wahrte das R. seine Bedeutung als Intonation (Vorspiel 
in bestimmter Tonart) und entwickelte sich - indem es 
oft nur ein Soggetto (auch in VergroBerung und Ver- 
kleinerung) durchfuhrt - zu einer Vorform der Fuge 
(die Bezeichnungen R. und Fuga waren eine Zeitlang 
gleichbedeutend), ohne jedoch die fiir die Fuge charak- 
teristischen Zwischenspiele auszubilden. Die am imi- 
tierenden R. orientierte Definition deutet R. als »Suchen 
der Motive«, so Praetorius (Synt. Ill, 1619), der R. und 
Fuge gleichsetzt und als Praeludium klassifiziert. Ne- 
ben dieser Umdeutung blieb der ursprungliche Sinn 
von R. als frei gestaltete Intonation bis ins 18. Jh. erhal- 
ten, so bei Brossard 1703, Walther 1732 (Ricercar' uno 
stromento . . . ein Instrument . . . versuchen, obs gestimmt 
sey), Rousseau 1768. Charakteristisch fiir das Fugen-R., 
namentlich von Froberger, Kerll, Pachelbel und Bux- 
tehude, wurde die besonders kunstvolle und dichte 
kontrapunktisch-thematische Arbeit. In diesem Sinne 
uberschrieb Bach sein Musicalisches Opfer (1742), dessen 
6st. R. in jeder Beziehung den Hohepunkt in der Ge- 
schichte des R.s darstellt, insgesamt mit einem Akrosti- 
chon auf RICERCAR: Regis Jussu Cantio Et Reliqua 

Canonica Arte Resoluta (»Das vom Konig aufgetrage- 

ne Thema und einiges mehr auf canonische Art ausge- 
f iihrt «). Dementsprechend beschrieb dann auch H. Chr. 
Koch 1802, als freilich das an die Zeit der kontrapunk- 
tischen Polyphonie gebundene R. nicht mehr lebendig 
war, dieses als Kunstfuge, d. h. als strenge Fuge, die mit 
verschiedenen ungewohnlichern und kiinstlichen Nachah- 
mungen vermischt wird. - Die Bedeutung von R. als 
Stuck fiir ein Soloinstrument (G. Bassano 1585, Violon- 
cell-R.e von G. degli Antoni um 1690 und D. Gabrielli 
1689) sowie als Obungsstiick griindet im urspriingli- 
chen Sinnbezirk des Terminus. Schon bei S . Ganassi (Re- 
gola Rubertina, 1542/43) stellen die R.e Ubungsstucke 
fiir das Viola da gamba-Spiel dar. Auch D. Ortiz hatte 
in seinem Tratado deglosas 1553 die Bezeichnung auf die 
solistische Stimme bezogen (la Recercada que tanera el 
Violori) und bei den ersten 4 R.en fiir Violone solo deren 
Ubungscharakter betont (para exercitar la mano). - Er- 
wahnenswert in neuerer Zeit sind R.e u. a. von G. Fr. 
Malipiero 1925/26, Tre Ricercari fiir Kammerorchester 



Ripieno 



von B.Martinu 1938, die R.e in Strawinskys Cantata 
(1951/52, 2. und 4. Teil) sowie von A. Webern die ge- 
niale Instrumenticrung von Bachs 6st. R., welche des- 
sen Struktur durch Klangfarben zu verdeutlichen sucht. 
Lit.: BrossardD; WaltherL; KochL, Artikel Fuge; H. 
Opiensky, Quelques considerations sur Porigine des r. pour 
luth, in : Publications de la Soc. f re. de musicologie II, 3/4, 
Paris 1933 ; Kn. Jeppesen, Die ital. Orgelmusik am Anfang 
d. Cinquecento, Kopenhagcn 1943, in 2 Bden 2 1960; G. 
Sutherland, The Ricercari of J. Buus, MQ XXXI, 1945; 
W. Apel, The Early Development of the Organ R., MD 
III, 1949; H. H. Eogebrecht, Terminus »R.«, AfMw IX, 
1952; ders., Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d. 
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, 
Jg. 1955 , Nr 10, S. 97f. ; F. Torrefranca, Origine e signifi- 
cato di Repicco, Partita, R., Sprezzatura, Kgr.-Ber. Ut- 
recht 1952; I. Horsley, The Solo R. in Diminution Manu- 
als : New Light on Early Wind and String Techniques, AMI 
XXXIII, 1961 ; H. C. Sum, The Keyboard R. and Fantasia 
in Italy, ca. 1500-1550, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1961, 
maschr. ; R. S. Douglass, The Keyboard R. in the Baroque 
Era, Diss. North Texas State Univ. 1963, maschr. HHE 

Richtungshoren. Die biologisch wichtigste Aufgabe 
des Hororgans besteht darin, Objekte und Vorgange 
im Lebensraum anhand der von ihnen ausgesandten 
Schallschwingungen nach Richtung und Entf ernung zu 
identifizieren. Es dient urspriinglich der Orientierung 
sowie der Identifikation von Gefahren und Feinden. 
Derartige Funktionen ha ben beim Menschen zwar nur 
noch untergeordnete Bedeutung, da er sich vornehm- 
lich mit den Augen orientiert; trotzdem ist die Fahig- 
keit der Richtungslokalisation iiber das Ohr auBeror- 
dentlich fein ausgebildet. Es bedarf nur geringer Ab- 
weichungen des Zeitpunktes (->■ Laufzeitunterschied) 
oder der Intensitat der an beiden Ohren eintreffenden 
Schallsignale, die mit der Schallrichtung korrespondie- 
ren ; schon eine Verschiebung des Richtungswinkels um 
3° von der Medianebene wird infolge des Laufzeitun- 
terschieds von ca. ^30000 sec a ' s Richtungsanderung 
festgestellt. Entsprechend fiihren auch kleine Intensi- 
tatsabweichungen der Schallsignale an beiden Ohren 
zu einer Veranderung des Richtungseindruckes. Hierzu 
tragt vor allem die Tatsache bei, daB der Kopf fiir das 
der Schallrichtung abgewandte Ohr - vor allem in 
hohen Frequenzbereichen, deren Wellenlangen klein 
gegeniiber dem Kopfdurchmesser sind - einen »Schall- 
schatten« wirft. Im normalen Horvorgang wirken zu- 
meist beide Bedingungen zusammen; in dem der Schall- 
richtung zugewandten Ohr trifft der Schall sowohl 
friiher als auch mit groBerer Intensitat ein. Der daraus 
resultierende UberschuB an Richtungsinformation er- 
hoht die Sicherheit gegeniiber Irrtumern. Im allgemei- 
nen werden nicht alle diskreten Schallquellen zugleich 
bewuBt identifiziert; vielmehr wird die Gesamtheit der 
einzelnenRichtungs-undEntfernungsinformationenim 
Zusammenhang mit denjenigen von anderen Sinnesge- 
bieten zu einem allgemeinen raumlichen BewuBtsein 
integriert. Dieser Eindruck kann mittels stereophoni- 
scher Wiedergabetechnik (-> Stereophonie) unter Aus- 
nutzung wenigstens einer der beiden Lokalisationsar- 
ten der Schallrichtung reproduziert und fiir qualifizier- 
te Musikwiedergabe ausgenutzt werden; man unter- 
scheidet demgemaB normale Laufzeit- und Intensitats- 
stereophonie (AB- bzw. XY-Stereophonie). 
Lit.: Lord Rayleigh, On Our Perception of Sound Direc- 
tion, Philosophical Magazine XIII, 1907; E. M. v. Horn- 
bostel, Physiologische Akustik, in: Jahresber. iiber d. ge- 
samte Physiologie ... I, 1920 u. Ill, 1922; ders. u. M. 
Wertheimer, Uber d. Wahrnehmung d. Schallrichtung, 
Sb. Bin 1920, S. 388ff.; G. v. Bekesy, Uber d. R. bei einer 
Zeitdifferenz oder Lautstarkeungleichheit d. beiderseitigen 
Schalleinwirkungen, Physikalische Zs. XXXI, 1930; L. J. 
Sivian u. S. D. White, On Minimum Audible Sound Fields, 



JASA IV, 1 933 ; St. Sm. Stevens u. H. Davies, Hearing, Its 
Psychology and Physiology, NY 1938,51960;O.F. Ranke, 
Physiologie d. Gehors, in: Lehrbuch d. Physiologie, hrsg. v. 
W. Trendelenburg u. E. Schultz, Bin, Gottingen u. Heidel- 
berg 1953; P. R. Hofstatter, Psychologie, = Das Fischer 
Lexikon VI, Ffm. (1957) ; H. -P. Reinecke, Stereo-Akustik, 
Koln 1966. 

ricochet (rikaj'e, frz.) -» sautille. 

Riff (aif , engl.), Art des -»•■ Background im Jazz: eine 
rhythmisch und melodisch markante, 2- oder 4taktige 
Wendung wird iiber den Harmonien des ->■ Chorus 
auf verschiedene Stufen versetzt und von der Blaser- 
und Rhythmusgruppe iiber ganze Abschnitte hin - oft 
als Antwortspiel oder Gegenpart zum Solo - unablassig 
wiederholt. Die R.s entstanden aus der ->■ Stop time- 
Technik des f riihen Jazz (nicht zu verwechseln mit der 
->■ Stomp-Technik) und spielten schon im New-Or- 
leans-Jazz (Morton) eine Rolle. Sie wurden aber erst 
seit dem ->■ Kansas-City-Jazz in der Swing-Ara immer 
wichtiger als strukturbildendes Steigerungsmittel am 
SchluB von Stiicken der Big bands (Henderson, Basie, 
Ellington, Goodman), haufig sogar als Grundlage des 
-*■ Arrangements. 

Riga. 

Lit. : M. Rudolph, R.er Theater- u. Tonkiinstler-Lexikon 
. . , , R. 1 889ff. ; N. Busch, Zur Gesch. d. R.er Musiklebens 
im 17. Jh., Sb. d. Ges. f. Gesch. u. Altertumskunde . . . aus 
d. Jahre 1910; C. J. Perl, Drei Musiker d. 17. Jh. in R. (J. 
Lotichius, D. Kahde u. C. Springer), ZfMw I, 1918/19; B. 
Hollander, Die R.er Liedertafel 1833-1933, R. 1933; D. 
Reimers, Gesch. d. R.er deutschen Theaters v. 1782 bis 
1822, Posen 1942. 

Rigaudon (rigod'5, frz.), auch Rigodon, ein seit dem 
17. Jh. bekannter, noch im 19. Jh. getanzter Tanz, wohl 
provenzalischen Ursprungs. Seine Kennzeichen sind: 
Allabrevetakt mit Auftakt, rasche Bewegung, Folge 
von meist drei 8taktigen Reprisen, von denen die dritte, 
auch Trio genannt, im Charakter absticht und nach 
Mattheson (Kern melodischer Wissenschaft . . . , 1737) in 
tieferer Lage gehalten sein muB, damit die wiederhol- 
ten ersten Reprisen sich desto frischer abheben. Der 
friiheste musikalische Beleg fiir den R. findet sich bei 
H.Purcell in dem von H.Playford herausgegebenen 
Second Part of Mustek's Hand-maid (London 1689). Der 
R. fand Eingang in das Ballett (Delalande, Campra, 
J.-Ph.Rameau) und in die Suite (Georg und Gottlieb 
Mufiat, J. C.F.Fischer). 




J. C. F. Fischer, Musicalischer Parnassus, 
Augsburg (1738). 
In der Kunstmusik der neueren Zeit verwendete ihn 
u. a. Ravel in Le tombeau de Couperin (1917). 

rinforza (ital.), Verstarkung; Corni di r. sind in vor- 
klassischen Symphonien Horner, die nur zur Verstar- 
kung (ad libitum) eingesetzt sind. 

rinforzando (ital., verstarkend; Abk. : rf, rfz, rinf.), 
ein energisches Crescendo auf einem Ton oder einer 
kurzen Tonfolge (schon 1742 bei L.Leo); rinforzato 
(ital., verstarkt; vgl. Beethoven, op. 53, 2. Satz) fordert 
plotzliches Hervortreten (Beethoven, op. 95, 2. Satz) ; 
bei Einzeltonen gleichbedeutend mit -> sforzato. 

Ripieno (ripi'e:no, ital., voll; Abk.: rip., im 17./18. 
Jh. auch R.), Ripienstimme, bezeichnet im Gegensatz 
zursolistischen (-»■ Solo), obligatenundkonzertierenden 

809 



Ripresa 



Stimme die vielfach besetzten Stimmen eines Chores 
oder die Hauptstimmen (Streicherchor) im Orchester; 
ferner die Stimmen, die jene Hauptstimmen nur im 
-»• Tutti verstarken (so auch der -»■ Basso r.), sowie die 
bloB zur Verstarkung dienenden ->■ Fiillstimmen. Uber 
die Anforderungen an einen Ripienisten (im 18. Jh. auch 
Akkompagnist, heute Tuttigeiger, -violoncellist usw. 
genannt) handeln u. a. : Quantz 1752, XVII. Haupt- 
stiick; Reichardt, Ueber die Pflichten des Ripien-Violoni- 
sten, Berlin und Leipzig 1776; KochL. - Als Orgelre- 
gistrierung bezeichnet R. den gesamten Prinzipalchor, 
das -> Organo pleno ; mezzo r. registriert ihn auswahl- 
weise, unter Hinzunahme auch einer Flote 8' (Flauto). 

Ripresa (ital., Wiederholung), - 1) das "Wiederho- 
lungszeichen (->■ Reprise); - 2) Bezeichnung fiir den 
->- Refrain in italienischen Gesangsformen; - 3) in der 
Bassa danza (-> Basse danse) des 15. und 16. Jh. Be- 
zeichnung fiir einen Doppelschritt zogernden Charak- 
ters, der in der Regel seitwarts, mitunter auch vor- 
warts, ruckwarts oder im Kreise getanzt wurde. Im 
franzosisch-burgundischen Schrittrepertoire entspricht 
der R. die Demarche. Wahrend diese jedoch nur unge- 
radzahlig, also ein- oder dreimal hintereinander ausge- 
f iihrt wurde, waren in der Bassa danza auch Folgen von 
2 oder 4 Ripresen nicht selten. - 4) gleichbedeutend 
mit frz. reprise bzw. recoupe, Bezeichnung fiir den 
Mittelteil (choreographisch : retour) der Bassa danza 
(Basse danse), auf den die Wiederholung des Haupttan- 
zes und der Nachtanz folgen (Ablauf : Haupttanz-R.- 
Haupttanz-Nachtanz). Bei Attaingnant noch durch 
Ummensurierung des Haupttanzes gebildet, ist die R. 
bei Susato bereits mit eigener, sich motivisch jedoch 
meist noch an den Haupttanz anlehnender Musik ver- 
sehen. Dieses nunmehr musikalisch selbstandige Tanz- 
sttick neben Haupt- und Nachtanz wurde wie diese seit 
dem spateren 16. Jh. ebenf alls variiert und konnte auch 
aus dem urspriinglichen Satzzusammenhang gelost und 
z. B. als SchluBsatz einer Tanzfolge verwendet werden 
(so bei Waisselius 1573: Passamezzo-Padoana-Salta- 
rello-Represe). 

Lit. : zu 3) : I. Brainard, Die Choreographie d. Hoftanze 
in Burgund, Frankreich u. Italien im 15. Jh., Diss. Gottin- 
gen 1956, maschr. - zu 4) : T. Norlind, Zur Gesch. d. Suite, 
SIMG VII, 1905/06; Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. 
Orchestersuiteiml5.u. 16.Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, 
Lpz. 1925. 

Risposta (ital., Antwort), - 1) die nachfolgende Stim- 
me im Kanon sowie das Thema einer Fuge in der Ge- 
stalt seiner ->■ Beantwortung; Gegensatz von -> Pro- 
posta; - 2) die Antwort in den Rollendialogen italieni- 
scher Madrigale des 16. Jh. 

Lit. : zu 2) : Th. Kroyer, Dialog u. Echo in d. alten Chor- 
musik, JbP XVI, 1909. 

ritardando (ital., verzogemd; die Abk. rit. kann irr- 
tiimlich als -> ritenuto gelesen werden), fordert eine 
allmahliche Verlangsamung des Tempos (ahnlich wie 
-»■ rallentando), im Gegensatz zu accelerando und 
stringendo. 

ritenuto (ital., zuriickgehalten; Abk.: rit.) fordert ein 
Zurucknehmen des Tempos, meist nur fiir wenige 
Takte, jedoch keine allmahliche Verlangsamung wie 
-> ritardando. Wegen der Gleichheit der Abkiirzungen 
werden r. und ritardando zuweilen verwechselt. Bei 
Beethoven kommt vereinzelt ritenente (ital., s. v. w. 
zuruckhaltend, zogernd) vor. 

Ritornell (von ital. ritornello, Wiederkehr; engl. ri- 
tornel; frz. ritournelle), - 1) Im italienischen -> Madri- 
gal des Trecentos ist das R. ein von den Strophen (co- 
pulae, Sonderform: terzetti) metrisch und musikalisch 

810 



unterschiedener Abschnitt aus 1-3 Versen. Es steht nach 
jeder Strophe oder als SchluB-R. nur am Ende des Ma- 
drigals, kann aber auch ganz fehlen. - Friihe italieni- 
sche Volkspoesie und Volkslieder mit dreizeiliger (he- 
terometrischer) Strophe, deren erster und dritter Vers 
sich reimen, werden ebenfalls R. (auch stornelli) ge- 
nannt. - 2) Im 17. und friihen 18. Jh. bezeichnet R. die 
mehrfach wiederkehrenden kurzen Instrumentalsatze, 
die als Einleitungen, Zwischen- und Nachspiele vokal- 
gebundene Musik gliedern und umrahmen. Friihe Bei- 
spiele bieten die Scherzi musicali (1607) von Montever- 
di. Die Art der Verwendung von R.en ist vielfaltig. So 
stellt Monteverdi seiner Canzonetta Amor the deggiofar 
(VII. Madrigalbuch, 1619), ahnlich wie Schiitz seinem 
Madrigal Liebster, sagt in siifiem Schmerzen, die 3 Einzel- 
R.e geschlossen voran und f iigt sie dann den Vokalpar- 
tien gliedernd ein. Ein Doppel-R. verwendet Schiitz in 
seinem concertierenden Madrigal Tugend ist der beste 
Freund. R.e sind im 17./18. Jh. wichtiger Bestandteil des 
Madrigals, der weltlichen und geistlichen Kantate (so 
bei Weckmann, Rosenmuller, Buxtehude, J.Ph.Krie- 
ger, J.S.Bach), der Aria, des deutschen Strophenliedes 
(H.Albert, A.Krieger, J.Pezel), wobei eine themati- 
sche Beziehung zwischen R. und folgendem Vokalteil 
angestrebt wird. Auch in der Oper dieser Zeit werden 
R.e als instrumentale Zwischenspiele verwendet; in der 
friihen Oper sind sie neben der Sinfonie die einzigen 
Instrumentalstiicke. Eine begriffliche Scheidung zwi- 
schen Sinfonia und R., wie sie z. B. in Monteverdis 
Orfeo (1607) gegeben ist, verliert sich schon im Spat- 
werk Monteverdis. Die synonyme Verwendung von 
Passacaglio und R. ist durch G. Montesardo (Nuova in- 
ventione d'intavolatura . . ., Florenz 1606) belegt: le pas- 
sacaglie cosl chiamati a lingua Spagniola; overo r.i in lingua 
nostra. Instrumentale Zwischenspiele im Sinne des R.s 
wurden in der friihen Oper oft durch den bloBen Ver- 
merk Passacaglie gefordert. - Im Instrumentalkonzert 
(-» Concerto grosso, -*■ Konzert - 1) des 18. Jh. werden 
die Tuttiabschnitte als R.e bezeichnet. - 3) Im heuti- 
gen italienischen Sprachgebrauch bedeutet R. s. v. w. 
->- Refrain. 

Lit. : Praetorius Synt. Ill ; H. Schuchardj, R. u. Terzine, 
Halle 1 875 ; E. Zeim, Sinfonia u. R.o als Intermedien in d. 
Kirchenmusik d. 1. Halfte d. 17. Jh., Diss. Halle 1950, 
maschr.; W. Apel, Anent a ritornello in Monteverdi's 
Orfeo, MD V, 1 95 1 ; A. Durr, Studien uber d. friihen Kan- 
taten J. S. Bachs, Lpz. 1951 ; W. Osthoff, Das dramatische 
Spatwerk Monteverdis, = Munchner Veroff. zur Mg. Ill, 
Tutzing 1960. 

Rituale (lat.; altere Namen: Obsequiale, Manuale, 
Sacerdotale, Agenda), liturgisches Buch der katholi- 
schen Kirche, das neben wenigen Teilen aus dem Of- 
fizium die nicht im -> Missale oder -> Brevier aufge- 
zeichneten gottesdienstlichen Handlungen enthalt : Sa- 
kramentenspendung,Prozessionen,Segnungen,->-Exe- 
quien u. a. Es erschien erstmals 1614 auf der Grundlage 
privater Vorarbeiten (letzteEditio typica 1952). Das R. 
ist fiir den einfachen Priester bestimmt, wahrend der 
Bischof das -> Pontificale verwendet. An einstimmi- 
gen liturgischen Stiicken finden sich im R. aufier Anti- 
phonen und Psalmen zu Segnungen vor allem die Ge- 
sange fiir das Totenoffizium und den Beerdigungsritus 
sowie Prozessionsgesange und Litaneien. Anstelle des 
nie allgemein verbindlich vorgeschriebenen R. Ro- 
manum gelten vielerorts Diozesanritualien oder Ri- 
tualien fiir ein ganzes Sprachgebiet. 
Ausg. : Collectio Rituum . . . pro omnibus Germaniae 
Dioecesibus I, Regensburg 1950. 

riverso (ital., gewendet), Anweisung zur Ausfiihrung 
im -> Krebsgang, meist verbunden mit melodischer 
Umkehrung. 



Romische Musik 



Rivolgimento (rivold3im'ento, ital. Umwendung), 
die Vertauschung, gegebenenfalls auch Versetzung der 
Stimmen im doppelten -> Kontrapunkt. 

Rivolto (ital.), -»■ Umkehrung von Intervallen, Ak- 
korden oder Themen. 

Rock and Roll (iok send io:l, engl.), auch Rock 'n' 
Roll, ->- Rhythm and blues. 

Rohrenglocken (engl. tubular bells oder chimes; frz. 
cloches tubulaires, cloches a tubes; ital. campane tubo- 
lari) sind die im Orchester verwendeten Instrumente 
zur Erzeugung des Glockenklangs. Neben den eigent- 
lichen R. (Stahlrohren bis zu 3 m Lange, 1-2 cm) 
sind auch frei an Schniiren hangende schmale Stahl- 
platten oder bis zu 3 m lange Stahlstabe als Glocken- 
surrogate in Gebrauch. Stahlstabe (tiefer Glockenklang) 
und R. (hoch) sind in einem Rahmengestell hangend 
befestigt; der Anschlag erfolgt mit einem Holz- oder 
Gummikopfschlagel, die Abdampfung durch eine Pe- 
dalvorrichtung. Der Tonraum der im Orchester ge- 
brauchlichen R. liegt zwischen iC und f2 Die gefor- 
derten Tone werden sowohl 1 Oktave tiefer als auch 
nach ihrem realen Klang notiert. - Im Orchester ist die 
Verwendung von echten Glocken erstmals in N.Da- 
layracs Oper Camille ou le souterrain (1791) nachweis- 
bar; danach wurden sie, ebenfalls fiir szenische Eff ekte, 
auch gefordert z. B. von Cherubini in seiner Oper 
Eliza (1794), von Meyerbeer in Les Huguenots (1836). 
Der im Opernorchester des 19. Jh. haufig verlangte 
Klangeffekt echter Glocken wird heute ausschlieBlich 
durch (Glocken-) Stabe oder R. erzielt. In R.Wagners 
Parsifal (1. und 3. Akt) findet sich die charakteristische 
Verwendung des Glockenklangs in der Klangfolge 
c G A E (klangreal notiert) ; weitere Beispiele : G. Mah- 
ler, 2. Symphonie (1894); Mussorgskij-Ravel, »Bilder 
einer Ausstellung« (1922); E.Varese, Ionisation (1933), 
O.Messiaen, Oiseaux exotiques (1956). 

Romische Musik. Trotz des volligen Fehlens von Me- 
lodieaufzeichnungen erweisen Literaturzeugnisse und 
Bilddokumente die (vor den Forschungen des 20. Jh. 
zumeist unterschatzte) Bedeutung der Musik in den 
verschiedensten Bereichen des romischen Lebens, sei es 
als Umgangsmusik mit Bindung an Kult, Brauch, Mi- 
litar, sei es als Darbietungsmusik im Theater, bei Tanz 
und Unterhaltung. Das Instrumentarium laBt Weiter- 
bildung etruskischer, griechischer und orientalischer 
Vorbilder erkennen unter Vorliebe fiir farbige Klang- 
wirkungen: Vermehrung der Saitenzahl bei Lyra und 
Kithara, Stimmringe an der Tibia, Bevorzugung von 
Trompeten und Schlaginstrumenten, Zusammenspiel 
von Tibiablasern und Kitharisten. Im Musikschrifttum 
werden Akustik und Tonartenlehre der Griechen re- 
zipiert; bedeutsam erscheinen die Nutzbarmachung der 
Theorie fiir andere Wissensgebiete und deren Einglie- 
derung in das System der Allgemeinbildung. - In der 
sagenhaften Konigszeit verwendete die Priesterschaft 
rhythmisch gegliederte Gesange und geweihte Instru- 
mente zu sakralen Handlungen. Mit den Brauchen 
wurden archaische Carmina von Priesterkollegien jahr- 
hundertelang iiberliefert, so die Wechselgesange der 
Salier zum Waffenumzug und der Arvalbriider zum 
Flurumgang. Auch manche Formen volkstiimlichen 
Singens zu Arbeit, Fest und Brauchtum, Klage-, Scherz- 
und Spottlieder sind friih belegt. Wohl nach Griindung 
der romischen Republik (510 v. Chr.) wurden von den 
Etruskern die aus Metall gearbeiteten Blasinstrumente 
-»■ Tuba (- 1), -*• Lituus und -> Cornu fiir militarische 
Signale iibernommen, dazu gesellten sich die zuvor als 
Hirteninstrumente gebrauchliche -> Syrinx und -*- Bu- 
cina. Zweimal in jedem Friihjahr wurde die Reinigung 



der kultischen Trompeten f estlich begangen. Der Rang 
eines Nationalinstrumentes kam der -*■ Tibia (- 1) zu. 
Standen die Militarmusiker gleich den Fahnen- und 
Standartentragern im Unteroffiziersrang, so schlossen 
sich die Tibiablaser zu einem Collegium zusammen und 
feierten ein karnevalsartiges Zunftfest. Die Darbietung 
pantomimischer Spiele (mit Tibiabegleitung) durch 
etruskische Tanzer 364 v. Chr. in Rom f iihrte zu Nach- 
bildungen der Romer und zur Organisation eines Stan- 
des professioneller Buhnenkiinstler (histriones). - Seit 
der Ausbreitung der romischen Macht im Mittelmeer- 
raum (3.-2. Jh. v. Chr.) begann die Hellenisierung des 
romischen Musiklebens, zunachst die Aufnahme helle- 
nistischer Theater- und Unterhaltungsmusik, und da- 
mit die Losung der Darbietungsmusik von der traditio- 
nellen Umgangsmusik. Der griechische Frcigelassene 
Livius Andronicus fiihrte 240 v. Chr. griechische Dra- 
men in lateinischer Bearbeitung auf ; er betatigte sich 
auch als Dichterkomponist und Leiter kultischer Chor- 
lieder. Nach griechischen Vorlagen schuf Plautus (254- 
184 v. Chr.) derb-drastische romische Komodien, in 
denen er die gesprochenen Dialoge zu Cantica umbil- 
dete; mit der Komposition der Biihnenmusik waren Ti- 
biablaser aus dem Sklavenstand beauftragt. Seit derEin- 
f uhrungder Mysteriender Kybele und des Bacchus drang 
orgiastische Musik ein: Blasinstrumente im Verband 
mit den Schlaginstrumenten ->• Tympanum (- 1), Cym- 
bala (-> Kymbala) und Crotala (-> Krotala) dienten zur 
Begleitung der Reinigungszeremonien. Nach der Un- 
terwerfung Makedoniens und der Zerstorung Korinths 
(146 v. Chr.) begann eine Invasion griechischer und 
orientalischer Musiker. Zum Luxus der besitzenden 
Klasse gehorten nun Hauskonzerte und Tafelmusiken, 
aufgefiihrt durch Sklaventruppen und Berufsmusiker. 
Die ersten Belege der sangbaren lateinischen Lyrik nach 
hellenistischem Vorbild gingen verloren, ausgenom- 
men das Werk des Catull (87-54 v. Chr.). Von den 
Dichtungen der augusteischen Epoche sind fiir den Ge- 
sangsvortrag bestimmt die Bucolica und Partien aus der 
Aeneis des Vergil, aber auch die Oden des Horaz, vor 
allem sein zur Jahrhundertfeier 17 v. Chr. verfafkes und 
einstudiertes Carmen saeculare in strophischem Wech- 
selgesang fiir Knaben- und Madchenchor. - Allmahlich 
verbreiteten sich neben Gesangs- und Instrumentalun- 
terricht musiktheoretische Kenntnisse als Teil romi- 
scher Allgemeinbildung. Der Polyhistor M.Terentius 
Varro (116-27 v. Chr.) behandelte in einer verlorenen 
und nur teilweise rekonstruierbaren Schrift iiber die 
Disciplinae auch die Musik im Zusammenhang mit den 
anderen Artes liberales, den Zahl- und Sprachwissen- 
schaften. Empfahl sein Zeitgenosse Cicero Musikbil- 
dung fiir den Redner, so beschaftigte sich die Folgezeit 
mit der Anwendung der Musiktheorie auf die verschie- 
densten Fachwissenschaften, Rhetorik (Quintilianus), 
Architektur (Vitruvius), Kriegstechnik, Astrologie und 
Medizin. - In der Kaiserzeit und Spatantike, dem Halb- 
jahrtausend von der Errichtung des Prinzipats bis zum 
Untergang des westromischen Reiches (30 v. Chr. - 476 
n. Chr.), traten neben die traditionelle Volks-, Kult- 
und Militarmusik heterogene Nationalmusiken ; der 
Import auslandischer Tanz-, Unterhaltungs- und Buh- 
nenkiinstler aus den Provinzen wuchs standig. An die 
Stelle der Tragodie trat die -*■ Pantomime mit den 22 
v. Chr. eingefiihrten Neuerungen: den Einzelsanger 
verdrangte Chorgesang, den Tibiablaser unterstiitzte 
ein Instrumentalapparat von Syringen, Becken, Kitha- 
ren und Lyren, wozu die FuBklapper (-> Scabillum) 
den Takt schlug. Auch im Mimus, der realistisch-bur- 
lesken Darstellung des Alltagslebens, erganzten Tanz- 
und Gesangseinlagen unter Begleitung von Schlagin- 
strumenten die improvisierte Handlung. Zur Unterma- 



811 



Romische Schule 



lung der Gladiatorenkampfe im Amphitheater wurde 
neben Metallblasinstrumenten gern die -> Hydraulis 
verwendet, die man auch fur andere off entliche Anlasse 
schatzte. Mit den perfektionierten Leistungen der Be- 
rufskiinstler wetteiferten Dilettanten aus verschieden- 
sten Gesellschaf tsschichten ; auch Kaiser suchten als Vir- 
tuosen zu brillieren, keiner so auffallig wie Nero. Die 
aus den unterworfenen Landern in Rom zusammen- 
stromenden Musiker erfreuten sich trotz rechtlicher 
Ehrlosigkeit, Kritik einzelner Intellektueller und Ver- 
urteilung durch die Kirchenlehrer einer fast uneinge- 
schrankten Publikumsgunst. Romische Mimen und 
Histrionen iiberdauerten den Untergang des Reiches. In 
Volkstraditionen und im christlichen ->• Hymnus (- 1) 
lebten Reste der heidnischen Musik nach. - Die spat- 
antiken lateinischen Fachschriftsteller tradierten und 
systematisierten die griechische Musiktheorie, unter 
Vorrang mathematisch spekulativer Betrachtungswei- 
se und zunehmender Entfremdung von der zeitgenos- 
sischen Praxis. Die originellste Leistung stellt die Schrift 
De musica (387-89) des Kirchenvaters Augustinus dar; 
besonders einfluBreich wurde die Behandlung der Mu- 
sik in der allegorischen Darstellung der Artes liberales 
(De nuptiis Mercurii et Philologiae IX) von Martianus 
Capella ; geradezu kanonische Geltung fiir das lateini- 
sche Mittelalter gewannen die 5 Biicher De institutione 
musica (um 500) des Staatsmannes und Philosophen 
Boethius, eine zusammenfassende und abschlieBende 
Kodifikation der antiken Harmonielehre. 
Lit.: H. Abert, Die r. M., in: L. Friedlander, Darstellun- 
gen aus d. Sittengesch. Roms II, Lpz. 10 1922; J. Quasten, 
Musik u. Gesang in d. Kulten d. Antike u. christlichen 
Friihzeit, = Liturgiegeschichtliche Quellen u. Forschun- 
gen XXV, Minister i. W. 1930; G. Wille, Die Bedeutung 
d. Musik im Leben d. Romer, Diss. Tubingen 1953, 
maschr. (grundlegend) ; ders., Zur Musikalitat d. alten 
Romer, AfMw XI, 1954; J. E. Scott, Roman Music, in: 
The New Oxford Hist, of Music I, London 1957; G. 
Fleischhauer, Die Musikergenossenschaften im helleni- 
stisch-romischen Altertum, Diss. Halle 1959, maschr.; 
ders., Etrurien u. Rom, = Mg. in Bildern II, 5, Lpz. (1965) ; 
R. Benz, Unfreie Menschen als Musiker u. Schauspieler in 
d. romischen Welt, Diss. Tubingen 1961, maschr. ; L. Rich- 
ter, Griech. Traditionen im Musikschrifttum d. Romer, 
AfMw XXII, 1965. LRl 

Romische Schule, eine Gruppe ab etwa 1550 in Rom 
wirkender oder dort ausgebildeter Komponisten, deren 
Schaffen den Forderungen des Humanismus und der 
Gegenreformation nach Ausgeglichenheit und Text- 
verstandlichkeit der mehrstimmigen Musik entspricht 
und bis heute ein Vorbild der katholischen Kirchenmu- 
sik geblieben ist. Der Kompositionsstil ist eine auf geist- 
liche Musik beschrankte, gereinigte Ausformung des 
franco-flamischen Erbes. Aus der heimischen Tradi- 
tion Italiens (Madrigal, Lauda, Falsobordonesatz) stam- 
men Klangf iille und homophone Komponente. Nur in 
der Sixtinischen Kapelle, wo der Stil der R.n Sch. am 
langsten rein bewahrt blieb, war vokale Ausfiihrung 
die Regel; sonst war vokal-instrumentale Mischbe- 
setzung iiblich (->■ a cappella). Bezeichnend fiir die 
kirchliche Gebundenheit der Musik ist die wieder zu- 
nehmende Verwendung des Gregorianischen Gesangs 
als Kompositionsgrundlage, der iiberdies von romi- 
schen Meistern (Palestrina, F. Anerio, Suriano) revidiert 
und teilweise neu herausgegeben wurde. Schulhaupt 
war Palestrina, der zwar nicht allein den neuen Stil an- 
bahnte (vor ihm C.Festa, Clemens non Papa, Ani- 
muccia, Chr. Morales, B.Escobedo, gleichzeitig in 
Norditalien V. Ruffo, C. Porta, Asola, Ingegneri, auBer- 
halb Italiens namentlich de Kerle), doch iiberragt seine 
zwischen Linearitat und Klangfiille vollkommen aus- 
gewogene, bei aller Abgeklartheit und regelhaftenEin- 



fachheit nie erstarrende, qualitativ stets gleich hoch 
stehende Kunst diejenige von Zeitgenossen und Nach- 
folgern so sehr, daB der schon 1613 beispielhaft genann- 
te stile alia Palestrina (Cerone) oft mit dem der R.n Sch. 
gleichbedeutend gebraucht wird. Der »Palestrina-Stil« 
(->• Kontrapunkt) ist jedoch ein Personalstil und nicht 
identisch mit dem von der R.n Sch. ausgehenden, von der 
musikgeschichtlichen Entwicklung relativ wenig be- 
riihrten und als katholisch-kirchenmusikalische Norm 
sich durch die Jahrhunderte fortpflanzenden »strengen 
Stil« (stylus gravis). Das Zentrum der R.n Sch. bilden 
neben Palestrina dessen Zeitgenossen und Nachfolger 
bis gegen 1620, u. a. G.M. und G.B.Nanino, F. und 
G.Fr. Anerio, Suriano, T.L. de Victoria, Zoilo, G.A. 
Dragoni, Stabile, Fr. Guerrero. In der nachfolgenden 
Generation (Agazzari, Fr. Foggia, Gr. Allegri, A. Cifra) 
wurde der Stil der R.n Sch. of t mit den neuen Elemen- 
ten der textdeutenden Affektdarstellung, der Monodie 
und des Konzertstils durchsetzt. Vor allem die Mehr- 
chorigkeit (bei Palestrina hochstens 3 Chore zu je 4 
Stimmen) wurde im romischen »Kolossalbarock« stark 
ausgebildet (P.Agostini, Abbatini, V.Mazzocchi, Be- 
nevoli). Diese Mischung herkommlicher und neuer 
Stilarten ist ebensowenig zur R.n Sch. zu rechnen wie 
die historisierende Bewegung, die in der 2. Halfte des 
17. Jh. voll einsetzte (Foggia, Carissimi, besonders Si- 
monelli, Pitoni, E. und G. A. Bernabei, Colonna, Mar- 
cello, Fux, Lotti, Caldara) und bis in die Gegenwart an- 
dauert (-> Caecilianismus). 

Lit. : H. Leichtentritt, Gesch. d. Motette, = Kleine Hdb. 
d. Mg. nach Gattungen II, Lpz. 1908, Nachdruck Hildes- 
heim 1966 ; A. W. Ambros, Gesch. d. Musik IV, hrsg. v. H. 
Leichtentritt, Lpz. '1909, Nachdruck Hildesheim 1967; P. 
Wagner, Gesch. d. Messe I, = Kleine Hdb. d. Mg. nach 
Gattungen XI, 1 , Lpz. 1913, Nachdruck Hildesheim 1963; 
O. Ursprung, Palestrina u. Palestrina-Renaissance, Zf Mw 
VII, 1924/25; ders., Die kath. Kirchenmusik, Biicken 
Hdb. ; K. G. Fellerer, Der Palestrinastil u. seine Bedeu- 
tung in d. vokalen Kirchenmusik d. 18. Jh., Augsburg 1929; 
H. Osthoff, Einwirkungen d. Gegenreformation auf d. 
Musik d. 16. Jh., JbP XLI, 1934; L. Feininger, Die kath. 
Kirchenmusik in Rom zwischen 1600 u. 1800, Kgr.-Ber. 
Kassel 1962. 

Rohrblattinstrumente, eine Gruppe von Blasinstru- 
menten, deren Mundstiick -»■ Zungen enthalt. R. mit 
zylindrischem Corpus iiberblasen in die Duodezime, 
solche mit konischem in die Oktave. Nach der Be- 
schaffenheit des Mundstiicks werden einfache (z. B. 
Klarinette, Saxophon) und Doppel-R. (z. B. Oboe, Fa- 
gott) unterschieden. 

Lit. : E. Stockmann, Klarinetten-Typen in Albanien, Jour- 
nal of the International Folk Music Council XII, 1960; H. 
Becker, Studien zur Entwicklungsgesch. d. R., Habil.- 
Schrift Hbg 1961, maschr. ; J. Meyer, Akustik d. Holzblas- 
instr. in Einzeldarstellungen, = Fachbuchreihe Das Mu- 
sikinstr. XVII, Ffm. 1966. 

Rohrflote (frz. flute a cheminee; engl. reed flute), eine 
halbgedeckte Labialstimme in der Orgel, zu 16', 8', 4' 
und 2', mit einem in den Deckel eingelassenen kurzen 
Rohr (-> Register - 1), von dem die Stimme ihren Na- 
men hat. Ihr Klang ist heller als bei ganz gedeckten 
Stimmen und durch das Hervortreten u. a. der Terz 
gekennzeichnet. Mit langem, weitem Rohr heiBt sie 
Rohrpfeife. Rohrgedackt hat ein engeres und langeres 
Rohr und daher einen nicht so hellen Klang. Rohr- 
quinte heiBt eine R. zu 51/3', 22/3' oder II/3'; die eng 
mensurierte Rohrquintade und der Rohrpommer klin- 
gen zungenartig. Als Pedalstimme zu V und 2' wird 
die R. meist Rohrschelle, auch Hohlschelle genannt. 
Die Doppel-R. (mit doppeltem Labium) wurde wahr- 
scheinlich 1590 von dem Orgelmacher E. Compenius 
erfunden. Ahnlich der R. ist die englische Orgelstim- 



812 



Romanesca 



me Clarionet-Flute gebaut (benannt nach dem Cla- 
rion, der alten helltonenden Signaltrompete der engli- 
schen Armee). R. mit 2-3 Rohren empfahl besonders 
H.H.Jahnn. Uberblasende Doppel-R.n mit 2 Rohren 
konstruierte E.K.RoBler. Ihr Klang ist fiihrend-hell 
und geschmeidig zugleich. 

Lit. : H. H. Jahnn, Monographie d. R., Ber. fiber d. 3. Ta- 
gungf. deutsche Orgelkunst in Freiburg i. Sa. 1927. 

Rohrwerk, Sammelname fur die Zungenstimmen 
einer Orgel. ->• Register (- 1). 

Rolltrommel -> Riihrtrommel. 

Rom. 

Lit. : G. Baini, Memorie stor.-critiche della vita e delle ope- 
re di G. P. da Palestrina, 2 Bde, R. 1828; P. Alfieri, Brevi 
notizie storiche sulla Congregazione ed Accad. de'maestri 
e prof essori di musica di Roma, R. 1 845 ; E. Tosti, Appunti 
storici sulla R. Accad. di S. Cecilia . . ., R. 1885; A. Ade- 
mollo, I teatri di Roma nel s. decimosettimo, R. 1888; A. 
Parisotti, 125 anni della Soc. Orchestrale Romana . . . , R. 
1 899 ; J.-G. Prod'homme, Les musiciens frc. a Rome, SIMG 
IV, 1902/03 ; G. Franchi-Verney della Valetta, L'Acad. 
de France a Rome, Paris 1903; G. Radiciotti, Teatro e 
musica in Roma nel secondo quarto del s. XIX, R. 1906; 
M. Incagliati, II Teatro Costanzi, R. 1 907; E. Celani, Mu- 
sica e musicisti in Roma, (1750-1850), RMI XVIII, 1911, 
XX, 1913 u. XXII, 1915; A. Cametti, La scuola dei pueri 
cantus di S. Luigi dei Francesi ... (1 591-1623), RMI XXII, 
1915 ; ders., La musica teatrale a Roma cento anni fa, in: 
Jb. S. Cecilia 1916-34; ders., L' Accad. Filarmonica Roma- 
na dal 1821 al 1860, R. 1924; ders., I musici di Campidoglio 
. . . , Arch, della Soc. romana di storia patria XLVIII, 1 925 ; 
ders., Cristina di Svezia . . . , R. 193 1 ; ders., II Teatro diTor- 
dinona . . . , 2 Bde, R. u. Tivoli 1938 ; V. Raeli, Nel s. di G. 
P. da Palestrina: alia cappella della Basilica Liberiana, R. 
1920; ders., Da V. Ugolini ad O. Benevoli: nella cappella 
della Basilica Liberiana, R. 1 920 ; G. De Domenicis, I teatri 
di Roma nell'eta di Pio VI, R. 1922; G. Pavan, Saggio di 
cronistoria del teatro mus. romano: il Teatro Capranica, 
Turin 1922; R. Casimiri, L'antica Congregazione di S. Ce- 
cilia ... nel s. XVII, Note d'arch. 1, 1924; ders., »Discipli- 
na musicae« e »Maestri di Cappella« dopo il Concilio di 
Trento nei maggiori Istituti Ecclesiastici di Roma, ebenda 
XII, 1935, XV, 1938 -XVI, 1939, XIX, 1942 -XX, 1943; 
R. Giraldi, L' Accad. Filarmonica Romana dal 1868 al 
1920; R. 1924, G. Stanghetti, La scuola di canto nel Pon- 
tificio Collegio Urbano ..., Note d'arch. Ill, 1926; G. 
Monaldi, I teatri di Roma . . . , Neapel 1928 ; H. Prunie- 
res, Les musiciens du cardinal A. Barberini, in : Publica- 
tions de la Soc. frc. de musicologie II, 3/4, Paris 1933; A. 
De Angelis, La musica a Roma nel s. XIX, R. 1935 ; ders., 
Nella Roma papale: il Teatro Alibert . . ., Tivoli 1951 ; A. 
Allegra, La cappella mus. di S. Spirito in Saxia . . . , Note 
d'arch. XVII, 1940; A. Rava, 11 Teatro Argentina, R. 1942; 
ders., I teatri di Roma, hrsg. v. G. Giovannoni, R. 1953; 
M. Rinaldi, All'ombra dell'Augusteo, R. 1945; A. Lauri, 
Poesia e musica nella Roma rinascimentale, RMI L, 1 948 - 
LIII, 1951 ; H.-W. Frey, Michelagniolo u. d. Komponisten 
seiner Madrigale, AMI XXIV, 1952; ders., Regesten zur 
papstlichen Kapelle unter Leo X. . . . , Mf VIII, 1955 - IX, 
1956; ders., Die Kapellmeister an d. frz. Nationalkirche 
San Luigi dei Francesi in R. im 1 6. Jh., Af Mw XXII, 1965 - 
XXIII, 1966; R. Gerber, Romische Hymnenzyklen d. 
spaten 15. Jh., AfMw XII, 1955, auch in: Zur Gesch. d. 
mehrst. Hymnus, = Mw. Arbeiten XXI, Kassel 1965; L. 
Montalto, Un mecenate in Roma barocca, Florenz 1955 ; 
L. Feininger, La scuola policorale romana . . ., CHM II, 
1957 ; A. Liess, Materialien zur romischen Mg. d. Seicento, 
AMI XXIX, 1957; R. Lunelli, L'arte organaria del Ri- 
nascimento in Roma . . . , = Hist, musicae cultores, Bibl. 
X, Florenz 1958; H. Wessely-Kropik, Mitt, aus d. Arch, 
d. Arciconfraternita di S. Giovanni dei Fiorentini ..., 
StMw XXIV, I960; P. Kast, Notizen zu romischen Mu- 
sikern d. 17. Jh., in: Studien zur ital.-deutschen Mg. I, 
= Analecta musicologica I, Koln u. Graz 1963. — > Romi- 
sche Musik, — ► Romische Schule, — » Schola Cantorum, 
— » Sixtinische Kapelle. 

Roman de Fauvel-* Quellen: Fauv. 



Romanesca, im 16./17. Jh. Name fur instrumentale 
Tanzsatze, Arien und Themen von Variationszyklen, 
denen in der Regel ein musikalisches Satzmodell zu- 
grunde liegt, das der -> Folia und dem Passamezzo an- 
tico verwandt ist. Noch ungeklart sind Etymologie 
(bisher wichtigste Deutungen : im Sinn von alia manie- 
ra Romana oder Ableitung von den spanischen Roman- 
ces) und Herkunft der R. Beim Auftreten des R.-Mo- 
dells in friihen Quellen finden sich einerseits Hinweise 
auf Italien, z. B. die Notiz Ein gutter Venezianer tantz 
(H. Newsidler, Ein newes Lautenbuchlein, 1540) oder die 
Zugehorigkeit zu den cantos llanos que en Italia comun- 
tnente llaman Tenores (D.Ortiz, Tratado deglosas, 1553); 
andererseits zeigt der Titel R. o guardame las vacas zu 
einem Stuck von Mudarra (1546) die hier bis zur 
Gleichsetzung fuhrende Ahnlichkeit der R. mit Satzen 
zum spanischen Villancico Guardame las vacas. Diese 
Melodie ist bei Salinas (1577) aber nur eine unter meh- 
reren volksttimlichen und mit spanischen oder italieni- 
schen Texten versehenen Melodien, die sich als R.- 
Oberstimme eignen, da ihr gemeinsamer melodischer 
Kern, ein 4stufiger Abwartsgang vom Grundton oder 
seiner Terz aus, sich ideal mit der Quartschrittsequenz 
der R.-BaBformel verbindet. 
-J 



I 



=6=P= 



*± \" r r nrrr nr r r nr 



-? 



Guar-da-me las va-cas Ca-ril - le-jo y be-sar - te 




a und b: Melodiebeispiele aus De musica (1577) 
von Salinas, S. 348; c: die dazu passende 1. Halfte 
der R.-BaBformel. 
Vielfach ist die R. mit einem Ritornello (oder einer Ri- 
presa) verbunden. Von etwa 1600 an wird oft die 2. 
Halfte des Modells (-»■ Folia) wiederholt. Haufig wer- 
den seit dem ausgehenden 16. Jh. die Spriinge in der 
BaBformel melodisch ausgefullt. Bis gegen 1620 blei- 
ben die Tone des Modells in gleichen metrischen Ab- 
standen (meist 6 Zahlzeiten) iiber den Satz verteilt; 
Monteverdis Ohimi dov'e il mio ben (Concerto, VII. Ma- 
drigalbuch, 1619) zeigt bereits, wie die isometrische 
Anlage durchbrochen ist. Die Tanze Ballo del fiore und 
Favorita ubernehmen zuweilen das Modell der R., un- 
terscheiden sich von ihr aber im Metrum (z. B. bei An- 
tonij, Hs. Florenz, Bibl. del Cons., B 2556; 1. Halfte 
des 17. Jh.). Wahrend Guardame las vacas nur als Lied 
belegt ist, sind die friihesten R. genannten Stiicke in 
italienischen Quellen Tanze fiir Laute (bei A. De Becchi 
1568 und C.Bottegari 1574). In der 1. Halfte des 17. 
Jh. uberwiegen die Romanesche fiir Gesang und B. c. 
(in den Scherzi sacri von Cifra, 1616 und 1618, sogar mit 
geistlichen Texten) sowie fiir Chitarra. Hervorzuhe- 
ben sind die Romanesche von Frescobaldi (in den Samm- 
lungen von 1615, 1630 und 1634) und die letzten Bele- 
ge des Typus, Stiicke fiir Tasteninstrumente von B. 
Storace (1664) und D.Gr.Strozzi (1687). Vereinzelt 
treten unter dem Namen R. auch vom Modell unab- 
hangige Kompositionen auf. 

Lit. : H. Riemann, Der »Basso ostinato« u. d. Anfange d. 
Kantate, SIMG XIII, 1911/12; O. Gombosi, Italia, patria 
del basso ostinato, Rass. mus. VII, 1934; F. Ghisi, Alle 
fonti della monodia, Mailand 1940; H. Spohr, Studien zur 
ital. Tanzkomposition um 1600, Diss. Freiburg i. Br. 1956, 
maschr. (darin: Bibliogr. d. datierbaren R. -Quellen d. 16./ 
1 7. Jh.) ; W. Osthoff, Das dramatische Spatwerk CI. Mon- 
teverdis, = Munchner Veroff. zur Mg. Ill, Tutzing 1 960. 



813 



Romantik 



Romantik (engl. romantic, wie in einem Roman, 
phantastisch, seit Mitte des 17. Jh. belegt, im 18. Jh. 
dann auch deutsch romantisch, frz. romantique; seit 
Novalis R. als Parallelbildung zu Klassik). Das Wort 
ist seit dem Ende des 18. Jh. in der deutschen Literatur 
zur Bezeichnung von Stoffkreisen gebraucht worden, 
die - raumlich und zeitlich entlegen - die Phantasie be- 
sonders erregen und ihr freies Schweifen im Ahnungs- 
vollen, Marchen-, Zauber- und Spukhaften begiinsti- 
gen. Dem romantischen Dichter (besonders seit No- 
valis) bedeutet der xerhohte poetische Zustand«, die 
subjektive, oft hochgespannt gefiihlshafte Aussprache 
mehr als die Bindung an die Wirklichkeit. Auslbsend 
war die Begeisterung fiir das Mittelalter, das dem Hang 
zum Phantastischen, Abenteuerlichen und Schwarme- 
rischen Nahrung bot. Die der R. zugrunde liegende 
seelische Haltung vereinigt Lebensfliichtigkeit mit der 
Sehnsucht nach Erfiillung in einer frei erschaffenen 
Traumwelt (romantischer Dualismus). In der Aner- 
kennung dieser Zwiespaltigkeit als des entscheidenden 
Merkmals der R. liegt eine Begriffseinschrankung, oh- 
ne die das Wort »romantisch« gleichbedeutend mit 
»poetisch« wird, da romantisch im weitesten Sinne der 
Kunsttrieb iiberhaupt ist, insofern er eine Welt im Un- 
wirklichen baut. Doch auch unter jenerEinschrankung 
zeigt sich, daB die romantische Kunsthaltung nicht an 
eine bestimmte Epoche gebunden gewesen ist, wie sie 
andererseits auch keine Epoche einheitlich auspragen 
konnte. - In der Musikgescbichte ist das romantische 
Lebensgef iihl zuerst als eine Musikdeutung vom Horer 
her erkennbar geworden, voll ausgepragt bei W.H. 
Wackenroder (t 1798) undE. T. A. Hoffmann (f 1822). 
Die Musik erschien als Tor zum erlosenden Gefiihls- 
und Phantasiereich. Noch Schopenhauer hat (1819) die 
Musik als Allheilmittel (Panakeion) fiir alle menschli- 
chen Leiden gepriesen. Dieser fruheste und zugleich 
echteste romantische Musikbegriff gait der Instrumen- 
talmusik, die E. T. A. Hoffmann fiir die »romantischste« 
aller Kiinste hielt, und wurde insbesondere im Hinblick 
auf das musikalische Sprachvermogen der Instrumen- 
talmusik der Wiener Klassik gewonnen. Als ein von 
jeder Bindung freier Totalbegriff (Schering) fehlte ihm im 
BewuBtsein jener Zeit jedoch noch weithin die kon- 
krete Verankerung in der (geschichdichen) Eigenart 
des Kunstwerks selbst. - Einfliisse der romantischen 
Haltung auf die Komponisten des 19. Jh. lassen sich als 
allgemeine Richtkrafte beschreiben. An die Vorstel- 
lung, die ganze Welt sei von Musik erfiillt und alle 
Kiinste seien geheimnisvoll miteinander verbunden, 
kniipfte sich die wachsende Neigung der Musiker, die 
Dichtkunst - weit iiber die Moglichkeit der Vokalkunst 
hinaus - sowie die darstellenden und bildenden Kiinste 
in ihre Werke mit einzubeziehen, ja in einem »Gesamt- 
kunstwerk« zu vereinigen. Doch blieb auch fiir R. 
Wagner die Musik die »hochste Kunst«. Dem Ver- 
trauen Wackenroders in die unbegrenzte Assoziations- 
f ahigkeit klingender Vorgange mit auBertonlichen Be- 
reichen entsprach die Ausbildung einer beziehungsrei- 
chen Tonsprache, in der das Stimmungshafte und Per- 
sonlich-Erlebnishafte hervortraten. Mit der Verklarung 
der Feme und der Vergangenheit stand das erstarkende 
Interesse an der -*■ Geschichte der Musik, die Wieder- 
erweckung der altkirchlichen Vokalpolyphonie, die 
Entdeckung der Kunst Palestrinas und J. S.Bachs in 
innerer Verbindung, ebenso das Verhaltnis zum Volks- 
lied, in dem sich die Volksseele mit »Wunderhornklan- 
gen« zu offenbaren schien. 

An der Bereicherung und Verfeinerung der Klangfar- 
ben, am Wachstum der Symbol- und Schilderungs- 
kraft der Instrumente seit Weber und Berlioz war die 
romantische Reizempfindlichkeit mit ihrem poetisie- 



renden LIberschwang wegweisend beteiligt, ebenso an 
der Ausbildung einer spannungs- und farbenreichen 
Ausdrucksharmonik, an der Auf losung der »Taktschwe- 
re« zugunsten einer shoheren poetischen Interpunktion« 
(Schumann), an der Hinwendung zu nationalem Ko- 
lorit und volksliedhaftem Melos. Die gelockerte Hand- 
habung der iiberlieferten Formen, die Neigung zum 
entspannten Aufreihen, zur Episode, zum sinnlich Fes- 
selnden, Originellen, Charakteristischen und Assoziati- 
ven, zu Tonmalerei und symphonischem Dichten kon- 
nen ebenfalls romantischen Einfliissen zugeschrieben 
werden. An der geschichtlich unvermeidlichen Preis- 
gabe der musikalischen Dichte und Ausgewogenheit 
der Meisterwerke der Wiener Klassik waren jedoch ne- 
ben den romantischen auch andere, entgegengesetzte 
Krafte beteiligt, die sich in der idyllisch-biedermeierli- 
chen, der tonmalend-realistischen, der virtuos-brillan- 
ten Art der Komposition zu erkennen geben. - In der 
Opernkomposition des 18. Jh. konnen die Libretti mit 
ritterlich-abenteuerlichen, zauber- und marchenhaften 
oder fremdlandischen Stoften einschlieBlich der friihen 
nordisch-folkloristischen Versuche des Kopenhagener 
KreisesQ. A. P. Schulz, Kunzen, Kuhlau) als Vorfeld der 
romantischen Oper betrachtet werden, als deren eigent- 
licher AuftaktE.T. A. Hoffmanns Undine (1813) anzu- 
sprechen ist. Jedoch erst in Webers Freischiitz (1821) 
sind das romantische Streben nach dem magischen 
Reich des Damonisch-Triebhaften und die Ruckkehr 
in die Lebenswirklichkeit unter dem EinfluB sittlich- 
religioser Krafte musikalisch gestaltet. Bei Marschner 
und Lortzing treten romantische Ziige hinter dem bloB 
Schreckhaften, hinter biedermeierlicher Verengung 
zuriick. R.Wagner hat - nach den Feen, dem Fliegen- 
den Hollander und dem Lohengrin - die echt romanti- 
sche Weltverachtung und Traumseligkeit mit Tristan 
und Isolde in letzter Folgerichtigkeit verherrlicht. Nach 
der antiromantischen Wendung zum Opernrealismus 
beschwor Pfitzner am Jahrhundertende die Welt der 
romantischen Verzweiflung und Verziickung in der 
Rose vom Liebesgarten noch einmal herauf. - In der 
nach Haydns letzten Oratorien kraftvoll aufbliihen- 
den vokalen Konzertmusik ist R. Schumanns Musik 
zu Manfred unter den zahlreichen ahnlichen Wer- 
ken von Spohr, Fr. Schneider, Loewe, Mendelssohn 
Bartholdy u. a. ein hervorragendes Zeugnis roman- 
tischen Geistes. 

Ob im Bereich der Instrumentalmusik AuBerungen der 
Empfindsamkeit und des musikalischen Sturm und 
Dranges, z. B. bei W.Fr. und C.Ph.E.Bach, bei den 
Mannheimern und in der Klaviermusik J. Schoberts, als 
»fruhromantisch« anzusprechen sind, ist fraglich. Her- 
vortretende Gefiihlshaftigkeit, auch in der Steigerung 
zu leidenschaftlichem Ausdruck, ebenso Naturbezo- 
genheit, Tonmalerei, Volksliednahe, fremdlandische 
Folklore und Klangpoesie lassen hier, als Einzelmerk- 
male auftretend, die Frage nach der romantischen Ge- 
fiihlslage offen. Erst spater kann in Zusammenhang mit 
der kompositorischen Faktur das Vom Komponisten 
beigefugte, erlauternde Wort - als Oberschrift, nahere 
Ausdrucksanweisung, Vorspruch, uberlieierte Selbst- 
deutung - Aufschliisse geben iiber die tondichterische 
Absicht, am deutlichsten bei der Programmusik. Hier 
wurde Berlioz' Symphonie fantastique (1830) mit ihrer 
tjbertragung (franzosisch abgewandelter) romanti- 
scher Hochspannung in neue, kiihne Klangvisionen 
wegweisend. Orchesterwerke von gleich starker ro- 
mantischer Einfarbung und stilistischer Anregungskraft 
sind selten geblieben. Zur Kennzeichnung der schil- 
dernden Orchestermusik seit Liszt ist das Sammelwort 
»nachromantisch« unzulanglich. - Die ihrem Wesen 
nach der rein musikalischen Haltung eng verhaftete 



814 



Romanze 



Kammermusik gibt fur die Feststellung romantischer 
Einfliisse noch weniger eindeutige Anhaltspunkte als 
die Orchestermusik. Sind in der Klaviermusik die So- 
nate und die Variation in den Meisterwerken Schuberts, 
R. Schumanns, Liszts und des jungen Brahms noch vor- 
wiegend durch die Auseinandersetzung mit dem klas- 
sischen Erbe gekennzeichnet, so wurde die stimmungs- 
hafte, bald auch schildernde Miniatur seit Tomasek, 
den Meistern der Etude und des Charakterstiicks, vor 
allem seit Schubert, Field, Chopin, R. Schumann, Hel- 
ler, Liszt, Kirchner, Brahms zum bevorzugten Feld ro- 
mantischer Aussprache. Romantische Ziige der Musik- 
auff assung sind neben der virtuos-brillanten oder idylli- 
schen Haltung und trotz der um sich greifenden salon- 
haften Verflachung des Geschmacks auch nach der 
Jahrhundertmitte immer wieder zu erkennen, bis hin 
zu den unmittelbaren Wegbereitern der Neuen Musik, 
etwa G. Mahler und Skrjabin. 

Lit. : H. Riemann, Gesch. d. Musik seit Beethoven, Stutt- 
gart u. Bin 1901 ; S. Elcxjss, Zur Beurteilung d. R. u. zur 
Kritik ihrer Erforschung, = Hist. Bibl. XXXIX, Miinchen 
u. Bin 1918; E. Kurth, Romantische Harmonik . . ..Bern 
u. Lpz. 1920, Bin 21923 ; K. Roeseling, Die Grundhaltung 
d. romantischen Melodik, Diss. Koln 1920; E. Istel, Die 
Blutezeit d. mus. R. in Deutschland, Lpz. u. Bin 21921 ; G. 
Becking, Zur mus. R., DVjs. II, 1924; ders., Klassik u. R., 
Kgr.-Ber. Lpz. 1925; W. Kahl, Lyrische Klavierstiicke d. 
R., Stuttgart 1926 ; H. Pfitzner, E. T. A. Hoffmanns »Un- 
dine« (1 906), in: Gesammelte Schrif ten I, Augsburg 1 926; R. 
Benz, Die deutsche R., Lpz. 1927, Stuttgart 5 1956; A. 
Schmitz, Das romantische Beethovenbild, Bin u. Bonn 
1927; R. Ullmann u. H. Gotthardt, Gesch. d. Begriffs 
R. in Deutschland, = Germanische Studien IV, 50, Bin 
1927; H. Eckardt, Die Musikauff assung d. frz. R., = Hei- 
delberger Studien zur Mw. HI, Kassel 1935; H. Funck, 
Mus. Biedermeier, DVjs. XIV, 1 936 ; E. Bucken, R. u. Rea- 
lismus, Fs. A. Schering, Bin 1937; S. Goslich, Beitr. zur 
Gesch. d. deutschen romantischen Oper, = Schriftenreihe 
d. Staatl. Inst. f. deutsche Musikforschung I, Lpz. 1937 ; A. 
Schering, Kritik d. romantischen Musikbegriffs, JbP 
XLIV, 1937; W. Ehmann, Der Thibaut-Behaghel-Kreis, 
AfMf III, 1938 - IV, 1939; A. Damerini, Classicismo e ro- 
manticismo nella musica, Florenz 1 942 ; R. Dumesnil, La 
musique romantique frc., Paris 1945; W. Reich, Musik in 
romantischer Schau, Basel 1 946 ; A. Einstein, Music in the 
Romantic Era, NY (1947), deutsch als: Die R. in d. Musik, 
Munchen (1950), ital. Florenz (1952); W. Gurlitt, R. 
Schumann u. d. R. in d. Musik, Jb. 106. Niederrheinisches 
Musikfest in Dusseldorf 1951, Neudruck in : Mg. u. Gegen- 
wart I, = BzAfMw I, Wiesbaden 1966; F. Siegmann, Die 
Musik im Leben u. Schaffen d. russ. R.er, Wiesbaden 1954; 
J. Chant avoine u. J. Gaudefroy Demombynes, Le roman- 
tisme dans la musique europeenne, = L'ere romantique III, 
Paris 1955; H. H. Eggebrecht, Das Ausdrucksprinzip im 
mus. Sturm u. Drang, DVjs. XXIX, 1955; H. Besseler, Das 
mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. CIV, 6, 1 959; H. Heussner, 
Das Biedermeier in d. Musik, Mf XII, 1959 ; H. Husmann, 
Die Stellungd. R. in d. Weltgesch. d. Musik, Kgr.-Ber. War- 
schau 1960; G. Knepler, Die Bestimmung d. Begriffes 
»R.«, ebenda; K. Stephenson, R. in d. Tonkunst, = Das 
Musikwerk XXI, Koln (1961); H. Engel, Die Grenzen 
d. romantischen Epoche u. d. Fall Mendelssohn, Fs. O. E. 
Deutsch, Kassel 1963 ; E. Lichtenhahn, Uber einen Aus- 
spruch Hoffmanns u. uber d. Romantische in d. Musik, in : 
Musik u. Gesch., Fs. L. Schrade, Koln (1963); P. Rum- 
menholler, R. u. Gesamtkunstwerk, in : Beitr. zur Gesch. 
d. Musikanschauung im 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen, = Stu- 
dien zur Mg. d. 19. Jh. I, Regensburg 1965. KS 

Romanus-Buchstaben, in der Neumenschrift ver- 
wendete Zusatzzeichen, die den Melodieverlauf und 
die Vortragsweise verdeutlichten. Romanus war einer 
der beiden Monche, die um 790 auf Bitten Karls des 
GroBen von Rom ins Frankenreich geschickt wurden, 
um dort die romische Tradition des Choralgesangs zu 
verbreiten. Ekkehard IV. von St.Gallen schreibt in 
seinen Casus Monasterii S. Galli, dafi Romanus primus 



Utter as alphabeti signijicativas notulis aut susum autjusum 
aut ante aut retro assignari excogitavit, quas postea cuidam 
amico quaerenti Notker Balbulus dilucidavit (ed. J.v. Arx, 
= Monumenta Germaniae Historica, Scriptores II, Hanno- 
ver 1829, S. 102). Diese Nachricht des 11. Jh. ist dahin- 
gehend zu korrigieren, daB die R.-B. im 9.-11. Jh. in 
Neumenhandschriften der Bereiche von St.Gallen, 
Metz und Chartres haufig auftreten, eine Herleitung 
aus romischer Tradition jedoch nicht nachzuweisen ist. 
Auch das Winchester-Tropar (-»■ Quellen: WiTr) ent- 
halt R.-B., vor allem im Vox organalis-Teil. Im ein- 
zelnen sind folgende R.-B. zu nennen : a = altius, c = ci- 
to vel celeriter, d = deprimatur, e = equaliter, i = iusum 
vel inferius, 1 = levare, m = mediocriter, s = sur- 
sum, t = trahere vel tenere, x = expectare. Diese in den 
Handschriften anzutreffende Gruppe von R.-B. wird 
in dem Brief des Notker Balbulus zu einem vollstandi- 
gen Alphabet erweitert. 

Lit.: A. Mocquereau OSB, Einleitung zu Paleographie 
mus. I, 4, Solesmes 1894; R. Van Doren OSB, Etude sur 
l'influence mus. de l'abbaye de St-Gall, Lowen u. Brussel 
1925; R.-J. Hesbert OSB, L'interpretation de l'equaliter 
dans les mss. sangalliens, Rev. grdgorienne XVIII, 1933; 
J. Smits van Waesberghe SJ, Muziekgeschiedenis der 
middeleeuwen II, Tilburg 1939-42; E. Cardine OSB, Le 
sens de iusum et inferius, Etudes gregoriennes I, 1954; W. 
Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind. (1958); A. 
Machabey, Remarques sur le Winchester Tropar, Fs. H. 
Besseler, Lpz. 1961; J. Froger OSB, L'epitre de Notker 
sur les »lettres significatives«. Ed. critique, Etudes gr6- 
goriennes V, 1962. 

Romanze (span, und frz. romance, von lat. romanice, 
prov. romans, s. v. w. volkssprachlich), die fur Spaniens 
Literatur- und Musikgeschichte gleichermaBen bedeut- 
same Gattung gedrangt erzahlender Strophenlieder, in 
denen die Taten (res gestae) und Liebesabenteuer natio- 
naler Helden oder Glaubensstreiter besungen werden; 
in Frankreich im 18./19. Jh. eine beliebte Art leichter 
Airs (Lieder) ; in Deutschland seit Mitte des 18. Jh. in 
Anlehnung an die spanische R. als Dichtungs- und Lied- 
gattung eingefiihrt; in beiden Landern kommt R. in 
der gleichen Zeit auch als Titel poetisierender oder kan- 
tabler Instrumentalstucke vor. Seit dem 19. Jh. wird die 
Bezeichnung R. auch auf Lieder erzahlenden Inhalts der 
Trouveres angewendet. - Die altesten spanischen R.n, 
deren literarische Uberlieferung in der 2. Halfte des 
15. Jh. einsetzt, kmipfen an Ereignisse des friihen 14. 
Jh. an (ob in alien Fallen durch das besungene Ereig- 
nis eine Datierung der R. gegeben ist, muB dahinge- 
stellt bleiben). Merkmal der friihen R. ist der aus zwei 
meist 8silbigen Halbversen bestehende (l an g e ) R- n ~ 
Vers mit Assonanz zwischen den geradzahligen Halb- 
versen (seltener auch zwischen den ungeradzahligen), 
jedoch wurde schon im 16. Jh. der 8silbige Vers meist 
als Einheit aufgefaBt. Vier solcher (kurzer) R.n- Verse 
bilden seitdem die regelmaBige R.n-Strophe, die auch 
die vorherrschende musikalische Einheit wurde. Ende 
des 15. Jh. setzt - zusammen mit der nun als Kunstdich- 
tung entstandenen R. (mit Reim und regelmaBigem 
Strophenbau) - die musikalische Uberlieferung 3-4st. 
R.n-Vertonungen im -*■ Cancionero musical de Palacio 
ein. Hauptmeister dieser Zeit waren J. del Encina und 
J. de Anchieta. Aus dem 16. Jh. sind nur 2 Sammlungen 
mehrstimmigerR.n-Vertonungenbekannt; der -»• Can- 
cionero de la Casa de Medinaceli und die 1551 gedruck- 
ten Villanckos y condones a tres y a quatro von J. Vazquez. 
Die Vihuelisten Milan (1535), Narvaez (1538), Mudar- 
ra (1546), Valderrabano (1547), Pisador (1552), Fuen- 
llana (1554) und Daza (1576) iiberliefern traditionelle 
R.n-Melodien, teils in instrumentalen Diferencias vari- 
iert, teils bearbeitet fiir Sologesang mit kunstvoller Be- 
gleitung der -*■ Vihuela, mit Vorspielen und meist (nach 



815 



Romanze 



dem Vorbild von Milan) mit kurzen Zwischenspielen 
zwischen jedem (8silbigen) R.n-Vers. 
Seit Ende des 16. Jh. trat eine Ruckbesinnung auf die 
volkstiimliche R. ein, erkennbar am Riickgriff auf die 
Assonanz (anstelle des Reims), am gelegentlichen Auf- 
treten des prosodisch relevanten auslautenden e sowie 
an der Bevorzugung historischer Stoffe. Zu dieser 
Ruckbesinnung trug Fr. Salinas bei, indem er 1577 (De 
musica, S. 411 ; vgl. auch S. 342 und 346) den R.n-Vers 
als 16Silbler mit Mittelzasur beschrieb. Andererseits 
wurde seit Ende des 16. Jh. die strophische R.n-Form 
immer haufiger dutch lyrische Einlagen erweitett. Da- 
durch entstanden dem ->■ Villancico nahestehende For- 
men, in denen entwedet jeder R.n-Strophe ein kurzer 
Estribillo (Kehrreim, -> Refrain) angehangt oder ein 
4zeiliger Estribillo vorangestellt ist, der ganz oder teil- 
weise nachjeder Strophe (oder weniger oft) wiederholt 
wird. In letzterem Fall gleichen formale und musikali- 
sche Behandlung dem Villancico; der Unterschied be- 
steht nur im stets 8silbigen Vers der R.n-Strophe und 
in der Art der literarischen Behandlung des StoSes. Im 
Verlaufe des 17. Jh. kam dem Estribillo mehr Gewicht 
zu; er wurde linger (bis zu 13 Zeilen) und durch gegen- 
satzliche musikalische Behandlung (z. B. Tripeltakt, 
Vollstimmigkeit gegeniiber solistischer Besetzung der 
Cobla) von der R.n-Strophe abgehoben. Ein dritter 
Typ, bei dem zwischen die R.n-Strophen ein vollstan- 
diger Villancico mit Estribillo und eigenen Coblas 
(Strophen) eingeschoben ist, wurde zum Ausgangs- 
punkt f iir den groBen, kantatenahnlichen Villancico des 
18. Jh. - Um die Mitte des 17. Jh. erreichte die R.n- 
Dichtung in Spanien ihre hochste Bliitezeit; vor allem 
auf dem Theater wurde die Gattung von fast alien spa- 
nischen Dichtern gepflegt. Zahlreiche R.n-Melodien 
des 17. Jh. sind schriftlich iiberliefert. Viele Villancicos 
und Stiicke mit Titeln wie: Tonada humana, Tono 
(oder Solo) humano, Pasacalle, Bailete sind, literarisch 
gesehen, R.n. Neben epische und historische R.n traten 
nun Romances amorosos, moriscos, pastoriles, satiricos 
und religiosos. Die R. mit religiosen Texten drang in 
das Of fizium ein und wurde in der Matutin anstelle der 
Responsorien der Nokturn gesungen. Wahrend die R. 
auf der einen Seite immer kunstvollere formale und 
musikalische Behandlung erfuhr, lebte sie im Volk fort 
als einfaches Strophenlied, dem meist historische Bege- 
benheiten zugrunde liegen. Als Volkslied ist die R. nicht 
nur in Spanien heute noch lebendig, sondern sie wurde 
von den nach den Pogromen von 1492 aus Spanien 
vertriebenen Juden auch in Marokko, Griechenland 
(Saloniki) und im Vorderen Orient bis ins 20. Jh. miind- 
lich iiberliefert. Der 8silbige R.n-Vers und die R.n- 
Strophe wurden dabei allerdings seltener bewahrt. 
Auch Texte von in Sudamerika bis in die Neuzeit ge- 
sungenen R.n beziehen sich zuweilen auf spanische Er- 
eignisse des 16. Jh. 

In Frankreich wurde die R. seit der 2. Halfte des 18. Jh. 
als volkstiimliches Strophenlied rasch popular. J.-J. 
Rousseau definiert (1768) sie als Melodie, nach der man 
strophische Liebesgedichte singt. Zur spanischen R. be- 
stehen nur literarische Anklange; musikalisch sind die 
franzosischen R.n leichte Airs von gefalliger Melodik. 
Zur altfranzosischen R. des 12./13. Jh. (-* Trouveres), 
die ihrerseits nichts mit der altspanischen R. zu tun 
hat, bestehen keine Verbindungen. Die franzosische 
R. wurde vor allem im 19. Jh. auf der Biihne (Oper 
und Sprechtheater) zur beliebtesten liedartigen Gat- 
tung, oft mit dem Lied gleichgesetzt (da jedoch nicht 
jedes Lied als romance bezeichnet werden kann, ist 
auch le lied als Lehnwort gebrauchlich). - In Deutsch- 
land hat I.W.L.Gleim (1756 und 1758) den Namen 
R. und die Gattung im Riickgriff auf die altspanische 



(volkstiimliche) R. literarisch eingefiihrt. Er wollte 
mit seinen Ubersetzungen ein qualifiziertes Volkslied 
begriinden. Auch Herder nahm in seine Sammlung 
von 1778/79 spanische R.n auf, die zu zahlreichen 
volksliedartigen deutschen R.n-Dichtungen anregten 
(u. a. von A. W. Schlegel, Claudius, Burger, Goethe). 
Literarisch ist die deutsche R. als kleine Ballade mit he- 
roischen und Liebesstoffen (z. B. Goethe, Der Kiinig in 
Thule, Das Heidenroskin), musikalisch in der Verto- 
nung fur Solostimme und Klavier, als -> Lied anzu- 
sprechen. Die R. von W.A.Mozart Im Mohrenland ge- 
fangen war (aus Die Entfiihrung aus dem Serail, 1781/82) 
zeigt in ihrem Text noch die Nahe zum spanischen Vor- 
bild. - In den instrumentalen Bereich wurde die R. 
schon bald nach der Mitte des 18. Jh. iibertragen, z. B. 
von Gossec (op. 5, 1761) als Mittelsatz einer Symphonie 
(entsprechend bei Mozart, K.-V. 447, 466 und 525), von 
J.Haydn (Hob. 1, 85) als Variationensatz iiber eine fran- 
zosische R.n-Melodie und von Beethoven als R. fur V. 
und Orch. (op. 40 und op. 50; ahnlich Bruch, op. 42; 
Reger, op. 50 u. a.). Als -> Charakterstiick fiir Klavier 
erscheintdieR.beiFr.A.R661er(1782),Reichardt(1783), 
R. Schumann (op. 28, 1839) u. a. ; die Lieder ohne Worte 
von Mendelssohn Bartholdy wurden in Frankreich un- 
ter dem Titel Romances sans paroles bekannt. 
Ausg. u. Lit.: — > Cancionero; Romances et pastourelles 
fr?. des XII e et XIII e s. (Textausg.), hrsg. v. K. Bartsch, 
Lpz. 1870; Chansons du XV e $., hrsg. v. Fr. A. Gevaert u. 
G. Paris, Paris 1 875 ; Cancionero popular de Burgos, hrsg. 
v. F. Olmeda, Sevilla 1903; Cancionero mus. de la lirica 
popular asturiana, hrsg. v. E. MartInez Torner, Madrid 
1920, 2 1940; Coleccion de vihuelistas espanoles del s. XVI, 
hrsg. v. dems., 2 H., Madrid 1923 ; ders., Cancionero mus., 
Seleccion y armonizacidn, Madrid 1928 ; J. Br. Trend, The 
Music of Span. Hist, to 1600, = Hispanic Notes and Mo- 
nographs X, London 1926; Coplas sefardies, hrsg. v. A. 
Hemsi, 2 Bde, Alexandria 1934-38; G. Kinsky, Eine neu 
entdeckte R. Mozarts, ZfM CII, 1935; V. Ripolles Perez, 
El villancico i la cantata del sege XVIII a Valencia, = Publi- 
cacions del Departament de musica de la Bibl. de Cata- 
lunya XII, Barcelona 1935; S. Goslich, Beitr. zur Gesch. 
d. deutschen romantischen Oper, = Schriftenreihe d. 
Staatl. Inst. f. Deutsche Musikforschung I, Lpz. 1937; 
H. Gougelot, Cat. des romances fr?. parues sous la Re- 
volution et l'Empire, 2 Bde, Melun 1937-43 ; ders., La ro- 
mance frc. sous la Revolution et l'Empire, 2 Bde (I : Etude, 
II: Choix de textes musicaux), Melun 1938-43; J. Bal y 
Gay, Romances y villancicos espanoles del s. XVI, Bd I, 
Mexiko 1939; K. Schindler, Folk Music and Poetry of 
Spain and Portugal, NY 1941 ; Romances judeo-espafioles 
de Marruecos, hrsg. v. P. Benichou, Revista de filologia 
hispanicaVI, 1944 -VII, 1945, separat Buenos Aires 1946; 
Cancionero de romances impreso en Amberes sin afio, 
Faks. (mit Einleitung) hrsg. v. R. Menendez Pidal, Ma- 
drid 1945; ders., Romancero hispanico-portugues, ameri- 
cano y sefardi, teoria y hist., 2 Bde, Madrid 1953 (grund- 
legend, in Bd I: G. Menendez Pidal, Ilustraciones mus.); 
ders., El romance »Rio Verde, Rio Verde«. Sus versio- 
nes varias, in: Miscetenea en homenaje a H. Angles II, 
Barcelona 1958-61 ; S. Gr. Morley, Chronological List of 
Early Span. Ballads, Hispanic Review XIII, 1945 ; M. Que- 
rol Gavalda, La musica en las obras de Cervantes, Bar- 
celona 1948; ders., Importance hist, et nationale du ro- 
mance, in: Musique et poesie au XVI e s., = Colloques in- 
ternationaux du Centre National de la recherche scienti- 
fique, Sciences humaines V, Paris 1954; ders., El romance 
polifonico en el s. XVII, AM X, 1955 ; Romances y letras a 
tres vozes (s. XVII), Bd I, hrsg. v. dems., = MMEsp XVIII, 
Barcelona 1956; Cancionero mus. de la provincia de Ma- 
drid, hrsg. v. M. GarcIa Matos, J. Romeu Figueras, M. 
Schneider u. J. Tomas, 3 Bde, Barcelona u. Madrid 1951- 
60; Romances de Tetuan, hrsg. v. A. de Larrea Palacin, 
2 Bde, Madrid 1952; Romancero sefardi. Romanzas y can- 
tes populares en judeo-espanol, hrsg. v. M. Attias, Jerusa- 
lem 1961 ; E. Gerson-Kiwi, On the Mus. Sources of the 
Judaeo-Hispanic Romance, MQ L, 1964. 

Ronde (ra: d, frz., runde) -»- Ganze Note. 



816 



Rondeau 



Rondeau (rod'o, frz.; altere Wortform: rondel). 
- 1) Das mittelalterliche, vorwiegend im 13.-15. Jh. 
verbreitete R. ist textlich und musikalisch eine Refrain- 
form. Die Vorstellung des »Runden« scheint sich beim 
R. auf Rundtanz (Reigen) und ofteres Wiederkehren 
eines -> Refrains zu beziehen, wahrend fiir -> Ron- 
dellus, ->• Rota, -*■ Round (- 1), -*■ Radel ein Kreisen der 
Stimmeinsatze bezeichnend ist. Zwischen die (meist 
zwei) Refrainverse werden Zusatzverse (additamenta) 
derselben Endreime gesetzt. Die 8zeilige Normalform 
lautet (GroBbuchstaben = Refrainverse) : 
Musik a P a a a p i (3 
Verse ABaAabAB 
Die altesten R.s sind sechszeilig ohne Refrain am An- 
fang. Eine zwischen Chor (Refrain) und Vorsangern 
(Zusatzverse) wechselnde Vortragsweise ist wahrschein- 
lich. Da die Zusatzverse leicht improvisiert werden 
konnten, wurde das R. schnell in der hofischen Gesell- 
schaft heimisch. R.s mit franzosischen geistlichen Tex- 
ten, 60 lateinische R.s in der ->• Quelle F sowie ein bi- 
schofliches Verbot von 1249 weisen auf Verbreitung 
auch im kirchlichen Bereich. Auch fiir Motetten wur- 
den Melodien und Texte von R.s (oder auch nur deren 
Refrains) gelegentlich verwendet (z. B. als Tenor in 
Machauts Motette Nr 20). Die altesten Belege des R.s 
weisen nach Nordfrankreich. Von den alteren Theore- 
tikern bezeugen das R. Franco von Koln (ed. Cserba, 
S. 252) und Johannes de Grocheo (ed. Rohloff, S. 50f.). 
Im 13. Jh. weisen die einen Refrain verwendenden Gat- 
tungen R., ->• Ballade (- 1), ->• Virelai eine bunte For- 
menvielf alt auf, die nicht immer eine eindeutige Klassi- 
fizierung erlaubt. Die von Gennrich aufgestellte Hypo- 
these einer genetischen Entwicklungsreihe R.-Virelai- 
Ballade blieb nicht unwidersprochen. Die altesten iiber- 
lieferten mehrstimmigen vulgarsprachlichen Lieder 
sind R.s (16 von Adam de la Halle, 1 von Jehannot de 
L'Escurel, 2 in der -> Quelle Pic) ; sie sind dreistimmig, 
in Partitur notiert und im Satz ahnlich dem mehrstim- 
migen Conductus. Der Text ist der untersten Stimme 
unterlegt; bei L'Escurel und in den meisten der R.s 
Adams stellt jedoch die mittlere Stimme eine 1st. R.- 
Melodie dar. Wesentlich von diesen einfachen Satzen 
unterscheiden sich die im -*■ Kantilenensatz kompo- 
nierten 21 R.s Machauts (-»■ Discantus). Machaut ver- 
wendet stets gleichlange Verse (meist lOSilbler) und 
bevorzugt die 8zeilige Form, die E. Deschamps (L'art 
de dirtier) rondel sangle nennt, im Unterschied zum 
16zeiligen rondel double. Im Vergleich mit seinen Bal- 
laden zeigen Machauts R.s besonders reiche Reime 
(Nr 7), auch Zahlen- (Nr 6, 17) und Kanonratsel (Nr 
14). Machaut (41 mehrstimmige Balladen, 21 R.s; in- 
nerhalb der nicht komponierten Gedichte 204 Balla- 
den, 58 R.s) und gleicherweise die -> Quellen vor und 
um 1400 (Ch, ModA, Pit, PR, TuB) zeigen die groBere 
Beliebtheit der Ballade gegeniiber R. und Virelai. R.- 
Komponisten um 1400 sind u. a. Cesaris, Cordier (von 
ihm das in Herzf orm notierte R. in Ch) , Grenot, Matteo 
da Perugia, Reyneau, Solage. In Italien setzte sich das 
R. nicht durch. Im 15. Jh. war - im Unterschied zur 
Ars nova und franzosischen Spatzeit - das R. verbreite- 
ter als die Ballade (z. B. in der Hs. O: 187 R.s gegen- 
iiber 38 Balladen). Es hatte nun 10, 12, meist 16 (jetzt 
R. simple genannt) oder auch 21 Zeilen (R. double); 
jedoch blieben unverandert das Prinzip der Aufteilung 
des Refrains und die musikalische Anlage, z. B. : 
Musik a (3 a a a (3 a (3 
Verse ABBA ab AB abba ABBA 
An Komponisten sind Dufay (62 R.s, davon 3 mit ita- 
lienischem Text), Binchois (47 R.s), Busnois, Hayne 
van Ghizeghem, Ockeghem, an bekannten Dichtern 
Eustache Deschamps, Charles d'Orleans und Alain 



Chartier zu nennen. - In der Folgezeit wurde das R. 
immer haufiger nicht mehr in der hergebrachten Wei- 
se, sondern als freie -> Chanson komponiert, wahrend 
das Refrainprinzip in der Musik (vor allem in der In- 
strumentalmusik) sich starker zu verselbstandigen be- 
gann (->• Refrain, -> Ritornell - 2). Die dichterische 
Form des R.s erfuhr Wiederbelebung in der franzosi- 
schen Literatur des 17. und 19. Jh. 
Ausg.: Chansons du XV e s., hrsg. v. G. Paris, Paris 1875; 
R. et autres po6sies du X V e s., hrsg. v. G. Raynaud, Paris 
1889; E. Deschamps, L'Art de dictier, in: (Euvres com- 
pletes VII, hsrg. v. Queux de St. Hilaire u. G. Raynaud, Pa- 
ris 1 89 1 ; Recueil d'arts de la seconde rhetorique, hrsg. v. E. 
Langlois, Paris 1902; R., Virelais u. Balladen, hrsg. v. Fr. 
Gennrich, 2 Bde, = Ges. f. romanische Lit. XLIII u. 
XLVII, Dresden 1921 u. Gottingen 1927, III, Dasaltfrz. R. 
u. Virelai, = Summa musicae medii aevi X (Fundamenta 
I), Langen 1963; Les musiciens de la cour de Bourgogne, 
hrsg. v. J. Marix, Paris 1 937 ; Harmonice Musices Odheca- 
ton A, hrsg. v. H. Hewitt, Cambridge (Mass.) 1942, 21946 ; 
French Secular Music of the Late Fourteenth Cent., hrsg. 
v. W. Apel, = The Medieval Acad, of America, Publica- 
tions LV, ebenda 1950; Early Fifteenth-Cent. Music, hrsg. 
v. G. Reaney, = CMM XI, (Rom) seit 1955 ; Zehn datier- 
bare Kompositionen d. Ars nova, hrsg. v. U. Gunther, 
= Schriftenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg II, Hbg 1959; 
The French-Cypriot Repertory . . . IV, hrsg. v. R. H. 
Hoppin, = CMM XXI, 4, Rom 1963. 
Lit. : H. Pfuhl, Untersuchungen iiber d. R. u. Virelais in d. 
Lit. d. 14. u. 15. Jh., Diss. Konigsberg 1887; Fr. Ludwig, 
Diemehrst. Musik d. 14. Jh.,SIMG IV, 1902/03 ; P. Aubry, 
Refrains et R. du XIIP s., Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; E. 
Heldt, Frz. Virelais aus d. 15. Jh., Halle 1916; E. Droz, 
Les formes litteraires de la chanson frc. au XV e s., Fs. D. Fr. 
Scheurleer, 's-Gravenhage 1925; H. Spanke, Das lat. R., 
Zs. f. frz. Sprache u. Lit. LIII, 1929; ders., Tanzmusik in 
d. Kirche d. MA, Neuphilologische Mitt. XXXI, 1930 u. 
XXXIII, 1932; Fr. Gennrich, GrundriB einer Formen- 
lehred. ma. Liedes, Halle 1932; ders., Deutsche R., Beitr. 
zur Gesch. d. deutschen Sprache LXXII, 1953 ; E. Danne- 
mann, Die spatgotische Musiktradition in Frankreich u. 
Burgund, = Slgmw. Abh. XVII, Strafiburg 1936; C. L. W. 
Boer, Chansonvormen op het einde van de XV e eeuw, Ant- 
werpen u. Paris 1938; G. Reaney, Concerning the Origins 
of the R., Virelai, and Ballade Forms, MD VI, 1952; ders., 
G. de Machaut, Lyric Poet, ML XXXIX, 1958 ; ders., The 
Poetical Form of Machaut's Mus. Works I, MD XIII, 
1 959; ders., The Development of the R., Virelai, and Ballade 
Forms from Adam de la Hale to G. de Machaut, Fs. K. G. 
Fellerer, Regensburg 1962; W. Apel, R., Virelais, and 
Ballades in French 13">-Cent. Song, JAMS VII, 1954; U. 
Gunther, Der mus. Stilwandel d. frz. Liedkunst in d. 2. 
Halfte d. 14. Jh., dargestellt an Virelais, Balladen u. R. 
v. Machaut . . ., Diss. Hbg 1957, maschr.; dies., Chro- 
nologie u. Stil d. Kompositionen G. de Machauts, AMI 
XXXV, 1963; M. A. Baird, Changes in the Lit. Texts of 
the Late 15'" and Early 16 th Cent., MD XV, 1961; N. 
Pirrotta, On Text Forms from Ciconia to Dufay, in: 
Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, 
NY (1966). WoD 

- 2) Das R. im 17. und 18. Jh. ist die in der franzosi- 
schen Clavecin-, Opern- und Ballettmusik spatestens 
seit Lully und L. Couperin entwickelte, bald auch au- 
Berhalb Frankreichs verbreitete Form vokaler und in- 
strumentaler Refrainkompositionen mit dem Schema 
abaca. . .a. Ein moglicher Zusammenhang mit dem 
mittelalterlichen R. ist nicht vollig geklart. Um 1700 
wurde das R. zu einer Modeerscheinung (groBte Ent- 
faltung und Mannigfaltigkeit bei Fr. Couperin), deren 
Schematismus und haufige Oberflachlichkeit in der 2. 
Halfte des 18. Jh. u. a. Forkel, Reichardt und J. B.Cra- 
mer kritisierten. Die gleichzeitig von C.Ph.E.Bach 
ausgebildete R.-Form und die allmahliche Bevorzu- 
gung des italienischen Wortes ->■ Rondo kennzeichnen 
die Abkehr vom Schematismus des franzosischen R.s. 

- R. bezeichnet lediglich eine auBere, verschiedenste 
Elemente in sich aufnehmende Form, die bei Vokal- 



52 



817 



Rondeau 



R.s textbedingt, bei Instrumental-R.s haufig durch 
Uberschriften charakterisiert oder mit bestimmten 
Satztypen, vor allem Tanzen, verbunden ist (z. B. Sara- 
bande, Bouree, Gigue en r. ; eine franzosische Eigenheit 
ist auch die haufige Verbindung mit Chaconne oder 
Passacaglia). Das Prinzip der R.-Formung ist das ab- 
wechselnde Aneinanderreihen von Refrain (Grand cou- 
plet oder selbstR.genannt)undZwischenteilen (Couplet 
oder Reprise). Bezeichnend sind schwankendeCouplet- 
zahl (in der Regel mindestens 2, selten nur 1 , in Fr. Cou- 
perins Passecaille H moll 8) sowie J.-Ph. Rameaus An- 
weisung: onpeut se passer . . . des reprises d'un R., qu'on 
trouvera trop difficiles (De la mechanique des doigts sur le 
davessin, 1724). Der in der Haupttonart stehende Re- 
frain wird als Refrain un verandert ( Ausnahme z. B J.-Ph. 
Rameau, La villageoise), untransponiert und ungekurzt 
(Ausnahme z. B. Fr. Couperin, Les amusemens) wieder- 
holt und ist daher oft nur einmal notiert. Er umfaBt oft 
8 oder 16 Takte mit haufig zwei einander entsprechen- 
den Halften mit Halb- und GanzschluB. Die Couplets, 
urspriinglich meist ebensolang wie der Refrain, jedoch 
weniger geschlossen, beriihren andere Tonarten; Cou- 
plet 1 beginnt meist noch in der Haupttonart, spatere 
Couplets konnen bereits in anderer Tonart einsetzen 
(Couplets in der Varianttonart meist an letzter Stelle). 
Mannigfaltig ist der Zusammenhang zwischen Refrain 
und Couplet und zwischen den Couplets untereinan- 
der: bisweilen besteht ein Couplet aus dem transpo- 
nierten Refrain, oder es wird aus dem Material des Re- 
frains gebildet (dies f ordern noch Forkel und Reichardt) , 
oder es ist unabhangig vom Refrain und kontrastiert 
zu ihm (vor allem hierbei bereitet bisweilen ein an das 
Couplet angehangter transponierter Teil des Refrains 
den Wiedereintritt des Refrains vor); die Wiederho- 
lung eines ganzen Couplets gibt es vor allem bei der so- 
genannten Refraingruppe (hierbei wird die am Beginn 
des R.s stehende Gruppe aba am SchluB wiederholt). 
Erweiterung und Bereicherung ohne grundsatzliche 
Anderung der R.-Form wurde erstrebt durch erhohte 
Coupletzahl, durch ausgedehntere Couplets (dann meist 
nur 2 Couplets, von denen bisweilen eines en r. separe 
geschrieben wurde, also selbst die Form aba hat) und 
dUrch das Doppel-R. : entweder wurde ein ganzes R. 
anschlieBend variiert (z. B. Rameau, Les niais de So- 
logne), oder es folgte eine Seconde partie in der Vari- 
anttonart, oft dhne motivischen Zusammenhang mit 
der Premiere partie. - C.Ph.E.Bachs grundsatzliche 
Neuerung der Form, von ihm selbst bereits Rondo ge- 
nannt, bestand vor allem darin, daB nun der Refrain als 
Refrain in verschiedenen Tonarten auf tritt und variiert, 
verkiirzt und durchfiihrungsartig verarbeitet wird und 
daB die Couplets freier, fantasieartig gestaltet sind, oft 
auch nur Uberleitungscharakter haben. - Seit etwa 
1600 gibt es Instrumental- und Vokalwerke, die dem 
franzosischen R. ahneln, aber nicht so heifien und we- 
niger stereotyp sind; in der Oper z. B. werden groBere 
Abschnitte durch Ritornelle zu Einheiten zusammen- 
gefaBt (Monteverdi, Orfeo, Prolog; Gluck, Orpheus, 
1 . Akt, 1 . und 2. Szene) ; Beispiele fur Formen, die dem 
R. ahneln, sind in geistlicher Musik der 136. Psalm von 
Schiitz und der SchluBchor aus J. S.Bachs Johannes- 
passion; in der Instrumentalmusik finden sich Beispiele 
bei G.B.Buonamente und J.Vierdanck; auch der 
SchluBsatz des 1. Brandenburgischen Konzerts von 
J. S.Bach hat die Form eines R.s. 
Lit. : W. Chrzanowski, Das instr. R. u. d. Rondoformen 
im 18. Jh., Diss. Lpz. 1911; Fr. Piersig, Das Rondo, 
= Mus. Formen in hist. Reihen IV, Bin (193 1) ; S. Clercx, 
La forme du rondo chez C.-Ph.-E. Bach, Rev. de Musicol. 
XIX, 1935; W. Georgii, Klaviermusik, Zurich (1941), Zu- 
rich u. Freiburg i. Br. 41965. GBa 



Rondellus (mittellat.) nennt derEnglander W. Oding- 
ton (De speculatione musices, um 1320; CS I, 245b und 
246b f.) die ganz auf dem Verfahren des Stimmtauschs 
beruhende Komposition, das Stimmtauschstuck, das 
seinem Erscheinungsbild nach dem Kanon nahesteht. 
Er beschreibt und exemplifiziert den R. (id est [cantus] 
rotabilis vel circumductus) als eine Spezies des -> Discan- 
tus (in Nachbarschaf t zum Conductus) : ein frei erf un- 
dener Cantus (excogitetur cantus pulchrior qui possit) bil- 
det zusammen mit zwei gleichzeitig einsetzenden Stim- 
men einen Abschnitt (mit oder ohne Text), der unter 
Vertauschung der Stimmen (quod unus cantat, omnesper 
ordinemrecitent) zweima.1 wiederholt wird (siehe c ^ 
nebenstehendes Schema), worauf ein neuer , 
Stimmtauschabschnitt beginnt oder auch (nach , 

Ausweis anderer Quellen) der gleiche Stimm- a c 
tauschabschnitt mit neuem Text wiederholt werden 
kann. Beim R. cum littera (bei dem nicht alle Stimmen 
textiert zu sein brauchen) wandern zusammen mit der 
Melodie- auch die Textzeilen durch die Stimmen (Aus- 
nahme z. B.: Wore, ed. Dittmer, Nr 31). Das 3-, auch 
das 2st. Stimmtauschstuck, in englischen Quellen schon 
seit dem 12.Jh. belegt (Harrison), und das Stimmtausch- 
verfahren gehoren im 13. und 14. Jh. zu den Besonder- 
heiten des Discantus in England, der auch sonst die 
textlich-musikalische Gleichrangigkeit der Stimmen 
bevorzugte und wohl auch im R. eine naturwiichsige 
Art der Mehrstimmigkeit auf gegriff en hat. Auf Stimm- 
tausch beruht der 2st. -*■ Pes (- 2) des »Sommerkanons« 
(-> Rota). Das f ragmen tarisch erhaltene Worcester- 
Repertoire (-> Quellen: Wore) weist unter rund 110 
mehrstimmigen Kompositionen 7 C. f.-freie Stimm- 
tauschstiicke auf: mit mehrfacher Wiederholung ein 
und desselben Stimmtauschabschnitts (ed. Dittmer, Nr 
21), meist jedoch mit Reihung immer neuer Stimm- 
tauschabschnitte (auch als Hoquetus ausgebildet, Nr 
25) wobei der Anfangs- oder(und) der SchluBabschnitt 
auBerhalbderStimmtauschwiederholungenstehenkon- 
nen (Nr 94). - Vom R. mit Stimmtausch durch alle 
Stimmen (dem Stimmtauschstuck Odingtons) und der 
entsprechenden R.-Partie, z. B. als Teil eines Conductus 
(Wore Nr 69, SchluBcauda) oder im Wechsel mit Con- 
ductuspartien (Nr 93), ist der Stimmtausch der Ober- 
stimmeneiner Komposition (»Oberstim- c ^ £ e 
men-R.«) zu unterscheiden (siehe neben- , t '" 

stehendes Schema). Er tritt in den Wor- , , 

cester-Fragmenten sehr haufig auf, z. B. aa •'' 

als Stimmtauschmotette (»R.-Motette«) mit bestan- 
dig wiederholtem (Nr 12) oder immer neuem, je ein- 
mal wiederholtem Pes (Nr 16 und 17), auch etwa 
in der Vorzeile eines zwischen Conductus- und R.- 
Partien wechselnden Stiickes (Nr 93). - Auf dem Fest- 
land bildet die Wiederholung eines Melodieabschnitts 
in einer anderen Stimme, als -> Color (- 2) bezeichnet 
und haufig als Stimmtausch ausgebildet, eines der Ge- 
staltungsmittel der groBen Notre-Dame-Organa. Ein 
reines Stimmtauschstuck ist das Benedicamus Domino, 
das fragmentarisch in F (f. 47', ed. Husmann, S. 132), 
vollstandig in Hu (f. 25', ed. Angles, S. 48) iiberliefert 
ist. Nachweislich englischer Provenienz ist die R.-Mo- 
tette mit dem Tenor Balaam in W2 (Besseler, Musik des 
Mittelalters ..., S. 122). Eine Reihe von R.-Motetten 
enthalt die Hs. Mo, z. B. Nr 339 (in urspriinglicher 
Form in Wore, Motettenvorspann der Choralbearbei- 
tung Nr 19, auch Nr 56), ferner Nr 340 und 341. - Zu 
unterscheiden ist der englische, nur bei Odington be- 
legte Terminus R. von den auf Kanontechnik bezoge- 
nen Ausdriicken -> Rota, -> Radel, ->■ Round (- 1) und 
von dem auf dem Festland belegten Begriff R., den 
Franco von Koln (ed. Cserba, ,S. 252) im Sinne der Re- 
frainform des franzosischen -»■ Rondeaus (- 1) erwahnt. 



818 



Rota 



Lit. : L. A. Dittmer, An Engl. Discantuum Volumen, MD 
VIII, 1954; ders., Beitr. zum Studium d. Worcester-Frag- 
mente, Mf X, 1957; E. Apfel, Studien zur Satztechnik d. 
ma. engl. Musik, 2 Bde, = Abh. d. Heidelberger Akad. d. 
Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1959, Nr 5 ; Fr. Ll. Harrison, 
Rota and R. in Engl. Medieval Music, Proc. R. Mus. Ass. 
LXXXVI, 1959/60. HHE 

Rondo, eine aus dem ->■ Rondeau (- 2) der franzosi- 
schen Clavecinisten hervorgegangene Reihungsform 
mit wiederkehrcndem Refrain und eingeschobenen 
Zwischenspielen (Couplets, -> Episode). Das R. der 
Klassik und friihen Romantik beschrankt sich meist auf 
3 Couplets. Es steht im Sonaten-Satzzyklus und im 
Konzert in der Regel als virtuoser und heiterer SchluB- 
satz, tritt aber auch selbstandig, vor allem als Kompo- 
sition fur Klavier auf (W.A.Mozart, K.-V. 382, 386, 
485, 494, 511 ; Beethoven, op. 51 Nr 1 und 2; Schubert, 
op. 107, 130, 145). - Im sogenannten Sonaten-R., das 
bereits bei Haydn und Mozart ausgebildet ist, werden 
Einfliisse der Sonatensatzform auf das R. wirksam. Sie 
auBern sich in der durchfiihrungsartigen Anlage des 
mittleren Couplets und dem reprisenartigen Zuriick- 
greifen auf das thematische Material des ersten Cou- 
plets im letzten Couplet, das oft auch in der Grundton- 
art erscheint : 

ABA C A B' A 

Exposition Durchfiihrung Reprise (Coda) 
Beispiele dafiir bieten die SchluBsatze in Werken von 
J.Haydn (Symphonie B dur, Hob. I, 102), W.A.Mo- 
zart (Klavierkonzerte C dur, K.-V. 415, und B dur, K.- 
V. 450) , Beethoven (Klavierkonzert G dur op. 58) , Men- 
delssohn Bartholdy (R. brillant fiir Kl. und Orch. op. 
29). Nach Schubert, der die R.-Form fiir Einzelkom- 
positionen und als Finale im Sonaten-Satzzyklus haufig 
verwendet, erlosch das Interesse der Komponisten am 
R. Nur bei den Modekomponisten der Salonmusik 
blieb das R. als Einzelkomposition beliebt. Von Liszt 
gibt es R.s innerhalb seines Friihwerkes, z. B. R. di bra- 
vura (1825). Innerhalb des Sonaten-Satzzyklus trat die 
Sonatensatzform mit der Moglichkeit groBerer Final- 
steigerung an die Stelle der R.-Form. Erst urn die Jahr- 
hundertwende erscheint das R. wieder als Satz von 
Symphonien. Bei Mahler kommt es zu einer erneuten 
Auseinandersetzung zwischen R. und Sonatensatzform 
(5., 7. und 9. Symphonie). - Beispiele fiir R.s im 20. Jh. 
bieten u. a. Bartok, 3 R.s uber Volksweisen (1916 und 
1927) ; A. Berg, Wozzeck, 2. Akt, 5. Szene (R. marziale), 
und Kammerkonzert (1925), 3. Satz (R. ritmica con Intro- 
duzione); Th.Berger, R. ostinato (1955); Schonberg, 
3. Streichquartett op. 30, SchluBsatz; Webern, Streich- 
trioop. 20, 1. Satz. 

Lit. : Fr.Tutenberg, Die Sinfonik J. Chr. Bachs, = Veroff. 
d. Mw. Inst. d. Univ. Kiel I, Wolfenbuttel 1928; R. v. To- 
bel, Die Formenwelt d. klass. Instrumentalmusik, = Ber- 
ner Veroff. zur Musikforschung VI, Bern 1935; M. Bed- 
bur, Die Entwicklung d. Finales in d. Symphonien v. 
Haydn, Mozart u. Beethoven, Diss. Koln 1953, maschr.; 
H. Enoel, Haydn, Mozart u. d. Klassik, Mozart-Jb. 1959; 
ders., Die Quellen d. klass. Stils, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I ; 
H. Tischler, Eine Form-Analyse v. Mozarts Klavierkon- 
zerten, = Wiss. Abh. X, Brooklyn (N. Y.) 1966. 

Rorantisten-Kapelle, eine Sangerkapelle in Krakau, 
die 1543 von Konig Sigismund I. gegriindet wurde und 
bis 1872 tatig war. Ihr Name geht zuriick auf die in 
Krakau schon vorher taglich gesungene Votivmesse 
Rorate (daher eigentlich: Roratisten). Die aus 11 San- 
gem bestehende Kapelle hatte neben der Hof-(spater 
Dom-)Kapelle besondere Aufgaben und erhielt einen 
eigenen Kapellraum zugewiesen. Sie bewahrte die Tra- 
dition des italienischen a cappella-Stils und war von ei- 
nigem EinfluB auf die Entwicklung der Musik in Polen. 
Lit. : — ► Krakau. 



Rosalie, Schusterfleck oder Vetter Michel sind verun- 
glimpfende Bezeichnungen fiir die einmal oder mehr- 
mals unmittelbar aufeinanderfolgende Hohertranspo- 
sition eines Motivs, auch seiner Begleitstimmen, umje- 
weils einen Ton. Alle drei Bezeichnungen kamen um 
1750 auf und geben da von Kunde, wie sehr bereits da- 
mals die noch in der 1. Halfte des 18. Jh. so beliebten 
stufenweise steigenden Sequenzen als abgenutzt emp- 
funden wurden (vgl. dazu KochL, Artikel Transposi- 
tion). Der Name R. wird auf ein italienisches Volkslied 




Der Name Vetter Michel geht auf das um 1750 entstan- 
dene Lied Gestern abend war Vetter Michel da zuriick, in 
dessen Mittelteil eine R. vorkommt: 

da 



Die den ganzen Satz intervallgetreu transponierende 
harmonische oder reale Sequenz heiBt dann Schuster- 
fleck, wenn sich ihre Anwendung nicht notwendiger- 
weise aus der Konzeption des Werkes ergibt. So nann- 
te Beethoven (nach Schindler, L. van Beethoven II, 
5 1927, S. 35) das Thema seiner Variationen op. 120, ei- 
nen Walzer von Diabelli, wegen harmonischer Sequen- 
zen, die dort ohne Grund angebracht sind, mit Recht 
einen Schusterfleck. Er selbst hat jedoch verschiedent- 
lich, z. B. im Fidelio (Arie des Pizarro, Takt 90ff.), von 
harmonischen Sequenzen als Steigerungsmittel hervor- 
ragenden Gebrauch gemacht. Gleiches gilt von Schu- 
bert (Cruppe aus dem Tartarus, D 583, Takt 50ff.), Liszt 
{Ligende Nr 1 fur Kl., Takt 116ff.) und Bruckner (9. 
Symphonie, 1. Satz, Takt 51ft). 

Rosette heiBt das durchbrochen gearbeitete runde 
Schalloch in der Mitte des Resonanzbodens von lau- 
tenartigen Zupfinstrumenten und besaiteten Tasten- 
instrumenten. 

Rostock. 

Lit.: H. Ebert, Versuch einer Gesch. d. Theaters in R., 
Gustrow 1872; K. Koppmann, Die R.er Stadtmusikanten, 
= Beitr. zur Gesch. d. Stadt R. II, H. 2 u. 3, R. 1897-98 ; A. 
Schatz, Zur Vorgesch. d. Stadttheaters in R., ebenda II, 4, 
1899 ; W. Schacht, Zur Gesch. d. R.er Theaters (1756-91), 
Diss. R. 1908 ; G. Kohfeldt, Studentische Theaterauffuh- 
rungen im alten R., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt R. XI, R. 
1919 ; W. Th. Gaehtgens, Die Gestaltung d. R.er Gottes- 
dienste bei d. Durchfiihrung d. Reformation im Jahre 1531, 
R. 1934; ders.,, Die alten Musikalien d. Univ.-Bibl. u. d. 
Kirchenmusik in Alt-R., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt R. 
XXII, R. 1941 ; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an d. 
deutschen Univ. bis zur Mitte d. 16. Jh.(R.),AfMf VI, 1941. 

Rota (lat., Rad), spatmittelalterliche Bezeichnung fiir 
einen Satz in Kanontechnik. R. ist offenbar Grundwort 
fiir eine Reihe von musikalischen Termini, die vom 
Bild des Rades, des »Runden«, her gepragt sind, sei es, 
weil sich die Ausfiihrenden im Kreis aufstellen, sei es 
auf Grund einer Text-, Melodie- oder Satzstruktur, die 
nach Art eines Kreises in den Anfang zuriickleitet : ro- 
tulum (est, quod voluitur ad modum rote ; Breslauer Men- 
suraltraktat, ed. Wolf, S. 336), rotunda vel rotundellus 
( . . . dicitur, eo quod ad modum circuit in se ipsam reflectitur 
et incipit et terminatur in eodem;]. de Grocheo, ed. Roh- 
loff, S. 50), -> Rondeau (- 1; rondellus), -» Radel, 
-> Round (-1). Beriihmt ist der Beleg fiir R. im »Som- 
merkanon« (Kanonanweisung : Hanc rotam cantare pos- 
sunt quatuor socii; dazu ein 2st. -*■ Pes - 2, nach Art des 
-> Rondellus) ; ein schones Beispiel dafiir, wie zuwei- 



52» 



819 



Rotrouenge 



len auch die Notation den (Zirkel-)Kanon als Rad oder 
Kreis veranschaulicht, bietet die Rode a 3 von B.Cor- 
dier (-s- Quellen: Ch, f. 12). 

Lit.: J. Wolf, Ein Breslauer Mensuraltraktat d. 15. Jh., 
AfMw 1, 1918/19 ; J. Handschin, The Summer Canon and 
Its Background, MD III, 1949 u. V, 1951 ; M. F. Bukofzer, 
»Sumer is icumen in«. A Revision, Univ. of California 
Publications in Music II, 2, Berkeley u. Los Angeles 1944; 
Fr. Ll. Harrison, R. and Rondellus in Engl. Medieval 
Music, Proc. R. Mus. Ass. LXXXVI, 1959/60. 

Rotrouenge (rotru'a:3, altfrz., auchretrowange; Her- 
kunft und Grundbedeutung des Wortes unklar), ein 
altf ranzosisches Minnelied. 3 bis zumeist 5 gleichartige 
Verse (es tiberwiegen 10- und 1 1 Silbler), fortlaufend ge- 
reimt (a a a . . .), bilden den Strophengrundstock. Der 
angeschlossene Refrain weicht im VersmaB oft ah, re- 
gelmaBig jedoch im Reimschema (B B). Fur die gleich- 
artig aufeinanderfolgenden Verse bleibt die Zeilenme- 
lodie gleich, so daB der musikalische Aufbau dem reim- 
bestimmten Bau der Strophe entspricht: a a a ... (3 |3. 
In mittelalterlichen Handschriften werden als R.-Lieder 
bezeichnet: Raynaud 2082, 636, 768, 354, 602, 1914 
(von Gontier de Soignies) und das anonyme 1411. 
Ausg. u. Lit. : Fr. Gennrich, Die altfrz. R., Halle (1925) ; 
ders., Zu d. altfrz. R., Zs. f . romanische Philologie XLIV, 
1926; ders., Das Formproblem d. Minnesangs, DVjs. IX, 
1931; H. Spanke, Eine altfrz. Liederslg, = Romanische 
Bibl. XXII, Halle (1925). 

Rotta,-l) (ahd.;mhd. rotte; altfrz. rote; altprov. und 
latinisiert rota; gallo-romanisch chrotta, chrota) ein 
ein- oder beidseitig bespanntes 3eckiges Zupfinstru- 
ment vom Typ der -> Zither (- 1), das senkrecht nach 
Art der Harfe gehalten wird (daher nach Drager 1948 
als Harfenzither zu klassifizieren), mit bis zu 30 Saiten 
und mit einem holzernen Boden oder Schallkasten. Die 
Instrumentennamen R. und Psalterium wurden biswei- 
len gleichbedeutend, bisweilen nebeneinander ge- 
braucht (vgl. Riedel 1959, S. 105, 181, 237). Bei Ruod- 
lieb (Epigramm XI; 11. Jh.) heirk es: ... inuenit . . . 
Dauid psalterium triangulum id est rottam. Der friiheste be- 
kannte Beleg fur die R. ist die Abbildung einer llsaiti- 
gen R. auf dem Elfenbeindeckel des Dagulf-Psalters 
(Ende 8. Jh.). An einem Kapitell im Kloster Moissac 
(um 1085-1115) ist ein die R. spielender Begleiter des 
Konigs David dargestellt mit der Beischrift NAME 
(=Eman) CVM ROTA (weitere Denkmaler bei Steger 
1961). Auf den mittelalterlichen Abbildungen der R. 
ist - im Unterschied zu Darstellungen der 3eckigen 
Rahmenzither oder der Harfe - der Saitenhintergrund 
undurchsichtig bzw. in Reliefdarstellungen nicht tief 
ausgearbeitet; die Saitentrager sind relativ diinne Lei- 
sten. Die im Unterschied zum -»■ Psalterium mogliche 
beiderseitige Bespannung mit Saiten (schon im spaten 
ll.Jh. nachweisbar) bestatigt ein Dokument des 15. Jh. 
(Bayerische Staatsbibl. Munchen, cgm 649, f . 562) : . . . 
rott, chordas habens ex utraque parte ligni cauati (lignum 
cavatum, ausgehohltes Holz, s. v. w. Schallkasten). 
- 2) In der Instrumentenkunde wurden bislang mit R. 
leierartige, gezupfte oder gestrichene Instrumente von 
8-formigem UmrifS bezeichnet, die bis ins 19. Jh. im 
walisischen ->■ Crwth und in skandinavischen Streich- 
leiern (schwedisch strakharpa) fortlebten. Seitdem Ste- 
ger 1961 nachgewiesen hat, daB der Name R. im Mit- 
telalter eine 3eckige Harfenzither bezeichnet, ist unge- 
klart, welche Benennung den Zupf- und Streichleiern 
urspriinglich zukam. Eine anonyme Glosse des 13. Jh. 
zu De planctu naturae von Alanus ab Insulis (vgl. Wolf 
1841, S. 246) bringt R. und ->■ Leier in Verbindung: 
Lira est quoddam genus citharae vel sitola, alioquin de Roet. 
Hoc instrumentum est multum volgare. Die Moglichkeit, 
daB der Name R. zwei verschiedene Instrumente be- 



820 



zeichnen konnte, ist also - auch im Hinblick auf den 
Crwth - nicht mit Sicherheit auszuschlieBen. Charak- 
teristisch fiir einen mittelalterlichen Typ der Zupfleier 
ist ein kreisformiger Jochbogen (vgl. Steger, David rex 
et propheta, Tafel 11), doch ist auch die Form des 
Crwth friih belegt (9. Jh.). Die Streichleier kann mit 
(Crwth) oder ohne (Strakharpa) Griffbrett auftreten. 
- 3) Als ital. Wort bezeichnet R. vereinzelt im 14. und 
16. Jh. einen -> Nachtanz. Zu den Estampien Lamento 
di Tristano und La Manfredina in Lo (-> Quellen) geho- 
ren mit R. iiberschriebene geradtaktige, frei variativ 
abgeleitete Nachtanze. Bei F.Caroso (1581 und 1600) 
erscheint R. als Bezeichnung fiir einen bestimmten 
Nachtanz in der Satzfolge: Balletto - Gagliarda - La 
R. - Canario (die R. steht hier im 6/8-Takt und hat 
Ahnlichkeit mit dem Canario), und fur Nachtanz all- 
gemein in der Satzfolge: Balletto - La r. grave - La r. 
in saltarello - La r. in gagliarda. 
Lit.: zu 1) u. 2): F. Wolf, Uber d. Lais . . ., Heidelberg 
1841 ; H. Panum, Middelalderens strenge-instrumenter og 
deres forl0bere i oldtiden, Kopenhagen 1915, engl. hrsg. v. 
J. Pulver als : The Stringed Instr. of the Middle Ages, Lon- 
don (1940); O. Andersson, Strakharpan, Stockholm 1923 ; 
ders., The Bowed Harp, London 1930; ders., The Shetland 
Gue, the Welsh Crwth, and the Northern Bowed Harp, in : 
Budkavien I-IV, 1956; J. Werner, Leier u. Harfe im ger- 
manischen M A, in : Aus Verf assungs- u. Landesgesch., Fs. 
Th. Mayer, Bd I, Konstanz 1954 ; H. Riedel, Musik u. Mu- 
sikerlebnis in d. erzahlenden deutschen Dichtung, = Abh. 
zur Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XII, Bonn 1959; E. 
Emsheimer, Die Streichleier v. Danczk, STMf XLHI, 1961, 
auch in : Studia ethno-musicologica eurasiatica, = Musik- 
hist. museets skrifter I, Stockholm 1964; H. Steger, David 
rex et propheta, = Erlanger Beitr. zur Sprach- und Kunst- 
wiss. VI, Niirnberg 1961 ; ders., Die Rotte, DVjs. XXXV, 
1961; W. Bachmann, Die Anfange d. Streichinstrumen- 
tenspiels, = Mw. Einzeldarstellungen III, Lpz. 1964. 

Rotulus (lat., Rolle; frz. rouleau; engl. roll). Die Rol- 
le aus aneinandergeklebten oder -gena'hten Blattern 
war als friiheste Form des Buches bis ins 4. Jh. n. Chr. 
vorherrschend. Die aneinandergeklebten Blatter wur- 
den der Langsseite nach in Kolumnen beschrieben und 
von links nach rechts abgerollt und gelesen. Im Mittel- 
alter wurde der R. - neben der bevorzugten Buchform 
des Codex - teilweise noch fiir Register, Urkunden 
und liturgischeTexte beibehalten, nun aber der Schmal- 
seite f olgend beschrieben und von oben nach unten ent- 
rollt und gelesen. Musikgeschichtlich interessiert eine 
Anzahl reich illustrierter Pergamentrollen des 10.-13. 
Jh. aus Suditalien, die auch Aufzeichnungen von Cho- 
ralmelodien enthalten. Sie wurden in der Liturgie der 
Osternacht beim Praeconium paschale (Exultet) ver- 
wendet, das der Diakon vom Ambo aus sang. Die zu- 
gehorigen Miniaturen sind vielfach mit Riicksicht auf 
die vor dem Ambo stehenden Glaubigen im Verhaltnis 
zur Text- und Melodieschrift auf dem Kopf stehend 
dargestellt. Rotuli mit mehrstimmiger Musik sind im 
13.-15. Jh. mehrfach bezeugt (fiir England siehe Harri- 
son). Bekannt geworden sind bis jetzt folgende Frag- 
mente: 1) Brussel, Bibl. Royale, Ms. 19606 (Sigel: Br; 
nach 1300, 3st. Conductus und Motetten; siehe Hoppin 
1955); 2) Paris, Bibl. Nat., Coll. de Picardie 67, f. 67f. 
(^ Quellen : Pic) ; 3) London, Public Record Office, E. 
149/7/23 dorse (2. Halfte des 14. Jh., 3st. MeBsatze; 
siehe D. Stevens 1955) ; 4) Cambridge, Trinity College, 
Ms. 0.3.58 (1. Halfte des 15. Jh., 2-3st. Carols; siehe J. 
Stevens 1952). Trouveretexte (ohne Noten) iiberliefert 
ein R. in London (Lambeth Palace, Misc. Rolls 1435; 
siehe Raynaud-Spanke, S. 2). Bildzeugnisse zum Ge- 
brauchdesR. bringenHammerstein (Abb. 1) und Droz- 
Thibault (vor S. 13, auch Besseler 1931, S. 126). 
Lit. : H. Hunger, Antikes u. ma. Buch- u. Schrif twesen, in : 
Gesch. d. Textuberlieferung I, Zurich (1961). - E. Droz u. 



Ruggiero 



G. Thibault, Pontes et musiciens du XV e s., = Documents 
artistiques du XV e s. I, Paris 1924; H. Besseler, Studien 
zur Musik d. MA I, AfMw VII, 1925, S. 195ff.; ders., Die 
Musik d. MA . . ., Bucken Hdb.; M. Avery, The Exultet 
Rolls . . . , 2 Bde, Princeton (N. J.) 1 936; J. Stevens in: Mus. 
Brit. IV, London 1952, S. 125ff.; R. H. Hoppin, A Mus. R. 
..., RBM IX, 1955; ders., Some Remarks apropos of 
Pic, RBM X, 1956; R; D. Stevens, A Recently Discovered 
Engl. Source ..., MQ XLI, 1955; Fr. Ll. Harrisson, 
Music in Medieval Britain, London 1958; R. Hammer- 
stein, Tuba intonet salutaris, AMI XXXI, 1959; J. Wett- 
stein, Un rouleau campanien du XI e s. . . . , Scriptorium 
XV, 1961 ; dies., Les Exultet de Mirabella Eclano, ebenda 
XVII, 1963. 

Rouen. 

Lit. : A.-R. Collette u. A. Bourdon, Hist, de la mattrise 
de R., R. 1892; dies., Notice hist, sur les orgues et les or- 
ganistes de la cathedrale de R., R. 1894; H. Geispitz, Hist, 
du Theatre des Arts de R., R. 191 3 ; ders., Hist, du Theatre 
des Arts de R. (1913-40), R. 1951 ; R. Eude, Petite hist, du 
Th6atre des Arts, R. 1963. 

Roulade (rul'ad) frz.), »Roller«, Laufer, virtuose Pas- 
sage f iir Gesang. 

Round (jaund, engl., rund, Rundgesang), - 1) kurzer, 
melodisch anspruchsloser vokaler Zirkelkanon in Ein- 
klang oder Oktave, dessen Stimmeneinsatze in gleichen 
Abstanden iiber das ganze Stuck verteilt sind. Die erste 
namentliche Erwahnung stammt von etwa 1515 (. . . 

let us sing this r ; Hs. London, Brit. Mus. , add. 31 922) . 

R. und -> Catch, einander sehr ahnlich, waren seit dem 
16. Jh. in England als Formen geselliger Unterhaltungs- 
kunst beliebt und fanden besonders durch die Samm- 
lungen von Th.Ravenscroft (1609 und 1611) und J. 
Playford (ab 1651) starke Verbreitung. - 2) R. oder 
Roundel (so Shakespeare, Midsummer Night's Dream, 
2. Akt, 2. Szene) bezeichnet im 17. Jh. einen Tanz, bei 
dem die Tanzer einen Kreis bilden; die 1. Auflage von 
J.Playfords The English Dancing Master (1651) bietet 13 
solcher R.s. 

Lit.: zu 1): E. Fr. Rimbault u. J. P. Metcalfe, The R., 
Catches and Canons of England, London (1864); J. Ste- 
vens, R. and Canons from an Early Tudor Song-Book, ML 
XXXII, 1951 ; J. Vlasto, An Elizabethan Anth. of R., MQ 
XL, 1954. - zu 2): M. Dean-Smith, Playford's »Engl. 
Dancing Master«, London 1957 (Einfiihrung u. Bibliogr.). 

Rovescio (rov'effo, ital.) ->■ Umkehrung. 

rubato (ital.) -*■ Tempo rubato. 

Rubeba, rubella (lat.) -> Rebec. 

Rudolstadt (Thiiringcn). 

Lit. : P. Gulke, Musik u. Musiker in R., = Sonderausg. d. 
Rudolstadter Heimathefte, R. 1963; B. Baselt, Der Rudol- 
stadter Hofkapellmeister Ph. H. Erlebach (1657-1714), 
Diss. Halle 1964, maschr. 

Riickpositiv heiCt bei der -»■ Orgel ein Werk (-> Po- 
sitiv), das im Riicken des Organisten in das Kirchen- 
schiff hinausragt; bei dreimanualigen Orgeln gehort 
das R. in der Regel zum untersten Manual und wird 
von da durch eine unter der Orgelbank verlaufende 
Traktur.regiert. 

Riickschlag ->-Vorschlag (Nachschlag). 

Rueda (span., Rad, Kreis, Rolle), ein in der mittelspa- 
nischen Provinz Altkastilien (um Burgos) vorkommen- 
der Rundtanz im 5/8- bzw. 5/4-Takt: 



der rhy thmisch dem baskischen -> Zortziko ahnelt und 
heute gelegentlich im 3/8- bzw. 2/4-Takt notiert wird. 
Lit. : Fr. Olmeda, Folk-lore de castilla o cancionero popu- 
lar de Burgos, Sevilla 1903. 



Ruhrtrommel (auch Rolltrommel, Wirbeltrommel, 
Landsknechtstrommel ; engl. tenor-drum; frz. tam- 
bour oder caisse roullant[e]; ital. cassa oder tamburo 
rullante), Trommelinstrument ohne Schnarrsaite, oft 
falschlich als kleine -» Trommel oder Militartrom- 
mel bezeichnet, mit holzernem zyhndrischem, bis zu 
1 m hohem Resonanzkorper ( ca. 26-30 cm) und Fell- 
bezug auf beiden Seiten, der durch eine Trommelleine 
gespannt wird. Anderungen der Membranspannung 
konnen durch das Verschieben der ledernen Trommel- 
schleifen bewirkt werden, durch die je zwei Teile der 
Trommelleine fiihren. Die R. wird mit Holz- oder 
Paukenschlageln (-»■ Schlagel) gespielt; wie bei den 
iibrigen Trommeln ergibt die Wahl der Schlagelart und 
der Anschlagstelle auf dem Fell verschiedene Klang- 
farben (Mitte dunkel, zum Rand hin heller). Ihr Klang 
liegt zwischen dem der groBen und dem der kleinen 
Trommel. Die Notierung erfolgt heute auf einer Linie 
ohne Schlussel (im 18. und friihen 19. Jh. im Fiinfli- 
niensystem mit BaBschliissel). Ihr wirkungsvollster 
Effekt ist der Wirbel, doch werden auch Einzelschlage 
gefordert, wie das Beispiel einer friihen Verwendung 
der R. im Orchester bei Gluck (Iphigenie en Tauride, 
1779) zeigt. Im 19. und 20. Jh. wird die R. gefordert 
u. a. von Berlioz (Grande messe des morts, 1837), R. 
Wagner (Die Meistersinger von Niimberg, 1868; Die 
Walkure, 1870; Gotterdammerung, 1876), R.Strauss (Ein 
Heldenleben, 1899), Strawinsky (Histoire du soldat, 1918) 
und Varese (Integrates, 1926; Ionisation, 1933). 

Ruggiero (rudd3'e :ro, ital.) heiBt seit mindestens 1584 
(Libra d'intauolatura di liuto von V. Galilei, hs.) ein mu- 
sikalisches Satzmodell, das in der 1. Halfte des 17. Jh. 
als Aria da cantare (-> Arie), als instrumentaler Tanz- 
satz und als Thema von Variationszyklen beliebt und 
verbreitet war. Vom ersten Auftreten unter den Te- 
nores im Tratado deglosas (1553) von D.Ortiz (Beispiel 
a; siehe folgende Seite) an bis gegen 1610 sind einzelne 
Tone der BaBformel noch variabel, danach ist deren 
Gestalt annahernd konstant (Beispiel b). Die Ober- 
stimme ist harmonisch gebunden, aber tonlich nicht 
festgelegt. Kennzeichen des R.-Modells sind Durcha- 
rakter, gerader Takt mit Auftakt, 8taktige, durch Halb- 
und GanzschluB gegliederte Periode mit harmonischer 
Korrespondenz beider Halften (Beispiel d) sowie die 
Eignung zur Unterlegung von Versen in HSilblern 
(Akzente: 6. und 10. Silbe) wie der Ottava rima (Bei- 
spiel c). Das R.-Modell ist ein pragnantes Beispiel f iir die 
im 16./17. Jh. in Italien verbreitete Gepflogenheit.Wer- 
ke der Dichtkunst auf anspruchslose, kurze und beliebig 
wiederholbare Melodien zu singen. A.Einstein wies auf 
die Moglichkeit hin, daB das Textincipit der bekannten 
Stanze Ruggier, anal semprefui, tal'esser voglio j Fin'alla 
morte, epiu, sepiu sipuote . . . aus dem Orlandofurioso von 
L. Ariosto die Bezeichnung R. gepragt hat. Vertonungen 
dieses Textes sind seit 1547 (Valderrabano, Silva de Si- 
renas), verbunden mit dem R.-Modell aber erst seit 
1617 (Cifra, Li diversi Scherzi . . . V) nachgewiesen. Der 
R. ist auBerdem und vielleicht sogar urspriinglich ein 
Tanz, der zuerst 1 588 (G. B. Del Tuf o) erwahnt und An- 
fang des 17. Jh. als volkstumlich und grotesk gekenn- 
zeichnet wird. Bis ins 19. Jh. ist er in den toskanischen 
Bergen gebrauchlich und noch im 20. Jh. auf Sizilien. 
Innerhalb der musikalischen Quellen des 17. Jh. zeigt 
sich der Tanzcharakter des R. darin, daB gelegentlich 
auch Nachtanze zum R. auftreten (z. B. R. Intripla bei 
Sanseverino, 1622). Aus der Fulle der Verarbeitungen 
des R.-Modells inLauten-, Chitarra-, Cembalo-, Arien- 
und instrumentaler Ensemblekomposition sind hervor- 
zuheben die Partite und das Capriccio Frajacopino sopra 
VAria di Roggiero (1615, 1637) sowie die 4st. Canzon 



821 



Rumanien 



















XI 


A A A *A ~ 


A 


i 


r r 

J 1 


^r r r r r r r 
i i i i i ii 














b 




r r ' ' • 


r 


1 r 








*J ! ft ?=■ 








o- g> s s " =»-=F==3=(y 




c 


Vo - 
1 


strofui,vo-stro son 

2 3 4 5 6 

> i 


e 
7 


sa- ro 
8 9 


VO - 

10 

> 


stro Fin - die ve-dro quest' a - ria e que-sto cie 

11 ' 1 234 567 89 10 

1 1 >i i > 


- lo. 

11 


d 


i 


T T 




(Kade 


nz 


) 




_£,,_ 


D 




D (Kadenz) 


r , 



a) 4st. Begleitsatz der Quinta pars aus dem Tratado de glosas (1553) von D. Ortiz, original 

in F; b) R.-BaBformel seit etwa 1610 (nach H. Spohr); c) Textunterlegung des Anfangs 

einer Ottava rima des B.Tasso, die z. B. S. D'India (1609) verwendet (nach H. Spohr); 

d) Harmonieschema der metrischen Schwerpunkte. 



prima sopra Rugier aus den Canzoni da sonare (1634) von 
Frescobaldi, die Sonata sopra VAria di R. fur 2 Violini 
da braccia und Chitarrone von S.Rossi (1613) und als 
spateste Belege 2 Stiicke fur Violine bzw. Violone solo 
aus einem Manuskript von G.B. Vitali (um 1680). 
Lit. : G. Crime Lo Giudice, I Ruggieri (Ballo popolare si- 
ciliano), Arch, per lo studio delle traduzioni popolari IV, 
1885; A, Einstein, Die Aria di R., SIMG XIII, 1911/12; 
ders., Ancora sull'aria di R., RMI XLI, 1937 ; R. Casimiri, 
L'aria di R., Note d'arch. X, 1933; O. Gombosi, Italia, 
patria del basso Qstinato, Rass. mus. VII, 1934; H. Spohr, 
Studien zur ital. Tanzkomposition um 1600, Diss. Frei- 
burg i. Br. 1956, maschr. 

Rumanien. 

Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, 
Bukarest) : D. Vtjlpian, Muzica populara. Balade, colinde, 
doine, idile, (1885); B. Bart6k, Cantece popolare roma- 
nesti din comitatul Bihor (»Rumanische Volkslieder aus d. 
Komitat Bihor«), 1913; ders., Volksmusik d. Rumanen v. 
Maramures, = Sammelbde f . vergleichende M w. IV, Miin- 
chen 1923; ders., Melodien d. rumanischen Colinde (Weih- 
nachtslieder), Wien 1935; C. Brailoiu, Colinde si cintece 
de stea (»Colinden u. Sterngesange«), 1931 ; ders., Cintece 
batrinesti din Oltenia, Muntenia, Moldova si Bucovina 
(» Alte Lieder aus Oltenia ...«), = Publicatiile Archivei de 
folclorVI, 1932; G. Breazul, Colinde (Weihnachtslieder, 
Sterngesange, Herodesspiel), = Cartea satului XXI, 1938; 
M. Friedwagner, Rumanische Volkslieder aus d. Buko- 
wina, = Literarhist.-mw. Abh. V, 1 (Liebeslieder), Wurz- 
burg 1 940 ; Gh. Ciobanu u. V. D. Nicolescu, 200 cintece ?i 
doine (»200 Lieder u. Klagelieder«), 1955, 21962; A. Pann, 
Cintece de lume (»Weltliche Lieder«), hrsg. v. Gh. Cioba- 
nu, 1955; T. Brediceanu, 170 melodii populare rominesti 
din Maramures, 1956; Gh. Ciobanu u. A. C. Amzulescu, 
Vechi cintece de viteji (»Alte Heldenlieder«), 1956; J. Cc- 
cisiu, Cintece populare rominesti (»Rumanische Volkslie- 
der), 1960, 21963; D. Kiriac-Georgescu, Cintece popu- 
lare rominesti, hrsg. v. V. Popovici, 1960; P. Carp u. A. 
Amzulescu, Cintece si jocuri din Muscel (»Lieder u. Volks- 
tanze aus Muscel«), (1964); E. Cernea, V. D. Nicolescu, 
M. BrAtulescu u. N. RXdulescu, Cintece si strigaturi 
populare noi (»Neue Volkslieder u. Strigaturi [Zwischen- 
rufe]«), 1966. 

Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Bu- 
karest) : Fr. J. Sulzer, Gesch. d. transalpinischen Daciens, 
Wien 1781/82; D. C. OllAnescu, Teatrul la Romini, 1899; 
O. Wagner, Das rumanische Volkslied, SIMG IV, 1902/03; 
T. T. Burada, Istoria teatrului in Moldova (»Die Gesch. d. 
Theaters in d. Moldau«), 2 Bde, Jassy 1915-22; T. Bredi- 
ceanu, Hist, et etat actuel des recherches sur la musique 
populaire roumaine, in: Art populaire II, (Paris) 1923; 
ders., Hist, de la musique roumaine en Transylvanie, 1938 ; 



C. Brailoiu, Despre bocetul de la Dragu? (»Uber d. To- 
tenklage aus Driigus«), 1932; ders., Bocete din Oas (»To- 
tenklagen aus Oa$«), 1938 ; ders., Sur une ballade roumai- . 
ne (La Mioritza), Genf 1946; ders., Le giusto syllabique. 
Un systeme rythmique propre a la musique populaire rou- 
maine, AM VII, 1952, auch in: Polyphonie, Paris 1948, 
H. 2; ders., Le vers populaire roumain chante, Paris 1956; 
ders., Vie mus. d'un village. Recherches sur le repertoire 
de Dragus (Roumanie), Paris 1960; E. Ziehm, Rumanische 
Volksmusik, Bin 1939; G. Breazul, Patrium Carmen. Con- 
tribu|ii la studiul muzicii rominesti, Craiova 1941 ; T. 
Alexandru, Muzica populara bana{ean&, 1942; ders., In- 
strumentele muzicale ale poporului romin, 1956; ders., 
The Study of the Folk Mus. Instr. in the Rumanian People's 
Republic, Journal of the International Folk Music Council 
XII, 1960; E. Riegler-Dinu, Das rumanische Volkslied, 
Bin 1943; L. Cassini, Music in Rumania, London 1954; E. 
Comisel, La ballade populaire roumaine, in : Studia Me- 
moriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956, 3 1958; dies., Le 
folklore mus. roumain depuis 1945, AMI XXXII, 1960; 
dies., Traditional Mus. Instr. of the Rumanian People, 
Rumanian Review XV, 1961 ; A. Tudor, Der Aufschwung 
d. Musik in d. Rumanischen Volksrepublik, 1956, auch 
engl. u. frz.; O. L. Cosma, Opera rominea, 2 Bde, 1962; 
R. Ghircoiasiu, Contribu(ii la istoria muzicii rominesti, 
Bd 1, 1963 ; A. L. Lloyd, The Gypsies Rumanian, Proc. R. 
Mus. Ass. XC, 1 963/64 ; Compozitori $i muzicologi romini. 
Mic lexicon, hrsg. v. V. Cosma, 1965; ders., Archaologi- 
sche mus. Funde in R., Beitr. zur Mw. VIII, 1966. - Bib- 
liogr.: SR R. 1945-65, ebenda, Sonderreihe I, Bin 1966. 

Rumba, auch Rhumba, ein Tanz afrikanischer Her- 
kunft, dessen heutige Form sich auf Kuba gebildet hat. 
Sein Merkmal ist maBig bewegtes bis schnelles Tempo 
ingerademTakt(2/4;4/4,2/2)bei | j j_ J^J^ 
gleichzeitiger Verwendung ver- I"* •* * ** 
schiedener, energisch akzentuier- 4 
ter und synkopenreicher Rhyth- ^ 
men. Gegeniiber Text und Melo- 
die (standig wiederholten, meist 
8taktigen Bildvuigen) ist der Rhythmus vorherrschend ; 
charakteristisches Rhythmusinstrument sind die -> Ma- 
racas (R.-Kugeln). Die R. ist ein in Distanz zum Part- 
ner ausgefuhrter Paartanz; Hiift- und Beckenbewe- 
gungen sind besonders ausgepragt. Um 1914 wurde 
die R. in New York eingefiihrt. In den 1930er Jahren 
iibernahm sie Elemente des Jazz und erlangte um diese 
Zeit groBe Verbreitung; noch heute wird sie getanzt. 
Zu den Abarten der R. gehoren der -> Mambo und 
der -*■ Cha-Cha-Cha. In die Kunstmusik wurde die R. 
u. a. von D. Milhaud (La creation du monde und Finale 
des 2. Klavierkonzerts) auf genommen. 



CT%V 



r w r 



822 



Rundfunk 



Rummelpott -*■ Reibtrommel. 

Rundfunk. - 1) Nachdem 1880 eine telephonische 
Ubermittlung des Wettsingens beim Eidgenossischen 
Sangerfest Zurich-Basel, 1891 die Ubertragung eines 
Konzertes aus der Metropolitan Opera in New York 
durch lautsprechende Telephone, 1912 die stereoaku- 
stische Ubertragung einer Opernauffiihrung in das 
Berliner Kronprinzenpalais stattgefunden hatten, gab 
in Deutschland 1920 ein Instrumentalkonzert iiber die 
Hauptf unkstelle Konigswusterhausen den Auftakt zum 
regelmaBigen kulturellen Sendebetrieb. 1921 wurde 
die erste R.-Station der Welt in Pittsburgh (USA) ein- 
geweiht, im gleichen Jahr fand die erste Operndirekt- 
ubertragung aus der Berliner Staatsoper (»Madame 
Butterfly«) statt. Seit 1922 besteht in GroBbritannien 
die British Broadcasting Corporation (BBC), die groB- 
te Sendeorganisation Europas. 1926 wurden in den 
USA iiber 5 Millionen Empfangsgerate gezahlt, iiber 
1 Million in Deutschland, Ende 1953 in der Welt 230, in 
der Bundesrepublik 1 2 Millionen, 1966 in der Bundesre- 
publik 18 Millionen R- und 12 Millionen ->■ Fernseh- 
Teilnehmer. - Wahrend ab 1933 in der Zeit des Natio- 
nalsozialismus die Reichssender dem Reichspropagan- 
daministerium unterstanden (1935 Verbot der Sendung 
von Jazzmusik), wurde nach 1945 in der Bundesrepu- 
blik der R. dezentralisiert, zunachst von den Militar- 
regierungen iiberwacht, dann in die Kulturhoheit der 
Bundeslander iibergefiihrt (Landergesetze zur Errich- 
tung von Anstalten des offentlichen Rechts mit Inten- 
dant, R.- und Verwaltungsrat, ab 1948). Die Anstalten 
der Bundesrepublik bilden seit 1950 eine Arbeitsge- 
meinschaft (ARD). Sie veranstalten alljahrlich in Miin- 
chen einen Musikwettbewerb und sind iiber eine Stif- 
tung Trager des Lautarchivs in Frankfurt am Main 
(seit 1952, mit einem Fachreferat Musik). Der For- 
schung dient das H.-Bredow-Institut an der Universi- 
tat Hamburg (seit 1950), der Heranbildung von techni- 
schem Personal die Schule fiir R.-Technik, offentliche 
Stiftung der deutschen R.-Anstalten, in Niirnberg. 
Nach dem Vorbild von Schiinemanns R.-Versuchsstel- 
le an der Berliner Musikhochschule (bis 1933) arbeiten 
das Tonmeister-Institut der Nordwestdeutschen Musik- 
akademie in Detmold und die Toningenieur-Abteilung 
am R. Schumann-Konservatorium der Stadt Diissel- 
dorf ; in Berlin bildet die Technische Universitat in Zu- 
sammenarbeit mit der Musikhochschule -»■ Tonmeister 
aus. Schon 1928 fand in Gottingen eine Tagung fiir R.- 
Musik durch das Zentralinstitut fiirErziehung und Un- 
terricht statt, 1954 in Paris ein internationaler KongreB 
iiber die soziologischen Aspekte der Musik im R. 
Die Musik im R. ist ambivalent : Breiten- und Tief en- 
wirkung sollen von ihr ausgehen. Der Sendevorgang 
ist allgegenwartig, die Horgemeinde unbegrenzt. Die 
Musik hat auch auBerhalb der eigentlichen Musiksen- 
dungen Funktionen, so als Umrahmung im Werbefunk 
(schon 1924) und in den Pausenzeichen der Sender 
(Themen aus klassischen Werken und Volksliedern, 
elektronische Klange). Musik nimmt 50-65% des Ge- 
samtprogramms eines Senders ein, davon entfallen die 
Halfte bis vier Fiinftel auf die Tanz- und Unterhal- 
tungsmusik. Das Programmreferat Musik hat in fast 
alien Funkhausern den Rang einer Hauptabteilung mit 
Unterabteilungen fiir Symphonie, Oper, Kammermu- 
sik usw. ; die Abteilung Unterhaltungsmusik ist entwe- 
der der Hauptabteilung Musik oder der Abteilung Un- 
terhaltung zugeteilt. Neben »gezielten« Programmen, 
die sich an bestimmte Horerkreise wenden (Schulf unk, 
Jazz), stehen Sendungen, die den Alltag musikalisch be- 
gleiten (Friih-, Mittags-, Werkpausen-, Feierabend-, 
Wochenendkonzert, Bunte Abende, Tanz). Die »Wo- 



chen leichter Musik« des SDR sind hier ebenso ver- 
dienstvoll wie die Bemiihungen fast aller Funkhauser, 
die sich auf qualifizierte eigene Unterhaltungs- und 
Tanzorchester stiitzen. Eine stil- und gemeinschaftsbil- 
dende Aufgabe kommt der Volksmusik und dem Mu- 
siziergut der Jugend zu, wobei die funkische Instru- 
mentation und die Aufstellung eigener Funkspielgrup- 
pen entscheidend sind. Der Avantgarde gegenuber hat 
der R. die Stellung eines Mazens, der auch Kompo- 
sitionsauftrage erteilt und offentliche Konzertreihen 
(»Musica Viva«unterK. A.Hartmannund W. Fortnerin 
Miinchen, »Das neue Werk« in Hamburg) veranstaltet. 
Fiir die Sendung stehen vor allem die Nachtprogramme 
(zuerst 1947 im NWDR in Nachahmung des 3. Pro- 
gramms der BBC) zur Verf iigung. Durch Wechselpro- 
gramme (des Deutschlandsenders vor dem Kriege, heu- 
te 2. und 3. Programm auf UKW; in England Home, 
Light und Third Program, in Frankreich Inter, Natio- 
nal, Culture und Musique) soil der Horer zum Auswah- 
len der Darbietung angeregt werden; dazu konnen auch 
die zahlreichen Programmzeitungen beitragen. Mit der 
Konstituierung einer neuen, vom Konzert- und Opern- 
publikum soziologisch verschiedenen Horerschaf t tra- 
ten neben die Direktiibertragungen offentlicher Ver- 
anstaltungen bzw. eigener Auffiihrungen typisch fun- 
kische Ausdrucksformen, wie die ->■ Funkoper und die 
-> Fernsehoper sowie die -> Elektronische Musik. Di- 
rekt iibertragen werden heute vor allem Veranstaltun- 
gen der bedeutenden -> Festspiele. Neben der Live- 
Sendung spielte von Anfang an die Schallkonserve ei- 
ne groBe Rolle. Auf der Grundlage des jeweils gelten- 
den Senderechts und des -> Leistungsschutzes verwen- 
den die R.-Anstalten neben eigenen Tonbandern (im 
deutschen R. seit 1. 1. 1938) auch Industrieschallplat- 
ten. - Ist auch die Gefahr gelegentlicher Fehlinvestie- 
rungen geistiger Werte nicht zu bannen, so bietet der 
R. doch die Moglichkeit, ohne Riicksicht auf den Be- 
setzungsaufwand neben das Standardwerk die Raritat, 
die Spezialitat, die Novitat zu stellen. Reihendarbie- 
tungen werden Komponisten, Gattungen, Musikstat- 
ten, Landern, Epochen gewidmet, wobei dieErgebnisse 
musikwissenschaftlicher Forschung genutzt werden. 
Verstandnisfordernd sind erweiterte Ansagen und Mu- 
sikvortrage (Einfiihrungen, Musikfeuilletons usw.). Ei- 
genstandige Programmformen sind Funkballaden und 
-melodramen, Horspielmusiken, Wort-Musik-Features 
und reportageahnliche Sendungen wie das Hafenkon- 
zert (seit 1929). 

Lit. : Internationales Hdb. f . R. u. Fernsehen, hrsg. v. H. 
Bredow-Inst. f. R. u. Fernsehen an d. Univ. Hbg, seit 1957 
jahrlich; Film, R., Fernsehen, hrsg. v. L. H. Eisner u. H. 
Friedrich, = Das Fischer Lexikon IX, Ffm. (1958). - Die 
drei groBen »F.«. Film, Funk, Fernsehen, = Musik d. 
Zeit, hrsg. v. H. Lindlar u. R. Schubert, N. F. II, Bonn 
(1958); R. u. Hausmusik, = Mus. Zeitfragen III, hrsg. v. 
W. Wiora, Kassel 1958 ; V. Spiess, Bibliogr. zu R. u. Fern- 
sehen, = Studien zur Massenkommunikation I, Hbg 1966. 
- C. Hagemann, Rundfunkmusik oder nicht?, Nieder- 
schrif t d. Wiesbadener Tagung d. Deutschen R.-Ges. 1 928 ; 
H. Mersmann, Musikpadagogik im R., in : Kunst u. Tech- 
nik, Bin 1930; A. Szendrei, R. u. Musikpflege, Lpz .1931 ; 
S. Scheffler, Melodie d. Welle, Bin 1933 ; E. Sarnette, La 
musique et le micro, Paris 1934; P. W. Dykema, Music as 
Presented by the Radio, NY 1935; Th. W. Adorno, The 
Radio Symphony, in: Radio Research 1941, NY 1941; 
ders., t)ber d. mus. Verwendung d. Radios, in: Der ge- 
treue Korrepetitor, Ffm. (1963); Studien zum Weltr., hrsg. 
v. K. Wagenfuhr, Bin 1941ff.; U. Haver, Musikiiber- 
tragung, Musikausiibung u. Komposition funkeigener 
Werke . . . , Wiirzburg 1 942 ; Music in Radio Broadcasting, 
hrsg. v. G. Chase, NY 1946; E. La Prade, Broadcasting 
Music, NY 1947; E. K. Fischer, Der R., Stuttgart 1949; 
ders., Dokumente zur Gesch. d. Deutschen R. u. Fern- 
sehens, = Quellenslg zur Kulturgesch. XI, GSttingen, Bin 



823 



Rundfunk 



u. Ffm. 1957; E. Ziegler, Deutscher R. in Vergangen- 
heit u. Gegenwart, Diss. Heidelberg 1950; W. M. Berten, 
Musik u. Mikrophon, Diisseldorf 1951 ; H. Husmann, Das 
mus. Kunstwerk in elektrischer Ubertragung, Technische 
Hausmitt. d. NWDR IV, 1952; K. Rossel-Majdan, Der 
R., Wien 1953; W. Hagemann, Fernhoren u. Ferasehen, 
= Beitr. zur Publizistik III, Heidelberg 1954; A. Silber- 
mann, La musique, la radio et l'auditeur. Etude sociolo- 
gique, Paris 1954, deutsch als: Musik, R. u. Horer, = Kunst 
u. Kommunikation I, Kolnu. Opladen 1959, dazu C. Dahl- 
haus in: Mf XIII, 1960; K. Magnus, Der R. in d. Bundes- 
republik u. in West-Bin, Bin 1955; H. Reinold, Musik im 
R., KolnerZs. f. Soziologieu. Sozialpsychologie VII, 1955; 
N. B. Sapp, Musica Via Television, in: Essays on Music, 
Fs. A. Th. Davison, Cambridge (Mass.) 1957; S. Goslich, 
Funkprogramm u. Musica viva, Lippstadt 1961. SG 

- 2) Die R.-Ubertragung kommt dadurch zustande, 
daB die Schallwellen von Musik und Sprache durch das 
->- Mikrophon in Wechselstrom der gleichen Frequenz 
gewandelt und diese niederfrequenten Schwingungen 
den hochfrequenten Schwingungen des Senders auf- 
moduliert werden, wiihrend am Empfangsort durch 
den Vorgang der Gleichrichtung der Schwingungen 
im Radiogerat die Demodulation der niederfrequenten 
Schwingungen stattfmdet. Im Mittelwellenbereich 
strahlt der Sender die GroBenordnung von 1 000000 Hz 
(->■ Frequenz) aus, die sich gleichmaBig rund um den 
Sender ausbreiten. Im Ultrakurzwellenbereich (UKW) 
handelt es sich um noch hoherf requente Schwingungen 
in der GroBenordnung von 100 Millionen Hz entspre- 
chend einer Wellenlange von 1 Meter. Mit steigender 
Frequenz nimmt die Reichweite der Sender ab, anderer- 
seits werden die Wellen zunehmend nach einer Rich- 
tung gebiindelt. Der Rundstrahler wird zum Richt- 
strahler. Der Frequenzabstand der einzelnen Sender ist 
auf 9000 Hz festgelegt, wodurch die Frequenzband- 
breite der wiederzugebenden Musik beschrankt ist. Im 
UKW-Bereich kann der Abstand groBer gemacht wer- 
den, so daB das gesamte Frequenzband, das das mensch- 
liche Ohr noch aufnimmt, namlich 20 bis 15000 Hz, 
iibertragen werden kann. Mittels dieser Technik, die 
erst nach dem 2. Weltkrieg eingefuhrt wurde, erreicht 
man Musikwiedergabe hochster Qualitat, die in Ameri- 
ka mit -> High fidelity bezeichnet wird. Voraussetzung 
dafiir ist ein sehr hochwertiges Empfangsgerat, das in 
seinem Verstarkerteil den genannten Frequenzbereich 
durchlaBt und keinerlei Verzerrungen aufweist. Fiir 
einen guten raumlichenEindruck sind mehrere getrenn- 
te Lautsprecher fiir BaB und Diskant eingebaut. Da wie 
im Hochfrequenzgebiet auch im Niederfrequenzge- 
biet die Richtwirkung mit steigender Frequenz, d. h. 
Tonhohe, zunimmt, sind die Hochton-Lautsprecher 
nach verschiedenen Richtungen ausgerichtet, damit 
nach der Reflexion an den Wanden eine Schalldiffusi- 
tat im Raum eintritt. - Die Musikqualitat hangt jedoch 
in erster Linie von der Mikrophonaufnahme ab. Dazu 
muB das Studio bzw. der Konzertsaal akustisch hoch- 
wertig sein, besonders den fiir die jeweilige Musikgat- 
tung giinstigen -> Nachhall besitzen. Wenn moghch, 
soil die Aufnahme nur mit einem Mikrophon aufge- 
nommen(»gefahren«) werden, damit dierichtigeRaum- 
perspektive und das Gleichgewicht der Instrumenten- 
gruppen zustande kommen. Der -»• Tonmeister im be- 
nachbarten, durch ein Fenster abgetrennten Regieraum 
verfolgt die Partitur und regelt - mit Blick auf den 
Aussteuerungsmesser - die Dynamik, die gegeniiber 
der Originalwiedergabe im elektrischen Obertragungs- 
weg begrenzt ist. Die Regelung erfolgt am Mischpult, 
wo auch Vorrichtungen vorgesehen sind, um die Auf- 
nahme zu entzerren, d. h. Hohen und Tiefen zu bevor- 
zugen oder abzusenken, sie ferner zu verhallen und 
sonstige Veranderungen vorzunehmen. Das so gewon- 
nene Produkt wird auf Magnettonband aufgenommen 



und gesendet. Wenn bei hochqualitativen Obertra- 
gungsanlagen das originale Klangbild immer noch 
nicht ganz erreicht ist, so liegt dies an dem »einkanali- 
gen« Weg vom Mikrophon zum -> Lautsprecher (als 
ob wir nur mit einem Ohr horten). Die weitere Ent- 
wicklung fuhrt zur zweikanaligen -> Stereophonic - 
Die Einrichtung des R.s geht auf die entscheidende 
Entdeckung (1887) der elektromagnetischen Wellen 
und die Erkenntnis ihrer Wesensgleichheit mit den als 
Licht wahrnehmbaren elektromagnetischen Schwin- 
gungen durch H. Hertz zuriick. Indessen konnte die 
Entwicklung erst eigentlich in Gang kommen, als die 
-» Elektronenrohre durch R.v.Lieben 1906 ihre ge- 
eignete Form bekam und im 1 . Weltkrieg f abrikations- 
reif gemacht worden war. Die Elektronenrohre wird 
nunmehr weitgehend durch den viel kleineren -> Tran- 
sistor ersetzt, der einen weit geringeren Strombedarf 
hat. Damit ist die Radio-Miniaturausfiihrung ermog- 
licht. Fiir hohe Klangqualitat diirf en jedoch die Ab- 
messungen des Lautsprechers ein gewisses MindestmaB 
nicht unterschreiten. 

Lit. : Fr. Winckel, Klangwelt unter d. Lupe. Asthetisch- 
naturwiss. Betrachtungen, Hinweise zur Auffuhrungspra- 
xis in Konzert u. R., = Stimmen d. XX. Jh. I, Bin u. Wun- 
siedel (1952), neu bearb. als: Phanomene d. mus. Horens 
. . ., ebenda IV, (1960); Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. 
dems., Bin (1955); F. Bergtold, Die groBe UKW-Fibel, 
Bin 1953 ; ders., GroBe R.-Fibel, Bin 1954; H. Pitsch, Ein- 
fiihrungind. Rundfunkempfangstechnik, Lpz. 1955, 3 1960; 
H. Richter, Radiotechnik f. Alle, Stuttgart 6 1955; ders., 
Taschenbuchd. Fernseh- u. UKW- Empf angstechnik, eben- 
da 1956; Fr. Enkel, Uber d. Darstellung d. raumlichen 
Struktur ausgedehnter Klangkorper bei d. einkanaligen 
Rundfunkubertragung, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957; 
K. Leucht, Die elektrischen Grundlagen d. Radiotechnik, 
= Radio-Praktiker-Bucherei LXXXI/LXXXIIIa, Mun- 
chen 61960. FW 

Rundfunkoper -»Funkoper. 

Kussische Hornmusik (russ. : rogowaja musyka), ein 
zuerst von -> Mares 1751 fiir den Fursten Naryschkin 
in St. Petersburg zusammengestelltes Orchester von 
Leibeigenen, bei dem jeder Spieler nur fiir 1-3 Tone 
zustandig war. Ihr Instrument war ein weitmensurier- 
tes gerades (oder an einem Ende gebogenes) konisches 
Horn (russ.: rog) aus Kupfer oder Messing, dessen 
Stimmung durch eine am Schallstiick befestigte ver- 
schiebbare Hulse reguliert werden konnte. Fiir Auf- 
fiihrungen in geschlossenen Raumen wurden ab 1774 
auch Instrumente gebaut, die - wie der Zink - aus Holz 
mit Lederiiberzug bestanden. Die Lange der Horner 
betrug fiir ^ etwa 225 cm, fiir d3 etwa 9,5 cm. Zum 
besseren Ausgleich des Gesamtklangs und zur Erzie- 
lung dynamischer Effekte wurden in der mittleren und 
hoheren Lage oft mehrere Horner gleicher Tonhohe 
verwendet. Auch waren einem Spieler zuweilen 2-3 
Horner verschiedener Tonhohe zugeteilt. Der Ton- 
umfang eines Orchesters wuchs von anfanglich 2 Ok- 
taven mit etwa 15 Spielern auf 41/2 Oktaven mit 30-50 
Ausfiihrenden und bis zu 80 Instrumenten. Der voile, 
leicht vibrierende Klang der R.n H. erinnerte an die 
Orgel. In RuBland fand die R. H. schnell Anklang, 
nicht nur bei den Festen von Hof und Adel, sondern 
auch im Konzertsaal. Ihr Repertoire bestand iiberwie- 
gend aus Marschen, Liedern, Tanzen und Charakter- 
stiicken, schloB jedoch auch Arrangements von Ou- 
vertiiren und Symphonien ein; eine Fuge fiir R. H. 
komponierte 1787 Sarti. AuBerdem verwendeten u. a. 
Kozlowski, Degtjarow und Kaschin die R. H. Im 
Westen wurde die R. H. um 1830 durch Konzertreisen 
russischer Ensembles popular. Auber verwendete sie in 
seiner Oper Lestocq (Paris 1834), A. F. Anacker in Kom- 
positionen fiir seinen Bergmusikchor in Freiberg in 



824 



Russische Musik 



Sachsen. In RuBland wurde sie 1883 und 1896 bei den 
Zarenkronungen noch einmal offiziell belebt. 
Lit : J. Chr. Hinrichs, Entstehung . . . d. russ. Jagdmusik, 
St. Petersburg 1796, auch russ.; K. Wertkow, Russkaja 
rogowaja musyka (»Die R. H.«), Moskau 1948; R. A. 
Mooser, Annales de la musique et des musiciens en Russie 
au XVIII e s., Bd III, Genf 1951. 

Russische Musik. 988 wurde das Kiewer Fiirstentum 
durch Missionare, die Fiirst Wladimir aus Bulgarien 
und Byzanz berufen hatte, christianisiert. Bald begann 
eine rege Ubersetzungstatigkeit; religiose Texte, dar- 
unter auch liturgische Gesange, wurden ins Kirchen- 
slawische ukrainischer Redaktion iibertragen. Der Got- 
tesdienst am Kiewer Hof war bis ins 13. Jh. zweispra- 
chig: wahrend die Zelebranten die liturgischen Texte 
griechisch vortrugen, sang der Chor in kirchenslawi- 
scher Sprache. Dabei trugen die Sanger Elemente des 
national-weltlichen Gesanges in die Kirchenmusik. Die 
so entstandenen Varianten hiefien Preklad; sie beweg- 
ten sich im allgemeinen im Rahmen des -»• Oktoechos. 
- Die alteste datierbare neumierte Handschrif t, ein Sti- 
cherarion (->• Sticheron), stammt aus dem Jahre 1157. 
Die russischen Neumen, -*■ Krjuki genannt und teil- 
weise bis heute im Gebrauch, wurden im Laufe der 
Zeit zu verschiedenen, zum Teil nebeneinander beste- 
henden Schriftarten ausgebildet. Im 17. Jh. fuhrte 
die Staatskirche die unter westlichem EinfluB stehende 
Kiewer Notation ein, eine Choralnotation mit Fiinf- 
liniensystem. Die altere Notationsart blieb jedoch in 
ihrer durch A.Mesenez umgebildeten Form bei den 
Altglaubigen erhalten. - Durch polnische Vermittlung 
(polnisch-litauische Union 1569) verbreitete sich der 
mehrstimmige Gesang in der Ukraine; dies wurde durch 
die Union der ukrainischen Kirche mit Rom (1596) 
gef ordert, da besonders in die unierte Kirche die Mehr- 
stimmigkeit Eingang fand. Kiew wurde zum Mittel- 
punkt dieser westlichen Kulturstromung. Die 2-3st. 
Kanty (von lat. cantus) erlebten auch in Moskau eine 
Blutezeit und fanden im Partesgesang (Partes = Stimm- 
biicher) bei Hof und im Volk Eingang. Im Tenor er- 
klang die Melodie des Snamenny rospew (Zeichenge- 
sang) als C. f . Auch die Psalmen und selbst die liturgi- 
schen Texte wurden in dieser Weise bearbeitet. Dilez- 
kij, Schajdurow und Mesenez waren die Theoretiker 
dieses mehrstimmigen Kirchengesangs; als Kompo- 
nisten sind Bawykin, W.P.Titow, Beljajew und Ko- 
laschnikow bekannt. - In der Barockzeit wurde selbst 
die Kirche - zur Unzuf riedenheit ihrer Wurdentrager - 
zum Konzertsaal. Der Chor der Hofsangerdiakone 
(gossudarewy pewtschije djaki), der im 16. Jh. zur Mit- 
wirkung bei den Gottesdiensten gegriindet worden 
war, wirkte nun auch bei weltlichen Veranstaltungen 
mit. Elemente des concertierenden und doppelchorigen 
Stils sind aufgenommen in den Choren von M. S.Be- 
resowskij (1745-77) und Dm. St.Bortnjanskij (1751- 
1825), dessen Kompositionen einen Hohepunkt der 
russischen Kirchenmusik bedeuten. Daneben gab es bis 
in die 1. Halfte des 19. Jh. den italienischen Musikstil 
(italjanstwo), in dem zumeist nur die veranderlichen 
Teile der MeBliturgie vertont wurden; hier waren Ga- 
luppi und Sarti mafigebend. Zu den einheimischen Kir- 
chenkomponisten dieser Zeit gehoren noch St. A. Deg- 
tjarow (1766-1813) und St.I.Dawydow (1777-1825). 
Als Glinka 1837 zum Lehrer an der Hofsangerkapelle 
in St. Petersburg ernannt wurde, erhielt er den Auf trag, 
diese »Hofsanger zu entitalianisieren«, da man der 
italienischen Musik iiberdriissig war. P.I.Turtschani- 
now, der mit A.Fj.Lwow russische Volkslieder sam- 
melte, gehort zu den Grundern des nationalen Stils in 
der Kirchenmusik. Er bearbeitete die Kirchengesange 
fur 3-4st. Chor und fuhrte den symmetrischen Rhyth- 



mus bei den asymmetrischen Melodien ein. N.I.Bach- 
metjew veroffentlichte eine Sammlung von Kirchen- 
gesangen fiir das ganze Jahr in 2 Banden (1869). N.M. 
Potulow (1810-73) gab in 5 Banden alte liturgische Ge- 
sange mehrstimmig heraus und schrieb ein Lehrbuch des 
alten gottesdienstlichen Gesanges. Die nationale Rich- 
tung in der Kirchenmusik rief eine rege Forschungstatig- 
keit hervor (Wl.Fj.Odojewskij, Dm. W. Rasumow- 
skij, J.J. Wosnessenskij, St. W. Smolensky). Archan- 
gelskij fuhrte um 1880 die Frauen-(statt Knaben-)Stim- 
men in den Chor ein. Die bedeutendsten Kirchenkom- 
ponisten der neueren Zeit sind Kastalskij und Tsches- 
nokow, auBerdem Ippolitow-Iwanow, Glasunow, N. 
N. Tscherepnin, Rachmaninow (dessen Werke als zu 
modern fiir die Kirche galten), Nikolskij, Kalinnikow 
und Gretschaninow. Auch Strawinsky schrieb fiir den 
ostlichen Ritus. In der Gegenwart pflegen besonders im 
Exil lebende Russen die alte Gesangstradition (u. a. 
J.K.Denisov in Paris). 

Die Pflege weltlicher Musik in RuBland begann mit 
den Anfangen des Kiewer Staates, zu dessen Aufbau 
Kunstler, darunter auch Musiker, aus vielen Landern 
herbeigeholt wurden. Als ihre Instrumente erscheinen 
in den Fresken der Sophienkathedrale von Kiew sowie 
in Handschriften des 11./12. Jh. Orgel, Geigen, Samra- 
floten und Trommeln. Die Kirche bekampf te ihre Dar- 
bietungen von Anfang an als »teuflisch«. An den Herr- 
scherhofen trugen berufsmaBige Sanger (pewez-skasi- 
tel, »Sanger-Erzahler«) epische Dichtung vor, wie sie 
im Igor-Lied des 12. Jh. erhalten ist. In Nowgorod, das 
wahrend der Tatareneinfalle Hauptstadt wurde, unter- 
hielten SpaBmacher (skomorochi) die wohlhabenden 
Kaufleute mit Liedern zur Begleitung der Gusla oder 
des Godak; Rimskij-Korsakow zeigt diesen Typ des 
Musikers in der Gestalt des Sadko. - Nach dem Sieg 
iiber die Tataren 1380 wurde Moskau zum politischen 
und kulturellen Zentrum des Landes. Unter Iwan III. 
(1462-1505) wurde der 30-35 Mann starke Chor der 
Hofsangerdiakone (Gossudarewy pewtschije djaki) ge- 
griindet, aus dem sich im 18. Jh. die Hofsangerkapelle 
entwickelte. Iwan IV. (1533-84) war ein Forderer der 
kirchlichen und weltlichen Musik. Die Synode von 
1551 reorganisierte die Kirchenmusik und erzwang das 
Verbot der berufsmaBigen Skomorochi. Unter beiden 
Herrschern wurden Musiker, darunter auch Organisten, 
ins Land gerufen, die in den Dienst der wohlhabenden 
Bojaren traten. Die westlich orientierte Politik der Za- 
ren im 17. Jh. und vor allem zu Beginn des 18. Jh. hatte 
zur Folge, daB auslandische Theatertruppen und Mu- 
siker RuBland besuchten und einheimische Kunstler zu 
kompositorischer Betatigung anregten. AnlaGlich der 
Geburt Peters des GroBen wurde der in Moskau wir- 
kende evangelische Pastor J. G.Gregori aus Merseburg 
beauftragt, seine Oper »Die Handlung des Artaxerxes« 
aufzufiinren. Die Kunstler hatte Gregori aus Deutsch- 
land mitgebracht. Die Auffiihrung am 17. 10. 1672, die 
erste Opernauff iihrung in RuBland, fand in dem zu die- 
sem Zweck erbauten Moskauer Hof theater statt, in dem 
1673 auch H. Schiitz' Ballet . . . von dem Orpheo und 
Eurydice gegeben wurde. Weiterhin standen auf dem 
Programm dieser Biihne moralisierende Komodien 
und Stiicke biblischen und mythologischen Inhalts, die 
zumeist mit Instrumental- und Soloeinlagen versehen 
und mit Choren umrahmt waren. Ahnliche Auffiih- 
rungen fanden auch in Kiew statt. Peter der GroBe 
(1682 bzw. 1689-1725) ordnete an, daB jedes Regiment 
des Heeres ein eigenes Musikkorps haben solle. Fami- 
liare Beziehungen zu deutschen Herrscherhausern tru- 
gen dazu bei, daB deutsche Musiker ins Land kamen. J. 
und A.Hiibner leisteten im Auftrag der Zarin Anna 
(1730-40) organisatorische Vorbereitungen zur Ent- 



825 



Russische Musik 



wicklung des russischen Musiklebens; sie verpflichteten 
Operntruppen aus Deutschland und Italien. J. v. Stahlin 
aus Memmingen kam 1735 an die Akademie der Wis- 
senschaften in St. Petersburg, wo er die »St.Petersbur- 
ger Nachrichten« ins Leben rief, die bis in die Zeit des 
»Machtigen Haufleins« die musikalischen Veranstaltun- 
gen im Lande besprachen. - Die Reihe der Italiener in 
RuBland eroffnete 1731-38 G.Veroccai, der in St. Pe- 
tersburg die Kammerkonzerte im Winterpalais leitete 
und seine 12 Violinsonaten op. 1 als ersten Notendruck 
der Akademie der Wissenschaften erscheinen lieC. L. 
Madonis yeroffentlichte ebenda 1738 12 Violinsonaten 
mit ukrainischen Volksliedthemen. Den Grundstein zu 
einer standigen Pflege der italienischen Oper in RuB- 
land legte fur die Opera seria 1735 Fr.Araja, fur die 
Opera buffa 1757 G. B. Locatelli. 1766 reorganisierte B. 
Galuppi das gesamte Opernwesen am St.Petersburger 
Hofe. Die Hofmusikkapelle umfaBte nun 35 Mitglie- 
der, das Ballett 42; auBerdem wurde ein 44 Mann star- 
kes Orchester fur die Hofballe geschaffen; dazu kamen 
noch eine franzosische Truppe mit 24 und eine russi- 
sche mit 21 Mitgliedern. Die Nachfolger Galuppis wa- 
ren T.Traetta und G.Paisiello, der erstmals russische 
Sanger heranzog. Nach G. Sarti (berufen 1784) und D. 
Cimarosa iibernahm 1788 V. Martin y Soler die Lei- 
tung der Oper; er verwendete russische Volkslieder als 
Themen und war an der Heranbildung russischer San- 
ger beteiligt. 1799 kam G.Cavos nach RuBland; er 
komponierte vor Glinka einen Iwan Sussanin (1815). 
Gegen Ende des 18. Jh. wurde die italienische Opera 
buffa durch die franzosische Opera-comique verdrangt. 
1773 engagierte Katharina II. zum erstenmal eine fran- 
zosische Truppe; 1774 kam Fr.-J.Darcis aus Paris nach 
RuBland. Die Opera-comique wurde wegen ihrer rea- 
listischen Tendenzen, Satire und Aktualitat bald sehr 
beliebt. 

Die ersten einheimischen Komponisten schrieben in 
den Formen, fiir die ihre autodidaktische Ausbildung 
geniigte, zumeist Hausmusik. Die in den Salons iibli- 
chen Tanzrhy thmen erklingen in den Liedern Teplows. 
- Vorboten des nationalen Stils zeigten sich schon in der 
2. Halfte des 18. Jh., als neben dem Adel das Biirger- 
tum starker als Liebhaber der Kunst hervortrat. Bedeu- 
tung kam hier - wie bei alien Slawen - dem Volkslied 
zu. - Die alteste, seit dem 13. Jh. greifbare Form des 
russischen Volksliedes ist die nordrussische Byline 
(-> Epos), ein lang ausgesponnenes Heldenlied, das be- 
sonders im Nowgoroder Gouvernement gepflegt wur- 
de. Es bluhteim 16./17. Jh., als Spielleute (um 1600 die 
Skomorochi) durchs Land zogen. Die alteste aufge- 
zeichnete Sammlung ist diejenige Kirsa Danilows aus 
dem Anfang des 18. Jh. Verwandt mit der Byline sind 
das geistliche und das jiingere historische Lied, das vor 
allem im Moskauer Gebiet beheimatet war. Oberall in 
RuBland begleiteten Volkslieder das Leben; besonders 
Frauen sangen sie. Aus der freien oder an Schemata ge- 
bundenen Improvisation entstand eine Art der Bauern- 
polyphonie, bei der eine Stimme beginnt, die anderen 
sich mit ihr in Form von Variantenheterophonie ver- 
einigen. Die bekannteste Stilisierung dieser Gesangsart 
ist der Bauernchor in Borodins Oper »Furst Igor«. Die 
Melodik des Volksliedes griindet auf Pentatonik und 
hat Einfliisse der Kirchentonarten, in neuerer Zeit auch 
der Dur-Moll-Tonalitat aufgenommen, wenig dage- 
gen von orientalischer Melismatik. Charakteristisch 
sind die fallende Melodielinie sowie die bei der Um- 
schrift sich ergebenden unsymmetrischen Taktarten. 
Die bedeutenden russischen Komponisten des 19. Jh. 
sammelten Volkslieder und gaben sie meist mit Klavier- 
begleitung heraus. Der Tanz wird meist vokal beglei- 
tet, so durch die vierzeiligen Tschastuschki. Neben den 



alten Formen des Chorowod (Reigen) stehen Solotanz- 
f ormen. Von den Volksinstrumenten sind die Balalaika 
und die Gusla auch im Ausland bekannt geworden. 
- War im 18. Jh. das Opernschaffen vorherrschend, so 
traten zu Beginn des 19. Jh. die Instrumentalmusik und 
die Romanze in den Vordergrund. Der Landadel be- 
gann eigene Kapellen und Theatertruppen (meist aus 
Leibeigenen) zu unterhalten. Die offentlichen Konzerte 
waren besonders der Wiener Klassik gewidmet; sie 
wurden in Moskau vom »Musikalischen Klub«, in St. 
Petersburg von der »Musikalischen Akademie« gefor- 
dert. Musikwissenschaf tlicheWerke, vornehmlich phy- 
sikalisch-akustischen und ethnographischen Inhalts, er- 
schienen in der St.Petersburger Akademie. - Die russi- 
sche Oper veranschaulicht zumeist das Leben des russi- 
schen Volkes und ist von Volksmusik durchsetzt. Zu 
den friihen Werken dieser Art gehort »Der St.Peters- 
burger Kaufhof« (1779) von Matinskij, bekannt in der 
Bearbeitung des Hofkapellmeisters Paschkewitsch von 
1792. Einen ersten Hohepunkt im russischen Opern- 
schaffen bilden die Werke von Fomin. Weiterhin sind 
zu nennen Kaschin mit seiner komischen Oper »Na- 
talie, die Bojarentochter«, A.N.Titow (1769-1827), 
dessen Opern, Ballette und Melodramen unter dem 
EinfluB Mozarts stehen, und St.I.Dawydow. Mit 
stimmungsvollen Liedern trat M.F.Dubrjanskij (1760- 
96) hervor, mit beliebten Polonaisen J.Kozlowski. Ei- 
ne Eigenart des russischen Musiklebens dieser Zeit ist 
die Pflege der -> Russischen Hornmusik. Zu den be- 
liebtesten Komponisten von Hausmusik gehorten 
Werstowskij, Gurilew und N.A.Titow (1800-75). 
LJber die Grenzen RuBlands hinaus wurden in jener 
Zeit vor allem Romanzen bekannt, darunter »Die 
Nachtigall« von A. A. Aljabjew und »Der rote Sarafan« 
von A.J. Warlamow (1801^48). RomantischeElemente 
zeigen die Opern A.N.Werstowskijs (1799-1845), in 
denen er Volksmusik verarbeitet. 
Glinka, der »Vater der R.n M.«, und Dargomyschskij 
stehen am Beginn der russischen nationalen Schule des 
19. Jh. Das Schaffen Glinkas ftthrte zur Anerkennung 
der R.n M. in der ganzen Welt. Bald nach seiner Riick- 
kehr aus Italien, Berlin und Wien schrieb er seine Oper 
»Das Leben fiir den Zaren« (1836), die auf dem Studium 
italienischer Gesangskultur beruht und zugleich den 
russischen Eigenton traf. War die erste Oper Glinkas 
fiir Mussorgsky richtungweisend, so die zweite (»Rus- 
lan und Ljudmila«, 1842) fiir Rimskij-Korsakow. An 
Glinka und Dargomyschskij kniipften in den 1860er 
Jahren die Mitglieder des »Machtigen Haufleins« (mo- 
gutschaja kutschka) an: Balakirew, Borodin, Cui, Mus- 
sorgsky und Rimskij-Korsakow. Sie reprasentieren die 
neurussische Schule. An der Spitze des 1866 gegriinde- 
ten Konservatoriums in Moskau stand A.Rubinstein, 
der gegeniiber den nationalen Bestrebungen eine kos- 
mopolitische, akademische Richtung vertrat. Zwischen 
beiden Richrungen bildete das Schaffen P.I.Tschai- 
kowskys die Briicke. Der Musikschrif tsteller A. N. Se- 
row (1820-71), dessen Gesprache mit Wl.W.Stassow 
(1824-1906) AnlaB zu mehreren Werken der Kutsch- 
kisten, aber auch Tschaikowskys gaben, war der Vor- 
kampfer Glinkas und der deutschen Neuromantik und 
wies in RuBland als erster auf R.Wagner hin. Der be- 
deutendsteMusikkritiker seiner Zeit warH. A. Laroche, 
ein Freund Tschaikowskys. - Bis zum Beginn der so- 
zialistischen Revolution 1917 beeinfluBte Tschaikowsky 
das Musikschaffen in Moskau, Rimskij-Korsakow die 
Komponisten St.Petersburgs. Tschaikowskys Nachfol- 
ger am Moskauer Konservatorium war sein Schiiler 
S. I. Tanejew; ferner gehorten zum Moskauer Kreis Re- 
bikow, Skrjabin, Medtner und Rachmaninow, wahrend 
Glasunow, Ljadow, Kalinnikow, Ljapvinow und der 



826 



Russische Musik 



friihe Strawinsky die St.Petersburger Schule reprasen- 
tierten. Beide Schulen vertraten verschiedene Schich- 
ten der russischen Bevolkerung : Moskau die Bourgeoi- 
sie und die liberale Intelligenz, St. Petersburg die Be- 
amtenschaft. An die Stelle des Adels trat die reiche 
Kaufmannschaft; ihr Mazenatentum war international 
ausgerichtet. Von dieser Seite unterstiitzt, entstand der 
Beljajew-Kreis in St. Petersburg. Dem Mazen M.P. 
Beljaje w verdankten Glasunow und Skrjabin neben Aki- 
menko, Sokolow, Malischewskij und Senilow die Auf- 
f iihrung ihrer Werke im Rahmen der »Russischen Sym- 
phoniekonzerte« und die Veroffentlichung in dem von 
Beljajew in Leipzig gegrtindeten Verlag. 
1917 brachte in RuBland die Oktoberrevolution audi 
in musikalischer Hinsicht eine Umwalzung. Einige 
Komponisten verlieBen RuBland oder kehrten, wenn 
sie zufallig im Ausland weilten, nicht mehr zuriick; zu 
ihnen gehoren Strawinsky, Rachmaninow, N.Medt- 
ner, I.Dobrowen, N.N. und A.N.Tscherepnin. Jene 
aber, die in der Heimat blieben, muBten ihre Kunst in 
den Dienst der proletarischen Revolution stellen. Zu- 
erst waren es Massenlieder, die den Geist der Revolution 
fordern sollten. Bald jedoch fanden die Sowjetkompo- 
nisten einen Ankniipf ungspunkt f iir ihr Schaffen in der 
patriotischen Richtung Glinkas, Dargomyschskijs und 
des sMachtigen Haufleins«, in deren Werken die musi- 
kalische Folklore einbezogen war. Zur ersten Genera- 
tion der Sowjetkomponisten gehoren Wassilenko, Glie- 
re, Goedicke, Assafjew, Schaporin und A.W. Alexan- 
drow. Bei ihnen ist keine grundlegende Anderung ge- 
geniiber der vorrevolutionaren Kurist zu bemerken. 
Ippolitow-Iwanow bearbeitete die Folklore der ostli- 
chen Teile des Reiches; neben akademischen Werken 
schrieb er auch Massenlieder. Die markanteste Person- 
lichkeit dieser Generation war Mjaskowskij, der Lehrer 
von Schebalin, Chatschaturjan und Kabalewskij. Aller- 
dings blieben auch die westlichen Stromungen nicht 
ganz ohne EinfluB auf das sowjetische Musikschaffen, 
wie N. A.Rosslawets (* 1881) beweist. Bei ihm finden 
sich Anklange des Futurismus, Impressionismus und 
Expressionismus; er meinte, das Proletariat solle reifer 
werden, urn seine Werke zu verstehen. Um einen jiidi- 
schen Musikstil bemiihten sich M. F. Gnessin und A. A. 
Krejn. Mystizismus und Irrationalismus kennzeichnen 
das Schafien von M. O. Steinberg (1883-1946). Im Mu- 
sikleben nach der Revolution waren Assafjew und Pro- 
kofjew (der 1933 aus demExil zuriickkehrte) von iiber- 
ragender Bedeutung. - Die 2. Generation der Sowjet- 
komponisten, die zu Beginn der 1930er Jahre auf trat, 
setzt sich vornehmlich aus Absolventen des Moskauer 
Konservatoriums zusammen. Hierher gehoren A.M. 
Weprik (* 1899), A. A. Dawidenko (1899-1934), V. A. 
Bjelij (* 1904), W.J. Schebalin (* 1902) und Dm.B.Ka- 
balewskij (* 1904). Armenier ist Chatschaturjan; seine 
II. Symphonie schildert die Lage seines Volkes im 2. 
Weltkrieg. Die groBte kiinstlerische Personlichkeit der 
sowjetischenEpoche in der russischen Musikgeschichte 
ist Schostakowitsch. Zu seiner Generation gehoren 
noch: M. V.Kowal (* 1907), N.Rakow (* 1908) sowie 
die Opernkomponistenl.I.Dserschinskij (* 1909; »Der 
stille Don«, 1935) und W. W. Schelobinskij (* 1912). - 
Die Sowjetunion ist ein Nationalitatenstaat; die Nahe 
zur Volksmusik der verschiedenen Volker wird ideolc- 
gisch gefordert. Es gibt heute eine groBe Anzahl meist 
neugegrundetermusikalischerlnstitutionen. 1958 waren 
es etwa 100 philharmonische Orchester, 32 staatliche 
Opern und 24 Operettentheater; die Auffiihrungen 
werden auf Russisch und in den Landessprachen gebo- 
ten. Neben den 32 Konservatorien und Hochschulen 
gibt es uber 1 00 Musikfachschulen und iiber 1 000 Volks- 
schulen fiir den musikalischenElementarunterricht. Zu 



den alten Institutionen, iiber deren Weiterbestehen viel 
debattiert worden ist, gehoren die beruhmte Ballett- 
schule, der einstige Hof-, jetzt Staatschor und die Or- 
chester der Leningrader und Moskauer Philharmonie. 
Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Moskau. 
Kirchenmusik. 

Ausg. : Krug drewnewo zerkownowo penija snamennowo 
raspewa (»Zyklus d. alten kirchlichen Zeichengesangs«), 
mit Einleitung v. Dm. W. Rasumowskij, 6 Teile in 3 Bdn, 
= Pamjatniki drewnej pismennosti i istkusstwa LXXXIII, 
1-3, 1884-85 ; Die SltestenNovgoroder Hirmologien-Frag- 
mente, hrsg. v. E. Koschmieder, 3 Bde, = Abh. d. Bayeri- 
schen Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, N. F. XXXV, 
XXXVII, XLV, Munchen 1952-58; Fragmenta chilianda- 
rica palaeoslavica I— II, hrsg. v. R. Jakobson, = Monu- 
menta Musicae Byzantinae Va-b, Kopenhagen 1957 ; Con- 
tacarium Palaeoslavicum Mosquense, hrsg. v. A. Bugoe, 
ebenda VI, 1960; Ein hs. Lehrbuch d. altruss. Neumen- 
schrift I, hrsg. v. J. v. Gardner u. E. Koschmieder, = Abh. 
d. Bayerischen Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, N. F. 
LVII, Munchen 1963. - Sputnik psalmoschtschika (»Ge- 
fahrte d. Kantors«), hrsg. v. N. Stjaoow, A. Pokrowskij 
u. N. Popow, St. Petersburg 1911, 31916, Neudruck Jor- 
danville (N. Y.) 1959. - R. M.-Anth., hrsg. v. A. N. Tsche- 
repnin, deutsch v. G. Waldmann, engl. v. A. Swan, Bonn 
(1966), auch zur weltlichen u. Volksmusik. 
Lit. : A. V. Preobraschenskij, Slowar russkowo zerkow- 
nowo penija (»Lexikon d. russ. Kirchengesangs«), 1896. - 
J. v. Gardner, Ukasatel russkoj i inostrannoj literatury po 
woprosam russkowo zerkownowo penija (»Verz. d. russ. u. 
auslandischen Lit. zu Fragen d. russ. Kirchengesangs«), 
Munchen 1958 ; M. Velmrovic, Stand d. Forschung uber 
kirchenslavische Musik, Zs. f. slavische Philologie XXXI, 
1963. - J. v. Gardner, Zur Diskographie d. russ. Kir- 
chengesanges, in: Ostkirchliche Studien IX, 1960ff. - A. 
Mesenez, Asbuka snamennowo penija (»Alphabet d. Zei- 
chengesangs«, 1668), hrsg. v. St. W. Smolensky, Kasan 
1888; A. F. Lwow, O swobodnom ill nesimmetritschnom 
ritme (»t)ber d. freien oder unsymmetrischen Rhythmus«), 
St. Petersburg 1858, deutsch Lpz. 1 859 ; Dm. W. Rasumow- 
skij, Zerkownoje penije w Rossi i (»Der Kirchengesang in 
RuBland«), 3 Bde, 1867-69; ders., Patriarschijepewtschije 
djaki i poddjaki (»Die Sangerdiakone u. -subdiakone d. 
Patriarchen«), 1868; ders., Gossudwewy pewtschije djaki 
. . . (»Die Hofsanger-Diakone d. 17. Jh.«), 1873, neu hrsg. 
v. N. F. Findeisen, 1895; W. M. Metallow, Otscherk 
istorii prawoslawnowo zerkownowo penija w Rossii (»Ab- 
riB d. Gesch. d. rechtglaubigen Kirchengesangs in RuB- 
land«), 1893, 4 1915; ders., Asbuka krjukownowo penija 
(» Alphabet d. Krjuki-Gesangs«), 1899; A. V. Preobra- 
schenskd, Wopros o jedinoglasnom penii w russkoj zerkwi 
do XVII-wo weka (»Die Frage d. einst. Gesangs in d. russ. 
Kirche bis zum 17. Jh.«), St. Petersburg 1904; ders., Kul- 
towaja musyka w Rossii (»Kultmusik in RuBland«), Le- 
ningrad 1924; A. A. Ignatew, Bogosluschebnoje penije 
prawoslawnoj russkoj zerkwi s konzaXVI-wo do natschala 
XVIII-wo weka (»Der gottesdienstliche Gesang d. Recht- 
glaubigen Russ. Kirche v. Ende d. 1 6. bis zum Anf ang d. 1 8. 
Jh.«), Kasan 1916; A. 3. Swan, TheZnamenny Chant, MQ 
XXVI, 1940 ; ders., Die russ. Musik im 17. Jh., Jb. f. Gesch. 
Osteuropas, N. F. XII, 1964; J. Handschin, Le chant ec- 
clesiastique russe, AMI XXIV, 1952; C. H0eg, The Oldest 
Slavonic Tradition of Byzantine Music, Proceedings of the 
British Acad. XXXIX, 1953; R. Palikarova-Verdeil, La 
musique byzantine chez les Bulgares et les Russes, = Mo- 
numenta Musicae Byzantinae, Subsidia III, Kopenhagen 
1953; M. Velimirovic, The Byzantine Elements in Early 
Slavic Chant, 2 Bde, = Monumenta Musicae Byzantinae, 
Subsidia IV, Kopenhagen 1960; E. Koschmieder, Die alt- 
russ. KirchengesSnge als sprachwiss. Material, in : Sbornik 
priswojenii pamjati S. Kusepi, Sapiski i trudy 169, Mun- 
chen 1961 ; Fr. Zagiba, Der liturgische Gesang d. Slaven 
. . . , in : Singende Kirche VIII, 1961 ; J. v. Gardner, Das 
Centoprinzip . . . , in : Musik d. Ostens 1, 1962 ; ders., Zum 
Problem d. Tonleiter-Aufbaus . . . , ebenda II, 1963 ; ders., 
Eine alte Gesangsform d. Credo .... KmJb XLVII, 1963. - 
St. W. Smolenskij, O drewno-russkich pewtscheskich no- 
tazijach (»t)ber altruss. Gesangsnotationen«), St. Peters- 
burg 1901 ; O. v. Riesemann, Die Notationen d. altruss. 
Kirchengesanges, 1908 (deutsch), auch = BIMG II, 8, Lpz. 



827 



Russische Musik 



1909; ders., Zur Frage d. Entzifferung altbyzantinischer 
Neumen, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; W. M. Metallow, 
Russkaja simiograflja (»Russ. Notationskunde«), 1912; 
M. W. Braschnikow, Puti raswitija i sadatschi rasschi- 
frowki snamennowo raspewa XII-XVII wekow (»Wege d. 
Entwicklung u. Probleme beim Ubertragen d. Zeichenge- 
sangs d. 12.-17. Jh.«), 1949; ders., Russkije pewtscheskije 
rukopisi i russkaja paleografija (»Russ. Gesangs-Hss. u. 
russ. Palaographie«), in : Trudy otdela drewno-russkoj lit. 
(Inst, russkoj lit. Akad. nauk SSSR) VII, 1949; E. Kosch- 
mieder, Zur Herkunft d. slawischen Krjuki-Notation, Fs. 
Dm. Cyzevskij, Bin 1954; V. M. Beuajew, Drewnorusska- 
ja musykalnaja pismennost (»Altruss. mus. Schriften«), 
1962; J. v. Gardner, Altruss. Musikhss. d. Bibl. del' Arse- 
nal zu Paris, AMI XXXVII, 1966. 
Weltliche Musik. 

Ausg.: Istorija russkoj musyki w notnych obraszach 
(»Gesch. d. russ. Musik in Notenbeispielen«), 3 Bde, hrsg. 
v. S. L. Ginsburg, Moskauu. Leningrad 1940-52; Russkij 
musikalnyj teatr 1700-1835 gg., Chrestomatija, hrsg. v. 
dems., Moskauu. Leningrad 1941. 
Lit.: T. N. Liwanowa, Musykalnaja bibliogr. russkoj 
perioditscheskoj petschati XIX weka (»Mus. Bibliogr. d. 
russ. Zs.-Drucks d. 19. Jh.«), I— II, Leningrad 1960-63 (be- 
handelt d. Jahre 1801-40); I. Starzew, Sowjetskaja lit. o 
musyke . . . (»Das sowjetische Musikschrifttum, 1918— 
47«), 1963. - A. Vodarskij-Shiraeff, Russ. Composers 
and Musicians, A Bibliogr. Dictionary, NY 1940; G. Ber- 
nandt u. A. Dolschanskij, Sowjetskije kompository 
(»Sowjetische Komponisten«), 1 957. - R.-A. Mooser, Op6- 
ras, intermezzos, ballets, cantates, oratorios, joues en Rus- 
sie durant le XVIII e s., Genf 1945, 31964; G. Bernandt, 
Slowar oper . . . (»Opernlexikon, Premieren, Neuinszenie- 
rungen u. Ausg. im vorrevolutionaren RuBland u. in d. Sot 
wjetunion, 1736— 1959«), 1962. -J. v. Stahlin v. Storcks- 
BURG.Nachrichten v. d. Musik in RuBland u. zur Gesch. d. 
Theaters in RuBland, in : I. Haigolds Beylagen zum neu- 
veranderten RuBland, 2 Bde, Riga u. Lpz. 1769-70, Aus- 
zug in J. A. Hillers Wochentlichen Nachrichten . . . IV, 
1770, russ. Ausg. v. B. J. Sagurskij u. B. Wl. Assafjew, Le- 
ningrad 1935; C. A. Cui, Lamusiqueen Russie, Paris 1880; 
ders., Russkij romans (»Das russ. Lied«), St. Petersburg 
1896; N. F. Findeisen, Russkaja chudoschestwennaja 
pesnja / romans (»Das russ. Kunstlied, d. Romanze«), 
1905; ders., Otscherki po istorii musyki w Rossii (»Schil- 
derungen aus d. Mg. RuBlands«), 2 Bde, Moskau u. Lenin- 
grad 1928-29; N. Dm. Kaschkin, Otscherk istorii russkoj 
musyki (»AbriB d. russ. Mg.«), 1908 ; ders., Stati o russkoj 
musyke (»Aufsatze fiber R. M.«), hrsg. v. S. J. Schlifstein, 
1953 ; R. Newmarch, The Russ. Opera, London 1914, frz. 
Paris 1922; B. Wl. Assafjew (Pseudonym: I. Glebow), 
Simfonitscheskije etjudy (»Symphonische Etuden«), Petro- 
grad 1922; Musyka i musykalnyj byt staroj Rossii (»Musik 
u. Musikleben d. alten RuBland«), hrsg. v. dems., Lenin- 
grad 1927; Russkij romans (»Das russ. Lied«), hrsg. v. 
dems., o. O. 1930; ders., Musykalnaja forma kak prozess 
(»Die mus. Form als Prozess«), 2 Bde, Moskau u. Lenin- 
grad 1930-47, neu hrsg. v. J. M. Orlowoj, Leningrad 1963 ; 
ders., Russkaja musyka ot natschale 1 9 stoletija (»Die russ. 
Musik seit Beginn d. 19. Jh.«), Leningrad 1930, engl. v. A. 
J. Swan, Ann Arbor 1953 ; O.v. Riesemann, Monographien 
zur russ. Musik I, Miinchen 1 923; L. L. Sabanejew, Istorija 
russkoj musyki (»Gesch. d. R. M.«), 1924, deutsch v. O. v. 
Riesemann, Lpz. 1926; ders., Modern Russ. Composers, 
engl. v. J. A. Joffe, NY 1927; R.-A. Mooser, L'opera co- 
mique frc. en Russie au XVIIP s., Genf 1932, 21954; ders., 
Violinistes-compositeurs ital. en Russie durant le XVIII* s., 
RMI XLH, 1938, XLV, 1941, XLVI, 1942, XLVIII, 1946, 
L, 1948, LII, 1950;ders., Annales de la musique et des mu- 
siciens en Russie au XVIIP s., 3 Bde, Genf (1948-51); G. 
Abraham, Masters of Russ. Music, NY 1936; ders., On 
Russ. Music, London 1939, deutsch Basel 1947; ders., 
Eight Soviet Composers, London 1943; Zd. Nejedly, So- 
vetska hudba (»Sowjetische Musik«), Prag 1936; T. N. Li- 
wanowa, Otscherki i materialy po istorii russkoj musykal- 
noj kultury (»Schilderungen u. Materialien zur Gesch. d. 
russ. Musikkultur«) I, 1938; dies., Istorija russkoj musyki 
(»Gesch. d. R. M.«), Moskau u. Leningrad 1940; dies., 
Russkaja musykalnaja kultura XVIII-wo weka (»Die russ. 
Musikkulturd. 18. Jh.«), 2 Bde, 1952-53 ; DiES.,Sowjetskoje 
musykosnanije o russkich klassikach XIX-wo weka (»Die 



sowjetische Mw. fiber d. russ. Klassiker d. 19. Jh., Hist.- 
bibliogr. t)berblick«), 1963; Istorija russkoj musyki 
(»Gesch. d. R. M.«), hrsg. v. M. S. Pekelis, 1940; I. F. Bel- 
sa, Hdb. of Soviet Musicians, London 1943, 21944; R. Hof- 
mann, Cent ans d'op6ra russe, Paris 1 946; ders. , La musique 
en Russie, Paris 1957; B. Jagolin, Die Musik in d. Sowjet- 
union, Bin 1946, engl. London 1946; Fr. Zagiba, Tvorba 
sovietskych komponistiv (»Das Schaffen d. sowjetischen 
Komponisten«), PreBburg 1946; J. Keldysch, Istorijaruss- 
koj musyki (»Gesch. d. R. M.«), 2 Bde, Moskau u. Lenin- 
grad 1947, deutsch v. D. Lehmann, Lpz. 1956; A. S. Rabino- 
witsch, Russkaja opera do Glinki (»Die russ. Oper bis 
Glinka«), Moskau u. Leningrad 1948; M. Cooper, The 
Russ. Opera, London 1951 ; B. Jarustowskij, Dramatur- 
gija russkoj opernoj klassiki, 1952, deutsch v. R. E. Riedt 
als: Die Dramaturgie d. klass. russ. Oper, Bin 1957; F. 
Siegmann, Die Musik im Leben u. Schaffen d. russ. Ro- 
mantiker, = Veroff. d. Abt. f . slavische Sprachen u. Lit. d. 
Osteuropa Inst. V, Bin u. Wiesbaden 1954; J. Handschin, 
La naissance d'une musique russe d'orgue, in : Melanges . . . 
a P.-M. Masson II, Paris (1955) ; A. Olkhovsky, Music Un- 
der the Soviets, NY 1955 (mit ausf uhrlicher Bibliogr.); Isto- 
rija-russkoj sowjetskoj musyki (»Gesch. d. russ.-sowjeti- 
schen Musik«) I-II, 1956-59 (behandelt d. Jahre 1917-41); 
B. L. Wolman, Russkije petschatnyje noty 18-wo weka 
(»Der russ. Notendruck d. 18. Jh.«), Leningrad 1957; K. 
Laux, Die Musik in RuBland u. in d. Sowjetunion, Bin 1 95 8 ; 
D. Lehmann, RuBlands Opern u. Singspiele in d. 2. Half te d. 
1 8. Jh., Lpz. 1 958; L. Pestalozza, Lascuolanazionalerussa, 
= Piccola bibl. Ricordi VI, Mailand 1958 ; C. Hopkinson, 
Notes on Russ. Music Publishers, Cambridge 1959; M. O. 
Zeitlin, The Five, engl. v. G. Panin, NY u. London (1959) ; 
Russko-polskije musykalnyje swjasi (»Russ.-polnische 
mus. Beziehungen«), hrsg. v. I. Belsa, 1963 ; L. Raaben, 
Sowjetskaja kamerno-instrumentalnaja musyka (»Die 
sowjetische instr. Kammermusik«), Leningrad 1963; V. J. 
Seroff, Das machtige Hauflein, Zurich (1963) ; B. S. Smol- 
skij, Belorusskij musykalnyj teatr (»Das weiBruss. Musik- 
theater«), Minsk 1963; Fr. K. Prieberg, Musik in d. So- 
wjetunion, KSln 1965. 
Volksmusik. 

Ausg.: Sobranije russkich prostych pesen (»Slg einfacher 
russ. Liedere), 4 H., hrsg. v. W. F. Trutowskij, St. Peters- 
burg 1776-95, NA v. V. M. Beljajew, Moskau 1953 ; So- 
branije russkich narodnych pesen (»Slg russ. Volksliedere), 
hrsg. v. I. Pratsch, St. Petersburg 1790, erweitert 21806, 
31815, NA v. A. E. Paltschikow, Moskau 1896, hrsg. v. V. 
M. Beljajew, 1955 ; Russkije narodnyjepesni (»Russ. Volks- 
liedere), hrsg. v. D. N. Kaschin, 3 Bde, 1 833-34, N A 1 959 ; 
40 narodnych pesen (»40 Volksliedere), hrsg. v. T. I. Fi- 
lippow u. N. A. Rimskij-Korsakow, (1882); 65 russkich 
narodnych pesen (»65 russ. Volksliedere), hrsg. v. W. P. 
Prokuntn u. P. I. Tschaikowsky, 2 H., (1872-73); N. A. 
Rimskij-Korsakow, 100 russ. Volkslieder (mit Kl., op. 2- 
4, 7, 8, 24), 1877, NA 1945; Malorossijskije i belorusskije 
pesni (»Klein- u. weiBruss. Liedere), hrsg. v. dems., 1903; 
Pesni russkowo naroda (»Lieder d. russ. Volkes«), bearb. 
f. Singst. u. Kl. v. A. K. Ljadow, 150 Lieder in 4 Bden, 
1898-1903, NA 1959; 35 chants populaires russes (= Pes- 
ni russkowo naroda), hrsg. v. F. I. Istomin u. S. M. Lja- 
punow, Lpz. (1899); Halizkorusski narodni pisni (»Ga- 
lizisch-russ. Volksliedere), hrsg. v. I. Kolessa, = Etnogra- 
fitschny sbirnyk XI, Lemberg 1902; »GroBruss. Lieder in 
volkstumlicher Harmonisation«, hrsg. v. J. E. Linowa (Li- 
neff), 2 Serien, St. Petersburg 1904-09, engl. als: Peasant 
Songs, 1905-12; Archangelskijebyliny . . . (»Archangelsker 
Bylinen u. hist. Liedere), hrsg. v. A. D. Grigorjew, 3 Bde, 
1904-10; R. Lach, Vorlaufiger Ber. fiber d. . . . Aufnahme 
d. Gesangeruss. Kriegsgefangener, Sb. Wien CLXXXIII, 4 
u. CLXXXIX, 3, =Mitt. d. Phonogramm-Arch.-Kom- 
missionXLVI, 1917-XLVII, 1918; Gesangeruss. Kriegs- 
gefangener, hrsg. v. dems., 9 H., =Sb. Wien CCIII, 4, 
CCIV, 4-5, CCV, 1-2, CCXI, 3, CCXVIII, 1 u. 4, CCXXVII, 
4, = Mitt. d. Phonogramm-Arch.-Kommission LIV, LV, 
LVIII, LXV, LXVI, LXVIII, LXXIV, LXXVIII, 1926-52; 
G. Schunemann, Das Lied d. deutschen Kolonisten in 
RuBland, = Sammelbde f. vergl. Mw. HI, Miinchen 1922; 
Pesni Pineschja (»Lieder aus d. Pinegaland«) II, hrsg. v. 
J. Wl. Gippius mit S. V. Ewald, = Akad. nauk SSR, Trudy 
inst. antropologii . . . VII, Folklornaja serija 2, 1937; E. 
Mahler, Altruss. Volkslieder aus d. Pecoryland, Kassel 



828 



u. Basel (1951); Russkije narodnyje pesni o krestjanskich 
wojnach . . . (»Russ. Volkslieder fiber Bauernkriege u. 
-aufstande«), 1956; M. A. Balakirew, Russkije narodnyje 
pesni (»Russ. VolksIieder«), NA v. J. Wl. Gippius, 1957; 
Russkije pesni XVIII-wo weka (»Russ. Lieder d. 18. Jh.«), 
d. Liederbuch v. I. D. Gerstenberg u. F. A. Ditmar, hrsg. v. 
B. L. Wolman, 1958; Istoritscheskije pesni XIH-XVI we- 
kow (»Hist. Lieder d. 14.-16. Jh.«), hrsg. v. G. N. Puraow 
u. G. M. Dobrowolskd, Moskau u. Leningrad 1960. 
Lit. : P. P. Sokalskyj, Russkaja narodnaja musyka (»Die 
russ. Volksmusik«), Charkow 1888, NA Kiew 1959; A. S. 
Faminzyn, Skomorochi na Rusi (»Spielleute im alten RuB- 
land«), St. Petersburg 1889; ders., Gusli . . . (»Die Gusli, 
ein russ. Volksmusikinstr.«), ebenda 1890; ders., Domra 
. . . (»Die Domra u. verwandte Musikinstr.«), ebenda 
1891 ; A. Dm. Kastalskij, Ossobennosti russkoj narodnoj 
musykalnoj systemy (»Besonderheiten d. russ. volkstfim- 
lichen Musiksystems«), 1923, neu hrsg. v. V. M. Beljajew 
als: Osnowy narodnowo mnogogolossija (»Grundlagen d. 
volkstumlichen Mehrstimmigkeit«), 1948, engl. Auszug v. 
S.W.Pringin: MLX, 1929;V.M.BELjAjEW,Hdb.d.Volks- 
musikinstr., 1931 (russ.); M. Schneider, Kaukasische Pa- 
rallelen zur ma. Mehrstimmigkeit, AMI XII, 1940 ; E. Ems- 
heimer, Musikethnographische Bibliogr. d. nichtslawi- 
schenVolker inRuBland, AMI XV, 1943 ; N.J. Brjussowa, 
Russkaja narodnaja pesnja w russkoj klassike i sowjetskoj 
musyke (»Das russ. Volkslied in d. russ. Klassik u. sowjeti- 
schen Musik«), 1948; N. A. Garbusow, Drewnerusskoje 
narodnojemnogogolossije (»Altruss. volkstiimliche Mehr- 
stimmigkeit«), Moskau u. Leningrad 1 948 ; J. Wl. Gippius, 



Rute 

O russkoj narodnoj podgolossotschnoj polifonii . . . (»t)ber 
d. Mehrstimmigkeit im russ. Volkslied zu Ende d. 1 8. u. Be- 
ginn d. 19. Jh.«), in: Sowjetskaja etnografija II, Moskau u. 
Leningrad 1948; R. Trautmann, Das altruss. hist. Lied, 
Sb. Bin 1951, Nr 2; J. Handschin, La musique paysanne 
russe, SMZ XCII, 1952; G. W. MEYER.Tonale Verhaltnis- 
se u. Melodiestruktur im ostslawischen Volkslied, Lpz. 
1956; G. Seman, Russ. Folksong in the Eighteenth Cent., 
ML XL, 1959; P. Berschadskaja, Osnownyje komposi- 
zionnyje sakonomernosti . . . (»Grundlegende komposi- 
torische GesetzmaBigkeiten d. mehrst. russ. volkstumli- 
chen Bauernliedes«), Leningrad 1961 ; D. Gojowy, Mo- 
derne Musik in d. Sowjetunion bis 1930, Diss. Gottingen 
1965. -* UdSSR. FZ 

Rute (frz. fouet; engl. switch, wand; arabisch qadib), 
ein im 18. Jh. aus dem Vorderen Orient durch die Ja- 
nitscharenmusik nach Europa gelangtes Schlagwerk- 
zeug, ein Reisigbiindel, das heute weitgehend durch 
den -»■ Besen ersetzt ist. Mozart verwandte die R. als 
2. Schlagel der grofien Trommel in der Entfiihrung aus 
dem Serail (Notierung : Achtel mit Schlagel, Viertel mit 
R.), auch G.Mahler (2. und 3. Symphonie), R.Strauss 
(Ekktra, Frau ohne Schatten) u. a. verlangen sie. Noch 
heute ist in der Volksmusik einiger Balkanlander (Al- 
banien, Griechenland), das abwechselnde Schlagen der 
groBen Trommel (tupan, dauli) mit Schlagel (rechts) 
und R. (links) verbreitet. 



829 



S, Abk. fiir - 1) Sopran; - 2) -v Segno (ital.), Zeichen 
bei Wiederholungen (Dal S., D. S. = -> dal segno; al 
S. = -> al segno) ; - 3) S = Subdominante (Funktions- 
bezeichnung nach Riemann). 

Saarbriicken. 

Lit. : Fr. Kloevekorn, Chronik d. Saarbriicker Theaters u. 
Theaterspiels, = Mitt. d. Hist. Ver. f. d. Saargegend XIX, 
S. 1932; E. Stilz, Das gegenwSrtige Musikleben an d. 
Saar, in: Das Saarland, S. 1958; J. Muller-Blattau, Die 
Pflege d. Musik an d. Saar in Gesch. u. Gegenwart, ebenda. 

SACD-s-SACEM. 

SACEM (Societe des auteurs, compositeurs et editeurs 
de musique), franzosische Gesellschaft fiir musikalische 
Auffiihrungsrechte, gegriindet 1851 und als erste ihrer 
Art Vorbild der deutschen -*■ GEMA und anderer 
-> Verwertungsgesellschaften. - Den Einzug der Tan- 
tiemen fiir die szenischen Auffiihrungsrechte (grands 
droits de representation) nimmt die franzosische Ge- 
sellschaft SACD (Societe des auteurs et compositeurs 
dramatiques) vor, deren Griindung auf die Initiative 
von Beaumarchais aus dem Jahre 1777 zuriickgeht. 
1791 erhielt diese Gesellschaft durchEinsatz von Robes- 
pierre und Mirabeau gesetzlichen Riickhalt und 1837 
durch Scribe ihre noch heute giiltige gesellschaftliche 
Form. 

Sachsen. 

Lit.: M. Furstenau, Zur Gesch. d. Orgelbaukunst in S., 
Mitt. d. Koniglich-SSchsischen Alterthumsver. XIII, 1863; 
F. Oehme, Hdb. uber altere u. neuere beriihmte Orgelwer- 
ke im Konigreich S., Dresden 1888-97; R. Vollhardt, 
Gesch. d. Cantoren u. Organisten v. d. Stadten im Konig- 
reich S., Bin 1899 ; A. Werner, Gesch. d. Kantorei-Ges. im 
Gebiete d. ehemaligen Kurfiirstentums S., = BIMG I, 9, 
Lpz. 1902; ders., S.-Thuringen in d. Mg., Af Mw IV, 1922; 
J. Rautenstrauch, Luther u. d. Pflege d. kirchlichen Mu- 
sik in S., Diss. Lpz. 1907; H. Kretzschmar, S. in d. Mg., 
in: Gesammelte Aufsatze uber Musik, Lpz. 1910; W. 
Kurth, Die hausindustrielle Fabrikation kleinerer mus. 
Instr. im Vogtland u. in Oberbayern, Diss. Lpz. 1910; H. J. 
Moser, Der ZusammenschluB d. sachsischen Kunstpfeifer 
1653, ZIMG XII, 1910/1 1 ; A. Koczirz, Das Kollegium d. 
sachsischen Stadt- u. Kirchen-Musikanten v. 1653, AfMw 
II, 1919/20; K. Pembaur, 3 Jahrhunderte Kirchenmusik 
am sachsischen Hofe, Dresden 1920; R. Bruckner, Die 
Musikinstrumentenindustrie v. Markneukirchen i. V., Diss. 
Jena 1923, maschr. ; Fr. Ludwig, KurzgefaBte Mg. d. Erz- 
gebirges, Kaaden 1924; O. Stutz, tJber d. Musiker u. In- 
strumentenbauer d. Erzgebirges, Kaaden 1924; E. Simon, 
Gesch. d. Kantorei-Ges. zu Lommatzsch 1560-1928, Lom- 
matzsch 1929 ; H. Techritz, Sachsische Stadtpfeifer, Diss. 
Lpz. 1932; G. Heilfurth, Das erzgebirgische Bergmanns- 
lied, Schwarzenberg 1936; O. Voss, Die sachsische Orgel- 
musik ind. 2. Half ted. 17. Jh., Diss. Bin 1936; Fr. Treiber, 
Die thuringisch-sachsische Kirchenkantate zur Zeit d. jun- 
gen J. S. Bach (etwa 1700-23), AfMf II, 1937 ; G. Pietzsch, 
S. als Musikland, Dresden (1938); W. Schramm, Mg. d. 
Stadt Glashiitte, AfMf III, 1938 ; E. Jammers, Lit. zur Mg. 
S., Neues Arch, f . sachsische Gesch. LX, 1939 ; E.-Fr. Cal- 
lenberg, Das obersachsische Barocklied, Diss. Freiburg 
i. Br. 1952, maschr. ; P. Rubardt u. E. Jentsch, Kamenzer 



Org.-Buch, Kamenz 1952; R. Jauernig, Die Erneuerung 
d. Kirchengesangs im Herzogtum S.-Gotha, Jb. f . Liturgik 
u. Hymnologie II, 1956; W. Merkel, Vogtlandische Mu- 
siker vor 1900, = Museumsreihe XII, Plauen 1957; ders., 
Vogtlandische Musiker nach 1900, ebenda XX, 1960; H. 
Pohlmann, Die kursachsischen Komponistenprivilegien, 
AfMw XVIII, 1961. 
Sachsen-Anhalt. 

Lit. : P. Stobe, Zur Gesch. d. Kirchenorg. in Halberstadt, 
Lpz. 1 896 ; K. E. Jacobs, Das Coll. mus. . . . zu Wernigero- 
de, Zs. d. Harzver. f. Gesch. u. Altertumskunde XXV, 
1902; H. Waschke, Die Zerbster Hofkapelle unter (J. Fr.) 
Fasch, Zerbster Jb. II, 1906; Br. Kaiser, Singechoru. Kur- 
rende an d. Naumburger Domschule, Naumburg 1922; A. 
Werner, Die alte Musikbibl. u. d. Instr.-Slg an St. Wenzel 
in Naumburg . . ., AfMw VIII, 1926; W. Reupke, Das 
Zerbster Prozessionsspiel v. 1507, = Quellen zur deutschen 
Volkskunde IV, Bin 1930; E. Kaestner, Zur Mg. d. Stadt 
Gardelegen im Zeitalter d. Reformation, in: Heimatbuch. 
Beitr. zur altmarkischen Heimatkunde I, Gardelegen 1937 ; 
W. Braun, Zur Mg. d. Stadt Zorbig im 1 7. Jh., AfMw XIII, 
1956; ders., Mg. d. Stadt Freyburg/Unstrut, Wiss. Zs. d. 
M.-Luther-Univ. Halle, Gesellschafts- u. sprachwiss. Reihe 
IX,4,1960;DERS.,A.Ungeru.d.biblischeHistorieinNaum- 
burg . . ., Jb. f. Liturgik u. Hymnologie VII, 1962; I. We- 
ber-Kellermann, L. Parisiusu. seine altmarkischen Volks- 
lieder (. . . in Zusammenarbeit mit E. Stockmann), = Ver- 
off. d. Inst. f. Deutsche Volkskunde d. Deutschen Akad. d. 
Wiss. zu Bin X, Bin 1957; D. Stockmann, Der Volksge- 
sang in d. Altmark, ebenda XXIX, 1962; W. Stuven, Org. 
u. Orgelbauer im Saalkreis vor 1800, Diss. Tubingen 1962; 
H. Voigt, 625 Jahre Schulmusik in Stendal, Stendal (1962). 

Sackpfeife, auch Dudelsack (von tiirkisch diidiik oder 
slawisch duda?), Bock- oder Schaferpfeife (lat. tibia 
utricularis; span. ->■ gaita; ital. piva, -> cornamusa, 
-> zampogna; altfrz. estive, frz. im 17./18. Jh. sourde- 
line, auch cabrette, chevrette, von chevre, Ziege, auch 
->• musette - 1; engl. bagpipe; schottisch lilt; estnisch 
torupill), ein volkstiimliches Blasinstrument, dessen 
Verbreitungsgebiet sich iiber Skandinavien, das Bal- 
tikum und die britischen Inseln, Frankreich, Spanien, 
Siiditalien, RuCland und den Balkan sowie Nordafrika 
und den Vorderen Orient mit Auslaufern bis nach 
Indien erstreckt. Wesentlicher Bestandteil der S. ist 
ein Windsack (Fell eines Schafes oder einer Ziege, tieri- 
scher Magen oder Blase [-> Platerspiel], heute auch 
Gummi oder Kunststoff), der durch ein Anblasrohr 
(Blaspfeife) oder einen Blasbalg mit Luf t versorgt wird. 
Wird der Windsack mit dem Oberarm an den Korper 
gedriickt, so spendet er Luf t an die ihm angeschlosseneri 
(bis zu 8) Pfeifen, meist 1 Spielpfeife und mehrere Bor- 
dunpfeifen (Stimmer; frz. bourdon; engl. drone) mit 
einfachem oder doppeltem Rohrblatt, die oft Schall- 
becher (-► Hornpipe - 1) haben. Doppelrohrblatter in 
Melodiepfeifen und Bordunen haben allein die Musette 
und die Zampogna. -Eine Terrakotta (Berlin 8798) aus 
dem hellenistischen Agypten (nach Sachs aus dem 1. 
Jh. v. Chr.) stellt einen Panpfeifenblaser dar, der zu- 
gleich eine S. mit einer Pfeife (wahrscheinlich als Bor- 
dun) spielt; ausschlieBlich als Bordun wird die S. noch 



830 



heute in Indien gespielt. Vom 10. Jh. ab sind S.n oft in 
illuminierten Handschriften (Cantigas de Santa Maria) 
und an (oft Engels-)Plastiken dargestellt; es kommen 
dabei S.n mit einfacher oder gedoppelter Spielpfeife 
sowie mit oder ohne Bordun vor. Praetorius (Synt. II) 
kennt mehrere Arten von S.n: Bock mit langem Stim- 
mer (Bordun) und einer Melodiepfeif e in C, beide Pfei- 
fen mithornartigen Schallbechern; SchaperPfeiff (Scha- 
ferpfeife) mit 2 Stimmern in b und fi und einer Melo- 
diepfeif e; Hiimmelchen mit 2 Stimmern in f und c 1 ; 
Dudey mit 3 Stimmern in es, bi und es 2 ; dazu die selte- 
ne Magdeburgische S. mit 2 Stimmern und 2 Melodie- 
pfeifen. - Charakteristisch fur die Spielweise der S. ist 
der lange, nicht phrasierte und reich verzierte Melodie- 
strom mit oder ohne Bordun. In der Spielweise mit 
ausgehaltenen Borduntonen ist die S. mit der -*■ Dreh- 
leier zu vergleichen; beide Instrumente treten zuweilen 
in der gleichen kulturellen Umgebung auf und konnen 
dabei auch die gleichen Namen (symphonia, zampogna) 
haben. Nach einer Zeit der Hochschatzung im hohen 
Mittelalter sanken beide zu Bettlerinstrumenten ab ; im 
Frankreich des 17./18. Jh. wurden sie in kunstvoller 
Ausfiihrung beliebt als modisch-schaferliche Instru- 
mente (-> Musette - 1). In der Volksmusik ist die S. ein 
Instrument der Hirten und Bauern. Auf den britischen 
Inseln wird sie vor allem in Schottland als Nationalin- 
strument gepflegt. Gruppenspiel schottischer Dudel- 
sackblaser ist fur die Militarmusik der britischen Armee 
charakteristisch. Eine Sonderform der S. in Irland und 
Schottland ist die -> Union pipe. -*■ Phagotum. 
Lit. : Praetorius Synt. II ; M. Mersenne, Harmonie uni- 
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 
1963; H. Lapaire, Vielles et cornemuses, Moulins 1901; 
W. H. Gr. Flood, The Story of the Bagpipe, London 1911; 
Fr. Bruckner, Die Blasinstr. in d. altfrz. Lit., = GieBener 
Beitr. zur Romanischen Philologie XIX, GieBen 1926; G. 
V. B. Charlton, The Northumbrian Bag-Pipes, Archeo- 
logia Aeliana IV, 7, 1930; G. H. Askew, A Bibliogr. of the 
Bag-Pipe, Newcastle on Tyne 1932; W. A. Cocks, The 
Northumbrian Bagpipes, ebenda 1933; P. Bromse, Fl., 
Schalmeien u. S. Siidslawiens, = Veroff. d. Mw. Inst. d. 
Deutschen Univ. Prag IX, Briinn, Prag, Lpz. u. Wien 1937 ; 
C. Sachs, The Hist, of Mus. Instr., NY (1940); G. A. Cl- 
rot, Zamfona et zampona, Bull, hispanique XLIII, 1941 ; 
ders., Gaita et rhaita, in: Melanges Lopes-Cenival, Lissa- 
bon u. Paris 1945 ; M. Rehnbero, Om sackpipan i Sverige, 
= Nordiska museets handlingar XVIII, Stockholm 1943; 
E. Winternitz, Bagpipes and Hurdye-Gurdies in Their 
Social Setting, Metropolitan Museum of Art Bull., N. F. II, 
1943 ; ders., Bagpipes for the Lord, ebenda XVI, 1957/58 ; 
L. Vargyas, Die Wirkung d. Dudelsacks auf d. ungarische 
Volksmusik, Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 
1956, 31958; Ch. Chilibec, Folk Dance Instr.: Bagpipe in 
Southern Bohemia, The Folklorist IV, 1957; M. Schnei- 
der, Bemerkungen iiber d. span. S., in: Musikerkenntnis u. 
Musikerziehung, Fs. H. Mersmann, Kassel 1 957; A. B aines, 
Bagpipes, = Occasional Papers of Technology IX, Oxford 
1960; O. Andersson, Brollopsmusik pa sackpipa, STMf 
XLIII, 1961 ; J. Markl, Dudy a Dudaci, Tschechisch-Bud- 
weis 1962; ders., Czech Bagpipe Music, Journal of the In- 
ternational Folk Music Council XV, 1963. 

Sangerbunde, regionale Zusammenschliisse von 
Chorvereinigungen. Nationale Einigungsbestrebun- 
gen, gleiche gesellschaftliche Interessen und das Messen 
der sangerischen Krafte bestimmten die in Deutsch- 
land seit Anfang des 19. Jh. allerorts aufbliihenden 
Mannergesangvereine (->■ Liedertafeln, Liederkranze; 
-*■ Mannerchor), sich auf Sangerfesten zu treffen und 
auf regionaler Ebene zu verbinden. 1827 fand in Plo- 
chingen das erste Deutsche Sangerfest mit einer Betei- 
ligung von 200 Sangern statt, weitere folgten in Frank- 
furt am Main 1838 und in Wiirzburg 1845. Der erste 
organisatorische ZusammenschluB war die Provinzial- 
liedertafel in Bernburg (1830, gegriindet von 28 San- 



Sangerbiinde 

gern der Liedertafeln von Magdeburg, Dessau und 
Zerbst). Als ersten gebietsweisen ZusammenschluB 
konstituierten Mitglieder der Liedertafeln von Ham- 
burg und Bremen 1831 im OylerWald bei Nienburg 
an der Weser die Vereinigten Norddeutschen Lieder- 
tafeln. Spater entstanden S. in alien deutschsprachigen 
Gebieten. Nach Herkunft und Ziel unterschieden sich 
die S. von den musikpadagogischen Bestrebungen der 
franzosischen ->• Orpheons. - Abgeordnete von 41 S.n 
griindeten 1862 in Coburg (wo schon 1860 das erste 
Deutsche Turnerf est und 1861 das erste Deutsche Schiit- 
zenfest abgehalten worden waren) unter der Schirm- 
herrschaft Herzog Ernsts II. von Sachsen-Coburg- 
Gotha, den Deutschen Sangerbund (DSB). Dieser be- 
zweckte die Ausbildung und Veredelung des deutschen 
Mdnnergesanges und wollte dutch die dent deutschen Lie- 
de inwohnende einigende Kraft . . . die nationale Zusam- 
mengehorigkeit der deutschen Stamme starken und an der 
Einheit und Macht des Vaterlandes mitarbeiten (Satzung 
des DSB § 1). Zur Verwirklichung dieses Ziels wurden 
Sangerbundesfeste durchgefiihrt (Dresden 1865, Miin- 
chen 1874, Hamburg 1882, Wien 1890, Stuttgart 1896, 
Graz 1902, Breslau 1907, Nurnberg 1912, Hannover 
1924, Wien 1928, Frankfurt am Main 1932, Breslau 
1937). 1927 wurden die Niirnberger Sangerwochen 
eingerichtet, um den Stand deutschen Mannerchorschaf- 
fens in Chorwerk und Chorleistung der Offentlichkeit zu 
zeigen (Das deutsche Sangerbuch, 1930). Sie fanden 1927, 
1929, 1931, 1934 und 1939 in Nurnberg statt. Nach 
dem 2. Weltkrieg wurde der DSB verboten, aber 1949 
neugegriindet. Heute ist er eine Vereinigung von Man- 
ner-, Frauen-, gemischten und Jugendchoren und die 
Dachorganisation von 18 Einzelbunden in der Bundes- 
republik mit etwa 15000 Vereinen; seine Ziele und 
Aufgaben sind in einemKulturprogramm niedergelegt. 
Die Sangerbundesfeste mit ihrer f reien Programmwahl 
wurden wieder aufgenommen (Mainz 1951, Stuttgart 
1956, Essen 1962) ; die Sangerwochen wurden mit Auf- 
fiihrungen neuer oder unbekannter alterer Chorwerke 
1950 in Monchengladbach, 1953 in Gelsenkirchen, 1958 
in Wiesbaden, 1963 in Essen abgehalten, wo sie alsEsse- 
ner Chortage kiinf tig regelmaBig stattfinden sollen. 
Delegierte der von den Arbeiterbildungsvereinen beein- 
fluBten, vereinzelt bis in die 1860er Jahre zuriickgehen- 
den und nach Aufhebung des Sozialistengesetzes (1890) 
in vielen deutschen Stadten entstandenen Arbeiterge- 
sangvereine griindeten 1 892 in Berlin die Liedergemein- 
schaf t der Arbeiter-Sangervereinigungen Deutschlands, 
deren Hauptzweck die Beschaffung von gemeinsamen 
Liedern fur die Vereine war. 1908 wurde sie umbenannt 
in Deutscher Arbeiter-Sangerbund (DAS) und in Gaue 
und Bezirke eingeteilt. Als kulturpolitische Organisa- 
tion beabsichtigte der DAS, den Bildungsstand der Ar- 
beiter zu heben ; er sah von vornherein die Mitwirkung 
von Frauen am Chorgesang vor. Gausangerfeste wur- 
den in groBer Zahl veranstaltet, ein Sangerfest des ge- 
samten Bundes kam nur 1928 in Hannover zustande. 
Der DAS stand mit den deutschen Arbeitergesangver- 
einen im Ausland in Verbindung; aus dem Bestreben, 
auch mit nichtdeutschen Vereinen in nahere Beziehung 
zu treten, wurde 1926 in Hamburg die Arbeitersanger- 
Internationale gegriindet. 1933 wurde der DAS aufge- 
lost; sein Erbe trat der 1947 in Hannover gegriindete, 
in 13 Einzelgruppen (Bezirke und Kreise) gegliederte 
Deutsche Allgemeine Sangerbund an (Abkiirzung 
ebenfalls DAS). Eine Sangerbundeswoche des DAS 
fand 1949 in Nurnberg statt. GroBe Chorfeste wurden 
bisher 1951 in Frankfurt am Main, 1954 in Hannover, 
1959 in Berlin und 1965 in Bremen abgehalten. - DSB 
und DAS gehoren der 1950 in Detmold gegriindeten 
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbande (ADC) 



831 



Saeta 



an, der auBerdem folgende Verbande angeschlossen 
sind : der als Rechtsnachf olger des seit 1925 bestehenden 
Reichsverbandes der Gemischten Chore Deutschlands 
1950 ins Leben gerufene Verband deutscher Oratorien- 
und Kammerchore, dessen Aufgabe in der kiinstleri- 
schen und organisatorischen Forderung der in ihm zu- 
sammengeschlossenen musikpflegenden Gemeinschaf- 
ten besteht, mit dem Ziel einer allgemeinenErneuerung 
des Musiklebens durch chorisches Singen; der 1868 
durch Fr. X.Witt gegriindete Allgemeine Cacilienver- 
ein fiir die Lander deutscher Zunge (-> Caecilianismus) , 
heute Allgemeiner Cacilienverband fiir Deutschland, 
Osterreich und die Schweiz genannt; der 1883 gegriin- 
dete (bis 1933 Evangelischer Kirchengesangverein fiir 
Deutschland genannte) Verband evangelischer Kir- 
chenchore Deutschlands; der von der -> Jugendbewe- 
gung beeinfluBte, alsZusammenschluB der Sing-, Spiel- 
und Tanzkreise im Arbeitskreis fiir Haus- und Jugend- 
musik und im Arbeitskreis Junge Musik 1952 gegriin- 
dete Verband der Sing- und Spielkreise. - Lose in Form 
einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen in 
der Arbeitsgemeinschaft Europaischer Chorverbande 
(AECV) sind neben dem DSB der Eidgenossische San- 
gerverein, dieElsassische Chorgemeinschaft, der Finni- 
sche Sangerbund SULASOL, der Koninklijk Neder- 
lands Zangersverbond, der Osterreichische und der 
Siidtiroler Sangerbund. Der Zweck der AECV besteht 
in der Pflege gegenseitiger Beziehungen zwischen den 
beteiligten Verbanden und der Veranstaltung inter- 
nationaler Konzerte im Rahmen von Landessangerfe- 
sten (1960 in Genf, 1962 in Essen, 1963 in Salzburg, 
1964 in Turku, 1965 in Amsterdam, 1967 in Namur). 
Lit.: O. Elben, Der volkstiimlichedeutsche Mannergesang, 
Tubingen 1855, 21887; Der Deutsche Sangerbund 1862- 
1912, hrsg. v. Gesamtausschusse d. Deutschen Sangerbun- 
des, o. O. 1912; Grund-Buch d. Schwabischen Sangerbun- 
des, bearb. v. G. Gabler, Stuttgart 1925; R. Kotzschke, 
Gesch. d. deutschen Mannergesanges, Dresden 1927; Das 
deutsche Sangerbuch, hrsg. v. Fr. J. Ewens, Bin u. Karls- 
ruhe 1930; H. Dietel, Beitr. zur Friihgesch. d. Mannerge- 
sanges, Diss. Wurzburg 1938; Hdb. d. Chormusik, hrsg. v. 
E. Valentin, 2 Bde, Regensburg (1953-58) ; Fr. J. Ewens, 
Lexikon d. deutschen Chorwesens, Monchengladbach 
1954, 21960. - Jb. d. Deutschen Sangerbundes I, 1926 - X, 
1936 u. XI, 1952ff.; Schriftenreihe d. DSB, Koln 1960ff. 

Saeta, volkstiimlicher religioser Gesang Andalusiens, 
besonders bei den Karfreitagsprozessionen, wobei der 
Sanger vom Balkon aus auf die StraBe hinabsingt, wah- 
rend die Prozession fiir die Zeit des Gesanges innehalt. 
Lit. : A. de Larrea, La s., AM IV, 1949. 

Sainete (span., Leckerbissen, Schwank), in Spanien 
kurze, heitere Darbietung im Rahmen eines groBeren 
Buhnenwerkes, oft mit Tanzen und Gesang. Urspriing- 
lich wurde mit S. meist das Nachspiel bezeichnet, im 
Unterschied zu dem alteren, jedocn ebenfalls einakti- 
gen und burlesken Entremes (Zwischenspiel). Seit dem 
18. Jh. ging die Bezeichnung S. auf die zwischen den 
Akten (jornadas) des Dramas gespielten Einlagen iiber. 
Ramon de la Cruz y Cano (1731-94) wurde als Schop- 
fer eines neuen, dem Entremes an volkstiimlicher und 
realistischer Wirkung iiberlegenen S.-Typus der Lieb- 
lingsautor Spaniens und regte zu zahllosen Nachah- 
mungen an. Zu den wenigen eigenstandigen Verfas- 
sern von S.-Texten gehort J.I. Gonzales del Castillo. 
Musik zu S.s schrieben im 18. Jh. u. a. P.Esteve, Bl. de 
Laserna, Rosales, A. Soler. Bis Mitte des 19. Jh. sind 
Kompositionen nur vereinzelt, danach zu Hunderten 
iiberlief ert. In ihnen erscheint als weitaus haufigs te Num- 
mer die -»■ Seguidilla, ferner der A cuatro (Vokalquar- 
tett) und der ein- oder mehrstimmige Coro. Instrumen- 
talbegleitung war die Regel. Die Besetzung reichte, je 



nach den Moglichkeiten des Theaters und dem Charak- 
ter der Szene, von einer einzelnen Gitarre bis zum vol- 
len Orchester. Die Komponisten verlangten oft die 
Einschaltung von volkstiimlichen Melodien und von 
Nummern aus bereits vorhandenen Werken oder von 
Kanzonen und Tanzen spanischer und europaischer Her- 
kunft. Der spater in der Form verf allende, gelegentlich 
auf 2 und 3 Akte erweiterte S. fand in der 2. Halfte des 
19. Jh. eine Fortsetzung im -> Ge'nero chico. Gleichzei- 
tig gingen Elemente aus dem S. in die -> Zarzuela iiber. 
Lit. : E. Cotarelo y Mori, Coleccion de entremeses, loas, 
bailes, jacaras y mojigangas desde fines del s. XVI a media- 
dos del s. XVIII, Madrid 191 1 ; J. Subira, La partecipacion 
mus. en los s. madrilenas del s. XVIII, Revista de la bibl., 
arch, y museo del Ayuntamiento de Madrid IV, 1927; 
ders., Hist, de la miisica teatral en Espafta, in: Coleccion 
Labor, Barcelona 1945, S. 139ff.; ders., La musica nel s., 
in: Enciclopedia dello spettacolo VIII, Rom 1961, S. 
1389ff.; J. A. Montes, S., ebenda S. 1388L; H. Kinder- 
mann, Theatergesch. Europas V, Salzburg 1 962, S. 43 1 . 

Saint Louis (Missouri, USA). 
Lit.: R. Spamer, The Hist, of Music in St. L., St. L. 1918; 
E. Chr. Krohn, A Cent, of Missouri Music, St. L. 1924; 
ders., Bach-Renaissance in St. L., Bull, of the Missouri 
Hist. Soc. XII, 1955 ; L. B. Spiess, A New Music Library in 
St. L., Notes II, 19, 1961/62. 

Saint-Martial. Die 848 iiber der Grabstatte des hi. 
Martialis erbaute Benediktinerabtei (1792 zerstort) war 
die bedeutendste der zahlreichen Abteien in Limoges 
(St-Martiii, St-Augustin, St-L^onard), die sich vom 
Ende des 9. bis zu Beginn des 13. Jh. als Pflegestatten 
der Musik auszeichneten. Bis Ende des 12. Jh. bliihte 
hier die 1 st. Kunst des -*■ Tropus und der ->• Sequenz (- 1 ) . 
Von den 23 »St-M.-Handschriften« mit 1st. Musik sind 
(nach Stablein) 10 Handschriften Mitte des 11. Jh. ent- 
standen. Nur 3 Handschriften (aus der Zeit vor und 
um 1000; vielleicht noch 2 weitere Hss. aus dem 11. 
Jh.) sind direkt fiir die Abtei St-M. geschrieben; die 
meisten anderen kamen erst im 12. und 13. Jh. dorthin, 
nachweislich z. B. aus Narbonne, vielleicht auch aus 
den siidfranzosischen Abteien St-Yrieix, Aurillac sowie 
Moissac, und hauptsachlich zufolge der Sammeltatig- 
keit des Bernard Itier (ab 1204 Bibliothekar von St- 
M.). Sie wurden, zusammen mit den Handschriften, 
die auch mehrstimmige Musik enthalten (s. u.), 1730 
an die Bibliotheque royale in Paris verkauft und somit 
vor der Vernichtung durch die Revolution bewahrt. 
Gemeinsam ist dieser ersten Gruppe der St-M.-Hand- 
schriften (hierzu gehort auch die Hs. Apt, Sainte-Anne 
17.5) die Aufzeichnung der Musik in siidfranzosischen 
(aquitanischen) -> Neumen (- 1). 
Im 12. Jh. (nach der Entstehungszeit der Hss.: vom 
Ende des 11. bis ins 13. Jh.) bliihte in St-M. und wohl 
auch in anderen Abteien in Limoges und Siidfrankreich 
als eine neue Gattung der 1st. Musik der -*■ Versus (- 6), 
spater Conductus genannt. Und besonders in Verbin- 
dung mit diesen lateinischen Strophenliedern entstand 
ein ausgedehntes Repertoire 2st. Musik, das die -*■ Quel- 
len SM 1, 2, 3 und LoSM ebenfalls in aquitanischer 
Neumenschrift iiberliefern (insgesamt 94 2st. und 92 
1st. Stiicke) und das nach Ausweis dieser Quellen aus 
dem Raum St-M.-Apt(?)-Katalonien(?) stammt. Zur 
Gruppe der St-M.-Handschriften dieser zweitenEpoche 
konnen im weitesten Sinne auch gezahlt werden : 2 ver- 
lorene Sammlungen (versarii), die der Cantor Albertus 
(nachgewiesen 1140-77) seiner Kirche -* Notre-Dame 
in Paris testamentarisch vermachte; ferner die mehr- 
stimmigen Stiicke des in der vorliegenden Form wohl 
erst nach 1173 geschriebenen und mit nordfranzosi- 
schen Neumen notierten Codex Calixtinus (-> Quel- 
len: Calixtinus) ; schlieBlich auch die vielleicht in Eng- 



832 



Saiten 



land in annahernd quadratischer Notation geschriebe- 
ne, von O. Schumann so genannte jiingere Cambridger 
Liedersammlung (Cambridge, Univ. Library, Ff 1 17; 
wohl 1. Halfte des 13. Jh.; Sigel Cb 17) mit 13 2st. 
Stiicken (Faks. bei Wooldridge), darunter je eine Kon- 
kordanz mit SM 3 und LoSM. In diesem weiten Sinn 
ist jedoch das »St-M.-Repertoire« nahezu identisch mit 
der erhaltenen mehrstimmigen Musik des 12. Jh., mit 
Ausnahme jener Gruppe von Fragmenten, in deren 
Mittelpunkt die 2st. Alleluiaaufzeichnungen in Chartres 
109 stehen (-> Organum), und auBer dem »Notre- 
Dame-Repertoire«. Vielleicht stellt sich St-M. nur des- 
halb in den Mittelpunkt heutiger Kenntnis der Musik 
des 12. Jh., weil die dort gesammelten Handschriften 
zufolge ihres Verkaufs an die Pariser Nationalbiblio- 
thek vor dem Schicksal der Vernichtung bewahrt 
blieben. 

AuBer dem Versus (vor allem als -> Benedicamus Do- 
mino-Tropus) bietet das mehrstimmige St-M.-Re- 
pertoire u. a. auch Sequenzen, Tropen zu Ordinariums- 
gesangen, Responsorien (5 im Calixtinus) und untro- 
pierte Benedicamus Domino-Satze. Neben den »hori- 
zontal interpolierenden« Tropen (Handschin) weisen 
die Quellen SM 1,2, 3 und Cb 17 auch insgesamt 5 
Simultantropen auf, je iiber einen Benedicamus Do- 
mino-Cantus: gleichzeitig mit dem Cantus wird ein 
Versus gesungen, der den Cantustext paraphrasiert. 
Der Simultantropus kann als Vorform der Motette an- 
gesprochen werden. Wahrend jedoch die -v Motette 
des 13. Jh. auf die Textierung praexistenter Melismen- 
satze zuriickgeht, entstanden die alteren Simultantro- 
pen durch Hinzufiigen eines textlich-musikalischen 
Versus zu einem vollstandigen Cantus. Ein Verbin- 
dungsglied stellen die beiden Simultantropen in der 
-*■ Quelle F des Notre-Dame-Repertoires dar (hierzu 
Ludwig, S. 100 und 105). - Nach Ausweis der Texte 
dienten die meisten Satze des St-M.-Repertoires der 
Ausschmiickung des Of fiziums und (seltener und haupt- 
sachlich an besonderen Festtagen) der Messe, daneben 
wohl auch einem mehr inoffiziellen Gebrauch (z. B. 
Neujahrslieder) und der Geselligkeit (wie besonders die 
Anlage der Cambridger Liedersammlung zeigt). 
Bezeichnend fiir die Aufzeichnungen mehrstimmiger 
Musik in der Gruppe der St-M.-Handschriften sind: 
Festhalten an der Zweistimmigkeit (ein 3st. Satz nur 
in Cb 1 7; in einem Satz des Calixtinus ist eine 3. Stim- 
me[?] nachtraglichhinzugef ugt) ; Lage der Organalstim- 
me oberhalb des Cantus ; in der Regel wohl solistische 
Ausfiihrung; die auch in den Traktaten des 12. Jh. ge- 
lehrte Scheidung zwischen Geriistsatz und Kolorierung 
der Gegenstimme; Ausbildung unterschiedlicher Satz- 
arten (->■ Organum, -> Discantus), die verschiedene 
Moglichkeiten zur Bildung und Gliederung musika- 
lisch-textlicher Formen darstellen und die Satzarten 
der Musik der Notre-Dame-Epoche im Ansatz enthal- 
ten. Eine besondere Schwierigkeit des Verstandnisses 
der Aufzeichnungen des St-M.-Repertoires bietet die 
Frage des Rhythmus, der bei den Versus durch den Text 
gegeben zu sein scheint. Doch unentschieden ist nicht 
nur, welche Rolle die Konkordanzen und Diskordan- 
zen fiir den Rhythmus spielen, sondern vor allem, ob 
der syllabische Note-gegen-Note-Satz nach proportio- 
nierten Langen und Kiirzen oder nur nach »innerer Ge- 
wichtigkeit« der Betonungen erfolgen soil und inwie- 
weit die Melismen sich einem solchen Vortrag einfii- 
gen lassen. Bei (SchluB-)Melismen besonders in der 
Handschrift LoSM wurde nachzuweisen versucht, dafi 
sie infolge ihres mehdischen Charakters sowie ihrer Notation 
kaum anders als rhythmisch modal zu deuten sind (Stab- 
lein). - Insgesamt ist die Musik des St-M.-Repertoires 
als Kloster- oder Abteikunst zu bezeichnen. Wahr- 



scheinlich iiberschneidet sie sich seit Ende des 12. Jh. 
zeitlich mit der Kathedralkunst von Notre-Dame. (Kon- 
kordanzen zwischen dem mehrstimmigen Repertoire 
von St-M. und dem der Notre-Dame-Quelfen sind 
bisher nicht nachgewiesen.) 

Lit. : E. H. Wooldridge, Early Engl. Harmony I, London 
1897; Fr. Ludwig, Repertorium ... I, 1, S. 326ff„ Halle 
1910, hrsg. v. L. A. Dittmer, NY u. Hildesheim 1964; J. 
Handschin, Uber d. Ursprung d. Motette, Kgr.-Ber. Basel 
1924; O. Schumann, Die jiingere Cambridger Liederslg, 
in: Studimedievali, N. S. XVI, 1943-50; ApelN ; W. Apel, 
From St. M. to Notre Dame, JAMS II, 1949; E. Jammers, 
Anfanged. abendlandischen Musik, = Slgmw. Abh.XXXI, 
StraBburg u. Kehl 1955 ; Br. Stablein, Modale Rhythmen 
im S.-M.-Repertoire ?, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963.-4 Quel- 
len: SM 1, 2, 3, LoSM; Calixtinus-Kod. HHE 

Saint-Quentin (Aisne). 

Lit. : Ch. Gomart, Notes hist, sur la maitrise de St-Qu , 

o. 0. 1 85 1 ; F. Raugel, Les grandes orgues et les organistes 
de la basilique de St-Qu., Argentueil 1925; ders., B. Ju- 
mentier (1749-1829), maitre de la chapelle de la collegiale 
de St-Qu. et ses oeuvres in^dites, Kgr.-Ber. Bamberg 1953 ; 
Ders., Notes pour servir a l'hist. mus. de la collegiale de St- 
Qu. depuis les origines jusqu'en 1679, Fs. H. Besseler, 
Lpz. 1961. 

Saiten (Sake; griech. x°?^> l at - vnl ^ "al- corda; frz. 
corde; engl. string) sind lange und diinne zylindrische 
Korper, die in gespanntem Zustand durch Zupfen, 
Schlagen (->■ Plektron), Streichen (-»■ Bogen - 2) oder 
Mittonen (-> Aliquotsaiten) in Schwingungen versetzt 
und damit zum Klingen gebracht werden. Neben tie- 
rischen Sehnen und Darmen wird als Material fiir S. 
seit dem 14. Jh. auch Metall (gezogener oder geschmie- 
deter Draht aus Messing, Kupfer, Silber, Eisen, seit 
1834 auch aus gezogenem GuBstahl), in neuester Zeit 
auch synthetischer Kunststoff (z. B. Nylon, Perlon) 
verwendet. In der auBereuropaischen Musik werden S. 
auch aus Pflanzenf asern oder aus Seide hergestellt. Die 
Grundfrequenz einer schwingenden Saite wird be- 
stimmt von ihrer Lange, ihrer Spannung und ihrer 
Masse, die von der Dichte des verwendeten Materials 
und vom Querschnitt der Saite abhangig ist. Das Ver- 
haltnis dieser Faktoren zueinander ist die fiir jedes Sai- 
teninstrument durch Erfahrung, Versuche oder Be- 
rechnung ermittelte Mensur der S. Wenn bei fest- 
stehender Lange und Spannung zur Erzielung einer 
bestimmten Grundfrequenz der Querschnitt einer Sai- 
te iiber ein gewunschtes MaB erhoht werden muBte, 
wird statt desseh die Masse erhoht durch Umspinnung 
eines zugfesten Kerns mit einem schweren Material 
(Kupfer, Silber). Gute Darmsaiten werden seit dem 
Mittelalter in Italien (Neapel, Rom, Padua, Verona) 
und in Deutschland (Niirnberg, Frankfurt am Main, 
Offenbach, Markneukirchen) hergestellt aus Darmen, 
die aus Bulgarien und den Wolgagebieten eingefiihrt 
werden. Darm-S. sollen keine Wiilste oder Knoten 
haben, mttssen durchscheinend sein und diirfen beim 
Aufziehen Farbe und Durchsichtigkeit nicht verlieren. 
Quintenrein sind S., die, in Quinten gestimmt, in alien 
Grifflagen wieder reine Quinten ergeben. Zum Messen 
der Starke dient das Chordometer, bei dem die S. in ei- 
nen mit einer Skala versehenen spitzwinkligen Spalt 
geschoben werden. Durch Verkurzung der schwin- 
genden S.-Lange werden hohere Tone erzeugt; die 
Proportion der verkiirzten schwingenden S.-Lange 
uncf der ganzen Lange wird seit den Pythagoreern zur 
zahlenmSBigen Darstellung der Intervalle verwendet. 
Direr Veranschaulichung diente in Altertum und Mit- 
telalter das mit einer Skala oder mit Tasten versehene 
-»- Monochord. In welchem MaBe die Theorie der an- 
tiken Griechischen Musik auf dem S.-Instrument auf- 
gebaut ist, zeigt ihre Terminologie: z. B. bezeichnet 



53 



833 



Saiteninstrumente 



XopS^ zunachst die Saite, dann auch den -> Ton (t6vo<; 
ist urspriinglich ein bestimmtes Spannungsverhaltnis 
der Saite). Bei Zupf- und Streichinstrumenten werden 
die S. und S.-Gruppen (Chore) von der hochsten zur 
tiefsten hin numeriert; die S. der ->■ Laute (- 2) haben 
eigene Namen. - Schnarr-S. sind ein Bestandteil der 
-»- Trommel. 

Lit. : G. E. Fischer, Versuche iiber d. Schwingungen ge- 
spannter S., Bin 1924; H. Bouasse, Cordes et membranes, 
Paris 1926; W. Albrecht, Vom Schafdarm zur Saite, Zflb 
LX, 1940. 

Saiteninstrumente -> Chordophone. 

Sakuhati, japanische Kernspaltflote aus Bambus mit 5 
Grifflochern. Sie soil im 13. Jh. von einem buddhisti- 
schen Monch eingefiihrt worden sein. 
Lit. : J. Obata, Acoustical Investigations of Some Japanese 
Mus. Instr Tokio 1930. 

Salicus (lat.) -> Neumen (- 1). 

Salizional (Salicional, Salizet, von lat. salix, Weide, 
s. v. w. Weidenpfeife, Schnabelpfeife aus Weidenholz) 
ist in der Orgel eine oflene Labialstimme von enger 
Mensur zu 8' und 4', auch 16' und 2', zumeist zylin- 
drisch, seltener konisch, von mehr oder weniger strei- 
chendem Klang. Unter der alten Bezeichnung Schilf- 
pfeife ist vermutlich S. zu verstehen. 

Salonmusik. Der Salon (in der Bedeutung des Gesell- 
schafts-, Besuchs-, Empfangszimmers, auch der in ihm 
arrangierten Soiree) wurde, von Frankreich ausgehend, 
im 19. Jh. eine vornehmlich von der Damenwelt ge- 
tragene Instanz auch des Musiklebens. Er stellte, wie 
schon J. Fr. Reichardt in seinen Vertrauten Briefen (1802/ 
03) aus Paris und Wien berichtet, in den Hausern des 
Adels und GroBbiirgertums eine gegeniiber Hofleben 
und bffentlichem Konzertbetrieb neue Form der Ex- 
klusivitat dar und lieB als eine eigene Art der Musik die 
S. entstehen, die seit Mitte des 19. Jh. ins Breit-Burger- 
liche verflachte und dann einerseits von der neueren 
-> Unterhaltungsmusik abgelost, andererseits durch 
die ->■ Hausmusik begrifflich und sachlich iiberhoht 
wurde. - Das Bediirfnis nach einer Musik, die neben 
dem Tee . . . von der schonen Welt so ganz gemiitlich wie 
jener eingenommen wird (E.T. A. Hoffmann, AmZ vom 
26. 9. 1810), befriedigten vor und nach 1800 Kompo- 
sitionen u. a. von J.B. Vanhal, -*■ Sterkel, J. -»■ Gelinek 
und I.J. -> Pleyel (der in Paris 1795 eine Musikahen- 
handlung zum Vertrieb seiner Werke erofmete und 
1807 eine Pianofortefabrik griindete). In seiner Pariser 
Zeit (1823-35) erlebte Liszt die Atmosphere lourde et 
miphistique des Salons diplomatiques . . . Baillements et 
Bravos contractus des Soirees litte'raires et artistiques . . . 
Triomphe de salon (SJbMw III, S. 11); 1837 klagte er 
iiber ce metier de baladin et d'amuseur de salons (Briefe I, 
S. 17). In Klavierstiicken (z. B. -> Polonaise) CM. v. 
Webers, R. Schumanns, R. Wagners und vor allem in den 
-> Paraphrasen Liszts beriihren sich Konzertmusik und 
S., zumal Virtuositat und Faszination, Effekt und Me- 
lodienseligkeit zu den Merkmalen auch der S. gehoren, 
neben dem ihr eigenen elegant-intimen und lyrisch- 
elegischen Ton, der sie in den kleinen Formen oft ans 
-*■ Charakterstiick grenzen laBt. Verachtlich jedoch ka- 
rikierte Heine (Musikalische Saison in Paris, Marz 1843) 
jenes Pianoforte . . . , das man in alien Hausern erklingen 
hbrt, injeder Gesellschaft, Tag und Nacht . . . (Ach! meine 
Wandnachbarinnen . . . spielen in diesem Augenblick ein 
brillantes Morceaufur zwei linke Hande). 
Das Wort S. ist erst seit den 1830er Jahren zu belegen 
und wurde offenbar von vornherein meist in kritisch ab- 
wehrenderBedeutung verwendet. R. Schumann spricht 
in seinen Rezensionen 1837 von Salonkiinsten, Salon- 

834 



componisten, Salonetuden, 1838 erstmals von S. (II, 327: 
Indess verlangt auch eine gute Salon- und Gelegenheitsmu- 
sik ihre Meister . . .), 1839 von Saloninspiration (... span- 
nender Anfang, Virtuosenkraftstellen, anmutige Melodien, 
. . . sanftere Ausruhplatze - und nun ein Schlufi . . . ; I, 
410), Salonvirtuosen, Salonliebeserklarung (siifi und halt 
wie das Eis, was dazu verschluckt wird, ebenda) und von 
der Sehnsucht nach der echten Heimat der Kunst, die nun 
einmal in den Salons der Grofien und Reichen nicht zu fin- 
den ist (I, 409). Schumann laBt die bessere Art der S. gel- 
ten (I, 410; Chopin gilt ihm als der vornehmste Salon- 
komponist, sein Walzer As dur op. 42 als ein Saionstiick 
der nobelsten Art, . . . aristokratisch durch und durch,ll,32). 
Doch er verspottet die immer mehr iiberhand nehmen- 
deganzliche Unfruchtbarkeit und Inhaltlosigkeit der S. (I, 
410), den Eitelkeitsgeist und das vornehm Nichtssagende, 
das Parfiimierte, Unwahre, kompositorisch Unmoti- 
vierte (I, 220) und Epigonenhafte. - Salonkompositio- 
nen erschienen in umibersehbaren Mengen, vor allem 
fur Klavier (auch fiir Violine und Klavier, z. B. von 
H. ->- Wieniawski, und fiir Gesang), mit Vorliebe Mor- 
ceaux (Variations, Rondeaux, Polonaises usw.) in Es, 
As oder Des dur, fast immer mit franzosischen Titeln 
(z. B. Belle de nuit, Grande Valse, op. 208, von Fr.Hiin- 
ten, 4handig), auch ausdriicklich z. B. als Etudes de salon 
(A.Henselt, op. 5; hierzu Schumann I, 389fL), Petites 
fleurs de salon (Hiinten, op. 112), Polka de salon (Tschai- 
kowsky). Die Komponisten hieBen H. -> Herz (Piano- 
fortefabrikbesitzer in Paris; . . . und von schonen Lippen 
horte ich, nur Herz diirfe sie kiissen . . ., Schumann 1, 221), 
-> Hiinten, Fr. ->■ Kalkbrenner, -*■ Thalberg, -> Ley- 
bach, Th. ->■ Kullak und unter zahllosen anderen auch 
A. de -> Kontski, J.N. -> Kafka und Thekla Bada- 
rzewska, deren »Gebet einer Jungfrau« bereits 1871 in 
50 Ausgaben vorlag. Das Repertoire wurde vergroBert 
durch unzahlige vereinfachende Ausgaben (»sans oc- 
taves«) und sonstige Arrangements beruhmter Stiicke 
(-> Gounod, Meditation sur le U' prelude de Bach, 1859) 
sowie durch massenhafte Bearbeitungen (Phantasien, 
Potpourris) beliebter (Opern-)Melodien. - Seit Mitte 
des 19. Jh. wurde die S. als Inbegriff schlechter Musik 
angeprangert, als kunstunwurdiges Zeug (Lobe, S. 154), 
triviales Tongeklingel (H.Riemann). Dem Salon der ex- 
klusiven »Gesellschaft« mit seinen Geivdchsen blasirter und 
ausgehohlter Zustande stellte A.B. Marx (S. 227) das reine 
Menschenthum und die Lebensluft und Gesundheit des Vol- 
kes als Ursprung und Sitz der Kunst gegeniiber. Ange- 
sichts der Entweihung der Musik durch die S. sah W. 
H.Riehl das Heil in der schlichten, ehrlichen deutschen 
Hausmusik. In Begriff und Sache des ->■ Salonorchesters 
sind im Bereich der Unterhaltungsmusik Kriterien der 
S. bis heute aktuell. - Die S. ist das deutlichste Zeugnis 
fiir das sozialgeschichtlich bedingte Aufkommen jener 
ganz neuen Art von Musik im 19. Jh., die in Befriedi- 
gung eines Massenbedurfnisses als Ware entsteht und 
konsumiert wird und die in der erfolgrcichsten Erfiil- 
lung ihrer Aufgabe sich durch Qualitatslosigkeit und 
totales Vergessenwerden auszuzeichnen vermag. 
Lit.: J. Fr. Reichardt, Vertraute Briefe aus Paris (1802/ 
03), 3 Teile, Hbg 1 804-05 ; ders., Vertraute Briefe, geschrie- 
ben auf einer Reise nach Wien . . . , 2 Teile, Amsterdam 
1810; A. Stifter, Wiener Salonscenen, in: Wien u. d. Wie- 
ner in Bildern aus d. Leben, Pest 1844; R. Schumann, Ge- 
sammelte Schriften iiber Musik u. Musiker, 4 Bde, Lpz. 
1854, in2Bdenhrsg. v. M. Kreisig, Lpz. "1914; J. Chr. Lo- 
be, Fliegende Blatter iiber Musik I, Lpz. 1855 ; A. B. Marx, 
Die Musik d. 19. Jh. u. ihre Pflege, Lpz. 1855 ; W. H. Riehl, 
Hausmusik, Stuttgart 1856, 21860; Fr. Liszts Briefe, ge- 
sammeltu. hrsg. v. La Mara, 8 Bde, Lpz. 1893-1904; E. 
Eggli, Probleme d. mus. Wertasthetik im 19. Jh., Ein Ver- 
such zur schlechten Musik, Winterthur 1965 ; Studien zur 
Trivialmusik d. 19. Jh., hrsg. v. C. Dahlhaus, = Studien 
zur Mg. d. 19. Jh. VIII, Regensburg 1967. HHE 



Ronde 



Salonorchester, ein Ensemble fiir Unterhaltungsmu- 
sik, das sich in drei jeweils auf dem Klaviertrio (Kla- 
vier, Violine, Violoncello) aufbauenden Standardbeset- 
zungen ausbildete: die »Wiener« Besetzung mit Klavier 
(Harmonium), Violine, Violine obligat (Stehgeiger), 
Violoncello, (KontrabaB, Flote) und Schlag- 
zeug; die »Berliner« Besetzung mit Klavier 
(Harmonium), Violine I und II, Viola, Violon- 
cello, KontrabaB, (Flote), Klarinette, Kornett, 
Posaune und Schlagzeug ; die »Pariser« Beset- 
zung mit Klavier, Violine, Violoncello, (Kon- 
trabaB), Flote, (Kornett) und Schlagzeug. Die 
-> Arrangements fiir S. sind so eingerichtet, 
daB neben dem unerlaBlichen Klaviertrio be- 
liebig viele Instrumente ad libitum mitspielen 
konnen. Daher erschien schon das Notenma- 
terial der Tanzmusik der Jahrzehnte um 1800 
ohne Partitur, aber mit Direktionsstimmen 
fiir Violine (mit Stichnoten) oder Klavier (in 
der Art eines Klavierauszugs). Die ad libitum- 
Instrumente sind entweder Verstarkungen im Einklang 
oder in der Oktave oder Fullstimmen, zum Teil mit 
Figurationen. Der Vorteil dieses Arrangements lag in 
der variablen Besetzung fiir verschiedene Anlasse, z. B. 
der gleichen Tanzmusik fiir Balle im hauslichen Salon 
oder im groBen Saal, und damit in der billigeren weil 
auflagenstarkeren Herstellung. Die Schwachen sind be- 
sonders im Repertoire auBerhalb der Tanzmusik f iihl- 
bar, wo neben Salon- und Unterhaltungsmusik klassi- 
sche und romantische Meisterwerke gespielt wurden, 
denen ein derartiges Arrangement wesensfremd ist. S. 
traten bis ins 20. Jh. vorwiegend in Kaffeehausern auf, 
bis um 1930 audi als Kinoorchester, noch heute stellen- 
weise als Kurorchester. 

Salpinx (griech. aalmyZ,), Metallblasinstrument der 
griechischen Antike, eine gerade, eng mensurierte, 
leicht konische Rohre aus Eisen oder Bronze mit Kes- 
selmundstiick aus Horn oder Knochen (yXcoxxa 6<jTtv7]) 
und glockenformigem Schalltrichter (daher x68ov bei 
Sophokles). Sie wurde beim Blasen schrag nach unten 
gehalten, mit der rechten Hand etwa in der Mitte, mit 
der linken zuweilen in der Nahe des Mundstiicks ge- 
stiitzt. Der Ton war hoch und spitz (Aischylos: Skxto- 
po?). AlsErfinderin gait die Kriegsgottin Pallas Athene, 
die als Athena S. in Argos kultisch gefeiert wurde. Ho- 
mer (Mas) und die Tragiker erwahnen die S. als Signal- 
instrument in Krieg und Wettkampf . Doch war sie bei 
den Griechen nicht sonderlich geschatzt, weil sie als In- 
strument der tyrrhenischen (etruskischen) Piraten an- 
gesehen wurde. 

Lit. : M. Wegner, Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949; 
B. Aign, Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen Raumes 
bis um 700 v. Chr., Diss. Ffm. 1963. 

Saltarello (ital., »kleiner Sprung«, von lat. und ital. 
saltare, springen; frz. pas de brabant, auch breban; 
span, alta danza), ein seit dem 14. Jh. bekannter italie- 
nischer Tanz von schneller Bewegung im Dreiertakt, 
der bis heute in seinen Grundschritten als Volkstanz er- 
halten geblieben ist. Aus dem 19. Jh. ist seine Verwen- 
dung im letzten Satz von Mendelssohns 4. (sitalieni- 
scher«) Symphoniebekannt.-FruhesteBelege fiir den S. 
bietet die -y Quelle Lo, in der 4 als S. bezeichnete Satze 
aus dem 14. Jh. erhaken sind, darunter (f. 62'-63) : 



Salve regina 

tanzes (mit zum Teil abweichender Bezeichnung, z. B. 
Proportz, Hupfauf), so bei der Basse danse, spater u. a. 
auch beim Passamezzo (z. B. Pass'e mezzo con il suo S.) 
und bei der Pavane, wobei er zumeist die rhythmische 
Umformung seines Vortanzes ist : 




n Mtitfailfam 






rfC£JTP l rDTp l C£r J P l eJT J - < 



Seit dem 15. Jh. hat der S. den Charakter eines Nach- 



T. Susato, Het derde musyck boexken, Antwerpen 1551. 
Daneben kommt der S. auch als selbstandiger Tanz vor. 
Wohl nur durch die Hohe des auszufiihrenden Sprun- 
ges unterscheidet er sich von der ->■ Galliarde, was dazu 
fiihrte, daB diese in verschiedenen Quellen als S. be- 
zeichnet wird. Ihre groBte Verbreitung und Bliite er- 
reichten diese beiden Tanze in der Tanzmusik des 16. 
Jh. - Mit S. tedesco bezeichnet in Italien A. Cornazano 
(1455) einen in Deutschland beliebten Nachtanz im ge- 
raden Takt, der (nach C.Sachs) mit der Quatemaria 
identisch sein diirfte. 

Salterio tedesco (ital.) -*■ Hackbrett. 

Salt us duriusculus (lat.) ->■ Passus duriusculus. 

Salve regina (lat.), MarianischeAntiphon.deren Text 
(Reimprosa in 6 Zeilen mit abschlieBendem Vers) be- 
reits im 1 1 . Jh. auf der Insel Reichenau als Benedicamus- 
tropus erscheint (Karlsruhe, Landesbibl., Hs. Aug. LV) 
und moglicherweise von Petrus de Compostela (f um 
1002) verfaBt wurde; die Zuschreibung der Antiphon 
an Hermannus contractus (1690 durch Trithemius) ist 
nicht mehr haltbar. In Codex 390 der Stiftsbibl. St. Gal- 
len auf einem Zusatzblatt (12. Jh.) als Magnificatanti- 
phon vom Fest Maria Verkiindigung iiberliefert, er- 
langte das - auch bei Prozessionen (Cluny 1 135) vorge- 
tragene - S. r. unter demEinfluB der Zisterzienser und 
Dominikaner allmahlich einen festen Platz innerhalb 
des monastischen Offiziums. So gehorte es schon 1218 
zum taglichen Repertoire der Zisterzienser. Von den 
Dominikanern wurde es ab 1230 in Bologna, ab 1250 
im gesamten Ordensbereich regelmaBig am Ende der 
Komplet gesungen. Diesem Brauch schlossen sich bald 
weitere Orden an (Zisterzienser 1251), wahrend die 
Verbreitung der Antiphon in den SakuJarkirchen rela- 
tiv langsam vor sich ging (Nachweis im romischen Bre- 
vier um 1520, seit 1568 im Wechsel mit den iibrigen 
Marianischen Antiphonen amEndejeder selbstandigen 
Hore vorgeschrieben; heute SchluBantiphon der Kom- 
plet vom Dreifaltigkeitsfest bis zum Freitag vor dem 
1. Adventssonntag). Einen glanzvollen Hohepunkt 
fand das S. r.-Singen seit dem 15. Jh. in den sogenann- 
tcn Salveandachten. Zahlreiche Paraphrasen - darunter 
das Salve ich grues dich scheme / regina in dem drone von 
Hans Sachs (1515) - und vulgarsprachliche Ubersetzun- 
gen zeugen von seiner aufierordentlichen Beliebtheit. 
Luther wandte sich (erstmals 1522) gegen das S. r. - 
Mit dem ausgehenden Mittelalter begann zugleich die 
bis ins 18. Jh. reichende Blutezeit der mehrstimmigen 
S. r.-Vertonungen mit ihrer »klassischen« Periode von 
Dunstable bis Palestrina. Daneben gibt es Orgelbear- 



53* 



835 



Salzburg 

beitungen zum alternatim-Vortrag (der 1., 3., 5., 7. und 
9. Vers fur Orgel) von Kotter, Schlick, Hofhaymer 
und anderen Meistern des 16. Jh. - Die liturgische Pra- 
xis kennt neben der melismatischen Melodie im 1. Kir- 
chenton eine einfachere Fassung aus dem 17. Jh. von 
H. -»■ Dumont (5. Kirchenton). 
Lit. : J. Maier, Studien zur Gesch. d. Marienantiphon »S. 
r.«, Regensburg 1939; H. Oesch, Berno u. Hermann v. 
Reichenau als Musiktheoretiker, = Publikationen d. 
Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 9, Bern (1961), 
mit ausf iihrlichem Quellen- u. Lit.-Verz. 

Salzburg. 

Lit.: Biogr. S.ischer Tonkiinstler, S. 1845; M. V. Suss, 
S.ische Volkslieder mit ihren Singweisen, S. 1865; A. H. 
Hammerle, Neue Beitr. f. S.ische Gesch., Lit. u. Musik, S. 
1 877 ; F. Pirckmeyer, Uber Musik u. Theater am S.er Ho- 
le 1772-75, S. 1887; Fr. Martin, Kleine Beitr. zur Mg. S., 
Mitt. d. Ges. f. S.er Landeskunde LIII, 1913, u. AfMw I, 
1918/19; H. Spies, Die S.er groBen Domorg., Augsburg 
1929; ders., Die Tonkunst in S. in d. Regierungszeit d. 
Fursten u. Erzbischofs W. D. v. Raitenau 1587-1612, I. 
Teil, Mitt. d.Ges.f.S.er Landeskunde LXXI,1930-LXXII, 
1931 ; ders., Gesch. d. Domschule zu S., ebenda LXXVIII, 
1938,dazuO. Ursprungin: AMI XI, 1939; K. Geiringer, 
Alte Musik-Instr. im Museum Carolino Augusteum S., 
Lpz. 1932; C. Schneider, Gesch. d. Musik in S. v. d. alte- 
sten Zeit bis zur Gegenwart, S. 1935; A. Kutscher, Vom 
S.er Barocktheater zu d. S.er Festspielen, Dusseldorf 1939; 
H. C. Fischer, Die Idee d. S.er Festspiele u. ihre Verwirk- 
lichung, Diss. Munchen 1954, maschr.; K. Picker, Beitr. 
zur Kenntnis d. Kirchenmusik in S. zwischen 1850 u. 1950, 
Diss. Innsbruck 1957, maschr.; Die S.er Festspiele, 1842- 
1960. Ausstellungskat. hrsg. v. Fr. Hadamowsky u. G. 
Rech, S. 1960; H. Federhofer, Zur Musikpflege im Bene- 
diktinerstift Michaelbeuern (S.), Fs. K. G. Fellerer, Re- 
gensburg 1962; ders., Ein S.er Theoretikerkreis, AMI 
XXXVI, 1964; J. Kaut, Festspiele in S., S. (1965). 

Samba (port., von semba, der Bezeichnung fur Tanz 
in der Sprache des Kongo- und Sambesigebietes) ist die 
Benennung einer Gruppe brasilianischer Tanze aus Rio 
de Janeiro, Sao Paolo und Bahia, die afrikanischen Ur- 
sprungs sind. Die S. wird in raschem Tempo gespielt und 
ist geradtaktig (2/4-, C- oder 0-Takt) im Rhythmus: 



J J J tAAI ^J I 



oder 







n 

UJJ 



n 



JJJJ 



r i 
n 



Der Grundschritt ahnelt dem des Walzers, trotz des 
geraden Takts. Charakteristisch ist ein Doppelsprung, 
der durch eine Kniebeuge beim Auf sprung abgef angen 
wird. Die S. war urspriinglich ein Tanz der Bantuneger 
zur Kriegerweihe und wurde zwischen brennenden 
Fackeln und Glasscherben getanzt; daher stammen die 
im modernen Tanz noch rudimentar erhaltenen tasten- 
den FuBbewegungen. Als Gesellschaftstanz wurde die 
S. nach dem 1 . Weltkrieg in Europa bekannt ; um 1950 
war sie ein Modetanz. - In der Kunstmusik wurde die 
S. z. B. von D.Milhaud verwendet {mouvement de s. in 
Scaramouche f iir 2 Kl.). - Die S.-Batucada ist eine Misch- 
form von S. und -> Batuque. Von der brasilianischen 
S. zu unterscheiden sind die chilenische -> Zambacueca 
und die argentinische -*■ Zamba. 

Samisen (japanisch, von chinesisch san hsien, 3 Sai- 
ten), ein Zupfinstrument mit kleinem Corpus (Zargen 
aus Holz, Boden und Decke aus Katzenleder), mit lan- 
gem Hals ohne BUnde und mit 3 seitenstandigen Wir- 
beln. Die Saiten werden mit einem groBen, spatelfor- 
migen Plektron geschlagen. Das S. ist in Japan das In- 
strument der Geishas und das f iihrende Melodieinstru- 
ment im Kabuki-Theater. 



Lit. : S. Matsunaga, The Evolution of S. Music, Contem- 
porary Japan HI, 1934 ; M. Nomura, Treatise on the Three 
Instr. of the Sankyoku, Tokio 1958; W. P. Malm, Nagau- 
ta, The Heart of Kabuki Music, Rutland (Vt.) u. Tokio 1 963. 

Sammelwerk (frz. recueil; engl. collection), die von 
einem Herausgeber oder Verleger getroffene Auswahl 
von Kompositionen iiberwiegend gleicher Gattung von 
verschiedenen Komponisten, in der Regel mit einem 
iibergeordneten Titel. Im Typus ahnelt das S. der Sam- 
melhandschrift, in der sich auch eine Stilperiode mit 
ihrem Repertoire spiegelt: die Ars antiqua z. B. in den 
-> Quellen Ba und Mo, die Ars nova in Iv und Ch, das 
15. Jh. in Tr (Trienter Codices), das Liedgut des 14.-16. 
Jh. im -»■ Chansonnier de St. Germain, im -> Cancione- 
ro musical de Palacio (Madrid) und in den -*■ Liederbii- 
chern. Wahrend die Sammelhandschrift einer Institu- 
tion oder einer Privatperson zum Gebrauch dient, strebt 
das S. die durch den Notendruck ermoglichte weitgrei- 
fende Verbreitung an. Fiir manche Autoren ist es die 
einzige Quelle gedruckter Oberlieferung (Busnois, Ar- 
nold von Bruck, Crecquillon u. a.), vor allem bis zur 
Ausbreitung des Individualdrucks nach 1530. 
Das erste S., zugleich der erste Druck mit mehrstim- 
miger Musik, erschien 1501 in Venedig bei O. Petrucci : 
Harmonice musices Odhecaton, 98 iiberwiegend weltliche 
Satze von Ockeghem, seinem Schiilerkreis und vielen 
Ungenannten. Wahrend Petrucci, der bis zu A. de An- 
tiquis' Canzoni nove (Rom 1510) der einzige Drucker 
war, u. a. 1504-14 seine llbandige Frottolensammlung 
und 1514-19 die Motetti de la corona herausgab, verof- 
fentlichte Schoffer in Mainz 1512 mit Schlick die erste 
deutsche Orgeltabulatur und begann mit Oglins (1512), 
Schoffers (1513) und Arnt von Aichs (1519) Sammlun- 
gen der Aufstieg des deutschen Liedes. Nach 70 italie- 
nischen S.en, darunter 38 von Petrucci, und 7 deut- 
schen, f olgte 1 528 das erste f ranzosische S . ( Attaingnants 
Chansons nouvelks mit Haultins einfachen Typen), 1530 
das erste englische (XX Songes, London, At the sign of 
the black Mores). Nach langsam, aber stetig ansteigen- 
der Kurve sprang 1528-39 die heute nachweisbare Zahl 
der jahrlichen S.-Drucke von 9 auf 27. Wahrend dieses 
Aufschwungs in den europaischen Druckmetropolen 
brachten die fiihrenden Notendrucker und -verleger 
S.e von exemplarischer Bedeutung und hoher Druck- 
qualitat heraus, in denen sich die musikalischen Gattun- 
gen der Zeit in ihrer Gesamtheit spiegeln: Motette 
(Senfls Liber selectarum cantionum, 1520; Modernes Mot- 
teti delfiore, 1532ff.; Gardanos Motetti delfrutto, 1538; 
Ott 1537/38); Messe (Attaingnant 1532ff., Petrejus und 
Formschneyder 1539); Psalmenkomposition (Petrejus 
1538); Chanson (Attaingnant/Jullet 1536-50, Moderne 
1538-43); Madrigal (Madrigali de diuersi, vermutlich 
Dorich 1530) ; weltliches undgeisthches Lied (Ott 1534, 
Egenolff 1535, H.Finck und Schoffer/ Apiarius 1536, 
Rhaw 1538, Forster 1539-56) ; Odenkomposition (Fa- 
ber 1533); Orgel- und Lautentabulatur (Attaingnant 
1530, Newsidler, Francesco da Milano, Luis de Nar- 
vaez 1536); Instrumentalmusik (Attaingnant 1530, 
Scotto 1535). 1549 war mit 43 Drucken der Jahres- 
hochststand fiir das 16. und 17. Jh. erreicht, mitbedingt 
durch Neuauflagen, durch die Zunahme der Raub- 
drucke und durch die zwischen 1540-60 auffallend 
starke Tendenz zu vielbandigen S.en (Attaingnant, 
Moderne, Duchemin, Susato, Phal&e). Vielstimmig- 
keit und Mehrchorigkeit bahnten sich jetzt im S. an. 
Mit Rhaws Newen deudschen geistlichen Gesengen (1544) 
begann das deutsche geistliche S. zum Sprachrohr der 
Reformation zu werden. Beim 3. Hohepunkt, 1569 
mit 37 S.en, hatte das weltliche S. das Obergewicht er- 
langt. Nachdem sich das geistliche noch in den umf as- 
senden Drucken des Thesaurus musicus I-V (Berg/Neu- 



836 



Sammelwerk 



ber 1564) und den reprasentativ ausgestatteten 5 Bii- 
chern Novi (atque catholici) thesauri musici von Joannel- 
lus (Gardano 1568) dokumentiert hatte, entfielen 1569 
von 35 vokalen S.en 13 auf das Madrigal, 5 auf Villa- 
nelle, Canzone und Villotte und nur 17 auf Chanson 
und geistliches S. gemeinsam. Gardano und Scotto wa- 
rm f iihrend geworden. Der Schwerpunkt f iir Villanel- 
le und Napolitane liegt im S. etwa zwischen 1560 und 
1575, fur das Madrigal urn 1585. Im Zuge der Indivi- 
dualisierung mehrten sich in Italien, wo das S. zuerst 
versiegte, die »versteckten« S.e mit Autorentiteln, die 
in erster Linie die Werke des im Titel allein Genannten 
enthielten, also im Grunde weder S. noch Individual- 
druck sind. 

Nach 1585 hielt sich die Druckkapazitat von S.en bis 
zum 30jahrigen Krieg auf annahernd gleicher Hohe. 
Als erster Plattendruck erschien 1586 in Rom Verovios 
Diletto spirituale. 1588 fiihrte Lindner mit seiner Gem- 
ma musicalis (bei Gerlach) das Madrigal in Deutschland 
ein, wo es zusammen mit Kanzonette und Villanelle 
und im deutschen Lied »nach Art der welschen Canzo- 
netten und Madrigale« bis zu Nauwach (1627) fort- 
wirkte. Durch Yonges Musica transalpina (1588), Mor- 
leys Canzonets (1597) und Borchgrevincks Giardino no- 
vo bellissimo (1605) wurden Madrigal und Kanzonette 
in England und Danemark bekannt. In den Niederlan- 
den hielt sich das vielstimmige Madrigal-S. noch bis 
zu Phaleses Tod (1629), u. a. in den vielen Neuauflagen 
seines Gardano-Nachdrucks II trionfo di Dori. Das geist- 
liche S. iiberwand nach 1585 seinen Tief stand durch 
das Wiederaufleben des deutschen geistlichen Lieds und 
durch das Aufkommen der Laudi, Madrigali und Can- 
zonette spirituali und der concertierenden Kirchenmu- 
sik. Wahrend in Italien A. und G.Gabrielis vielstim- 
mige Concetti (Gardano 1587) und Viadanas Concetti 
ecclesiastici (Vincenti 1602 und 1607) dem S. neue Mog- 
lichkeiten erschlossen, f afiten in Deutschland Kantoren 
und Schulmanner wie Lindner, Caspar Hasler, Boden- 
schatz (Florilegium Portense, 1603-21), M. Praetorius, 
Schadaeus (Ptomptuatium, 1611-17) und Gruber die 
vielstimmige Motette ihrer Zeit in universal ausgerich- 
teten S.en zusammen. Mit den S.en concertierender 
Musik von Donfried (1622-27), Profe (1641-49) und 
Havemann (1659) ging das mehrstimmige geistliche 
S. des 17. Jh. in Deutschland zuEnde. Parallel zur Bliite 
der Kantoreien entfaltete sich hier im 1. Viertel des 17. 
Jh. eine auffallend rege Drucktatigkeit. An mehr als 20 
Orten entstanden in mehr als 40 Offizinen S.e, u. a. die 
»gesellige« Musik, so Widmanns Musicalisch Kurtzweil 
(Nurnberg 1611, Wagenmann), sein Musicalischer Stu- 
dentenmuht (Nurnberg 1622, Halbmayer) imd Simp- 
sons TqffelConsort (Hamburg 1 621 , Hering/Lang) ; auch 
die von der Tabulatur sich losenden Tanz-S.e von M. 
Praetorius (1612), H.L.Hassler (Nurnberg 1615, Kauff- 
mann), Hagius (1616), Brade (1617) und Roth (Cou- 
ranten Lustgartlein, Dresden 1624, Seiffert). Unter der 
Verselbstandigung der Instrumentalmusik kam die 
nach 1536 zunehmende Fiille der Tabulatur-S.e aller 
Nationen nach Besardus (1603, 1617) und Woltz (1617) 
allmahlich zum Erliegen. 

Aus dem Abklingen der a cappella-Musik, dem Tod 
fiihrender Verleger, den Verheerungen des 30jahrigen 
Krieges und der Entwicklung der iiber den Rahmen 
des S.s hinausgehenden Gattungen (Oper, Oratorium, 
groBe Kantate) erklart sich die erhebliche Verringerung 
der S.e im 17. Jh. 1629 lag die Jahresleistung noch um 
20, 1630 bereits unter 10; 1688 stieg zwar die Kurve 
durch den wachsenden englischen Anteil wieder an, 
ohne aber bis 1700 20 Drucke wieder zu erreichen. In 
Frankreich behaupteten sich dank der Tradition der 
privilegierten Ballards nach wie vor Chanson und Air: 



Airs de cour (1615-28), Chansons pour dancer etpour boire 
(1627-61), Chansonnettes (1675-94), Airs sirieux et a 
boire (1679-1700). In Italien iiberwog vom 2. Drittel 
des Jahrhunderts an das geistliche S., hauptsachlich in 
Drucken von Vincenti und Magni (Venedig), Mascar- 
di (Rom) und Monti (Bologna). In Deutschland stand 
das GeneralbaBlied im Vordergrund, u. a. Voigtlan- 
ders Zusammenfassung zeitgenossischen Melodienguts 
in seinen Allerhand Oden und Lieder bei Kruse (Sohra 
1642) und die Hamburger Liederschule mit Vertonun- 
gen von Rists Galathea, Florabella und seinem Neuen 
Teutschen Parnass in vielen Auflagen bei Rebenlein 
(Hamburg) und den Briidern Stern (Liineburg) zwi- 
schen 1642 und 1677. In Belgien und den Niederlanden 
iibernahm das S. auch im 17. Jh. die im Kurs stehenden 
auslandischen Vorbilder. Um die Mitte des Jahrhun- 
derts kamen in den GeneralbaBliedern der Kusies (Jansz 
1641) und in den Instrumental-S.en 'T Uitnemend Ka- 
binet, XX. Konincklycke Fantasien (Matthysz 1648/49) 
und Antoverpsche Vrede Vreught (Potter 1679) auch hei- 
mische Meister zu Wort. Einmalig nach Zahl und Viel- 
falt war im 17. Jh. die Entwicklung des englischen S.s. 
Nach einem Dutzend Drucken im 16. Jh. erschienen 
zwischen 1600 und 1650 25 S.e, 1650-1700, nach Wie- 
dereinsetzung der Monarchic, 100, und zwar Instru- 
mental-S.e wie Parthenia (ca. 1613) und Division-Violin 
(1685), bei den Playfords eine Fiille von spezifisch eng- 
lischen S.en, u. a. Catch that catch can (1652ff.), das Bal- 
laden-S. Wit and mirth (1699ff.) und vor allem die bis 
ins 18. Jh. fortdauernden zahllosen Songs and Ayres 
sung at court and at the publick theatres (Deliciae musicae, 
1695ff. u. a.). In ihnen wurde die Oper dem S. zugang- 
lich und gab den AnstoB zum Eindringen der Bear- 
beitung in das S., das vorher nur Werke in Original- 
besetzung enthielt. Auch in Frankreich eroberte die 
Theaterfreudigkeit das S. Beginnend mit den Paro- 
dies bachiques (1695ff.), durchziehen das Theatre italien de 
Gherardi (17Q0ff.), das Theatre de lafoire (1721ff.) und 
unzahlige Recueils de chansons choisies das gesamte 18. 
Jh. In Deutschland gewannen die Theatergesange un- 
ter dem EinfluB von Hillers Arien und Duetten des deut- 
schen Theaters (1776-81) erst gegenEnde desjh. in S.en 
von Andre, Gotz, Breitkopf und Rellstab an Boden. 
Vorher hatte sich von Sperontes' Singender Muse her 
(1736-47) das »Singestuck«, vielfach in Verbindung mit 
»Vermischten Clavierstiicken«, angebahnt, das bis zu 
Reichudts Liedern geselliger Freude (1796-97) zahlreiche 
Oden- und Liedersammlungen ausloste. Der reinen 
Klaviermusik widmete Haffner sein 12bandiges Sona- 
ten-S. CEuvres melies (1755-65). Die Gattung Sonate 
war schon seit dem letzten Viertel des 17. Jh. im S. ver- 
treten, zuerst in Italien bei Magni und Monti. Als ein- 
zige GroBform, die sich in Originalbesetzung fiir das S. 
eignet, erschien ab Mitte des 18. Jh. die Sinfonie (Ou- 
verture) von den Mannheimern bis einschlieBlich 
Haydn bei Pariser Verlegern (Venier, La Chevardiere, 
Leduc u. a.), in London (Bremner, Thompson, Long- 
man), Amsterdam (Schmitt, Hummel) und im Klavier- 
auszug bei Breitkopf in Leipzig. AuBer in England, wo 
Boyces Cathedral music (1760-73) dem geistlichen S. ein 
Denkmal im Sinn der Wiederbelebung des 16. und 17. 
Jh. setzte, hatte sich das Schwergewicht ganz auf die 
weltliche Seite verlagert. Der ausiibende Musikliebha- 
ber des 18. und beginnenden 19. Jh. bevorzugte S.e, 
die, wie Bickhams Musical entertainer (1737-38) mit 
dem reizenden Titelkupfer oder das Musikalische Man- 
cherley (1762-63), Unterhaltung, Recreation, Plaisir 
versprachen und die das jeweils Neue in bescheidener 
Besetzung fiir den Hausgebrauch boten: Potpourri, 
Rondo, Variation und den Tanz im Dienst der Gesel- 
ligkeit. Den Hauptanteil am S. des 18. Jh. habenEng- 



837 



Sanctus 



land mit seiner Fiille von Glees, Reels, Strathspeys, 
Irish und Scotch Tunes und Frankreich, das als einzige 
Nation eine ununterbrochene zeitliche Folge von S.en 
aufweist. Deutschland hatte erst nach dem 7jahrigen 
Krieg wieder aufholen konnen. Italien war so gut wie 
ausgeschieden. Die im Zeichen des Liedes stehenden 
1790er Jahre erhielten durch die S.e aus Skandinavien, 
Polen, RuBland, Portugal und Amerika eine internatio- 
nale Note. Wahrend das seit 1699 angelaufene perio- 
disch erscheinende S. (Playfords Mercurius musicus) im- 
mer mehr zur Verlegerserie in Einzelnummern ten- 
dierte (->• periodique), in der sich der Typ des S.s auf- 
lost, erschlossen sich Anfang des 19. Jh. mit der Hin- 
wendung zur Geschichte neue Moglichkeiten in den 
-> Denkmaler-Ausgaben. 

Lit. : Bibliogr. d. Musik-S. d. XVI. u. XVII. Jh., hrsg. v. R. 
Eitner u. a., Bin 1877, Nachdrucke Vermilion (S. Dak.) 
1 954 u. Hildesheim 1963; Recueils imprimes XVI e -XVII e s. , 
Liste chronologique, hrsg. v. Fr. Lesure, = RISM B I, 
Munchen u. Duisburg 1960; Recueils imprimes XVIII e s., 
hrsg. v. dems., ebenda B II, 1964. LW 

Sanctus (lat.), der auf die -> Prafation folgende 4. Teil 
des Ordinarium missae; eine feierliche Akklamation, 
bei welcher nach katholischem Verstandnis die irdische 
Kirche am Gesang der himmlischen Liturgie teilhat. 
Der Text verbindet in alien abendlandischen Liturgien 
den (abgewandelten und erweiterten) Zuruf der Sera- 
phim aus Isaias 6, 3 (Sanctus, Sanctus, Sanctus . . . gloria 
tua) mit dem -> Benedictus qui venit, das durch Hosanna 
in excelsis eingeleitet und beschlossen wird. Erstmals 
um 350 im Euchologion des Serapion von Thmuis (XIII, 
10f., ed. Funk II, S. 174) und wenige Jahrzehnte spater 
in den Constitutiones Apostolorum (VIII, 12, 27, ed. Funk 
I, S. 506) erwahnt, laBt sich das S. im Rahmen der 
abendlandischen MeBfeier friihestens um 400 bei Pseu- 
do-Ambrosius nachweisen (Migne Patr. lat. XVII, 
1100C) und fand bald allgemein Eingang in die Messe. 
Hinsichtlich der Ausfiihrung bieten die Quellen ein 
auBerst vielschichtiges Bild: Wahrend in alterer Zeit 
die Gemeinde als Trager dieses Gesanges - zunachst 
ohne Mitwirkung des Priesters - bezeugt ist, oblag sein 
Vortrag beim romischen Pontifikalgottesdienst einer 
Gruppe von Klerikern (Ordo Romanus I, 87, Ende 
7. Jh.). Spatere Quellen - so etwa die karolingischen 
Reformdekrete und Ordo XV, 38 - bestatigen das S. 
wiederum als Gemeindegesang (an dem der Zelebrant 
teilnehmen soil), andere iibertragen es weiterhin dem 
assistierenden Klerus (Ordo V, 58). Auffallend ist, daB 
in keiner Quelle die Schola cantorum genannt wird. In 
jiingster Zeit ist man erneut um eine aktive Teilnahme 
des Volkes bemiiht (Instructio vom 3. 9. 1958, Artikel 
25b, und vom 26. 9. 1964, Artikel 48b). - Soweit das 
erhaltene Quellenmaterial erkennen laBt, nahm die im 
10. Jh. aufbrechende Uberlieferung von S.-Melodien 
im Norden, vor allem von Frankreich ihren Ausgang. 
Die Entwicklung fiihrte bereits im 11./12. Jh. zu einem 
ersten Hohepunkt an Neukompositionen, dem im spa- 
ten Mittelalter (15. Jh.) die eigentliche Hauptphase 1st. 
S.-Vertonungen folgte. Nach neuesten Forschungen 
umfaBt das Repertoire 231 Melodien, davon ein Drittel 
mit Interpolationstropen oder Textierungen iiberlie- 
fert (Tropenverzeichnis bei Thannabaur, S. 247ff.). 
Aus dieser Zahl enthalt die Editio Vaticana des Gra- 
duales bzw. das Kyriale Romanum nur 21 Stiicke. - 
In seiner melodischen Faktur ist das S. iiberwiegend 
auf die Vermischung syllabischer und melismatischer 
Elemente gegriindet, wobei besonders der dreifache 
S.-Ruf und die Worte Sabaoth, Hosanna und excelsis 
durch Melismen ausgezeichnet werden. Ein weiteres 
Charakteristikum ist die haufige Wiederholung von 
Motiven. Im Hinblick auf den Gesamtaufbau ragen je- 



ne Stiicke hervor, deren melodische Entsprechungen 
mit der Gliederung des Textes kongruieren. In dieser 
Gruppe dominieren die Melodien mit iibereinstim- 
mender Gestaltung von Hosanna I und II (z. B. Nr XI 
des Kyriales) sowie der Abschnitte Pleni sunt caeli . . . 
Hosanna I und Benedictus qui venit . . . Hosanna II (Nr 
II, XII u. a.). Fur eine weitere Gruppe sind auBer der 
Wiederkehr von Motiven Entsprechungen geringeren 
Umfangs typisch. Dagegen fmden sich nur wenige 
durchkomponierte Melodien (im Kyriale u. a. Nr VI, 
XIII und ad libitum I). Als einziges Stuck unter den S.- 
Vertonungen der Editio Vaticana zeigt Nr XVIII 
psalmodische Struktur, verkniipft mit einer syllabisch- 
einfachen Melodie, welche der Prafationsweise nahe- 
steht. Die bisherige Annahme, daB es sich hier um die 
fruheste Vertonung des S.-Textes handele, wurde neu- 
erdings durch den Nachweis einer (melismatischen) 
alteren Fassung dieser Melodie in Frage gestellt. 
Ausg. : Analecta hymnica medii aevi XLVII, hrsg. v. Cl. 
Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1905 (Texte von S.- 
Tropen) ; Didascalia et Constitutiones Apostolorum, hrsg. 
v. Fr. X. Funk, 2 Bde, Paderborn 1905; M. Andrieu, Les 
Ordines Romani du haut moyen age II u. Ill, Lowen 
1948-51. 

Lit. : P. Wagner, Einfuhrung in d. Gregorianischen Melo- 
dien I u. Ill, Lpz. 31911 u. 1921, Nachdruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1962; L. David OSB, Le S. de la Messe des 
Anges et l'Antienne O quam suavis est, Rev. du chant gre- 
gorien XXV, 1921/22; W. Apel, Gregorian Chant, Bloo- 
mington/Ind. (1958); K. Levy, The Byzantine S. and Its 
Modal Tradition in East and West, Ann. Mus. VI, 1958- 
63 ; R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u. Miin- 
chen (1962); J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia II, 
Wien, Freiburg i. Br. u. Basel 5 1962; P. J. Thannabaur, 
Das einst. S. d. romischen Messe in d. hs. Uberlieferung d. 
11. bis 16. Jh., = Erlanger Arbeiten zur Mw. I, Munchen 
1962; Hdb. d. Liturgiewiss. I, hrsg. v. A.-G. Martimort, 
Freiburg i. Br., Basel u. Wien 1963. KWG 

San Francisco (USA). 

Lit.: Hist, of Music in S. Fr., 7 Bde, S. Fr. 1939, vervielfal- 
tigt; H. Swan, Music in the South- West, 1825 to 1950, San 
Marino (Calif.) 1952; A. J. Bloomfield, The S. Fr. Opera, 
1923-61, NY 1961 ; The S. Fr. Opera, hrsg. v. H. Schol- 
der, S. Fr. 1962. 

Sankt Blasien (Schwarzwald), ehemalige Bene- 
diktinerabtei, vermutlich im 10. Jh. gegr., 1805/07 
sakularisiert; seit 1934Jesuitenkolleg. 
Lit.: L. Schmieder, Das ehemalige Benediktinerkloster 
St. BL, Karlsruhe 21936; H. E. Rahner, Der Neubau d. 
Stiftsorg. St. Bl. unter Abt M. Gerbert durch J. A. Silber- 
mann, AfMf II, 1937. 

Sankt Florian (Oberosterreich), Augustiner- 
Chorherrenstift; als Kloster seit dem 9. Jh. urkundlich 
belegt. 

Lit.: I. Hollnsteiner, Das Stift St. Fl. u. A. Bruckner, 
Lpz. 1940; L. Hager, Die Brucknerorg. im Stifte St. Fl., 
St. Fl. 1951 ; F. Linninger, Org. u. Organisten im Stifte St. 
Fl., Oberosterreichische Heimatblatter IX, 1955; R. 
Schaal, Archivalische Nachrichten iiber d. Krismann- 
Org. in d. Stif tskirche zu St. FL, Mf IX 1956. 

Sankt Gallen. 

Lit.: A. Schubiger OSB, Die Sangerschule St. G. v. 8. bis 
zum 12. Jh., Einsiedeln u. NY 1858, Nachdruck Hildes- 
heim 1966; E. Gotzinger, Gesch. d. ev. Kirchengesangs 
in St. G., in: Literaturbeitr. aus St. G., 1870; ders., Das 
alteste kath. deutsche Kirchengesang-Buch v. St. G., in: 
Alemannia V, 1877; K. Nef, Die Stadtpfeiferei in St. G., 
SMZXL, 1900; ders., Die Musik im Kanton St. G. 1803- 
1903, in: Festbuch zur Centenarfeier d. Kantons St. G., St. 
G. 1903; P. Wagner, St. G. in d. Mg., in: S. Singer, Die 
Dichterschule v. St. G., Frauenfeld 1922; R. Van Doren 
OSB, Etude sur l'influence mus. de l'abbaye de St-Gall, 
Lowen u. Briissel 1925; J. A. Bischof, Theatergesch. d. 

Klosters St. G 1628-1798, Mitt, zur vaterlandischen 

Gesch. XXXIX, 1934; E. Omlin OSB, Die St. Gallischen 



838 



Sarabande 



Tonarbuchstaben, = Veroff. d. Gregorianischen Akad. zu 
Freiburg i. d. Schweiz XVIII, Regensburg 1934; W. Nef, 
Der St. Galler Organist Fr. Sicher u. seine Orgeltabulatur, 
= SJbMw VII, 1938; J. Handschin, St. G. in d. ma. Mg., 
SMZ LXXXV, 1945; H. Husmann, Die St. G.er Sequenz- 
tradition . . . , AMI XXVI, 1954; ders., Die alteste erreich- 
bare Gestalt d. St. G.er Tropariums, AfMw XIII, 1956; 
Fr. Labhardt, Das Sequentiar Cod. 546 d. Stiftsbibl. St. 
G. u. seine Quellen I, = Publikationen d. Schweizerischen 
Musikforschenden Ges. II, 8, Bern (1959). 

Sankt Petersburg -> Leningrad. 

Sansa (auch Sanza, Zanza), Klimper (Zupfidiophon) 
der afrikanischen Neger, bestehend aus einer Anzahl 
(3 bis iiber 20) abgestimmter Zungen aus Eisen oder 
elastischem Holz (Rotang), die auf einer meist recht- 
eckigen brett- oder kastenformigen Holzunterlage (et- 
wa BuchdeckelgroBe) befestigt sind. Der Spieler zupft 
die iiber einen Steg gefiihrten Zungen mit den Dau- 
men und ersten Fingern an. Zur Verstarkung des klang- 
armen Instrumentes werden oft Zusatzresonatoren 
(groBe halbkugelige Kalebassen, topfartige Behalter) 
verwendet. Die S., die mit den verschiedensten Na- 
men (mbira, ambira, likembe, marimba) und Formen 
in Afrika weit verbreitet ist, hat keine auBerafrikani- 
schen Entsprechungen ; sie ist demnach das einzige Mu- 
sikinstrument, als dessen Ursprungsland Afrika ange- 
sehen werden kann. Durch Negersklaven wurde sie 
auch auf den Antillen heimisch; trotz der dortigen Be- 
zeichnungen marimba oder malimba (Haiti) und ma- 
rimbula (Kuba) sowie ahnlicher Namensverwechslun- 
gen in einigen zentralafrikanischen Gebieten ist die S. 
mit dem Kalebassenxylophon -*■ Marimba nicht ver- 
wandt. 

Lit. : G. Montandon, La gendalogie des instr. de musique 
. . ., Arch, suisses d'anthropologie gen6rale III, 1919; H. 
Husmann, Marimba u. S. d. Sambesikultur, Zs. f . Ethno- 
logie LXVIII, 1936; A. Schaeffner, Origine des instr. de 
la musique, Paris 1936; K. Reinhard, Tonmessungen an 
fiinf ostafrikanischen Klimpern, Mf IV, 1951, dazu H. 
Husmann in: Mf V, 1952- VI, 1953, u. K. Reinhardtin: Mf 
V, 1952; F. Ortiz, Los instr. de la musica afrocubana, 5 
Bde, Havanna 1952-55; H. Pepper, Notes sur une sanza 
d'Afrique equatoriale, in : Miscelanea de estudios F. Ortiz 
II, ebenda 1956; J. S. Laurenty, Les sanza du Congo, 
= Annates du Mus£e Royal de l'Afrique Centrale, N. S. 
in -4°, Sciences Humaines III, Tervuren 1962. 

Santur (persisch), ein zur Klasse der Zithern gehoren- 
des Instrument mit meist trapezformigem Corpus und 
72-100 Drahtsaiten. Es wird im Unterschied zum 
-> Qanun wie das -> Hackbrett mit Kloppeln ange- 
schlagen. 

Saqueboute (sakb'ut, frz., s. v. w. zieh-stoB!; span, 
sacabuche; engl. sackbut), urspriinglich ein SpieB mit 
Widerhaken, der als Waffe des FuBvolks dazu diente, 
feindliche Reiter vom Pferd zu Ziehen. Auf die Zugvor- 
richtung an Musikinstrumenten iibertragen begegnet 
das Wort erstmals in der 2. Halfte des 15. Jh. als trom- 
pette saicqueboute fur die -> Zugtrompete. Tinctoris 
setzt um 1484 (unter Wegfall des Hauptwortes trom- 
pette) s. und trompone gleich und bezeichnet damit die 
-> Posaune (-1). 

Sarabande (span, zarabanda; die Etymologie des 
Wortes ist nicht gesichert), ein im 17. und 18. Jh., vor 
allem in der Instrumentalmusik, weit verbreiteter Tanz. 
Wahrscheinlich hat er sich aus einem in Andalusien be- 
heimateten Fruchtbarkeitstanz entwickelt. D.Devoto 
hat festgestellt (1960), daB die literarische Form der un- 
ter dem Namen S. uberlieferten Tanzliedtexte mit der 
des Zejel ubereinstimmt, einer urspriinglich arabischen 
Refrainform, die seit dem Mittelalter in Spanien be- 
kannt war. Die spanische Herkunft der S. wird von 



mehreren Forschern bestritten, zuletzt von R.Steven- 
son, der sie auf Grund von Quellen, die vor den ersten 
spanischen Belegen datieren, als einen von Mexiko 
nach Spanien eingefuhrten Tanz ansieht. Der alteste 
eindeutig datierte Nachweis fur das Wort S. findet sich 
im Ramo de la Inquisition (CXIII, f. 334; Mexiko, D. F., 
Archivo General de la Nacion), demzufolge 1569 eine 
von Pedro de Trejo verfafite S. wahrend der Feierlich- 
keiten am Fronleichnamsfest in Patzcuaro gesungen 
wurde, wofiir sich ihr Verfasser 1572 vor der Inquisi- 
tion zu verantworten hatte. Eine weitere Quelle von 
1539(?) stammt aus Panama. Die erste Nennung der S. 
in Spanien ist zugleich ihr Verbot: 1583 wurde das Sin- 
gen der S. unter Androhung hoher Geld- und Freiheits- 
strafen untersagt. Nach diesem Zeitpunkt ist die S. als 
Gesang und Tanz in Spanien belegt u. a. bei Cervantes, 
Juan de Mariana, Lope de Vega, Francisco Ortiz, Esqui- 
vel Navarro. Diesen Erwahnungen zufolge war sie ein 
ausgelassener, lasziver Tanz, von Paaren in Gegeniiber- 
stellung ausgefiihrt, begleitet durch Kastagnetten und 
zuweilen Schellentrommel. Haufig wird sie zusammen 
mit der Chaconne und der Seguidilla genannt. Von 
Spanien aus, wo sie trotz des Verbots 1618 am Hofe 
eingefiihrt wurde, kam sie schon bald in andere euro- 
paische Lander; sie wurde z. B. 1625 am franzosischen 
Hofe getanzt. 

Als friiheste gedruckte musikalische Quelle gilt die 
Nuova inventione d'intavohtura des G.Montesardo (Flo- 
renz 1606). M.Praetorius veroffentlichte 1612 (Terpsi- 
chore) mehrere S.n und 3 Courant-S.n in je zwei Fas- 
sungen. Handschrif tliche Quellen aus Italien und Frank- 
reich konnen vielleicht schon auf das Ende des 16. Jh. 
datiert werden. Den vor etwa 1650 geschriebenen S.n 
liegt haufig ein von Fall zu Fall leicht variables harmo- 
nisches Schema zugrunde, wobei auch die Melodie- 
linie, wie sie das erste Beispiel aufweist, wiederkehren 
kann; die friihen S.n stehen meist im G-Modus, der 
spa'ter von Dur abgelost wird; der anfanglichc Scsqui- 
alterarhythmus wird zum einfachen ternaren Takt. 



i 



± 



T* 



J- 



£ 



«= 



m 



r J i o. = 



liA AjA AjA 




M. Praetorius, 2. S. aus dem Ballet de Monsieur < 
Navarre (Terpsichore, 1612), GA XV, S. 167. 




A. Piccinini, Arie di Saravanda in varie partite aus Tn- 
tavolatura di liuto ... I, Bologna 1623, S. 44f. 
Schon in friihen spanischen und italienischen Quellen 
wird zwischen Caravanda espafiola und Caravanda 
francesa unterschieden, wobei die spanisch bezeichne- 
ten Stiicke anscheinend dem melodisch-harmonischen 
Schema verpflichtet sind, die franzosischen hingegen 
nicht. Wahrend die S. in Frankreich vor 1650 allgemein 
ein schneller Tanz war, der den Tanzern groBeGewandt- 



839 



Sarabande 



heit abverlangte, verlangsamte sich ihr Tempo urn die 
Mitte des 17. Jh. (Angaben z. B. Lentement und Grave), 
wenngleich es daneben auch weiterhin noch die S. le- 
gere gab. Die Notierung der S. erfolgte gewohnlich im 
3/2- oder 3/4-Takt; charakteristisch ist die haufige Be- 
tonung auch der 2. Zahlzeit. 

fed, 



m 



wm 



±U 



^g 



m 



^ 



lAA 



m 



£ 



$ 



^ 



^J=^ 



^m 



i 



u 



m 



m j- 



m 



jfe^ 



i 



$ 



P 



£=£ 



N.Lebegue, S. aus der Suitte en g re sol b (Second 
livre ie clavessin, Paris 1687), hrsg. v. N.Dufourcq, 
Monaco (1956), S. 56. 
S.n gibt es bis etwa 1740 in der Klavier- und Ensemble- 
musik (Dieupart) sowie in der Oper und im Ballett, wo 
sie gelegentlich auch gesungen wurden (Delalande, Les 
Folies de Cardenio, 1721). In England kam die S. eben- 
f alls schon am Anf ang des 17. Jh. auf und hat hier iiber- 
wiegend die schnelle Form beibehalten (Th. Mace, Mu- 
stek's Monument, London 1676, S. 129: Sarabands, are 
of the Shortest Triple-Time). Auch in Italien herrschte 
zunachst die schnelle Form der S. ; Bassani schreibt in 
seinem op. 1 (1677) Presto vor, ebenso G. B. Vitali in op. 
11 (1684). Dagegen wechseln die Angaben bei Vivaldi 
zwischen Allegro, Andante und Largo, bei Corelli zwi- 
schen Vivace, Allegro, Adagio und Largo. Der allge- 
meinen Entwicklung entsprechend war die S. in 
Deutschland zunachst ein schneller Tanz (z. B. bei 
Hammerschmidt 1636 und 1639). Nach dem Aufkom- 
men der langsamen S. bestanden hier beide Typen ne- 
beneinander; so fordert R.I.Mayr fur seine S.n von 
1692 die Ausfuhrungen Grave, Allegro und Adagio. 
WaltherL beschreibt die S. als eine gravitatische . . . et- 
was kurtze Melodic, welche allezeit zum Tantzen den 3/4, 
zum Spielen aber bisweilen den 3J2 Tact, langsam geschla- 
gen, undzwey Reprisen hat. Seit der Mitte des 17. Jh. ge- 
horte die S. zum festen Bestandteil der ->• Suite, in der 
sie um 1700 den 3. Platz in der Reihenfolge der Stan- 
dardsatze einnahm. - Bei Handel findet sich ein S.n- 
Typus, der ganz von der Nebenbetonung der 2. Zahl- 
zeit beherrscht wird: 




G. Fr. Handel, Suites de pieces pour le clavecin, Lon- 
don 1720, Suite Nr 7, in: GA II, S. 50. 
Jede der etwa 40 S.n Bachs ist von individueller Pra- 
gung; nur der Grundrhythmus der S. (Betonung der 
2. Zahlzeit) ist stets noch deutlich zu erkennen. Neben 

840 



teilweise streng zwei- bzw. dreistimmig durchgearbei- 
tete Stiicke treten solche, bei denen die Klangentfaltung 
im Vordergrund steht. In Bachs Partita Nr 6 (BWV 
830) erreicht die S. hochste Vollendung. - 1767 schrieb 
Rousseau iiber die S. : Cette Danse n'est plus en usage, 
si ce n'est dans quelques vieux Opera Francois. Im 19. und 
20. Jh. wurde die S., wie andereTanze des Barocks, wie- 
der auf gegriSen, z. B. von Fr. Auber in Les diamants de la 
couronne und von E. Satie (drei S.n, 1887). Bei CI. De- 
bussy ist sie anzutreff en in : Grandjoumal du lundy (1 896) , 
Pour le piano (1901) und Images (1905). In neuerer Zeit 
gab Strawinsky dem 5. Satz seines Balletts Agon (1957) 
die Uberschrift Saraband-Step. 

Lit.: R. Stevenson, The First Dated Mention of the S., 
JAMS V, 1952; ders., in: JAMS XVI, 1963, S. 110-112; 
ders., Artikel S., in: MGG XI, 1963 ; ders., The Mexican 
Origines of the S., Inter-American Music Bull. XXXIII, 
1963 (mit Bibliogr.); I. Herrmann-Bengen, Tempobe- 
zeichnungen, = MunchnerVer6ff.zurMg.I,Tutzingl959; 
D. Devoto, La f olle s., Rev. de Musicol. XLV/XLVI, 1 960 ; 
ders., Encore sur »La« S., ebenda L, 1964; ders., De 
la Zarabanda a la s., in: Recherches sur la Musique frc. 
classique VI, 1966. 

Sardana, ein katalanischer, von einer meist groBen 
Gruppe auf StraBen und Platzen getanzter Reigentanz 
mit einer schwierigen Schrittfolge in wechselweise 
sehr langsamem und sehr schnellem Rhythmus. Die 
Musik wird von der katalanischen -+ Cobla-Kapelle 
ausgef iihrt. Der Ursprung der S. liegt im f riihen 1 6. Jh. 
Lit. : J. Llongueras, Per la nostra S., Barcelona 1933 ; H. 
Besseler, Katalanische Cobla u. Alta-Tanzkapelle, Kgr.- 
Ber. Basel 1949; N. Bernard, De S., Volksdans van Kata- 
luna, Mens en melodie VI, 1951 ; J. Miracle, Llibre de la 
s., Barcelona 1953; H. Pepratx-Saisseret, La sardane . . . , 
Perpignan 1956. 

Sardinien. 

Lit. : G. Fr. Fara, De chorographia Sardiniae, Cagliari 
1 586 ; E. Bellonci, Canti popolari amorosi raccolti a Nuo- 
ro, Bergamo 1893 ; G. Ferraro, Feste sarde, Giornale lin- 
guistico 1 , 1 893 ; G. Giacomelli, Delia musica in Sardegna, 
Cagliari 1 897 ; G. Fara, Musica popolare sarda, RMI XVI, 
1909; ders., Su uno strumento mus. sardo, Turin 1913; 
ders., Giocattoli di musica . . . , Cagliari 1916; ders., L'ani- 
ma della Sardegna, in : La musica tradizionale, Udine 1940 ; 
A. Boullier, Garzia, I canti popolari della Sardegna, Bo- 
logna 1916; V. Cian u. P. Nurra, Canti popolari sardi, 
Palermo 1933; F. Karlinger, Volkstumliches in.d. Kir- 
chenmusik S., Musica sacra LXXVI, (Koln) 1956. 

Saron, Metallophonfamilie, die im -> Gamelan die 
klanglich und zahlenmaBig fiihrende Instrumenten- 
gruppe darstellt. Die S.s sind einoktavig; meist finden 
sie in drei im Oktavabstand voneinander stehenden 
GroBen Verwendung: S. panerus, S. barung und S. 
demung (hoch - mittel - tief), wobei die beiden letzte- 
ren vier- bis achtfach besetzt sein konnen. Die S.s be- 
stehen in Pelogstimmung aus 7, in Slendro aus 6, 7 oder 
9 verhaltnismSBig schweren Bronze- oder Eisenplatten ; 
im Unterschied zu den frei hangenden Platten des 
-> Gender liegen sie auf einem als Resonator dienenden 
trogformigen Holzkasten auf. 

Sarrusophon, ein von dem franzosischen Militarka- 
pellmeister W. Sarrus erdachtes (1856 patentiertes) und 
vom Pariser Instrumentenmacher Gautrot ab 1863 in 
alien GroBen vom hohen Diskant bis zum KontrabaB- 
instrument gebautes konisches Blasinstrument aus Mes- 
singblech von weiter Mensur mit doppeltem Rohrblatt 
und 18 Klappen. Als KontrabaBinstrument ist es so- 
wohl dem Kontrafagott als auch dem KontrabaBsaxo- 
phon durch seine Beweglichkeit und die Sicherheit sei- 
ner Intonation iiberlegen. 

Sarum use (s'eaiam ju : s, engl.), eine seit dem 13. Jh. 
in der Kathedrale von Salisbury (Sarum) entwickelte 



Satzlehre 



Sonderform der romischen Liturgie. Sie bildete den 
Rahmen einer bemerkenswerten Eigentradition des 
Gregorianischen Gesanges, welche wahrscheinlich von 
Bayeux (Normandie) herzuleiten ist und sich wahrend 
des spaten Mittelalters nahezu iiber ganz England aus- 
breitete. Ihre Besonderheiten sind Prozessionsgesange, 
Sequenzen, Tropen und Marianische Antiphonen. Von 
musikhistorischem Interesse ist vor allem ihr enges Ver- 
haltnis zur englischen Mehrstimmigkeit. 
Ausg. : Missale ad usum . . . ecclesiae Sarum, hrsg. v. F. H. 
Dickinson, Burntisland 1861-83 ; Graduate Sarisburiense, 
hrsg. v. W. H. Frere, London 1894, Nachdruck Farn- 
borough 1966; The Use of Sarum, hrsg. v. dems., 2 Bde, 
Cambridge 1898-1901; Antiphonale Sarisburiense, hrsg. 
v. dems., London 1901-25, Nachdruck Farnborough 1966; 
The Sarum Missal, hrsg. v. J. W. Legg, Oxford 1916. - Al- 
tere Ausg. verzeichnet d. General Cat. of Printed Books of 
Brit. Mus., Bd 138 u. 139, London 1962. 
Lit. : Fr. Ll. Harrison, Music for the Sarum Rite, Ann. 
Mus. VI, 1958-63. 

Sattel heiBt der zur Fixierung der Saiten eingekerbte 
Wulst am Ende des Griffbretts der Streichinstrumente 
(und Zupfinstrumente mit Griffbrett) dicht vor dem 
Wirbelkasten ; vom S. bis zum Steg schwingt die (leere) 
Sake, wenn sie nicht an anderer Stelle durch einen Fin- 
ger oder einen verschiebbaren S. (-> Capotasto) abge- 
teilt wird. An Violininstrumenten heiBt S. aufierdem 
eine Verstarkung am unteren Rand des Corpus (zur 
Unterscheidung vom Griffbrett- oder Kleinen S. auch 
GroBer oder Unterer S. genannt), iiber den die Befe- 
stigung des Saitenhalters zum Knopf lauft. Bei Holz- 
blasinstrumenten um 1800 ist S. eine aufgeschraubte 
Vorrichtung aus Metall, in der ->■ Klappen beweglich 
gelagert sind. 

Satz bezeichnet allgemein als »das (mehrstimmig) Ge- 
setzte« die kompositorische Res facta. Setzen tritt an die 
Stelle von lat. ponere vel facere, componere (-> Kom- 
position), S. in spaterer Zeit an die von positio u. a. Im 
musikalischen Bereich des deutschen Grundworts er- 
scheinen die Ausdriicke: Gesatz (Liedstrophe, schon im 
14. Jh.), absetzen (in Tabulator bringen, seit dem 16. 
Jh.), aufsetzen (einer Weise u. a., seit dem 17. Jh.), aus- 
setzen (den GeneralbaB), Setzkunst, Ton-S. und S. (seit 
dem 17./18. Jh.). S. bedeutet einerseits Prinzip undEr- 
gebnis des Setzens (Faktur) - dies zuerst im 17. Jh. 
(Schiitz, Chr. Bernhard) -, zum andern eineEinheit des 
Gesetzten, einen Abschnitt - dies seit dem 18. Jh., wo- 
bei Wort und Begriff des Sprach-S.es in die Termino- 
logie hineinspielen. S. im Sinne der Fakturbezeichnung 
gliedert sich in mannigfache Kompositionsarten (Setz- 
oder S.-Arten), systematisch : z. B. S. Note gegen Note, 
strenger und freier S. (-»■ Kontrapunkt), polyphoner 
und homophoner S., vokaler und instrumentaler 
S., und historisch: z. B. Geriist-S. (-> Kolorierung, 
-*■ Tenor - 1), -* Discantus-S., -»■ Kantilenen-S. Als 
Abschnittsbezeichnung benennt S. eine musikalische 
Sinneinheit innerhalb des Werkverlaufs. Das Thema 
heiBt im 18. Jh. auchS. (WaltherL).Zukunftsreichwird 
dieses Bedeutungsfeld durchgebildet von H. Chr. Koch 
(1802) unter betonter Analogie zur sprachlichen Syntax 
und somit in Fortfiihrung der alten Nachbarschaft von 
Musik und Grammatik: S. ist jedes einzelne Glied eines 
Tonstiickes, welches an undfiir sich selbst einen vollstandi- 
gen Sinn bezeichnet, wobei - je nach ihrer sinterpunk- 
tischen«, »rhythmischen« und »logischen« (d. h. die 
SchluBkraft, die Taktzahl und den Grad der inhaltli- 
chen Vollstandigkeit betreffenden) Beschaff enheit - un- 
terschieden werden: Vorder-S. (Koch: Absatz im en- 
geren Sinn) und Nach-S. (Koch: SchluBsatz). Beide 
werden auch Halb-S. genannt; sie bilden zusammen die 
-> Periode. GroBere Einheiten innerhalb der -* Sona- 



tensatzform sind Haupt-S. (Thema) und Seiten-S. - S. 
bezeichnet auch den selbstandigen Teil (f rz. mou vement , 
engl. movement, ital. movimento) eines zyklischen 
Werkes, z. B. einer Suite, Sonate oder Symphonic 

Satzlehre (Tonsatzlehre; gebildet im AnschluB an 
->■ Satz im Sinne des mehrstimmig Gesetzten) lehrt das 
aus einer Kompositionsart gewonnene, ihr zugrunde 
liegende System von Regeln. Sie ist eine der Grundla- 
gen aller echten musikalischen und musikwissenschaft- 
lichen Bildung und Tatigkeit. Von der Musiktheorie 
(->■ Theorie), auf deren Ergebnissen sie weitgehend 
fuBt, unterscheidet sich die S. darin, daB sie die musi- 
kalischen Erscheinungen als Praxis des Tonsatzes zu er- 
fassen, nicht jedoch auf letzte Begriindungen zuriickzu- 
fiihren sucht (z. B. sind die Bestimmung eines Akkords 
als Septakkord und eine Anweisung iiber seine Behand- 
lung im Satz etwas anderes als eine Theorie des Sept- 
akkords und seiner Stellung im System der Akkorde). 
Die verbreitete Bezeichnung der S. als Theorie ist da- 
her irrefuhrend, und ihre Benennung als Angewandte 
oder Praktische Musiktheorie ist ein Widerspruch in 
sich. Von der Kompositionslehre (->■ Komposition) un- 
terscheidet sich die S. dadurch, daB sie nicht den Weg 
bis zur Komposition weist, sondern durch Finden und 
Ubermitteln von Regeln sowie durch Satziibungen die 
fur eine Satzart typischen Erscheinungen zu verstehen 
und zu beurteilen lehrt, wahrend die ->• Interpretation 
(-> Analyse) den Organismus und den Sinn bestimm- 
ter Kompositionen zu durchschauen sucht und die Stil- 
lehre (->■ Stil) Kompositionen nach Merkmalen grup- 
piert. Gleichwohl bestehen zwischen S. einerseits und 
Musiktheorie, Kompositionslehre, Interpretation und 
Stillehre andererseits enge wechselseitige Beziehungen. 
- In ihrer vom Wort her nicht eingeengten Bedeutung 
ist die Bezeichnung S. geeignet, als Oberbegriff der 
seit dem 18. Jh. in -*■ Harmonielehre und -»■ Kontra- 
punkt geteilten Unterweisung zu dienen und dazu bei- 
zutragen, daB der Dualismus der Lehrsysteme abge- 
schwacht, Grundsatze der Neuen Musik beriicksichtigt, 
die Erscheinungen des Rhythmus und Metrums, der 
Melodie und Formbildung von vornherein mit einbe- 
zogen und somit bereits die Elemente und elementaren 
Regeln des Satzes in ihrer komplexen musikalischen 
Bedeutung erfaBt werden. Derm die ungliickselige Spal- 
tung derLehre . . . ist so verfehlt wie etwa eine Methode des 
Schlittschuhlaufens, die vor dem Erlernen der eigentlichen 
Bewegung fortgesetztes Vben jedes einzelnen Beines vor- 
schreibt (Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, 1940, 
S. 19). - Wie die Kompositionsart als Quelle einer S., 
so ist auch die S. stets geschichtlich bedingt. Wo sie in 
neuerer Zeit die Harmonie- und Kontrapunktlehre zur 
Grundlage aller satztechnischen Unterweisung macht, 
verleiht sie - entsprechend einem sich standig wiederho- 
lenden historischen ProzeB - dem Uberkommenen die 
Geltung einer Vorstufe oder die des Fundaments der 
Neuerungen (wobei sie sich der zeitlichen Bedingtheit 
ihres Regelsystems f reilich nur selten bewuBt ist) . 
Gegeniiber dem Fundamentcharakter einer S. sucht die 
Historische S. in voller geschichtlicher BewuBtheit die 
einen historischen Satztypus konstituierenden Faktoren 
zu erkennen und zu kodifizieren. Eine Historische S. 
bot erstmals Kn.Jeppesen fur den Palestrina-Stil, um 
an einer Stelle in der Musikgeschichte, die so zentral und 
hoch wie irgend moglich gelegen ist, eine musikwissen- 
schaftliche Arbeit einzuleiten, die den musikalischen 
Sprachgebrauch der verschiedenen historischen Perioden 
durch empirisch-deskriptive Methoden klarzulegen beginnt 
(Der Palestrinastil und die Dissonanz, 1925, S. XI und S. 
1 ; hierzu auch von dems. , Kontrapunkt. Lehrbuch der klas- 
sischen Vokalpolyphonie, 1930; -> Kontrapunkt, Lit.). In 



841 



sautille 



ahnlicher Zielsetzung untcrsuchte E. Apfel den musika- 
lischen Satz der Zeit vom 13. bis 15. Jh. und botBeitrage 
zu einer Geschkhte der Satztechnik von derfriihen Motette 
bis Bach (2 Teile, Miinchen 1964-65). Umfassende Ko- 
difizierungen des Regelsystems z. B. des Generalbafi- 
satzes (hierzu H.Haack, Anfange des Ceneralbaflsatzes in 
den Cento Concerti Ecclesiastic! 1602 von L. Viadana, Diss. 
Miinchen 1964, maschr.), des Bach-Satzes, des Satzes 
der Wiener Klassik (hierzu in neuerer Zeit Arbeiten 
von Thr. G. Georgiades) stehen noch aus. Der nachste 
Schritt ware dann, durch Vergleich zwischen Varianten von 
gleichartigen Sprachformen . . . die gemeinschaftlichen Mo- 
mente . . . nachzuweisen und festzuhalten. Das so gewon- 
nene Material miifite dann wieder zum Aufbau von Sprach- 
gesetzen dienen, den Entwicklungsqesetzen der Musik . . . 
(Jeppesen 1925, S. 1). ' HHE 

sautille' (sotij'e, frz.; ital. saltato, getanzt, gehiipft), 
Springbogen, eine Strichart in schnellem Tempo, bei der 
der Bogen auf Grund der ihm eigenen Elastizitat von 
selbst springt. Strichfolge, Bogeneinteilung, Sprung- 
hohe und Kontaktstelle (->■ Bogenfuhrung) miissenje- 
doch vom Spieler bestimmt werden. Springbogen fiir 
mehrere Tone auf einem Bogenstrich (frz. ricochet, 
Abprall, auch jete, geworfen, »Rikoschettieren«) be- 
ruht auf dem elastischen Riickprall, den der Bogen nach 
kraftigem Werfen auf die Saite ausfiihrt; das Ricochet 
ergibt den Effekt einer sehr schnellen Folge von kur- 
zen Tonen. 

Savart ist eine gegenuber dem -> Cent heute wenig 
gebrauchliche Intervalleinheit (1 Savart = 3,99 Cent), 
die nach dem franzosischen Akustiker F. Savart (1791— 
1841) benannt ist. Die Umrechnung des Verhaltnisses 
zweier Frequenzen/i und/2 erfolgt nach der Formel 
1000 • lg^, so daB die Oktave z. B. in diesem MaB die 
GroBe 1000 • lg 2 = 301 ,03 Savart erhalt. 
Saxhorn -> Biigelhorn. 

Saxophon nannte A. -> Sax das von ihm 1840/41 kon- 
struierte, 1846 patentierte Blasinstrument aus Blech 
mit einfachem Rohrblatt. Ansatz und Fingersatz sind 
einfacher als bei der verwandten Klarinette, da das 
stark konisch-weite S. in die Oktave iiberblast wie die 
Oboe, deren Klappensystem daher dem des S.s ahnlich 
ist. Das S. wird in 8 GroBen gebaut: Sopranino (frz. 
s.e aigu) in Es oder F, Sopran in B oder C, Alt in Es 
(Umfang notiert h-f 3, klingend d-as2) oder F, Tenor in 
B oder C, Bariton in Es oder F, BaB in B oder C, Kon- 
trabaB in Es und SubkontrabaB in B. Gebraucht wer- 
den iiberwiegend die Es- und B-Stimmungen. Die tie- 
feren Typen vom Alt abwarts haben ein aufwarts ge- 
bogenes Schallstiick wie z. B. die BaBklarinette. Da die 
tief eren Teiltone stark hervortreten, ist der Klang des S.s, 
besonders der Instrumente der Mittellage, charakteri- 
stischsonorundvibratoreich.Inder-^-Militarmusikwur- 
de es schon bald nach seiner Erfindung verwendet (auch 
in Bearbeitungen), ins Orchester fand es trotz derEmp- 
fehlung durch J.G.Kastner und Berlioz nur langsam 
Eingang. In der Kammermusik findet es fast nur in 
Frankreich Verwendung. In Orchesterwerken und 
Opern wurden S.e vorgeschrieben u. a. von Meyer- 
beer, A.Thomas, Bizet, Debussy, Ravel, Strawinsky, 
Hindemith (Cardillac), Bartok, Berg, Honegger; S.- 
Quartett f ordern u. a. Massenet und R. Strauss (Sinfonia 
domestica, als ad libitum- Verdoppelung der Holzblaser). 
Konzertstiicke schrieben Debussy, Ibert und Glasunow; 
eine Sonate fiir Alt-S. (eigentlich Althorn in Es) und 
Kl. komponierte Hindemith. - Im Jazz wird das S. seit 
etwa 1920 verwendet, zunachst von Klarinettisten als 
Wechselinstrument. Bevorzugte Soloinstrumente sind 



das Sopran-S. (Sidney Bechet), das Alt-S. (Charlie Par- 
ker), seit demEnde der 1920er Jahre das Tenor-S. (Co- 
leman Hawkins, Lester Young, Stan Getz) und das 
Bariton-S. (Gerry Mulligan). Das BaB-S. vertratin den 
1920er Jahren gelegentlich die Tuba; Solist auf dem 
BaB-S. war Adrian Rollini. Den Satz von 3-4 S.en 
(2 Alt-, 1-2 Tenor-S.e), seit den friihen 1930er Jahren 
auch den 5st. Satz (mit Bariton-S.), entwickelten der 
Altsaxophonist Benny Carter und die Bandleader Don 
Redman und Fletcher Henderson, den »Four Brothers«- 
Satz (3 Tenor-S.e, 1 Bariton-S.) der Tenorsaxophonist 
Jimmy Giuffre fiir das Orchester Woody Herman 1948. 
In den 1930er Jahren nahm Duke Ellington, vor allem 
in seiner Mood music, eine Klarinette hinzu. Wie der 
reine S.-Satz so wurde auch diese Instrumentation von 
vielen Tanzkapellen iibernommen; bei Glenn Miller 
ist die Klarinette im Unterschied zu Ellington standig 
Oberstimme, das Alt-S. oktavierend. Auch das Arran- 
gement Sy Olivers fiir Lunceford mit dem Unisono 
mehrerer S.e (1935) wurde von der Commercial Mu- 
sic nachgeahmt. - Schulen fiir S. schrieben u. a. Kastner 
(Paris 1845), N. Fedorow (in 2 Teilen neubearbeitet 
von A.Baresel und E.Fruth, Leipzig 1926), B.Davis 
(London 1932), F.Hauck (Mainz 1959) und H.Koller 
(Wien 1962). 

Lit.: Th. de Lajarte, Instr.-Sax . . ., Paris 1867; J. Kool, 
Das S., Lpz. (1931); F. G. Rendall, The S. Before Sax, 
The Mus. Times LXXIU, 1932; M. Perrin, Le s., Paris 
1955; J. E. Berendt, Der Saxophonsatz als Instr., in: Va- 
riationen ilber Jazz, Miinchen (1956); R. Druet u. G. 
Gourdet, L'6cole frc. du s., 3 Bde, o. O. 1963; L. Koch- 
nitzky, A. Sax and his S., NY 21964. 

Saxtromba nannte A. ->• Sax ein Blechblasinstrument 
mit Ventilen, das etwas weiter als das Waldhorn und 
enger als das Biigel- und das Saxhorn mensuriert ist. 
Sein Ton steht dem der ahnlich mensurierten -> »Wag- 
ner«-Tuba nahe. Die 1845 patentierte S., die entspre- 
chend der Familie der Saxhorner in 7 GroBen gebaut 
wurde, fand auf Grund der Bemiihungen ihres Erfin- 
ders Eingang in die franzosische Militarmusik; in das 
Orchester wurde sie nicht aufgenommen. 

Scab!llum(lat.,Schemelchen;auchscabellum;griech. 
xpou-rre^ai, hohe Holzschuhe), antike FuBklapper, die 
zur Markierung des Rhythmus im Chor, bei Tanzen 
und Arbeitsliedern diente. Das um 350 v. Chr. (De- 
mosthenes, »Gegen Meidias« 17) zuerst erwahnte In- 
strument soil aus den in Boiotien beim Olivenstampfen 
iiblichen Holzschuhen entwickelt worden sein. Es be- 
stand aus 2 an einer Seite verbundenen Brettem oder 
Metallplatten in FuBgroBe, von denen das obere am 
freien Ende mit dem FuB gegen das untere geschlagen 
wurde. Seit dem 2. Jh. n. Chr. sind Scabilla bezeugt, 
bei denen zur Verstarkung des Klanges ein Paar kleiner 
Becken zwischen den beiden Platten eingebaut ist. Au- 
los und Sc. wurden haufig von einem Spieler gleich- 
zeitig gespielt. 

Lit. : M. Wegner, Griechenland, = Mg. in Bildern II, 4, 
Lpz. (1963), S. 54f. ; G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom, 
ebendall, 5, (1964), S. 60f., 74f., 78f., 108f., 124f. 

Scandicus (lat.) -*■ Neumen (- 1). 

Scat (skaet, engl.), Jazzbezeichnung fiir eine Art des 
Gesangs, in der einzelrie Silben oder Laute ohne jeden 
konkreten Wortsinn aneinandergereiht und zugleich 
rhythmisch variiert werden. Die Erfindung des Sc. 
durch Louis Armstrong ist eine Legende ; denn das Sc- 
Singen findet sich schon in verschiedenen Gattungen 
der musikalischen Negerfolklore der USA (z. B. in 
-*■ Negro spirituals, -> Jubilees), haufig als Zeichen ei- 
nes ekstatischen Zustands der Sanger. Zum Ausdrucks- 
mittel wurde das Sc.-Singen bereits im ->■ New-Or- 



842 



Schallaufzeichnung 



leans-Jazz (Armstrong) umgeformt und als Nachah- 
mung des Instrumentenspiels durch die Singstimme 
verstanden. Im -> Be-bop (dessen Name selbst aus zwei 
Sc.-Silben besteht) erlangte der Sc. unter der Bezeich- 
nung Bop-Sc. oder Be-bop-vocals besondere Bedeu- 
tung (Ella Fitzgerald). 

Schachbrett (bezeugt in Wortformen wie mittellat. 
scacarium; frz. echiquier; span, exaquier; engl. chekker). 
1360 erwahnt Eduard III. von England in einem Brief 
anjohann von Frankreich ein eschequier, und 1385 bat 
Johann I. von Aragon brieflich um einen Musiker, der 
Orgel und exaquier spielen konne. Machaut erwahnt 
in seiner Prise d'Alexandrie (1377) und in Li tempo 
pastour ein eschiquier (d'angleterre), Gerson in De can- 
ticis (1420) ein scacarum (scachordum). Die Bezeich- 
nung chekker ist in England 1392/93 belegt. Der friihe- 
ste deutsche Beleg als »schachtbrett« (in E. Cersne, Der 
Minne Regel, 1404) wird von SachsL als »Kielklavier« 
gedeutet. Sachs stiitzt sich auf die Wortbedeutung von 
mittel- und neu-nld. schacht (synonym mit schaft: Fe- 
derkiel) und auf die Tatsache, daB das Spiel-Sch. mhd. 
schach zabel heiBt. Diese Deutung uberzeugt jedoch 
nicht, da fur die teilweise friiher liegenden franzosi- 
schen, spanischen und englischen Belege Identitat mit 
den Wortformen f iir das Spiel-Sch. besteht. Sehr wahr- 
scheinlich ist der Name Sch. einem Tasteninstrument 
liber die optische Assoziation mit dem Spiel-Sch. zu- 
gekommen (wegen des Abwechselns von schwarzen 
und weiBen Tasten, zumal die Tasten von mittelalter- 
lichen Instrumenten nur kurz waren) ; weiterhin kann 
aus der Briefstelle Johanns I. von Aragon und aus der 
lateinischen Wortbildung scachordum geschlossen wer- 
den, daB es sich um ein besaitetes Tasteninstrument 
handelte. 

Lit. : C. Krebs, Diebesaiteten Klavierinstr. bis zum Anf ang 
d. 17. Jh.,VfMw VIII, 1892, erganzendeNotizin:VfMwIX, 
1893 ; F. Pedrell, Jean I. d'Aragon, Compositeur de mu- 
sique, Fs. H. Riemann, Lpz. 1909; C. Sachs, Die Musik- 
instr.d.Minneregel,SIMGXIV,1912/13;DERS.,TheHist.of 
Mus. Instr.,NY(1940), London 1952; W.H.Gr. Flood, The 
Eschiquier Virginal: An Engl. Invention?, ML VI, 1925; 
H. G. Farmer, The Canon and Eschaquiel of the Arabs, 
Journal of the Royal Asiatic Soc., 1926; Instr. de musique 
du XV e s., hrsg. v. G. Le Cerf u. E.-R. Labande, Paris 
1932; C. Clutton, Arnault's Ms., The Galpin Soc. Jour- 
nal V, 1952 ; A. Machabey, Remarques sur le lexique mus. 
du De Canticis de Gerson, Romania LXXIX, 1958. 

Schaftlarn bei Munchen, Benediktinerabtei, gegr. 
um 762. 

Lit. : L. Abstreiter OSB, Gesch. d. Abtei Sch., Sch. 1916; 
D. v. Huebner, Kalendarium Praemonstratense in einer 
Sch.er Choralhs. d. 12. Jh., in: 1200 Jahre Kloster Sch. 
762-1962, Sch. 1962; P. Ruf, Die Hss. d. Klosters Sch., 
ebenda; R. Munster, Die Musik im Kloster Sch., in: Un- 
ser Sch., Sch. 1963. 

Schall ist die Bezeichnung fiir alle horbaren Schwin- 
gungsvorgange. Voraussetzung fiir die Horbarkeit ist, 
daB Frequenz und Intensitat der -» Schwingungen in- 
nerhalb bestimmter Grenzwerte bleiben (-> Horfeld). 
Schwingungen unter 16 Hz und iiber 20000 Hz wer- 
den vom Ohr nicht registriert und als Infra- bzw. Ultra- 
schall bezeichnet. Der Sch. breitet sich in Form von 
-»- Wellen aus. Die Sch.-Geschwindigkeit c ist vom 
Medium sowie von Temperatur- und Druckverhalt- 
nissen abhangig. Sie betragt in Luft bei 20° Celsius und 
760 mm Quecksilbersaule 343,8 m/sec und andert sich 
in diesem Temperaturbereich um 0,60 m/sec pro Grad. 
Sch.-Geschwindigkeits-Messungen wurden zuerst von 
M.Mersenne (1636) durchgefiihrt. Im Sch.-Feld ist der 
-» Schalldruck die einer physikalischen Messung be- 
sonders zugangliche GroBe. Die Geschwindigkeit, mit 



der die Luftmolekiile hin- und herschwingen - nicht 
zu verwechseln mit der Sch.-Geschwindigkeit - wird 
Sch.-Schnelle genannt und in cm/sec angegeben. Das 
Produkt aus Sch.-Druck und Sch.-Schnelle ist die -*■ In- 
tensitat. 

Lit.: R. W. Pohl, Mechanik, Akustik u. Warmelehre, 
= Einfiihrung in d. Physik I, Bin, Gottingen u. Heidelberg 
14 1959; F. Trendelenburg, Einfiihrung in d. Akustik, 
Bin, Gottingen u. Heidelberg 3 1961. 

Schallanalyse -> Frequenzanalyse. 

Schallaufzeichnung. Den beim Sprechen oder Mu- 
sizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu 
konservieren und beliebig reproduzieren zu kbnnen, 
ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschaf tigte. 
Waren zunachst eher magische Aspekte im Spiel, die 
die Phantasie befliigelten, wie etwa bei Giovanni della 
Porta, der 1589 den Schall in Bleirohren auffangen 
wollte, so f iihrte mit f ortschreitender Entwicklung na- 
turwissenschaftlichen Denkens ein verhaltnismaBig 
gerader Weg zur Losung des Problems. 1688 stell- 
te Giinther Christoph Schelhammer fest, daB sich der 
Schall durch wellenformige Bewegungen der Luft aus- 
breitet. 1830 baute Wilhelm Eduard Weber den ersten 
brauchbaren Apparat zur Aufzeichnung der Luftbe- 
wegungen des Schalles. Felix Savart und Jean Marie 
Constant Duhamel gelang es etwa 10 Jahre spater, die 
Schallschwingungen schraubenformig auf einer rotie- 
renden beruBten Walze aufzuzeichnen. Das Problem 
der Wiedergabe aufgezeichneter Schallschwingungen 
losten 1877 zwei Erfinder unabhangig voneinander in 
ahnlicher Weise: Charles Cros erf and in Paris eine 
Sprechmaschine, Parleophone genannt, Thomas Alva 
Edison in den USA den Phonographen. Edison gelang 
es, seiner Erfindung zum Durchbruch zu verhelfen. 
Er benutzte eine mit der Hand drehbare Stahlwal- 
ze mit aufgelegter Stanniolschicht, in die mit Hilfe 
eines mit einer ->■ Membran verbundenen Stiftes die 
Schallbewegungen unterschiedlich tief eingeritzt wur- 
den (Tiefenschrift). Die Rille konnte auf dem gleichen 
Wege abgetastet werden, wobei der Abtaststift eine 
Membran bewegte und den Schallvorgang an die Luft 
weitergab. Spater wurden gegossene Wachswalzen 
verwendet. Der Edison-Phonograph hat weltweite 
Verbreitung als Spielzeug und zur Unterhaltung, be- 
sonders aber als wissenschaftliches Gerat gefunden. 
Wichtige Tondokumente vor allem aufiereuropaischer 
Musik wurden auf Edison- Walzen festgehalten. Der 
Hauptvorteil lag in derEinfachheit der Bedienung, die 
Nachteile bestanden in der geringen Wiedergabequali- 
tat, der kurzen Aufnahmedauer und der begrenzten 
Moglichkeit der Vervielfaltigung. -Einen entscheiden- 
den Fortschritt bedeutete die von Emile Berliner erst- 
mals verwendete -*■ Schallplatte. Berliner arbeitete zu- 
nachst mit wachsiiberzogenen Metallplatten, in die ei- 
ne nunmehr seitlich auslenkende Rille spiralformig ein- 
geschnitten wurde (Seitenschrift). Als es ihm spater ge- 
lang, auf galvanoplastischem Wege PreBf ormen herzu- 
stellen, und er in einer Mischung aus Schellack und 
Schiefermehl ein geeignetes PreBmaterial fand, wurde 
die Schallplatte bald zum Massenartikel. Sie blieb bis 
heute der meistverbreitete Tontrager. Sch.en konnten 
zunachst nur mechanisch aufgenommen und wiederge- 
geben werden. Schneid- bzw. Abtaststifte waren direkt 
mit Membranen verbunden; die Schallenergie wurde 
durch Trichter und Schlauche gelenkt. 
1925 wurden elektrische Aufnahmeverfahren einge- 
fuhrt. Nun standen mit standig steigender Qualitat 
-*■ Schallwandler, -> Mikrophone, Kopfhorer und 
-j- Lautsprecher zur Verf iigung ; vor allem die ->■ Elek- 
tronenrohre ermoglichte die elektrische Verstarkung 



843 



Schallbecher 



der in Wechselspannungen umgesetzten Schallvorgan- 
ge. Die Spieldauer von Schallplatten betrug zunachst 
maximal etwa 4^2 min, der Frequenzumfang war be- 
schrankt und nichtlineare -*■ Verzerrungen traten oft 
merkbar inErscheinung. Mit der Einfiihrung der Lang- 
spielplatte konnte die Wiedergabezeit auf ca. 30 min 
pro Seite ausgedehnt werden, auch die Klangquali- 
tat nahm betrachtlich zu (->- High Fidelity, -> Stereo- 
phonic). - Neben dem Prinzip der Schallplatte (me- 
chanische Sch.) gibt es heute zwei weitere Arten der 
Sch. : die magnetische Sch. und das Lichttonverfahren. 
Der Magnettontechnik liegt das Prinzip der Induktion 
zugrunde : Bewegt man einen Leiter in einem magneti- 
schen Feld, so entsteht eine elektrische Spannung. Die- 
se Tatsache brachte den Amerikaner Oberlin Smith 
1888 auf den Gedanken, dem Telephon entnommene 
Wechselspannungen zur Magnetisierung eines Drahtes 
als beweglichem Tontrager zu verwenden. 1935 ent- 
wickelte die AEG das erste brauchbare Magnettonge- 
rat (Magnetophon). 1940 gelang den deutschen Physi- 
kern Hans Joachim von Braunmuhl und Wilhelm We- 
ber eine entscheidende Qualitatsverbesserung durch das 
Hochfrequenzverfahren. Ein hochfrequenter Wechsel- 
strom dient nicht nur zum Loschen friiherer Aufzeich- 
nungen, er sensibilisiert auch den Aufsprechvorgang 
durch die sogenannte HF-Vormagnetisierung. Bei die- 
sem Prinzip ist es bis heute geblieben: ein beweglicher 
Tontrager (Tonband, Magnettonspur auf Film, Draht) 
wird im Rhythmus der Schallschwingungen mit Hilfe 
von Magnetkbpfen magnetisiert. Starke und Richtung 
der Magnetisierung entsprechen dabei der Phasenlage 
der Schallschwingungen. - Im Tonfilm ist neben dem 
Magnettonverf ahren noch heute das Lichttonverfahren 
in Gebrauch. Hier werden die in elektrische Spannungs- 
schwankungen umgewandelten Schallschwingungen 
auf photographischem Wege am Rande des Filmstrei- 
fens in eine Spur entsprechend variabler Lichtdurchlas- 
sigkeit umgesetzt. Diese »Tonspur« liegt bei der Wie- 
dergabe im Strahlengang einer starken Lichtquelle, die 
auf eine Photozelle wirkt und dort eine von der durch- 
gelassenen Lichtintensitat abhangige Wechselspannung 
erzeugt. Diese wiederum kann verstarkt und durch 
Lautsprecher abgestrahlt werden. 
Lit.: W. E. Feddersen, T. T. Saneal, D. C. Teas u. H. M. 
Feldhaus, Zur Entstehungsgesch. d. Sprechmaschine u. 
Schallplatte, Fs. C. Lindstrom A. G., hrsg. v. A. Guttmann, 
Bin 1929; E. Meyer, Schallplatten- u. Magnettontechnik, 
in: Hdb. d. Experimentalphysik, hrsg. v. W. Wien u. F. 
Harms, Bd XVII, 2, Lpz. 1934; O. Read, The Recording 
and Reproduction of Sound, Indianapolis (Minn.) 2 1952; 
W. Reichardt, Grundlagen d. Elektroakustik, Lpz. 1952, 
2 1954; W. Burck, Grundlagen d. praktischen Elektro- 
akustik, Mindelheim (1953); Fr. Winckel, Sch., in: Hdb. 
f. Hochfrequenz- u. Elektrotechniker II, hrsg. v. C. Rint, 
Bin (1953); H. Sutaner, Schallplatte u. Tonband, Lpz. 
1954; Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. Fr. Winckel, Bin 
1955; G. Slot, Vom Mikrofon zum Ohr, = Philips' tech- 
nische Bibl., Populare Reihe III, Eindhoven 1955; H. G. 
M. Spratt, Magnetic Tape Recording, NY 1958; Fr. 
Berotold, Moderne Schallplattentechnik, = Radio-Prak- 
tiker-Bucherei 63/65a, Miinchen (21959); H. Schroder, 
Tonbandgerate-MeBpraxis, Stuttgart 1961; F. Trende- 
lenburg, Einfiihrung in d. Akustik, Bin, Gottingen u. 
Heidelberg 3 1961 ; D. A. Snel, Magnetische Tonaufzeich- 
nung, Eindhoven 1962; H.-P. Reinecke, Stereo- Akustik, 
Koln 1966. HPR 



Schallbecher, auch Schalltrichter, 
-»■ Stiirze. 



Aufsatze, 



Schalldruck ist der Wechseldruck, den die schwin- 
genden Luftmolekiile bei der Schallausbreitung z. B. 
auf das Trommelfell des Ohres oder die Membran eines 
Mikrophdns ausiiben. Der Sch. wird in -> Mikrobar 
(fib) gemessen. 



Schallocher sind Durchbrechungen der Decke oder 
des Resonanzbodens bei Saiteninstrumenten. Wichti- 
ger als fur den Schallaustritt sind die Sch. in ihrer Wir- 
kung auf die Schwingungsform der Decke. Bei Zupf- 
instrumenten wird ein rundes Schalloch in der Mitte 
bevorzugt (auch mit -> Rosette), fiir Violen sind C- 
formige, fiir Violinen^-formige Sch. charakteristisch. 

Schallplatte. Gegeniiber dem walzenformigen Ton- 
trager des Edison-Phonographen, der das Problem der 
mechanischen -> Schallauf zeichnung grundsatzlich ge- 
lost hatte (1877), bot die Sch. Emile Berliners (1887) 
alle Vorteile eines leicht und billig zu produzierenden 
Massenartikels. Die von Berliner 1893 gegriindete 
United States Gramophone Company konnte mit ih- 
ren Tochtergesellschaften in London (Gramophone 
Company) und Hannover (Deutsche Grammophon 
Gesellschaft) schon um 1900 ein Sch.n-Repertoire von 
etwa 5000 Titeln anbieten. Die ersten Sch.n hatten 17 
cm Durchmesser, waren einseitig bespielt und kosteten 
in Deutschland um 2,50 RM. Mit dem Ausbau des klas- 
sischen Repertoires (25- und 30-cm-Platten von 5 bis 
20 RM) wurde die Sch. - zunachst nur Kuriositat und 
Jahrmarktsattraktion - gesellschaftsfahig. 1906 lag der 
deutsche Sch.n-Umsatz bereits bei 1 ,5 Millionen Stuck ; 
1930 erreichte er 30 Millionen. Nachdem die Sch.n- 
Produktion in Deutschland durch Kriegsschaden fast 
vollig zum Erliegen gekommen war, begann um 1950 
eine erneute Aufwartsentwicklung, die mit entschei- 
denden Verbesserungen der Sch.n-Technik parallel 
lief: 1950 Verlangerung der Spieldauer durch variable 
Rillenabstande; 1951 Einfiihrung der Kunststoff-Lang- 
spielplatte mit 331/3 U/min; 1953-58 Ubergang von 
Schellack- auf Kunststoffplatten mit 45 U/min auch 
fiir das gangige Schlager- und Tanzmusikrepertoire 
(Single-Sch.n) ; 1958 Beginn der ->■ Stereophonie. - 
Voraussetzung fiir den heutigen hohen Qualitatsstan- 
dard der Sch. waren u. a. die Einfiihrung der UKW- 
Technik beim -*■ Rundfunk und die Expansion der Ab- 
spielgerate-Industrie (-> High Fidelity). 1966 erreichte 
der Sch.n-Umsatz in der Bundesrepublik iiber 50 Mil- 
lionen Stuck mit einem Langspielplattenanteil von fast 
40%. Neben der Popularisierung der Sch. durch Rund- 
funk (Schlagerparaden, prasentiert von dem Disc- 
Jockey genannten U-Musik-Experten) und -»■ Music 
box waren neue Vertriebsmethoden (Sch.n-Klubs, 
Versandhandel) und differenzierte Preispolitik (»Low- 
price«-Serien) wesentlich an diesem Erfolg beteiligt. - 
Um die Jahrhundertwende hatten die groBen Firmen 
mit dem Aufbau eines seriosen Repertoires begonnen. 
Bevorzugt wurden anfangs - aus aufnahmetechnischen 
Griinden - Opernarien und Kammermusik; spater ka- 
men Orchesterwerke hinzu (erste Gesamtaufnahme der 
5. Symphonie von Beethoven unter A.Nikisch, Gram- 
mophon, 1913). Das U-Musik-Programm bestand zu- 
nachst aus Marschen und Volksliedern. Zusammen mit 
der neueren Wiener Operette erschien der Schlager im 
Sch.n-Repertoire; er ist mit seinen oft die Millionen- 
grenze iiberschreitenden Auflagen bis heute der be- 
stimmende okonomische Faktor des Sch.n-Marktes. 
Neben der kurzlebigen Schlager- und Tanzmusik auf 
Single-Sch.n umfaBt das Angebot einer groBen Sch.n- 
Firma ein vielseitiges Langspielrepertoire von oft meh- 
reren 1000 Werken mit den Standardkategorien: Sym- 
phonische Musik, Oper und Oratorium (Gesamtauf- 
nahmen, Querschnitte), Instrumentalkonzerte, Kam- 
mermusik, Chormusik und Lied; Operette (meist 
Querschnitte), Unterhaltungs- und Tanzmusik, Mar- 
sche und Blasmusik, Jazz und Folklore; Literatur (dra- 
matische Werke, Lyrik, Prosa), Kabarett und Chan- 
son, Marchen und Abenteuergeschichten ; Spezialita- 



844 



Schalmei 



ten (Dokumentaraufnahmen, Tierstimmen, Gerausche, 
technische MeBplatten). Sorgfaltig redigierte Verof- 
fentlichungsreihen (nach musikhistorischen oder geo- 
graphischen Aspekten) und aufwendige Gesamtausga- 
ben geniigen oft hohen kiinstlerischen, wissenschaftli- 
chen und padagogischen Anspriichen; kleinere Sch.n- 
Gesellschaften sind zum Teil auf derartige Publikatio- 
nen spezialisiert (z. B. auf Kammermusik der Vorklassik, 
auf Moderne u. a.). Sch.n fur bcsondere Wissensgebie- 
te (Sprachen, Medizin, Religion, Padagogik) werden 
weitgehend von Fachbuchverlagen ediert. - Die Amor- 
tisation der durchweg sehr hohen Produktions-, Ver- 
triebs- und Verwaltungskosten wird durch zusatzliche 
Auswertung der Aufnahmen iiber Sch.n-Klubs, (an- 
onyme) Zweitmarken sowie durch Neuzusammenstel- 
lung in sogenannten Sammelprogrammen (Sangerpor- 
trats, Wunschkonzerte, Schlagerparaden) angestrebt. 
Wahrend noch vor wenigen Jahren das E-Musik-Re- 
pertoire von den Schlager-Sch.n mitfinanziert werden 
muBte, gibt es heute ausgesprochene Klassikbestseller 
mit Gesamtumsatzen von iiber 100000 Stuck. In der 
Spitzenpreisklasse (25-30 DM) rangieren kiinstlerisch 
und technisch hochwertige moderne Einspielungen mit 
(meist durch Exklusivvertrage gebundenen) Starsoli- 
sten und -dirigenten, in den anderen Preiskategorien 
(5-21 DM) technisch veraltete Aufnahmen oder Neu- 
produktionen mit weniger bekannten Kiinstlern. Dem 
Preisniveau entspricht die auBere Aufmachung mit alien 
Varianten von der Lederkassette mit illustriertem Text- 
heft bis zur einfarbig bedruckten Kartontasche. 
Praktisch uniiberschaubar sind Anzahl und wirtschaf t- 
liche Verkniipfung der Sch.n-Firmen. Die von den ein- 
zelnen Organisationen vertriebenen Marken (Labels) 
sind nur zum kleineren Teil firmeneigen; die meisten 
Labels werden iiber Repertoireaustausch-Vertrage auf 
Lizenzbasis zur Auswertung in bestimmten Gebieten 
und auf begrenzte Zeit erworben. Zu den Weltmarken 
zahlen RCA Victor (Decca, Telefunken, London, Re- 
prise, Coral u. a.), CBS (Epic, Blue Note, Regina, 
Westminster, Falcon u. a.), Deutsche Grammophon 
Gesellschaft (Archiv-Produktion, Polydor, Heliodor, 
MGM, Verve, Tip u. a.), Electrola (Columbia, Odeon, 
Capitol u. a.) und Philips (Mercury, Fontana, Amadeo 
u. a.). Wachsende Bedeutung kommt den Sch.n-Pro- 
duktionen der Musikverleger zu, z. B. Barenreiter- 
Musicaphon, Moseler (Camerata), Herder (Christo- 
phorus), Schwann (Musica Sacra). Das Gesamtangebot 
des westdeutschen Sch.n-Handels ist (aufier Single- 
Repertoire) in dem jahrlich neu erscheinenden Grofien 
Scn.n-Katalog (Liidenscheid 1964ff.) vorgelegt (-> Dis- 
kographie). Dariiber hinaus ist der Sch.n- Weltmarkt 
durch einen umfassenden Importdienst erschlossen. - 
Neben den (nur kommerziell relevanten) Firmenaus- 
zeichnungen fiir Interpreten und Autoren (Goldene 
Sch. fiir 1 Million verkaufte Exemplare, erstmals 1920 
an Paul Whiteman fiir den Schlager Whispering) wer- 
den alljahrlich zahlreiche unabhangige Preise fiir kiinst- 
lerisch bedeutsame Neuerscheinungen verliehen (Grand 
Prix du Disque in Frankreich, Edison-Preis in Holland, 
Deutscher Sch.n-Preis). Wenn auch die Rolle der Sch. 
auf kulturellem, soziologischem und wirtschaftlichem 
Gebiet noch unterschiedlich bewertet wird, so ist doch 
ihre Bedeutung als Dokument der Musik- und Zeitge- 
schichte unumstritten (so laBt sich z. B. dieEntwicklung 
des Jazz nur anhand von Sch.n aufzeigen; ->■ Race re- 
cords). In mehreren Landern bestehen bereits systema- 
tische Sammlungen der lokalen Sch.n-Produktion 
(USA, Italien, Frankreich, Grofibritannien; Deutsche 
Musikphonothek, West-Berlin, seit 1961; -> Phono- 
thek). - Entgegen vielen Prophezeiungen hat die seit 
1950 standig wachsende Verbreitung des Amateur- 



Tonbandgerates (Prinzip der magnetischen Schallauf- 
zeichnung) die Expansion der Sch. nicht beeintrachtigt. 
Ob die in jiingster Zeit auf dem amerikanischen und 
europaischen Markt in den Handel gekommenen Kas- 
setten mit bespielten Tonbandern die Sch. verdrangen 
werden, ist noch nicht abzusehen. 
Lit.: D. Schulz-Koehn, Die Sch. auf d. Weltmarkt, Bin 
1 940; Fr. W. Gaisberg, The Music Goes Round, NY 1942; 
R. Bauer, The New Cat. of Hist. Records 1898-1908/09, 
London (1948); W. M. Berten, Musik u. Mikrophon, Dus- 
seldorf (1951); 50 Jahre C. Lindstrom GmbH, Koln 1954; 
Das Sch.-Buch, hrsg. v. W. Facius, Dusseldorf (1956); W. 
Haas u. U. Klever, Schallplattenbrevier, = Ullstein-Bu- 
cher 203, Ffm. 1958; dies., Die St. seines Herrn, ebenda 
246, 1959; E. Sieber, D.-G. Worm u. H. Sutaner, Schall- 
plattenfibel, Lpz. 1958; Chr. Ecke, Ewiger Vorrat klass. 
Musik, 3 Bde, = rowohlts monographien XXXV, LXIX u. 
LXX, Hbg (1959-62) ; H.-P. Reinecke, Mw. u. Sch., Kgr.- 
Ber. NY 1961, Bd I ; R. Reichardt, Die Sch. als kulturelles 
u. okonomisches Phanomen, = Staatswiss. Studien, N. F. 
XLVII, Zurich 1962; 65 Jahre Deutsche Grammophon 
Ges., Hbg 1963; A. Silbermann, Sch. u. Ges., = Bertels- 
mann Brief e XXIV, Gutersloh 1963; C. Riess, Knaurs 
Weltgesch. d. Sch., Zurich (1966) ; J. Viedebantt, Die Rol- 
le d. Sch., = Schriftenreihe d. Deutschen Studienges. f. Pu- 
blizistik VI, Miinchen u. Bin 1966. 
Periodica u. Zss.: Billboard, Cincinnati (O.) I, 1894ff.; 
Down Beat, Chicago I, 1934ff.; The American Record 
Guide, NY I, 1935ff.; Cash Box, NY I, 1941ff.; Automa- 
tenmarkt, Braunschweig I, 1949ff.; Diapason, Mailand I, 
1950ff. ; La Rev. des Disques et la Haute Fidelite, Brussel I, 
1950ff.; Die Sch., Hbg I, 1952ff.; Luister, Amersfoort I, 
1952ff.; Music Revy, Stockholm I, 1952ff.; Bielefelder 
Kat., Bielefeld I, 1953ff. (bis VII, 1959 unter d. Titel Die 
Langspielplatte) ; The Gramophone, Kenton I, 1954ff.; 
fono forum, Bielefeld I, 1956fL; Der Musikmarkt, Miin- 
chen 1959ff.; Discoteca, Mailand 1959ff.; Jazzkat., Biele- 
feld I, 1959/60ff.; Audio and Record Review, London I, 
1961ff. HGL 

Schallspektrum ->■ Frequenzspektrum. 

Schallwandler sind Gerate zur Umwandlung akusti- 
scher Schwingungsvorgange in elektrische (primare 
Sch., ->■ Mikrophon) und umgekehrt (sekundare Sch., 
-+ Lautsprecher). In fast alien Sch.n ermoglicht eine 
Membran als mechanisches Zwischenglied die Um- 
wandlung einerEnergief orm in die andere. Ohne Mem- 
bran dagegen funktioniert z. B. die »Palme« der Ondes 
musicales. Grundsatzlich sind elektromagnetische, elek- 
trodynamische, elektrostatische und piezoelektrische 
Sch. zu unterscheiden. 

Lit.: F. A. Fischer, Grundziige d. Elektroakustik, Bin 
(1949), 21959; W. Reichardt, Grundlagen d. Elektro- 
akustik, Lpz. 1952, 21954. 
Schallwellen -> Wellen. 

Schalmei (griech. xdcXa^oi;, lat. calamus, Halm, cala- 
mellus, Rohrchen; in St.Gallen im 8. Jh. cannamala, 
glossiert als carina de qua canitur; altfrz. chalemie, seit 
dem 16. Jh. chalemeau, ->■ Chalumeau - 1 ; mhd. und 
engl. shawm), - 1) im Mittelalter eine Familie von 
Doppelrohrblattinstrumenten enger Mensur mit 6-7 
Grifflochern, die, mit Windkapselansatz geblasen, ein 
Uberblasen nicht gestatteten. Die Sch. ist im arabischen 
Raum um 1000 bekannt; in Europa gelangte das zu- 
nachst ritterliche Instrument im 15. Jh. zu den Spiel- 
leuten und Tiirmera. Mit der Entwicklung der Musik- 
instrumente zu vollerem Klang und groBerem Um- 
fang besonders zur Tiefe hin entstand aus der mittelal- 
terlichen Sch. die Familie der -> Bomharte mit wei- 
terer Mensur und mit Klappen. Das Diskantinstrument 
der Sch.-Familie glich sich wahrscheinlich erst spater 
an; ihm verblieb der Name Sch. (Tinctoris 1484: tibia 
que vulgo celimela nuncupatur; Praetorius Synt. II: Allein 
der oberste Discant, wekher keinen Missings Schliissel hat / 
wird Schalmeye genennet). Die Sch. kommt noch heute 

845 



Scharf(f) 



in orientalischer Musik und europaischer Volksmusik 
(Balkan; in Italien als -> Piffero) vor sowie in der 
-> Cobla. In der Systematik der Musikinstrumente 
wird Sch. zuweilen als Sammelname f iir alle Rohrblatt- 
instrumente (einfache und doppelte Rohrblatter) ver- 
wendet. - 2) als Orgelregister eine offcne Zungenstim- 
me zu 8' oder 4' mit trichterformigen Aufsatzen. 
Lit. : zu 1 ) : D. Bartha, Die avarische Doppelsch. v. Janos- 
hida, Archaeologica Hungarico XIV, 1934; P. Bromse, Fl., 
Sch. u. Sackpfeifen Siidslawiens, = Veroff. d. Mw. Inst. d. 
Deutschen Univ. Prag IX, Briinn, Prag, Lpz. u. Wien 1937 ; 
W. Frei, Sch. u. Pommer, Mf XIV, 1961. 

Scharf(f ) (latinisiert Acuta) ist eine Mixtur von enger 
Mensur, meist 4£ach und auf 1' beginnend. In der nord- 
deutschen Barockorgel ist das Sch. die Klangkrone im 
Riickpositiv und Brustwerk, bei A. Schnitger auch 
6-8fach auf li/ 3 '. Praetorius (Synt. II) beschreibt ein 
Sch., das eine Oktavliicke zwischen ersteni und zwei- 
tem Chor aufwcist. 

Schauspielmusik ->• Biihnenmusik. 

Scheinkonsonanz -»- Auffassungsdissonanz. 

Scheitholz, Scheitholt, eine einfache Schmalzither. 
Der rechteckige, kastenartige Resonanzkorper (ahnlich 
dem des Monochords) tragt das Griffbrett mit den Me- 
tallbiinden, dariiber laufen bis zu 5 Metallsaiten. Sie 
werden mit einem Stockchen angezupft. Das Sch., 
ebenso einfach zu bauen wie zu spielen (Praetorius 
Synt. II rechnet es unter die Lutnpenlnstrumenta), wird 
heute in der Musikerziehung verwendet. 

Schellen sind GefaBrasseln, kleine, meist geschlitzte 
hohle Blechkugeln, die ein Steinchen oder kleines Me- 
tallkiigelchen enthalten; beim Schiitteln entsteht ein 
metallisches Scheppern ohne Nachklang. Sch., die es 
auch in Glockchenform mit Kloppel gibt, werden (im 
Unterschied zu den gegossenen Glocken) aus dunnem 
Blech gehammert. GroBere Sch. kommen vor als Kuh- 
Sch., kleine am -»• Schellenbaum. Im Orchester werden 
Sch. gelegentlich vorgeschrieben (Mahler, 3. Sympho- 
nie, 1. und 4. Satz); das dabei benutzte Instrument ist 
meist ein mit einer Anzahl Sch. besetzter Lederreifen, 
der geschiittelt wird. An Trommeln kommen sowohl 
auBen an der Zarge befestigte Sch. als auch kleine, in 
die Zarge eingelassene Metallplattchen in Beckenform 
vor (-»• Sch.-Trommel). 

Schellenbaum (auchHalbmond; seltener, hauptsach- 
lich im 19. Jh. gebrauchlich: Mohammedsfahne; engl. 
chinese bzw. turkish crescent oder einfach crescent, 
Chinese pavilion, auch Jingling Johnny - volksetymo- 
logisch von tiirkisch chaghana; frz. chapeau bzw. pa- 
vilion chinois; ital. capello bzw. padiglione cinese, auch 
mezzaluna; span, chinesco oder cimbalero; danischja- 
nitscharspil), ein mit der -> Janitscharenmusik in die 
europaische Militarmusik gelangtes Klingelinstrument. 
Der Sch. besteht aus einem Stab und mannigfachem 
Zierat, der mit Glockchen und Schellen behangt ist; 
an der Spitze des Stabes ist zumeist ein Halbmond 
oder ein hutartiges Gebilde, das an ein chinesisches 
Dach erinnert, befestigt (daher die verschiedenen 
Bezeichnungen). Charakteristisch sind die von der 
Spitze an beiden Seiten herabhangenden bunten RoB- 
schweife, die auf den Ursprung des Sch.s als Standarte 
der tiirkischen Reitertruppen hindeuten (im Inventar 
des PreBburger Schlosses wird schon 1527 Ain Turgki- 
schen pusch von rofihar an ain spiefi, wie es die Turgken 
fuern, erwahnt). SeitEnde des 18. Jh. war der Sch., der 
den Militarkapellen vorangetragen wurde, allgemein 
bekannt. In England und Frankreich begann er um die 
Mitte des 19. Jh. (Krimkriege) zu verschwinden ; in 



Deutschland hingegen blieb er bis 1945 das Prunkstiick 
der Infanteriekapellen. Neben den durch Schiitteln zum 
Erklingen gebrachten Sch. trat bald das tragbare, mit 
einem Hammerchen angeschlagene Glockenspiel, die 
-v Lyra (- 4), die als Erinnerung an den Sch. die beiden 
RoBschweife iibernommen hat. RuBland kannte auBer 
dem eigentlichen Sch. die dem Sch. verwandten Losch- 
ky (Loffel). Nach Afrika kam das Instrument durch die 
Kolonialtruppen. In Asien ist es weithin bekannt und 
findet auch in der Kunstmusik Verwendung, z. B. als 
Gentorak in einigen indonesischen -> Gamelans. 

Schellentrommel (auch Tamburin; frz. tambour de 
basque; ital. tamburino; engl. timbrel; heute tambou- 
rine; span. -> pandero; arabisch -> tar), ein im Mittel- 
alter und noch heute in Spanien vorwiegend von 
Frauen gespieltes Volksinstrument, dessen oft gebrauch- 
te Benennungen -> Tambourin (- 1 ; skleine Trom- 
mel^ oder »baskische Trommek (den Basken war das 
Instrument unbekannt) irrefiihrend sind. Die Sch. be- 
steht aus einem einseitig mit einer Membran bespannten 
Holzreifen (seltener Metall, z. B. Messing), in den in 
kleinen Spalten 10-15 Schellen oder Metallplattchen 
eingelassen sind. Der Rahmen ist 6-7 cm hoch, der 
Durchmesser betragt etwa 25-30 cm. Der Klang der 
Sch. ist kurz und trocken, er wird durch das Klirren der 
Schellen oder der gegeneinanderschlagenden Plattchen 
teilweise iiberdeckt. Das Instrument kann durch Schiit- 
teln, Reiben oder Schlagen des Fells sowie durch Schla- 
ge auf den Rahmen gespielt werden. Die Sch. (nicht 
identisch mit dem -»■ Tympanum - 1) erscheint ab 1400 
in ganz Europa auf Engeldarstellungen. Fur den be- 
vorzugten Gebrauch der Sch. in Spanien spricht im 17. 
Jh. sowohl die in Italien um 1600 belegte Charakterisie- 
rung um baletto con sonagline alia spagnuola (Sachs Hdb., 
S. 113) als auch die Bezeichnung Morenpaucklin (Prae- 
torius Synt. II, Tafel XXII). In England kennt Ch. 
Burney noch 1776 drei Bezeichnungen der Sch.: A 
Tambour de Basque, Tabret, or Timbrel, from the picture of 
a Baccante, or female Bachanal, dug out of Herculaneum. 
. . . To the rim were hung bells or pieces of metal {A General 
History . . . I, S. 389, vgl. auch Tafel VI, 7). - Die Sch. 
wird im Orchester vor allem zur Charakterisierung 
exotischen, orientalischen und spanischen Kolorits ver- 
wendet. Beispiele bieten die Zigeunermelodie in C. M. 
v.Webers Preziosa (1821), die Ouvertiire Le Carnaval 
Romain (1844) von Berlioz, Carmen (1875) von Bizet, 
Le desert (1847) von Felicien David, Capriccio espagnol 
(1887) von N. Rimskij-Korsakow, Iberia (191 1) von De- 
bussy und Rapsodie espagnole (1907) von Ravel. 

Scherzo (sk'ertso, ital., Scherz, SpaB), - 1) um 1600 
(wie ->■ Capriccio) ein beliebtes Titelwort fur Samm- 
lungen 3st. Kanzonetten, daneben eine Bezeichnung f iir 
Sologesange iiber kanzonettenartige Texte und fiir In- 
strumentalstiicke unterschiedlicher Art (z. B. Monte- 
verdi 1607 und 1632, A.Brunelli 1614 und 1616, A. 
Troilo 1608, B. Marini 1622 ; ahnlich noch bei J. S. Bach, 
Partita A moll, BWV 827, 6. Satz) ; - 2) ein rascher, 
launiger Satz im 3/4- oder 3/8-Takt mit Trio, der sich 
meist durch ausgepragte rhythmische Eigenwilligkeit 
auszeichnet und der seit Beethoven als Mittelsatz des 
Sonaten-Satzzyklus an die Stelle des ->■ Menuetts trat, 
aus dem er hervorgegangen war. 1781 bezeichnete J. 
Haydn in den Streichquartetten op. 33 Nr 2-6 (Hob. 
Ill, 38-42) erstmals menuettartige Satze als Scherzando 
bzw. Sch. In Haydns friiheren Menuetten sind scher- 
zohafte Elemente (z. B. starke Bewegungskontraste) 
vorgebildet, doch findet sich die Uberschrif t Sch. bzw. 
Scherzando vor op. 33 nur fiir einige Finalsatze im 
2/4-Takt angewendet: Divertimento fiir Kl. F dur 
(Hob. XVI, 9) und Streichquartette op. 3 Nr 5 und 6 



846 



Schlager 



(Hob. Ill, 17 und 18). Wahrend sich Scherzando bei 
den geradtaktigen Satzen mehr auf den Charakter 
(scherzhaft, tandelnd) bezieht und auch als Interpre- 
tationshinweis gelten kann (Allegretto scherzando), ist 
mit der Uberschrift Sch. in op. 33 eher die eigenwillige 
kompositorische Struktur angesprochen. Auch der jun- 
ge Beethoven schrieb 1783 ein (geradtaktiges) Scher- 
zando als Finale seiner Klaviersonate D dur (WoO 47, 
Nr 3). Der geradtaktige »Scherzandotyp« (die Bezeich- 
nungen Sch. und Scherzando werden allerdings nir- 
gends streng geschieden), der in op. 8 als schneller Mit- 
telteil eines Adagios wiederkehrt, muB neben dem von 
Haydn aus dem Menuett abgeleiteten Typ als Wurzel 
des Beethovenschen Sch.s gelten, das sich allerdings 
durch Aufnahme burlesker und symphonischer Ziige 
weitgehend vom Menuett entfernte. Wahrend Haydn 
sich nach op. 33 wieder dem (schnellen) Menuett mit 
Sch.-Elementen zuwandte, bevorzugte Beethoven das 
Sch. und beschrankte in seinen spateren Werken das 
(langsame) Menuett auf den »Graziosotyp«. Schubert 
schrieb Sch. und Menuett nebeneinander. - Die Kom- 
ponisten des 19. Jh. entwickelten das Sch. zu einem Ort 
der freiesten Auspragung des jeweils individuellen Hu- 
mors, erf iillten es auch mit anderen Ideen und Elemen- 
ten verschiedenartigster Herkunft (z. B. schottische 
Volksliedmotive bei Mendelssohn Bartholdy op. 56). 
Hervorzuheben sind die Scherzi der neun Symphonien 
Bruckners und das der 4. Symphonie von Brahms. Aus- 
klang der Gattung bedeuten die Scherzi der 3. bis 5. 
Symphonie von K.A.Hartmann. - 3) Gelegentlich 
wurde Sch. im 19. Jh. auch als Bezeichnung fur vir- 
tuose Klavierstiicke nach Art von Caprices oder Kon- 
zertetiiden gebraucht; bedeutend sind die vier grofien 
Scherzi von Chopin. 

Lit. : zu 2) : G. Becking, Studien zu Beethovens Personal- 
stil. Das Scherzothema, = Abh. d. Sachsischen Staatl. For- 
schungsinst. f. Mw. II, Lpz. 1921 ; A. Adrio, Menuett u. 
Sch., Der Musikerzieher XXXVI, 1940. HHa 

Schisma (griech. externa) ist das Verhaltnis des pytha- 

goreischen zum syntonischen -* Komma (-1 ) : : ^ , 

oder auch das Verhaltnis der reinen groBen Terz iiber 

der 8. Quinte zur 5. Oberoktave: 

/3\8 5 /2>5 32805 ,. az . ,, A 
(t) 'T : (t) =32761 (1.954 Cent). 

Es entspricht angenahert dem Verhaltnis zwischen der 

reinen Quinte und der Quinte der 12stufig gleichschwe- 

benden Temperatur. Das Diaschisma (jfgs) entspricht 
dem Verhaltnis von syntonischem Komma und Sch. 

(so " 12768 ) un< ^ ' st m ' t 19,55 Cent fast genau zehnmal 
so groB wie das Sch. (-> Intervall-Tabelle). 

Schlagel (auch Schlegel, beide Formen gleich iiblich; 
engl. sticks, beaters; frz. baguettes; ital. bacchette, 
battenti) heiBen die 30-40 cm langen, in einen Kopf 
auslaufenden Schlagwerkzeuge, mit denen Pauken, 
Trommeln, Becken und andere Schlaginstrumente ge- 
spielt werden. Neben den noch heute gebrauchlichen 
Schl.n aus Esche, Buche, Rohr oder anderen Materia- 
lien wurden auch kunstvoll geschnitzte oder gedrech- 
selte Schl. aus Elfenbein benutzt. Die wichtigsten heute 
verwendeten Schl.-Arten sind: 1) Pauken-Schl. (zum 
Teil auch fur andere Schlaginstrumente benutzt) : Bei 
den heute ublichen Spieltechniken kommt der Pau- 
ker im wesentlichen mit 5 verschiedenen Schl.n aus: 
Schwamm-Schl., bestehend aus einem mit Schwamm 
uberzogenen Korkkopf ; dieser zuerst von Berlioz ver- 
langte Schl.-Typ wurde bis etwa 1900 gebraucht. Er 
ist heute weitgehend durch den Filz-Schl. ersetzt, den 
es in verschiedenen GroBen und Hartegraden gibt und 



der heute am haufigsten benutzt wird. Sein Anschlag 
erzeugt im Forte wie im Piano einen weichen und run- 
den Klang. Der Stiel des Filz-Schl. s besteht meist aus 
Rohr von ca. 8-10 mm Starke; umdieamEndeaufge- 
setzte Holz- oder Korkkugel wird der Filz in mehreren 
Lagen gezogen und am Stock vernaht. Hartiilz-Schl. 
eignen sich besonders gut f Cir die Erzeugung von ober- 
tonarmen Anschlagen und konnen sogar den Holz- 
Schl. ersetzen. Kork-Schl. werden nur noch selten ge- 
braucht. AuBer den Holz-Schl.n werden auch noch 
Leder-Schl. benutzt (schon von Kastner, Methode de 
timbates, 1845, beschrieben), deren Lederiiberzug ein- 
fach oder doppelt auf den Holzkopf aufgezogen ist. 
2)Trommelst6cke,dunneHartholz-Schl.,derenSchlag- 
ende sich zunachst verengt und dann in einen koni- 
schen Kopf auslauft. 3) Vibraphon-Schl., in der Aus- 
f iihrung fur »hartes« Spiel mit Hartgummikopfen ver- 
sehen, fiir »weiches« Spiel mit Wollgarn in mehreren 
Lagen umwickelt. 4) Triangelstab, ein diinner Stahl- 
stab, der an einem Ende konisch auslauft. 5) Schl. fiir 
groBe Trommel, bestehend aus einem zylindrischen 
Hartfilzkopf mit kurzem Stiel; fiir besonders weiches 
Spiel werden Schl. mit Kugelkopfen verwendet. Die 
Ausfiihrung des Wirbels geschieht mit 2 Schl.n oder 
mit einem Schl., der 2 Kopfe hat. Als Schlagwerkzeug 
der groBen Trommel ist auch die -> Rute bekannt. - 
Schl., mit denen das -» Cimbalom und das ->• Xylo- 
phon gespielt werden, heiBen Kloppel. Ein zum In- 
strumentarium der Tanz- und Unterhaltungsmusik ge- 
horendes Schlagwerkzeug ist der Jazzbesen (-»■ Besen). 

Schlager ist um 1880 in Wien als Schlagwort fiir eine 
ziindende (»einschlagende«) Melodie aufgekommen 
und wurde dann auch im weiteren deutschen Sprach- 
gebiet eingefiihrt als Bezeichnung vor allem fiir Ge- 
sangstiicke (meist aus Opern oder Operetten, z. B. 
Couplets, Chansons, Lieder, textierte Marsche), die 
popular waren oder wurden und die dabei ihrer Her- 
kunft und urspriinglichen Bestimmung entfremdet 
werden konnten. In der Folgezeit entstanden zuneh- 
mend auch eigenstandige Musikstiicke, die als Schl. be- 
zeichnet wurden, weil sie eine populare Wirkung aus- 
iibten oder ausiiben sollten. Aber erst durch Schall- 
platte, Rundfunk, Film, Music box und Fernsehen 
konnte der Schl. auf breiteste Publikumsschichten wir- 
ken; dadurch erfuhren Schl.-Produktion und Schl.- 
Konsum machtige Forderung. Im 20. Jh. ist der Schl. 
neben dem Jazz das musikalische Phanomen mit der 
groBten internationalen Breitenwirkung. Popularitat, 
meist kurzlebige Aktualitat, Uniiberschaubarkeit der 
Menge im Angebot und jene Art von Erfolg, fiir die 
die gewohnten Kriterien der musikalischen Qualitat 
nicht ausschlaggebend sind, gehoren zu den Eigenhei- 
ten des Schl.s und erschweren seine kunstmaBige Be- 
wertung. - Der Erfolg eines Schl.s wird heute auf kom- 
merzieller Basis gemessen, namlich am Verkaufsergeb- 
nis der Schallplatten (nicht mehr an dem der Noten), 
an der Zahl der Auffiihrungen durch Kapellen oder 
Sendungen durch den Rundfunk und an den Einspiel- 
ergebnissen der -*■ Music boxes ; die Ergebnisse werden 
offentlich bekanntgemacht (Schl.-Paraden im Rund- 
funk und Fernsehen, Uberreichung von sGoldenen 
Schallplatten«, Schl .-Festivals). Das englische Wort hit 
(s. v. w. Treffer, Schl.) ist zur Bezeichnung fiir erfolg- 
reiche Schl. auch in Deutschland eingefiihrt. Werke, 
die den Tageserfolg iiberdauern, werden auf dem 
Gebiet der Unterhaltungsmusik »Standardwerke«, auf 
dem der Tanzmusik Evergreens genannt (in Fachkrei- 
sen, z. B. der GEMA, ist mit diesen Bezeichnungen ei- 
ne bestimmte Klassifizierung verbunden) . Zur Bezeich- 
nung eines Schl.s, der sich gewisser sentimentaler Mit- 



847 



Schlager 



tel iibersteigert bedient, ist das Wort »Schnulze« auf- 
gekommen, ohne daB diese abwertende Benennung 
den Publikumserfolg dieser Art Schl. zu schmalern 
vermochte. 

Der Schl. kann weder musikalisch noch literarisch als 
eigene Gattung begriffen werden. Jedes Musikstiick, 
das die dem Schl. eigene Wirkung hat oder intendiert, 
kann als Schl. bezeichnet werden. Die Aktualitat for- 
dert vom »Texter« wie vom Komponisten, sich den 
modischen Geschmacksrichtungen, Gesinnungen und 
Wunschvorstellungen anzupassen, damit der Schl. »an- 
kommt«. Die relativ begrenzten, aber konstanten 
Grundthemen der Texte (Liebe, Fernweh, Heimweh, 
alltagliches Gliick usw.) teilt der Schl. weitgehend mit 
der volksnahen Lyrik aller Lander und Zeiten, ist aber 
von dieser dadurch unterschieden, daB diese Grund- 
themen bewuBt auf den jeweils herrschenden Zeitgeist 
hin spezifiziert werden. Das Grundmotiv Fernweh, 
Wanderlust z. B. wird dem modernen Tourismus an- 
gepaBt. In den Kriegszeiten hat der Schl. heroisierte 
Themen gewahlt, indem er z. B. das Grundmotiv Lie- 
be als Soldatenliebe variiert und dabei einen patrioti- 
schen Charakter annimmt. Auch melodisch, harmo- 
nisch und rhythmisch benutzt der Schl. gangige For- 
meln, die zum Teil in Modetanzen und in der jeweils 
herrschenden Spielweise des Jazz vorgebildet sind. Ih- 
ren Schl.-Charakter, zumal das Schl.-Raffinement, er- 
halten die Stiicke jedoch recht eigentlich erst durch das 
Arrangement, den Vortragsstil des Sangers und durch 
den »Sound« der Kapelle, meist unter Verwendung 
modernster Aufnahmetechniken. Fiir besonders be- 
liebte Vorwiirfe gibt es standardisierte Einkleidungen 
(Siidsee: Hawaiigitarre; sudeuropaische Lander: Gi- 
tarren und Mandolinen; Paris: Musettewalzer). - Die 
weitaus iiberwiegende Zahl der Schl. ist textiert; rein 
instrumental erscheinen sie meistens erst dann (auch in 
Potpourris), wenn sie den Hohepunkt ihres Erfolges 
iiberschritten haben und der Text dem Publikum so 
vertraut ist, daB es ihn beim Hbren mitdenken kann. 
Ein Schl. wird oft gepragt und iiberhaupt erst zum Er- 
folgs-Schl. durch den Sanger, der ihn kreiert, denn er 
wird weniger nur gesungen als vielmehr in iiberstei- 
gerterErlebensmanier vorgetragen (schmachtend, ver- 
f iihrerisch, schmissig, frech, verzweifelt, naiv) und vom 
Horer mit der Person des Interpreten weitgehend iden- 
tifiziert. - Beispiele fiir erfolgreiche Schl. in Deutsch- 
land (nach E.Schulze in: Festprogratnm Deutsche Schl- 
Festspiele 1962), entstanden vor der Jahrhundertwen- 
de: Waldeslust; Fischerin, du Kleine. - Aus der Zeit 
bis nach dem 1. Weltkrieg: Gluhwurmchen; Vilja-Lied; 
Auf der Reeperbahn; Das war in Schoneberg; Im Prater 
bliihn wieder die Baume. - Ausgerech.net Bananen (1923) ; 
Ramona (1927); Charmaine; Ich kiisse Ihre Hand, Ma- 
dame (1928); In einer kleinen Konditorei; Wenn der weifie 
Flieder wieder bliiht; Schoner Gigolo, armer Gigolo (1929) ; 
Sonny Boy (1929) ; O Donna Clara (1930) ; Das gibt' s nur 
einmal (1931) ; Hein spielt abends so schon auf dem Schiffer- 
klavier (1934) ; Du kannst nicht treu sein (1935) ; Bel ami 
(1939); Esgeht alles voruber (1942) ; Caprifischer (1946); 
Harry-Lime-Theme (Der Dritte Mann), nicht textiert 
(1950) ; C'est si bon (1951) ; O mein Papa (1955) ; Dort wo 
die Blumen bliihn (1957); Milord (1960). - Zu den be- 
kanntesten, teilweise schon »historisch« gewordenen 
Schl.-Sangern zahlen: Lale Andersen (Lili Marleen); 
Charles Aznavour (II faut savoir; Les deux Guitares); 
Gus Backus (Come Go With Me); Gilbert Becaud (Le 
jour ou la pluie viendra) ; Harry Belaf onte (Banana-Boat) ; 
Fred Bertelmann (Der lachende Vagabund); Maurice 
Chevalier (Chapeau de Zozo); Bing Crosby (White 
Christmas) ; Doris Day (I've Got My Love) ; Marlene 
Dietrich (Ich bin von Kopfbis FufS . . .); Peter Igelhoff 



(Der Onkel Doktor hatgesagi); Al Jolson (Sonny Boy); 
Evelyn Kunneke (Sing, Nachtigall, sing) ; Zarah Leander 
(Kann denn Liebe Siinde sein) ; Edith Piaf (Milord) ; Elvis 
Presley (Wooden Heart); Freddy Quinn (Junge, komm 
bald wieder) ; Paul Robeson (OV Man River) ; Tino Rossi 
(Tarantella); Rudi Schuricke (Caprifischer); Frank Si- 
natra (Young at Heart); Richard Tauber (Dein ist mein 
games Herz); Catarina Valente (Ganz Paris traumt von 
der Liebe). 

Lit. : A. Penkert, Das Gassenlied, Lpz. 1911; »Die Schl.- 
Seuche«, AMZ LIV, 1 927 ; A. Albers, Psychologie d. Schl., 
in: Buchhandler-Taschenbuch, Stuttgart 1928; Th. (Wie- 
sengrund-)Adorno, Schlageranalysen, MusikblStter d. 
Anbruchs XI, 1929; F. Gunther, Schl., Mk XXIII, 1930/ 
31 ; H. Connor, Schlagerindustrieim Rundfunk, Weltbiih- 
ne XXVII, 1931 ; ders., Haben Schl. kiinstlerischen Wert?, 
Mk XXIV, 1931/32; O. Sonnen, Was ist ein Schl. ?, AMZ 
LVIII, 1931 ; W. Haas, Das Schlagerbuch, = List-Biicher 
CI, Munchen (1957) ; E. Haupt, Stil- und sprachkundliche 
Untersuchungen zum deutschen Schl., Diss. Munchen 
1957, maschr.; A. M. Rabenalt, Die Schnulze, Icking 
1959 ; S. Schmidt- Joos, geschafte mit schl., = Das Aktuel- 
leThema II, Bremen (1960); B. Binkowski, Ist d. Schl. d. 
Volkslied unserer Zeit ?, in : Musik u. Bildung unserer Zeit, 
hrsg. v. E. Kraus, Mainz 1961 ; ders., Fur und wider d. 
Schl., Musik im Unterricht (Ausg. B) IV, 1961 ; H. Chr. 
Worbs, Der Schl., Bremen 1963; G. Weise, Zum Schl. v. 
heute, Kulturarbeit XVIII, 1966. HOC 

Schlaginstrumente, auch Perkussionsinstrumente 
(engl. percussion instruments; frz. instruments a per- 
cussion), sind Instrumente, bei denen der Ton durch 
Schlagen oder eine verwandte Bewegung (Stampfen, 
Schiitteln, Schrapen, ReiBen) erzeugt wird. Neben der 
Mehrzahl der -> Idiophone und -*■ Membranophone 
sind auch einige -»■ Chordophone (Hackbrett, Ham- 
merklavier) zu den Schl.n zu zahlen. Unter den Schl.n 
wird weiter unterschieden nach abgestimmten, wie 
-> Glocke, ->• Pauke, -> Xylophon, und nicht abge- 
stimmten (Gerauschinstrumenten), wie -> AmboB, 
-> Becken, -»■ Claves, -»■ Gong, -> Holzblock, -> Klap- 
pern, -> Triangel, -»■ Trommel. Schl. gehoren als Ge- 
rausch- oder Rhythmusinstrumente zum altesten und 
primitivsten Instrumentarium, finden sich aber auch in 
Hochkulturen einiger Zonen der Erde (Alter Orient, 
Negerafrika, Siidsee). -»■ Schlagzeug. 

Schlagzeug (engl. percussion ; frz. batterie, percussion; 
ital. batteria, percussione), die dritte Hauptgruppe 
im Orchester neben den Streich- und den Blasinstru- 
menten. Zum Schl. zahlen heute nicht nur die eigent- 
lichen -»■ Schlaginstrumente (auBer der Pauke), son- 
dern auch Schrap- (-> Guiro, ->• Ratsche), Schiittel- 
(->■ Rassel, -»• Maracas, -> Schellen) und gewisse Ta- 
steninstrumente (Klaviaturglockenspiel). Die -> Pau- 
ken werden in der Orchesterpraxis im allgemeinen 
nicht als zum Schl. im engeren Sinne gehorend ange- 
sehen; sie gelten iiberwiegend als FundamentalbaBin- 
strument. GroBe und kleine Trommel, Becken und 
Triangel fandenEnde des 18. Jh. als ->Janitscharenmu- 
sik Eingang in die Kunstmusik; sie wurden zunachst 
gesondert notiert (-»■ Partitino). In der -»■ Parti tur wird 
das Schl. unter den Pauken (die den Blechblasern zu- 
geordnet sind) eingefiigt. Seit der Mitte des 19. Jh. 
wurde das Schl. zunachst zogernd, nach 1900 zuneh- 
mend starker erweitert, durch technische Verbesserung 
und Vermehrung der vorhandenen sowie durch Auf- 
nahme neuer Instrumente, wie -> AmboB, -*■ Flexaton, 
Glocken (-> Rbhrenglocken), -> Gong (-> Tamtam), 
->• Klappern, -> Schellen, -> Vibraphon, -> Xylo- 
phon, auch folkloristischer Instrumente zu koloristi- 
schen Zwecken wie -»■ Kastagnetten, -»■ Peitsche und 
-> Schellentrommel. Bei R.Strauss, Puccini, Mahler, 
Debussy, Strawinsky, Bartok u. a. durchkreuzt und 



848 



Schleswig-Holstein 



erganzt sich die Verwendung des Schl.s als Rhythmus- 
und als Gerauschinstrumentarium. Stark auf den Ge- 
rauschanteil ausgerichtet war die Schl.-Musik in den 
USA der 1930er Jahre (u. a. ->■ Varese, Cowell), die in 
Europa allgemein erst urn 1960 voriibergehend nach- 
geahmt wurde (Schl.-Kompositionen von Boulez, 
Henze u. a.). Solistisch ist das Schl. z. B. bei Milhaud 
(Concerto pour batterie, 1930), Bartok (Sonate fiir 2 Kl. 
und Schl., 1937) und Stockhausen (Zyklus fur einen 
Schlagzeuger, 1959) eingesetzt. Das massiert und in er- 
ster Linie als Rhythmusinstrument verwendete Schl. 
kann kompositorisch dem Ausdruck des Urtumlichen, 
Archaischen dienen (Orff, Antigonae, 1949). Imjazz ge- 
hbrt das Schl. (grofie Trommel, Becken, -> Hi-hat) als 
Drum set zur Rhythm section, dem Trager des Grund- 
rhythmus und des -> Beat (- 1). 
Lit.: J. Dutton, Survey of Mallet Instr., in: The Instru- 
mentalist V, 1950; O. Link, Etwas iiber d. Herstellung d. 
Schl., Musikhandel IV, 1953; W. Wortmann, Schulen f. 
Schlaginstr. , ebenda VI, 1 955 ; Br. Spinney, Encyclopaedia 
of Percussion Instr. and Drumming I, Book A, Hollywood 
(Calif.) 1955; E. Elsenaar, De geschiedenis d. slaginstr., 
Hilversum 1956; A. A. Shivas, The Art of Tympanist and 
Drummer, London 1957 ; H. Kunitz, Die Instrumentation 
X (Schlaginstr.), Lpz. 1960; J. Blades, Orchestral Per- 
cussion Technique, London 1961 ; Chr. Castel, Notation 
f . Schl., in : Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik IX, Mainz 
(1956); Wl. Kotonski, Instr. perkusyjne we wspolczesnej 
orkiestrze, Krakau (1963), deutsch als : Schlaginstr. im mo- 
dernen OrCh., Mainz 1967. 

Schlegel-> Schlagel. 

Schleifen, binden (legatissimo), haufige Bezeichnung 
in deutschen Lehrbiichern des 18. Jh. 

Schleifer (frz. coule, tierce coulee, coulement, port de 
voix double; engl. slide, friiher elevation, whole-fall, 
slur, double back-fall), ein Vorschlag mit zwei oder 
mehr stufenweise auf-(oder auch ab-)steigenden No- 
ten, der eine ahnliche Entwicklung durchmachte wie 
der einfache -> Vorschlag. Die Ausfiihrung vor dem 
Schlag findet sich noch bei J. G. Walther (Praecepta der 
MusicalischenComposition, 1708). Auf Tasteninstrumen- 
ten kann die Terz des Schl.s ausgehalten werden, be- 
sonders beim Cembalo zwecks starkerer Betonung der 
Harmonie (Beispiel a nachj. Ch. Chambonnieres, b nach 
J.H.d'Anglebert): 




Coule Coule sur autre sur 2 notes autre 
une tierce de suite 




Im 18. Jh. kommt - ahnlich wie beim ->■ Anschlag (-1) 
- neben dem kurzen (unpunktierten) auch der lange 
(punktierte) Schl. auf (Beispiel nach C.Ph.E.Bach): 



fEfEjES 



^Pf 



m 



rrrrr 



• 



m 






rrrtr 



m 



In deutschen Kompositionen des 18. Jh. (haufig bei J. S. 
Bach) findet sich vielfach das Zeichen «*• fiir den Schl. 



Die schl.-ahnliche Verzierung * -S"p ist eher ein -»■ An- 
schlag (- 1) mit einer zusatzlichen 3. Vorschlagsnote 
oder ein umgekehrter -»■ Doppelschlag. 



Schleiflade -> Windlade. 

Schlesien. 

Ausg. : Schlesische Volkslieder mit Melodien, hrsg. v. A. 
H. Hoffmann v. Fallersleben u. E. Richter, Lpz. 1842; 
PieSni ludu polskiego w Gornym Szlqsku z muzyka. (»Lie- 
der mit Musik d. polnischen Volkes aus Oberschl.«), 
hrsg. v. J. Roger, Breslau 1 863 ; Volkslieder d. Grafschaft 
Glatz, hrsg. v. G. Amft, Habelschwerdt 1911 ; PieSni ludo- 
we z polskiego Slaska (»Volkslieder aus Polnisch-Schl.«), 
hrsg. v. J. St. Bystron, Bd I, Krakau (1934), Bd II u. Ill, 1 
hrsg. v. J. Ligeza u. St. M. Stoinski, Krakau (1938-39), 
Bd III, 2 hrsg. v. J. Ligeza u. Fr. Ryling, Kattowitz 
1961 ; Das Glogauer Liederbuch, hrsg. v. H. Ringmann u. 
J. Klapper, 2 Bde, = RD IV u. VIII (Abt. MA I-II), Kas- 
sel 1936-37; Piesni ludowe Sla_ska Opolskiego (»Volkslie- 
der aus d. Oppelner Schl.«), hrsg. v. A. Dygacz u. J. Li- 
geza, Krakau 1954; Dolnoslqskie piesni ludowe (»Nieder- 
schlesische Volkslieder«), hrsg. v. J. Majchrzak, Breslau 
1955; A. Dygacz, Spiewnik Opolski (»Oppelner Lieder- 
buch«), Kattowitz 1956; ders., PieSni gornicze. Studium 
i materiary (»Bergmannslieder . . .«), ebenda 1960; Piesni 
ludowe Sla.ska Opolskiego (»Volkslieder aus d. Oppelner 
Schl.«), hrsg. v. J. Tacina, ebenda 1963. 
Lit. : J. Hubner, Bibliogr. d. schlesischen Musik- u. Thea- 
terwesens, = Schlesische Bibliogr. VI, 2, Breslau 1934; W. 
Salmen, Das Erbe d. ostdeutschen Volksgesanges, Gesch. 
u. Verz. seiner Quellen u. Slgen, = Marburger Ostfor- 
schungen VI, Wurzburg 1956. - C. J. A. Hoffmann, Die 
Tonkiinstler Schl., Breslau 1830; K. Kossmaly, Schlesi- 
sches Tonkiinstler-Lexikon . . ., 4 Bde, Breslau 1846-47; 
H. Kretzschmar, Musikgeschichtliche Stichproben aus 
deutscher Laienlit. d. 16. Jh., Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 
1910; H. E. Guckel, Kath. Kirchenmusik in Schl., Lpz. 
1912; Fr. Gunther, Die schlesische Volksliedforschung, 
Breslau 1916; E. Kirsch, Die musikhist. Bedeutung d. 
Slg d. Akademischen Inst. f. Kirchenmusik bei d. Univ. 
.... Diss. Breslau 1922; Fr. Muller-Prem, Das Musik- 
leben am Hofe d. Herzoge v. Wurttemberg in Carlsruhe in 

Oberschl Diss. Breslau 1922, maschr.; L. Burgemei- 

ster, Der Orgelbau in Schl., StraBburg 1925 ; J. Wt. Reiss, 
Socjologiczne podloze §la.skiej piesni ludowej (»Soziologi- 
sche Grundlagen d. schlesischen Volksgesanges«), Katto- 
witz 1935; N. Hampel, Deutschsprachige protestantische 
Kirchenmusik Schl. bis zum Einbruch d. Monodie, Diss. 
Breslau 1937; Fr. Feldmann, Musik u. Musikpflege imma. 
Schl., = Darstellungen u. Quellen zur schlesischen Gesch. 
XXXVII, Breslau 1938; A. Schmitz, Musik im ma. Schl., 
in: Gesch. Schl. I, Breslau 1938, neu bearb. (mit Fr. Feld- 
mann), Stuttgart 1961 ; H. Matzke, MusiklandSchl., Kon- 
stanz 1 949; W. Salmen, Die Schichtung d. ma. Musikkultur 
in d. ostdeutschen Grenzlage, = Die Musik im alten u. 
neuen Europa II, Kassel 1954; M. J. Michalowski, Syl- 
wetki kompozytorow sla.skich (»Schlesische Komponi- 
sten«), in: Ksi?ga pami^tkowa jubileuszowego zjazdu 
spiewakow Sla.skich w roku 1960, Kattowitz 1960; B. 
Zakrzewski, Sl^ska piesh ludowa w zbiorach z okresu 
romantyzmu (»Das schlesische Volkslied in d. Slgen d. 
Romantik«), = Travaux de la Soc. des Sciences et des 
Lettres de Wroclaw, Serie A, Nr 85, Breslau 1962 (Zusam- 
menfassung in deutscher Sprache); J. Fojcik, Materiary do 
dziejow ruchu Spiewaczego na Slasku (»Materialien zur 
Gesch. d. Singbewegung in Schl.«), Kattowitz 1964. 

Schleswig-Holstein. 

Lit. : H. Fey, Schl.-H.sche Musiker v. d. altesten Zeiten bis 
zur Gegenwart, Hbg 1922; ders., Bilder aus d. Mg. Schl.- 
H., 1965; B. Engelke, Musik u. Musiker am Gottorfer 
Hofe I: Die Zeit d. engl. Komodianten (1590-1627), 
= Schrif ten d. baltischen Kommission zu Kiel XII, 1 , 
Breslau 1930; H. Schilling, T. Eniccelius, Fr. Meister, N. 
Hanff. Ein Beitr. zur Gesch. d. ev. Friihkantate in Schl.-H., 
Diss. Kiel 1937; M. Kuckei, Vom Volkslied in Schl.-H., 
Hbg 1940; G. Hahne, Die Bachtradition in Schl.-H. u. 
Danemark, = Schriften d. Landesinst. f. Musikforschung 
Kiel III, Kassel 1954; J. Fries, Die deutsche Kirchenlied- 
dichtung in Schl.-H. im 17. Jh., Diss. Kiel 1964, maschr.; 
Musikerziehung in Schl.-H., hrsg. v. C. Dahlhaus u. W. 
Wiora, = Kieler Schriften zur Mw. XVII, Kassel 1965 ; W. 
Wittrock, Volkslieder in Schl.-H., in: Norddeutsche u. 
nordcuropaischc Musik, ebenda XVI, 1965. 



54 



849 



Schlitztrommel 



Schlitztrommel (engl. slit-gong oder slit-drum; frz. 
tambour de bois ; ital. tamburo di lanna), ein Aufschlag- 
idiophon (oft auch als Holztrommel bezeichnet), das 
seinem Klang und der Tonerzeugung nach dem Gong 
oderXylophonnaherstehtalsdeneigentlichen->-Trom- 
mel-Instrumenten. In unterschiedlicher GroBe (50 cm- 
10 m) und Form (z. B. als Glocke, Handtrommel) laBt 
sich die Schl. in fast alien Kulturen Ostasiens, Ozeaniens, 
Afrikas und Siidamerikas nachweisen. Die primitivste 
Form stellt ein iiber eine Grube gelegter ausgehohlter 
Baumstamm dar, wie er z. B. bei den Uitoto-Indianern 
noch in Gebrauch ist (Bose). Schaeffner (1936) leitet 
die Urform der Schl. von der Form eines Schiffes (Pi- 
rogge) her und beschreibt das Instrument als einen aus- 
gehohlten Baumstamm mit oder ohne Haltegriff ; das 
mexikanisch-aztekische Instrument (teponaztli) besitzt 
zwei Zungen, die, jeweils von der Schmalseite des 
Schlitzes ausgehend, sich in der Mitte beinahe treffen, 
so daB ein H-formiger Schlitz entsteht. Die Aushoh- 
lung erf olgt bei alien Formen durch den Schlitz, dessen 
Rander von verschiedener Dicke sind und beim Schla- 
gen verschiedene Tonhohen ermoglichen. Die Schl. 
findet besonders als Kultinstrument Verwendung; sie 
ist daher oft mit geschnitzten Gotter- oder Damo- 
nenbildern versehen. Als Sprechtrommel (engl. talking 
drum), auf der komplizierte Trommelsprachen ausge- 
fiihrt werden konnen, dient sie der Nachrichtenuber- 
mittlung. - In das moderne Orchester ist die Schl. von 
Orff (Antigonae, 1949) eingefiihrt worden; neben ihm 
verwenden Stockhausen (Gruppenfiir 3 Orch., 1957) 
undNono (Diariopolacco, 1958) das Instrument. DieNo- 
tation des meist doppelt (bei Nono 4fach) besetzten 
Idiophons erfolgt auf einer Linie ohne Schliissel. Als 
Schlagel werdenje nach denErfordernissen dicke Holz- 
schlagel, Gummischlagel und solche mit Filz- und 
Kautschukkopf verwendet. Als Klangersatz dienen 
-*■ Holz-, -> Tempelblocke oder -» Tom-Tom. 
Lit. : C. Sachs, Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, 
Nachdruck Hilversum 1965 ; St. Chauvet, Musique negre, 
Paris 1929; D. Castaneda u. V. T. Mendoza, Los tepo- 
nazlis en las civilizaciones precortesianas, Anales del Mu- 
seo Nacional de arquelogia, hist, y etnografia VIII (Cuarta 
epoca), 1933; Fr. Bose, Die Musik d. Uitoto, Zs. f. ver- 
gleichende Mw. II, 1934; ders., Mus. Volkerkunde, Frei- 
burg i. Br. 1953; A. Schaeffner, Origine des instr. de 
musique, Paris 1936; A. Steinmann, t)ber anthropo- 
morphe Schl. in Indonesien, Anthropos XXXIII, 1938 ; W. 
Heinitz, Probleme d. afrikanischen Trommelsprache, 
Beitr. zur Kolonialforschung IV, 1943; E. Hermann, 
Schallsignalsprachen in Melanesien u. Afrika, = Nach- 
richten v. d. Akad. d. Wiss. in Gottingen, Phil.-hist. Klas- 
se, Jg. 1943, Nr 5; W. Graf, Einige Bemerkungen zur 
Schl.-Verstandigung in Neuguinea, Anthropos XLV, 1950 ; 
H. Fischer, Schallgerate in Ozeanien, = Slg mw. Abh. 
XXXVI, StraBburg u. Baden-Baden 1958; R. Brandel, 
The Music of Central Africa, Den Haag 1961 ; C. Laufer, 
Gebrauche bei Herstellung einer melanesischen Schl., An- 
thropos LVI, 1961. 

Schliissel (lat. clavis, clavis signata; ital. chiave; frz. 
und engl. clef) heiBen die Tonbuchstaben und die aus 
ihnen entwickelten Zeichen, die innerhalb eines Linien- 
systems durch Identifizierung bestimmter Tone mit 
bestimmten Linien die Tonhohenordnung fixieren. 
Die wichtigsten Schl.-Arten sind: g 1 -Schl., f-Schl., c 1 - 
Schl. Andere Arten, die in der Geschichte der Notation 
auftraten (r-Schl., dd-Schl.), erlangten keine prakti- 
sche Bedeutung. Der gi-Schl. tritt auf als Franzosischer 



Violin-Schl. 



£= . Violin-Schl. jb^ 



Der f-Schl. 



erscheint als Bariton-Schl. I *)'■* , BaB-Schl. "'* , 
-«)r*- ■* 

SubbaB-Schl. j/ . Den c!-Schl. gibt es als Sopran- 



(Diskant-)Schl. jgp= , Mezzosopran-Schl. -IIU-*- , Alt- 

(Bratschen-)Schl. Hf^ , Tenor-Schl. W^ , Bariton- 
JIP, 

Schl. II d& = 

Die bis heute giiltige exakte Zusammenordnung von 
Notenzeichen und Tonbuchstaben (Schl.n) innerhalb 
eines Liniensy stems schuf Guido von Arezzo (um 1025). 
Tonbuchstaben und -> Liniensystem sind vorguido- 
nisch. Aber erst Guidos Neuerungen : terzweiser Auf- 
bau des Liniensystems mit vorangesetzten Tonbuchsta- 
ben (Guido: litterae, spater: claves) C und F so wie mit 
gelber (C-) und roter (F-)Linie ergaben die vollkom- 
mene Fixierung der Tonhohen. Guidos Auswahl der 
durch ahnliche Tonqualitat gekennzeichneten Litterae 
C und F ist mehrfacb. zu begriinden: beide markieren 
die diatonischen Halbtonstufen (h-c, e-f), beide spielen 
als Grenztone der Vox organalis in Guidos ->• Orga- 
num (occursus) eine wichtige Rolle (Micrologus, Cap. 
XVIII) ; Guido selbst nennt als Grand ihre Haufigkeit 
in der Melodik des Chorals (GS II, 30). Von den beiden 
bei Guido kombinierten Mitteln der Tonhohenfixie- 
rung bestimmte das der Litterae (claves) die Notations- 
entwicklung. Die Farbung der Linien (color) trat all- 
mahlich zuriick, wenn sie sich auch vor allem in deut- 
schen Choralhandschriften bis ins 15. Jh. erhielt. Die 
Entwicklung der Schliisselung lafit sich als Vorgang 
der Rationalisierung beschreiben: aus der Kennzeich- 
nung jedes Liniensystems durch mehrere Litterae 
(Quint-, Quart-Quint-, Quint-Quint-Abstand) ent- 
wickelte sich die Schliisselung durch eine einzige Cla- 
vis; dabei entstanden durch Beschrankung auf wenige 
Schl. gewisse Schl.-Typen, die in bestimmten Kombi- 
nationen in Abhangigkeit von Stimm- und Instrumen- 
tallagen bevorzugt auftreten. Aus diesen Schl.-Typen 
erfolgte eine Auswahl mit dem Ziel der Festlegung je- 
des Zeichens auf nur eine bestimmte Linie. - Die »gui- 
donischen« Choralhandschriften des 11. und 12. Jh. zei- 
gen groBe Freiheiten in Art und Zahl der Litterae, al- 
lerdings unter deutlicher Prioritat von F und c. Eine 
statistische Untersuchung dieser Handschriften ergibt 
die Haufigkeitsfolge FcfCDagerBbb (Smits van 
Waesberghe). Dabei erfolgten Wahl und Wechsel der 
Litterae gemaB dem Prinzip der Vermeidung von 
Hilfslinien nach MaBgabe des Melodieambitus, der 
wiederum in Beziehung stand zum jeweiligen Kirchen- 
ton. - Die Handschriften der Mehrstimmigkeit des 12. 
und 13. Jh. zeigen eine Beschrankung in der Schl- 
Wahl. Die mit Schl.n versehenen St-Martial-Hand- 
schriften ergeben folgendes Bild: Paris, Bibl. Nat., lat. 
3549: Einfach-, Doppel- (Quintabstand) und Dfeifach- 
schliisselung, nur F c g in beiden Stimmen; Paris, Bibl. 
Nat., lat. 3719: Einfach- und Doppelschliisselung 
(Quintabstand), nur F c g in beiden Stimmen; London, 
Brit. Mus., Add. 36881: Einfach-, Doppel- (Quintab- 
stand) und Dreifachschliisselung (Quint-Quint-Ab- 
stand), F c g in alien Stimmen, Unterstimme auch b. 
Die vier groBen ->■ Quellen der Notre-Dame-Musik 
des 13. Jh. (W\, F, Ma, W 2 ) dagegen schliisseln jedes 
System nur noch einfach (Moderni autem non ponunt 
litteras, nisi unam in principio Hncarum, Anonymus IV, 
CS 1, 350b). Der c-Schl. ist deutlich bevorzugt (Ma hat 
nur diesen, W\, F und Wi notieren die 4st. Komposi- 
tionen in alien Stimmen im c-Schl.); der F-Schl. be- 
gegnet nur im Tenor (Ausnahme W\, t. 101, Ober- 
stimme eines 2st. Conductus). Andere Schl. kommen 
kaum vor (W\,i. 59a, D im Tenor aus Platzgriinden; 
im 11. Faszikel einige Male b). - Die im 13. Jh. erreich- 
te Einf achschlusselung unter Vorherrschaf t von F und c 
wurde in den f olgenden Jahrhunderten zum Typensy- 



850 



SchluB 



stem ausgebildet. Neben F und c konnte sich nur der 
g-Schl. behaupten. Der Zusammenhang von Wahl der 
Schl. mit Stimmlage und Melodieambitus wird betont 
(Pro gravibus autem vocibus F, pro acutis c, etpro superacutis 
gponatur, in: Quatuor Principalia, um 1380, CS IV, 226b). 
Jacobus Leodiensis nennt F, c und g in Verbindung 
zu den 3 Hexachorden (CS II, 311b). Im 14.-16. Jh. ist 
selten noch der r-Schl. anzutreffen (so bei Pierre de la 
Rue, H. Heugel ; bei M. Praetorius tritt er mit dem F- 
Schl. kombiniert auf). Sehr selten ist der dd-Schl. (in 
Verbindung mit dem g-Schl.). Innerhalb des F-c(-g)- 
Typensystems kam es in der Vokalpolyphonie bis um 
1600 zur Ausbildung der Normal-Schl. (S. A. T. B.) 
und der -+ Chiavette. Dies geschah gleichzeitig mit 
der Bevorzugung bestimmter Kombinationen (Ehr- 
mann) : Zwei-Schl.-Kombinationen in den 3st. Kom- 
positionen der 1. Halfte des 15. Jh., Drei-Schl.-Kombi- 
nationen der 4st. Kompositionen seit der 2. Halfte des 
15. Jh. Um 1500 wurde die Verwendung von 4 ver- 
schiedenen Schl.n haufiger (Petrucci-Drucke), bis sie 
mit den festen Kombinationen der Normal-Schl. und 
Chiavetten und deren Verschrankungen in der 2. Half- 
te des 16. Jh. iiberwog. Hiermit und durch die Ent- 
wicklung der Instrumentalmusik gewann der g-Schl. 
an Bedeutung: als franzosischer Violin-Schl. steht er 
bei Claude le Jeune und J.-B. Lully fur Violine und 
Blockflote, aber auch in Deutschland, so noch im 18. 
Jh. bei J. S.Bach fur Blockflote (z. B. Brandenburgi- 
sche Konzerte Nr 2 und 4) und hohe Violinlagen (z. B. 
Fuga der Sonate fur V. solo, BWV 1001, oder Bran- 
denburgisches Konzert Nr 1). Sogar auf der 3. Linie 
von unten tritt der g-Schl. vereinzelt auf (G.Rhaw, 
Sacrorum hymnorum Liber primus, 1542). Der (normale) 
Violin-Schl. setzte sich dann in der Instrumentalmusik 
(hohe Instruments) und langsamer auch in der Vokal- 
musik (Oberstimmen) gegenden c-Schl. durch. Im 18. 
Jh. schrieb man im oberen System des Klaviers noch 
den Diskant-Schl. (z. B.J. S.Bach, Klavierbiichlein fiir 
Anna Magdalena, 1722/26, Wohltemperirtes Clavier). 
Den Stand der Entwicklung um 1800 bezeichnet H. 
Chr. Koch : F heut zu Tage nur noch als BaB-Schl. ; c als 
Diskant-Schl., Alt-Schl., Tenor-Schl. ; g nur noch als 
Violin-Schl. (Auch in Clavierstucken wird er bey der Ober- 
stimme anjetzt beynahe durchgangig gebraucht.) Bei der 
Notation von Vokalstimmen in Partituren bleiben die 
c-Schl. noch lange gebrauchlich : Wagner notiert Te- 
norpartien (Tristan, Siegfried, Stolzing) im Tenor- 
Schl., noch Schonbergs Chorwerke op. 27, 28, 50b ha- 
ben Sopran-, Alt-, Tenor-, BaB-Schl. ; dagegen werden 
in Klavierausziigen schon bald nach 1800 Diskant-, Alt- 
und Tenor-Schl. (gelegentlich sogar der BaB-Schl.) 
durch den g-(Violin-)Schl. ersetzt. Welche Partien eine 
Oktave tiefer gelesen werden miissen, ergibt sich aus 
der Personenangabe. In Publikationen von Vokalmusik 
wird der oktavierte Violin-Schl. seit 1900 immer hau- 
figer anstelle des Tenor-Schl. s verwendet; er wird 
kenntlich gemacht durch Doppelschreibung oder einen 
seitlich angesetzten rudimentaren c- 
Schl. (z. B. in italienischen Drucken), 
heute meist durch eine beigestellte 
kleine 8. Bestrebungen, in der ->■ Partitur alle ande- 
ren Schl. auBer dem G-Schl. auszuschliefien (»Ein- 
hcitspartitur«), haben sich dagegen nicht durchsetzen 
konnen. Die heute gebrauchlichen Schl. sind: Violin- 
Schl., BaB-Schl., Alt-Schl. (Bratsche, Altposaune), Te- 
nor-Schl. (Posaune sowie in hohen Lagen Violoncello, 
Fagott und auch - z. B. in Schonbergs op. 9 und op. 
16 - KontrabaB). 

Lit. : KochL, Artikel Noten ; P. Wagner, Einf iihrung in d. 
Gregorianischen Melodien II: Neumenkunde, Lpz. 2 1912, 
Nachdruck Hildesheim u. Wiesbaden 1926; ders., Aus 




d. Fruhzeit d. Liniensystems, AfMw VIII, 1926; WolfN; 
R. Ehrmann, Die Schlusselkombinationen im 15. u. 16. 
Jh., StMw XI, 1924; J. Handschtn, Der Toncharakter, 
Zurich (1948); J. Smits van Waesberghe SJ, The Mus. 
Notation of Guido of Arezzo, MD V, 1 95 1 ; S. Hermelink, 
Dispositiones modorum, = Munchner Veroff. zur Mg. 
IV, Tutzing 1960; J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Wer- 
ken J.-B. Lullys, ebenda VII, 1961 ; ApelN; H. Federho- 
fer, Hohe u. tiefe Schliisselung im 16. Jh., Fs. Fr. Blume, 
Kassel 1963. RB 

Schliisselfiedel (sihwedisch nyckelgiga, nyckelhar- 
pa), eine Fiedel mit 3-4 Saiten und mit Tangentenme- 
chanismus auf dem Hals zum Verkiirzen der Saiten. Das 
Instrument ist bei Virdung 1511, Agricola 1528 und M. 
Praetorius 1619 genannt und abgebildet. In Schweden 
ist die Schl. seit dem 14. Jh. nachweisbar und hat sich 
bis in die Gegenwart auf dem Lande, besonders in 
Uppland, gehalten. 

Lit.: K. P. Leffler, Om nyckelharpospelet pa Skansen, 
Stockholm 1899; C. Claudius, Die schwedische »Nyckel- 
harpa«, Kgr.-Ber. Basel 1906. 

SchluB. Beginnen und SchlieBen sind Grundkatego- 
rien musikalischer Formung. SchlieBen setzt voraus, 
daB eine Idee erschopfend ausgefiihrt ist, so daB der 
Schl. eine Erwartung erfiillt, die durch die Ausfiihrung 
eines Ganzen erzeugt wird. Daher laBt sich vom Schlie- 
Ben her das Ganze erkennen, und die Satz- und Kom- 
positionslehre ist dementsprechend weitgehend eine 
Lehre der SchluBbildung; doch ist die Geschichte des 
SchlieBens noch nicht geschrieben. Die Erwartung des 
Schlusses wird zumeist in einem Akt der SchluBgestal- 
tung noch eigens gesteigert. Zu unterscheiden sind je- 
doch - der Tendenz nach - finale (zielgerichtete) For- 
mung der Komposition, die »schlieBt«, indem sie dem 
Schl. zustrebt und ihn betont; zentrierte (axiale) For- 
mung, die »endet«; bestandig in sich erfullte (kreisen- 
de) Formung, die »aufhort«. 

Unter systematischem Blickpunkt lassen sich Grund- 
satze der SchluBbildung feststellen, die in der Geschich- 
te freilich in unterschiedlichen Graden und verschie- 
denartig ausgepragt sind : a) Anlehnung der SchluBge- 
staltung und ihrer Terminologie an die Redekunst: 
-> Distinctio, -* Punctus (- 1), Clausula (->- Klausel), 
Cadentia (Florentius de Faxolis, Liber musices, ed. A. 
Seay in: Fs. L. Schrade, 1963, S. 88f.), Conclusio, Epi- 
log. Auch z. B. im Heben (-*■ Interrogatio) und Sen- 
ken der Stimme, im Zuriickkehren zum Anfang und 
in derErscheinung des »musikalischen Reims« (gleicher 
-> Reim erklingt in gleicher melodischer Wendung) 
entsprechen einander sprachliches und musikalisches 
SchlieBen. - b) Unterscheidung von Binnen- und End- 
Schl. bzw. von Graden des SchlieBens (-> Kadenz - 1, 
-»- Klausel), melodisch: apertum (ouvert, z. B. der Ton 
fiber der Finalis) und clausum (clos, Finalis), harmo- 
nisch: plagaler (IV-I) und authentischer Schl. (V-I), 
Halb-Schl. (T-D) und Ganz-Schl. (D-T). Erstmals 
iibernahm G. DreBler in seinen Praecepta musicae poeticae 
(1563) in Anlehnung an die Rhetorik die fiir die Musica 
poetica bezeichnende Lehre des Bildens von exordium, 
medium und finis ; dabei handelt das Kapitel De consti- 
tuendofine (erweitert bei J. A. Herbst 1 643) iiber die un- 
terschiedliche SchluBkraft tonal verschiedener Klauseln 
(clausula regularis und irregularis). - c) Gestaltung des 
SchlieBens betont als »Spannung« (Stauung, Erwar- 
tung) und »L6sung«, wobei der Schl. selbst (-> Fina- 
lis - 2, ->• Confinalis ; ultima vox) durch unzweideuti- 
ges Hervortreten des sinnstiftenden Bezugspols der 
Musik das Geschehen zur Ruhe kommen laBt bzw. zu- 
gleich das Ziel einer Entwicklung darstellt (Beethoven, 
1. Symphonie, C dur-Schl. des 1. Satzes), wahrend der 
Ort vor dem Schl. (paenultima vox) ausgezeichnet 



54* 



851 



SchluB 



wird z. B. durch besonders intensive Dissonanzen (Et 
quidam boni organistae libentius ponunt discordantias in 
paenultimis . . ., Anonymus IV, CS 1, 364), durch Melis- 
ma (-> Cauda - 2), -> Orgelpunkt, Engfiihrung, vir- 
tuose -»■ Kadenz (- 2). - d) Unterstreichen der SchluB- 
wirkung durch Beschleunigung (-► Copula als Schl. 
einer Discantuspartie; -*■ Stretta - 2), Crescendo, Re- 
tardieren, -*■ Fermate, Verklingen, Anhangen (-> An- 
schluB-Motiv). - e) Gestaltung von Oberraschungsmo- 
menten, indem die Erwartung des Schlusses getauscht 
wird (->• Trug-Schl.; -»■ Abruptio, auch -» Ellipsis; 
-* Apqkope). - f) Oberspielen von SchluBwendungen 
durch Uberlappungstechniken und Uberschneidungen 
(-»■ Verschrankung) ; Gestaltungen ohne Schl. : Zirkel- 
kanon (-> Kanon - 3), -*■ Radel. - g) Ausbildung des 
Schlusses als eigener Satzteil (-*■ Coda, -* Epilog, -*- Li- 
cenza - 1) oder als abschlieBender Teil einer (zyklischen) 
Folge von Satzen (-> Conclusion, -> Finale - 1). 
Die Geschichte des SchlieBens spiegelt die Geschichte 
der Komposition in einer wesentlichen und konstanten 
Aufgabe der musikalischen Formung. Eine SchluBlehre 
des 1st. Gesanges bietet Odos Dialogus de musica (GS I, 
257f .) : die Tone, die die Abschnitte (distinctiones) be- 
enden, sollen vornehmlich mit dem SchluBton des Ge- 
sangs iibereinstimmen, bzw. der Gesang gehort der 
Tonart an, den die Mehrheit der Abschnittsschliisse aus- 
pragt; Guido von Arezzo (Micrologus, CSM IV, 139ff.) 
raumte dem SchluBton die Herrschaft iiber den gesam- 
ten Melodieverlauf ein (. . . vox tamen quae cantum ter- 
minal, obtinet principatum . . . Et praetnissae voces . . . ita 
ad earn aptantur, ut . . . quondam ab ea colorisfaciem ducere 
videantur). Damit war die Finalislehre der -> Kirchen- 
tone in feste Bahnen gelenkt. Einem entwicklungsge- 
schichtlich eigenen Bereich gehoren die Kadenzfor- 
meln der rezitativischen Gesange (z. B. ->• Epistel, 
->• Evangelium) und der -*■ Psalmtone an. Sie sind als 
feste Bestandteile von Melodiemodellen (-»■ Toni com- 
munes) engstens mit dem Rezitationston (->• Repercus- 
sa) verbunden und dienen der sinngemaBen Gliederung 
des Textes. 

Auch in der Geschichte der mehrstimmigen Musik spielt 
das SchlieBen eine entscheidende Rolle. Beim artifiziel- 
len -> Organum der Musica Enchiriadis bedingen sich 
gegenseitig Tritonusverbot und Einklangs-Schl. Im 
Mittelpunkt von Guidos Organumlehre steht die Schl.- 
Bildung (Occursus-Lehre; Micrologus, Kap. XVIII). 
Der Mailander Organumtraktat gibt Regeln fiir An- 
fang, Mitte und Schl. (->■ Copula) einer Klangzeile und 
bezeugt die Kolorierung der Paenultima vox. DaB die 
Vox organalis im »Vorausschauen« auf den Schl. gebil- 
det wird, betont die Organumlehre des 12. Jh. (z. B. 
Johannes Affligemensis, CSM I, 160). Die Klassifika- 
tionen der Intervalle und die Regeln ihrer Aufeinander- 
folge beriicksichtigen auch im 13. und 14. Jh. die 
SchluBfahigkeit der Klange. Ein bestandiger geschicht- 
licher ProzeB ist das Eindringen der zunachst am »vor- 
letzten Ort« entwickelten Intensivierungen (besonders 
der Dissonanzen) ins Satzinnere. Terminologisch ist zu 
beobachten, daB aus einer Begrenzungsbezeichnung 
haufig eine Abschnittsbenennung wird (Distinctio, 
Punctus, Clausula, Kadenz). Seit dem 15./16. Jh. be- 
schreibt und klassifiziert die Kontrapunktlehre die For- 
meln des SchlieBens als -*■ Klausel und -*■ Kadenz (- 1). 
In den Kadenzen verwandelten sich die Kirchentone in un- 
sere modernen Tonarten Dur und Moll (H.Riemann; 
-»■ Leitton). Rameaus Kadenzlehre, die aus den SchluB- 
bildungen die Grundformen aller Akkordfolgen ge- 
wann, wurde zur Basis der Harmonielehre. In H.Rie- 
manns vornehmlich an der Musik des 18. und 19. Jh. 
orientiertem System ist der Schl. ausgezeichnet durch 
rhythmische ->■ Symmetrie (-»■ Metrum - 3) und har- 



monische Konsequenz: wirkliche Schhfiwirkung ent- 
steht nur dann, wenn die abschliefiende Tonika aufeinen 
Zeitwert eintritt, . . . in welchem eine Symmetrie ihren Ab- 
schlufi findet. Beim Weiblichen Schl. erscheint auf der 
schluBfahigen Zeit statt der Tonika die Dominante 
mit nachfolgender Tonika (S-l-D-T; -*■ Weibliche 
Endung). 

Schon in der tonalen Musik gibt es dissonante Schliisse, 
innerhalb eines Zyklus (z. B. R. Schumann, op. 15 Nr4; 
Chopin, op. 28 Nr 23; Debussy, La Mer, 1. Satz, und 
in den Preludes fiir Kl. ; G. Mahler, IX. Symphonie, 
1. Satz), seltener auch ganz am Ende (z. B. Mahler, 
Das Lied von der Erde; R.Strauss, Eine Alpensinfonie). 
Wo der schluBkraftige tonale Bezugspol fehlt, wie in 
der tonal verschleierten, besonders aber in der atonalen 
Musik, ist das SchlieBen nicht selten ein bloBes AufhS- 
ren (Schonberg, Erwartung; A. Berg, Wozzeck) und er- 
f ordert stets in erhohtem MaBe kompositorische Erfin- 
dung, wobei grundsatzliche SchluBmoghchkeiten wei- 
terhin eine Rolle spielen, z. B. Dichte und Intensitats- 
grade der Klange, Zuriickkehren zum Anfang (A. We- 
bern, op. 3 Nr 1; Schonberg, op. 15), Verklingen (Berg, 
Lyrische Suite). Mit einem Zwolftonklang beschlieBen 
A. Berg das dritte seiner 5 Orchesterstiicke op. 4 und 
A. Webern den 1 . Satz seiner II. Kantate op. 31 . - Kom- 
positionen mit offener oder unendlicher Form, Moment- 
form, nennt K. Stockhausen solche Werke (z. B. Gesang 
derjiinglinge im Feuerqfen und Kontakte), die im Unter- 
schied zur finalen Form und in der Absicht, den Begriff 
der Dauer zu iiberwinden, sofort intensiv sind und . . . 
das Niveau fortgesetzter ,Hauptsachen' bis zum Schl. durch- 
zuhalten suchen; . . . die immer schon angefangen haben 
und unbegrenzt so weitergehn kbnnten. Auch solch bloBes 
Aufhoren der un-endlichen Form (bei der man »Schl. 
macht«, ohne »zu Ende zu sein«) ist durch die Ausfiih- 
rung des Ganzen motiviert, indem jeder ,Moment' ein 
mit alien anderen verbundenes Zentrum ist, das fiir sich be- 
stehen kann. 

Lit.: A. Schonberg, Harmonielehre, Wien 1911, 5 1960, 
engl. NY 1947, Abschnitt: Schliisse u. Kadenzen; W. 
Klein, SchluBbildende Harmonieverbindungen in d. Mu- 
sik d. Gegenwart, Neue Musikzeitung XLI, 1920; D. Joh- 
ner OSB, Cber SchluBbildung im gregorianischen Choral, 
Gregoriusblatt L1V, 1930; ders., Ausklang v. Chorstuck 
u. Vers bei d. Gradual-Gesangen, Zs. f. Kirchenmusik 
LXXI, 1951 ; H. Becker, Zur Problemgesch. u. Technik d. 
mus. SchluBgestaltung, Wiss. Zs. d. Humboldt- Univ. Bin II, 
1952/53, Ges.- u. sprachwiss. Reihe H. 1 ; K. Stockhausen, 
Momentform, in: Texte zur elektronischen u. instr. Musik 
I, Koln 1963 ; Fr. W. Homan, Final and Cadential Patterns 
in Gregorian Chant, JAMS XVII, 1964. HHE 

Schnabel wird das Mundstuck der Klarinette und 
Blockflote (Schn.-Flote, flute a bee) genannt. 

Schnaderhiipfl, Schnadahiipfl (im 18./19. Jh. als 
Schnitterhiipfel, s. v. w. Bauernlied, Schnittertanz, ge- 
deutet; neuerdings von schnattern, s. v. w. schwatzen, 
hergeleitet), heiBen einstrophige Liedchen, die von den 



ffiijtr j- jmj j r i J j. j^ij i 



Ich weifi net, ich hab mit der Ar - beit kei' Freud; 
grad mit der Ar-beit ver-saumt mer die Zeit 




i - a - di - 



Juch-he! 

Bewohnern der Ostalpen ursprunglich als Einleitung 
zum Landler gesungen wurden una heute in der Regel 
von diesem losgelost vorkommen. Schn. sind scherz- 



852 



Schottland 



hafte, oft ad hoc improvisierte Vierzeiler, die auf eine 
bekannte Melodie gesungen werden und deren beson- 
derer Reiz in der unerwarteten Abfolge verschiedener 
Aussagenin einem gereimten Verspaar besteht. Die Me- 
lodien sind meist 8taktig im 3/4-Takt und bewegen sich 
fast ausschlieBlich zwischen Tonika und Dominante. 
Dariiber hinaus bezeichnet Schn. 3-, 4-, 5- oder 6zeilige 
einstrophige Tanzlieder, die auch aufierhalb des ge- 
nannten Gebietes verbreitet sind und meist Gsangln, 
Gstanzln, Rundas genannt werden. Dem Schn. stehen 
der norwegische Stev und der schwedische Lltar nahe. 
Lit.: G. Meyer, Essays u. Studien zur Sprachgesch. u. 
Volkskunde I, StraBburg 1885 ; O. Brenner, Zum Versbau 
d. Schn., Fs. K. Weinhold, StraBburg 1896; H. Grasber- 
ger, Die Naturgesch. d. Schn., Lpz. 1896; C. Rotter, Der 
Schn.-Rhythmus, = Palaestra XC, Bin 1912; H.Naumann, 
Artikel Schn., in: Reallexikon d. deutschen Literatur- 
gesch. Ill, Bin 1928/29; H. Derbel, Das Schn. nach d. ge- 
genwartigen Stand d. Slg u. Forschung, Diss. Wien 1949, 
maschr. ; L. Rohrich u. R. W. Brednich, Deutsche Volks- 
lieder II, Diisseldorf 1967, Nr 82-83 (mit Bibliogr.). 

Schnarrwerk ist eine Bezeichnung fiir die Zungen- 
stimmen in der Orgel. -> Register (- 1). 

Schneller (frz. pined renversd; engl. inverted [upper] 
mordent), -»■ Tnller, haufig als umgekehrter -*- Mor- 
dent aufgefaBt. C.Ph.E.Bach fiihrte ihn 1753 als selb- 
standige Verzierung ein, aber ohne ihm ein eigenes 
Zeichen zu geben: 




Er wurde noch von J.N. Hummel in dessen Klavier- 
schule (1828) verwendet, dort aber mit dem Zeichen 
des Mordents (•■) angedeutet. 

Schofar (hebraisch, s. v. w. Widderhorn), Tierhorn, 
das als Blasinstrument im Alten Testament haufig ge- 
nannt ist und als einziges Instrument des Altertums 
noch heute in der Synagoge gespielt wird. Als Kult- 
instrument mit magischer Kraft nennt die Bibel das 
Sch. bei derErscheinung Gottes auf dem Berg Sinai (Ex. 
19, 16 und 19), beim Fall der Mauern von Jericho (Jos. 
6, 4-20) und bei der Oberfiihrung der Bundeslade (2. 
Sam. 6, 15). Im Kult ging es spater von den Priestern 
auf die Leviten iiber. Von Priestern als Signalinstru- 
ment im heiligen Krieg geblasen, wurde das Sch. nach 
Aufkommen der stehenden Heere militarisches Signal- 
instrument. 

Lit. : E. Kolari, Musikinstr. u. ihre Verwendung im Alten 
Testament, Helsinki 1947; H. Seidel, Horn u. Trp. im al- 
ten Israel unter Berucksichtigung d. »Kriegsrolle«v. Qum- 
ran, Wiss. Zs. d. K.-Marx-Univ. Lpz. VI, 1956/57. 

Schola cantorum (lat., Sangerschule; kurz: schola, 
auch ordo), im engeren Sinne Bezeichnung des beruf- 
lichen Sangerchors am Hofe der Papste in Rom. Sicher 
bezeugt ist die Sch. c. zuerst im Liber pontificalis fiir 
die Zeit des Papstes Deusdedit II. (672-76). In der spa- 
teren Oberlieferung wurde ihre Griindung auf Gregor 
den GroBen (590-604) oder gar Silvester I. (314-35) 
zuriickgef iihrt. Jedenfalls stellt ihre Einrichtung in der 
endgiiltigen Form den SchluBpunkt eines langwierigen 
Prozesses dar; in dessen Verlauf sonderte sich allmah- 
lich unter der Gesamtheit der am Gottesdienst mitwir- 
kenden Geistlichen die Sch. c. als eine eigene Gruppe 
aus, deren kunstvolle Gesange eine speziellere Ausbil- 
dung erforderten als die liturgischen Lesungen. Die 
Ordines Romani I— HI nennen 7 Mitglieder der Sch. c. 
(-»■ Paraphonia). 1.-4. Sanger waren Subdiaconi; dem 
Archiparaphonista fielen neben der Leitung des Cho- 
res auch gewisse liturgische Aufgaben zu, wogegen 



die ubrigen Subdiaconi wohl vornehmlich die Into- 
nationen der liturgischen Gesange auszufuhren hat- 
ten. Ober die Gesangstradition der Sch. c. liegen nur 
wenige Zeugnisse vor; besonders umstritten sind die 
Deutung der Paraphonia sowie die Frage ihres Verhalt- 
nisses zum altromischen und -> Gregorianischen Ge- 
sang. Im Hofstaat der Papste stiegen die Sanger der 
Sch. c. mit der Zeit zu hoheren Wiirden auf und iiber- 
nahmen wichtige auBermusikalische Aufgaben ;■ dies 
gait zunachst fiir den Primicerius, der seit dem 10. Jh. 
der niederen Geistlichkeit der Stadt Rom vorstand. 
Seit dem 12. Jh. war seine Stelle mit der Bischofswiirde 
verbunden. Mit dem Wegzug der Papste nach Avignon 
1305 trat die Sch. c. in den Huitergrund. Ihre Aufgaben 
ubernahm in Avignon die naph neuen Grundsatzen or- 
ganisierte -* Kapelle; am 3. 6. 1370 loste eine Bulle 
Urbans V. das alte Collegium cantorum auf. - In der 
Neuzeit wurde die Bezeichnung Sch. c. fiir verschie- 
dene Konservatorien gewahlt, so in Paris (1896, Sch. c, 
gegriindet von V. d'Indy, A. Guilmant und Ch. Bordes) 
und Basel (1934, Sch. c. Basiliensis, Lehrinstitut fiir al- 
te Musik, gegriindet von P. Sacher). 
Lit. : Fr. X. Haberl, Die romische »sch. c. « . . . , Vf Mw III, 
1887, separat = Bausteine f. Mg. Ill, Lpz. 1888; P. Aubry 
in: La Tribune de St-Gervais VI, 1900, S. 171ff.; C. Silva 
Tarouca, Giovanni »Archicantor« . . . , Atti della Ponti- 
ficia Accad. Romana di Archeologia III, 1, 1923 ; R. Casi- 
miri, L'antica »Sch. c.« . . ., Note d'arch. I, 1924; ders., 
Cantantibus organis, Rom 1924; E. Josi, Lectores - sch. c. 
- clerici, Ephemerides liturgicae XLIV, 1930; M. An- 
drieu, Les Ordines Romani, 5 Bde, Lowen 1931-61; H. 
Hucke, Die Tradition d. Gregorianischen Gesangs in 
d. romischen Sch. c, 2. Internationaler Kgr. f. kath. Kir- 
chenmusik, Kgr.-Ber. Wien 1954; J. Smits van Waesber- 

ghe SJ, Neues fiber d. Sch. C ebenda; L. Duchesne, 

Le Liber Pontificalis, 3 Bde, Paris 1955-57; S. Corbin, 
L'eglise a la conquete de sa musique, Paris 1960. 

Schottisch, auch schottischer Walzer oder Ecossaise- 
walzer, ein rascher Hopswalzer auf den Rhythmus 

| H I J J J J5 I J J J, der als Rundtanz 1830-40 
in Deutschland seine Bliitezeit erlebte. Er entstand aus 
dem Eindringen des walzermaBigen Drehens in die ge- 
radtaktige Ecossaise. Eine thuringische Sonderform 
war der Hacken-Sch., bei dem abwechselnd auf dem 
Absatz und auf der FuBspitze gehiipft wurde auf den 

Rhythmus | *h T «h 7 I JT3 1 I . - Seit etwa 1830 

wird auch die Polka in Deutschland Sch. (bzw. Sch.er) 
genannt, da ihr Schritt mit dem des Sch.en zusammen- 
fiel. -> Rheinlander. 

Schottland. 

Ausg. : The Scots Mus. Museum, 6 Bde, hrsg. v. J. John- 
son, Edinburgh 1787-1803, in 2 Bden hrsg. v. H. G. Far- 
mer, Hatford (Pa.) 1962; F. J. Child, The Engl, and Scot- 
tish Popular Ballads, 5 Bde, Boston 1882-98, neu hrsg. v. 
B. H. Bronson, 3 Bde, NY 1956; J. Glen, The Glen Col- 
lection of Scottish Dance Music, 2 Bde, Edinburgh 1891- 
95; Music of Scotland: 1500-1700, hrsg. v. K. Elliott, 
= Mus. Brit. XV, London 1957. 
Lit. : Ch. Rogers, Hist, of the Chapel Royal of Scotland, 

Edinburgh 1882; D. Baptie, Mus. Scotland , Being a 

Dictionary of Scottish Musicians from About 1400 till the 
Present Time, Paisley 1894; J. Dowden, The Medieval 
Church in Scotland, Glasgow 1910; K. Mertens, Die Ent- 
wicklung d. engl. u. schottischen Volksballaden . . . , Diss. 
Halle 1920, maschr.; A. Carmichael, Carmina Gadelica, 
5 Bde, Edinburgh u. London 21928 ; H. G. Farmer, Music 
in Mediaeval Scotland, London 1930 ; ders., Hist, of Music 
in Scotland, London 1948; H. S. P. Hutchinson, The 
Chapel Royal of Scotland, ML XXVI, 1945; M. Patrick, 
Four Cent, of Scottish Psalmody, London 2 1950; M. Frost, 
Engl, and Scottish Psalm and Hymn Tunes, London u. 
NY 1953; H. A. Thurston, Scotland's Dances, London 
1954; M. F. Shaw, Gaelic Folksongs from South Uist, in: 



853 



Schrammelmusik 



Studia Memoriae B. Bart6k Sacra, Budapest 1956; K. 
Elliott, Scottish Song, 1500-1700, Proc. R. Mus. Ass. 
LXXXIV, 1957/58; ders., The Carver Choir-book, ML 
XL1, 1960; L. Chr. Wimberly, Folklore in the Engl, and 
Scottish Ballads, NY (1959) ; E. Bouillon, Zum Verhaltnis 
v. Text u. Melodie in d. schottisch-engl. Volksballaden, 
Diss. Bonn 1960; Fr. M. Collins, The Traditional and 
National Music of Scotland, Routledge 1966. 

Schrammelmusik, osterreichische Heurigen-( Wein- 
lokal-)Musik, benannt nach den Briidern ->■ Schram- 
mel, die 1877 ein Trio mit 2 Violinen und Gitarre griin- 
deten, das 1886 durch eine Klarinette erweitert wurde. 
1891 wurde die Klarinette durch eine Ziehharmonika 
ersetzt. Besetzung und Vortragsweise des Schrammel- 
Quartetts wurden fiir diese spezifisch wienerische Art 
der Unterhaltungsmusik typisch, doch ist die Quartett- 
besetzung heute seltener als das Schr.-Duo (Gitarre 
und Akkordeon) und -Trio (Violine, Gitarre und Ak- 
kordeon). Das Repertoire der Schr. besteht aus volks- 
tiimlichen Walzern, Marschen, Liedern (die gespielt 
oder zur Schr. gesungen werden), Potpourris und Ar- 
rangements. 

Lit. : W. Kreidler, Die volkstumlichen Tanzmusikkapel- 
len d. deutschen Sprachgebietes, Habil.-Schrift Ffm. 1941, 
maschr. ; A. Witeschnik, Musik aus Wien, Wien 1949. 

Schrapstab -> Guiro. 

Schrxari (Schreierpfeifen), - 1) Windkapselinstru- 
mente mit Doppelrohrblatt, 8 Grifflochem (BaB: 2 
Klappen) und verkehrt konischer Rbhre, wodurch sie 
defer klingen als zylindrische Instrumente gleicher 
Rohrlange. 1540 bot der Niirnberger Instrumenten- 
macher Jorg Neuschel dem Herzog Albrecht in Preu- 
Ben schreyende pfeiffen an; Schr. werden genannt 1540 
unter den Ratsinstrumentcn in Augsburg, 1577 in der 
Grazer, 1582 in der Kurbrandenburgischen, 1613 in der 
Kasseler Hofkapelle. Praetorius, der als einziger Schr. 
abbildet (Synt. II, Tafel XII) und genauer beschreibt, 
kennt Diskant auf g, Alt und Tenor auf c und BaB F-b 
(S. 42) : Sie seynd starck vnndfrisch am Laut j konnen vor 
sich atleine j und auch zu andern Instrumenten gebraucht 
werden. - 2) in alten Orgeln eine hohe, gemischte Stim- 
me, gewohnlich nur aus Oktaven, manchmal auch mit 
einer Quinte, meist 3fach auf 1'. 
Lit.: zu 1): G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit Wind- 
kapsel, AfMw VII, 1925. 

Schuhplattler, derber, pantomimischer Werbetanz 
aus Oberbayern und Tirol, bei dem sich die tanzenden 
Burschen zur Musik eines Landlers auf Schenkel, Knie 
und Schuhsohlen schlagen (»platteln«). Aus dem ur- 
spriinglichen Paartanz wurde um 1900 ein Gruppen- 
und Massenplattler, der bis heute von Volkstumsver- 
einen gepflegt wird. 

Lit. : Fr. M. B6hme, Gesch. d. Tanzes in Deutschland I, 
Lpz. 1886, Nachdruck Hildesheim 1967; H. Flemming, 
Tanzbeschreibungen oberbayrischer Sen., Bin 1925; R. 
Wolfram, Die Volkstanze in Osterreich . . . , Salzburg 
(1951); R. Zoder, Der Sch., in: Das Volkslied in Altbayern 
u. seine Sanger, Milnchen 1952; K. Horak, Der Sch. in 
Tirol, Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes X, 1961 . 

Schuldrama -> Schuloper. 

Schulmusik, Musikerziehung in der Schule, bezeich- 
net heute im engeren Sinne den Musikunterricht an 
hoheren Schulen sowie das Studienfach an Musikhoch- 
schulen, das den Musiklehrer an Hoheren Schulen 
(Schulmusiker) ausbildet. Im weiteren Sinne zahlen 
auch der Musikunterricht an Volks- und Mittelschulen 
zur Sch. sowie, in historischer Sicht, die gesamte schu- 
lische Musikpraxis. - Padagogische Ziele der Sch. sind: 
Weckung und Forderung des Gemeinschaftssinnes 
durch Chorsingen und Musizieren im Ensemble; Akti- 



vierung und Lenkung von Gemiits- und Phantasiekraf- 
ten ; Erwerb von musikalischer Vorstellungskraf t durch 
den praktischen Umgang mit Musik; Gehorbildung; 
Ubung von Gedachtnis und Verstand (Begreifen und 
Wiedererkennen formaler musikalischer Ordnungen 
und stilistischer Eigentiimlichkeiten) ; Einfuhrung in 
die Geschichte der Musik als Bildungsgut. - Grund- 
lage des Klassenunterrichts ist - wie seit jeher - das 
gemeinsame Singen, vom 1st. Volkslied bis zu 4st. Sat- 
zen. Parallel damit gehen Stimmbildung und -pflege 
(besondere Aufmerksamkeit gilt der mutierenden Kna- 
benstimme) und instrumentales Ensemblespiel (z. B. 
Begleitung der Liedsatze). Einstudierung von Kunst- 
liedern oder von Chorstiicken aus Oratorien, Opern 
usw. dient der Einfuhrung in Bau und Aussage des 
Kunstwerks, zugleich der aktiven Auseinandersetzung 
mit Problemen musikalischer Interpretation und der 
exemplarischen Begegnung mit Komponisten und 
Stilrichtungen. - Zunachst erfolgt die Einf iihrung in 
die allgemeine Musiklehre (Notenschrift und Tonbe- 
nennung, Intervalle, Tonarten usw.). Instrumenten- 
kunde und Formenlehre vermitteln etwa ab der Mit- 
telstufe das notwendige begriffliche Rustzeug zum 
Verstandnis der Besprechung von Beispielen aus der 
Musikgeschichte. Das eigene Musizieren von Lehrer 
und Schiiler hat den Vorrang vor Schallplatte und Ton- 
band. Neben der Besprechung einzelner Werke und 
der wichtigsten Stilpcrioden wird der Musikgeschichts- 
unterricht vor allem auf anschaulicher Darstellung der 
Lebensbilder grofier Musiker aufgebaut. Schulfunk 
und Schulfernsehen konnen Anregung und Bereiche- 
rung bieten. Die Auffiihrungen bei feierlichen Anlassen 
(JahresabschluB, Elternabende, Gedenktage) gehoren 
zu den Hohepunkten der Schulzeit fiir die Mitwirken- 
den wie fiir die Schulgemeinschaft. Neuerdings wird 
dem Theaterspiel an den Schulen (»Schulspiel«) groBeres 
Interesse geschenkt, das auch der -> Schuloper zugute 
kommen kann und ein Zusammenarbeiten des Schul- 
musikers mit anderen Fachlehrern ermoglicht. 
Die Ausbildung des Schulmusikers erfolgt heute nicht 
nur auf praktisch-musikalischem Gebiet auf minde- 
stens zwei Instrumenten (darunter Klavier) und in den 
Fachern Sologesang, Chor- und Orchesterleitung, son- 
dern umfaBt auch die Musiklehre und Musikgeschichte 
sowie musikalische Padagogik. Der Studiengang an den 
Musikhochschulen bzw. Akademien Deutschlands ist 
nach Bundeslandern verschieden aufgebaut (vgl. Hand- 
buch der Sch.). Er dauert durchschnittlich 8 Semester 
und schliefit mit dem Staatsexamen ab (Einzelpriifun- 
gen in alien Fachern und eine schriftliche Arbeit). Der 
Schulmusiker ist auBerdem zum Studium eines frei ge- 
wahlten wissenschaftlichen Beifachs (Universitat oder 
Technische Hochschule) verpflichtet, auBer in Bayern, 
wo er zusatzlich zum Klassenunterricht Instrumental- 
stunden (Einzel- oder Gruppenunterricht) zu iiberneh- 
men hat. Die musikgeschichtliche Ausbildung sollte, 
wo es die Nachbarschaft von Universitat und Musik- 
hochschule ermoglicht, an der Universitat erfolgen: 
denn vom Musiklehrer, der seinen Schulkollegen inBildung 
und Stellung ebenbiirtig sein soil, wird ein Rustzeug an mu- 
sikologischem Wissen, musikgeschichtlichem Verstandnis 
und verantwortlicher musikalischer Urteilsbildung verlangt, 
... das nur in einer wissenschaftlichen Fachausbildung aus 
erster Hand zu gewinnen ist. Daher ist um der Sache und 
der Menschen willen nachdriicklich eine Regelung zu 
empfehlen, die mit der kiinstlerischen und padagogischen 
Berufsausbildung ein vollwertiges Universitatsstudium ■ . . 
planvoll verbindet (Gurlitt 1953). Die dem Studium fol- 
gende 2jahrige Ref erendarausbildung f iihrt in die Schul- 
praxis und schlieBt mit der zweiten Staatspriifung. Auf 
Grund seines Studienganges, nicht zuletzt auch durch 



854 



Schulmusik 



das Beif ach, ist der Schulmusiker heute dem Philologen 
und Naturwissenschaftler im Lehrerkollegium gleich- 
gestellt, sof ern nicht die Ministerien dahin tendieren, zu- 
gunsten fragwiirdiger Studienverkiirzung die musikge- 
schichtliche Seite der Ausbildung wieder verkiimmern 
zu lassen (das wissenschaf tliche Beif ach wird in neuester 
Zeit ohnehin mancherorts nicht mehr gef ordert) oder die 
Schuldirektoren den geistigen Bildungswert der Musik- 
erziehung zu gering veranschlagen. In den Lehrplanen ist 
der Musik nur unvollkommen Rechnung getragen: die 
Klassen 1-3 haben 2Wochenstunden, die Klassen 4-7 
nureine, teilweise (z. B. inHessen) sogarkeine Wochen- 
stunde Musik. Die zur Zeit unternommene Umstellung 
der Oberstuf e (SaarbriickenerRahmenvereinbarung der 
Kultusministerkonferenz vom September 1960) ver- 
folgt die hochst problematische Regelung, dal3 die 
Schiiler sich am Ende der 7. oder 8. Klasse fur ein mu- 
sisches Fach, Musik oder Kunsterziehung (2 Wochen- 
stunden), entscheiden miissen und das andere Fach »ab- 
wahlen«, d. h. den Klassenunterricht im abgewahlten 
Fach nicht mehr oder nur freiwillig besuchen. DaB die 
angestrebte Forderung der verbleibenden Schiiler den 
vorzeitigen Abbruch der Musikerziehung bei den an- 
deren rechtfertige, ist eine anfechtbare Hypothese. Ei- 
ne Sonderform der hoheren Schule mit angemessener 
Musikerziehung ist das Musische Gymnasium (Deut- 
sche Gymnasien), an dem Musik zu den Hauptfachern 
zahlt. - An den Mittel- und Realschulen fallt dem Mu- 
sikunterricht etwa die gleiche Aufgabe zu wie an der 
Unter- und Mittelstufe der Hoheren Schule. Der Fach- 
lehrer erhalt auch hierfiir eine Spezialausbildung. Der 
Volksschullehrer studiert (nach dem Abitur) an einer 
padagogischen Akademie oder Lehrerbildungsanstalt. 
Die Lehrplane sehen fiir die Volksschulen 2 Wochen- 
stunden Musikunterricht vor; zu dessen wichtigsten 
Aufgaben zahlen die Pflege der Kinderstimme und das 
Erarbeiten eines Grundstocks an Kinder-, Volks- und 
Kirchenliedern, meist mit Hilfe von Tonwortsystemen 
(-> Tonika-Do; -> Eitz). Auf der Unterstufe wird das 
Kind in die Notenschrift eingefiihrt (heute meist im 
Spiel: gezeichnete Gegenstande statt Notenkopfen, 
Notenlegen auf selbstgebastelter Unterlage usw.). Auf 
der Oberstufe werden auch Musikkunde und Musik- 
geschichte gelehrt; stimmbegabte Kinder singen im 
Schulchor. Die Arbeit nach dem Orff-Schulwerk er- 
moglicht eine erste spielerische Begegnung mit dem 
Instrument und f iihrt zu Improvisationsiibungen. Auch 
in der Volksschule besteht heute die Forderung nach 
dem musikalischen Fachlehrer, mindestens ab dem 5. 
Schuljahr; empfehlenswert ist enge Zusammenarbeit 
der Volksschule mit der Jugendmusikschule. 
Die Anfange der Sch. in den Klosterschulen der karo- 
lingischen Zeit erwuchsen aus der Mitwirkung der 
Knaben am Kirchengesang. Noch manche spatere 
Schulgriindung (seit der 2. Halfte des 13. Jh. auch als 
Stadt- oder Ratsschule) erfolgte aim Zwecke der Aus- 
bildung von Sangern fiir den Kirchendienst. In der 
-» Solmisation (-»• Guidonische Hand) und in der Ein- 
f iihrung der Notenlinien mit Terzabstand (durch Guido 
von Arezzo) wurden die Voraussetzungen fiir einen 
systematischen Musikunterricht geschaffen. Als Grund- 
lage der mittelalterlichen Musiklehre diente Guidos 
Micrologus. Auch fiir die friihneuzeitliche Lateinschule 
blieb die Ausbildung der Kirchensanger die vornehm- 
ste Aufgabe, doch wurde daneben auch die weltliche 
und instrumentale Musik zunehmend gepflegt. In den 
metrischen -> Odenkompositionen wurde die Musik 
erstmals schulpadagogischen Zwecken unterstellt. Die 
kursachsische Schulordnung von 1528 (Ph.Melanch- 
thon) legte denTypus der reformatorischen Lateinschu- 
le fest. Neben der -> Kantorei bestand die -> Kur- 



rende. An den meisten Schultagen fand eine Singstunde 
statt (in der Regel 12-13 Uhr), verbunden mit dem 
Unterricht in der [Ars] Musica (musikalische Elemen- 
tarlehre), in den hoheren Klassen oft austauschbar mit 
dem Unterricht in der Arithmetica. Der -> Kantor 
war neben Rektor und Konrektor die wichtigste Per- 
sonlichkeit der Schule; er besafi oft den Universitats- 
grad (magister artium), unterrichtete auch in Latein 
und Mathematik, unterwies die musikalisch begabten 
Schiiler im Instrumentalspiel und mancherorts auch in 
der -> Musica poetica. Als Kompendium der Musik- 
lehre fiir den Schiiler wurde das Enchiridion (1518/20) 
von G. ->• Rhaw vorbildlich. Besondere Verbreitung 
fand die Motettensammlung Florikgium Portense (hrsg. 
von E. -»■ Bodenschatz, 1603-21), die noch J. S.Bach 
in Leipzig verwendete. Mit dem Aufkommen der con- 
certierenden Musik nach 1600 stiegen die Anforderun- 
gen an die Schiiler erheblich, besonders hinsichtlich des 
Singens vffjetzige Italianische Manier (Praetorius Synt. 
Ill, Kap. IX). In den Gymnasien der Jesuiten wurden 
besonders Schuldrama und ->■ Schuloper gepflegt. - 
Allmahlich begannen jedoch andere Bildungsziele und 
-stoffe die Sch. aus ihrer Vorrangstellung zu verdran- 
gen. Methodisch hatte sie sich nicht der neuen Zeit an- 
gepaBt: das unzeitgemaBe Festhalten an der Solmisa- 
tion trug viel zum spateren Prestigeverlust der Sch. bei. 
Die allgemeine Padagogik (J.-J. Rousseau) bemiihte 
sich im 18. Jh. erstmals, dem Kind und seiner jeweili- 
gen Altersstufe gerecht zu werden. Doch wo sich Re- 
formen der Sch. ankiindigten, bedeuteten sie meist eine 
Beschrankung der universalen Musikerziehung; so z. B. 
wollte der Pietist A.H.Francke zwar alle Schiiler so- 
weit gef ordert wissen, daB sie Kirchenlieder nach No- 
ten singen konnten (Schulordnung fiir die »Teutschen 
Schulen«, 1702), betrachtetejedoch die weitere Ausbil- 
dung als Reservat fiir Begabte oder fiir reiche Liebha- 
ber. In den Heimschulen der Philanthropen, begriin- 
det von J.B.Basedow, sollte der gesamte Tagesablauf 
von leicht f aBlichen Moral- und Tugendliedern beglei- 
tet werden (Gedichte u. a. von Chr.F. ->• WeiBe). 
J.H.Pestalozzi (1746-1827) lieB sein Unterrichtsprin- 
zip durch M.T.Pfeiffer und H.G.Nageli auf die Mu- 
sik iibertragen (Gesangbildungslehre nach Pestalozzischen 
Grundsiitzen .... 1810; ohne Verbindung zur Kunst- 
musik). - Die Sakularisation nahm dem Musikunter- 
richt seine bisherige Hauptaufgabe, den Dienst an der 
Kirchenmusik. Durchwegs ungeniigend ausgebildete 
und meist nebenberuflich amtierende Musiklehrer tra- 
ten an die Stelle des Kantors; Musikerzieher und -un- 
terricht verloren ihr Ansehen innerhalb der Schule und 
damit die wichtigste Voraussetzung fiir erzieherische 
Erfolge. Stoff und Stundenzahl schrumpften auf ein 
Minimum zusammen. Nach den preuBischen Verord- 
nungen von 1837 erhielten nur Sexta bis Tertia je 2 
Wochenstunden Gesangunterricht, nach 1 882 nur noch 
die zwei unteren Klassen. Ein Schulchor auf f reiwilliger. 
Basis bestand fort. An den Lehrerseminaren war die 
Zahl derMusikstunden groBer, und in den Volksschulen 
wurde verhaltnismaBig viel gesungen, doch meist ohne 
Kenntnis der Noten. Die Thomasschule zu Leipzig, die 
Kreuzschule in Dresden und das Gymnasium des Grauen 
Klosters in Berlin hielten die Tradition der alten Sch. 
aufrecht. - Bedeutsam fiir den spateren Wiederauf stieg 
der Sch. wurde das 1822 aus privaten Kursen C.Fr. 
Zelters hervorgegangene Konigliche Institut fiir Kir- 
chenmusik, an dem auch Musiklehrer fiir Gymnasien 
ausgebildet wurden (auf Zelters Anregung entstanden 
ahnliche Institute auch in Breslau und Konigsberg). 
Ihre eigentliche Pragung erhielt diese Anstalt durch 
den spateren Leiter H.Kretzschmar (seit 1907), der 
schon 1881 (in den Grenzboten) den alarmierenden Be- 



855 



Schulmusik 



richt des Englanders J.Hullah iiber die Zustande der 
Sch. im deutschsprachigen Bereich publizierte und 
1900 der preuBischen Regierung ein Memorandum 
uber die Neugestaltung der Musikerziehung einreichte. 
Die musikpadagogischen Reformbestrebungen nach 
1900 (»Schulgesangbewegung«) wurden auch durch 
die Kvmsterziehungsbewegung angeregt, die sich ge- 
gen den einseitig wissenschaftlichen Unterricht an den 
Schulen richtete (Musikpadagogischer KongreB 1904; 
3. Kunsterziehungstag in Hannover »Musik und Be- 
wegung« 1905). Seit 1907 fanden in Berlin Fortbil- 
dungskurse fur Musiklehrer statt, 1910 erschien eine 
Priifungsordnung und 1913 die Didaktik und Methodik 
des Schulgesangsunterrichts von G.Rolle, die allerdings 
noch die Prinzipien der Lernschule vertritt. An den 
Musiklehrer, dessen Studium 3-4 Semester dauerte, 
wurden nun prazise Anforderungen in Gesang, Chor- 
leitung, Theorie und Musikgeschichte gestellt; er wur- 
de Beamter, wenn auch zunachst als »technischer« Leh- 
rer in tieferem Rang. Die neuen Lehrplane brachten - 
neben dem Chorgesang - 2 Wochenstunden Musik fiir 
alle Klassen der Madchenschulen, fiir die Knaben blieb 
es bei 2 Wochenstunden nur in den beiden untersten 
Klassen. 1914 folgten die Lehrplane fiir die Volksschu- 
len (Notenlesen ab dem 2. Schuljahr). Die Reformbe- 
strebungen Kretzschmars fanden ihre Fortsetzung und 
praktische Durchfiihrung im Werk von Leo --*■ Ke- 
stenberg, der 1918 als erster Fachreferent fiir Musik in 
das preuBische Ministerium fiir Kunst, Wissenschaft 
und Volksbildung berufen wurde. Aus dem Gesang- 
lehrer wurde nun der Musikstudienrat mit wissen- 
schaf tlichem Nebenf ach ; die Berliner Akademie wurde 
anlaBlich ihrer Hundertjahrfeier 1922 durch Kesten- 
berg umgestaltet zur Staatlichen Akademie fiir Kir- 
chen- und Schulmusik. Andere Musikhochschulen 
schlossen sich dem Vorbild an. - Die musikpadagogi- 
schen Bestrebungen des 20. Jh. suchen nach kindge- 
maBer Aufgabenstellung, die von vornherein eigenes 
Mittun ermoglicht, urn darauf einen kontinuierlichen 
Musikunterricht fiir alle Schiiler und die ganze Schul- 
zeit aufzubauen. Eine sinnvolle Anwendung der Ideen 
der »Arbeitsschule« (Kerschensteiner) auf dem Gebiet 
der Musikerziehung findet sich erstmals bei Fr.Jode 
(Das schaffende Kind in der Musik, 1928). Am vollstan- 
digsten der jeweiligen Altersstufe angepaBt sind das 
umfangreiche Schulwerk von C. Orff und das dazuge- 
horige Instrumentarium. Bei alien diesen Unterrichts- 
methoden fiir Kinder und bei den Tonwortsystemen 
bedarf es groBen padagogischen Geschicks, damit recht- 
zeitig, behutsam und bestimmt der Ubergang zur 
Kunstmusik vollzogen werden kann, ohne den auch 
die beste »kindgemafie« -> Musikerziehung ihren Sinn 
verliert. - In England hat der Staat durch den Education 
Act (1944) die Erziehung einschlieBlich des Musikun- 
terrichts ubemommen. Der Elementarunterricht f uBt 
auf dem Singen (vielf ach noch Anwendung der ->- To- 
nic-Solfa-Methode), in den Junior schools liegt das 
Hauptgewicht des Instrumentalunterrichts auf der 
Blockflote, an den weiterfiihrenden Schulen werden 
vollstandige Orchester angestrebt. Fiir kleinere Schulen, 
besonders auf dem Land, fungiert der staatlich bestell- 
te Country Music Adviser als Organisator, reisende 
Privatmusiklehrer erteilen Instrumentalunterricht. - 
In Frankreich entspricht die Sch. seit dem Gesamtbil- 
dungsplan (1946) weitgehend den deutschen Verhalt- 
nissen; das -> Solfege spielt eine wichtige Rolle. Zwar 
ist Musikunterricht auf der Oberstufe Wahlf ach, doch 
im Baccalaureat Priifungsfach. Die Ausbildung der 
Sch.er erfolgt im Lycee Jean de la Fontaine, Paris, in 
dreijahrigen Lehrgangen mit jeweils 120 Teilnehmern. 
Aus den Absolventen werden durch Wettbewerb die 



Musikerzieher fiir die Lycees (staatliche Gymnasien) 
ausgewahlt, die iibrigen gehen an andere Schulen. 
WShrend der Ausbildung der Grundschullehrer ist 
Musik Pflichtfach, bei der Aufnahme ins Lehrersemi- 
nar ist eine Gesangspriifung abzulegen. - In Italien ist 
Musikunterricht obligatorisch nur in den Oberklassen 
der Volksschulen und an den Lehrerseminaren, jedoch 
sind Bestrebungen im Gange, ihn auch auf die iibrigen 
Klassen auszudehnen. Die Musikerziehung liegt in 
Handen der stadtischen und staatlichen -»■ Konserva- 
torien. 

Lit.: Beitr. in d. Ber. d. Reichs-Sch.-Wochen Bin 1921, 
Darmstadt 1926, Dresden 1927, Munchen 1928, Hannover 
1929 u. d. Bundes-Sch.-Wochen Mainz 1955, Hbg 1957, 
Munchen 1 959 sowiein d. Zss. Musik im Unterricht, Mainz 
seit 1909, Die Sch., Bin 1924-33, Zs. f. Sch., Wolfenbuttel 
1928-33, Musikerziehung, Wien seit 1946. - Die ev. Schul- 
ordnungen d. 16. (17., 18.) Jh., 3 Bde, hrsg. v. R. Vorm- 
baum, Giitersloh 1858-64; W. Langhans, Das mus. Ur- 
theil u. seine Ausbildung durch d. Erziehung, Bin 1872, 
21886; A. Prufer, Untersuchungen uber d. auBerkirchli- 
chen Kunstgesang in d. ev. Schulen d. 16. Jh., Diss. Lpz. 
1890; G. v. Detten, Uber d. Dom- u. Klosterschulen d. 
MA, Paderborn 1893; I. Plew, Der Gesangunterricht, 
in: Hdb. d. Erziehungs- u. Unterrichtslehre f. hohere 
Schulen IV, 2, Munchen 1898; H. Kretzschmar, Mus. 
Zeitfragen, Lpz. (1903); Fr. Sannemann, Die Musik als 
Unterrichtsgegenstand in d. ev. Lateinschulen d. 16. Jh., 
= Mw. Studien IV, Bin u. Lpz. 1904; G. Rolle, Didak- 
tik u. Methodik d. Schulgesangsunterrichts, Munchen 
1913 ; M. Schipke, Der deutsche Schulgesang v. J. A. Hil- 
ler bis zu d. Falkschen Allgemeinen Bestimmungen (1775- 
1875), Bin 1913; W. Stahl, Gesch. d. Schulgesangs-Un- 
terrichts, Bin 1913; Fr. Jode, Musik. Ein pSdagogischer 
Versuch, Wolfenbuttel 1919, NA als: Musik u. Erziehung, 
ebenda 1932; ders., Die Lebensfrage d. neuen Schule, 
Lauenburg 1921 ; ders., Das schaffende Kind in d. Musik, 
in: Hdb. d. Musikerziehung V, 1-2, Wolfenbuttel 1928; 
ders., Kind u. Musik, Bin 1930; P. A. Scholes, Mus. Ap- 
preciation in Schools, London 1920, 4 1925; L. Kesten- 
berg, Musikerziehung u. Musikpflege, Lpz. 1921, 2 1927; 
ders., Sch. in PreuBen, Bin 1927 ; ders., Wege zur Entwick- 
lung'd. Musikerziehung, Mk XX, 1927/28; E. Preussner, 
Die Methodik im Schulgesang d. ev. Lateinschulen d. 17. 
Jh., Diss. Bin 1924, maschr., Teildrucke in: AfMw VI, 
1924, u. in: Fs. Fr. Stein, Braunschweig 1939; ders., All- 
gemeine Padagogik u. MusikpSdagogik, = Musikpadago- 
gische Bibl. II, Lpz. 1 929, als : Allgemeine Musikpadagogik, 
Heidelberg 21959; R. Wicke, Die Musik in d. kunftigen 
Lehrerbildung, Lpz. 1926; P. Mies, Die Musik in d. hohe- 
ren Schulen, 2 Bde, Koln 1927; G. Schunemann, Gesch. d. 
deutschen Sch., 2 Bde, Lpz. I, 1928, 21931, II 1932; P. Ep- 
stein, Der Schulchor . . . , = Musikpadagogische Bibl. V, 
Lpz. 1929 ; Beitr. zur Sch., hrsg. v. H. Martens u. R. Mun- 
nich, 8 Bde, Lahr 1930-32, neue Reihe hrsg. v. W. Drang- 
meister u. H. Fischer, Wolfenbuttel seit 1957; Encyclopedic 
de la musique et Dictionnaire du Conservatoire, hrsg. v. A. 
Lavignac u. L. de La Laurencie, II. Teil, Bd VI (Pedagogie, 
Ecolesetc), Paris (193 1); Grundfragen d. Sch., hrsg. v. H. J. 
Moser, Lpz. 1931 ; G. Pietzsch, Die Musik im Erziehungs- 
u. Bildungsideal d. ausgehenden Altertums u. fruhen MA, 
= Studien zur Gesch. d. Musiktheorie im MA II, Halle 
1932; ders., Der Unterricht in d. Dom- u. Klosterschulen 
vor u. urn d. Jahrtausendwende, AM X, 1955; W. Tolle, 
Grundformen d. reformatorischen Schulliederbuchs vor- 
wiegend um 1600, Wolfenbuttel 1936; Kgr.-Ber. L' educa- 
tion mus. ... dans les divers pays, Prag 1937; A.-E. Cher- 
buliez, Gesch. d. MusikpSdagogik in d. Schweiz, Zurich 
1 944 ; R. Schoch, Musikerziehung durch d. Schule, Luzera 
1946, 21958 ; W. Gurlitt, Musik in d. Schule, in : Schola II, 
1947; ders., Mw. Forschung u. Lehre in padagogischer 
Sicht, Kgr.-Ber. Bamberg 1953 (beides auch in: Mg. u. Ge- 
genwart II, =BzAfMw II, Wiesbaden 1966); Fr. W. 
Sternfeld, Music in the Schools of the Reformation, MD 
II, 1948; J. Shuts van Waesberghe SJ, School en muziek 
in de middeleeuwen, Amsterdam 1949; ders., Guido v. 
Arezzo als Musikerzieher u. Musiktheoretiker, Kgr.-Ber. 
Bamberg 1953 ; E. Kraus u. F. Oberborbeck, Musik in d. 
Schule, 7 Bde, Wolfenbuttel (1950-55); Fr. Blume, Denk- 



856 



Schuloper 



schrift zur Schulmusikerziehung, Musica V, 1951 ; ders., 
Musikforschung u. Musikleben, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; 
Zur Notlage d. Musikerziehung u. Musikpflege, Denk- 
schrift, hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft f. Musikerziehung 
u. Musikpflege, (Kassel) 1953; Th. Warner, Musische Er- 
ziehung zwischen Kult u. Kunst, = Beitr. zur Musikerzie- 
hung HI, Bin u. Darmstadt 1954; Hdb. d. Musikerzie- 
hung, hrsg. v. H. Fischer, 2 Bde (II : Musikerziehung in 
d. Grundschule), Bin 1954-58; G. Braun, Die Schulmu- 
sikerziehung in PreuBen . . . , = Mw. Arbeiten XI, Kassel 
1957; W. Friedrich, Musikpadagogische Revolution, Fs. 
Fr. Jode, Trossingen u. Wolfenbuttel 1957 ; G. Kube, Kind 
u. Musik. Psychologische Voraussetzungen d. Musikun- 
terrichts in d. Volksschule, Munchen 1958; Musikerzie- 
hung in d. Lehrerbildung. EntschlieBung d. Deutschen 
Musikrats, Kassel 1959; Padagogisches Lexikon, mit ei- 
nem Anh. uber d. Gesch. d. Padagogik u. iiber d. Bildungs- 
wesen d. Lander, hrsg. v. H.-H. Groothoff u. M. Stadl- 
mann, Stuttgart 1961; H. R. Juno, Ein neugefundenes 
Gutachten v. H. Schutz aus d. Jahr 1617, AfMw XVIII, 
1961 ; Musik in Volksschule u. Lehrerbildung, hrsg. v. K. 
Sydow, = Mus. Zeitfragen XI, Kassel 1961 ; E. Living- 
stone, The Theory and Practise of Protestant School Mu- 
sic in Germany as Seen Through the Collection of Abra- 
ham Ursinus (ca. 1600), Diss. Rochester (N. Y.) 1962 ; Kl.- 
W. Niemoller, Grundzvige einer Neubewertung d. Musik 
an d. Lateinschulen d. 16. Jh., Kgr.-Ber. Kassel 1962 ; Hdb. 
d. Sen., hrsg. v. E. Valentin, Regensburg (1962); H. Seg- 
ler u. L. U. Abraham, Musik als Schulfach, = Schriften- 
reihe d. Padagogischen Hochschule Braunschweig XIII, 
Braunschweig 1966. HHa 

Schuloper heiBt allgemein ein szenisches Werk mit 
Musik, das nach Inhalt und technischen Anforderungen 
geeignet ist, von Jugendlichen im Schulalter (6-18 Jah- 
re) zu ihrer eigenen geistigen und musikalischen Forde- 
rung aufgefiihrt zu werden. Meist bestehen Sch.n aus 
gesprochenem Text mit musikalischen Einlagen (Lie- 
der, Chore, Tanz- und pantomimische Szenen, auch 
Instrumentalstiicke) und gehoren damit strenggenom- 
men der Gattung des -* Singspiels an, doch gibt es auch 
Stiicke mit Rezitativen und durchkomponierte Werke, 
die der szenischen Kantate nahestehen. Die Grenze 
zwischen der Sch. (auch Spiel fiir Kinder, musikalisches 
Jugend- oder Schulspiel, Tanzspiel usw.) und dem 
Schuldrama (auch Schulspiel) mit Musik ist flieBend, 
da als Kriterium nur die wechselnde Anzahl der Mu- 
sikeinlagen zur Verfiigung steht. - Die padagogischen 
Ziele stehen im Mittelpunkt aller Bemiihungen um die 
Sch. : die Probenarbeit vermittelt tiefere musikalische 
Erfahrung als jeder Klassenunterricht; das Zusammen- 
wirken in einer Gemeinschaft (auch aus Schiilern ver- 
schiedener Altersgruppen), die Ubernahme von Ver- 
antwortung und das durch gelungene Auffiihrungen 
vermittelte Selbstgef iihl stellen erzieherische Werte dar ; 
da Jugendliche dazu neigen, sich mit einer Rolle zu 
identifizieren, kann die Sch. (bei gezielter Rollenver- 
teilung) auch direkten EinfluB auf die Personlichkeits- 
bildung ausiiben. - In der Praxis umfaBt die Sch. fol- 
gende Arbeitsbereiche: 1) das Spiel mit Musik, oft ver- 
bunden mit Tanz und Reigen, das Freude am musikali- 
schen und darstellenden Tun vor allem bei den Junge- 
ren erwecken soil; 2) Auffiihrungen von literarischen 
und musikalischen Biihnenwerken sowie modernen 
szenischen Kantaten und Sch.n, die im Hinblick auf die 
schulischen Moglichkeiten ausgewahlt, eventuell auch 
dramaturgisch und musikalisch bearbeitet werden; 

3) Singspiele des 18. Jh. und leichte Opern, fiir die 
exemplarisch eine werkgerechte, musikalisch und hi- 
storischmoglichstgetreueAuffuhrungangestrebtwird; 

4) Auseinandersetzung mit Problemstucken und mo- 
dernen musikalischen Gestaltungsmbglichkeiten (z. B. 
Elektronische Musik) ; 5) das »Schulmusikal« mit Ein- 
beziehung parodistischer Elemente und der leichten 
Musik; 6) die eigentliche Sch., worunter Werke mit 



lebensnahen und den Lehr- und Erziehungsaufgaben 
der Schule angemessenen Stoffen zu verstehen sind. - 
Bei Auffiihrungen an Madchenschulen werden Man- 
nerrollen zweckmaBig von Schiilerinnen iibernom- 
men; da die Sch. kein Illusionstheater anstrebt, ergibt 
sich daraus erfahrungsgemaB keine EinbuBe an musi- 
kalischer oder theatralischer Wirkung. 
Die sechs lateinischen »Dramen« der Hrothsvit (Ro- 
switha) von Gandersheim (um 930-1000), die wegen 
ihrer Lehrabsicht als die ersten Schuldramen gelten, soil- 
ten ein christliches Gegenstiick zu den in mittelalterli- 
chen Klosterschulen beliebten antiken Komodien (vor 
allem von Terenz) bilden. Auch das humanistische 
Schuldrama, das an den Lateinschulen der deutschspra- 
chigen protestantischen Lander und in deren kulturel- 
lem EinfluBbereich gepflegt wurde, verdankt seine ent- 
scheidenden Anregungen den Auffiihrungen antiker 
Komodien und Dramen durch Schiiler und Studenten. 
Der Beitrag der Musik zu den meist lateinischen Schul- 
dramen des 16. Jh., die eine bedeutende Rolle im huma- 
nistischen Bildungswesen spielten, beschrankte sich im 
allgemeinen auf Chore an den Aktschliissen (->■ Oden- 
komposition) und vereinzelt auf Tanzeinlagen (z. B. 
bei Celtis, Ludus Dianae, 1500) ; Lieder, Motetten und 
Instrumentalstiicke dienten als Einlagen und Zwischen- 
aktsmusik. Institutionalisierung und iiber den Rahmen 
der Schule hinausgehender Auffiihrungsaufwand ei- 
nerseits, der 30jahrige Krieg andererseits fiihrten zum 
Niedergang des protestantischen Schuldramas. Erwah- 
nenswert fiir die spatere Zeit sind nur die Schuldramen 
iiber historische Stoffe von Chr. Weiss mit Musik von 
J.Krieger. - Das aus der Gegenreformation hervorge- 
gangene Jesuitentheater gehort wegen der moralisie- 
renden Tendenz seiner Stiicke und deren Auffiihrung 
weitgehend durch Schiiler (Internatszoglinge) und Stu- 
denten zwar dem Bereich des Schuldramas an, spreng- 
te ihn jedoch durch seinen Aufwand an theatralischen 
Mitteln und durch die beabsichtigte Wirkung auf ein 
groBeres Publikum. Die eigentliche dramatische Hand- 
lung wurde gesprochen, die meist allegorische Zwi- 
schenhandlung musikalisch in Annaherung an Oper 
und Oratorium gestaltet. Erhalten ist z. B. die Musik 
von Kerll zu Pia etfortis mulier (Wien 1677). Fiir die an 
der Universitat Salzburg ab 1620 bis um 1796 jeweils 
am Schuljahresende von Studenten aufgefuhrten Dra- 
men komponierten im 18. Jh. u. a. Eberlin, Adlgasser 
und M.Haydn musikalische Intermedien; 1767 schrieb 
W. A. Mozart die Musik zum (lateinischen) Intermedi- 
um Apollo et Hyazinthus (vgl. Anm. zu K.-V. 38) . - Phil- 
anthropische Bestrebungen, die auch in der ->■ Schul- 
musik und im ->• Kinderlied wirksam wurden, gaben 
den AnstoB zu J. A. Hillers Die kleine Aehrenleserin(Oper 
in 1 Aufzugfiir Kinder, 1778). Doch gehort dieses Werk 
(obwohl es, wie auch die meisten Singspiele Hillers,. fiir 
Schulauffiihrungen geeignet ist) ebensowenig zur Sch. 
im eigentlichen Sinne wie die vorzugsweise Marchen- 
stoffe und Kinderlieder verarbeitende, romantisierende 
Kinderoper des 19. Jh. Humperdincks erste, dem-*- Lie- 
derspiel nahestehende Fassung von Hansel und Gretel 
war fiir die Hausmusik bestimmt (ahnlich Die sieben 
Geislein, 1895, nur mit Klavierbegleitung), wahrend 
die Kinderopern von Fr. Abt, C.Reinecke und Fr.Fri- 
schenschlager Biihnenwerke fiir Kinderpublikum sind. 
Dennoch bildete die Kinderoper des 19. Jh. die Aus- 
gangsbasis fiir die urn 1900 aufbliihenden musikali- 
schen Schulspiele und Sch.n, in denen bis 1929 Mar- 
chenstoffe iiberwiegen; vor 1918 sind auch »vaterlan- 
dische« Stoffe nicht selten (vgl. H. Brock 1955). 
Eine Wende in der Geschichte der Sch. bedeuteten 
die Jahre um 1929/30. Eine durch die musikalische 
-*■ Jugendbewegung gepragte Generation von Musik- 



857 



Schuloper 



erziehern brachte neue Impulse in das schulische Musik- 
leben, und die Kestenbergschen Reformen der Schul- 
musik trugen ihre ersten Friichte. Fur die Sch. bedeu- 
tete dies eine Besinnung auf das spezifisch Schulische 
(Lehrhafte, padagogisch Sinnvolle) des darstellenden 
Tuns, auf zeitgemaBe musikalische Gestaltung, auf 
aktuelle Stoffe und auf die gestaltende Kraft der Sprache. 
Am wirksamsten kamen diese neuen Bestrebungen, 
vor allem das didaktische Moment, im (marxistischen) 
-> Lehrstiick zur Auspragung, das jedoch wegen seiner 
prononciert weltanschaulichen Tendenz mehr Anre- 
gung als Grundlage fiir die Sch. sein konnte, teilweise 
auch bewuBt andersartige Werke hervorrief, z. B. H.J. 
Moser, Der Reisekamerad (frei nach H. Chr. Andersen) 
und WJacobi, Die Jobsiade (nach K.A.Kartum). Aus 
der kurzen Bliitezeit der Sch., die nach 1933 keine Fort- 
setzung fand, sind ferner hervorzuheben : P.Dessau, 
Das Eisenbahnspiel; P.Hindemith, Wir bauen eine Stadt 
(Spiel fiir Kinder); P.Hoffer, Das schwarze Schaf, Das 
Matrosenspiel und Johann, der muntere Seifensieder; Fr. 
Reuter, Der Struwwelpeter. - In der Mehrzahl der nach 
1945 neuentstandenen Werke werden wiederum ein- 
seitig Marchenstoffe bevorzugt, z. B. in den Sch.n und 
szenischen Kantaten von H. Bergese, S. Borris, C. Bres- 
gen, A.Fecker, M. und H.Garff, W.Gimatis, K.Hes- 
senberg, O. Kaufmann, A. Knab, J. H.E. Koch, H. Lang- 
hans, K.Roeseling, H.Teuscher und Th. Warner. Die 
Musik ist meist einer gemaBigten Moderne verpflich- 
tet bzw. von der Verwendung des Orff-Instrumenta- 
riums oder anderer kindgemaBer Instrumente gepragt. 
Fiir die Wahl von Marchenstoffen sprechen deren leich- 
te Rezeption durch die Darsteller und das jugendliche 
Publikum und das relativ haufige Auftreten lehrreicher 
Modellsituationen, an die sich ein Unterrichtsgesprach 
ankniipfen laBt. Beispielhaft sind hierfiir die Jugend- 
opern von E.Werdin (Der Fischer und sine Fru; Des 
Kaisers neue Kleider u. a.). Andererseits entbinden Mar- 
chenstoffe den Textdichter von der Notwendigkeit, 
eine sinnvolle Handlung und lebensvolle Figuren zu er- 
finden. Die Sch. sollte der Beobachtung Rechnung tra- 
gen, daB Kinder von sich aus beim Spiel den erwachse- 
nen Menschen nachahmen wollen (moglichst grotesk 
iibersteigert), sich in seine Situationen hineinzudenken 
suchen und sich damit unbewuBt-zielstrebig auf das 
Leben vorbereiten. Manche Marchenstoffe kommen 
dem entgegen, andere jedoch fiihren in eine lebens- 
fremde Welt und sind daher fiir die Sch. ungeeignet. 
Aktuelle, lehrhafte oder den menschlichen Lebenskreis 
einbeziehende Stoffe sind seltener verarbeitet: A. v. 
Beckerath, Zirkus Pfundig; H.Coenen, Kinderzirkus 
Bum ; E. Fischer, Dur und Moll : Ich heifie Dur (sehr kurz); 
P. Seeger, Augen aufim Verkehr. Seit Anfang der 1960er 
Jahre findet nicht nur die Sch., sondern auch das Schul- 
spiel allgemein zunehmende Beachtung, vor allem bei 
den Fachlehrern fiir Deutsch. Improvisation und Text- 
gestaltung durch die Schuler, Umsetzung von Lern- 
stoff in Spielszenen und exemplarisches »Anspielen« 
von Szenen aus den im Unterricht zu behandelnden li- 
terarischen Biihnenwerken sind nur einige Moglichkei- 
ten, das darstellende Spiel in den Dienst schulischer 
Aufgaben zu stellen. Diese Moglichkeiten konnen nicht 
nur mit Musik kombiniert (vgl. W.Longart 1963), 
sondern in ahnlicher Weise auch im Musikunterricht 
eingesetzt und damit zur Keimzelle fiir die Arbeit an 
der Sch. werden. 

Lit. : R. v. Liliencron, Die Chorgesange d. lat. Schuldra- 
mas im 16. Jh., VfMw VI, 1890; W. Nagel, Die Musik in 
d. schweizerischen Dramen d. 16. Jh., MfM XXII, 1890; 
A. Prufer, Der auBerkirchliche Kunstgesang in d. ev. 
Schulen d. 16. Jh., Diss. Lpz. 1890; K. Trautmann, Archi- 
valische Beitr. zur Gesch. d. Schulkomodie in Munchen, 



in: Mitt. d. Ges. f. deutsche Erziehungs- u. Schulgesch. I, 
Bin 1891 ; P. Bahlmann, Die lat. Dramen v. Wimphelings 
Stylpho bis zur Mitte d. 16. Jh. (1480-1550), Miinster i. W. 
1893; B. Soldati, II Collegio Mamertino e le origini del 
teatro gesuitico, Turin 1908; H. Mersmann, Ein Weih- 
nachtsspiel d. Gorlitzer Gymnasiums v. 1668, AfMw I, 
1918/19; R. Haas, Eberlins Schuldramen u. Oratorien, 
StMw VIII, 1921 ; E. Refardt, Die Musik d. Basler Volks- 
schauspiels im 16. Jh., AfMw HI, 1921 ; A. Happ, Die Dra- 
matheorie d. Jesuiten, Munchen 1922; W. Flemming, 
Gesch. d. Jesuitentheaters in d. Landen d. Deutschen Zun- 
ge, = Schriften d. Ges. f. Theatergesch. XXXII, Bin 1923; 
J. Wolf, Lieder aus d. Reformationszeit, AfMw VII, 1925 ; 
J. Maassen, Drama u. Theater d. Humanistenschulen in 
Deutschland, Augsburg 1929; R. Muller, Das Jesuiten- 
drama ind. Lkndern deutscherZunge v. d. Anf angen (1 555) 
bis zum Hochbarock (1665), 2 Bde, Augsburg 1930; S. 
Gunter, Lehrstiick u. Sch., Melos X, 1931,; C. Schneider, 
Die Oratorien u. Schuldramen A. C. Adlgassers, StMw 
XVIII, 1931 ; H. J. Moser, Sch. in alter Zeit, Das Volks- 
spiel VIII, 1932-35; E. Trolda, Ein mus. Schuldrama aus 
Bohmen aus d. Jahre 1692, Der Auftakt XVI, 1936; H. 
Brock, Dramaturgie d. Sch. d. 20. Jh., Diss. Halle 1955, 
maschr. (mitBibliogr. d. 1899-1953 im Druckerschienenen 
Sch.), als: Musiktheater in d. Schule, Lpz. u. Wiesbaden 
1960; H. Holleim, Sch. in ihrer Entwicklung bis zur Ge- 
genwart, Hbg 1956; K. Langosch, Geistliche Spiele. Lat. 
Dramen d. MA mit deutschen Versen, Darmstadt 1957 ; H. 
Driesch, Das vergnugte Haus - d. erste Schulmusikal, in : 
Das Spiel in d. Schule, 1962, H. 2; Chr.-H. Mahling, Stu- 
dien zur Gesch. d. Opernchors, Trossingen u. Wolfenbiit- 
tel 1962; H. W. Koneke, Das darstellende Spiel, 2 H., I 
Mainz (1960, 21966), II (1963); H.BRAUN.Untersuchungen 
zur Typologie d. zeitgenossischen Schul- u. Jugendoper, 
= Kolner Beitr. zur Musikforschung XXVII, Regensburg 
1963; W. Longardt, Mus. Schulspielerziehung auf neuen 
Wegen, Musik im Unterricht (Ausg. B) LIV, 1963, H. 9 
(mit weiteren Beitr. zur Sch. v. H. Giffei, H. W. Koneke u. 
E. Werdin; Verz. v. Sch.); B. Brecht, Der Jasager u. Der 
Neinsager (Vorlagen, Fassungen, Materialien), hrsg. v. P. 
Szondi, Ffm. 1966. 

Schusterfleck -j- Rosalie. 

Schwaben. 

Lit.: F. Oberborbeck, Die Musikpflege in Memmingen, 
ZfMw V, 1922/23; L. Wilss, Zur Gesch. d. Musik an d. 
oberschwabischen Klostern im 18. Jh., = Veroff. d. Mu- 
sik-Inst. d. Univ. Tubingen I, Kassel 1925 ; A. Kriessmann, 
J. Reiner, Beitr. zur Gesch. d. Musik an d. oberschwabi- 
schen Klostern im 16. Jh., ebenda V, 1927; O. Weiss, J. A. 
Harz u. d. oberschwabische Singspiel, Diss. Tubingen 
1928; A. Bopp, Das Musikleben in d. Freien Reichsstadt 
Biberach, = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. Tubingen VII, 
Kassel 1 930 ; A. Landau, Das einst. Kunstlied C. Kreutzers 
. . ., =Slg mw. Einzeldarstellungen XIII, Lpz. 1930; R. 
Weber, Die Org. v. J. Gabler u. J. N. Holzhey, = Veroff. d. 
Musik-Inst. d. Univ. Tubingen XI, Kassel 1933 ; H. Meyer, 
Org. u. Orgelbauer in Oberschw., Zs. d. Hist. Ver. f. Schw. 
LIV, 1941 ; W. Supper u. H. Meyer, Barockorg. in Ober- 
schw., = Veroff. d. Wurttembergischen Landesamts f. 
Denkmalspflege VIII, Kassel (1941); A. Hogger, Gesch. 
u. Musikpflege d. Frauenklosters im Groggental v. Ehin- 
gen an d. Donau u. d. dortigen Franziskanerklosters mit 
Einbeziehung d. Musik d. ehemaligen Tiroler Ordenspro- 
vinz. Ein Beitr. zur Gesch. d. oberschwabischen Kirchen- 
musik, Diss. Tubingen 1949, maschr.; E. Stiefel, Mg. d. 
ehemaligen Reichsstadt Schwabisch Gmiind, Diss, eben- 
da 1949, maschr.; Cl. H. Bell, The Meistersingerschule 
at Memmingen . . . , = Univ. of California Publications 
in Modern Philology XXXVI, 1, Berkeley 1952; Der Ba- 
rock, seine Org. u. seine Musik in Oberschw., zugleich 
Ber. iiber d. Tagung in Ochsenhausen 1951, hrsg. v. W. 
Supper, Bin u. Darmstadt 1952; A. Layer, Anfange d. 
Lautenbaukunst in Schw., Mf IX, 1956; K. Schaaf, Das 
Volkslied d. Donauschw., Diss. Tubingen 1956, maschr.; 
H. Reoner, Taktwechselnde Volkstanze im schwabischen 
Ries, Diss. Munchen 1957, maschr.; E. Fr. Schmid, Mu- 
sik an d. schwabischen Zollernhofen d. Renaissance. Beitr. 
zur Kulturgesch. d. deutschen Siidwestens, Kassel 1962; 
Fr. Baser, Musikheimat Baden-Wurttemberg, Freiburg 
i. Br. 1963. 



858 



Schweiz 



Schwarmer (ital. bombo; lat. bombus), eine aus meh- 
reren raschen Tonwiederholungen bestehende Figur in 
der Instrumentalmusik des Barocks, von W.C.Printz 
1689 in seinem Compendium musicae signatoriae et tno- 
dulatoriae vocalis dargestellt (in der Vokalmusik -> Tril- 
lo - 2). Von Marpurg (1755) wird er als eine seiner 
»Setzmanieren« angefiihrt und bei Oktavspriingen als 
springender Schw. bezeichnet: 

springender Schw. 



Schw. springender Schw 

A P ro \ -» - 



r r f i il^^lp 



Von Tiirk (1789) wird der Schw. auch Rauscher ge- 
nannt. 

Schwebungen entstehen durch Uberlagerung von 
Schwingungen annahemd gleicher Frequenz: zwei 
Schwingungen mit den Frequenzen j\ und fa bilden 
eine Schwebung mit derDifferenzfrequenz/2^/1. Ma- 
thematisch lassen sich Uberlagerungen als Summe der 
Schwingungsgleichungen (-> Schwingungen) 
a\= aosm2nfit und a%= «o sin 2 71/2 1 
darstellen: , , , , 

ai + az = 2a a cos 2 n (^) t ■ sin 2 k (^±6) t. 

Wenn/i und/2 voneinander wenig verschieden sind, 
andert sich der Faktor cos 2 n (fi-f2)t/2 langsamer als der 
Faktor sin 2n (fi +_/2)f/2. Dann laBt sich die Gleichung 
so deuten, dafi sie eine Schwingung mit der Frequenz 
(/1 +_/2)/2 ausdriickt, deren Schwingungsweite gleich 
2aocos2v:(f 1-/2)1/2 ist und sich demnach periodisch 
andert. Die Schwingungsweite schwankt zwischen den 
Amplituden 2ao und 0. Die Anzahl der Schw. pro sec 
(Schwebungsfrequenz f s ) ergibt sich aus dem rezipro- 
ken Wert der Schwebungsdauer (Ts):l/Tj=_/i=/i-_/~2. 
Je dichter benachbart die Frequenzen sind, desto ru'ed- 
riger ist die Schwebungsfrequenz. Die Beobachtungen 
von Schw. ermoglichen Ruckschltisse auf die Trenn- 
scharfe des Ohres. Wiirden sich im Gehor selektiv ab- 
gestimmte Empfangsorgane befinden, so wiirden auch 
eng benachbarte Schwingungen zwei getrennte Ton- 
hoheneindriicke mit konstanter Lautstarke auslosen. 
Dies tritt erst ein, wenn die Differenz der Frequenzen 
J\ und/2 einen bestimmten Wert iiberschreitet. Schw. 
von etwa 1 bis 8 Hz werden gut gehort. Bei schnellen 
Folgen trennt das Ohr die Einzelperioden nicht mehr 
und die UnregelmaBigkeiten werden als rauh empfun- 
den. Erreichen die Differenzfrequenzen einen Wert, 
der oberhalb ca. 20 Hz liegt, so losen sie die Wahrneh- 
mung von -> Kombinationstonen aus. Das Phanomen 
der Schw. ist fur das Stimmen von Musikinstrumenten 
von grofiem Nutzen. Die Wirkung der Orgelregister 
Vox coelestis, Unda maris, Vox humana u. a. beruht 
auf Schw. zweier leicht gegeneinander verstimmter 
Pfeifen. 

Lit. : O. Fr. Ranke, Physiologie d. Gehors, Bin, Gottingen 
u. Heidelberg 1953; H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw., 
Heidelberg (1958); F. Trendelenburg, Einfiihrung in d. 
Akustik, Bin, Gottingen u. Heidelberg 31962. 

Schweden. 

Ausg.: — ► Denkmaler. - E. G. Geijer, A. A. Afzelius u. 
J. C. F. Haeffner, Svenska folkvisor fran forntiden, 4 Bde, 
Stockholm 1814-16, Uppsala 11957-60; Svenska latar, 
hrsg. v. N. Andersson, 24 Bde, Stockholm 1922-40 ; Svens- 
ka visor, I Gotlandska visor, samlade av P. A. Save, hrsg. 
v. E. Noreen u. H. Gustavson, 3 Bde, Uppsala u. Stock- 
holm 1949-55; Svenska medeltids ballader, hrsg. v. B. R. 
Jonsson, Stockholm 1962. 

Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Stock- 
holm): A. Davidsson, Bibliogr. over Svensk Musiklit. 1 800- 



1945,Uppsalal948;STMf,seitl919,mitjahrhcherBibliogr. 
d. schwedischen mw. Lit. ; Studia musicologica Upsaliensia, 
Uppsala seit 1952.-T. Norlind, Die Mg. Schw. in d. Jahren 
1630-1730, SIMG 1, 1899/1900; ders., Schwedische Schul- 
lieder im MA u. in d. Reformationszeit, SIMG II, 1900/01 ; 
ders., Svensk musikhist., Helsingborg 1901, 21918 ; ders., 
Latinska skolsanger i Sverige och Finland, Diss. Lund 
1909 ; ders., Hdb. i svenska musikens hist., 1932; ders., (I) 
Bilder ur svenska musikens hist, fran aldsta tid till medel- 
tidens slut, 1947, (II-IV) Fran tyska kyrkans glansdagar, 
Bilder ur svenska musikens hist, fran vasaregenterna till 
karolinska tidens slut . . . , 1944-45 ; W. Niemann, Die Mu- 
sik Skandinaviens, Lpz. 1906; C.-A. Moberg, Uber d. 
schwedischen Sequenzen, 2 Bde, = Veroff. d. Gregoriani- 
schen Akad. zu Freiburg in d. Schweiz XIII, 1-2, Uppsala 
1927; ders., Die liturgischen Hymnen in Schw., =Beitr. 
zur Liturgie- u. Mg. d. MA u. d. Reformationszeit I, Ko- 
penhagen u. Uppsala 1947 ; St. Walin, Beitr. zur Gesch. d. 
schwedischen Sinfonik, 1941 ; R. Englander, J. M. Kraus 
u. d. Gustavianische Oper, = Skrifter utgivna av K. Hu- 
manistika Vetenskaps-Samfundet i Uppsala XXXVI, 1, 
Uppsala 1943; ders., Gluck u. d. Norden, AMI XXIV, 
1952; ders., Die Gustavianische Oper, AfMw XVI, 1959; 
ders., Handel in d. Musik Schw., Handel-Jb. V (XI), 1959 ; 
ders., Zur Psychologie d. Gustavianischen Opernreper- 
toires, in: Natalicia Musicologica, Fs. Kn. Jeppesen, Ko- 
penhagen 1962; E. Salven, Dances of Sweden, London 
1949 ; G. Carlid u. B. Pleijel, Musik pa skiva, 195 1 ; B. A. 
Wallner, La musique en Suede, 1951, span. 1953; A. 
Rundberg, Svensk operakonst, 1952; Fr. Schandorf 
Petersen, V. Helasvuo u. B. Andresson, Ny musik i Nor- 
den, = Nordens serie XXVII, 1953, 21954; Musikliv in 
Sverige, = Statens offentliga utredningar II, 1954; B. 
Alander, Die schwedische Musik, 1955, engl. 1956; A. 
Wiberg, Den svenska musikhandelns hist., 1955; Sv. He- 
lander, Ordinarius Lincopensis . . . , = Bibl. theologicae 
practicae IV, Uppsala 1957; H. Rosenberg, Mw. Bestre- 
bungen in Danemark, Norwegen u. Schw. in d. letzten ca. 
15 Jahren, AMI XXX, 1958; M. Arnberg, Den medeltida 
balladen, 1962; R. Cotte, Compositeurs fr?. emigres en 
Suede, Paris 1962; E. Wikland, Elizabethan Players in 
Sweden 1591-92, Uppsala 1962. 

Schwegel(Schwiegel, Schwagel; ahd. swegala, Schien- 
beinknochen, Rohre, Flote; mhd. swegelen, Flote bla- 
sen), - 1) eine allgemeine Bezeichnung fur meist ein- 
f ache Langs- oder Querfloten, teilweise f ur die ->• Ein- 
handflote, in neuerer Zeit besonders fur die -> Quer- 
pfeife; - 2) in der Orgel ist Schw. eine offene Labial- 
stimme von mittelweiter bis engerer Mensur und oft 
schmalerem Labium zu 4', 2', 1', seltener 8', zumeist 
zylindrisch, mitunter auch konisch gebaut. 

Schweiz. 

Ausg.: — > Denkmaler. - Les chansons populaires de la 
Suisse romande, 3 Bde, hrsg. v. A. Rossat u. E. Piguet, 
Basel 1917-31 ; Mus. Werke schweizerischer Komponisten 
d. XVI., XVII. u. XVIII. Jh., hrsg. v. K. Nef, 3 Bde, Genf 
1927-34; Schw.er Sing- u. Spielmusik, hrsg. v. A. Stern u. 
W. Schuh, 14 H., Zurich 1928-33 ; Ratoromanische Volks- 
lieder 1, 2 Teile, hrsg. v. A. Maissen u. W. Wehrli, = Schrif- 
ten d. Schweizerischen Ges. f. Volkskunde XXVI-XXVII, 
Basel 1 945 ; Was unsere Vater sangen. Volkslieder u. Volks- 
musik v. Vierwaldstattersee, aus d. Urschweiz u. d . Entle- 
buch, hrsg. v. A. L. Gassmann, Basel 1961 . 
Lit. : A. Schubiger OSB, Die Pflege d. Kirchengesangs u. 
d. Kirchenmusik in d. deutschen kath. Schw., Einsiedeln 
1 873 ; G. Becker, La musique en Suisse, Genf u. Paris 1 874, 
21923 ; H. Weber, Gesch. d. Kirchengesangs in d. deutschen 
reformierten Schw., Zurich 1876; A. Niggli, Die Schwei- 
zerische Musikges., Zurich u. Lpz. 1886; K. Nef, Die Coll. 

mus. in d. deutschen reformierten Schw St. G alien 

1896; A. Thurlings, Die schweizerischen Tonmeister im 
Zeitalter d. Reformation, Bern 1903 ; A. Nef, Das Lied in 
d. deutschen Schw. im letzten Drittel d. 18. u. am Anfang 
d. 19. Jh., = Schriften d. Stiftung Schnyder v. Wartensee 
XV, Zurich 1909; E. Refardt, Die Musik d. schweizeri- 
schen Centenarfestspiele, SMZ LX, 1920; ders., Hist.- 
Biogr. Musiklexikon d. Schw., Lpz. u. Zurich 1928, dazu 
Nachtrage maschr. in d. Univ.-Bibl. Basel ; ders., Musik in 



859 



Schweizerpfeife 



d. Schw., Bern 1952; J. Handschin, Die altesten Denkma- 
ler mensural notierter Musik in d. Schw., AfMw V, 1923; 
ders., Angelomontana polyphonica, SJbMw III, 1928; 
ders., Die Schw., welche sang, Fs. K. Nef, Zurich u. Lpz. 
1933 ; ders. in : Gedenkschrift J. Handschin, Bern u. Stutt- 
gart (1957); O. v. Greyerz, Das Volkslied d. deutschen 
Schw., Frauenfeld u. Lpz. 1927; A.-E. Cherbuliez, Die 
Schw. in d. deutschen Mg., = Die Schw. im deutschen 
Geistesleben XVIII, Frauenfeld u. Lpz. 1932; ders., Gesch. 
d. Musikpadagogik in d. Schw., Bern 1945; A. Geering, 
J. Wannenmacher, Diss. Basel 1933, Teildruck als: Die 
Vokalmusik in d. Schw. zurZeit d. Reformation, = SJbMw 
VI, 1933; G. Bucky, Die Rezeption d. Schweizerischen 
Musikfeste 1808-67 in d. Offentlichkeit, Diss. Zurich 
1935; M. F. Bukofzer, Magie u. Technik in d. Alpen- 
musik, Schw.er Annalen I, 1935/36; A. L. Gassmann, Zur 
Tonpsychologie d. Schw.er Volksliedes, Zurich (1936); 
J. Gehring, Glarnerische Musikpfiege . . ., Glarus 1939; 
Schw.er Musikbuch, 2 Bde, hrsg. v. W. Schuh, E. Re- 
fardt u. H. Ehinger, Zurich 1939; E. Hoffmann-Krayer, 
Feste u. Brauche d. Schweizervolkes, neubearb. v. P. Gei- 
ger, Zurich 1940; W. Vogt, Die Messe in d. Schw. im 
17. Jh., Diss. Basel 1940; R. Thomann, Der Eidgenossi- 
sche Siingerver. 1842-1942, Zurich 1942; E. Nievergelt, 
Die Tonsatze d. deutsch-schweizerischen ref ormierten Kir- 
chengesangbucher im 17. Jh., Zurich 1944; Musica aeterna. 
Eine Darstellung d. Musikschaffens aller Zeiten u. Volker 
unter besonderer Berucksichtigung d. Musiklebens d. 

Schw hrsg. v. G. Schmid, 2 Bde, Zurich (1948, 51950), 

auch frz. ; W. Wiora, Zur Friihgesch. d. Musik in d. Al- 
penlandern, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f. Volks- 
kunde XXXII, Basel 1949; W. Jerger, Die Musikpfiege 
in d. ehemaligen Zisterzienser Abtei St. Urban, Mf VII, 
1954; ders., Zur Mg. d. deutschsprachigen Schw. im 18. 
Jh., Mf XIV, 1961 ; H. P. Schanzlin, Vom aargauischen 
Musikleben im 17. u. 18. Jh., Jb. d. Standes Aargau III, 
1957 ; ders., Mw. in d. Schw., AMI XXX, 1958 ; M. Jenny, 
Gesch. d. deutsch-schweizerischen ev. Gesangbuches im 
16. Jh., Basel 1962; Schw.er Musiker-Lexikon, hrsg. v. W. 
Schuh, H. Ehinger, P. Meylan u. H. P. Schanzlin, 
Zurich 1964. 

Schweizerpfeife, - 1) alter Name der -> Querpfeife; 
- 2) in der Orgel eine zylindrisch offene, iiberblasende 
Flotenstimme von enger Mensur, im Manual zu 4', 
2', selten 8', im Pedal meist zu 2' und 1'. Auch ge- 
dackte iiberblasende Schw.n (Schweizergedackte) wer- 
den gebaut. 

Schwellton ->■ Messa di voce. 

Schwellwerk (engl. swell organ), in der Orgel die 
Bezeichnung fur eine Gruppe von Registern, die in 
einem Schwellkasten (-* Jafousieschweller) stehen. 

Schwerin. 

Lit. : H. Erdmann, Schw. als Stadt d. Musik, Lubeck 1967. 
— » Mecklenburg. 

Schwerttanz, ein urspriinglich kultischer Tanz (er- 
wahnt bei Tacitus, Germania, Kap. 24), auch mit Dar- 
stellung der Totung und Wiedererweckung eines Teil- 
nehmers. Im Mittelalter (erwahnt in Stadtrechnungen 
von Brugge, 1389) war er meist Schautanz der Zunfte; 
bekannt waren die Schwerttanze der Nurnberger Mes- 
serschmiede. Begleitet wurde der Schw. mit Gesang 
oder Pfeifen und Trommeln, in England mit Geige 
oder Sackpfeife. Das Motiv des Schw.es kommt auch 
in der -> Moresca und im ->■ Morris dance vor. 
Lit. : Fr. M. BShme, Gesch. d. Tanzes in Deutschland I, 
Lpz. 1886, Nachdruck Hildesheim 1967; C. Sachs, Eine 
Weltgesch. d. Tanzes, Bin 1933, engl. NY 1937 u. London 
1938, frz. Paris 1938 ; R. Wolfram, Schw. u. Mannerbund, 
Kassel (1936-38, 3 Lieferungen) ; W. Salmen, Hinweise 
zur ostdeutschen Uberlieferung d. Schw., Jb. d. Osterrei- 
chischen Volksliedwerkes IV, 1955; V. Alford, Sword 
Dance and Drama, London 1962. 

Schwingungen sind zeitabhangige periodische Zu- 
standsanderungen. Sie kommen durch Storungen des 



Gleichgewichts eines schwingungsfahigen Systems zu- 
stande, wobei Gegenkrafte ausgelost werden, die dieses 
Gleichgewicht wiederherzustellen trachten. Bei me- 
chanischen Schw. handelt es sich um aus ihrer Ruhela- 
ge gebrachte Massen (beim Luftschall entstehen da- 
durch Dichte- bzw. Druckanderungen), bei elektroma- 
gnetischen Schw. andem sich Feldstarke, Kondensator- 
ladung u. a. Die BestimmungsgrbBen einer einfachen 
(Sinus-) Schw. lassen sich mathematisch durch die For- 
mel a = ao sin 2tz ft ausdriicken, wobei a die jeweilige 
Auslenkung (Elongation) zu einem bestimmten Zeit- 
punkt ( (in sec), ao die maximale Auslenkung (Ampli- 
tude) und/die Anzahl der Schw. pro sec (-»■ Frequenz) 
bedeuten. Jede beliebige periodische Schwingung lark 
sich als eine harmonische Reihe von Sinus-Schw. auf- 
fassen (-> Fourieranalyse). Unter bestimmten Bedin- 
gungen konnen mechanische Schw. als -»■ Schall wahr- 
genommen werden. Voraussetzung dafiir ist, daB ihre 
Frequenz nicht unter 16 Hz und nicht iiber 20000 Hz 
liegt. Schw. hoherer Frequenz (Ultxaschall) losen nur 
noch bei einigen Tieren (Hunden, Fledermausen) eine 
Horwahrnehmung aus. Fiir die Ausbreitung horbarer 
Schw. in Form von Schallwellen (-»• Wellen) ist das 
Vorhandensein eines geeigneten Mediums, meistens 
Luft, Voraussetzung. Musikinstrumente erzeugen all- 
gemein recht komplizierte zusammengesetzte Schw. 
Lit.: A. Kalahne, Grundzuge d. mathematisch-physikali- 
schen Akustik, 2 Bde, Lpz. u. Bin 1910-13; K. W. Wag- 
ner, Einfuhrung in d. Lehre v. d. Schw. u. Wellen, Wiesba- 
den 1947; J. Kranz, Schw. u. Wellen, in: Physik, = Das 
Fischer Lexikon XIX, hrsg. v. W. Gerlach, Ffm. (1960, 
21962). 

Schwirrholz (engl. bull roarer; frz. rhombe; ital. 
rombo), ein meist schmal-linsenformiges flaches Holz, 
das an einer Schnur herumgewirbelt wird. Dabei ent- 
steht ein Ton, dessen Frequenz von der GroBe des Hol- 
zes und der Geschwindigkeit der Bewegung abhangig 
ist. In der Systematik der Instrumente wird das Schw. 
zu den f reien Aerophonen gezahlt. Als Schallgerat wird 
es bei Naturvolkern (heute vor allem in der Siidsee und 
in Siidamerika) oft bei Initiationsriten verwendet; der 
Klang wird dabei meist als Stimme von Geistern oder 
Ahnen verstanden. 

Lit. : K. Budde, Das Schw., Werkzeug d. alttestamentli- 
chen Totenbeschworung ?, Zs. f . d. Alttestamentliche Wiss. 
XLVI, 1928; W. Hirschberg, Der Ahnencharakter d. 
Schw., Ethnos V, 1940; O. Zerries, Das Schw., Stuttgart 
1942; M. D. Jeffreys, The Bull- Roarer Among the Ibo, 
African Studies VIII, 1949; G. Tucci, Contributo alio 
studio del rombo, Rivista di etnografia VIII, 1954 - IX, 
1955; H. Hickmann, Unbekannte agyptische Klangwerk- 
zeugeI,Mf VIII, 1955. 

sciolto (J'olto, ital., gelost, ungebunden) bedeutet: 
- 1) frei im Vortrag; - 2) eine etwa dem non legato 
entsprechende Artikulation; - 3) im 16./17. Jh. in Ver- 
bindung mit ->• Fuga oder Imitation deren Satzweise 
ohne kanonische Bindung der Stimmen. 

Scordatura (ital., Verstimmung; auch Cordatura), 
eine von der normalen Stimmung (Accordatura) ab- 
weichende Einstimmungsweise der Saiteninstrumente, 
die zu Anf ang eines Satzes als Accordo mit Noten oder 
Buchstaben angegeben wird. Als Abweichung von 
der geltenden Norm ist die Sc. Teil der kompositori- 
schen Erfindung. Ihr Sinn liegt darin, daB sie unge- 
wohnliche Akkordgriffe und eine Veranderung der 
Klangfarbe (durch starkere oder geringere Spannung 
der Saiten und die Verlagerung der leeren Saiten) er- 
moglicht. Zur Sc. im weiteren Sinne gehort auch die 
schon im 16. Jh. haufige Anweisung, den tiefsten Chor 
der Laute einen Ton herabzustimmen (->• Abzug - 1). 
Am meisten wurde im ausgehenden 17. und friihen 18. 



860 



Seeon 





Jh. von der Sc. Gebrauch gemacht, u. a. von J. Fischer, 
Baltzar, Schmelzer, J. Pachelbel, N.'A. Strungk, Zachau, 
Westhoff, Pisendel und J. S.Bach (5. Cellosuite, BWV 
1011), vor allem aber von H.I.Fr.Biber, der sich be- 
sonders in seinen 16 Mysteriensonaten der Sc. bediente 
und in der vierten seiner Triosonaten fur V. und Va 
(Harmonia artificiosa-ariosa diversimode accordata, Niirn- 
berg 1712) die Stimmung im Es dur-Akkord fordert: 

v . ,. i> » iM \ J 1 - i iLk 

Viohne 



Viola 



Am weitesten geht Biber in der 11. seiner Mysterien- 
sonaten, wo er verlangt, daB die E-Saite in d2, die A- 
Saite in d 1 , die D-Saite in g 1 gestimmt werde, also die 
Verhaltnisse in den mittleren Saiten auf 
den Kopf gestellt werden, was Biber durch 
nebenstehenden Notationsschliissel an- 
deutet. Im 19. Jh. haben noch Paganini, 
Beriot und Baillot die Sc. angewandt. In der Gitarren- 
musik ist sie bis heute ublich. - Von der eigentlichen 
Sc, bei der die Intervalle zwischen den Saiten veran- 
dert werden, ist eine Art der Umstimmung zu unter- 
scheiden, bei der alle Saiten um das gleiche Intervall 
hoher gestimmt werden. Sie erleichtert das Spiel in un- 
bequem liegenden Tonarten und laBt ein Soloinstru- 
ment kraftiger und glanzender hervortreten. W.A. 
Mozart verlangt fiir die Solo-Va in seiner Konzertanten 
Symphonie fur V., Va und Orch. Es dur (K.-V. 364), 
Paganini fiir die Solostimme seines 1. Violinkonzertes 
Es dur op. 6 Hoherstimmung um einen Halbton (No- 
tierung in D dur), G.Mahler fiir die 1. Solo-V. im 2. 
Satz seiner IV. Symphonie G dur um einen Ganzton 
(Notierung in B moll). - Scheinbare Sc. begegnet im 
18. Jh. in Kompositionen fiir Va d'amore und Englisch 
Violet; diese Instrumente haben mit Riicksicht auf die 
Resonanzsaiten das bis um 1600 bei den meisten Saiten- 
instrumenten iibliche Verfahren beibehalten, die Stim- 
mung nach der jeweils verlangten Tonart einzurichten 
(z. B. im D dur-, Es dur- oder C dur-Akkord). Fiir die 
vier obersten Saiten schrieben z. B. Ariosti (1728) und 
C. Stamitz transponierend, so daB der Spieler - meist 
ein Violinist - dieselben Griffe wie auf einer Violine 
normaler Stimmung auszu- Notierung Klang 
fiihren hat. Ist die Viola d'amo- tfJ t 
re in A d a di fisi. a 1 & ge- ft) ft[, 
stimmt, so klingt bei dieser ** _ 

Schreibweise die oberste Saite einen Ton tiefer als no- 
tiert, die 3. eine Terz hoher und die 4. eine Quinte hoher. 
Lit.: A. Moser, Die V.-Skordatur, AfMw I, 1918/19; L. 
de La Laurencie, L'ecole frc. de violon . . . , 3 Bde, Paris 
1 922-24; D. D. Boyden, Ariosti's Lessons for Va d' Amore, 
MQ XXXII, 1946. 

Secco (ital., trocken) -> Rezitativ. 

Sechzehntelnote (ital. semicroma; frz. double-croche; 
engl. semiquaver ; in den USA auch sixteenth note) : J\ , 
Pause (frz. quart de soupir) : tj. 

Seckau (Steiermark). 

Lit.: O. Drinkwelder, S.er Kirchengesang im 14. Jh., 
Musica Divina III, 1915; W. Irtenkaup, Das S.er Can- 
tionarium v. Jahre 1345 (Hs. Graz 756), AfMw XIII, 1956 ; 
ders., Die Weihnachtskomplet im Jahre 1 345 in S., Mf IX, 
1956; H. Federhofer u. R. Federhofer-Konigs, Mehr- 
stimmigkeit in d. Augustiner-Chorherrenstift S., KmJb 
XLII, 1958 ; B. Roth, S., Erbe u. Auftrag. Ein Gang durch 
seine Gesch., Kunst u. Kultur, Wien 1960. 




Seconda pratica (ital., zweite Kompositionsart) ist 
eine von CI. Monteverdi 1605 im Vorwort zum 5. Ma- 
drigalbuch gepragte und von seinem Bruder Giulio 
Cesare 1607 in einem Nachwort zu den Scherzi musicali 
(Dichiaratione della lettera stampata nel quinto libro de suoi 
madregali) genauer bestimmte Bezeichnung fiir die um 
1550 entstandene smoderne Kompositionsart« (uso mo- 
demo), die der Deklamation una der Darstellung des 
Textinhalts den Vorrang gegeniiber den Regeln des 
strengen Kontrapunkts einraumt. Den AnlaB zur Un- 
terscheidung zwischen -»■ Prima pratica und S. pr. (als 
Komponisten der letzteren nennt G.C.Monteverdi: 
Rore, Ingegneri, Marenzio, Giaches de Wert, Luzzas- 
chi, Peri und Caccini) bildete G.M.Artusis Polemik 
gegen Monteverdis Kontrapunkt (L'Artusi, overo delle 
imperfettioni della musica moderna, 1600). G.C.Monte- 
verdi beruft sich, wie spater M. Scacchi (1643), auf 
Platons »Staat« (398c-d), um den Vorrang zu rechtfer- 
tigen, den in der S. pr. die sprachgebundene »Melodie« 
gegeniiber der »Harmonie« erhalt. Der Ausdruck »Me- 
lodie« - Melodia, overo s. pr. musicale war der Titel eines 
(nicht geschriebenen oder nicht erhaltenen) Traktats 
von CI. Monteverdi (Brief vom 22. 10. 1633)-bezeich- 
net die Einheit von Sprache, Rhythmus und »Harmo- 
nie«; unter »Harmonie« ist der Inbegriff der durch Ge- 
setze geregelten sukzessiven (melodischen) und simul- 
tanen (kontrapunktischen) Tonbeziehungen zu ver- 
stehen. DaB in der S. pr. die Sprache oder Rede die 
Herrin und nicht die Dienerin der Harmonie sei (Vora- 
tione siapadrona del armonia e non servo), besagt also, daB 
um der Deklamation und der Textdarstellung willen 
der Gebrauch irregularer (chromatischer) Intervalle 
(relationes non harmonicae) und eine von den Regeln 
des strengen Satzes abweichende Dissonanzbehandlung 
zulassig seien. Die S. pr. war, obwohl sie im Madrigal 
und in der Monodie entstanden ist, im 17. Jh. nicht an 
bestimmte Gattungen gebunden; M. Scacchi (Brief an 
Chr. Werner, nach 1646) laBt die secunda praxis, den 
stylus oder usus modernorum, auch in der Kirchenmu- 
sik gelten. 

Lit. : M. Scacchi, Cribrum musicum ad triticum Syferti- 
num, Venedig 1643; ders., Ad Excellentissimum Domi- 
num CS. Wernerum, (nach 1646), Abdruck in: E. Katz, Die 
mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1926; A. 
Berardi, Miscellanea mus., Bologna 1689; E. Vogel, CI. 
Monteverdi, VfMw III, 1887; A. Tessier, Les deux styles 
de Monteverdi, RM III, 1922; ders., Monteverdi e la filo- 
sofia deU'arte, Rass. mus. II, 1929; G. Fr. Malipiero, CI. 
Monteverdi, Mailand 1929; H. F. Redlich, CI. Monte- 
verdi I, Das Madrigalwerk, Bin 1932; D. P. Walker, Mus. 
Humanism in the 16 th - and Early H^Cent., MR II, 1941 - 
III, 1942, deutsch als: Der mus. Humanismus im 16. u. 
fruhen 17. Jh., = Mw. Arbeiten V, Kassel 1949; L. Schra- 
de, Monteverdi, NY (1950), London 1951 ; Cl. V. Palisca, 
V. Galilei's Counterpoint Treatise: A Code for the S. Pr., 
JAMS IX, 1956; D. Arnold, »S. Pr.«: A Background to 
Monteverdis Madrigals, ML XXXVIII, 1957; E. Apfel, 
Satztechnische Grundlagen d. Neuen Musik d. 17. Jh., 
AMI XXXIV, 1962. CD 

secondo (ital.), der zweite (beim vierhandigen Kla- 
vierspiel der Spieler des BaBparts); seconda volta (Abk.: 
Ilda), das zweite Mai. -> primo. 

Seele -*■ Stimmstock (- 1). 

Seeon (Oberbayern), Benediktinerabtei, gegr. 994. 
Lit. : J. Doll, S., ein bayrisches Inselkloster, Munchen u. 
Freiburg i. Br. 1912; M.-Th. Schmucker, J. Werlins Lie- 
derhs. v. 1648, Diss. Bin 1927; O. Ursprung, Des J. Wer- 
lin aus S. groBes Liederwerk (1646/47) als praktisch durch- 
gefflhrte Poetik, ZfMw XVI, 1934; M. Bohm, J. Werlin d. 
S.er, Bayrisches Jb. f. Volkskunde 1952; W. Salmen, Das 
altdeutsche Lied in J. Werlins Slg v. 1646, ebenda 1953; 
R. MOnster, Kurfurst Max III. Joseph v. Bayern u. d. mu- 
sizierenden Patres v. Kloster S., Mozart-Jb. 1960/61. 



861 



Segno 



Segno (s'eyio, ital.; Abk.: S.), Zeichen, heute meist 
SS oder <t>,§, von dem an (Dal S., D. S.) eine Wieder- 
holung zu beginnen hat oder bis zu dem sie reicht 
(al S.). Beim einstimmig notierten Kanon werden die 
Stimmeinsatze audi durch * oder Zahlen gekennzeich- 
net; altere Bedeutungen des Wortes: -*■ Signum. 

segue (s'egfie, ital.; Abk.: seg.), seque (lat.), es folgt; 
- 1) Hinweis am Ende einer Seite oder eines Satzes, daB 
das Werk noch nicht zu Ende ist. Attacca il seguente 
(sequente), beginne sofort das Folgende. - 2) Hinweis, 
daB ein nur ein- oder zweimal ausgeschriebenes Ar- 
peggio (oder eine ahnliche Figur) in gleicher Weise 
of ter zu wiederholen ist, obwohl seine Tone dann nur 
noch als einfache Akkorde notiert sind (-> Abbrevia- 
turen - 6) ; gleichbedeutend ist simile. 

Seguidilla (segiS'iAa, span., von seguir, folgen), eine 
der verbreitetsten literarischen und musikalischen For- 
men in Spanien. Die neuere S. hat eine 7zeilige Strophe 
(Verse 1, 3 und 6: 7Silbler, Verse 2, 4, 5 und 7: 5Silb- 
ler). Vers 1-4 bilden die Copla, Vers 5-7 den Estribillo 
(Refrain), der auch fehlen kann. Fur die ersten 4 Verse 
gilt das Assonanzschema : frei - a - frei - a, fur den 
Estribillo: b - frei - b. Diese S. kommt gesungen und 
getanzt in Btihnenwerken (-> Tonadilla, ->■ Sainete, 
-> Zarzuela) des 17./18. Jh. vor. Die altere S. ist oft 
formal freier, teilt jedoch mit der neueren deren hete- 
rometrischen Aufbau. Altere S.s in einfachem, meist 
homorhythmischem 3st. Satz finden sich vertont im 
-» Cancionero musical de Palacio (Barbieri Nr 115, 
132, 153, 162, 378, 389, 397, 404, 412, 449 = Angles 
177, 197, 228, 240, 293, 364, 6, 63, 141, 387) und im 
Cancionero Sablonara (Nr 8, 67). - Die volkstiimliche 
S. ist ein Tanzlied im Tripeltakt. Neben der maBig 
schnellen S. manchega, die Cervantes beschreibt, gibt 
es die lebhaftere S. bolera und die langsame sentimen- 
tale S. gitana (oder playera). Jeder Strophe werden zu- 
me'ist vier Takte des charakteristischen Kastagnetten- 



rhythmus j[ 



r&T?irft\rftnj% 



gestellt. Mit diesem Rhythmus ging die S. in die Kla- 
vier- und Gitarrenmusik ein (I. Albeniz, Glinka). - Be- 
sonders bekannt wurde die S. aus Carmen (1. Akt, Nr 
10) von Bizet. 

Ausg. : M. Soriano Fuertes, Hist, de la musica espanola, 
Madrid 1855-59, 1 Anhang; Cancionero mus. de los s. XV 
y XVI, hrsg. v. Fr. A. Barbieri, Madrid (1 890), Neudruck 
Buenos Aires 1945; Cancionero mus. de Palacio, hrsg. v. 
H. Angles, = La musica en la corte de los Reyes Catolicos 
II-III, = MMEsp Vu. X, Madrid 1947 u. 1951. 
Lit. : F. Hanssen, La s., Anales de la Univ. de Chile CXXV, 
1909, neu hrsg. in: Estudios I, ebenda 1958; J. Subira, La 
tonadilla escenica II, Madrid 1929; D. Clotelle Clarke, 
The Early S., Hispanic Review XII, 1944; J. Rodr(guez 
Mateo, La copla y el cante popular en Andalucia, Sevilla 
1946; P. HenrIquez Urena, Estudios de versification 
espanola, Buenos Aires 1961. 

Seises (s'eises, span., von seis, sechs) heiBen die (ur- 
spriinglich 6, spater 10) Chorknaben, die an Hoch- 
festen vor dem Hauptaltar der Kathedrale von Sevilla 
(friiher auch an anderen Orten) von einem Instrumen- 
talensemble begleitete liturgische Tanze ausfiihren, 
wozu sie abwechselnd singen und mit Kastagnetten 
klappern. Diese Tanze standen in Zusammenhang mit 
liturgischen Spielen und wurden im 15. Jh. durch den 
Papst ausdriicklich gebilligt. Musik dazu schrieben im 
16. Jh. u. a. Fr. Guerrero und T.L. de Victoria. Die heu- 
te verwendete Musik ist ausschlieBlich neueren Datums 
und stark von der Folklore gepragt. 
Lit. : S. de la Rosa y Lopez, Los s. de la Catedral de Se- 
villa, Sevilla 1904; R. H. Stein, Die KirchentSnze in Se- 
villa, Mk XV, 1922/23. 



Seitenbewegung (lat. motus obliquus), im Unter- 
schied zur Parallel- und Gegenbewegung das steigende 
oder fallende Fortschreiten einer Stimme, wahrend 
eine andere Stimme liegenbleibt. 

Seitensatz, der dem -> Hauptsatz folgende 2. Teil der 
-»■ Exposition in der Sonatensatzform, in Dursatzen 
gewohnlich in der Dominanttonart, in Mollsatzen in 
der Paralleltonart, seltener in der Molldominante. Bei 
seiner Wiederkehr in der -> Reprise erscheint der S. zu- 
meist in der Grundtonart des Werkes ; dabei ist in Moll- 
satzen, in denen sich der S. der Exposition in die Dur- 
parallele verwendet, eine Duraufhellung der Grundton- 
artmoglich (J. Haydn, SymphonieHob. 1, 95, 1. Satz). S. 
und Seitenthema sind nicht immer identisch, da im S. 
mehr als ein Thema erscheinen kann. Der Charakter 
des Seitenthemas bewegt sich von bloBer Wiederho- 
lung des Hauptthemas in der neuen Tonart (J.Haydn, 
Symphonie Hob. 1, 104, 1 . Satz) bis zu kontrastierender 
Bildung, die sich zuweilen sogar durch eine neue Takt- 
art vom Hauptsatz der Exposition abhebt (Brahms, 
3. Symphonie op. 90, 1. Satz). 

Sekundakkord -> Septimenakkord. 

Sekunde (lat. secunda, zweite), die 2. Stufe in diatoni- 
scher Folge. Die musikalische Praxis kennt die S. als 
groB (-> Ganzton), klein (diato- —4 
nischer -»• Halbton) und iiberma- [fij 

miner *^ 



& 



Big. Seltener ist die Bezeichnung ^ ' eM -» i " J -e-tt" 

verminderte S. fiir enharmonische Tonbeziehungen 
(z. B. fis-ges; ->■ Enharmonik). 

Sela (hebraisch; in der Septuaginta iibersetzt mit Sidc- 
(paXfia, Zwischenspiel), ein biblischer Wortzusatz, der 
sich in 39 Psalmen, beim Propheten Habakuk sowie 
in den apokryphen Psalmen Salomons findet und als 
auffuhrungspraktischer Hinweis vermutlich die Stelle 
fiir ein instrumentales Zwischenspiel bzw. fiir denEin- 
schub eines (doxologischen) Refrains beim Psalmen- 
vortrag wahrend des alttestamentlichen jiidischen Got- 
tesdienstes bezeichnet. 

Lit.: J. Mattheson, Das erlauterte Selah ..., Hbg 1745; 
M. Hartiner, Sur l'interpretation du mot obscure »s.«, 
in: World Congress of Jewish Studies Jerusalem 1947; 
E. Gerson-Kiwi, Artikel Musique (dans la Bible), in: 
Dictionnaire de laBible, Suppl. V, Paris 1957 ; H.-J. Kraus, 
Psalmen I, Neukirchen 2 1962. 

Semibrevis (zu erganzen: nota oder figura; lat.; die 
halbe kurze), Notenwert der -»- Mensuralnotation, ge- 
schrieben: ♦, Pausen: z: oder i'; seit dem 15. Jh. : 0, 
Pause: ^. Aus der S. ist die heutige Ganze Note (o) 
hervorgegangen, die noch jetzt ital. und engl. semi- 
breve heSt. - Die rautenformigen Schriftzeichen der 
S. kommen zuerst in der -> Coniunctura der Modal- 
notation vor; dementsprechend erscheint die S. in den 
Quellen des 13. Jh. nie allein, sondern immer in Grup- 
pen von 2 oder 3 (bei Petrus de Cruce bis zu 7) fiir eine 
Brevis. In der Musiklehre betrachtet sie noch J. de Gar- 
landia als Abart der Brevis (ed. Cserba, S. 198), und 
erst Franco von Koln nimmt sie als selbstandigen No- 
tenwert in sein System auf und legt fest: De semibrevi- 
bus autem et brevibus idem est judicium in regulisprius dictis 
(d. h. wie bei Breves und Longae; ed. Cserba, S. 237). 
1st bei ihm die S. der kleinste Notenwert, so beschreibt 
Ph. de Vitry (CSM VIII, 23, 75, 85ff.) bereits die Un- 
terteilung der S. in Minima und Semiminima. Im 16. 
Jh. schlieBlich wird die S. im integer valor notarum 
zum MaB aller Notenwerte, die nun als Vielf aches oder 
Teil einer S. beschrieben werden. 

Semidiapente (lat. semi, halb, und griech. 8ta 7t£vte, 
Quinte), die verminderte ->■ Quinte. 



862 



Sequenz 



Semiditas (lat., Halbierung), in der Mensuralnotation 
des spaten 15. und des 16. Jh. Bezeichnung fur die 
-*■ Diminution (- 1) im Verhaltnis 2: 1. Anonymus XII 
(CS III, 483b), der die Bezeichnung wahrscheinlich als 
erster verwendet, schrankt die Anwendung der S. auf 
das Tempus imperfectum ein und erklart das Wort als 
sWegnahme der Halfte eines Gesanges«. 

Semiditonus (lat. semi, halb, und griech. Sitovo?, 
Terz), die kleine -> Terz. 

Semifusa (zu erganzen: nota oder figura; lat.; halbe 
-> Fusa), heiBt in der -*■ Mensuralnotation eine Note 
mit doppeltem Fahnchen: ♦ oder 5; Schreibung und 
Wert der Pausa s. wechselten (->■ Pause). 

Semiminima (zu erganzen: nota oder figura; lat., die 
halbe kleinste), Notenwert der -> Mensuralnotation 
seit dem 15. Jh., geschrieben: I, Pause: r. 

Semitonium (lat. semi, halb, und tonus, Ganzton; 
auch hemitonium), der -> Halbton. S. maius ist der 
groBere, diatonische Halbton (Leitton, z. B. c-des), s. 
minus der kleinere, chromatische Halbton (z. B. c-cis). 

Sennet (s'enit, engl.), eine Art von Blaserfanfare oder 
-stuck, als Regieanweisung inElisabethanischen Schau- 
spielen bei zeremoniellen Auftritten und Abgangen 
vorgeschrieben. S. kommt vermutlich von ital. sonata, 
Klangstiick (belegt ist auch die Wortform sonnet) und 
wird von den haufigeren Bezeichnungen tucket 
(-* Tusch) und flourish unterschieden, wie eine An- 
weisung bei Dekker (Satiromastix, 1602) zeigt: Trum- 
pets sound aflorish, and then a sennate. 

Sens (Yonne, Frankreich). 

Lit. : H. Villetard, Odoranne de S. et son oeuvre mus., 
Paris 1912; ders., Office de Saint-Savinien de Saint-Po- 
tentien, Paris 1956; S. Corbin, La notation mus. neuma- 
tique, les 4 provinces lyonnaises, Lyon, Rouen, Tours, S., 
3 Bde, Diss. Paris 1957, maschr. ; A. Lequeux, Le grand 
orgue de la cathddrale de S., L'Orgue XCIV, Paris 1960; 
H. Husmann, Ein dreist. Organum aus S. unter d. Notre- 
Dame-Kompositionen, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963. 

Septett (ital. septetto, settimino; frz. septuor; engl. 
septet), eine Komposition fur 7 Solisten, in der Oper 
ein Ensemble, meist als wirkungsvolles Finale (z. B. 
Mozart, Le Nozze di Figaro, 2. Akt). Die Bezeichnung 
S. (bis ins 19. Jh. gewohnlich Septuor) wird fur Instru- 
mentalwerke angewendet, die in Besetzung (meist aus 
Blasern und Streichern gemischt) und Satzfolge nach 
Art des -> Divertimentos (- 1) angelegt sind, sich aber 
durch kompositorischen Anspruch dariiber erheben 
(—> Serenade). Bedeutendstes Werk ist Beethovens S. 
op. 20 (V., Va, Vc, Kb., Klar., Horn und Fag.) ; dane- 
ben sind zu nennen die S.e von C. Kreutzer (op. 62, bei 
dem Beethovens Vorbild spiirbar ist), J.N. Hummel 
(op. 74, fur Fl., Ob., Horn, Va, Vc, Kb. und KL), Hin- 
demith (1948, Fl., Ob., Klar., B-Klar., Fag., Horn und 
Trp.) und Strawinsky (1953, Klar., Horn, Fag., V., 
Va, Vc. und KL). 

Septime (lat. septima, siebte), die 7. Stufe in diatoni- 
scher Folge, auch Umkehrung der -*• Sekunde. Die 
musikalische Praxis kennt die S. als . . — , 

groB, klein, vermindert und iiber- g£ °<> » & 
maBig. Die musikalische Akustik ^ "^ -»ft«»l]-«»- 
kennt die groBe und kleine S. als natiirlich (8:15 und 
5:9), pythagoreisch (128:243 und 9:16) und gleich- 
schwebend temperiert ( n /l2 ur >d S U der Oktave). Na- 
tur-S. heifit das Intervall zwischen dem 4. und 7. Na- 
turton; die Natur-S. ist etwas kleiner als die kleine S. 
Kirnberger (1771) bezeichnete die natiirliche S. mit 
dem Buchstaben ->■ i. 



Septimenakkord oder Septakkord heiBt in der an 
den GeneralbaB ankniipfenden alteren Akkordlehre je- 
des aus Terz, Quinte und Septime bestehende Akkord- 
gebilde. Die S.e auf den verschiedenen Stufen der Ton- 
leiter haben jedoch in der dur-moll-tonalen Harmonik 
unterschiedliche Bedeutungen, wie die Funktionsbe- 
zeichnungen (nach H.Riemann) in der folgenden 
Ubersicht fiir C dur andeuten: 



liu a i i a »t : 



T 7< S 6 D 6 S 7< D' T 6 B* 
Von diesen7 Akkorden sind T?< und S7< ganz zufallige 
Nebenformen von T^und S 6 ; T6, S 6 und D6 sind Um- 
kehrungen von Dreiklangen mit der Sixte ajoutee; Eft 
ist der verkiirzte Dominantnonenakkord (->■ Nonen- 
akkord). Selbstandige Bedeutung hat allein der D~l 
(-*■ Dominantseptakkord). Mit seinen vier verschie- 
denen Tonen laBt sich der S. dreimal umkehren. Die 
Umkehrungen heiBen: (Terz-)Quintsextakkord, Terz- 
quart(sext)akkord und Sekund(quartsext)akkord. Im 
3st. Satz kann am ehesten die Quinte des S.es entbehrt 
werden, weniger die Terz. 

Septole (Septimole, Siebener; frz. und engl. septolet), 
eine fiir 6 oder 8 Noten eintretende Figur von 7 Noten 
entsprechender Form mit beigesetzter 7. Hire Notie- 
rung erfolgt nach dem Schema der ->■ Triole. 

Sequenz, - 1) (lat. sequentia), ein nach dem Alleluia- 
versus (gegebenenfalls nach dem Tractus) vorgetrage- 
ner Gesang der romischen MeBliturgie. Herkunft und 
Friihgeschichte dieser musikalisch wie literarisch glei- 
chermaBen bedeutenden Gattung liegen noch weitr 
gehend im Dunkeln, da keine Quellen aus der Ent- 
stehungszeit erhalten sind. Ihre schriftliche Uberliefe- 
rung setzt in der 2. Halfte des 9. Jh. ein; schon zwischen 
840 und 880 war die Ausbildung eines Stammreper- 
toires von wenigstens 60 Melodien erfolgt. Den friihe- 
sten Beleg fiir das Wort sequentia in Verbindung mit 
Alleluiatexten der Messe bietet das MeBantiphonale 
von Mont-Blandin (8./9. Jh.), das bei 6 von insgesamt 
25 am SchluB zusammengestellten Alleluias den Hin- 
weis cum sequentia enthalt (Antiphonale missarum sextu- 
plex, S. 198). Um 823 erwahnt sodann der frankische 
Liturgiker Amalar von Metz gelegentlich seiner Erlau- 
terung des Alleluias die iubilatio, quam cantores sequen- 
tiam vocant . . . {Liber officialis III, Cap. 16, ed. Hanssens 
II, S. 304). An anderer Stelle berichtet er, daB in Rom 
wahrend der papstlichen Osterwochenvesper das Alle- 
luia cum omni supplemento et excellentia uersuum et se- 
quentiarum gesungen worden sei {Liber de ordine Anti- 
phonarii, Cap. 52, ed. Hanssens III, S. 84). Dabei wird 
nach westfrankischem Sprachgebrauch unter sequentia 
(spater auch sequentiae) die erweiterte Form eines im 
AnschluB an den Versus (zusammen mit dem Alleluia) 
wiederholten Alleluiajubilus verstanden, wofiir ost- 
frankische und oberitalienische Quellen die Bezeich- 
nung melodiae oder longissimae melodiae (Notker) 
verwenden. Jiingere Forschungen betrachten den alt- 
romischen Choral, dessen Alleluiagesange haufig nach 
dem Versus eine entwickeltere Form zeigen, femer den 
Ambrosianischen Gesang mit seinen erweiterten Alle- 
luiarepetitionen als Prototypen der textlosen, melis- 
matischen Sequentia. Das Vorbild fiir die typischen 
Kadenzbildungen der S.en dtirfte im Altgallischen Ge- 
sang zu suchen sein. - Wahrend in Rom und Mailand 
die melismatische Sequentia erhalten blieb, fiihrte die 
Entwicklung nordlich der Alpen zur Textierung dieser 
Form. Gleichzeitig trafen zahlreiche westfrankische 
Quellen terminologisch eine strenge Unterscheidung 
zwischen Sequentia (im urspriinglichen musikalischen 



863 



Sequenz 



Sinn) und -»■ Prosa (- 1), genauer Prosa ad sequentiam, 
d. h. der textierten Fassung einer Sequentia. Dagegen 
setzte sich im ostfrankischen Raum das Wort sequentia 
als Bezeichnung fur das musikalisch-textliche Gesamt- 
gebilde durch. Der Textierungsvorgang erfolgte in der 
Weise, daB die praexistenten Melismengruppen in Ein- 
zeltone aufgelost und diese mit je einer Textsilbe ver- 
sehen wurden, entsprechend der Regel des Notker- 
Lehrers Iso: Singulae motus cantilenae singulas syllabus 
debent habere (vgl. Notkers Prooemium zum Liber ymno- 
rum). Ein solches Verfahren schloB jedoch nicht aus, 
daB die Melodien im Interesse der Dichtung gewissen 
Modifizierungen unterworfen werden konnten. Fiir 
die historisch-stilistische Einordnung der S.en bieten 
die verschiedenen Praktiken der Textunterlegung wich- 
tige Anhaltspunkte. So begirmt die Textierung in den 
S.en ostfrankischer Herkunft bereits bei den Tonen der 
Alleluiawiederholung, im Unterschied zu den west- 
frankischen S.en, denen in der Regel nur eine Textie- 
rung des erweiterten Alleluiajubilus eigen ist. 
Als Hauptmerkmal der »klassischen« S. (Handschin), 
die ab etwa 840 bis zur Mitte des 11. Jh. quellenmaBig 
belegt ist, gilt das Prinzip der fortschreitenden Wie- 
derholung, die Aneinanderreihung melodisch gleicher 
Versikelpaare (sogenannter Doppelversikel), textlich 
als Strophe und Gegenstrophe zu bezeichnen. (Der im 
gleichen Zeitraum nachweisbaren »a-parallelen« S. fehlt 
das Prinzip der progressiven Repetition.) Haufig wer- 
den die Stiicke von einem einfachen, d. h. nicht wie- 
derholten Versikel eingeleitet und abgeschlossen. Die 
Versikelpaare haben wechselnde Lange. Strophe und 
Gegenstrophe sind jeweils durch parallelen Aufbau 
charakterisiert: beide haben gleiche Silbenzahl und 
sind einander hinsichtlich Lange, Akzentstruktur, As- 
sonanzbildung und Sinnverwandtschaft der Worte 
mehr oder weniger stark zugeordnet. Musikalisch ist 
vor allem in der friihen Zeit eine syllabische Anlage 
verbindlich. Die einzelnen Versikelpaare lassen gleiche 
oder ahnliche Melodieteile (Motivbildungen) erken- 
nen. Als SchluB-, auch als Mittelkadenz bevorzugen sie 
jene typische Melodieformel, die den wiederholten 
SchluGton von der Untersekunde auf der Antepaenul- 
tima erreicht (z. B. f g g, c d d). - Eine Eigentumlich- 
keit der friihen S.en wird in den Melodietiteln sichtbar. 
Diese dienten dem Zweck, die den einzelnen Textsche- 
mata entsprechenden Melodieschemata eigens zu kenn- 
zeichnen. Ein Teil der Titel ist mit dem Incipit des je- 
weils zugehorigen Alleluiaversus (z. B. Adorabo; Do- 
minus in Sina; Iustus ut palma) oder des S.-Textes (z. B. 
Benedicta; Concordia; Stans a longe) identisch, andere 
wahlen ein charakteristisches Wort aus dem Zusatn- 
menhang aus (Amoena; Captiva; Filia matris). Einer 
weiteren Gruppe fehlt jede unmittelbare Verbindung 
zum Text. Hierbei handelt es sich um Instrumentenna- 
men (Cithara; Lyra; Fistula), Adjektive, die eine Melo- 
die charakterisieren (Aurea; Preciosa; Nobilissima), geo- 
graphisch orientierte Namen (Occidentana; Graeca; 
Metensis) usw. Sie liefern wertvolle Anhaltspunkte fiir 
das friihe Entwicklungsstadium der S. - Von Interes- 
se ist auch das Problem der Teiltextierung. Als »teil- 
textierte« S.en werden jene 9 Melodieschemata siid- 
franzosischer Herkunft bezeichnet, in denen jeweils nur 
2 oder 3 Doppelversikel mit Text versehen sind. Da- 
bei erstreckt sich die Wortunterlegung im einzelnen 
nicht auf einen ganzen Versikel; untextierte Melodie 
steht am Anfang, meist auch am Ende desselben. Wie 
Handschin und Stablein gezeigt haben, blieben die tex- 
tierten Teile als feste, in ihrem melodischen Bau selb- 
standige Kernpartien in den volltextierten Fassungen 
der Melodieschemata erhalten. - Schon in den altesten 
Quellen erscheint als eigener Typus neben der »klassi- 



schen« die sogenannte »archaische« S. Auch ihr liegt 
- stellenweise weniger streng eingehalten - das Prinzip 
der progressiven Repetition zugrunde, doch wird ihre 
Gesamtstruktur wesentlich gepragt durch den »doppel- 
ten Kursus« (-> Cursus). Dieser besteht in der vollstan- 
digen oder teilweisen Wiederholung des melodischen 
und metrischen Verlaufs mehrerer Versikel, woraus die 
Bildung einer zweiten Versikelgruppe resultiert, die 
mit der ersten hinsichtlich ihrer Melodiezeilen und des 
metrischen Baus ihrer Texte ubereinstimmt. Handschins 
Annahme, daB die (vom MeBalleluia vollig unabhan- 
gige) S. mit »doppeltem Kursus« in der 1. Halfte des 9. 
Jh. entstanden sei und gegeniiber der »klassischen« S. 
den alteren (»archaischen«) Typus darstelle, erweist sich 
als unhaltbar. (Zur Quellenlage der bisher nachgewie- 
senen 8 »archaischen« S.en vgl. The Utrecht Prosarium 
...,1965,S.LLXff.) 

Nach dem Befund der alteren Quellen errang unter 
den westfrankischen Klostern, die sich der Pflege und 
Uberlieferung von S.en widmeten, die Abtei -»■ Saint- 
Martial von Limoges eine bedeutende Vorrangstellung. 
Angefangen von der altesten Aufzeichnung einer tex- 
tierten Sequentia - der Martialis-S. Concelebremus (als 
Nachtrag zu der aus dem 9. Jh. stammenden Hs. Paris, 
lat. 1154) - und anderen wichtigen Zeugnissen (z. B. 
den 9 teiltextierten S.en in Paris, lat. 909 und 887), fin- 
den sich hier sehr friihe Beispiele geschlossener S.en- 
Faszikel, deren Reihe mit den Hss. Paris, lat. 1118, 
1120 und 1121 beginnt. Dabei gehorte es bis gegen 
Mitte des 12. Jh. zur Eigenart westfrankischer (und 
englischer) Quellen, daB in ihnen eine nach Faszikeln 
getrennte Aufzeichnung der Sequentiae (in Neumen- 
gruppen) und Prosae (mit dariiberstehenden Einzel- 
zeicnen) vorgenommen wurde, wahrend die Manu- 
skripte ostfrankischer Herkunft beide Formen der Nie- 
derschrift auf einem Blatt vereinigten, indem die Me- 
lismen jeweils neben dem (ebenfalls mit Einzelzeichen 
versehenen) Text am Blattrand erscheinen. (Ob die 
Unterscheidung zwischen rein melismatischer und tex- 
tierter Fassung der Melodien eine abschnittsweise Wie- 
derholung der Melismen nach den einzelnen Versikeln 
[Husmann] oder eine instrumentale Ausfiihrung der 
textlosen Melodien nahelegt [Jammers], ist eine noch 
offene Frage.) - Innerhalb der ostfrankischen S.en- 
Tradition entwickelte sich das Kloster St. Gallen zum 
eigentlichen Mittelpunkt. Wie Notker Balbulus im 
Prooemium seiner 884 oder 885 fertiggestellten S.en- 
Sammlung Liber ymnorum schreibt, brachte um 851 ein 
Monch des im gleichen Jahr von den Normannen zer- 
storten nordfranzosischen Klosters Jumieges ein (MeB-) 
Antiphonale mit sich nach St. Gallen, in quo aliqui versus 
ad sequentias erant modulati. Nach dem Vorbild dieser 
Versus und unter Vermeidung ihrer Unzulanglichkei- 
ten schrieb Notker seine eigenen Texte (insgesamt 40 
Dichtungen, dazu erhalten 33 Melodieschemata), die 
dem Kloster einen bleibenden Namen in der Geschich- 
te der S. sicherten und zum Teil bis ins 16. Jh. in Ge- 
brauch standen. Schon friih wandten sich neben Not- 
ker auch Monche in St. Gallen selbst und in den Klo- 
stern Reichenau, Rheinau, St.Emmeram, Fulda, Metz 
und Priim der neuen Gattung zu, darunter Waldram 
(um 900) und ->■ Ekkehart I. von St. Gallen, -> Berno 
von Reichenau, -*■ Hermannus contractus, Gottschalk 
von Limburg (1010/20-1098) und -+ Hildegard von 
Bingen. Bis zum Ende des 10. Jh. war die S. auBer nach 
Italien auchnachEngland (mit Winchester als vermeint- 
lichem Zentrum) und Spanien vorgedrungen. 
Der etwa zweihundert Jahre sparer fertig ausgebildete 
Typus der sogenannten S. jiingeren Stils unterscheidet 
sich von seinem »klassischen« Vorlaufer. Die einzelnen 
Versikelpaare (Strophe und Gegenstrophe) zeigen un- 



864 



Sequenz 



tereinander ganzliche oder zumindest weitgehende An- 
gleichung ihrer Silbenzahl. An die Stelle der metrisch 
durchgehenddifferenziertenTextstrukturtritteinstreng 
geregelter Akzentrhy thmus ; die Assonanz wird vom 
Reim verdrangt. Dem entsprechen auf seiten der Me- 
lodie eine starke Vereinheitlichung der Bauelemente 
und das Fehlen jeder Beziehving zum Alleluia. Die meist 
sehr eingangigen Melodien konnen zufolge ihrer ge- 
meinsamen oder ahnlichen Grundstruktur verschiede- 
nen Texten zugeordnet werden. GroBe Intervallspriin- 
ge und die Vorliebe fur einen weitgespannten Ambitus 
(haufig mit authentischem und plagalem Tonumfang 
innerhalb ein und desselben Stiickes) charakterisieren 
das melodische Gefiige der jiingeren S. Im Mittelpunkt 
dieser neuen Richtung steht der Augustinerchorherr 
Adam von St.Viktor zu Paris (1110-92), dessen S.en- 
Texte jene Kriterien einer formalen Glattung in voll- 
endetster Weise auspragen. Die stilistisch und zeitlich 
zwischen den beiden grofienEpochen liegenden Stiicke 
wurden von den Herausgebern der Analecta hymnica als 
»Prosen des Ubergangsstiles« klassifiziert. 
Gegeniiber der stark gebundenen Ordnung der tradi- 
tionellen liturgischen Gesange eroffnete sich im Zu- 
sammenhang mit den S.en ein groBes Betatigungsfeld, 
das die Moglichkeit lokaler Selbstandigkeit in der feier- 
lichen Gestaltung des Gottesdienstes bot. Sowohl im 
westfrankischen als auch im ostfrankischen Bereich 
zeigen die Sammlungen ein (gemeinsames) Grund- 
repertoire, verbunden mit einer Reihe von Stiicken, 
die den besonderen Erfordernissen der einzelnen Kir- 
chen entsprachen. DaB mancherorts mehr als 100 S.en 
im Laufe des Kirchenjahres gesungen wurden, macht 
deutlich, in welchem MaBe die S. im Rahmen der Li- 
turgie Verwendung fand - und schlieGlich iiberhand- 
nahm. Ihr (Text-)Bestand diirfte iiber 5000 Stiicke um- 
fassen. Neben der volligen Ausscheidung der Tropen 
fiihrten die Reformbeschliisse des ->■ Tridentiner Kon- 
zils zu einer Beschrankung auf nur 4 S.en im Kirchen- 
jahr: -*■ Victimae paschali laudes zum Osterfest, -* Ve- 
ni sancte spiritus zum Pfingstfest, -*■ Lauda Sion zum 
Fronleichnamsfest und ->• Dies irae zur Totenmesse. 
Erst seit 1727 findet sich das -> Stabat mater dolorosa 
zum Fest der Sieben Schmerzen Maria allgemein im 
romischen Missale und bildet heute zusammen mit den 
4 anderen Stiicken den kodifizierten Bestand. Aller- 
dings blieben in verschiedenen Orden und Diozesen 
weitere S.en lebendig, deren Gesamtzahl sich auf etwa 
100 belauft. Scheint damit die Geschichte der S. be- 
schlossen, so ist es doch die Geschichte einer Gattung, 
die neben dem Hymnus einen tiefgreifenden EinfluB 
auf die lateinische und vulgarsprachliche (-> Lai, Leich) 
Lyrik des Mittelalters ausgeiibt und auch in der Ge- 
schichte der Mehrstimmigkeit eine bedeutende Stel- 
lung eingenommen hat. 

- 2) In der musikalischen Satzlehre versteht man unter 
S. (von lat. sequentia, Folge, gebildet, jedoch unab- 
hangig von S.-l; frz. progression, marche harmo- 
nique oder marche d'harmonie; ital. progressione; 
engl. sequence) eine Folge von gleichartigen, in der 
Tonhohe einheitlich gegeneinander versetzten melodi- 
schen und (oder) klanglich-harmonischen 
Wendungen. Die S. laBt sich somit auch als 
Wiederholung einer Wendung auf verschie- 
denen, einander meist benachbarten Ton- 
stuf en charakterisieren. G. Weber gebrauch- 
te den Ausdruck S. zunachst im Sinne einer 
fortgesetzten Reihe einander ahnlicher Harmo- 
nieenschritte (Versuch einer geordneten Theorie 
der Tonkunst II, 1818, § 233); durch A.B. 
Marx erhielt er die in der Folgezeit giilti- 
ge allgemeinere Pragung (1838 begann 



Fl. 
V. 



Cemb. 



Marx in SchillingE und in seiner Lehre von der mu- 
sikalischen {Composition II die von ihm sonst gebrauch- 
ten Ausdriicke Folge und Gang durch S. zu ersetzen). 
In neuerer Zeit werden im allgemeinen folgende Fal- 
le auseinandergehalten : a) je nach Art der Wendung 
melodische und harmonische S., b) nach der Rich- 
tung der Versetzung steigende und fallende S., c) nach 
dem Intervall der Versetzung diatonische und chro- 
matische, daneben auch Terz-, seiten Quart- und 
Quint-S., d) nach dem Verhaltnis zur Tonart to- 
nale (nicht modulierende) und reale (modulierende) 
S., e) nach der Ausdehnung der Wendung S.en mit 
kurzen und mit umfangreichen Gliedern; doch iiber- 
schneiden sich in der Praxis diese Falle vielfach. Die 
S.-Glieder haben haufig formelhaften Charakter, und 
das Verfahren des Sequenzierens neigt zu etwas Sche- 
matischem, Mechanischem, daher wird der Gebrauch 
von S.en nicht zu alien Zeiten bejaht. - Sequenz- 
artige Erscheinungen finden sich gelegentlich in au- 
Bereuropaischer Musik (Vorderindien, China u. a.) 
und im Gregorianischen Gesang (vgl. Melisma iiber 
Judaeis im Responsorium prolixum Una hora der Ma- 
tutin vom Griindonnerstag). Selbstandige Bedeutung 
erlangte das Sequenzieren indessen erst in und durch 
die abendlandische Mehrstimmigkeit. Bereits in der 
Notre-Dame-Epoche spielte es in der Musik auf viel- 
faltige Weise eine Rolle, z. B. im 3st. Organum Bene- 
dicta (erklingend etwa als) : 

VO' & 




j ,. .•»• J ^lo-o- sW 



rrrri7rrrTiu.'rP 



Als Mittel der Kolorierung von (meist parallelen) 
Klangfortschreitungen tritt die S. dann auch im italie- 
nischen Trecento, weniger in der franzosischen Ars 
nova auf und ist bei den spateren Niederlandern (be- 
sonders in Obrechts Messen) in das differenzierte Satz- 
gefiige eingeschmolzen. Lange S.-Ketten kommen hau- 
figer vor; als steigende S.en dienen sie nunmehr auch 
der Textausdeutung (->• Climax, -> Epizeuxis), z. B. 
im Agnus II von Josquins Missa De Beata Virgine zum 
Text miserere: * . . , 




Fur den Palestrina-Stil hingegen ist charakteristisch, 
daB S.en gemieden werden (->■ Melodie). Durch die im 
16. Jh. aufbliihende Instrumentalmusik und das Prinzip 
der Textausdeutung gestiitzt, fand die S. in der Gene- 
ralbaBzeit auf unterschiedlichste Weise Verwendung, 
vielfach in Verbindung mit Antizipation, Synkope und 
Vorhalt, bei entsprechend groBziigiger Anlage oft von 
breiter, flachenhafter Wirkung, so besonders bei Vi- 
valdi und Handel, weniger schematisch auch bei J. S. 
Bach (5. Brandenburgisches Konzert, 1. Satz, Anf angs- 
gliedderS., Takt81ff.): 




55 



865 



Sequenz 



SequenzartigeErscheinungen kommen bei den Wiener 
Klassikern haufig vor. (Beispiele fur langere S.en: J. 
Haydn, Streichquartett Hob. Ill, 81,4. Satz, Takt 208ff . ; 
W.A.Mozart, Klaviersonate K.-V. 576, 3. Satz, Takt 
42ff.; Beethoven, 5. Symphonie, 1. Satz, Takt 407ff., 

4. Satz, Takt 1228.; Schubert, Gretchen am Spinnrade, 
Anfang der letzten Strophe). Dabei wird vielfach das 
in der 1. Halfte des 18. Jh. durch ubermaBigen Ge- 
brauch abgenutzte Verfahren der unmittelbaren Ver- 
setzung um einen Ton hoher (-»■ Rosalie) zu neuer 
Wirkung gebracht. Unmittelbare, mehr oder weniger 
intervallgetreue Versetzungen kleinster bis grofiter f or- 
maler Abschnitte finden sich in der Musik des 19. Jh. 
vielfach, vor allem bei Schubert, Wagner, Liszt und 
Bruckner. Sie sind aber nur selten mit dem Terminus 

5. ausreichend charakterisiert. 

Ausg. u. Lit. : zu 1) : H. Husmann, Tropen- u. Sequenzen- 
hss., = RISM B V, Munchen u. Duisburg (1964). - Choix 
des principales sequences du moyen-age, hrsg. v. F. Cle- 
ment, Paris 1861 ; Les proses d'Adam de St-Victor, hrsg. 
v. E. Misset u. P. Aubry, = Melanges de musicologie 
critique II, Paris 1900; Mediaeval Mus. Relics of Den- 
mark, hrsg. v. A. Hammerich, Lpz. 1912; Anglo-French 
Sequelae . . . , hrsg. v. A. Hughes OSB, Nashdom Abbey 
1934, Nachdruck Farnborough 1966;Monumentamusicae 
sacrae, hrsg. v. R.-J. Hesbert OSB, Macon u. Rouen 
1952ff. (I: Le prosaire de la Ste-Chapelle; II: Les mss. 
mus. de Jumieges; III: Le prosaire d'Aix-la-Chapelle) ; 
Melodiarium Hungariae medii aevi I, hrsg. v. B. Ra- 
jeczky, Budapest 1956; The Utrecht Prosarium . . ., hrsg. 
v. N. de Goede SCJ, = Monumenta Musica Neerlandica 
VI, Amsterdam 1965 (mit einem Kap. : Origin and De- 
velopment of the Sequence). - Analecta hymnica medii 
aevi VII-X, XXXIV, XXXVII, XXXIX, XL, XLII, XLIV, 
LIII-LV, Lpz. 1889-1922; Adam v. St. Viktor, Samtliche 
S., lat. u. deutsch, hrsg. v. F. Wellner, Munchen 2 1955; 
Antiphonale missarum sextuplex, hrsg. v. R.-J. Hesbert 
OSB, Brussel 1935; Amalarii episcopi Opera liturgica om- 
nia II — III, hrsg. v. J. M. Hanssens SJ, = Studi e Testi 
CXXXIX-CXL, Rom 1948-50. - F. Wolf, liber d. Lais, 
S. u. Leiche, Heidelberg 1841; A. Schubiger OSB, Die 
Sangerschule St. Gallens v. 8. bis 12. Jh., Einsiedeln u. NY 
1858, Nachdruck Hildesheim 1966; G. M. Dreves, Gode- 
scalcus Lintpurgensis . . ., Lpz. 1897; P. v. Winterfeld, 
Rhythmen -u. Sequenzenstudien, Zs. f . deutsches Altertum 
XLV, 1901; Cl. Blume SJ, Vom Alleluia zur S., KmJb 
XXIV, 1 9 1 1 ; A. Gastoue, Les proses parisiennes au XI I e s., 
et l'ceuvre d'Adam de St-Victor, Kgr.-Ber. Paris 1911 ; O. 
Drinkwelder, Ein deutsches Sequentiar aus d. Ende d. 12. 
Jh., = Verdff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. 
Schweiz VIII, Graz u. Wien 1914; T. Haapanen u. A. 
Maun, Zwolf lat. S. aus d. ma. Quellen Finnlands, Hel- 
sinki 1 922 ; C.-A. Moberg, Uber d. schwedischen S., 2 Bde, 
= Verdff. d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. 
Schweiz XIII, 1-2, Uppsala 1927; J. Handschin, Uber 
Estampie u. S. I-II, ZfMw XII, 1929/30 - XIII, 1930/31 ; 
ders., Sequenzprobleme, ZfMw XVII, 1935; ders., Uber 
einige S.-Zitate, AMI XV, 1943; ders., Trope, Sequence, 
and Conductus, in: The New Oxford Hist, of Music II, 
London, NY u. Toronto 1954; H. Spanke, Rhythmen- u. S.- 
Studien, Studi medievali, N. S. IV, 1 93 1 ; ders., Aus d. Vor- 
gesch. u. Fruhgesch. d. S., Zs. f. deutsches Altertum LXXI, 
1934; ders., S. u. Lai, Studi medievali, N. S. XI, 1938; 
ders., Die Kompositionskunst d. S. Adams v. St. Victor, 
ebenda XIV, 1941; H. Wachtel, Die liturgische Musik- 
pflege im Kloster Adelhausen seit Griindung d. Klosters 
1234 bis um 1500, Freiburger Diozesan-Arch., N. F. 
XXXIX, 1938; L. Kunz OSB, Rhythmik u. formaler Auf- 
bau d. fruhen S., Zs. f. deutsches Altertum LXXIX, 1943; 
M. Thelen, Die S. in d. Kolner Cuniberthss., Diss. Koln 
1 945, maschr. ; W. v. d. Steinen, Die Anf ange d. Sequenzen- 
dichtung, Zs. f. Schweizer Kirchengesch. XL, 1946 - XLI, 
1947 ; ders., Notker d. Dichter u. seine geistige Welt, 2 Bde, 
Bern 1948 (kleine Ausg. d. Ed.-Bd, Bern u. Munchen 1960, 
mit 5 Melodien, hrsg. v. G. Birkner) ; Fr. Labhardt, Zur 
St. gallischen Sequenztradition im Spatmittelalter, Kgr.- 
Ber. Basel 1949; ders., Das Sequentiar Cod. 546 d. Stifts- 
bibl. v. St. G alien u. seine Quellen, 2 Bde, = Publikationen 



d. Schweizerischen musikforschenden Ges. II, 8, 1-2, Bern 
(1959-63); G. Reichert, Strukturprobleme d. alteren S., 
DVjs. XXIII, 1949; G. Zwick, Les proses en usages a 
l'eglise de St-Nicolas a Fribourg jusqu'au dix-huitieme s., 
2 Bde, Immensee 1950; L. Brou OSB, Sequences et tropes 
dans la lit. mozarabe, in: Hispania sacra IV, 1951/52; E. 
Jammers, Rhythmische u. tonale Studien zur alteren S., 
AMI XXIII, 1951 ; ders., Der ma. Choral, Art u. Herkunft, 
= Neue Studien zur Mw. II, Mainz (1954); ders., Musik 
inByzanz.impapstlichenRom u. imFrankenreich, = Abh. 
d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1962. 
Nr 1 ; G. Vecchi, Poesia lat. medievale . . . , = Collezione 
Fenice XVII, Parma 1 952 ; ders., Troparium sequentiarum 
nonantulanum cod. Casanat. 1741 .... Pars prior, = Mo- 
numenta lyrica medii aevi italica I, Latina 1, Modena 1955 
(Faks.); H. Husmann, Die St. Galler Sequenztradition 
bei Notker u. Ekkehard, AMI XXVI, 1954; ders., S. u. 
Prosa, Ann. Mus. II, 1954; ders., Das Alleluia Multifarie 
u. d. vorgregorianische Stufe d. Sequenzgesanges, Fs. M. 
Schneider, Lpz. (1955); ders., Alleluia, Vers u. S., Ann. 
Mus. IV, 1956; ders., Die Alleluia u. S. d. Mater-Gruppe, 
Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., Alleluia, S. u. Prosa, in: Mis- 
celcinea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; 
ders., Ecce puerpera genuit. Zur Gesch. d. teiltextierten S., 
Fs. H. Besseler, Lpz. 1961 ; ders., Die S. »Duo Tres«. Zur 
Fruhgesch. d. S. in St. Gallen u. St. Martial, in: In me- 
moriam J. Handschin, StraBburg 1962; ders., Die Hs. 
Rheinau 71 d. Zentralbibl. Zurich u. d. Frage nach Echt- 
heit u. Entstehung d. St. Galler S. u. Notkerschen Prosen, 
AMI XXXVIII, 1966; Br. Stablein, Von d. S. zum Stro- 
phenlied. Eine neue Sequenzmelodie archaischen Stils, Mf 
VII, 1954; ders., Zur Fruhgesch. d. S., AfMwXVHI, 1961 ; 
ders., Die Unterlegung v. Texten unter Melismen. Tropus, 
S. u. andere Formen, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I ; ders., Not- 
keriana, AfMw XIX/XX, 1962/63; ders., Artikel S., in: 
MGG XII, Kassel 1965 ; Jumieges, Congres scientifique du 
13 e centenaire de Jumieges, Rouen 10.-12. 6. 1954, Bd II, 
Rouen 1 955 ; J. Schmidt-Gorg, Die S. d. hi. Hildegard, in : 
Beitr. zur rheinischen Mg. XX, Fs. L. Schiedermair, Koln 
1956 ; M. Huglo OSB, Un nouveau prosaire nivernais, in : 
Ephemerides Liturgicae LXXI, 1957; R. L. Crocker, The 
Repertory of Proses at Saint Martial de Limoges in the 
10'" Cent., JAMS XI, 1 958 ; F. Wulf, Die Osters. d. Notker 
Balbulus, Fs. J. A. Jungmann SJ, Basel 1959; G. Birkner, 
Das Sequenzrepertoire in Polen u. d. Stellung d. »Jesu 
Christe, rex superne«, Kgr.-Ber. Warschau 1960; ders., 
Eine »Sequentia Sancti Johannis confessoris« in Trogir 
(Dalmatien), in: Musik d. Ostens II, Kassel 1963 ; J. Chail- 
ley, L'ecole mus. de St-Martial de Limoges jusqu'a la fin 
du XI C s., Paris (1960); ders., Sur la rythmique des proses 
victoriennes, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962; F. 
Brenn, Die S. d. Graduate v. St. Katharinenthal, Fs. A. 
Orel, Wien u. Wiesbaden (1 960) ; T. Miazga, Prosa pro de- 
functis »Audi tellus«, Kgr.-Ber. Warschau 1960; H. Angles, 
Die S. u. d. Verbeta im ma. Spanien, StMf XLIII, 1961 ; J. 
Smits van Waesberghe SJ, Die Imitation d. Sequenztech- 
nik in d. Hosanna-Prosulen, Fs. K. G. Fellerer, Regens- 
burg 1962; W. Irtenkauf, Abecedar-S., Mf XVI, 1963; P. 
Dronke, The Beginnings of the Sequence, in: Beitr. zur 
Gesch. d. deutschen Sprache u. Lit. LXXXVII, 1965; R. 
H. Hoppin, Exultantes collaudemus, in : Aspects of Medie- 
val and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966). 

Serbien. 

Ausg. : Vl. R. Djordjevic, Collection of 125 Serbian Folk 
Songs, Belgrad 1933; B. Bartok u. A. B. Lord, Serbo- 
Croatian Folk Songs, NY 1951 ; 2. Stankovic, Narodne 
pesme n Krajini (»Volkslieder aus Krain«), = »Monogra- 
phien d. serbischen Akad. d. Wiss.« CLXXV, 1951 ; M. A. 
Vasiljevic, Jugoslovenski muzicki folklor, I Serbia, Bel- 
grad 1952; A. B. Lord, Serbo-Croatian Heroic Songs 
Collected by M. Parry, Novi Pazar, 2 Bde, London 1953- 
54; K. P. Manojlovic, Narodne melodije iz Istocne Srbije 
(»Volksweisen aus d. Osten S.s«), = »Monographien d. 
serbischen Akad. d. Wiss.« CCXII, 1953. 
Lit. : M. Milojevic, Muzicke studije i clanci (»Mus. Stu- 
dien u. Aufsatze«), I-II Belgrad 1926-33, III hrsg. v. G. 
Trajkovii-Milojevii, 1953; L. K. Goetz, Volkslied u. 
Volksleben d. Kroaten u. Serben, 2 Bde, Heidelberg 1937; 
W. Furnas, A Study of the Serbo-Croatian Narrative Folk 
Songs, Diss. Cambridge (Mass.) 1939; L. u. D. Jankovic, 



866 



Serenade 



Styles et techniques des danseurs traditionnels serbes, 
Journal of the International Folk Music Council IV, 1952; 
M. A. Vasiuevk!:, Les bases tonales de la musique popu- 
late serbe, ebenda; W. Wunsch, Die mus.-sprachliche 
Gestalt d. Zehnsilblers im Serbokroatischen Volks-Epos, 
Kgr.-Ber. Hbg 1956; V. 2ganec, Die Elemente d. jugosla- 
wischen Folklore-Tonleitern im serbischen liturgischen 
Gesange, in: Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 
1956, 31958; Dr. Cvetko, Les formes et les resultats des 
efforts musicologiques yougoslaves, AMI XXXI, 1959; 
L. S. Jankovic:, La situation actuelle de l'ethnomusicologie 
en Yougoslavie, AMI XXXII, 1960; R. Petrovk!;, Two 
Styles of Vocal Music in the Zlatibor Region of West Serbia, 
Journal of the International Folk Music Council XV, 1 963. 

Serenade (frz. serenade; ital. serenata, von sereno, 
heiter, unbewolkter Himmel [al sereno, im Freien] ; als 
musikalischer Ausdruck seit dem 16. Jh. meist mit sera, 
Abend, in Verbindung gebracht). Die Bezeichnung S. 
ist, da sie primar keine bestimmte Art von Musik, 
sondern nur allgemein einen Bereich von Auffiih- 
rungsgelegenheiten (Abend, im Freien) umschreibt 
oder assoziativ die Situationen soldier Auffiihrungen 
anklingen laBt, f ur verschiedenartige musikalische Gat- 
tungen angewendet worden: fiir vokale oder gemischt 
vokal-instrumentale Huldigungskompositionen (Sere- 
nata, Standchen); fiir instrumentale, »unterhaltende« 
Kompositionen (Divertimento, Kassation, Nocturne, 
Tafelmusik) ; fiir Lieder oder Kammermusik (im 19. 
Jh.), die die Idee und Situation des Standchens poeti- 
sierend oder programmatisch nachzeichnen; fiir Or- 
chester- und Kammermusikwerke (seit der 2. Halfte 
des 19. Jh.), die sich durch ihre Faktur deutlich von 
der symphonischen Musik abheben. Die Ausdriicke 
Serenata und S., obwohl urspriinglich nur verschiedene 
(italienische und franzosische) Sprachformen desselben 
Wortes, werden heute gewohnlich in unterschiedener 
Bedeutung gebraucht: -»■ Serenata fiir eine bestimmte, 
der -* Kantate und der Oper nahestehende Gattung 
von Kompositionen mit Gesang, S. fiir weniger an ei- 
nen bestimmten AnlaB gebundene instrumentale oder 
fiir standchenhafte Werke. Die S. wurde im 18. Jh. 
audi oft als Nachtmusik (haufig bei W.A.Mozart; 
ital. notturno; frz. nocturne) bezeichnet; synonym mit 
S. und Divertimento wurde auch Cassatio (-> Kassa- 
tion) gebraucht. -*■ Divertimento (- 1) und S. entstan- 
den beide als Nachfolger der ->■ Suite; die Bezeich- 
nungen sind zwar in vielen Fallen austauschbar, doch 
wurde der Titel S. in der Regel fiir Kammermusik- 
werke mit mehr als 3-4 Satzen verwendet (im Un- 
terschied zu Divertimento). Andererseits sind die Be- 
griSe Divertimento und -> Standchen nicht austausch- 
bar. Gemeinsam ist S. und Divertimento die Vorliebe 
fiir Tanzsatze (bis ins 19. Jh. enthalten S.n meist zwei 
oder mehrere Menuette) ; der Marsch als Einleitungs- 
und SchluBsatz scheint jedoch in der S. haufiger zu sein. 
Die in Salzburg wirkenden Komponisten M. Haydn, 
L. und W.A.Mozart unterschieden - nicht ohne Aus- 
nahmen - bei Streicherbesetzung zwischen kammer- 
musikalischem Divertimento (einfache Besetzung der 
Stimmen) und orchestraler S., doch sind die Blaser- 
S.n (-> Harmoniemusik) derselben Meister wohl fiir 
einfache Besetzung bestimmt. 

S. als Titel ist zuerst bei A. Striggio (1560) nachweisbar 
fiir eine Gruppe 6st. Madrigale mit Volksliedzitaten, 
dann bei O. Vecchi (1590) : Selva di varia ricreazione ..., 
Madrigali, Capricci, Balli, Arte, Justiniane, Canzonette, 
Fantasie, Serenate, Dialoghi . . . Ende des 17. Jh. erschei- 
nen vereinzelt Suiten unter dem Titel S. (vgl. Sandber- 
ger 1921), z. B. von H.I.Fr.Biber (1673, mit dem 
Nachtwachterruf), J.J. -► Walther (1688), A.Kuhnel 
(1698, Sonata da camera) und Fux (1701, achtstimmige 
2chorige Blasersuite). Danach kommt die Bezeichnung 



S. fiir suitenartige Werke erst wieder in der Vorklassik 
auf , zuerst beiKomponisten wie A. Holler (um 1760) und 
Aspelmayr (1765), dann bei Dittersdorf, C.G.Toe- 
schi, V.Pichl, M.Haydn und L.Mozart; diese schufen 
den Typus der S., der, zwischen Kammer- und Or- 
chestermusik stehend, Elemente beider aufnahm und 
an den W.A.Mozart ankniipfte. Doch die Synthese 
von gleichzeitig unterhaltender und kompositorisch 
hochst anspruchsvoller Musik, die in W.A.Mozarts 
S.n vollzogen erscheint, war einmalig und unwieder- 
holbar. W.A.Mozarts autographe Titel, seine in Brie- 
fen fiir die gleichen Werke gebrauchten Bezeichnun- 
gen, die von L. Mozart oder fremder Hand eingefiihr- 
ten und die heute gebrauchlichenWerktitel weichen in 
zahlreichen Fallen voneinander ab. Dennoch kann deut- 
lich unterschieden werden zwischen dem Typ des Di- 
vertimentos einerseits (schwachere Besetzung, gering- 
fiigigere Entstehungsanlasse) und dem der S. anderer- 
seits. Eher den S.n als den Divertimenti zuzurechnen 
sind K.-V. 113, 166 und 186. Eine fest umreiBbare 
Werkgruppe bilden die 1769-79 fast jahrlich im Au- 
gust an der Universitat Salzburg als »Final-Musik« auf- 
gefiihrten S.n. Fiir diesen AnlaB entstanden K.-V. 100, 
63, 99, 185, 203 (vgl. die Anmerkung von Einstein im 
K.-V.), 204, 251 und 320 (wahrscheinlich gehort auch 
das Divertimento K.-V. 131 in diesen Zusammenhang; 
vgl. HauBwald 1961, S. VHIf.). Einige dieser Werke 
sind unter Weglassung der konzertanten Satze als Sym- 
phonic aufgefuhrt worden und in Abschriften auch in 
dieser Form (unter dem Titel Sinf onia) uberliefert. Zu- 
sammenhange hinsichtlich der Bezeichnung, der mehr- 
chorigen Besetzung und wahrscheinlich auch des An- 
lasses ihrer Entstehung bestehen zwischen der Serenata 
nottuma, K.-V. 239 (Jahreswende 1775/76), und dem 
wahrscheinlich ein Jahr spater entstandenen Notturno 
fur 4 Orch., K.-V. 286. Die S. K.-V. 101 tragi den au- 
tographen Titel Contredance (der sich auf den 1. Satz 
bezieht) ; von fremder Hand ist hinzugefiigt : Standchen. 
Fiir Festlichkeiten im Hause Haffner in Salzburg be- 
stimmt waren die S. K.-V. 250 (»Hafmer-S.«, auch in 
gekiirzter Fassung als Sinfonia uberliefert) und die 
Symphonie K.-V. 385 (»Haffner-Symphonie«), die ur- 
spriinglich zusammen mit dem Marsch K.-V. 408 Nr 2 
und einem (verlorenen?) Menuett eine S. bildete. Aus 
ungeklarten Griinden ist die Mehrzahl der zu den S.n 
als Einleitungs- und SchluBsatz gehorigen Marsche ein- 
zeln uberliefert (8 Marsche zu S.n, 3 Marsche zu Di- 
vertimenti; vgl. die von HauBwald 1951, S. 19f. gege- 
bene Obersicht der Marsche; K.-V. 62 - noch im K.-V. 
[6. Auflage] als verschollen bezeichnet, neuerdings auf- 
gefunden - gehorte wahrscheinlich zur S. K.-V. 100), 
nur in 4 Fallen ist der Marsch als Teil der S. uberliefert. 
Seit 1780 schrieb Mozart keine Divertimenti mehr; die 
nach diesem Zeitpunkt entstandenen 5 S.n tragen samt- 
lich die Merkmale grofier Kunstmusik: K.-V. 361 (im 
Autograph als Gran Partita, heute oft als S. fiir 13 Bla- 
ser bezeichnet), 375, 388 [Nacht Musique], 385 (heute 
als »Haffner-Symphonie« bekannt) und 525 (Eine kleine 
Nacht-Musick lautet im autographen Werkverzeichnis 
der Titel dieser bekanntesten S. Mozarts, die ebenfalls 
durch Eliminierung eines heute verlorenen Menuetts 
dem Sonaten-Satzzyklus angepaBt wurde und somit in 
der Form der Sinfonia uberliefert ist). Das Genre der 
vorwiegend unterhaltenden Musik ist in diesen 5 Wer- 
ken aufgegeben zugunsten hochst differenzierter Satz- 
technik und Tiefe der Gedanken, die in das Gewand 
der S. eingekleidet sind. Als einzige der nach Mozart 
entstandenen S.n kniipfen das -»■ Septett op. 20 (1799/ 
1800) von Beethoven und Schuberts Oktett (D 806, 
1824) an diese Konzeption an, doch ist es charakteri- 
stisch, daB schon Beethoven die Bezeichnung S. nur 



55* 



867 



Serenata 



fur op. 8 (Streichtrio) und op. 25 (Fl., V. und Va), 
Werke von geringerem Anspruch, verwendet. Ein 
Vorgang wie die von Beethoven 1795-96 vorgenom- 
mene Umarbeitung des Oktetts (op. 103; autographer 
Titel: Parthia dans tin Concert . . . ; 1792 fur die Ta- 
felmusik in Bonn komponiert) zum Streichquintett 
op. 4 und seine damit bewirkte Uberfiihrung in die 
»Kunstmusik« ware fiir Mozart undenkbar gewesen 
und zeigt die verwandelte Situation (Mozarts Streich- 
quintett K.-V. 406 ist lediglich ein -> Arrangement des 
Blaserdivertimentos K.-V. 388). 
Nach 1800 wurde S. eine haufig synonym mit Stand- 
chen gebrauchte Bezeichnung fiir Lieder oder mehr- 
stimmige Gesange mit Standchencharakter. Diese Gat- 
tung ist auch in den instrumentalen Bereich iibertragen 
worden; S. heiBt z. B. die Nr 36 der Lieder ohne Worte 
(op. 67Nr6) von Mendelssohn Bartholdy. Bekanntestes 
Beispiel und Vorbild zahlreicher instrumentaler Stand- 
chen-S.n, die als Einzelsatze in zyklischen Werken ste- 
hen, ist u. a. das Andante cantabile ausJ.Haydns Streich- 
quartett Hob. Ill Nr 17. Die Begleitung (pizzicato oder 
gebrochene Akkorde) ahmt die Spielweise der tragb aren 
Begleitinstrumente des Standchensangers (Mandoline, 
Laute, Gitarre) nach. -Eine'n Versuch der Ankniipfung 
anW. A. Mozarts groBe S.n und der Rekonstituierung 
dieser zwischen Kammer- und Orchestermusik einen 
eigenen Platz einnehmenden Gattung stellen die 2 S.n 
op. 11 (1858) und op. 16 (1860) von Brahms dar. In 
ihrem Gefolge entstand ein umfangreiches Repertoire 
verschiedenartiger Kompositionen, das von den kam- 
mermusikalisch dichten, an Beethovens op. 25 an- 
kniipfenden S.n Regers (op. 77a und 141a, fiir Fl., V. 
und Va) bis zu leichten, an die Salonmusik und das 
moderne Genre der Unterhaltungsmusik angrenzen- 
den Werken (Fr. Drdla) gespannt ist. Als gewichtigere 
Beitrage sind zu nennen die S.n von R. Volkmann (op. 
62, 63 und 69, 1869/70), Tschaikowsky (op. 48, 1880), 
Dvorak (op. 22, 44 und 90), R. Strauss (op. 4, 1884), 
Elgar (op. 20, 1892), H. Wolf (Italienische S., 1892),Suk 
(op. 6, 1893), Reger (op. 95, 1905/06), Sibelius (op. 69, 
1912/13), Schonberg (op. 24, 1923), das Octuor (1923) 
und die S. in A fiir Kl. (1926) von Strawinsky. 
Lit.: — > Divertimento; G. Hausswald, Einleitungen zu: 
W. A. Mozart, Neue Ausg. samtlicher Werke, Serie IV, 
Werkgruppe 12, Bd II (1961) u. Bd III (1962). 

Serenata (ital.) wird heute im Unterschied zu -»■ Se- 
renade - obwohl beide Worter urspriinglich dasselbe 
bedeuten - in einem terminologisch eingeengten Sinn 
gebraucht fiir Huldigungskompositionen mit Gesang 
und Instrumental-(Or'chester-)Begleitung, die im 17. 
und 18. Jh. an europaischen Fiirstenhofen zur Feier be- 
stimmter Ereignisse (z. B. Hochzeiten, Geburts- und 
Namenstage) als -*■ Festmusik beliebt und in der Regel 
mit szenischen Darstellungen verbunden waren. Da in 
friiherer Zeit zwischen den Benennungen S. und Sere- 
nade nicht unterschieden wurde, trat der Titel S. meist 
in Verbindung mit einem bestimmenden Beiwort 
(teatrale, drammatica) auf ; zuweilen wurden auch an- 
dere Bezeichnungen gewahlt, z. B. -> Azione teatrale, 
Festa teatrale, Componimento oder Scena da camera. 
Sinnverwandt ist das deutsche Wort -*■ Standchen. 
Meist liegt der S. eine allegorische Handlung zugrunde, 
die sich auf das gefeierte Ereignis bezieht. Auch die 
Oper war seit dem 17. Jh. in vielen Fallen allegorisches 
Huldigungsfestspiel (das glanzendste Beispiel ist II po- 
rno d'oro, 1667, von M.A.Cesti; noch La clemenza di 
Tito, 1791, von W.A.Mozart gehort hierher); die S. 
wiederholt diese Konzeption in bescheidenerem Rah- 
men und mit geringerem theatralischem Aufwand. 
Aus den zahlreichen weniger bedeutenden Gelegen- 
heitskompositionen heben sich heraus die 9 Serenate 



von A. Stradella, u. a. II Barcheggio (1681) und Qual 
prodigio (hrsg. von Fr. Chrysander, Handel-GA, Suppl. 
Ill), die 3 Fassungen (1709, 1720 und 1732) des Acis und 
Galathea-Stoffes durch G. Fr. Handel und Le nozze 
d'Ercole e d'Ebe (1747) von Gluck. Fiir die Gestaltung 
der spatbarocken S. wirkten Libretti von P.Metastasio 
richtungweisend; viele von ihnen wurden mehrfach 
vertont (z. B. La Contesa dei Numi, zuerst komponiert 
von Vinci 1729, spater u. a. von Gluck 1749; L'asilo 
d'Amore, zuerst komponiert von Caldara 1732, spater 
u. a. von Hasse 1742). Feste an kleineren Hofen oder in 
Adelshausern wurden (vor allem nach 1700) auch mit 
einer fiir diese Gelegenheit komponierten Cantata (oh- 
ne szenische Darstellung) gefeiert; doch ist zwischen 
szenischer S. und ->■ Kantate nicht generell zu unter- 
scheiden. Auch deutsche Huldigungskantaten entstan- 
den im 18. Jh., u. a. von J. S. Bach (BWV 30a, 36a, 134a, 
173a, 193a, 201, 205, 205a, 206, 207, 207a, 208, 210a, 
212, 213, 214, 215, 249a und 249b; zehn dieser Werke 
tragen den Titel ->• Dramma per musica). 

Serielle Musik (von frz. musique serielle, s. v. w. 
reihengebundene Musik), Bezeichnung fiir musikali- 
sche Werke, deren Kompositionstechnik auf (Pra-)De- 
termination moglichst aller musikalisch relevanten Ei- 
genschaften bzw. der Parameter der einzelnen Tone 
(»Klange«) wie auch der Tongruppen durch Zahlen- 
bzw. Proportionsreihen zielt. Der Begriff S. M. be- 
zeichnet nicht nur die nach bestimmten Verfahren 
komponierten musikalischen Werke, sondern auch die 
Idee einer »musique pure« von vollkommener Ratio- 
nalitat. - Da es im Rahmen einer einzelnen Komposi- 
tion nicht moglich ist, die -*■ Parameter sowohl der 
einzelnen Tone als auch die des Tonsatzes durch Reihen 
zu determinieren, unterscheidet man grundsatzlich 2 
Arten von serieller Planung: eine, in der die Parameter 
der Tone (Tonqualitat, Tonhohe, Oktavlage, Klang- 
farbe, Tondauer, Lautstarke, Artikulation, Ausgleichs- 
vorgang) durch Elementreihen fixiert werden, und ei- 
ne zweite, in der die Parameter der zum Teil sehr um- 
f angreichen Gruppen (Gruppendauer, Tonmenge, Ton- 
dichte, Ambitus, Artikulation, Register- und Dichte- 
verhaltnisse) teils durch Zahlen-, teils durch Propor- 
tionsreihen geordnet werden. Basiert eine serielle Kom- 
position auf dem gleichzeitigen Ablauf von Element- 
reihen, so entsteht die »Struktur«, der (»punktuelle«) 
Tonsatz, quasi automatisch. Bilden dagegen Reihen, 
die die Gruppenmerkmale »statistisch« determinieren, 
den Ausgangspunkt der Komposition, so werden die 
Parameter der einzelnen Tone dem Reihenzwang ent- 
zogen. Die beiden Arten der S.n M., die punktuelle 
und die statistische, stellen Extreme dar, die sowohl in 
reiner Form als auch in mannigfachen Zwischenfor- 
men anzutreffen sind. - In der punktuellen Musik wird 
jeder Parameter, wenn moglich, durch mathematische 
Operationen quantifiziert und den (moglichst nach der 
GroBe) geordneten Quanten eine Zahlenreihe substi- 
tuiert. Um etwas der Stufengliederung des Tonhohen- 
bereichs Vergleichbares im Bereich der Dauern zu 
schaffen, wurde versucht, durch Multiplikation von 
(kleinsten) Zeitwerten rhythmische Reihen zu ermit- 
teln, etwa: J) = l, J) = 2, JS = 3... J. = 12 oder 
J) = 1, J = 2 . . . a- = 12. Da die Reihen in diesem 
Fall sowohl feste GroBen ermitteln, als auch ein Be- 
ziehungssystem verschiedener Dauern darstellen, kann 
durch den Wechsel der BezugsgroBe etwas der Trans- 
position Ahnliches erreicht werden. Die GroBen der 
Parameter Klangfarbe und Lautstarke sind im Bereich 
der Vokal- und Instrumentalmusik nicht durch ma- 
thematische Operationen zu ermitteln; es lassen sich 
vielmehr lediglich die (mehr oder weniger willkiirlich) 



868 



Serielle Musik 



gewahlten GroBen ordnen, ohne daB ein musikalisch 
relevantes Beziehungssystem entstehen konnte. Die- 
sen Reihen kommt nur sekundare Bedeutung zu, da 
sie nur im Zusammenhang mit Tonhohen- und Ton- 
dauerreihen inErscheinung treten konnen. Gleichwohl 
bewirken sie eine Difierenzierung des Tonsatzes. L. 
Nono hat im 2. Satz seines Canto sospeso (1956) die 
Reihen so miteinander verkniipft, daB jeder Tonqua- 
litat, wenn sie wiederkehrt, eine andere Lautstarke zu- 
geordnet ist. Die Anzahl der Reihen sowie die Zahl 
der durch Reihen geordneten GroBen werden vom 
Komponisten bestimmt. P. Boulez arbeitet in der Struc- 
ture la fur 2 Kl. (1952) mit 4 Reihen, je einer 12glied- 
rigen Tonqualitats-, Tondauer- und Intensitatsreihe 
sowie einer lOgliedrigen Reihe fur die Anschlagsarten, 
wahrend K. Stockhausen in Kontra-Punkte (1953) nur 
6 Intensitatsgrade verwendet. - In der statistischen Mu- 
sik wird nicht die Beziehung der einzelnen Tone zu- 
einander durch Reihen fixiert, sondern die ganzer 
Komplexe (»Gruppen«). Das Intervall einer Tonhohen- 
reihe z. B. fixiert nicht mehr ein direkt sukzessiv oder 
simultan erscheinendes Intervall, sondern den Ambitus 
einer Gruppe, die durch alle chromatischen Zwischen- 
stufen aufgefiillt werden kann (H.Pousseur, Quintett, 
1955; K. Stockhausen, Gruppenfiir 3 Orch., 1957). Das 
Hauptproblem der S.n M. und der statistischen im be- 
sonderen, ist die Herstellung einer sinnvollen Beziehung 
zwischen den Tonhohen und den Tondauern. Stock- 
hausen geht dabei so weit, Tonhohe und Tondauer 
als zwei Aspekte der Zeit anzusehen (Tonhohe als 
Vorgange in der Mikrozeit, Tondauer als Makrozeit). 
Er hat eine »chromatisch temperierte Dauernreihe« 

12 

durch eine logarithmische Zwolferskala (]/12) inner- 
halb einer Oktave von beispielsweise o = 1 sec bis 
o = i/ 2 sec (2:1) errechnet: M.M. o = 60 / o = 63,6 / 
o = 67,4 / o = 71,4 / o = 75,6 / o = 80,1 / o = 84,9 / 
o = 89,9/o = 95,2/o= 100,9/o= 106,9/ o=113,3/ 
o = 120 (n = 60). Eine solche Gliederung ermoglicht, 
legt man fur die einzelnen Oktaven stets die Dauern- 
proportion 2:1 zugrunde, 7 musikalisch sinnvolle 
Dauernoktaven : , , 1 k 

t=p- M fe o J J J> J\ 

8sec 4sec 2sec lsec 1/2 sec i/4sec Vssec !/i6 sec 
Trotz aller proportionalen Entsprechungen bildet diese 
Dauernskala doch kein Aquivalent zur Tonhohenord- 
nung, da die langen Dauern sich musikalisch zu kurzen 
anders verhalten als tiefe Tone zu hohen. Um dieser 
Tendenz entgegenzuwirken, entstand der Gedanke, 
die langen Werte in alle moglichen Bruchteile zu un- 
terteilen, in Halbe, Drittel, Viertel, . . . Zwolftel, und 
die Summe der Bruchteile mit gleichem Nenner der 
Grunddauer gleichzusetzen. Die Grunddauer und ihre 
Bruchteile sollten sich analog verhalten wie der Grand- 
ton zu den Obertonen. Auf diese Weise sollte sich zu- 
gleich etwas der KlangfarbeEntsprechendes im Bereich 
der Dauern konstruieren lassen. Das Verfahren wurde, 
wie auch das durch die Dauernskala erzwungene der 
variablen Tempi, zu einem der wichtigstcn der statisti- 
schen Gruppenkomposition, etwa der Gruppenfiir drei 
Orch. (1957) von Stockhausen (Ambitus: gis*-d2; siehe 
folgendes Beispiel). Besondere Schwierigkeiten bereitet 
das Problem der musikalischen Form. Da der Automatis- 
mus der ausElementreihen gewonnenen Strukturen un- 
ter bestimmten Umstanden zu einer Wiederkehr des 
Gleichen f iihrt oder doch wenigstens keine ausreichende 
Abwechslung zulafit, konnen die einzelnen Reihen 
durch Permutation verandert werden. Die Art der Per- 
mutation bestimmt die Modification der Struktur: es 
entstehen sgesteuerte Strukturen«. Daauchdie Verkniip- 
f ung der einzelnen Abschnitte einer umf angreicheren se- 



Fl. 
Alt-Fl. 



Trommeln 

Marimbaphon 

Glockenspiel 

Harfe 



V. I u. II 
V. Ill u. IV 



Va 



Vc. 




riellen Komposition nicht stets zwingend aus den Struk- 
turen abgeleitet werden kann, sind einige Komponisten 
gelegentlich dazu iibergegangen, Auswahl und Anord- 
nung der Abschnitte innerhalb eines Werkes dem Zu- 
f all zu iiberlassen (Boulez, 3. Klaviersonate, 1 957 ; Stock- 
hausen, Klavierstiick XI, 1957; Pousseur, Mobile fur 2 
Kl., 1958). In anderen Fallen raumen die Komponisten 
den Interpreten auch gewisse Freiheiten innerhalb eines 
formal geschlossenen Werkes ein, dessen Tonsatz we- 
gen der variablen Tempi labil gehalten ist (Boulez, 
2. Mallarme-Improvisation, 1957; Stockhausen, Zeitmafie 
fur Blaserquintett, 1956). 

Historisch gesehen bedeuten die Techniken der S.n M. 
zugleich Weiterentwicklung und Zerfall der Schon- 
bergschen -> Zwolftontechnik: Weiterentwicklung 
insofern, als die Idee einer reihenmaBigen Gliederung 
der Intervallbeziehungen auch auf andere Parameter 
iibertragen wurde, Zerfall, weil die einmal gewahlte 
Reihenform durch Permutation verandert werden kann 
und schlieBlich die reihenmaBige Tonhohenordnung 
uberhaupt ganz auf gegeben wurde. -> Permutation (-3) 
innerhalb der einmal gewahlten Z wolf tonreihe wandten 
schon A. Berg (Lulu, 1935) und E.Kfenek (Lamentatio 
Ieremiae Prophetae op. 93, 1942) an. - Die Ubertragung 
der Reihenidee auf die anderen Parameter verwirklich- 
te O.Messiaen in seinem Klavierstiick Mode de valeurs 
et d'intensites (1949). An dieses Stuck sowie an die Wer- 
ke A.Weberns kniipften Boulez, Pousseur, Nono, 
Stockhausen unabhangig voneinander an und entwik- 
kelten die Techniken der S.n M., deren Entfaltung eng 
mit der der elektronischen Musik zusammenhangt. Da 
»das total Determinierte dem total Indeterminierten 
gleich wird« und »die totale Durchf iihrung des seriellen 
Prinzips das Serielle schlieBlich aufhebt« (G.Ligeti 
1960), hat man die Idee der totalen Pradetermination 
seit etwa 1955 aufgegeben und dem Zufall einigen 
Spielraum iiberlassen (-* Aleatorik). Seit etwa 1959 
scheinen einige europaische Komponisten unter dem 
EinfluB von J. Cage uberhaupt auf reihenmaBige Glie- 
derung der einzelnen Parameter verzichten zu wollen. 
Lit.: Elektronische Musik, Technische Hausmitt. d. NWDR 
VI, 1954; Gravesaner Blatter, 1955-66; die Reihe, Infor- 
mation uber S. M., 8 H., Wien 1955-62; Darmstadter Beitr. 



869 



Serinette 



zur Neuen Musik, Mainz seit 1958. - Th. W. Adorno, 
Dissonanzen, Gottingen 1956, 31963; ders., Klangfiguren, 
Mus. Schriften I, Bin u. Ffm. 1959; ders., Quasi una fan- 
tasia, ebenda II, 1963; C. Dahlhaus, Zur Problematik d. 
S. M., Frankfurter H. XIV, 1959; N. Ruwet, Contradic- 
tions du langage seriel, RBM XIII, 1959; E. Krenek, Ex- 
tents and Limits of Serial Techniques, MQ XLVI, 1960; 
Movens. Dokumente u. Analysen zur Dichtung, bildenden 
Kunst, Musik, Architektur, hrsg. v. F. Mon, Wiesbaden 
1960; Problems of Modern Music. The Princeton Seminar 
in Advanced Mus. Studies, MQ XLVI, 1960; A. Ph. Ba- 
sart, Serial Music. A Classified Bibliogr. of Writings on 
Twelve-Tone and Electronic Music, Berkeley u. Los An- 
geles 1961, 21963; R. Stephan, Horprobleme S. M., in: 
Veroff. d. Inst. f. Neue Musik u. Musikerziehung Darm- 
stadt III, Bin 1962; Y. Xenakis, La musique stochastique, 
Rev. d'esthetique XV, 1962; K. Stockhausen, Texte . . ., 
2 Bde, Koln (1963-64); J. Rohwer, Neueste Musik, Stutt- 
gart (1964); R. Heinemann, Untersuchungen zur Rezep- 
tion d. s. M., = Kolner Beitr. zur Musikforschung XLII1, 
Regensburg 1966. RSt 

Serinette (sarin'et, frz.) -» Vogelgesang (- 3). 

Serpent (frz. serpent, Schlange, Schlangenhorn; ital. 
serpentone, groBe Schlange) ist ein um 1590 in Frank- 
reich aus dem -> Zink entwickeltes, schlangenformig 
gewundenes BaBinstrument, das wie ein Blechblasin- 
strument iiber ein meist halbkugeliges Mundstiick aus 
Elfenbein oder Horn angeblasen wurde. Die Verbin- 
dung zwischen Mundstiick und Corpus stellt eine ge- 
bogene Messingrohre (Kriicke) her. Der S. wurde ur- 
spriinglich (wie der krumme Zink) aus flachen, ausge- 
hohlten Holzteilen zusammengeleimt und mit Leder 
umwickelt; nach 1800 wurden in England S.e in der 
Form des Fagotts teilweise oder ganz aus Metall gebaut. 
Die Lange des weitmensurierten, konischen Windka- 
nals schwankte zwischen 180 und 240 cm; gewohnlich 
stand der S. in B (Umfang lA-b 1 ), kleinere Instrumen- 
te standen in C oder in D. 6 Grifflocher, die in 2 Grup- 
pen zu je 3 angeordnet waren, stellten kaum mehr als 
eine Intonationshilfe dar. Auch mit den um 1800 hin- 
zugefiigten 3-4 Klappen, die eine verbesserte Anord- 
nung der Locher erlaubten, blieb es schwierig, den S. 
rein zu blasen, und deshalb geriet er schlieBlich in Ver- 
ruf (vgl. seine Verurteilung durch Berlioz 1844). In 
Frankreich diente der S. vom 17. bis ins 19. Jh. zur Ver- 
starkung der Mannerstimmen im Kirchengesang. Er 
verbreitete sich ab der 2. Halfte des 18. Jh. in Deutsch- 
land (Wagner schrieb inn 1842 im Rienzi vor) und in 
England, wo er vor allem in den Militarkapellen als 
BaBinstrument zur Verstarkung des Fagotts diente, bis 
er diese Rolle an die ->■ Ophikle'ide abgab. 
Lit.: M. Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, 
Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; J. Frohlich, 
Vollstandige theoretisch-praktische Musiklehre, Bonn 
(1811); H. Berlioz, Traite d'instrumentation ..., Paris 
1844, erweitert Paris 1856, deutsch Lpz. 1843, NAbearb. v. 
R. Strauss, Lpz. 1905, 21955; G. Karstadt, Zur Gesch. d. 
Zinken u. seiner Verwendung in d. Musik d. 16.-18. Jh., 
AfMf II, 1937; A. Baines, Woodwind Instr. and Their 
Hist., London (1957). 

Service (s'a:vis, engl.), Bezeichnung fur die unver- 
anderlichen, mehrstimmig komponierten Teile der 
nationalsprachlichen anglikanischen Liturgie, die von 
der englischen Reformation aus der romischen Messe 
bzw.dem Stundengebet iibernommen wurden und im 
Book of Common Prayer enthalten sind. Ein Full s., die 
zyklische, meist in einer Tonart stehende Vertonung 
aller oder doch der meisten S.-Teile, besteht aus dem 
Morning s. oder Morning prayer (Venite exsultemus; 
Te Deum; Benedictus Dominus Deus Israel; Jubilate; Be- 
nedicite), dem Evening s. oder Evening prayer {Magni- 
ficat; Nunc dimittis; Cantate Domino; Deus misereatur) 
und dem Communion s. (im 16. Jh. meist nur Kyrie 



und Credo, seltener auch Sanctus; heute gewohnlich 
alle Ordinariumsteile). Die Geschichte der S.-Verto- 
nungen beginnt im 16. Jh. mit den kurzen, homophon 
und vorwiegend syllabisch gesetzten Short S.s von 
Chr.Tye und Th.Tallis, die zum Teil noch heute im 
Gottesdienst verwendet werden. Fast gleichzeitig ent- 
standen Byrds kontrapunktisch und rhythmisch reicher 
gestaltete Great high s.s mit Orgelbegleitung, in denen 
chorische Full-Partien mit solistischen Verse-Partien 
abwechseln; erstere wurden haufig von 2 Chorhalften 
(cantores und decani) antiphonisch vorgetragen. Nach 
den Great s.s von Morley, Weelkes, Th. Tomkins und 
O. Gibbons traten die S.s hinter das weitverbreitete 
-*■ Anthem stark zuriick, Bedeutende S.s entstanden 
erst wieder im 19. und 20. Jh. (Attwood, J.Stainer, 
Stanford, Sullivan). 

Ausg.: Tudor Church Music II (Byrd), IV (O. Gibbons), 
VIII (Th. Tomkins), hrsg. v. P. C. Buck, E. H. Fellowes, 
A. Ramsbotham, R. R. Terry, S. Townsend Warner, 
London 1922-28 ; W. Byrd, GA X, hrsg. v. E. H. Fellowes, 
London 1948. 

Lit.: E. H. Fellowes, Engl. Cathedral Music, London 
1925, 21943; G. Reese, Music in the Renaissance, NY 
(1954), 21959; P. le Huray, Towards a Definitive Study 
of Pre-Restoration Anglican S. Music, MD XIV, 1960; D. 
Stevens, Tudor Church Music, London 1961. 

Sesquialtera (lat. sesqui = semique und altera, »zwei 
und dieHalfte«, griech. ■t]y.i6\io<;, -*■ Hemiole), Bezeich- 
nungsfragment f Lir proportio s., die -> Proportion (- 2) 
3:2. S. heiBt: - 1) die Quinte; - 2) in der -+ Men- 
suralnotation die Verkiirzung in der Proportion \ ; sie 
wird zuweilen miBverstandlich nur durch eine vorge- 
zeichnete 3 gefordert. S. und Hemiole werden in der 
Notierung unterschieden, indem die S. mit Proportions- 
zeichen und normalen Noten, die Hemiole mit -* Co- 
lor (- 1) geschrieben wird. - 3) als Orgelstimme (auch 
Sesquialter) eine gemischte Stimme, zumeist zweifach, 
bestehend aus Quinte 22/3' und Terz Vis', auch 51/3' 
und 31/5' oder IV3' und 4 / 5 ' (dann auf c repetierend). 
Lit. : zu 2) : M. Br. Collins, The Performance of Colora- 
tion, S., and Hemiola (1450-1750), Diss. Stanford Univ. 
(Calif.) 1963, maschr., Teildruck in: JAMS XVII, 1964. 

Sevilla. 

Lit. : J. Matute y GavIria, Hijos de S., 2 Bde, S. 1886-87 ; 
S. de la Rosa y Lopez, Los seises de la catedral de S., S. 
1904; R. M. Stevenson, La musica en la catedral de S., 
1478-1606, Los Angeles 1954. 

Sext (lat. hora sexta) -> Terz, Sext, Non. 

Sextakkord, in der GeneralbaBlehre jeder durch ei- 
ne 6 iiber oder unter dem BaBton geforderte, aus Terz 
und Sexte bestehende Akkord (nach der Vorzeichnung, 
in C dur also auch d-f-h). In der dur-moll-tonalen 
Harmonielehre ist der S. die 1. Umkehrung des Dur- 
bzw. Mollakkords. Diese ist, isoliert betrachtet, konso- 
nant. Im musikalischen Zusammenhang kann der S. je- 
doch auch auffassungsdissonant werden (die Sexte als 
Vorhalt vor der reinen Quinte, z. B. d-fis-h/d-iis-a). 

Sexte (lat. sexta, sechste), die 6. Stufe in diatonischer 
Folge, auch Umkehrung der -*■ Terz. Die musikalische 
Praxis kennt die S. als groB, klein, 
vermindert und iibermaBig. Die : 




musikalische Akustik kennt die gro- 
Be und kleine S. als natiirlich (3:5 und 5:8), pythago- 
reisch (1 6 : 27 und 81:1 28) und gleichschwebend tempe- 
riert ( 3 /4 und 2 / 3 der Oktave). - Die S., die in der ein- 
stimmigen Musik der Antike und des Mittelalters als 
-»• emmelisches Intervall gewertet wurde, erscheint in 
der Klassifikation der Intervalle bei Johannes de Gar- 
landia und Franco von Koln als -* Discordantia (bei 
Garlandia ist die groBe S. discordantia media und im- 



870 



Shout 



perfecta, die kleine S. discordantia media, bei Franco 
die groBe S. discordantia imperfecta, die kleine S. dis- 
cordantia perfecta; CS I, 105b und 129b). Die bis zur 
Mitte des 16. Jh. giiltige Deutung der S. als unvollkom- 
mener Konsonanz (-> Konsonanz und Dissonanz - 1) 
besagt, daB die S. im mehrstimmigen Satz zwar not- 
wendig und wohlklingend sei, aber, zumindest am 
SchluB eines Abschnitts, in eine vollkommene Konso- 
nanz aufgelost werden sollte. Als Norm gilt fiir die 
groBe S. die in der -> Klausel unerlaflliche Weiterfiih- 
rung zur Oktave, fiir die kleine S. die Auflosung in die 
Quinte. Entscheidenden Anteil an der Anerkennung 
der S. als vollgultiger Konsonanz hatte ihr Gebrauch 
im -> Fauxbourdon und -*■ Faburden des 15. Jh., in 
dem die AuBenstimmen oft iiber langere Strecken in 
S.n-Parallelen gefiihrt sind. -> Dorische S., -» French 
sixth, ->■ German sixth, -> Neapolitanische S., -> Sixte 
ajoutee, -> Sextakkord. 

Sextett (ital. sestetto; frz. sextuor; engl. sextet), eine 
Komposition fiir 6 obligate Stimmen, die Vereinigung 
von 6 Instrumental- oder Vokalsolisten oder (in der 
Oper) ein Ensemble von 6 handelnden Personen mit 
Orchesterbegleitung (z. B. in Mozarts Don Giovanni, 
Finale des 2. Akts). Boccherini erprobte neben dem 
Streichquintett als erster auch das Streich-S.; er fand 
Nachfolger in Brahms (op. 18 und 36), Dvorak (op. 
48), Reger (op. 118) und Schonberg (Verklarte Nacht 
op. 4). Wechselnde Besetzungen zeigt das Blaser-S., 
z. B. 2 Ob., 2 Klar., 2 Fag., oder - wie in der Suite Mlddi 
(»Jugend«) von Janacek - Fl. (auch Piccolo), Ob., Klar., 
BaBklar., Horn und Fag. Seltener ist das Klavier-S. 
(Mendelssohn Bartholdy, op. 110; Pfitzner, op. 55). 
S.e, deren Besetzung und Satz durch die Hinzufiigung 
von 2 Hornern zum ->■ Streichquartett gekennzeichnet 
sind, riicken in die Nahe des -> Divertimentos (- 1 ; 
z. B. W.A.Mozart, »Dorfmusikanten-S.«£m musikali- 
scher Spafi, K.-V. 522; ahnliche Werke von J.Haydn 
u. a.) bzw. der -> Serenade und legen meist mehrfache 
Besetzung der Streicherstimmen nahe. 

Sextole (Sechser; ital. sestina; frz. und engl. sexto- 
let), eine fiir 4 Noten eintretende Figur von 6 Noten 
gleicher Form. Die Ausfiihrung als doppelte ->■ Triole 
(2x3 Noten) oder Triole mit Unterteilung (3x2 No- 
ten) ist aus der Notierung oft nicht eindeutig abzu- 
lesen; haufig fordert die Schreibung in S.n, daB Bin- 
nenakzente unterbleiben sollen, in der Violinmusik, 
daB 6 Noten auf einem Strich gespielt werden sollen. 
Beethoven notiert im Largo (4/4-Takt) des Klavier- 
konzerts C dur op. 15 dreigeteilte Achtel als Triolen 
(Takt 22), zweigeteilte Achteltriolen als S.n (Takt 99). 

Sextus (lat. der Sechste; auch sexta vox, lat. sechste 
Stimme; ital. sesto) -> Quintus. 

sf, sfz, Abk. fur -> sf orzato (ital.) bzw. sf orzando ; sff z, 
Abk. fiir sf orzatissimo ; sfp, Abk. fiir sforzato piano. 

sforzato (ital.), verstarkt, seltener sforzando; Abk.: 
sf, sfz, auch fz (f orzato) oder fiir starkere Akzente ff z, 
sffz (sforzatissimo), forciert, d. h. stark betont, eine Be- 
zeichnung, die stets nur fiir den Ton oder Akkord gilt, 
bei dem sie steht. Das Sf . hat nur eine relative Starkebe- 
deutung, d. h. im Piano soil es nicht starker als poco 
forte oder mezzoforte sein. Seit dem 19. Jh. werden sf 
und rinforzato (-*■ rinforzando) oft gleichgesetzt. sfp, 
Abk. fiir sforzato piano, bedeutet sf mit darauffolgen- 
dem Piano. 

's-Gravenhage -> Den Haag. 

Shake (Jeik, engl.) -»> Triller. - Im 17. Jh. unterschie- 
den die Englander zwischen Sh.d graces (»getrillerte« 
Verzierungen, mit wiederholten Trillerbewegungen, 



wie Sh.d backfall, Close und Open sh., Sh.d elevation 
u. a.) und Smooth graces (»flieBende« Verzierungen, mit 
auf- und absteigenden melodischen Bewegungen wie 
Backfall, Beat.Elevationu. a.);zudenletzterengehorten 
die verschiedenen Arten der Vor- und Nachschlage. 

Shanty (J'aenti, chanty, chantey, engl., wahrscheinlich 
von frz. chanter, singen), ein Seemanns- bzw. Arbeits- 
lied der Seeleute der Handelsschiffahrt zur Zeit der Se- 
gelschiffe. Bevorzugte Themen sind Heim- und Fern- 
weh, Abenteuer, Hafenliebe, Seenot und Seemanns- 
garn. Die Strophen werden vom Vorsanger gesungen, 
der Refrain von alien. Der musikalische Rhythmus ent- 
spricht dem Rhythmus der seemannischen Arbeitsvor- 
gange (Ankerhieven, SegelheiBen, Pumpen). Begleit- 
instrument ist gelegentlich die Ziehharmonika. Zu den 
bekanntesten Shanties gehort The Banks of Sacramento. 
In neuerer Zeit ist der Sh. als Schlager wieder aufgelebt. 
Ausg. u. Lit.: H. Schacht, Plattdutsche Schipperleeder, 
Hbg 1903; R. R. Terry, Sailor Sh., ML I, 1920; C. Fox 
Smith, A Book of Sh., London 1927; W. B. Whall, Sea- 
songs and Sh., Glasgow 1927; H. Whates, The Back- 
ground of Sea Sh., ML XVIII, 1937; K. Tegtmeier, Alte 
Seemannslieder u. Sh., Hbg o. J. ; A. Stuebs, Whisky John- 
ny. Songs u. Sh. v. London Town bis Mobile Bay, Bad Go- 
desberg (1958); Sh. from the Seven Seas, hrsg. v. St. Hu- 
gill, London u. NY 1961. 

sharp (Ja:p, engl., scharf, hoch), unter den -*■ Akzi- 
dentien das Zeichen fiir die Erhohung (#). ImEnglischen 
werden durch den Zusatz sharp zu den Tonbuchstaben 
Tonnamen und Tonartenbezeichnungen angegeben, 
z. B. C sharp (major oder minor) = Cis (dur oder moll). 

Sheng (Jen, chinesisch) '->Mundorgel. 

Shimmy (J'imi, engl., Herhd), dem -> Foxtrott ver- 
wandter Gesellschaftstanz amerikanischer Herkunft, 
der nach dem 1 . Weltkrieg auf kam und 1 920/21 Mode- 
tanz wurde. Man erklarte den Namen des Sh. mit sei- 
ner charakteristischen Bewegung, die aussieht, ah seien 
die Tanzer bemuht, die Hemden von den Schultern abzu- 
schiitteln (Riemann, Musik-Lexikon, 11 1929). Die Musik 
steht im <£- oder 2/4-Takt und gehort der Gattung des 
-> Ragtime an; das Tempo ist etwa J = 96. Ein be- 
kannter Sh. war Kitten on the Keys von Zes Confrey 
(noch im 4/4-Takt notiert). Ein Beispiel fiir den Sh. in 
der Kunstmusik bietet die Klaviersuite »1922« op. 26 
von Hindemith. 

Sho (Jo:,japanisch) -^Mundorgel. 

Shout, Shouting (Jaut, engl., lautes Schreien, Ru- 
fen), Bezeichnung fiir eine Gesangsart der amerikani- 
schen Neger. Charakteristisch fiir den Sh. ist das an- 
dauernde Umkreisen eines Haupttons mit schriller 
Stimme, wobei sich als die hervorstechenden melodi- 
schen Intervalle Blue notes und -> Dirty tones einstel- 
len. Das ekstatische Sh.-Singen fand ursprunglich bei 
religiosen Anlassen, dann u. a. in Verbindung mit 
-*■ Negro spirituals statt, wobei der Gruppengesang 
durch FuBstampfen und Handeklatschen begleitet und 
haufig die Beteiligten zu gemeinsamen, dem Tanz an- 
genaherten Bewegungen hingerissen wurden. Beim 
Ring-sh. gehen die Sh.-Sanger, mit vorgehaltenen Han- 
den den -> Beat (- 1) klatschend, in einem Kreis herum. 
Die emphatische Singweise des Sh. gibt es aufierdem 
im Sh.ed worksong, Sh.ed spiritual oder Sh.ed blues. 
Der fiir den Sh. typische anhaltende Wechsel zwischen 
Hauptton und Blue notes begegnet auch im instrumen- 
talen Musizieren der amerikanischen Neger und ge- 
langte von hier aus in den friihen Jazz, besonders in die 
Praxis des Kornettspiels, weshalb der Sh. als einer der 
Ausgangspunkte fiir die -»• Hot-Intonation des Jazz an- 
gesehen wird. 



871 



Si 



Si, im romanischen Sprachgebiet Name fur den Ton 
H, der nach Zacconi (1622) durch Anselm von Flan- 
dern, nach F.Swertius (1628) durch Waelrant einge- 
fiihrt sein soil. Diese eindeutige, unveranderliche Be- 
zeichnung wurde notwendig, als man zur Umgehung 
der Mutation im 16./17. Jh. mehtund mehr die Hexa- 
chordeinteilung der -> Solmisation zugunsten des Ok- 
tavsystems aufgab. Andere Vorschlage jener Zeit fur 
den Ton H waren: Bi, Ci, Di, Ni, Ba, Za. 

Siciliano (sit|ilj'a:no, ital., auch siciliana; frz. sicilien- 
ne), ein seit dem spaten 17. Jh. bekanntes, der ->• Pa- 
storale nahestehendes Instrumental- oder Vokalstiick 
im 6/8- oder 12/8-Takt i n wi egender Bewegung, hau- 
fig mit dem Rhythmus JJ2 > meist in Moll. Ob der 
S. aus Sizilien stammt, ist nicht eindeutig nachgewie- 
sen. Schon im 14. Jh. werden in der Literatur vokale 
Ciciliane erwahnt (z. B. bei Giovanni da Prato 1389), 
von denen jedoch weder Text noch Melodie bekannt 
sind. Seit dem friihen 16. Jh. sind vereinzelt Arie sici- 
liane uberliefert (zuerst bei Petrucci 1505, spater z. B. 
von G. Stefani 1622 und C. Milanuzzi 1625) mit Texten 
in Ottave siciliane (->• Strambotto), ohne eigene musi- 
kalische Form. Die f iir den S. charakteristischen Merk- 
male werden erst um 1700 greifbar, z. B. in der Aria 
alia siciliana aus Scarlattis Kantate Una belta ctieguale 
(nach Dent, S. 148) : 



^r iyj pr~rp i J prpr 

Bel - la ,se vuoiperte far-mi lan-gui-rf 






Arien dieses Typus finden sich haufig in italienischen 
Opern und Kantaten des 17./18. Jh., gelegentlich mit 
der Bezeichnung -> Allegro, der die Angabe entspricht, 
daB (nach BrossardD) der S. zusammen mit Forlanes de 
Venise und Gigues angloises zu den danses gayes gehorte, 
dont Fair va en sautant. Nach WaltherL (Artikel Can- 
zonetta) gehoren die Sicilianischen Canzonetten zu den 
Giquen-Arten. In den Tanzlehrbuchern wird der S . nicht 
beschrieben. Auffallend an den Arien alia siciliana ist 
das haufige Auftreten des Neapolitanischen Sextak- 
kords, der als ein Merkmal des sizilianischen Volksge- 
sangs gilt (Dent, S. 147fL). Nach 1700 scheinen die S.- 
Arien allgemein ein langsameres Tempo angenommen 
zu haben. Unter Handels Arien ist der S., zwar nur sel- 
tennamentlichbezeichnet (Amadigi, 1715; Semele, 1744; 
Susanna, 1749), als Typus jedoch haufig, meist Larghet- 
to, aber auch Largo und Largo assai iiberschrieben. Der 
instrumentale S. ist seit dem friihen 18. Jh. in der Kla- 
vier- und Ensemblemusik uberliefert, gelegentlich auch 
ohne den punktierten Rhythmus. Wie die Tempobe- 
zeichnungen in den S.-Arien Handels, so weist auch das 



« F, jm rn 



,h'-J. 3 J J ' J= 



nwr vf t = 



i 



attfr^tor 



^^ 




J. S. Bach, S. aus der Sonate Es dur fiir 
Quer-Fl. und Cemb., BWV 1031. 



Musikschrif ttum um 1750 auf das langsame Tempo des 
S.s hin (iiber die Art seiner Ausfiihrung schreibt Quantz 
Versuch XIV, 22). Langsame instrumentale Siciliani 
finden sich auBer bei J. S.Bach auch z. B. bei Handel, 
Padre Martini, W.Fr.Bach und noch am Ende des 19. 
Jh. bei Faure. Die schnelle Sicilienne in Meyerbeers 
Robert le diable hat auBer dem 6/8-Takt mit dem S. des 
18. Jh. nichts gemein. 

Lit.: E. Dent, A. Scarlatti, London 1905, 21960; A. Lo- 
renz, A. Scarlatti's Jugendoper, 2 Bde, Augsburg 1927 ; O. 
Tiby, II problema della »siciliana« dal Trecento al Sette- 
cento, Bollettino del Centro di studi filologici e linguistic! 
siciliani II, 1954; I. Herrmann-Bengen, Tempobezeich- 
nungen, = Miinchner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959. 

Sieb -> Filter. 

Siena. 

Lit.: R. Marocchi, La musica in S., S. 1886; L. Cellesi, 
Storia della piu antica banda mus. senese, S. 1906; S. A. 
Luciani, La musica in S., S. 1942; Accad. Mus. Chigiana, 
hrsg. v. A. Damerini u. G. Roncaglia, S. 1959; K. v. Fi- 
scher, Die Rolle d. Mehrstimmigkeit im Dome v. S. zu Be- 
ginn d. 13. Jh., AfMw XVIII, 1961 ; ders., Das Kantoren- 
amt am Dome v. S. zu Beginn d. 13. Jh., Fs. K. G. Fellerer, 
Regensburg 1962. 

Sifflote (von frz. sifflet, Pfeife) ist in der Orgel ein zy- 
lindrisch offenes Labialregister zu 1', auch 11/3' oder 2 , 
von scharfzeichnendem Klang. 

Sight (sait, engl., Anblick) bezeichnet im 15. Jh. die 
charakteristische Ausfiihrungsweise des improvisierten 
englischen -»• Discantus, wobei die Tone jeder zum 
Plainsong gesungenen Stimme (mene, treble, quatreble ; 
auch countir, countertenor und faburdon) nicht in 
ihrer real erklingenden Hone gelesen, sondern trans- 
poniert im Tonbereich des Plainsong vorgestellt wer- 
den. Gelehrt wird diese Praxis in den englischen Dis- 
kanttraktaten der 1. Halfte des 15. Jh. (Richard Cutell, 
L.Power, Anonymus Pseudo-Chilston ; ferner die 
Anonymi in Brit. Mus., Add. 21455, und Cambridge, 
Corpus Christi College, Ms. 410; auch bei J.Hothby, 
Guilelmus Monachus und N. Burtius) ; Power bestimm- 
te seinen Traktat fiir syngers, or makers, or techers. - Es 
handelt sich beim S. um die Lesung (»Sichtung«) der. 
nur imaginierten (Power: to ymagine), in Relation zum 
notierten Plainsong stehenden Noten der Gegenstim- 
men. Zu jeder Stimme gehort - durch die ihr zugeord- 
neten konkordanten Intervalle (acordis) zum Plain- 
song - ein bestimmter Skalenausschnitt (degree) ; die 
genau festgelegten, die Mitte jeder Stimmlage markie- 
renden Anfangs- und SchluB-Acordis sind gleich dem 
unveranderlichen Transpositionsintervall zwischen 
wirklich erklingendem (in voice) und nur vorgestelltem 
(in s.) Ton. Der Mene (die 2. Stimme, -> Meane) z. B. 
hat als mogliche Acordis in voiceEinklang, Terz, Quin- 
te, Sexte, Oktave (selten Dezime), die bei vorgeschrie- 
bener Quinttransposition in s. als Unterquinte, Unter- 
terz, Einklang, Sekunde, Quarte, (Sexte) zum Plain- 
song gedacht werden. So beginnt der Mene-Sanger 
real eine Quinte iiber dem Plainsong, denkt diesen Ton 
aber als Unisonus. Ebenso erklingen alle f olgenden vor- 
gestellten Tone eine Quinte hoher. Die Acordis des ok- 
tavtransponierenden Treble (Power liest alle Stimmen 
im treble s.) sind in voice Quinte, Sexte, Oktave, De- 
zime, Duodezime ; fiir einen Sanger mit groBem Stimm- 
umfang auch Unisonus, Terz, Tredezime und Doppel- 
oktave. Der dezimentransponierende Quatreble kann 
die Oktave, Dezime, Duodezime, Tredezime und Dop- 
peloktave zum Plainsong singen; er ist nichts anderes 
als der oktavversetzte Mene, hat die gleichen Acordis 
in s. wie dieser und wird von Knaben ausgefiihrt. - 
Das Verfahren des S. beruht also auf einer Trennung 
von Klangraum und Vorstellungsraum jeder improvi- 



872 



Singakademie 



sierten Stimme. Klanglich ist z. B. das Ergebnis eines 
4st. Diskantierens mit Mene, Treble und Quatreble ein 
Satz im Raume zweier Oktaven mit Wechsel von per- 
fekter und imperfekter Klangqualitat, bei dem wegen 
der Wahlfreiheit der Acordis in den sich iiberschnei- 
denden Intervallbereichen Stimmkreuzung moglich 
ist und keineswegs eine bloBe Parallelbewegung resul- 
tiert. In der Vorstellung der Ausfiihrenden aber sind 
hier alle 3 Diskantstimmen in einen normalerweise 
durch Unterquinte und Oberquinte zum Plainsong be- 
grenzten Tonraum projiziert. 

Vorstellungsraum Klangraum 




Die kleineren Intervalle in s. konnen jetzt auf dem Vier- 
liniensystem des als Mitte gedachten Plainsong abgele- 
sen werden. Dies erleichtert die Stegreifausfuhrung der 
Diskantstimmen (so begriindet der lateinische Anony- 
mus, Brit. Mus., Add. 21455, f. 9-10', die Einf iihrung 
der S.-Lesung) und die einheitliche Wahl der Akzi- 
dentien. Die relativ geschlossene Systematik der drei 
von alien Traktaten im wesentlichen iibereinstimmend 
beschriebenen hauptsachlichen S.s, die samtlich in voice 
iiber dem C. f. liegen, wird durchbrochen von den bei 
Pseudo-Chilston gelehrten S.s des Countertenor, Coun- 
tir und Faburdun. Diese erklingen teilweise (counter- 
tenor) .oder ganz (countir, faburdun) unter dem Plain- 
song und transponieren daher - wenn iiberhaupt - in 
umgekehrter Richtung. Dabei reicht der Countertenor 
in s. (= in voice, also ohne Transposition und so ohne 
eigentliche S.-Lesung) von der Unter- bis zur Ober- 
oktave des Plainsong. Der Countir dagegen benotigt 
2 S.s: Natural s. (Einklang bis Unteroktave in voice) 
mit Quinttransposition, also eine Spiegelung des Mene; 
Alterid s. fur sehr tiefe Lage (Dezime bis Doppelokta- 
ve unter dem C. f.) mit Duodezime als Transpositions- 
intervall, also eine Spiegelung des Quatreble. Der S. 
des Faburdun endlich (-»■ Faburden) mit Quinttranspo- 
sition und Unisonus sowie Oberterz in s., d. h. Unter- 
quinte sowie Unterterz in voice bedingt einen stark 
parallelgefuhrten Satz mit Mene-Plainsong und dazu 
oberquartparallelem, aber ohne S.-Lesung ausgefiihr- 
tem Treble. - Die Terminologie ist in den Traktaten 
nicht durchweg eindeutig. So kann S. sowohl die eine 
Transposition einschlieBende Leseweise (bei Power: 
ymaginacion) der Einzelnoten, das Diskantieren mittels 
des S.-Prinzips, den Raum einer durch einen bestimm- 
ten S. gekennzeichneten Stimme, wie auch diese Stim- 
me selbst meinen. Ebenso kann Degree den Tonraum 
einer Stimme, diese Stimme selbst, aber auch den S.- 
Raum einer Stimme bedeuten. 

Lit. : J. Hawkins, A General Hist, of the Science and Prac- 
tice of Music I, London 1 776; Ch. Burney, A General Hist, 
of Music II, London 1782; Riemann Mth; S. B. Meech, 
Three XV tt -Cent. Engl. Mus. Treatises . . ., Speculum X, 
1935; M. F. Bukofzer, Gesch. d. engl. Diskantsu. d. Faux- 
bourdons nach d. theoretischen Quellen, = Slg mw. Abh. 
XXI, StraCburg 1936; ders., Studies in Medieval and Re- 
naissance Music, NY 1950; ders. in: The New Oxford 
Hist, of Music HI, London 1960; Thr. G. Georgiades, 
Engl. Diskanttraktate aus d. 1 . Half te d. 1 5. Jh., = Schrif- 
tenreihe d. Mw. Seminars d. Univ. Miinchen III, Munchen 
1937; J. Wolf, Early Engl. Mus. Theorists, MQ XXV, 
1939; S. W. Kenney, »Engl. Discant« and Discant in Eng- 
land, MQ XLV, 1959; H. H. Carter, A Dictionary of 
Middle Engl. Mus. Terms, = Indiana Univ. Humanities 
Series XLV, Bloomington (1961). RB 

Signale, Signalmusik. Schallgerate zum Signalge- 
ben werden bei fast alien Naturvolkern benutzt, in 
Hochkulturen nachweisbar schon im alten Orient, vor 



allem bei derjagd (-> Jagdmusik), im Kriegswesen und 
bei kultischen und hofischen Zeremonien. Benutzt 
werden Instrumente, auf denen rhythmische Signale 
gegeben werden konnen (Schlaginstrumente wie Am- 
boB, Glocken und Trommeln), oder Instrumente mit 
groCer Schallkraft wie Horner (Muschelhorner in der 
Siidsee, Holztrompeten, Luren im germanischen Al- 
tertum, Tuba, Cornu, Bucina und Lituus in der romi- 
schen Antike). Bei der altjudischen Chazozra wurden 3 
Grundsignale unterschieden - teqi'a (langer Ton) , teru'a 
(geschmetterter Ton) und shebarim (2 abwechselnde 
Tone) - und zu groBeren Signalen zusammengestellt. 
Im Hochmittelalter wurden mit dem Aufkommen von 
Metallblasinstrumenten (Busine, spater Trompete), die 
mehr als einen Naturton geben konnten, die Signale 
musikalisch reichhaltiger. Festgelegte Signale gab es 
fiir Fiirsten und Stadte, spater fiir die Post sowie be- 
sonders in der Militarmusik. Altenburg nennt 1795 
fiinf Signale (Feldstiicke, -*■ Feldmusik) fiir die Ka- 
vallerie: Boute-selle (Satteln), a Cheval (Aufsitzen), 
Marche oder Cavalquet (Marsch), Retraite (Ruckkehr 
oder Abzug, Ruhe), a l'Etendart (Zur Standarte). Im 
Exerzierreglement von 1847 fiir die preuBische Infan- 
terie sind 23 Signale fiir Signalhorn verzeichnet. Bei 
Staatsbesuchen wird noch heute der »Generalmarsch« 
geschlagen. - Signale und Fanfaren haben in Kompo- 
sitionen verarbeitet u. a. Beethoven in der Schlacht bei 
Vittoria (->■ Battaglia), Tschaikowsky im Capriccio 
italien und Bizet in Carmen. 

Lit. : J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur he- 
roisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795, NA 
Dresden 1911, Nachdruck Bilthoven 1966; E. Gerson-Ki- 
wi, Artikel Musique (dans la Bible), in : Dictionnaire de la 
Bible, Suppl. V.Paris 1957. 

Signum (lat., Zeichen). Das Wort s. bzw. der Plur. 
signa benennt musikalisch u. a. : altgriechische Noten- 
zeichen (Boethius, De institutione musica IV, 5, ed. 
Friedlein, S. 316) ; die Dasia-Zeichen (Musica Enchiria- 
dis, GS I, 153a); die Buchstaben-Tonzeichen (signa 
monochordi oder signa vocum bei Ph. de Vitry, CSM 
VIII, 16ff.); die Noten- und Pausenzeichen der Men- 
suralnotation (figurae) ; den Strich oder Punkt in ver- 
schiedener Bedeutung (->■ Punctus - 2) ; die Mensur- 
vorzeichnung (um 1400 signa mensurae, daneben auch 
signa extrinseca vel non essentialia genannt, Pr. de Bel- 
demandis, CS III, 214ff.), und zwar fiir die Prolatio (s. 
prolationis), das Tempus (s. temporis) und den Modus 
(s. modi), auch die aus der Notierung selbst ohne be- 
sondere Zeichen ersichtlichen Andeutungen der Men- 
sur, z. B. auch mittels -»■ Color (- 1 ; signa intrinseca vel 
essentialia bei Pr. de Beldemandis, signa implicita bei 
Glareanus, Dodekachordon, S. 203) ; die Versetzungszei- 
chen (signa semitonia designantia bei Ph. de Vitry, CS 
III, 26a, und noch 1756 bei Mozart Versuch, S. 41: 
X = S. intensionis, \> = S. remissionis, i\ = S. restitutio- 
nis); die GeneralbaBbezifferung (Praetorius Synt. IIL, 
S. 146) ; nach WaltherL auBerdem den Bindebogen (S. 
connexionis), die Fermate (S. quietis), den Custos (S. 
continuationis), den SchluBstrich (S. conclusionis) ; das 
Wiederholungszeichen (S. repetitionis, BrossardD). 

sjmile (ital., ahnlich, in gleicherWeise) -»- Abbre via- 
turen (- 6). 

Sinfonia (ital.) ->■ Ouvertiire, -*■ Symphonic 

Sinfonia concertante (sinfon'i : a kontjert'ante, ital.) 
-> Symphonie concertante. 

Singakademie, eine 1791 in Berlin gegriindete Ver- 
einigung von Musikliebhabern, die ihre Chorproben 
in der Akademie der Kiinste abhielten. 1827 zog die S. 
in ein eigens fiir sie errichtetes Gebaude. Die ersten Di- 



873 



Singbewegung 



rektoren der S. waren C.Fr.Fasch, C.Fr.Zelter, C.Fr. 
Rungenhagen, E.Grell. Im friihen 19. Jh. entstanden 
ahnliche Singvereine in Frankfurt an der Oder durch 
E.Petersen und C.W.Spieker (1815), in Frankfurt am 
Main durch J.N. Schelble (1818) und in Breslau durch 
J.Th.Mosewius (1825). In den Konzerten der Berliner 
S., die nach Art der -> Akademie des 18. Jh. offentlich 
oder im engeren Kreis gegeben wurden, bestimmten 
neben a cappella-Werken die Oratorien von Handel, 
Haydn, Mendelssohn Bartholdy, das Requiem von 
Mozart, Der Todjesu von C. H. Graun, aber auch Kan- 
taten Bachs die Programme. 1829 dirigierte F.Men- 
delssohn Bartholdy die erste Neuauffiihrung der Mat- 
thauspassion von Bach. Die S. widmete sich fast aus- 
schlieBlich geistlichen Chorwerken, nahm aber im Sin- 
ne des liberalen Bildungschristentums nicht am kirch- 
lichen Leben teil. In der 2. Halfte des 19. Jh. stand die 
S. der musikalischen Romantik und vor allem der Neu- 
deutschen Schule ablehnend gegeniiber. Erst unter G. 
Schumann, nach 1900, wurden auch die Chorwerke 
von Bruckner, Liszt, Reger, Verdi beachtet. 
Lit. : J. Th. Mosewius, Die Breslauische S. in d. ersten 25 
Jahren ihres Bestehens, Breslau 1 850 ; M. Blumner, Gesch. 
d. S. zu Bin, Bin 1891 ; D. Kawerau, Sacularfeier d. S. zu 
Bin, Bin 1891 ; R. Groeper, 120 Jahre Stadtische S. Frank- 
furt/Oder, Die Musikpflege VI, 1935; G. Schunemann, 
Die S. zu Bin, Regensburg 1941; Die Sing-Akad. zu Bin, Fs. 
zum 175jahrigen Bestehen, hrsg. v. W. Bollert, Bin 1966; 
M. Geck, Die Wiederentdeckung d. Matthauspassion im 
19. Jh., = Studien zur Mg. d. 19. Jh. IX, Regensburg 1967. 

Singbewegung -> Jugendbewegung. 

Singende Sage (engl. musical saw), ein Reibidiophon 
(->■ Friktionsinstrumente), das in den ersten Jahrzehn- 
ten dieses Jahrhunderts vor allem im Zirkus und auf 
Varietebiinnen Verwendung fand; von ihrem Erfinder 
(Fredrich, Berlin) wurde sie erstmals 1928 in einem 
Symphoniekonzert der Staatsoper unter E.Kleiber als 
Soloinstr. vorgefiihrt. Die S. S. ist eine gewohnliche 
Holzsage, deren Blatt zwischen den Knien gehalten 
und mit einem Streichbogen angestrichen wird. Die 
Tonhohe wird durch entsprechendes Biegen des Sage- 
blatts reguliert. Der Klang ist langgezogen und ein- 
dringlich weinerhch. 

Lit. : K. Gentil, Das »Flex a tone« u. d. »S. S.«, Acustica 
VII, 1957. 

Single relish (s'irjgl I'elif, engl.), Name einer Ver- 
zierung in der Lautenmusik des 17. Jh. ; -> Doppel- 
schlag. 

Singspiel, allgemein ein gesprochenes, meist heiteres 
Theaterstuck mit musikalischen Einlagen (vor allem 
Lieder, aber auch mehrstimmige Satze und Tanze) ; es 
verwendet im Unterschied zur Oper, die auch eigene 
musikalische Gattungenhervorbrachte (Rezitativ, Arie, 
Ensemble), die vorhandene und meist mehr volkstiim- 
liche Musik der Zeit. - Unter Bezeichnungen wie Farsa 
oder Commedia con musica (seit dem 15. Jh.), Entre- 
mes.Zarzuela (seit der 1 . Halfte des 17. Jh.), Tonadilla (seit 
Mitte des 18. Jh.) u. a. verbergen sich in Spanien die 
verschiedenartigsten ernsten und heiteren, dichterischen 
und volkstiimlichen singspielartigen Stiicke. In Italien 
pflegte man wahrend des 16. Jh. in die pastoralen 
Favole boscareccie und in ahnliche dramatische Dar- 
bietungen Villotten bzw. Madrigale einzulegen. Den 
SchluB bildete haufig eine -> Moresca. In England 
pflegten die Komodiantentruppen und die »englischen 
Instrumentisten« (schon 1586 erwahnt) eine Art S. mit 
Liedeinlagen; hieraus ging die englische -»• Ballad ope- 
ra hervor, die in der Beggar's Opera (1728) von Gay 
und Pepusch Beriihmtheit erlangte. In Frankreich leg- 
ten die von Ludwig XIV. engagierten italienischen Steg- 



reifkomodianten den Grund fur die spatere Opera- 
comique, die dann fiir das deutsche S. vorbildlich wur- 
de. Bald spielte man nicht mehr in italienischer, sondern 
in f ranzosischer Sprache ; als Musikeinlagen verwendete 
man StraBenlieder (-*■ Vaudeville). A.R. Le Sage, der 
Dichter des Gil Bias, schuf seit 1712 viele solcher S.e 
(Theatre de la Foire, Amsterdam 1723-64). Auch in 
Deutschland gab es vielerlei Formen des Sprechtheaters 
mit Musikeinlagen, von der Stegreifkomodie bis zum 
Schuldrama derjesuiten. H.Sachs undJ.Ayrer (f 1665 
zu Niirnberg) schrieben Fastnachtsspiele und »Singets- 
spile«. NochbisEnde des 17. Jh. wurden bei alien Schau- 
spielen Stegreifstiicke und Schwanke als Zwischenspie- 
le eingeschoben. Die »Singecomodien« wurden im 17. 
Jh. zu einem (allerdings sehr weiten) Begriff. Erst durch 
die starke Ausbreitung der italienischen Oper brach ge- 
gen Ende des 17. Jh. diese Entwicklung ab. Als S.e be- 
zeichnete man nun auch Ubersetzungen italienischer 
oder franzosischer Opern, die oft mit gesprochenem 
Dialog aufgefiihrt wurden, und gelegentlich auch 
deutsche Opern, die wahrend der kurzen Zeit einer 
deutschsprachigen Oper in Hamburg (1693-1738) ent- 
standen. In all den genannten Formen des singspiel- 
artigen Theaters fiihrte die Verbindung von Theater 
und Musik zu keiner selbstandigen und geschichtlich 
wirksamen Gattung. 

Als musikalisches Vorbild fiir das S. war vor allem die 
italienische Opera buffa wirksam, die auch den ent- 
scheidenden Impuls zurEntstehung der Opera-comique 
gegeben hatte. Zu den Voraussetzungen des deutschen 
S.s gehorten auch die englische -»■ Jig des 16./17. Jh. 
(komische Dialoge, unterbrochen durch populare Me- 
lodien und Tanze als AbschluB einer Theaterauffuh- 
rung), die durch englische Komodianten in Deutsch- 
land bekannt wurde, sowie Liedersammlungen (-> Spe- 
rontes). Den eigentlichen AnstoB zur Entstehung des 
deutschen S.s gab 1743 in Berlin die Auffiihrung der 
ins Deutsche iibertragenen Ballad opera The Devil to 
Pay (»Der Teufel ist los«) von -> Coffey; eine zweite 
Bearbeitung von Chr.F. WeiBe mit Musikstiicken von 
J. G. StandfuB fand 1752 in Leipzig groBen Anklang. 
Durchschlagenden Erfolg errang erst die dritte Bear- 
beitung, zu der J. A. -> Hiller 1766 teilweise neue Mu- 
sik schrieb. Damit und durch seine weitere Wirksam- 
keit ist Hiller zum Schopfer des deutschen S.s gewor- 
den, dessen wesentliche Merkmale Prosadialog und 
volkstumlich-einfache Melodik sind. Das S. konnte 
namlich zunachst nicht wie die Oper mit ausgebildeten 
Sangern rechnen. Die Musik, die bei Hiller mehr Raum 
einnahm als f riiher, bestand vornehmlich aus liedhaf ten 
Arietten, mitunter aus grofieren Arien, spater auch aus 
Ensembles (Duette, Terzette, Quartette). Den SchluB 
bildete regelmaBig ein dem Vaudeville nachgebildeter 
Rundgesang mit Chor. Vorbild blieb musikalisch und 
textlich die Opera-comique; mehrere Stiicke von Ch. 
->■ Favart wurden fiir das S. iibersetzt. Das riihrende 
Genre laid das romantische Element drangen auf die- 
sem Weg in das S. ein. Die Stoffe waren meist dem 
Landleben entnommen und hatten oft sentimental- 
biirgerlichen Charakter bis zum Hausbackenen und 
Philistrosen. An Komponisten sind vor allem Chr.G. 
Neefe, der eine mehr romantische Richtung yertrat 
und als einer der ersten das -»■ Melodram in das S. ein- 
fiihrte (Adelheid von Veltheim, 1780), J. Fr. Reichardt 
mit seinen -» Liederspielen, G.Benda (z. B. Der Dorf- 
jahrmarkt, 1775; Romeo und Julia, 1776) und J. Andre zu 
nennen, der im selben Jahr wie Mozart die Entfuhrung 
komponierte. Hervorzuheben sind Goethes Versuche 
(1773-85), dem S. textlich ein hoheres Niveau zu geben 
(z. B. Erwin undElmire;Jery undBdtely mit Musik von 
Reichardt). Vom S. mit angeregt wurde auch die Idee 



874 



Skene 



einer deutschen Oper. Zentrum des S.s war zunachst 
Leipzig, bis eine Neubelebung durch das auf GeheiB 
Josephs II. ins Leben gerufene Wiener »National-S.« 
erfolgte, das im Jahr 1778 mit I.Umlauffs Bergknappen 
eroffnet wurde. Bodenstandige Traditionen (Mario- 
nettenoper) und Elemente und Typen der Opera buff a, 
auch der Ope'ra-comique, verbanden sich hier. An der 
Vorgeschichte des Wiener S.s ist auch J.Haydn durch 
seinen Neuen krummen Teufel (1758) auf den Text von 
Kurz-Bernardon beteiligt. Fur die S.e von K.Ditters 
v.Dittersdorf (z. B. Doktor und Apotheker, 1786), Fl. 
GaBmann und J. Schenk (z. B. Dorfbarbier, 1796) war 
vor allem die Opera buffa Vorbild. Lediglich in der 
Melodik bewahrte die Musik einen volkstiimlichen 
Zug spezifisch siiddeutscher Pragung. Dennoch hatten 
wahrend des lOjahrigen Bestehens des »National-S.s« 
die in deutscher Obersetzung als S.e gegebe- 
nen Operas-comiques und Opere buffe das 
Obergewicht gegeniiber den »Original-S.n«. 
Das Wiener Zauber-S. wurde vor allem von 
P. Wranitzky (t 1808) und W. Miiller (f 1 835) 
gepflegt. An Kauers Donauweibchen (1795) 
konnte die Operette unmittelbar anknupf en. - 
W. A. Mozart griff mit seinem ersten S. Bastien 
und Bastienne (1768) auf Rousseaus bekannten 
Devin du village zuriick, der den AnstoB zur 
Entstehung der Opera-comique gegeben hat- 
te. Erst in der unvollendet gebliebenen Zaide (1779) 
suchte Mozart, die musikalischen Gattungen der 
Opera buffa der deutschen Sprache und den Moglich- 
keiten des S.s anzupassen. Uber Mozarts Die Entfiihrung 
aus dem Serail (erste Auffiihrung am 16. Juli 1782 in 
Wien) schrieb Goethe (Italienische Reise, Bericht vom 
November 1787): Alles unset Bemiihen . . .gingverloren, ah 
Mozart auftrat. Die Entfiihrung aus dem Serail schlug alles 
nieder . . . Ein S. oder eine -> Operette, wie man da- 
mals auch sagte, aus der Gattung der Zauberposse bzw. 
»Maschinenkomodie« ist auch Mozarts Zauberflote 
(1791). Ein Anknupf en an diese musikalisch unerreich- 
baren Werke war nicht moglich, wie deutlich Goethes 
Plan und P. v. Winters Versuch zeigen, einen zweiten 
Teil der Zauberflote zu schreiben. Diese Situation, die 
weder innerhalb der Opera-comique noch in der Ope- 
ra buffa eine Parallele hat - beide Gattungen fiihren 
bruchlos ins 19. Jh. - wurde entscheidend fur das S. 
Es fiihrte nach Mozart unmittelbar zur deutschen ro- 
mantischen Oper C.M.v.Webers (Der Freischiitz, 
1821), H.Marschners, L. Spohrs u. a. sowie zu den 
»Spielopern« von A.Lortzing, andererseits zu den wie- 
der mehr dem Schauspiel zuneigenden und im Wiener 
Volkstheater wurzelnden Stiicken F. Raimunds und J. 
Nestroys und endlich zur Wiener Operette von J. 
StrauB Sohn und seinen Nachfolgern. In dieser Spal- 
tung der Tradition (romantische Oper - Operette) ist 
im Keim die Trennung von ernster und leichter Musik 
enthalten, die auch nicht mehr durch E. v. Wolzogens 
1910 propagierte Erneuerung des S.s iiberbruckt wer- 
den konnte. 

Lit. : J. Fr. Reichardt, Ober d. deutsche komische Oper, 
Hbg 1 774; Chr. M. Wieland, S. u. Abh., in: Samtliche Wer- 
ke XXVI, Lpz. 1794-1802; H. M. Schletterer, Das deut- 
sche S. v. seinen ersten Anfangen bis auf d. neueste Zeit, 
= Zur Gesch. dramatischer Musik u. Poesie in Deutsch- 
land I, Augsburg 1863; J. Minor, C. F. Weisse, Innsbruck 
1 889 ; J. Bolte, Die S. d. engl. Komodianten . . . , = Thea- 
tergeschichtliche Forschungen VII, Hbg 1 893 ; Fr. Bruck- 
ner, G. Benda u. d. deutsche S., SIMG V, 1903/04; G. Cal- 
mus, DieS. v. Standf uB u. Hiller, = BIMG II, 6, Lpz. 1 908; R. 
Haas, Einleitung zur Ausg. v. Umlauffs »Bergknappen«, 
in: DTO XVIII, 1, 191 1 ; E. Bottcher, Goethes S. »Erwin 
u. Elmire« u. »Claudine v. Villa Bella« u. d. »opera buffa«, 
Marburg 1912; J. Maurer, A. Schweitzer als dramatischer 
Komponist, = BIMG II, 11, Lpz. 1912; H. Abert, W. A. 



Mozart I, Lpz. 1919, C1955) ; R. Krott, Die S. Schuberts, 
Wien 1921 ; V. Helfert, Zur Gesch. d. Wiener S., Zf Mw V, 
1922/23 ; T. Krogh, Zur Gesch. d. danischen S. im 18. Jh., 
Kopenhagen 1924; A. Luthge, Die deutsche Spieloper, 
Brunswick 1924; A. Schertng, Zwei S. d. Sperontes, ZfMw 
VII, 1924/25; Adler Hdb. II, S. 749ff.; L. Schiedermair, 
Die deutsche Oper, Lpz. 1930, Bonn u. Bin 3 1943; O. 
Beer, Mozart u. d. Wiener S., Diss. Wien 1932, maschr.; 
H. Graf, Das Repertoire d. offentlichen Opern- u. Sing- 
spielbiihnen in Bin seit d. Jahr 1 77 1 , Bin 1 934; W. Stauder, 
J. Andre, Lpz. 1936, u. AfMf 1, 1936; K. Wesseler, Unter- 
suchungen zur Darstellung d. S. auf d. deutschen Biihne d. 
18. Jh., Diss. Koln 1955, maschr. StK 

Sinusschwingung (von lat. sinus, Krummung), ei- 
ne -»■ Schwingung mit sinusformigem Verlauf. Die 
Form der Sinuskurve laBt sich anschaulich als Projek- 
tion einer gleichformigen Kreisbewegung vorstellen. 




Ein sich auf einer Kreisbahn gleichmaBig f ortbewegen- 
der Punkt erreicht nach einer bestimmten Zeit (durch 
den Phasenwinkel q> angegeben) eine bestimmte Hohe 
h. Markiert man den Betrag dieser Hohe (Auslenkung) 
iiber den entsprechenden, auf einer horizontalen Zeit- 
achse aufgetragenen Zeiten, so erhalt man eine Sinus- 
kurve. Fiir Horversuche und MeBzwecke werden S.en 
auf elektronischem Wege (-> Generator) erzeugt. Mu- 
sikinstrumente erzeugen fast nie reine S.en, sondern 
komplexe, zusammengesetzte Schwingungsvorgange 
(-*■ Frequenzspektrum). Oberhaupt sind reine S.en 
musikalisch ziemlich bedeutungslos, da der von ihnen 
ausgeloste Horeindruck farblos ist. 
Lit.: H. Husmann, Einfuhrung in d. Mw., Heidelberg 
(1958) ; F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Akustik, Bin, 
Gottingenu. Heidelberg 1950,31961. 

Sirene (von griech. Seiprjv [damonisches Wesen mit 
verzauberndem Gesang] iiber lat. Siren und frz. sirene), 
Bezeichnung fiir eine Vorrichtung zur Schallerzeu- 
gung, bei der ein Luftstrom durch eine perforierte, ro- 
tierende Scheibe periodisch unterbrochen wird. Die 
Grundfrequenz des dabei entstehenden Schwingungs- 
vorgangs laBt sich sehr genau als Prpdukt der Anzahl 
der Locher auf der Scheibe und deren Umdrehungszahl 
pro sec errechnen. Daher wurde die S. zunachst vor- 
zugsweise zur Frequenzbestimmung verwendet. Erste 
Versuche mit S.n wurden von Ch. C. de la Tour (1819), 
A.Seebeck, G. S.Ohm und spater von H.W.Dove, 
H.v.Helmholtz und K.R.Konig angestellt (Doppel- 
S.). Eine besondere Form der S. ist die Photo-S., wie 
sie z. B. J.F. Schouten fiir seine Versuche verwendete. 
Bei ihr wird ein Lichtstrahl von einer gelochten oder 
mit bestimmten SchwingungsformenversehenenPapp- 
scheibe moduliert, bevor er eine Photozelle trifft, die 
dann einen Verstarker mit Lautsprecher steuert. Die S., 
hauptsachlich als Signalinstrument im Warndienst be- 
kannt, findet gelegentlich auch musikalisch Verwen- 
dung, so bei Hindemith (Kammermusik Nr 1, 1921), 
E.VareseundH.Badings (Photo-S.). 
Lit. : G. S. Ohm, t)ber d. Definition d. Tones, nebst daran 
geknupfterTheorie d. S. u. ahnlicher tonbildenderVorrich- 
tungen, Poggendorff's Annalen d. Physik u. Chemie LIX, 
1 843 ; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
.... Braunschweig 1863, '1913, Nachdruck Hildesheim 



875 



Sirventes 



1967; J. F. Schouten, Die Tonhohenempfmdung, Philips 
Technische Rundschau V, 1940; H. Badings u. J. W. de 
Bruyn, Elektronische Musik, ebenda XIX, 1957/58. 

Sirventes (altprov., auch sirventese, sirventesca; alt- 
frz. serventois; von lat. servire, dienen), s. v. w. Dienst- 
lied der Trobadors und Trouveres, ein Lied im Dienst 
einer offentlichen oder personlichen Sache oder Mei- 
nung (moralisch oder politisch; Riige und Sittenkritik, 
Belehrung, Lob usw.). Die Kreuzzugslieder (u. a. Pax! 
in nomine Domini von -*■ Marcabru) sind meist S. Die 
S. haben keine bindende Vers- und Strophenform; et- 
wa 200 sind erhalten. Sie wurden meist auf Melodien 
bekannter Kanzonen gesungen. 
Lit. : W. Nickel, S. u. Spruchdichtung, = Palaestra LXIII, 
Bin 1907 ; J. Storost, Ursprung u. Entwicklung d. altprov. 
S. bis auf B. de Born, = Romanistische Arbeiten XVII, 
Halle 193 1 ; E. Winkler, Studien zur politischen Dichtung 
d. Romanen I, Das altprov. S., Bin 1941 . 

Sister ->■ Cister. 

Sistrum (lat.; griech. aetaTpov, »etwas Geschiittel- 
tes«), antikes Klingelinstrument, das in Agypten seit 
Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. (Mittleres Reich) im 
Kult der Himmelsgottin Hathor nachgewiesen ist und 
spater, vom Isiskult iibernommen, im ganzen grie- 
chich-romischen Kulturraum bekannt wurde (Isis- 
rassel). Die altesten bekannteii Bilddarstellungen finden 
sich jedoch nicht in Agypten, sondern in Mesopota- 
mien (Ur und Akkad, 2600/2400 v. Chr.). Das Alte Te- 
stament erwahnt das S. unter dem Namen mena'anim 
(II. Sam. 6, 6). An Hauptformen lassen sich unterschei- 
den: Naos-S. (der Rahmen ist einem Tempelchen 
[griech. va6^, agyptisch seschescht] nachgebildet), Bii- 
gel-S., Rahmen-S. und Hufeisen-S. In diese Rahmen, 
die auf einem Handgriff sitzen, sind (meist 3) Metallsta- 
be eingelassen, die sich beim Schiitteln hin und her be- 
wegen oder, wenn sie festsitzen, mit diinnen, gegenein- 
ander klappernden Metallscheibchen versehen sind. In 
der koptischen Liturgie ist das S. (als tnasin, tsanatsel) 
noch heute in Gebrauch und wird ahnlich verwendet 
wie die MeBglockchen im katholischen Ritus. Einf ache- 
re Formen des S.s aus Holz und Fruchtschalen sind im 
schwarzen Afrika weit verbreitet (Kalebassen-S. wa- 
samba) . In der mittelhochdeutschen Dichtung wird ein 
S. einmal erwahnt (Ulrich v. Eschenbach, Alexander, 
um 1287), jedoch ist damit wohl das Triangel gemeint. 
- Das aus dem griechischen Unteritalien bekannt ge- 
wordene sogenannte »Apulische S.«, im 16.-18. Jh. 
auch einfach »S.« genannt, ist ein Xylophon. 
Lit. : J. Quasten, Musik u. Gesang in d. Kulten d. heidni- 
schen Antike u. christlichen Friihzeit, = Liturgiegeschicht- 
liche Quellen u. Forschungen XXV, Munster i. W. 1930; 
L. Klebs, Die verschiedenen Formen d. S., Zs. f. Sgypti- 
sche Sprache u. Altertum LXVII, 1931; Fr. J. Dolger, 
Klingeln, Tanz u. Handeklatschen im Gottesdienst d. 
christlichen Melitianer in Agypten, in: Antike u. Christen- 
tum IV, 4, Munster i. W. 1934; Fr. W. Galpin, The Music 
of the Sumerians and Their Immediate Successors, the 
Babylonians and Assyrians, London 1937,Neudruck = Slg 
mw. Abh. XXXIII, StraBburg 1955; E. Kolari, Musik- 
instr. u. ihre Verwendung im Alten Testament, Helsinki 
1947; H. Hickmann, The Rattle-Drum and Marawe- 
S., Journal of the Royal Asiatic Soc. 1950; ders., Musico- 
logie pharaonique, = Slg mw. Abh. XXXIV, Kehl 1956; 
ders., Agypten, = Mg. in Bildern II, 1, Lpz. o. J. (1961). 

Sitar (persisch, Dreisaiter; indisch auch tritantri vina), 
Langhalslaute persischen Ursprungs (zur Gruppe der 
Tar-Instrumente gehorend; -> Tar), die heute in Nord- 
indien zu den wichtigsten Instrumenten gezahlt wird. 
An einem birnenformigen Corpus aus Holz oder Kiir- 
bis mit kleinen Schallochern ist ein flacher Hals mit 
16-20 beweglichen Biinden befestigt. Die Zahl der Me- 
tall-, seltener Darmsaiten, kann heute unterschiedlich 



von 3 auf 4 und 7 erhoht werden. Das S. wird mit Plek- 
trum gezupft, gelegentlich auch mit Bogen gestrichen. 
Lit.: C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indonesiens, 
Bin 1915, 21923, Nachdruck d. 1. Auflage Hilversum 1967. 

Sixte ajoutSe (sikst ajut'e, frz., hinzugefiigte Sexte), 
Terminus von J.Ph.Rameau fiir die als charakteristi- 
sche Dissonanz dem Dur- oder Molldreiklang hinzu- 
gefiigte groBe Sexte. Die Interpretation dieses Akkor- 
des (z. B. f-a-c-d) ist in der Musiklehre umstritten. 
Nach Rameaus Lehre von der -> Basse fondamentale 
hat er doppelte Bedeutung; Rameau spricht in Geni- 
ration harmonique (Paris 1737) von double emploi. In be- 
zug auf die Tonika ist er Grundakkord (-»■ Subdomi- 
nante) : die Quinte bleibt liegen, wahrend die Sexte (als 
Dissonanz) stufenweise zur Terz der Tonika hinauf- 
geht. In bezug auf die Dominante dagegen ist er Um- 
kehrung des Septakkordes der 2. Stuf e : die Sexte bleibt 
liegen, wahrend sich die Quinte (als Dissonanz) in die 
Terz der Dominante auflost. Die -> Stuf enbezeichnung 
versteht ihn nur als Quintsextakkord der 2. Stufe. Die 
Funktionstheorie sieht in ihm stets einen Akkord mit 
Subdominantfunktion (Funktionssymbol nach Rie- 
mann S6). Sie kann sich dabei auf M.Hauptmann be- 
rufen, der 1853 darauf aufmerksam machte, daB das 
Interval! a-d in C dur eine andere Rolle spielt als etwa 
in D moll. Der Sextakkord f-a-d ist in C dur eine Auf- 
fassungsdissonanz, da a (Terz der Subdominante) undd 
(Doppeldominante) keine reine Quarte bilden. Ist da- 
her der Akkord f-a-c-d tonartlich auf C bezogen, so 
ist f stets Grundton und d dissonanter Zusatz zum Drei- 
klang der Subdominante. Eine vermittelnde Stellung 
nimmt die Harmonielehre von R. Louis und L. Thuille 
(1907) ein, in der die doppelte Bedeutung des Akkordes 
im Sinne Rameaus wieder auflebt. Auch die Erkennt- 
nis, daB der zur Dominante g gef iihrte Akkord f-a-c-d 
zwei Funktionen in sich schlieBt (Subdominante und 
Wechseldominante), scheint auf dieses Buch zuruckzu- 
gehen. Am Ende der dur-moll-tonalen Epoche findet 
sich der Dreiklang mit S. a. auch als SchluBakkord mit 
Tonikafunktion (z. B. in G.Mahlers Lied von der Erde, 
letzter Satz). Diese Verwendungsmoglichkeit hat die 
Unterhaltungsmusik aufgegriffen. 

Sixtinische Kapelle (Cappella Sistina) ist der Name 
einer Kapelle im Vatikanpalast in Rom, die durch Papst 
Sixtus IV. 1483 geweiht wurde. Da die offentlichen 
papstlichen Gottesdienste fortan vorzugsweise hier 
stattfanden, ging die Bezeichnung auch auf das (seit 
1378 nachgewiesene) papstliche Sangerkollegium iiber 
(^- Kapelle). Es bestand im 15. Jh. aus 14-24 Sangern, 
neben Italienern vor allem Franko-Flamen; im 16. Jh., 
als die Zahl der Sanger auf 30 stieg, kamen Spanier hin- 
zu. Ober die Tatigkeit der S.n K. und ihre Verfassung 
unterrichten die ab 1535 erhaltenen, von einemjahrlich 
neu gewahlten Punctator gefiihrten Tagebiicher sowie 
die 1545 fixierten Constitutiones (Ms. Rom, Bibl. vat., 
Capp. Sist. 611). Dem Kollegium stand das Recht zu, 
iiber die Aufnahme neuer Sanger (die Geistliche sein 
sollten) nach einer Pruning ihres Konnens selbst zu ent- 
scheiden. Die im Alter - spatestens nach 25 Dienstjah- 
ren - entpflichteten Sanger blieben als Giubilati Mit- 
glieder der S.n K. Da die S. K. bis in neuere Zeit keine 
Kapellknaben aufnahm, wurden ab 1588 fiir die So- 
pranpartien Kastraten zugelassen. An Komponisten, 
die der S.n K. angehorten, seien Dufay und Josquin ge- 
nannt. Palestrina, der 1555 fiir ein halbes Jahr (obgleich 
verheiratet) als Sanger aufgenommen worden war, 
blieb ihr von da an bis zu seinem Tode als besoldeter 
Compositore verbunden; dieses Amt ging dann auf F. 
Anerio iiber, wurde jedoch nach dessen Tode in eine 
neue Sangerstelle umgewandelt. Einige MitgUeder der 



876 



Slendro 



S.n K. gehorten zugleich zu den Musici secreti, denen 
die auBergottesdienstlichen (d. h. auch weltlichen) Mu- 
sikauffuhrungen am papstlichen Hofe iibertragen wa- 
ren. Auch nach dem 16. Jh. genossen die Auffiihrungen 
der S.n K., vor allem in der Karwoche, hochstes An- 
sehen. Ihre Palestrina-Pflege und die rein vokale Auf- 
fiihrungsweise pragten das neuere a cappella-Ideal. Ein 
groBer Teil der Chorbiicher der S.n K. ist in der vati- 
kanischen Bibliothek erhalten, zusammen mit denen 
der Cappella Giulia, die am Petersdom von Papst Six- 
tus IV. am 1. 1. 1480 gestiftet und von Papst Julius II. 
1512 neu geordnet wurde. Sie sollte aus 12 Sangern 
und 21 Scholares (Kapellknaben) bestehen, hat aber 
diese Zahlen oft nicht erreicht und blieb bis zum 19. 
Jh. im Rang hinter der S.n K. zuriick. 
Lit.: Fr. X. Haberl, Bausteine f. Mg., 3 Bde, Lpz. 1885- 
88; E. Celani, I cantori della cappella pontificia, RMI XIV, 
1907; R. Casimiri, I diari sistini, Note d'arch. I, 1924 - 
XVII, 1940; A. De Angelis, D. Mustafa ..., Bologna 
1926; H.-W. Frey, Michelagniolo u. d. Komponisten sei- 
ner Madrigale, AMI XXIV, 1951; ders., Regesten zur 
papstlichen Kapelle . . ., Mf VIII, 1955 - IX, 1956; ders., 
Die Gesange d. S. K. ... 1616, in: Melanges E. Tisserant 
VI, Rom 1964; J. M. Llorens Cister6, La Capilla Ponti- 
ficia en las fiestas . . . (1 534-49), in : Cuadernos de trabajos 
de la Escuela Espanola de historia y arqueologia en Roma 
VIII, 1956; ders., Miniaturasde V.Raymond . . .,in:Mis- 
celinea en homenaje a H. Angles I, Barcelona 1958-61 ; H. 
Hucke, Die Besetzung v. S. u. A. in d. S. K., ebenda. 

Sizilien. 

Lit.: L. Mastrigli, La Sicilia mus., Bologna 1891, Triest 
1935; D. Di Pasquale, L'organo in Sicilia dal s. XIII al 
XX, Palermo 1929; O. Tiby, Antichi musicisti siciliani, 
Arch. stor. siciliano, N. S. LIV, 1934; ders., La scuola poli- 
fonica siciliana dei s. XVI e XVII, Kgr.-Ber. Luneburg 
1950, engl. in: MD V, 1951 ; F. Mompellio, P. Vinci madri- 
galista siciliano con un'appendice su i madrigalisti siciliani, 
Mailand 1937; F. Pastura, I grandi musicisti siciliani, 
Catania 1938; M. Tedeschi, I canti sacri popolari della 
Sicilia, ebenda 1939; C. Naselli, Strumenti da suono e 
strumenti da musica del popolo siciliano, Arch. stor. per 
la Sicilia orientale IV, 1952; G. Policastro, Musica e 
teatro nel '600 nella provincia di Catania, RMI LV, 1953; 
H. Angles, La musica sacra medievale in Sicilia, Bol- 
lettino del Centro stor. filologico e linguistico siciliano 
III, 1955 ; A. Favara, Corpus di musiche popolari siciliane, 
hrsg. v. O. Tiby, 2 Bde, = Accad. di scienze, lettere e arti, 
Palermo, Atti IV, Suppl., 1957; F. E. Raccuglia, La Si- 
cilia e la musica, in : Conservatorio di Musica V. Bellini, 
Palermo 1960/61. 

Skala (lat. scala, Treppe) ->■ Tonleiter. 
Skalden (altnordisch skald, Dichter) heiCen die nord- 
germanischen Dichter und Vortragskiinstler, die als 
Gef olgsleute - auch als »f ahrende Sanger« - an den mit- 
telalterlichen norwegischen und islandischen Fursten- 
hofen lebten. Die seit der Mitte des 9. Jh. iiberlieferte 
Skaldik, die einen letzten Hohepunkt im 13. Jh. erreich- 
te, ist neben Edda und Saga der dritte groBe Bereich 
altnordischer Dichtkunst. In ihrem Mittelpunkt steht 
das Preislied, mit der Drapa als groBerer (beliebtester) 
Form, deren 3teilige Folge kunstvoller Drottkvaett- 
Strophen (4 zwolfsilbige Langzeilenverse mit Wechsel 
von Binnenreim und Assonanz, dazu mit -> Stabreim 
und klingender Kadenz; starke Zasur in der Strophen- 
mitte) ein durch mehrfachen Refrain (stef) gegliedertes 
Mittelstiick (stefjubilkr) aufweist; das kleine Preislied 
(flokkr) ist ohne Refrain. Auf eine Verbindung des 
skaldischen Vortrags mit Musik konnte die mogliche 
etymologische Ableitung des Wortes drapa von alt- 
nordisch drepa, schlagen (Saiten schlagen), hinweisen. 
Auf einer bis ins Mittelalter zuriickreichenden miind- 
lichen Tradition beruhen wahrscheinlich die von J.B. 
de Laborde 1780 in zeitgenossischem Gewand verof- 
fentlichten 5 Melodien zuEdda- und Sk.-Strophen. 



Lit. : J. B. de Laborde, Essai sur la musique ancienne et 
moderne II, Paris 1780, S. 397ff. ; F. J6nsson, Den norsk- 
islandske Skaldedigtning, 4 Bde, Kopenhagen u. Christi- 
ania 1912-15 ; R. Meissner, Die Kenningar d. Sk., Bonn u. 
Lpz. 1921; A. Heusler, Die altgermanische Dichtung, 
= Hdb. d. Literaturwiss., Bin (1923), Potsdam P1941), 
Nachdruck Darmstadt 1957; J. Muller-Blattau, Mus. 
Studien zur altgermanischen Dichtung, DVjs. Ill, 1925; 
Die jiingere Edda mitd. sogenannten ersten grammatischen 
Traktat, tlbertragung v. G. Neckelu. F. Niedner, = Thule. 
Altnordische Dichtung u. Prosa XX, Jena 1 942 ; J. de Vries, 
AltnordischeLiteraturgesch., = GrundriBd.germanischen 
Philologie XV/XVI, I Bin 21964, II Bin u. Lpz. 1942; D. 
Hofmann, Die Frage d. mus. Vortrags d. altgermanischen 
Stabreimdichtung in philologischer Sicht, Zs. f. deutsches 
Altertum XCII, 1963; ders. u. E. Jammers, Zur Frage d. 
Vortrags d. altgermanischen Stabreimdichtung, ebenda 
XCIV, 1965; E. Jammers, DerVortragd. altgermanischen 
Stabreimverses in mw. Sicht, ebenda XCIII, 1964. - K. v. 
See, Skop u. Skald, Germanisch-romanische Monatsschrif t 
XIV, 1964. 

Sketch (sketj, engl., Skizze), ein sehr kurzer, stark mi- 
misch pointierter Einakter, ein Dramolett mit einer 
kleinen Anzahl handelnder Personen, vor allem als Ein- 
lagenummer im Variete und Kabarett. Als Sk. bezeich- 
nete Hindemith seine auf einen Text von M. Schiffer 
komponierte Kurzoper Hin und zuriick (1927). 

Skiffle (skifl, engl.), eine hausliche Geselligkeit der 
Neger in den USA (house-rent party), bei der volks- 
tiimlicher Jazz gespielt wurde, auch mit einfachen In- 
strumenten wie Mundharmonika und -> Washboard. 
An Besetzung und Spielweise lehnten sich um 1955 vor 
allem in England, aber auch in Deutschland Sk. groups 
an, die eine besonders einfache Art von -> Rhythm 
and blues oder auch Schlager spielten. 

slargando (ital.) -*■ allargando. 

Slendro, diejavanische Bezeichnung fiir die 5stufige 
(durch Halbierung der Stufen auch lOstufige) Tonlei- 
ter, in der neben -> Pelog in Java und Bali musiziert 
wird (->■ Patet). Da im -*■ Gamelan Instrumente mit 
fester Stimmung verwendet werden, konnten durch 
Tonmessungen an ihnen die Verhaltnisse dieser Leiter 
bestimmt werden. So stellten u. a. Ellis (1884) und J. 
Kunst nach Messungen und statistischer Auswertung 
der Ergebnisse fest, daB es sich um eine 5stufig tempe- 
rierte, aquidistante Leiter (Intervalle je um 240 Cent) 
handelt bzw. um eine Leiter, bei der gleiche Intervalle 
angestrebt werden. Die tonpsychologischen Folgerun- 
gen zogen u. a. C.Stumpf und Husmann; eine volker- 
kundlicheErklarung fiir dieEntstehung einer urspriing- 
lichen Temperatur versuchte v.Hornbostel mit der 
->■ Blasquinten-Theorie zu geben. Aus dem Gebrauch 
des SI. in der Praxis scheint jedoch hervorzugehen, daB 
es sich nicht um eine aquidistante Leiter handelt, son- 
dern daB die verschiedenen Sl.-Leitern in der Regel 2 
Stufen enthalten, die groBer als die anderen sind (Hood) . 
Auf Java gilt SI. als die mannliche, kraftvolle, glanzen- 
de Tonart; nach der Mythologie ist sie alter als Pelog, 
was jedoch von der Forschung nicht bestatigt wurde. - 
In der Musikwissenschaft wird die Bezeichnung SI. 
auch fiir die 5stufig temperierte Leiter iiberhaupt ver- 
wandt, wie sie fiir Gebiete Westaf rikas und, heute durch 
das 22stufige Tonsystem uberdeckt, ursprunglich fiir 
Indien angenommen wird (Husmann). 
Lit.: A. J. Ellis, Tonometrical Observations on Some 
Existing Non-Harmonic Scales, Proceedings of the Royal 
Soc. 1 884, deutsch v. E. M. v. Hornbostel in : Sammelbde 
f. vergleichende Mw. I, Munchen 1922; M. F. Bukofzer, 
The Evolution of Javanese Tone-Systems, Kgr.-Ber. NY 
1939 ; J. Kunst, Music in Java I, Den Haag 1949; M. Hood, 
The Nuclear Theme as a Determinant of Patet in Javanese 
Music, Groningen u. Djakarta 1954; H. Husmann, Ein- 



877 



Slide trumpet 

ffihrung in d. Mw., Heidelberg (1958); ders., Grundlagen 
d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961 ; J. M. 
Barbour, MiBverstandnisse fiber d. Stimmung d. javani-, 
schen Gamelans, Mf XVI, 1963. 

Slide trumpet (slaid u'Ampit, engl.) -> Zugtrom- 
pete. 

Slowakei-*- Tschechoslowakei. 

Slowenien. 

Ausg. : E. Korytko, Slovenske pesmi kranjskega naroda 
(»Slowenische Lieder d. krainischen Volkes«), 5 Bde, Lai- 
bach 1839-44; K. Strekelj, Slovenske narodne pesmi 
(»Slowenische Volkslieder«), 4 Bde, ebenda 1895-1923. 
Lit.: P. v. Radics, Frau Musica in Krain, Laibach 1877; 
Ph. Elze, Die slowenischen protestantischen Gesangbfi- 
cher d. XVI. Jh., Venedig 1884; Fr. RakuSa, Slovensko 
petje v preteklih dobah (»Das slowenische Lied in d. Ver- 
gangenheit«), Laibach 1890; A. Trstenjak, Slovensko 
gledalisce (»Das slowenische Theater«), ebenda 1892; J. 
Grafenauer, Lepa Vida. Studija o izvoru, razvoju in raz- 
kroju narodne balade o Lepi Vidi (». . . Studium v. Ur- 
sprung, Entwicklung u. Entfaltung d. Volksballade v. d. 
Lepa Vida«), ebenda 1943 ; Dr. Cvetko, Odmevi glasbene 
klasike na Slovenskem (»Echo d. mus. Klassik in Sl.«), 
ebenda 1955; ders., Mozarts EinfluB auf d. slowenische 
Tonkunst . . . , Mozart- Jb. 1956/57; ders., The Renaissance 
in Slovene Music, Slavonic Rev. XXXVI, 1957; ders., 
Zgodovina glasbene umetnosti na Slovenskem (»Gesch. d. 
Musik in SI.«) I, Laibach 1958 ; ders., Les formes et les re- 
sultats des efforts musicologiques yougoslaves, AMI XXXI, 
1959; L. S. Jankovic, La situation actuelle de l'ethnomu- 
sicologie en Yougoslavie, AMI XXXII, 1960. 

Slowfox (sl'orfaks, engl.), auch Slow-Foxtrot, 
— > Foxtrott. 

Soest (Westfalen). 

Lit. : H. Gocke, Der Orgelbau in d. Kreisen S. u. Arnsberg 
v. MA bis zum ausgehenden 18. Jh., KmJb XXX, 1935;' 
W. MOller, Geschichtliche Entwicklung d. Musikpflege 
in S., Emsdetten i. W. 1938; M. Behler, S. Musikleben 
seit 1933, Mk XXXI, 1938/39; L. Prautzsch, Das S.er 
Gloria u. d. Turmmusik auf St. Petri, = S.er wiss. Beitr. 
XIII, S. 1958. 

Soggetto (soddj'etto, ital. , lat. auch subjectum, -> Sub- 
jekt), der thematische Vorwurf eines kontrapunktischen 
Werkes. In der Definition Zarlinos (1558) ist S. »dieje- 
nige Stimme, auf Grund welcher der Komponist die 
Erfindung f iir die Gestaltung der anderen Stimmen der 
Komposition gewinnt« (quella parte, sopra la quale il 
Compositore caua la inuentione difar le altre parti della can- 
tilena; III, Kap. 26) ; der S. ist »Stoff« (materia) des Wer- 
kes. Er kann vorgegeben, auch einer f remden Kompo- 
sition entnommen, oder neu erf unden sein und kann als 
C. f. oder als Cantus figuratus auftreten. Im 17./18. Jh. 
wird vorzugsweise das -*■ Thema der Fuge und ver- 
wandter Gattungen S. genannt (z. B. Frescobaldi, Ilpri- 
mo libro di capricci, canzon franzese e recercari, fatti sopra 
diversi soggetti . . ., 1626). - S. cavato (von ital. cavare, 
herausnehmen, schopfen) ist ein Thema, das gewonnen 
wird, indem Silben oder Buchstaben eines Namens 
oder Mottos als Solmisationssilben oderTonbuchstaben 
gelesen und in Noten gesetzt werden, so daB im The- 
ma ein Wortsinn versteckt liegt. Musterbeispiel f iir den 
S. cavato ist der von Zarlino (III, Kap. 66) erwahnte, in 
Josquins Messe Hercules Dux Ferrariae (um 1505) ver- 
wendete »aus den Vokalen dieser Worte geschopfte 
Tenor « {Tenore . . . cauato dalle vocali di queste parole): 



m 



Her 



cu 
ut 



les 



Fer 



ri - ae 



Dux 

ut re fa mi re 

Das zugrunde liegende Prinzip wurde bereits im 11. 
Jh. von Guido von Arezzo (Micrologus, Cap. XVII) be- 
nutzt. Belege fur die Praxis des S. cavato aus spaterer 



Zeit sind Themen wie BACH (vielfach verarbeitet), 
ABEGG (R. Schumann, op. 1). 

Lit.: A.Thurlings, Die soggetti cavati dalle vocali in Hul- 
digungskompositionen ..., Kgr.-Ber. Basel 1906; H. 
Zenck, Zarlinos »Istitutioni harmoniche« als Quelle zur 
Musikanschauung d. ital. Renaissance, ZfMw XII, 1929/ 
30; W. Gurlitt, J. Walter u. d. Musik d. Reformations- 
zeit, Luther- Jb. XV, Munchen 1933; L. Schrade, Von d. 
»Maniera« d. Komposition in d. Musik d. 16. Jh., ZfMw 
XVI, 1934; K. H. Holler, G. M. Bononcini's »Musico 
prattico«, = Slg mw. Abh. XLIV, StraBburg u. Baden- 
Baden 1963. 

Sol, in der mittelalterlichen ->■ Solmisation die 5. Silbe 
des Hexachords (im Sinne von g, c oder d) ; in romani- 
schen Sprachen Name f iir den Ton G. 

Soldatengesang spiegelt inhaltlich Kriegserlebnisse 
wider und gibt der Sehnsucht nach Familie und Heimat, 
auch dem Frohsinn und Humor Ausdruck. Musika- 
lisch herrscht Marschrhythmus vor; beliebt sind dane- 
ben innige Weisen. Durch Zersingen und Zusammen- 
flicken von Text und Musik zeigt manches Lied merk- 
wiirdige Varianten (vgl. Kehrreim zum »Guten Ka- 
meraden«). - Im Landsknechtslied Gott gnad dem grofi- 
mechtigen keiser frumme, Maximilian! (1518) verbindet 
sich freie Psalmodie mit Marschrhythmus. Der Sieg bei 
Pavia (1525) machte den »Pavierton« beriihmt; Wir 
zogen in das Feld (1540) ist noch lebendig. Im Neder- 
Landtschen Gedenck-Clanck (1626) erschienen Wilhelmus 
von Nassawe und Bergen op Zoom. Vor der Schlacht bei 
Liitzen (1632) wurde Verzage nicht, du Hauflein klein an- 
gestimmt. Beriihmt sind Prinz Eugen (Eroberung Bel- 
grads 1717) im 5/4-Takt und Marlbrouk s'en va-t-en 
guerre. Humor zeigt Maria Theresia, zeuch nicht in den 
Krieg. In den Befreiungskriegen vertonte C.M. v. We- 
ber Th.KornersLtiteoiM wilde verwegenejagd. Aus dem 
1. Weltkrieg erhielt sich Argonner Wald um Mitternacht; 
aus spaterer Zeit: Blaue Dragoner, sie reiten; Heifi ist die 
Liebe (Lied der roten Husaren, H.Lons und O.Koch) ; 
Ob's stiirmt oder schneit; Schwarzbraun ist die Haselnufi; 
Erika: Auf der Heide bliiht ein kleines Blumelein (H. Niel) ; 
Markische Heide; Wir lagen vor Madagaskar (Just Scheu). 
Ausg. u. Lit.: A. Valerius, Neder-Landtsche Gedenck- 
Clanck, Haarlem 1626; R. v. Liliencron, Die hist. Volks- 
lieder d. Deutschen v. 13.-16. Jh., 4 Bde, Lpz. 1865-69; E. 
Freytag, Hist. Volkslieder d. sachsischen Heeres, Dresden 
1893 ; Klabund, Das deutsche Soldatenlied . . . , Munchen 
1 91 5 ; J. Meier, Das deutsche Soldatenlied im Felde, StraB- 
burg 1 9 1 6 ; E. Schroeder, Das hist. Volkslied d. 30jahrigen 
Krieges, Diss. Marburg 1916, maschr.; Weltkriegslieder- 
slg, Dresden 1926; G. Heydemarck, Soldatenlieder, Bin 
1 929 ; J. Voelker, Der deutsche Soldat in seinen Liedern u. 
Reimen, Stettin 1929; R. Gottschtng, Das Soldatenlied, 
= Mus. Formen in hist. Reihen XX, Bin (1937); W. Han- 
sen, Das Soldatenlied, in: Die deutsche Soldatenkunde, 
hrsg. v. B. Schwertfeger u. E. O. Volkmann, Lpz. 1937 ; Das 
neue Soldatenliederbuch, hrsg. v. Fr. J. Breuer, 3 Bde, 
Mainz (1938-41) u. 6. ; W. Danckert, GrundriB d. Volks- 
liedkunde, Bin 1939; Liederbuch d. Bundeswehr, Wolfen- 
bfittel, Rodenkirchen u. Bad Godesberg 1958; W. Elbers, 
Das deutsche Soldatenlied im 1. Weltkrieg u. seine publi- 
zistische Bedeutung, Diss. Miinsteri.W. 1963. GKa 

Soled (andalusische Sprachf orm von kastilisch soledad, 
Einsamkeit; Plur. soleares), ein zum Cante jondo 
(->■ Flamenco) gehoriger andalusischer Tanz und Ge- 
sang, derElemente von hebraisch-arabischer Zigeuner- 
musik in sich auf genommen hat. Der Text handelt von 
Einsamkeit und Verlassenheit ; er beginnt haufig mit 
dem Klageruf »ay« und besteht aus mehreren Strophen 
mit je 3 oder 4 achtsilbigen gereimten oder assonieren- 
den Versen. Die S. steht im 3/8-Takt (Allegrettotempo) 
in Moll mit SchluBmodulation zur Durparallele. Ver- 
schiedene Komponisten von -*■ Zarzuelas haben So- 
leares in ihre Stiicke eingestreut. 



878 



Solmisation 



Solesmes (Sarthe), Benediktinerabtei, gegr. 1010, 
eine der hervorragendsten Arbeitsstatten auf dem Ge- 
biete der Geschichte und Theorie des Gregorianischen 
Gesangs. 

Lit.: N. Rousseau OSB, L'ecole gregorienne de S. 1833— 
1910, Tournai 1910; H. Quentin, Notice hist, sur l'abbaye 
de S., Tours 1925; M. Blanc, L'enseignement mus. de S., 
Paris 1953. -* Denkmaler, Frankreich 2. 

Solfa-»-Tonic-Solfa. 

Solfege (saK'e:3, frz.; ital. solfeggio, von mittellat. 
solfizare, das nach den Tonsilben sol, fa gebildet ist), 
seit dem 18. Jh. in Italien und Frankreich die Bezeich- 
nung fiir eine umfassende musikalischeElementarlehre, 
die von der -»■ Solmisation ausgeht. Auf der Grundlage 
von Singiibungen verbindet die S.-Methode eine in- 
tensive Schulung von Gehor, musikalischem Vorstel- 
lungsvermogen und rhythmischem Empfinden und 
vermittelt zugleich eine grundlegende Einfiihrung in 
die Terminologie und Bedeutung aller musikalischen 
Zeichen. - Daneben heiBen S.s (Solfeggien) auch die im 
Zusammenhang mit der italienischen Verzierungspra- 
xis entstandenen virtuosen Stimmubungen auf Vokale 
(ital. vocalizzi; frz. vocalises), die noch in der heutigen 
Gesangspadagogik zur technischen Grundausbildung 
des Sangers gehoren. Schon P.Fr.Tosi empfahl in sei- 
nen Opinioni de' canton (1723) ausdrucklich die Ver- 
wendung von S.s und Vokalisen bei der Stimmbildung ; 
1772 erschien in Paris die erste S.-Sammlung unter dem 
Titel S..S d'ltalie mit Stimmubungen u. a. von J. A. Has- 
se, A. Scarlatti und Porpora. Ihre groBte Beliebtheit er- 
langten die S.s im 19. Jh. bei den meist italienischen 
Gesanglehrern des Pariser Conservatoire de musique 
(z. B. Bordogni, Vaccai und Concone). Im Repertoire 
moderne de vocalises-etudes (hrsg. von A.L.Hettich, ab 
1907) stammt eine groBe Anzahl von Ubungen aus 
Werken zeitgenossischer Komponisten, darunter Faure, 
Ravel, Honegger, Milhaud, Martinu, Bartok, Schon- 
berg, Strawinsky und Hindemith. ->■ Gehorbildung. 

Soliloquenten (von lat. solus und loqui, die einzeln 
Redenden), in der -»■ Passion zusammenfassende Be- 
nennung der neben Evangelist und Christus auftreten- 
den einzelnen Personen (Petrus, Pilatus, Judas u. a.), im 
Unterschied zur ->• Turba. 

Solmisation (lat. solmisatio oder solmizatio) bezeich- 
net die im AnschluB an Guido von Arezzo entwickelte 
Methode, samtliche Tonstufen eines Gesangs mit Hilfe 
von Silben (syllabae, voces, notae) zu singen, um ihren 
Ort im Tonsystem (qualitas) zu erkennen. Den Aus- 
gangspunkt dieser noch bis in die Gegenwart nachwir- 
kenden Methode bildet die Verwendung des Johannes- 
Hymnus Ut queant laxis im Guidonischen Elementar- 
unterricht (Epistola de ignoto cantu, GS II, 45b; Melodie- 
version siehe Monutnenta monodica medii aevi I, Nr 951). 



— u 1 1 




T^J 


Ut que-ant la - xis 


m m +. • • •"= — •— 

re- so -na- re fi-bris / mi - ra 





rum/ 




la-bi 



re- a - tum/Sanc-te Jo-harMies. 



po-lu-ti 

Wie der Verlauf des Stiickes zeigt, stellen die Anfangs- 
tone jeder Halbzeile (mit Ausnahme der letzten) einen 
aufsteigenden Sechstonausschnitt (-+ Hexachord) aus 
dem diatonischen System dar (c-a), wobei den einzel- 
nen Tonen im Text der 1. Strophe die Anfangssilben 



ut, re, mi, fa, sol, la entsprechen. (Ober Gebrauch und 
Verbreitung dieser und anderer Silben vgl. CSM I, 
49f., CS II, 281a, GS III, 203a.) Guido berichtet, daB 
die genaue Kenntnis des Hymnus es dem Schiiler er- 
mogliche, easdem sex voces [hier im Sinne von Tonstu- 
fen] ubicumque viderit, secundum suas proprieties facile 
pronuntiare. Ihre eigentliche Grundlegung erfuhr die 
erst sparer einsetzende S.s-Lehre durch Guidos Affini- 
tatenlehre (vgl. Micrologus, CSM IV, 117fi.), die Tone 
mit ahnlicher »Tonumgebung« als verwandte Tone 
erkennt. Sie impliziert den Aufbau einer Ahnlichkeits- 
doppelreihe c-a und g-e, deren gemeinsames Charak- 
teristikum die Folge von 6 verschiedenen Tonqualita- 
ten ist. AuBer diesen beiden Hexachordtypen - dem 
Hexachordum naturale auf c und dem Hexachordum 
durum auf g - enthielt das gegen Mitte des 13. Jh. fertig 
ausgebildete S.s-System eine weitere Sechstonreihe auf 
f (Hexachordum molle, als Transposition des Hexa- 
chordum naturale). Durch sie fand die im Gregoriani- 
schen Gesang alternativ zum bquadratum (= h) ge- 
brauchte Tonstufe brotundum (= b) einen festen Platz 
im Tonsystem. Erste Darstellungen der in den f olgenden 
Jahrhunderten maBgeblichen Ordnung des Hexachord- 
und S.s-Systems bieten Hieronymus de Moravia (ed. 
Cserba, S. 45ff.) und Engelbert von Admont (GS II, 
320b ft.). Demnach ist der Tonraum T-ee (= G-e 2 ) in 
7 iibereinandergreifende und an eine konstante In- 
tervall- und Silbenfolge (2 Ganztone: ut-re, re-mi / 
Halbton: mi-fa / 2 Ganztone: fa-sol, sol-la) gebundene 
Sechstonreihen eingeteilt (1 = Hexachordum durum 
primum; 2 = Hex. naturale primum; 3 = Hex. molle 
primum; 4 = Hex. durum secundum; 5 = Hex. na- 
turale secundum; 6 = Hex. molle secundum; 7 = Hex. 
durum tertium) : 

ee la 

dd la sol 

cc sol fa 



bb 












bfa 


bmi 


aa 










la 


mi 


re 


g 










sol 


re 


ut 


f 










fa 


ut 


(7) 


e 








la 


mi 


(6) 




d 






la 


sol 


re 






c 






sol 


fa 


ut 






b 






bfa 


bmi 


(5) 






a 




la 


mi 


re 








G 




sol 


re 


ut 








F 
E 


la 


fa 

mi 


ut 

(3) 


W 








D 


sol 


re 












C 
B 


fa 
mi 


ut 
(2) 













A re 
T ut 

(1) 
GemaB ihrer Lage im System werden die Tonbuch- 
staben (claves, litterae) mit einer, zwei oder drei Silben 
aus jeweils verschiedenen Hexachorden verbunden 
(rut, Are . . . Cfaut, Dsolre . . . Gsolreut, alamire 
usw.). Im Unterschied zu dem nach Oktaven aufgebau- 
ten Benennungssystem der mittelalterlichen ->■ Buch- 
staben-Tonschrift eignet den Silben nicht die Bedeu- 
tung feststehender Tonnamen. Vielmehr erfassen und 
charakterisieren sie den Ton in seiner Relation zu den 
umliegenden Ganz- und Halbtonschritten, d. h. in sei- 
ner Tonqualitat. So etwa ist das mi immer vom nach- 
f olgenden fa um einen Halbton, vom vorausgehenden 
re ningegen um einen Ganzton entfernt. Auf solche 
Weise verhalf die S. dem Schiiler zu einer grundlichen 
Kenntnis des diatonischen Systems, indem ihm zusam- 
men mit den Syllabae stets die entsprechende Ton- 



879 



Solmisation 



umgebung ins BewuBtsein gerufen wurde. Auch lernte 
er an Hand der Silben die einzelnen Intervalle und deren 
Erscheinungsformen (species) kennen, z. B. die 3 Quar- 
tenspecies ut-fa (aus 2 Ganztonen und einem Halbton), 
re-sol (Ganzton-Halbton-Ganzton) und mi-la (Halb- 
ton-Ganzton-Ganzton). Neben dem richtigen Ge- 
brauch der Silben beim An- und Absteigen und der 
Ubung in den Intervallen muBte der Schiiler auch die 
Regeln der ->- Mutation (- 1), d. h. des Hexachord- 
wechsels, beherrschen, um eine Melodie vollstandig 
solmisieren zu konnen. - Das Verfahren der S. wurde 
- nach den bisher erschlossenen Quellen - vermutlich 
seit dem 13. Jh. eigens benannt. Aegidius Zamorensis 
(GS II, 378b) undElias Salomonis (GS III, 18b) gebrau- 
chen den Ausdruck solfare, Engelbert von Admont 
spricht von ars solfandi (GS II, 322a). Es darf angenom- 
men werden, daB in dem Verb solfare und der Sub- 
stantivbildung solfatio (z. B. bei Jacobus von Liittich, 
CS II, 280a, 287b) die altesten Bezeichnungen vorlie- 
gen (vgl. auch das altspanische solfar). Dagegen er- 
scheint der Terminus solmisatio/solmizatio (solmisare/ 
solmizare) erst am Ende einer langeren Entwicklung 
(u. a. bei Keinspeck 1496, Prasberge 1501, Wollick 
1501, Cochlaeus 1 507), als derenZwischengliederhaupt- 
sachlich die Formen solfatura/solvatura, solvizatura, 
solfizatio und solfisatio (auch solf asatio) erkennbar sind. 
Als weitere Wortform gibt es solmifatio (z. B. in Gla- 
reans Dodekachordon 1547, lib. Ill, cap. XI). 
Eine wesentliche Erweiterung erfuhr das S.s-System 
etwa seit Ende des 13. Jh. im Zusammenhang mit dem 
akzidentell-chromatischen Ausbau der Skala (-> Mu- 
sica ficta). Durch Vermehrung der Zahl der Hexachor- 
de, d. h. durch die Errichtung von Sechstonreihen auf 
weiteren Stufen der diatonischen Skala, wurde es mog- 
lich, jeden im Tonsystem der mitteltonigen Tempera- 
tur moglichen Halbtonschritt in der S. als mi-fa darzu- 
stellen (z. B. d-es als mi-fa eines Hexachords auf bro- 
tundum). Jedoch verlor das System der S. dadurch sei- 
ne Ubersichtlichkeit. Die im 15./16. Jh. zunehmende 
Konzentration auf die 2 Tongeschlechter Dur und Moll 
sowie das Eindringen der Chromatik in die Melodie- 
f iihrung bewirkten, daB die Intervallbeziehungen nun- 
mehr einfacher durch Zuordnung zur (in Tonbuchsta- 
ben dargestellten) Tonleiter gedeutet werden konnten 
(auf Kosten der Bezeichnung des qualitativen Moments 
der Tone). In den zahlreichen Reform versuchen der S. 
seit dem 15. Jh. herrscht das Prinzip, die Silbenzahl zu 
erweitern und damit die Mutation unnotig zu machen. 
(Vorschlage fiir eine Reduzierung der traditionellen 
Silbenzahl bzw. fiir eine Vereinfachung des Guidoni- 
schen Systems finden sich u. a. bei Johannes Verulus de 
Anagnia, CS III, 129f. und Johannes Gallicus, CS IV, 
372a ff.). Als erster unterbreitete 1482 B.Ramos de Pa- 
reja eine neue Silbenreihe (psal-H-tur per vo-ces is-tas; 
ed. J. Wolf, S. 18ff.) : die 8 Silben sind mit einer Ton- 
leiter verbunden, die dem Oktochord (und damit dem 
modernen Dur) entspricht; gleiche Konsonanten zei- 
gen die Region eines Halbtonschritts an (bei c als Aus- 
gangston ist -tur-per = e-f, -ces-is-tas = a-b-c oder 
a-h-c). Aus der Praxis der franko-flamischen Sanger- 
schulen im spaten 16. Jh. wird die Einfuhrung der Sil- 
ben sy fiir den Halbton und ho fiir den Ganzton iiber 
dem la eines Hexachords hergeleitet (vgl. Lange 1899/ 
1900, S. 576f.). Von hier aus setzte sich das si im Sinne 
des Ganztons iiber dem la allgemein durch und ist bis 
heute in den romanischen Sprachen iiblich geblieben, 
die die Silbenreihe ut(do) re mi fa sol la si zur Bezeich- 
nung der Grundskala c d e f g a h benutzen. Als Voces 
belgicae war in der deutschen Musiklehre des 17. Jh. 
die 7 Silben benutzende ->■ Bocedisation bekannt. Ohne 
groBere Nachwirkung blieben D. Hitzlers -> Bebisation 



und C.H.Grauns -»■ Damenisation, die alle chroma- 
tisch alterierten Tonstufen darstellten. Eine konsequen- 
te Losung dieser Aufgabe brachte erst 1892 das Eitzsche 
-»• Tonwort. Wahrend die Eitzschen Tonsilben mit 
absoluter Tonhohenbedeutung verbunden sind, er- 
moglicht R.Miinnichs -> Jale-Methode, alle diatoni- 
schen und chromatischen Intervalle auf einen frei ge- 
wahlten Grundton zu beziehen; in ihr werden somit 
starker die Moglichkeiten des Schulmusikunterrichts 
beriicksichtigt. Allgemeine Verbreitung fand seit Be- 
ginn des 20. Jh. in der deutschen Schulmusik jedoch 
nur die auf dem englischen -> Tonic-Solfa beruhende 
-> Tonika-Do-Methode; sie greift auf die alten diato- 
nischen Tonsilben (mit si fiir die 7. Stufe) zuriick und 
zieht Handzeichen zur Veranschaulichung der Inter- 
valle heran. 

Lit.: G. Lange, Zur Gesch. d. S., SIMG I, 1899/1900; H. 
Muller, Solmisationssilben in d. Medicaischen Choral- 
ausgabe, AfMw I, 1918/19; G. Schunemann, Gesch. d. 
deutschen Schulmusik I, Lpz. 21931 ; E. Preussner, Solmi- 
sationsmethoden im Schulunterricht d. 16. u. 17. Jh., Fs. 
Fr. Stein, Braunschweig 1939; I. Lohr, S. u. Kirchenton- 
arten, Zurich 1943 ; J. Handschin, Der Toncharakter, Zu- 
rich (1948); H. Oesch, Guido v. Arezzo, = Publikationen 
d. Schweizerischen Musikforschenden Ges. II, 4, Bern 
(1954) ; ders., Berao u. Hermann v. Reichenau als Musik- 
theoretiker, ebenda II, 9, (1961); M. Ruhnke, J. Burmei- 
ster. Ein Beitr. zur Musiklehre um 1600, =Schriften d. 
Landesinst. f. Musikforschung Kiel V, Kassel 1955; W. 
Wiora, Zum Problem d. Ursprungs d. ma. S., Mf IX, 1956; 
C.-A. Mobero, Die Musik in Guido v. Arezzos Solmisa- 
tionshymne, AfMw XVI, 1959. 

Solo (ital., allein, einzeln) bezeichnet die von einem 
Solisten auszufiihrende, in der Regel besonders an- 
spruchsvolle Stimme, und zwar auch dort, wo -»■ Be- 
gleitung hinzutritt. Es ist die Stimme, die in Orchester- 
werken in einzelnen Partien ausdrucksvoll hervortritt 
(weshalb con espressione die Vorschrift S. ersetzen 
kann) oder die im -> Concerto (-»• Mehrchorigkeit) 
mit dem vollen Chor, so auch im neueren Instrumen- 
talkonzert mit dem -> Tutti {-*■ Ripieno) abwechselt, 
wobei auch mehrere Solisten eine Gruppe bilden kon- 
nen (-> Concertato, -> Concerto grosso, Doppel- und 
Tripelkonzert, -> Symphonie concertante). In iibertra- 
genem Sinn heiBt S. auch ein Instrumentalstiick, das 
allein oder mit nur stiitzender Begleitung vorgetragen 
wird, im Unterschied z. B. zum -> Duett (-»• Duo). - 
Tasto s. (Abk. : T. S. ; bezeichnet durch 0, -> Null - 1) 
bedeutet im GeneralbaB, daB die BaBtone ohne Aus- 
setzung zu spielen sind. 



Sonata da camera (ital.) 

->■ Triosonate. 



Sonate, -> Suite, 



Sonata da chiesa (ital.) -»■ Sonate, -vTriosonate. 

Sonate (ital. sonata, s. v. w. Klingstuck, von sonare, 
klingen, verwandt mit lat. -*■ sonus; frz. sonate, engl. 
sonata) ist eine eigenstandige, seit Mitte des 17. Jh. in 
der Regel mehrsatzige und zyklisch angelegte Instru- 
mentalkomposition in kleiner oder solistischer Beset- 
zung. Die Bezeichnung S. bezieht sich jedoch nicht auf 
eine eng zu umgrenzende Gattung; Uberschneidungen 
mit anderen Instrumentalformen (Toccata, Concerto, 
Sinfonia, Suite) sind vor allem im 17. und 18. Jh. nach- 
weisbar. - Die Entstehung des Begriffswortes S. hangt 
eng mit der Heranbildung der eigenstandigen Instru- 
mentalmusik zusammen. Seit Ende des 16. Jh. hieBen 
zunachst mehrstimmige, auf Instrumente ubertragene 
Vokalsatze Canzoni da (oder per) sonar(e), so bei Vi- 
centino (1572), Maschera (1584), Grammatico Metallo 
(1594) und Banchieri (1596). Aus der Partizipialform 
Canzona sonata entstand das Bezeichnungsfragment 
Sonata, welches als Titel zuerst durch Gorzanis' Sonata 



880 



Sonate 



per liuto (1561) belegt ist und seit den 1580er Jahren ge- 
brauchlich wurde (Caroso 1581, G.Gabrieli 1597 und 
1615, Banchieri 1605, S.Rossi 1607, Gussago und Ar- 
changelo Crotti 1608). In ihrer Faktur sind instrumen- 
tale -* Kanzone (- 2) und S. nicht scharf zu trennen. Fur 
Praetorius (Synt. Ill, S. 24 [= 22]) ist dieses der vnterscheyd; 
Dafidie S.n gar gravitetisch vndprachtig vffMotetten Artge- 
fetzt seynd; Die Canzonen abermitvielen schwartzen Notten 
srisch jfiolich vnnd geschwinde hindurch passiren. Fortwir- 
kendenEinfluBhattendieS.nG.Gabrielis.furderenSatz- 
technik sowohl die -*■ Mehrchorigkeit (bis zu 5 Instru- 
mentalchore, ausgefiihrt von 22 nicht naher bezeichne- 
ten Instrumenten) und die imitatorische Behandlung 
eines Soggettos nach Art eines Ricercars als auch instru- 
mentale Improvisation kennzeichnend sind. Haufig 
wird durch Tripeltaktteile eine Gliederung in Abschnit- 
te erreicht. Die mehrchorige Setzweise war eine der 
Voraussetzungen der fiir die Folgezeit grundlegenden 
Trennung in Oberstimme(n) und GeneralbaB; die Un- 
terteilung in Abschnitte fiihrte zur Mehrsatzigkeit. 
Schon G. Gabrieli schrieb eine Sonatta con tre violini mit 
einem Basso sepiace (das letzte Stuck der posthum ver- 
offentlichten Canzoni et sonate . . ., 1615), in der die 
drei imitierenden und in ihrer Stimmfuhrung sich 
kreuzenden Violinen in Spannungsverhaltnis zu einem 
ruhigen, kadenzierenden BaB gesetzt sind. Triokan- 
zone (Viadana, Canzon francese in risposta, 1602) und 
Trioritornell (Monteverdi und S.Rossi 1607) bilden 
Vorstufen der -»■ Trio-S. (seit S.Rossi 1613), der neben 
der Solo-S. (seit G.P.Cima 1610 und Marini 1617) 
haufigsten Art kammermusikalischen Musizierens bis 
zur Mitte des 18. Jh. 

In der Musik des Barocks gab es zufolge ihrer Abhan- 
gigkeit von Ort und Gelegenheit verschiedene Aus- 
gangspositionen fiir die Komposition von S.n. Eine der 
wenigen fiir das Theater geschriebenen S.n ist die So- 
nata betitelte Einleitung zu M. A. Cestis // porno d'oro 
(1667), neben Legrenzis Opernsinfonia zu II Totila 
(1677), die aus Satzen oder Satzabschnitten verschiede- 
ner S.n seiner Sammlung von 1663 gebildet ist. Dage- 
gen wurden die Kirchen- und die Hofmusik wegwei- 
send fiir die weitere Entwicklung der S. Fiir die Kirche, 
wo S.n wahrend der Messe (gemaB Anweisungen wie 
Alia Levatione oder Gtaduale in S.n Banchieris) oder 
bei anderen gottesdienstlichen Anlassen (in der Marien- 
vesper, z. B. Monteverdis Sonata sopra Sancta Maria) ge- 
spielt wurden, entstand als festgelegter Typus die So- 
nata da chiesa (Kirchen-S.) ; ihr Gegenstiick bildete die 
bei Hofe gespielte Sonata da camera (Kammer-S.). Bei- 
de Bezeichnungen sind bekannt seit der Veroffentli- 
chung von Merulas Canzoni, oven sonate concertate per 
chiesa, e camera (1637). Die Hauptzentren der Pflege so- 
wohl der Sonata da chiesa als auch der Sonata da camera 
waren bis weit ins 18. Jh. hinein neben Venedig (Ma- 
rini, Castello, G.B.Fontana, M.Neri, Legrenzi) die 
Stadte Mantua (S.Rossi, Buonamente), Brescia (Gus- 
sago), Cremona (Merula), Modena (Uccellini, G.M. 
Bononcini, Colombi, T.Vitali), Bologna (Cazzati, G. 
B. Vitali, degli Antonii, Giuseppe Torelli) und Ferrara 
(Mazzaferrata, G.B.Bassani). Ihre klassische Auspra- 
gung erfuhren beide Typen zu Ende des 17. Jh. in Rom 
durch Corelli. Bezeichnend fiir die Sonata da chiesa ist 
die Viersatzigkeit (ausnahmsweise 3 oder 5 Satze), meist 
in der Folge langsam-schnell-Iangsam-schnell (dane- 
ben: schnell-langsam-schnell-schnell). Der langsame 
Einleitungssatz ist geradtaktig und imitatorisch oder 
homophon gestaltet, haufig auch in punktiertem Rhy th- 
mus (grave & majestueux, proportionnt a la dignite & sain- 
tete du lieu, BrossardD); der folgende schnelle Satz 
ist fugiert (quelque Fugue gaye & animee, ebenda). Der 
zweite langsame Satz ist in der Regel ungeradtaktig 



und homophon gehalten, oft in der Art einer Sara- 
bande; er steht zuweilen in der Paralleltonart. Der 
SchluBsatz ist meist fugiert, oft in tanzartigem Rhyth- 
mus nach Art einer Gigue, eines Menuetts oder einer 
Gavotte. Alle Satze beruhen auf einem einheitlichen 
motivischen und melodischen Material und auf einem 
festen modulatorischen Grundgeriist (ohne eigentliche 
Durchf iihrung) : 
Grundtonart-Modulation 1 1 Ruckkehr zur Grundtonart 

T Coder Tp T 

Gegeniiber dem gewichtigeren Charakter und der ent- 
wickelteren Form der Sonata da chiesa zeigt die Sonata 
da camera eine freie Folge von verschiedenen Tanz- 
satzen in gleicher Tonart (des suites de plusieurs petites 
pieces propres afaire danser, & composies sur le mime Mode 
ou Ton, BrossardD), meist Allemanda - Corrente oder 
Sarabanda - Giga oder Gavotta (neben Brando, Branle, 
Gagliarda und Canario), eingeleitet durch ein Praelu- 
dium, das selbst Sonata heifien kann. AuBerhalb Italiens 
bildete sich im AnschluB an Rosenmiiller (Sonate da 
camera . . ., 1667) und D. Becker (Musicalische Friihlings- 
Fruchte, 1668) eine Norm heraus (Einleitungssatz-Al- 
lemande-Courante-Ballo-Sarabande), die auf die Ge- 
schichte der -> Suite einwirkte. Durch Einfiigung ei- 
nes nach Art der Kirchen-S. gebildeten Satzes in die 
Sonata da camera (z. B. Corelli, op. 2 Nr 3: Adagio; 
op. 4 Nr 2: Grave) bzw. durch Satze mit Tanzcharak- 
ter in der Sonata da chiesa naherten sich zu Ende des 
17. Jh. beide Typen einander an. Kompositorische 
Grundlage sind die den GeneralbaB ausfuhrenden Fun- 
damentinstrumente, von denen sich die oft improvi- 
sierend verzierenden Melodieinstrumente abheben. 
Die Besetzungsstarke (vorwiegend Streicher, seltener 
Blasinstrumente) ist schwankend; es ist jedoch anzu- 
nehmen, daB die Sonata da chiesa in der Regel mehr- 
fach, die Sonata da camera einfach besetzt war. 
Die S. fand, weitgehend durch den EinfluB Corellis, 
reiche Pflege (Caldara, Albinoni, F.Dall'Abaco, Vival- 
di, Fr. Geminiani, Marcello, G.B.Somis, Fr.M.Vera- 
cini, Tartini, P. Locatelli) und verbreitete sich von Italien 
aus seit Ende des 30jahrigen Krieges iiber Osterreich 
und Deutschland (J.-H. Schmelzer, Pezel, H.I.Fr.Bi- 
ber, Georg Muffat, Fux, Telemann, Handel, Quantz), 
seit Beginn der Restauration (1660) iiber England (H. 
Purcell, J. Ravenscroft, Fr. Geminiani) und seit Ende des 
17. Jh. iiber Frankreich (Fr. Couperin, Dandrieu, J.-M. 
Leclair). Die Uberschneidungen der Typen der Kir- 
chen- und der Kammer-S. fiihrten seit etwa 1700 zu 
einer ganzlichen Fusion, die im wesentlichen durch F. 
Dall'Abaco und Vivaldi abgeschlossen wurde. Was 
nun unter dem Titel S. erschien, entsprach in Stil und 
Form primar der Kirchen-S. Allerdings wurde die An- 
zahl der Satze haufig verringert; durch Auslassung ei- 
nes langsamen Satzes entstand der 3satzige Typus lang- 
sam-schnell-schnell bzw. schnell-langsam-schnell, 
durch Auslassung eines weiteren Satzes der Typus lang- 
sam-schnell oder schnell-schnell. Die seit Gabrieli zu 
verfolgende Entwicklung vom vielstimmigen Satz zum 
Trio- und Solosatz des 18. Jh. erreichte einen Hohe- 
punkt bei J. S.Bach; er schrieb Trio-S.n fiir ein Solo- 
instrument mit 2stimmigem Klaviersatz, wobei das 
Tasteninstrument in der obligaten Oberstimme den 
2. Part ubernimmt (6 S.n fiir V. und Kl., BWV 1014- 
1019; 3 S.n fur Va da gamba und KL, BWV 1027- 
1029; 3 S.n fur Querflote und Kl., BWV 1030-1032). 
In den 6 S.n fiir Org. bzw. Pedalcemb. (BWV 525- 
530) werden beide Oberstimmen auf 2 Manualen und 
der BaB auf dem Pedal gespielt. Seine Soloviolin- 
S.n (BWV 1001, 1003, 1005) sind in ihrer Anlage 
Kirchen-S.n in der Satzfolge langsam-Fuge-langsam- 
schnell. 



56 



881 



Sonate 



Im 18. Jh. diente die S. in erster Linie gesellschaftlicher 
Unterhaltung (haufig, z. B. von J.Haydn, wurde cine 
S. -> Divertimento - 1 genannt) oder Lehrzwecken 
(z. B. die ->■ Lessons oder die f iir Schuler geschriebenen, 
manchmal Sonata facile genannten S.n) ; haufig war sie 
fiir ->• Kenner und Liebhaber bestimmt; daneben wur- 
den auch noch S.n fiir kirchliche Zwecke geschrieben 
(z. B. W.A.Mozartsl7Kirchen-S.n). Zentrales Instru- 
ment wurde immer mehr das Klavier. Andere Instru- 
mente (z. B. Violine, Flote) konnten hinzutreten (oft 
ad libitum) ; auch Klaviertrios (-> Trio) wurden in ih- 
rer Friihzeit noch als Sonates pour le clavecin ou piano- 
forte accomp. d'un violon et violoncelle betitelt (Fr.A. 
RoBler, op. 7, ahnlich J.Haydn). 
Die Anfange der Klavier-S. gehen zuriick auf Kuhnau, 
der in seiner S. aus dem B (in: Neue Clavier-Ubung II, 
1692) die Form der Kirchen-S. auf das Klavier iiber- 
trug und die neueGattung der Klavier-S. in seinen 
Frischen Clavier-Friichten (1696) und den Biblischen Hi- 
storien (1700) begriindete, sowie auf Pasquini (14 S.n 
fiir 2 Cemb. aus den Sonate per gravicembalo, 1702). Die 
Ausbildung der vorklassischen S. lafit sich in ganz Eu- 
ropa verfolgen, vor allem in Italien (Fr. Durante, Ga- 
luppi, Paradies, D. Alberti, G.M.Pl.Rutini, Cimarosa), 
Spanien und Portugal (D. Scarlatti, Seixas, Padre Soler, 
Boccherini, Blasco de Nebra), Wien (G. Chr. Wagen- 
seil, Monn), Norddeutschland (W.Fr.Bach, C.Ph.E. 
Bach, Johann Christoph Ritter, G.Benda, C.Fr.Fasch, 
Fr. W.Rust, Fr.A. RoBler, Neefe), Paris (J.-J. de Mon- 
donville, Schobert, Eckard, Edelmann, Hiillmandel, I. 
Pleyel, Steibelt) und London (J. Chr. Bach, dementi). 
Kennzeichnend fiir die vorklassische S. sind die Merk- 
male des -> Galanten Stils und desEmpfindsamen Stils. 
Von besonderer Bedeutung sind die lsatzigen S.n D. 
Scarlattis, die aus zwei (jeweils fiir sich wiederholten) 
Teilen bestehen; toccatenhafte Elemente, kurzatmige 
Spielfiguren und Wendungen werden zu langeren me- 
lodischen Linien weitergesponnen oder in kurzen 
Durchfuhrungsteilen motivisch verarbeitet; aus tonal 
kontrastierenden Figurationen in der 2. Halfte des 1. 
Abschnitts entsteht in Ansatzen ein 2. Thema. In einem 
Teil der handschriftlichen Quellen folgen in der Regel 
zwei Werke aufeinander, die sich in ihrer Taktart wie Tanz 
zu Nachtanz verhalten und die gleiche oder die variante 
Tonart aufweisen (Gerstenberg 1933, S. 99). Fr. Durantes 
S.n beruhen auf dem Gegensatz eines fugierten ersten 
und eines an die Gigue gemahnenden zweiten Satzes. 
Seinem Vorbild folgte D. Alberti, der in der Begleitung 
erstmalig die nach ihm benannten ->• Albertischen Bas- 
se gebraucht. Wahrend die Wiener S. (G. Chr. Wagen- 
seil) als Mittel- oder Finalsatz ein Menuett verwendet 
und damit Elemente der Suite aufgreift, enthalt die 
norddeutsche S. (W.Fr. und C.Ph.E. Bach) grundsatz- 
lich keine Tanzsatze. Charakteristisch fiir ihre von per- 
sonlichem Ausdruck und von »Empfindsamkeit« erfiill- 
ten S.n sind u. a. kurzatmige Motivik und deutlich ge- 
geneinander abgesetzte Phrasengliederung innerhalb 
des (unter EinfluB der neapolitanischen Opernsinfonia 
ubernommenen) 3satzigen S.n-Satzzyklus in der Folge 
schnell-langsam-schnell, wobei der Mittelsatz tonal 
abweicht (meist Tp, Tv, in Dur auch S und Dp, in 
Moll auch Sp). Im Anfangssatz beginnt nunmehr die 
Polaritat zweier Themen und in Ansatzen Thematische 
Arbeit im Mittelteil fiir die musikalische Gestaltung 
bedeutsam zu werden (-> Sonatensatzform) ; der Mit- 
telsatz zeigt 3teilige Liedform oder freie Form oder So^ 
natensatzform, gelegentlich auch intermezzoartig re- 
zitativischen Charakter, wahrend das Finale haufig in 
Rondof orm mit mehreren Episoden, selten in Sonaten- 
satzform gebildet ist, eine Anlage, die fiir die Wiener 
Klassiker vorbildlich wurde. 



Die durch die Wiener Klassiker in den verschiedenen 
Gattungen verwirklichte musikalische Haltung pragte 
sich auch in der S. aus. Dabei konzentrierte sich seit dem 
Ausdrucksstreben der Musik des Empfindsamen Stils 
das Interesse immer mehr auf das ->• Pianoforte mit sei- 
nen wachsenden Moglichkeiten zu differenziertem An- 
schlag und stufenlosem dynamischen Ubergang. Bei J. 
Haydn, dessen S.n bis in die 1760er Jahre noch Ziige 
des Galanten Stils erkennen lassen und dem Diverti- 
mento nahestehen (z. B. Hob. XVI, 4: ein 4satziges 
Divertimento per il Clavicembalo mit einem einleitenden 
Allegro und 3 Menuetten), ist der EinfluB C.Ph.E. 
Bachs in Friihwerken spiirbar (z. B. Hob. XVI, 2, Lar- 
go), auffallend gegenEnde der 1760er Jahre (Hob. XVI, 
46, Adagio; Hob. XVI, 19), besonders in der leiden- 
schaftlichen S. C moll, Hob. XVI, 20, die zugleich den 
Typus der Wiener klassischen Klavier-S. erstmals ver- 
wirklicht. Seit den 1770er Jahren gingen Haydns S.n 
ganz eigene Wege. Die Merkmale der Wiener klassi- 
schen Musik sind fortan fiir die S. bestimmend. Auf 
der Grundlage eines einfachen harmonischen Ablaufs 
und eines metrisch abgestuften Taktprinzips entfaltet 
sich die -> Komposition als ein differenziertes Gefiige 
von scharf ausgepragten Gestalten, deren Prototyp das 
nach alien Seiten (vor allem in selbstandige Motive) 
zergliederbare, den Bau des ganzen Satzes beherrschen- 
de Thema ist (-» Thematische Arbeit). Haydn halt sich 
im allgemeinen an den 3satzigen S.n-Satzzyklus (von 
der Satzfolge schnell-langsam-schnell weicht er haufig 
ab, indem er an die Stelle des 2. oder 3. Satzes ein Me- 
nuett, meist mit Trio, setzt) ; doch sind von seinen 52 
Klavier-S.n drei friihe (Hob. XVI, 4, 6 und 8) vier- 
satzig und acht (auf die ganze Schaffenszeit zwischen 
1765 und 1794 verteilt) dagegen zweisatzig. - W.A. 
Mozarts S.n (24 Klavier-S.n, davon 5 vierhandig, 1 fiir 
2 Kl. ; 43 Violin-S.n) schlieBen sich in Anlage und mo- 
tivischer Behandlung Haydn an, lassen aber in der kan- 
tablen Melodiefiihrung (»singendes Allegro«) deutlich 
den EinfluB J. Chr. Bachs erkennen. Seine auf der Reise 
nach Mannheim und Paris 1778-79 entstandenen S.n 
zeigen wachsende Verselbstandigung der Begleitstim- 
men, bei den Violin-S.n mit dem Klavier gleichberech- 
tigte Behandlung des obligaten Soloinstruments. In 
den letzten, in Wien zwischen 1781 und 1789 geschrie- 
benen S.n beginnen die Merkmale der Gattung hinter 
dem einmalig geformten Werk zuruckzustehen. Kenn- 
zeichnend werden nun dynamische Gegensatze, Syn- 
kopen und Chromatik (K.-V. 457, 533), polyphone 
Elemente (K.-V. 454, 526, 570, 576) und eine Annahe- 
rung an symphonischen Aufbau (4handige S.n, K.-V. 
497, 501; S. fur 2 KL, K.-V. 448). Im S.n-Satzzyklus 
uberwiegt die Dreisatzigkeit (Zwei- bzw. Viersatzig- 
keit tritt nur in einigen Violin-S.n auf) in der Folge 
schnell (Sonatensatzform) - langsam - schnell (Sonaten- 
satzform oder Rondo); einen Sonderfall bildet K.-V. 
331 mit einem Variationssatz am Anfang und nachfol- 
gend Menuett und Alia Turca. 

Bei Beethoven finden sich unter den S.n (32 Klavier- 
S.n, 10 Violin-S.n, 5 Violoncello-S.n, 1 Horn-S.) Wer- 
ke besonders hohen Ranges (Kreutzer-S., Appassiona- 
ta, spate S.n). Die groBraumige, iiber das formal FaB- 
bare im herkommlichen Sinne weit hinausgehende Ge- 
staltung der S.n (viele S.n heiBen im Originaltitel 
Grande S., unter ihnen die Hammerklavier-S. mit sym- 
phonischen AusmaBen) auBert sich im festgefiigten, in 
den Proportionen und Dimensionen abgesteckten Bau 
und in der Geschlossenheit der einzelnen Satze (pra- 
gnanter Anfang - durchgearbeiteter Mittelteil - ent- 
schiedener SchluB) sowie in ihrer wechselseitigen Be- 
zogenheit. Die in der damaligen Klaviermusik verfiig- 
baren musikalisch-spieltechnischen Mittel (z. B. Ab- 



882 



Sonate 



stufung von Dynamik und Tempo, Synkopen, Sforza- 
ti auf schwachen Taktteilen, rhythmische Wirkung der 
Pausen) sind hier in einzigartiger Weise in die Kompo- 
sition eingeschmolzen. Den 4satzigen S.n-Satzzyklus 
(analog Symphonie und Streichquartett) mit der Folge 
schnell - langsam - Menuett oder Scherzo - Finale wei- 
sen einige friihe (z. B. op. 2 Nr 1-3; op. 7, op. 28) und 
- mit Vertauschung der Mittelsatze - spate S.n (op. 101 , 
106, 110) auf; doch nicht selten sind Dreisatzigkeit - 
entweder fehlt der langsame Satz (op. 10 Nr 2, op. 14 
Nr 1) oder das Menuett bzw. Scherzo (op. 13, 53, 57) -, 
freie Satzanordnung (Variationssatz- Scherzo -Marcia 
funebre - Finale: op. 26; Sonata quasi una fantasia: op. 
27 Nr 1 und 2; Scherzo an zweiter und Menuett an 
dritter Stelle: op. 31 Nr 3) und Zweisatzigkeit (op. 54, 
78, 90, 111). Wahrend in den friihen S.n das Gewicht 
auf dem (in Sonatensatzform stehenden) Anfangssatz 
ruht, verlagert sich in den spaten S.n der Schwerpunkt 
auf den SchluBsatz (in op. 101, op. 102 Nr 2, op. 106 
und 1 10 jeweils eine groBangelegte Fuge ; in op. Ill die 
beriihmte Arietta mit ihren Variationen). - Eine Zwi- 
schenstellung zwischen klassischer und romantischer 
Haltung nehmen die S.n C. M. v. Webers und Fr. Schu- 
berts ein; innerhalb eines 4-(seltener 3-)satzigen S.n- 
Satzzyklus werden neue Mittel angewendet, die nur 
bedingt der Wiener Klassik verpflichtet sind. In We- 
bers 4 S.n (1812-22) mit ihrer virtuosen, brillanten 
Technik wird das thematische Material harmonisch, 
rhythmisch und melodisch variiert; die langsamen 
Satze beruhen auf volkstiimlichen Melodien. FUr Schu- 
berts 21 S.n (1815-28) mit ihrem Melodienreichtum 
(ein »Thema« ist primar Melodie; fur die Thematische 
Arbeit werden oft nebensachliche Elemente wie z. B. 
Begleitfiguren herangezogen), tief empfundenen Har- 
monien (auffallende Modulationen in entfernte Ton- 
arten) und zwingenden, haufig quasi ostinaten Rhyth- 
men ist typisch der lyrische Grundcharakter. 
Nach dem Tode Schuberts (1828) verlor die S. ihre 
zentrale Stellung. Der Klavier-S. vorgezogen wurden 
kleine Formen (z. B. Lied ohneWorte, Nocturne, Inter- 
mezzo, Etude, Charakterstiick), so von den wichtigen 
S.n-Komponisten des 19. Jh. Mendelssohn Barthol- 
dy, Chopin, R.Schumann, Liszt, C.Franck, Brahms, 
Tschaikowsky und Grieg. Bedeutende Werke sind in- 
dessen die S.n £iir ein Soloinstrument und Klavier von 
Brahms (3 Violin-S.n, 2 Violoncello-S.n, 2 Klarinet- 
ten-[Viola-]S.n) und C.Franck (Violin-S. A dur). Die 
iiberkommenen Satztypen werden als feststehende For- 
men ubernommen una in einen 3- oder 4satzigen S.n- 
Satzzyklus eingeordnet (meist: Sonatensatzform - Ro- 
manze oder Variationen - [Scherzo +Trio] - Rondo 
oder Sonatensatzform ; 2. und 3. Satz konnen auch ver- 
tauscht sein) ; der Schwerpunkt liegt oft im Finale, das 
bei Moll-S.n haufig nach Dur aufgehellt ist. Nicht sel- 
ten wird eine S. durch ein Programm eingerahmt (so 
schon in Beethovens S. Les Adieux op. 81a), oder ihre 
Satze sind thematisch aufeinander bezogen (so schon 
in Schuberts Wanderer-Fantasie). Typisch sind die An- 
einanderreihung, Ausdehnung oder neue Kombination 
der Gedanken oder reine Wiederholungen auf anderen 
Stufen. Gegeniiber der kompositorischen Logik bei 
Beethoven erscheint die harmonische Farbe als Selbst- 
zweck (Modulation zur Mediante oder in entfernte 
Tpnarten, Chromatik, alterierte Akkorde). Weitere 
Merkmale sind Ableitung der gesamten Motivik aus 
einem Grundgedanken (Schumann, Brahms) und freie 
phantasieartige Gestaltung (Chopins S.n B moll op. 35 
und H moll op. 58). Einen neuen Formtypus schuf Liszt 
mit seiner H moll-S., in der die verschiedenen Satze 
des S.n-Satzzyklus mit den Abschnitten des Allegros 
in Sonatensatzform identifiziert werden. Die spatro- 



mantische S. des ausgehenden 19. Jh. (u. a. bei N.Gade,. 
Saint-Saens, Rheinberger, Sinding, Glasunow, Lekeu) 
zeigt epigonale Ziige, Neigung zu Formalismus und 
Eklektizismus in Verbindung mit grofiem technischem 
Auf wand; nur wenige Komponisten, so d'Indy, Mac- 
Dowell, Reger, Szymanowski, bewahrten eine gewisse 
Selbstandigkeit. - Um die Jahrhundertwende erhob 
sich eine Gegenstromung, ausgehend von Rufiland 
(Skrjabin, Prokofjew, Schostakowitsch) und Frankreich 
(Faure, Debussy, Dukas, Ravel, Milhaud), die sich auf 
knappere Formen (z. B. ->• Sonatine) beschrankte, das 
Tonmaterial neu sichtete (z. B. -> Mystischer Akkord, 
gregorianische und exotische Elemente) und den tona- 
len Rahmen sprengte (Intervallketten, Polytonalitat). 
Der Titel S. wird seither einerseits in betonter Bindung 
an seine geschichtliche Bedeutung verwendet (Stra win- 
sky, Hindemith), hat aber andererseits durch neue 
rhythmische, klangliche und spieltechnische Mittel 
(Bartok), Atonalitat (A. Berg), Zwolftontechnik und 
Serielle Musik (Boulez) vielfSltige Wandlungen erfah- 
ren. Doeh erscheint heute der Begriff S., so haufig er 
auch gebraucht werden mag, problematisch, da er an 
die in der funktionalen Harmonik begriindete Art der 
Thematik und Formbildung gebunden ist. Am ehesten 
trifft in einigen Fallen jedenf alls die Bedeutung Spiel- 
stiick noch zu (Blacher, Henze). Doch eine Uberschnei- 
dung mit anderen Benennungen (wie z. B. bei Boulez: 
Structures fur 2 Kl. neben 3 Klavier-S .n) laBt auch heute 
wieder keine eindeutige Begriffsbestimmung zu. 
Lit. : Bibliogr., Kat., Verz. : A. Wotquenne, Cat. de la Bibl. 
du Conservatoire royal de musique de Bruxelles II, Brussel 
1902; W. Altmann, Kammermusik-Kat., Lpz. 1910, 
6 1945; ders., Verz. v. Werken f. Kl. vier- u. sechshandig so- 
wie f. zwei u. mehr Kl., Lpz. 1943; R. Haas, Die Estensi- 
schen Musikalien, Regensburg 1927; W. Chr. Smith, A 
Bibliogr. of the Mus. Works Published by J. Walsh During 
the Years 1 695-1 720, London 1 948 ; Cl. Sartori, Bibliogr. 
della musica strumentale ital., stampata in Italia fino al 
1700, = Bibl. di bibliogr. ital. XXIII, Florenz 1952; A. 
Weinmann, Vollstandiges Verlagsverz. Artaria & Comp., 
= Beitr. zur Gesch. d. Alt- Wiener Musikverlage II, 2, 
Wien 1952; W. St. Newmann, A Checklist of the Earliest 
Keyboard »Sonatas« (1641-1738), Notes II, 11, 1953/54; 
P. Evans, Seventeenth-Cent. Chamber Music Mss. at Dur- 
ham, ML XXXVI, 1955. 

Gesamtdarstellungen : I. Faisst, Beitr. zur Gesch. d. Cla- 
viers, v. ihrem ersten Auftreten bis auf C. Ph. E. Bach, 
Cacilia Mainz XXV, 1846 - XXVI, 1847, auch in: Neues 
Beethoven-Jb. I, 1924; S. Bagge, Die geschichtliche Ent- 
wicklung d. S., in: Slg Mus. Vortrage II, hrsg. v. P. Graf 
Waldersee, Lpz. 1880; J. S. Shedlock, The Pfte-Sonata, 
London u. NY 1895, deutsch v. O. Stieglitz als: Die Kla- 
viers., Bin 1897; O. Klauwell, Gesch. d. S. v. ihren An- 
fangen bis zur Gegenwart, = Universal-Bibl. f. Musiklit. 
XVIII-XX, Koln u. Lpz. (1899); H. Michel, La s. pour 
clavier avant Beethoven, Amiens 1907; Bl. Selva, La s.: 
etude de son evolution . . ., Paris 1913; dies., Quelques 
mots sur la s., Paris 1914 ; R. Refoute, La s. de piano, Pa- 
ris 1922 ; E. Brandt, Suite, S. u. Symphonie. Ein Beitr. zur 
mus. Formenlehre, Braunschweig (1923); W. Georgii, 
Klaviermusik, Bin u. Zurich (1941), Zurich u. Freiburg 
i. Br. ("1965); E. Borrel, La s., Paris 1951 ; H. C. Colles, 
Artikel Sonata, in: Grove; W. St. Newman, Artikel S., in : 
MGGXII, 1965. 

Friihzeit u. Gb.-Epoche; Praetorius Synt. Ill; Bros- 
sardD; WaltherL; Mattheson Capellm.; J. A. Scheibe, 
Der critische Musicus, Hbg 1740, Lpz. 2 1745, 74. Stuck; H. 
Chr. Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition III, 
Lpz. 1793; C. v. Winterfeld, J. Gabrieli u. sein Zeitalter 
II, Bin 1834, Nachdruck Hildesheim 1965; W. J. v. Wa- 
sielewski, Die V. im XVII. Jh. u. d. Anfange d. Instrumen- 
talcomposition, Bonn 1874; ders., Die V. u. ihre Meister, 
Lpz. 3 1893, bearb. u. erganzt v. W. v. Wasielewski, Lpz. 
7 1927; M. Brenet, Les concerts en France sous l'ancien 
regime, Paris 1900; A. Heuss, Ein Beitr. zur Klarung d. 
Kanzonen- u. S.-Form, SIMG IV, 1902/03; A. Einstein, 



56* 



883 



Sonate 



Zur deutschen Lit. f. Va da Gamba im 16. u. 17. Jh., 
= BIMG II, 1, Lpz. 1905; A. Schering, Zur Gesch. d. 
Solos, in d. 1 . Halfte d. 1 7. Jh., Fs. H. Riemann, Lpz. 1 909 ; 
Br. Studeny, Beitr. zur Gesch. d. Violins, im 18. Jh., Miin- 
chen 1911 ; G. Cucuel, La Poupeliniere et la musique de 
chambre au XVIII e s., Paris 1913 ; G. Beckmann, Das Vio- 
linspiel in Deutschland vor 1 700, Lpz. 1 9 1 8 ; L. de La Lau- 
rencie, L'ecole frc. de v. de Lully a Viotti. Etudes d'hist. et 
d'esthitique, 3 Bde, Paris 1922-24; H. Hoffmann, Die 
norddeutsche Trios, d. Kreises um J. G. Graun u. C. Ph. E. 
Bach, Diss. Kiel 1924; K. A. Rosenthal, Ober Sonatem 
vorformen in d. Instrumentalwerken J. S. Bachs, Bach-Jb. 
XXIII, 1 926; Fr. Vatielli, Arte e vitamus. a Bologna. Studi 
e saggi I, Bologna (1 927) ; E. H. Meyer, Die mehrst. Spiel- 
musik d. 17. Jh. in Nord- u. Mitteleuropa, = Heidelberger 
Studien zur Mw. II, Kassel 1934; A. Schlossberg, Die 
ital. Sonata f. mehrere Instr. im 17. Jh., Diss. Heidelberg 
1935; G. Schunemann, S. u. Feldstiicke d. Hoftrompeter, 
ZfMw XVII, 1935; G. Hausswald, Zur Sonatenkunst d. 
Bachzeit, Ber. iiber d. Wiss. Bachtagung d. Ges. f. Musik- 
forschung Lpz. . . . 1950; L. Hoffmann-Erbrecht, Deut- 
sche u. ital. Klaviermusik zur Bachzeit, = Jenaer Beitr. zur 
Musikforschung I, Lpz. 1954; K.-H. Kohler, Zur Proble- 
matik d. Violins, mit obligatem Cemb. , Bach-Jb. XLV, 1958; 
H. R. Rarig Jr., The Instr. Sonatas of A. Vivaldi, Diss. 
Univ. of Michigan 1958, maschr. ; W. St. Newman, The 
Sonata in the Baroque Era, Chapel Hill/N. C. (1959) ; R. E. 
Preston, The Forty-Eight Sonatas for V. and Figured 
Bass of J.-M. Leclair, »l'aine«, Diss. Univ. of Michigan 
1959, maschr.; M. Tilmouth, The Technique and Forms 
of Purcell's Sonatas, ML XL, 1959 ; P. Brainard, Die Vio- 
lins. G. Tartinis, Diss. Gottingen 1960, maschr.; Br. K. 
Klitz, Solo Sonatas, Trio Sonatas, and Duos for Bassoon 
Before 1750, Diss. Univ. of North Carolina 1961, maschr. ; 
A. Biales, Sonatas and Canzones for Larger Ensembles in 
Seventeenth-Cent. Austria, 2 Bde, Diss. Univ. of California 
1962, maschr.; St. Kunze, Die Instrumentalmusik G. 
Gabrielis, = MunchnerVeroff. zurMg. VIII, Tutzing 1963; 
G. J. Shaw, The Vc. Sonata Lit. in France During the 
Eighteenth Cent., Diss. Catholic Univ. of America (Wash- 
ington/D. C.) 1963, maschr.; J. G. Suess, G. B. Vitali and 
the »sonata da chiesa«, Diss. Yale Univ. (Conn.) 1963, 
maschr. ; St. Bonta, The Church Sonatas of G. Legrenzi, 
2 Bde, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1964, maschr.; H. 
Eppstein, Studien iiber J. S. Bachs S. f. ein Melodieinstr. u. 
obligates Cemb., = Acta Univ. Upsaliensis. Studia musi- 
cologica Upsaliensia, N. S. II, Uppsala 1966. 
Vorklassik u. Klassik: H. A. Harding, Analysis of Form: 
Description of the Form of the Beethoven Piano Sona- 
tas, London 1895; L. Schiffer, J. L. Dussek, seine S. u. 
seine Konzerte, Diss. Miinchen 1 9 1 4 ; W. Fischer, Zur Ent- 
wicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMwIII, 1915; H. 
Riemann, L. van Beethovens samtliche Klavier-Solos., 
Asthetische u. foimal-technische Analyse mit hist. Noti- 
zen, 3 Bde, = M. HessesillustrierteHdb. LI-LIII, Bin ( 1 9 1 8- 
19), I (41920), II (31920), III (21920); A. Schmitz, Beetho- 
vens »Zwei Prinzipe«, Bin u. Bonn 1923; M. W. Eberler, 
Studien zur Entwicklung d. Setzart f . Kl. zu vier Handen v. 
d. Anfangen bis zu Fr. Schubert, Diss. Miinchen 1922, 
maschr. ; H. Th. David, J. Schobert als Sonatenkomponist, 
Kassel 1928; H. Keller, Zur Chronologie d. Haydnschen 
Klaviers., Klaviertrios u. Streichquartette, Neue Musik- 
Zeitung XLIX, 1928; Th. Schlesinger, J. B. Cramer u. sei- 
ne Klaviers., Miinchen 1928; M. Lange, Beitr. zur Ent- 
stehung d. siidwestdeutschen Klaviers. im 18. Jh., Diss. 
GieCen 1930; E. Stilz, Die Berliner Klaviers. zur Zeit 
Friedrichs d. GroBen, Diss. Bin 1930; F. Torrefranca, Le 
origini ital. del romanticismo mus. I primitivi della sonata 
moderna, Turin 1930; W. Engelsmann, Beethovens Kom- 
positionsplane dargestellt in seinen S. f. Kl. u. V., Augs- 
burg 1931 ; A. Stauch, M. dementi's Klavier-S. im Ver- 
haltnis zu d. S. v. Haydn, Mozart u. Beethoven, Diss. Koln 
1931; D. Fr. Tovev, A Companion to Beethoven's Pfte 
Sonatas, London 1931 ;M. v. Dewitz, J.B.Vanhal.Leben 
u. Klavierwerke. Ein Beitr. zur Wiener Klassik, Diss. Miin- 
chen 1933; W. Gerstenberg, Die Klavierkompositionen 
D. Scarlattis, = Forschungsarbeiten d. mw. Inst. d. Univ. 
Lpz. II, Regensburg (1933); L. Winter, J. Haydns Kla- 
viers., Diss. Wien 1935, maschr. ; R. v. Tobel, Die Formen- 
welt d. klass. Instrumentalmusik, = Berner Veroff. zur Mu- 
sikforschung VI, Bern 1935 ; A. Schering, Beethoven u. d. 



Dichtung, = Neue deutsche Forschungen LXXVII, Abt. 
Mw. HI, Bin 1936; ders., C. Ph. E. Bach u. d. »redende 
Prinzip« in d. Musik, JbP XLV, 1938; Cl. A. Schneider, 
J. Fr. Fasch als Sonatenkomponist. Ein Beitr. zur Gesch. 
d. Sonatenform, Diss. Miinster i. W. 1936; J. Thaler, Die 
Klaviers. J. Haydns, Diss. Innsbruck 1936, maschr.; G. 
Lobl, Die Klaviers. bei L. Kozeluch, Diss. Wien 1937, 
maschr.; E. Blom, Beethoven's Pfte Sonatas Discussed, 
London 1938; E. Reeser, De klaviers. met vioolbegelei- 
ding in het Parijsche muziekleven ten tijde van Mozart, 
Rotterdam 1939; Ph. T. Barford, The Sonata-Principle: 
A Study of Mus. Thought in the Eighteenth Cent., MR XIII, 
1952; R. Benton, Form in the Sonatas of D. Scarlatti, 
ebenda, vollstandiger Text d. Thesis (M. A.) Rochester/ 
N. Y. (1958), maschr.; D. L. Stone, The Ital. Sonata for 
Harpsichord and Pfte in the Eighteenth Cent. (1730-90), 3 
Bde, Diss. Harvard Univ. (Mass.) 1952, maschr.; E. Rande- 
brock, Studie zur Klaviers. C. Ph. E. Bachs, Diss. Mini- 
ster i. W. 1953, maschr.; E. H. Beurmann, Die Reprisens. 
C. Ph. E. Bachs, AfMw XIII, 1956; E. Fischer, L. van 
Beethovens Klaviers., Wiesbaden (1956), auch = Insel-Bii- 
cherei Nr 853, ebenda 1966; Fr. Liessem, Die Entwicklung 
d. Klaviertechnik in d. S. d. Wiener Klassiker Haydn, Mo- 
zart u. Beethoven, Diss. Innsbruck 1956, maschr.; C. E. 
Forsberg, The Clavier-V. Sonatas of W. A. Mozart, Diss. 
Indiana Univ. 1958, maschr. ; R. Allorto, Le s. per pfte di 
M. Clementi, = »Hist. Musicae Cultores« Bibl. XII, Flo- 
renz 1959; W. St. Newman, The Sonata in the Classic Era, 
Chapel Hill/N. C. (1963); A. E. Tighe (Sister), M. Cle- 
menti and His Sonatas Surviving as Solo Piano Works, 
Diss. Univ. of Michigan 1964, maschr. 
19. u. 20. Jh.: A. Skarzynski, Die Klaviers. d. deutschen 
Romantiker Weber, Schubert, Mendelssohn u. Loewe, 
Diss. Wien 1914, maschr.; H. Koltzsch, Fr. Schubert in 
seinen Klaviers., = Slg mw. Einzeldarstellungen VII, Lpz. 
1927 ; K. Westphal, Die S. als Formproblem d. modernen 
Musik, in: Anbruch XI, 1929; ders., Die romantische S. 
als Formproblem, SMZ LXXIV, 1934; P. Egert, Die 
Klaviers. im Zeitalter d. Romantik I, Die Klaviers. d. Friih- 
romantiker, Bin 1934; K. Eschmann, Changing Forms in 
Modern Music, Boston 1945; D. A. Shanun im stimmphysiologischen Sinne die 
hochste der vier menschlichen -> Stimmgattungen, 
bleibtjedoch gebrauchlich auch im weniger besetzungs- 
als satztechnischen Sinn fiir die Oberstimme eines Lehr- 
zwecken dienenden mehrstimmigen Satzes, die je nach 
Sprachraum auch -> Dessus, -> Treble, ->• Tiple heiBt. 
S. als Zusatz zu einem Instrumentennamen bezeichnet 
(heute meist anstelle des gleichbedeutenden Zusatzes 
Diskant . . .) das S .-Instrument eines Stimmwerks (-> Ak- 
kord - 3). - 2) die hochste der ->• Stimmgattungen. 
Die Umfangsgrenzen des nicht ausgebildeten weibli- 
chen S.s oder Knaben-S.s schwanken, sie liegen meist 
bei (h)ci-f2 (g2, a2), diejenigen von Benrfssangerinnen 
bei a-c3 (P; g3 wird selten verlangt, z. B. in Mozarts 
Konzertarie Popoli di Tessaglia, K.-V. 316). Seit dem 

17. Jh. wurde in der Oper die weibliche Hauptpartie 
von der -> Primadonna iibernommen. Im 17. und 18. 
Jh. sangen haufig ->■ Kastraten die S.-Partien. Seit dem 
19. Jh. unterscheidet die Biihnenpraxis zwischen den 



886 



Soubrette 



Stimmfachern Koloratur-S., lyrischer S., jugendlich- 
dramatischer S., dramatisches Zwischenfach, hoch- 
dramatischer S., -> Mezzo-S. und -» Soubrette. Ins- 
gesamt ist fur diese Einteilung wie auch fur die Ab- 
grenzung des S.s gegeniiber der weiblichen Altstimme 
weniger der von der Sangerin beherrschte Umfang 
als ihr Stimmtimbre entscheidend. Der -»■ Koloratur-S. 
muB gute Gelaufigkeit und absolute Sicherheit in 
den hohen Lagen zwischen c 3 und f 3 aufweisen und 
Glanz des Brillierens mit dem Reiz des Timbres ver- 
binden. Wichtige Partien sind: Konstanze (DieEntfiih- 
rung aus dem Serail), Konigin der Nacht (Die Zauber- 
flbte), Violetta (La Traviata), Gilda (Rigoletto), Olympia 
(Les contes d' Hoffmann), Zerbinetta (Ariadne au/Naxos). 
Der lyrische S. muB iiber schmelzende SiiBe und ein 
hohes Piano verfiigen (junge Sopranistinnen tendieren 
meist zunachst in dieses Fach). Wichtige Partien fur 
lyrischen S. sind: Pamina (Die Zauberflote), Undine, 
Micaela (Carmen), Antonia (Les contes d'Hoffmann), Liu 
(Turandot), Lulu. Der jugendlich-dramatische S. muB 
durch reicheren Stimmumfang (besonders zur Tiefe 
hin) und groBere Klang- und Durchschlagskraf t ausge- 
zeichnet sein; wichtige Partien sind: Donna Elvira 
(Don Giovanni), Agathe (Der Freischiitz), Elisabeth 
(Tannhauser), Elsa (Lohengrin), Desdemona (Otello), Je- 
nufa. Das dramatische Zwischenfach steht zwischen 
dem jugendlich-dramatischen und dem hochdramati- 
schen S. und muB vor allem metallische Durchschlags- 
kraft, auch in der sehr haufig geforderten Hochlage, 
aufweisen. Es ist das an Partien reichhaltigste Fach der 
Frauenstimme. Wichtige Partien sind: Leonore (Fi- 
delio), Sieglinde (Die Walkiire), Elisabetta (Don Carlo), 
Aida, Tosca, Feldmarschallin (Der Rosenkavalier), Ara- 
bella, Marie (Wozzeck). Der hochdramatische S. muB 
durch eine reife, tragfahige, relativ dunkle Stimme und 
strahlende Klangentfaltung ausgezeichnet sein; wich- 
tige Partien sind: Isolde (Tristan und Isolde), Brunnhilde 
(Der Ring des Nibelungen), Elektra. 

Sordino (ital.; Abk.: sord.), - 1) -*■ Dampfer; con s., 
mit Dampfer, con sordini, mit Dampfern; in der Kla- 
viermusik verlangt die Vorschrift senza s. das Spiel mit 
gehobener Dampfung, d. h. mit (rechtem) Pedal; 
- 2) ->- Pochette. 

Sordun, - 1) Doppelrohrblattinstrument mit Anblas- 
rohr und mit zylindrischem (meist gedacktem) Wind- 
kanal, der aus 2 Bohrungen in einem zylindrischen 
Corpus besteht. Die Bauart entspricht bis auf das Feh- 
len der Windkapsel dem -> Kortholt. Nach Praetorius 
(Synt. II) hat der S. 11 offene Griff locher und 3 Hap- 
pen ; zum Stimmwerk gehoren (Synt. II, S. 23) S.e in 
den Lagen GroBbafi (iF-d), BaB (tB-g), Tenor-Alt 
(Es-c 1 ) und Diskant (B-gi). - 2) Zungenstimme der 
Orgel (-> Register - 1). 

Sortiment -> Musikalienhandel. 

Sortisatio, sortisare (lat., von sors, Los), vom 15. bis 
17. Jh. im deutschen Raum verwendete Bezeichnung 
f iir die Improvisation eines mehrstimmigen Satzes, dem 
ein Cantus zugrunde liegt. Der friiheste Beleg fiir S. 
mit der Erklarung : sortisare est aliquem cantum diuersis 
melodys inprouise omare (Hs. Regensburg, Proskesche 
Mus.-Bibl., 98 th. 4°, p. 355 ; Niederschrift 1476) sowie 
der ahnliche, im Zusammenhang korrektere Passus aus 
dem Opus aureum musicae, Pars IV (M. Schanppecher 
1501, ed. Niemoller, S. 20) gehen offenbar auf eine bis- 
her unbekannte gemeinsame Quelle zuriick. Vermut- 
lich ist das Wort s. in Anlehnung an solmisatio oder or- 
ganisare gebildet und steht im Zusammenhang mit 
dem urn 1500 belegten Ausdruck ad sortem cantare 
(vgl. Gurlitt) ; ein Text aus dem Liederbuch des Arnt 



von Aich (um 1520) enthalt die Form sortisieren (ed. 
Bernoulli und Moser, S. 25). In der ->• Musica poetica 
wird S. der Compositio gegeniibergestellt (Dividitur 
autem musica poetica in duas partes : Sortisationem et Com- 
positionem; H.Faber 1548). Beide beruhen auf dem 
-> Kontrapunkt, wenngleich dessen Regeln bei der S. 
weniger streng befolgt werden als bei der Compositio. 
Die S. tragt Kennzeichen des Zufalligen (sors) ; die aus 
dem Stegreif entstehenden Satze verletzen nicht selten 
auch Regeln (non raw a certa via aberrare; H.Faber, des- 
sen die S. demonstrierende Notenbeispiele entsprechen- 
de Fehler zeigen). Nach Nucius (1613) bedienen sich 
sowohl Handwerker (mechanicorum vulgus in publicis ta- 
bernis) als auch vorziigliche Musiker (excellentes musici, 
et qui in sacellis sunt pontificiis, imperatoriis ac regiis) der 
S., die als usus, nicht als ars angesehen wird (S. idem 
quod usualis musica, cum sine artefortuita sit et improvisa 
consonantiarum coaptatio) und zu der J.Thuringus (1625) 
u. a. die Villanellen von J.Regnart zahlt. J. A.Herbst 
(1643) erganzt: wegen der Satzfehler und well solche 
Lieder keinen sonderlichen Gebrauch vnd Nutzen haben j 
auch mehrenteils nur in usu vnd ubung bestehen / werden 
solche billich nichts geachtet. - Der Sache nach ist die S. 
vergleichbar der super librum cantatio, iiber die Tinc- 
toris (1477) auBert: [contrapunctum] quern mentaliter con- 
Jicimus, absolute contrapunctum nos vocamus (CS IV, 129). 
Lit. : E. T. Ferand, Die Improvisation in d. Musik, Zurich 
(1939) ; ders., »Sodaine and Unexpected« Music in the Re- 
naissance, MQ XXXVII, 1951 ; ders., Improvised Vocal 
Counterpoint, Ann. Mus. IV, 1956; W. Gurlitt, Der Be- 
griff d. S. in d. deutschen Kompositionslehre d. 16. Jh., 
TVer XVI, 1 942, auch in : Mg. u. Gegenwart I, = BzAf Mw 
I, Wiesbaden 1966; Die Musica figurativa d. M. Schanppe- 
cher (Opus aureum, Koln 1501, Pars III/IV), hrsg. v. Kl. 
W. Niemoller, = Beitr. zur rheinischen Mg. L, Koln 1961. 

KJS 
Sortita (von ital. sortire, hinausgehen), Aria di s., in 
der italienischen Oper des 18. Jh. die erste (Auftritts-) 
Arie der Primadonna bzw. des Helden, gewohnlich im 
1. Akt. Die S. war meist dramaturgisch gut vorbereitet 
und auf Publikumswirksamkeit angelegt, da sie oft fiir 
den Erf olg der ganzen Oper entscheidend war. 

Sospiro (ital.) -* Suspirium. 

sostenuto (ital., gehalten, zuriickhaltend; Abk. : sost.) 
verlangt urspriinglich wie tenuto das gleichmaBige 
Fortklingenlassen eines Tons, als Zusatz bei Tempoan- 
gaben ein etwas langsameres ZeitmaB. Bei Brahms und 
Puccini fordert s. eine Verbreiterung des Tempos und 
mem- Gewichtigkeit als bloBes ritenuto. 

sotto (ital., unten) -*■ sopra. 

sotto voce (s'otto v'o:tJe, ital., »unter der Stimme«, 
leise, gedampft; Abk.: s. v.), Vortragsanweisung, die 
ahnlich wie -»■ mezza voce eine Veranderung der Klang- 
farbe in Richtung des gedampften Tons, auBerste Zu- 
riickhaltung in Dynamik und Ausdruck fordert, ohne 
gleichbedeutend mit piano zu sein. Verdi schreibt z. B. in 
der Traumerzahlung des Iago (Otello, Ende des 2. Aktes) 
s. v. als eine nochmalige Veranderung gegeniiber mezza 
voce vor. Auf Streichinstrumenten wird s. v. durch 
Spiel nahe dem Griffbrett erreicht (Gegenteil: -> sul 
ponticello). In der Klaviermusik ist s. v. (auch sotto- 
voce) nicht immer gleichbedeutend mit una corda, son- 
dern fordert, z. B. bei Brahms, gedampften Ausdruck. 

Soubrette (frz., Zofe, Kammerkatzchen), in Deutsch- 
land ubliche Bezeichnung fiir ein Rollenfach des So- 
prans in Oper und Operette, das etwa der »munteren 
Naiven« im Schauspiel entspricht. Die Bezeichnung 
geht zuriick auf die Zofe (S.) in den Biihnenstucken 
von Pierre de Marivaux (1688-1763) und findet sich, 
auf die Oper ubertragen, schon bei Monnet. In der 



887 



Sound 



Opera buffa und im Singspiel ist die S. meist die Be- 
dienstete, die mit Witz und Geschick die Handlung 
lenkt. Ihre Stimme muB sich weniger durch groBen 
Umfang und Kraft als durch erne sichere Mittellage, 
Biegsamkeit und hellen Klang auszeichnen. Zu den be- 
kanntesten Partien zahlen: Susanna (Le Nozze di Figa- 
ro), Zerlina (Don Giov anni), Despina (Cost fan tutte), 
Papagena (Die Zauberflote), Annchen (Der Freischiitz), 
Marie (Der Waffenschmied). Das Fach der Opern-S. be- 
ruhrt sich einerseits mit dem des lyrischen Soprans 
(Grenzpartie z. B. Musette in La Boheme), andererseits 
mit dem des Koloratursoprans. Das spezielle Fach der 
Koloratur-S. (Rosina in Rossinis II barbiere di Siviglia, 
Olympia in Offenbachs Les contes d'Hoffmann) stofit in 
dessen Spitzenpartie, der Zerbinetta in R.Strauss' 
Ariadne au/Naxos, ins Fach des Koloratursoprans vor. 
In der klassischen Operette zahlt die Adele in der Fle- 
dermaus zu den bedeutenden S.n-Partien. Die neuere 
Operette verlangt die sogenannte Tanz-S., die neben 
stimmlichen und darstellerischen auch tanzerische 
Fahigkeiten haben muB. 

Sound (saund, engl., Ton, Klang), Jazzbezeichnung 
f iir den typischen Klang des Musizierens einer -> Band 
oder auch eines Solisten. Der Begrift des S. hat im Jazz 
erst in der Swing-Ara (Ellington, Basie, Herman) im- 
mer grbfiere Bedeutung gewonnen, da seitdem ein 
wirkungsvoller, moglichst origineller S. als wesentli- 
ches Qualitatsmerkmal fiir das Musizieren einer Band 
gilt. Im modernen Jazz, auch in der Unterhaltungsmu- 
sik, hat die Suche nach neuen Klangwirkungen haufig 
zu S.-Experimenten mit ausgefallenen Instrumenten- 
kombinationen gefiihrt. 

Soupir (sup'i:r, frz.; von lat. -»• suspirium), die Vier- 
telpause (r oder £); entsprechend: i = demi-s., jy = quart 
de s., ^ = huitieme de s., jj = seizieme de s. 

Sousaphon ->• Tuba (-2). 

Souterliedekens (sautarl'hdsksns; flamisch, Psalm- 
liedchen), eine Sammlung von 158 uberwiegend hol- 
landischen Volksliedern mit unterlegten Psalmtexten, 
erschienen 1540 bei S.Cock in Antwerpen. Die Texte 
stellen die erste vollstandige (gereimte) Psalmenuber- 
setzung dar, wahrscheinlich von Willem van Zuylen 
van Nijevelt. Da der Dichter und Sammler bei den 
Melodien die Anfangszeilen der weltlichen Liedtexte 
gewissenhaf t vermerkt hat, bildet das Werk eine Fund- 
grube fiir das Studium des niederlandischen Volkslie- 
des im 15./16. Jh. Von der iiberaus weiten Verbreitung 
dieser Sammlung zeugt die grofie Zahl (33) feststell- 
barer.Auflagen. Bereits 1556/57 erschien eine 3st. Be- 
arbeitung der S. von Clemens non Papa bei T. Susato 
in Antwerpen, ebenda 1561 eine vierstimmige von 
Clemens' Schuler Gherardellus Mes. Cornelius Bos- 
coop versah seine 50 Psalmen 1568 mit Melodien der 
S. - Im Zusammenhang mit den S. sind zwei ebenfalls 
geistliche Liedsammlungen bereits aus dem 15. Jh. zu 
nennen : das sogenannte Utrechter Liederbuch (Berlin, 
Deutsche Staatsbibl., ms. germ. 8° 190) und das Am- 
sterdamer Liederbuch (Wien, Osterreichische Natio- 
nal-Bibl., ms. 12875, olim Fid. Kom. 7970). 
Ausg. : C. Boscoop, 50 Psalmen Davids, hrsg. v. M. Seif- 
fert, = Uitgave van de Vereeniging voor Noord-Nld. Mu- 
ziekgeschiedenis XXII, Amsterdam u. Lpz. 1899; Fr. 
Commer, Collectio operum musicorum Batavorum s. XVI, 
Bd XI (Ausg. d. 3st. Bearb. d. S. v. Clemens non Papa), 
Bin o. J.; E. Mincoff-Marriage, De S., een nld. psalm- 
boek van 1540 .. ., Den Haag 1922; K. Ph. Bernet Kem- 
pers, S., 3 Bde, Delft o. J.; Het geestelijk lied van Noord- 
Nederland in de vijftiende eeuw, hrsg. v. E. Brunino 
OFM u. a., = Monumenta Musica Neerlandica VII, Am- 
sterdam 1963. 



Lit. : C. v. Winterfeld, Die 3st. Tonsatze d. J. Clemens non 
Papa iiber d. Melodien d. S., in: Zur Gesch. heiliger Ton- 
kunst I, Lpz. 1850; A. H. Hoffmann v. Fallersleben, Nld. 
geistliche Lieder d. XV. Jh., = Horae Belgicae X, Hanno- 
ver 1854; ders., Nld. Volkslieder, ebenda II, 21856; W. 
Baumker, Nld. geistliche Lieder nebst ihren Singweisen 
aus Hss. d. 15. Jh., VfMw IV, 1888; D. Fr. Scheurleer, 
De S., Leiden 1894; ders., De S., Bijdrage tot de geschie- 
denis der oudste nld. psalmberijming. Met 24 gefacsimi- 
leerde titelbladen, Leiden 1898; ders., Nld. liedboeken, 
Den Haag 1912; Fl. Van Duyse, Het oude nld. lied, 4 
Bde, ebenda u. Antwerpen 1903-08; J. Knuttel, Het 
geestelijk lied in de Nederlanden voor de Kerkhervor- 
ming, Rotterdam 1906; A. Roediger, Die mw. Bedeu- 
tung d. cod. germ. 8" 190, Diss. Bin 1922, maschr.; K. Ph. 
Bernet Kempers, Die S. d. J. Clemens non Papa, TVer XII, 
1928 u. XIII, 1929; H. A. Bruinsma, TheS. and Its Relation 
to Psalmody in the Netherlands, Diss. Univ. of Michigan 
1948, maschr.; P. A. Gaillard, Essai sur le rapport des 
sources mdlodiques des »Pseaulmes Cinquantes« de Jean 
Louis (Anvers 1555) et des »S.« (Anvers 1540), Kgr.-Ber. 
Utrecht 1952; H. Husmann, Diemittelnld. Lieder d. Berli- 
ner Hs. germ. 8° 190, ebenda; W. Wiora, Die Melodien d. 
»S.« u. ihre deutschen Parallelen, ebenda; W. Salmen, Die 
altnld. Hss. Bin 8° 190 u. Wien 7970 im Lichte vergleichen- 
der Melodienforschung, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; S. J. 
Lenselink, De nld. psalmberijmingen van de S. tot Da- 
theen met hun voorgangers in Duitsland en Frankrijk, 
Neerlandica Traiectina VIII, 1959. 

Soziologie der Musik hat in ihrem Gegenstand und 
ihrer Methode Anteil sowohl an der S. (als Kultur- und 
Wissens-S.) als auch an der Musikwissenschaft. Ihre 
Auf gabe ist, je nachdem sie sub specie der einen oder 
der anderen Disziplin betrieben wird, die Interpre- 
tation der Gesellschaft aus dem konkreten musikali- 
schen Kunstwerk bzw. aus der Gattungs- und Stilge- 
schichte (Geschichte der Komposition) oder die Erwei- 
terung der Analyse und Interpretation von Musik um 
den gesellschaftlichen Aspekt. Da die soziale Konstel- 
lation sich nicht ungebrochen ins Musikwerk fortsetzt 
und zumal zur Qualitat der iiberragenden und uber- 
dauernden Komposition die Transzendierung des so- 
zialen Faktors ins Eigengesetzlich-Musikalische gehort, 
ist die Interpretation soziologischer Bedingtheit aus der 
Musik heraus schwierig und aus dem Meisterwerk 
schwieriger als aus zeittypischen Durchschnittskompo- 
sitionen (»Gebrauchsmusik«, Auftragsmusik), die in der 
Regel bestimmte Auflagen zu erfullen haben und da- 
her direkter mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten 
verbunden sind. Der soziale Hintergrund der Musik, 
das »Musikleben« mit den von der gesellschaftlichen 
Struktur bedingten Wirkungs- und Rezeptionsweisen, 
die soziale Lage der Musiker, ihr und ihrer Werke 
Rechtsstatus (-> Urheberrecht), ihre wirtschaftlichen 
Verhaltnisse und Standesorganisationen (z. B. als 
->■ Zunft) sind seit dem Bestehen der modernen Mu- 
sikgeschichtsschreibung in Biographik, musikalischer 
Lokalgeschichte und der (im engeren Sinne) musikali- 
schen Sozialgeschichte befragt und erforscht worden. 
An der Sozialgeschichte entlang eine S. d. M. zu schrei- 
ben, mit der Absicht, soziologische Kategorien und 
Theorien an der Faktizitat der Geschichte zu uberpru- 
fen bzw. erst aus ihr zu gewinnen und Musik und Mu- 
sikgeschichte durch sie zu erklaren, ist eine dringliche 
Aufgabe. Die -> Musikethnologie der jiingeren Zeit 
zahlt es zu ihren wichtigsten Zielen, die auBereuro- 
paische Musik in ihrer Bedingtheit durch die je eigen- 
artigen Kulturen und Gesellschaftsordnungen zu er- 
kennen. 

Eine S. d. M., die als ihren Gegenstand in erster Linie 
das Meisterwerk versteht, bedarfdes Kunstwerks als Do- 
kument, d. h. der niedergeschriebenen Komposition. 
Musikalisch-praktische Dokumente in ausreichender 
Dichte liegen aus dem Altertum nicht vor. Doch war 



888 



Soziologie der Musik 



offenbar die ->• Sumerische Musik, die -> Agyptische 
Musik und die Musik der klassischen Antike in ho- 
hem MaBe lebensgebunden. Der Begriff Musike be- 
zeugt die Verbundenheit der -v Griechischen Musik 
mit den verschiedensten Lebenskreisen. Die Theorie 
der gesellschaftlichen, vor allem erzieherischen Wir- 
kung der Musik (-> Ethos), wie sie von -> Damon und 
-»• Platon entwickelt wurde, ist (modern gesprochen) 
eine Verbindung von sozial-psychologischen und so- 
zial-utopischen Ansatzen. - Deutungen streng liturgi- 
scher Kirchenmusik nacK soziologischen Kategorien 
erweisen sich gegeniiber theologischen als untergeord- 
net, unbeschadet der Tatsache, dafi in manchen Formen 
liturgischer Musik die Herkunft aus bestimmten sozia- 
len Situationen sichtbar ist (->■ Antiphon -2,-*- Akkla- 
mationen). DaB die Kirche z. B. als Auftraggeber auf- 
tritt oder bestimmte Arten von Musik verbietet oder 
gebietet (-> Ars nova, -*■ Tridentiner Konzil), ist inso- 
fern ein sozialgeschichtlicher Tatbestand, als der Kom- 
ponist somit an institutionelle Weisungen und be- 
stimmte musikalische Zwecke (z. B. -> Calvinistische 
Musik, ->■ alternatim-Praxis, -> Kantionalsatz, mehr- 
stimmige -> Messe [Missae breves z. B. Mozarts], 
-> Versett, -*■ Praeludium) gebunden ist. In der Frage 
der »Wirkung« und »Verstandlichkeit« der kirchlichen 
Polyphonie wurde vielfach (teilweise bis ins 18. Jh.) zu- 
gunsten ubergeordneter Zielrichtungen der Kirchen- 
musik nur am Rande mit einer publikumsahnlichen 
Gemeinde gerechnet. 

Gegeniiber der durch Liturgie und Gemeinde moti- 
vierten Musik gab es seit dem spaten Mittelalter die 
Musik fur den Kenner. Die mittelalterliche Motette 
war durch ihre Mehrtextigkeit und rhythmische Sub- 
tilitas (->• Isorhythmie) auf einen kleinen, durch gelehr- 
te Bildung aus der Gesamtgesellschaf t herausgehobenen 
klerikalen oder hofisch-geselligen Kreis gerichtet, ahn- 
lich den der Motette ebenbiirtigen weltlichen Lied- 
und Refrainformen im Kantilenensatz der Ars nova. 
Johannes de Grocheo vermerkte kurz vor 1300 aus der 
Kenntnis des Pariser Musiklebens, die Motette sei coram 
literatis et Mis, qui subtilitates artium sunt quaerentes (ed. 
Rohloff, S. 56) aufzufuhren. Zu diesem Personenkreis 
rechnete Jacobus Leodiensis (Anf ang des 1 4. Jh.) auch die 
cantores und layci sapientes (CS II, 432a). Der Schicht der 
nicht Gebildeten waren weithin die einstimmigen oder 
usuell begleiteten Lieder in Vulgarsprachen und die 
Tanze angemessen. - Offenbar setzt auch der Begriff 
der -»■ Musica reservata (einer der wenigen soziologisch 
relevanten Begriffe der musikalischen Terminologie, 
der allerdings nicht mit letzter Sicherheit deutbar ist) 
die Machart der Komposition zum Auffiihrungsort 
und zu den Beteiligten in Beziehung. Die Musica re- 
servata war zufolge besonderer Bedeutungsgehalte der 
Allgemeinheit verschlossen ; vor dem Zugang zu ihr 
stand der zu gelehrter Bildung uberhaupt. Noch das 
Madrigal des 16./17. Jh. hatte (wie schon die Liedkunst 
des -v Trecentos) seinen Platz in hofischen Zirkeln und 
->• Akademien, deren Exklusivitat Experimente mit 
Chromatik und Enharmonik begiinstigte. Um den 
Hochstil des Madrigals gruppierten sich verwandte 
Formen weltlicher Mehrstimmigkeit, wobei Volks- 
tumlichkeit zum Teil artifiziell, als »exotischer« Reiz in 
die Hochform aufgenommen wurde (-> Frottola, 
-> Kanzonette, -» Villanella). Vergleichbare Vorgange 
sozialen (sozial hier im Sinne der Hierarchie von Standen 
nach Herrschafts- und Besitzverhaltnissen) Auf- oder 
Abstiegs von Gattungen sind in der Musikgeschichte 
nicht selten. Einmalig aber ist die Konsequenz, mit der 
sichiml5./16.Jh.,alsmehrstimmigekunstvolle Musik in 
hoher Geltung stand, der biirgerliche -> Meistersang 
riickwarts gewandt an das einstimmige Lied band. 



Spatestens seit 1430 ist (nach Besseler 1959) Umgangs- 
musik: ein Selbstmusizieren von Liebhabern, nachweisbar, 
etwa ab 1460 auch in biirgerlichen Kreisen. Neben der 
mehrstimmigen vokal-instrumentalen geselligen Mu- 
sik stand als Repertoire zumal die aus vokalen Satzen 
in Tabulatur abgesetzte und die im 16. Jh. neue eigen- 
standige Instrumentalmusik dem hauslichen Musizieren 
offen. Von Berufsmusikern (vor allem der -» Kapelle) 
»darzubieten« war grundsatzlich die -> Festmusik, die 
ihren reprasentativen Charakter durch den Aufwand 
an Mitteln und den hohen Einsatz an Kompositions- 
kunst erhielt. In den als »Gesamtkunstwerken« ange- 
legten Renaissance- und Barockfesten steigerten sich 
mit dem auBeren Glanz und der Sinnenhaftigkeit von 
poetischem Vorwurf, Szene und Dekoration (-> Ma- 
drigalkomodie, -*- Oper) die musikalischen Krafte des 
Erfindens und Ausfuhrens. DaB sich die spateren Gat- 
tungen des Concertos, das Concerto grosso und das 
Solokonzert, von einem Brauch der Auffiihrung und 
Besetzung zu einer kompositorischen Gattung mit aus- 
gepragten Formtypen verfestigte, ist wahrscheinlich 
nicht zuletzt auf die lebhafte Rezeption dieser »beein- 
druckenden« Musik in breiteren Kreisen zuriickzuf iih- 
ren. Das »Ansprechen« des HSrers durch eine der Spra- 
che nahestehende, ihr im Tonfall (-> Monodie) und in 
f ormalen Analogien (->■ Figuren) entsprechende Musik 
war eine tiefgreifende Neuerung vor und nach 1600. 
Als Niederschlag der Spannung zwischen dem Neuen 
und seinen auBerordentlichen Wirkungen einerseits 
und der Tradition andererseits ist die Diskussion um 
den -*■ Stil (-> Prima pratica, -> Seconda pratica) im 
17. und 18. Jh. zu interpretieren; hier handelt es sich 
offenbar um einen Vorgang der Rationalisierung, um 
angesichts der Vermischung der Gattungen diese er- 
neut auf die ihnen gemaBen Anlasse und Orte zu be- 
ziehen. Vor dem Hintergrund des seit 1600 datieren- 
den Widerspiels zwischen - satztechnisch ausgedriickt - 
Kontrapunkt und GeneralbaB und aus der besonderen 
Tradition des protestantischen europaischen Nordens 
(->• Musica poetica) sind noch die Biographie und das 
Schaffen J. S.Bachs und die Wirkungsgeschichte seiner 
Musik zu verstehen. 

Die Oper mit den ihr zugebilligten, iiberaus reichen 
Mitteln an Formen und Freiheiten des Satzes war seit 
dem 17. Jh. nicht nur eine bevorzugte Gattung der Fest- 
musik, sondern wurde auch intensiv vom Burgertum 
rezipiert; seit den 1630er Jahren gab es stehende Thea- 
ter (Venedig, Hamburg). In Anlehnung an die Offent- 
lichkeit der Oper entwickelte sich das -> Konzert (- 2) 
als eigenstandige Form biirgerlicher Musikveranstal- 
tung. Dem Aufnahmevermogen der wachsenden Zahl 
von Liebhabern als zahlenden Konzertbesuchern oder 
als Kaufern von Noten (die durch -> Notendruck und 
-stich vervielfaltigt wurden) trug der -> Galante Stil 
Rechnung. In dessen melodisch-homophoner Anlage 
war brillante Konzertmusik ebenso moglich wie das 
leicht spielbare Stuck f iir das hausliche Musizieren. So- 
weit sie sich dieser Mode unterwarf en, konnten Kompo- 
nist und Virtuose sich wirtschaf tlich von den herkornm- 
lichen kirchlichen und standischen-Institutionen un- 
abhangig machen. Noch in hofischen Bindungen 
standen die Mitglieder der -> Berliner Schule, denen 
die Vermittlung zwischen dem Gelehrten und dem 
Galanten erstrebenswert war. In dem Leitbild eines 
»vermischten Geschmacks«, in den das Gute der herr- 
schenden Nationalstile eingehen solle, damit mit der 
Zeit ein allgemein guter Geschmack entstehe, sah Quantz 
(Versuch XVIII, 87-89) die Vision einer Musik, die von 
vielen Volkern als vernunftigerweise beste akzeptiert 
werden konne. Sie wurde um die Wende des 18./19. 
Jh. verwirklicht in der Musik der Wiener Klassik. Die 



889 



Soziologie der Musik 



neue Simplizitat, Beweglichkeit, Fafilichkeit und Le- 
bendigkeit der Tonsprache verband sich hier mit hoch- 
ster Qualitat des musikalischen Satzes. Bei grundsatz- 
lich gleicher formaler Anlage von Kammermusik und 
Symphonik (-> Sonate, -> Sonatensatzform) liegt bei 
der ersteren - gemafi dem kleinen Kreis der Spieler und 
Horer - das Schwergewicht auf Intensitat und Fort- 
schrittlichkeit der Satztechnik. Das -*■ Streichquartett, 
in dem die Partner wie im Gesprach die Faktur des 
Satzes (->■ Thematische Arbeit) bei jeder Ausfiihrung 
gleichsam entstehen lassen, pragte die Sphare des so- 
ziologisch neu orientierten Begriffs von Kammermu- 
sik giiltig aus. Die Symphonik dagegenwendet sich an 
die Off entlichkeit, die durch alle willigen Menschen 
ohne Ansehen der Nationalitat und des Standes gebildet 
wird. Sie vermittelt in einer allgemeinverstandlichen 
musikalischen Sprache die groBen Ideen durch Aus- 
dehnung der Form (Beethoven, 3. Symphonie), Ver- 
groBerung des Apparates (9. Symphonie) oder Ver- 
wendung poetischer (tonmalerischer, programmati- 
scher) Idiome (6. Symphonie). Die Fortsetzung der 
klassischen Symphonik, die -*■ Programmusik und die 
-> Symphonische Dichtung, rie£ die Problematik von 
Inhalt und Form (-> Ausdruck, ->• Formenlehre) her- 
vor. Der Propagierung des Sujets dient in dieser Mu- 
sik z. B. die psychologisierende Technik des Leitmo- 
tivs (auch in der symphonischen Oper) oder auch der 
durch Instrumentationseffekte hervorgekehrte Klang. 
Parallel zur standigen Ausweitung des Auffiihrungs- 
apparates und gleichzeitig mit dem Anwachsen der 
stadtischen Bevolkerung im industriellen Zeitalter 
zieht sich durch das 19. Jh. die Suche nach neuer Ex- 
klusivitat und Intimitat. Am sublimsten hat sie sich in 
der typisch romantischen Gattung, dem Lied, nieder- 
geschlagen, als neuentdecktes und in einem 2. oder 3. 
Dasein der Kunst zugangliches ->■ Volkslied, als Kunst- 
lied, als instrumentale Form (-> Lied ohne Worte) und 
als thematisches Gebilde in der Sonatensatzform. Das 
.Streben nach Exklusivitat miBlang der -»- Salonmusik 
und auf die Dauer auch der geselligen Chormusik 
(-* Liedertafel, -> Singakademie) ; die Chorbewegung 
tendierte zu groBen Besetzungen und allgemeiner Ver- 
breitung (->■ Sangerbiinde). Der seit dem Sturm und 
Drang verstarkte Anspruch an die Komposition, neu 
und originell zu sein, lieB die Moglichkeit, fiir Kenner 
und Liebhaber gleichermaBen zu komponieren, schwin- 
den. Als schwerwiegende Folgerung stellte sich darum 
nach 1830 die Abtrennung der Sphare der -» Unter- 
haltungsmusik ein. 

Der Ausgleich zwischen popularem Idiom und kompo- 
sitorischer Qualitat wurde seit dem 19. Jh. nicht mehr 
erreicht, auch (mit Ausnahme etwa G.Mahlers) nicht 
mehr gesucht. Trotz der Organisation des Musiklebens 
durch ->• Gesellschaf ten und Vereine, trotz der Veran- 
staltung von -*■ Festspielen und der literarischen Propa- 
gierung durch ->- Konzertfiihrer und -*■ Opernfuhrer, 
der Moglichkeit dauernder Verfiigung iiber Musik 
durch -> Schallplatten und -»■ Rundfunk (- 1) seit den 
1920er Jahren lassen sich das spatestens seit dem letzten 
Drittel des 19. Jh. zu beobachtende Schrumpfen des 
Repertoires und der Verlust des Publikums fiir die neu- 
entstehende Musik nicht auf halten. Der ungewohnliche 
Erfolg der Wiederbelebung alter Musik, ermoglicht 
durch die Auffuhrungspraxis und Editionstechnik der 
Musikwissenschaft und mit eingeleitet durch die -»■ Ju- 
gendbewegung, laBt die Befiirchtung nicht ruhen, daB 
von einer Kulturindustrie dabei »falsches BewuBtsein« 
induziert wird. In dem MaBe aber, in dem zur Qualitat 
der Komposition immer radikaler deren Neuheit ge- 
hort, wird der Kritiker (-> Musikkritik) anstelle des 
Publikums zum Gegeniiber des Komponisten. Ein Ge- 

890 



schmackspluralismus beherrscht den kapitalistischen 
Musikbetrieb in demokratischen Staaten; und die Len- 
kung der Kultur im staatlich-gesellschaf tlichen Interesse 
kennzeichnet die Musikpolitik marxistisch regierter 
Lander, die im Interesse eines »Realismus« (->■ Intona- 
tion - 3) auch den Eingriff in die Arbeit des Komponi- 
sten (-> Prokofjew, -> Schostakowitsch) fiir gerecht- 
f ertigt halt. 

Lit. : M. Weber, Die rationalen u. soziologischen Grundla- 
gen d. Musik, mit einer Einleitung v. Th. Kroyer, Miinchen 
1921, 21924, Neudruck u. a. in: M. Weber, Wirtschaft u. 
Ges. II, Tubingen 4 1956, dazu u. a. A. Silbermann in : K61- 
ner Zs. f. S. u. Sozialpsychologie XV, 1963; P. Honigs- 
heim, Musik u. Ges., in: Kunst u. Technik, hrsg. v. L. Ke- 
stenberg, Bin 1930; ders., Musikformen u. Gesellschafts- 
formen, in: Die Einheit d. Sozialwiss., hrsg. v. W. Berns- 
dorf u. G. Eisermann, Stuttgart 1955; Th. W. Adorno, 
Zur gesellschaftlichen Lage d. Musik, Zs. f. Sozialfor- 
schung I, 1932; ders., fiber d. Fetischcharakter in d. Mu- 
sik u. d. Regression d. Horens, Zs. f. Sozialforschung VII, 
1938, auch in: Dissonanzen, Gottingen 1956, 2 1958 ; ders., 
Kulturkritik u. Ges., in: Soziologische Forschung in un- 
serer Zeit, Fs. L. v. Wiese, Koln (1951); ders., Das Be- 
wuBtsein d. Wissenss., Aufklarung II, 1952/53 (die letzten 
beidenTitelauchin:Prismen, Ffm. 1955, Miinchen 2 1 963); 
ders., Ideen zur Musiks., in : Klangfiguren, = Mus. Schrif- 
ten I, Bin u. Ffm. (1959); ders., Mahler, Ffm. (1960); 
ders., Einleitung in d. Musiks., Ffm. 1962; ders., Thesen 
iiber Kunsts., Kolner Zs. f. S. u. Sozialpsychologie XIX, 
1967, auch in: Ohne Leitbild, Ffm. 1967; W. Serauky, 
Wesen u. Aufgaben d. Musiks., ZfMw XVI, 1934; E. 
Preussner, Die burgerliche Musikkultur, Hbg 1935, Kas- 
sel 2 1950; E. Rebling, Die soziologischen Grundlagen d. 
Stilwandlung d. Musik in Deutschland um d. Mitte d. 18. 
Jh., Diss. Bin 1935; L. Balet, Die Verburgerlichung d. 
deutschen Kunst, Lit. u. Musik im 18. Jh., StraBburg, Lpz. 
u. Zurich 1936; W. Gurlitt, J. S. Bach, Bin 1936, Kassel 
4 1958, engl. v. O. C. Rupprecht, St. Louis 1957; ders., J. S. 
Bach in seiner Zeit u. heute, Ber. iiber d. wiss. Bachtagung 
Lpz. 1950, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart I, = BzAfMw 
I, Wiesbaden 1966; J. H. Mueller, Trends in Mus. Taste, 
Bloomington (Ind.) 1942 ; ders., The American Symphony 
Orch., ebenda 1951; ders., Fragen d. mus. Geschmacks, 
= Kunst u. Kommunikation VIII, Koln u. Opladen 1963 ; 
K. Blaukopf, Musiks., Koln u. Bin 1951; ders., Raum- 
akustische Probleme d. Musiks., Gravesaner Blatter V, 
1960; ders., Raumakustische Probleme d. Musiks., Mf 
XV, 1962; E. H. Meyer, Musik im Zeitgeschehen, Bin 1952; 
H. Mersmann, S. als Hilfswiss. d. Mg., AfMw X, 1953; 
C.-A. Moberg, The Function of Music in Modern Soc, 
STMf XXXVI, 1954; A. Silbermann, Introduction a une 
sociologie de la musique, Paris 1955 ; ders., Wovon lebt d. 
Musik?, Regensburg 1957, dazu H. Engel u. H. Reinhold 
in: Mf XI, 1958 - XII, 1959, u. Th. W. Adorno verschie- 
dentlich; ders., Die Stellung d. Musiks. innerhalb d. S. u. 
d. Mw., Kolner Zs. f. S. u. Sozialpsychologie X, 1958, u. a. 
auch in : Ketzereien eines Soziologen, Wien u. Dusseldorf 
1965; H. Reinhold, Grundverschiedenheiten mw. u. so- 
ziologischen Denkens, Kgr.-Ber. Hbg 1956; P. R. Farns- 
worth, The Social Psychology of Music, NY 1958; H. 
Besseler, Umgangsmusik u. Darbietungsmusik im 16. Jh., 
AfMw XVI, 1959; G. Knepler, Mg. d. 19. Jh., 2 Bde, Bin 
1961 ; H. Engel, W. Wiora, G. v. Dadelsen, G. Reaney, 
Fr. B. Zimmermann, J. Buzoa, P. M. Young, Fr. W. Rie- 
delu. L. FiNSCHERin: Kgr.-Ber. Kassel 1962; K. Berger, 
Die Funktionsbestimmung d. Musik in d. Sowjetideologie, 
= Philosophische u. soziologische Veroff. d. Osteuropa- 
Inst. an d. Freien Univ. Bin IV, Bin 1963; K. G. Felle- 
rer, S. d. Kirchenmusik, = Kunst u. Kommunikation IX, 
Koln u. Opladen 1963 ; T. Kneif, Die geschichtlichen u. so- 
zialen Voraussetzungen d. mus. Kitsches, DVjs. XXXVII, 
1963; ders., Der Gegenstand musiksoziologischer Er- 
kenntnis, AfMw XXIII, 1966; ders., Gegenwartsfragen d. 
Musiks., Ein Forschungsber., AMI XXXVIII, 1966; W. 
WioRA.Komponistu. Mitwelt, = Mus. Zeitfragen VI, Kas- 
sel 1964; U. Eckart-BXcker, Der EinfluB d. Positivismus 
auf d. frz. Musikkritik im 19. Jh., in: Beitr. zur Gesch. d. 
Musikkritik, hrsg. v. H. Becker, = Studien zur Mg. d. 19. 
Jh. V, Regensburg 1965; R. Heinemann, Untersuchungen 



Spanische Musik 



zur Rezeption d. seriellen Musik, Diss. Koln 1966; W. F. 
Korte, De Musica, Tutzing 1966; Chr.-H. Mahling, Zur 
S. d. Chorwesens, in: Fs. J. Miiller-Blattau, = Saarbrucker 
Studien zur Mw. I, Kassel 1966. 

P. Marsop, Die soziale Lage d. deutschen Orchestermusi- 
ker, Bin u. Lpz. 1905; L. Krieger, Die soziale Lage d. 
Theatermusiker, Diss. Heidelberg 1913; R. Thielecke, 
Die soziale Lage d. Berufsmusiker in Deutschland u. d. 
Entstehung, Entwicklung u. Bedeutung ihrer Organisatio- 
nen, Diss. Ffm. 1921, maschr.; K. Lindemann, Der Be- 
rufsstand d. Unterhaltungsmusiker in Hbg, = Volk u. Ge- 
meinschaft III, Hbg 1938; C. Anthon, Some Aspects of 
the Social Status of Ital. Musicians During the Sixteenth 
Cent., Journal of Renaissance and Baroque Music 1, 1946/ 
47 ; G. Materne, Die sozialen u. wirtschaftlichen Proble- 
me d. Musikers, Munchen 1953 ; W. L. Woodfill, Mu- 
sicians in Engl. Soc. from Elizabeth to Charles I., = Prince- 
ton Studies in Hist. IX, Princeton (N. J.) u. London 1953 ; 
W. Salmen, Die Schichtung d. ma. Musikkultur in d. ost- 
deutschen Grenzlage, = Die Musik im alten u. neuen Eu- 
ropa II, Kassel 1954; ders., Der fahrende Musiker im eu- 
ropaischen MA, ebenda IV, 1960; ders., Die soziale Gel- 
tung d. Musikers in d. ma. Ges., = Studium generate XIX, 
1966; S. Drinker, Die Frau in d. Musik, Zurich 1955; A. 
Schaeffner u. Y. de Brossard in: Les Colloques de We- 
gimont III, 1956, Ethnomusicologie II, = Bibl. de la Fa- 
cult6 de philosophie et lettres de l'Univ. de Liege, Fasc. 
CLVII, Paris 1960; H. Federhofer, Der Musikerstand in 
Osterreich v. ca. 1200 bis 1520, Deutsches Jb. d. Mw. Ill 
(= JbP L), 1958 ; H. Engel, Musik u. Ges., Bin u. Wunsie- 
del (1960); R. Konig u. A. Silbermann, Der unversorgte 
selbstandige Kiinstler, Koln u. Bin 1964; Fr. Lesure, Mu- 
sik u. Ges. im Bild, Kassel 1966. 

Sp (Sp), Abk. fur Subdominantparallele (Funktionsbe- 
zeichnung nach Riemann). 

Spanische Musik. Aus vorgeschichtlicher Zeit gibt 
es Felsmalereien mit Tanzszenen; in der griechisch-ibe- 
rischen Keramik finden sich Tanzszenen und Instru- 
mente aus dem 5.-3. Jh. v. Chr. Spuren antiker Musik- 
kultur lassen sich in Tanzen und Volksliedern der ver- 
schiedenen Landschaften Spaniens feststellen. - Wie die 
profane Musik vom Rom der Kaiserzeit beeinfluBt war, 
so stand auch die religiose Musik in der Spatantike und 
bis ins 7. Jh. in stetiger Wechselwirkung mit der litur- 
gischen Kunst der romischen, mailandischen, gallikani- 
schen und afrikanischen Kirche. Spanien kannte die 
Neumenschrift mindestens ab dem 7. Jh. ; die der Kir- 
che von Toledo gilt als die alteste des Abendlandes. Als 
frtihestes erhaltenes Zeugnis ist ein urn 700 in Tarrago- 
na geschriebenes Orationale mit Neumen am Blattrand 
anzusehen (Verona, Bibl. Capitolare, Cod. LXXXLX). 
Aus dem 9.-1 1 . Jh. sind etwa 20 weitere Handschrif ten 
mit Musik der westgotisch-mozarabischen Liturgie er- 
halten. Unter ihnen ragt das Antiphonarium von Leon 
hervor, das zu Anfang des 10. Jh. von einem gewissen 
Aia abgeschrieben wurde. Die Texte der Liturgie so- 
wie die wenigen Melodien, die sich in mundlicher Tra- 
dition erhalten haben (sie wurden um 1500 aufgezeich- 
net in den Cantorales Cisneros, Toledo) oder auch von 
anderen alten Melodien beeinfluBt sind, zeigen ausge- 
pragte Dramatik und volkstiimlichen Ton. Unter den 
musikalischen Formen der spanischen Liturgie sind 
namentlich die Alleluia prolixa zu nennen, die bis zu 
300 Tone enthalten und in der Messe wie auch in der 
Vesper gesungen wurden; sie erinnern an die Melodiae 
longissimae, die von Notker erwahnt werden. Der 
Hymnus Piis edite laudibus mit dem Refrain Alleluia 
perenne (7. Jh.) ist in Spanien entstanden. Die west- 
gotischen Preces, eine besondere Form archaischer 
Poesie, konnen als Vorlaufer der Sequenzen angesehen 
werden. Die Verwendung der volkstiimlichen Formen 
des liturgischen Gesanges (Tropen, Sequenzen, Con- 
ductus, rhythmische Offizien und das liturgische Dra- 
ma) begann in der Provinz Tarragona, deren Kloster 



in enger Beziehung zu der musikalisch-liturgischen 
Kultur Frankreichs standen. - Die alteste nichtliturgi- 
sche, mit Musik uberlieferte lateinische Lyrik ist das 
Werk des Eusebius von Toledo und des Isidorus von 
Sevilla (7. Jh.). Den einstimmigen lateinischen Planctus 
auf den Tod eines Konigs pflegte Kastilien bereits seit 
dem 7. Jh. Wenn auch keine authentische Melodie der 
hebraisch-arabischen Kultur des mittelalterlichen Spa- 
nien erhalten ist, so haben Juden und Araber doch mit 
Sicherheit bedeutenden Anteil an der Entwicklung der 
spanischen musikalischen Lyrik. Diejaryas, in der Mu- 
waschaa-Lyrik der hebraisch-arabischen Dichtung er- 
halten, sind profane Lieder volkstiimlichen Charakters 
und schon fast 100 Jahre vor dem Erscheinen der 
Trobadorlyrik entstanden. Spanien pflegte dank der 
Familienbeziehungen der Herrscherhauser von Kasti- 
lien, Aragonien und Navarra zu denjenigen von Frank- 
reich, England und Deutschland einen regen musikali- 
schen Austausch mit diesen Landern. Es assimilierte 
friihzeitig die 1st. Lyrik der Provence und Nordfrank- 
reichs. In den Cantigas de amigo (Frauenlieder) der ga- 
licisch-portugiesischen Lyrik des 13. Jh. finden sich 
friihe Beispiele profanerEinstimmigkeit (10 Melodien). 
Die mit Musik iiberlieferten -»- Cantigas de S. Maria 
Konig Alfons' des Weisen (1252-84), des Sohnes Fer- 
dinands HI. und der Beatrix von Schwaben (f 1235), 
bilden ein bedeutendes, von der Trobadorlyrik unter- 
schiedenes Repertoire. - Virgilius Cordubensis berich- 
tet in seiner Philosophia (11. Jh., arabisch, erhalten nur 
in einer 1290 datierten lateinischen Ubersetzung), daB 
es in der hohen Schule von Cordoba zwei Lehrer fur 
mehrstimmige Musik gab : et duo legebant de musica (de 
ista arte quae dicitur organum). Aus dem 12. Jh. sind die 
Musik von Santiago de Compostela (->■ Quellen: Ca- 
lixtinus-Kod.) und die Schule von Tarragona bekannt. 
Im 13. Jh. gab es mehrere Zentren mehrstimmiger 
Musikpflege: in Kastilien die Kathedrale von Toledo, 
eine Art Tochterschule von Notre-Dame in Paris, deren 
Codex in Madrid (Ma) aufbewahrt wird; ferner das 
Kloster Las Huelgas (Hu) in Burgos und die Uni- 
versitat in Salamanca; in Katalonien die Abteien Ri- 
poll und Scala Dei und die Kathedrale von Tortosa; 
fur Navarra sei auf das Zeugnis des englischen Anony- 
mus IV (CS I, 345a, 349b) verwiesen. Die koniglichen 
Kapellen von Kastilien, Aragonien und Navarra sowie 
die bedeutenderen Zisterzienserkloster standen wah- 
rend des 14. Jh. unter dem Einflufi der papstlichen Ka- 
pelle von Avignon. Sanger und Musiker aus Deutsch- 
land, Osterreich, Frankreich und den Niederlanden 
muBten das Repertoire sakraler und profaner Musik 
ihrer Heimatlander mitbringen. Die Handschriften zei- 
gen, daB die sakrale Musik aus der Provence (Avignon) 
kam, wahrend die profane Musik auf einen lebhaften 
Austausch mit Frankreich deutet. Im Llibre Vermeil von 
Montserrat sowie in einigen Fragmenten in Barcelona 
und Gerona sind Beispiele der mehrstimmigen Musik 
der Ars nova enthalten. In Montserrat wurden auch 
sakrale Tanze von den Pilgern aufgefuhrt. Im 15. Jh. 
entstand eine einheimische Schule mehrstimmiger welt- 
licher und religioser Musik. Die Hofhaltung Alfons' 
des GroBmiitigen von Neapel (1443-58) und seiner 
Nachfolger, die Heirat Isabellas von Portugal mit Her- 
zog Philipp dem Guten von Burgund (1430), die papst- 
liche Kapelle in Rom, der Hof der Sforza in Mailand 
usw. bewirkten einen lebhaften musikalischen Aus- 
tausch Spaniens einerseits mit Frankreich und Burgund, 
andererseits mit Italien. Am Hof Alfons' des GroBmii- 
tigen in Neapel finden sich die Anf ange des mehrstim- 
migen spanischen Liedes, zu dessen friihesten Quellen 
das Ms. Montecassino 871 mit Satzen von Cornago 
und Oriola gehort. Ferdinand V. in Katalonien und 



891 



Spanische Musik 



Aragonien sowie Konigin Isabella von Kastilien bilde- 
ten zum erstenmal in Spanien Kapellen, die ausschlieB- 
lich aus einheimischen Musikern bestanden. Beim Tode 
der Konigin (1504) wahlte der Konig die besten Musi- 
ker aus, gliederte sie der Kapelle von Aragonien ein 
und schuf so die konigliche Kapelle Spaniens, die ihren 
Hohepunkt wahrend der Regierung Philipps II. hatte. 
Die religiose und weltliche mehrstimmige Musik er- 
scheint hier bereits mit der der spanischen Musik eige- 
nenEinfachheit der Formen und ungekiinstelten Tech- 
nik. Spanische Komponisten dieser Epoche waren Ur- 
reda, J. de Anchieta, P. de Escobar, J. delEncina, A. de 
Alba, Fr. de Peiialosa u. a. Unter der Herrschaf t des Hau- 
ses Habsburg offneten sich ihnen jetzt die Grenzen. Karl 
V. , Gonner der f ranko-flamischen Kunst, liebte zwar die 
spanische Polyphonie und Instrumentalmusik, aber ihr 
eigentlicher Mazen im 16. Jh. war sein Sohn Philipp II. 
Unter den nationalen Schulen waren die von Anda- 
lusien und Kastilien die bedeutendsten. Chr. Morales, 
F. de las Infantas und Fr. Guerrero ragen in der andalu- 
sischen Schule hervor; J.Escribano, B.Ribera, P. de 
Pastrana, J. Garcia de Basurto, A. de Cabezon, T. L. de 
Victoria und A. de Tejeda sind die beriihmtesten der 
kastilianischen Schule; A.Marlet, M.Flecha sen. und 
jun. und Brudieu zeichnen sich in der katalanischen 
aus, M. Robledo, N. Zorita und Caceres in der aragoni- 
schen sowie J. G. Perez in der valencianischen. Die her- 
vorragendsten Meister der sakralen Polyphonie waren 
Pefialosa, Escobar und Morales, dessen Ruf am weite- 
sten iiber Spaniens Grenzen hinausdrang, ferner Vila, 
Guerrero, Brudieu und Victoria, der von der mystisch- 
dramatischen Kunst des Morales herkommt, nur noch 
verfeinert in der Schule Palestrinas. - Die profane Mu- 
sik ist enthalten in den -> Cancioneros unci den Samm- 
lungen von Madrigalen, Villancicos und Sonetten. In 
seinen Ensaladas wuBte der Katalane M.Flecha die 
komische Note mit der dramatischen und die ironi- 
sche mit einer Lektion praktischer Moral zu verquik- 
ken. Vila mit seinen geistlichen Madrigalen, J. Vasquez 
mit seinen Canciones, Villancicos und Sonetten, Fr. 
M.Flecha und Brudieu mit ihren Madrigalen, Fr. 
Guerrero mit seinen Canciones und Villanescas, Ce- 
ballos, Navarro u. a. bilden einen Kreis von Kompo- 
nisten prof aner Musik, die sich am Volkslied der Land- 
schaf ten der iberischen Halbinsel inspiriert haben. Mei- 
ster der Orgelmusik waren A. de Cabezon, fiihrend in 
der kirchlichen Orgelmusik und in der Kunst der Va- 
riation im Europa des 16. Jh., ferner Vila, F. de Soto 
und B. Clavijo del Castillo. In der Musik fur Vihuela 
von Milan, L. de Narvaez, E. de Valderrabano, M. de 
Fuenllana, Daza und in den Glosas fur Viola da gamba 
von Ortiz finden sich die ersten Beispiele der instru- 
mentalen Variation, der Tientos und Fantasias. Als Mu- 
siktheoretiker sind zu erwahnen der blinde Salinas, 
Bermudo und Fray Tomas de Santa Maria. Das Fehlen 
eines groBziigigen Druckwesens in Spanien erklart den 
Verlust eines groBen Teiles der Musik des 16.-18. Jh. 
Die Meister pflegten bis zur Mitte des 17. Jh. den Stil 
der -> Romischen Schule in Messen, Psalmen und Hym- 
nen und zur gleichen Zeit den neuen Stil in den Villan- 
cicos, Kantaten, Tonos und Chansonnettes. 
Madrid wurde nach Verlegung des spanischen Hofes 
dorthin unter Philipp II. zum Umschlagplatz der Sp.n 
M. In der Kirchenmusik ragte die konigliche Kapelle 
hervor mit Meistern wie Romero (Maestro Capitan), 
Patifio, J.P.Roldan und Cr.Galan. Kastilien brachte 
Komponisten wie Esquivel de Barahona, J.Ruiz de 
Robledo und S.Lopez de Velasco hervor. In Kata- 
lonien wirkten Kapellmeister wie J.Pujol, J.Verdalet, 
Albareda, A. Font, L.Molins, M. Selma, L.Torras, J. 
Radua sowie Fr. Soler und J. Marques. In der Chorschule 



von Montserrat erscheinen J. Marques, D. Roca, Fr. Lo- 
pez und Cererols, in AragonienKomponisten wie Agui- 
lera de Heredia, Pontac, Ruimonte und Baban, in Va- 
lencia J. B. Comes, J.Navarro und Fr. de la Torre. Im 
Jahrhundert der Oper, der Zarzuela, der Tonos hu- 
manos, Villancicos, Madrigales, Canciones, Letras, So- 
netos, Sonadas, Cantares de Sala, Cuatros de empezar 
schufen am Hofe von Madrid wahrend der Regierung 
Philipps III. (f 1621) und Philipps IV. Komponisten 
wie Romero und seine Nachfolger J. Bias de Castro, G. 
Diaz, J.Palomares profane Musik; sie alle vertonten 
Werke Lope de Vegas. Die Musik fiir Tasteninstrumen- 
te setzte die Tradition des vorhergehenden Jahrhun- 
derts fort mit der Facultad orgdnica (Alcala 1626) des 
Correa de Arauxo und mit den Werken von Jimenez, 
Baseya, de la Torre, P.Bruna, Fr.Espelt. Unter ihnen 
ragt Cabanilles von Valencia hervor, der eine Gruppe 
von Schiilern heranbildete. Die spanische Orgel hatte 
bis zum 18. Jh. ein Pedal von nur etwa 9 Tasten. Des- 
halb wirkt die spanische Orgelmusik etwa 50 Jahre al- 
ter als sie tatsachlich ist. Die Vihuela, bisher das hofi- 
sche Instrument des Landes, verschwand im gleichen 
Jahrhundert zugunsten der Gitarre. - Literes, J. de 
Nebra, R. de Hita vertraten die spanische Tradition 
im 18. Jh., wahrend Duron, J. de Torres y Martinez 
Bravo und vor allem der Barcelonese Vails sich als mu- 
tige Erneuerer zeigten. Die Katalanen J. Casellas, J. Ro- 
sell und F. Junca in Toledo, zusammen mit P. Aranaz y 
Vides und J.Perez Roldan, bemiihten sich, die spani- 
sche Kirchenmusik zu retten; dazu kamen u. a. J.Du- 
ran, Schiiler Durantes in Neapel, J.Pujol, F. Queralt, L. 
Serra undJ.Teixidor. Das Villancico und das Oratorio, 
beide mit kastilischem Text, fanden allenthalben Ein- 
gang. Die Katalanen J.Elias, A.Martin y Coll, Lidon 
von Salamanca und J.Moreno y Polo von Tortosa fiir 
Orgel, F.Menalt und A. Soler fiir Kammermusik sind 
die hervorragendsten Vertreter der Instrumentalmusik. 
D. Scarlatti, der 1729-57 am Hofe von Madrid die Kla- 
viersonate erneuerte, Fr. Corselli, der »kastilische Han- 
del* italienischer Herkunft, mit seinen Messen, Kanta- 
ten, Motetten, Boccherini mit seinen Quintetten und 
anderer Kammermusik auf kastilische Liedthemen er- 
Iangten Ruhm. - Im 17. Jh. schrieben Calderon und 
Lope de Vega spanische Opernlibretti; als Komponist 
ist nier Hidalgo zu nennen. Auch die Autos sacramen- 
tales enthalten gesungene Einlagen. Mit der Herrschaft 
der Bourbonen hielt die italienische Oper ihren trium- 
phalen Einzug in Spanien wahrend der ersten Regie- 
rungsjahre Philipps V. Der Kampf zwischen einheimi- 
schen und italienischen Kiinstlern dauerte lange Jahre; 
trotz des hartnackigen Widerstandes von Nebra, Li- 
teres und R. de Hita obsiegte die italienische Oper. Um 
den italienischen EinfluB auf das spanische Theater ein- 
zudammen, schuf Mison die Tonadilla escenica. - Im 
19. Jh. beherrschte Rossinis Musik Spanien. 1830 griin- 
dete die Konigin Maria Cristina das Konservatorium 
von Madrid, dessen Lehrer P. Albeniz, R. Carnicer und 
Saldoni itahenisch orientiert waren. Mit Eslavas Samm- 
lung Lira sacro hispana (Madrid 1859ft.) begann die mu- 
sikgeschichtliche Forschung in Spanien; ihm folgen Fr. 
A. Barbieri und Pedrell. Barbieri wirkte mit dem Or- 
chester der Sociedad de Conciertos, dessen Leitung 
dann J. de Monasterio iibernahm. Barbieri und Arrieta 
y Corera bemiihten sich, die -*■ Zarzuela neu zu bele- 
ben; Breton schuf die Oper im spanischen Stil, worin 
ihm Chapi y Lorente und Pedrell folgten. In Katalonien 
schrieben der Gitarrist Sor und K.Baguer Opern fiir 
das Theater in Barcelona; nach 1830 waren M.Ferrer, 
Carnicer und R. Vilanova fiihrend im Musikleben Spa- 
niens. 1838 wurde das Konservatorium von Barcelona 
gegriindet. Clave ist im soziologisch-kunstlerischen 



892 



Spanische Musik 



Sinn der Griinder der katalonischen Chore. Pedrell be- 
gann im grofien Stil die Kirchenmusik zu erneuern und 
eine auf den Volksgesang gestiitzte nationale Oper zu 
schreiben. Albeniz, E. Granados, A. Vives und Nicolau 
sind die fiihrenden Komponisten des 19. Jh. und des 
beginnenden 20. Jh. in Katalonien. 
In der 2. Halfte des 19. Jh. wurde von der reichen spa- 
nischen Volksmusik auch auBerhalb der iberischen 
Halbinsel mehr bekannt, nicht zuletzt durch russische 
und franzosische Komponisten, die wie Glinka, Cui, 
Bizet, Chabrier, Debussy und Ravel den Reiz des 
spanischen Kolorits entdeckten. In der musikalischen 
Folklore Spaniens sind Lied und Tanz eng verbunden. 
Im Ausland wird die Volksmusik Andalusiens als ty- 
pisch fur das ganze Land angesehen, besonders der 
Cante jondo (Flamenco), daneben, zu Gitarre und Pan- 
dero, die Malaguefia, der Zapateado und Jaleo sowie 
die Saeta. Von der andalusischen Musik ebenso wie 
von dem Siglo d'oro der spanischen Musikgeschichte 
zeigte sich Spaniens bedeutendster Musiker des 20. Jh., 
M. de Falla, angeregt. Seine Stellung als nationaler 
Komponist ist mit der des Ungarn Bartok vergleich- 
bar. Kastilien ist das Land der Romances, verbreitet ist 
der Rundtanz Rueda. In Katalonien hat die eigenartige 
Sardana ihre Heimat, die von der Coblakapelle gespielt 
wird; aus Aragon stammt die Jota. Das wichtigste 
Volksinstrument Galiciens ist der Dudelsack Gaita, der 
bekannteste Tanz der Alala. Das charakteristische In- 
strument der Basken zwischen Frankreich und Spanien 
ist der Txistu, die bekanntesten Tanze sind der Aurres- 
ku und der Zortziko. 

Ausg. u. Lit. : — > Cancionero, — > Cantigas, — > Denkmaler, 
— > Mozarabischer Gesang, — * Romanze. 
Ausg. : Les Iuthistes espagnols du X VI e s., hrsg. v. G. Mor- 
phy, Lpz. 1 902 ; Ant. de organistas clasicos espafioles, hrsg. 
v. F. Pedrell, 2 Bde, Madrid 1905-08; Cancionero mus. 
popular espafiol, hrsg. v. dems., 4 Bde, Vails 1918-22, Neu- 
druck in 2 Bden 1936; La tonadilla esc6nica, hrsg. v. J. 
Subira, 4 Bde, Madrid 1928-32; Ant. mus., hrsg. v. J. B. 
Elustiza u. G. Castrillo, Barcelona 1933; Treinta can- 
ciones de Lope de Vega, hrsg. v. J. Bal, Madrid 1935 ; Ora- 
cional visigodo, hrsg. v. J. Vives u. J. Claveras, = Monu- 
menta Hispaniae Sacra, Series Litiirgica I, Madrid u. Bar- 
celona 1946; Antifonario visigotico mozarabe de la Cate- 
dral de Leon, I: Faks., II: Text, hrsg. v. L. Brou OSB u. J. 
Vives, ebenda V, 1 u. 2, 1953 u. 1 959 ; Ant. polifonica sacra, 
hrsg. v. S. Rubio, 2 Bde, Madrid 1954-56. - Cantos y bailes 
populares de Espana, hrsg. v. J. Inzenga, Madrid 1888; 
Canconer popular, hrsg. v. A. Capmany, 2 Bde, Barcelona 
1903-13 ; Cancons i joes de la infantesa, hrsg. v. dems. u. F. 
Baldell6, ebenda 1923; Cancionero popular de Burgos, 
hrsg. v. F. Olmeda, Sevilla 1903 ; Cancionero salmantino, 
hrsg. v. D. Ledesma, Madrid 1907; Coleccion de canciones 
populares de la provincia de Santander, hrsg. v. R. Calle- 
ja, Madrid 1923; L'obra del Canconer popular de Cata- 
lunya, hrsg. v. J. Llongueras, 3 Bde, Barcelona 1926-29; 
Coleccion de cantos populares de la provincia de Teruel, 
hrsg. v. M. Arnaudas Larrode, Madrid 1927; Ant. de 
cantos populares espafioles, hrsg. v. A. MartInez, Madrid 
1930; Cancionero popular de Extremadura, hrsg. v. B. Gil, 
2 Bde, I Vails 1931, II Badajoz 1956; El canconer de Pine- 
da, hrsg. v. S. Llorens, Barcelona 1931 ; Can?oner religios 
de Catalunya, hrsg. v. F. Baldello, ebenda 1932; Can- 
cons de tot arreu, hrsg. v. dems., ebenda 1936; Cancio- 
nero mus. de Galicia, hrsg. v. L. M. Fernandez Espinosa, 
Pontevedra 1940; Cancionero mus. de Galicia, hrsg. v. C. 
Sampedro y Folgar, ebenda 1940; Folk Music and Po- 
etry of Spain and Portugal, hrsg. v. K. Schindler, NY 
1941 ; Nuevo cancionero salmantino, hrsg. v. A. Sanchez 
Fraile, Salamanca 1943; Li'rica popular de la alta Extre- 
madura, hrsg. v. M. CarcJ a Matos, Madrid 1944 ; La miisi- 
ca dels Goigs, hrsg. v. J. Amades, Barcelona 1 947 ; Das span. 
Volkslied zur Gitarre, hrsg. v. V. Amon, Wien 1 948 ; Cancio- 
nero mus. popular manchego, hrsg. v. P. EchevarrIa Bra- 
vo, Madrid 1951; La cancion popular en el tiempodelos Rey- 
es Catolicos, hrsg. v. A. de Larrea PalacIn, Madrid 1952. 



Lit. : J. Pena u. H. Angles, Diccionario de la miisica La- 
bor, 2 Bde, Barcelona 1954; AM, Barcelona seit 1946. - 
M. Soriano Fuertes, Hist, de la miisica espafiola, 5 Bde, 
Madrid u. Barcelona 1855-59; H. Collet, Le mysticis- 
me mus. espagnol au 16 e s., Paris 1913; O. Ursprung, 
Musikkultur in Spanien, in: Hdb. d. Spanienkunde, hrsg. 
v. P. Hartig u. W. Schellberg, Ff m. 1 922 ; ders., »Celos . . . « 
. . . d. alteste erhaltene span. Oper, Fs. A. Schering, Bin 
1937; R. Menendez Pidal, PoeSia juglaresca y juglares, 
= Publicaciones de la Revista de filologia espafiola VII, 
Madrid 1924, 6 1957; ders., Poesia arabe y poesia europea, 
Madrid 1941, 31946; J. Br. Trend, The Music of Span. 
Hist., = Hispanic Notes and Monographs X, London 
1926; A. Salazar, La miisica contemporanea en Espana, 
Madrid 1930; ders., La miisica de Espana, Buenos Aires 
1953; H. Spanke, Die Theorie Riberas . . ., in: Volkstum 
u. Kultur d. Romanen III, 1930; H. Angles, Die span. 
Liedkunst im 15. u. am Anfang d. 16. Jh., Fs. Th. Kroyer, 
Regensburg 1933 ; ders., Hist, de la miisica espafiola, in : J. 
Wolf, Hist, de la miisica, span. Barcelona 1934, 41957; 
ders., Mus. Beziehungen zwischen Deutschland u. Spa- 
nien . . ., AfMwXVI, 1959; ders., Austausch deutscher u. 
span. Musiker . . . , in : Span. Forschungen d. Gorresges. I, 
16, Munster i. W. 1960; ders., Die Rolle Spaniens in d. ma. 
Mg. . . ..ebenda 1, 19, 1962; ders., Die Instrumentalmusik 
bis zum 16. Jh. in Spanien, in: Natalicia Musicologica, Fs. 
Kn. Jeppesen, Kopenhagen 1962; ders., Mus. Beziehun- 
gen zwischen Osterreich u. Spanien . . ..StMwXXV, 1962; 
ders., Spanien in d. Mg. d. 15. Jh., Fs. J. Vincke, Madrid 
1962; ders., Alfonso V d'Aragona mecenate della musica 
. . . , in: Liber Amicorum, Fs. Ch. Van den Borren, Ant- 
werpen 1964; ders., Relations epistolaires entre C. Cui 
et Ph. Pedrell, Fontes artis musicae XIII, 1966; W. Apel, 
Early Span. Music for Lute and Keyboard Instr., MQ 
XX, 1934; ders., Neapolitan Links Between Cabezon 
and Frescobaldi, MQ XXIV, 1938; ders., Span. Organ 
Music of the Early 17< h Cent., JAMS XV, 1962; A. R. 
Nykl, L'influence arabe-andalouse sur les troubadours, 
Bull, hispanique XLI, (Bordeaux) 1939; ders., Hispano- 
Arabic Poetry . . ., Baltimore 1946; G. Chase, The Mu- 
sic of Spain, NY 1941 ; 2 1959, span. v. J. Pahissa, Buenos 
Aires 1943; M. S. Kastner, Contribucidn al estudio de 
la musica espafiola y portuguesa, Lissabon 1941 ; E. Wer- 
ner u. I. Sonne, The Philosophy and Theory of Music 
in the Judaeo-Arabic Lit., Hebrew Union College An- 
nual XVI/XVII, 1941-1942/43; A. GarcIa Bellido, Mii- 
sica, lit. y danza en los pueblos primitivos de Espana, 
Revista de ideas esteticas I, 1943; J. SubirA, Hist, de la 
musica, 2 Bde, Barcelona 1947, in 4 Bden 31958 ; ders., 
Hist, de la musica espafiola e hispano-americana, Barcelo- 
na 1953, deutsche Bearb. v. A.-E. Cherbuliez, Zurich u. 
Stuttgart (1957); ders., La musique espagnole, frz. v. M. 
Jouve, = Que sais-je?Nr 923, Paris 1959, japanisch Tokio 
1961 ; S. M. Stern, Les vers finaux en espagnol dans les 
muwassahs hispano-hebraiques, Al-Andaluz XIII, 1948; 
ders., Les chansons mozarabes, Palermo 1953 ; P. Le Gen- 
til, La po£sie Iyrique espagnole et portugaise a la fin du 
moyen age, 2 Bde, Rennes 1949-52; A. FernAndez-Cid, 
Panorama de la musica en Espafia, Madrid 1950; E. Gar- 
cf a G6mez, La lirica ispano-arabica e il sorgere della lirica 
romanza, Atti del XII congresso »Volta«, Rom u. Florenz 
1956, span, in: Al-Andaluz XXI, 1956; F. J. G6mez, Los 
problemas de la opera espafiola, = Discurso de ingreso en 
la Real Acad, de bellas artes de San Fernando, Madrid 
1956; A. Roncaglia, La lirica arabo-ispanica e il sorgere 
della lirica romanza . . . , in : Convegno di scienze morali 
stor. e filologiche, Rom 1956; H. Harder u. Br. Stablein, 
Neue Fragmente mehrst. Musik aus span. Bibl., Fs. J. 
Schmidt-Gorg, Bonn 1957; F. Sopena, Hist, de la musica 
espafiola contemporanea, Madrid 1957; Miscelanea en 
homenaje a H. Angles, 2 Bde, Barcelona 1958-61 (in Bd I 
Verz. d. Schrif ten u. Ausg. v. Angles); N. Bridgman, Char- 
les-Quint et la musique espagnole, Rev. de Musicol. XLIII/ 
XLIV, 1959; Kx. Heger, Die bisher veroffentlichten Har- 
gas u. ihre Deutung, Diss. Tubingen 1960; R. M. Steven- 
son, Span. Music in the Age of Columbus, Den Haag 1 960 ; 
ders., Span. Cathedral Music in the Golden Age, Berkeley 
u. Los Angeles 1961 ; M. Valls, La musica espafiola des- 
pu6s de M. de Falla, Madrid 1962; G. Haberkamp, Die 
weltliche Vokalmusik d. 1 5. Jh. in Spanien, Diss. Munchen 
1964, maschr. HiA 



893 



spartire 



spartire (ital.), in -» Partitur setzen. Spartieren nennt 
man das Zusammensetzen einer Partitur aus gedruck- 
ten oder geschriebenen Einzelstimmen. Die so erstellte 
Umschrift heiBt (umgangssprachlich) Sparte. 

Spektrum -> Frequenzspektrum. 

Sperrventil ist in der mechanisch gesteuerten Orgel 
(Schleifladenorgel) eine Vorrichtung, die den Zugang 
des Windes zu den einzelnen Windladen absperrt 
(-> Ventil - 1). Das Sp. wird vom Spieltisch aus durch 
Registerziige oder Tritte betatigt, um bei Schaden an ei- 
ner Pfeifenreihe oder Windlade »Durchstecher« (»heu- 
lende Pfeifen«, die nicht ertonen sollen) auszuschalten. 

Speyer. 

Lit. : Chorregel u. Jiingeres Seelbuch d. alten Speierer Dom- 
kapitels, hrsg. v. K. v. Busch u. Fr. X. Glasschroder, 2 
Bde, Sp. 1923-26; L. Eid, Zur Gesch. d. alten Sp.er Dom- 
musik, Musica sacra LXIII, 1933 ; J. E. Gugumus, Der Er- 
bauerd.grofienSp.erDomorg. . . . 1454, Arch. f . mittelrhei- 
nische Kirchengesch. VIII, 1 956 ; G. Pietzsch, Orgelspiel u. 
Orgelbauer in Sp. vor d. Reformation, AiMw XIV, 1957. 

Spharenharmonie heiBt jener Bereich der Musica 
mundana (-> Musica), der sich in den proportional ge- 
ordneten Bewegungen und gegenseitigen Entfernun- 
gen der Gestirne (besonders der Planeten) bzw. Stern- 
kreise (Spharen) manifestiert. Auf der Vorstellung, daB 
Welt- und Tonsystem einander abbildhaft entsprechen, 
und auf der Erfahrung, daB durch Bewegung Tone 
entstehen, beruht die Annahme der Pythagoreer, daB 
auch die Gestirne bei ihrer Bewegung Tone hervor- 
bringen. Je nach zugrunde gelegtem astronomischem 
System sollten diese Tone (die sogenannte »Spharen- 
musik«) dem chromatischen (Censorinus, De die natali 
XIII) oder diatonischen (Boethius, De institutione mu- 
sica I, 27) Klanggeschlecht angehoren. Die Tatsache, 
daB jene Tone nicht horbar waren, wurde von Aristo- 
teles (»De caelo« II, 9) darauf zuriickgefiihrt, daB sich 
die Spharen zusammen mit den in ihnen liegenden Ge- 
stirnen drehen, so daB eine Tone hervorbringende Rei- 
bung nicht entstehen konne. Anders argumentierte 
Macrobius (Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis 
II, 4) : tnaior sonus [namlich der Spharenbewegung] est 
quant ut humanarum aurium percipiatur angustiis. In der 
christlichen Literatur tritt die Diskussion iiber die 
Klangrealitat der Sph. zunachst zuriick. Die verbreitete 
Vorstellung vom gemeinsamen Schopferlob der Him- 
melskorper und Engel scheint sie vorauszusetzen. Die 
Terminologie dieses Lobpreises entstammt ganz der li- 
turgisch-musikalischen Praxis : die »Musik« beider heiBt 
concentus (concentus coeli, Aurelianus, GS I, 40b, nach 
Hiob 38, 37, bzw. concentus angelorum, so noch Mar- 
chettus von Padua, GS III, 66a). Mit Musica coelestis 
wird in der Regel nur das abstrakt-mathematische Ord- 
nungsprinzip bezeichnet, wie es besonders ausgepragt 
unter den Gestirnen waltet. Erstmals verstand Jacobus 
Leodiensis (Speculum musicae I, lift.; CSM III, I, 37ff.) 
unter Musica coelestis auch den dieses Ordnungsprin- 
zip realisierenden Gesang der Engel, fiir den das spate 
Mittelalter jedoch auch die Bezeichnung Musica ange- 
lica gepragt hat. Die Frage nach der Klangrealitat der 
Sph. wurde erst nach dem Bekanntwerden der Aristo- 
teles-Schriften im 13. Jh. wieder kritisch aufgegriffen 
und nun zugleich verbunden mit der grundsatzlichen 
Frage nach der Relevanz der Sph. fiir die Musiklehre, die 
sich in wachsendem MaBe spekulativen Gedanken ver- 
schloB. Johannes de Grocheo (ed. Rohloff, S. 46) stellte 
die skeptische Frage: Quis enim audivit complexionem 
sonare?, die Adam von Fulda beantwortete, indem er 
die gesamte Musica mundana aus dem Aufgabenbe- 
reich des Musicus loste: hoc genus considerant mathematici 
(GS HI, 333a). Bei den Mathematici (Astronomen) 



blieb die Lehre von der Sph. (die spezielle Frage der 
Spharenmusik hatte jegliche Bedeutung verloren) bis 
in den Barock lebendig : noch J. Kepler (Harmonices 
mundi V, 4) demonstrierte an den heliozentrischen 
Winkelgeschwindigkeiten die Harmonia der Planeten- 
bewegung. 

Lit.: D. Blaesing, De sphaerarum coelestium symphonis- 
mo, Diss. Konigsberg 1705 ; A. Bockh, Uber d. Bildung d. 
Weltseele im Timaos d. Platon, in : C. Daub u. Fr. Creuzer, 
Studien III, Ffm. u. Heidelberg 1808, auch in: Kleine 
Schriften III, Bin 1866; A. v. Thimus, Die harmonicale 
Symbolik d. Altertums, 2 Bde, Koln 1 868-76 ; W. Forster, 
J. Kepler u. d. Harmonied. Spharen, Bin 1876; C. v. Jan, 
Die Harmonie d. Spharen, Philologus LII, 1 894 ; H. Abert, 
Die Musikanschauung d. MA u. ihre Grundlagen, Halle 
1905, Nachdruck Tutzing 1964 ; U. v. Wilamowitz-Moel- 
lendorff, Die Harmonie d. Spharen, in: Reden aus d. 
Kriegszeit, Bin 1915; E. Frank, Plato u. d. sogenannten 
Pythagoreer, Halle 1923 ; W. Grossmann, Die einleitenden 
Kap. d. Speculum Musicae, = Slg mw. Einzeldarstellun- 
gen III, Lpz. 1924 ; O. Fleischer, Die Spharenmusik, Vos- 
sische Zeitung, Bin, 10. 4. 1925; W. Harburger, J. Kep- 
lers kosmische Harmonie, Lpz. 1925; J. Handschin, Ein 
ma. Beitr. zur Lehre v. d. Sph., ZfMw IX, 1926/27; ders., 
Die Musikanschauung d. Johannes Scotus (Erigena), DVjs. 
V, 1927; ders., Der Toncharakter, Zurich (1948); ders., 
The Timaeus Scale, MD IV, 1950; ders., Die Lehre v. d. 
Sph., u. Die Sph. in d. Geistesgesch., in: In memoriam J. 
Handschin, Bern (1957); R. Bragard, L'harmonie des 
spheres selon Boece, Speculum IV, 1929; R. Schafke, 
Gesch. d. Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934, Tutzing 
21965; C.-A. Moberg, Sfarernas harmoni, STMf XIX, 
1937; L. van der Waerden, Die Harmonielehre d. Pytha- 
goreer, Hermes LVIII, 1944; G. Junge, Die Sph. u. d. py- 
thagoreisch-platonische Zahlenlehre, Classica et Mediae- 
valia IX, 1947; P. R. Coleman-Norton, Cicero and the 
Music of the Spheres, Classical Journal XLV, 1955; B. 
Kytzler, Die Weltseele, Hermes LXXXVII, 1 959 ; J. Hol- 
lander, The Untuning of the Sky, Princeton (N. J.) 1961 ; 
R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u. Miinchen 
(1962); R. Haase, Keplers Weltharmonik . . ., in: Antaios 
V, 1963 ; L. Spitzer, Classical and Christian Ideas of World 
Harmony, Baltimore 1963. FrR 

spiccato (ital., s. v. w. deutlich gesondert; Abk. : 
spice), geworfene Strichart, bei der jeder einzelne Ton 
mit einem neuen Bogenstrich hervorgebracht wird. 
In schnellerem Tempo geht das Sp. in den Springbo- 
gen (frz. -v sautille) iiber. Als Ausf uhrungsbestimmung 
in der alten Musik (Corelli, Vivaldi u. a.) bedeutet sp. 
lediglich, daB die Tone getrennt (-»■ detache), non le- 
gato zu spielen sind. 

Spielleute, - 1) im friihen und hohen Mittelalter die 
sozial am niedrigsten stehenden Musikanten der weltli- 
chen Musik (seit der 2. Halfte des 12. Jh. als Sp. be- 
zeichnet). Der Stand der Sp. war jedoch uneinheitlich. 
Er reichte vom rechtlich gesicherten, auch seBhaften 
oder zeitweise seBhaften Spielmann, der sich einem 
Pfeiferkonig (->■ Zunft) unterordnen und im Hof dienst 
sogar zum Trompeter auf steigen konnte, bis zum recht- 
losen Fahrenden; vom Gefahrten (-»• Jongleur, -> Me- 
nestrel) des Dichtersangers (Barde, Trobador, Trou- 
vere), der in einigen Fallen auch selber schopferisch ta- 
tig wurde, bis zum SpaBmacher (lat. histrio; russ. sko- 
moroche). Seit dem 14. Jh. ging ein Teil der Sp. in den 
Beruf der -»■ Stadtpfeifer iiber. - 2) in der Militarmu- 
sik eine Gruppe von Trommlern und Pfeifern. Das spil 
eines Landsknechtsfahnleins bestand nach Fronsperger 
(1555) aus je einem Trommler und Pfeifer. In der neue- 
ren -» Militarmusik treten Sp. (auch Spielmannszug, 
Spielmannstrupp genannt) bei der Marschmusik und 
beim Zeremoniell auf, wo sie als Kleines Spiel mit dem 
Musikkorps (GroBes Spiel) abwechseln und vor dessen 
Einsatz jeweils den Lockmarsch spielen. Nach Wiep- 
rechts Tableau (1860) erhielten die Sp. der preuBischen 



894 



Stabreim 



Infanteriebataillone auch eine Blechmusik von 10 Bii- 
gelhornern (»Signalhornmusik«). In Frankreich sind 
die Sp. die Clairons, in Italien die Pifferari und Tam- 
buri, in Schottland und Irland Dudelsackpfeifer; die 
reine Trommelkunst wird besonders in der Schweiz 
gepflegt. Die Sp. werden angefiihrt vom Tambourma- 
jor mit dem Tambourstock; in einigen Landern hat 
der Tambourmajor auch die Aufgabe, vor der Truppe 
einherzutanzeln, um die Aufmerksamkeit des Publi- 
kums zu fesseln. 

Lit.: zu 1): J. Stosch, Der Hofdienst d. Sp. ira deutschen 
MA, Diss. Bin 1881 ; A. Monckeberg, Die Stellung d. Sp. 
im MA, Diss. Freiburg i. Br. 1910; W. Schatz, DieZiinfte 
d. Sp. u. d. Organisation d. Orch.-Musiker in Deutschland, 
Diss. iur. Greifswald 1921 ; J. Klapper, Die soziale Stel- 
lung d. Spielmanns im 13. u. 14. Jh., Zs. f. Volkskunde II, 
1930; Fr. Ernst, Die Sp. im Dienste d. Stadt Basel im aus- 
gehenden MA, in: Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskunde 
XLIV, 1945; W. Salmen, Bemerkungen zum mehrst. Mu- 
sizieren d. Sp. im MA, RBM XI, 1957 ; ders., Der fahrende 
Musiker im europaischen MA, = Die Musik im alten u. 
neuen Europa IV,,Kassel 1960; H. Federhofer, Der Mu- 
sikerstand in Osterreich v. ca. 1200 bis 1520, Deutsches Jb. 
f . Mw. Ill (= JbP L), 1958 ; Z. Falvy, Sp. im ma. Ungarn, 
Studia musicologica I, 1961. - zu 2): P. Merkelt, Das 
Trommler- u. Pfeiferkorps, Lpz. 1924; H. Schmidt, Der 
Spielmannszug, Bin (1934). 

Spinett (von lat. spina, Dorn, Kiel der Cembalome- 
chanik; ital. spinetta; frz. epinette), im 17./18. Jh. eine 
Bezeichnung fur die kleineren (einchorigen) Kielkla- 
viere in Tafelform. Im heutigen Klavierbau wird unter 
Sp. im Unterschied zum -> Virginal ein 5eckiges Kiel- 
klavier mit der Klaviatur an der Langsseite und schrag 
zu den Tasten laufenden Saiten verstanden. 

Spiritual (sp'iiitjusl, engl.) -»■ Negro spiritual. 

Spitzflote (auch Spillflote) ist in der Orgel eine offene 
Labialstimme zu 8', 4' oder 2', deren Pfeifenkorper sich 
nach oben auf ^4 bis ^3 des unteren Durchmessers ver- 
jungt. 

Spitzharfe, auch Harfenett (ital. arpanetta), SchoB- 
harfe, Fliigelharfe, Zwitscherharf e ; eine Harfenzither 
wie die -> Rotta (- 1). Die Sp. wurde im 18. Jh. vor- 
iibergehend Modeinstrument, entweder als grofieres, 
auf dem Boden stehendes Instrument, oder (haufiger) 
als Tisch- oder SchoBinstrument, oft mit der Harfe 
entlehntem Zierat versehen. Eisel beschreibt 1738 eine 
Sp., diebeiderseitig mit Messing- und Stahlsaiten (chro- 
matisch, Umfange g-c 4 und c-e 2 ) bezogen ist. 
Lit. : Ph. Eisel, Musicus Autodidactus, Erfurt 1738. 

Sprechmaschine -»- Schallaufzeichnung. 

Springbogen -> sautille. 

Springer (engl.), - 1) -> Vorschlag (Nachschlag), Ur- 
spriinglich eine Lautenverzierung, bei der am Ende ei- 
nes Tones dessen obere Nebennote rasch auf der Saite 
beriihrt wird; bei Th.Mace 1676 »Spinger«; - 2) ein 
Teil der -> Mechanik des Cembalos. 

Springlade -*■ Windlade. 

Squarcialupi-Codex ->■ Quellen: Sq. 

Square dance (skwea da:ns, engl., von square, Vier- 
eck), eine der Hauptformen des amerikanischen Volks- 
tanzes, die sich wahrscheinlich aus der franzosischen 
Quadrille und dem von England nach Kentucky einge- 
fiihrten sogenannten Running set entwickelte und spa- 
ter einzelne Elemente aus verschiedenen europaischen 
Volkstanzen ubernahm. Der Squ. d. wird von jeweils 
4 Paaren nach den Weisungen eines Ansagers (caller) 
im Viereck getanzt und hat gewohnlich 4 Figuren. 
Meist werden mehrere Squ. d.s hintereinander getanzt, 



deren Figuren entweder an eine bestimmte regionale 
Uberlief erung ankniipf en oder auch Elemente verschie- 
dener Herkunf t miteinander verbinden. Die traditionel- 
len Begleitinstrumente sind Akkordeon, Banjo, Geige 
(fiddle) und Gitarre. 

Lit. : A. Schl. Duogan, J. Schlottmann u. A. Rutledge, 
Folk Dances of the United States and Mexico, = The Folk 
Dance Library V, NY (1948) ; L. Owens, American Squ. D. 
of the West and Southwest, Palo Alto/Calif. (1949); J. A. 
Harris, A. Pittman u. M. Swenson, Hdb. of Folk, Square 
and Social Dance, Minneapolis/Minn. (1950, 21955); R. 
Kraus, Squ. D. of Today, NY (1950); G. Gowing, The 
Square Dancer's Guide, NY (1957). 

Square piano (skwss pi'asnou, engl.) ->• Tafelkla- 
vier. 

Stabat mater dolorosa (lat.), die Sequenz vom Fest 
der Sieben Schmerzen Maria (Septem Dolorum Beatae 
Mariae Virginis) am 15. September. Bis 1960 wurde da- 
neben ein zweites, 1727 offiziell eingefiihrtes Fest glei- 
chen Namens am Freitag nach dem 1 . Passionssonntag 
begangen (heute nur noch Commemoratio), wobei der 
Sequenztext im romischen Offizium auch als Hymnus 
zur 1 . Vesper (Strophe 1-10), zur Matutin (Strophe 1 1- 
14) und zu den Laudes (Strophe 15-20) Verwendung 
f and (mit eigener Melodie im 6. Kirchenton) . Urspriing- 
lich ein Reimgebet fur Privatandachten, dessen reiche 
Uberlief erung zunachst vor allem in Stunden- und Ge- 
betbuchern erfolgte, stammte das St. m. d. vermutlich 
aus der Feder eines in der Friihzeit seines Ordens wirken- 
den Franziskanermonchs. Doch gilt die Frage nach dem 
Verfasser (hl.Bonaventura?) noch immer als ungelost. 
Die 20 Strophen der ausdrucksstarken und von tiefer 
Frommigkeit getragenen Sequenz zeigen einen regel- 
maBigen Aufbau aus 3 trochaischen Dimetern (mit un- 
vollstandigem Metrum in der 3. Zeile). Jeweils 2 Stro- 
phen werden iiberdies durch ein festes Reimschema 
(a a b - c c b) verbunden. Schon in vorref ormatorischer 
Zeit entstanden mehrere deutsche Ubersetzungen des 
St. m. d., das nunmehr auch als Passions- und Kirchen- 
lied zu groBter Beliebtheit gelangte. - Bei der im Gra- 
duale Romanum abgedruckten Choralmelodie (Se- 
quenz, 2. Kirchenton) handelt es sich um eine im Ver- 
haltnis zum Text farblose Vertonung aus j lingerer 
Zeit. Von besonderem Interesse sind die im 15. Jh. ein- 
setzenden mehrstimmigen Vertonungen des St. m. d. 
(Josquin Desprez, Palestrina, A. Steffani, Caldara, Astor- 
ga, Pergolesi, A. Scarlatti, J. Haydn, Schubert, Rossini, 
Liszt, Dvorak u. a.). 1929 schrieb K. Szymanowski ein 
St. m. op. 53. 

Ausg. : W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in 
seinen Singweisen I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck Hil- 
desheim 1962; Analecta hymnica medii aevi LIV, hrsg. v. 
Cl. Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1915 (Text u. Quel- 
len); Monumenta Monodica Medii Aevi I, hrsg. v. Br. 
Stablein, Kassel 1956 (Melodien zum Hymnus St. m. d.). 
Lit.: P. Mies, St. m. d., KmJb XXVII, 1932; F. Haberl, 
St. M., Musica sacra LXXVI, (Koln) 1956 ; D. JohnerOSB 
u. M. Pfaff OSB, Choralschule, Regensburg 81956. 

Stabreim (auch Alliteration) heiBt der Reim durch 
gleichklihgenden Anlaut zweier (oder mehrerer) He- 
bungssilben eines Verses. Vor Einfuhrung des End- 
reims und auch noch neben diesem bindet der St. in 
der altgermanischen Dichtung (z. B. Edda; -> Skalden) 
und teilweise auch in der althochdeutschen Verskunst 
(z. B. Hildebrandslied, aufgeschrieben Anfang 9. Jh.) 
die beiden dipodischen Halbzeilen eines Verses zur Ein- 
heit der Langzeile: Hiltibrhnt enti Hddubrhnt / untax 
heriitn ttiem (oHildebrand und Hadubrand / zwischen 
Heeren zwein«). Staben konnen gleiche Konsonanten 
(z. B. h mit h, st mit st) oder alle Vokale untereinander 
(a mit a, a mit e, usw.). Das Verhaltnis von Stab, He- 



895 



Stabspiel 

bung und Satzglied ist in der St.-Dichtung auf der 
Grundlage einer Unterscheidung von starken stabfahi- 
gen, schwachen stabfahigen und nicht stabfahigen 
Wortklassen streng beachtet. - In betonter Ankniip- 
fung an die alte St.-Dichtung, aber ohne deren feste 
Regeln aufzugreifen, verwendete R.Wagner den St. 
(erstmals in Siegfrieds Tod, 1848; z. B. 1. Akt, 1. Szene: 
Ein Weib weijl ich - das hehrste der Welt). Nach Wagners 
Anschauung (Oper und Drama, 1851) soil der St., der 
die in den Wurzelwbrtern verkorperten Empfindungen 
durch die utiwillkiirliche Macht des gkichen Klanges zu 
einem einheitlichen (oder verwandten) Ausdrucke ver- 
bindet (IV, 131£.), den Ubergang von der Sprache zur 
Musik vermitteln. Das Ziel des St.s bei Wagner, die 
rhythmisch ungleichmaBigen prosaischen Sprachak- 
zente dem Gefiihle zu erschliefien (IV, 131f.) und so die 
aus der Negation »falscher« Poesie hervorgegangene 
Prosa zur »wahren« Poesie zu erheben, steht unter dem 
Leitgedanken einer musikalischen ->■ Prosa (- 2). Wag- 
ners Alliterationsmanie ist . . . ein Versuch, die musikali- 
sche Prosa, die Unregelmaftigkeit der Akzentabstande, zu 
rechtfertigen (Dahlhaus 1965). 

Lit. : W. Jordan, Der epische Vers d. Germanen u. sein St., 
Ffm. 1868; R. Wagner, Oper u. Drama, in: Samtliche 
Schriften u. Dichtungen III-IV, Lpz. (191 1) ; H. Wiessner, 
Der Stabreimvers in R. Wagners »Ring d. Nibelungen«, 
Diss. Bin 1923, maschr.; A. Heusler, Deutsche Versgesch., 
3 Bde, Bin u. Lpz. 1925-29, Bin M956; K. Loewe, Der 
Vers in R. Wagners »Ring d. Nibelungen«, Diss. Marburg 
1925, maschr.; S. Beyschlag, Die Metrik d. mittelhoch- 
deutschen Bliitezeit . . ., Nurnberg 1950, 51963; C. Dahl- 
haus, Mus. Prosa, NZfM CXXV, 1964; ders., Wagners 
Begriffd. »dichterisch-mus. Periode«, in: Beitr. zur Gesch. 
d. Musikanschauungim 19. Jh., hrsg. v. W. Salmen, = Stu- 
dien zur Mg. d. 19. Jh. I, Regensburg 1965. 

Stabspiel ->Xylophon. 

staccato (ital., abgestoBen; Abk. : stacc), angezeigt 
durch • bzw. ' iiber der Note, eine Vortragsbezeich- 
nung, die fordert, daB die Tone nicht gebunden, son- 
dern deutlich getrennt werden. Verschiedene Arten des 
St.s beim Klavierspiel werden durch den -> An- 
schlag (- 2) hervorgebracht. Bei den Streichinstrumen- 
ten wird das St. durch ruckweise Bogenfiihrung er- 
zielt, entweder mit stets wechselndem Strich (vor al- 
lem, wenn der Einzelton kraftiger betont werden soil, 
-> martellato) oder (vor allem bei schnellerem Tempo) 
indem viele Tone auf einen Strich genommen werden 
(im Aufstrichleichterausfiihrbar; »Virtuosen-St.«). Bei 
beiden St.-Arten verlaBt der Bogen im Unterschied 
zum Wurf- (-> spiccato) oder Springbogen (-»- sautil- 
le) die Saiten nicht. Das St. beim Gesang besteht in ei- 
nem SchlieBen der Stimmritze nach jedem Ton, so daB 
jeder neue Ton mit GlottisschluB hervorgebracht wird 
(-»■ Ansatz-2). 

Lit.: WaltherL; A. Kreutz, Die Staccatozeichen in d. 
Klaviermusik, Deutsche Tonkiinstlerzeitung XXXIV, 
1937/38; Die Bedeutung d. Zeichen Keil, Strich u. Punkt 
bei Mozart, hrsg. v. H. Albrecht, = Mw. Arbeiten X, 
Kassel 1957; U. Dannemann, Beobachtungen zum Stu- 
dium d. St. auf Streichinstr., Das Orch. XI, 1963. 

Stachel, auch Dorn, bei groBen Streichinstrumenten 
ein in eine Spitze auslaufender Stab, der aus dem unte- 
ren Teil der Zarge herausragt und auf den das Instru- 
ment beim Spielen gestellt wird. St. wurden spatestens 
seit dem 17. Jh. benutzt, doch wurde das Violoncello 
noch bis um 1850 mit den Waden gehalten und ohne 
St. gespielt. Durch Schwingungsiibertragung auf den 
FuBboden vergroBert der St. die Resonanzflache. 
Lit. : W. Trendelenburg, Die natiirlichen Grundlagen d. 
Kunst d. Streichinstrumentenspiels, Bin 1925; W. Pape, 
Die Entwicklung d. Violoncellspiels im 19. Jh., Diss. Saar- 
briicken 1962. 



Stadtpfeifer, von Stadten angestellte Instrumentisten; 
an kleineren Orten ein Meister, der zusammen mit sei- 
nen Gesellen eingesetzt wurde, an groBeren Orten die 
Gruppe der 4-8 Rats- oder Stadtmusiker. In den mei- 
sten Landern Mittel- und Westeuropas lassen sich be- 
reits im 14. und 15. Jh. stadtische Musiker nachweisen, 
doch wurden diese vielf ach nur fiir eine begrenzte Zeit 
angestellt und nur fiir einzelne Leistungen honoriert. 
Zu festen Institutionen wurden die St.eien in zahlrei- 
chen, auch kleineren Stadten in der 2. Halfte des 16. Jh., 
als Schulchore und Kantoreien zur Auffiihrung mehr- 
stimmiger Kirchenmusik die Unterstiitzung von In- 
strumentisten benotigten. Daneben gehorte es zu den 
Aufgaben der St., representative oder unterhaltende 
Musik bei stadtischen Feiern, Auf marschen, Fiirstenbe- 
suchen oder Ratszusammenkunften auszufiihren. In 
Universitatsstadten wirkten St. bei akademischen Feiern 
und Promotionen mit; in Residenzen verstarkten sie 
bei besonderen Gelegenheiten die Hofmusik. In kleine- 
ren Stadten behielt der St. aufierdem das Amt des Tiir- 
mers oder Hausmanns und muBte mit seinen Gesellen 
auf dem Turm des Rathauses oder der Kirche den 
Wachdienst ausfiihren, bei Feuer oder Gefahr Warn- 
signale geben und zu bestimmten Tageszeiten das 
-> Abblasen verrichten. Neben einer relativ geringen 
festen Besoldung bildete die Haupteinnahmequelle der 
St. das Aufspielen bei Hochzeiten und Geselligkeiten 
in Privathausern. Das Recht, hier auf zuwarten, war den 
S t.n ausdriicklich verbrief t worden. In kleineren Stadten 
muBte jeder, der andere Musiker beschaftigte, den St.n 
eine Abgabe entrichteri; an groBeren Orten waren den 
St.n die eintraglicheren Dienste vorbehalten. Neben 
ihnen gab es hier weitere Gruppen von zunftmaBig or- 
ganisierten Musikern (Kunstgeiger, Rollbriider u. a.), 
die bei besonderen Gelegenheiten die St. verstarken 
muBten. - Wahrend sich der Hof musiker seit dem 16. 
Jh. in zunehmendem MaBe spezialisieren konnte, zeich- 
nete sich der St. durch die Beherrschung aller Instru- 
mente, vor allem der Blasinstrumente, aus. Nach 5- bis 
ojahriger Ausbildung erfolgte nach Zunftbrauch in 
feierlicher Form die Lossprechung des Lehrjungen. Der 
Geselle konnte entweder weiter unter seinem Meister 
dienen oder sich auf eine oft jahrelange Wanderschaft 
begeben. Das Probespiel, durch das ein Geselle sich fiir 
den freigewordenen Posten eines St.s bewerben konn- 
te, zeigt ebenfalls Parallelen zu den Meisterpriifungen 
der Handwerker. Mit Stolz konnte sich ein St. als »fun- 
damentalischen Musicus« bezeichnen. Noch im 18. Jh. 
wurde von ihm in erster Linie Vielseitigkeit verlangt. 
(Der Trompetenvirtuose G. Reiche, der unter Bach in 
Leipzig tatig war, gehort zu den Ausnahmeerschei- 
nungen.) Das Auffiihrungsmaterial wurde dem St. 
normalerweise vom Rat zur Verfiigung gestellt. Nur 
wenige Komponisten sind St. gewesen oder aus der 
St.-Lehre hervorgegangen (wie J.Chr.Pezel, der sich 
1676 sogar um das Leipziger Thomaskantorat bewer- 
ben konnte, G. Reiche, J.Hintze, Fr.W.Zachow, J.J. 
Quantz; H.L.HaBler leitete nur voriibergehend die 
Nurnberger Ratsmusik, und J. Schop war vor seiner 
Hamburger Anstellung Hof musiker gewesen). Oft 
gingen die Sonne von St.n bei ihren Vatern in die Leh- 
re; an mehreren Orten haben Familien durch Gene- 
rationen hindurch das St.-Amt innegehabt (wie die 
»Bache« in Thiiringen). - Stets muBten sich die St. ge- 
gen die Konkurrenz von nicht privilegierten oder nicht 
als -y Zunft zusammengeschlossenen Musikern weh- 
ren. Zur Wahrung ihrer Privilegien schlossen sich 1653 
zahlreiche nord- und mitteldeutsche St.eien zu einer 
uberregionalen zunftahnlichen Organisation, dem vom 
deutschen Kaiser bestatigten Instrumental-Musicali- 
schen Collegium in dem ober- und niedersachsischen 



896 



Statistik 



Kreis, zusammen, vereinheitlichten die Lehrlingsaus- 
bildung und verpflichteten sich zu sittlichem Lebens- 
wandel sowie zum Verzicht auf die Benutzung aller 
»unehrlichen« Instrumente. - Parallel zum Niedergang 
des Zunftwesens setzte im 18. Jh. der Niedergang der 
St.eien ein. Mit dem Aufkommen des Liebhabermusi- 
zierens und des offentlichen Konzertwesens sank die 
Nachfrage nach privilegierter Unterhaltungsmusik; 
damit schwanden die Voraussetzungen fiir die wirt- 
schaftliche Existenz der St. In den neuen stadtischen 
Orchestern des 18. und 19. Jh. dominierten die Streich- 
instrumente. 

Lit.: A. Werner, Vier Jh. im Dienste d. Kirchenmusik, Lpz. 
1933; C. Anthon, Some Aspects of the Social Status of 
Ital. Musicians During the Sixteenth Cent., Journal of Re- 
naissance and Baroque Music 1, 1946/47 ; H. Engel, Musik 
u. Ges., Bin 1960. -J. Sittard, Gesch. d. Musik- u. d. Con- 
certwesens in Hbg, Altona u. Lpz. 1890; R. Wustmann, 
Mg. Lpz. I, Lpz. u. Bin 1909, 21926, II u. Ill v. A. Schering, 
Lpz. 1926-41 ; H. Rauschning, Gesch. d. Musik u. Musik- 
pflege in Danzig, = Quellen u. Darstellungen zur Gesch. 
WestpreuBens XV, Danzig 1931 ; H. Engel, Spielleute u. 
Hofmusiker im alten Stettin zu Anfang d. 17. Jh., in: Mu- 
sik in Pommern I, hrsg. v. Ver. zur Pflege Pommerscher 
Musik, Greifswald 1932; L. Kruger, Die Hamburgische 
Musikorganisation im 17. Jh., = Slgmw. Abh. XII, StraB- 
burg 1933; K. G. Fellerer, Ma. Musikleben d. Stadt 
Freiburg im Uechtland, = Freiburger Studien zur Mw. 
Ill, Regensburg 1935; W. Stahl (mit J. Hennings), Mg. 
Liibecks I, Kassel 1 95 1 ; G. Hempel, Das Ende d. Leipziger 
Ratsmusik im 19. Jh., AfMw XV, 1958; H. Zirnbauer u. 
Th. Wohnhaas in : Niirnberger Ratsmusik, = Veroff. d. 
Stadtbibl. Nurnberg I, Niirnberg 1959; H. P. Detlefsen, 
Mg. d. Stadt Flensburg, = Schriften d. Landesinst. f. Mu- 
sikforschung Kiel XI, Kassel 1961. MR 

Standchen, eine kurze Musik, welche man vor einem 
Hause oder Fenster stehend bringet (J. Chr. Adelung, 
Grammatisch-kritisches Worterbuch, 2 1801), urspriinglich 
als Huldigung fiir die Geliebte, seit dem 19. Jh. auch 
allgemein zu Ehren einer Person. In Deutschland sind 
Brauch und Bezeichnung in Studentenkreisen aufge- 
kommen (in der 1. Halfte des 17. Jh. z. B. fiir Witten- 
berg, Leipzig, Jena, Erfurt, Halle bezeugt; altester Be- 
leg des Begriffswortes bei Praetorius Synt. Ill, 18, un- 
ter dem Stichwort Serenata). Anders als im Italieni- 
schen (Serenata, Notturno) und Franzosischen (->■ Se- 
renade, auch -*■ Aubade) ist im Deutschen der Begriff 
des St.s weder auf eine bestimmte Tageszeit noch mu- 
sikalisch auf eine bestimmte Gattung festgelegt. Das 
St. kann daher im Vortrag eines Liedes, eines mehr- 
stimmigen Gesangstiicks, aber auch in rein instrumen- 
taler Musikdarbietung bestehen. Im Unterschied zu 
der fiir hofische Feste bestimmten Huldigungsmusik 
(-> Festmusik) hat das St., auch nach der Obertragung 
aus der studentischen in die biirgerliche Sphare, den 
Charakter des Privaten beibehalten. Seit Anfang des 
19. Jh. kommt St. haufig als Uberschrift von Liedern 
unci mehrstimmigen Gesangen vor (Schubert, Schu- 
mann, Brahms, Wolf, R.Strauss u. a.), sparer verein- 
zelt auch von Instrumentalstiicken. Beriihmte St.-Sze- 
nen in der Oper finden sich u. a. in Mozarts Die Ent- 
fiihrung aus dem Serail und Don Giovanni, in Berlioz' 
La damnation de Faust und Wagners Die Meistersinger 
von Nurnberg. 

Stagione (stad3'o:ne, ital.), Jahreszeit, Saison, insbe- 
sondere die Spielzeit der italienischen Operntheater; 
bedeutet auch s. v. w. Opernensemble, das fiir einen 
zeitlich begrenzten Spielplan zusammengestellt wird. 
Die St. in Italien war anfangs auf die Karnevalszeit 
(Carnevale Santo Stefano, 26. 12. - 30. 3.) beschrankt. 
Spater kamen noch 2 Spielzeiten hinzu, vom 2. Oster- 
feiertag bis 15. 6. (St. di Ascensione) und vom 1. 9. - 
30. 11. Ausnahmen machten die Hole bei Feierlichkei- 



ten. - Der St.-Betrieb ist auch im 19./20. Jh. fiir das 
italienische Operntheater kennzeichnend, ebenso fiir 
das Opernwesen in Spanien, Portugal und den USA. 

Stahlspiel^-Metallophon (-2). 

Stammakkord, Terminus der Harmonielehre, Ge- 
gensatz zu »abgeleitetem« Akkord. Gegeniiber den sehr 
unterschiedlichen Angaben iiber die Zahl der ange- 
nommenen St.e noch in den Lehrbuchern zu Anfang 
des 19. Jh. gelten heute als St.e der Harmonielehre nur 
der Dur- und der Mollakkord. 

Stantipes (lat.) -»■ Estampie. 

Statistik. Die urspriinglich vor allem auf eine Be- 
standsaufnahme staatswichtiger Sachverhalte wie Be- 
volkerungs- oder Wirtschaftszahlen gerichtete Diszi- 
plin (St. im Sinne von Staatslehre) gewann im 17. Jh. 
iiber einfaches Zahlen hinausgehende Ansatze und 
Methoden vornehmlich im Zusammenhang mit der 
Entwicklung der mathematischen Theorie der Wahr- 
scheinlichkeit; diese nahm u. a. bei Huygens mit sei- 
ner »Theorie des Zufalls« (1657) ihren Anfang. Etwa 
zur gleichen Zeit wurde die Sozial-St. durch Conring 
(Notitia rerumpublicarum, 1660) als Universitatsfach ein- 
gefiihrt. Es geht vor allem darum, aus bekannten Er- 
eignissen zuverlassige Vorhersagen auf unbekannte zu 
ermoglichen. Ausgangspunkt statistischer Uberlegun- 
gen bilden gezahlte oder gemessene Rohdaten. Da nicht 
immer samtliche Zahlen der »Grundgesamtheit« er- 
reichbar sind und man sie zumeist auch nicht braucht, 
wahlt man Stichproben aus, die bei »Normalverteilun- 
gen« etwa einer »GauBkurve« entsprechen und durch 
bestimmte »MaBzahlen« gekennzeichnet sind, deren 




Kurve der GauBschen Normalverteilung. 
wichtigste das arithmetische Mittel (M) (oder Durch- 
schnitt) und die Streuung a darstellen. Das arithmetische 
Mittel ergibt sich aus den beobachteten Werten (X) 

und deren Anzahl («) zu M x = •=-^, die Streuung urn 
den Mittelwert aus der Formel <s x = / — ^— - — ^-• 

Aus den Mefizahlen lassen sich Schliisse auf die -> Para- 
meter der Grundgesamtheit Ziehen. - Die St. dient in- 
nerhalb der Forschung vor allem dazu, das AusmaB 
von Ordnung bzw. RegelmaBigkeit von Strukturen, 
aber auch die VerlaBlichkeit von Unterschieden zwi- 
schen Merkmalen festzustellen. Als Grenze der Zuver- 
lassigkeit gilt im allgemeinen ein VerlaBlichkeits- oder 
Signifikanzniveau (a) von 5% (a = 0,05), was etwa be- 
deutet, daB bei lOOEntscheidungen mit 5 Fehlentschei- 
dungen gerechnet werden muB. Genauere Grenzen 
bieten das 1-Prozent- (a = 0,01) bzw. das 1-Promille- 
Niveau (a = 0,001). Fiir die statistische Uberpriifung 
von Unterschieden zwischen zwei Merkmalen steht 
eine Reihe von Verf ahren (Tests) zur Verf iigung. Rech- 
net man - wie besonders in der Psychologie - mit meh- 
reren Unterscheidungsfaktoren, so fallt die Priif ung der 
Differenzen in den Bereich der »Varianzanalyse«. 



57 



897 



Statistik 



Ganz allgemein wird man hinsichtlich der zu untersu- 
chenden Daten eine »Hypothese« formulieren, fiir die 
man eine Bestatigung (Verifikation) zu erbringen hofft. 
Oder man bildet eine »Nullhypothese«, deren Wider- 
legung (Falsification) man erwartet. Als Nullhypothese 
wird die Annahme bezeichnet, daB zwischen zwei Ge- 
gebenheiten kein korrelativer Zusammenhang besteht. 
Das AusmaB eines solchen Zusammenhangs kann 
mittels geeigneter mathematischer Operationen der 
»Korrelations-St.« berechnet werden. Es werden »Kor- 
relationskoe£fizienten« (r) ermittelt, die zwischen den 
Grenzen r = +1,00 (Identitat), r = 0,00 (Zufalligkeit, 
Bestatigung der Nullhypothese) und r = -1,00 (totale 
Gegensatzlichkeit) liegen. - Manche Fragen gehen in 
ihrer statistischen Problematik iiber die Korrelation 
von Merkmalspaaren hinaus; sie umfassen dann oft In- 
terkorrelationen groBerer Merkmalsgruppen. Auf der 
Suche nach iibergreifenden dimensionalen Ordnungen 
findet vor allem die im Bereich der Intelligenztests 
entwickelte, auf C.E. Spearman und L.L.Thurstone 
zuriickgehende »Faktoren-« oder »Dimensionsanalyse« 
ein weites Anwendungsgebiet. Innerhalb der Musik- 
wissenschaft wurde sie besonders bei der Bedeutungs- 
analy se von Klangf arben, Rhy thmen und Musikstiicken 
angewendet. Aktmtdt 







*>^ Manntich 

'Bizetx 
Carmen-Vorspiet o.e ■ 


Intetligenz^^*^^ 
Klossische Musm^^ 

T Bamckmusik n. 

TOn * .XV / \ 

•Musik X 






0.6- 


Harmonie • \ 




/ 0.i 

I • Triebhaftigkeit Tod* 


•Liebe ,Klan e \ 


i 


I •Larm 

•Gefahr 
Atonale Musik 
*»Belastiqung 


02- 


•Unterhaltungsmusik \ 

• GenuO „ A Handel \ 

•Weiblich Concerto grossoX \ 

op.6Nr7 \ 

•Romantische Musik \ 


s 


* -o.e -o,6 
Gerdusch 


-O.i -02 


1 1 1 1 1 — 

0.2 Of, 0.6 o.e 1 
1 






Ruhet 


" M tGemiit J 




\ »Ekel 












-0.4 1 






•Angst 


*E/nsamkeit / 

-0.6 / 

• Trauer / 






•Ungewiflheit 


-o,e yf 






V^ iangeweilem 





Faktorenanalytische Darstellung von Begriffsstereotypen und Musik- 
beispielen in den Dimensionen »Aktivitat« (mannlich) und »Kosmos- 
Chaos«. • = Beurteilungen von gtereotypen, x = Beurteilungen von 
klingenden Musikbeispielen mit der Methode des Polaritatsprofils 

(Osgood und Hofstatter). 
Die durch Mittelwert (M) und Streuung (a) gekenn- 
zeichnete Normalverteilung ist zwar der wichtigste 
Verteilungstyp von Zahlen. Oftjedoch weiB mannicht, 
ob diese Voraussetzung erfiillt ist. So wurden Prufver- 
f a"hren entwickelt, mit denen sich Verteilungen ohne die 
Voraussetzung der Kenntnis ihrer Form vergleichen 
lassen. Da es sich hier urn Vergleiche von Verteilungen, 
nicht aber von Parametern handelt, werden derartige 
Verfahren als non-parametrisch bezeichnet. - Im Rah- 
men der -*■ Informationstheorie werden auch musika- 
lische ElementargroBen als »Signale« aufgefaBt, deren 
statistisch ermittelte Haufigkeit des Auftretens Schliis- 
se auf ihren Inf ormationsgehalt zulaBt. 



Lit. : Ch. E. Osgood, G. J. Suci u. P. H. Tannenbaum, The 
Measurement of Meaning, Urbana (111.) 1957; P. R. Hof- 
statter u. H. Lubbert, Die Untersuchung v. Stereotypen 
mit Hilfe d. Polaritatsprofils, Zs. f. Markt- u. Meinungs- 
forschung I, 1957/58; ders. u. D. Wendt, Quantitative 
Methoden d. Psychologie, Munchen 2 1966; M. J. Moro- 
ney, Facts from Figures, = Pelican Books A 236, Har- 
mondworth (Middlesex) 1958; R. A. Fisher, Statistical 
Methods and Scientific Inference, Edinburgh 21959 ; H. H. 
Harman, Modern Factor Analysis, Chicago 1960; G. A. 
Lienert, Verteilungsfreie Methoden in d. Biost., Meisen- 
heim a. Gl. 1962; Qu. McNemar, Psychological Statistics, 
NY 3 1962; E. Mittenecker, Planung u. statistische Aus- 
wertung v. Experimenten, Wien *1963 ; A. Linder, Statisti- 
sche Methoden f. Naturwissenschaftler, Mediziner u. In- 
genieure, Basel 4 1 964; J. Pfanzagl, Allgemeine Methoden- 
lehre d. St., 2 Bde, = Slg Goschen Bd 746/746a u. 747/747a, 
Bin 2 1964-66; E. Weber, GrundriB d. biologischen St., Je- 
na 5 1964; J. P. Guilford, Fundamental Statistics in Psy- 
chology and Education, NY 41 965 ; O. W. Haseloff u. H.J. 
Hoffmann, KleinesLehrbuch d. St., Bln21965. HPR 

Steg (ital., ponticello, Briickchen; frz. chevalet; engl. 
bridge; am Steg -*■ sul ponticello), im 18. Jh. auch Sat- 
tel (L.Mozart 1756), begrenzt bei Saiteninstrumente'n 
die Lange des schwingenden Teils der Saiten und iiber- 
tragt zugleich deren Schwingungen auf die Decke des 
Corpus. Bei den Streichinstrumenten der 
Violinf amilie (-> Viola da braccio) ist der 
St. aus hartem Holz (Ahorn, auch Buche) 
kunstvoll gesagt und geschnitzt; er steht 
(nur vom Druck der dariiberlaufenden 
Saiten gehalten) aufrecht auf der Decke 
des Corpus, deren Wolbung seine FiiBe 
genau angepaBt sind. Die ornamentalen 
Aussparungen in der Mitte und an den 
Seiten erleichtern den St. und reduzieren 
ihn auf seine statisch wichtigen Teile. Er 
reguliert die Hohe der Saiten sowohl 
iiber dem Corpus (bei gleichbleibender 
Saitenspannung wachst mit zunehmen- 
der Hohe des St.es der auf das Corpus 
ausgeiibte Druck) als auch iiber dem 
Griffbrett und beeinfluBt durch seine Stel- 
lung die -> Mensur (- 1) der Saiten; 
durch Material, Gewicht und Form des 
St.es ist der Klang des Instruments nach- 
haltig zu beeinflussen (vgl. z. B. L.Mo- 
zart 1756). Die fiir die Violininstrumente 
typische Form des St.es wurde durch A. 
Stradivari gef unden, doch wurden im 19. 
Jh. seine Hohe und die obere Wolbung 
verandert (-»• Violine). Fiedel, Lira da 
braccio und die Violen (-> Viola da gam- 
ba - 1) weisen St.e in einfacherer Form 
auf; ganz flache St.e haben u. a. Sister, 
Mandoline, Banjo und Balalaika. Beim 
Trumscheit ruht ein FuB des St.es nur 
lose auf der Decke und erzeugt ein 
schwirrendes Gerausch. Bei einigen In- 
strumenten (u. a. ->■ Crwth) ist ein FuB 
des St.es verlangert und durch das Corpus bis zum Bo- 
den gefuhrt; er iibernimmt damit gleichzeitig die Auf- 
gabe des -»■ Stimmstocks (- 1). - Bei Laute und Gitarre 
sind die Funktionen von Saitenhalter und St. in einem 
auf die Decke geleimten Querriegel vereinigt. Bei be- 
saiteten Tasteninstrumenten ist der St. eine auf den Re- 
sonanzboden aufgeleimte Leiste, iiber die die Saiten in 
einem flachen Winkel (oder doppelt gewinkelt) lauf en. 
Lit.: K. Skeaping, The Karl Schreinzer Collection of Vio- 
lin Fittings, in : Music, Libraries and Instr. , = Hinrichsen's 
IV Music Book, 1961. 



Stegreifausfiihrung ->- Improvisation. 



898 



Sticheron 



Steiermark (Osterreich). 

Lit. : F. Bischof, Beitr. zur Gesch. d. Musikpflege in St., 
Mitt. d. hist. Ver. f. St. XXXVII, 1889; H. Federhofer, 
Zur Pflege ma. Mehrstimmigkeit im Benediktinerstift St. 
Lambrecht, Anzeiger d. Osterreichischen Akad. d. Wiss. 
LXXXIV, 1947; ders., Denkmaler d. ars nova in Vorau 
Cod. 380, Leoben, Blatter f. Heimatkunde XXIV, 1950; 
ders., Die Musikpflege an d. St. Jakobskirche in Leoben, 
Mf IV, 1951 ; ders., Die alteste schriftliche Oberlieferung 
deutscher geistlicher Lieder in St., Kgr.-Ber. Wien 1954; 
O. Wessely, Zur Frage nach d. Herkunf t Arnolds v. Bruck, 
Anzeiger d. Osterreichischen Akad. d. Wiss. XCII, 1955; 
K. G. Fellerer, Der Kampf um d. kirchenmus. Reformen 
in d. St., Musica sacra LXXVI, (Koln) 1956; W. Irten- 
kauf, Das Seckauer Cantionarium v. Jahre 1345 (Hs. Graz 
756), Af Mw XIII, 1956 ; ders., Die Weihnachtskomplet im 
Jahre 1 345 in Seckau, MflX, 1 956; A. Kracher, Der Steier- 
markische Minnesang, Zs. d. hist. Ver. f. St. XLVII, 1956; 
R. Federhofer-Konigs, Zur Musikpflege in d. Wallf ahrts- 
kirche v. Mariazell/St., KmJb XLI, 1957 ; dies, (mit H. Fe- 
derhofer), Mehrstimmigkeit in d. Augustiner-Chorherren- 
stift Seckau (St.), KmJb XLH, 1958; dies., W. Khainer u. 
seine »musica choralis« KmJb XLIII, 1959; O. Wonisch, 
Die Theaterkultur d. Stiftes St. Lambrecht, Graz 1957; 
P. Fank, Das Chorherrenstift Vorau, Vorau 2 1959; Musik 
aus d. St., hrsg. v. A. Michl u. W. Suppan, Wien 1959ff.; 
W. Suppan, Frau Musica in d. St., in : Grenzland St., Graz 
1959 ; ders., Das mus. Leben in Aussee v. 1 3. bis zum Aus- 
gangd. 19. Jh.,Blatterf. Heimatkunde XXXV, 1961;ders., 
GrundriB einer Gesch. d. Tanzes in d. St., Zs. d. hist. Ver. 
f. St. LIV, 1963; ders., 15 Jahre steierische Musikfor- 
schung, Blatter f. Heimatkunde XXXVII, 1963 ; ders., Stei- 
risches Musiklexikon, Graz 1966; K. Rappold, Die Ent- 
wicklung d. MSnnerchorwesens in d. St., Diss. Graz 1962. 

Steinspiel -> Lithophone. 

Stereophonie bezeichnet eine elektroakustische Uber- 
tragungstechnik, die mit Hilfe zweier oder mehrerer 
Ubertragungskanale bei der Wiedergabe von Schall- 
ereignissen ein hohes MaB an Plastizitat und Pragnanz 
des Klangeindrucks hervorruf t. Die Technik der St. be- 
ruht auf der sehr fein ausgebildeten Fahigkeit des Aus- 
einanderhaltens von Schallereignissen verschiedener 
Herkunftsrichtung (-»• Richtungshoren) infolge des 
Zusammenwirkens beider Ohren und des Reizleitungs- 
systems. Mit Hilfe zweier (oder mehrerer) Mikrophone 
lassen sich geniigend Informationen iibertragen, um in 
Kopfhorern oder Lautsprechern, die in bestimmtem 
Abstand nebeneinanderstehen, im einfachsten Fall die 
ursprunglichen Herkunftsrichtungen von Schallereig- 
nissen als virtuelle Schallrichtung wieder erscheinen zu 
lassen. Fur die Musikiibertragung hat die reine Rich- 
tungslokalisation nur untergeordnete Bedeutung ge- 
geniiber der mit zwei- oder mehrkanaliger Ubertra- 
gung einhergehenden gesteigerten Plastizitat. Gute 
Stereoiibertragungen von Musik nehmen in ungleich 
starkerem MaBe gefangen als die Ubertragung her- 
kommlicher Wiedergabe iiber nur einen Kanal (»mon- 
aurale Obertragung«; -»■ High Fidelity). Bei stereo- 
phonischen Aufnahmen kennt man vor allem die so- 
genannte »Links-rechts«-Anordnung : hier stehen die 
Mikrophone entweder in gewissem Abstand neben- 
einander (»AB-St.«) oder in der Empfangsrichtung ein 
wenig verdreht iibereinander (»YX-St.«) ; ein kompli- 
zierteres technisches Verfahren, das die Informationen 
eines nach vorn gerichteten Mikrophons mit Nieren- 
charakteristik (-> Mikrophon) und die eines seitlich 
gerichteten mit Achtercharakteristik verbindet, wird 
als »MS-St.« bezeichnet. Stereophonische Wiedergabe 
ist mit Kopfhorern oder mit Lautsprechern moglich. 
Bei Lautsprecherwiedergabe rechnet man im allgemei- 
nen mit einem optimalen Eindruck, wenn die Auf stel- 
lungsorte beider Lautsprecher mit dem Platz des Horers 
etwa ein gleichseitiges Dreieck ergeben. Stereophoni- 
sche Kopfhoreriibertragung wurde erstmalig 1881 in 



Paris durch Cl.Ader unternommen. Weitere Ver- 
suche - vor allem mit Lautsprechern - folgten in den 
1920er Jahren u. a. durch H. C. Steidle in Miinchen, in 
den 30er Jahren vornehmlich in den USA (Fletcher, 
Steinberg, Snow u. a.). In Berlin wurde die St. 1938 
erstmals durch H. Warncke im Tonfilm und durch E. 
Thienhaus im Konzertsaal (zur Verstarkung klang- 
schwacher Instrumente) eingesetzt. Kurz nach Kriegs- 
ende begannen Versuche zu stereophonischer Magnet- 
bandaufzeichnung (Schuller und Brandt). Die Einfiih- 
rung der St.-Schallplatte gegen Ende der 50er Jahre 
und des St.-Rundfunks (1963) hat diesem Ubertra- 
gungsmodus zum Durchbruch verholfen. 
Lit.: Fr. Kuhne u. K. Tetzner, Kleines Stereo-Prakti- 
kum, = Radio-Praktiker-Bucherei XCVH/XCVIH, Miin- 
chen (1960); H. Brauns, Stereotechnik, Stuttgart (1961); 
F. Trendelenburg, Einfuhrung in d. Akustik, Bin, Got- 
tingen u. Heidelberg 31961; E. P. Pils, Rundfunk-St., 
Stuttgart (1964); H.-P. Reinecke, Stereo- Akustik, Koln 
1966. HPR 

Sterzing, Vipiteno (Siidtirol). 
Lit. : I. v. Zingerle, Ber. iiber d. St.er Miscellaneen-Hs., 
Sb. Wien LIV, 1866; C. Fischnaler, Beitr. zur Gesch. d. 
Pfarre St., Zs. d. Ferdinandeums f. Tirol u. Vorarlberg 
XXVIII, Innsbruck 1884; ders., Die Volksspiele zu St. im 
15. u. 16. Jh.,ebenda XXXVIII, 1894; O.v. Zingerle, Aus 
d. St.er Miscellaneen-Hs., Mitt. d. Inst. f. Oesterreichische 
Geschichtsforschung X, 1889; J. E. Wackernell, Alt- 
deutsche Passionsspiele aus Tirol, = Quellen u. Forschun- 
gen zur Gesch., Lit. u. Sprache Osterreichs I, Graz 1897; 
E. A. Schuler, Die Musik d. Osterfeiern, Osterspiele u. 
Passionen d. MA, Kassel 1951. 

Stettin. 

Lit.: R. Schwartz, Zur Gesch. d. Musikantenzunft im 
alten St., Lpz. 1898; H. Engel, Spielleute u. Hofmusiker 
im alten St. zu Anfang d. 17. Jh., in: Musik in Pommern I, 
hrsg. v. Ver. zur Pflege Pommerscher Musik, Greifswald 
1932; W. Freytag, Mg. d. Stadt St. im 18. Jh., = Pom- 
mernforschung V, 2, Bamberg 1936; W. Kowalewski, 
Z zycia muzycznego Szczecina (»Aus d. St.er Musikle- 
ben«), Muzyka V, 1954. 

Sticheron (von griech. <jtIx°?. Vers) heiBt im -»■ By- 
zantinischen Gesang ein -> Troparion, dessen Vortrag 
zwischen die Verse eines Psalms oder eines anderen bib- 
lischen Textes eingeschoben wird. Oft erhalt es nach 
dem zugehorigen Text einen besonderen Namen; so 
heiBt ein St. zu den Seligpreisungen Makarismon, ein 
St. zu dem EiAoytjtdg el xvgie (aus Psalm 118) Euloge- 
tarion. Ein St. idiomelon (automelon) ist mit einer ei- 
genen Melodie versehen; ein St. prosomoion (»glei- 
ches« St.) ubernimmt dagegen eine bereits vorhandene . 
Melodie. Nach seinem Text heiBt das St. Martyrikon 
(auf Martyrer), Nekrosimon (auf die Toten), Anapau- 
simon (Bitte um die ewige Ruhe fur die Toten), Ana- 
stasimon (auf die Auferstehung Christi), Staurosimon' 
(auf das Kreuz) usw. Ein St., das im Offizium einer 
Doxologie f olgt, heiBt Doxastikon. Besondere Zusam- 
menstellungen von Psalmversen und Stichera ergeben 
das Antiphonon. Neben den Stichera von gewohnli- 
cher oder besonders groBer Lange gibt es auch einige 
sehr kurze Stichera; sie heiBen Syntoma (»kurze«). Die 
charakteristische Melodik der Stichera bildet einen ei- 
genen, mehr oder weniger syllabischen Stil, das Genos 
sticherarikon. Jedoch finden sich nicht selten auch Sti- 
chera, die mit Riicksicht auf dieErfordernisse des Offi- 
ziums oder auf das Stilideal ihrer Zeit in einem f remden 
Stil, meist im reich verzierten Genos kalophonikon, 
ausgef tihrt sind. In den liturgischen Biichern ohne Neu- 
men sind die Stichera in der Liturgie nach ihrer Stel- 
lung eingeordnet. In der musikalischen Uberlieferung 
bilden sie eine eigene Sammlung, das Sticherarion, das 
nach folgendem Plan angelegt ist: Stichera der kalen- 
dermaBig bestimmten Feste, Stichera der beweghchen 



57* 



899 



Stil 



Feste, Oktoechos. Wenn fiir das gleiche Fest mehrere 
Stichera vorhanden sind, folgt ihre Anordnung dem 
Tonartensystem. 

Stil (ital. stile; von lat. stilus, Griffel) bedeutet inner- 
halb der Literatur und Rhetorik bereits in romischer 
Zeit (Attizismus) die Art des Schreibens (modus scriben- 
di) bzw. des Redens (genus dicendi). In musikalischen 
Zusammenhangen tritt das Wort zuerst um 1600 in 
Italien auf im Sinne von Art und Weise (maniera, usan- 
za, modo) und gewohnlich in Verbindungen, die all- 
gemeine Kategorien oder Gattungen der Musik oder 
enger bestimmte musikalische Techniken oder Satz- 
arten bezeichnen. Im Gesichtskreis stand dabei nur die 
jeweils gegenwartige Musik. Bereits P.Pontio (Ragio- 
namento di musica, 1588, S. 1533.) spricht analog zu 
Zarlinos maniera di comporre (Istitutioni harmoniche, 1558) 
vom stile oder modo der Motette oder Messe, des 
Madrigals oder Ricercars usw., wobei z. B. der Motet- 
ten-St. als grave, et quieto und als stilo grave charak- 
terisiert wird, im Unterschied zum stilo da madrigale, 
der vor allem durch den moto veloce bestimmt ist. 
Unter Berufung auf Zarlino nennt Zacconi (Prattica di 
musica 11,1622) stile auch die personlichen Eigenarten 
im Satz; dieser entstehe durch den jeweils verschiede- 
nen Anteil von arte, modulatione, diletto, tessitura, 
contraponto, inventione e buona dispositione. Doch 
erst im AnschluB an die neue Sprachvertonung der 
->■ Monodie um 1600, den stile oder genere rappresen- 
tativo bzw. recitativo, setzte sich der Begriff des St.s im 
fachsprachlichen Gebrauch von Italien aus auch in 
Deutschland durch. Die gesteigerte, leidenschaftliche 
Erregtheit vor allem der instrumentalen Abschnitte sei- 
nes Combattimento di Tancredi e Clorinda (1624) in genere 
rappresentativo nannte Monteverdi stile concitato und 
stellte ihn dem stile molle e temperato der f ruheren Mu- 
sik gegeniiber (Vorrede zum VIII. Madrigalbuch, 1638). 
Ahnlich zueinander verhalten sich, auf die Sprachver- 
tonung bezogen, die -*■ Prima pratica und die vom 
gesteigerten Affekt getragene -*■ Seconda pratica Mon- 
teverdis. In Verbindung mit der neuen Musik um 1600 
iibernahm Praetorius (Synt. Ill) die St.-Bezeichnungen 
und versteht allgemein unter Stylus den Satz (die Weise 
vndArt) eines Stiickes, dessen Studium der GeneralbaB- 
begleitung vorauszugehen habe (III, 138). Ebenfalls auf 
die Satztechnik bezogen, spricht H. Schiitz vom iiber 
den Bassum Continuum concertirenden Stylus Compositionis 
aus Italia, als dessen Voraussetzung er den kontrapunk- 
tischen St. ohne den Bassum Continuum ansieht (Vorre- 
de zur Geistlichen Chor-Music, 1648); im choraliter re- 
denden St. des Evangelisten in der Weihnachtshistorie 
1664 (Vorrede) adaptierte er den 1st. Choral, im Stylo 
oratorio der Kleinen geistlichen Concerte (1636) den ita- 
lienischen Stile recitativo. Wohl angeregt von Schiitz 
und ausgehend von der in Italien um 1600 entstehen- 
den Unterscheidung zwischen strengem kontrapunkti- 
schem Satz (Motette, Messe) und neuer Musik (Con- 
certo, Monodie, GeneralbaB), Stilo antico und moder- 
no (z. B. G.B.Doni, Discorso, 1635), baute Chr. Bern- 
hard (Tractatus compositionis augmentatus, um 1660) eine 
Satzlehre auf. Er unterteilt den Kontrapunkt in Contra- 
punctus bzw. Stylus gravis oder antiquus (auch Stylus 
a capella ecclesiasticus), den strengen Satz z. B. Palestri- 
nas, fiir den die Harmonia orationis domina ist, und in 
Contrapunctus bzw. Stylus luxurians oder modernus, 
den freien Satz (auch der Instrumentalmusik, 21 . Kap.), 
dem -*■ Figuren-Lehre und ->■ Affektenlehre zugeord- 
net sind. Innerhalb der letztgenannten Satzart unter- 
scheidet Bernhard den Stylus communis, in dem so- 
wohl Oratio als auch Harmonia mafigeblich sind, und 
den Stylus comicus bzw. theatralis, dessen Extrem der 



Stylus recitativus oder oratorius ist, erfunden eine Rede 
in Music fiirzustellen. 

Die um 1650 aufkommende allgemein-spekulative 
Einteilung der Musik in St.e nach Zweck, Gattung, 
Personlichkeit, Landschaft und Gemiitsverfassung, vor 
allem durch A.Kircher (Musurgia, 1650), dessen System 
der St.e weiteste Verbreitung fand, wurzelt einerseits 
in der Polaritat von Kontrapunkt und GeneralbaB 
nach 1600, andererseits in der spatmittelalterlichen Mu- 
sikeinteilung, wie diejenige bei Johannes de Grocheo 
(um 1280) in Musica ecclesiastica (liturgische Einstim- 
migkeit), Musica composita oder mensurata (mehr- 
stimmige geisdiche Musik) und Musica vulgaris (1st. 
Tanz- und Spielmannsmusik). Durch Gemiits- und 
Geistesverfassung des Menschen bedingt ist nach Kir- 
cher der Stylus impressus, durch Kompositionsart und 
Affektgehalt der Stylus expressus. Kircher unterschei- 
det ferner zwischen Stylus ecclesiasticus, canonicus, 
motecticus, phantasticus, madrigalescus, melismaticus, 
choraicus sive theatralis und symphoniacus und spricht 
den Italienern den allervollkommensten und temperiertesten 
stylum zu. Weitgehend von Kircher abhangig sind 
Brossard (1703) und J.G.Walther (1732) in ihren St.- 
Kategorien. Seit etwa 1700 jedoch setzte sich statt des 
spekulativen Systems immer mehr die empirische Ein- 
teilung in Kirchen-, Kammer- und Theater-St. durch 
(Mattheson, Ehren-Pforte, 1740), ferner die Unterschei- 
dung von National-St.en, vor allem des »welschen« 
und »frantzosischen« St.s (Mattheson, ebenda), die 
Konstituierung des als Charakteristikum der deutschen 
Instrumentalmusik angesehenen »vermischten Ge- 
schmacks« (Quantz Versuch, 1752) und die Erorterung 
von Personlichkeits-St.n. Das Wort St. - um 1750 oft 
durch Geschmack oder Gout ersetzt - bedeutet dabei 
nichts anderes als Setz- oder Schreibart; sein Gebrauch 
zur Benennung auf f allender Pragungen der Tonsprache 
beruht mehr auf dem Consensus omnium als auf ge- 
naueren Beschreibungen der St.-Eigentiimlichkeiten. 
Doch gibt es im 17. und 18. Jh. auch aufs Technische 
gerichtete St.-Bezeichnungen. So heiBt der aus der Na- 
tur des Instruments resultierende spezifische Lautensatz 
bei D. Gaultier (Pieces de luth, 1669) style brise (ge- 
brochener St.), was besagt, daB die Verbindung von 
Melodie und Harmonie durch arpeggierenden Satz 
zustande kommt, der z. B. auch auf Orgel oder Cem- 
balo ubertragbar ist. Als Style coupe bezeichnet Kirn- 
berger (Kunst des reinen Satzes 1, 1774, S. 109) den neuen 
Satz aus kurzen melodischen Gliedern und vomehm- 
lich Zweitaktgruppierungen. In diese Kategorie von 
St.-Begriffen, obwohl nicht so sehr auf die Satzstruk- 
tur bezogen, gehort spater auch der Style enorme, den 
Berlioz fiir sich in Atispruch nahm, und der sich vor 
allem auf die gehauften Mittel in seiner Musik bezieht. 
Im Sinne des noch heute gebrauchlichen Begrifis des 
Auffiihrungs-St.s definiertej. A. Scheibe (Critischer Mu- 
sicus, 1745, S. 139) den St. als gewisse Manier des mu- 
sikalischen Vortrags. Im AnschluB an die allgemeinen 
St.-Einteilungen unterscheidet J.N.Forkel (Uber die 
Theorie der Musik, 1777, und Allgemeine Geschichte der 
Music I, 1788, Einleitung) auBer dem Kirchen-, Kam- 
mer- und Theater-St. (hinsichtlich ihrer Anwendung 
und ihres Gebrauchs) auch einen hohen, mitderen und 
niederen St. (hinsichtUch ihres inneren Wesens). Gegen 
Ende des 18. Jh. verschwanden mit dem Wandel der 
Musik allmahlich auch die St. -Kategorien der. General- 
baBzeit, und neben dem urspriinglichen Wortsinn 
(maniera) , der bis heute gilt, erhielt das Wort einen neuen 
Sinn, der sich im wissenschaftlichen St.-Begrifi des 19. 
Jh. manifestiert. Dieser entstand offenbar auf Grund der 
Adaptierung des St.-Begriffs fiir die bildende Kunst der 
Antike durch Winckelmann (1756) und fiihrte - zu- 



900 



Stil 



nachst bezogen auf die mehr f ormale Art der Darstel- 
lung - zur Konzeption der historischen Zeit-St.e. 
Der neue St.-Begriff wurde in der Musik faBbar, als 
um 1830 auch die Musik der Vergangenheit in den 
Gesichtskreis trat. Er besagt allgemein, daB alle For- 
mungen eines historischen St.s von einer inneren Ein- 
heit durchdrungen, von iiberzeugender Geschlossen- 
heit und Verbindlichkeit sind. Auch in der Musik be- 
zieht sich der neue St.-Begrifl auf die unmittelbar 
wahrnehmbare Formung, weshalb er oft synonym mit 
»Charakter« gebraucht wird. Er erscheint zuerst in der 
Asthetik (E.Hanslick, Vom Musikalisch-SMnen, 1854; 
Fr.Th.Vischer, Asthetik, 1857). Den historischen Be- 
griff vorbereitet hat der in der Musik schon im 17. und 
18. Jh. gebrauchliche Begriff des Personlichkeits-St.s. 
Unter dem Gesichtspunkt der iiberragenden Person- 
lichkeit periodisierte daher die angehende Musik- 
geschichtsschreibung (Hawkins, Burney, Forkel, C.v. 
Winterfeld). In Wechselwirkung mit dem St.-Begriff 
entstanden die Begriffe »Inhalt« und »Form« (-* Aus- 
druck) und damit die Trennung von Asthetik und 
streng technischer Lehre. Diese Grundlagen und Kri- 
terien musikalischer Betrachtung standen bereits test, 
ebenso die Hauptepochen der Musikgeschichte nach 
kompositionstechnischen, regionalen und allgemein 
geschichtlichen Gesichtspunkten, als G.Adler im An- 
schluB an die Kunstgeschichte (A. Riegl, A. Schmarsow, 
H.Wolfflin) die Musikgeschichte als St.-Geschichte 
proklamierte. Musikalischer St. wird dabei gefaBt als 
zeit-, gattungs- und personlichkeitsbedingtes einheit- 
liches Geprage, wie es in der Art und Weise der Ver- 
wendung der Kompositions- bzw. St.-Mittel (Form, 
Harmonik, Melodik, Rhythmik) in Erscheinung tritt, 
wobei als St.-Momentyeife konstant auftretende musikali- 
sche Formung (Biicken/Mies, S. 220) gilt. Die Methode 
der St.-Kritik ist infolge der geforderten (Adler) und 
auch durchgefuhrten Trennung von Form- und In- 
haltsanalyse stark formal ausgerichtet und arbeitet 
hauptsachlich mit dem St.-Vergleich, der insbesondere 
die Melodik (Motivik, Thematik) ins Auge faBt. Die 
Hauptauf gabe der Wissenschaft sieht die St.-Geschich- 
te in der Aufdeckung der Entwicklungsreihen mit Wife von 
St.-Kriterien (Adler). Der ebenfalls aus der Kunstge- 
schichte ubernommene Grundgedanke ist die Darstel- 
lung der fiir die St.e charakteristischen Formungen als 
kontinuierliche Entwicklung. Im Unterschied zur 
Kunstgeschichte aber kam es innerhalb der Musikwis- 
senschaft weniger zu eigenen, aus der historischen For- 
schung selbst gewonnenen St.-Kriterien ; vielmehr ver- 
band sich der moderne St.-Begriff einerseits mit den 
seit etwa 1600 in der Musik gebrauchlichen St.-Eintei- 
lungen und satztechnischen Bezeichnungen (monodi- 
scher, polyphoner, homophoner St.), die man zum 
Teil nun als Zeit-St.e deutete, andererseits mit der als 
allgemein giiltig angenommenen musikalisch-techni- 
schen Nomenklatur von Harmonie- und Formenlehre, 
die die eigentlichen St.-Kriterien lieferten. Zudem 
wurden musikalische Epochenbegriffe aus der Kunst- 
geschichte (Renaissance, Barock, Rokoko, Klassik, 
Klassizismus, Biedermeier, Impressionismus u. a.), aus 
der Literaturgeschichte (Romantik, Sturm und Drang, 
Klassik) und aus der allgemeinen Geschichte (z. B. Mit- 
telalter, Altertum) entlehnt. Keine eigentlichen St.- 
Bezeichnungen, sondern Epochenbegriffe nach pri- 
mar satztechnischen Erscheinungen sind z. B. H.Rie- 
manns »durchimitierender Vokal-St.« (15./16. Jh.) und 
»GeneralbaBzeitalter« (17. Jh.) oder Handschins »Zeit 
des konzertierenden St.s« (17./18. Jh.). Wahrend den 
Haupteinschnitten der Musikgeschichte (um 900, um 
1600, um 1750, um 1830 und um 1900) immer dann 
Rechnung getragen wird, wenn Epochenbegriffe nach 



satztechnischen Erscheinungen gebildet werden, ergibt 
die St.-Periodisierung infolge der divergierenden Ge- 
sichtspunkte (Satztechnik, Gattung, iiberragende Mu- 
sikerpersonlichkeit) betrachtliche Differenzen und 
Uberschneidungen. So ist der als Einheit empfundene 
»Wiener klassische St.« - von Riemann (Handbuch der 
Musikgeschichte) innerhalb der »Mannheimer St.-Re- 
form« behandelt - unscharf abgegrenzt einerseits vom 
Rokoko, vom -*■ Galanten St., -*■ Empfindsamen St. 
und »klassizistischen« St. (Paisiello, Cimarosa), den 3 
Haupt-St.en des 18. Jh. (nach Biicken), andererseits von 
der Romantik. Die im 18. Jh. vor allem technisch (in 
bezug auf den freieren Satz) gemeinte Bezeichnung 
»galante Schreibart«, die J.A.Scheibe (Critischer Musi- 
cus, 15. Stuck) aus dem italienischen Theater-St. ab- 
leitet, wird dabei mehr kulturhistorisch verstanden: 
auf Grund dieses »ideal esthetique« charakterisierten 
z. B. Wyzewa-St. Foix das Schaffen W. A. Mozarts von 
1774-76. Dagegen erhob G.Adler in konkret musika- 
lisch-technischem Sinn Beethovens eigene Bezeichnung 
-> Obligates Akkompagnement zum St.-Kriterium fiir 
dessen Spat-St. - Gegeniiber der Annahme sich iiber- 
lagernder Zeit- Gattungs-, Personal-St.e und ihrer 
unbegrenzt moglichen Diflerenzierungen (z. B. Land- 
schafts-, Werk-, Spat-St.), wodurch gerade der Kern 
des St.-Begriffs, namlich die innere Einheit des St.s, der 
Forschung zu entgleiten droht, ist bemerkenswert Ad- 
lers Erwagung einer Periodisierung nach Notationen, 
wie sie besonders von J. Wolf fiir -»■ Ars antiqua und 
-*■ Ars nova durchgefuhrt wurde. Die musikalische St.- 
Geschichte, die in ihrer letzten, mehr nach dem Vorbild 
der Philologie orientierten Phase noch heute beherr- 
schend ist, zeitigte seit Riemann und Adler eine Viel- 
f alt oft erheblich voneinander abweichender Methoden 
und erarbeitete u. a. auch grundlegende satztechnische 
Kriterien. Erst in einer zweiten Phase der Musikfor- 
schung (seit etwa 1925) verschob sich voriibergehend 
das Gewicht auf kunst- und kulturhistorische St.-Be- 
griffe. Im engeren Sinne auf das Klangbild der Musik 
bezogen, sprechen W.Gurlitt (1926) und A. Schering 
(1927) von historischen Klang-St.en, wobei Schering 
grundsatzlich zwischen Spaltklang (Gotik, 17. Jh.) und 
Klangverschmelzung (16. Jh.) unterscheidet. Kein Ab- 
gehen von den Grundlagen und Zielen der St.-Geschich- 
te brachten Kretzschmars auf W. Dilthey zuriickgehen- 
de -»■ Hermeneutik (»Satzasthetik«, auf Affektenlehre 
beruhend) und Musikgeschichte nach Gattungen, die 
aber als feste »Formen« (z. B. Symphonie, Konzert, 
Sonate, Kantate usw.) verstanden wurden. Angeregt 
durch literarhistorisch-physiologische Arbeiten von 
Sievers und Saran sowie durch die Rutzsche -*■ Typo- 
logie und Riemanns System der Metrik und Rhythmik, 
suchte G. Becking rhythmische Kriterien zur St.-Ana- 
lyse vor allem des Personal-St.s zu gewinnen. Da fiir 
die Wissenschaft als St.-Geschichte die Untersuchung 
des St.s im Vordergrund steht, kommt der Werkana- 
lyse eine mehr sekundare Bedeutung zu. In neuerer 
Zeit zeichnet sich deutlich die Tendenz ab, von ent- 
lehnten St.-Begriffen abzugehen (Handschin). Eine an- 
dersgeartete Fragestellung, namlich nach den konstitu- 
tiven Elementen des St.s, der Kompositionstechnik, er- 
gibt die Notwendigkeit, die Musik aus ihren eigenen 
Grundlagen zu begreifen, Methoden zur Untersuchung 
des musikalischen Satzes zu entwickeln(Jeppesen), eine 
historisch fundierte (d. h. nicht mehr allein auf den Kri- 
terien von Harmonie- und Formenlehre basierende) 
Werkanalyse zu betreiben und die historisch wirksa- 
men Kompositionsgattungen aufzuspiiren und zu ver- 
folgen. Wesentlich zu dieser Wendung trug bei, daB 
der St.-Begriff, der die Annahme eines in der Erschei- 
nungsform einheitlichen Zeit-St.s voraussetzt, offen- 



901 



Stimmbildung 



sichtlich nicht mehr zum Verstandnis der Musik im 
20. Jh. ausreicht. 

Lit.: A. Riegl, Stilfragen, Bin 1893, 21923; H. H. Parry, 
Style in Mus. Art, Oxford 1900, London 2191 1 ; A. Schmar- 
sow, Grundbegriffe d. Kunstgesch., Lpz. 1905; J. Com- 
barieu, La musique. Ses lois, son evolution, Paris 1907 ; H. 
Riemann, Kleines Hdb. d. Mg., mit Periodisierung nach 
Stilprinzipien u. Formen, Lpz. 1908, 31919, 81951; G. 
Adler, Der St. in d. Musik I, Lpz. 1911, 21929; ders., 
Methode in d. Mg., Lpz. 1919 ; ders., Style-Criticism, MQ 
XX, 1934; M. Emmanuel, Hist, de la langue mus., 2 Bde, 
Paris 1911, 21928; W. R. Worringer, Abstraktion u. Ein- 
fuhlung. Ein Beitr. zur Stilpsychologie, Munchen 1911, 
NA 1948, engl. London 1953; W. Fischer, Zur Entwick- 
lungsgesch. d.Wienerklass.St., StMwIII, 1915; H. Wolff- 
lin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, Munchen 1915; 
C. Sachs, Barockmusik, JbP XXVI, 1919; ders., The 
Commonwealth of Art, NY 1956; K. Meyer, Zum Stil- 
problem in d. Musik, ZfMw V, 1922/23 ; E. Bucken u. P. 
Mies, Grundlagen, Methoden u. Aufgaben d. mus. Stil- 
kunde, ebenda; Kn. Jeppesen, Palestrinast. .... Kopen- 
hagen 1923, deutsch als: Der Palestrinast. u. d. Dissonanz, 
Lpz., 1925, engl. Kopenhagen u. London 1927, 21946; E. 
Bucken, Zur Frage d. Begrenzung u. Benennung d. 
St.-Wandlung im 18. Jh., Kgr.-Ber. Lpz. 1925; P. Mies, 
Werdegang u. Eigenschaften d. Definition in d. mus. Stil- 
kunde, Kgr.-Ber. Lpz. 1925 ; W. Gurlitt, Die Wandlungen 
d. Klangideals d. Org. im Lichte d; Mg., Ber. iiber d. Frei- 
burger Tagung f. deutsche Orgelkunst, Augsburg 1926, 
Neudruck in: Mg. u. Gegenwart II, = BzAfMw II, Wies- 
baden 1966; E. Katz, Die mus. Stilbegriffe d. 17. Jh., Diss. 
Freiburg i. Br. 1926; Th. Kroyer, Zwischen Renaissance 
u. Barock, JbP XXXIV, 1927; A. Schering, Hist. u. natio- 
nal Klangst., ebenda; G. Becking, Der mus. Rhythmus 
als Erkenntnisquelle, Augsburg 1928, Nachdruck Darm- 
stadt 1958 ; E. Wellesz, Renaissance u. Barock, ZfMw XI, 
1928/29; M. Friedland, Zeitst. u. Personlichkeitsst. in d. 
Variationswerken d. mus. Romantik, = Slg mw. Einzel- 
darstellungen XIV, Lpz. 1930; E. M. v. Hornbostel, Ge- 
staltpsychologisches zur Stilkritik, in: Studien zur Mg., 
Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; E. Closson, Du style, AMI 
HI, 1931 ; W. Danckert, Ursymbole melodischer Gestal- 
tung, Kassel 1932; H. Birtner, Renaissance u. Klassik in 
d. Musik, Fs. Th. Kroyer, Regensburg 1933; O. Ursprung, 
Stilvollendung, ebenda; ders., Die asthetischen Katego- 
rien Kirchlich-Religios-Weltlich u. ihr mus. St., ZfMw 
XVII, 1935; E. Rebling, Die soziologischen Grundlagen 
d. Stilwandlung d. Musik in Deutschland um d. Mitte d. 1 8. 
Jh., Diss. Bin 1935; W. Werkmeister, Der Stilwandel in 
deutscher Dichtung u. Musik d. 18. Jh., = Neue deutsche 
Forschungen XCVII, Abt. Mw. IV, Bin 1936; H. Rosen- 
berg, On the Analysis of Style, AMI IX, 1937; R. Halle 
Rowen, Some 18°>-Cent. Classifications of Mus. Style, MQ 
XXXIII, 1 947 ; G. v. D adelsen, Alter St. u. alte Techniken 
in d. Musik d. 19. Jh., Diss. Bin 1951, maschr.; B. Meier, 
Alter u. neuer St. in lat. textierten Werken v. O. di Lasso, 
AfMw XV, 1958; St. Lobaczewska, Style muzyczne, 2 
Bde, Krakau 1960-62; Z, Lissa, t)ber d. nationalen St., 
Beitr. zur Mw. VI, 1964; W. Vetter, H. Wolff lin u. d. mus. 
Stilforschung, Fs. H. Engel, Kassel 1964; R. L. Crocker, 
A Hist, of Mus. Style, NY (1966). StK 

Stimmbildung bedeutet die Schulung der naturgege- 
benen Stimmfunktionen. Ihr Zweck ist, die gesamte 
fiir den Sanger erforderliche Muskeltatigkeit (Atmung, 
Kehlkopf- und Stimmbandbewegung, Stellung der 
Mund- und Rachenhohle, Artikulation) unter Aus- 
nutzung samtlicher Resonanzmoglichkeiten im Scha- 
delbereich optimal zu spannen und zu entspannen, d. h. 
in der Sprache des Sangers, den richtigen Sitz der Stim- 
me zuerlangen. Ein wichtiges Ziel der St. ist die reine 
Intonation, die auch bei einer klangschonen und trag- 
f ahigen Stimme im allgemeinen nur durch Ausbildung 
erreicht werden kann. Erforderlich ist St. nicht nur 
fiir Sanger, Chorleiter, Schul- und Kirchenmusiker, 
sondern auch fiir Redner. Sie bildet einen wesentlichen 
Teil des Gesangunterrichts auch in der Schule. - Im ein- 
zelnen beginnt die St. mit der Erarbeitung einer be- 
wuBten Atemtechnik und einer gelockerten sangeri- 



schen Korperhaltung. Die wichtigste Lehrmethode ist 
die unmittelbare Nachahmung. Da die entscheidenden 
Muskelfunktionen von Kehlkopf und Stimmbandern 
(-> Stimme - 2) nicht willkurlich beeinfluBt werden 
konnen, halt die allgemeine Gesangspadagogik deren 
BewuBtmachen sogar fiir schadlich. Sie arbeitet gro- 
Benteils mit Bildern und Vorstellungen, die der Schiiler 
in Klang umzusetzen hat. Gleichzeitig mit dem Sitz der 
Stimme wird die Erarbeitung des Stimmumfangs ge- 
schult. Dabei werden die Vokale in Tonleitern, gebro- 
chenen Dreiklangen und kurzen Melodiefloskeln auf 
stufenweise wechselnder Tonhohe geiibt. Konsonan- 
ten und Konsonantengruppen treten als erhohter 
Schwierigkeitsgrad hinzu. Zum Auslasten der Reso- 
nanz werden vielfach Summtone angewandt. - Die St. 
kann schon in friihem jugendlichem Alter beginnen. 
Die gesunde Kinderstimme wird sich bei entsprechend 
vorsichtiger Leistung und Bewahrung vor Oberschrei- 
en organisch zu einer locker schwingenden und der in- 
dividuellen Veranlagung entsprechenden klaren und 
klangschonen Stimme entfalten; dabei ist die Knaben- 
stimme wahrend der ->■ Mutierung strikt zu schonen, 
bedarf jedoch der gelegentlichen Oberwachung durch 
einen Stimmbildner (z. B. Schulmusiker). - In vielen 
Fallen treten durch Oberforderung des Stimmappara- 
tes, falsche Sprechgewohnheiten oder seelische Ver- 
krampfungen mehr oder weniger deutliche Klangfeh- 
ler oder auch Stimmschadigungen auf. Hier muB die 
St. Heilung, zumindest Umerziehung anstreben. - 
Als Gesangsetiiden stehen heute noch an erster Stelle 
die Vocalisen- und -*■ Solf ege-Hef te von G. Concone 
(25 lecons de chant de moyenne difficult^ op. 10; 30 exer- 
cicespour la voix op. 11; 50 lecons de chant pour voix haute; 
15 vocalises pour soprano ou mezzo-soprano; 40 lecons de 
chant specialement composies pour voix de basse ou de bary- 
ton) und H.Panofka (24 vocalises progressives op. 85; 12 
vocalises d' artiste op. 86; Erholung und Studium op. 87; 
86 nouveaux exercices op. 88; 12 Vokalisen fiir Bafi op. 
90), daneben L.Riccis Variazioni - cadenze - tradizioni 
(mit Obungen aus dem Opernrepertoire, Mailand 
1937,21941). 

Lit.: J. MOller, t)ber d. Compensation d. physischen 
Crafte am menschlichen Stimmorgan, Bin 1839; J. Hey, 
Deutscher Gesangsunterricht, 4 Teile, Mainz (1881), 4 H., 
Mainz (1885ff.); L. Lehmann, Meine Gesangskunst, Bin 
1902, 31922, Nachdruck Wiesbaden 1961, engl. v. R. Al- 
drich als : How to Sing, NY u. London 1902, 3 1 924 u. 1 949, 
frz. v. E. Naegely als: Mon art du chant, Paris 1911 ; K. 
Scheidemantel, St., Lpz. 1907, 71920; ders., Gesangsbil- 
dung, Lpz. 1913, engl. v. Carlyle 21913 ; Fr. Martienssen- 
Lohmann, Das bewuBte Singen, Lpz. 1923, 31951 ; dies., 
Der wissende Sanger, Zurich u. Freiburg i. Br. 1956; Kl. 
Schlaffhorst u. H. Andersen, Atmung u. Stimme, Wol- 
f enbuttel 1 928, neu hrsg. v. W. Menzel (1 950); P. Lohmann, 
DiesangerischeEinstellung,Lpz.l929;DERS.,Stimmfehler- 
Stimmberatung, Mainz (1938); P. Neumann, Die stimm- 
liche Erziehung d. Chores, Regensburg 1936, 21950; J. 
Forchhammer, St. auf stimm- u. sprachphysiologischer 
Grundlage, 3 Bde, Munchen 1937-38; A. Greiner, St., 5 
Bde, Mainz (1938, 21952), Auszug als: Wegweiser durch d. 
St., Mainz (1949); V. A. Fields, Training the Singing Voice, 
NY 1947; J. Kemper, Stimmpflege, = Bausteine II, Mainz 
(1952) ; W. Ehmann, Chorische St., Kassel 1953, 21956; G. 
Baum, Die Stimmbildungslehre d. Dr. J. Nadolovitch, 
Hbg 1955; ders., Hussons Thesen u. d. Gesangspraxis, 
Musik im Unterricht (Allgemeine Ausg.) XLIX, 1958; 
ders., Die biihnentaugliche Singst., ebenda LII, 1961 ; R. 
Luchsinger u. G. E. Arnold, Lehrbuch d. St.- u. Sprech- 
heilkunde, Wien 21959 ; R. Husson, La voix chantee, Paris 
1960; O. Iro, Diagnostik u. Padagogik d. St., Wiesbaden 
1961 ; E. Rossi, Neue Grundlagen f. d. Sprech- u. Gesangs- 
unterricht, Munchen u. Basel 1965. 

Stimmbogen (engl. crooks, shanks; frz. corps de re- 
change ; ital. ritorti ; span, tonillos) sind gebogene Rohr- 



902 



Stimme 



stiicke, mit deren Hilfe die Stimmung von Naturhor- 
nern und -trompeten verandert werden konnte. Es 
handelt sich entweder um kreisformig in einer vollen 
Windung gebogene St. (Krummbbgen; Praetorius 
Synt. II: Krumbbugel), die von Fall zu Fall zwischen 
Mundstiick und Corpus eingesetzt werden konnten 
(-»■ Waldhorn), oder um U-formige St. (Aufsteckbo- 
gen), die einen austauschbaren Teil des Corpus bilde- 
ten (-»■ Inventionshorn). Setzstiicke heifien bei J.E. Al- 
tenburg (1795) kurze gerade Rohrstiicke, die zwischen 
Mundstiick und Corpus eingesetzt wurden. 

Stimmbruch -> Mutierung. 

Stimmbiicher (engl. part books), die separat geschrie- 
benen oder gedruckten Parte (Stimmen) mehrstimmi- 
ger Kompositionen. Die fruheste Handschrift in St.n ist 
das Glogauer Liederbuch (um 1480; Stimmen: Dis- 
cantus, Tenores, Contratenores; -* Quellen: Glog). Im 

16. Jh. verdrangten die St. rasch den als Gruppencodex 
angelegten -»■ Chansonnier, dessen Vorbild noch Pe- 
trucci und Antiquis in ihren Drucken weltlicher Musik 
folgten. In St.n druckte Petrucci (wohl mit Riicksicht 
auf die groBe Besetzung) liturgische Musik, blieb je- 
doch mit diesem Vorgehen allein. Im allgemeinen setz- 
ten sich die St. zuerst in der weltlichen und nichtlitur- 
gisch-geistlichen Musik durch; liturgische Musik wur- 
de bis ins friihe 17. Jh. vielerorts in ein -> Chorbuch 
eingetragen. Partiturdrucke waren bis um 1590 selten, 
und noch im 18. Jh. wurden Kammer- und Orchester- 
werke oft nur in Stimmen gedruckt. Beim Komponie- 
ren wurde die ->• Tabula compositoria oder die -*■ Par- 
titur benutzt; zum Spiel auf Akkordinstrumenten wur- 
de die Komposition intavoliert, d. h. in ->■ Tabula- 
tur (- 1) abgesetzt. Fur die einfache auBere Anlage wie 
fur das Repertoire der St. war maBgebend, daB sie iiber- 
wiegend fiir das gesellige Musizieren der Stadtbiirger 
und Studenten sowie fiir Schiilerchore und Kantorei- 
gesellschaften bestimmt waren. Wie Abbildungen zei- 
gen, musizierten oft Sanger und Instrumentalisten ge- 
meinsam aus einem Stimmbuch. 

Stimme. - 1) Das deutsche Wort St. wird in friihen 
Belegen wie lat. -»■ vox fiir den Einzelton verwendet. 
Fiir den mehrstimmigen Satz manifestiert sich in der 
Obernahme der Bezeichnung St. (und vox) fiir alles, 
was von einem der Beteiligten ausgefiihrt wird, die 
Tatsache, daB ein solcher Bestandteil des Satzes, dessen 
Verlauf von Ton zu Ton durch Beriicksichtigung der 
Intervalle zu den ubrigen St.n bedingt wird, ein sinn- 
volles Ganzes von moglichst selbstandigem Charakter 
ergeben soil (-»• Discantus, -> Stimmfiihrung). Von 
Einstimmigkeit in strengem Sinne kann nur die Rede 
sein, wo diese vor dem Hintergrund einer mehrstimmi- 
gen Praxis steht, wie die 1st. Kompositionen seit dem 

17. Jh., die zum Teil »Scheinpolyphonie« zeigen. Die 
Liedkunst des Mittelalters dagegen steht weitgehend 
selbstandig neben der gleichzeitigen Mehrstimmigkeit, 
und bei der Ubernahme einer Melodie als -»■ Funda- 
mentum oder -*■ Cantus firmus eines mehrstimmigen 
Satzes liegt meist eine Bearbeitung vor, die die Rhyth- 
mik und zum Teil auch den melodischen Verlauf oft 
tiefgreifend verandert. Bei volkstiimlicher und auBer- 
europaischer Praxis, die der Mehrstimmigkeit nahe- 
kommt, muB in jedem Falle gepriift werden, ob ein 
Ausfuhrender seinen Anteil, z. B. einen -> Bordun, als 
St. versteht (-> Polyphonie). - In der friihesten Mehr- 
stimmigkeit heiBt die Grund-St. -> Cantus (- 1 ; auch 
vox principalis, vox praecedens), die Gegen-St. ->• Or- 
ganum (vox organalis, vox subsequens). Als Bezeich- 
nungsfragment von Organum duplum usw. biirgerten 
sich fiir die Ober-St.n des Organum -»■ Duplum, 



-> Triplum und -»■ Quadruplum ein. In der Motette 
erhielt der mensural zubereitete Cantus den Namen 
-»■ Tenor (- 1), das textierte Duplum die Bezeichnung 
Motetus. Als Gegenstiick zum Motettensatz mit dem 
Tenor als Fundamentum entstand in der franzosischen 
Ars nova des 14. Jh. der -»• Kantilenensatz, dessen tex- 
tierte Ober-St., in den Handschriften meist ohne Be- 
nennung, die Bezeichnung Cantus iibernahm; als dritte 
St. konnte ein -> Contratenor in der Lage des Tenors 
hinzutreten. Das 2st. Geriist von Tenor und -*■ Diskant 
wurde im 15. Jh. durch die Aufspaltung des Contra- 
tenors in -»■ Alt (- 1) und -> BaB (- 1) zur Vierstim- 
migkeit erweitert, die bis heute in der Satzlehre nor- 
mative Gultigkeit behielt. Fiir die Ober-St. biirgerte 
sich seit dem 15. Jh. auch die Bezeichnung -> So- 
pran (- 1) ein. In der englischen Musik des Mittelal- 
ters hieBen die 4 Normal-St.n Plainsong, -»■ Meane, 
-»• Treble und Quatreble. Auch -*■ Faburden - wie auf 
dem Kontinent -*■ Fauxbourdon - wird in einigen Quel- 
len als St.n-Bezeichnung verstanden. Beim Uberschrei- 
ten der normalen Vierstimmigkeit wurden die zusatzli- 
chen St.n entweder als Bassus II usw. bezeichnet oder 
als -> Quintus (auch Quinta vox), Sextus usw. gezahlt; 
in der deutschen Uberlieferung des 16. Jh. kommt auch 
die Stimmbezeichnung ->• Vagans vor. Neben dem 
traditionellen mehrstimmigen Satz mit dem in der Mit- 
te liegenden Tenor als Fundamentum entwickelte sich 
im Laufe des 16. Jh., zuerst in volkstiimlichen Lied- 
satzen, eine neue Satzweise, die von -»■ Ober- und Un- 
ter-St. (Sopran als Melodie-St., BaB als Klangtrager) 
ausgeht und die -> Mittel-St.n als zweitrangige -» Fiill- 
Stn behandelt. Das Verhaltnis der St.n eines Satzes zu- 
einander war bis um 1600 das von -> Lagen-St.n, seit- 
her im Vokalsatz das von -> Stimmgattungen (Stimm- 
lagen). Als mittlere Stimmlagen kamen in neuerer Zeit 
zwischen BaB und Tenor der -* Bariton (- 2), zwi- 
schen Alt und Sopran der ->■ Mezzosopran hinzu. In der 
franzosischen Musik des 17. Jh. wurden vornehmlich 
die Bezeichnungen Basse, -»■ Concordant, -> Taille, 
-> Haute-contre und ->■ Dessus verwendet. Fiir den 
Alt blieb in Italien, Frankreich und England bis heute 
die italienische Form Contralto gebrauchlich; die von 
falsettierenden Manner-St.n ausgefiihrte St. in Alt- 
lage heiBt in England -*■ Countertenor. In der Oper 
wurden die Charakteristiken der Stimmgattungen zur 
Unterscheidung einer groBeren Zahl von -> Stimm- 
fachern verfeinert. Der instrumentale Satz iibernahm 
im 17. Jh. haufig noch Stimmumfange und -lagen des 
Vokalsatzes mit Bezeichnungen wie Altus jnstrumen- 
talis usw. Daneben entwickelte sich in zunehmendem 
MaBe ein eigenstandiger Instrumentalsatz, fiir den nur 
noch die in den Instrumenten selbst liegenden Mog- 
lichkeiten und Grenzen maBgebend sind. Wurden bis 
um 1600 nur die kompositorisch gtiltigen St.n notiert, 
zu denen nach dem Belieben der Ausfiihrenden Klang- 
verstarkungen mit zum Teil abweichender Stimmfiih- 
rung hinzutreten konnten, so werden seit dem 17. Jh. 
in der Regel Parte (-»■ Stimmbiicher) fiir alle Mitwir- 
kenden ausgeschrieben, auch wenn einzelne unter ihnen 
weitgehend iibereinstimmen, wie z. B. im -> General- 
baB und ->• Basso seguente. Unterschieden werden nun- 
mehr die solistischen von den mehrfach besetzten St.n 
(auch vokal mit Instrumenten ->■ colla voce) der Ca- 
pella (-> Kapelle) oder des Chorus (-> Mehrchorig- 
keit), Concertat-, Principal- und Ripien-, Solo-, Melo- 
die- und Begleit- obligate St.n und ad libitum-, Haupt- 
und Neben-, reale und Fiill-St.n. Im Streichquartett- 
und Orchestersatz der Wiener Klassik ist die Kontinui- 
tat eines Instrumentalparts als (Satz-)St. oft auf gehoben, 
da beim haufigen Wechsel der St.n-Kombinationen je- 
des Instrument eine jeweils andere Rolle iibernehmen 



903 



Stimme 



kann. Die -> Durchbrochene Arbeit des spaten Beetho- 
ven, Brahms' und Mahlers bezieht den Wechsel des In- 
struments in die Darstellung einer Melodie ein und 
bereitete damit Schonbergs -> Klangfarbenmelodie 
sowie die Auflosung der St.n-Zusammenhange in der 
neuesten Musik vor. - St. heifien auch der -> Stimm- 
stock (- 1) der Violine und die -*■ Register (- 1) der 
Orgel. 

- 2) Die Funktion der menschlichen St. beruht auf 
nervenphysiologischen, organischen und akustischen 
Vorgangen. Die systematischeErforschung der stimm- 
physiologischen Ablauf e begann mit den Untersuchun- 
gen des Anatomen A.Vesalius (1514-64), wahrend 
der eigentliche Begriinder dieses experimentellen For- 
schungszweiges A.Ferrein ist, der bereits 1741 seine 
Beobachtungen an Hundekehlkopfen beschreibt. La- 
ryngoskopie, Rontgenologic und elektroakustische 
Untersuchungen haben zu neueren Ergebnissen ge- 
f iihrt. - Unter alien am Stimmablauf beteiligten Orga- 
nen - Lunge, Bronchien, Trachea (Windraum) ; Kehl- 
kopf mit Stimmlippen; Mund-, Nasenraum (Ansatz- 




zustand die Spannung der Stimmlippen letzten Endes 
abhangt. Der Begriff Stimmlippen ist im anatomischen 
Sinn vom Begriff Stimmbander (ligamenta vocalia) ab- 
gegrenzt. Das Knorpelgeriist des Kehlkopfes wird an 
seiner Unterseite durch einen zum Kehlkopf hin sich 
verengenden elastischen Schlauch (conus elasticus) ge- 
geniiber der Trachea beweglich gemacht. Die (elasti- 
schen) Banderziige am oberen Rande der Innenseite des 
Conus elasticus werden als Stimmbander bezeichnet, die 
an den Banderziigen auf tretenden Wiilste mit ihren Mus- 
keln als Stimmlippen. Die Innervation der Kehlkopf- 
muskeln erfolgt iiber zwei Nerven, von denen der 
doppelseitige Nervus recurrens die motorischen Fa- 
sern versorgt. Durch periodische Unterbrechung des 
Stimmlippenverschlusses wird die aus dem Wind- 
raum stromende Luft zu Schwingungen erregt. Bei 
diesem Vorgang lost nicht allein der subglottale Luft- 
strom die locker geschlossenen Stimmlippen, sondern 
vor allem die aktive, durch den Nervus recurrens be- 
wirkte Spannung, derhierbei UbermittlerneutralerEin- 
fliisse ist (neuromuskulare Theorie). Die Schwingun- 

2) 




Conus elasticus 



Muscutus 

crico - thyreoideus 



Muscutus 

crico - arytaenoideus 

lateralis 



Muscuti 

crico - arytaenoidei 

dorsales 



Ringknorpel 



rohr) - hat der Kehlkopf (Abbildung 1 ; nach Lullies) 
zentrale Bedeutung. Er schlieBt das Ansatzrohr vom 
Windraum ab und ist damit primar Schutzorgan fiir 
die Lunge, sekundar der eigentliche Stimmerzeuger. Das 
Skelett des Kehlkopfes sitzt dem obersten Tracheal- 
halbring auf und besteht aus Knorpeln, durch Bander 
miteinander verbunden, von denen Ring-, Schild- und 
Stellknorpel gegeneinander beweglich sind und die 
zwischen ihnen straff aufgehangten Stimmlippen span- 
nen. Stell- und Ringknorpel besitzen dazu unter sich 
gelenkige Verbindungen fiir eine dreifache Stellungs- 
anderung, deren Kombination die fein abgestufte Ver- 
anderung der Stimmritze (-*■ Glottis) ermoglicht. Die 
Bewegungen des Kehlkopfes beim Schluckvorgang 
und bei der Phonation bewirkt eine Vielzahl aufierst 
schnell beweglicher Muskeln, unter denen als die zwei 
wichtigsten zu nennen sind: der Ring-Schildknorpel- 
muskel (musculus crico-thyreoideus), der eine Langen- 
anderung und passive Spannung der Stimmlippen be- 
wirkt, und der Musculus vocalis, der direkt in ihnen 
liegt (siehe Abbildung 2) und von dessen Kontraktions- 



gen des von den Stimmlippen unter- 
brochenen trachealen Luftstroms fiih- 
ren zu Schwingungen der in Mund- 
und Nasenraum enthaltenen Luft. Die- 
ser Raum - obere Grenze der Stimm- 
lippen, Mundhohle mit den Organ- 
teilen und der aufieren Zungenmusku- 
latur bis zu Mundlippen unci NasenofE- 
nungen - wird als Ansatzrohr bezeich- 
net, dessen Beschaffenheit und Veran- 
derung die St. modifiziert und be- 
stimmte Schwingungen verstarkt. Im 
Ansatzrohr liegt fiir den Sanger das 
»Geheimnis« einer tragfahigen und schonen St. - Kehl- 
kopf und Ansatzrohr sind mit dem auBeren Luftraum 
gekoppelt, wobei die Ruckstrahlung der Schwingungs- 
energien bis auf die Stimmlippen iibertragen wird, die 
fiir jede Veranderung der Impedanz (Druck/SchallfluB) 
empfindlich sind. Besonders die Abnahme der Impe- 
danzbeieinem Stimmablauf, oderallgemein eineschwa- 
che Impedanz, belastet die Stimmlippen und beeinfluBt 
die Atmung. So ist die Ermiidung der Sprech-St., bei 
der eine zu groBer Impedanz f iihrende Koppelung nicht 
moglich ist, groBer als die der Sing-St. (obwohl der 
subglottale Druck hier viel starker ist). Der Sanger 
liebt Raume, die gut »ansprechen«, d. h. in denen sich 
eine groBe Impedanz einstellt. Die direkte Beobach- 
tung der Stimmlippenschwingungen wird seit M. 
Garcia durch den Kehlkopfspiegel, ihre Frequenzmes- 
sung seit 1878 durch die von M.J. Oertel angewandte 
Stroboskopie ermoglicht. - Die Atmung ist primar ei- 
ne natiirliche Funktion des StofEwechsels, die durch Be- 
wegungen des Zwerchfells und der Rippen zustande 
kommt. Zum Atmungsmechanismus gehoren : Brust- 



904 



Stimmfiihrung 



korb mit Wirbelsaule, Rippen und Brustbein ; Zwerch- 
f ell ; Brustraum, ausgefiillt durch Lungen, Herz und 
die sogenannten groBen GefaBe. Ober den Atmungs- 
traktus - Nase und Mund, Rachen, Kehlkopf, Luft- 
rohre, Bronchien und Bronchiolen - stromt die AuBen- 
luft in die Lungenblaschen ein, die den lebensnotwen- 
digen Gasaustausch vornehmen. Beim Einatmen er- 
weitert sich der Brustkorb. Das Zwerchfell, das quer 
(zwerch) zwischen Brust- und Bauchhohle liegt, senkt 
sich, wahrend das lockere Gewebe der Lunge passiv 
ausgedehnt, und der durch den so entstandenen Un- 
terdruck einstromenden Luft Raum gegeben wird. 
Beim Ausatmen verengt sich der Brustraum durch 
Rippensenkung, die Lungenblaschen Ziehen sich zu- 
sammen, und der Uberdruck zwingt die Luft zum 
Austreten. Das Zwerchfell kehrt passiv in seine Aus- 
gangsstellung zuriick. Zwischen Aus- und Einatmen 
ist eine Pause, in der Lunge und Zwerchfell locker sind. 
Messungen iiber das Luftvolumen (Spirometrie u. a.) 
werden von Physiologen und Phonetikern unternom- 
men. Der Mediziner beriicksichtigt dabei nur das Ge- 
samtfassungsvermogen der Lunge, wahrend der Pho- 
netiker den durchschnittlichen Luftverbrauch beim 
Sprechen und Singen mifit, ferner Atmungsbewegun- 
gen, -frequenz (16—18 Atemziige pro Minute bei Ruhe) 
und -druck untersucht. Anstelle der f riiheren Forderun- 
gen nach getrennter Hoch- oder Flankenatmung wird 
in neuerer Zeit eine Verbindung der einzelnen At- 
mungsarten zu einem gemeinsamen Ablauf angestrebt, 
bei dem aber der Tatigkeit des Zwerchfells stets zen- 
trale Bedeutung zukommt. 

Lit. : zu 2) : J. N. Czermak, Der Kehlkopfspiegel u. seine 
Verwendung f . Physiologie u. Medizin, Arch, f . Sprach- u. 
Stimmphysiologie, Lpz. 1860, 2 1863; P. Grutzner, Phy- 
siologie d. St. u. Sprache, in : Hdb. d. Physiologie I, hrsg. v. 
L. Hermann, Lpz. 1879; M. J. Oertel, Das Laryngostro- 
boskop u. d. laryngostroboskopische Untersuchung, Arch, 
f. Laryngologie u. Rhinologie III, 1895; Th. S. Flatau, 
Laryngoskopie . . . , in : Beitr. zur Anatomie, Physiologie, 
Pathologie u. Therapie d. Ohres, d. Nase u. d. Halses III, 
hrsg. v. A. Passow u. K. L. Schaefer, Bin 1910; G. Panco- 
celli-Calzia, Autophonoskop . . . , Zs. f . Laryngologie, 
Rhinologie, Otologie u. ihre Grenzgebiete IV, 1914; ders., 
Ober d. heutigen Stand d. Laryngo-Endoskopie . . . , eben- 
da XIV, 1926; ders., Die Stimmatmung. Das Neue - Das 
Alte, Nova Acta Leopoldina, N. F. XVIII, 1956; A. Seif- 
fert, Untersuchungsmethoden d. Kehlkopfes, in: Hdb. d. 
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde- 1, Bin u. Munchen 1925; H. 
Stern, Stimmlippenfunktionsfrage - Resonanzfrage . . . , 
Monatsschrift f. Ohrenheilkunde u. Laryngo-Rhinologie 
(Osterreich) LXI, 1927; F. Trendelenburg, Physiologi- 
sche Untersuchungen iiber d. Stimmklangbildung, Sb. d. 
PreuBischen Akad. d. Wiss., Physikalisch-mathematische 
Klasse, Jg. 1935/36; W. Trendelenburg, Frequenz u. 
Dekrement d. Eigenschwingungen d. Mundhohle bei Vo- 
kalstellungen, ebenda; ders., Ober d. Frage d. Koppe- 
lung zwischen Ansatzrohr u. Windrohr beim menschlichen 
Stimmorgan, = Abh. d. PreuBischen Akad. d. Wiss., Nr 9, 
Bin 1940; ders. u. H. Wullstein, Untersuchungen fiber d. 
Stimmbandschwingungen, Sb. d. PreuBischen Akad. d. 
Wiss., Physikalisch-mathematische Klasse, Jg. 1935/36; R. 
Husson, Etude des phenomenes physiologiques fonda- 
mentaux de la voix chantee, Paris 1950; H. Lullies, Phy- 
siologie d. St. u. Sprache, in: Lehrbuch d. Physiologie, 
hrsg. v. W. Trendelenburg u. E. Schiitz, Bin, Gdttingen u. 
Heidelberg 1953 ; Fr. Winckel, Physikalische Kriterien f. 
objektive Stimmbeurteilung, Folia phoniatrica V, 1953 ; R. 
Luchsinger, Physiologie d. St., ebenda; ders. u. B. Ka- 
gen, Bemerkungen zur neuro-muskularen Theorie R. Hus- 
sons, ebenda; H. Rein, Einfiihrung in d. Physiologie d. 
Menschen, ebenda 12 1956; O. v. Essen, Allgemeineu. ange- 
wandtePhonetik,Bln 2 1957. fur Stimme (- 2) :WiD 

Stimmer (engl. drone), dieBordunpfeif en der -*Sack- 
pfeife. 



Stimmfacher sind die Unterteilungen der Stimm- 
gattungen (Sopran, Alt, Tenor, Bariton, BaB), die sich 
in der Opernpraxis herausgebildet haben, z. B. lyri- 
scher -* Tenor (- 2) und Heldentenor oder lyrischer 
-> Sopran (- 2), -»- Soubrette usw. Die Grenzen zwi- 
schen ihnen sind jedoch flieBend, so daB manche Par- 
tien von den Vertretern verschiedener Facher gesungen 
werden konnen. Auch werden neuerdings immer hau- 
figer Partien entsprechend der darstellerischen Ver- 
anlagung und der Ausstrahlungskraft eines Sangers 
besetzt. 

Stimmfiihrung (engl. part-writing, in den USA als 
[umstrittene] Lehniibersetzung aus dem Deutschen 
auch voice-leading; frz. conduite des voix), in der mu- 
sikalischen Satzlehre die einzelnen Schritte der am Satz 
beteiligten Stimmen in ihrem Verhaltnis sowohl zu den 
vorangegangenen und nachfolgenden Schritten in der- 
selben Stimme als auch zu den gleichzeitigen Fort- 
schreitungen der anderen Stimmen. St. heiBt auBerdem 
das diese Schritte bestimmende, kodifizierbare Prinzip. 
Von St. kann nur bei einer Musik gesprochen werden, 
fur die auch der Begriff -»- Stimme (- 1) anwendbar 
ist. Je nach den unterschiedlichen Qualitaten der Stim- 
men (reale Stimme, Fiillstimme) und nach ihren ver- 
schiedenen Aufgaben im Satz (Ober-, Mittel-, Funda- 
ment-, Begleitstimme) gelten fur die St. unterschied- 
liche Leitvorstellungen bzw. Regeln. Grundsatzlich hat 
sich die St. sowohl den Gesetzen der -»• Melodie als 
auch denen des Zusammenklangs unterzuordnen. Eine 
gute St. beriicksichtigt auBerdem die Spieltechnik auf 
den Instrumenten (z. B. die-*-Lagen -3 beimStreich- 
instrumentenspiel) und die ->- Register (- 3) der Sing- 
stimmen. - Die Art der St. ist ein wichtiges Kriterium 
fur die Unterscheidung verschiedener Satzarten. Einer- 
seits kann die Einzelstimme als melodisch selbstandiges 
Gebilde innerhalb des Satzganzen in den Vordergrund 
treten und das Zusammenwirken mehrerer individuel- 
lerEinzelstimmen sich am Konsonanz-Dissonanz- Ver- 
haltnis orientieren (intervallischer bzw. kontrapunkti- 
scher Satz); andererseits kann die Einzelstimme ihre 
Eigenstandigkeit weitgehend verlieren im Stimmver- 
band eines vom vertikal-akkordischen Prinzip be- 
stimmten Satzes, der (sei es in seiner Eigenschaft als 
Stiitze einer melodief iihrenden Oberstimme oder durch 
seine funktional bedingte Akkordfolge) die St. iiber- 
wiegend nach klanglich-harmonischen Gesetzen regelt. 
Da ein kontrapunktisch-intervallischer Satz auch als 
homorhythmischer Contrapunctus simplex auftreten 
kann, ebenso wie ein klanglicher oder harmonisch- 
akkordischer Satz auch aus kunstvoll figurierten Stim- 
men aufgebaut sein kann, ist die verbreitete (oft unzu- 
lassig verallgemeinenide) Unterscheidung in Homo- 
phonie und -> Polyphonie zur Kennzeichnung des 
Satzprinzips meist unzureichend. 
Mit dem Auf kommen der Mehrstimmigkeit im f riihen 
Mittelalter (-v Organum) traten erstmals Fragen der 
St. auf (occursus-Lehre Guidos; erste Formulierung des 
Grundsatzes der Gegenbewegung um 1100; -> Stimm- 
kreuzung) , doch erwuchs erst in der Lehre vom -> Kon- 
trapunkt ein umfassendes Regelsystem fur die St. Bis 
ins 16. Jh. galten fur die einzelnen ->■ Lagenstimmen 
des Satzes haufig ganz unterschiedliche Gesetze der St. 
(-> Contratenor). Diese Unterschiede schwanden je- 
doch im 16. Jh. im Zuge der Vokalisierung des Satzes, 
der fast volligen gegenseitigen Angleichung der Stim- 
men und der konsequenten Durchimitation (->■ Imi- 
tation), wie sie voll ausgepragt in Palestrinas kontra- 
punktischem Satz entgegentritt. Im GeneralbaBsatz des 
17./18. Jh. sind die melodiefiihrenden Oberstimmen 
unter bestimmten Umstanden (z. B. bei Kompositio- 



905 



Stimmgabel 




nen mit -> Ostinato) von den strengen St.s-Regeln des 
Kontrapunkts teilweise befreit, wahrend die Mittel- 
(Full-)Stimmen den Sinnzusammenhang der Klangfol- 
ge in moglichst korrekter St. darzustellen hatten. Be- 
deutsam wird seit dem 17. Jh. die Unterscheidung von 
St. im sogenannten freien und St. im strengen (reinen) 
Satz; die St. ordnete sich von nun an den verschiedenen 
Gestaltungsprinzipien der einzelnen Kompositionsgat- 
tungen unter, vor allem seit der Loslosung vom Gene- 
ralbaBsatz im 18. Jh. In der -> Durchbrochenen Arbeit, 
in der -> Klaviermusik (vor allem seit D.Scarlatti), in 
harmoniefiillenden Begleitfiguren (z. B. -*■ Albertische 
Basse), im Orchestersatz vor allem in der okoloristi- 
schen« -> Instrumentation der 2. Halfte des 19. Jh. tritt 
die Bedeutung der (realen) Einzelstimme im Gesamt- 
bild der Komposition zuriick, oft zugunsten einer be- 
sonders hervorgehobenen melodiefiihrenden Stimme. 
Gleichzeitig wurde jedoch in der -> Harmonielehre die 
St., vor allem die Sekundfortschreitung, ein fiir die 
Verstandlichkeit von Akkordverbindungen wichtiger 
Gesichtspunkt. Selbst harmonisch sehr schwer verstand- 
liche Akkordfolgen ergeben sich urn so 
ungezwungener, je mehr Stimmen Se- 
kundschritte (Ganzton-, Leitton- oder Yr t»J 
chromatische Halbtonschritte) ausf iihren. 
Zwei aufeinanderfolgende Akkorde werden ferner 
dadurch enger verbunden, daB die Tone, die beiden 
gemeinsam (oder enharmonisch identisch) sind, anein- 
andergebunden oder in der gleichen Stimme wieder- 
holt werden. Diese Regeln gelten vorwiegend fiir die 
Mittelstimmen; der BaB bevorzugt oft die Grundtone 
der Harmonie (wodurch das Verstehen der harmoni- 
schen Beziehungen erleichtert wird), wahrend die me- 
lodiefiihrende Stimme die Sekundbewegung haufig 
durch groBere (sogenannte harmonische) Schritte un- 
terbricht. Wichtige Leitsatze der St. sind der in der 
Kontrapunktlehre formulierte Grundsatz der -*■ Ge- 
genbewegung und das Verbot von ->■ Parallelen (paral- 
lele Fortschreitung mehrerer Stimmen in vollkomme- 
nen Konsonanzen erschwert durch die zu groBe Ver- 
schmelzung die Unterscheidung in einzelne Stimmen; 
parallele Fortschreitung in Dissonanzen laBt die Auf- 
losung der zuerst erklungenen Dissonanz vermissen). 
Dagegen sind die im strengen Satz geltenden Verbote 
des -»• Querstands und der Verwendung »unsanglicher« 
Ihtervalle (groBe Sexte, Septime) usw. im freien Satz 
weitgehend aufgehoben. Der Vorzug verminderter 
Intervallfortschreitungen gegeniiber den ubermaBigen 
beruht darin, daB einem verminderten Intervall fast 
regelmaBig ein Leittonschritt in umgekehrter Rich- 
tung folgt und damit einem wichtigen Prinzip der St. 
(dem Wenden nach Spriingen) geniigt wird, wahrend 
Spriingen in iibermlBi- 
gen Intervallen im allge- ■ 
meineneinHalbtonschritt 
in gleicher Richtung folgen muB. In H.Riemanns 
Funktionsbezeichnung fordern die Zeichen < und > im 
allgemeinen einen Leittonschritt nach oben bzw. nach 
unten (-> Leittonwechselklang). 

Stimmgabel (engl. tuning fork; frz. diapason oder 
diapason a branches) ist das einf achste mechanisch-aku- 
stische Frequenznormal, meist fiir a 1 = 440 Hz mit ei- 
ner geforderten Genauigkeit von ± 0,5 Hz. Die St. soil 
1711 von dem englischen Trompeter und Lautenisten 
John Shore (f 1752) erfunden worden sein. St.n wer- 
den vorwiegend aus ungehartetem Stahl (auch Invar- 
stahl) hergestellt und sind so konstruiert, daB sie eine 
fast sinusf ormige Schwingung mit geringer Dampfung 
ergeben. Die St. wird mit einem weichen Hammer 
angeschlagen, um Oberschwingungen zu vermeiden. 

906 



Die Gabelzinken schwingen gegenphasig, d. h. jeweils 
gleichzeitig nach auBen bzw. nach innen. Die Frequenz 
hangt von der schwingenden Masse und der Lange der 
Zinken ab. Je kiirzer die Zinken sind, um so hoher 
liegt die Frequenz, je schwerer sie sind, um so tiefer. 
Um die Abstrahlung an die Luft zu vergroBern, setzt 
man die Gabel auf Resonanzkasten, deren Hohlraum 
auf die Gabelfrequenz abgestimmt ist. 
Lit. : H. Bouasse, Verges et plaques, cloches et carillons, 
Paris 1927; J. H. v. Braunmuhl u. 0. Schubert, Stimm- 
gabelsummer, Akustische Zs. VI, 1941 ; Norm-Stimmton, 
St., DIN 1317, Blatt2, Blnu. Koln 1959. 

Stimmgattungen ergeben sich aus dem unterschied- 
lichen Tonhohenumfang der Singstimme. Man unter- 
scheidet Sopran (c!-a 2 , bei Berufssangerinnen a-c 3 und 
f3), Mezzosopran (g-g 2 , bei Berufssangerinnen bis h 2 ), 
Alt (a-f 2 , bei Berufssangerinnen bis h 2 und c3), Tenor 
(c-ai, bei Berufssangern bis c 2 ), Bariton (A-e 1 , bei Be- 
ruf ssangern bis gi), BaB (E-d 1 , bei Berufssangern bis fi). 
Zu beachten ist aber, daB es z. B. Soprane oder Tenore 
ohne Hohe gibt, die deshalb doch nicht unter die St. 
Mezzosopran oder Bariton fallen. Wichtig ist stets, in 
welcher Lage eine Stimme zwanglos das Beste leistet. 
In der Opernpraxis haben sich auBerdem verschiedene 
->■ Stimmfacher herausgebildet. 

Stimmhorn ist ein wie ein hohles Horn gestaltetes 
Werkzeug, mit dem die Miindungen der kleinen La- 
bialpfeifen, die keinen Stimmschlitz haben, vom Or- 
gelstimmer erweitert oder verengt werden, um die ge- 
wiinschte Tonhohe zu erreichen. 

Stimmkreuzung, das Ubersteigen oder Unterschrei- 
ten einer Stimme durch eine andere. In den Komposi- 
tionen des Mittelalters gilt St. noch nicht als Sonderfall, 
da die organalen und diskantierenden Stimmen noch 
nicht an Klangraume gebunden sind. Mit der raumli- 
chen Fixierung der Einzelstimme (->■ Lagenstimme) 
und der planvollen Durchgestaltung des polyphonen 
Satzes seit dem 15./16. Jh. wird St. zur Ausnahme 
(-+ Heterolepsis) ; sie wird aber auf Grund einer beson- 
deren Beschaffenheit des thematischen Materials (z. B. 
Fugenthema) oder zur Umgehung fehlerhafter Stimm- 
fiihrung oft gebraucht. So gelten z. B. klangliche -*■ Par- 
allelen (selbst stufenweise) als gerechtfertigt, wenn die 
Stimmen sich kreuzen: 



Ad te, per - en-ne gau-di - um -sum per an-nos 




m» - rr i r r r J | 'ft*?? 



Ad te, per- en-ne gau-di - um [cursum]per an-nos 

Aus: O.de Lassus, Magnum opus musicum, 
1604 (GA I, S. 60). 
St. bzw. Lagentausch ist im Orchestersatz (Instrumen- 
tation) der Spatromantik und der Gegenwart bei be- 
stimmten Klangeffekten wirksam, z. B. wenn hohe In- 
strumente in tiefe Lagen und BaBinstrumente in hohe 
Lagen gefuhrt werden. 

Stimmkriicke ist bei den -»■ Lingualpfeifen der Or- 
gel ein den schwingenden Teil der Zunge abgrenzen- 
der, verschiebbarer, gebogener Draht, durch dessen 
Hinauf- oder Herunterschieben der Ton erhoht oder 
erniedrigt wird. 

Stimmschliissel, Stimm hammer, ein zum Stim- 
men zahlreicher Saiteninstrumente (u. a. Pianoforte, 



Stimmton 



Harfe, Zither) und der Pauke notwendiges Werkzeug, 
mit dem grifflose -v Wirbel (- 1) gedreht werden kon- 
nen. Friiher war der St. meist hammerformig, um den 
in eine konische Bohrung des Stimmstocks eingepreB- 
tenWirbeln durch Schlagen festeren Sitz geben zu kon- 
nen. Die Verwendung von St.n im Mittelalter ist durch 
zahlreiche Abbildungen belegt; bei Gottfried von 
StraBburg (Tristan, um 1210) wird das Stimmen einer 
Harfe mittels St. (mhd. plectrun) erwahnt. 
Lit. : H. Riedel, Musik u. Musikerlebnis in d. erzahlenden 
deutschen Dichtung, = Abh. zur Kunst-, Musik- u. Lite- 
raturwiss. XII, Bonn 1959; H. Steger, David rex et pro- 
pheta, = Erlanger Beitr. zur Sprach- u. Kunstwiss. VI, 
Nurnberg 1961. 

Stimmstock, - 1) (engl. sound post), ein Stabchen aus 
leichtem Fichtenholz, das im Inneren des Corpus der 
Violine und anderer Streichinstrumente dicht hinter 
dem rechten FuB des ->• Stegs aufrecht zwischen Boden 
und Decke steht. Zusammen mit dem BaBbalken, der 
unter dem linken FuB des Stegs (unter der tiefsten Sake) 
an die Decke geleimt ist, entlastet der St. die Decke vom 
Druck der Saiten; zugleich iibertragt er die Schwingun- 
gen der Decke auf den Boden (und umgekehrt). Einem 
Instrument ohne St. fehlt der voile strahlende Klang; 
der Instrumentenbauer nennt deshalb den St. auch 
Stimme oder Seele (frz. Sme; ital. anima). Das genaue 
Einpassen des St.s ist ebenso wichtig wie die richtige 
Bestimmung seines Durchmessers; auch gerihge Ver- 
anderungen seines Standortes haben EinfluB auf den 
Klang des Instruments. DasEinsetzen des St.s wird u. a. 
von L. Spohr (1832) ausf iihrlich beschrieben. - 2) (engl. 
wrestplank) bei Klavierinstrumenten derjenige Bauteil 
(meist Bestandteil des Rahmens oder mit diesem fest 
verbunden), in dem die "Wirbel befestigt sind. 

Stimmtausch, der kreuzweise Austausch von Melo- 
dieabschnitten zwischen zwei oder mehr lagengleichen 
Stimmen, z. B. : 



hm j ujj. i j. i uJJ 



x 



Milt j. i UJJ-f'JJJJ l J j j 



Bereits in den Organa tripla und quadrupla der Notre- 
Dame-Zeit ist der St. als Mittel zur Komposition von 
Abschnitten voll ausgebildet. Theoretisch erfaBt wird 
er bei J. de Garlandia als repetitio diversae vocis (-> Co- 
lor - 2) und bei Odington als -> Rondellus. Uber seine 
Definition im engeren Sinne hinaus ist der St. als Prin- 
zip im -> Kanon (- 3), doppelten -»■ Kontrapunkt und 
in gewissen Arten der -»■ Imitation erkennbar. -> Per- 
mutation (- 2). 

Stimmton, auch Normalton (frz. diapason normal; 
engl. standard pitch ; ital. diapason ; span, diapason nor- 
mal). Nach den ortlich, zeitlich und nach Gattungen 
verschiedenen Stimmtonen des 15.-17. Jh. wurde durch 
die Erfindung der -*■ Stimmgabel die Voraussetzung 
fiir einen einheitlichen St. geschaffen, wie er seit dem 
19. Jh. z. B. fiir das internationale Auf treten von Kiinst- 
lern und den zwischenstaatlichen Musikinstrumenten- 
handel unabdingbar geworden war. Doch erst die St.- 
Konferenz in Wien 1885 vermochte die einheitliche 
Festsetzung eines St.s von 435 Hz (definiert durch eine 
Normalstimmgabel bei der Raumtemperatur von 15° 
Celsius) zu erreichen, wie er auf Vorschlag der Pariser 
Academie des Sciences bereits 1859 fur Frankreich ein- 
gef iihrt worden war. Da in den f olgenden Jahrzehnten 
der St. erneut stieg - 443 Hz als Durchschnitt, 450 Hz 
in extremen Fallen -, einigte man sich 1939 auf der 
Londoner Konf erenz der International Federation of the 



National Standardizing Associations (ISA) auf 440 Hz 
bei 20° Celsius. Auf Empfehlung einer 2. Londoner 
Konferenz (1953) des Technischen Ausschusses TC 43 
der International Organization for Standardization 
(ISO) befaBt sich z. B. in der Bundesrepublik Deutsch- 
land der FachnormenausschuB Akustik im Deutschen 
NormenausschuB (DNA) mit den Durchfiihrungsbe- 
stimmungen fiir die Einhaltung des St.s. Die Pariser 
Academic des Sciences setzte 1950 fiir Frankreich den 
St. auf 432 Hz herab. 

Mit dem St. hangen Gesangskultur, Instrumentenbau, 
Editions- und Auffiihrungsfragen, Musikpsychologie 
und Tonartenasthetik zusammen. Auch MaBe alter In- 
strumente (Orgeln, Cembali, Streich- und Blasinstru- 
mente) sind erst verwendbar, wenn diejeweilige Stimm- 
hohe mitgeteilt ist und nachgepriift wurde. Die Ur- 
sache fiir das Hohertreiben des St.s ist bei den Streichern 
das Bestreben, mehr Glanz zu erzielen; deshalb stim- 
men Solisten gern etwas hoher ein als das begleitende 
Orchester. Wahrend bei Saiteninstrumenten das Hoher- 
stimmen an Festigkeit der Saiten und Belastbarkeit des 
Corpus seine Grenze fmdet (M.Agricola schreibt fiir 
die Laute 1529: zeug die Quintsait so hoch du magst - das 
sie nit reist wenn du sie schlagst), ist bei Singstimmen das 
Problem weitreichender, da bereits ein Halbton Un- 
terschied die Stimme iiberfordern und schadigen kann. 
Die daraus resultierende kurze Dauer der Sangerlauf- 
bahn war der Grund fiir das Einschreiten der franzosi- 
schen Regierung 1859. Nicht nur die Streicher, auch die 
Blaser neigen zum Erhohen des St.s, um einen hellen, 
durchdringenden Klang zu erzielen. So wurden 1879 
bei der British Army 451 Hz und 1938 bei den Sster- 
reichischen Militarkapellen eine im Vergleich zum 
Normalton um einen Halbton hohere Stimmung ge- 
messen. Ebenso stimmen die modernen, vom Blaser- 
klang gepragten Tanzkapellen gern iiberhoht ein. - 
In friiheren Jahrhunderten war der St. ortlich und dem 
Auff iihrungszweck nach verschieden. Man kannte z. B. 
einen romischen, venetianischen, lombardischen, einen 
Pariser, Berliner, Petersburger, Wiener St. ; einen 
-> Opernton, -> Kammerton, ->• Chorton und -*■ Cor- 
netton, wovon der jeweils erstgenannte dertiefere war. 
Doch auch diese unterlagen nach Ort und Zeit Schwan- 
kungen: der norddeutsche Chorton war im 17. Jh. ei- 
nen Ganzton bis eine kleine Terz hbher als der heutige 
St. (Orgel in Rendsburg und Schnitger-Orgeln in 
Hamburg und Liibeck), der siiddeutsche Chorton einen 
Halbton iiber dem heutigen Standard (barocke Orgeln 
in Siiddeutschland, der Schweiz, in Osterreich und der 
Lombardei), der spanische Chorton einen Halbton tie- 
fer (Orgeln in Barcelona, Burgos, Calatayud, Daroca 
u. a.), der franzosische Chorton fast einen Ganzton de- 
fer (Orgeln in der Kirche St-Gervais in Paris, in der 
Kathedrale von Poitiers, Orgeln A. Silbermanns in 
Ebersmiinster und Maursmiinster/ElsaB). Wie schon 
A. Schlick auf das Schwanken des Chortonsje nach vor- 
handenen Stimmen hinwies, so berichten J.-J. Rousseau 
und Dom Bedos das gleiche fiir den Opernton. Georg 
Muffat uberliefert, daB zu J.-B. Lullys Zeit in Paris der 
Kammerton einen Ganzton, der Opernton eine kleine 
Terz tiefer lag als der deutsche St. 
Bei Auffiihrungen alterer Musik ist zu beachten, daB 
englische und italienische geistliche Vokalmusik des 
16./17. Jh. und franzosische Motetten und Kantaten 
des 18. Jh. oft einen Ganzton (bis zu einer kleinen Terz) 
tiefer, die Werke J. S. Bachs, Handels und der Wiener 
Klassiker sowie Opern bis um 1820 einen Halbton tie- 
fer, siiddeutsche Kirchenmusik (soweit der Chorton zu- 
grunde liegt) einen Halbton hoher und Werke von H. 
Schiitz und seiner mittel- und norddeutschen Zeitge- 
nossen einen Ganzton (bis zu einer kleinen Terz) hoher 



907 



Stimmung 



intoniert waren. Da die menschliche Stimme in diesem 
ganzen Zeitraum ihren Tonumfang nicht verandert zu 
haben scheint, braucht man in der Praxis nur die Grenz- 
tone des Vokalsatzes festzustellen und von ihnen aus 
die natiirliche Transpositionslage zu bestimmen. - Die 
Einstimmung der Musikinstrumente soil nicht nur bei 
20° Celsius Raumwarme, sondern bei iiblicher Spiel- 
temperatur (also eingespielt) erfolgen. Die dann noch 
auftretenden Schwankungcn, die bis 8 Hz betragen 
konnen, empfindet der Musikhorer nicht als storend. 
Sie sind durch Erwarmung bei langerem Spiel bedingt 
und wirken sich auf Streichinstrumente vertiefend, auf 
Blasinstrumente erhohend aus. 

Lit.: A. J. Ellis, The Hist, of Mus. Pitch, Journal of the 
Soc. of Arts 1 880, separat London 1 880, dazu G. Adler in : 
VfMw IV, 1888, beides Nachdruck Amsterdam 1963; J. 
W. Schottlander, Die Kithara, Diss. Bin 1933, maschr.; 
E. Rupp, Zur Frage d. Normal-Stimmung, Zflb LVIII, 
1937 (darin: A. Cavaille-Coll, De la determination du ton 
normal ou du diapason pour l'accord des instr. de mu- 
sique, Paris 1859); H. J. v. Braunmuhl u. O. Schubert, 
Ein neuer elektrischer Stimmtongeber f. 440 Hz, Akusti- 
sche Zs. VI, 1941; O. Tiby u. A. Barone, Note e relievi 
sulla frequenza del la, Rom 1941 ; H. Matzke, Unser tech- 
nisches Wissen v. d. Musik, Lindau (1949), Wien (21950); 
Ll. S. Lloyd, British Standard Mus. Pitch, MR XI, 1950; 
W. Lottermoser u. H. J. v. Braunmuhl, Beitr. zur St.- 
Frage, Acustica III, 1953; Norm-Stimmton DIN 1317, 
Blatt 1-3, Bin u. Koln 1957-62. RW 

Stimmung (engl. und frz. intonation), die theoreti- 
sche und praktische Festlegung von absoluten und re- 
lativen Tonhohen, vor allem bei Musikinstrumenten. 
DiewichtigstenSt.s-SystemesinddiepythagoreischeSt. 
(->■ Komma - 1), die ->■ Reine St. und die -> Tempera- 
tur. - Die St. von Blasinstrumenten ist durch ihre Kon- 
struktion (Grifflocher, -»- Ventile - 2) relativ festgelegt. 
Von der leichten Umstimmbarkeit bei Saiteninstru- 
menten wird in der ->■ Scordatura Gebrauch gemacht; 
die normalen St.en sind die in Quinten (Violinfamilic), 
Quarten mit Terz (Gambenfamilie, Lauten, Gitarren) 
sowie die seltenen in diatonischen und chromatischen 
Leitern (Erzlauten, -> Angelica). Die in neuerer Zeit 
geforderte absolute Tonhohe wird mit -+ Stimmga- 
bel oder elektrischem -*■ Generator nach dem gelten- 
den -» Stimmton (->• Kammerton) eingestimmt. Im 
Orchester wird nach der Oboe oder Klarinette ge- 
stimmt, wenn nicht ein Tasteninstrument in tempe- 
rierter St. mitwirkt. Anweisungen fur das Klavier- 
stimmen gaben u. a. Schlick, M.Praetorius, Werck- 
meister, Sorge, Kirnberger, Marpurg, Chr. G. Schroter, 
Wiese, Turk, Abbe Vogler, Scheibler. Das Stimmen 
von Tasteninstrumenten nach einem Satz von Stimm- 
gabeln oder -pfeifen hat sich nicht allgemein durchge- 
setzt; die Temperatur wird nach derri Gehor mit Hilfe 
der -> Schwebungen entwickelt. Absolute Reinheit 
oder Schwebungsfreiheit wird nicht erreicht und auch 
nicht angestrebt, da so gestimmte Instrumente Starr 
klingen. Die Giite einer St. laBt sich messen (->• Fre- 
quenzbestimmung) und durch Vergleich mit der theo- 
retisch gef orderten bestimmen. Blockfloten hatten z. B. 
(nach Husmann 1958) einen mittleren Fehler von 6- 
12%; Verstimmungen mindestens dieser GroBe mus- 
sen grundsatzlich auch fiir Instrumente auBereuropai- 
scher Kulturen angesetzt werden, wenn von deren 
fester St. (z. B. bei Lithophonen oder Xylophonen) auf 
Tonsysteme oder -leitern geschlossen werden soil. 
Lit.: G. Armellino, Die Kunst d. Klavierstimmens, 
= Neuer Schauplatz d. Ktinste u. Handwerke XXI, Wei- 
mar 1857, Lpz. «1902; M. Planck, Die natiirliche St. in d. 
modernen Vokalmusik, VfMw IX, 1893; Th. Hollmann, 
Lehrbuch d. Stimmkunst, Hbg 1902, 21912; W. Iring, Die 
reine St. in d. Musik, Lpz. 1908; O. Funke, Theorie u. 
Praxis d. Klavierstimmens, Dresden 1940, als: Das Kl. u. 



seine Pflege, Radebeul 21946, Ffm. 31962, = Fachbuch- 
reihe Das Musikinstr. II ; R. W. Young u. J. C. Webster, 
Die St. v. Musikinstr. I-IV, Gravesaner Blatter II, 1957 - 
IV, 1959 ; R. Eras, Uber d. Verhaltnis zwischen St. u. Spiel- 
technik bei Streichinstr. in Da-gamba-Haltung, Diss. Lpz. 
1958, maschr.; H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw., Hei- 
delberg (1958); J. Nix, Lehrgang d. Stimmkunst, = Fach- 
buchreihe Das Musikinstr. VII, Ffm. 1961; J. P. Fricke, 
Die-Innenst. d. Naturtonreihe, Fs. K. G. Fellerer, Regens- 
burg 1962; A. H. Howe, Scientific Piano Tuning and Ser- 
vicing, NY 31963. 

Stimmwerk -> Akkord (- 3). 

Stimmzug (engl. slide; frz. coulisse), bei Blechblas- 
instrumenten ein ausziehbarer Rohrenteil zur Regu- 
lierung der Stimmung. Der St. wurde zuerst 1781 von 
Haltenhof am Waldhorn verwendet; in verbesserter 
Form gibt es Stimmziige auch an Ventilinstrumenten. 
Lit. : M. Vogel, Die Intonation d. Blechblaser, = Orpheus- 
SchriftenreihezuGrundfragend. Musikl.Dusseldorf 1961. 

Stockfagott -^-Rankett. 

Stockflote (ungarisch czakan), eine in einen Spazier- 
stock eingebohrte Blockflote. Sie war in Osterreich- 
Ungarn um 1810-30 beliebt; der Wiener Oboist J.E. 
Krahmer (1795-1857) gab 1855 eine Neue theoretisch- 
praktische Csakan-Schule heraus. 

Stockholm. 

Lit. : Fr. A. Dahlgren, Forteckning over svenska skade- 
spel uppforda pa St. theatrar 1737-1863, St. 1866; N. Per- 
sonne, Svenska teatern, 8 Bde, St. 1913-27; G. Norden- 
svan, Svensk teater och svenska skadespelare fran Gustaf 
III. till vara dagar, 2 Bde, St. 1917-18 ; J. Svanberg, Kungl. 
teatrarne, 1860-1910, 2 Bde, St. 1917-18; O. Morales u. 
T. Norlind, Kungl. Mus. Akademien 1771-1921, St. 1921 ; 
T. Norlind u. E. Troback, Kungl. hovkapellets hist. 
1526-1926, St. 1926; W. Ahlen, St. Jacobs kyrkoorg. 
1644-1930, St. 1930; C.-A. Moberg, Fran kyrko- och hov- 
musik till offentlig konsert, Uppsala 1942; T. Norlind, 
Fran Tyska kyrkans glansdagar, 3 Bde, St. 1944-45; M. 
Tagen, Musiklivet i St., 1890-1910, = Monografier utg. 
av St. Kommunalforvaltning XVII, St. 1955; G. Hille- 
strom, The Royal Opera St., St. 1960. 

Stollen^Bar. 

Stomp (amerikanisch, Stampfen), urspriinglich ein 
Tanztyp der afroamerikanischen Neger, der auf der 
andauernden Wiederholung einer rhythmischen For- 
mel beruht. Dieses Prinzip des St., das allgemein als ein 
Relikt aus der afrikanischen Musik gilt, begegnet auch 
im Gruppenmusizieren der nordamerikanischen Ne- 
ger und erlangte als melodisch-rhythmischeTechnik im 
-> New-Orleans-Jazz besondere Bedeutung: Uber dem 
->■ Beat (- 1) der Rhythmusgruppe herrscht im Spiel 
der Melodieinstrumente eine gleichbleibende rhyth- 
mische Formel (st. pattern) vor, die sich jedoch auf der 
harmonischen Basis des -*■ Chorus melodisch standig 
verandert. Diese dauernde melodische Veranderung 
derselben rhythmischen Formel unterscheidet die Tech- 
nik des St. (st.ing) von der des ->■ Riff. Haufig geht in 
Aufnahmen des New-Orleans-Jazz die Anwendung 
der St.-Technik schon aus den Plattentiteln hervor: 
Sugar Foot St. (King Oliver) ; Steamboat St. ; Doctor Jazz 
St. (Jelly Roll Morton). 

Stop time (stop taim, engl., von stop, hemmen, in- 
terpunktieren), im Jazz Bezeichnung fiir das plotzliche 
Stoppen des durchlaufenden -> Beat (- 1) der Rhyth- 
musgruppe bei gleichzeitigem Aussetzen der Melodie- 
instrumente. Die metrischen Grundeinheiten werden 
dabei nur noch durch scharf betonte gemeinsame Ak- 
kordschlage beider Instrumentengruppen in gleich- 
maBigen Abstanden (etwa auf jede 4. oder 8. Zihlzeit) 
markiert. In die zwischen diesen Stops entstehenden 



908 



Streichmelodion 



Pausen fallen haufig die -» Breaks der Solisten. Deh- 
nen sich Stops iiber einen ganzen -> Chorus aus, so er- 
gibt sich der Stop chorus, der vor allem im friihen Jazz 
(New Orleans, Chicago) ein beliebtes Steigerungsmit- 
tel am SchluB der Stiicke war (Armstrong, Morton). 

Strambotto (ital.; altprov. estribot; altfrz. estrabot; 
span, estrambote), einstrophiges Gedicht von 8 elfsil- 
bigen Zeilen, zumeist nach dem Reimschema der Ot- 
tava rima (abababcc). Im 15. Jh. begegnet der Str. 
in ganz Italien. Nach den Schwerpunkten seiner Ver- 
breitung wurde die Hypothese gebildet, der Ursprung 
dieser Gedichtform sei in Sizilien (Ottava siciliana mit 
der Reimfolge abababab) zu suchen bzw. in der 
Toskana, wo sie auch Rispetto d'amore (Reimfolge 
abababcc oder ababccdd) genannt wurde. Zu den 
ersten, die den Str. erfolgreich fur pseudovolkstiim- 
liche Dichtungen benutzten, gehort L. Giustiniani. 
Der bekannteste Str.-Dichter war um 1500 Serafino 
dall'Aquila in Rom. Die Verfasser von Strambotti tru- 
gen ihre Gedichte als improvisierten Gesang zur Laute 
oft selbst vor; so Chariteo am aragonischen Hof von 
Neapel. Die handschriftlich iiberlieferten Str.-Verto- 
nungen aus der Zeit um 1500, ebenso die Strambotti in 
den ersten Petrucci-Drucken bringen Musik nur f iir die 
beiden ersten Zeilen, die folglich viermal wiederholt 
werden muBte; schon im 4. Buch der Frottole (Stram- 
botti, ode,frottole, sonetti ..., 1505) sind teils 4 Zeilen ver- 
tont, teils alle 8 durchkomponiert. Texte in der Form 
des Str. liegen bisweilen noch friihen Cinquecento- 
madrigalen zugrunde. 

Ausg.: O. Petrucci, Frottole, Buch I (1505) u. IV (1507), 
hrsg. v. R. Schwartz, = PaM VIII, Lpz. 1935, Buch I auch 
hrsg. v. G. Cesari, R. Monterosso u. B. Disertori, = Inst, 
et monumenta 1, 1 , Cremona 1954. 

Lit. : R. Schwartz, Die Frottole im 1 5. Jh., Vf Mw II, 1 886; 
H. Riemann, Hdb. d. Mg. II, 1, Lpz. 1907, 21920; H. R. 
Lang, The Original Meaning of the Terms estrabot, str. 
. . . , in : Scritti varii di erudizione e di critica, Fs. R. Renier, 
Turin 1912; A. Einstein, The Ital. Madrigal I, Princeton 
(N. J.) 1949; E. Li Gotti, Precisazioni sullo str., in: Con- 
vivium, Raccolta nuova, 1949; N. Bridgman, Un ms. ital. 
au debut du XVI e s. a la Bibl. Nat., Ann. Mus. I, 1953; 
dies., La f rottola et la transition de la frottola au madrigal, 
in: Musique et poesie au XVI e s., = Colloques internatio- 
naux du Centre National de la recherche scientiflque, Sci- 
ences humaines V, Paris 1954 ; F. Ghisi, Strambotti e laude 
nel travestimento spirituale della poesia mus. del Quattro- 
cento, CHM I, 1953; M. Laghezza Ricagni, Studi sul 
canto monostrofico . . ., = Bibl. di »Lares« XI, Florenz 
1963; B. Bauer, Die Strambotti d. Serafino dall'Aquila. 
Studien u. Texte zur ital. Spiel- u. Scherzdichtung d. aus- 
gehenden 15. Jh., Miinchen 1966. 

strascinando (strafjin'ando, ital.), schleppend, langsa- 
mer werdend. 

Strafiburg. 

Lit.: C. M. Berg, Apercu hist, sur l'etat de la musique a 
Strasbourg pendant les 50 dernieres annees, Str. 1 840 ; J. 
Fr. Lobstein, Beitr. zur Gesch. d. Musik im ElsaB u. be- 
sonders in Str., Str. 1840; F. Streinz, Zur Gesch. d. Mei- 
stergesanges v. Str., Jb. f. Gesch., Sprache u. Lit. ElsaB- 
Lothringens IX, 1 893 ; Fr. Hubert, Die Str.er liturgischen 
Ordnungen im Zeitalter d. Reformation nebst einer Bib- 
liogr. d. Str.er Gesangbiicher, Gottingen 1900; A. Ober- 
doerffer, Nouvel apercu hist, sur l'etat de la musique en 
Alsace en general et a Strasbourg en particulier, de 1 840 a 
1913, Str. 1914; J. Th. Gerold, Les plus ahciennes melo- 
dies de l'Eglise protestante de Strasbourg et leurs auteurs, 
Paris 1928; G. Skopnik, Das Str.er Schultheater, Geln- 
hausen 1934, auch in: Schriften d. Wiss. Inst. d. ElsaB- 
Lothringer im Reich an d. Univ. Ffm., N. F. XIII, Ffm. 
1935; Fr. Gennrich, Die Str.er Schule f. Mw., = Kleine 
deutsche Musikbucherei III, Wiirzburg 1940; F. Raugel, 
Les orgues et les organistes de la cathedrale de Str., Colmar 
1 948; R. Wennagel, Lescantates strasbourgeoises du 1 8 e s., 



Diss. Str. 1948, maschr. ; E. Flade, Die Org. d. Str.er Miin- 
sters, in: Der Orgelbauer G. Silbermann, = Veroff. d. Fiirstl. 
Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg V, 3, Lpz. 21953. 

Strathspey (sUasGsp'ei, engl.), schottischer, dem Reel 
verwandter, langsamer Tanz im 4/4-Takt; charakteri- 
stisch sind groBe Intervallsprunge, punktierte Achtel- 
bewegung und Scotch snap (JJ.)- Die Bezeichnung 
Str. ist abgeleitet vom FluBtal (strath) des Spey. 
Street band (stri: tbsend, engl.) -=► Marching band. 

Street cry (stii:t kjai:, engl.), Bezeichnung fiir Rufe 
von StraBenverkaufern, die ihre Waren anpreisen. Der 
Str. cry ist eine Art von Rufen der musikalischen Ne- 
gerfolklore der USA (->■ Holler), deren Merkmale 
(grelle Intonation, Blue notes [->■ Blues], -*■ Beat - 1) 
auch in den Jazz eingegangen sind. 

Streichende Stimmen sind in der Orgel engmensu- 
rierte Labialstimmen, deren Obertongehalt an den 
Klang der Streichinstrumente erinnert (Gamben, Gei- 
genprinzipale, Salizionale, Streichkornett, Aeoline). 
Sie wurden in der Zeit der Romantik als Solostimmen 
bevorzugt. ->■ Register (- 1). 

Streichinstrumente (Bogeninstrumente; engl. bow- 
ed instruments; frz. instruments a archet) sind Chordo- 
phone oder Idiophone, bei denen der Ton durch Strei- 
chen der Saiten oder anderer Kbrper mit einem -> Bo- 
gen (- 2) oder mit einem Kurbelrad wie bei der -> Dreh- 
leier erzeugt wird, bei den primitiven Formen mit ei- 
nem Reibstab. Zu den Str.n gehoren Saiteninstrumen- 
te vor allem vom Typ der -> Laute (- 1). Die Namen 
-> Viola (- 1), -> Fiedel (- 1) und -»■ Geige hangen 
wohl mit dem Vorgang des Streichens zusammen. Da- 
neben gibt es Str. vom Typ der -»■ Leier; aus der 
-> Zither (- 2) ist die ->• Streichzither abgeleitet. Der 
Bogen und damit Str. lassen sich seit dem 10. Jh. nach- 
weisen. Str. sind der Grundstock des -*- Orchesters. 
Lit. : L.-A. Vidal, Les instr. a archet, 3 Bde, Paris 1876-78, 
Nachdruck London 1961 ; J. Ruhlmann, Gesch. d. Bogen- 
instr., 2 Bde, Braunschweig 1882; H.J. Moser, Das Streich- 
instrumentenspiel im MA, in : A. Moser, Gesch. d. Violin- 
spiels, Bin 1923 ; M. Greulich, Beitr. zur Gesch. d. Streich- 
instrumentenspiels im 16. Jh., Diss. Bin 1934; E. Spren- 
ger, Die Str. u. ihre Behandlung, Kassel 1951 ; W. Bach- 
mann, Die Anfange d. Streichinstrumentenspiels, = Mw. 
Einzeldarstellungen III, Lpz. 1964. 

Streichklavier ->• Bogenfliigel. 

Streichmelodion, auch SchoB- oder Tischgeige, ein 
1856 in Brunn von L.Breit erfundenes (daher auch 
Breitoline genanntes) Instrument, das Bauelemente der 
->■ Streichzither und der Violine vereinigt. Das Corpus 
mit /-Ldchern konnte verschiedene, der Violine ent- 
fernt ahnliche Formen annehmen. Das breite Griff- 
brett mit Metallbiinden lauf t in eine Wirbelplatte aus ; 
4 Stahlsaiten in Violinstimmung sind an eisernen Wir- 
beln mit Schraubenmechanismus aufgehangt und lau- 
fen iiber einen (Violin-) Steg bis zum unteren Sattel; 
ein Saitenhalter fehlt. Str.s wurden auch in Violinform 
gebaut (oder durch Umbau aus Violinen gewonnen) 
und unterscheiden sich dann nur durch die Metallbiin- 
de von der Violine. - Der Spieler legt das Instrument 
an der Stelle, wo Hals und Corpus zusammenlaufen, 
gegen eine Tischkante und stemmt seine Brust gegen 
das untere Ende des Corpus (bei violinformigen In- 
strumenten gegen den Knopf). Die linke Hand driickt 
die Saiten nieder, die rechte fiihrt den Bogen. Der 
Klang des Str.s ist scharfer und heller als der der Violine. 
Lit. : H. Kennedy, Die Zither in d. Vergangenheit, Gegen- 
wart u. Zukunft, Tolz 1896; G. Kinsky, Musikhist. Mu- 
seum v. W. Heyer in Coin, Bd II (Zupf- u. Streichinstr.), 
Koln 1912; K. M. Kxier, Volkstumliche Musikinstr. in d. 
Alpen, Kassel 1956. 



909 



Streichquartett 

Streichquartett (frz. quatuor a cordes; ital. quartetto 
d'archi; engl. string quartet), eine mehrsatzige Kompo- 
sition fur 2 Violinen, Viola und Violoncello, sowie ein 
aus den 4 Spielern dieser Instrumente gebildetes En- 
semble. Die Bezeichnung Str. kam im 19. Jh. auf und 
diente zuerst zur Unterscheidung des Str.-Ensembles 
vom Vokalquartett und von Instrumentalquartetten 
anderer Zusammensetzung (-> Quartett). Nach A. B. 
Marx (S. 245ff.) bezeichnete Str. auch die Gesamtheit 
der Streicher im Orchester einschlieBlich der Kontra- 
basse. Als Gattungsbezeichnung waren im 18. und 19. 
Jh. Quatuor und Quartett (Quartetto) iiblich. Quartett 
ist auch heute noch gleichbedeutend mit Str., soweit 
nicht bestimmende Zusatze den Begriff einengen (z. B. 
Klavier-, Manner- oder gemischtes Vokalquartett). 
Das Quartett mit einer obligaten Blaserstimme (Flote 
oder Oboe anstelle der 1. Violine) wird heute unter 
den Bezeichnungen Floten- bzw. Oboenquartett vom 
Str. unterschieden. 



raktere der einzelnen Instrumente vorgegeben: die 
1. Violine spielt die Rolle der »Solistin-«, die 2. Violine 
die »Partnerin«, die Viola die »Begleiterin« und das 
Violoncello den »Trager der Handlunga. Die Spannung 
des musikalischen Ablaufs im Str. beruht nicht zuletzt 
darauf, daB in jedem Moment das ausdruckliche Her- 
vortreten des einzelnen aus dem Ensemble bzw. aus der 
»Rolle« oder das Sich-Einordneh als die Abweichung 
von einem niemals erreichten Gleichgewicht empfun- 
den wird. 

Die besondere Art des Komponierens im Str. erweist 
sich vor allem in der Auseinandersetzung mit den Pro- 
blemen der -*■ Symmetric, in der haufig unschemati- 
schen, meist hochst individuell gestalteten Abfolge der 
Satzglieder (Phrasen), die in vielen Fallen das einfache 
Grundschema des Aufstellens und Beantwortens er- 
weitern oder durchbrechen. Einen auf der Dreiteilig- 
keit basierenden, von vielfaltigen Sinnbeziehungen 
durchzogenen Aufbau zeigt z. B. der Anfang des An- 



1 

p p. , g 


i ! 


-^i 0&~rt~i 


1 l ■ 


cresc. .—-. 1 


^hf-fflJIL^JI 








£ 7 ^ \ffP7 V 


cresc. s^ 1. 




p i 


^ 


_ "iT 


w r ^ — f 

1 1 


/| 


1 



W. A. Mozart, Str. D moll, 
Im Str. konzentrieren sich Kompositionskunst und mu- 
sikalische Kultur einer musikgeschichtlichen Epoche. 
Seit W.A.Mozart 1785 in der Widmungsvorrede zu 
seinen 6 Str.en K.-V. 387, 421, 428, 458, 464 und 465 
(» . . . sie sind Frucht einer langen und fleiBigen Bemii- 
hung«), mehr aber noch mit der kompositorischen Fak- 
tur dieser WerkeJ.Haydn als dem Meister des Str.s und 
als seinem geistigen Lehrer huldigte, gait das Str. als 
Priifstein kompositorischen Konnens. Voraussetzung 
fiir diesen verbindlichen Gattungsanspruch des Str.s 
war die von Haydn eingeleitete intensive Auseinander- 
setzung mit den Problemen der Komposition. Eine 
wichtige Rolle spielte hierbei die seit dem 16. Jh. als 
Inbegriff satztechnischer Vollkommenheit angesehene 
Vierstimmigkeit. Sie wird im Str. in einer neuen Weise 
gehandhabt bzw. dadurch in einen neuen Geltungsbe- 
reich gefiihrt, daB polare Gegensatzlichkeiten der 
Stimmfuhrung und der Stimmbehandlung (konzer- 
tierend, begleitend, klangfiillend; »polyphon« oder »ho- 
mophon«; als reale Stimmen oder im ->■ Obligaten 
Akkompagnement bzw. in -*■ Durchbrochener Arbeit) 
in eine standige Wechselwirkung gebracht und damit 
als Aspekte einer einheitlichen Satzauffassung verstan- 
den werden konnen. - Die Instrumente treten in ihrer 
Individualitat (mit ihren spezifischen klanglichen Qua- 
litaten und den ihnen eigenen spieltechnischen Mog- 
Uchkeiten) bald in besonderer Weise solistisch hervor, 
bald ordnen sie sich, im Stimmverband zurucktretend, 
der gemeinsamen Aussage unter (wenn die Instrumen- 
te in Unisonostellen zusanunentreten, wenn die Stim- 
men im fugierten, polyphonen Satz oder durch The- 
matische Arbeit einander angeglichen werden, oder 
wenn das Str. insgesamt als Klangkorper aufgefaBt und 
damit zu quasi-orchestraler Wirkung gefiihrt wird). 
Ein wesentliches Merkmal des Str.s liegt im Dialogi- 
sieren der Stimmen und Instrumente: . . . man hort vier 
verniinftige Leute sich unter einander unterhalten, glaubt 
ihren Discursen etwas abzugewinnen und die Eigenthiim- 
lichkeiten der Instrumente kennen zu lernen . . . (Goethe 
an Zelter, Brief vom 9. 11. 1829). Dabei sind die Cha- 



K.-V. 421, 2. Satz, Andante, 
dantes aus Mozarts Str. D moll, K.-V. 421, bei dem 
zwischen die Glieder eines Vordersatzes sowie zwischen 
diesen und den (verkurzten) Nachsatz einer Periode 
sich zwei zwischenspielartige Abschnitte einschieben 
(im obenstehenden Beispiel durch punktierte Klam- 
mern gekennzeichnet), die im thematischen und metri- 
schen Aufbau dieser 8 Takte ein Element des Wider- 
spruchs darstellen, das erst in der SchluBwendung eine 
Synthese mit der thematischen Grundsubstanz eingeht. 
Moglichkeiten individueller Gestaltung ergeben sich 
auch beim -»■ SchluB. Eine Abweichung von konven- 
tionellen Losungen wird z. B. deudich in den bei J. 
Haydn haufigen SchluBbildungen mit dem 1. Thema 
(Str. op. 33 Nr. 3, Hob. Ill, 39, 1 . Satz) ; bei dem SchluB 
des Finales aus dem Str. op. 33 Nr 2 (Hob. Ill, 38) ist 
die Unsicherheit, ob nun der Satz mit dem durch lange 
Pausen unterbrochenen Zitat des Themas schlieBt oder 
ins Unendliche weiterklingt, soweit gesteigert, daB 
dieser nicht schlieBende AbschluB oft nur vordergriin- 
dig, als Witz, verstanden wird. An den Freiheiten der 
Stimmfuhrung in der Einleitung zum 1. Satz des Str.s 
C dur, K.-V. 465 (»Dissonanzenquartett«) von W.A. 
Mozart entziindete sich eine beriihmte, von G. Sarti 
ausgeloste Kontroverse (vgl. Deutsch 1962/63). In der 
Eigenwilligkeit des jeweiligen Werkes gegeniiber je- 
dem Schema, jeder Norm manifestiert sich das Gestal- 
tungsprinzip des Str.s, das in immer wieder neu abge- 
wandelter Form bis zu den Str.en Hindemiths und Bar- 
toks lebendig blieb. 

Andererseits ist von J. Haydn fiir das Str. ein allgemein- 
giiltiger Bestand an satztechnischem Riistzeug erarbei- 
tet worden, das auch auf andere Gattungen iibertragen 
und fiir die Musik der Wiener Klassiker grundlegend 
wurde. Sandberger (1900) wies darauf bin, daB die ganz 
neue Besondere art der 6 Str.e op. 33 (Hob. Ill, 37-42) in 
der Anwendung des Prinzips der -> Thematischen Ar- 
beit bestehe. In den friihen Str.en bis op. 20 (Hob. Ill, 
1-36) stehen divergierende Elemente (durch Variation 
abgeleitete Motive und scharf kontrastierende The- 
men; kontrapunktische Arbeit und Reihung scheinbar 



910 



unzusammenhangender Einfalle) oft noch unvermit- 
telt nebeneinander. Das Prinzip der Thematischen Ar- 
beit, das Kind aus derEhe des Kontrapunkts mit der Freiheit 
(Sandberger), das allein geeignet ist, diese Gegensatze 
zu einer organischen Einheit zu verschmelzen, wird 
von Haydn in den friihen Str.en schrittweise ausge- 
bildet und in der lQjahrigen Pause (1771-81) zwischen 
den Str.en op. 20 und op. 33 im groBeren Rahmen der 
Symphonie erstmals auch auBerhalb der -> Durchfuh- 
rung systematisch erprobt. In den Str.en op. 33 (Hob. 
Ill, 37-42) hat die Thematische Arbeit vom ganzen 
Satz Besitz ergriffen; Haydn hat von da an das Prinzip 
auf eine neue besondere Art rational erf aBt und ihm die 
Satztechnik insgesamt unterstellt. - In der Auseinander- 
setzung mit uberlieferten Formmodellen (Fuge, Varia- 
tionenfolge, Menuett), vor allem aber mit dem der 
-»• Sonatensatzform erwies sich das Str. als wichtiges 
kompositorisches Experimentierfeld, auf dem neuar- 
tige Losungen erarbeitet wurden, die ihrerseits norma- 
tive Geltung erhalten konnten. Der geistige Anspruch 
hochst differenzierter Aussage beschrankt nicht nur 
den ICreis der dafiir aufnahmebereiten Horer, son- 
dern zwingt auch die Ausfuhrenden zu gedanklicher 
Durchdringung des Werkes (deshalb werden Str.e im 
allgemeinen nicht von ad hoc zusammengestellten En- 
sembles ausgefiihrt). Soziologisch gesehen (->• Kenner 
und Liebhaber) ist das Str. somit eine Gattung fur Ken- 
ner (hierzu Adorno 1962, S. 96ff., und Finscher 1962), 
doch hat es stets starke Anziehungskraft auch auf den 
Liebhaber ausgeiibt, u. a. deshalb, weil sich der geistige 
Anspruch, die Subtilitat der Aussage meist verbirgt 
hinter einer unmittelbar den asthetischen Sinn an- 
sprechenden, scheinbar unproblematischen Gestaltung 
(hierfur ist das oben zitierte Andante aus Mozarts Str. 
D moll, K.-V. 421, mit seinem liedhaften Thema, sei- 
ner scheinbar regelmaBigen Achttaktigkeit und seinem 
»innigen« Ausdruck ein Beispiel). Einerseits konnte das 
Str. von daher gesehen als anspruchsvolle Hausmusik 
verstanden werden (vgl. Aulich und Heimeran 1936), 
andererseits ist es - neben Symphonie, Sonate, Lied 
und Oper - eine der zentralen Gattungen der Musik 
der letzten 200 Jahre. 

Seine ersten 12 Str.e (op. 1 und 2, Hob. Ill, 1-12) kom- 
ponierte J.Haydn nach eigenem Zeugnis (vgl. Grie- 
singer) vor 1759 fiir Kammermusikabende des Frei- 
herrn von Fiirnberg in Weinzierl. Ihre Fiinfsatzigkeit 
(je ein Menuett an 2. und 4. Stelle) und ihr durchwegs 
heiterer Tonfall rucken diese Werke in die Nahe des 
-*■ Divertimentos (-1) Wagenseilscher Pragung (1765 
wurden sie vom Verlag Breitkopf unter der Bezeich- 
nung Quadri bzw. Cassationes angeboten). Doch wei- 
sen Einzelheiten der Satztechnik, z. B. die auffallige 
Gegeniiberstellung auftaktiger und abtaktiger Themen 
(hierzu Georgiades 1954, S. 92ff.) auf die groBen Str.e 
op. 33 (Hob. Ill, Nr 37-42) voraus. Sucht man nach 
den Vorbildern fiir diese Erstlingswerke der neuen 
Gattung, so wird daher teilweise auch die Frage nach 
der Herkunf t des durch Haydn nicht zuletzt mit seinen 
Str.en begriindeten Wiener klassischen Stils beruhrt 
(vgl. die Arbeiten von H. Riemann, Sandberger, Torre- 
franca, G.Adler und W.Fischer). Zu den Ahnen des 
Str.s sind u.a. eine 3teilige Kanzone (fiir 2 V., Va und 
Vc.) von Gr. Allegri (vgl. Hull 1929) sowie imitatorisch 
gearbeitete 4st. Streichersatze osterreichischer Kompo- 
nisten des 17. Jh. (vgl. Geiringer 1959) gezahlt worden. 
Als wichtigste kammermusikalische Gattung des 17./ 
18. Jh. gehort die -*■ Triosonate zu den Vorlaufern des 
Str.s. Doch ein direkter EinfluB der Triosonate auf das 
Str. konnte erst wirksam werden, als ihre Hauptmerk- 
male, generalbaBgebundene Harmonik und Stimm- 
fuhrung, verschwanden und aus ihr das generalbaBlose 



Streichquartett 

Streic trio (2 Violinen und BaB) herauswuchs (viel- 
leicht sind auchJ.Haydns Streichtrios Hob. V, 15-20 
vor den ersten Str.en entstanden). Entscheidende An- 
regungen vermittelten vor allem die Streichtrios op. 1 
(»Orchestertrios«) vonJ.Stamitz (um 1755). Allerdings 
ist der 4st. Str.-Satz nicht durch Einfugung der Viola 
in einen Triosatz anstelle generalbaBmaBiger Klang- 
ausfiillung zustandegekommen. Unter den Bezeich- 
nungen Concertino a quattro, Concerto, Sinfonia, 
Quadro usw. (vgl. die.Ubersicht bei Torrefranca 1966, 
S. 175f.) entstanden seit Ende des 17. Jh. zahlreiche 
4stimmige concertierende Streichersatze, die sowohl 
fiir mehrfache (orchestrale) als auch fiir Kammerbe- 
setzung geeignet waren und in denen der Viola eine 
obligate, oft auch thematisch wichtige Stimme zu- 
kommt. Inwieweit solche Kompositionen von Giu- 
seppe Torelli (4st. Concetti, 1687-98), A. Scarlatti (So- 
nate a quattro senza Cembalo), Albinoni (Sinfonie a 4), 
Galuppi und Pergolesi, G. B. Sammartini (u. a. Concer- 
ti grossi mit Solo-Str.), Giardini (4 Ouvertures and one 
Quattro, London 1751), Tartini (Str.-Arrangements von 
Violinkonzerten, London 1756), Zach und Holzbauer 
(Quartettsymphonien), Monn, Filtz und Starzer zur 
Vorgeschichte des Str.s allgemein bzw. speziell der 
friihen Str.e von Haydn zu zahlen sind, ist ungewiB. 
Torrefranca (1966) stellte die Friihgeschichte des Str.s 
als eine kontinuierliche Entwicklung aus dem italie- 
nischen Concerto dar. Dies trifft zu fiir die Verhalt- 
nisse auBerhalb W>ens (besonders fiir Paris und Lon- 
don), bevor der EinfluB von Haydns Str.en wirksam 
wurde. 

Unter den Komponisten, die etwa gleichzeitig oder 
kurz nach Haydn an der Ausbildung des Str.s beteiligt 
waren und besondere Traditionszweige der Gattung 
begriindeten, ist an erster Stelle Boccherini (op. 1, 
komponiert 1761) zu nennen. In den f olgenden Jahr- 
zehnten entstand in Paris eine umfangreiche Literatur 
fiir Str., u. a. von Cambini, P.Vachon, Gossec, A.E. 
M. Gretry, Davaux, Saint-Georges, J. Fodor, Dalayrac, 
A.Stamitz, Viotti und dem Haydn-Schuler I.Pleyel. 
Bei den in Paris wirkenden Komponisten iiberwiegt 
die Tendenz zu bevorzugter, oft virtuoser Behandlung 
der 1. Violine. Daraus entstand die Sonderform des 
Quatuor brillant, in der auch reisende Violinvirtuosen 
hervortreten konnten (im Unterschied dazu hieBen 
Str.e mit 4 gleichberechtigten oder abwechselnd so- 
listisch-concertierend hervortretenden Stimmen Qua- 
tuor concertant oder Quatuor dialogue). Beliebt wa- 
ren bis ins 19. Jh. auch Str.e iiber Opern- und andere 
bekannte Melodien (Quatuor d'airs connus). Wahrend 
in Italien das Musikpublikum anderen Gattungen zu- 
geneigt war und daher nur vereinzelte Ansatze zum 
Str. enstanden (Pugnani, V. Manfredini, Bertoni, Nar- 
dini, Capuzzi, Paisiello und Rolla), erwies sich London 
als ein dankbares Wirkungsfeld fiir Str.-Verleger und 
-Komponisten (Giardini, C. Fr. Abel, Sacchini, J. Chr. 
Bach, G.B. Cirri, Kammel und V.Rauzzini). - Die 
Komponisten der ->■ Mannheimer Schule widmeten 
sich vor allem dem Quartett mit einer konzertierenden 
Blaserstimme. Die Flotenquartette von C. G.Toeschi 
(Paris 1765) beeinfluBten offenbar das franzbsische 
Quatuor dialogue. An Haydns Vorbild orientiert sind 
die Str.e op. 5 (1768) von Fr.X.Richter. J.M.Kraus 
hinterlieB 9 Str.e von ausgepragtemEigenstil. Am Ber- 
liner Hof wurde das Str.-Spiel durch den Cello spie- 
lenden Kronprinzen (den spateren Konig Friedrich 
Wilhelm II.) gepflegt; Haydn (op. 50), W.A.Mozart 
(K.-V. 575, 589, 590), E. A. Forster (op. 7), Pleyel (op. 9) 
u. a. widmeten ihm Str.e, in denen die Cellopartie mit 
besonderer Aufmerksamkeit behandelt ist. 1773 wid- 
mete C.Ph.E.Bach dem Wiener Musikmazen G.van 



911 



Streichquartett 

Swieten 6 Werke fur Str.-Besetzung, spate Nachf ahren 
der generalbaBgebundenen Quartettsymphonie. 
Neben den drei GroBen - Haydn, Mozart, Beethoven - 
und aus heutiger Sicht in deren Schatten wirkte in 
Wien eine groBe Zahl begabter und fleifiiger Str.- 
Komponisten, die Haydns Str.en nacheiferten. Am 
nachsten kommt diesem Vorbild Dittersdorf . In direk- 
ter Haydn-Nachfolge stehen die 9 Str.e von Aloys 
(=Luigi) Tomasini. Meist im Ton des galanten Di- 
vertimentos oder in allzu »strenger« Schreibart bewe- 
gen sich die Werke von G.Chr.Wagenseil, Aspel- 
mayr, Fl.GaBmann, C.d'Ordonez, Albrechtsberger, 
Vanhal, Fiala.E. A.Forster, L. Kozeluch, J. Mederitsch, 
Fr. A. Hoffmeister, P. und A.Wranitzky, Gyrowetz 
und Eybler. J.Haydn verblieb sein ganzes Leben lang 
in standiger Auseinandersetzung mit dem Str. (83 Wer- 
ke); dabei vollzog sich schrittweise ein Wandel der 
Satztechnik und der Ausdruckssphare vom kultiviert- 
galanten Konversationston zum bedeutsamen, drama- 
tischen oder tiefsinnig-philosophischen Dialog (hierzu 
u. a. Geiringer 1959). Bei W.A.Mozart wird das Vor- 
bild Haydns erstmals 1773 in den Str.en K.-V. 168-173 
deutlich, doch erst die Begegnung mit dem 1781 ver- 
oflentlichten op. 33 loste bei Mozart jene »lange und 
fleiBige Bemiihung« urn das Str. aus, deren Ergebnisse 
Haydn, den bis dahin unumstrittenen Meister des Str.s, 
zu tiefer Bewunderung fur den Jiingeren veranlaBten. 
So ergab sich eine fruchtbare Wechselwirkung und 
kiinstlerische Freundschaft zwischen Haydn und Mo- 
zart, deren Vermittler das Str. blieb. Damit war das Str. 
auf eine Ebene gehoben, die den reifen Meister erfor- 
derte - vorbei waren die Zeiten, da ein junger Kompo- 
nist mit Str.en als op. 1 debiitieren konnte. - Beetho- 
ven eroberte dem Str. sogleich (mit op. 18) und injeder 
seiner spateren Str.-Publikationen (Op. 59, 74, 95) neue 
Aussagemoglichkeiten, bis er in seinen spaten Str.en (op. 
127, 130-133 und 135) in Bereiche vorstiefi, in denen 
endgiiltig jeder Vergleich auf Grund musikalischer Er- 
fahrungen, jedes Messen des Gestalteten an Modellen, 
Normen ausgeschlossen war. Damit war das Prinzip 
des Str.s, das im weitesten Sinne audi das Prinzip des 
klassischen Satzes iiberhaupt ist und das als Entfaltung 
individueller Aussage vor dem Hintergrund eines Nor- 
mativen beschrieben werden kann (-> Komposition), 
zu Ende gedacht und zugleich aufgehoben. Die spaten 
Str.e Beethovens stieBen zunachst auf mangelndes Ver- 
standnis, teilweise sogar auf Ablehnung. Erst seit der 
Mitte des 19. Jh. wurden sie zunehmend als Inbegriff ver- 
geistigter musikalischer Aussage »entdeckt« und als eine 
auch iiber das S tr. hinausweisende Moglichkeit des Kom- 
ponierens : Nie wurde bezweifelt, dafi Schonberg in der Poly- 
phonie des Str.s wurzelt (Adorno 1962, S. 108). 
Im 19. Jh. wirkten zunachst die Vorbilder Haydns und 
Mozarts sowie des franzosischen Quatuor brillant fort, 
so z. B. in Str.en von Fr.Kramaf, Danzi, B. und A. 
Romberg, F.Franzl, P. Hansel, A.Reicha, Carl Canna- 
bich, Onslow, Spohr, Fr.E.Fesca, Rossini, Donizetti, 
P. Rode und R.Kreutzer. Ein ohne Fortsetzung geblie- 
bener Neuansatz zu 2choriger Komposition sind die 4 
Doppelquartette (1825-47) von Spohr, die auf eine An- 
regung von A. Romberg zuriickgehen (vgl. Glenewin- 
kel 1912, S. 88fi.). Den Versuch der direkten Ankniip- 
fung an die Werke des mittleren Beethoven unter- 
nahmen F. Ries und Fr. Lachner. Cherubini ragt durch 
sorgf altige und phantasievolle Thematische Arbeit her- 
vor; zuweilen gibt er den Solostellen der Instrumente 
etwas von der Wirkung eines Opernauftritts (z. B. im 
Str. C dur, 2. Satz, Allegro, Takt 44-50). Ein uneinheit- 
liches Bild zeigt das Str.-Schaffen von Fr. Schubert; 
seine Arbeit am Str. dokumentieren zahlreiche, zum 
Teil auch Fragment gebliebene Kompositionen. Von 



den 15 vollstandig erhaltenen Str.en Schuberts haben 
vor allem drei, in den Jahren 1824-26 entstandene 
Werke (A moll, op. 29, D 804; D moll, »Der Tod und 
das Madchen«, D 810; G dur, op. 161, D 887) Auf- 
nahme in das Konzertrepertoire der Str.-Ensembles 
gefunden, zu dem als fester Bestand auch die Werke 
von Mendelssohn Bartholdy, R.Schumann, Brahms 
und Reger gehoren. Den deutschen Traditionszweig 
des Str.s setzten auBerdemfort R. Volkmann, H. Wolf, 
Busoni und Pfitzner. Der fiir die Musikgeschichte des 
19. Jh. weithin bestimmende Aspekt, die Auspragung 
nationaler Elemente und Stile, wurde auch im Str. 
wirksam. Ansatze hierzu zeigen sich schon bei Eisner, 
dem Lehrer Chopins. Am fruchtbarsten war die rus- 
sische Schule mit Tschaikowsky, Borodin, N. Rimskij- 
Korsakow, Anton Rubinstein, Cui, A.Tanejew, Gla- 
sunow, Prokofjew und Schostakowitsch, wahrend die 
franzosischen Komponisten C.Franck, E.Lalo, Saint- 
Saens, G. Faure, d'Indy, Debussy und Ravel meist nur 
je ein Str. von hochster Individualist schrieben. In 
Italien setzte sich Boito lebhaft fiir die Einburgerung 
des Str.s ein, doch gewann einzig der Beitrag von Verdi 
europaische Geltung. Smetana und Dvorak, Grieg und 
Sibelius sowie Z.Kodaly reprasentierten auch in ihren 
Str.en ausgepragt national orientierte Musikidiome von 
ungebrochenem Reiz. Demgegeniiber tritt das natio- 
nale Element in den sechs hochbedeutenden Werken 
von B.Bartok zuriick zugunsten einer profunden Aus- 
einandersetzung mit den Problemen des Str.-Satzes, die 
eine Entsprechung nur in den ahnlichen Bemiihungen 
der Klassiker fmdet und die neue Situation des Kompo- 
nierens ebenso zeigt, wie die Arbeiten der Schonberg- 
Schule. Wurde in den Str.en Schonbergs, A. Weberns 
und A. Bergs das artifizielle Moment, die Arbeit am 
Satz auf eine neue Weise aktuell, so zeigen die Werke 
Hindemiths (vor allem sein 3. Str. op. 22, 1922) das Be- 
streben, die instrumentale Spieltechnik des Str.-Ensem- 
bles bis an die Grenze des Moglichen auszuweiten. Seit- 
dem hat das Str. seine zentrale Bedeutung fiir das Kom- 
ponieren verloren. Milhaud (18 Str.e, 1912-51),Wellesz 
(8 Str.e, 1912-58), Villa-Lobos (16 Str.e, 1915-55), E. 
Bloch (5 Str.e, 1916-58) und Malipiero (7 Str.e, 1920- 
50) fiihrten seine Tradition zwar bis in die neueste Zeit, 
doch ist es ungewiB, ob die Werke fiir Str.-Besetzung 
von Strawinsky, Szymanowski, Casella, Janacek, 
Hauer, H.Kaminsky, Jarnach, Zillig, W. Former, Hes- 
senberg, K. A. Hartmann, H. Schroeder, J.Francaix, 
Petrassi, Lutoslawski, Boulez, Henze, Pousseur und 
Krz. Penderecki von der Gattungsgeschichte her ge- 
sehen als Auslaufer oder als Neuansatze zu werten sind, 
denen der herkommliche Begriff des Str.s allerdings 
nicht mehr gerecht werden kann. 
Das Str. gewann im 19. Jh. zunehmende Bedeutung 
fiir das offentliche Konzert; das Str.-Ensemble als stan- 
dige Vereinigung von 4 Musikern ist bis heute ein 
wichtiger Faktor des Musiklebens. Beruhmte Str.-En- 
sembles griindeten und leiteten: -> Schuppanzigh 
(1794-1816), K.Moser (ab 1813), -► Baillot (ab 1814), 
J.Bohm (1821-68), Th.A.Tilmant (ab 1830), die Ge- 
briider -> Muller (1831-55 und 1855-73), P.-A.-Fr. 
Chevillard (ab 1835), Jansa (ab 1845), J. -> Hellmesber- 
ger (ab 1849), J. Armingaud (mit E. -* Lalo; ab 1855), 
A.Basevi (ab 1859), -> Heermarm (ab 1865), Jean 
-> Becker (ab 1866), J. ->■ Joachim (1869-1907), A. 
-»- Rose (1882-1938), -> Kneisel (1885-1917), J. -+ Suk 
(ab 1892), -> Capet (mit H.-G. und M. -s- Casadesus; 
ab 1893), C. -»- Thomson (ab 1898), -> Pochon (ab 
1902), Rebner (mit->- Hindemith; ab 1904), -> Klingler 
(1905/06-35), C. -> Wendling (1911-45), A.Onnou 
(alteres Pro Arte-Str. ; 1913-40), ->• Schachtebeck (ab 
1915), O.Zuccarini (Quartetto di Roma; ab 1918), 



912 



A. -► Busch (1919-52), -» Amar (mit -» Hindemith; 
1921-29), -s- Kolisch (ab 1922; nach 1944 neueres Pro 
Arte-Str.), -> Loewenguth (ab 1929), L.Ferro (ab 
1937), W. -+ Schneiderhan (1938-51), -> Primrose (ab 
1939). Die wichtigsten Str.-Ensembles der Gegenwart 
sind: Amadeus-Quartett, (neueres) Barchet-Quartett 
(R. ->- Barchet), Borodin-Quartett, Budapester Str. 
(1921 gegriindet, seitdem neue Besetzung), Drolc- 
Quartett, Endres-Quartett, Fine-Arts-Quartet, Holly- 
wood-Quartett, Janacek-Quartett, Juillard String Quar- 
tet, Keller-Quartett, ->• Koeckert-Quartett, Quartetto 
Italiano, Smetana-Quartett, ->■ Vegh-Quartett, Vlach- 
Quartett. 

Lit.: F. Hand, Aesthetik d. Tonkunst II, Jena 1841, Lpz. 
2 1847; A. B. Marx, Die Lehre v. d. mus. Komposition IV, 
Lpz. 1847; L. Kohler, Die Gebriider Miiller u. d. Str., Lpz. 
1858; E. Sauzay, Haydn, Mozart, Beethoven. Etude sur le 
quatuor, Paris 1861 ; A. Ehrlich, Das Str. in Wortu. Bild, 
Lpz. 1898 (iiber Str.-Ensembles); E. J. Dent, The Earliest 
String Quartets, MMR XXXIII, 1903; F. Torrefranca, 
J. W. A. Stamitz e il Prof. H. Riemann, in: La creazione 
della sonata dramatica moderna rivendicata all'Italia, 
RMI XVII, 1910; ders., La lotta per l'egemonia mus. nel 
settecento, RMI XXIV, 1917 - XXV, 1918; ders., Le ori- 
gini dello stilo mozartiano, RMI XXVIII, 1921, alle Auf- 
satze auch separat als: Le origini ital. del romanticismo 
mus., Turin 1930; ders., Mozart e il quartetto ital., Ber. 
iiber d. mw. Tagung d. Internationalen Stif tung Mozarteum 
in Salzburg 1931 ; ders., Awiamento alia storia del quar- 
tetto ital., hrsg. v. A. Bonaccorsi, in: L'Approdo mus., 
H. 23, 1966; H. Riemann, Mannheimer Kammermusik d. 
18. Jh., Einleitung zu DTB XV, Lpz. 1914; W. Fischer, 
Zur Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMw III, 
1915; A. Heuss, Kammermusik- Abende, Lpz. 1919; L. de 
La Laurencie, L'6cole frc. de violon de Lully a Viotti, 3 
Bde, Paris 1 922-24 ; R. Clark, The Hist, of the Va in Quar- 
tet Writing, ML IV, 1923; G. Adler, Die Wiener klass. 
Schule, in : Adler Hdb. ; A. Pochon, A Progressive Method 
of String-Quartet Playing, NY 1924; M. D. Herter Nor- 
ton, String Quartet Playing, NY 1925; M. Pincherle, 
Feuillets d'hist. du violon, Paris 1927; ders., On the Ori- 
gins of the String Quartet, MQ XV, 1929; ders., Les instr. 
du quatuor, Paris 1948 (S. 119ff. iiber Str.-Ensembles); 
C. H. P. Stoevtng, The V., Cello and String Quartet, NY 
1927; W. Altmann, Hdb. f. Streichquartettspieler, 4 Bde, 
Bin 1928-31; A. E. Hull, The Earliest Known String 
Quartet, MQ XV, 1929; H. Mersmann, Die Kammermu- 
sik, = H. Kretzschmars Fiihrer durch d. Konzertsaal III, 
4 Bde, Lpz. 1930-33 ; H. Rothweiler, Zur Entwicklung d. 
Str. im Rahmen d. Kammermusik d. 18. Jh., Diss. Tubin- 
gen 1934, maschr. ; Br. Aulich u. E. Heimeran, Das still- 
vergniigte Str., Miinchen 1936, 161964-68; U. Lehmann, 
Deutsches u. ital. Wesen in d. Vorgesch. d. klass. Str., 
Wiirzburg 1939; P. Schluter, Die Anfange d. modernen 
Str., Bleicherode (1939); Thr. G. Georgiades, Musik u. 
Sprache, = Verstandliche Wiss. L, Bin, Gottingen u. Hei- 
delberg (1954); G. S6lyom, A klasszikus szazadfordulo 
(»Die klassische Jh.-Wende«), in : Haydn Emlekere, Buda- 
pest 1960; J.KRAMARZ,VonHaydn bis Hindemith, = Mus. 
Formen in hist. Reihen, Wolfenbiittel (1961); ders., Das 
Str., = Beitr. zur Schulmusik IX, ebenda; Th. W. Ador- 
no, Einleitung in d. Musiksoziologie, Ffm. 1962; L. Fin- 
scher, Zur Sozialgesch. d. klass. Str., Kgr.-Ber. Kassel 
1962; X. Schnyder v. Wartensee u. H. G. Nageli, Briefe 
aus d. Jahren 1822-35, hrsg. v. W. Schuh, Zurich 1962; W. 
Kirkendale, Fuge u. Fugato in d. Kammermusik d. Ro- 
koko u. d. Klassik, Tutzing 1966. 

G. A. Griesinger, Biogr. Notizen iiber J. Haydn, AMZ XI, 
1 809, separat Lpz. 1811, NA hrsg. v. Fr. Grasberger, = Der 
Musikfreund I, Wien (1954); L. Ehlert, R. Volkmann 
(I: Str.), in: Aus d. Tonwelt. Essays, Bin 1877, S. 252ff.; 
Th. Helm, Beethoven's Str., Lpz. 1885, 21910; A. Sand- 
berger, Zur Gesch. d. Haydn'schen Str., Altbayerische 
Monatsschrift II, 1900, erweitert in: Ausgew. Aufsatze 
zur Mg. (I), Miinchen 1921, revidiert NY 1948; H. Rie- 
mann, Beethovens Str., = Schlesinger'sche Musik-Bibl., 
Meisterfuhrer XII, Bin u. Wien (1903) ; E. Jokl, Die letzten 
Str. Beethovens, Diss. Wien 1905, hs.; H. Glenewinkel, 
Spohrs Kammermusik f . Streichinstr., Ein Beitr. zur Gesch. 



Streichquartett 

d. Str. im 19. Jh., Diss. Miinchen 1912; E. Kornauth, Die 
thematische Arbeit in J. Haydns Str. seit 1780, Diss. Wien 
1915, maschr.; G. de Saint- Foix, Un quatuor d'»Airs 
dialogues« de Mozart, in: Bull, de la Soc. frc. de Musicolo- 
gie II, 1920/21 ; ders., Le dernier quatuor de Mozart, Fs. 
G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; H. J. Wedig, Beethovens 
Str. op. 18 Nr. 1 u. seine erste Fassung, = Veroff. d. Beet- 
hovenhauses Bonn II, Bonn 1922; W. Essner, DieThema- 
tik d. Menuette in d. Str. J. Haydns, Diss. Erlangen 1923, 
maschr.; R. Gerber, Harmonische Probleme in Mozarts 
Str., Mozart- Jb. II, 1924; E. Leuchter, Die Kammermu- 
sikwerke Fl. L. GaBmanns, Diss. Wien 1926, maschr. ; Th. 
F. Dunhill, Mozart's String Quartets, London 1927, 
2 1948; G. Rigler, Die Kammermusik Dittersdorfs, StMw 
XIV, 1927; H. Abert, Sechs unter Mozarts Namen neu 
aufgefundene Str., Mozart- Jb. Ill, 1929; E. Klockow, 
Mozarts Str. in A-dur, ebenda; ders., Mozarts Str. in C- 
dur, in: DMK VI, 1941/42; O. A. Mansfield, Cherubini's 
String Quartets, MQ XV, 1929; Ph. Ruff, Die Str. Fr. 
Schuberts, Diss. Wien 1929, maschr.; Cyclopedic Survey 
of Chamber Music, hrsg. v. W. W. Cobbett, 2 Bde, London 
1929, mit Suppl.-Bd hrsg. v. C Mason, 21963; M. Rosen- 
mann, Studien zum Gestaltungsproblem d. letzten fiinf 
Str. L. van Beethovens, Diss. Wien 1930, maschr.; Fr. 
Blume, J. Haydns kunstlerische Personlichkeit in seinen 
Str., JbP XXXVII, 1931, auch in: ders., Syntagma musico- 
logicum, hrsg. v. M. Ruhnke, Kassel 1963; A.-E. Cher- 
buliez, Zur harmonischen Analyse d. Einleitung v. Mo- 
zarts C-dur-Str. (KV 465), Ber. iiber d. wiss. Tagung d. In- 
ternationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg 1931 ; ders., 
Bemerkungen zu d. »Haydn«-Str. Mozarts und Haydns 
»Russischen«Str., Mozart- Jb. 1959; H. Walter, Fr. Krom- 
mer (1759 bis 1831). Sein Leben u. Werk mit besonderer 
Beriicksichtigung d. Str., Diss. Wien 1932, maschr.; G. 
Roncaglia, Di G. G. Cambini, quartettista padre, Rass. 
Mus. VI, 1933 ; ders., G. G. Cambini, quartettista roman- 
tico, ebenda VII, 1934; G. Wilcke, Tonalitat u. Modula- 
tion im Str. Mendelssohns u. Schumanns, Lpz. 1933; A. 
Schering, Beethoven in neuer Deutung I (Die Shake- 

speare-Str ), Lpz. 1934; M. M. Scott, Haydn's op. 

2 and 3, Proc. Mus. Ass. LXI, 1934/35; A. Hinderber- 
ger, Die Motivik in Haydns Str., Diss. Bern 1935; K. 
Kuczewiski-Poray, Die Orch.-Werke u. Str. A. Borodins, 
Diss. Wien 1935, maschr.; G.-W. Baruch, Beethovens 
Str., Prag 1938, engl. NY 1938; H.-M. Sachse, Fr. Schu- 
berts Str., Diss. Miinster i. W. 1938 ; E. M. Bader, Studien 
zu d. Str. Op. 1-33 v. J. Haydn, Diss. Gottingen 1945, 
maschr.; A. Hyatt King, Mozart's Counterpoint, ML 
XXVI, 1945, auch in: Mozart in Retrospect, London, NY 
u. Toronto (1955, 21956); W. Vetter, Das Stilproblem 
in Beethovens op. 59, Das Musikleben I, 1948; ders., 
Beethoven u. RuBland, in: Neue Ges. 1948, beides auch 
in: Mythos - Melos - Musica. Ausgew. Aufsatze zur 
Mg. I, Lpz. 1957; J. M. Bruce, Notes from an Analysis 
of Mozart's Quartet in G major K. 387, MR X, 1949; W. 
Kolneder, Hindemiths »Str. V in Es«, SMZ XC, 1950; L. 
Misch, Beethoven-Studien, Bin 1950; D. Serrins, The 
Validity of Textbook Concepts of »Sonata Form« in Late 
String Quartets of Haydn and Mozart, Master of Art-The- 
sis Univ. of North Carolina 1950, maschr.; D. Silbert, 
Ambiguity in the String Quartets of Haydn, MQ XXXVI, 
1950; R. Sondheimer, Haydn. A Hist, and Psychological 
Study Based on his Quartets, London (1951); W. G. Hill, 
Brahms' op. 5 1 - a Diptych, MR XIII, 1952 ; H. C. R. Lan- 
don, On Haydn's Quartets of Opera 1 and 2. Notes and 
Comments on Sondheimer's Hist, and Psychological 
Study, MR XIII, 1952; ders., Doubtful and Spurious 
Quartets and Quintets Attributed to Haydn, MR XVIII, 
1957; ders., Problems of Authenticity in 18 th -Cent. Music 
in Instr. Music, in: A Conference at Isham Memorial Li- 
brary, hrsg. v. D. G. Hughes, Cambridge (Mass.) 1959; E. 
Ratz, Die Originalfassung d. Str. op. 130 v. Beethoven, 
Osterreichische Musikzs. VII, 1952; H. G. Mishkin, Five 
Autograph String Quartets by G. B. Sammartini JAMS, VI, 
1 953 ; E. Kroher, Die Polyphonie in d. Str. W. A. Mozarts 
u. J. Haydns, Wiss. Zs. d. K.-Marx-Univ. Lpz., Gesell- 
schafts- und sprachwiss. Reihe V, 1955/56 ; G. Perle, Sym- 
metrical Formations in the String Quartets of B. Bartok, 
MR XVI, 1955; M. F. Walker, Thematic, Formal and 
Tonal Study of the Bartok String Quartets, Diss. Univ. of 
Indiana 1955, maschr.; J. v. Hecker, Untersuchungen an 



58 



913 



Streichquintett 



d. Skizzen zum Str. op. 131 v. Beethoven, Diss. Freiburg 
i. Br. 1956, maschr.; R. Traimer, B. Bartoks Komposi- 
tionstechnik - dargestellt an seinen sechs Str., =For- 
schungsbeitr. zur Mw. Ill, Regensburg 1956; A. Mason, 
An Essay in Analysis, Tonality, Symmetry and Latent 
Serialism in Bart6k's Fourth Quartet, MR XVIII, 1957; 
L. V. Pankaskie, Tonal Organization in the Sonata-Form 
Movements in Haydn's String Quartets, Diss. Univ. of 
Michigan 1957, maschr.; B. Rands, The Use of Canon in 
Bartok's Quartets, MR XVIII, 1957; L. L. Somfai, Mo- 
zart »Haydn«-kvartettjei, in: Mozart Emlekere, Budapest 
1957; ders., A klasszikus kvartetthangz£s megsziiletese 
Haydn vonosnegyeseiben (»Die Entstehung d. klass. Quar- 
tettklangs in d. Str. Haydns«), in: Haydn Emlekere, ebenda 
1960; I. Mahaim, E. Ysaye et les »Derniers Quatuors« de 
Beethoven, Genf 1958; ders., Beethoven, Naissance et 
renaissance des derniers quatuors, 2 Bde, Paris 1964; K. 
Pfannhauser, Unechter Mozart, in: Mitt. d. Internatio- 
nalen Stiftung Mozarteum VII, 1958; K. Geiringer, J. 
Haydn, Mainz (1959) ; K. Grebe, Das »Urmotiv« bei Mo- 
zart. Strukturprinzipien im G-dur-Quartett KV 387, Acta 
Mozartiana VI, 1959; H. Keller, Pondering Over Mo- 
zart's Inconsistencies, MMR LXXXIX, 1959; W. Sieg- 
mund-Schultze, Mozarts »Haydn-Quartette«, Ber. fiber 
d. Internationale Konf erenz zum Andenken J. Haydns Bu- 
dapest 1959; ders., Tradition u. Neuerertum in Bartoks 
Str., Fs. Z. Kodaly, ebenda 1962; B. Wallner, W. Sten- 
hammars strakkvartettskisser, STMf XLIII, 1961; J. 
Chailley, Sur la signification du quatuor de Mozart K. 
465, dit »les dissonances«, et du 7 6me quatuor de Beetho- 
ven, Fs. Kn. Jeppesen, Kopenhagen 1962; J. Klingenbeck, 
I. Pleyel. Sein Str. im Rahmen d. Wiener Klassik, StMw 
XXV, 1962; J. La Rue, Dittersdorf Negotiates a Price, in: 
H. Albrecht in memoriam, Kassel 1962; W. Pfannkuch, 
Sonaten-Form u. Sonaten-Zyklus in d. Str. v. J. M. Kraus, 
Kgr.-Ber. Kassel 1962; O. E. Deutsch, Sartis Streitschrift 
gegen Mozart, Mozart- Jb. 1962/63; A. Palm, Mozarts 
Str. d-Moll, KV421, in d. Interpretation Momignys, eben- 
da; A. Berg, Warum ist Schonbergs Musik so schwer ver- 
standlich ?, in : W. Reich, A. Berg. Leben u. Werk, Zurich 
(1963), engl. als: Why is Schoenberg's Music so Hard to 
Understand?, MR XIII, 1952; W. Kirkendale, The 
»Great Fugue« op. 133 : Beethovens »Art of Fugue«, AMI 
XXXV, 1963 ; J. Germann, Die Entwicklung d. Exposition 
in J. Haydn's Str., Diss. Bern 1964; A. Orel, Das Auto- 
graph d. Scherzos aus Beethovens Str. op. 127, Fs. H. En- 
gel, Kassel (1964); A. Tysonu. H. C. R. Landon, Who Com- 
posed Haydn's op. 3 ?, The Mus. Times CV, 1964; J. Vin- 
ton, New Light on Bartok's Sixth Quartet, MR XXV, 1964 ; 
G. Croll, Eine neuentdeckte Bachfuge f. Str. v. Mozart, 
Osterreichische Musikzs. XX, 1966; L. Finscher, Mozarts 
»Mailander« Str., Mf XIX, 1966; W. M. Jones, E. Bloch's 
Five String Quartets, The Music Review XXVIII, 1967. 

Streichquintett, Streichsextett, Streichtrio -> 

Quintett, -*■ Sextett, -> Trio. 

Streichzither, eine von J. Petzmayer 1823 in Wien er- 
fundene Abart der -> Zither (- 2). Ein herzformiges 
Corpus mit 2 Schallochern tragt in der Mitte das Grifl- 
brett mit Metallbiinden, iiber das 3 oder 4 Stahlsaiten 
in Quintstimmung : g d 1 a 1 (e 2 ) laufen. Die Saiten wer- 
den an dem spitz zulauf enden Ende des auf einem Tisch 
liegenden Instruments angestrichen; der Ton ist nur 
schwach und naselnd. ->■ Streichmelodion. 

Stretta, auch Stretto (ital., Enge), - 1) in der Fuge die 
-> Engfiihrung. Mitunter wird auch kontrapunktische 
Nachahmung in verkiirzten Notenwerten Imitazione 
alia str. genannt. - 2) der in beschleunigtem Tempo 
ausgefiihrte SchluBabschnitt eines Opernfinales (Mo- 
zart, Le Nozze di Figaro, Finale des 2. Aktes : Prestissi- 
mo), besonders bei italienischen Komponisten von 
Paisiello bis Verdi ein beliebtes Steigerungsmittel von 
mitreiBendem Efiekt; der Str.-AbschluB von Arien 
oder Duetten heiBt auch -»- Cabaletta. Seit Beethovens 
5. Symphonie ist auch die -> Coda in Finalsatzen von 
Instrumentalkompositionen mitunter als Str. angelegt. 



stringendo (strindj'endo, ital.; Abk.: string.), zusam- 
mendrangend, d. h. allmahlich schneller werdend, wie 
-> accelerando. 

strisciando (striJJ'ando, ital.), streifend, durch die 
Halbtone geschleift (chromatisches -> Glissando). 

Strohfidel (Strofiedel; engl. straw-fiddle; nld. strooi- 
vedel), eine vom 16. bis zum 19. Jh. verbreitete volks- 
tumliche Bezeichnung fiir das -> Xylophon, dem seit 
seiner ersten schriftlichen Erwahnung als hiiltze glechter 
(Schlick 1511) und der friihesten bildlichen Darstellung 
(Holbein, Totentanz, um 1 525) als Instrument der Wan- 
der- und Tanzmusikanten Ost- und Zentraleuropas die 
verschiedensten Namen gegeben wurden: Holzernes 
Gelachter (von oberdeutsch glachel, Kloppel), Holz- 
fidel, Holzharmonika, Holz und Stroh, Holz- und 
Strohinstrument (so noch bei R. Strauss, Salome, 1905), 
Gigelyra u. a. ; lat. lignea craticula, psalterium ligneum; 
frz. claquebois, echelette, patrouille, regale de bois; 
ital. sticcato, sistro (»Apulisches Sistrum«), timpano. 
Die deutschen Namen beziehen sich entweder auf die 
hblzernen Stabe oder Kloppel oder auf die Strohunter- 
lage, auf der bei den alteren Formen des Xylophons die 
Stabe ruhten. 

Lit. : A. Schlick, Spiegel d. Orgelmacher u. Organisten, 
Speyer 1511, Faks. u. Ubertragung hrsg. v. P. Smets, Mainz 
1959; G. Paradossi, Modo facile di suonare il sistro no- 
mato il timpano, Bologna 1695, Faks. Mailand 1933; A. 
Jacquot, Dictionnaire ... des instr. de musique . . . , Paris 
1886; Sachs Hdb.; K. M. Klier, Volkstumliche Musik- 
instr. in d. Alpen, Kassel 1956. 

Strophe (griech. orpocpir), Wendung; ital. und engl. 
stanza; altfrz. copla, ->• Couplet), Einheit aus mehreren 
Versen, die oft unterschiedliche Lange und Bauart auf- 
weisen (-*■ VersmaBe) ; die Vertonung beriicksichtigt in 
der Regel die strophische Form des Textes (-*■ Lied). - 
Das Wort Str. wurde im Franzbsischen Mitte des 16. Jh. 
von P. de Ronsard im Zusammenhang mit der Nach- 
ahmung griechischer Oden (->• Odenkomposition) im 
antiken Sinn eingefcihrt; erst im 19. Jh. ersetzte die Be- 
zeichnung Str. im heutigen Sinn die friiher ubliche Be- 
nennung Stance. Im deutschen Bereich wurden (und 
werden in der Umgangssprache teilweise heute noch) 
die Str.n besonders des protestantischen Kirchenliedes 
als Verse (analog zu Bibelvers) bezeichnet; die heute 
ubliche Verwendung der Termini Vers (friiher mit 
-*■ Reim bezeichnet), und Str. fiihrte Opitz ein. - Die 
Str. ist urspriinglich ein eng mit Gesang und Bewe- 
gung (Tanz) zusammenhangendes Formelement grie- 
chischer Lyrik (vor allem der Chorlyrik). Die antiken 
Str.n wurden spater nach der Zahl ihrer Verse benannt 
oder (in der Lyrik) mit dem Namen eines Dichters be- 
legt (Alkaische, Asklepiadeische, Sapphische Str.). Im 
christlichen Abendland hat die Str. nur noch eine for- 
mal-gliedernde Aufgabe. Im Zusammenhang mit der 
Einf uhrung des Endreims (-> Reim) entstand ein gro- 
Ber Reichtum an Str.n-Formen und deren Kombina- 
tions- und Variierungsmoglichkeiten. Rezeptionen an- 
tiker Str.n-Formen im Mittelalter (z. B. verwendet der 
lateinische Hymnus gelegentlich die Sapphische Str.) 
und seit der Renaissance (Odenkompositionen) blieben 
auf gelehrte Kreise beschrankt. - Die Form der Str. 
kann in verschiedenem Grad konstitutiv fiir das Ge- 
dicht sein. Vollig festgelegten Str.n-Formen und stro- 
phischen Gedichtformen (z. B. Terzine, Sestine) stehen 
Gattungen gegeniiber, fiir die zwar strophische Gliede- 
rung, jedoch nicht eine bestimmte Str.n-Form charak- 
teristisch ist (wie bei der Canzona des 16. Jh.). Nicht in 
Str.n unterteilte lyrische Formen (»Gedichtstrophen«) 
sind selten; das hierbei in erster Linie zu nennende 
-*■ Rondeau (- 2) erhalt durch mehrf aches Auf treten von 



914 



Studentenlied 



Refrainversen eine formale Gliederung. - Beim lateini- 
schen -> Hymnus (- 1) war die ambrosianische Str. (aus 
4 jambischen Dimetern bes.tehend) am weitesten ver- 
breitet; sie wurde auch in andere Gattungen iibernom- 
men. Fiir die mittellateinische Dichtung sind f erner zu er- 
wahnen die Vaganten-Str. (-> Vaganten), der auch eine 
Auctoritas (ein klassischer Hexameter oder Pentameter 
als Zitat) angefiigt werden kann, und die Stabat-Str. 
(zweimal 8 + 8 + 7 Silben; nach dem Stabat mater be- 
nannt). -Eine groBe Fiille von Str.n- und strophischen 
Gedichtf ormen hat die romanische Literatur entwickelt, 
besonders die italienische. Aus 3 Verszeilen besteht die 
Terzine, jedoch verbindet ein weiterflihrender Reim 
die Str.n miteinander: aba bcb cdc . . . (Dante, Corn- 
media). Die Str.n-Form der Terzine erscheint im 16. 
Jh. als Capitolo (->- Frottola). Eine Abart der Terzi- 
ne, das -> Ritornell (- 1 ; italienisch stornello), reimt 
ersten und dritten Vers jeder Str. und laBt den mitt- 
leren ohne Reimbindung. Die Stanze ist eine 8zeilige 
Str. (daher Ottave rime, deutsch Oktave; Reimsche- 
ma ab ab ab cc) aus HSilblern (z. B. in den Epen von 
Ariost und Tasso). Varianten da von sind None rime 
(ab ab ab cc b) und Siziliane (4 Reimpaare ab). Das 
Reimschema der Stanze ubernimmt der ->- Stram- 
botto ; die ->■ Villanella erweitert es um einen Refrain. 
Verschiedene Str.n-Formen weisen die unter ->• Frotto- 
la zusammengefaBten Gattungen auf (Barzalletta, Oda 
u. a.). Das ->■ Madrigal des Trecentos hat keine feste 
Str.n-Zahl, das des 16. und 17. Jh. ist formal uberhaupt 
nicht festgelegt. Die Gedichtform des Sonetts, aus vier 
Str.n - je zwei Vierzeilern (Quartetten) und Dreizei- 
lern (Terzetten) - mit der Reimfolge abba abba cdc 
dcd bestehend, erfuhr in der Nachfolge Petrarcas wei- 
teste Verbreitung in der europaischen Literatur. Das 
englische Sonett, z. B. bei Shakespeare, reimt abwei- 
chend davon abab cdcd efef gg< - Mehrere franzosi- 
sche Str.n- und Gedichtf ormen verwenden einen -> Re- 
frain, so das Rondeau und die regelmaBig dreistrophi- 
gen Formen ->• Ballade (- 1) und -*■ Virelai. Dem Vire- 
lai entspricht die italienische -*- Ballata ; entf ernt ahnlich 
ist auch der spanische ->• Villancico. Rondeau, Ballade 
und Virelai erfuhren im 14. Jh. (Machaut) und 15. Jh. 
ihre weiteste Verbreitung. Der -> Lai hat erst seit dem 
14. Jh. (Machaut) strophische Form (in der Regel 12 
Str.n). Die regelmaBige Str.n-Form der -> Kanzo- 
ne (- 1) der Trobadors und Trouveres war auch in Ita- 
lien und Deutschland verbreitet; hier stellt sie in Lied 
und Spruch des -» Minnesangs, dann im -> Meistersang 
(-»■ Bar) den verbreitetsten Str.n-Typ dar. Die aus der 
provenzalischen Lyrik hervorgegangene Sonderform 
der Sestine f and vor allem in Italien Verbreitung (Petrar- 
ca). Ihre sechs 6zeiligen Str.n vertauschen die 2silbigen 
Endworte der Verse fortlaufend in der Folge 6 15 2 
4 3. - Verschiedene Str.n-Formen wurden im mittel- 
hochdeutschen Heldenepos gebraucht (z. B. Nibelun- 
gen-, Gudrun-Str.). Die verbreitetste deutsche Lied-Str. 
ist die 4zeilige Volkslied-Str., die meist aus Vierhebern 
(-> Vierhebigkeit) mit Kreuzreim (abab) gebaut ist. 
Die ihr entsprechende Chevy-Chase-Str. der engli- 
schen Volksballade (seit dem 18. Jh. auch in Deutsch- 
land) bindet jedoch nur die 2. und 4. Zeile durch Reim. 
Lit. : — » Kontraf aktur ; — ► VersmaBe. WoD 

Strophicus (lat.) -> Neumen (- 1). 

Studentenlied. Studentengesang ist vorwiegend zum 
umgangsmaBigen Laienmusizieren zu rechnen. Die 
Lieder der akademischen Verbindungen bei Rezeption, 
Festen, Kommers, Komitat, Totengedenken konnen 
als Standeliedgruppe dem Volksgesang zugerechnet 
werden. Das St. iiberschneidet sich mit dem Gebrauchs- 
gut des Volkes (Soldaten-, Handwerker-, Jagerlied), 



des Burgerhauses, der Kirche, der Biihne, des Frei- 
maurertums. Das Melodiengut wird sowohl aus dem 
Volkslied als auch aus dem Kunstlied iibernommen und 
umgesungen. - Im 16. Jh. haben Meister des Chorsatzes 
(L. Senfl, A. v. Bruck, I. de Vento, N. Rost, A. Utendal, 
O. de Lassus, J.Eccard) Melodien aus der Studenten- 
welt bearbeitet und damit auch zum Gebrauchsgut des 
akademischen ->■ Collegium musicum beigetragen. Im 
beginnenden Barock wurden dann Sammlungen mehr- 
stimmiger Lieder eigens fiir den akademischen Bedarf 
zusammengestellt (J. Jeep, P.Rivander, E.Widmann, 
J. H. Schein, H. Dedekind, D. Friderici). Doch ist zu un- 
terscheiden zwischen dem Gesang auf der kiinstleri- 
schen Ebene der Collegia und dem sonstiger Gesellig- 
keit. So steht um die Mitte des 17. Jh. den GeneralbaB- 
liedern von H.Albert (fiir Konigsberg) und A.Krieger 
(fiir Leipzig) das handschrif tliche Liederbuch des Leip- 
ziger Studenten Clodius als Zeugnis des geselligen St.s 
nach dem 30jahrigen Kriege gegeniiber. Im ausklin- 
genden Barock ist weitgehende Liedgemeinschaft mit 
dem geselligen Biirgertum (Rathgeber, Sperontes, J. V. 
Gorner) zu vermuten und noch fiir das Ende des 18. Jh. 
nachzuweisen. Nachdem die Zeit der Collegia musica 
zu Ende war, wurde zumeist einstimmig gesungen, 
hier und dort auch in kunstloser Stegreif-Mehrstim- 
migkeit. Gegen minderwertige Texte wandten sich die 
ersten Herausgeber von Studentenliederbiichern im 
heutigen Sinne: der Hallische Magister Kindleben 
(1781) und der KielerRechtsstudent A. Niemann (1782). 
Doch erst die Erneuerungsbewegung nach den Napo- 
leonischen Kriegen f iihrte das studentische Lied textlich 
und musikalisch zu neuer Bedeutung, unter Einbe- 
ziehung der Freiheitsdichtung, der Turnlieder und des 
biedermeierlichen Tugendliedes. Im Zuge der Manner- 
chorbewegung setzte sich auch der Chorgesang zeit- 
und stellenweise wieder durch (CM. v. Weber, A. 
Methfessel) und hielt sich bis weit in den Vormarz hin- 
ein, so in Lyras Deutschen Liedern von 1843, aus denen 
1858 das Lahrer Kommersbuch hervorging (herausgege- 
ben von H. Schauenburg, Fr. Silcher, Fr.Erk, ab 1893 
von E.Heyck, ab 1953 von W.Haas). Gegen Ver- 
flachungserscheinungen trat die musikalische -> Ju- 
gendbewegung (W.Hensel) in neuem AnschluB an das 
Volkslied auf. Die Auflosung der alten studentischen 
Verbande (1933-45) brachte einen starken Bruch mit 
der Uberlief erung ; eine sinnvolle Neubelebung unter 
weitgehend gewandelten Umweltsverhaltnissen bleibt 
als Aufgabe gestellt. ->• Standchen. 
Ausg. : A. Pernwerth v. Barnstein, Ubi sunt qui ante nos. 
Ausgew. lat. St. d. 14.-18. Jh., Wvirzburg 1881; Das Ro- 
stocker Liederbuch (1480), hrsg. v. Fr. Ranke u. J. M. 
Muller-Blattau, = Schriften d. Konigsberger Gelehrten 
Ges., Geisteswiss. Klasse IV, 5, Halle 1927; J. Jeep, Stu- 
denten-Gartlein (1605-14), hrsg. v. R. Gerber, in: EDM 
XXIX, Wolfenbuttel 1958; H. Raufseisen, Akad, Lust- 
waldlein (1794), hrsg. v. A. Kopp, Lpz. 1918; M. Fried- 
laender, Commersbuch, Lpz. 1892, 2 1897; K. Reisert, 
Deutsches Kommersbuch, Freiburg i. Br. 7 1896; D. Hart- 
wio, Deutsche Studentenmusik v. d. Anf angen bis zur Mit- 
te d. 18. Jh. (mit Gesamtbibliogr. d. deutschen St.), Ms. 
Dresden 1963. 

Lit. : W. H. Riehl, Mus. Charakterkopfe III: A. Methfes- 
sel, Stuttgart 1860, 91927; R. u. R. Keil, Deutsche St. d. 17. 
u. 18. Jh., Lahr 1861 ; J. Bolte, Das Liederbuch d. P. Fa- 
bricius, Jb. d. Ver. f. niederdeutsche Sprachforschung 1887 
(vgl. auch d. Bibliogr. seiner Schriften v. F. Boehm, = Zs. 
f. Volkskunde, N. F. IV, 1933); W. Niessen, Das Lieder- 
buch d. Lpz.er Studenten Clodius (1 669), VfMw VII, 1891; 
K. Burdach, Studentensprache u. St. in Halle vor 100 
Jahren, Halle 1894 (mit Neudruck v. Kindlebens St. 1781); 
Ph. Spitta, Der deutsche Mannergesang, in: Musikge- 
schich tliche Auf satze, Bin 1 894; A. Kopp, Deutsches Volks- 
u. St. in vorklass. Zeit, Bin 1899 (im AnschluB an d. v. 
Crailsheimsche Liederhs. u. d. Liederhs. d. Kieler Stu- 



58* 



915 



Stiirze 



denten Reyer); A. H. Hoffmann v. Fallersleben, Unsere 
volkstiimlichen Lieder, bearb. v. K. H. Prahl, Lpz. 4190O; 
W. Ermann u. E. Horn, Bibliogr. d. deutschen Univ., Lpz. 
1904-05; R. Wustmann, Mg. Lpz. I, Lpz. u. Bin 1909, 
21926, II u. Ill v. A. Schering, Lpz. 1926-41 ; H. Kretzsch- 
mar, Gesch. d. Neuen deutschen Liedes I, = Kleine Hdb. 
d. Mg. nach Gattungen IV, Lpz. 1911, Nachdruck Hil- 
desheim 1966; W. Krabbe, Das Liederbuch d. J. Heck 
(1679), AfMw IV, 1922; Fr. Harzmann, In dulci jubilo. 
Aus d. Naturgesch. d. deutschen Kommersbuches, Miin- 
chen 1924 (Gesamtbibliogr. d. deutschen St.-Biicher seit 
1781 mit kritischen Anm.); ders., Burschenschaftliche 
Dichtung v. d. Friihzeit bis auf unsere Tage, Heidelberg 
1930; G. Muller, Gesch. d. deutschen Liedes v. Zeitalter 
d. Barock bis zur Gegenwart, = Gesch. d. deutschen Lit. 
nach Gattungen III, Munchen 1925, Neudruck Darmstadt 
1959; Fortunatus, Blatter f. d. Studententum, hrsg. v. E. 
Heyck, Lahr 1926-34; K. Reisert, Aus d. Leben u. d. 
Gesch. deutscher Lieder, Freiburg i. Br. 1929 ; K. Stephen- 
son, Bonner Burschenlieder 1819, = Beethoven u. d. Ge- 
genwart, Fs. L. Schiedermair, Koln 1956; ders., Zur Sozio- 
logie d. St., Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., Die Deutschen 
Lieder v. 1 843, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957 ; ders., Das 
Lied d. studentischen Erneuerungsbewegung 1814-19, 
= Darstellungen u. Quellen zur Gesch. d. deutschen Ein- 
heitsbewegung im 19. u. 20. Jh. V, Heidelberg 1965; ders., 
Charakterkopfe d. Studentenmusik, ebenda VI, 1965; D. 
Hartwig, Die deutsche Studentenmusik im 17. u. in d. 
1. Halfte d. 18. Jh., Lpz. 1959, maschr.; P. Nettl, Prag 
im St., = Schriftenreihe d. Sudetendeutschen VI, Munchen 
1964. KS 

Stiirze (engl. bell; frz. pavilion; ital. bussolotto) heiBt 
der konisch stark erweiterte Schallbecher der Blech- 
blasinstrumente. 

Stufen heiBen die einzelnen Tonorte der 7stufigen 
Tonleiter; so haben c und des auf verschiedenen St., 
c und cis dagegen auf derselben Stufe der Grundskala 
ihren Sitz. Die aus dem Lateinischen ubernommenen 
Bezeichnungen der Intervalle geben die Anzahl der St. 
zwischen den Tonen an (Prime = die erste Stufe, Se- 
kunde = die zweite). Schon G. A.Sorge (Vorgemach 
der musikalischen Composition, 1745^7) spricht vom 
Dreiklang, Septimenakkord usw. der 1., 2. usw. Stufe 
der Tonart und seit G.J. Vogler (Choral-System, 1800) 
bilden die St.-Zahlen die Grundlage einer analytischen 
Akkordbezeichnung (->■ Stufenbezeichnung). 

Stufenbezeichnung, ein System der Akkordbezeich- 
nung (Klangstufen), bei der die Dreiklange auf den 
Stufen der Tonleiter mit romischen Ziffern numeriert 
werden. Die Durakkorde erhalten groBe, die Mollak- 
korde kleine Ziffern; fur die verminderten gibt man 
der kleinen Zahl eine kleine Null bei, fur die iibermaBi- 
gen der groBen Zahl ein Kreuz oder einen Strich : 
Dur 




III' iv V VI 

Die Bezeichnung V-I bedeutet dann die Folge zweier 
Durakkorde, von denen der erste Dominantdreiklang 
des zweiten ist, V-I dagegen einen Dur- und einen Moll- 
akkord, von dencn der erstere der Dominantdreiklang 
des letzteren ist. Die jeweilige Tonart wird durch den 
Ziffern vorangestellte groBe (dur) bzw. kleine (moll) 
Buchstaben angegeben, z. B. c.I = Durakkord auf der 
1. Stufe von C dur bzw. a: IV = Mollakkord auf der 4. 
Stufe von A moll. Zur Bezeichnung von Akkordum- 
kehrungen, dissonanten Zusatztonen sowie Hoch- und 
Tiefalteration werden die Zusatzziffern der General- 
baBschrift verwendet, z. B. V> = Sextakkord des Drei- 
klangs auf der 1. Stufe in Dur, V 7 = Septakkord auf 



der 5. Stufe (Dominantseptakkord), IV 3 1> = Terzquart- 
akkord der 4. Stufe in Dur mit hochalterierter Quarte 
und kleiner Terz. Bei der Analyse ganzer Tonstucke 
konnen die Stufenzahlen auch Versetzungszeichen er- 
halten, z. B. HI 6 = Dursextakkord der tiefalterierten 
2. Stufe in Moll, der »Neapolitanische Sextakkord«. - 
Ansatze zur Bezeichnung der Tonleiterstuf en und ihrer 
Dreiklange mit romischen Ziffern finden sich bereits 
bei G.J. Vogler (1800). Die heutige Fassung der St. 
geht auf G.Weber (1817) zuriick. Seine Klangstufen 
wurden u. a. vonE.Fr.E.Richter (1853) entgegen der 
uTspriinglichen Absicht Webers, nur wesentliche und 
keine zufallige Akkordbildung zu bezeichnen, durch 
Bestandteile der GeneralbaBschrift vervollstandigt. In 
dieser Form ist die St. noch heme in Gebrauch. Ledig- 
lich die Unterscheidung der Dur- von den Molldrei- 
klangen durch groBe und kleine Zahlen wurde vielfach 
wieder aufgegeben. Gegeniiber Riemanns -> Funk- 
tionsbezeichnung ist die St. im Nachteil, da sie die Ak- 
korde nur chiffriert, iiber ihre Beziehungen zueinander 
jedoch wenig oder nichts aussagt. Auch ist sie nicht im- 
stande, zwischen wesentlichen und zufalligen Akkor- 
den (d. h. solchen, die durch Vorhalte, Wechselnoten, 
Durchgange usw. zustande kommen), zu unterschei- 
den. Ihre enge Bindung an die siebenstufige diatoni- 
sche Tonleiter macht sie zur Bezeichnung von chro- 
matischer Harmonik ungeeignet. Andererseits verhalt 
sie sich zu den grundlegenden Theorien der Harmonie- 
lehre neutral. Deswegen konnte sie sowohl von Rie- 
mann - in den Anf angen seiner Funktionstheorie (Mu- 
sikalische Logik, NZfM LXXI, 1872) - als auch von 
Sechter (Die Grundsatze der musikalischen Komposition, 
1853-54) angewendet werden. Die im Tonsatzunter- 
richt gangige Bezeichnung »Stufentheorie« fiir das Nu- 
merieren der Tonleiterstufen und ihrer Akkorde mit 
romischen Ziffern ist daher irrefiihrend. Der Unter- 
schied zwischen St.en und Funktionsbezeichnungen 
besteht nur darin, daB jene die Tonleiterlage, diese die 
tonale Bedeutung der Akkorde fiir die Kadenzlogik 
angeben. Als im Verlauf des 20. Jh. die Harmonielehre 
ihre Vorrangstellung im Kompositions- und Tonsatz- 
unterricht einbuBte, wurde dieser Unterschied biswei- 
len verwischt. So finden sich z. B. in der Neubearbei- 
tung der Harmonielehre von R.Louis und L.Thuille 
(1933) die Riemannschen Funktionsbezeichnungen. A. 
Schonberg verwendet in seinem theoretischen Spat- 
werk (1954, posthum) neben G. Webers Stufenzahlen 
zur genaueren Bezeichnung tonaler Verwandtschaften 
eine Reihe (teilweise neuer) Funktionsbezeichnungen. 
Andere Autoren, wie H.Mersmann (1929) undE.Tit- 
tel (1965), koppeln St.en mit Funktionsbezeichnungen 
von vornherein. 

Lit.: G. J. Vogler, Choral-System, Kopenhagen 1800; 
KochL, Artikel Klangstufen; G. Weber, Versuch einer 
geordneten Theorie d. Tonsetzkunst, 3 Bde, Mainz 1817- 
21, in 4 Bden 21824, 31830-32; E. Fr. E. Richter, Lehr- 
buch d. Harmonie, Lpz. 1853, ^n^g ; h. Riemann, Ver- 
einfachte Harmonielehre, London u. NY 1893, 21903 ; Rie- 
mann MTh ; R. Louis u. L. Thuille, Harmonielehre, Stutt- 
gart 1907, neubearb; v. W. Courvoisier, R. G'schrey, G. 
Geierhaas u. K. Blessinger 10 1933; A. Schonberg, Har- 
monielehre, Wien 1911, 51960, engl. NY 1947; ders., 
Structural Functions of Harmony, NY 1954, deutsch v. E. 
Stein als: Die formbildenden Tendenzen d. Harmonie, 
Mainz (1957); H. Mersmann, Musiklehre, Bin 1929; P. 
Hindemith, A Concentrated Course in Traditional Har- 
mony, 2 Bde, NY 1943, 2l944u. 1948, deutsch: I Aufgaben 
f. Harmonie-Schuler, II Harmonieiibungen f. Fortge- 
schrittene, Mainz (1949) ; E. Tittel, Harmonielehre, 2 Bde, 
Wien u. Munchen 1965. ESe 

Stufengang nennt H. Schenker die Folge der fiir den 
harmonischen Gesamtverlauf eines Stiickes entschei- 
denden Geriistakkorde. Diese erst bezeichnet er als Stu- 



916 



Subjekt 



fen, nicht jedoch alle Akkorde, die im Stiick vorkom- 
men. So spricht er dem Cis dur-Dreiklang (•) auf dem 2. 
Achtel des 10. Taktes der Arie BufS' und Reu' in der Mat- 
thauspassion von J. S. Bach das Gewicht einer Stufe ab : 




III VI (IV) V I 

Schenker sieht in ihm blofi eine voriibergehende Konfigu- 
ration dreier Stimmen, von denen jede ihre eigene Ur- 
sache habe, diese Stelle zu passieren : so das D des Basses 
durchgehend iiber Cis zu H als eventuell einer IV. Stufe, 
der Quartvorhalt G des Soprans iiber Eis zu Fis als seinem 
Auflbsungston und endlich der VorhaltEder mittleren Stim- 
me in paralleler Sextenbewegung mil dem Sopran iiber Gis 
zu A. DerEinflufibereich einer Stufe kann sich audi iiber 
mehrere Akkorde, ja Takte erstrecken, wie Schenker an 
denersten5TaktendesPraeludjumsinCdurfurOrg.von 
J. S. Bach (BWV 547) glaubhaf t zu machen versucht : 




s^^rar- 







» 






£ 










1- 


t 








<*> 


(* 


v) 


































* **J 


•i 





Der Achtelkontrapunkt im Sopran des 4. Taktes inter- 
pretiere die zunachst als selbstandige Akkorde auf der 
5. Stufe erscheinenden Zusammenklange im letzten 
Drittel des 2. bzw. 3. Taktes nachtraglich als Durch- 
gangsakkorde. Die den St. bestimmenden Intervalle 
sind nach Schenker Quinten, weshalb er auch seine Stu- 
fen Quinten hoherer Ordnung nennt. Im Unterschied zur 
FunktionstheorieH.Riemannswerden diese iibergeord- 
neten Quintbeziehungen nicht als iibergeordnete Ka- 
denzzusammenhange verstanden. - Hindemith iiber- 
nahm Schenkers Termini Stufe und St. Unter Stufen 
versteht er die Grundtone, welche die Akkordlasten gro- 
fierer harmonischer Zusammenhange tragen, unter St. die 
Reihenfolge dieser Grundtone. Besteht ein St. aus we- 
niger als 4 Tonen, so sollen die Intervalle zwischen 
zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Stufen nach 
ihrem Intervallwert beurteilt werden, wie er sich aus 
Hindemiths Reihe 2 (Reihe der Intervalle) ergibt. Bei 
groBeren Stuf engangen verliert durch die itnmer weiter um 
sich greifende Kraft der Tonverwandtschaften der reine In- 
tervallwert an Wichtigkeit. Den Verwandtschaftsgrad ei- 
ner Stufe zum jeweiligen Zentralton des St.s bestimmt 
Hindemith nach seiner Reihe 1 (Reihe der Tonver- 
wandtschaften). Jeder Zentralton eines St.s bildet mit 
den Stufen, die mit ihm verwandt sind, einen »tonalen 
Kreis«. Bei Modulationen kbnnen sich benachbarte to- 
nale Kreise iiberschneiden. Im AnschluB an Schenker 
schlieBt auch Hindemith die Grundtone von Akkorden, 
die durch Vorhalte, Durchgange usw. entstanden sind, 
vom St. aus. Doch verfahrt er bei der Feststellung der 
Stufen zunachst weniger summarisch als Schenker, wie 
aus dem Anfang seiner harmonischen Analyse der Sin- 
fonia in F moll von J.S.Bach (BWV 795) zu entneh- 
men ist : 




w« j r ^^ \\ b r j j J m 



r^i>»r y 'r n ^ J i e 



St: 

Danach aber fafk Hindemith die Zentraltone aller to- 
nalen Kreise einer Komposition zu einem iibergeord- 
neten St. zusammen. SchlieBlich zerlegt er die melodie- 
fiihrenden Stimmen eines Stiickes in »Harmoniebezir- 
ke«, aus deren Grundtonen er einen besonderen »Me- 
lodie-St.«-gewinnt, der von dem St. der Akkordgrund- 
tone unabhangig sei und ihm manchmal geradezu 
widersprechen konne. 

Lit.: H. Schenker, Harmonielehre, Stuttgart u. Bin 1906; 
P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, Mainz 1937, 
21940, engl. als: Craft of Mus. Composition I, London 
1942; W. Keller, H. Schenkers Harmonielehre, in: Beitr. 
zur Musiktheorie d. 19. Jh., = Studien zur Mg. d. 19. Jh. 
IV, hrsg. v. M. Vogel, Regensburg 1966. ESe 

Stuttgart. 

Lit. : J. Sittard, Zur Gesch. d. Musik u. d. Theaters am 
Wurttembergischen Hofe, 2 Bde, St. 1890-91, Nachdruck 
in 1 Bd Hildesheim 1967 ; G. Bossert, Gesch. d. St.er Hof- 
kantorei . . . , Wurttembergische Vierteljahrsschriftf. Lan- 
desgesch., N. F. VII, 1898, IX, 1900, XIX, 1910 - XXI, 
1912 u. XXV, 1916; R. Krauss, Das St.er Hoftheater 
St. 1908; H. Abert, Die dramatische Musik, in: Herzog 
Karl Eugen v. Wurttemberg u. seine Zeit I, Esslingen 1909 ; 
H. Marquardt, Die St.er Chorbiicher . . ., Studien zum 
erhaltenen Teil d. Notenbestandes d. wurttembergischen 
Hofkapelle d. 16. Jh., Diss. Tubingen 1936; J.-D. Waide- 
lich, Vom St.er Hoftheater zum Wurttembergischen 
Staatstheater, Diss. Miinchen 1957, maschr.; M. Wink- 
ler-Betzendahl u. H. Koegler, Ballett in St., St. 1964. 

sub, super (lat.), in Zusammensctzungen hypo, 
-*■ hyper. 

Subbafi ist in der Orgel eine weitmensurierte Ge- 
dacktstimme zu 32' oder 16' im Pedal, in alten Orgeln 
hin und wieder auch often, yon dunklem Klang. Der S. 
heifk oft -»■ Untersatz (- 1), auch MajorbaB. 

Subdominante (frz. sousdominante) oder Unterdo- 
minante heiBt in der Harmonielehre die Quinte un- 
ter bzw. die Quarte iiber der ->■ Tonika. Der auf der 
Quarte (bzw. Unterquinte) errichtete Dreiklang wird 
Subdominantdreiklang genannt. Nach J.-Ph. Rameau, 
auf den der Terminus S. zuriickgeht (Nouveau sys- 
teme, 1726), sind die Akkorde der Tonika, -»■ Domi- 
nante und S. die Grundpfeiler tonaler Harmonik, wo- 
bei jeder Dreiklang durch Hinzufiigung einer groBen 
Sexte (z. B. f-d zu f-a-c) zum Subdominantakkord 
werden kann (->■ Sixte ajoutee). Dieser ist in Dur ent- 
weder ein Moll- oder Dur-, in Moll immer ein Moll- 
akkord (Ausnahme: -> Dorische Sexte). Die -> Funk- 
tionsbezeichnung S fiir S. geht auf H.Riemann zuriick 
(Vereinfachte Harmonielehre, 1893). Sie meint stets den 
Dreiklang der S. 

Lit.: — » Dominante; P. Hamburger, S. u. Wechseldomi- 
nante, Kopenhagenu. Wiesbaden 1955. 

Subjekt (lat. subjectum), urspriinglich s. v. w. -> Sog- 
getto, spaterhin speziell das Thema in der Fuge. In ei- 
nigen Fallen ist der Sprachgebrauch von S. und ->■ Kon- 
tra-S. fliefiend: es empfiehlt sich, in Fugen mit 
beibehaltenem Kontrapunkt von S. und Kontra-S. 
(auch mehreren), bei Doppel-, Tripel- und Qua- 
drupelfugen aber von verschiedenen S.en zu sprechen, 
obgleich dafiir Griinde der musikalischen Themen- 
struktur nicht geltend zu machen sind. 



917 



Subsemitonium modi 



Subsemitonium modi (lat., Unterhalbton der Ton- 
art), in der Musiklehre des 15.-18. Jh. Bezeichnung des 
Halbtons unter der Finalis. Unter den txaditionellen 8 
Modi (-> KirchentSne) besitzen nur der 5. und 6. das 
S. m. als leitereigenen -»■ Leitton. Da jedoch auch im 
1., 2., 7. und 8. Modus (wie spater in den Dur- sowie 
iiberwiegend in den Molltonarten) der Halbtonschritt 
des Discantus ein wesentliches Element zur Bildung der 
->■ Klausel oder -> Kadenz (- 1) darstellt, muB das S. m. 
in diesen Fallen durch ->■ Alteration (- 2) hergestellt 
werden, obgleich es nicht notiert ist. - Quantz bezeich- 
net als die eigentlichen Subsemitone enharmonisch ver- 
minderte Sekunden (z. B. as-gis; Quantz Versuch, S. 
244, dazu S. 232f.). 

Subulo (lat.) -> Tibia (- 1). 

Succentor (lat., Nachsanger; WaltherL: Unter-Can- 
tor) hieB im mittelalterlichen Kathedraldienst ein er- 
fahrener, oft akademisch gebildeter Musiker in der 
Stellung eines bepfrundeten Kaplans, dem die ein- und 
mehrstimmige Musik unterstand. 1317 ist es am Kon- 
stanzer Dom Aufgabe der 2 S.en, cantorem, canonicos et 
sacerdotes et scolares in legendo et cantando zu inf ormieren. 
DaB die Chorleitung selbst Pflicht des S.s war, ist fur 
Konstanz erwiesen, wo 1 502 eine Succentoria choralium 
fur Ausbildung und Leitung der Chorknaben einge- 
richtet wurde, jedoch nicht allgemeingultig (z. B. wohl 
nicht an Notre-Dame in Paris). Im mittelalterlichen, 
zuweilen noch im protestantischen Schulchor war der 
S. Vertreter und Gehilfe des Chorleiters. 
Lit. : G. Schunemann, Gesch. d. deutschen Schulmusik I, 
Lpz. 1928, 21931; G. Birkner, Notre-Dame-Cantoren u. 
-S. v. Ende d-. 10: bis zum Beginn d. 14. Jh., in: In me- 
moriam J. Handschin, StraBburg 1962; M. Schuler, Die 
Konstanzer Domkantorei um 1 500, Af Mw XXI, 1 964. 

Sudafrika. 

Lit. : Fr. Z. van der Merwe, Zuid-Afrikaanse muziek- 
bibliogr. 1787-1952, Pretoria 1958. - S. P. E. Boshoff u. L. 
J. Plessis, Afrikaanse volksliedjes, 2 Bde, Pretoria u. Am- 
sterdam 1918; J. Bouws, Muziek in Zuid-Afrika, Brugge 
1946; ders., Das Musikleben in Kapstadt, Mf VII, 1954; 
ders., Zuid-Afrikaanse komponiste van vandag en gister, 
Kapstadt 1957; ders., Woord en wys van die Afrikaanse 
lied, ebenda 1961; W. van Warmelo, Liederwysies van 
Vanslewe, Amsterdam 1958. 

SUISA, Schweizerische Gesellschaft der Urheber und 
Verleger (Schweiz), -*■ Verwertungsgesellschaft, Mit- 
glied der -> CISAC. 

Suite (sui:t[a], frz., Folge), eine urspriinglich aus Tan- 
zen oder tanzartigen Satzen, im Laufe ihrer Geschichte 
auch aus tanzfreien Teilen (Sonata, Sinfonia, Toccata, 
Praeludium, Ouvertiire, Chaconne, Aria, programma- 
tisches Stiick u. a.) bestehende mehrsatzige Kompo- 
sition. Wichtige Merkmale der S. sind: Variabilitat 
in den Satzkombinationen, eine immer wieder her- 
vortretende Tendenz zu loser Reihung der Satze so- 
wie iiberwiegend Einheitlichkeit hinsichtlich der Ton- 
art. - Das Wort S. erscheint als musikalischer Ter- 
minus erstmals im 16. Jh. in Frankreich im Zusam- 
menhang mit dem -»■ Branle. Der Index des Septieme 
livre de danceries (Paris 1557, Veuve de Pierre Attain- 
gnant) fiihrt unter verschiedenen Tanzen an : Premiere 
suytte de bransles, Seconde suytte d'autres bransles usw. 
Nach Arbeau (Orchhographie, 1588) begann ein Ball 
mit La suyte de ces quatre sortes de branles, womit eine Fol- 
ge von langsamen bis lebhaften Branles gemeint ist. Im 
17./18. Jh. wurde das Wort S. in Frankreich, Deutsch- 
land, auch in England gebraucht, jedoch nur spora- 
disch und in wechselnder Bedeutung: fur Folgen meh- 
rerer Tanze und tanzfreier Stiicke (Froberger, 10 Suittes 
de davessin, um 1697/98; Dieupart, Six suittes de claves- 



sin, Amsterdam o. J.; J.-Ph.Rameau; J.S.Bach; Han- 
del), aber auch nur fur einzelne Suitensatze, speziell f in- 
die »nachfolgenden« (WaltherL: die Allemande ist in ei- 
ner musicalischen Partie gleichsam die Proposition, woraus 
die ubrigen S.n, als die Courante, Sarabande und Gique, als 
Partes fliessen). Auf eine bestimmte zyklische Form be- 
zieht es Mattheson (Capellm.) : Die Allemanda ... vor 
der Courante, so wie diese vor der Sarabanda und Gique her, 
wekhe Folge der Melodien man mit einem Nahmen S. nen- 
net. Ahnlich wurden -> Partita und Partia (Plur. Par- 
tie, Partien, Partyen) vereinzelt fur S.n-Satze, haufiger 
fur Satzfolgen im Sinne der S. verwendet. Dagegen 
bezeichnet der vom Einleitungssatz auf die ganze Satz- 
folge iibertragene Titel -> Ouvertiire den speziellen 
Typus der Ouvertiiren-S.; der Titel Sonata da camera 
benennt die italienische Spielart der S. Weiterhin ver- 
birgt sich die S. auch hinter Titeln wie Ritornell und In- 
termedium (M.Praetorius), Ordo (G.B.Brevi), Ordre 
(Fr. Couperin), sogar Sonate, Konzert u. a. Haufiger 
als unter solchen Benennungen erscheint die S. jedoch 
iiberhaupt nicht unter einer Gattungsbezeichnung, son- 
dem unter Titeln wie Intabblatura, Balli, Chorearum 
Collectanea, Pieces de clavecin, -> Tafelmusik oder un- 
ter Auf zahlung des Inhalts (Neuf basses dances, deux branles 
. . ., Attaingnant 1530), im 17. Jh. vorzugsweise unter 
poetisierenden Titeln wie: Banchetto musicale (Schein), 
Musicalische Friihlings-Fruchte (D.Becker). 
Aus Folgen von Tanzen entstanden die altesten An- 
satze zu instrumentalen Satzfolgen; sie sind auch im 
auBereuropaischen Bereich nachweisbar. Im Mittelal- 
ter sind in den wenigen schriftlich erhaltenen Denk- 
malern von Instrumentalmusik (z. B. Paris, Bibl. Nat., 
f. fr. 844) zwar nur Folgen von Tanzen des gleichen 
Typus (Estampien) iiberliefert, doch ist fiir die Praxis 
auch das Kombinieren von Tanzen verschiedener Art 
anzunehmen. Quellennachweise hierfur bieten das 14. 
und 15. Jh. einerseits in der Zusammenstellung von 
Estampie und Rotta (Lamento di Tristano und La Man- 
fredina der italienischen Handsehrift Lo, -> Quellen) 
und in den zum Teil aus schnellen gesprungenen und 
langsam geschrittenen Teilen bestehenden -> Basses 
danses (Briisseler Ms. 9085), andererseits bei Domenico 
da Piacenza (De la arte di ballare ed danzare, 1416), der 
verschiedene Rhythmisierung einer Melodie als Bassa- 
danza, Quadernaria, Saltarello und Piva lehrt. - Den 
entscheidenden Aufschwung nahm die instrumentale 
Tanzkomposition und mit ihr die S. im 16. Jh. Aller- 
dings bieten die Quellen noch vorwiegend nach verr 
schiedenen Prinzipien, oft nach Tanztypen angeord- 
nete Einzeltanze und iiberlassen deren Zusammenstel- 
lung zu S.n, wie haufig noch im 17. Jh., dem Spieler. 
Soweit sie jedoch auch Folgen verschiedener Tanze 
enthalten, dominiert (neben dem bereits genannten 
Branle) zunachst ein nur durch Umrhy thmisierung ge- 
wonnenes oder durch zunehmend freiere und kunst- 
reichere Variation verbundenes Tanzpaar, meist be- 
stehend aus Pavane-Galliarde, Pavane-Saltarello oder 
Ballo-Saltarello, in franzosisch-niederlandischen Quel- 
len auch aus Rondo-Saltarello, Allemande-Saltarello 
und Basse danse - Tourdion, in deutschen Quellen aus 
Tanz-Hupfauf. Doch gibt.es vor allem in der italieni- 
schen Lauten-S. schon friih auch groBere Verbande, 
bei denen das Tanzpaar um einen oder mehrere Spring- 
tanze desselben Typs (Pavane - Saltarello I bis III) oder 
neuer Typen erweitert ist. Hierbei bildeten sich 3satzige 
Tanzfolgen: ein Springtanz in abermals gesteigerter 
Lebhaftigkeit beschlieBt die Folge (Petrucci 1508: Pa- 
vana-Saltarello-Piva; A. Rotta 1546: Pass'e mezzo - 
Gagliarda - Padovana) oder wird zwischen die Satze 
eines Tanzpaares eingeschoben (D.Bianchini 1546: 
Pass'e mezo - La sua padoana - II suo saltarello) ; spater 



918 



Suite 



wurden nach dem gleichen Prinzip auch 4satzige Fol- 
gen gebildet (Caroso 1581 : Balletto-Gagliarda-Rotta- 
Canario). Eine weitere Moglichkeit zu reichhaltigerer 
Gestaltung bot im 16. Jh. der Einschub von Reprisen 
(recoupes) und Variationen in das Gertist eines Tanz- 
paares. So kam es in Frankreich zu der Folge Basse 
danse - Recoupe - Tourdion (Attaingnant, Neuf basses 
dances, 1530), in Italien zu den Lauten-S.n in G. A.Ca- 
stigliones Intabolatura de leuto de diversi autori (1536) und 
vor allem zu Mainerios (1578) umfanglichen Orche- 
ster-S.n (Pass'e mezzo [primo bis quinto modo] - Re- 
presa [primo bis terzo modo] - Saltarello [primo bis 
quarto modo] - Represa). Aber auch die Verbindung 
von tanzfreien Formen mit Tanzen kannte das 16. Jh. : 
Die Lauten-S.n bei Castiglione (1536) werden mit 
Toccaten beschlossen; Coperario, Peerson, Brade u. a. 
kombinierten um 1600 in England Fantasie und Kan- 
zone mit Tanzen. 

Hire Bliite erlebte die S. vom 17. bis zur Mitte des 18. 
Jh. Ein neuer Typus entwickelte sich in Italien zunachst 
im Bereich des aufstrebenden Operntheaters und zeigt 
als Ballett-S; einen ersten Hohepunkt in L. Allegris 
Primo libro delle musiche (1618), das u. a. eine Sinfonia 
und acht 2- bis 7satzige S.n enthalt, die aus Ballo, 
Gagliarda, Corrente, Canario, Gavotta, Brando, Ritor- 
nello und nicht naher bestimmten tanzfreien Satzen 
in verschiedener Zusammenstellung bestehen. In der 
Folgezeit bildete Italien seinen S.n-Typ vor allem in der 
Sonata da camera aus (-»• Sonate), deren Erscheinungs- 
formen von den Einzelsatzen und Tanzpaaren B. Mari- 
nis bis zu Corellis Zyklen (z. B. Preludio-Corrente- 
Adagio-Allemanda) reichen. Wie in Italien leitete auch 
in England und Frankreich das Theater eine neue Epo- 
che der S. ein, dort im Rahmen der -> Masque, hier im 
-> Ballet de cour, dem die von den »Frantzosischen 
Dantzmeistern« iibernommenen Ballette von M. Prae- 
torius (Terpsichore, 1612) nahestehen. Spater erreichten 
Ballett- und Orchester-S. in England bei H.Purcell, in 
Frankreich beiJ.-B. Lully undJ.-Ph. Rameau ihre Hohe- 
punkte. Lullys und Rameaus-* Entrees (-1) bilden klei- 
nere und groBere S.n vornehmlich aus Gavotte, Saraban- 
de, Bourree, Ritournelle und den verschiedenen Spielar- 
ten des Air. Einen zweiten zentralen Platz nehmen in 
Frankreich die kammermusikalisch besetzte S. (M. Ma- 
rais, M. de la Barre, Fr. Couperin, J.-Ph. Rameau), die 
Lauten- (D.Gaultier) und die Klavier-S. ein. Einen 
Stammbestand bilden schon bei Chambonnieres die 
Tanze Allemande, Courante, Sarabande, Gigue, die aber 
oft in Bundeln desselben Typs oder um -> Doubles er- 
weitert auftreten und seit L. Couperin, d'Anglebert 
und Lebegue um Gavotte, Bourree, Menuet und tanz- 
freie Formen (z. B. Prelude, Chaconne, Passacaille) er- 
ganzt sind. Bunte Vielfalt in den Satzkombinatio- 
nen zeigen die S.n von J.-Ph. Rameau und vor allem 
von Fr. Couperin, dessen Ordres vorwiegend tanzfreie 
Stiicke mit charakterisierenden Uberschriften in freier 
Folge vereinigen. 

In Deutschland entstand die S. nach 1600 aus Samm- 
lungen von Einzeltanzen, Tanzpaaren und tanzfreien 
Satzen fiir Ensemble, die in beliebiger Folge zusammen- 
gestellt werden konnten (hierzu Praetorius Synt. Ill, S. 
110). Innerhalb dieses Repertoires (u. a. von V.HauB- 
mann, H. L. HaBler, Scheidt, M. Franck, M. Praetorius, 
Hammerschmidt) bilden lediglich Peuerls Newe Padou- 
an (1611) und Scheins Banchetto musicale (1617) eine Aus- 
nahme, insofern beide Meister die jeweils gewahlte Satz- 
folge innerhalb einer Sammlung beibehalten (Peuerl: 
Padouan in (£ - Intrada in (£3 - Dantz in $ - Galliarda 
in <f3; Schein: Padouana in (J - Gagliarda in 3 - Cou- 
rente in 6/4 - Allemande in - Tripla in 3) und daruber 
hinaus die Satze ihrer S.n durch frei gehandhabte Varia- 



tionstechnikverbinden(»Variationen-S.«). Beide Merk- 
male blieben in dieser Konsequenz der italienischen 
und der franzosischen S. der Zeit fremd. Doch wandten 
sich auch die deutschen Meister nach Peuerl und Schein 
(J.J.Lowe, Kelz, Rosenmuller, D.Becker, Scheiffelhut) 
von Variation und stereotypen Satzfolgen wieder ab 
und konzipierten ihre S.n als verschiedenartige Anein- 
anderreihungen von Pavane, Galliarde, Allemande, 
Courante, Sarabande, Gigue, Arie, Ballo (Ballett), In- 
trada. Neu ist bei ihnen vor allem die Einfuhrung tanz- 
freier Einleitungssatze (z. B. bei Lowe, Kelz, Rosen- 
muller), die sich in Rosenmiillers Sonate da camera (1667) 
zu mehrteiligen, der italienischen Ouvertiire ange- 
naherten Sinfonie weiten. Ein zweiter Typ der S., der 
in die Ouvertiiren-S. einmiindete, entwickelte sich in 
Deutschland nach dem Vorbild des franzosischen Bal- 
letts ; er erscheint, anf angs meist als »nach Franzosischer 
Manier« ausdriicklich deklariert, bei J. H. Schmelzer, 
Poglietti, G.Bleyer, R.I.Mayer, Kusser, Ph. H.Erie- 
bach, Georg Muffat, J. C. F. Fischer und Fux, G. Ph. Te- 
lemann, Handel (»Wassermusik«, »Feuerwerksmusik«) 
und J.S.Bach (Ouverturen BWV 1066-1070). - Star- 
ker als die Orchester-S. konzentrierte sich die Klavier- 
S. auf einen bestimmten Typ, bei Froberger auf die 
Satzfolge Allemande-Gigue-Courante-Sarabande, bei 
B. SchultheiB, Weckmann, Reinken, Buxtehude und G. 
Bohm auf dieselben Tanze mit abschliefiender Gigue. 
Allerdings bildet das schlichte 4satzige Modell eher 
die Ausnahme; es wurde durch Vorspann freier Einlei- 
tungssatze (Poglietti, F. T. Richter, Kuhnau) und durch 
Einschub franzosischer Tanze vor allem zwischen Sara- 
bande und Gigue (Menuett, Bourree, Gavotte, Air, 
Passepied) vielfaltig erweitert (J.Krieger, J.Pachelbel, 
Kuhnau). Aus einer Synthese von deutscher und fran- 
zosischer Tradition sind J. S. Bachs S.n fiir Klavier, Vio- 
line solo und Violoncello solo (Viola pomposa) erwach- 
sen. Dabei verfahrt Bach innerhalb jeder Sammlung 
nach einem bestimmten zyklischen Plan, der wiederum 
in jeder einzelnen S. eine individuelle Auspragung er- 
fahrt. Das Prinzip zyklischer Bildung wird vor allem 
an der Handhabung der Einleitung deutlich (Franzosi- 
sche S.n ohne freie Einleitungssatze ; Englische S.n und 
S.n fiir Violoncello solo mit Prelude; Partiten mit ver- 
schiedenen Einleitungstypen : Praeludium, Sinfonia, 
Fantasia, Ouvertiire, Praeambulum, Toccata), aufier- 
dem an der Art der Einschube weiterer Satze in das 
meist aus der Folge Allemande-Courante-Sarabande- 
Gigue gebildete Geriist: in den Franzosischen S.n (mit 
Ausnahme der ersten S.) jeweils 2-4 verschiedene Tan- 
ze, in den Englischen S.n und den S.n fiir Violon- 
cello solo stets 2 gleiche Tanze zwischen Sarabande und 
Gigue; in den Partiten aufier Einschiiben zwischen 
Sarabande und Gigue auch solche zwischen Courante 
und Sarabande. Demgegeniiber legt Handel in seinen 
Klavier-S.n, vor allem in der ersten Sammlung von 
1720, jeder S. einen vollig eigenen Aufbau zugrunde 
und folgt neben deutschen, franzosischen und engli- 
schen auch italienischen Vorbildern, speziell aus dem 
Bereich der Sonata da camera. 

"Wahrend sich um die Mitte des 18. Jh. die S., ausge- 
nommen im Ballett, zunehmend in einer Reihe von 
Mischf ormen (-»- Divertimento - 1 , -5- Kassation, ->• Se- 
renade) aufloste, wozu auch die zahlreichen Partien fiir 
Blaserbesetzung (-> Harmoniemusik) zu zahlen sind, 
gewann die S. als Gattung vereinzelt bereits zu Ende 
des 18. Jh., vor allem aber im spaten 19. und im 20. Jh. 
aufs neue Interesse. Die S. erschien nunmehr 1) als 
Nachahmung der barocken S. (W.A.Mozart, S. fiir 
Kl., K.-V. 399; Fr.Lachner, Orch.-S.n; Saint-Saens, S. 
archaique; Grieg, Fra Holbergs Tid; Reger, S. im alten 
Stil; Schonberg, S. fiir Kl. op. 25; Egk, Franzosische S. 



919 



nach Rameau), 2) als S. neuer Tanze, auch aus den Ge- 
bieten von Jazz und Volkstanz (B.Bartok, S.n op. 3, 
op. 4, op. 14, Tanz-S., Kleine S. ; Hindemith, S. »1922« 
op. 26; Kfenek, Kleine S. op. 13a, 2 S.n op. 26), 3) als 
S. aus Balletten (Tschaikowsky, »Dornroschen«, »Der 
NuBknacker«; Strawinsky, »Der Feuervogel«) oder als 
Nachbildung der Ballett-S. (Reger, Eine romantische S. 
op. 125, Eine Ballett-S. op. 130), 4) als S. aus Schau- 
spielmusiken (Bizet, S. L'Arle'sienne; Grieg, »Peer- 
Gynt-S.«), 5) als Folge programmatischer Tonbilder 
(Bizet, Jew* d'enfants; Massenet, Scenes hongroises u. a.; 
Mussorgsky, »Bilder einer Ausstellung«; Reger, Viet 
Tondichtungen nach A.Bocklin op. 128), 6) in neuer und 
neuester Zeit allgemein als Reihung verschiedenartiger 
Satze (A. Berg, Lyrische S. fiir Streichquartett 1925/26). 
Lit.: H. Riemann, Zur Gesch. d. deutschen S., SIMG VI, 
1904/05; T. Norlind, Zur Gesch. d. S„ SIMG VII, 1905/ 
06; Vingt suites d'orch. du XVH C s. fr?., 1640-70, 2 Bde, 
hrsg. v. J. Ecorcheville, Bin u. Paris 1906; J. Wolf, Die 
Tanze d. MA, AfMw I, 1918/19; K. Nef, Gesch. d. Sinfo- 
nie u. S., = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gattungen XIV, Lpz. 
1 92 1 ; P. Nettl, Die Wiener Tanzkomposition in d. 2. Half- 
te d. 17. Jh., StMw VIII, Wien 1921 ; H. Besseler, Beitr. 
zur Stilgesch. d. deutschen S. im 17. Jh., Diss. Freiburg 
i. Br. 1923, maschr.; E. Brandt, S., Sonate u. Symphonie. 
Ein Beitr. zur mus. Formenlehre, Braunschweig (1923); 
Fr. Blume, Studien zur Vorgesch. d. Orchesters im 15. u. 
16. Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; G. Spar- 
mann, E. Reusner u. d. Lautens., Diss. Bin 1926, maschr. ; 
W. Merian, Der Tanz in d. deutschen Tabulaturbiichern, 
Lpz. 1927; K. Geiringer, P. Peuerl, StMw XVI, Wien 1929; 
G. Oberst, Engl. Orchesters. um 1600, Wolfenbiittel 1929; 
J. Dieckmann, Die in deutscher Lautentabulatur uberlie- 
ferten Tanze d. 16. Jh., Kassel 1931 ; L. Schrade, Die hs. 
Uberlief erung d. altesten Instrumentalmusik, Lahr 193 1 ; R. 
Munnich, Die S., = Mus. Formen in hist. Reihen IX, Bin 
(1932), neu bearb. v. H. W. Schmidt, Wolfenbiittel (21958) ; 
E. H. Meyer, Die mehrst. Spielmusik d. 17. Jh. in Nord- u. 
Mitteleuropa, = Heidelberger Studien zur Mw. II, Kassel 
1934 ; E. Epstein, Der frz. EinfluB auf d. deutsche Klaviers. 
im 17. Jh., Diss. Bin 1940; M. Reimann, Untersuchungen 
zur Formgesch. d. frz. Kl.-S., = Kolner Beitr. zur Musik- 
forschung III, Regensburg 1940; B. Delli, Pavane u. Gal- 
liarde, Diss. Bin 1957, maschr.; M. Pearl, The S. in Re- 
lation to Baroque Style, Diss. NY Univ. 1957, maschr. ; G. 
Reaney, The Ms. Brit. Mus., Add. 29987 (Lo), MD XII, 
1958; Fr. W. Riedel, Quellenkundliche Beitr. zur Gesch. 
d. Musik f. Tasteninstr. in d. 2. Halfte d. 17. Jh., = Schrif- 
ten d. Landesinst. f. Musikforschung Kiel X, Kassel 1960; 
H. Beck, Die S., = Das Musikwerk XXVI, Koln (1964); 
ders., L. Allegris »Primo Libro Delle Musiche« 1618, 
AfMw XXII, 1965; D. Starke, Frobergers Suitensatze, 
Diss. Munchen 1964. HBe 

suivez (suiy'e, frz., folget!) fordert wie colla parte eine 
sich der frei vortragenden Solostimme anpassende Be- 
gleitung. 

sulla tastiera (ital.) ->- flautato. 

sul ponticello (Jul pontitj'ello, ital.; frz. au chevalet, 
am Steg), ein Bogenstrich, dessen Kontaktstelle (->- Bo- 
genfuhrung) moglichst nahe am Steg liegen soil. Bei 
relativ schneller Strichgeschwindigkeit wird damit ein 
Klangeffekt erzielt, der durch sehr starke und hohe, 
zum Teil unharmonische Obertone und durch einen 
nur geringen Anteil an Grundton gepragt ist. -> flau- 
tato. 

Sumber (mhd.) -> Trommel. 

Sumerische Musik. Heutige Vorstellungen von der 
Musik der Sumerer griinden sich auf Ausgrabungsfun- 
de: Uberreste von Instrumenten, Texten (ab 3500 v. Chr. 
in Keilschrift) sowie Abbildungen von Instrumenten 
und Musikszenen. Demnach war die Musik mit dem 
Kult verbunden, sowohl die klagende als auch die freu- 
dige, preisende; ihre Pflege oblag Priestermusikern mit 

920 



den entsprechend getrennten Tempelamtern Gala und 
Nar. Bei beiden Amtern gab es Rangstufen; die Amter 
wurden ererbt, spater auch gekauft und konnten auch 
von Frauen verwaltet werden. Namen von Musikern 
und Musikerfamilien sind seit der Mesilim-Zeit (um 
2600-2500 v. Chr.) bekannt. Die wichtigsten Instru- 
mente waren Leiern (deren Schallkasten eine Stiergott- 
heit abbildete) und Harfen (3-15 Saiten). Das Schrift- 
zeichen Balag hat die Form einer Schaufelharfe; damit 
ist ein Name fiir diese Harfe gesichert. Von den zahl- 
reichen weiteren Instrumentennamen kann nur Lilis 
(Trommel) einem Instrument fest zugeordnet werden. 
Trommeln sind moglicherweise mit dem Einbruch ei- 
nes fremden Stammes nach Sumer gekommen. Es gab 
kleine, von Frauen gespielte Handtrommeln, spater 
auch groBe runde Tempeltrommeln, dazu noch sichel- 
formige Klangstabe. Die Musik stand immer im Zu- 
sammenhang mit dem Wort. Einige Liedgattungsna- 
men enthalten die Bezeichnung eines Instrumentes und 
damit einen Hinweis auf die Begleitung, andere weisen 
auf poetische Formen hin. 

Lit.: F. Stummer, Sumerisch-akkadische Parallelen zum 
Aufbau alttestamentarischer Psalmen, = Studien zur 
Gesch. u. Kultur d. Altertums XI, Paderborn 1922 ; Fr. W. 
Galpin, The Music of the Sumerians . . ., London 1937, 
Neudruck = Slg mw. Abh. XXXIII, StraBburg 1955; M. 
Wegner, Die Musikinstr. d. alten Orients, = Orbis anti- 
quus II, Minister i.W. 1950; A. Falkenstein u. W. v. So- 
dan, Sumerische u. akkadische Hymnen u. Gebete, Zurich 
u. Stuttgart (1953); W. Stauder, Die Harfen u. Leiern d. 
Sumerer, Ffm. 1957; H. Hartmann, Die Musik d. sumeri- 
schen Kultur, Diss. Ffm. 1960. 

Summationston -s- Kombinationstone. 

Superius (lat.) -*Sopran(-l). 

Surinam -> Guayana. 

sur la touche (stir la tuf, frz.) -> flautato. 

Suspension (siispasj'5, frz.), - 1) -»• Vorhalt; - 2) bei 
Fr. Couperin (1713; siehe Beispiel a) und bei J.-Ph. 
Rameau (1724; Beispiel b) in den Verzierungstabellen 



# 



E 



■!■ pr i r ir 



i 



m 



prw i*r 



zu ihren Pieces de clavecin Bezeichnung fiir ein verspate- 
tes Einsetzen des mit einem besonderen Zeichen ver- 
sehenen Tones. 

Suspiratio (lat., Seufzer), in der Kompositionslehre 
des 17./18. Jh. eine musikalisch-rhetorische Figur: Un- 
terbrechung des Melodie- bzw. Sprachflusses oft bis 
zur Trennung der Silben eines Wortes durch eine oder 
mehrere Pausen, wodurch - mit den Worten A. Kir- 
chers (Musurgia, 1650) - gementis et suspirantis animae 
affectus ausgedruckt werden. Die- 
se Art des Pausierens ist vornehm- | 
lich durch das Madrigal der italie- < 
nischen Spatrenaissance bekannt , 
geworden (Beispiel aus Caccinis 
Fuggilotio musicale), wo sie insbesondere zur Nachah- 
mung des Seufzens oft begegnet. Ein sprechendes Bei- 
spiel findet sich in den MusicalischenExequien von Schiitz: 



r -t r r 



im 



So - spi-ra - te 



ist 



es Miih und Ar - beit 



Suspirium, auch Suspiratio (lat., Aufatmen, Seufzen; 
frz. soupir; ital. sospiro) heifit in der Psalmodie und in 
der modalen Mehrstimmigkeit ein Einschnitt von kur- 



zer, unbestimmter Dauer (J. de Garlandia: apparens 
pausatio, et non existens . . . minor recta brevi, ed. Cserba, 
S. 207), durch den die letzte Note einer Tonfolge ver- 
kiirzt wird (Anon. IV, CS 1, 350b). Das S. bedarf keines 
Zeichens, kann aber in der Modalnotation durch -> Di- 
visio modi (-1) oder Silbenstrich vorgeschrieben wer- 
den. - In der Mensuralmusik kann jede kurze Pause S. 
heiBen; bei Lambertus gilt S. breve eine Brevis recta 
(Zeichen: ee), Semi-S. maius und minus eine Semi- 
brevis maior und minor (i,x),bei Vicentino eine Mi- 
nima (r), bei Buchner eine Fusa (f), spater, in Frank- 
reich bis heute (-»■ Soupir), eine Semiminima (Viertel- 
note). - Die Tabulaturen des 15./16. Jh. setzen am Takt- 
anfang haufig S. statt der Verlangerung der voran- 
gehenden Note. 

Sustaining pedal (sast'e : nirj pedl, engl.) -+ Toti- 
haltungspedal. 

s. v., Abk. fur -*■ sotto voce. 

Sv|rala (serbokroatisch), Sammelnamefiirjugoslawi- 
scheFloten, besonders Kernspaltfloten (zumTeil Schna- 
belfloten) mit 6 Grifflochern. Beim Spiel zum Tanz 
gibt der Sv.-Blaser wahrend des Spiels einen Brumm- 
ton von sich. - Bei den (in Serbien audi Diidiik ge- 
nannten) Sv.-Blockfl6ten mit hinterstandigem Auf- 
schnitt kann dieser teilweise mit der Unterlippe be- 
deckt werden, wodurch ein starkeres Blasen ohne 
Oberblasen ermoglicht wird. 

Swing, Swing-Ara. Unter Sw. versteht man die 

Spielweise des ->■ Jazz zwischen etwa 1930-45 (Sw.- 
A.), deren Ausbildung eng mit der Entstehung der 
— >- Big bands verbunden ist. Schon seit Mitte der 
1920er Jahre hatten fiir Engagements in groBen Clubs 
und Tanzhallen (New York) audi f arbige Jazzmusiker 
in Anlehnung an die Schauorchester der WeiBen (P. 
Whiteman) grofiere Ensembles zusammengestellt: in 
New York Fl. Henderson (1924), D.Ellington (1926), 
ebenso im -> Kansas-City-Jazz Benny Moten (1926), 
dessen Orchester in den 1930er Jahren unter C.Basie zu 
einer der erfolgreichsten Big bands der Sw.-A. wurde. 
Weitere fiir die Entwicklung des Sw. wichtige Orche- 
ster farbiger Musiker leiteten Jimmie Lunceford (ab 
1927), Chick Webb (ab 1931) und der aus der Tradition 
des -> New-Orleans-Jazz kommende Luis Russel (ab 
1929). Aber auch weiBe Jazzmusiker bemiihten sich 
schon in derselben Zeit um die Auspragung einer Jazz- 
spielweise in Big bands, so etwa das Casa Loma Or- 
chestra (1925, ab 1928 unter Jean Goldkette) und die 
Band von Ben Pollack (ab 1925), in der auch Musiker 
des -*■ Chicago-Jazz spielten. Unter diesen befand sich 
B. Goodman, der 1935 mit seiner eigenen Big band den 
Hohepunkt der Sw.-A. herbeifiihrte und unumstritten 
zum »King of Sw.« erklart wurde. Eine der letzten Big 
bands der Sw.-A. leitete W.Herman (First Herd, 1944- 
46), fiir den Strawinsky 1945 das Ebony Concerto ge- 
schrieben hat. - Seit Mitte der 1930er Jahre begannen 
sich aus den Big bands kleine Gruppen beruhmter So- 
listen herauszulosen (Combo : Small band), die die Mu- 
sizierweise des Sw. gleichsam in den kammermusikali- 
schen Bereich iibertrugen (B.Goodman: Trio 1935; 
Quartett 1936; Sextett 1939). Das experimentelle Mu- 
sizieren dieser Combos, aber auch die in der Sw.-A. 
auf gekommenen -*■ Jam sessions, bildeten wesentliche 
Ausgangspunkte fiir den -> Be-bop. So endigte zwar 
die Sw.-A. mit der Entstehung des Be-bop, der Sw. 
selbst aber wirkt im gesamten modernen Jazz weiter. - 
Musikalisch ist der Sw. gekennzeichnet durch eine Ver- 
schmelzung negerischen Jazzmusizierens mit der euro- 
paischen Musik, die eine grundlegende Umwandlung 
fast aller wichtigen Merkmale des Jazz nach sich zog. 



Symbol 

Die Forderung nach einwandfreiem, virtuosem Zu- 
sammenspiel der Big bands machte nicht nur hoheres 
technisches Konnen der einzelnen Instrumentalisten, 
sondern auch die Planung des Gesamtablaufs eines Jazz- 
stiicks notig. Geeignetes Mittel dazu war das ->- Arran- 
gement, das schlieBlich zur Jazzkomposition gefiihrt 
hat (Ellington) und eine groBere Annaherung an die eu- 
ropaische Harmonik (Impressionismus) mit sich brach- 
te. Solisten (Klarinette, Saxophon, Trompete, Posaune, 
Gesang, ebenso auch Schlagzeug und spater elektrische 
Gitarre) traten immer starker in den Vordergrund, wo- 
bei sich ihre virtuosen, teilweise improvisierten Soli 
vom -»- Background der Big band abhoben. Die aus 
der negerischen Folklore stammenden Momente der 
Intonation (-> Dirty tones) wurden weitgehend zu 
KlangefEekten umgeformt. Zur Steigerung am SchluB 
von Stiicken wurde die -> Riff-Technik bevorzugt. - 
Innerhalb der Sw.-A. wurden haufig die Grenzen zwi- 
schen Jazz und kommerzieller Tanzmusik (Gl. Miller) 
oder auch sogenannter Sweet music flieBend, woraus 
sich ein weitreichender EinfluB des Sw. auf die Tanz- 
und Unterhaltungsmusik bis in die 1960er Jahre er- 
geben hat. EWa 

swing, swinging (engl., schwingen, schwingend; im 
Deutschen als Substantiv mit kleinem »s« geschrieben), 
Bezeichnung der fiir den -> Jazz typischen melodisch- 
rhythmischen Spannung, die sich durch die Uberla- 
gerung von -> Beat (- 1) und -»■ Off-beat einstellt 
und dem Jazzmusizieren seine rhythmische Intensitat 
(->■ Drive) und mitreiBende Dynamik verleiht. Im 
Prinzip kann jede Melodie in geradem Takt durch die 
Verlagerung ihrer Akzente vom Beat auf den Off-beat 
»swingend« vorgetragen werden (to swing a melody). 
Dieses Phanomen hat in den 1930er Jahren dazu ge- 
fiihrt, daB eine »swingende« Melodierhythmik im 4/4- 
Takt als das fiir den Jazz entscheidende Kriterium an- 
gesehen wurde. Daraus ergab sich, daB in dieser Ara 
der Jazzentwicklung neben die Bezeichnung Jazz das 
Substantiv ->■ Swing (mit groBem »S«) als Name fiir 
die gesamte Musizierweise getreten ist. 

Syllabe (griech. auXXa(3v), Zusammenfassung), die Sil— 
be, zugleich (bei Philolaos) der alteste Name des spater 
als ->• Diatessaron bezeichneten Quartintervalls. Die 
Analogie beider beruht darauf , daB das Gef iige der Silbe 
in der Sprache sich aus der harmonischen Verbindung 
von Vokalen ((pcovr)£vxa) und Konsonanten (&<pa>-jot.) 
ergibt, wie innerhalb der Oktavstruktur der Harmonia 
die Quarte das kleinste Intervall ist, das aus symphonen 
(auu^covoi, die beiden Rahmentone) und diaphonen 
Klangen (Sitiipcovoi <p-9-6YY 01 . die beiden Innentone) be- 
steht und das somit auf engstem Raum das Grundprin- 
zip der -*■ Harmonia : die Zusammenfassung auseinan- 
derstrebender Kraf te, verwirklicht. 
Lit. : Die Fragmente d. Vorsokratiker I, hrsg. v. H. Diels 
u.W.Kranz, Bin 71954. 

Symblema (griech., Zusammenwurf, Verbindung) 
-> Commissura. 

Symbol (von griech. oiju.|3oXov, Merkmal, Zeichen). 
Der auch in der Musikwissenschaf t oft sehr weit gef aB- 
te Gebrauch des Begriflsworts S. kann dahingehend 
eingeschrankt werden, daB Musik in der theoretischen 
Durchdringung oder in der Art der Aufzeichnung oder 
als Erklingen nur dann die Bedeutung eines S.s hinzu- 
gewinnt, wenn ihr Sinn sich nicht in dem Wirklich- 
keitszusammenhang erfiillt, der ihr das Dasein gibt, 
sondern wenn sie dariiber hinaus noch etwas anderes 
bedeuten soil. Ein Merkmal des S.s ist demnach die 
Unangemessenheit von Erscheinen und Meinen, das 
nachtraghche »Setzen« von Bedeutungen, die gegen- 



921 



Symbol 

iiber den existentiellen Bedingungen der Musik nur 
uneigentlich, erfunden, willkurlich, verabredet und so- 
mit nicht unmittelbar wirksam sind. - In der Musik- 
theorie wurden die -> Perfectio (- 2) und der Kreis, das 
Zeichen des Tempus perf ectum, auch der -> Dreiklang 
als S. der gottlichen Dreieinigkeit verstanden. Der Sinn 
der Tonschrift, das Aufschreiben von Musik, kann als 
-*■ Augenmusik in Richtung abstrakter BegriSlichkeit 
symbolisch uberformt werden, z. B. auch durch das 
jt-Zeichen (J.S.Bach, Kantate Ich will den Kreuzstab 
gerne tragen, BWV 56). In der erklingenden Musik liegt 
eine symbolische Uberformung des primaren Sinnes 
kompositorischer Bildungen vor, z. B. in der Zahlen- 
symbolik (eine S.-Zahl bezeichnet einen Begriff, z. B. 
12 <ss Kirche, und wird in dieser Bedeutung z. B. als 
Tone-, Take-, Stimmen- oder Satzzahl ausgepragt; vgl. 
z. B. die 12 Choralsatze in J. S. Bachs Matthauspassion) ; 
ferner bei Anwendung des Zahlenalphabets (A = 1, 
B = 2, C = 3 usw., also z. B. BACH = 14; 14 Tone hat 
z. B. die erste Melodiezeile in J. S. Bachs Choralsatz 
Vor deinen Thron tret' ich Hermit, BWV 668, 41 Tone 
[=J. S.BACH] hat hier die ganze Melodie; 158 Tone 
[=JOHANN SEBASTIAN BACH] zeigt die gleiche 
Melodie in Bachs Orgelchoral Wenn wir in hochsten No- 
ten sein, BWV 641, im Orgelbiichlein); weiterhin in der 
Tonbuchstaben-Symbolik (z. B. in dem mit den Tonen 
b-a-c!-h beginnenden 3. Thema der Fuga a 3 Soggetti 
in Bachs Kunst der Fuge; -*■ Soggetto cavato). 
Jedoch im primaren Wirklichkeitszusammenhang der 
erklingenden Musik hat der Begriff des S.s zunachst 
keinen Raum, da die -> Musik in ihren Elementen und 
Gestaltungsprinzipien nicht ein »Zeichen« oder »Sinn- 
bild« fur Geistiges und Seelisches ist, sondern das Sub- 
strat des Denkens und Empfindens selbst im Reich des 
Horens. Daher ist die Musik in alterer Zeit auch nicht 
als S. der kosmischen Harmonia oder der gottlichen 
Weltordnung oder der menschlichen Innerlichkeit ver- 
standen worden, sondern als deren Inbegriff. Auch die 
Vokalmusik, die Sprache erklingen laBt und ihrem Sinn 
entspricht, und die Instrumentalmusik, die Affekte oder 
Stimmungen wiedergibt und als Tonmalerei und Pro- 
grammusik ein begrifflich fafibares Sujet ins Musikali- 
sche zu transferieren sucht, sind nicht symbolisch zu 
verstehen, sondern als je geschichtlich bedingte Ver- 
wirklichung von Moglichkeiten des Nachahmens, Ab- 
bildens und Ausdruckens, die der Musik prinzipiell 
innewohnen und sie als tonendes Sinngefiige konstitu- 
ieren. So sind auch die musikalisch-rhetorischen -*■ Fi- 
guren in ihrer bildlichen und affekthaften Bedeutung 
keine S.e, sondern ihre Bedeutungskraft beruht auf 
»Urentsprechungen« (Wellek, S. 107; Schmitz, S. 16f.) 
und partiellen Ubereinstimmungen, die durch den Text 
begrifflich konkretisiert werden konnen. Die Figuren 
z. B. der -*■ Anabasis, -*■ Climax, -»■ Aposiopesis und 
-> Parrhesia sind nicht »als Zeichen gesetzt« fur das 
Aufsteigen, die emphatische Steigerung, das Schwei- 
gen und das Verderbte; sie sind nicht Worter einer 
Sprache, die man iibersetzen kann; sondern sie »sind« 
als Erklingendes selbst das, was sie bedeuten. Auch die 
sogenannte »deskriptive Musik« (-»■ Tonmalerei, -*■ Pro- 
grammusik, ->• Symphonische Dichtung) beruht pri- 
mar nicht auf »Zeichen« oder »Sinnbildern«, sondern 
auf den Wirklichkeiten der partiellen Ubereinstim- 
mung, des Empfindens und des Assoziierens von Ton- 
und Klangqualitaten, der Sy nasthesie (->■ Farbenhoren) , 
der geschichtlichen Erfahrung (z. B. beim bedeutungs- 
vollen Verwenden des »alten Stils« und beim musikali- 
schen Zitat). - Die Grenze zwischen einerseits dem be- 
grifflich Gemeinten und FaBbaren als Agens des musi- 
kalischen Sinngefiiges und andererseits dem S., das als 
willkurliche Setzung eines Zeichens dem unmittelbaren 



Bedeuten zusatzlich eingestaltet ist, kann jedoch nicht 
scharf gezogen werden. Das musikalische Analogon 
z. B. einer realen Zahl (2 Jiinger sa 2 Stimmen oder 10 
Gebote «f 10 Tonstufen) ist auch als Figur zu verstehen 
(nach dem Prinzip der partiellen Obereinstimmung). 
Dagegen kann die bildliche Bedeutung z. B. des Ka- 
nons (»Nachfolgen«, »Gehorsam« u. a.), der Umkeh- 
rung (»Umkehr«), des -> Krebsganges oder des -> Osti- 
natos auch als symbolisch angesprochen werden in dem 
Sinne, dafi die gemeinten Bedeutungen mit der Ent- 
stehung jener Satztechniken primar nichts zu tun ha- 
ben. Im Gegensatz dazu hat der intendierte Ausdruck 
z. B. der ->■ Monodie oder des Stile concitato (->• Stil) 
nichts Symbolisches, da er mit dem EntstehungsanlaB 
dieser Satzarten identisch ist. Als S. im definierten Sinne 
kann jedoch das -> Leitmotiv gel ten, das zunachst nur 
bedeutet, was es als Musik ist, und erst durch einen 
Akt der Verkniipf ung mit bestimmten Momenten der 
Dichtung die ahnungsvolle Erinnerung bewirkt und uns 
zu steten Mitwissern des tiefsten Geheimnisses der dichte- 
rischen Absicht werden laBt (R.Wagner, Oper und Dra- 
ma, 1851). 

Erst seit dem beginnenden 19. Jh. ist »Dichten« im 
Sinne des alien Kiinsten zugrunde liegenden »Poeti- 
schen« nichts andres als ein ewiges Symbolisieren: wir 
suchen entweder fur etwas Geistiges eine aufiere Hiille, oder 
wir beziehen ein Aufieres auf ein unsichtbares Inneres (A. 
W.Schlegel, S. 91); ahrilich auch Goethe: Das ist die 
wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere re- 
prasentiert ... als lebendig-augenblickliche Offenbarung 
des Unerforschlichen (Maximen und Refiexionen, 1002). 
Damit erfolgte jene Ausweitung des S.-Begriffs, die 
ihn identisch werden lieB mit dem Sinn der Kunst. Die 
»musikalische Symbolkunde«, die A.Schering syste- 
matisch zu erforschen versuchte, hat es mit den Sinnge- 
halten der Musik zu tun, mit dem, was hinter den Tonen als 
geistiger Kern und Schopfungsmotiv steht (1935, in : Das S. 
in der Musik, S. 122). Dabei unterscheidet Schering 
zwischen »Gefuhlssymbolik« (. . . wo Tone oder Ton- 
gruppen sich als Widerspiel gefiihlsmafiiger Zustande oder 
Ablaufe aufdrangen, S. 134) und »Vorstellungssymbolik« 
{die durch Vermittlung des Klangbildes die Vorstellung be- 
schaftigt, S. 136), und er sieht die Musik als ein »Sym- 
bolgewebe«, das zu schier unfafilicher Grofie anwachsen 
kann (S. 138). Diese UnfaBlichkeit (die figiirliche Uner- 
schopflichkeit, Schlegel) des Bedeutens ist nun allerdings 
das Wesensmerkmal des neueren S.-Begriffs und wohl 
der Grand, weshalb Scherings Forderung, die Welt als 
Symbolwelt zu erforschen, sich im Dammer einer unge- 
wissen Zukunft (S. 140) verlieren muBte. Andererseits 
hatte Hegel fur den S.-Begriff die nuiganz willkurliche 
Verkniipfung von sinnlicherExistenz und Bedeutung als 
maBgebend gesetzt, und er sah in der »symbolischen 
Kunstform«, die durch die Unangemessenheit von Idee 
und Gestalt charakterisiert ist, nur den Anfang der Kunst, 
gleichsam eine Vorkunst . . ., welche hauptsachlich dem 
Morgenlande angehbrt und durch die sklassische Kunst- 
form« uberwunden wurde. Diesem S.-Begriff ent- 
spricht es, wenn »Symbolik«, vor allem die S.-Zahl als 
Trager magischen oder sakralen Gehalts, im Reich des 
Klingenden heute gerade in der Primitivenwelt und in 
auBereuropaischen Hochkulturen gesucht und gefun- 
den wird. Damit jedoch hat der S.-Begriff jene Weite 
zwischen der unaussprechlichen Sinnbildlichkeit hoch- 
ster Kunst und den willkiirlichen Verkniipfungsreihen 
primitiver Vorkunst gewonnen, die ihn als kunsttheo- 
retischen Begriff fragwiirdig werden lieB, und die bei 
seiner Verwendung die bestandig erneute Definition 
erfordert. 

Lit.: A. W. Schleoel, Vorlesungen iiber schone Lit. u. 
Kunst (1801/02), in: Deutsche Literaturdenkmale d. 18. 



922 



Symmetric 



u. 19. Jh. in Neudrucken XVII, hrsg. v. B. Seuffert, Stutt- 
gart 1884; J. W. Goethe, Maximenu. Reflexionen, hrsg. v. 
G. Miiller, ebenda 1943; G. W. Fr. Hegel, Asthetik, 2 
Bde, hrsg. v. Fr. Bassenge, Ffm. (1965). - G. v. Keussler, 
Zur Tonsymbolik in d. Messen Beethovens, JbP XXVII, 
1920; K. Huber, Der Ausdruck mus. Elementarmotive, 
Lpz. 1923; Fr.Heinrich, Die Tonkunst in ihremVerhaltnis 
zum Ausdruck u. zum S., ZfMw VIII, 1925/26; M. Schle- 
srNGER, Symbolik in d. Tonkunst, Bin u. Lpz. 1930; W. 
Danckert, Urs. melodischer Gestaltung. Beitr. zur Typo- 
logie d. Personalstile, Kassel 1932 ; ders., Tonreich u. Sym- 
bolzahl in Hochkulturen u. in d. Primitivenwelt, = Abh. 
zur Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XXXV, Bonn 1966 
(mit weiterer Lit.); H. Prunieres, Mus. Symbolism, MQ 

XIX, 1933 ; H. Goerges, Das Klangs. d. Todes im drama- 
tischen Werk Mozarts, = Kieler Beitr. zur Mw. V, Wol- 
fenbiittel 1937; M. Jansen, Bachs Zahlensymbolik, Bach- 
Jb. XXXIV, 1937; Fr. Blume, Musik, Anschauung u. Sinn- 
bild, in: Musik u. Bild, Fs. M. Seiffert, Kassel 1938; H. J. 
Moser, Die Symbolbeigabe d. Musikerbildes, ebenda; M. 
F. Bukofzer, Allegory in Baroque Music, Journal of the 
Warburg Inst. Ill, 1939; Fr. Ll. Harrison, Symbolism in 
Music, Queen's Quarterly XLVI, 1939; A. Schering, Das 
S. in d. Musik, hrsg. mit einem Nachwort v. W. Gurlitt, 
Lpz. 1941 (d. Nachwort audi in: Mg. u. Gegenwart II, 
= BzAf Mw II, Wiesbaden 1 966) ; M. Schneider, El origen 
mus. de los animales-simbolos en la mitologia . . . , Barce- 
lona 1946; ders., Die hist. Grundlagen d. mus. Symbolik, 
Mf IV, 1951 ; ders., L'esprit de la musique et l'origine du 
symbole, Diogene, Nr 27, 1 959 ; Fr. Smend, J. S. Bach, Kir- 
chenkantaten, Bin 1948, 3 1966; A. Schmitz, Die Bildlich- 
keit d. wortgebundenen Musik J. S. Bachs, = Neue Studien 
zur Mw. I, Mainz (1950); E. A. Lippmann, Symbolism in 
Music, MQ XXXIX, 1953 ; M. Vogel, Die Zahl Sieben in 
d. spekulativen Musiktheorie, Diss. Bonn 1955, maschr.; 
K. Geiringer, Symbolism in the Music of Bach, Washing- 
ton 1956; Fr. Feldmann, Numerorum mysteria, AfMw 
XIV, 1957; A. Wellek, Musikpsychologie u. Musikasthe- 
tik, Ffm. 1963 ; K. Veixekoop, Zusammenhange zwischen 
Text u. Zahl in d. Kompositionsart J. Obrechts, TVer 

XX, 1966. HHE 

Symmetric (von griech. auu,u,eTpta, richtiges Verhalt- 
nis, EbenmaB) bedeutet allgemein, daB die regelmaBige 
Wiederholung oder Wiederkehr gleichartiger Glieder 
oder Substanzen iiberformt ist durch gegenseitige Be- 
ziehung und Korrespondenz, durch welche die Glieder 
an Bedeutung gewinnen und das Ganze mehr ist als die 
Abfolge oder Summe sich wiederholender Teile. -Wie 
uberall in Natur und Kunst sind audi in der Musik ver- 
schiedene Arten der S. zu unterscheiden: 
1) S. im speziell zeitlichen (sprachlichen, metrischen) 
Sinne als in der Regel aquidistante Aufeinanderfolge 
von Gliedern, die nach dem Prinzip des »Aufstellens« 
(Sich-Offnens) und »Antwortens« (Sich-SchlieBens) 
einander korrespondieren und subordinieren und dabei 
- meist in der Potenz von 2 - zu immer hoheren Ganz- 
heiten sich zusammenschlieBen. Diese progressive Art 
der musikalischen S., die auf Grund des Relationskon- 
textes aller Glieder im hochsten MaBe Folgerichtigkeit, 
Formkraft und FaBlichkeit besitzt, hat ihre natiirliche 
Heimat in Lied (-> Melodie) und Tanz und ist von 
hier aus mehrmals und in verschiedener Weise in die 
Kunstmusik eingcdrungcn, z. B. in die Melismenkunst 
des Organum- und Discantussatzes der Notre-Dame- 
Epoche. So zeigt die ex semine-Klamel von Perotinus 
(Beispiel: -*■ Discantus) in alien 3 Stimmen eine Folge 
je zwei-»taktiger«, nach Melodiefiihrung und tonaler 
Auspragung »auf stellender« und »antwortender« Glie- 
der, - eine Korrespondenzmelodik (H.Besseler), die 
pradestiniert ist fur die Rhythmus- und Reimbildung 
der spater erfolgten motettischen Textierung (Mote- 
tus: Ex semine / Abrahe divino / moderamine /...). Zuneh- 
mende Bedeutung gewann die lied- und tanzartige S. 
seit dem 17. Jh. in dem MaBe, in dem -»■ Takt und 
-»• Periode fiir die Komposition bestimmend wurden. 



Ihre hochste artifizielle Auspragung als Mittel einer 
»rein musikalischen Sprache« fand sie in der Musik der 
Wiener Klassik: das vielschichtige Sinngefiige der 
-> Komposition entsteht hier metrisch, harmonisch, 
melodisch, dynamisch usw. weithin vor dem Hinter- 
grund oder in bestandiger Wiederkehr regelmaBiger 
Aufstellungs- und Beantwortungsverhaltnisse, die auch 
die »asymmetrischen« Bildungen als solche erst zur 
Geltung bringen, d. h. als absichtliche Durchbrechung 
der Norm. (Asymmetrie ist nur dort relevant, wo S. 
prasent ist.) Von hier aus wurde die S. im primar me- 
trischen Sinne (als Projektion des »inneren Gewichtes« 
der Taktteile auf die Taktgruppen, -> Metrum - 3) zu- 
nachst von G.Weber (1817), dann vor allem durch H. 
Riemann (vor und nach 1900) zum Grundsatz aller mu- 
sikalischen Formung erhoben. Fiir Riemann bildet das 
aus zwei Zahlzeiten bestehende auftaktige Taktmotiv 
die erste S. (das erste synthetische Gebilde metrischer Art), 
demgegeniiber der folgende Takt als ihm antwortend, 
zu ihm in S. tretend aufgefaftt wird; als das leitende Prinzip 
seines Systems der musikalischen Rhythmik und Metrik 
(1903) nennt Riemann die fortgesetzte Unterscheidung 
von Aufstellung und Beantwortung (S. 305). Gleichwohl 
sind die Musik und Musikauffassung des 19. Jh. weit- 
hin gekennzeichnet durch die Abkehr von der dyna- 
mischen Takt-, Taktgruppen- und Periodenkorrespon- 
denz zugunsten einer neuen musikalischen -*■ Prosa (- 2) . 
Schumann urteilte 1835 iiber Berlioz' Symphonie fan- 
tastique im Blick auf die Struktur der einzelnen Phrase: 
Fast nie entspricht der Nachsatz dem Vordersatz, die Ant- 
wort der Frage. Liszt stellte der Instrumentalmusik, die 
einem nach symmetrischen Plane angeordneten Viereck 
gleicht, die Instrumental-Kompositionen der modernen 
Schule gegeniiber (die es erfordern, daB der Kompo- 
nist die Idee ausspricht, welche seiner Komposition zur 
Grundlage gedient hat; an G. Sand, Januar 1837; ->Pro- 
grammusik). Uberhaupt kamen die Tondichter, so ur- 
teilte Busoni (Entwurf einer neuen Asthetik der Tonkunst, 
1907), der wahren Natur der Musik am nachsten, wo sie 
glaubten die symmetrischen Verhaltnisse aufier acht lassen 
zu durfen. 

2) S. im speziell raumlichen (geometrischen und archi- 
tektonischen) Sinne als spiegelbildliche Anordnung der 
Teile um eine ihnen unahnliche Mitte, die auch als 
»stumme« Achse ausgebildet sein kann. Die spiegelbild- 
liche oder axiale S. ist musikalisch ausgepragt als: 
a) riicklaufige Wiederkehr der Formteile, wie z. B. 
A B C B A. Sie wurde besonders von J. S. Bach als Bau- 
plan fiir einzelne Satze verwendet (z. B. Duetto II im 
III. Teil der Clavier-Vbung, BWV 803), vor allem aber 
fiir zyklische Werke (z. B. Motette Jesu, meine Freude, 
BWV 227; Credo der H moll-Messe, BWV 232; Mit- 
telstiick der Johannespassion, BWV 245 ; Kantaten 1-3 
des Weihnachtsoratoriums, BWV 248) ; die symmetri- 
schen Entsprechungen der Satze werden durch Beset- 
zung, Form, Texttypus, Tonart, Taktart und Thematik 
hergestellt. S.-Bildungen hinsichtlich Tonart und Lan- 
ge der Teile sind in Opernfinali W. A. Mozarts (Le Noz- 
ze di Figaro, 2. und 4. Akt; Don Giovanni, 1. und 2. 
Akt; Die Zauberflote, 1. und 2. Akt) festgestellt worden 
(A. Lorenz 1927; H.Engel 1954). In den Biihnenwerken 
R. Wagners fand A. Lorenz die S.-Form (»vollkomme- 
ner Bogen«) auf Grund von Obereinstimmungen in 
Lange, Tonarten, Motivik und Handlungsmomenten 
als Bauprinzip groBerer Teile von Werken und im Ge- 
samtablauf des Rheingolds. Symmetrische Formanlage 
weisen in neuerer Zeit auf z. B. Bartoks Musik fiir 
Saiteninstr., Schlagzeug und Celesta (auch der Mittel- 
satz selbst zeigt Bogenform) und sein Streichquartett 
Nr V (hier ist auch der 1. Satz in sich symmetrisch 
geformt). 



923 



Symmetrie 

b) ->- Krebsgang einer oder mehrerer sukzessiv oder 
simultan vorzutragender Stimmen oder eines ganzen 
Satzteils oder Satzes, oft in Verbindung mit -> Um- 
kehrung oder auch ausschlieBlich als Umkehrung des 
Satzgefiiges (so in sukzessivem Vortrag bei J. S.Bachs 
Spiegelfugen seiner Kunst der Fuge). Derartige axiale 
(spiegelbildliche) S.n, die schon in der Musik des spaten 
Mittelalters und des Barocks nicht selten sind, gibt es 
haufig in der Neuen Musik des 20. Jh., in der dann die 
Technik der -> Reihe den Krebs und die Umkehrung 
uberhaupt zu einem Prinzip erhob. Als Beispiele sei- 
en genannt: Schonberg, Pierrot lunaire op. 21 Nr 18: 
symmetrischer Doppelkanon der 4 Melodieinstrumen- 
te (Achse: Takt.10) ; Berg, Kammerkonzert: Takt 356- 
360/361-365; Lyrische Suite, 3. Satz: der 3. Teil ist die 
riicklaufige (verkiirzte) Reprise des 1 . Teils;Lwiw, 2. Akt, 
Filmmusik : Takt 656-718 (Achse : Takt 687) ; Webern, 
Symphonie op. 21, 2. Satz. Gegen die Anwendung des 
BegrifEsworts S. auf derartige Bildungen kann einge- 
wandt werden, daB die im Vor- und Riicklauf oder in 
der Umkehrung einander entsprechenden Punkte mu- 
sikalisch verschiedene Bedeutung haben und daher nicht 
als korrespondierend gehort werden, bzw. daB die fur 
die Musik wesentliche Zeitdimension, die durch »Ein- 
richtlichkeit« und »Nichtumkehrbarkeit« zu definie- 
ren ist (Wellek), die Krebs- und Umkehrungs-S. nur 
im Notenbild (graphisch-raumlich), nicht aber klang- 
lich faBlich werden laBt. Gleichwohl hat die spiegel- 
bildliche S. musikalische Berechtigung nicht nur als 
Spiel oder Symbol, sondern vor allem als eine Quelle 
kompositorischer Erfindung eines Ordnungsgefiiges, 
das uberdies auch das musikalische Horen wohl weit- 
gehend zugleich mit dem zeitlichen Voranschreiten des 
Geschehens wahrzunehmen vermag. Besonders in der 
atonalen Musik ermoglicht die (fiktive) Gleichberech- 
tigung aller Tone die Ableitung der Komposition 
aus sich selbst durch das Verfahren der Umkehrung 
und des Riicklaufs. 

c) axiale S. der Klangbildung. Symmetrisch (im Sin- 
ne von gleichformig gebildet) nennt H.Erpf (1927, 
S. 72ff.) Klange, die aus lauter gleichen Intervallen 
und somit gleichwertigen Tonen bestehen und daher 
funktionslos auftreten konnen, z. B. Klein- und GroB- 
terz-, Ganzton- und Quartenklang (zur kompositori- 
schen Verwendung vgl. Schonbergs Kammersympho- 
nieop. 9, 1906). Axial symmetrische Klange (z. B. gleich 
der erste Klang in Weberns op. 3, 1908: hi-es2-b2-d3) 
sind in der atonalen Musik grundlegend. Die symmetri- 
sche Teilbarkeit (bzw. Ordnungsf ahigkeit) des atonalen 
Tonvorrats, die »oben« und »unten« sowie »friiher« und 
»spater« in einer gravitats- und ziellosen (»kreisenden«) 
Gleichgewichtigkeit entstehen laBt, ist im Sinne sym- 
metrischer Strukturen bisher wohl am konsequentesten 
von Webern durchdacht und kompositorisch verwirk- 
licht worden (hierzu Ligeti 1960). 

Lit. : G. Weber, Versuch einer geordneten Theorie d. Ton- 
setzkunst, 3 Bde, Mainz 1817-21, 4 Bde, 21824, 31830-32; 
W. Werker, Studien fiber d. S. im Bau d. Fugen u. d. mo- 
tivische Zusammengehorigkeit d. Praludien u. Fugen d. 
Wohltemperierten Klaviers v. J. S. Bach, Lpz. 1922; A. 
Lorenz, Das Geheimnis d. Form bei R. Wagner, 4 Bde, 
Bin 1924-33, Nachdruck Tutzing 1966; ders., Das Finale 
in Mozarts Meisteropern, Mk XIX, 1926/27 ; H. Erpf, Stu- 
dien zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, 
Lpz. 1927; Studium Generate II, 1949 (Beitr. zum S.-Be- 
griffv. W. J. v. Engelhardt, K. L. Wolf, W. Troll, D. Frey 
u. a.) ; Thr. G. Georgiades, Der griech. Rhythmus. Musik, 
Reigen, Vers u. Sprache, Hbg 1949; K. L. Wolf u. D. 
Kuhn, Gestalt u. S., Tubingen 1952; H. Engel, Die Finali 
d. Mozartschen Opern, Mozart-Jb. 1954; G. Ligeti, tjber 
d. Harmonik in Weberns erster Kantate, in: Darmstadter 
Beitr. zur Neuen Musik III, Mainz (1960); G. Massen- 
keil, Untersuchungen zum Problem d. S. in d. Instrumen- 

924 



talmusik W. A. Mozarts, Wiesbaden 1962; A. Wellek, 
Musikpsychologie u. Musikasthetik, Ffm. 1963. HHE 

Sympathiesaiten -*■ Aliquotsaiten. 

Symphoneta (lat.) bezeichnet bei Glareanus (II, Cap. 
XXXVIII u. 6., 1547) den Komponisten, der im Un- 
terschied zum -> Phonascus die Kunst des vielstimmi- 
gen Satzes beherrscht (si quis ad ... Tenorem addat treis, 
plureisve voces), wie L. Senfl, nostra aetate inter sympho- 
netas eximium nomen. - Symphoniacus (lat., zur sym- 
phonia gehorig) bezeichnet in der romischen Antike 
einen Dudelsackblaser oder Orchestermusiker (vgl. 
Wille, S. 328), seit den romischen Scholae cantorum 
bis in die Neuzeit einen Sangerknaben. 
Lit. : G. Wille, Die Bedeutung d. Musik im Leben d. R6- 
mer, Diss. Tubingen 1951, maschr. 

Symphonetta -*■ Concertina. 

Symphonie (ital. sinfonia, von griech. (n)u,<p(ov[a, 
Ubereinstimmung, Harmonie) gehort (wie die lat. 
Lehniibersetzung consonantia) zu den wenigen originar 
musikalischen "Wortern und bedeutet in der Antike 
speziell: 1) die Intervalle Quarte, Quinte und Oktave; 

2) das Zusammenklingen in der Spharenharmonie; 

3) bestimmte Musikinstrumente. Mit beginnender 
Mehrstimmigkeit im 9. Jh. (-»■ Diaphonia) bezeichnet 
symphonia (neben -*■ concordantia) die Konsonanzen 
Oktave, Quinte und Quarte (simplices symphoniae) 
auch beim Zusammensingen (in unum canendo, GS I, 
165b); daneben Musikinstrumente (Drehleier), und 
allgemein Musik, Gesang (Guido von Arezzo, 11. Jh.). 
Im Sprachgebrauch der griechischen Kirche scheint 
(iouaixT) cro[x<p«vfac (im Gegensatz zur -9-eixr) ufivcpSta) 
die Bedeutung von heidnischer, daher weltlicher In- 
strumentalmusik erhalten zu haben. Auch im Westen 
steht der Begriff S . seit christlicher Zeit dem instrumen- 
talen Bereich (auf den er spater ganzlich iibergehen soll- 
te) nahe. Im 15. und 16. Jh. bedeutet S. allgemein Mu- 
sik; der Komponist wird als -> Symphoneta oder Sym- 
phonista bezeichnet. 

G. Gabrieli vereinigte in seinen Sacrae Symphoniae 
(1597) erstmals unter der Sammelbezeichnung S., die 
auch auf das Zusammenwirken von Instrumenten und 
Stimmen im -> Concerto weist, instrumentale und 
vokale geistliche Werke, die damit auf eine gemein- 
same Ebene gehoben sind. H. L. HaBler und H. Schiitz 
schlossen sich diesem Gebrauch des Begriffs S. an. 
Nach 1600 bezeichnete S. immer haufiger instrumen- 
tale Vorspiele bzw. Ritornelle, die oft akkordisch und 
in gemessener Bewegung verlaufen. Hierher geho- 
ren die S.n G. Gabrielis (Symphoniae sacrae, 1615), Gus- 
sagos (Sonate, 1608), Malvezzis, L.Marenzios (Inter- 
medii e concerti, 1591) und Monteverdis (im Orfeo, 1608). 
Zu einem Typus wurde um 1650 die meist zweiteili- 
ge, feierlich-getragene, dann fugierte venezianische 
Opernsinfonia (Cavalli). Ihr Satz ist dem Vorbild Mon- 
teverdis und der Kanzone und Sonate nach Gabrieli 
verpflichtet. Schon seit 1650 naherte sich die veneziani- 
sche Sinfonia durch Ausbau des fugierten Allegroteils 
der franzosischen -> Ouvertiire. Ohne Riicksicht auf 
Besetzung und Stimmenzahl nannte man S.n nach 1600 
auch Stiicke, die weder Kanzonen noch Tanzsatze wa- 
ren: z. B. die 4-5st. S.n von S.Rossi (1608) und die S.n 
fur Cornetto (Zink), Violine und BaB von B.Marini 
(1617). Noch Nicolaus a Kempis (1644) und nach ihm 
in Deutschland D.Becker (1668), J.Petzold (1669), G. 
L. Agricola (1670) u. a. nennen ihre Triosonaten S.n. 
Als in Deutschland vor allem Rosenmiiller seinen 
Tanzsuiten (Sonate da camera, 1667) eine freie Einlei- 
tung voranstellte, bezeichnete er diese nach dem Vor- 
bild der venezianischen Opernsinfonia als S. Teils in 



der — v Mehrchorigkeit, teils im Satz der veneziani- 
schen Kanzonen und Sonaten und im Triosonatensatz 
wurzeln die Kirchen- und Konzert-S.n von G.Perti 
(Messenvorspiele, handschriftlich Bologna), V. Albrici 
(1654), M. Uccellini (1667), G. B. Bononcini (1685), Al- 
binoni (1700) u. a. Die Bezeichnungen Concerto und 
Sinfonia finden sich synonym nebeneinander. In die- 
sen, alle Moglichkeiten der damaligen Instrumental- 
komposition vereinenden Stvicken wird durch den 4st. 
Streichersatz nach 1650 und durch die concertierende 
Faktur der Boden fur das Concerto als instrumentale 
Gattung bereitet (Torelli). Erst mit der Typisierung des 
Satzes, die zur selben Zeit auch in Frankreich durch 
Lully (5st. Streichorchester) erfolgte, war auch im ei- 
gentlichen Sinne orchestrales Musizieren moglich. In- 
nerhalb der neapolitanischen Opernsinfonia, die durch 
A.Scarlatti (f 1725) und seine Nachfolger Fr.Feo, L. 
Vinci, L.Leo, N.Porpora, G.B.Pergolesi und G.B. 
Sammartini (f 1774) gepragt wurde, entstand auf der 
Grundlage des Triosonatensatzes ein neuer beweglicher 
Satz, an den die Vorklassiker ankniipf ten. Entscheidend 
fur den Typus der Opernsinfonia ist nicht so sehr die 
Dreisatzigkeit (Allegro-Andante-Allegro), die schon 
friiher auftritt, sondern harmonische GroBflachigkeit, 
besonders des ersten Allegros, Aneinanderreihung 
gleichartiger Kadenzen, Kantabilitiit auch im schnellen 
Tempo, kleinteilige periodische Gliederung, zyklische 
Anlage und ein testes modulatorisches Grundgeriist im 
Sinne von Exposition-Durchf iihrung-Reprise : 
A B A 

II- T-D. II. D-T-T. SI 



Der Mittelsatz in der Paralleltonart hat gewohnlich 
Siciliano- (6/8 oder 3/8), der letzte urspriinglich Tanz- 
charakter (Menuett, Gigue 3/8). In der spateren Kon- 
zertsinfonia hat der letzte Satz oft Rondoanlage oder 
verbindet Rondo mit 3teiliger Form. Wesentlich zur 
Entstehung des neuen Satzes hat die Arie mit ihrem 
klaren Modulationsschema, ihren geschlossenen Ab- 
schnitten (gegensatzliche Thematik) und ihrer cantab- 
len Melodik beigetragen. GeneralbaBsatz und concer- 
tierende Faktur wurden endgiiltig durch den Satz der 
Opera buffa seit Pergolesi aufgegeben, der auch die 
italienische Sinfonia nachhaltig beeinfluBte (S.n G.B. 
Sammartinis, 1742). Dieser Orchestersatz fiir Streicher 
mit harmoniefiillenden Blasern (Oboen, Hornern) ist 
auch die Voraussetzung fiir die vorklassische Sympho- 
nik der -> Mannheimer Schule, der -> Wiener Schu- 
le (- 1) undJ.Chr.Bachs (ssingendes Allegro«). Vor al- 
lem in Mannheim wurde die S. zu einer gewichtigen 
Gattung, die auch im Konzert lebensfahig war (-> pe- 
riodique). Wie in der italienischen Opernsinfonia do- 
miniert der erste Satz. Um 1740, etwa gleichzeitig in 
Mannheim und Wien, wurde das Menuett in die S. auf- 
genommen. Ihrer Verbindung mit der italienischen 
Oper, die als zentrale Gattung im 18. Jh. das Neue in 
der Musik in sich vereinigte, verdankt es die S., daB sich 
in ihr derWandel der Kompositionstechnik um 1720 
mitvollzog. In der S., vor allem der deutschen und 
osterreichischen Komponisten, trafen sich nun viele 
Strome der Musik, wahrend die GeneralbaBgattungen 
Suite, Concerto grosso und Triosonate bedeutungslos 
wurden. Zu einer eigenartigen Synthese von Altem und 
Neuem gelangte C. Ph.E. Bach in seinen S.n. Fiir S. und 
Streichquartett der Wiener Klassik besonders wichtig 
sind die oft als S.n bezeichneten Divertimenti, Serena- 
den und Quadri in Siiddeutschland. 
Als der eigentliche Schopfer der klassischen S. hat 
J.Haydn zu gelten (1. S., Hob. I, 1, 1759). Seine 104 
S.n bezeichnen den Weg, der unter Aufbietung al- 
ler satztechnischen Moglichkeiten (u. a. auch Fuge, 



Symphonie 

Kanon) von suitenhafter Fiinf- und Sechssatzigkeit, 
von Dreisatzigkeit (Opern-S.), vom Divertimento und 
von Techniken des Concerto grosso bis zu den groBen 
»Londoner« S.n fiihrt. Seit 1765 setzte sich bei Haydn 
die Viersatzigkeit als Norm durch. Aber erst die Kom- 
position aufeineganz neue besondere Art in seinen »Russi- 
schen« Quartetten op. 33 (Hob. Ill, 37-42, 1781) er- 
moglichte die einheitliche und nunmehr entschiedene 
Konzeption der 12 »Londoner« S.n (Hob. I, 93-104, 
1791-92 und 1793-95), die sein symphonisches Ver- 
machtnis darstellen. Das Finale bildet nun ein machtiges 
Gegengewicht zum ersten, oft durch eine langsame 
Einleitung erofmeten Satz. DieEinheit des Werkes weiB 
Haydn durch konzentrierte motivisch-thematische Ar- 
beit vor allem innerhalb der ->- Durchfiihrung zu er- 
reichen. Noch vor Haydns Londoner S.n sind die vier 
groBen S.n W. A. Mozarts entstanden (D dur »Prager«, 
K.-V. 504, Es dur, K.-V. 543, G moll, K.-V. 550, C dur 
»Jupiter«, K.-V. 551). Wahrend Mozarts »Linzer« S. 
(C dur, K.-V. 425) noch deutlich von Haydns S.n mit- 
bestimmt wird, ist das Verhaltnis spater eher umge- 
kehrt. Wie bei Haydn und spater bei Beethoven bilden 
Anlage, Sinn des musikalischen Geschehens und satz- 
technische Durchfiihrung bei Mozart eine untrennbare 
Einheit (z. B. Finale der »Jupiter-S.«). Ahnlich wie 
Haydn ging er vornehmlich vom Divertimento aus; 
viele seiner friihen S.n stehen unentschieden zwischen 
Divertimento und S. und erreichen bis 1782 meist nicht 
die Bedeutung der groBen Blaserserenaden B dur, K.- 
V. 361, Es dur, K.-V. 375, C moll, K.-V. 388. Beetho- 
ven bringt, an Haydn ankniipfend (1. S. C dur op. 21, 
1799, und 2. S. D dur op. 36, 1801/02), die Erfullung 
der klassischen S. Seit der 3. S. (Es dur op. 55, Sinfonia 
eroica, 1803) ist das Menuett durch das -> Scherzo (bzw. 
scherzoartige Satze) ersetzt. Eine neue Schwere der 
Aussage gelangt durch strenge satztechnische Arbeit zu 
einer bis dahin unerhorten Unmittelbarkeit. In der 9. S. 
(D moll op. 1 25 , 1 822-24) erf ahrt daslnstrumentale durch 
die menschliche Stimme eine letzte Steigerung. Ganzlich 
fiir sich stehen Schuberts »Unvollendete« (8. S. H moll, D 
759, 1822) und seine »groBe« C dur-S. (D 944, 1828), 
die ihre symphonische Einheit aus der Kraft der in- 
strumentalen Liedmelodie beziehen. 
Fiir R.Schumann (4 S.n, 1841-50) und Mendelssohn 
Bartholdy (5 S.n, 1824-42, und 12 frtthe S.n ohne 
op.) war die klassische S. die Norm; aber ihr Sinn 
und damit ihr musikalischer Bau, der eine jeweils satz- 
technisch bedingte Einheit hervorbrachte, wurde nicht 
mehr verstanden; man iibernahm daher die »Form« 
und die Attitude, wahrend einheitliche Stimmung und 
Thematik oder ein Programm den musikalischen Zu- 
sammenhang ergeben sollten (->■ Komposition). In 
revolutionarer Weise sind diese Merkmale in der S. 
fantastique (1830) von Berlioz, die von einer -»■ Idee 
fixe durchzogen wird, zu finden. Hier erreicht die 
Programm-S. (-> Programmusik) eine neuartige Aus- 
pragung und nehmen die -> Symphonischen Dichtun- 
gen von Liszt und R. Strauss ihren Anf ang. Die Sym- 
phonik von Bruckner (9 S.n, 1865-96, und 2 friihe S.n) 
bis zu C. Franck (S. D moll, 1889) steht stark unter dem 
EinfluB des symphonischen, zum Teil leitmotivisch ge- 
bundenen Orchestersatzes Wagners. Lediglich Brahms 
(4 S.n, 1876-85) kniipfte bewuBt archaisierend (Passa- 
caglia der 4. S.) mehr an Beethoven an. Mit dem Auf- 
gebot groBter orchestraler und vokaler Mittel (Chor, 
Soli) suchte G. Mahler in seinen 10 S.n (1888-1911) alles 
bisher Gewesene zu symphonischer Einheit zu ver- 
schmelzen. Aus dem Bestreben, der S. aus der Folklore 
neues Leben zuzufiihren, erwuchsen die S.n von Dvorak 
(9 S.n, 1865-93) und Tschaikowsky (6 S.n, 1868-93, 
und Manfred-S., 1885). Diese Linie setzte sich fort in 



925 



Symphonie 

den S.n Rachmaninows (3 S.n, 1895-1936), S.Prokof- 
jews (7 S.n, 1908-52), Schostakowitschs (seit 1926 12 
S.n) und Chatschaturjans (2 S.n, 1935 und 1943-44). 
In den 7 S.n (1899-1924) von Sibelius fand Bruckners 
Symphonik eine national gepragte Nachfolge. Die 
Tradition von Berlioz und C.Franck, verbunden mit 
der neuen Klanglichkeit des Impressionismus, f iihrte in 
Frankreich zu den S.n von A.Roussel (4 S.n, 1906-34) 
undP.Dutilleux (2 S.n, 1951-56). Weiterf uhrung spiit- 
romantischer Traditionen bis zu Klassizismus und Ato- 
nalitat verschiedenster Richtung kennzeichnen die S.n 
von K.Szymanowski (4 S.n, 1907-32), Vaughan Wil- 
liams (9 S.n, 1910-58), Kfenek (5 S.n, 1921-49), Cop- 
land (3 S.n, 1928-46), A.Honegger (5 S.n, 1931-51), 
G.Fr.Malipiero (9 S.n, 1933-50), Hindemith (6 S.n, 
1934-59), Milhaud (8 S.n, 1939-58), Britten (Sinfonia 
da Requiem op. 20, 1940), K. A. Hartmann (8 S.n, 
1940-62), Henze (5 S.n, 1947-62), Toch (4 S.n, 1950- 
57), Messiaen (Turangalila-S., 1948) u. a. Die Ab- 
kehr vom Orchesterapparat des 19. Jh. und von der 
romantischen Symphonik auBert sich in den mit Sin- 
fonietta, kleine S. oder Kammer-S. benannten Stiik- 
ken von Schonberg (2 Kammer-S.n op. 9, 1906, und op. 
38, 1906-39), Britten (Simple Symphony- op. 4, 1925, 
umgearbeitet 1934), Janacek (Sinfonietta, 1926), A. 
Roussel (Sinfonietta op. 52, 1934) und Hindemith (Sin- 
fonietta inE, 1950). In diesen Zusammenhang gehoren 
auch die 6 kleinen S.n (1917-23) von Milhaud, wah- 
rend Webern in seiner S. op. 21 (1928) die Idee sym- 
phonischer Formung auf der Basis einer -»■ Reihe ver- 
wirklichte. Strawinskys Symphonie de psaumes (1930), 
S. en Ut (1940) und S. in drei Satzen (1945) sowie Pro- 
kofjews »S. classique« (1917) sind kennzeichnend fiir 
die klassizistische Periode der Neuen Musik. Konzeption 
und musikalisches Verfahren in diesen Kompositionen 
bedeuten jedoch als asthetisch-objektives Spiel mit mu- 
sikalischen Moglichkeiten die endgultige Abkehr von 
der klassischen Konzeption der S. Die fiir die radikale 
Wendung der Neuen Musik reprasentativen Werke 
fiihren daher meist nicht mehr die Bezeichnung S. 
Lit.: M. Brenet, Hist, de la s. a orch., Paris 1 882 ; G. Grove, 
Beethoven and His Nine S., London u. NY 1896, NY 31962, 
deutsch v. M. Hehemann, London 1906; H. Riemann, 
Mannheimer Kammermusik, Einleitung zu DTB XV/XVI; 
H. Goldschmidt, Zur Gesch. d. Arien- u. Symphonieform, 
MfM XXXIII, 1901 ; A. Heuss, Die venetianischen Opern- 
Sinfonien, SIMG IV, 1902/03 ; F. Torrefranca, Le origini 
della sinfonia, RMI XX, 1 903 -XXII, 1 905 ; K. Horwitz, G. 
Chr. Wagenseil als Symphoniker, Diss.Wien 1906,maschr.; 
C. Mennicke, Hasse u. d. Briider Graun als Symphoniker, 
Lpz. 1906; J.-G. Prod'homme, Les s. de Beethoven (1800- 
27), Paris 1906; M. Flueler, Die Norddeutsche Sinfonie 
zurZeitFriedrichsd. Gr., Diss. Bin 1908; H. Kretzschmar, 
Haydns Jugendsinfonien, JbP XV, 1908; P. Bekker, Die 
Sinfonie v. Beethoven bis Mahler, Bin 1918, russ. 1926; R. 
Sondheimer, Die formale Entwicklung d. vorklass. Sinfo- 
nie, AfMw IV, 1922; ders., Die Theorie d. S. im 18. Jh., 
Lpz. 1925; Fr. Tutenberg, Die opera buffa-Sinfonie u. 
ihre Beziehungen zur klass. Sinfonie, AfMw VIII, 1926; 
ders., Die Durchf uhrung d. vorklass. Sinfonie, ZfMw IX, 
1926/27; F. Weingartner, Die Sinfonie nach Beethoven, 
Lpz. 1926; Fr. Waldkirch, Die konzertanten Sinfonien 
d. Mannheimer im 18. Jh., Diss. Heidelberg 1931; H. C. 
Colles, S. and Drama, in : The Oxford Hist, of Music VII, 
Oxford 1933 ; A. Carse, Early Classical S., Proc. Mus. Ass. 
LXII, 1935/36; W. H. Reese, Grundsatze u. Entwicklung 
d. Instrumentation in d. vorklass. u. klass. Sinfonie, Diss. 
Bin 1939; Fr. Mahling, Die deutsche vorklass. Sinfonie, 
Bin 1940; St. Walin, Beitr. zur Gesch. d. schwedischen 
Sinfonik, Stockholm 1941 ; Fr. Vatielli, Primizie del sin- 
fonismo, RMI XLVII, 1943 ; E. H. Meyer, Engl. Chamber 
Music, London 1946, 2 1951, deutsch als: Die Kammermu- 
sik Alt-Englands, Lpz. 1958; D. G. Adams, Russ. Sym- 
phony, London 1948; E. Borel, La s., Paris 1954; B. S. 
Brook, La s. frc. dans la 2 e moitie du XVIII e s., = Publi- 



cations de l'lnst. de musicologie de 1'Univ. de Paris III, 
3 Bde, Paris 1962; W. Fr. Korte, Bruckner u. Brahms, 
Tutzing 1963; P. Mechlenburg, Die Sinfonien d. Mann- 
heimer Schule, Diss. Miinchen 1963, maschr. ; R. Kloiber, 
Hdb.d.klass.u.romantischenS., Wiesbaden 1964. StK 

Symphonie concertante (sefan'i kasert'a : t, f rz. , kon- 
zertante Symphonie, auch substantiviert zu Concer- 
tante, Konzertante; ital. sinfonia concertante), ein Ter- 
minus der 2. Halfte des 18. Jh. fiir eine damals beliebte 
und verbreitete Art von meist 3satzigen Kompositio- 
nen fiir mehrere konzertierende Soloinstrumente und 
Orchester. Vorbild fiir die S. c. war die Besetzung des 
Concerto grosso mit einem Solistenensemble (-*■ Con- 
certino - 2) ; sie steht in f ormaler und satztechnischer 
Hinsicht dem Solokonzert (-»- Konzert - 1) naher als 
der Symphonie. Aus dem 18. Jh. sind viele Werke, die 
der Gattung der S. c. zuzurechnen sind (vor allem mit 
solistischen Blaserpartien), unter dem Titel Concerto 
(seltener Concertino), auch Duo en concert u. a. iiber- 
liefert. Im 19. Jh. setzten sich dagegen fiir altere und 
neuere Werke die korrekteren Bezeichnungen Dop- 
pel-, Tripel- und Quadrupelkonzert durch, wahrend 
sich die Benennung S. c. nur bei wenigen Werken des 
Konzertrepertoires eingebiirgert hat (z. B. Mozart, 
K.-V. 364). - Merkmale der S. c. sind: die Selbstandig- 
keit der Gruppe der konzertierenden Solostimmen, die 
oft mit Bravourkadenzen versehen sind; die Eroffnung 
des 1 . Satzes durch ein Orchestertutti; die vorherrschen- 
de (und nur von I.Pleyel iiberschrittene) Zwei- oder 
Dreisatzigkeit und - gegeniiber der Symphonie - die 
Haufigkeit von Rondofmales. - Die Konzertanten von 
Holzbauer, moglicherweise vor 1753 in Wien entstan- 
den, sind (nach Waldkirch) als die altesten Werke der 
Gattung S. c. anzusehen, doch der Nachweis fiir die 
Prioritat der Mannheimer Schule auf diesem Gebiet 
scheitert an den nicht ausreichenden Datierungsmog- 
lichkeiten. In Paris wurde die S. c. erstmals durch 
Davaux 1770, nachhaltig durch C. Stamitz seit 1773 in 
das Concert spirituel eingefiihrt; sie kam danach so 
in Mode, daB in den letzten 2 Jahrzehnten des Ancien 
regime Hunderte von S.s c.s entstanden (u. a. 38 Wer- 
ke von C. Stamitz, 29 von Cambini). Von Paris strahlte 
die Gattung in das iibrigeEuropa aus; neben den S.s c.s 
vonjoh. Chr. Bach, Dittersdorf, J.Haydn (Hob. 1, 105) 
und 5 Werken von I.Pleyel stammen die bedeutend- 
sten Beitrage zu dieser Gattung von W.A.Mozart 
(Concertone fur 2 V., K.-V. 190, 1773; Concerti fur 3 
bzw. 2 Kl., K.-V. 242 und 365; 2 Werke fur das Con- 
cert spirituel: K.-V. Anh. 9 und K.-V. 299, 1778; K.-V. 
364 fiir V. und Va und die Fragmente K.-V. Anh. 56 
und Anh. 104, 1778-79 in Salzburg) ; auch Beethovens 
Tripelkonzert op. 56 (V., Vc. und Kl., auf einer ver- 
schollenen Klavierstimme autograph als Konzertant 
Konzert bezeichnet) ist noch zur Gattung der S. c. zu 
zahlen. 1932 komponierte K. Szymanowski seine S. c. 
op. 60 fiir Kl. und Orch., 1945 Fr. Martin seine Petite 
S. c. (Cemb., Harfe, Kl. und 2 Streichorch.). 
Lit. : L. de La Laurencie, L'ecole frc. de violon de Lully a 
Viotti II, Paris 1924; Fr. Waldkirch, Die konzertanten 
Sinfonien d. Mannheimer im 1 8. Jh., Diss. Heidelberg 1931 ; 
H. Engel, Das Instrumentalkonzert, = Fiihrer durch d. 
KonzertsaalIII,DieOrchestermusikI,3,Lpz. 7 1932;H.BoE- 
se, Die Klar. als Soloinstr. in d. Musik d. Mannheimer Schu- 
le, Dresden 1940; M. Rasmussen, A Bibliogr. of S. c, Con- 
certi grossi . . . , Brass Quarterly V, 1961 ; B. S. Brooke, La 
symphonie frc. dans la 2 e moitie du XVIII e s., = Publica- 
tions de l'lnst. de musicologie de l'Univ. de Paris III, Pa- 
ris 1962; J. M. Stoltie, A S. C. Type: The Concerto for 
Mixed Woodwind Ensemble in the Classical Period, 2 Bde, 
Diss. State Univ. of Iowa 1962, maschr. 

Symphonie periodique (sefan'i perjod'ik, frz.) 

-* periodique. 



926 



Symphonische Dichtung (frz. poeme symphonique; 
ital. poema sinfonico; engl. symphonic poem) bezeich- 
net die Gattung der meist einsatzigen (nicht aus abge- 
trennten Einzelsatzen bestehenden) orchestralen Pro- 
grammkompositionen des 19. und 20. Jh., die beson- 
ders mit den Namen Liszt (17 S. D.en, 1847/48-60) 
und R.Strauss (10 S. D.en, 1886-1915) verbunden ist. 
Das Begriffswort S. D. wurde von Liszt gepragt, der 
erstmals 1854 seine Ouvertiire Tasso (komponiert 1849) 
so benannte und die Bezeichnung bald auf alle seine 
derartigenWerke ausdehnte (Brief an H. v. Biilow vom 
24. 4. 1854), auch auf Werke wie Orpheus, Festklange 
und Hungaria, die der Programmusik ferner stehen. - 
Vorlaufer der S.n D. waren die orchestralen Arten und 
Gattungen der -> Programmusik, besonders die mehr- 
satzige Programmsymphonie (Symphonie a program- 
me) bzw. Sinfonia caracteristica (wie Beethoven seine 
Pastoralsymphonie bezeichnete) und spezieli Berlioz' 
Idee eines drame instrumental (Symphonie fantastique, 
1830), bei dem le programme . . . doit etre considiri comme 
le texteparlid'un opera. Ausgangspunkt fur die S. D. war 
im engeren Sinne die -> Ouverture bzw. Konzert- 
ouvertiire (Liszt bezeichnete seine S.n D.en vor 1854 als 
Ouvertiiren), vor allem die dramatischen Ouvertiiren 
Beethovens (hierzu "Wagner, S. 189ff.). - Der Name S. 
D. kennzeichnet Liszts grande idie der Erneuerung der 
Musik durch ihre alliance plus intime avec lapoesie (Brief 
an Agnes Street-Klindworth vom 16. 11. 1860). Liszt 
unterscheidet zwischen dem specifischen Symphoniker 
(f iir dessen Offenbarungen . . . es keine Namen und keine 
Bezeichnung giebt) und dem dichtenden Symphonist . . . , 
der sich die Aufgabe stellt, ein in seinem Geist deutlich vor- 
handenes Bild, eine Folge von Seelenzustanden, die ihm un- 
zweideutig und bestimmt im Bewufitsein liegen, ebenso klar 
wiederzugeben, - warum sollte er nicht mit Hilfe eines Pro- 
grammes nach vollem Verstandnis streben?! (Liszt, S. 50). 
Dabei sublimiert der musikalische Dichter das poetische 
Objekt ganz nach dessen konkretem Gefiihlsgehalte, der 
sich einzig bestimmt eben nur in der Musik geben I'dfit (Wag- 
ner, S. 194). Mittel zur S.n D. boten die auch in der de- 
skriptiven Vokalmusik und im -> Melodrama gestei- 
gerten Moglichkeiten der ->• Tonmalerei, auch etwa 
die -> Leitmotiv-Technik, doch vor allemjene charak- 
terisierende, assoziati ve Kunst des symphonischen Dich- 
tens, an deren Ausbildung zu sprechender Bestimmtheit 
(Wagner, S. 195) Liszt den entscheidenden Anteil hatte 
und die R. Strauss zu einem Punkt f iihrte, von dem aus 
eine Weiterentwicklung in gleicher Richtung sich von selbst 
verbietet (Klauwell, S. 420). In ihrer Formbildung ent- 
stand und entwickelte sich die S. D. - wiewohl sie sich 
bestandig mit Sonatensatz und Sonaten-Satzzyklus aus- 
einandersetzte - als Oberwindung der zur Formel er- 
starrten Form der Wiener Klassik, kraft der Befruchtung 
durch eine poetische Idee (R. Strauss an H. v. Biilow am 
24. 8. 1888). Denn die neue [nachklassische] Form ist not- 
wendig diejedesmal durch den Gegenstand und seine darzu- 
stellende Entwicklung geforderte. Und welches ware dieser 
Gegenstand? - Ein dichterisches Motiv. Also - erschrecken 
Sie !- »Programmusik« (Wagner, S. 191). R. Strauss, der 
seine S.n D.en meist »Tondichtungen« nannte (diese 
Bezeichnung wahlte schon C.Loewe 1830 fur sein Or- 
chesterwerk Mazeppa nach Byron), hat in Don Juan 
(1887/89) den Sonatensatz, in Till Eulenspiegels lustige 
Streiche (1894/95) die Rondoform und in Don Quixote 
(1896/97) die Variation zumTrager der poetischen Idee 
erhoben. — S. D.en schrieben auBer Liszt und Strauss 
u. a. Smetana ab 1858, Draeseke ab 1860, N.Rimskij- 
Korsakow ab 1867, Tschaikowsky ab 1868, Saint-Saens 
ab 1869, C.Franck ab 1876, D'Indy ab 1880, Borodin 
1880, H.Wolf 1883/85, Glasunow 1885, Sibelius ab 
1892, Dvorak ab 1896, Skrjabin ab 1896, Debussy ab 



Syncopatio 

1903, Schonberg 1903 (und schon 1899, im Bereich der 
Kammermusik, das Streichsextett Verkldrte Nacht nach 
Dehmel), Bartok 1903, Strawinsky 1909, Reger 1913, 
O.Respighiabl917). 

Lit.: Fr. Liszt, Berlioz u. seine »Harold-Symphonie«, in : 
Gesammelte Schriften IV, hrsg. v. L. Ramann, Lpz. 1882; 
R. Wagner, t)ber Fr. Liszt's S. D. (1857), in: R. Wagner, 
Samtliche Schriften u. Dichtungen V, Lpz. 31898; O. A. 
Klauwell, Gesch. d. Programmusik . . ., Lpz. 1910; P. 
Raabe, Die Entstehungsgesch. d. ersten Orchesterwerke Fr. 
Liszts, Diss. Jena 1916; E. Zador-Zucker, Uber Wesen 
u. Form d. sinfonischen Dichtungen, Diss. Miinster i. W. 
1921, maschr. ; J. Heinrichs, Ober d. Sinn d. Lisztschen 
Programmusik, Bonn 1929 ; J. Weber, Die S. D. Fr. Liszts, 
Diss. Wien 1 929, maschr. ; J. Bergfeld, Die f ormale Struk- 
tur d. »S. D.« Fr. Liszts, Eisenach 1931 ; R. Mendl, The 
Art of the Symphonic Poem, MQ XVIII, 1932; E. Wach- 
ten, Das Formproblem in d. sinfonischen Dichtungen v. 
R. Strauss, Diss. Bin 1933; J. Chantavoine, Le poeme 
symphonique, Paris 1950. HHE 

Symploke (griech., Verflechtung; lat. complexio, com- 
plexus, conexum, communio), in der Kompositions- 
lehre des 17./18. Jh. eine in Analogie zur Rhetorik ge- 
bildete musikalische Figur, ahnlich der -*■ Epanalep- 
sis : Wiederholung des Anfangs einer Periode an deren 
Ende. Nucius (1613) vermerkt ausdriicklich die An- 
lehnung an die Rhetorik: Quid est Complexio? Cum 
Harmoniae initium in fine repetitur, ad imitationem Poeta- 
rum, qui saepe uno eodemque vocabulo versum incipiunt et 
claudunt. Die gleicheErklarung findet sich haufig bis zu 
Koch (1802). - Demgegeniiber erklart Burmeister die 
S. als die gleichzeitige Verwendung eines (j und \> in- 
nerhalb eines Zusammenklanges. 

Synaphe (griech., das Zusammengreifen; lat. con- 
iunctio) heiBt in der griechischen Musiklehre die Ver- 
bindung zweier Tetrachorde der Art, daB der hochste 
Ton des tieferen Tetrachords zugleich als tiefster Ton 
des hoheren gilt. Das hohere Tetrachord wird dann 
Tetrachordon synemmenon (lat. tetrachordum con- 
iunctum) genannt. Tritt S. an die Stelle einer Diazeuxis, 
d. h. wird ein Tetrachord um einen Ganzton tiefer 
transponiert, so ergibt sich in der Diatonik durch Ver- 
lagerung des Halbtonschritts ein der urspriinglichen 
Leiter fremder Ton, z. B. im ->- Systema teleion dM: 1 - 
b-a statt ei-di-ci-h. Hieran ankniipfend bezeichnen 
mittelalterliche Musikschriften das brotundum als b 
synemmenon (oder G synemmenon, wenn A f iir unser 
c steht; vgl. GS I, 234a). Spater - zuerst bei Johannes de 
Garlandia (ed. Cserba, S. 172f.) - kann jeder Ton, der 
durch -> Musica ficta zum fa gemacht, d. h. um einen 
Halbton erniedrigt wird, Synemmenon heiBen (vgl. 
CS 1, 364f.). 

Syncopated music (s'irjkape : tad mj'u:zik, engl.) 
-»■ Ragtime. 

Syncopatio (lat.), im weiteren Sinne gleichbedeutend 
mit -> Synkope; daneben spezieli Bezeichnung fur die 
dissonierende Behandlung der Synkope nach dem 
(a) (b) (c) Schema: konsonante Einfiihrung 
(a), Dissonanz auf betonter Zeit 
(b), Auflosung auf unbetonter 
Zeit durch Sekundschritt abwarts 
(c). Diese Art der Dissonanzbehandlung wurde im 
->■ Kontrapunkt seit dem friihen 15. Jh. fester Be- 
standteil der Praxis, seit Tinctoris (Liber de arte con- 
trapuncti, 1477, CS IV, 135a) und Guilelmus Mona- 
chus (De praeceptis artis musicae, um 1480, CS III, 291a) 
auch der Lehre. Seit Burmeister (1606) wurde die S. 
(auch als ->- Synhaeresis und Ligatura) in die Lehre 
von den musikalisch-rhetorischen Figuren einbezogen. 
Ihre Kombination mit anderen Figuren sowie die von 
der Normalform abweichenden S.nes wurden gleich- 



927 



synemmenon 

falls als Figuren erfafit, so von Burmeister als -> Pleo- 
nasmus, von Chr.Bernhard als -* Multiplicatio, Pro- 
longatio (hier wahrt die Dissonanz langer als die vor- 
bereitende Konsonanz), Quasi-S. (Auflosung mit vor- 
ausnehmendem »Portament«), -> Retardatio und S. ca- 
tachrestica (->■ Catachrese). In der Harmonielehre wird 
die der S. entsprechende Dissonanzbehandlung als vor- 
bereiteter ->■ Vorhalt bezeichnet. 
Lit. : — > Kontrapunkt. - Kn. Jeppesen, Der Palestrinastil u. 
d. Dissonanz, Lpz. 1925, engl. Kopenhagen u. London 
1927, 21946; C. Dahlhaus, Zur Gesch. d. Synkope, Mf 
XII, 1959; ders., Zur Theorie d. klass. Kontrapunkts, 
KmJb XLV, 1961. 

synemmenon (griech.) -^Synaphe. 

Synhaeresis (griech., Zusammenziehung), eine von 
M.J. Vogt (1719) im AnschluB an die Rhetorik erklarte 
musikalische Figur. In der Rhetorik bedeutet S. die Zu- 
sammenziehung zweier Silben (z. B. »Di« statt »Dii«); 
Vogt beschreibt die musikalische S. als Zusammen- 
ziehung zweier Silben auf einen Ton oder zweier Tone 
auf eine Silbe. - Burmeister (1606) gebraucht das Wort 
synonym mit Syncope. 

Synkope (griech. au-pcomf), Zusammenschlagen, -Zie- 
hen, Verkiirzung ; lat. als Lehnwort syncope und synco- 
pa, als Neubildung auch syncopatio), in der Grammatik 
seit der Antike die AusstoBung eines Buchstabens (z. B. 
mile statt mille) oder die Unterdriickung einer Silbe 
inmitten des Wortes (z. B. forsan statt forsitan) ; in der 
Musik und Musiktheorie seit der Ars nova die Ver- 
schiebung der Mensur bzw. (sparer) der Betonung ge- 
geniiber dem jeweils herrschenden (als maBgebend 
empfundenen) mensuralen bzw. metrischen Ordnungs- 
gefiige. Die S. setzt somit ein klar ausgepragtes Bezugs- 
system voraus (Mensur, Schlagzeit, Metrum, Takt), 
gegen das sie sich als rhythmisches Phanomen abhebt 
(-»■ Rhythmus). - Synkopisch wirkendeErscheinungen 
gibt es in fast alien Musikkulturen ; sie waren auch der 
Antike nicht fremd. Ihre spezifische, satztechnisch faB- 
bare Auspragung erfuhr die S. aber erst in einem fort- 
geschrittenen Stadium der abendlandischen Mehrstim- 
migkeit. Erstmals beschrieben wurde sie von Theoreti- 
kern der Ars nova, z. B. als divisio cuiuscumque figurae ad 
partes separatas que ad invicem reducuntur perfectiones nu~ 
merando (Ars perfecta, CS III, 34a), d. h. als Zerlegung 
einer zusammengehorigen Notengruppe (Ligatur) in 
selbstandige Teile, die dadurch aufeinander bezogen 
werden, daB man Perfektionen (-»• Perfectio - 2) zahlt, 
sei es im Modus, im Tempus oder in der Prolatio. Ge- 

meint sind Falle wie ♦•♦♦♦♦II (in heutiger Noten- 
schrif t : I JjjJJj I JJJ ). In perfekter Mensur ist meist 
das Setzen eines Punktes erforderlich (punctus synco- 
pationis, demonstrationis oder reductionis; ->■ Punc- 
tus - 2). Rote Notation (-> Color - 1) kann ebenfalls 
zur Kennzeichnung einer S. dienen (vgl. MD X, 1956, 
S. 48). Auch Ausdriicke wie transpositio (CS HI, 44b) 
und cantare tardando (CS III, 42b) begegnen im Sin- 
ne von S. - Vorbereitet durch die mit der Einfuhrung 
der Mensuralnotation verbundenen rhythmischen Dif- 
ferenzierungen, trat die S. anfangs als rhythmische 
Belebung einzelner Stimmen auf, nachweisbar zuerst 
in Kompositionen von Machaut, z. B. Anfang des Te- 
nors in der Ballade 28: ■ ♦ ■* 



tragun g : ^f^jj4_[Jj 



T 



, in Ludwigs Uber- 



^ 



Seit dem 15. Jh. erscheint die S. immer mehr in das 
klangliche Gefiige des Satzes einbezogen (Dufay) und 



bildet zugleich einen wesentlichen Bestandteil der 
rhythmischen Verselbstandigung der Stimmen. Dabei 
erlaubte das Mensurenprinzip, daB sich jede Stimme in 
einer anderen Mensur bewegen kann; die sich im Zu- 
sammenspielergebendenVerschiebungenwurdeneben- 
f alls S. genannt (-► Trayn ; CS IV, 277b : que difficultates, 
tractus, gallice treyns, et sincope a multis nominantur). Sol- 
che Erscheinungen finden sich in Kompositionen der 
-> Quellen Ch und TuB sowie bei Ockeghem, Obrecht 
u. a. Die zunehmend strengere Regelung des musikali- 
schen Satzes (Dissonanzbehandlung, Melodiebildung 
u. a.) vollzog sich schlieBlich in stetiger Orientierung 
an der fiir alle Stimmen gleicherweise maBgebenden 
Schlagzeit; auf sie war jetzt die als rhythmische »Stau- 
ung« wirkende S. bezogen, die besonders in Verbin- 
dung mit der Dissonanzbehandlung in der Praxis und 
in der Theorie des 16. Jh. eine wichtige Rolle spielte 
(-> Syncopatio). 

Im 17. und 18. Jh. fiihrte die sich schon im 16. Jh. an- 
bahnende Auskristallisierung einer Betonungsordnung 
zur Ausbildung des fortan fiir die S. maBgebenden 
Taktprinzips. Damit erhielt die S. den Character einer 
»Storung« der normalen Betonungsordnung (Uberbin- 
dung eines leichten an den unmittelbar folgenden 
schweren Zeitwert, auch als Aussparung, Suspension der 
regularen Betonung). Seit dem Auftreten des Takt- 
strichs wird sie haufig durch einen hinter den Taktstrich 
gesetzten Verlangerungspunkt oder als Uberbindung 
iiber den Taktstrich hinweg im Notenbild erkennbar 
(-> Ligatur - 2, -> Bogen - 1), doch ist nicht jede Uber- 
bindung als S. zu verstehen (z. B. ->• Hemiole). Bei den 
Wiener Klassikern gewann die S., der scharfen Auspra- 
gung des Taktprinzips entsprechend, ein besonderes 
Gewicht (Beispiel einer Gegemiberstellung von abtak- 
tiger und synkopischer Bewegung : J. Haydn, Streich- 
quartett D moll, Hob. Ill, 76, 1. Satz, Takt 25ff.). Bei 
Beethoven nimmt, zusammen mit den Abweichungen 
von der regularen Taktordnung iiberhaupt, auch die S. 
eine bis dahin nicht gekannte zentrale Stellung im mu- 
sikalischen Kunstwerk ein. In Romantik und Moderne 
fand die S. vielfach in origineller Weise (z. B. R. Schu- 
mann, Kreisleriana, Nr 8, Bewegung im BaB), aber 
auch auf geschichtlich gegebene Erscheinungen zuriick- 
greifend, Verwendung (Webern, 2. Kantate, SchluB- 
satz, an die polyrhythmischen Bildungen der Nieder- 
lander ankniipfend). Mit der Erweiterung des Taktbe- 
griffs zu einer bloBen Konvention der Notierung, be- 
sonders unter dem EinfluB folkloristischer und exoti- 
scher Musik, wurde die S. in einigen Richtungen der 
modernen Musik primar von der Wirkung her ver- 
wendet (Strawinsky, Bartok u. a.). In ahnlichem Sinne, 
von der Wirkung her, sind auch die meist als S.n aufge- 
faBten ->■ Off-beat-Phanomene des -> Jazz zu verstehen. 
Lit.: H. Waltz, Der Doppelbegriff d. S., in: Volkische 
Musikerziehung II, 1936; C. Dahlhaus, Zur Gesch. d. S., 
Mf XII, 1959. 

Syomyo (oder Shomyo, japanisch), buddhistische 
Tempelgesange, die im 9. Jh. aus China nach Japan ge- 
langten und dort bis in die Gegenwart iiberliefert und 
gepflegt werden, hauptsachlich von der Shingon- und 
der Tendai-Sekte. 

Lit. : M. W. de Visser, Ancient Buddhism in Japan, 2 Bde, 
Leiden 1935 ; Ausg. u. weitere Lit. : — » Japan. 

Syrinx (griech. aupiyS, Rohre; als Wort belegt seit 
Homer, Was X, 13), die »Panflote«, das typische Hirten- 
instrument der Griechen, bestehend aus einem Ver- 
band von meist 5, 7 oder 9 mundstiicklosen Pfeifen un- 
terschiedlicher Lange und Hohlung. Bei gleicher Lange 
erfolgten die Rohrverkiirzungen durch WachseinguB 
(pseudo-aristotelische Problemata XIX, 23). Die einzel- 



928 



■ 4 ■ ' ■ ' T ■ ■ ■* ■ 



nen Pfeifen waren zusammenge- 
bunden oder durch einen Querrie- 
gel zusammengehalten. Als Mate- 
rial diente Holz, Elfenbein oder Me- 
tal). Einem antiken Mythos zufolge 
erfand Hermes, der Gott der Her- 
den, die S., nachdem er die -> Ly- 
ra (- 1) dem Apollon als Versoh- 
nungsgeschenk iiberlassen hatte (ho- 
merischer Hermes-Hymnus 512). 
Hermes vererbte die S. seinem Sohn 
Pan, dem Hirtengott (daher auch 
->■ Panflote). - Debussy kompo- 
nierte 1912 nach der bekannten Sa- 
ge ein Werk fiir Soloflote mit dem 
Titel S. 

Lit.: M. Wegner, Das Musikleben d. 
Griechen, Bin 1949; Fr. Behn, Musik- 
leben im Altertum u. f riihen MA, Stutt- 
gart 1954; B. Aign, Die Gesch. d. Mu- 
sikinstr. d. agaischen Raumes bis 1 um 
700 v.Chr., Diss. Ffm. 1963. 

Syrischer Kirchengesang. Im 

Zwischenlande zwischen den Kul- 
turgebieten der Agypter, Hethiter, 
Assyrer, Babylonier, Perser und Griechen gelegen, hat 
Syrien eine weit zuriickreichende Musikgeschichte. 
Die groBte Bedeutung gewann die Musik Syriens durch 
den Gesang der syrisch-palastinensischen Kirche. Er ge- 
wann fast maBgeblichen EinfluB auf den armenischen, 
byzantinischen und unmittelbar oder iiber Byzanz auch 
auf den lateinischen Choral, und zwar nicht nur den 
romischen, sondern in besonderem MaBe den auBer- 
gregorianischen Gesang. Seine Erforschung steht im 
Gefolge der syrischen Literaturwissenschaft, die sich 
mit der syrischen Hymnodie beschaftigt. Deren wich- 
tigste Gesangsformen sind seit dem 3. Jh. : die Memra 
mit rezitativischem Charakter, zur Kantillation be- 
stimmt; die Madrasa, strophischer Gesang eines So- 
listen, dem kurze Refrainstrophen des Chores antwor- 
ten (die Madrasa entspricht in ihrer Form dem byzan- 
tinischen -> Kontakion), die Sogita, ein Hymnus dia- 
logisch-dramatischer Haltung, wahrscheinlich von 2 
Solisten und 2 Choren im Wechselgesang ausgefiihrt; 
die Qala, ein Hymnus ohne Refrain, erst ab dem 4. 
Jh. nachgewiesen; die 'Enyana, ein Gesang, der zwi- 
schen den Psalmversen gesungen wurde, ahnlich dem 
byzantinischen -*■ Kanon (- 2). Diese volkstiimliche 
Kirchenpoesie wirkte befruchtend auf die byzantini- 
sche -> Hymnographie. Ihr EinfluB auf Romanos, der 
wie die meisten groBen byzantinischen »Meloden« des 
5.-8. Jh. Syrer war, ist erwiesen. Syrischen Ursprungs 
ist auch das alteste bekannte offizielle Kirchengesang- 
buch nichtbiblischen Charakters, der Oktoechos des 
Severos, der 512-518 Patriarch von Antiochia war 
(London, Brit. Mus., Add. 17134, Redaktion des 7. 
Jh.). Diese starke Pflege der Musik mit nichtbiblischen 
Texten ist eine besondere Eigenart der syrischen und 
byzantinischen Kirche. Im Westen hat sie sich nicht in 
gleichem MaBe durchgesetzt, am wenigsten in Rom 
selbst, wo sich der Choral fast ausschlieBlich auf die 
Psalmodie oder doch auf Gesange mit biblischen Tex- 
ten beschrankte. Naturlich sind auch in Syrien die Psal- 
men mitsamt den Hymnen und geistlichen Gesangen 
gesungen worden und haben sicher den Kern der Kir- 
chenmusik gebildet, sowohl in der Form des Wechsel- 
gesanges zwischen Chor und Solist als auch in der anti- 
phonalen Form, die von Ambrosius 394 nach »orien- 
talischem« Vorbild in Mailand eingefiihrt wurde. - 
Uber die Musik an' sich unterrichten nur moderne Auf- 
zeichnungen; doch ist anzunehmen, daB die liturgi- 



Systema teleion 

schen Melodien im wesentlichen unverandert durch 
die Jahrhunderte uberliefert worden sind, da allgemein 
inmitten einer andersglaubigen Umgebung die kulti- 
schen Gewohnheiten der eigenen Religion streng be- 
wahrt werden. Als Notenschrift sind nur Zeichen fiir 
den rezitativischen Gesangsvortrag bekannt; sie be- 
standen aus Punkten, die in verschiedener Weise an- 
geordnet wurden. Die byzantinische ekphonetische 
Notation ist unabhangig von ihr; dagegen hat sich das 
syrische System nach Persien (Soghdien) ausgebreitet. 
Die Tonalitat hat einen noch wesentlich linearen, nicht 
tonraumlichen Charakter: der Oktoechos als Tonar- 
tensystem geht zwar von Syrien aus, aber die Schlusse 
der Melodien miissen nicht unbedingt auf den Grund- 
tonen der 8 Kirchentonarten erfolgen. Entsprechend 
sind chromatische Bereicherungen der an sich diatoni- 
schen Melodielinien moglich. Der vielgestaltige Rhyth- 
mus entfernt sich weit von der Gleichdauer der Tone 
des (heutigen) abendlandischen Chorals : die Melismen 
sind deutlich als lebendige Verzierungen einer rhyth- 
misch und melodisch viel einfacheren Grundgestalt zu 
erkennen. Der S. K. kennt auch die Technik des Or- 
ganum, wesentlich in der Form von Quartenparallelen. 
Er ko'nnte somit eine der Quellen der europaischen 
Mehrstimmigkeit sein. Als Hymnendichter seien ge- 
nannt : Bar Daisan (Bardesanes, f 222) , Ephram (f 373) , 
Narsai (Narses) von Nisibis (f 502), Jakobos von Serugh 
(f 521), Sophronios von Jerusalem (f 638). 
Ausg.: Melodies liturgiques syriennes et chaldeennes, 2 
Bde, hrsg. v. J. Jeannin OSB (mit J. Puyade OSB u. A. 
Chibas-Lassalle OSB), Paris u. Beirut 1925-28; Cantus 
missae SS. Apostolorum iuxta ritura ecclesiae Chaldaeo- 
rura, hrsg. v. P. Youssef, Rom 1961. 
Lit. : J. Parisot, Les huit modes du chant syrien, La Tri- 
bune de St-Gervais VII, 1901 ; A. Baumstark, Festbrevier 
u. Kirchenjahr d. syrischen Jakobiten, = Studien zur 
Gesch. u. Kultur d. Altertums III, 3/5, Paderborn 1910; 
ders., Die christlichen Lit. d. Orients, 2 Bde, Lpz. 1911 ; 
ders., Gesch. d. syrischen Lit., Bonn 1922; J. Jeannin 
OSB, Le chant liturgique syrien, Journal asiatique X, 
1912 - XI, 1913; ders. u. J. Puyade OSB, L'octoechos 
syrien, Oriens Christianus, N. S. Ill, 1913; L. Bonvin, 
On Syrian Liturgical Chant, MQ IV, 1918; E. Wellesz, 
Aufgaben u. Probleme auf d. Gebiete d. byzantinischen 
u. orientalischen Kirchenmusik, = Liturgiegeschichtliche 
Quellen u. Forschungen VI, Miinster i. W. 1923; A. Raes 
SJ, Introductio in liturgiam orientalem, Rom 2 1962; H. 
Husmann, The Practice of Organum Singing in the Chri- 
stian Syrian Churches, in: Aspects of Medieval and Re- 
naissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966). EJ 

Systema teleion (griech., vollstandiges System). Die 
Theorie der Griechischen Musik stellt die Tonarten in 
einem System von 2 Oktaven dar, das aus 4 gleichge- 
bauten diatonischen Tetrachorden und dem Proslamba- 
nomenos, einem »hinzugenommenen Ton« (jtpoaAau,- 
pav6u,evo<;) , besteht. Jede der beiden Oktaven wird aus 2 
durch die -> Synaphe verbundenen Tetrachorden und 
einem Ganzton (Diazeuxis) konstruiert; in dieses Ge- 
riist von »feststehenden« Tonen (uivovT££, eaxcoTC? 
oder axivYjxot) werden die »beweglichen« (>avouu.svoi) 
so eingef iigt, daB sich in jedem Tetrachord von oben 
nach unten die Intervallfolge Ganzton-Ganzton-Halb- 
ton ergibt. Jedes Tetrachord undjeder Ton erhalten ei- 
nen Namen. (Die modernen Tonbuchstaben sind in der 
umseitigen Ubersicht so gewahlt, daB die Intervallfol- 
ge ohne Vorzeichen angegeben werden kann; Fixierung 
der absoluten Tonhohe kennt die Griechische Musik 
nicht.) Zu dem aus 4 Tetrachorden bestehenden »unver- 
anderiichen System« (systema ametabolon) kann noch 
das Tetrachordon synemmenon hinzutreten, wodurch 
sich das »veranderliche System« (systema metabolon) 
ergibt: verandert wird die Lage des Tetrachords iiber 
der Mese (»Mitte«), so daB dessen tiefster Ton nicht 



59 



929 



Systema teleion 



durch Ganztonabstand (Diazeuxis) von der Mese ge- 
trennt, sondern durch Synaphe mit ihr in eins gesetzt 
ist, wobei iiber die Mese nun ein Halbtonschritt zu lie- 
gen kommt. Bereits in der griechischen Musiklehre 
linden wir also die fiir die abendlandische Musik be- 
deutsame Ambivalenz einer Tonstufe. 







"ai 


Nete hyperbolaion 






g 1 Paranete hyperbolaion 






f 1 Trite hyperbolaion 




(Synaphe ■*) 


- el l 


Nete diezeugmenon 


Nete synemmenSn 


" di di 


Paranete diezeugmenor 


Paranete synemmenon 


ci ci 


Trite diezeugmenon 




h . 


Paramese 


Trite synemmen5n 


b (Diazeuxis -+) 


Mese 


_ a (<- Synaphe ->) 


a Mese 

g Lichanos meson 

f Parhypate meson 




(Synaphe ->) 


_ e 


Hypate meson 




d 


Lichanos hypaton 




c 


Parhypate hypaton 






HJ 


Hypate hypaton 



(Diazeuxis -*■) 

A Proslambanomenos 
Die sogenannten Tonarten (apjiovtai) unterscheiden 
sich durch die Lage des Halbtons innerhalb des Tetra- 
chords. Im Dorischen liegt der Halbton unten (Inter- 
vallfolge von oben: Ganzton-Ganzton-Halbton), im 
Phrygischen in der Mitte (Ganzton-Halbton-Ganzton), 
im Lydischen oben (Halbton-Ganzton-Ganzton). Au- 
Ber diesen 3 Grundtonarten gibt es eine Reihe von Ne- 
bentonarten, die oft schon dem Namen nach als Ablei- 
tungen zu erkennen sind: Mixolydisch, Hypodorisch 
usw. - Fiir die Darstellung der Tonarten kennt die 
griechische Musiklehre 2 Methoden: 1) Vorwiegend 
den Bediirfnissen der Praxis entspricht es, wenn die In- 
tervallfolgen aller Tonarten in den Raum derselben 
Oktave (ei-e) eingefugt werden. Der Spieler einer 
Kithara oder Lyra lernt hiernach, welche Verkiirzun- 
gen oder Umstimmungen der Saiten (innerhalb des 
gleichbleibenden Oktavrahmens) jede Tonart fordert. 
Gegliedert sind die 3 Grundtonarten in 2 unverbunde- 
ne Tetrachorde mit der Diazeuxis in der Mitte (ei-h- 
a-e), die 3 Hypotonarten in 2 verbundene Tetrachorde 
mit der Diazeuxis unten (ei-h-fis-e), das Mixolydische 
in 2 verbundene Tetrachorde mit der Diazeuxis oben 
(ei-di-a-e). 2) In welchem Verhaltnis die Tonarten zu- 
einander stehen, erklart ihre Darstellung als Oktavaus- 
schnitte aus dem S. t. Es enthalt zwischen ai-a und h-H 
7 »Oktavgattungen« (Systeme) mit je verschiedener In- 
tervallfolge. Die achte, a-A, ist eine Wiederholung der 
1.; daher werden nur 7 verschiedene Tonarten allge- 
mein anerkannt: 

harmonia 



nachantiken Sinn umgekehrt: das untere Tetrachord 
nach oben). Alte Bezeichnungen wie Ionisch, Iastisch, 
Boiotisch, Lokrisch sind bisher nicht zuverlassig iden- 
tifiziert. - Die friiheste Darstellung des S. t. findet sich 
bei Eukleides, die beste bei Ptolemaios; daS es (vor 
Eukleides) bereits Aristoxenos bekannt war, kann u. a. 
aus seiner Behandlung durch den 
Aristoxeneer Kleoneides geschlossen 
werden. Die mittelalterliche Musik- 
lehre bringt im 10./11. Jh. (Musica 
Enchiriadis, Kommentar zur Alia mu- 
sica, Hermannus contractus) die 8 
Kirchentone durch Umdeutung der 
antiken Theorie mit den 7 Oktav- 
gattungen in Verbindung. Dabei tritt 
an die Stelle des S. t. das uns heute ge- 
laufige ->■ Tonsystem als Grundskala 
mit fixierter Tonhohe. 
Lit. : Musici scriptores graeci, hrsg. v. 
K. v. Jan, Lpz. 1895, Nachdruck Hil- 
desheim 1962, S. 163ff. (Eukleides), 
199ff. (Kleoneides), 332ff. (Gauden- 
tios); Die Harmonielehre d. Klaudios 
Ptolemaios, hrsg. v. I. During, = G6- 
teborgs Hogskolas Arsskrift XXXVI, 
1 , Goteborg 1930, S. 50ff., dazu ebenda 
XXXVIII, 2, 1932, S. 162ff. (Porphy- 
rios' Kommentar), u. XL, 1, 1934, S. 
65ff. (deutsche tJbers.). - Fr. Bellermann, Die Tonleitern 
u. Musiknoten d. Griechen, Bin 1847; C. Fortlage, Das 
mus. System d. Griechen . . ., Lpz. 1847, Nachdruck Am- 
sterdam 1 964 ; D. B. Monro, Modes of Ancient Greek Mu- 
sic, Oxford 1894; H. Riemann, Hdb. d. Mg. 1, 1, Lpz. 1904, 
erweitert 21919, 31923; R. P. Winnington-IngRam, Mode 
in Ancient Greek Music, = Cambridge Classical Studies 
II, Cambridge 1936; O. Gombosi, Tonarten u. Stimmun- 
gen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck 1950; 
ders., Key, Mode, Species, JAMS IV, 1951; I. Hender- 
son, The Growth of the Greek »harmoniai«, Classical 
Quarterly XXXVI, 1942; J. Chailley, Le mythe des mo- 
des grecs, AMI XXVIII, 1956; ders., L'imbroglio des mo- 
des, Paris (1960); O. Becker, Friihgriech. Mathematik u. 
Musiklehre, AfMw XIV, 1957; J. Lohmann, Der Ur- 
sprung d. Musik, AfMw XVI, 1959 ; H. Husmann, Grund- 
lagen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961. - 
Zur Umdeutung d. antiken Theorie im MA: Riemann 
MTh ; O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d. friihen 
MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; O. Ursprung, Die antiken 
Transpositionsskalen u. d. Kirchentone, AfMf V, 1940; J. 
Handschin in: AMI XV, 1943, S. 17ff. 



System atische Musik wissenschaf t ->Musikwis- 

senschaft (Ubersicht); ->■ Informationstheorie; 

->• Statistik. 



Hypodorisch: el di ci ha g fis 
Hypophrygisch: el di cisi h a gis fis 



a-A 



Oktav- 
gattung 
a!-a, 

g'-g 

fi-f 

ei-e 

di-d 

ci-c 

h-H 



Hypolydisch: el disi cisi h ais gis fis 
Dorisch: el d 1 ci ha g f 

Phrygisch: el di cisi ha g fis 

Lydisch: el disi c i s l h a gis fis 

Mixolydisch: el di ci b a g f 
Den Abstand (im S. t.) der Hypotonarten zur Grund- 
tonart hat offenbar Aristoxenos auf eine Quarte f estge- 
setzt. Die Benennung wird im allgemeinen daraus er- 
klart, daB in ihnen das »obere« Tetrachord der Grund- 
tonart um eine Oktave nach »unten« (hypo) versetzt 
ist (»oben« und »unten« hier im griechischen Sinn; im 

930 



Szene (von griech. cxTrjv^.Zelt, Hiitte), im griechischen 
Theater der die Orchestra nach hinten abgrenzende 
Aufbau, spater mit typischer dreitiiriger Fassade; da- 
nach lat. scaena, allgemein die Theaterbiihne; ital. sce- 
na, seitEnde des 15. Jh. auch der »Auftritt«, in Theater 
und Oper ein meist durch Auftritt und Abgang von 
Personen begrenzter Unterabschnitt eines Aktes (in 
friiheren Opernpartituren, z. B. in Monteverdis Orfeo, 
fehlt bisweuen die Sz.n-Angabe). Seit Ende des 18. Jh. 
kommt Sz. auch als Uberschrift von musikalisch nicht 
geschlossenen Partien vor, in denen rezitativische, lied- 
hafte oder ariose Teile einander ablosen, und auf die 
dann ein geschlossenes Gesangstiick folgt (z. B. Mo- 
zart, Sz. und Arie fiir S., im Autograph Scena 7., K.-V. 
369, 1781; Beethoven, Scena ed Aria Ah, perfido op. 
65; Weber, Freischiitz, Nr 3 und Nr 8; oft bei Verdi 
u. a.). Auf die Sz.n-Einteilung wurde von der 2. Halfte 
des 19. Jh. an haufig verzichtet (z. B. Verdis Falstaff). - 
Das Szenarium ist entweder eine Skizze des Handlungs- 
ablaufes oder ein Inszenierungsplan. 



T, Abk. fur - 1) Tenor; - 2) Taille (im Instrumental- 
satz); - 3) Tempo, z. B. T. 1° oder T. l mo = tempo 
primo ; a t. = -> a tempo ; - 4) T = Tonika (Funktions- 
bezeichnung nach Riemann). 

Tabl (arab., Plur. atabal, tubul; auch tabla oder tabil, 
von tabala, trommeln) ist die Sammelbezeichnung fur 
Pauken und Trommeln im arabischen Sprachraum. 
Sie umschlieBt die vielfaltigsten Instrumente wie t. baz 
(auch tabla al-musahir, kleine Pauke mit Bronzekessel, 
mit einem Holzschlagel geschlagen), t. al-migri (kleine 
Pauke, mit einem schmalen Riemen geschlagen), tabla 
al-misaib (kleine Bettlerpauke aus Holz oder Kupfer), 
tabla as-sawis (kleine Trommel). - Speziell bedeutet t. 
oder tabil zweiseitig mit Fell bespannte zylindrische 
Trommeln unterschiedlicher GroBe, die mit einem 
holzernen Schlagel gespielt werden. 
Lit. : H. G. Farmer, Artikel t., in: Enzyklopedie d. Islam, 
Erganzungsbd, Leiden 1934; ders., Islam, = Mg. in Bil- 
dern III, 2, Lpz. (1966) ; H. Hickmann, Terminologie arabe 
des instr. de musique, Kairo 1946, maschr. 

Tabula compositoria (lat., Komponiertafel; auch 
Carta, Cartella, Palimpsestus, deutsch Losch-Tabell), 
eine aus Holz oder Schief er bestehende oder mit Perga- 
ment (auch Leder, Eselshaut) bezogene Tafel mit ein- 
geritzten Notenlinien und senkrechten Ordnungsstri- 
chen, auf der mehrstimmige Kompositionen eingetra- 
gen und wieder geloscht werden konnten, nacndem 
die einzelnen Stimmen in ein -»• Chorbuch oder in 
-> Stimmbiicher geschrieben waren. Gewohnlich war 
die T. c. mit einem System von 10 Linien (scala decem- 
linealis) versehen, in das die Stimmen in dichtem Satz 
eingetragen wurden, zur Unterscheidung bei Stimm- 
kreuzungen in Noten von unterschiedlicher Form 
oder Farbe. Beispiele dieser Art finden sich in Lehrbii- 
chern von Schanppecher (1501), Ornitoparchus (1517), 
M. Agricola (1528), Lampadius (1537), H.Faber (1548), 
DreBler (1563) und Lippius (1612). Daneben kennt 
Lampadius die Einteilung der T. c. in einzelne Fiinf- 
liniensysteme nach Art der spateren -> Partitur, die 
gleichfalls »von alters her« bei gelehrten Musikern iib- 
lich gewesen sei. Herbst nennt 1643 neben diesen bei- 
den Verfahren als drittes die Niederschrift einer Kom- 
position in Orgeltabulatur. Noch im 18. Jh. war die 
T. c. bekannt (WaltherL, Artikel Palimpsestus; Ad- 
lung, Anleitung ..., 1758, S. 787; J.-J. Rousseau, Dic- 
tionnaire de musique, Genf 1767[?], Paris 1768, Artikel 
Cartelles; KochL, Artikel Cartell). Hinweise auf die 
Verwendung der T. c. bei der Weitergabe von Kom- 
positionen sind durch bestimmte typische Abweichun- 
gen in der handschriftlichen Oberlieferung gegeben, 
z. B. verschiedene Schliisselung, Auflosung von Syn- 
kopen, Aufheben von Stimmkreuzungen. - Als Er- 
ganzung der im 13. Jh. aufkommendenEinzelstimmen- 
notierung muB seit jeher bei der Komposition und 
beim Studium eines Satzes die T. c. oder ein ahnliches 
Hilfsmittel zur Darstellung der Klange und Klangver- 



bindungen im Gebrauch gewesen sein. Wenn die T. c. 
erst im 16. Jh. und vornehmlich durch die Theoretiker 
bezeugt ist, so ist dies durch das verstarkte Interesse der 
humanistischen Musiklehre fiir den Kontrapunkt und 
das Kompositionsverfahren zu erklaren. Besonders 
niitzlich war die T. c. mit der Scala decemlinealis fiir 
die Darstellung von Satzen, in denen die Stimmen den 
gleichen Klangraum einnehmen. Derartige Satztypen 
weichen um die Mitte des 16. Jh. einer Anordnung, die 
den Klangraum moglichst gleichmaBig unter 4 Stim- 
men aufteilt (normaler Ambitus: 1 Oktave, Abstand der 
Stimmen : Quinte-Quarte-Quinte). Dieser Disposition 
entspricht besser die Partitur mit festgelegten Schliis- 
selkombinationen, die sich seit dem spaten 16. Jh. 
allgemein durchsetzte. Entsprechend der -+ Chiavette 
kannte auch die T. c. eine totius scalae transpositio (H. 
Faber 1548) ; auch bei einer solchen veranderten Schliis- 
selung (eine Terz tiefer oder hoher) bleibt jedoch die 
Begrenzung des gesamten Klangraums durch das Zehn- 
liniensystem auf etwa 21/2 Oktaven giiltig. - Fiir die 
modeme -> Editionstechnik ist der durch die Kenntnis 
der T. c. erbrachte Nachweis bedeutsam, daB die heu- 
tige Partiturschreibung von in Einzelstimmennotie- 
rung iiberlieferter Musik des 15./16. Jh. einer Notie- 
rungsweise nahekommt, die zu jener Zeit durchaus iib- 
lich war und im Prinzip der Einzelstimmenschreibung 
voranging. -> Particella. 

Lit. : E. E. Lowinsky, On the Use of Scores by XW-Cent. 
Musicians, JAMS I, 1948, dazu Diskussion u. Nachtrage 
in: JAMS II, 1949 - HI, 1950; ders., Early Scores in Ms., 
JAMS XIII, 1960; S. Clercx-Lejeune, D'une ardoise aux 
partitions . . . , Melanges . . . offerts a P.-M. Masson I, Paris 
(1955); S. Hermelink, Dispositiones modorum, = Miinch- 
ner Veroff. zur Mg. IV, Tutzing 1960; ders., Die T. c, Fs. 
H. Besseler, Lpz. 1961 ; W. Braun, Komponieren am Kl., 
Af Mw XXIII, 1966 ; Th. Gollner, Notationsfragment aus 
einer Organistenwerkstatt d. 15. Jh., AIMw XXIV, 1967. 

Tabulatur (von lat. tabula, tabulatura, Tafel; ital. in- 
tavolatuira), - 1) Bezeichnung fiir verschiedene Arten 
der Notation von (vorwiegend solistischer) Instrumen- 
talmusik. Unter T. werden heute zuweilen nur solche 
Notationsarten verstanden, bei denen statt der Noten- 
schrift ganz oder teilweise Buchstaben, Ziffern und 
Zeichen verwendet werden; doch im Bereich der Mu- 
sik fiir Tasteninstrumente bis ins 18. Jh. bezeichnet T. 
im weiteren Sinne auch die Zusammenziehung aller 
Stimmen auf 2 Liniensysteme im Unterschied zur 
-»■ Partitur (z. B. bei Frescobaldi), oder sogar jede Art 
des Untereinanderschreibens gleichzeitig erklingender 
Stimmen einschlieBhch der Partitur im Unterschied 
zur Notierung in Chor- und Stimmbiichern (z. B. 
bei Scheidt 1624 und Klemm 1631). Die wichtigsten 
Formen der T. sind die -> Orgel-T. und die -> Lau- 
ten-T. T.en im engeren Sinne sind daneben in Ge- 
brauch gewesen fiir Harfe, Viola da gamba und Vio- 
la da braccio. T.en fiir Holzblasinstrumente, vergleich- 
bar den heute ublichen Grifitabellen, kommen in ver- 



59» 



931 



tacet 

schiedenen Systemen vor, T.en f iir Sackpfeife bei Mer- 
senne 1648 und Borjon 1672. Die letztgenannten T.en 
dienten vomehmlich padagogischen Zwecken; die 
Aufzeichnung in Notenschrift (frz. en musique) iiber- 
wiegt fiir diese Instrumente. Fiir volkstumliche Instru- 
mente (Gitarre, Zither, Akkordeon, Ukulele) sindT.en 
noch heute in Gebrauch, da sie fiir den musikalisch 
nicht Gebildeten unter Umgehung der allgemeinen 
Musiklehre im Selbstunterricht erlernbar sind. - 2) T. 
heiBen auch die Tafeln oder das Buch, in denen die 
Regeln fiir den -> Meistersang aufgezeichnet waren. 

tacet (lat., [die Stimme] schweigt; Abk.: tac; ital. 
tace, taci, Plur. tacciono) bedeutet in einer Orchester- 
oder Chorstimme, daB dieselbe wahrend der betreffen- 
den Nummer oder in dem Satz nicht mitwirkt. -»■ con- 
tano. 

Tactus (lat., Schlag; ital. battuta oder tatto; engl. 
beat oder stroke) ist eine Abmessung der Zeit und Music- 
Noten (WaltherL) durch eine Bewegung der Hand oder 
(bei Instrumentalisten) des FuBes. Unter einem T. ver- 
stand man im 15.-17. Jh. nicht einen Einzelschlag, son- 
dern Nieder- und Aufschlag (Positio oder Thesis und 
Elevatiooder->- Arsis) zusammen. BeimT. simplex oder 
aequalis ist der Niederschlag ebenso lang wie der Auf- 
schlag (C A A ), beim T. proportionatus oder inaequalis 

doppelt so lang (C3 * o »), Bezugseinheit des T. ist im 

nicht diminuierten Tempus (-» integer valor notarum) 
die Semibrevis, im diminuierten die Brevis und in der 
als Augmentation auf gefaBten Prolatio maior G A = O » . 
die Minima (Adam von Fulda 1490). Der T. der Men- 
suralmusik ist mit dem Schlag des Pulses (Gaffori 1496) 
oder dem einer Uhr (H. Gerle 1532) verglichen wor- 
den. Seine Dauer war aber nicht in alien Mensuren 
gleich; die Diminution des Tempus perfectum wurde 
um 1500 als Verminderung des Zeitwertes der Noten 
um ein Drittel (nicht um die Halfte) verstanden, so daB 
der T. alia Semibreve im zwei Drittel des gewohn- 
lichen T. umfaBte (M. Schanppecher in N.Wollicks 
Opus aureum, 1501). Aus der Moglichkeit, den T. zu 
unterteilen, also doppelt so schnell zu schlagen, ohne 
daB sich der Zeitwert der Noten anderte, ergab sich 
die Unterscheidung zwischen groBerem und kleinerem 
T. (M. Agricola 1532). Ein T. maior umfaBt im dimi- 
nuierten Tempus eine Brevis ((Jo*) und im nichtdimi- 

nuierten eine Semibrevis (C A A), ein T. minor im dimi- 
nuierten Tempus eine Semibrevis ((£ A A ) und im nicht- 

diminuierten eine Minima (C ♦ »)- Wird der T. sowohl 

It 
im diminuierten als auch im nichtdiminuierten Tem- 
pus alia Semibreve geschlagen, so entspricht dem <£ 
ein T. celerior und dem C ein T. tardior (Praetorius 
Sync. Ill, S. 48ff.). 

Lit.: G. Schunemann, Zur Gesch. d. Taktschlagens, SIMG 
X, 1908/09; A. Auda, Le »t.« dans la messe »L'homme 
arme« de Palestrina, AMI XIV, 1942; ders., Le t. principe 
g6nerateur de l'interpretetion de la musique polyphonique 
class., Scriptorium IV, 1950; Ch. Van den Borren u. S. 
Cape, Autour du »t.«, RBM VIII, 1954 ; W. Gurlitt, Form 
in d. Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. 
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1954, Nr 
13; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, 
ebenda, Jg. 1955, Nr 10; C. Dahlhaus, Zur Theorie d. T. 
im 16. Jh., AfMw XVII, I960; H. O. Hiekel, »T.« u. Tem- 
po, Kgr.-Ber. Kassel 1962. CD 

Tafelklavier (engl. square piano; frz. piano carre), 
ein Hammerklavier mit einem waagrechten rechtecki- 
gen Corpus wie das Clavichord, aus dem es durch Ein- 
bau einer Hammermechanik im 18. Jh. auch oft ge- 



fertigt wurde. Das erste T. ist 1742 in Frankreich nach- 
weisbar. T.e wurden in groBer Zahl bis um 1800 ge- 
baut, in England ab etwa 1760 u. a. von dem Silber- 
mann-Schuler Zumpe. In den USA waren T.e noch bis 
1900 beliebt. Die urspriinglich zierlichen und im Klang 
an das Clavichord erinnernden Instrumente wurden 
nach etwa 1825 mit der Einfiihrung des GuBeisenrah- 
mens in der Form und im Ton grober, ohne die Klang- 
schonheit des Hammerfliigels zu erreichen. 

Tafelmusik (frz. musique de table) ist nach Bild- und 
Schriftzeugnissen schon in den agyptischen Dynastien 
(Kinsky, S. 5), in biblischer Zeit (Sirach 32, 5-9) und 
in der griechischen und romischen Antike (Kinsky, S. 
13) iiblich gewesen. Auch das Mittelalter bietet fiir die 
Musica convivalis zahlreiche Belege, z. B.: Du si du 
gesaten j ende gedrunken endegeaten j . . . du was spil ende 
sane (Heinrich von Veldeke, Eneit 13153ff.). Eine T. 
mit 2 Trompeten und 2 Sackpfeifen zeigt eine Minia- 
tur zu Machauts Remede de Fortune (Paris, Bibl. Nat., 
Ms. frc. 1586). J. de Grocheo leitet die Kompositions- 
benennung Conductus ab von lat. conductus in der 
mittellateinischen Bedeutung Gastmahl, da der Con- 
ductus in conviviis etfestis gesungen werde (ed. Rohloff , 
S. 56). - In der Renaissance und im Barock ist das Mahl 
als einer der wichtigsten Anlasse des Musizierens greif- 
bar. Die T. diente der Frohlichkeit (Ammerbach 1571), 
der ergbtzlichkeit (Schein 1617), und sie erklang nicht 
nur bei besonderen Anlassen als Teil der -> Festmusik, 
sondem zu Hofe vielerorts regelmaBig bei Anwesen- 
heit des Souverans und im stadtischen Leben bei den 
oft turnusmaBigen Banketten der Obrigkeit, wahrend 
im Burgerhaus, wo das Singen geistlicher Lieder vor 
und nach Tische verbreitet war, eine eigentliche T. nur 
bei Hochzeiten obligatorisch war. Die Ausfiihrenden 
waren die Hofmusik bzw. die Stadtkantorei (Holz- 
schnitt in Ammerbachs Tabulaturbuch von 1571, 
Kinsky, S. 77) oder die Stadtpfeifer, doch auch etwa 
ein Organist oder Lautenist allein konnte in conviviis 
sichhoren lassen (Praetorius Synt. HI, S. 110). Zur Auf- 
gabe der Hof- und Feldtrompeter gehorte das Tisch- 
oder Tafelblasen als Zeichen, daB man sich zum Mahle 
begeben solle (vgl. KochL, Artikel Feldstiicke, Sp. 561). 
In den Bestallungsurkunden wird der Kapellmeister oft 
ausdrucklich verpflichtet, daB er auch zur ordinar Tafel 
Music . . . die notigen Musicalia liefere (G.Ph.Telemann 
1717), bzw. daB es ihm bei der Kirchen- und T. . . . frey 
stent, entweder seine eigene compositiones oder auch andere 
. . . zu gebrauchen (Ph.E.Erlebach 1621). 
Die vokalmusikalischen Taffel-Sachen gehoren nach 
Chr.Bernhard( Tractate . . .,ed. Miiller-Blattau, S.71) 
zu den Arten von Musik, bei denen der Stylus commu- 
nis (oder modernus) Anwendung findet. Stets ent- 
sprach das Repertoire der T. den jeweils herrschenden 
und vomehmlich zur Unterhaltung und Ergotzung 
geeigneten Gattungen und Formen. Abwechslung in 
der Art der vorgetragenen Stiicke war geboten; die 
Besetzung, in der Regel kammermusikalisch, wurde 
bei festlichen Tafeleien bis zur Mehrchorigkeit gestei- 
gert. Der Catalogus musicalium des Zisterzienserstifts 
Ossegg in Bohmen von 1706 verzeichnet als Taffel Mu- 
sic (id est Cantus aliquot jucundi tempore tabulae et Recrea- 
tionis producendi) lustige und scherzhafte Vokalstiicke 
sowie Ballette bzw. Partien, Orchestersonaten und 
Ouverturen (vgl. P.Nettl, S. 36f.). Praetorius (Synt. 
Ill, S. 1 10) bezeugt fiir die T. das Concertieren von soli- 
stischem Vokalensemble und Vokal- und Instrumental- 
choren (vgl. hierzu den Bericht iiber die T. beim Frie- 
densbankett 1649 zu Nurnberg, SIMG VII, 1905/06); 
17. und 18. Jh. bevorzugten als T. die Suite und das 
Quodlibet; bei besonderen Anlassen wurde als T. auch 



932 



Takt 



erne szenische Kantate (»dramatische T.«) aufgefiihrt. 
Bei der T. im Finale des 2. Akts von W. A.Mozarts 
Don Giovanni spielt die -> Harmoniemusik Stiicke aus 
Opern, darunter auch eines aus Mozarts Le Nozze di 
Figaro. Beethoven schrieb das Blaseroktett 1792 fur die 
T. des Kurfiirsten von Bonn. - Im Druck erschienen im 
17. und 18. Jh. zahlreiche als T. bestimmte Sammlun- 
gen; genannt seien: Schein, Banchetto musicale (1617, 
4-5st. Suiten); Th. Simpson, Taffel Consort (1621, 4st. 
Tanzsatze); Posch, Musicalische Tafelfreudt (1621, 4- 
und 5st. Tanzsatzpaare) ; Reusner, Musicalische Taffel- 
erlustigung . . . (1668, Orchestersuiten) ; Delalande, Les 
Symphonies . . . Qui sejouent ordinairement au souper du 
Roy (hs. 1703, Paris, Conservatoire, Ms. Res. 582, Ou- 
verturen, Tanze, Trios, Airs u. a.); G.Ph.Telemann, 
Musique de Table (1733, Solosonaten, Quartette, Kon- 
zerte, Ouvertiiren); Rathgeber, Ohren-vergnugendes 
und Gemuth-ergotzendes Tafel-Confect (3 Teile, 1733-37, 
4. Teil von J. C. Seyfert 1746; Quodlibets, daneben an- 
dere Scherz-, auch Tugendlieder) ; G.J. Werner, Zwey 
neue und extra lustige musicalische Tafel-Stucke (1750; 
Quodlibets). - Im 19. Jh. nannte E. Hanslick (Vom Mu- 
sikalisch-Schonen, !1854, S. 73) die T. als Beispiel fur den 
vevponten geistlosen Genufi von Musik. 
Lit. : A. Schultz, Das hofische Leben zur Zeit d. Minne- 
sanger, 2 Bde, Lpz. 2 1 889 ; P. Nettl, Beitr. zur bohmischen 
u. mahrischen Mg., Brunn 1 927; G. Kinsky (mit R. Haas u. 
H. Schnoor), Gesch. d. Musik in Bildern, Lpz. 1929, engl. 
London u. NY 1930, Neudruck 1951, frz. Paris 1930, ital. 
Mailand 1930. HHE 

Tagelied, bereits im Mittelhochdeutschen belegte Be- 
zeichnung fiir mehrstrophige Lieder der Minnesanger, 
die den Abschied zweier Liebenden (meist als Rede und 
Gegenrede gestaltet) nach heimlicher Liebesnacht bei 
Anbruch des Tages zum Gegenstand haben. Aufgang 
der Sonne, Ostwind, Vogelgesang, Horn des Wach- 
ters (daher auch Wachterlied genannt) oder Warnung 
eines Freundes mahnen zum Aufbruch. Das deutsche 
T. geht auf romanische Vorbilder zuriick, die proven- 
zalische Alba (nordfranzosisch Aube). Die Alba hat, im 
Unterschied zum T., am Strophenende einen Refrain, 
der meist das Wort alba (s. v. w. Morgenhelle) ver-* 
wendet. Eine weit verbreitete Alba ist Reis glorias von 
Giraut de Bornelh. Die zunachst im Sinne von Alba/ 
Aube verwendete Bezeichnung -»■ Aubade erhielt spa- 
ter die Bedeutung von Morgenstandchen. - Bedeuten- 
de T.er dichtete Wolfram von Eschenbach. Ein- und 
mehrstimmige Kompositionen von T.ern sind erhal- 
ten u. a. vom -> Monch von Salzburg und von Oswald 
von -*■ Wolkenstein (Wach auff, mein hort, es leucht dort 
her von orient der liechte tag). Der Typus des T.s wurde 
auch in Volkslied und Kirchenlied (z. B. Choral Wachet 
auf, ruft uns die Stimme von Ph.Nicolai, 1599) tiber- 
nommen. An die Tradition des T.s kniipft R.Wagner 
an mit dem Warnruf der Brangane in Tristan und Isolde 
(2. Akt): Habet acht! Schon weicht dem Tag die Nacht! 
Lit.: K. Bartsch, Die romanischen u. d. deutschen T., 
in: Gesammelte Vortrage, Freiburg i. Br. 1883; W. de 
Gruyter, Das deutsche T., Diss. Lpz. 1887; G. Schlae- 
ger, Studien iiber d. T., Jena 1895; Th. Kochs, Das deut- 
sche geistliche T., = Forschungen u. Funde XXII, Miin- 
ster i. W. 1928; F. Nicklas, Untersuchungen iiber Stil 
u. Gesch. d. deutschen T., = Germanische Studien LXXII, 
Bin 1929; N. Mayer-Rosa, Studien zum deutschen T., 
Diss. Tubingen 1938; H. Ohling, Das deutsche T. v. MA 
bis zum Ausgang d. Renaissance, Diss. Koln 1938; E. 
Scheunemann, Texte zur Gesch. d. deutschen T., er- 
ganzt u. hrsg. v. Fr. Ranke, = Altdeutsche Ubungstexte 
VI, Bern (1947); Br. Stablein, Eine Hymnusmelodie als 
Vorlage einer provenzalischen Alba, in: Miscelanea en 
homenaje a H. Angles II, Barcelona 1958-61 ; A. T. Hatto, 
Das T. in d. Weltlit., DVjs. XXXVI, 1962. 



Tail gate (te:l ge:t, engl., herunterklappbare Riick- 
wand eines Pferdewagens), Bezeichnung fiir eine Po- 
saunenspielweise im -> New-Orleans-Jazz. Bei Fest- 
umziigen und StraBenparaden in New Orleans f uhren 
auf Pferdewagen meist auch Jazzkapellen mit. Dabei 
saB der Posaunist gewohnlich an der Hinterwand des 
Wagens, um fiir das Spielen seiner Zugposaune genii- 
gend Platz zu haben. Hieraus ergab sich die Benennung 
fiir die Spielweise. Charakteristisch fiir den T. g. ist das 
haufige scharfe -> Portamento (slide), das meist (falsch- 
lich) als ->• Glissando beschrieben wird und durch das 
die Tone im Sinne der -> Hot-Intonation angespielt 
werden. Bekanntester T. g.-Posaunist ist Kid Ory. 

Taille (ta:j, frz.), ist vom 16. bis 18. Jh. die gelaufige 
franzosische Bezeichnung fiir die Tenorstimme sowie 
fiir den Sanger und die Instrumente (t. de violon, 
-> Viola tenore - 1), die diese Stimme ausfiihren; sie 
wird erst seit dem spateren 18. Jh. unter italienischem 
EinfluB allmahlich wieder durch das Wort ->■ Tenor (- 1) 
ersetzt. Die neuzeitliche sprachliche Erklarung von T. 
als Mittelstimme entspricht zwar der kompositorischen 
Stellung des Tenors seit dem 15. Jh. (z. B. im 5st. Instru- 
mentalsatz J.-B.Lullys: Dessus - Haute contre - T. - 
Quinte - Basse), doch geht T. mit hoher Wahrschein- 
lichkeit auf den seit dem 14. Jh. greifbaren Terminus 
technicus des isorhythmischen Motettenbaus ->■ Talea 
zuriick, mit dem die Wiederholung rhythmischer Sche- 
mata vornehmlich in der Tenorstimme benannt wurde. 
Lit. : J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, 
= Miinchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961. 

Takt (engl. measure oder bar; frz. mesure; ital. mi- 
sura). Der T.-Begriff umfaBt zwei Bestimmungsmerk- 
male: die Schlagart (-> Dirigieren) und die Gruppie- 
rung von Notenwerten zu einer Einheit, die als gleich- 
maBig wiederkehrendes Bezugsschema (J J) wechseln- 

den rhythmischen Gestalten, z. B..J* J \ J J J J oder a, 
zugrunde liegt. Die Teile eines T.es sind im »Akzent- 
stufentakt« (H.Besseler; ->■ Akzent - 3), der sich in der 
Kunstmusik um 1600 durchzusetzen begann (G.Ga- 
stoldi, Balletti, 1591), nach ihrem Gewicht unterschie- 
den: im 4/4-T. bildet das erste Viertel den Haupt-, 
das dritte einen Nebenschwerpunkt: x —'■ T.-Arten 
werden durch Briiche bezeichnet : der Zahler gibt die 
Anzahl, der Nenner den Wert der zu einem T. zusam- 
mengeschlossenen Noten an; C ist (seit dem 17. Jh.) als 
4/4, $ als 2/2 zu verstehen (->■ Allabreve). - Bis zum 
friihen 18. Jh. ( J. Mattheson 1713) wurde als T. nur der 
Schlag (-> Tactus) bezeichnet; die Gruppierung der 
Noten werte nannte man ->• Mensur (- 2). 4/4 und 6/4 
waren als Mensuren verschieden, aber dem Tactus nach 
gleich : ob dessen Teile, der Nieder- und der Aufschlag, 
z. B. 2/4 oder 3/4 umfaBten, anderte ihn nicht. Erst um 
die Mitte des 18. Jh. (Quantz Versuch) wurden Schlag 
und Mensur zu der Kategorie T. zusammengefaBt. 
Doch stimmt die Schlagart mit der Gruppierung der 
Notenwerte, die durch eine T.-Vorzeichnung ausge- 
driickt wird, nicht immer iiberein ; und seit dem 19. Jh. 
versteht man unter einer T.-Art ausschlieBlich die 
Gruppierung der Notenwerte, unabhangig von der 
Schlagart: z. B. behalt der 3/4-T. seinen Namen auch 
dann, wenn er ganztaktig geschlagen wird. - Von der 
T.-Art als Quantitat ist die T.-Qualitat zu unterschei- 
den, die von der Zahlzeit abhangt. (Die Zahlzeit braucht 
weder mit dem im Nenner der T.-Vorzeichnung ge- 
nannten Notenwert noch mit der vom Dirigenten ge- 
wahlten Schlagart iibereinzustimmen.) Nach ihrer 
Qualitat gliedern sich die T.-Arten in einfach binare 
wie 2/2, 2/4, 6/4 (Zahlzeit J.) und 6/8 (Zahlzeit J.), zu- 
sammengesetzt binare wie 4/2, 4/4, 12/8 (Zahlzeit J.) 



933 



Taktstock 



und 12/16 (Zahlzeit J^), einfach ternare wie 3/l, 3/2, 
3/4, 3/8, 9/8 (Zahlzeit J.) und 9/ 16 (Zahlzeit Ji) und 
zusammengesetzt ternare wie 6/2 (Zahlzeit J), 6/4 
(Zahlzeit J) und 6/8 (Zahlzeit J)). Ein 24/16-T. beruht 
entweder auf Dreiteilung der Achtel eines 4/4-T.es (J. 
S. Bach, Wohltemperirtes Clavier I, Praeludium G dur, 
BWV 855) oder auf Zweiteilung der Achtel eines 12/8- 
T.es (BWV 768). Man spricht von einem »kleinen T.«, 
wenn der notierte T. aus einer einzigen Zahlzeit be- 
steht (Beethoven, op. 27 Nr 1, Scherzo), und von ei- 
nem »groBen T.«, wenn er als Zusammenfassung von 
zwei T.en empfunden wird (Beethoven, op. 13, Gra- 
ve). Die Zahlzeit einer T.-Art ist nicht immer eindeu- 
tig. Einerseits ist es moglich, zweiZahlzeiten sich durch- 
kreuzen zu lassen; fur die T.-Qualitat des »singenden 
Allegros« bei Mozart ist die Gleichzeitigkeit von 4/4 
und 2/2 charakteristisch. Andererseits karin, ohne daB 
sich die T.-Vorzeichnung andert, die Zahlzeit im Ver- 
laufe eines Satzes wechseln; der Zahlzeitwechsel muB 
allerdings vom auffiihrungstechnisch bedingten Schlag- 
zeitwechsel unterschieden werden. - In unregelmaBi- 
gen T.-Arten ist entweder die Gruppierung der Zahl- 
zeiten oder deren Dauer variabel: der 5/4- und der 
7/4-T. sind Zusammensetzungen aus einem binaren 
und einem ternaren T., z. B. Chopin, Kl.-Sonate C moll 
op. 4, Larghetto; Wagner, Tristan und Isolde, 3. Akt; 
Liszt, Dante-Symphonie; Tschaikowsky, 6. Sympho- 
nic, 3. Satz. Bartoks »bulgarischer Rhythmus« J J J J. 
ist als 4zeitiger T. mit gedehnter vierter Zahlzeit zu 
verstehen. 

Lit. : M. Benecke, Vom T. in Tanz, Gesang u. Dichtung, 
Diss. Lpz. 1891; H. Riemann, Vorschlage zur Beschran- 
kung d. Willkiir in d. Wahl d. Notenwerte f. d. Taktschlage, 
in : Praludien u. Studien I, Heilbronn 1 895, Nachdruck Hil- 
desheim 1967; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik, 
Lpz. 1 903 ; G. Schunemann, Gesch. d. Dirigierens, = Klei- 
ne Hdb. d. Mg. nach Gattungen X, Lpz. 1913, Nachdruck 
Hildesheim 1965, Wiesbaden 1966; Th. Wiehmayer, Mus. 
Rhythmik u. Metrik, Magdeburg 1917; R. Steglich, Ober 
Dualismus d. Taktqualitat im Sonatensatz, Kgr.-Ber. Wien 
1927; ders., Die elementare Dynamik d. mus. Rhythmus, 
Lpz. 1930; G. Becking, Der mus. Rhythmus als Erkenntnis- 
quelle, Augsburg 1928, Nachdruck Darmstadt 1958; Thr. 
G. Georgiades, Der griech. Rhythmus, Hbg 1949; H. 
Heckmann, Der T. in d. Musiklehre d. 17. Jh., AfMw X, 
1953; H. Besseler, Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. 
CIV, 6, 1959 ; E. Barthe, T. u. Tempo, Hbg 1960; C. Dahl- 
haus, Zur Entstehung d. modernen Taktsystems im 1 7. Jh. , 
AfMw XVIII, 1961 ; ders., Zur Taktlehre d. M. Praetorius, 
Mf XVIII, 1 965 ; W. Durr, Auf t. u. Taktschlag in d. Musik 
um 1600, Fs. W. Gerstenberg, Wolfenbiittel u. Zurich 
(1964); Fr.-J. Machatius, Dreiert. u. Zweiert. als Eu- 
rhythmus u. Ekrhythmus, ebenda. CD 

Taktstock ->• Dirigieren. 

Taktstrich (engl. bar, haufiger bar-line; frz. barre; 
ital. stanghetta) heiBt der senkrecht das Liniensystem 
oder die Akkolade durchschneidende Strich, der ur- 
spriinglich (->• Tabula compositoria; ->- Partitur) nur 
der Obersicht diente, seit dem 17. Jh. aber im allge- 
meinen die Note, vor der er steht, als Schwerpunkt 
im ->- Takt kennzeichnet. - Die in regelmaBigen oder 
unregelmaBigen Abstanden gesetzten T.e in Orgel- 
und Lautenbiichern des 15. und 16. Jh. (C.Paumann, 
Fundamentum organisandi, 1452) und in den sporadisch 
iiberlieferten Partituren von Vokalmusik, die fur das 
Kontrapunktstudium oder die Orgelbegleitung be- 
stimmt waren (A.Valente, Versi spirituali, 1580), sind 
als Orientierungsstriche zu verstehen; die erste Semi- 
brevis einer durch T. abgeteilten Brevis ist nicht ge- 
wichtiger als die zweite. Ob das Ziehen von T.en beim 
Komponieren allgemein iiblich (A.Lampadius 1537) 
oder eine bloBe Hilfe fiir Anf anger war (J.Bermudo 

934 




1555), ist ungewiB. Im 
17. Jh. verdeckt der 
notierte 4/4-Takt nicht 
I tri-on-fi di mor - te se ] ten e i ne n realen 6/4- 
Takt (Beispiel aus CI. Monteverdi, Altri canti di Marte, 
GA VIII, S. 189). Noch im 18. und 19. Jh. gilt die 
Regel, daB der T. den Schwerpunkt bezeichnet, nicht 
uneingeschrankt (-> Hemiole). Die Ausnahmen sind 
im allgemeinen in der Scheu, einen Taktwechsel zu 
notieren, begriindet; z. B. wird ein zwischen 4/4- 
Takte eingefugter 2/4-Takt nicht als solcher kenntlich 
gemacht, so daB sich in den folgenden 4/4-Takten die 
Schwerpunkte um 2 Viertel verschieben. Im 20. Jh. er- 
fiillt der T. entgegengesetzte Funktionen: einerseits 
wird er als Akzentzeichen in oft unregelmaBigen Ab- 
standen gesetzt (Strawinsky, Bartok) ; andererseits dient 
er bei der Aufzeichnung serieller Rhythmik, die nicht 
auf eine Zahlzeit und eine Taktart bezogen ist, als 
bloBer Orientierungsstrich. 

Lit. : O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 1 6. Jh., Lpz. 
1910; H. Riemann, Die Taktfreiheiten in Brahms' Liedern, 
Mk XIL 1912/13; R. Cahn-Speyer, T. u. Vortrag, ZfMw 
VII, 1924/25; Th. Wiehmayer, Zur »Taktfrage«, ebenda; 
R. Steglich, Ober d. Formhoren d. Barock, Kgr.-Ber. 
Lpz. 1925; E. Tetzel, Rhythmus u. Vortrag, Bin 1926; 
E. E. Lowinsky, Early Scores in Ms. , JAMS XIII, 1 960 ; S. 
Hermelink, Die Tabula compositoria, Fs. H. Besseler, 
Lpz. 1961. CD 

Talea (lat., auch talla; ital. taglia) ist in der Musik- 
theorie des 14./15. Jh. ein Terminus technicus des iso- 
rhythmischen Motettenbaus (-> Isorhythmie) und be- 
zeichnet (im Unterschied zu -*■ Color - 2) entweder die 
durch die mehrfache Wiederholung eines rhythmi- 
schen Modells gepragte Gesamtstruktur einer Stimme 
( . . . in colore repetuntur solum similes voces, in t. vero re- 
petuntur solum similes figurae . . . , Pr. de Beldemandis 
1408, CS III, 226b) oder den erst zu wiederholenden 
rhythmisch festgelegten Abschnitt selbst (Tenor LUCE 
CLARUS a tre taglie di valore . . ., in: Notitia del valore, 
spateres 14. Jh., CSM V, 57). Die gelegentliche Gleich- 
setzung von T. und Color (so bei J. de Muris und Pr. de 
Beldemandis) erklart sich aus der Tatsache, daB jede 
Wiederholung gleicher Abschnitte unter den Begriff 
des Color fallt, so daB die Verwendung der Bezeich- 
nung T. nur dort als notwendig empfunden wird, wo 
es die kompositorische Verwirklichung rhythmischer 
wie melodischer Wiederholung in einer einzigen Stim- 
me zu unterscheiden gilt, namlich im Tenor: Quae 
diver sitas [inter colorem et taleam], licet servetur in quam- 
pluribus tenoribus motettorum, non tamen servatur in ipsis 
motettis (motetti hier im Sinne von Oberstimmen ; 
J. de Muris, Libellus cantus mensurabilis, 1340-50, CS 
III, 58b). -> Taille. 

Talon (tal'5, frz.) ->• Frosch. 

Tambour (tab'u:r, frz.), Trommel; t. de basque 
-*■ Schellentrommel, t. roullant -» Ruhrtrommel, t. a 
friction ->• Reibtrommel, t. de bois -*■ Schlitztrommel. 
T. bezeichnet auch den Trommler (t. maitre ist der T. 
im Korporalsrang; t.-major der Regimentstrommler). 

Tambourin (tabur'e, frz., Diminutiv von tambour), 
- 1) kleine zweifellige Zylindertrommel (frz. auch t. de 
Provence), die zusammen mit der -» Einhandflote noch 
heute in der Provence gespielt wird (dort auch tamboril 
genannt). T. de Gascogne oder du Beam ist ein Saiten- 
instrument, das in Siidfrankreich ebenfalls zur Einhand- 
flote gespielt wird (vgl. dagegen ->• Tamburin). - 2) leb- 
hafter, aus der Provence stammender Tanz im 2/4- 
Takt. Er erhielt seinen Namen von der charakteristi- 
schen instrumentalen Begleitung mit Tamburin und 
-> Einhandflote, von einem Musikanten gespielt. Der 



Tanz 



T. war im 18. Jh. weit verbreitet und fand auch in die 
Kunstmusik Eingang (J.-Ph.Rameau, Pikes de clavecin 
II, 1724; Les fetes d'Hibi, 1739), wobei sich die Beglei- 
tung in Nachahmung der Trommelschlage hauptsach- 
lich auf Repetitionen der Tonika und Dominante be- 
schrankt. 

Tamburin (von frz. tambourin), in Deutschland Be- 
zeichnung fiir die -*■ Schellentrommel. 

Tamburo (ital.), Trommel; t. militare, kleine Trom- 
mel, t. rullante -*■ Ruhrtrommel, t. basco -> Schellen- 
trommel, t. di provenza ->• Tambourin (- 1), t. di canna 
-> Schlitztrpmmel. 

Tamtam (seltener Tam-Tam; lautmalend von ma- 
laiisch + tammittam; frz. und ital. tam-tam; engl. meist 
gong), ein flaches -> Gong-Instrument von ca. 60- 
125 cm (seltene Riesenexemplare 150 cm 0). Das T. 
wurde zum ersten Mai in Gossecs Trauermarsch zum 
Begrabnis Mirabeaus (1791) verwendet, spater dann im 
Orchester der franzosischen Grand Opera (Steibelt, 
Romio et Juliette, 1793; Spontini.La Vestale, 1807). Der 
mit einem Filzkopf-, Pauken- oder Trommelschlagel 
ausgefiihrte Schlag oder Wirbel erzeugt einen unbe- 
stimmten Klang mit langanhaltendem Nachklang; die 
Abdampfung (-> etouffe) geschieht mit der Hand, 
neuerdings mit einem Filzscheibendampfer. Durch un- 
terschiedliche Behandlung des Instruments, wie das von 
Strawinsky geforderte Reiben des Randes mit einem 
Triangelstab (Le sacre du printemps, 1913), werden ver- 
schiedenartige Klangwirkungen erzielt. Die Ausdrucks- 
breite des T.s reicht vom Dumpf-Dusteren (Tschai- 
kowsky, VI. Symphonie; R.Strauss, Tod und Verkla- 
rung) bis zu spriihender Leuchtkraft (Ravel, La Valse, 
1920). Besonders oft erscheint das T. in den Orchester- 
kompositionen des 20. Jh., so bei Varese, Boulez und 
Stockhausen. - In ethnographisch-instrumentenkund- 
licher Literatur wird die afrikanische Holztrommel 
{-*■ Schlitztrommel) oft als T. bezeichnet. 

Tanbur (arabisch, auch tambur oder tunbur, daraus 
metathetisch pandflr; griech. roxvSoupa), eine Lang- 
halslaute mit kleinem gebauchtem Corpus, wenigen 
Saiten und zahlreichen Biinden. Langhalslauten sind im 
alten Orient seit der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. 
bekannt, dann im antiken Griechenland und Rom, 
wo sie als fremdlandische Instrumente galten. Im 
arabischen Mittelalter wird der T. u. a. von al-Farabi 
beschrieben, der 2 Typen mit bis zu 20 Biinden und 
verschiedenen Stimmungen kennt: den Tunbur von 
Bagdad, der im Unterschied zum pythagoreisch ge- 
stimmten 'Ud harmonisch oder temperiert gestimmt 
ist, und den (persischen) Tunbur von Horasan in 17stu- 
figer pythagoreischer Stimmung. Durch die Araber 
kam der T. nach Europa : in Spanien ist er im 13. Jh. in 
den Miniaturen zu den -> Cantigas de Santa Maria ab- 
gebildet; auch Mischformen mit der -> Fiedel (- 1) 
sind im westlichen Europa nachweisbar. In Suditalien 
beschreibt Tinctoris 1486 tambur als ein kleines, diirfti- 
ges Instrument in der Form eines KochlSffels (coclearis) 
von turkischem Ursprung, mit 3 Saiten, die mit den 
Fingern oder mit Plektron gezupf t werden. In der euro- 
paischen Musikgeschichte taucht die Langhalslaute erst 
mit dem vom T. abgeleiteten ->• Colascione auf. - Im 
Vorderen Orient und in den arabisch sprechenden Lan- 
dern Nordaf rikas ist der T. noch heute bekannt, auch auf 
dem Balkan (tamburica), im Kaukasus und in Indien, 
wo der Tamburi 4 Saiten hat, die aber nicht gegriffen, 
sondern nur bordunierend gespielt werden. 
Lit. : Julius Pollux, Onomastikon IV, 60, hrsg. v. E. Bethe, 
= Lexicographi Graeci IX, Lpz. 1900; al-FArAbI, Kitab 
al-muslql al-kablr, frz. als: Grand trait6 de la musique, in: 



Baron R. d'Erlanger, La musique arabe I, Paris 1930; Fr. 
Behn, Die Laute im Altertum u. fruhen MA, ZfMw I, 
1918/19; K. Geiringer, Der Instrumentenname »Quin- 
terne« . . ., AfMw VI, 1924; H. Husmann, Grundlagen 
d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 1961; W. 
Stauder, Zur Friihgesch. d. Laute, Fs. H. Osthoff, Tutzing 
1961; Ph. Anoyanakis, Ein byzantinisches Musikinstr., 
AMI XXXVII, 1965. 

Tangente (von lat. tangens, beriihrend), ein (Metall-) 
Stift, der in der -»• Mechanik von besaiteten Tasten- 
instrumenten auf dem einen Ende der Taste sitzt, gegen 
die Saite gedriickt wird und sie abteilt (Drehleier) oder 
den Ton erzeugt (T.en-Klavier) oder beides zugleich 
bewirkt (Clavichord, Cembal d'amour). 

Tangentenklavier, eine Zwischenform von Cemba- 
lo und Hammerklavier; ein dockenahnliches, oben mit 
Leder bedecktes Holzstabchen (Tangente) wird iiber 
Zwischenglieder (Treiber, StoBer) gegen die Saite ge- 
schleudert. Ein zweites Holzstabchen, das auf dem Ende 
des Tastenhebels steht, dient als Dampfer. Die Erfin- 
dungen von T.en durch Cuisinies (1708) und Marius 
(1716) in Paris wurden nicht praktisch ausgewertet, in 
geringem Umfang die von Schroter (1739) in Dresden. 
Fr. J. -*■ Spath und Schmahl in Regensburg bauten Tan- 
gentenfliigel etwa von 1751-1812. 
Lit. : H. Herrmann, Die Regensburger Klavierbauer Spath 
u. Schmahl u. ihr Tangentenfliigel, Diss. Erlangen 1928; 
R. E. M. Hardino, The Pfte, Cambridge 1933 ; Fr. J. Hirt, 
Meisterwerke d. Klavierbaus, Olten 1955. 

Tango, ein seit etwa 1900 in den Vororten von Buenos 
Aires beheimateter Tanz, der aus Elementen der Ha- 
banera und der Milonga bestand und seit 1911, von 
Siidamerika nach Europa importiert, als Gesellschafts- 
tanz im langsamen 2/4-Takt mit gemessenen Kreuz- 
und Knickschritten und spannenden Stillstanden in- 
mitten des Schreitens bekannt und auBerordentlich be- 
liebt wurde. - Der neue T. milonga unterscheidet sich 
von jenem T. argentino durch sein lebhaf teres Tempo 
und durch Synkopierung der Melodie im 4 FT% JH | 
ersten Viertel bei be vorzugter Notierung 8 
im 4/8-Takt. Bevorzugt wird die Zusammenstellung 
von Violine, Gitarre und Akkordeon bzw. Bandonion, 
Klavier und KontrabaB. In Kompositionen erscheint 
der T. u. a. bei I.Albeniz, Strawinsky, Hindemith, 
Kfenek, C.Beck, E.Schulhoff. 

Lit. : A. Friedenthal, Musik, Tanz u. Dichtung bei d. 
Kreolen Amerikas, Bin 1911; I. Carella, El t., Buenos 
Aires 1956. 

Tantiemen (frz. droits d'auteur; engl. performing 
fees, royalties), Gewinnanteile des Urhebers an den 
Einnahmen aus seinen Werken, speziell aus Biihnen- 
werken (»GroBe Rechte«, frz. grands droits; -*■ Auf- 
fiihrungsrecht). Der heute ubliche T.-Satz betragt fiir 
ein geschiitztes abendfiillendes Werk im Durchschnitt 
10% der Theaterkasseneinnahme (zuzuglich der Abon- 
nementsquote). In Deutschland wurde die Grundlage 
fiir eine solche Abgabe durch die Bundesbeschliisse 
vom 22. 4. 1841 und vom 12. 3. 1857 geschaffen (in 
Frankreich schon wesentlich friiher, -*■ SACEM). R. 
Wagner verfolgte diese Entwicklung sorgfaltig und 
stellte fest (Mein Leben I, S. 410), daB nun in Berlin von 
Herrn Kiistner zu Gunsten seines alten Freundes Lachner 
und dessen Oper s>Katharina von Cornaro« die sehr eintrag- 
liche Tantieme eingefuhtt worden war . . . 

Tantum ergo (lat.) ->• Pange lingua. 

Tanz. Seine Bedeutung fiir die Musik liegt darin, daB 
er einen zahlenmaBig geordneten Periodenablauf er- 
fordert. Die heutige Alleinherrschaft des Einzelpaar- 
T.es stammt aus dem 19. Jh., das daneben - als letzte 
Form des Reigens - noch die Gruppentanze Cotillon 



935 



Tanz 

Lamento di Tristano 




Geriistmelodie 



-■ -" = ■ — . — 



und Quadrille gekannt hat. Frtiher iiberwogen die 
Gruppentanze, im europaischen Mittelalter wie in den 
alteren Kulturen. Der am T. beobachtete Periodenbau 
mit 4, 8, 16 und 32 Takten erschien 1752 J. ->■ Riepel 
unserer Natur dergestalt eingepflanzet, dafi es uns schwer 
scheinet, eine andere Ordnung (mit Vergnugen) anzuhoren 
(Anfangsgriinde . . . De rhythmopoeia, S. 23). H.Riemann 
erblickte im Achttakter die Einheit, die dem in der 
»Metrik« erfaBten musikalischen GroBverlauf wesens- 
maBig zugrunde liege. Nachdem die Vergleichende 
Musikwissenschaft auBerhalb Europas ganz andere 
zeitliche Ordnungen beobachtete, erschien Riemanns 
Ansicht lange Zeit unhaltbar. In der Volkerkunde ge- 
langte man jedoch neuerdings zu der Erkenntnis, daB 
der T. als dlteste kiinstlerische Aufierung anzusehen ist, 
weil er gerade in den friihesten Kulturen im Vordergrund 
steht (K.Dittmer). Damit wird die regelmaBige Perio- 
dik des Gruppen-T.es ein Merkmal des Urspriinglichen 
in der Musik. Das bestatigt die Untersuchung des Kin- 
derliedes, dessen Rhythmik in der ganzen Welt auf ei- 
nem System von 8 Bewegungseinheiten mit der Ord- 
nung2 + 2 und 2+2beruht (C.Brailoiu). Anscheinend 
durchlauft der Mensch im 3. Lebensjahr, dem bioge- 
netischen Grundgesetz entsprechend, gleichsam die 
Stuf e einer altsteinzeitlichen Jagerkultur, fiir die Kult- 
tanze einer Gruppe charakteristisch sind. Auf dieser 
Stufe war die Musik nicht eine selbstandige Kunst, son- 
dern mit dem Kultus und dem T. verbunden. - Der 
Einzel-T. reicht ebensoweit zuriick, denn aus Bildern 
der Altsteinzeit kennt man den »Zauberer« in der Maske 
eines Tieres, das gejagt und gleichzeitig verehrt wird. 
Sicher haben auch ganze T.-Gruppen z. B. den Baren 
»gespielt«, so daB der bildhafte, dramatische T. als Kul- 
tus friih vorhanden war, vielleicht iiberhaupt am An- 
f ang der Entwicklung stand . 

Welche Rolle der T. beim Ubergang zur Geschichte in 
den Kulturen des Altertums gespielt hat, ergibt sich aus 
Bildzeugnissen. Fiir Agypten und Mesopotamien ist er 
vielfaltig zu belegen, im Dienst des Kultes wie der Ge- 
selligkeit. In Griechenland wurden neben dem Reigen 
der Jiinglinge und Madchen, den schon Homer be- 
schrieb, auch Einzeltanze gepflegt. Die Griechen kann- 
ten sowohl die bildlose Choreutik wie die bildhafte, im 
Theater gipfelnde Orchestik. Die Unterscheidung lan- 
ger und kurzer Silben im Griechischen f iihrte zur quan- 
titierenden Dichtung; nach dem Text richteten sich 
Musik und T., die eine Einheit bildeten (xopeta). Das 
Wort x°p6(? (-»■ Chor) bedeutet Gesang mit Reigen-T. 
Die Romer, wenig tanzfreudig, iibernahmen spater 
manches vom griechischen Vorbild, kannten auch die 
-> Pantomime, eine wortlose Darstellung nur mit Hil- 
fe von T. und Musik. 

Die groBe Zasur in der Geschichte des T.es brachte das 
Christentum. Angesichts der Rolle von T. und Instru- 
mentalmusik in heidnischen Kulten verzichtete man 
auf beides, um einen nur auf das Wort gestellten Got- 
tesdienst zu schaffen. Der altromische und der soge- 
nannte gregorianische Choral sind reiner Gesang, ohne 
Beziehung zum T. Der Protest gegen obscoeni motus, 
saltationes seu choreae auf Kirchhofen dauerte bis ins 15. 



Jh. - Um 1200 herrschte nicht nur im Organum eine 
tanznahe Rhythmik, sondern auch Kleriker tanzten 
gem in Prozessionen; auch gab es 1st. T.-Lieder in la- 
teinischer und franzosischer Sprache, denen deutsche 
folgten. Der Reigen iiberwog, doch trat zu ihm der 
Einzelpaar-T. In der Stauferzeit verband man gern den 
Gruppen-T. (mhd. reien; altfrz. carole) mit einem vor- 
angehenden ruhigen Einzelpaar-T. (mhd. t. ; altfrz. 
danse) ; dies wurde bald zum Prinzip. Das altfranzosi- 
sche Rondeau mit Wechsel von T.-Gruppe und Einzel- 
sanger wurde schon im 13. Jh. mehrstimmig behandelt 
und blieb 2 Jahrhunderte lang eine musikalische Haupt- 
form. Ahnliches gilt fiir das erzahlende strophische T.- 
Lied mit Refrain, das sich polyphon zur franzosischen 
Ballade, andererseits zur italienischen Ballata entwickel- 
te, die formal wie das franzosische Virelai gebaut war. 
- Seit dem spaten 13. Jh. ist die improvisierte T.-Musik 
der Spielleute auch in Aufzeichnungen iiberliefert; zu 
den friihesten gehort die 2st. Bearbeitung einiger 
Estampien fiir Tasteninstrument im Robertsbridge Co- 
dex (-> Orgeltabulatur; vielleicht aus Italien). Die Spiel- 
leute f iihrten ihre Tanze anfangs meist einstimmig oder 
einstimmig-heterophon aus und musizierten noch 1500 
in der Regel auswendig. In Italien war neben Istampita 
(altfrz. estampie, von frankisch + stampon) und Trotto 
(von mhd. treten) der Saltarello beliebt. In der Hs. Lo 
(-> Quellen) ist ein Lamento di Tristano (auszuf uhren in 
ruhigem 3/4-Takt) iiberliefert, der mit seinem Nach- 
T. La rotta (in schnellem 2/4-Takt) variationsmaBig 
iibereinstimmt (wie das obenstehende Beispieljzeigt). 
Der Spielmann benutzte demnach bei 1st. T.-Musik 
eine »Gerustmelodie«, die taktweise auf gezeichnet wer- 
den konnte und die mit Hilfe von Spielfiguren ausge- 
staltet wurde. - Aus dem 15. Jh. ist T.-Musik des Nor- 
dens fast nur als Notierung solcher Geriisttone in Ge- 
stalt je einer Brevisnote bekannt, unter der die auszu- 
fuhrenden Schritte vermerkt sind. Es handelt sich um 
die Basse danse, einen langsamen Schreit-T. meist ge- 
radtaktig mit dreifacher Unterteilung, der bis ins 16. 
Jh. beliebt war. AuBerdem bedeutete franzosisch basse 
danse iiberhaupt jeden ruhigen, geschrittenen T., wah- 
rend haute danse ein lebhafter, oft gesprungener T. 
war; der schnelle Nach-T. der Basse danse hieB Pas de 
Breban (Saltarello). Im Charakter ein Hof-T., wurde 
die Basse danse grundsatzlich mehrstimmig begleitet, 
wobei der burgundische Hof das Vorbild gab. Die 
Hs. Briissel, Bibl. royale, Ms. 9085 enthalt viele Ein- 
zelstimmen aus mehrstimmigen Chansons als Gerust- 
melodien. Der Spielmann verstand sich nach wie vor 
auf ihre 1st. Ausgestaltung, aber das Neue war der 
dreistimmige, improvisierte Satz, wobei die Geriistme- 
lodie im Tenor lag. Nach Bildzeugnissen wirkten Schal- 
mei-, Bomhart- und Trompetenblaser zusammen. Um 
1484 benannte ein Druckwerk von Tinctoris diese T.- 
Kapelle alta (musica) als Gegensatz zur ruhigen Basse 
musique der Kammer; so rechtfertigt sich fiir die Bla- 
serkapelle der Terminus »Alta«. Die Rolle Italiens in 
der Friihrenaissance zeigt sich in wichtigen Lehrschrif- 
ten seit 1450 (-> Gesellschafts-T., Lit.). Sie beschreiben 
lebhafte Tanze wie Saltarello, Quadernaria, Piva neben 



936 



Tanz 



dem Haupt-T. Bassa danza, aber leider nicht deren 
mehrstimmige Ausfuhrung. Wie ein auskomponierter 
Satz aus Spanien mit dem Titel Alta zeigt (das folgende 
Beispiel aus: Cancionero musical de Palacio, f. 223, ed. 
Angles, MMEsp X, S. 84), wurde die Geriistmelodie, 
dort der T. Re di Spagna (= Castille la nouvelle = La 
Spagna), vom Tenor als C. f . meist in Breviswerten vor- 
getragen. So erklart sich die italienische Bezeichnung 
der T.-Weisen als »Tenor«, denn zu dieser Mittelstim- 
me kontrapunktierten Superius und Contratenor. 



Tenor 



Westen schon vor 1550 als Allemande bekannt. Dort 
bevorzugte man als Einzel-T. die Galliarde immer 
mehr, so daB sie um 1600 zahlenmafiig an der Spitze 
stand. Nur die 2 geradtaktigen Tanze Passamezzo und 
Pavane d'Espagne kamen hinzu, sonst jedoch beweg- 
tere. Frankreich steuerte mit dem Tourdion und be- 
sonders der Courante schnelle Tanze bei, Spanien die 
anf angs erotisch-bildhafte Sarabande im Tripeltakt, um 
1600 die noch wildere, wohl westindisch angeregte 
Chacona, ebenfalls im ungeraden Takt. Diese Paartan- 




Der Ubergang zur Polyphonie in der T.-Musik war ein 
folgenschweres Ereignis ; die Blaser des 15. Jh. richteten 
sich allmahlich nach dem Vorbild der Vokalpolypho- 
nie, iibernahmen zum Teil deren Motivik und Haltung. 
So drang der niederlandische »Singstil« sogar in die T.- 
Musik ein, als ein Hindernis gegen Motivwiederholung 
und paarige Symmetrie (-> Niederlandische Musik). 
An die Stelle der Improvisation trat mehr und mehr 
die Ausfuhrung nach notierten Vorlagen; T.-Drucke 
sind seit 1529 erhalten. Infolge der Anpassung an den 
Singstil ist die Technik des Sequenzierens einer Spiel- 
figur aus den Drucken des 16. Jh. fast verschwunden. 
Sehr beliebt als Gruppen- und Einzel-T. war die bild- 
hafte, oft in Mohrenverkleidung getanzte Moresca, 
vielleicht eineErinnerung an die Kampfe mit den Mau- 
ren. Die wenigen musikalischen Zeugnisse ergeben 
vom Rhythmus kein einheitliches Bild. Die Ablehnung 
der Moresca in B. Castigliones Libra del cortegiano (1514) 
zeigt, daB der sich herausbildende »Gesellschafts-T.« des 
Adels neue MaBstabe setzte. Italien wurde im 16. Jh. 
das fiihrende Land. Nun trennte sich der -»• Volks-T. 
als wenig angesehen ab. Die Moresca lebte in Gestalt 
des englischen Morris dance fort, wobei sogar alte Me- 
lodien im Gebrauch blieben. Auch der traditionelle 
Kettenreigen ohne Paare wurde vom Adel seit der Re- 
naissance abgelehnt und nun zum Volks-T., wie z. B. 
die katalanische Sardana. Gesellschafts-T. in Italien war 
besonders der Ballo; beim Hofball tanzte man paar- 
weise, in der vom Hof bestimmten Rangordnung. Hier 
lebte der bildhafte T. nur teilweise fort, indem Hof- 
mitglieder als Einlage etwa eine Moresca selber auf- 
fiihrten. Erst sparer kam das »Ballett« als Trager des 
Bildhaften hinzu. - Die Gesellschaftstanze des 16. Jh. 
bis um 1650 zeigen groBere Freiheit als bisher, da kein 
Haupttypus die Alleinherrschaft hatte. An der Spitze 
stand der offene Paar-T. Pavane im geraden Takt mit 
seiner spanischen Gravitat; zu ihr gehorte als Nach-T. 
die Galliarde. Aber man verfuhr mit den Einzeltanzen 
recht frei. Der Deutsche T., ein offener Paar-T. im ge- 
raden Takt, war stets verkniipft mit einem Nach-T. 
(auch Hupfauf, Proporz, Sprung, Tripla) ; er war im 



ze teilten die Herrschaft allerdings mit dem Reigen, 
dessen Hauptform der franzosische Branle war. Er 
nahm im 16. Jh. Anregungen vom Volks-T. auf und 
war noch nach 1600 ein beliebter Gesellschafts-T. Mit 
dem Heraufkommen des Absolutismus in der 1. Halfte 
des 17. Jh. ging die Fiihrung von Italien auf Frankreich 
iiber. Die franzosischen Tanze wurden zum Vorbild, 
nach denen man sich in hofischen und burgerlichen 
Kreisen richtete. 

Fur die musikgeschichtliche Neuzeit seit etwa 1600 ist 
es charakteristisch, daB die T.-Musik EinfluB auf den 
Stil gewann. An die Stelle des niederlandischen Sing- 
stils trat eine viel regelmaBigere Polyphonie, und zwar 
auf der Grundlage des Akzentstuf entaktes ; dieser stammt 
aus der T.-Musik und zeigt zuerst dort die 3fache Ak- 
zentstufung, die sparer allgemein iiblich wurde. Das 
periodische Prinzip der T.-Musik setzte sich erst im 18. 
Jh. Schritt fur Schritt durch, wahrend der Starke T.- 
EinfluB der Zeit um 1600-30 von anderen Kraften wie- 
der zuriickgedrangt wurde. Beim Stilwandel um 1600 
gingen von Italien Anregungen aus durch Gastoldis Bal- 
letti-T.-Lieder, wahrend England durch seine dem T. 
gewidmete Instrumentalmusik fiir Consort und Vir- 
ginal zur Verschiebung der Gewichte zugunsten des 
Instrumentalen beitrug, die im 17. Jh. erfolgte. In 
Deutschland wirkte H.L.HaBlers T.-Liedersammlung 
Lustgarten . . . (1601), mit einem instrumentalen An- 
hang, als Vorbild. Schon 1604 veroffentlichte V. HauB- 
mann eine rein instrumentale Sammlung. Die Allge- 
mein wirkung des T.es ist daran zu erkennen, daB 1618 
Descartes im Compendium musicae fiir eine Komposition 
das Zahlenverhaltnis der Takte mit 1:2:4:8:16: 32 um- 
schrieb, obwohl diese an der T.-Musik gemachte Be- 
obachtung noch keineswegs fiir die iibrige Polyphonie 
gait. Seit 1600 begann der ZusammenschluB mehrerer 
Tanze zu einer »Suite«. Derartige Versuche niederlan- 
discher Instrumentalisten und italienischer Lautenspie- 
ler im 16. Jh. hatten noch nicht zu einer Tradition ge- 
fiihrt. An der neuen musikalischen Form hatten die 
Englander anscheinend kein Interesse, obwohl sie nicht 
nur den Instrumental-T. reich bedachten, sondern auch 



937 



Tanz 

das seit 1600 daraus entwickelte instrumental Charak- 
terstiick. Es wurde in Deutschland innerhalb der Suite 
zum Gegenpol der eigentlichen Tanze. Das Wort Or- 
chestersuite* ist miBverstandlich, da es eine Verviel- 
fachung der Streicher erst in der venezianischen und 
franzosischen Oper gab. Peuerls 4satziger Suitentypus 
von 1611 bestand aus 2 Satzpaaren, bei denen der T- 
Charakter beibehalten oder die Tanze verschiedenartig 
stilisiert wurden. Viel einheitlicher und das eigentliche 
Meisterstiick der Gattung waren die 1617 gedruckten 
Suiten von Schein mit je 5 Satzen. Hier steht am SchluB 
der alte deutsche T., zuriickimportiert als Allemande, 
im 4st. Satz, gefolgt vom Nach-T. Tripla. Die ande- 
ren, meist 5st. Satze sind dagegen stilisiert, wenngleich 
die unmittelbar vorangehende Courante gern tanz- 
mafiig beginnt. Die Pavane als festliches Eroffnungs- 
stiick iibernahm sogar die Technik vokaler Polypho- 
nie, ihr einstiger Nach-T. Galliarde bleibt mehr dem 
T. verhaftet. Die Motivik der Allemande wird in den 
stilisierten Satzen sehr frei zu einem Charakterstiick 
umgeformt. Die Verwandtschaft der Satzanfange ver- 
bindet die Einzelsatze zum Zyklus. 
Padouana 



auf Ludwig XIV. zuriick, der anfangs die Gotterrollen 
der Hofballette selber tanzte und seinen ersten Musiker 
J.-B. Lully bis 1655 hauptsachlich als Tanzer auftreten 
lieB. In Lullys Schaffen lag der Schwerpunkt nach dem 
Ballett bei der Comedie-ballet, ab 1 673 bei der Tragedie 
lyrique, womit sich deren T.-Reichtum erklart. - Die 
Tanze der franzosischen Oper, durch ihre Musik von 
groBer Wirkung, stammen meist aus dem Volks-T. 
und sind vom Ballett auch als Reigen darstellbar. Ent- 
scheidend fiir den franzosischen Gesellschafts-T. nach 
1650 war jedoch die Abschafiung des Reigens. DerEin- 
zelpaar-T., kolonnenweise mit demKonig an der Spitze 
in strenger Rangordnung durchgefiihrt, hatte nun die 
Alleinherrschaf t, so daB auch der immer noch getanzte 
Branle sich dem anpassen muBte. Der f iihrende neue T. 
war das Menuett (frz. menu, klein, zierlich). Sein 
Dreiertakt hatte nichts mehr vom Ausgreif enden f riihe- 
rer Tanze, sondern war mit jener graziosen Bewegungs- 
kunst verkniipf t, die man beim T.-Meister lernen muB- 
te und die seitdem fiir den Gesellschafts-T. in Europa 
charakteristisch war. Der Passepied im 3/8- oder schnel- 
len 3/4-Takt, aus der Bretagne stammend, spielte nur 



Gagliarda 



>Hrr.i i r^ i .U.'ij. i rr.) i rrr i i'rT i r.. 



■ Courente 




Mit der Orchestersuite gab es einen instrumentalen 
Zyklus, dessen Satze vomjeweiligen T. gepragt waren. 
Der Sinn eines solchen Charakterstiicks war jedem H6- 
rer ohne Erklarung greifbar. Dies zeigt ein T., der, 
durch englische Musiker vorgefuhrt, vom Kontinent 
jedoch nur als Charakterstiick aufgenommen wurde: 
die rhythmisch sehr mannigfaltige englische Jig. Sie 
wandelte sich um 1635 in der delikaten Lautenkunst 
von D.Gaultier zur franzosischen Gigue, dann zu ei- 
nem Spielstiick im Stile brise der Cembalisten urn. J. 
Ch. Chambonnieres. Zuletzt griff Froberger ein, der 
Schopfer der deutschen Klaviersuite. T.-Musik gibt es 
von Froberger nicht; was ihn und die Nachfolger fes- 
selte, war das vom T. mit Sinn erfiillte Charakterstiick 
fiir Cembalo. Die Satzfolge Allemande-Courante- 
Sarabande-Gigue kommt bei Froberger nur selten vor 
und wurde erst nach ihm zur Regel. 
Der T. erreichte die groBte Allgemeinbedeutung zur 
Zeit des Absolutismus im 17. Jh., als der Adel beim 
bildhaften Hofballett selber tanzte, im Wettstreit der 
H6fe von Versailles und Wien. Es war neben dem 
gleichfalls vom Adel ausgefuhrten RoBballett ein Be- 
standteil jener Hoff este, die durch ein universales Kunst- 
aufgebot dem Ruhm des Herrschers dienten. Erst als 
nachste Stufe erschien in Paris das Ballett von Berufs- 
tanzern in Maske, denen der Hof zusah. Seit 1661 war 
zu den Ballettauffiihrungen der Academie de Danse 
auch zahlendes PubUkum zugelassen. Die bisherige 
»Umgangskunst« wurde zur »Darbietungskunst«, eine 
Entwicklung, die in Venedig 1637 zur stehenden Oper 
gefiihrt hatte. Die Begunstigung des T.es in Paris geht 



J. H. Schein, Suite Nr 10, 

aus: Banchetto musicak, 

Leipzig 1617. 

eine Nebenrolle. Dasselbe gilt fiir die spanische Folia 
(Folies d'Espagne) im Tripeltakt. Im geraden Takt stan- 
den die Gavotte, als Volks-T. in der Dauphin^ behei- 
matet, die Bourree, die als Volks-T. in der Auvergne 
weiterlebt, und der schnelle Rigaudon aus der Pro- 
vence. - Musikgeschichtlich wichtig war die Wirkung 
der neuen Tanze auf die Kunst auch aufierhalb des 
Theaters. Die Orchestersuite, jetzt in neuzeitlicher Be- 
setzung, erhielt durch den Lully-Schiiler Kusser eine in 
die Zukunft weisende Umformung. In seinem Druck 
von 1682 erschien zum ersten Mai, nach dem Vorbild 
der franzosischen Opernsuiten, eine solche Sammlung 
fiir den Konzertgebrauch. Da auf die franzosische Ou- 
vertiire T.-Nummern in beliebiger Zahl und Ordnung 
folgten, kennt dieser Suitentypus nicht mehr die friihe- 
re Polaritat von T. und Charakterstiick. Wenn er trotz- 
dem bis um 1740 herrschte und bis zu J. S.Bach reiche 
Pflege fand, so beruht das wohl vor allem auf der 
Durchschlagskraft der Ouvertiire mit ihrem zeitgema- 
Ben Pathos. Schon vor 1700 drangen die neuen Tanze 
auch in die Klaviersuite ein. Dort bildeten sie zum Cha- 
rakterstiick einen erfrischenden Kontrast. 
Die Gesellschaftskultur, die die franzosischen T.-Mei- 
ster iiber Europa verbreitet hat, war ihrem Wesen nach 
hofisch. Dies spiegelt sich in der Tatsache, daB seit 1740 
(zuerst in Mannheim unter J. Stamitz) die nun f iihrende 
musikalische GroBform der Symphonie als einzigen T. 
das Menuett aufnahm. Als hofischer T. fand das Me- 
nuett mit dem Aufstieg des Biirgertums in der 2. Halfte 
des 18. Jh. immer starkere Kritik und wurde von der 
franzosischen Revolution ganz beseitigt, wahrend es 



938 



Tanz 



sich in Deutschland, an den Hofen begiinstigt, noch 
einige Zeit behauptete. - Im englischen Country dance 
als Gesellschafts-T. gab es sowohl den Kreisreigen 
Round wie den immer beliebter werdenden Frontrei- 
gen Longways. Das Problem lag in der Verbindung 
mit dem jetzt fiihrenden Einzelpaar-T. Bei einer festen 
Paarzahl im Round waren mindestens 4 Paare erf order- 
lich. In Frankreich gestaltete man diesen Typus zur 
Contredanse francaise, bald Cotillon genannt; sie er- 
hielt nach 1817, als der Terminus sich wandelte, die 
Tourenordnung der Quadrille, die als letzter Vertreter 
des Vierpaar-T.es ubrig blieb, wahrend die Francaise 
nun zu einem Kolonnen-T. wurde. Hauptform der 
viel beliebteren Tanze ohne feste Paarzahl war im 18. 
Jh. der Frontreigen, wegen der beliebigen Tanzerzahl 
Longway for as many as will genannt. Deutschland 
ubernahm ihn nach 1760 als Contra-T. oder Anglaise 
im geraden Takt. Da der Gehschritt eine groBe Rolle 
spielte, sah die Zeit in den englischen Tanzen den Aus- 
druck des »Naturlichen« und bevorzugte sie. In Frank- 
reich wurde das Menuett seit 1760 durch die verschie- 
denen Formen der Contredanse zuriickgedrangt, die 
wahrend der Revolution die Alleinherrschaft hatten. 
In Deutschland kannte man seit 1780 auch die be- 
schwingte Ecossaise in geradem'Takt, mit einem Tritt- 
wechsel-Doppelschritt nach Art der Polka, wahrend 
die Ecossaise nach 1800 wieder ruhiger verlief . - In der 
Symphonie hatte das Menuett seit Stamitz seinen festen 
Platz. Der Contra-T. - womit der englische Reigen als 
Typus bezeichnet sei - kam erst viel spa'ter hinzu, ver- 
schiedenartig verarbeitet und ohne ausdriickliche Be- 
zeichnung. Immerhin eroffnete J.Haydn 1785/86 das 
Finale der Symphonie Nr 85 (Hob. I, 85) mit einem 
Contra-T. im 2/4-Takt. Die SchluBsatze der 12 Lon- 
doner Symphonien Nr 93-104 (Hob. I, 93-104), zum 
Teil mit T.-Thematik und Wiederholungszeichen, 
iibernehmen beim 6/8- wie beim 2/4- oder 2/2-Takt 
die Gehbewegung der englischen Tanze, verlaufen also 
nicht ganztaktig, sondern in 2 Zahlzeiten. Besonders 
vielseitig hat W. A. Mozart den Contra-T. zum Sere- 
naden- und Symphoniefmale ausgestaltet: das Finale 
der Symphonie G moll, K.-V. 550, ist auf die 2 Zahl- 
zeiten des Anglaisenschrittes gestellt. Zum Finale der 
Symphonie Es dur, K.-V. 543, liefert der Contra-T. 
K.-V. 565 Nr 1 im Ecossaisentyp eine Entsprechung, so 
daB auch hier 2 Zahlzeiten gemeint sind. - Die Auswir- 
kungen der T.-Musik sind deutlich auch auf dem Gebiet 
der allgemeinen Musiktheorie zu erkennen. Dies zeigt 
sich z. B. darin, daB H.Chr.Koch in seinem Versuch 
einer Anleitung zur Composition von der instrumentalen 
T.-Musik ausgeht und von ihr zur Komposition hin- 
leitet. Grundlage der Musik ist nun die am T. beobach- 
tete 8taktige Periode. 

Die Herrschaft der englischen Reigentanze dauerte nur 
kurz, denn schon 1801 wurden sie als »charakterloses 
Getrippek verurteilt. Die Fuhrung lag nun beim Wal- 
zer, der im 18. Jh. immer beliebter geworden war. Sei- 
ne Herkunft vom Volks-T. bezeugt die Ballszene in 
Mozarts Don Giovanni, wo nach dem hofischen Me- 
nuett und dem burgerlichen Contra-T. der Deutsche 
dem bauerlichen Stand zugewiesen ist. Als Gesellschaf ts- 
T. muBte der Walzer alles ReigenmaBig-Bildhaf te ab- 
legen und zum Einzelpaar-T. werden. Immerhin hat 
Schubert noch den Landler im ruhigen 3/4-Takt ge- 
kannt; dasselbe ZeitmaB benutzte Bruckner seit der 4. 
Symphonie (1874) fur das Trio von Scherzosatzen. In 
Wien erhielt der Walzer seine Sonderart durch die gei- 
gerische Behandlung bei J.Lanner und J. StrauB(Va- 
ter), wobei das Tempo nach 1825 schnell wurde. Die- 
sen Walzer erhob J. StrauB(Sohn) zum ausdrucksvollen 
Charakterstiick. Als Klavierstiick erscheint der Schnell- 



walzer bereits 1819 bei C. M. v. Weber. Besonders viel- 
seitig hat Brahms den Walzer fur die Kammermusik 
ausgewertet. - Die Beliebtheit des Walzers im 19. Jh. 
war starker als einst die des Menuetts, trotz des Wider- 
stands etwa am Berliner Hof. Daneben gab es als Ein- 
zelpaar-T. die Polka, die sich um 1830 aus einem tsche- 
chischen Volks-T. unter Verzicht auf das Bildhafte 
in einen Gesellschafts-T. im 2/4-Takt mit Trittwechsel 
(wie bei der Ecossaise) verwandelte. Schon vorher 
kannte man den Galopp (Rutscher) im schnellen 2/4- 
Takt, spater den Rheinlander (Bayerische Polka) im 
ruhigen 2/4-Takt, auch Mischf ormen mit dem Walzer. 
Aber im 19. Jh. wurde auBer dem Einzelpaar-T. auch 
der Reigen gepflegt. Bis 1830 war die Ecossaise im 2/4- 
Takt allgemein bekannt, der polnische Mazur im 3/4- 
Takt etwa bis 1900. Der alte Cotillon erhielt nach 1817 
die 6 Touren der Quadrille mit franzosischer Bezeich- 
nung, Zeugnis der einstigen Herrschaft des franzosi- 
schen T.-Meisters in Europa. Andere Reigen waren 
ortlich begrenzt: nur in Paris gab es den Cancan (Cha- 
hut) mit Beinwurf und Sprung der Tanzerin, nur in 
Munchen die Francaise als Kolonnen-T. In der 2. Half te 
des 19. Jh. traten als Folge des Ubergangs zur Massen- 
gesellschaft in der GroBstadt die Gemeinschaftstanze 
immer mehr zuriick. Als einziger Gruppen-T. blieb 
die Quadrille, die auch noch im 20. Jh. an eine groBe 
Vergangenheit erinnert. 

Fur den Gesellschafts-T. im 20. Jh. ist zunachst die vol- 
lige Herrschaft des Einzelpaar-T.es charakteristisch, 
ferner die Anregung durch amerikanische Tanze, der 
rasche Wechsel von oft nur eine Saison lang herrschen- 
den Modetanzen und in neuester Zeit eine Auflocke- 
rung des Paartanzes bei starkerer Betonung der Bewe- 
gungsmomente. Seit 1900 erschienen die brasilianische 
Maxixe, ebenfalls aus Siidamerika der Tango und spa- 
ter aus Kuba die Rumba, aus Nordamerika der One 
step (Turkey trot), der Cake walk, dann der Foxtrott, 
nach 1920 der Shimmy, der Charleston, der Blues und 
der Black-bottom. Gegemiber diesen und vielen weite- 
ren Tanzen im 2/4- oder 4/4-Takt ist der im 19. Jh. 
fuhrende 3/4-Takt in der Minderheit, denn er taucht 
nur im Boston auf oder im English waltz sowie wei- 
terhin im Wiener Walzer. Auch die seit 1946 iibernom- 
mene brasilianische Samba und der nordamerikanische 
Boogie-Woogie stehen wieder in geradem Takt. Wirk- 
sam war vor allem die nordamerikanische T.-Musik, 
die 1918 als Jazz auf Europa iibergriff. Starke Anre- 
gungen gab der Jazz den Komponisten Weill und spa- 
ter in den USA Gershwin. Bei Strawinsky, Milhaud, 
Hindemith und Kfenek beschrankte sich die Ausein- 
andersetzung auf gewisse Schaffensperioden. Somit 
gewann die T.-Musik nun wieder EinfluB auf das 
Schaffen. 

Das im 17. Jh. entstandene Ballett, das bis 1820 eine 
selbstandige Rolle in der Oper gespielt, dann an Bedeu- 
tung verloren hatte, wurde am Zarenhof in St. Peters- 
burg erneuert. Das Gastspiel des Ballet russe in Paris 
ab 1909 ermoglichte jene 3 Ballettkompositionen von 
Strawinsky, durch welche diese Gattung wieder Ak- 
tualitat gewann. Vorangegangen war die Erneuerung 
des Solo-T.es durch Isadora Duncan, die seit 1900 star- 
ken EinfluB ausiibte. Damals begann R. v. Laban seinen 
Weg, der zum neuen Ausdrucks-T. fiihrte. Bei seiner 
Schiilerin Mary Wigman ging im »absoluten T.« die 
Verbindung mit der Musik wieder verloren. Um so 
starker war sie bei Jaques-Dalcroze, dem Begriinder 
der »rhythmischen Gymnastik«, der in Hellerau und 
Genf tatig war. Sein Schiiler R.Bode hat am univer- 
sellsten gearbeitet und die »Ausdrucksgymnastik« ge- 
funden. Wichtig waren die Versuche, die Orff seit 1924 
mit Dorothee Giinther in einer Munchner Schule fur 



939 



Tanzmeistergeige 



Gymnastik, T. und Musik unternahm; sie fiihrten zu 
OrfEs Schulwerk (1930-35). Damit war der T., von der 
Erziehung her, sogar in einen schopferischen Zusam- 
menhang mit der Musik gebracht. Fur das 20. Jh. ist er 
wieder zu einer Lebensmacht geworden. 
Lit. : K. Dittmer, Allgemeine Volkerkunde, Braunschweig 
(1954). - C. J. Sharp u. A. P. Oppe, The Dance: An Hist. 
Survey, London u. NY 1924; V. Junk, Hdb. d. T., Stutt- 
gart 1930; R. Sonner, Musik u. Tanz. Vom Kultt. zum 
Jazz, = Wiss. u. Bildung Bd 276, Lpz. 1930; C. Sachs, Eine 
Weltgesch. d. T., Bin 1933, engl. NY 1937, London 1938, 
frz. Paris 1938, span. Buenos Aires 1944, hebraisch Tel 
Aviv 1953; P. Nettl, The Story of Dance Music, NY 
. (1947), deutsch als: T. u. Tanzmusik, = Herder-Biicherei 
CXXVI, Freiburg i. Br. (1962); A. Chujoy, The Dance 
Encyclopedia, NY 1949; D. GCnther, Der T. als Bewe- 
gungsphanomen, =rde CLI/CLII, Hbg (1962); Tanz- 
bibliogr., hrsg. v. K. Petermann, Lpz. 1966ff. 
Fr. M. Bohme, Gesch. d. T. in Deutschland, 2 Bde, Lpz. 
1886, Nachdruck Hildesheim 1967; H. Riemann, System 
d. mus. Rhythmik u. Metrik, Lpz. 1903; O. Bie, Der T., 
Bin 1906, 31925; H. Besseler, Beitr. zur Stilgesch. d. 
deutschen Suite im 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1923, 
maschr. ; ders., Katalanische Cobla u. Alta-Tanzkapel- 
le, Kgr.-Ber. Basel 1949; ders., Spielflguren in d. Instru- 
mentalmusik, Deutsches Jb. f. Mw. I (=JbP XLVIII), 
1956; ders., Das mus. Horen d. Neuzeit, Sb. Lpz. CIV, 
6, 1959 ; ders., Einfliisse d. Contratanzmusik auf J. Haydn, 
Kgr.-Ber. Budapest 1959; Fr. Blume, Studien zur Vor- 
gesch. d. Orchestersuite im 15.-16. Jh., = Berliner Beitr. 
zur Mw. I, Lpz. 1925; Fr. Weege, Der T. in d. Antike, 
Halle 1926; O. Kinkeldey, A Jewish Dancing Master 
of the Renaissance (Guglielmo Ebreo), in : Studies in Je- 
wish Bibliogr., In memoriam of A. S. Freidus, NY 1929; 
ders., Dance Tunes of the 1 5 th Cent., in : Instr. Music, hrsg. 
v. D. G. Hughes, Cambridge (Mass.) 1959; G.T.Nicules- 
cu-Varone, Les danses populaires roumaines, Bukarest 
1933; O. Gombosi, Der Hoft., AMI VII, 1935; ders., 
About Dance and Dance Music in the Later Middle Ages, 
MQ XXVII, 1941 ; ders., Some Mus. Aspects of the Engl. 
Court Masque, JAMS 1, 1948; K. Viski, Hungarian Dances, 
Budapest 1937; E. Brunner-Traut, Der T. im alten Agyp- 
ten, = Agyptologische Forschungen VI, Gluckstadt 1938 ; 
J. Gregor, Kulturgesch. d. Balletts, Wien 1944, Zurich 
2 1946; M. Schneider, La danza de espadas y la tarantela, 
Barcelona 1948; M. Dolmetsch, Dances of England and 
France from 1450 to 1600, London (1949), 21959; dies., 
Dances of Spain and Italy from 1400 to 1600, ebenda 
(1954) ; M. DecJtre, Danses des provinces frc., Paris u. St. 
Etienne 1 95 1 ; W. Wiora u. W. Salmen, Die Tanzmusik im 
deutschen MA, Zs. f . Volkskunde L, 1953 ; E. L. Backman, 
Den religiosa dansen inom kristen kyrka och folkmedicin, 
Stockholm (1954); C. Brailoiu, La rythmique enfantine, 
Briissel 1956; L. H. Moe, Dance Music in Printed Ital. Lute 
Tablature from 1507 to 1611, 2 Bde, Diss. Harvard Univ. 
(Mass.) 1956, maschr.; M. Mourgues, La danse proven- 
cale, Cannes (1956); D. L. Heartz, Instr. Music and the 
Dance in the French Renaissance, Diss. Harvard Univ. 
(Mass.) 1957, maschr.; Thr. G. Georgiades, Musik u. 
Rhythmus bei d. Griechen, =rde LXI, Hbg (1958); O. 
Haas, Der Ursprung v. ballare »tanzen«, = Wiener Stu- 
dien, Zs. f. Klass. Philologie LXXI, 1958; J. Amades, Dan- 
ses rituals d'iniciacio, in: Miscelanea en homenaje a H. 
Angles I, Barcelona 1958-61 ; G. D'Aronco, Storia della 
danza popolare e d'arte, Florenz 1962; P. Nettl, The 
Dance in Classical Music, NY 1963; E. B. Schnapper, 
Labyrinths and Labyrinth Dances in Christian Churches, 
Fs. O. E. Deutsch, Kassel 1963; G. Prudhommeau, La 
danse grecque antique, Paris 1966. HB 

Tanzmeistergeige ->■ Pochette. 

Tape-check-action (te:p-tfek-'xkf3n, engl.) ->■ Me- 
chanik. 

Taqsim (arabisch) -» Arabisch-islamische Mu- 
sik; ->Nauba. 

Tar (persisch, Sake, Plur. tiran), in Persien und Zen- 
tralasien eine Langhalslaute, dem arabischen -*■ Tanbur 



vergleichbar. Das Corpus ist meist mit einer Schweins- 
blase bezogen. Die Bezeichnungen der einzelnen Arten 
lassen die Zahl der Saiten erkennen: Dutar mit 2, ->- Si- 
tar mit 3, Cartar mit 4 und Panctar mit 5 Saiten, die 
iiber einen Hals mit beweglichen Biinden laufen. Die 
Wirbel sind seitenstandig. Die T.-Instrumente werden 
gestrichen oder mit einem Plejstron gezupf t. - Tar (ara- 
bisch, auch tarr) ist die Bezeichnung fur -> Schellen- 
trommel. 

Tarantella (ital., von tarantola, Tarantel), ein in Siid- 
italien beheimateter und im 19. Jh. haufig in die Kunst- 
musik ubernommener Volkstanz im 6/8-Rhythmus 
(mitunter auch im 12/8- oder 3/8-Takt notiert), her- 
vorgegangen aus den Tanzweisen, die in Apulien in 
den Sommerrrionaten zu den Heiltanzen der vom Ta- 
rentismus Befallenen gespielt wurden. Die von der T. 
ausgehende, bis heute anhaltende Faszination ist nicht 
zu trennen von dem geheimnisumwitterten Phanomen 
des Tarentismus. - Aus der 1 . Halfte des 15. Jh. sind die 
ersten Berichte (vgl. Katner 1956) iiber den Tarentis- 
mus iiberliefert, eine ratselhafte, angeblich durch den 
Stich der Tarantel hervorgerufene Krankheit, die nach 
dem Volksglauben nur durch bis zur Erschopfung an- 
dauerndes wildes Tanzen geheilt werden konnte. Diese 
Tanze, an denen auch nicht von der Krankheit befalle- 
ne »Simulanten« (vor allem Frauen) teilnehmen konn- 
ten und die in Siiditalien und Spanien teilweise bis in 
die Neuzeit als Volkstanz und im Volksbrauchtum le- 
bendig blieben (vgl. Schneider 1948, Carpitella/Mar- 
tino 1961), arteten zeitweise in orgiastische, dem Veits- 
tanz ahnliche Tanzepidemien aus, die sich iiber Apulien 
hinaus auf ganz Siiditalien erstreckten. Aus dem 17. Jh. 
ist die nach Berichten von Augenzeugen hergestellte 
Beschreibung des Tarentismus von A.Kircher (1641 
u. 6.) hervorzuheben, der erstmals einige ausschlieBlich 
bei den Heiltanzen verwendete Liedtexte und Tanz- 
weisen mitteilt. Der fur die T. seit dem 18. Jh. als cha- 
rakteristisch geltende 6/8-Rhythmus ist in dem Bericht 
des in London wirkenden italienischen Kontrabassisten 
St. Storace (der Altere) bezeugt (1753, deutsch 1754; 
das Beispiel bei Katner 1956, S. 20). Nachdem sich im 
19. Jh. die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daB der BiB 
der nach der Stadt Tarent (ital. Taranto) benannten Ta- 
rantel (Lycosa tarantula) niemals die in den Berichten 
beschriebenen Krankheitssymptome hervorruf t, wurde 
der Tarentismus als Aberglaube, Hysterie oder neuro- 
tische Storung hingestellt. Es wurde auch vermutet, 
daB in dem mit einem starken Anteil griechischer Be- 
volkerung besiedelten Apulien Reste des Dionysoskul- 
tes unter dem Deckmantel des Tarentismus weiterleb- 
ten. R. Robert (1901) stellte die Hypothese auf, daB der 
Tarentismus durch den BiB einer kleinen schwarzen 
Kugelspinne hervorgerufen werde (ital. malmignatto), 
deren verschiedene, nicht nur in Italien, Spanien und 
Griechenland, sondern auch in anderen subtropischen 
Regionen der Erde beheimateten Arten unter dem zoo- 
log ischenGattungsnamen La trodectusbeschrieben wer- 
den. Katner (1956) versuchte nachzuweisen, daB es sich 
beim Tarentismus urspriinglich um eine durch starke 
Warme-undSonneneinwirkunghervorgerufeneHitze- 
Hyperpyrexiehandelte, deren Symptome (starke Kopf-, 
Magen- und Gliederschmerzen, Erbrechen, Schwindel- 
anf alle, Angstzustande usw.) mit denen einer Latrodec- 
tus-Vergiftung fast vollig iibereinstimmen. Damit wa- 
ren die teilweise merkwiirdigcn Begleiterscheinungen 
des Tarentismus, von Schneider (1948; vgl. auch MGG 
XIII, Artikel T.) als »rituelle Verhaltensweisen« gedeu- 
tet, die iiberlieferte Krankheitsursache (SpinnenbiB) 
und die, womoglich auf der antiken Tradition des Ko- 
rybantiasmus (-»■ Musiktherapie) beruhende Therapie 



940 



Technik 



durch Heiltanze in einen logischen Zusammenhang ge- 
bracht. Eine 1959 durchgefiihrte wissenschaftliche Ex- 
pedition konnte neue wertvolle Beobachtungen iiber 
die heutigen Erscheinungsformen des Tarentismus in 
Apulien sammeln (vgl. E. de Martino 1961). 
Die als Volkstanz vor allem in der Gegend von Neapel 
von jungen Burschen oder Madchen einzeln (aber auch 
paarweise) in stilisierter Nachahmung der Tanze der 
Tarentierten mit groBer Ausdauer getanzte T. faszi- 
nierte seit demEnde des 18. Jh. zahlreiche Italienreisen- 
de, von Goethe (Fragmente eines Reisejoumals aus Italien) 
bis R.M.Rilke (Brief vom 11. 2. 1907 an seine Frau 
Clara). In der Kunstmusik dienten T.-Rhythmus und 
die charakteristische Mollmelodik seit CM. v. Weber 
(La T., Finale der Klaviersonate E moll op. 70, 1822) 
haufig zur Obermittlung siiditalienischen Lokalkolo- 
rits, vor allem in der Programmusik, in der Oper und 
im Ballett. Auch in der neueren Unterhaltungsmusik 
erfreiit sich die T. groBer Beliebtheit. 
Lit. : A. Kircher SJ, Magnes sive de arte magnetica, Rom 
1641, 21654 (Notenbeisp. daraus in: H. Mendel, Mus. 
Conversations-Lexikon, Bd X, hrsg. v. A. ReiBmann, Bin 
1 878, Artikel T.) ; ders., Musurgia universalis, 2 Bde, Rom 
1650, 2 1690; ders., Phonurgia nova, Rom 1673, deutsch v. 
A. Cario als: Neue Hall- u. Thonkunst, Nordlingen 1684 
(Auszuge daraus bei W. Nagel, Etwas v. d. T., NMZ 
XXXVI, 1915); St. Storace, A Genuine Letter from an 
Ital. Gentleman, Concerning the Bite of the Tarantula, 
Gentleman's Magazine XXIII, London 1753, deutsch als: 
Ein achter Brief. . .,HamburgischesMagazinXIII,1754;R. 
Kobert, Beitr. zur Erkenntnis d. Giftspinnen, Hbg 1901 ; 
A. Martino, Gesch. d. Tanzkrankheit in Deutschland, 
Zs. d. Ver. f. Volkskunde Bin XXIV, 1914; H. E. Sigerist, 
Civilisation and Disease, Ithaca (N. Y.) 1945, deutsch als: 
Krankheit u. Zivilisation, Ffm. 1952; ders., The Story of 
Tarantism, in: D. Schullian u. M. Schoen, Music and Me- 
dicine, NY 1948 ; P. Nettl, The Story of Dance Music, NY 
(1947),deutschals:Tanzu.Tanzmusik, = Herder-Bucherei 
CXXVI, Freiburg i. Br. (1962); M. Schneider, La danza 
de espadas y la tarantela, Barcelona 1948, vgl. ML XXX, 
1949; W. Katner, Musik u. Medizin im Zeitalter d. Ba- 
rock, Wiss. Zs. d. Karl Marx-Univ. Lpz., Mathematisch- 
naturwiss. Reihe II, 1952/53 ; ders., Das Ratsel d. Taren- 
tismus, = NovaActaLeopoldina,N.F.XVIII,Nrl24,Lpz. 
1956 (dort weitere Lit.); V. Vitelli, La »T.« in Campania, 
Lares XXIV, 1958; D. Carpitella, Documenti coreutici- 
mus. sul tarantismo, in: VI e Congres international des 
Sciences anthropologiques, Paris 1960; ders., L'esorcismo 
coreutico-mus. del tarantismb, in : E. de Martino, La terra 
del rimorso, Rom 1961, vgl. Antaios III, 1962; R. Penna, 
La t. Napoletana - Storia e leggende, Neapel 1963. 

T$rogat6, eine Schalmei der ungarischen Volksmu- 
sik mit konischem Corpus. An dieses alte Instrument 
kniipfte W.J. Schunda mit seinem kurz vor 1900 er- 
fundenen Holzsaxophon T. an, das in Budapest an der 
Oper und am Konservatorium eingefiihrt wurde. Auf 
ihm wird oft die Hirtenweise im 3. Akt von Wagners 
Tristan und Isolde gespielt. J. StrauB schrieb in der Ou- 
verture zum Zigeunerbaron ein Solo fur T. 

Tasteninstrumente -*■ Klavier. 

Tastier a (ital.), das -> Griffbrett der Streichinstru- 
mente. 

Tasto solo (ital., Abk. : T. S. oder t. s.), im General- 
baB die Anweisung, die BaBnoten allein zu spielen, 
d. h., keinen Akkord zu greifen. -»■ Null (- 1). 

Technik. - 1) Im griechischen Altertum bezeichnet 
t&Xyr) im weiteren SinnejedehandwerklicheTatigkeit, 
z. B. die Kunst des Schmiedes, Schiffsbauers, Arztes, im 
engeren Sinne seit den Sophisten (Protagoras, 5. Jh. v. 
Chr.) eine zwischen praktischer Erfahrung (4ujreip£a) 
und Grundwissenschaft (Itcktt^u.t)) stehende Art der 
Lehre, die ein bestimmtes, abgegrenztes Gebiet behan- 



delt. Die t^/vyj vermittelt in der Regel ein fur Beruf 
(oder Wettkampf) notwendiges Fachwissen und stent 
daher dem Range nach unter den theoretischen Wis- 
senschaften, deren Erkenntnis nicht zweckgebunden 
ist. Spater wurden die auf einen praktischen Beruf vor- 
bereitenden rt/ya.1 (artes mechanicae, wozu auch Bild- 
hauerei und Architektur gehorten) von den Fachern der 
lyxiixXtoi; toxiSsioc (artes liberales) unterschieden, die 
der Allgemeinbildung des freien Burgers dienten und 
besonders auf das Studium der Philosophie vorbereiten 
sollten (->• Ars musica). Unter den Lehrbiichern der 
antiken Griechischen Musik ist jedoch nur die Schrif t 
des Bakcheios als Elaaywyfj xtyyr\q ftovoixfjg bezeich- 
net. Der Zusammenhang von wissenschaf tlich begriin- 
deter Lehre und Praxis lebt im Gebrauch des lateini- 
schen Wortes ars wie auch im alteren Begriff von Kunst 
fort, wofiir noch J.Theiles Musicalisches Kunstbuch und 
J. S.Bachs Kunst der Fuge zeugen. Erst im 18. Jh. wan- 
delte sich der Begriff der Kunst unter dem EinfluB der 
neu entstandenen Asthetik und trat in einen gewissen 
Gegensatz zum HandwerksmaBigen der Praxis; fur 
letzteres wurde nunmehr das Wort T. (nach frz. tech- 
nique) iibernommen. - 2) In der Musiklehre des 19./20. 
Jh. ist T. (frz. mecanisme) wieder das HandwerksmaBi- 
ge der Kunst: dasjenige, was gelernt werden kann und 
muB. In diesem Sinne gibt es neben der »Kompositions- 
T.« vor allem eine T. der Ausfiihrung, z. B. eine Dop- 
pelgriff- und Oktaven-T. im Klavierspiel, eine Schlag- 
T. im Dirigieren, eine T. der rechten und der linken 
Hand bei den Streichinstrumenten. Das am Ende des 
18. Jh. aufkommende Virtuosentum forderte eine jah- 
relange planmaBige Ausbildung der T. Die Elemente, 
aus denen sich Passagen, Phrasen usw. zusammensetzen, 
werden in technischen (zum Teil rein mechanischen) 
Studien geiibt (fiir das Hammerklavier seit L.Adam 
1802; ein mitunter noch heute geschatztes progressives 
Ubungswerk dieser Richtung ist Ch. L. Hanons Le pia- 
niste-virtuose). Technische Ubungen mit - wenn auch 
oft nur geringem - kompositorischem Anspruch ver- 
bindet die -»■ Etiide. Die Isolierung des Technischen hat 
ihren Hohepunkt heute zwar iiberschritten, sie klingt 
jedoch nach u. a. in der getrennten Punktwertung bei 
Musikwettbewerben fiir die technische Ausfiihrung 
neben der fiir andere Kategorien (wie Vortrag) . 
- 3) Im 19. Jh. befruchtete der Aufschwung der T. auch 
den Instrumentenbau in ungeahntem MaBe. Von beson- 
derer Bedeutung fiir die musikalische Praxis waren we- 
niger die zahlreichen neu erfundenen Instrumente, als 
vielmehr die an den vorhandenen Instrumenten ange- 
brachten technischen Verbesserungen und Spielhilfen, 
z. B. die Ventile der Blechblasinstrumente, das Klap- 
pensystem der Holzblasinstrumente, die Pedale der Har- 
fe und der Maschinenpauke, der Eisenrahmen des Pia- 
nofortes. Einschneidend war der EinfluB der T. auch auf 
den Klang der Streichinstrumente, vor allem der Violi- 
ne durch die Einfuhrung der Stahlsaiten. Vielschich- 
tig sind die Probleme, die durch die Anwendung der 
modernen T. auf die -» Orgel entstanden. Die durch 
die T. bewirkte Ausbreitung und Perfektionierung 
der (schon im 14. Jh. bekannten) -»■ Mechanischen Mu- 
sikwerke wurde im 20. Jh. abgelost durch die Entwick- 
lung der -»- Schallplatte und der elektroakustischen Ton- 
aufnahme und -wiedergabe (-> Rundf unk -2,-*- Ver- 
starker, -»■ Schallwandler), die tief in das soziologische 
Gefiige des Musiklebens eingegriffen haben. Der mo- 
derne -> Schlager ist nur durch diese technischen Ver- 
breitungsmoglichkeiten denkbar (-* Music box). Das 
Bestreben, die elektroakustische T. direkt fiir die Ton- 
erzeugung einzusetzen, fiihrte zur Erfindung der 
-> Elektrophone (von denen heute die elektrisch ver- 
starkte ->• Gitarre am weitesten verbreitet ist) und zu 



941 



Tech 

den Versuchen, die Musik selbst als ->- Elektronische 
Musik und als -> Musique concrete auf elektroakusti- 
schem Wege herzustellen. - Seit dem 19. Jh. werden 
Vorstellungen und Vorgange aus dem Bereich der T. 
musikalisch relevant, wie schon in den -> Perpetuum 
mobile genannten Stiicken, vor allem aber in den Ge- 
rauschexperimenten des -»• Futurismus und den durch 
-*- Mechanische Musik, Motorik und Konstruktivis- 
mus beeinfluBten Kompositionen von Hindemith (Suite 
i>1922k der Ragtime ist zu spielen »wie eine Maschine«), 
Honegger {Pacific 231, 1923), Antheil {Ballet mkanique, 
1925), Villa-Lobos {The New York Skyline, 1940, gra- 
phisch nach Fotos komponiert) . 

Lit.: zu 1): R. Schaerer, 'Eitiaxfiuti etx£xvr|. Etude surles 
notions de connaissance et d'art d'Homere a Platon, Macon 
1930 ; M. Timpanaro Cardini, Ouaic, e xexvi in Aristotele, 
in: Studi di filosofia greca, Fs. R. Mondolfo, = Bibl. di 
culture moderna Bd 472, Bari 1950; F. Heinimann, Eine 
vorplatonische Theorie d. x£%vr|, Museum Helveticum 
XVIII, 1961 ; Kl. Bartels, Der BegriffTechne bei Aristo- 
teles, in: Synusia, Fs. W. Schadewaldt, (Pfullingen) 1965. 
- zu 3): H. Matzke, Grundziige einer mus. Technologie, 
Breslau 1931 ; ders., Unser technisches Wissen v. d. Mu- 
sik, Lindau (1949), Wien P1950); ders., Uber Wesen u. 
Aufgabe d. mus. Technologie, AfMw XI, 1954; Vortrags- 
reihe »Die Kiinste im technischen Zeitalter«, hrsg. v. d. 
Bayerischen Akad. d. Schonen Kiinste, Oldenburg u. Mun- 
chen 1954; Fr. K. Prieberg, Musik d. technischen Zeital- 
ters, Zurich u. Freiburg i. Br. 1956; ders., Musica ex ma- 
china, Bin, Ffm. u. Wien (1960); W. Schadewaldt, Na- 
tur-T. -Kunst, Gottingen, Blnu. Ffm. (1960); W. Wiora, 
Die vier Weltalter d. Musik, = Urban-Bucher LVI, Stutt- 
gart (1961). 

Tecla (span., Taste) 
Klaviermusik. 



Klaviatur; musica para t. ist 



Tedesco (ital.), Bezeichnungsfragment fiir ballo t., 
audi (danza) tedesca, ->• Deutscher Tanz. 

Te Deum (lat.) , der feierliche Lob-, Dank- und Bittge- 
sang der romischen Kirche, auch Ambrosianischer Lob- 
gesang genannt. Sein aus verschiedenen Teilen zusam- 
mengesetzter hymnenartiger Text, dessen Oberliefe- 
rung um 690 im Antiphonar von Bangor greifbar wird, 
beginnt mit einem Lobpreis Gott vaters durch die himm- 
lische und irdische Kirche (Vers 1-10: Te D. laudamus 
. . . confitetur Ecclesia). Inhalt und Aufbau dieses wohl 
altesten Abschnitts haben ihren Mittelpunkt in den Ver- 
sen 5-6 (symmetrische Anlage um das Sanctus . . . glo- 
riae tuae). Der Doxologie von Vers 11-13 {Pattern . . . 
Spiritum) schlieBt sich ein christologischer Teil an (Vers 
14-19: Tu Rex gloriae . . . esse venturus), worauf das 
Stuck mit einem Bittgebet (Vers 20-29: Te ergo . . . in 
aeternum) ausklingt, das groBtenteils den Psalmen ent- 
nommen ist (Vers 22-23= Psalm 27,9;24-25= 144,2; 
27 = 122, 3; 28 = 32, 22; 29 = 30, 2). Die Frage, ob 
Nicetas von Remesiana (f 441) als Autor des urspriing- 
lichen Textes gelten darf , bleibt diskutiert. - Nach dem 
Zeugnis einiger Klosterregeln (Caesarius und Aurelia- 
nus von Aries, Benedictus von Nursia) war das Te D. 
bereits wahrend der 1 . Halfte des 6. Jh. in Siidfrankreich 
und Italien verbreitet, wo es - zum Teil einer schon be- 
stehenden alteren Tradition f olgend - als AbschluB des 
monastischen Nachtoffiziums gesungen wurde. Aus 
diesen friihen Ansatzen entwickelte es sich allmahlich 
zu einem festen Bestandteil der monastischen und ro- 
mischen -*■ Matutin. Auch erklingt es seit altersher zur 
feierlichen Danksagung nach der Messe, Bischofs- und 
Abtweihe, bei der Fronleichnams-, Dank- und Reli- 
quienprozession und anderen f estlichen Gelegenheiten. 
- Die 1st. Singweise des Te D. ist weitgehend charak- 
terisiert durch den Gebrauch einer zweiteiligen psal- 
modischen Rezitationsformel altester Herkunft (vgl. 
dazu u. a. den Einleitungsdialog der Prafation und das 



Gloria in excelsis Deo der Messe XV). In der Fassung 
des Tonus solemnis der Vatikanischen Choralausgaben 
geht dem Nachsatz mit Tenor a und Finalis g bzw. e 
ein hoher beginnender und kadenzierender Vordersatz 
voraus, der bis Vers 14 {Tu Rex gloriae, Christe) ohne 
Rezitationston verlauft und sodann den Tenor des 
Nachsatzes aufgreift, wogegen der Tonus simplex bei 
fast vollstandig fehlender Initienbildung regelmaBig 
mit 2 verschiedenen Tenores arbeitet (c 1 und a). In bei- 
den Fassungen heben sich deutlich die antiphonisch ge- 
stalteten Melodiezeilen von Vers 21-23 {Aeternafac . . . 
usque in aeternum) und 29 {In te Domine . . . ) ab. Zur 
Friihgeschichte der Melodie und ihrer Oberlieferung 
in den mittelalterlichen Quellen (hier auf d, e und a 
notiert) werden in der Musica Enchiriadis und bei Guido 
von Arezzo erste wertvolle Anhaltspunkte geboten 
(Melodiezitat von Vers 15 : Tu Patris sempiternus es Fi- 
lms; vgl. GS 1, 163ff. und II, 47b). - Bereits im 9. Jh. in 
deutscher Obersetzung nachweisbar, drang das (vul- 
garsprachliche) Te D. auch zunehmend in den liturgi- 
schen Umkreis des Volkes ein. Seit dem 16. Jh. gehort 
es zum Gemeingut der katholischen und evangelischen 
Gesangbiicher. - Innerhalb der mehrstimmigen Musik 
des 15. und 16. Jh. bildet das Te D. eine Sonderform 
der Motette, die in ihren musikalischen Komponenten 
wesentlich an der Choralvorlage orientiert ist (vgl. die 
Stiicke von Binchois, C.Festa und Lassus, aus der friih- 
protestantischen Kirchenmusik das Te D. von J. Wal- 
ter). Die weitere Entwicklung fiihrte uber glanz voile 
Vertonungen im Stil von Festmotetten, Messen, Kan- 
taten und Oratorien zu den groBen symphonischen Te 
D.-Kompositionen des 19. Jh. (Berlioz, Liszt, Verdi, 
Bruckner, Dvorak). 

Lit.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in sei- 
nen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck 
Hildesheim 1962; J. Pothier OSB, Les melodies grego- 
riennes, Tournai 31890; P. Wagner, Das Te D., Grego- 
rianische Rundschau VI, 1907; ders., Einfuhrung in d. 
Gregorianischen Melodien III, Lpz. 1921, Nachdruck Hil- 
desheim u. Wiesbaden 1962; J. Pascher, Das Stundenge- 
bet d. romischen Kirche, Miinchen (1954); E. Kahler, 
Studien zum Te D. u. zur Gesch. d. 24. Psalms in d. Alten 
Kirche, = Verdff. d. Ev. Ges. f . Liedforschung X, Gottin- 
gen (1958), vgl. dazu J. A. Jungmann SJ in: Zs. f. kath. 
Theologie LXXXI, 1959; P. Rad6 OSB, Enchiridion Li- 
turgicum, 2 Bde, Rom, Freiburg i. Br. u. Barcelona 1961, 
2 1966; W. Kirsch, Grundziige d. Te D.-Vertonungen im 
15. u. 16. Jh., Kgr.-Ber. Kassel 1962; ders., Varianten u. 
Fragmente d. liturgischen Te D.-Textes in d. mehrst. Kom- 
posiuonend.l5.u.l6.Jh.,KmJbXLVIII,1964;H.OsTHOFF, 
Das TeD. d. Arnold v. Brack, Fs. Fr. Blume, Kassel 1963. 

Tegernsee (Oberbayern), Benediktinerabtei, gegr. 

736. 

Lit. : V. Redlich, T. u. d. deutsche Geistesgesch. im 1 5. Jh., 

Miinchen 1931; H. Schmid, Die musiktheoretischen Hss. 

d. Benediktiner-Abtei T., Diss. Miinchen 1951, maschr.; 

Br. Stablein, Die T.r mensurale Choralschrift aus d. 15. 

Jh., Kgr.-Ber. Utrecht 1952. 

Teiltone, Partialtone. Im allgemeinen besteht ein 
als -> Ton wahrnehmbarer Schwingungsvorgang nicht 
aus einfachen ->• Sinusschwingungen; z. B. schwingt 
eine Saite nicht nur als Ganzes, sondem gleichzeitig 
auch in ihren aliquoten Teilen (1/2, V3, V4 • • • <^ er Sai- 
tenlange). Diese Teilschwingungen - auch die Schwin- 
gung der Saite als Ganzes ist als Teil des Schwingungs- 
vorgangs anzusehen - konnen als T. (Partialtone) ge- 
hort werden. Der 1. Teilton ist der Grundton; der 2. 
Teuton (auch Teilton 2. Ordnung) bildet die Oktave 
zum Grundton und ist der 1. Oberton, usw. Die den 
ganzzahligen Obertonen der Obertonreihe (auch Ali- 
quottone, Aliquoten) entsprechenden Teilschwingun- 
gen werden auch als Harmonische der Grundschwin- 



942 



Temperatur 



gung bezeichnet; Teilschwingungen, deren Schwin- 
gungszahlen nicht ganzzahlige Vielfache der Schwin- 
gungszah] der Grundschwingung sind, heiBen Unhar- 
monische (-> Gerausch;-*- Glocke). Partialtonreihe und 
Naturtonreihe (-> Intervall-Tabelle) stimmen in ihren 
zahlenmaBigen Relational zum Grundton iiberein, doch 
sind die durch -*■ Uberblasen hervorgebrachten -»■ Na- 
turtone ebenso wie die auf Saiteninstrumenten darstell- 
baren Flageolettone (-> Flageolett - 3) von den T.n zu 
unterscheiden, die stets nur als Teil eines Tones (Klan- 
ges) wahrgenommen werden konnen. 
Der Terminus T. wird, obwohl er allein Darstellungen 
psychologischer Vorgange der Wahrnehmung vorbe- 
halten bleiben sollte, oft fiir den Begriff Teilschwin- 
gungen eingesetzt und fiir Darstellungen im physika- 
lisch-akustischen Bereich verwendet; jedoch werden 
mit dem Begriff -> Schwingungen die physikalischen 
Ablaufe hinreichend umschrieben. - Die graphische 
Darstellung der einen Schwingungsablauf konstituie- 
renden Teilschwingungen heifk -» Frequenzspektrum ; 
die Teilschwingungen werden durch -*■ Frequenzana- 
lyse ermittelt. Fiir die ->' Klangfarbe (- 2) sind nicht 
(wie H. v.Helmholtz vermutete) Teilschwingungen 
einer bestimmten Ordnungszahl entscheidend, sondern 
fiir jedes Instrument und fiir jede Stimme charakte- 
ristische Frequenzbereiche, in denen die Teilschwin- 
gungen durch -> Resonanz besonders intensiv ver- 
starkt werden (-»■ Formant). Das Frequenzspektrum 
der gedeckten Orgelpfeife (-»■ Gedackt) ist dadurch 
gekennzeichnet, daB ihm die geradzahligen Teilschwin- 
gungen fehlen (z. B. -> Quintaden) ; der Gesamtklang 
der Orgel wird, um ihn obertonreicher zu gestalten, 
durch die selbstandig im Obertonabstand zu den 
Grundtonen erklingenden Pfeifen der ->■ Aliquotstim- 
men und -*■ Gemischten Stimmen modifiziert. - Der 
Tonhoheneindruck ist nicht immer vom Vorhanden- 
sein der Grundschwingung abhangig, sondern kann 
unter bestimmten Umstanden durch Teilschwingun- 
gen hoherer Ordnung auf rechterhalten werden (-»■ Re- 
sidual tonhohe) . Fallen Teilschwingungen zweier simul- 
taner Schwingungsvorgange zusammen, so tritt -*■ Ver- 
schmelzung ein. Die ->■ Naturklangtheorie betrachtete 
die Partialtonreihe als das naturgegebene Vorbild der 
musikalischen Tonbeziehungen (-> Harmonie). Auch 
den Molldreiklang hat man unter dem Aspekt der 
Partialtonreihe zu betrachten versucht (->• Moll). 

Telemarms Bogen 5 bezeichnet im GeneralbaB die 
Verdoppelung des BaBtons eines verminderten Drei- 
klangs anstelle der Hinzufiigung der Sexte. Das Zei- 
chen 5 ist da angebracht, wo die BaBfort- -ft 
schreitung den verminderten Dreiklang zum ^^ 
verminderten Septimenakkord erganzt. Die 
Erklarung findet sich im Avertissement von 5 
G.Ph.Telemanns Nouveaux Quatuors en 6 suites . . ., 
Paris (1738). 

Tempelblocke (engl. Chinese oder korean temple 
blocks) sind waagerecht an einer Stange bef estigte hoh- 
le, abgeflachte Holzkugeln verschiedener GroBe, die 
mit einem Schlitz versehen sind. Der Anschlag erfolgt 
mit Holz- oder Filzschlageln, die Tonhohe ist annahernd 
bestimmbar, der Klang voller und kraftiger als der des 
->■ Holzblocks. Gewohnlich werden aus dem gesamten 
mit diesen Instrumenten verfiigbaren Tonumfang 
(etwa f-f 2 ) nur 4-7 T. in der jeweils gewiinschten, meist 
pentatonischen Tonfolge zusammengestellt; die No- 
tierung erfolgt im Liniensystem ohne Schliissel. T. sind 
im Gegensatz zum Holzblock im Orchesterschlagzeug 
nicht so sehr heimisch geworden, wahrend sie in der 
Tanz- und Unterhaltungsmusik seit den 1920er Jahren 
vielfaltige Verwendung finden. 



Temperatur (lat. systema participatum; ital. siste- 
ma participato; engl. temperament; frz. temperament) 
wird die Regelung der fiir die musikalische Praxis un- 
vermeidlichen Abweichungen von der akustischen 
Reinheit der Intervalle genannt. MaBintervalle des 
Tonsy stems sind die Oktave (1:2), die Quinte (2:3) 
und die groBe und kleine Terz (4:5 und 5:6). Manche 
der Differenzen aber, die zwischen Summen verschie- 
dener MaBintervalle bestehen, sind als musikalische In- 
tervalle unbrauchbar: die zwolfte Quinte ist um das 
pythagoreischeKomma (531441:524288 = 23,5 Cent; 
-*■ Komma - 1) hoher als die siebte Oktave, die vierte 
Quinte um das syntonischeKomma (80:81 = 21 ,5 Cent) 
hoher als die zweite Oktave der groBen Terz, die dritte 
groBe Terz um die kleine Diesis (125 : 128 = 41,1 Cent) 
niedriger als die Oktave, die vierte kleine Terz um die 
groBe Diesis (625 : 648 = 62,6 Cent) hoher als die Ok- 
tave. Die Differenzen sind musikalisch nicht von glei- 
cher Relevanz. Zwischen z. B. gis und as - der Abstand 
erscheint in pythagoreischer Stimmung als Komma, in 
-*■ Reiner Stimmung als Diesis - besteht ein Unterschied 
der Tonbedeutungen, wahrend das syntonische Kom- 
ma, die Differenz zwischen dem groBen und dem klei- 
nen Ganzton (8 : 9 und 9:10), musikalisch nichts besagt. 
- Die zwolfstufige gleichschwebende T. teilt die Ok- 

12 

tave nach der Formel Y2 in zwolf gleiche Halbtone 
und gewinnt damit Mittelwerte, welche kein Intervall wirk- 
lich rein, aber alle leidlich brauchbar intonieren. Die Terzen 
der gleichschwebenden T. sindfreilich alle um 2 J3 Komma 
zu groji; doch vertragt die Terz eine groftere Verstimmung 
als die Quinte (H.Riemann). Eine annahernd gleich- 
schwebende T. beschrieb G.M.Lanfranco (1533). V. 
Galilei (1581) legte dem Halbton die Proportion 17: 18 
(= 99 Cent) zugrunde. Als Lautenstimmung scheint 
die gleichschwebende T. seit dem 16. Jh. iiblich gewe- 
sen zu sein (N. Vicentino 1555) ; fiir Tasteninstrumente 
setzte sie sich erst im 18. Jh. allmahlich durch. - Die 
Bedeutung A. Werckmeisters ist seit J. Mattheson (Cri- 
tica musica II, 1725, 162) iiberschatzt worden; einerseits 
war Werckmeister nicht der »Erfinder« der gleich- 
schwebenden T., und andererseits schwankte er, ob die 
gleichschwebende oder die mitteltonige T. den Vorzug 
verdiene. DaB Bach mit dem Titel Das wohltemperirte 
Clavier die gleichschwebende T. meinte, ist wahrschein- 
lich, aber nicht sicher. - In der mitteltonigen T., deren 
Name besagt, daB die Differenz zwischen groBem und 
kleinem Ganzton ausgeglichen ist, werden die groBen 
Terzen der Skala c cis d es e f f is g gis a b h harmonisch- 
rein gestimmt. Das syntonische Komma, der OberschuB 
von vier Quinten iiber die zweite Oktave der groBen 
Terz, wird iiber die Quinten verteilt, so daB jede Quin- 
te um 1/4 Komma zu klein ist (P.Aaron 1523). Das In- 
tervall gis-es ist als (zu groBe) Quinte kaum brauchbar 
(»Wolfsquinte«). Wird start der groBen die kleine Terz, 
die drei Quintschritte einschlieBt, harmonisch-rein ge- 
stimmt, so mussen die Quinten um 1/3 des syntonischen 
Kommas vermindert werden (Fr. Salinas 1577). Um 
die »Wolfsquinte« zu mildern, wahlte A. Schlick (1511) 
fiir die gis/as-Taste der Orgel einen Mittelwert zwi- 
schen gis und as. M.Mersenne (1648) verteilte den 
OberschuB der »Wolf squinte« auf die Quinten gis/as-es, 
es-b und b-f. J.Ph.Kirnberger (1779) mischte pytha- 
goreische mit harmonisch-reinen Intervallbestimmun- 
gen, Dennoch sind in der mitteltonigen T. die entfern- 
teren j|- und !>-Tonarten stets durch auffallige Unrein- 
heiten getriibt; manche Theoretiker verstanden aller- 
dings die akustischen Mangel als Charaktermerkmale 
der Tonarten (J. G. Neidhardt 1732). Soil die Trubung 
vermieden, die Reine Stimmung der (groBen oder klei- 
nen) Terzen aber nicht preisgegeben werden, so ist eine 



943 



Tempo 



Erweiterung der Stufen-, also der Tastenanzahl unver- 
meidlich. Aus der mitteltbnigen T. mit reinen groBen 
Terzen geht das 31stufige System hervor (N. Vicentino 
1555), aus der T. mit reinen kleinen Terzen das 19stufige 
System (G.Costeley urn 1558; Fr.Salinas 1577). Die 
Diesis, die Differenz zwischen gis und as, ist im 31stu- 
figen System ein Fiinftelton, im 19stufigen System ein 
Drittelton. (Die Stufenanzahl, 31 oder 19, ergibt sich 
als Summe von sechs Ganztonen und einer Diesis.) Das 
53stufige System (N.Mercator; nach W. Holder 1694) 
setzt die pythagoreische Stimmung voraus, in der ein 
Ganzton ungefahr neun und ein diatonischer Halbton 
vier Kommata umfaBt, so dafi 53 Stufen (fiinfmal 9 + 
zweimal 4) einen Zirkel bilden. 

Lit. : Fr. W. Marpurg, Versuch fiber d. mus. T., Breslau 
1776; M. W. Drobisch, Uber mus. Tonbestimmung u. T., 
Dresden 1 855 ; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonemp- 
findungen . . . , Braunschweig 1863, 6 1913, Nachdruck Hil- 
desheim 1967; Sh. Tanaka, Studien im Gebiete d. reinen 
Stimmung, VfMw VI, 1890; P. v. Janko, Uber mehr als 
zwolfstufige gleichschwebende T., Beitr. zur Akustik u. 
Mw. Ill, 1901 ; O. Kinkeldey, Org. u. Kl. in d. Musik d. 
16. Jh., Lpz. 1910; Riemann MTh; J. Handschin, t)ber 
reine Harmonie u. temperierte Tonleitern, S JbMw 11,1 927; 
J. Schmidt-G6rg, Die Mitteltont., Habil.-Schrift Bonn 
1930, maschr. ; W. Dupont, Gesch. d. mus. T., Kassel 
1935; J. M. Barbour, Bach and the Art of Temperament, 
MQ XXXIII, 1947; ders., Irregular Systems of Tempera- 
ment, JAMS 1, 1948; ders., Tuning and Temperament, East 
Lansing(Mich.) 1951, 21953; A. D.Fokker, Just Intonation, 
Den Haag 1949 ; ders., Neue Musik mit 3 1 Tonen, Dfissel- 
dorf 1966; H. H. Drager, Zur mitteltonigen u. gleich- 
schwebenden T, Ber. fiber d. wiss. Bachtagung Lpz. . . . 
1950; M. Vogel, Die Zahl Sieben in d. spekulativen Musik- 
theorie, Diss. Bonn 1955, maschr. ; ders., Zur mus. T., Mu- 
sica XV, 1961 ; M. Kolinski, A New Equidistant 12-Tone 
Temperament, JAMS XII, 1959; H. Kelletat, Zur mus. 
T., insbesondere bei J. S. Bach, Kassel 1960; St. Walin, 
Zur Frage d. Stimmung v. d. Buxtehude-Org. , STMf XLIV, 
1962. CD 

Tempo (ital., Zeit), die absolute Dauer der Noten- 
werte. Da die Noten der heutigen Notenschrift rhyth- 
mische Wertverhaltnisse darstellen, bedarf es zur Be- 
stimmung ihrer Dauer zusatzlich einer T.-Bezeich- 
nung. Die hierfiir seit dem 17. Jh. verwendeten, vor- 
wiegend italienischen Termini lassen dem Ausfiihren- 
den weiten Spielraum; zur Prazisierung der T.-Vor- 
schrift kann eine Metronombezeichnung oder die An- 
gabe der Uhrzeit fiir die gesamte Dauer eines Stiickes 
hinzutreten. MaBeinheit des T.s ist die Zahlzeit oder 
(beimDirigieren) die Schlagzeit; die Grenzen, innerhalb 
derer das T. der Zahlzeiten variieren kann, liegen er- 
fahrungsgemaB zwischen etwa 40 und 130 pro Minute, 
als Mittelwert gilt 72-80 pro Minute (T. giusto, T. 
ordinario). - In der 1st. Musik vor 1600 und in der 
fruhesten Mehrstimmigkeit sind T. und T.-Modifika- 
tionen im allgemeinen nicht festgelegt; gelegentliche 
Hinweise begriinden die Vorschrift eines bestimmten 
T.s mit dem Text oder der Gattung eines Liedes, im li- 
turgischen Gesang auch mit dem Festgrad. Fiir das Or- 
ganum des 9.-11. Jh. wird langsame Ausfiihrung (mo- 
desta morositate) vorgeschrieben (Kolner Organum- 
traktat, vgl. Herrmann-Bengen, S. 16f.), fiir den Ho- 
quetus urn 1300 stellt J. de Grocheo schnelles T. fest (ed. 
Rohloff, S. 57). Die Mensuraltheorie bildete bis ins 16. 
Jh. keine T.-Lehre aus. Vielmehr wurden die Noten 
auch als Zeichen der Tondauer aufgefafit, so daB 
schnellere oder langsamere Bewegung durch kleinere 
oder groBere Notenwerte vorgeschrieben werden 
konnte und die Theorie sich mit allgemeinen Defini- 
tionen der Tondauer begniigte. So erklart z. B. Franco 
von Koln, der die Brevis mit einem »tempus« gleich- 
setzt: Unum tempus appelatur Mud, quod est minimum in 



plenitudine vocis (ed. Cserba, S. 236). Die T.-Bestim- 
mung wurde demnach nicht als notwendiger Bestand- 
teil der kompositorischen Arbeit betrachtet, sondern 
blieb dem Ausfiihrenden iiberlassen. DaB dabei in der 
Praxis betrachtliche Unterschiede moglich waren, ist 
gewiB, was vor allem der allmahliche Ubergang zu 
immer kleineren Notenwerten als Zahlzeit beweist: 
Longa in der Notre-Dame-Musik urn 1200, Brevis bei 
Petrus de Cruce und Ph. de Vitry um 1300, Semibrevis 
bei G. de Machaut im 14. Jh. sowie bis ins 15. Jh., Mi- 
nima im 16. Jh. Diese Beobachtung legt den SchluB 
nahe, daB es immer wieder eine Tendenz zur Verbrei- 
terung des T.s gab und daB diese Tendenz besonders 
die jeweils »alte« Musik betraf . In diesen Zusammen- 
hang sind einige Notizen iiber das T. einzuordnen, die 
um 1300 der Diskussion iiber Ars antiqua und Ars nova 
angehoren; z. B. besagt eine Stelle des Petrus le Viser 
(CS I, 388b-389a) vermutlich, daB altere Kompositio- 
nen, obgleich iiberwiegend in groBeren Notenwerten 
(mit hochstens 3 Semibreven statt einer Brevis) aufge- 
zeichnet als die Motetten in der Art des Petrus de Cruce, 
doch nicht langsamer auszufiihren seien, die Differenz 
vielmehr durch die Wahl eines schnelleren T.s aufgeho- 
ben werden sollte (dagegen vgl. Gullo, S. 22ff.). 
Der moderne T.-Begriff entstand im 16. und 17. Jh. 
Grundlegend war die Erkenntnis, daB die verschiede- 
nen Tempi nicht in zahlenmaBiger Relation zueinan- 
der stehen miissen (wie -»- integer valor notarum und 
-> Proportionen - 2 der Mensuralmusik), vielmehr ei- 
ne unendliche Zahl von T.-Nuancen zur Verfiigung 
steht. Die Erfahrung nicht meBbar abgestufter T.-Gra- 
de ist in der Musik des 16. Jh. allgemein zu beobachten : 
Die Mensuraltheorie verarbeitete sie in der Tactuslehre 
(vgl. Dahlhaus 1961 und 1964). Die zunehmend an 
kunstlerischer Bedeutung gewinnende Instrumental- 
musik brachte in den Tanzen Muster der verschiedenen 
Tempi und rechnete in den Stiicken mit Intonations- 
bzw. Praeludiumcharakter mit freien T.-Modifikatio- 
nen. Andererseits nahm sich die italienische Vokalmu- 
sik des 16. Jh. unter dem EinfluB des Humanismus die 
Pronuntiatio der Rhetorik zum Vorbild (vgl. Gallo, S. 
42f.) und legitimierte damit die T.-Modifikationen als 
Ausdrucksmittel, das in der -y Monodie um 1600 zur 
Grundlage der neuen Vortragskunst wurde: qual va 
cantato a t. dell'qffetto del anima, e non a quelle* de la mano 
(CI. Monteverdi, Vorrede zum VIII. Madrigalbuch, 
1638). 

In der Musik des 17.-20. Jh. ist das T. ein wichtiger Be- 
standteil der kompositorischen Erfindung, vor allem 
auch ein Mittel zur Gliederung zyklischer Formen wie 
der Symphonie und Sonate. Im 17. Jh. wurden noch vor- 
wiegend langsames und schnelles T. durch Notierung 
in groBeren und kleineren Notenwerten unterschieden; 
z. B. erschienen Frescobaldis Canzoni da sonar 1628 
ohne, 1634 mit T.-Bezeichnungen; dennoch sind MiB- 
griffe nach der ersten Ausgabe kaum moglich, da T.- 
Wechsel durch Wechsel der Notenwerte angezeigt 
wird. Dagegen werden seit dem 18. Jh. auch schnelle 
Satze in groBen, langsame Satze in kleinen Noten- 
werten aufgezeichnet (z. B. Beethoven, Klaviersonate 
D dur op. 10 Nr 3, 1. Satz, Presto: J = Zahlzeit, 
J) — schnellster Notenwert; 2. Satz, Largo e mesto: 
J. = Zahlzeit, J^ = schnellster Notenwert) ; durch die- 
se Notierungsweise wird der je verschiedene Grad der 
Unterteilung der Zahlzeiten sichtbar (in obigem Bei- 
spiel: 1. Satz J) = 1/4 der Zahlzeit; 2. Satz J) = V24 
der Zahlzeit). Die wichtigsten T.-Bezeichnungen sind 
im friihen 17. Jh. entstanden; genannt seien in der 
Reihenfolge des fruhesten Nachweises (vgl. Herrmann- 
Bengen, Tabelle I) : -> Allegro (1596), -> Largo (1601), 
-> Adagio (1610), -> Presto (1611), -> Grave (1611), 



944 



Tempo rubato 



-» Lento (1619); dazu kamen in spaterer Zeit u. a. 
-» Andante (1687), -> Allegretto (18. Jh.) und ->■ An- 
dantino (18. Jh.). Die Zuordnung dieser Bezeichnun- 
gen zu bestimmten T.-Graden ist nicht immer gleich- 
bleibend; z. B. ist Largo entweder schneller (so bei 
Handel) oder langsamer (so allgemein seit dem spate- 
ren 18. Jh.) als Adagio. Nach mehreren Versuchen, die 
sich nicht allgemein durchsetzen konnten, entstand 
1816 mit Malzels -> Metronom ein bis heute anerkann- 
tes Hilfsmittel zur genaueren Festlegung des T.s. Sein 
Wert darf jedoch nicht iiberschatzt werden. Denn das 
Kriterium fiir richtiges T. liegt nicht in der zahlen- 
maBig bestimmbaren Geschwindigkeit, sondern darin, 
daB das gewahlte T. zu einer sinnvollen Interpretation 
des Werkes beitragt. Hierbei sind erfahrungsgemaB 
groBe Unterschiede moglich, die sich aus den raumli- 
chen Gegebenheiten sowie vor allem aus der Person- 
lichkeit des Ausfiihrenden, seinem Temperament und 
Alter, seiner Zugehorigkeit zu einer bestimmten Schul- 
tradition ergeben konnen. Zu beachten ist auch, daB 
Komponisten bei der Auffiihrung eigener Werke oft 
ihre Metronomangaben nicht eingehalten haben und 
auch aus anderen Griinden die von einem Komponisten 
gegebenen Metronomangaben nicht immer als ver- 
bindlich gelten konnen. Ferner entspricht die Vorstel- 
lung eines durchgehend starr festgehaltenen T.s nicht 
der musikalischen Wirklichkeit. Vielmehr sind im Ver- 
lauf jedes Stiickes gewisse T.-Modifikationen notwen- 
dig (z. B. T.-Verbreiterung zur Vorbereitung eines 
Satz- oder Abschnittschlusses), und es entscheidet mit 
iiber den Rang einer Interpretation, ob der Ausfiihren- 
de solche T.-Modifikationen dem Ganzen nahtlos ein- 
zufiigen vermag. T.-Modifikationen waren im 17. und 
18. Jh. vorwiegend Kennzeichen bestimmter Stile und 
Formgattungen, wie des Stile rappresentativo, ver- 
wandter Instrumentalformen (-»■ Plainte - 2), der In- 
strumentalstiicke mit Praeludiumcharakter sowie im 
18. Jh. der freien Fantasie. Von hier aus fanden sie seit 
dem spaten 18. Jh. zunehmend Eingang auch in andere 
Formen, z. B. in den Sonatensatz (vgl. Beethoven, 
Klaviersonaten D moll op. 31 Nr 2, 1 . Satz, und C moll 
op. Ill, 1. Satz, wo sich T.-Modifikationen sogar in- 
nerhalb des 1. und 2. Themas finden). Andererseits 
wird die T.-Einheit eines Satzes durch Episoden in ab- 
weichendem T. aufgelost, ein Prinzip, das in Varia- 
tionszyklen und Rondos des 18. Jh. vorgebildet ist (vgl. 
Beethoven, Klaviersonate E dur op. 109, 1. Satz, Vivace, 
ma non troppo; hier folgt dem 1. Thema und seiner 
Wiederkehr in der Reprise eine Episode Adagio es- 
pressivo). In der letzten Konsequenz fiihrt diese im 19. 
Jh. vor allem von Liszt und Wagner geforderte Auf- 
losung des einheitlichen T.s dazu, daB in der neuesten 
Musik dieEinheit des T.s als formbildender Faktor auf- 
gegeben wird zugunsten entweder einer ganz freien, 
SieBend improvisatorischen Bewegung, oder - vor al- 
lem, wo elektronische Musik mit traditionellen Instru- 
menten kombiniert wird - zugunsten der prazisen Fest- 
legung von Zeiteinheiten, die dann nicht mehr Teil der 
musikalischen Interpretation sind, sondern den Rahmen 
abstecken, innerhalb dessen der Ausfiihrende oft in der 
Festlegung der rhythmischen Wertverhaltnisse frei ist 
(z. B. E.Kfenek, Baster Majlarbeit fur 2 Kl., 1965; R. 
Haubenstock-Ramati in der Oper Amerika, 1967). 
Lit.: Der Musiktraktat d. J. de Grocheo, hrsg. v. E. Roh- 
loff, = Media latinitatis musica II, Lpz. 1943; Praeto- 
rius Synt. Ill; KochL; H. Riemann, System d. mus. Rhyth- 
mik u. Metrik, Lpz. 1903; G. Schunemann, Gesch. d. Diri- 
gierens, = KleineHdb.d.Mg.nachGattungenX,Lpz. 1913, 
Nachdrucke Hildesheim 1965 u. Wiesbaden 1966; H. Bes- 
seler, Studienzur Musikd. MAII, AfMw VIII, 1926; ders., 
Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; R. Steglich, Dieele- 
mentare Dynamik d. mus. Rhythmus, Lpz. 1930; ders., Das 



T. als Problem d. Mozart-Interpretation, Kgr.-Ber. Salz- 
burg 193 1 ; ders., Takt u. T., DMK IV, 1939/40; ApelN; W. 
Gurlitt, Die Epochengliederung in.d. Mg., in: Universi- 
tasIII, 1948,Neudruckin: Mg.u.GegenwartI, = BzAfMw 
I, Wiesbaden 1966; ders., Form in d. Musik als Zeitgestal- 
tung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. 
sozialwiss. Klasse, Jg. 1954, Nr 13; R. Elvers, Untersu- 
chungen zu d. Tempi in Mozarts Instrumentalmusik, Diss. 
Bin 1952, maschr. ; W. Gerstenberg, Die ZeitmaBe u. ihre 
Ordnungen in Bachs Musik, Einbeck 1 952 ; ders., Die Kri- 
se d. Barockmusik, AfMw X, 1953 ; ders., Grundfragen d. 
Rhythmus-Forschung, Kgr.-Ber. Koln 1958; ders., Au- 
thentische Tempi f. Mozarts »Don Giovanni«?, Mozart- 
Jb. 1 960/61 ; C. Sachs, Rhythm and T., NY 1953 ; H. Beck, 
Studien fiber d. Tempoproblem bei Beethoven, Diss. Er- 
Iangen 1954, maschr.; ders., Bemerkungen zu Beethovens 
Tempi, Beethoven-Jb. II, 1955/56; P. Horn, Studien zum 
ZeitmaB in d. Musik J. S. Bachs, Diss. Tubingen 1954, 
maschr. ; Fr.-J. Machatius, Die Tempi in d. Musik um 
1 600. Fortwirken u. Auf losung einer Tradition, Diss. Bin 
1954, maschr.; ders., Uber mensurale u. spielmannische 
Reduktion, Mf VIII, 1955; ders., Die T.-Charaktere, Kgr.- 
Ber. Koln 1958; W. Kolneder, Auffiihrungspraxis bei 
Vivaldi, Lpz. 1955; I. HERRMANN-BENGEN.Tempobezeich- 
nungen. Ursprung u. Wandel im 17. u. 18. Jh., = Miinch- 
ner Veroff. zur Mg. I, Tutzing 1959; C. Dahlhaus, Zur 
Entstehung d. modernen Taktsystems im 17. Jh., AfMw 
XVIII, 1961; ders., Zur Taktlehre d. M. Praetorius, Mf 
XVII, 1964; H. O. Hiekel, Der Madrigal- u. Motettenty- 
pus in d. Mensurallehre d. M. Praetorius, AfMw XIX/XX, 
1962/63 ; F. A. Gallo, Pronuntiatio, AMI XXXV, 1963 ; P. 
Brainard, Zur Deutung d. Diminution in d. Tactuslehre 
d. M. Praetorius, Mf XVII, 1964; S. Gullo, Das T. in d. 
Musikd. 13. u. 14. Jh., = Publikationen d. Scnweizerischen 
Musikforschenden Ges. II, 10, Bern (1964). 

Tempo rubato (ital., s. v. w. gestohlener Zeitwert, 
auch verkurzt zu rubato; deutsch im 18. Jh. auch Ton- 
verziehung), im 17./18. Jh. die Modifizierung einzel- 
ner Notenwerte bei gleichbleibender Grundbewegung 
der Begleitung (gebundenes T. r.), im 19./20. Jh. 
meist ein Schwanken des Tempos im ganzen (freies 
T. r.). - Das gebundene T. r. wird als Manier fiir 
Sanger und Instrumentalisten seit Zacconi (1592), Peri 
(1600), Caccini (1602) und Cerone (1613) gelehrt, 
unter der Bezeichnung T. r. zuerst von Tosi (1723). 
Er spricht von rubamento di tempo ... sul movimento 
equate d'un Basso ;' J. Fr. Agricola iibersetzt 1757: Ver- 
ziehung der Geltung der Noten, welche aber der Bewe- 
gung des Basses genau angemessen sein miissen. Dieses T. r. 
beschreiben u. a. auch Quantz (Selbstbiographie), C. 
Ph.E.Bach (1787, Zusatz zu § 28), L.Mozart (1756, 
XII, 21), W.A.Mozart (Brief vom 23. 10. 1777) und 
Turk (1789). Noch Chopin hat das gebundene T. r. ge- 
spielt. - Das freie T. r. beschreiben der Sache nach u. a. 
Frescobaldi (1614) und Mace (1676); Frobergers be- 
ruhmtes Spiel con discretione ist worn als freies T. r. zu 
deuten. Czerny (Pianoforte-Schule III, 26f.) spricht nur 
noch von freiem T. r., einem willkiirlichen Zuriickhalten 
und Beschleunigen des Zeitmafies im Sinne eines Retardie- 
rens in beiden Hdnden. Es wird seit 1830 zunehmend 
durch Ritardandi und Rallentandi angezeigt, so bei 
Schumann und Chopin; zu Wagners Kunst des Uber- 
ganges, seiner Leitmotivtechnik und zum Prinzip der 
unendlichen Melodie gehort wesensmaBig das freie 
T. r., worin sich, wie Nietzsche 1877 und 1879 erklart, 
jene andere Art Bewegung der Seele ausdriickt, welche dem 
Schwimmen und Schweben uerwandt ist und worin neben 
der Uberreife des rhythmischen Gefiihls die Verwilderung, 
der Verfall der Rhythmik im Versteck lauert. Riemann be- 
zog das freie T. r. in seinen Begriff der -> Agogik ein, 
ja setzte es mit diesem gleich. In der Neuen Musik er- 
folgte, vornehmlich mit dem Aufkommen der moto- 
rischen Rhythmik, eine Abkehr vom T. r. Im Jazz ist 
durch das strikte Festhalten des Grundrhythmus ein 



60 



945 



Tempus 

freies T. r. nicht moglich, dagegen kann die rhythmi- 
sche Verschiebung der Melodiestimmen (-* Off-beat) 
ihrer Erscheinung nach eher als eine Art des gebunde- 
nen T. r. gedeutet werden denn als Synkope. 
Lit.: Fr. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, 
ein Buch f. freie Geister, Anhang: Vermischte Meinun- 
gen u. Spruche (Nr 134), Chemnitz 1879; I. J. Paderewski, 
T. r., in: H. Finck, Success in Music and How it is Won, 
London 1909; L. Kamiensky, Zum T. r., AfMw I, 1918/ 
19; H. Finck, Mus. Progress, Philadelphia 1923; B. 
Bruck, Wandlungen d. Begriffes T. r., Diss. Erlangen 
1928; J. Bl. McEwen, T. r., London 1928; A. A. John- 
stone, Rubato, ebenda 1931; A. Kreutz, Das T. r. bei 
Chopin, Das Musikleben II, 1949; W. Gurlitt, Form 
in d. Musik als Zeitgestaltung, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. 
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse Jg. 1954, Nr 
13; H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, 
ebenda 1955, Nr 10. 

Tempus (lat., Zeit, als metrischer Terminus seit der 
An tike auch ->• Quantitat), in der -*■ Mensuralnotation 
urspriinglich der kleinste rational erfaBbare Zeitwert, 
die Zeiteinheit (»Zahlzeit«) des musikalischen Satzes 
(Franco von Koln : unum tempus appellatur Mud, quod est 
minimum in plenitudine vocis, ed. Cserba, S. 236, ahnlich 
schon J. de Garlandia, ebenda S. 195), d. h. die Dauer 
der »normalen« Brevis (brevis recta), die nur unter be- 
stimmten Umstanden die Dauer eines T. iiberschreiten 
(brevis altera, zwei Tempora umfassend) oder unter- 
schreiten (semibrevis, mehrere pro T.) konnte. Seit dem 
Anfang des 14. Jh. wurde die Semibrevis nicht mehr als 
Sonderform, sondern als selbstandiger Wert (Teilwert 
der Brevis) verstanden, undje nachdem, ob die Brevis 
in 3 oder in 2 Semibreven zerfiel, unterschied man jetzt 
T. perfectum (■=♦♦♦, angezeigt durch den Kreis O 
als Symbol der Vollkommenheit, ->• Perfectio - 2) und 
T. imperfectum (■ = ♦♦, angezeigt durch den Halb- 
kreis C, aus dem das moderne Zeichen fiir den 4/4- 
Takt hervorgegangen ist). Zahlzeit wurde jetzt die Se- 
mibrevis. Bedeutete T. bisher die Dauer der Brevis (so 
noch in Ph. de Vitrys Ars nova), so erlangte der Begriff 
im weiteren Verlauf des 14. Jh. unter dem EinfluB der 
Gradus-Lehre des J. de Muris die Bedeutung des Ver- 
haltnisses von Brevis zu Semibrevis (3:1 im T. perfec- 
tum, 2:1 im T. imperfectum), die er in der Folgezeit 
beibehielt (J.Tmctoris, Diffinitorium, um 1473/74). Die 
analogen Begriffe seit dieser Zeit waren -> Modus (- 3) 
maior und minor (Verhaltnis Maxima/Longa und Lon- 
ga/Brevis) und -*■ Prolatio (Verhaltnis Semibrevis/ 
Minima). 

Lit. : R. Bockholdt, Semibrevis minima u. Prolatio tem- 
poris, MfXVI, 1963. 

Tenebrae (lat., Finsternis; Kurzform von matutina 
tenebrarum) heiBen seit dem 12. Jh. -» Matutin und 
-»■ Laudes aus dem Offizium der drei letzten Kartage. 
Der Name leitet sich von dem schon im 8. Jh. in Gallien 
entstandenen und bis heute erhaltenen Brauch her, die- 
se Gebetszeiten in Dunkelheit zu beschlieBen, nachdem 
alle Kerzen in festgelegten Abstanden ausgeloscht wor- 
den sind (vgl. Amalar von Metz, Liber de ordine Anti- 
phonarii, Kap. 44,unddieBrevierneuausgabevonl961). 
Beide Horen beginnen ohne die gewohnte Eroffnung 
mit der 1. Antiphon. Im weiteren Verlauf entfallen 
Gloria patri (am Ende der Psalmen) und Hymnus, in 
der Matutin ferner Absolutionen und Te Deum. Den 
Lesungen zur 1. Nokturn liegen die -»■ Lamentationen 
des Propheten Jeremias zugrunde. Als (zusatzlicher) 
SchluBgesang der Laudes und aller nachfolgenden 
Horen findet sich heute die Antiphon Christus foetus 
est pro nobis (am Karfreitag und Karsamstag in erwei- 
terter Form), wahrend urspriinglich noch der BuB- 
psalm -» Miserere mei Deus angeschlossen wurde (1955 
abgeschafft). 



Lit. : M. Righetti, Manuale di storia littirgica II, Mailand 
21955 ; Th. Kaser, Die Lecon de Tenebres im 1 7. u. 18. Jh., 
= Publikationen d. Schweizerischen Musikforschenden 
Ges. II, 12, Bern (1966). 

Tenor, im mittellateinischen Schrifttum Betonung auf 
der ersten Silbe (tenor, von lat. tenere, halten), im 
Deutschen seit dem 15. Jh., entsprechend ital. tenore, 
Betonung auf der zweiten Silbe (Tenor; frz. tenor; 
engl. tenor). - 1) Im Mittelalter ist das Wort T. (im 
klassischen Latein s. v. w. ununterbrochener Lauf, Zu- 
sammenhang) mehrfach zum musikalischen Terminus 
erhoben worden, wobei in wechselndem MaBe die 
Aspekte des zeitlichen Aushaltens und des strukturellen 
bzw. ideellen Haltens, Stiitzens die Begriffsbildung be- 
stimmten. - In zeitlichem Sinne bedeutet T. die Lange 
etwa des Atems (t. spiritus humani, Hucbald, GS I, 
125a) oder die Tondauer (quantitas motionis), vor al- 
lem jedoch die Dehnung eines Tones (mora unius- 
cuiusque vocis, Guido, GS II, 38a), die in Neumenauf- 
zeichnungen gelegentlich durch den -*■ Romanus- 
Buchstaben t (= tenere bzw. trahere) eigens angezeigt 
wurde. Zu dehnen war im besonderen der SchluBton 
eines Gesanges wie dessen einzelner Abschnitte, so daB 
T. schon von Guido auch speziell als mora ultimae vo- 
cis (CSM IV, 163) definiert werden konnte. Seit Jo- 
hannes Affligemensis wurde auch der Anfangston der 
->• Differenzen in der Psalmodie als T. bezeichnet, der 
mit der -> Repercussa bzw. -v Tuba (- 5) identisch und 
neben der Finalis der bei der Auspragung der -> Kir- 
chentone wichtigste Ton ist. Das spate Mittelalter ver- 
stand unter T. mitunter auch die vollstandige Diffe- 
renz oder den Ambitus einer Tonart. 
In der Bedeutung des Cantus prius factus der mehr- 
stimmigen Komposition kommt T. erstmals im 13. Jh. 
vor, und zwar gleichermaBen in Lehrschriften (Johan- 
nes de Garlandia, ed. Cserba, S. 211 : a parte tenoris, qui 
dicitur primus cantus; der gelegentliche Gebrauch von T. 
in der Discantus positio vulgaris, ebenda S. 193, geht 
wahrscheinlich auf eine Interpolation des Hieronymus 
de Moravia zuriick, liegt also wohl nach Garlandia) und 
in praktischen Aufzeichnungen (tenura de mors morsu, 
-*■ Quellen: Ma, f . 105). Die Benennung dieser Stimme 
als T. wird im zeitgenossischen Musikschrifttum damit 
begriindet, daB sie das -*■ Fundamentum des mehrstim- 
migen Satzes bilde. Zwar war der Cantus seit den An- 
fangen des -> Organum (als vox principalis, vox prae- 
cedens) Ausgangspunkt der Stegreifausfiihrung, Ge- 
riistsatzbildung und Komposition, doch ist er zur gene- 
rell tiefsten (»tragenden«) Stimme (tenens heiBt er beim 
Anonymus II, CS I, 312a) erst im 12. Jh. geworden. 
Der eigentliche AnstoB zur Benennung der vorgege- 
benen tiefsten Stimme als T. scheint vom Discantus- 
satz der Notre-Dame-Schule ausgegangen zu sein. 
Denn die dem Choral entnommene Grundstimme 
hatte infolge der modalen Rhythmisierung und Ordi- 
nierung, der Wiederholung einzelner Abschnitte, vor 
allem aber im Hinblick auf das Herauslosen von Can- 
tusteilen aus dem liturgischen Zusammenhang in Klau- 
sel und -> Motette oder auf Spielereien wie der riick- 
laufigen Verwendung eines Cantusausschnitts (Nus- 
mi-do statt Do-mi-nus, Hs. F, f. 150') weithin ihre li- 
turgische Integritat verloren. Sie gait in dieser For- 
mung nicht mehr als liturgischer Cantus, sondern als 
fiihrende, Zusammenhang stiftende Stimme, zu deren 
Benennung auch Ausdriicke wie -»• Cantus firmus 
oder Cantus prius factus gepragt wurden. Die Wahl 
des Terminus T. erfolgte wohl in diesem kompositions- 
geschichtlichen Zusammenhang und im AnschluB so- 
wohl an die vokabulare Bedeutung von T. als auch an 
die zentrale Stellung dieses Terminus in der Choral- 
lehre. GemaB der natiirlichen Begriffsweite des Wortes 



946 



Terminologie 



war der Sprachgebrauch von T. bis ins 16. Jh. nicht 
einheitlich. Noch im 15. Jh. erklarte der Anonymus 
XI: der Contra-T. werde T. genannt, sofern er tiefer 
sei als der T. (CS III, 466a). Verbreitet war jedoch 
jener Sprachgebrauch, der in der Praexistenz des T.s 
in Form einer Choral-, spater auch einer weltlichen 
Liedmelodie das wesentliche Merkmal sah. So er- 
wahnt Jacobus Leodiensis ausdriicklich den Fall, daB 
in einer Motette multi t.es vorhanden sein konnen 
(CS II, 386b), und denkt dabei offenbar an Komposi- 
tionen wie die Motette Nr 92 in der -»• Quelle Ba, in 
der quodlibetartig zwei gregorianische Melodien (Op- 
tatur und Omnes) iibereinandergesetzt sind. Glareanus 
versteht unter T., den er auch ->■ Thema nennt, eine 
einstimmige Melodie, die im mehrstimmigen Satz ver- 
arbeitet werden soil (Dodekachordon II, 38; angefiihrt 
sind hier Te deum laudamus und Pange lingua). Alberus 
definiert T. als eingesang, lied (Novum Dictionarii genus, 
c2a). Auch die Geriistmelodien in den Tanzen des 15. 
und 16. Jh. wurden in Italien t.es genannt (Ortiz, Tra- 
tado deglosas . . . , ed. Schneider, S. XXXVII und 106). 
Die modernen Begriffsworter T.-Messe (-> Messe) und 
T.-Lied (-> Lied) bringen zum Ausdruck, daB in der 
T.-Stimme jeweils eine vorgegebene oder vorgefertig- 
te Melodie verwendet ist. - Die seit dem 13. Jh. als T. 
bezeichnete Stimme wurde schon im 14. Jh. gelegent- 
lich vom -> Contra-T. unterschritten und ist seit der 
Mitte des 15. Jh. praktisch nur noch als Mittelstimme 
(media vox, medius [scil. cantus]; ->• Taille) anzutref- 
fen: im 4st. Satz zwischen Contra-T. bassus und altus, 
im 3st. Liedsatz zwischen Contra-T. (der allerdings, 
besonders in den Klauseln, mitunter noch iiber den T. 
steigt) und Superius. Im regularen 4st. Satz ist der T. 
seither die -> Lagenstimme iiber dem BaB. 
- 2) Von der Lagenstimme ging die Bezeichnung iiber 
auf die Stimmlage T., die hohe Gattung der Manner- 
stimmen mit dem Normalumfang c-a 1 , bei Berufs- 
sangern bis c 2 . In der Biihnenpraxis wird unterschieden 
zwischen den Stimmfachern lyrischer T., jugendlicher 
Helden-T., schwerer Helden-T. und T.-Buffo. Der 
lyrische T. erfordert Schonheit und Glanz der Stimme 
bis zum c 2 : Don Ottavio (Don Giovanni), Tamino (Die 
Zauberflote), Graf Almaviva (// barbiere di Siviglia), Al- 
fred Germont (La Traviata), Lenski (Jewgenij Onegin), 
Linkerton (Madama Butterfly), Sanger (Der Rosenkava- 
lier). Er kann auch die Rolle des Spiel-T.s iibernehmen 
(z. B. Wenzel in VerkaufteBraut), sofern diese nicht dem 
T.-Buffo zugeteilt wird. Der jugendliche Helden-T. 
verlangt geringere Hohe, dafiir um so starkere Durch- 
schlagskraft: Florestan (Fidelio), Stolzing (Die Meister- 
singer von Niirnberg), Don Jose (Carmen), Canio (Pag- 
liacci), Bacchus (Ariadne aufNaxos), Kalaf (Turandot), 
Tambourmajor (Wozzeck), Aiwa (Lulu). Der schwere 
Helden-T. erfordert bei mannlicher Sonoritat ein 
HochstmaB an Klangentf altung : Tristan (Tristan und 
Isolde), Siegmund und Siegfried (Der Ring des Nibelun- 
gen), Otello. Der T.-Buffo, Vertreter des heiteren 
Fachs, setzt Helligkeit und Biegsamkeit der Stimme 
sowie gute Deklamationsfahigkeit voraus: Pedrillo 
(Die Entfuhrung aus dem Serail), Basilio (Le nozze di 
Figaro), Monostatos (Die Zauberflote), Jaquino (Fidelio), 
David (Die Meistersinger von Niirnberg), Mime (Der 
Ring des Nibelungen), Spalanzani (Les contes d' Hoffmann) , 
Pong und Pang (Turandot), Hauptmann (Wozzeck). - 
Instrumente, die einen der menschlichen T.-Stimme 
entsprechenden Umfang haben oder ihn in ihrer Mit- 
tellage umschlieBen, tragen seit dem 16. Jh. haufig den 
Zusatz T. (T.-Fidel, T.-Gambe, T.-Posaune, T.-Saxo- 
phon). Gelegentlich, wie bei der T.-Blockflote mit 
dem Umfang etwa einer Sopranstimme, hat auch die 
(relative) Lage iiber dem tiefsten (BaB-) Instrument in- 



nerhalb einer Instrumentenfamilie zu dieser Benen- 
nung gefiihrt. 

Lit. : zu 1): P. Aubry, Recherches sur les t6nors frc. dans 
les motets du XHI e s., Paris 1907; ders. u. A. Gastoue, 
Recherches sur les tenors lat. dans les motets du XIII e s., 
La Tribune de St-Gervais XIII, 1907 ; W. Gurlitt, J. Wal- 
ter u. d. Musik d. Reformationszeit, Luther- Jb. XV, (Miin- 
chen) 1933 ; M. Appel, Terminologie in d. ma. Musiktrak- 
taten. Ein Beitr. zur mus. Elementarlehre d. MA, Diss. Bin 
1935; Dom L. David, La »Mora ultimae vocis« de Guy 
d'Arezzo, Rev. du chant gregorien XL, 1936; K. Gude- 
will, Zur Frage d. Formstrukturen deutscher Liedteno- 
res, Mf I, 1948; ders., Beziehungen zwischen Modus u. 
Melodiebildung in deutschen Liedtenores, AfMw XV, 
1958; R. Stephan, Die Tenores d. Motetten altesten Stils, 
Diss. Gottingen 1949, maschr.; H. Besseler, Bourdon u. 
Fauxbourdon, Lpz. 1950; R. Dammann, SpStformen d. 
isorhythmischen Motette im 16. Jh., AfMw X, 1953 ; H. H. 
Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, = Akad. d. 
Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, 
Jg. 1955, Nr 10; N. E. Smith, T. Repetition in the Notre 
Dame Organa, JAMS XIX, 1966; Sh. Davis, The Solus T. 
in the 14 th and 15'" Cent., AMI XXXIX, 1967. 

Tenora, in der -*■ Cobla gebrauchliche Tenorschalmei 

mit starkem, nasal-schreiendem Ton. 

Lit. : J. Coll, Metodo de tiple y t., Barcelona 1950. 

Tenorgeige -»■ Viola tenore (- 2). 

Tenorhorn, zur Familie der Biigelhorner gehorendes 
Blechblasinstrument in B oder C, das in ovaler, Tuba- 
oder Trompetenform gebaut wird. 

Tenorino (ital., Diminutiv von tenore, eigentlich 
s. v. w. kleiner Tenor, Tenorchen) nannte man den fal- 
settierenden Tenor vor Zulassung der Kastraten in die 
papstliche Kapelle. Im 16. Jh. waren in Rom vor allem 
spanische Tenorini geschatzt. Spater wurden sie zur 
Unterscheidung von den Kastratenstimmen Alti na- 
turali (-»■ Falsettisten) genannt. 

Tenso (prov.) -» Tenzone. 

tenuto (ital., gehalten; Abk.: ten.) fordert, daB die 
Tone ihrem vollen Werte nach ausgehalten werden; 
forte ten. (f ten.), in gleicher Starke forte ausgehalten, 
nicht abnehmend. 

Tenzone (ital.; prov. tenso; prov. und frz. tenson; 
von lat. contentio, Streit), menrstrophiges provenzali- 
sches Streitlied ohne feste Form, das von 2 Partnern 
meist auf bekannte Melodien vorgetragen wurde und 
aktuelle Geschehnisse oder Liebesprobleme in teilweise 
polemischem Dialog behandelte, im Unterschied zum 
mehr spielerisch-geistreichen ->• Jeu parti. Vor allem 
im 12./13. Jh. von den Trobadors gepflegt, erlangte die 
T. fur die Trouveres Bedeutung bei den Sangerkrie- 
gen (->• Puy). 

Terminologie der Musik ist die Wissenschaft und 
Lehre von den musikalischen Fachwortern sowie die 
Gesamtheit der musikalischen Termini technici. Vor 
anderen T.n zeichnet sich die musikalische T. dadurch 
aus, daB einerseits Erklingen (genauer: Tone, Musik) 
und Benennen (Worter, Sprache) zwei grundsatzlich 
verschiedenen Sinnbereichen zugehoren und somit das 
Benennen des (artifiziell) Erklingenden zur Fachsprache 
pradestiniert ist (in der schlichten Angabe »Das Thema 
des Allegros der Symphonie in C dur« ist jeder benen- 
nende Bestandteil ein Terminus) und daB andererseits 
die Musik seit altgriechischer Zeit ein Gegenstand theo- 
retischer Erorterung war, so daB zusammen mit einem 
ausgedehnten musikahschen Schrifttum eine weitver- 
zweigte Musik-T. entstand. Deren Grundlage bilden 
bis heute die griechischen Begriffsworter (Musik, 
Rhythmus, Harmonie, Melodie usw.), weil in der grie- 
chischen Antike erstmals »Musikalisches« benannt wur- 



60* 



947 



Terminologie 



de, und zwar offenbar sogleich im Sinne einer Grund- 
satzlichkeit der Sachen und Sachverhalte, die zusam- 
men mit den WSrtern trotz aller Geschichtlichkeit der 
Musik bis heute fortbesteht. - Wahrend aber in der 
griechischen Antike die Worter weithin noch als echte 
Namen im Einklang mit den durch sie begriffenen Sa- 
chen und Sachverhalten standen, traten seit dem Hel- 
lenismus Begriffswort (terminus) und Sache (res) in ein 
Spannungsverhaltnis, das im Laufe der Geschichte nur 
immer noch groBer und komplizierter wurde und die 
T. der Geisteswissenschaften heute in zunehmendem 
MaBe beunruhigt und beschaftigt. Der Abstand zwi- 
schen den Wortern und den Sachen hat seinen Grund 
vor allem darin, daB die Worter oft f ortbestehen, wah- 
rend die Sachen sich wandeln (z. B. ->■ Symphonie, 
-> Modulatio[n], -> Kontrapunkt). Und er vergroBert 
sich zudem, wenn die Worter als Lehnworter, Lehn- 
iibersetzungen oder Fremdworter aus anderen Spra- 
chen iibernommen (-> Dasia-Zeichen, -» Paraphonia, 
->■ Ostinato; -> Vortragsbezeichnungen) oder aus einer 
anderen Fachsprache in die musikalische T. uberfuhrt 
wurden (-> Color - 2, ->• Klausel; -> Figuren) oder 
wenn sie avis umgangssprachlichen Benennungen stam- 
men (so oft bei Instrumenten und Tanzen, z. B. -> Gi- 
gue, -> Passacaglia). Erschwerend fiir ein unmittelbares 
Verstandnis wirkt sich auch aus, wenn ein Wort mehr- 
mals in voneinander unabhangigen Prozessen und Be- 
deutungen zum Terminus erhoben wurde (z. B. 
-> Pes - 1 bis - 3 ; ->■ Modus - 1 bis - 4) oder wenn eine 
Benennung zu einem Bezeichnungsfragment (Kurz- 
form) zusammengeschrumpft ist (z. B. -> Musica, 
->■ Kontrapunkt, rubato [->■ Tempo rubato], -> Mu- 
sical). In vielen Fallen ist noch heute die Wortherkunft 
(Etymologie) eines musikalischen Terminus ungeklart 
(auf diese Problematik geht das vorliegende Lexikon 
vorsatzlich nicht ein) oder umstritten (-> Madrigal, 
->■ Fauxbourdon, -> Concerto). 

Die Geschichte der Musik wird von der Notwendig- 
keit begleitet, die Sachbezeichnungen immer wieder zu 
erklaren oder zu definieren (-> Lexika), sie auf die ge- 
schichtlich verwandelten Gegenstande neu zu beziehen, 
fiir neu entstandene Sachen neue Bezeichnungen aus- 
findig zu machen (z. B. -*■ Discantus, -> Musica poeti- 
ca, ->■ Dominante, -> Leitmotiv, -> Schlager, -*■ Seriel- 
le Musik, ->• Permutation - 3) vmd wissenschaftlich er- 
kannte Sachverhalte erstmals zu benennen (-> Kanti- 
lenensatz, -> Agogik, ->■ Amusie, -> Tonigkeit, ->• Hor- 
schwelle). Andererseits erfordert das Verstandnis der 
Quellentexte aller Zeiten die ErschlieBung der Wort- 
bedeutungen aus dem Kontext, den gebotenen Defi- 
nitionen und dem jeweiligen System der Begriffsspra- 
che auf der Grundlage der Wortforschung und Sach- 
kenntnis. Auch die -> Interpretation der Musik durch 
die beschreibende und erklarende Sprache ist in hohem 
MaBe abhangig yon der Wahl der Worter, d. h. von 
dem Grad der Ubereinstimmung zwischen dem Er- 
kennen der Sachen und dem Durchschauen der Wort- 
bedeutungen. Denn ob z. B. eine Konstellation gleich- 
zeitig erklingender Tone richtig als Klang, Intervall- 
komplex, Akkord, Harmonie oder Struktur angespro- 
chen wird, ist eine Frage der Kongruenz zwischen dem 
Sein der Sachen und dem Meinen der Worter. Das 
Verstehen der -»- Musik in der Vielfalt und Eigenart 
ihrer geschichtlichen und ethnischen Erscheinungen er- 
fordert eine geschichtlich und ethnisch verstandene und 
erschlossene Begriffssprache. Jedem System des Gel- 
tenden entspricht ein System der T., dessen Verabsolu- 
tierung die Verkennung aller anderen Systeme des 
Geltenden zur Folge hat. Auch ein Begriffs- und Zei- 
chensystem, das sich die Aufgabe stellt, fiir alle musi- 
kalischen Falle zu gelten oder im Sinne der Grundla- 



genforschung das immerwahrend Prinzipielle der Ge- 
staltung des Klingenden zu erfassen, kann der ge- 
schichtlichen Bedingtheit des Verstehens und Be- 
nennens nicht entrinnen. 

Wahrend in den neuzeitlichen Naturwissenschaf ten die 
Termini in ihren Bedeutungen weitgehend »verabre- 
det« und als Worter gleichgiiltig sind und andererseits 
in den geschichtlichen Disziplinen eine positivistisch 
und evolutionistisch orientierte Wissenschaf t die Sach- 
bezeichnungen fortschrittsglaubig im Sinne der gegen- 
wartigen Tatsachenwelt definiert, setzt sich seit den 
1920erjahren in den Geisteswissenschaften immer mehr 
die Auffassung durch, daB die T. nicht nur der Prazi- 
sierung bedarf, sondern auch eine Quelle geschichtli- 
chen Erkennens ist. Denn der Terminus als »Begrifis- 
wort« vermag eine bestimmte Weise des »Begreifens« 
einer Sache zu bekunden: Jeder Terminus, jede Gruppe 
von Termini, entspricht einer je bestimmten,fest umrissenen 
Musikwirklichkeit (Gurlitt 1952, S. 216). Diese Aussage- 
kraft des Begriffsworts hat - jenseits alien Definierens - 
einen objektiven Grund in dem Wort, das zur Benen- 
nung einer Sache, d. h. zur Kennzeichnung ihres als 
wesentlich verstandenen Merkmals erhoben wurde: 
das Wahlen der Begriffsworter erfolgt kraft der Be- 
deutung, die die Worter als umgangssprachliche Voka- 
beln oder als bereits bestehende Termini bei dieser 
Wahl anbieten und die die T. als erstes zu erkunden hat, 
wenn sie den Sinn der Bezeichnungen ausfindig ma- 
chen und das Begreifen der Sachen aus den Wortern 
erschlieBen will. So z. B. kennzeichnen in der nach- 
guidonischen Organumlehre die Ausdriicke Voces con- 
iunctae und Voces disiunctae die Oktave und den Ein- 
klang sowie die Quinte und Quarte als »verbundene« 
Tone (iunctae), entsprechend ihrer Geltung als Sym- 
phoniae, und klassifizieren sie zugleich als »zusammen- 
verbunden« (Oktave/Einklang) und »auseinander-ver- 
bunden« (Quinte/Quarte). So auch z. B. bezeugt die 
Benennung der unteren Stimme eines Satzes als Vox 
principalis (->■ Organum), ->■ Cantus (- 1 ; ->■ Discan- 
tus), ->■ Tenor (- 1), -> Pes (- 2), -*■ Contratenor (Solus 
tenor; -> Bordun; Baritonans [-> Bariton- 1]), -> Fun- 
damentum (-> Basis), -> BaB (- 1) eine je verschiedene 
Auffassung der Sache, entsprechend den Stadien der 
Sachgeschichte. Und hochst wichtig ware es, wenn er- 
wiesen werden konnte, auf Grund welcher Nennkraft 
z. B. das Wort ->■ Organum zur Bezeichnung der frii- 
hen Mehrstimmigkeit und das Wort motetus (-> Mo- 
tette) zur Benennung einer musikalischen Gatturig er- 
hoben wurde. Auch bei den neueren terminologischen 
Bildungen bekundet sich im Benennen das Auffassen, 
z. B. in den Bezeichnungen -> Isorhythmie, -> Kolo- 
rierung, musikalische -> Prosa (-2), -»■ Klangfarben- 
melodie. Und hinter den Benennungsprozessen, -fra- 
gen und -entscheidungen stehen oft schwerwiegende 
Sachprobleme, z. B. bei den Wortern ->• Polyphonie 
(Mehrstimmigkeit), -> Improvisation (Stegreifausfiih- 
rung), ->• Atonalitat (Tonalitat). 
Wie die Sachwelt Geschichte hat (sachgeschichtliche 
Fragestellung), so auch das Bezeichnen (Begreifen) der 
Sachen, sei es, daB die Bedeutung eines Wortes sich 
wandelt (bedeutungsgeschichtliche Fragestellung ; Bei- 
spiel : -> Klavier) - wobei die Beziehung von Wort und 
Sache nicht selten durch »irrtiimliche Etymologien« 
wiederhergestellt wurde (-> Ricercar) - sei es, daB die 
Lautform eines Wortes sich andert (wortgeschichtli- 
che Frage, z. B. : Musik / ->■ Musik; Tenor / -> Tenor; 
-*■ Tactus / -*■ Takt; Aria / -> Arie; -> Fuga / -> Fuge) 
oder eine Sache gleichzeitig oder im Laufe ihrer Ge- 
schichte mehrfach benannt wird (bezeichnungsge- 
schichtliche Frage ; z. B. -> Harmonia / -> Diapason / 
-> Oktave; ->• Soggetto / ->■ Thema), womit zumeist 



948 



Terzett 



entscheidende Wendepunkte der Sach- und Begriffs- 
geschichte markiert sind. - Die T. als Wissenschaft der 
Begriffsgeschichte im Zusammenwirken der sach-, be- 
dcutungs-, wort- und bezeichnungsgeschichtlichen Fra- 
gestellungen und unter dem Aspekt der Geschichte des 
Begreifens der Sachen durch Worter wurde durch W. 
Gurlitt und H. H.Eggebrecht zu einer Grundforderung 
musikwissenschaftlicher Arbeit erhoben und systema- 
tisch in Angriff genommen. Das im Rahmen der Kom- 
mission fiir Musikwissenschaft der Mainzer Akademie 
der Wissenschaften und der Literatur von Gurlitt in 
Freiburg im Breisgau begonnene, seit 1965 von Egge- 
brecht f ortgef iihrte Handworterbuch der musikalischen T. 
soil in planmaBiger Arbeit ein moglichst writes und ur- 
spriingliches Blickfeldfur die geistige Eigenart der musikali- 
schen Begriffe und Begriffsworter erschliefien (Gurlitt 1952, 
S. 214). Auf der Grundlage der manuellen Verzette- 
lung der (mit ihrem Kontext aufgenommenen) auf die 
Musik bezogenen Worter des europaischen Musik- 
schrifttums wird die Bezeichnungsgeschichte der Sa- 
chen und die Bedeutungsgeschichte der einzelnenWor- 
ter und Wortgruppen erarbeitet, um dann in lexikali- 
scher Darstellung in Einzellieferung veroffentlicht zu 
werden. Im Unterschied und in Nachbarschaft zu die- 
sem auf die gesamte europaische Musikgeschichte ge- 
richteten Unternehmen beschaftigt sich das auf Anre- 
gung von Thr. G. Georgiades und W.Bulst 1960 von 
der Musikhistorischen Kommission der Bayerischen 
Akademie der Wissenschaften begonnene Lexicon Mu- 
sicum Latinum speziell mit der lateinischen musikali- 
schen Fachsprache des Mittelalters bis zum 12. Jh. Der 
Archivaufbau erfolgt auf der Grundlage eines syste- 
matischen Erfassens des gesamten Wortschatzes der 
Musiktraktate und der auf Musik beziiglichen Stellen 
sonstigen Schrifttums unter Verwendung auch elektro- 
nischer Datenverarbeitung. Im Auf trage der Association 
Internationale des bibliotheques musicales (AIBM) 
wird in internationaler Zusammenarbeit ein polyglot- 
tes Musikfachworterbuch (Glossarium musicae) zusam- 
mengestellt, das die wichtigsten musikalischen Begriffe 
in Deutsch, Englisch, Franzosisch, Italienisch, Spanisch, 
Ungarisch und Russisch zu erfassen sucht. 
Lit. : — » Lexika, Bibliogr., Gruppe A und C bis D. - M. 
Appel, T. in d. ma. Musiktraktaten, Diss. Bin 1935; H. H. 
Eggebrecht, Aus d. Werkstatt d. Terminologischen Hand- 
worterbuchs, Kgr.-Ber. Utrecht 1952; ders., Studien zur 
mus. T., = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- 
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10; W. Gurlitt, Ein be- 
griffsgeschichtliches Worterbuch d. Musik, Kgr.-Ber. Ut- 
recht 1952, Neudruck in: Mg. u. Gegenwart II, = BzAfMw 
II, Wiesbaden 1966; ders., Ber. iiber d. Arbeiten zur mus. 
T., Jb. d. Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz 1956; H. Schmid 
u. E. L. Waeltner, Plan u. Durchfiihrung d. »Lexicon Mu- 
sicumLat.«, Kgr.-Ber. Kassel 1962; dies., Lexicon Musicum 
Lat., in: Organicae voces, Fs. J. Smits van Waesberghe SJ, 
Amsterdam 1963; T. d. Neuen Musik (mit Beitr. v. C. 
Dahlhaus, E. L. Waeltner u. a.), = Veroff. d. Inst. f. Neue 
Musiku. Musikerziehung Darmstadt V, Bin 1965. HHE 

Terpodion, ein vonJ.D.Buschmann (1816) erfunde- 
nes -*■ Friktionsinstrument, bei dem abgestimmte Holz- 
stabe mittels einer Klaviatur gegen einen rotierenden 
und mit Kolophonium bestrichenen Holzzylinder ge- 
driickt werden. Das T. imitiert wie das -> Orchestri- 
on (- 1) Instrumente des Orchesters, vorwiegend Flote, 
Fagott und Horn. Vorlaufer des T.s sind der ->■ Clavi- 
zylinder und das Uranion, das ebenf alls von Buschmann 
konstruiert und im Unterschied zum T. mit einem Zy- 
linder mit Tuchiiberzug versehen war. Der Tonumf ang 
des T.s betragt iF-R - Ein Instrument gleichen Na- 
mens, aber mit Metallzylinder und Metallstaben, wur- 
de 1821 von den Englandern D.Loeschmann und J. 
Allwright konstruiert (Umfang iF-f 4 ). 



Tertian (Terzian) ist in der Orgel eine gemischte Stim- 
me, meist zweichorig, aus dem 4. und 5. Oberton be- 
stehend, zu P/s'+l 1 ^', auch 4 /s'+ 2 /3' mit Repetition 
bei c oder c 1 , etwas scharfer als die Sesquialtera intoniert. 

Terz (lat. tertia, dritte, in der-alteren Musiklehre auch 
->• Ditonus), die 3. Stufe in diatonischer Folge, das zu- 
sammen mit der reinen Quinte den -» Dreiklang kon- 
stituierende Intervall. Die musika- Q 
lische Praxis kennt die T. als groB, m U n „[,„,»„ 
klein, vermindert und iibermaBig. «J -8- p -8-jf"-81jfr& 
Die musikalische Akustik kennt die groBe und kleine 
T. als natiirlich (4:5 und 5:6), pythagoreisch (64:81 
und 27:32) und gleichschwebend temperiert (*/3 und 
!/4 der Oktave). Der akustische Unterschied zwischen 
pythagoreischer und natiirlicher T., das syntonische 
-»■ Komma (-1), wird in der musikalischen Praxis nicht 
beriicksichtigt. - Die T., in der einstimmigen Musik 
der Antike und des Mittelalters als ->- emmelisches In- 
tervall gewertet, erscheint in der Klassifikation der In- 
tervalle bei Johannes de Garlandia und Franco von 
Koln als ->■ Concordantia imperfecta (CS I, 105a und 
129a). Die bis zur Mitte des 16. Jh. giiltige Deutung 
der T. als unvollkommener -> Konsonanz (- 1) besagt, 
daB die T. im mehrstimmigen Satz zwar notwendig 
und wohlklingend sei, daB sie aber, zumindest in der 
->■ Klausel am SchluB eines Abschnitts, in die voll- 
kommenen Konsonanzen Einklang oder Quinte auf- 
gelbst werden solle. Bei dem seit dem 16. Jh. ublichen 
SchluBklang mit T. wurde bis ins 18. Jh. regelmaBig 
auch in Mollsatzen die groBe T. (wegen ihres hoheren 
Konsonanzgrades) verwendet (-»■ Picardische T.). 
Nachdem seit den Pythagorean allein die Quinte dem 
Aufbau des Tonsystems zugrunde gelegt worden war, 
gait seit dem 16. Jh. (Fogliano, Zarlino) auch die T. als 
konstitutives Intervall. In weiterer Verfolgung dieses 
Gedankens erkannte J.-Ph. Rameau die T.en-Schich- 
tung als Prinzip des Aufbaus aller Akkorde. Dieses fiir 
die Harmonielehre des 18./19. Jh. grundlegende Prinzip 
wurde im 20. Jh. auf gegeben zugunsten von Klangf or- 
men, die auch andere Intervalle als konstitutiveElemen- 
te enthalten. - In der Musikethnologie wird das in der 
Rufmelodik bevorzugt auftretende Distanzintervall als 
Ru£-T. bezeichnet. 

Terz, Sext, Non, (lat. hora tertia, hora sexta, hora 
nona), die 2. bis 4. der kleinen Horen im -> Offizium 
der romisch-katholischen Kirche. Wahrend ihre Vor- 
geschichte auf das schon im 3. Jh. nachweisbare, an- 
fanglich private Beten zur 3., 6. und 9. Stunde weist, 
finden sich diese 3 Horen als offizieller Teil des Offi- 
ziums erstmals im Stundengebet der orientalischen As- 
keten. Ihnen liegt nach romischem Ritus folgender ge- 
meinsamer Aufbau zugrunde : Einleitungsversikel Deus 
in adiutorium meum intende mit kleiner Doxologie, an- 
schlieBend ein 3strophiger Hymnus fiir das ganze Kir- 
chenjahr (T. : Nunc Sancte nobis Spiritus, zu Pfingsten 
und in der Pfingstoktav ersetzt durch Veni, Creator 
Spiritus; Sext: Rector potens, verax Deus; Non: Rerum 
Deus tenax vigor), ferner drei (von einer einzelnen An- 
tiphon umrahmte) Psalmen, Capitulum, Responsorium 
breve, Versikel, Qration und EntlassungsgruB Benedi- 
camus Domino. Dieselbe Gliederung ohne Responso- 
rium breve findet sich im monastischen Offizium. - 
Nach den Bestimmungen zur Liturgiereform des 2. 
Vatikanischen Konzils darf beim Breviergebet auBer- 
halb des Chores eine der 3 Horen, »die der betreffenden 
Tageszeit am besten entspricht«, ausgewahlt werden 
(Constitutio de sacra liturgia, Artikel 89e). 

Terzett (ital. terzetto; frz. trio; engl. terzet), eine 
Komposition fiir drei konzertierende Singstimmen 



949 



Terzgeige 



mit oder ohne Instrumentalbegleitung; die Bezeich- 
nung fiir das 3st. Instrumentalstiick ist ->• Trio. Im 16./ 
17. Jh. hieBen 3st. Vokal- und Instrumentalsatze haufig 
-» Tricinium. Das Vokal-T. ist meist Bestandteil groBe- 
rer dramatischer oder oratorischer Werke. Die aus- 
schlieBlich vokale Bedeutung des Terminus hat sich 
erst im Verlauf des 19. Jh. endgiiltig durchgesetzt 
(-*■ Duett) ; so heiBt z. B. Beethovens Trio op. 87 fiir 
2 Oboen und Englischhorn (1794) im Autograph t.o, 
und noch A. Dvorak (op. 74 und op. 75a, 1887) ge- 
braucht die Bezeichnung T. fiir Streichtrios. Gelegent- 
liche Versuche, Trio und T. gegeneinander abzugren- 
zen, bezdgen sich mehr auf den Umfang der Stiicke 
als auf deren Besetzung: BrossardD definiert T. (als 
Diminutiv von Terzo) als un petit Trio. WaltherL hebt 
den satztechnischen Unterschied zwischen vokalem 
und instrumentalem T. hervor: tine kurtzgefafite Com- 
position von drey Sing-Stimmen, mit ihrem besonderen 
Spiel-Bafi und anderen accompagnirenden Instrumenten; 
i![em] eine dergleichen Composition von drey Instrument- 
Stimmen, die Bafi-Stimme mit gerechnet. 

Terzgeige -»■ Violino piccolo. 

Terzquart(sext)akkord -> Septimenakkord. 

Testo (ital., Text) bezeichnet seit dem 17. Jh. den er- 
zahlenden Text, im weiteren Sinne auch die Rolle des 
Erzahlers im italienischen -> Oratorium. Gleichbedeu- 
tend sind die Bezeichnungen Historia bzw. Historicus 
im lateinischen Oratorium und Evangelist in der ->■ Pas- 
sion. Der T., meist solistisch, gelegentlich auch cho- 
risch gestaltet, ist charakteristisch fiir das friihe Orato- 
rium der Zeit um 1650. Doch schon in der 2. Halfte des 
17. Jh. zielten die Oratoriendichter - unter ihnen be- 
sonders konsequent A. Spagna - auf die Abschaffung 
derErzahlerrolle, um das Oratorium im textlichen und 
dramatischen Aufbau der Oper anzugleichen. Die Ora- 
torienlibretti Metastasios und die Texte der meisten 
italienischen Oratorien des 18. Jh. sind durch das Feh- 
len des T. gekennzeichnet. Soweit in dieser Zeit das 
Oratorium in deutscher Sprache von den italienischen 
Vorbildern beeinfluBt war (z. B. die Texte von Me- 
nantes), fehlt auch in ihm die Partie des Erzahlers. Da- 
gegen findet sich der Evangelist in den deutschen ora- 
torischen Passionen, so vor allem bei J. S. Bach. 

Testudo (lat., Schildkrote), im romischen Altertum 
Bezeichnung der Lyra, im 15.-17. Jh. der Laute. 

Tetrachord (griech., »Vierton«-Folge; bei Herman- 
nus contractus latinisiert: quadrichordum), ist »eine 
Ordnung von nacheinander gesungenen Tonen, deren 
auBerste miteinander in der Quarte zusammenklingen« 
(Bakcheios). Die Struktur des T.s erschlieBt einen 
Grundzug der Griechischen Musik: die Rahmentone 
stehen im Konsonanzverhaltnis, sind symphonoi und 
daher »feststehend« ((jivovTec;, ka-z&Tztz, ixfvrjToi); ein- 
gefiigt werden stets 2 Tone, die diaphone, d. h. nicht 
konsonante Intervalle zu den Rahmentonen bilden und 
»beweglich« (<pep6}xe\icu, xtvoujjisvoi) sind. Je nach An- 
ordnung der beweglichen Tone gehort ein T. zur 
Diatonik (Intervallfolge von oben je nach Tonart: 
Ganzton-Ganzton-Halbton, Ganzton-Halbton-Ganz- 
ton, Halbton-Ganzton-Ganzton), Chromatik (kleine 
Terz - Halbton - Halbton) oder Enharmonik (groBe 
Terz-Viertelton-Viertelton). Das T. gilt daher als Sy- 
stema und als Baustein fiir Tonart und -> Sy sterna teleion 
(auch -»■ Pyknon). Da 2 T.e »verbunden« (ein Rahmen- 
ton gehort zu beiden T.en; -> Synaphe) oder »unver- 
bunden« (Zwischenraum ein Ganzton, Diazeuxis) auf- 
einander f olgen konnen, wiederholen sich Tone, deren 
Lage innerhalb des T.s die gleiche ist, nach einer Quarte 

950 



oder Quinte. Vom griechischen System der T.e leitet 
sich die Quartstimmung der arabisch-islamischen Sai- 
teninstrumente (-> 'Od) her. - In der T.-Lehre des Mit- 
telalters sind 3 Systeme zu nennen: 1) Neben das T. fi- 
nalium D-G treten das T. gravium T-C sowie zur 
Hohe hin das T. superiorum a-d und das T. excellentium 
e-aa; da die T.e gleich gebaut und alle unverbunden sind, 
ergibt sich Quintwiederholung der Tone mit B und F 
in der unteren, h und fis in der hoheren Oktave, so im 
Byzantinischen Gesang und in der Musica Enchiriadis 
(-»■ Dasia-Zeichen). 2) Bei gleicher Benennung (wie un- 
ter 1) ergeben die 4 T.e, in 2 Oktaven eingef iigt, das Sy- 
stem A-D, D-G, a-d, d-g (haufig im 10./1 1. Jh., am be- 
sten bei Hermannus contractus, mit Polemik gegen die 
Musica Enchiriadis). 3) Die Erweiterung dieses Tonsy- 
stems durch Guido, der das V und ein T. aa-dd anf iigte, 
fiihrt zu einer neuen T.-Reihe: T. gravium T-C, T. fi- 
nalium D-G, T. acutarum a-d, T. superacutarum d-g, 
T. excellentium aa-dd (in dieser Form nicht bei Guido, 
aber z. B. bei Johannes Affligemensis). - Musica Enchiria- 
dis und Hermannus contractus sind im Mittelal ter die ein- 
zigen, die dem T. eine fiir die Musik konstitutive Be- 
deutung zuweisen; Guido iibergeht es, und nach ihm 
lassen die Solmisation im Hexachord und die Entfal- 
tung der Mehrstimmigkeit dem T. keinen eigenen 
Raum mehr. 

Lit. : Aristoxeni Elementa harmonica, griech u. ital., hrsg. 
v. R. Da Rios, 2 Bde, Rom 1954; Die Harmonielehre d. 
Klaudios Ptolemaios, hrsg. v. I. During, =G6teborgs 
hogskolas arsskrift XXXVI, 1, Goteborg 1930, dazu Por- 
phyrios' Kommentar, ebenda XXXVIII, 2, 1932, deutsche 
t)bers. ebenda XL, 1, 1934; Musici scriptores graeci, hrsg. 
v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Nachdruck Hildesheim 1962, S. 
262f . (Nikomachos) u. 298ff. (Bakcheios); GS 1, 1 52ff. (Mu- 
sica Enchiriadis); GS II, 127ff. (Hermannus contractus); 
Guido v. Arezzo, Micrologus, hrsg. v. J. Smits van Waes- 
berghe SJ, = CSM IV, (Rom) 1955, S. 94; Johannes Affli- 
gemensis, De Musica, hrsg. v. dems., ebenda I, 1950, S. 
61f. u. 97. 

Tetrardus (tetartus, lat., von griech. liTapxoc;) ->■ Kir- 
chentone. 

Thailand -*■ Hinterindien. 

Thema nennt man in der neueren Zeit - nach H. Rie- 
manns Definition - einen musikalischen Gedanken, 
der, wenn auch nicht vollig abgerundet und geschlos- 
sen, doch bereits so weit ausgefiihrt ist, daB er eine cha- 
rakteristische Physiognomie zeigt; das Th. unterschei- 
det sich darin vom -» Motiv, welches nur ein Keim 
thematischen Gestaltens ist. Dariiber hinaus ist das Th. 
dadurch gekennzeichnet, daB es in einem groBeren mu- 
sikalischenZusammenhang(Abschnitt, SatzoderWerk) 
als pragende Substanz wirksam wird; dies geschieht 
vor allem durch Wiederkehr, aber auch durch Verar- 
beitung und Verwandlung des Th.s und setzt seine Er- 
kennbarkeit voraus, die gewahrleistet wird durch seine 
relativ fest gefiigte, melodisch, rhythmisch und har- 
monisch klar definierte Gestalt. Die Aspekte der Be- 
schaffenheit und der Durchfiihrbarkeit oder Entwick- 
lungsfahigkeit eines Th.s stehen in Wechselbeziehung 
(wie es J. S. Bachs Begriff und Prinzip der ->• Invention 
musterhaft zeigen) : das Th. wird in der Regel im Hin- 
blick auf ein bestimmtes Verarbeitungsverfahren er- 
f unden, lenkt aber inspirierend auch den Kompositions- 
prozeB im Detail und im Ganzen; doch laBt die Ab- 
hangigkeit zwischen Erfindung des Th.s und Durchge- 
staltung des Werkes dem schopferischen Willen einen 
weiten Spielraum. Der in der Musik besonders seit et- 
wa 1600 sich darbietende Reichtum an Moglichkeiten 
der Beschaffenheit eines Th.s ist mit Hilfe einer Syste- 
matik nicht zu erfassen. Selbst diejenigen Themen, de- 
nen ein iiberschaubares Repertoire von konventionel- 



Thematische Arbeit 



len Motiven einer bestimmten Epoche zugrunde liegt, 
weisen auf eine unermeBliche Variabilitat solcher Ele- 
mente bin. Unterscheidungsmerkmale fiir Th.-Ge- 
staltungen ergeben sich aus folgenden Gegeniiberstel- 
lungen: das Th. kann primar melodisch-linear erfun- 
den oder von vornherein harmonisch-ldanglich kon- 
zipiert sein; es kann den Charakter der Einheit oder 
den der Untergliederung betonen, aus verwandten 
oder kontrastierenden Motiven bestehen, »geschlossen« 
(klar begrenzt) oder »offen« sein, d. h. kaum merklich 
in nicht zum Th. gehorende Partien ubergehen. Seiner 
Herkunft nach kann es neugeschaffen oder iibernom- 
men bzw. aus vorgegebenem Material (um-)gebildet 
worden sein. Der Gesichtspunkt, welche Position ein 
Th. innehat - ob es z. B. einen Satz eroffnet oder durch 
eine Einleitung vorbereitet wird, ob es Haupt- oder 
Seiten-Th. ist (-»■ Exposition) u. a. - richtet den Blick 
iiber das Th. hinaus auf den groBeren Zusammenhang, 
in dem es steht. Charakteristisch ausgepragt ist die Rolle 
des Th.s besonders in der -> Fuge (mitbestimmt durch 
das Prinzip der ->■ Beantwortung) und in der ->■ Sona- 
tensatzform, aber auch als Refrain im -> Rondo, als 
BaBfundament in -> Chaconne und -*■ Passacaglia so- 
wie als Ausgangssatz fiir Variationen. Der Verarbei- 
tung eines Th.s konnen nahezu alle grundlegenden satz- 
technischen Mittel dienstbar gemacht werden: das Um- 
formen (-> Variation, ->■ Durchbrochene Arbeit) und 
kontrapunktische Verdichten (-*■ Imitation), das Auf- 
spalten in Motive sowie deren Weiterentwicklung und 
Neukombination (-> Thematische Arbeit), doch auch 
der Kontrast mit nichtthematischen Elementen. 
Im musikalischen Bereich erscheint das Wort Th. im 
16. Jh. bei Glareanus (Dodekachordon, 1547), der darun- 
ter das zum Zwecke der mehrstimmigen Verarbeitung 
musikalisch Vorgegebene versteht: den Tenor (II, Cap. 
38, S. 174-175), die mit Kanonanweisung versehene 
Aufzeichnung einer einzelnen Stimme, aus der sich ein 
mehrstimmiger Satz gewinnen la'Bt (III, Cap. 26, S. 
442), vermutlich auch den entweder aus einem gegebe- 
nen Tenor gebildeten oder aber neuerfundenen melo- 
dischen Abschnitt, der imitierend die Stimmen durch- 
wandert (nostrae etatis inuenta Themata, S. 460; Tenor 
als Thematisfilum, S. 240). Zarlino dagegen bezeichnet 
als Th. (oder passaggio) speziell ein Melodieglied, das 
einen C. f. (soggetto) kontrapunktiert, indem es mehr- 
mals wiederholt wird, doch dabei Lage und Rhyth- 
mus andern kann (Istitutioni harmoniche, 1558, III, Cap. 
55). Im 17./18. Jh. ist das Wort Th. im allgemeinen 
gleichbedeutend mit ->• Soggetto bzw. Subjectum 
(-»• Subjekt) und bezeichnet vor allem das Fugen-Th. 
Dieses weist in der Friihzeit infolge seiner Bindung an 
kirchentonale Modi und an einen vokal-linearen Duk- 
tus weitgehend gruppentypische Ziige auf, erhalt aber 
im Laufe des 17. Jh. durch die Festigung der Dur-Moll- 
Tonalitat und durch scharfere rhythmische Konturen 
ein individuelleres Geprage, obgleich die einzelnen 
Motive formelhaft bleiben. Deutsche Autoren fiihren 
im 18. Jh. als neues Synonym von Th. das Begriffswort 
-»■ Hauptsatz ein, das gegen Ende des Jahrhunderts mehr 
und mehr zur Bezeichnung fiir das metrisch-periodisch 
gebaute Th. der Klassik wird. Der wichtigste Th.-Typ 
besteht nunmehr aus pragnanten, haufig auch unter- 
einander gegensatzlichen Motiven, die, symmetrisch 
zueinander in Beziehung gesetzt, danach streben, sich 
selbstandig zu entfalten. Daneben ist der liedmelodi- 
sche Th.-Typ zu nennen, der mehr statische Eigen- 
schaften aufweist, sich vornehmlich in langsamen Sat- 
zen und im Rondo findet und allgemein in der Ro- 
mantik starker in den Vordergrund tritt. Indessen wer- 
den in groBen Formen, besonders der Spatromantik, 
Themen bevorzugt, die sich aus knappen, wandlungs- 



fahigen Motiven zusammensetzen; zunehmende Be- 
deutung gewinnt dabei das bereits in alterer Zeit nach- 
weisbare Verfahren, mehrere Themen innerhalb eines 
Werkes voneinander abzuleiten (haufig beim ->• Leit- 
motiv) oder aus einem einzigen »Ur-Motiv« zu bilden 
(z. B. Liszt, Les preludes). - Die Neue Musik des 20. Jh. 
weist zwar vielfach kompositorisch substantielle Bil- 
dungen auf, die einem Th. ahneln und (oder) die Rolle 
eines Th.s spielen, und halt am Prinzip der »themati- 
schen Arbeit« fest (vielfach in besonderer Strenge), laBt 
aber den Begriff des Th.s insofern problematisch wer- 
den, als das musikalische Geschehen in der Regel nicht 
mehr im herkommlichen Sinne von einem in sich ge- 
schlossenen und festgefiigten Th. ausgeht und von ihm 
her seine Motivation bezieht, sondern sich kraft derEr- 
findung eines fiir die Komposition verbindlichen Fak- 
tors (z. B. einer -»- Reihe, eines elementaren Motivs, 
einzelner Intervalle oder Klange, einer rhythmischen 
Formel) konstituiert. 

Lit.: H. Riemann, GroBe Kompositionslehre I, Bin u. 
Stuttgart 1902 ; ders., System d. mus. Rhythmik u. Metrik, 
Lpz. 1903; W. Fischer, Zur Entwicklungsgesch. d. Wie- 
ner klass. Stils, StMw III, 1915; A. Halm, Zur Phano- 
menologie d. Thematik, in: Von Grenzen u. Landern d. 
Musik, Miinchen 1916; E. Kurth, Grundlagen d. linearen 
Kontrapunkts, Bern 1917, 51956; ders., Romantische Har- 
monik . . . , Bern 1920, Bin 31923 ; A. Schmitz, Beethovens 
»Zwei Prinzipe«, Bin u. Bonn 1923; H. Mersmann, Mu- 
sikhoren, Potsdam u. Bin 1938, Ffm. 21952; R. Stephan, 
Neue Musik, = Kleine Vandenhoeck-Reihe IL, Gottingen 
1958; A. Webern, Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. v. W. 
Reich, Wien 1960. 

Thematische Arbeit bezeichnet im allgemeinen ein 
Kompositionsverfahren, das darin besteht, langere 
Strecken eines Satzes mit wenigen, dem zugrunde lie- 
genden -> Thema entnommenen Motiven zu bestreiten, 
die ausgesponnen, abgewandelt, umgruppiert, kom- 
biniert werden usw., so daB das kompositorische Ge- 
schehen bestandig mit dem Thema in Zusammenhang 
steht und aus ihm sich entwickelt. Th. A. im besonde- 
ren liegt (nach H. Riemann) vor in den Ubergangs- und 
Durchfiihrungsteilen zwischen den eigentlich thema- 
tischen Partien, vor allem in der -> Sonatensatzform. 
Der Sprachgebrauch laBt sich zuriickverfolgen bis zu 
H.Chr.Kochs Erklarung (1802), ein Tonstiick sei the- 
matisch gearbeitet, wenn die Ausfuhrung desselben haupt- 
sdchlich in den mannigfaltigen Wendungen und Zergliede- 
rungen des Hauptsatzes [d. h. des Themas], ohne Bey- 
mischung vieler Nebengedanken, bestehet. Die Th. A. ist 
in der Fugenkomposition des 17./18. Jh. vorgebildet, 
indem hier zuweilen Motive des Themas in kontra- 
punktierende Stimmen ubergehen (z. B. J. S. Bach, Das 
Wohltemperirte Clavier II, Fuge Fis moll, BWV 883) 
oder auch langere themafreie Abschnitte beherrschen 
(ebenda, Fuge C dur, BWV 870). Zur eigentlichen Gel- 
tung kommt die Th. A. in der Sonatensatzform und 
wird, von ihr ausgehend, eines der zentralen Gestal- 
tungsprinzipien in der Musik seit der Friihklassik 
(-> Streichquartett). Die neue Musik (etwa seit 1910) 
kniipft weitgehend an das Prinzip der Th.n A. an und 
dringt vor bis zu Kompositionsarten, die aus einer ein- 
zigen kompositorischen Substanz die vollige Einheit- 
lichkeit (-» Zwolf tontechnik) oder auch Determination 
(-»■ Serielle Musik) des Werkes zu verwirklichen su- 
chen, aber nicht mehr im herkommlichen Sinn »the- 
matisch« verfahren. - Thematisch gearbeitete Partien 
sind mit dem Thema substanzverwandt, unterscheiden 
sich jedoch in der Regel deutlich von ihm, indem sie 
z. B. lockerer gefiigt sind oder starker vorwartsstreben. 
Dariiber hinaus ist die Th. A. gekennzeichnet durch die 
Tendenz, in der Thematik vorhandene gegensatzliche 
Charaktere (zwischen mehreren Themen oder inner- 



951 



Thematische Kataloge 

halb eines Themas) in verstarktem MaBe gegeneinan- 
der auszuspielen, um Steigerungen, Konflikte vind 
Hohepunkte zu schafEen. Die konkrete Anwendung 
des Begriffs Th. A. stoBt jedoch auf Schwierigkeiten, 
wenn (wie zuweilen in Beethovenschen Werken) nicht 
deutlich ist, wo das Thema endet und die Th. A. be- 
ginnt, oder wenn zweifelhaft bleibt, ob bestimmten 
Motiven noch thematische Herkunft zugestanden wer- 
den kann; auch themafremde Motive konnen eine der 
Th.n A. analoge Verarbeitung erf ahren. Hinzu kommt, 
daB verschiedene Autoren - untereinander divergie- 
rend - Th. A. abgrenzen gegeniiber smotivischer Ar- 
beit« (z. B. Leichtentritt, S. 240f.; Sondheimer, S. 97) 
oder »entwicklungsmotivischerBewegung« (v. Fischer, 
S. 110), wiihrend andere indifferent den Ausdruck 
»thematisch-motivische-Arbeit« bevorzugen. Dies ist 
ein Symptom fiir die Schwierigkeit, die Fiille der the- 
matischen Verfahrensweisen angemessen zu beschrei- 
ben und begrifflich zu erf assen. 

Lit.: — > Thema; H. Leichtentritt, Mus. Formenlehre, 
= Hdb. d. Musiklehre VIII, Lpz. 1911, 51952, Wiesbaden 
61964, erweitert engl. Cambridge (Mass.) u. London 1951 ; 
R. Sondheimer, Die formate Entwicklung d. vorklass. Sin- 
lonie, AfMw IV, 1922; R. v. Tobel, Die Formenwelt d. 
klass. Instrumentalmusik, = Berner Veroff. zur Musik- 
forschung VI, Bern 1935; K. v. Fischer, Die Beziehungen 
v. Form u. Motiv in Beethovens Instrumentalwerken, 
= Slgmw. Abh. XXX, StraBburg 1948. 

Thematische Kataloge sind Verzeichnisse, die mit 
Hilfe eines musikalischen Zitats (->■ Incipit, ->■ Thema) 
eine eindeutige Werkbestimmung ermoglichen. Die 
Zahlung der Werke, geordnet nach Opuszahl oder dem 
Entstehungsjahr, soil mit den Zahlen Symbole schaffen 
(Schmieder, S. 314), durch die ein Werk eindeutig 
zu identifizieren ist. Je nach dem Zweck des Katalogs, 
dem Komponisten und der Art der Darstellung sind ge- 
nannt: Entstehungszeit und -ort des Werkes, Besetzung, 
Textdichter, Nachweis des Autographs, Abschriften, 
Erstausgaben und Titelauflagen mit Originaltitel, Wid- 
mungstrager, weitere Ausgaben, Urauffiihrungsdaten 
und -interpreten, Bearbeitungen, Quellen, Literatur- 
angaben und Bemerkungen, die einzelne Details zu- 
satzlich erlautern. Der Komplex Th. K. erfaBt Verlags- 
verzeichnisse einzelner oder mehrerer Komponisten, 
von Komponisten selbstandig verfaBte sowie wissen- 
schaftliche Werkverzeichnisse, Kataloge von Musik- 
sammlungen in Bibliotheken, an Fiirstenhofen und 
in Kapellen. 

Die Erstellung der thematischen Verzeichnisse war zu- 
nachst durch Verlagsinteressen bestimmt. Als friihester 
gedruckter Th.r Kat. hat der Catalogo delle sinjonie, par- 
tite, overture, ... che si trovano in manuscritti nella Of- 
ficina musica de Giovanni Breitkopf in Lipsia (6 Bande, 
Leipzig 1762-65, Suppl. I-XVI, 1766-87) zu gelten. 
Burney berichtet 1773 in seinem Reisetagebuch, Breit- 
kopf sei der erste gewesen, who gave to his catalogues an 
index in notes, containing the subjects, or two or three first bars, 
of the several pieces in each musical work. Der Begriff 
»thematisch« im Titel eines Katalogs taucht dann zuerst 
bei dem Amsterdamer Verleger J.J. Hummel auf : Ca- 
talogue thimatique ou commencement de touttes les CEuvres 
de musique qui sont en proprefond deJ.J. & B. Hummel . . . 
(Amsterdam 1768) und bei dem Wiener Verlag Artaria: 
Catalogue thimatique ou commencement (Wien 1789) so- 
wie Catalogue thimatique de Haydn, Mozart, Clementi et 
Pleyel (Wien 1798). In Deutschland erschienen the- 
matische Verzeichnisse bei den Verlegern Andre in 
Offenbach (Thematisches Verzeichnis sdmmtlicher Com- 
positionen . . . von W.A.Mozart . . ., 1805) und Hof- 
meister in Leipzig (Thematisches Verzeichnis der Com- 
positionen fiir Instrumental- Musik ... I, L. van Beetho- 



ven, Leipzig 1819, sowie Thematisches Verzeichnis von 
CLXX1I vorziiglichen Sinfonien und Ouvertiiren fiir Or- 
chester . . ., ebenda 1831). In London erschien in 3 
Banden 1790 The Public's Guide; or, a Catalogue with 
the subjects, or themes of all the several musical Works, 
engraved and sold by J.Bland. 

Die friihesten thematischen Individualkataloge, die 
das Werk eines Meisters erfassen und Vollstandigkeit 
anstrebten, sind handschriftliche Aufzeichnungen von 
Komponisten. J.Haydn fiihrte um 1765-77 einen Th.n 
Kat. seiner Werke, der nach Gattungen eingeteilt war 
(Entwurfkatalog), und lieB 1805 von seinem Kopisten 
Elssler ein Verzeichniji alia derjenigen Compositionen wel- 
che ich mich beyldufig erinnere von meinem 18ten bis in das 
73tejahr verfertiget zuhaben arAegen (Elsslersches Hay dn- 
Verzeichnis; vgl. Drei Haydn-Kataloge in Faksimile, 
hrsg. vonJ.P.Larsen, Kopenhagen 1941). Mozart fiihr- 
te ab Februar 1784 (d. h. ab K.-V. 449) ein chronolo- 
gisch geordnetes thematisches Verzeichnis seiner Wer- 
ke (vgl. W.A.Mozart, Verzeichniifi aller meiner Werke 
..., hrsg. vonE.H.Mullerv. Asow.Wien 1943). Probst 
in Leipzig gab 1825 einen Th.n Kat. der bis dahin er- 
schienenen Werke von I. Pleyel sowie einen Catalogue 
thimatique des ceuvres de I. Moscheles revu par lui-meme 
heraus, Diabelli in Wien ein ebensolches Czerny- 
Verzeichnis um 1827. Bei Breitkopf & Hartel erschien 
1846 der erste groBe Th. Kat. der Werke eines Mei- 
sters: Thematisches Verzeichniji im Druck erschienener 
Compositionen von F.Mendelssohn Bartholdy (vervoll- 
standigte Neuausgabe 1873 und 1882). Der erste aus ei- 
nem historischen Interesse entstandene Th. Kat. ist das 
Thematische Verzeichnis samtlicher Compositionen des K.K. 
Hofcomponisten Chr.Ritterv.Gluck von A.Fuchs (Neue 
Berliner Musikzeitung V, 1851). Im gleichen Jahr er- 
schien anonym das wahrscheinlich von C. GeiBler an- 
gefertigte Thematische Verzeichniji der im Druck erschie- 
nenen Werke von L. v. Beethoven (in 2. Auflage von G. 
Nottebohm 1868, von Th.v.Frimmel 1925 iiberar- 
beitet) bei Breitkopf & Hartel; ebenda 1852 die 1. (an- 
onyme) Ausgabe des Chopin- Verzeichnisses (umgear- 
beitet und vermehrt 1888); im selben Jahr in Wien 
bei Diabelli ein ebenfalls anonymes Thematisches Ver- 
zeichniss im Druck erschienener Compositionen von F. Schu- 
bert, dessen von Nottebohm besorgte Uberarbeitung 
1874 in Wien erschien. Eine Reihe von Katalogen ist 
bislang noch unveroffentlicht. Zu ihnen zahlen der 
1932 beendete Katalog der Werke Handels (10 Bande, 
vonj. M. Coopersmith, Harvard University Library) , das 
Verzeichnis der Werke Telemanns (Telemann-Werke- 
Verzeichnis, TWV, von W. Menke u. a., Frankfurt am 
Main, Stadt- und Universitatsbibl), A.Scarlattis (von 
E.J.Dent, Library of the Cambridge University Music 
School) und J. Stamitz' (von P. Gradenwitz, New York, 
Public Library). Zahlreiche Werkverzeichnisse und 
Th. K. sind in Biographien, Dissertationen und Werk- 
ausgaben enthalten, so fur J.Chr.Bach, Reichardt, 
Schiitz, Tartini, fiir die Meister der Mannheimer Schule 
(Riemann), und in der Sammlung der Musik des 15. Jh. 
in England (Squire). Auch von einigen Musiksammlun- 
gen gibt es thematische Verzeichnisse, z. B. der Samm- 
lung in Basel (Refardt), Berlin (Jacobs) , Berkeley (Duck- 
ies), Jena (Roediger) und Paris (La Laurencie). 
Die wichtigsten Th.n K. sind : 

A. Slgen (geordnet nach d. Herausgeber) : G. Adler u. O. 
Koller, Sechs Trienter Cod. Geistliche u. weltliche Kom- 
positionen d. XV. Jh. I, in : DTO VII, Bd 14-1 5, Wien 1900. 
- V. Duckles u. M. Elmer, Thematic Cat. of a MS Collec- 
tion of Eighteenth-Cent. Ital. Instr. Music in the Univ. of 
California, Berkeley Music Library, Berkeley 1963. - Fr. 
X. Haberl, Bibliogr. u. thematischer Musikkat. d. papst- 
lichen Kapellarch. im Vatikan zu Rom, Beilage zu MfM 
XX, 1888. - O. Kade, Die Musikalien-Slg d. GroBherzog- 



952 



Theorbe 



lich Mecklenburg-Schweriner Fiirstenhauses . . . , 2 Bde, 
Schwerin 1893. - L. de La Laurencie, Inventaire critique 
du fonds Blancheton de la Bibl. du Conservatoire de Paris, 
= Publications de la Soc. frc. de musicologie II, 1-2, Paris 
1930-31. - Fr. Luwdig, Repertorium organorum recen- 
tioris et motetorum vetustissimi stili, I, 1, Halle 1910, 
Nachdruck hrsg. v. L. A. Dittmer, NY u. Hildesheim 1964 
(ohne Incipits), I, 2 u. II (Anfang), hrsg. v. Fr. Gennrich, 
= Summa Musicae Medii Aevi VII-VIII, Langen 1961- 
62 (mit Incipits). - E. Refardt, Th. K. d. Instrumental- 
musik d. 18. Jh. in d. Hss. d. Universitatsbibl. Basel, = Pu- 
blikationen d. Schweizerischen musikforschenden Ges. II, 
6, Bern (1957). - H. Riemann, Verz. d. Druckausg. u. th. 
K. d. Sinf onien d. Mannheimer Schule (Sinfonien d. pf alz- 
bayerischen Schule), in : DTB III, 1 u. VII, 2, Lpz. 1902-07 ; 
ders., Verz. d. Druckausg. u. th. K. d. Mannheimer Kam- 
mermusik d. XVIII. Jh., ebenda XVI, 1915. - K. E. Roedi- 
ger, Die geistlichen Musikhss. d. Universitatsbibl. Jena II, 
Jena 1935. 

B. Komponisten : T. Albinoni, Indice tematico, in : R. Gia- 
zotto, T. Albinoni, Mailand 1945. - J. G. Albrechtsber- 
ger, Thematisches Verz. d. Kirchenkompositionen, hrsg. 
v. A. Weissenbach Wien u. Lpz. 1914. - C. Ph. E. Bach, 
Thematisches Verz. d. Werke, hrsg. v. A. Wotquenne, Lpz. 
1 905, Nachdruck Wiesbaden 1 964. - J. Chr. Bach, Bach's 
Works, Vocal and Instr., Thematic Cat., in: Ch. S. Terry, 
J. Chr. Bach, London 1929. - J. Chr. Fr. Bach, Themati- 
sches Verz. d. Werke, hrsg. v. G. Schiinemann, in: DDT 
LVI, 1917. - J. S. Bach, Thematisch-systematisches Verz. 
d. mus. Werke v. J. S. Bach, Bach-Werke-Verz. (BWV), 
hrsg. v. W. Schmieder, Lpz. 1950, 21958. - W. Fr. Bach, 
Thematisches Verz. d. Werke, in: M. Falck, W. Fr. Bach, 
Lpz. 1 9 1 3 . - L. van Beethoven, Das Werk Beetho vens. The- 
matisch-bibliogr. Verz. seiner samtlichen vollendeten Kom- 
positionen,hrsg.v.G.Kinskyu.H.Halm,Munchenu.Duis- 
burg (1955). -J. Brahms, Thematisches Verz. seiner Werke, 
hrsg. v. A. v. Ehrmann, Lpz. 1933; Thematic Cat. of the 
Collected Works of Brahms, hrsg. v. J. Braunstein, NY 
1956. - Fr. Chopin, Fr. Chopin: an Index of His Works in 
Chronological Order, hrsg. v. M. J. G. Brown, London u. 
NY 1960. - M. Clementi, Le sonate per pfte di M. Cle- 
menti. Studio critico e cat. tematico, hrsg. v. R. Allorto, 
= Historiae Musicae Cultores, Bibl. XII, Florenz 1959. - 
Fr. Couperin, Thematic Index of the Works of Fr. Cou- 
perin, hrsg. v. M. Cauchie, Monaco 1949. - A. Dvorak, 
Thematicky kat. bibliogr. pfekled zivota a dila, hrsg. v. J. 
Burghauser, Prag 1 960, deutsch als : A. Dvorak. Themati- 
sches Verz. mit Bibliogr. u. Ubersicht d. Lebens u. d. Wer- 
kes, Kassel 1960. - J. Field, A Bibliogr . Thematic Cat. of 
the Works of J. Field 1782-1837, hrsg. v. C. Hopkinson, 
London 1961. -J. J. Fux, Thematisches Verz. d. Composi- 
tionen, in : L. Kochel, J. J. Fux, Hofcompositor u. Hofka- 
pellmeister, Wien 1872. -Chr. W. Gluck, Cat. thematique 
des oeuvres de Chr. W. v. Gluck, hrsg. v. A. Wotquenne, 
Lpz. 1904, deutsch v. J. Liebeskind, Lpz. 1904, Erganzun- 
gen u. Nachtrage hrsg. v. dems., Lpz. 1911, Erganzungen 
u. Berichtigungen, hrsg. v. M. A. Arend, in: Mk XIII, 
1913. - J. Haydn, Thematisch-bibliogr. Werkverz., zu- 
sammengestellt v. A. van Hoboken, Bd I, Mainz 1957ff. - 
Fr. Liszt, Thematisches Verz. d. Werke, Lpz. 1855, NA 
als: Thematisches Verz. d. Werke, Bearb. u. Transcriptio- 
nen v. Fr. Liszt, Lpz. 1877, Neudruck als: Thematic Cat. of 
the Works of Fr. Liszt Originally Published in 1877, Lon- 
don 1965. - F. Mendelssohn Bartholdy, Thematisches 
Verz. d. im Druck erschienenen Compositionen, Lpz. 
1846-53, neue vollstandige Ausg., ebenda 1873, 31882. - 
W. A. Mozart, Chronologisch-thematisches Verz. samt- 
licher Tonwerke Wolfgang Amade Mozart's, hrsg. v. L. 
Ritter v. Kochel, Lpz. 1862, 31937 hrsg. v. A. Einstein, 
bearb. u. erganzte Auflage v. Fr. Giegling u. a., Wiesba- 
den 6 1964; M. Reger, Thematisches Verz. d. im Druck 
erschienenen Werke v. M. Reger, einschlieBlich seiner 
Bearb. u. Ausg., hrsg. v. Fr. Stein, Lpz. u. Wiesbaden 
1953. - J. Fr. Reichardt, Thematisches Verz. d. Instr.- 
Werke, in: H. Dennerlein, J. Fr. Reichardt u. seine Kl.- 
Werke, Munster i. W. 1930. - C. Saint-Saens, Cat. 
gen6ral et thematique des oeuvres de C. Saint-Saens, Pa- 
ris 1897, 21908. - D. Scarlatti, Indice tematico delle 
sonate per clavicemb. contenute nella raccolta completa 
riveduta da A. Longo, Mailand 1952. - O. Schoeck, The- 
matisches Verz. d. Werke v. O. Schoeck, hrsg. v. W. Vogel, 



Zurich 1956. - Fr. Schubert, Schubert, Thematic Cat. of 
All His Works in Chronological Order, hrsg. v. O. E. 
Deutsch u. D. R. Wakeling, London 1951. - H. Schutz, 
Schutz- Werke- Verz. (SWV), hrsg. v. W. Bittinger, Kassel 
1 960. - R. Schumann, Thematisches Verz. sarhmtlicher im 
Druck erschienenen Werke R. Schumann's mit Inbegriff 
aller Arrangements . . . , Lpz., Hbg u. NY o. J., verbesserte 
Auflage "1868. - J. Strauss (Vater), J. StrauB Vater. Ein 
Werkverz., hrsg. v. M. Schonherr u. K. Reinohl, London, 
Wien u. Zurich 1954. - R. Strauss, R. Strauss. Themati- 
sches Verz. I u. II, hrsg. v. E. H. Muller v. Asow, Wien 
1959-62, HI hrsg. v. A. Ott u. Fr. Trenner, Wien 1965ff. - 
G. Tartini, Thematisches Verz. d. V.-Konzerte Tartinis, 
in: M. Dounias, Die V.-Konzerte G. Tartinis, Bin 1935, 
Tutzing 21966; Cat. tematico delle musiche Tartiniane 
esistenti nell'arch. della cappella Antoniana di Padova, 
in: A. Capri, G. Tartini, Mailand 1945. - G. Torelli, 
Thematisches Verz., in : Fr. Giegling, G. Torelli. Ein Beitr. 
zur Entwicklungsgesch. d. ital. Konzerts, Kassel 1949. - 
P. I. Tschaikowsky, Cat. thematique des oeuvres de P. 
Tschaikowsky, hrsg. v. B. Jiirgenson, Moskau 1897, NA 
als: Thematic Cat. of the Works of P. Tchaikovsky Ori- 
ginally Published in 1897, London 1965. - J. Vaet, The- 
matic Index of the Motets of J. Vaet, in: M. Steinhardt, 
J. Vaet and His Motets, East Lansing (Mich.) 1951. - A. 
Vivaldi, in: W. Altmann, Th. Kat. d. gedruckten Werke 
A. Vivaldis, Af Mw IV, 1922 ; O. Rudge, Cat. tematico delle 
opere strumentali di A. Vivaldi esistenti nella Bibl. Nazio- 
nale di Torino, in: La scuola veneziana, Siena 1941 ; Cat. 
numerico tematico delle composizioni di A. Vivaldi, hrsg. 
v. M. Rinaldi, Rom 1945; A. Vivaldi et la musique instr. II, 
Inventaire-thematique, hrsg. v. M. Pincherle, Paris (1948); 
A. Vivaldi, indice tematico, hrsg. v. Istituto Ital. A. Vivaldi, 
Mailand 1955. - C. M. v. Weber, Weber in seinen Werken, 
Chronologisch-thematisches Verz. seiner sammtlichen 
Compositionen, hrsg. v. Fr. W. Jahns, Bin 1871. 
Lit.: W. Altmann, liber th. K., Kgr.-Ber. Wien 1927; 
N. Bridgman, L'etablissement d'un Cat. par incipit mus., 
MD IV, 1950; dies., A propos d'un cat. central d'incipits 
mus., Fontes artis musicae I, 1954; dies., Nouvelle visite 
aux incipit mus., AMI XXXIII, 1961 ; O. E. Deutsch, The- 
me and Variations, The Music Review XII, 1951; ders., 
Th. K., Fontes artis musicae V, 1958; A Check List of 
Thematic Cat., hrsg. v. H. J. Sleeper u. a., Bull, of the NY 
Public Library 1953, separatNY 1954, dazu in: Mus. Ameri- 
caLXXIV, 1 954, u. Notes II, 11, 1953/54, vgl. auch: Queens 
College Suppl., hrsg. v. B. S. Brook, Flushing 1966; A. H. 
King, The Past, Present and Future of the Thematic Cat., 
MMR LXXXIV, 1954; J. LaRue, A Union Thematic Cat. 
of 18 th -Cent. Symphonies, Fontes artis musicae VI, 1959; 
ders., A Union Thematic Cat. for 18 th -Cent. Chamber Mu- 
sic and Concertos, ebenda VII, 1960; ders. u. M. Rasmus- 
sen, Numerical Incipits for Thematic Cat., ebenda IX, 
1 962 ; W. Schmieder, »Menschliches - Allzumenschliches« 
oder Einige unparteiische Gedanken iiber Thematische 
Verz., Fs. O. E. Deutsch, Kassel 1963. 

Theorbe (ital. und span. tior,ba; frz. theorbe; engl. 
theorbo), eine vom 16. Jh. bis um 1780 als -»■ Funda- 
mentinstrument gebrauchliche Erzlaute (BaBlaute) mit 
doppeltem Wirbelkasten und mit 16-(im 18. Jh. meist 
14-)saitigem Bezug. Davon sind 8(6) Grifisaiten, die 
iiber das Grifibrett mit Biinden laufen, und 8 Frei- 
(Bordun-)Saiten, die in den zweiten Wirbelkasten lau- 
fen. Im Unterschied zum (nur 14saitigen) ->- Chitarrone, 
der auch Romanische (Romische) Th. genannt wird, ist 
der zweite Wirbelkasten durch einen kurzen geschweif- 
ten Zwischenhals seitlich versetzt direkt an den ersten 
angeschlossen. Im Unterschied zur theorbierten -»■ Lau- 
te (- 2) waren die GriSsaiten der Th. nur einchorig (erst 
im 18. Jh. kommt der 2chorige Bezug au£) und die bei- 
den obersten Griffsaiten wurden (nach Praetorius Synt. 
II, S. 52) eine Oktave tiefer gestimmt, dieweil in der 
Theorba die lenge des Corporis und die Messings Sixiten j 
solches nicht anders leiden j und die rechte hdhe nicht errei- 
chen konnen. Die Stimmung war nach Praetorius (Synt. 
II, S. 27): iD jE jF ^ iA iH C D (Bordunsaiten), 
EFGcfadg (Griffsaiten). Als Stimmung fur eine 



953 



Theorie der Musik 

14saitige Th. ist bei Mersenne (1636) angegeben : iG i A 
,HCDEFG (Bordunsaiten), A d g h e a (Griffsaiten) ; 
bei Baron (1727) fur eine 17saitige Th.: ,D t E jF fi iA 
iB^CDEF (Bordunsaiten), G c f a di gi (Griffsai- 
ten) oder, im AnschluB an die Lautenstimmung des 18. 
Jh., A d f a di fi fiir die Griffsaiten. 1614-16 erschienen 
3 Biicher mit Tabulaturen fur Th. von P.P. Melli, 1669 
eine Intavolatura di tiorba (12 Solosonaten f iirTh. und B.C.) 
von G.Pitoni. Ein Livre de theorbe mit Kompositionen 
und einer Anweisung zum Gb.-Accompagnement ver- 
offentlichte der Pariser Theorbist H. Grenerin. 
Lit. : H. Neemann, Laute u. Th. als GeneralbaBinstr. im 17. 
u. 18. Jh., ZfMw XVI, 1934; H. Radke, Wodurch unter- 
scheiden sich Laute u. Th. ?, AMI XXXVII, 1 965. 

Theorie der Musik (griech. ■9-ecopia, Betrachtung, Er- 
klarung, Erkenntnis) ist, als Gegenbegriff zu Praxis 
(griech. 7Tpa5t?, handelnde und herstellende Tatigkeit, 
Ausfuhrung, Ausiibung), das geistige Durchdringen 
und begriffliche Erfassen des Klingenden in seiner na- 
tiirlichen Beschaftenheit, seiner musikalischen Geltung 
und seiner als Praxis sich ereignenden Gestaltung, Wir- 
kung und Bedeutung. Die Th. d. M. erscheint seit der 
Antike in drei Formen: als kontemplative Betrachtung, 
als Lehre und als produktive Reflexion. Als Betrach- 
tung (detopte im engeren Sinne, lat. contemplatio) ist 
sie einerseits eine Wissenschaft {kmaTiyxt), scientia) von 
Zahlengesetzen, die den Bewegungen im Kosmos und 
in der klingenden Musik zugrunde liegen; andererseits 
pragt sie dem Leben des Betrachtenden ihre Form auf 
(pto? •&EcopY)Tix6<;, vita contemplativa) ; die geordnete 
Bewegung der Seele (->- musica humana) gleicht sich 
der des Kosmos (musica mundana) an. Als Lehre ist die 
Th. d. M. Sachkunde (t£x v t)> ars), gerichtet auf Praxis. 
Von blofier Ubung und Gewohnung (TpiPfy usus)un- 
terscheidet sie sich durch begriffliches Wissen von Ur- 
sachen und Bedingungen musikalischer Erscheinungen 
und Wirkungen. Die Meinung, dafi die Th. d. M. 
stets der Praxis »nachhinke«, ist ein irriges Vorurteil. 
Die -» Geschichte der abendlandischen Musik ist we- 
sentlich bestimmt durch die bestandige Wechselwir- 
kung zwischen Th. und Praxis. In der Th. kommt die 
Praxis zum BewuBtsein ihrer selbst, zur Besinnung auf 
die Voraussetzungen des Bestehenden und die Mog- 
lichkeiten einer Weiterbildung. Bei Guido von Arezzo, 
Franco und Ph. de Vitry, bei Zarlino, Rameau und 
Fetis ist die Th. d. M. reflektierend und zugleich pro- 
duktiv; von der kontemplativen Betrachtung unter- 
scheidet sie sich durch Eingreifen in die Praxis, von der 
kodifizierenden Lehre durch das Verandem des Vor- 
gefundenen. - Erkenntnisziel und soziale Geltung der 
Th. d. M. sind vom Bildungsideal, vom Wissenschaf ts- 
begriff und von den Institutionen (Akademien, Uni- 
versitaten, Konservatorien) einer Zeit abhangig. Die 
Geringschatzung manueller Arbeit in der Antike be- 
wirkte, daB die auf Praxis zielende Sachkunde gegen- 
iiber der charakterbildenden kontemplativen Betrach- 
tung abgewertet wurde. Umgekehrt gerat in einer 
Epoche, die das Wissen am praktischen Resultat mifit, 
die Spekulation in den Verdacht, miiBig zu sein. Mit 
dem Bildungsideal ist der Wissenschaftsbegriff eng 
verbunden. Als wahres Wissen, an das die Th. d. M. 
sich anlehnen musse, galten in der Antike die spekula- 
tive Mathematik und Kosmologie, in der Neuzeit eher 
die empirische Physik und Psychologic Allerdings ist 
auch der emphatische Anspruch der Philosophic, das 
eigentliche Wissen zu reprasentieren, in der Th. d. M. 
wirksam geworden; M.Hauptmann stutzte sich auf 
Hegel, E. Kurth auf H. Bergson. 

Die ersten griechischen Theoretiker der Musik, die Py- 
thagoreer, verbanden das Wissen von den Zahlengrund- 



lagen der Konsonanzen mit kosmologischen Betrach- 
tungen und ethisch-religiosen Zielsetzungen. Die Zahl 
gait als Ursprung der Ordnung in den Bewegungen der 
Gestirne und der menschlichen Seele. Einen erganzen- 
den Gegensatz zur kontemplativen Theorie der Pytha- 
goreer bildete die praktische Lehre der »Harmoniker« 
von den Elementen der Melodik; sie wurde von Ari- 
stoxenos, einem Aristoteles-Schiiler, systematisiert und 
auf Prinzipien zuriickgefuhrt, also in den Rang einer 
Wissenschaft erhoben. Zwischen dem spekulativen 
Verfahren der Pythagoreer (Kanoniker) und dem em- 
pirischen der Aristoxeneer (-> Harmoniker) suchte 
Ptolemaios einen Ausgleich; doch neigte er eher der 
pythagoreisch-platonischen Richtung zu (-* Harmo- 
nia). - Im Mittelalter, dem Boethius die spatantike Tra- 
dition vermittelte, wurde die Th. d. M. primar als ma- 
thematische Disziplih begriffen; sie erfiillte, als Vorstu- 
fe philosophischer und theologischer Betrachtung, eine 
propadeutische Aufgabe. Doch entwickelte sich neben 
den spatantiken Traditionsbestanden, die das Mittelal- 
ter neu durchdachte (->- Musica) und die seit Cassiodo- 
rus zum Bildungsprogramm der Kloster- und Dom- 
schulen gehorten (-»■ Ars musica), auch eine der musi- 
kalischen Gegenwart zugewandte Theorie des Chorals 
(Aurelianus) und der Mehrstimmigkeit (Musica Enchi- 
riadis), die durch rationale Durchdringung und begriff- 
liche Erf assung eine usuelle Gesangspraxis zur artifiziel- 
len erhob. Die Geschichte der Mehrstimmigkeit vom 
->■ Organum iiber den -»■ Discantus zum -> Kontra- 
punkt ist ohne das Ineinandergreifen von Theorie und 
Praxis, von Reflexion und Komposition, nicht vorstell- 
bar. Die Satzregeln, das Parallelenverbot, die Kontra- 
stierung imperfekter und perfekter Konsonanzen als 
Spannungs- und Losungsklange und die Reduktion der 
Dissonanzen auf feste Formeln (Synkopen- und Durch- 
gangsdissonanzen), sind zu einem nicht geringen Teil 
ein Werk der Th. d. M. Ebenso war in der Entwick- 
lung der Notenschrift vom 1 1 . bis zum 15. Jh. das Ein- 
greifen von Theoretikern wie Guido von Arezzo, Fran- 
co, Ph. de Vitry und Gaffori von entscheidender Be- 
deutung. - Humanistische Bemiihungen um eine Re- 
naissance der antiken Musik (-*■ Humanismus; N. Vi- 
centino) sowie die Anerkennung der Terz als unmittel- 
barer Tonverwandtschaft fiihrten im 16. Jh. zu Diskus- 
sionen iiber Probleme des -*■ Tonsystems und der 
-*■ Temperatur. Die Kontrapunktlehre erhielt im 16. 
Jh. durch G.Zarlino, im 18. durch JJ.Fux eine autori- 
tative Fassung. Sie wurde erganzt durch Versuche deut- 
scher Theoretiker, in Anlehnung an die Rhetorik und 
PoetikEinzelheiten des musikalischen Satzes begrifflich 
zu erfassen (->■ Musica poetica und ->■ Figuren). Kenn- 
zeichen der Aufklarung des 1 8. Jh. sind in der Th. d. M. 
die Bewunderung der Physik als Musterwissenschaf t so- 
wie die Betonung des Geschmacks, die zur Entstehung 
der modernen ->■ Asthetik fuhrte. J.-Ph. Rameau leitete 
vom Naturvorbild der Obertonreihe die Struktur und 
den Zusammenhang der Akkorde ab ; J. Mattheson ent- 
wickelte aus asthetischen Voraussetzungen die Grund- 
ziige einer Melodielehre. Im 19. Jh. war die Th. d. M. 
primar -»■ Harmonielehre (G. Weber, M. Hauptmann, 
S. Sechter, H. Riemann) . Die Th. des Rhythmus gelang- 
te zu beachtenswerten Ansatzen (J.J. de Momigny, R. 
Westphal, H. Riemann); diejenige des Kontrapunkts 
erstarrte und war erst im 20. Jh. tief eingreifenden Ver- 
anderungen unterworfen (E. Kurth, H. Schenker). Aus 
Ansatzen, die bis zu Mattheson und Scheibe zuriick- 
reichten, entwickelten J.Riepel und H. Chr.Koch, spa- 
rer A. B. Marx (in Anlehnung an Goethes Morphologie) 
eine musikalische -> Formenlehre. Fiir die Th. d. M. 
im 20. Jh. scheint einerseits die Ubernahme von Kate- 
gorien aus der Gestaltpsychologie und der Phanome- 



954 



Thiiringen 



nologie, andererseits ein Zug zur Historisierung cha- 
rakteristisch zu sein. Th.n, die - wie diejenige H. Rie- 
manns - den Anspruch erhoben, die unveranderliche 
Natur der Sache darzustellen, wurden als Dogmatiken 
von Zeitstilen erkannt. Von geschichtlichem BewuBt- 
sein sind auch die Versuche mancher Komponisten ge- 
tragen, musikalisch Neues aus der Wechselwirkung 
zwischen Th. und Praxis zu entwickeln. Eine Th. der 
neuesten Periode der Musikentwicklung kann, mit den 
Worten B.Bartoks (1920), wie seinerzeitjede der alteren 
Th.n . . . hochstens eine Grundlage sein, aufder man erwei- 
terndfortbauen kann, urn schliefilich wieder zu irgend etwas 
ganzlich Neuem zu gelangen, das dann seinerseits wiederum 
zur Aufstellung einer neuen Th. anregt. A. Schonberg 
bemiihte sich stets um theoretische Begriindung und 
Rechtfertigung ; doch war er gegeniiber Regeln, die 
sich auf eine zeitlos giiltige Asthetik berufen, ebenso 
skeptisch wie gegeniiber der Tendenz, der theoreti- 
schen »Richtigkeit« des Komponierens allzu groBe Be- 
deutung zuzuschreiben. 

Ausg. u. Kat. : GS ; CS ; A. de Lafaoe, Essais de diphthero- 
graphiemus., Paris 1 864, Nachdruck Amsterdam 1 964; Mu- 
sici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1895, Nach- 
druck (2 Teile in 1 Bd)Hildesheiml962;CSM;O.STRUNK, 
Source Readings in Music Hist., NY 1950, London 1952; 
DM1, Druckschriften-Faks., Kassel 1951ff.; G. Reese, 
Fourscore Classics of Music Lit., NY 1957. - J. Smits van 
Waesberghe SJ, P. Fischer u. Chr. Maas, The Theory 
of Music from the Carolingian Era up to 1400. Descriptive 
Cat. of Mss. I, = RISM B IV>, Miinchen u. Duisburg 
(1961); A. Davidsson, Bibliogr. d. musiktheoretischen 
Drucke d. 16. Jh., = Bibl. Bibliogr. Aureliana IX, Baden- 
Baden 1962. 

Lit. : allgemein : Fr. W. Marpurg, Anfangsgriinde d. theo- 
retischen Musik, Lpz. 1757; A. A. E. Elwart, Theorie 
mus., Paris 1840; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Ton- 
empfindungen als physiologische Grundlage f . d. Th. d. M., 
Braunschweig 1863, 61913, Nachdruck Hildesheim 1967; 
E. Rontgen, Einiges zur Th. u. Praxis in mus. Dingen, 
VfMw IX, 1893 ; H. Riemann, Ideen zu einer »Lehre v. d. 
Tonvorstellungen«, JbP XXI, 1914 - XXII, 1915; ders., 
Neue Beitr. zu einer »Lehre v. d. Tonvorstellungen«, JbP 
XXIII, 1916; B. Bart6k, Das Problem d. Neuen Musik, 
Melos I, 1920; I. Krohn, Erneuerung d. musiktheoreti- 
schen Unterrichts, BUM III, 1923 - V, 1925; V. Gold- 
Schmidt, Materialien zur Musiklehre, Heidelberg 1925; 
W. Harburger, Mus. Geometrie, ZfMw XI, 1928/29; O. 
Fitz, Anschaulichkeit in d. Musiktheorie, Wien 1937; J. 
Handschin, Das Problem d. Musiktheorie, SMZ LXXX, 
1940; ders., Der Toncharakter, Zurich (1948); J. Chail- 
ley (mit H. Challan), Theorie complete de la musique, 
2 Bde, Paris 1947-51 ; Fr. Brenn, Von d. Aufgabe d. Mu- 
siktheorie, SMZ LXXXIX, 1949; C. Dahlhaus, Zur Kri- 
tik musiktheoretischer Allgemeinprinzipien, Mus. Zeitfra- 
gen IX, 1960; J. Rohwer, Aktuelle Erkenntnisse neuerer 
Musiktheorie, ebenda; Ch. Seeger, On the Moods of a 
Music-Logic, JAMS XIII, 1960. 

Gesch. : H. MOller, Bruchstiicke aus d. ma. Musiktheorie, 
VfMw I, 1885; U. Kornmuller OSB, Die alten Musik- 
theoretiker, KmJb VI, 1891, XIV, 1899 u. XVIII, 1903; 
Riemann MTh ; W. Grossmann, Die einleitenden Kap. d. 
Speculum musicae v. J. de Muris (= Jacobus Leodiensis), 
= Slg mw. Einzeldarstellungen III, Lpz. 1924; A. Hughes 
OSB, Theoretical Writers on Music, in: The Oxford Hist, 
of 'Music I— II, London 21929; G. Pietzsch, Die Klassifi- 
kation d. Musik v. Boetius bis Vgolino v. Orvieto, = Stu- 
dien zur Gesch. d. Musiktheorie im MA I, Halle 1929; 
ders., Die Musik im Erziehungs- u. Bildungsideal d. aus- 
gehenden Altertums u. fruhen MA, ebenda II, 1932; J. 
Wolf, Die Entwicklung d. Musiktheorie seit d. Ende d. 1 5. 
Jh., Adler Hdb. ; G. Adler, Die Musiktheorie d. MA, AMI 
III, 1931 ; ders., Early Engl. Music Theorists, MQ XXV, 
1939; D. Bartha, Studien zum mus. Schrifttum d. 15. Jh., 
AfMf I, 1936; J. Smits van Waesberghe SJ, Muziekge- 
schiedenis der middeleeuwen, 2 Bde, I Tilburg 1936-39, II 
1939-47; Kn. Jeppesen, Eine musiktheoretische Korre- 
spondenz d. friiheren Cinquecento, AMI XIII, 1941 ; J. 
Handschin, Aus d. alten Musiktheorie, AMI XIV, 1942 - 



XVI/XVII, 1944/45; M. Vogel, Die Zahl Sieben in d. spe- 
kulativen Musiktheorie, Diss. Bonn 1955, maschr. ; Beitr. 
zur Musiktheorie d. 19. Jh., hrsg. v. dems., = Studien zur 
Mg. d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966; H. Huschen, Die Mu- 
sik im Kreise d. Artes liberales, Kgr.-Ber. Hbg 1956; O. 
Becker, Friihgriech. Mathematik u. Musiklehre, AfMw 
XIV, 1957; J. Lohmann, Diegriech. Musik als mathemati- 
scheForm, AfMwXIV, 1957; ders., DerUrsprungd. Mu- 
sik, AfMw XVI, 1959; G. Reaney, The Greek Background 
of Medieval Mus. Thought, MMR LXXXVII, 1957 ; ders., 
The Question of Authorship in the Medieval Treatises on 
Music, MD XVIII, 1964; E. R. Jacobi, Die Entwicklung d. 
Musiktheorie in England nach d. Zeit v. J.-Ph. Rameau, 
= Slg mw. Abh. XXXV, XXXIX u. XXXIXa, StraBburg 
1957-60; N. C. Carpenter, Music in the Medieval and 
Renaissance Univ., Norman/Okla. (1958); H. Federhofer, 
Zur hs. Uberlieferung d. Musiktheorie in Osterreich, Mf 
XI, 1958; L. Richter, Die Aufgaben d. Musiklehre nach 
Aristoxenos u. Kl. Ptolemaios, AfMw XV, 1958; ders., 
Zur Wissenschaftslehre v. d. Musik bei Platon u. Aristote- 
les, = Deutsche Akad. d. Wiss. zu Bin, Schriften d. Sektion 
f. Altertumswiss. XXIII, Bin 1961 ; ders., Antike Uberlie- 
ferungen in d. byzantinischen Musiktheorie, Deutsches Jb. 
d. Mw. VI (=JbP L1II), 1961; H. Pousseur, Theorie u. 
Praxis in d. neuesten Musik, = Darmstadter Beitr. zur 
neuen Musik II, Mainz (1 959); H. H. Eggebrecht, Der Be- 
griffd.»Neuen«ind. Musik, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; ders., 
Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 1 96 1 ; E. Apfel, Uber 
d. Verhaltnis v. Musiktheorie u. Kompositionspraxis im 
spateren MA, Kgr.-Ber. Kassel 1 962; B. Meier, Musiktheo- 
rie u. Musik im 16. Jh., ebenda; P. Boulez, Musikdenken 
heute 1, = Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik V, Mainz 
(1963); E. E. Lowinsky, Renaissance Writings on Music 
Theory, Renaissance News XVIII, 1965. CD 

Thesis (griech., Senkung) -> Arsis. 

Thomaskantoren. Das Kantorat der Thomasschule in 
Leipzig, ein in der Musikgeschichte hochangesehenes 
Amt, ist von einer Anzahl bedeutender Kirchenmu- 
siker bekleidet worden. Es folgten nacheinander: G. 
Rhaw (-1520), J.Hermann (-1536), W.Junger (-1539), 
Ulr.Lange (-1549), W.Figulus (-1551), M.Heger 
(-1564), V.Otto (-1594), S.Calvisius (-1615), J.H. 
Schein (-1630), T.Michael, daneben J. Rosenmuller 
(-1657),S.Knupfer(-1676)J.Schelle(-1701),J.Kuhnau 
(-1722), J.S.Bach (-1750), G.Harrer (-1755), J. Fr. Do- 
les (-1789), J.A.Hiller (-1804), A.E.Miiller (-1810), 
J.G.Schicht (-1823), Chr.Th.Weinlig (-1842), M. 
Hauptmann (-1868), E.Fr. Richter (-1879), W.Rust 
(-1892), G.Schreck (-1918), K.Straube (-1939), G. 
Ramin (-1956), K.Thomas (-1960), seitdem Erhard 
Mauersberger. -»■ Kreuzkantoren. 
Lit.: R. Wustmann, Mg. Lpz. I, Lpz. u. Bin 1909, 21926, II 
u. Ill v. A. Schering, Lpz. 1926-41 ; St. Thomas zu Lpz., 
Schuleu. Chor, hrsg. v. B. Knick, Wiesbaden 1963. 

Thorough-bass (0'Aja-beis, engl., Obersetzung von 
ital. basso continuo) -> GeneralbaB. 

Threnos (griech.&pyjvoc;), bei den Griechen dieToten- 
klage, das Trauer- und Klagelied. Das Wort ist zusam- 
men mit der Darstellung einer Trauerszene bei Homer 
(Bias XXIV, 721 ff.) belegt. In der spitarchaischen Chor- 
lyrik bildeten die Threnoi eine eigene Gattung (Frag- 
ments von Simonides und Pindaros). Eine bedeutende 
Rolle spielte das threnodische Element in der attischen 
Tragodie (z. B. Aischylos, Choephoroi, 306ff., als Wech- 
selgesang von Chor und einzelnen Schauspielern; 
->• Monodie). - Die in der Vulgata Threni, id est lamen- 
tationes (Septuaginta : &Qrjvoi) uberschriebenen Klage- 
lieder des Jeremias (-> Lamentation) hat unter diesem 
Namen z. B. Strawinsky vertont. 

Thiiringen. 

Lit. : Ph. Spitta, J. S. Bach I, Lpz. 1873, Wiesbaden 21962; 
A. Aber, Die Pflege d. Musik unter d. Wettinern ..., 
= Veroff. d. Furstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biicke- 



955 



Tibet 



burg IV, Quellenstudien zur Mg. ... I, Biickeburg u. Lpz. 
1921 ; A. Werner, Sachsen-Th. in d. Mg., AfMw IV, 1922; 
ders., Die praktische Durchfuhrung d. lokalen Musikfor- 
schung in Sachsen-Th., Kgr.-Ber. Lpz. 1925 ; E. W. Bohme, 
Die friihdeutsche Oper in Th., Stadtroda 1931, audi in: 
Mitt. d. Gesch.- u. Altertumsver. zu Eisenberg XLIII/ 
XLIV, 1 93 1 ; M. Popp, Thuringer Musiker daheim u. drau- 
Cen, Gotha 1931; Fr. Stander, Das eichsfeldische Kir- 
chenlied bis zum Zeitalter d. Aufklarung, Diss. Miinster 
i. W. 1932; K. Hartenstein, Thiiringische Volkslieder, 
Weimar 1933; H. Eberhardt, Die ersten deutschen Mu- 
sik-Feste in Frankenhausen am Kyffhauser u. Erfurt 1810, 
1 8 1 1 , 1 8 12 u. 1 8 1 5. Ein Beitr. zur thuringischen Mg., Greiz 
1934; Denkmaler Thuringischer Musik vornehmlich d. 
16. u. 17. Jh., hrsg. v. E. W. Bohme, 2 Bde, Kassel 1934- 
36; W. Greiner, Die Musik im Lande Bachs. Thuringer 
Mg., Eisenacher Heimatbucher III, 1935; A. Sellmann, 
Th. Anteil an d. kirchenmus. Leben Westfalens, Jb. d. 
Ver. f. westfalische Gesch. XXXVI, 1936; Fr. Treiber, 
Die thuringisch-sachsische Kirchenkantate zur Zeit d. 
jungen J. S. Bach, AfMf II, 1937; H.-J. Wagner, Die Or- 
gelmusik in Th. in d. Zeit zwischen 1830 u. 1860, Diss. Bin 
1937 ; C. Rucker, Th. Musikkultur im Schrifttum, Weimar 
1938; G. Kraft, Die thiiringische Musikkultur um 1600, 
Wurzburg 1941 ; ders., Die bauerlich-handwerklichen 
Grundlagen d. thuringischen Musikkultur, Deutsches Jb. 
f. Volkskunde I, 1955; ders., Mg. Beziehungen zwischen 
Th. u. RuBland im 18. u. 19. Jh., Weimar u. Erfurt 1955; 
ders., Thuringisch-sachsische Quellen zur musikphysiolo- 
gischen Forschung d. 17. u. 18. Jh., Kgr.-Ber. Koln 1958; 
J. S. Bach in Th., Festgabe zum Gedenkjahr 1950, hrsg. v. 
H. Besseler u. G. Kraft, Weimar 1950; Bach in Th., hrsg. 
v. Landeskirchenrat d. Ev.-Luth. Kirche in Th., Bin 1950; 
G. Grosch, Die Pflege d. Instrumentalmusik an d. hoheren 
Schulen Sachsens u. Th. v. 1500 bis 1650, Diss. Jena 1955, 
maschr. ; R. Jauering, Die Erneuerung d. Kirchengesangs 
im Herzogtum Sachsen-Gotha, Jb. f. Liturgik u. Hymno- 
logie II, 1956; G. Grober-Gluck, Heidelbeerlieder aus 
Th., Deutsches Jb. f. Volkskunde III, 1957 ; P. Michel, Die 
Ausbildung d. Orchestermusikers im 19. Jh., . . . unter be- 
sonderer Beriicksichtigung d. Verhaltnisse in Th., 2 Bde, 
Diss. Bin 1957, maschr.; Fr. Wiegand, Die Umwelt u. d. 
Verhaltnisse d. Thuringer Stadtpfeifer, Organisten u. ande- 
rer Musiker im 17. Jh., Arnstadter Bachbuch, 1957; H. 
Engel, Musik in Th., = Mitteldeutsche Forschungen 
XXXIX, Koln u. Graz 1966. 

Tibet. 

Ausg. u. Lit.: A. H. Francke, Mus. Studien in West-T., Zs. 
d. Deutschen Morgenlandischen Ges. LIX, 1905; T. H. 
Somervell, The Music of T., Mus. Times LXIV, 1923 ; W. 
Graf, Zur Ausfiihrung d. Iamaistischen Gesangsnotation, 
Studia musicologica III, 1962; Tibetan Folk Songs, from 
Gyantse and Western T., hrsg. v. G. Tucci, =Artibus 
Asiae Suppl. XXII, NY 21966; W. Kaufmann, Mus. No- 
tations of the Orient, = Indiana Univ. Series LX, Bloo- 
mington 1967. 

Tibia (lat., Schienbein), - 1) ursprunglich eine Bein- 
pfeife, spater der lateinische Name fur die von den 
Etruskern (Subulo) und Griechen (-»- Aulos) her be- 
kannten gedoppelten Rohrblattinstrumente. Auf ver- 
schiedene Typen weisen die Bezeichnungen Tibiae 
pares und impares, T. dextra und sinistra hin; auf Klang- 
veranderungen am Instrument deuten die auf spaten 
Darstellungen (Dionysos-Mosaik vom Kolner Dom 
um 220 n. Chr., Monus-Mosaik aus Trier um 250) er- 
kennbaren Aufsatze auf den unteren Schallochern. 
- 2) Als Orgelregister bedeutet T. Flote, z. B. T. aperta 
(Offenflote), T. silvestris (Waldflote), T. clausa (Labial- 
register zu 8' und 4' mit gedeckten Pfeifen, auch dop- 
pelt labiiert), T. angusta (Dolzflote). 
Lit.: zu 1): K. G. Fellerer, Musikdarstellungen auf d. neu- 
gef undenen romischen Mosaik in Koln, Mk XXXIV, 1 941 / 
42; ders., Darstellungen v. Musikinstr. auf d. Kolner 
Mosaik, in: H. Fremersdorf, Das romische Haus mit d. 
Dionysos-Mosaik . . . , = Kolner Ausgrabungen I, Bin 
1956 ; H. Becker, Studien zur Entwicklungsgesch. d. Rohr- 
blattinstr., Habil.-Schrift Hbg 1961, maschr. 



Tiento (span., von tentar, befiihlen, tasten, suchen; 
port, tento), im 16. Jh. ein dem -* Ricercar entspre- 
chendes Instrumentalstiick spanischer Komponisten. In 
frei praeludierender und intonierender Art begegnet es 
fiir Vihuela in den fantasias de tentos . . . por todos los 
ocho tonos von L.Milan (Libro de musica de vihuela de 
mano, 1535). Fiir die T.s von A. de Cabezon (1557, 
1578) ist jedoch die imitierende Schreibweise charakte- 
ristisch; ihr entspricht die Umdeutung des Namens in 
»Suchen der Motive« etwa bei P. Cerone (El Melopeo, 
1613, Kap. XVII), der T. mit Ricercar gleichsetzt. 

Timpano (ital.; frz. timbale) ->■ Pauke. 

Tintinnabula (von lat. tintinnare, klingen), im Mit- 
telalter eine Reihe abgestimmter Glockchen oder Schel- 
len (-> Zimbelstern). Die Benennungen t., -*■ cymbala, 
nolae (-> Nola) werden oft ohne erkennbaren Unter- 
schied gebraucht, so in der Herstellungsanweisung bei 
Eberhard von Freising: Regula adfundendas Nolas, id 
est, organica t. (GS II, 282). Tintinnabulum ist u. a. be- 
zeugt als kleine Glocke (parva nola vel campanula, Jo- 
hannes Aegidius von Zamora, GS II, 392a), mit Klop- 
pel geschlagenes Glocklein (Praetorius Synt. II) und 
allgemein als Kling-Werck (WaltherL). - In den Alpen 
wird mit T. das Herdengelaut bezeichnet. 
Lit.: H. Magius, De Tintinnabulis, neu hrsg. v. Fr. Swer- 
tius, Amsterdam 1664; Ed. Buhle, Das Glockenspiel in d. 
Miniaturen d. friihen MA, Fs. R. v. Liliencron, Lpz. 1910; 
E. Morris, T. : Small Bells, London 1959. 

Tiple (span., von lat. triplum), Sopran, auch die in der 

-* Cobla gebrauchliche Diskantschalmei. 

Lit. : J. Coll, Metodo de t. y tenora, Barcelona 1 950. 

Tirana (span.), spanisches Tanzlied aus dem 18./19. 

Jh. mit dem pragnanten Rhythmus 5 7 J- 3 I JJ 7 |. 

Tirata (ital. ; frz. tirade, auch coulade ; Zug), eine Ver- 
zierung, die als diatonischer Lauf, auf- oder abwarts, 
entweder (nach Art der -> Diminution - 2) zwei iiber- 
geordnete Melodietone verbindet oder (oft nach kur- 
zer Pause einsetzend) auf einen akzentuierten, linger 
ausgehaltenen Melodieton hinzielt. Wahrend Praeto- 
rius (Synt. Ill, S. 236) Tiratce als lange geschwinde Lduff- 
lin . . . gradatim . . . durchs Clavier hinauff oder hervnter 
charakterisiert, unterscheidet Walther (1732), ahnlich 
wie schon Printz (1696), je nach dem Umfang der T. 4 
Arten: T. mezza (Quart- und Quintumfang), T. de- 
fectiva (Sexte oder Septime), T. perfecta (Oktave), T. 
aucta oder excedens (groBer als Oktave). Die T. wurde 
seit dem Ende des 1 7. Jh. in besonders charakteristischer 
Weise angewendet im langsamen Teil der f ranzosischen 
Ouverture (z. B. J. S. Bach, Partita D dur, BWV 828). 
Walthers Begriffsbestimmung (1708), T. sei ein Pfeil, 
weist darauf hin, daB die T. auch als wortausdeutende 
Figur Verwendung fand (bei Wortern wie schleudern, 
blitzen). Mattheson (1739) nahm die Kennzeichnung 
als Spiefi-Schufi oder Pfeil-Wurffzut und erwahnte auch 
Tirate piccole mit Terzumfang. 

tir6 (frz.) ->• Abstrich. 

Tirol (Osterreich). 

Lit. : L. Schonach, Die fahrenden Sanger u. Spielleute T. 
1250-1360, Forschungen u. Mitt, zur Gesch. T. u. Vorarl- 
bergs VIII, 1911; F. Waldner, Nachrichten fiber tiroli- 
sche Lauten- u. Geigenbauer, Zs. d. Ferdinandeums f. 
T. u. Vorarlberg LV, 191 1 ; K. M. Klier, Von d. Alt-T.er 
Volksmusik, T.er Heimatblatter VII, 1929; A. Dawido- 
wicz, Orgelbaumeister u. Org. in Ost-T., Diss. Wien 1949, 
maschr.; A. Quellmalz, Von d. Siid-T.er Bauernmusik, 
Die Volksmusik III, (Bozen) 1951; ders., Mus. Altgutind. 
Volksuberlieferung Siid-T., Kgr.-Ber. Wien 1956; H. Eg- 
ger, Die Entwicklung d. Blasmusik in T., Diss. Innsbruck 
1952, maschr. ; W. Senn, Beitr. zum deutschen Kirchenlied 



956 



Toccata 



T. im 16. Jh., Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss. II, 1954; 
ders., Volkslieder in T. bis zum 17. Jh., ebenda III, 1955; 
J. Ringler, Zur Gesch. d. T.er Nationalsangertums, T.er 
Heimatblatter XXX, 1955; K. Horak, T.er Volksmusik, 
Jb. d. osterreichischen Volksliedwerkes XI, 1962. 

Tischgeige ->■ Streichmelodion. 

Tmesis (griech., Trennung, Zerschneidung), in der 
Kompositionslehre des 17. und 18. Jh. eine im An- 
schluB an die Rhetorik erklarte musikalische Figur: 
ZerreiBung eines musikalischen oder textlichen Zu- 
sammenhangs durch eine Pause, wohl gleichbedeutend 
mit ->• Suspiratio. 

Toccata (ital., von toccare, schlagen, auch [be]riihren, 
span, tocar, frz. toucher; span, taner, von lat. tangere, 
beriihren, ital. aquivalent tastare, tastata). Toccare uno 
stromento ist von seiner vokabularen Bedeutung her 
(ein Instrument schlagen, riihren, spielen) wahrschein- 
lich zweimal unabhangig voneinander zum Terminus 
T. substantiviert worden : einmal in bezug auf Pauken 
und Blaser, wie es vermutlich in dem Namen Blaser- 
tusch (-*■ Tusch) fortlebt, zum anderen in bezug auf 
Laute und Tasteninstrumente. Die festliche Blaserfanf a- 
re (mittelf rz. batture) erhielt den Namen T. vom »Schla- 
gen« der Pauken, die mit den Trompeten untrennbar 
verbunden waren. Wahrend des Festzuges bei der Kro- 
nung Alfons' II. von Neapel (1494) erklang una t. de 
trombette, und beim Fasanenbankett zu Lille (1454) spiel- 
ten 2 Trompeten une moult longue bateure (weitere Be- 
lege, u. a. schon 1393 fur Barcelona, bei Gombosi). Die 
fanfarenartige Eroffnungs-T. von Monteverdis Orfeo 
(1607) steht in dieser Tradition, ist aber nicht der einzi- 
ge bekannte Fall einer kompositorischen Niederschrift 
dieser Toccatenart (vgl. Clercx-Lejeune). - Die Tasten- 
(im 16. Jh. auch Lauten-)T., die M.Praetorius als ein 
durchgriff oder begreiffung des Claviers, J. Mattheson als 
uberhaupt ein Gespiele charakterisiert, ist das komposito- 
risch nachgebildete Improvisieren in Erprobung, Aus- 
nutzung und Darstellung der Spielmoglichkeiten des 
Instruments und in Darbietung, auch Ubung der Kunst 
des Spielers. - Die friihesten Belege bilden die vier 
anspruchslosen Tochate von Francesco da Milano in 
dessen Intavolatura di liuto I (1536): kurze, frei gef orna- 
te AbschluBstiicke von Tanzfolgen. Gegen Ende des 
16. Jh. tritt in Druckwerken die italienische Orgel- 
T. hervor, die (wie schon die kurzen Intonationi d'organo 
von A.Gabrieli, Venedig 1593) die Aufgabe des Into- 
nierens im Gottesdienst hatte. Zu nennen sind die Or- 
geltoccaten von S. Bertoldo ( Toccate, Ricercari et Canzoni 
francese . . ., Venedig 1591), A. Padovano (Toccate e Ri- 
cercari, gedruckt posthum 1604), ferner von A. und G. 
Gabrieli in den Intonationi und in G. Dirutas Transilvano 
(1 1593, II 1609), wo auch Toccaten von Diruta selbst, 
ferner von G. Guami, L.Luzzaschi, A.Romanini und 
P. Quagliati zu linden sind; diese Toccate di diver si ecce- 
lenti organisti veroffentlichte Diruta als Muster orgel- 
maBiger Improvisation und Diminutionskunst. CI. 
Merulos Toccaten (2 Biicher 1598 und 1604) sind zu- 
kunftsweisend, indem hier die Abschnitte der ausko- 
lorierten Akkorde in Einbeziehung motettischer bzw. 
ricercarartiger Kompositionsweise mit imitierenden 
Abschnitten abwechseln. Eine 3teilige Form (Passagen- 
teil, imitierende Partie, Passagenteil) zeigt die ebenfalls 
im Transilvano gebotene T. des A. Gabrieli-Schiilers V. 
Bell'Haver. Wesentliche Merkmale der alteren Tocca- 
tenkomposition nennt M.Praetorius: Eingrenzung auf 
Orgel oder Clavicymbalum, Aufgabe des improvisations- 
artig zu intonierenden Praeludiums (T., ist als ein . . . 
Praeludium, welches ein Organist . . . ehe et ein Mutet oder 
Fugen anfehet / aus seinem Kopffvorherfantasirt), Akkord- 
folge und -kolorierung als Grundprinzip der klavieri- 



stischen Satzweise (mit schlechten [schlichten] entzelen 
griffen / vnd Coloraturen). Einer aber hat diese / der ander 
ein andere Art. Auch die Art der 13 iiberlieferten Toc- 
caten J. P. Sweelincks besteht wesentlich im Kolorieren 
von Griffen, wobei die Spielfiguren sinnvoll auseinan- 
der hervorgehen und das schweifend ornamentale Spiel 
jene Art des Ordnens und Bauens gewinnt, die dann 
fur die deutsche Orgel- und Klaviermusik bis zu Bach 
hin maBgebend war. Die groBeren seiner Toccaten 
gliedert Sweelinck durch ein oder zwei imitierende 
Abschnitte; dieser zunachst innerhalb der T. sich ab- 
spielende Wechsel von »Praeludieren und Fugieren« 
wurde fur das nord- und mitteldeutsche Toccaten- 
schaffen wegweisend. Die stilistische Nahe der T. zum 
Praeludium erweist sich schon aus der Tatsache, daB der 
Kopist des Fitzwilliam Virginal Book (ca. 1625) eine T. 
Sweelincks Praeludium T. betitelte. Auch J. S.Bachs 
(Orgelpunkt-)T. in F dur (BWV 540) ist in den Hand- 
schrif tenPraeludio genannt und seine dorische T. (BWV 
538) als Praeludium verzeichnet. 
Zusammenfassung und weithin ausstrahlenden Hohe- 
punkt der italienischen T. stellen dieje 1 1 Toccaten von 
G. Frescobaldi in dessen Sammlungen von 1615 und 
1627 dar, daneben die kiirzeren Messen- und Vesper- 
toccaten (T. avanti la Messa, T. cromaticha per l'Ele- 
vatione) in den Fiori musicali von 1635. Frescobaldi 
reiht mehrere aus motivischem Passagenwerk und ma- 
drigalischer Harmonik gestaltete Teile, an deren jewei- 
ligem Ende die T. aus liturgischen Riicksichten abge- 
brochen werden kann. In seinen beiden Typen, der T. 
di durezze e ligature und der T. per li pedali (Orgel- 
punkt-T.), zeigt sich Frescobaldis neuer, affektuoser 
Orgelstil ; ihm entsprechen die Anweisungen zur Tem- 
pomodifikation, die das Spiel als quasi improvisatorisch 
entstehen laBt und es zudem gliedernd verdeutlicht. 
Bei den Organisten in Italien, Osterreich (Wien) und 
Siiddeutschland (Miinchen) steht die weitere Geschich- 
te der T. zunachst im Zeichen Frescobaldis, so nament- 
lich bei dessen Schiilern M.A.Rossi (10 Toccate, 1637, 
2 1657) und J. J. Froberger (ab etwa 1649), ferner bei 
Georg Muff at (12 Toccaten im Apparatus musico-orga- 
nisticus, 1690) und seinem Lehrer B.Pasquini, dessen 
Toccates et suittespour le clavessin zusammen mit solchen 
von A.Poglietti und J.K.Kerll 1704 in Amsterdam er- 
schienen. Neben der iiberkommenen Versetten-T. fiir 
Orgel (Fr. X. A. Murschhauser, Octi-Tonium ..., 1696; 
Gottlieb Muffat, 12 Versetl Sammt 12 Toccaten, 1726; 
F.T.Richter) trat ab etwa 1680 im Siiden jene cemba- 
listische T. hervor, dieentweder als Teil einer Suite 
oder Sonata dient oder selbst ein oft mehrteiliges, 
sonaten- oder konzertartiges Gebilde darstellt, so in 
Cembalotoccaten von A. Scarlatti, Fr. Durante, G. Gre- 
co und D. Scarlatti. Die Toccaten der Augsburger Or- 
ganisten H.L.HaBler, J.HaBler und Chr.Erbach sind 
nach venezianischer Art gebildet. Dagegen steht die 
norddeutsche Toccatenkunst zunachst im Zeichen 
Sweelincks mit Kompositionen von S.Scheidt (T. su- 
per: In te Domine speravi, in: Tabulatura nova II, 1624), 
H. Scheidemann, D. Strungk, M. Weckmann, A. Rein- 
cken, D.Buxtehude, N.Bruhns, G.Bohm. Merkmale 
der norddeutschen T. des 17. Jh. sind der Wechsel von 
verschieden mensurierten Fugati und freien Teilen, 
ferner die motivische Verwandtschaft der Teile, der 
geordnete Bau des Spielwerks und die Ausnutzung des 
Farbenreichtums der Orgel unter zunehmender Ver- 
wendung des Pedals. Die Grundtendenz war die Tren- 
nung der Teile, wie sie im hochbarocken Typus der T. 
et Fuga dann vorliegt. Doch noch Buxtehudes spater 
so genannte »Toccaten (oder Praeludien) und Fugen« 
sind 3- bis 7teilige Toccaten mit 1-3 Fugati. Zwischen 
dem Siiden, namentlich Froberger, Kerll und Pasquini, 



957 



Toledo 



und dem Norden vermittelt eine Numberger Gruppe : 
J.Ph.Krieger (T. e Fuga), J.Krieger (T. mit dem Pedal 
aus C [mit Fuge], 1699, und Durezza nach dem Vor- 
bild Kerlls) und J.Pachelbel, dessen 12 Orgelpunkttoc- 
caten sich auszeichnen durch in der Regel liickenlos an- 
einandergereihte Orgelpunkte, harmonische Schlicht- 
heit und durch die Klarheit und Milde (Terzen- und 
Sextengange) der Figuration. In J. S.Bachs Toccaten 
entspricht der siidlichen Uberlieferung die T. als Sui- 
teneinleitung in der 6. Klavierpartita (mit Fugenmittel- 
teil, BWV 830) ; ebenso mehr nach italienischer Art ge- 
bildet sind die 7 Klaviertoccaten aus der Weimarer und 
Kothener Zeit (BWV 913-16) mit ihren je 3-6 Teilen 
in kontrastierendem, in eine lebhafte SchluBfuge miin- 
dendem Wechsel zwischen spielfreudiger Virtuositat 
und cantablemEspressivo. Hierher gehort von den Or- 
geltoccaten auch die Weimarer 3teilige T. in C dur 
(mit Adagio und Fuge, BWV 564), wahrend die 4tei- 
lige in E dur (BWV 566) der Art Buxtehudes folgt 
und in den Orgeltoccaten in D moll (BWV 565), in 
F dur (BWV 540) und d dorisch (BWV 538), je mit 
Fuge, die norddeutsche Toccatenkunst ihre giiltigste 
Auspragung erreichte in enger Nachbarschaft zu J. S. 
Bachs »Praeludien [bzw. Fantasien] und Fugen«. Trotz 
ihrer im hbchsten Grade kompositorisch durchdach- 
ten Struktur verlangen diese Toccaten einen Vortrag, 
der sie - wie einst Frescobaldi es ihrem Wesen ent- 
sprechend betonte - in Registrierung und Tempo- 
modifikation (Innehalten, Neubeginn usw.) gleichsam 
als Orgelprobe und Improvisation zur Geltung bringt. 
- Im AnschluB an die italienische Entwicklung und ent- 
sprechend der abermals neuen musikgeschichtlichen 
Situation wandelte sich die T. in klassizistischer Zeit 
in Richtung der Etude und des brillanten Vortrags- 
stiicks; in dieser Art erscheint sie u. a. bei C. Czerny 
(T. ou exercice op. 92), R.Schumann (op. 7, 1829/32), 
J.Rheinberger (op. 19), Debussy (1901), S.Prokofjew 
(op. 1 1) und A. Chatschaturjan (1932). Regers Toccaten 
in seinen Orgel-»Stiicken« op. 69, 80 und 129 erneuer- 
ten und verwandelten die barocke T. In der Folgezeit 
ist die T. fur Klavier (Busoni, Kf enek, Jelinek) und fur 
Orgel (Vierne, Dupre, Pepping, Ahrens, Fortner), auch 
fiir Orchester (Holler in den Hymnen op. 18, Strawin- 
sky in Pukinella) wieder beliebt. 

Ausg. (in Sammelwerken) : Le tresor des pianistes II, hrsg. 
v. A. u. L. Farrenc, Paris 1872; A. G. Ritter, Zur Gesch. 
d. Orgelspiels ... II, Lpz. 1884(darin 10 T. d. 16.-18. Jh.); 
Torchi HI; F. Boghen, T. per clavicemb., Mailand 1922; 
A. Della Corte, Scelta di rausiche ..., ebenda 1928, 
31949 ; E. Kaller, Liber organi V, Mainz (1933 u. 6. ; T. d. 
17. u. 18. Jh.); Tagliapietra Ant. XVIII; E. Valentin, 
DieTokkata, = DasMusikwerkXVH,K61n(1958). 
Lit.: Praetorius Synt. Ill; Mattheson Capellm.; L. 
Schrade, Ein Beitr. zur Gesch. d. T„ ZfMw VIII, 1925/26; 
ders., Die altesten Denkmaler d. Orgelmusik als Beitr. zu 
einer Gesch. d. T., Minister i. W. 1928; E. Valentin, Die 
Entwicklung d. Tokkata im 17. u. 18. Jh. (bis J. S. Bach), 
= Universitas-Arch., Mw. Abt. XLV, ebenda 1930; Fr. 
Dietrich, Analogieformen in Bachs Tokkaten u. Pralu- 
dien f. d. Org., Bach-Jb. XXVIII, 1931 ; O. Gombosi, Zur 
Vorgesch. d. Tokkata, AMI VI, 1934; J. Marix, Hist, dela 
musique et des musiciens de la cour de Bourgogne sous le 
regne de Philippe le Bon (1420-67), = Slg mw. Abh. 
XXVIII, StraBburg 1939; H. Hering, Das Tokkatische, 
Mf VII, 1954; S. Clercx-Lejeune, La t., in: La musique 
instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, Paris 1955; 
H. H. Eggebrecht, Studien zur mus. Terminologie, 
= Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u. so- 
zialwiss. Klasse, Jg. 1955, Nr 10. HHE 

Toledo. 

Lit. : L. Serrano, Hist, de la rmisica en T., T. 1907 ; J. Mi- 
lego, El teatro en T. durante los s. XVI y XVII, Valencia 
1909; F. Rubio Piqueras, Musica y musicos toledanos, 
Boletin de la Real Acad, de Bellas Artes V, 1933 ; H. An- 



gles, La musica medieval en T. hasta el s. XL, Span. For- 
schungen d. Gorres-Ges. 1, 7, Minister i. W. 1938 ; J. Moll, 
Musicos de la Corte del Card. J. Tavera, AM VI, 1951. 

Tom-Tom, ein Trommelinstrument, das iiber die la- 
teinamerikanische Tanzmusik in das Jazzinstrumenta- 
rium aufgenommen wurde und seitdem in doppelter 
Besetzung zum festen Bestand der Combos und Tanz- 
kapellen (besonders fiir Mambo und Cha-Cha-Cha) ge- 
hort. Das T.-T., das ein- oder zweiseitig bespannt 
sein kann, kommt in verschiedenen GrbBen vor, wo- 
bei sichjeweilsHohen und Durchmesser (14-50 cm) an- 
nahernd entsprechen. Ahnlich wie die kleine -*■ Trom- 
mel besteht das T.-T. aus einer zylindrischen Holz- 
zarge, auf die mittels eines Metallreifens die Membra- 
nen (jedoch ohne Schnarrsaiten) aufgezogen sind. Die 
Spannung ist durch Schrauben fiir jedes Fell gesondert 
regulierbar. Der Klang des zweifelligen Instruments 
ist dunkler als der des einfelligen. Beide Arten des 
T.-T.s kbnnen auf ungefahre TonhShe gestimmt wer- 
den (die kleineren Instrumente genauer; etwa bei 7 In- 
strumental diatonisch im Raum einer Oktave). Zum 
Spielen werden Paukenschlagel, Trommelstocke und 
(seltener) Jazzbesen verwendet. In der Unterhaltungs- 
musik wird das T.-T. auf dem fiir Trommeln und 
Becken gemeinsamen Fiinfliniensystem notiert, in der 
Orchestermusik auf einer eigenen Linie fiir jedes ein- 
zelne Instrument. Bisweilen wird durch Angaben wie 
piccolo, medio oder soprano, alto u. a. das geforderte 
Instrument naher gekennzeichnet. Das T.-T. wird in 
Werken z. B. von Malipiero, Maderna, Fr.Donati, Bo 
Nilsson und Stockhausen verwendet. 

Tombeau (tab'o:, frz., Grabmal), im 16./17. Jh. bei 
franzosischen Lauten- und Klaviermeistern eine Gat- 
tung von Instrumentalstticken, geschrieben zum Ge- 
dachtnis besonders an Fiirsten oder Kiinstler. T.s, oft in 
Form von Pavane oder Allemande, schrieben E. Gaul- 
tier, D.Gaultier, L. Couperin, d'Anglebert und Fro- 
berger. In der gleichen Tradition und dem T. nahe 
stehen die englischen Tears, die -> Plainte (- 2) und das 
-> Lamento. Im 20. Jh. wurde in Frankreich die Kom- 
position von T.s zum Gedachtnis an Komponisten wie- 
der aufgenommen (unter Titeln wie Hommage a . . . 
oder T. de . . .), wobei auf deren Stil angespielt wird. 
Die bekanntesten sind Hommage a Rameau (in Images I, 
1905) und Hommage a Haydn (1909) von Debussy, 
Hommage a J. Haydn (1910) von Dukas, die Suite Le 
t. de Couperin (1917) von Ravel (zum Gedachtnis gefal- 
lener Freunde) und die von H.Prunieres herausgegebe- 
ne Sondernummer der Revue musicale 1920 (T. de De- 
bussy mit Kompositionen von Dukas, Roussel, Schmitt, 
Ravel, Satie sowie Malipiero, Goossens, Bartok, Stra- 
winsky und de Falla). 

Lit. : M. Brenet, Les t. en musique, La Rev. Mus. Ill, 1 903 ; 
Ch. Van den Borren, Esquisse d'une hist, des »t.« mus., 
StMw XXV, 1962. 

Ton (von griech. t6voc;, urspriinglich s. v. w. Span- 
nungsverhaltnis der Sake; lat. tonus; ital. suono; frz. 
son; engl. note). Das Wort T. stammt aus der griechi- 
schen musikalischen Terminologie, bedeutet aber dort 
nicht »Ton« im heutigen Sinne, sondern entweder den 
-»■ Ganz-T. oder die — > Tonart. Dies erklart sich dar- 
aus, daB die griechische Tonart (dorisch, phrygisch, 
lydisch usw.) nach der Lage des einzigen festen Ganz- 
T.es in der »charakteristischen Oktave« (Gombosi) be- 
stimmt ist. Streng genommen gibt es in der griechi- 
schen Terminologie den modernen Begriff des »Tones« 
iiberhaupt nicht, weil dieser die diatonische Tonleiter 
zur Voraussetzung hat, die erst am Ende der Antike 
aufkam (dies verbirgt sich hinter der bekannten Tat- 
sache, daB in der Spatantike das Lydische zur Norm- 



958 



Ton 



tonart wurde) . Den Begriff des T.es im modernen Sinne 
(wenn man daninter das elementare Glied einer Ton- 
leiter versteht) konnte es im urspriinglichen griechi- 
schen System schon deswegen nicht geben, weil die 
Zweiteilung (innerhalb der Oktave) in 4 »feste« Ton- 
sttifen (die Rahmentone der beiden Tetrachorde) und 
4 »bewegliche« Tonstufen (die Stufen innerhalb der 
beiden Tetrachorde) ihn ausschlieBt. Das Wort (pWyyoc; 
(lat. -»■ sonus), das diese beiden Tonqualitaten zusam- 
menfaBt, bedeutet »Klang« (vgl. den Begriff des Diph- 
thonges als des vokalischen Zweiklangs in der gram- 
matischen Terminologie - musikalische und gramma- 
tisch-phonetische Terminologie haben denselben Ur- 
sprung). - Im Mittelalter baut sich die Musik faktisch 
auf den Tonen als den elementaren Gliedern einer Ton- 
leiter auf, aber der EinfluB der antiken Theorie verhin- 
derte eine klare Begriffsbildung. Das Wort tonus wird 
in der lateinischen Musiklehre des Mittelalters in zwei 
Bedeutungsschichten verwendet: 1) direkt aus der an- 
tiken Musiktheorie ubernommen ist die Verwendung 
von tonus zur Bezeichnung des Ganz-T.es und der Ton- 
art (so bereits bei Cassiodorus, ed. Mynors, S. 145); 
2) im Zusammenhang mit der bei einigen lateinischen 
Grammatikern nachzuweisenden Verwendung des 
Wortes im Sinne von ->■ Akzent (- 1 ; hier als Entleh- 
nung aus der griechischen Musikterminologie) dient 
tonus seit dem 9. Jh. auch zur Bezeichnung der Lek- 
tionstone (-*■ Epistel, -*■ Evangelium, -> Toni commu- 
nes) und -*■ Psalmtone des liturgischen Gesangs. Die 
Lehre von den ->■ Kirchentonen in ihrem friihesten 
Stadium schliefit an diese Tradition an, indem sie ty- 
pische Melodiemodelle sammelt und rubriziert. Dem 
entspricht es auch, daB im deutschen ->■ Minnesang und 
-y Meistersang die (oft zu verschiedenen Texten ge- 
sungenen) Weisen als »T6ne« bezeichnet sind. Im Zuge 
der Umbildung der Lehre von den Kirchentonen zu 
einer systematischen Tonartenlehre wurde ein Wieder- 
ankniipfen an die durch Boethius ungenau vermittelte 
antike Tonartenlehre versucht; entsprechend dem Ge- 
setz der mittelalterlichen Tonordnung wurde nun auch 
der eine Tonart hauptsachlich charakterisierende Grund- 
T. (Finalis) als tonus benannt. In der neueren Zeit ha- 
ben die romanischen Sprachen die Bedeutungsvielfalt 
des Wortes beibehalten (aufierdem kann im Franzosi- ■ 
schen das Wort t. wie im Deutschen T. auch den 
-*■ Stimm-T., -*■ Kammer-T. und -> Chor-T. bezeich- 
nen). Im Englischen gilt allein der Wortgebrauch im 
Sinne von Ganz-T. als korrekt. Das Deutsche verwen- 
det seit dem 19. Jh. fiir die oben genannten Bedeutun- 
gen die angegebenen zusammengesetzten Worter ; das 
Stammwort T. dagegen bezeichnet nunmehr ausschlieB- 
lich den Einzel-T., den die lateinische Musiklehre des 
Mittelalters unter verschiedenen Aspekten mit sonus, 
vox, clavis benannt hatte: nach Tinctoris (Diffinitorium, 
um 1473/74) ist sonus der T., der als Einzel-T. wahr- 
genommen wird (Sonus est quicquid proprie et per se ah 
auditu percipitur; ed. Machabey, S. 53), clavis der Ton- 
buchstabe, der einen T. als Element des die diatonische 
Skala darstellenden Liniensystems bezeichnet, und vox 
der gesungene oder instrumentale sonus, dessen Inter- 
vallbeziehungen zu den benachbarten voces durch die 
Tonsilben der Solmisation ausgedriickt werden. Die 
wissenschaftliche Begriindung der Lehre vom T. und 
von den Tonbeziehungen war bis um 1600 einTeil der 
Mathematik und eng verbunden mit der Demonstra- 
tion am -»■ Monochord (so sehr, daB die griechische 
Musiktheorie mit dem Wortxop&f) nicht nur die -> Sai- 
te, sondern auch denEinzelton bezeichnete). 
In der Neuzeit wurde seit dem 17. Jh. die Tonwissen- 
schaft als Zweig der Naturwissenschaften verstanden; 
als -*■ Akustik war sie zunachst ausschlieBlich ein Teil 



der Physik, bis im 19. Jh. auch die Physiologie und 
Psychologie der Tonwahrnehmung (->• Gehorphysio- 
logie, -> Musikpsychologie) als selbstandige Wissen- 
schaftszweige ausgebildet wurden. Grundlegend war 
die zuerst von Descartes (1618) und Mersenne (1637) 
erorterte Beobachtung, dafi der musikalische T. keine 
Einheit, sondern aus mehreren -*■ Teiltonen zusammen- 
gesetzt ist; in der Physik wird ein solcher Teil-T. auch 
Sinus-T. (besser -v Sinusschwingung, weniger gut auch 
einfach: Ton) genarmt und der aus mehreren Teiltonen 
bestehende Komplex als ->■ Klang definiert. Die Teil- 
tonreihe wurde von J.-Ph. Rameau zur Erklarung des 
Dreiklangs als des natiirlichen Prinzips der Harmonie 
herangezogen. Galten zuvor im Bereich der -*■ Harmo- 
nia die Intervalle als primare Tonbeziehungen, von 
denen die Akkorde als zusammengesetzte abgeleitet 
waren, so sahen Rameau und seine zahlreichen Nach- 
folger im 18. und 19. Jh. (darunter auch H.Riemann) 
im Dreiklang das Primare und erklarten Tone und In- 
tervalle durch ihre Zugehorigkeit zu einem Dreiklang. 
- Die im Laufe des 18. Jh. entstandene Auffassung der 
Musik als Tonsprache (Eggebrecht 1961, besonders S. 
94f£.) geht davon aus, daB dem T. »von Natur aus« eine 
Kraft innewohnt, die ihn zum Ausdruck der »Natur 
des Menschen«, seiner Empfindungen und Gef iihle be- 
fahigt. Diese musiktheoretische und asthetische Be- 
griindung der Musik aus der Natur drangte die mathe- 
matische Musiktheorie eine Zeitlang zuriick. E.Hans- 
licks Abhandlung Vom musikalisch Schonen (1859) be- 
zeichnet den Zeitpunkt, in dem eine Neubesinnung auf 
die mathematischen Grundlagen der Musiktheorie ein- 
setzte, die auch fiir die Musikasthetik fruchtbar wurde. 
In der Folgezeit kam es zugleich mit der Auflosung der 
traditionellen Harmonik zur Wiedereinsetzung des 
nicht akkordisch und funktional pradeterminierten, 
sondern »an sich« (d. h. in seiner unmittelbaren Be- 
ziehung zu anderen Tonen) geltenden T.es (-> Atonali- 
tat, -> Zwolftontechnik, -> Reihe). Eine abermals neue 
Lage ergab sich um 1950 mit dem Aufkommen der 
-* Elektronischen und ->■ Seriellen Musik: dem Kom- 
ponisten steht nun zum ersten Mai der gesamte Klang- 
bereich von der einfachen Sinusschwingung bis zum 
komplexen »weiBen Rauschen« zur freien Verfiigung; 
die neuen technischen Mittel ermoglichen ihm nicht 
nur die Veranderung instrumentaler oder vokaler To- 
ne, sondern auch ihre Vermischung mit anderen Klan- 
gen oder Gerauschen sowie die Entwicklung ganz 
neuer Klangelemente. Dies regte dazu an, vorzugswei- 
se solche ->■ Parameter des T.es zur Formbildung her- 
anzuziehen, die in der traditionellen Musik einer Fixie- 
rung weitgehend entzogen waren. Fiir die Grundsatze, 
nach denen diese neuartigen Klangelemente zu groBe- 
ren Formen verarbeitet werden, ist jedoch der ge- 
schichtlich gegebene unlosliche Zusammenhang von 
real erklingendem T. und mathematisch geordneten 
Tonbeziehungen maBgebend geblieben. 
In der Systematischen Musikwissenschaft erfolgt die 
Bestimmung des T.es unter einer doppelten Perspek- 
tive, die als musikalische und physikalische zu unter- 
scheiden ist. Die Tone als musikalische Qualitaten stel- 
len ein System von Quintverhaltnissen dar; sie lassen 
sich nicht an sich, sondern erst als Glied einer »Gesell- 
schaft von Tonen« (J. Handschin) verstehen. Ein ver- 
standener T. ist nicht rezeptiv eine bloBe Reaktion auf 
einen Reiz aus der AuBenwelt, sondern produktiv ein 
geistiges Tatigsein, eine Schopfung der »inneren Spon- 
taneitat des Musikalischen«, der »logisch einfachste Re- 
prasentant der Musik«. Fiir seine zentrale Eigenschaft 
hat Handschin den etwa mit -> Tonigkeit gleichzuset- 
zenden Terminus Toncharakter eingefiihrt. Ihm eignen 
Grundeigenschaften wie -»■ Tonhohe, Dauer, -> Laut- 



959 



Tonadilla 

starke und -> Klangfarbe (- 2) sowie sekundare Eigen- 
schaften wie Helligkeit, Rauhigkeit, Spitzigkeit, Dich- 
te, Volumen usw. - Dagegen beruht in der physikali- 
schenPerspektivederT.aufperiodischenDruckschwan- 
kungen der Luft. Seine Wahmehmung ist durch eine 
Reihe akustischer und physiologischer Voraussetzun- 
gen bedingt. Der Vorgang der Wahmehmung laBt je- 
doch ihre einfache, unmittelbare Verkniipfung mit ele- 
mentaren akustischen Vorgangen nicht zu. So darf die 
in der Akustik iibliche Gleichsetzung von T. und Si- 
nusschwingung (entsprechend von Klang und Schall- 
vor'gang mit Obertonen) nicht mit der Bestimmung des 
musikalischen T.es verwechselt werden. Auch eine Ge- 
geniiberstellung der an physikalischen GroBen orien- 
tierten Begriffe T. und Klang verliert im musikalischen 
(und auch psychologischen) Zusammenhang ihre Be- 
rechtigung. Diese beiden Perspektiven der Bestimmung 
des T.es, deren Wahrheitsanspruche miteinander kon- 
kurrieren und auf den ersten Blick nicht zu vereinen 
sind, konnen sich.doch letztlich niemals widersprechen, 
sondern nur erganzen. 

Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen, 
..., Braunschweig 1863, «1913, Nachdruck Hildesheim 
1967; W. Th. Preyer, tJber d. Grenzen d. Tonwahrneh- 
mung, in: Slg physiologischer Abh. I, Jena 1876; C. 
Stumpf, Tonpsychologie, 2 Bde, Lpz. 1883 -90,Nachdruck 
Hilversum u. Amsterdam 1965; Chr. v. Ehrenfels, Uber 
Gestaltqualitaten, Vierteljahresschrift f. wiss. Philosophie 
XIV, 1890; H. Driesch, Das Ganze u. d. Summe, Lpz. 
1921 ; W. Kohler, Gestaltpsychology, NY 1947; J. Hand- 
schin, Der Toncharakter, Zurich (1948) ; H.-H. Draeger, 
Begriff d. Tonkorpers, AfMw IX, 1952; W. Meyer-Epp- 
ler, Statistische u. psychologische Klangprobleme, in: die 
Reihe I, Wien 1955; ders., Zur Systematik d. elektrischen 
Klangtransf ormationen, in : Darmstadter Beitr. zur Neuen 
Musik III, Mainz (1960); A. Wellek, Ganzheitspsycho- 
logie u. Strukturtheorie, Bern 1955; J. Lohmann, Die 
griech. Musik als mathematische Form, AfMw XIV, 1957; 
H. Husmann, Einfiihrung in d. Mw., Heidelberg (1958); 
A. Liebe, Die Leistung d. deutschen Sprache zur Wesens- 
bestimmung d. T., Habil.-Schrift Bin 1958, maschr.; H. H. 
Eggebrecht, Musik als Tonsprache, AfMw XVIII, 1961 ; 
K. Stockhausen, Texte zur elektronischen u. instr. Mu- 
sik I, Koln (1961); E. Maronn, Untersuchungen zur Wahr- 
nehmung sekundarer Tonqualitaten bei ganzzahligen 
Schwingungsverhaltnissen, = Kolner Beitr. zur Musikfor- 
schung XXX, Regensburg 1 964. 

Tonadilla (tonad'iAa, span., Diminutiv von tonada, 
Lied) heiBt in der 1. Halfte des 18. Jh. das bei spanischen 
Theaterauff iihrungen am Ende kleinerer Einlagen (Baf- 
le, -s- Sainete, Entremes) vorgetragene kurze Gesang- 
stiick mit Refrain. Daneben entstand um 1750 die T. als 
spanische Form einer gesungenen Zwischenaktsunter- 
haltung mit betont volksnahem Charakter (von Subira 
als T. escenica bezeichnet). Mehr als 2000 szenische T.s 
sind iiberliefert, meist handschriftlich ; ihre Biihnen- 
f unktion entspricht etwa der des italienischen Intermez- 
zos (-> Intermedium). Die Besetzung verlangt bis zu 
12 Solostimmen, Orchester, teilweise auch Chor. Der 
satirischen T. a solo liegen regelmafiig 3 Hauptteile zu- 
grunde (Introduction, CoplasundFinal),wobei der vom 
iibrigen Inhalt meist unabhangige Schlufiteil u. a. vor- 
zugsweise die Form der ->■ Seguidilla oder der ->■ Tira- 
na verwendet. Schon auf dem Hohepunkt ihrer Ent- 
wicklung (zwischen 1771 und 1790), besonders seit 
dem Wiederaufleben der italienischen Oper in Madrid 
(1787), verfiel die szenische T. zunehmend dem Ein- 
wirken italienischer Stilelemente ; auch Einfliisse der 
franzosischen Opera-comique machten sich geltend. 
Gegen 1850 erlebte sie ihren endgiiltigen Niedergang. 
Zu den Hauptmeistern der T. gehoren Mison, A. Guer- 
rero, J. Palomino, Bl. de Laserna, V. Galban, Esteve, A. 
Rosales, Aranez y Vides, J. Castel, J.Valledor, P. de 



Moral, M.Bustos und Ferrer. Als letzter Tonadillero 
gilt M.Garcia, aus dessen Stiicken El criado fingido 
und El poeta calculista Bizet in seiner Oper Carmen, 
ferner Rossini und Liszt Teile entlehnten. Nach der 
Jahrhundertwende schrieb Enrique Granados eine 
wertvolle Sammlung von T.s en estilo antiguo fur 
Singst. und Kl. 

Lit.: J. Subira, La t. escenica, 3 Bde, Madrid 1928-30; 
ders., T. teatrales ineditas, Madrid 1932; ders., Les in- 
fluences frc. dans la t. madrilene du XVIIP s., in : Melanges 
de musicologie a L. de La Laurencie, = Publications de la 
Soc. frc. de musicologie II, 3/4, Paris 1933 ; ders., La t. 
esc6nica, sus obras y sus autores, Barcelona 1933; ders., 
El »cuatro« escenico, in: Miscelanea en homenaje a H. 
Angles II, ebenda 1958-61; I. M. Hambach, Formunter- 
suchungen zur szenischen T., Diss. Bonn 1955, maschr. 

Tonale -*■ Tonar. 

Tonalitat im weiteren Sinne des Wortes ist eine zum 
System verf estigte, iiber den Einzelfall hinausgreifende 
funktionale Differenzierung und hierarchische Abstu- 
fung von T6nen oder Akkorden. So ist z. B. die tonale 
Struktur einer gregorianischen Choralmelodic durch 
dieUnterscheidungvonGerustundAusfiillungo brvon 
Haupt- und Nebentonen und durch die Au;pragung 
von Funktionen wie SchluB-, Anfangs-, Grenz- und 
Rezitationston bestimmt (-> Kirchentone) . Enger ge- 
faBt, bezeichnet der Ausdruck T. die Gruppierung von 
Tonen oder Akkorden um ein Bezugszentrum, eine 
Tonika, die als »point d'attraction« (Fr.Brenn) wirkt; 
das Phanomen der Zentrierung wurde von manchen 
Theoretikern mit der Gravitation verglichen (Hinde- 
mith). Die engere Bedeutung ist die urspriingliche; die 
Ausweitung wurde durch die wachsende Einsicht in 
geschichtliche und ethnische Differenzen erzwungen 
oder mindestens nahegelegt, birgt aber die Gefahr in 
sich, daB man unwillkurlich die engere Bedeutung mit- 
denkt, wenn die weitere gemeint ist, und darum z. B. 
das AusmaB uberschatzt, in dem die Finalis einer friih- 
mittelalterlichen Choralmelodie ein Bezugszentrum 
darstellt. 

Der Terminus tonalite, 1821 von Fr.-H.-J. Castil-Blaze 
gepragt, wurde 1844 von Fr.-J.Fetis im Traite als Inbe- 
griff notwendiger Beziehungen zwischen den Tonen 
einer Skala definiert: La tonalite se forme de la collection 
des rapports necessaires, successifs ou simultanes, des sons de 
lagamme (S. 22). Aus der Verschiedenheit der geschicht- 
lichen und ethnischen Voraussetzungen entsteht nach 
Fetis eine Vielfalt von Tonalitatstypen (types de tona- 
lites). H.Riemann war, im Gegensatz zu Fetis, iiber- 
zeugt, daB die »types de tonalites« auf ein einziges, in 
der Natur des musikalischen Horens begriindetes Prin- 
zip, die drei Akkordfunktionen Tonika, Dominante 
und Subdominante, zuriickzufiihren seien (->■ Harmo- 
nielehre). Nach der heute vorherrschenden Meinung 
ist jedoch die Geltung von Riemanns Theorie auf die 
Musik des 17. bis 19. Jh. eingeschrankt. - Von der har- 
monischen, durch Akkorde ausgepragten T. , in der nach 
der Theorie H. Riemanns der Dreiklang, nicht der Ein- 
zelton oder das Intervall, als das primar Gegebene er- 
scheint oder aufgefaBt wird (-> Klangvertretung), ist die 
melodische T. zu unterscheiden. Letztere wird oft als 
Modalitat bezeichnet, weil in diesem T.s-Typus Modi, 
die sich durch ihren Grund- oder Zentralton und ihren 
Ambitus voneinander abheben, die Formen bilden, in 
denen ein Tonsystem, die halbtonlose (anhemitoni- 
sche) Pentatonik oder die siebentonige (heptatonische) 
Diatonik, sich darstellt oder realisiert : Jede der Stuf en 
des Systems c-d-f-g-a kann Hauptton eines pentatoni- 
schen Modus sein; und es ist die modale Gestalt, in der 
das System, der Inbegriff der Modi, zu musikalischer 
Wirklichkeit kommt. Melodische Modi sind allerdings 



960 



Tonalitat 



oft, vor allem auf friihen Entwicklungsstufen, weniger 
durch einen Grundton, der als Bezugszentrum wirkt, 
als durch Tongeriiste, deren Ausfiillung variabel ist 
(->• Harmonia), durch Melodiemodelle oder melodi- 
sche Formeln charakterisiert. Die Betonung der Finalis 
durch Odo von St.Maur im 10. Jh. bezeichnet eine 
neue Stufe des TonartbewuBtseins, die das friihe vom 
spateren Mittelalter trennt : Tonus vel modus est regula, 
quae de omni cantu in fine diiudicat (GS I, 257b). Und 
noch deutlicher wird der Sachverhalt von Guido von 
Arezzo formuliert, bei dem es heiBt, daB der SchluBton 
auf die Weise das Prinzipat habe, daB die iibrigen Tone 
»auf wunderbare Weise von ihm das Aussehen ihrer 
Farbung zu empfangen scheinen« (CSM IV, 139f. : Et 
praemissae voces . . . it a ad earn aptantur, ut mirunt in mo- 
dum quondam ab ea coloris faciem ducere videantur). Die 
harmonische T., fiir die von manchen Theoretikern 
ein Fundament in der Natur des Klanges gesucht wor- 
den ist (-> Naturklangtheorie), muB primar als ge- 
schichtliches Phanomen verstanden werden. Die cha- 
rakteristischen Merkmale tonaler Harmonik - die Ver- 
festigung der Zusammenklange von Intervallkom- 
plexen zu Akkorden, die unmittelbar als Einheit emp- 
funden werden, die Dominant-Tonika-Kadenz als Mo- 
dell einer pragnanten Akkordfolge, die Auspragung 
der scharakteristischen Dissonanzen«, des Quintsext- 
akkords der Subdominante und des Dominantseptak- 
kords, die hierarchische Abstufung der Akkorde, die 
Verdrangung der Modi (Kirchentone) durch Dur und 
Moll, die Verdeutlichung oder Fundierung musikali- 
scher Formen durch Kadenzdispositionen, die auf 
Quint- und Terzverwandtschaf ten beruhen - sind nicht 
gleichzeitig, sondern nach und nach hervorgetreten, so 
daB es willkurlich ware, einen Zeitpunkt fiir die Ent- 
stehung der harmonischen T. festzusetzen. Der verwir- 
rende Sachverhalt, daB deren Ursprung von manchen 
Historikern im 14. oder 15., von anderen dagegen im 
16.' oder 17. Jh. gesucht wird, ist darin begriindet, daB 
die Frage, welches der Teilmomente des Phanomens 
das wesentliche sei, verschieden beantwortet werden 
kann. - Auch die Begriffe, Vorstellungen und Theore- 
me, die der Lehre von der tonalen Harmonik zugrunde 
liegen, sind allmahlich, im Laufe von Jahrhunderten, 
entstanden, um sich schlieBlich, am Ende der Epoche 
der harmonischen T., zu einem System zusammenzu- 
fiigen. Entscheidende Stationen in der Entwicklung 
der Theorie bilden die Auff assung des Dur- und Moll- 
dreiklangs als unmittelbar gegebener Einheit (G. Zarli- 
no 1558), dieDeutung des Sext- und Quartsextakkords 
als Umkehrungen des Grunddreiklangs (J.Lippius und 
Th.Campian 1613), die Erkenntnis und Benennung 
der Akkordfunktionen Tonika, Dominante und Sub- 
dominante als Geriist oder Substanz einer durch Ak- 
korde dargestellten Tonart (J.Ph.Rameau 1726), die 
Unterscheidung zwischen »wesentlichen« (I, IV, V) und 
»zufalligen« (II, III, VI) Akkordstufen (H.Chr.Koch 
1811) und die Reduktion der »zufalligen« Akkorde, die 
als Scheinkonsonanzen bzw. -* Auffassungsdissonan- 
zen erklart werden, auf die »wesentlichen« (H. Riemann 
1893). - Den Ubergang zur -> Atonalitat bildet, um 
mit Schonberg (1911) zu sprechen, die »schwebende« 
oder »aufgehobene« T. : die T. von Werken der Zeit 
um 1900, die zwar einen Grundton nicht oder nur 
schwach auspragen, in denen aber noch iiberwiegend 
oder partiell Akkorde und Akkordverbindungen, die 
aus der tonalen Harmonik stammen, verwendet wer- 
den. Tonordnungen in der -> Neuen Musik seit 1910, 
die sich den uberlief erten Normen der tonalen Harmo- 
nik entziehen, ohne jedoch atonal im Sinne der Schon- 
berg-Schule zu sein (Strawinsky, Bartok, Hindemith), 
werden manchmal als »erweiterte« T. charakterisiert. 



Lit.: Fr.-H.-J. Castil-Blaze, Dictionnaire de musique 
moderne, Paris 1821, 2 1825; Fr.-J. Fetis, Traite complet 
de la theorie et de la pratique de rharmonie, Paris 1 844, 
121879; W. Brambach, Das Tonsystem u. d. Tonarten d. 
christlichen Abendlandes im MA . . ., Lpz. 1881; H. v. 
Herzogenberg, T., VfMw VI, 1890; Werker, Die Theo- 
rie d. T., Norden 1898; A. J. Polak, tjber Zeiteinheit in 
bezug auf Consonanz, Harmonie u. T., Lpz. 1900; H. Rie- 
mann, Uber T, in: Praludien u. Studien III, Lpz. 1901; 
ders., Ideen zu einer »Lehre v. d. Tonvorstellungen«, JbP 
XXI, 1914-XXII, 1915;DERS.,FolkloristischeTonalitats- 
studien I, = Abh. d. Kgl. sachsischen Forschungsinst. zu 
Lpz., Forschungsinst. f. Mw., H. 1, Lpz. 1916; A. Schon- 
berg, Harmonielehre, Wien 1911, '1960, engl. NY 1947; 
E. Kurth, Die Voraussetzungen d. theoretischen Harmo- 
nik u. d. tonalen Darstellungssysteme, Bern 1913; ders., 
M usikpsychologie, Bin 1 930, Bern 2 1 947; G. Guldenstein, 
Theorie d. Tonart, Stuttgart 1927; O. Steinbauer, Das We- 
sen d. T., Munchen 1928 ; D. Fr. Tovey, Tonality, ML IX, 
1928 ; A. Auda, Les modes et les tons de la musique, Briis- 
sel 1930; P. Wagner, Zur ma. Tonartenlehre, in: Studien 
zur Mg., Fs. G. Adler, Wienu. Lpz. 1930; Ph. F. Radcliffe, 
The Relation of Rhythm and Tonality in the Sixteenth 
Cent., Proc. Mus. Ass. LVII, 1930/31 ; J. Yasser, A Theory 
of Evolving Tonality, NY 1932 ; ders., Future of Tonality, 
London 1934; A. M. Richardson, The Medieval Modes, 
NY 1933; F. S. Andrews, Medieval Modal Theory, Diss. 
Cornell Univ. (N. Y.) 1935, maschr. ; W. Apel, Accidentien 
u. T. in d. Musikdenkmalern d. 15. u. 16. Jh., Diss. Bin 
1936; R. S. Hill, Schoenberg's Tone- Rows and the Tonal 
System of the Future, MQ XXII, 1936 ; P. Hindemith, Un- 
terweisung im Tonsatz, 2 Bde, I Mainz 1937, 21940, II 
Mainz 1939, engl. als: Craft of Mus. Composition, I Lon- 
don 1942, II 1941 ; G. Tveit, Tonalitatstheorie d. parallelen 
Leittonsystems, Oslo 1937; O. Gombosi, Studien zur Ton- 
artenlehre d. friihen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; ders., 
Key, Mode, Species, JAMS IV, 1951 ; O. Gurvin, Fra to- 
nalitet til atonalitet, Oslo 1938 ; ders., Some Comments on 
Tonality in Contemporary Music, Norsk Musik-Kgransk- 
ning 1954/55; E. Jammers, Rhythmische u. tonale Studien 
zur Musik d. Antike u. d. MA, AfMf VI, 1941 ; ders., 
Rhythmische u. tonale Studien zur alteren Sequenz, AMI 
XXIII, 1951; ders., Einige Anmerkungen zur T. d. gre- 
gorianischen Gesanges, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 
1 962; W. D anckert, Melodische T. u. Tonverwandtschaf t, 
Mk XXXIV, 1941/42; ders., Melodische Funktionen, Fs. 
M. Schneider, Lpz. (1955); C. Sachs, The Road to Major, 
MQ XXIX, 1943; J. L. Bawden, Aspects of Tonality in 
Early European Music, Philadelphia 1947; J. Handschin, 
Der Toncharakter, Zurich (1948); R. Arnell, A Note on 
Tonality, Music Survey II, 1949; H. Besseler, Bourdon u. 
Fauxbourdon, Lpz. 1950; ders., Tonalharmonik u. Voll- 
klang, AMI XXIII, 1951 ; Fr. Schadler, Das Problem d. 
T, Diss. Zurich 1950, maschr.; J. Smitsvan Waesberghe 
SJ, Zur Entstehung d. drei Hauptfunktionen in d. Harmo- 
nik, Kgr.-Ber. Liineburg 1950; ders., A Textbook of Me- 
lody, = American Inst, of Musicology, Miscellaneous II, 
Rom 1955 ; H. Badings, Tonaliteitsproblemen en de nieu- 
wemuziek, = Mededelingen van de Koninklijke Akad. . . . 
XIII, 1, Briissel 1951; G. Reichert, Kirchentonart als 
Formfaktor in d. mehrst. Musik d. 15. u. 16. Jh., Mf IV, 
1951; ders., Tonart u. T. in d. alteren Musik, = Mus. 
Zeitfragen X, Kassel 1962; J. Rohwer, Tonale Instruktio- 
nen . . . , Wolfenbuttel 1951 ; ders., Zur Frage d. Natur d. 

T , Mf VII, 1954 ; W. Wiora, Der tonale Logos, Mf IV, 

1951 ; R. Gerhard, Tonality in Twelve-Tone-Music, Score 
VI, 1952; W. E. Thomson, A Clarification of the Tonality 
Concept, Diss. Indiana Univ. 1952, maschr.; ders., The 
Problem of Tonality in Pre-Baroque and Primitive Mu- 
sic, Journal of Music Theory 1, 1957 ; R. W. Wienpahl, The 
Emergence of Tonality, Diss. Univ. of California 1953, 
maschr. ; ders., Engl. Theorists and Evolving Tonality, ML 
XXXVI, 1955; ders., Zarlino, the Senario, and Tonality, 
JAMS XII, 1959; R. E. Mueller, The Concept of To- 
nality in Impressionistic Music, Diss. Indiana Univ. 1954, 
maschr. ; A. Machabey, Genese de la tonalite mus. clas- 
sique, Paris 1955 ; Fr. Neumann, T. u. Atonalitat, = Beitr. 
zu Gegenwartsfragen d. Musik, Landsberg 1955; H. 
Lang, Begriffsgesch. d. Terminus »T.«, Diss. Freiburg 
i. Br. 1956, maschr.; M. Kolinski, The Determinants of 
Tonal Construction in Tribal Music, MQ XLIII, 1957; H. 



61 



961 



Tonar 



Truscott, Some Aspects of Mahler's Tonality, MMR 
LXXXVII, 1957; P. Beyer, Studien zur Vorgesch. d. Dur- 
Moll, Kassel 1958; J. Chailley, La revision de la notion tra- 
ditionelle de tonalite, Kgr.-Ber. Koln 1958; R. Reti, Ton- 
ality -Atonality- Pan tonality, London 1958, 21960; H. 
Zingerle, T. u. Melodiefiihrung in d. Klauseln d. Trouba- 
dours- u. Trouvereslieder, Tutzing u. Miinchen 1958; R. 
Travis, Towards a New Concept of Tonality ?, Journal of 
Music Theory III, 1959 ; S. Hermelink, Dispositiones mo- 
dorum, = Miinchner Veroff. zur Mg. IV, Tutzing 1960; 
F. Salzer, Strukturelles Horen. Der tonale Zusammen- 
hang in d. Musik, 2 Bde, Wilhelmshaven 1960; E. Anser- 
met, Les fondemehts de la musique dans la conscience hu- 
maine, Neuchatel 1961, deutsch als: Die Grundlagen d. 
Musik im menschlichen BewuBtsein, Miinchen (1965); I. 
Bengtsson, On Relationships Between Tonal and Rhyth- 
mic Structures in Western Multipart Music, STMf XLIII, 
1961 ; H. H. Eggebrecht, Musik als Tonsprache, AfMw 
XVIII, 1961 ; Ll. Hibberd, »Tonality« and Related Pro- 
blems in Terminology, MR XXII, 1961 ; E. E. Lowinsky, 
Awareness of Tonality in the 16 tb Cent., Kgr.-Ber. NY 
1961, Bd I; ders., Tonality and Atonality in Sixteenth- 
Cent. Music, Berkeley u. Los Angeles 1961 ; G. Albers- 
heim, Das Raumerlebnis in tonaler u. atonaler Musik, Mus. 
Zeitfragen X, 1962; ders., DieTonstufe, Mf XVI, 1963 ; E. 
Apfel, Die Klangstruktur d. spatma. Musik als Grundlage 
d. Dur-Moll-T., Mf XV, 1962 u. XVI, 1963 ; C. Dahlhaus, 
Der Tonalitatsbegriff in d. neuen Musik, Kgr.-Ber. Kassel 
1962; ders., Uber d. Begriff d. tonalen Funktion, in: Beitr. 
zur Musiktheoried. 19. Jh., hrsg. v. M. Vogel, = Studien zur 
Mg. d. 19. Jh. IV, Regensburg 1966; ders., Untersuchungen 
uberd.Entstehungd.harmonischenT., = Saarbrucker Stu- 
dien zur M w. II, Kassel 1 967; L. Finscher, Tonale Ordnun- 
gen am Beginn d. Neuzeit, Mus. Zeitfragen X, 1962; H. 
PFROGNER,ZumTonalitatsbegriffunsererZeit,MusicaXVI, 
1962; A. v. Reck, Moglichkeiten tonaler Audition, Mf XV, 
1962; Ph. Barford, Tonality, MR XXIV, 1963; B. Meier, 
Wortausdeutungu. T. bei O. di Lasso, KmJb XLVII, 1963; 
A. Salop, J. Obrecht and the Early Development of Harmo- 
nic Polyphony, JAMS XVII, 1964; E. H. Sanders, Tonal 
Aspects of the 13 "-Cent. Engl. Polyphony, AMI XXXVII, 
1965 ; ders., Die Rolle d. engl. Mehrstimmigkeit d. MA in 
d. Entwicklung v. C.-f.-Satz u. Tonal itatsstruktur, AfMw 
XXIV, 1967; L. Treitler, Tone System in the Secular 
Works of G. Dufay, JAMS XVIII, 1965; W. Marggraf, 
T. u. Harmonik in d. frz. Chanson zwischen Machaut u. 
Dufay, AfMw XXIII, 1966; H.-P. Reinecke u. V. Ernst, 
Zum Begriff d. T., Kgr.-Ber. Lpz. 1966. CD 

Tonar (lat. tonarius, auch tonarium, intonarium, to- 
nale), em Verzeichnis Gregorianischer Gesange nach 
der Ordnung der -> Kirchentone, bei den Antiphonen 
uberdies nach der Reihenfolge der den einzelnen Kir- 
chentonen zugehorenden psalmodischen ->- Differen- 
zen. - Die alteste bisher bekannte Quelle - ein im spa- 
ten 8. Jh. in St-Riquier geschriebener T. fur den Unter- 
richtsgebrauch (Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 13159, Frag- 
ment; ed. Huglo 1952) - enthalt nur einige Beispiele, 
die alien Kategorien von MeBgesangen entnommen 
sind. Der um 870 nach einer Vorlage aus der Zeit zwi- 
schen 817 und 835 angefertigte T. von Metz (Bibl. 
Municipale, ms. 351 ; ed. Lipphardt 1965) bringt die 
Antiphonen des Antiphonars und des Graduales (die 
Responsoria prolixa des 3. Teils gehoren mit Sicherheit 
nicht zum Original). Hierbei handelt es sich um den 
Typus des Gebrauchs-T.s, d. h. um ein Verzeichnis fiir 
den Sanger, der im Chor die den Antiphonen beigege- 
benen Psalmverse zu intonieren und die passende Dif- 
ferenz zu wahlen hat. Die zeitlich nachfolgenden T.e 
konnen allgemein in 2 Arten eingeteilt werden: 1 ) Kurz- 
T.e fur den Unterricht; 2) Voll-T.e fiirden praktischen 
Gebrauch, die im Unterschied zu den Kurz-T.en nahe- 
zu das ganze liturgische Gesangsrepertoire umfassen. 
Wie die Quellenforschung zeigt, sind Voll-T.e vor al- 
lem fiir die Epoche der linienlosen Neumennotation 
nachzuweisen. In dieser Zeit diente die methodische 
Klassifizierung nach Kirchentonen und Differenzen als 

962 



Gedachtnisstiitze. - In Deutschland wurde der erste 
Voll-T. um 900 in und fiir Trier durch Regino von 
Priim verfaGt (CS II, 3-73). Als Ausgangspunkt diente 
ein Antiphonar der Trierer Kirche. Der um 1000 ge- 
schriebene 1. T. aus der Abtei Reichenau (Staatsbibl. 
Bamberg, ms. lit. 5) entstand als Abschrift einer Vor- 
lage, die mit ms. Metz 351 identisch ist. Doch folgen 
hier die Antiphonen des Offiziums innerhalb der Kir- 
chentone nicht mehr der Ordnung des liturgischen Ka- 
lenders, sondern der alphabetischen Ordnung. Die glei- 
che Disposition findet sich bei Berno von Reichenau 
und in einigen siiddeutschen T.en. Auch dem 2. Rei- 
chenauer T. (um 1075, ed. Sowa 1935) liegt die alpha- 
betische Ordnung zugrunde. Sein Inhalt umschlieBt in- 
dessen nur die Antiphonen aus dem Offizium. Eine 
zentrale Stellung besitzt der in mehreren Handschriften 
tradierte T. Bernos von Reichenau (um 1020; GS II, 
79-91), dessen nachhaltiger EinfluB in zahlreichen spa- 
teren Quellen sichtbar wird, besonders im T. aus dem 
Pontificale des Bischofs Gundekar II. von Eichstatt 
(um 1070; Eichstatt, Bischofliches Ordinariatsarchiv) 
und im T. Frutolfs von Michelsberg (um 1100, ed. 
Vivell 1919). Aus dem folgenden Zeitraum ist der T. 
des Udalskalk von Maisach (um 1140, ed. Jaffe 1859; 
auch in Miinchen, Bayerische Staatsbibl., Clm 9921) 
zu erwahnen. 

Der bedeutendste der St. Galler T.e ist am Anf ang des 
Codex Hartker 390-391 uberliefert (10. Jh. ; Paleogra- 
phie muskale II, 1). Alle spateren T.e St. Gallens (samt- 
lich Kurz-T.e, ed. Omlin 1934) sind durch die nur ihnen 
eigentiimliche Verwendung von Buchstaben zur Be- 
zeichnung der 8 Kirchentone (a e i o u i) y a) und der 
Differenzen (b c d g h k p q)charakterisiert(z.B.ag = 4. 
Differenz des 1. Modus). Im AnschluB an die urspriing- 
liche Tradition wurden diese sogenannten T.-Buchsta- 
ben in das Antiphonarium Monasticum der Schweizeri- 
schen Benediktiner-Kongregation wiederaufgenom- 
men (Engelberg 1943). - Der bedeutendste, leider un- 
vollstandige Voll-T. franzosischer Herkunft befindet 
sich am SchluB des Graduales von St-Michel de Gaillac 
bei Albi (um 1070; Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 776). Am 
SchluB eines Graduales steht auch der T. von Toulouse 
(11. Jh.; London, Brit. Mus., ms. Harl. 4951). In bei- 
den Handschriften weicht das Repertoire der Introitus- 
und Communioantiphonen vom vorangehenden Gra- 
duale ab: wahrscheinlich sind die T.e anderen Ur- 
sprungs. Eine weitere Gruppe von T.en ist seit dem 10. 
Jh. um St-Martial von Limoges lokalisiert (Paris, Bibl. 
Nat., ms. lat. 909, 1084, 1118, 1121 usw.). Odo von St- 
Maur (von Cluny?) schrieb um 1020 ein Intonarium 
(CS II, 117-149); etwa 10 Jahre darauf verfaBte Odo- 
ranne von St-Pierre-le-Vif zu Sens einen kurzen Trak- 
tat mit T. (Rom, Bibl. Vaticana, ms. Reg. 577). Die 
meisten anderen T.e aus Frankreich sind Kurz-T.e. 
Besonderes Interesse verdient ms. H159 der Faculte 
de Medicine von Montpellier: um 1050 in St-Benigne 
zu Dijon entstanden, werden in diesem Unterrichtswerk 
die einzelnen Stiicke des Graduales, nach Kirchentonen 
geordnet, in Neumenschrift nebst Buchstabennotation 
aufgefiihrt (Paleographie musicale I, 7). Am Anf ang 
des Manuskripts steht eine Kurzfassung des Regino-T.s 
(Breviarium genannt). Moglicherweise wurde der Co- 
dex im Rahmen der zisterziensischen Choralreform (12. 
Jh.) benutzt, die u. a. eine Verkiirzung und Vereinfa- 
chung der Differenzen anstrebte, wie man sie gegen 
1140 im Tonale Sancti Bernardi (GS II, 265-278) findet. 
Demgegeniiber stelken die Dominikaner, die zumin- 
dest in ihrem Graduale den Zisterziensern folgten, den 
Antiphonarien einen Auszug aus dem Tractates de mu- 
ska des Hieronymus de Moravia (ed. Cserba, S. 160- 
168) statt eines T.s voran. - Eine nur geringe Anzahl 



Tonart 



von T.en ist aus Italien und Spanien tiberliefert. Die al- 
teste Quelle italienischer Herkunft (urn 1020; Monza, 
Bibl. Capitolare, ms. C 12/75) steht in Verbindung mit 
der St. Galler Gruppe; den vollstandigsten T. bringt 
ms. Montecassino 318 (2. Halite des 11. Jh., aus Bene- 
vent). Als wichtigste Quelle spanischer (naherhin kata- 
lanischer) Provenienz gilt der im 10. Jh. verfaBte T. von 
Ripoll (Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, 
ms. Ripoll 74). - Nachdem sich im 12. Jh. allerorts 
(auBer in Siiddeutschland und in St. Gallen) die diaste- 
matischen Neumen durchgesetzt hatten, erlosch das 
Interesse am Typus des Voll-T.s. Dagegen blieb der 
Kurz-T. sehr verbreitet als Grundlage der Lehre von 
den Kirchentonen. Kurz-T.e finden sich in liturgischen 
Biichern, wo sie in der Regel nur ein Beispiel aus der 
Psalmodie, ferner einige Beispiele liturgischer Gesange 
und manchmal Melodief ormeln zu den einzelnen Kir- 
chentonen bringen. Auch sind sie, mit Kommentaren 
versehen, in zahlreichen Musiktraktaten anzutreffen, 
so u. a. bei Johannes Aflligemensis (zwischen 1100 und 
1121, ed. Smits van Waesberghe 1950), Hugo von 
Reutlingen (1332-42, ed. Giimpel 1958), Jacob Twin- 
ger von Konigshofen (um 1413, ed. Mathias 1903) und 
Conrad von Zabern (um 1460-70, ed. Giimpel 1956). 
- Die byzantinischen Intonationsformeln (Noenoeane, 
Noeagis; ->- Ananeanes) der altesten T.e wurden etwa 
seit dem 10./11. Jh. durch Melodiemodelle in Form von 
Antiphonen ersetzt (Primum quaerite regnum Dei usw. 
bis Octo sunt beatitudines; spater auch andere Texte), die 
jeweils mit einem Neuma schlieBen (->- Neumen -2).- 
Bei einem Vergleich der Quellen lassen sich vielfach 
regional bedingte Abweichungen hinsichtlich der kir- 
chentonalen Zuordnung von Gesangen feststellen. Seit 
dem 11. Jh. schlagen uberdies einige T.e im AnschluB 
an die Musiktheoretiker Emendationen von Stucken 
vor, die als fehlerhaft angesehen wurden. Damit war 
der Weg bereitet fiir die systematische Uberarbeitung 
des traditionellen Repertoires. 

Ausg. u. Lit. : J. Smits van Waesberghe SJ, P. Fischer u. 
Chr. Maas, The Theory of Music from the Carolingian 
Era up to 1400 I, Descriptive Cat. of Ms., = RISM B IV, 
Miinchen u. Duisburg (1961). - Antiphonale missarum 
sextuplex, hrsg. v. R.-J. HesbertOSB, Briissel 1935, Nach- 
druck Rom 1967; GS I— III ; CS I-IV; Paleographie mus. 

I, 7-8, 1, 9, 1, 12, 1, 16, II, 1, Solesmes 1900-55; Der karo- 
lingische T. v. Metz, hrsg. v. W. Lipphardt, = Liturgie- 
wiss. Quellen u. Forschungen XLIII, Miinster i. W. 1965; 
Frutolfi Breviarium de musica et Tonarius, hrsg. v. C. 
Vivell OSB, Sb. Wien CLXXXVIII, 2, 1919; Johannes 
Affligemensis, De Musica cum Tonario, hrsg. v. J. Smits 
van Waesberghe SJ, = CSM I, (Rom) 1950; Des Abtes 
Udalskalk v. St. Ulrich in Augsburg Registrum Tonorum, 
hrsg. v. Ph. Jaffe, Arch. f. d. Gesch. d. Bisthums Augsburg 

II, 1859; Hieronymus de Moravia OP, Tractatus de mu- 
sica, hrsg. v. S. M. Cserba OP, = Freiburger Studien 
zur Mw. II, Regensburg 1935; Hugo Spechtshart v. 
Reutlingen, Flores musicae (1332/42), hrsg. v. K. W. 
Giimpel, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- 
u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1958, Nr 3; Die Musiktraktate 
Conrads v. Zabern, hrsg. v. dems., ebenda 1956, Nr 4. - 
W. H. Frere, The Use of Sarum II, Cambridge 1901 ; E. 
Langer, Ein mus. Ms. d. 1 1 . Jh., KmJb XVII, 1902 ; Fr. X. 
Mathias, Die Tonarien, Diss. Lpz. 1903 ; ders., Der StraB- 
burger Chronist Konigshofen als Choralist, Graz 1903, 
dazu separat (mit M. Vogeleis): Phototypie d. Konigsho- 
fenschen Tonarius in Cod. XI E 9 d. Prager Univ.-Bibl., 
Graz 1903 ; H. Villetard, Odoranne de Sens et son oeuvre 
mus., in : Congres parisien et regional de chant liturgique et 
demusique d'6glise 1911, Paris 1912; J. Gmelch, Die Mg. 
Eichstatts, Eichstatt 1914; U. Bomm OSB, Der Wechsel d. 
Modalitatsbestimmung in d. Tradition d. MeBgesange im 
IX. bis XIII. Jh., Einsiedeln 1929; P. Wagner, Ein kurzer 
T., Gregorius-Blatt LIII, 1929; ders., Zur ma. Tonarten- 
lehre, in: Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien 1930; E. 
OMLiNOSB.DieSt.GallischenTonarbuchstaben, = Veroff. 



d. Gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz XVIII, 
Regensburg 1934; H. Sowa, Quellen zur Transformation 
d. Antiphonen. T.- u. Rhythmusstudien, Kassel 1935; H. 
Sidler OMCap, Zum MeBtonale v. Montpellier, KmJb 
XXXI, 1936 -XXXIII, 1938; F. Haberl, II tonario di Re- 
ginone di Priim, Diss. Pontificio Istituto di Musica Sacra 
Rom 1937, maschr.; Ch. Meter, The Antiphons of the 
TonariumF. 3565, Diss, ebenda 1939, maschr. ; M.Huglo, 
Un tonaire du Graduel de lafin du VIII e s., Rev. gregorienne 
XXXI, 1952; ders., Le tonaire de St-Benigne de Dijon, 
Ann. Mus. IV, 1956; ders., Les anciens tonaires lat., Diss. 
Paris 1968; W. Lipphardt, Ein unbekannter karolingi- 
scher T. . . ., Kgr.-Ber. Koln 1958; W. Irtenkauf, Zur 
ma. Liturgie- u. Mg. Ottobeurens, in: Fs. zur 1200-Jahr- 
Feier d. Abtei, hrsg. v. A. Kolb OSB u. H. Tiichle, Augs- 
burg 1964. MH 

Tonart (frz. ton; engl. key; ital. tono, modo). In der 
griechischen Musiktheorie wird T. bestimmt 1) als Ge- 
fiige von Intervallen innerhalb der Oktave (apuovta, 
Tp6iro?), 2) durch Festsetzung dieses Gefiiges auf einen 
bestimmten Tori (t6voc;). Zur Darstellung der T.en und 
ihrer Differenzierungen dient das -> Systema teleion. 
Im Mittelalter werden die 8 ->■ Kirchentone im Sinne 
von T.en gleichermaBen mit tonus, modus und tropus 
bezeichnet. Sie werden erklart als Oktavausschnitte aus 
der diatonischen Grundskala oder als Zusammenset- 
zung verschiedener Quart-- und Quintgattungen (spe- 
cies diatesseron und species diapente), die sich jeweils 
nach der Lage der Ganz- und Halbtone unterscheiden. 
Die plagalen T.en werden aus den authentischen durch 
umgekehrte Anordnung der Quart- und Quintgattun- 
gen abgeleitet. Charakteristische Merkmale zur Unter- 
scheidung der Gesange nach T.en sind die Art und 
Weise, per quern principium, medium (Ambitus) et finis 
cuiuslibet cantus ordinatur (Tinctoris, CS IV, 18a). Im 
->■ Tonar wurden die gregorianischen Melodien nach 
ihrer Zugehorigkeit zu den Kirchentonen gesammelt. 
- Die Bezeichnung T. ist dem lateinischen "Wort modus 
nachgebildet und wird seit dem 18. Jh. verwendet; seit 
dem 19. Jh. bedeutet sie die Bestimmung eines -*■ Ton- 
geschlechts (dur oder moll) auf einer bestimmten Trans- 
positionsstufe. Die Zahl der T.en ist im gleichschwe- 
bend temperierten Tonsystem auf 24 eingeschrankt. 
Diese heute gebrauchlichen Transpositionen der beiden 
Grundskalen (C dur und A moll) veranschaulicht fol- 
gende Tabelle (->• Quintenzirkel) : 
Durtonarten 
Anzahl der \> Anzahl der jj 

1 6 5 4 3 2 1' '12 3 4 5 6 7' 
Ces Ges Des As Es B F C G D A E H Fis Cis Gis Dis Ais 
,7 6 5 4 3 2 1, ,12 3 4 5 6 7, 
Anzahl der \> Anzahl der jt 

Molltonarten 
Dabei ergeben sich analog der Akkordverwandtschaf t 
innerhalb des tonalen Systems verschiedene Beziehun- 
gen zwischen den einzelnen T.en. Parallele T.en sind 
solche mit gleichen Vorzeichen (z. B. F dur und D moll) . 
Im Musikschrifttum finden sich haufig Darstellungen 
des -*■ Tonartencharakters. 

Lit. : H. Riemann, Folkloristische Tonalitatsstudien I, Lpz. 
1916; J. Wurschmidt, Tonleitern, T., Tonsysteme, Erlan- 
gen 1932; L. Balmer, Tonsystem u. Kirchentone bei J. 
Tinctoris, = Berner VerofF. zur Musikforschung II, Bern 
u. Lpz. 1935; O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d. 
fruhen MA, AMI X, 1938 - XII, 1940; ders., T. u. Stim- 
mungen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck 
1950; ders., Key, Mode,. Species, JAMS IV, 1951; J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); J. Chail- 
ley, L'imbroglio des modes, Paris 1960; S. Hermelink, 
Dispositiones modorum, = Miinchner VerofF. zur Mg. IV, 
Tutzing 1960; H. Potiron, Boece, theoricien de la mu- 
sique grecque, Paris 1961; M. Vogel, Die Entstehung d. 
Kirchent., Kgr.-Ber. Kassel 1962. 



61 • 



963 



Tonartencharakter 



Tonartencharakter. In der Charakteristik der Dur- 
und Molltonarten durchkreuzen sich verschiedene Ge- 
sichtspunkte. 1) Der T. ist von der modalen Tradition 
abhangig; Matthesons Beschreibung von C dur, D 
moll, E moll usw. stimmt mit Zarlinos Kennzeichnung 
von C ionisch, D dorisch, E phrygisch usw. weitgehend 
uberein. 2) Seit dem 16. Jh. wird die Durterz als hell 
und heiter, die Mollterz als dunkel und matt empfun- 
den (Zarlino). 3) Man schrieb, da der Ton fis im 17. Jh. 
»f durum« (hartes f), der Ton es »e molle« (weiches e) 
genannt wurde, den jt-Vorzeichen eine verhartende, 
den |>- Vorzeichen eine mildernde Wirkung zu. 4) Ton- 
arten mit wenigen Vorzeichen erscheinen als einfacher 
und naherliegend, Tonarten mit vielen Vorzeichen als 
komplizierter und entlegener. Einfachere Empfindungen 
haben einfachere Tonarten; zusammengesetzte bewegen sich 
lieber infremden, welche das Ohr sehener gehdrt (R. Schu- 
mann). 5) Der Charakter mancher Tonarten wird mit- 
bestimmt durch auBere Bedingungen wie die D dur- 
Stimmung der »festlichen« oder »kriegerischen« Trom- 
peten oder durch Konventionen wie die Gewohnheit 
der venezianischen Opernkomponisten des 17. Jh., 
Ombra-Szenen in Es dur zu notieren. - Bei einzelnen 
Komponisten laBt sich fur manche Tonarten ein be- 
stimmter Charakter, also eine Affinitat zwischen Ton- 
art, Tempo, Taktart, Thementypus und Affekt- oder 
Ausdrucksgehalt, feststellen; Bachs H moll, Mozarts 
D moll und G moll und Beethovens C moll sind aus- 
gepragte Charaktere. Die Versuche aber, ein allgemein- 
giiltiges System der T.e zu konstruieren, fordern zur 
Skepsis heraus. Andererseits sind Einwande, die sich auf 
den Wechsel der Stimmung, die Verschiebungen des 
Kammertons, berufen, untriftig; der. T. ist von der 
absoluten Tonhohe ahnlich unabhangig wie die »To- 
nigkeit« von der »Helligkeit« (E. M. v. Hornbostel). 
Lit.: J. Mattheson, Das Neu-Eroffnete Orch., Hbg 1713; 
G. Chr. Kellner, t)ber d. Charakteristik d. Tonarten, 
Mannheim 1790; D. Fr. Schubart, Asthetik d. Tonkunst, 
Wien 1 806 ; R. Schumann, Charakteristik d. Tonarten, in : 
Gesammelte Schriften iiber Musik u. Musiker, Lpz. 1854, 
5 1914; R. Hennig, Die Charakteristik d. Tonarten, Bin 
1896; R. Wustmann, Tonartensymbolik zu Bachs Zeit, 
Bach-Jb. VIII, 191 1 ; H. Riemann, Ideen zu einer Lehre v. 
d. Tonvorstellungen, JbP XXI, 1914 -XXII, 1915; ders., 
Neue Beitr. zu einer Lehre v. d. Tonvorstellungen, JbP 
XXIII, 1916; H. Stephani, Der Charakter d. Tonarten, 
= Deutsche Musikbiicherei XLI, Regensburg 1923; H. 
Corrodi, Zur Charakteristik d. Tonart, SMZ LXV, 1925; 
H. Abert, Tonart u. Thema in Bachs Instrumentalfugen, 
Fs. P. Wagner, Lpz. 1926; E. M.v. Hornbostel, Tonart u. 
Ethos, in : Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, Bin 1929 ; G. Anschutz, 
AbriB d. Musikasthetik, Lpz. 1930; W. Luthy, Mozart u. 
d. Tonartencharakteristik, = Slgmw. Abh. Ill, StraCburg 
193 1 ; H. Beckh, Vom geistigen Wesen d. Tonarten, Bres- 
lau 1932; ders., Die Sprache d. Tonart v. Bach bis Bruck- 
ner, Stuttgart 1937; H. J. Moser, Die Tonartenverteilung 
im Lohengrin, Mk XXVI, 1933/34; R. Schafke, Gesch. d. 
Musikasthetik in Umrissen, Bin 1934, Tutzing 21964; A. 
Montani, Psicologia dei moderni modi mus., RMI XLIV, 
1940; K. Schumann, Tonart u. Thema in d. Instrumental- 
musik d. Wiener Klassik, Diss. Kiel 1940, maschr.; D. P. 
Walker, Mus. Humanism in the 16 tb and Early 17" 1 Cent., 
MR II, 1941 -III, 1942, deutsch = Mw. Arbeiten V, Kassel 
1949; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); P. 
Mies, Der Charakter d. Tonarten, Koln u. Krefeld 1948; 
J. Bogart, Les caracteres des differentes tonalitfc de la 
musique classique, La Rev. Internationale de musique 
XII, 1952; E. Bindel, Zur Sprache d. Tonarten u. Tonge- 
schlechter, = Die Zahlengrundlagen d. Musik im Wandel 
d. Zeiten III, Stuttgart 1953; M. Heimann, Realiteterne 
bag tonearternes karakter, DMT XXVIII, 1953; H. Blu- 
mer, Uber d. Tonarten-Charakter bei R. Wagner, Diss. 
Miinchen 1958. CD 

Tonband-* Schallaufzeichnung. 

Tonbestimmung ->■ Frequenzbestimmung. 



Tonbezeichnungen, Tonbuchstaben -»Buchsta- 

ben-Tonschrift, -> Oktave, ->■ Tonsystem; 
-> A, -> B, -> H, -> C, -> D, -> E, -> F, -» G. 

Toncharakter -> Tonigkeit. 

Tongeschlecht (ital. modo; frz. mode) kam im 18. Jh. 

als Obersetzungswort fiir ->• Genos auf; dieser Begriff 
umfafite in der griechischen Musiktheorie die ->■ Dia- 
tonik, ->■ Chromatik und ->■ Enharmonik. Im System 
der -»- Kirchentone galten bis ins 18. Jh. Modus maior 
und minor (cantus durus und cantus mollis) als T.er 
(genera), die 12 Modi hingegen (z. B. C ionisch und A 
aolisch) als -> Tonarten (species). Seit dem 19. Jh. - ver- 
einzelt schon seit dem 18. Jh. (vgl. J.-Ph. Rameau, Ge- 
neration harmonique, Paris 1735) - betrachtet man die 
Modi als Genera (den ionischen Modus als -» Dur, den 
aolischen Modus als -> Moll) und die Tonarten als 
Spezies (C dur und A moll als Tonarten). 

Tonhaltungspedal (engl. sustaining pedal; frz. pro- 
longement), an Pianofortes ein Pedalzug, mit dem die 
Dampfer nur des gerade angeschlagenen Tones oder 
Akkords gehoben werden, solange das Pedal niederge- 
treten bleibt (Anwendung u. a. bei Orgelpunkten). Es 
wird heute meist bei groBen Fliigeln als 3. -> Pedal (- 2) 
zwischen den beiden iiblichen angebracht. Mehrere 
Systeme des T.s wurden erfunden (u. a. von Boisselot 
1844, Steinway 1874). 

Tonhohe (engl. pitch) ist eine Elementarqualitat des 
musikalischen Horens. Die Wahrnehmung der T. um- 
faBt eine lineare und eine zyklische Seite. Die lineare 
Veranderung der T. entspricht einem arithmetischen An- 
steigen, dem eine geometrische Zunahme der Grund- 
frequenz des auslosenden Schwingungsvorganges an- 
nahernd parallel geht (Webersches bzw. Fechnersches 
Gesetz). Das lineare Moment der T.n-Empfindung an- 
dert sich also etwa proportional dem -> Logarithmus 
der Frequenzzunahme. - Die zyklische Seite der T. 
wird am sinnfalligsten durch Identitat oder zumindest 
Ahnlichkeit bestimmter, im -> Tonsystem sich wieder- 
holender Tonstufen. Erstmals postulierte Fr. Brentano 
zwei T.n-Eigenschaf ten, indem er einer »Tonschwarz«- 
»TonweiB«-Skala ein mit der Oktavidentitat zusam- 
menhangendes Moment gegeniiberstellte. G.Revesz 
fand heraus, daB die beiden »Komponenten« der T., die 
(lineare) »H6he« (C. Stumpf und spaterE. M.v. Horn- 
bostel sprechen von »Helligkeit«) und die (zyklische) 
»Qualitat« (bei Hornbostel »Tonigkeit«), unabhangig 
voneinander zu verandern sind. Als Mehr-Seiten-Mo- 
dell wird diese psychologische Beschreibungsweise wei- 
terhin von A. Wellek vertreten und ausgebaut, auch auf 
Tonzwei- und Tonmehrheiten angewandt. Die »Auf- 
spaltung« der T. in die beiden hervorstechenden Di- 
mensionen Helligkeit bzw. (Raum-)H6he und »Tonig- 
keit« erganzt sich weiter durch die schon von W. Koh- 
ler an Sinustonen aufgewiesenen »Vokalitaten« und die 
Masseeigenschaften (Volumen, Gewicht, Dichte). - 
Die heute gebrauchlichen T.n-Bezeichnungen (»klei- 
nes c«, seingestrichenes g« usw.) benennen die beiden 
Hauptdimensionen der T., indem sie einmal die Ok- 
tavlage (»klein«, »eingestrichen«), zum anderen die 
-> Tonigkeit, auch »Chroma« genannt (»c«, »g«), an- 
geben. Im allgemeinen wird in der Akustik die T. ent- 
sprechend dem Postulat der klassischen Psychophysik 
mit der Frequenz gleichgesetzt, doch hat diese Gleich- 
setzung wenig mit dem musikalischen T.n-Begriff zu 
tun. Der horbare Schall umfaBt im Normalfall den 
Frequenzbereich von etwa 16 Hz bis maximal etwa 
20000 Hz. Innerhalb dieser »H6rgrenzen« verdoppelt 
sich die Frequenz mehr als zehnmal, was bei Zugrun- 
delegung des Schwingungsverhaltnisses 2 : 1 fiir die Ok- 



964 



Tonhohe 



tave mehr als 10 Oktaven ergibt. Tatsachlich aber ver- 
mag selbst der geiibte Horer nur 7 iibereinanderliegen- 
de Oktaven klar zu differenzieren. Die T.n-Wahrneh- 
mung geht also der Frequenzanderung nur begrenzt 
parallel. Es wurde versucht, diese Beziehungen durch 
Aufstellen einer »Mel«-Kurve (nach Feldtkeller und 
Zwicker) festzulegen: 



liegt sie fast konstant fur 80 phon bei 1,5 Hz, fur 
30 phon bei 3 Hz (Abbildung nach Feldtkeller und 
Zwicker). 



4000 
2000 














































































125 






































12 





















250 500Hz I 

Die Brauchbarkeit solcher Versuche ist jedoch bei der 
grundsatzlichen Verschiedenartigkeit zwischen akusti- 
schen Grofien und Erlebnisinhalten fraglich. - Dariiber 
hinaus andert sich (am starksten bei Sinusschwingun- 
gen) die T. bei gleichbleibender Frequenz durch wech- 
selnde Intensitat. Bei 150 Hz z. B. erscheint die T. bei 
einer Intensitatssteigerung von 50 auf 80 dB um etwa 
einen Halbton defer. Diese Erscheinung ist frequenz- 
abhangig, sie verringert sich mit steigender Frequenz 
und kehrt sich oberhalb von ca. 2000 Hz um, d. h. die 
T. nimmt jetzt bei gleichbleibender Frequenz und stei- 
gender Intensitat zu (Abbildung nach Stevens) : 













/ 




















/ 




















/ 
































































__ 










u 


'/ 




J0-" 












^ 


^ 






-* 




















~J00g_ 








































\ 


fe 
















■• 


> 


\ 


















\ 






















\ 




















\ 









to 20 30 m SO CO 70 



90 m> IIOdB 



Eine noch eben wahrnehmbare T.n-Anderung wurde 
in verschiedenen Lagen durch frequenzmodulierte 
Schwingungen ermittelt. Es ergab sich, daC oberhalb 
von 500 Hz eine Frequenzabweichung von Af/f= 3°/oo 
eben bemerkt wird ; fur 1 000 Hz entsprache das einer 
Frequenzanderung von 3 Hz. Dieser Wert von 3°/oo 
gilt fur eine Intensitat von 80 phon. Bei 30 phon be- 
tragt zJ_/7/etwa 6°/oo» ist also doppelt so groB. Auch die 
Wahrnehmungsschwelle fur T.n-Anderungen ist in- 
tensitatsabhangig. Fur Schwingungen unter 500 Hz 



to 


At 

\ 
















// 


















' , 
















Xplxn 


//, 


'# 


10 
5 














/, 


/ 












s 


A 


// 


SOphoo 






















25 












. 'V 






-t 


12 







120 2S0 500Hz I 

Diese Werte gelten indessen nur fiir Sinusschwingun- 
gen; die Unterscheidungsfahigkeit des Gehors fiir die 
von Musikinstrumenten erzeugten Schwingungen ist 
in alien Frequenzbereichen nahezu gleich. - Die T. 
wird durch das Gehor nach erstaunlich kurzer Zeit er- 
kannt. Bei 100 Hz wurde eine »Tonkennzeit« von etwa 
25 msec festgestellt. In diesem Fall waren nur 2 J /2 Pe- 
rioden notwendig, um die T. zu erfassen. Bei 1000 Hz 
betragt die Tonkennzeit etwa 5 msec (5 Perioden). Bis- 
her wurde angenommen, daB bei komplexen Klangen 
eine T.n-Empfindung ausschlieBlich durch die jewei- 
lige (Grund-)Schwingung zustande komme (»Grund- 
tonhohe«) ; es wirken daneben jedoch noch zwei wei- 
tere auslosende Momente: Ein komplexer periodischer 
Schallvorgang, dem die Grundschwingung objektiv, 
also auch als im Ohr gebildete Differenzfrequenz fehlt, 
wird trotzdem in seiner T. erkannt. Selbst wenn die 
unteren Harmonischen in groBerer Anzahl ausgeschal- 
tet werden, bleibt die urspriingliche T. erhalten ; es an- 
dert sich lediglich der Eindruck der -> Klangf arbe (- 2) . 
J.F. Schouten bezeichnet diese von ihm entdeckte und 
schonHornbostel bekannte Erscheinung als »Residuum«. 
- Wenig geklart ist noch das Zustandekommen der so- 
genannten »Formant-T. «. Wird ein Schallvorgang 
durch einen BandpaB mit dem DurchlaBbereich eines 
bestimmten Intervalls (z. B. Terzsieb) geschickt, so ent- 
steht bei Veranderung der Frequenzlage des DurchlaB- 
bereichs ein wechselnder T.n-Eindruck, der sich deut- 
lich von dem des ebenfalls horbaren Residualtons ab- 
hebt. Fiir das musikalische Horen war bisher neben der 
Grund-T. nur die -> Residual-T. von Bedeutung, de- 
ren Existenz zwar schon eine Weile bekannt war (etwa 
als Schlagton von Glocken wie auch bei Lautsprechern 
mit mangelhafter Wiedergabe tiefer Frequenzen), die 
aber nicht oder nur falsch gedeutet wurde, wahrend 
die Formant-T. erst durch die elektronische Klang- 
erzeugung dargestellt werden kpnnte. 
Lit. : H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonempfindungen 
..., Braunschweig 1863, «1913, Nachdruck Hildesheim 
1967; C. Stumpf, Tonpsychologie, 2 Bde, Lpz. 1883-90, 
Nachdruck Hilversum u. Amsterdam 1965; ders., Die 
Sprachlaute, Bin 1926; Fr. Brent ano, Untersuchungen 
zur Sinnespsychologie, Lpz. 1907 ; W. Kohler, Akustische 
Untersuchungen, Zs. f. Psychologie LIV, 1909, LVIII, 
1910 u. LXIV, 1913; ders., Tonpsychologie, in: Hdb. d. 
Neurologie d. Ohres, Wien 1923 ; G. Revesz, Zur Grund- 
legung d. Tonpsychologie, Lpz. 1913; ders., Inleiding tot 
de Muziekpsychologie, Amsterdam 1944, 2 1946, deutsch 
als: Einfuhrung in d. Musikpsychologie, Bern 1946, engl. 
London u. NY 1953, ital. Florenz 1954; E. M. v. Horn- 
bostel, Psychologie d. Gehorserscheinungen, in : Hdb. d. 
normalen u. pathologischen Physiologie XI, Bin 1926; H. 



965 



Tonhohenschreiber 



Schole, Tonpsychologie u. Musikasthetik, Gottingen 
1930; A. Wellek, Die Aufspaltung d. »T.« . . ., ZfMw 
XVI, 1934; ders., Musikpsychologie u. Musikasthetik, 
Ffm. 1963; St. Sm. Stevens, J. Volkmann u. E. B. New- 
man, A Scale for the Measurement of the Psychological 
Magnitude Pitch, JASA VIII, 1936/37; G. Albersheim, 
Zur Psychologie d. Ton- u. Klangeigenschaften, = Slg 
mw. Abh. XXVI, Lpz., StraBburg u. Zurich 1939; J. F. 
Schouten, Die Tonhohenempfindungen, Philips Techni- 
sche Rundschau V, 1940; A. Bachem, Chroma Fixation at 
the Ends of the Mus. Frequency Scale, JASA XX, 1948; 
ders., Tone Height and Tone Chroma as Two Different 
Pitch Qualities, Acta psychologica VII, 1950; J. Handschin, 
Der Toncharakter, Zurich (1948); R. Feldtkeller u. E. 
Zwicker, Das Ohr als Nachrichtenempfanger, = Mono- 
graphiend. elektrischenNachrichtentechnik XIX, Stuttgart 
1956; W. Meyer-Eppler, Die dreifache Tonhohenquali- 
tat, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957; ders. (mit H. Send- 
hoff u. R. Rupprath), Residualton u. Formantton, Grave- 
saner Blatter IV, 1959, H. 14; A. Liebe, T. u. Tonhelligkeit 
. . ., AfMwXVII, 1960; Fr. Winckel, Phanomened. mus. 
Horens, Bin u. Wunsiedel (1960); H.-P. Reinecke, Ex- 
perimentelle Beitr. zur Psychologie d. mus. Horens, 
= Schriftenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg III, Hbg 1964. 

Tonhohenschreiber, auch Melodieschreiber. Ton- 
hohenverlaufe, besonders von Sprache und Gesang, 
konnten f riiher nur anhand von Oszillogrammen durch 
miihsames Ausmessen der Perioden der Grundschwin- 
gung gewonnen werden. Inzwischen wurden Appara- 
turen entwickelt, um sie wahrend des Sprechens oder 
Singens direkt sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck 
werden die vom Mikrophon (Tonband u. a.) abgege- 
benen Wechselspannungen verstarkt und so gefiltert, 
daB im wesentlichen Sinusspannungen der jeweiligen 
Grundfrequenz entstehen. Dies wird durch ein nicht- 
linear arbeitendes Schaltglied (-»■ Verzerrung) erleich- 
tert, das durch Differenzfrequenzbildung (-> Kombi- 
nationstone) die oft nicht sehr starke Grundschwingung 
hervorhebt. Durch weitere Umwandlung wird aus die- 
sen Schwingungen eine Folge synchroner Impulse ge- 
wonnen, die ihrerseits zur Synchronisierung einer Kipp- 
schwingung dienen. Die Frequenz der Kippschwin- 
gung muB dabei unterhalb der voraussichtlich zu regi- 
strierenden Grundfrequenz liegen. 



UMUiLLUJi. 




Die Periode, d. h. der Abstand der einzelnen Impulse, 
ist umgekehrt proportional der Frequenz. Daher wird 
die Kippschwingung mit zunehmender Grundfrequenz 
immer haufiger unterbrochen, so daB die Differenz 
zwischen der von jeder Kippschwingung maximal er- 
rcichbaren und der tatsachlich erreichten Spannung ein 

Hz 



250 
200 
KO 
HO 
120 




r o m a n I i f a m u z h k 
Tonhohenverlauf der gcsprochcncn Wortc 
»Romahtische Musik«. 



direktes MaB fiir die momentane Grundfrequenz er- 
gibt. Im Oszillogramm der synchronisierten Kipp- 
schwingung entspricht die untere Kontur der gesuch- 
ten Melodiekurve. 

Lit. : M. Grutzmacher u. W. Lottermoser , Uber ein Ver- 
f ahren zur trSgheitsfreien Aufzeichnung v . Melodiekurven, 

Akustische Zs. II, 1937; dies., Die Verwendung d. T 

ebenda III, 1938 ; W. Meyer-Eppler, T., Zs. f . Phonetik II, 

1948 ; W. Kallenbach, Eine Weiterentwicklung d. T 

Acustical, 1951. 

Toni communes (lat.), die den Choralausgaben bei- 
gegebenen Melodieformeln fiir Messe und Offizium 
nebst Bestimmungen uber Ausf iihrung und liturgische 
Verwendung. Sie erschienen 1911 (21912) auch in einer 
eigenen Ausgabe unter dem Titel Cantorinus Romanus 
seu T. c. officii et tnissae. Als maBgeblicher Vorlaufer die- 
ser im Dienst einer einheidichen Gesangspraxis ste- 
henden Sammlung gilt das 1582 publizierte Directorium 
chori von Guidetti. Die T. c. missae des Graduale Ro- 
manum umfassen in 9 (11) Einzelrubriken Melodiefor- 
meln fiir Orationen, Prophetie, Epistel undEvangelium, 
auch den Einleitungsdialog der Prafationen, den Eroff- 
nungsteil des Pater noster u. a. Jiingste Erganzungen im 
AnschluB an die Reform der MeBfeier {-*■ Vatikani- 
sches Konzil) bietet der Faszikel Cantus qui in Missali 
Romano desiderantur iuxta Instructionem ad exsecutionem 
Constitutions de sacra Liturgia recte ordinandam . . . (Vati- 
kanische Ausgabe 1965). Hiervon unterschieden enthal- 
ten die T. c. officii nach dem Antiphonale Romanum 
insgesamt 12 Rubriken, in denen auBer denEinleitungs- 
und SchluBstucken der Horen die Psalmen- und Can- 
ticamodelle sowie alle notwendigen Melodieformeln 
fiir Versikel, Absolutionen und Benediktionen, Lektio- 
nen, Capitulum, Orationen und Benedicamus Domino 
vorgestellt werden, ferner Melodieversionen zum Glo- 
ria patri der Responsoria brevia und die zur osterlichen 
Zeit gesungenen Alleluiaanhange der Antiphonen. Hin- 
zu gehort auch ein Abschnitt De cantu hymnorum. Aus 
den T. c. des Antiphonale Monasticum ist besonders die 
Rubrik De cantu psalmorum zu erwahnen, deren 1 . Teil 
(De partibus psalmodiae) detaillierte Erla'uterungen uber 
Struktur und Vortrag der Psalmen aufweist. 

Tonic-Solfa, zu Beginn des 19. Jh. in England ent- 
wickelte Unterrichtsmethode zur Ausbildung einer 
umfassenden tonalen Vorstellung mit Hilfe von Hand- 
zeichen und gesungenen Intervalliibungen. Ihre Urhe- 
ber, S. A. Glover und J. Curwen, bedienten sich einer auf 
wechselnden Grundton (Tonic) beziehbaren Durskala 
aus den leicht abgewandelten Silben des guidonischen 
Hexachords: do re mi fa so la ti (engl. : doh ray me fah 
soh lah te) und einer daraus abgeleiteten Buchstaben- 
notation : d r m f s 1 1 (hohere Oktave : d 1 r 1 m 1 . . . , tie- 
fere Oktave dj ri mi ...). Akzidentielle Erhohung 
wird durch Umwandlung der Vokale nach i (engl. 
z. B. de, fe . . . , Ausnahme my, ty),Erniedrigung durch 
Umwandlung nach o (engl. z. B. ra, ma . . . , Ausnah- 
me du, fu) angezeigt. Durch Umdeutung der Silben 
kann auch in andere Tonarten moduliert werden (Mo- 
dulation C-G: c e fis g = doh ™^ te doh). Die reine 
Mollskala beginnt auf lah (ltdrmfs). Im melodischen 
Moll wird fiir die erhohte 6. Stufe die Silbe ba zur Un- 
terscheidung von dem leittonigen fe neu eingefuhrt. 
Die im T.-S. urspriinglich vorgesehenen Silben zur 
Bezeichnung der physikalisch reinen Tonverhaltnisse 
linden, im Gegensatz zu dem komplizierten Zeichen- 
system fiir Rhythmus und Metrum, das die Buchsta- 
bennotation erganzt, in der heutigen Unterrichtspraxis 
keine Verwendung mehr. Die in Deutschland von A. 
Hundoegger verbreitete -> Tonika-Do-Methode ist 
eine Weiterentwicklung von T.-S. 



966 



Tonika 



Lit.: J. Cur wen, Memorials, London 1882; J. Taylor, 
The Evolution of the Movable Doh, Proc. Mus. Ass. 
XXIII, 1896/97; WolfN II, S. 380f.; W. G. Whittaker, 
The Claims of T. S., ML V, 1924, auch in: Collected Es- 
says, Oxford 1940; K. Mollowitz, tjber d. Musikerzie- 
hung bei A. Glover u. J. Curwen, Diss. Konigsberg 1934; 
R. Nettel, Music in the Five Towns, London 1944; H. 
W. Shaw, The Teaching of J. Curwen, Proc. R. Mus. 
Ass. LXXVII, 1950/51; ders., Artikel Tonic Sol-Fa, in: 
Grove. 

Tonigkeit, auch Tonqualitat oder Toneigenf arbe (engl. 
chroma), heiBtjeneEigenschaft am Ton, die das Okta- 
venphanomen begriindet. Wenn man die chromatische 
Tonfolge in der Klaviatur vergleichend abwandelt, 
laBt sich bei der 13., 25., 37. (usw.) Taste die Wieder- 
kehr eines qualitativen (farbenartigen) Moments beob- 
achten, unabhangig davon, daB andererseits der An- 
oder Abstieg bzw. die Zu- oder Abnahme an Hellig- 
keit weitergeht. Mit zu- und abnehmender Frequenz 
variieren demnach mindestens zwei voneinander ab- 
weichende Qualitatenreihen oder »Dimensionen« am 
Ton: eine einigermaBen linear, stetig verlaufende, d. h. 
die Helligkeit und die -+ Tonhohe im Wortsinne (raum- 
lich vorgestellt) auf der einen Seite, und eine wieder- 
kehfende, in sich riicklaufige, zyklische auf der anderen 
Seite. Letztere wurde von Revesz als Tonqualitat oder 
musikalische Qualitat (was jedoch vieldeutig ist), spa- 
ter von E. M. v. Hornbostel mit dem Terminus T. be- 
zeichnet im Sinne der »c-igkeit«, »cis-igkeit«usw., d. h. 
der Eigenqualitat des Tones als Ton, unabhangig von 
der Oktavlage. DaB gerade diese Eigenschaft musika- 
lisch entscheidend wichtig ist, geht schon daraus hervor, 
daB seit der Fixierung der Solmisation den Einzeltonen 
tibereinstimmende Namen ohne Rucksicht auf die je- 
weilige Oktavlage gegeben werden. Im Hinblick darauf 
formulierte schon J.-Ph.Rameau die »Identitit der Ok- 
tavtone«. W.Opelt (1834) und M.W.Drobisch (1846) 
und nach ihnen Revesz stellen hiernach das erlebte Ton- 
hohenkontinuum graphisch als Spirale oder Schrauben- 
linie dar, deren in Stockwerken iibereinanderliegende 
Punkte im kreisformigen GrundriB zusammenfallen 
und dort den Kreis der T.en abbilden, wahrend der bei 
Aufrollung der Spirale als schiefe Ebene erscheinende 
stetige Anstieg das Fortschreiten der Tonhohe im Raum- 
sinne (samt der Helligkeit) symbolisiert. Der T.en- 
Kreis ist dem optischen Farbenkreis (den Spektral- und 
Purpurfarben) zu vergleichen. Neuerdings haben die 
gehor- und musikpsychologischen Untersuchungen 
von Wellek ergeben, daB in der chromatischen Tonfol- 
ge nicht (wie im Farbenkreis) mit zu- und abnehmen- 
der Frequenz der Reize nachstahnliche Qualitaten auf- 
einander folgen, sondern der Quinten- oder Quarten- 
zirkel die Ahnlichkeitsfolge der T.en darstellt (c Shnelt 
am meisten g und f, nur sehr entfernt cis oder des, usw.). 
Der Quinten- oder Quartenkreis stellt demnach eine 
psychologische Realitat, kein bloB theoretisches Ver- 
wandtschaftssystem der Tonarten dar. Seine qualitative 
Auspragung hangt gleichwohl mit den modulatori- 
schen Verhaltnissen und den dadurch eingepragten 
vielfaltigen Erfahrungen im abendlandischen diato- 
nisch-chromatischen System zusammen. Immerhin 
wird die Oktavenahnlichkeit, in zweiter Linie auch die 
Quint- oder Quartahnlichkeit schon von Guido von 
Arezzo theoretisch erwiesen, groBenteils von Natur- 
volkern, von auBereuropaischen Hochkulturvolkern, 
vielfach auch von kleinen Kindern beobachtet bzw. er- 
lebt. Die Amerikaner Blackwell und Schlosberg haben 
1943 in Dressurversuchen mit Ratten gezeigt, daB auch 
diese auf die Ahnlichkeit von Oktavtonen reagieren. 
Wahrend die Oktaven- und auch die Quint-Quart- 
Ahnlichkeit von jedem Musikalischen erlebt wird, ver- 



mittelt nur das -> Absolute Gehor die Fahigkeit der 
Wiedererkennung bzw. des Dauergedachtnisses fiir die 
Eigenfarben der einzelnen T.en je fiir sich, und wieder- 
um gibt es sowohl unter Absoluthorern als auch beim 
gewohnlichen -»■ Relativen Gehor einen Typ, der be- 
vorzugt an der qualitativen Wirkung der T.en orien- 
tiert ist. Hier verhalt sich der Gehorsinn anders als der 
Gesichtssinn, fiir den Farbenschwache oder gar Farben- 
blindheit relativ selten sind. Wie fiir das Auge die Spek- 
tralfarben, aber in noch weit hoherem Grade, sind fiir 
das Ohr die Toneigenfarben (Chromata) eine entwick- 
lungsgeschichtlich, zum Teil auch musikgeschichtlich 
spate Differenzierung der Empfindung und dement- 
sprechend qualitativ wenig stabil. So verblassen die 
Toneigenfarben in den Randgebieten des musikalischen 
Tonbereichs und unter »aktualgenetischen« Bedingun- 
gen, z. B. bei extrem kurzer Tondarbietung; sie fallen 
bei zentralen Horstorungen (-> Amusie, ->■ Parakusis) 
am ehesten aus. Soweit es moglich ist, die Unterschieds- 
empfindlichkeit fiir T.en von der fiir Helligkeiten und 
Hohen zu trennen, zeigt es sich, daB die erstere in der 
Regel die grobere ist. Doch konnte Wellek bei dem 
von ihm beschriebenen, auf T.en ausgerichteten zykli- 
schen oder polaren Gehortyp »inverse Schwellenlage«, 
d. h. eine feinere Unterschiedsempfindlichkeit fiir T.en 
gegeniiber der fiir Helligkeiten, nachweisen. Von der 
Informationstheorie aus hat Meyer-Eppler (1959) auf 
Grund der Wellekschen Untersuchungen die T. als ein 
Inf ormationselement unter anderen am Ton definiert. 
Wiewohl J.Handschin zu den Leugnern der T. gehort, 
definiert er seinen »Toncharakter« genau entsprechend, 
laBt also einen anderen Terminus fiir die gleiche Sache 
eintreten. Da der T. im physikalischen Reizkontinuum 
nichts entspricht, werden physiologische Korrelate 
beim Rezeptionsvorgang in der Schnecke oder im Rin- 
denfeld vermutet (-> Hortheorie). Die Bedeutung der 
Mehrseitigkeit oder Mehr-(Zwei-)Dimensionalitat der 
bis dahin so genannten Tonhohe fiir die Gehor- und 
Musikpsychologie ergibt sich daraus, daB auch an Ton- 
zwei- und Tonmehrheiten, simultanen wie sukzessiven, 
jeweils eine qualitative Seite, die von den T.en getragen 
ist, von einer anderen unterschieden werden kann, die 
auf die »linearen« Toneigenschaften zuriickgeht. 
Lit. : G. Revesz, Nachweis, daB in d. sog. Tonhohe zwei 
von einander unabhangige Eigenschaften zu unterscheiden 
sind, Nachrichten d. Koniglichen Ges. d. Wiss. zu Got- 
tingen, Mathematisch-physikalische Klasse, 1912; ders., 
Zur Grundlegung d. Tonpsychologie, Lpz. 1913; C. 
Stumpf, tiber neuere Untersuchungen zur Tonlehre, 6. 
KongreB f . experimented Psychologie Lpz. 1914, auch in: 
Beitr. zur Akustik u. Mw. VIII, 1915; E. M. v. Hornbo- 
stel, Psychologie d. Gehorserscheinungen, in: Hdb. d. nor- 
malen u. pathologischen Physiologie XI, hrsg. v. A. Bethe 
u. a., Bin 1926; A. Wellek, Die Aufspaltung d. »Tonho- 
he« in d. Hornbostelschen Gehorpsychologie . . ., ZfMw 
XVI, 1934; ders., Die Mehrseitigkeit d. »Tonhohe« als 
Schlussel zur Systematik d. mus. Erscheinungen, Zs. f. 
Psychologie CXXXIV, 1935; ders., Das Absolute Gehor 
u. seine Typen, = Zs. f. angewandte Psychologie u. Cha- 
rakterkunde, Beih. LXXXIII, Lpz. 1938, Ffm. 21967; 
ders. u. a., Diskussion zum Sammelreferat: The Present 
State of Music Psychology and Its Significance for Hist. 
Musicology, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd II; ders., Musikpsy- 
chologie u. Musikasthetik, Ffm. 1963 ; J. Handschin, Der 
Toncharakter, Zurich (1948); A. Bachem, Tone Height and 
Tone Chroma as Two Different Pitch Qualities, Acta psy- 
chologica VII, 1950; W. Meyer-Eppler, Grundlagen u. 
Anwendungen d. Informationstheorie, Bin u. Heidelberg 
1959. AW 

Tonika (frz. tonique) heifit in der dur-moll-tonalen 
Musik der Grundton der Tonart, die nach ihm benannt 
wird, z. B. : C dur nach c, A moll nach a. Die funktio- 
nale Harmonielehre versteht unter T.den darauf er- 
richteten Dreiklang, den Hauptklang der Tonart (in 



967 



Tonika-Do 

C dur c-e-g, in A moll a-c-e). Der Terminus geht auf 
J.-Ph.Rameau zuriick, der die Akkorde der T., Dofni- 
nante und Subdominante als die drei Grundpfeiler to- 
naler Harmonik erkannt hat (-»- Harmonielehre). Die 
Funktionsbezeichnung T fiir T. stammt von H. Rie- 
mann. Sie meint stets den Dreiklang der T. 

Tonika-Do, in der deutschen Musikpadagogik ver- 
breitete Abwandlung des englischen ->- Tonic-Solfa- 
Systems. Die von A.Hundoegger um 1900 eingefiihrte 
Methode erlangte groBe Beliebtheit infolge der syste- 
matischen Verwendung von Handzeichen zur Ver- 
deutlichung der verschiedenen Tonstufen. Sie bilden 
auch nach der Umgestaltung durch J. Wenz noch die 
Grundlage des T.-Do-Systems, das heute besonders im 
Musikunterricht der deutschen Volksschule einen fe- 
sten Platz einnimmt. 

Lit.: A. Hundoegger, Lehrweise nach Tonika Do, Bin 
(H943), neu bearb. v. E. Noack, Kiel u. Lippstadt (91951) ; 
J. Wenz, Musikerziehung durch Handzeichen, Wolfen- 
biittel (1950). 

Tonleiter (frz. gamme; engl. scale; ital. scala), Folge 
von Tonschritten, die der Tonhohe nach geordnet sind 
und durch Rahmentone begrenzt werden, jenseits derer 
die Tonfolge in der Regel wiederholbar ist. Wahrend. 
in der Material-T. (im Sinne des -> Tonsystems) die 
Summe des in einem Kulturkreis verwendeten Ton- 
materials zusammengefaBt ist, heiBt Gebrauchs-T. die 
einem Musikstiick zugrunde liegende Auswahl aus der 
Material-T. , wobei nicht in alien Tonsy stemen die Ton- 
hohen aller Stufen genau festliegen, z. B. nicht im ja- 
vanischen -*■ Slendro. Eine Material-T. kann heute un- 
ter 3fachem Aspekt gesehen werden: 1) als skalenma- 
Bige Folge von Tonen (T.), 2) als abstrakte Tonreihe 
mit charakteristischer Intervallfolge, besonderem Be- 
deutungsgewicht einzelner Tone und daraus resultie- 
render Beziehung der Tone zueinander (-> Tonge- 
schlecht), 3) als Fixierung eines Tongeschlechts auf ei- 
ner bestimmten Tonhohe (-» Tonart). - Die griechische 
Musiktheorie konstruierte T.n durch Ausfullen der 
Symphoniai und bezeichnete sie als Systemata (-»- Sy- 
stema teleion). Dabei besteht die Oktave aus 2 Tetra- 
chorden und einem Ganzton (Diazeuxis). Je nach der 
Unterteilung des Tetrachords gehort die Leiter rum 
-v Genos der Diatonik, Chromatik oder Enharmonik. 
Uber die Zugehorigkeit zu den Harmoniai (dorisch, 
phrygisch, lydisch usw.) entscheidet die Anordnung 
der Intervalle im Quartrahmen. - Die mittelalterlichen 
T.n sind die rein diatonischen Skalen der -> Kirchen- 
tone. Sie werden gewonnen durch verschiedene An- 
ordnung der Quart- und Quintspezies oder durch Fest- 
legung der Finalis innerhalb einer diatonischen Grund- 
skala von (T)A bis a 1 . Diese Material-T. ist bereits bei 
Guido auf 7 Hexachorde (r)A-e 2 erweitert und wird 
in der Folgezeit nach oben und unten ausgedehnt. 
Durch Transposition der einzelnen Kirchentone wer- 
den chromatische Nebenstufen gewonnen, so daB seit 
dem 15. Jh. ein Tonsystem von 12 ungleichen chroma- 
tischen Halbtonen zur Verfiigung steht. - Die beiden 
diatonischen T.n, die den heutigen Tonarten zugrunde 
liegen, sind aus den Skalen der mittelalterlichen Kir- 
chentone herausgewachsen als Ergebnis einer Entwick- 
lung des harmonischen Denkens, besonders seit J.-Ph. 
Rameau. Die einzelnen Tone erhielten immer mehr 
harmonisches Gewicht, so daB die T. von H. Riemann 
unter rein harmonischen Ge- . 



unter rein harmonischen Ge- Q | . , i i 
sichtspunkten definiert wer-^ pj I J J J J » ^ 
den konnte als naturlichste tJ' -5 J * " " I ' 



Form der Skalenbewegung durch den Akkord der Tonika. 
Die T. kann auch erklart werden als horizontale Ent- 
faltung der in den 3 Hauptfunktionen Tonika, Sub- 



dominante und Dominante enthaltenen Tone. Die 
Summe der durch alle moglichen T.-Transpositionen 
sich ergebenden Tone ist im gleichschwebend tempe- 
rierten Tonsystem in der aus 12 Halbtonen bestehenden 
Chromatischen Skala enthalten. Die -> Ganztonleiter, 
die -> Zigeunertonleiter, die Skalen der -> Pentatomk 
und andere, nicht zum Dur-Moll-System gehorende 
T.n werden in der heutigen Praxis ebenfalls als Aus- 
schnitte aus der Chromatischen Skala ausgefiihrt. Auch 
der Zwolftontechnik liegt die Chromatische Skala zu- 
grunde, ihre -4- Reihe ist jedoch keine T. Der Erweite- 
rung des Tonsystems und den sich daraus ergebenden 
neuen Moglichkeiten der T.-Bildung gelten die Ver- 
suche der Aufspaltung des chromatischen Materials 
z. B. in der -> Vierteltonmusik. Innerhalb der auBereu- 
ropaischen Tonsysteme (so in der -» Arabisch-islami- 
schen Musik, in -> Slendro und -> Pelog) gibt es eine 
Vielfalt von T.n, die sich durch verschiedene Arten der 
Tonbestimmung unterscheiden (-* Maqam, -v Patet, 
-> Riga). 

Lit.: H. Riemann, Neue Schule d. Melodik, Hbg 1883; 
A. J. Ellis, On the Mus. Scales of Various Nations, Journal 
of theSoc. of Arts XXXIII, 1885 (dazu C. Stumpf in : Vf Mw 
II, 1886), deutsch v. E. M. v. Hornbostel in: Sammelbde 
f. vergleichende Mw. 1, 1922; E, M. v. Hornbostel, Melo- 
die u. Skala, JbP XIX, 1 9 1 2 ; C. S achs, Vergleichende M w. , 
= Musikpadagogische Bibl. II, Lpz. 1930, neu bearb. Hei- 
delberg (1959); J. Wurschmidt, T., Tonarten, Tonsyste- 
me, Erlangen 1932; J. Handschin, Der Toncharakter, Zu- 
rich (1948); W. Wiora, Alter als d. Pentatonik, in: Studia 
Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 1956; H. Husmann, 
Grundlagen d. antiken u. orientalischen Musikkultur, Bin 
1961. 

Tonmalerei (frz. musique descriptive) ist die auf dem 
Kunstprinzip der Nachahmung und dem psychologi- 
schen Phanomen der Synasthesie beruhende vokal- und 
instrumentalmusikalische Abschilderung optischer und 
akustischer Erscheinungen und Vorgange, wie Gewit- 
ter (Sturm, Blitz, Donner), Landschaftsidylle (Waldes- 
rauschen, Bach, Jagdhorner, -> Echo), Tierstimmen 
(-> Vogelgesang - 2), Schlacht und Jagd (Pferdege- 
trappel, Schiisse, Signale), Tages- und Jahreszeiten, 
Schlittenfahrt, Dampfmaschine, Flugzeug usw. Die 
»objektive« (auf den Gegenstand gerichtete) T. ist fast 
immer und in der Neuzeit in zunehmendem MaBe ver- 
bunden mit »subjektiver« T., die zugleich die durch den 
Gegenstand verursachten Affekte bzw. Gefiihle und 
Stimmungen ausdruckt. Die T. erfaBt die komplexen 
Erscheinungen und Vorgange selektiv, vor allem sei- 
tens der sie charakterisierenden Lautlichkeit und (oder) 
Bewegungsart, auch assoziativ (z. B. Homklang/Wald) 
bzw. synasthetisch (indem z. B. ein Schallreiz zugleich 
mit einem oder allenfalls auch mehr als einem Erlebnis aus 
einem anderen Sinnesbezirk, z. B. mit einer Farbe, beant- 
wortet wird, Wellek, S. 103 ; H. Riemann sprach bei die- 
sen Erscheinungen vom Vikariieren des einen Sinnesfiir 
den andern, 1895, S. 62). Stets hat die T. die Forderung 
zu erfiillen, daB die Nachahmung verstanden wird und 
daB der Musik doch auch an sich Logik und Schonheit 
innewohnen. Einerseits droht der T. in ihrer simitati- 
ven«, »illustrierenden«, »deskriptiven« Absicht die Ge- 
fahr, die Grenzen der Musik zu iiberschreiten (Wozu 
die Arbeit, wenn man es in Worten sagen kann?, A.We- 
bern, Wege . . . , ed. W.Reich, S. 17), andererseits miin- 
det sie »darstellend«, »ausdriickend« ins weite Feld der 
schwer kontrollierbaren Schaffensvorgange, Assozia- 
tionen und Symbolismen, die auch in der »reinen« Mu- 
sik eine Rolle spielen (Wissen Sie vielleicht, was absolute 
Musik ist? Ich nicht!, R.Strauss an O.Bie, vgl. Thema- 
tisches Verzeichnis I, 1959, S. 338). Problematisch ist im 
Hinblick auf T. der Begriff des »AuBermusikalischen«, 
da die Musik im Lauf e ihrer Geschichte ein Inhaltliches 



968 



Tonmeister 



in vielen Spielarten in ihre Wesensbestimmung mit- 
einbezogen hat; und im Zusammenhang mit den »Ur- 
synasthesien« (Ur-Entsprechungen zwischen Qualitaten 
verschiedener Sinnesbereiche, Wellek, S. 107) gibt es un- 
ter Komponisten und Horern den »Synasthetiker-Typ«, 
dem Sinnesverbindungen sich aufdrangen (-»• Farben- 
horen). In ihrem Verfahren unterscheidet sich die T. 
von der -> Augenmusik; im Gebiet der Sprache ist ihr 
die Onomatopoie vergleichbar, d. h. die Bildung und 
Verwendung schallnachahmender Worter (z. B. als 
Nachahmung des Quakens der Frosche schon in der 
altattischen Komodie und bei Ovid) ; zur Programm- 
musik im Sinne der instrumentalen Programmkompo- 
sition, die sich der T. bevorzugt bedient, verhalt sie sich 
wie eine Technik zu Gattungen. 
Ob schon beim antiken Pythischen ->■ Nomos des Au- 
leten Sakadas von T. gesprochen werden kann, ist un- 
gewiB.Elemente derT. zeigen die ->■ Caccia, die -> Bat- 
taglia, die deskriptiven Chansons von ->- Janequin (Le 
chant des oiseaux, La chasse u. a.) und andere Vorlaufer 
der ->• Programmusik des 19. jh. Die »Madrigalismen« 
und -» Figuren des 16.-18. Jh. werden oft deskriptiv 
angewandt, unterscheiden sich jedoch gegeniiber der 
spateren T. durch ihre Formelhaftigkeit und durch die 
rationale Durchschaubarkeit (Einschichtigkeit) ihrer 
auf Abweichung von satztechnischen Normen und auf 
partieller Ubereinstimmung beruhenden Bildlichkeit. 
Erklarende Worter sind nach Kuhnau (Vorrede zu den 
Biblischen Historien, 1700) in der Instrumentalmusik 
notwendig, wenn der Komponist auf eine Analogiam 
zielet und die Musicalischen Satze also einrichtet, daft sie in 
aliquo tertio mit der vorgestellten Sache sich vergleichen las- 
sen. - Der Begriff der »musikalischen Malerei« wurde 
im 18. Jh. gepragt, seitdem bestandig diskutiert und als 
objektive T. meist abgelehnt; denn nicht-Begriffe von 
leblosen Dingen, sondern Empfmdungen . . . darzustellen, 
sei der Musik einziger und letzter Zweck (KochL, Artikel 
Malerey). Doch das durch Rousseau inaugurierte Er- 
leben der Natur als Widerhall, den der Mensch wunscht 
(Beethoven an Th.Malfatti, 1807; hierzu Sandberger, 
S. 197fL), gab der T. neue Impulse als Schilderung des 
Seelenzustandes (KochL, ebenda), den ein auBeres Ge- 
schehen auslost. Dementsprechend unterscheidet En- 
gel (1780) 3 Arten von T. : 1) die Nachahmung von zu- 
gleich Horbarem und Sichtbarem; 2) die auf transzen- 
denteller Ahnlichkeit (z. B. schnell, langsam; hoch, tief) 
beruhende T., die auch das nur Sichtbare nachzuahmen 
vermag; 3) die Malerei der Empfindungen, die den Ein- 
druck nachahmt, den ein Gegenstand auf die Seele zu 
machen pflegt; dabei handle es sich jedoch weniger um 
Malerei als um ein Ausdriicken von Empfindungen., In 
diesem Sinne kennzeichnete Beethoven seine Pastoral- 
syrhphonie mit den Worten Mehr Ausdruck der Emp- 
findung als Malerey (. . . mehr Empfindung als Tongemal- 
de). Damit war das Stichwort gegeben fur die T. des 19. 
Jh. ; sie soil und will auch als Nachahmung der Wirk- 
lichkeit zu poetischer Nachahmung gelangen, bei der eine 
doppelte Natur zugleich nachgeahmt wird, die innere und 
aufiere, beide ihre Wechselspiegel (Jean Paul; hierzu Dahl- 
haus, S. 123). Komposition wurde Tondichtung im 
Sinne der genuin musikalischen Schopfung, die als Re- 
flex erlebten Lebens Abbildliches, Sinnbildliches und 
Namenloses in verschiedenen Graden ineinander iiber- 
gehen laBt, sei es in der Art des ->- Charakterstiicks, 
der musique pittoresque {musique imitative) Berlioz', der 
-*■ Symphonischen Dichtung oder des Musikdramas, 
bei dem die Ausdrucksmomente des Orchesters nur aus 
der Absicht des Dichters zu bestimmen sind (R.Wagner, 
Oper und Drama IV, S. 199f. ; ->■ Leitmotiv). Der 3. Teil 
von R.Strauss' Symphonischer Fantasie Aus Italien 
(1886) versucht nach Angabe des Komponisten, die 



zarte Musik der Natur . . . tonmalerisch darzustellen und in 
Gegensatz zu bringen zu der sie aufnehmenden menschlichen 
Empfindung, wie sie sich in den melodischen Momenten des 
Satzes aujiert. Gegeniiber der weitgehend objektiv-de- 
skriptiven T. im Werk Strauss' ist das malerische Mo- 
ment etwa bei Debussy und Ravel als Klang- und Far- 
benmagie ganz ins subjektiv Assoziative zuriickgezo- 
gen (-> Impressionismus). In atonalen Kompositionen 
der Wiener Schule ist die T. in volliger Identitat von 
Nachahmung und seelischem Reflex oft zu aphoristi- 
scher Pragnanz verdichtet (z. B. das »Gewitter« in 
Schonbergsop.l5Nrl4undinA. Webernsop. 14Nr2). 
Lit.: J. J. Engel, Uber d. mus. Malerey, Bin 1780; J. G. 
Sulzer, AUgemeine Theorie d. Schonen Kunste, II Ffm. u. 
Lpz. 3 1798, Nachdruck Hildesheim 1966, Artikel Gemahl- 
de, III Karlsruhe 31797, Artikel Mahlerei; G. Weber, Uber 
T., Caecilia III, (Mainz) 1825; A. B. Marx, tjber Malerei 
in d. Tonkunst, Bin 1828 ; H. Berlioz, De l'imitation mus., 
Rev. et Gazette mus. de Paris IV, 1837, deutsch als : T., Mk 
XII, 1912/13; W. Wolf, Gesammelte musik-asthetische 
Auf satze, Stuttgart 1 894, Nr 1 : tlber T. ; H. Riemann, Pro- 
grammusik, T. u. mus. Kolorismus, in : Praludien u. Stu- 
dien I, Ffm. 1895; E. v. Wolfflin, Zur Gesch. d. T., Sb. 
d. bayerischen Akad. d. Wiss., Jg. 1897, Nr 2, S. 227; 
R. Wagner, Oper u. Drama, in: Samtliche Schriften u. 
Dichtungen III u. IV, Lpz. (191 1) ; P. Mies, tJber T., Zs. f. 
Asthetik u. allgemeine Kunstwiss. VII, 1912; F. Schwabe, 
tlber T. in Schuberts Winterreise, Zurich 1920; A. Sand- 
berger, Zu d. geschichtlichen Voraussetzungen d. Pasto- 
ralsinfonie, in: Ausgew. Auf satze zur Mg. II, Munchen 
1924; ders., Mehr Ausdruck d. Empfindung als Malerei, 
ebenda ; Ch. Van den Borren, La musique pittoresque . . . 
au XV e s., Kgr.-fier. Basel 1924; ders., Le madrigalisme 
avant le madrigal, in : Studien zur Mg., Fs. G. Adler, Wien 
u. Lpz. 1930; W. Serauky, Die mus. Nachahmungsasthe- 
tik im Zeitraum v. 1700-1850, = Universitas-Arch. XVII, 
Miinsteri. W. 1929; A. Popovici, Die Beziehungen d. aku- 
stischen Sinnes zu d. anderen Sinnen, Diss. Wien 1931, 
maschr. ; H. Unverricht, Horbare Vorbilder in d. In- 
strumentalmusik bis 1750, 2 Bde, Diss. Bin 1954, maschr.; 
A. Wellek, Musikpsychologie u. Musikasthetik, Ffm. 
1963 ; C. Dahlhaus, Musica poetica u. mus. Poesie, AfMw 
XXIII, 1966. .HHE 

Tonmeister. So alt wie die elektrische -*■ Schallauf- 
zeichnung und -ubertragung (-»• Rundfunk, Tonfilm, 
->■ Schallplatte) ist die Notwendigkeit, die aus der aku- 
stischen Information gewonnene tonfrequente Span- 
nung »auszusteuern«, d. h. dem beschrankten Dyna- 
mikbereich der Ubertragungskette (Mikrophon-Ver- 
starker-Sender oder Tonaufzeichnungsapparatur) an- 
zugleichen. Da die Unempfindlichkeit der zunachst 
verwendeten Kohlemikrophone den Einsatz mehrerer 
Mikrophone - im Extremfall eines pro Instrument 
oder Singstimme - erforderte, muflten die Teilklang- 
bilder bzw. die ihnen entsprechenden Mikrophonspan- 
nungen in geeigneter Weise zusammengefiihrt und zu 
einem Gesamtklangbild gemischt werden. Mit fort- 
schreitender Studiotechnik wurde durch die Verwen- 
dung von Entzerrern und anderen das Schallsignal mo- 
difizierenden Ubertragungsgliedern auch die Moglich- 
keit einer gestalterischen Beeinflussung des Klangbildes 
gegeben. 1929 erhielt bei der UFA der fur die Tonauf- 
nahme zustandige »Elektroakustiker« die Bezeichnung 
T. In den 1930er Jahren gingen die Rundfunksender 
dazu iiber, dem Techniker (Toningenieur, Probenin- 
genieur) einen T. zu attachieren. Ihm obliegt im Ein- 
vernehmen mit dem musikalischen Leiter die »Klang- 
regie«. Deren technische Mittel sind die Plazierung der 
Mitwirkenden, die Aufstellung der Mikrophone, die 
Verwendung von Entzerrern und Nachhallgeraten, 
ferner der Schnitt der Tonbander. Ist es in derE-Musik 
das Ziel, eine dem Originalklang adaquate Aufzeich- 
nung oder Ubertragung zu erreichen, so ist bei U-Mu-r 
sik die Arbeit oft bewuBt am technischen Effekt orien- 



969 



Tonpsychologie 

tiert (Verhallung, Verfremdung derKlangfarben durch 
Veranderung der Frequenzstruktur, Verzerrung der 
akustischen Perspektive durch extreme Mikrophondi- 
stanzen). - Der T. ist in der Regel ein ausgebildeter Mu- 
siker oder (und) Musikwissenschaftler mit technischen 
Kenntnissen; er kann gleichzeitig - speziell bei Schall- 
platten - Redakteur oder Produzent der Aufnahme sein. 
Der T. beim Film, Fernsehen und im Theater hat die 
zusatzliche Aufgabe, den (vorproduzierten) Ton mit 
den optischen Ablaufen zu koordinieren. - Eine spe- 
zielle T.-Ausbildung gibt es seit 1946 an der Nord- 
westdeutschen Musik-Akademie in Detmold (6 Se- 
mester und Praktika), eine ahnliche Ausbildung bie- 
ten seit 1951 in Ost-Berlin die Deutsche Hochschule 
fiir Musik und seit 1952 in West-Berlin die Techni- 
sche Universitat zusammen mit der Musikhochschule. 
Der 1952 aus der Deutschen Filmtonmeistervereini- 
gung hervorgegangene Verband deutscher T. und Ton- 
ingenieure e. V. bemiiht sich um die Anerkennung des 
-> Leistungsschutzes fiir die Tatigkeit der T. 
Lit. : Ber. uber d. Tonmeistertagungen, hrsg. v. E. Thien- 
haus, Detmold 1949, 1951, 1954, 1957; W. M. Berten, Mu- 
sik u. Mikrophon, Diisseldorf 1951 ; Fr. Winckel, DerT., 
Humanismus u. Technik II, 1954; ders., T., = Blatter 
zur Berufskunde 3/II/E2a, Bielefeld 1960; Film, Rund- 
funk, Fernsehen, hrsg. v. L. H. Eisner u. H. Friedrich, 
= Das Fischer Lexikon IX, Ffm. (1958). HGL 

Tonpsychologie -> Horpsychologie. 

Tonqualitat -> Tonigkeit. 

Tonsignet ist eine dem Firmen- bzw. Warensignet 
nachgebildete Bezeichnung fiir eine gleichbleibende 
Tonfolge, die dem Kenntlichmachen z. B. von Wo- 
chenschauen bestimmter Filmproduktionen oder von 
Radiostationen (Pausezeichen) oder wiederkehrenden 
Sendegattungen dient oder in Werbesendungen Ver- 
wendung findet (Titel- und Erkennungsmusik) . Soweit 
solche als T. verwendete Musik urheberrechtlich ge- 
schiitzt ist, hat der Urheber Anspruch auf jedesmalige 
Auffiihrungsvergutung. Die -> GEMA ist hierbei fiir 
ihren Bereich um eine in Grenzen bleibende Abgeltung 
bemiiht. 

Tonsystem (griech. <jilaT7)[ia, Zusammenstellung) 
nennt man einen Tonbestand, der ein System von Ton- 
beziehungen reprasentiert. Ein T. ist einerseits durch die 
Anzahl der Stufen in einer Oktave (Oktavwiederho- 
lungen werden nicht mitgezahlt), andererseits durch 
das Prinzip, das den Tonbeziehungen zugrunde liegt, 
bestimmt. DaB T.e, z. B. das der Musica Enchiria- 
dis (-» Dasia-Zeichen) und das des russischen Kir- 
chengesangs, die Oktave zuriickdrangen, ist eine Aus- 
nahme. Der gleiche Tonbestand kann auf verschie- 
denen Prinzipien beruhen (die siebentonige, heptato- 
nische Diatonik wurde im Mittelalter als Quintenreihe 
f c g d a e h, seit dem 16. Jh. als Quint-Terz-System 
f a c e g h d dargestellt), und das gleiche Prinzip kann 
verschiedene Tonbestande begriinden (aus der Quin- 
tengeneration geht auBer derHeptatonik diePentatonik 
f c g d a hervor). Von den »Tonvorstellungen« (H.Rie- 
mann), dem T. im musikalisch-intentionalen Sinne, ist 
die ->- Stimmung als akustische AuBenseite zu unter- 
scheiden; die Stufen gis und as sind im diatonisch- 
chromatisch-enharmonischen T. musikalisch verschie- 
den, aber in der gleichschwebenden Temperatur aku- 
stisch gleich. 

Der Begriff des T.s setzt das BewuBtsein eines rational 
gegliederten Tonbestandes voraus, der nicht an be- 
stimmte Melodiegestalten oder -typen gebunden ist, 
sondern von der Melodik abstrahiert und als deren 
Grundlage und Bezugssystem vorgestellt wird. Es ist 
also zweifelhaft, ob man bei »primitiver« Melodik, bei 



der Musik der »Naturvolker«, sinnvoll von T.en spre- 
chen kann; angemessener als die Abstraktion eines T.s 
ist hier die Beschreibung von Melodiestrukturen und 
von Bewegungsformen im Tonraum. Tritonik z. B. 
(d f g) ist eher eine Melodiestraktur als ein T. ; erst die 
(halbtonlose, anhemitonische) -> Pentatonik hebt sich 
als T. von den Melodietypen, denen sie zugrunde liegt, 
deutlich ab. - Die T.e der Hochkulturen sind an Instru- 
menten entwickelt worden, das antik griechische an 
der Kithara und Lyra, das arabisch-persische an der 
Laute, das indische an der Zither (Vina). In der altchi- 
nesischen Musik besteht die »Materialleiter« aus 12 Stu- 
fen (->■ Lii), die »pythagoreisch« durch Quintaufstieg 
und Quartabstieg gestimmt werden. Die »Gebrauchs- 
leiter«, die innerhalb des Tonvorrats transponiert wer- 
den kann, ist halbtonlos pentatonisch; doch deuten e 
und h als Durchgangstone (-> Pien) eine Erganzung 
der Pentatonik c d f g a zur Heptatonik an. - Die Theo- 
rie der -»■ Indischen Musik teilt die Oktave in 22 glei- 
che, kleinste Intervalle (shruti), die aber keine musika- 
lisch reale Skala, sondern ein bloBes MaBsystem bilden. 
Die Skalen der indonesischen Musik, auf Java ->■ Slendro 
und -* Pelog genannt, sind nicht eindeutig interpre- 
tierbar. Die Stimmung des 5stufigen Slendro scheint 
auf dem Aquidistanzprinzip (der »Temperierung«) zu 
beruhen, nahert sich aber manchmal der halbtonlosen 
Pentatonik. Die 7stufige Pelog-Skala ist aus zwei gro- 
Beren (250-270 Cent) und fiinf kleineren Intervallen 
(115-165 Cent) zusammengesetzt. Es ist nicht ausge- 
schlossen, daB die Skalen auf das Prinzip zuriickgehen, 
die Quarten des Geriistes c-f-g-ci zu halbieren (Slen- 
dro), die unteren Intervalle der Trichorde c- + d-f und 
g- + a-ci zu unterteilen (Pelog) und den mittleren Ganz- 
ton (f-g) dem jeweils kleinsten Intervall anzugleichen. 
Eine gleichstufig heptatonische Skala wird in der siame- 
sischen Musik verwendet. - Das persisch-arabische T. ist 
17stufig. Vier verbundene (konjunkte) Quarten, H-e- 
a-di-gi, werden durch die drei Quartengattungen in 
pythagoreischer Stimmung ausgefiillt (z. B. H c d e, 
H cis d e und H cis dis e) ; eine erganzende Stufe bildet 
die »neutrale« Terz (350 Cent) uber dem tiefsten Ton 
der Quarten (z. B. H- + d). 

Das T. der griechischen Antike war ein aus Tetrachor- 
den zusammengesetztes Doppeloktavsystem (-»■ Syste- 
ma teleion). Die AuBentone der Tetrachorde waren un- 
veranderlich, die Innentone veranderlich (-> Diatonik, 
-> Chromatik, ->- Enharmonik). - Das T. des Mittelal- 
ters war 7tonig diatonisch und wurde seit Guido von 
Arezzo als Skala dargestellt, die von G(r) bis d2 odere 2 
reichte, ohne an eine feste Tonhohe gebunden zu sein. 
Erganzt wurde es durch den Ton b, der statt, aber nicht 
neben h gebraucht werden durfte. Mit der Heptatonik, 
die sich in der -*■ Buchstaben-Tonschrift Odos von St- 
Maur auspragte (GS 1, 253) , verschrankte sich eine Tetra- 
chord-, spater eine Hexachordgliederung. Die Finales 
der -> Kirchentone bilden ein -*■ Tetrachord d e f g 
mit dem Halbton in der Mitte; und die Skala wurde ent- 
weder aus lauter getrennten (->■ Dasia-Zeichen) oder 
aus abwechselnd verbundenen und getrennten Tetra- 
chorden zusammengesetzt (Berno von Reichenau, GS 
II, 63) : 
A H c d e f g a h ci di el f gi ai 

Graves Finales Superiores Excellentes 

Die Gliederung der Skala G-e 2 in 7 ->■ Hexachorde mit 
den Ut-Stufen G, c, f, g, ci, f i und g 1 ist seit dem 13. Jh. 
iiberliefert. Erweiterungen des T.s durch chromati- 
sche Stufen beruhten in der Mehrstimmigkeit des 14. 
und 15. Jh. auf der Praxis, den Ubergang von einer im- 
perfekten zu einer perfekten Konsonanz durch einen 
Halbtonschritt in einer der Stimmen zu vermitteln, also 



970 



die Progression 8 h ^ zu ^J oder ^if zu alterieren 
(-»• Musica ficta). Aus dem Verfahren, zu jeder diato- 
nischen Stufe einen oberen und einen unteren Leitton 
zu bilden, resultierte ein 17t6niges System mit cis, des, 
dis, es, fis, ges, gis, as, ais und b als alterierten Tonen 
(Pr. de Beldemandis, CS III, 257). 
Beruhte das T. des Mittelalters auf dem «pythagorei- 
schen« Prinzip der Quintenreihung (f-c-g-d-a-e-h), 
so bildet seit dem 16. Jh. auBer der Quinte audi die 
Terz (mit der Proportion 4:5 statt 64:81) ein konstitu- 
tives Intervall des T.s; die Diatonik erscheint als Quint- 
Terz-Struktur (groBe Buchstaben bezeichnen nach M. 
Hauptmann Grund- und Quinttone, kleine Buchsta- 
ben Terztone) : in C dur F-a-C-e-G-h-D, in a moll 
D-f-A-c-E-g-H. Der Erweiterung des T.s durch 
Transpositionen der Dur- und Mollskala (-> Tonart) 
oder durch Hoch- und Tiefalterationen (-> Chromatik) 
sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Die Notation 
aber ist auf 35 Stufen eingeschrankt (einf ache und dop- 
pelte Hoch- und Tiefalterationen der sieben diatoni- 
schen Stufen) ; und akustisch wird das diatonisch-chro- 
matisch-enharmonische T. durch eine 12stufige tem- 
perierte Skala dargestellt (-> Temperatur). Der Urn- 
fang des T.s ist, abgesehen vom 32-FuB der Orgel, in 
der musikalischen Praxis auf die 7^2 Oktaven vom 2A 
bis zum c5 begrenzt: 

S "*J^ a "i Kontraoktave jgroBe Oktave; kleine Oktave 



^G^HjCDEFGAHjc d e f g a h 



Tonus peregrinus 

Zs. f. vergleichende Mw. I, 1933; E. Kessler, Uber d. lei- 
terfremden Tonstufen im gregorianischen Gesang, = Ver- 
off. d. gregorianischen Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz X, 
Freiburg i. d. Schweiz 1922; M. Weber, Die rationalen 
u. soziologischen Grundlagen d. Musik, hrsg. v. Th. Kroyer, 
Miinchen 2 1924; A. H. Fox-Stranoways, Scales, ML 
VII, 1926; A. Auda, Les modes et les tons de la musique, 
Briissel 1930; ders., Les gammes mus., Woluwe-St-Pierre 
1947; L. Balmer, T. u. Kirchentone bei Tinctoris, = Ber- 
ner Veroff. zur Musikforschung II, Bern u. Lpz. 1935; 
O. Gombosi, Studien zur Tonartenlehre d. fruhen MA, 
AMI X, 1938 - XII, 1940; ders., Tonarten u. Stimmun- 
gen d. antiken Musik, Kopenhagen 1939, Nachdruck 1950; 
ders., Key, Mode, Species, JAMS IV, 1951; M. F. Bu- 
kofzer, The Evolution of Javanese Tone-Systems, Kgr.- 
Ber. NY 1939 ; Ll. S. Lloyd, The Mus. Scale, MQ XXVIII, 
1942; ders., The Myth of Equal-Stepped Scales in Pri- 
mitive Music, ML XXVII, 1946; A. Danielou, Intro- 
duction to the Study of Mus. Scales, London 1943; B. 
Szabolcsi, Five-Tone Scales and Civilization, AMI XV, 
1943; J. Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); 
ders., The »Timaeus«-Scale, MD IV, 1950; C. Sachs, A 
Strange Medieval Scale, JAMS II, 1949; A. A. Bake, Die 
beiden Tongeschlechter bei Bharata, Kgr.-Ber. Liineburg 
1950; H. Tanabe, Equal Tempered Scales of Less than 12 
Tones in the Far East, Journal of the Soc. for Research in 
Asiatic Music IX, 1951 ; Sh. Tanaka, An Investigation of 
the Tuning of the Siamese Seven Tone Equal Tempered 
Scale, ebenda; G. Kroner, Das Harmonische Feld d. 
gleichschwebend temperiertenT., Mf VI, 1953; E. Costere, 

eingestrichene j zweigestrichene j dreigestrichene j viergestrichene ;' 
Oktave Oktave i Oktave Oktave 

jovar! ■■"■ 




8 va l>assa 

Die ■-> Atonalitat verzichtet auf die Unterscheidung 
zwischen konstitutiven und abgeleiteten Intervallen. 
Einerseits gelten samtliche Intervalle zwischen Tonen 
der Halbtonskala als »direkt verstandlich« (A. Schon- 
berg) ; andererseits ist die Differenz zwischen gis und 
as, die in der Verschiedenheit der Ableitungen (c-as 
und c-e-gis) begrundet war, auf gehoben. Unterteilun- 
gen der Halbtone beruhen in der Atonalitat auf dem 
Distanzprinzip. — > Vierteltonmusik. 
Lit. : Fr. Beixermann, Die Tonleitern u. Musiknoten d. 
Griechen, Bin 1847; K. Fortlage, Das mus. System d. 
Griechen in seiner Urgestalt, Lpz. 1847, Nachdruck Am- 
sterdam 1 964 ; H. v. Helmholtz, Die Lehre v. d. Tonemp- 
findungen . . . , Braunschweig 1863, 6 1913, Nachdruck Hil- 
desheim 1967; W. Brambach, Das T. u. d. Tonarten d. 
christlichenAbendlandesimMA . . .,Lpz. 1881;O.Bahr, 
Das T. unserer Musik, Lpz. 1882; A. J. Ellis, Tonometri- 
cal Observations on Some Existing Non-Harmonic Scales, 
Proceedings of the Royal Soc. XXXVII, 1884, deutsch v. 
E. M. v. Hornbostel in : Sammelbde f . vergleichende Mw. I, 
Miinchen 1922; G. Jacobsthal, Die chromatische Alte- 
ration im liturgischen Gesang . . ., Bin 1897; C. Stumpf, 
T. u. Musik d. Siamesen, in : Beitr. zur Akustik u. Mw. Ill, 
Lpz. 1901, auch in: Sb. f. vergleichende Mw. I, Miinchen 
1922; Ch. K. Wead, Contribution to the Study of Mus. 
Scales, Report of the US National Museum for 1900, 
Washington 1902; E. M. v. Hornbostel u. O. Abraham, 
Studien iiber d. T. u. d. Musik d. Japaner, SIMG IV, 1902/ 
03; M. Gandillot, Essai sur la gamme, Paris 1906; M. 
Emmanuel, Hist, de la langue mus., 2 Bde, Paris 1911, 
2 1928; J. Gmelch, Die Vierteltonstufen im MeBtonale v. 
Montpellier, = Veroff. d. gregorianischen Akad. zu Frei- 
burg i. d. Schweiz VI, Eichstatt 1911; S. Wantzloeben, 
Das Monochord als Instr. u. als System, Halle 191 1 ; E. M. 
v. Hornbostel, Melodie u. Skala, JbP XIX, 1912; ders., 
Mus. T., in: Hdb. d. Physik VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. 
Scheel, Bin 1927 ; ders., Die Vina u. d. indische T. bei Bha- 
rata, Zs. f. vergleichende Mw. II, 1934; ders., Musiksyste- 
me u. Musikauffassung, ebenda III, 1935; ders. u. R. 
Lachmann, Das indische T. bei Bharata u. sein Ursprung, 



c^VfVa'h 2 : c 3 d 3 e 3 f 3 g 3 a 3 h 3 i c 4 d 4 e 4 f 4 g 4 a" h 4 i c 5 



Lois et styles des harmonies mus., Paris 1954; B. Avasi, T. 
aus Intervallpermutationen, in : Studia Memoriae B. Bar- 
tok Sacra, Budapest 1956; L. Bardos, NaturlicheT., eben- 
da; P. Collaer, Zur Entwicklung d. primitiven Skalenbil- 
dung, Gravesaner Blatter II, 1956; H. Husmann, Antike u. 
Orient in ihrer Bedeutung f. d. europaische Musik, Kgr.- 
Ber. Hbg 1956; ders., Grundlagen d. antiken u. orientali- 
schen Musikkultur, Bin 1961 ; M. Schneider, Entstehung 
d. T, Kgr.-Ber. Hbg 1956; W. Wiora, Alter als d. Penta- 
tonik, in: Studia Memoriae B. Bartok Sacra, Budapest 
1956; M. Kolinski, The Determinants of Tonal Con- 
struction in Tribal Music, MQ XLIII, 1957; G. Oransay, 
Das T. d. tiirkei-turkischen Kunstmusik, Mf X, 1957; Fr. 
A. Kuttner, A »Pythagorean« Tone-System in China . . . , 
Kgr.-Ber. Koln 1958; K. Reinhard, On the Problem of 
Pre-Pentatonic Scales . . . , Journal of the International 
Folk Music Council X, 1958 ; J. Smits van Waesberghe SJ, 
Antike u. MA in unserem T., Musica XII, 1958; J. Loh- 
mann, Der Ursprung d. Musik, AfMw XVI, 1959; H. E. 
Lauer, Die Entwicklung d. Musik im Wandel d. T., Koln 
2 1960; E. Emery, La gamme etlelangage mus., Paris 1961 ; 
D. Kraehenbuehl u. Chr. Schmidt, On the Development 
of Mus. Systems, Journal of Music Theory VI, 1962; M. 
Vogel, An d. Grenzen d. T., Musica XVII, 1963; La reso- 
nance dans les echelles mus., hrsg. v. E. Weber, Paris 1963 ; 
W. Danckert, Tonreich u. Symbolzahl . . . , = Abh. zur 
Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XXXV, Bonn 1966. CD 

Tonus peregrinus (lat.) ist eine seit dem spaten Mit- 
telalter gebrauchliche Bezeichnung eines Psalmtons, 
der im fruhen Mittelalter neben den acht regularen 
-»• Psalmtonen (zusammen mit einigen anderen To- 
ni) entwickelt wurde (in der Commemoratio brevis, 2. 
Halfte des 9. Jh., GS I, 218, heifit er Tonus novissi- 
mus) und der sich in der liturgischen Praxis bis heute 
erhalten hat. Seinen Namen verdankt er entweder dem 
sogenannten »Pilgerpsalm« In exitu Israel de Aegypto 
(Ps. 113, Vulgatazahlung), der auf seine Formel gesun- 
gen wird, oder seiner »Fremdartigkeit« innerhalb des 
Systems der Psalmtone. Seit dem hohen Mittelalter 



971 



Tonvariator 



(bis zur beginnenden Neuzeit) wurde der T. p. in den 
Tonaren meist nicht mehr als selbstandiger Tonus ge- 
fiihrt, sondern als unregelmaBige Differenz einem der 
acht regularen Psalmtone beigegeben. Diese Zuord- 
nung geschah nicht einheitlich, da seine besonderen Ei- 
genschaften: Finalis d oder e (CS II, 334b £.) und Wech- 
sel des Tenors von a zu g nach der Mediatio, ihn mit 
mehreren Toni verwandt erscheinen lieBen. So findet 
sich die im monastischen Offizium zum 113. Psalm 
gehorige Antiphon Nos qui vivimus als Beispiel in den 
Tonaren zwar hauptsachlich unter den Differenzen des 
achten Tones (CS II, 140a; Hieronymus de Moravia, 
ed. Cserba, S. 167 u. a.), wird jedoch mitunter auch 
dem siebenten (Aurelianus, GS I, 51b; Regino von 
Priim, CS II, 34a), dem ersten (Tonale Sancti Bernardi, 
GS II, 269b i.; Jacobus Leodiensis, CS II, 335a f.), dem 
sechsten (nach Jacobus Leodiensis, CS II, 335b) und 
gelegentlich noch weiteren Psalmtonen zugewiesen. 
In manchen hoch- und spatmittelalterlichen Tonaren 
wird diese Unbestimmtheit ausfuhrlich diskutiert, so 
bei Elias Salomonis (GS III, 36a £.) und dem anonymen 
Monachus Carthusiensis (CS H, 449a f.). - Nach romi- 
scher Tradition werden neben Psalm 113 (hier mit An- 
tiphon Deus autem noster aus der Sonntagsvesper) bis- 
weilen auch das Canticum ->■ Benedicite omnia opera Do- 
mini Domino und Psalm 112 Laudate pueri Dominum 
samt ihren Antiphonen im T. p. gesungen. Ahnliches 
gilt fiir das monastische Offizium. Die von Anonymus 
XI (CS III, 458a f.) bezeugte Verwendung des T. p. 
auch fiir die Psalmi maiores (genannt wird nur das 
Magnificat) hat sich liber das Mittelalter hinaus nur 
beim deutschen Magnificat der lutherischen Liturgie 
erhalten. 

Lit.: H. Gaisser, L'origine du T. p., La Tribune de St- 
Gervais VII, 1901 ; P. Wagner, Einfuhrung in d. Grego- 
rianischen Melodien III, Lpz. 1921 , Nachdruck Hildesheim 
u. Wiesbaden 1962 ; P. Ferretti OSB, Estetica gregoriana, 
Rom 1934, frz. erweiterte Ausg. v. A. Agaesse, Tournai 
1938 ; J. Carsot, En marge du »t. p.«, Rev. du chant gre- 
gorien XLIII, 1939. FrR 

Tonvariator ist die Bezeichnung fiir einen von W. 
Stern zu Anfang des 20. Jh. konstruierten und damals 
viel benutzten mechanischen Schallerzeuger variabler 
Frequenzen. Ein zylindrischer Hohlraum, dessen Ei- 
genfrequenz mittels eines Kolbens verstellbar ist, wird 
durch einen Luf tstrom angeblasen. Er ist mit der sich in 
den 20er Jahren durchsetzenden elektrischen Schwin- 
gungserzeugung (->■ Generator) auBer Gebrauch ge- 
kommen. 

Tonwort, das von -> Eitz 1892 veroffentlichte Silben- 
system fiir den Gebrauch im musikalischen Elementar- 
unterricht. Mit Hilfe einer bis ins letzte durchdachten 
Lautsymbolik versuchte Eitz, die diatonischen und 
chromatischen Beziehungen der Tone untereinander 
auszudriicken. Die zwolf chromatischen Stufen der Ok- 
tave werden mit je einem Konsonanten, abwechselnd 
Augenblicks- und Dauerlaut, versehen. Dazu treten, 
bei G beginnend, die 5 Vokale a e i o u zur Kennzeich- 
nung der Ganztone (in der Abb. : II). Diatonische Halb- 





(b) 
(c) 


his cisis disis eis fisis 


gisis aisis 


his 


I 


_ cis . dis - fis _ 
c , d e f g 

des es ges 


gis ais . 
a , h 
as b 


C 




deses eses fes geses ases 


heses ceses 


deses 


II 




b r t m g s p 1 
i o u a 


d f k n 
e 


_b 
i 




(a) 
(b) 


bo tu ga sa le 


fi no 


bo 


III 


. . ro » mu pa , 
bi to go >u r la 

n mo pu 


de , ki 
da fe ke m 


bi 



(c) be ti go so 



tone werden durch den gleichen Vokal angezeigt, en- 
harmonische Tone durch den gleichen Konsonanten. 
Die erhohten und erniedrigten Tone werden nach dem 
Grundsatz der Vokalgleichheit bei Leittonen gebildet 
(Illb) ; dadurch ergibt sich auch die Moglichkeit, die 
Kommaunterschiede der reinen Stimmung durch ver- 
schiedene Vokale darzustellen (Ilia, c). 

Torculus (lat.) -*■ Neumen (- 1). 

Torgau. 

Lit. : O. Taubert, Gesch. d. Pflege d. Musik in T., in: Pro- 
gramtn d. Gymnasiums zu T., 1868, mit Nachtragen 1870 
u. 1 890 ; W. Gurlitt, J. Walther . . . , Luther- Jb. XV, Mun- 
chen 1933; C. Gerhardt, Die T.er Walter-Hss., = Mw. 
Arbeiten IV, Kassel 1949. 

Torneo (ital. und span., Turnier, Wettkampf), ein 
Tanz, der bei Caroso (1581) als T. amoroso beschrieben 
ist. Ein T. findet sich in der Ouverture G moll, BWV 
1070, vonJ.S.Bach('). 

Torupill (estnisch, s. v. w. Trompetenpfeife) -> S a ck- 
pfeife. 

Toskana (Italien). 

Lit. : A. Bonaventura, La vita mus. in Toscana nel s. XIX, 
in: La Toscana alia fine del Granducato, Florenz 1909; 
ders., Musicisti livornesi, Livorno 1930; R. Gandolfi, La 
cappella mus. della corte di Toscana, 1539-1859, RMI 
XVI, 1909 ; Musicisti toscani. Scritti di G. Barblan, A. Bo- 
naccorsi, G. Confalonieri . . ., Per la XI Settimana mus., 
hrsg. v. Fr. Schlitzer, Siena 1954; A. Bonaccorsi, II folk- 
lore mus. in Toscana, Florenz 1956. 

tosto (ital.), eilig; piu t., schneller; aber auch: eher 
(z. B. : allegro piu t. andante, eher Andante als Allegro). 

Totentanz (frz. danse macabre). Das Motiv des T.es: 
Dialog und Tanz der Toten oder des Todes und der Le- 
benden (meist Vertreter verschiedener Stande und Le- 
bensalter, die vom Tode abberufen werden), ist seit 
dem spaten Mittelalter poetisch (im 13. und 14. Jh. 
z. B. von Baudouin de Conde und Nicole de Marginal) 
und bildnerisch (im 16. Jh. z. B. als Holzschnittfolge 
von H.Holbein d. J.), seit dem 16. Jh. auch musikalisch 
(als -» Matassins) gestaltet worden, wobei vornehmlich 
in bildlichen Darstellungen das Moment des Todes (ur- 
spriinglich wohl der Tanz der Toten zur nachtlichen 
Geisterstunde) haufig verwandelt ist in einen Reigen 
(Zyklus) einzelner Begebenheiten. Im 19. Jh. kompo- 
nierte Fr. Liszt, sehr wahrscheinlich angeregt durch die 
Freskodarstellung »Triumph des Todes« im Campo 
Santo zu Pisa (14. Jh.), einen T., Paraphrase iiber »Dies 
iraes fiir Kl. und Orch. in frei gehandhabter Variations- 
technik nach Art eines Bilderzyklus, in dem der erste 
Melodieabschnitt des -»■ Dies irae sich in den verschie- 
densten Charakteren auspragt (1. Fassung vollendet 
spatestens 1849, hrsg. 1919 von Busoni; Druckfassung 
sowie Bearbeitung fiir ein und fiir zwei Kl. 1865; Va- 
rianten vor allem zur 3. und 6. Variation 1881, hrsg. 
1911 von A. Siloti). Zusammen mit einer Abhandlung 
Les danses des morts (Paris 1852) veroffentlichte J. G. 
-*■ Kastner im Rahmen seiner Livres partitions die Ton- 
dichtung La danse macabre, grande ronde vocale et instru- 
mental (nach einem zeitgenossischen T.-Gedicht von 
E.Thierry), einen Dialog zwischen dem Tod und den 
Vertretem verschiedener Stande und Lebensalter. Der 
Symphonischen Dichtung La danse macabre (1875) von 
Saint-Saens liegt des Komponisten gleichnamiges Lied 
von 1873 zugrunde. -* Xylophon. 
Lit.: St. Kozakv, Gesch. d. T., 3 Bde, = Bibl. Humanitas 
Hist. I, V u. VII, Budapest 1936-44; ders. (St. Cosacchi), 
Musikinstr. im ma. T., Mf VIII, 1955; ders., Makaber- 
tanz, Meisenheim a. Gl. 1965; W. Salmen, Ma. Totentanz- 
weisen, Mf IX, 1956. 



972 



Toulouse. 

Lit. : Cl. Cluzan, Contrat pour la construction des orgues 
de St-Sernin 1514, Arch. hist, du D6partement de la Gi- 
ronde LII, 1918; M.-L. Desazars de Montgaillard, Les 
artistes toulousains et l'art a T. au XIX e s., 2 Bde, T. 1924- 
25; J. Anglade, Les troubadours de T., Paris 1928; N. 
Dufourcq, Les orgues de T., Rev. de Musicol. XXXVIII, 
1956; ders., Les chapelles de musique de St-Sernin et St- 
Etienne de T. dans le dernier quart du XVII e s., ebenda 
XXXIX/XL, 1957; ders., Documents sur les corporations 
de maitres faiseurs de cordes a T. a la fin du XVII e s., eben- 
da XLIII/XLIV, 1959. 

Tourdion (turdj'5, frz., auch tordion, turdion; span, 
tirdion), ein im 16. Jh. inFrankreich, Italien und Spanien 
verbreiteter hofischer Tanz im 6/8-Takt, der als rascher 
Nachtanz auf die ->■ Basse danse folgte. In Arbeaus 
Orchisographie (1588) wird er choreographisch als ein 
der -> Galliarde ahnlicher Tanz beschrieben, der je- 
doch nicht wie diese gesprungen, sondern in Schritten 
getanzt wurde, bei denen sich die FUBe kaum vom Bo- 
den hoben. Die friihesten T.s sind in den Tanzsamm- 
lungen Attaingnants (1 529/30) erhalten ; in literarischen 
Quellen ist er seit Anfang des 15. Jh. bezeugt. Als Tanz 
verschwand er mit dem Aussterben der Basse danse; 
als Komposition gab es ihn noch bis Ende des 17. Jh. 

Tournebout (tumsb'u, frz.) -> Krummhorn. 

Tours. 

Lit. : J. M. Rouoe, Le folklore de la Touraine, T. 1 93 1 ; E. 
Haraszti, Une fete de Paon . . . , in : Melanges . . . offerts 
a P.-M. Masson I, Paris (1955); E. Krieg, Das lat. Oster- 
spiel v. T., = Literarhist.-mw. Abh. XIII, Wiirzburg 1956; 
D. Launay, A propos de quelques motets polyphoniques 
en l'honneur de St-Martin, Rev. de Musicol. XLVII, 1961 ; 
G. Oury OSB, Les messes de St-Martin . . ., Etudes gre- 
goriennes V, 1962; ders., Contribution a l'etude des litur- 
gies ndogallicanes, ebenda VI, 1963. 

Tp., - 1) Abk. fiir Timpani (ital., Pauken); - 2) Tp, 
Abk. fiir Tonikaparallele (Funktionsbezeichnung nach 
H. Riemann). 

tr (tr~~), Zeichen fiir -»- Triller. 

Tractulus (lat.) -> Neumen (- 1). 

Tr actus (lat.), auch Traktus, einer der Propriumsge- 
sange der romischen Messe, gesungen. an den Sonn- 
und Festtagen der Vorfasten- und Fastenzeit, ferner in 
alien wahrend dieser Zeit gefeierten Heiligen- und Vo- 
tivmessen, im Requiem und an einigen Ferial-(beson- 
ders Quatember-)Tagen mit BuBcharakter, gewbhn- 
lich anstelle des -*■ Alleluias nach dem -> Graduale (- 1). 
In Messen mit mehreren Lesungen (z. B. am Quatem- 
bermittwoch der Quadragesima) folgt er als einziger 
Gesang auf die letzte Lesung vor dem Evangelium 
(Ausnahme: Mittwoch der 4. Fasten woche). Seiner 
Anlage nach ist der Tr. ein cantus ex versibus aggregates 
(Johannes de Grocheo, De arte musicae, ed. Rohloff, S. 
65), dessen Verse im Unterschied zum Graduale ohne 
Kehrvers (Chorresponsum) gesungen werden (Amalar 
von Metz, Liber officialis III, 12: Hoc differtur inter re- 
sponsoriutn, cui chorus respondet, et tractum, cut nemo . . .). 
Hierauf fulk auch die allgemein verbreitete jiingere 
Deutung des Namens Tr. im Sinne von tractim (fort- 
laufend, in einem Zuge), wahrend ihn mittelalterliche 
Autoren mit einer langsam-schleppenden (»gezogenen«) 
Vortragsweise in Verbindung brachten. Eine weitere 
Interpretation stellt ihn dem -> Heirmos der byzanti- 
nischen Kirchenmusik gegenuber (P. Wagner I, S. 99f .). 
Nach dem Zeugnis romischer Ordines wurde der Tr. 
im papstlichen Stationsgottesdienst vom (zweiten) Kan- 
tor auf dem Ambo als Sologesang ausgefiihrt (vgl. Or- 
do I, 57 und VI, 28). Zu dieser ursprunglichen Vor- 
tragsweise steht die altematim-Ausfuhrung zwischen 



Tragedie lyrique 

zwei Chorhalften oder Vorsangern und Chor, wie sie 
das Vatikanische Graduale anordnet (De ritibus servandis 
in cantu Missae IV), in merkwiirdigem Gegensatz. - 
Das Repertoire der Tr.-Gesange umfafit in den altesten 
iiberlieferten Quellen (8./9. Jh., abgedruckt im Anti- 
phonale missarum sextuplex) insgesamt 21 Stiicke, de- 
ren Texte hauptsachlich den Psalmen entnommen sind. 
Doch weisen bereits die Quellen aus den folgenden 
Jahrhunderten eine weitaus groBere Anzahl auf. Das 
Graduale Romanum (1908) bringt 70 Stiicke teils be- 
trachtlicher Lange (z. B. den Tr. Deus, Deus meus vom 
2. Passionssonntag). Samtliche 1st. Tr.-Vertonungen 
gehoren dem 2. oder 8. Kirchenton an und weisen im 
Rahmen dieser beiden Modi fiir jeden der Verse eine 
einheitliche psalmodische Grundstruktur auf. Die mit 
reichen Melismen ausgestatteten Melodien stiitzen sich 
auf eine Reihe typischer Formeln (Initial-, Medianten-, 
Finalformeln u. a.), die bestimmten Abschnitten eines 
Verses bzw. eines ganzen Stiickes zugeordnet und in 
der Regel durch feste SchluBtone ausgezeichnet sind. - 
In einigen Quellen des -> Ambrosianischen Gesangs 
bezeichnet das Wort Tr. (anstelle von Melodiae) die er- 
weiterte Alleluiawiederholung nach dem Versus. 
Ausg. : Antiphonale missarum sextuplex, hrsg. v. R.-J. 
Hesbert OSB, Brussel 1935, Nachdruck Rom 1967; Ama- 
larii episcopi Opera liturgica omnia II, hrsg. v. J. M. 
Hanssens SJ, =Studi e testi CXXXIX, Rom 1948; M. 
Andrieu, Les Ordines Romani du haut moyen age II, 
Lowen 1948. 

Lit. : H. Riemann, Der strophische Bau d. Tr.-Melodien, 
SIMG IX, 1907/08; P. Wagner, Einfuhrung in d. Grego- 
rianischen Melodien I, Lpz. 3 191 1, u. Ill, 1921, Nachdruck 
Hildesheim u. Wiesbaden 1962 ; H. Schmidt, Untersuchun- 
gen zu d. Tr. d. zweiten Tones aus d. Cod. St. Gallen 359, 
Diss. Bonn 1954, maschr. ; ders., Die Tr. d. zweiten Tones 
in gregorianischer u. stadtromischer Oberlieferung, Fs. J. 
Schmidt-Gorg, Bonn 1957; ders., Untersuchungen zu d. 
Tr. d. zweiten Tones, KmJb XLII, 1958; H. Husmann, 
Zum GroBaufbau d. Ambrosianischen Alleluia, AM XII, 
1957; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind. 
(1958); J. A. Jungmann SJ, Missarum Sollemnia I, Wien, 
Freiburg i. Br. u. Basel 51962. KWG 

Tragedia (trad3'e:dia, ital., Tragodie), von Rinuccini 
in Anlehnung an die griechische Tragodie fiir seine 
Oper Arianna (1608) verwendete Bezeichnung. Wah- 
rend der Titel Tr. in der italienischen Oper nur selten 
erscheint (z. B. bei Gluck, Alceste, 1767), wurde in 
Frankreich die entsprechende franzosische Benennung 
-> Tragedie lyrique allgemein gebrauchlich. 

Tragodie lyrique (trajed'i lir'ik, frz.), auch Tragedie 
en musique, im letzten Drittel des 17. Jh. entstandene 
Gattung des franzosischen musikalischen Barockthea- 
ters. Friihe Anregungen gingen aus von der Auffiih- 
rung italienischer Opern in Paris (Sacrati, Lafinta pazza, 
1645; L.Rossi, Orfeo, 1647; Cavalli, Serse, 1660; Ercole 
amante, 1662) ; Vorstufen der Tr. 1. waren das -*■ Ballet 
de cour und die -> Comedie-ballet. Ihr eigentliches 
Vorbild wurde die klassische franzosische Tragedie, de- 
ren rhetorischem Vortrag sie im Recitatif (-> Rezita- 
tiv) nacheiferte. Durch das Ineinandergreifen vOn De- 
klamation und Aktion mit Gesang und Tanz in einer 
prachtigen Ausstattung erzielt die Tr. J. groBe Biihnen- 
wirkung, ohne dabei die von der Tragedie geforderte 
Einheit von Ort, Zeit und Handlung zu berticksichti- 
gen. Erste Ansatze zeigen Camberts Pomone (1670) und 
Les peines et les plaisirs de V amour (1672); eine typische 
Tr. 1. ist dann J.-B. Lullys Cadmus et Hermione (1673). 
Charakteristisch ist der geschlossene Szenenaufbau, der 
durch syllabische, nur gelegentlich kolorierte Airs, klei- 
ne Duette, groBe Chore und Ballettsatze gegliedert 
wird. Zwischen 1673 und 1686 schrieb Lully fast jahr- 
lich eine Tr. 1., als letzte vollendete er Armide et Renaud 



973 



Traktur 



(1686). Seine Konzeption der Tr. 1. blieb etwa ein Jahr- 
hundert lang grundlegend; dann jedoch machten sich 
italienische Einfliisse immer mehr geltend, z. B. in der 
starkeren Differenzierung von deklamierendem Reci- 
tatif und kantablem Air. An Komponisten nach Lullys 
Tod sind zu nennen M.-A. Charpentier (Medk, 1693), 
Marais (Alcione, 1706), Campra (Hesione, 1700; Tancrede, 
1702; Idominee, 1712), Desmaret (Didon, 1693 ; Iphigenie 
en Tauride, vollendet von Campra 1704), Monteclaire 
(Jephte, 1732), A.C.Destouches (Amadisde Grke, 1699; 
Omphale, 1701 ; Callirhoe, 1722) und Mouret {Pirithous, 
1723). Einen neuen Hohepunkt erreichte die Tr. 1. 
durch J.-Ph. Rameau (Hippolyte et Aricie, 1733; Castor 
et Pollux, 1737; Dardanus, 1739; Zoroastre, 1749; Abaris 
ou lesBoreades, 1764). Bezeichnend fur Rameau sind die 
kantable Melodiefiihrung, die harmonische Bereiche- 
rung des musikalischen Satzes und die erhbhte Bedeu- 
tung des Orchesteranteils, besonders im Recitatif ac- 
compagne und im Recitatif mesure sowie in den de- 
skriptiven Instrumentalstiicken. In eine Endphase trat 
die Tr. 1. in den franzosischen Werken Glucks (Iphi- 
genie en Aulide, 1774; Armide, 1777; Iphigenie en Tauride, 
1779). Gluck behielt zwar den Rahmen der Tr. 1. bei 
(5aktiger Aufbau, Stoffwahl, Versform), doch bewirk- 
te seine Forderung nach Einf achheit und Natiirlichkeit 
des dramatisch-musikalischen Ausdrucks, daB die vom 
franzosischen Vers gepragte Gestalt zugunsten einer 
schlichteren, der Prosa verwandten Tonsprache umge- 
wandelt wurde. Damit naherte sich die Tr. 1. der italie- 
nischen Oper und verlor ihre Eigenstandigkeit. 
Lit. : B. de Rozoi, Dissertation sur le drame lyrique, Den 
Haag 1775 ; J.-D. Martine, De la musique dramatique en 
France, Paris 1 8 1 3 ; A. Coquard, De la musique en France, 
Paris 1820; G. Chouquet, Hist, de la musique dramatique 
en France, Paris 1893; J. Ecorcheville, De Lully a Ra- 
meau. L'esthetique mus., Paris 1906; R. Rolland, Musi- 
ciens d'autrefois, Paris 1908, 1 81947, deutsch als: Musiker 
v. ehedem, Munchen 1925, Olten 1951 = Meister d. Musik 
I, engl. 1915, NY 1948; L. de La Laurencie, La musique 
frc. de Lully a Gluck (1687-1789), in: Encyclopedic de la 
musique I, 3, hrsg. v. A. Lavignac u. L. de La Laurencie, 
Paris (1913, 21931); H. Abert, W. A. Mozart I, Lpz. 1919, 
C1955); P.-M. Masson, L'opera de Rameau, Paris 1930, 
2 1943; R. Dumesnil, L'opera et l'opera-comique, Paris 
1947; ders., Hist, illustree du theatre lyrique, Paris (1953); 
J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, 
= Munchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961. 

Traktur heiBt bei der Orgel die Verbindung, die von 
der Taste aus das Spielventil offnet. Bei der mechani- 
schen Tr. ist im Inneren der Orgel ein Rahmen mit 
Wellen aus Holz- oder Metallstaben angebracht. Zu 
ihnen fiihren von den Tasten Abstrakten (Zugruten), 
und von diesen werden ebenfalls Abstrakten zu den 
Spielventilen (->- Ventile - 1) geleitet. Die Abstrakten 
konnen auch gewinkelt durch Winkelmechanik zu den 
Ventilen gefuhrt werden. Das Material der Abstrakten 
ist zumeist Holz. Heute verwendet man auch mit Nylon 
umsponnene Drahtseile. Diese haben sich nur dann be- 
wahit, wenn auch sie iiber Winkel (Segmentschaltung) 
gefuhrt werden und nicht stattdessen durch Osen lau- 
fen. Die mechanische Tr. ist bei der Springlade und 
Schleiflade die historisch uberkommene. Auf die Ton- 
gebung hat sie insofern EinfluB, als der Spieler die 
Schnelligkeit des Tastenniederschlages, somit diejenige 
der Ventilb'frnung und bis zu einem gewissen Grade 
die Intensitat der Vorlaufertone im Anlaut nuancieren 
kann. Auchkommt die Uberwindung des Druckpunk- 
tes dem natiirlichen Spielgefiihl entgegen. Je groBer 
aber die Laden und ihre Registerzahl (und dadurch be- 
dingt die GroBe der Ventile, auf denen entsprechend 
mehr Winddruck lastet) und je weiter die Wege der 
Abstrakten sind, desto schwerer ist die Spielweise (be- 



sonders auch bei gekoppelten Manualen), und um so 
weniger Nuancierungsmoglichkeiten des Anschlags 
verbleiben dem Organisten. Eine Abhilfe f iir zu schwe- 
re Spielweise mechanischer Schleifladen erfand Ch. S. 
Barker (1832) mit seinem pneumatischen Hebel (Bar- 
ker-Hebel). Hier wird die Mechanik des Spieltisches 
zu einer zweiten -> Windlade gefuhrt, die kleine Balge 
besitzt. Bei niedergedriickter Taste wird der Balg mit 
Luft gefiillt; beim Abheben gibt er die Luft frei und 
fallt dann wieder zusammen. Der steigende oder fallen- 
de Balg offnet bzw. schlieBt iiber eine Abstrakte das 
Pfeifenventil der eigentlichen Windlade. Im 19. Jh. 
wurde eine rohrenpneumatische Tr. fur Kegel-, Mem- 
bran- und Taschenladen entwickelt. Hier gibt ein Balg- 
chen, in der Lade sich offnend (Zustromsystem) bzw. 
zusammenfallend (Ausstromsystem), den Wind zur 
Pfeife frei, die dann erklingt. Die Windversorgung des 
Balgchens erfolgt vom Spieltisch aus durch Rohrenlei- 
tungen. Bei groBeren Orgeln mit langen Leitungswe- 
gen arbeitet die pneumatische Tr. nicht schnell genug. 
Anfang des 20. Jh. wurden die ersten elektropneumati- 
schen Tr.en f iir Kegelladen gebaut. Die niedergedriick- 
te Taste schlieBt den Stromkreis. Der von einer Spule 
umschlossene Eisenkern wird magnetisch und zieht an 
den Windrelais einen Metallbiigel nieder, iiber den die 
Ventile dadurch pneumatisch geofmet werden. Auch 
rein elektrische Tr.en werden heute gebaut, bei denen 
Magnete die Spielventile offnen. -Auch bei groBeren 
Schleifladenorgeln fmdet man zunehmend eine ge- 
mischte Tr.-Art. Das gespielte Manual offnet die Spiel- 
ventile mechanisch, das jeweils angekoppelte Manual 
offnet diese elektropneumatisch oder elektrisch. Altere 
Kegelladen haben teilweise auch mechanische Spiel- 
Tr.en. - Das Regierwerk (Register-Tr.) war bei den al- 
ten Orgeln rein mechanisch. Heute baut man gerne 
elektropneumatische Register-Tr.en und bevorzugt 
bei Tonkanzellen auch rein elektrische Registerbetati- 
gung, wo die Schleife durch einen kleinen Motor oder 
Magnet aufgezogen wird. Voraussetzung fur einwand- 
freies Funktionieren ist hierbei, daB die Schleifen nicht 
(etwa durch Feuchtigkeit bedingt) klemmen. 

Transformation -»■ Transponieren. 

Transistor, 1948 unter Mitwirkung von J.Bardeen 
und W.H.Brattain in den USA entwickelt, djent ne- 
ben der -*■ Elektronenrohre zur Verstarkung elektri- 
scher Schwingungen, wie sie in der MeBtechnik und 
Elektroakustik erforderlich ist. Die Arbeitsweise des 
Tr.s wird durch seinen Hauptbestandteil, den fiir elek- 
trische Strome nur in einer Richtung durchlassigen 
Halbleiter (kristalline Verbindungen : CU2O, Fe203j 
Silizium, Arsen, Selen, Germanium u. a.), bestimmt. 
Diese kristallinen und metallahnlichen Elemente be- 
sitzen bei Einwirkung von Warmeenergie eine Ei- 
genleitfahigkeit ihrer Elektronen, die durch Storungen 
des regelmaBigen Gitteraufbaus (Einbau von Atomen 
fremder Elemente) stark erhoht werden kann und die 
dann als Trager eines injizierten Stromes wirkt. Auf 
diesem Effekt der »Tragerinjektion« beruht das Wesen 
des Tr.s und seiner Verstarkerwirkung. Hervorstechen- 
de Eigenschaften des Tr.s gegenuber der Elektronen- 
rohre sind lange Lebensdauer, schnelle Betriebsbereit- 
schaft ( 1 /iooo sec), geringer Stromverbrauch (Batterie- 
betrieb) und kleine Abmessung (Kofferradios, hand- 
liche Tonbandgerate), wahrend extrem hohe Leistungs- 
verstarkung, weite Frequenzgrenzen und geringe Tem- 
peraturabhangigkeit bislang der Elektronenrohre vor- 
behalten bleiben. Der Tr. stellt insofern eine Umwal- 
zung dar, als er Schaltungen ermoglicht, die mit der 
Elektronenrohre nicht realisierbar sind (elektronische 
Datenverarbeitungsanlagen). 



974 



Transponieren 



Lit.: G. Gaule, DerTr., Schrifttumiibersicht, Fernmelde- 
technische Zs. Ill, 1950. - J. Bardeen u. W. H. Brat- 
tain, The Tr., A Semiconductor Triode, Physical Review 
LXXIV, 1948; J. Dosse, Der Tr., Miinchen "1962; C. 
Moerder, Grundlagen d. Tr.-Technik, = Technisch-phy- 
sikalische Slg II, Ffm. 21964. 

Transitus (lat., Ubergang, Durchgang) -»• Com- 
missura. 

Transkription (von lat. transcriptio, s. v. w. Um- 
schrift), - 1) die Einrichtung (->• Arrangement) eines 
Musikstiicks fur eine andere Besetzung. Fr. Liszt fiihrte 
diese Bezeichnung (als frz. transcrite, transcription) fur 
Klavieriibertragungen (hauptsachlich von Liedern) ein, 
die zwischen einer mehr oder minder strengen Bearbeitung 
und einer freien »Fantasie« stehen (Raabe), nach eigenen 
Angaben wahrscheinlich in den 1830er Jahren. Tr.en 
bilden eine Werkgruppe im Schaffen Liszts (vgl. 
Thematisches Verzekhnis der Werke von Fr. Liszt, Leipzig 
1855; in der erweiterten Auflage 1877 unterscheidet 
Liszt zwischen : Bearbeitungen, Fantasien, Reminiszen- 
zen, Illustrationen, Paraphrasen, Klavierausziigen und 
Tr.en). - 2) In der -*■ Editionstechnik heiBt Tr. die Um- 
schrift von Musik aus einer historischen in die heutige 
-> Notenschrift, in der -> Phonetik und -> Musik- 
ethnologie die Aufzeichnung von Sprach- und Ton- 
aufnahmen mit Hilfe des Alphabets und der Noten- 
schrift, jeweils mit speziellen Zusatzzeichen. 
Lit.: zu 1): F. Busoni, Entwurf einer neuen Asthetik d. Ton- 
kunst, Triest 1907, Lpz. 1916; H. Antcliffe, The Use and 
Abuse of Transcription and Modernisations, BUM IV, 
1 924; P. Raabe, Fr. Liszt II, Stuttgart u. Bin 1 93 1 . - zu 2): O. 
Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Vorschlage f . d. Tr. exo- 
tischer Melodien, SIMG XI, 1909/10; Phonetische Tr. u. 
Transliteration nach d. Verhandlungen d. Kopenhagener 
Konferenz, Oxford 1926; Lautzeichen u. ihre Anwendung 
in verschiedenen Sprachgebieten, hrsg. v. M. Heepe, Bin 
1 928 ; E. Gerson-Kiwi, Towards an Exact Transcription 
of Tone-Relations, AMI XXV, 1953; Z. Estreicher, Une 
technique de transcription de la musique exotique, in : Bibl. 
et Musees de la ville de Neuchatel 1956, Neuchatel 1957; 
Ch. Seeger, Toward a Universal Music Sound- Writing for 
Musicology, Journal of the International Folk Music 
Council IX, 1957 ; D. Stockmann, Das Problem d. Tr. in d. 
musikethnologischen Forschung, Deutsches Jb. f. Volks- 
kunde XII, 1966. 

Transmission bezeichnet im Orgelbau eine Kopp- 
lungs- und Schaltanlage, die es ermoglicht, einzelne 
Register eines Manuals im Pedal oder in einem anderen 
Manual spielbar zu machen, ohne die -»■ Koppeln zu 
benutzen; z. B. konnen einzelne in der Tr. ausgesuchte 
Register des Hauptwerks ins Pedal »geborgt« werden. 
Die Ansatze zur Tr. reichen in die Zeit einmanualiger 
Orgeln und der Bauweise zuriick, die Manual- und 
Pedalregister noch auf eine Lade stellte. Besonders gern 
wurden hohere, C. f.-fiihrende FuBtonlagen ins Pedal 
transmittiert. Durch transmittierende Oktavkopplung 
eines 8'-Manualregisters, das dadurch im Pedal als 16' 
angeschaltet war, ersparte man diese angekoppelten 
Pfeifen, die - um im Pedal einen durchgehenden 16' 
zu haben - nur um eine Oktave von 16'-Pfeifen (C-H) 
erganzt werden muBten. Antegnati kennt solche Tr.en ; 
auch M.Praetorius erwahnt sie. Bei Schleifladen wur- 
den hierf iir doppelte Schleif en und Ventile notig. Uber- 
wiegend praktizierte der alte Orgelbau Tr.en ins Pedal, 
seltener von Manual zu Manual. Als Seltenheit erwahnt 
Praetorius ein Positiv, das in dem einzigen Manual zwei 
Tr.en hatte, wodurch aus dem Prinzipal 2' auch ein 
I1/3'- und ein l'-Register eingestellt werden konnten. 
Dieses Multiplexverfahren ist jedoch selten angewandt 
worden, weil durch Mehrfachbenutzung eines Tones 
»Tonlocher« entstehen, die das fehlende eigenstandige 
Register verraten. Registerkanzellenladen mit pneuma- 



tischer oder elektrischer Traktur erleichtern die Ada- 
ge von Tr.en auch ausgewahlter Systeme, z. B. Melo- 
diekoppel und »gregorianisches Manual«. Ein anderes 
Tr.s-System hat W.Kraft entwickelt, das die Mehr- 
fachbenutzung einer Registerreihe ausschlieBt, so dafi 
keine Tonlocher entstehen konnen ; wohl aber kann ein 
Register mehrfach registriert werden, z. B. die Oktave 
4' als 4' oder 2' oder 1', wodurch kleinere Orgeln eine 
grbBere Registermannigfaltigkeit bekommen. 

Transponieren (von lat. transponere, versetzen), auf 
eine andere Tonstufe versetzen mit genauer Bewah- 
rung aller Intervallverhaltnisse. Von der Transposi- 
tion zu unterscheiden ist die Versetzung musikalischer 
Bildungen auf eine andere Stufe des diatonischen Sy- 
stems mit Veranderung der Lage der Halbtone. Sie be- 
gegnet in der mittelalterlichen Musiklehre als Trans- 
formation (Versetzung von Gesangen in einen anderen 
Modus) ; im Bereich der Dur-Moll-Tonalitat gebraucht 
H. Chr.Koch den Terminus Versetzung (im Unter- 
schied zu Transposition) fur eine Wiederholung in 
ebenderselben Tonart, aber auf verschiedenen Stufen der 
Tonieiter (KochL, Artikel Transponiren). - Das Prinzip 
des Tr.s spielt eine Rolle bei derEntstehung von -* Ton- 
systemen und deren theoretischen Erfassung, so bei der 
Darstellung v-bn verschiedenen Tonleitern innerhalb 
eines feststehenden Oktavrahmens (»Oktavgattungen«; 
->■ Systema teleion) und in - der -»■ Hexachord-Lehre 
(-*■ Solmisation). Die mittelalterliche Lehre von den 
-»■ Kirchentonen kennt die Transposition als Verset- 
zung eines Gesanges auf eine andere Tonstufe, meist 
die Oberquinte (Confmalis) oder Oberquarte der re- 
gularen Finalis; bei unveranderter Abfolge der einem 
Modus zugehorigen Intervallschritte ermoglicht sie 
die Notierung bestimmter chromatischer Halbtone 
(z. B. wird der Ton es notiert als brotundum bei 
Quarttransposition, fis als hquadratum bei Quinttrans- 
position). In der mehrstimmigen modalen Musik er- 
gibt die Oberquarttransposition einen veranderten Am- 
bitus der Stimmen in bezug auf den Finalton und da- 
mit andere Moglichkeiten der Melodiebildung inner- 
halb eines Modus. Im neuzeitlichen System der ->■ Ton- 
arten, das nur noch zwei Tongeschlechter kennt, stehen 
alle Dur- und alle Mollskalen zueinander im Verhaltnis 
der Transposition. 

Im Bereich der Komposition ist die Wiederaufnahme 
einer musikalischen Gestalt in transponierter Form ein 
in verschiedensten Zusammenhangen verwendetes 
Mittel der Formbildung. Als typische Falle konnen 
z. B. die Sequenz mit intervallgetreuer Wiederholung 
(-> Rosalie), die reale -*■ Beantwortung eines Fugen- 
themas und die (meist allerdings variierte) Wiederauf- 
nahme des -*■ Seitensatzes in der Reprise eines Sonaten- 
satzes erfafk werden. In der ->■ Zwolftontechnik spielt 
die Transposition bei der kompositorischen Verwen- 
dung der -*■ Reihen, gelegentlich auch in deren inne- 
rem Aufbau, eine Rolle. - In der Geschichte der Auf- 
fiihrungspraxis begegnet das Tr. vor allem als Aufgabe 
fiir die Spieler von Tasteninstrumenten. Die unein- 
heitliche Hohe des -»■ Stimmtons forderte vom Orga- 
nisten bei der -> Intonation (- 1) und der ->■ alternatim- 
Ausfiihrung liturgischer Stiicke Anpassung an den 
Stimmumfang von Liturg und Chor. Deshalb fand be- 
reits im 16. Jh. in den Lehrbiichern des Tastenspiels (J. 
Bermudo 1555, T. de Santa Maria 1565, G.Diruta 
1593-1607) das Tr. eine ausfiihrliche Darstellung mit 
Beriicksichtigung der je nach Tonart der Stiicke sowie 
Stimmton und -> Temperatur der Instrumente unter- 
schiedlichen Erfordernisse. Eine weitere Aufgabe fiir 
das Tr. ergab sich mit dem Aufkommen der General- 
baBpraxis. Fiir Stiicke in hoher Schliisselung (-> Chia- 



975 



Transponierende Instrumente 

vette) gait im friihen 17. Jh. als Regel die Transposition 
in die Unterquarte oder Unterquinte (Praetorius Synt. 
Ill, S. 80f.). Differenzierte Anweisungen zum Tr. (auch 
um eine Terz oder eine Sekunde) gibt H. Schiitz in der 
GeneralbaBstimme des Beckerschen Psalters (Ausgabe 
von 1661). - Eine wichtige Rolle spielt das Tr. in der 
Gattung des klavierbegleiteten Sololiedes, um die 
Stiicke der Ausfiihrung durch Sanger verschiedener 
Stimmlage zuganglich zu machen. Seit der Mitte des 
19. Jh. biirgerte sich die Herausgabe transponierter Lied- 
fassungen (neben der meist originalen hohen Fassung 
Ausgaben fiir mittlere und tiefe Stimmlagen) ein. 
Auch in der Oper gibt es die Transposition einzelner 
Stiicke; so transponierte R.Wagner die urspriinglich in 
A moll konzipierte Ballade der Senta im Fliegenden 
Hollander fiir W. Schroder-Devrient nach G moll. Die 
kiinstlerische Vertretbarkeit des Tr.s schwindet in dem 
MaBe, in dem der Charakter eines Werkes durch die 
originale Stimmlage (z. B. J.Brahms, Vier Ernste Ge- 
sange fiir eine Bafistimtne und Kl. op. 121; H.Wolf, 3 
Gedichtevon Michelangelo fiir eine Bafistimtne und Kl.) und 
Tonhohe (->- Tonartencharakter) mitbestimmt wird. 
Bei der -> Bearbeitung (- 2) von Werken wurde mit- 
unter (etwa mit Rucksicht auf eine andere Besetzung) 
eine von der urspriinglichen abweichende Tonart ge- 
wahlt. So hat u. a. J. S. Bach Vivaldis Concerto fiir 4 V. 
in H moll op. 3 Nr 10 in seiner Bearbeitung fiir 4 Kl. 
(BWV 1065) nach A moll transponiert, ebenso sein 
Doppelkonzert fiir 2 V. in D moll (BWV 1043) in der 
Bearbeitung fur 2 Kl. (BWV 1062) nach C moll ; W. A. 
Mozarts Flotenkonzert D dur, K.-V. 314, gibt es auch 
als Oboenkonzert in C dur; Beethoven schrieb zu sei- 
ner Klaviersonate E dur op. 14 Nr 2 eine Streichquar- 
tettfassung in F dur. Ein Sonderfall ist J. S. Bachs Trans- 
position der urspriinglich in C moll komponierten Kla- 
vierpartita nach H moll, BWV 831 (vielleicht um sie 
in den Tonartenplan der beiden ersten Teile der Clavier- 
Ubung einzuordnen). Die Transposition des von Schu- 
bert in Ges dur komponierten Impromptu op. 90 Nr 3 
nach G dur geht auf den Verleger Haslinger zuriick. 

Transponierende Instrumente nennt man diejeni- 
gen Blasinstrumente, fiir welche als C dur die Tonart 
notiert wird, die ihrer Naturskala entspricht. Beim Le- 
sen ist entsprechend um das Intervall zwischen c und 
dem Ton, der die Stimmung des Instruments angibt, 
zu transponieren. So entspricht z. B. in Brahms' Quin- 
tett op. 115, 1. Satz, bei der Klarinette in A der Notie- 
rung (a) der Klang (b) : 



. - r i r i i r r r i r i r i 



Die gebrauchlichsten Tr.n I. des Orchesters sind : Eng- 
lisch Horn (in F), Klarinette in B und A, Bafiklarinette 
in B und A, Horn in D, Es und F, Trompete in B, D, 
Es und F, Kornett in B und A. In neuerer Zeit werden 
vielfach auch diese Instrumente ihrem Klang entspre- 
chend notiert (wobei dem Spieler die Wahl der spiel- 
technisch giinstigsten Stimmung des Instruments ge- 
lassen wird), so von Schonberg seit der Serenade op. 24 
(1924) und im AnschluB daran von A. Berg und We- 
bern. - Im weiteren Sinne wird die Bezeichnung Tr. I. 
auch fiir solche Instrumente gebraucht, die eine Oktave 
hoher (Piccoloflote, Celesta) oder defer (Kontrafagott, 
Horn in C, KontrabaB) klingen als notiert. 



Lit.: N. Herz, Theorie d. transponierenden Musikinstr., 
Wien 1911; H. Erpf, Lehrbuch d. Instrumentation u. In- 
strumentenkunde, Mainz (1959). 

Traquenard (trakn'a:r, frz., »Halbpa8«, eine Gang- 
art desPferdes; ital. traccanario), einim 17. Jh. entstan- 
dener Tanz, wahrscheinlich franzosischen Ursprungs, 
in raschem 4/4-Takt, mit ein facher Harmonik. Sein 
punktierter Rhythmus J.JJ.jJT^J ahmt den Pferde- 
Tr. nach. Der Tr. erscheint auch in Suiten des 17. Jh., 
u. a. bei Erlebach, J. C. F. Fischer und Georg Muffat. 

Trautonium, ein von Fr. -> Trautwein an der Ber- 
liner Musikhochschule entwickeltes ->• Elektrophon, 
das 1930 erstmals vorgefiihrt wurde. Das Tr. besteht 
aus einem Niederfrequenz-(Kippschwingungs-)Gene- 
rator, einem Verstarker, aus Lautsprecher(n) und einer 
Spielvorrichtung, die es ermoglicht, die Grundfrequenz 
der vom -*■ Generator erzeugten Schwingungen durch 
einen variablen Widerstand zu verandern. Als Wider- 
stand dient ein Draht, der iiber einer Metallschiene aus- 
gespannt ist und vom Spieler ahnlich wie eine Violin- 
saite abgegriffen wird. Durch die Beriihrung mit der 
Metallschiene wird der Schwingkreis geschlossen; ab- 
hangig vom Druck gegen die Schiene wird ein Fliissig- 
keitswiderstand verandert und damit die Intensitat. 
Auch ein Vibrato laBt sich auf diese Weise erzeugen. 
Das Instrument war zunachst nur fiir 1st. Spiel einge- 
richtet, wurde jedoch von Trautweins Mitarbeiter O. 
-> Sala durch Verdoppelung des Generators und der 
Spielsaite zu einem Instrument fiir 2st. Spiel ausgebaut. 
Die Teilschwingungs-Zusammensetzung ist durch 
elektrischeResonanzkreise(»Formantkreise«)beeinfluB- 
bar. Durch eine Frequenzteilerschaltung konnen sub- 
harmonische Teiltone (->■ Untertone) erzeugt werden, 
die fiir die Musikpraxis ein neues Phanomen darstellen. 
Sala hat das derart erweiterte Instrument, auf dem er 
auch als Komponist und virtuoser Spieler hervortrat, 
Mixtur-Tr. genannt. Fiir das Tr. komponierten u. a. 
Hindemith (Concertino, 1931) und H. Genzmer (2 Kon- 
zerte, 1939 und 1952), ferner P.Hoffer, J.Weismann 
und H.Riethmuller. Das Tr. kann als Ersatz fiir die 
->• Ondes musicales dienen. Auch fiir Filmmusiken und 
zur Herstellung des »Rohmaterials« fiir elektronische 
Musik wird es verwendet. Gegenwartig gibt es das Tr. 
nur in einer einzigen Ausfiihrung in Berlin, wo es von 
O. Sala gespielt wird. 

Lit.: Fr. Trautwein, Elektrische Musik, Bin 1930; O. 
Sala, Trautoniumschule, hrsg. v. Fr. Trautwein, Mainz 
(1933); ders., Experimentelle u. theoretische Grundlagen 
d. Tr., Frequenz II, 1948; ders., Subharmonische elektri- 
sche Klangsynthesen, in: Klangstruktur d. Musik, hrsg. v. 
Fr. Winckel, Bin (1955) ; ders., Elektronische Klanggestal- 
tung mit d. Mixtur-Tr., Sonder-H. Gravesano, Mainz 
(1955); ders., Mixtur-Tr. u. Studio-Technik, Gravesaner 
Blatter VI, 1962, H. 23/24; E. Stockmann, Der mus. Sinn 
d. elektro-akustischen Musikinstr., Diss. Bin 1953, maschr. 

Trayn (tre, frz., Zug; auch traynour, treyn), wahrend 
des 14./15. Jh. in Frankreich gebrauchliche Bezeich- 
nung fiir durch ->■ Color (- 1) gekennzeichnete syn- 
kopenartige Bildungen. Philippus de Caserta (bzw. 
Egidius de Murino, CS III, 123f.) identifiziert Tr. je- 
doch mit einer Gruppe von drei 2zeitigen anstelle von 
zwei 3zeitigen Noten (in der Art einer Hemiole), der 
Autor der Quatuor principalia (CS IV, 277b) mit der 
Proportion 4:3. 

Treble (tjebl, engl.; lat. -*■ triplum, span, tiple) heiBt 
in der mehrstimmigen englischen Musik seit dem 14. 
Jh. zunachst die iiber dem Tenor und -»■ Meane liegen- 
de 3. Stimme eines Satzes. In den englischen Diskant- 
traktaten des 15. Jh. hat der Tr. einen eigenen -> Sight. 
Bei 4st. Satz mit BaBstimme wird Tr. als Oberstimme 



976 



Trecento 



synonym mit Soprano gebraucht, ist aber nicht im So- 
pran-, sondern im Violinschliissel notiert. Morley (A 
Plaine and Easie Introduction, 1597, Neudruck London 
1952, S. 226) z. B. iibersetzt Zarlinos Bezeichnung 
soprano (Istitutioni harmoniche, S. 284f.) im 4st. Satz mit 
tr. Heute noch bezeichnet Tr. in England die hochste 
Stimme einer vokalen oder instrumentalen Kompo- 
sition. Die Instrumentennamen tr. viol und tr. recorder 
(s. v. w. Altblockftote) beziehen sich auf tiefere Instru- 
mente als descant viol und descant recorder. 

Trecento (tretfento, ital., vierzehntesjh.). Musik des 
Tr.s ist eine schlagwortartige Bezeichnung fur die weit- 
hin eigenstandig italienische, in der Hauptsache mehr- 
stimmige, volkssprachliche, weltliche Musik von etwa 
1330 bis zum Anfang des 15. Jh. Sie entstand und entfal- 
tete sich zur Zeit Petrarcas, Boccaccios und Franco Sac- 
chettis im wesentlichen als eine Kunst hofischer und 
biirgerlich aristokratischer Geselligkeit, eine solistische 
Liedkunst, die vor spatmittelalterlichen Hintergriinden 
renaissancehafte Ziige auspragt. - Bis etwa zur Jahr- 
hundertmitte sind als Pflegestatten vor allem nachweis- 
bar die oberitalienischen Signorien Mailand unter der 
Herrschaft der Briider Luchino und Giovanni Visconti 
(f 1349 und 1354), Verona unter der Regierung der 
Briider Alberto und Mastino II. della Scala (f 1352 und 
1351) und die Universitatsstadt Padua zur Zeit der 
Scaligeri und (ab 1337) der Carrareri; hier wirkten 
(vielleicht) -> Marchettus de Padua, der bedeutendste 
Musiktheoretiker des Tr.s, und (mit Sicherheit) der Li- 
teraturtheoretiker Antonio da -» Tempo und der Uni- 
versitatsprofessor Prosdocimus de -»• Beldemandis, der 
im friihen 15. Jh. noch einmal die italienische Nota- 
tion in ihrerEigenart behandelte und beurteilte (Tracta- 
tus practice cantus mensurabilis ad modum Italicorum, 1412). 
In ihrer ersten Phase ist die Musik des Tr.s gekenn- 
zeichnet durch die Entstehung der Gattungen -*■ Ma- 
drigal (auch kanonisches Madrigal) und -*■ Caccia. 
Beide sind, neben der zunachst nur 1st. iiberlieferten 
->■ Ballata, erstmals greifbar im oberitalienischen Frag- 
ment Rs (-> Quellen), das neben anonymen Stiicken 
auch Kompositionen von -> Giovanni da Cascia und 
->• Piero da Firenze enthalt. Madrigale des -»■ Jacopo da 
Bologna eroffnen die ebenfalls oberitalienische Hand- 
schrift PR (I) und das Manuskript Pit. Zur alteren 
Gruppe der Tr.-Komponisten gehoren u. a. auch 
-*■ Gherardello de Florentia und -»• Donato de Flo- 
rentia. Ober die Herkunft dieser relativ plotzlich in 
Erscheinung tretenden Tr.-Musik ist mangels prakti- 
scher Denkmaler aus der Zeit vor 1330 (-* Italienische 
Musik) wenig bekannt. Diskutiert werden als Aus- 
gangspunkte: die provenzalische Trobadorkunst (Bes- 
seler), der franzosische Conductus (Ellinwood), der 
Motettentypus des Petrus de Cruce (Apel) und neuer- 
dings vor allem die eigenstandig italienische Tradition 
der kirchenmusikalischen Mehrstimmigkeit (Pirrotta) 
und der Improvisationspraktiken (K.V.Fischer). - Zu 
den besonderen Merkmalen der Musik des friihen Tr.s 
gehoren die italienische Notation (->• Divisiones; Sechs- 
liniensystem) sowie der quasi improvisatorische und 
doch in der Darstellung der Textformen hochst kunst- 
volle 2- oder 3st. Satz mit melismenreichen (auch ka- 
nonischen) Oberstimmen und einer ebenfalls vokal 
konzipierten »begleitenden« Unterstimme. Das impro- 
visatorische Moment scheint sich in den oft stark von- 
einander abweichenden Uberlieferungen der Stiicke 
zu spiegeln. Das Zusammenwirken von Gesang und 
Instrument(en) ist vielfach bezeugt. Eine Reihe von 
Stiicken ist in Bearbeitungen f iir ein Tasteninstrument 
iiberliefert (Kodex Fa; 2 Stiicke auch im Kodex Reina: 
PR II, i. 84, Nr 184f .). - Nicht nur in ihren Gattungen, 



ihrer Notationsart und ihren Stileigentiimlichkeiten 
unterscheidet sich diese Liedkunst von der gleichzeiti- 
gen franzosischen Musik, sondern auch darin, daB es 
sich hier offenbar nicht um eine Ars nova auf der Grund- 
lage einer Ars antiqua handelt, sondern um einen Neu- 
ansatz. (Der Begriff ->• Ars nova ist im 14. Jh. in Italien 
nicht zu belegen und sollte als Bezeichnung fur die 
Musik des Tr.s vermieden werden.) 
In einer zweiten Generation, in deren Mittelpunkt 
Francesco -> Landini, der bedeutendste Komponist des 
Tr.s, steht, verlagerte sich das Schwergewicht des Schaf- 
fens auf die Ballata ; der 3st. Satz gewann an Bedeutung 
(unter Landinis 154 erhaltenen Kompositionen gibt es 
141 Ballate, davon sind 49 dreistimmig). Geographisch 
stand nun Mittelitalien mit Florenz und der Toscana 
im Vordergrund. Die friiheste Florentiner Handschrift 
(->■ Quellen : FP) ordnet das Repertoire nach Gattun- 
gen und beginnt mit den Ballate; jede der Gruppen 
wird mit Landinis Werken eroffnet. Begiinstigt einer- 
seits durch den auch wahrend des Schismas f ortdauern- 
den Kulturaustausch in Avignon und durch die Riick- 
kehr des papstlichen Stuhls nach Rom (1377), anderer- 
seits durch die Herrschaft franzosischer Fiirsten u'ber 
italienische Territorien (Neapel, Genua), geriet die Mu- 
sik des Tr.s in dieser Zeit unter den EinfluB der ihr in 
mancher Hinsicht artifiziell iiberlegenen franzosischen 
Musik (Quellen: PR II; Pit; Mod A). Ersichtlich wird 
dies u. a. am Eindringen von Elementen der hochent- 
wickelten franzosischen Notationskunst (»gemischte 
Notation«), an Umschriften urspriinglich italienisch 
notierter Stiicke in franzosische (Longa-)Notation so- 
wie an der haufigeren Wahl franzosischer Texte, am 
Aufgreifen des -*■ Kantilenensatzes und der Motetten- 
technik sowie am starkeren Hervortreten der geistli- 
chen Mehrstimmigkeit. - Zu einer dritten Generation, 
der Spatzeit der Tr.-Musik (etwa 1390-1420), zahlen 
Nicolo da Perugia (nachweisbar in Florenz und um 
1400 in Padua), -> Gratiosus de Padua, ->■ Paulus de 
Florentia, -*■ Bartolino da Padua, Magister ->■ Zacha- 
rias sowie der Florentiner Organist Frater Andreas 
(f um 1415). Das Schaffen dieser Komponisten zeigt 
teils eine bewuBt erstrebte (retrospektive oder restaura- 
tive) Einfachheit, teils die Subtilitat einer Spatzeit mit 
verstarkter Anlehnung an franzosische Vorbilder. Der 
Mailander Cantor -> Matheus de Perusio, der in Avi- 
gnon wirkende Philippus de ->■ Caserta und Anthonello 
da — >• Caserta gehoren in ihren erhaltenen Kompositio- 
nen im wesentlichen zur franzosischen Tradition, wah- 
rend der Liitticher Komponist J. -> Ciconia, der von 
1403-11 in Padua nachweisbar ist, Elemente der Tr.- 
Musik aufgenommen und weiterentwickelt hat. 
Insgesamt sind rund 625 mehrstimmige weltliche Tr.- 
Kompositionen iiberliefert, in etwa 30 verschiedenen 
Handschriften, darunter zahlreichen Fragmenten, die 
zum Teil erst in jiingster Zeit entdeckt wurden. Die 
wichtigsten erhaltenen ->. Quellen der Tr.-Musik sind, 
abgesehen vom Kodex Rossi (Rs), Sammelhandschrif- 
ten, die erst in der Spatzeit des Tr.s aus Liebhaber-, Re- 
prasentations- oder Restaurationsinteressen angefertigt 
wurden und das Repertoire unter verschiedenen Ge- 
sichtspunkten systematisch ordnen, entweder nach 
Komponisten in chronologischer Folge (PR ; Sq) oder 
nach Gattungen (Lo), teils auch inneihalb der Gattun- 
gen nach Komponisten (FP; Pit). Zu den wichtigen 
Tr.-Quellen gehoren auch der Mancini-Kodex (Man), 
das Motettenfragment Padua 1106 (PadD; JAMS VIII, 
1955) sowie das Fragment Lowinsky (NYL; MD X, 
1956). Der stafke franzosische EinfluB auf die italieni- 
sche Musik wird vor allem durch die Handschrift Mod A 
bezeugt. - Die Kompositionsart des spateren Tr.s wirk- 
te auf Musiker ein, die, dem Vorbild Ciconias folgend, 



62 



977 



Trecento 



voriibergehend nach Italien zogen, so u. a. auf Fon- 
taine, Grenon, die Briider -> Lantins, Guillaume Le- 
grant und auf Dufay (der zwischen 1420 und 1433 u. a. 
am Hof der Malatesta von Rimini und Pesaro, in Bo- 
logna und in Rom weilte). Sie wurde somit - besondefs 
im Hinblick auf die (»dominantische«) Harmonik und 
die Rolle der tiefsten Stimme des Satzes als Harmonie- 
trager - zu einer wichtigen Komponente der Musik der 
beginnenden -> Franko-flamischen Schule, wahrend 
in Italien selbst sich die Musik des Tr.s in die »schwei- 
gende« Epoche (Pirrotta) des Quattrocentos verlor. 
Ausg. u. Lit. (soweit nicht genannt in d. -v Quellen Fa, 
FP, Lo, Man, ModA, Pit, PR I-IH, Rs, Sq): The Music of 
Fourteenth Cent. Italy, hrsg. v. N. Pirrotta, = CMM 
VIII, (Rom) seit 1954; The Ms. London, Brit. Mus., Add. 
29987, Faks. hrsg. v. G. Reaney, = MSD XIII, (Rom) 
1965. - K. v. Fischer, Studien zur ital. Musik d. Tr. u. 
fruhen Quattrocento, = Publikationen d. Schweizerischen 
Musikforschenden Ges. II, 5, Bern (1956), mit Repertoire- 
kat.; ders., Neue Quellen zur Musik d. 13., 14. u. 15. Jh., 
AMI XXXVI, 1964; V. L. Hagopian, Ital. Ars Nova Mu- 
sic. A Bibliogr. Guide to Modern Ed. and Related Lit., 
= Univ. of California Publications in Music VII, Berkeley 
(Calif.) 1964, dazu U. Gunther in: Mf XX, 1967. - F. Vil- 
lani, Liber de origine civitatis Florentiae et eiusdem 
famosis civibus (nach 1380), hrsg. v. G. C. Galletti, Flo- 
renz 1847; J. Burckhardt, Die Kultur d. Renaissance in 
Italien, Basel 1860 u. 6., NA in GA V, Stuttgart 1930; H. 
Nolthenius, Duecento. Zwerftocht door Italie's late mid- 
deleeuwen, Utrecht 1951, deutsch als: Duecento. Hohes 
MA in Italien, Wiirzburg 1957 ; Das Tr., Italien im 14. Jh., 
Zurich u. Stuttgart 1960 (mit einem Beitr. v. K. v. Fischer) ; 
L. Ellinwood, The Fourteenth Cent, in Italy, in : The New 
Oxford Hist, of Music III, London 1960; N. Bridgman, 
La vie mus. au Quattrocento . . ., Paris (1964). - Fr. Lud- 
wig, Studien iiber d. Gesch. d. mehrst. Musik im MA I: 
Die mehrst. Musik d. 14. Jh., SIMG IV, 1902/03; H. Rie- 
mann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905, 21920; A. Schering, 
Studien zur Mg. d. Fruhrenaissance, = Studien zur Mg. II, 
Lpz. 1914; H. Besseler, Die Musik d. MAu. d. Renaissance, 
Biicken Hdb. ; ders., Bourdon u. Fauxbourdon, Lpz. 1950; 
L'ArsNova, = LesColloquesdeW<5gimontII, 1955; L'Ars 
nova ital. del Tr., Kgr.-Ber. Certaldo 1959; G. Reaney, 
Ars Nova in Italy, in: The Pelican Hist, of Music I, Lon- 
don 1960. 

J. Wolf, La notazione ital. nel s. XIV, in: La Nuova Mu- 
sica IV, 1899 ; ders., Florenz in d. Mg. d. 14. Jh., SIMG III, 
1901/02; H. Gutmann, Der Decamerone d. Boccaccio als 
mg. Quelle, ZfMw XI, 1928/29; W. Korte, Die Harmonik 

d. fruhen 15. Jh Munsteri. W. 1929; ders., Contributi 

alia storia della musica in Italia I, 1400-25, RMI XXXIX, 
1 932 ; M. Steiner, Ein Beitr. zur Notationsgesch. d. fruhen 
Tr., Die Lehren d. Marchettus v. Padua u. d. Cod. Rossiana 
215, Diss. Wien 1931, maschr.; H. Zenck, Die Musik im 
Zeitalter Dantes, Deutsches Dante- Jb. XVII (=N. F. 
VIII), 1935; L. Ellinwood, Origins of the Ital. Ars Nova, 
in: Papers Read by Members of the American Musico- 
logical Soc, 1937; Cl. Sartori, La notazione ital. del Tr. 
. . . , Florenz 1938; F. Torrefranca, II segreto del Quattro- 
cento, Mailand 1939; E. Li Gotti, Poesie mus. ital. del s. 
XI V, in : Atti della R. Accad. di scienze, lettere ed arti di 
Palermo IV, 4, 2, 1942^t4; ders., II Petrarchismo della 
poesia mus. e il gusto del popolaresco in Italia agli inizi del 
s. XV, in: Siculorum Gymnasium, N. S. VIII, 1955; F. 
Ghisi, Ital. Ars Nova Music, Journal of Renaissance and 
Baroque Music 1, 1946/47; J. R. White, Music of the Early 
Ital. Ars Nova, Diss. Indiana Univ. 1952, maschr. ; W. Ost- 
hoff, Petrarca in d. Musik d. Abendlandes, Castrum Pere- 
grini XX, 1954; G. Vecchi, Uffici drammatici padovani, 
Bibl. delPArch. Romanicum I, 41, 1954; ders., Su la 
composizione del »Pomerium« di Marchetto da Padova e 
la »Brevis compilation Quadrivium I, 1956; ders., Tra 
monodia e polifonia, CHM II, 1956; N. Pirrotta, Mar- 
chettus de Padua and the Ital. Ars Nova, MD IX, 1955; 
ders., Due sonetti mus. del s. XIV, Miscelanea en ho- 
menaje a H. Anglfes II, Barcelona 1958-61; ders., Paolo 
Tenorista in a New Fragment of the Ital. Ars Nova, Palm 
Springs (Calif.) 1961 ; ders., Ars nova e stil novo, Rivista 
ital. di musicologia I, 1966; ders., Music and Cultural 

978 



Tendencies in 15 lll -Cent. Italy, JAMS XIX, 1966; Dr. 
Plamenac, Another Paduan Fragment of Tr. Music, 
JAMS VIII, 1955; ders., Faventina, in: Liber amicorum, 
Fs. Ch. Van den Borren, Antwerpen 1964; K. v. Fischer, 
Kontrafakturen u. Parodien ital. Werke d. Tr. u. fruhen 
Quattrocento, Ann. Mus. V, 1957; ders., Trecentomusik - 
Trecentoprobleme. Ein kritischer Forschungsber., AMI 
XXX, 1958; ders., Zur Entwicklung d. ital. Tr.-Notation, 
AfMw XVI, 1959; ders., On the Technique, Origin, and 
Evolution of Ital. Tr. Music, MQ XLVII, 1961 ; ders., Ein 
Versuch zur Chronologie v. Landinis Werken, MD XX, 
1966; N. Goldine, Fra Bartolino da Padova, AMI XXXIV, 
1962; M.L. Martinez, Die Musik d. fruhen Tr., = Miinch- 
ner Veroff. zur Mg. IX, Tutzing 1963; R. Baehr, Dantes 
Verhaltnis zur Musik, Deutsches Dante-Jb. XLI/XLII, 
1964; B. Becherini, Le insegne viscontee e i testi poetici 
dell'ars nova, in : Liber amicorum, Fs. Ch. Van den Borren, 
Antwerpen 1964; Th. Gollner, Landinis »Questa fanciul- 
la« bei O. v. Wolkenstein, Mf XVII, 1964; R. Hammer- 
stein, Die Musik in Dantes Divina Commedia, Deutsches 
Dante-Jb. XLI/XLII, 1964; M. Caanitz, Petrarca in d. 
Gesch. d. Musik, Diss. Freiburg i. Br. 1966, maschr.; K. 
Meyer-Baer, Music in Dante's Divina Commedia, in: 
Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, 
NY (1966); R. Monterosso, Un »auctoritas« dantesca in 
un madrigale dell'ars nova, CHM IV, 1966; R. Strohm, 
Neue Quellen zur liturgischen Mehrstimmigkeit d. MA in 
Italien, Rivista ital. di musicologia 1, 1966. HHE 

Tredezime, Terzdezime (lat. tertia decima, drei- 
zehnte), die Sexte iiber der Oktave. 

Tremblement (trabtam'a, frz.) ->■ Trill er. 

Tremolo (ital., Abk. : trem.), - 1) -»- Verzierung, be- 
stehend aus einem wiederholten Wechsel zwischen ei- 
ner Note und deren oberer oder unterer Nebennote; 
-> Triller; - 2) bei Streichinstrumenten rascher gleich- 
maBiger Bogenwechsel auf demselben Ton, moglich in 

verschiedenen Schnelligkeitsgraden, z. B. g bzw. % ; 
erstmals definiert von Monteverdi als Ausdrucksmittel 
des genere concitato (Vorrede zu II combattimento di 
Tancredi e Clorinda, 1624), aber bereits 1617 in B.Ma- 
rinis Sonate a 3 La Foscarina belegt. Die Definition in 
BrossardD beruht auf einer Verwechslung mit ->• on- 
deggiando. - 3) rascher gleichmaBiger Wechsel zwi- 
schen zwei in groBerem Abstand als dem einer Se- 



kunde auseinanderliegenden Tonen, z. B. 
fiihrbar auf Streichinstrumenten (nicht mit dem Bo- 
gen, sondern mit den Fingern), auf Blasinstrumenten 
und auf dem Klavier (auf letzterem auch in Oktaven 
und Akkorden; -> Abbreviaturen - 5). - 4) Beim Ge- 
sang wurde das sogenannte Tremulieren, ein Schwan- 
ken der Stimme innerhalb eines sehr kleinen Intervalls, 
bereits im italienischen Kunstgesang der Renaissance 
haufig als Stimmfehler verurteilt, der sich inf olge man- 
gelhafter Atemtechnik bemerkbar gemacht habe. Um 
1600 wurde in Italien eine besondere Form des Tr.s, die 
mehrmalige Tonwiederholung auf langeren oder auch 
kiirzeren Noten, als eine Gesangsverzierung definiert 
(-> Trillo - 2). Spater bezeichnete Tr. ein dem alten 
italienischen Trillo verwandtes Fluktuieren der Stimm- 
intensitat auf demselben Ton, ohne Veranderung der 
Tonhohe, das in neuerer Zeit den Charakter einer Ver- 
zierung verlor, ahnlich wie das -> Vibrato, mit dem es 
haufig verwechselt wird. - 5) -*■ Tremulant der Orgel. 
Lit. : zu 2) : E. Schenk, Zur Auffuhrungspraxis d. Tr. bei 
Gluck, Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962). 

Tremulant (von lat. tremere, zittern ; frz. tremblant) 
ist eine mechanische Vorrichtung (Wippventil) im 
Windkanal der Orgel nahe vor der Windlade, die den 
sonst gleichmaBig flieBenden Orgelwind durch rhyth- 
mische StoBe in Bebung versetzt. Eine ahnliche Wir- 
kung wird durch schwebende Orgelstimmen (Bifara) 



Tricinium 



mit doppelt labiierten Pfeifen erzielt, bei denen das eine 
Labium etwas hoher als das andere angebracht ist und 
daher Schwebungen entstehen. Auch das aus 2 Pfei- 
fenreihen zu 8' und 4' bestehende Labialregister Piffaro 
bringt eine schwebende Wirkung hervor. Ahnlich er- 
sonnen ist Unda maris (lat., Meereswelle), eine Floten- 
stimme 8', l-2chorig, die gegeniiber den anderen Stim- 
men der Orgel um ein geringes zu tief oder zu hoch 
gestimmt ist; sie wurde 1703 von Casparini in der gro- 
Ben Orgel von St. Peter und Paul in Gorlitz gebaut, 
danach ofter von G. Silbermann. Eine schwebende 
Stimme ist auch die aus 2 eng mensurierten Pfeifen- 
reihen 8' von Streichermensur bestehende Vox coelestis 
(lat., himmlische Stimme). Der Tr. in seiner altesten 
Form ist der heftig »sto6ende« Bock, vor allem zum 
Zungenwerk. E.Compenius zufolge sind die besten 
Tr.en diejenigen, die 8 schlage vff einen rechtmafiigen 
Tact schlagen vndfein sanffte beben, auch bestandig densel- 
ben schlag und Mensur behalten (Kurtzer Bericht . . . , ed. 
Blume, S. 23). S. Scheidt (1627) riihmt den Tr.en als ein 
nach alter Organisten Bekenntnis vornehmes und Prinzipal- 
stiick in der Orgel, und C.Trost (1677) verlangt ihn 
ganz sanfft und leise undgerade recht auf 6/4 Tact gerichtet. 
Wahrend der Tr. friiher auf nur je eine Windlade an- 
gelegt war, wurde er nach 1700 in den Hauptkanal ver- 
legt und wirkte sich damit auf die ganze Orgel aus. Da- 
gegen disponierte der deutsche und franzosische friih- 
romantische Orgelbau fur je eine Windlade einen star- 
ken (tremblant fort oder a vent perdu) und einen schwa- 
chen Tr.en (tremblant doux). In neuerer Zeit wiinschen 
die Organisten, die Abfolge der WindstoBe des Tr.en 
regulieren zu konnen. 

Lit.: E. Compenius, Kurtzer Ber., WaB bey uberliefferung 
einer Klein u. grosverfertigten Orgell zu observiren, hrsg. 
v. Fr. Blume als: M. Praetorius u. E. Compenius Org. 
Verdingnis, = Kieler Beitr. zur Mw. IV, Wolfenbiittel u. 
Bin 1936; Th. Schneider, Die Orgelbauerfamilie Com- 
penius, AfMf II, 1937. 

Trenchmore (ti'entfma : j, engl.), ein im 16. und 17. 
Jh., besonders am Hofe Karls II. beliebter englischer 
Tanz in bewegtem Dreiertakt'(3/8) und punktiertem 
Rhythmus. Eine Beschreibung des Tr. bietet Playf ord in 
The Dancing Master ( 5 1675). 

Tresca (prov. und ital., altfrz. tresche, von got. thris- 
kan, ahd. drescan, dreschen; ital. trescare, auch tanzen, 
springen), ein mittelalterlicher Tanz, wahrscheinlich 
ein von mehreren Paaren ausgefiihrter Kettenreigen. 
Beschreibungen zufolge wurde er gesprungen und mit 
grofien Armbewegungen ausgef unit. Literarisch ist die 
Tr. vom 11. bis zum 15. Jh. nachzuweisen, so in der 
Chanson de Sainte Foy (11. Jh.), in Romanen des 12. und 
13. Jh. (z. B. Roman de la Rose, Anfang 13. Jh.), in Dan- 
tes Divina Commedia, bei Gilles li Muisis (14. Jh.) und J. 
Gerson (15. Jh.). DaB die Tr. auch gesungen und von 
Instrumenten begleitet wurde, geht z. B. aus dem Text 
von A. de la Halle (Jeu de Robin et de Marion, um 1285) 
hervor. 

Lit. : M. Sahlin, Etude sur la carole m&iievale, Uppsala 
1940. 

Treviso. 

Lit. : D. G. D'Alessi, Organo e organisti della cattedrale 
di Tr., Tr. 1929; ders., Maestri e cantori fiamminghi nella 
cappella mus. di Tr., TVer XV, 1938; ders., La cappella 
mus. del duomo di Tr., Tr. 1954. 

Trezza, eine in H. J. Fr. Bibers Harmonia artificiosa-ariosa 
(1685, Suite 4 und 7), auch beijoh. H. und A. A. Schmel- 
zer vorkommende Bezeichnung eines schnellen Tanz- 
satzes im 6/4- bzw. 6/8-Takt. 

Trjangel (von lat. triangulum, Dreieck), idiophones 
Schlaginstrument ohne bestimmte Tonhohe. Das (sel- 



tener auch »der«) Tr. besteht aus einem Stahlstab, der zu 
einem zumeist gleichseitigen, an einer Ecke offenen 
Dreieck (Seitenlange etwa 30 cm) gebogen ist. Das 
Instrument hangt frei an einem Faden und wird mit ei- 
nem Metallstab (friiher auch Holzstab) angeschlagen, 
dessen Lange und Starke der jeweils verlangten Laut- 
starke angepafit sind (bei pp verwendet man haufig diin- 
ne Stricknadeln). Die Aufreihung einiger Klirringe auf 
der Unterstange ist seit Anfang des 19. Jh. nicht mehr 
iiblich. Das Tr. ist seit dem hohen Mittelalter im euro- 
paischen Schlaginstrumentarium bekannt (Abbildun- 
gen : Miniatur der Wenzelsbibel, Ende 14. Jh. ; Aache- 
ner Engelskonzert, 1414; Praetorius Synt. II); ob mit 
dem mittelhochdeutschen stegereyff das Tr. gemeint 
war, ist nicht sicher. Aufnahme im Orchester, vor al- 
lem im Opernorchester, fand das Tr. erst mit dem Auf- 
kommen der ->• Janitscharenmusik in der 2. Half te des 
18. Jh. Im 19. Jh. erhielt es seinen festen Platz als hellstes 
und durchdringendstes Instrument in der Schlagzeug- 
gruppe des Orchesters. Seine Verwendungsmoglich- 
keiten reichen von der Markierung einfacher Rhyth- 
men bis zum Wirbel in alien dynamischen Schattierun- 
gen. Notiert wird das Spiel des Tr.s bei den Klassikern 
und in der Friihromantik meist in einem Fiinfliniensy- 
stem auf einem Ton (oft c 2 ), spaterhin gewohnlich auf 
einzelner Linie. 

Lit. : M. H. Greenfield, Drums and Triangles, London 
1951; H. Kunitz, Die Instrumentation X (Schlaginstr.), 
Lpz. 1960. 

Trias (lat., Dreiheit) bezeichnet in der deutschen Mu- 
siktheorie des 17. und friihen 18. Jh. den -*■ Dreiklang, 
der als Zusammensetzung von dreiEinzeltonen (Mona- 
des) bzw. drei Zweiklangen (Dyades) begriffen wurde. 
Die konsonierenden Triades harmonicae, der Dur- und 
der Molldreiklang, wurden nach dem unterscheiden- 
den Intervall, der Terz, Tr. harmonica maior oder per- 
fecta (Dreiklang mit groBer, vollkommener Terz) und 
Tr. harmonica minor oder imperfecta (Dreiklang mit 
kleiner, unvollkommener Terz) genannt. Die disso- 
nierenden Triades anarmonicae galten als Abweichun- 
gen, die durch Verminderung (d-f-as, Tr. deficiens) 
oder ein UbermaB der Quinte (c-e-gis, Tr. superflua 
oder abundans) entstehen. Die Tr. harmonica ist, ahn- 
lich wie im Mittelalter die rhy thmische -»■ Perf ectio (- 2) , 
seit C.SchneegaB (1591) undJ.Lippius (1612) als Sinn- 
bild der gottlichen Trinitat betrachtet worden. 

Trichter heifien die trichterformigen -> Aufsatze der 
Lingualpfeifen der Orgel, doch gibt es auch ->■ Regi- 
ster (- 1) mit trichterformigen, offenen oder gedeckten 
Labialpfeifen. 

Tricinium (lat.), eine offenbar von G.Rhaw 1542 ge- 
pragte, fast ausschlieBlich im protestantischen Deutsch- 
land gebrauchliche Bezeichnung f ur eine meist kontra- 
punktisch gearbeitete Komposition, an der die Drei- 
stimmigkeit als reizvolle Abweichung von der Norm 
der Vierstimmigkeit hervorgehoben werden soil. Tri- 
cinien heiBen aber im 16. und beginnenden 17. Jh. 
nicht einzelne 3st. Kompositionen (Motetten, Chan- 
sons), sondern geschlossene Kompositionsreihen eines 
Einzelmeisters (Othmayr) und vor allem Sammelwer- 
ke, in denen Kompositionen verschiedener Gattung, 
Art und Herkunft unter dem Gesichtspunkt der Drei- 
stimmigkeit zusammengestellt sind. Dabei wird die 
Dreistimmigkeit als Kunst fiir Kenner betrachtet; sie 
wird bevorzugt fiir das gesellige Musizieren eines vo- 
kal-instrumentalen Ensembles sowie fiir die musikali- 
sche Jugenderziehung und als Exemplum in musik- 
theoretischen Abhandlungen. Bei den Triciniensamm- 
lungen ist zwischen textlosen, offenbar rein instrumen- 
talen Spielstiicken und textierten, wahlweise vokal und 



62« 



979 



Tricotet 



instrumental auszufiihrenden Stiicken zu unterschei- 
den. Zur ersten, fiir die Entstehung der Instrumental- 
musik wichtigen Uberlieferungsgruppe zahlen u. a. 
Formschneyders Trium vocum carmina (1538), M. Agri- 
colas Instrumentische gesenge (um 1545) und Scottos Fan- 
tasie et recerchari a tre voci (1549). Zur zweitgenannten 
■ Gruppe gehoren u. a. Kugelmanns Concentus novi trium 
vocum (1540), Petreius' Trium vocum cantiones centum 
(1541), Rhaws Tricinia (1542), Othmayrs Tricinia (1549), 
J.Montanus/Neubers Tricinia (1559ff.), R.Ballards Mo- 
dulorum ternis vocibus . . . Volumen I — II (1565), C.J.Hol- 
landers Tricinia (1573), Gr. Aichingers Tricinia Mariana 
(1598ff.), S.Calvisius' Tricinia (1603) und K.Hagius' 
Neue deutsche Tricinien (16043.). - Mit Begirm des 17. 
Jh. trat die Bezeichnung Tr. in der Musikpraxis mehr 
und mehr zuriick, wahrend die Musiklehre sie bis ins 
18. Jh. tradierte. 

Ausg.: M. Agricola, Instrumentische Gesenge, hrsg. v. 
H. Funck, Wolfenbuttel 1933 ; S. Calvisius, Tricinia, hrsg. 
v. P. Rubart, Bin 1949; C. Othmayr, Tricinia, hrsg. v. H. 
Albrecht, in: Ausgew. Werke II, = EDM XXVI, Abt. 
Ausgew. Werke IV, Ffm. 1956; G. Rhaw, Tricinia, aus d. 
NachlaS H. Albrechts hrsg. v. M. Geek (in Vorbereitung 
im Rahmen d. Rhaw-GA). 

Lit.: Kl. Holzmann, H. Formschneyders Sammeldruck 
Trium vocum carmina, Diss. Freiburg i. Br. 1956, maschr.; 
F. Noske, C. J. Hollander en zijn Tricinia, TMw XVII, 
1959. MG 

Tricotet (trikot'e, frz., auch tricotee), eine Melodie, 
die wahrscheinlich auf ein Spielmannslied oder einen 
Tanz des 13. Jh. zuriickgeht und die, in verschiedenen 
Metren, in Stimmen von Chansons, Quodlibets und 
Tanzen bis ins 17./18. Jh. zitiert wird. Die mit Tr. be- 
zeichneten Satze bei Corrette undJ.-Ph.Rameau (Nou- 
velles suites, um 1728) haben keine erkennbare Be- 
ziehung mehr zu dieser Melodie. 

Tridentiner Konzil. Das Konzil von Trient (1545— 
63) befaBte sich mit Fragen der mehrstimmigen Kir- 
chenmusik offiziell erstmals im September 1562 unter 
dem Sammelthema Abusus in sacrificio Missae (MiB- 
brauche beim MeBopfer). AnlaB fiir die Diskussion 
waren mangelnde Textverstandlichkeit und die Ver- 
wendung weltlicher C. f. oder Chansons (bzw. Madri- 
gale) in MeBkompositionen, auBerdem weltliche Ele- 
mente im liturgischen Orgelspiel und allgemein die zu- 
nehmende kiinstlerische Autonomic der musikalischen 
Komposition. Es war daher konsequent gedacht, wenn 
einige Konzilsvater die mehrstimmige Musik aus dem 
Gottesdienst entfernen wollten. Demgegeniiber be- 
miihte sich eine andere Richtung, dem Konzil Beispiele 
polyphoner Kompositionen ohne jene Mangel aufzu- 
weisen (z. B. von Lasso und J. de Kerle). DaB Palestrina 
zu den inof fiziellen Beratungen und Probevorfiihrun- 
gen zugezogen wurde, ist sehr wahrscheinlich; auch 
scheint es (nach Jeppesen) sicher, daB er seine Missa 
Papae Marcelli, die dem Andenken des reformfreudigen 
Papstes Marcellus II. (j 1555) gewidmet ist, im Zusam- 
menhang mit dem Konzil komponiert hat. Die Legen- 
de hat die Rolle Palestrinas bei den Beratungen des 
Konzils jedoch iibertrieben und ihn zum »Retter der 
Kirchenmusik« erklaren wollen. Das Konzil schloB sei- 
ne Verhandlungen iiber kirchenmusikalische Probleme 
mit einem kurzen, allgemein gehaltenen Dekret. Doch 
iibte allein schon die Diskussion eine indirekte refor- 
merische Wirkung aus. So betonen Animuccia (1563), 
Palestrina (1567) und V.Ruffo (1574) in ihren Vorwor- 
ten, daB sie den Bestrebungen des Konzils gemaB kom- 
ponierten. Andererseits begann bereits vor dem Tr. K. 
(z. B. im Spatwerk von Josquin und Willaert) die 
Wende von der strukturbetonten zur wortgestaltenden 
Komposition. Die Forderungen des Konzils entspra- 



chen somit auch den allgemeinen Tendenzen der Zeit. 
Die Reform des Gregorianischen Gesangs erfolgte, 
gleichfalls unter demGesichtspunkt der Verdeutlichung 
des Textvortrags, erst im AnschluB an das Konzil 
(->Editio Medicaea). Im Zuge der Liturgiereform wur- 
de die Anzahl der -> Sequenzen (- 1) vom Tr. K. auf 
vier reduziert. 

Lit. : H. Beck, Das Konzil v. Trient u. d. Probleme d. Kir- 
chenmusik, KmJb XLVIII, 1 964 (dort weitere Lit.). 

Trient. 

Lit. : A. Untersteiner, Appunti di storia mus. tridentina, 
in: Tridentinum, Tr. 1911 ; B. Emmert, Rappresentazioni 
sacre e profane in Trento e dintorni (1632-1804), Rovereto 
u. Innsbruck 1912; A. Toni, Musicisti trentini, Mailand 
1912; R. Lunelli, Contributi trentini alle relazioni mus. 
fra l'ltalia e la Germania nel Rinascimento, Kopenhagen 
1949; ders., Organi tridentini, Tr. 1964; ders., zahlreiche 
Auf satze in: Zs. Trentino 1930ff. 

Trienter Codices -* Quellen: Tr 87-93. 

Trier. 

Lit. : P. Bohn, Einige mg. Notizen aus d. ehemaligen Chur- 
furstentum Tr., MfM XXIV, 1892; Y. Lacroix, La vie 
mus. religieuse a Treves, Tr. 1922; ders., L'orch. des 61ec- 
teurs de Treves au XVIII e s., RM VIII, 1927 ; G. Pietzsch, 
Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis zur Mit- 
te d. 16. Jh., Tr., AfMf VI, 1941 ; H. Klotz, Niederlan- 
dische Orgelbaumeister am Tr.er Dom, Mf II, 1949; G. 
Gross, Tr.er Geistesleben unter d. EinfluB v. Aufklarung 
u. Romantik (1750-1850), Tr. 1956; P. Schuh, Der Tr.er 
Choralstreit, in: Musicae sacrae ministerium, Fs. K. G. 
Fellerer, Koln 1962; G. Bereths, Die Musikpflege am 
kurtrierischen Hofe zu Koblenz-Ehrenbreitstein, = Beitr. 
zur mittelrheinischen Mg. V, Mainz (1964). 

Trihemitonion (griech., s. v. w. drei Halbtone), klei- 
ne Terz. 

Triller (ital. trillo; frz. trille; engl. shake, trill), im 
engeren Sinne eine -*• Verzierung, die in einem mehr 
oder weniger schnellen Wechsel zwischen einer Note 
und ihrer oberen (um einen Halb- oder Ganzton ent- 
fernten) Nebennote besteht. Verwandt mit der Familie 
der Tr. ist eine Gruppe von Verzierungen, die entwe- 
der aus wenigen oder mehreren langsameren oder 
schnelleren Tonwiederholungen bestehen (in der italie- 
nischen Vokalmusik [Florenz] um 1600 -»■ Trillo - 2, 
auch -> Tremolo - 4, in der deutschen Instrumen- 
talmusik des Barocks ->• Schwarmer oder Bombus 
genannt) oder aus einem wellenartigen Wechsel der 
Lautstarke des gleichen Tones (-> Tremulant der Or- 
gel, -> Bebung beim Clavichord, -> ondeggiando bei 
Streichinstrumenten). - Die Tr.-Familie im weiteren 
Sinne, deren gemeinsames Merkmal eine wellenformi- 
ge Auf- und Abwartsbewegung der Tonhohe ist, laBt 
sich in 3 Gruppen einteilen: a) Verzierungen mit nur 
leichterTonhohenveranderung (-> Vibrato), oftschwer 
zu unterscheiden von denjenigen, deren wesentliches 
Merkmal der Wechsel der Lautstarke ist. Im Falle der 
Bebung z. B. ist eine Unterscheidung unmoglich. Im 
ubrigen miissen aber bei alterer Musik beide Gruppen 
auseinandergehalten werden, da es sich um Verzierun- 
gen handelt, die nur an bestimmten Stellen und nur 
zur Erzielung jeweils verschiedener Wirkungen ver- 
wendet werden, im Gegensatz zur Musik der neueren 
Zeit (seit Beginn des 19. Jh.), wo sie den Charakter von 
Verzierungen mehr und mehr verlieren und zu standig 
gebrauchten Hilfsmitteln einer normalen Tonerzeu- 
gung beim Gesang, bei Streich- und bei Blasinstrumen- 
ten werden. - b) Verzierungen, die durch einen Wech- 
sel zwischen Haupt- und unterer Nebennote gekenn- 
zeichnet sind (-> Mordent). - c) Tr. im engeren Sinn. 
Dieser kann in verschiedenen Formen auftreten: 1) mit 



980 



Toiler 



der Haupt- oder mit der Nebennote beginnend; 2) mit 
oder ohne Verlangerung der ersten Note (bei Beginn 
mit der Nebennote handelt es sich dann um einen Vor- 
schlag); 3) mit oder ohne Anhalten auf dem letzten 
Ton (frz. point d'arrfit) ; 4) mit mehreren oder mit nur 
1-2 Schlagen ; 5) mit oder ohne Nachschlag, wobei mit 
Nachschlag die beiden letzten Tr.-T6ne bezeichnet 
werden, falls die untere Nebennote als vorletzter Ton 
vor der Riickkehr zur Hauptnote eingefiigt wird. - 
Der Tr. kann melodische, harmonische, rhythmische 
oder eine aus diesen kombinierte Funktion haben. Im 
ersten Fall konnen nicht nur einzelne Melodietone 
Glanz, Belebung und Intensivierung durch einen Tr. 
erhalten, sondern auch dieser selbst kann an seinem Be- 
ginn und(oder) an seinem Ende mit besonderen melo- 
dischen Floskeln versehen werden. Charakteristisch 
fur einen Tr. mit harmonischer Funktion ist der im 
Barock mit der oberen Nebennote auf den Schlag be- 
ginnende (= fortgesetzte Wiederholung von -*■ Vor- 
schlagen mit ihren Auflosungen). Rhythmische Funk- 
tion haben vor allem kurze, akzentuierende Tr. Bei 
Tasten- und Zupfinstrumenten mit verklingendem 
Ton gibt es auch Tr. mit reiner Haltefunktion (Ton- 
verlangerung). - Tr.-artige Gesangsfiguren wurden 
friihzeitig mit besonderen Symbolen bezeichnet, die 
den melodischen Verlauf der Verzierung graphisch an- 
deuten, z. B. in Indien das Kampa durch eine verti- 
kale, in Europa das mittelalterliche Quilisma durch ei- 
ne horizontale kurze Schlangenlinie, wie sie erst wie- 
der im 17. Jh. in Frankreich fur die Tasteninstrumente 
eingefiihrt und von dort in ganz Europa bis in unsere 
Zeit als verbindlich ubernommen wurden. Auch die 
in der Neumennotation mit Vinnula und Tremula be- 
zeichneten Shnlichen Verzierungen gehoren hierher. 
In friihen deutschen Orgeltabulaturen (ab Mitte des 15. 
Jh.) finden sich Zeichen fur eine -> Mordent genannte 
Verzierung, deren Ausfiihrung als Zusammenschlag 
von Haupt- und unterer Nebennote beschrieben wird 
(-+ Acciaccatura). Es ist aber unsicher, ob die Bedeu- 
tung des Zeichens durchweg und auch in spateren Ta- 
bulaturen so aufzufassen ist. E.N.Ammerbach (Orgel- 
oder Instrument Tabulator, 1571) z. B. gibt die Ausfiih- 
rung seines »Mordant« wie folgt an : 



$j j urn j ^™ i 

Derartige Verzierungen kamen in jener Zeit haufig vor 
(improvisiert und ausgeschrieben), aber ihre Andeu- 
tung durch bestimmte Zeichen bei den deutschen Kolo- 
risten (und ahnlich bei A. Valente, Intavolatura de cimbalo, 
Neapel 1576) bildet eine Ausnahme. - Fur die spanische 
Musik auf Tasteninstrumenten im 16. Jh. werden zwei 
Tr.-Formen vor allem von Bermudo (1555) und Santa 
Marfa (1565) beschrieben, wobei aber nur letzterer No- 
tenbeispiele an- a oder 

gibt (a: Redoble, 
b: Quiebro): 




Sofern diese Verzierungen mit der oberen Nebennote 
beginnen, steht diese unbetont vor dem Schlag und hat 
melodische Funktion. - Die englischen Virginalisten 
verwendeten zur Andeutung der von ihnen nicht aus- 
geschriebenen Verzierungen einfache und doppelte 

Schragstriche, z. B. J i o o , uber deren genaue Be- 



deutung bis heute keine vollige Klarheit herrscht. Mog- 
licherweise bedeutet der Doppelstrich eine Verzierung 
mit mehreren Tonen, jedoch ist seine Verwendung in 
verschiedenen Manuskripten derselben Stiicke inkon- 
sequent. - Unter den Diminutionsformeln (-> Dimi- 
nution - 2) und »Passaggi« der italienischen Lehrbiicher 
und Kompositionen des 16. Jh. sowie innerhalb ihrer 
spateren Weiterentwicklung befinden sich zahlreiche 
Tr., die als Gruppo (Groppo) bezeichnet werden. Un- 
ter diesen erhalten besondere Bedeutung die trillerarti- 
gen Kadenzklauseln, aus welchen sich der barocke Tr. 
mit Nachschlag entwickelte: 
G.Diruta Groppi di Accadentia 

(1593) _d L 




Diese Tr. beginnen mit der Hauptnote, aber die Tr.- 
Schlage selber gehen von der oberen Nebennote zur 
Hauptnote; die ausgeschriebene Form des Groppo gibt 
nur das Prinzip seiner Ausfiihrung an, seine Schlage 
sind nicht an eine strenge Takteinteilung gebunden. - 
G.B.Bovicelli (1594) unterscheidet Groppetti mit re- 
gelmaBigen Notenwerten (d'tm medesimo valore) und 
solche mit einem langsameren AbschluB (Groppetto 
raff renato) : 

Groppetto raffrenato 




G. Frescobaldi rat im Vorwort zum 1 . Buch seiner Toc- 
caten (1615): »Hat eine Hand . . . einen Tr. auszufiih- 
ren, die andere aber gleichzeitig eine Passage . . . , soil 
man nicht Note gegen Note spielen, sondern einzig 
darnach trachten, daB der Tr. rasch, die Passage dage- 
gen langsamer und ausdrucksvoll sei« (im folgenden 
Beispiel aus der Toccata Terza kann der Tr. langsam 
beginnen und allmahlich beschleunigt werden) : 




Die bei Ammerbach »Mordant« genannte Verzierung 
wird in Italien bis weit ins 17. Jh. Tremolo genannt, im 
Gegensatz zum Trillo (besonders bei G.Caccini 1601), 
der aus Tonwiederholungen besteht. Diruta (1593) al- 



981 



Triller 



lerdings lehnt im allgemeinen Tremoli mit der unteren 
Nebennote ab : 

Tremoli sopra le Semiminime 



$ j j j j j i M i m 



Tremoli sopra le Crome 




wahrend Cl.Merulo sie verwendet: 
. Tremoletti 



zeichnung des vollen Notenwertes (d). Die Notation 
bei d kann auch ohne Bindebogen vorkommen. Die 
Vorbereitungsnote muB in alien Fallen so iiberge- 
bunden werden, daB die erste Tr.-Note kurz nach 
dem Schlag erklingt und keinen Akzent erhalt. Un- 
vorbereitet (frz. sans appui, cadence subite, cadence 
jetee) ist ein Tr., dessen erster Ton (obere Nebennote) 
nicht linger ist als die f olgenden Tr.-Schlage. Alle kur- 
zen Tr. sind unvorbereitet, sie werden vor allem bei 
kurzen Noten, bei Spriingen, beim Staccato und bei 
dissonierenden Noten verwendet, d. h. solchen, die 
auch keine langen Vorschlage vertragen. Aber auch 
langere Tr. konnen unvorbereitet sein. »Tr. von oben« 
beginnen mit 4 Noten nach Art eines -> Doppelschlags, 
»Tr. von unten«, entsprechend, nach Art eines umge- 
kehrten Doppelschlags, notiert (nach Marpurg) : 




In der romischen Oper (E. de Cavalieri) findet sich die 
Bezeichnung Trillo fur den Wechsel zwischen zwei T6- 
nen, wahrend bereits Bovicelli das »Zittern der Stim- 
me iiber demselben Ton« mit -*■ Tremolo (- 4) bezeich- 
net; diese Benennung setzt sich aber erst nach 1700 all- 
gemein durch. Beide Verzierungen konnen mit t oder 
f, Ftt^ m '' *" an g e deutet werden. 

JlU q*JJ* Jf u I I I I Das nebenstehende Beispiel 
»P '* £j LJf | von B.Pasquini (SchluBka- 



7 



denz einer Almanda) zeigt 
diese Bezeichnung sogar fur einen Tr. mit der unteren 
Nebennote. Alle diese Tr. beginnen also mit der Haupt- 
note, in Fortfiihrung der aus der melodisch ausgerich- 
teten Diminutionspraxis erwachsenen Tradition, und 
zwar iiberall dort, wo sich italienischer EinfluB durch- 
setzte, wie z. B. bei den beiden Deutschen Fr.X.A. 
Murschhauser (Prototypon longobreue organicum I, 1703) 
und M.H. Fuhrmann (Musikalischer Trichter, 1706). 
In der 2. Halfte des 17. Jh. erhielt der Tr. in Frankreich 
(vor allem durch die Clavecinisten) die bis ins 19. Jh. 
vorbildlichePragung: der Beginnauf der dissonierenden 
oberen Nebennote ist obligatorisch wegen der vorwie- 
gend harmonischen Funktion des Tr.s (etwa dem -*■ Vor- 
schlag von oben entsprechend). Die franzosische Be- 
zeichnung Cadence weist auf die Herkunft dieser Ver- 
zierung von den Kadenzschliissen hin, der Name 
Tremblement setzt sich als Bezeichnung fiir den Tr. 
erst spater durch (Mersenne nennt alle Verzierungen 
beim Lautenspiel Tremblement; im engeren Sinne ist 
sein Tremblement ein Vorschlag von oben, den Tr. be- 
schreibt er nicht). - Nach Fr. Couperin {L'art de toucher 
le clavecin, 1716) besteht jeder etwas langere Tr. aus 3 
Teilen: dem appui (der »Abstutzung« auf der oberen 
Nebennote), den battements (den eigentlichen Tr.- 
Schlagen) und dem point d'arret (dem Haltepunkt auf 
der Hauptnote am Ende des Tr.s). Die »Abstiitzung« 
oder Vorbereitung wird wie der -> Vorschlag von 
oben behandelt und hat eine ahnliche Entwicklung wie 
dieser durchlaufen; sie ist betont; fiir ihre Lange gelten 
dieselben Regeln wie fiir den Vorschlag. Ihre graphi- 
sche Darstellung erfolgt - falls uberhaupt - durch ein 
besonderes Zeichen (siehe im f olgenden Beispiel b), 
durch eine kleine Vorschlagsnote (c) oder durch Auf- 



jlr7i ,, irr ' "rt"ri ,, n r p 



Ausfuhrung etwa: 



I r [rrr[r_^ ^ 




Die Anzahl der Tr.-Schlage richtet sich nach der Lange 
der Note (nicht nach dem Zeichen; -v»iv, *v, rV, + sind 
im allgemeinen gleichbedeutend), ihre Geschwindig- 
keit hangt ab von Tempo und Affekt des Stiickes, von 
der Lage (in der Tiefe langsamer) und von der Raum- 
akustik. Die Tr.-Schlage konnen, wenn die Lange des 
Tr.s es zulafit, langsam beginnen und allmahlich rascher 
werden. Alle Tr. auBer dem kurzen und dem Halte-Tr. 
(frz. tremblement continu) miissen ein besonderes En- 
de haben, entweder in Form einer Antizipation der f ol- 
genden Note oder (meistens) in Form eines Nach- 
schlags, dessen Noten im Rhythmus der Tr.-Schlage 
eingeteilt werden (Tr. mit Nachschlag, Doppel-Tr. 
des 18. Jh. ; frz. cadence tournee, double cadence ; engl. 
turned shake). Nachschlage werden wie folgt notiert: 

=J 3 u »-$ \ 



jr^ipif i^ 



Oft aber wird Nachschlag oder Antizipation als selbst- 
verstandlich vorausgesetzt und nicht notiert, so beim 
Nachschlag noch bis weit ins 19. Jh. (vgl. Beethoven, 
Violinsonate op. 96, 1. Satz, und Brahms, Klaviersona- 
te op. 5, 2. Satz). Ein Nachschlag kann auch zusatzlich 
vor einer steigenden Antizipation angebracht werden. 
Tr. mit reiner Haltef unktion (z. B. bei J. S. Bach, Wohl- 
temperirtes Clavier I, Praeludium G moll, BWV 861) 
sollten am besten erst nach Erklingen der Hauptnote 
begonnen werden. 

Beim kurzen Tr. unterschied das 18. Jh. 4 Formen, die 
leicht miteinander verwechselt werden : 1) der gewohn- 
liche kurze Tr. (bei Couperin tremblement detache) : 

nw, 




(Marpurg) 

mit unvorbereitetem Beginn auf der Nebennote und 
meistens vier, eventuell aber auch sechs Tonen; er kann 



982 



Trio 



bei sehr kurzen Hauptnoten durch einen kurzen Vor- 
schlag von oben ersetzt werden; 2) der Prall-Tr. (bei 
Couperin tremblement lie sans Stre appuye) : 



fa J J l^t 



S 



^rrri r 




(Marpurg) 

3) Den unvollkommenen Tr., dem Prall-Tr. sehr ahn- 
lich, beschreibt Marpurg (Anleitung zum Klavierspielen, 
1755) : Wenn in demgebundnen einfachen Tr. die gebundne 
Note ubergangen, und, wider die Regel des Tr.s, sogleich mit 
dem Haupttone angefangen, der WechselsMag aber abgekur- 
zet und nur aufdrey Noten eingeschrdnket wird: so entsteht 
zwar daraus ein unvollkommner Tr., der aber nichts desto 
weniger in gewijien Fallen, besser ah der ordentliche voll- 
kommne Tr. gebraucht wird (Beispiele a und b nach 
Marpurg, c nach L'Abbe le Fils 1761: Cadences fein- 
tes preparees) : 




4) Der Schneller besteht aus 3 Tonen; er beginnt mit 
der Hauptnote auf den Schlag und kommt fast nur bei 
raschen, nicht gebundenen Tonfolgen (sowie auch bei 
Einschnitten) vor. Um ihn von den anderen kurzen 
Tr.n besser zu unterscheiden, notiert ihn C.Ph.E.Bach 
(der ihn eingefiihrt hat) stets mit zwei kleinen Noten: 

J3 Ji . - Der Tr.-Beginn mit der oberen Nebennote auf 
den Schlag bleibt im Prinzip fur die Zeit der Wiener 
Klassik obligatorisch. Den Tr.-Beginn mit der Haupt- 
note schreibt als erster J. N. Hummel in seiner Klavier- 
schule (1828) bedingungslos vor, nach ihm L. Spohr in 
seiner Violinschule (1832) - das Ergebnis einer Stil- 
wende, die sich auch in einer Bevorzugung neuer In- 
strumententypen (Hammerklavier) sowie in einer Ver- 
anderung der Funktion des Tr.s kundtut. Vorlaufer 
dieses Funktionswandels lassen sich bis in das 18. Jh. zu- 
ruckverfolgen, diirfen jedoch als Ausnahmen nicht 
iiberbewertet werden. 

Lit. : — » Verzierungen ; P. Aldrich, On the Interpretation 
of Bach's Trills, MQ XLIX, 1963; Fr. Neumann, Mis- 
conceptions About the French Trill in the 17'" and 18" 1 
Cent., MQ L, 1964, dazu R. Donington in: ML XLVI, 
1965. ERJ/BB 

Trillerkette, Kettentriller (ital. catena di trilli; frz. 
chaine de trilles; engl. continuous trill), bezeichnet eine 
Reihe fortlaufend aneinandergehangter Triller auf stu- 
fenweise auf- oder absteigenden Noten. Bei der auf- 
steigenden Tr. kannjeder einzelne Triller einen Nach- 
schlag bekommen. Darstellungen der Tr. finden sich 
in den Lehrbuchern von J. F. Agricola fur Gesang, von 
G.Tartini und L.Mozart fiir Violine, von D.G.Turk 
fur Klavier. Als Beispiele seien genannt: Handel, The 
Messiah, 5. Aria, But who may abide . . . (Prestissimo- 
teil, Takt 30f.); W.A.Mozart, Ende der 5. Variation 
iiber Salve Tu, Domine fiir Kl., K.-V. 398; Beethoven, 
Klavierkonzert Es dur op. 73, 2. Satz, Takt 39ff . 

TrUlo (ital.), - 1) -* Triller; - 2) um 1600 in Italien 
eine Gesangsverzierung, die aus langsam beginnenden 
undallmahlichim Tempo zunehmendenTonwiederho- 
lungen besteht und so zuerst von G. Caccini (Le nuove 
musiche, 1601) dargestellt und beschrieben worden ist: 



Bereits 1593 hatte G.L.Conforti in seinen Anweisun- 
gen zu »Passaggi« (die laut Vermerk des Autors auch 
fiir Streich- und Blasinstrumente Giiltigkeit haben) ei- 
nen Tr. wie folgt angegeben: 



Der Tr. Caccinis, den Monteverdi in seinen spaten 
Opern fiir besondere Effekte verwendete (II ritomo 
d'Ulisse, Arie des Iro), wird u. a. von Praetorius (Synt. 
Ill) und noch in BrossardD - dort als le veritable Tr. 
a I'ltalienne - ausfiihrlich beschrieben. - Neben dem 
langen gab es noch einen kurzen Tr., auch Trilletto 
genannt, dem bei Conforti ein Mezzo Tr. entsprach. 
- In der italienischen Musik des 17. Jh. kann das Zei- 
chen t oder tr iiber einer Note sowohl den Tr. als 
auch das ->• Tremolo (- 4) bedeuten, die beide neben- 
einander vorkommen. Bei beiden Bezeichnungen setzte 
sich die heutige Bedeutung erst im Laufe der 
2. Halfte des 17. Jh. allmahlich durch. 

Trio bezeichnet im 18. Jh. sowohl Stiicke mit 
drei Singstimmen und GeneralbaB (-»■ Terzett) 
als auch die -*■ Triosonate, heute jedes Instru- 
mentalstiick mit 3 Mitwirkenden (Streich-, Bla- 
ser-, Klavier-Tr.) und das entsprechende aus- 
fuhrende Ensemble. Tr. ist urspriinglich jedoch der 
solistische 3st. Satz (meist Blaser; oft 2 Oboen oder 
2 Flbten mit Fagott) als episodische Unterbrechung 
des vollen 5st. Streicherensembles innerhalb der fran- 
zosischen Oper J.-B. Lullys. Tr.s finden sich hier in 
Arien und Choren als Ritornelle und in den Passacaillen 
(z. B. Armide, 5. Akt, 1686). Zwischenspielartige Tr.- 
Abschnitte (Divertissements) im fugierten Teil der 
franzosischen Ouvertiire bringt wohl erstmalig A. 
Steffani {Orlando, 1691; La liberta contenta, 1693). Georg 
Muffat, J. C. F. Fischer und dann vor allem J. S.Bach 
iibernahmen diese Gepflogenheit. Deutlich ist hinge- 
gen der Einflufi des franzosischen Tr.-Satzes auf das 
Concertino (2 Violinen und Violoncello) des Concerto 
grosso. - Die um 1680 in die franzosische Tanzsuite ein- 
geschobenen Satze: Menuett, Passepied, Gavotte und 
Bourree, treten gewohnlich paarweise mit einem Tr. 
(2 Oboen und Fagott) oder Bordunstiick (Musette) auf, 
das sich vom vollstimmigen, danach wiederholten Tanz 
abhebt. Das Tr. des Menuetts bzw. Scherzos in den 
Symphonien der Vorklassiker und Wiener Klassiker 
kontrastiert jedoch, ebensowenig wie das spatere 
Marsch-Tr., nicht mehr durch Dreistimmigkeit, son- 
dern durch beschaulich-ruhigen Charakter, durch redu- 
zierte Besetzung (oft Blaser) und haufig durch die Sub- 
dominant- oder Dominanttonart. - Orgel-Tr. heiBt, 
vor allem bei J.S.Bach, ein 3st. Stiick fiir 3 Klaviere, 
d. h. 2 Manuale und Pedal (Tr. in D moll, BWV 583, 
und G moll, BWV 584), als Ubertragung des Prinzips 
der Tr.-Sonate auf die Orgel. Eine Eigentiimlichkeit 
des Orgel-Tr.s ist, daB die eine Hand eine gebundene 
Melodie in derselben Tonlage vortragen kann, in wel- 
cher die andere (auf dem zweiten Klavier) Figurenwerk 
ausfiihrt. - Aus der sSonata a tre« in Gestalt der Sonate 
fiir obligates Klavier (BaB und Oberstimme) und Vio- 
line, deren Part sich technisch immer mehr vereinfach- 
te, in Verbindung mit der neuen Gattung unddemneuen 
Bauprinzip der Klaviersonate erwuchs in der 2. Halfte 
des 18. Jh. das Tr. fiir Klavier, Violine und Violoncello 
(J.Chr.Bach, Fr.X.Richter, G.Toeschi, E.Eichner, J. 
Schobert). Die Bezeichnung bezieht sich nicht wie bei 
der Tr.-Sonate auf den 3st. Satz, sondern auf die Be- 



983 



Triodion 



setzung. Es handelt sich zunachst wie bei der Klavier- 
Violin-Sonate weniger um eine neue Gattung als urn 
ein auch dem Dilettanten zugangliches Arrangement. 
Noch die Tr.s von J. Haydn sind Clavier Sonaten mit be- 
gleitung einer Violin und Violoncello. Das Tr. ist auch spa- 
ter die bevorzugte Besetzung fur Arrangements (z. B. 
bearbeitete Beethoven selbst sein Septett op. 20 fur Tr.). 
Infolge der traditionellen Bindung an den Continuo- 
baB blieb vor allem das Violoncello noch lange un- 
selbstandig. Erst bei Mozart und Beethoven entstand, 
obwohl das Klavier weiterhin dominiert, eine Ausge- 
wogenheit zwischen den beteiligten Instrumenten, von 
der auch die Romantiker nicht wesentlich abwichen. 
Mit Mozarts Tr.s K.-V. 502, 542 und 498 (mit Klar.), 
Beethovens op. 97 (181 1) und Schuberts Tr.s B dur op. 
99 (1826/27, D 898) und Es dur op. 100 (1827, D 929) 
ist der Hohepunkt der Gattung erreicht. Formal in 
Anlehnung an das klassische Tr. und im besonderen 
gepragt durch den romantischen Klaviersatz entstan- 
den die Tr.s von R. Schumann, Mendelssohn Barthol- 
dy, Brahms, Dvorak, Tschaikowsky, Reger (op. 102) 
und Ravel (1915). 

Das Streich-Tr. (in der Normalbesetzung Violine, Vio- 
la, Violoncello) hat ebenfalls vor allem zwei Wurzeln: 
1) den solistischen Quartettsatz der Divertimenti, Qua- 
dri in Siiddeutschland, der dadurch entstand, daB 
nachWegfall des Continuos eine fiillende Mittelstimme 
(Viola) notig war, und der im Streich-Tr. reduziert 
wird; 2) die Tr.-Sonate (Violinen und BaB) und den 
neuen, vorwiegend 3st. Orchestersatz der italienischen 
Oper seit etwa 1720. Noch die Orchester-Tr.s von J. 
Stamitz op. 1 sind in der Besetzung ambivalent. Deut- 
lich dem Divertimento entwachsen sind die Tr.s von 
Haydn (Baryton-Tr.s, Divertimenti fur Fl., V., Vc. 
und "Londoner Tr.s« fur 2 Fl. und Vc), von Beethoven 
(5 Tr.s) und Schubert. Mozarts Divertimento K.-V. 
563 ist wohl das bedeutendste Werk der Gattung. In ver- 
schiedener Besetzung, auch mit Blasern, hielt sich das 
Tr. bis in die neuere Zeit: Brahms (Tr.s fur V., Horn, 
Vc), Reger (Serenaden fiir Fl., V., Va). Durch die vol- 
lige Freiziigigkeit der Besetzung einerseits, durch die 
ganzlich neuen Grundlagen der Kompositionstechnik 
andererseits gehoren die Werke der Moderne (z. B. 
Debussy, Tr. fiir Fl., Va, Harfe) fiir 3 Instrumente nicht 
mehr in die Tradition des Tr.-Satzes, selbst wenn sie 
wie Schonbergs Tr. op. 45 (1946) an der traditionellen 
Besetzung festhalten. 

Lit.: H. Riemann, Die Triosonaten d. Gb.-Epoche, in: 
Praludien u. Studien III, Lpz. 1901, Nachdruck Hildes- 
heim 1967; ders., GroBe Kompositionslehre I— III, Bin u. 
Stuttgart 1902-13 (besonders II, S. 95ff.); W. Altmann, 
Hdb. f. Klaviertriospieler, Wolfenbuttel 1936; A. Karsch, 
Untersuchungen zur Friihgesch. d. Klaviertr. in Deutsch- 
land, Diss. Koln.1943, maschr. ; W. Fischer, Mozarts Weg 
v. d. begleiteten Klaviersonate zur Kammermusik mit Kl., 
Mozart- Jb. 1956; K. Marouerre, Mozarts Klaviertr., Mo- 
zart- Jb. 1960/61; R. Blume, Studien zur Entwicklungs- 
gesch. d. Kl.-Tr. im 18. Jh., Diss. Kiel 1962. StK 

Tripdion -»- Kanon (- 2). 

Triole (frz. triolet; engl. triplet), eine Figur von 3 

gleichen Noten, die fiir 2 Noten derselben Schreib- 

weise eintreten, was durch eine beigeschriebene 3 (oft 

auch mit Klammer) angezeigt 

wird. Zuweilen wird (weniger 

gut) die Tr. auch zur Vertre- 

tung von 4 Noten gleicher 

Schreibweise gesetzt. Die Be- 

zeichnung der Tr. durch 3 (und 

Klammer) unterbleibt haufig, 

wenn durch gemeinsame Querstriche (bei Achtel-, 

Sechzehntelnoten usw.) die Taktordnung ohnehin klar 




ist. Ein besonderes Problem der Auffiihrungspraxis 
bieten die in der Musik der Barockzeit nicht selte- 
nen Falle, in denen ->- Punktierter Rhythmus ver- 

mutlich als J J) wiederzugeben ist. Voriibergehen- 
der Wechsel von der Zwei- zur Dreiteiligkeit wurde 
in der Mensuralnotation durch -> Color (- 1) oder 
-> Dragma angezeigt und als -> Hemiole oder ->• Trayn 
bezeichnet. Kompositorisch wird die Tr. vor allem 
als ein Element des Verzierens und Variierens ausge- 
wertet; im 18. und 19. Jh. diente sie vielfach dazu, 
einen bestimmten Satz- oder Formbestandteil von der 
Umgebung abzuheben (Gegenstimme oder Episode 
im Tr.n-Rhythrnus). In vielen Menuetten des 18. Jh. 
erscheint eine einzelne Achtel-Tr. (in der Subdominan- 
te oder Tonika) im vorletzten Takt einer Periode als 
Mittel der SchluBvorbereitung. In der Metrik bezeich- 
net H. Riemann (GrundriJS der Kompositionslehre I, Ber- 
lin »1922, S. 99f.) als Takt-Tr.n 3taktige Formglieder, 
die nicht als irregulare Form einer 2- oder 4taktigen 
Ordnung erklart werden konnen. 
Lit.: M. Collins, The Performance of Triplets in the 17'" 
and 18 th Cent., JAMS XIX, 1966. 

Triosonate, die meistgepflegte instrumentale Ensem- 
blegattung der Barockzeit, in der 2 gleichberechtigte 
Sopranoberstimmen (Violinen, Zinken, Floten) mit 
dem GeneralbaB (Melodieinstrument in BaBlage, dazu 
Orgel, Cembalo oder Laute) zu einem 3st. Satz mit 
Akkordausfiillung zusammentreten. AuBerhalb Italiens 
begegnen auch Tr.n mit Oberstimmen verschiedener 
Stimmlagen (z. B. Violine und Gambe). Entstanden ist 
die Tr. im lombardo-venezianischen Italien; Viadanas 
Canzon alia Francese (Nr 100 aus den Cento Concerti 
Ecclesiastici, 1602) ist die alteste (in ihrer Anlage, vor 
allem durch ihre 2 Basse, noch stark der Zweichorig- 
keit verpflichtete) Triokanzone, doch sind Elemente 
des Triosatzes schon bei G.Gabrieli (der 1597 eine 8st. 
Kanzone mit Soloepisoden versah) vorgebildet. S.Rossi 
entwickelte in seinen Sinfonie et Gagliarde 1607 gleich- 
zeitig mit Monteverdi (Ritornelle in Scherzi musicali 
von 1607 und L'Orfeo) den Typus des einsatzigen (oft 
mehrteiligen) Instrumentaltrios, das Canzona, Sinfonia 
oder (seit G.P.Cima 1610) auch Sonata a tre hieB und 
das durch Verschmelzung von Elemental der polypho- 
nen Kanzone, des AuBenstimmensatzes (Primat der 
Oberstimmen und des Basses in der Mehrchorigkeit bei 
G.Gabrieli), der Vokalmonodie und des von Viadana 
1602 aus dem AuBenstimmensatz entwickelten vokalen 
Triosatzes (vgl. Haack 1964) entstand. Diese Friihform 
der Tr. wurde von B.Marini (op. 1, 1617) um Tremo- 
loeffekte, Doppelgriffspiel und virtuoses Figurenwerk 
bereichert. Die steigenden Anspriiche an die Spiel- 
technik (auch in Verbindung mit Solo- und Tuttivor- 
schriften) bei S.Rossi, St.Bernardi (op. 8, 1616; op. 12, 
1621 ; op. 13, 1624), B. -* Marini, Castello (der 1621 
und 1624 2 Biicher Sonate concertate veroffentlichte), 
G.B.Fontana u. a. bezeugen die Bedeutung des Vir- 
tuosentums fiir die junge Gattung. Triokanzonen und 
-tanzsatze nach dem in die Zukunft weisenden Vorbild 
Frescobaldis komponierten u. a. Buonamente (4.-7. 
Buch: 1626-37) und Merula, der 1637 die sich verselb- 
standigenden Abschnitte der Kanzone durch Reprisen- 
zeichen kennzeichnete. - Die ersten Triokanzonen 
auBerhalb Italiens veroffentlichten die Innsbrucker Hof- 
musiker Stadlmayr und Wolk 1624; in Osterreich (G. 
Arnold, op. 3, 1659) und in Deutschland (M.Weck- 
mann 1651 u. 6. ; Kindermann 1653) hielt sich die vene- 
zianische Canzona a tre beachtlich lange. Das Triori- 
tornell, durch Aichinger Siiddeutschland vermittelt, 
wurde namentlich von Scheidt (1644), Kindermann 
(1643) und S.Th.Staden (1648) gepflegt. Von groBer 



984 



Triosonate 



Bedeutung fiir die Geschichte der Tr. im deutschen 
Sprachbereich war die englische Geigen- und Gamben- 
kunst, die wahrscheinlich um 1620-30 durch Maugars 
auch dem Pariser Hof ubermittelt wurde. In den Nie- 
derlanden ist die Triokanzone zuerst bei N. a Kempis 
(1644 vmd 1647) zu belegen. In England setzten sich 
W. Lawes, J.Jenkins land Locke in ihren Triosuiten (ge- 
wohnlich Fantasia-Allemande-Ayr) sowohl mit dem 
italienischen Violinstil als auch mit dem polyphonen 
Satz der -»■ Fancy auseinander. Die Tr. italienischer Pra- 
gving begegnet erst bei Blow und bei dessen Schiiler H. 
Purcell (1683). In Frankreich (wo das Violinspiel schon 
seit dem 16. Jh. gepflegt wurde; ->• Violine) fand die 
Triokanzone ihren ersten Niederschlag in den Meslanges 
(2-5st. ; 3 Biicher, 1657-61) von H.Dumont. 
In Italien wurde die venezianische Tradition durch 
Neri und Legrenzi weitergefiihrt; mit Uccellini trat 
(ab 1639) die »Emilianische Schule«, zu der auch Stra- 
della geziihlt werden darf, in Modena hervor, mit Caz- 
zati (ab 1657) in Bologna. Cazzati hatte bereits 1642 
Canzoni a 3 als op. 2 veroffentlicht; sein Schiiler G.B. 
-y Vitali ging 1674 nach Modena. Ferrara ist in der 
»Emilianischen Schule« durch Mazzaferrata vertreten. 
B.Marini (Diversi generi di sonate, da Mesa, e da camera, 
1655) und Legrenzi (op. 2, 1655) gelten als die ersten 
Komponisten, die zwischen Kirchen- und Kammer-Tr. 
differenzierten, doch sind die Zusatze da chiesa und da 
camera schon 1637 bei Merula nachweisbar. Der for- 
male Aufbau der Kirchensonate aus 4 (oder 5) Satzen 
entstand aus der Kanzone durch Anreicherung eines 
2satzigen Kernes (fugiertes Allegro, geradtaktig-ho- 
mophon-tanzartiges Vivace oder Presto im Tripeltakt) 
durch vorangestellte und eingefiigte Adagiosatze. So 
gelangte Cazzati schon 1669 zur Viersatzigkeit, die bei 
Corelli fiir die Kirchensonate zur Regel wurde. Dem- 
gegeniiber bereiteten die Modenesen, vor allem G. B. 
Vitali, und der in Rom wirkende L. Colista (vgl. H. 
Wessely-Kropik 1962) Thematik und Satzcharaktere 
des romischen GroBmeisters Corelli vor. Uber Mo- 
dena, vor allem durch G.B. Vitali (ab op. 7, 1682), 
wurden franzosische Tanzformen in Italien eingef iihrt 
und fiir die Kammersonate (die sich oft der -> Suite 
nahert) bedeutsam. So z. B. kann S. Le Camus fiir den 
franzosischen EinfluB auf Modena namhaft gemacht 
werden. In Frankreich wurden nach den Airs (1678) von 
Le Camus vor allem die Suiten von M.Marais wirk- 
sam (5 Biicher Pieces a une et deux violes, 1686-1725; 
Pieces en trio fiir 2 Fl., 2 V. oder 2 Violen und B. c, 
1692), die bei Verwendung weitgehend konservativer 
Ausdrucksmittel in Melodik und Harmonik den Stil 
J.-B.Lullys bis ins 18. Jh. weiterfiihren. - In Deutsch- 
land und Osterreich wurde durch Einbau groBerer so- 
listischer Abschnitte fiir Gambe und Violine eine ori- 
ginelle Abwandlung der Tr. entwickelt. Die erste selb- 
standige Sammlung von Tr.n diesseits der Alpen ver- 
offentlichte 1659 J.H. Schmelzer, wahrend die Suiten 
von J.J.Loewe (Synfonien . . ., 1658) noch fiir wahl- 
weise Triobesetzung oder 5st. Besetzung eingerichtet 
sind. Aus Schmelzers Umkreis sind die Triosuiten von 
H.J.Fr.Biber durch ihren frei reihenden Ballettypus 
bemerkenswert; daneben sind W.Ebner, Capricornus 
(Sonaten und Canzonen, 1660) und Kerll (1 Tr. in Ms.) 
zu nennen. Der sogenannte Froberger-Plan (die Fol- 
ge Allemande-Gigue-Courante-Sarabande), vermehrt 
um eine Einleitungssonate nach italienischem Vorbild, 
wurde von Pachelbel und Scheiffelhut gepflegt, in 
Norddeutschland von D.Becker. Von hier bestehen 
auch Beziehungen zur Wiener Instrumentalschule, 
erkennbar an der Variationsuite von Theile iiber 
Schmelzers 6. Solosonate, doch ist, wie auch bei dem 
in WeiBenfels wirkenden J. Ph. Krieger (op. 1, 1688), 



italienische Schulung ebensowenig zu iibersehen wie 
Vertrautheit mit englischer und franzosischer Gamben- 
kunst. Den gewichtigsten Beitrag auf dem Gebiete der 
Sonata da chiesa a tre nach Schmelzer leistete Rosen- 
miiller 1682; vergleichbar sind nur noch die 2 Samm- 
lungen Buxtehudes (op. 1 und 2, 1696;je7Tr.nfiir V., 
Va da gamba und B. a). Bei Buxtehude gehen bestes 
Venezianertum mit franzosischer Eleganz und deut- 
scher Kontrapunktik eine gliickliche Synthese ein. Vor 
ihmhatten schon J. Ph. Krieger (op. 2, 1693) und Ph. H. 
Erlebach (1694) das Trioprinzip auch auf die Besetzung 
Violine, Viola da gamba und GeneralbaB iibertragen, 
wahrend die Tr.n von Schenck (1692) und Kiihnel 
(1698) fiir 2 Gamben und GeneralbaB gesetzt sind. 
Ihre hochste Ausformung erfuhr die italienische Kir- 
chensonate durch Corelli, dessen op. 1 (1681) und 3 
(1689; je 12 Tr.n) mit 4satzigem Plan, bestimmten 
Satzcharakteren und pragnanter Thematik alle alteren 
Violinmeister in den Schatten riickten. Ihm nachzu- 
eifern wurde bald iiberall inEuropa modern. Die mehr- 
satzige und brillantere Tr. des in Bologna und Wien 
wirkenden Giuseppe Torelli (op. 1, 1686) wurde erst 
nach 1700 als Vorbild wirksam, etwa bei Aldrovandini, 
G. Gentili und Fr.Manfredini. Die Venezianer G.M. 
Ruggeri, Caldara, Albinoni und Bonporti weiten die 
Corellischen Satztypen aus, reichern sie harmonisch an 
und erfiillen sie mit virtuoser Brillanz. In seinen prach- 
tigen Tr.n (op. 3) fiihrte E. F.Dall'Abaco Corellis und 
Gius. Torellis Stil zu neuen Hohen fort. In Albinonis 
Kanontrios op. 8 klingt 1721/22 die italienische Kir- 
chen-Tr. aus. - Auch fiir die Sonata da camera wurden 
Corellis Tr.n (op. 2, 1685; op. 4, 1694) mit ihrer Rei- 
hung von zunachst 3, spater auch 2 Tanzen mit voran- 
gestelltem Chiesa-Adagio vorbildlich. In zunehmen- 
dem MaBe drangen Chiesa-Elemente in die Kammer- 
sonate ein. Auch die groBangelegte Ciaccona, die bei 
Corelli als selbstandige SchluBsonate erscheint, wurde 
vielfach nachgeahmt. Einen polyphonen Satz schrieb 
Giuseppe Valentini ; manches bei E. F. Dall'Abaco ge- 
mahnt an Fux, bei Albinoni an J. S.Bach. - Wahrend 
in England zunachst D. Purcell und W.Corbett, spater 
Boyce und W. Bates sich dem Corelli-Stil verschrieben, 
dem auch der in den Niederlanden komponierende 
Schweizer Albicastro verpflichtet ist, war es in Frank- 
reich derjunge Fr. Couperin, der um 1690 (unter italie- 
nischem Pseudonym!) als erster mit Tr.n nach dem 
Vorbild Corellischer Kirchensonaten hervortrat. Einen 
starken Auftrieb erhielt der Corelli-Stil in Frankreich 
(nach weiteren Ansatzen bei Clerambault und S. de 
Brossard) jedoch erst durch Mascitti, dessen op. 1 1704 
in Paris erschien. In der durch ihn vermittelten Corelli- 
Nachfolge stehen Dandrieu, Duval, J. F. Rebel und 
Dornel. Italienischer und franzosischer Geschmack 
wurden - entsprechend der von Muff at 1690 ausge- 
sprochenen Forderung eines »vermischten Stils« - 
schlieBlich von Fr. Couperin vereinigt iiv seinen vom 
Biihnenballett beeinfluBten Sammlungen Les gouts 
reunis . . . (mit der Tr. Le Parnasse oil Vapothiose de Co- 
relli; 1724) und Les nations (1726). - In Deutschland 
klingt das Motiv der Stilvermischung schon in einem 
Titel des Kerll-Schiilers J. Chr. Petz an (Duplex genius, 
sive Gallo-Italus instrumentorum concentus . . . , 1696). Fux 
bekennt sich zu Corelli in seinen Kirchen-, zu Lully in 
den Kammersonaten. Ein Zentrum der Pflege italie- 
nischer Musik, dem Pisendel vor allem die Einfliisse 
Vivaldis (op. 1, 1705) vermittelte, war Dresden (mit 
Heinichen, Zelenka, Chr.Petzold u. a.). Handel, dessen 
erste Begegnung mit italienischer Musik sich schon in 
seinem Jugendwerk (Tr.n fiir 2 Ob. und B. c, um 
1702) niederschlagt, lafit in dem um 1733 erschienenen 
op. 2 bereits galante Elemente erkennen; op. 3 (1739) 



985 



Triosonate 



bringt an Telemann und Fux erinnernde Divertimenti. 
J.S.Bach dagegen ist in seinen Tr.n fur 2 Melodiein- 
strumente und Gb. (BWV 1037-1039) und der Tr. aus 
dem Musicalischen Opfer (BWV 1079) keinem Vorbild 
direkt verpflichtet. Entsprechend seiner auch in anderen 
Fallen (-> Klaviermusik) zu neuen Losungen f iihrenden 
Praxis des Arrangierens legte Bach durch die Ubertra- 
gung des Prinzips der Tr. auf die Besetzung 1 Melodie- 
instrument (1. Oberstimme) und obligates Cembalo (2. 
Oberstimme, BaB und harmonische Ausfullung) das 
Fundament fiir weiterfiihrende Entwicklungen (z. B. 
zum Klaviertrio). Mit iiber 12 Werken ist diese Abart 
der Tr. ebenso wie die Obertragung der Tr. auf die Orgel 
(6 Sonaten BWV 525-530; Einzelsatze) im Schaffen 
Bachs reicher vertreten als die Tr. herkommlicher Be- 
setzung. Durch Telemanns 6 gedruckte und etwa 80 
handschriftliche Tr.n kam die galante Spielart zu An- 
sehen; es war die »neutrale«, fiir Kirche und Kammer 
gleicherweise geeignete Tr. mit 4satzigem Corellischen 
Sonaten-, zunehmend auch mit 3satzigem Scarlatti- 
schen Sinfonieplan. Telemann setzt bereits mit Raffi- 
nesse den verspielt-sentimentalen Ton des Siciliano- 
Adagios ein; er liebt keck synkopierte Allegros mit 
harmonischer Auflichtung und hat eine Vorliebe fiir 
Blaser, namentlich fiir die Flote. Die wichtigsten Re- 
prasentanten der zum galanten Stil neigenden Tr. sind 
in Deutschland Keiser, Fr. K.Graf zu Erbach, Graup- 
ner, Schickhardt, J.Fr.Fasch (1688) und Stolzel; in 
FrankreichJ.-M.Leclair (l'aine), L.Quentin (lejeune), 
Mondonville (der auBer Tr.n op. 2 als op. 3 um 1734 
auch Sonaten mit obligatem Cembalo veroffentlichte) 
und L. Aubert. 

Pergolesi ist der Hauptmeister der »neutralen« Tr. in Ita- 
lien. Seine Tr.n, in denen H. Riemann eines der Vor- 
bilder fiir die neuartige Kammermusik der Mannhei- 
mer und Wiener Vorklassik erblickte, sind durchweg 
dreisatzig, oft mit fugierten Einleitungs- oder Final- 
satzen und mit galant-homophonen oder barock-poly- 
phonen Mittelsatzen. Tessarini ist durch die beginnende 
Auseinandersetzung mit der Sonatensatzform des 1. 
Satzes bemerkenswert. Dem klassischen Stil hat auch 
G. B. Sammartini in seinen 2satzigen Tr.n vorgearbei- 
tet. Starker der barocken Haltung verpflichtet bleiben 
die auBerhalb Italiens wirkenden Komponisten, wie G. 
B.Somis (Paris), P.Locatelli (Amsterdam), G.A.Bre- 
scianello (Miinchen) und der fiir J. Haydn bedeutsame 
Porpora mit seinen 1735 in London als op. 1 erschie- 
nenen Fugen-Tr.n. Bei Tartini ist die Degradation der 
2. Oberstimme zur Begleitstimme vollzogen und das 
Fugato weggefallen. Seine Schiiler Pugnani (op. 1, 
1734) und Nardini lassen schon den sich ankiindigen- 
den Ubergang der Tr. zum Streichtrio und -quartett 
erkennen. In London wurde die Tr. noch bis ins letzte 
Drittel des 18. Jh. gepflegt durch die dort wirkenden 
Italiener V.L.Ciampi, Sacchini (op. 1, 1772), Gemi- 
niani (Tr.n als Umarbeitungen der Soloviolinsonaten 
op. 1) und M.Vento; Giardinis Tr.n stehen an der 
Grenze zum Streichtrio. Nachklange der Tr. in Frank- 
reich stammen von Exaudet (1751) und von Fr.-H. 
Barthelemon (op. 1, in London erschienen). - Am 
langsten hielt sich der traditionelle Triosatz im deut- 
schen Sprachraum. Um 1740/50 stellen dieEinzelbeitra- 
ge von Hasse, L. Mozart und Gluck, daneben von GaB- 
mann und Tzarth in der Gefolgschaft der Pergolesi- 
Tartinischen Richtung eine Nachblute der Tr. im galan- 
ten, in vielen Einzelheiten schon auf die Klassik hinwei- 
senden Stil dar. In Berlin zwang die Geschmacksdik- 
tatur Friedrichs II. (f 1786) seine Hofmusiker Quantz, 
J.G. und C.RGraun, J.B.G.Neruda, J. G. Janitsch, 
Riedt, Franz Benda und C.Ph.E.Bach zur Pflege eines 
konservativ-galanten Stils. Auch Schaffrath und Kirn- 



berger standen noch weitgehend im Banne dieser Tra- 
dition. In der Fux-Schule wurde durch Hoekh, G. Chr. 
Wagenseil (1755), L.Hoffmann und Aspelmayr (op. 1, 
1765) saubere Kontrapunktik mit Buffoton, Folklore 
und galanter Sentimentalitat zu jener spezifisch oster- 
reichischen Weise verschmolzen, die auch den friihen 
Streichtrios von J.Haydn (Hob. V, 1-21) ihr Profil 
gibt. Demgegeniiber sind in W. A. Mozarts Kirchen- 
trios fiir den Salzburger Dom (ab 1767) bewuBt ba- 
rocke Elemente eingeschmolzen. - Die Ablosung des 
Generalbasses in der Komposition bedeutete das Ende 
der Tr., daher wird sie am fruhesten von der Mann- 
heimer Schule aufgegeben (wenn auch Fr.X.Richter 
und Holzbauer sie noch pflegten). Mit dem sowohl fiir 
solistische als auch fiir Orchesterbesetzung bestimmten 
op. 1 (1751) vonJ.Stamitz ist der Schritt von der Tr. 
zum Streichtrio (»Orchestertrio«) ohne GeneralbaB 
vollzogen, doch barg dieses Werk zugleich zukunft- 
weisende Ansatzpunkte fiir die Symphonie und das 
Streichquartett. 

Ausg. u. Lit. : Meisterschule d. alten Zeit (36 Violinsona- 
ten, 22 Tr., 18 Cellosonaten), hrsg. v. A. E. Moffat, Bin 
1899-1913; H. Riemann, DieTr. d. Gb.-Epoche, in: Praelu- 
dien u. Studien III, Lpz. 1901 ; ders., Hdb. d. Mg., II, 2 u. 3, 
Lpz. 1912-1 3 ; A. Schering, Zur Gesch. d. Solosonate in d. 
1. Halfte d. 17. Jh., Fs. H. Riemann, Lpz. 1909, Nachdruck 
Tutzing 1965; L. de La Laurencie, L'ecole frc. de v. de 
Lully a Viotti, 3 Bde, Paris 1922-24; A. Schlossberg, Die 
ital. Sonata f. mehrere Instr. im 17. Jh., Diss. Heidelberg 
1932; E. Gerson-Kiwi, Die Tr. v. ihren Anfangen bis zu 
Haydn u. Mozart, Zs. f. HausmusikJII, 1934; O. Tomek, 
Das Strukturphanomen d. verkappten Satzes a tre in d. 
Musik d. 16. u. 17. Jh., Diss. Wien 1953, maschr.; E. 
Schenk, Die ital. Tr., = Das Musikwerk (VII), Koln 
(1954), engl. 1962; H. J. Moser, Eine Pariser Quelle zur 
Wiener Tr. d. ausgehenden 17. Jh.: Der Cod. Rost, Fs. 
W. Fischer, = Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss., Son- 
derh. 3, Innsbruck 1956; A. Damerini, »Sei concerti a tre« 
sconosciuti di J. A. Brescianelli, StMw XXV, 1962; H. 
Wessely-Kropik, L. Colista, Wien 1962; H. Haack, An- 
fange d. GeneralbaBsatzes in d. Cento Concerti Ecclesia- 
stici (1602) v. L. Viadana, Diss. Miinchen 1964, maschr.; 
E. Apfel, Zur Vorgesch. d. Tr., Mf XVIII, 1965. -> Vio- 
linmusik. ESc 

Tripelfuge (lat. fuga triplex, 3fache Fuge), Fuge mit 
3 Themen. Beispiel einer kleinen Tr. ist E. Kindermanns 
»Drifache Fuga« (aus der Harmonia organka, 1645; DTB 
XXI-XXIV, Nr 16) iiber 3 Kirchenliedthemen. Sonst 
tritt die Tr. jedoch als eine besonders umfangreiche 
Fuge auf, in der die Themen abschnittweise eingefiihrt 
und in allmahlicher Steigerung miteinander verbun- 
den werden (J.S.Bach, Orgelfuge Es dur, BWV 552; 
Contrapunctus 8 und 11 aus der Kunst der Fuge, BWV 
1080). 

Tripelkonzert, Bezeichnung fiir Orchesterwerke mit 
3 Soloinstrumenten, z. B. J.S. Bachs Konzert A moll 
fur Quern., V. und Kl. mit Streichern und B. c. (BWV 
1044) und das Tr. fur Kl., V. und Vc. op. 56 von Beet- 
hoven. Die Tr.e des ausgehenden 18. Jh. zahlten zur 
Gattung der -»■ Symphonie concertante. 

Tripeltakt (engl. triple meter), jeder dreiteilige, d. h. 
3 Hauptzahlzeiten enthaltende -*■ Takt, z. B. 3/l, 3/2, 
3/4, 3/8 sowie 9/8, 9/16- Dagegen werden die nur zwei 
I-Iauptzahlzeiten enthaltenden 6teiligen Takte (6/8, 
12/8 u - a.) zu den geraden Taktarten gerechnet; die al- 
teren Taktarten 6/l, 6/2 und 6/4 erklart Praetorius 
(Synt. Ill, S. 73ff.) als Proportio sextupla (-»■ Propor- 
tion - 2) im -> Tactus aequalis. Bei langsamem Tempo 
besteht allerdings die Moglichkeit, daB die Dreierun- 
terteilung eines Sechsertakts als Tr. gehort wird. Dar- 
tiber hinaus gehort der Wechsel von Zwei- und Drei- 
teilung zu den wichtigsten kompositorischen Moglich- 



986 



Tristan-Akkord 



keiten des Sechsertakts; er spielt wahrend der Barock- 
zeit z. B. in der -*■ Courante eine Rolle und findet sich 
im 19. Jh. besonders haufig bei R.Schumann und 
Brahms (-»• Hemiole). 

Tripla oder Proportio tr. ist das Verhaltnis 3:1. In 
der Lehre von den Intervallproportionen wird sie 
durch die Duodezime reprasentiert. In der Mensural- 
notation des 15./16. Jh. bedeutet die Ziffer 3 oder j hin- 
ter den Mensurzeichen O (Tempus perfectum) oder C 
(Tempus imperfectum), daB 3 Semibreven die gleiche 
Zeit ausfiillen sollen wie eine einzelne Semibrevis im 
integren Tempus (-> integer valor notarum). Nach ei- 
ner anderen Auslegung, die aber das gleiche Resultat er- 
gibt, bezeichnet in der Zusammensetzung C 3 der Halb- 
kreis den imperfekten, 2zeitigen Modus und die Ziffer 
das perfekte 3zeitige Tempus, wobeijedoch Modus und 
Tempus im ZeitmaB von Tempus und Prolatio ausge- 
fiihrt werden (Guilelmus Monachus, Ramos de Pareja). 
(f3 impliziert dieselbe Proportion wie C3. ist also ei- 
gentlich eine Proportio sesquialtera: (£3 ♦♦« = (£»♦; 
und auch C3 ist im 16. Jh. manchmal als C2 gemeint: 

C3 A A 4 - C i A - Die Tr. gait, da sie die haufigste Pro- 
portion war, als die Proportion schlechthin; Proportz 
ist in deutschen Tabulaturen eine Bezeichnung fiir 
die Tr. (-> Nachtanz). Sie wurde im Tactus proportio- 
natus » » geschlagen und seit dem spaten 16. Jh. auch 

in ihrem Zeitwert auf einen Tactus anstatt auf einen 
Notenwert bezogen. M.Praetorius (1619) bezieht die 
langsamere Tr. maior j auf den Tactus alia Breve: 

(t, «»♦-(£ 00, die raschere Tr. minor i, auf den Tactus 

1 I t It 
alia Semibreve: Coi**"CH. Im spaten 17. Th. 

(Georg Muffat 1690, J.Theile 1691) entspricht die Tr. 

sogar einem Tactus alia Minima : 3 e o-C **■ 

1 + t + 1 
Triplum (lat.) heifit im 3- und 4st. Organum (orga- 
num tr. bzw. quadruplum) und im 3st. Discantus der 
Motette, des Conductus, Hoquetus usw. die dem Can- 
tus (Tenor) und -*■ Duplum hinzugefiigte 3. Stimme, 
gelegentlich auch der aus 3 Stimmen gebildete Satz 
(J. de Garlandia, CS 1, 114b: Tr. est commixtio trium so- 
norum . . .). Das Wort Tr. lebt fort in den Stimmbe- 
zeichnungen -*■ Treble (engl.) und Tiple (span.). 

Trishagion (griech. Tpia<£fiov, dreimal heilig, auch 
Tptaayiot; u(jtvo<;), im Einleitungsteil der byzantini- 
schen MeBliturgie der auf den Einzug des Zelebranten 
und ein dem Introitus entsprechendes Psalmstiick fol- 
gende Gesang vor der Epistellesung. Die Herkunft des 
frei geformten (nicht mit dem an Jes. 6, 3 anknupfenden 
->• Sanctus zu verwechselnden) Textes ist unbekannt. 
Das Tr. soil urn 440 in die byzantinische Liturgie ein- 
gefiihrt worden sein. In Westeuropa wurde es mit 
griechischem und lateinischem Text von der spani- 
schen und gallikanischen Liturgie ubernommen. Un- 
geklart ist, ob die gallikanische Kirche das Tr. bereits 
im 6. Jh. kannte oder erst urn 700 von Spanien iiber- 
nahm. In beiden Liturgien steht das Tr. unmittelbar 
vor dem Kyrie und vertritt das Gloria der romischen 
Messe. Dagegen ftigte die rdmische Liturgie das Tr. im 
9. Jh. den am Karfreitag gesungenen -*■ Improperien 
ein. Die im Mittelalter allgemein iibliche Melodie (Li- 
ber usualis, Rom 1964, S. 737) ist die Ausschmiickung 
einer im Byzantinischen Gesang seit dem Mittelalter 
bis heute nachweisbaren Fassung, die sich in ihrer ein- 
fachsten Form im Rahmen eines Tetrachords halt (vgl. 
Stablein, Beispiel 2, erganzend Dragoumis, Beispiel 18, 
mit Tr.-Melodien von 1336 und 1834). 



Ausg. u. Lit.: Expositio antiquae Liturgiae Gallicanae Ger- 
mano Parisiensi ascripta, hrsg. v. J. Quasten, Miinster i. W. 
1934; Antiphonale missarum sextuplex, hrsg. v. R.-J. Hes- 
bert OSB, Briissel 1935, Nachdruck Rom 1967. - C. A. 
Swainson, The Greek Liturgies ..., Cambridge 1884; 
L. Duchesne, Origines du culte Chretien, Paris 1 889 ; F. E. 
Brightman, Liturgies Eastern and Western I, Oxford 
1896; L. Brou OSB, Etudes sur la liturgie mozarabe, 
b) Le Tr. de la messe d'apres les sources mss., Ephemeri- 
des liturgicae LXI, 1947; A. Raes SJ, Introductio in li- 
turgiam orientalem, Rom 1947; E. Wellesz, Eastern 
Elements in Western Chant, = Monumenta Musicae 
Byzantinae, Subsidia II (American Series I), Boston 1 947 ; 
E. Griffe, Aux origines de la liturgie gallicane, Bull, de 
la lit. ecclesiastique XXV, 1951; Br. Stablein, Artikel 
Gallikanische Liturgie, in: MGG V, 1955; R. Menard, 
Artikel Koptische Musik, in: MGG VII, 1958; M. Ph. 
Dragoumis, The Survival of Byzantine Chant . . . , Studies 
in Eastern Chant I, 1966; H. Engberding OSB, Die Ge- 
bete zum Tr., Ostkirchliche Studien XV, 1966. 

Tristan-Akkord, der Klang f-h-disi-gisi im 2. Takt 

der Einleitung des 1. Aufzuges von R.Wagners Tristan 

und Isolde: 

Langsam und schmachtend 

Ob. II 
Vc. 



2 Klar. 



OKI 

Engl. H. 



2 Fag. 




Dem kadenziellen Zusammenhang der Stelle tragt die 
Erklarung des Tr.-A.s als einer Vorhaltsbildung Rech- 
nung : durch Auflosung des gis 1 nach a 1 entsteht ein al- 
terierter Terzquartakkord, der in der Grundtonart des 
Vorspiels (A moll) je nachdem, ob f als Tiefalterierung 
von lis oder dis 1 als Hochalterierung von d 1 betrachtet 
wird, als Umkehrungsf orm des Doppeldominant-Sept- 
akkords oder der Subdominante mit Sixte ajoutee zu 
gelten hat, der im folgenden Takt die durch den Vor- 
halt aisi verzogerte Dominante folgt. Doch erhalt der 
Zusammenklang des Taktanfanges bereits bei seinem 
ersten Erscheinen eigenes Gewicht, da er in einer In- 
strumentengruppe unaufgelbst bleibt; auBerdem tritt 
das ihm zugrunde liegende Intervallgefiige (bei Ver- 
nachlassigung der Orthographie : kleine Terz, vermin- 
derte Quinte und kleine Septime zum BaBton) mit sei- 
nen Umkehrungen im Verlaufe des Werkes haufig un- 
abhangig von der Weiterfuhrung des Anfangs auf und 
erlangt Bedeutung als erstes und umfassendstes Leitmotiv 
desganzen Musikdramas (Kurth, 1. Auflage, S. 65). Dies 
rechtfertigt die zahlreichen Versuche, den Tr.-A. als 
eigenstandiges Gebilde (d. h. gis 1 als Akkordton, a 1 als 
Durchgang) zu erklaren. Unter ihnen ermoglicht die 
Deutung als Unterseptimenklang mit Einbeziehung 
der Naturseptime (Hanzer, Vogel) eine einheitliche Auf- 
fassung des Klanges in seinen wechselnden Schreibwei- 
sen und Verbindungen, doch leistet sie nichts fiir das 
Verstandnis der tonalen Zusammenhange. Es fordern 
also »leitmotivische« Bedeutung und funktionaler Zu- 
sammenhang zwei verschiedene Arten des Horens und 
Analysierens : f iir jene hat der Tr.-A. als ursprunglicher, 
unabgeleiteter Akkord von »absoluter Klangwirkung« 
(vgl. Kurth, S. 204ff.), fiir diesen als durch Vorhalt und 
Alteration modifizierte Darstellung einer einfachen 
Funktion zu gelten. In dieser satztechnischen Antino- 



987 



Trite 



mie, deren Prinzip in Wagners Stil besonders seit Tristan 
und Isolde vordringt und die »Krise« der romantischen 
Harmonik begriindet, liegt die Ursache daf iir, daB kei- 
ne der seit C.Kistler (Harmonielehre, Miinchen 1879) 
immer wieder versuchten Erklarungen des Tr.-A.s im 
Sinne eindeutiger Festlegung allgemeine Anerkennung 
finden konnte. 

Lit. : E. Kurth, Romantische Harmonik u. ihre Krise in 
Wagners »Tristan«, Bern u. Lpz. 1920, 3 1923; A. Lorenz, 
Der mus. Aufbau v. R. Wagners »Tristan u. Isolde«, in: 
Das Geheimnis d. Form bei R. Wagner, Bd II, Bin 1926, 
Nachdruck Tutzing 1966; W. Hanzer, Die Naturseptime 
im Kunstwerk, Bern 1926; M. Vooel, Der Tr.-A. u. d. 
Krise d. modernen Harmonie-Lehre, = Orpheus-Schrif- 
ten zu Grundfragen d. Musik II, Diisseldorf 1962 (mit 
umfassendem Lit.-Verz.), dazu Fr. Neumann in: Mf XVII, 
1964. WBr 

Trite (griech.) -*■ Systema teleion. 

Trjtonus (lat., Dreiton, von griech. xpixovov), das 
Intervall von 3 Ganztonen. Der Tr. ist in der diatoni- 
schen Skala mitenthalten (z. B. f-h in C dur), wird je- 
doch als chromatische Alteration eines um einen Halb- 
ton groBeren oder kleineren Intervalls gedeutet, d. h. 
als iibermaBige -»- Quarte oder verminderte -»■ Quinte; 
im engeren Sinne heiBt nur die iibermaBige Quarte Tr. 
Die musikalische Akustik kennt die iibermaBige Quar- 
te als pythagoreisch (512:729) und naturlich (32:45), 
ebenso die verminderte Quinte als pythagoreisch 
(729 : 1024) und naturlich (45 : 64) ; in der gleichschwe- 
benden Temperatur ist der Tr. */2 Oktave. Etwas klei- 
ner als die pythagoreische verminderte Quinte ist der 
11. Naturton, das sogenannte -»- Alphorn-fa. In' der 
gleichschwebenden Temperatur wird die theoretisch 
unendliche Folge von Quinten dadurch zum ->• Quin- 
tenzirkel geschlossen, daB die 6. Oberquinte (bei c als 
Ausgangspunkt die iibermaBige Quarte fis) und die 6. 
Unterquinte (die verminderte Quinte ges) durch en- 
harmonische Umdeutung gleichgesetzt werden ; damit 
erscheint im Quintenzirkel der Tr. als die Stelle wei- 
tester Entfernung vom Ausgangston. 
Die besondere, zwischen Diatonik und Chromatik ver- 
mittelnde Stellung des Tr. findet darin ihren Nieder- 
schlag, daB die Begriindungen seines Verbots oder die 
Einschrankungen seiner Verwendung seit jeher mit 
den Prinzipien der Musiklehre eng verkniipft sind. In 
der antiken Griechischen Musik wird der Tr. durch 
die Gliederung der Oktave in 2 Tetrachorde ausge- 
schaltet. Der einzige Grenzton eines Tetrachordes, der 
im -> Systema teleion keine reine Quarte unter sich 
hat - die Paramese - kann in bestimmten Fallen mit 
dem Tr. oder Ditonus verbunden werden; in diesem 
Zusammenhang werden beide Intervalle als paraphon 
(»danebenklingend«, d. h. die nicht vorhandene reine 
Quarte vertretend) charakterisiert (Gaudentios, ed. K. 
v.Jan, S. 338). Auch in der Organumlehre der Musica 
Enchiriadis (-> Dasia-Zeichen) und bei Hermannus 
contractus' (hier erscheint das Wort tr. zum ersten Mai 
in der lateinischen Musiklehre, GS II, 130a) hat die 
Einteilung der Skala in Tetrachorde den Sinn der Ver- 
meidung des Tr. Fur lange Zeit verbindlich wurde die 
Formulierung des Tr.-Verbots in der Guidonischen 
Lehre von der -»■ Solmisation als Warming vor dem 
Mi contra Fa, diabolus in musica; die Tonsilben lassen 
scheinbare Quarten und Quinten als Tr., d. h. alsfalsae 
concordantiae (vgl. Tinctoris, CS IV, 146a) erkennen, 
z. B. emi-t|mi sowie ffa-cfa = reine Quinte oder 
Quarte, l^mi-ffa = Tr. Die Musiklehre des 13. Jh. 
rechnete den Tr. zu den -»■ Discordantiae perfectae. 
Das Verbot des melodischen Tr. fiihrte im System der 
Kirchentone zu einer Umbildung des 5. Modus (Ly- 
disch) : durch die Notwendigkeit, den Tr. iiber F aus- 



zuschalten, wird die Einfuhrung des bfa erklart (vgl. 
Anonymus Lafage, ed. Seay, S. 33). Im spateren Mit- 
telalter erscheint der 5. Modus regelmaBig mit bfa, nach 
Tinctoris (CS IV, 21b-22a) auch dann, wenn kein b 
vorgezeichnet ist. Diese Skala, die dem modernen Dur 
nahekommt, wird von Glareanus 1547 als transpo- 
niertes Ionisch erklart. In der musikalisch-praktischen 
Uberlieferung des Mittclalters sind trotz des fast allge- 
mein ausgesprochenen Verbots viele Belege fur den 
Tr. erhalten : Er findet sich haufig im Ambrosianischen 
Gesang, seltener im Gregorianischen Gesang, z. B. in 
den Gradualien vom Typ Iustus ut palma (vgl. Apel 
1958, S. 357ff.) und in einigen von Hucbald (GS I, 
105a-b) und Bemo von Reichenau (GS II, 64a) erwahn- 
ten Gesangen. Als Gesangsiibung ist eine 1st. Antefana 
des Trecentokomponisten Laurentius Masii de Floren- 
tia aufzufassen (in der -v Quelle Lo, f . 56, Faks. in CMM 
VIII, 3, 1962, S. XV), die die verschiedenen Tritoni im 
F-Modus mit bfa und mit t|mi illustriert. In der mehr- 
stimmigen Musik des 14. Jh. wird zuweilen ein melo- 
discherTr. eigens durch Akzidens vorgeschrieben, z. B. 
G. de Machaut, Ballade 19, Beginn des Cantus: g-cisi. 
Nicht einheitlich ist auch die Behandlung der soge- 
nannten Parallelklausel (-> Klausel) ; z. B. verwendet 
sie G.Binchois in seiner Chanson Mon seul et souverain 
desk sowohl mit Quart- (Takt 4) als auch mit Tr.-Ab- 
stand der beiden Oberstimmen (Takt 16, 18, 24) im 
Paenultimaklang (ed. Rehm, MMD II, 1957, S. 27). Im 
spaten 15. Jh. stellen J. Tinctoris (CS IV, 146a-b) und 
Adam von Fulda (GS HI, 353a) die Verwendung von 
Klangen mit dem Tr. zwischen den beiden oberen oder 
(als verminderte Quinte) unteren Stimmen fest. Gele- 
gentliche Versuche, durch ->■ Musica ficta den Tr. ganz 
auszuschlieBen, zwingen zu einer tiefgreifenden Ver- 
anderung des iiberlieferten Notentextes (vgl. Einstein 
1906/07) oder gar zur Annahme einer »Secret Chroma- 
tic Art« (Lowinsky 1946). 

Das Verbot von Tr.-Klangen und ->- Querstand gilt seit 
dem 16. Jh. im Bereich des strengen Kontrapunkts, des 
alten Stils; moderne Stilarten dagegen lassen mit dem 
Gebrauch der Dissonanzen auch den Tr. als Mittel affekt- 
betonter Textausdeutung zu, meist im Zusammenhang 
mit chromatischen Passagen (->■ Passus duriusculus). 
Auch J.S.Bach verwendet den Tr. bevorzugt zur Dar- 
stellung von Begriff en wie Tod, Siinde, Klage. Zugleich 
kam es im 18. Jh. zu einer neuen Bewertung des Tr., der 
nun als »angenehm« (Heinichen 1728, S. 107) gait. In der 
funktionalen Harmonik des 18./19. Jh. spielt der Tr. 
eine doppelte Rolle : einerseits ist er als Bestandteil des 
Dominantseptakkords mit der vorgeschriebenen Auf- 
losung in die Terz der Tonika eines der wichtigsten 
Mittel zur Bestatigung der Grundtonart, andererseits 
ist er als Keimzelle des verminderten Septimenakkords 
(der als Kombination zweier Tritoni im Abstand einer 
kleinen Terz, also eines halben Tr., erklart werden 
kann; z. B. h-f und d-as) die Stelle, an der die Kraft der 
tonalen Ordnung am meisten abgeschwacht ist. Nicht 
zufallig fiihren daher Stellen mit gehaufter Verwen- 
dung des verminderten Septimenakkords bisweilen in 
die Nahe der Zwolftonigkeit, wie z. B. bei der Er- 
scheinung des Komturs in W. A. Mozarts Don Ciovianni 
Wie hier, wird auch im 19. Jh. der Tr. haufig zur Schil- 
derung des Unheimlichen benutzt (Beethoven, Fidelio, 
Anfang des 2. Aktes, Pauken in A-es gestimmt; We- 
ber, Freischiitz, Wolfsschluchtszene; Meyerbeer, Le 
prophete, Beschworungsszene ; Berlioz, Symphonie fan- 
tastique, Anfang des Songe d'une nuit de sabbat). Ein Tr.- 
Motiv charakterisiert in R.Wagners Rheingold den 
Fafner, in Fr. Liszts Legende von der Heiligen Elisabeth 
die Landgrafin Sophie, bei Berlioz, Liszt und Gounod 
den Mephistopheles. Mit der Abkehr von der funktio- 



988 



Trobadors 



nalen Harmonik und von den eindeutigen Vorschrif- 
ten fiir die Auflosung dissonanter Klange nahm im spa- 
teren 19. Jh. die Bedeutung des Tr. noch zu. Vereinzelt 
bereits bei Chopin (Etude op. 10 Nr 3, Takt 38ff.), hau- 
figer bei Debussy finden sich unaufgeloste Tr.-Ketten. 
In der Atonalitat beruht die Bedeutung des Tr. darauf, 
dafi er neben der Oktave das einzige Intervall ist, das 
bei der Umkehrung seinen Klangcharakter nicht ver- 
andert, jedoch als Gegenpol der Oktave die starkste 
Sonanzintensitat unter alien Intervallen besitzt. Daher 
dient der Tr. nun bevorzugt zur Bildung symmetri- 
scher Klange sowie als Achse fiir die Umkehrung oder 
Transposition einer Reihe. 

Lit. : Musici scriptores graeci, hrsg. v. K. v. Jan, Lpz. 1 895, 
Nachdruck Hildesheim 1962 ; GS I-III ; A. Seay, An Anon. 
Treatise from St. Martial, Ann. Mus. V, 1957 (Anonymus 
Lafage); CS IV; H. Glareanus, Dodekachordon, Basel 
1547, deutsch v. P. Bohn, =PGfM, Jg. XVI-XVIII, Bd 
XVI, Lpz. 1888-90; J. D. Heinichen, Der Gb. in d. Com- 
position, Dresden 1728; RiemannMTIi; A. Einstein, CI. 
Merulo's Ausg. d. Madrigale d. Verdelot, SIMG VIII, 
1906/07 ; H. Erpf, Studien zur Harmonie- li. Klangtechnik 
d. neueren Musik, Lpz. 1 927; G. Reese, Music in the Middle 
Ages, NY (1940), London 1941; ders., Music in the Re- 
naissance, NY (1954), 21959; ders., Artikel Tr., in: MGG 
XIII, 1966; E. E. Lowinsky, The Function of Conflicting 
Signatures in Early Polyphonic Music, MQ XXXI, 1945; 
ders., Secret Chromatic Art in the Netherlands Motet, 
= Studies in Musicology VI, NY 1946; ders., Einleitung 
zu : Musica nova, Venedig 1 540, hrsg. v. H. C. Slim, = Mo- 
numents of Renaissance Music I, Chicago (1964); J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); W. Rog- 
ge, Das romantische Klangbild im Spiegel d. Tr., Mf IX, 
1956; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind. 
(1958); L. Schrade, Diabolus in musica, Melos XXVI, 
1959; G. Ligeti, t)ber d. Harmonik in Weberns erster Kan- 
tate, in: Darmstadter Beitr. zur Neuen Musik III, Mainz 
(1960); H. J. Moser, Diabolus in Musica, in: Musik in 
Zeit u. Raum, Bin (1960); Th. Karp, Modal Variants in 
Medieval Secular Monophony, in : The Commonwealth of 
Music, In Honor of C. Sachs, Glencoe (la.) 1964. 

Tritus (lat., von griech. TpiTo?) -> Kirchentone. 

Trobadors (prov., Ableitung von trobar, finden, er- 
finden, dichten, Etymologie umstritten; frz. trouba- 
dours) sind die Schopfer der ersten volkssprachlichen 
Kunstlyrik des Abendlandes im 12. und 13. Jh. in Sud- 
frankreich. Die Sprache ihrer Lieder, das Provenzali- 
sche, ist nicht auf die Provence beschrankt und wird da- 
her auch Lengua d'oc (nach der provenzalischen Beja- 
hungspartikel oc, im Unterschied zur franzosischen 
Langue d'oil der -»■ Trouveres) oder occitanisch ge- 
nannt. Es ist eine literarische Umgangssprache, die kei- 
ne Riickschliisse auf ein bestimmtes Gebiet des proven- 
zalischen Sprachbereichs als Ausgangspunkt zulaBt. Aus 
einem Zeitraum von rund 2 Jahrhunderten (1 100-1300) 
sind die Texte von etwa 2600 Liedern erhalten, von de- 
nen ein erheblicher Teil aufierhalb Sudfrankreichs ent- 
standen ist, da manche Tr. Reisen nach Nordf rankreich, 
Italien, Spanien unternahmen, einzelne sogar nach Por- 
tugal, Deutschland und Ungarn. Etwa 450 Tr., unter 
ihnen 20 dichtende Frauen (trobairitz), sind mit Namen 
bekannt, darunter 25 Italiener und 15 Katalanen. Die in 
den Handschriften uberlieferten etwa 110 Lebensnach- 
richten (vidas, meist anonym, vorwiegend um die Mit- 
te des 13. Jh. entstanden) sind weitgehend Erfindungen 
im AnschluB an die Lieder und gelegentlich zu kleinen 
Novellen ausgebaut. - Der Trobador war Dichter und 
Komponist. Er trug seine Lieder entweder selbst vor 
oder lieB sie durch einen in seinem Dienst stehenden 
Joglar (frz. -*■ Jongleur) vortragen. Als Begleitinstru- 
mente dienten Fiedel (altprov. viola), Harfe, Cister oder 
Drehleier. Wahrend den Joglars eine niedrige Her- 
kunft gemeinsam war, gingen die Tr. aus alien Stan- 



den hervor, aus dem Volk (Bernart de Ventadorn), 
dem Biirgertum (Giraut de Bornelh), dem geistlichen 
Stand (Peire Cardenal), dem Rittertum (Bertran de 
Born) und dem Hochadel (Wilhelm VII. von Poitiers, 
Konig Alfonso II. von Aragon). Wichtigste Pflege- 
statten der Trobadordichtung waren im 12. Jh. vor 
allem die Hofe des Limousin, voran der Hof der Her- 
zoge von Aquitanien in Poitiers, dann derjenige der 
Grafen von Toulouse und die Hofe von Aix, Orange, 
Beziers, Narbonne und Montpellier. - Das nach wie 
vor in der Forschung heftig umstrittene Problem des 
Ursprungs der Trobadordichtung stellt sich fiir die 
lyrischen Formen, fiir die Musik und fiir den hofischen 
Kultur- und Minnebegriff. Die hohe Minne der Tr. ist 
Inbegriff einer aristokratisch-hofischen Lebenslehre mit 
asthetischer und ethischer Komponente. Die fina amor 
erzeugt Jugend (joven), Freude (joi) und MaB (mesu- 
ra), Grundbegriffe der hofischen Gesittung (cortesia). 
Im Mittelpunkt der Dichtung steht die Verehrung der 
»Herrin« (domna, aus lat. domina), der verheirateten 
adligen Frau, die stets unter einem Decknamen (sermal) 
besungen wird. 

Die altesten uberlieferten Lieder stammen von Wil- 
helm VII. von Poitiers (= Wilhelm IX. von Aquita- 
nien, 1071-1126). Seine 11 erhaltenen Lieder sind im 
Strophenbau noch recht einfach, doch enthalten einige 
schon fast alle Grundelemente der hofischen Minne- 
konzeption und deren Paradoxon, die gegenseitige Be- 
dingtheit von Begehren und Nichterfullung. Daraus 
erwuchs bereits in der 2. Generation der Tr. mit der 
beriihmten »Fernliebe« (amor de lonh) des -> Jaufre 
Rudel ein iiberaus fruchtbares poetisches Thema. Fast 
gleichzeitig setzte mit dem Trobador -»■ Marcabru 
eine satirische Reaktion ein, die die hofische Minne- 
auffassung im Namen einer natiirlichen und legitimen 
Liebe als unsittlich verwirft. Der Gegensatz zwischen 
der »idealistischen Schule« der hofischen Minne und 
der »realistischen Schule« im Gefolge Marcabrus blieb 
bis in die eigentliche, von etwa 1150 bis 1250 reichende 
Bliitezeit der Trobadordichtung wirksam, als deren 
wichtigste Vertreter -> Bernart de Ventadorn, ->■ Giraut 
de Bornelh, ->■ Peire d'Alvergne, -»• Bertran de Born, 
->■ Peire Vidal, -»■ Gaucelm Faidit, -> Peire Raimon de 
Toloza und -»■ Peire Cardenal zu nennen sind. Obwohl 
Dichter wie ->• Guiraut Riquier bemiiht waren, die Tra- 
dition der hofischen Dichtung in den durch die Albi- 
genserkriege und den Verlust der Unabhangigkeit 
schwer getroffenen Landern des Siidens weiterzufiih- 
ren, miindete die Kunst der Tr. gegen 1300 in eine dem 
deutschen Meistersang vergleichbare formalistische 
Dichtung des stadtischen Burgertums ein (1323 Grun- 
dung der Dichtergesellschaft des Consistori del Gai 
Saber in Toulouse), wahrend die spiritualistische Ten- 
denz der Lieder von Sordel (1225-70) und Guilhem de 
Montanhagol (1230-60) auf die Dichtung des italieni- 
schen Dolce stil nuovo weist. 

Die hochste und kunstvollste der von den Tr. gepfleg- 
ten Liedgattungen war die Kanzone (canso), bestehend 
aus fiinf oder sechs Strophen (coblas) mit Aufgesang 
und ein bis drei abschlieBenden Kurzstrophen (torna- 
das). Die Kanzone war ausschlieBlich der Liebesdich- 
tung . vorbehalten und verlangte den hohen Stil. Aus 
ihr hat der Trobador -*■ Arnaut Daniel die von Dante 
und Petrarca ubernommene Sestina entwickelt, die aus 
sechs (ungeteilten) Strophen mit stets wiederkehrenden 
Reimworten und einem dreizeiligen, alle 6 Reimworte 
enthaltenden »Geleit« besteht. Wahrend jede Kanzone 
ihre eigene Strophenform und ihre eigene Melodie 
haben muBte, war in anderen Liedgattungen -»■ Kon- 
trafaktur die Regel. Dies gilt z. B. fiir das -»■ Sirventes 
und fiir die beiden Arten des provenzalischen Streitge- 



989 



Trobadors 



dichts, die -»■ Tenzone und das Partimen oder Joe partit 
(verteiltes Spiel, -»• Jeu parti), in dem zwei, manchmal 
auch drei Dichter ein dilemmatisch gestelltes Problem 
der Liebesakustik behandeln. Die 35 iiberlieferten 
Kreuzzugslieder (oder Kreuzlieder), deren friihestes, 
Pax! in nomine Domini von Marcabru, wahrscheinlich 
1147 entstanden ist, rufen zum Kampf gegen die Hei- 
den auf, oft unter scharfer Kritik an der saumigen Rit- 
terschaft (als Riigelieder gehoren sie teilweise zur Gat- 
tving der Sirventes). Das Klagelied (planch oder planh; 
-*■ Planctus) dient dem riihmenden Nachruf auf hoch- 
gestellte Gonner (Gaucelm Faidit 1199 fur Richard 
Lbwenherz und Bertran de Born 1183 fur dessen Bru- 
der Heinrich). Liedgattungen, in denen Thema und 
Szenerie festliegen, sind das -> Tagelied (alba) und die 
Pastorela (-»• Pastourelle), die Liebeswerbung eines 
stets in Ich-Form eingefiihrten Ritters um eine Hirtin. 
Neben diesen Liedarten gibt es geistliche Lieder (Ma- 
rienlieder sind erst seit dem 2. Drittel des 13. Jh. nach- 
zuweisen) und, in der Trobadordichtung nur sparlich 
vertreten, Tanzlieder wie Balada (->• Ballade - 1), Dan- 
sa, Retruencha undEstampida (-> Estampie). - Fiir die 
Tr. war die strenge Silbenzahlung der Verse die Regel 
und der Reim obligatorisch; sie entfalteten binnen kur- 
zer Zeit eine hohe Kunst komplizierter, ja raffinierter 
Formgebung. Woher auch immer sie Anregungen 
empfangen haben mogen - aus der antiken, der geist- 
lichen und weltlichen mittellateinischen oder der ara- 
bischen Literatur - sie schufen eine neue Poesie mit 
europaischer Wirkung. Die Trouveredichtung Nord- 
frankreichs, der deutsche Minnesang, die sizilianische 
Dichtung und die Lyrik des Dolce stil nuovo sind ohne 
sie nicht denkbar. Der Grad ihres Stilbewufitseins ist 
abzulesen an der Auseinandersetzung mit dem »dunk- 
len Stil« (trobar clus, auch trobar escur, cobert, sotil), 
der gegeniiber dem »leichten Stil« (trobar leu oder 
plan) den Sinn der Aussage durch Doppeldeutigkeit der 
Worter und schwierige Wortfiguren verratselt und 
nur von einem erlesenen Publikum verstanden werden 
kann. Von dieser esoterischen Stilart, deren wichtigste 
Exponenten Marcabru, -*■ Peire d'Alvergne, -»■ Ar- 
naut Daniel und Raimbaut d'Aurenga sind, ist der »rei- 
che Stil« (trobar ric) zu unterscheiden, dessen Merk- 
male die bis zum AuBersten getriebene Kompliziert- 
heit des Strophenbaus, das ausgesuchte Vokabular und 
schwere, seltene Reime und Reimworter sind. 
Der Ausspruch des Trobadors ->■ Folquet de Marseille, 
seine Kanzone ohne Melodie ist wie eine Miihle ohne 
Wasser«, zeugt fiir die unlosbare Einheit von Text und 
Melodie in der Trobadordichtung. Diese Einheit er- 
streckt sich indessen, wie die Melodieentlehnungen 
zeigen, nicht auf die klare Gattungsdifferenzierung, 
denen die Texte folgen. Leider sind in den erhaltenen 
Handschriften (-> Chansonnier) nur verhaltnismafiig 
wenige Trobadormelodien iiberliefert, insgesamt 264, 
die offensichtlich wegen ihrer Qualitat aufgezeichnet 
wurden. Besonders sparlich ist die Uberlieferung bei 
den altesten Tr. : eine Melodie von Wilhelm VII. von 
Poitiers (fragmentarisch), 4 Melodien von Jaufre Rudel 
und 4 von Marcabru. Strophenform und Melodie sind 
zuweilen von mehreren Dichtern ubernommen wor- 
den. So sind Kontrafakta des beriihmten »Lerchen- 
liedes« von Bernart de Ventadorn (von dem etwa 45 
Lieder, 19 da von mit Melodien, erhalten sind) im Be- 
reich der franzosischen, lateinischen und deutschen Ly- 
rik nachweisbar. Die Kontrafakta sind fiir die For- 
schung von groBtem Wert, da die Noten der hand- 
schriftlichen Uberlieferung nur die relative Tonhohe 
angeben und iiber den Rhythmus nichts aussagen. 
Die bisherige musikwissenschaftliche Forschung hat 
vor allem die Konstanten betont, die die Trobador- 



melodien mit der nichtprovenzalischen Liedkunst des 
Mittelalters verbinden. Eingehendere Untersuchungen 
(z. B. Stablein 1966) ergeben, daB in der Textkritik der 
oft in mehreren stark voneinander abweichenden Fas- 
sungen iiberlieferten Melodien sowie in der Frage ihrer 
rhythmischen Deutung keine einheitliche Losung zu 
gewinnen ist, vielmehr von Fall zu Fall neu entschie- 
den werden muB. Zu beriicksichtigen ist dabei auch 
die Tatsache, daB mundliche Uberlieferung bei den 
Melodien (jedenfalls in starkerem MaBe als bei den 
Texten) der Aufzeichnung vorausgegangen sein muB. 
Auch die Lehre von den Kirchentbnen laBt sich nicht 
ohne weiteres auf die tonartliche Deutung der Troba- 
dormelodien ubertragen, deren stilistische Eigenart 
durch Nahe oder durch Gegensatzlichkeit zu den For- 
men des kirchlichen Gesangs gepragt ist. Als bevor- 
zugte Form der friihen Trobadorlieder erscheint die 
ohne Zeilenwiederholung »durchkomponierte« Stro- 
phe, in Dantes Kennzeichnung : sub una oda continua 
usque ad ultimum progressive, hoc est sine iteratione modu- 
lations cuiusquam et sine diesi (De vulgari eloquentia 2, X, 
2). Zu diesem Typus gehort z. B. Bernart de Venta- 
dorns »Lerchenlied« Quan vei Valauzeta mover (P-C 70, 
43), in dem Ansatze zu melodischen Entsprechungen 
einzelner Zeilen (2, 4, 7) durch verschiedene Abwand- 
lungen so iiberdeckt werden, daB der Horer jede 
Strophenhalfte als Einheit auffaBt; der Einschnitt in 
der Mitte wird durch SchluB auf die Finalis erzielt. 
Der am Vorbild des gregorianischen Chorals geschulte 
Duktus einer solchen Melodie, deren Form ausschlieB- 
lich auf der intervallischen Ordnung (im klar ausge- 
pragten 1. Kirchenton) beruht, lafit die Anwendung 
modaler Rhythmik (-> Modus - 2) mindestens in die- 
sem Fall als fragwiirdig erscheinen. Die Zweiteilung 
der Strophe ergibt in anderen Liedern (z. B. Bernart de 
Ventadorn, A I tantas bonas chansos, P-C 70, 8) einen 
melodischen Parallelismus, fiir den als Vorbild die 
Doppelversikelordnung der -> Sequenz (- 1) in Frage 
kommt (->■ Lai). Haufig sind auch Melodien, die von 
den Psalmtonen ausgehen (z. B. Bernart de Ventadorn, 
Conortz, era sai eu be, P-C 70, 16 ; Jaufre Rudel, Lanquan 
lijorn son lone en mai, P-C 262, 2), zum Teil in Verbin- 
dung mit Doppelversikelanlage. Kompliziertere Me- 
lodien arbeiten mit Entsprechungen von Zeilen un- 
gleicher Lage (meist in Quint- oder Quarttransposi- 
tion). Hier kommt es haufig zu irregularen Tonartver- 
haltnissen, z. B. 1. Kirchenton mit SchluB auf a, 2. Kir- 
chenton mit SchluB auf A. Melodien volkstiimlicher 
Haltung gehoren uberwiegend der Zeit nach 1170 an. 
Haufigere Zeilenwiederholung, starkeres Hervortre- 
ten des Terzschritts sind hier ebenso charakteristisch, 
wie die modale rhythmische Ordnung dem Tanzlied- 
charakter solcher Weisen angemessen erscheint (z. B. 
Giraut de Bornelh, Leu chansonet' e vil, P-C 242, 45 
und No pose sofrir qu'a la dolor, P-C 242, 51 ; Peire Vi- 
dal, Gespel temps fer e brau, P-C 364, 24). Neben volks- 
tiimlichen kirchlichen Gesangsarten wie der Verbeta 
(-»■ Tropus) sind als Vorbild auch nordf ranzosische Lied- 
und Tanzformen vermutet worden, z. B. fiir -*■ Raim- 
baut de Vaqueiras' Kalenda may a (P-C 392, 9; umstrit- 
ten, vgl. Husmann 1953) und fiir das anonyme A Ven- 
trada del temps clar (P-C 461, 12; vgl. Stablein 1966). 
Au'sg. : Dermus. NachlaB d. Troubadours. Kritische Ausg. 
d. Melodien, hrsg. v. Fr. Gennrich, = Summa musicae 
medii aevi III, Darmstadt 1958; Lo gai saber, 50 ausgew. 
Troubadourlieder, hrsg. v. dems., = Mw. Studienbibl. 
XVIII/XIX, Darmstadt 1959. - Fr. Gennrich, Trouba- 
dours, Trouveres, Minne- u. Meistergesang, = Das Mu- 
sikwerk (II), Koln (1951, 21960); Trouveres et Minnesan- 
ger, I (Texte) hrsg. v. I. Frank, II (Weisen) hrsg. v. W. 
Muller-Blattau, = Schriften d. Univ. d. Saarlandes I— II, 
Saarbriicken 1952-56. 



990 



Trommel 



Lit.: P-C; I. Frank, Repertoire metrique de la poesie des 
troubadours, 2 Bde, Paris 1953-58. - A. Jeanroy, La podsie 
lyrique des troubadours, Toulouse u. Paris 1 934 ; E. Hoepf- 
ner, Les troubadours dans leur vie et dans leurs oeuvres, 
Paris 1955. - J. B. Beck, Die Melodien d. Troubadours, 
StraBburg 1908 ; ders., La musique des troubadours, Paris 
1910; P. Aubry, Trouveres et troubadours, Paris 1909, 
21910; Fr. Gennrich, GrundriB einer Formenlehre d. ma. 
Liedes, Halle 1932; Th. Gerold, La musique au moyen- 
age, Paris 1932; J. Chailley, Hist. mus. du moyen age, Pa- 
ris 1950; H. Husmann, Kalenda maya, Af Mw X, 1953 ; E. 
Lommatzsch, Leben u. Lieder d. provenzalischen Trouba- 
dours, mit einem mus. Anh. v. Fr. Gennrich, 2 Bde, Bin 
1957-59; H. Zingerle, Tonalitat u. Melodiefuhrung in d. 
Klauseln d. Troubadours- u. Trouvereslieder, Tutzing u. 
Miinchen 1958 ; H. Angles, El canto popular en las melo- 
dias de los trovadores prov., AM XIV, 1959 - XV, 1960; 
D'Arco S. Avalle, La letteratura medievale in lingua d'oc 
nella sua tradizione manoscritta, (Turin) 1961, Auszug 
deutsch in: Gesch. d. Textuberlieferung II, Zurich (1964); 
Der deutsche Minnesang, hrsg. v. H. Fromm, = Wege d. 
Forschung XV, Darmstadt 1961 ; Br. Stablein, Zur Stili- 
stik d. Troubadour-Melodien, AMI XXXVIII, 1966; Der 
prov. Minnesang. Ein Querschnitt durch d. neuere For- 
schungsdiskussion, hrsg. v. R. Baehr, =Wege d. For- 
schung VI, Darmstadt 1967. EK 

Tromba (ital.) -*■ Trompete; Tr. da tirarsi (ital.) 
-> Zugtrompete; Tr. marina (lat. und ital.) -*■ Trum- 
scheit. 

Trombone (ital.) ->■ Posaune (- 1). 

Trommel (engl. drum; frz. tambour; ital. tamburo; 
span, tambor) ist der Sammelname fur Membrano- 
phone, die im allgemeinen als Schlaginstrumente be- 
handelt werden. Nach der Anzahl der Membranen 
sind ein- und zweifellige Tr.n zu unterscheiden. Ein- 
fellige Tr.n ohne Resonator, deren Membran iiber ei- 
nen meist runden Holzreifen (Rahmen) gespannt ist, 
heiBen Rahmen-Tr.n (-> Schellen-Tr. ; -» Pandero). 
Einfellige Tr.n mit Resonator, bei denen eine Mem- 
bran iiber die Offnung einer Rohre oder eines (meist 
unten offenen) GefaBes aus Ton, Holz oder Metall ge- 
spannt ist, gehoren zu den verbreitetsten auBereuro- 
paischen Rhythmusinstrumenten; sie sind z. B. fur die 
f ruhgeschichtliche Zeit in Agypten (-» Darabukka) und 
durch Ausgrabungsfunde auch in Europa belegt (vgl. 
Seewald 1934). In neuerer Zeit finden die einfellige 
-*■ Bongo und die ->■ Conga-Tr. in der Tanzmusik 
Verwendung. Auch die -»■ Pauke kann als einfellige 
GefaB-Tr. klassifiziert werden. - Im engeren Sinn ist 
Tr. ein zweifelliges Membranophon mit zylindrischem 
Corpus (Zylinder-Tr.). Die im Orchester, in der Mili- 
tar-, Tanz-, Volks- und Unterhaltungsmusik verwen- 
deten Tr.n konnen unterschieden werden in Tr.n mit 
hohem Corpus (Zargenhohe groBer als Membran- 
durchmesser), Tr.n mit flachem Corpus (Zargenhohe 
kleiner als Membrandurchmesser) und Tr.n mit (an- 
nahernd) quadratischer Mensur. Tr.n mit hohem Cor- 
pus sind -»- Riihr-Tr. und -» Tambourin (-1). Ein 
flaches Corpus besitzen die verschiedenen Arten der 
Kleinen Tr., die beim Spiel waagerecht oder schrag 
gehalten werden. Das Corpus der GroBen Tr. ist meist 
weniger flach; ihre Felle stehen senkrecht und werden 
von der Seite angeschlagen. Annahernd quadratische 
Mensur hat das -> Tom-Tom. Da die Kleine Tr. auch 
in ihren flachsten Formen historisch aus der Zylinder- 
Tr. mit hohem Corpus hervorgegangen ist, wird sie 
nicht zur Gruppe der zweifelligen flachen Rahmen- 
Tr.n gezahlt. Zweifellige Tr.n mit nichtzylindrischem 
Corpus (Sanduhr- und FaB-Tr.n) sind vereinzelt in 
mittelalterlichen Handschriften abgebildet und auch 
u. a. in Asien und Afrika anzutreffen. Einen Resonator 
in Doppelbecherform, iiber dessen Offnungen die mit 
Schniiren gespannten Membranen seitlich hinausragen, 



besitzt die in Japan vor allem als Begleitinstrument 
beim -*■ No verwendete Tr. Tsuzumi. - In der Instru- 
mentenkunde (vgl. Hornbostel-Sachs 1914) werden 
auch Membranophone als Tr.n bezeichnet, die nicht zu 
den Schlaginstrumenten zahlen: ->■ Reib-Tr., Zupf- 
Tr. (deren Membran durch eine angezupfte Saite in 
Schwingung versetzt wird), Rassel-Tr. (eine Tr., in 
deren Innerem sich Rasselkorper befinden und die 
durch Schiitteln zum Klingen gebracht wird; -*■ Ras- 
sel), »Ansing-Tr.« (-»■ Mirliton) usw. Das membran- 
lose Schlagidiophon -> Schlitz-Tr. kann als eine Vor- 
form der Tr. angesehen werden. 
Kleine und GroBe Tr. sind in ihrem Aufbau gleich. 
Das Corpus (die Zarge), friiher aus Holz, wird heute 
meist aus Metall (Messing verchromt oder lackiert, 
seltener Aluminium) hergestellt. Die auf Fellwickel- 
reifen (Fellreifen) befestigten Felle (gegerbte Kalbs- 
oder Eselshaut; heute vielfach Kunststoff) werden 
durch die Felldruckreifen (Spannreifen) gespannt. Ent- 
weder ist jedes Fell einzeln stimmbar durch 6-10 (bei 
der GroBen Tr. auch 12) Spannschrauben, die an 
der Zarge befestigt sind, oder durchgehende Spann- 
schrauben verbinden die Felldruckreifen (altere Bauart) . 
Wahrend die beiden Felle der GroBen Tr. meist gleich 
sind, wird die Kleine Tr. mit einem starkeren Schlag- 
fell und einem dunneren Resonanzfell bezogen. - Cha- 
rakteristisch fur die Kleine Tr. sind die Schnarrsaiten 
(engl. snares; frz. timbres; ital. corde), iiber das Reso- 
nanzfell gespannte Darm- oder umsponnene Metall- 
saiten, deren Spannung regulierbar ist. Die Schnarr- 
saiten erfiillen eine doppelte Aufgabe: einerseits teilen 
sie das Resonanzfell und unterdriicken damit nicht nur 
die Grundschwingung, sondern auch eine Reihe an- 
derer Teilschwingungen, andererseits schlagen sie ge- 
gen das schwingende Fell, wobei infolge der verschie- 
denenEigenf requenzen der Membran und der Saiten ein 
schnarrendes Gerausch entsteht. Die im Orchester ver- 
wendete Konzert-Tr. hat 4-10 Schnarrsaiten, meist nur 
aus Darm ; auf Militar- und Jazz-Tr.n werden bis zu 
18 Saiten (meist Metall) aufgezogen. Der Schnarr- 
saitenbezug kann als Ganzes vom Fell abgehoben wer- 
den (senza corde; engl. snares off); der Klang wird 
dadurch dumpfer. 

Im Unterschied zur -*■ Pauke ist das von der Kleinen 
wie von der GroBen Tr. erzeugte komplizierte (vor- 
wiegend aus unharmonischen Teilschwingungen be- 
stehende) Frequenzspektrum beim Horen bestimmten 
Tonen nicht zuzuordnen; es werden lediglich tiefere 
und hohere sowie in ihrer Klangfarbe differenzierte 
Tr.-Klange (Tonlagen) unterschieden. Durch Veran- 
derung der Membranspannung sind Tr.n innerhalb 
enger Grenzen umstimmbar. Die Grundfrequenz der 
Tr. resultiert aus den Eigenfrequenzen der im Resona- 
tor eingeschlossenen Luftmenge und der Membranen. 
Tr.n werden in verschiedenen GroBen und mit unter- 
schiedlichen Mensuren (MaBverhaltnissen von Mem- 
brandurchmesser zur Zargenhohe) gebaut: die Kleine 
Tr. als Konzert-Tr. (0 ca. 35-38 cm, Hohe ca. 
12-19 cm), als Militar-Tr. ( ca. 30-38 cm, Hohe ca. 
10-17 cm) und als Jazz-Tr. (0 ca. 33-35,5 cm, Hohe 
ca. 7,5-12,5 cm); die GroBe Tr. als Konzert-Tr. ( ca. 
70-100 cm, Hohe ca. 36-56 cm), als Militar-Tr. (ver- 
schiedene GroBen : ca. 36-76 cm, Hohe ca. 25-43 cm; 
in England und in den USA auch sehr flach: ca. 

70 cm, Hohe ca. 15 cm) und als Jazz-Tr. (0 ca. 46- 

71 cm, Hohe ca. 30-36 cm). 

Der zu schlagende Rhythmus wird heute auf einer 
Linie ohne Schlussel notiert; friiher wurde die Kleine 
Tr. im Liniensystem mit Violinschliissel auf dem Ton 
c 2 notiert, die GroBe Tr. im BaBschlussel auf c. Die 
Kleine Tr. wird gewohnlich mit 2 -> Schlageln aus 



991 



Trommel 



Hartholz (Tr.-Schlageln) geschlagen; die rechte Hand 
halt den Schlagel anders als die linke. Der Anschlag 
erfolgt in der Mitte des Fells, nur bei leiserem Spiel 
naher am Rand. In der heutigen Spielpraxis wird 
zwischen der klassischen (auch symphonischen) Tech- 
nik, die aus der Signal- und Marschmusik abgeleitet 
ist, und der Jazztechnik unterschieden. Zur klassischen 
Technik gehoren : Einzelschlage, abwechselnde Schlage 
verschiedener Schnelligkeit, Schlage mit einfachem 
und mehrfachem Vorschlag und der -»- Wirbel (- 2; 
notiert als fo—~). Vorschlag und Wirbel werden 
mit Hilfe des »Schlags mit Praller« ausgefiihrt, bei 
dem der Stock nach erfolgtem Schlag nicht sofort 
hochgehoben wird, sondern auf die Membran zuriick- 
federt. Ein zweifacher Vorschlag (auch Doppelschlag) 
entsteht aus einem Hauptschlag und einem nachfol- 
genden »Schlag mit Praller«; ein Wirbel ist eine Kette 
von Doppelschlagen (engl. two-stroke roll). Eine Ver- 
dichtung des Wirbels erfolgt durch Druck mit den 
Handgelenken bei der Ausf iihrung (Druckwirbel ; engl. 
press roll). In der Jazztechnik wird die Kleine Tr. im- 
mer in Verbindung mit anderen Schlaginstrumenten 
gespielt (->• Becken, -> Tom-Tom, GroBe Tr., Cow- 
bell u. a.). Im Unterschied zur klassischen Technik 
wird der Wirbel nicht mit Doppel-, sondern mit wech- 
selnden Einzelschlagen (engl. single-stroke roll) aus- 
gefiihrt ; die verschiedenen Schlagtechniken der Pauke 
(z. B. Paradiddle) werden mit einbezogen ; Spezialtech- 
niken wie das Spiel auf dem Rand mit einem Stock 
(wobei gleichzeitig die Membran beriihrt wird), ge- 
dampfte Randschlage, gedampfte Fellschlage sowie 
Schlagen, Kreisen, Reiben usw. mit dem Jazzbesen 
(-> Besen) und die Kombination von Jazzbesen und 
Tr.-Stock treten in der Jazztechnik neu hinzu. - Die 
GroBe Tr. wird in der Militar- und Harmoniemusik 
nur mit einem in der rechten Hand gefiihrten Filz- 
schlagel gespielt; eine im 19. Jh. verbreitete Gepflogen- 
heit, mit der linken Hand gleichzeitig die Becken zu 
bedienen (dabei war ein Becken auf der Tr. montiert), 
ist heute fast ausgestorben. Im Konzert werden schnel- 
lere Rhythmen und Wirbel wie bei der Pauke mit 2 
Schlageln ausgefiihrt. Daneben wird auch die aus der 
Janitscharenmusik ubernommene Spieltechnik mit 
Schlagel und -> Rute eingesetzt. Im Jazz und in der 
Unterhaltungsmusik wird die GroBe Tr. mit einer Pe- 
dalvorrichtung (»FuBmaschine«) geschlagen. 
Bei den Naturvolkern steht die Tr. fast ausschlieBlich 
im Dienste von Magie und Kult ; diese Bindung aufiert 
sich u. a. in den bei der Herstellung der Instrumente 
iiblichen rituellen Handlungen und in der omamenta- 
len und figurlichen Verzierung des Tr.-Corpus. Bild- 
liche Darstellungen verschiedener Tr.-Arten (oft von 
Tanzerinnen gespielt) und -Instrumenten (darunter 
auch zweifellige Zylinder-Tr.n mit holzernem Cor- 
pus und Schnurspannung) sind unter den alteren Hoch- 
kulturen vor allem aus Agypten erhalten. Als Instru- 
ment des Dionysos- und des Kybele-Kultes wurde in 
der Antike das -> Tympanum (- 1) aus dem Vorderen 
Orient nach Griechenland eingefiihrt. Erst im Friih- 
mittelalter erschienen Tr.n - vor allem verschiedene 
ein- und zweifellige, runde wie auch eckige Formen 
der Rahmen-Tr. - in Europa, sowohl als Engelsinstru- 
mente als auch in der Hand von Gauklern und -> Spiel- 
leuten (-1). Die seit dem 14. Jh. belegbaren kleinen 
Zylinder-Tr.n, deren Felle durch eine zwischen den 
Spannreifen hin- und herlaufende Schnur (Tr.-Leine) 
gestimmt werden, sind offenbar ebenso wie die Pau- 
ke im Zusammenhang mit den Kreuzziigen in das 
Abendland gekommen. Ob die zur gleichen Zeit in 
den romanischen Sprachen gebildeten Bezeichnungen 
fiir Tr.-Instrumente auf das Wort ->• tanbur (im Ara- 



bischen der Name einer Langhalslaute) zuriickgefiihrt 
werden konnen (vgl. Lokotsch 1927) oder auf arabisch 
-> tabl, ist umstritten. In mittelhochdeutschen Quellen 
(13./14. Jh.) begegnet tambur als Bezeichnung fiir Tr. 
neben rotumber (vielleicht von lat. rotundus) und sum- 
ber (von ahd. sumper, ein KornmaB). Der Name Tr. 
(mhd. trumme, trumbel, trumel; seit dem 12. Jh. be- 
legbar) geht ebenso wie das neuhochdeutsche Wort 
->■ Trompete auf ahd. trumba (lautmalend; s. v. w. 
»drohnendes Instrument*) zuriick. 
Die kleine zweifellige Zylinder-Tr. (->■ Tambourin - 1) 
wird im westlichen Europa meist von einem Spieler 
zusammen mit der -» Einhandflote gespielt. Im 15. und 
16. Jh. wurde eine stark vergroBerte Zylinder-Tr. (frz. 
tambourin de Suisse) in Verbindung mit der ->• Quer- 
pfeife (Schweizerpfeife) zum charakteristischen Instru- 
ment der Musik der Landsknechte und Soldnerheere 
(-» Spielleute - 2). Virdung (1511) nennt die klei- 
nen Zylinder-Tr.n clein paiicklin, die groBen trumeln 
(vgl. Praetorius Synt. II, S. 77, dazu Tafeln IX und 
XXIII). Im 17. Jh. wurden auch verschiedene Zwi- 
schengroBen entwickelt (vgl. Kircher, Musurgia uni- 
versalis, Rom 1650). Durch die ~> Janitscharenmusik 
kam um 1700 eine gegeniiber der Landsknechts-Tr. 
abermals stark vergroBerte Tr. nach Europa, die zuerst 
von M.Marais (Alcione, 1706), dann von Gluck (La 
rencontre imprivue, 1764) und von W.A.Mozart (Die 
Entf iihrung aus dem Serail, 1782) zur Charakterisierung 
des tiirkischen bzw. orientalischen Kolorits herange- 
zogen wurde. Dieses auch »Turken-Tr.« genannte In- 
strument wurde mit einer Holzkriicke (rechts) und 
einer ->■ Rute (links) geschlagen (-> Tupan). Die Tiir- 
ken-Tr., fortan als GroBe Tr. bezeichnet, fand im 19. 
Jh. immer haufiger Verwendung im Orchester, z. B. 
bei Spontini (La Vestale, 1805; Fernand Cortez, 1809), 
Beethoven (Die Schlacht bei Vittoria, 1813; Symphonie 
Nr 9 op. 125, 1824, 4. Satz), CM. v. Weber (Preziosa, 
1821). Bald wurde uberreichlicher Gebrauch von der 
GroBen Tr. gemacht, so daB Berlioz (Traitc d'instru- 
mentation . . ., Paris 1844) dagegen Stellung bezog. In 
der von Berlioz geforderten sparsamen aber wirkungs- 
vollen Weise ist die GroBe Tr. z. B. bei Verdi (Aida, 
1871 ; Oteilo, 1887, 2 GroBe Tr.n), R.Strauss (Ein Hel- 
denleben, 1899; Salome, 1905) und Busoni (Turandot- 
Suite, 1906) eingesetzt. 

Die Landsknechts-Tr., die durch die Einf iihrung der 
GroBen (»Tiirken-«)Tr. zur Kleinen Tr. geworden war, 
erfuhr seit dem Ende des 18. Jh. durch die Herstellung 
der Zarge aus Messing statt aus Holz, durch Verringe- 
rung der Zargenhohe und durch Einfuhrung von 
Spannschrauben statt der Tr.-Leine eine grundlegende 
Veranderung zur Militar-Tr. des 19. Jh. Wahrend in 
Frankreich der Name tambour weiterhin eine hohe Tr. 
bezeichnet und die (neue) Militar-Tr. caisse claire (ital. 
cassa chiara) genannt wird, ging in Deutschland die 
Bezeichnung Kleine Tr. auf die flache Militar-Tr. iiber. 
Die Landsknechts-Tr., u. a. noch heute in Spielmanns- 
und Fanfarenziigen gepflegt, wird instrumentenkund- 
lich als -*■ Riihr-Tr. bezeichnet. - Die Kleine Tr. diente 
zunachst nur als Effektinstrument und zur Charakte- 
risierung des Militarischen, z. B. bei Meyerbeer (Les 
Huguenots, 1836), R.Wagner (Rienzi, 1840), Donizetti 
(Lafille du regiment, 1840) und in den friihen Opern von 
Verdi. Doch wurde seitdem die Kleine Tr. zum festen 
Bestandteil des Schlagzeugs im Orchester; in der In- 
strumentation wird sie zur Hervorhebung pragnanter 
Rhythmen, zur Differenzierung des Orchesterklangs 
und zur Markierung von Akzenten eingesetzt, z. B. von 
Flotow (Martha, 1847), Bizet (Carmen, 1875),.Rimskij- 
Korsakow (Capriccio espagnol, 1887; Sheherazade, 1888) 
und Ravel (Bolero, 1928). - In dem MaBe, in dem fiir 



992 



Trompete 



die Neue Musik rhythmisch-gerauschhafte Momente 
bestimmend wurden, wuchs auch die Bedeutung der 
verschiedenen Tr.-Arten fur die Instrumentation. 
Lit.: S. Virdung, Musica getutscht (Basel 1511), hrsg. v. 
R. Eitner, = PGfM, Jg. X, Bd XI, Bin 1882, dass., Faks. 
hrsg. v. L. Schrade, Kassel 1931 ; M. Mersenne, Harmonie 
universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Pa- 
ris 1963; G. Fechner, Die Pauken u. Tr. in ihren neueren 
u. vorziiglicheren Konstruktionen, = Neuer Schauplatz d. 
Kunste u. Handwerke CXL, Weimar 1 862 ; A. Deutsch, 
GroCe Tr.- u. Becken-Schule, Lpz. (1 896) ; R. Andree, Al- 
te Tr. indianischer Medizinmanner, Globus LXXV, 1899; 
G. Schad, Musik u. Musikausdriicke in d. mittelengl. Lit., 
Diss. GieBen 1910; ders., Zur Gesch. d. Schlaginstr. auf 
germanischem Sprachgebiet bis zum Beginn d. Neuzeit, in: 
Worter u. Sachen VIII, 1923; Fr. Weinitz, Die lappische 
Zaubertr. in Meiningen, Zs. f. Ethnologie XLII, 1910, 
dazu K. B.Wiklund in: Lemonde oriental IV, 1910, S. 89- 
110; H. Knauer, Schlaginstr., in: E. Teuchert, Musik- 
Instrumentenkunde in Wort u. Bild III (Messingblas- u. 
Schlaginstr.), Lpz. 1911; H. G. Farmer, Military Music 
and Its Story, London 1912; ders., Oriental Influences on 
Occidental Military Music, Islamic Culture XV, 1941; 
ders., Islam, = Mg. in Bildern III, 2, Lpz. (1966); E. M. v. 
Hornbostel u. C. Sachs, Systematik d. Musikinstr., Zs. f. 
Ethnologie XLVI, 1914, engl. v. A. Baines u. K.1. P. Wachs- 
mann als : Classification of Mus. Instr., in : The Galpin Soc. 
Journal XIV, 1961 ; C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. 
Indonesiens, = Hdb. d. Koniglichen Museen zu Bin (XV), 
Bin 1915, 21923, Nachdruck d. 1. Auflage Hilversum 1967; 
ders., The Hist, of Mus. Instr., NY (1940), London 1942; 
ders. , Geist u. Werden d. Musikinstr. , Bin 1 929, Nachdruck 
Hilversum 1 965 ; J. Baggers, Les timbales, le tambour et les 
instr. a percussion, in: Encyclopedie de la musique, hrsg. 
v. A. Lavignac u. L. de La Laurencie, II, 3, Paris (1926) ; H. 
Bouasse, Cordes et membranes, Paris 1926; G. Kappe, 
Tanz u. Tr. d. Neger. Grundsatzliches zur Erforschung d. 
afrikanischen Tanze u. ihrer Begleitinstr., Fs. H. H. Schau- 
insland, Bremen 1927; K. Lokotsch, Etymologisches Wor- 
terbuch d. europaischen . . . Worter orientalischen Ur- 
sprungs, = Indogermanische Bibl., 1. Abt., II, 3, Heidel- 
berg 1927; Fr. Dick, Bezeichnungen f. Saiten- u. Schlag- 
instr. in d. altfrz. Lit., = GieBener Beitr. zur romanischen 
Philologie XXV, GieBen 1932; A. Heider, Die Gesch. d. 
Tr.-Schlagmanieren, in: Fs. d. Baseler Mittwochs-Ges., 
Basel 1932; H. Wieschhoff, Die afrikanischen Tr. u. ihre 
auBerafrikanischen Beziehungen, = Studien zur Kultur- 
kunde II, Stuttgart 1933 ; H. Burger, DasTr. Buch, Plauen 
(1934); A. M. Jones, African Drumming, Bantu Studies 
VIII, 1934; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native 
Races of South Africa, London 1934, Johannesburg 2 1953 ; 
O. Seewald, Beitr. zur Kenntnis d. steinzeitlichen Musik- 
instr. Europas, = Biicher zur Ur- u. Frilhgesch. II, Wien 
1934; J. Obata u. T. Tesima, Experimental Studies on the 
Sound and Vibration of Drum, JASA VI, 1935; A. 
Schaeffner, Origine des instr. de musique, Paris 1936; E. 
Manker, Die lappische Zaubertr., 2 Bde, = Acta Lappo- 
nica I u. VI, Stockholm 1938 u. (1950) ; K. Nagabhushana 
Rao, Theory of the Indian Mus. Drums, Proceedings of 
the Indian Acad., Reihe A, VII, 1938; G. Eckert, Die 
Menschenhauttr. in Alt-Peru, Zs. f. Ethnologie LXIII, 
1941 ; H. Courlander, Mus. Instr. of Cuba, MQ XXVIII, 
1942; ders., The Drum and the Hoe, Berkeley u. Los An- 
geles 1960; V. Denis, De muziekinstr. in de Nederlanden 
en in Italie naar hun afbeelding in der 1 5 e -eeuwsche kunst I, 
= Publicaties op het gebied d. geschiedenis en d. philologie 
III, 20, Lowen 1944; E. Emsheimer, Zur Ideologie d. lappi- 
schen Zaubertr., Ethnos IX, 1944; ders., Schamanentr. u. 
Trommelbaum, ebenda XI, 1946; ders., Eine sibirische 
Parallele zur lappischen Zaubertr. ?, ebenda XIII, 1948 (d. 
zitierten Aufsatze auch in: Studia ethnomusicologica 
eurasiatica, = Musikhist. museets skrifter I, Stockholm 
1964); Fr. Berger, Tr. u. Pfeifen, in: Musica Aeterna II, 
Zurich 1948 ; H. Morales, Latin American Rhythm Instr., 
NY 1949; H. Hickmann, The Rattle-Drum and Marawe- 
Sistrum, Journal of the Royal Asiatic Soc. 1950; ders., La 
daraboukkah, Bulletin de l'lnst. d'Egypte XXXIII, 1950/ 
51 ; ders., Le tambourin rectangulaire du Nouvel Empire, 
Annales du service des antiquites de l'Egypte LI, 1951; 
ders., DieGefaBtr. d. Agypter, Mitt. d. Deutschen Archao- 



logischen Inst., Abt. Kairo, XIV, 1956; ders., Agypten, 
= Mg. in Bildern II, 1, Lpz. (1961); ders., Die altagypti- 
sche Rohrentr., Oriens XVII, 1964; O. Boone, Les tam- 
bours du Congo Beige et du Ruanda-Urundi, = Annales 
du Musee du Congo Beige Tervuren, N. S. in -4°, Sciences 
de I'homme, Ethnographie I, Tervuren 1951 ; U. Fischer, 
Zu d. mitteldeutschen Tr., Archaeologica geographica 
II, 1951 ; G. Mildenberger, Die neolithische Tontr., 
Jahresschrift f. mitteldeutsche Vorgesch. XXXVI, (Halle) 
1952; F. Ortiz, Los instr. de la musica afrocubana, 5 Bde, 
Habana 1952-55; M. M. Sondhi, Vibrations of Indian 
Mus. Drums Regarded as Composite Membrans, JASA 
XXVI, 1954; D. Drost, Tonerne Tr. in Afrika, Jb. d. 
Museums f . Volkerkunde Lpz. XIV, 1955 ; E. Elsenaar, 
De geschiedenis d. slaginstr., Hilversum 1956; W. Salmen, 
Zur Verbreitung v. Einhandflote u. Tr. im europaischen 
MA, Jb. d. Osterreichischen Volksliedwerkes VI, 1957; A. 
A. Shivas, The Art of Tympanist and Drummer, London 
1957; A. A. Bake, Rhythmischer Kontrapunkt auf einer 
Rahmentr. aus Ceylon, Kgr.-Ber. Koln 1958; H. Fischer, 
Schallgerate in Ozeanien, = Slg mw. Abh. XXXVI, StraB- 
burg u. Baden-Baden 1958 ; P. Seeger, The Steel Drum : A 
New Folk Instr., Journal of American Folklore LXXI, 
1958; ders., The Steel Drum of Kim Log Wong. An In- 
struction Book, NY (1961); W. P. Malm, Japanese Music 
and Mus. Instr., Rutland (Vt.) u. Tokio 1959 ; ders., An In- 
troduction to Taiko Drum Music in the Japanese No Dra- 
ma, Ethnomusicology IV, 1960; H. Riedel, Musik u. Mu- 
sikerlebnis in d. erzahlenden deutschen Dichtung, = Abh. 
zur Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XII, Bonn 1959; H. 
Kunitz, Die Instrumentation X (Schlaginstr.), Lpz. 1960; 
J. Blades, Orchestral Percussion Technique, London 1961 ; 
N. H. Carter, A Dictionary of Middle Engl. Mus. Terms, 
= Indiana Univ. Humanities Series XLV, Bloomington 
(1961); W. Haberland, Tontr. in El Salvador, Baessler- 
Arch., N. F. IX (= Bd XXXIV), 1961 ; H. C. Hardy u. 
J. E. Ancell, Comparison of the Acoustical Performance 
of Calfskin and Plastic Drumheads, JASA XXXIII, 1961 ; 
E. B. Gangware, The Hist, and Use of Percussion Instr. 
in Orchestration, Diss. Northwestern Univ. (111.) 1962, 
maschr. ; Wt. Kotonski, Instrumenty perkusyjne . . . , Kra- 
kau (1963), deutsch als: Schlaginstr. im modernen Orch., 
Mainz (1968); Cl. Marcel-Dubois, Le tambour bour- 
donnant, Journal of the International Folk Music Council 
XVI, 1964; G. Rouget, Tons de la langue en Gun (Da- 
homey) et tons du tambour, Rev. de Musicol. L, 1964; 
ders. u. J. Gergeley, La musique fundraire en Afrique 
noire: fonctions et formes, Kgr.-Ber. Salzburg 1964. — > In- 
strumentation. 

Tr ommelbafi, spottische Bezeichnung f ur fortgesetz- 
te Wiederholung desselben Tons in schneller Folge in 
der BaBstimme. 

Trompe (trap, frz.), im 11.-13. Jh. ein gerades ->■ Horn 
mit konischer Rohre aus (Messing-)Blech, ohne Stiirze 
und wahrscheinlich ohne Mundstiick. Die Tr. wurde 
als ritterliches Signalinstrument im Krieg, bei der Jagd 
und beim Turnier (spater auch von stadtischen Aus- 
rufern) geblasen. 

Lit. : E. A. Bowles, Unterscheidung d. Instr. Busine, Cor, 
Tr. u. Trompette, Af Mw XVIII, 1961 . 

Trompete (von ahd. trumba, s. v. w. drbhnendes, 
schnarrendes Instrument; mhd. trumpet, trumet, trum- 
be; mittellat. tuba; ital. tromba und Diminutiv trom- 
betta, belegt bei Dante, Inferno VI, 95 und XXI, 139; 
frz. -> trompe, Diminutiv trompette belegbar seit dem 
13. Jh. ; engl. trumpet; arabisch al-nafir, danach span, 
anafil, seit der 1. Halfte des 13. Jh.), - 1) ein im Un- 
terschied zum -> Waldhorn uberwiegend zylindri- 
sches, eng mensuriertes Blasinstrument mit halbkuge- 
ligem Kesselmundstiick. Im Orchester gehoren die 
Trp.n zur Gruppe der Blechblasinstrumente. Bevor- 
zugte Metalle sind Messing, Goldmessing und Neu- 
silber, fiir Prunkstiicke Silber (selten Gold). Die Trp. 
besitzt einen strahlenden, scharfen, hellen Klang, der 
durch verschiedene -*■ Dampf er verandert werden kann . 
Natur-Trp.n sind Trp.n ohne Ventile, auf denen nur 



63 



993 



Trompete 



die -*■ Naturtone verfiigbar sind. 'Vor der Erfindung 
der -+ Ventile (- 2; 1813) muBte daher die Grund- 
stimmung der Trp.n mit der Tonart der Komposition 
iibereinstimmen. Trp.n verschiedener Grundstimmung 
werden in C als -*■ Transponierende Instrumente no- 
tiert. Die heutige Orchesterpraxis kennt nur noch fur 
die Sopranlage die kleine Trp. in B, die einen Ganzton, 
fur die Alt- und Tenorlage die grofie Trp. in F, die eine 
Quinte nach unten transponiert. Die tiefere A- bzw. 
Es-Stimmung kann bei beiden Instrumenten durch 
Stimmventile erreicht werden. Seltener werden die 
hohen »Bach«-Trp.n in D oder die BaB-Trp.n in C und 
B verwendet. Der Umf ang betragt bei alien Stimmlagen 
etwa 2 l J2 Oktaven; die tieferen Instrumente besitzen 
einen groBeren und fiilligeren Klang als die Sopran- 
instrumente, der sich gut mit dem der Posaunen ver- 
bindet. Die Schwingungen bei der Trp. werden in 
gleicher Weise erzeugt wie beim ->■ Horn. 
Die historische Entwicklung der Horn- und Trp.n-In- 
strumente laBt sich bis in vorgeschichtliche Zeit zu- 
riickverfolgen. Als Material dienten anfangs Natur- 
produkte wie Muscheln, Knochen, StoBzahne, Tier- 
horner, Kalebassen oder Bambus. Erst in einer spateren 
Entwicklungsstufe gelang es dem Menschen, aus Holz, 
Rinde, Elfenbein, Ton die Form zu schaffen, die in der 
europaischen Kunstmusik bis in das 19. Jh. fortlebte. 
Relikte aus friiher Zeit sind in den skandinavischen 
-»- Luren und im -»■ Alphorn erhalten. In der Zeit vor 
der Verwendung von Metall fehlt in der Regel ein be- 
sonderes -> Mundstiick und oft auch ein Schalltrichter 
(-> Stiirze). Je nach der Stellung des Anblaslochs kon- 
nen Langs- und Quer-Trp.n unterschieden werden. - 
Zu den auBereuropaischen Vorfahren der Trp. gehoren 
unter der allgemeinen Bezeichnung Tuben zusammen- 
gefaBte Blasinstrumente, die, fiir alle alten Hochkul- 
turen belegbar, zu den altesten Musikinstrumenten 
zahlen. Statt eines Mundstiicks nur einen wulstformi- 
gen umgebogenen Rand am oberen Ende des Rohres 
besaBen die auf Zypern gefundenen Ton-Trp.n (4. Jh. 
v. Chr.) und die Metall-Trp.n Altagyptens. Es kann 
angenommen werden, daB die Trp. schon friiher als 
im Osiris-Kult in Agypten eine Rolle gespielt hat (vgl. 
Hickmann 1950). Die athiopische Quer-Trp. Malakat 
(aus Bambus) weist auf altagyptische Traditionen zu- 
riick. Bei den Sumerern sind Holztuben nachweisbar. 
Silberne Trp.n (chazozra) werden im Alten Testament er- 
wahnt. Die Romer kannten neben dem (kurzen) Signal- 
instrument -*■ Lituus auch eine langgestreckte Bronze- 
Trp. mit Knochen- oder Hornmundstuck unter dem 
Namen tuba (bei den Griechen -*■ Salpinx genannt), 
die auBer bei militarischen oder kultischen Anlassen 
auch bei Trinkgelagen, im Gymnasium, bei Leichen- 
prozessionen, Aufmarschen und Umziigen oder zur 
Einleitung von Schauspielen gespielt wurde. Verwandt 
mit dem romischen Lituus sind in Irland gefundene 
keltische Horner. - Relativ spat trat die Trp. im zen- 
tral- und ostasiatischen Raum auf. Wie im afrikani- 
schen Raum gab es hier sowohl Langs- als auch Quer- 
Trp.n. Verwendung vorwiegend bei kultischen oder 
sakralen Anlassen f anden bis in die neueste Zeit in Tibet 
die 2-3 m langen, weitmensurierten kupfernen Tem- 
pel-Trp.n (zabs dung) und in Indien langgestreckte, 
paarweise geblasene Trp.n (tarai), die mit ihrem schau- 
erlich-feierlichen Klang der Totenklage Ausdruck ver- 
leihen. - Die chinesische La pa ist eine etwa 1,50 m 
lange, gerade Trp., bestehend aus ineinanderschieb- 
baren konischen Metallrohren mit flachem, breitran- 
digem Mundstiick und weitausladendem Schallbecher, 
ursprunglich ein Instrument fiir Militarmusik, das heute 
noch bei Begrabnisfeierlichkeiten geblasen wird. 
Die aus Blech hergestellte Trp. kam nach Europa aus 



dem Orient als Kriegsbeute im Gefolge der Kreuzziige 
und der Arabereinfalle. Als altester reiner Trp.n-Typus 
in Europa gilt die langgestreckte -»■ Busine (um 1100). 
Sie ist sarazenischen Ursprungs und wird zuerst im 
Rolandslied erwahnt. Daneben waren Holz-Trp.n bis 
ins 14. Jh. hinein zahlreich vorhanden. - Wie im Orient 
blieb die Trp. auch in Europa primar dem fiirstlichen 
Hofstaat vorbehalten; gewohnlich wurden zwei und 
mehr Instrumente im Unisono eingesetzt. Bei fest- 
lichen Aufziigen wurden die Businen zusammen mit 
Schalmeien, Pauken und Trommeln gespielt. - Im 15. 
und 16. Jh. bedingte das Streben nach groBerer Ton- 
tiefe eine Verlangerung bzw. eine Biegung der Rohre. 
Aus der Busine entstand die einwindige Natur-Trp., 
die bis zum Beginn des 19. Jh. im wesentlichen die 
gleiche Form behielt. Bis ins 15. Jh. gab es eine Viel- 
zahl von GroBen, von der kurzen Trp. mit etwa 80 cm 
bis zur UbermannsgroBen ; danach setzte sich ein mitt- 
lerer Typ von etwa 120 cm Rohrlange durch. Auch in 
der Art der Rohrwindung trat seit der 2. Halfte des 
15. Jh. eine Standardisierung ein; die manchmal bizar- 
ren Formen (u. a. Zickzack-, Brezel- und S-Form) ver- 
schwanden, iibrig blieb die schlaufenartige Windung. 
Die Trp.n, oft mit Gravuren oder anderen Metallar- 
beiten, als Herolds-, Hof- und Militarinstrumente auch 
mit Emblemen, Standarten oder farbigen Kordeln ge- 
schmiickt, wurden von Goldschmieden und Orgel- 
machern angefertigt; schon 1297 sind in Paris Trp.n- 
Macher nachweisbar. 

Im Mittelalter wurde die Trp. von fahrenden Spiel- 
leuten zusammen mit Schalmeien zum Tanz gespielt. 
Seit der 2. Halfte des 15. Jh. wurden Trompeter an 
Hof en seBhaft; ihre Aufgabenbereiche, unterhaltendes 
Spiel und das Blasen von Signalen im Kriegswesen und 
bei reprasentativen Anlassen, umschreiben die Be- 
zeichnungen trompette de menestrel und de guerre (am 
burgundischen Hof ab 1420). Die Sonderstellung unter 
dem hofischen Personal - der Trompeter war oft auch 
Kurier - wurde den Trompetern verbrieft (-v Zunft; 
-*■ Pauke). Auf den zunftmaBigen ZusammenschluB ist 
es zuriickzufiihren, daB iiber die Blastechnik und das 
Repertoire der Hof- und Feldtrompeter fast nichts 
uberliefert ist. - Bis um 1300 standen dem Trompeter 
wahrscheinlich nur bis zu 4 Naturtone zur Verfiigung, 
im 15. Jh. 6-8. Die Spielweise auf dem hell und durch- 
dringend klingenden Instrument beschrankte sich dar- 
um zunachst auf schmetterndes Blasen mehrerer Trp.n 
im Sinne primar klanglichen Spiels als -> Tusch 
(auch -»• Sennet) oder auf das Blasen einfacher Signale; 
bei der Begleitung von Tanzen spielte der Trompeter 
nur 2 oder 3 Tone (wie in den Stiicken der Hs. Lon- 
don, Brit. Mus., Add. 29 987). Einen groBeren Ton- 
vorrat besaB die -> Zugtrompete. Praetorius (Synt. II, 
S. 20) gibt als Umfang fiir die Feld-Trp. in D (Kam- 
merton) oder die Kapell-Trp. in C oder B den 2.-22. 
Naturton an, Mersenne 1636 den 1.-16. (ohne den 7. 
und 14.). Der Tonvorrat wurde eingeteilt in Lagen 
(Register, Stimmen) : 1) Flattergrob, ital. sotto basso, 
der Grundton, der nur mit Posaunenmundstiick an- 
spricht; 2) Grobstimme, basso, (auf der Trp. in C), c; 
3) Faulstimme, volgano, g; 4) Mittelstimme, alto e 
basso, c 1 ; 5) Prinzipal, principale, e', g 1 , c 2 ; 6) 2. Clarin 
gi_ g 2 und 7) 1. Clarin c2-c3 (nach Speer 1687). Bei 
Praetorius (Polyhymnia caduceatrix, 1619) wechselt die 
Mittelstimme (Alter BaB) zwischen c', e' und gi ; beide 
Clarinstimmen sind bis a 2 gefiihrt. In der -> Toccata zu 
Monteverdis Orfeo (1607) ist die Prinzipalstimme als 
quinta bezeichnet. Signale wurden in den tiefen Re- 
gistern geblasen, Feldstiicke (-> Feldmusik) in der 
Prinzipallage, Toccaten in der Clarinlage. Als Ergeb- 
nis dieser Umfangserweiterung muBte z. B. der -> Zink 



994 



Trompete 



als Sopraninstrument des Trompetenchors weichen, 
gleichwohl wurde er im 17. Jh. in Deutschland von 
den Stadtpfeifern als Ersatz fur die privilegierten Trp.n 
weiterhin gespielt. Beim mehrstimmigen oder mehr- 
chorigen Spiel von Sonaten und Aufziigen kam zu den 
Trp.n in verschiedenen Lagen (z. B. zwei Clarini und 
Prinzipal) als BaB ein Paar Pauken hinzu. Das Clarin- 
blasen (-> Clarino) ist die Technik des virtuosen Trp.n- 
Spiels im concertierenden Stil mit obligaten und so- 
listischen Partien in der -»• Arie, im Concertino des 
Concerto grosso und im Solokonzert. 
Seit der 2. Halfte des 18. Jh. wurde mit zahlreichen 
Erfindungen, die zum Teil zunachst am Waldhorn er- 
probt wurden, der Tonvorrat chromatisch erweitert, 
so durch verlangernde Setzstiicke (-»■ Stimmbogen, 
->• Inventionshorn), -> Klappen, Ziige (Slide trumpet 
in England) und vor allem durch -*■ Ventile. Dies be- 
deutete das Ende des Clarinblasens und der oheroisch- 
musikalischen Trompeter- und Pauker-Kunst«, wie sie 
J.E. Altenburg beschrieben hat. Das Privileg der ange- 
sehenen Trompeterzunft erlosch. Die 1818 patentierte 
Erfindung der Ventile bewirkte zwar einen etwas we- 
niger strahlenden Klang der Trp.n, bedeutete aber ei- 
nen entscheidenden Fortschritt in der Spieltechnik. 
Chromatisches Spiel wurde jetzt voll moglich. Die 
Ventil-Trp. in B und Es setzte sich bis um 1840 in Mili- 
tarkapellen, die in F bald danach auch in den Sympho- 
nieorchestern durch. Das Standardinstrument seit etwa 
1890 ist die Trp. in B (umstellbar nach A) mit dem 
Umfang f-d 3 ; daneben werden (abgesehen von Son- 
derformen wie der -> »Aida«-Trp.) die Trp.n in C, D 
und Es sowie die z. B. von R.Wagner im Ring des Ni- 
belungen geforderte Bafi-Trp. (mit 4. Ventil) in C ver- 
wendet. In der ->• Partitur werden die Trp.n-Stimmen 
unter den Waldhornern und (wenn Posaunen nicht 
beteiligt sind) direkt iiber den Pauken notiert. Im klas- 
sischen Orchester ist die Verwendung der im allge- 
meinen paarweise besetzten Trp.n auf fanfarenartige 
Motive, Betonung oder Festhalten von Tonika und 
Dominante sowie rhythmische Akzentuierung be- 
schrankt. Die Erfindung der Ventile wurde beim Trp.n- 
Bau erst von 1830 an voll genutzt. Daher konnte Beet- 
hoven noch in der Originalpartitur der 9. Symphonie 
Trp.n (wie auch Horner) nicht in dem MaBe einsetzen, 
wie es spater in der Kompositionspraxis selbstver- 
standlich wurde. Retuschen in den Trp.n- und Horn- 
stimmen, wie sie (speziell fur Beethoven) F. v. Wein- 
gartner begriindet hat, sind bei heutigen Auffuhrungen 
zum Teil iiblich. Im romantischen Orchester werden 
die Trp.n in der Regel dreifach besetzt, um vollstan- 
dige Dreiklange derselben Klangfarbe spielen zu kon- 
nen. - Originell sind die Verbindurigen von Ventil- 
und Natur-Trp.n in R.Wagners Rienzi (im Orchester: 
2 Ventil-, 2 Natur-Trp.n in D, C, F und B; auf der 
Biihne : 6 Ventil-, 6 Natur-Trp.n, 4 in Es, 2 in B) und 
Lohengrin (im Orchester: 3 Ventil-Trp.n, auf der Biih- 
ne, 3. Akt: 12 Natur-Trp.n, 4 in C, je 2 in Es, F, D und 
E). - Virtuose Trp.n-Musik komponierten u. a. : G. To- 
relli, Concerto con 2 trombe e strumenti ; Sonata a 5 con trom- 
ba;D. Gabrielli, Sonata per tromba e orchestra ; A. Vivaldi, 
Concerto per due trombe, P.-V. 75; G.Jacchini, Tratteni- 
menti per camera a 3-6 strumenti con alcune a 1 e 2 trombe 
op. 5; 3 Sonate f iir Trp., Streicher und B. c. und 2 Sinfonie 
fur 2 Trp., Streicher und B. c. (in Ms.). Konzerte fiir 
Trp. schrieben u. a. L. Mozart, J. Haydn und B. A. Zim- 
mermann. Daneben gibt es ein Konzert fiir Trp. u. Fag. 
mitStreichorch. (1949)vonHindemith.InderKammer- 
musik ist die Trp. selten vertreten (im -»■ Septett oder 
->■ Oktett; eine Sonate fiir Trp. und Kl. [1939] kom- 
ponierte Hindemith). - Im Jazz hat die Trp. - vor- 
nehmlich mit Pumpventilen - um 1928 zunehmend 



das -+ Kornett (- 2) abgelost. Beriihmte Jazztrompeter 
sind Louis Armstrong, Bix Beiderbecke, Dizzy Gille- 
spie und Miles Davies. 

- 2) In der Orgel ist Trp. eine Zungenstimme mit 
trichterformigem Aufsatz zu 16', 8' oder 4', letztere 
auch Clarino oder Clairon genannt. Die iiberblasende 
Trp. (trompette harmonique) ist im franzosischen Or- 
gelbau beliebt. Die im Prospekt stehenden, mit ihren 
Schallbechern waagerecht weit in den Kirchenraum 
(»en chamade«) hinausragenden Trp.n sind fur den spa- 
nischen Orgelbau charakteristisch. 
Lit. : zu 1) : Praetorius Synt. II ; C. Hentzschel, Oratori- 
scher Hall vnd Schall. Vom loblichen Ursprung . . . d. Rit- 
termessigen Kunst d. Trommeten, Bin 1620; M. Mersen- 
ne, Harmonie universelle III, Paris 1636 (S. 244ff.), Faks. 
hrsg. v. Fr. Lesure, Paris 1963 ; G. Fantini, Modo per im- 
parare a sonaredi tromba, Ffm. 1638, Faks. Mailand 1934; 
D. Speer, Grund-richtiger Unterricht . . . d. musicalischen 
Kunst, Ulm 1687, erweitert als: Musicalisches Kleeblatt, 
1697; J. E. Altenburg, Versuch einer Anleitung zur he- 
roisch-mus. Trompeter- u. Pauker-Kunst, Halle 1795, NA 
Dresden 1911, Nachdruck Bilthoven 1966; H. Berlioz, 
Traite d'instrumentation et d'orchestration modemes, Pa- 
ris 1844, erweitert Paris 1856, NA bearb. v. R. Strauss als: 
Instrumentationslehre, Lpz. 1905, 2 1955; J. G. Kastner, 
Manual general de musique militaire . . . , Paris 1 848 ; H. L. 
Eichborn, Die Trp. in alter u. neuer Zeit, Lpz. 1881 ; H. 
Leichtentritt, Was lehren uns d. Bildwerke d. 14.-17. Jh. 
iiber d. Instrumentalmusik ihrer Zeit?, SIMG VII, 1905/ 
06 ; F. v. Weingartner, Ratschlage f . Auffuhrungen klass. 
Symphonien I: Ratschlage f. Auffuhrungen d. Sympho- 
nien Beethovens, Lpz. 1906, 3 1928, Wiesbaden "1958; V.- 
Ch. Mahillon, Les instr. a vent III : La trompette, son hist., 
sa theorie, sa construction, Briissel 1907; Fr. W. Galpin, 
Old Engl. Instr. of Music, London 1910, 31932, 41965 hrsg. 
v. Th. Dart; ders., The Music of the Sumerians and Their 
Immediate Successors, the Babylonians and Assyrians, 
ebenda 1937, Neudruck = Slg mw. Abh. XXXIII, StraB- 
burg 1955; SachsL; C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. 
Indonesiens, = Hdb. d. Koniglichen Museen zu Bin (XV), 
Bin 1915, 21923, Nachdruck d. 1. Auflage Hilversum 1967; 
ders., Die Musikinstr. Birmas u. Assams . . . , Sb. Miinchen 
1917, II: ders., Eine unkritische Kritik d. Klarinblasens, 
AfMw II, 1919/20; ders., Geist u. Werden d. Musikinstr., 
Bin 1929, Nachdruck Hilversum 1965; ders., The Hist, of 
Mus. Instr., NY (1940), London 1942; ders., Chromatic 
Trumpets in the Renaissance, MQ XXXVI, 1950 ; J. Wolf, 
Die Tanze d. MA, AfMw 1, 1918/19 ; Fr. Jahn, Die Nurn- 
berger Trp.- u. Posaunenmacher im 16. Jh., AfMw VII, 
1925 ; Fr. Brucker, Die Blasinstr. in d. altfrz. Lit., = Gie- 
Cener Beitr. zur romanischen Philologie XIX, GieBen 1 926; 
D. Treder, Die Musikinstr. in d. hofischen Epen d. Bliite- 
zeit, Diss. Greifswald 1933; O. Gombosi, Zur Vorgesch. d. 
Tokkata, AMI VI, 1 934 ; W. Menke, Die Gesch. d. Bach- u. 
Handel-Trp., London 1934; G. Schunemann, Sonaten u. 
Feldstucke d. Hoftrompeter, ZfMw XVII, 1935, dazu: 
Trompeterfanfaren, Sonaten u. Feldstucke, hrsg. v. dems., 
= RD VII, Kassel 1936; E. v. Komorzynski, Die Trp. als 
Signalinstr. im altSgyptischen Heer, Arch. f. Sgyptische 
ArchSologie I, 7, Wien 1938; O. Schreiber, Orch. u. Or- 
chesterpraxis in Deutschland zwischen 1780u. 1850, = Neue 
deutsche Forschungen CLXXVII, Abt. Mw. VI, Bin 1938; 
C. Albizzati, Antichita classiche, Mailand 1940; G. 
Barblan, Musiche e strumenti mus. dell' Africa Orientale 
Ital.,Neapell941;N. Bessara boff, Ancient European Mus. 
Instr., Boston 1941,. Nachdruck 1964; Cl. Marcel-Du- 
bois, Les instr. de musique de l'lnde ancienne, Paris 1941 ; 
K. Geiringer, Mus. Instr., London 1943, NY 1945; A. 
McCarthy, The Trumpet in Jazz, London 1945 ; H. Hick- 
mann, La trompette dans 1'Egypte ancienne, = Suppl. aux 
Annales du service des antiquites de 1'Egypte I, Kairo 1946 ; 
ders., Cat. general des antiquites egyptiennes du Musee du 
Caire, Instr. de musique, Kairo 1949; ders., Die kultische 
Verwendung d. altagyptischen Trp., Die Welt d. Orients V, 
1950; ders., Agypten, = Mg. in Bildern II, 1, Lpz. (1961); 
A. Carse, The Orch. from Beethoven to Berlioz, Cam- 
bridge 1948; J. Berger, Notes on Some n^Cent. Com- 
positions for Trumpets and Strings in Bologna, MQ 
XXXVII, 1951 ; M. Buttner, Studien zur Gesch. d. Trp., 



63* 



995 



Trompette marine 



Diss. Minister i. W. 1953, maschr. ; W. Kolneder, II 
concerto per due trombe di A. Vivaldi, RMI LV 1953; 
W. Worthmuller, Die Niirnberger Trp.- u. Posaunen- 
macher d. 17. u. 18. Jh., Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt 
NiirnbergXLV, 1954-XLVI, 1955; A.Machabey, Apercu 
hist, sur les instr. de cuivre, RM Nr 226, 1955; H. Hof- 
mann, Ober d. Ansatz d. Blechblaser, Kassel 1956; W. 
Osthoff, Trombe sordine, Af Mw XIII, 1956 ; C. Titcomb, 
Baroque Court and Military Trumpets and Kettledrums, 
The Galpin Soc. Journal IX, 1956; H. Seidel, Horn u. Trp. 
im alten Israel unter Beriicksichtigung d. »Kriegsrolle« v. 
Qumran, Wiss. Zs. d. K.-Marx-Univ. Lpz. VI, 1956/57; H. 
Bahnert, T. Herzberg u. H. Schramm, Metallblasinstr., 
Lpz. 1958; H. Fischer, Schallgerate in Ozeanien, = Slg 
mw. Abh. XXXVI, StraBburg u. Baden-Baden 1958; H. 
Kunitz, Die Instrumentation VII (Trp.), Lpz. 1958; E. 
Halfpenny, W. Shaw's »Harmonic Trumpet«, The Galpin 
Soc. Journal XIII, 1960; ders., W. Bull and the Engl. Ba- 
roque Trumpet, ebenda XV, 1962; ders., Two Oxford 
Trumpets, ebenda XVI, 1963; E. A. Bowles, Unterschei- 
dung d. Instr. Buisine, Cor, Trompe u. Trompette, Af Mw 
XVIII, 1961 ; A. Janata, AuBereuropaische Musikinstr., 
Kat., Wien 1961 ; M. Rasmussen, A Concertino for Chro- 
matic Trumpet by J. G. Albrechtsberger, Brass Quarterly 
V, 1961/62; R. Hammerstein, Die Musik d. Engel, Bern u. 
Munchen (1962); B. Aign, Die Gesch. d. Musikinstr. d. 
Sgaischen Raumes bis um 700 v. Chr., Diss. Ffm. 1963; 
F. Korner, Studien zur Trp. d. 20. Jh., Diss. Graz 1963, 
maschr. ; M. Wegner, Griechenland, = Mg. in Bildem II, 
4, Lpz. (1963) ; G. Fleischhauer, Etrurien u. Rom, = Mg. 
in Bildem II, 5, Lpz. (1964); H. Heyde, Trp. u. Trompete- 
blasen im europaischen MA, Diss. Lpz. 1965, maschr. 

Trompette marine (trop'et mar'in, frz.) ->■ Trum- 
scheit. 

Troparion ist ein einstrophiger Hymnus, dessen Me- 
trik und Reimfolge frei gewahlt werden konnen. Es ist 
das einfachste Element der byzantinischen -*■ Hymno- 
graphie, zugleich der Kern auch ihrer kompliziertesten 
Formen. Die verschiedenen Namen des Tr.s verweisen 
auf die Verwandtschaft mit anderen Troparia, den In- 
halt, die Stellung im Offizium, den melodischen Typus 
usw. Wenn ein Tr. sich seiner Form nach (Zahl, Lange 
und Aufbau der Verse usw.) von alien anderen Troparia 
der gleichen Liturgie unterscheidet, heifit es Tr. idio- 
melon (»mit eigener Melodie«). Tr. automelon (»das 
selbst eine Melodie hat«) wird ein Tr. genannt, das eine 
Reihe gleichgebauter Troparia (prosomoia, »iiberein- 
stimmende«) eroffnet. Ein Tr. automelon ist z. B. der 
-> Heirmos, ebenso die 1 . Strophe eines -*■ Kontakions; 
diese »typischen Troparia« stehen dem antiken Nomos 
nahe. In der Ordnung der Leiturgia (Messe) und des 
Offiziums spricht man von ->■ Stichera, wenn die Tro- 
paria zwischen die Verse (stichoi) eines Psalms einge- 
schoben werden. Besondere Zusammenstellungen von 
Psalmversen und Stichera ergeben die Antiphona; in 
diesem Falle heifit das Tr. Antiphonon. Ferner gibt es 
das Makarismon, das zwischen die Verse der Seligprei- 
sungen eingeschoben wird, das Apolytikion, das Heo- 
thinon, die Hypakoe, das Kathisma, dasExapostelarion, 
die Katabasia, das Anatolikon, das Doxastikon, das 
Megalynarion usw. Nach seinem Inhalt heifit das Tr. 
Dogmatikon, Photagogarion, Martyrikon, Triadikon, 
Katanyktikon, Theotokion, Anastasimon, Staurotheo- 
tokion, Stauroanastasimon, Staurosimon, Nekrosimon, 
Anapausimon usw. Nach dem melodischen Typus 
heifit das Tr. Kalophonikon usw. Besondere Zusam- 
menstellungen von Troparia ergeben das Antiphonon, 
das Kontakion und den -»■ Kanon (- 2). 

Tropus (lat., von griech. Tp6ro<;, Wendung, Weise), 
in den sprachlichen Artes der Antike und des Mittelal- 
ters eine der rhetorischen Sinnfiguren, naherhin defi- 
niert als verbi vel sermonis a propria significatione in aliam 
. . . mutatio (Quintilianus, De institutione oratoria III, 6, 1; 



vgl. hierzu Isidorus von Sevilla, Etymologiarum ... I, 
37, 1 : Tropos Graeco nomine Grammatici vocant, qui La- 
tine modi locutionum interpretantur). Als Terminus der 
mittelalterlichen Musiklehre bezeichnet das aus dem 
griechischen Musikschrif ttum ubernommene Wort Tr. 
neben Modus und Tonus die -*■ Kirchentone. Daneben 
findet es sich bei friihmittelalterlichen Dichtern und 
Schriftstellern in der Bedeutung von Gesang oder Ge- 
sangsweise (u. a. bei Venantius Fortunatus und Sedulius 
Scotus). Unter Tr. im engeren Sinne wird heute die 
seit dem 9. Jh. in der abendlandischen Liturgie bezeugte 
nachtragliche syllabische Textierung gegebener melis- 
matischer Gesange verstanden, dann auch deren nach- 
tragliche musikalischeErweiterung sowie die Neukom- 
position tropierender Texte. Dieses Verf ahren einer ent- 
weder nur textlichen oder melodischen oder auch text- 
lich-musikalischen Interpolation wurzelt offensichtlich 
in dem Bemuhen, das gemeinsam mit der romischen Li- 
turgie nach dem Frankenreich iibertragene Repertoire 
»Gregorianischer« Gesange auf frankischem Boden 
heimisch zu machen. Aufgabe des Tr. ist iiberdies die 
nahere Bindung eines Gesanges an den jeweiligen Fest- 
anlafi, wobei der Zusammenhang mit dem tropierten 
Grundtext (vor allem bei den in den Textablauf einge- 
schobenen Tropen) haufig so eng ist, dafi der abgeloste 
Tr. allein unverstandlich bleibt. Das alteste Zeugnis fiir 
untextierte melismatische Einschiibe bietet Amalar von 
Metz, der in Kap. 18 seines Liber de ordine Antiphonarii 
(1. Halfte 9. Jh.) die Interpolation eines sogenannten 
Neuma triplex beim (Schlufi-)Responsorium In medio 
ecclesiae der Matutin vom Fest des Evangelisten Johan- 
nes erwahnt (Melodie in: The New Oxford History of 
Music II, S. 143f.) und seine Ausfiihrungen durch den 
Hinweis erganzt, dafi dieses Neuma (= Melisma) von 
den moderni cantores ebenfalls beim Responsorium 
Descendit de caelis der Weihnachtsmatutin gesungen 
werde (Melodie in: P.Wagner, Einfiihrung III, S. 348). 
Unter den Tropensammlungen enthalten besonders 
die friihen St. Galler Handschrif ten reiches Material an 
melismatischen Interpolationen. - Tropierende Texte 
konnten entweder einem in seine Einzeltone aufge- 
losten Melisma unterlegt werden (alteste bisher nach- 
weisbare Quelle ist das zwischen 817 und 847 aufge- 
zeichnete Psalle modulamina als Textierung des Alleluias 
Christus resurgens) oder aber verbunden mit einer neu- 
geschaffenen melodischen Erweiterung auftreten. Ihr 
Vortrag oblag in der Regel einem Solisten. Wurden 
diese Zusatze zunachst auch als Prosa, Prosella, Versus, 
Laudes u. a. bezeichnet, so setzte sich allmahlich die ge- 
meinsame Bezeichnung Tr. fiir die zum Teil sehr ver- 
schiedenartigen Formen durch. 

Tropen begegnen hauptsachlich bei den Gesangen des 
Ordinarium missae und des Proprium missae (einschliefi- 
lich Alleluia, so dafi Alleluia-Tr. und -> Sequenz - 1 
voneinander zu trennen sind), ferner im Rahmen des 
Offiziums bei Antiphonen und Responsorien (so in der 
Matutin in Verbindung mit dem jeweils abschliefien- 
den Responsorium prolixum der Nokturnen), vorzugs- 
weise auch beim Benedicamus Domino. Die Gruppe 
der Responsoriumstropen bildet unter der Bezeich- 
nung Verbetae oder Verbettae einen eigenen Uberlie- 
ferungszweig, der in seiner entwickelteren Form se- 
quenzartig gestaltet ist (ein verbreitetes Beispiel hierfiir 
ist das Inviolata, integra et casta es, Maria beim Respon- 
sorium Gaude Maria virgo) und bis in das 16. Jh. beson- 
ders in Frankreich lebendig blieb. Einen eigenen Zweig 
bildet auch der als Epitre farcie (Epistola farcida) be- 
zeichneteEpistel-Tr., der vom 11. bis 16. Jh. vor allem 
in Sudfrankreich und Nordspanien beliebt war. - In 
der Zeit der Niederschrift der friihesten heute noch er- 
haltenen Choralhandschrif ten haben die Tropen bereits 



996 



Trouveres 



eine hohe Bliite erreicht. Wenn Mittel- und Endtropen 
sich erst nach dem Einleitungs-Tr. entwickelt haben 
(wie Husmann annimmt), verliert die Frage nach dem 
Ursprung insofern an Bedeutung, als dann der Tr. zu 
verstehen ware als Aufforderung, einen bestimmten 
liturgischen Gesang auszufiihren, und somit zu den 
Grundelementen der christlichen Liturgie gehorte. In 
alien seinen Erscheinungsformen diirfte er sich schon 
im 9./10. Jh. ausgebildet haben. Einer nachhaltigen 
Pflege der hauptsachlich in westfrankischen Abteien 
(an fiihrender Stelle -> Saint-Martial) heimischen Tro- 
penkunst folgte bald ihre Verbreitung nach England 
(Winchester) und Italien, wogegen Ostfranken sich in 
ihrer Pflege zuriickhaltender zeigte. Wie bei der Se- 
quenz bildete hier St. Gallen auch fiir die Tropen ein 
bedeutendes Zentrum, mit dem sich der Name Tuoti- 
los (f 915), des altesten der wenigen namentlich be- 
kannten Tropendichter, verbindet. Parallel zur Sequenz 
besteht auch beim Tr. ein deutlicher Repertoireunter- 
schied zwischen westfrankischem und ostfrankischem 
Gebiet. Hervorzuheben ist, daB die Tropen keinenEin- 
gang in die stadtromische MeBliturgie £anden. - Die 
urspriinglich meist nur kurzen tropierenden Zusatze 
nahmen schnell an Umfang zu und bestanden bald aus 
metrisch oder rhythmisch geformten Texten und aus 
einer oder mehreren Strophen, so daB der liturgische 
Grundtext mehr und mehr iiberlagert und zuriickge- 
drangt wurde. Ergab sich auf diese Weise ein MiB- 
brauch, dem die Kirche schlieBlich entgegentrat, so liegt 
doch hier der Ursprung wichtiger poetischer und mu- 
sikalischer Formen (u. a. der -»- Motette) ; aus den Tro- 
pen der Weihnachts- und Osterintroitus haben sich 
dramatische Szenen, Mysterien und geistliche Schau- 
spiele entwickelt (-*■ Liturgisches Drama). Schon im 
Laufe des 12. und 13. Jh. verliert sich die Oberlieferung 
der Tropen zum Proprium missae, wahrend die Or- 
dinariums- und Offiziumstropen noch bis zum 16. Jh. 
f ortlebten, bis sie durch das -* Tridentiner Konzil voll- 
standig beseitigt wurden. Die Erinnerung an diese einst 
so groBe Tradition wird im heutigen Graduale Roma- 
num noch wachgehalten durch Uberschriften wie Ky- 
rie Lux et origo (= Kyrie I), Fons bonitatis (= Kyrie II), 
Deus sempiterne (= Kyrie III), Cundipotens Genitor Deus 
(= Kyrie IV). 

Ausg. u. Lit.: H. Husmann, Tropen- u. Sequenzenhss., 
= RISM B V 1 , Munchen u. Duisburg (1 964). - L. G autier, 
Hist, de la poesie liturgique au moyen age. Les tropes, Pa- 
ris 1886, Nachdruck Ridgewood (N. J.) 1966; W. H. Fre- 
re, The Winchester Troper . . . , London 1 894 ; Variae pre- 
ces, Solesmes 5 1901 ; Analecta hymnica medii aevi XLVII 
u. XLIX, Lpz. 1905-06 (Tropentexte zum Ordinarium u. 
Proprium missae) ; H. Villetard, Office de Pierre de Cor- 
beil (Office de la Circoncision) improprement appele »Of- 
fice des Fous«, = Bibl. musicologique IV, Paris 1907; O. 
Marxer, Zur spatma. Choralgesch. St. Gallens. Der Cod. 
546 d. St. Galler Stiftsbibl., St. Gallen 1908; P. Wagner, 
Einfuhrungind. Gregorianischen Melodienlll, Lpz. 1921, 
Nachdruck Hildesheimu. Wiesbaden 1962; H. Angles, El 
cdd. mus. de Las Huelgas III, = Publications del Departa- 
ment de musica de la Bibl. de Catalunya VI, Barcelona 
1931 ; ders., La musica a Catalunya fins al s. XIII, ebenda 
X, 1935; ders., Die Sequenz u. d. Verbetaimma. Spanien, 
STMf XLIII, 1961; J. Handschin, Zur Frage d. melodi- 
schen Paraphrasierung im MA, ZfMw X, 1927/28; ders., 
Gesch. d. Musik in d. Schweiz bis zur Wende d. MA, in: 
Schweizer Musikbuch, Zurich 1939 ; ders., Trope, Sequen- 
ce, and Conductus, in: The New Oxford Hist, of Music II, 
London, NY U.Toronto 1954; W. Lipphardt, DieKyrietr. 
in ihrer rhythmischen u. melodischen Struktur, Kgr.-Ber. 
Liineburg 1950; L. Brou OSB, Sdquences et tropes dans la 
lit. mozarabe, Hispania sacra IV, 1951/52; A. Geering, 
Die Organa u. mehrst. Conductus in d. Hss. d. deutschen 
Sprachgebietesv. 13. bis 16. Jh., = Publikationend.Schwei- 
zerischen Musikforschenden Ges. II, 1, Bern (1952); G. 



Vecchi, Troparium sequentiarum nonantulanum cod. Ca- 
sanat. 1741 ..., Pars prior, = Monumenta lyrica medii 
aevi italica I, Latina 1, Modena 1955 (Faks.); H. Hus- 
mann, Die Slteste erreichbare Gestalt d. St. Galler Tropa- 
riums, AfMw XIII, 1956; ders., Sinn u. Wesen d. Tr., ver- 
anschaulichtan d. Introitus-Tr. d. Weihnachtsfestes, AfMw 
XVI, 1959; J. Chailley, Les anciens tropaires_et sequen- 
tiaires de l'6cole de St-Martial de Limoges, Etudes gr6- 
goriennes II, 1957; ders., L'6cole mus. de St-Martial de 
Limoges jusqu'a la fin du XI e s., Paris 1960; J. Smits 
van Waesberghe SJ, Over het ontstaan van Sequens en 
Prosula en beider oorspronkelijke uitvoeringswijze, = Or- 
gaan Koninklijke Nld. Toonkunstenaars-Vereeniging XII, 
1957; W. Apel, Gregorian Chant, Bloomington/Ind. 
(1958); R. Weakland OSB, The Beginnings of Troping, 
MQ XLIV, 1958 ; J. Rau, Tr. u. Sequenz im »Mainzer Can- 
tatorium« (Cod. Lond. Add. 19 768), Diss. Heidelberg 1959, 
maschr. ; P. Evans, Some Reflections on the Origin of the 
Trope, JAMS XIV, 1961 ; H.-J. Holman, The responsoria 
prolixa of the Cod. Worcester F 160, Diss. Indiana Univ. 
1961, maschr.; ders., Melismatic Tropes in the Respon- 
sories for Matins, JAMS XVI, 1963; Br. Stablein, Die 
Unterlegung v. Texten unter Melismen: Tr., Sequenz u. 
andere Formen, Kgr.-Ber. NY 1961, Bd I; ders., Der Tr. 
»Dies sanctificatus« zum Alleluia »Dies sanctificatus«, 
StMw XXV, 1962; ders., Zwei Textierungen d. Alleluia 
Christus resurgens, in : Organicae voces, Fs. J. Smits van 
Waesberghe SJ, Amsterdam 1963 ; ders., Zum Verstandnis 
d. »klass.« Tr., AMI XXXV, 1963; ders., Artikel Tr., in: 
MGG XIII, 1 966 ; E. Jammers, Musik in Byzanz, im papst- 
lichen Rom u. im Frankenreich, = Abh. d. Heidelberger 
Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, Jg. 1962, Nr 1 ; Kx. Ron- 
nau, Die Tr. zum Gloria in excelsis Deo, Diss. Hbg 1964; 
G. Weiss, »Tropierte Introitustr.« im Repertoire d. siidfrz. 
Hss., Mf XVII, 1964; ders., Zum Problem d. Gruppierung 
siidfrz. Tropare, AfMw XXI, 1964; R. L. Crocker, The 
Troping Hypothesis, MQ LII, 1966; D. Stevens, Poly- 
phonic Tropers in 14 th -Cent. England, in: Aspects of 
Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, NY (1966). 

Trouvferes (truv'e:r, frz. ; altfrz. troveor, Ableitung 
von trouver, finden, erfinden), Dichter und Kompo- 
nisten volkssprachlicher Lieder des 12. und 13. Jh. in 
Frankreich im Sprachbereich der Langue d'oil (so ge- 
nannt nach der altfrz. Bejahungspartikel oil, neufrz. oui, 
ja, im Unterschied zur provenzalischen Lengua d'oc der 
-*■ Trobadors). Die Trouveredichtung setzte in der 
2. Halfte des 12. Jh. ein unter dem beherrschenden Ein- 
fluB der Trobadordichtung des Siidens. Bei der Ver- 
mittlung spielte das Haus Aquitanien eine wichtige 
Rolle. Eleonore von Poitiers (f 1202), Enkelin des 
ersten Trobadors (Wilhelms IX. von Aquitanien), be- 
rief zahlreiche provenzalische Dichter an ihren Hof, 
so wohl wahrend ihrer Ehe mit Ludwig VII. von Frank- 
reich als auch nach ihrer Heirat mit Heinrich II. von 
England (1152). Ihre Tochter Alix von Blois und Ma- 
rie de Champagne setzten diese Tradition fort. Am 
Hof von Champagne in Troyes, wo Andreas Capel- 
lanus fiir Marie sein beriihmtes Regelbuch iiber die 
Liebe (Tractatus de Amore) verfaBte, lebte auch -*■ Chre- 
tien de Troyes, der Begriinder des hofischen und arthu- 
rischen Romans. Er ist zugleich der erste Dichter, von 
dem franzosische Minnelieder erhalten sind und kann 
daher als Begriinder der Trouverekunst angesehen 
werden. - Die Tr. ubernahmen von den provenzali- 
schen Trobadors mit der hofischen Minnekonzeption 
auch die im Siiden ausgebildeten Liedarten: die allein 
dem Minnekult und dem Preis der Dame gewidmete 
->■ Kanzone (- 1 ; frz. chanson), das moralische, poli- 
tische oder personliche Riigelied (serventois ; -»■ Sir- 
ventes), das kasuistische Streitlied -*■ Jeu parti (spa'ter 
auch parture genannt), wahrend die -»• Tenzone (ten- 
son im engeren Sinn eines Wortstreits zweier Dichter 
ohne dilemmatische Frage) nur wenig Anklang fand, 
vielleicht weil die Tr. in ihrem nichtlyrischen Debat 
eine eigene, am mittellateinischen Streitgedicht orien- 



997 



Trouveres 



tierte Gattung fiir literarische Streitgesprache besaBen. 
Aus dem Siiden stammt audi das -> Tagelied (aube) 
und der ->■ Descort, wahrend die provenzalische Her- 
kunft der von den Tr. noch mehr als von den Troba- 
dors gepflegten -> Pastourelle zweifelhaft ist. Aus der 
Zeit vom zweiten bis zum siebten Kreuzzug (1147- 
1270) sind 29 franzosische Kreuzzugslieder (chansons 
de croisade) erhalten. - Andere Liedarten der Trouvere- 
dichtung, vor allem die mit Refrain ausgestatteten, 
entstammen vermutlich einer einheimischen volks- 
tiimlichen Tradition, die indessen nur in hofischer 
Uberschichtung uberliefert ist. Zu den sogenannten 
»objektiven« oder erzahlenden Gattungen (im Unter- 
schied zur »Subjektivitat« vor allem der Kanzone), zu 
denen man das Tagelied und die Pastourelle rechnet, 
gehort auch die Gattung von Liedern, die heute als 
Romanze bezeichnet werden: die Chanson d'histoire, 
die eine Liebes-»Geschichte« besingt, und die Chanson 
a toile, die ein mit Naharbeit beschaftigtes Madchen 
vorfiihrt. Fiir die Romanze sind wegen ihres Inhalts 
(Liebeserzahlung ; Liebesklage oder -erklarung eines 
Madchens, nicht einer verheirateten Frau) und ihrer 
metrischen und musikalischen Gestalt (epischer lOSilb- 
ler, Assonanzreim, Wiederholung der gleichen Melo- 
die von Vers zu Vers) vor-hofischer Ursprung und Nahe 
zum ->■ Epos (->■ Chanson de geste) anzunehmen. Ahn- 
liches gilt, jedenf alls hinsichtlich der Strophenform, fiir 
die -*■ Rotrouenge, die inhaltlich jedoch bereits ganz 
hofisch gepragt ist. Inhaltlich, aber nicht formal fixier- 
bar sind die durch ein breites Naturbild charakterisierte 
Reverdie und die Chanson de mal mariee, die monolo- 
gisch oder dialogisch gestaltet sein kann und die Klage, 
gelegentlich auch die Trostung einer ungliicklich ver- 
heirateten Frau zum Gegenstand hat. Volkstiimliche 
Herkunft scheiiit gewifi bei den verschiedenen mit ei- 
nem ->• Refrain als Aufbauelement ausgestatten Arten 
von Tanzliedern, die freilich nur in bereits stark von der 
hofischen Kunstlyrik beeinfluBter Gestalt uberliefert 
sind: das Rondel (oder Rondet; -»■ Rondeau - 1), die 
3strophige Ballete (oder Balade ; ->• Ballade - 1) und das 
-»■ Virelai. Das Prinzip des Strophenbaus ist bei diesen 
Liedarten nur vom musikalischen Vortrag bzw. Ge- 
sang her erklarbar. Nichtstichische, unstrophische For- 
men der Trouverelyrik sind der -> Lai, der Descort und 
die -> Estampie; das ihnen zugrunde liegende Form- 
prinzip ist moglicherweise von der ->■ Sequenz (-1) 
herzuleiten. Uber den volkssprachlichen Motet, des- 
sen alteste erhaltene Belege wahrscheinlich um 1200 
entstanden sind, bestehen Zusammenhange zwischen 
der Kunst der Tr. und der ->■ Motette. 
An der Trouveredichtung sind die einzelnen Gebiete 
Frankreichs sehr ungleichmaBig und mit deutlich un- 
terscheidbaren Besonderheiten beteiligt. Wahrend der 
Westen nur wenig beitrug, waren zahlreiche Dichter 
im Osten und im Norden beheimatet. Hauptzentren 
waren die Hofe der Champagne, von Blois, Flandern 
und die Stadt Arras. Der franzosische Konigshof be- 
zeugte jedoch kaum Interesse fiir die Kunst der Tr. - 
Unter den iiber 200 namentlich bekannten Tr. aus dem 
Zeitraum von 1150 bis 1300 iiberwiegen die Dichter 
aus dem Adelsstand. Der ersten Generation, der auch 
Konig Richard Lowenherz mit zwei erhaltenen Lie- 
dern zuzurechnen ist, gehoren an: Conon de Bethune 
(der Ton seiner Lieder stellt ihn als Melancholiker und 
»Martyrer« der Liebe vor), -> Gace Brule, -> Guy de 
Coucy, der wegen des von ihm bevorzugten Herz- 
Korper-Motivs 100 Jahre spater zum Helden eines die 
»Herzmare« verarbeitenden (anonymen) Romans wur- 
de. Erst in der 2. Periode trat ein Dichter niederer Her- 
kunft auf, der Spielmann ->• Colin Muset, dessen Lie- 
dersammlung Stiicke von sehr personlichem und ori- 



ginellem Charakter enthalt. In der 1. Halfte des 13. Jh. 
dichteten Richard de Fourmival, der Theoretiker unter 
den Tr., und -> Audefroi le Bastard, der die Romanze 
(chanson d'histoire) zu erneuern versuchte. Die rund 
70 erhaltenen Lieder Thibauts IV. de Champagne, vor 
allem seine eigenwilligen Pastourellen und die Jeux 
partis, sind bemerkenswert durch ihre Virtuositat und 
ihre unverkennbare Ironie. - In den letzten Jahren des 
12. Jh. begann auch das Biirgertum der aufbliihenden 
nordfranzosischen Stadte sich der Dichtung zuzuwen- 
den und sich an der hofischen Lebensart zu orientieren. 
Vor allem Arras wurde ein Jahrhundert lang zum Zen- 
trum einer Dichtung, die persbnlicher und realistischer 
ist als die hofische Lyrik. Das stadtische Patriziat griin- 
dete Dichtergesellschaften und organisierte Dichter- 
treff en, die ->■ Puys (so genannt nach der ersten Vereini- 
gung dieser Art in Le Puy-Notre-Dame), bei denen 
Burger, Geistliche und -> Jongleurs gleichberechtigt 
Wettstreite in religiosen und profanen Liedern aus- 
trugen und Preise vergeben wurden. Die namhaftesten 
Dichter dieser Gruppe sind der vielseitige Jean Bodel 
(f 1210), der, von der Lepra befallen, in seinem ergrei- 
fenden, mehrfach nachgeahmten Congie dichterisch 
Abschied von der Welt nahm; im 2. Drittel des 13. Jh. 
der reiche Burger Jehan Bretel, dessen Vorliebe dem 
Jeu parti gait, und Adam de la Halle, von dem auBer 
36 Liedern und 18 Jeux partis auch mehrstimmige 
Kompositionen und zwei szenische Stiicke uberliefert 
sind (im Jeu de Robin et Marion verarbeitete er das 
Pastourellenthema). Der erste grofie Dichter der Stadt 
Paris ist der Menestrel Rutebeuf (1250-85) ; er ergreift 
in seiner bereits von aller hofischen Konvention unab- 
hangigen Dichtung leidenschaftlich Partei in den Strei- 
tigkeiten seiner Zeit, besonders gegen die Bettelorden. 
In Rutebeufs Werk, das fast alle Gattungen einbegreift, 
liegt das ganze Gewicht auf dem Text, der auch das 
musikalisch-rhythmische Element in sich aufnimmt. 
Mit ihm kundigte sich die endgultige Trennung von 
Wort und Musik an, die das 14. Jh. vollzog. 
Die Musikhandschriften (-> Chansonnier), die in der 
reichen handschriftlichen Uberlieferung der Trouvere- 
kunst die reinen Texthandschriften an Zahl iibertref- 
fen, enthalten iiber 2000 Melodien zu Trouverelie- 
dern; damit ist die musikalische Uberlieferung fiir 
die Tr. weitaus umfangreicher als fiir die Trobadors. 
Zwischen beiden Repertoires besteht ein enger Zu- 
sammenhang, wobei jedoch beide Teile Gebende und 
Nehmende waren. Auch der deutsche -> Minnesang 
und die englische Liedkunst des Mittelalters haben sich 
an die Tr. angeschlossen und ihre Melodien iibernom- 
men. Die Wirkung der Trouvirelieder reichte iiber 
den Bereich der Minnedichtung auch insofern hinaus, 
als vielen Melodien geistliche Texte unterlegt wurden 
(-> Kontrafaktur; vgl. Ausg. Gautier de Coinci). La- 
teinische Kontrafakturen finden sich auch im Reper- 
toire der Conductus der Notre-Dame-Zeit als 1st. Con- 
ductus und (als Cantus) in mehrstimmigen Satzen. Die 
letzteren Falle wie auch die Verwendung von Trou- 
vereliedern als textiertem Duplum in Motetten gestat- 
teten eine rhythmische Lesung im Sinne der Modalno- 
tation (Husmann 1952; ->- Modus - 2). Jedoch ist die 
Frage der Prioritat von einstimmiger und mehrstim- 
miger Fassung (und damit auch die Frage, ob die mo- 
dale Rhythmik original oder nachtraglich mit der Me- 
lodie verbunden ist) oft nicht eindeutig zu beantwor- 
ten. So ist der auf 1179 zu datierende 2st. Conductus 
Vex pads aperit (Text von Walter von Chatillon) nach 
Gennrich (1965, S. 62f.) Bearbeitung, nach Schrade 
(1953, S. 40f.) Quelle des Liedes Ma joie me semont 
(R 1924) von Blonde! de Nesle. Vorherrschendes Form- 
prinzip der Trouveremelodien ist die Ausarbeitung 



998 



Trumscheit 



weniger melodischer Elemente ; auch langere Strophen 
werden nicht nach dem Vorbild der Trobadors »durch- 
komponiert« sondern in kunstvollem Wechsel von 
Wiederholung, Variierung und Kontrast gefiigt; z. B. 
sind in der 14zeiligen Strophe von Blondel de Nesles 
Lied Quant je plus sui en paour de ma vie (R 1227) Zeile 
1-2 und 3—4, ebenso 6 und 11 melodisch gleich; Zeile 
5 wird variiert in Zeile 10 und 12, in Quinttransposition 
auch in Zeile 14 aufgenommen; die Zeilen 7-9 ent- 
halten b statt h, weichen also vom vorherrschenden 8. 
in den transponierten 2. Kirchenton aus. Der planvolle 
Wechsel von Zeilen mit engem und solchen mit wei- 
tem Ambitus wird besonders sinnfallig am SchluB, 
wo Zeile 13 durch den ungewohnlichen Aufstieg durch 
eine Oktave mit Zeile 14 zu einem melodischen Bogen 
zusammengefiigt ist. Ausgangspunkt fiir die Formung 
vieler friiher Trouveremelodien ist die Doppelversi- 
kelordnung (-»- Lai); die korrespondierenden Zeilen 
konnen durch ouvert- und clos-SchluB unterschieden 
sein oder umgekehrt bei gleichem SchluB durch ver- 
schiedene Anfange. In der Art des jungeren Lai sind 
die einzelnen Versikel haufig ihrerseits in 2 Half ten ge- 
teilt, die zur gleichen Melodie gesungen werden (z.B. 
Gautier de Coinci, Entendez tuit ensamble, R 83 ; Colin 
Muset, En max, quant li rossignolet, R 967). In den Trou- 
vereweisen des 13. Jh. tritt das volksturnliche Element 
beherrschend hervor, verbunden mit einf achem Form- 
grundriB und einer Melodik, die Terzschritte, Drei- 
klange und Sequenzgange bevorzugt (z. B. Moniot 
d' Arras, Cefut en mai, R 94; Moniot de Paris, Lone tens 
ai mon tens use, R 475). Melismen konnen vollig fehlen 
oder werden dazu verwendet, die charakteristischen 
modalen Rhythmen in einen FluB gleichlanger Noten 
aufzulosen, der seine Impulse von der Dreiergruppie- 
rung empfangt. Die wichtigsten Formen des spateren 
Trouveregesangs, der im 13. Jh. in zunehmendem 
MaBe von Stadtbiirgern und Klerikcrn getragen wur- 
de, sind neben Rondeau und Ballade auch freiere Re- 
frainf ormen, zuweilen mit einem Minimum an musika- 
lischen Mitteln gestaltet; so besteht das Rondeau Pren- 
dis i garde von Guillaume d' Amiens aus dem 8maligen 
Vortrag einer einzigen melodischen Zeile (mit ouvert- 
und clos-SchluB), die den Ambitus einer Quinte nicht 
iiberschreitet und in der die Dreiklangstone d-f-a 
deutlich vorherrschen. Noch im 14. und 15. Jh. benutzt 
die mehrstimmige Chanson die Refrainform der Trou- 
verelieder; als (vorwiegend) einstimmige Kunstform 
hat Machaut auch den Lai lebendig erhalten. 
Ausg. : Exempla altfrz. Lyrik, hrsg. v. Fr. Gennrich, 
= Mw. Studienbibl. XVII, Darmstadt 1958. - Romances 
et pastourelles frc. des XII e et XIH e s., hrsg. v. K. Bartsch, 
Lpz. 1870 (nur Texte); Fr. Gennrich, Troubadours, Tr., 
Minne- u. Meistergesang, = Das Musikwerk (II), Koln 
(1951, 21960); Tr. et Minnesanger, I (Texte) hrsg. v. I. 
Frank, II (Weisen) hrsg. v. W. Muller-Blattau, = Schrif- 
ten d. Univ. d. Saarlandes I— II, Saarbrucken 1952-56; 
Gautier de Coinci, Les chansons a la Vierge, hrsg. v. J. 
Chailley, = Publications de la Soc. frc. de musicologie I, 
15, Paris 1959. 

Lit.: P. Aubry, Tr. et troubadours, Paris 1909, 21910; A. 
Jeanroy, Les origines de la poesie lyrique en France au 
moyen age, Paris 3 1925; Fr. Gennrich, Grundrifl einer 
Formenlehre d. ma. Liedes, Halle 1932; ders., Die Kon- 
irafaktur . . . , = Summa musicae medii aevi XII, Langen 
1965 ; Th. Gerold, La musique au moyen age, Paris 1932; 
H. Husmann, Zur Rhythmik d. Trouveregesanges, Mf V, 
1 952 ; J. Frappier, La poesie lyrique frc. auxXIF et XIII C s., 
Paris (1953, 2196O); L. Schrade, Political Compositions 
. . ., Ann. Mus. I, 1953; R, dazu Fr. Gennrich in: Mf 
X, 1957; H. Zingerle, Tonalitat u. Melodiefuhrung in 
d. Klauseln d. Troubadours- u. Trouvereslieder, Tutzing 
u. Miinchen 1958; H. Angles, Die volkstumlichen Me- 
lodien bei d. Tr., Fs. J. Muller-Blattau, = Annates Univ. 
Saraviensis, Philosophische Fakultat IX, Saarbrucken 



m 



=8= 




1960; J. Schubert, Die Trouverehs. R., Die Hs. Paris, 
B N fr. 1591, Diss. Ffm. 1964; Der prov. Minnesang. Ein 
Querschnitt durch d. neuere Forschungsdiskussion, hrsg. 
v. R. Baehr, = Wege d. Forschung VI, Darmstadt 1967; 
H. Van der Werf, Deklamatorischer Rhythmus in d. 
Chansons d. Tr., Mf XX, 1967. EK 

Trugschlufi (ital. inganno; frz. cadence rompue) ent- 
steht dadurch, daB alle Stimmen regelrecht einen SchluB 
ausfiihren und nur der BaB eine Stufe steigt, statt vom 
Dominant- aim Tonikagrundton fortzuschreiten. In 
Dur ergibt sich dabei stets ein Moll-, in Moll ein Dur- 
J? 1 1 I akkord, deren Terzen ver- 

(1) 8 p l l flg TS= A doppelt werden miissen, um 
•^ ■"* Quint- bzw. Oktavparalle- 

len zu vermeiden (Beispiel 
in C dur und in A moll). H. 
Riemann bezeichnet den Tr. als einen durch einen 
fremden Ton gestorten wirklichen SchluB mit schein- 
konsonanter (auffassungsdissonanter) Form des SchluB- 
akkordes. Der fremde Ton gabe AnstoB zum Weiter- 
bilden, ohne jedoch die Empfmdung eines Hauptab- 
schnitts zu verwischen; er verlange gleichsam eine 
Richtigstellung, eine nochmalige Kadenz ohne eine 
solche Stoning. Sehr haufig 
sind auch die entlehnten 
Trugschliisse, der Dur-Tr. 
in Moll und der Moll-Tr . in 
Dur (Beispiel in A moll und 
in C dur). Von den selteneren Sonderformen des Trug- 
schlusses sei die Folge Dominantdreiklang-Subdomi- 
nantsextakkord in Dur erwahnt (z. B. W.A.Mozart, 
Ave verum, K.-V. 618, Takt 36f.). Sie ist jedoch als Ver- 
bindung von Dominante und Tonikaparallele mit Sex- 
te statt Quinte (D-Tp 6 ) zu bestimmen, da die Folge D- 
S der klassischen Kadenzlogik widersprechen wiirde. 

Trumscheit (ahd. trumme, Trompete oder Trommel, 
und scheit, Holz; auch tympanischiza; im 17. Jh. auch 
Marien-Trompete, Trompetengeige ; lat. und ital. 
tromba marina), ein im 15.-18. Jh., vereinzelt noch im 
19. Jh., vorkommendes Streichinstrument von etwa 

2 m Lange. Das am FuBende offene Corpus besteht aus 

3 Brettern; es hat die Form etwa eines 3seitigen Mo- 
nochords. Eine Darmsaite ist unten befestigt und lauft 
iiber einen Steg in.den Wirbelkasten. Der asymmetri- 
sche 2fiiBige Steg wird durch die iiber den rechten FuB 
des Steges laufende Saite auf die Decke gepreBt, wah- 
rend der linke FuB frei schwebt und beim Spiel durch 
schnelles Beriihren der Decke einen schnarrenden, 
trompetenhaf t lauten Ton hervorbringt. Ein wesentlich 
kleineres Instrument begegnet erstmals bei einer fran- 
zosischen Skulptur des 12. Jh. ; auch in franzosischen 
Texten der Zeit ist oft von Monochordes d'archet die 
Rede. Beim Spiel wurde das Tr. von der Schulter oder 
Brust aus schrag nach oben gehalten. Der Bogen streicht 
die Saite im Unterschied zu den heutigen Streichinstru- 
menten oberhalb des sie verkiirzenden Fingers. Auf 
dem Tr. wurden nur Flageolettone gespielt (-»■ Flageo- 
lett - 3). Das Tr. war vom 15. Jh. an besonders in 
Deutschland verbreitet; es hielt sich hier als Trompe- 
tenersatz in Nonnenklostern (»Nonnengeige«), wovon 
noch 1782 J.S.Petri berichtet, und wird noch von 
Mattheson 1713 und L.Mozart 1756 genannt. In sei- 
ner Komodie Le Bourgeois gentilhomme (1670; 2. Akt, 
1 . Szene) laBt Moliere den M. Jourdin zur allgemeinen 
Belustigung sagen: i7 yfaudra mettre aussi une trompette 
marine. La trompette marine est un instrument qui me plait, 
et qui est harmonieux. Berlioz bezieht sich 1859 auf diese 
Stelle und vergleicht den niederen Rang des Tr.s mit 
dem der Gitarre in seiner Zeit. 

Lit. : Praetorius Synt. II ; M. Mersenne, Harmonie univer- 
selle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; 



999 



T. S. 



Ph. de Lahire, Explication des differences de sons de la 
corde tendue sur la trompette marine, in: Memoires de 
mathematique et de physiques . . . , Paris 1694; J. S. Petri, 
Anleitung zur praktischen Musik, Lauban 1767, Lpz. 
2 1782; H. Berlioz, Les grotesques de la musique, Paris 
1859 ; D. Fryklund, Studier over rnarintrumpeten, STMf 
I, 1919; P. Garnault, La trompette marine, Nizza 1926; 
Fr. W. Galpin, Monsieur Prin and His Trumpet Marine, 
ML XIV, 1933. 

T. S. oder t. s., GeneralbaBsignatur fur ->• Tasto solo. 

Tschechoslowakei. 

Ausg. u. Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angege- 
ben, Prag): G. J. Dlabacz, Allgemeines hist. Kunstler- 
lexikonf. Bohmen, 3 Bde, 1815-18 ; Chr. d'Elvert, Gesch. 
d. Musik in Mahren u. Osterreichisch-Schlesien, Briinn 
1873; O. Hostinsky, 36 napevu svetskych pisni . . . (»36 
Melodien weltlicher Lieder d. tschechischen Volkes aus d. 
16. Jh.«), 1892, neu hrsg. v. J. Markl, Prag 1957; ders., 
Ceska svetska piseri lidova (»Das tschechische weltliche 
Volkslied«), 1906; C. Zjbrt, Bibliogr. pfehled ceskych na- 
rodnich pisni (»Bibliogr. Oberblick d. tschechischen Volks- 
lieder«), 1895; Zd. Fibich, Hudba v Cechach (»Musik in 
B6hmen«), 1900; Zd. Nejedly, Dejiny ceske hudby 
(»Gesch. d. tschechischen Musik«), = Illustrovan6 kate- 
chismy naucn6 II, 1903; ders., Dejiny pfedhusitskeho 
zpevu (»Gesch. d. vorhussitischen Gesangs«), 1904, Aus- 
zug deutsch als: Magister Zavise . . . , SIMG VII, 1905/06 ; 
ders., Pocatky husitskdho zpevu (»Anf ange d. hussitischen 
Gesangs«), 1907; ders., Dejiny husitskeho zpevu ... 
(»Gesch. d. hussitischen Gesangs in d. Hussitenkriegen«), 
1913, Neudruck dieser 3 Werke in 6 Bden, = Sebrand spisy 
XL-XLV, 1954-56 ; ders., Ceska moderni zpevohra (»Das 
moderne tschechische Singspiel«), 1911; R. Batka, Die 
Musik in Bohmen, = Die Musik XVIII, Bin (1906) ; ders., 
Gesch. d. Musik in Bohmen I, 1906; C. Holas, Ceske na- 
rodni pisne a tance (»Tschechische Volkslieder u. -tanze«), 
6 Bde, 1908-10; D. Orel, Der Mensuralkodex Specialnik, 
Diss. Wien 1914, maschr.; ders., Stilarten d. Mehrstim- 
migkeit d. 15. u. 16. Jh. in Bohmen, in: Studien zur Mg., 
Fs. G. Adler, Wien u. Lpz. 1930; Vl. Helfert, Hudebni 
barok na ceskych zamcich (»Mus. Barock auf bohmischen 
Schlossern«), 1916; ders., Hudba na jaromefickem zamku 
(»Musik auf SchloB Jarmeritz«), 1924 ; ders., Zur Entwick- 
lungsgesch. d. Sonatenform, AfMw VII, 1925; ders. (mit 
E. Steinhard), Gesch. d. Musik in d. Tschechoslowakischen 
Republik, 1936, 21938 ; ders., Hudebni renesance (»Mus. 
Renaissances), 1938; ders., O ceske hudbe (»t)ber tsche- 
chische Musik«), hrsg. v. B. Stedron, 1957 ; P. Nettl, Beitr. 
zur bohmischen u. mahrischen Mg., Briinn 1927; ders., 
Musikbarock in Bohmen u. Mahren, Briinn 1927; ders., 
Mozart in Bohmen, 1938 ; L. Janacek u. P. Vasa, Moravs- 
ke pisne milostne (»Mahrische Liebeslieder«) I, 1930; L. 
Janacek, O lidove pisni . . . (»Uber Volkslied u. Volks- 
musik«), hrsg. v. J. Racek u. J. Vyslouzil, = Theoreticke a 
literarni dilo II, 1, 1955; Notationis Bohemicae antiquae 
specimina, hrsg. v. J. Hotter, 2 Bde, 1931; E. Richter, 
Gesch. d. Musiknotendrucks in d. bohmischen Landern 
bis 1618, Diss. 1933; Musica antiqua bohemica, hrsg. v. 
Vl. Helfert u. J. Racek, seit 1934; A. Hnilicka, Kon- 
tury vyvoje hudby . . . (»Umrisse d. Entwicklung d. nach- 
klass. Musik in B6hmen«), 1935 ; J. Racek, Duch ceskeho 
hudebniho baroku (»Geist d. tschechischen Musikba- 
rocks«), Briinn 1940; ders., Stfedoveka hudba (»Ma. Mu- 
sik), Briinn 1946; ders., Ceska hudba . . . (»Tschechische 
Musik v. d. altesten Zeiten bis zum Anfang d. 19. Jh.«), 
1949, 2 1958, mit deutscher Zusammenfassung v. P. Eisner, 
dazu C. Schoenbaum in:MfXII,1960;DERS.u.J. Vyslou- 
zil, Problems of Style in the 20""-Cent. Czech Music, MQ 
LI, 1965; R. Newmarch, The Music of Czechoslovakia, 
London 1942; Fr. Zagiba, Dejiny slovenskej hudby 
(»Gesch. d. slowakischen Musik«), PreBburg 1943; ders., 
Das tschechische u. slovakische Musikschaffen zwischen 
d. beiden Weltkriegen, Zs. f. Ostforschung IV, 1955; Slo- 
venske ludov6 piesnie (»Slowakische Volkslieder«), hrsg. 
v. Staatl. Inst, f . slowakische Volksmusik, PreBburg seit 
1950; C. Schoenbaum, Die »Opella ecclesiastica« d. J. A. 
Planicky, AMI XXV, 1953 ; ders., Zur Problematik d. Mg. 
Bohmens u. Mahrens, Mf X, 1957; ders., Die bohmischen 
Musiker in d. Mg. Wiens, StMw XXV, 1962; St. Hoza, 



Opera na Slovensku (»Die Oper in d. Slowakei«), 2 Bde, 
Martin 1953-54; L. Burlas, J. FiSer u. A. HorejS, Hudba 
na Slovensku . . . (»Die Musik in d. Slowakei im 17. Jh.«), 
PreBburg 1954, dazu L. Mokry in: Hudobnovedne Studie 
II, 1957;TschechischeKomponisten, = Musik d. Zeit VIII, 
hrsg. v. H. Lindlar, Bonn (1954); Zd. NovAcek, Slowa- 
kische Volkslieder, Lpz. 1955; ders., Sucasna slovenska 
hudobna tvorba (»Zeitgendssisches slowakisches Musik- 
schaffen«), PreBburg 1955 ; Selectio artis musicae polypho- 
nicae XII-XVI s., hrsg. v. J. Vanicky, 1955; R. Quoika, 
Die Musik d. Deutschen in Bohmen u. Mahren, Bin (1956), 
dazu C. Schoenbaum in: Mf XI, 1958; L. Burlas u. L. 
Mokry, Dejiny slovenskej hudby (»Gesch. d. slowakischen 
Musik«), PreBburg 1 957; J. M atej cek, Tschechische Kom- 
ponisten v. heute, deutsch v. A. Langer u. J. Buder, 1957; 
G. Schuffenhauer, Die tschechische Volksmusik u. ihr 
EinfluB auf d. Opern Fr. Smetanas, Diss. Bin 1957; Son- 
derheft Tsch., Musica XI, 1957; J. Buzga, Ceska hudebni 
tvofivost . . . (»Das tschechische Musikschaffen im 17. u. 
18. Jh.«), Habil.-Schrift 1958, maschr., dazu J. Playec u. 
B. Stedron in: Miscellanea musicologica IV, 1958; ders., 
Die soziale Lage d. Musiker im Zeitalter d. Barocks in d. 
bohmischen Landern . . ., Kgr.-Ber. Kassel 1962; J. Po- 
hanka, Dejiny cesk6 hudby v pfikladech (»Gesch. d. 
tschechischen Musik in Beispielen«), 1958; Zd. Vyborny, 
Czech Music Lit. Since World War II, in: Notes II, 16, 
1958/59; J. Potucek, Doplfiky k hudobnej bibliogr. . . . 
(»Nachtrage zur slowakischen Musikbibliogr. bis zum Jah- 
re 1952«), Hudobnovednd stiidie III, 1959; K. Plicka, 
Slovensky spevnik (»Slowakisches Liederbuch«) I, PreB- 
burg 1961 ; D. Lehmann, Die Erforschung d. deutsch- 
tschechischen mus. Wechselbeziehungen, Deutsches Jb. d. 
Mw. VIII (= JbP LV), 1963. 

Tuba (lat.) , - 1 ) das der griechischen -*■ Salpinx entspre- 
chende gerade Blechblasinstrument der Romer; - 2) ge- 
meinsamer Name der BaBinstrumente, die zur Familie 
des ->• Biigelhorns gehoren, im engeren Sinne und im 
Unterschied zu Helikon und Sousaphon die langlich- 
gewundene Form. Sie werden mit der Stiirze nach oben 
vor dem Korper gehalten. In Tubenform werden auch 
Bugelhomer der Alt-Bariton-Lage gebaut. 1835 crhicl- 
ten -> Wieprecht und C. W. Moritz ein Patent auf eine 
BaB-T. in F mit 5 Ventilen. Die bevorzugten Stim- 
mungen sind heute F und Es fur die BaB-T. (Umfang 
etwa i A-as 1 ) und C und B fur die KontrabaB-T. (Um- 
fang etwa iEs-f i) ; seltener sind SubkontrabaBtuben mit 
6 Ventilen (bis 2B). Die Tuben werden im Orchester 
(in der Regel nicht transponierend notiert) als BaB der 
Posaunengruppe, auch als Ersatz fiir die BaBposaune, 
eingesetzt. In Blaskapellen werden verwendet: das Bom- 
bardon (BaB-T. in Es), das -> Helikon (- 3), das Sousa- 
phon (rund, mit nach vorne gerichteter Stiirze) und der 
KaiserbaB (KontrabaB-T. mit sehr weiter Mensur). Ei- 
ne Mischform zwischen T. und Waldhorn ist die 
->• »Wagner«-T. Sololiteratur gibt es fiir T. kaum; 
Hindemith schrieb eine Sonate fiir BaB-T. und Kl. 
(1955). - 3) T. curva (krumme T.), ein einfaches Bias- 
instrument, das nur wenige Naturtone gibt. Sein Spiel 
wurde 1798 am Pariser Conservatoire gelehrt; Mehul 
verlangt es in der Oper Joseph. - 4) In der Orgel ist T. 
eine stark intonierte Zungenstimme zu 16', 8' und 4' 
(T. clarin, iiberblasend), als 32' (Kontra-T.) auch im 
Pedal. Sie war als Hochdruckregister (T. mirabilis) in 
der spatromantischen Orgel beliebt, wird heute aber 
kaum mehr gebaut. - 5) der Rezitationston (Reperkus- 
sionston) in den verschiedenen Formen des liturgischen 
Rezitativs und der Psalmodie (-*■ Psalmtone). Fiir den 
romischen Kirchengesang ist der Ausdruck T. bereits 
in friihen Quellen zur Lektions- und Psalmodiepraxis 
iiberliefert. An seiner Stelle wird heute gewohnlich der 
cbenfalls aus dem Mittelalter stammende Terminus 
Tenor verwendet (so u. a. im Antiphonale Romjnum 
und Antiphonale Monasticum : Toni communes II). 

Tubalflote -» Jubalf lote. 



1000 



Turmmusik 



Tubingen. 

Lit.: E. Nagele, Gesch. d. Tiibinger Liedertafel, T. 1879; 
G. Stoll, Zur Mg. T. (1477-1600), Wiirttembergische 
Vierteljahresh.f.Landesgesch.XXXVII,1931;G.PiETZSCH, 
Zur Pflege d. Musik an d. deutschen Univ. bis zur Mitte d. 
16. Jh., T., AfMf VI, 1941 ; W. Schmid, E. Kauffmann, in: 
Schwabische Lebensbilder III, Stuttgart 1942; G. Rei- 
chert, M. Crusius u. d. Musik in T. um 1590, AfMw X, 
1953; O. Wessely, Tubingensia, Mf VII, 1954. 

Turkei. 

Lit.: O. Abraham u. E. M. v. Hornbostel, Phonogra- 
phierte turkische Melodien, Zs. f. Ethnologie XXXVI, 
1904, Nachdruck in: Sammelbde f. vergleichende Mw. I, 
Miinchen 1922; E. Borrel, La musique turque, Rev. de 
Musicol. VI, 1922 - VII, 1923; ders., Contribution a la 
bibliogr. de la musique turque au XX e s., Rev. des etudes 
islamiques II, 1928; ders., Publications musicologiques 
turques, Rev. de Musicol. XVII, 1933; ders., Sur la mu- 
sique secrete des tribus turques Alevi, Rev. des etudes 
islamiques VIII, 1934 ; H. Ritter, Der Reigen d. tanzenden 
Derwische, Zs. f. vergleichende Mw. 1, 1933 ; V. M. Belja- 
jev, Turkish Music, MQ XXI, 1935; B. Bart6k, Ndpdal- 
gyuktes Torokszagban (»Volksliedersammeln in d. T.«), 
Nyngat XXX, 1937, engl. als: Collecting Folk Songs in 
Anatolia, Hungarian Quarterly III, 1 937; ders., Auf Volks- 
lied-Forschungsfahrt in d. T., o. O. 1937, u. in: Musik d. 
Zeit III, Bonn 1953 ; H. G. Farmer, Turkish Instr. of Mu- 
sic in the 17 th Cent = Collection of Oriental Writers 

on Music III, Glasgow 1937; ders., Turkish Mus. Instr. in 
the 1 5"> Cent., Journal of the Royal Asiatic Soc. 1940, u. in : 
Oriental Studies, Mainly Mus., London 1953; S. Ezgi, 
Ameli ve Nazari Turk Musikiski (»Praxis u. Theorie d. 
turkischen Musik«), IV Istanbul 1940, 1-II u. V 1953, III 
o. J. ; W. Friedrich, Die alteste turkische Beschreibung 
v. Musikinstr. aus d. Anfang d. 15. Jh. v. Ahmedoglu Sii- 
kriillah, Diss. Breslau 1944, maschr. ; A. A. Saygun, Kara- 
coaglan (iiber einen turkischen Troubadour, mit Melodien 
u. Analysen), Ankara 1952; ders. , Ethnomusicologie turque, 
AMI XXXII, 1960; ders., La musique turque, in: Hist.de 
la musique I, Paris (1960) ; K. Reinhard, Zustand u. Wan- 
del d. bauerlichen Musiklebens in d. turkischen Provinz 
Adana, Sociologus, N. F. VI, 1956; ders., Turkische Mu- 
sik, = Veroff. d. Museums f. Volkerkunde, N. F. IV, Mu- 
sikethnologische Abt. 1 ,Bln 1 962 ; ders., Musik am Schwar- 
zen Meer, Jb. f. mus. Volks- u. Volkerkunde II, 1966; G. 
Oransay, Das Tonsystem d. turkei-tiirkischen Kunstmu- 
sik, Mf X, 1957; ders., Von d. Tiircken dolpischer Music 
(Die Musik d. turkischen Bauern u. d. abendlandische 
Kunstmusik), Siidosteuropa-Jb. VI, 1962 ; ders., Die tradi- 
tionelle turkische Kunstmusik, = AnkaranerBeitr.zurMu- 
sikforschung I, = Kug-Veroff. Nr 3, Ankara 1964; ders., 
Chronologisches Verz. turkischer Makamnamen, ebenda 
II, 1 965 ; ders., Die melodische Linie u. d. Begriff Makam 
d. traditionellen turkischen Kunstmusik v. 15. bis zum 19. 
Jh. (Diss. Miinchen 1962), ebenda III, Nr 7, 1966 ; I. M. K. 
Inal, Hos sada. Son asir Turk musiksinaslari (»Harmonie. 
Die turkischen Musikwissenschaftler d. letzten Jahrhun- 
derts«), = Tiirkiye is Bankasi kiiltiir yayinlari, Serie I, Nr 
10, 7, Istanbul 1958; B. S. Ediboglu, Unlii tiirk bestekar- 
lari (»Beriihmte turkische Komponisten«), Istanbul 1962; 
M. SarIsozen, Turk halk musikisi usulleri (»Die turkische 
Volksmusik u. ihre Rhythmen«), Ankara 1962; M. And, 
Turk koylii danslari (»Tiirkische Bauerntanze«), Istanbul 
1964; H. Sanal, Mehter Musikisi (»Janitscharenmusik«), 
ebenda 1964. 

Tumba -> Congatrommel. 

Tune (tju:n, engl., von altfrz. ton), Ton, Melodie, 
Weise, Stuck; psalm-t., Psalmenmelodie, Psalmton; 
act-t. (bci Purcell audi curtain-t.), Zwischcnaktsmu- 
sik. - Lachrimae t. (engl., Tranenweise), eine Melo- 
die von J.Dowland, die im Elisabethanischen Eng- 
land zum Inbegriff von Trauer und Melancholie wur- 
de. Ahnlich wie die -*- Folia und andere wandernde 
Melodien wurde der Lachrimae t. haufig mehrstimmig 
bearbeitet, vor allem von Dowland selbst (7 Lachrimae- 
Pavanen), ferner u. a. von Byrd, Farnaby, Brade, L. 
Lechner. 



Tupan (auch goc), volkstiirnliche 2fellige groBe Trom- 
mel mit Lederriemenverschniirung, die in Mazedonien 
und Teilen von Serbien, Bulgarien und Albanien vor- 
kommt. Der T. wird an einem Schulterriemen han- 
gend seitlich vor dem Korper getragen und von der 
rechten Hand mit einem Trommelstock, von der lin- 
ken mit einer Gerte (->• Rute) geschlagen. Das Spiel 
mit 2 Klangfarben ist charakteristisch fur das Trom- 
melspiel auf dem Balkan. Der T. wird allein oder mit 
-> Zurna gespielt. 

Lit. : Y. Arbatsky, Beating the T. in the Central Balkans, 
Chicago 1953. 

Turba (lat., Getiimmel, Haufe, Volk; meist Plur. 
Turbae), in -» Passion und geistlichem Spiel die den 
einzelnen Personen (Evangelist, Christus, -* Solilo- 
quenten) gegeniibertretende Gruppe der Jiinger, Juden, 
Soldaten u. a. 

turco (ital., auch alia turca) -*■ Janitscharenmusik. 

Turin. 

Lit. : B. Alfieri, II nuovo Teatro Regio di Torino apertosi 
nell'anno 1740, T. 1761 ; P. Breggi, Serie degli spettacoli 
rappresentati al Teatro Regio di Torino dal 1688 al pre- 
sente, T. 1872; G. Roberti, La Cappella Regia di Torino, 
1515-1870, T. 1880; G. Sacerdote, II Teatro Regio di 
Torino . . ., 1662-1 890, T. 1892; A.SoLERTi.Festemus.alla 
corte di Savoia nella prima meta del s. XVII, RMI XI, 1 904 ; 
G. Depanis, I concerti popolari e il Teatro Regio di Torino : 
Appunti e ricordi, 2 Bde, T. 191 5 ; L. Torri, II primo melo- 
dramma a Torino, RMI XXVI, 1919; G. Borghezio, La 
fondazione del Collegio nuovo »Puerorum Innocentium« 
del duomo di Torino, Note d'Arch. I, 1924; A. Teglio, 
Cronache mus. dei teatri torinesi, T. 1924; C. De Rossi, II 
Teatro Regio (1891-1924), T. 1925; S. Cordero di Pam- 
parato, II Teatro Regio (1678-1814), T. 1930; ders., I 
musici alia corte di Carlo Emanuele I di Savoia, = Bibl. 
della Soc. stor. subalpina CXXI, T. 1930; ders., Alcuni 
appunti sul teatro melodrammatico francese in Torino nei 
s. XVII, XVIII, XIX, RMI XXXVII, 1930 - XXXVIII, 
1931 ; A. Della Corte, Musiche e musicisti, T. 1948. 

Turku (Finnland; schwedisch Abo). 
Lit.: O. Andersson, J. J. Pippingskold och musiklivet i 
Abo 1808-27, Helsinki 1921; ders., Mus. Sallskapet i 
Abo 1790-1808, ebenda 1940; ders., Orglar och orga- 
nister i Abo domkyrka intill slutet av 1 600-talet, in : Kring 
konst och kultur. Studier tillagnade Amos Anderson, 
ebenda 1948; J. Rosas, Musiikkielama Turussa 1856- 
1917 (»Das Musikleben in T. . . .«), in: Turun kaupugin 
hist., T. 1957; H. Weber, Musik im finnischen T., NZfM 
CXXIII, 1962. 

Turmmusik, Bezeichnung fur Kompositionen, die 
zum ->■ Abblasen bestimmt oder geeignet sind. Zu den 
altesten iiberlieferten T.en gehoren die Choralbicinien 
vonJ.Wannenmacher (1553) sowie die Hora decima . . . 
(1670) und die Fiinffstimmigte blasende Music (1685) von 
J.Chr.Pezel. VonJ. G.Reiche erschienen 1696 Vier und 
zwantzig neue Quatricinia, an die J. G. Chr. Storl (1675- 
1719) mit seinen 6 Sonaten fur Zink (Cornetto) und 
3 Pos. anschlieBt. Fr. Schneider komponierte 1803 4 So- 
naten (2 Trp. und 3 Pos.) ftir die Stadtmusik in Zittau. 
Beethoven schrieb 1812 ftir den Linzer Domkapell- 
und Turmermeister F.X.Gloggl 3 Equale fiir 4 Pos. 
zum Abblasen am Tage Allerseelen. Neuere Bestre- 
bungen, das Turmblasen wieder zu beleben, gingen 
von L.PIafl aus, der 1914 die Berliner T. auf dem Bal- 
kon des Rathausturmes einfiilirte und das Sammeln al- 
ter ortseigentiimlicher T. einleitete. W.Hensel bot in 
seinem Wach auf! (Eger 1922) Festlkhe Weisen vom 
Turm zu blasen, und Hindemith eroffnete den Plotter 
Musiktag (1932) mit einer 3satzigen Morgenmusik, von 
Blechblasern auf einem Turm auszufiihren. T.en von 
G.Donderer, E.Hastetter, H.K. Schmid und R.Wiirz, 
bestimmt fiir das wochentliche Abblasen der Peters- 



1001 



Turn 



turmmusik in Miinchen, erschienen in den Miinchner 
T.en (Reihe I : Aus unserer Zeit, Lpz. 1941ft.)- 
Lit. : L. Plass, Was d. Gesch. d. Pos. lehrt. Studien iiber d. 
ehemaligeu. gegenwartigeT., AMZXL, 1912; ders., Blick 
in d. Slg mus. Wahrzeichen deutscher Stadte, Zs. f. Schul- 
musik VI, 1933; H. J. Moser, Tonende Volksaltertiimer, 
Bin (1935); W. Ehmann, Tibilustrium. Das geistliche Bla- 
sen, Kassel 1950; ders., Die blaserische Kunst, ebenda 
1951 ; E. A. Bowles, Tower Musicians in the Middle Ages, 
Brass Quarterly V, 1961/62. 



Turn (ta:n, engl.)- 

->■ Trillers. 



■ Doppelschlag; Nachschlag eines 



Tusch (engl. tucket, tuck, -> Toccata), ein Signal bei 
festlichen Anlassen, bis ins 19. Jh. das weder an Takt noch 
Harmonie sich bindende unter einander Blasen des Trom- 
peten-Akkordes mit schmettemdem Tone und Zungenschla- 
gen (KochL). Heute wird der Orchester-T. als stereo- 
type Formel meist auf einem Akkord ein- oder mehr- 
mals geblasen. - Die Etymologie des seit 1745 zunachst 
im siiddeutschen Sprachgebiet belegten Wortes ist un- 
sicher. Seit KochL wird meist Herkunf t von f rz, toucher 
(beriihren) angenommen (so W. Apel, Harvard Dictio- 
nary of Music, Cambridge/Mass. 15 1964; Grove u. a.); 
weniger wahrscheinlich diirf te slawische Herkunf t sein 
(wie sie Fr.Kluge, Etymologisches Worterbuch der deut- 
schen Sprache, Berlin '91963, annimmt). 

Tutti (ital., alle) bezeichnet im Gegensatz zu -> Solo 
bzw. dem nicht vollstandigen Ensemble und zum Teil 
gleichbedeutend mit ->• Ripieno das Einsetzen des vol- 
len Orchesters oder ganzen Chores bzw. die in dieser 
Besetzung auszufiihrende Partie, z. B. das Ritornell im 
Konzert. - Tutte le corde ist in der Klaviermusik die 
Aufhebung der Vorschrift una corda oder due corde 
(Verschiebung, -> Pedal - 2). 

Twostep (t'u: step, engl., Zweischritt) war neben dem 
-> Cakewalk einer der ersten Gesellschaftstanze, der 
urn 1900 aus den USA nach Europa gelangte. Der Tw. 
hat rasches Tempo und ist geradtaktig; ihm liegen ver- 
einfachte Polkaschritte zugrunde. Er wurde bis etwa 
1912 getanzt und dann endgiiltig vom -*■ Onestep 
abgelost. 

Txistu (ts'istu, baskisch), eine Schnabelflote mit 3 
Grifflochern, die in der baskischen Volksmusik als 
-*■ Einhandflote mit Trommel zu Tanzliedern gespielt 
wird. In neuerer Zeit ist auch ein BaB-Tx. (silbote) auf- 
gekommen, das zusammen mit 2 Tx.s und Trommel 
gespielt wird. 

Lit. : P. H. Olazaran de Estella, Tx. Tratado de flauta 
vasca, Bilbao 2 1951. 

Tympanum (lat.; griech. -ru(j.7tavov, xuTravov, von 
T&nfsiv, schlagen). - 1) Unter T. wurde in der Antike 
eine einseitig bespannte Handtrommel verstanden, 
meist mit gewolbtem Resonanzkorper (daher in neue- 
rer Zeit auch als Handpauke bezeichnet). Ahnliche In- 
strumente waren nachweislich bereits im alten Orient 
in Gebrauch (z. B. bei den Sumerern; bei den Juden 
unter dem Namen toph, in der Septuaginta alsTuu,mxvov 
bezeichnet, in der Vulgata mit t. ubersetzt, z. B. Ps. 
80, 3, und 149, 3). Nach Griechenland kam das T. zu- 
sammen mit dem Vordringen der orgiastischen Kulte 
des Dionysos (aus Thrakien) und der Kybele (aus Phry- 
gien). Auf Bilddarstellungen sind es vor allem die zum 
Gefolge des Dionysos gehorenden Manaden und Silene, 
die das Instrument spielen, seltener Dionysos selbst. 
Euripides erwahnt in den »Bakchen« das T. der Phry- 
gier (Vers 58) als (3up<j6tovov xuxA<du.<x (fellbespanntes 
Rad, Vers 124). Von dort fand das Instrument seit dem 
5. Jh. v. Chr. durch den Kybele-Kult in ganz Griechen- 
land Verbreitung. In der romischen Antike und im 



Mittelalter bezeichnet T. ein- oder zweiseitig bespann- 
te Trommelinstrumente. Isidorus von Sevilla (Etymo- 
logiae III, 22) unterscheidet das einseitig bespannte T. 
von der zweiseitig bespannten Symphonia: T. estpellis 
vel corium ligno ex una parte extentum. Est enim pars media 
symphoniae in similitudinem cribi. Diese Beschreibung 
wurde spater vielfach ubemommen (z. B. von Hiero- 
nymus de Moravia, Tractatus de musica, ed. Cserba, S. 
21). Nach anderer Uberlieferung wurde das T. als zwei- 
seitig bespanntes Trommelinstrument aufgefaBt (z. B. 
J.Aegidius, GS II, 390b: T. est pellis sive corium ligno ex 
utraque parte extensum . . .). So wie in der mittellateini- 
schen Dichtung wird auch bei den Musikschriftstellern 
t. oft mit tuba zusammen genannt: . . . puta infestis, 
hastiludiis et torneamentis t. et tuba ... (J. de Grocheo, ed. 
Rohloff, S. 52). - Spater wurde T. allgemein fur Heer- 
pauke oder -^- Pauke verwendet, so bei Virdung (1511), 
M.Praetorius (1619) und Altenburg (1795); - 2) frz. 
und span. Bezeichnung f iir -»■ Hackbrett. 
Lit. : Fr. Behn, Die Musik im romischen Heer, Mainzer 
Zs. VII, 1912; K. Schneider, Artikel Tympanon, in: Pau- 
ly-Wissowa RE II, 7, 1, 1948; M. Wegner, Das Musikle- 
ben d. Griechen, Bin 1949 ; ders., Die Musikinstr. d. Alten 
Orients, =Orbis antiquus II, Minister i. W. 1950; ders., 
Griechenland, = Mg. in Bildern II, 4, Lpz. (1963); B. Aign, 
Die Gesch. d. Musikinstr. d. agaischen Raumes bis um 700 
v. Chr., Diss. Ffm. 1963; G. Wille, Musica romana, Am- 
sterdam 1967. 

Typologie. Als ein Zweig der psychologischen For- 
schung versucht die T. Grundstrukturen herauszuar- 
beiten, die den verschiedenen Gruppen von geistig 
schopferischen Menschen gemeinsam sind. Als erster 
unterschied Schiller (1795) zwei Arten des Schopfer- 
tums, die »naive« und die »sentimentalische«; eine drit- 
te Spielart stellte er bloB als Postulat auf. Damit be- 
ruhrt sich W.Diltheys Trias der »Weltanschauungsty- 
pen«: Naturalismus, objektiver Idealismus und Idealis- 
mus der Freiheit. J. Rutz entdeckte drei Typen der Kor- 
perhaltung, des Atmens und des Stimmklangs; sein 
Sohn O.Rutz erklarte sie als (primare) Typen des »Ge- 
miitsausdrucks«. Die Briicke zwischen denErgebnissen 
von Dilthey und Rutz schlug H. Nohl. Durch die Mit- 
bewegungsstudien von E. -»■ Sievers angeregt, fand G. 
Becking drei Grundformen rhythmischer Bewegtheit, 
die (Taktschlag-)Kurven spitz-rund (I), rund-rund (II) 
und spitz-spitz (III) : enthusiastische, objektiv-darstel- 
lende und aktive Gestaltungsart. Als Urbilder melodi- 
scher Gestaltung fand W.Danckert die gleichen drei 
personlichkeitsgebundenen (»personalkonstanten«) Ty- 
pen wieder; zuerst als Schaffensimpulse innerhalb der 
Kunstmusik, spater - mit veranderter Strukturfor- 
schung - als »Formkreise« der Volksmusik, besonders 
deutlich ablesbar an den Abwandlungen, die wandem- 
de Liedweisen erfahren : I. wachstumliches oder »spha- 
risches« Schwebemelos, II. emporgreifendes Uberbrei- 
tungsmelos, HI. (ton-)raum- und zeitmessendes Deszen- 
denzmelos. In der Musik des I. Typus (Landini, Monte- 
verdi, Corelli, Handel, J. Haydn, W. A. Mozart, Schu- 
bert, Bruckner, Debussy) ist der naturhaf te Puis von Ver- 
dichtung und Losung , Systole-Diastole, zu spiiren. Typus 
Illhingegen (Dufay j.-Ph. Rameau, Vivaldi, J. S. Bach, 
Gluck, Ravel, Strawinsky) gestaltet eher gleichformig, 
statisch, mit Schlag und Gegenschlag, antithetisch. Ty- 
pus II (Ockeghem.Telemann, Beethoven, R. Schumann, 
Brahms, Hindemith) formt zeitlich im fortwahrenden 
Vorgriff, tonraumlich in steter Expansion. Die Typen 
verkorpern elementare Grundlagen des Personlich- 
keitsaufbaus und der damit verkniipften Welterfah- 
rung. In der Musikwissenschaft konnen typologische 
Forschungen u. a. dazu beitragen, Fragen umstrittener 
Autorschaft von Tonwerken zu klaren. Eine erste Un- 



1002 



tersuchung iiber die Verteilung der drei Typen in 
Deutschland und Osterreich bot W.Kruse. - C.A. 
Martienssen versuchte, die T. fiir den individuellen 
Klavieninterricht fruchtbar zu machen; doch sind die 
von ihm herangezogenen Unterarten der pianistischen 
Technik nicht so bedeutsam wie die typologischen 
Verschiedenheiten der Rhythmik, Dynamik und Phra- 
sierung. Seine Typen sind der statische, klassische Typ 
(v.Biilow), der ekstatische, romantische (Rubinstein) 
und der expansive, expressionistische (Busoni). 
Lit. : Fr. Schiller, Uber naive u. sentimentalische Dich- 
tung, Horen, 1 795 u. 1 796, in: Samtliche Werke V, hrsg. v. G. 
Frickeu. H. G. Gopfert, Miinchen 1959; W. Dilthey, Die 
Typen d. Weltanschauung, in: Weltanschauung, Philoso- 
phies Religion, Bin 1911, auchin: Gesammelte Schriften 
VIII, Lpz. u. Bin 1931, Stuttgart u. Gottingen 21960 (vgl. 
dazu Bd II u. Ill) ; O. Rutz, Sprache, Gesang u. Korper- 
haltung, Miinchen 1911, 2 1922; ders., Vom Ausdruck d. 
Menschen, Celle 1925; H. Nohl, Typische Kunststile in 
Dichtung u. Musik, Jena 1915, in: Vom Sinn d. Kunst, 
(Vorw. v. E. Blochmann), = KISine; Vandenhoeck-Reihe 
CIII/CIV, Gottingen 1961 ; ders., Stil u. Weltanschauung, 
Jena 1920; H. Sievers, Ziele u. Wege d. Schallanalyse, Hei- 



Tyrolienne 

delberg 1924; G. Becking, Der mus. Rhythmus als Er- 
kenntnisquelle, Augsburg 1928, Nachdruck Darmstadt 
1958; W. Kruse, Die Deutschen u. ihre Nachbarvolker, 
Lpz. 1929, S. 179ff.; W. Danckert, Ursymbole melodi- 
scher Gestaltung, Kassel 1 932 ; ders., Beitr. zur Bachkritik, 
Kassel 1934; ders., Wandernde Liedweisen, AfMf II, 1937; 
C. A. Martienssen, Die individuelle Klaviertechnik auf d. 
Grundlage d. schopferischen Klangwillens, Lpz. 1932; 
ders., Die Methodik d. individuellen Klavierunterrichts, 
Lpz. 1937; W. Werkmeister, Der Stilwandel in deutscher 
Dichtung u. Musik d. 18. Jh., = Neue deutsche Forschun- 
gen XCVII, Abt. Mw. IV, Bin 1936; W. Korte, Musik u. 
Weltbild, Lpz. 1940. WD 

Tyrolienne (tiralj'en, frz., auch Tirolienne, s. v. w. 
Tiroler Landler), eine franzosische.Abart des -»■ Land- 
lers, die im 19. Jh. als volkstiimlicher Rundtanz auf- 
kam mit den Pas: 

|j'jJllJJji^=ll 

* 1 r 1 1 r 1 r r 
Ein Beispiel fiir die Verwendung der T. in der franzosi- 
schen Oper bietet Rossinis Choeur tyrolien aus Guillautne 
Tell (1829), 3. Akt. 



1003 



u 



'Ud (arabisch al-'ud, das Holz; daraus iiber span, laud 
u. a. deutsch-* Laute), die Kurzhalslaute des arabischen 
Mittelalters (7.-13. Jh.) und der Neuzeit mit Knickhals 
und gespantem (aus schmalen Streifen zusammenge- 
fiigtem) bauchigem Corpus. Der 'Ud ist in der ara- 
bisch-islamischen Musik nicht nur als Musizierinstru- 
ment wichtig, sondern auch als dasjenige Instrument, 
an dem das Tonsystem dargestellt und erlautert wurde. 
Der 'Ud entstand aus dem persischen -*■ Barbat, der 
mit Biinden versehen wurde. So kam das Instrument 
wahrscheinlich im 7. Jh. aus dem heutigen Irak nach 
Mekka. Bei al-Farabl im 10. und Ibn SIna im 11. Jh. ist 
der 'Ud 4saitig, bei Safi-ad Din im 13. Jh. 5saitig_in 
Quarten gestimmt. Mit den Arabern kam der 'Ud 
im Hochmittelalter nach Spanien, dem Ausgangs- 
land fiir die Geschichte^ier abendlandischen Laute. In 
der Neuzeit wird der 'Ud in den arabischen Landern 
wieder ohne Biinde gespielt; er ist dort neben dem 
-> Qanun das wichtigste Saiteninstrument. Die Spiel- 
weise ist nicht akkordisch, sondern melodisch (wobei 
Haltetone durch Tonrepetitionen dargestellt werden) 
mit zahlreichen Verzierungen. 

Lit.: Kanz at-tuljaf (Anon.), Kap. fiber Musikinstr., frz. 
in: C. Huart, La musique persane, in: Encyclopedic 
de la musique, hrsg. v. A. Lavignac u. L. de la Laurencie, 
I, 5, Paris (1922); al-Farabi, Kitab al-musiqi al-kablr, 
frz. als: Grand traite de la musique, in: Baron R. d'Erlan- 
ger, La musique arabe I, Paris 1930; Ibn Sina, Kitab 
.aS-Sifa', frz. v. M. al-Manubi al-Sanusi, ebenda II, 1935; 
Safi-ad Din, Kitab al-adwar, frz. v. dems., ebenda III, 
1938; Al-Mufaddal Ibn Salama, Kitab al-'ud wa'-l- 
malahl, mit Ubers. hrsg. v. J. Robson in: Collection of 
Oriental Writers on Music IV, Glasgow 1938. - K. Gei- 
ringer, Vorgesch. u. Gesch. d. europaischen Laute, ZfMw 
X, 1927/28; H. G. Farmer, Hist. Facts for the Arabian 
Mus. Influence, London 1930; ders., Studies in Oriental 
Mus. Instr., I London 1931, II Glasgow 1939; ders., Islam, 
= Mg. in Bildern III, 2, Lpz. (1966); A. Berner, Studien 
zur Arabischen Musik ... in Agypten, = Schriftenreihe d. 
Staatl. Inst. f. Deutsche Musikforschung II, Lpz. 1937; 
H. Husmann, Grundlagen d. antiken u. orientalischen Mu- 
sikkultur, Bin 1961. 

UdSSR. 

Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, 
Moskau): Marij muro (»Tscheremissische Lieder«), hrsg. 
v. W. M. Wassiljew, 3 Bde, Kasan 1919/20-23, Joschkar- 
Ola 1937; 50 pesen Tatar i Baschkir . . . (»50 tatarische 
u. baschkirische Lieder mit Text, ubers. u. harmonisiert«), 
hrsg. v. S. G. Rybakow, 1924; 1000 pesen kirgiskowo 
naroda (»1000. Lieder d. kirgisischen Volkes«), hrsg. v. A. 
W. Satajewitsch u. A. Dm. Kastalskij, = Trudy ob- 
schtschestwa isutschenija kirgiskowo kraja IV, Orenburg 
1925 (mit Bibliogr.); 500 kasachskich pesen i kjujew (»500 
kasachische Lieder u. Instrumentalstficke«), hrsg. v. dens., 
1931 (mit Bibliogr.); 250 kirgiskich instrumentalnych pjes 
i napewow (»250 kirgisische Instrumentalstficke u. -wei- 
sen«), hrsg. v. dens., 1934; Gesange russ. Kriegsgefange- 
ner, hrsg. v. R. Lach, 9 H., = Sb. Wien CCIII/4, CCIV/ 
4-5, CCV/1-2, CCXI/3, CCXVIII/1 u. 4, CCXXVII/4, 
= Mitt. d. Phonogramm-Arch.-Kommission LIV, LV, 
LVIII, LXV, LXVI, LXVIII, LXXIV, LXXVIII, 1926-52; 



101 abchasskajanarodnajapesnja(»101 abchasischeVolks- 
lieder«), hrsg. v. K. W. Kowatsch, Suchumi 1929; Pesni 
naroda mari (»Lieder d. Tscheremissenvolks«), hrsg. v. J. 
Eschpaj, 1930; Melodii gornych i lugowych mari (»Melo- 
dien d. Wald- u. Bergtscheremissen«), hrsg. v. dems., 1933; 
Marij kalyk muro (»Tscheremissische Volkslieder«), hrsg. 
v. dems. u. V. M. Beuajew, 1957; Pesni werchowych 
Tschuwasch (»Lieder d. oberen Tschuwaschen«), hrsg. v. 
A. Maksimow, Schupaschkar 1932; Georgische Gesange, 
hrsg. v. S. Nadel, Bin 1933; Sbornik jakutskich pesen (»Slg 
jakutischer Gesange«), hrsg. v. F. T. Kornilow, 1936; 
Usbekskije narodnyje pesni (»Usbekische Volkslieder«), 
hrsg. v. J. J. Romanowskaja u. I. Akbarow, 2 Bde, Tasch- 
kent 1939 ; Burjatskije i mongolskije pesni (»Burjatische u. 
mongolische Lieder«), hrsg. v. A. P. Globa, 1940; Us- 
bekskaja instrumentalnaja musyka, hrsg. v. J. J. Roma- 
nowskaja, Taschkent 1948; Pesni kasachskich stepej (»Lie- 
der d. kasachischen Steppen«), hrsg. v. S. Kedrina, 1951 ; 
Erwel marij muro (»Osttscheremissische Lieder«), hrsg. v. 
K. Smirnow, Joschkar-Ola 1951 ; Olyk marij muro (»Lie- 
der d. Bergtscheremissen«), ebenda 1955. 
Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Mos- 
kau): E. Emsheimer, Musikethnographische Bibliogr. d. 
nichtslavischen Volker in RuBland, AMI XV, 1943 ; R. 
Waterman (u. a.), Bibliogr. of Asiatic Musics, Notes II, 5, 
1947/48 - 8, 1950/51. - S. G. Rybakow, Musyka i pesni 
uralskich musulman (»Musik u. Lieder d. Ural-Muselma- 
nen«), 1897; D. I. Arakischwili, Musykalno-etnografi- 
tscheskije otscherki grusinskoj narodnoj musyki (»Mus.- 
ethnographische Skizzen zur georgischen Volksmusik«), 
3 Bde, = Trudy musykalno-etnografitscheskoj kommissii 
Obschtschestwa ljubitelej estestwosnanija, antropologii 
i etnografii I, II u. V, 1 905-1 6 ; ders., Kratkij istoritscheskij 
obsor grusinskoj musyki (»Kurze hist. Ubersicht fiber d. 
georgische Musik«), Tiflis 1940; ders., Obsor narodnoj 
pesni Wostotschnoj Grusii (»tlbersicht fiber d. Volkslied 
Ostgeorgiens«), Tiflis 1948; G. Schunemann, Kasan-ta- 
tarische Lieder, AfMw I, 1918/19; R. Lach, Die Musik d. 
turktatarischen, fmnisch-ugrischen u. Kaukasusvolker . . . , 
= Mitt. d. Anthropologischen Ges. in Wien L (3. Folge, 
Bd XX), 1920; ders., Tscheremissische Gesange, Anzei- 
ger d. Akad. d. Wiss. in Wien LXIII, 1926; V. M. Beua- 
jew, Khoresmian Notation, The Sackbut IV, 1924; ders., 
Turkomanian Music, Pro Musica Quarterly V, 1927; 
ders. u. V. A. Uspenskij, Turkmenskaja musyka, 1928; 
ders., Musykalnyje instrumenty Usbekistana, 1933 ; ders., 
The Folk Music of Georgia, MQ XIX, 1933; ders., 
Otscherki po istorii musyki narodow SSSR (»Skizzen zur 
Mg. d. Volker d. UdSSR«), I (»Die Musikkultur Kirgisiens, 
Kasachstans,Turkmeniens,Tadschikistans,Usbekistans«), 
II (»Die Musikkultur Aserbajdschans, Armeniens, Geor- 
giens«), 1962-63; N. N. Mironow, Obsor musykalnych 
kultur usbekow . . . (»t)bersicht fiber d. Musikkultur d. 
Usbeken u. anderer Volker d. Orients«), Samarkand 1931 ; 
S. Ewald, W. Kossowanow u. S. Abajanzew, Musyka 
i musykalnyje instrumenty narodnostej Sibiri (»Musik u. 
Musikinstr. d. sibirischen V61kerschaften«), in: Sibirskaja 
Sowjetskaja Enziklopedija III, 1931, frz. gekfirzt v. S. 
Levique als: La musique des peuples sibiriens, Le Me- 
nestrel XCVIII, 1936; A. O. Vaisanen, Wogulische u. ost- 
jakische Melodien, = Suomelais-ugrilaisen seuran, Toi- 
mituksia (Memoires de la Soc. finno-ougrienne) LIII, Hel- 
sinki 1937; ders., Untersuchungen fiber d. ob-ugrischen 
Melodien, ebenda LXXX, 1939; W. Winogradow, Mu- 
syka Sowjetskoj Kirgisii, 1939; ders., Toktogul Satylga- 



1004 



Ukraine 



now, 1952; ders., Kirgiskaja narodnaja musyka (»Die 
kirgisische Volksmusik«), Frunse 1958; S. Gorodezkij, 
Musyka Tadschikistana, Stalinabad 1944; U. A. Gadschi- 
bekow, Osnowy aserbajdschanskoj narodnoj musyki 
(»Grundlagen d. aserbajdschanischen Volksmusik«), Baku 
1945, 2 1957; A. A. Semjonow, Sredne-asiatskij traktat po 
musyke derwischa Ali (»Der zentralasiatische Musiktrak- 
tat d. Derwischs Ali«, [17. Jh.]), Taschkent 1946 ; Ch. Cha- 
nukajew u. M. I. Plotkin, Dagestanskaja musyka, Ma- 
chatschkala 1948; G. S. Tschchikwadse, Kompository 
Grusinskoj SSR, Tiflis 1949; Musykalnaja kultura so- 
wjetskowo Usbekistana, hrsg. v. M. Muradjan, Tasch- 
kent 1955; Musykalnaja kultura Kasachstana, hrsg. v. 
dems., Alma-Ata 1957; W. Balantschiwadse, W. Do- 
nadse u. P. Chutschua, Grusinskaja musykalnaja kul- 
tura, 1957; B. Ersakowitsch, Musykalnaja kultura Ka- 
sachskoj SSR, Alma-Ata 1957; W. Jegorowa, Musy- 
kalnaja kultura awtonomii respublik, 1957; L. Karagi- 
tschewa, Musykalnaja kultura Aserbajdschanskoj SSR, 
Leningrad 1957; T. Wysgo, Musykalnaja kultura Us- 
bekskoj SSR, ebenda 1957; Br. Nettl, Cheremis Mus. 
Styles, = Indiana Univ. Folklore Series XIV, Bloomington 
1960; V. A. Gvacharia, Zu Fragen d. grusinischen Musik, 
Beitr. zur Mw. IV, 1962; Otscherki po istorii kasachskoj 
sowjetskoj musyki (»Skizzen zur Gesch. d. kasachischen 
Sowjetmusik«), hrsg. v. A. K. Schubanow, Alma-Ata 
1962; Atlas musykalnych instrumentow narodow SSSR 
(»Atlas d. Musikinstr. d. Volker d. UdSSR«), hrsg. v. J. J. 
Jarowizkaja, G. J. Blagodatow u. K. A. Wertkow, 
1963; J. B. Pekker, Usbekskaja opera (»Die usbekische 
Oper«), 1963; L. Vikar, Systematisation mus. des chan- 
sons populaires tcher6misses, Studia musicologica IV, 1 963 ; 
ders., La »petite forme« tcheremisse, ebenda VI, 1964; E. 
Emsheimer, Studia ethnomusicologica eurasiatica, = Mu- 
sikhist. museets skrifter I, Stockholm 1964. — > Armenien, 
— » Estland, — > Lettland, — ► Litauen, — > Mongolei, — » Rus- 
sische Musik, — > Ukraine. 

tjberblasen (engl. overblowing) heiBt, auf einem 
Blasinstrument durch starkeren Winddruck oder er- 
hohte Lippenspannung einen der hoheren -> Naturto- 
ne (anstelle des Grundtons) hervorbringen. Offene 
Lippenpfeifen (Floten) sowie konische Zungenpfeifen 
(z. B. Oboe, Saxophon) schlagen durch U. zunachst in 
den 2. Naturton (die Oktave) iiber; sie heiBen daher 
oktavierende Instrumente. Gedeckte Lippenpfeifen 
(->• Gedackt) und die sich akustisch gleich verhaltenden 
zylindrischen Zungenpfeifen (z. B. Klarinette, Fagott) 
schlagen nur in die ungeradzahligen Naturtone iiber 
(zunachst in den 3. Naturton, die Duodezime) ; sie hei- 
Ben quintierende Instrumente. Die Uberblastone (de- 
ren Schwingungszahl infolge der Gegebenheiten des 
Instruments von der theoretischen Schwingungszahl 
der Naturtone mehr oder weniger abweichen kann; 
->■ Blasquinte) klingen heller, scharfer als die Grundto- 
ne; sie bilden innerhalb des Gesamtumfangs der Instru- 
mente jeweils ein eigenes -> Register (- 3). Auf man- 
chen einfachen Instrumenten, z. B. der ->■ Einhandflote 
und der ventillosen Trompete (-*• Clarino), ist eine 
vollstandige Skala nur durch U. hervorzubringen. Das 
U. kann (z. B. bei Blockflote, Oboe, Klarinette, Saxo- 
phon u. a.) durch kleine, nahe dem Mundstiick gele- 
gene Uberblaslocher erleichtert werden. Die grofien 
Intervalle zwischen den ersten 6 Naturtonen werden 
auf modernen Blechblasinstrumenten durch die -*■ Ven- 
tile (- 2) uberbriickt. - In der Orgel kommt U. beab- 
sichtigt (-»■ Register - 1), aber auch als technischer Feh- 
ler vor (-»■ Uberschlagen - 1 bei eng mensurierten La- 
bialstimmen). 

Lit. : R. W. Young u. J. C. Webster, Die Stimmung v. Mu- 
sikinstr. I-IV, Gravesaner Blatter II, 1957 - IV, 1959 ; F. J. 
Young, The Natural Frequencies of Mus. Horns, Acustica 
X, 1960; J. P. Fricke, Die Innenstimmung d. Naturton- 
reihe u. d. Klange, Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962. 

Ubermafiig heiBen die -»■ Intervalle, die um einen 
chromatischen Halbton groBer sind als die groBen (z. B. 



c-eis statt c-e) oder als die reinen Intervalle (z. B. c-fis 
statt c-f). Die -> Umkehrung iibermaBiger Intervalle 
ergibt verminderte. 

Uberschlagen, - 1) bei Blasinstrumenten (auch Or- 
gelpfeifen) das Ansprechen eines hoheren Naturtons 
anstelle des beabsichtigten (-*■ Uberblasen). Bei der 
Singstimme ist U. s. v. w. Umschlagen in ein anderes 
-> Register (- 3), z. B. beim ^> Jodeln. - 2) Beim Kla- 
vierspiel gibt es neben dem O. der Finger (->■ Finger- 
satz) zwei Arten des U.s einer Hand iiber die andere. 
Die eine Art besteht im U. der einen (meist der linken) 
Hand iiber die in gleicher Lage weiterspielende andere 
Hand. Diese Art ist durch die Komposition festgelegt, 
so etwa bei Cembalostiicken fur 2 Manuale, z. B. in 
J.S.Bachs »Goldberg-Variationen«, BWV 988, oder 
freibleibend fur ein oder zwei Manuale, z. B. in D. 
Scarlattis Sonata Nr358 (ed. A.Longo), J.Ph.Rameaus 
Les tourbillons aus den Pieces de clavecin (1724; hierzu die 
beigegebene methode pour la mechanique des doigts), die 
Gigue in Bachs Partita B dur, BWV 825; auf dem Pia- 
noforte z. B. in W. A. Mozarts Sonate K.-V. 331 (4. Va- 
riation, Trio des Menuetts), in Beethovens Sonate op. 
31 Nr 2 (1. und 2. Satz). Die zweite Art, das abwech- 
selnde U. der Hande beim Passagen- oder Arpeggio- 
spiel, ist mehr eine Angelegenheit der geschichtlich 
sich wandelnden Spielpraxis und gehort der Ebene der 
Ausfiihrung an (wie Fingersatz, Spieltechnik). 

Ubersetzen, beim Klavierspiel das Uberschlagen eines 
Fingers iiber den Daumen, in der rechten Hand ab- 
warts, in der linken aufwarts (-> Fingersatz) ; beim Pe- 
dalspiel auf der Orgel das Kreuzen der FiiBe. 

'Cgab (hebraisch, von + ugb, inbriinstig lieben), ein 
Blasinstrument in der nomadischen Periode der Ju- 
den; die entsprechenden Namen sind fur die Konigs- 
und Prophetenzeit chalil und fur die talmudische Epo- 
che (dasnichtbiblische) 'abbuba. Diese Instrumente stie- 
gen nicht zu Kultinstrumenten auf, sondern wurden von 
Volksmusikanten bei Prozessionen, Volksfesten, Hoch- 
zeiten und Leichenbegangnissen gespielt. Die genauere 
Zuordnung zu den Floten und Rohrblattinstrumenten 
laBt sich aus den sparlichen Textstellen nicht erschlie- 
Ben, eher noch aus heutigen vorderasiatischen Instru- 
menten und deren Spielweise sowie aus archaologi- 
schen Funden, die neben den beiden genannten Typen 
noch Knochenfloten, anthropomorph gebaute Pfeifen, 
Panfloten und Sackpfeifen bezeugen. - Chalil wird ur- 
spriinglich als Freudeninstrument genannt, in nachexi- 
lischer Zeit als Trauerinstrument. 'U. war ein weltli- 
ches, aufreizendes Instrument, moglicherweise dem 
Aulos verwandt. Jubal_wird (1. Mos. 4, 21) als Vorva- 
ter der Kinnor- und 'U.-Spieler genannt (bei Luther: 
der Geiger und Pfeifer). 

Ukraine. 

Ausg. : Halizko-russki narodni pisni (»Galizisch-russ. 
Volkslieder«), hrsg. v. I. Kolessa, = Etnografitschnyj 
sbirnyk XI, Lemberg 1902; Narodni pisni s halizkoj Lem- 
kiwtschyny (»Volkslieder aus d. galizischen Lemken«), 
hrsg. v. F. Kolessa, ebenda XXXIX/XL, 1929 ; Ukrainska 
narodna pisnja (»Das ukrainische Volkslied«), Kiew 21936; 
Pesni donskich i kubanskich kasakow (»Lieder d. Don- u. 
Kubankosaken«), hrsg. v. S. A. Bugoslawskij u. I. P. 
Schischow, Moskau 1 937; Pesni i dumy Sowjetskoj Ukrai- 
ny (»Lieder u. Balladen d. Sowjet-Ukraine«), hrsg. v. G. 
Litwak, Moskau 1940, mit einer Abh. v. M. Rylskij 21951. 
Lit: . Dm. M. Rewuzkyj, Ukrainski dumy ta pisni istorytsch- 
ni (»Ukrainische Balladen u. hist. Lieder«), Kiew 1919, 
2 1930; M. A. Hrintschenko, Istorija ukrainskoi musyky, 
Kiew 1922, NY 21961 ; Kl. W. Kwitka, Professionalni 
narodni spiwzi (»Berufsmafiige Volkssanger«), Kiew 1924; 
B. Kudryk, Ohlad istorii ukrainskoi zerkwenoi musyky 
(»AbriB d. Gesch. d. ukrainischen Kirchenmusik«), Lem- 



1005 



Ukulele 



berg 1937 ; Ukrainska musykalna spadschtschyna (»Ukrai- 
nisches Musikerbe«), hrsg. v. A. W. Olchowskvj, Char- 
kow 1940; A. Olkhovsky (Olchowskyj), Narys istorii 
ukrainskoi musyky (»AbriB . . .«), Kiew 1941 ; ders., Mu- 
sic Under the Soviets, NY 1955; Kompository Sowjetskoj 
Ukrainy, Kiew 1951 ; M. Antonowytsch, Die Mehrstim- 
migkeit in d. ukrainischen Volksliedern, Kgr.-Ber. Utrecht 
1952; Hr. Kytasty, Some Aspects of Ukrainian Music 
Under the Soviets, NY 1954; M. W. Lisenko, Charak- 
teristika musitschnich osobliwostej ukrainskich dum i pi- 
sen . . . (»Die mus. Besonderheiten d. ukrainischen Volks- 
lieder u. Gesange, d. v. d. Kobsaren Weresaj vorgetragen 
wurden«), Kiew 1955; Is istorii russko-ukrainskich musy- 
kalnych swjasej (»Aus d. Gesch. d. russ.-ukrainischen Mu- 
sikbeziehungen«), hrsg. v. T. I. Karyschewa, Moskau 
1956 ; L. B. Archimowytsch, Ukrainska klassitschna ope- 
ra (»Die ukrainische klass. Oper«), Kiew 1957; ders. (L. 
Archimowitsch), A. Schreer-Tkatschenko, T. Scheffer 
u. T. I. Karyschewa, Musykalnaja kultura Ukrainy, Mos- 
kau 1961 ; W. D. Dowschenko, Narysy s istorii ukrainskoi 
radjanskoi musyky (»Skizzen zur Gesch. d. ukrainischen 
Musik«) I, Kiew 1957 ; A. I. Humenjuk, Ukrainski narodni 
musychni instrumenty . . . (»Ukrainische Volksmusikinstr., 
Instrumentalensembles u. Orch.«), Kiew 1959; M. Sahaj- 
kewytsch, Musytschne schyttja Sachidnoi Ukrainy . . . 
(»Das Musikleben d. westlichen U. in d. 2. Halfte d. 19. 
Jh.«), Kiew 1960. 

Ukulele (hawaiisch, s. v. w. der hupfende Floh), eine 
kleine, von der portugiesischen Machete abstammende 
Gitarre mit 4 Stahlsaiten in der Stimmung a d 1 fis 1 a 1 
oder g c 1 e 1 a 1 . In den amerikanischen und europaischen 
Tanzmusikensembles kommt die (oder das) U. seit den 
1920er Jahren vor. Sie wird mit einem Schlagring ge- 
spielt, die Saiten werden nicht mit den Fingern, son- 
dern mit einer Metallplatte verkiirzt; der Klang liegt 
zwischen dem der Zither und dem der Gitarre. Die U. 
wird mit viel Vibrato und Portamento gespielt. 

Ulm. 

Lit.: K. Blessinoer, Studien zur U.er Mg. im 17. Jh., 
= Mitt. d. Ver. f. Kunst u. Altertum in U. u. Oberschwa- 
ben XIX, U. 1913; M. Scheffold, Die U.er Org.- u. Kla- 
vierbauer-Familie Schmahl, ZfMw XIII, 1930/31 ; W. Tap- 
pe, 150 Jahre U.er Stadttheater, U. 1931 ; H. Mayer, Der 
U.er Fischermarsch, in : U. u. Oberschwaben XXXV, 1958 ; 
ders., H. L. HaBler in U. (1604-08), ebenda. 

Ultima (lat., u. vox) ->- Paenultima. 

Umkehrung (ital. rivolto). Intervalle werden umge- 
kehrt, indem der hohere Ton unter den tieferen oder 
der tiefere iiber den hoheren oktavversetzt wird. Im- 
mer entsteht dadurch das Komplementarintervall des 
Ausgangsintervalls, d. h. dasjenige Interval], welches 
das Ausgangsintervall zur Oktave erganzt; es stehen 
im Verhaltnis der U. : Se- 
kunde-Septime, Terz-Sex- 
te, Quarte-Quinte und um 



vallgetreu (real), wie im 3. Satz der 1. Symphonie von 
J.Brahms: 



a- *J 



«- 



gekehrt. Die U. eines reinen Intervalls ergibt wieder ein 
reines, die eines groBen ein kleines, die eines verminder- 
ten ein iibermaBiges und umgekehrt. - Akkorde werden 
umgekehrt, indem anstelle ihres Grundtons ein anderer 
ihrer Tone in den BaB gelegt wird. Die Anzahl der 
moglichen U.en eines Akkordes ist immer um 1 klei- 
ner als die Anzahl seiner Tone. So hat der Dreiklang 2 
U.en, Sextakkord und Quartsextakkord ; der Domi- 
nantseptakkord hat 3 U.en, Quintsextakkord, Terz- 
quart(sext)akkord und Sekundakkord. - Motive und 
Themen werden umgekehrt, indem ihre Intervall- 
schritte in die entgegengesetzte Richtung versetzt wer- 
den: steigend statt fallend, fallend statt steigend (ital. 
inversione, all'inverso, per moto contrario, auch al ro- 
vescio). Sie erscheinen gegeniiber ihrer urspriinglichen 
Form in Gegenbewegung. Das Verfahren trat zuerst 
im Kanon auf, blieb aber nicht auf Kanon und Fuge 
beschrankt. Seine Anwendung erfolgt entweder inter- 




pdolce 

oder tonal, wie im Contrapunctus VI der Kunst der Fu- 
ge von J. S.Bach: 




oder nur richtungsgetreu, wie im 1. Satz des Klavier- 
trios op. 100 (D 929) von Fr. Schubert: 
Takt 283ff. (,>-; 




Die U.en miissen nicht mit dem Anfangston ihrer Vor- 
lage beginnen. Doch verlaufen intervallgetreue wie to- 
nale U.en zu ihrer Vorlage gleichsam spiegelbildlich 
(Symmetrie). Im Beispiel von Bach bildet der Ton f, in 
dem Vorlage und U. einander treffen, die Spiegelungs- 
achse. Im Beispiel von Brahms liegt die (imaginare) 
Spiegelungsachse zwischen d* und des 2 . Je charakteri- 
stischer das Thema ist, um so mehr verandert vor allem 
die intervallgetreue U. dessen Charakter. Dabei wird 
aus einem Durthema oft ein Mollthema und umgekehrt 
(Hauptthemades4. Satzesder7. Symphonie von Bruck- 
ner und seine U., Takt 163ff.). - Tonleitern und Ton- 
reihen werden wie Motive und Themen, jedoch inter- 
vallgetreu umgekehrt. Dabei ergeben sich wechselsei- 
tige Beziehungen zwischen einigen Tonleitern. So ist 
die intervallgetreue U. der Durtonleiter identisch mit 
dem nach c transponierten 3. Kirchenton (phrygisch), 
die der reinen A moll-Tonleiter identisch mit dem nach 
a transponierten 7. Kirchenton (mixolydisch). Dage- 
gen ergibt die intervallgetreue U. des 1. Kirchentons 
(dorisch) wieder den 1. Kirchenton, die der Ganzton- 
leiter wieder die Ganztonleiter. In der Zwolftontech- 
nik ist die intervallgetreue U. der -*■ Reihe eine ihrer 
vier Erscheinungsformen. Auch ganze Musikstiicke 
werden wie Motive bzw. Themen umgekehrt. Solche 
U.en sind in der dur-moll-tonalen Musik in der Regel 
tonal. Die bekanntesten der wenig zahlreichen Beispie- 
le stehen in Bachs Kunst der Fuge (Contrapunctus XVI- 
XVIII). Die U. eines Rhythmus ist sein Krebs. O.Mes- 
siaen unterscheidet zwischen umkehrbaren (retrogrades) 
und nicht umkehrbaren (non retrogradables) Rhyth- 
men, deren U.en mit ihrer Vorlage identisch sind (z. B.: 
Vorlage J J J = U. J J J). ESe 

Unca (lat., Bogen), das Fahnchen der Achtelnote: *n, 
auch die Achtelnote selbst; entsprechend bis u.: ft, 
Sechzehntel, usw. 

Undezime (lat. undecima, elfte), die Quarte iiber der 
Oktave. 

Ungarn. 

Ausg. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, 
Budapest) : Magyar N6pdalok (»Ungarische Volkslieder«), 
7 Bde, hrsg. v. I. Bartalus, 1873-96; Magyar Gyermek- 
jatdkgyujtemdny (»Slg ungarischer Kinderspiele«), hrsg. v. 
A. Kiss, 1891; Siebenburgisches Ungartum. Volkslieder, 
hrsg. v. B. Bartok u. Z. KodAly, 1923; A Magyar Nepzene 



1006 



Unterhaltungsmusik 



Tara - Corpus Musicae Popularis Hungaricae, hrsg. unter 
Leitung v.DENS.,seit 1951;Nagyszalontaigyiijtes. . .(»Slgv. 
Nagyszalonta . . . «, mit Melodien), hrsg. v. Z. KodAly, 
in : Magyar Nepkoltesi Gyiijtemeny (» Ungarische Volks- 
dichtungs-Slg«) XIV, 1 924; Nepzenei monografiak (»Volks- 
musik-Monographien«), 5 Bde, hrsg. v. L. Lajtha, 1954- 
62; Somogyi Tancok (»Tanze aus d. Komitat Somogy«), 
hrsg. v. P. Morvai, E. PesovAru. L. Vargyas, 1954; Csan- 
go nepzene (»Volksmusik d. Csango-Ungarn«), 2 Bde, 
hrsg. v. P. P. Domokos u. B. Rajeczky, 1956-61 ; Monu- 
menta Hungaricae Musica, Budapest u. Graz 1963ff. - 
Magyar Orpheus, hrsg. v. I. Bartalus, 1869; A XVIII. 
szazad magyar dallamai . . . (»Die ungarischen Melodien 
d. 18. Jh. . . .«), hrsg. v. D. Bartha, 1935; Otodfelszaz 
enekek (Liederslg d. A. P. Horvath v. 1813), hrsg. v. dems., 
1953; Arany Janos nepdalgyujtemenye (»Die Volkslieder- 
Slg d. Dichters J. Arany«), hrsg. v. Z. KodAly, 1952; Me- 
lodiarium Hungariae Medii Aevi I, hrsg. v. B. Rajeczky, 
1956; A XVI. szazad magyar dallamai (»Ungarische Me- 
lodien d. 1 6. Jh.«), hrsg. v. K. Csomasz T6th, 1958; N6piink 
szabadsagmozgalmanak dalai (»Lieder d. ungarischen 
Freiheitsbewegungen«), hrsg. v. J. PAlinkAs, 1959. 
Lit. (Erscheinungsort, wenn nicht anders angegeben, Bu- 
dapest) : Magyar zenei dolgozatok (»Ungarische Mus. Stu- 
dien«), hrsg. v. Z. Kodaly, 1 1 Bde, 1927-35 ; Studia musi- 
cologica Acad. Scientiarum, hrsg. v. dems., seit 1961 ; Ze- 
netudomanyi tanulmanyok (»Studien zur Mw.«), hrsg. 
v. B. Szabolcsi u. D. Bartha, 10 Bde, 1953-62; Tanctu- 
domanyi tanulmanyok (»Studien zur Tanzkunde«), hrsg. 
v. P. Morvay u. G. Dienes, 3 Bde, 1958-62; Magyar ze- 
netudomany (»Ungarische Mw.«), hrsg. v. F. B6nis, seit 
1959. - B. Bart6k, A magyar nepdal (»Das ungarische 
Volkslied«), 1924, deutsch Bin 1925, engl. London 1931; 
ders., Nepzenenk es a szomszed nepek nepzeneje (»Die 
Volksmusik d. Ungarn u. d. Nachbarvolker«), 1934, 2 1952, 
deutsch in: Ungarisches Jb. XV, 1935; M. Rethei Prik- 
kel, A magyarsag tancai (»Die Tanze d. Ungartums«), 
1924; P. P. Domokos, A moldvai magyarsag (»Das Un- 
gartum in d. Moldau«), Csiksomlyo 1931, Klausenburg 
2 1934, 3194.1; Z. KodAly, A magyar nepzene (»Die un- 
garische Volksmusik«), 1937, 2 1943, mit Melodien erwei- 
tert v. L. Vargyas 31952, "1960, deutsch 1956, engl. London 
u. NY 1960; L. Lajtha u. S. Gonyei, Tanc (»Volkstanz«), 
in: Magyar neprajz (»Ungarische Ethnographie«), 1937; 
E. Luoossy u. S. Gonyei, Magyar nepi tancok (»Ungari- 
sche Volkstanze«), 1947; E. Kaposi u. L. MaAcz, Magyar 
nepi tancok es tancos nepszokasok (»Ungarische Volks- 
tanzeu. mitTanzen verbundeneVolksbrauche«), 1 958; Folk 
Music Research in Hungary, hrsg. v. L. Vargyas, 1964. - 
J. KAldy, A Hist, of Hungarian Music, London 1902; K. 
Isoz, Buda es Pest zenei muvelodese (1686-1873) (»Die 
Musikkultur v. Buda u. Pest . . .«), 1926; A. MolnAr, Az 
uj magyar zene (»Die neue ungarische Musik«), 1926; E. 
Haraszti, La musique hongroise, Paris 1933 ; D. Bartha, 
Erd61y zenetortenete (»Mg. Siebenbiirgens«), 1936; A 
magyar muzsika konyve (»Buch d. ungarischen Musik«), 
hrsg. v. I. MolnAr, 1936; Z. KodAly u. D. Bartha, Die 
ungarische Musik, Budapest, Lpz. u. Mailand 1943; B. 
Szabolcsi, A magyar zenetortenet k6zikonyve (»Hdb. d. 
ungarischen Mg.«), 1947, 2 1955, deutsch als: Gesch. d. un- 
garischen Musik, 1964, engl. als: A Concise Hist, of Hun- 
garian Music, Budapest u. London 1964; ders., Nepzene 
es tort6nelem (» Volksmusik u. Gesch.«), 1954, 21955; E. 
Major, A szabadsagharc muzsikaja (»Die Musik d. Frei- 
heitskampfes 1848«), 1949; D. T6th, A magyar nepszinmu 
zenei kialakulasa (»Die mus. Entwicklung d. ungarischen 
Volksschauspiels«), 1953; A magyar balett tortenet6bol 
(»Aus d. Gesch. d. ungarischen Balletts«), hrsg. v. R6zsi 
V Alyi, 1 956; I. Szelenyi, A magyar zene tortenete (»Gesch. 
d. ungarischen Musik«), 2 Bde, 1959; Zenei nevelds Ma- 
gyarorszagon (»Musikerziehung in Ungarn«), hrsg. v. F. 
SAndor, 1964, engl. als: Mus. Education in Hungary, Lon- 
don 1966. 

Union pipe (j'u:njan paip, engl.; irisch pfob uilleAnn, 
s. v. w. Ellbogenpfeife), eine seit dem Ende des 17. Jh. 
in Irland und Schottland bekannte -*■ Sackpfeife mit 
einem kleinen Blasebalg, einer Melodiepf eife von enger 
konischer Bohrung und mit doppeltem Rohrblatt und 
einem Satz von 3, seit etwa 1850 auch gelegentlich 4 



Bordunen in einem Sockel. Die Melodiepfeife stent 
eine Quinte tiefer als die der schottischen Sackpfeife 
(bagpipe) ; sie hat 4 Klappen und kann auch uberblasen 
werden. Die Bordune (normale Stimmung in Okta- 
ven, z. B. di d D) haben geschlossene Klappen, so daB 
ihre Tonhohe einzeln verandert werden kann. Wegen 
ihres geschmeidigen Tons kann die U. p. auch mit Vio- 
line oder Flbte zusammen gespielt werden. 
Lit.: N. Bessaraboff, Ancient European Mus. Instr., Bos- 
ton 1941, Nachdruck 1964. 

Unjsono (ital. ; Abk. : unis. ; frz. unisson; engl. unison). 
Boethius (De institutione musica V, 5 und 11) iibersetzt 
mit unisonae voces, s. v. w. gleichlautende Tone, den 
Ausdruck i<j6TOVon|;<5ipoibzw. 9^-6yYOibei Ptolemaios 
(»Harmonik« I, 4 und 7) und definiert in seiner Klassifi- 
kation der Intervalle (V, 11) : Et unisonae [voces] quidem 
sunt, quae unum atque eundem singillatim pulsae reddunt so- 
num, im Unterschied zu den aequisonae Oktave und 
Doppeloktave. In der Musica Enchiriadis wird auch die 
im Oktavabstand erklingende vox als unisona charak- 
terisiert (GS 1, 163a) . Im spateren Mittelalter wird uniso- 
nus bestimmt als Tonhohenidentitat zweier Tone, die 
aufeinanderfolgen (Johannes Affligemensis, CSM 1, 68), 
oder als Zusammentreffen zweier Stimmen in einem 
Ton (Liber musicalium, CS III, 36b), wobei seit je um- 
stritten ist, ob der Unisonus zu den Intervallen gehore, 
da er nicht zahlenmafiig (als Proportion), sondern nur 
effektiv einen konsonanten Zusammenklang darstellt. 
Wahrend u. a. noch Ramos de Pareja (1482) und M. 
Praetorius (1619) vom Unisonus der (reinen) -> Prime 
den Aequisonus der Oktave unterschieden, gilt in der 
neuen Musik (seit dem 18. Jh.) als Unisonus sowohl die 
Aequallage als auch jede Oktavversetzung. - Die italie- 
nische Wortform u. bezeichnet heute speziell das Er- 
klingen von Tonen oder Stimmen im Einklang oder 
in Oktave(n). Unisoni kommen vor im GeneralbaB 
(Tasto solo, mit bezeichnet), im Orchester- und viel- 
stimmigen Vokalsatz (gef ordert durch die Bezeichnung 
all'u., das auch im Sinne von all'ottava gilt). Der Be- 
ginn eines Satzes im chorischen U. der Stimmen ist 
etwa im instrumentalen Concertoritornell des Barocks 
(J. S. Bach[?], Klavierkonzert D moll, BWV 1052) eben- 
so bekannt wie zu Beginn der klassischen und romanti- 
schen Symphonie oder Sonate und in neueren Chor- 
werken. Im strengen Satz dagegen ist das Fortschreiten 
im U. untersagt, da es die stimmliche Qualitat der 
Stimmen aufhebt. 

Universalklavizymbel -> Archicembalo. 

Unterhaltungsmusik ist ein Phanomen, das sich seit 
dem 2. Drittel des 19. Jh. beobachten laBt. Als Ter- 
minus bezeichnet U. jenen Bereich musikalischer Pro- 
duktion, der seit jener Zeit vor dem Hintergrund der 
verwandelten sozialen und technischen VerhSltnisse als 
eine Subkultur von der offiziellen Musik sich abhebt, 
die zur U. als Kontrapost mit »Ernste Musik« bezeich- 
net wird. - Unterhaltsame Musik hat es zu alien Zeiten 
gegeben. Keine (oder nicht auch) unterhaltende Ab- 
sicht haben grundsatzlich nur die kultische (auch im 
Krieg) und liturgische Musik, die Lehrkomposition, 
die representative ->■ Festmusik und das tragische Mu- 
siktheater. Fur den musikalisch Gebildeten (im 18. Jh. 
den -> Kenner) kann auch satztechnisch anspruchsvolle 
Musik unterhaltend sein, wie von ihrer Zweckbestim- 
mung her z. B.J. S.Bachs Goldberg- Variationen. Den- 
noch sind fur die Musik etwa zum geselligen Singen 
(-> Quodlibet, ->■ Catch, ->■ Glee) und fiir die Abend- 
unterhaltung (-> Kassation, ->• Divertimento- 1 , -*■ Se- 
renade) heiterer Ton, abwechslungsreiche Zusammen- 
stellung und ein Haushalten mit kompositorischen Mit- 
teln kennzeichnend. Der -> Galante Stil verband im 18. 



1007 



Unterhaltungsmusik 



Jh. diese Merkmale in einer den Liebhaber ansprechen- 
den Weise. DaB dabei nicht notwendig Zugestandnisse 
an die Qualitat gemacht wurden, geht aus dem Rat L. 
Mozarts anWolfgang Amadeus hervor, den er ermun- 
terte, sich mit Quartetten weiten Kreisen bekannt zu 
machen: Nur Kurz - leicht -popular . . . das Kleine ist 
Grofi, wenn es naturlich-fiiissend und leicht geschrieben und 
griindlich gesetzt ist (Brief vom 13. 8. 1778). 
Im jedermann gegen Eintrittsgeld zuganglichen offent- 
lichen Konzert seit den 1760er Jahren erfiillte der Vir- 
tuose die Anspriiche des Publikums auf Amusement 
und Sensation durch den Vortrag modischer Etii- 
den, Fantasien, Paraphrasen, Potpourris, Rhapsodien, 
Transkriptionen und Variationen. Mit der Verbiirgerli- 
chung war im 2. Drittel des 19. Jh. auch aus dem Salon 
das Moment der Diskussion unter Kennern geschwun- 
den; die neue ->■ Salonmusik fur Dilettanten, wie die 
Unterhaltungsliteratur (Roman) durchDruck in Massen 
verbreitet, unterschied sich von der modischen Musik 
der Virtuosenkonzerte nur durch die geringeren tech- 
nischen Anspriiche. Zwischen den Musizierenden und 
den Konzertbesuchern als »Konsumenten« einerseits 
und den Komponisten andererseits sind in der kapita- 
listischen Gesellschaft als »Produzenten« die Arrangeure 
und die Verleger getreten. Die Tanzmusik, zuvor meist 
zum Nebenverdienst von den Stadtpfeifern gespielt, 
wurde zu Anfang des 19. Jh. besonders in den groBen 
Stadten (Paris, London, Wien) zur Aufgabe eines spe- 
zialisierten Musikerberufs. Tanzmusik als U. boten die 
Vergniigungsgarten und -lokale (Biergarten, Weinlo- 
kale, Kaffeehauser) an. In Wien ging aus diesem Stand 
das Schaifen der Familie StrauB hervor, deren Walzer 
(vor allem bei J. StrauB Sohn), durch Introduktion und 
Finale sowie durch die Instrumentation symphonischen 
Gattungen angenahert, bereits eine Art »gehobener« U. 
darstellen. 

Seitdem es moglich ist, Musik auf Tontragern (-> Schall- 
platte) jederzeit wiederholbar anzubieten und sie im 
Rundfunk dauernd prasent zu halten - der geringe 
Preis macht »Berieselung« mit Musik moglich -, hat 
sich das Verhalten vom Produzenten (in der Aufnahme- 
organisation bei Schallplatte und Rundfunk nunmehr 
offizielle Bezeichnung) zum durch Propaganda beein- 
flufiten Konsumenten den Verhaltnissen auf anderen 
»Markten« angeglichen. Vom Sprachgebrauch der 
->■ Verwertungsgesellschaften her ist die Einteilung in 
»U«- und »E«(rnste) Musik in die Umgangssprache ge- 
langt. Er verwischt, daB das Heitere nur ein Moment der 
modernen U. ist, die z. B. auch sentimental sein kann. 
Als Terminus wird dennoch oft anstelle von U. Leichte 
Musik (engl. light music ; ital. musica leggiera) verwen- 
det, worunter sich auch die moderne Tanzmusik zwang- 
los f assen laBt. Die typische Erscheinungsf orm der U. im 
20. Jh. ist der -> Schlager. Ihm wird von ambitionier- 
ten Komponisten, wenn auch in weit geringerem Um- 
fang, eine gehobene U. entgegengesetzt, die den ent- 
sprechenden Horgewohnheiten des Publikums entge- 
genkommen soil. Zu einem solchen Repertoire gehoren 
heute noch (in ihrem Gebrauch als U.) Stiicke von 
Grieg, Dvorak, Tschaikowsky u. a. (auch in Arrange- 
ments). Kennzeichnend fur die gehobene U. neueren 
Stils sind die vorsichtige Verwendung neuerer (tona- 
ler) Harmonik und Instrumentation sowie die Ein- 
beziehung von Jazz und Folklore. 
Lit. : Sonderh. Gebrauchsmusik, Mk XXI, 1928/29 ; K. Lin- 
demann, Der Berufsstand d. Unterhaltungsmusiker in Hbg, 
= Volk u. Gemeinschaft III, Hbg 1938; E. Hess, Vokale 
U. d. 17. Jh., = Neujahrsblatt d. Allgemeinen Musikges. 
in Zurich CXXXII, 1944; Kx. Ziegler, Vom Recht u. Un- 
recht d. Unterhaltungs- u. Schundlit., Die Slg II, 1947; C. 
Dumont, U., in: Musica aeterna I, Zurich 1948; S. G. 



Spaeth, A Hist, of Popular Music in America, NY 1948; 
G. Knepler, Zur Entstehungsgesch. d. »leichten« Musik, 
Der Aufbau VI, 1950 ; A. Bofinger u. E. Nick, in : H. Bre- 
dow, Aus meinem Arch., Heidelberg 1950; H. Wander- 
scheck, U., Das Musikleben IV, 1951 ; E. Nick, Zwischen 
Landler u. Jitterbug, Musica X, 1956; Th. W. Adorno, 
Leichte Musik, in: Einleitung in d. Musiksoziologie, Ffm. 
(1962); M. Greiner, Die Entstehung d. modernen Unter- 
haltungslit., = rde CCVII, Hbg 1964; Studien zur Trivial- 
musik d. 19. Jh., hrsg. v. C. Dahlhaus, = Studien zur Mg. 
d. 19. Jh. VIII, Regensburg 1967. 

Untersatz, - 1) in der Orgel eine gedackte, seltener 
auch eine offene Stimme 32' oder 16', haufig im Pedal 
(-v SubbaB) ; - 2) Beim Klavierspiel heiBt Untersetzen 
der Gebrauch des Daumens nach einem der anderen 
Finger, in der rechten Hand aufwarts, in der linken 
Hand ab warts (->■ Fingersatz). 

Unterstimme, seit dem 17. Jh. nachgewiesen als Be- 
zeichnung der jeweils tiefsten Stimme eines Satzes, die 
mit Riicksicht auf die Besetzung (z. B. Kinder- oder 
Frauenchor) oder den Wechsel verschiedener Klang- 
gruppen (-»• Bassett) auch in einer hoheren Stimmlage 
als der des Basses liegen kann. 

Untertone nannte H.Riemann diejenige Reihe von 
Tonen, welche sich im umgekehrten Verhaltnis der Ober- 
tonreihe nach der Tiefe erstreckt (Musik-Lexikon, 8 1916, 
Artikel U.), d. h. diejenigen Teilschwingungen, die 
sich als Umkehrung z. B. der Reihe 4:5:6 in die Reihe 
1 U- 1 h' 1 U verstehen lassen. Fiir Tartini und v. Oettin- 
gen (-> Dualismus) waren die U. eine Hypothese. Rie- 
mann bemiihte sich um den Nachweis dieser Schwin- 
gungen, da es nahelag, analog zur (physikalischen) Deu- 
tung der Konsonanzwirkung des Durakkords auch 
die Wirkung der Mollkonsonanz auf Teilschwingun- 
gen zuruckzufuhren. Er vermutete zunachst, angeregt 
durch die Helmholtzsche Hypothese der Tonempfm- 
dungen, daft nach dem Gesetze des Mittonens die den U.n 
entsprechenden Fasern der Membrana basilaris ebenso wie 
frei aufgespannte Saiten partielle Schwingungen ausjiihrten, 
welche dem angegebenen Tone entsprachen (Riemann 1 875) . 
Spater glaubte Riemann, die U. in seinen Beobachtun- 
gen an Zweiklangen experimentell belegt zu haben. 
Seine Versuchsergebnisse lassen jedoch heute erkennen, 
daB diese vermeintlichen U. nichts anderes als die auf 
nichtlinearer -> Verzerrung beruhenden -> Kombina- 
tionstone waren (Reinecke 1963). Stumpf wandte sich 
gegen die physikalische Erklarung des Dur-Moll-Pha- 
nomens, wahrend Kruegers Beobachtungen ein erster 
experimenteller Beweis dafiir waren, daB U., wenn sie 
iiberhaupt existieren, auBerhalb des menschlichen Hor- 
bereichs liegen miissen. Inzwischen sind U. von B. van 
der Pol in einem elektrischen Schwingkreis horbar 
gemacht worden (1927). Ebenso wurde das Entstehen 
von U.n an einem Instrument zur elektronischen Schall- 
erzeugung (-> Trautonium) durch elektroakustische 
Schalttechnik ermoglicht. 

Lit.: A. v. Oettingen, Harmoniesystem in dualer Ent- 
wickelung, Dorpat u. Lpz. 1 866, als : Das duale Harmonie- 
system, Lpz. 2 1913; H. Riemann, Ueber d. mus. Horen, 
Diss. Gottingen 1873, als: Mus. Logik, Lpz. 1873; ders., 
Die objective Existenz d. U. in d. Schallwelle, Allgemeine 
Deutsche Musikzeitung V, 1875; ders., Mus. Syntaxis, 
Lpz. 1877; ders., Katechismus d. Akustik, Lpz. 1891, als 
Hdb. d. Akustik 31921; C. Stumpf, Tonpsychologie II, 
Lpz. 1890, Nachdruck Hilversum u. Amsterdam 1965; 
F. Krueger, Zur Theorie d. Combinationstone, Philo- 
sophische Studien XVII, 1901 ; B. van der Pol, t)ber Re- 
laxationsschwingungen, Zs. f . HochfrequenztechnikXXIX, 
1927; ders. u. J. van der Mark, Frequency Demultipli- 
cation, Nature CXX, 1927; J. van der Mark, Muziek en 
elementaire getallentheorie, in : Arch, du Musee Teyler III, 
9, 1947; C. M. Hotchins, A. S. Hopping u. F. A. Saunders, 



1008 



Urheberrecht 



Subharmonics and Plate Top Tones in Violin Acoustics, 
JASA XXXII, 1960; H.-P. Reinecke, H. Riemanns Be- 
obachtungen v. »Divisionstonen« . . ., in: H. Albrecht in 
memoriam, Kassel 1962; M. Abbado, Sull'esistenza dei 
suoni armonici inf eriori, AMI XXXVI, 1 964. WiD 

Urbino. 

Lit. : G. Radiciotti, Contributi alia storia del teatro e della 
musica in U., Pesaro 1899; ders., Notizie biogr. dei musi- 
cisti urbinati, in: La cronaca mus. IV, 1899; B. Lioi, La 
cappella mus. del duomo d'U., Note d arch. II, 1925, er- 
weitert Rom 1 933 ; R. Gabrielli, I liutai marchigiani, eben- 
daXII, 1935; L. Moranti, Bibliogr. urbinate, Florenz 1959. 

Urheberrecht hat die Rechtsverhaltnisse an Geistes- 
werken zum Inhalt; es sichert die ideellen und mate- 
riellen Interessen des Urhebers. - Das Bedurfnis nach 
einem Schutz der Geisteswerke ist entstanden, als nach 
Erfindung des Buchdrucks literarische Werke in Auf- 
lagen verbreitet wurden. Der erste Schutz gegen Nach- 
druck wurde durch Privilegien gewahrt, die je fiir ein 
einzelnes Werk landerweise verliehen wurden. Das 
Privilegienwesen entwickelte sich in Deutschland und 
Italien Ende des 15. Jh. Der Ubergang zu einem allge- 
meinen gesetzlichen Schutz vollzog sich in Deutsch- 
land, im Unterschied vor allem zu Frankreich, nur all- 
mahlich. Erst im 19. Jh. horte in Deutschland das Privi- 
legienwesen auf. Das preuBische Gesetz von 1837 zum 
Schutz desEigentums an Werken der Wissenschaft und 
der Kunst war das erste deutsche U.s-Gesetz. Es be- 
stimmte eine Schutzfrist'von 30 Jahren ab Erscheinen. 
1845 wurde die Schutzfrist bis 30 Jahre nach dem Tode 
des Urhebers allgemeines deutsches Recht. Die um- 
fassende gesetzliche Regelung, die der heutigen vor- 
herging, erfolgte durch das Gesetz betreffend das U. an 
Werken der Literatur und Tonkunst vom 19. 6. 1901 
und das Gesetz betreffend das U. an Werken der Bil- 
denden Kiinste und der Photographie vom 9. 1. 1907. 
Ein Gesetz vom 13. 12. 1934 brachte die Verlangerung 
der Schutzfrist auf 50 Jahre. Im Gesetz vom 9. 9. 1965 
sindnun fiir die Bundesrepublik Deutschland die Rechts- 
verhaltnisse an alien Geisteswerken zusammenfassend 
geregelt. Es f iihrte eine erneute Schutzf ristverlangerung 
ein (auf 70 Jahre) und behandelt erstmalig u. a. auch 
den -» Leistungsschutz. 

Inhaber des U.s ist der Urheber oder sein Erbe. - Ge- 
genstand des U.s sind Sprachwerke, Werke der Musik, 
pantomimische Werke einschlieBlich der Werke der 
Tanzkunst, Werke der bildenden Kiinste einschlieBlich 
der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst, 
ferner Lichtbildwerke, Filmwerke, Darstellungen wis- 
senschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, 
Plane, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Dar- 
stellungen. Das U. entsteht nur an Werken, und zwar 
an personlichen, geistigen Schopfungen, unabhangig 
von derErfiillung formaler Voraussetzungen ; es endet 
mit Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist. - Den Inhalt 
des U.s bilden das Personlichkeitsrecht (f rz. droit-moral) 
des Urhebers und zumeist damit verbunden eine groBe 
Reihe von Werknutzungsrechten. Das Personlichkeits- 
recht umfaBt besonders das Recht des Urhebers auf 
Nennung seines Namens sowie das Recht, sich gegen 
jede Entstellung oder andere Beeintrachtigung des 
Werkes zu wehren. Die Werknutzungsrechte sind im 
Gesetz von 1965 genau definiert. So u. a. das Verviel- 
faltigungs- und Verbreitungsrecht, das -> Verlagsrecht, 
das Ausstellungsrecht, das -*■ Auffiihrungsrecht, das 
Vorfuhrungsrecht, das Senderecht, das Recht derWie- 
dergabe durch Bild oder Tontrager oder mittels Funk- 
sendungen sowie das Recht zur Verfilmung. Diese 
Werknutzungsrechte kann der Urheber durch Vertrag 
Dritten einraumen. Das in ihnen enthaltene Personlich- 
keitsrecht ist uniibertragbar. Erlischt die Nutzungsbe- 



fugnis, so steht das Recht wieder dem Urheber zu, 
ohne daB es einer Riickiibertragung bedarf. 
Schranken des U.s sind im Interesse der Allgemeinheit 
gesetzlich gezogen, so vor allem durch die Begrenzung 
der Schutzfrist (seit Ausgang des 17. Jh. datiert ein dog- 
matischer Streit um die Gleichstellung des sgeistigen 
Eigentums« mit dem zeitlich unbegrenzten materiellen 
Eigentum). Dariiber hinaus ist die Grenze fiir das Gel- 
tendmachen von Werknutzungsrechten grundsatzlich, 
aber nicht ausnahmslos, die f remde private Sphare. Pri- 
vat diirfen z. B. geschiitzte Werke ohne Zustimmung 
des Urhebers aufgefuhrt werden. Auch konnen Ver- 
vielfaltigungsstiicke eines geschiitzten Werkes zum 
personlichen Gebrauch hergestellt werden; diese (z. B. 
Noten) diirfen allerdings weder verbreitet noch zu 
off entlichen Auff uhrungen oder zu deren Vorbereitung 
benutzt werden (z. B. von einem Gesangverein). Die 
offentliche Wiedergabe eines geschiitzten Werkes be- 
darf grundsatzlich der Genehmigung. Eng begrenzte 
Ausnahmefalle sind in § 52 des deutschen U.s-Gesetzes 
von 1965 geregelt. - Die Schutzfrist fiir das U. endet 
in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund des Ge- 
setzes von 1965 70 Jahre nach dem Ablauf des Kalen- 
derjahres, in dem der Urheber verstorben ist. Mit die- 
ser Frist ist die Bundesrepublik Deutschland zur Zeit 
fiihrend. Ein ewiges U. gibt es nur in einigen kleineren 
Landern, z. B. in Portugal. In den USA dauert die 
Schutzfrist nur 28 Jahre ab Erscheinen eines Werkes. 
Sie kann durch bestimmte Formalitaten um weitere 28 
Jahre verlangert werden. Eine Anderung dieses Schutz- 
fristsystems in den USA ist zu erwarten mit dem Uber- 
gang auf die Berechnung ab Tod des Urhebers, wie es 
in fast alien anderen Staaten der Fall ist; 50 Jahre sind 
vorgesehen . - Besondere Bestimmungen fiir die Schutz- 
frist enthalt das Gesetz von 1965 fiir nachgelassene, 
anonyme und pseudonyme Werke (-> Pseudonym), 
Lichtbildwerke usw. - Verletzungen des U.s konnen 
zivilrechtlich mit der Unterlassungsklage, die kein Ver- 
schulden des Verletzers voraussetzt, verfolgt werden. 
Liegt Verschulden vor, so kann der Verletzte Schadens- 
ersatz oder Herausgabe des Gewinns verlangen, den der 
Verletzer erzielt hat. Er hat auch einen Anspruch auf 
Vernichtung rechtswidrig hergestellter Vervielfalti- 
gungsstiicke. Dariiber hinaus gibt es bei vorsatzlichen 
Rechtsverletzungen die Moglichkeit strafrechtlicher 
Verfolgung auf Antrag. Das Gesetz sieht Geldstrafe 
oder Gefangnis bis zu einem Jahr vor. Auch im Straf- 
verfahren konnen der Anspruch auf Vernichtung von 
Vervielfaltigungsstiicken und ahnliche MaBnahmen 
geltend gemacht werden. 

Das Internationale U. ist geregelt in der -»• Berner 
Ubereinkunft vom 9. 9. 1886 in Form der Pariser Zu- 
satzakte vom 4. 5. 1896 sowie der sogenannten Rom- 
Fassung vom 2. 6. 1928 und der Briisseler Fassung vom 
26. 6. 1948 sowie in dem Welturheberrechtsabkommen 
vom 6. 9. 1952. Die Bundesrepublik Deutschland ist 
durch das Gesetz vom 24. 2. 1955 dem Welturheber- 
rechtsabkommen beigetreten. Auf Grund des Gesetzes 
vom 15. 9. 1965 gehort sie aufierdem der Berner Uber- 
einkunft in der Briisseler Fassung an. - Durch Beitritt 
der USA zum Welturheberrechtsabkommen wurde fiir 
die anderen Mitglieder dieses Abkommens eine Er- 
leichterung fiir die Erlangung und Durchsetzung des 
-> Copyrights geschaffen. Deutsche Staatsangehorige 
genieBen in der Bundesrepublik Deutschland den 
Schutz des U.s-Gesetzes vom 9. 9. 1965 ohne Riicksicht 
darauf, ob ihre Werke im In- oder Ausland oder noch 
gar nicht erschienen sind. Der U.s-Schutz deutscher 
Staatsangehoriger im Ausland sowie von Auslandern 
und Staatenlosen in der Bundesrepublik Deutschland 
ergibt sich aus den internationalen Abkommen, die 



64 



1009 



Urheberrecht 



beide auf demPrinzip derlnlanderbehandlung beruhen. 
- Das U. in Osterreich und in der Schweiz entspricht 
im wesentlichen dem deutschen U. Die Schutzfrist ist 
jedoch in beiden Landern noch auf 50 Jahre nach dem 
Tode des Urhebers beschrankt. 
Verwertungsgesellschaften, im Bereich der Musik z. B. 
die GEMA, nehmen Werknutzungsrechte wahr, die 
nicht individuell wahrnehmbar sind. Mit der zunehmen- 
den technischenEntwicklung spielen dabei die sogenann- 
ten Mechanischen Rechte (->• AMMRE) eine besondere 
Rolle. - Fiir das musikalische U. wurden die Sonderbe- 
stimmungen aus dem alten Gesetz in das neue iiber- 
nommen. Damit ist aber nach Meinung der musikali- 
schen Fachwelt der Eigenart der Musik noch immer 
nicht ausreichend Geniige geschehen. 
In der DDR ist mit dem Datum vom 13. 9. 1965 ein 
neues U.s-Gesetz erlassen worden, das auf den alten, 
vor 1945 erarbeiteten Entwiirfen beruht und infolge- 
dessen dem Gesetz der Bundesrepublik im wesentlichen 
a'hnlich ist, aber die 50jahrige Schutzfrist beibehalt. 
Das U.s-Gesetz der DDR ermoglicht allerdings durch 
eine Generalklausel, den in ihm statuierten Schutz im 
Einzelfall aus politischen Griinden zu versagen. - Die 
aufierhalb der DDR erschienenen Werke von Ange- 
horigen anderer Staaten werden im Rahmen der Ge- 
genseitigkeit geschiitzt, nach dem Vorbild der ->• Ber- 
ner Ubereinkunft fiir deren Mitglieder. - Neben den 
urheberrechtlichen Bestimmungen enthalt das Gesetz 
Grundsatze zum Urhebervertragsrecht. Hierin wird 
auf amtliche, in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften 
und Urheberorganisationen entwickelte Vertragsmu- 
ster verwiesen, die eine vollstandige Reglementierung 
des Verlagsrechts bedeuten. - Nach einer Anordnung 
vom 7. 2. 1966 durch das Biiro fiir U.e ist ferner der 
Erwerb von Nutzungsrechten zwischen in und aufier- 
halb derDDRansassigenPartnerngenehmigungspflich- 
tig. Zustandig hierfur ist das Biiro fiir U.e, eine Abtei- 
lung des Ministers fiir Kultur. 

Lit. : R. Voigtlander, A. Elster u. H. Kleine, Kommen- 
tar zum U., Bin "1952; W. Bappert u. E. Wagner, Inter- 
nationales U., Miinchen u. Bin 1956; M. Rintelen, U. u. 
Urhebervertragsrecht, Wien 1958; H. Hubmann, Urheber- 
u. Verlagsrecht, Munchen u. Bin 1959 ; E. Ulmer, Urheber- 
u. Verlagsrecht, Bin, Gottingen u. Heidelberg 2 1960; ders., 



Das neue deutsche Urheberrechtsgesetz, Arch, f . Urheber-, 
Film-, Funk- u. Theaterrecht XLIV, 1 965; W. Bappert, Wi- 
der u. fur d. Urheberrechtsgeist d. Privilegienzeitalters, in: 
Gewerblicher Rechtsschutz u. U. LXIII, 1961 ; ders., We- 
ge zum U., Ffm. 1962; ders., Der Urheberrechtsgedanke 
im Privilegienwesen, Arch. f. Urheber-, Film-, Funk- u. 
Theaterrecht XLIII, 1964; Howell's Copyright Law, revi- 
diert v. A. Latman, Washington 1962; H. Pohlmann, Die 
Friihgesch. d. mus. U., = Mw. Arbeiten XX, Kassel 1962; 
E. Schulze, U. in d. Musik, Bin 31965; Fr. K. Fromm u. 
W. Nordemann, »U.«, Kommentar zum Urheberrechts- 
gesetz u. zum Wahrnehmungsgesetz mit d. internationalen 
Abkommen u. d. sowjetzonalen Gesetz uber d. U., Stutt- 
gart 1966; H. Kleine, U. in d. SBZ, in: Borsenblatt f. d. 
deutschen Buchhandel (Frankfurter Ausg.) XII, 1966; H. 
Unverricht, Der Schutz mw. Editionen nach d. neuen 
Urheberrechtsgesetz, Mf XIX, 1966. 

Ursatz ist der verborgene 2st. Geriistsatz, auf den sich 
nach ->• Schenker jedes der Meisterwerke von J. S. Bach 
bis Brahms reduzieren la'Bt. Die Oberstimme des U.es, 
die Urlinie, besteht aus der sekundweise fallenden ho- 
rizontalen Ausfiillung (Auskomponierung) der Terz, 
Quinte oder Oktave des Tonikadreiklangs, die kontra- 
punktierende Unterstimme aus der Brechung desselben 
Dreiklangs durch die Oberquinte. In der Auseinander- 
setzung der unteilbaren Urlinie mit der zweigeteilten 
BaBbrechung (I-V-I, erweitert durch II oder IV) sah 
Schenker den Inhalt aller Musik. Denn der U. als Hin- 
tergrund wirke durch die ihn auskomponierenden 
Stimmf iihrungs- oder Verwandlungsschichten des Mit- 
telgrundes bis in den Vordergrund, dieEnderscheinung 
des Werkes. Welche Gestalt dieser Vordergrund auch 
immer haben mag, es ist der U. des Hintergmndes, der 
Mittelgrund der Verwandlungsschichten, die ihm die Ge- 
wahr naturorganischen Lebens bieten (Schenker 1935); 
man vergleiche imWalzer op. 39 Nr 1 von Brahms den 
U. und die ersten beiden Schichten des Mittelgrundes 
mit dem Anfang des noch nicht diminuierten Vorder- 
grundcs (untenstehendes Beispicl nach Schenker 1935). 
In der Fiille bzw. im Mangel organischer Zusammen- 
hange zwischen Vordergrund und Hintergrund sah 
Schenker das Kriterium der Qualitat einer Komposi- 
tion. Seine Analysen sind jedoch nicht so zu verstehen, 
als habe der Komponist zunachst den U. aufgestellt und 
Auskomponierungsschichten daraufgesetzt. Uber den 




(= dis moll: IV 



1010 



US-amerikanische Musik 



SchaffensprozeB sagen die Reduktionen nichts aus. Sie 
wollen vielmehr dem angehenden Komponisten, dem 
Interpreten und Horer helfen, sich groBer musikali- 
scher Zusammenhange bewuBt zu werden und dadurch 
zu einem besseren Verstandnis der Meisterwerke zu ge- 
langen. Allerdings fehlt der von Schenker angewen- 
deten Reduktionstechnik die wissenschaftlich exakte 
Begriindung. 

Lit.: H. Schenker, Der Tonwille, 10 H., Wien 1921-24; 
ders., Das Meisterwerk in d. Musik, 3 Bde, Munchen 
1925-30; ders., Fiinf Urlinien-Tafeln, Wien 1932; ders., 
Neue mus. Theorien u. Phantasien III : Der f reie Satz, Wien 
1935, 2 1956 hrsg. v. O. Jonas; O. Jonas, Vom Wesen d. 
mus. Kunstwerkes, Wien 1934; Der Dreiklang, hrsg. v. 
dems. u. F. Salzer, 9 H., Wien 1937-38; A. Katz, Challenge 
to Mus. Tradition, NY 1945; M. Mann, Schenker's Con- 
tribution to Music Theory, MR X, 1949; H. Federho- 
fer, Beitr. zur mus. Gestaltanalyse, Graz, Innsbruck u. 
Wien 1950; ders., Die Funktionstheorie H. Riemannsu. d. 
Schichtenlehre H. Schenkers, Kgr.-Ber. Wien 1956; ders., 
H. Schenker, Fs. A. van Hoboken, Mainz (1962); F. Sal- 
zer, Structural Hearing, 2 Bde, NY 1952, deutsch Wil- 
helmshaven 1957. ESe 

Urtext ist der Text eines Werkes, der aus einer oder 
mehreren Quellen erschlossen wird; er entspricht da- 
her nicht immer den im ->■ Autograph oder -*■ Erst- 
druck iiberlieferten Lesarten. Die U.-Ausgabe ist mog- 
licherweise das Ergebnis einer Synopsis von autogra- 
phen Skizzen und vollstandigen Niederschriften, Ab- 
schriften von Kopistenhand, Erstdrucken und spater 
f olgenden Originalausgaben mit ihren Korrekturbogen 
unter Beriicksichtigung weiterer Quellen (z. B. brief- 
liche Mitteilungen des Autors, zeitgenossische AuBe- 
rungen). Die Feststellung des auf Grund der Quellen- 
lage oft nur zu vermutenden U.es ist eines der Ziele je- 
der kritischen Denkmaler- oder Gesamtausgabe. Wah- 
rend sich diese jedoch nur selten U.-Ausgaben nennen 
(Neue Bach-Ausgabe, die gleichzeitig fur die Praxis 
bestimmt ist), ist dieser Begriff auf dem Gebiet der 
praktischen Ausgabe gelaufig. Die so bezeichneten 
Ausgaben, meist Werke der klassischen und romanti- 
schen Kammermusik, beanspruchen damit, die vom 
Komponisten gewollte textliche Endgestalt wiederzu- 
geben, von einer gewissen Modernisierung des Noten- 
bildes und dem vom Herausgeber hinzugefiigten und 
kenntlich gemachten Beiwerk technischer Spielhilfen 
(Fingersatz, Bogenstrich) abgesehen. Sie wollen damit 
deutlich von Bearbeitungsausgaben unterschieden sein, 
bei denen der authentische Text interpretierend vom 
Bearbeiter verandert ist (-*■ Phrasierung). Die Reihe 
U. classischer Musikwerke, herausgegeben 1895-99 von 
der Koniglichen Akademie der Kiinste zu Berlin, ver- 
wendet die Bezeichnung U. erstmalig. 
Lit.: G. Henle, t)ber d. Herausgabe v. U., Musica VIII, 
1954; G. Feder u. H. Unverricht, U. u. Urtextausg., Mf 
XII, 1959; G. v. Dadelsen, Die »Fassung letzter Hand« 
in d. Musik, AMI XXXIII, 1961; E. Badura-Skoda, 
Textual Problems in Masterpieces of the 18 th and 19" 1 
Cent., MQ LI, 1965 ; W. Hess, Editionsprobleme bei Beet- 
hoven, SMZ CV, 1965. 

Uruguay. 

Lit. : L. Ayesiaran, La musica en el U., 2 Bde, Montevideo 
1 953 ; H. Balzo, Divulgation de la musica en el U., Boletin 
Interamericano de musica Nr 3, 1958 ; P. Mane Garz6n, El 
hombre y el medio miis. en el U. de hoy, Montevideo 1959. 

US-amerikanische Musik. Wenn man von der Mu- 
sik der Ureinwohner des nordamerikanischen Konti- 
nents absieht (-> Indianermusik), gibt es eine spezifisch 
»amerikanische« Musik erst in jiingster Zeit. Die natio- 
nalamerikanische Kunst- und Unterhaltungsmusik be- 
ruht auf der Volksmusik der weiBen Amerikaner, die 
schon iriih gegeniiber ihren europaischen Urspriingen 
Eigenstandigkeit gewann. Daher ist die Geschiqhte der 



Musik in Amerika eng mit derEntwicklung der Volks- 
musik verbunden. Die ersten Siedler in Neuengland 
waren Puritaner, die auBer dem Gesang metrischer 
Psalmen keine Musik in der Kirche duldeten und gegen 
weltliche Musik Vorurteile hatten. In anderen reli- 
giosen Gemeinschaften entwickelte sich dagegen im 
18. Jh. ein reiches kirchliches Musikleben, so bei den 
Quakern, Baptisten und Herrenhuter Briidern in Penn- 
sylvania. Die deutschen Kolonisten Pennsylvanias hat- 
ten bereits 1744 ein Collegium musicum und pflegten 
Kirchen-, Kammer-, Orchester- und Chormusik. Auch 
die Anhanger der anglikanischen Kirche bekundeten 
eine tolerantere Haltung gegeniiber der geistlichen und 
weltlichen Musikpflege. Noch aufgeschlossener waren 
die nicht aus Glaubenseifer, sondern aus Geschafts- 
interesse in den Siidstaaten angesiedelten Europaer, vor- 
wiegend romanischer Herkunft. - Die ersten offent- 
lichen Konzerte fanden in Boston 1731, Charleston 
1732 und New York 1736 statt. Philadelphia wurde 
seit 1755 das Zentrum einer lebhaften Musikpflege und 
brachte den ersten in Amerika geborenen Komponisten, 
Fr. Hopkinson, hervor, der seine Seven Songs for the 
Harpsichord 1788 George Washington widmete. Ein- 
heimische Dilettanten und europaische Berufsmusiker 
entwickelten gemeinsam das Musikleben des 18. Jh. in 
den Stadten langs der Atlantikkiiste, wobei die einhei- 
mischen Ktinstler mehr die volkstumliche Unterhal- 
tungsmusik und das geistliche Lied pflegten, wahrend 
das Konzert- und Opernwesen bis weit ins 19. und 
20. Jh. hinein iiberwiegend von gastierenden Kiinst- 
lern aus der Alten Welt bestritten wurde. - Mit der 
wirtschaftlichen Entwicklung und der territorialen 
Ausbreitung der Besiedlung nach dem Westen hielt ei- 
ne Ausweitung des offentlichen Musiklebens Schritt, an 
der der Zirkuskbnig Barnum als Musikveranstalter nicht 
weniger beteiligt war als der nicht minder geschafts- 
tiichtige Komponist und Musikorganisator Lowell Ma- 
son (1792-1872), Grunder der Boston Academy of Mu- 
sic (1832) und Herausgeber der Handel und Haydn So- 
ciety's Collection of Sacred Music, die 22 Auflagen er- 
reichte. Neben die Kunst- und Kirchenmusik trat im 19. 
Jh. eine volkstumliche Musikpflege, die in den Minstrel- 
shows eine amerikanische Spezialitat hervorbrachte 
(-»■ Minstrelsy). Der bekannteste Minstrel war St. 
Foster, dessen Lieder zu Volksliedern der Amerikaner 
wurden. Ihr negroider Gehalt beruht auf Nachahmung 
mehr der Stimmung als der Formung. Bis in die Ge- 
genwart hinein uberschneiden sich im ->• Negro spiri- 
tual weiBe und schwarze Stilmomente. Der Biirger- 
krieg (1861-65) brachte eine Vertiefung des National- 
bewuBtseins, die sich in einer Fiille von volkstumlichen 
Liedern und Marschen aufierte. Aus der Verschmel- 
zung der Volksmusikarten der verschiedenen Einwan- 
derergruppen, in denen neben dem britischen Mutter- 
land alle Volker des europaischen Kontinents vertreten 
waren, entstanden neue Volkslieder und -tanze. Die iip- 
pige und f arbenreiche Volksmusik der Kreolen im Siiden 
der Staaten wirkte auch auf die stadtische Musikkultur 
und fand ihren Niederschlag in der Kunstmusik Loui- 
sianas, so vor allem bei L. M. Gottschalk. 
Zur Zeit der Entstehung nationaler Kunstmusikschu- 
len in Europa bildeten sich auch in den USA Bestre- 
bungen heraus, im AnschluB an die amerikanische Folk- 
lore eine nationale amerikanische Musik zu schaffen. 
E. McDowell gilt vielfach als das Haupt dieser ersten 
amerikanischenKomponistengeneration, besonders mit 
seiner 2. Orchestersuite iiber indianische Themen. Noch 
aber gait Europa als Vorbild. Die um das Musikzen- 
trum Boston gruppierten Komponisten vonJ.K. Paine 
bis zu D.G.Mason und E.Nevin pflegten einen auf 
deutschen Traditionen aufbauenden Klassizismus ohne 



64» 



1011 



US-amerikanische Musik 



nationales Kolorit. Bis zur Jahrhundertwende blieb 
Deutschland fiir die amerikanischen Komponisten die 
geistige Heimat. Spater gewann der franzosische Im- 
pressionisms den groBeren EirifluB. Europaische Vir- 
tuosen, Dirigenten und Padagogen wirkten in Amerika 
auch dann noch, als der nationale Aufschwung der 
amerikanischen Musikpflege schon zur Griindung eige- 
ner Musikhochschulen (-> Konservatorium) und Sym- 
phonieorchesterfiihrte (New York 1842, St. Louis 1880, 
Boston 1881, Chicago 1891, Philadelphia 1900). -Eine 
neue Welle nationalen Musikschaffens in Amerika wur- 
de veranlaBt durch Dvoraks Aufenthalt in den USA. 
Es fand seinen Ausdruck in einer ersten ernsthaften Be- 
schaftigung mit der Volksmusik der Amerikaner aller 
Rassen und in der Begriindung einer eigenen Kunst- 
musik. Im AnschluB an die in der Alten Welt ent- 
wickelten neuen Formen und Stile entstand im 20. Jh. 
durch Auspragung nationaler, in der Folklore ver- 
wurzelter Ziige eine spezifisch amerikanische Form der 
Neuen Musik. Hand in Hand damit ging die Aufnah- 
me von Musiziergut und Auffiihrungspraktiken der 
Neger in die Unterhaltungsmusik und die Entwick- 
lung des -*■ Jazz. Dieser wirkte sich in Amerika erst seit 
der Rhapsody in Blue (1924) von G.Gershwin in der 
gehobenen Unterhaltungs- und Kunstmusik aus. Von 
der Schlagermusik herkommend, wurde Gershwin der 
fiihrende Komponist einer neuen amerikanischen, auf 
Jazzelementen aufbauenden volkstiimlichen Musik. In 
seiner Negeroper Porgy and Bess (1935) sind Elemente 
der amerikanischen Negerfolklore mit Jazzelementen 
und den Stilmitteln der modernen Oper verwoben. 
Der Jazz hatte inzwischen langst internationale Ver- 
breitung gefunden; er ist der wichtigste Beitrag Ame- 
rikas zur Musik des 20. Jh. und die originellste Stil- 
schopfung der Neuen Welt. - Auch andere amerika- 
nische Komponisten bezogen Jazzelemente in ihre 
Kompositionen ein, so A.Copland, eine der vielsei- 
tigsten Personlichkeiten der US-a.n M. Aus der Gruppe 
der »Amerikanisten«, die haufig folkloristische Stoffe 
und Themen verwenden, sind R. Harris, E. Nevin, J. A. 
Carpenter und der SchweizerE.Bloch (seit 1916 in den 
USA) auch in Europa bekannt. Der spatromantischen 
Tradition enger verbunden sind H. Hanson, W. Piston 
und S.Barber. Zwischen Tradition und Fortschritt be- 
wegen sich Ch. Griffes, R. Sessions und V.Thomson. 
Eine Sonderstellung nimmt Ch. Ives ein, der noch vor 
Schonberg und Strawinsky atonale und polyrhyth- 
mische Musik schrieb. Wie die »Amerikanisten« kom- 
ponierte er Programmusik iiber nationale Stoffe (Con- 
cord, Massachusetts, 1840-60; Three Places in New Eng- 
land; Orchestral Set; Holidays, u. a.), teilweise unter 
Verwendung von Bruchstucken aus vaterlandischen, 
Volks- und Kirchenliedern. Seine Hauptwerke erlang- 
ten erst Jahrzehnte spater offentliche Anerkennung, 
nachdem der Expressionismus, der zur Zeit seines Her- 
vortretens in Europa in der Neuen Welt ohne Echo 
blieb, nach der Emigration zahlreicher f iihrender euro- 
paischer Komponisten in Amerika allgemein bekannt 
wurde. Die in den 1930er Jahren einsetzende Einwan- 
derungeuropaischer Komponisten wieSchonberg, Stra- 
winsky, Hindemith, Bartok, Kfenek, Milhaud, Toch, 
Martinu, Castelnuovo-Tedesco, Korngold u. a. regte 
auch diejungen Amerikaner zuExperimenten in atona- 
ler Musik und Zwolftonmusik an (List, Kahn, Perle, 
Kerr, Voss u. a.). G. Antheil, Schiiler von Bloch, emp- 
fing die Anregung fiir seine Gerauschmusik (Ballet 
mecanique, 1924 fiir 16 Kl. und Schlagzeug) im Europa 
der 1920er Jahre. Auch H.D.Cowell ist fiir seine 
Klang- und Rhythmusexperimente nicht erst durch die 
europaischen Emigranten gewonnen worden. Sein 
Schiiler J. Cage, der spater auch bei Schonberg in Los 



Angeles studierte, ist als Erfinder des -> Prepared piano 
und durch Kompositionen fiir Schlagzeugorchester be- 
kannt geworden. Der Autodidakt Harry Partch (* 1910) 
experimentierte mit instrumentalen Klangfarben und 
Mikrotonen. Serielle und aleatorische Techniken ver- 
wenden E. Brown und M. Feldman. G.-C. Menotti (seit 
1928 in den USA) ist der bekannteste lebende Opem- 
komponist Amerikas. Sein auf die Belange der Opern- 
biihne ausgerichtetes, der italienischen Opemtradition 
im Sinne Puccinis verhaftetes Schaffen stellt ihn in Ge- 
gensatz zu der Gruppe der genannten Modernisten und 
mehr in die Nahe der Schopfer des -> Musicals. Der 
1908 geborene E. Carter verarbeitete in eigenstandiger 
Weise Anregungen verschiedenster Richtungen. G. 
Schuller (* 1925) versucht in seinen Experimenten, 
Elemente des Jazz, namentlich die Improvisation im 
Ensemble, und die von Europa gepragte Kunstmusik 
derart zu integrieren, daB aus beiden gleichwertigen 
Stromen ein »Third Stream« entsteht. 
Ausg. : American Ballads and Folksongs, hrsg. v. A. Lo- 
max, NY 1934, 21935 ; W. Chr. Handy, A Treasury of the 
Blues, NY 1949; G. P. Jackson, Spiritual Folk-Songs of 
Early America, NY 1953; H. M. Belden, Ballads and 
Songs, Collected by the Missouri-Folklore Soc., = Univ. 
of Missouri Studies XV, 1, Columbia (Mo.) 21955; R. W. 
Stephan, The Singing Mountaineers, Austin (Tex.) 1957; 
J. Balys u. Vl. Jakubenas, Lithuanian Folk Songs in 
America, Narrative Songs and Ballads. A Treasury of 
Lithuanian Folklore, Boston (Mass.) 1958; Music in 
America : An Anth. from the Landing of the Pilgrims to the 
Close of the Civil War, 1620-1865, hrsg. v. W. Th. Mar- 
rocco u. H. Gleason, NY 1964; Ballads and Folk Songs 
of the Southwest, hrsg. v. E. Moore u. C. O. Chauncey, 
Norman (Okla.) 1964; J. Wyeth, Repository of Sacred 
Music II, Faks. hrsg. v. I. Lowens, NY 1964. 
Lit.: G. Hood, A Hist, of Music in New England, Boston 
(Mass.) 1846; N. D. Gould, Church Music in America, 
ebenda 1853; J. F. Sachse, The German Pietists of Pro- 
vincial Pennsylvania 1694-1708, Philadelphia (Pa.) 1895; 
L. C. Elson, The National Music of America and Its 
Sources, Boston (Mass.) 1900, 21924; O. G. Th. Sonneck, 
Early Concert Life in America, Lpz. 1907, NY 21949; 
ders., Early Opera in America, NY u. Boston (Mass.) 1915; 
W. S. Pratt, The Music of the Pilgrims, ebenda 1921 ; E. 
Pound, G. Antheil and the Treatise on Harmony, Paris 
1924, Chicago 21927; F. J. Metcalf, American Writers 
and Compilers of Sacred Music, NY 1925 ; E. E. Hipsher, 
American Opera and Its Composers, Philadelphia 1927; 
J. T. Howard, Our American Music, NY 1931, 41954; 
ders. u. G. K. Bellows, A Short Hist, of Music in Ameri- 
ca, NY 1954; H. Cowell, American Composers on Ameri- 
can Music, Stanford (Calif.) 1933; W. A. Fischer, 150 
Years of Music Publishing in the United States, 1 783-1933, 
Boston (Mass.) 1933; Cl. R. Reis, Composers in Ameri- 
ca .. ., 1912-37, NY 1938, 21947; M. Grant u. H. S. Heb- 
bincer, America's Symphony Orch., NY 1940; A. Cop- 
land, Our New Music, NY u. London 1941, deutsch als: 
Unsere neue Musik, Munchen 1947, u. als : Musik v. heute, 
Wien 1948; H. Dichter u. E. Shapiro, Early American 
Sheet Music . . . (1768-1889), NY 1941 ; Bio-Bibliogr. In- 
dex of Musicians in the United States Since Colonial 
Times, Library of Congress, Music Division, Washington 
1941, 21956; G. Antheil, Bad Boy of Music, NY 1945, 
deutsch v. J. u. Th. Knust als: Enfant terrible d. Musik, 
Munchen (1960); V. Thomson, The Mus. Scene, NY 1945, 
deutsch als: Musikgeschehen in Amerika. Munchen u. 
Bin 1948; ders., Music Right and Left, NY 1951; S. G. 
Spaeth, A Hist, of Popular Music in America, NY 1948; 
Music and Dance in the New England States, hrsg. v. 
dems. u. J. Perlman, NY 1953; Music and Dance in 
Pennsylvania, New Jersey and Delaware, hrsg. v. dens. 
u. a., NY 1954; M. H. Despard, The Music of the United 
States, NY 1949; D. Ewen, American Composers To- 
day, NY 1949; H. Partch, Genesis of a Music, Madison 
(Wis.) 1949 ; E. Cl. Whitlock u. R. Dr. Saunders, Music 
and Dance in Texas, Oklahoma and the Southwest, Holly- 
wood (Calif.) 1950; H. Hanson, Music in Contemporary 
American Life, Lincoln (Nebr.) 1951 ; J. H. Mueller, The 



1012 



Utrecht 



American Symphony Orch., Bloomington (Ind.) 1951; H. 
Swan, Music in the Southwest 1825 to 1950, San Marino 
(Calif.) 1952; C. McCarty, Film Composers in America, 
Glendale/Calif. (1953); D. Blum, A Pictorial Treasury of 
Opera in America, NY 1954; K. R. McVety, A Study of 
Oratories and Sacred Cantatas Composed in America Before 
1900, 2 Bde, Diss. State Univ. of Iowa 1954, maschr.; R. 
Ames, The Story of American Folk Song, NY 1955; G. 
Chase, America's Music from the Pilgrims to the Present, 
NY 1955, frz. Paris 1957, deutsch als: Die Musik Amerikas, 
Bin u. Wunsiedel (1958); R. Sessions, Reflexions on the 
Music Life in the United States, NY 1956; J. Burton, The 
Index of American Popular Music, Wattcins Glen (N. Y.) 
1957; H. W. Schwartz, Bands of America, NY 1957; 
D. K. Wilgus, Anglo-American Folksong Scholarship 
Since 1898, New Brunswick (N. J.) 1959; R. M. Law- 
less, Folk Singers and Folk Songs in America: A Hdb. of 
Biogr., Bibliogr. and Discography, NY 1960; J. A. Lomax, 
The Folk Songs of North America, London 1960; A. B. 
Lord, The Singers of Tales, Cambridge (Mass.) 1960; Br. 
Nettl, An Introduction to Folk Music in the United 
States, = Wayne Univ. Studies, Humanities VII, Detroit 
1 960, 21 962 ; Sc. Goldthwaite, The Growth and Influence 
of Musicology in the United States, AMI XXXIII, 1961; 
Ch. Haywood, A Bibliogr. of North American Folklore 
and Folksong, 2 Bde, NY u. London 2 1961 ; One Hundred 
Years of Music in America, hrsg. v. P. H. Lang, NY 1964; 
P. Seeger, American Favourite Ballads, NY 1961 ; The 
Critics and the Ballad, hrsg. v. M. E. Leach u. Tr. P. 
Coffin, Carbondale (111.) 1962; J. Mates, The American 
Mus. Stage Before 1800, New Brunswick (N. J.) 1962; 



N. A. Benson, The Itinerant Dancing and Music Masters 
of Eighteenth Cent. America, Diss. Univ. of Minnesota 
1 963, maschr. ; J. Mattfeld, A Hdb. of American Operatic 
Premieres 1731-1962, Detroit 1963; G. P. Jackson, White 
Spirituals in the Southern Uplands, Hatboro (Pa.) 1 964 ; G. 
M. Laws, Native American Balladry. A Descriptive Study 
and A Bibliogr. Syllabus, Philadelphia (Pa.) 1964; I. Lo- 
wens, Music and Musicians in Early America, NY (1964) ; 
R. J. Wolfe, Secular Music in America, 1801-25. A Bi- 
bliogr., 3 Bde, NY 1 964 ; R. L. Davis, A Hist, of Opera in the 
American West, Englewood Cliffs (N. J.) 1965. FB 

Ut, in der mittelalterlichen ->• Solmisation die erste Sil- 
be im Hexachord (im Sinne von c, £ oder g) ; im Fran- 
zosischen Name fur C. 

Utrecht. 

Ausg. : The U. Prosarium, hrsg. v. N. de Goede SJ, = Mo- 
numenta musica neerlandica VI, Amsterdam 1965. 
Lit. : J. J. Dodt van Flenburg u. F. C. Kist, De geschie- 
denis der muzyk te U. van het jaar 1400 tot op onzen tijd, 
in: Caecilia, (Den Haag) 1846-56; J. C. M. van Riemsdijk, 
Het Stads-Muziekcollegiete U. (Coll. Mus. Ultrajectinum) 
1631-1881, U. 1881 ; M. A. Vente, De U.se orgelmakers- 
school in de 16 e eeuw, Jb. Oud-U. 1939; J. du Saar, Het 
Coll. mus. Ultrajectinum in de laatste hondert jaar, ebenda 
1941 ; A. Graafhuis, De oudste orgels van de Nikolaikerk, 
in: Zs. Oud-U. XXX, 1957; F. J. van Ingen, Die neue 
Marcussen-Org. d. Nicolaikirche zu U., MuK XXVII, 
1957; C. N. Fehrmann u. J. W. C. Besemer, De U.se 
klokgieters en nun verwanten, in: KJokken en klokken- 
gieters, Culemborg 1963. 



1013 



V 



V, Abk. : - 1) v. = vox (lat., -> Stimme - 1), voce 
(ital.), voix (frz.), voice (engl.); z. B. 3 v. = tribus 
vocibus, trium vocum (lat., fiir 3 Stimmen, dreistim- 
mig); - 2) V. = Violine; - 3) -> v. s.; - 4) W -* Ver- 
sus (- 3), .-> Versikel. 

Vagans (lat., der Wandernde) bezeichnet im spaten 
15. und im 16. Jh. eine Stimme, die zur regelhaften 
Vierstimmigkeit hinzukommt. Da die VierzabJ der den 
Hauptstimmen (Diskant, Alt, Tenor, BaB) eigenen 
Klauselformen und Stimmlagen nicht zu erweitern 
war, trat der V. jeweils als 2. Stimme in der Stimmlage 
einer der Hauptstimmen auf . Neben Alt II oder BaB II 
findet sich selten auch Diskant II. Am haufigsten er- 
scheint der V. jedoch als Tenor II in der tieferen Tenor- 
lage, weshalb Praetorius (Synt. Ill, S. 259) schreibt, V. 
sei von den Alien im Sinne von -*■ Bariton (- 2) ge- 
braucht worden. Nach Stimmumfang und Stimmfiih- 
rung unterscheidet sich der V. kaum von den iibrigen 
Stimmen. Vollstimmige Kadenzen jedoch zeigen seine 
Sonderstellung, da hier der V. die Hauptklauseln, die 
gewohnlich durch die Hauptstimmen besetzt sind, ab- 
andern muB (meist zur Terz des Zielklangs hin) und 
somit oft als klangfiillende Stimme verwendet wird 
(z. B. bei J.Walter). Die Bezeichnung V. bezieht sich 
darauf, daB diese Stimme keinen festen Ort hat und 
daher von Werk zu Werk in eine andere Stimmlage 
»wandern« kann (wobei auch das Stimmbuch des V. 
zu einem anderen Sanger »wandert«). 

Vaganten (von lat. vagari, umherschweifen). Mit dem 
Entstehen neuer Bildungsstatten (Universitaten) und 
-f ormen im 12. Jh. kam ein neuer Typus des Studenten 
und Gebildeten (clericus) auf, der in einer gewissen 
Unabhangigkeit und Weltlichkeit zu leben versuchte 
oder zu leben gezwungen war. Soziale Stellung und 
moralische Bewertung dieser Clerici vagantes oder va- 
gi (wie sie in mittelalterlichen Statuten, Synodalakten 
und dergleichen bezeichnet werden) waren nach Per- 
son, Land und Zeit unterschiedlich. So stellten die Go- 
liarden, die ihnen zuzurechnen sind, eine niedere Stufe 
des Vagantentums dar. Gestiitzt auf mittelalterliche 
Zeugnisse werden unter den V. die Verfasser der iiber- 
wiegend anonymen Lieder und Spruchdichtungen ge- 
sucht, wie sie in einigen mittelalterlichen Sammelhand- 
schriften (Cambridger Lieder, -> Carmina Burana) 
uberliefert sind. Es sind mittellateinische (auch einige 
mischsprachige) Spiel-, Trink- und Liebeslieder, sin- 
nenfreudig und schlicht im Ton. Trotz mancher ge- 
lehrter Beziehung zu den romischen Elegikern und zur 
antiken Mythologie sind sie doch unmittelbar im Er- 
lebnisausdruck und gegenwartsbezogen in den Streit- 
gedichten, in Parodien auf kirchliche Institutionen und 
in Satiren. Zu den wenigen namentlich bekannten V.- 
Dichtern gehoren Hugo von Orleans (genannt Primas), 
Gautier de Chatillon und der ->■ Archipoeta. Ein for- 
males Kennzeichen dieser Lieder ist die sogenannte V.- 
Zeile, eine rhythmisch gegliederte Langzeile, die aus 



einem steigenden 7- und einem fallenden 6Silbler be- 
steht, z. B. : Mium ist propdsitilm in tabirna mSri. Die V.- 
Strophe besteht aus 4 meist gleichgereimten V.-Zeilen. 
In der mittelhochdeutschen Lieddichtung erscheint die 
V.-Zeile recht haufig, und zwar als 8hebige Langzeile 
mit der Versgrenze vor der 5. Hebung. Sie lebt auch im 
Studentenlied (z. B. Gaudeamus igitur) fort. Melodien 
zu der mittelalterlichen V.-Lyrik sind in linienlosen 
Neumen uberliefert. 

Lit. : O. Schumann, Einleitungzu: Carmina Burana, hrsg. 
v. A. Hilka u. O. Schumann, II, 1, Heidelberg 1930; M. 
Bechthum, Beweggriinde u. Bedeutung d. Vagantentums 
in d. lat. Kirche d. MA, = Beitr. zur ma., neueren u. allge- 
meinen Gesch. XIV, Jena 1941; Vagantendichtung, hrsg. 
u. iibers. v. K. Langosch, = Fischer Bucherei, Exempla 
Classica LXXVIII, Ffm. u. Hbg (1963). 

Valencia. 

Lit.: Fr. J. Blasco, La musica en V., Alicante 1896; J. 
Ruiz de Lihory, La musica en V., Diccionario biogr. y 
critico, V. 1903; J. Sanchis Sivera, Organeros medievales 
en V., Revista de arch., bibl. y museos XXIX, 1925; V. 
Perez- Jorge, La musica en la provincia franciscana de V., 
V. 1951 ; J. Amades, Las danzas de espadas y de palos en 
Catalufla, Baleares y V., AM X, 1955. 

Variable Metren nennt B.Blacher (Ornamente fiir 
Kl. op. 37, 1950) die Verwendung des Taktwechsels als 
formbildendes Mittel. Die dabei entstehenden iiber- 
geordneten metrischen Einheiten werden nach ma- 
thematischen Gesetzen geformt; so beruht die Anord- 
mmg der Takte in 
Blachers Ornament 
fur Kl. Nr 1 auf der 
einfachen arithme- 
tischen Reihe (u. a. 
234...9undriick- 
laufig) : 



Vivace a) - 108-112 
234...898...32«h 



m 



m 



m 



i» ^Y 




Die rhythmische Struktur des Einzeltaktes sollte bei 
Anwendung V.r M. jedoch so einfach sein, daB die be- 
absichtigten metrischen GroBzusammenhange deutlich 
horbar werden. Blacher rat daher, V. M. nicht mit Ka- 
non- oder Fugentechnik zu verquicken. Andere Werke 
Blachers mit V.n M. sind z. B. der Dialog fiir Fl., V., 
Kl. und Streichorch. (1951) und das Ornament fiir Orch. 
op. 44 (1952). V. M. kommen auch bei K. A. Hartmann 
(Konzert fiir Kl., Blaser und Schlagzeug, 1954, und 
Konzert fur Va mit Kl., 1956) und bei H.W.Henze 
(Streichquartett, 1952) vor. 

Lit. : B. Blacher, Ober variable Metrik, Osterreichische 
Musikzs. VI, 1951. 



1014 



Variation 



Variante, s. v. w. vom Original abweichende Lesart 
ein und derselben Stelle eines literarischen oder musi- 
kalischen Textes; speziell - 1) die (im Unterschied zur 
eigentlichen -*■ Variation) von der Originalgestalt nur 
in Einzelheiten abweichende Version eines Themas, 
eines Rhythmus, einer Akkordfolge usw. innerhalb 
desselben Werkes; vgl. die Originalgestalt des Haupt- 
themas im 1. Satz von Schuberts Klaviertrio in Es dur ' 
(D 929) 



mit einer am Ende der Durchfiihrung auftretenden V. 
(Takt369ff.): _^ 




- 2) nach H. Riemann (in seinen spateren Schriften) die 
durch Veranderung der Terz (groB statt klein, klein 
statt groB) substituierte Durform des Molltonika-Drei- 
klangs oder Mollform des Durtonika-Dreiklangs. Der 
Ausdrack V. ist hier deshalb gewahlt, weil bei solcher 
Substitution gewbhnlich keine eigentliche Modulation 
stattfindet, sondern die bleibende Tonart nur plotzlich 
heller bzw. dunkler wird. Solche Wendungen zur V. 
sind z. B. auch die entlehnten Trugschliisse D-Tp + in 
Moll und D-3 5 in Dur. Die Uberschrift ->■ Maggiore 
bzw. -> Minore zeigt an, daB der betreffende Satz oder 
Satzteil zur V. iiberspringt. 

Variation (lat. variatio, Veranderung) ist im Sinne 
der Veranderung eines Gegebenen ein Grundprinzip 
der Gestaltung des Klingenden, wohl bei alien Volkern 
zu alien Zeiten (->■ Maqam, ->• Patet, -> Raga). Dabei 
sind die Arten des Gegebenen so vielfaltig wie die Wei- 
sen des Veranderns, das stets eine hohere Art des Wie- 
derholens ist und auch in der abendlandischen Musik 
die Erfindung bestandig durchdringt und die Quelle 
unzahliger Formgebungen darstellt. Ein in sich Sinn- 
voiles - eine Tonfolge (etwa als Soggetto, Thema oder 
Lied) oder eine Klang- oder Akkordfolge - wird noch 
einmal dargeboten und dabei verandert in der Weise 
des Ausschmiickens oder Vereinfachens, des Verkiir- 
zens oder Umstellens, der harmonischen oder rhyth- 
misch-metrischen Umpragung oder des Versehens mit 
Zusatzstimmen, doch immer so, daB das Gegebene 
noch kenntlich bleibt. Das geistvolle Spiel des Umge- 
staltens gibt zugleich als f ormbildende Kraft dem mu- 
sikalischen Verlauf Zusammenhang, Gliederung und 
FaBlichkeit und vermag die asthetische Forderung der 
Varietas, der Mannigf altigkeit in der Einheit, besonders 
sinnfallig zu erfiillen. Dabei braucht' das Gegebene als 
Grundgestalt oder Modell kein wirklich Vorangestell- 
tes zu sein, sondern kann als ein tradiertes Vorgestelltes 
(z. B. ein harmonisches Modell) von vornherein vari- 
iert auftreten; und das Gegebene braucht nur ein kon- 
stantes oder selbst variables Element (z. B. eine Melo- 
die), nicht aber mehrere Faktoren der wiederholend 
fortschreitenden Darstellung (z. B. auch die Harmo- 
niefolge) auszumachen. An der Geschichte der Musik 
laBt sich beobachten, daB V. ihrem Wesen nach primar 
der Improvisation und dem Instrumentalspiel zugehort 
und oftmals erst von daher in den Bereich der Kompo- 
sition aufriickt und von der Vokalmusik iibernommen 
wird. In eben dem MaBe, wie die Musik in ihrer Ge- 
schichte sich darstellt als Weg zur Komposition in ei- 
nem sich steigernden Sinne und damit zugleich als Weg 
zur Instrumentalisierung, gewinnt die V. als Prinzip 
und Form an Gestaltung. 

Zu unterscheiden sind das Variieren als Technik inner- 
halb einer Form, ferner die verandernde Darbietung 



(variierende Bearbeitung) eines vorgegebenen Ganzen 
und die Form der V.en-Folge, die selbstandig oder als 
Teil eines groBeren Ganzen auftreten kann. - Histori- 
sche Arten des Variierens als Res facta innerhalb einer 
Form sind im Mittelalter z. B. der variierende -»■ Co- 
lor (- 2) im Sinne der veranderten Melodiewiederho- 
lung sowohl in Choral und Lied als auch in den Ober- 
stimmen von Conductus, Organa, Klauseln und Mo- 
tetten; im Barock u. a. jene Arten von Figuren, bei 
denen eine Tongruppe auf gleicher Stufe mit nach- 
driicklichem Zusatz (-> Paronomasia) oder auf anderer 
Stufe mit veranderter Fortfiihrung (-> Polyptoton) 
wiederholt wird, besonders aber die Figur der Variatio 
selbst (ital. passaggio oder coloratura), bei der anstatt 
einer grofi en Note mehr kleinere durch allerhand Gange und 
Sprunge zu der ndchstfolgenden Note eilen (Chr. Bernhard, 
Tractatus . . . , ed. Miiller-Blattau, S. 73) ; hierher ge- 
horen auch Transitus, Accentus (= Superiectio), Sub- 
sumptio (ital. cercar della nota) und viele andere, auch 
Gruppo, Circolo mezzo, Tirata, Trillo usw., die ihren 
Ursprung im improvisierenden Gebrauch beim Vor- 
trag der Instrumentalisten und Sanger haben, zumal 
in der Manier des Cantar passaggiato, die durch -> Di- 
minution (- 2) oder ->■ Koloratur geschieht. Auch die 
Veranderungen etwa beim Dacapo der Arie, Solo des 
Concertos, Refrain (Ritornell) des Rondeaus (Rondo) 
und bei der Reprise der Sonatensatzform sind V.en in- 
nerhalb einer Form; und mit der Kunst der V. beruhrt 
sich die Technik der ->■ Fortspinnung, die ->■ Themati- 
sche Arbeit, die Themenmetamorphose (J.S.Bachs 
Musicalisches Opfer und Kunst der Fuge), auch die -»• Leit- 
motiv-Abwandlung bei Wagner. 
Beispiele fiir die variierende Bearbeitung eines vorbe- 
stehenden Ganzen bieten Bearbeitungen von Liedsat- 
zen mittels -* Kolorierung und Diminution (z. B. die 
Transkriptionen von Trecentoliedsatzen fiir Tastenin- 
strument im Codex Fa; ->■ Quellen), ferner die oft iiber 
Chansonvorlagen gebildete Parodie-(Transkriptions- 
oder Modell-)Messe des 15. und 16. Jh. und die auch in 
Aufzeichnungen festgehaltene kolorierte Form von 
Madrigalen und Arien zur Zeit der Nuove musiche um 
1600. - Der V.en-Folge nahe steht im Spatmittelalter 
die isorhythmische Motette, die an die mehrfache 
»Durchfiihrung« eines Tenorcantus in Klauseln und 
Motetten des 13. Jh. anknupft und - indem sie zum 
Vortrag in Textstrophen bestimmt ist - in der Art ei- 
ner Strophenform gleichrhythmische Perioden jeweils 
andersartig gestaltet. Im 15. und 16. Jh. sind in der Te- 
normesse die Ordinariumssatze iiber dem gleichen C. f . 
gebildet. Doch die V. als eigentliche V.en-Folge, nam- 
lich als Paar oder Reihe veranderter Satze (wofiir dann 
kurz nach 1600 der Terminus V. in seinem bis heute 
ublichen Sinne aufkam), ruckte zu Beginn des 16. Jh. 
in den Bereich der fiir Instrumente bestimmten Nie- 
derschrift und Komposition ein im AnschluB an die 
improvisierende V. in der Tanzmusik, wie sie u. a. in 
der Praxis der durch Umrhythmisierung gewonnenen 
Tanzpaare (->• Suite) und im Stegreifspiel iiber den Te- 
nores der Basses danses des 15. Jh. vorgebildet ist. Die 
friihesten Belege der V.en-Folge bieten in Italien die 
Lautentabulaturen von Fr. Spinaccino (1507), J. A. Dal- 
za (1508) und Fr.Bossinensis (Tenori e contrabassi inta- 
bulati, 1509) und in Spanien die Tabulaturen fiir Vihuela 
von L.Milan (1535) und L. de Narvaez (1538) sowie 
die Lehrbeispiele im Tratado deglosas . . . (1553) des ab 
1555 in Neapel wirkenden D.Ortiz. Einen friihen 
Hohepunkt bUdete die V.s-Kunst Frescobaldis, die be- 
sonders durch dessen Schiiler Froberger auf Siid- und 
Mitteldeutschland ausstrahlte, wahrend die spanische 
Tradition der Diferencias wohl unmittelbar durch A. 
de Cabezon (der 1554-56 im Gefolge Philipps II. in 



1015 



Variation 



London weilte) entscheidend auf die englischen Vir- 
ginalisten der Elisabethanischen Zeit einwirkte. In de- 
ren hochentwickelter Art und Technik der V. sowie im 
Werk des Niederlanders Sweelinck wurzelt die mittel- 
und norddeutsche Kunst der kontrapunktischen Cho- 
ral- V. (-> Choralbearbeitung - 2) im Werke Scheidts, 
Scheidemanns, Weckmanns, Buxtehudes, Bohms. 
Sowohl die italienisch-siiddeutsche StrophenbaB-, Osti- 
nato- und Lied-V. (Partita) wie die auf Oberstimmen- 
diminution beruhende Tanz-V. (Double) der franzosi- 
schen Clavecinisten und die mittel- und norddeutsche 
Choral-V. begegnen und vereinen sich in Bachs V.s- 
Werken, -Prinzipien und -Benennungen: Aria variata 
alia maniera italiana, BWV 989; Aria mit verschiedenen 
Veraenderungen (Goldberg-V.en), BWV 988; Violin- 
chaconne in BWV 1004; Doubles z. B. in der H moll- 
Partita fur V. solo, BWV 582; Choralpartiten, BWV 
766-770. Wesentlich fur die -*■ Partita, die eine Aria 
variiert, ist die Folge von Teilen (parti) iiber ein und 
dasselbe BaBmodell, das sich zumeist durch tanzlied- 
hafte Periodik und tonalharmonische Kadenzschritte 
auszeichnet, nicht selten diminuiert auftritt und als 
-> Ground auch durch die Stimmen wandern kann. 
Die bekanntesten derartigen Tanz- oder LiedbaBmo- 
delle, offenbar italienischer Herkunft, sind der Passa- 
mezzo antico und moderno, die Romanesca und Folia 
und der Ruggiero (-> Arie). In deren Nachbarschaft 
stehen die wechselnden Ostinatoformeln der Chaconne 
und Passacaglia. Mit der Wiederholung der ostinaten 
oder strophenartigen Basse verbindet sich oft eine mehr 
oder weniger konstante Harmoniefolge (die, wie bei 
Frescobaldi, ihrerseits auch wieder die BaBschritte ver- 
andern kann) und haufig eine Oberstimmenmelodie, 
die variiert wird. Der franzosische ->■ Double bleibt im 
wesentlichen gebunden an den Tonsatz bzw. an das 
liedartige, die Oberstimmenmelodik betonende Air 
und an die Wiederholung des Simple im klar durch- 
schaubaren V.s-ProzeB des Diminuierens. Eine Folge 
von Choral-V.en heiBt oft auch Partita, da ihr konstan- 
ter Faktor eine Liedmelodie ist; doch ihr Wesen wird 
bestimmt durch die organistische Tradition des Kolo- 
rierens und der kontrapunktischen C. f.-Bearbeitung 
mit ihrem Mensurspiel der Augmentation und Dimi- 
nution, ihrer Kunst des Imitierens und ihrer relativ ge- 
bundenen Fuhrung der Stimmen, wobei die charakter- 
voll kontrastierende Gestaltung der Verse dann bei 
Bach im Sinne der Musica poetica dem Gehalt der 
Textstrophen entsprechen kann. Als Arten barocker 
V.s-Kunst seien auch erwahnt die Orchestersuite in 
V.s-Form (Schein, Peuerl u. a.) und die GeneralbaB-V., 
wie sie Fr.E.Niedt in seiner Handleitung zur V. (1706) 
lehrt. Kennzeichen der barocken V.en-Folge insgesamt 
ist die Reihung, das Nebeneinanderstellen von Teilen, 
bei denen je ein oder mehrere tradierte, in Spiel und 
Konstruktion griindende Prinzipien der V. gehand- 
habt, in einmaliger Verwirklichung dargeboten und 
zugleich historisch weitergefiihrt werden. Dabei aber 
verbinden sich die Teile zum Zyklus nicht nur zufolge 
der konstanten Faktoren, sondern auch auf Grund eben 
dieses handwerklichen Darbietens und Ausschopfens 
von V.s-M6glichkeiten, nicht selten unter Einbeziehung 
des Situationswechsels, auch etwa des Kontrasts, der 
Steigerung oder des Zuriickkehrens zum Anfang. 
An die Stelle der V.s-Reihe, die als Melodiethema mit 
V.en seit dem spateren 18. Jh. und besonders bei C. 
Ph.E.Bach, J.Haydn und W.A.Mozart durch The- 
menumpragungen, freie Episoden, Kontrastbildungen 
(Adagio-V.) und Codateil einen das Psychische akti- 
vierenden Verlauf gewann und nun mit Vorliebe auch 
als Satz in zyklischen Instrumentalwerken verwendet 
wurde, drang vor allem seit Beethoven in zunehmen- 



dem MaBe der Entwicklungsgedanke in die V. ein: das 
Thema wird als Charakter aufgefaBt, der sich in den 
V.en expressiv und dramatisch entfaltet; und in sol- 
chem Entwicklungsgang wird das Thema selbst in 
Richtung neuer Ausdruckswerte verwandelt und ge- 
sprengt, zuweilen auch nur die Harmoniefolge zum 
einzigen konstanten Faktor der Aussage erhoben. Stellt 
sich die V. bei Schubert - der in der Vokalmusik ein 
Meister des variierten Strophenliedes ist - und Men- 
delssohn Bartholdy mehr als eine Folge von Stim- 
mungsbildern dar, so erlangt die poetisch konzipierte 
Charakter- V. ihren Hohepunkt bei R. Schumann, der 
weniger das Thema als dessen Motive zu immer wie- 
der neuer Gestalt und Beleuchtung fiihrt und mit die- 
sem Verfahren eine ausgedehnte Literatur von Fantasie- 
V.en eroffnete, wahrend sich Brahms und Reger we- 
sentlich teils an der symphonischen V.s-Art Beetho- 
vens, teils am Vorbild Bachs orientiert zeigen. - Die in 
spater tonaler Musik (z. B. in Debussys Jeux) vorhan- 
dene perpetuelle V. (oder »Durchfuhrung«) ist in der 
Zwolftontechnik Prinzip. Die Erkennbarkeit des The- 
mas aber ist in der athematischen Kompositionsart 
nicht mehr vorhanden; hier fiihrt sich . . . dies Prinzip 
der V. selbst zu Ende, . . . woes bei den Elementen, den Tb- 
nen und Interv alien ansetzt (Stockhausen 1963, S. 73). 
Den geschichtlichen Zusammenhang mit der V. des 
18./19. Jh. kniipf t hier (z. B. bei Webern, op. 21 , 27, 30) 
primar die zyklische Form des V.en-Satzes, wahrend 
bei Schonberg (op. 31) und Berg (Violinkonzert, Woz- 
zeck) das aus der Reihe gebildete, auch rhythmisch pro- 
filierte Thema den Zusammenhang der V.en unmittel- 
bar faBbar macht. - Die Anwendung des Terminus V. 
auf den genuinen -» Jazz (bis zur Swing-Ara) ist irre- 
fuhrend. Was dort gewohnlich als »Thema mit V.en« 
bezeichnet wird, hat andere Voraussetzungen als in der 
Kunstmusik (-> Chorus). 

Lit.: Fr. E. Niedt, Handleitung zur V. . . ., Hbg 1706, 
2 1721 hrsg. v. J. Mattheson; O. Klauwell, L. van Beet- 
hoven u. d. Variationsform, = Mus. Magazin III, Langen- 
salza 1901 , Neudruck in : Studien u. Erinnerungen, ebenda 
1906; Ch. Van den Borren, Les origines de la musique de 
clavier en Angleterre . . . , Briissel 1 9 1 2, engl. London 1913; 
A. Moser, Zur Genesis d. Folies d'Espagne, AfMw 1, 1918/ 
19; H. Swoboda, Die nachbeethovensche Variationen- 
form, Diss. Prag 1923, maschr. ; H. Viecenz, tjber d. all- 
gemeinen Grundlagen d. Variationskunst, mit besonderer 
Beriicksichtigung Mozarts, Mozart- Jb. II, 1924; Fr. Blu- 
me, Studien zur Vorgesch. d. Orchestersuite im 15. u. 16. 
Jh., = Berliner Beitr. zur Mw. I, Lpz. 1925; E. Reichert, 
Die Variationsarbeit bei J. Haydn, Diss. Wien 1926, 
maschr. ; V. Luithlen, Studie zu J. Brahms' Werken in 
Variationenform, StMwXIV, 1927; R. Litterscheid, Zur 
Gesch. d. Basso ostinato, Diss. Marburg 1928; R. Gress, 
Die Entwicklung d. Klavierv. v. A. Gabrieli bis zu J. S. 
Bach, = Veroff. d. Musikinst. d. Univ. Tubingen VI, Kas- 
sel 1929; P. Mies, Die Chaconne (Passacaille) bei Handel, 
Handel- Jb. II, 1929; ders., Stilkundliche Bemerkungen zu 
Beethovenschen Werken, Neues Beethoven- Jb. VII, 1937; 
ders., W. A. Mozarts Variationswerke . . . , AfMf II, 1937 ; 
G. R. Dejmek, Der Variationszyklus bei M. Reger, Diss. 
Bonn 1930; M. Friedland, Zeitstil u. Personlichkeitsstil 
in d. Variationswerken d. mus. Romantik, = Slg mw. Ein- 
zeldarstellungen XIV, Lpz. 1930; W. Schwarz, R. Schu- 
mann u. d. V., Kassel 1932 ; J. M. Muller-Blattau, Beet- 
hoven u. d. V., Neues Beethoven-Jb. V, 1933; ders., Ge- 
staltung - Umgestaltung. Studien zur Gesch. d. mus. V., 
Stuttgart 1950; P. Coenen, M. Regers Variationsschaffen, 
Diss. Bin 1935; R. v. Tobel, Die Formenwelt d. klass. In- 
strumentalmusik, = Berner Veroff. zur Musikforschung 
VI, Bern u. Lpz. 1935 ; L. Neudenberger, Die Variations- 
technik d. Virginalisten . . ., Diss. Bin 1937; W. Meinar- 
dus, Die Technik d. Basso ostinato bei H. Purcell, Diss. 
Koln 1939, maschr. ; E. v. Rumohr, Der Niirnbergische 
Tasteninstrumentalstil im 17. Jh., dargestellt an Arie, V. u. 
Suite, Diss. Minister i. W. 1939; E. Born, Die V. . . . im 
mus. Schaffen J. Pachelbels, = Neue deutsche Forschun- 



1016 



Vaudeville 



gen, Abt. Mw. X, Bin 1941 ; E.-D. v. Rabenau, Die Kla- 
iverv. zwischen Bach u. Beethoven, Diss. Bin 1 941 , maschr.; 
R. Leibowitz, Schoenberg et son ecole, Paris (1947), engl. 
NY (1949) ; ders., Introduction a la musique de douze sons, 
Paris (1949) ; R. U. Nelson, The Technique of V., = Univ. 
of California Publications III, Berkeley u. Los Angeles 
1948, 21962; ders., Strawinsky's Concept of V., MQ 
XL VIII, 1962; ders., Schoenberg's V. Seminar, MQ L, 
1964; K. v. Fischer, Eroica-V. op. 35 u. Eroica-Finale, 
SMZ LXXXIX, 1949; ders., C. Ph. E. Bachs Variations- 
werke, RBM VI, 1952; ders., Die V., = Das Musikwerk 
XI, Koln (1956); ders., Zur Theorie d. V. im 18. u. begin- 
nenden 19. Jh., Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957; ders., 
Mozarts Klavierv., in: H. Albrecht in memoriam, Kassel 
1962; ders., Zur Entstehungsgesch. d. Orgelchoralv., Fs. 
Fr. Blume, Kassel 1963 ; J. Ward, The »Dollfull Domps«, 
JAMS IV, 1951 ; M. Reimann, Zur Entwicklungsgesch. d. 
Double, Mf V, 1952 - VI, 1953; dies., Zur Spielpraxis d. 
Klavierv. d. 16. bis 18. Jh., Mf VII, 1954; dies., Pasticcios 
u. Parodien . . ., Mf VIII, 1955; E. E. Lowinsky, Engl. 
Organ Music of the Renaissance, MQ XXXIX, 1953; M. 
J. E. Brown, Schubert's V., London 1954; M. Busch, 
Formprinzipien d. V. bei Beethoven u. Schubert, Diss. 
Koln 1955, maschr.; H.-W. Berg, Schuberts Variationen- 
werke, Diss. Freiburg i. Br. 1958, maschr. ; H. Eimert, De- 
bussys »Jeux«, in: die Reihe V, Wien 1959; B. Hansen, V. 
u. Varianten in d. mus. Werken Fr. Liszts, Diss. Hbg 1959, 
maschr.; I. Horsley, The Sixteenth-Cent. V., JAMS XII, 
1959 ; ders., The Sixteenth-Cent. V. and Baroque Counter- 
point, MD XIV, 1960; H. Hirsch, Rhythmisch-metrische 
Untersuchungen zur Variationstechnik bei J. Brahms, 
Diss. Hbg 1960; R. Rhein, Fr. Schuberts Variationsweise, 
Diss. Saarbriicken 1960; A. Albrecht, Die Klavierv. im 
20. Jh., Diss. Koln 1961 ; W. F. Goebel, A. Weberns Sin- 
fonie, Melos XXVIII, 1961 ; L. Hailparn, V. Form from 
1 525 to 1750, MR XXII, 1961 ; W. Mohr, Uber Mischform 
u. Sonderbildungen d. Variationsform, Kgr.-Ber. Kassel 
1962; E. Apfel, Ostinato u. Kompositionstechnik bei d. 
engl. Virginalisten ..., AfMw XIX/XX, 1962/63; Fr. 
Dohl, Weberns Opus 27, Melos XXX, 1963; K. Stock- 
hausen, Texte zu eigenen Werken, zur Kunst anderer, 
Aktuelles, Bd II: Aufsatze 1952 bis 1962 zur mus. Praxis, 
hrsg. v. D. Schnebel, Koln 1963. HHE 

Varsovienae (varsovj'en, frz. ; ital. Varsoviana), eine 
nach der Stadt Warschau benannte Abart der Mazurka, 
die wahrscheinlich franzosischen Ursprungs ist und um 
1850-70 in Frankreich und Deutschland sehr beliebt 
war. Die V. steht im langsamen 3/4-Takt; charakteri- 
stisch ist die Betonung der ersten Note jedes zweiten 
Taktes, bei der die tanzerische Bewegung innehalt: 

•JllJJJU JllJJJ U 
* > > 

Vatikanisches Konzil II (1962-65 unter Johannes 
XXIII. und Paul VI.). Der Verlauf dieser fur das kiinfti- 
ge Gefiige der romischen Kirche entscheidenden Ver- 
sammlung wurde hauptsachlich von dem Gedanken 
einer innerkirchlichen Reform bestimmt. Als erstes of- 
fizielles Dokument verabschiedete das Konzil am 4. 12. 
1963 die Constitutio de sacra Hturgia, die Grundlinien 
fur eine Reform (generalis instauratio) der Liturgie. 
Hierbei ist von zentraler Bedeutung, daB die Kirche, 
unter »Wahrung der Einheit des romischen Ritus im 
wesentlichen«, eine weitgehende Differenzierung im 
einzelnen gestattet und daB die Ordnung der Liturgie 
fortan auBer dem Apostolischen Stuhl innerhalb fest- 
gelegter Grenzen auch dem jeweiligen Bischof oder 
den Bischofsversammlungen zugebilligt wird (Artikel 
37ff. und 22). Gegeniiber den liturgischen Entschei- 
dungen des ->■ Tridentiner Konzils bietet die Konsti- 
tution einen wesentlichen Neuansatz, in dessen Mittel- 
punkt die Neuordnung von -> Messe und ->- Offizium 
steht (letzteres mit -> Laudes und -> Vesper als den 
Angelpunkten des taglichen Stundengebets). Um ein 
tieferes Verstandnis und einen sinnvolleren Mitvollzug 
der Liturgie unter den Glaubigen zu fordern, sind nun- 



mehr neben dem Latein (als der offiziellen Kirchen- 
sprache) auch die Volkssprachen zugelassen. Kapitel VI 
befaBt sich ausschlieBlich mit kirchenmusikalischenFra- 
gen. Nach Artikel 116 nimmt der -> Gregorianische 
Gesang auch weiterhin die erste Stelle im Rahmen der 
Liturgie ein, wenngleich »die Kirche alle Formen wah- 
rer Kunst, welche die erforderlichen Eigenschaften be- 
sitzen«, erlaubt (Artikel 112). Auf eine Klassifizierung 
der katholischen -> Kirchenmusik (- 1) im Sinne alterer 
Erlasse wird verzichtet; dem religiosen Volksgesang 
wird breiterer Raum gewahrt. - Praktische Ausfiih- 
rungsbestimmungen zur Konstitution sind in der von 
einer postkonziliaren Kommission ausgearbeiteten In- 
structio ad exsecutionem Constitutionis de sacra liturgia recte 
ordinandam vom 26. 9. 1964 sowie in der Instructio de 
musica in sacra Hturgia vom 5. 3. 1967 enthalten. Fiir alle 
deutschen Diozesen gelten als verbindliche Ordnung 
dieBeschlussederVollversatnmlungderBischqfe . . .Deutsch- 
lands vom 6. 11. 1964 und die Richtlinien der deutschen 
Bischofefiir die Feier der heiligen Messe in Gemeinschaft 
(1965). Im Gefolge der Liturgiereform erschienen bis- 
her nachstehende Ausgaben liturgischer Biicher (Edi- 
tiones typicae): Kyriale simplex (1965), Cantus qui in 
Missali Romano desiderantur iuxta Instructionem ad exse- 
cutionem Constitutionis de sacra liturgia recte ordinandam . . . 
(1965, mit den Melodieformeln fiir die neuerdings ge- 
sungenen Teile der Messe) und Ritus servandus in con- 
celebratione missae . . . (1965, Texte und Melodien des 
Konzelebrationsritus), ferner der neue Ordo missae 
(1965). Fiir den deutschen Sprachbereich wurde ein 
Lateinisch-deutsches Altarmefibuch herausgegeben (Ein- 
siedeln und Freiburg im Breisgau 1965L). - Das erste 
V. K. (1869/70) blieb ohne Bedeutung fur Liturgie 
und Kirchenmusik. 

Ausg. : Constitutio de sacra liturgia : Acta Apostolicae Se- 
dis LVI, 1964, auch in: Ephemerides liturgicae LXXVIII, 
1964 (lat. Text mit anschlieflendem Kommentar), lat.- 
deutsche Ausg., kommentiert v. E. J. Lengeling, = Le- 
bendiger Gottesdienst V/VI, Miinster i. W. 1964, u. v. J. A. 
Jungmann SJ in: Lexikon f. Theologie u. Kirche, Ergan- 
zungsbd I zur 2. Auflage, Freiburg i. Br., Basel u. Wien 
1966. - Instructio ad exsecutionem . . . : Editio typica, Rom 
1964, auch in: Ephemerides liturgicae LXXVIII, 1964 (lat. 
Text mit nachf olgendem Kommentar), lat.-deutsche Ausg. , 
kommentiert v. H. Rennings, = Lebendiger Gottesdienst 
VII, Munster i. W. 1965; Instructio de musica . . . : Acta 
Apostolica Sedis LIX, 1967, auch in: Ephemerides litur- 
gicae LXXXI, 1967 (lat. Text mit Kommentar), lat.-deut- 
sche Ausg., hrsg. v. d. Liturgischen Inst, in Trier u. Frei- 
burg i. d. Schweiz, = Nachkonziliare Dokumentation I, 
Trier 1967. KWG 

Vaudeville (vodv'il, frz.) wurden urspriinglich die 
seit etwa 1640 in die Stegreifstiicke der italienischen 
Komodianten in Paris eingelegten popularen Lieder, 
dann auch die Stucke selbst genannt. Diese f iihrten spa- 
ter uber die am Theatre de la Foire aufgefuhrten V.s 
zur Opera-comique. Die Herkunft der Bezeichnung 
ist unsicher. Moglicherweise wurzelt sie in den Vau(x) 
de Vire benannten volkstiimlichen satirischen Gedich- 
ten des normannischen Dichters O. Basselin aus Vire 
(t 1450), die 1610, von J. le Houx gesammelt, erschie- 
nen. Erwogen wird die Ableitung von Vaulx de ville 
(diese Schreibweise schon um 1510) bzw. Voix de ville 
(»Stimme der Stadt «) ; so hieB in der 2. Half te des 1 6. Jh. 
der herrschende und etwas spater Air genannte Typus 
der franzosischen -> Chanson, dessen Merkmale stro- 
phischer Bau, syllabische Textdeklamation und akkor- 
discher Satz mit der Hauptmelodie in der Oberstimme 
sind (vgl. die Vorrede von A. Le Roy zu seiner Ausgabe 
der Airs de cour, Paris 1571). J. Chardavoine lieB noch 
1575 in Paris die Sammlung Le recueil de plus belles et ex- 
cellentes chansons en forme de voix de villes erscheinen. 



1017 



Venedig 



Populare Lieder verschiedenster Provenienz, vor allem 
aber Oper und Comedie-ballet der Zeit J.-B. Lullys bil- 
den musikalisch die Quelle der (jeweils mit neuem Text 
versehenen) V.s. Dieser Gebrauch hielt sich innerhalb 
der Opera-comique noch bis nach 1750 (z. B. bei 
Favart), die deshalb auch Opera en v. oder Comedie-v. 
genannt wurde. Eine Opera-comique en v.s (3 Akte) ist 
z. B. der 1713 von Le Tellier fur das Theatre de la Foire 
geschriebene Festin de pierre, eines der f riihesten in Mu- 
sik gesetzten Don Juan-Stiicke. Die bekanntesten V.s 
erschienen in zahlreichen Sammlungen: Nouvelles pa- 
rodies bachiques, milks de v.s ou rondes de tables ..., 1700- 
02, Chr. Ballard (3 Bande); La clef des chansonniers: ou 
recueil des v.s . . ., \1\1, Chr. Ballard (2 Bande); Recueil 
complet de v.s et airs choisis qui ont ete chantes a la Comidie 
Francoise depuis Vannee 1659,jusqu'h Vannee presente 1753 
. . . , Paris 1753. Erst allmahlich wurden die bekannten 
Melodien (timbres) durch eigens komponierte Arietten 
und Arien ersetzt. Mit solchen Comedies mfilees d'ariet- 
tes neben V.-Stiicken mit Airs nouveaux griff auch 
Gluck von 1755-62 in die Entwicklung der Opera- 
comique ein. Um 1 765 war jedoch das V. aus der Opera- 
comique weitgehend verdrangt. - Ebenf alls V.s hieBen, 
da sie bekannte Melodien verwendeten, die als SchluB- 
ensembles in den V.-Komodien und in der Opera- 
comique ublichen Rundgesange: jede der beteiligten 
Personen tragt eine Strophe auf dieselbe Melodie vor, 
jeweils unterbrochen durch einen von alien gesungenen 
Refrain, der meist die SchluBmoral enthalt. Dieses 
SchluB-V. hielt sich in der Opera-comique ziemlich 
lange. Bei Fr.-A. Philidor steht es regelmaBig am SchluB. 
Erst Gretry begann ab 1773 seine Opern mit Ensembles 
nach dem Vorbild des italienischen Buffafinales abzu- 
schlieBen, in deren Verlauf jedoch das V. gelegentlich 
wieder auftritt (z. B. Lafausse magie und L'amant ja- 
loux). Der SchluBgesang Trionfi amore in Glucks Orfeo 
(1762) zeigt, daB das V. nicht auf die Opera-comique 
beschrankt blieb. Es drang sogar in das Schauspiel ein: 
Le manage de Figaro (1784) von P. A. Beaumarchais 
schlieBt mit einem V. Aus der Opera-comique wurde 
das V. als V.-Rondo insbesondere durch J.A.Hiller 
(z. B. Diejagd, 1770) in das zunachst vornehmlich fran- 
zosisch orientierte deutsche ->- Singspiel iibernommen. 
Beriihmt ist das SchluB- V. aus Die Entfiihrung aus dem 
Serail (1782) von W.A.Mozart. - In Frankreich findet 
sich das V. noch bis spat ins 19. Jh. E. Scribe z. B. hat 
eine groBe Anzahl von V.-Komodien hinterlassen. Ins 
Jahr 1791 fallt die Griindung des Theatre de V. in Paris, 
an dem vornehmlich die leichte Komodie gepflegt 
wurde und das sich bis 1925 hielt. An V.-Sammlungen 
aus dem 19. Jh. sind zu nennen: La de du caveau (31807 
und ■•1872), La musette de v. ou Nouvelle clef du caveau 
(1822), und Le caveau moderne. Chansonnier periodique 
(1807). 

Lit. : A. Gaste, Etude critique et hist, sur J. le Houx et le 
vau de vivre a la fin du XVI e s., Paris 1874; M. Muller, 
J.-J. Vade (1719-57) u. d. V., Diss. Greifswald 1911; Fr. 
Liebstoekl, Das deutsche V., Diss. Wien 1923, maschr.; 
L. Holzer, Die komischen Opern Glucks, Diss. Wien 
1925, Auszug in: StMw XIII, 1926; Ch. E. Koch jr., The 
Dramatic Ensemble Finale in the Opera Comique of the 
Eighteenth Cent., AMI XXXIX, 1 967. StK 

Venedig. 

Lit. : G. C. Bonlini, Le glorie della poesia e della musica 
contenute nell'esatta notizia de' teatri della citta di Venezia 
e nel cat. purgatissimo de' drammi mus. quivi sin'hora 
rappresentati, V. 1730; A. Groppo, Cat. di tutti i drammi 
per musica recitati nei teatri di Venezia, V. 1746, mit Er- 
gSnzungen 1753 u. 1766; Fr. Caffi, Storia della musica 
sacra nella gia cappella ducale di S. Marco in Venezia dal 
1318 al 1797, 2 Bde, V. 1854-55, Faks. Rom 1936; L. Lia- 
novosani (= G.Salvioli), La Fenice, Gran teatro di Ve- 



nezia. Serie degli spettacoli, Dalla primavera 1792 a tutto 
il carnovale 1876, Mailand (1876); L. N. Galvani (= G. 
Salvioli), I teatri mus. di Venezia nel s. XVII, (1637-1700), 
Mailand (1878) ; ders., Saggio di drammaturgia veneziana, 
V. 1879; T. Wiel, I teatri mus. veneziani del settecento, 
V. 1897; H. Kretzschmar, Die Venetianische Oper 
VfMw VIII, 1892; P. Faustini, Memorie stor. et artistiche 
sul Teatro La Fenice in Venezia, V. 1902; A. Solerti, Le 
rappresentazioni mus. di Venezia dal 1571 al 1605 ..., 
RMI IX, 1902; P. Molmenti, Le prime rappresentazioni 
teatrali a Venezia, V. 1906; G. Tebaldini, L'anima mus. 
di Venezia, RMI XV, 1908; G. Orlandini, Origini del 
Teatro Malibran, V. 1913; Ch. Van den Borren, Les 
debuts de la musique a Venise, Brussel 1914; G. Pavan, 
Teatri mus. veneziani. II Teatro S. Benedetto (ora Rossi- 
ni), Cat. cronologico degli spettacoli (1755-1900), in: 
Ateneo veneto, Jg. 1916, separat V. 1917; M. Nani Mo- 
cenigo, II Teatro La Fenice, V. 1926; Kn. Jeppesen, Ein 
venezianisches Laudenms., Fs. Th. Kroyer, Regensburg 
1933; ders., Venetian Folk-Songs of the Renaissance, 
Kgr.-Ber. NY 1939; H. Chr. Wolff, Die venezianische , 
Oper in d. 2. Halfte d. 17. Jh., = Theater u. Drama VII, 
Bin 1937; ders., Die Musik im alten V., Fs. H. Besseler, 
Lpz. 1961 ; S. T. Worsthorne, Venetian Opera in the 
Seventeenth Cent., London 1954; D. Arnold, Ceremonial 
Music in Venice at the Time of the Gabrielis, Proc. R. Mus. 
Ass. LXXXII, 1955/56; ders., Orphans and Ladies: the 
Venetian Conservatories (1680-1790), ebenda LXXXIX, 
1962/63; ders., Music at a Venetian Confraternity in the 
Renaissance, AMI XXXVII, 1965; G. Barblan, Aspetti e 
figure del Cinquecento mus. veneziano, in : La civilta del 
Rinascimento, = Storia della civilta veneziana IV, Florenz 
(1958); L. Ronga, La musica, in: La civilta veneziana 
nelPeta barocca, ebenda V, (1959); A. Della Corte, La 
musica, in : La civilta veneziana del Settecento, ebenda VI, 
(1960); S. Dalla Libera, Cronologia mus. della Basilica 
di S. Marco in Venezia, in : Musica sacra, (Mailand) 1961 , 
Nr 1-4/5; Scenografi veneziani dell'Ottocento, hrsg. v. G. 
Damerini, V. 1962; G. Lefkoff, Five Sixteenth-Cent. Ve- 
netian Lute-Books, Diss. Catholic Univ. of America 
(Washington, D. C.) 1962, maschr. 

Venezianische Schule, - 1) eine Kette von Lehrern 
und Schulern, deren Tatigkeit in Venedig zwischen 
etwa 1530 und 1620 zur musikalischen Vorherrschaft 
Italiens und zur Ausbildung der wichtigsten vokalen 
und instrumentalen Formen des Barocks beigetragen 
hat. Im erwahnten Zeitraum waren an der Kathedrale 
von Sari Marco, dem Zentrum der V.n Sch., folgende 
Musiker tatig: als 1. Kapellmeister: P. De Fossis 1491— 
1527, A. Willaert 1527-62(f), C. de Rore 1563, G.Zar- 
lino 1565-90(f), B.Donato 1590-1603(t), G.Croce 
1603-O9(f), C.Martinengo 1609-13(1"), CI. Monte- 
verdi 1613— 43(j"); als 1. Organisten (die Zuweisung 
der Organistenstellen ist nicht in alien Fallen eindeutig 
geklart) : G. Armonico 1516-51, A. Padovano 1552-64, 
Cl.Merulo 1564-84, A.Gabrieli 1585-86 (f), G.Gabri- 
eli 1586-1612(?); als 2. Organisten: S.Segni 1530-33, 
B. Da Imola 1533-41, J.Buus (= J. de Guant) 1541- 
51, G.Parabosco 1551-57(f), Cl.Merulo 1557-64, A. 
Gabrieli 1564-65, G.Gabrieli 1565-86, V.Bell'Haver 
1586-87(f), Guami 1588. - Begriinder der V.n Sch. 
war der Niederlander und Mouton-Schiiler A. Wil- 
laert. Sein Werk zeigt das fur die friihe V. Sch. typi- 
sche Schwanken zwischen dem traditionellen nieder- 
landischen Motettenstil und der Aufnanme bodenstan- 
diger italienischer Musizierfornren (volkstiimliches 
Lied, homophoner Satz, alternierende Mehrchorigkeit) 
und spiegelt die vermittelnde Stellung der V.n Sch. zwi- 
schen niederlandischem Zeitalter und italienischem 
Barock wider. Gegeniiber der Aneignung und Um- 
formung des niederlandischen Erbes in der -*■ Romi- 
schen Schule entwickelte die V. Sch. hauptsachlich die 
heimischen Traditionen weiter. Im Zentrum von Wil- 
laerts Kunst steht die Motette; wichtig fiir die folgen- 
den venezianischen Meister wurden vor allem seine 



1018 



Ventile 



Ensemblericercari, mehrchorigen Werke und volks- 
tumlichen Liedkanzonen. Auch im Madrigal hat Wil- 
laert die fur die Folgezeit typischen Akzente gesetzt: 
eindringliche Affektdarstellung und mit dem bisheri- 
gen Klauselwesen brechende Chromatik. Hier kniipf- 
ten seine Schiiler Vicentino und C. de Rore an. Eine 
hohe Kunst der musikalischen Symbolik und Textaus- 
deutung ist bezeichnend fiir diese auf Kennerkreise be- 
schrankte ->• Musica reservata. Als scherzhafte Nach- 
bildungen volkstumlicher Lieder entstanden mehrstim- 
mige Liedkanzonen, oft mit mundartlichem Text ( Wil- 
laert, A.Gabrieli, B.Donato, Merulo), die zur Kanzo- 
nette fiihrten (G. Croce, Monteverdi) und die Bildung 
von Madrigalkomodie, Monodie und Opernarie be- 
einflufiten. In der Orgelmusik trat zu praludierenden 
Formen der Toccata (A. Gabrieli, Merulo) und des Ri- 
cercars (M.A.Cavazzoni) das der Motettenkomposi- 
tion nachgebildete imitatorische Ricercar (G. Cavazzo- 
ni, A. und G. Gabrieli, Merulo, Padovano). Zum spate- 
ren fuhrenden Meister der Orgelmusik, G. Frescobaldi, 
fiihrt von C. de Rore tiber L.Luzzaschi eine direkte 
Linie des Lehrer-Schiiler-Verhaltnisses. Das wichtigste 
Orgellehrbuch der V.n Sch. ist II Transilvano von G. 
Diruta. Mit den Ricercari (J.Buus, Willaert) und Kan- 
zonen (A. und G. Gabrieli, Guami, Merulo) wurde der 
vokale Satz, weniger koloriert, auch in die Musik fiir 
Instrumentengruppen iibernommen. Besonders die 
Ensemblekanzone gilt als ein Ausgangspunkt fiir die 
von den Emporen in San Marco musizierten mehrstim- 
migen und mehrchorigen Sonaten und Sinfonien, die 
geistlichen GroBformen der V.n Sch. fiir vokal-instru- 
mentale Mischbesetzung. Die -*■ Mehrchorigkeit ent- 
wickelten mit hoher Kunst der Kontrastbildung, Klang- 
farbenregie und Orchesterbehandlung vor allem A. 
und G. Gabrieli, in deren Werken 1587 zum erstenmal 
die Bezeichnung concerto im Druck erscheint. G. Ga- 
brieli fiihrte in seinen mehrchorigen GroBbesetzungen 
(bis zu 19 Stimmen) Instrumental- und Vokalsoli ein 
und begriindete damit das groBe geistliche Konzert. 
Auch auf Instrumentalensemble beschrankte Sakral- 
musik geht auf ihn zuriick. Die alternierende Musizier- 
praxis ist auch fiir das Spiel an den beiden Orgeln von 
San Marco bezeugt (Padovano und Parabosco, Merulo 
und A.Gabrieli). Mit der Kompositionstatigkeit nahm 
der Notendruck Venedigs im 16. Jh. einen bedeutenden 
Aufschwung (Petrucci, Scotto, Gardano). DerEinflufi 
der V.n Sch. auf die nordlichen Lander zeigt sich vor 
allem in den Werken der Deutschen Gallus, Hafiler, 
Aichinger, Schiitz, H. und M. Praetorius, der auBer- 
dem die Musizierpraxis der V.n Sch. beschrieben hat. 
Der wichtigste Theoretiker der V.n Sch. ist der Wil- 
laert-Schiiler Zarlino, desseri Hauptwerk (1558) vor 
allem als Umformung des niederlandischen Erbes zu 
einer neuen wissenschaftlichen Behandlung der Satz- 
kunst Bedeutung hat. Dagegen sahen Vicentino und V. 
Galilei, beide aus der V.n Sch. hervorgegangen, die 
Mehrstimmigkeit ihrer Zeit als verderbt an und such- 
ten in Chromatik und Monodie Erneuerung der musi- 
kalischen Sprache. - 2) Venezianische Opernschule 
->■ Oper. 

Lit. : zu 1) : C. v. Winterfeld, J. Gabrieli u. sein Zeitalter, 
3 Bde, Bin 1834, Nachdruck Hildesheim 1965; Fr. Caffi, 
Storia della musica nella gia cappella ducale di S. Marco 
in Venezia dal 1313 al 1797, 2 Bde, Venedig 1854-55, Faks. 
Rom 1936; A. W. Ambros, Gesch. d. Musik III, Breslau 
1868, Lpz. 31891, Nachdruck Hildesheim 1967; G. Ben- 
venuti, Vorwort zu Istituzioni e monumenti dell'arte mus. 
ital. I— II, Mailand 1921-32; La scuola veneziana. Sec. 
XVI-XVIII, hrsg. v. d. Accad. mus. chigiana, Siena 1942; 
W. B. Kimmel, Polychoral Music and the Venetian School, 
2 Bde, Diss. Univ. of Rochester (N. Y.) 1954, maschr.; 
ST.KuNZE.DielnstrumentalmusikG.Gabrielis, = Munch- 
ner Veroff. zur Mg. VIII, Tutzing 1963. 



Venezuela. 

Ausg. u. Lit. : Monumentos del arch, de la musica colonial 
venezolano, hrsg. v. Inst. Interamericano de Musicologia, 
12 Bde, Montevideo 1943; J. B. Plaza, Music in Caracas 
During the Colonial Period (1770-181 1), MQ XXIX, 1943 ; 
ders., Musica colonial venezolana, = Letras venezolanas 
XI, Caracas 1958; L. F. Ram6n y Rivera, El joropo, baile 
nacional de V., ebenda 1953; ders., Musica folklorica y 
popular de V., ebenda 1963; A. Stallbohm, La musica, 
sus int^rpretes y el publico de V.,*ebenda 1959; C. Salas u. 
E. F. Calcano, Sesquincentenario de la opera en Caracas 
. . . 1808-1958, ebenda 1960; I. Aretz-Thiele, Cantos 
navideftos en el folklore venezolano, ebenda 1962; dies. 
(I. Aretz), La etnomusicologia en V., Boletin interameri- 
cano de musica 1966, Nr 55-56. 

Veni sancte spiritus (lat.), die Pfingstsequenz der 
romischen Liturgie, seit 1570 fester Bestandteil des 
MeBformulars vom Pfingstsonntag bis zum folgenden 
Samstag. Als Verfasser gilt Stephan Langton, Erzbi- 
schof von Canterbury (f 1228). Der einheitlich durch- 
geformte Text umfaBt insgesamt 10 paarweise einan- 
der zugehorige Strophen, denen jeweils 3 senarische 
Verse mit regelmaBiger Akzentuierung zugrunde lie- 
gen (Reimschema: aab-ccb/ddb-eeb usw.). 
Die musikalische Geschlossenheit des V. s. sp. beruht 
maBgeblich auf einem in der Modalitat des 1 . Kirchen- 
tons wurzelnden Bauplan, dem die melodisch-motivi- 
sche Gestaltung der 5 Doppelstrophen untergeordnet 
ist. Deutsche Kirchenliedfassungen der Sequenz lassen 
sich seit dem hohen Mittelalter nachweisen; ->• Leise. 
Ausg.: W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in 
seinen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck 
Hildesheim 1962; Analecta hymnica medii aevi LIV, hrsg. 
v. Cl. Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1915 (Text 
d. V. s. sp.). 

Ventile (von lat. ventus, Wind) sind mechanische 
Vorrichtungen zum Steuern des Windes. - 1) In der 
Orgel werden die durch den Orgelwind selbst geoffne- 
ten und geschlossenen V. von denen unterschieden, die 
durch Federdruck in Ruhelage gehalten und durch ei- 
nen Hebelmechanismus bewegt werden. Die Fang-, 
Saug- oder Schopf-V. der Balge sind bewegliche Klap- 
pen, die sich nach dem Innern des -*■ Balges offnen, so- 
bald er aufgezogen wird, und wieder schlieBen, sobald 
der Balg ganz aufgezogen ist. Die Kropf-V. offnen dem 
Wind den Zugang in die Windkanale und fiihren da- 
bei einen Ausgleich des Winddrucks in den Balgen und 
Kanalen herbei. Die Spiel-V., die durch die Tasten der 
Klaviatur geoffnet werden, offnen dem Wind den Zu- 
gang zu den Pfeifen.Bei der Tonkanzellenlade(-> Wind- 
lade) gibt es nur ein Ventil fiir alle Pfeifen derselben 
Taste, bei der Registerkanzellenlade fiihrt ein Ventil fiir 
jede Pfeife zur »Pfeifenkammer«; es hat die Form eines 
Kegels oder einer Tasche (daher Kegel- bzw. Taschen- 
lade). Die mechanisch gesteuerte Orgel hatte friiher 
durch Registerziige betatigte Sperr-V., die den Wind 
zu den einzelnen Laden absperren konnten und auch zu 
Kombinationszwecken benutzt wurden. - 2) Die V. der 
modernen Blechblasinstrumente (Waldhorn, Trompe- 
te, Kornett, Ventilposaune, Fliigelhorner, Tuben) ver- 
langern durchEinschaltung von Zusatzbogen die Schall- 
rohre und vertiefen damit den Ton (absteigende V.) 
oder schalten umgekehrt Teile der Rohre aus und er- 
hohen den Ton (aufsteigende V., John Shaw 1824). 
Durch die V. wurden alle Tone der chromatischen 
Skala spielbar; damit entfielen die alteren Versuche auf 
Horninstrumenten mit Grifflochem, -> Klappen, losen 
Zusatzbogen sowie durch Stopfen. Lediglich das (voll- 
kommenere) Zugsystem bei der -*■ Posaune (-1) blieb 
(die Ventilposaune hat sich nur teilweise durchgesetzt, 
bei Laien, auch im Jazz). Die altere Form der V. sind 
die Pump-V. (frz. pistons; s. folgende Abb.), erfunden 



1019 



Ventilc 





zunachst fiir das Waldhorn 1814 (patentiert 1818) von 
Bliihmel und Stolzel in Berlin, verbessert von Moritz 
und Wieprecht 1835 (Berliner Pumpen) und Perinet 
1839 in Paris (Perinet-V.) 
sowie von L. Uhlmann 
1830 (Wiener-V., Schub- 
oder Stechbiichsen-V.). 
Dreh-V. (Zylinder-V. ; 
siehe nebenstehende Ab- 
bildung : links offenes 
und rechts geschlossenes -i 
Drehventil) wurden zu- 
erst von J. Riedl 1832 in Wien konstruiert (Radmaschi- 
ne). Beide Systeme werden heute nebeneinander ge- 
braucht, die Pump-V. besonders im Jazz bevorzugt. Im 
allgemeinen haben die Blechblasinstrumente 3 V., von 
denen das 1. die Stimmung um einen Ganzton, das 2. 
um einen Halbton und das 3. um eine kleine Terz er- 
niedrigt. Meist wird das Ventil durch Federdruck in 
einer bestimmten Stellung gehalten, aus der es mit- 
tels einer Drucktaste oder eines Zughcbcls in eine 
andere Stellung bewegt werden kann. Das sogenann- 
te Stellventil verbleibt ohne Federdruck in der jeweils 
gewahlten Stellung. Instrumente von defer Stimm- 
lage, z. B. BaBtrompeten und Tuben, sind vielfach 
mit einem 4. Ventil versehen, das die Stimmung um 
weitere 2^2 Tone erniedrigt. Die Kombination after 4 
V. ergibt eineErniedrigung um etwa eine Oktave. Zum 
Ausgleich der bei den verschiedenen Ventilkombina- 
tionen auftretenden Intonationsdifferenzen werden ein 
oder mehrere zusatzliche Kompensations-V. verwen- 
det. Die von A. Sax 1850 konstruierten Instrumente 
mit Verkiirzungs-V.n (pistons independents) konnten 
sich nicht durchsetzen. Sogenannte Umschalt-V. wer- 
den vielfach zur Veranderung der Gesamtstimmung 
des Instrumentes angebracht (Doppelhorn, Doppeltu- 
ba, TenorbaGposaune; auch bei der Trompete). Am 
Waldhorn ist das »Stopfventil« zu finden, das die beim 
Stopfen auftretende Tonerhohung (V2- 3 /4 Ton) kom- 
pensiert. Die V. werden in der Regel mit der rechten 
Hand, beim Horn dagegen sowie bei der Zugposaune 
(Zusatzventil) mit der linken Hand bedient. Bei Instru- 
menten mit mehr als 4 V.n ist meist beidhandige Be- 
dienung notwendig. - Andere Versuche, durch mecha- 
nische Vorrichtungen oder neue Mensurberechnungen 
einwandfreie Intonation bei Ventilkombinationen zu 
ermoglichen, wurden u. a. von DJ.Blaikley (1874), K. 
Kottek (1907) und M. Vogel (1958) unternommen. 
Lit.: D. J. Blaikley, An Essay on Mus. Pitch, London 
1 890, 21 954 ; F. C. Draper, Notes on the Boosey & Hawkes 
System of Automatic Compensation of Valved Brass Wind 
Instr., London 1953; M. Vogel, Die Intonation d. Blech- 
blaser, = Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen d. Mu- 
sik I, Dusseldorf 1961; ders., Anregendes Griechentum, 
Mf XV, 1962. 



Ventilhorn -> Waldhorn. 

Veranderung -> Variation. - Gegen Ende des 18. Jh. 
wurden auch die -»- Register (- 2) des Cembalos und 
des Pianofortes als V.en bezeichnet. 

Verbande sind Organisationen, die Standesinteressen 
wahrnehmen. Im Gegensatz zu den -> Gesellschaften 
und Vereinen widmen sie sich weniger kiinstlerischen 
und wissenschaf tlichen als sozialen und wirtschaf tlichen 
Belangen. In der Regel sind sie als eingetragene Verei- 
ne (e. V.) rechtsfahig. - In Deutschland ergab sich die 
Moglichkeit groBerer Zusammenschlusse von Interes- 
sengruppen erst nach der Reichsgriindung von 1871. 
Die schon vorher in diese Richtung gehenden Tenden- 
zen werden z. B. in R.Wagners Entwurf zur Organisa- 
tion eines deutschen Nationaltheaters fur das Kbnigreich 
Sachsen (1848) deutlich, wobei die starke Betonung 
gerade sozialer Belange als Nachklang der Revolution 
von 1848 zu werten ist. Als einer der altesten deutschen 
V. gilt der Allgemeine Deutsche Musikerverband, in 
Berlin 1872 von H.Thadewaldt gegriindet, der alsbald 
180 Lokalvereine zahlte (Verbandsorgan : Deutsche Mu- 
sikerzeitung) und 1873 eine Pensions-, 1882 eine Sterbe- 
kasse anlegte. Der Reichsverband Deutscher Tonkunst- 
ler und Musiklehrer, der 1922 aus dem Zusammen- 
schluB der seit 1903 bestehenden GroBorganisationen 
der Tonkiinstler (Zentralverband Deutscher Tonkiinst- 
ler und Tonkiinstler-Vereine) und der Musiklehrer 
(Reichsverband Deutscher Musiklehrerinnen und Or- 
ganisation Deutscher Musiklehrkrafte) hervorgegan- 
gen war, umfaBte 200 Ortsgruppen mit dem Zentral- 
biiro in Berlin, dem u. a. eine Rechtsstelle und eine 
reichsamtliche Stellenvermittlung angegliedert waren. 
Ferner wurden Aufgaben wie Unterrichtsvermittlung, 
soziale Fiirsorge, Berufsberatung, Kranken-, Steuer-, 
Verkehrs- und Wohnungswesen wahrgenommen. Die 
weitere Entwicklung dieser Organisation wurde durch 
die 1934 gcgriindete Reichsmusikkammer als Standes- 
vertretung der Tonkiinstler unterbrochen. Als heutige 
Fachorganisationen bestehen der Verband Deutscher 
Musikerzieher und konzertierender Kunstler (VDMK) 
mit dem Sitz in Miinchen (Organ : Musik im Unterricht, 
Allgemeine Ausgabe) und der Verband Deutscher 
Komponisten und Musikwissenschaftler (VDK) in 
Berlin Ost (Organ: Musik und Gesellschaft). 1964 ging 
der Verband Deutscher Tonkiinstler und Musiklehrer 
(VDTM) in dem VDMK auf. - Der Reichsverband 
Deutscher Orchester und Orchestermusiker wurde 
1923 in Berlin gegriindet; Nachfolger ist die Deutsche 
Orchestervereinigung mit dem Sitz in Hamburg (Or- 
gan: Das Orchester). Weitere V. sind: Deutscher Kom- 
ponisten- Verband in Berlin; Deutscher Musikerver- 
band in Dusseldorf (Der Musiker); Deutscher Musik- 
verleger- Verband in Bonn; Verband der Deutschen 
Konzertdirektionen (juristischer Sitz: Frankfurt am 
Main); Verband deutscher Musikschulen in Bremen; 
Verband der Sing- und Spielkreise in Hamburg; Ver- 
band deutscher Oratorien- und Kammerchore in NeuB 
am Rhein; Verband Deutscher Schulmusikerzieher in 
Koln (Musik im Unterricht, Ausgabe B). 
Lit. : A. Bode, Die kulturpolitischen Aufgaben d. Verwal- 
tung im deutschen Musikleben, Dusseldorf 1937; H. En- 
gel, Musik u. Ges., Bin u. Wunsiedel (1960). 

Verbunkos (ungarisch, aus deutsch Werbung), eine 
volkstiimliche instrumentale Musizierweise in der un- 
garischen Musik ; sie wird auf Werbetanze fiir die oster- 
reichische Armee im 18. Jh. zuruckgefiihrt. Der V. 
kam um 1780 auf, erreichte seinen Hohepunkt um 
1840 bei Bihari, Csermak und Lavotta und ging dann 
im Csardas auf. Um 1850 wirkten stilistische Eigenar- 
ten des V., der vor allem von ungarischen Zigeuner- 



1020 



Vergleichende Musikwissenschaf t 



kapellen ausgefiihrt wurde und auch auBerhalb Un- 
garns verbreitet war, auf die Kunstmusik ein. Charak- 
teristisch fiir den V. sind der lebhafte Rhythmus (2/4- 
oder 4/8-Takt), haufige Synkopierungen und Punk- 
tierungen, Triolenpassagen, eine typische SchluBfor- 
mel (bokazo) und die improvisatorische Freiheit der 
Ausfiihrung. Ab 1820 erschienen in Budapest und 
Wien Sammlungen mit V.-Musik im Druck. 
Lit.: E. Major, Adatok a v. tortenetehez (»Beitr. zur 
Gesch. d. V.«), Muzsika I, 1929; ders., Bihari J. verbun- 
kosainak visszhangja a XIX. szazadi magyar zeneben (»Der 
Widerhall v. J. Biharis V. in d. ungarischen Musik d. 19. 
Jh.«), Uj zenei szemle 111, 1952; B. Szabolcsi, A XVIII. 
szazadi magyar kollegiumi zeneje (»Die ungarische Kol- 
legienmusik d. 18. Jh.«), Budapest 1930. 

Verdeckung (engl. masking) ist ein fiir den Horvor- 
gang wichtiges, zuerst von A.M.Mayer (1876) beob- 
achtetes Phanomen. Beim Horen zweier verschieden 
hoher Tone zeigt sich, daB unter bestimmten Bedin- 
gungen eine V. des leiseren durch den lauteren ein- 
tritt, daB also der leisere Ton noch leiser wird, und 
dies um so mehr, je lauter der verdeckende Ton ist. 
Zur quantitativen Erfassung der V. wird dem Gehor 
eine Storfrequenz dargeboten, deren Intensitat man in 
Stuf en steigern kann, dazu eine veranderliche Frequenz, 
deren Intensitat jeweils gerade so weit gesteigert wird, 
bis man sie eben hort. Dadurch wird bei festgehaltener 
Storfrequenz die Schwellenkurve fiir die anderen Fre- 
quenzen ermittelt (Mithorschwellen). So z. B. bleibt 
bei einer 1000 Hz-Storfrequenz von 90 dB die normale 
->• Horschwelle bis etwa 500 Hz erhalten, so daB die 
Empfindlichkeit des Ohres in diesem Bereich unge- 
stort ist. Schwingungen um 1000 Hz herum miissen 
jedoch bereits um etwa 60 dB iiber die normale Hor- 
schwelle gesteigert werden, um gehort zu werden. Die 
verdeckende Wirkung wird mit wachsender Storfre- 
quenz schwacher, ist aber bei 4000 Hz noch so groB, 
daB die Mithorschwelle etwa 45 dB hoher als die nor- 
male Horschwelle liegt. 





















































































^J 




\?0dB 














A| 


TOdB 
















\s0dB 













































30 SO 120 250 SOOHi I 2 < S 16kHz 

Mithorschwellenkurven fiir verschiedene Inten- 
sitaten der Storfrequenz 1 kHz (nach Feldtkeller 
und Z wicker). 
Eine Steigerung der Intensitat besonders von tieferen 
Frequenzen ist daher von nachteiliger Wirkung auf das 
Erfassen mittlerer und hoher Frequenzen. So beein- 
trachtigen zu starke BaBregister bei Orgeln die Auf- 
fassung von Tonfolgen in hoheren Lagen. Auch blei- 
ben Mixturen u. a. Register bei zu groBer Intensitat der 
Grundstimmen ohne Wirkung. Das g einer Violine 
(= 196 Hz) mit 80 dB z. B. verdeckt im Bereich zwi- 
schen 200 und 4000 Hz alles, was sich weniger als 45-55 
dB von der Horschwelle abhebt. V.en konnen die Hor- 
samkeit von Raumen beeintrachtigen, wenn die Nach- 



hallzeit in tiefen Frequenzbereichen besonders lang ist; 
das gleiche gilt fiir die Wiedergabequalitat von Laut- 
sprechern bei zu starker BaBwiedergabe. 
Lit. : R. Feldtkeller u. E. Zwicker, Das Ohr als Nach- 
richtenempfanger, = Monographien d. elektrischen Nach- 
richtentechnik XIX, Stuttgart 1956; W. Lottermoser u. J. 
Meyer, Verdeckungseffekt bei Orgelspekt'ren, Acustica 
VIII, 1958. 

Verdoppelung ist das gleichzeitig mehrfache Erklin- 
gen desselben Tones im Einklang oder in der Oktave. 
Sie unterliegt im mehrstimmigen Satz gewissen Ein- 
schrankungen. So diirfen in der Regel nur Grundton 
und Quinte des Dreiklangs verdoppelt werden. Die 
Terz ist nicht verdoppelungsfahig, wenn sie auf Grund 
ihrer Position im Stimmgefiige einem bestimmten 
Fortschreitungszwang unterliegt (z. B. als Leitton), ih- 
re V. somit zu verbotenen Parallelen fiihren wiirde. 
Auch dissonante Tone werden nicht verdoppelt. Bei 
->■ Auffassungsdissonanzen (z. B. beim Neapolitani- 
schen Sextakkord oder beim Vorhalts-Quartsextakkord 
vor der Dominante) sind nur die Tone verdoppelungs- 
fahig, die dem funktionellen Grundakkord angehoren, 
den der auffassungsdissonante Akkord vertritt. In der 
orthodoxen Zwolftontechnik werden Oktav-V.en 
prinzipiell vermieden. Die Einklangs-V. eines Tones 
ist jedoch gestattet, wenn sie durch das Zusammentref- 
fen zweier verschiedener Formen derselben Reihe zu- 
stande kommt. Die V. von Tonfolgen fallt in der Satz- 
lehre unter das Verbot der -*■ Parallelen, soweit nicht 
ein Unisono beabsichtigt ist. Nicht zu den verbotenen 
Parallelen gehoren jedoch alle aus klanglichen Griin- 
den im Klavier- und Ensemblesatz iiblichen V.en, auch 
die in anderen Intervallen (z. B. Quinte), wie sie die 
neuere Satztechnik bevorzugt. Besonders bei letzte- 
ren handelt es sich vielmehr um die Nachahmung von 
Klangwirkungen, die in den Orgelmixturen ein Vor- 
bild haben. 

Vereine-* GesellschaftenundVereine,->-Ver- 
bande. 

Vergleichende Musikwissenschaft (frz. musicolo- 
gie comparee; engl. comparative musicology) nannten 
C. Stumpf und E.M.v.Hornbostel die von ihnen um 
1900 entwickelte Fachrichtung der Musikwissenschaft. 
Vergleiche einzelner Stilelemente der Musikkulturen 
sollten Ubereinstimmungen und Abweichungen er- 
kennen lassen und dadurch Ruckschlusse auf Kulturzu- 
sammenhange, Gestaltwandel und Kulturaustausch im 
weltweiten Zusammenhang ermbglichen. Die etwas 
ungliicklich gewahlte Bezeichnung V. Mw. - das Ver- 
gleichen ist fiir alle Wissenschaf ten grundlegend - wird 
heute nicht mehr angewandt (->■ Musikethnologie), 
zumal die heutige Forschungsrichtung nicht nur auf 
den Vergleich z. B. von Tonsystem, Tonalitat, Rhyth- 
mik, Melos, Instrumenten, sondern zunehmend auf 
das Ganze und Eigenstandige der Musikkultur gerich- 
tet ist. - Wahrend in Nordamerika die Beschreibung 
der musikalischen Stile der Naturvolker, speziell der 
Indianer, die V. Mw. beschaftigte, geriet sie inEuropa, 
vor allem in Deutschland, unter den EinfluB einer hi- 
storisch orientierten Richtung der Volkerkunde, der 
»Wiener Schule« und ihrer Kulturkreislehre (Anker- 
mann, Schmidt, Koppers, Frobenius u. a.). Diese Lehre 
versuchte, das Vorkommen einzelner Kulturelemente 
in verschiedenen Teilen der Welt als das Ergebnis einer 
fortlaufenden Kulturexpansion zu erklaren, die in kon- 
zentrischen Wellen von einer fiktiven Wiege der 
Menschheit und der Kultur ausgegangen ist; deren 
Zentrum und Quelle wurde in Mittelasien im Bereich 
der spateren Euphrat-Tigris-Kulturen angenommen. 
Die V. Mw. versuchte analog, isolierte musikalische 



1021 



VergroBerung 



Sachverhalte wie vokale und instrumentale Leiterfor- 
men (E. M. v. Hornbostel 1911) oderlnstrumententypen 
(Sachs 1929) in weltweitem Zusammenhang alsErgeb- 
nis einer derartigen Kulturausbreitung zu deuten. Sie 
sah in der Musik der heutigen Naturvolker weniger das 
gegenwartige, aus Tradition und Entwicklung entstan- 
dene Erscheinungsbild als vielmehr die getreue Uber- 
lieferung altzeitlicher Zustande, die als Vorstufen der 
Musikgeschichte der Menschheit angesehen wurden. 
Doch stieB ein solches Vorgehen bald bei Ethnologen 
und Musikwissenschaf tlern und selbst im eigenen Lager 
(R. Lachmann) auf Widerstand. Die heutige ethnologi- 
sche Musikforschung sieht in der Musik der Naturvol- 
ker und in den Hochkulturen Asiens, Amerikas und 
Europas das ProduktjahrtausendealterEntwicklungen. 
Sie ist zwar nach wie vor bemiiht, den Spuren dieser 
Entwicklung nachzugehen, vermeidet aber Spekula- 
tionen auf Grund der Analyse isolierter Kulturelemen- 
te. Statt dessen sucht sie die Musik als Teilgebiet der 
Gesamtkultur zu begreifen und im Zusammenhang 
mit Religion, Sprache, Dichtung, bildender Kunst, 
Wirtschaft und Sozialstruktur zu sehen. Die Vielfalt 
der musikalischen Erscheinungen einer Kultur kann 
gleichwohl durch das Nebeneinander alter Uberliefe- 
rungen und jiingerer Entwicklungen und Entlehnun- 
gen aus Fremdkulturen erklart werden. So konnte Fr. 
Bose an der Musik kolumbianischer Indianerstamme 
das Fortleben alter Traditionen aus der andinen Hoch- 
kultur der Chibcha nachweisen (-»- Indianermusik) und 
A.M.Jones das Vorkommen der mehrtonigen Xylo- 
phone in Afrika auf eine indonesisch-siidostasiatische 
Invasion Afrikas in den ersten nachchristlichen Jahr- 
hunderten zuriickfiihren. 

Lit.: Sammelbde f. V. Mw. I, 1922 - III, Miinchen 1923; 
Zs. f. V. Mw. I, 1933 - III, 1935. - A. J. Ellis, Tonometri- 
cal Observations on Some Existing Non-Harmonic Scales, 
Proceedings of the Royal Soc. XXXVII, 1884, deutsch v. 
E. M. v. Hornbostel in: Sammelbde f. V. Mw. I, Miinchen 
1922; ders., On the Mus. Scales of Various Nations, Jour- 
nal of the Soc. of Arts XXXIII, 1885, deutsch ebenda; C. 
Stumpf, Lieder d. Bellakula-Indianer, VfMw II, 1886, 
Neudruck ebenda; ders., Die Anfange d. Musik, Lpz. 
1911; R. Wallaschek, Primitive Music, London 1893, 
neu bearb. als: Anfange d. Tonkunst, Lpz. 1903; E. M. v. 
Hornbostel, fjber ein akustisches Kriterium f. Kultur- 
zusam'menhange, Zs. f. Ethnologie XLIII, 1911; ders., 
Melodie u. Skala, JbP XIX, 1 9 1 2 ; ders. , Mus. Tonsysteme, 
in: Hdb. d. Physik VIII, hrsg. v. H. Geiger u. K. Scheel, 
Bin 1 927; ders., Die MaBnorm als kulturgesch. Forschungs- 
mittel, Fs. P. W. Schmidt, Wien 1928; ders., Tonart u. 
Ethos, in: Mw. Beitr., Fs. J. Wolf, Bin 1929; R. Lach, Studi- 
en zur Entwicklungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 
1913; ders., Die V. M w. , ihre Methoden u. Probleme, Sb. d. 
Akad. d. Wiss. in Wien CC, 1924; G. Schunemann, tlber 
d. Beziehungen d. V. Mw. zur Mg., AfMw II, 1919/20; C. 
Sachs, Geist u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nach- 
druck Hilversum 1965; ders., V. Mw. in ihren Grundzii- 
gen, = Musikpadagogische Bibl. II, Lpz. 1930, neubearb. 
Heidelberg 21959 ; ders., The Rise of Music in the Ancient 
World, NY (1943); ders., The Wellsprings of Music, NY 
1961 ; S. Nadel, The Origins of Music, MQ XVI, 1930; 
W. Heinitz, Strukturprobleme in primitiver Musik,Hbg 
1931 ; E. Haraszti, Fetis fondateur de la musicologie com- 
paree, AMI IV, 1932; H. Robert, Form in Primitive Mu- 
sic, NY 1933; M. Schneider, Gesch. d. Mehrstimmigkeit 
I, Bin 1934, Rom 21964; J. Kunst u. J. W. Schottlan- 
der, Uber d. Anwendungd. Tonalitatskreislehre auf d. Mu- 
sik d. orientalischen Hochkulturen u. d. Antike, Zs. f. V. 
Mw.III,1935 ;H.HusMANN,Grundlagen d.antiken u. orien- 
talischen Musikkultur, Bin 1961; J. Vansina, De la tra- 
dition orale. Essai de methode hist., Tervuren 1961 ; A. M. 
Jones, Africa and Indonesia. The Evidence of the Xylo- 
phone and Other Mus. and Cultural Factors, Leiden 1964, 
dazu Fr. Bose in: Mf XX, 1967, S. 214ff. FB 

Vergrofierung -* Augmentation (- 3). 



Verismo (ital., von vero, wahr), audi Verismus, 
schlagwortartige Bezeichnung allgemein fur den Na- 
turalismus in Drama, Literatur und bildender Kunst 
seit den 1880er Jahren und zu Beginn des 20. Jh. in 
Italien, speziell fur die von der Giovane scuola italiana 
(Mascagni, Leoncavallo, Giordano, Cilea) im AnschluB 
an das naturalistische Schauspiel ausgehende Stilrich- 
tung der Oper ab 1890, die in ihren Werken ein wirk- 
lichkeitsgetreues Abbild des menschlichen Lebens ge- 
ben wollte. - Der V. in der Oper war eine Reaktion 
auf die romantische historische und idealistische Oper 
der Zeit nach 1850, in Deutschland und Frankreich vor 
allem auf den symbolistischen Mystizismus der Wag- 
nerschen und nachwagnerschen Gotter- und Helden- 
oper. Gekennzeichnet ist der V. in erster Linie durch 
das Aufgreifen fiir die Opernbiihne neuer, oft zeitge- 
nossischer, soziale Probleme betreffender Stoffe, Schau- 
platze, Milieus und Menschenschicksale aus dem Alltag 
des Volkes, aber auch historischer, politischer Sujets 
(Revolutionen). Die Anhanger des V.s, die Hanslick 
(1896, S. 63) als Verfechter der Natiirlichkeit aufderBiihne 
bezeichnet, komponierten Libretti mit scharf umrisse- 
nen Charakteren, schlagkraftiger Wirkung und oft 
krassem SchluB. Die Handlungsfuhrung ist dramatur- 
gisch darauf gerichtet, in schneller Steigerung die auBer- 
sten Affekte, nicht selten bis zur Brutalitat, folgen zu 
lassen. In Elementarsituationen (Liebe, Eifersucht, HaB, 
Rache) wird das Triebhafte, Leidenschaftliche, Schau- 
rige in realistischer und unreflektierender Darstellung 
hervorgehoben. - Die musikalischen Ausdruckskrafte 
des V.s basieren (vergrobernd und verflachend) auf dem 
Opemschaffen Verdis und der Verwendung der Stil- 
mittel des Wagnerschen Musikdramas und der Sym- 
phonik des 19. Jh. Hanslick (1892) betont: Von Verdi 
hat . . . Mascagni die leidenschaftliche Spannung, die mach- 
tigen Steigerungen, die Musik »welche Blut zieht«. An Stil- 
eigentiimlichkeiten des V.s bildeten sich heraus: eine 
typisch italienische, immer wieder glutvoll und leiden- 
schaftlich ausbrechende Melodik, die auch plakathafte 
Wirkungen nicht scheut; eine Orchesterbegleitung in 
farbenreicher Harmonik und Instrumentation; erinne- 
rungs- und leitmotivische Arbeit; koloristische Milieu- 
schilderung ; Verwendung von Orchesterzwischenspie- 
len (Intermezzi), auch bei offener Biihne. Der Vokalstil 
entfernte sich durch die Hervorhebung des dramati- 
schen Effekts immer mehr von der Lyrik des Belcantos. 
- In vieler Hinsicht blieb der V. oberflachlich. Es lag 
in der Natur eines solchen Operntypus, daB er iiber 
einzelne groBe Erfolge auch in ungezahlten Versu- 
chen nicht hinauskam. Verdi auGerte (Istel 21923) : »Das 
Wahre genau abklatschen, mag ja etwas Zweckdien- 
liches sein. Aber das ist Photographie, kein Gemalde, 
keine Kunst. « Es fehlte dem V. an der Einfiihlung in 
die feinere Dynamik der Seele und an der Vergeisti- 
gung des Triebhaften. 

Vorbereitet war der V. auf der Opernbiihne durch rea- 
listische Ziige tragende Opern wie Verdis La Traviata 
(1853 ; ein Gesellschaftsdrama aus der Gegenwart), dann 
vor allem durch Bizets Oper Carmen (1875) mit ihrem 
ausgesprochen realistischen Sujet. Zu den ersten Stil- 
proben des V.s zahlt Flora mirabilis (1886) von Spyros 
Samaras (1861-1917). Der Durchbruch des V.s erfolg- 
te 1890 durch Mascagnis Oper Cavalleria rusticana, die 
auf ein Libretto nach dem 1884 uraufgefuhrten einakti- 
gen Schauspiel von Giovanni Verga (1840-1922), dem 
bedeutendsten Vertreter des literarischen V.s, kompo- 
niert ist. Ein Welterfolg wurde auch Leoncavallos Oper 
Pagliacci (1892), in deren Prolog das Programm des V.s 
lapidar formuliert ist: L'autore ha cercato invece pingervi 
uno squarcio di vita. Egli ha per massima sol che Vartista e 
un uomo e chepergli uotnini scrivere ei deve. 



1022 



Versailles 



Zu den namhaften veristischen Komponisten in Italien 
zahlen u. a.: Cilea (Tilda, 1892; Adriana Lecouvreur, 
1902), U.Giordano {Mala vita, 1892; Fedora, 1898; 
Siberia, 1903; Andrea Chenier, 1896), G.B.Coronaro 
(Festa a marina, 1893), Fr.Alfano mit seinen friihen 
Werken (Miranda, 1896; La fonte d'Enschir, 1898), Zari- 
donai (II grillo delfocolare, 1908; Conchita, 1911). Puc- 
cini den Veristen einzugliedern geht schwerlich an; er 
beschreitet stofflich und musikalisch einen anderen 
Weg. Seine Musik ist viel difierenzierter und sensibler, 
sie ist poetisierend und voller Detailmalerei. Typisch 
veristische Ziige tragen bei Puccini u. a. Szenen in 
Tosca (Scarpia), Lafanciulla del West und // Tabarro. - 
Durch den Erfolg der italienischen veristischen Opern 
angeregt, huldigten auch deutsche Komponisten bis in 
das 20. Jh. hinein dem V., so u. a. F. Hummel (Mara, 
1893), L.Blech (Anglaja, 1893; Cherubina, 1894), J. For- 
ster (Die Rose von Pontevedra, 1893), d' Albert (Tiefland, 
1903; die ausgepragteste und erfolgreichste deutsche 
veristische Oper), Wolf -Ferrari (Der Schmuck der Ma- 
donna, 1911; Sly, 1928). 

In Paris, wo die italienische veristische Oper mit star- 
kem Beifall aufgenommen wurde (Erstauffuhrung der 
Oper Cavalleria rusticana 1892), war eine eigene Stil- 
richtung des V.s vertreten durch A. -> Bruneau und 
G. Charpentier. Bruneau, der sich und Charpentier 
»Realisten« nannte, erklarte (vgl. Eckart-Backer, S. 
248f.), daB ihr »realisme« nichts zu tun habe mit dem 
»verisme« der Italiener, der ihm »wenig poesievoll und 
leer von der geringsten Symbolik« erschien. Bruneau 
war bestrebt, »die Natur . . . zum Ausdruck zu brin- 
gen, indem er sie gedanklich, . . . und mit einer ge- 
wissen humanen Idee aufhellte«. Die von Bruneau (un- 
ter dem starken EinfluB Wagners) vertonten Libretti 
nach Emile Zola mit sozialen und politischen The- 
men bildeten jedoch eine ungliickliche Mischung von 
»plattem Realismus und verwirrendem Symbolismus«. 
- GroBen und nachhaltigen Erfolg errang dagegen 
Charpentiers »roman musical« Louise (1900), das erste 
franzosische Musikdrama ohne unmittelbare Wagner- 
Nachahmung. An weiteren Komponisten in Paris sind 
C. -*■ Erlanger, X. -> Leroux, H. -*■ Fevrier zu nennen. 
Lit.:E.HANSLicK,Ausd.TagebucheeinesMusikers, = Die 
moderne Oper VI, Bin 2 1892; ders., Fiinf Jahre Musik, 
ebenda VII, 31896; R. Heuberger, Im Foyer, Lpz. 1901; 
S. Floch, Die Oper seit R. Wagner, Koln 1904; W. Nie- 
mann, Die Musik seit R. Wagner, Bin u. Lpz. 1913, S. 91ff.; 
K. Blessinger, Der V., = Dichter u. Biihne IV, Meister d. 
Oper, Ffm. (1921); E. Istel, Die moderne Oper, = AusNa- 
tur u. Geisteswelt Bd 495, Lpz. u. Bin 2 1923 ; M. Rinaldi, 
Musica e v., Rom 1932; P. Bekker, Wandlungen d. Oper, 
Zurich u. Lpz. (1934), S. 140f.; K. H. Worner, Musik d. 
Gegenwart, Mainz (1949); Ch. Durand, Der Verismus in 
d. frz. Opernmusik, AntaresVII, 1958; U. Eckart-Backer, 
FrankreichsMusikzwischenRomantiku. Moderne, = Stu- 
dien zur Mg. d. 19. Jh. II, Regensburg 1965. 

Verkleinerung -» Diminution (- 1). 

Verlagsrecht, das Rechtsverhaltnis zwischen Urheber 
und Verleger, das im Verlagsgesetz geregelt wird. Das 
V. ist heute als ein Nutzungsrecht Bestandteil des 
-> Urheberrechts, obwohl dieses sich aus ihm ent- 
wickelte. Mit der Erfindung des Buchdrucks um 1450 
entstand der Nachdruck, der das ehrliche Druckerge- 
werbe bald so belastete, daB staatliche Hilfe notig wur- 
de. Der Drucker, der anfanglich meist auch Verleger 
war, erhielt gegen geringf iigiges Entgelt einen gebiets- 
maBigen Schutz gegen Nachdruck auf eine Reihe von 
Jahren, das sogenannte Privilegium, d. h. ein Druck- 
monopol fur ein bestimmtes Werk. Mit zunehmender 
wirtschaftlicher Bedeutung solcher privilegierter Ver- 
lagsobjekte entstanden seitens der Autoren Anspruche, 
die in langen Etappen zu einem spezifischen Urheber- 



recht und V. fiihrten. Der Verleger erwies sich bald als 
der nattirliche Partner des Urhebers bei der Verwer- 
tung von dessen Produktion. - Ausgangspunkt fiir die 
Entwicklung der Rechtsbegriffe war das Buchwesen. 
Auf dem verwandten Gebiet des Musikhandels vollzog 
sich keine Sonderbewegung. Auch der Gesetzgeber 
vermied weitgehend eine Differenzierung zwischen li- 
terarischen und musikalischen Rechten. Das zur Zeit 
noch giiltige Verlagsgesetz von 1901 soil durch ein 
Urhebervertragsgesetz ersetzt werden. Die Ubertra- 
gung von Werknutzungsrechten bedarf zur Giiltig- 
keit keiner schriftlichen Form. - Wahrend im literari- 
schen Verlagswesen heute nach wie vor das Hauptge- 
wicht auf dem Vertrieb des Buchproduktes liegt, wur- 
de mit der zunehmenden Mechanisierung durch Schall- 
platten, Rundfunk, Fernsehen usw. die Verwertung der 
Musik iiber den Vertrieb von Notenausgaben hinaus 
sehr ausgeweitet. Die Auffiihrungs- und die mechani- 
schen Rechte werden heute allgemein durch die -> Ver- 
wertungsgesellschaf ten (in Deutschland -> GEMA) zu- 
gunsten der Autoren und Verlage treuhanderisch wahr- 
genommen. Nur bei den dramatisch-musikalischen 
Werken (Biihnenwerken) werden die Auffiihrungs- 
rechte (»Gro6e Rechte«) im allgemeinen durch die Ver- 
leger vergeben, weil sich hier eine individuelle Verwal- 
tung empfiehlt. 

Lit. : M. Rintelen, Urheberrecht u. Urhebervertragsrecht, 
Wien 1958 ; H. Hubmann, Urheber- u. V., Munchen u. Bin 
1959 ; E. Ulmer, Urheber- u. V., Bin, Gottingen u. Heidel- 
berg 21960; H. v. Hase, Der Musikverlagsvertrag, Mun- 
chen 1961; W. Bappert, Wege zum Urheberrecht, Ffm. 
1962; H. Pohlmann, Die Fruhgesch. d. mus. Urheber- 
rechts, = Mw. ArbeitenXX, Kassel 1962. 

Vermindert heiBen die -> Intervalle, die um einen 
chromatischen Halbton kleiner sind als die reinen (z. B. 
cis-f statt c-f) oder als die kleinen Intervalle (z. B. e-ges 
statt e-g). Die Umkehrung v.er Intervalle ergibt iiber- 
maBige. 

Verminderter Dreiklang heiBt in der GeneralbaB- 
und teilweise auch in der Harmonielehre der aus klei- 
ner Terz und verminderter Quinte bzw. aus zwei iiber- 
einandergestellten kleinen Terzen bestehende 3toni- 
ge Akkord, z. B. h-d-f. Der Name ergab sich aus der 
rein auBerlichen Ahnlichkeit des Gebildes mit einem 
Dreiklang. Dieser ist jedoch konsonant, allenfalls auf- 
f assungsdissonant, wahrend der V. Dr. stets dissonant ist. 
Er kann daher nie Tonika-, sondern nur Dominant- 
oder Subdominantfunktion haben. In letzterem Fall er- 
klart ihn die dualistische Funktionstheorie H. Riemanns 
als Unterseptimenakkord mit fehlendem Bezugston 
(Funktionsbezeichnung 5 vn , in A moll: [a]-f-d-h), 
die spatere monistische Funktionstheorie H. Grabners 
und seiner Schiiler als Subdominantakkord in Moll mit 
Sexte anstatt Quinte (Funktionsbezeichnung z. B. nach 
W. Maler s6, in A moll : d-f-[a]-h). In ersterem Fall gilt 
er als Dominantseptakkord mit fehlendem Grundton 
(»verkiirzter« Dominantseptakkord; Funktionsbezeich- 
nung EP, in C dur: [g]-h-d-f). 

Verminderter Septakkord -»■ Nonenakkord. 

Verona. 

Lit.: A. Sala, I musicisti veronesi (1500-1879), V. 1879; 
G. Turrini, L'accad. filarmonica di V. dalla fondazione 
(Maggio 1543) al 1600 .... V. 1941 ; ders., La tradizione 
mus. a V., V. 1953; A. Gajoni-Berti, Cronistoria del 
filarmonico, V. 1963. 

Verrillons (verij'5, frz.) -»• Glasspiele. 

Versailles. 

Lit. : L. Deshairs, Documents inedits sur la chapelle du 
chateau de V., Rev. de l'hist. de V. et de Seine-et-Oise VIII, 
1906; P. Fromageot, Les compositeurs de musique ver- 



1023 



Verschiebung 



saillais, V. 1906; N. Dufourcq, L'orgue de la chapelle du 
chateau de V., RM XV, 1934; ders. u. M. Benoit, La vie 
mus. en He de France sous la regence . . . (1716—28), Rev. 
de Musicol. XXXVII, 1955; dies., Les musiciens de V. . . ., 
= Recherches sur la musique frc. classique III, 1963; A. 
Japy, L'opera royal de V., V. 1958; R.-M. Langlois, 
L'opera de V., Paris 1958. 

Verschiebung ->■ Pedal (- 2). 

Verschmelzung bedeutet nach C. Stumpf, daB ein si- 
multan erklingendes Intervall haufig als ein einziger 
Ton gehort wird. Als psychologisches Phanomen, das 
mit dem Konsonanzproblem verkniipft ist, wurde V. 
zu einem wichtigen Begriff in der Tonpsychologie. 
Erklarungen fiir die V. gaben H. v. Helmholtz und F. 
Krueger. Bei Schwingungsverhaltnissen wie z. B. der 
Oktave 250 : 500 Hz fallen der durch 500 Hz bestimmte 
Ton und seine Teiltone mit denen von 250 Hz zusam- 
men und »verschmelzen« so zu einem Ton. In fruhen 
Jahren sah Stumpf in der V. das definierende Merkmal 
der Konsonanz. Spater schrankte er diese Annahme ein. 
Sowohl A.Faist als auch Meinong-Witasek ermittel- 
ten V.s-Grade der Intervalle. Unter denEinwanden ge- 
gen die Erklarung der Konsonanz durch V. ist der von 
Th. Lipps, daB V. nicht Ursache, sondern Merkmal der 
Konsonanz sei, besonders gewichtig. In der 1952 von 
H. Husmann auf gestellten Koinzidenztheorie der Kon- 
sonanz, die besagt, daB das Zusammenfallen der Teil- 
tone das physiologische Korrelat der Konsonanz ist, er- 
scheint die V. als eine physiologisch gesicherte Grund- 
eigenschaft der Konsonanz. 

Lit. : C. Stumpf, Tonpsychologie II, Lpz. 1890, Nachdruck 
Hilversum u. Amsterdam 1965 ; ders., Neueres iiber Tonv., 
Zs. f. Psychologie u. Physiologie d. Sinnesorgane XV, 1897; 
ders., Die Sprachlaute, Bin 1926 ; Th. Lipps, Der Begriff d. 
V. u. damit Zusammenhangendes in Stumpfs »Tonpsy- 
chologie« Bd II, Philosophische Monatsh. XXVIII, 1892; 
A. Faist, Versuche iiber Tonv., Zs. f . Psychologie u. Phy- 
siologied. Sinnesorgane XV, 1897; A. Meinongu. St. Wi- 
tasek, Zur experimentellen Bestimmung d. Tonverschmel- 
zungsgrade, ebenda; F. Krueger, Die Theorie d. Konso- 
nanz I u. II, Psychologische Studien I, 1906 - II, 1907; E. 
Kurth, Musikpsychologie, Bin 1930, Bern 21947; J. 
Handschin, Der Toncharakter, Zurich (1948); H. Hus- 
mann, Eine neue Konsonanztheorie, AfMw IX, 1952; 
ders., Vom Wesen d. Konsonanz, in: Mus. Gegenwarts- 
fragen III, Heidelberg 1953 ; ders., V. u. Konsonanz, Deut- 
sches Jb. d. Mw. I ( = JbP XLVIII), 1 956. 

Verschrankung ist das vor allem in der Musik der 
Klassik haufige Ineinandergreifen zweier Phrasen, wo- 
bei der SchluB des ersten Sinngliedes zugleich Anfang 
eines neuen ist. Besonders deutlich wird die V., wenn 
ein schon bekanntes Thema wiederholt wird : 




Kadenz: S B D*D' 7 
3 

W.A.Mozart, Sonate C dur, K.-V. 309, 
1. Satz, Takt 6-9. 
J.Ph.Kirnberger (Die Kunst des reinen Satzes II, 1776, 
S. 137ff.) halt es fiir vorteilhaft, wenn im Instrumental- 
konzert und in der Arie die Solo- bzw. Singstimme 
zugleich mit dem SchluB des Ritornells anfangt und 
gibt als Beispiel den Anfang von J. S.Bachs Cembalo- 
konzert D moll (BWV 1052, Takt 6/7). H.Chr.Koch 
beschreibt die V. als Takterstickung (Versuch einer An- 
leitung zur Komposition II, Lpz. 1787, S. 453ff. ; KochL, 
Artikel Takterstickung) und deutet durch untergesetzte 
Zahlen (4. 1.) an, daB ein Takt bei der rhythmischen 
Vergleichung der mehdischen Teile doppelt gezahlt wer- 
den muB (Ausziige bei Riemann, Prdludien und Stu- 
dien II, S. 67). A.B.Marx (Die Lehre von der musika- 



lischen Komposition III, 1841, S. 263ff.) betrachtet Satz- 
glieder, die nicht mit der Tonika schlieBen, grund- 
satzlich als Vordersatze und beschreibt das Zusam- 
mentreten mehrerer dominantisch endender (Vorder-) 
Satze als Satzkette. Lussy (Traiti de {'expression musi- 
cale, 1873, deutsche Ausgabe 1886, S. 63f.) nennt die 
V. Ellipse (»Auslassung«), doch ist die V. von anderen 
Moglichkeiten der Auslassung einzelner Takte, Ak- 
korde oder Tone (-+ Ellipsis) zu unterscheiden. H. Rie- 
mann erklarte (im AnschluB an H.Chr.Koch) die V. 
als eine Umdeutung des nach seiner Meinung stets als 
metrisch schwer geltenden SchluBtakts einer Phrase in 
einen stets als leicht geltenden Anfangstakt (vgl. Vade- 
mecum der Phrasierung, S. 88fi ., mit Beispielen) und zahlt 
sie daher zu den Storungen des symmetrischen Auf- 
baus (-*■ Mctrum - 3). Doch gibt es Kompositionen 
(z. B. der genannte Satz aus W.A.Mozarts Sonate C 
dur, K.-V. 309), deren Abschnitte grundsatzlich nicht 
mit der Tonika schlieBen, sondern offen, dominantisch 
enden. Die V. ist in diesen Fallen nicht eine Abwei- 
chung von der Norm der ->- Symmetric, sondern sie 
wird zur Regel, die ihrerseits wieder durchbrochen 
werden kann (-> Periode, -> Phrasierung). 

Versett (auch Versetl; von frz. verset, Diminutiv von 
frz. vers; ital. versetto; engl. verset), Bezeichnung fiir 
einen Orgelsatz, der bei der -* alternatim-Ausfuhrung 
liturgischer Stiicke an die Stelle eines gesungenen Ver- 
ses (->- Versus - 3) bzw. Abschnitts tritt. Die Werk- 
iiberlieferung geht bis zum Anfang des 15. Jh. zuriick 
(Kyrie- und Gloria-V.en des Codex Fa; -> Quellen). 
Ihren Hohepunkt erreichte die Komposition von V.en 
im 16.-18. Jh. Wahrend dieser Zeit wurden die V.en 
oft in umfangreichen Sammlungen, besonders fiir das 
Ordinarium missae (-> Orgelmesse) und das -> Mag- 
nificat, publiziert. Bis ins 17. Jh. sind die V.en meist 
iiber den musikalischen Vers oder Abschnitt kompo- 
niert, dessen Stelle sie vertreten, gehoren also der Gat- 
tung der -> Choralbearbeitung (- 2) zu. Im spaten 16. 
Jh. bildete sich daneben die c. L-freie, nur noch tonart- 
gebundene V.en-Komposition heraus, die sich meist der 
fugierten Technik bedient; sie verdrangte im 18. Jh. 
weitgehend den Typus des c. f.-gebundenen V.s. 
Unter den Sammlungen ehoralgebundener V.en sind 
hervorzuheben : J.Buchner, Fundamentbuch (hs. um 
1530); P. Attaingnant, Tabulature pour le ieu Dorgues und 
Magnificat en la tabulature des Orgues (beide 1531); G. 
Cavazzoni, Intavolatura doe Recercari Canzoni Himni 
Magnificat . . . und Intabolatura d'organo ciol Misse Him- 
ni Magnificat. Libro secondo (beide 1543); Cl.Merulo, 
Messe d' intavolatura d'organo (1568); A. de Cabezon, 
Obras de musica (1 578) ; J. Titelouze, Hymnes pour toucher 
sur l'orgue (1623) und Magnificat ou cantique de la Vierge 
pour toucher sur l'orgue (1626); S.Scheidt, Tabulatura 
nova III (1624); G. Frescobaldi, Fiori musicali 1635); H. 
Scheidemann, Magnificatbearbeitungen (hs. um 1640). 
- Beispiele fiir c. f.-freie V.en bieten die Sammlungen 
von A. Valente (Versi spirituali, 1580), K.Kerll (Modu- 
latio organica super Magnificat octo tonis, 1686), A.Raison 
(Livred'orgue, 1687), Fr.X.Murschhauser (Octi-Tonium 
novum organicum, 1696), J.Pachelbel (Magnificatfugen, 
hs. um 1700), Gottlieb Muffat (72 Versetl Sammt 12 
Toccaten, 1726) und J. K. F. Fischer (Blumen-Strauss, nach 
1732). Daneben kommt die Zusammenstellung von 
c. f.-gebundenen und c. f .-freien V.en vor (auch inner- 
halb eines liturgischen Stiickes), so in E. Kindermanns 
Harmonia organica (1 645; Magnificat VIII. toni) und vor al- 
lem in den f ranzosischen Orgelbuchern des spaten 1 7. Jh. 
(N. Lebegue 1676, um 1679 und um 1685; N. Gigault 
1682 und 1685; Fr. Couperin 1690; N. de Grigny 1699). 

Versetzungszeichen -*■ Akzidentien. 



1024 



VersmaBe 



Versikel (lat. versiculus), heiBen in der katholischen 
Liturgie kurze, iiberwiegend der Bibel entnommene 
Satze in paarweiser Anordnung, wobei der erste Satz 
jeweils mit W. (V. im engeren Sinn), der zweite mit i$. 
(Responsum) bezeichnet wird, z. B. : W. Crastina die de- 
lebitur iniquitas terrae. i$. Et regnabit super nos Sahator 
mundi. Sie bilden einen festen Bestandteil aller liturgi- 
schen Handlungen. So enthalt u. a. jede Hore des Of- 
fiziums neben den (melodisch eigenstandigen) V.n zur 
Eroffnung (Matutin: Domine, labia mea aperies und 
-> Deus, in adiutorium meum intende, letzterer ebenfalls 
in Laudes bis Vesper; Komplet: Convene nos Deus sa- 
lutaris noster) und zur Entlassung (-»- Benedicamus Do- 
mino) einen weiteren V. Dieser steht in der Matutin 
zwischen Psalmen und Lektionen, in Laudes und Ves- 
per (die auch in ihren Preces V. aufweisen) nach dem 
Hymnus, in den kleinen Horen im AnschluB an das 
Responsorium breve (monastisch: nach dem Capitu- 
lum). Die entsprechende, fur beide Satze gleiche Me- 
lodieformel verlauft ohne Initium auf dem Tenor (ur- 
spriinglich a, heute meist c) und schlieBt mit einem 
Melisma iiber der letzten Textsilbe (Tonus cum neu- 
ma). Ein differenzierterer V.-Ton gelangt in den Ves- 
pern der Hochfeste zum Vortrag; ebenso sind die V. 
von Nokturnen, Laudes und Vesper des Totenoffiziums 
und der letzten 3 Kartage durch eine eigene Formel 
(Tenor a und zweiakzentige SchluBkadenz) ausgezeich- 
net. Alle iibrigen V. werden im sogenannten Tonus 
simplex gesungen (Tenorrezitation c mit Terzfall am 
SchluB, bei langerem Text auch Mittelkadenzen Flexa 
und Metrum). Die genannten V.-T6ne finden sich un- 
ter den -> Toni communes der Antiphonaleausgaben. 
- In -»• Sequenz (- 1) und ->■ Lai bezeichnet V. nach 
musikwissenschaftlicher Terminologie im Unterschied 
zu dem eingangs umrissenen Sprachgebrauch der li- 
turgischen Biicher die Einzelstrophe, welche gewohn- 
lich mit einer Parallelstrophe zum Doppel-V. oder 
auch mit 2 Parallelstrophen zum Tripel-V. mit jeweils 
gleicher Melodie zusammentritt. Im Musiktraktat des 
J. de Grocheo ist V. der Name fiir die strophenartigen 
Abschnitte der -* Chanson de geste. 

Versmafie. Prinzipiell zu unterscheiden ist zwischen 
quantitierendem und akzentuierendem Versbau (-> Me- 
trum - 1). Beriicksichtigt werden im folgenden nur 
die fiir die iiberlieferte Musik wichtigsten V., nach 
Sprachen geordnet : 

l)Lateinisch.-a)ZurquantitierendenDichtunggehoren 
vor allem die friihen -*■ Hymnen (- 1). Haufigstes Vers- 
maB ist der iambische Dimeter (bei Iambus undTrochaus 
bilden 2 FiiBe ein Metrum) ~ - ^ -~- ^ - (z. B. Aeter- 
ne rerum conditor, Ambrosius). Mit grofiem Abstand 

folgt das sapphische VersmaB -^ w^/-w-w 

{Ut queant laxis resonare fibris, wohl Paulus Diaconus, 
-*■ Solmisation) ; noch seltener sind der iambische Tri- 
meter ~zz—\j- w-^-^-^_ {Salve crux sancta salve 
mundi gloria, Heribert) und der kleinere asklepiadeische 

Vers *->*-; — w'^-^vy {Sanctorum meritis inclita 

gaudia, Hrabanus Maurus). Prozessionshymnen haben 
neben Hexameter und Distichon gern den trochaischen 
Tetrameter -w-^-^-^_^_^/_^_ {Pange lingua 
gloriosi proelium certaminis, Venantius Fortunatus). Vom 
6. Jh. an wurden diese V. rhythmisch umgedeutet nach 
dem Kriterium der Silbenzahl; so wurde der iambi- 
sche Dimeter zum 8Silbler, der sapphische Vers zum 
HSilbler. Der Wortakzent war zunachst frei, spater 
meist alternierend. Die iibrige mittellateinische me- 
trische Dichtung ist fiir die Musik nur am Rande be- 
deutend, z. B. in Versoffizien und Tropen. Verwen- 
det wurden hauptsachlich der iambische und tro- 
chaische Dimeter und der (auch end- oder leoninisch 



gereimte) Hexameter -^w-^^-^^-^w-^w — 
{Cunctipotensgenitor Deus omnicreator eleison) . - b) Rhy th- 
mische (akzentuierende) Dichtung. Die Sequenz (ur- 
spriinglich Prosa ad sequentiam) ist zunachst feierliche 
Prosa in verschieden langen Kola und jeweils parallelen 
Strophen. Spater tritt Hervorhebung des Kolon-Endes 
durch Reim auf (schon in Augustinus' Psalmus contra 
partem Donati 393/94 angewendet), schlieBlich Anglei- 
chung an die Hymne, d. h. regelmaBige Vers- (meist 
8Silbler) und Strophenbildung (z. B. Lauda Sion salva- 
torem, Thomas von Aquin). Die groBe Zahl mittellatei- 
nischer Lieddichtungen (z. B. Cambridger Lieder, 
.-> Carmina Burana, ->■ Vaganten), zu denen auch die 
Conductus und (im weiteren Sinne) die Motetten zu 
zahlen sind, weisen einen Reichtum rhythmischer For- 
men auf: 8-, 7- und 6Silbler, daneben auch kiirzere 
Verse. Der lOSilbler, der Vers des lateinischen Dramas, 
kommt in der Lyrik selten vor. 

2) Franzosische und italienische Verse sind von Anfang 
an durch die Zahl ihrer Silben bestimmt. Der verschie- 
denen Betonungsstruktur beider Sprachen gemaB, wird 
der franzosische Vers bis zur letzten betonten Silbe ge- 
zahlt (das Mittelalter zahlte im Franzosischen auch die 
weiblicheEndsilbe), der italienische Vers iiber die letzte 
betonte Silbe hinaus bis zur ersten unbetonten. Dem 
franzosischen lOSilbler (mannlich 10, weiblich 11 Sil- 
ben) entspricht daher der italienische Endecasillabo (1 1 
Silben = verso piano, 10 = verso tronco, 12 = verso 
sdrucciolo). Das Prinzip der Silbenzahlung und der 
konstanten, meist reimbildenden Tonstelle am Vers- 
ende entstammt dem mittellateinischen Vers. Stelle 
und Anzahl der Betonungen im Versinnern sind varia- 
bel (eine Ausnahme bildet z. B. die feste Mittelzasur 
des Alexandriners) ; die rhythmische Gliederung ist 
daher verschieden, wenngleich viele Verse regelma- 
Big alternieren. Im Italienischen hat der lOSilbler oft 
anapastischen (bzw. daktylischen) Rhythmus, der 
8Silbler trochaischen. Langere als 8silbige Verse haben 
bevorzugte Zasurstellen - der franzosische lOSilbler 
nach der 4. Silbe (auch nach der 6., selten nach der 5.) : 
Donnez, signeurs, donnez a toutes mains (Machaut) ; der 
Endecasillabo nach der 5. (oder 6.): Vergine bella, che di 
sol v estita : (Petrarca, vertont u. a. von Dufay). - a) Fran- 
zosisch. Alteste Dichtungen sind altfranzosische Se- 
quenzen des 9. Jh. (Eulalia-Sequenz) in verschieden lan- 
gen, haufig lOsilbigen Versen. Meist lOSilbler hat auch 
die Chanson de geste. Der 8Silbler trat seit dem 10. Jh. 
auf und wurde spater bevorzugtes VersmaB von Reim- 
chronik und hofischem Roman, aus dem er schlieBlich 
durch Prosa verdrangt wurde. 8- und lOSilbler (seit 
dem 16. Jh. auch der Alexandriner) wurden vom 12./ 
13. Jh. an bis in die neueste Zeit von der Lyrik bevor- 
zugt, zuerst von den Trobadors und Trouveres: Can 
uei la lauzeta mover (Bernard de Ventadorn: Lerchen- 
lied) ; De bone amour vient seance et bonte (Thibaut IV de 
Champagne). Sie verwenden aber auch kiirzere Verse 
(oft den 7Silbler; bis zum 3Silbler), selten langere; die 
Zeilenlange wechselt haufig: Si que je n'ai de coi autrui 
amer / Ne servir / Ne deservir / Ne puis par mal soufrir, / 
Que la painne vueille guerredouner (Blondel de Nesle). 
Solche eingeschalteten Kurzverse sind auch in der Mo- 
tette und in den Balladen und Rondeaus des 13. Jh. ge- 
brauchlich, oft echoartig : Or est Baiars en la pasture j 
Hure I Des deus pie's defferes (Adam de la Halle). Machaut 
gab in seinen mehrstimmigen Balladen und Rondeaus 
dem lOSilbler deutlichen Vorrang, auch wechselt nun 
die Zeilenlange kaum noch; der 7Silbler findet vor- 
zugsweise in 1st. Musik, z. B. in den Lais, Verwendung. 
Neben dem 8Silbler ist der lOSilbler (im 16. Jh. Vers 
commun genannt) der gebrauchlichste Vers der Chan- 
son des 15. und 16. Jh., z. B. Bon jour, mon coeur, bon 



65 



1025 



VersmaBe 



jour, ma douce vie (Ronsard, vertont u. a. von Lasso). 
Nachbildungen antiker Metren treten in der 2. Half te 
des 16. Jh. auf (-»■ Vers mesures). Der Alexandriner 
(12Silbler mit Mittelzasur), Mitte des 16. Jh. von Ron- 
sard und seinem Kreis (Pleiade) wieder eingefiihrt, ver- 
drangte den lOSilbler vor allem im Sprechtheater. In 
den Operntexten des 17. und 18. Jh. dagegen wechselt 
der Alexandriner, nach dem Vorbild Quinaults, vor 
allem mit 10- und 8Silblern, z. B.Je suis de mille amants 
maitresse souvereinne j Maisjefais mon plus grand bonheur / 
D'itre maitresse de mon cuer (Quinault, Armide, kompo- 
niert von J.-B.Lully und Gluck). Auch kiirzere Verse 
(7, 6, 5 Silben) kommen vor; die ungeradzahligen sind 
besonders in Liedern haufig. Diese freie Mischung von 
Versen verschiedener Lange, ohne strophische Gliede- 
rung und mit freier Reimanordnung, wird Vers mSles 
oder Vers libres genannt (nicht zu verwechseln mit den 
Vers libres des 19. Jh.). - b) Italienisch. Die siziliani- 
schen Dichter, von den Trobadors ausgehend, wie auch 
die umbrischen Lauden verwenden eine Vielzahl von 
V.n. Vom Dolce stil novo und von Dante an sind 11- 
und 7Silbler die klassischen italienischen V. Der 1 1 Silb- 
ler wurde vor allem in Terzine (Dante, Divina Corn- 
media), Kanzone, Stanze (oder Ottavarima) und Sonett 
verwendet. 11- und 7Silbler, meist gemischt, sind auch 
die V. von Madrigal und Ballata, z. B. Questa fan- 
dull' amor fallami pia (komponiert von Landini). Die 
Caccia kennt dagegen auch kiirzere Verse, oft 5Silbler. 
Ein haufiger Vers der Frottola des 16. Jh. ist der (meist 
in trochaischem Rhythmus verlaufende) 8Silbler (schon 
um 1400 nachweisbar), z. B. Io non compro piu speranza 
(Petrucci, 1. Frottolenbuch). Zu 11- und 7Silblern ka- 
men in der Oper neue V. hinzu, vor allem Verse mit 
10, 8, 6 Silben, auch kiirzere. In den Opernarien des 17. 
Jh. wechseln die Verslangen; sparer (bei Metastasio) 
war es jeweils ein VersmaB, das in der einzelnen Arie 
vorherrschte. Wahrend das Rezitativ weiterhin aus 11- 
und 7Silblern besteht, wird fur die Arie der HSilbler 
im 18. Jh. nur selten verwendet, z. B. im Standchen des 
Don Giovanni (Deh, vieni allafinestra, o mio tesoro; Da 
Ponte/Mozart, Don Giovanni). Haufig sind lOSilbler 
(z. B. Voi, che sapete die cosa e amor; Da Ponte/Mozart, 
Figaro), 8Silbler (vorziiglich fiir Buffostiicke, z. B. 
Aspettare e non venire ; G. A. Federico/Pergolesi, La serva 
padrona) und 7Silbler (Arien der Opera seria). 
3) Deutsch. - Mit Ausnahme des silbenzahlenden Mei- 
stersanges werden im deutschen Vers die Hebungen 
gezahlt. Im altdeutschen Stabreimvers wie auch im 
Knittelvers ist die Anzahl der Senkungen frei. (Der 
-> Stabreim wurde durch R.Wagner wiederbelebt.) 
RegelmaBiger Wechsel von Hebung und (lsilbiger) 
Senkung begann im mittelhochdeutschen Epos und 
wurde von Opitz 1624 gefordert, wobei Hebung und 
Wortbetonung zusammenfallen sollten (zur Vermei- 
dung von Tonbeugungen). Der deutsche Vers beginnt 
meist unbetont (»auftaktig«), daher iiberwiegt iambi- 
scher Rhythmus. Verse mit 2silbigen Senkungen sind 
seltener; sie treten unter demEinfluB romanischer Dich- 
tung im Mittelhochdeutschen und nach 1600 auf. Un- 
regelmaBiges Schwanken zwischen 1- und 2silbiger 
Senkung ist bei Volksliedern haufig, z. B. Es het ein 
Baur ein Tochterlein, das wolt nit lenger ein meidlein sein 
(Liedsatz Isaacs). Der Vierheber ist der haufigste Vers, 
an 2. Stelle steht der Dreiheber, wie z. B. Liedsatze des 
15. und 16. Jh., protestantische Chorale, Kantaten- und 
Opernarien zeigen. Im alteren Lied treten zwischen die 
Vierheber haufig kiirzere (zwei-, dreihebige) und lan- 
gere (sechs-, achthebige) Verse. Den beliebten Wechsel 
von Vier- und Dreihebern zeigt z. B. Ein'feste Burg ist 
unser Gott, Ein' gute Wehr und Waffen (Luther). Die Re- 
zitative in Oper, Oratorium, Kantate bestehen aus ver- 



schieden langen, frei gereimten Versen (»Madrigalver- 
sen«). Anlehnungen an antike Metren finden sich z. B. 
in den Oden der Humanisten und Klopstocks (-> Oden- 
komposition). 

Lit.: zu 1): W. Meyer, Gesammelte Abh. zur mittellat. 
Rhythmik, 3 Bde, Bin 1905-36; D. Norberg, Introduction 
a l'6tude de la versification lat. mddievale, Stockholm 1958. 
- zu 2) : A. Tobler, Vom frz. Versbau alter u. neuer Zeit, 
Lpz. 1880, 61921 ; Fr. Saran, Der Rhythmus d. frz. Verses, 
Halle 1904; K. Vossler, Die Dichtungsformen d. Roma- 
nen, Stuttgart 1951 ; W. Sucker, Frz. Verslehre auf hist. 
Grundlage, Tubingen 1952; W. Th. Elwert, Frz. Metrik, 
Munchen 1961. - zu 3): E. Sievers u. H. Paul, Deutsche 
Metrik, in: Pauls GrundriB d. germanischen Philologie II, 
2, StraBburg 1905; Fr. Saran, Deutsche Verslehre, Mun- 
chen 1907; A. Heusler, Deutsche Versgesch., 3 Bde, in: 
GrundriB d. germanischen Philologie VIII, 1-3, Bin u. 
Lpz. 1925-29, Bin 21956; S. Beyschlag, Die Metrik d. 
mhd. Bliitezeit in Grundzugen, Nurnberg 1950, 51963; W. 
Kayser, Gesch. d. deutschen Verses, Bern 1960; ders., 
Kleine deutsche Versschule, Bern u. Munchen '1962; U. 
Pretzel, Deutsche Verskunst, in: Deutsche Philologie im 
AufriB III, hrsg. v. W. Stammler, Bin, Bielefeld u. Mun- 
chen 21961 ; O. Paul u. I. Glier, Deutsche Metrik, Mun- 
chen 51964; Chr. Petzsch, Text-Form-Korrespondenzen 
im ma. Strophenlied, DVjs. XLI, 1967. - J. Raith, Engl. 
Metrik, Munchen 1962. WoD 

Vers mesures a l'antique(ve:r msziir'e alat'ik, frz., 
nach Art der Antike gemessene Verse), im letzten 
Drittel des 16. Jh. versuchsweise durch -> Baif (der der 
Dichtergruppe Pleiade angehorte) in die franzosische 
Poesie eingefiihrte, auf Quantitatsmessung beruhende 
reimlose Verse. In der Meinung, in der franzosischen 
Sprache sei die Quantitat latent enthalten, dichtete Baif 
nach dem Muster antiker Metren (z. B. Hexameter, 
Sapphische Strophe), wobei er die Langen grundsatz- 
lich den betonten (auch nebenbetonten), die Kiirzen 
den unbetonten Silben unterlegte, z. B. : 

— \J — w — w — w — *— ' — 

Vne pucej'ai dedans Voreille, helas! 
Die V. m. dienten als Vorlage fiir Vertonungen, die, 
ahnlich der metrischen ->• Odenkomposition des f riihen 
16. Jh., einen regelmaBigen Tactus auBer acht lieBen 
und sich rhythmisch eng an die V. m. anlehnten: die 
Langen wurden durch doppelt so lange Werte wie die 
Kiirzen wiedergegeben. Komp.ositionen dieser Art 



v A 


i j ,i , j .j j j ., i 




t? — r r r r r r ' r r f 

V- ne pu - ce j'ai de-dans l'o-reil-le, he-las! 


v <• [ ' [ r [ i r ' ' =£= 




Quidenuit et de jour me f re -til - le et me mort 

- - (U 



O. de Lassus, GA XIV, S. 114. 
schrieben u. a. F.M.Caietain, E. du Caurroy, J. du 
Faur, CI. lejeune, O. de Lassus, J. Mauduit und J.Thi- 
bault de Courville. - Wenn auch die Musique me- 
suree nur sehr kurze Zeit gepflegt wurde, so hatte sie 
doch einen groBen EinfluB auf die spatere franzosische 
Sprachvertonung ; in einer Reihe von Airs de cour und 
vielen Stiicken des Ballet de cour wurde der Text so 
vertont, als ob er auf V. m. basiere (siehe folgendes 
Beispiel). Noch im franzosischen Recitatif (->■ Rezi- 
tativ) ist die Nachwirkung der Musique mesuree er- 
kennbar. 



1026 



Verwertungsgesellschaft 



Mais que me sertThe-tys ces-te es-cail-le nou-uel-le, 

Ballet comique de la Royne, Gesang des Glauque, f. 19. 
Ausg. : J. Mauduit, Chansonnettes mesurees de J.-A. de 
Balf, 4st., Paris 1586, = Expert Maltres X, Paris 1899; Cl. 
le Jeune, Le printemps (2-8st. Chansons), Paris 1 603, eben- 
da XH-XIV, 1900-01 ; ders., Octonaires de la vanite et in- 
constance du monde (3-4st.), Paris 1606, = Expert Monu- 
ments I u. VIII, Paris 1924-28; ders., Pseaumes en vers 
mezurez (2-8st.), Paris 1606, = Expert Maltres XX-XXII, 
Paris 1905-06; ders., Airs (3-6st.), 2 Bucher, Paris 1608, 
hrsg. v. D. P. Walker, 4 Bde, (Rom) 1951-59; E. du 
Caurroy, Meslanges, Paris 1610, = Expert Maitres XVII, 
Paris 1903 (Teilausg.). 

Lit. : M. Mersenne, Quaestiones celeberrimae in Genesim, 
Paris 1623; ders., Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. 
hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963; M. Auge-Chi- 
quet, La vie, les idees et l'oeuvre de J.-A. de Balf, Paris 1 909; 
P.-M. Masson, Le mouvement humaniste, in: Encyclo- 
p6die de la musique I, 3, hrsg. v. A. Lavignac, Paris (1914) ; 
H. Prunieres, Le ballet de cour, Paris 1914; D. P. Wal- 
ker, Mus. Humanism . . . , MR II, 1941 -III, 1942, deutsch 
als : Der mus. Humanismus . . . , = Mw. Arbeiten V, Kas- 
sel 1949; ders., The Airs of Baif's »Acad. de Poesie et de 
Musique«, Journal of Renaissance and Baroque Music I, 
1946/47; ders., The Influence of Musique mesuree . . ., 
MD II, 1948 ; ders. (mit Fr. Lesure), Cl. le Jeune and Mu- 
sique mesuree, MD III, 1949; ders., Some Aspects and 
Problems of Musique mesuree, MD IV, 1950 ; Fr. A. Yates, 
The French Acad, of the Sixteenth Cent., = Studies of 
the Warburg Inst. XV, London 1947; K. J. Levy, Vau- 
deville, v. m. et airs de cour, in: Musique et poesie au 
XVI e s., = Colloquesinternationauxdu Centre National de 
la recherche scientifique, Sciences humaines V, Paris 1954. 

Verstarker sind Gerate, durch die Wechselspan- 
nungen oder -strome verstarkt werden. Sie dienen 
in der Elektroakustik vornehmlich zur Verstarkung 
der Mikrophonspannungen, zum Betrieb von Laut- 
sprechern, zur Schallaufzeichnung und zu meBtechni- 
schen Zwecken. Sofern sie im Frequenzbereich von 20 
bis 20000 Hz arbeiten, werden sie als Niederfrequenz- 
V. bezeichnet, in hoherenBereichen als Hochfrequenz- 
V. Bei den meisten Aufgaben ist vor allem die Fre- 
quenz- und Amplitudentreue wichtig. Es wird ver- 
langt, daB alle Frequenzen des Ubertragungsbereichs 
gleichmaBig verstarkt werden und daB die Verstarkung 
proportional zur Eingangsspannung erfolgt, so daB 
keine nichtlineareh -»• Verzerrungen auftreten. We-' 
sentliches Element eines V.s ist der ->- Transistor, der 
die -*■ Elektronenrohre weitgehend verdrangt hat. Er 
wird mit Kondensatoren, Widerstanden und Ubertra- 
gern zu V.-Stufen zusammengeschaltet. 
Lit.: H. Bartels, Grundlagen d. Verstarkertechnik, 
= Monographien d. elektrischen Nachrichtentechnik X, 
Stuttgart 4 1954. 

Versus (lat.), - 1) im klassischen Sprachgebrauch ur- 
spriinglich das Umwenden (des Pfluges), iibertragen 
die Furche, Reihe, Linie, speziell die Zeile in der Prosa 
oder der Vers in der metrisch gebundenen Dichtung 
(->■ VersmaBe; Plural versus, unregelmaBig versi, s. v. w. 
Poesie, Gedicht) ; - 2) der Psalmvers, als dessen Charak- 
teristikum sich die Kongruenz von rhythmischer und 
logischer Einheit des Textes darstellt. In den ubrigen 
biblischen Biichern sind dem V. jeweils eine oder meh- 
rere Sinneinheiten zugeordnet. Die heutige Verseintei- 
lung der Bibel stammt von dem Pariser Drucker R. 
Estienne (1551 und 1555). - 3) im Gregorianischen Ge- 
sang der Psalm- oder Canticumvers, die Text- und Me- 
lodiezeile des Gloria in excelsis Deo und Credo in unum 
Deum, die Einzelstrophe der Hymnen usw. In den 
Choralausgaben werden die Psalmverse des Graduales, 
Alleluias, Tractus und der Offiziumsresponsorien re- 



gelmaBig durch den Zusatz V. gekennzeichnet, wah- 
rend sich beim Introitusvers die Abkiirzung Ps. (Psal- 
mus) erhalten hat. Liturgische Quellen, Bucher und 
Rubriken gebrauchen das Wort V. haufig auch im 
Sinne von -> Versikel. - 4) innerhalb des Tropenre- 
pertoires der Name fur die einzelnen Zeilen eines lan- 
geren Tropus, etwa zum Gloria in excelsis Deo (vgl. be- 
sonders auch die Tropen zum Regnum tuum solidum, in: 
Analecta hymnica XL VII, S. 282ff.) ; - 5) eine am Ende 
des 9. Jh. in St. Gallen gepflegte Form lyrischer Dich- 
tung. Sie gilt als Vorlauferin der um 1 100 auf bluhenden 
Gattung der Prozessionshymnen, die in den Quellen 
ebenfalls unter dem Namen V. tradiert werden und 
sich im allgemeinen von den Offiziumshymnen durch 
ihre metrische Textstruktur (vor allem Hexameter, 
Distichen und fallende 15Silbler) und die Hinzufugung 
eines Kehrverses imterscheiden (Beispiele in Monumen- 
ta monodica medii aevi I, S. 448ff., Einfiihrung S. Xf.). 
Die romische Liturgie verwendet den Prozessionshym- 
nus heute nur noch am Palmsdnntag (Gloria, laus et 
honor des Theodulf von Orleans), Griindonnerstag (O 
redemptor, sume carmen) und Karfreitag (-> Pange lin- 
gua). - 6) das ein- und mehrstimmige lateinische Lied 
(rhythmische und gereimte Verse, oft mehrere Stro- 
phen, haufig als Benedicamus Domino-Tropen) des 
Saint-Martial-Repertoires, spater als Conductus be- 
zeichnet. Der Terminus V. erscheint nur im Ms. 1139 
(-» Quellen: SM 1).- 7) im Mittelalter gebrauchlicher 
Name f iir das liturgische Drama. Seiner vielschichtigen 
Bedeutung entsprechend kann V. auch fiir einzelne 
Strophen, Doppelzeilen usw. innerhalb eines Stiickes 
stehen. - 8) nach Johannes de Grocheo integrierender 
Bestandteil des Cantus gestualis (die Zeile der -> Chan- 
son de geste), Cantus coronatus (mit insgesamt 7 V., 
Doppelzeilen) und Cantus versicularis (mit nicht fest- 
gelegter Anzahl von V.) ; - 9) romanisch vers: eine aus 
dem Hymnus entwickelte strophische Dichtungsform 
der -> Trobadors. - Das deutsche Wort Vers bezeich- 
net im jiingeren Sprachgebrauch u. a. die -> Strophe 
des protestantischen Kirchenliedes. 

Versus ad repetendum (lat.), auch Versus ad respon- 
dendum oder Versus prophetales genannt, heiBen jene 
zusatzlichen Psalmverse, welche in ilteren Quellen des 
Gregorianischen Gesangs (darunter St. Gallen 380 und 
381, Einsiedeln 121) in Verbindung mit dem -*■ Introi- 
tus und der -»■ Communio iiberliefert werden und 
nach Auskunft romischer Ordines auf den Vortrag des 
Gloria patri folgten. Sie kommen gelegentlich auch bei 
Antiphonen des Offiziums vor. 

Verwandlungsmusik -> Biihnenmusik. 

Verwertungsgesellschaft ist eine jeweils nationale 
Organisation zur treuhanderischen Verwaltung von 
Urheberrechten, die ihr von Autoren und Verlegern 
iibertragen werden; hauptsachlich handelt es sich um 
musikalische Auffiihrungs- und Sende- sowie um die 
sogenannten mechanischen Rechte (Schallplatten, Ton- 
bander u. a.), fiir welche die V.en das Inkasso der fest- 
liegenden Gebiihren von den »Musikverbrauchern« be- 
sorgen und die Eingange nach den jeweiligen Vertei- 
lungsplanen auszahlen. Die V.en arbeiten auf genossen- 
schaftlicher Basis, erzielen also keinen eigenen Gewinn. 
Im Zuge der deutschen Urheberrechtsreform wurden 
1965 die Aufgaben der V.en durch Gesetz geregelt 
(V.en-Gesetz), das zugleich eine staatliche Aufsicht 
iiber die V.en festlegt. Fiir das Gesetz waren die bei der 
GEMA gewonnenen Erfahrungen maBgebend. V.en 
bestehen in etwa 40 Landern und iibertragen sich 
gegenseitig ihren Verwaltungsbestand zur Wahrung. 
Sie sind organisatorisch vereinigt in der -> CISAC 
(Sitz Paris). -+ AKM, Osterreich; -+ ASCAP, USA; 



65* 



1027 



Verzerrung 



-► AWA, DDR; -* BMI, USA; -> BUMA, Nieder- 
lande;->GEMA,BundesrepublikDeutschland;KODA, 
Danemark; OSA, Tschechoslowakei; -> PRS, Grofi- 
britannien; SAB AM, Belgien; SACEM, Frankreich; 
SGAE, Spanien; SIAE, Italien; STIM, Schweden; 
SUISA, Schweiz; TONO, Norwegen; ZAIKS, Polen. 

Verzerrung. Mit V. wird die Veranderung bezeich- 
net, die ein Schwingungsvorgang bei DurchJaufen ei- 
nes mechanischen oder elektrischen Ubertragungswe- 
ges erfahrt. Sie beruht darauf , daB eine lineare Kompo- 
nente, in ein nichtlineares System eingef iihrt, ihre linea- 
re Eigenschaft verliert. (Fast alle mechanischen und 
elektrischen Systeme, so auch das Ohr, verhalten sich 
mehr oder minder nichtlinear.) Mathematisch kann 
jedes beliebige nichtlineare System durch die Beziehung 
y=f(x) dargestellt werden. Danach ist z. B. eine in das 
Ohr eingedrungene periodische Schwankung des Luft- 
druckes y eine Funktion/(j<:) der einwirkenden Druck- 
schwankungen im freien Schallfeld. Der Druckverlauf 
des Schalles wird demnach nicht durch die Beziehung 
y—a-x formuliert, die geometrisch eine gerade Linie 
ist, sondern folgt der gekrummten (verzerrten) Kurve 
der deshalb nichtlinear bezeichneten Gleichung y =f(x) . 
Die Bezeichnung »nichtlineare V.« (streng genommen 
eine Tautologie) wird vor allem in der Elektroakustik 
gebraucht; hier werden lineare und nichtlineare V.en 
unterschieden. Ruckschliisse auf Umfang und Auswir- 
kungen der Nichtlinearitat des Ohres erlaubt die aus 
der Gleichung f(x) entwickelte Potenzreihe 
y=flo + aix+<J2* 2 4-(J3X 3 + . . . +a n x n , 
die eigentliche Nichtlinearitatsgleichung des Ohres 
(Husmann). Sie besagt allgemein, daB der Schall erst 
nach V. seines Druckverlaufes in das Innenohr gelangt, 
d. h. zur urspriinglichen Frequenzstruktur kommen 
Ober- und Kombinationsschwingungen hinzu. Diese 
Komponenten entstehen wahrscheinlich sowohl am 
Trommelfell und im Mechanismus der Knochelkette 
(Hammer, AmboB, Steigbiigel) als auch im Innenohr. 
Die Ausbildung von Kombinationstonen auch bei ge- 
ringen Schallintensitaten (unter 40 dB) berechtigt zu 
der Annahme, daB ihr Entstehen nicht allein mit me- 
chanischen Schwingungsgesetzen erklart werden kann 
(Reinecke). Im -> Horversuch ist die Nichtlinearitat 
bis zur achten Potenz (... + agx s ) der angefiihrten 
Reihe nachzuweisen. Fur die Koinzidenztheorie der 
-> Konsonanz (- 2) von Husmann ist sie Voraussetzung 
der ausgezeichneten Stellung konsonanter Intervalle. 
Verzerrungsfreie Wiedergabe von Musik durch elek- 
trische Ubertragungssysteme ist ein wichtiges Anlie- 
gen der Elektroakustik; hier sind besonders iiber Hor- 
barkeit und Storfahigkeit von V.en eingehende Un- 
tersuchungen unternommen worden. Bei elektrischer 
Musikwiedergabe entstehen leicht unharmonische 
Kombinationsschwingungen durch Nichtlinearitaten, 
die schon bei geringem V.s-Grad sonst nicht storende 
Intonationsschwankungen bemerkbar machen. Tech- 
nisches MaB fur den Grad der V. ist der von Kiipf- 
miiller eingef iihrte Klirrfaktor. Schon 1 ,5% Klirrfak- 
tor eines Ubertragungsgliedes beeintrachtigen das un- 
verfalschte Horen aller Intervalle (Weitbrecht). 
Lit. : K. Kupfmuller, Ober nichtlineare V. in Fernverbin- 
dungen, Fachber. d. 31 . Jahresversammlung d. VDE, Wies- 
baden 1926; W. Janowsky, Ober d. Horbarkeit v. V., Diss. 
Dresden 1928; G. v. Bekesy, (jber d. nichtlinearen V. d. 
Ohres, Annalen d. Physik XX, 1934; H. J. v. Braunmuhl 
u. W. Weber, Ober d. Storfahigkeit nichtlinearer V., Aku- 
stische Zs. II, 1937; E. G. Wever, Ch. W. Bray u. M. 
Lawrence, The Locus of Distortion in the Ear, J ASA XI, 
1940; W. Weitbrecht, Ober d. EinfluB nichtlinearer V. 
auf d. Horbarkeit v. Verstimmungen mus. Intervalle, Fern- 
meldetechnische Zs. Ill, 1950; G. Haar, Ober d. Charak- 



ter d. Nichtlinearitat d. Ohres, in: Funk u. Ton V, 1951 ; 
W. Reichardt, Grundlagen d. Elektroakustik, Lpz. 1952, 
2 1954; H. Husmann, Vom Wesen d. Konsonanz, = Mus. 
Gegenwartsfragen III, Heidelberg 1953; R. Feldtkeller, 
Horbarkeit nichtlinearer V. bei d. Obertragung v. Instru- 
mentenklangen, Acustica IV, 1954; E. Skudrzyk, Die 
Grundlagen d. Akustik, Wien 1954; E. Zwicker, Der un- 
gewohnliche Amplitudengang d. nichtlinearen V. d. Ohres, 
Acustica V, 1955; H.-P. Reinecke, Akustik u. Musik, Kgr.- 
Ber. Hbg 1956; ders., Experimen telle Beitr. zur Psychologie 
d. mus. Hdrens, = Schrif tenreihe d. Mw. Inst. d. Univ. Hbg 
III, Hbg 1964;ders., Stereo-Akustik, Koln 1966. WiD 

Verzierungen (Auszierungen, -> Manieren - 2, Orna- 
mente; frz. agrements, broderies, ornements; engl. 
graces, ornaments, embellishments; ital. fioretti, fiori- 
ture, abbellimenti) ist die gemeinsame Bezeichnung 
fur die durch besondere Zeichen oder kleinere Noten 
angedeuteten oder andeutbaren Ausschmiickungen so- 
wie fur gewisse rhythmische Veranderungen (z. B. 
-> Notes inegales) einer Melodie. Die V. haben ihren 
Ursprung in der Improvisation, ahnlich wie die ausge- 
schriebene oder vom Interpreten extemporierte ->■ Di- 
minution (- 2; engl. -> division) und die -> Kolorie- 
rung. Wahrend letztere vor allem Tonschritte verschie- 
dener IntervallgroBe melodisch ausfiillen, umspielen 
die V. in erster Linie einzelne Tone. Im Laufe der mu- 
sikgeschichtlichen Entwicklung scheiden sich allmah- 
lich - wie Kristalle aus einer Lbsung - bestimmte ein- 
zelne V. aus der Vielfalt melodischer Figuren aus. Ihre 
Funktion und Anwendungsart wechseln von einer 
Epoche zur anderen und konnen entscheidende Bedeu- 
tung fur den jeweiligen Stil erlangen. Eine Verzierung 
kann innerhalb einer Epoche durch verschiedene Zei- 
chen ausgedriickt werden, und umgekehrt kann dassel- 
be Zeichen verschiedene V. bedeuten, je nach Land, 
Instrument und Komponist. Es entspricht der Klarheit 
und Exaktheit der franzosischen Geistigkeit, daB die 
graphischen Symbole im musikalischen Verzierungs- 
wesen zu ihrer hochsten Differenziertheit im 17./18. Jh. 
durch die Lautenisten, Gambisten und Cembalisten am 
franzosischen Kdnigshof entwickelt wurden, von wo 
sie dann in Deutschland und in anderen Landern iiber- 
nommen wurden. Die von den Komponisten in ihren 
Verzierungstabellen den Zeichen gegeniibergestellten 
Auflosungen sollen und konnen nur eine Andeutung 
fur den Interpreten darstellen, an dessen nachschopfe- 
rische Fahigkeit in bezug auf Tempo, Rhythmus und 
Affektgehalt fiir die Ausfuhrung stets appelliert wird; 
vgl. J. S.Bachs Uberschrift zur Verzierungstabelle in 
seinem Clavier-Buchkin fiir W.Fr.Bach (1720): Ex- 
plication unterschiedlkher Zeichen, so gewifie manieren ar- 
tig zu spielen, andeuten (! - Sperrung nicht original) 
sowie Gottl.Muffats Vorrede zu seinen Orgelkom- 
positionen (1726). Auf die enge Verbindung zwischen 
Verzierungswesen und Geschmack weisen franzosische 
Ausdriicke des 18. Jh. wie gout-du-chant und notes de 
gout hin : mit ersterem bezeichnete man die Kunst der 
Verzierung schlechthin, sowohl beim Gesang als auch 
beim Spiel ; der letztere war ein verbreiteter Name fiir 
kleine Vorschlagsnoten (vgl. J.-J. Rousseau, Diction- 
naire). - Die zeitgenossischen Quellen bestehen aus 
Lehrwerken und Verzierungstabellen sowie aus einigen 
Kompositionen mit ausgeschriebenen V. Das Studium 
dieser Quellen ist durch griindliche Stilkenntnis zu er- 
ganzen, um nicht nur die Ausfiihrungsart angedeuteter 
V. zu bestimmen, sondern auch beurteilen zu konnen, 
ob und welche zusatzlichen V. an solchen Stellen an- 
gebracht werden konnen bzw. miissen, an denen der 
Komponist keine Ornamente angedeutet hat. 
Bereits aus dem Mittelalter sind bestimmte Zeichen fiir 
gewisse V. (z. B. -*■ Plica und -> Quilisma), auch die 
Praxis der Improvisation sowohl einzelner Figuren als 



1028 



Verzierungen 



audi ganzer zusatzlicher Stimmen bekannt. Die Quellen 
erstrecken sich auf geistliche (Gregorianischer Gesang, 
Notre-Dame-Schule) und weltliche Musik (Trobadors, 
Trouveres). So wie die europaische Verzierungskunst 
des Mittelalters sich auf die Tradition der Antike stiitz- 
te (die ihrerseits orientalische Einfliisse aufgenommen 
hatte), so entwickelte sich das Verzierungswesen der 
Renaissance aus dem des Mittelalters, wie etwa in der 
Musik des 14. Jh. in Florenz (Landini). Die unter der 
Herrschaft des Kontrapunkts stehende Diminutions- 
technik entfaltete sich in der von der Vokalpolyphonie 
bestimmten Musik im spanisch-italienischen Raum zu 
hochster Bliite. Hatte fiir die Orgel C.Paumann be- 
reits in der Mitte des 15. Jh. damit begonnen, so folg- 
ten im 16. Jh. mit ihren V. und Spielfiguren die Zupf-, 
Streich- und Blasinstrumente. Hier finden sich samt- 
liche spateren V. vorgebildet. Sogar zahlreiche spatere 
Kompositionsformen, wie Fantasie, Ricercar, Toccata, 
Praeludium (besonders dasjenige ohne Takteinteilung) 
und der Orgelchoral finden sich ornamental konzi- 
piert und extemporiert. Auch die ->• Variation verdankt 
dieser Art von Ornamehtik entscheidende Impulse, 
wie die englische Virginalmusik und die Geschichte der 
Chaconne oder Passacaglia beweisen. - Am Ende des 
16. Jh. widmete der Sanger G.L. Conforti in seinem 
kleinen Diminutionstraktat Breue et facile maniera d'es- 
sercitarsi . . . afar passaggi (Rom 1593) unter insgesamt 
30 Seiten mit Notenbeispielen 1 Seite verschiedenen, 
namentlich bezeichneten und ausgeschriebenen, aber 
noch nicht mit Zeichen versehenen Arten des Gruppo 
und des -» Trillo (- 2) . Zusatzlich zu diesen beiden ersten 
V. erscheinen kurz darauf in einem der mafigebenden 
Werke des um 1600 mit dem begleiteten Sologesang 
beginnenden neuen Stils, namlich in G.Caccinis Le 
nuove musiche (Florenz 1601), Ausdriicke wieEsclama- 
zione affettuosa, languida, piu viva und spiritosa fiir 
bestimmte Tonfolgen. Die einzelnen V. - spater »we- 
sentliche Manieren« genannt, im Gegensatz zu den auf 
die Diminutionstechnik zuriickgehenden »willkiirli- 
chen Veranderungen« - nahmen an Zahl, Verfeinerung 
und Verastelung bis zum Ende des 18. Jh. standig zu, 
ebenso die Vorschriften fiir ihre Anwendung. In jedem 
Lehrwerk fiir Gesang und fiir Instrumentenspiel bean- 
spruchen sie immer langere Kapitel (in C.Ph.E. Bachs 
Versuch fast die Halfte des gesamten Buches), wobei 
haufig der ->■ Vorschlag (Appoggiatura) als wichtigste 
Verzierung gesondert von den iibrigen behandelt wird. 
Die V. haben im Barock nicht mehr vorwiegend me- 
lodische, sondern in wachsendem MaBe auch harmo- 
nische und rhythmische Bedeutung. Mit dieser Verla- 
gerung der Funktionen hangt es zusammen, daB auch 
noch geraume Zeit spater die V. in ihrer iiberwiegen- 
den Mehrzahl auf den Taktschlag und unter Hervor- 
hebung ihrer harmoniefremden, dissonanzbildenden 
Nebennoten ausgefiihrt werden. Die freie, passagenar- 
tige Ausschmuckung bleibt mehr und mehr langsamen 
Satzen fiir Melodieinstrumente vorbehalten oder geht 
in ausgeschriebener Form direkt in die Komposition 
ein, wie etwa in vielen WerkenJ. S. Bachs, der mit zu- 
nehmendem Alter aus MiBtrauen gegen Fehlinterpre- 
tationen zur Ausschreibung aller Arten von Ornamen- 
ten iibergeht, wahrend im gleichen Zeitraum Fr. Cou- 
perin aus demselben Grande seine Kompositionen mit 
einem immer dichteren Netz von Verzierungszeichen 
iiberzieht, auf deren gewissenhafte Beachtung er im 
Vorwort zum 3. Buch seiner Pieces de clavecin {\722) 
nachdriicklich hinweist. (Vgl. W.Landowskas »De- 
kolorierung« des Andantes aus Bachs Italienischem 
Konzert [in: Musique ancienne, Paris 1909, 61921, NY 
1926], wodurch statt der nur 16 mit Zeichen und 
kleinen Noten angedeuteten V. iiber 150 Ornamente 



in den 49 Takten dieses Satzes sichtbar gemacht wer- 
den.) - Beriihmt wurde J. A. Scheibes Angriff auf das 
schwiilstige und verworrene Wesen Bachscher Stiicke und 
insbesondere der Vorwurf : Alle Manieren, alle kleine 
Auszierungen, und alles, was man unter der Methode zu 
spielen versteht, drucket er mit eigentlichen Noten aus . . . 
sowie J. A. Birnbaums Verteidigung gerade dieser fiir 
die damalige Zeit eigentiimlichen Schreibweise Bachs. 
- Wahrend die Komponisten im Zeitalter der Emp- 
findsamkeit sich noch zahlreicher und hochgradig 
differenzierter V. bedienten (vgl. Turk, Klavierschule 
III-V), gingen die Meister der Wiener Klassik und 
noch mehr der Romantik immer konsequenter zur 
Ausschreibung iiber, und es bleiben im 19. Jh. aus der 
Fiille der »wesentlichen Manieren« des Barocks schlieB- 
lich nur noch einige wenige Formen von Vorschlag, 
Triller und Doppelschlag iibrig, wahrend die Kunst 
der freien Ausschmuckung durch »willkurliche Veran- 
derungen« sich auf die Kadenz beschrankte. Aber auch 
diese wenigen V. andern sich hinsichtlich Funktion 
und Ausfiihrung, entsprechend der Entwicklung des 
Kompositionsstils und der Musikinstrumente. 
Die beste und umfassendste Erklarung fiir die Notwen- 
digkeit und Bedeutung der V. hat C. Ph.E. Bach in sei- 
nem Versuch gegeben (II. Hauptstiick, 1 . Abteilung, § 1) ; 
sie ist zumindest fiir den Zeitraum zwischen 1600 und 
1800 giiltig, in dem die V. ihre hochste Blutezeit hat- 
ten. Ausgehend von C.Ph.E. Bachs Definitionen lassen 
sich funktionsmaBig 3 Hauptgruppen von V. unter- 
scheiden: melodische, rhythmische und harmonische, 
wobei viele V. haufig mehr als nur eine Funktion ha- 
ben. - AuGer den einfachen V. gibt es auch zusammen- 
gesetzte V., bestehend aus 2 oder mehr Figuren, die 
ebenfalls als voneinander unabhangige, einfache V. 
existieren. Ihre Handhabung richtet sich nach einer der 
in ihr enthaltenen einfachen V. Die aus dem musikali- 
schen Zusammenhang gewonnene Erkenntnis der 
Hauptfunktion eines Ornaments ist von grundlegender 
Bedeutung fiir die richtige Art seiner Ausfiihrung. - 
Historisch gesehen lassen sich die V. in natiirlich ge- 
wachsene Gruppen mit verwandten auBeren Merkma- 
len einteilen. Die wichtigsten Verzierungsgruppen sind 
diejenigen der -> Vorschlage und der -s- Triller. Zu der 
erstgenannten gehoren auBer alien Arten langer und 
kurzer Vorschlage auch der ->• Schleifer, der Nach- 
schlag {-*■ Vorschlag) und der -> Anschlag (- 1). Zur 
Gruppe der Triller gehoren der ->• Mordent, die ->■ Be- 
bung, das -*■ Vibrato (Schwebung) der Streichinstru- 
mente und die -»• Ribattuta (Zuriickschlag). Zahlreiche 
andere V., wie der -> Doppelschlag, das -*■ Arpeggio 
sowie solche, die aus verschiedenen Arten von Durch- 
gangs- und Wechselnoten bestehen, bilden eine Grup- 
pe, deren hauptsachliches Merkmal in der Aufteilung 
einzelner lingerer Notenwerte in mehrere kiirzere be- 
steht. Die.Zugehorigkeit eines Ornaments zu einer be- 
stimmten Gruppe besagt nichts iiber seine Funktion. 
So haben z. B. die verschiedenen Formen von Vor- 
schlagen verschiedene Funktionen, wahrend Triller 
und Doppelschlag in einem bestimmten Zusammen- 
hang ahnliche Funktionen ausiiben, obwohl sie ver- 
schiedenen Gruppen angehoren. - Die Wichtigkeit der 
V. fiir eine lebendige und gleichzeitig stilgemaBe sowie 
iiberzeugende Interpretation von Musik des 17./18. Jh. 
erfordert heute nicht nur zuverlassige Ausgaben von 
Kompositionen jener Zeit, sondern vor allem eine 
griindliche Spezialausbildung. 

Ausg. : J. A. Hiller, Sechs italianische Arien verschiede- 
ner Componisten, mit d. Art sie zu singen u. zu verandern 
. . ., Lpz. 1778; A. Corelli, Sonate a violino e violone o 
cimbalo op. 5, Rom (1700), hrsg. v. J. Joachim u. Fr. Chry- 
sander, in: Les ceuvres de A. Corelli II, London (1891), fer- 
nery. B. Paumgartner, Mainz (1952); G. Ph. Telemann, 12 



1029 



Verzierungen 



methodische Sonaten f. Querfl. (V.) u. B. c, hrsg. v. M. 
Seiffert, = Mus. Werke I, Kassel 1944; H.-P. Schmitz, Die 
Kunst d. Verzierung im 1 8. Jh., Kassel 1955 ; E. T. Ferand, 
Die Improvisation, = Das Musikwerk XII, Koln (1956, 
2 1961); Ph. K. Hoffmann, Kadenzenu. Durcharbeitungd. 
langsamen Satze zu einigen v. Mozarts Klavierkonzerten, 
hrsg. v. A. H. King, London 1959. 
Lit. allgemein: Praetorius Synt. Ill, Kap. 9; M. Mer- 
senne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. 
Lesure, 3 Bde, Paris 1963; E. Loulie, Elements ou princi- 
pes de musique . . ., Paris 1696, Amsterdam 1698; M. P. 
de Monteclair, Principes de musique, Paris 1736; Mat- 
theson Capellm., II. Teil, Kap. 3 ; J. W. Callcott, A Mus. 
Grammar, 4 Teile, London 1806; E. D. Wagner, Mus. 
Ornamentik, Bin 1869; H. Germer, Die mus. Ornamen- 
tik, Lpz. 1878; E. Dannreuther, Mus. Ornamentation, 
2 Bde, London 1893-95, Nachdruck NY 1961, Auszug 
in: Bach-Jb. VI, 1909; A. Schering, Zur instr. Verzie- 
rungskunst im 18. Jh., SIMG VII, 1905/06; A. Bey- 
schlag, Die Ornamentik d. Musik, Lpz. 1908, Nachdruck 
1953; R. Lach, Studien zur Entwicklungsgesch. d. or- 
namentalen Melopoie, Lpz. 1913; A. Dolmetsch, The 
Interpretation of the Music of the 1 7 th and 1 8 th Cent., Lon- 
don (1915, 2 1944); H. J. Moser, Zur Frage d. Ausfuhrung 
d. Ornamente bei Bach, Bach-Jb. XIII, 1916; A. Moser, 
Zur Frage d. Ornamentik u. ihrer Anwendung auf Cbrellis 
op. 5, ZfMw I, 1918/19; E. Borrel, L'interprdtation de la 
musique frc., Paris 1934; H. Lungershausen, Zur instr. 
Kolorierungspraxis d. 18. Jh., ZfMw XVI, 1934; R. Fa- 
sano, Storia degli abbellimenti mus., Rom 1949; R. Steg- 
lich, Das Auszierungswesen in d. Musik W. A. Mozarts, 
Mozart-Jb. 1955; W. Georgii, Die V. in d. Musik, Zurich 
u. Freiburg i. Br. 1957 ; J. S. u. M. V. Hall, Handel's Gra- 
ces (auch deutsch), Handel- Jb. IX (= N. F. Ill), 1957; W. 
Smigelski, Zur Aesthetik d. mus. Ornaments, Diss. Bin 
1957; H.-M. Linde, Kleine Anleitung zum Verzieren alter 
Musik, Mainz (1 958) ; D. Stevens, Ornamentation in Mon- 
teverdi's Shorter Dramatic Works, Kgr.-Ber. Koln 1958; 
Symposium: Die Rolle d. improvisierten u. notierten Or- 
namentik in d. Entwicklung d. Musik, Kgr.-Ber. NY 1961, 
Bd I u. II; R. Donington, Thelnterpretation of Early Music, 
London 1963, erweitert 2 1965; A. Geoffroy-Dechaume, 
Les »secrets« de la musique ancienne, fecherches sur In- 
terpretation, XVI^-XVIIo-XVIII 6 s., Paris 1964; Fr. Neu- 
mann, A New Look at Bach's Ornamentation, ML XLVI, 
1965, dazu R. Donington, ebenda, S. 38 If. 
Vokalmusik: G. L. Conforti, Breue et facile maniera . . ., 
Rom 1593, Faks. mit deutscher Ubers. hrsg. v. J. Wolf, 
= Veroff. d. Musikbibl. P. Hirsch II, Bin 1922; G. Cacci- 
ni, Le nuove musiche, Florenz 1601 u. 6., Faks. hrsg. v. F. 
Mantica, Rom 1 930, u. hrsg. v. Fr. Vatielli, Rom 1 934, engl. 
in: O. Strunk, Source Readings in Music Hist., NY 1950; 
Chr. Bernhard, Von d. Singe-Kunst oder Manier, in: J. M. 
Miiller-Blattau, Die Kompositionslehre H. Schiitzens in d. 
Fassung seines Schiilefs Chr. Bernhard, Lpz. 1926, Kassel 
2 1963; B. de Bacilly, Remarques curieuses sur l'art de bien 
chanter, Paris 1 668, ( 3 1 679), engl. Ubers. mit Kommentar v. 
B. A. Caswell Jr., als: The Development of Seventeenth- 
Cent. French Vocal Ornamentation and Its Influence upon 
Late Baroque Ornamentation-Practice, Diss. Univ. of 
Minnesota 1964, maschr. ; M. l'Affilard, Principes tres- 
faciles ... ., Paris 1691, 21717; P. Fr. Tosi, Opinioni de' 
cantori antichi e moderni, Bologna 1723, deutsch in: J. Fr. 
Agricola, Anleitung zur Singkunst, Bin 1757, Faks. hrsg. 
v. E. R. Jacobi, Celle 1966; J.-B. Berard, L'art du chant, 
Paris 1755, engl. Ubers. mit Kommentar v. S. Murray, 
Diss. State Univ. of Iowa (in Vorbereitung); J. Lacassagne, 
Traite general des elements du chant, Paris 1 766 ; J. A. Hil- 
ler, Anweisung zum mus.-richtigen Gesange, Lpz. 1774, 
2 1798; ders., Exempelbuch d. Anweisung zum Singen, 
Lpz. 1774; ders., Anweisung zum mus.-zierlichen Gesan- 
ge, Lpz. 1780, 3 1809; G. B. Mancini, Pensieri e riflessioni 
pratiche sopra il canto figurato, Wien 1774, hrsg. v. A. 
Delia Corte, in : Canto e bel canto, Turin 1 933 ; F. Kuhlo, 
Uber melodische V. in d. Tonkunst, Diss. Bin 1896; M. 
Kuhn, Die Verzierungs-Kunst in d. Gesangs-Musik d. 1 6.- 
17. Jh., =BIMG I, 7, Lpz. 1902; H. Goldschmidt, Die 
Lehre v. d. vokalen Ornamentik I, Charlottenburg 1907; 
J. Arger, Les agrements et le rythme . . ., Paris 1917; H. 
Prunieres, De l'interpretation des agrements du chant aux 



17 e et 18" s., RM XII, 1932; K. Wichmann, Der Zierge- 
sang, Lpz. 1966. 

Klavierinstr. : Fr. T. de Santa Mar! a OP, Libro llamado 
arte de tafier fantasia . . ., Valladolid 1565, auszugsweise 
Ubers. als : Wie mit aller Vollkommenheit u. Meisterschaft 
d. Klavichord zu spielen sei, hrsg. v. E. Harich-Schneider 
u. R. Boadella, Lpz. 1937 ; G. Diruta, II Transilvano, I Ve- 
nedig 1593 u. 1625, II 1609, 21622; M. de Saint-Lambert, 
Les principes du clavecin, Paris 1702 ; Fr. Couperin, L'art 
de toucher le clavecin, Paris 1716, 2 1717, hrsg. v. M. 
Cauchie, Paris (1933) (GA), dass., Faks. mit deutscher u. 
engl. Ubers. v. A. Linde, Lpz. 1933 ; Bach Versuch ; Fr. W. 
Marpurg, Anleitung zum Clavierspielen, Bin 1755, 2 1765; 
G. S. Lohlein, Clavier-Schule, 2 Bde, Lpz. u. Ziillichau 
1765-81 ; D. G. Turk, Klavierschule, Lpz. u. Halle 1789, 
21802, Faks. hrsg. v. E. R. Jacobi, DM1 1, 23, 1962, 21967. - 
Vorw. u. Verzierungstabellen zu: J. Ch. de Chambon- 
nieres, Pieces de clavessin, Paris 1670, neu hrsg. v. P. Bru- 
nold u. A. Tessier, Paris 1925; J.-H. d'Anglebert, Pieces 
de clavecin, Paris 1689, neu hrsg. v. M. Roesgen-Cham- 
pion, = Publications de la Soc. frc. de musicologie I, 8, 
Paris 1934; H. Purcell, A Choice Collection of Lessons, 
London 1696, hrsg. v. W. B. Squire, in: GA VI, London 
1895; G. Le Roux, Pieces de clavecin, Paris 1705, neu 
hrsg. v. A. Fuller, NY 1959; Fr. Couperin, Pieces de cla- 
vecin, Paris 1713, neu hrsg. v. M. Cauchie, in: GA II, Paris 
1932; J.-Ph. Rameau, Pieces de clavecin, Paris 1706, 1724 
u. 1731, hrsg. v. E. R. Jacobi, Kassel 1958, 21960, 31966; 
Gottl. Muffat, 72 Versetl . . . f . Org., Wien 1726, hrsg. 
v. G. Adler, DTO XXIX, 2, Bd 58, Wien 1922; ders., 
Componimenti mus. per il cemb., Augsburg 1738 oder 
1739, hrsg. v. G. Adler, DTO III, 3, Bd 7, Wien 1896. -. 
J. A. Lefroid de Mereaux, Les clavecinistes de 1 637 a 1790, 
4 Bde, Paris 1867; H. Schenker, Ein Beitr. zur Ornamen- 
tik, Wien 1908; P. Brunold, Traite des signes et agre- 
ments employes par les clavecinistes frc. des 17 e et 18 e s., 
Lyon 1925 ; P. C. Aldrich, Bach's Technique of Transcrip- 
tion and Improvised Ornamentation, MQ XXXV, 1949; 
ders., Ornamentation in J. S. Bach's Organ Works, NY 
1950; A. Kreutz, Die Ornamentik in J. S. Bachs Klavier- 
werken. Beilage zur Ausg. v. J. S. Bachs Engl. Suiten, Lpz. 
(1950); R. Beer, Ornaments in Old Keyboard Music, MR 

XIII, 1952; W. Emery, Bach's Ornaments, London 1953; 
J. Holeman, The Labyrinth of Chopin Ornamentation, 
The Juillard Review V, 1958 ; E. P. Schwandt, The Orna- 
mented Clausula Diminuta in the Fitzwilliam Virginal 
Book, Diss. Stanford Univ./Calif. 1967, maschr. 
Streichinstr. : Chr. Simpson, The Division Violist, London 
1 659, als : The Division Viol. , London 2 1 667, 3 1 7 1 2, Faks. 
hrsg. v. N. Dolmetsch, London 1955; M. Marais, Premier 
livre de pieces a une et a deux violes, Paris 1 68 6; J. Rousseau, 
Trait6 de la viole, Paris 1687; Georg Muffat, Florilegium 
Secundum, Passau 1698, neu hrsg. v. H. Rietsch, = DTO 
II, 2, Bd 4, Wien 1895; Fr. Geminiani, The Art of Playing 
on the Violin, London 1751, Faks. hrsg. v. D. D. Boyden, 
London, NY u. Toronto (1952); G. Tartini. Regole per 
arrivare a saper ben suonar il violino, Ms. um 1752-56, 
frz. v. P. Denis als : Traite des agremens de la musique, Pa- 
ris 1771, mit deutscher u. engl. Ubers. sowie Faks. d. ital. 
Originaltextes hrsg. v. E. R. Jacobi, Celle (1961); Mozart 
Versuch; L'Abbe le Fils, Principes du violon, Paris 1761, 
Faks. hrsg. v. A. Wirsta, Paris 1961. 

Laute: Th. Mace, Musick's Monument, London 1676, 
Faks. u. Obertragung, I Paris 1958, II 1966; D. Gaultier, 
La rhetorique des dieux . . . , Faks. u. Ubertragung hrsg. v. 
A. Tessier, = Publications de la Soc. fr?. de musicologie I, 
6-7, Paris 1932-33; Th. Dart, Ornament Signs in Ja- 
cobean Music for Lute and Viol, The Galpin Soc. Journal 

XIV, 1961. 

Fl. : J. M. Hotteterre, Principes de la fl. traversiere . . ., 
Paris 1707, Amsterdam 1728, Faks. mit deutscher Ubers. 
hrsg. v. H. J. Hellwig, Kassel 1942, 21958; Quantz Ver- 
such; H.-M. Peter, Die Blockfl. u. ihre Spielweise in Ver- 
gangenheit u. Gegenwart, Bin 1953. ERJ 

Vesper (lat. vesperae, Abend), die vorletzte Hore des 
->- Of fiziums. Mit ihr verband sich im Laufe der Jahr- 
hunderte und in den verschiedenen Liturgiebereichen 
eine zumeist uneinheitliche Sinngebung, da sie teils als 
AbschluB des Tages (Abendgebet), teils als Einleitung 



1030 



Vibrato 



zur Vigil (dem nachtlichen Chorgebet) verstanden 
wurde. Dieser Hintergrund spiegelt sich noch heute im 
Stundengebet der Sonntage und der hoheren Festtage 
wider, welches nach lateinischem Ritus eine doppelte 
V. besitzt (Beginn des Offiziums am Vorabend mit der 

1. V., wahrend am Abend des Tages selbst eine 2. V. 
gefeiert wird). Historische Quellen und die bis zu den 
jiingsten Liturgiereformen geltenden Rubriken beto- 
nen den Vorrang der Primae vesperae, wogegen das 

2. -> Vatikanische Konzil ihre schon 1955 verordnete 
(weitgehende) Abschaff ung bestatigt und die (bisherige 
2.) V. eindeutig als das liturgische Abendlob der Kirche 
definiert (Constitutio de sacra liturgia, Artikel 89a). - Im 
Aufbau gleicht die romische V. den ->• Laudes; nur 
stehen 5 Psalmen anstelle der dort iiblichen Vierzahl 
und eines alttestamentlichen Canticum, und dem Bene- 
dicts Dominus Deus Israel entspricht das -> Magnificat 
als Hohepunkt dieser Hore. Im Unterschied hierzu 
kennt die monastische V. nur 4 Psalmen; doch enthalt 
sie zusatzlich ein Responsorium breve (nach dem Ca- 
pitulum) sowie Kyrie eleison und Pater noster vor der 
Tagesoration. Textlich, vor allem in der Auswahl der 
Psalmen, ist die V. nicht so deutlich wie die Laudes der 
Tagesstunde zugeordnet, sondern beriicksichtigt mehr 
den Charakter des jeweiligen Festes. - Als der am hau- 
figsten offentlich gefeierte Teil des Offiziums wurde 
das V.-Gebet zu einem bevorzugten Gegenstand mehr- 
stimmiger Kompositionen (denen in der Regel nur die 
Antiphonen, die Psalmen und das Magnificat zugrunde 
liegen). Aus ihrer Reihe seien Monteverdis Marien-V. 
(1610), ferner Mozarts Vesperae de Dominica, K.-V. 321 , 
und Vesperae solennes de confessore, K.-V. 339, von 1779 
und 1781 genannt. - Im evangelischen Gottesdienst, 
der von den kanonischen Horen die V. am langsten be- 
wahrte, gibt es seit mehreren Jahren Versuche zu einer 
Neubelebung dieser Gebetsstunde (Alpirsbach, Ber- 
neuchener Kreis, Taize u. a.). 

Vesperale (lat.), Auszug aus dem -> Antiphonale 
bzw. -> Brevier mit den Vespern fiir das ganze Kir- 
chenjahr oder fiir die Sonn- und Festtage, meist unter 
EinschluB der Komplet, im deutschen Sprachgebiet 
vor allem als Rbmisches Vesperbuch (lateinisch-deutsche 
Fassung) verbreitet. Das V. gehort nicht zu den -» Li- 
turgischen Biichern der romischen Kirche. 
Ausg. (in Ausw.): V. Romanum, Regensburg 1875ff. (zu- 
gleich Vorlage einer Reihe v. Diozesan-Ausg.); Vespera- 
rum Liber juxta Ritum Sacri Ordines Praedicatorum, 
letzte Auflage Rom 1900; verschiedene Ausg. d. V. Ro- 
manum bzw. d. Romischen Vesperbuchs im AnschluB an 
d. Vatikanische Antiphonale (1912), u. a. erschienen in 
Regensburg, Diisseldorf u. Tournai; Das Vesperbuch d. 
monastischen Breviers, hrsg. v. d. Erzabtei Beuron, Re- 
gensburg 1936 (lat.-deutsch, ohne Melodien); Liber Ves- 
peralis, hrsg. v. Gr. Sunyol OSB, Tournai 1939 (f. d. am- 
brosianischen Liturgiebereich). 

Vetter Michel -»- R o s a 1 i e. 

Vibraphon (von lat. vibrare, zittern), in den 1920er 
Jahren aufgekommenes Metallstabspiel, das zuerst im 
Jazz (Swing-Stil) Verwendung fand. Die bekanntesten 
Vibraphonisten sind Lionel Hampton und Milt Jackson 
(im Modern Jazz Quartet). Die aus Leichtmetall be- 
stehenden Stabe bzw. Platten sind, wie bei den ver- 
wandten Instrumenten Marimba, Metallophon und 
Glockenspiel (und teilweise beim Xylophon), klavia- 
turmafiig (Umfang f-f3) angeordnet. Unter jeder der 
mit weichen Schlageln angeschlagenen Platten befin- 
det sich ein abgestimmter Resonator in Rohrenform. 
Rotierende Klappen, die in den oberen Rohrenenden 
auf einer gemeinsamen Achse angebracht sind und 
durch eineri Elektromotor angetrieben werden, offnen 
und schlieBen die Resonatoren abwechselnd und erzeu- 



gen damit das charakteristische Vibrato (genauer: Tre- 
molo). Der Spieler kann das Vibrato dadurch difie- 
renzieren, daB er die Drehgeschwindigkeit der Klap- 
pen beschleunigt oder verlangsamt. Die Tondauer wird 
iiber eine Dampfungsvorrichtung (Pedal) reguliert. 
Der eigenartig schwebende weiche Klang lieB auch 
Komponisten wie A. Berg (Lulu, 1937), O.Messiaen 
(Trois petites liturgies, 1945), P.Boulez (Le marteau sans 
maitre, 1954) auf das V. aufmerksam werden. Milhaud 
schrieb ein Konzert fiir V. und Marimba. 

Vibrato (ital.), Bezeichnung fiir rasche Wiederho- 
lungen von Tonhohenschwankungen auf Saitenin- 
strumenten mit Griffbrett sowie, ausnahmsweise, auch 
auf Blasinstrumenten, im Unterschied zu ->■ Tremo- 
lo (- 4), der Bezeichnung fiir rasche Intensitatsschwan- 
kungen ohne Tonhohenveranderung. In der Praxis 
werden beide Begriff e haufig miteinander verwechselt. 
Die -> Bebung auf dem Clavichord besteht aus einer 
Vereinigung von V. und Tremolo. - Als Verzierung an 
geeigneten Stellen und mit besonderen Zeichen wurde 
das V. bereits im Barock verwendet; dagegen wird es 
als Hilfsmittel fiir normale Tonerzeugung auf Streich- 
instrumenten erst seit wenigen Jahrzehnten benutzt, 
nachdem noch zu Beginn des 20. Jh. J.Joachim in sei- 
ner Violinschule (1905) das V. als besondere Aus- 
schmiickung unter ausdriicklicher Berufung auf L. 
Spohr gelehrt hatte, der seinerseits in diesem Punkt 
noch vollig die Anschauung des 18. Jh. vertrat. Erst C. 
Flesch nimmt in seiner Kunst des Violinspiels (1923-28) 
eine nachgiebigere Haltung gegeniiber der standigen 
Verwendung des V.s ein, doch empfiehlt er eine dem 
jeweiligen Ausdrucksgehalt entsprechende Differen- 
zierung der Ausfiihrung. - Im 17. Jh. werden fiir die 
Laute und die Viola da gamba 2 Arten des V.s beschrie- 
ben : mit einem Finger, ahnlich der heutigen Ausfiih- 
rung, und mit 2 Fingern, wobei der eine Finger die 
Saite fest greift, wahrend der andere die Saite dicht da- 
neben rasch und leicht beriihrt (Beispiel aus J. Play- 
ford 1645) : 



Altere Bezeichnungen fiir das Einfinger-V. : frz. verre 
casse (Laute), langueur und plainte (Gambe); engl.: 
sting (Laute); fiir das Zweifinger-V. : frz. battement, 
pince, flattement; engl. close shake (spater, z. B. bei 
Geminiani, fiir V. schlechthin) ; frz. ferner auch: flatte, 
balancement, tremblement, tremblement serre ; ital. : 
tremolo, ondeggiamento. - Tartini und nach ihm L. 
Mozart (1756) unterscheiden zwischen einem regel- 
maBig langsamen, einem regelmaBig schnellen und ei- 
nem sich allmahlich beschleunigenden V., das von bei- 
den Tremolo genannt und mit den gleichen Zeichen 
angedeutet wird : 



' Tremolio tardo, 
ma eguale 



veloce, 
ma eguale 



gradi, die passan 
dal tardo al veloce 



In derselben Weise und mit den gleichen Zeichen lehrt 
noch L. Spohr in seiner Violinschule (1832) das von ihm 
»Bebung« genannte V. als eine »Ausschmiickung«, wo- 
bei er die drei von Tartini und L. Mozart dargestellten 
Formen durch diejenige der »langsamerwerdenden« Be- 
bung ««wwv erganzt. - Beim Gesang wird dem (leich- 
ter ausf iihrbaren) V. mit seinen Tonhohenschwankun- 
gen das -*■ Tremolo (- 4) mit seinen Intensitatsschwan- 
kungen vorgezogen, um den Ton warmer und leben- 
diger zu machen; so wurde es bereits von Monteclair 
in der 1. Halfte des 18. Jh. unter dem Namen »Flate« 
definiert und empfohlen. - Bei Blasinstrumenten wur- 



1031 



Vicenza 



de das V. audi durch leichtes Auf- und Abdecken eines 
Grifflochs (flattement, battement) ausgefiihrt. ERJ/BB 

Vicenza. 

Lit.: A. Alvera, I vicentini distinti nella musica, V. 1827; 

F. Formenton, Storia del Teatro Eretemio di V., V. 1868; 

G. Mocenigo, I teatri moderni di V. dal 1650 al 1800 .. ., 
Bassano 1894; G. Mantese, La cappella mus. del duorao 
di V., Note d'arch. XIX, 1942; ders., Storia mus. vicentina, 
V. 1956; L. Schrade, La reprdsentation d'Edipo Tiranno 
. . ., Paris 1960; A. Gallo u. G. Mantese, Ricerche sulle 
origini della cappella mus. del duomo di V., = Civilta ve- 
nezianaXV, Venedig(1964). 

Victim ae paschali laudes (lat.), die Ostersequenz 
der romisch-katholischen MeBfeier. Ihre heute iibliche 
Verwendung an alien Tagen der Osterwoche entspricht 
den Vorschriften im Missale Pius' V. Nach Ms. 366 der 
Stiftsbibliothek Einsiedeln (Ende 11. Jh., Faks. bei 
Schubiger, Ta£el VIII) stammt die Sequenz von Wipo, 
dem Hofkaplan Konrads II. und Heinrichs III. Ob 
Wipo auch als Schopfer der Melodie angesehen werden 
darf, ist ungewiB. Urspriinglich aus einer Einleitungs- 
strophe und 3 Doppelstrophen bestehend, wurde der 
Text 1570 um den Passus Credendum est magis soli / Ma- 
rine veraci, / quamjudaeorum / turbaefallaci (= Strophe 6) 
gekiirzt, so daB der regelmaBige Aufbau des Stiickes 
verlorenging. Das V. p. 1. umfaBt 2 inhaltlich und for- 
mal eigenstandige Teile, wobei in den Strophen 1-3 
(Erlauterung des Ostergeheimnisses) ausschlieBlich die 
Assonanz, in den Strophen 4-7 (Dialog zwischen Ge- 
meinde und Maria Magdalena mit nachf olgendem Lob- 
preis) hingegen der Reim angewendet wird. Schon im 
12./13.Jh. rand die Sequenz (vorallemTeilll: Die nobis, 
Maria . . .) Eingang in das liturgische und auBerlitur- 
gische Osterdrama, dessen weitere Entwicklung sie 
entscheidend beeinfluBte. Von ihrer ungewohnlichen 
Ausstrahlungskraft zeugen auch zahlreiche Nachdich- 
tungen seit der Zeit um 1 100, darunter mehrere Marien- 
sequenzen mit dem Textbeginn Virgini Mariae laudes 
(Analecta hymnica LIV, siehe darin auch S. 24, 39f., 72, 
77 und 112) und als Kuriosum aus dem 16. Jh. die ge- 
gen Luther gerichtete Sequenz Pessimas Lutheri fraudes 
(Univ.-Bibl. Basel, Ms. ANII46; Text bei Handschin). 
Die im Bereich des 1 . und 2. Kirchentons verlaufende, 
weitgespannte Melodie der Ostersequenz zeigt einen 
sehr starken inneren Zusammenhang der Versikel und 
Abschnitte, wodurch sie sich im Unterschied zum Text 
als einheitlich konzipiertes Gebilde erweist. Einige ihrer 
Versikel bilden melodisch die Grundlage der mittel- 
alterlichen Leise Christ ist erstanden. Letztere wurde, 
auch im lutherischen Gottesdienst, haufig als Zwischen- 
gesang der Gemeinde strophenweise in die vom Chor 
gesungene Sequenz eingeschoben (vgl. auch die Pro- 
sa de Resurrectione der 1 . Ostermesse von Johannes Galli- 
culus, 1539). 

Ausg. : W. Baumker, Das kajji. deutsche Kirchenlied in 
seinen Singweisen ... I, Freiburg i. Br. 2 1886, Nachdruck 
Hildesheim 1962; Analecta hymnica medii aevi LIV, hrsg. 
v. Cl. Blume SJ u. H. M. Bannister, Lpz. 1915 (vollstan- 
digerTextd. V. p.l.). 

Lit.: A. Schubiger OSB, Die Sangerschule St. Gallens v. 
8. bis 12. Jh., Einsiedeln u. NY 1858, Nachdruck Hildes- 
heim 1966; E. de Coussemaker, Drames liturgiques du 
moyen-age, Rennes u. Paris 1860; J. Handschin, Gesun- 
gene Apologetik, in: Miscellanea liturgica in honorem L. 
C. Mohlberg II, = Bibl. »Ephemerides Liturgicae« XXIII, 
Rom 1949, auch in: Gedenkschrift J. Handschin, Bern u. 
Stuttgart 1957; K. Young, The Drama of the Medieval 
Church I, Oxford 21951 ; Leiturgia. Hdb. d. ev. Gottes- 
dienstes, hrsg. v. K. F. Muller u. W. Blankenburg, Bd 
IV: Die Musik d. ev. Gottesdienstes, Kassel 1961. KWG 

Vide (lat.), siehe ; Verweisungszeichen bei Kiirzungen 
oder Varianten, in Partitur und Stimmen, wo ein 



Sprung (Strich) gemacht werden soil oder kann. Vi- 
steht dann zu Anf ang und -de zu Ende der auszulassen- 
den S telle. 

Viella (mittellat.) ->■ Fiedel (- 1). 

Vielle (vjel, frz.) -*■ Viola (- 1), -> Drehleier. 

Vierhebigkeit. Die Folge von 4 Hebungen (bei wech- 
selnder Zahl von Senkungen) wurde von K. Lachmann 
und W.Mullenhoff als Grundform aller deutschen 
Kurzzeilen bis um 1600 festgestellt. In der Erforschung 
des alteren deutschen 1st. Liedes wurde um 1900 die V. 
in Verbindung gebracht mit der modernen Lehre vom 
Taktmetrum und von der 8taktigen -> Periode. Da ei- 
ne mensurale Deutung der originalen Notation nicht 
moglich ist, wurde die vierhebige Zeile als Gruppe von 
4 Zweiertakten (Runge, Saran und Bernoulli) oder 
2 e-Takten (H. Riemann) iibertragen. Bedenkliche Kon- 
sequenzen dieser Methode sind die genaue rhythmi- 
sche Messung, die gleiche Abstande zwischen den He- 
bungen voraussetzt, die oft inkonsequente Behandlung 
der Melismen und vor allem die Tatsache, daB die 
Grundform der V. an Stellen, wo der Dichter von ihr 
abgeht, durch die musikalische Ubertragung wieder- 
hergestellt wird (z. B. durch Dehnung einer dreihebi- 
gen Zeile auf 4 oder 2 Takte), ohne daB Verlauf oder 
Notation der Melodie einen Anhaltspunkt hierfur bo- 
ten. Durch A. Heusler fand dann die Gleichsetzung von 
Versgliederung und musikalischer Metrik im Sinne des 
modernen Taktsystems auch in die germanistische Vers- 
lehre Eingang. H. Riemann sah V. und Viertaktigkeit 
auch iiber den Bereich der altdeutschen Dichtung hin- 
aus als normative Grundform verschiedener Versarten 
(z. B. des Hexameters) an und legte diese Anschauung 
seiner Deutung der rhythmischen Verhaltnisse in den 
Liedern der Trobadors und Trouveres sowie im gre- 
gorianischen Choral zugrunde. 

Lit. : Die Sangesweisen d. Colmarer Hs. . . . , hrsg. v. P. 
Runge, Lpz. 1896, S. XVIff.; Die Jenaer Liederhs., hrsg. 
v. G. Holz, Fr. Saran u. E. Bernoulli, 2 Bde, Lpz. 1901 ; 
H. Riemann, Hdb. d. Mg. I, 2, Lpz. 1905; A. Heusler, 
Deutsche Versgesch., 3 Bde, in : GruhdriB d. germanischen 
Philologie VIII, 1-3, hrsg. v. H. Paul, Bin u. Lpz. 1925-29, 
Bin 21956; U. Pretzel u. H. Thomas, Deutsche Verskunst, 
in: Deutsche Philologie im AufriB III, hrsg. v. W. Stamm- 
ler, Bin (1957, 2 1962); B. Kippenberg, Der Rhythmus im 
Minnesang, = Miinchener Texte u. Untersuchungen zur 
deutschen Lit. d. MA III, Miinchen 1962; E. Jammers, 
Ausgew. Melodien d. Minnesangs, = Altdeutsche Text- 
bibl., Erganzungsreihe I, Tubingen 1963. 

Viertelnote (ital. semiminima; frz. noire; engl. crot- 
chet; in den USA auch quarter note): J; Pause (frz. 
soupir) : \ (bis um 1900 auch: ?). 

Vierteltonmusik wurde zuerst von J.H.Foulds 1898 
in einem Streichquartett praktisch verwendet. R.H. 
-> Stein, -> Moellendorff und -»• Mager folgten zwi- 
schen 1906 und 1917 mit Kompositionen, theoretischen 
Schriften und dem Bau von bichromatischen Tasten- 
und Blasinstrumenten. Sie forderten die Einfuhrung 
der Vierteltone zur klanglichen Bereicherung, woge- 
gen Busoni und A. -*■ Haba durch die mehrfache Tei- 
lung des Ganztones eine Vermehrung der Letter- und 
Melodiemoglichkeiten in einer starker linear gedach- 
ten Musik erzielen wollten. Haba beruft sich dabei auf 
die slowakische Volksmusik und tritt seit 1919 durch 
Kompositionen (Kammer- und Chormusik, Oper Die 
Mutter, 1930), Schriften und Lehrtatigkeit sowie mit 
dem Bau von Tasten-, Bias- und Zupfinstrumenten 
fur gleichschwebend temperierte Drittel-, Viertel-, 
Sechstel- und Zwolfteltonsysteme ein; Vierteltonkla- 
viere und -fliigel baute er mit der Firma A. Forster. Mit 
V. beschaftigten sich nach 1920 auch G.N.Rimskij- 



1032 



Villancico 



Korsakow in Leningrad, I. Wyschnegradskij in Paris 
und J. Carillo in New York. L. Nono verwendet in Sul 
ponte di Hiroshima (fur Chor und Orch.* 1962) Viertel- 
tone nur im Akkord (Blechblaser und Streicher), nicht 
melodisch. - 1920 hat Bartok prophezeit (Melos I): 
Die Zeit der Weiterteilung des halben Tons (vielleicht ins 
Unendliche?) wird jedenjalls kommcn, wenn auch nicht in 
unseren Tagen, sondern in Jahrzehnten und Jahrhunderten. 
Lit. : F. Busoni, Entwurf einer neuen Asthetik d. Tonkunst, 
Triest 1907, Lpz. 21916, Nachdruck Wiesbaden 1954; J. 
Mager, V., Aschaffenburg 1916; W. v. Moellendorff, 
Musik mit Vierteltonen, Lpz. 1917; A. Haba, Harmo- 
nische Grundlagen d. Vierteltonsystems, Prag 1922; 
ders., Neue Harmonielehre, Lpz. 1927; L. Kallenbach- 
Greller, Die hist. Grundlagen d. Vierteltone, AfMw 
VIII, 1926. 

Vierundsechzigstelnote (ital. semibiscroma ; frz. 
quadruple croche; engl. hemidemisemiquaver; in den 
USA auch sixtyfourth note) : J^ ; Pause (frz. seizieme 
de soupir) : $ . 

Vietnam -*■ Hinterindien. 

Vihuela (bifl'ela, span.; -> Viola - 1), in Spanien Be- 
zeichnung fur verschiedene Saiteninstrumente : im 13.- 
15. Jh. als V. de arco fur die Fiedel, im 16. Jh. fur die 
Viola da gamba; bis ins 15. Jh. als V. de penola fur die 
Chitarra battente; heute regional f iir die Gitarre. - Die V. 
de mano ist das spanische Zupfinstrument der Kunst- 
musik des 16./17. Jh. Sie hatte dort dieselbe Bedeutung 
wie die Laute in Deutschland und Frankreich, die in 
Spanien (als V. de flandes) nicht im gleichen MaBe ver- 
breitet war. Die V. de mano ist ihrem Bau nach der 
Gitarre gleich; sie unterscheidet sich von ihr durch die 
groBere Anzahl der Saiten (5-7 gegeniiber 4 der Gi- 
tarre jener Zeit), durch das Repertoire und die Spiel- 
technik. Das Repertoire, fiir eine oder 2 V.s de mano, 
auch fiir V. de mano und Gesang, enthalt 2-5st. Inta- 
volierungen liturgischer Satze, von Motetten, Faux- 
bourdons, Madrigalen, Villanesken, Chansons, Fan- 
tasias und ->■ Tientos, auBerdem -> Glosas und -> Di- 
ferencias (iiber Tanze und populare Romanzenmelo- 
dien), notiert in Griffschrift (Tabulatur) mit Ziffern 
(cifras) auf 6 Linien, die den Saiten der V. entsprechen 
(z. B. G c f a di gi). Die bedeutendsten Meister der V. 
de mano waren L.Milan, L. de Narvaez, A.Mudarra, 
E. de Valderrabano, D.Pisador, M. de Fuenllana, Ve- 
negas de Henestrosa, T. de Santa Maria, E.Daza und 
A. de Cabezon. Einige der Vihuelisten sind bedeutsam 
fiir die Uberlieferung der -*■ Romanze. Gegen Ende 
des 16. Jh. gab die V. de mano ihre hervorragende Stel- 
lung in der Instrumentalmusik Spaniens an die Tasten- 
instrumente und die Viola da gamba ab; gleichzeitig 
begann, zunachst in Spanien, die Bliite der Musik fiir 
->■ Gitarre. 

Ausg.: G. Morphy, Les luthistes espagnols du XVI e s., 
2 Bde, Lpz. 1902; L. Milan, Libro de musica de v. de ma- 
no, hrsg. v. L. Schrade, = PaM II, Lpz. 1927; E. M. Tor- 
ner, Coleccion de vihuelistas espafioles del s. XVI, 2 H., 
Madrid 1923; L. Venegas de Henestrosa, Libro de cifra 
nueva . . ., = MMEsp II, Barcelona 1 944, 2 1965;L. deNar- 
vaez, Los seys libros . . . , ebenda III, 1945; A. Mudarra, 
Tres libros ..., ebenda VII, 1949; E. de ValderrAbano, 
Libro de musica . . . , ebenda XXII-XXIII, 1965. 
Lit.: J. Bermudo, Declaration deinstr. mus., (Osuna) 1555, 
Faks. hrsg. v. M. S. Kastner, =DM1 I, 11, 1957; J. Br. 
Trend, L. Milan and the Vihuelistas, = Hispanic Notes 
and Monographs XI, London 1925; L. Schrade, Das 
Problem d. Lautentabulatur-Ubertragung, ZfMw XIV, 
1931/32; W. Apel, Early Span. Music for Lute and Key- 
board Instr., MQ XX, 1934; J. Bal, Fuenllana and the 
Transcription of Span. Lute Music, AMI XI, 1939; E. Pu- 
jol ViLLARUBf, Les ressources instr. et leur role dans la 
musique pour v. et pour guitare au XVI e et au XVH e s., in : 
La musique instr. de la Renaissance, hrsg. v. J. Jacquot, 



Paris 1 955 ; D. Devoto, Poesie et musique dans l'ceuvre des 
vihuelistes, Ann. Mus. IV, 1956; D. Poulton, Notes on 
Some Differences Between the Lute and the V. and Their 
Music, The Consort XVI, 1959. 

Villancico (biXanG'iko, span., von villano, Bauer), 
eine poetisch-musikalische Form in Spanien, die wahr- 
scheirilich auf eine der mittelalterlichen Refrainformen 
(Virelai, Ballade) zuriickgeht. Die ursprunglich welt- 
lichen vulgarsprachlichen V.s gehorten wegen ihres 
stilisierten volkstiimlichen Inhalts trotz einfachster, 
meist drei- bis vierstimmig homophoner Satzweise zu 
den beliebtesten musikalischen Formen der spanischen 
Renaissancezeit. Das umfangreiche V.-Repertoire ist in 
mehreren -> Cancioneros teilweise anonym iiberliefert. 
Die Sammelhandschrift Cancionero musical de Palacio 
(1500) enthalt 400 V.s, darunter etwa 70 Kompositio- 
nen von Encina, dessen V.s als reprasentativ fiir die 
Form angesehen werden. Obwohl gerade in jenem 
Cancionero der Titel V. mehrdeutig und offenbar nur 
zur Abgrenzung gegen die Romance (->• Romanze) 
gebraucht wird, kann doch ein klassischer V.-Typus 
festgestellt werden, dessen Wesensmerkmal in einer 
formalen Inkongruenz von textlichem und musikali- 
schem Aufbau begriindet liegt. Einer refrainartigen 
Einleitung von 2-4 Zeilen (estribillo, gelegentlich auch 
selbst v. genannt) folgt die Strophe (copla), bestehend 
aus einer mehrzeiligen Mudanza mit eigener Melodie 
und einer Vuelta. Letztere ubernimmt die Melodie des 
Estribillo, stimmt aber erst in ihrem zweiten Teil in 
dessen Text mit ein: 
«p yy a(3 a(3 T Be Se 8£y 

oder erweitert etwa: 
aA bb bA aBB cd cd dBB 

Nur in alteren V.s fallen Estribillo und Vuelta refrain- 
artig zusammen. - AuBer dem mehrstimmig vokalen 
V. gibt es in den Drucken von Musik fiir Vihuela des 
16. Jh. auch V.s in der Form von Sololiedern mit In- 
strumentalbegleitung. Bekannte V.-Melodien dienten 
zudem haufig als Thema fiir Variationen auf der Vi- 
huela. - Neben den weltlichen V.s, die gelegentlich 
auch am SchluB von dramatischen Werken gesungen 
und getanzt wurden, gab es schon friih eine bedeuten- 
de Tradition von geistlichen V.s. Ihre Beliebtheit fiihr- 
te trotz koniglichen Verbots (1596) zur Einfuhrung in 
die lateinische Liturgie. Bis ins 18. Jh. wurden an hohen 
Kirchenfesten, besonders zu Weihnachten, religiose 
V.s mit vulgarsprachlichem Text zwischen den Re- 
sponsorien der Matutin, manchmal auch anstelle des 
Offertoriums vorgetragen. - Im 17. bis 18. Jh. war V. 
die spanische Bezeichnung fiir die geistlichen Kantaten, 
die alljahrlich an kirchlichen Hochfesten aufgefiihrt 
wurden. Diese meist mehr musikalisch als textlich 
hochstehenden Werke bestehen gewohnlich aus einer 
kurzen Einleitung fiir Solostimme, einem groB ange- 
legten 6- bis 12st. Chorsatz mit Instrumenten (estri- 
billo) und mehreren solistischen Stiicken mit General- 
baB (copla). Am SchluB folgt eine Wiederholung des 
Estribillo. - Heute ist V. die spanische Bezeichnung fiir 
volkstumliche Weihnachtslieder, die teilweise auch 
mit Instrumenten begleitet werden. 
Ausg.: MMEsp III (L. de Narvaez), IV (J. Vasquez), V, X 
(Cancionero mus. de Palacio), VII (A. Mudarra), VIII, IX 
(Cancionero mus. de la Casa Medinaceli), XVI, XIX (Fr. 
Guerrero), Barcelona 1945-57; G. Morphy, Les luthistes 
espagnols du XVI e s., 2 Bde, Lpz. 1902. 
Lit. : A. Geiger, Bausteine zur Gesch. d. iberischen Vulgar- 
V., ZfMw IV, 1921/22; H. Angles, Die span. Liedkunst 
im 15.u. am Anfangd. 16. Jh.,Fs. Th.Kroyer, Regensburg 
1933 ; St. Amour, A Study of the V. up to Lope de Vega, 
Washington 1940; I. Pope, The Mus. Development and 
Form of the Span. V., PAMS 1940, hrsg. v. G. Reese, Rich- 
mond (Va.) 1946; dies., El v. polifonico, in: Cancionero de 



1033 



Villanella 



Upsala, hrsg. v. J. Bal y Gay, Mexico O. F. 1944; dies., Mus. 
and Metrical Form of the V., Ann. Mus. II, 1954; P. Le 
Gentil, Le virelai e le v., Lissabon 1953; G. Reese, Music 
in the Renaissance, NY (1954), 21959; D. Devoto, Poesie 
et musique dans l'oeuvre des vihuelistes, Ann. Mus. IV, 
1956; R. M. Stevenson, Span. Music in the Age of Co- 
lumbus, Den Haag 1960. NJ 

Villanella (ital. , von villano, Bauer, auch villanesca 
canzone villanescha, canzone alia Napolitana), im 16. 
Jh. eine der volkstiimlichen mehrstimmigen Liedfor- 
men Italiens, die wahrscheinlich aus der Tanztradition 
des 15. Jh. hervorgegangen sind. Die V. ist urspriing- 
lich ein Strophenlied vorwiegend aus 11- oder 7Silb- 
lern mit dem Reimschema des Strambotto, welches 
durch einen beliebig langen Refrain erweitert wird 
(abRabRabRccR). Der dreistimmige homophone 
Satz zeichnet sich durch rhythmisch syllabische Text- 
deklamation und klare, von Kadenzen bekraftigte Zei- 
lengliederung aus. Innerhalb der 3teiligen Form kon- 
nen einzelne Zeilen ganz oder teilweise wiederholt 
werden (meist A A B C C). Textlich und musikalisch 
macht sich eine Starke Tendenz zur Parodie auf die nie- 
deren Stande bemerkbar, was die V. trotz ihrer volks- 
tiimlichen Gestaltung als eine stilisierte Form der italie- 
nischen Kunstmusik des 16. Jh. ausweist. Zu ihren mu- 
sikalischen Merkmalen gehort auBer haufigem Neben- 
einander von niedriger und hoher Stilebene, relativ ein- 
f acher Harmonik und volksliedhaf ter Melodik vor allem 
die Verwendung der schon von Praetorius (Synt. HI, S. 
20f.) als typisch erkannten Quintenparallelen, die wohl 
als Nachahmung eines in der Volksmusik gebrauchlichen 
Singens anzusehen sind (->- quintieren - 1). - Nach dem 
Erscheinen der ersten gedruckten Sammlungen in Vene- 
dig (anon. 1537;Nolal541;T.Cimello 1545; G.T.Maio 
1546) verbreitete sich die urspriinglich in Neapel behei- 
matete V. rasch in ganz Italien und wurde bald eine der 
beliebtesten Gattungen unter den italienischen Dialekt- 
liedern. Schon in der aufgelockerten Stimmfuhrung 
der 4st. Villanellen von Willaert (1545) und Perissone 
Cambio (1545) zeigen sich jedoch Ansatze zu einer 
fortschreitenden Angleichung an das Madrigal, die bei 
A. Barges (1550), Donato (1551), Lassus (1555, 1581- 
82), Scandello (1566) hervortritt und gegen Ende des 
16. Jh. zur Herausbildung der Kanzonette fiihrte. Die 
Villanellen Marenzios (1586-87), dem Kanzonetten- 
typus zugehorig, weisen mit ihrem von der Harmonik 
her bestimmten AuBenstimmengeriist schon auf die 
kommende Monodie voraus. Der bei den deutschen 
Komponisten der Zeit beliebte Titelzusatz nach der Art 
der welschen Villanellen (J.Regnart 1576-79, ahnlich 
Schein 1621), der im wesentlichen die Kunstlosigkeit 
der Kompositionen hervorheben sollte, macht den weit- 
verbreiteten EinfluB der V. deutlich. Noch in Tele- 
manns Suite in D dur (Nr 5 der Ouvertures, 1736) heiBt 
V. ein tanzartiger Satz im 6/8-Takt. - In der franzosi- 
schen Literatur des 16. Jh. entstand unter italienischem 
EinfluB eine Anzahl von Villanelle genannten Strophen- 
gedichten mit ein- oder 2zeiligem Refrain (du Bellay, 
Desportes). Zu einer festen lyrischen Form in Frank- 
reich wurde die Villanelle dann im 19. Jh. durch die 
Ubernahme des Reimschemas von Passerats Villanelle 
J'ay perdu ma tourterelle (AibA 2 abAi abA 2 . . . 
abAi A 2 ). Gelegentlich wurden diese Gedichte als So- 
lolieder vertont (Berlioz, Reber, Masse, Saint-Saens). 
Ausg. : J. Regnart, Deutsche 3st. Lieder, hrsg. v. R. Eit- 
ner, = PGf M XIX, Lpz. 1894 (darin auch Lechners 5st. 
Bearb. v. Regnarts V.) ; J. H. Schein, GA Bd II, hrsg. v. A. 
Prufer, Lpz. 1904; O. de Lassus, GA Bd X, hrsg. v. A. 
Sandberger, Lpz. (1910); L. Marenzio, 10 V., hrsg. v. H. 
Engel, Kassel 1928; Volkstiimliche ital. Lieder, hrsg. v. E. 
Hertzmann, = Chw. VIII, 1930; Pubblicazioni dell'Isti- 
tuto ital. per la storia della musica I, 1, Rom 1941. 

1034 



Lit. : M. Menghini, Le v. alia napolitana, Zs. f. romanische 
Philologie XVI, 1892 - XVII, 1893; A. Sandberger, R. 
Lassus' Beziehungen zur ital. Lit., SIMG V, 1903/04, auch 
in: Ausgew. Aufsatze zur Mg. I, Miinchen 1921, revidiert 
NY 1948; A. Einstein, Die Parodie in d. V., ZfMw II, 
191 9/20 ; ders., The Ital. Madrigal, 3 Bde, Princeton (N. J.) 
1949; G. M. Monti, Le v. alia napolitana e l'antica lirica 
dialettale a Napoli, Citta di Castello 1925; H. Engel, Ma- 
drigal u. V., Neuphilologische Monatsschrift XVII, 1929; 
E. Hertzmann, A. Willaert in d. weltlichen Vokalmusik 
seiner Zeit, = Slg mw. Einzeldarstellungen XV, Lpz. 1931 ; 
W. Scheer, Die Fruhgesch. d. V., Diss. Koln 1936; E. 
(Gerson-)Kiwi, Studien zur Gesch. d. ital. Liedmadrigals 
im 16. Jh., Wiirzburg 1938 ; dies., Sulla genesi delle canzoni 
popolari nel '500, in : In memoriam J. Handschin, StraB- 
burg 1962; F. Nicolini, Lav. napoletana, RMI LIV, 1952; 
G. Reese, Music in the Renaissance, NY (1954), 21959; 
W. Boetticher, O. di Lasso u. seine Zeit I, Kassel 1958. 

NJ 
Villotta (von ital. villa, ->• Villanella), im 16. Jh. vier- 
stimmige, durchkomponierte Tanzlieder norditalieni- 
schen Ursprungs (erster Beleg 1535). Die V. hat keine 
feste literarische Form; doch eines ihrer haufigsten 
Merkmale, besonders in den Sammlungen von Azzaiolo 
und Primavera, ist die Gegenuberstellung von gerad- 
und ungeradtaktigen Abschnitten. Bald nach 1540 ver- 
lor der Begriff V. die ihm eigentiimliche Bedeutung 
und wurde schlieBlich mit dem der Villanella aus- 
tauschbar. Eine dem -> Quodlibet vergleichbare Er- 
scheinung bildet die V. mit Aneinanderreihung von 
Bruchstiicken verschiedener Texte, auch von Text- 
und Melodiezitaten (Incatenatura da V.; vgl. Torre- 
franca und Beccherini). - V. bezeichnet auBerdem in 
eingeengter Bedeutung das tanzmaBige Volkslied Ve- 
nedigs, das meist mit dem Nio, einem achttaktigen, 
instrumental begleiteten Refrain gesungen wurde. 
Lit.: C. Somborn, Das venezianische Volkslied: die V., 
Heidelberg 1901 ; H. Springer, V. u. Nio, Fs. R. v. Lilien- 
cron, Lpz. 1910; E. Hertzmann, A. Wiliaert in d. weltli- 
chen Vokalmusik seiner Zeit, Lpz. 1931 ; E. (Gerson-)Ki- 
wi, Studien zur Gesch. d. ital. Liedmadrigais im 16. Jh., 
Wurzburg 1938; F. Torrefranca, II segreto del quattro- 
cento, Mailandl939;A. Einstein, The Ital. Madrigal, 3 Bde, 
Princeton (N. J.) 1949; B. Becherini, Tre Incatenature dei 
Cod. Fiorentino Magi. XIX 164-65-66-67, CHM I, 1953; 
G. Reese, Music in the Renaissance, NY (1954), 21959. 

Vina (indisch), zunachst (in den vedischen Schriften) 
Bezeichnung fiir Saiteninstrument iiberhaupt, neuin- 
disch Name fiir die seit dem 7. Jh. ikonographisch be- 
legte Rohrenzither. Den Bildbelegen nach hatte die 
V. zuerst eine Kalebasse als Resonator und wahrschein- 
lich nur eine Saite. Die V. wurde zunachst nur von 
Mannern gespielt; seit dem 9. Jh. traten auch Frauen 
als Spielerinnen auf. Das Instrument hatte seitdem in 
der Regel je eine Kalebasse an jedemEnde der Rohre. 
Es wurde iiber die Schulter oder vor der Brust gehal- 
ten. Die V. der Neuzeit hat 3-5 Metallsaiten, die iiber 
stegartige Biinde zu den seitenstandigen Wirbeln lau- 
fen; hinzu konnen freie Saiten kommen. Die siidindi- 
sche V. ist reicher ausgestattet und hat auch technisch 
neue Elemente aufgenommen; so ist eine der beiden 
Kalebassen durch ein gebauchtes Corpus aus Holz er- 
setzt, die zweite schrumpft dabei zum Zierat zusam- 
men, und es erscheint ein moderner Wirbelkasten. Die 
V. wird von Virtuosen gespielt; die Saiten werden mit 
den Fingernageln oder einem Plektron gezupft. 
Lit.: C. Sachs, Die Musikinstr. Indiens u. Indonesiens, 
Bin 1915, 21923, Nachdruckd. 1. Auflage Hilversum 1967; 
Cl. Marcel-Dubois, Les instr. de musique de l'lnde an- 
cienne, Paris 1941. 

Viola. - 1) Die romanischen Bezeichnungen fiir das 
mittelalterliche Saiteninstrument mit Bogen: viola 
(ital., katalanisch, port.), viula (altkatalanisch), viele 



Viola alta 



oder vielle, viole (altfrz.) mid -> vihuela (span.), gehen 
alle auf das altprovenzalische viola zuriick, das von 
Corominas (1957) als eine postverbale (von viular) 
onomatopoetische Bildung erklart wird und sich in die 
Reihe der mit vi anlautenden galloromanischen schall- 
nachahmenden Worter einfiigt. Altere etymologische 
Herleitungen wie aus vitulari (lat., frohlocken), fidula 
(ahd.) oder von vivula (lat.) werden nur noch mit Zu- 
riickhaltung erwahnt. Die mittellateinischen Bezeich- 
nungen vitula (belegt Ende des 12. Jh. in England, bei 
Joffroi de Vinsauf Ende des 12. Jh. in Frankreich, bei 
Ugotio und J. de Janua um 1200 in Italien) sowie viella 
sind demnach als Latinisierungen des romanischen Wor- 
tes anzusehen. Die germanische Wortgruppe Fiedel 
(ahd. fidula, neuhochdeutsch Fiedel, angelsachsisch fi- 
dele, altnordisch fidla) ist entweder als eine unabhangig 
vom Romanischen gleichfalls onomatopoetische Bil- 
dung zu erklaren oder aber aus dem Romanischen ent- 
lehnt. Eine Ableitung des Wortes Fiedel aus asiatischen 
Sprachen versuchte C. Sachs. - Viola ist der Sammel- 
name der im Abendland seit dem 16. Jh. in verschiede- 
nen Formen und Stimmlagen verbreiteten Streich- 
instrumente, deren einzelne Bezeichnungen durch Ab- 
wandlungen oder durch bestimmende Zusatze aus dem 
Sammelnamen gewonnen werden. Im friihen 16. Jh. 
treten ungefahr gleichzeitig zwei durch je eigene Merk- 
male unterschiedene Familien hervor, die (nach schwan- 
kender Terminologie im 16. Jh.) nach der bevorzugten 
Spielhaltung unterschieden werden in die mit Knie-(da 
gamba-)Haltung gespielte Familie der -> Viola da 
gamba (- 1 ; Violen im engeren Sinne) und die in Arm- 
ada braccio-)Haltung gespielte Familie der -> Viola da 
braccio (die Familie der Geigen). Die Instrumente der 
Viola da braccio-Form werden in der neueren Literatur 
auch unter dem Begriff der Violinfamilie zusammen- 
gefaBt, die Instrumente der Viola da gamba-Form un- 
ter dem der Gambenfamilie. - Nahe verwandt sind den 
Violen die vor allem im 16. Jh. in Italien verbreiteten Li- 
ren (-> Lira). Hajdecki (1892) stellte fest, daB zwischen 
dem in Armhaltung gespielten Diskantinstrument 
dieses Typs, der Lira da braccio, und der Viola da 
braccio groBere Ahnlichkeit (Form des Corpus, Stim- 
mung in Quinten) besteht als zwischen Viola da gamba 
und Viola da braccio; er versuchte daher die Violine 
als eine Ableitung aus der Lira da braccio darzustellen, 
im Gegensatz zu der bis dahin herrschenden Meinung, 
die - ausgehend von der im 18. Jh. vollzogenen Ver- 
drangung der Viola da gamba-Familie durch die In- 
strumente der Viola da braccio-Form - die Violinfa- 
milieals eine Weiterentwicklung der Violen-(Gamben-) 
Familie angesehen hatte. - Eine eigene Gruppe (jedoch 
keine Familie) stellen die mit ->■ Aliquotsaiten versehe- 
nen Instrumente ->■ Viola d'amore und -*■ Baryton (-1) 
dar; Merkmale der Viola da gamba und der Lira ver- 
einigt die -»- Viola bastarda, die zeitweilig ebenfalls mit 
Aliquotsaiten versehen war. 

- 2) Der Name Viola (Abk. : Va; frz. seit dem letzten 
Viertel des 18. Jh. : alto, aus ital. alto viola) ohne wei- 
tere Zusatze bezieht sich heute speziell auf das auch 
-»■ Bratsche genannte Altinstrument der Familie mo- 
derner Streichinstrumente in -»■ Viola da braccio- 
Form. Mitunter bezeichnet Viola da braccio auch spe- 
ziell das Altinstrument der Familie, z. B. wo der Name 
Va ohne Zusatze AnlaB zu Verwechslungen mit einem 
Instrument der Viola da gamba-Familie geben konnte. 
In Frankreich bezieht sich im 17. Jh. viole ohne nahere 
Zusatze auf die Basse de viole (-> Viola da gamba -1). 
Die Va hat heute stets 4 Saiten in der Stimmung c g d 1 a 1 , 
sie steht demnach eine Quinte unter der Violine und 
eine Oktave iiber dem Violoncello. Bemerkenswert ist 
der geringe GroBenunterschied zur Violine einerseits 



und der grofie Abstand zum Violoncello andererseits. 
Im 17. Jh. wurde die Va in mehreren, hinsichtlich Cor- 
pusgroBe und Mensur unterschiedlichen GroBen ge- 
baut; die groBeren Instrumente hatten im vollstimmi- 
gen Streichersatz den Tenor (im 5st. Satz Lullys die un- 
teren Mittelstimmen) zu iibernehmen (->■ Viola teno- 
re - 1). Zugleich mit der zunehmenden Bedeutung der 
Violine trat um 1700 ein Wandel der Satztechnik ein, 
der die Mittelstimmen zuriicktreten lieB und die Va 
meist auf die Ausfiihrung klangfiillender oder mit dem 
BaB in Oktaven colla parte gehender Stimmen ver- 
wies. Die kleineren, mit der Grifftechnik der Violine 
beherrschbaren Ausfiihrungen der Va (Corpuslan- 
ge bis herunter auf 38 cm) setzten sich im 18. Jh. 
durch ; daneben war ein 5saitiges, Va- und Violinstim- 
mung vereinigendes Instrument in Gebrauch, fiir das 
KochL den Namen Violino pomposo bezeugt. Ein 
solches Instrument versuchten um 1800 Fr.Hillmer 
(unter dem Namen Violalin) und M.Woldemar (als 
Violon alto) zu neuem Leben zu erwecken; auch H. 
Ritter fiigte 1898 seiner Viola alta die e^-Saite hinzu. - 
Den Reiz des gepreBten, naselnden Klangs der kleinen 
Va, der aus dem fiir die tiefen Lagen zu kleinen Reso- 
nanzraum herriihrt, entdeckte erst das 19. Jh., doch 
begannen zu gleicher Zeit auch die zahlreichen Ver- 
suche, wieder ein groBeres Instrument zu entwickeln, 
teils durch Einf iihrung des der Violinfamilie f ehlenden 
Tenorinstruments (-> Viola tenore - 2) , teils durch Ver- 
groBerung der Va (-*■ Viola alta, -> Contralto - 2). 
Vor allem im -> Streichquartett der Wiener Klassiker 
(speziell seit Haydns op. 20 und 33) wurden der Va 
auch wieder anspruchsvollere Aufgaben gestellt (im 
Orchestersatz besonders seit Beethovens 3. Symphonie, 
1803). Im Streichquintett gibt es seit dem spaten 18. Jh. 
sowohl die Besetzung mit 2 Bratschen (Boccherini, 
Mozart, Brahms, Bruckner) als auch die mit 2 Violon- 
celli (die bei Boccherini zahlenmaBig iiberwiegt). Kon- 
zertierend wurde die Va u. a. von J. S.Bach (6. Bran- 
denburgisches Konzert), Telemann, C. Stamitz, W. A. 
Mozart (Konzertante Symphonie fiir V. und Va, K.-V. 
364; -> Scordatura), Zelter, Berlioz (»Harold in Italien«; 
fiir Paganini) und R. Strauss (Don Quixote op. 35, 1898) 
eingesetzt; Konzerte fiir Va schrieben u. a. Bartok 
(posthum, fiir W. Primrose), Milhaud, Blacher und 
Hindemith, der selbst Bratschist war (op. 36 Nr 4; op. 
48; Der Schwanendreher). Solistische Kammermusik fiir 
Va komponierten u. a. J. G. Graun, Dittersdorf , W. A. 
Mozart (»Kegelstadt-Trio«, K.-V. 498), J.N. Hummel, 
Brahms (op. 120 fur Klar. oder Va mit Kl.), Reger, 
Hindemith und H. Reutter. Schulen fiir Va verfaBten 
u. a. A.B.Bruni (Neuausgabe von H.Dessauer, Mainz 
1897) und R.Hofmann. 

Lit. : zu 1) : A. Haidecki, Die ital. Lira da braccio-, Mostar 
1892, Neudruck Amsterdam 1965 ; C. Sachs, The Hist, of 
Mus. Instr., NY (1940), London 1942; J. Corominas, 
Diccionario critico etimologico de la lengua castellana IV, 
Bern 1957, Artikel vihuela; W. v. Wartburg, Frz. Ety- 
mologisches Worterbuch XIV, Basel 1961, Artikel vi-; O. 
Bloch u. W. v. Wartburg, Dictionnaire etymologique 
de la langue f re., Paris * 1 964 ; - zu 2) : Quantz Versuch ; R. 
Hofmann, Neuer Fuhrer durch d. V.- u. Va-Lit., Lpz. 1909; 
H. Dessauer, Die Verbesserungsversuche beim Bau d. Va, 
Bin 1912; E. Van der Straeten, The Va, The Strad XXIII, 
1912; R. Clark, The Hist, of the Va in Quartet Writing, 
ML IV, 1923 ; W. Altmann u. W. Borissowsky, Literatur- 
verz. f. Bratsche u. Va d'amore, Wolfenbiittel 1937; B. 
Tours u. B. Shore, The Va, London 1946; Fr. Zeyringer, 
Lit. f. Va, Kassel 1963, Erganzungsbd 1965, Kassel 1966. 

Viola alta, eine 1872-75 von H. Ritter konstruierte 
Altvioline mit der Stimmung c g d 1 a 1 , die sich von der 
iiblichen Bratsche (->• Viola - 2) durch ein groBeres 
Corpus (Lange bis 48 cm) und einen entsprechend pa- 



1035 



Viola bassa 



stosen Klang unterscheidet. Ritters Ziel war ein Instru- 
ment, das zur Violine im GroBenverhaltnis 3:2 steht; 
die Riicksicht auf die Spielbarkeit jedoch fiihrte ihn auf 
das Verhaltnis 4:3, was dem Mafi von Stradivaris Viola 
medicea (->■ Viola tenore - 1) entspricht. Die Va a. 
wurde von K.A.Horlein (1829-1902) in Wurzburg 
gebaut. Die Ritter-Bratschen erklangen im Ritter- 
Quartett, im Orchester unter H. v. Billow; anerken- 
nend auBerten sich R.Wagner und R.Strauss, doch 
wurde die Va a. auch getadelt, da ihr der fiir die Brat- 
sche charakteristische naselnde Klang fehlte. 1898 fiigte 
Ritter eine 5. Saite hinzu (e 2 ) ; nach seinem Vorschlag 
sollten auch die herkommlichen Streichinstrumente 
mit einer 5. Saite ausgestattet werden. ->■ Viola teno- 
re (- 2) ; -> Viola bassa. 

Lit.: H. Ritter, Die Va a., Heidelberg 1876; ders., Die 
fiinf saitige Altgeige Va a. . . . , Bamberg (1 898) ; G. Adema, 
H. Ritter u. seine Va a., Wurzburg 1881, 21894; H. Besse- 
ler, Zum Problem d. Tenorgeige, = Mus. Gegenwarts- 
fragen I, Heidelberg 1949. 

Viola bassa, das tiefste Instrument in der 1905 von H. 
Ritter vorgeschlagenen neuen Anordnung des Streich- 
quartetts, das zwar die gleiche Stimmung (C G d a) 
wie das Violoncello hat, in der GroBe aber die dazu 
notwendigen doppelten MaBe der -> Viola alta besitzt. 

Viola bastarda (ital. ; engl. lyra viol), ein 6saitiges 
Streichinstrument in Tenor-BaB-Lage, das ab Ende des 
16. bis Anfang des 18. Jh. bekannt war. Das Corpus zeigt 
die Hauptmerkmale der -> Viola da gamba (- 1) ; die 
zahlreichen Stimmungen sind anfangs der Lira ahnlich 
(mit Quinten und Quarten : i A E A e a dl ; i A D A d a dl 
oder jA D G d g d 1 ), in spaterer Zeit der Gambe ange- 
nahert (mit Quarten und Terzen iDGcead'jCGc 
e a di ; i A D G c e a). Kremberg (1689) fordert zu Arien 
in D moll, G dur und B dur die Stimmungen D A d 
f a di, D G d g h di, F B d f b di. In England war die 
Lyra viol um 1600-80 als Soloinstrument zum Spiel 
von Divisions iiber Grounds verbreitet; nach J. Play- 
ford (1661) besaB sie zeitweilig (zuerst bei O.Farrant 
um 1600) auch Aliquotsaiten. 
Lit.: C.Sachs, Die Vab.,ZIMG XV, 1913/14. 

Viola da braccio (vi'o:la da br'attjo, ital., braccio, 
Arm) , die auf dem Arm gehaltene und mit entsprechen- 
der Bogenhaltung (Obergriff) gespielte Viola, Sam- 
melname fiir die Streichinstrumente der Violinform 
(Violinfamilie), daneben auch als Bezeichnung speziell 
fiir das Altinstrument -> Viola (- 2), das umgangs- 
sprachlich heute meist -> Bratsche genannt wird. Aus 
der Tatsache, daB der Name fiir die Instrumentenfa- 
milie mit dem fiir das Altinstrument identisch ist, kann 
nicht geschlossen werden, die Viola sei das Stammin- 
strument der Familie und die Violine sei als Kleinform 
daraus hervorgegangen. Die Friihform der ->■ Violine 
mit 3 Saiten ist zuerst 1529 auf einem Gemalde von 
Gaudenzio Ferrari belegt; derselbe Maler stellte 1535— 
36 im Dorri von Saranno das Stimmwerk aus Alt-, 
Tenor- und BaBinstrument dar. Agricola (1528) be- 
zeugt ein Stimmwerk von 3saitigen, in Quinten ge- 
stimmten Streichinstrumenten ohne Biinde (kleinen 
Geigen . . ., die gemenlich one bund erjunden). Die Bund- 
losigkeit der Va da br.-Instrumente ist auch in Italien 
im 16. Jh. ein ebenso wichtiges Unterscheidungsmerk- 
mal gegeniiber den stets mit Biinden versehenen In- 
strumental der ->• Viola da gamba-Familie wie die 
Spielhaltung (z. B. bei Lanfranco 1533, Ganassi 1542 
und V. Galilei 1568). Im iibrigen schwanken die italie- 
nischen Benennungen sowohl fiir die 2 Familien als 
auch fiir die einzelnen Streichinstrumente bis Anfang 
des 17. Jh.; dies wird noch bei Praetorius (Synt. II, S. 48) 
sichtbar: Viola de bracio: Item, Violino da brazzo; Wird 



sonsten eine Geige / vom gemeinen Volck aber eine Fiddel / 
vnnd daher de bracio genennet / daji sie vffdem Arm gehal- 
ten wird. Deroselben Bafi- Tenor- vnd Discantgeig (welche 
Violino, oder Violetta picciola, auch Rehecchino genennet 
wird) seynd mit 4. Saiten . . . bezogen . . . vnd werden 
alle durch Quinten gestimmet. Vnd demnach dieselbige je- 
dermanniglichen bekandt / ist darvon . . . etwas mehr anzu- 
deuten vnd zu schreiben vnnotig. Praetorius kennt auBer- 
dem bereits eine Discant-Geig ein Quart hoher (Stim- 
mung c 1 gi d 2 a 2 , ->- Violino piccolo). Das in Kniehal- 
tung gespielte und in C G d a gestimmte BaBinstru- 
ment der Va da br.-Familie ist das -> Violoncello (- 1 ; 
in Frankreich die Basse de violon, Stimmung im 17. 
Jh. : iB F c g). Schon im 16. Jh. wurden vereinzelt Kon- 
trabasse in Va da br.-Form gebaut, doch behielt der 
-*■ KontrabaB (- 1) meist eine Zwischenstellung zwi- 
schen der Va da br.- und der Viola da gamba-Familie. 
Da dem Stimmwerk der Va da br. ein eigentliches Te- 
norinstrument (mit der theoretischen Stimmung G d 
a e 1 ) fehlt, wurde das Altinstrument im 17. Jh. in ver- 
schiedenen GroBen gebaut (-> Viola tenore - 1); erst 
im 18./19. Jh. wurde versucht, die fehlende Stimmlage 
zu entwickeln (-> Viola tenore - 2). 

Viola da gamba (ital., s. v. w. Knieviola, von gamba, 
Bein; deutsch auch einfach Gambe; ital. auch viola ad 
arco; span, vihuela de arco), - 1) Sammelname fiir eine 
im 16.-18. Jh. verbreitete Familie von Streichinstru- 
menten (auch Violen- oder Gambenfamilie genannt), 
deren Corpus auf die Beine des Spielers gestiitzt 
wird, wahrend der Hals nach oben weist. Warm die 
Form der Va da g. festgelegt wurde und welchen An- 
teil an ihrer Entstehung die mittelalterlichen Instru- 
mente Rebec und Fiedel haben, ist unbekannt. Einem 
Bericht von B.Prospero zufolge kamen 1493 spanische 
Musiker mit mannsgroBen Instrumenten (viole grandi 
come me) von Rom nach Mantua, wobei es sich um 
BaBgamben gehandelt haben kann. 1495 gab die Her- 
zogin Isabella von Gonzaga einige Viole da gamba bei 
dem Lautenmacher G.Kerlino in Brescia in Auftrag. 
Die altesten erhaltenen Instrumente vom Anfang des 
16. Jh. zeigen teilweise noch primitive, an Fiedel und 
Rebec erinnernde Umrisse. - Die Normalform des 
Corpus hat abf allende Schultern, wie sie teilweise heute 
noch der -> KontrabaB (- 1) hat, hohe Zargen, Decke 
und Boden ohne Randuberstand, flachen, zum Hals hin 
abgeschragten Boden sowie meist C-formige Schall- 
locher. Charakteristisch fiir die Va da g. sind der Bezug 
mit 6 Saiten in Quart-Terz-Stimmung (die Terz liegt 
in der Mitte) sowie die 7 chromatischen Biinde auf dem 
Griffbrett (in der Spatzeit wird bisweilen ein Oktav- 
bund empf ohlen) ; darin steht sie der Laute nahe. Das 
Stamminstrument der Familie, fiir das die Bezeich- 
nung Va da g. (bzw. Gambe) ohne weitere Zusatze 
gilt, ist die Viola in Tenor-Bafi-Lage mit der Stim- 
mung D G c e a di ; im 16. Jh. wurde das Stimmwerk 
ausgebaut durch Diskant- (d g ci ei ai d 2 ), Alt- und 
Tenor- Va da g. (A d g h e 1 a 1 ; die beiden Instrumente, 
die zuweilen auch einen Ton defer eingestimmt wur- 
den, unterscheiden sich nur durch ihre GroBe). Bei 
Praetorius (Synt. II, S. 25) fehlt der eigentliche Diskant 
mit 6saitigem Bezug, die Lagenbezeichnungen sind zur 
Tiefe hin verschoben : Cant Viol de gamba (auch vio- 
letta picciola; A d g h ei ai), Tenor-Alt- Viol (D G c e 
a di), Klein Bafi-Viol (iG C F A d g; jG C E A d g; 
lA D G He a; jFis jHEAd g), GroB BaB-Viol (auch 
Contrabasso da gamba, Violone; iE jA D G c; iD iG 
C E A d; !E iA D G c f) und gar GroB BaB-Viol 
(lD ]E jA D G). In Frankreich sind im 17./18. Jh. eine 
Diskantgambe (dessus de viole, Stimmung nach J. Rous- 
seau: d g c 1 e 1 a 1 d 2 ) und ein noch hoheres Instrument 



1036 



Viola d'amore 



bekannt (pardessus de viole; Stimmung bei 6saitigem 
Bezug g c 1 e 1 a 1 d 2 g 2 ); mit 5saitigem Bezug (g d 1 a 1 d 2 g 2 ) 
wurde das in Quinten und Quarten gestimmte Instru- 
ment im 18. Jh. auch -»■ Quinton genannt. Das Tenor- 
BaB-Instrument der Va da g.-Familie hieB in Frankreich 
Basse de viole (im 17./18. Jh. meist viole ohne Zusatz) 
und war seit Sainte-Colombe (1675) haufig 7saitig in 
der Stimmung jADGcead 1 . 7saitige Viole da gamba 
sind um 1515 auf Grunewalds Isenheimer Altar und in 
Burgkmairs Triumphzug Kaiser Maximilians abgebil- 
det ; Tieffenbrucker baute eine solche um 1564. G. Neu- 
marks Fortgepflantzter musikalisch-poetischer Lustwald 
(1657) enthalt Auf eine siebensaitige Violdegamm gesetzete 
Stiicke. 5-, seltener 4saitige Viole da gamba gab es so- 
wohl fur die tief sten als auch f iir die hochsten Lagen. 
Lehrwerke fur Va da g. schrieben Ganassi (1542-43), 
besonders fiir das mehrstimmig-solistische Spiel be- 
deutend, und Ortiz (1553), der Diminution und Im- 
provisation lehrt. Eine Hochbliite fand das Gamben- 
spiel im 16./17. Jh. in England, wo italienische Gam- 
bisten wie A.Ferrabosco und T.Lupo wirkten. Konig 
Heinrich VIII. war ein Liebhaber des Gambenspiels; 
von ihm ist eine Reihe von Kompositionen fiir Va da g. 
erhalten (Brit. Mus., Ms. Add. 31 922). Unter den eng- 
lischen Gambisten sind auBer W. Brade, der in Deutsch- 
land lebte, Th.Hume, J.Jenkins und Chr. Simpson, 
letzterer vor allem mit seinem Lehrwerk von 1659, 
bedeutend. Neben dem solistischen Spiel der Divisions 
upon a ground steht das chorische Spiel (meist 2 BaB-, 
2 Tenor-, 2 Diskant- Viole da gamba) im -> Consort. 
Dabei wurde die BaB-Va da g. in einer etwas kleineren 
Form als Division viol fiir das Solospiel, in grofierer 
von f iillenderem Ton fiir das chorische Spiel gebraucht. 
Der vollstandige Gambenchor hielt sich in England bis 
um 1700, wahrend in Deutschland seit dem friihen 17. 
Jh. die Viola da braccio und mit ihr die Violine fiir die 
oberen Stimmen eindrangen und in Frankreich zur 
Zeit Lullys nur noch die BaB-Va da g. als Soloinstru- 
ment und im Orchester iibrigblieb. Der bedeutendste 
unter den franzosischen Gambisten war M.Marais; ne- 
ben ihm sind zu nennen Maugars, A. undJ.B.Forque- 
ray, Caix d'Hervelois, Dolle, Naudot, Prudent, Hugart 
und Blainville. - In Deutschland entstand mit der Mu- 
sica Teusch . . . (1532) des Hans Gerle die alteste Gam- 
benschule iiberhaupt. Zu den bedeutendsten Gamben- 
virtuosen zahlten Funck, J. G. Ahle, A. und M.Kiihnel, 
Schenck, E. Chr. Hesse, J.Riemann, Chr. F. und K.Fr. 
Abel ; Kompositionen fiir Va da g. schrieben u. a. Bux- 
tehude, Krieger, Telemann, Handel und J. S. Bach (3 
Sonaten mit Cemb., BWV 1027-1029; auBerdem ist 
Va da g. vorgeschrieben im 6. Brandenburgischen Kon- 
zert und als konzertierendes Instrument in Arien, die 
7saitige in der Matthaus-Passion). - Um die Mitte des 
18. Jh. ging die Bliitezeit der Va da g. zu Ende. 1740 
verteidigte H. Le Blanc noch die Gambe gegen das vor- 
dringende Violoncello und die Violine. Im 18. Jh. wur- 
den viele Gamben zu Violoncelli umgebaut oder durch 
Einsetzen von gewolbtem Boden, Stachel und einem 
schmaleren Hals ohne Biinde der Form des Violoncel- 
los angenahert. Im 20. Jh. war es vor allem Chr. Dober- 
einer, der das Spiel auf der Va da g. wieder anregte; seit 
den 1920er Jahren werden auch neue Instrumente ge- 
baut. Moderne Lehrwerke veroffentlichtenP.Grummer 
(Va dag.-Schulefiir Violoncellisten, Leipzig 1928), Chr. 
Dobereiner (Schulefiir die Va dag., Mainz 1936, 2 1954) 
und A.Wenzinger (Gambeniibung, 2 Teile, Kassel 1935- 
38; Cambenfibel, mit M.Majer, Kassel 1943). 
- 2) Als Orgelregister ist Va da g. (zuerst 1615 von 
-» Compenius gebaut) eine offene, konische Labial- 
stimme, die bis zu G. Silbermann beliebt war. J. S. Bach 
schlug sie anstelle des Gemshorns 8' fiir die Orgel Divi 



Blasii in Miihlhausen vor. J. Scheibe baute 1716 die 
erste zylindrische Va da g. mit streichendem Klang. 
Lit.: zu 1): H. Gerle, Musica Teusch auf d. Instr. d. gro- 
Ben u. kleinen Geygen auch Lautten . . ., Niirnberg 1532; 
G. M. Lanfranco, Le scintille di musica, Brescia 1 533 ; S. 
Ganassi, Regola Rubertina, 2 Teile, Venedig 1542-43, 
Faks. hrsg. v. M. Schneider, 2 Bde, = Veroff. d. Fiirstlichen 
Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg II, 3, Lpz. 1924; D. 
Ortiz, Tratado de glosas . . ., Rom 1553, Faks. u. Ubers. 
hrsg. v. M. Schneider, Bin 1913, Kassel 21936; Ph. Jambe 
de Fer, Epitome mus . . ., Lyon 1556, Faks. hrsg. v. Fr. 
Lesure, Ann. Mus. VI, 1958/63; Praetorius Synt. II; M. 
Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. 
Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 1963 ; Chr. Simpson, The Division 
Violist, London 1659, als: The Division Viol 2 1667, 31712, 
Faks. hrsg. v. M. Dolmetsch, NY 1955; J. Rousseau, 
Traite de la viole, Paris 1687, Faks. Amsterdam 1965; H. 
Le Blanc, Defense de la basse de viole . . . , Amsterdam 
1740, NA in: RM VIII, 1927 - IX, 1928, deutsch v. A. Er- 
hard, Kassel 1951 ; W. J. v. Wasielewski, Das Vc. u. seine 
Gesch., Lpz. 1889, hrsg. v. W. v. Wasielewski 31925; A. 
Einstein, Zur deutschen Lit. f. Va da G. im 16. u. 17. Jh., 
= BIMG II, 1, Lpz. 1905; Chr. Dobereiner, Uber d. Va 
da g. u. ihre Verwendung bei J. S. Bach, Bach-Jb. VIII, 
191 1 ; E. Van der Straeten, The Hist, of the Vc., the Va 
daG. . . ., London 1915; E. Albini, La Va da G. in Italia, 
RMI XXVIII, 1921 ; G. R. Hayes, Mus. Instr. and Their 
Music 1500-1750 II, London 1930; J. Bacher, Die Va da 
G., Kassel (1932) ; W. Senn, Eine»Vada G.« v. St. de Fan- 
tis 1558, CHM II, 1957; R. Eras, Uber d. Verhaltnis zwi- 
schen Stimmung u. Spieltechnik bei Streichinstr. in Da- 
gamba-Haltuhg, Diss. Lpz. 1958, maschr. ; Fr. Lesure, 
Une querelle sur le jeu de la viole . . . , MQ XLVI, 1960. 

Viola d'amore (ital.; frz. viole d'amour; auch -> Eng- 
lisch Violet), ein im Barock beliebtes Streichinstrument 
in Altlage, etwa so groB wie die heutige Bratsche (Cor- 
puslange um 40 cm) mit 5-7 Griffsaiten aus Messing 
oder Darm und 7-14 unterhalb des Griffbretts gespann- 
ten metallenen Resonanzsaiten, die unter dem Steg lau- 
fen. Ihr Klang ist argentin oder silbern, dabey iiberaus an- 
genehm und lieblich (Walther 1732). Die Stimmung der 
Griffsaiten ist variabel und wird je nach Bedarf in ei- 
nem anderen Akkord eingerichtet; WaltherL gibt die 
Stimmung im Akkord C moll oder auch C dur an, 
J.Ph.Eisel (1738) F B c g ci fi bi. Die Va d'a. stammt 
wahrscheinlich aus England; den friihesten Beleg bie- 
tet das Tagebuch von J.Evelyn (1679, ed. E. S. de Beer, 
IV, S. 187) : . . . its swetenesse & novelty the Viol d'Amore 
of 5 wyre-strings, plaied on with a bow, being but an ordin- 
ary Violin, play'd on Lyra way by a German, ...; ahnlich 
wird sie von J. Rousseau (1687) und von D. Speer (1687) 
beschrieben. Majer (1741) unterscheidet zwei Arten 
der Va d'a. mit 6 Griffsaiten und 6 Resonanzsaiten : eine 
kleinere, einer Violine ahnlich, und eine groBere, wel- 
che die Bratsche an GroBe ein wenig iibertrifft. L.Mo- 
zart (1756) kennt neben den Stimmungen in Dur- oder 
Mollakkorden eine Terz-Quart-Stimmung wie auf den 
Violen sowie eine violinmaBige in Quinten, die auch 
Walther erwahnt. Musik fiir Va d'a. schrieben u. a. C. 
Stamitz, A.Ariosti (Lezioni per Va d'a., 1728), A.Vi- 
valdi (7 Konzerte), J. Chr. Bode, J. S. Bach (Soli in Kan- 
taten und in der Johannespassion), Telemann, Graup- 
ner, Quantz, Biber, in der Gegenwart wieder P. Hin- 
demith (Sonate op. 25 Nr 2 und Konzert op. 46 Nr 1) 
und Frank Martin (Sonata da Chiesa i. Va d'a. und Org., 
1938). Die Va d'a. kam im spaten 18. Jh. auBer Ge- 
brauch; sie findet seither vereinzelt Verwendung im 
Orchester, etwa bei: Meyerbeer (Les Huguenots, 1836); 
Ch.M.Loeffler (La mort de Tintagiles, 1897); G.Char- 
pentier (Louise, 1900); Massenet (Le jongleur de Notre- 
Dame, 1902); Puccini (Madama Butterfly, 1904); W. 
Kienzl (Der Kuhreigen, 1911). Eine Wiederbelebung 
der Va d'a. versuchten u. a. Urhan, L. van Waefelghem 
(1840-1908) und H.-G. Casadesus. 



1037 



Viola da spalla 



Lit. : J. Rousseau, Traits de la viole, Paris 1687, Faks. Am- 
sterdam 1965; J. Fr. B. C. Majer, Neueroffheter Theore- 
tisch- u. Practischer Music-Saal, Nurnberg 1732, 21741: 
J. Ph. Eisel, Musicus autodidactus, Erfurt 1738; L.-T. Mi- 
landre, Methode facile pour la viole d'amour, Paris 1771 
KochL; J. Kral, Eine Anleitung zum Spiel d. Va d'a., op 
10, Wien (1870); E. de Bricqueville, La viole d'amour, 
Paris 1908; L. Passagni, La v. d'a. . . ., Sesto S. Giovanni 
1908; F. Scherber, Die Viola d'amour im 18. Jh., Musik 
buch aus Osterreich 1910; D. Fryklund, Bidrag till kan 
nedomen om Va d'a., STMf III, 1921 ; W. Altmann u. W, 
Borissowsky, Literaturverz. f. Bratscheu. Va d'a., Wolf en- 
buttel 1937; W. E. Kohler, Beitr. zur Gesch. u. Lit. d 
Va d'a., Diss. Bin 1938; D. D. Boyden, Ariosti's Lessons 
for Va d'a., MQ XXXIII, 1946; K. Gofferje, Ariostis 
Lezioni f. d. Va d'a., Deutsches Jb. d. Mw. VI (=JbP 
LIII), 1961. 

Viola da spalla (ital., s. v. w. Schultergeige), ein Te- 
nor-Ba8-Instrament der Viola da braccio-Familie aus 
der Zeit um 1700. Nach WaltherL (Artikel Violon- 
cello), der wie Majer (1732) und Eisel (1738) der Be- 
schreibung Matthesons von 1713 folgt, hat die Va da 
sp. 4-6 Saiten (die 4saitige in der Violoncellostimmung 
C G d a). Sie kann starck durchschneiden und die Tone rein 
exprimiren und wird, ahnlich wie die ->- Viola pomposa, 
mit einem Bande an der Brust befestiget, und gleichsam auf 
die rechte Schulter geworffen. -> Viola tenore (- 2). 

Viola di bordone (ital.) -> Bary ton (- 1). 

Viola di fagotto (ital.) -»- Fagottgeige. 

Violalin^Viola(-2). 

Viola medicea (vi'D:la meditf'e:a, ital.) -»• Viola 
tenore (- 1). 

Viola pomposa (ital.), eine fiinfsaitige, in C G d a el 
gestimmte -»■ Viola da braccio in Tenor-BaB-Lage, die 
als Armgeige (an einem iiber die Schulter gelegten 
Tragband befestigt) gespielt wurde. Instrumente mit 
der Stimmung C G d a el konnen entweder als Tenor- 
geige (-* Viola tenore - 2) mit zugefugter C-Saite oder 
als -> Violoncello (- 1) mit zugefugter ei-Saite aufgefaBt 
und disponiert sein. 5saitige Violoncelli waren seit An- 
fang des 18. Jh. (BrossardD) bekannt, ebenso eine Te- 
norgeige (-»- Viola da spalla). - Nach Forkel (1782) hat 
J.S.Bach die Va p. umsjahr 1724 in Leipzig bauen las- 
sen. Es fallt auf, daB in keinem Werk Bachs eine Va p. 
verlangt wird, daf iir aber haufig ein Violoncello picco- 
lo (BWV 6, 41, 68, 85, 115, 175, 180, 183). Bei einem 
Umf ang von C-c* schreibt Bach die Stimmen dafiir im 
Violinschliissel (Klang eine Oktave tiefer), der bei tie- 
fergefiihrten Stellen mit dem Alt-, Tenor- oder BaB- 
schliissel wechselt. Wahrscheinlich hat Bach schon in 
der Kothener Zeit eine Viola da spalla verwendet. In 
Leipzig liefi er durch den Instrumentenmacher J. Chr. 
Hoffmann wohl zunachst eine Va p. mit geringer Zar- 
genhohe bauen (Beschreibung eines erhaltenen Instru- 
ments bei Kinsky 1931/32, S. 178f.), die jedoch wegen 
ihrer GroBe (Gesamtlange 76 cm) in Bratschenhaltung 
schwer zu spielen war. Dieses Instrument wurde um 1740 
durch eine Tenorgeige mit hoheren Zargen (ca. 8 cm; 
Violoncello piccolo) abgelost, die ebenfalls Va p. ge- 
nannt werden kann (z. B. bei Kinsky 1912). Hochzar- 
gige, 5saitige Violoncelli piccoli wurden vereinzelt bis 
Ende des 18. Jh. gebaut. -Eine Va p. wird in Kompo- 
sitionen u. a. von Litardi, Telemann (2 Duos fur Fl. 
und Va p. oder V., in: Der getreue Music- Meister) und 
J. G. Graun {Concerto doppio) verlangt. 
Lit. : J. N. Forkel, Mus. Almanach f . Deutschland auf d. 
Jahr 1782, Lpz. 1782; G. Kinsky, Musikhist. Museum v. 
W. Heyer in Coin II, Koln 1912; ders., Ein SchluBwort 
iiber d. Va p., ZfMw XIV, 1931/32; E. Buhle, Verz. d. 
Slg alter Musikinstr. im Bachhause zu Eisenach, = Veroff. 



d. Neuen Bachges. XXXVIII, 2, Lpz. (1913, 31939, "1964); 
E. T. Arnold, Die Va p., ZfMw XIII, 1 930/3 1 - XI V, 193 1 / 
32; H. Engel, Zur Lit. f. d. Va p., ZfMw XIV, 1931/32; 
Fr. Galpin u. G. Kinsky, ebenda; H. Husmann, Die 
Va p., Bach-Jb. XXXIII, 1936; H. Besseler, Zum Pro- 
blem d. Tenorgeige, = Mus. Gegenwartsfragen I, Heidel- 
berg 1949. 

Viola tenore, - 1) eine groBe Bratsche (-> Viola - 2). 
Die Tatsache, daB im Stimmwerk der ->- Viola da 
braccio ein eigentliches Tenorinstrument fehlt, wurde 
im 17. Jh. dadurch ausgeglichen, daB das Altinstrument 
bei gleichbleibender Stimmung (c g d 1 a 1 ) in mehreren 
GroBen gebaut wurde. Einzelne Exemplare dieser gro- 
Ben Bratschen sind erhalten; am bekanntesten ist die 
Viola medicea von A.Stradivari (1690, Corpuslange 
47,8 cm gegemiber 40-42,5 cm der modernen Bratsche; 
Zargenhohe 4,3 cm gegenuber 3,8 cm). Solche Instru- 
mente konnten den im Tenorschliissel notierten unteren 
Mittelstimmen des 4- und 5st. Streichersatzes (noch bei 
J.S.Bach, BWV 12 und 18), die das c in der Regel 
nicht unterschritten, die notige Klangfulle verleihen. 
In Frankreich hieBen die 3 fur Bratschen bestimmten 
Mittelstimmen (parties de milieu, auch kurz parties) 
bzw. die zugehorigen Instrumente: haute-contre de vio- 
lon (die oberste der parties), taille de violon (die mitt- 
lere) und quinte de violon (bei J.-B.Lully stets die 4. 
Stimme von oben; nach Mersenne 1636, IV, S. 189, 
kann quinte auch die 2. Stimme von oben zwischen 
dessus und haute-contre sein). Die Bezeichnung quinte 
ging in Frankreich im 18. Jh. allgemein auf die Bratsche 
iiber und wurde erst nach der Jahrhundertmitte durch 
den aus dem italienischen alto viola abgeleiteten Na- 
men alto ersetzt. - 2) das 3. Instrument in der seit 1905 
von H.Ritter erprobten neuen Anordnung des Streich- 
quartetts (Violine, -* Viola alta, Va t., -*■ Viola bassa), 
das die seiner Stimmung als Tenorgeige akustisch ent- 
sprechende doppelte Violinmensur (Corpuslange et- 
wa 71 cm, Zargenhohe etwa 6,2 cm) aufweist. Schon 
Mattheson (1713) war ein die Liicke im Stimmwerk 
zwischen Viola und Violoncello schlieBendes Instru- 
ment (-> Viola da spalla) bekannt, mit dem auch J. S. 
Bach experimentierte (-> Viola pomposa). 4saitige 
Tenorgeigen der Stimmung G d a e 1 sind der von B. 
Dubois 1833 gebaute Violon-tenor (Versuchsinstru- 
ment mit einer Corpuslange von nur 43,4 cm und einer 
Zargenhohe von 8 cm, das wahrscheinlich als Knie- 
bzw. SchoBgeige gespielt wurde), der von C.Henry 
1847 konstruierte ->■ Bary ton (- 2), das von Diegel- 
mann 1877 gebaute Cellino, die von Stelzner ab 1891 
gebaute Violotta (Corpuslange 41 cm, neuerdings von 
K.Leonhardt in Mittenwald wieder aufgegriffen), das 
1930 patentierte Violoncello tenore, seit 1922 von E. 
Sprenger gebaut, und die 1935 von J.Reiter (Mitten- 
wald) angezeigte Oktavgeige mit 42 cm Corpuslange. 
Lit.: zu 1): J. Eppelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. 
Lullys, = Miinchner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961. 
- zu 2) : G. Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in 
Coin II, Koln 1912; H. Besseler, Zum Problem d. Tenor- 
geige, = Mus. Gegenwartsfragen I, Heidelberg 1949 ; D. D. 
Boyden, The Tenor V., Fs. O. E. Deutsch, Kassel 1963. 

Violet ->-Englisch Violet. 

Violetta (ital., Diminutiv von Viola), eine Bezeich- 
nung fur verschiedene Instrumente sowohl vom Viola 
da gamba- als auch vom Viola da braccio-Typus. Lan- 
franco (1533) nennt Viole da braccio ohne Biinde mit 
3 in Quinten gestimmten Saiten Violette. Von Prae- 
torius werden sowohl Diskant- Viole da gamba als auch 
die Diskant- Viola da braccio (synonym mit Violino 
und Rebecchino) V. picciola genannt (Synt. II, S. 25 
und 48). Im 18. Jh. bezeichnet V. meist allgemein die 
Bratsche, nach WaltherL ein Streichinstrument der 



1038 



Violine 



Mittellage sowohl der da braccio- als auch der da gam- 
ba-Spielweise. - Die V. marina des P. ->■ Castrucci war 
eine Art Viola d'amore. 

Violine (ital. violino, Diminutiv von ->■ Viola - 1 ; frz. 
violon; engl. violin; umgangssprachlich deutsch meist 
als -*■ Geige bezeichnet) ist als das hochstentwickelte 
Streichinstrument seit etwa 300 Jahren eines der wich- 
tigsten abendlandischen Musikinstrumente, dessen Be- 
deutung und weltweite Verbreitung nur vom Piano- 
forte iibertroffen werden. Sie bildet das Sopraninstru- 
ment der Familie der Violininstrumente (-»■ Viola da 
braccio). Die V. ist ein Klangkorper von hochster 
akustischer ZweckmaBigkeit, scheinbar einfach und 
doch aus vielen Teilen zusammengesetzt. Einziger Zie- 
rat ist die Schnecke. Das Corpus besteht aus der Decke, 
dem Boden und den Zargen (Seitenteile). Fichte oder 
Tanne liefern das Holz fur die Decke, die mit Schall- 
lochern in Form eines/ versehen ist. Boden und Zargen 
sind aus Ahorn. Das Holz ist nach dem Spiegel ge- 
schnitten, d. h. der Stamm wird in Segmente, nicht in 
Bretter zerteilt. Die Wolbungen von Decke und Bo- 
den - mit ausgepragter Hohlkehle - sind aus dem vollen 
Holz herausgearbeitet. Die Decke besteht fast immer, 
der Boden in der Regel aus 2 Teilen, die in Langsrich- 
tung gefugt und verleimt sind. Im Unterschied zur 
Bauweise der Violen (-> Viola da gamba - 1) ragen 
Decke und Boden der V. iiber die Zargen hinaus, was 
die Druckfestigkeit (vor allem der Decke) erhoht. Die 
6 Zargenteile, die iiber erhitztem Metall gebogen wer- 
den, sind durch 6 Klotze miteinander verleimt. An 



Zorge - 




Gegefizargen 



jeder Seite verbinden jeweils 2 Klotze den Mittelbiigel 
(mittlerer Zargenteil) mit oberer und unterer Zarge; 
die Verbindung der unteren Zargen untereinander 
wird durch den Unterklotz (auch kleiner Block oder 
Stock genannt) verstarkt, an dem auch der Knopf f in- 
die Befestigung des Saitenhalters angebracht ist. Der 
Oberklotz (auch groBer Block oder Stock) verbindet 
die oberen Zargen und zugleich Hals und Corpus. 
Der Hals lauft in den Wirbelkasten und in die Schnecke 
aus und ist mit dem stets biindelosen Griffbrett belegt 
(eine in der Volksmusik der Alpenlander verwendete 
V. mit metallenen Biinden heiBt ->- Streichmelodion). 
Statische und akustische Aufgaben haben der zwischen 
Boden und Decke stehende -» Stimmstock (- 1) und 
der an das Innere der Decke geleimte BaBbalken. 
Corpus, Hals, Wirbelkasten und Schnecke werden 
mit Lack (frz. vernis) iiberzogen. Heute erfolgt die 
Lackierung in der Regel in 4 Phasen: Grundierung, 
Porenfullung, Farblack und Uberzugslack. Der Ein- 
fluB der Lackierung auf die akustischen Eigenschaften 
der V. ist umstritten; zu unterscheiden ist wohl zwi- 
schen den in das Holz eindringenden Stoffen und der 
auBerlich haftenden Lackschicht. Die Lackierkunst der 
groBen italienischen Meister vor etwa 1760 beruhte 
auf spater nicht mehr bekannten Rohstoffen und Ver- 
f ahren und ist auch in ihren optischen Ergebnissen nicht 
wieder erreicht worden. Griffbrett, Wirbel und Saiten- 
halter bestehen gewohnlich aus Ebenholz. Die 4 Saiten 
sind an dem Saitenhalter und den von zwei Seiten in 
den Wirbelkasten gefiihrten Wirbeln befestigt; sie 
schwingen zwischen dem -*- Sattel am Beginn des 
Griffbretts und dem -»■ Steg. Die Saiten sind in Quin- 



ten (g di ai e2) gestimmt; sie werden von oben nach 
unten gezahlt und mit romischen Ziffern bezeichnet. 
Die E-Saite wurde noch im 19. Jh. allgemein Chante- 
relle (»Sangsaite«) genannt. Das Verhaltnis von Starke, 
Material und Spannung der Saiten muB so abgestimmt 
sein, daB bei gleicher Lange der Saiten in jeder Griff- 
hohe der Quintabstand gewahrt ist. Das Material der 
Saiten war zunachst ausschlieBlich Darm; metallum- 
sponnener Darm wurde seit Beginn des 18. Jh. fiir die 
G-Saite verwendet (meist Silber), seit etwa 1920 zu- 
nehmend auch fiir die D- und A-Saite (Aluminium). 
Fiir dieE-Saite sind heute fast ausschlieBlich Stahlsaiten 
(mit und ohne Umspinnung) gebrauchlich ; auch gibt 
es fiir alle Saiten Fabrikate aus reinem Stahl oder aus 
meist umsponnenen Kunststoffen. Mit der Verwen- 
dung von Stahlsaiten wurde der Feinstimmer am Sai- 
tenhalter notwendig. Material und Starke verleihen den 
Saiten verschiedenen Klang. Das Spiel auf einer einzel- 
nen Saite bis in hohe Lagen hinein nutzt jeweils deren 
Klangcharakter und wird bisweilen vom Komponisten 
ausdriicklich verlangt (z. B. mit dem Zusatz sul G). Das 
Spiel nahe am Steg (-> sul ponticello), schon im 17. Jh. 
bekannt (Farina 1627), in neuerer Musik oft in Ver- 
bindung mit Tremolo gefordert, ergibt einen oberton- 
reicheren.metallisch-briichigen Klang. AuBerdemkann 
der Klang der V. durch den -> Dampfer modifiziert 
werden. Kinnhalter werden seit Spohrs Erfindung 
(1820) benutzt, Kissen und verschiedene neue Formen 
der Schulterstiitze individuell gewahlt. 
Die Friihf orm der V. (Abb. nach Gaudenzio Ferrari, La 
Madonna degli aranci, um 1529, S. Cristoforo, Vercelli bei 
Mailand) mit 3 Saiten und der 
Stimmung g di ai ist um 1520 
oder wenig friiher in Oberitalien 
im Umkreis von Mailand ent- 
standen. Sie kann beschrieben 
werden als eine Kombination 
von Merkmalen des -»■ Rebec 
(3 Saiten in Quintstimmung, 
biindeloses Griffbrett, seitenstan- 
dige Wirbel in einem Wirbel- 
kasten) und der Lira da braccio 
(Form und Bauweise des Corpus, 
f-Locher, abgesetzter Hals). DaB 
die V. als Kleinf orm aus dem Alt- 
instrument der Viola da braccio- 
Familie abgeleitet ist (diese Theo- 
rie wurde durch die italienische 
Diminutivf orm violino von viola 
nahegelegt), ist nach der Quel- 
lenlage unwahrscheinlich; ent- 
weder trat die V. zuerst auf oder 
sogleich die ganze Familie (Dis- 
kant-, Alt- und BaBinstrument sind zusammen 1535/36 
von G. Ferrari im Kuppelfresko des Doms in Saronno 
bei Mailand dargestellt). - In den bisher bekanntge- 
wordenen Dokumenten zur Fruhgeschichte der V. ist 
die franzosische Bezeichnung vyollons friiher (1523) 
belegt als die italienische Wortform violino (1538); 
violons bezeichnet bis ins 18. Jh. meist ein Ensemble 
aus Diskant-, Alt- und BaBinstrumenten (vgl. Eppels- 
heim 1961), die V. hieB dessus de violon. Boyden 
(1965) stellt hierzu die Hypothese auf, daB die Instru- 
mente der V.-Familie von den Italienern Anfang des 
16. Jh. haufig violone genannt wurden (dies bezeugt 
z. B. Jambe de Fer 1556; noch T.Merula gebraucht 
1615 die Bezeichnung violono fiir V.), doch ist violone 
ebensooft als Sammelname fiir Viola da gamba-Instru- 
mente zu belegen (Lanfranco 1533, Ganassi 1543 u. 6.). 
W.v. Wartburg (1961) deutete die franzosische Wort- 
form violon dagegen als Diminutiv von viole. Das f rii- 




1039 



Violine 



he Auftreten der V. in franzosischen Dokumenten des 
Hofs von Savoyen und Franz' I. von Frankreich erklart 
sich aus dem politischen EinfluB Frankreichs auf Ober- 
italien, dem ein italienischer kultureller EinfluB auf den 
franzosischen Hof entsprach. Bis zum Aufkommen 
einer eigenstandigen -»• Violinmusik im 17. Jh. ist die 
V. (bzw. das Stimmwerk der V.-Instrumente) bevor- 
zugt fiir hofische Tanz-, Tafel- und andere »Unterhal- 
tungs«-Musik verwendet worden; sie scheint damit in 
musikalischer und soziologischer Hinsicht die Nach- 
folge des Rebec angetreten zu haben. - Die italieni- 
schen Bezeichnungen fiir die V. schwanken noch bis 
Anf ang des 1 7. Jh. , und es laBt sich meist nur aus dem je- 
weiligen musikalischen oder textlichen Zusammenhang 
erkennen, welches Instrument gemeint ist. Um 1550 
wurde die Zahl der Saiten auf vier erhoht (erstmals be- 
zeugt bei Jambe de Fer 1556; Vicentino 1555, f. 146', 
spricht noch von viole con tre corde senza tasti, d. h. ohne 
Bunde). Zwei urspriinglich 3saitige, auf 1542 und 1546 
datierte V.n von Andrea Amati (* vor 1511; vgl. C. 
Bonetti 1938), die im 19. Jh. beschrieben wurden (vgl. 
Boyden 1965, S. 19), sind heute verschollen. Zu den 
altesten erhaltenen V.n gehoren die Instrumente von 
-> Gasparo da Salo ; sie sind noch wenig gewolbt und 
haben eine starke Decke und parallel stehende F-L6- 
cher. Die klassische Form der V. entstand in der Schule 
von Andrea -> Amati in den Jahrzehnten vor 1600. Im 
17. Jh. entwickelte sich der italienische, deutsche und 
f ranzosische ->■ Geigenbau zu hochster Bliite. Ihre letzte 
Vollendung erhielt die V. durch ->■ Stradivari, dessen 
Modell von 1713 die noch heute iiblichen Abmessun- 
gen hat (Corpuslange 35,5 cm). 
Wahrend die Formen von Corpus, Wirbelkasten und 
Schnecke bis heute unverandert blieben, wurden Men- 
sur und Spannungsdruck seit etwa 1800 geandert, um 
die V. aus einem Kammer- zu einem Konzertinstru- 
ment umzuwandeln : die Saiten wurden starker ge- 
spannt; die Stimmung stieg, obwohl die Saiten zu- 
gleich verlangert wurden und mit ihnen Griffbrett und 
Hals, wodurch auch das Spiel in den hoheren Lagen 
erleichtert wurde; der Steg wurde starker gewolbt und 
auch erhoht, der schlankere Hals dementsprechend et- 
was nach riickwarts geneigt, um das Griffbrett wieder 
in gleiche Richtung mit den Saiten zu bringen. Das 
Griffbrett wurde gegen den Steg hin verbreitert und 
erhielt ebenfalls eine starkere Wolbung. Der veran- 
derte Winkel der Saiten iiber dem Steg erzeugte einen 
hoheren Druck auf die Decke und forderte einen kraf- 
tigeren Bafibalken. Fast alle alten V.n wurden auf diese 
Weise umgebaut; das Stradivari-Modell kam den An- 
derungen mehr entgegen als die starker gewolbte Stai- 
ner-Geige, die vorher als gleichwertig gegolten hatte. 
Seit ca. 1930 werden auch wieder vereinzelt V.n in 
alter Mensur gebaut (fiir Interpretationen von Wer- 
ken aus der Zeit vor 1800). Schon im 19. Jh. sind zahl- 
reiche Versuche (u. a. von Savart) unternommen wor- 
den, die wissenschaf tliche Erklarungen fiir den Klang 
der V. liefern sollten. Seit den 1920er Jahren setzte eine 
intensive Erforschung der akustischen Eigenschaften 
der V. und ihrer einzelnen Bauteile ein (z. B. Fuhr), 
spater unter zunehmender Heranziehung elektroaku- 
stischer MeBmethoden. 

Lit.: -* Geigenbau; M. Agricola, Musica instrumentalis 
deudsch, Wittenberg 1529, erweitert 21545, hrsg. v. R. Eit- 
ner, = PGfm Jg. XXIV, Bd XX, Lpz. 1 896, Nachdruck d. 
Ausg. v. 1529 Hildesheim 1967; G. M. Lanfranco, Le 
scintille di musica, Brescia 1533; Ph. Jambe de Fer, Epi- 
tome mus. . . . , Lyon 1 556, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, Ann. 
Mus. VI, 1958-63 ; L. Zacconi, Prattica di musica (I), Ve- 
nedig 1592; Praetorius Synt. II; P. Trichet, Trait6 des 
instr. de musique (um 1638-44), hrsg. v. Fr. Lesure, Ann. 
Mus. Ill, 1955 - IV, 1956, separat Neuilly-sur-Seine 1957, 



Suppl. in : The Galpin Soc. Journal XV, 1962 - XVI, 1963 ; 
Th. Mace, Musick's Monument, London 1676, Faks. 
Paris 1958; H. Le Blanc, D6fense de la basse de viole 
contre les entreprises du v. et les pretentions du vc, Am- 
sterdam 1740, NA in: RM VIII, 1927 - IX, 1929, deutsch 
v. A. Erhard, Kassel 1951; A. Baoatella, Regole per 
costruzione di v., Padua 1786, frz. als: Regies pour la con- 
struction des v., Padua 1883, Nachdruck Genf 1927; J. A. 
Otto, fiber d. Bau u. d. Erhaltung d. Geige . . ., Halle 
1817, engl. als: A Treatise of the Structure and Preserva- 
tion of the V London 1 860 ; ders., Ober d. Bau d. Bo- 

geninstr., Jena 1828, 3 1886, engl. als: Treatise on the con- 
struction . . ., London 1 833 ;G.Dubourg, The V., London 
1 836, 51 878 ; G. A. Wettengel, Lehrbuch d. Geigen- u. Bo- 
genmacherkunst, 2 Bde, Weimar 1 869 ; G. Hart, The V. : Its 
Famous Makers and Their Imitators, London 1875, 4 1909 ; 
A. Vidal, Les instr. a archet, 3 Bde, Paris 1876-79, Nach- 
druck London 1961 ; J. Ruhlmann, Zur Gesch. d. Bogen- 
instr., Braunschweig 1882; C. Engel, Researches Into the 
Early Hist, of the V. Family, London 1883, Nachdruck 
London 1965; E. H. Allen, V. Making, London 1884, 
21 894 ; ders., De fidiculis Bibliogr., 2 Bde, London 1 890-94, 
Nachdruck London 1961 ; F. Sacchi, La prima comparsa 
della parola v., Gazzetta mus. di Milano XLVI, 1 891, dazu 
G. Biscaro, ebenda XLVII, 1892; P. O. Apian-Bennewitz, 
Die Geige, d. Geigenbau u. d. Bogenverfertigung, Weimar 
1892, hrsg. v. O. Mockel, Lpz. 2 1920; A. Hajdecki, Die 
ital. Lira da braccio, Mostar 1892, Nachdruck Amsterdam 
1965; F. L. Schubert, Die V., hrsg. v. R. Hofmann, Lpz. 
1 892 ; L. Grillet, Les ancetres du v. et du vc, les luthiers et 
les fabricants d'archets, 2 Bde, Paris 1901 ; W. H., A. F. u. 
A. E. Hill, A. Stradivari, London 1902, 21909, Nachdruck 
NY 1964; dies., The V. Makers of the Guarneri Family, 
London 1931, Nachdruck NY 1965; W. L. v. Luttgen- 
dorff, Die Geigen- u. Lautenmacher v. MA bis zur Ge- 
genwart, Ffm. 1904, 2 Bde, 5-61922 ; W. M. Morris, British 
Violinmakers, London 1904, 21920; A. Fuchs, Taxe d. 
Streich-Instr., Lpz. 1907, bearb. v. H. Edler, Ffm. 51955; 
J. Gotz, Fiedelmusik in d. Iglauer Sprachinsel, Kgr.-Ber. 
Wien 1909; K. Schlesinger, The Instr. of the Modern 
Orch. and Early Records of the Precursors of the V. Family, 
2Bde, London 1910; H. Prunieres, Lamusiquedechambre 
et de l'ecurie sous le regne de Francois I er , L'annee mus. I, 
1911/12; G. Kinsky, Musikhist. Museum v. W. Heyer in 
Coin II, Koln 1912; A. Seiffert, Eine Theorie d. Geige, 
AfMw IV, 1922 ; St. Cordero di Pamparato, Emmanuele 
Filiberto di Savoia, protettore dei musici, RMI XXXIV, 
1927; M. Pincherle, Feuillets d'hist. du v., Paris 1927, 
21935 ; P. Stoeving, The V., Its Famous Makers and Players, 
Boston 1928 ; O. Haubensack, Ursprung u. Gesch. d. Gei- 
ge, Marburg 1930; O. Mockel, Die Kunst d. Geigenbaues, 
Bin 1930, hrsg. v. Fr. Winckel ( 2 195.4), Hbg 31966; E. Van 
der Straeten, The Hist, of the V., 2 Bde, London 1933; 
L. F. Geiger u. L. M. Cole, V. Making . . . , Chicago 1935 ; 
(F.) Hell, Ober alte Mensuren in d. Geigenfamilie, Zs. f. 
Hausmusik IV, 1935 (vgl. ebenda V, 1936) ; M. Emmanuel, 
The Creation of the V. and Its Consequences, MQ XXIII, 
1937; O. Foffa, Pellegrino da Montichiari Inventore del 
V.(?), Brescia 1937; J. Persijn, Origine du mot v., 's-Gra- 
venhage 1937 ; G. Strocchi, Liuteria. Storia ed arte, Lugo 
1 937 ; C. Bonetti, La genealogia degli Amati-Liutai e il pri- 
mato della scuola liutistica cremonese, Bollettino stor. cre- 
monese, Serie II, 8, 1938 ; G. Pasquali u. R. Principe, II v., 
Mailand 1939; Fr. Farga, Geigen u. Geiger, Zurich 1940, 
61965, engl. London 1950; C. Sachs, The Hist, of Mus. 
Instr., NY (1940), London 1942; N. Bessaraboff, Ancient 
European Mus. Instr., Boston 1941, Nachdruck 1964; E. 
Peluzzi, Chi fu l'inventore del v., RMI XLV, 1941 ; ders., 
Le regole di A. Bagatella, RMI XLVII, 1943; R. Doning- 
ton, The Instr. of Music, London 1949, Nachdruck 1964; 
ders., James Talbot's Ms., (darin MaBe d. V. um 1700), 
The Galpin Soc. Journal III, 1950; A. Baines, Fifteenth- 
Cent. Instr. in Tinctoris' »De Inventione et Usu Musi- 
cae«, ebenda; Fr. Lesure, La facture instr. a Paris au 
seizieme s., ebenda VII, 1954; ders., Notes sur la fac- 
ture du v. au XVI e s., RM, Nr 226, 1955 ; M. Moller, 
The V. Makers of the Low Countries (Belgium and Hol- 
land), Amsterdam 1955; W. Senn, Der Wandel d. Geigen- 
klanges seit d. 18. Jh., Kgr.-Ber. Hbg 1956; K. Jalovec, 
Ital. Geigenbauer, Prag 1957 ; ders., Deutsche Geigenbau- 
er, Prag 1967; Fr. Ernst, Die V. um 1800, Glareana VIII, 



1040 



Violinmusik 



1959; ders., Der alte V.-Hals, ebenda; R. Eras, Die ur- 
sprungliche Bauweise u. Mensurierung v. Streichinstr., Mf 
XIII, 1960, dazu D. Litzenberger in: Mf XIV, 1961; D. 
Lockhart, The Old V., London 1960; J. Eppelsheim, Das 
O'rch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Miinchner Veroff. zur 
Mg. VII, Tutzing 1961 ; W. v. Wartburg, Frz. Etymolo- 
gisches Worterbuch XIV, Basel 1961; S. Nelson, The V. 
Family, London 1964; E. Winternitz, The School of G. 
Ferrari and the Early Hist, of the V., in: The Common- 
wealth of Music, in Honor of C. Sachs, Glencoe (Wis.) 
1964; ders., G. Ferrari, His School, and the Early Hist, of 
the V., Varallo 1967 ; D. D. Boyden, The Hist, of V. Playing 
from Its Origins to 1761. . ..London 1965; ders., Enzyklo- 
padie d. Geigenbaues, 2 Bde, Prag 1967; W. Kolneder, 
Die mus.-soziologischen Voraussetzungen d. Violinen- 
entwicklung, in: Colloquium amicorum, Fs. J. Schmidt- 
Gorg, Bonn 1967. 

M. Mockel, Das Konstruktionsgeheimnis d. alten ital. 
Meister, Bin 1925; ders., Die Kunst d. Messung im Gei- 
genbau, Bin 1935; K. Fuhr, Die akustischen Ratsel d. 
Geige, Lpz. 1926, Ffm. 2 1958; H. Meinel, Frequenzkur- 
ven v. Geigen, Akustische Zs. II, 1937 - V, 1940; ders., 
Akustische Eigenschaften hervorragender Geigen, ebenda 
IV, 1939; ders., Akustische Eigenschaften v. Geigen ver- 
schiedener Qualitat, ebenda V, 1940; F. A. Saunders, The 
Mechanical Action of V., JASA IX, 1937/38; ders., The 
Mechanical Action of Instr. of the V. Family, JASA XVII, 
1945/46; ders., Recent Works on V., JASA XXV, 1953; H. 
Kayser, Die Form d. Geige, = Harmonikale Studien II, 
Zurich 1947; E. Rohloff, Der Klangcharakter altital. 
Meistergeigen, Zs. f. angewandte Physik II, 1950; U. 
Arns, Untersuchungen an Geigen, Diss. Karlsruhe (T. H.) 
1954; ders., Eine neue Art objektiver Qualitatsfeststel- 
lung an Geigen, Gravesaner Blatter II, 1957, H. 7-8; W. 
Lottermoser, Die akustische Priifung v. V., Kgr.-Ber. 
Wien 1956; ders. u. J. Meyer, Akustische Priifung d. 
Klangqualitat v. Geigen, Instrumentenbau-Zs. XII, 1957; 
C. M. Hutchins, A. S. Hopping u. F. A. Saunders, Sub- 
harmonics and Plate Top Tones in V. Acoustics, JASA 
XXXII, 1960. ED 

Violinmusik. Der Aufstieg der Violine von etwa 1610 
bis zum Ende des 18. Jh. war ein geschichtlicher Vor- 
gang, bei dem die hohe Kunst des -> Geigenbaus, die 
Entwicklung der Spieltechnik und das Ausreifen be- 
deutender Kompositionsformen in enger Wechselwir- 
kung standen. Die groBen Geigenbaumeister in Italien 
und in den Alpenlandern schufen ihre noch heute 
beriihmten Instrumente in derselben Zeit, in der die 
Violinmusik eine fur die gesamte Instrumentalmusik 
bedeutsame Entwicklung nahm: die begleitete Solo- 
sonate und die Triosonate waren vornehmlich f iir die 
Violine, das Concerto grosso und das Solokonzert von 
den komponierenden Violinmeistern selbst (Corelli, 
Torelli, Vivaldi u. a.) geschaffen worden. Diesem Auf- 
stieg der Violine nach 1600 war eine Aufwertung der 
Streichinstrumente seit etwa 1520 vorangegangen und 
beim Ubergang von der Renaissance zum Barock auch 
das solistische Heraustreten der Instrumentalisten in der 
Cappella. Im Unterschied zur Viola da gamba wurde 
die Violine meist von Berufsmusikern gespielt; der 
erste namentlich bekannte Violinspieler war Balta- 
zarini, der seit 1555 in Frankreich (unter dem Namen 
B. de Beaujoyeulx) tatig war. Die Mitwirkung der Vio- 
line in der Musik fur hofische Feste (Theater, Ballett 
und hofische Tanze) ist durch Bilddokumente und 
Auffiihrungsberichte bezeugt, wie vor allem durch die 
Beschreibung des unter Baltazarinis Leitung 1581 auf- 
gefiihrten Balet comique de la Royne (gedruckt 1582; 
f . 22f .) : . . . dix violons . . . commencerent a ioiier la pre- 
miere entree du Balet. Die 5st. Streichersatze dieses Bal- 
letts, die zwar fiir ein Ensemble von 10 Violininstru- 
menten (violons) komponiert sind, sich im iibrigen je- 
doch nicht von den ad. libitum zu besetzenden Instru- 
mentalsatzen der 2. Halfte des 16. Jh. unterscheiden, 
bezeichnet D. D. Boyden (1965, S. 56) als »die erste ge- 



druckte Violinmusik«. Auch der Bericht iiber eine in 
Florenz 1589 aufgefuhrte kurze 5st. Sinfonia von L. Ma- 
renzio, die eines der Intermedial zur Fiirstenhochzeit 
einleitete, nennt unter den ausfiihrenden Instrumenten 
eine Violine (veroffentlicht durch Cr. Malvezzi in : In- 
termedii e concerti, Venedig 1591). Monteverdi, in Cre- 
mona, der Stadt der Geigenbaucr Amati, groBgewor- 
den, verwendet dann 1610 schon in seinem Magnificat 
die Violine von der G-Saite bis zur 4. Lage auf der 
E-Saite (e3), im Combattimento . . . (1624) schreibt er 
pizzicato vor; in der groBen Arte im 2. Akt seines 
Orfeo laBt er zwei Violini piccoli allafrancese neben an- 
deren Instrumenten zur besonderen Charakterisierung 
mitwirken. G. Gabrieli fiihrt in seiner Sonatta con tre 
violini (1615 posthum gedruckt) die Instrumente bis 
zum c 2 , vermeidet aber noch die G-Saite, was zunachst 
allgemein iiblich war. Das Potential der Violine wird 
jedoch schon von G.P.Cima ausgewertet; seine Sonata 
per violino e violone (in: 6 Sonate per istrumenti a 2, 3 e 
4 voci, 1610 in Mailand gedruckt) darf als erste Violin- 
sonate gelten und macht die Entwicklung deutlich, die 
mit dem Aufstieg der solistischen, begleiteten Gesangs- 
kunst parallel lauft. Cimas Skalen und Figuren verraten 
zugleich die Ubung an einer nicht gedruckten impro- 
visierten Variationskunst und an Werken wie den Pas- 
saggi . . . (Venedig 1592) von R.Rognoni, dessen Sohn. 
Francesco Rognoni Taeggio diesem Werk eine Aggiun- 
ta del scolaro di violino & altri strumenti col basso conti- 
nuo . . . (Mailand 1614) folgen lieB. 
In denjahrzehnten bis zur Mitte des 17. Jh. entwickelte 
sich die Komposition fiir eine, zwei und mehrere Ober- 
stimmen mit B. c, wobei die Rolle der Violine immer 
mehr in den Vordergrund trat. Tanze wurden als Kam- 
mermusik stilisiert, in sonatenartigen Werken steigerte 
sich die spezielle Violintechnik. S.Rossi, D.Castello, 
Fr. Turini, O.M.Grandi, G.B.Fontana und B.Marini 
waren besonders als Komponisten von Solo- und 
-> Triosonaten Trager dieser Entwicklung seit Cima. 
M.Uccellini forderte in seinen Sonaten op. 3 (1645) 
die 5. Lage, in op. 5 (1649) die 6. Lage. Farina notierte 
bereits 1627 im Dienst programmatischer Musik (Ca- 
priccio stravagante) spieltechnische Effekte wie con leg- 
no, sul ponticello, glissando u. a. Bis etwa 1680 waren 
die wichtigsten Komponisten von Violinmusik in Ita- 
lien vorwiegend Kapellmeister und Organisten. In den 
fugierten Satzcn der Sonaten lebte die alte Polyphonie 
weiter; daneben begann der monodisch-kantable Stil 
in den Largo- und Adagiosatzen zu bliihen. Nach 1680 
wurde die bedeutende Violinmusik immer haufiger 
von den groBen Geigern selbst geschrieben. Im Laufe 
des 17. Jh. hatte sie sich aus der Abhangigkeit von der 
schon um 1600 hochentwickelten Gelaufigkeit des 
Spiels auf den Violen frei gemacht und eine eigene 
Figuration entwickelt, die der Quintenstimmung und 
der Spieltechnik auf dem bundlosen Griffbrett ent- 
sprach. Die zugleich fortschreitende Ablosung von 
den Vorbildern der vokalen Polyphonie und von der 
alteren Diminutionstechnik ermoglichte die motivische 
und thematische Erfindung aus der Spielweise des In- 
struments. Diese Entwicklung des ersten Jahrhunderts 
der Violinmusik faBte Corelli mit den 12 Sonate a vio- 
lino e violone o cimbalo op. 5 (Rom 1700) zusammen, 
die gemaBigte Virtuositat der Doppelgriffe und der 
Figuration (ohne hoheres Lagenspiel) entf alten; die in 
durchlaufender schneller Bewegung gefuhrten Satze, 
die Corelli hier den 4 Satzen der Kirchensonaten (Nr 
1-6) zufiigte, finden sich bis heute in Etudensamm- 
lungen; die Variationen iiber La Follia (Nr 12) sind ein 
representatives Vortragsstiick geblieben. Corellis Vio- 
linsonaten wurden bis 1800 immer wieder neu ge- 
druckt; nur im Schatten der klassischen Musik trat 



66 



1041 



Violinmusik 



voriibergehend das Interesse zuriick. Bis in die 2. Half te 
des 19. Jh. wurden in Italien Solo- und Triosonaten 
(z. B. von Corelli op. 1 und 3) mit der Satzfolge der 
Kirchensonate (— *■ Sonate) wahrend der Liturgie bei 
der Wandlung (Elevazione) gespielt. In der Markus- 
kirche in Venedig war ab 1692 dafiir ein Geiger ange- 
stellt. Die wichtigsten Komponisten von Sonaten aus 
der Zeit und in der Nachfolge Corellis sind: G.B. u. 
T.Vitali, A. u. Fr. M. Veracini, Albinoni, F.Dall'Aba- 
co, Vivaldi, Geminiani, G.B.Somis; sie ubernahmen 
Satzfolge und andere Charakteristika der Sonaten Co- 
rellis wie auch noch G. Ph. Telemann, G.Fr. Handel 
und J.S.Bach. Neben der Kammersonate und der 
4satzigen Kirchensonate gewann nun auch die 3satzige 
Sonate an Bedeutung. 

Virtuoser als Corelli, aber in Form und kantablem Aus- 
druck nicht gleicherart ausgewogen, war die Kunst der 
deutschen Geiger. Sie traten im Laufe des 17. Jh. mit 
einer Violintechnik hervor, die sich seit dem Beginn 
des Jahrhunderts aus improvisierten und fixierten Va- 
riationen iiber Lieder und Tanze entwickelt hatte und 
Doppelgriffspiel einschloB. (An italienischen Geigern 
wirkten in Deutschland B. Marini und C. Farina.) Spie- 
geln etwa Werke von Vierdanck (1641) und das Lehr- 
werk von D. Speer (1687) die Art des Ensemblespiels, 
so zeigen Sonaten von Ph. Fr. Boeddeker (Sacra parti- 
tura, StraBburg 1651) und J. H. Schmelzer (1664) die 
Kunst der Solisten. Einige Werke des virtuosen deut- 
schen Geigers Th. Baltzar wurden posthum von Play- 
ford in The Division-Violin (1685) veroffentlicht, einem 
Werk, das iiber den Stand des Violinspiels in England 
und die Bevorzugung von Variationen (-*■ Division) 
Auskunft gibt. Als der groBe Virtuose des 17. Jh. do- 
kumentiert sich in seinen Scherzi (1676) J.J.Walther 
mit durchdachter und genau bezeichneter Violintech- 
nik, die sich auf Passagen, Staccato, Doppelgriffe, Ar- 
peggien und hohe Lagen erstreckt. Auch er laBt, wie 
schon Marini, eine Sonate fur 2 Violinen auf einem In- 
strument spielen (Hortulus chelkus, 1688). Als Kompo- 
nist vielseitiger ist H. I. Fr. Biber, der die Violine auch in 
der Kirchenmusik einsetzte. Seine Technik entspricht 
etwa der von Walther; doch die vielfaltige Verwen- 
dung der -*■ Scordatura unterscheidet ihn von ihm. 
Den Zyklus seiner Mysteriensonaten schlieBt er mit 
einer groBen Passacaglia fur Violine ohne BaB ab. Das 
virtuose Spiel auf der unbegleiteten Violine hatte in 
Deutschland eine besondere Tradition. Von Baltzar 
stammen die ersten bedeutenden Stiicke, J.P.v.West- 
hoff veroffentlichte 1682 in Paris eine Suite, deren An- 
forderungen an das Doppelgriff- und Akkordspiel auf 
J. S. Bach weisen. Sonaten fur Violine ohne BaB schrie- 
ben Geminiani (1705) und Pisendel (1716?). Die von 
J.S.Bach im Jahre 1720 vollendeten Sei solo a violino 
senza bafio sind drei mehrsatzige Sonaten und drei Par- 
titen fur Violine allein und fassen diese Traditionen in 
einem Gipf elwerk zusammen ; ingeniose Erfindungen 
fur das mehrstimmige Spiel auf einer Violine, die ho- 
hen Anforderungen an die Bogentechnik, die reife 
Auspragung der 4satzigen Kirchensonate, die Stilisie- 
rung der Tanzsatze in der Suite und die virtuose Va- 
riationskunst in der Ciacona verbanden sich hier zur 
groBten Aufgabe fur den Geiger. Weitere Werke fiir 
Violine allein schrieben P.Locatelli (1733), G Ph. Tele- 
mann (Fantasien 1735), J. FL Roman (Assaggi, 1730-40) 
und G.Guillemain (op. 18, 1762). In Bachs 6 Sonaten 
fiir Violine und Cembalo iibernimmt in kontrapunk- 
tischen Satzen die rechte Hand des Cembalospielers 
eine von drei Stimmen; in einigen langsamen Satzen 
sind ihr ausgearbeitete Begleitfiguren anvertraut. Die 
Violinsonate der Wiener Klassiker entwickelte sich je- 
doch nicht aus dieser Form; ihre Vorlaufer waren Kla- 



viersonaten »mit begleitender Violine« (J.Chr.Bach 
u. a.). Mit seinen Violinkonzerten griff J.S.Bach die 
neueste italienische Kompositionsweise auf. Schon bei 
Albinoni (ab 1695) und Torelli (1709) war die Violine 
im Concerto solistisch hervorgetreten; mit Vivaldi, der 
mit seinem op. 3 die Form ausbaute, begann das Solo- 
konzert eine wichtige Rolle zu spielen. Der Aufbau des 
ersten Satzes mit Hauptmotiv und Nebenmotiven und 
figurierten Solopartien wurde epochemachend fiir die 
neue concertierende Violinmusik. Da auch Konzerte 
fiir zwei und mehrere Violinen geschrieben wurden, 
ist die Geschichte des Violinkonzerts zunachst mit der- 
jenigen des Concerto grosso verbunden. 
In Frankreich wurde im 17. Jh. das Orchesterspiel vom 
Adel und besonders vom KSnigshofe sehr gefordert. 
Den beriihmten Vingt-quatre violons du Roy, schon 
1626 unter Ludwig XIII. zusammengestellt, fiigte 1656 
Ludwig XIV. die Petits violons (16 Spieler) hinzu; mit 
der Aufgabe, diese auszuwahlen und zu einem Elite- 
orchester heranzubilden, war J.-B. Lully (der selbst Gei- 
ger war) betraut. In seinen sorgfaltigen Einstudierun- 
gen entwickelte er nicht nur einen weithin vorbildlichen 
Vortrag der hofischen Tanze und der Ballettanze, son- 
dern auch ab 1660 den Stil der franzosischen Ouver- 
tiire mit den charakteristischen punktierten Rhythmen. 
In seinem Neu-Eroffneten Orchestre (1713) lobte Mat- 
theson die Art und Weise der Auffiihrung bei den 
Franzosen iiber alles und erklarte: Sie lernen es aber 
vorhero fast ganz auswendig und schamen sich nicht . . . 
ein Ding wohl hundertmal zu probieren. Der Wiener 
Georg Muffat beschrieb voller Bewunderung jene 
Stricharten der Franzosen, bei welchen, um bei leb- 
haftem Tempo immer auf den 1. Taktteil Abstriche 
zu gewinnen, von 3 Noten die 2. und 3. mit einem 
Aufstrich gleichsamb hupfend hinauff gestofien wurden 
(Vorwort zum Florilegiutn II, 1698). Auf der Grund- 
lage des durch Lully entwickelten Violinspiels erwuchs 
um 1700 solistische Violinmusik mit GeneralbaB auch 
in Frankreich. Sie ist der erste Anfang einer langen 
Entwicklung, in der die franzosische Violinkunst in 
stetiger Auseinandersetzung mit italienischen Anre- 
gungen solche Bedeutung gewann, daB sie am Ende 
des Jahrhunderts die Fiihrung iibernehmen konnte. 
J. F. Rebel (ab 1695) stellte in seinen suitenartigen Satz- 
folgen technische Anspriiche, die iiber diejenigen des 
Orchesterspiels hinausgingen. Fr. Duval (ab 1704), der 
erste Spieler von Sonaten Corellis in Paris, verwendete 
dessen 4satzige Form neben dem franzosischen Suiten- 
stil. Italienisch geschult waren auch die Mitglieder der 
koniglichen Kapelle J.B.Anet, Schiiler Corellis, und 
Senallie', Komponist von 50 Violinsonaten. In den Jah- 
ren nach 1725 machte sich das Vorbild Vivaldis gel- 
tend, mit dessen Konzerten J.P.Guignon ab 1728 in 
den Concerts spirituels Triumphe feierte. Guignon 
hatte, wie auch G. Guillemain und J.-M.Leclair, in Tu- 
rin bei Corellis Schiiler G. B. Somis studiert, der seiner- 
seits Paris besuchte. J. Aubert, Schiiler Senallies, gilt als 
der erste Komponist und Spieler von franzosischen 
Violinkonzerten fiir eine konzertierende Violine und 
3 Prinzipalviolinen mit BaB (1735). Neben der Sonate 
fiir Solovioline mit B. c. und der Triosonate gewannen 
auch Sonaten fiir 2 Violinen ohne BaB an Bedeutung, 
z. B. von J. Aubert und Leclair. Im Duosatz stellte M. 
Corrette in seiner Violinschule (1738) einer franzosi- 
schen Ouvertiire mit nachfolgenden Tanzsatzen eine 
4satzige italienische Sonate gegeniiber. Er zeigt zwei 
Spielweisen, die sich durch Bogenhaltung und Strichbe- 
handlung unterscheiden ; die Beispiele im franzosischen 
Stil sind im g-Schliissel auf der untersten Linie notiert 
(»franzosischer Violinschlussek), die italienischen Bei- 
spiele in der noch heute ublichen Art (sie fiihren bis 



1042 



Violinmusik 



in die 7. Lage). J.-J. Mondonville verwendet in Sona- 
ten Flageolettspiel (um 1738). Leclair (49 Sonaten, 12 
Violinkonzerte) vermittelte die von Frankreich ad- 
aptierte Kunst Corellis an J.-B.L'Abbe le fils (Violin- 
schule 1761) und an P.Gavinies, den Komponisten 
empfindsamer Kammermusik und schwierigster Ca- 
pricen. Der italienisch geschulte Guillemain schrieb 
spezifisch virtuose Capricen fur Violine solo (op. 18, 
1762). Gavinies' Schiiler S.Leduc verband in seinen 
schon klassisch geformten Sonaten (1767, 1771) als Aus- 
klang der Epoche mit dem GeneralbaB eine kantable 
Melodik, die derjenigen Mozarts nahesteht. 
Mit den Anforderungen an das Lagenspiel und die 
Bogentechnik hatte sich die Geigenhaltung geandert. 
Ein Gemalde von Gerrit Dou (1665) zeigt noch einen 
Violinspieler, der sein Instrument in der Herzgegend 
an die Brust setzt und den Bogen leicht, mit abgeho- 
benem kleinem Finger f iihrt. J. Chr. Weigel (Musica- 
lisches Theatrum, um 1720) laBt die Geige an den Hals 
setzen, wobei das Kinn sie nicht beriihrt. So ist auch 
der Geiger noch auf Titelblattern von Corrette (1738) 
und Fr. M. Veracini (1744) abgebildet. Das Festhalten 
mit dem Kinn als Voraussetzung fiir eine bewegliche 
linke Hand wurdejedoch schon 1677 von JJ.Prinner 
(Musicalischer Schlissl) gefordert (vgl. Federhofer 1960). 
Der markanteste Beweis fiir virtuose Grifftechnik sind 
die 24 Capricci, die P. Locatelli als Kadenzen fiir seine 
Concerti op. 3 (1733) veroffentlichte; sie fiihren bis in 
die 14. Lage. An Locatellis Virtuositat kniipfte erst wie- 
der Paganini an. Geminiani, Schiiler von Corelli, brach- 
te in seiner seit 1751 mehrfach gedruckten und iiber- 
setzten Violinschule, der ersten, die im 18. Jh. eindeutig 
fiir den Berufsgeiger bestimmt war, neben traditio- 
nellen Aufgaben und Verzierungsanweisungen die er- 
sten methodischen Beispiele, die in verschiedenen 
Stricharten getibt werden sollten. Differenziertes La- 
genspiel wurde schon durch Tessarini gefordert, der in 
seiner Violinschule (1741) wertvolle Beispiele fiir das 
Spiel in der 2., 3. und 4. Lage gab. G.Tartini mit dem 
Beinamen »Maestro delle nazioni« hatte ab 1727/28 
etwa 40 Jahre lang in Padua groBen EinfluB auf die 
Entwicklung des Violinspiels. Er schrieb 135 Violin- 
konzerte, die ebenso wie viele seiner etwa 200 Sonaten 
fiir kirchlichen Gebrauch entstanden. In L'arte del ar- 
co . . ., ab 1745 mehrfach gedruckt, verbindet Tartini 
die Obung vielseitiger und virtuoser Bogentechnik mit 
anspruchsvollen Griffaufgaben anhand von 50 Varia- 
tionen iiber eine Gavotte von Corelli. Sein Schiiler 
Nardini steht ahnlich wie Tartini zwischen Barock und 
Friihklassik. Nardini war beriihmt wegen seines Spiels 
reich verzierter Adagios; zugleich weist sein Stil auf die 
Kantabilitat J. Chr. Bachs und W. A. Mozarts. Aus Tar- 
tinis Kompositionen verwendet L. Mozart Beispiele in 
seiner umfassend und systematisch angelegten Violin- 
schule (1756), die auch einige etudenartige Duoiibun- 
gen enthalt. W. A. Mozarts Vorstellungen von Violin- 
komposition und -spiel waren auch durch Eindriicke 
in Paris, London und Mannheim bestimmt, die vor 
allem fiir die Entwicklung seiner Sonaten bedeutsam 
waren; diese sind zunachst noch Klaviersonaten mit 
Violinbegleitung (s. u.). Mozarts 5 Violinkonzerte, 
1775 in Salzburg wohl zum eigenen Gebrauch ge- 
schrieben, verbinden innerhalb der Sonatensatzform 
das Konzertieren mit der thematischen Differenzierung 
symphonischer Musik. 

1775 erlebten in Paris, der europaischen Hauptstadt der 
Violinkunst, etwa 20 neue Violinkonzerte verschie- 
dener Komponisten ihre erste Auffiihrung. Gavinies 
und seine Schiiler wurden durch die Mannheimer Sym- 
phonik und durch Schiiler Tartinis beeinfluBt. G.B. 
Viotti fand in Paris das Publikum, das ihn bei seinem 



ersten Auftreten (1782-83) stiirmisch feierte. Den gro- 
Ben klingenden Strich hatte er von Pugnani, einem 
Schiiler von Somis, gelernt. Ihre ganze Macht solle die 
Violine im Konzert entfalten, schrieb spater Baillot, 
Viottis leidenschaftlicher Vorkampfer: »geboren zu 
herrschen, ist hier der Ort, an dem sie als Souveran 
regiert«. In den Jahren nach der Griindung des Pariser 
Conservatoire (1795) entstanden die bis heute giiltigen 
lehrhaften Werke, mit denen sich der Ubergang von 
der Caprice zur Etude vollzog (Themelis 1967). R. 
Kreutzer veroffentlichte seine 40 Etudes ou caprices, 
Baillot folgte mit 12 Caprices ou etudes pour le violon 
avec accompagnement de basso, ferner Viottis Schiiler P. 
Rode (der die Violinkonzerte seines Lehrers bekannt- 
machte und selbst 13 Violinkonzerte schrieb) mit seinen 
24 Caprices en forme d 'etudes in alien Tonarten. Mit 
Kreutzers Sammlung wurde das spezielle technische 
Problem als Aufgabe isoliert, wahrend in der Caprice 
noch auf den musikalischen Sinngehalt geachtet wurde, 
auch wenn die Schwierigkeiten auBerordentlich wur- 
den, wie in den posthum veroffentlichten 24 Matinees 
von P.Gavinies und den schon um 1810 entstandenen 
24 Capricci per violino solo von N. Paganini. In dieser 
Bliitezeit der Violine war man zugleich bestrebt, auch 
am Konnen und an den Werken alterer Meister zu 
lernen. Als Alterswerk hatte Corrette 1782 in L'art de 
se perfectionner dans le violon Stiicke und schwere Stellen 
von verschiedenen Meistern des friihen 18. Jh. zusam- 
mengestellt; Gleiches unternahm J.B.Cartier in L'art 
de violon (ab 1798), wo J. S. Bachs Fuge in A moll 
(BWV 1003) und Tartinis Sonate mit dem »Teufels- 
triller« zum erstenmal veroffentlicht wurden. Corellis 
Werke wurden wieder neu gedruckt. Die Etiiden 
von F.Fiorillo (um 1800) und die Violinschule von 
B.Campagnoli (1797) bekunden zur gleichen Zeit die 
Vielseitigkeit und den hohen Stand der italienischen 
Violinkunst. 

In Paris schuf Tourte den modernen Violinbogen, der 
die federnde Technik des »Viotti-Strichs« und die Dif- 
ferenzierungen der Bogenfuhrung bei Kreutzer, Rode 
und Baillot ermoglichte. Der Englander John Dodd 
ging gleichzeitig selbstandig ahnliche Wege. Die mei- 
sten der alten Violinen wurden seit 1800 umgebaut; 
durch Verlangerung von Hals, Griffbrett und Saiten, 
durch Erhohung des Stegs und starkere Spannung der 
Saiten konnten sie dem Spiel in hohen Lagen, dem Be- 
diirfnis nach stark differenzierter Ausdrucksdynamik 
und den klanglichen Forderungen der grSBeren Kon- 
zertsale besser dienen. - Die Kronung gab dieser Vio- 
linkunst Beethoven in seinem Violinkonzert (op. 61, 
1806) mit Anforderungen an den Spieler, die erst nach 
Jahrzehnten erfiillt wurden. Beethovens Violinsonaten 
stehen in der Tradition der Klaviersonaten mit be- 
gleitender Violine. Diese waren nicht aus der General- 
bafisonate hervorgegangen. Werke jener zukunfts- 
weisenden Art waren veroffentlicht worden von J.-J. 
Mondonville (1734), Ch. Fr. Clement (1743), Guille- 
main (1745), J.Schobert (1760), J.-J. Beauvarlet-Char- 
pentier (1773), Boccherini (1768) und J. Chr. Bach (ab 
1775). N.J.Hiillmandel, dessen friihe Sonaten Mozart 
kannte, vereinigte in op. 6 (1782) und op. 9 (1787) So- 
naten fiir Pfte mit Violine ad libitum und solche mit 
»Violon oblige«. Mozarts Sonaten ab 1778 und die 10 
Violinsonaten von Beethoven gewannen in steigenden 
Graden die ausgewogene Partnerschaft der beiden so 
ungleichen Instrumente. 

Gilt Viotti als letzter Violinist der italienischen Tradi- 
tion und zugleich als Initiator neuer Entwicklungen 
in Frankreich, so war Paganinis europaisches Wirken 
gleichsam ein damonisches Nachspiel. Er spielte nur 
eigene Werke; ihre Bedeutung liegt weniger im For- 



66* 



1043 



Violinmusik 



malen oder Stilistischen, als vielmehr in der Entfaltung 
einer spezifischen Virtuosenphantasie, die durch die 
Verbindung von Bogen- und Pizzicatospiel, Doppel- 
griffe, Benutzung hochster Lagen, Spezialtechnik fiir 
schnelle chromatische Skalen, Doppeltriller und Dop- 
pelgrifmageoletts faszinierte und auch auf die Klavier- 
technik (vor allem bei Liszt, aber auch bei Chopin und 
R. Schumann) nachhaltig einwirkte. - Im AnschluS an 
Rode und R. Kreutzer schrieb Spohr seine ersten Vio- 
linkbnzerte. In seinen reifen Violinwerken verbindet 
er klassizistische und romantische Elemente mit melo- 
dioser Virtuositat. Der Lehrgang seiner 1832 erschie- 
nenen Violinschule f (ihrt schnell zu hohen technischen 
Anspriichen und reprasentiert wie Spohrs Konzerte, 
Kammermusiken und Duos letztmalig die Kunst eines 
komponierenden Violin virtuosen, dessen Werke zu- 
gleich einen allgemein verbindlichen Zeitstil vertreten 
(vergleichbar mit Ch. A. de Beriot in Paris). Die grofien 
Violinkonzerte seit Beethoven, die heute noch im Kon- 
zertsaal zu horen sind, wurden nicht mehr von Gei- 
gern geschrieben; zu nennen sind: Mendelssohn Bar- 
tholdy (1844), R.Schumann (1853), Bruch (1866), 
Brahms (1878), Tschaikowsky (1878), Dvorak (1879- 
80); ferner E.Lalo, Goldmark, Saint-Saens, H. Gotz, 
Busoni. - Eine Frucht des Historismus ist Die hohe 
Schule des Violinspiels, eine Sammlung von Violin- 
sonaten des 17. und 18. Jh., die F.David, ein Schiiler 
Spohrs, 1867-72 herausgab. Violinmusik von kom- 
ponierenden Violinvirtuosen entstand jedoch weiter- 
hin bis gegen Ende des 19. Jh. Baillots Schule gehoren 
Beriot (10 Konzerte), Mazas und Dancla an; sie schrie- 
ben auchEtiiden und Lehrwerke, die lange in Gebrauch 
blieben. Schiiler von Beriot war der Belgier Vieux- 
temps, der ahnlich wie der Pole H. Wieniawski das 
Erbe Paganinis mit der Tradition der franzosischen 
Schule und ihres Violinkonzerts verband. 
In Wien hatte sich aus der Pflege der klassischen Musik 
und vor allem des Streichquartetts eine neue Geiger- 
tradition gebildet. Schon in Haydns Quartetten wer- 
den vielfach an die Violine Anspriiche gestellt wie vor- 
dem im Violinkonzert. Neben Schuppanzigh, Fr. Cle- 
ment und Mayseder aus dem Kreis um Beethoven war 
J. Bohm die iiberragende Personlichkeit ; zu dessen 
Schulern gehorten Hellmesberger, H.W.Ernst (der 
wie Paganini gefeiert wurde), Dont und E. Singer. J. 
Joachim, Schiiler Bohms und gereift durch seinen Um- 
gang mit Mendelssohn Bartholdy und Liszt, mit R. 
und Clara Schumann sowie mit Brahms, bildete sich 
und spater eine groBe Zahl von Schulern zu einem 
neuen Typus des verantwortungsvollen Interpreten 
aus und wurde damit zu einem Exponenten der Violin- 
kunst in der 2. Halite des 19. Jh. Die 3 Violinsonateh 
von Brahms und die Sonate von C. Franck sind fiir diese 
Zeit reprasentativ geblieben und losten eine vielfaltige 
Fortfuhrung aus (Debussy, Bartok, Prokofjew, Hinde- 
mith u. a.). - Mit den 1 1 Sonaten und 13 Praludien und 
Fugen von Reger gewann die Komposition fiir Violine 
allein wieder neue Bedeutung und Nachfolge (Hinde- 
mith, Honegger, J.N.David, Bartok u. a.). Violin- 
konzerte schrieben im 20. Jh. Sibelius (1903-05), Gla- 
sunow (1903), Reger (1908), Elgar (1910), C.Nielsen 
(1911), Delius (1916), Szymanowski (1917 u. 1933), 
Pfitzner (1923), Prokofjew (1921 u. 1937), Strawinsky 
(1931), A.Berg (1935), Schonberg (1936), Bartok 
(1937-38), Hindemith (1939), ferner Respighi, Mil- 
haud, J.N.David, Kfenek, C.Beck, Egk, K.A.Hart- 
mann, Former, Genzmer, Nono u. a. - Mit neuer Be- 
sinnung auf die Probleme des Anfangers schrieb A. 
Moser den 1. Band der Violinschule von J.Joachim. 
F.Kuchler (1911, H1930) ging weiter bis zur Beriick- 
sichtigung des kindhchen Alters des Anfangers; mit 



Einbeziehung alter und neuer Musik setzten diese Ten- 
denz Erich und Elma Doflein (5 Bde, 1932-50), W. 
Isselmann u. a. fort. In spezialisierten Lehrwerken und 
Schriften wurden Praxis und Theorie der Technik des 
Violinspiels mehrfach systematisch dargestellt. O. 
-> Sevcik isolierte die einzelnen Aufgaben der Griff- 
und Bogentechnik (1883 u. 6.) ; Werke, die sich speziell 
der Entwicklung der Spieltechnik widmen, schrieben 
u. a. L.Capet (1916), Havemann (1928) undJ.Fechner 
(1954). In C. Fleschs Die Kunst des Violinspiels (1923-28) 
sind die Probleme der Spieltechnik, der Psychologie 
des Spielers und der kiinstlerischen Gestaltung erst- 
malig grundlich durchdacht und verbunden, gestiitzt 
auf Erkenntnisse von F. A. Steinhausen und W.Tren- 
delenburg sowie des Padagogen S. -> Eberhardt. 
Ausg. : The Division Violin, hrsg. v. J. Playford, London 
2 1685; L'art de se perfectionner dans le violon, hrsg. v. M. 
Corrette, Paris 1782; L'art du violon, hrsg. v. J.-B. Car- 
tier, Paris 1798, erweitert 31803; Die hohe Schule d. 
Violinspiels. Werke beruhmter Meister d. 17. u. 18. Jh., 
hrsg. v. F. David, 23 H., Lpz. (1867-72, 21903), NA 1958; 
Instrumentalsatze v. Ende d. 16. bis Ende d. 17. Jh., hrsg. 
v. W. J. v. Wasielewski, Bonn 1874, Bin 21905; Instr.- 
Konzerte deutscher Meister, hrsg. v. A. Scherino, = DDT 
XXIX/XXX, Lpz. 1907; Das Violinspiel vor 1700 in 
Deutschland, 5 H., hrsg. v. G. Beckmann, Lpz. 1918-21; 
Violinmusik d. Barock, hrsg. v. B. Paumgartner u. a., 
Zurich 1951 ; Violinbibl., Mainz (1965ff.). 
Lit. : Kat. : A. K. Tottmann, Fiihrer durch d. Violinun- 
terricht, Lpz. 1874, 21866, als: Fiihrer durch d. Violinlit., 
bearb. v. W. Altmann, ''1935; R. Hofmann, Fiihrer durch 
d. Violin-Lit., Lpz. 1904, als : Neuer Fiihrer durch d. Violin- 
u. Va-Lit., 2 1909; W. Altmann, Kammermusiklit., Verz. 
v. seit 1841 erschienenen Kammermusikwerken, Lpz. 1910, 
6 1945; ders., Orch.-Lit.-Kat., Verz. v. seit 1850 erschiene- 
nen Orchesterwerken, 2 Bde, Lpz. 1919, 21937 ; M. Gruen- 
berg, Fiihrer durch d. Lit. d. Streichinstr., Lpz. 19 1 3 ; Fl. v. 
Reuter, Fiihrer durch d. Solo- Violinmusik, Bin (1926); 
Cyclopedic Survey of Chamber Music, hrsg. v. W. W. 
Cobbett, 2 Bde, London 1929, mit Suppl.-Bd hrsg. v. C. 
Mason, 21963 ;H.Letz, Music for the Violin and Va, = The 
Field of Music II, NY 1948; Cl. Sartori, Bibliogr. della 
musica strumentale ital. stampata in Italia flno al 1700, 
= Bibl. di bibliogr. ital. XXIII, Florenz 1952; J. Fr. Rich- 
TER,Kammermusik-Kat. (1944-48), Lpz. 1960; V. Duck- 
les u. M. Elmer, Thematic Cat. of a Ms. Collection of 18 th - 
Cent. Ital. Instr. Music in the Univ. of California Berkeley 
Music Library, Berkeley (Calif.) 1963; M. K. Farish, 
String Music in Print, NY 1965. 

Violinmusik: F. Regli, Storia del violino in Piemonte, 
Turin 1863 ; W. Sandys u. S. A. Forster, The Hist, of the 
Violin, London 1864; W. J. v. Wasielewski, Die Violine 
u. ihre Meister, Lpz. 1869, bearb. v. W. v. Wasielewski, 

11904, 7-81927; ders., Die Violine im XVII. Jh Bonn 

1874, mit Beispiel-Bd, Bin 21905 ; G. Hart, The Violin and 
Its Music, London 1 881 ; L. Torchi, La musica strumentale 
in Italia nei s. XVI, XVII e XVIII, Gazetta mus. di Milano 
LVII, 1901, separat Turin 1901 ; P. Stoeving, The Story of 
the Violin, London 1904; ders., The Violin. Its Famous 
Makers and Players, Boston 1928; A. Schering, Gesch. 
d. Instrumentalkonzerts, = Kleine Hdb. d. Mg. nach Gat- 
tungen I, Lpz. 1905, 2 1927, Nachdruck Hildesheim u. 
Wiesbaden 1965; ders., Zur Gesch. d. Solosonate in d. 1. 
Halfte d. 17. Jh., Fs. H. Riemann, Lpz. 1909, Nachdruck 
Tutzing 1965; M. Reuchsel, L'ecole classique du violon, 
Paris 3 1906; C. Sachs, Musik u. Oper am kurbrandenbur- 
gischen Hole, Bin 1910, Nachdruck Hilversum 1967; M. 
Pincherle, La technique du violon chez les premiers so- 
natistes frc. (1695-1723), Bull. fr?. de la Soc. Internationale 
de musique VII, 1911; ders., Les violinistes, compositeurs 
et virtuoses, Paris 1922; ders., Feuillets d'hist. du violon, 
Paris 1927, 2 1935; Br. Studeny, Beitr. zur Gesch. d. Vio- 
linsonate im 18. Jh., Miinchen 191 1 ; L. de La Laurencie, 
L'ecole fr?. de violon de Lully a Viotti, 3 Bde, Paris 1922- 
24; A. Moser, Gesch. d. Violinspiels (Einleitung v. H. J. 
Moser), Bin 1923, erganzt v. H.-J. Nosselt, Bd I (Das Vio- 
linspiel bis 1 800), Tutzing 2 1 966 ; A. Pougin, Le violon, les 
violinistes et la musique de violon du XVI e au XVIII C s., 



1044 



Violino piccolo 



Paris (1924); A. Bonaventura, Storia del violino, dei vio- 
linisti e della musica per violino, Mailand 1925, 21933; M. 
Gruenbero, Meister d. Violine, Stuttgart u. Bin 1925; H. 
Neurath, Das Violinkonzert in d. Wiener klass. Schule, 
StMwXIV, 1927; G. R. Hayes, Mus. Instr. and Their Mu- 
sic 1 500-1 750, 2 Bde, London 1 928-30 ; E. Van der Strae- 
ten, The Hist, of the Violin, 2 Bde, London 1933; E. H. 
Meyer, Diemehrst. Spielmusik d. 17. Jh. in Nord- u. Mit- 
teleuropa, = HeidelbergerStudienzurMw.il, Kassel 1934; 
ders., Engl. Chamber Music, London 1946, 2 1 951, deutsch 
als: Die Kammermusik Alt-Englands, Lpz. 1958; A. 
Schlossberg, Die ital. Sonata f. mehrere Instr. im 1 7. Jh., 
Diss. Heidelberg 1935; P. G. Gelrud, A Critical Study of 
the French Violin School (1782-1882), Diss. Cornell Univ. 
(N. Y.) 1 941 , maschr. ; Dr. Plamenac, An Unknown Vio- 
lin Tablature of the Early 17 th Cent., PAMS 1941; H. 
Mischkin, The Solo Violin Sonata of the Bologna School, 
MQ XXIX, 1943; W. C. Gates, The Lit. for Unaccom- 
panied Solo Violin, Diss. Univ. of North Carolina 1949, 
maschr.; Fr. Giegling, Giuseppe Torelli. Ein Beitr. zur 
Entwicklungsgesch. d. ital. Konzerts, Kassel 1949; ders., 
Die Solosonate, = Das Musikwerk XV, Koln (1959); R. 
H. Rowen, Early Chamber Music, NY 1949; J. Berger, 
Notes on Some 17 tb -Cent. Compositions for Trumpets and 
Strings in Bologna, MQ XXXVlI, 1951 ; G. Piccoli, Trois 
s. de 1'hist. du violon, 1617-1917, Nizza 1954; Aspects 
inedits de l'art instr. en France, hrsg. v. N. Dufourcq, 
RM, Sonder-Nr 226, 1955; D. Stevens, Unique Ital. Instr. 
Music in the Bodleian Library, CHM II, Florenz 1956; B. 
Schwarz, Beethoven and the French Violin School, MQ 
XLIV, 1958 ; W. St. Newman, The Sonata in the Baroque 
Era, Chapel Hill/N. C. (1959); J. Eppelsheim, Das Orch. 
in d. Werken J.-B. Lullys, = Munchner Veroff. zur Mg. 
VII, Tutzing 1961; J. Szigeti, Beethovens Violinwerke, 
Zurich 1965. 

Lehrwerke: S. Ganassi, Regola Rubertina, 2 Teile, Vene- 
dig 1542-43, Faks. hrsg. v. M. Schneider, 2 Bde, = Veroff. 
d. Fiirstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Biickeburg II, 3, 
Lpz. 1924; G. Janetti, II scolaro . . ., Mailand 1645; J. 
PLAYFORD.ABreefelntroductiontotheSkillofMusick. . ., 
London 1654 u. 6. bis 1730 (darin seit d. Ausg. v. 1657: 
Directions for Playing the Viol de Gambo and Treble Vio- 
lin); O. Merck, Compendium Musicae Instr. Chelicae, 
Augsburg 1688; anon., Nolens volens or You Shall Learn 
to Play on the Violin Weather You Will or Not, London 
1695; anon., The Self Instructor on the Violin, London 
1695; M. P. Monteclair, Methode facile pour apprendre 
a jouer Ie violon, Paris (1711 oder 1712); S. de Brossard, 
Fragments d'une methode de violon, Ms. Paris (Bibl. Nat., 
um 1712); P. Dupont, Principes de violon, Paris 1718; 
M. Corrette, L'ecole d'Orphee. Methode pour apprendre 
facilement a jouer du violon dans le gout francois et ita- 
lien, Paris 1738; C. Tessarini, Grammatica di musica . . ., 
Rom (1741), auch frz. u. engl.; Fr. Geminiani, The Art of 
Playing on the Violin, London 1751 u. 6., Faks. hrsg. v. 
D. D. Boyden, London 1952; Mozart Versuch; J.-B. 
L'abbe le fils, Principes du violon, Paris 1761, Faks. hrsg. 
v. A. Wirsta, Paris 1961 ; St. Philpot, An Introduction to 
the Art of Playing on the Violin, London (1767?); G. S. 
Lohlein, Anweisung zum Violinspielen, Lpz. u. Ziillichau 
1774, 3 1797; B. Campagnoli, Metodo per violino, Mai- 
land 1797, 21803, deutsch als: Violinschule, Lpz. 1827, 
engl. als: A New and Progressive Method, iibers. v. J. 
Bishop, London 1 856 ; J.-B. Cartier, L'art du violon, Paris 
1798; P. Baillot, R. Kreutzer u. P. Rode, Methode de 
violon, Paris 1803, Mainz (1828); L. Spohr, Violinschule, 
Wien 1832; P. Baillot, L'art du violon, Paris 1834; H. 
Ries, Violinschule f. d. ersten Unterricht, Lpz. (1842); Ch. 
de Beriot, Methode de violon, 3 Teile, Paris (1858); F. 
David, Violinschule, Lpz. 1863; H. E. Kayser, Neueste 
Methode d. Violinspiels, 3 H., Hbg 1 867 ; O. Sevcik, Schule 
d. Violintechnik, Prag 1883; J. Joachim (mit A. Moser), 
Violinschule, 3 Bde, Bin 1902-05; F. Kuchler, Praktische 
Violinschule, 2 Bde (= 8 H.), Basel 1911, Lpz. u. Zurich 
11 1930; L. Capet, La technique superieure de l'archet, 
Paris 1916; A. Moser, Methodik d. Violinspiels, 2 Bde, 
Lpz. 1920; C Flesch, Die Kunst d. Violinspiels, 2 Bde, 
I Bin 1923, 21929, II 1928, engl. als: The Art of Violin 
Playing, Boston (N. Y.) 1924-30; ders., Die hohe Schule 
d. Violin-Fingersatzes, Ms., ital. als: Alta scuola di diteg- 
giatura violinistica, iibers. v. A. Curci, Mailand (1960), 



engl. als: The Art of Fingering the Violin (mit Einfuhrung 
v. Y. Menuhin), London 1965, u. Violin Fingering, Its 
Theory and Practise, bearb. v. B. Schwarz, London 1966; 
G. Havemann, Die Violintechnik bis zur Vollendung, Koln 
1928; Erich u. Elma Doflein, Das Geigenschulwerk, 5 
Bde, Mainz (1932-50), I-III (21940-42, 3]95i_52), IV 
(21952), V (21951), engl. iibers. v. Ph. Marler als: Doflein 
Method, The Violinist's Progress, 4 Bde, Mainz 1957; W. 
Isselmann, Die Schule d. Geigenspiels, 2 Bde, Koln (1 939) ; 
A. Ammann, Lehrgangd. Geigenspiels, 6 H., Zurich (1952) ; 
J. Fechner, Moderne Violintechnik, Mainz (1954). 
Violinspiel: Zss.: The Strad, London 1890ff.; Violins and 
Violinists, hrsg. v. E. N. Doring, Evanston (111.) 1938-60; 
The American String Teacher, Mancato (Minn.) 1950ff. - 
R. North, The Musicall Gramarian, hrsg. v. H. Andrews, 
London (1925); ders., Memoirs of Musick, hrsg. v. E. Fr. 
Rimbault, London 1 846, N A als : R. North on Music, hrsg. 
v. J. Wilson, London 1959; Quantz Versuch ; G. Tartini, 
Traite des agremens de la musique, Paris 1771, hrsg. v. E. 
R. Jacobi, Celle (1961) ; K. Guhr, Ueber Paganini's Kunst, 
d. Violine zu spielen, Mainz (1829), frz. als: L'art de jouer 
du violon de Paganini, Paris u. Mainz (1830) ; K. Witting, 
Gesch. d. Violinspiels, Koln 1900; Fr. A. steinhausen, Die 
Physiologie d. Bogenfuhrung auf d. Streich-Instr., Lpz. 
1903, 51928 ; A. Dolmetsch, The Interpretation of the Mu- 
sic of the XVII'" and XVIII 1 " Cent., 2 Bde, London (1916, 
21 946) ; F. H. Martens, Violin Mastery, NY 1919 ; L. Auer, 
Violin Playing as I Teach It, NY 1921 ; K. Klingler, Uber 
d. Grundlagen d. Violinspiels, Lpz. 1921 ; K. Gerhartz, 
Die Violinschulen in ihrer mg. Entwicklung bis L. Mozart, 
ZfMw VII, 1924/25; ders., Zur alteren Violintechnik, 
ebenda ; W. Trendelenburg, Die natiirlichen Grundlagen 
d. Kunst d. Streichinstrumentenspiels, Bin 1 925 ; C. Flesch, 
Das Klangproblem im Geigenspiel, Bin 1931, NA 1954; 

E. Borrel, L'interpretation de la musique frc., Paris 1934; 

F. Gothel, Das Violinspiel L. Spohrs. Unter Beriicksich- 
tigung geigentechnischer Probleme seiner Zeit, Diss. Bin 
1935; ders., Zur Praxis d. alteren Violinspiels, Fs. A. 
Schering, Bin 1937; D. D. Boyden, The Violin and Its 
Technique in the 18 th Cent., MQ XXXVI, 1950; ders., 
Prelleur, Geminiani and Just Intonation, JAMS IV, 1951 ; 
ders., The Violin and Its Technique, Kgr.-Ber. Koln 1958 ; 
ders., Geminiani and the First Violin Tutor, AMI XXXI, 
1959; ders., A Postscript to »Geminiani and the First 
Violin Tutor«, AMI XXXII, 1960; ders., The Missing Ital. 
Ms. of Tartini's Traite des agremens, MQ XLVI, 1960; 
ders., The Hist, of Violin Playing from Its Origins to 1761 
. . ., London 1965; J. M. Barbour, Violin Intonation in 
the 18 th Cent., JAMS V, 1952; G. Kulenkampff, Geige- 
rische Betrachtungen, hrsg. v. Meyer-Sichting, Regensburg 
(1952); F. Neumann, Violin Left Hand Technique, The 
American String Teacher III, 1953; W. Kolneder, Auf- 
fiihrungspraxis bei Vivaldi, Lpz. 1955; A. Wirsta, Ecoles 
de violon au XVIII e s. d'apres les ouvrages didactiques, 
Diss. Paris 1955; B. A. G. Seagrave, The French Style of 
Violin Bowing and Phrasing from Lully to Jacques Aubert 
(1650-1730), Diss. Stanford (Calif.) 1959, maschr.; H. Fe- 
derhofer, Eine Musiklehre v. J. J. Prinner, Fs. A. Orel, 
Wien u. Wiesbaden (1960); E. R. Jacobi, G. F. Nicolai's 
Ms. of Tartini's Regole per ben suonar il Violino, MQ 
XLVII, 1961 ; K. G. Mostrass, Die Intonation auf d. Vio- 
line, Lpz. 1961 ; R. Aschmann, Das deutsche polyphone 
Violinspiel im 17. Jh., Zurich 1962; I. Galamian, Prin- 
ciples of Violin Playing and Teaching, Englewood Cliffs 
(N. J.) 1962; Chr. Hemann, Intonation auf Streich-Instr., 
Melodisches u. harmonisches Horen, Basel 1964; Fr. F. 
Polnauer, Senso-Motor Study and Its Application to 
Violin Playing, Urbana (III.) 1964; J. Szigeti, A Vio- 
linist's Notebook, London 1964; D. Themelis, Vorgesch. 
u. Entstehung d. Violinetiide, Diss. Miinchen 1964, als: 
Etude on Caprice. Entstehung d. Violinetiide, Miinchen 
1967; W. Kirkendale, »Segreto communicato da Paga- 
nini«, JAMS XVIII, 1965. ED 

Violino piccolo (ital., kleine Violine), eine Diskant- 
violine mit kleinem Corpus und hoher Stimrhung. 
Wahrend die Stimmung des bei Monteverdi (Orfeo, 
1607) genannten V. p. alia francese nicht bekannt ist, 
stand der V. p. des 17./18. Jh. um eine Quarte oder Terz 
hoher als die Violine (Quartgeige ; bei Praetorius Synt. 



1045 



Violino pomposo 



II: Klein Discant Geig; Terzgeige bei J.S.Bach, 1. 
Brandenburgisches Konzert, BWV 1046). Fur L.Mo- 
zart (1756) war sie bereits veraltet. V. p. hieB audi die 
-> Pochette in Violinform. - Auf einer kleinen Geige 
in Violinstimmung (Halb- oder Dreiviertelgeige) laBt 
man bisweilen wegen der kleineren Mensur im An- 
fangsunterricht Kinder spielen. 

Lit.: A. Moser, Der V. p., ZfMw I, 1918/19; D. D. Boy- 
den, Monteverdi's Violini piccoli alia francese and Viole 
daBrazza.Ann.Mus.VI, 1958/63. 

Violino pomposo (ital.) -> Viola (- 2). 

Violon, - 1) (vial's, frz.) -> Violine; - 2) im 18. Jh. in 
Deutschland auch Bezeichnung fiir den KontrabaB (aus 
ital. -*■ Violone, hierzu Mattheson Capellm., S. 469); 

- 3) im Harmonium eine oft mit Saxophon verbunde- 
ne Stimme zu 16', in der Orgel eine offene, enger als 
die Prinzipalstimmen mensurierte sonore Labialstimme 
zu 16', auch 8' und 32' im Pedal, mitunter auch ein ge- 
deckt-pommerartiges Register. 

Violon alto -»■ Viola (- 2). 

Violoncello (violontf'ello, ital., Diminutiv von -*■ Vio- 
lone), - 1) (Abk. Vc. ; frz. violoncelle; deutsche Kurz- 
form: Cello), das Tenor-BaB-Instrument der Streich- 
instrumente in Violinform (-»• Viola da braccio, -»■ Vio- 
line). Die noch heute giiltige, wohl schon in der 2. 
Halfte des 16. Jh. aufgekommene Stimmung C G d a 
nennt in Deutschland zuerst Praetorius (Synt. II, S. 26). 
Die Ricercari per Vc. solo (um 1680) von D.Gabrielli 
begrundeten die Sololiteratur fiir das Instrument, das 
bis dahin meist als BaBinstrument im Hintergrund ge- 
blieben war. AuBer dem Vc. gab es im 16./17. Jh. noch 
ein anderes BaBinstrument aus der Familie der Viola da 
braccio, fiir dasjambe de Fer (1556), Zacconi (1592), 
Cerone (1613) und Mersenne (1663) die Stimmung iB 
F'c g angeben. Dieses Instrument mit etwas groBerem 
Corpus wurde in Italien spatestens seit Mitte des 17. Jh. 
vom Vc. verdrangt, blieb aber in Frankreich (unter der 
Bezeichnung basse de violon) bis Anfang des 18.- Jh. 
vorherrschend ; der Name basse de violon ging auch 
zunachst auf das um 1710 aus Italien nach Frankreich 
eingefiihrte Vc. iiber (erst Corrette gebraucht 1741 die 
franzosische Wortform violoncelle). Neben dem 4saiti- 
gen Vc. kennen Brossard (1703) und nach ihm Mat- 
theson (1713) und Walther (1732) auch 5-6saitige In- 
strumente. Unter den 6 Suiten fiir Vc. solo von J. S. 
Bach (BWV 1007-1012, aus der Kothener Zeit) ver- 
langt die 5. Suite -*■ Scordatura, die 6. Suite ein 5saitiges 
Instrument. Die klassische Mensur des Vc.s fand A. 
Stradivari um 1710 mit 75-76 cm Corpuslange und 
11,5 cm Zargenhohe. Danach sind im 18. Jh. zahlreiche 
altere Violoncelli, aber auch Gamben und die bis um 
1 800 anzutreff enden Mischf ormen zwischen beiden Ty- 
pen umgebaut worden, zugleich mit Anderung des ge- 
raden Halses in einen schragen. Der Gebrauch des Sta- 
chels wurde erst um 1860 iiblich. Im 18. Jh. waren auch 
kleinere Sonderf ormen des Vc.s entwickelt worden: 
-*■ Viola da spalla, Vc. piccolo (->• Viola pomposa). 
In der 1. Halfte des 18. Jh. war Italien in der Kompo- 
sition fiir Vc. f iihrend. Sonaten schrieben Jacchini (um 
1700), Boni, Lanzetti und Canavasso, Konzerte Jac- 
chini, Vivaldi, Tartini, Leo (6 Konzerte 1737/38) und 

- mit virtuoser Technik - Boccherini. Den Ubergang 
zur neuen Konzertform bezeichnen die Werke von 
Holzbauer, Filtz, C. Stamitz, Boccherini, Monn und 
J.Haydn (wahrscheinlich 5 Konzerte, Hob. Vllb). Den 
schon vorher ublichen Daumenaufsatz, den u. a. Lan- 
zetti und Corrette (1741) in ihren Lehrwerken nennen, 
systematisierte J.-L. Duport zusammen mit dem ge- 
samten Fingersatz (Essai sur le doigte . . . , verf aBt im 



letzten Drittel des 18. Jh., erschienen im ersten Jahr- 
zehnt des 19. Jh.). Die Notierung des Daumenaufsatzes 
ist o oder P (= pouce) oder C. T. (= Capo Tasto). 
J.-L. und sein alterer Bruder J.-P. Duport (Vc.-Lehrer 
des spa teren Konigs Friedrich Wilhelm II. von PreuBen) 
gelten als die bedeutendsten Anreger des neuen Vc- 
Spiels in der Solo- (Beethoven op. 5) wie in der Kam- 
mermusikliteratur fiir -*■ Streichquartett und -quintett 
(im -> Quintett, z. B. bei Boccherini, wird oft das Vc. 
doppelt besetzt) . Bef reit von seiner Rolle als BaB und so- 
mit im Orchester von der colla parte-Fiihrung mit den 
Kontrabassen, wurde das cantable Spiel, besonders auf 
der d- und a-Saite, ein Charakteristikum der Schreib- 
weise fiir Vc, vor allem in der Romantik. Werke^ in 
denen das Vc. konzertierend hervortritt, komponier- 
ten im 19. und 20. Jh. u. a. R.Schumann, Saint-Saens, 
Tschaikowsky (»Variationen iiber ein Rokokothema«), 
Volkmann, Rubinstein, Brahms (Doppelkonzert fiir V. 
und Vc), Dvorak (1895), R. Strauss (DonQuixote, mit Va 
und Vc.),d' Albert, Pfitzner,Toch,Chatschaturj an, Hin- 
demith, Henze (Ode an denWestwind, 1954) und Pende- 
recki (Sonate, 1964). Kammermusik fiir Vc. mit Kl. 
schrieben u. a. Beethoven (op. 69, op. 102; Variationen), 
Mendelssohn Bartholdy, Chopin, Brahms, Grieg, Fau- 
re, R. Strauss, Debussy, Ravel, Reger, Rachmaninow, 
Honegger, Kodaly, Prokofjew, Hindemith, Martinu 
und Schostakowitsch. - Grundlegende Lehrwerke fiir 
Vc. verbffentlichte -+ Baudiot (1805 und 1837); er 
schrieb aufierdem iiber die Behandlung des Vc.s in der 
Instrumentation (1849). Weitere Schulen fiir Vc. ver- 
faBten u. a. Dotzauer, Dawydow, Romberg, Griitz- 
macher, Forino, H. Becker und D. Rynar, J. Stutschew- 
sky, Eisenberg und Hirzel. 

- 2) In der Orgel ist Vc. eine streichende Stimme (Vio- 
lon) zu 16' und 8' im Pedal, enger mensuriert als Cello 
bezeichnet. 1770 kommt sie als Doppelstimme (Flauto 
traverso con Vc. 8') in der Orgel von St. Florian vor. 
Lit. : zu 1 ) : H. Le Blanc, Defense de la basse de viole contre 
les entreprises du violon et les prdtentions du vc, Amster- 
dam 1 740, NA in : RM VIII, 1 927 - IX, 1 928, deutsch v. A. 
Erhard, Kassel 1951; M. Corrette, Methode ... pour 

apprendre ... le vc Paris 1741 ; Ph. Roth, Fiihrer 

durch d. Vc.-Lit., Lpz. 1888, 21898 ; W. J. v. Wasielewski, 
Das Vc. u. seine Gesch., Lpz. 1889, hrsg. v. W. v. Wasie- 
lewski 3 1 925; L. Forino, II vc.,il violoncellista ed i violon- 
cellisti, Mailand 1905, 21930; Br. Weigl, Hdb. d. Vc.-Lit., 
Wien 1911, 31929; C. Liegeois u. E. Nogue, Le vc, Son 
hist., ses virtuoses, Paris u. Bordeaux (1913); E. Van der 
Straeten, Hist, of the Vc, the Viola da Gamba, Their 
Precursors and Collated Instr., London 1915; C. Schro- 
der, Hdb. d. Violoncellspiels, Bin 31920; M. V adding u. 
M. Merseburger, Das Vc u. seine Lit., Lpz. 1920; T. 

Broadley, The Vc London 1921 ; Fr. Kohlmorgen, 

Die Bruder Duport u. d. Entwicklung d. Violoncelltechnik 
v. ihren Anfangen bis zur Zeit B. Rombergs, Diss. Bin 1922, 
maschr., Teildruck in: Jb. d. Diss. d. Philosophischen Fa- 
kultat Bin 1921/22; E. Nogue, La lit. du vc, Paris 1925, 
21931; ders., Le vc, Paris (1937); L. Folegatti, II vc, 
Mailand 1930; H. Schafer, B. Romberg, Minister i. W. 
1931 ; H. Weber, Das Violoncellkonzert d. 18. u. beginnen- 
den 19. Jh., Diss. Tubingen 1933 ; E. Rapp, Beitr. zur Fruh- 
gesch. d. Violoncellkonzerts, Diss. Wurzburg 1934; W. 
Mirandolle, De vc, haar bouw, geschiedenis en ontwik- 
kelingsgang, Den Haag (1940); G. Hulshov, De zees suites 
voor vc solo v. J. S. Bach, Arnhem 1944; E. Valentin, 
Cello. Das Instr. u. sein Meister L. Holscher, Pfullingen 
1955; M. Eisenberg, Cello Playing of Today, London 
1957; G. Waegner, Die sechs Suiten f. d. Vc allein v. J. S. 
Bach, Diss. Bin (F. U.) 1957, maschr.; R. Eras, tlber d. 
Verhaltnis zwischen Stimmung u. Spieltechnik bei Streich- 
instr. in Da-gamba-Haltung, Diss. Lpz. 1958, maschr.; 
J. Bachi, Von Boccherini bis Casals, Zurich 1961 ; J. Ep- 
pelsheim, Das Orch. in d. Werken J.-B. Lullys, = Miinch- 
ner Veroff. zur Mg. VII, Tutzing 1961 ; E. Cowling, The 
Ital. Sonata-Lit. for the Vc. in the Baroque Era, Diss. 



1046 



Virtuose 



Northwestern Univ. (111.) 1 962, maschr. ; G. J. Kinney, The 
Mus. Lit. for Unaccompanied Vc, 3 Bde, Diss. Talla- 
hassee (Fla.) 1962; W. Pape, Die Entwicklung d. Violon- 
cellspiels im 19. Jh., Diss. Saarbriicken 1962; Kl. Marx, 
Die Entwicklung d. Vc. u. seiner Spieltechnik bis J. L. 
Duport (1520-1820), = Forschungsbeitr. zur Mw. XIII, 
Regensburg 1963, Zusammenfassung in: NZfM CXXVII, 
1966; G. J. Shaw, The Vc. Sonata Lit. in France During 
the Eighteenth Cent., Diss. Catholic Univ. of America 
(Washington/D. C.) 1963, maschr. 

Violoncello piccolo (violontf ello p'ikkolo, ital.) 
-VViola pomposa. 

Violoncello tenore (violontf'ello ten'o:re, ital.) 
-»• Viola tenore (- 2). 

Violone(ital.,Augmentativ von Viola; auch viola gran- 
de; GroBbaBgeige), im 16. Jh. Sammelname wechseln- 
der Bedeutung sowohl fiir die Streichinstxumente der 
Viola da braccio-Familie (-* Violine) als auch der Vio- 
la da gamba-Familie, daneben in speziellerem Sinne im 
16. und 17. Jh. Bezeichnung fiir groBe Violen, so fiir ein 
BaBinstrument der Viola da braccio-Familie (Jambe de 
Fer 1556 ; -> Violoncello - 1), fiir die normale BaBviola 
da gamba (Ortiz) oder allgemein fiir ein Streichinstru- 
ment in BaBlage (italienische Titel des 17. Jh., so noch 
Corelli 1700: 12 Sonate a violino e violone o cembalo 
op. 5). Bei Praetorius (Synt. II) und seit dem 18. Jh. all- 
gemein gilt V. als Bezeichnung fiir die unter dem nor- 
malen BaBinstrument liegenden groBeren Instrumente 
(Contrabasso da viola, ->■ KontrabaB - 1). 

Violon-tenor (vial'5-ten'or, frz.) -*■ Viola teno- 
re (-2). 

Violotta (ital.) -> Viola tenore (-2). 

Virelai (virl'e, frz. ; herzuleiten von dem Ausruf »vireli« 
oder vom Verbum virer, sich drehen, unter Beein- 
flussung von ->■ lai), textlich und musikalisch eine Re- 
frainform vor allem des 14. und 15. Jh. Vor dem 14. Jh. 
ist das V. schwer faBbar; aus dieser Zeit sind nur weni- 
ge Melodien (bei Adam de la Halle, Jehannot de L'Es- 
curel und als Motettentenores) erhalten. Eine relativ 
feste, von den anderen Refrainformen -> Ballade (- 1) 
und -*■ Rondeau (-1) unterschiedene Form gab dem V. 
erst Machaut. Auf den Refrain folgen anders gereimte 
Verse mit neuer Melodie, darauf eine in Anzahl und 
Endreimen der Verse und in der Melodie mit dem Re- 
frain iibereinstimmende Versgruppe, dann wiederum 
der Refrain, z. B. bei 4zeiligem Refrain (groBe Buch- 
staben) : 

Musik a (3 p a a 

Verse ABBA cd cd abba ABBA 
Bei drei gleichgereimten Strophen steht der Refrain 
je einmal am Anfang, amEnde und zwischen den Stro- 
phen. Die Anzahl der Verse in jeder Strophe und die 
Lange der Verse sind nicht festgelegt; im Unterschied 
zu Ballade und Rondeau sind die Zeilen verschieden 
lang. Die V.s Machauts sind meist einstimmig, andern- 
falls (mit Ausnahme eines 3st. V.s) nur in einfacher 
Zweistimmigkeit gesetzt. - Wohl eher das Allgemeine 
seiner Form (A B A : ein -> Refrain umrahmt Zusatz- 
verse) als historische Abhangigkeiten sind fiir die Ahn- 
lichkeiten des V.s mit Ballata, Cantigas, Villancico und 
dem arabischen Zagal (von dem man das V. herzuleiten 
versucht hat) verantwortlich. An literarischer Bedeu- 
tung kann sich das V. nicht mit Ballade und Rondeau 
messen; das zeigt auch der haufige Gebrauch des unbe- 
stimmteren Ausdrucks Chanson, Chanson baladee 
statt V. Auch in der Folgezeit, in den ->■ Quellen Ch, 
ModA, O, Pit, PR, TuB des 14./15. Jh. steht das V. im 
Schatten von Ballade und Rondeau, von denen es sich 
satztechnisch (-> Kantilenensatz) nun nicht mehr un- 



terscheidet. Nach Machaut wird die Strophenzahl re- 
duziert; im 15. Jh. tritt eine einstrophige Form unter 
der Bezeichnung -> Bergerette (- 1) auf. 
Ausg. u. Lit. : — > Rondeau. - E. Hoepffner, V. et ballades 
dans le Chansonnier d'Oxford, Arch. Romanicum IV, 
1924; P. Le Gentil, Le v. et le villancico, Paris 1954; G. 
Reaney, The Development of the Rondeau, V. and Ballade 
Forms . . . , Fs. K. G. Fellerer, Regensburg 1962. WoD 

Virga (lat.) -»- Neumen (- 1). 

Virginal (engl. virginal [v'a : d3inl] ; frz. virginale; von 
lat. virga, Stab, Docke) ist das im Unterschied zu 
-*■ Cembalo und -»■ Spinett rechteckige Kielklavier. 
Das V. war im 16.-18. Jh. in England die verbreitetste 
Form des Klaviers. Die ->■ Klaviermusik der »Virginali- 
sten« ist jedoch nicht allein fiir das V., sondern fiir alle 
3 Arten von Kielklavieren bestimmt. Das V. wurde 
vor allem in den Niederlanden (u. a. von der Familie 
Ruckers) und im 17. Jh. auch in England gebaut. Es 
unterscheidet sich vom trapezformigen Spinett nicht 
nur durch die rechteckige Form (auch derartige Spi- 
nette wtirden vereinzelt in rechteckige Kasten einge- 
setzt), sondern vor allem dadurch, daB beide Stege frei 
auf dem Resonanzboden verlaufen; der rechte Steg ist 
meist in charakteristischer Weise gewinkelt, seltener 
geschweift. Ein oder mehrere Schallocher mit Roset- 
ten durchbrechen den (haufig bemalten) Resonanz- 
boden. Es gab 2 Typen des V.s; bei dem haufigeren 
Typ (von dunklerem Klang) ist die Klaviatur rechts 
von der Mitte angeordnet, und die Saiten werden in 
groBerem Abstand vom Steg angerissen als bei dem 
anderen, weniger oft gebauten Typ mit weiter links 
angeordneter Klaviatur und mit nahe am Steg ange- 
rissenen Saiten, wodurch ein silbriger Klang entsteht. 
Gewohnlich hatte das V. einen Umfang von 4 Oktaven 
(C-c 3 ) mit ->• Kurzer Oktave; bei vielen erhaltenen In- 
strumental ist der Umfang nachtraglich erweitert wor- " 
den. -Eine verbreitete Sonderform war das Doppel-V. 
(engl. double v.), das entweder aus zwei gleichge- 
stimmten Instrumenten der beiden genannten Typen 
oder aus einem V. des ersten Typs und einem kleineren, 
eine Oktave hoher gestimmten V. (Oktav-V.) kom- 
biniert war. Beide Instrumente konnten durch eine 
sinnreiche Vorrichtung (vgl. Russel, S. 47 und Abb. 30) 
entweder gleichzeitig oder separat (vierhandig) ge- 
spielt werden. Praetorius (Synt. II, S. 62) beschreibt das 
Oktav-V. unter dem Namen Spinetta und f iigt hinzu : 
Wiewol die grosse viereckete j so wol als die kleinen / ohn 
vnterscheyd Spinetten in Italia genennet werden. In Engel- 
land werden alle solche [zu erganzen : viereckete] Instru- 
menta sie seyn klein oder grofi j Virginall genennet. Der 
Name V. fiir ein rechteckiges Kielklavier ist zuerst von 
Virdung (1511) bezeugt. Die englischen Belegstellen 
des 16./17. Jh. sprechen oft von a pair of v.s oder von 
v.s, auch wenn nur ein einfaches Instrument gemeint 
sein kann; V. war jedoch die gangige Bezeichnung fiir 
alle Arten von Kielklavieren. Die in der Elisabethani- 
schen Zeit beliebte Herleitung des Namens v. aus lat. 
virgo, Jungfrau, spiegelt sich u. a. in den Titeln der 
beiden gedruckten Sammlungen: Parthenia, or The 
Maidenhead of the first musicke that ever was printed for the 
Virginalls . . . (um 1612/13; das TitelbUd zeigt ein 
rechteckiges V.) und Parthenia In-Violata, or Mayden- 
Musicke for the Virginalls and Bass-Viol (um 1624/25; 
das Titelbild zeigt ein Cembalo). 
Lit. : R. Russel, The Harpsichord and Clavichord, Lon- 
don (1959). 

Virtuose (ital. virtuoso) ist im 17. Jh. in Italien ein 
Pradikat hervorragender Kiinstler und Gelehrter, be- 
zeichnet aber in f ortschreitender Bedeutungseinengung 
spatestens seitEnde des 17. Jh. den Fachmusiker in Ge- 



1047 



Virtuose 



genuberstellung zum Musikliebhaber (-> Kenner und 
Liebhaber), spater den ausiibenden Musiker im Unter- 
schied zum Komponisten. Dabei erhielt das Wort V. 
durch haufigen MiBbrauch auch einen abschatzigen 
Sinn, so daB z. B. E. T. A. Hoffmann, Fr. Liszt, R. Schu- 
mann und R.Wagner den »wahrhaften« oder »beru- 
fenen« V.n als ernsthaften Interpreten musikalischer 
Werke dem »sogenannten« V.n gegeniiberstellen, der 
technische Fahigkeiten zur Schau stellt. Auch heute 
noch wird der Titel V. in positivem und negativem 
Sinne gebraucht. - Schon Kuhnau C1700) kritisierte 
den MiBbrauch des Pradikates V.; fiir ihn ist der V. 
noch Komponist und ausiibender Musiker (wenn auch 
schon mehr das eine oder das andere) und zeichnet sich 
durch theoretisches Wissen sowie durch seine Conduite 
und tugendhaffte Lebens-Art aus. Ahnlich bot J. Beer 
(1719) neben einem ironischen Bericht von etlichen be- 
riihmten Virtuosis in der Music eine Untersuchung der 
Frage, was eigentlich ein Virtuosus sey und wer sich solches 
Tituls anzunehmen habe. Nach WaltherL (Artikel Virtu) 
hat der V. entweder in der Theorie, oder in der Ausiibung et- 
was ungemeines zum Voraus. Bereits Adlung (1758, S. 
804) bezeichnet als V.n jedoch nur noch den ausiiben- 
den Musiker: Wenn sie aber bey einer geschickten Ausiibung 
sich aufdas Wissen gar nicht legen, so scheint solcher Name 
vor sie allzuhoch.lndessen wurde die »geschickte Aus- 
iibung« in der Folgezeit das Hauptkriterium des V.n, 
der nun als vielbewunderter Solist von Ort zu Ort 
reiste und im Musikleben des 19. Jh. eine groBe Rolle 
zu spielen begann. Leere Virtuositat, Virtuosengeklimper 
(Schumann), wurde nun kritisiert und verspottet. Schu- 
mann forderte, dafi wahrhaft musikalischen Kiinstlern die 
Ehren gesichert werden, mil denen man V.n, die nichts ah 
ihre Finger haben, oft so unbedacht iiberhauft, und dafi man 
beide von einander trennen lerne (ed. Kreisig, I, S. 285). 
Fiir Liszt, selbst der kiihnste Klavier-V. (Schumann), ist 
der berufene V. ebenso Schopfer ah der Alitor selbst. Er 
bedauert, daB es viele sogenannte V.n giebt, die nicht ein- 
mal im Stande sind, eine Idee des Originals . . . wiederzu- 
geben und die von der Kunst nur das Handwerk . . . kennen. 
- Zwischen Virtuositat und Komposition bestand eine 
Wechselwirkung. Der Komponist schrieb Werke, die 
er zufolge ihres Schwierigkeitsgrades nur in seltenen 
Fallen selbst offentlich spielen konnte, wahrend der 
ausubende Musiker sich nur mehr mit der Bewaltigung 
der -3- Technik (- 2) beschaftigte und dabei einen Grad 
technischer Fertigkeit erlangte, der ihn nach immer 
neuen und groBeren Schwierigkeiten suchen lieB. So 
entstand eine ausgesprochene V.n-Musik, deren tech- 
nische Anforderungen oft in keinem Verhaltnis zur 
musikalischen Aussage stehen, andererseits jedoch die 
Spielkunst fordern und damit der Komposition neue 
Moglichkeiten eroffnen konnten. 
Lit.: J. Kuhnau, Der mus. Quacksalber, Dresden 1700, 
hrsg. v. K. Benndorf, = Deutsche Literaturdenkmale d. 
18. u. 19. Jh. LXXXIII-LXXXVIII, Bin 1900; J. Beer, 
Mus. Discurse, Niirnberg 1719; J. Adlung, Anleitungzu 
d. mus. Gelahrtheit, Erfurt 1758 ; J. H. G. Heusinger, Hdb. 
d. Asthetik, Gotha 1797; E. T. A. Hoffmann, Zwei Trios 
f. Pfte, V. u. Vc. op. 70 v. L. van Beethoven (Rezension 
1812/13), in: E. T. A. Hoffmanns mus. Schriften, hrsg. v. 
E. Istel, III. Teil, Beethoveniana, = Deutsche Musikbii- 
cherei XXIII/XXIV, Regensburg (1921); R. Wagner, Der 
V. u. d. Kunstler (1840/41), in: Gesammelte Schriften I, 
hrsg. v. W. Golther, Bin, Wien u. Stuttgart (1914); R. 
Schumann, Gesammelte Schriften iiber Musik u. Musiker, 
4 Bde, Lpz. 1854, in 2 Bden hrsg. v. M. Kreisig =1914; Fr. 
Liszt, Gesammelte Schriften, 6 Bde, hrsg. v. L. Ramann, 
Lpz. 1880-83; A. Weissmann, Der V., Bin 1920; A. Sche- 
ring, Kiinstler, Kenner u. Liebhaber d. Musik im Zeital- 
ter Haydns u. Goethes, JbP XXXVIII, 1931, auch in: 
Von groCen Meistern d. Musik, Lpz. 1940; M. Pincherle, 
Le monde des v., Paris 1961. GBa 



Visible speech (v'izibl spi : if, engl., sichtbare Sprache) 
ist ein in den USA entwickeltes Verfahren zur ->■ Fre- 
quenzanalyse, das die zeitliche spektrale Veranderung 
von Schallen unmittelbar sichtbar macht. V. sp.-Appa- 
raturen arbeiten mit einer Reihe von Bandfiltern, de- 
ren Ausgangsspannungen entsprechend ihrer Frequenz- 
lage angezeigt werden. In den V. sp.-Aufzeichnungen 
ist auf der Ordinate die Frequenz, auf der Abszisse die 
Zeit in linearem MaBstab aufgetragen, wobei der 
Schwarzungsgrad (bzw. Helligkeitsgrad bei direkter 
Betrachtung) proportional der Amplitude der Schwin- 
gung ist. In der Abbildung ist das V. sp.-Diagramm der 
gesprochenen Worte »Hugo Riemann Musiklexikon« 
wiedergegeben : 




Mit einiger Ubung ist es mciglich, V. sp.-Au£nahmen 
von Vokalen, Konsonanten, Wortern oder ganzen 
Satzen zu erkennen und lesen zu letnen. Neben dem 
wissenschaftlichen Interesse, das dem Verfahren ent- 
gegengebracht wird, hat V. sp. besondere Bedeutung 
fiir Menschen mit Gehorschaden bekommen. 
Lit. : W. Koenig, H. K. Dunn u. L. Y. Lacy, The Sound 
Spectrograph, JASA XVIII, 1946; R. R. Riesz u. L. 
Schott, V. Sp. Cathode-Ray Translator, ebenda; R. K. 
Potter, G. A. Kopp u. H. C. Green, V. Sp., NY 1947 ; I. L. 
Beranek, Acoustic Measurements, NY u. London 2 1950; 
F. Trendelenburg, Einfiihrung in d. Akustik, Bin, Got- 
tingen u. Heidelberg 3 1961. 

Vivace (viv'a:tje), vivo (ital., lebhaft) wird seit der 
2. Halfte des 17. Jh. als Tempo- und Charakterbezeich- 
nung verwendet (C. Grossi, Concerti ecclesiastici, 1657). 
Von einem Allegro unterscheidet sich ein V. nicht im 
ZeitmaB, sondern in der Akzentuierung. DaB V. pri- 
mar eine Charakterbezeichnung ist, erweisen Vor- 
schriften wie Allegretto v. und Andante v. (Beethoven, 
op. 59 Nr 1 und op. 82). Mozart und Beethoven ver- 
wenden V. im allgemeinen als Zusatzbestimmung zu 
Allegro oder als Charakterbezeichnung fiir Satztypen, 
deren GrundzeitmaB feststeht (Marsch, Alia polacca). 
Der Superlativ vivacissimo oder vivacissimamente 
(Beethoven, op. 81a) wird selten gebraucht. 

Vocalise (vakal'kz, frz.), Singubung ohne Text, nur 

auf Vokale. -> Solfege. 



1048 



Vogelgesang 



Voces aequales (lat, gleiche Stimmen; ital. voci pari), 
Besetzungsangabe in der Vokalmusik des 16.-19. Jh. fur 
Kompositionen ohne Sopran, fiir deren Auffiihrung 
nur Mannerstimmen benotigt werden (Stimmlagen : 
Tenor, Bariton, BaB ; Stimmbezeichnungen : Altus, Te- 
nor, Bassus). Auch Kompositionen fiir Knaben-(Frau- 
en-) Stimmen erhielten diese Besetzungsangabe; in je- 
dem Fall ist der Gesamtumfang der Stimmen von nor- 
mal 19-20 Tonen auf ca. 15 Tone beschrankt (G-gi 
bzw. g-e 2 oder f 2 ). Am reduzierten Umfang sind auch 
die in ->• Chiavette notierten Kompositionen fiir V. ae. 
zu erkennen. Zarlino (Istitutioni 1558, S. 338) beschreibt 
neben dem comporre a voci pari auch das comporre a voci 
mutati; in diesem Falle werde der Sopran durch eine 
Stimme ersetzt, die etwas hoher als der normale Altus 
gefiihrt ist (z. B. Palestrina, Ave Maria, aus: Motecta 
festorum . . . quatemis vocibus ... I, Rom 1563, GA V, 
S. 20ff.). Auch Kompositionen a voci mutati, deren 
Oberstimme von einem sehr hohen Tenor (-» Coun- 
tertenor) auszufiihren ist, konnen in Chiavette notiert 
auftreten (Beispiele und mogliche Schlusselkombina- 
tionen bei Hermelink). Der Gesamtumfang vom tief- 
sten BaBton bis zum hochsten Ton der Oberstimme 
betragt nur 17-18 Tone (G-b 1 oder c 2 ). 
Lit. : S. Hermelink, Dispositiones modorum, = Miinch- 
ner Veroff. zur Mg. IV, Tutzing 1960. 

Voder (Abk. fiir engl. voice demonstration operator), 
eine 1939 in den USA entwickelte Apparatur, die auf 
elektronischem Wege Sprachlaute und Sprache kiinst- 
lich nachbildet und aus deren Wirkungsweise u. a. 
Ruckschlusse auf die Funktionen der menschlichen 
Sprachorgane gezogen werden konnen. DieErfindung 
basiert auf Fr. -> Trautweins Sprachlautforschungen. 
Wesentliche Bestandteile des V.s sind ein Rauschgene- 
rator, aus dessen unperiodischen Schwingungsvorgan- 
gen die Konsonanten erzeugt werden, ein Kippschwin- 
gungsgenerator, der ein sehr oberschwingungsreiches 
Spektrum fiir die Vokale liefert und ein Satz von 10 Fil- 
tern, der eigentlich lautbildende Teil des Gerats. 
Lit.: H. Dudley, R. R. Riesz u. S. S. A. Watkins, A Syn- 
thetic Speaker, Journal of the Franklin Inst. CCXXVII, 
1939; H. Dudley, Remaking Speech, JASA XI, 1939; W. 
Meyer-Eppler, Elektrische Klangerzeugung, Bonn (1949). 

Vogelgesang. - 1) In Marchen, Sagen und Mythen 
aller Volker hat der singende, wenn nicht gar sprechen- 
de Vogel seinen festen Platz, und nur wenige Menschen 
riihrt V. nicht an. Jede Vogelart hat ihren unverwech- 
selbaren Gesang, er ist ein Artmerkmal. Oft erkennen 
sie einander auch individueli (»personlich«) allein an der 
Stimme. Welche Teile des Lautschatzes angeboren, 
und welche erlernt sind, lehrt der Kaspar-Hauser-Ver- 
such. Mannliche Dorngrasmiickenjunge, die F. Sauer 
als Eier dem Nest entnommen und je in einer eigenen 
schalldichten Kammer hatte schliipfen und aufwachsen 
lassen, so daB jeder fortan nur sich selbst horen konnte, 
auBerten am 6. Tage nach dem Schliipfen iiberein- 
stimmend ein tsieb, vom 11. Tage an dazu auch idat 
und daim alle in gleicher Reihenfolge noch 21 weitere 
Laute, ganz so wie die im Nest bei ihren Eltern ge- 
meinsam aufwachsenden Geschwister. Diese 21 Lau- 
te sind also durchweg angeboren, ebenso wie dem 
Menschenkinde die Lall-Laute (Koehler 1955), die 
wahrscheinlich alle Vokale, Diphthonge und Konso- 
nanten samtlicher Weltsprachen enthalten. Vom idat 
an »komponiert« dieser Jungvogel im Zustande bediirf- 
nisloser Entspannung aus seinen jeweils schon vorhan- 
denen Lauten in standigem Wechsel seinen »Jugend- 
gesang«, so wie das Kind aus seinen Lall-Lauten den 
»Lallmonolog«, beide in zweckfreiern Spiel, hierin un- 
serer Kunstausiibung vergleichbar (Craig; Koehler 



1952, 1954, 1966). Auch der alte Amselhahn »dichtet« 
beim ersten Sonnenstrahl im Januar bei geschlossenem 
Schnabel leise schier unerschopflich Wechselndes vor 
sich hin. - All dieser Reichtum verengt sich zur Fort- 
pflanzungszeit im »Fruhlingsgesang« zu oft erstaunlich 
starren, iiberlauten Motiven mit den Hauptfunktionen, 
kampfsparend fremde Mannchen vor dem Betreten 
des Sangerreviers zu warnen und um ein Weibchen zu 
werben. Der Eindruck, daB manche Vogelarten dabei 
musikalische Intervalle bevorzugen (Marler 1966, Mess- 
mer 1956, Tretzel 1965) und ihre dem menschlichen 
Namensschilde funktionell vergleichbaren Motive 
jahrelang in absolut gleichbleibender Tonlage und me- 
lodischer Klangfolge sowie in exakt gleichem Tempo 
und Rhythmus vortragen (Marler 1966, Thorpe 1962), 
bestatigt sich bei objektiver Nachprufung mit den mo- 
dernen technischen Hilfen der Bioakustik (Busnel) : sie 
haben absolutes Gehor (Messmer), transponieren im 
Sinne relativen Gehors (Thielcke 1960, Tretzel 1966) 
und halten iiber Jahre hinaus auch das Tempo nach- 
weislich genauestens fest. - Manche Vogel ahmen Ge- 
hortes stimmlich nach, der knapp einjahrige Buchfink 
(Thorpe) z. B. den ersten Friihjahrsschlag alter ortsan- 
sassiger Buchfmken, wodurch echte Dialekte entstehen, 
so auch beim Gartenbaumlaufer (Thielcke 1961) und bei 
der kalifornischen Weifikopfammer (Zonotrichia ; vgl. 
Marler, Konishi). Dieser Sing vogel pragt sich schon mit 
3 bis 8 Wochen den Dialekt des Vaters ein; singen kanner 
ihn aber erst nach dem »Stimmbruch«, auch wenn er seit- 
her sein Vorbild nie wieder horen durf te: er hat es also im 
Kopfe behalten. Wird er vor dem Stimmbruch taub, 
hilft ihm sein Gedachtnis nichts, er wird lebenslang 
kein Dialektsanger werden. Hat er aber, sich selbst 
horend, das als Kind Gehorte erst einmal richtig nach- 
gesungen, so kann er es weiterhin, auch wenn er gleich 
danach ertaubt. Familiendialekte sind z. B. beim Gim- 
pel (Nicolai 1956) undKolkraben (G winner 1963) nach- 
gewiesen. - Nachahmer auch artfremder Laute nennt 
man Spotter. Braunkehlchen und Sumpfrohrsanger 
fiigen in ihren langanhaltenden, standig wechselnden 
Vortrag die Stimmen vieler mit ihnen gemeinsam le- 
bender Vogelarten ein. Die indische Schama (Kneut- 
gen) und der Graupapagei ahmen ihre Vorbiider oft 
fiir das menschliche Ohr ununterscheidbar nach. Wie 
unser Kuckuck sind die afrikanischen sogenannten 
Witwen vogel (Nicolai 1964) Brutparasiten, die ihre 
Eier aber nur in die Nester einer einzigen Wirtsart le- 
gen; bei ihnen ist die Genauigkeit der Nachahmung des 
Wirtsgesanges zu einem Hauptfaktor artentrennender 
Auslesevorgange geworden. - Ein Schafer lenkte sei- 
nen Hiitehund durch dreierlei Pfiffe. Wenn eine Hau- 
benlerche (Tretzel 1965) deren Nachahmungen in ih- 
ren Gesang einflocht, gehorchte ihnen der Hund eben- 
so wie den Pfiffen seines Herm. Wahrend dieser jedoch 
in Tonart, Intervallen und Rhythmus achtlos schwank- 
te, sang die Lerche den Sechstonpfiff glockenrein in 
streng festliegendem 4/4-Takt rhythmisch in der 4ge- 
strichenen Oktave wie c e g a (hier der Taktstrich) c 5 , 
abgleitend auf g 3 : sie hat aus unfreiwilligen Variationen 
des unmusikalischen Vorbildes ein wohllautendes »The- 
ma« gestaltet und festgehalten, das andere Haubenler- 
chen ihrerseits mit klcinen wiederum festliegenden Ab- 
weichungen demErfinder nachsangen (akustische Tra- 
ditionsbildung). - Ein gefangen gehaltener Kolkrabe 
(G winner und Kneutgen) ahmte Hundegebell nach; 
zweimal ist er entflogen, und beidemal »beUte« nun sein 
Weibchen, was sie seit Jahren nicht mehr getan hatte. 
Sie selbst machte haufig das Kollern der Truthahne 
nach, und als man sie in eine andere Voliere setzte, be- 
vorzugte das Mannchen in seiner Voliere die Ecke, von 
der aus er wenigstens ein Stiickchen ihrer Voliere sehen 



1049 



Vogelgesang 



konnte, und kollerte unausgesetzt. Wenn hohere Tiere 
immerhin unbenannt denken (Koehler 1952), so kom- 
men diese Verwendungen der Spottstrophe des Part- 
ners einem »Rufen beim Namen« einigermaBen nahe. - 
So darf wohl gesagt werden, der V. ist ein echter Vor- 
laufer unserer Musik und Sprache (Koehler 1951). 
Lit. : W. Craig, The Song of the Wood Pewee. A Stu- 
dy of Bird Music, NY State Museum Bull. Nr 334, 1943; 
O. Koehler, Der V. als Vorstufe v. Musik u. Sprache, 
Journal f. Ornithologie XCIII, 1951; ders., Vom unbe- 
nannten Denken, in: Zoologischer Anzeiger, Suppl.-Bd 
XVII, 1953; ders., Vorbedingungen u. Vorstufen unserer 
Sprache bei Tieren, ebenda XIX, 1955 ; ders., Vom Erbgut 
d. Sprache, Homo V, 1955; ders., Vom Spiel bei Tieren, 
Freiburger Dies universitatis XIII, 1966; F. Sauer, Die 
Entwicklung d. LautauBerungen v. Ei ab schalldicht ge- 
haltener Dorngrasmiicken, Zs. f. Tierpsychologie XI, 1954; 
E. u. I. Messmer, Die Entwicklung d. LautauBerungen u. 
einiger Verhaltensweisen d. Amsel, ebenda XIII, 1956; J. 
Nicolai, Zur Biologie u. Ethologie d. Gimpels, ebenda; 
ders., Der Brutparasitismus d. Witwenvogel als etholo- 
gisches Problem, ebenda XXI, 1964; W. H. Thorpe, The 
Learning of Song Patterns by Birds, Ibis C, 1959; ders., 
Further Studies on the Process of Song Learning in the 
Chaffinch, Nature CLXXXII, 1959; ders., Bird-Song, 
= Cambridge Monographs in Experimental Biology XII, 
Cambridge 1962; G. Thielcke u. H. Poltz, Akustisches 
Lernen verschieden alter schallisolierter Amseln, Zs. f. 
Tierpsychologie XVII, 1960; G. Thielcke, Stammesgesch. 
u. geographische Variation d. Gesanges unserer Baumlau- 
fer, ebenda XVIII, 1961 ; R. G. Busnel, Acoustic Behaviour 
of Animals, Amsterdam 1963; E. G winner u. J. Kneutgen, 
t)ber d. biologische Bedeutung d. »zweckdienlichen« An- 
wendung erlernter Laute bei Vogeln, Zs. f . Tierpsychologie 
XX, 1963; E. Gwinner, Untersuchungen iiber d. Aus- 
drucks- u. Sozialverhalten d. Kolkraben, ebenda XXI, 
1964; ders., Ober einige Bewegungsspiele d. Kolkraben, 
ebenda XXIII, 1966; M. Konishi, Effect of Deafening on 
Song Development in American Robins and Black Headed 
Grosbeaks, ebenda XXII, 1965; E. Tretzel, Imitation u. 
Variation v. Schaferpfiffen durch Haubenlerchen, ebenda; 
P. R. Marler u. W. J. Hamilton III, Mechanisms of Ani- 
mal Behavior, NY 1966. OK 
- 2) In der Musik wird V. realistisch nachgeahmt 
(Kuckucksruf) oder durch Verzierungen (Triller, Ton- 
repetitionen), meist in Diskantlage, dargestellt. Nach 
Walther (1732) ist Minuritio das Pipeln und Zwitzschern 
der kleinen Vogel; undsodann das behende und hohe Singen 
der Discantisten, welche jene gleichsam imitieren; . . . Es 
hedeutet aber auch . . . die Coloraturen. Musik mit episo- 
dischen Darstellungen des V.s oder Motiven aus Vogel- 
rufen komponierten u. a. : Oswald von Wolkenstein 
(Der max mit lieber zal), Janequin (Chanson Chant des 
oiseaux), Kerll (Capriccio sopra il cucu), Poglietti (Aria II 
rossignolo mit Variationen, Capriccio iiber das Henner- und 
Hannergeschrey) J.J. Walther (Scherzi da Violino solo X: 
Imitatione del Cucu), Daquin (Rondeau Le coucou), Fr. 
Couperin (Le rossignol-en-amour mit Double im 14. Or- 
dre), Duval (Rossignols in 2 Suiten von 1704), Vivaldi 
(Kuckuck im Concerto grosso op. IV Nr 2, P.-V. 98; 
Stieglitz in op . X Nr 3 Ilgardellino, P.- V. 1 55 ; beide Vogel 
im 2. Konzert der Stagioni op. VIII, P.-V. 336), Thie- 
mann (Kanarienvogelkonzerte), Handel (Concerto fur 
Org. F dur) J.-Ph. Rameau (Le rappel des oiseaux), Beet- 
hoven (Szene am Bach in der 6. Symphonie; Lied Der 
Wachteischlag), Liszt (Legende Nr 1 St.Francois d' Assise: 
Lapredicationauxoiseaux),W3ignei(Vogelruieim'WM- 
weben, Siegfried, 2. Akt), Dvorak (9. Symphonie op. 95 
»Aus der neuen Welt« mit dem Ruf des amerikanischen 
Pirols), Mahler (1 . Symphonie, Kuckucksruf im Quart- 
intervall), Ravel (Oiseaux tristes aus Miroirs), Strawinsky 
(Sohvej[»Le Rossignol«]), Respighi (Pini di Roma, mit 
Verwendung von Vogelstimmen auf Schallplatte),Bar- 
tok (Mittelteil des langsamen Satzes des 2. Klavierkon- 
zerts) . Im Werk Messiaens sind Vogelruf e, die zum Teil 

1050 



ornithologisch exakt nachgewiesen werden, ein wesent- 
liches Stilelement (Prelude La colombe, 1929; Quatuor 
pour la Jin des temps, 1941; Turangalila-Symphonie, 1948; 
He defeu I, 1949; Livre d'orgue, 1951-53; Reveil des 
oiseaux, 1953; Oiseaux exotiques, 1956; Chronochromie, 
1960; Couleurs de la cite celeste, 1964). Messiaen ver- 
wendet die Vogelrufe seit den 1950er Jahren tonma- 
lerisch und symbolisch in Werken, die in Teilen oder 
vollig nur aus V. komponiert sind (wie »ein grofier 
Kontrapunkt von Vogelstimmen «). - 3) V., auch Nach- 
tigallenzug, Rossignol, ist in Orgeln seit der Mitte des 
16. Jh. ein Register, bei dem offene Pfeifen nach unten 
in einen mit Wasser gefiillten Kessel ragen. Durch den 
Winddruck (auch zusatzlich durch Rohren, die Luft in 
das Wasser blasen) bewegt sich das Wasser, das wie ein 
Deckel die Pfeifen abschliefk, so daf3 die Pfeifenlangen 
und damit die TonhShen dauernd trillerartig wechseln. 
- Vogelorgeln (frz. serinettes, merlines, pionnes und 
turlutaines) waren in der 2. Halfte des 18. Jh. beliebte 
kleine mechanische Flotenwerke, bei denen die Luft- 
saule durch einen Kolben verkiirzt wurde. Sie wurden 
auch zusammen mit kunstlichen Vogeln in Vogelbauer 
eingebaut, besonders zierlich in Tabatieren, und dien- 
ten auch zum Anlernen von Singvogeln. 
Lit.: zu 2): G. Ernest, Beethoven-Studien III: Die Vo- 
gelst. in d. »Szene am Bach«, Mk XI, 1911/12; A. Sand- 
berger, Zu d. geschichtlichen Voraussetzungen d. Pasto- 
ralsinfonie, in: Ausgew. Aufsatze zur Mg. II, Milnchen 
1924 (S. 163ff.), Nachdruck Hildesheim 1967; H. W. Ha- 
mann, Zu Beethovens Pastoral-Sinfonie. Vorausnahmen 
eines Wiener Kleinmeisters aus d. Jahre 1 79 1 , Mf XIV, 1 96 1 . 

Voix mixte (vfi'a mikst, frz., gemischte Stimme), die 
exakte Mischung aus Brust- und Kopfregister (-> Re- 
gister - 3), die vor allem fur zarte Tongebung in den 
hoheren Lagen der Mannerstimme wichtig ist. 

Vokale (von lat. vox, Stimme) sind stimmhaf te Sprach- 
laute, die von den Stimmlippen gebildet und durch die 
Resonanzwirkung der Hohlraume des geoffneten Mun- 
des und der Nase ohne Beteiligung der Zungenspitze 
modifiziert werden. Zu jedem Vokal gehort eine be- 
stimmte Stellung des Mundes und der Zunge; zum 
a z. B. ein weit geofmeter, zum u ein gespitzter, fast 
geschlossener Mund und eine am hinteren Gaumen ge- 
wolbte Zunge. Die so entstehenden unterschiedlichen 
Resonanzraume bewirken eine f iir jeden Vokal spezi- 
fische Ausbildung von -»• Formanten. Grundsatzlich 

c'(262Hz) 



0.1 



c(13Wz) 



10 kHz 



l kk- 



0,1 1 10 kHz 

Frequenzspektren des Vokals a bei der Grundfre- 
quenz 262 Hz (cl) und 131 Hz (c). 
weisen die Spektren der V. ein oder zwei Formantbe- 
reiche auf, die von der Grundfrequenz der gesproche- 
nen oder gesungenen V. unabhangig sind. Die For- 
mantbereiche fiir die 5 Haupt-V. sind : u = 200-400 Hz, 
o = 400-600 Hz, a = 800-1200 Hz, e = 400-600 Hz 
und 2200-2600 Hz, i = 200-400 Hz und 3000-3500 Hz. 
Wird aus dem Frequenzspektrum des e bzw. i der obe- 
re Formantbereich durch einen Tiefpafl (->■ Filter) aus- 



Vokalmusik 



gefiltert, so erklingt o bzw. u. Dem Sopran gelingt es 
in sehr hohen Lagen nicht, die dunklen V. u und o zu 
bilden, da die entsprechenden Formantbereiche (200- 
600 Hz) bereits unterhalb der auftretenden Frequenzen 
(z. B. c3 = 1047 Hz) liegen. -»■ Aussprache, -> Kon- 
sonanten. 

Lit.: C. Stumpf, Die Sprachlaute, Bin 1926; ders., Neue 
Vokalanalysen, Zs. f . Phonetik u. allgemeine Sprachwiss. 
IX, 1956; O. v. Essen, Allgemeine u. angewandte Phonetik, 
Bin 2 1957; F. Trendelenburg, Einfuhrungin d. Akustik, 
Bin, Gottingen u. Heidelberg 31961. 

Vokalmusik ist, im Unterschied zu -> Instrumental- 
musik, allgemein eine fiir vokale Ausfiihrung bestimm- 
te und besonders eine von der menschlichen Stimme 
her und fiir sie konzipierte Musik. Das wesentliche 
Merkmal der V. ist jedoch die Sprachgebundenheit; 
daher wird vielfach der Ausdruck »sprachgebundene 
Musik« bevorzugt. Anders als das Instrument neigt die 
Stimme zur Gestaltung des Melodieganzen, nicht zur 
Fixierung der einzelnen Tone. Das stromende, klein- 
stufige Melisma, das trotz seiner Bewegung um feste 
Grundintervalle die Isolierung desEinzeltons kaum zu- 
laBt, ist in Verbindung mit Deszendenzmelodik (W. 
Danckert) - d. h. ausgedehntem Abfallen der melodi- 
schen Linie jeweils von einem Hochton - eine Urform 
des rein vokalen Musizierens (z. B. arabische Musik). 
Solche »primar melische« Musik (R.v.Ficker) ist auch 
bei instrumentaler Mitwirkung im Wesen einstimmig 
und infolge der untrennbaren Verbindung des Tons 
mit dem Menschen, der ihn hervorbringt, ganz sub- 
jektiver, gesteigerter Ausdruck, letztlich ableitbar vom 
Schrei der Klage oder Freude. Die Aufgaben der V. 
liegen indessen mehr in der Mitte zwischen dem reinen, 
ungehemmten Ausdruck und dem Vortrag von Spra- 
che. Es kommt daher meist zu einem Ausgleich dieser 
beiden Prinzipe. Schon der Textvortrag (Silbe = Ton), 
aber vor allem Instrument und instrumentales Denken 
bringen die Vorstellung des Einzeltons und damit die 
Moglichkeit der Regelung des Zusammenklangs von 
Tonen mit sich. Man kann daher zwei Stufen unter- 
scheiden: zuerst innerhalb reiner Vokalitat den Aus- 
gleich zwischen ungebundener Melismatik und Text- 
vortrag, und dann, nach dem Eindringen instrumen- 
taler Elemente in die rein vokale Musik des Sprach- 
vortrags, die Annaherung des Vokalen an das Instru- 
mentale. 

Ein solcher Ausgleich diirfte in der Antike stattgefun- 
den haben auf Grand der Einheit von dichterischem 
Wort, Rhythmus und Musik. Vom Erklingen dieser 
Musik fehlt jede klare Vorstellung; doch sind Analo- 
gien zur heutigen Musik des Vorderen Orients und 
Griechenlands nicht ausgeschlossen. Unter dem Aspekt 
des Textvortrags erscheint die Musik, die in besonde- 
rer Weise dem Wort, als dem Wort Gottes, dient: der 
synagogale Gesang des 1. Jh. n. Chr. sowie die liturgi- 
sche Einstimmigkeit des Mittelalters im griechischen 
(Byzanz) und lateinischen Bereich. Der Vortrag des 
liturgischen Wortes war nunmehr die vornehmste Auf- 
gabe der Musik. Aus ihr folgt die rein vokale Ausfiih- 
rung, so daB sparer, selbst als seit der Mehrstimmigkeit 
(9. Jh.) und vor allem seit dem Hervortreten der In- 
strumentalmusik um 1600 auch die sprachgebundene 
Musik nicht mehr eigentlich V. war, sich der Begriff 
V. schlechthin mit geistlicher Musik verband. Bereits 
der synagogale Gesang bildete die beiden Moglichkei- 
ten der einstimmigen V. aus, die gleichermaBen mittel- 
alterlichen Choral und byzantinische Kirchenmusik 
kennzeichnen: die syllabisch deklamierende Psalmodie 
(accentus) und den solistischen, reich melismatischen 
Gesang (concentus). In Byzanz und im Abendland ent- 
standen etwa gleichzeitig (9. Jh.) typische Vokalschrif- 



ten; ihr vielleicht gemeinsamer Ursprung wird aus der 
-*■ Cheironomie und dem Sprachakzent (-> Akzent - 1) 
abgeleitet. Dies weist wieder auf die beiden Pole der 
V. : reines Melos und musikalisches Sprechen. 
Erst Mehrstimmigkeit war auf einen horizontal und 
vertikal geregelten Ablauf von Tonen angewiesen und 
bedurfte einer Notenschrift mit genau festgelegten 
Tonhohen. Mit der Mehrstimmigkeit beginnt daher 
auch die Geschichte der immer mehr instrumental 
orientierten Notenschrift. Das Bestreben, die primar 
melischen und die auf das Wort und den Sprachbau 
gerichteten Krafte in Einklang zu bringen, fiihrte im 
mittelalterlichen Choral einerseits zu den melismati- 
schen Responsorien (->• Graduale - 1, ->■ Alleluia) als 
musikalische, solistische Einlagen in die Liturgie, an- 
dererseits zur mehr syllabischen Psalmodie (Antipho- 
nen, Lektion). Der rezitativische, ans Sprechen ange- 
lehnte Vortrag (mit Tonwiederholung) bleibt auch in 
der Mehrstimmigkeit eine der wichtigsten Moglich- 
keiten des vokalen Satzes. Die wohl vom germanisch- 
keltischenNorden ausgehende Diatonisierung des Cho- 
rals seit dem 9. Jh. ist wahrscheinlich auf instrumentale 
Tendenzen zuruckzufuhren, die im 9. Jh. zur Ent- 
stehung der ->■ Organum genannten Mehrstimmigkeit 
fiihrten. Seinen vokalen Charakter verliert der ein- 
stimmige Choral vollends dadurch, daB er Organa und 
Motetten als C. f . zugrunde gelegt wurde. Doch auch 
die Mehrstimmigkeit ubernahm als zentrale Aufgabe 
die Vertonung des liturgischen Wortes. Die Musik 
blieb bis um 1600 im wesentlichen sprachgebunden, 
und in der Satztechnik spiegelte sich der kontinuier- 
liche SprachfluB der Prosa, von der die liturgische Mu- 
sik ausgegangen war; der vokalen Ausfiihrung (ob- 
wohl bis 1600 in der Regel ebensowenig festgelegt wie 
die instrumentale) kommt daher weiterhin entschei- 
dende Bedeutung zu. Wahrend die Musik in Frank- 
reich seit der Ars antiqua und vor allem im 14. Jh. (Ars 
nova; Messe, Motette, Chanson) immer mehr instru- 
mental-konstruktive Ziige annahm, erwuchs in Ober- 
italien die in ihrer Melodik spezifisch vokale, weltliche 
Musik des Trecentos (Madrigal, Caccia, Ballata). Sie 
miindet im spaten 14. Jh. wiederum in den Hauptstrom 
der franzosisch-niederlandischen Musik ein. Ebenfalls 
mehr am Rande entstand in der weltlichen 1st. Musik 
der Trobadors, Trouveres und spater der Minnesinger 
eine vokale, im Liedhaften wurzelnde Kunst; -> Lied 
und Versstruktur erweisen sich hier als Quellen des 
Vokalen. Auch die -»■ Chanson des 15. Jh. (G.Dufay, 
G.Binchois) ist mit ihrer liedmaBigen Oberstimme vo- 
kal empfunden. Aus dem Volkslied schopfte das in- 
strumental begleitete deutsche Tenorlied (H.Isaac, P. 
Hofhaymer) im 15./16. Jh. Durch Dunstable (um 1385- 
1453) erhielt die geistliche Musik eine Geschmeidigkeit, 
die in hohem Grade gesanglich wirkt. 
Seitdem ging es in der sprachgebundenen Musik bis 
etwa 1600 um den Ausgleich zwischen den instrumen- 
talen, konstruktiv-klanglichen Kraften und der For- 
derung des vokalen Textvortrags. Noch bei Dufay und 
seinen Zeitgenossen iiberwiegt die konstruktive Seite. 
Doch Mitte des 15. Jh. (Ockeghem, Obrecht, spater 
Josquin) setzte die Vokalisierung des Satzes ein; als 
Grundlage der Komposition entstand der 4st. Satz der 
normalen Stimmgattungen Sopran, Alt, Tenor, BaB in 
den vokalen Schliisseln. Hand in Hand damit ging die 
Ausbildung des vokalen Prinzips der Durchimitation. 
Gleichzeitig setzte sich die rein vokale Ausfiihrung im- 
mer mehr durch (Rom, papstliche Kapelle). Am Ende 
dieser Entwicklung steht die »klassische« Vokalpoly- 
phonie der Messen und Motetten Palestrinas und O. de 
Lassus', die auf voller Homogenitat des Satzes und auf 
dem Gleichgewicht des Melodisch-Sanglichen und 



1051 



Vokalmusik 



Konstruktiv-Klanglichen beruht. Noch im 17./18. und 
erneut im 19. Jh. (-> Caecilianismus) wurde diese reine 
V. als »klassisch« empfunden. Sie hieB schon seit 1600 
Stylus antiquus (bzw. gravis), Stylus a cappella oder Sty- 
lus ecclesiasticus. DieEnde des 16. Jh. in Venedig auf- 
tretende instrumentale Ensemblemusik G. Gabrielis 
wurzelt vor allem in der venezianischen -» Mehrcho- 
rigkeit, d. h. in einer V., in der das klangliche Moment 
und - bedingt vor allem durch die Oberschreitung der 
normalen Stimmumfange - die instrumentale Ausf Uh- 
rung im Vordergrund stehen. Auf vorwiegender Vo- 
kalitat beruht hingegen die weltliche V. des 16. Jh. in 
Italien (Villanella, 3-5st. Madrigal) und Frankreich 
(Chanson), die durch solistische Besetzung und freieren 
Satz auch fur die Instrumentalmusik wichtig war. Der 
um 1600 aufgekommene GeneralbaB als Kompositions- 
prinzip ermoglichte im ->- Concerto erstmalig die Tren- 
nung der instrumentalen und vokalen Stimmen. Die 
vokalen Oberstimmen nehmen concertierend-instru- 
mentalen Charakter an und fassen kompositorisch den 
Text zu neuer Einheit (G. Gabrieli, H. Schiitz). Die 
Struktur der Musik war seitdem bestimmt vom Gene- 
ralbaB. Er ermoglichte die -> Monodie (G. Caccini, Peri, 
CI. Monteverdi), einen von leidenschaftlichem Affekt 
getragenen und den Sprachbau unterstreichenden Vo- 
kalstil, der jedoch bald zum Seccorezitativ absank. 
Die sprachgebundenen Gattungen im 17. Jh., Geistli- 
ches Konzert, Kantate, Oratorium und Oper, sind vor- 
nehmlich instrumental ausgerichtet. Innerhalb der 
Opernarie entstand eine Vokalitat instrumentaler Pra- 
gung, die in Melodiebau und Artikulation wieder auf 
Instrumentalsatz und -vortrag zuriickwirkte. Ein vo- 
kales Element und zugleich Symbol der liturgischen 
Bindung, dem gregorianischen C. f. vergleichbar, er- 
stand der deutschen Musik um die Mitte des 16. Jh. im 
protestantischen Choral. Daraus bezogen Kantate, 
Passion und die Instrumentalmusik der deutschen Or- 
ganisten und Kantoren bis zu J. S.Bach ihre Legitima- 
tion als geistliche Musik. Die Musik Bachs ist jedoch 
primar instrumental: die vokalen Partien unterschei- 
den sich nicht wesentlich von den instrumentalen ; Bach 
verlangt, die Sanger und Instrumentalisten sollen durch 
ihre Kehle eben das machen, was er auf dem Claviere spielen 
kann (J. A. Scheibe, Critischer Musicus, Leipzig 2 1742, 
S. 62). Die Kantabilitat der italienischen Musik - vor 
allem der Opernarie - seit etwa 1720 (G.B.Pergolesi), 
die mit der Uberwindung des GeneralbaBprinzips 
zusammenhangt, war eine wesentliche Voraussetzung 
fiir die neue Unmittelbarkeit und menschliche Besee- 
lung im instrumental konzipierten Satz der Wiener 
Klassiker. In den Opern Mozarts bedeuten die Sing- 
stimmen die personliche Verkorperung dessen, was das 
Orchester ausspricht; in Beethovens 9. Sinfonie und 
Missa solemnis sind sie Uberhohung des Instrumenta- 
len, nicht sein Gegensatz. Die lyrisch dichte, gleichwohl 
instrumental bedingte Gesangsmelodie des Liedes von 
Schubert ist auch seinen spaten Instrumentalwerken 
eigentumlich. Im Musikdrama Wagners und in den 
Opern von R.Strauss ist die Singstimme giinzlich in 
den symphonischen Strom des Orchesters einbezogen. 
Dagegen stand die italienische Oper von Monteverdi 
bis Verdi und Puccini in der Kontinuitat der italieni- 
schen Gesangstradition des -> Belcantos. Die Bezeich- 
nung V. trifft ferner zu fiir die im Zuge der musikali- 
schen Jugendbewegung entstandenen Chorwerke von 
H.Distler, E. Pepping u. a. Diese archaisierenden Be- 
strebungen innerhalb der instrumental orientierten Mu- 
sik des 20. Jh. haben mehr sekundare Bedeutung. Auch 
das Komponieren in der Nachfolge Weberns, soweit 
es sich noch ublicher musikalischer Mittel und Instru- 
mente bedient, steht durchaus auf dem Boden des in- 



strumentalen Denkens. Erst mit der Ausschaltung des 
Interpreten innerhalb der Elektronischen Musik ist der 
Gegensatz instrumental-vokal ganzlich gegenstandslos 
geworden. - Die historische Betrachtung zeigt, daB 
es keine Geschichte der V. wie die der Instrumental- 
musik gibt, sondern nur die Geschichte der Musik 
unter dem Aspekt des Vokalen. 

Lit. : H. Goldschmidt, Die Lehre d. vokalen Ornamentik 
I, Charlottenburg 1907; R. Lach, Studien zur Entwick- 
lungsgesch. d. ornamentalen Melopoie, Lpz. 1913; Kn. 
Jeppesen, Der Palestrinastil u. d. Dissonanz, Lpz. 1925, 
engl. Kopenhagen u. London 1927, 21946; ders., Kontra- 
punkt. Lehrbuch d. klass. Vokalpolyphonie, Lpz. 1935, 
Nachdruck Lpz. 1956, engl. NY 1939 ; G. v. Keussler, Zur 
Asthetik d. V., ZfMw XI, 1928/29; K. G. Fellerer, Der 
Palestrinastil u. seine Bedeutung in d. vokalen Kirchen- 
musik d. 18. Jh., Augsburg 1929; R. v. Ficker, Primare 
Klangformen, JbP XXXVI, 1929 ; A. Einstein, Anfange d. 
Vokalkonzerts, AMI III, 1931 ; W. Danckert, Das euro- 
paische Volkslied, Bin 1939; ders., GrundriB d. Volkslied- 
kunde, Bin 1939; J. Muller-Blattau, Das Verhaltnis v. 
Wort u. Ton in d. Gesch. d. Musik, Stuttgart 1952; H. 
Besseler, Singstil u. Instrumentalstil in d. europaischen 
Musik, Kgr.-Ber. Bamberg 1953; Thr. G. Georgiades, 
Musik u. Sprache . . . , = Verstandliche Wiss. L, Bin, Got- 
tingen u. Heidelberg 1954; H. H. Eggebrecht, Musik als 
Tonsprache, Af Mw XVIII, 1 96 1 . StK 

Volkslied. In Wortkniipfungen wie »Volkslied«, 
»Volkskunst« bedeutet »Volk« nicht das Gesamtvolk 
(lat. populus), sondern die Unterschicht, besser Mutter- 
schicht oder Grundschicht (lat. vulgus in populo; engl. 
common people) eines Hochkulturvolkes. Kernstiick 
der Mutterschicht ist allerwarts das bauerliche Land- 
volk, hinzuzurechnen sind jedoch auch Fischer, Scha- 
fer, Hirten, Handwerker und andere elementare Be- 
rufsstande - insgesamt der kern- und stammhafte Teil der 
Nation (Goethe), dessen Grenzen ubrigens nicht iiber- 
all gleichartig gelagert sind. V.er sind also Gesange, die 
nach Wort und Weise in der Mutterschicht lebendig 
sind, d. h. hier oft mit erstaunlicher Gedachtniskraft 
miindlich iiberliefert, vielfach auch erzeugt, ebenso 
haufig nach iibernommenen Vorbildern um- und f ort- 
gebildet werden. DaB die V.-Kunst sich zu alien Zei- 
ten willig befruchtenden Einfliissen offnet und zahlrei- 
che Fremdimpulse sich anverwandelt, steht auBer Frage. 
Einzelne V.-Gattungen wie Tagelied, Pastourelle und 
zahlreiche Balladen sind ursprunglich der ritterlichen 
Standeskunst entsprungen. Doch fiir die grofie Masse 
der europaischen, besonders der alteren randeuropai- 
schen V.er laBt sich Herkunft aus Kunstdichtung und 
-musik nicht oder nur in (zum Teil recht umstrittenen) 
Einzelziigen nachweisen. Ein verhangnisvoller Irrtum 
war es, die Fiille der vielfach gestuften schopferischen 
Anverwandlungen, Fortzeugungen usw. allgemein 
und unterschiedslos nach dem Denkschema des »ge- 
sunkenen Kulturguts« zu werten. Vertreter der einspu- 
rigen »Rezeptionslehre« entwickelten, miBgeleitet vor 
allem durch bloBe Beobachtungen spatzeitlicher ent- 
wurzelter Liedtypen, das Zerrbild vom bloB aneignen- 
den, reproduzierenden, ja das iibernommene Kultur- 
gut verschleiBenden (»zersingenden«) Volk. Die posi- 
tiven, produktiven Um- und Fortbildungen im V. 
zeigen sich melodisch in einer Fiille von Varianten, 
Abzweigungen, Sprossungen, die allesamt einen melo- 
dischen Archetypus umspielen und so ganze Sippen 
verwandter Melodien hervortreiben. Auf solche Art 
konnen schlieBlich unter besonderen Bedingungen - so 
etwa, wenn fremde Formkeime in eine lebendige 
Uberlief erung eingehen, ohne diese schadigend zu iiber- 
fremden - ganz neue, in sich geschlossene Stilkreise des 
V.s entstehen. Musterbeispiele sind das neufinnische 
und das neugriechische V., die im 1 7.-20. Jh. sich iiber- 
raschend einheitlich-pragnant herausbilden. Die »stille 



1052 



Volkslied 



Kraft des Ganzen«, von der Jakob Grimm sprach, die 
Pragung von einheitlichen Kollektivstilen also, ist al- 
lerdings nicht so zu deuten, als hatte ein Team von Ver- 
fassern gleichzeitig zusammenarbeitend ein Lied ge- 
schaffen. Auch im Nacheinander der miindlichen Uber- 
lieferung bekunden sich aus dem UnbewuBten heraus 
wirkend uberindividuelle Krafte. Sie lassen sich z. B. 
an den stets typischen (volks- oder auch stammesttim- 
lich bedingten) Umgestaltungen ablesen, die wandern- 
de Liedweisen regelmaBig erfahrcn. 
Textlich tritt der urspriinglichste, alteste Wurzelbe- 
reich des V.s vor allem in einem weit ausgespann- 
ten, erst zum kleinsten Teile erforschtcn Netz von Na- 
tursymbolen zutage. Auch Kultursymbole (Artefakte) 
empf angen von ihrer Naturgrundlage her Symbolwur- 
de. All dies weist auf uraltes Bilddenken mit bezeich- 
nenden Lakonismen, »Wurfen und Spriingen« (Her- 
der) und auf ein dem Mythischen nahestehendes Welt- 
bild hin. So ist es bezeichnend, daB auch noch heute in 
einigen Landschaften Randeuropas, z. B. bei Balkan- 
volkern, erweislich reale Ereignisse oder geschichtliche 
Personlichkeiten, die ins V. eingehen, alsbald ins My- 
thische umgedeutet werden. Viele Symbole entstam- 
men urspriinglich wohl der pflanzerischen, dann bauer- 
lichen Schicht. Die feudalen »Oberschichter« und ihr 
friihes Kunstlied verdanken der Mutterschicht sicher- 
lich viel mehr, als zu ahnen ist, wenn irrigerweise die 
wenigen schriftlich iiberlieferten Friihzeugnisse zum 
MaBstab des Wirklichen gemacht werden. Das altere 
V. stirbt iiberall ab, wo der mythisch-symbolische 
Grund unter dem Anhauch des Verstandeswesens und 
Nutzgeistes verdorrt. Nicht nur die Texte verderben 
so durch Uberwuchern des Stofflichen oder Sentimen- 
talen, sondern auch die Melodien ; sie verlieren linien- 
hafte Garizheit, verflachen durch motivische Aufspal- 
tung und harmonische Erweichung. Das V. der Volker 
Mitteleuropas ist seit Jahrhunderten von solcher Ent- 
wurzelung am fiihlbarsten bedroht. Der Zustand, in 
welchem die Unterschicht jede eigenstandige Produk- 
tivitat verliert und neues Kulturgut nur noch als Herab- 
sinkendes von oben erhalt, ist Endphase: Tummelplatz 
des sogenannten »volkstumlichen Liedes«. Auf alteren 
Stufen gehen die Kulturbewegungen in beiden Rich- 
tungen, von unten nach oben und von oben nach unten 
(schopferische Polspannung). Auf friiher Stufe sind 
Kulturhohe und -fiille der Unterschicht in der Regel 
der rational-aktivistischen, aber lebenskargen Kultur 
der (nomadischen) Oberlagerer fraglos iiberlegen, wie 
neuerdings der Soziologe A. Riistow betont. 
Das V. des abendlandischen Volkerkreises ist nicht ge- 
schichtslos. Es hat teil am Stilwandel der Kunstmusik, 
allerdings mit Abstand und in sehr verschiedenartigem 
AusmaBe. Deutsche, niederlandische, franzosische, 
englische und italienische Lieder, wie sie die groBeren 
Sammlungen darbieten, lassen sich groBenteils stilge- 
schichtlich leidlich genau einordnen; sie tragen etwa 
mittelalterliches, barockes, aufklarerisches Geprage 
oder den ziigig-ausfahrenden Duktus des 19. Jh. Solche 
Befunde sind nicht immer auch bindende Aussagen 
chronologischer Art; einzelne Melodien mittelalter- 
lich-kirchentonalen Geprages konnen (z. B. in der 
Bretagne oder in Spanien) noch in jiingster Zeit ent- 
stehen, iiberall dort, wo alte Uberlieferung noch un- 
gebrochen fort- und nachwirkt. Besonders aufschluB- 
reich ist der Ausblick in die altesten, vorgeschichtli- 
chen Quellgriinde. Alter als die mittelalterlichen Mo- ■ 
di, die Kirchentbne, sind gewiB manche Lieblingston- t^ 
arten der mittelalterlichen Fahrenden, so vor allem 
der Do-Modus, Vorlaufer des (barocken) Durge- 
schlechts, der Tonus lascivus. Noch eindeutiger pagan : 
erscheint der bauerlich-hirtenhafte Fa-Modus, der in 



Hirtenmusik der Schweiz, Frankreichs, Belgiens, der 
Slowakei, Rumaniens, der Abruzzen, Skandinaviens 
und der Inselkelten so bedeutsam her vortritt. Noch Tro- 
badors und Trouveres schopf ten aus diesem Quellberei- 
che. Gelegentlich stellt sich in den Heimatgebieten der 
Fa-Tonart - am haufigsten auf Island - auch der Gegen- 
modus mit der verminderten Quinte ein : der Si-Modus. 
Eine gewisse GroBraumigkeit, Weitbewegtheit gehort 
zum Grundgeprage des europaisch-asiatischen sHirten- 
melos«. - Bliihendes, reich melismatisches Melos, das im 
Grenzfall sogar zur textlosen Vokalise werden kann, 
scheint die Grundsignatur altbauerlichen Singens zu 
sein. Den nordwestspanischen -»■ Alalas stellen sich die 
franzosischen Grandes oder Chants a grand vent, die 
russischen »gedehnten« Lieder (protjaschnyja) zur Seite. 
Sehr urtumlich ist die halbtonlose Pentatonik der Insel- 
kelten (Schottland, Irland, Hebriden). Nach musik- 
ethnologischen Erkundungen (W.Danckert) handelt 
es sich um ein Uberbleibsel aus der »Mutterrechtsspha- 
re« mittellandischer Volker. Auch in einzelnen hoch- 
altertiimlichen Liedern italienischer Gebiete (Abruz- 
zen, Siiditalien, Sardinien) erhielten sich halbtonlose 
Fiinf- und Viertongesange. Die pentatonische Alt- 
schicht im ungarischen Bauernlied hingegen (von Bar- 
tok und Kodaly entdeckt) kommt von Mittelasien her; 
sie ist Vermachtnis eines sehr alten mittel- und ostasia- 
tischen Kulturkreises ebenfalls mutterrechtlicher Pra- 
gung. Hocharchaisch ist auch die »Engmelodik«, wohl 
die alteste Schicht ost- und sudosteuropaischen Singens. 
Sie umf afit altfinnische und estnische Runenweise, Joi- 
ku und Klagelied, alteste bulgarische und slowenische 
Rituallieder, primitive Altschichten im ukrainischen, 
litauisch-lettischen Volksgesang und im Lied der Kau- 
kasusvolker. Engmelodik geht in der Regel aus von 
einer »Kernsekunde«, sie erweitert sich zum Tri- oder 
Tetrachord, allenfalls zum Quintumfang. Nordrussi- 
sche Bylinen (Heldenlieder) f iigen zum Viertongrund- 
bestand gern einzelne (sprunghaf t erreichte) Tief tone hin- 
zu. Im Gegensatz zur osteuropaischen Engmelodik steht 
das scharfe Tonraumunterteilen und »Anpeilen« durch 
(zum Teil chromatische) 
Hilfsvorschlagstone in der 
engmelodischen Altschicht 
islandischer Gesange : 



_ K 

ur henn-i alt of - an i djup-a keld-u. 

was es ent-halt, hin-rollt in tie-fen Mo-der. 
Islandische Reimweise (aufgezeichnet von J. Leifs). 
Melodien dieses Schlages bewegen sich nicht auf Stufen 
einer festen, praexistenten Leiter; sie sind pramodal, 
amodal. Nur einige Geriisttone stehen fest; die »Fiil- 
lung« dazwischen ist variabel. Ganz Altskandinavien be- 
wahrte solche modusf reien Weisen, oft auch groBeren 
Umfangs. HaupterhaltungsgebietesindlslandundNor- 
wegen. Es handelt sich um Auslaufer und Fortbildun- 
gen altnordischen Kunstgesanges, um »Skaldenmelos«. 
Skaldisch-skopische Oberlieferung klingt auch in man- 
chen der altesten erhaltenen Erzahlweisen spielmanni- 
scher Art nach, etwa im Ton desjiingeren Hildebrands- 
liedes; man beachte die Variabilitat des Tones unter- 
halb der Melodiespitze f 2 , den Wechsel vori e 2 und es 2 : 



Ich wil zu Land aus-rei -ten, sprach sich mei-ster Hil-te-brand, 



Presto 




der mir die weg thet wei-sen 



gen Bernwol jnn die Land; 



1053 



Volkslied 



Pramodales Melos einfacherer Art, z. B. mit bestandi- 
gem Austausch einzelner »Fullt6ne« durch »chromati- 
sche« Varianten, findet sich in mancherlei Altschichten 
europaischen Volksgesanges, so in Siidfrankreich, bei 
den Basken und gehauft vor allem in Mahren. Bei 
manchen bizarr anmutenden Gebilden mahrischen 
Ursprungs mochte man vermuten, daB hier eine sehr 
altertiimliche Pramodaltonraum-Auffassung sich mit 
jiingeren Modaleinfliissen durchkreuzt und vermischt, 
z. B. in einem mahrischen Lied (nach Fr. Bartos) : 




ie-nu bych pro-dat, de-tibychroz-dal,sambychnavoj-nu vzat. 
Struktur: 




Eine gewisse Variabilitat oder »Unfestigkeit« zeigen 
indessen auch viele Melodiegebilde, die in der siideu- 
ropaischen Kontaktzone entstanden, wo orientalische 
(arabisch-islamische) Vorbilder oder Einflusse langere 
Zeit einwirkten. Orientalischen Ursprungs sind i. B. 
manche Formeln und Leiterbildungen, die uns in un- 
garischer Zigeunermusik entgegentreten. Vom Orient 
stammen die haufigen Halbtonvarianten in spanischer 
Musik (z. B. Mi-Modus mit Wechsel von Klein- und 
GroBterz), die Endvokalisen, gewisse Melismen und 
Ornamentformeln. Sehr stark orientalisch beeinfluBt 
sind weite Bezirke balkanischer Volksmusik, am stark- 
sten griechische und albanische, bulgarische und ru- 
manische. Im Lied Siziliens, Sardiniens und Korsikas 
hinterlieB die mittelalterliche Sarazenenherrschaft bis 
heute merkliche Spuren. Seit alters stehen Lied und 
-» Tanz in regen Wechselbeziehungen. Der hochmit- 
telalterliche Singtanz, die ->■ Carole, erhielt sich bis 
heute in Rand- und Ruckzugsgebieten, z. B. auf dem 
Balkan und auf den Faroern. Fast alle Leitformen der 
abendlandischen Tanzgeschichte, auch die urspriinglich 
rein oder vorwiegend instrumentalen, spiegeln sich in 
entsprechenden Liedgestalten. - Die zentrale Sammel- 
stelle der Volksliedforschung in Deutschland ist das 
Deutsche Volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau, ge- 
griindet 1914 von John Meier, der es bis zu seinem Tod 
(1953) leitete. 1953 iibernahm Erich Seemann (f 1965) 
die Leitung des Deutschen Volksliedarchivs, 1963 Wil- 
helm Heiske. 

Ausg. : F. Ziska u. J. M. Schottky, Osterreichische V. mit 
ihren Singweisen, Budapest 1819, 3 1906; L. Erk u. W. Ir- 
mer, Die deutschen V. mit ihren Singweisen, (Bin 1838-45), 
hrsg. v. J. Koepp, 2 Bde, Potsdam 1938 ; Deutscher Lieder- 
hort, hrsg. v. L. Erk, Bin 1856, neu bearb. u. fortgesetzt v. 
Fr. M. B6hme, 3 Bde, Lpz. 1893-94, 21925; R. v. Lilien- 
cron, Die hist. V. d. Deutschen v. 13.-16. Jh., 4 Bde mit 
Nachtrag, Lpz. 1 865-69 ; ders., Deutsches Leben im V. um 
1 530, Bin u. Stuttgart 1885, Nachdruck 1 925 ; Altdeutsches 
Liederbuch, hrsg. v. Fr. M. B6hme, Lpz. 1877, 31925; 
Deutsches Kinderlied u. Kinderspiel, hrsg. v. dems., Lpz. 
1897, 2 1924; J. Pommer, 444 Jodler u. Juchezer aus Steier- 
mark, Wien 1902 u. 6.; C. Decurtins, Ratoromanische 
Chrestomathie III, Erlangen 1903 ; A. Tobler, Das V. im 
Appenzeller Lande, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f . 
Volkskunde III, Zurich 1903; Flamische V. in deutscher 
Nachdichtung mit d. Singweisen, hrsg. v. A. Wesselski, 
Lpz. u. Innsbruck 1917; G. Schunemann, Das Lied d. 
deutschen Kolonisten in RuBland, = Sammelbde f . ver- 
gleichende Mw. Ill, Munchen 1922; B. Bart6k, Volks- 



musik d. Rumanen v. Maramures, ebenda IV, 1923; Das 
Lied d. Volker, hrsg. v. H. Moller, 14 H., Mainz (1923-29 
u. 6.) ; P. Alpers, Die alten niederdeutschen V., Hbg 1924 ; 
Verklingende Weisen. Lothringer V., 5 Bde, I-IV, hrsg. v. 
L. Pinck, Heidelberg 1926-39, Bd V hrsg. v. A. Merkel- 
bach-Pinck (mit J. Muller-Blattau), Kassel 1962; E. See- 
mann, Die V. in Schwaben, Stuttgart 1929; Deutsche V. 
mit ihren Melodien, hrsg. v. Deutschen Volksliedarch., 
Bin 1925ff., besonders Bd I mit Bibliogr. ; Ratoromanische 
V. I, 2 Bde, hrsg. v. A. Maissen, W. Wehrli u. A. Schor'- 
ta, = Schriften d. Schweizerischen Ges. f. Volkskunde 
XXVI-XXVII, Basel 1945; Europaischer Volksgesang, 
hrsg. v. W. Wiora, = Das Musikwerk (IV), Koln (1952) ; 
E. Stockmann, Des Knaben Wunderhorn in d. Weisen 
seiner Zeit, = Veroff. d. Inst. f. deutsche Volkskunde 
XVI, Bin 1958. 

Lit. : P. Aubry, Esquisse d'une bibliogr. de la chanson po- 
pulate en Europe, Paris 1905; Song Index. An Index to 
More than 1 2000 Songs in 1 77 Song Collections . . . , hrsg. 
v. M. E. Sears u. P. Crawford, NY 1926, dazu Suppl., 
Song Index, NY 1934; Musique et chansons populaires, 
hrsg. v. d. Soc. des Nations, Inst, international de coope- 
ration intellectuelle, 2 Bde, Paris 1934-40; Ch. Haywood, 
Bibliogr. of North American Folklore and Folk Song, NY 
1948; Kat. d. europaischen Volksmusik im Schallarch. d. 
Inst. f. Musikforschung, hrsg. v. F. Hoerburger, Regens- 
burg 1952; Bibliogr. internationale des arts et traditions 
populaires, hrsg. v. d. Commission internationale des arts 
et traditions populaires, 2 Bde, Basel 1952-54; UNESCO. 
Arch, of Recorded Music (Kat. d. Schallarch. d. UNESCO), 
SerieC, Ethnographical and Folk Music Iff., Paris 1952ff .; 
International Cat. of Recorded Folk Music, hrsg. v. N. 
Fraser, Oxford 1954. - Zss. : Journal of the Folk Song 
Soc, 8 Bde, London 1899-1931; FF Communications, 
Edited for the Folklore Fellows, Helsinki 1910ff.; Jb. f. 
Volksliedforschung, Bin 1928ff. ; Journal of the Interna- 
tional Folk Music Council, Cambridge 1947ff.; Jb. d. 
osterreichischen Volksliedarch., Wien 1952ff. ; Jb. f. mus. 
Volks- u. Volkerkunde, Bin 1963ff. - O. M. Sandvik, 
Folkemusikk i Gudbrandsdalen, Oslo 1919, 21948; H. 
Mersmann, Grundlagen einer mus. Volksliedforschung, 
AfMwIV, 1922-VI, 1924, separat Lpz. 1930; ders., V.u. 
Gegenwart, Potsdam 1937;B.Bartok, Das ungarische V., 
ungarisch Budapest 1924, deutsch = Ungarische Bibl. XI, 
Bin 1925, engl. London 1931 ; ders., Musique et chansons 
populaires, AMI VIII, 1936; ders. u. A. B. Lord, Serbo- 
Croatian Folk Songs, NY 1951; J. Leifs, Islandische V., 
ZfMw XI, 1929; J. Muller-Blattau, Das deutsche V., 
= M. Hesses Hdb. XXXIV, Bin (1932, 21958); J. v. Puli- 
kowski, Gesch. d. Begriffes V. im mus. Schrifttum, Hei- 
delberg 1933; H. J. Moser, Tonende Volksaltertumer, Bin 
1935; W. Danckert, Altnordische Volksmusik, Mk 
XXIX, 1936/37; ders., Das deutsche Lied bei d. Ratoro- 
manen u. in d. welschen Schweiz, ebenda; ders., Wan- 
dernde Liedweisen, eine Grundfrage volkskundlicher Mu- 
sikforschung, AfMf II, 1937; ders., Das europaische V., 
Bin 1939; ders., GrundriB d. Volksliedkunde, Bin 1939; 
ders., Der Ursprung d. halbtonlosen Pentatonik, in: M6- 
langes offerts a Z. Kodaly, Budapest 1943 ; ders., Melodi- 
sche Funktionen, Fs. M. Schneider, Lpz. 1955 ; ders., Sym- 
bolik im V., in: Lebendiges Wissen, N. F., Stuttgart 1955; 
ders., Hirtenmusik, AfMwXIII, 1956; ders., Melodiestile 
d. finnisch-ugrischen Hirtenvolker, in: Studia Memoriae 
B. Bartok Sacra, Budapest 1956; ders., Melodiestile d. Ob- 
Ugrier, AMI XXVIII, 1956; ders., Das V. im Abendland, 
= Slg Dalp XCVIII, Bern u. Munchen 1966; ders., Ton- 
reich u. Symbolzahl in Hochkulturen u. in d. Primitiven- 
welt, = Abh. zur Kunst-, Musik- u. Literaturwiss. XXXV, 
Bonn 1966; K. Huber, Der Aufbau deutscher Volkslied- 
forschung, DMK I, 1936/37; ders., Die volkskundliche 
Methode in d. Volksliedforschung, AfMf III, 1938; ders., 
V. u. Volkstanz im bajuwarischen Raum, DMK III, 1938/ 
39; ders., V. u. Volkstanz, hrsg. v. CI. Huber u. O. A. v. 
Muller, Ettal (1959); R. Gallop, Cantares do povo por- 
tugues. Estudio critico, Lissabon 1937; M. Schneider, 
Die mus. Beziehungen zwischen Urkulturen, Altpflanzern 
u. Hirtenvolkern, Zs. f. Ethnologie LXX, 1938 ; W. Wiora, 
Zur Erforschung d. europaischen V., AfMf V, 1940; ders., 
Zur Friihgesch. d. Musik in d. Alpenlandern, = Schriften 
d. Schweizerischen Ges. f . Volkskunde XXXII, Basel 1 949 ; 
ders., Das echte V., = Mus. Gegenwartsfragen II, Heidel- 



1054 



Volkstanz 



berg 1950; ders., Die Stellung d. Volkskunde im Kreise d. 
Geisteswiss., Ber. iiber d. allgemeinen VolkskongreB d. Ver- 
bandes deutscher Ver. f. Volkskunde Jugenheim (Berg- 
straBe) 1951 ; ders., Die rheinisch-bergischen Melodien bei 
Zuccalmaglio u. Brahms, = Quellen u. Studien zur Volker- 
kunde I, Bad Godesberg 1953; ders., Zur Lage d. deutschen 
Volksliedforschung, Zs. f. deutsche Philologie LXXIII, 
1954; ders., Europaische Volksmusik u. abendlandische 
Tonkunst, = Die Musik im alten u. neuen Europa I, Kassel 
1957; ders., Das produktive Umsingen v. deutschen Kir- 
chenliedweisen . . . , Jb. f . Liturgik u. Hymnologie II, 1957 ; 
ders. u. W. S almen, DieTanzmusik im deutschen MA, Zs. f . 
Volkskunde L, 1953 ; A. Rustow, Ortsbestimmung d. Ge- 
genwart I: Ursprung d. Herrschaft, Zurich 1950; W. Sal- 
men, Vermeintliches u. wirkliches V. im spaten MA, Kgr.- 
Ber. Liineburg 1950; ders., Das Erbed. ostdeutschenVolks- 
gesanges . . . , = Marburger Ostforschungen VI, Wiirz- 
burg 1956; ders., Der fahrende Musiker im europaischen 
MA, = Die Musik im alten u. neuen Europa IV, Kassel 
1960; ders., Europaischer Liedgesang, in: The New Ox- 
ford Hist, of Music III, Oxford 1960; N. Schiorring, Det 
16. og 17. arhundredes verdslige danske visesang I u. II, 
Kopenhagen 1950; R. ZODER,V.,Volkstanzu.Volksbrauch 
in Osterreich, Wien 1950; E. Jammers, Zum Rezitativ im 
V. u. Choral, Jb. f. Volksliedforschung VIII, 1951; R. 
Wolfram, Die Volkstanze in Osterreich u. verwandte 
Tanze in Europa, Salzburg (1951) ; W. Blankenburg, Kir- 
chenlied- u. Volksliedweise, Giitersloh 1953 ; E. Dal, Dan- 
marks gamle folkeviser. En plan for udgavens afslutning, 
Danske Studier 1955 ; ders., Scandinavian Ballad Research 
Since 1800, Kopenhagen 1956; ders., Scandinavian Folk 
Music - A Survey, Journal of the International Folk Music 
Council VIII, 1956; M. F. Shaw, Folksongs and Folklore 
of South Ulster, London 1955; F. Hoerburger, Die Zwie- 
fachen, Bin 1956; H. Otto, Volksgesang u. Volksschule, 
2 Bde.Celle 1957-59; Das V.heute, = Mus. Zeitfragen VII, 
Kassel 1959; D. K. Wilgus, Anglo- American Folksong 
Scholarship Since 1898, Brunswick 1959; E. Seemann u. 
W. Wiora, V., in: Deutsche Philologie im AufriB, Bin 
1960; A. Sydow, Das Lied, Gottingen 1962; J. Lansky u. 
W. Suppan, Der neue Melodien-Kat. d. Deutschen Volks- 
liedarch., Fontes artis musicae X, 1963; G. Birkner, Eine 
mus. Katalogisierung d. neueren deutschen V., Zs. f. Volks- 
kunde LX, 1964; W. Suppan, V., seine Slg u. Erforschung, 
Stuttgart 1966. WD 

Volkstanz ist die Bezeichnung fur Tanze, die in der 
anonymen Grundschicht des Volkes dutch direkte Tradi- 
tion, ohne Eingriff von Seiten eines Organisators und in 
funktioneller Verbindung mit dem traditionellen Leben des 
Volkes gewachsen sind (Hoerburger, Volkstanzkunde I, S. 
26). Das Begriffswort V. ist im 18. Jh. gepragt worden, 
um die Tanze des »Volkes« von denen der hoheren 
Gesellschaft zu unterscheiden. Der Sache nach gibt es 
den V. in dieser Gegeniiberstellung seit dem 15./16. Jh., 
als sich aus dem -*■ Tanz die spezielle Form des -> Ge- 
sellschaftstanzes entwickelte mit seinen gegeniiber dem 
Tanz des Volkes eigenen MaBstaben, was jedoch eine 
wechselseitige Beeinflussung nicht ausschJoB. Heute 
werden unter V. auch jene Tanze verstanden, die in 
V.-Gruppenhistorisierend gepflegt (von Hoerburger als 
»museale« Richtung bezeichnet), zur geselligen Unter- 
haltung teilweise in Bearbeitungen oder auch als Neu- 
schopfungen geiibt (»gesellige« Richtung, z. B. der 
amerikanische -»- Square dance) oder zur Darbietung 
folkloristischer Tanzstile mit Kostiimen (Trachten) auf 
Buhnen vorgefiihrt werden (»theatralische« Richtung). 
Volkstanze, die alien Angehorigen eines Volkes ver- 
traut sind und in denen der Volkscharakter besonders 
stark ausgepragt ist (z. B. ->■ Csardas), werden gele- 
gentlich als Nationaltanze bezeichnet, landschaftsge- 
bundene Tanze (z. B. -> Schuhplattler und -»- Faran- 
dole) als Heimattanze. 

Zu den verbreitetsten und altesten Formen des V.es ge- 
horen die Reigentanze, die sich in Mitteleuropa fast 
nur in den Kindertanzen erhalten haben, wahrend sie 
in den europaischen Randgebieten auch heute noch 



von den Erwachsenen getanzt werden. Als geschlos- 
sener oder offener Kreis ausgefiihrt, sind sie meist mit 
dem nach der Echternacher Springprozession benann- 
ten Pilger- oder Prozessionsschritt verbunden, bei dem 
es in zahlreichen Varianten darum geht, zu mehreren 
Schritten vorwarts einen Schritt riickwarts zu machen. 
- Die Volkstanze wurden wie anderes Brauchtum von 
Generation zu Generation vorwiegend in schriftloser 
Uberlieferung vererbt und dabei unmerklich veran- 
dert. So ist es fur den urspriinglichen V. (sinngemaB 
auch fiir seine Musik) charakteristisch, daB die Formen 
in keiner Weise festliegen. Die Gruppierung . . . und die 
Bewegungsart existieren nur als Idee und als Formeheper- 
toire, nicht als unverdnderliche Gestalt (Hoerburger, in; 
MGG XIII, 1966, Sp. 1948). Aus diesem Grunde erweist 
sich eine Klassifizierung der Volkstanze als sehr schwie- 
rig. Sie ware hinsichtlich Herkunft oder Verwendung 
des V.es moglich, wobei jedoch die Zuordnung zu den 
einzelnen Gruppen nicht immer eindeutig erfolgen 
kann (Brauchtumstanze, z. B. der Bandeltanz um den 
Maibaum; Geschicklichkeitstanze, z. B. die verschie- 
denen Tanze mit einem Uberzahligen sowie bestimmte 
Formen des -»- Schwerttanzes; Werbetanze, z. B. 
-> Landler und -> Schuhplattler; Geselligkeitstanze, 
z. B. die englischen ->• Country dances). 1886 stellte 
Bohme (S. 186) iiber den V. in Deutschland fest, dafi es 
hbchste Zeit war, aus Anschauung die alten Volkstanze zu 
schildern und die Beschreibungen davon zu sammeln, da es, 
wie der gesungenen alten Volkslieder, bald keine mehrgiebt. 
Solche Volkstanze sind gegenwdrtig nur noch hier und dort 
auf dem Lande und zwar moglichst weit von der Alles be- 
leckenden Weltkultur in entlegenen Dorfern zufinden. Der 
urspriingliche V. blieb vorwiegend in den Landern 
Ost- und Siideuropas erhalten (z. B. in Jugoslawien 
der-> Kolo, in Griechenland Syrtos, Kalamatianos und 
Susta, in Katalonien die -> Sardana), wahrend er in 
Mittel- und Westeuropa seltener geworden ist. In der 
europaischen Tradition wurden haufig Volkstanze in 
die Kunstmusik (z. B. ->■ Farandole, -*■ Furiant, -»■ Jo- 
ta), zum Teil auBerdem in den Gesellschaftstanz (z. B. 
-*■ Bourree, ->■ Passepied, ->• Gavotte, -> Country 
dance) iibernommen; andererseits blieben Tanze, die 
im Gesellschaftstanz als altmodisch verdrangt wurden, 
oft in der V.-Uberlieferung noch lange Zeit lebendig 
(z. B. -*■ Morris dance, Francaise, Mazurka, ->• Polka, 
->■ Rheinlander, -*■ Schottisch). 

Lit. : Fr. M. Bohme, Gesch. d. Tanzes in Deutschland, 2 
Bde, Lpz. 1886, Nachdruck Hildesheim 1967; V. Junk, 
Hdb. d. Tanzes, Stuttgart 1930; A. Capmany, El baile 
y la danza, in : F. Careras y Candi, Folklore y costumbres 
de Espana I, Barcelona 1931; R. Wolfram, V. - nur 
gesunkenes Kulturgut?, Zs. f. Volkskunde XLI (N. F. Ill), 
1931; ders., Deutsche V., Lpz. (1937); ders., Die V. in 
Osterreich u. verwandte Tanze in Europa, Salzburg (1951) ; 
Journal of the Engl. Folk Dance and Song Soc. I, 1932ff.; 
Lj. u. D. Jankovic, Narodne igre, 7 Bde, Belgrad 1934- 
52; V. Alford u. R. Gallop, The Traditional Dance, 
London 1935; K. Visky, Hungarian Dances, London 
(1937); R. Zoder, Der deutsche V., in: H. Moser u. R. 
Zoder, Deutsches Volkstum in Volksschauspiel u. V., 
= Deutsches Volkstum III, Bin 1938; H. v. der Au, Das 
Volkstanzgut im Rheinfrankischen, = GieBener Beitr. zur 
deutschen Philologie LXX, GieBen 1939; ders., Friihfor- 
men d. deutschen V., Kgr.-Ber. Liineburg 1 950 ; E. van der 
Ven-ten Bensel u. D. J. van der Ven, De Volksdans in 
Nederland, Naarden 1942; E. L. Backman, Den religiosa 
dansen inom Kristen Kyrka och folkmedicin, Stockholm 
(1945), engl. London (1952); Hdb. of European National 
Dances, hrsg. v. V. Alford, London 1948ff. ; A. Chujoy, 
The Dance Encyclopedia, NY (1949); D. Kennedy, Eng- 
land's Dances, London 1949; R. Kacarova-Kukudova, 
Dances of Bulgaria, London (1951), bulgarisch als: Bal- 
garski tancov folklor, Sofia 1955; J. Lawson, European 
Folk Dance, London 1953, 21955, Nachdruck 1959; H. 



1055 



Voiles Werk 



A. Thursten, Scotland's Dances, London 1954; V. Pro- 
ca Ciortea, Jocuri populare Rominesti, Bukarest (1955); 
M. Mourgues, La danse prov., Cannes (1956); J. Bur- 
det, La danse populaire dans le pays de Vaud sous le 
regime Bernois, = Publications de la Soc. Suisse des tra- 
ditions populaires XXXIX, Basel 1958; L. Lekis, Folk 
Dances of Lat. America, NY 1958 ; K. Huber, Volkslied u. 
V., Ettal (1959); F. Hoerburger, Volkstanzkunde, 2 Bde, 
= Mensch u. Tanz III u. IV, Kassel (1961-64); ders., Be- 
obachtungen zum V. in Nordgriechenland, Zs. f . Volkskun- 
de LXII, 1966; ders., Musica vulgaris, = Erlanger For- 
schungen, Reihe A, Geisteswiss. XIX, Erlangen 1966; 
ders. in: MGG XIII, 1966, Sp. 1947ff.; J.-M. Guilcher, 
La tradition populaire de danse en Basse-Bretagne, = Eco- 
le pratique des hautes etudes, Sorbonne, 6 e section, Scien- 
ces economiques et sociales, Etudes europeennes I, Paris 
1963; St. Dzudzev, Balgarska narodna choreographija, 
Sofia o. J. -► Tanz. 

Voiles Werk ->■ Organopleno. 

Volta (ital.; frz. volte, Mai, Umdrehung), - 1) prima 
v. (l ma ), seconda v. (2da) bezeichnen in Verbindung 
mit eckigen Klammem die Reihenfolge verschiedener 
SchluGwendungen bei Wiederholungen (-> primo); 
- 2) aus der Provence stammender, schneller hofischer 
Paartanz im Tripeltakt, der in der 2. Halite des 16. und 
Anfang des 17. Jh. sehr verbreitet war. In England ge- 
horte die V. schon vor 1600 zum festen Bestand des 
Tanzunterrichts. Charakteristisch sind auBerst heftige 
Spriinge und Drehungen, die in engem Kontakt der 
Partner ausgefiihrt wurden. Eine friihe choreographi- 
sche Beschreibung der V. findet sich in Arbeaus Or- 
chesographie (1588). Beispiele fur die V. gibt es bei A. 
Le Roy (1568), M.Praetorius (Terpsichore, \612), Byrd 
und Morley (The Fitzwilliam Virginal Book) und D. 
Gaultier. 

volti subito (ital. ; Abk. : v. s.), wende schnell um. 

Voluntary (v'obntsii, engl., freiwillig) bezeichnet im 
englischen Sprachraum in einer seit Mitte des 16. Jh. 
belegbaren Bedeutung die zu einem C. f . komponier- 
ten Stimmen, in weiterem Sinne die C. f.-freie Kom- 
position (to make two parts upon a plaine-song is more hard 
than to make three parts into v., Th. Morley, A Plaine and 
Easie Introduction ..., 1597). Beispiele hierfiir bieten die 
mit V. betitelten Kompositionen in imitierendem Kon- 
trapunkt von Allwood und Farrant im Mulliner'sBook 
(nach 1553). Im 17./18. Jh. nahm das V., ahnlich der 
-*■ Fancy, Elemente verschiedener instrumentaler Gat- 
tungen auf , wie Praeludium (Toccata), Suite, Sonate. - 
Daneben wurde V. vom 16.-19. Jh. synonym fur Im- 
provisation gebraucht (a piece played by a musician ex- 
tempore, according to his fancy, Ch. Burney in Rees's 
Cyclopaedia, um 1805), im engeren Sinne fiir improvi- 
sierte oder komponierte Praeludien (Th.Roseingrave, 
V.s and fugues made on purpose for the organ or harpsichord, 
London 1728). AlsBezeichnung fiir Kompositionen mit 
meist fantasieartigem, improvisatorischem Einschlag 
erscheint V. z. B. im Titel der Sammlung Select Preludes 
and V.s for the Violin, London 1805 (Verlag Walsh). - 
Innerhalb des anglikanischen Gottesdienstes bezeichnet 
V. Kompositionen und Improvisationen zu Beginn 
und nach dem Service (In-v., Out-v.), friiher auch vor 
der Predigt (Middle-v.) : The v. was originally so called, 
because its performance, or non-performance, was at the 
option of the organist (Busby, A Complete Dictionary of 
Music, 1801). Dabei wurden im 18. Jh. verschiedene 
Typen des V. ausgepragt, z. B. das Diapason v. und 
das Trumpet v. 

Vom Blatt spielen, singen -> prima vista. 

Vorausnahme ->• Antizipation. 

Vordersatz -* Metrum (- 3), ->■ Periode, ->■ Satz. 



Vorhalt (ital. appoggiatura ; frz. und engl. suspension) 
heiBt der um eine groBe oder kleine Ober- bzw. Un- 
tersekunde verzogerte Eintritt eines Akkord- oder 
Melodietones. Der vorgehaltene Ton ist dissonant 
oder zumindest auffassungsdissonant und steht immer 
auf betonterem Taktteil als seine Auflosung. Der V. 
kann in mehreren Stimmen gleichzeitig auftreten und 
den vollen Eintritt eines Akkords verzogern (doppel- 
ter, drei- und mehrfacher V.); so wird z. B. der Quart- 
sextakkord der 1 . Stufe vor dem Dominantdreiklang 
auf betontem Taktteil zu den (als -> Auffassungsdisso- 
nanz geltenden) V.en gerechnet. Die Satzlehre unter- 
scheidet im allgemeinen 3 Arten des V.s: beim vorbe- 
reiteten oder gebundenen V. (dem im 15.-18. Jh. die 
J | Figuren -> Syncopatio und -> Re- 



m 






tardatio entsprechen) wird der vor- 
gehaltene Ton aus dem vorausge- 
gangenen Akkord in den neuen her- 
o .'t. ^ iibergebunden (Beispiel a) ; beim 
A. » - H halbfreien V. ist der vorgehaltene 

iy .» Ton im vorausgegangenen Akkord 

c in einer anderen Stimme enthalten 

Q i J ,J i (b) ; beim freien V. gehort der vor- 

( h 8q o gehaltene Ton dem vorausgegange- 

v «• nen Akkord nicht an (c). Die Auf- 

losung eines V.s kann verzogert werden, indem zwi- 
schen V.s- und Auflosungston ein oder mehrere neue 
Tone eingefugt werden. Diese sind entweder einer an- 
deren realen Stimme entnommen oder lassen den Ein- 
druck von Scheinstimmen entstehen. -> Vorschlag; 
-> Weibliche Endung. 

Vorhang, von H.Riemann in Analogie zu »Anhang« 
gepragter Terminus fiir eine kurze Einleitungsbildung 
(von Riemann der Kategorie des ->■ Generalauftakts 
zugeordnet), die dem thematischen Beginn vorausgeht, 
z. B. die beiden Doppeloktaven a-cis, die dem Adagio 
derHammerklaviersonate op. 106 von Beethoven nach- 
traglich vorangestellt sind, und der Anfang seiner 3. 
Symphonic Der tuschartige Akkord- V. findet sich bei 
zahlreichen Symphonien des 18. Jh. an Stelle einer 
-> Introduktion. 

Lit.: H. Riemann, System d. mus. Rhythmik u. Metrik, 
Lpz. 1903. 

Vorschlag (frz. appoggiature ; ital. und engl. appog- 
giatura; altere Bezeichnungen s. u.) ist die Bezeich- 
nung einer Gruppe von -*■ Verzierungen, deren ge- 
meinsames Merkmal in der Einschiebung von einem, 
zwei oder auch mehreren Tonen zwischen 2 Melodie- 
tone besteht. Je nach seiner Stellung zu den melodi- 
schen Haupttonen unterscheidet man den V. auf den 
Schlag, d. h. auf den Zeitpunkt der folgenden Note 
fallend und somit deren Wert entsprechend verkiir- 
zend, und den V. vor dem Schlag, der die Dauer der 
vorangehenden Note entsprechend verkiirzt. (Zu die- 
ser Gruppe gehort auch der an die vorangehende Note 
angebundene Nachschlag.) Als besondere Formen des 
V.s sind der ->■ Anschlag (- 1; Doppel-V.) und der 
— >• Schleifer anzusprechen. - Die Funktion eines V.s 
kann entweder melodisch (engere Verbindung zweier 
Melodietone) oder harmonisch (Vorhaltwirkung des 
auf den Schlag fallenden dissonanten V.s) oder auch 
rhythmisch sein (Akzentuierung durch kurze, betonte 
Vorschlage oder Betonungsverschiebung durch den 
kurzen, aber unbetonten V. auf den Schlag). Im Barock 
kann die harmonische Funktion noch zusatzlich der 
Verdeutlichung des jeweiligen Affekts dienen. Haufig 
hat ein V. mehr als eine Funktion. - Die Bezeichnung 
V. erscheint erstmals in J.D.Heinichens GeneralbafS in 
der Composition (1728) und ersetzt die friihere »Accent« 
(J.S.Bach, Clavier-Biichkin fur W.Fr.Bach, 1720). Be- 



1056 



Vorschlag 



§^ 



reits im Mittelalter tritt der V. als besondere Verzie- 
rung und mit einem besonderen Zeichen, unter dem 
Namen -> Plica (eine Art Nachschlag), auf. Danach er- 
scheint der V. erst in der 1. Halite des 17. Jh. als Ver- 
zierung im heutigen Sinne (mit eigenem Namen und 
graphischen Zeichen). In der Renaissance und im Friih- 
barock sind die Vorschlage entweder im Notentext 
enthalten oder der Improvisation iiberlassen. Um die 
Jahrhundertwende ist Accentus im allgemeinen noch 
gleichbedeutend mit Diminution. Im 17. Jh. erfiillt der 
V., unbetont und meistens vor dem Schlag stehend, 
vor allem noch melodische Funktionen. Er ist viel hau- 
figer von unten als von oben, beide Formen unterschei- 
den sich wesentlich voneinander. - Der V. von unten 
(frz. port de voix, accent plaintif bei Mersenne fur die 
Laute; engl. beat bei Playford und Simpson, half-fall 
bei Mace, forefall bei Locke und Purcell) wird in Eng- 
land durch Schragstriche (von den Virginalisten iiber- 
nommen), bei den franzosischen Lautenisten durch 
Komma mit oder ohne Punkt sowie durch kleine 
Halbkreise dargestellt. Mersen- -A 
ne gibt (1636) zu seinem (ne- to 
benstehenden) Beispiel des port *J~ 
de voix fur die Stimme die Ausfiihrungsvorschrift eines 
starken -> Portamentos (welchem diese Verzierung 
ihren Namen verdankt) . Bacilly beschreibt (1 668) neben 
dem port de voix plein mit starkem Portamento einen 
demy port de voix mit schwachem Portamento, Jean 
Rousseau kennt (Methode claire, certaine et facile pour 
apprendre a chanter la musique ..., 1678) nur noch den 
port de voix mit Legatobindung, wobei die V.s-Note in 
die Zeit der Hauptnote hinubergehalten werden kann, 
was Bacilly einen port de voix perdu nennt. So wie der 
V. bei Streichern und Blasern durch einen Bogenstrich 
bzw. einen ZungenstoB mit 
der Hauptnote verbunden 
wird, fallen V. und Haupt- 
note im Gesang stets auf ei- 
ne Silbe (Beispiel aus Landis 
II Sant'Alessio, 1634). Bei der 
Laute wird nur der V. angezupft, die Hauptnote da- 
gegen mit dem greifenden linken Finger angeschla- 
gen. Weil dadurch der V. scharfer als die Hauptno- 
te artikuliert wird, nehmen die Lautenisten den V. 
auf den Schlag, er bleibt aber kurz. Ahnliches gilt fiir 
das Cembalo mit seiner unveranderlichen Tonstarke 
fiir V. und Hauptnote. Trotzdem halt sich der V. vor 
dem Schlag bei den franzosischen Clavecinisten neben 
demjenigen auf den Schlag (Chambonnieres, d'Angle- 
bert) bis zur Jahrhundertwende: Saint-Lambert er- 
wahnt in seinem Cembalolehrbuch (1702) beide Mog- 
lichkeiten. Am langsten halt sich der V. vor dem Schlag 
bei den Sangern (Monteclair 1736). - Der V. von oben 
(frz. coule, chute, cheute, coulement, port de voix de- 
scendant, bei Mersenne tremblement; engl. backfall) 
tritt haufig als Durchgangsnote bei terzenweiser Ab- 
wartsbewegung einer Melodie auf, immer vor dem 
Schlag und niemals mit Portamento. Diese Form des 
V.s halt sich noch wahrend des ganzen 18. Jh. ; ->■ Anti- 
zipation (- 3), ->■ Cercar della (la) nota. 
Im Laufe des Spatbarocks (18. Jh.) gewinnt die harmo- 
nische Funktion des V.s immer mehr an Bedeutung, 
wobei der V. auf den Schlag genommen wird und 
meist eine Dissonanz zum BaB bildet, einen -> Vorhalt, 
der auch affekthaften Charakter annehmen kann. Hier- 
bei gilt der V. von oben (Accent fallend) wegen der 
Regeln iiber die Auflosung von Dissonanzen als der 
natiirlichere (im Vergleich zum V. von unten). Tartini 
z. B. verlangt in seinem Traite des agremens um die Mit- 
te des Jahrhunderts, daB einf ache Vorschlage von un- 
ten nur in Verbindung mit zusatzlichen Verzierungs- 



j*p.?r i ri y 



Di virtu fos - ti 



m 



1 



noten verwendet werden diirfen, um nicht gegen die 
Regeln der Dissonanzbehandlung zu verstoBen: 



zrn^m 



^ 



^m 



^ 



^ 



m 



m^ 



oder: 



wm 



m 



wik 



m 



^ 



r-f [ cj tT 



^^=F^ 



^ 



Der V. von unten (Accent steigend), gewohnlich ein 
Leitton, kommt aber durchaus auch einf ach vor und ist 
dann meist durch die vorangehende Note auf gleicher 
Hohe vorbereitet, wahrend der V. von oben frei ein- 
treten kann. Der in grbBerem als in Sekundabstand zur 
Hauptnote stehende V. (von oben und von unten) ist 
durchweg eine betonte Wiederholung der vorangehen- 
den Note (Mattheson: springende Accente). Im friihen 
18. Jh. schwanken die Angaben iiber die Lange des V.s 
oder sind unbestimmt (Walther). Als Normalfall gilt 
zunachst noch der eher kurze V. mit einem rationell 
nicht erfaBbaren rhythmischen Verhaltnis zur Haupt- 
note. Auch fiir J.S.Bachs Werke sind die Regeln der 
nach 1750 erschienenen Lehrbucher nicht ohne weite- 
res und in alien Fallen anwendbar. Ebenso ist in der 
1. Halfte des 18. Jh. der Notenwert der kleinen V.s- 
Noten (petites notes) nicht maBgebend fiir die Wieder- 
gabe. Ob Bach z. B. den V. vor dem Schlag noch ge- 
kannt hat, ist umstritten (Orgelchoral Allein Gott in der 
HoV sei Ehr, BWV 662, Takt 2 u. a. mit rhythmisch 
nicht eindeutigem Coule bei fallenden Terzen). Kiirzer 
als der V. mit Vorhaltscharakter sind viele Vorschlage 
mit iiberwiegend rhythmisch akzentuierender Funk- 
tion aufzufassen, z. B. haufig in D. Scarlattis Cembalo- 
sonaten. 

Um die Mitte des 18. Jh., im Zuge des Zeitalters der 
Aufklarung, setzt eine allseitige Bemiihung um Syste- 
matisierung der Vorschlage durch Regeln fiir ihre 
rhythmische Ausfiihrung in alien vorkommenden Fal- 
len ein, wobei der V. auf den Schlag als anschlagen- 
der, derjenige vor dem Schlag als durchgehender V. 
bezeichnet wird. Beim ersteren unterscheidet man 
jetzt streng zwischen veranderlichem oder langem und 
unveranderlichem oder kurzem V. Der anschlagen- 
de, veranderliche V. wird im Prinzip nach f olgenden 
Hauptregeln behandelt (Beispiel nach Quantz): bei 
2teiliger Hauptnote (Beispiel a) erhalt er die Halfte, bei 
3teiliger (punktierter) Hauptnote (b) erhalt er zwei 

b "A 




Drittel ihres Wertes; auBerdem kann der V. die ge- 
samte Dauer der Hauptnote einnehmen, wenn auf die- 
se eine Pause (c; vgl. auch J. S.Bach, Wohltemperirtes 
Clavier II, Praeludium Es dur, BWV 876, Takte 2, 4 



67 



1057 



Vorschlag 



und 62) oder eine an sie angebundene kiirzere Note 
gleicher Hohe folgt (d). Ausnahmen von solchen Ver- 
zierungsregeln treten immer dann ein, wenn ihre An- 
wendving in Widerspruch steht zu Gesetzen des mu- 
sikalischen Satzes oder des jeweils herrschenden »Ge- 
schmacks«. - Quantz schreibt, in Anlehnung an italie- 
nische Vorbilder, die Ausf iihrung des V.s wie folgt vor: 
Man mufi die Vorschlage mit derZunge weich anstofien; und 
wenn es die Zeit erhubt, an der Starke des Tones wachsen 
lassen; diefolgende Note aber etwas schwdcher dran schlei- 
fen (genannt »Abzug«). 

Der anschlagende unveranderliche V. wird mit klei- 
nen Sechzehntel- oder ZweiunddreiBigstelnoten ange- 
deutet (/r ( £ = Schreibweise des 18. Jh. fiir Jl, J). Er 
kann vor allem stehen, wenn die folgende Note disso- 
nant zum BaB ist; bei mehrmaligen Tonwiederholun- 
gen, wenn rhythmische Pragnanz beibehalten werden 
soil (Synkopen, wiederholte Achtelpaare, Triolen) und 

als Spezialfall hierzu bei der Figur J* J JJ (Ausfiihrung 

etwa J2-J1 oder J"J J2 ). Die Ausfiihrung J J J J tritt 
erst gegen 1800 auf, fiir Mozart gilt in vielen Fallen 
noch die altere Ausfiihrung. 

Bei den durchgehenden Vorschlagen unterscheidet man 
im 18. Jh. solche, die mit der folgenden Note und sol- 
che, die mit der vorangehenden Note verbunden wer- 
den. Wahrend es sich bei der einen Gruppe um den aus 
dem 17. Jh. ubernommenen V. handelt, namlich um 
einen Zwischenton bei fallenden (oder auch steigenden) 
Terzen (auch als Anticipatione della sillaba), ist die 
zweite identisch mit dem sogenannten Nachschlag. 

— jt— - 
Dieser tritt haufig als Riickschlag p> f und als Uber- 

— jl— 
schlag (Uberwurf, Springer) F-> P auf. Die Ausfiih- 
rung dieser beiden Nachschlagsf ormen ist etwa: : 



bzw. F"! f ■ C.Ph.E.Bach bekampfte alle durch- 



gehenden Vorschlage und wollte das folgende Beispiel 
nicht wie a, sondern wie b ausgef iihrt wissen : 

b 3 




Im 19. Jh. verschwinden die langen Vorschlage, indem 
sie von den Komponisten in groBen Noten ausgeschrie- 
ben werden. - Die kurzen Vorschlage dienen nicht 
mehr so sehr der melodischen Verbindung als vielmehr 
der Akzentuierung der auf sie folgenden Hauptnoten. 
Ihre Ausfiihrung wird in den Lehrbiichern nach Beet- 
hovens Tod zwar immer noch auf den Schlag, aber un- 
betont vorgeschrieben: J.N. Hummel, Klavierschule 
(-1828), L.Spohr, Violinschule (1832) und G.Duprez, 
Gesangschule (1845). Erst in der Folgezeit werden sie 
in zunehmendem MaBe vor dem Schlag genommen. 
Als Sonderfall kann der V. im Rezitativ angesehen 
werden: eine besonders im Spatbarock allgemein ver- 
breitete Konvention verlangte haufig an Phrasenenden 
die Ausfiihrung von Vorschlagen, ohne daB solche im 
Notentext angedeutet waren. G. Ph. Telemann gibt in 
Der Harmonische Gottesdienst (1725) genaue Anweisun- 
gen hierzu mit Beispielen (siehe folgendes Beispiel; a: 
Vorbericht, b: Rezitativ aus der Neujahrskantate Halt 
ein mit deinemWetterstrahle). Diese Konvention ist noch 
bis in das 19. Jh. hinein giiltig. So haben W.A.Mo- 
zart und noch haufiger Schubert nicht nur in Rezi- 
tativen, sondern auch in Liedern bei Phrasenenden 
vor zwei gleich hohe Noten eine kleine V.s-Note ge- 



^Jgjj>h[tfj ^ i fc'^p p p |t} ^ 




Be-gliick-te Stun- den, 



#*S p ply 



f* yjp J yj ;^ p p p p i r ^ 



da Moses uns nicht mehr so scharf wie vor-mals draut! 



$ M p> i V i' ^p p p p ic r 



setzt, in Erinnerung an diese Konvention, z. B. Schu- 
bert in Nr 12 der Winterreise: 



m 



-fob Mb 






;,ach!dai5dieWeltso 



m 



Ach! daB dieLuft so ru-hig,ach!daI5dieWeltso licht! 
Oft aber deutet die gleiche Notation auch lange (be- 
tonte) oder kurze (unbetonte) Vorschlage an, was in 
manchen Fallen schwierig zu entscheiden ist. 
Lit. : — ► Verzierungen ; f emer : E. Walker, The Appoggia- 
tura in Schubert, ML V, 1924; K. Wichmann, Der Zier- 
gesang, Lpz. 1966, Anhang: Uber d. Ausfiihrung d. Ap- 
poggiatura. ERJ/BB 

VorspieL Die Erscheinung des instrumentalen V.s ist 
alien Musikkulturen gelaufig. Im Orient (wahrschein- 
lich auch in der Antike) handelt es sich hierbei um die 
vorbereitende Charakterisierung des fiir das folgende 
Stuck maBgebenden Melodiemodells (Maqam, Patet, 
Raga; Nomos). Das antike Aulos-V. 7tpoaiiXiov ging 
einem Nomos (Platon, Kratylos 417e) oder einem Au- 
losstiickvoraus(Aristoteles, »Rhetorik«III, 14= 1414b); 
iiber die -*■ Anabole ist wenig bekannt. Aus der Zeit 
um 1300 bezeugt J. de Grocheo, daB ein guter Viella- 
spieler jeden Gesang undjedes Musikstiick^e/tera/iter in- 
troducit (ed. Rohloff, S. 52, 32f .) ; -*■ Praeludium. - In ei- 
nem terminologisch fixierten Sinne bezeichnet V. die 
Orchestereinleitung, wie sie R.Wagner seit Lohengrin 
(1850) seinen Musikdramen vorangehen lieB. Merkmal 
des V.s ist die organische Einbeziehung in das Drama 
entweder alsEroffnung der 1. Szene (Der Ring des Nibe- 
lungen) oder als ausgebreitete Darstellung des Hauptge- 
haltes des Ganzen (Tristan und Isolde). Ansatze in dieser 
Richtung gibt es schon in der franzosischen GroBen 
Oper (Meyerbeer, Les Huguenots, L'Africaine). V.e kon- 
nen auch die einzelnen Akte einer Oper einleiten (Wag- 
ner, Die Meistersinger von Nurnberg ; Verdi, La Traviata ; 
Pfitzner, Palestrina). Die Abkehr von der in sich abge- 
schlossenen Anlage der ->• Ouvertiire resultiert einer- 
seits aus Wagners Konzeption von der einheitlichen 
kunstlerischen Form und der Ausdruckseinheit des Dra- 
mas (Oper und Drama, S. 305ff.), andererseits aus dem 
allgemeinen Prinzip des Durchkomponierens. Wag- 
ners Meistersinger-V . indessen verbindet noch einmal 
die musikalisch geschlossene Gestaltung mit der Auf- 
reihung imd symphonischen Verarbeitung der musi- 
kalischen Hauptgedanken der Oper. - Auch Verdi ver- 
sah etwa seit 1850 seine Opern (Rigoletto, zuletzt Aida) 
mit V.en, die er Preludio nannte, verzichtete aber im 
Spatwerk (Otello, Falstaff) auf jede Einleitung. - Auf 
Grund individueller Behandlung seitens der Kompo- 
nisten und engstem Konnex mit der dramatischen Si- 
tuation ist das V. nicht als Typus greifbar, erfiillt aber 
selbst in der reduziertesten Form (Puccini, Tosca) die 
Forderung nach charakteristischer Pragnanz. 
Lit. : R. Wagner, Oper u. Drama, = Gesammelte Schrif- 
ten XI, hrsg. v. J. Kapp, S. 297, 302, 310; S. Anheisser, 
Das V. zu Tristan u. Isolde u. seine Motivik . . . , Zf Mw III, 



1058 



1920/21 ; Th. Till, Die Entwicklung d. mus. Form in R. 
Wagners Opern u. Musikdramen, v. d. Ouvertiire (V.) u. 
deren Funktionsvertretern aus betrachtet, Diss. Wien 1930, 
maschr. 

Vortrag ->■ Interpretation; -> Affektenlehre, 
-*■ Auffiihrungspraxis, -> Ausdruck, -*■ Bel- 
canto, -»■ Phrasierung, -»■ Verzierungen. 

Vortragsbezeichnungen sind Zusatze des Kompo- 
nisten oder eines Bearbeiters (-»■ Editionstechnik) zum 
Notentext in Form von Worten, -> Abbreviaturen 
oder -»■ Zeichen, die den Charakter der Komposition 
und ihre Ausf iihrung durch Angaben iiber Tempo (und 
Agogik), Lautstarke (Dynamik), Affekt, Artikulation, 
Spieltechnik (Anschlag, Bogenfuhrung) oder Phrasie- 
rung naher bestimmen. Seit dem friihen 17. Jh. wur- 
den, ausgehend von Italien, V. zunachst innerhalb der 
Satze beim Tempo-(meist Takt-)Wechsel oder beim 
Wechsel forte-piano (-> Echo), dann auch bald am 
Satzanfang angewendet (der Starkegrad am Satzanfang 
wurde bis Ende des 18. Jh. nur ausnahmsweise angege- 
ben). Daneben entstand in Frankreich in der 2. Halfte 
des 17. Jh. ein umfangreiches Vokabular an V., das be- 
sonders zur Kennzeichnung des Affektgehalts der Mu- 
sik dient (z. B. gracieusement, tendrement). In Deutsch- 
land wurden die italienischen und franzosischen V. 
iibernommen. In immer groBerer Zahl traten V. seit 
der 2. Halfte des 18. Jh. im Notentext auf, da seitdem 
die Vortragsweise immer mehr in der Komposition 
selbst verankert war und im Zusammenhang mit dem 
Verzicht auf traditionelle Satz- und Thementypen auch 
die Elemente des Vortrags freier verfiigbar wurden. 
Die einfachen, zu Termini verfestigten italienischen 
V. wurden durch differenzierende Zusatze in ihrer Be- 
deutung erweitert; neue italienische Worte wurden als 
V. eingefiihrt, die auch in andere Sprachen iibersetzt 
werden konnten, sofern sie sich nicht zu Fachausdriik- 
ken verfestigten. Besonders in Deutschland wurde, in 
Ansatzen schon bei Heinichen (1728), Telemann und 
C.Ph.E.Bach, deutlicher bei L.Mozart (1756), Adlung 
(1758) und in den musikalischen -*■ Lexika seit 1765 
eine Tendenz zur Abkehr von italienischen Termini 
und zur Einf iihrung entsprechender deutscher »Kunst- 
worter« spiirbar. Der Gebrauch deutscher V., die oft 
nur Anweisungen fiir den Einzelfall sind, burgerte sich 
seit Ende des 18. Jh. immer mehr ein. 
Eigentliche Tempobezeichnungen sind nur -> Presto 
(schnell) und -*■ Lento (langsam) ; die anderen V. fiir 
das Tempo bezeichneten urspriinglich zugleich eine 
Affekthaltung: -> Adagio (bequem, gemachlich), -* Al- 
legro (heiter), -»■ Andante (gehend), -*■ Grave (schwer, 
ernst), ->■ Largo (breit), ebenso auch die als selbstandige 
Tempobezeichnungen gebrauchten Zusatzworter mo- 
derato (gemafiigt) und -> Vivace (lebhaft). Affekt- bzw. 
Ausdrucksbezeichnungen, die als Zusatze zu Tempo- 
wortern oder selbstandig gebraucht werden, sind: 
-*■ affettuoso, agitato, amabile, appassionato, brillante, 
-»■ cantabile, commodo, con brio, con fuoco, dolce, 
energico,->- espressivo, maestoso, scherzando (-*■ Scher- 
zo - 2), ->■ sostenuto, spirituoso, stretto und tranquillo. 
Zusatze zu Tempowortern sind ferner poco, meno, 
->• giusto, non troppo, assai, molto ; freies Tempo wird 
durch -»- adlibitum(-l),apiacere,senza tempo,— >- Tem- 
po rubato, auch durch -*■ colla parte und suivez, die' Wie- 
deraufnahme eines vorher gegebenen Tempos durch 
-» a tempo bzw. a -»■ battuta oder tempo primo, misu- 



rato vorgeschrieben. -> Forte und -»■ Piano mit ihren 
verschiedenen Abstufungen, auch mit den Zusatzen 
piu, poco, mezzo und meno bezeichnen die Tonstarke 
(-»• Dynamik - 1), hierher gehoren auch -»■ mezza voce, 
-»■ sotto voce und con sordino (-> Dampfer). Die Be- 
coming einzelner Noten oder Akkorde fordern -*■ sf or- 
zato und fortepiano. Veranderungen des Tempos zum 
Schnelleren fordern accelerando, affrettando, incalzan- 
do und stringendo, zum Langsameren ritardando, ral- 
lentando, ->• ritenuto, ritenente, slentando, strasciando 
und ->■ largando, zunehmende Tonstarke -»• crescendo 
und -*■ rinforzando, abnehmende decrescendo, dimi- 
nuendo, diluendo und perdendosi; das Abnehmen von 
Tonstarke und Tempo zugleich bezeichnen calando, 
deficiendo, mancando, morendo und smorzando. 
-*■ Artikulation, -> Anschlag (- 2) und -*■ Bogenfiih- 
rung werden u. a. durch folgende V. angezeigt (die 
teilweise, soweit sie sich auf einzelne Noten beziehen, 
auch durch -»■ Zeichen ausgedruckt werden) : -> legato, 
-* leggiero, marcato, -*■ martellato, -*■ pizzicato (Ge- 
gensatz: col arco), ->■ portato, ->■ staccato, ->■ sul ponti- 
cello und tenuto. Besondere V. und Zeichen ergeben 
sich aus der -*■ Phrasierung. Sonderfalle, die zwischen 
— >- Verzierung und Ausdrucksmanier stehen, sind tre- 
molando (-v Tremolo), -> ondeggiando, -*■ Vibrato, 
-*■ Portamento und -> glissando. 

Vorzeichen ->■ Akzidentien. 

Vox (lat., von vocare, rufen; entsprechend griech. 
ipcovy] oder <p&6yyoz) , die menschliche Stimme, in weite- 
rem Sinne alles, was - als sinntragender Laut - von ei- 
nem Lebewesen oder Gegenstand durch das ihm we- 
senseigene Vermogen zur Tonerzeugung ausgeht, also 
auch die Stimme eines Tieres, der Ton eines Instru- 
ments usw. (-> Sonus) ; auch der Einzelton einer von 
ein und derselben Person oder Sache ausgehenden Ton- 
folge (z. B. prima vox organi) oder - bei mehrstimmi- 
gem Musizieren - alles, was von einem der Beteiligten 
ausgeht, also die (einzelne, hochste, tief ste usw.) -> Stim- 
me (- 1); ferner die durch die Solmisationssilbe ausge- 
driickte Qualitat des Einzeltons in bezug auf seine Stel- 
lung im -> Hexachord (z. B. C habet tres voces : sol, fa, 
ut). - Im Orgelbau ist V. Grundwort verschiedener in 
der Konstruktion durchaus unterschiedlicher, zumeist 
jedoch imitatorischer Register (V. humana, V. coelestis 
und dergleichen). 

Vox angelica (lat.), in der Orgel ein kurzbechriges, 
regalartiges Rohrwerk zumeist in 4'-Lage. Seit Mitte 
des 19. Jh. wird dieser Name auf eine Geigenschwe- 
bung, die Labialpfeifen zu 8' + 4' disponiert, iibertra- 
gen, sogar auf 2 Hochdruckgamben, die gem ins Fem- 
werk gestellt wurden und durch die Entfernung lieb- 
licher klangen (Kloster Guadalupe). 

Vox humana (lat., menschliche Stimme), in der Or- 
gel zumeist eine Zungenstimme zu 8' mit kurzem 
Schallbecher von verschiedener Bauart, in Italien auch 
als Labialstimme (voce umana) mit Prinzipalmensur 
und doppelten Pfeifen. Die V. h. wurde zuweilen mit 
einem eigenen Tremulanten gebaut. 

v. s., Abk. fiir - 1) volti subito (ital.), wende schnell 
um; - 2) vide sequens (lat.), siehe das Folgende. 

vuota (ital., leer) fordert auf Streichinstrumenten die 
Benutzung -*■ Leerer Saiten (z. B. beim Flageolettspiel). 



67* 



1059 



w 



»Wagner«-Tuba, eine Waldhorntuba, d. h. eine en- 
ger mensurierte -*■ Tuba (- 2) mit 4 Ventilen, die mit 
einem Waldhornmundstuck geblasen wird. Wagner 
lieB sich diese Tuben fiir den Ring des Nibelungen bauen, 
urn den Chor der Horner durch BaBinstrumente von 
gleichem Klangcharakter zur Tiefe hin zu erganzen. 
Sie werden vom 2. Hornistenquartett (5. und 7. Hor- 
nist Tenor-»W.«-Tuben in B, 6. und 8. Hornist BaC- 
»W.«-Tuben in F) gespielt. »W.«-Tuben verlangen u. a. 
Bruckner (7.-9. Symphonie) und R. Strauss (Ein Hel- 
denleben, Elektra, Eine Alpensinfonie, Die Frau ohne 
Schatten). - Eine Tuba mit Waldhorrimundstiick unter 
dem Namen Cornon (Cornophone) hatte schon 1844 
Cerveny konstruiert. 
Wagon (japanisch) -> Koto. 

Waldflote (lat. tibia silvestris, auch silvestris) ist in der 
Orgel eine weit oder mittelweit mensurierte offene F16- 
tenstimme zu 4' oder 2', seltener 8' oder 1', haufig ko- 
nisch, aber auch zylindrisch. Der Klang der W. ist 
weich und voll, verwandt mit dem des Nachthorns. 

Waldhorn (engl. french horn), der Horntyp, der sich 
zum heute im Orchester gebrauchlichen, schlechthin 
Horn genannten Instrument entwickelt hat. Das W. ist 
ein Blechblasinstrument (Goldmessing oder Neusilber, 
im 18. Jh. auch Kupfer oder Silber) mit langem, leicht 
konischem Rohr von enger Mensur (Halbinstrument, 
der Grundton spricht nicht an), das kreisformig ge- 
wunden ist, mit ausladender Stiirze und trichterformi- 
gem Mundstiick. - Im Schnitzwerk des Chorgestiihls 
der Kathedrale zu Worcester (spates 14. Jh.) ist ein Jager 
dargestellt, der ein mehrfach gewundenes Horn uber 
der Schulter tragt. Ahnliche Jagdhorner soil es schon im 
12. Jh. gegeben haben (Wappenschild der Wartenberg- 
Kolb 1 169). Ein Horn mit 21/2 Windungen ist auf einem 
Holzschnitt von S. Brandt (Virgil-Ausgaben von Grii- 
ninger, StraBburg 1502, undJ.Sacon, Lyon 1517) zu 
sehen. Um 1650-60 wurde das Blasen auf Trompes de 
chasse (cors de chasse) in Frankreich verbreiteter. Die 
erste Partitur, in der Horner vorkommen, ist Lullys La 
princesse d'Elide (1664; 5st. Fanfarensatz, wobei jedoch 
nicht sicher ist, ob alle Stimmen von Hornern gespielt 
wurden). Um 1670 wurde in Frankreich das W. in der 
Mensur der Trompete angenahert, auch noch von 
Dampierre um 1700, dessen Horn eine kleinere Stiirze 
hatte. Um 1681 kam das W. durch den Bohmen Graf 
Sporck (Spbrken) nach Deutschland, wo es sich im 
Symphonieorchester einbiirgerte (R.Keiser, Octavia, 
1706). Durch die Mannheimer Schule wurde es auch in 
Paris iiblich; hier wurde es zunachst noch vorwiegend 
von Deutschen und Bohmen geblasen. Neben der D- 
Stimmung wurden durch Einsetzen von Stimmbogen 
tiefere Stimmungen gewonnen. Durch Einfiihren der 
Hand in die Stiirze wird die Rohre verkiirzt und der 
Ton (um etwa einen Halbton) erhoht. Diese Stopf- 
technik wurde 1753 von Hampel erweitert und in ein 
System gebracht. Die Zeit der Stopftechnik (etwa 

1060 



1750-1850) gilt als die goldene Zeit des W.s; der erste 
rcisende Virtuose dieser Periode war J. J. -»■ Rudolph. - 
Durch das Einsetzen mehrerer Krummbogen fiir tiefere 
Tonarten zwischen Mundstiick und Corpus wurde das 
Horn so weit vom Spieler abgeriickt, daB das Stopfen 
erschwert wurde. Eine Abhilf e sollte das -> Inventions- 
horn von Hampel sein. Die Versuche, durch mecha- 
nische Vorrichtungen das W. zu einem chromatischen 
Instrument zu entwickeln, fiihrten zu Konstruktionen 
mit Klappen (-> Amorschall), Ziigen (Dickhuth 1812) 
und zur Erfindung des -*■ Cor omnitonique. Durch- 
setzen konnten sich jedoch erst die 1818 patentierten 
-> Ventile (- 2), zunachst 1 oder 2, spater 3; doch fand 
daneben noch die Stopftechnik Verwendung. In die 
Militarkapellen fand das Ventilhorn bald nach 1830 
Eingang. - Noch heute spezialisieren sich die Blaser je- 
weils auf den Ansatz fiir hohe (1. und 3. Horn) oder 
tiefe (2. und 4. Horn) Tone. Diese Trennung war be- 
reits um 1800 vollzogen. In den gebrauchlichen Ton- 
lagen (D-F) umfaBte zu jener Zeit die hohe Technik 
den 4.-20. Naturton, die tiefe den 2.-16. Die Technik 
des Cor mixte (4.-12. Naturton, besonders in F-Lage) 
konzentrierte sich auf moglichste Ausgeglichenheit der 
Tone. 1898 baute zuerst Kruspe in Erfurt das Doppel- 
horn in B/F, das heute im Symphonieorchester ge- 
brauchlich ist. Daneben ist das einfache W. in F (Um- 
fang etwa iB-b2) das Standardinstrument. Die hochste 
und die tiefste brauchbare Lage sind die in (hoch)C und 
die in A (Rohrlange 600 cm). Der Klang des W.s ist 
warm und obertonreich (»Pedal des Orchesters«, so ge- 
nannt nach der Wirkung des rechten Pedals des mo- 
dernen Klaviers). Es wird transponierend im Violin- 
schliissel notiert. Konzerte fiir W. schrieben u. a. J. 
Haydn, W.A.Mozart, CM. v. Weber, R.Schumann, 
Saint-Saens, R.Strauss und Hindemith. Sonaten fiir 
Horn und Kl. Beethoven und Hindemith, ein Trio (op. 
40) fiir Kl., V. und W. Brahms. Beruhmte Hornisten 
waren Mares, ->• Stich (Punto), J. Lebrun, Domnich, Fr. 
Duvernoy, Meifred, G. und M.Schunke, Fr. Strauss 
(der Vater von R.Strauss), A. und D. Brain; Schulen 
schrieben Hampel-Punto (1794-98), Domnich (1808), 
Duvernoy (1808), Dauprat (1824), Kastner (1840) und 
Meifred (1840). 

Lit. : Fr. J. Gossec, Notes concernant l'introduction des 
cors dans les orch., Rev. mus. V, 1829; J. Meifred, De 
l'etendue, de l'emploi et des ressources du cor en general 
. . . avec quelques considerations sur le cor a pistons, Paris 
(1829); ders., Notice sur la fabrication des instr. de mu- 
sique en cuivre . . . , in : Annuaire de la Soc. des anciens 
eleves des Ecoles Nationales des Arts-et-Metiers 1851 ; H. 
Eichborn, Die Dampfung beim Horn, Lpz. 1897; V.-Ch. 
Mahillon, Instr. a vent III: Le cor. Son hist., sa theorie, 
sa construction, Briissel u. London (1908); H. Kling, Le 
cor de chasse, RMI XVIII, 1911 ; W. F. H. Blandford, 
Wagner and the Horn Parts of Lohengrin, The Mus. Times 
LXIII, 1922; Fr. Piersig, Die Einfuhrung d. Horns in d. 
Kunstmusik, Halle 1927 ; B. Coar, The French Horn, Ann 
Arbor (Mich.) 1947; ders., Nineteenth-Cent. Horn Vir- 
tuosi in France, De Kalb (111.) 1952; Ph. Farkas, The Art 



Walzer 



of French Horn Playing, Chicago 1956; K. Janetzky, 
Zum Erscheinen d. Bach-Studien f. W., in: Tradition u. 
Gegenwart, Fs. Musikverlag Fr. Hofmeister, Lpz. 1957; R. 
Morley-Pegge, The French Horn, London u. NY (1960); 
R. Gregory, The Horn, London 1961 ; G. Schuller, 
Horn Technique, ebenda 1962. 

Waldhorn-Tuba -> »Wagner«-Tuba. 

Waldteufel -»■ Reibtrommel. 

Wales. 

Lit.: Fr. Griffith, Notable Welsh Musicians, London 
21896; J. Graham, A Cent, of Welsh Music, ebenda 1923; 
C. E. Roberts, Welsh Music in the Tudor Period, Trans- 
actions of the Honourable Soc. of Cymmrodorion, Session 
1925/26 ; J. Davies, The Contribution of Welshmen to Mu- 
sic, ebenda 1929/30; W. S. Gw. Williams, Welsh National 
Music and Dance, London (1933), 2 1952; A. Dolmetsch, 
Ancient Welsh Music, Transactions of the Honourable Soc. 
of Cymmrodorion, Session 1 933/35; P. Cr. Holland, Secu- 
lar Homophonic Music in W. in the MA, ML XXIII, 1942; 
ders., Music in W., London 1948; J. Peate, Welsh Mus. 
Instr., Man XLVII, 1947; Music in W., An Exhibition of 
Mus. Instr., Scores and Mss. . . ., Swansea 1951 (Ausstel- 
lungskat.) ; D. Jones, Music in W., London 1 961 . - Journal 
of the Welsh Folk-Song Soc. 1, 1909ff. 

Walze, - 1) an der modernen Orgel eine Spielhilfe, die 
iiber dem Pedal liegt und mit dem FuB bedient wird. 
Die W. laBt die Register deren Lautstarke entsprechend 
nacheinander hinzutreten. Dabei ist ein nahtloses Cre- 
scendo bzw. Decrescendo selbst bei den grundtonig dis- 
ponierten Orgeln nur annahernd moglich. - 2) -* Me- 
chanische Musikwerke. 

Walzer (von walzen, sich drehen, aber audi s. v. w. 
schleifen, die FiiBe beim Tanzen am Boden drehen, im 
Gegensatz zu hiipfen, hopsen; engl. waltz; frz. valse; 
ital. valzero), ein seit dem letzten Viertel des 18. Jh. be- 
kannter, im osterreichisch-bajuwarischen Raum ent- 
standener Tanz im 3/4-Takt, dessen direkte Vorlaufer 
der -> Deutsche Tanz, der -> Landler und der -> Lang- 
aus sind. Der W. ist ein Einzelpaartanz, bei dem die 
Paare in geschlossenerTanzhaltung eine doppelte Dreh- 
bewegung ausfiihren, wobei sie, sich um die eigene 
Achse drehend, die Tanzflache umrunden. Schon vor 
dem Aufkommen des Wortes W. (um 1780) finden 
sich, seit etwa 1750, Belege fur walzen, walzerisch tan- 
zen (z. B. in J. Kurz' Komodie Der auf das neue begeister- 
te und belebte Bemardon, 1754, in: DT5 XXXIII, S. 18), 
sehr wahrscheinlich schon hier in der Bedeutung des 
charakteristischen Schleifens der FiiBe am Boden; noch 
1760 wurden walzende Tanze durch eine bayerische 
Verordnung verboten. 

Drehtanze, meist gehiipft oder gestampft, waren seit 
dem Mitteialter bekannt; sie wurden immer wieder be- 
kampft; noch bei W.A.Mozart (Don Giovanni) galten 
sie als derb und dem niederen Volke zukommend. Die 
allgemeine Durchschlagskraft des W.s hangt nicht zu- 
letzt zusammen mit den soziologischen Auswirkungen 
der Franzosischen Revolution und der im 19. Jh. sich 
vollziehenden sozialgeschichtlichen Umstrukturierung. 
Fur das Aufkommen des W.s in Wien scheint es von 
Bedeutung gewesen zu sein, daB hier die Kluf t zwischen 
Adel und Volk weniger kraB war als etwa in Frank- 
reich, wo es undenkbar gewesen ware, 3000 Burger 
und Burgerinnen zu einem Hofball einzuladen, wie es 
Kaiser Joseph II. 1781 tat. Als 1786 in Wien der erste 
W. von zwei Paaren auf der Biihne getanzt wurde (in: 
Una cosa rata von Martin y Soler), fand er ein aufnah- 
mefreudiges Publikum. Trotz harter Kritik von seiten 
einzelner aus der hohen Gesellschaft und seines Verbots 
z. B. am preuBischen Hof , wo er noch unterWilhelm II. 
beim offlziellen Teil des Hofballs nicht gestattet war 
(W. linksherum blieb wegen der noch engeren Tanz- 



haltung fiir alle Gesellschaftsballe der damaligen Zeit 
iiberhaupt untersagt), erlangte der W. seit dem Wiener 
KongreB (1814/15) weltweite Verbreitung und erfaBte 
wie kein Tanz zuvor alle Schichten der Gesellschaft. 
Der Wiener W., wie er schon 1811 (J. H. Campe, Wbr- 
terbuch derDeutschen Sprache V, Braunschweig 1811) ge- 
nannt wurde, gehort bis heute zu den Standardtanzen 
(->■ Gesellschaftstanz). Im Laufe des 19. und 20. Jh. ent- 
wickelten sich verschiedene W.-Typen. Neben dem 
Wiener W. gab es einen Franzosischen W., der meist 
aus drei in Schnelligkeit sich steigernden Teilen bestand: 
Valse (3/8 oder 3/4, Andante), Sauteuse (6/8, Allegretto), 
Jete oder schnelle Sauteuse (6/8, Allegro bis Presto). Aus 
Amerika kam der langsam gleitende -> Boston (- 1), 
der besonders um 1920 in Europa beliebt war. Der 
langsame W. oder -> English Waltz, auch Waltz, der 
heute wie der Wiener W. zu den Standardtanzen ge- 
hort, kam in den 1920er Jahren in Europa in Mode. Im 
Unterschied zum Wiener W. werden beim langsamen 
W. mehrere Variationen getanzt. 
Die ersten W. hatten eine mafiige . . . Bewegung, . . . in 
der letzten Zeit aber, seitdem der sog. Wiener W., der ein 
unglekh schnelleres Tempo hat, herrschend wurde, hat sich 
der Frohsinn und die Lustigkeit, die sich darin aussprechen, 
bis zur bacchantischen Wuth gesteigert. ■ ■ . Die Musik des 
Tanzes ... hat alle diese Perioden der steigenden Heftig- 
keit und Leidenschaft mit durchgemacht (SchillingE). Der 
W. bestand zunachst in der Regel aus zwei Reprisen 
zu je 8 Takten (so in KochL beschrieben), doch stell- 
te man bald mehrere W. zu einer Folge zusammen. 
Friihe gedruckte W. liegen vor in den 12 W.n op. 34 
(1800) von D.Steibelt. 1808 wurden anlaBlich derEin- 
weihung des Apollo-Palastes die Tanze far den Apollo- 
saal op. 31 fiir Kl. von J. N. Hummel aufgefuhrt, die 
mit Trios, da Capo und Coda eine halbe Stunde dauer- 
ten und als die ersten Konzert-W. angesehen werden 
kbnnen. In ihrer Nachfolge stehen W. von CM. v. 
Weber, Chopin, Liszt und Brahms. Viele W.-Kom- 
positionen nehmen eine eigenartige Stellung zwischen 
Konzert- und Gebrauchsmusik ein. Von Schubert ist 
bekannt, daB er seinen Freunden zum Tanz aufspielte. 
Seine W. sind gleichsam als niedergeschriebene Improvisa- 
tionen zu betrachten (A.Einstein, Schubert, NY 1951, 
deutsch Zurich 1952, S. 230). Sie sind vorwiegend noch 
8taktig mit zwei Reprisen, meist folgen 12 oder mehr 
Nummern aufeinander. Auch Beethoven schrieb noch 
W. fiir den praktischen Gebrauch, z. B. die 4 W. in den 
sogenannten Modlinger Tanzen (WoO 17, 1819). Mit 
den 1819-23 entstandenen 33 Veranderungen iiber einen 
W. von Diabelli op. 120 schrieb er ein reines Vortrags- 
stiick, wahrend die W. Es dur und D dur von 1824 und 
1825 wieder mehr der Gebrauchsmusik zugehoren. 
Entscheidenden EinfluB auf die Entwicklung des W.s 
hatte C.M.v.Webers Konzert-Rondo fiir Kl. Auffor- 
derung zum Tanz op. 65 (1819, spater von Berlioz in- 
strumentiert), ein W.-Zyklus mit langsamer Introduk- 
tion und Coda. Richtungweisend an diesem Werk wa- 
ren : die geschlossene Form mit Introduktion und einer 
Coda, die den Anfang wieder aufgreift; die plan voile 
Abfolge in Melodie, Tempo und Tonarten; die bei 
Schubert schon gelegentlich vorhandene Begleitungs- 
form mit dem Vorschlagen des Basses und dem Nach- 
schlagen zweier Akkorde; das gegeniiber friiherenW.n 
wesentlich schnellere Tempo; die Ausweitung der ein- 
zelnen W. iiber die Achttaktigkeit hinaus. Damit war 
im W. eine groBe Konzertform geschaffen. 
Die genannten Charakteristika gelten jedoch nicht nur 
fiir die Konzertform des W.s, sondern sind auch fiir die 
des klassischen Wiener W.s Lannerscher und StrauB- 
scher Pragung seit den 1820er Jahren. Hervorgegangen 
aus der Tanzkapelle M. Pamers, wurden -> Lanner und 



1061 



Walzer 



J. -> StrauB(Vater) zu den beherrschenden Personlich- 
keiten der Wiener Tanz- und Unterhaltungsmusik, 
in der Publikumsgunst wohl nur noch iibertroffen 
von J. -»■ StrauB(Sohn), dem »Walzerkonig«. Die W.- 
Kompositionen von Lanner und StrauB(Vater) began- 
nen mit einer kiirzeren oder langeren Introduktion, ge- 
folgt von fiinf W.n und der Coda, in der die vorange- 
gangenen Walzermelodien anklangen. Der einzelne 
W. bestand aus einem meist 16taktigen Teil A, einem 
gleichlangen aber im Charakter unterschiedenen Teil B 
und gelegentlich einer einfachen Wiederholung des 
Teiles A (| : A : 1 1 : B : 1 1 A |). Von Lanner wurden beson- 
ders bekannt: Pesther W. op. 93, Hqfballtanze op. 161, 
Die Schonbrunner op. 200; von StrauB(Vater) : Cacilien- 
W. op. 120, Donaulieder op. 127, Loreley-Rheinklange 
op. 154. J. StrauB(Sohn) iibernahm diese Form, ging 
jedoch in den kompositorischen Mitteln iiber seine Vor- 
ganger hinaus: die Introduktion wurde gelegentlich zu 
einer Art Orchestervorspiel ausgeweitet, der Rhyth- 
mus wurde abwechslungsreicher, die Harmonik reicher 
und die Instrumentierung kunstvoller gestaltet. Die 
Ausfiihrung ist charakterisiert durch eine leichte Vor- 
wegnahme der zweiten Zahlzeit in der Begleitung, so- 
wie durch das »Einschleif en«, die allmahliche Tempobe- 
schleunigung beim Ubergang von der Introduktion zum 
eigentlichen W. Bekannteste W. von StrauB(Sohn) sind : 
An der schonen blauen Donau op. 314, Geschichten aus dem 
Wiener Wald op. 325, Friihlingsstimmen op. 410, Kaiser- 
walzer op. 437. - Schon friih wurde der W. wesentlicher 
Bestandteil der Wiener -> Operette, deren zu W.-Fol- 
gen zusammengestellte Melodien die Operette an Popu- 
laritat haufig iibertrafen (z. B. Rosen aus dem Siiden, aus : 
Das Spitzentuch der Konigin von J. StrauB[Sohn]). 
Der W. fand einen nachhaltigen Niederschlag auch in 
der Kunstmusik. Von Chopins W. op. 42 (1840) sagte 
R. Schumann, daB, wenn man ihn zum Tanze vorspie- 
len wolle, unter den Tanzerinnen die gute Halfte wenig- 
stens Komtessen sein muBten (Gesammelte Schriften II, 
51914, S. 32). Die W. von Liszt und Brahms sind hoch- 
stilisierte Tanze und nur noch als Vortragsstucke ge- 
dacht. AuBer den W.n fiir Kl. sind von Brahms auch 
die W. op. 52 und 65 (beide mit dem Titel Liebeslieder) 
zu nennen (->• Liederspiel). Zuweilen fand der W. Ein- 
gang in die symphonische Musik, z. B. in Berlioz' 
Symphoniefantastique (1830), in Tschaikowskys 5. Sym- 
phonic (1888), in Mahlers 9. Symphonie (1909). DerW. 
kommt in zahlreichen Biihnenwerken vor, z. B. in 
GounodsFdMrf (1869), in R. Strauss' Rosenkavalier{\9\\), 
in Bergs Wozzeck (1914-21), in Strawinskys Petrouchka 
(1911, Neufassung 1947) und Histoire du soldat (1918). 
Ravel schrieb ein Ballett mit dem Titel La valse (1922). 
Die Valses nobles et sentimentales (1 91 1 ) von Ravel sind eine 
W.-Suite nach dem Vorbild Schuberts. - Fiir die im- 
mer starkere Zuweisung des W.s zum Bereich histori- 
scher Musikf ormen ist auch die Art seiner Verwendung 
in der Filmmusik charakteristisch, wo W. oder W- 
Musik bestimmte Vorstellungen (vor allem die Wiener 
Gesellschaft und von ihr ausgehend auch das Biirgertum 
des 19. Jh. und der Vorkriegszeit, damit also die Vorstel- 
lung der vergangenen »guten alten Zeit«) assoziieren soil. 
Lit. : A. W. Ambros, Tanzmusik seit hundert Jahren, in : 
Culturhist. Bilder aus d. Musikleben d. Gegenwart, Lpz. 
2 1865 ; Br. Weigl, Die Gesch. d. W. . . . , = Mus. Magazin 
XXXIV, Langensalza 1910; H. Weisse, Der instr. Kunst- 
W. . . ., Diss. Wien 1919, maschr.; P. Nettl, Zur Vor- 
gesch. d. sud-deutschen Tanze, BUM III, 1923; I. Men- 
delssohn, Zur Entwicklung d. W., StMw XIII, 1926; W. 
Herrmann, Der W., = Mus. Formen in hist. Reihen VIII, 
Bin (1931); M. Carner, The Hist, of the Waltz, London 
1948; ders., Artikel Waitz, in: Grove; Fr. Klingenbeck, 
Das Walzerbuch, Wien 1952; E. Nick, Vom Wiener W. 
zur Wiener Operette, Hbg (1954); K. M. Klier, »Linzer 



Geiger« u. »Linzer Tanz« im 19. Jh., Hist. Jb. d. Stadt Linz 
1956 ; L. Nowak, Landler, W. u. Wiener Lieder im Klavier- 
buche einer preuBischen Prinzessin, Jb. d. Osterreichischen 
Volksliedwerkes VI, 1957. -> Tanz. 

Wandernote, an einem Zeigestab befestigter Noten- 
kopf , der seit seiner Anwendung durch Th. ->• Krause 
bei chorischen Treffubungen zur Demonstration von 
Intervallschritten benutzt wird. 

Warschau. 

Lit. : A. Jarze.bski, Gosciniec albo krotkie opisanie War- 
szawy . . . (»Reiseandenken oder kurze Beschreibung v. 
W. . . .«), W. 1643, Neudruck hrsg. v. W. Korotynski, W. 
1909 ; H. Feicht, Przyczynki do dziejow kapeli krolewskiej 
w Warszawie . . . (»Beitr. zur Gesch. d. Koniglichen Kapelle 
in W. wahrend d. Kapellmeisterara M. Scacchis«), Kwar- 
talnik muzyczny I, 1928/29; Warszawa, miasto Chopina 
(»W., d. Stadt Chopins«), hrsg. v. Zdz. Jachimecki, W. 
1950; J. Prosnak, Kultura muzyczna Warszawy XVIII 
wieku (»W.er Musikkultur im 18. Jh.«), = Studia i ma- 
ternary do dziejow muzyki polskiej II, Krakau 1955; W. 
Dworzynska, Kapelmistrze prywatnej kapeli krolewskiej 
w latach 1657-97 (»Die Kapellmeister d. privaten Konig- 
lichen Kapelle in d. Jahren 1657-97«), Muzyka II, 1957; 
Krz. Bieganski u. M. Holzman, Filharmonia Narodowa, 
Krakau (1960), auch engl. v. M. Abrahamowicz ; T. Fra- 
czyk, Warszawa miodosci Chopina (»W. zur Jugendzeit 
Chopins«), Krakau 1961; A. Szweykowska, Do historii 
polskiej kultury muzycznej w okresie saskim (»Zur Gesch. 
d. polnischen Musikkultur zur Zeit d. Sachsen«), Muzyka 
VI, 1 96 1 ; M. Prokopowicz, Szkic z dziejow kultury muzy- 
cznej Warszawy w okresie przed Chopinem (»Eine Skizze 
aus d. Gesch. d. W.er Musikkultur vor Chopin«), Rocznik 
Warszawski III, 1962. 

Washboard (w'afbo:d, engl.), ein Rhythmusinstru- 
ment der -> Skiffle groups, das auch in off entlich auf tre- 
tenden nordamerikanischen Jazzensembles der 1930er 
Jahre gespielt wurde. Es ist ein gewohnliches Reib- 
waschbrett aus Wellblech. Der Spieler halt es waage- 
recht auf den Knien und reibt mit den Fingerspitzen 
(mit Fingerhiiten) oder Stabchen quer iiber die Rillen. 

Washington (D.C., USA). 

Lit. : A. I. Mudd, Early Theaters in W. City, Columbia 
Hist. Soc. Records V, 1902; ders., The Theatres of W. 
from 1835 to 1850, ebenda VI, 1903 ; Chr. Struck, Gesch. 
d. »W. Sangerbundes«, W. 1906; Fr. J. Metcalf, Hist, of 
Sacred Music in the District of Columbia, Columbia Hist. 
Soe. Records XXVIII, 1926; J. C. Haskins, Music in the 
District of Columbia, 1800 to 1814, Diss. The Catholic 
Univ. of America 1952, maschr. 

Wasserorgel ->■ Hydraulis. 

Wechseldominante ist die Dominante der Dominan- 
te, die Doppeldominante; Funktionsbezeichnung : ®. 
Ihr Akkord ist auch in Moll ein Durdreiklang, z. B. in 
C dur d-fis-a, in A moll h-dis-fis. Funktionell gehort 
die W. zu den ->■ Zwischendominanten. 
Lit.: P. Hamburger, Subdominante u. W., Kopenhagen 
u. Wiesbaden 1955. 

Wechselgesang-> Antiphon (- 1), ->- alternating 

Wechselklang nennt H.Erpf (1927) jeden Dur- oder 
Molldreiklang in bezug auf den Dreiklang gleichen 
Namens aber gegenteiligen Geschlechts, z. B. c-es-g in 
bezug auf c-e-g oder a-cis-e in bezug auf a-c-e. Das 
W.-Verhaltnis ist umkehrbar: jeder Dreiklang ist der 
W. seines W.s. Der Begriff geht auf H. Riemanns Har- 
monielehre zuriick. Dort heiBt jede Verbindung zwei- 
er Klange gegenteiligen Geschlechts (Klang-)Wechsel, 
die eines Durdreiklangs mit seinem gleichnamigen 
Molldreiklang (und umgekehrt) Quintwechsel, da nach 
dualistischer Lehre die Haupttone beider Akkorde im 
Quintverhaltnis zueinander stehen. In seinen spateren 
Schriften (seit 1906) nannte H.Riemann den von Erpf 
als W. bezeichneten Akkord -> Variante (- 2). 



1062 



Welturheberrechtsabkommen 



Lit.: H. Riemann, Mus. Syntaxis, Lpz. 1877; ders., Skizze 
einer neuen Methode d. Harmonielehre, Lpz. 1880, umge- 
arbeitet als: Hdb. d. Harmonielehre, Lpz. 21887, 51912, 
7 1920, 1 "1929; ders., Elementar-Schulbuch d. Harmonie- 
lehre, Lpz. 1906 ; ders., Ideen zu einer Lehre v. d. Tonvor- 
stellungen, JbP XXI, 1914 - XXII, 191 5 ; H. Erpf, Studien 
zur Harmonie- u. Klangtechnik d. neueren Musik, Lpz. 
1927. 

Wechselnote, Wechselton, Drehnote (ital. nota cam- 
biata; frz. note d'appog[g]iature), die obere oder untere 
(dissonante) Nebennote eines Akkord- bzw. Melodie- 
tons. Sie tritt, wie der Durchgang, dem sie in der 
Kompositionslehre bis ins 17. Jh. zugeordnet wurde 
(-»■ Commissura), auf unbetonter Zahlzeit ein und 
kehrt, im Unterschied zu diesem, zum Ausgangston 
zuriick. »Fuxsche W.« -> Cambiata. 

Weibliche Endung (frz. cadence feminine) nennt im 
AnschluB an J. J. de Momigny H. Riemann das Hinuber- 
ragen der Endungen iiber die Schwerpunkte, d. h. Motiv- 
schliisse auf leichter Zahlzeit des Takts, die damit an die 
vorausgegangene schwere angehangt erscheint, z. B. in 
W. A. Mozarts Konzertanter Symphonie Es dur, K.-V. 
364,2. Satz, Takt8ff.: 




Alle Vorhaltsbildungen bedingen W.E. ; auch sind sie 
als nachschlagende Akkordtone haufig. Der Name (der 
dem des »weiblichen Reims« entspricht; vgl. Riemann, 
S. 259) deutet den asthetischen Charakter der Bildung 
an. W. E.en verlangen im Vortrag eine leichte Dehnung 
der sie bildenden Tone. -> AnschluB-Motiv. 
Lit.: H. Riemann, GroBe Kompositionslehre I, Bin u. 
Stuttgart 1902. 

Weimar. 

Lit.: C. A. H. Burkhardt, Das Repertoire d. W.ischen 
Theaters unter Goethes Leitung 1791-1817, = Theaterge- 
schichtliche Forschungen I, Hbg 1891 ; A. Bartels, Chro- 
nik d. W.ischen Hoftheaters 1817-1907, Hbg u. Lpz. 1908; 
P. Raabe, Zum 50jahrigen Jubilaum d. W.er Hofkapelle, 
W. 1909 ; A. Aber, Die Pflege d. Musik unter d. Wettinern 
u. wettinischen Ernestinern . . . , = Veroff. d. Furstlichen 
Inst. f. nra. Forschungen zu Buckeburg IV, 1, Buckeburg 
u. Lpz. 1921 ; E. Herrmann, Das W.er Lied in d. 2. Halfte 
d. 18. Jh., Diss. Lpz. 1925, maschr. ; W. Hitzig, Beitr. zum 
W.er Konzert 1773-86, in: Der Bar, Jb. v. Breitkopf & Har- 
tel 1 925, Lpz. 1925 ; L. Schrickel, Gesch. d. W.er Theaters 
v. seinen Anfangen bis heute, W. 1928; C. Rucker, Daten 
zur Mg. d. Stadt W., = Beitr. zur Gesch. d. Stadt W. 
XLVIII, W. 1935; ders., Die Stadtpfeiferei in W.,W. 1939; 
R. Jauernig, J. S. Bach in W., in : J. S. Bach in Thiiringen, 
hrsg. v. H. Besseler u. G. Kraft, W. 1950; W. Lidke, Das 
Musikleben in W. v. 1683 bis 1735, = Schriften zur Stadt- 
gesch. u. Heimatkunde III, W. 1954; Fs. aus AnlaB d. Na- 
mensgebung »Hochschule f. Musik Fr. Liszt «, W. 1956; 
G. Sichardt, Das W.er Liebhabertheater unter Goethes 
Leitung, W. 1957; B. Grimm, Die sozial-okonomische La- 
ge d. W.er Hofkapellisten in d. 1. Halfte d. 19. Jh., Diss. 
Lpz. 1964, maschr. 

Weingarten (Baden-Wiirttemberg), Benedikti- 
nerabtei, gegr. 1056. 

Lit.: K. Loffler, Die Hss. d. Klosters W., Lpz. 1912; P. 
Smets, Die groBe Org. d. Abtei W., Mainz 1940; Fr. Barn- 
wick, Die groBe Org. im Minister zu W. . . ., Kassel 4 1948; 
W. Irtenkauf, Das neuerworbene Weingartner Tropar d. 
Stuttgarter Landesbibl. (Cod. brev. 160), AfMw XI, 1954; 
Gr. Klaus, Zur Org.- u. Mg. d. Abtei, in : Fs. zur 900-Jahr- 
Feier d. Klosters 1056-1956, W. 1956; P. Th. Stumpf, Aus 
d. Gesch. d. Weingartner Klosterbibl., ebenda. 

Weifienfels. 

Lit.: A. Werner, Stadtische u. furstliche Musikpflege in 
W., Lpz. 191 1 ; G. Saupe, H. Steuccius, in: Jb. Sachsen u. 
Anhalt XVI, 1940; A. Schmiedecke, Zur Gesch. d. W.er 



Hofkapelle, Mf XIV, 1961; ders., H. Steucke, Mf XVII, 
1964 ; ders., Die W.er Stadtpfeiferfamilie Becker, Mf XIX, 
1966. 

Wellen entstehen bei raumlicher Ausbreitung von 
->■ Schwingungen, wobei nicht die Schwingung selbst, 
sondern die Form ihrer Ausbreitung, das dabei ent- 
stehende Nebeneinander der einzelnen Schwingungs- 
zustande, als Welle bezeichnet wird. Wahrend die 
Schwingung als eine zeitabhangige Zustandsanderung 
an einem festen Ort anzusehen ist, stellt die Welle eine 
ortsabhangige Zustandsanderung zu einer bestimmten 
Zeit dar. Alle W., mit Ausnahme der elektromagneti- 
schen, benotigen ein Medium (fest, fliissig oder gasfor- 
mig), in dem sie sich ausbreiten konnen. Dabei werden 
die kleinsten Teile (Molekiile) durch eine Schwingungs- 
quelle (z. B. die Luftmolekiiie durch einen schwingen- 
den Geigenkorper) in Schwingungen versetzt und 
werden so selbst zu einer Schwingungsquelle : mit einer 
kleinen zeitlichen Verzogerung regen sie die benach- 
barten Teilchen zum Schwingen an und so fort. Je 
nachdem, ob diese Schwingungen quer oder parallel 
zur Ausbreitungsrichtung der W. verlaufen, unter- 
scheidet man Transversal- W. und Longitudinal-W. 
So z. B. stellen die W. an der Wasseroberflache Trans- 
versal-W. dar; Schall-W. hingegen breiten sich in Ga- 
sen wie in Flussigkeiten in Form von Longitudinal-W. 
aus, und nur in festen Korpern entstehen bei der Schall- 
ausbreitung zusatzlich Transversal-W. 

Ausbreitungsrichtung 



ABCDEFGHJKLMNOPQR 



Zeit n 

In der Abbildung sind (I) in den waagerechten Reihen 
a-r die einzelnen Zustande einer f ortschreitenden Trans- 
versalwelle und (II) in den senkrechten Reihen R-A 
die einzelnen Zustande einer fortschreitenden Longi- 
tudinalwelle in gleichen zeitlichen Abstanden nachein- 
ander festgehalten. So stellt die Reihe r eine vollstan- 
dige Transversalwelle, die Reihe A eine vollstandige 
Longitudinal welle dar. 

Lit. : K. W. Wagner, Einfuhrung in d. Lehre v. d. Schwin- 
gungen u. W., Wiesbaden 1947; W. Reichardt, Grundla- 
gen d. Elektroakustik, Lpz. 1952, ^1954; J. Kranz, Schwin- 
gungen u. W., in: Physik, = Das Fischer-Lexikon XIX, 
hrsg. v. W. Gerlach, Ffm. (1960, 21962). 

Welturheberrechtsabkommen (WUA). Es wurde 
am 6. 9. 1952 in Genf von 36 Staaten unterzeichnet und 
ist am 16. 9. 1955 in Kraft getreten. Das von Anfang an 
gesteckte Ziel, die Universalitat des Urheberrechts- 
schutzes auf der ganzen Erde, wurde durch das WUA 
nicht erreicht; es stellt lediglich einen Modus vivendi 
fur alle beteiligten Staaten und Staatengruppen dar. 



1063 



West-Coast-Jazz 



Der Fortschritt besteht darin, daB es gelnngen ist, die 
USA als wichtigstes Land auBerhalb der ->■ Berner 
Ubereinkunft in ein multilaterales Urheberrechtsab- 
kommen einzubeziehen. Sachlich befafit sich das WUA 
lediglich mit dem urheberrechtlichen Schutz frem- 
der Staatsangehbriger. Anders als die Berner Uberein- 
kunft bietet es aber keinen Verbandsschutz; die von 
den vertragsschlieBenden Staaten ubernommenen Ver- 
pflichtungen miissen vielmehr durch die nationale Ge- 
setzgebung eines jeden Staates verwirklicht werden. 
Das WUA enthalt gewisse Mindestrechte, denen auch 
dann Geltung zu verschaffen ist, wenn ein Vertrags- 
staat einen solchen Schutz in seiner nationalen Gesetz- 
gebung nicht kennt und ihn deshalb nach dem Grund- 
satz der Inlanderbehandlung auch nicht gewahren miiB- 
te. Diese Mindestrechte bilden die Grundlage fiir eine 
Weiterentwicklung des internationalen Urheberrechts. 

West-Coast-Jazz (west-ko : st-d3asz, engl.) -> Mo- 
dern Jazz. 

Westfalen. 

Lit. : W. Nelle, Die ev. Gesangbiicher d. Stadte Dortmund, 
Essen, Soest, Lippstadt . . . , Jb. d. Ver. f. d. ev. Kirchen- 
gesch. d. Grafschaft Mark, Jg. 1901 ; E. Kruttge, Gesch. 
d. BurgsteinfurterHofkapelle 1756-1817, Diss. Bonn 1923, 
maschr., Auszug in: ZfMw VI, 1923/24; G. Krause, Gesch. 

d. mus. Lebens in d. ev. Kirche W = Veroff. d. Mu- 

sikinst. d. Univ. Tubingen X, 1932; J. Domp, Studien zur 
Gesch. d. Musik an westfalischen Adelshofen im 18. Jh., 
= Freiburger Studien zur Mw. I, Regensburg 1934; F. W. 
Kranzhoff, Die Entwicklung d. Mannergesanges in W. 
im 19. Jh., Dortmund 1934; H. Gocke, Der Orgelbau in d. 
Kreisen Soest u. Arnsberg vor 1800, Diss. Munster i. W. 
1936, auch in: KmJb XXX, 1935; A. Rump, Urkundenbele- 
geiiber d. Orgelbau im Kreise Lippstadt, Diss. Munster i. W. 
1 949, maschr.; H. Bohringer, Untersuchungen zum Orgel- 
bau im Hochstift Paderborn, Diss. Koln 1951, maschr., 
Auszug in: KmJb XLI, 1957; W. Salmen, Weihnachtsge- 
sanged. MAinwestfalischerAufzeichnung.KmJb XXXVI, 
1952; ders., Gesch. d. Musik in W., Bd I (bis 1800), Kas- 
sel 1963 ; A. Schonstedt, Alte westfalische Org., = Schrif- 
tenreihe d. Westfalischen Landeskirchenmusikschule in 
Herford V, Gutersloh 1953; R. Reutter, Org. in W., 
Kassel 1965. 

Wiederholung in der Musik wird angezeigt durch 
Zeichen der Notenschrift oder durch Worter bzw. 
Wortabkiirzungen, teils in Verbindung mit Zeichen: 
-> Abbreviaturen (- 1 bis - 6) ; -+ Reprise ; -*■ da capo ; 
-> dal segno ; prima volta, seconda volta (-> primo) ; 
-> Replica. - Wiederholen ist, wie in alien Kunsten, 
auch in der Musik eines der wesentlichen formbilden- 
den Elemente. Im AnschluB an die Rhetorik wurde die 
W. im spateren Mittelalter als Schmuck des musika- 
lischen Satzes verstanden (-* Color - 2) und im Barock 
in mannigfaltigen Formen zu den musikalisch-rheto- 
rischen -> Figuren gezahlt (z. B. als ->■ Anadiplosis, 
-*■ Climax, -» Mimesis). In der musikalischen Formen- 
lehre kann unterschieden werden zwischen der unmit- 
telbaren W. (Repetition) eines Formteils (wie in der 
zweiteiligen -v Liedform und bei der Exposition in der 
Sonatensatzform), der progressiven W. (z. B. bei fort- 
schreitendem Text, wie bei den Doppelversikeln der 
-> Sequenz - 1 und beim Strophenlied) und der Wie- 
derkehr eines Formabschnitts (wie in der dreiteiligen 
und zusammengesetzten -> Liedform und bei der Da- 
Capo-Arie) . Im f ortschreitenden Geschehen einer Kom- 
position ist W. jedoch fast immer verbunden mit Trans- 
position (-»- Sequenz-2;-> Rosalie), Modifikation (z.B. 
dynamisch: -> Echo; tonal: -»■ Reprise der Sonaten- 
satzform) und Variation oder -*■ Permutation (- 3). 
Konstitutiv ist das (veranderte) Repetieren z. B. in der 
Form des ->• Rondellus als Stimmtauschstiick (ver- 
gleichbar die -> Permutationsfuge) und die (teils auch 



veranderte) Wiederkehr eines Gliedes z. B. in alien mit 
->■ Refrain (-> Ritornell-3) gebildeten Formen. Auf dem 
Prinzip des Wiederholens beruhen die -> Symmetric 
und die -» Variation, auch viele zyklusbildende Mo 
mente (z. B. bei der mehrstimmigen ->• Messe Dufays: 
Repetition des C. f . und Wiederkehr der Anfangsmo- 
tive in alien Satzen), auch die auf Imitation (Kanon, 
Fuge) oder auf Wiederkehr eines Soggettos oder The- 
mas oder Leitmotivs gegriindeten Techniken und For- 
men, in neuer Zeit vor allem die Zwolftontechnik 
(-»■ Reihe). Dabei handelt es sich zumeist um partielle 
W., namlich um die Repetition oder Wiederkehr nur 
einzelner, satztechnisch konstitutiver GroBen des mu- 
sikalischen Gef iiges. Dies ist auch der Fall bei alien Zeit- 
maBordnungen (Mensur, Takt, Metrum ; -> Iso-), auch 
bei der W. eines Rhythmus {-*■ Talea, -> Isorhythmie), 
eines Satzmodells (z. B. ->■ Folia) und uberhaupt bei 
alien Arten des -> Ostinatos. - W. ist, in Verbindung 
mit Verandern, wohl das elementarste Grundprinzip 
aller musikalischen Gestaltung. 

Lit.: R. Lach, Das Konstruktionsprinzip d. W. in Musik, 
Sprache u. Lit., Sb. Wien CCI, 2, 1925; C. A. Harris, The 
Element of Repetition in Nature and the Arts, MQ XVII, 
1931 ; W. Hess, Zur Frage d. Teilw. in Beethovens Sym- 
phoniesatzen, Fs. J. Schmidt-Gorg, Bonn 1957; ders., Die 
Teilw. in d. klass. Sinfonie u. Kammermusik, Mf XVI, 1963. 

Wien. 

Lit.: J. v. Sonnleithner, W.er Theater-Almanach 1794, 
1795, 1796; J. Fr. Reichardt, Vertraute Briefe, geschrie- 
ben auf einer Reise nach W. 1808-09, 2 Bde, Amsterdam 
1810, NA v. G. Gugitz, Munchen 1915; E. Hanslick, 
Gesch. d. Konzertwesens in W., 2 Bde, W. 1869-70, Lpz. 
21897; ders., Die moderne Oper, 9 Bde, Bin 1875-1900, 
Neuauflage 1911 ; ders., Vienna's Golden Years of Music, 
1850-1900, iibers. u. hrsg. v. H. Pleasants, London 1951 ; 
M. Kalbeck, W.er Opernabende, W. 1885 ; A. v. Weilen, 
Gesch. d. W.er Theaterwesens v. d. altesten Zeiten bis zu d. 
Anfangen d. Hoftheaters, W. 1 899 ; ders., Zur W.er Thea- 
tergesch. Die... 1629 bis. .. 1710zur Auffuhrunggelangten 
Werke theatralischen Charakters u. Oratorien, W. 1901 ; R 
Lothar u. J. Stern, 50 Jahre Hoftheater, 2 Bde, Magde- 
burg u. W. 1900; J. Mantuani, Gesch. d. Musik in W. 
Teil I. Von d. Anfangen bis 1 5 1 9, W. 1 904; R. Wallaschek 
Gesch. d. k. k. Hofoperntheaters, = Die Theater W. IV,W 
1909; A. v. B6hm, Gesch. d. Singver. d. Ges. d. Musik- 
freunde in W., W. 1908; R. v. Perger, Denkschrift zur 
Feier d. 50jahrigen ununterbrochenen Bestandes d. Phil 
harmonischen Konzertein W. 1860-1910, W. 1910; ders 
u. R. Hirschfeld, Gesch. d. Ges. d. Musikfreunde in W 
(mit Zusatzbd v. E. Mandyczewski), W. 1 9 1 2; A. Gutmann 
Aus d. W.er Musikleben, 1873-1908, W. 1914; M. Enzin 
ger, Die Entwicklung d. W.er Theaters v. 16. zum 19. Jh. 
= Schriften d. Ges. f. Theatergesch. XXVIII-XXIX, Bin 
1918-19; R. Specht, Das W.er Operntheater. Von Dingel- 
stedt bis Schalk u. Strauss, W. 1919; E. Wellesz, Die 
Opern u. Oratorien in W. (1660-1708), StMw VI, 1919; 
ders., Der Beginn d. mus. Barock u. d. Anfange d. Oper 
in W., = Theater u. Kultur VI, W. 1 922; K. Kobald, Altw.er 
Musikstatten, = Amalthea-Bucherei VI, Zurich, Lpz. u. 
W. (1921), erweitert als: Klass. Musikstatten, W. 1929; J. 
Gregor, W.er Barocktheater, W. 1922; ders., W.er sze- 
nische Kunst, 2 Bde, W. 1924-25; E. K. Blummel u. G. 
Gugitz, Alt-W.er Thespiskarren, Die Fruhzeit d. W.er 
Vorstadtbiihnen, W. 1925; R. Haas, Die W.er Oper, W. 
1 926 ; ders., W.er Musiker, W. 1927 ; ders., Der W.er Biih- 
nentanz v. 1740-67, JbP XLIV, 1937; R. Lach, Gesch. d. 
Staatsakad. u. Hochschule f. Musik u. darstellende Kunst 
in W., W. 1927; J. Kollner, Das W.er Volkssangertum in 
alter u. neuer Zeit, W. 193 1 ; L. Nowak, Zur Gesch. d. Mu- 
sik am Hofe Kaiser Maximilians I., Mitt. d. Ver. f . Gesch. 
d. Stadt W. XII, 1932 ; P. Stefan, Die W.er Oper, W. 1932; 
A. Claus, Gesch. d. Singver. d. Ges. d. Musikfreunde 
1853-1933, W. 1933 ; Fr. Hadamowsky, Das Theater in d. 
W.er Leopoldstadt 1781-1860, W. 1934; ders., Barock- 
theater am W.er Kaiserhof (1625-1740), W. 1955; Fr. 
Klein, Gesch. d. Orchesterver. d. Ges. d. Musikfreunde v. 
1859-1934, W. 1934; O. E. Deutsch, Das W.er Freihaus- 



1064 



Wiener Schule 



theater . . . 1787-1801, W. 1937; C. Lafite, Gesch. d. Ges. 
d. Musikfreunde in W. 1912-37, W. 1937; H. Kralik, Die 
W.er Philharmoniker. Monographie eines Orch., W. 1938 ; 
ders., Das groBe Orch., W. 1952; ders., Die W.er Philhar- 
moniker u. ihre Dirigenten, W. 1960; W. Jeroer, Die W.er 
Philharmoniker, W. 1943 ; E. Schenk, Kleine W.er Mg., W. 
1946, 2 1947: Fr. Farga, Die W.er Oper v. ihren Anfangen 
bis 1938, W. 1947; Beitr. zur Gesch. d. Alt-W.er Musikver- 
lages, hrsg. v. A. Weinmann, Wien I, 1 (1948ff.), 11, 1 
(1950ff.); A. Witeschnik, Musik aus W., W. 1949; T. 
Mayrhofer-Zwiauer, W.er Symphoniker 1900-50, W. 
1950; E. Mittag, Aus d. Gesch. d. W.er Philharmo- 
niker, W. 1950; W. Scheib, Die Entwicklung d. Musik- 
berichterstattung im W.erischen Diarium v. 1703-80 mit 
besonderer Beriicksichtigung d. W.er Oper, Diss. W. 1950, 
maschr. ; A. Bauer, 1 50 Jahre Theater an d. W., Schicksal 
u. Leistung d. Staatsoper, Zurich, Lpz. u. W. 1952; ders., 
Opern u. Operetten in W., = W.er mw. Beitr. II, Graz 
u. Koln 1955; H. Haupt, W.er Instrumentenbau um 
1800, Diss. W. 1952, maschr.; O. Rommel, Die Alt-W.er 
Volkskomodie, W. (1952); E. Pirchan, A. Witeschnik 
u. O. Fritz, 300 Jahre W.er Operntheater, W. 1953; R. 
Holzer u. J. Schitt, Die W.er Sangerknaben, W. 1953; 
Fr. J. Grobauer, Die Nachtigallen aus d. W.er Burgka- 
pelle. Chronik d. k. u. k. Hofsangerknaben, Horn (Nieder- 
osterreich) 1954; M. Graf, Die W.er Oper, W. u. Ffm. 
(1955); E. Komorzynski, Die St.-Nikolausbruderschaft 
in W. 1288-1782, Fs. W. Fischer, = Innsbrucker Beitr. zur 
Kulturwiss., Sonderh. 3, Innsbruck 1956; H. Gericke, Der 
W.er Musikhandel v. 1700 bis 1778, = W.er mw. Beitr. V, 
Graz u. Koln 1960; E. Tittel, W.er Musiktheorie v. 
Fux bis Schonberg, in: Beitr. zur Musiktheorie d. 19. Jh., 
hrsg. v. M. Vogel, = Studien zur Mg. d. 19. Jh. IV, Re- 
gensburg 1966; H. Weigel, Das Buch d. W.er Philhar- 
moniker, Salzburg 1967. - Siehe auch d. Spezialstudien v. 
Th. v. Frimmel u. O. E. Deutsch, vor allem d. Einleitungen 
d. DTO sowie StMw. — » Hofmusikkapelle, Wiener. 

Wiener Schule- l).nannte schon Chr.Fr.D. Schubart 
(Ideen . . . , S. 44ff.) eine Gruppe von Komponisten, die 
um 1730-80 in Wien wirkten. In der Musikwissen- 
schaft verfestigte sich der Begriff W. Sch. erst in neue- 
rer Zeit im Zusammenhang mit der Kontroverse um 
den Vorrang der W. Sch. und der -> Mannheimer 
Schule in ihrer Bedeutung fur die Wiener Klassik (G. 
Adler, W.Fischer; H.Riemann). - Wichtige Anre- 
gungen erhielt die W. Sch. durch die alteren Wiener 
Komponisten J.J. Fux, A. Caldara und Fr. Conti. Die 
im traditionellen romisch-venezianischen Stil gehalte- 
ne Kirchenmusik von Fux und die neuartige, von 
Caldara in Wien eingefiihrte Gattung der Kantaten- 
messe wirkten richtungweisend auf die geistlichen Vo- 
kalwerke G. Reutters d. J. und Fr. Tumas, die spater 
J. Haydn als Vorbilder dienten. Auf Form und Melodik 
in Symphonie und Kammermusik der W. Sch. wirkte 
sich die Musik der am Kaiserhof gepflegten neapolita- 
nischen Oper aus. Aus ihrer Einleitungssinfonia und aus 
Elementen der Kirchensonate und der Suite wurde die 
viersatzige klassische Symphonie mit Menuett ent- 
wickelt, wie sie schon 1740 - noch als Einzelfall und 
mit gleicher Tonart aller Satze - bei M.G.Monn auf- 
tritt. Auf die Oper geht auch die Vorliebe fur imitieren- 
de Setzweise des Seitenthemas, f iir virtuose Violinpassa- 
gen und haufige Durchfiihrung kurzer rhythmischer 
Motive zuriick. Als charakteristische Ziige des vorklas- 
sischen Stils begegnen vorgeschriebene Crescendi, 
volkstumliche Thematik wie iiberhaupt das Zugrunde- 
legen 8taktiger Lied- und Tanzperiodik fur die Kom- 
position, plotzlicher Wechsel von Dynamik und Ton- 
geschlecht (z. B. bei Motivwiederholungen) und - im 
Zusammenhang mit demEindringen vonElementen der 
Opera buff a und des Volkslieds in die Sonaten- und Sy m- 
phoniekomposition - der Wechsel des Affekts innerhalb 
eines Satzes. In der Sonatensatzform bei Fr. Aspelmayr, 
L.Hoffmann, G.Reutter dem Jiingeren, M.Schloger 
und J. Starzer sind 1 . und 2. Thema in der Exposition 



noch nicht immer klar geschieden, und die Durch- 
fiihrung geht iiber eine abgewandelte Wiederholung 
der Exposition nicht hinaus. Bei Wagenseil jedoch, oft 
auch bei M.G.Monn, sind Thementrennung und 
Durchfiihrungsarbeit weit f ortgeschritten ; auch finden 
sich kantable Themen und vollstandige Reprisen in 
schnellen Satzen. Wagenseil, der Wegbereiter des Wie- 
ner Klavierkonzerts, trat in der W. Sch. zusammen mit 
Gottlieb Muffat als Komponist f iir Tasteninstrumente 
hervor. Auch fur die Geschichte der Oper ist Wagen- 
seil wichtig, neben Fl.Gassmann, der 1771 zusammen 
mit J. Starzer die Wiener Tonkunstler-Sozietat griin- 
dete. - Die Musik der W. Sch. hebt sich von den Kom- 
positionen der mittel- und norddeutschen Zeitgenos- 
sen (-»■ Berliner Schule) durch ihre unorthodoxe, lied- 
haf te, leichte und gefallige Haltung ab. Grundlkhkeit oh- 
ne Pedanterey, Anmuth im Ganzen, noch mehr in einzelnen 
Theilen, immer lachendes Colorit, grofies Verstandnis der 
blasenden Instruments vielleichtetwaszu vielkomisches Salz, 
sind der Charakter der W. Sch. (Schubart, a.a.O.). 
- 2) W. Sch. (auch 2. W. Sch. oder Wiener atonale 
Schule genannt) ist auch eine Bezeichnung fur Schon- 
berg und dessen Wiener Schiilerkreis vornehmlich in 
den Jahren 1903-1 1 . Wahrend dieser Zeit studierten bei 
Schonberg u. a. A. Berg, A.Webern, E.Wellesz, E. 
Stein, K. Horwitz und H. Jalowetz. In der Bezeichnung 
W. Sch. manifestieren sich programmatisch die Ten- 
denzen des Schonberg-Kreises: Sie akzentuiert den 
engen historischen Bezug zur Wiener Klassik, die ent- 
gegen der musikhistorisch ublichen Terminologie als 
die 1. W. Sch. betrachtet wird; Brahms und Mahler 
gelten als die geschichtlichen Vermittler. Der Kompo- 
nist fiihlt sich als ein natiirlicher Fortsetzer richtig ver- 
standener, guter, alter Tradition (Schonberg, Brief an 
W. Reinhart vom 9. 7. 1923); er findet das, was er tut,ge- 
rade in der Musik Mozarts vorgebildetja bestatigt (A. Berg 
in: Was ist atonal?, 1936); kompositorische Originali- 
tat griindet auf geschichtlicher Erfahrung: »ganz neu 
sagen« wollen wir dasselbe, was friiher gesagt wurde (A. 
Webern, Wege zur Neuen Musik, hrsg. v. W. Reich, 
Wien 1960, S. 60). W. Sch. wurde zugleich, wie 
Schonbergs Schiiler betonten, im Sinne einer Gemein- 
schaft verstanden, die unter Fuhrung Schonbergs in 
standiger Reflexion und gegenseitiger Kritik die kom- 
positorischen Probleme der Gegenwart zu losen ver- 
sucht. Als Ergebnis dieses Lehrer-Schiiler-Verhaltnisses 
betrachtete Schonberg seine Harmonielehre (1911): die- 
ses Buch habe ich von meinen Schiilern geternt (Vorwort). 
Indessen ist der ZusammenschluB Gleichgesinnter zur 
Schule auch als Reaktion zu verstehen, sowohl auf die 
starken Widerstande, denen die neue Musik zumal in 
Wien begegnete, als auch auf anders ausgerichtete Ten- 
denzen innerhalb der neuen Musik, von denen man 
sich distanzieren wollte. Dem Unverstandnis in der 
Offentlichkeit versuchte Schonberg durch den 1918 
zusammen mit seinen Schiilern gegrundeten Vereinfiir 
musikalische Privatauffiihrungen auszuweichen. - Die ge- 
schichtliche Leistung der W. Sch. besteht vornehmlich 
darin, daB sie die Tonalitat in ihrer spatromantischen 
Erscheinungsform konsequent zu Ende gedacht und in 
diesem Ende zugleich einen Anfang gefunden hat, der 
sich kompositorisch ab etwa 1907 in der freien -» Ato- 
nalitat auspragte und der um 1920 in der -> Zwolfton- 
technik seine theoretische Formulierung fand. 
Ausg. : zu 1): Wiener Instrumentalmusik vor u. um 1750, 
Vorlaufer d. Wiener Klassik, hrsg. v. K. Horwitz u. K. 
Riedel, Vorwort v. G. Adler, = DTO XV, 2, Bd 3 1 , Wien 
1908 ; dass., 2. Auswahl, hrsg. v. W. Fischer, ebenda XIX, 
2, Bd 39, 1912; G. Reutter d. J., Kirchenwerke, hrsg. v. 
P. N. Hofer, ebenda LXXXVIII, 1952. 
Lit. : zu 1) : Chr. Fr. D. Schubart, Ideen zu einer Asthetik 
d. Tonkunst, Wien 1806 (entstanden 1784/85), NA Lpz. 



1065 



Winchester Troper 



(1924); H. Daffner, Die Entwicklung d. Klavierkonzerts 
bis Mozart, = BIMG II, 4, Lpz. (1906); W. Fischer, Zur 
Entwicklungsgesch. d. Wiener klass. Stils, StMw III, 1915; 
ders., Instrumentalmusik v. 1750-1828, Adler Hdb.; H. 
Riemann, Hdb. d. Mg. II, 3, Lpz. 21922, S. 148ff.; G. Ad- 
ler, Die Wiener klass. Schule, Adler Hdb.; ders., Musik 
in Osterreich, StMw XVI, 1929; E. Fr. Schmid, C. Ph. E. 
Bach u. seine Kammermusik, Kassel 1931, S. 22ff. ; K. 
Geiringer, J. Haydn, Mainz (1959). - zu 2): Beitr. v. A. 
Webern, A. Berg, E. Wellesz u. a., in: A. Schonberg, 
Munchen 1 9 1 2; H. R. Fleischmann, Die Jungwiener Schu- 
le, NZfM LXXIX, 1912; P. Stefan, Neue Musik in Wien, 
Wien 1924; R. Leibowitz, Schoenberg et son ecole, Paris 
1947; H. Schmidt-Garre, Berg als Lehrer, Melos XXII, 
1955; Fr. Deutsch-Dorian, Webern als Lehrer, Melos 
XXVII, 1960; E. Wellesz, Schonberg u. d. Anfange d. W. 
Sen., Osterreichische Musikzs. XV, 1960; Die W. Sch. u. 
ihre Bedeutung f. d. Musikentwicklung. Beitr. u. a. v. J. 
Rufer, W. Reich, ebenda XVI, 1961 ; Th. W. Adorno, 
Wien, in: Quasi una Fantasia, = Mus. Schriften II, Ffm. 
1963; H. Strobel, Die W. Sch., Melos XXX, 1963; H. 
Kaufmann, H. E. Apostel, = Osterreichische Kompo- 
nisten d. 20. Jh. IV, Wien (1965). 

Winchester Troper -» Quell en : WiTr. 

Windkapsel, bei Rohrblattinstrumenten (-»■ Schal- 
mei - 1 , -»- Kortholt, -»■ Krummhorn - 1) oder bei tie- 
fen Lagen der -> Blockflote ein Gehause, in dem die 
Rohrblatter oder die Kernspalte eingeschlossen sind. 
Auch die Mundhohle des Spielers kann als W. dienen 
(-»• Ansatz - 1). Der nach Farbung und Lautstarke nur 
wenig modifizierbare Klang von Blasinstrumenten mit 
W. ist fiir die Ensemblemusik der Renaissance charak- 
teristisch. 

Lit.: G. Kinsky, Doppelrohrblatt-Instr. mit W., AfMw 
VII, 1925. 

Windlade, Bauteil der Orgel, ein groGer luftdichter 
Kasten, auf dem die Pfeifen stehen und in dem die 
Druckluft (Wind) zu den Pfeifen geleitet wird. Eine 
Orgel besitzt meist mehrere Laden. Gebrauchlich ist 
die Aufteilung in eine rechte (fiir C, D, E, Fis . . .) und 
eine linke (fiir Cis, Dis, F, G . . . ). In den Laden sind die 
-»■ Ventile (- 1) untergebracht, mit deren Hilfe der 
Luftstrom gesteuert wird. In der Praxis" werden zwei 
Steuersysteme verwendet : bei der Schleif lade (Tonkan- 



zellenlade) stehen alle Pfeifen, die zu einer Taste geho- 
ren, auf einer gemeinsamen Kanzelle (Abbildung 1). 
Bei der Kegellade (Registerkanzellenlade) befinden 
sich alle Pfeifen, die zu einem Register gehoren, auf 
einer eigenen Kanzelle (Abbildung 2). Beim Auf- 
zug des Ventils der Tonkanzelle (siehe Abbildung 1) 
stromt Luft aus dem Windkasten zunachst in die 
Kanzelle ein. Die auf ihr befindlichen Pfeifen kon- 
nen aber nur dann erklingen, wenn die Bohrungen der 
Schleifen, die von den Registerziigen gesteuert werden, 
die Windfiihrungskanale freigeben. Bei der Register- 
kanzelle (siehe Abbildung 2.) fiillt sich diese nach Ein- 
schaltung des Registers mit Druckluft. Vor den Zuf iih- 
rungskanalen zu den Pfeifen sitzen Ventile (in der 
2. Abbildung Kegel ventile), welche beim Niederdriik- 
ken der Taste angehoben werden und dadurch den 
Weg zu den PfeifenfiiBen offnen. Durch physikalische 
Untersuchungen wurde nachgewiesen, daB bei der 
Tonkanzelle das Ansprechen der Pfeifen einer Taste 
synchronisiert wird, indem z. B. im Plenum die schnel- 
ler ansprechenden Pfeifen hoherer FuBtonlagen die 
Pfeifen tief erer FuBtonlagen »mitnehmen«. DieserEffekt 
beruht in erster Linie auf der Riickkoppelung durch die 
Luft in der Tonkanzelle und bewirkt eine Prazisierung 
des Ansprechens. Bei der Registerkanzelle laBt sich der 
Auf gang der von der Taste gesteuerten Ventile oft nicht 
genau synchronisieren. Es kommt dann zu Modula- 
tionen beim Einschwingen, die sich als Rauhigkeiten 
bemerkbar machen. An der Schleiflade wurde gemes- 
sen, daB es dem Spieler bei mechanischer Tastentraktur 
moglich ist, das Einschwingen der Pfeifen durch die 
Schnelligkeit des Niederdriickens der Tasten (wenn 
nicht zu viele Manuale angekoppelt sind) zu beeinflus- 
sen, mindestens aber am Druckpunkt der Taste zu f iih- 
len, warm die wirksame Offnung des Ventils beginnt. 
Bei elektrischer oder elektropneumatischer ->■ Traktur 
mit iiblichem einfachem Tastenkontakt ist dies nicht 
moglich. Eine historische W. ist auch die Springlade, 
bei welcher die Schleifen durch Ventile unter den 
PfeifenfiiBen ersetzt waren. Eine Weiterentwicklung 
der mechanischen Traktur fiihrte zur Barkerlade (Ab- 
bildung 3), bei der ein Hilfsb'alg die Arbeit des Ventil- 
aufzugs ubernahm. Gelegentlich wird zur Erleichte- 




Ventil 



Windkammer 



zur Taste 



1) Schleiflade (Tonkanzellenlade) mit mechanischer 
Traktur (nach W. Lottermoser). 



1066 



Wirbel 



Registerkanzelle 
Kegetventil 




2) Kegellade (Registerkanzellenlade) mit mechanischer 
Traktur (nach W.Lottermoser). 




& 



W 1 



zur Taste 



— — Spielwind 

SOmmWS 



j-« — Trakturwind 
75 mm WS 



3) Barkerlade (nach W.Linhardt). 



rung des Druckpunkts das Ventil der Schleiflade mit 
einem Hilfsbalg, dessen Inneres mit der Kanzelle ver- 
bunden ist, versehen. Als Ventilelemente, besonders 
bei Registerkanzellen, dienen kleine Hilfsbalgchen, 
Taschenventile, Membranen u. a., durch die der Trak- 
turwind gesteuert wird ; dadurch wird dem Spieler die 
Arbeit der direkten Ventilbetatigung abgenommen. 
Bei diesen Systemen tritt aber ein gewisser Zeitverlust 
auf, besonders bei der rein pneumatischen -> Traktur, 
die deshalb heute kaum noch verwendet wird. 
Lit.: J. G. Topfer, Lehrbuch d. Orgelbaukunst, 2 Bde, 
= Neuer Schauplatz d. Kiinste u. Handwerke CCVIII- 
CCXI, Weimar 1855, neu bearb. v. P. Smets, Mainz 1955- 
60; H. Klotz, Das Buch v. d. Org., Kassel 1938, 'I960; 
W. H. Barnes,. The Contemporary American Org., NY 
1948; N. A. Bonavia-Hunt, The Modern British Org., 
London 1950; W. Adelung, Einfuhrung in d. Orgelbau, 
Lpz. 1955; W. Lottermoser, Akustische Untersuchungen 
an alten u. neuen Org., in: Klangstruktur d. Musik, hrsg. 
v. Fr. Winckel, Bin (1955); H. Grabner, Die Kunst d. 
Orgelbaues, = M. Hesses Hdb. d. Musik CVI, Bin u. Wun- 



siedel 1958; W. Linhardt, Uber 
immvvumuuuiiuuuuuuuuuureT^ I Laden- u. Traktursysteme d. Org. 

u. ihre Einflusse auf d. Ein- u. 
Ausschwingvorgange d. Pfeifen, 
Diss. Braunschweig 1960 (T. H.) 
Auszug in: Hausmitt. Walcker 
Nr 28, 1962. 

Windmaschine, ein Gerausch- 

instrument, im Prinzip ein mit- 

tels einer Handkurbel drehbares 

rundes Holzgeriist (0 etwa 

1 m), das gegen einen dariiber 

gespannten Bezug aus Seide 

oder Taft (besser noch gegen 

eine KontrabaBsaite) schleift, so 

daB ein dem Wind ahnliches 

Gerausch entsteht (schnelles 

Drehen: hoch wie Pfeifen des 

Windes; langsames Drehen: tief 

wie Rauschen; Wechsel zwischen hoch und tief: wie 

Heulen des Windes). Die W., die vor allem Biihnen- 

effekten dient, wurde gelegentlich auch bei sympho- 

nischen Werken vorgeschrieben (R.Strauss, Eine Al- 

pensinfonie, Don Quixote; Ravel, Daphnis et Chloe). 

Windwaage, ein im Orgelbau gebrauchtes Instru- 
ment, das durch das Gegengewicht einer Wassersaule 
den Winddruck, d. h. den Dichtegrad der in den Bal- 
gen und Laden komprimierten Luft mifit. Sie wurde 
von dem Orgelbauer Chr.Forner 1667 erfunden und 
von J. G. Topfer verbessert. 

Wirbel, - 1) drehbare Stifte an alien Saiteninstrumen- 
ten, um die jeweils ein Ende der Saiten gewickelt ist, 
so daB durch Drehen der W. die Saiten gestimmt wer- 
den konnen. Bei Streich- und Zupfinstrumenten mit 
Corpus und Griffbrett sind die W. leicht konische 
Hartholz-(heute meist Ebenholz-)Stifte mit Griff, die 
entweder seitlich in einen Wirbelkasten oder von un- 
ten her in ein Wirbelblatt eingelassen sind. Seitenstan- 



1067 



Wirbeltrommel 



dige W. besitzen alle Violen und Lauten, hinterstan- 
dige Gitarre, Lira, Neapolitanische Mandoline u. a. Die 
W. miissen derart in die konische Bohrung gepreBt 
sein, daB sie der Spannung der Saiten Widerstand lei- 
sten und sich doch weich drehen lassen. An manchen 
Instrumenten (Gitarre, Mandoline, KontrabaB) werden 
heute eiserne W. verwendet, die iiber ein Zahnrad und 
eine selbsthemmende Stellschraube (Schneckenschrau- 
be) zu drehen sind; beim seitenstandigen W. ist die 
Stellschraube hinterstandig (und umgekehrt). Eine 
ahnliche Vorrichtung kennt bereits Praetorius (Synt. II, 
S. 45). - W. ausEisen oder Stahl, heute durchwegs nicht 
mehr mit konischem PreBsitz, sondern von zylindri- 
scher Form und in den -> Stimmstock (- 2) einge- 
schraubt, besitzen u. a. die besaiteten Klavierinstrumen- 
te, Psalterium, Hackbrett, Zither und Harfe. Diese W. 
miissen mit einem -> Stimmschliissel gedreht werden. 
- 2) eine Schlagart auf Pauken und Trommeln, be- 
stehend in einem schnellen Wechsel der beiden Schla- 

gel, notiert als Triller oder Tremolo: J , J* . In der- 
selben Weise wird ein andauerndes Klirren von Becken 
oder Triangel notiert. 

Wirbeltrommel -> Riihrtrommel. 

Wittenberg. 

Lit.: A. Werner, Ein Dokument iiber d. Einfiihrung d. 
»Concerten-Music«, SIMG IX, 1907/08; A. Aber, Die 
Pflege d. Musik unter d. Wettinern, = Veroff. d. Fiirstli- 
chen Inst, f . mw. Forschung zu Biickeburg IV, 1 , Biicke- 
burg u. Lpz. 1921 ; W. Gurlitt, J. Walter . . . , Luther-Jb. 
XV, Miinchen 1933; G. Pietzsch, Zur Pflege d. Musik an 
d. deutschen Univ. . . ., W., AfMf III, 1938; O. Clemen, 
Das Encomium musicae d. J. Holtheuser, AfMf VIII, 1 943; 
A. Boes, Die reformatorischen Gottesdienste in d. W.er 
Pfarrkirche, Jb. f. Liturgik u. Hymnologie IV, 1958/59 u. 
VI, 1961. 

Wolfenbiittel (bei ->■ Braunschweig). 

Lit. : H. Sievers, Die Org. d. ehemaligen SchloBkapelle zu 

W., Beitr. zur Gesch. d. Kirchenmusik in W., Jb. d. Braun- 

schweigischen Geschichtsver. 1934; W. Haacke, Gamben- 

spiel am Hofe August d. J. zu W., ZfM CXI, 1950. -> Bi- 

bliotheken. 

»Wolfsquinte« ->Temperatur. 

Worcester-Fragmente -> Quellen: Wore. 

Worksongs (w's:ksonz, engl., Arbeitslieder), eine der 
altesten und heute noch (allerdings oft in stilisierter 
Form) lebendigen Gesangsgattungen der afroameri- 
kanischen Negerfolklore aus der Sklavenzeit. Typisch 
fur die W, sind ad hoc erfundene kurze Textwendun- 
gen, die, auf der Basis von ->■ Beat (- 1) und -> Off- 



beat vorgetragen, die Bewegungen von Arbeitergrup- 
pen in Einklang bringen sollen, wobei der Beat meist 
durch Werkzeuge (Axte, Hammer) realisiert wird. W. 
wurden u. a. beim Baumwollpfliicken (->• Plantation 
songs), Korndreschen, Holzf alien und beim Eisenbahn- 
bau (railroad songs) gesungen. In der Regel basieren 
die W. auf dem Prinzip des Wechsels zwischen Vor- 
sanger und Chor (call and response ; ->■ Negermusik) ; 
sie lassen deutlich westafrikanische Urspriinge erken- 
nen. Wie die Gattung der Rufe (->• Holler; ->■ Street 
cry), weisen auch die W. samtliche fiir die amerikani- 
sche Negerfolklore wichtigen melodischen und into- 
natorischen Bedingungen (blue notes; ->■ Hot-Into- 
nation), zuweilen auch die emphatisch gesteigerte 
Singweise des -> Shout auf. Sie spielen eine wichtige 
Rolle bei der Entstehung nicht nur des -*■ Blues, der 
Negerballaden und der ->• Negro spirituals, sondern 
auch des friihen ->■ Jazz. 

Lit.: A. M. Dauer, Der Jazz, Kassel (1958); M. Stearns, 
Die Story v. Jazz, Miinchen 1959. 

Worms. 

Lit.: W. Wolffheim, Das Musik-Kranzlein in W. (1561), 
AfMw I, 1918/19; A. Gottron, Die W.er Domorgeln. 
Fs. zur Einweihung d. neuen Domorg. 1940, W. 1940; G. 
Pietzsch, Zur Gesch. d. Musik in W. bis zur Mitte d. 16. 
Jh., Der Wormsgau III, 1956. 

Wiirttemberg. 

Lit. : J. Vleugels, Zur Pflege d. kath. Kirchenmusik in W. 
v. 1500-1650, Diss. Tubingen 1926; L. Wilss, Zur Gesch. 
d. Musik an d. oberschwabischen Klostern im 18. Jh., 
Stuttgart 1926; O. zur Nedden, Zur Friihgesch. d. prote- 
stantischen Kirchenmusik in W., ZfMw XIII, 1930/31 ; A. 
Kriessmann, Gesch. d. kath. Kirchenmusik in W., Stutt- 
gart 1939; Hugo Spechtshart v. Reutlingen, »Flores mu- 
sicae«, hrsg. v. K. W. Gumpel, = Akad. d. Wiss. u. d. Lit. 
Mainz, Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1958, Nr 
3; Fr. Baser, Musikheimat Baden-W., Freiburg i. Br. 1963. 

Wiirzburg. 

Lit. : J. G. W. Dennerlein, Gesch. d. W.er Theaters, 1853; 
O. Kaul, Gesch. d. W.er Hofmusik im 18. Jh., = Franki- 
sche Forschungen zur Gesch. u. Heimatkunde II/III, W. 
1924; E. Federl, Spatma. Choralpflege in W. u. in main- 
frankischen Klostern, Diss. W. 1937; E. Sack, Zur W.er 
Mg. am Anfang d. 17. Jh., Mainfrankisches Jb. XI, 1959. 

Wuppertal (W.-Barmen, W.-Elberfeld). 
Lit.: Das Haus R. Ibach Sohn, Barmen-Koln 1794-1894, 
Barmen 1894; Beitr. zur Mg. d. Stadt W., hrsg. v. K. G. 
Fellerer, = Beitr. zur rheinischen Mg. V, Koln u. Kre- 
feld 1954; H. G. Auch, Gesch. d. W.er u. Schwelmer 
Theaters im 18. u. 19. Jh. (1700-1850), = Die Schaubiihne 
LV, Emsdetten i. W. (1960). 

Wurlitzer-Orgel ->■ Kinoorgel. 

Wurstfagott ->-Rankett. 



1068 



X 



Xanorphika -»■ Bogenfliigel. 

Xocalho (Juk'aAu, port.) ->• Chocalho. 

Xylophon (vpn griech. £uXov, Holz), seit dem 19. Jh. 
eingefiihrte Bezeichnung fiir Schlagstabspiele (Auf- 
schlagidiophone) aus abgestimmten Holzstaben oder 
-brettchen. X.e mit verschiedenen Anordnungen der 
Stabe finden in der auBereuropaischen und in der 
Volksmusik der Alpenlander, als Orchesterinstrument 
und in neuerer Zeit auch in der Schul- und Jugendmu- 
sik Verwendung. - Bei einfachen, diatonisch gestimm- 
ten X.en liegen die Stabe in einer Reihe. In der Volks- 
musik der Alpenlander wurde bis ins 20. Jh. ein chro- 
matisch gestimmtes X. von trapezformigem UmriS 
gespielt, bei dem die Stabe in vier ineinander ver- 
schrankten, auf den Spieler zulaufenden Reihen ange- 
ordnet sind, mit der G dur-Skala in den beiden inneren 
und chromatischen Zwischentonen in den auBeren Rei- 
hen. Diese Anordnung wurde zunachst (in Deutsch- 
land, Osterreich und in Osteuropa) fiir das in der 
Kunstmusik verwendete X. tibernommen, doch be- 
sitzt das Orchester-X. heute iiberwiegend klaviatur- 
maBige Anordnung der Stabe in 2 Reihen quer vor 
dem Spieler, entsprechend den entwickelteren Formen 
der ->• Marimba. Der Anschlag erfolgt durch loffelar- 
tige Kloppel aus Weidenholz, seltener durch kugelfor- 
mige Schlagel. Die Stabe (meist aus Palisanderholz) 
ruhen auf 2 Isolatoren (Stroh- oder Filzrollen, neuer- 
dings auch Gummistreifen). - Im heutigen Orchester 
werden X.e verschiedener Stimmlagen verwendet: 
(Normal-)X. (c^-d*), Sopran-X. (mit gegeniiber dem 
Normal-X. verkiirzter Skala: c^-d3), Tenor-X. (b-d*; 
stets mit Resonanzrohren unter den Staben, daher lin- 
ger und weicher klingend: »Altklang«), BaB-X. (wie 
das Tenor-X., mit Hinzufugung von g und a). Notiert 
wird sowohl transponierend (1 Oktave tiefer) als auch 
klangreal. 

Das X. ist (nach Schaefmer) aus dem Schlagstab bzw. 
-balken hervorgegangen. Primitive Formen sind die in 
Afrika und Ozeanien bekannten Schenkel-X.e (quer 
iiber die Schenkel gelegte Klangholzer) und Erd-X.e 
(iiber einer Erdgrube liegende Stabe) sowie die bei den 
vorcortesianischen Indianern Mittel- und Sudamerikas 
zu Signalzwecken verwendeten X.e (meist 2-3 H61- 
zer, z. B. in Venezuela). In Afrika (»Kaffern-Klavier«, 
-> Marimba) und besonders im hinterindisch-indone- 
sischen Raum (-»■ Gambang kayu) entwickelten sich 
hohere Formen. Bei den afrikanischen X.en sind als 
Resonatoren unter jedem Klangstab Kalebassen ange- 
bracht, bei den indonesischen zumeist trogartige Holz- 
kasten (Trog-X.e). - In der Antike war ein xylophon- 
ahnliches Instrument bekannt, das in Unteritalien auf 



Vasenbildern als leiterf ormiges Gebilde belegt ist ( Weg- 
ner: »Apulisches Sistrum«). Seit dem 15. Jh. ist das X. 
in Europa unter den verschiedensten Bezeichnungen, 
wie Holzernes Gelachter, ->■ Strohfidel, Holzharmoni- 
ka u. a., nachgewiesen ; bei Paradossi (1695) heiBt das 
X. sistro nomato il timpano. Vom f riinen 19. bis zum 
beginnenden 20. Jh. war das X. (auch unter der Be- 
zeichnung Xyloharmonika) ein beliebtes Mode- und 
Varieteinstrument, auf dem reisende Virtuosen (z. B. 
Joseph Gusikow, 1809-37) mit schnellen Lauren, Ter- 
zenpassagen, Glissandi und Trillern brillierten. - Ein 
einfaches diatonisches X. diente Saint-Saens (La danse 
macabre, 1875) zur tonmalerischen Darstellung von 
Knochengeklapper. Seit dem ausgehenden 19. Jh. fand 
das X. in zunehmendem MaBe Aufnahme in die Kunst- 
musik, u. a. bei Humperdinck (Hansel und Gretel, 1893), 
Pfitzner (Die Rose vom Liebesgarten, 1901), G.Mahler 
(6. Symphonie, 1904), R.Strauss {Salome, 1905; hier 
noch als Holz- und Strohinstrument bezeichnet), De- 
bussy (Ibiria aus Images pour orchestre, 1910), Hindemith 
(Kammermusik Nr 1 op. 24 Nr 1, 1921), Puccini (Tu- 
randot, 1926; hier neben anderen auch das BaB-X.), 
Bartok (Sonate fiir 2 Kl. und Schlagzeug, 1937) und 
Orff (z. B. in Antigonae, 1949: 3 X.e und 10 Trog-X.e). 
Orff fiihrte das X. auBerdem in die musikalische Ele- 
mentarlehre ein (Schulwerk, seit 1930). 
Lit. : G. Paradossi, Modo facile di suonare il sistro noma- 
to il timpano, Bologna 1695, Faks. Mailand 1933; O. Seele, 
X.-Schule, Lpz. 1894; Sachs Hdb.; C. Sachs, Geist u. 
Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hilversum 
1965; P. R. Kirby, The Mus. Instr. of the Native Races of 
South Africa, Oxford u. London 1934, Johannesburg21953; 
O. Boone, Les x. du Congo Beige, = Annates du Musee du 
Congo Beige III, III/2, Tervueren 1936; A. Schaeffner, 
Origine des instr. de musique, Paris 1936 ; ders., L'orgue de 
barbarie de Rameau, in: Melanges d'hist. et d'esthetique 
mus. offerts a P.-M. Masson II, Paris (1955); M. Wegner, 
Das Musikleben d. Griechen, Bin 1949; M. Goldenberg, 
Modern School for X., Marimba, Vibraphone, NY 1950; 
A. M. Jones, Indonesia and Africa: The X. as a Culture- 
Indicator, Journal of the Royal Anthropological Inst. 
LXXXIX, 1959; ders., Africa and Indonesia. The Evidence 
of the X. and Other Mus. and Cultural Factors, Leiden 
1964, dazuFr. Bosein: Mf XX, 1967, S.214f.; H. Kunitz, 
Die Instrumentation X (Schlaginstr.), Lpz. 1960. 

Xylorjmba -> Marimba. 

Xylosjstron, ein zu Beginn des 19. Jh. konstruiertes 
Friktionsinstrument, dessen Holzstabe nicht, wie beim 
Xylophon, angeschlagen, sondern angerieben wurden. 
Ahnliche Instrumente von mehr experimentellem Cha- 
rakter sind in der 1. Halfte des 19. Jh. unter den Namen 
Xylharmonikon und Xylomelodichord bekannt ge- 
worden. 



1069 



Yankee Doodle (j'a?rjki d'u:dl, engl.), humorvolles, 
witziges amerikanisches Volkslied, das im 18. Jh. (vor- 
nehmlich wahrend des amerikanischen Unabhangig- 
keitskrieges) als nationales Lied gesungen wurde. Die 
Melodie erschien erstmals im Druck im 1. Heft von J. 
Airds Selection of Scotch, English, Irish and foreign Airs 
(ca. 1778). Leicht abgewandelt, wurde die Melodie in 
S. Arnolds Two to One (1784) und Ch.Dibdins Musi- 
cal Tour, jeweils mit burlesken Texten versehen, auf- 
genommen. Die friiheste amerikanische Version wur- 
de erst 1798 bei G.Willig in Philadelphia (zusammen 
mit dem Prasidentenmarsch Hail Columbia) gedruckt. 
Variationen iiber die Y. D.-Melodie schrieben Anton 
Rubinstein (Miscellanes op. 93, H. 8), H.Vieuxtemps 
(Caprice burlesque op. 17) und D. Gr. Mason (op. 6, In 
the Styles of Various Composers). Auch Dvorak verwen- 
det die Melodie im SchluBsatz seiner 9. Symphonie 
op. 95 »Aus der neuen Welt«. 

Lit. : O. Sonneck, Report on »The Star-Spangled Banner«, 
»Hail Columbian »America Y. D.«, Washington 1909, 
21914; S. F. Damon, Y. D., Providence/R. J. (1959). 

Yaravi (in der Quichua-Sprache harawec bzw. hara- 
hui, s. v. w. Hofphilosoph oder -musiker), ein Inka- 



(Tanz-)Lied, das heute noch in Peru, Bolivien, Ecuador 
und Nordargentinien verbreitet ist. Kennzeichnend 
sind tiefmelancholischer Charakter, Pentatonik, lang- 
sames Tempo (meist im 3/4-Takt) und freie Form. 
Seine heutige Bedeutung verdankt der Y. dem perua- 
nischen Dichter Mariano Melgar (1791-1814), der iiber- 
lieferten Y.-Melodien Strophentexte unterlegte. Teil- 
weise nahert sich der Y. in seinem rhythmischen Schema 
dem argentinischen -*■ Tango. 

Yu, altes chinesisches Schrapinstrument, das einen auf 
einem Resonanzkasten kauernden Tiger darstellt. An 
den auf dem Riicken des Tigers angebrachten Schrap- 
zahnen wird mit einem Bambusrohr, das mehrfach 
aufgeschlitzt ist, kraftig entlanggestrichen. Im konfu- 
zianischen Tempel verkiindet das Ertonen des Yii das 
Ende einer rituellen Lesung oder einer Zeremonie. 
Lit.: W. Danckert, Der Tiger als Symboltier d. Musik in 
Altchina, Zs. f. Ethnologie LXXXIII, 1958. 

Yiin-lo, chinesisches -> Gong-Spiel, dessen 1 verschie- 
den gestimmte bronzene Klangscheiben vertikal in ei- 
nem Holzrahmen hangen (ca. 70 cm hoch, 40 cm breit). 
Das Yiin-lo wurde in Tempel und Palast verwendet. 
Altere Formen hatten bis zu 24 Einzelgongs. 



1070 



Zasur (von lat. caesura, Schnitt), in der antiken Vers- 
lehre (-»■ Metrum - 1) ein Verseinschnitt innerhalb ei- 
nes Versf ufies ; in der deutschen Verslehre jeder deutlich 
gliedernde Einschnitt in einem Vers. - In analoger Be- 
deutung dienen Z.en in der Musik als Interpunktions- 
mittel zur Abgrenzung bzw. Innengliederung musika- 
lischer Sinneinheiten (Motiv, Thema, Periode, Ab- 
schnitt) ; primar erscheinen sie als Pausen {-*■ Suspiri- 
um), konnen aber auch durch Fermaten, Phrasierung, 
Harmonik, Dynamik, Instrumentation usw. ausge- 
driickt werden. Z.en konnen in alien Stimmen zugleich 
oderin denEinzelstimmen ungleichzeitig auftreten; sie 
konnen hervorgehoben oder (z. B. durch ->■ Verschran- 
kung) verdeckt werden. Das Hauptthema von W. A. 
Mozarts Klaviersonate C dur, K.-V. 309, zeigt eine 
deutliche Gliederung der ersten 8 Takte in 2+6 durch 
gegensatzliche Faktur (Unisoni - begleitete Oberstim- 
me), Dynamik und kontrastierenden Melodieverlauf ; 
die Z. (Viertelpause des 2. Taktes) wird dadurch inner- 
lich iiberspielt, dan der erste Ton (g 2 ) nach der Z. eine lo- 
gische Folge der Dreiklangsbrechung des Anfangs ist. 



Allegro con spirito 




Besonders starke Einschnitte entstehen aus einem jahen 
Abbrechen (-»• Abruptio). Solche Z.en sind charakteri- 
stisch fiir den Spatstil Beethovens (z. B. Grqfie Fuge op. 
133, Takt 659 und 662) ; an Hohepunkten von Opern- 
szenen dienen sie - haufig stark kontrastierend als Ge- 
neralpausen - der Steigerung des dramatischen Aus- 
drucks (z. B. Schonberg, Erwartung op. 17, Takt 158; 
Strauss, Salome, vor Ziffer 314). - W. C.Printz nennt 
Z. sowohl einen Musicalischen Durchschnitt oder kleincn 
Unterschied . . ., vcrmittelst welches der Progressus Nota- 
rum gleichsam ein wenig gehemmet wird, als auch den da- 
durch abgesonderten Theil der Section (eine solche Dop- 
pelbedeutung der Begriffe ist schon in der mittelalter- 
lichen Abschnittsterminologie zu beobachten ; ->• Punc- 
tus - 1). In dem bei Printz ge- Q A 
gebenenBeispiel: (£ (? fr 7 I fj f m 



c \ 




D k 


E 


B 


£ ^' J* J Jn 1 










xv r — »■ 4 











hat die gantze Section AB 3 Z.en der ersten Bedeutung 
(C, D, E) und 4 Z.en der zweiten Bedeutung (AC, CD, 
DE, EB); von den letzteren sind AC, CD und DE 
Caesurae relativae, da sie einander an der Zeit und Modo 
progrediendi gleich sind. Bei H.Chr.Koch nimmt der 
Begrift Z. in enger Anlehnung an Rhetorik und Poesie 
einen wichtigen Platz ein, wobei KochL (Artikel Ca- 
sur) - unter Ablehnung Kimbergers - unterscheidet 



zwischen dem Einschnitt (kleinste Gattung der melodi- 
schen Glieder der Periode) und der Z., welche insbeson- 
dere das rhythmische Ende der Tonschliisse, Absatze und 
Einschnitte bezeichnet. 

Lit. : W. C. Printz, Phrynis oder Satyrischer Componist, 
Quedlinburg 1676, Bd II als Phrynis Mitilenacus . . . , Sagan 
1677, Bd III (zusammen mit NA v. Bd I— II), Dresden u. 
Lpz. 2 1696; J. Ph. Kirnberger, Die Kunst d. reinen Satzes 
in d. Musik I, Bin 1771 ; J. A. Scheibe, Ober d. mus. Com- 
position, Lpz. 1773; H. Chr. Koch, Versuch einer Anlei- 
tung zur Composition, I Rudolstadt 1782, II— III Lpz. 
1 787-93 ; Z. Lissa, Die asthetischen Funktionen d. Stille u. 
Pause in d. Musik, StMw XXV, 1962; Th. W. Adorno, 
Spatstil Beethovens, in: Moments musicaux, Ffm. (1964). 

RB 
Zagreb. 

Lit.: B. Breyer, Das deutsche Theater in Z., 1780-1840, 
Diss. Z. 1938; J. Andreis, Hrvatski glazbeni zavod (»Das 
Kroatische Musikinst.«), Z. 1952; Kr. Kovacevic, Operno 
i baletno stvaralastvo u Hrvatskoj (»Oper- u. Ballettschaf- 
fen in Kroatien«), in: Hrvatsko narodno kazaliSte, Zbor- 
nik o stogodiSnjici 1860-1960, Z. 1960; Z. Hudovsky, 
Beitr. zur Mg. d. Stadt Z. v. 11. bis zum Ende d. 17. Jh., 
Diss. Graz 1964, maschr. 

Zamba (s'amba, span.-sudamerikanisch), argentini- 
sches Tanzlied im 6/8-Takt von langsamem Tempo; 

Rhythmusschema: gvJJJ/llJJJl 
o 

Zambacueca (sambakii'eka, span.-siidamerikanisch), 

Nationaltanz und -lied Chiles, in raschem Tempo und 

mit Wechsel von 6/8- und 3/4-Takt. Der Z. entstam- 

men die argentinischen Tanze -> Zamba und -* Cueca. 

Zampogna (tsamp'o:jia, ital., zuruckgehend auf 
griech. tru(X9tovia) in Siiditalien und Sizilien gebrauch- 
liche Sackpfeife mit 2 Spielpfeifen im Abstand einer 
Quarte und 2 Bordunen im Abstand einer Oktave; alle 
Pfeifen haben Doppelrohrblatter. Die Melodie wird 
meist in Terzen gespielt; zur Z. tritt oft eine Schalmei 
(Ciaramello, Piffero). Die Z. ist ein Hirteninstrument ; 
die traditionelle Weihnachtsmusik der Zampognari und 
Pifferari haben u. a. Handel (Messiah, als Pifa bezeich- 
net) und J. S. Bach (Sinf onia zur 2. Kantate des Weih- 
nachtsoratoriums) nachgeahmt. 
Lit. : V. Fedeli, Zampognecalabrese, SIMG XIII, 1911/12; 
A. Baines, Woodwind Instr. and Their Hist., London 1957; 
ders., Bagpipes, = Occasional Papers on Technology IX, 
Oxford 1960. 

Zamr (arabisch) -> Zurna. 

Zanza -> Sansa. 

Zapateado (9apate'a3o, span.), ein schneller spani- 
scher Tanz im 6/8-Takt, bei dem der Rhythmus durch 
Klatschen der Hande und Schlagen der Schuhsohlen 
markiert wird. Der Z. wird solistisch von einer Frau 
getanzt und gelegentlich von Gesang und Gitarre be- 
gleitet. 

Zapfenstreich (»Zapfenschlag«; frz. retraite; engl. tat- 
too; ital. ritirata; nld. taptoe; russ. zarja). Der Schlag 



1071 



Zargen 



auf den Zapfen, der das SchenkfaB schloB, wurde im 
Soldatenlager (im spateren 17. Jh. auch in Stadten) 
durch ein Signal befohlen, bei den FuBtruppen ein 
Trommelsignal, spater Signalhornruf, bei der Reiterei 
eine Fanfare (Retraite). Im 17. Jh. entwickelte sich als 
Z. nebenher ein kleiner Marsch, mit dem die Spielleute 
durch das Lager zogen. Von dieser Art sind Beetho- 
vens 3 Z.e fur tiirkische Musik (1809). Der GroBe Z., 
als Vereinigung der Z.e einzelner Heeresgattungen, 
entstand in PreuBen im friihen 19. Jh. und wurde von 
Wieprecht herausgegeben. 1813 ordnete Friedrich Wil- 
helm III. an, nach dem Vorbild des russischen Z.s ein 
geistliches Lied (Gebet) anzufiigen. Der GroBe Z. um- 
fafit heute : Locken zum groBen Z. (Spielleute) ; GroBer 
Z. (Musikkorps) ; Z. der berittenen Truppen (3 Posten) ; 
Zeichen zum Gebet, Gebet, Abschlagen nach dem Ge- 
bet; Deutschlandlied. Statt des preuBischen Z.s kann 
der bayerische oder sachsische (als Schopfer gilt C. M. v. 
Weber) gewahlt werden. Als Gebet wird Ich bete an die 
Macht derLiebe (von Tersteegen/Bortnjanskij) gespielt, 
in Bayern das Militargebet von Aiblinger. - GroBer Z. 
ist auch ein GroBkonzert als ManoverabschluB oder 
»Militar-Monstre-Konzert«, in dem nach einer »Sere- 
nade« mit Konzertblasmusik der GroBe Z. den Hohe- 
punkt bildet. Wieprechts erstes GroBkonzert fand 1838 
in Berlin statt, Andreas Leonhardts GroBer Z. 1853 in 
Olmiitz. Vorlaufer hatten solche Veranstaltungen 1730 
im Lager zu Zeithayn (Sachsen) und 1835 beim rus- 
sisch-preuBischen Treffen in Kalisch. 
Lit. : G. Kandler, Aus d. Gesch. d. GroBen Z., Deutsche 
Militar-Musiker-Zeitung, LXII, 1940; ders., Z. d. Natio- 
nen (Deutschland, USA, England, Frankreich), Giiters- 
loh 1961. 

Zargen (ahd., schmaler Schild, auch Schildrand; ger- 
manische Grundbedeutung Rand, Einfassung; ital. fa- 
scie; frz. eclisses; engl. ribs) sind bei Musikinstrumenten 
die Seitenwande, z. B. bei Saiteninstrumenten und 
Trommeln. Instrumente mit gebauchtem Corpus (Lau- 
te, Pauke) haben in der Regel keine Z. ; eine Ausnahme 
bildet die -> Chitarra battente. 

Zarzuela (Sarou'ela, span.) eine spanische Gattung von 
Biihnenstiicken, benannt nach dem Ort ihrer ersten 
Auffiihrungen, dem koniglichen LustschloB Palacio de 
la Z. Als ihr literarischer Schopfer wie auch Meister 
muB Calderon de la Barca angesehen werden, von dem 
die Libretti zu Eljardin de Falerina, Elgolfo de las Sirenas, 
El laurel de Apolo und Celos, aun del aire, matan stammen 
(Musik nur zum letzteren iiberlief ert) . In der Z. wechselt 
Gesang (Solo und Chor) mit gesprochenem Dialog. Als 
eine Sonderform des hofischen Festspiels (fiesta) bevor- 
zugte sie my thologische undheroische Stoffe und prunk- 
volle Auffiihrung. Vorformen der Z. sind u. a. dieEglo- 
gas vonEncina. Als Komponisten im 17./18. Jh. konnen 
genannt werden (wenngleich ihre Kompositionen meist 
nicht erhalten sind): J.Hidalgo, S.Duron, A.Literes, 
Rodrigez de Hita (La Briseida, 1768), Esteve, Gal van, 
Rosales und die Italiener Brunetti und Boccherini; als 
Librettisten neben Calderon: Diamante, Zamora, Ban- 
ces Candamo, Ramon de la Cruz. - Im Laufe des 18. Jh. 
wurde die Z. durch den EinfluB besonders der italieni- 
schen Oper zuriickgedrangt und geriet in Vergessen- 
heit. Wiederentdeckung und erneuter Auf schwung der 
Z. um die Mitte des 19. Jh. erfolgten durch R.J. M. Her- 
nando und E. Arrieta y Corera. Fur die Z. ist urspriing- 
lich die Einteilung in 2 Akte (jornadas) typisch; im 
19. Jh. wurde sie zur 3aktigen Z. grande erweitert. In 
Stil und Inhalt naherte sie sich jetzt dem einaktigen 
burlesken -> Genero chico. Seit Fr. A.BarbierisH bar- 
berillo de LavapUs (1874) ist die spanische Folklore als 
grundlegendes Element einbezogen. Dem 1856 in Ma- 



drid eroffneten und noch heute bestehenden Teatro de 
la Z. folgten eine groBe Reihe weiterer, nur fiir Auf- 
fiihrungen von Z.s bestimmter Theater. Bekannte 
Komponisten der neueren Z. sind u. a. M.Fernandez 
Caballero, F.Pedrell, T.Breton, R.Chapi y Lorente, 
I.Albeniz, A. Vives. 

Lit. : R. Hernando, Prologo de la z. »Colegialas y solada- 
dos«, Madrid 1849; M. Soriano Fuertes, Hist, de la mii- 
sica espanola, 5 Bde, Madrid u. Barcelona 1855-59; A. 
Pena y Goni, La opera espanola y la miisica dramatica en 
Espaiia en el s. XIX, Madrid 1881-85; E. Cotarelo y 
Mori, Hist, de la z., Madrid 2 1934; O. Urspruno, »Celos 
aun del tire matan«, Fs. A. Schering, Bin 1937; G. Chase, 
Origins of the Lyric Theater in Spain, MQ XXV, 1939; 
J. Subir a, Hist, de la musica teatral en Espaiia, in : Colec- 
cion Labor, Barcelona 1945; M. Mufioz, Hist, de la z. y 
del genero chico, Madrid 1946; R. Mindlin, DieZ., Zurich 
1965. 

Zeichen (lat. -> signum, nota, figura; ital. segno, fi- 
gura; frz. signe, figure; engl. symbol, sign, mark). Im 
Unterschied zur -*■ Buchstaben-Tonschrift weist die 
heutige -> Notenschrift als wichtigsten Bestandteil die 
-> Noten auf, konventionelle graphische Ton-Z., die 
aus den ->■ Neumen (- 1) entwickelt wurden. Zum 
Grundbestand der Notenschrift gehbren ferner fol- 
gende Z.: -*■ Pausen, -»■ Mensur-Z. und -> Takt-Z., 
-» Schliissel, -> Akzidcntien sowie -»■ Punkte und 
->■ Bogen (- 1). Genauere Vorschriften fiir bestimmte 
Spiel- oder Gesangsarten sowie fiir -> Artikulation, 
-> Phrasierung, -> Dynamik (- 1) und ->• Agogik wer- 
den durch zusatzliche Worter (-> Vortragsbezeich- 
nungen), -*■ Abbreviaturen oder durch Z. gegeben; 
die wichtigsten dieser Z. sind: 
rs \i/ /r\ Vy -> Fermate 

-> Segno 

= Wiederholung (-> Reprise) 

= prima volta, seconda volta 
(->■ primo) 

= Wiederholung eines Taktes 
oder einer Figur (->• Abbre- 
viaturen - 3) 

* f f f # = Tonrepetition (-» Abbrevia- 

° s " turen - 4) 

Brillenbasse (-> Abbrevia- 
turen - 5) 

Tremolo (- 1 bis - 3) 

Wirbel (- 2; auf Schlagin- 

strumenten) 

crescendo 

decrescendo, -*■ diminuendo 

Messa di voce 

glissando auf- und abwarts 
Abbreviatu- 



strisciando (- 
ren - 8) 

Arpeggio (auf warts), Ar- 
peggio auf- und abwarts 

Pedal (- 2) 

Abstrich 

Aufstrich (->■ Abstrich) 

Flageolett (- 3), Falsett 




2. 




P * ■$•[ 



]JJ]J 



1072 



Zeitschriften 



J M i> 




-> Melodram 


i 




= halb gesungen 


1 h h 




= rhythmisch gesprochen 


J J J J J J J J 


-> Bogen (- 1), ->• legato, 

-> Phrasierung 
-> portato 






= non legato (-> legato) 

->- staccato 

-> Aspiration (- 2) 


> V A 




-> Akzent (- 3) 


/ i 
n u 




= agogischer Akzent (-» Ago- 

gik) 
= betont (wie ein guter Takt- 

teil) 
= unbetont (wie ein schlechter 

Taktteil) 
= 2 Zahlzeiten 


•i A 




= 3 Zahlzeiten 


FT 1 P 


1 


= Hauptstimme, Principal part 


NT 1 S 
RH~ 1 


1 


= Nebenstimme, Subordinate 
part 

= Hauptrhythmus 


? / 




-> Komma (- 2) 


i ii 




= Lesezeichen (-> Phrasierung) 

-> Bogen (- 1), Ligatur, 
-»■ Phrasierung 


i i 





An Ton-Z. sind ferner zu nennen der -> Custos (/, 
»/) und die Z. fiir -> i (b, lo)- - Bezeichnungssysteme 
mit zum Teil eigenen Z. gelten in der -> Tabulatur (-1), 
im ->• Generalbafi (z. B. 5, -> Telemanns Bogen), in 
der Harmonielehre (-> Funktionsbezeichnung, ->■ Stu- 
f enbezeichnung) , in Neuausgaben alterer Musik (-> Edi- 
tionstechnik) sowie in Transkriptionen von Schall- 
aufnahmen europaischer Volksmusik und aufiereuro- 
paischer Musizierpraxis. In der Neuen Musik werden 
beim Schlagzeug Z. fiir die verschiedenen Instrumente 
und Arten der Klangerzeugung benotigt (vgl. K. 
Stockhausen, Zyklusfiir einen Schlagzeuger, 1959). Die 
Zahl und Bedeutung der Z. ist in der neuesten Musik 
seit 1950 stark gewachsen. Auch ihr Verhaltnis zu den 
Ton-Z. hat sich gewandelt. In vielen Fallen notiert 
nunmehr der Komponist Tonhohen, Klange und Ton- 
folgen nicht mehr prazis oder iiberlafit ihre Wahl ganz 
dem Ausf uhrenden ; dagegen bezeichnet er Vorgange, 
die im traditionellen Notenbild als zusatzliche Bestim- 
mungen der Klangfolge von untergeordneter Bedeu- 
tung waren (z. B. Tempo veranderungen), durch ge- 
naue Vorschrif t mit eigenen Z. als Formelemente, die fiir 
den Sinnzusammenhang des Werkes grundlegend sind. 
Dabei wird vielfach nicht die Ausbildung neuer kon- 
ventioneller Spielweisen angestrebt, sondern der Kom- 
ponist erfindet fiir jedes Werk neue Z., die so genau 
auf diesen einen Fall abgestimmt sind, dafi ihre Obertra- 
gung in andere Kompositiorien sinnlos ware. 
Sine besonders ausgepragte Z.-Schrift hat sich seit dem 
16. Jh. fiir die -*■ Verzierungen entwickelt. Die wich- 
tigsten Z. hierfiir sind: 






* 



«r 



HI' 



Triller 
• Triller 

■ Triller 

■ Mordent, -*■ Triller 
Mordent, -> Schneller 
Vorschlag 
Doppelschlag 

Double cadence (->■ Doppel- 
schlag) 

Pralltriller und -> Doppel- 
schlag 

Schleifer 



ondeggiando 
ondeggiando, - 

Bebung 

Arpeggio mit 
tura 



portato 



Acciacca- 



fr tl / + 



Triller 
Triller 



Lit. : S. Palm, A. Kontarsky u. Chr. Caskel in : Notation 
Neuer Musik, hrsg. v. E. Thomas, = Darmstadter Beitr. 
zur Neuen Musik IX, Mainz ( 1 965) ; E. K arkoschka, Das 
Schriftbild d. neuen Musik, Celle (1966). 

Zeitschriften, musikalische, sind periodische Schrif- 
ten, die Aufsatze aus dem Bereich der Musik veroffent- 
lichen, Auffiihrungen und Neuerscheinungen bespre- 
chen und iiber aktuelle musikalische Ereignisse infor- 
mieren. Sie konzentrieren sich heute teilweise auf be- 
stimmte Interessengebiete, z. B. Musikwissenschaft 
(Die Musikforschung; Archivfiir Musikwissenschaft), neue- 
ste Musikentwicklung (Melos), Musikerziehung (Mu- 
sik im Unterricht). Nicht unter den Begriff der musika- 
lischen Zss. fallen Subskriptionslieferungen, periodi- 
sche Publikationen, die seltener als zweimal jahrlich er- 
scheinen (-> Jahrbiicher, Almanache, Kalender), sowie 
reine Werbetrager (z. B. Verlagsorgane). - Das Be- 
griffswort Zs. wurde im 17. Jh. im Sinne von annalisti- 
scher Geschichtsdarstellung, Chronik, Flugschrift ge- 
braucht; ab Ende des 18. Jh. setzte es sich (als Uber- 
setzung von frz. journal) in der bis heute gebrauchli- 
chen Bedeutung durch. Innerhalb musikalischer Perio- 
dika findet es sich zuerst im Titel Neue musicalische Zs. 
fiir 1791 zur Beforderung einsamer und geselliger Unterhal- 
tung (hrsg. von Chr. G. Thomasius, Halle 1790). Gleich- 
bedeutende Titel in Deutschland sind z. B. Acta, Ana- 
lecta oder Zeitung, Abhandlungen, Archiv, Beitrage, 
Monatsschrift u. a. 

Den Anfang des allgemeinen Zeitschriftenwesens in 
Deutschland bilden die fiir einen gelehrten Fachkreis 
bestimmten Journale enzyklopadischen Charakters : die 
Miscellanea curiosa medico-physica (Lpz. 1670-79, 1682- 
91, 1694-1706) und die gleichfalls in lateinischer Spra- 
che erschienenen Acta Eruditorutn (Lpz. 16820.Mencke, 
-1776; ab 1732 unter dem Titel Nova actaEruditorum), 
eine Monatsschrift (auch mit Buchbesprechungen und 
aktueller wissenschaftlicher Berichterstattung), die als 
erste wirkliche Zs. Deutschlands anzusehen ist. Vorbild 
waren das von der Pariser Academic francaise heraus- 
gegebene Journal des Scavans (Paris 1665ff. J.-D. de Sal- 
lo) und die ebenfalls 1665 erstmals erschienenen Philo- 
sophical Transactions der Royal Society in London. - Im 
Zeichen der Aufklarung und als Folge der regeren An- 
teilnahme des Burgertums an den geistigen Bestre- 



68 



1073 



Zeitschriften 



bung en der Zeit trat als neue Zeitschriftengattung im 
friihen 18. Jh. die moralische Wochenschrift in den 
Vordergrund, deren Schopfer die Englander R. Steele, 
D.Defoe und J.Addison waren (The Taller, 1709-11; 
The Spectator, 1711-12 und 1714; The Guardian, 1713; 
alle hrsg. von R.Steele und J.Addison in London). 
Steele und Addison veroffentlichten in ihren Zss. auch 
groBere Aufsatze iiber Musik. Die erste moralische 
Wochenschrift in Deutschland war Der Vernunfftler 
(Hbg 1713-14, 100 Stiicke), hrsg. v. J.Mattheson, 
der dann mit seiner Critka Musica (Hbg 1722/23 und 
1725, nach dem Vorbild der Acta Eruditorum, Nach- 
druck Amsterdam 1964, Nachdruck in 1 Bd ebenda 
1966) auch die erste musikalische Zs. herausgab. Sie ist 
zugleich die erste Fach-Zs. auf kiinstlerischem Gebiet, 
nachdem seit Beginn des 18. Jh. bereits historisch-poli- 
tische, geschichtliche und theologische Fachblatter ent- 
standen waren. Mattheson begriindete die Erschei- 
nungsweise der Critka Musica per intervalla damit, daB 
bey heutiger Mode j gar selten ein games Buch; lekht aber 
ein paar monathlkhe Bogen / aus / und recht zu Ende gelesen 
werden. Den EinfluB der moralischen Wochenschriften 
auf die ersten Musik-Zss. zeigt besonders deutlich Mat- 
thesons zweite musikalische Zeitschrif tengriindung : 
Der musicalische Patriot (Hbg 1728), in dem er die sittli- 
che Erziehung des Lesers zum Programm erhebt, da 
keiner im Grunde einguter Musicus sein kann, der nkht zu- 
gleich ein tugendhafter und wohlgesitteter Mann ist. Die 
musikalischen Zss. in Deutschland bis 1766 gehen in 
ihrer Anlage und Erscheinungsweise auf die Critka Mu- 
sica zuriick: J. A.-* Scheibe, Critischer Musicus, Hbg 
1737-40, 78 Stiicke, 2. vermehrte Auflage Lpz. 1745, 
Nachdrucke Stuttgart 1966 u. Hildesheim 1967; L. Chr. 
Mizler, Muskalischer Staarstecher, Lpz. 1739-40, 7 H., 
monatlich; ders., Neu erqffnete Musikalische Bibliothek, 
oder grundliche Nachricht nebst unpartheyischem Urtheil von 
musikalischen Schriften und Buchern, 4 Bde, Lpz. 1736- 
54, Nachdruck Hilversum 1967; Fr. W.Marpurg, Der 
critische Musicus an der Spree, Bin 1749-50, 50 Lieferun- 
gen, wochentlich, Nachdruck Hildesheim 1967; ders., 
Historisch-kritische Beytrage zur Aufnahme der Musik, 5 
Bde zu je 6 Lieferungen, Bin 1754-62 und 1778, Nach- 
druck Hildesheim 1967; ders., Kritische Briefe iiber die 
Tonkunst, 3 Bde, Bin 1759-64, Nachdruck in 2 Bden 
Hildesheim 1967. Diese Zss. waren in weiten Partien 
jeweils das Werk eines einzelnen, daher noch nicht auf 
unbegrenzte Periodizitat ausgerichtet ; sie erschienen 
meist unregelmaBig, jedoch mit betrachtlichem Um- 
fang und hatten normales Buchformat. - Im iibrigen 
Europa gab es musikalische Fach-Zss. erst nach der 
Mitte des 18. Jh. (Frankreich: Sentiment d'un harmoni- 
phile sur differents ouvrages de Musique, hrsg. von M. A. 
Laugier, Paris 1756; GroBbritannien : The Review of 
New Musical Publications, hrsg. von Th. Williams, Lon- 
don 1784) ; vorher und daneben wurden musikalische 
Aufsatze, Nachrichten und Notenbeilagen in allge- 
meinen Zss. veroffentlicht (The Gentleman's Journal; 
or, the Monthly Miscellany, hrsg. von P. A.Motteux, 
London 1692-94;Le Mercure Galant, Paris 1672ff., fort- 
gefiihrt als Mercure de France, Paris 1724-1820) oder 
erschienen als Beilage zu periodisch erscheinenden 
Musikalien (-> periodique). 

Unter den zahlreichen Neugriindungen in Deutschland 
im spateren 18. Jh. sind vor allem die von J. A. Hiller 
anonym im Selbstverlag herausgegebenen Wbchentli- 
chen Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend 
(Lpz. 1766-69, 4. Jg. 1770 unter dem Titel Musikalische 
Nachrichten und Anmerkungen; Nachdruck in 5 Bden 
Hildesheim 1967) fur die weitere Entwicklung der 
Musik-Zss. wichtig geworden. Sie unterscheiden sich 
von ihren Vorgangern durch groBeres (Quart-)Format 



und regelmaBiges (w6chentlicb.es) Erscheinen bei ge- 
ringerer Seitenstarke. Neu und fortschrittlich ist auch 
die systematische Teilung des Inhaltes in Korrespon- 
denzen (Nachrichten, Rezensionen) und freie Aufsatze. 
An weiteren Zss. dieser Jahre seien genannt: Musika- 
lisch-kritische Bibliothek (hrsg. von J. N. Forkel, 3 Bde, 
Gotha 1778-79, Nachdruck in 1 Bd Hildesheim 1964) ; 
Magazin der Musik (hrsg. von C. Fr. Cramer, Hbg 1783- 
86, fortgefuhrt unter dem Titel Musik, Kopenhagen 
1788-89, Nachdruck in 4 Bden und 1 Bd Notenbei- 
spiele Hildesheim 1967). - In Berlin wurde das mu- 
sikalische Zeitschrif ten wesen gegen Ende des 18. Jh. 
entscheidend gepragt durch die schriftstellerische Ta- 
tigkeit und die Zeitschrif tengriindungen von J. Fr.Rei- 
chardt. War Hiller noch in starkerem MaBe Chro- 
nist des Musiklebens seiner Zeit, so begriindete Rei- 
chardt mit seinen Auf f iihrungs- und Werkbesprechun- 
gen im Musikalischen Kunstmagazin (Bin 1782 und 1791 , 
2 Bde mit je 4 Stiicken; die von Reichardt uberarbei- 
teten Aufsatze erschienen als Geist des Musikalischen 
Kunstmagazins, hrsg. von J. Alberti, Bin 1791) die Mu- 
sikkritik im heutigen Sinne. Um den Kunstverstand 
seiner Leser zu fordern, besprach und verglich er aus- 
fiihrlich in einer regelmaBigen Rubrik (Merkwurdige 
Stiicke grofier Meister verschiedener Zeiten und Volker) 
Kompositionen von Palestrina bis J. S.Bach. Als Neue 
merkwurdige musikalische Werke stellte Reichardt zeit- 
genossische Kompositionen vor, u. a. von C.Ph.E. 
Bach, Fr.Kuhlau und D.G.Tiirk; auch zahlreiche ei- 
gene Kompositionen erschienen in dieser Zs. Rei- 
chardts zweite Zeitschrif tengriindung (mit Fr.L. A. 
Kunzen), das Musikalische Wochenblatt (Bin, Oktober 
1791 bis Marz 1792, 24 Stiicke; umgewandelt in Musi- 
kalische Monatsschrift, 6 H. bis Dezember 1792; zusam- 
mengefaBt in 1 Bd als Studienfiir Tonkiinstler und Mu- 
sikfreunde. Eine historisch-kritische Zs., Bin 1793), wid- 
mete sich in kurzen Beitragen und in Veroffentlichung 
von Kompositionen vor allem dem zeitgenossischen 
Musikleben und wurde mit Unterstiitzung verschie- 
dener Mitarbeiter (darunter Kunzen, C. Spazier) nun 
innerhalb eines bereits bestehenden Verlages durchge- 
fiihrt. Reichardts Berlinische Musikalische Zeitung. (Bin 
1805-06, 156 Nrn) erschien im Umfang eines halben 
Bogens zweimal wochentlich. Reichardt war auBerdem 
Mitarbeiter an verschiedenen anderen Zss., u. a. an der 
Berlinischen musikalischen Zeitung, historischen und kriti- 
schen Inhaltes (hrsg. von J. G.K. Spazier, Bin 1793-94) 
und an der Allgemeinen musikalischen Zeitung (AmZ). 
Die musikalischen Zss. nahmen seit Ende des 18. Jh., 
um ihre Publizitat und Aktualitat zu steigern, immer 
starker Zeitungscharakter an. Ihr Ziel wurde die Bil- 
dung und Beeinflussung der offentlichen Meinung auf 
musikalischem Gebiet. Die Allgemeine musikalische Zei- 
tung (Lpz. 1798, Fr.Rochlitz, -1848, 1863-65: Deutsche 
Musikzeitung, 1866-82: [Leipziger] Allgemeine musika- 
lische Zeitung, 1883-1943: Allgemeine deutsche Musik- 
Zeitung, Nachdruck der Jg. 1798-1848 in 51 Bden Hil- 
versum 1966) errang als erste Musik-Zs. internationales 
Ansehen und konnte, finanziell gesichert durch einen be- 
deutenden Verlag (Breitkopf & Hartel bis 1865), zufol- 
ge eines groBen Mitarbeiterstabes und eines standig 
wachsenden Leserkreises mehrere Jahrzehnte bestehen. 
In den ersten beiden Jahrzehnten ihres Erscheinens besaB 
sie unter ihrem ersten Herausgeber Rochlitz in alien mu- 
sikalischen Fragen hochste Autoritat und weitreichen- 
den EinfluB. Korrespondenten in etwa 50 europaischen 
Stadten sorgten fur einen umfassenden Nachrichten- 
dienst. Der Zs. war ein musikalisches »Intelligenzblatt« 
mit Verlagsanzeigen, Theater- und Konzertankiindi- 
gungen, Verkaufsangeboten und Inseraten beigefiigt. 
Mitarbeiter dieser Zs. waren u. a. Forkel, J. A. Hiller, H. 



1074 



Zeitschriften 



Chr. Koch, Reichardt, Spohr, Turk und R. Schumann. . 
Die AmZ ist eine wichtige Quelle fur die zeitgenossi- 
sche Beurteilung der um 1800 lebenden Komponisten; 
bedeutend sind vor allem die Beethoven-Rezensionen 
von E. T. A. Hoffmann. 

Die im Kreis um R. Schumann 1833 als Organ der Da- 
vidsbiindler geplante und 1834 gegriindete Neue Leip- 
ziger Zs.fiir Musik. Herausgegeben durch einen Verein von 
Kiinstlem und Musikfreunden (Fr. Wieck, L. Schunke, J. 
Knorr, E. Ortlepp; ab 1835 hrsg. von R. Schumann) ist 
die alteste noch heute (unter dem Titel Neue Zs.fiir Musik 
bei Schott in Mainz) erscheinende Musik-Zs. ihre Griin- 
dung richtete sich gegen die kunstlerische Stagnation 
der damals bestehenden Zss. (AmZ unter Finke; Iris im 
Cebiete der Tonkunst, hrsg. von H. Fr. L. Rellstab, Bin 
1830-41, wochentlich) und ihrer Kritiker und gegen 
die Verflachung des Musiklebens. Ihr Leitgedanke war: 
die dltere Zeit anerkennen, die nachstvergangene als un- 
kiinstlerisch bekdmpfen, die kommende als eine neue poeti- 
sche vorbereiten und beschleunigen helfen. R.Schumann 
schrieb zahlreiche Artikel mit Rezensionen fur die 
Neue Leipziger Zs., die sich auch unter dem Herausge- 
ber Fr.Brendel (ab 1844) fiir das Neue in der Musik 
(nun besonders fiir die -*■ Neudeutsche Schule) ein- 
setzte. Weitere wichtige und verbreitete Zss. im 19. 
und 20. Jh. waren: Cacilia (B.Schott's Sonne, Mainz 
1824 G.Weber, -1839, 1842-48 [Nachdruck d. Jg. 
1824-48 in 27 Bden Hildesheim 1968], fortgefuhrt als 
Siiddeutsche Musik-Zeitung, 1852-69) und Allgemeine 
deutsche Musikzeitung (Kassel 1874 O.Reinsdorf, -1882, 
fortgefuhrt als Allgemeine Musik-Zeitung, AMZ, Ber- 
lin 1883 O.Lefimann, -1943), Signale fiir die musika- 
lische Welt (Lpz. 1834 B. Senff, -1907, Berlin 1908-41), 
Musikalisches Wochenblatt. Organ/. Tonkiinstler u. Mu- 
sikfreunde (Lpz. 1870 O.Paul, -1910, ab 1906 vereinigt 
mit Neue Leipziger Zeitschrift fur Musik) und Die Musik 
(Bin 1901 B.Schuster, -1915, 1921-43, aufgegangen in 
Musik im Kricge, hrsg. von H. Gerigk, Bin 1 943-45) . Der 
starke Zuwachs an neuen Zss. im Laufe des 19. Jh. resul- 
tierte aus der Spezialisierung vieler Zss. auf bestimmte 
musikalische Fachgebiete und aus der Griindung einer 
Reihe von Zss. regionalen Charakters (z. B. NeueBerliner 
Musikzeitung, Bin 1847 G. Bock, -1896; Rheinische Mu- 
sikzeitung fiir Kunstfreunde und Kiinstler, Koln 1850 L. 
Bischoff, -1859; Niederrheinische Musik-Zeitung fiir 
Kunstfreunde und Kiinstler, Koln 1853 L. Bischoff, -1867). 
- Die Bay reuther Blatter (Bayreuth 1878 H. v. Wolzogen, 
-1938; nach dem Tode Wagners mit dem Untertitel 
Deutsche Zs. im Geiste R. Wagners) waren die erste Zs., 
die ausschlieBlich dem Schaffen eines zeitgenossischen 
Komponisten gewidmet war. Als Monatsschrift desBay- 
reuther Patronatsvereins unter Mitwirkung R.Wagners 
gegriindet, gewannen sie spater EinfluB auf die lokalen 
Wagner- Vereine. - Unter den zahlreichen musikali- 
schen Fach-Zss., die im 19. Jh. entstanden, uberwiegen 
die im Zuge der musikalischen Reformbewegung der 
katholischen Kirche (-> Caecilianismus) gegriindeten 
kirchenmusikalischen Zss.; besonders zu nennen sind 
die beiden von Fr. Willner herausgegebenen Zss. : Flie- 
gende Blatter fiir Katholische Kirchenmusik, Regensburg 
1866 Fr. X.Witt, -1898, fortgefuhrt als Cdcilienvereins- 
organ, Regensburg 1899 Fr.X.Haberl, -1920, Mon- 
chen^Gladbach 1921-24; Musica sacra. Beitrdge zur Re- 
form und Forderung der katholischen Kirchenmusik, Re- 
gensburg 1868ff. Eine weitere Gruppe bilden die ver- 
schiedenen Organe und Blatter der 1862 im Deutschen 
Sangerbund (-> Sangerbiinde) zusammengefafiten Ver- 
eine (z. B. Die Sangerhalle, Lpz. 1861 Fr.K.Miiller v. d. 
Werra, -1908, fortgefuhrt als Deutsche Sdngerbundes- 
zeitung, Lpz. 1909 G.Wohlgemuth, -1944). Daneben 
entstanden Zss. fiir alle Gebiete des Instrumentenspiels 



und seit Beginn des 20. Jh. Blatter, die sich fast aus- 
schliefilich mit der neuesten Musikentwicklung be- 
schaftigten (Musikbldtter des Anbruch. Monatsschrift fiir 
moderne Musik, Wien 1919 O. Schneider, -1928, fortge- 
fiihrt als Anbruch, Wien 1929 P.Stefan, -1937; Melos, 
Mainz 1920ff. ; 23., Eine Wiener Musikzeitung, Wien 
1933-37 W.Reich; Stimmen. Monatsbldtter fur Musik. 
Offizielles Organ der Internationalen Gesellschaftfiir Neue 
Musik, Sektion Deutschland, Bin 1947/48-50 H.H. 
Stuckenschmidt undJ.Rufer; Gravesaner Blatter, Mainz 
1955/56ff.). 

Zss., die ganz der musikgeschichtlichen Forschung ge- 
widmet sind, setzten im 19. Jh. mit den von der Preu- 
Bischen Regierung subventionierten Monatsheften fiir 
Musikgeschichte (MfM, Organ der Gesellschaft fiir Mu- 
sikforschung, redigiert von ->• Eitner, Bin 1869-1905, 
Nachdruck in 37 Bden und 4 Register- Bden Kassel 1 962) 
ein, die eine Fiille von Quellenmaterial erschlossen und 
bibliographische Fakten, vor allem fiir das 16./17. Jh., 
zusammentrugen. Zu den von musikwissenschaf tlichen 
-> Gesellschaf ten herausgegebenen Zss. gehoren auBer- 
dem u. a. Die Musikforschung (Mf) ; Zs.fiir Musikwissen- 
schaft (ZfMw, Lpz. 1919-35, fortgefuhrt als Archivfiir 
Musikforschung (AfMf, Lpz. 1936-43); Zs.fiir verglei- 
chende Musikwissenschaft (Bin 1933-35); Tijdschrift der 
Vereeniging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis (TVer, 
Amsterdam 1882-1946), fortgefuhrt als Tijdschrift voor 
Muziekwetenschap, TMw, Amsterdam 1948ff.); Bulletin 
de la Sociite francaise de musicologie (Paris 1917-21, fort- 
gefuhrt als Revue de Musicologie, Rev. de Musicol., Paris 
1922ff.); Svensk Tidskrift for Musikforskning (STMf, 
Stockholm 1919-61, Uppsala 1962ff.) ; Journal of the 
American Musicological Society (JAMS, Boston/Mass. 
1948, Richmond/ Va. 1948ff.); Revue Beige de Musicolo- 
gie. I Belgisch Tijdschrift voor Muziekwetenschap (RBM, 
Briissel 1946/47ff.). Die Internationale Musikgesell- 
schaft gab von 1899/1900-1913/14 (Lpz.) gleichzeitig 
zwei verschiedene Zss. heraus, von denen die Zs. der 
Internationalen Musikgesellschaft (ZIMG) in erster Linie 
dem praktischen Musikleben gewidmet war und kleine 
Aufsatze, Referate, Kritiken und Bibliographien vor- 
legte, wahrend die Sammelbdnde der Internationalen Mu- 
sikgesellschaft (SIMG, vj.) ausschliefilich wissenschaft- 
liche Aufsatze veroffentlichten. - Da die musikwissen- 
schaf tlichen Zss. einen begrenzten, aber internationalen 
Fachkreis ansprechen, sind einige dieser Blatter mehr- 
sprachig gehalten (Mitteilungen der Internationalen Ge- 
sellschaftfiir Musikwissenschaft, Lpz. 1928/29-30, fort- 
gefuhrt als Acta Musicologica, AMI, Lpz. 1931-35, Ko- 
penhagen 1936-45, Basel 1954ff., 4x j.); The World 
of Music. Quarterly Journal of the International Music 
Council (Unesco) in Association with the International In- 
stitute for Comparative Music Studies and Documentation 
(WoM), Kassel 1967ff., 4x j.). Auch innerhalb dieser 
Zeitschriftengruppe gibt es Spezialisierungen, auf be- 
stimmte Epochen (z. B. Mittelalter und Renaissance: 
Musica Disciplina, MD, Rom 1948ff. A. Carapetyan seit 
Jg. XI, 1957 Jahrbuch; der 1. Jg., 1946/47, erschien 
unter dem Titel Journal of Renaissance and Baroque Mu- 
sic), auf Fachgebiete (z. B. Zs.fiir vergleichende Musik- 
wissenschaft) usw. Die Fontes artis musicae (FAM, Kassel 
1 954ff. , VI. Fedorov, 3 x j .) und die Notes (Music Library 
Association. Notesfor the Members Serie I Rochester/N. Y. , 
1934-42 H.E.Samuel, fortgefuhrt als Notes, Serie II 
1943/44ff.) sind in erster Linie fiir den Musikbibliothe- 
kar bestimmt ; sie bringen neben kurzen Auf satzen vor 
allem Aktuelles: Tagungsberichte und ausfiihrliche 
Bibliographien von Neuerscheinungen. An wichtigen 
musikwissenschaftlichen Zss. ohne Spezialisierung sind 
hervorzuheben die Vierteljahrsschrift fur Musikwissen- 
schaft ( Vf Mw, Fr. Chrysander, Ph. Spitta, G. Adler) , Lpz. 



68» 



1075 



Zeitschriften 



1885-94, Nachdruck in 11 Bden Hildesheim 1966-67) 
und das Archiv fur Musikwissenschaft (AfMw). 
Zu einem wesentlichen, auf vielen Forschungsgebieten 
oft entscheidenden Teil spielt sich die neuere Musik- 
wissenschaft in den musikwissenschaftlichen Zss. ab. 
Denn die meist von Gesellschaften (auch von Stiftun- 
gen) getragene, wissenschaftliche Zs. bietet die Mog- 
lichkeit, auch sehr spezielle Themen, z. B. methodi- 
scher, quellenkundlicher, archivalischer, biographi- 
scher, kompositionsgeschichtlicher Art ohne Riick- 
sicht auf die augenblickliche »Zugkraft« des Themas 
und auf verlegerisch-kommerzielle Erwagungen in 
kleineren oder groBeren Beitragen zu behandeln. Zu 
den wichtigen Aufgaben der musikwissenschaftlichen 
Zss. gehoren die Rezensionen (daneben auch die Biblio- 
graphien) von Neuerscheinungen der Musikliteratur 
und Musikalien, daneben die Forschungsberichte iiber 
Art und Stand der -*■ Musikwissenschaft (Lit.) in ein- 
zelnen Landern sowie iiber bestimmte Forschungsbe- 
reiche und -probleme. Dariiber hinaus bietet die Zs. 
die Moglichkeit der offentlichen Diskussion (wie einst 
iiber den Sachbereich ->• Fauxbourdon) ; sie kann in 
einzelnen Heften bestimmten Themenstellungen ge- 
widmet sein oder als -*■ Fest- und Gedenkschrift er- 
scheinen. - Das folgende Verzeichnis nennt zunachst 
die wichtigsten auslandischen bzw. fremdsprachigen 
Zss. (nach Landern alphabetisch und soweit nicht im 
Artikel bereits genannt), sodann die wichtigsten jetzt 
noch erscheinenden deutschsprachigen Zss. (alphabe- 
tisch und ebenfalls in Erganzung des Artikeltextes). Bei 
noch erscheinenden Zss. wird nur der jetzige Heraus- 
geber genannt. Abkiirzungen: Verl. = Verlag, w. 
= wochentlich, m. = monatlich, vj. = vierteljahrlich, 
hj. = halbjahrlich, j. = jahrlich. 
Belgien: Le Guide mus., hrsg. v. F.Delhasse, Briissel 
1855-1914, Paris 1917-18, w. 

Frankreich: La Rev. mus., hrsg. v. Fr.-J. Fetis, Paris 1827- 
35, fortgef iihrt als La Rev. et Gazette mus. de Paris, Paris 
1835-80; Rev. de la musique religieuse, populaire et clas- 
sique, hrsg. v. F.Danjou, Paris 1845-48 u. 1854; La 
Rev. wagnerienne, Paris 1885-88; La Rev. d'art drama- 
tique et mus., Paris 1886-1914; Rev . gregorienne, hrsg. v. 
d. Ecole de Solesmes, Abbaye Saint Pierre de Solesmes, 
Paris 1911ff., 6x j.; La Rev. Mus., RM, hrsg. v. A.Ri- 
chard-Masse, Paris 1920-40, 1946ft, unregelmafiig ; 
Musique etLiturgie. Rev. internationale de musique religieu- 
se, Saint-Leu-La-ForSt, 1948fE., 6x j.; Le Journal mus. 
frc., hrsg. v. d. Soc. frc. de diffusion mus. et artistique, 
Paris 1951ft, m. 

GroBbritannien (Erscheinungsort London) : The Mus. 
Times and Singing Class Circular, hrsg. v. A.Porter, 
18443., m.; The Mus. Standard, hrsg. v. A.W.Ham- 
mond, 1862-1933; Mus. Opinion and Mus. Trade Re- 
view, hrsg. v. L.Swinyard, 1877ff., m.; The Strad, 
1890ft., m. ; Music & Letters, ML, hrsg. v. J. A. Westrup, 
1920ff., vj.; Opera, hrsg. v. H.Rosenthal, 1950ff., m.; 
Music and Musicians, hrsg. v. Fr. Gr. Barker, 19523., m. 
Italien: Gazzetta mus. di Milano, hrsg. v. S. Farina, Mai- 
land 1845-48, 1850-62, 1866-1902, fortgefuhrt als Mu- 
sica e musicisti, Mailand 1903-05, fortgefuhrt als Ars et 
labor, Mailand 1906-12; Rivista Mus. Ital., RMI, Turin 
1894-1932, 1936-43, 1946-55, vj., fortgefuhrt als Nuo- 
va Rivista Mus. Ital., hrsg. v. F.D'Amico u. a., Turin 
1967ff ., 6x j. ; Rassegna Gregoriana, hrsg. v. C. Respighi, 
Rom 1902-14; Musica d'oggi. Rassegna di vita e di cultura 
mus., hrsg. v. CI. Sartori, Mailand 1919-42, N.S.1958ff., 
6x j.; Rassegna mus., Rass. mus., hrsg. v. G.M. Gatti, 
Turin 1928-62, m. (friiher: II Pianoforte, Turin 1920- 
27), fortgefuhrt als Quaderni della Rassegna mus., 1964ft. , 
unregelmafiig ; Rivista ital. di musicologia. Organo della 
Soc. ital. di musicologia, Florenz 1966ff. 



USA: The American Mus. Magazine, NY 1786/87, 
Nachdruck Scarsdale (N. Y.) 1961 ; Dwight's Journal of 
Music, Boston 1852-81; Music, hrsg. v. W. S.B.Mat- 
thews, Chicago 1891-1902, m.; Mus. America, hrsg. 
v. E.H.Coleman, NY 1898ft, m.; The Etude, hrsg. v. 
Th. Dresser, Philadelphia 1907-57; Music and Musi- 
cians, Seattle, 1915-37; The Mus. Quarterly, MQ, hrsg. 
v. P. H. Lang, NY 1915ft., vj.; Studies in Ethnomusico- 
logy, hrsg. v. M.Kolinski, NY 1951ft, unregelmafiig; 
Journal of Music Theory, hrsg. v. d. Yale School of 
Music, New Haven (Conn.) 1957ft., hj.; Jazz Report, 
hrsg. v. P.A.Affeldt, Ventura (Calif.) 1958ft, 6x j.; 
Jazz, hrsg. v. P.Rivelli, NY 1962ff., m.; Perspectives of 
New Music, hrsg. v. B. Boretz, Princeton (N. J.) 1962ft!, 
hj.; Current Musicology, hrsg. v. d. Columbia Univ., 
Department of Music, NY 1965ft., hj.; Electronic Mu- 
sic Review, EMR, hrsg. v. Independant Electronic Mu- 
sic Center, Trumansburg (N. Y.) 1967ft, vj. 
Deutschsprachige Zss. : Acta Mozartiana. Mitt. d. Deut- 
schen Mozart-Ges. e. V., hrsg. v. d. Deutschen Mo- 
zart-Ges. e. V., Sitz Augsburg, Verl. Breitkopf & Hartel 
Wiesbaden, vj., Kassel 1954-55, Wiesbaden 1956ft - 
Ars Organi. Zs. f. d. Orgelwesen, hrsg. v. d. Ges. d. 
Orgelfreunde e. V., Verl. Merseburger Bin, unregel- 
mafiig, Bin 1953ft. - Archiv fur Musikwissenschaft, 
AfMw, hrsg. v. H.H.Eggebrecht in Verbindung mit 
H.Besseler, K. v. Fischer, W. Gerstenberg, A.Schmitz, 
Franz Steiner Verl. GmbH Wiesbaden, vj., Biicke- 
burg u. Lpz. 1918/19 M. Seiff ert, J. Wolf , M.Schnei- 
der -1926, Lpz. 1924-26, Trossingen 1952 W.Gurlitt 
-1961, Wiesbaden 1962ft, Nachdruck der Jg. 1918/19- 
1926 Hildesheim 1964. -Beitrage zur Musikwissenschaft, 
hrsg. v. Verband Deutscher Komponisten u. Musik- 
wissenschaftler, Verl. Neue Musik Bin, vj., Bin 1959ft. 
- Wurttembergische Blatter fur Kirchenmusik. Mitteilungs- 
blatt d. Verbande d. ev. Kirchenchore u. ev. Kirchen- 
musiker in Wiirttemberg, hrsg. v. H. Stern, Verl. Gu- 
stav Sturmer Waiblingen, vj., Waiblingen 1927-41, 
Stuttgart 1949ft. - Der Chor. Organ d. Deutschen All- 
gemeinen Sangerbundes (DAS), Verl. DAS Ffm., vj., 
Mainz 1949, Ffm. 1950ft - Der Chorleiter, hrsg. v. 
Christlichen Sangerbund e.V., Verl. Christlicher San- 
gerbund Neukirchen-Vluyn, 6x j., Neukirchen-Vluyn 
1951ft., friiher: Der Chormeister, Stuttgart 1925-43. - 
fono forum. Zs. f. Schallplatte, Musikleben, HiFi-Wie- 
dergabe, hrsg. v. W. Facius, Bielefelder Verlagsanstalt 
KG Bielefeld u. Hbg, m., Koln 1956-57, Bielefeld u. 
Hbg 1956ft . - Gottesdienst und Kirchenmusik. Zs. f. Kir- 
chenmusik u. Liturgik. Mitteilungsblatt d. ev. Kirchen- 
chore, d. ev. Kirchenmusiker, d. ev. Posaunenchore u. 

d. Lutherischen Liturgischen Konferenz in Bayern, so- 
wie d. Verbandes f. ev. Kirchenmusik in Osterreich, 
hrsg. v. J.G.Mehl, Verl. Ev. Presseverband f. Bayern 

e. V. Miinchen, 6x j., Munchen 1950ft. - Gravesaner 
Blatter. Vierteljahresschrift f. mus., elektroakustische u. 
schallwiss. Grenzprobleme, hrsg. v. H. Scherchen, Verl. 
Ars-Viva Mainz, vj., Mainz 1955/56ft - Die Harmonika. 
Fachblatt f. Harmonikafreunde. Mitt. d. Harmonika- 
verbandes Osterreichs u. d. osterreichischen Musikleh- 
rer, hrsg. v. R. Kaplan u. W. Maurer, Verl. Harmoni- 
kaverband Wien, 6x j., Wien 1963ft. - Der Harmo- 
nikalehrer. Zs. f. kulturelle Forderung d. Harmonika- 
u. Akkordeonspiels. Organ d. Deutschen Akkordeon- 
lehrer- Verbandes e. V. (DALV), Sitz Ffm., u. d. Baye- 
rischen Akkordeonlehrer- Verbandes e. V., Sitz Miin- 
chen, Verl. Der Harmonikalehrer Trossingen, 6x j., 
Trossingen 1952ft. - Harmonica-Revue. Zs. f. Unter- 
haltung, Musik u. Freunde d. Hausmusik. Organ d. 
Deutschen Hand- u. Mundharmonika- Verbandes e. V., 
Verl. Harmonika-Revue Trossingen, 6x j., Trossingen 
1951ft. - HiFi. Stereophonie. Zs. f. Schallplatte, Ton- 



1076 



Zeitschriften 



band, HF-Stereophonie. Offizielles Organ d. Deut- 
schen High Fidelity Inst. e. V., hrsg. v. E. Pfau, Verl. G. 
Braun Karlsruhe, m., Karlsruhe 1961ff. -Jazz-Podium, 
hrsg. v. D. Zimmerle, Verl. Jazz Podium Stuttgart, m., 
Stuttgart 1955ft.; friiher: Das Internationale Jazzpo- 
dium, Wien 1952-54. -LiedundChor. Deutsche Sanger- 
bundeszeitung. Zs. f. d. gesamte Chorwesen. Amt- 
liches Organ d. Deutschen Sangerbundes (DSB), Verl. 
Deutsche Sangerzeitung Monchengladbach, Monchen- 
gladbach 1958ft. ; friiher : Bin 1909-44 : Deutsche Sdnger- 
bundeszeitung, Monchengladbach 1948: Mitteilungsblatt, 
1949: Der deutsche Sanger, 1950-57: Deutsche Sdnger- 
bundeszeitung. - Musikalische Jugend. Jeunesses Mus. 
Die allgemeine aktuelle Musikzeitung, Verl. Bosse Re- 
gensburg, 6x j., Regensburg 1952ff. ; Ausg. f. Oster- 
reich seit 1956, die deutschsprachige Schweiz seit 1959. 
- Der Kirchenchor, hrsg. v. H.H. Albrecht u. Ph. Reich, 
Verl. Barenreiter Kassel, 6x j., Kassel 1949fL, friiher: 
Kirchenchordienst, Kassel 1935-42. - Kontakte. Zs. f. mu- 
sisches Leben in d. Jugend. Mitteilungsorgan f. : Ar- 
beitskreis Junge Musik, Verband d. Sing- u. Spiel- 
kreise, Europaische Foderation Junger Chore, Verband 
deutscher Musikschulen, Verl. Moseler Wolfenbiittel, 
6x j., Wolfenbiittel 1958ff. ; friiher: Junge Musik, 
Mainz 1950-57. - Melos. Zs. f. Neue Musik, hrsg. v. 
H.Strobel, Melos- Verl. Mainz, m., Bin 1920-25/26, 
Mainz 1927-34, 1946/47ff.; dazwischen: Neues Mu- 
sikblatt, Melos Neue Folge, Mainz 1934-43; Beilage: Das 
Musikleben zu Jg. XV, 1948. - Musica. Zweimonats- 
schrift f . alle Gebiete d. Musiklebens, hrsg. v. R. Baum 
u. G.HauBwald, Verl. Barenreiter Kassel, 6x j., Kassel 
1947ff. ; vereinigt 1951 mit der Neuen Musikzeitschrift 
(Miinchen 1946/47-50), 1962 mit Hausmusik (Kassel 
1949-61; friiher: Collegium Musicum, 1932, Zeitschrift 
fur Hausmusik, 1933-43, Mitteilungen d. Arbeitskreisesf. 
Hausmusik 1946-48) und Phonoprisma (Kassel 1958ff., 
besteht auch als selbstandige Zs.). - Musica sacra Caci- 
lien-Verbands-Organ f. d. deutschen Diozesen im 
Dienste d. kirchenmus. Apostolats, hrsg. v. Presidium 
d. Allg. Cacilien-Verbandes f. d. Lander d. deutschen 
Sprache, Verl. ACV K61n, m. ; Regensburg 1868-1921, 
1925-28; 1929 vereinigt mit den Fliegenden Blatternfur 
katholische Kirchenmusik (Regensburg seit 1866); 1929- 
37: Musica sacra, 1949-55: Zeitschrift fiir Kirchenmusik; 
1956ff. : Musica sacra; Beilage: Singt dem Herrn 1950-55 
(auch als selbstandige Zs.). - Pro musica. Zs. f. Mu- 
sik v. Volk zu Volk. Organ d. Internationalen Inst. f. 
Jugend- u. Volksmusik e. V., hrsg. v. Fr.Jode, Verl. 
Moseler Wolfenbiittel, vj., Wolfenbiittel 1954fL, 1953 
als Beilage zur Zs. Junge Musik (1950-57). - Musika- 
lienhandel. Sonderdruck d. Beilage zum Borsenblatt 
f. d. Deutschen Buchhandel, VEB Verl. f. Buch- u. 
Bibliothekswesen Lpz., vj., Lpz. 1955ft. - Musikerzie- 
hung. Zs. zur Erneuerung d. Musikpflege. Organ d. 
Arbeitsgemeinschaft d. Musikerzieher Osterreichs. Mit 
Mitteilungsblatt d. Mozartgemeinde Wien Wiener Fi- 
garo, hrsg. v. E. Wiirzl, Osterreichischer Bundesverlag 
Wien, 5x j., Wien 1947/48fL; Beilage;. Mitteilungsblatt 
d. Arbeitsgemeinschaft d. Musikerzieher Osterreichs 1953- 
54, aufgegangen. - Die Musikforschung, Mi, hrsg. v. d. 
Ges. f . Musikforschung in Verbindung mit G. v. Dadel- 
sen, H.Engel, Thr. G. Georgiades, G. Reichert u. d. Inst, 
f. Musikforschung in Bin, Kiel u. Regensburg, Verl. 
Barenreiter Kassel, vj., Kassel 1948ff. ; friiher: Mitteilun- 
gen d. Ges.f. Musikforschung, Kassel 1947^48. - Musik- 
handel. Offizielles Fachblatt f . d. Handel mit Musikalien, 
Schallplatten, Musikinstr. u. Zubehor, hrsg. v. Deut- 
schen Musikverleger- Verband e. V. (DMV) u. Deut- 
schen Musikalienwirtschafts- Verband e. V. (DMWV), 
Verl. Musikhandel Verlagsgesellschaft m. b. H. Bonn, 
6x j., Bonn 1949/50ff.; Beilage: Der Jung- Musik- 



handel, 1 950ff . ; friiher: Mitteilungen d. Deutschen Mu- 
sikalienwirtschafts-Verbandes, Celle 1946/47-48, Bonn 
1948/49. - Das Musikinstrument (und Phono), hrsg. 
v. E.Bochinsky u. H.K.Herzog, Verl. Das Musik- 
instr. Ffm., m., Ffm. 1952ff. - Schweizerische Musik- 
zeitung. Schweizer Musikpadagogische Blatter. Offi- 
zielles Organ d. Schweizerischen Tonkiinstlervereins 
(STV), des Schweizerischen Musikpadagogischen Ver- 
bandes (SMPV), der »SUISA«, Schweizerische Ges. d. 
Urheber u. Verleger u. d. Mechanlizenz, Verl. Hug 
& Co. Zurich, 6x j.; Zurich 1861: Sdngerblatt, 1862- 
78: Schweizerisches Sdngerblatt, 1879-1936: Schweize- 
rische Musikzeitung und Sdngerblatt, 1937ff. : Schweize- 
rische Musikzeitung (daneben selbstandig Eidgenossisches 
Sdngerblatt, 1937ff.). - Musik im Unterricht. Deutsche 
Tonkiinstler-Zeitung / Der Musik-Erzieher. Mittei- 
lungsblatt d. Verbandes Deutscher Musikerzieher u. 
konzertierender Kiinstler (VDMK) (Ausgabe A: All- 
gemeine Ausg. f. Privatmusikerzieher u. mus. Ausbil- 
dungsstatten. Organ d. VDMK; Ausgabe B: Zs. f. 
Musik in Schule u. Lehrerbildung. Organ d. Verban- 
des Deutscher Schulmusikerzieher), Verl. B. Schott's 
Sohne Mainz, m., Mainz 1956ff. ; friiher Bin 1903/04- 
37/38: Deutsche Tonkiinstler-Zeitung, 1938-42/43: Der 
Musikerzieher (aufgegangen in Zeitschrift fiir volkische 
Musikerziehung, Lpz. 1944), Mainz 1949-55: Musik im 
Unterricht, 1956ff. : Teilung in Ausg. A u. B. - Musik und 
Altar. Zs. f. Musik in Kirche u. Schule, Jugend u. Haus, 
hrsg. v. A. Kirchgassner, E. Quack, H.Hucke, R.Wal- 
ter, J. Jenne, J. Aengenvoort, K. Berg, Christophorus- 
Verl. Freiburg i. Br., vj., Freiburg i. Br. 1948/49ff. - 
Musik und Gesellschaft, hrsg. v. Verband Deutscher 
Komponisten u. Musikwissenschaftler, Verl. Henschel 
Bin, m., Bin 1951ft. - Musik und Gottesdienst. Vereinigt 
mit Der Organist (Zurich 1923-46). Organ d. refor- 
mierten Organistenverbande d. Schweiz. Zs. f . ev. Kir- 
chenmusik, hrsg. v. E. Nievergelt, Verl. Zwingli Zu- 
rich, 6x j., Zurich 1947f£. - Musik und Kirche. Vereinigt 
mit der Zeitschrift fiir evangelische Kirchenmusik, vor- 
mals Siona (Giitersloh 1876-1910) erganzt durch d. Zs. 
Schallplatte und Kirche, hrsg. v. W.Blankenburg, Chr. 
Mahrenholz, H.Pflugbeil, W.Reimann, Verl. Baren- 
reiter Kassel, 6x j.; Kassel 1929^4, 1947ft. ; Beilage: 
Der Kirchenchor, 1949ff., friiher: Kirchenchordienst, 
1935-42. - Osterreichische Musikzeitschrift, hrsg. v. W. 
Szmolyan, Verl. E.Lafite Wien, m., Wien 1946ff. - 
Opernwelt, hrsg. v. Verl. E.Friedrich Velber bei Han- 
nover, 13x j., 1963ff. ; friiher: Stuttgart 1960-62. - Das 
Orchester. Zs. f. Orchesterkultur u. Rundfunk-Chor- 
wesen. Organ d. Deutschen Orchestervereinigung, 
Verl. Das Orchester Mainz, m., Mainz 1953ff . - Phono- 
prisma. Zs. f. Freunde d. Schallplatte u. d. Tonbandes, 
hrsg. v. G.HauBwald u. H.Reinecke, Verl. Barenreiter 
Kassel, 6x j., Kassel 1962fL; friiher: Musica-Schallplatte, 
1958-61 ; auch als Beilage zur Zs. Musica. - Eidgenossi- 
sches Sdngerblatt. Organ d. Eidgenossischen Sangerver- 
eins u. d. Schweizerischen Chorgesanges, Verl. Hug 
Zurich, m., Zurich 1937ft . ; friiher: siehe Schweizerische 
Musikzeitung. - Sinfonia. Schweizerische Monatsschrift 
f. Orchester- u. Hausmusik. Offizielles Organ d. Eid- 
genossischen Orchesterverbandes, Verl. Kiindig Zug, 
m., Zug 1940fL; friiher: Orchester. Schweizerische 
Monatsschrift zur Forderung d. Orchester- u. Haus- 
musik, Einsiedeln 1933-39. - Theater heute. Zeit- 
schrift f. Schauspiel, Oper, Ballett, hrsg. v. E.Fried- 
rich, S.Melchinger, H. Rischbieter, Verl. E.Friedrich 
Velber bei Hannover, 13x j., Velber bei Hannover 
1960ff. - Neue Zeitschrift fur Musik, NZfM, hrsg. v. 
E.Thomas, Verl. B. Schott's Sohne, Mainz, m.; Lpz. 
1834 C.F.Hartmann (Griinder R.Schumann): Neue 
Leipziger Zeitschrift fiir Musik, 1835-1919: Neue Zeit- 



1077 



Zeitz 



schrifi fur Musik, Lpz. 1920-28 (Nachdruck d. Jg. 
1834-1924 Kassel 1966-67), Regensburg 1929-13, 1949/ 
50-55: Zeitschriftfiir Musik, Mainz 1955ff.: Neue Zeit- 
schriftfiir Musik; vereinigt 1906 mit Musikalisches Wo- 
chenblatt, 1953 mit Der Musikstudent, 1955 mit Das Mu- 
sikleben; Beilagen: Nachrichtenblatt d. Verbandes Ce- 
mischter Chore Deutschlands, 1951-56, aufgegangen; Die 
Singschule. Mitt. d. Verbandes d. Singschulen, 1952-56, 
aufgegangen. 

Zeitschriftenverz. : Grove; Die deutsche Presse 1961. Zei- 
tungen u. Zss., hrsg. v. Inst. f. Publizistik d. Freien Univ. 
Bin, Bin 1961 ; W. Stamm, Leitfaden f. Presse u. Werbung 
1963, Essen 1963 ;<La presse frc. 1965, hrsg. v. M. Crousle, 
Paris 1964; Repertorio analitico della stampa ital. 1965, 
Mailand 1964; Jahresverz. d. deutschen Musikalien 1963, 
Lpz. 1965; Anschriften deutschsprachiger Zss. X, 1966, 
Marbach/Neckar 1966; Ulrich's International Periodicals 
Dictionary 1965-66 II, NY 1966; Zeitschriftendienst Mu- 
sik (ZD Musik), hrsg. v. Deutschen Biicherverband e. V., 
Bin 1966ff.; I. Fellinger, Verz, d. Musikzss. d. 19. Jh., 
= Studien zur Mg. d. 19. Jh. X, Regensburg 1967. - J. B. 
Coover, A Bibliogr. of East European Music Periodicals, 
Fontes artis musicae III, 1956 - X, 1963. 
Lit. : A. Gebhardt, Repertorium d. mus. Journalistik . . . , 
Dillingen 1851 ; E. Gregoir, Recherches hist, concernant 
les journaux de musique depuis les temps les plus recules 
jusqu'a nos jours, Antwerpen 1 872 ; W. Freystatter, Die 
mus. Zss. seit ihrer Entstehung bis zur Gegenwart, Mun- 
chen 1884, Nachdruck Amsterdam 1963; F. Krome, Die 
Anfange d. mus. Journalismus in Deutschland, Diss. Lpz. 
1896; L. Salomon, Die Anfange d. deutschen Zeitungswe- 
sens I, Lpz. 1900; J. Bobeth, Die Zss. d. Romantik, Lpz. 
1911; H. Koch, Die deutschen mus. Fachzss. d. 18. Jh., 
Diss. Halle 1922, maschr,; A. Storch, J. A. Scheibes An- 
schauungen v. d. publizistischen mus. Historie, Wiss. u. 
Kunst, Diss. Lpz. 1923, maschr. ; J. Kirchner, Die Grund- 
lagen d. deutschen Zeitschriftenwesens mit einer Gesamt- 
bibliogr. d. deutschen Zss. bis zum Jahre 1790, 2 Bde, Lpz. 
1928-31; ders., Das deutsche Zeitschriftenwesen, 2 Bde, 
Wiesbaden 2 1958-62; E. Rosenkaimer, J. A. Scheibe als 
Verfasser seines Critischen Musicus, Diss. Bonn 1929; R. 
Pessenlehner, H. Hirschbach, d. Kritiker u. Kiinstler, Re- 
gensburg 1932; M. (Bruckner-)Bigenwald, Die Anfange 
d. Lpz.er Allgemeinen Mus. Zeitung, Diss. Freiburg i. Br. 
1938, Nachdruck Hilversum 1965; K. Dolinski, Die An- 
fange d. mus. Fachpresse in Deutschland, Diss. Bin 1940; 
P. Kehm, Die »NeueZs. f . Musik« unter R. Schumanns Re- 
daktion 1834-44, Diss. Munchen 1943, maschr.; A. Fleu- 
ry, Die Musikzs. »Caecilia« (1824-48), Diss. Ffm. 1952, 
maschr.; H. Becker, Die friihe Hamburgische Tages- 
presse als mg. Quelle, in: Beitr. zur Hamburgischen Mg., 
= Schriftenreihe d. Mus. Inst. d. Univ. Hbg I, 1956; E. 
Rohlfs, Die deutschsprachigen Musikperiodica 1945-57, 
= Forschungsbeitr. zur Mw. XI, Regensburg 1961. 

Zeitz (Sachsen). 

Lit.: A. Werner, Stadtische u. furstliche Musikpflege in 
Z. bis zum Anf ang d. 19. Jh., = Veroff. d. Furstlichen Inst, 
f . mw. Forschung zu Buckeburg IV, 2, Lpz. 1 922. 

Ziehharmonika -> Handharmonika. 

Ziffern, Zahleh finden in Notation, Theorie und 
Analyse von Musik reiche Verwendung (wenn nicht 
anders angegeben als arabische Z.) : - 1) in der Griff- 
schrift der -> Tabulatur (- 1) ; - 2) bei den Versuchen, 
die Liniennotation durch eine Z.-Schrift abzulosen, 
dies vor allem in der Musikpadagogik (-*■ Meloplast), 
wobei zumeist die Tonhohen innerhalb einer Oktave 
durch die Z. 1-7, die Oktaven durch Zusatze wie Kom- 
ma, Punkt, Semikolon (so J. J. Souhaitty 1665), durch 
Punkte oder Kreise iiber bzw. unter den Z. (so A.L. 
Richter 1815), durch Stellung der Z. auf, zwischen oder 
iiber Linien (so J.-J. Rousseau und B.Chr.L.Natorp) 
usw. bezeichnet wurden. J.-Ch. Teule (Exposition du sys- 
teme de Vicriture musicale chiffree, Paris 1842) versuchte 
eine reine Z.-Schrift : 2stellige Zahlen kennzeichnen mit 
ihrer ersten Ziffer die Oktave, mit ihrer zweiten Ziffer 



den Ton innerhalb dieser Oktave; - 3) als Intervallbe- 
zeichnung in mittelalterlichen Traktaten; in den eng- 
lischen Diskanttraktaten des 15. Jh. fiir die im Hinblick 
auf den C. f . improvisierten Gegenstimmen (-* Sight) ; 

- 4) im -> GeneralbaB zur Bestimmung eines Akkordes 
durch den BaBtonabstand seiner charakteristischen In- 
ter valle (z. B. 3 fiir den Terzquartakkord) und fiir be- 

stimmte Intervallfortschreitungen iiber dem BaBton 
(z. B. 6-5 fiir die Folge Sexte-Quinte) ; - 5) in romi- 
scher und arabischer Form zur ->■ Stufenbezeichnung 
(dies seit G. Weber) bzw. -> Funktionsbezeichnung der 
Akkorde in der Harmonielehre und harmonischen Ana- 
lyse (->■ Klangschlussel) ; - 6) in den Partituren elek- 
tronischer Musik zur Angabe bzw. graphischen Dar- 
stellung von Frequenz (MaBeinheit: Hz), Dynamik 
(MaBeinheit: dB), Bandlangen fiir Tondauern (MaB- 
einheit : cm) ; -7) zur Bezeichnung des ->■ Flageoletts (- 3) ; 

- 8) zur Kennzeichnung von Tonen der oberen und 
unteren -> Oktaven des -> Tonsystems; - 9) in der 
Mensuralnotation bei den -*■ Mensurzeichen, spater 
zur Vorzeichnung der Taktart, auch als Kennzeich- 
nung einer vom Grundmetrum abweichenden Zeit- 
proportion (z. B. fiir ->■ Triolen); - 10) in H. Rie- 
manns Phrasierungsausgaben zur Auf deckung des Peri- 
odenbaus (->• Phrasierung, -> Periode) ; - 1 1) zur Kenn- 
zeichnung verschiedenartiger SchluBbildungen eines 
Abschnitts bei nicht ausgeschriebener Wiederholung 
(-> primo); - 12) als Oktavierungsanweisung (z. B. 
8va, -»■ Abbreviaturen - 9) ; - 13) als Taktzahler (auch 
Richtziffern genannt), bzw. zur Durchzahlung von Ab- 
schnitten oder Gruppen; auch zur Angabe mehrerer 
Pausentakte (->• Pause) ; - 14) als ->■ Fingersatz; - 15) als 
romische Z. zur Benennung der Saiten (I, II, III, IV) 
von Streichinstrumenten, wenn die Ausfuhrung auf 
einer bestimmten Saite gefordert wird; - 16) in romi- 
schen Z. zur Benennung des Zugs bei der Posaune. 
Lit.: WolfN; ApelN. 

Zigeunermusik (ital. musica gitana; frz. musique tzi- 
gane; engl. gypsy music). Unter Z. versteht man den 
Vortragsstil der Zigeuner, eines Wandervolks, das iiber 
groBe Teile Europas, des westlichen Asien, auch Nord- 
afrikas und Amerikas verbreitet ist. Inwieweit die Zi- 
geuner auch ein originar eigenes Musiziergut besitzen, 
ist nicht geklart. - Die Zigeuner stammen aus Indien, 
wo sie als eine »unreine« Kaste lebten. Eines der friihe- 
sten Zeugnisse fiir das Auftreten von Zigeunern als 
Musiker in Persien stammt aus dem 11. Jh. (Firdausi, 
Sah-name-Epos). Beim ersten Mongoleneinfall zogen 
die Zigeuner weiter westwarts, iiber den Kaukasus nach 
RuCland, iiber Anatolien weiter nach Griechenland, 
iiber Syrien und Palastina nach Agypten und Nordafri- 
ka, vorfdortnach Spanien. Im 15. Jh. traten sie in Mit- 
tel- und Westeuropa in Stammesverbanden auf und 
betatigten sich auf ihren unsteten Ziigen in den typi- 
schen Zigeunergewerben als Kupferschmiede, Flechter, 
Viehhandler, Wahrsager, (Seil-)Tanzer und Musikan- 
ten zu Tanz und Unterhaltung. Seit dem 15. Jh. sind 
Zigeunermusikanten in Ungarn belegt, die aus unga- 
rischen Volksweisen und eigenen Kompositionen eine 
Art volkstiimlich-urbaner Unterhaltungsmusik ent- 
wickelten (->- Verbunkos, ->■ Csardas). Diese erschien 
im 19. Jh. den Magyaren der gehobenen Klassen so 
sehr als national-ungarische Musik, daB »ungarische« 
und Z. zu identischen Begriffen wurden und Fr. Liszt 
irrtumlich den Ungarn eine eigene Volksmusik iiber- 
haupt absprach. Die meisten »ungarischen Tanze« und 
Rhapsodien des 19. Jh. fuBen auf Zigeunerweisen, die 
Paraphrasen ungarischer oder anderer Volksmusik sein 
konnen. Das wichtigste Musikinstrument der Balkan- 
zigeuner ist die Violine. Gewohnlich wirken mehrere 



1078 



Zimbeln 



Musiker zusammen, die, angefiihrt vom Primas, Geige, 
Klarinette, Violoncello oder BaB und -> Cimbalom 
spielen. Gegeniiber den Lauf en, Trillern und Girlanden 
des Primas wird von den begleitenden Instrumenten die 
Melodie schlicht gespielt. Die besondere Wirkung der 
Z. auf den Horer beruht auf dem intensiven person- 
lichen Kontakt, den der Primas zu ihm herzustellen 
versteht. Im 18. Jh. gelang es einigen begabten Zigeu- 
nergeigern, in eine geachtete Kunstlerposition aufzu- 
riicken. Der bedeutende ungarische Primas J.Bihari 
stand am Wiener Hof in hohem Ansehen und spielte 
1814 vor dem Wiener KongreB. Auch seine schriftlich 
fixierten Kompositionen halten sich an das Schema un- 
garischer Z. : sie variieren und parodieren ungarische 
Volksmelodien ebenso wie Themen von Mozart, Beet- 
hoven, Haydn und Schubert. Genauso verfuhren auch 
die spateren Zigeunerkomponisten wie Csermak, La- 
votta u. a. bis in die Gegenwart. Nach den Walzern 
und Mazurken des 19. Jh. nahmen die ungarischen Zi- 
geuner im 20. Jh. auch den Modeschlager im Foxtrott- 
oder Tangorhythmus in ihr Repertoire auf. 
Neben den ungarischen haben auch die spanischen Zi- 
geuner eine eigene musikalische Tradition entwickelt, 
die auf Stilelementen der spanischen und der orien- 
talisch-maurischen Volksmusik aufbaut. Besonders in 
den eigenartigen Zigeunermelodien Andalusiens hat 
sich viel von den Traditionen der arabischen Erobe- 
rer erhalten. Der Cante jondo Andalusiens und der 
Cante -> flamenco sind die beiden Stilarten der spa- 
nischen Z. Sie ist primar vokal. Die Gitarre ist die 
rhythmische und melodische Stiitze des Gesanges; auch 
dem Spiel auf der Gitarre allein liegen Vokalmelodien 
zugrunde. Zum Tanz werden auch Kastagnetten und 
Rahmentrommel mit und ohne Schellen gebraucht; 
diese Instrumente waren wohl mit den Mauren nach 
Spanien gelangt (oder schon zur Zeit der griechisch- 
romischen Kolonisation), nicht jedoch durch die Zi- 
geuner, die in Spanien wie auf dem Balkan ohne eigene 
Instrumente und Lieder auftraten. Das Zentrum des 
schwermiitigen Cante jondo ist Granada, wo in den 
Hohlen des Sacro Monte die Zigeuner bald nach ihrer 
Einwanderung nach Spanien (1447) eine Wohnstatt fan- 
den; diese Hohlen sind noch heute die wichtigste Pfle- 
gestatte des andalusischen Zigeunertanzes und -liedes. 
Der Cante flamenco hatseinen Schwerpunkt in Sevilla; 
doch ist die Unterscheidung zwischen beiden Stilarten 
schwer. Wichtige Pflegestatten der spanischen Z. sind 
die Stadte Cadiz, San Fernando und Jerez. Da jedoch 
auch in Spanien neben den seBhaften die nomadisie- 
renden Zigeuner iiberall anzutreffen sind, begegnet 
man andalusischer Z. auch in anderen Gegenden. Die 
Zambra, das Zigeunerfest, die Samira der Mauren, ist 
eine nachtliche Orgie in primitiver Magie, mit Ele- 
menten orientalischer Mystik aus Persien und Byzanz 
und sephardisch-jiidischen Gesangen. 
Melodien und Interpretationstechnik der ungarischen 
Z. hat Liszt in seinen Ungarischen Rhapsodien (einem 
»Zigeuner-Epos«) nachgebildet. Der Typ der »unga- 
rischen« Phantasie oder Rhapsodie fand viele Nach- 
ahmer, tiber Sarasate (»Zigeunerweisen«) bis zu Bartok 
(Rhapsodie fiir Kl. und Orch. op. 1) und Ravel (Tzigane 
fiir V. und Orch.). Der Boheme (frz., Zigeuner, eigent- 
lich »B6hme«) fand seit den 1840er Jahren ebenso wie 
die Z. in eine Reihe von Operetten Eingang (Der Zi- 
geunerbaron von J. StrauB), die Z. und Zigeunertanz ent- 
halten. Die Vorbilder sind hier stets Balkanzigeuner. In 
Spanien (wo sich Einfliisse von Z. schon in Tanzsatzen 
der Vihuelatabulaturen fmden) haben vor allem in den 
Gitarrenkompositionen des 19./20. Jh., aber auch in 
Klavier- und Orchesterwerken Stilelemente der Z. als 
Anregung und Vorbild gedient. M. de Falla hat in 



Granada in engem Kontakt mit Zigeunern gelebt und 
ihre Musik studiert, die in mehreren seiner Werke 
ihren Niederschlag gefunden hat. In Carmen hat Bizet 
eine Zigeunerin als Titelheldin gewahlt. Russische Z., 
die der des Balkans ahnelt, findet sich in Werken rus- 
sischer Komponisten wie Glinka, der einige Jahre in 
Spanien lebte und spanische Z. in seiner Ouvertiire 
Jota aragonesa verherrlichte. Einer der wenigen stilbil- 
denden europaischen Jazzmusiker war der franzosische 
Zigeunergitarrist Django Reinhardt. 
Lit.: G. H. Borrow, The Zincali, London 1841; ders., 
The Romany Rye, London 1857; J. A. Vaillant, Les 
Romes, Paris 1857; Fr. Liszt, Des Bohemiens et de leur 
musique en Hongrie, Paris 1859, deutsch in: Gesammelte 
Schriften VI, hrsg. v. La Mara, Lpz. 1883 ; A. T. Sinclair, 
Gypsy and Oriental Music, Journal of American Folklore, 
Boston 1907; F. Pedrell, Cancionero mus. popular es- 
pafiol, 4 Bde, Vails 1 9 1 8-22 ; Z. G ardonyi, Die ungarischen 
Stileigentiimlichkeiten in d. mus. Werken Fr. Liszts, = Un- 
garische Bibl. I, 16, Bin u. Lpz. 1931 ; B. Bartok, Gypsy 
Music or Hungarian Music, MQ XIX, 1933; ders., Die 
Volksmusik d. Magyaren u. d. benachbarten Volker, 
= Ungarische Bibl. I, 20, Bin 1935; W. Starkie, Don 
Gypsy, London 1936; ders., Auf Zigeunerspuren, Mun- 
chen 1957; M. de Falla, Escritos, Madrid 1947. FB 

Zigeunertonleiter (frz. mode hongrois) wird die har- 
monische Molltonleiter mit hochalterierter Quarte ge- 
nannt (a h c dis e f gis a), auch zu erklaren als Molldur 
mit tiefalterierter Sekunde (a b cis d e f gis a). Sie taucht 
zuerst um 1800 im ->■ Verbunkos auf und wurde bis in 
den Anfang des 20. Jh. vielfach zur Kennzeichnung des 
Ungarischen benutzt, so von Liszt (Ungarische Natio- 
nalmelodien, erschienen ab 1840), der sie noch in sei- 
nem nicht mehr allein auf Terzharmonik basierenden 
Spatstil anwandte. 

Lit.: Fr. Liszt, Des Bohemiens et de leur musique en 
Hongrie, Paris 1 859, deutsch in : Gesammelte Schriften VI, 
hrsg. v. La Mara, Lpz. 1883; Z. G ardonyi, Die ungari- 
schen Stileigentiimlichkeiten in d. mus. Werken Fr. Liszts, 
= Ungarische Bibl. I, 16, Bin u. Lpz. 1931. 

Zimbal, Zimbalon -» Cimbalom. 

Zimbeln (von lat. -> cymbala). - 1) »Antike Z.«, 
Cymbales antiques (frz.; engl. antique cymbals; ital. 
cimballini), oft ungenau als -»- Crotales oder Kleine Z. 
(Kunitz) bezeichnet, sind aus Silberbronze gegossene, 
abgestimmte kleine Becken, die zuerst von Berlioz 
(Romeo et Juliette, 1839; Les Troyens, 1856-59) als Or- 
chesterinstrument eingesetzt und seitdem gelegentlich 
zur Instrumentation herangezogen wurden, z. B. von 
Debussy (Prelude a Vapres-midi d'unfaune, 1894), Ravel 
(Daphnis et Chloe, 1912), Milhaud (L'homme et son desir, 
1921) und Boulez (Le visage nuptial, 1951). Kleine »An- 
tike Z.« (0 ca. 5 cm) verlangt Strawinsky in Svadebka 
(»Les Noces«, 1923) ; die von Orff (z. B. in Antigonae, 
1949) vorgeschriebenen Cymbeln sind dagegen kleine 
Becken aus Blech ohne definierbare Tonhohe. Die No- 
tation der »Antiken Z.« erfolgt heute auf einer Linie 
ohne Schliissel. - Der Name Cymbales antiques geht 
auf Berlioz zuriick, der zwei auf b 2 und f 3 abgestimmte 
Zimbelpaare nach dem Vorbild erhaltener antiker Ori- 
ginalinstrumente (-»• Kymbala) anfertigen lieB. Cha- 
rakteristisch fiir die Cymbales antiques ist eine kleine, 
halbkugelige Wolbung mit Off nungen fiir einen Halte- 
riemen und ein breiter, vollig flacher Rand (auBerer 
ca. 8-10 cm). Aus der Antike, dem Mittelalter und der 
Renaissance, zuletzt bei Praetorius (Synt. II, Tafel XL 
und XLI), sind daneben auch schwach gewolbte bis 
glockenahnliche Formen von Z. belegt. Wahrend die 
paarweise gespielten Z. wie Becken durch streifendes 
Gegeneinander- oder durch Aneinanderschlagen der 
Rander zum Klingen gebracht werden, sind in neuerer 
Zeit auch Satze von zwolf einzeln aufgehangten und 



1079 



Zimbelstern 



im Halbtonabstand gestimmten Z. hergestellt worden, 
die mit kleinen Schlageln gespiclt werden. 
- 2) In der Orgel ist Zimbel (auch Zymbel, Cimbel, 
Cimbale, Cymbalum; frz. cymbale) eine bis in die Ba- 
rockzeit sehr beliebte gemischte Stimme mit hochlie- 
genden Choren in enger Prinzipalmensur. Sie steht in 
der FuBtonlage iiber der -> Mixtur, im franzosischen 
Orgelbau als Cymbale iiber ->• Fourniture, bzw. grosse 
cymbale iiber grosse fourniture. Die Zimbel hat die 
verschiedensten Ausbildungen erfahren, so als nur ok- 
tavhaltige Oktavzimbel, mit Quinte als Quintzimbel, 
auch als Terzzimbel, neuerdings sogar mit Septen 
durchsetzt. Sie klingt glitzernd-hell, ohne stechend zu 
wirken. Schon Schlick sagt von ihr, dafi sie zu alien 
Registern wohllautet. Als Schar£zimbel - im Cha- 
rakter zum -> Scharf hin ausgerichtet - hat sie zahl- 
reichere Chore, ebenso als Zimbelmixtur (auch mit 
hoher Terz). Im suddeutschen Orgelbau findet sie sich 
als Cymbalum von 6 bis zu 12 Choren auf dem 1', 
wahrend G. Silbermann sie geringchoriger als hohere 
Mixtur baute (1', 2 / 3 ', 1/2' °der 1', 2 ji). Beriihmt ist 
Scherers »klingende Zimbel « mit i/g', i/ 8 ', 1/10' auf C. Je 
hoher die Chore liegen, um so haufiger ist eine Repeti- 
tion notwendig. 

Zimbelstern (Cymbelstern, auch Glockenzimbel, 
Glockenrad), ein mechanisches Spielwerk in der Orgel, 
einschaltbar durch einen Registerzug. Der Z. wird durch 
ein Windrad in Bewegung gcsetzt; dessen Welle tragt 
entweder eine Reihe kleiner Schellen in unharmoni- 
scher Zusammensetzung, oder sic bewegt Metallham- 
mer, die 3 bis 4 meist auf Durdreiklange iiber c 2 , f 2 oder 
g 2 (zuweilen auch auf die Reihe c 2 d 2 e 2 g 2 o. a.) abge- 
stimmte Glockchen betatigen. Zugleich setzt die Welle 
einen am Prospekt sichtbar angebrachten Stem (daher 
Z.) bzw. ein Sonnen- oder Fliigelrad in Bewegung. - 
Der Z. ist hervorgegangen aus den Glocken- und Schel- 
lenradern, die im Mittelalter in den Kirchen und bei 
den Spielleuten verwendet wurden (->■ Tintinnabula) ; 
er findet sich spatestens im 15. Jh. in der Orgel. Im 
Barock wurde er von den Kirchenorganisten (auch von 
J.S.Bach) geschatzt, wahrend er vorher (z. B. 1511 von 
Schlick im Spiegel der Orgelmacher, Cap. I) und im 
19. Jh. vielfach abgelehnt wurde. Seit der Orgelbe- 
wegung fand der Z. wieder groBcres Interesse. 

Zink (mhd. zinke, s. v. w. kleines Tierhorn; ital. cor- 
netto; frz. cornet a bouquin) ist ein Griff lochhorn, 
meist aus (lederiiberzogenem) Holz. Obwohl schwierig 
zu blasen, war der Z. im 16./17. Jh. sehr verbreitet in 
Kammer- und Kirchenmusik sowie beim ->• Abblasen 
von den Tiirmen, wo er sich als Instrument der Stadt- 
pfeifer (Zinkenisten) bis ins 19. Jh. hielt. Im concertie- 
renden Stil kann oft wahlweise Z. oder Violine besetzt 
werden. Im Blaserensemble war der Z. oft Diskant der 
-Posaunenfamilie. 

Der gerade Z. (Stiller Z., ital. cornetto muto) ist auBen 
8- oder 6kantig, mit zuweilen ovalem Querschnitt des 
FuBes; er hat ein angedrechseltes Mundstiick mit sehr 
enger Bohrung. Dieser Z. stand in A (Chor- oder 
Kammerton, daher Lange etwa 58-66 cm; vgl. die In- 
ventare Ambras und Stuttgart, letzteres mit 112 Z.en). 
Den Klang beschreibt Praetorius: diese seynd am Re- 
sonantz gar sanfft j still J vnd Heblich zu horen: Darumb 
sie dann auch stille Zincken genetmet werden (Synt. II, 
S. 36). Zu den Worten Siehe, wiefein und Heblich (133. 
Psalm) fordert Schiitz (GA XIV) Cornetto muto o 
Violino. Neben der Diskantlage gibt es auch die Alt- 
lage; G. Gabrieli fiihrt den Stiffen Z.en in seinen Kan- 
zonen bis g, Schiitz gelegentlich bis e. Kleine Stille 
Z.en, die eine Quarte iiber dem Diskantinstrument 
stehen, nennt das Kasseler Inventar (1613). - Der An- 



satz des Stillen Z.en ist schwierig, weswegen vereinzelt 
Stadtpfeifer mit doppeltem Rohrblatt spielten. So ent- 
stand der Rohr-Z. mit anderem Klang und leichterer 
Ansprache in hoher Lage. - Der gerade Z. mit Mund- 
stiick (ital. cornetto diretto) stand in A (Umfang a-c 3 
in Kammer-, Chor- oder Cornetton, Lange etwa 
55-59 cm; zur Gewinnung der Altlage wurden Schall- 
stiicke aus Messing auf genietet, die das Instrument auf 
72-74 cm verlangern). In Frankreich scheint dieser Z. 
im 17. Jh. nicht mehr verwendet worden zu sein, jeden- 
falls erwahnt ihn Mersenne (1636) nicht mehr. 
Der krumme Z. (Schwarzer Z.; ital. cornetto curvo), 
mit 6- oder 8kantigem Querschnitt, ist der am hau- 
figsten vorkommende Typ, ein Instrument der Stadt- 
pfeifer, das oft in der Kirche verwendet wurde. Der 
Recht Chor Zinck bei Praetorius ist 6eckig mit 7 Griff- 
lochern und steht im Chorton der Kirchenmusik. Der 
franzosische Haute-contre ist ein Alt-Z. in G. Er hat 
nach Mersenne 7 Vorderlocher, von denen das letzte 
verklebt ist, sowie 1 Daumenloch, und ist gebrauchlich 
als Diskant in Konzerten mit Singstimmen und mit 
Orgel. Neben dem krummenZ.en in Diskant-oder Alt- 
lage gab es auch einen kleinen krummen Z.en (ital. 
cornettino curvo). Sein Umfang war bei Praetorius 
e!-e 3 (eine Quinte hoher als der Diskant-Krumm-Z.) ; 
das 18. Jh. bevorzugte di-d 3 , auch bis g 3 , zur Not bis a 3 
(WaltherL; in Kompositionen von Vierdanck und 
Schelle). - Der Tenor-Z. (ital. corno torto) ist fast wie 
ein S formiret (Praetorius) und 8kantig. Eine Vorform 
in S-Gestalt wie eine Tabakpfeife ist auf einer von Mai- 
nardi (um 1460-1513) gemalten Engelsmusik erkenn- 
bar. Der Tenor-Z. steht in D, hat aber eine C-Klappe; 
geiibte Spieler bewaltigten 2 Oktaven. Er war im 
16. und friihen 17. Jh. sehr beliebt, wenngleich Prae- 
torius ihm die Posaune vorzieht. In der Motette Ist 
nicht Ephraim mein teurer Sohn von Schiitz erscheint ein 
Tenor-Z. (e-hi) als Grundstimme im 4st. Z.en-Chor. 
Im Spatbarock wurde der Corno torto vom Waldhorn 
abgelost. - Daneben, ebenfalls mit S-Form, aber auBen 
rund, gab es einen franzosischen BaB-Z.en in G mit 
F-Klappe (Lange etwa 130 cm). In Deutschland begeg- 
neten im Baden-Badener Inventarverzeichnis von 1 582 
vier schwartzs corneten, darunder ein grosser Bass (zur Ned- 
den, S. 28), und im Ambraser Inventar 1596 werden 
2 Basse verzeichnet (Umfang 8-9 Tone). Doch sind 
das Seltenheiten; das eigentliche BaBinstrument der 
Z.en-Familie kommt erst mit dem -> Serpent auf. Der 
krumme Z. wurde entweder aus abgelagertem Holz 
(Spierlings- oder Sandelbaum nach Mersenne; Buchs-, 
Pflaumen-, NuBbaum oder Ebenholz) in 2 Halften 
krumm ausgeschnitten, rinnenartig ausgehohlt und 
dann gegeneinander geleimt, oder ein im geraden Zu- 
stand bearbeitetes Holz wurde nachtraglich iiber dem 
Feuer gebogen. Gelegentlich diente als Material auch 
Metall und Elfenbein. Ein Lederiiberzug schiitzt das 
Holz gegen StoB und Temperaturwechsel ; nach dem 
Leder wurde die gebogene Form Schwarzer Z. ge- 
nannt, im Gegensatz zum WeiBen (geraden) Z.en (Zac- 
coni, Cerone, Praetorius). Der Z. verschwand mit dem 
Aussterben der Stadtpfeiferkunst. 
Lit.: Praetorius Synt. II; M. Mersenne, Harmonie uni- 
verselle, Paris 1636, Faks. hrsg. v. Fr. Lesure, 3 Bde, Paris 
1963 ; WaltherL; M. Schneider, Die Besetzung d. vielst. 
Musik d. 16./17. Jh., AfMw I, 1918/19; O. zur Nedden, 
Quellen u. Studien zur oberrheinischen Mg. im 15. u. 16. 
Jh., = Veroff. d. Musik-Inst. d. Univ. Tubingen IX, Kassel 
1 93 1 ; G. Karstadt, Zur Gesch. d. Z. u. seiner Verwendung 
in d. Musik d. 16.-18. Jh., Af Mf II, 1937; A. Baines, Wood- 
wind Instr. and Their Hist., London (1957). 

Zither (von griech. -»■ Kithara iiber lat. cithara; bei 
Notker zitherun, seit dem 17. Jh. Cither, Zitter), - 1) in 



1080 



Zugtrompete 



der Systematik der Musikinstrumente von Sachs und 
v. Hornbostel Sammelbezeichnung fiir die einfachen 
Chordophone ohne Resonanzkorper oder mit Reso- 
nanzkorper in nichtorganischem Zusammenhang. Die 
wichtigsten Z.-Formen sind die Stab-Z. (-»■ Musik- 
bogen), die W61bbrett-Z. (-> K'in, -> Koto) und die 
Brett-Z., zu der neben der historischen Z. das -> Psal- 
terium, das -> Hackbrett sowie die besaiteten Tasten- 
instrumente gehoren. - 2) ein Saiteninstrument mit 
iiber einem flachen Resonanzkasten (meist Fichte) ge- 
spannten Saiten, von denen einige (Spielsaiten) iiber ein 
Griffbrett mit Biinden laufen. Die Spielsaiten (Metall) 
werden mit Plektron oder mit einem Schlagring ge- 
spielt, die Begleitsaiten (Darm oder Kunststoff, teils 
umsponnen) werden gezupft. Die Z. wird beim Spiel 
auf die Knie oder einen Tisch gelegt. - Die altesten er- 
haltenen Z.n stammen aus der 2. Halfte des 17. Jh. aus 
den Ostalpen, wo sie aus dem Scheitholt hervorge- 
gangen sind; es sind rechteckige, mit Tremoloanschlag 
zu spielende »Kratz-Z.n«. Die Grundform der moder- 
nen Z. bildete sich zu Ende des 18. Jh. durch Umwand- 
lung der Rechteckform in eine beiderseitig (Mitten- 
walder Z.) oder nur einseitig, an der dem Griffbrett 
gegeniiberliegenden Seite gebauchte Form; die letztere 
(Salzburger Z.) hat sich durchgesetzt. Nachdem die 
Alpenlandschaften fiir die Literatur und als Reiseland 
entdeckt waren, wurde zu Anfang des 19. Jh. die Z. 
Modeinstrument (nicht zuletzt durch die Forderung, 
die Maximilian von Bayern dem Wiener Z.-Spieler 
J.Petzmayer angedeihen lieB). Z.-Spieler und Volks- 
liedgruppen traten zuerst 1828 in Wien, im folgenden 
Jahr u. a. in Berlin auf. Fiir das Konzertspiel muBte die 
Zahl der Saiten vermehrt werden. Hatte die Z. um 
1750-1830 2 doppelchorige oder 3 einfache Spiel- und 
2-17 Freisaiten sowie 13-17 Biinde, so bekam sie 5 
Spielsaiten, in ai ai d> g c in der »Miinchner Stimmung« 
von Nikolaus Weigel (1811-78), in ai di gi g c in der 
»Wiener Stimmung« von Carl -> Umlauf ; die Nor- 
malstimmung von H.Albert 1886 schlieBt sich an die 
»Miinchner Stimmung« an. Die 24-39 Freisaiten sind 
im Quinten- oder Quartenzirkel gestimmt mit Unter- 
schieden in den einzelnen Systemen (Konzert-Z., Per- 
fekta- und Perfektaseptimen-Z., Ganz- und Halbideal- 
reform-Z.). Fiir das chromatische Spiel gibt es die 
Diskant-, Quint-, Alt- und BaB-(Elegie-)Z. 1823 er- 
fand J.Petzmayer die ->• Streich-Z. mit gewolbtem 
Griffbrett. Zur Verstarkung von Melodie und BaB 
spielte er schon mit Violine und Gitarre zusammen. - 
Das angestammte Spielgut der Z. sind siiddeutsch- 
alplerische Volkslieder und -tanze (aus der Wiener 
Heurigenatmosphare schopft noch der Schlagerwelt- 
erfolg des auf der Z. gespielten Harry-Lime- Theme aus 
dem Film »Der dritte Mann«, 1949). Mit dem Auf- 
kommen von Z.-Vereinen mit eigenen Zeitschriften 
seit der 2. Halfte des 19. Jh. wurden Neukompositionen 
geschrieben im Stil der Salonmusik, aber auch der 
klassischen Konzertmusik. Daneben wurde versucht, 
Meisterwerke in Transkriptionen der Z. zuganglich 
zu machen. In neuester Zeit hat die Z. in einfachsten, 
zum Selbstbau geeigneten Formen (Schmal-Z.) Ein- 
gang in die Schulmusik gefunden. - Schulwerke: N. 
Weigel, Theoretisch-practische Zitherschule (Miinchen 
1838); C. Umlauf, Neueste vollstandige theoretisch-prak- 
tische Wiener Zitherschule (Wien 1859) ; R. Griinwald, 
Meine Methode (Bad Honnef o. J.). 
Lit.: zu 1): E. M. v. Hornbostel u. C. Sachs, Systematik 
d. Musikinstr., Zs. f. Ethnologie XLVI, 1914, engl. v. A. 
Baines u. Kl. P. Wachsmann, als: Classification of Mus. 
Instr., The Galpin Soc. Journal XIV, 1961 ; C. Sachs, Geist 
u. Werden d. Musikinstr., Bin 1929, Nachdruck Hilversum 
1965; T. Norlind, Systematik d. Saiteninstr., I: Gesch. d. 



Z., Stockholm 1936. - zu 2) : H. Kennedy, Die Z. in d. Ver- 
gangenheit, Gegenwart u. Zukunft, Tolz 1896; Ch. Mac- 
lean, The Z., ZIMG X, 1908/09; A. V. Nikl, Die Z., Ihre 
hist. Entwicklung bis zur Gegenwart, Wien 1927; K. M. 
Klier, Volkstumliche Musikinstr. in d. Alpen, Kassel 
1956; J. Brandlmeier, Hdb. d. Z., Miinchen 1963. 

Zoppa (ital., hinkend) heiBt ein Tanz, in dem - wie in 
vielen englischen Jigs - jambischer Rhythmus mit der 
kurzen Note am Taktanfang regelmaBig wiederkehrt 

(Beispiel aus G. B.Vi- 
talisop. 14, 1692; in: 



JH1J J^ l pffr 



Torchi VII). Wal- 
therL bezeichnet als Contrapunto alia z. (auch Con- 
trepoint boiteux, oder a la boiteuse) eine Komposition 
mit synkopierter Gegenstimme. 

Zortziko (9or0'iko, span.), ein baskisches Tanzlied in 
beschwingtem 5/8-(5/4-)Takt (3/8+2/8), oft punktiert 
_ I I r-pa pa (meist auf dem 2. und 

1 1|: J- 4 :|| bzw. \\:JJ-JJ-J:\\ 4 A chtel), zu dem ge- 
wohnlich auf Txistu und Tamboril gespielt wird. Der 
Z. wird auch im Verlaufe des ->■ Aurresku getanzt. 
Ein Verbinden zweier 5/8-Takte zu einem 10/8-Takt 
setzte sich nicht durch, hingegen wurde ab Ende des 

6ii.JT~53J~353.il 18- bis Mitte des 19. Jh. eine 6/8- 
8 1|: 4- 4444- 444 :|| jsf ot i erun g angewendet, die jedoch 

dem eigentlichen Z.-Rhythmus nicht gerecht werden 

konnte. 

Lit.: Fr. Gascue, El compas quebrado del Z., Revista 

mus. de Bilbao 1, 191 1 ; P. Donostia, Dos z. del s. XVIII en 

5/8, Rev. Internationale des etudes basques, XIX, 1928; 

ders., Mas sobre la escritura del z. en 5/8, ebenda XXVI, 

1935. 

Zurich. 

Lit. : A. Steiner, Aus d. Ziircher Konzertleben d. 2. Halfte 
d. vorigen Jh., 2 Bde, = Neujahrsstiicke d. Allgemeinen 
Musikges. in Z. XCII/XCIII, 1903/04; M. Fehr, Z. als 
Musikstadt im 18. Jh. (Bd I: Spielleute im alten Z.), Z. 
1916; E. Isler, Das Ziircherische Konzertleben seit d. Er- 
offnung d. neuen Tonhalle 1895, Teil I 1895-1914, Neu- 
jahrsblatt d. Allgemeinen Musikges. Z. 1935, Teil II 1914- 
31, ebenda 1936; G. Kummer, Beitr. zur Gesch. d. Z.er 
Aktientheaters 1843-90, Z. u. Lpz. 1938; S. Muller, Aus 
150 Jahren Hug & Co. Musikalien u. Instr., 1807-1957, Z. 
1957; M. Hurlimann u. H. Ott, Theater in Z., Z. 1959 ; H. 
Reimann, Die Einfiihrung d. Kirchengesanges in d. Ziir- 
cher Kirche nach d. Reformation, Z. 1959; Fr. Jakob, 
Der Orgelbau im Kanton Z. v. seinen Anfangen bis zur 
Mitte d. 19. Jh., Diss. Z. 1962; A. Briner, Mg. aus d. Per- 
spektive Z., Die Neujahrsblatter d. Allgemeinen Musikges. 
Z. 1813-1965, = 150. Neujahrsblatt d. Allgemeinen Mu- 
sikges. Z., 1966. 

Zugtrompete, eineTrompete, bei der dieEinsteckhiilse 
des Mundstiicks so verlangert ist, daB durch Ausziehen 
wahrend des Spiels der Grundton des Instruments er- 
niedrigt werden kann. Nach Abbildungen des 15. Jh. 
wurde das Mundstiick mit der linken Hand an die Lip- 
pen gedriickt, wahrend die rechte Hand den Hauptteil 
des nach unten gerichteten Instruments hin und her 
her bewegte. Damit war nicht nur der Stimmton va- 
riabel, sondern es konnte auch durch Vertiefung jedes 
Naturtons um bis zu 3 Halbtonschritte vom 4. Natur- 
ton an eine voile chromatische Skala gebildet werden. 
Da im Unterschied zur spater entstandenen -*■ Po- 
saune (- 1) der ungebogene Teil der Rohre verlangert 
wurde, war der Auszug durc'h die Armlange des Spie- 
lers und die Lange der Einsteckhiilse auf 3 Halbtone 
beschrankt. Eine Z. von H. Veit (Naumburg 1651) be- 
wahrt das Staatliche Institut fiir Musikforschung (Mu- 
sikinstrumentensammlung) in Berlin. In Bildzeugnis- 
sen des 15. Jh. erscheinen die Z.n-Blaser zusammen 
mit Schalmei- und Bomhartblasern als Gruppe, die 
zum Tanz aufspielt (-> haut, -> Cobla). 
In den mehrstimmigen ->■ Quellen BL und Ao hat 



1081 



Zukunftsmusik 



Besseler (1950) sechs um 1430 entstandene Satze nach- 
gewiesen, in denen eine Unterstimme ah trumpetta 
oder tuba bezeichnet wird, deren Tonvorrat mit der 
Naturtrompete nicht darzustellen ist. Als freier Instru- 
mentalbaB stiitzt eine solche Stimme ein Duett von 
2 Discantus, die nach Art der durch Ciconia in die 
geistliche Musik iibertragenen Stimmenanordnung der 
italienischen -> Caccia kanonisch gefiihrt sein konnen. 
Nach Entstehungszeit und -ort von dieser Gruppe ge- 
trennt ist ein zweistimmiges textiertes Taglied Hor 
liebste frau in der Mondsee-Wiener Liederhandschrift 
(um 1400; ->- Liederbiicher) mit dem Vermerk Daz 
haizt dy trumpet und ist auch gut zu blasen. Der Ambitus 
dieser Stimmen (bis zu einer Tredezime) ist fur eine 
Trompete ungewohnlich groB (Dufays Gloria ad mo- 
dum tubae beschrankt sich auf den 3.-6. Naturton einer 
Naturtrompete, g-g 1 ). Da fiir die Ausfiihrung dieser 
Satze auf der Z. auch die Oktave zwischen dem 2. und 
4. Naturton und Herabstimmung bis zu 4 Halbtonen 
erforderlich ware, mufi die Frage often bleiben, ob es 
sich um wirkliche Besetzungsvermerke (Besseler 1950) 
oder die Nachahmung der typischen Dreiklangsbre- 
chungen der Trompete mit einem anderen Instrument 
(Harrison 1966) handelt. Das Gleiche gilt fiir den Con- 
tratenor trompette einer anonymen Bearbeitung von 
P.Fontaines 3st. Chanson J 'aime bien (EscA, f. 49'; 
->■ Chansonnier), dessen tiefe Lage (Ambitus D-d 1 ) 
nicht auf der Z. ausgefuhrt werden kann, sondern eine 
Posaune verlangt. Den Zusammenhang von Posaune 
und Z. dokumentiert auch die Benennung der Posaune 
als trombone (ital., groBe Trompete) oder trompette 
saicqueboute (so in einer burgundischen Chronik fiir 
das Jahr 1468; frz., Zieh-StoB-Trompete; -*■ Saque- 
boute). Die Z. lebte bei den Stadtpfeifern des 16.-18. 
Jh. als Tiirmerhorn (M.Agricola 1525, Virdung 1511) 
fort. Noch J.S.Bach schrieb sie (z. B. in BWV als 
C. f .-Instrument) unter der Bezeichnung tromba (oder 
corno) da tirarsi vor. Eine Z. in verkleinerter Posaunen- 
form (slide trumpet) wurde im 19. Jh. in England ge- 
baut. 

Lit.: Fr. W. Galpin, The Sackbut, Proc. Mus. Ass. 
XXXIII, 1906/07; C. Sachs, Bachs Tromba da tirarsi, 
Bach-Jb. V, 1908; ders., Chromatic Trumpets in the Re- 
naissance, MQ XXXVI, 1950; H. Riemann, Hdb. d. Mg. 
II, 3, Lpz. 2 1922; J. Mark, Hist, de la musique et des mu- 
siciens de la cour de Bourgogne . . . , = Slg mw. Abh. 
XXVIII, StraBburg 1939; H. Besseler, Die Entstehung d. 
Pos., AMI XXII, 1950; R. M. Peoge, The Regent's Bugle, 
The Galpin Soc. Journal IX, 1956; Fr. Ll. Harrison, 
Tradition and Innovation in Instr. Usage 1100-1450, in: 
Aspects of Medieval and Renaissance Music, Fs. G. Reese, 
NY (1966). 

Zukunftsmusik, ein gegen die Kunst R.Wagners ge- 
richteter polemischer Begriff, den Wagners zeitgenos- 
sische Gegner in bewuBt verkehrender Zuspitzung sei- 
ner Idee vom Kunstwerk der Zukunft gebrauchten. Pra- 
gung und Anwendung des Wortes Z. waren in dop- 
pelter Weise polemische Vereinf achung : einmal wurde 
aus Wagners Gedanken einer zukunftigen Vereinigung 
der Kiinste die Musik als eine Z. herausgelost, zum 
andern wurde dieser Gedanke bei kritischer Anwen- 
dung auf die derzeitigen Werke Wagners (Tannhau- 
ser, Lohengrin) in die Gegenwart projiziert. - Wagners 
Titel Das Kunstwerk der Zukunft (1850) war als Aus- 
druck einer allgemeinen zeitgenossischen Geisteshal- 
tung (Konkretisierung und Verdinglichung der roman- 
tischen Zukunftssehnsucht) beeinfluBt von verwandten 
Formulierungen auf anderen Gebieten (A. Ruges Revo- 
lution der Zukunft, in: Hallischejahrbiicher 1838; L. Feuer- 
bachs Grundsatze einer Philosophic der Zukunft, 1843). 
Schon R. Schumann schrieb um 1833 (Denk- und Dicht- 
biichlein) vom Fehlen einer Zeitschriftfiir »zukiinftige Mu- 



sik*; Karl Gaillard charakterisierte 1847 {Berliner musi- 
kalische Zeitung Nr 24) Werke von Berlioz abwertend 
als musikalischen Hokuspokus, genannt »die neue Musik* 
oder die »Musik der Zukunftn. - Erfinder des Wortes Z. 
scheint nicht, wie im AnschluB an Wagners eigene Be- 
merkungen allgemein angenommen wird, Ludwig Bi- 
schoff zu sein. Bevor dieser zumExponenten der »Anti- 
Zukiinf tler« (vor allem in seiner Niederrheinischen Mu- 
sikzeitung) wurde, ist der Begriff bei anderen Autoren 
belegt (z. B. F. A. Riccius, 16. 2. 1853 in der Rheinischen 
Musikzeitung, herausgegeben von L.Bischoff; ferner 
in: Die Grenzboten II, 1853). Bischoff spricht in seiner 
im gleichen Jahr veroff entlichten Rezension des Tann- 
hauser gelegentlich von »Wahrheitsmusik«, nicht aber 
von Z. Die Anhangerschaf t Wagners, reprasentiert vor 
allem durch den Leipziger Kreis um Fr.Brendel, ver- 
suchte zunachst, das Wort positiv aufzugreifen (auch 
Wagner selbst tat das in seinem Brief an Fr. Villot von 
1860), wollte aber sparer (Leipziger Tonkunstler-Ver- 
sammlung 1859; dazu Bischoff 1859) lieber von »neu- 
deutsch« sprechen. In der von J.Brahms, J. Joachim, 
J. O. Grimm und B. Scholz unterzeichneten Erklarung 
von 1860 wird Z. gleichbedeutend mit -*■ Neudeutsche 
Schule gebraucht. 

Lit. : R. Wagner, Das Kunstwerk d. Zukunft, in: Gesam- 
melte Schriften III, Bin, Lpz., Wien u. Stuttgart 1914; 
ders., Ein Brief an H. Berlioz, ebenda VII ; ders., »Z.« 
ebenda VII, dazu L. Bischoff in: Niederrheinische Musik- 
zeitung IX, 1861; L. Bischoff, R. Wagners Tannhauser, 
Rheinische Musikzeitung III, 1852/53; ders., Mozarts 
Don Juan in Bin seit 1790, Niederrheinische Musikzeitung 
I, 1853; ders., »Z.«, ebenda VII, 1859; F. A. Riccius, 
Leipziger Briefe, Rheinische Musikzeitung III, 1852/53; 
Fr. Brendel, Die bisherige Sonderkunst u. d. Kunstwerk 
d. Zukunft, NZfM XXXVIII, 1853; ders., Die Musik d. 
Gegenwart u. d. Gesammtkunst d. Zukunft, Lpz. 1854; 
ders., Fr. Liszt's neueste Werke u. d. gegenwartige Partei- 
stellung, NZfM XLVII, 1857; Peltast (H. v. Billow), Die 
Opposition in Suddeutschland, NZfM XXXIX, 1853, 
Neudruck in: Ausgew. Schriften, = Briefe u. Schriften III, 
hrsg. v. M. v. Biilow, Lpz. 1896; Unsere Tage. Blicke aus 
d. Zeit in d. Zeit, Bd I, 1859/60, Artikel Z., Braunschweig 
1860; Fr. Meyer, R. Wagner u. seine Stellung zur Vergan- 
genheit u. »Zukunft«, Thorn 1859; H. Berlioz, Concerts 
de R. Wagner. La musique de l'avenir, 1860, in: A travers 
chants, Paris 1880; W. Tappert, Wagnerlexikon, Lpz. 
1877; G. Buchmann, Geflugelte Worte, Bin "1892; A. 
Gombert, t)ber d. Alter einiger Schlagworte, Festgabe f. 
d. 13. Hauptversammlung d. Allgemeinen deutschen 
Sprachver., Breslau 1903; O. Ladendorf, Hist. Schlag- 
worterbuch, StraBburg u. Bin 1906. RB 

Zunft (ahd. zumft), urspriinglich s. v. w. das, was sich 
fiir eine Gesellschaftsschicht »ziemt«, spater Bezeich- 
nung fiir eine Handwerkergenossenschaft mit be- 
stimmten Konventionen, Ausbildungsvorschriften und 
Privilegien. Indent die Handwerker eines Gewerbe- 
zweiges sich zusammenschlossen, sich gemeinschaft- 
lich in einer StraBe ansiedelten, zu sittlichem Lebens- 
wandel sich verpflichteten und in das Z.-Leben mit 
seinen Brauchen und Riten sich einfiigten, war eine 
Gewahr fiir die Ordnung innerhalb des stadtischen 
Gemeinwesens gegeben; die fiir die Lehrlingsausbil- 
dung erlassenen Vorschriften garantierten der Biirger- 
schaft auBerdem die Qualitat aller Arbeiten. Die Z.- 
Mitglieder erhielten dafiir das Recht, ihren Beruf aus- 
zuiiben, und sie waren vor unlauterer Konkurrenz 
durch den Z.-Zwang geschiitzt. - Im Bereich des Mu- 
sikwesens werden heute die verschiedenartigsten Ge- 
nossenschaften, Gilden und Berufsstande aus der Zeit 
vom 12. bis 18. Jh. mit mehr oder weniger Recht als 
Ziinfte bezeichnet. Fiir die fahrenden -> Spielleute (- 1) 
des Mittelalters gab es verschiedene Moglichkeiten, ihre 
Ehr- und Rechtlosigkeit zu iiberwinden oder einzu- 
schranken. So konnten sie sich innerhalb einer Provinz 



1082 



Zunft 



oder einer Landschaft zusammenschlieBen, sich einem 
Pfeiferkonig oder Spielgrafen unterordnen und sich 
Gesetze geben, die sich auf Berufsausiibung und Le- 
benswandel bezogen. Die Spielleute eines Pfeiferkbnig- 
reiches oder Spielgrafenamtes pflegten jahrlich einmal 
zu einem Pfeifertag zusammenzukommen, bei dem der 
Pfeiferkonig mit gewahlten Altesten iiber alle internen 
Streitigkeiten Recht sprach. Durch den Eintritt in den 
Landschaftsverband erwarb sich der Spielmann das 
Recht, seinen Beruf ohne Diskriminierung auszuiiben. 
Andererseits waren auch Staat und Kirche daran inter- 
essiert, daB das unruhige Volk der Fahrenden sich in 
eine Ordnung einfiigte. So konnte die Initiative zur 
Griindung von Pfeiferkonigreichen auch von den Ter- 
ritorialherren ausgehen. Das elsassische Pfeiferkonig- 
reich unterstand seit dem 13. Jh. den Grafen von Rap- 
poltstein, die sich wiederholt fur die Belange der Mu- 
siker eingesetzt haben. In Frankreich lassen sich Pfeifer- 
konige seit dem 12., in England seit dem 13. Jh. nach- 
weisen. Das Vermogen der landschaftlichen Pfeifer- 
gilden entstand aus den Beitragen der Mitglieder und 
aus den fur Vergehen festgesetzten Strafgeldern. - An- 
dere Spielleute waren seBhaft geworden und griindeten 
Bruderschaften, zunachst meist mit dem Ziel, eine An- 
erkennung durch die Kirche zu erreichen. In mehreren 
Fallen stif tete und unterhielt die Bruderschaft ein Spital 
(im 12. Jh. in London und in Arras, 1330 in Paris), das 
zum Mittelpunkt der Organisation wurde. Viele dieser 
anfangs religiosen Bruderschaften entwickelten sich zu 
zunftahnlichen Organisationen. Einige dehnten ihren 
EinfluB auf grbBere Bezirke und ganze Lander aus und 
wurden zu Pfeiferkonigreichen oder Spielgrafenam- 
tern. Die 1321 gegriindete Pariser Bruderschaft St-Ju- 
lien verfaBte ihre Statuten »zum Vorteil der Musiker 
und zum Nutzen der Stadt«. Bei der Revision dieser Sta- 
tuten im Jahre 1407 wurden auch die Dauer der Lehr- 
zeit und Einzelheiten der Ausbildung festgelegt; auBer- 
dem erhielt der Pariser Pfeiferkonig die Macht iiber die 
Spielleute des ganzen Landes. In ahnlicher Weise hatte 
sich im 14. Jh. die Wiener Nikolai-Bruderschaft zum 
osterreichischen Spielgrafenamt entwickelt. 
Die von den Stadten offiziell unterhaltenen -»■ Stadt- 
pfeifer stellten sich ebenfalls unter zunftahnliche Sta- 
tuten. In einigen Stadten bildeten sich neben den Stadt- 
pfeifereien weitere Gilden von privilegierten Spiel- 
leuten, die in Abstimmung mit den Rechten der Stadt- 
pfeifer nur in bestimmten Bezirken oder nur fiir be- 
stimmte Bevblkerungsschichten musizieren durften. 
Die zunftmaBigen Satzungen dieser Gilden waren in 
den sogenannten Rollen festgelegt und regelten die 
Wahl der Vorstande und Altesten, die Verteilung der 
Auftrage und Gewinne. Die Hamburger Griinrolle des 
Jahres 1691 legte auch ein Protokoll fiir Beerdigungen 
von Mitgliedern fest und sicherte den Witwen Unter- 
stiitzung zu. Sowohl die Liibecker Kostenbriider als 
auch die Hamburger Rollbriider mufiten im 17. Jh. als 
Gegenleisturig fiir die von der Stadt gewahrten Rechte 
bei der Kirchenmusik mitwirken ; die Liibecker Kosten- 
briider waren auch bei der -*■ Abendmusik beteiligt. - 
Einen eigenen Stand unter den Instrumentisten bildeten 
die hbfischen Trompeter und Pauker. Offiziell durfte 
ihre Kunst nur an Fiirstenhofen gepflegt werden. Schon 
im 15. Jh. war aber einigen Stadten das Recht verliehen 
worden, Trompeter zu unterhalten; andere Stadte und 
auch Privatpersonen haben ohne Genehmigung Trom- 
peter beschaftigt. Gegen solche Verletzungen des fiirst- 
lichen Privilegs haben die Hoftrompeter immer wieder 
protestiert, um ihre Vorrangstellung zu behaupten. Zu 
Anfang des 16. Jh. stand der Hoftrompeter noch in 
hoherem Ansehen und erhielt auch hoheren Lohn als 
die anderen Hofinstrumentisten. Als sich aber im Lau- 



fe des 16. Jh. fiirstliche Representation mehr in der 
Pflege der Kunstmusik als in Trompeterfanfaren zu 
dokumentieren begann, sank das Ansehen des Trom- 
peterstandes. Die fahigsten Trompeter beherrschten 
auch andere Instrumente und konnten an Hofen und 
in Stadten weit mehr Ruhm ernten als im Trompeter- 
korps. Gute Instrumentisten verstanden es, Trompete 
zu blasen, auch ohne in die vielberufenen Z.-Geheim- 
nisse eingeweiht worden zu sein. In mehreren Reichs- 
tagsabschieden des 16. und 17. Jh. wurden die Rechte 
und die Sonderstellung der Trompeter noch einmal 
verbrieft. Nach dem 1623 von Ferdinand II. erneuerten 
Reichsprivileg sollten die Trompeter eines jeden Hofes 
Kameradschaften bilden, die der Dresdener Oberkame- 
radschaft unterstanden. Alle Freibriefe fur Trompeter- 
lehrjungen muBten vom Kurfiirsten von Sachsen aus- 
gestellt werden, der auch alle Streitfalle zu schlichten 
hatte. Was 1795 J.E. Altenburg in der Absicht, das An- 
sehen seines Standes noch einmal zu heben, iiber die 
Geschichte der heroisch-musikalischen Trompeter- und 
Pauker-Kunst geschrieben hat, entsprach zu groBen Tei- 
len nicht mehr den Tatsachen. - An vielen Orten wa- 
ren die Instrumentenbauer gezwungen, sich Hand- 
werkerziinften anzuschlieBen und ihnen Beitrage zu 
zahlen, da sie mit ihrer Arbeit (auch wenn es sich nur 
um Verzierungen an Instrumenten handelte) gegen 
Privilegien der Drechsler, Kupferschmiede, Goldar- 
beiter, Maler oder Tiscbler verstieBen. Nur in wenigen 
Fallen gelang es ihnen, sich Musikergenossenschaften 
anzuschlieBen oder gar die Anerkennung einer eigenen 
Z. durchzusetzen (wie 1599 in Paris). - Als Ziinfte sind 
vielfach auch die Schulen des -> Meistersangs bezeich- 
net worden, die sich zunftmaBige Satzungen gaben, 
obwohl sie ihre Kunst neben ihrem Beruf betrieben 
und gegen niemanden geschiitzt werden muBten. - 
Gewissen Z.-Brauchen unterwarf sich in einigen Fallen 
auch das -> Collegium musicum, dessen Mitglieder zu 
freiwilligem Musizieren zusammenkamen. Die 1600 in 
Friedland gegriindete musikalische Gilde berief sich auf 
alte, von Papst und Kaiser bestatigte Privilegien. Fiir 
die Aufnahme ins Collegium wurden bestimmte Be- 
dingungen gestellt. Man wahlte Alterleute, die die La- 
de mit den Satzungen und Privilegien verwalteten. Die 
Privilegien beschrankten sich jedoch auf die Erlaubnis, 
in der Kirche bestimmte Chorstiihle zu besetzen und 
regelmaBig zum Abendmahl gehen zu diirfen. Im iib- 
rigen unterstiitzte die Gilde in Not geratene Mitglieder 
und sicherte alien ein feierliches Begrabnis zu. - Viel- 
fach ist das Wort Z. auch gleichbedeutend mit Berufs- 
stand benutzt worden. So sprach man von der Orga- 
nisten-Z., obwohl die Organisten weder eine Gilde 
bildeten noch zur Ausiibung ihres Berufs Privilegien 
gebraucht hatten; von Z.-Geist getragen war lediglich 
die solide handwerksmaBige Ausbildung. 
Im 17. und 18. Jh. kampften Pfeiferkbnige und Stadt- 
pfeifergilden hartnackig um die weitere Anerkennung 
ihrer Privilegien; doch konnten sie nicht mehr die 
Qualitat garantieren, so daB ihren Forderungen die in- 
nere Begriindung fehlte. In Paris versuchte der Pfeifer- 
konig vergeblich, J.-B.Lullys Opernorchester und die 
Mitglieder der kbniglichen Tanzakademie dem Z.- 
Zwang zu unterwerfen. Den letzten Versuch, die Au- 
toritat des Pariser Pfeiferkonigs wiederherzustellen, 
unternahm seit 1741 ohne Erfolg der Geiger J. P. Gui- 
gnon; 1773 wurde das Amt aufgehoben. Auch in 
Deutschland waren die Konkurrenten der Z.-Musiker 
nicht mehr die Bierfiedler und Stumper, sondern spe- 
zialisierte Virtuosen, ausgebildete Militarmusiker so- 
wie im besonderen biirgerliche Musikliebhaber und 
Studenten. Mit dem Begriff des ziinftigen Musizierens 
verband sich nicht mehr die Vorstellung einer hand- 



1083 



Zunge 



werklichen Soliditat, sondern eines Mangels an Genia- 
litat. Zufolge des Liebhabermusizierens und der auf- 
kommenden offentlichen Konzerte schwand auch das 
Bediirfnis nach bezahlter Festmusik, so daB die Z.-Mu- 
siker ihre Auf trage verloren. Langer als die Privilegien 
hielten sich die Z.-Brauche bei der Ausbildung der 
stadtischen Musiker. Als ein spates Zeugnis fur das 
Fortleben von Z.-Gedanken kann die 1863 auf eigenen 
Wunsch erfolgte formliche »Lossprechung« Bruckners 
nach AbschluB des Kompositionsstudiums gelten. 
Lit.: H. M. Schletterer, Gesch. d. Spielmannsz. in 
Frankreich u. d. Pariser Geigerkonige, Bin 1884; M. 
Seiffert, Die mus. Gilde in Friedland, S1MG 1, 1 899/1 900 ; 
H. J. Moser, Die Musikergenossenschaften im deutschen 
MA, Diss. Rostock 1910; W. Gurlitt, Die Hamburger 
Grunrolle v. Jahre 1691, S1MG XIV, 1912/13; R. Lach, 
Zur Gesch. d. mus. Zunftwesens, Sb. Wien 199, 3, 1923; 
E. Preussner, Die biirgerliche Musikkultur, Hbg 1935, 
Kassel 21950; C. Anthon, Some Aspects of the Social 
Status of Ital. Musicians During the Sixteenth Cent., 
Journal of Renaissance and Baroque Music I, 1946/47 ; W. 
Ehmann, Tibilustrium. Das geistliche Blasen, Kassel 1950; 
H. Federhofer, Der Musikerstand in Osterreich v. ca. 
1 200 bis 1 520, Deutsches Jb. d. Mw. Ill (= JbP L), 1 958 ; G. 
Fleischhauer, Die Musikergenossenschaften im helleni- 
stisch-romischen Altertum, Diss. Halle 1959, maschr.; H. 
Engel, Musiku. Ges.,Blnu. Wunsiedel 1960; W. Salmen, 
Der fahrende Musiker im europaischen MA, = Die Mu- 
sik im alten u. neuen Europa IV, Kassel 1960. MR 

Zunge (engl. reed; frz. anche; ital. ancia), ein elastischer 
Korper (Blatt), der einen Luftstrom periodisch unter- 
bricht. Die Frequenz der dabei entstehenden Schwin- 
gung hangt ab von der Masse und Elastizitat der Z. so- 
wie von der Eigenfrequenz des angeschlossenen Reso- 
nators. Gegenschlag-Z.n sind das Doppelrohrblatt wie 
bei der Oboe oder dem Fagott sowie die Polster-Z.n, 
zu denen die Stimmlippen des Kehlkopfs (-> Stim- 
me - 2) und die Lippen des Blasers bei Horn- und 
anderen Blechblasinstrumenten gehoren. Aufschlag- 
Z.n haben die Instruments mit einfachem Blatt wie 
die Klarinette und das Saxophon sowie die Zungen- 
stimmen der Orgel; dabei schlagt die Z. gegen einen 
Rahmen. 1st sie so kurz, daB sie durch den Rahmen 
hindurchschlagt, so handelt es sich um eine f reie (durch- 
schlagende) Z. wie bei den -v Harmonika-Instrumen- 
ten. Pfeifen mit Z.n werden in der Systematik der In- 
strumente als Rohrblattinstrumente zusammengefaBt. 
Ihre einfachen Vorf ormen sind Grashalm oder Rinden- 
stiick, auf denen geblasen wird. 
Lit.: C. Sachs, Zur Fruhgesch. d. durchschlagenden Z., 
Zflb XXXIII, 1912/13; W. Schrammek, Birkenblattbla- 
sen, Fs. H. Besseler, Lpz. 1961. 

Zungenpfeifen -> Lingualpf eif en. 

Zungenstimmen -> Register (- 1). 

Zungenstofi, Zungenschlag (frz. coup de langue), bei 
Blasinstrumenten eine Technik der Artikulation. Nach 
Hotteterre (1707) sollen die StoBe auf der Querflote 
sanft, auf der Blockflote und besonders der Oboe schar- 
fer gemacht werden; die Technik des Z.es ist auch auf 
den Instrumenten mit Kesselmundstiick ausf iihrbar. Als 
Artikulationssilbenbei der Querflote verwendet Quantz 
(1752) das kurze harte ti und das weichere di (einfache 
Zunge), bei schnelleren punktierten Noten tiri (diri), 
fiir sehr schnelle did'll (Doppelzunge). Fiir die Doppel- 
zunge auf der Blockflote wie auch auf der Trompete 
und Posaune wird dik-ke (te-ke) verwendet. Fiir das 
Tremolo auf einem Ton wird ein r artikuliert (Flatter- 
zunge; tremolo dental), das bei schnellen chromati- 
schen Gangen wirkungsvoll ist. 

Lit.: M. Aoricola, Musica instrumentalis deudsch, Wit- 
tenberg 1529, erweitert "1545, hrsg. v. R. Eitner, = PGfM, 



Jg. XXIV, Bd XX, Lpz. 1 896 ; S. Ganassi, Opera Intitulata 
Fontegara, Venedig 1535, Faks. d. Boll. Bibl. Mus., Mai- 
land 1934, dass. als: S. Ganassi, La Fontegara. Schule d. 
kunstvollen Flotenspiels . . . , hrsg. v. E. Dahnk-Baroffio 
u. H. Peter, Bin 1956; J. Hotteterre, Principes de la flute 
traversiere d' Allemagne, de la flute a bee ou flute douce . . . , 
Paris 1707, Faks. u. deutsche t)bers. hrsg. v. H. J. Hellwig, 
Kassel (1942, 21958); Quantz Versuch; G. Scheck, G. 
Ritter v. Freiberg u. Fr. Ramin in : Hohe Schule d. Mu- 
sik IV, hrsg. v. J. M. Miiller-Blattau, Potsdam (1938). 

Zupfinstrumente sind ->• Chordophone oder ->■ Idio- 
phone, bei denen der Ton durch AnreiBen von Saiten 
oder elastischen Korpern mit den Fingern oder einem 
Plektron erzeugt wird. Zu ihnen gehoren Saiteninstru- 
mente vom Typ der ->• Zither (darunter das Cembalo), 
der -> Laute, der -> Leier und der ->• Harfe. In der 
Volksmusik sind Z. verbreitet, besonders in Siideuropa. 
In der Musik des Barocks waren sie wegen der Mog- 
lichkeit des Akkordspiels als -> Fundamentinstrumente 
verwendbar. Im Orchester werden im 20. Jh. neben 
der -> Harfe auch Z. (Gitarre, Mandoline, Cembalo) 
verwendet, u. a. von Schonberg (-> Kurztoninstru- 
mente), Webern und Henze. 
Lit.: H. J. Zingel, Z. zum Continue ZfMw XVII, 1935. 

Zurna (arabisch; tiirkisch zurna, von persisch surnay, 
Schalmei; arabisch auch ->• mizmar, zamr; chinesisch 
so-na), ein im gesamtenEinfluBbereich des Islams (Vor- 
derer Orient, Balkan, Nordafrika, Madagaskar, Indien) 
und in China verbreiteter Typ der'-*- Schalmei (- 1). 
Das bereits im 10. Jh. von al-Farabi beschriebene In- 
strument ist aus einem Stuck gearbeitet, im oberen Teil 
zylindrisch, im unteren stark konisch (Schalltrichter), 
mit 6-8 diatonisch angeordneten vorderstandigen und 
einem hinteren Griffloch sowie mehreren (meist 7) 
Schallochern im unteren Teil der Rohre. Der Z. wird 
mit Lippenscheibe und Windkapselansatz geblasen ; die 
meist aus weichem Material (Binse, Maisstroh) herge- 
stellten Rohrblatter schwingen nur, wenn sie nicht mit 
den Lippen beriihrt werden. Der laut und durchdrin- 
gend klingende Z. ist heute ein Instrument der Volks- 
musik. Er wird meist zusammen mit einer groBen 
Trommel (arabisch tabl, tiirkisch davul) gespielt. In 
Jugoslawien wird der Z. in 2 GroBen (60 cm und 
30 cm) gebaut; zum -> Tupan spielen stets 2 Instru- 
mente gleicher GroBe. 

Lit.: al-Farabi, Kitab al-muslql al-kablr, frz. als: Grand 
traite de la musique, in: Baron R. d'Erlanger, La musique 
arabe I, Paris 1930, S. 272ff. ; H. G. Farmer, Studies in 
Oriental Mus. Instr., I London 1931, II Glasgow 1939; 
B. Sirola, Sopila i zurla, = Etnoloska bibl. XVII, Zagreb 
1932; H. Hickmann, Terminologie arabe des instr. de mu- 
sique, Kairo 1947, maschr. 

Zweiunddreifiigstelnote (ital. biscroma; frz. triple- 
croche; engl. demisemiquaver; in den USA auch thir- 
ty-second note) :^ ; Pause (frz. huitieme de soupir) : ^ . 

Zwerchpfeife ->- Querpfeife. 

Zwickau. 

Lit. : W. Niemeyer, Die Zw.er Stadtpfeifer im 16. Jh., Mitt, 
d. Altertumsver. f. Zw. u. Umgegend XIV, 1929 u. XV, 
1931 ; Das alteste Zw.er Gesangbuch v. 1525, hrsg. v. O. 
Clemen, Zw. 1935; G. Eismann, Das R.-Schumann-Haus 
inZw., Weimar 1958. 

Zwiebelflote -> Mirliton. 

Zwiefacher, ein vor allem in Niederbayern und der 
Oberpfalz verbreiteter Volkstanz mit haufigem, in sei- 
ner Abfolge nicht schematisch faBbarem Wechsel von 
geradem und ungeradem Takt. Der Taktwechsel beim 
Zw.n laBt sich auffassen als ein Tempowechsel und 
resultiert aus der Misohung von Tanzfiguren verschie- 
dener Tanze (2 x 3/4-Takt-Walzer, 3/4-Takt-Landler, 



1084 



Zwolftontechnik 



Oberpf alzer Zw. Seidener Zwirn 
D W 



* W D W D 



Notierung gemaB Ausf iihrung : 



2 x 2/4-Takt-Dreher) innerhalb eines Tanzes. Dies wird 
audi in der Notierung des Zw.n durch die Bauernmu- 
sikanten deutlich (vgl. Huber); der Viertelnote des 
Walzers (W) entspricht eine Achtelnote des Drehers 
(D) oder Landlers (siehe obenstehendes Beispiel). Die 
verschiedenen, haufig auch durch den Text der Zw.n 
bestimmten Kombinationen der Tanzfiguren, die zu- 
satzlich durch die Verwendung von halben Walzer- 
und Dreherfiguren (jeweils nur ein 3/4- bzw. 2/4- 
Takt) bereichert werden konnen, setzen sich zu Peri- 
oden von 8, 16 oder 6 solcher Tanzeinheiten (Land- 
ler-, Halbdeutscher-, Sechstakt- bzw. Dreilandler-Zw.) 
zusammen, wobei der 2 x 3/4-Walzertakt, der 2 x 2/4- 
Drehertakt und der 3/4-Landlertakt Equivalent sind, 
ohne Riicksicht auf ihre unterschiedliche Dauer. - Der 
Zw. wurde als volkstiimlicher Tanz auch in der Kunst- 
musik verwendet, so bei Orff (Ufdem anger, in: Car- 
mina Bur ana, 1937). 

Lit. : A. Bauer, 40 bayerische Tanze, Zf Mw VIII, 1925/26 ; 
ders., 60 bayerische Tanze, ZfMw XII, 1929/30; V. Junk, 
Die taktwechselnden Volkstanze, Lpz. 1938 ; F. Hoerbur- 
ger, Die Zw., Gestaltung u. Umgestaltung d. Tanzmelo- 
dien im nordlichen Altbayern, = VerofT. d. Inst, f . deutsche 
Volkskunde X, Bin 1956; H. Regner, Taktwechselnde 
Volkstanze im schwabischen Ries, Diss. Miinchen 1956, 
maschr. ; Fr. Krautwurst, Ober d. Zw., in : Der Zwiebel- 
turm XII, 1957; K. Huber, Was ist ein Zw. ?, in : Volkslied 
u. Volkstanz, hrsg. v. CI. Huber u. O. A. v. Muller, Ettal 
(1959). 

Zwischenaktsmusik -» Biihnenmusik. 

Zwischendominanten sind in die dur-moll-tonale Ka- 
denz beliebig einzuschaltende Dominanten, auch Sub- 
dominanten leitereigener Harmonien, durch welche oft 
vollstandige Zwischenkadenzen in anderen Tonarten 
(Ausweichungen) entstehen, ohne daB das tonale Zen- 
trum des Stiickes wie bei einer -*■ Modulation (-1) ver- 
lassen wird. Auf H.Riemann geht der Brauch zuriick, 
die Funktionsbezeichnungen von Zw. bzw. Zwischen- 
subdominanten in runde Klammern zu setzen ; in Klam- 
mern stehende Funktionsbezeichnungen beziehen sich 
grundsatzlich auf die den Klammern folgende Harmo- 
nie, z. B. : 




T (°S D) Tp 

Folgt auf die Zw. bzw. Zwischensubdominanten nicht, 
wie erwartet, ihre Bezugsfunktion, so wird diese in 
eckigen Klammern nur angezeigt, die Funktionsbe- 
zeichnung des an ihrer Stelle erklingenden Akkordes 
jedoch darunter (bisweilen auch daneben) geschrieben, 
z. B.: 



^ 



g^^g 



(D 7 ) 



s 



w 



Ja= 



Die eckige Hammer kennzeichnet eine »har- 
monische Ellipse«. Im Falle (D)-D, einer sehr 
haufig vorkommenden Kombination, wird das 
verdoppelte Zeichen Dominante @ angewendet 
(-> Wechseldominante, auch Doppeldominan- 
te). Sollen dieZw. auf die Funktion bezogen wer- 
den, die vor der Klammer steht, so wird dies 
durch einen riickwartsweisenden Pfeil deutlich 
gemacht, z. B.: 




Zwischenspiel -> Divertimento (-2), -*■ Inter- 
ludium, -> Intermedium, ->• Intermezzo. 

Zwolftontechnik (Dodekaphonie) heiBt allgemein 
die von A. Schonberg entwickelte und seit 1923 ange- 
wandte Technik der »Komposition mit zwolf nur auf- 
einander bezogenen T6nen« so wie die von J. M. Hauer 
seit 1919 entwickelte Kompositionstechnik, deren 
Grundlage die Lehre von den Tropen (Wendungen) 
ist. Beide Techniken setzen die zwolfstufig gleich- 
schwebend temperierte Stimmung voraus. 
1) Die Technik Schonbergs basiert auf Tonreihen, 
deren jede einzelne alle Tonqualitaten aufzuweisen hat, 
sogenannte Zwolftonreihen. Jeder Komposition liegt 
eine einzige -*■ Reihe zugrunde. Ihre 48 verschiedenen 
Gestalten, die kaum je alle innerhalb eines Werkes 
benotigt werden, sind grundsatzlich gleichberechtigt; 
der Name Grundgestalt f iir eine Erscheinungsf orm der 
Reihe bezeichnet keine Vorzugsstellung, sondern meist 
einfach die zuerst auftretende Gestalt. (So wie alle Tone 
nur aufeinander und nicht etwa auf einen Grundton 
bezogen sind, so sind alle Gestalten der Reihe nur auf- 
einander und nicht auf eine Grundgestalt bezogen.) 
Auswahl und Anordnung der Reihengestalten stehen 
dem Komponisten frei und konnen als Mittel der 
Formbildung dienen (besonders deutlich in E. Kfeneks 
6. Quartett op. 78). Die Reihe selbst soil als zusam- 
menhang-, ordnung- und einheitstiftendes Element 
wirken und darf darum weder verandert noch unvoll- 
standig gebracht werden (einzig Wiederholungen ein- 
zelner Tone und Tongruppen sind in beschranktem 
Umfang zulassig) ; sie soil sowohl die Melodik als auch 
die Harmonik (die Zusammenklange) konstituieren. 
Da die Reihe innerhalb einer Komposition nicht in 
gleicher Weise Melodik und Harmonik bestimmen 
kann - es sei denn, beide hatten den gleichen musika- 
lischen Inhalt -, bleibt jeweils einer der beiden Bereiche 
sekundar, das heiBt nur sehr indirekt auf die Reihe be- 
ziehbar. Extremfalle sind einerseits unbegleitete Melo- 
dien, bloBe Melodisierungen einer Reihengestalt, wie im 
Thema der Gigue in Schonbergs Suite op. 29 (4. Satz) : 

FT 1 




(D -) Sp D 



andererseits Zwolfklange. Alle Zwolfklange gehoren 
indessen, wegen des Prinzips der beliebigen Oktavlage 
eines jeden einzelnen Reihentons, grundsatzlich alien 
Zwolftonreihen zu, es sei denn, der Komponist befolge 
wenigstens eine zusatzliche Regel, etwa die, die Rei- 
hentone von oben nach unten (oder umgekehrt) an- 
zuordnen, wie dies etwa A. Berg in seinem 2. Storm- 
Lied (Takt lOff.) getan hat. Einen mehrstimmigen Ton- 
satz kann die Reihe auf ganz verschiedene Weise de- 
terminieren. Jeder einzelnen Stimme eines polyphonen 



1085 



Zwolftontechnik 



Satzes kbnnen verschiedene Reihengestalten zugrunde 
liegen, wie im 1. Satz der Suite op. 29 von Schonberg, 
Takt 5ff. (G = Grundgestalt, U = Umkehrung) : 

Flag. 

n » A 

(G) 



Geige 



steht ein Quartenakkord, der nicht direkt aus der Rei- 
he ableitbar ist, durch die Auswahl des jeweils ersten 
und letzten Tons einer jeden Reihenhalfte, also des 



Bratsche 



Vc. 




*)= » L. T =g^ 



*® 



wobei die Zusammenklange ohne direkte Beziehung 
au£ die Reihe bleiben; oder die Zusammenklange eines 
Satzes werden durch die Reihe gepragt, also bleiben 
die in den einzelnen Stimmen entstehenden Tonfol- 
gen - oftmals sind es wirkliche Melodien - ohne direkte 
Beziehung zur Reihe, wie etwa zu Beginn des 2. Satzes 
der genannten Suite Schonbergs: 



Geige 



Bratsche 



Vc. 



Die Ableitung eines mehrstimmigen Satzes aus einer 
einzigen Reihengestalt setzt in jedem Fall Reihen- 
brechung voraus. Die einfachste Satzart laBt die Ton- 
einsatze durch die Reihe bestimmen, wobei dann ein 
Teil der Melodieschritte und der Zusammenklange der 
Determination durch die Reihe entzogen wird; das 
klassische Beispiel hierfur ist der Anfang des 3. Satzes 
in Schonbergs Blaserquintett op. 26: 



Horn 





vmmer zart und gesangvoll 

Eine andere Satzart mischt melodische und harmo- 
nische Reihenaussetzung, wie zu Beginn des Violin- 
konzerts op. 36 von Schonberg : 

H"i 2 7 8 




Vc. divisi 



Vielfach werden aus der Reihe einige (kaum je will- 
kiirlich gewahlte) Tone ausgesondert und als Orgel- 
punkte (oder als Begleitfiguration mit Orgelpunkt- 
funktion) der Melodie oder dem Tonsatz zugefugt. In 
der Coda des Hauptsatzes von Schonbergs Blaserquin- 
tett op. 26 (Takt 209fL; siehe folgendes Beispiel) ent- 



1., 6., 7. und 12. Reihentons (die im vorigen, dem 
gleichen Werk entnommenen Beispiel die Oberstimme 
bilden) : 



2 3 4 5 8 9 10 11 




Fl. 



Ob. 



Klar. 



Horn 



Fag. 



Alle diese Satzweisen konnen vervielfacht und inein- 
ander verschrankt erscheinen. - Zw. setzt ->■ Atonali- 
tat, diese wiederum vollstandige Chromatisierung und 
Emanzipation der Dissonanz voraus, ist aber zugleich 
auch ein Mittel, sie zu realisieren. Darum sind Oktaven 
sowohl sukzessiv als auch simultan verboten, Konso- 
nanzen (Terzen, Sexten, Quinten) oder Klange, die 
durch ihre Verwendung in der dur-moll-tonalen Musik 
einen besonderen Charakter sich erworben haben (alle 
konsonanten Dreiklange, Septakkorde usw.) wenig- 
stens an exponierten Stellen zu vermeiden. (Gleichwohl 
beginnt der langsame Satz in Schonbergs 3. Quartett 
op. 30 iiberwiegend mit Konsonanzen.) Die Zw. ist, 
obwohl sie sich in Regeln fassen laBt, weniger ein 
System von Regeln, das es erlaubt, wieder einen hand- 
werklich guten Tonsatz zu schreiben, als eine Samm- 
lung von Vorschriften, die es dem Komponisten 
verwehrt, unversehens ins traditionelle musikalische 
Idiom zuruckzufallen. Zw. garantiert keinen musika- 
lischen Sinn, sie verhindert nur eine ganz besdmmte 
Art von Traditionalismus: Banalitat. Sie garantiert 
einzig eine Fiille von musikalischen Beziehungen. 
Die Zw. Schonbergs entwickelte sich unter den Han- 
den eines jeden Komponisten, der sich ihrer bediente, 
weiter. A. Berg, der niemals ganz auf traditionelle 
Klange und Klangfolgen verzichtet hat, leitet in seiner 
Oper Lulu neue Reihen aus einer Grundreihe ab und 
hat wohl auch schon friiher seine Reihen bisweilen im 
Verlauf einer Komposition modifiziert. Krenek, der 
die Technik um 1930 iibernahm, hat im AnschluB 
an die Uberlegungen von R.S.Hill aus der Reihe 
2 Sechstongruppen abgeleitet und aus jeder einzel- 
nen (nach den Prinzipien der Ableitung der ver- 



1086 



Zwolftontechnik 



schiedenen Kirchentonarten aus dem diatonischen Ton- 
vorrat) 6 Modi gebildet und dann jeden dieser Modi 
auf jede der 6 Stufen transponiert, so daC sich fiir jede 
der Sechstonkonstellationen 36 Skalen ergeben; wenn 
auch von Umkehrung, Krebs und Krebs der Umkeh- 
rung Gebrauch gemacht wird, ergeben sich fiir jede 
Sechstongruppe 144 Konstellationen. Kfenek hat auch 
- und dieses Verfahren erwies sich vielleicht als noch 
fruchtbarer - aus jeder Zwolftonreihe 12 Dreiton- 
gruppen gebildet (123/234/345 usw. bis 10 11 
12 / 11 12 1 / 12 1 2) und die Tone dann innerhalb 
einer jeden Gruppe umgestellt, »rotiert« (123/231/ 
3 12, alle auch riickwarts zu lesen!). Die Zw., die zu- 
nachst nur von den direkten Schiilern Schonbergs 
iibernommen wurde (Webern, A. Berg, H.Eisler, W. 
Zillig) hat zunachst nur sehr zogernd Aufnahme ge- 
funden, urn 1927 bei Jozef Koffler, um 1930 bei Kfe- 
nek, nach 1940 bei L. Dallapiccola. Nach 1945 hat sie 
sich rasch international verbreitet, vor allem dank der 
padagogischen Wirksamkeit von E. Kfenek und R. Lei- 
bowitz, aber schon 1950 wurde sie durch die Ver- 
fahren der -> Seriellen Musik weiterentwickelt oder 
abgelost. 

2) Grundlage der Technik Hauers sind nicht Reihen, 
sondern »Tropen« (Wendungen). Jede Trope besteht 
aus zwei Sechstonkonstellationen, die sich zur Zwolf- 
tongruppe erganzen. Da innerhalb einer jeden Tropen- 
halfte die absolute Tonhohe und die Folge der Tone 
belanglos ist - man notiert sie deshalb als Akkorde in 
mbglichst enger Lage -, gibt es insgesamt 144 Tropen, 
deren jede sich in ihrer Struktur von alien anderen 
unterscheidet. Jede Trope kann auf jede Tonstufe trans- 
poniert werden. Die Tropen determinieren nicht pri- 
mar die Melodik oder die Harmonik, sondern die Ge- 
samtheit des Tonsatzes, der allerdings grundsatzlich auf 
Profilierung der Einzelstimmen und uberraschende 
Harmonik bewuBt verzichtet. - Hauer hat seine Zwolf- 



tontechnik seit 1918 entwickelt (und seit seinem op. 19 
konsequent angewandt). Ihre endgiiltige Gestalt er- 
reichte sie aber erst 1942, als Hauer sein Erstes Zwolf- 
tonespiel mit den endgultig festgelegten rnonodischen Spiel- 
regeln (Szmolyan, S. 66) schrieb. 

Lit.: — > Reihe; L. Deutsch, Das Problem d. Atonalitat u. 
d. Zwolftonprinzip, Melos VI, 1927; Th. W. Adorno, Zur 
Zw., Der Anbruch XI, 1929; ders., Philosophie d. Neuen 
Musik, Tubingen 1949, Ffm. 21958; W.Schuh, Zur Zw. bei 
E. Kfenek, SMZ LXXIV, 1934; R. S. Hill, Schoenberg's 
Tone- Rows and the Tonal System of the Future, MQ XXII, 
1936; E. Krenek, Uber Neue Musik, Wien 1937, engl. als: 
Music Here and Now, NY 1939; ders., Studies in Coun- 
terpoint, NY 1940, deutsch als: Zwolfton-Kontrapunkt- 
studien, Mainz (1952); ders., New Developments in the 
Twelve-Tone Technique, MR IV, 1943; ders., Is the 
Twelve-Tone Technique on the Decline?, MQ XXXIX, 
1953; ders., Extents and Limits of the Serial Techniques, 
MQ XLVI, 1960; R. Erikson, Kfenek's Later Music, MR 
IX, 1 948 ; R. Leibowitz, Qu'est-ce que la musique de douze 
sons?, Liittich 1948; ders., Introduction a la musique de 
douze sons, Paris (1949); Le systeme dodecaphonique 
( = Polyphonie, H. 4), Paris 1949 ; W. Reich, E. Kfeneks Ar- 
beit in d. Zw., SMZ LXXXIX, 1949; ders., Versuch einer 
Gesch. d. Zw., in: Alte u. Neue Musik, Zurich 1952, er- 
weitert in: Fs. A. Orel, Wien u. Wiesbaden (1960); H. Je- 
linek, Anleitung zur Zwolftonkomposition, 2 Bde, Wien 
1952-58; H. Pfrogner, Die Zwolfordnung d. Tone, Zu- 
rich, Lpz. u. Wien 1953; L. Roononi, Espressionismo e 
dodecafonia, Turin 1954; G. Perle, The Harmonic Pro- 
blem in Twelve-Tone Music, MR XV, 1954; G. Roch- 
berg, The Hexachord and Its Relation to the 12-Tone- 
Row,BrynMawr(Pa.)1955;R.RETi,Tonality-Atonality- 
Pantonality, London 1958, 21960; R. Stephan, Neue Mu- 
sik, = Kleine Vandenhoeck-Reihe IL, Gottingen 1958; 
ders., Ober J. M. Hauer, AfMw XVIII, 1961; R. Vlad, 
Storia della dodecafonia, Mailand 1958 ; B. Schaffer, Kla- 
sycy dodekafonii, 2 Bde, I Krakau 1961, 21964, II 1964; M. 
Lichtenfeld, Untersuchungen zur Theorie d. Zw. bei J. M . 
Hauer, = Kolner Beitr. zur Musikforschung XIX, Regens- 
burgl 964; W. Szmolyan, J. M. Hauer, Wien 1965;K.Boeh- 
mer, Material - Struktur - Gestalt, Mf XX, 1967. RSt 



1087